Lass sie doch reden
Lindsay Armstrong
Julia 1202 18 – 1/96
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almutK.
I.KAPIT...
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Lass sie doch reden
Lindsay Armstrong
Julia 1202 18 – 1/96
Gescannt von suzi_kay
Korrigiert von almutK.
I.KAPITEL
„Er war..." Deborah Winters verstummte aus zwei Gründen: weil sie nahe daran gewesen war, Simon Macquarie als schön zu bezeichnen, und weil sie im Begriff war, über Dinge zu sprechen, die sie noch nie jemandem erzählt hatte. Aber dann blickte sie in das kummervolle, tränenüberströmte Gesicht ihrer Freundin Jane, seufzte im stillen und besann sich anders, bevor sie weitersprach. „Er war sehr arrogant. Wir mochten uns gar nicht besonders. Nun ..." Deborah zuckte die Schultern und überlegte, dass es beinahe unmöglich war, zu erklären, was zwischen Simon Macquarie und ihr vorgefallen war, und sie es nicht einmal versuchen würde, wäre Jane nicht gerade von ihrem Freund verlassen worden. Noch schlimmer wurde die Sache, weil sich Deborah und Jane zwei Jahre lang eine Wohnung geteilt hatten und wirklich enge Freundinnen geworden waren, Deborah aber am nächsten Morgen nach London abreisen würde. Jane, ebenso weic hherzig wie naiv, war auch deswegen in einer schrecklichen Verfassung. „Und er hat dir den Laufpass gegeben?" Erneut liefen Jane Tränen übers Gesicht. „Du Ärmste." Deborah lächelte flüchtig. „Es ist drei Jahre her. Schaue ich aus wie ein armes, verlassenes Mädchen?" „Nein. Du schaust immer wundervoll aus und wirst in London Aufsehen erregen. Nur weiß ich zufällig, dass es in deinem Leben in den vergangenen zwei Jahren keine ernsthafte Beziehung gegeben hat, was für eine Frau wie dich kaum zu glauben ist. Liebst du diesen Simon noch, oder hast du dir geschworen, dich nie wieder von einem Mann enttäuschen zu lassen?" Obwohl sie es die ganze Zeit sich selbst gegenüber beharrlich abgestritten hatte, hielt es Deborah doch für möglich, dass ein Körnchen Wahrheit in jenen beiden Fragen steckte, und deshalb sagte sie schließlich gelassen: „Wenn es Liebe war, dann die beunruhigende Art Liebe, ohne die man wahrscheinlich besser dran ist, mit Sicherheit war sie einseitig. Und ja, du hast recht, ich bin seitdem ein bisschen misstrauisch. Trotzdem glaube ich weiterhin, dass eines Tages der richtige Mann kommen wird, und das solltest du auch tun." Jane schniefte und putzte sich die Nase. „Das ist es ja gerade, worüber ich unaufhörlich nachdenke! Ich war mir sicher, dass Stuart der richtige ist!" Insgeheim hatte Deborah ihn für einen überheblichen Wichtigtuer gehalten, doch sie sagte nur sanft: „Kopf hoch, Mädchen! Du wirst irgendwann eine wundervolle Ehefrau sein." Das löste einen neuen, minutenlangen Weinkrampf aus, und als Jane tapfer die Tränen unterdrückte und bat: „Erzähl mir mehr über den Mann, den du nicht vergessen kannst, Deborah", war es schwer, sich der Bitte zu widersetzen. Es war eine Qual, darüber zu sprechen, aber Deborahs Stimme klang völlig gelassen. „Er kam aus Großbritannien zu Werbezwecken hierher. Seine Familie stellt seit Jahrhunderten einen sehr berühmten Likör her - in Frankreich." „Ist er einer dieser schrecklich vornehmen Engländer aus der Oberschicht? Oder eher ein französischer Don Juan?" Deborah lachte. „Er ist Schotte, und ,schrecklich vornehm' war er nicht, obwohl ... nun, man konnte sofort erkennen, dass er aus der Oberschicht stammt, aber nicht, weil er näselnd sprach oder sich auffällig benahm." „Ich weiß, was du meinst. Es hatte eine gewisse Ausstrahlung, nicht wahr?" „Genau." „Sieht er gut aus? Wenn seine Familie seit Jahrhunderten dieses Zeug in Frankreich herstellt, muss es dorthin doch eine Verbindung geben. Ist er dunkelhaarig und gefährlich oder rothaarig, mit einer Vorliebe für Kilts?" „Es gibt anscheinend französisches Blut in der Familie, aber dunkel ist er nicht, und
gefährlich schaut er auch nicht aus ..." „Blond, und er wirkt verwegen gefährlich?" riet Jane. „Nein. Hellbraunes Haar, graugrüne Augen, groß und kräftig, damals war er zweiunddreißig ..." Deborah sprach nicht weiter. „Und umwerfend gutaussehend." Jane verzog das Gesicht. „Nein. Bei manchen Männern ist das schwer zu sagen", überlegte Deborah laut. „Einige haben das gewisse Etwas, ohne das Gesicht eines Dressmans zu haben. Ich denke, es hat mit den Augen und den Händen zu tun. Mit der Art zu sprechen, überlegen und entspannt zu wirken und im entscheidenden Moment das Kommando zu übernehmen. Aber er konnte abscheulich sein." Sein Körper war schön, dachte sie und fühlte plötzlich einen seltsamen kleinen Stich. Stark, durchtrainiert, breite Schultern ...“ „Also arrogant und manchmal auch nett? Attraktiv, aber nicht schön im klassischen Sinn? Reich und selbstsicher? Zweifellos gefährlich für ein neunzehnjähriges noch ziemlich unerfahrenes Mädchen", meinte Jane leise und sah Debora an. Bei dem Ausdruck aufrichtiger Sorge in den Augen ihrer Freundin spürte Deborah leichtes Unbehagen. „Wie weit ist es gegangen, und wie hat es angefangen?" fügte Jane hinzu. Ich werde nicht davonkommen, ohne Jane das meiste zu verraten, dachte Deborah. Nun, jetzt habe ich schon soviel erzählt... „Wie es anfing?" flüsterte sie, und plötzlich war es, als würde sie in die Zeit zurückversetzt werden. Sie wusste noch genau, wie sie sich an dem Tag, als alles begann, gefühlt hatte. Jeder Illusion über das Leben beraubt, verbittert darüber, wie das Schicksal zugeschlagen hatte. Wegen einer Dürre hatten ihre Eltern die Schaffarm völlig mittellos verlassen müssen, und sie, Deborah, war plötzlich und ohne Berufsausbildung in die Großstadt verpflanzt worden, wo sie für eine Zeitarbeitsfirma als Kellnerin arbeiten musste, an jenem Tag in einem Luxushotel in Sydney. Sie sollte für einen berühmten französischen Likör werben und war dafür wie ein Flittchen gekleidet gewesen. Fast war es, als würde Deborah das Kostüm wieder tragen, noch einmal die Verlegenheit über den zu kurzen Rock, die schwarzen Netzstrümpfe und die schwarz goldene Schärpe mit dem Namen des Unternehmens spüren, das Drücken der Pumps mit den Pfennigabsätzen. Am schlimmsten war gewesen, wie die Männer sie mit Blicken förmlich verschlungen hatten. Ein kleiner, dickbäuchiger Mann mit schütterem Haar war unverschämt geworden, hatte sie plump- vertraulich angefasst. Deborah hatte eine langstielige Rose aus einer Vase gezogen, sie dem Mann mit einem falschen verführerischen Lächeln präsentiert und gleichzeitig den Fuß gehoben, um den Pfennigabsatz in seinen Schuh zu bohren. Deborah erinnerte sich so deutlich an den großen Mann, der neben ihr aufgetaucht war, bevor sie ihren Plan ausführen konnte, sie am Arm gefasst und aus dem Raum geführt hatte. „Hören Sie ..." Deborah riss sich los. „Nein, Sie hören mir zu", sagte der Fremde schneidend. „Wer immer Ihnen auch erzählt haben mag, dass dieser Job Gelegenheit bietet, die männlichen Gäste zu belästigen und ihnen unsittliche Anträge zu machen, hat Sie irregeführt." „Ich..." Deborah sprach nicht weiter und blickte hoch in graugrüne Augen, nahm das mittelbraune Haar wahr, die gute Figur und den eleganten Maßanzug. Sie wurde sich auch bewusst, dass der Fremde sehr gewählt sprach und Engländer war ... und sie mit lässiger Arroganz von oben bis unten musterte. Das versetzte sie in Wut. „Ach, ja? Ich dachte, ich sei genau zu dem Zweck wie ein Flittchen ausstaffiert worden - welche Verschwendung! Immerhin, Ihre Aufmerksamkeit habe ich gewonnen. Sind Sie der große Boss?" Sie sprach absichtlich in ziemlich geringschätzigem Tonfall, Sein Blick wurde härter. „Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen? Versuchen Sie es doch einmal in einem Bordell." Und dann ging er davon. Mehrere Tage später konnte Deborah noch immer nicht fassen, was sie getan hatte. Das
Ganze war so peinlich, dass ihr bei dem Gedanken daran heiß und kalt wurde. Aber es sollte noch schlimmer kommen. Auf den Tag genau eine Woche später hatte sie wieder so einen Job: Sie servierte Champagner und Canapes auf einer Kunstausstellung in einem sogar noch freizügigeren Kostüm. Und sie traf denselben Mann. Ihn wiederzusehen hatte ihr einen Schock versetzt. Noch weniger war Deborah darauf vorbereitet gewesen, wie gut sie sich an ihn erinnerte. An seine Hände, die intelligent blickenden Augen, die entspannte Körperhaltung und seine arrogante Miene, die sich so schnell in einen Ausdruck höflicher und deshalb doppelt spürbarer Verachtung wandeln konnte. Obwohl Deborah ihn hasste, hatte er etwas, das quälend anziehend war... Er brach den Bann, denn er nahm ein Glas Champagner, blickte sie prüfend an, so dass sich Deborah ihres engen Rocks und tief ausgeschnittenen Tops schrecklich bewusst wurde, und sagte nur für sie hörbar: „Einmal ein Flittchen, immer ein Flittchen." Dann wandte er sich ab, um zu gehen. O nein, das tust du nicht! war Deborahs erster zusammenhängender Gedanke. Sie tat so, als würde sie mit dem Fuß umknicken, fiel gegen den eleganten Fremden und schüttete ihm in dem Moment, als er sich wieder zu ihr umdrehte, sechs volle Gläser Champagner über den Anzug. „Du meine Güte... das tut mir aber leid!" spielte Deborah die Zerknirschte. „Wie konnte ich nur so ungeschickt sein? Warten Sie, lassen Sie mich das in Ordnung bringen!" Und sie begann, ihn mit der Serviette, die sie über dem Arm trug, abzutupfen. Er umfasste Deborahs Handgelenk. „Danke, das möchte ich lieber nicht. Für die Botschaft, die Sie vermitteln wollen, ist es hier hier etwas zu belebt. Und sollten wir nicht vielleicht vorher zu Abend essen?" „Abendessen?" Deborah sah ihn starr an. „Vorher?" „Bevor wir ins Bett gehen", erklärte er geduldig. „Es ist eine gute Gelegenheit, Namen auszutauschen ... vorher", fügte er spöttisch lächelnd hinzu. „Ich ..." Ihre Mutter oder ihr Vater hätte möglicherweise das Funkeln in Deborahs blauen Augen bemerkt. „Na schön, ich hole meinen Mantel." „Meinen Sie nicht, Sie sollten erst Ihre Arbeit hier beenden, bevor wir...?" „Kommt nicht in Frage! Nach dem Vorfall letzte Woche und nun diesem werde ich bestimmt entlassen. Nicht, dass es mir etwas aus macht", versicherte Deborah hastig und lächelte strahlend zu ihm auf. „Mir scheint, auf mich warten größere und schönere Dinge. Gehen wir, Mister!" Deborah holte ihren Mantel und erhielt gleichzeitig ihre Kündigung, aber in ihrer Wut war es ihr tatsächlich gleichgültig. Der Mann führte Deborah in ein kleines italienisches Restaurant, das nicht, wie sie erwartet hatte, schäbig und billig war, sondern teuer und geschmackvoll. Sie verbarg ihre Überraschung und machte großes Aufheben davon, ihren Mantel auszuziehen, am Ausschnitt ihres Kleids zu zupfen, Lippenstift zu benutzen und sich zu kämmen - Dinge, die sie normalerweise an einem Esstisch niemals tun würde. „Und wie heißen Sie nun?" fragte sie betont fröhlich, als sie sich zu ihrer Zufriedenheit zurechtgemacht und davon überzeugt hatte, dass zahlreiche Gäste sie entweder amüsiert oder mit hochgezogenen Augenbrauen ansahen. „Simon", erwiderte er. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Deborah." Sie stand auf und streckte die Hand aus. „Ob Sie nun Hotelmanager sind oder ... was auch immer... mir ist es recht." Sie setzte sich, nachdem sie ihm kräftig die Hand geschüttelt und dafür gesorgt hatte, dass alle im Restaurant sie gehört hatten. „Sie sollten Schauspielerin werden." Er ließ den Blick nachdenk lich über ihr langes schimmerndes blondes Haar, ihr Gesicht und die Figur gleiten. „Glauben Sie mir, Simon ..." Deborah stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich vor, so dass von ihren Brüsten noch mehr zu sehen war. Wieder funkelten Deborahs Augen
verräterisch. „... ich bin sicher, ich könnte eine sein. Ich müsste nur entdeckt werden. Aber Sie haben mir nicht gesagt, was Sie sind." Er schwieg lange, und da Deborah sich bewusst war, dass er sich insgeheim über sie amüsierte, wurde sie noch wütender. Deshalb stieß sie Ahs und Ohs aus, gab sich beeindruckt, als Simon es ihr endlich erzählte. Und sie plauderte während des ganzen Essens temperamentvoll und anzüglich, wurde aber zunehmend nervös. Die Rechnung kam, und Simon fragte: „ Nun, Deborah, möchten Sie noch eine Tasse Kaffee, oder wollen wir irgendwo hingehen, wo wir ungestört sind?" Sie schaute ihn unter halbgeöffneten Augen an, lachte rau und erwiderte - wie sie hoffte - zynisch und unbeschreiblich gewöhnlich: „ O nein, daraus wird nichts, Mister. Pasta reicht nicht ganz, um mich ins Bett zu bekommen!" Daraufhin stand sie auf und warf sich schwungvoll den Mantel um die Schultern. Simon machte keine Anstalten, sich zu erheben. Das Ganze schien ihn zu amüsieren. „Wie alt sind Sie, Deborah?" „Neunzehn. Was hat das damit zu tun?" „Nichts, vielleicht. Gute Nacht dann." Deborah blickte ihn finster an und ging eilig aus dem noblen Re staurant. Zwei Tage später öffnete Deborah die Tür ihres schäbigen Einzimmerapartments und sah Simon vor sich. Sie brauchte nicht Überraschung und Verärgerung vorzutäuschen, sie war tatsächlich völlig verblüfft und dann fuchsteufelswild, weil achtundvierzig Stunden reichlich Ze it für sie gewesen waren, um sich darüber klarzuwerden, wie sehr sie sich schämte. Allerdings war sie fest entschlossen, das niemandem gegenüber zuzugeben, am wenigsten gegenüber Simon Macquarie. „Was wollen Sie denn hier?" fragte sie unhöflich. „Und wie haben Sie mich gefunden?" Er lächelte. „Es war ganz einfach. Versuchen Sie nicht, mir vorzumachen, Ihnen sei nicht der Gedanke gekommen, dass ich nur bei dem Partyservice, für den Sie gearbeitet habe, Erkundigungen einziehen müsste." Das reichte. „He!" Deborah setzte ein unverschämtes Lächeln auf. „Sie sind ja ein kluger Junge, Simon! Nicht etwa, dass ich wirklich daran gezweifelt habe. Kommen Sie herein." Sie zwinkerte ihm zu. „Sie können mir erzählen, was Sie sich jetzt ausgedacht haben, um mich ins Bett zu bekommen." Simon ließ sich mit der Antwort Zeit. Er blickte sich in dem deprimierenden Zimmer um und musterte dann Deborah. Sie trug verwaschene Jeans und ein einfaches weißes T-Shirt. Ihr Haar war frisch gewaschen, um ihren Nacken lag noch das Handtuch, mit dem sie es getrocknet hatte. Ein seltsames Lächeln umspielte Simons Lippen. „Bevor wir das besprechen... Darf ich Sie zum Mittagessen einladen? Ich weiß, ich weiß", sagte er sarkastisch, kam zu ihr und stellte sich nah vor sie, „damit schaffe ich es nicht. Die Lektion habe ich gelernt." „Womit dann?" fragte sie, bevor sie sich auf die Zunge beißen konnte. „Vielleicht müssen Sie mir das sagen, Deborah. Bis dahin ... Es ist ein schöner Tag, Sydney Harbour hat ein paar hübsche Strände. Nehmen Sie doch Ihren Badeanzug mit. Wir könnten vor dem Mittagessen schwimmen." Simon fuhr mit ihr zur Watson's Bay, und sie schwammen, bevor sie in Doyles sehr guten Fisch aßen. Und Deborah spielte gewissenhaft ihre Flittchen-Rolle weiter. Am Ende wurde sie wieder nervös, sich durchaus bewusst, dass dieser Mann nicht nur heftige Feindseligkeit in ihr weckte, sondern auch eine unerwünschte Anziehungskraft auf sie ausübte. Aber er machte keinen Versuch, sie anzurühren, und brachte sie nach Hause, ohne ein Wort darüber zu verlieren, ob er sie wiedersehen wollte. Ist mir recht, sagte sich Deborah. An den folgenden Tagen bemühte sie sich eifrig um einen neuen Job, trotzdem ging ihr Simon Macquarie nicht aus dem Kopf. Häufig musste sie daran denken, wie er neben ihr geschwommen war. Inzwischen wusste sie, dass er Schotte
war, aber entgegen ihrer Erwartung war er nicht blass, sondern sonnengebräunt, und der Anblick seines schlanken, muskulösen Körpers raubte ihr den Atem. Sie dachte daran, wie kultiviert und weltmännisch er war und wie schön es sein würde, ihre Rolle aufzugeben und einfach sie selbst zu sein. Und sie überlegte, was Simon wohl von der echten Deborah halten würde. Als er aber fünf Tage später vor ihrer Wohnungstür stand, war sie wegen dieser Gedanken wütend auf sich selbst. „Ach, Sie wieder", sagte sie ausdruckslos. Es war ein kühler Abend, ihr taten die Füße weh, denn sie war zu einem halbem Dutzend Vorstellungsgespräche gegangen, von denen keins Anlass zur Hoffnung gab, und vor ihr lag ein einsamer Abend. „Ist Ihnen nach Abendessen und Mittagessen etwas Neues eingefallen?" „Ja, dies ..." Simon kam herein, schloss die Tür und zog Deborah in seine Arme. „Sehen wir einmal, wie es uns gefällt, uns zu küssen." Seine graugrünen Augen funkelten belustigt. Einen Moment lang war Deborah völlig wehrlos. Ihr Herz klopfte plötzlich schneller, das Gefühl ihrer Brüste an Simons muskulösem Oberkörper ließ sie erschauern. Dann fragte sie sich, ob sie vielleicht nicht viel besser war als die Rolle, die sie spielte ... Bei dem Gedanken erholte sich Deborah schlagartig. „In Ordnung, sehen wir einmal, was Sie können, Mister! Nur einen Kuss, verstanden?" „Was immer du willst, Deborah", meinte Simon. Und einige Minuten später meinte er: „Wie war ich?" Sie versuchte verzweifelt, ihre Fassung wiederzugewinnen. Deborah hatte beschlossen, es als eine oberflächliche, unbedeutende Erfahrung abzutun, und es war alles andere als das gewesen. Simon hatte ihren Hals und ihre Wange gestreichelt, bevor er Deborah küsste, und die Berührungen hatten eine Empfindung ausgelöst, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte. In seinen Armen war sie sich auf ganz erstaunliche Art ihres Körpers bewusst geworden. Und bei dem Kuss war sie wie Wachs dahingeschmolzen... „Du warst gut", antwortete Deborah mühsam. „Aber ich habe schon vor langer Zeit gelernt, mich dabei nicht zu sehr hinreißen zu lassen. Jetzt hör bitte auf damit. Meine Füße tun mir schrecklich weh, und ich habe furchtbaren Hunger!" Der Ausdruck in Simons Augen erschreckte sie. Es schien reine, boshafte Belustigung zu sein. „Natürlich", erwiderte er ernst. „Ich lasse mich auch schon längst nicht mehr beim Küssen hinreißen. Darf ich noch etwas sagen, bevor ich dich freigebe?" „Nur zu, Mister, aber ich habe nicht die ganze Nacht Zeit." „Entschuldigung. Ich wollte nur sagen, dass du ... schön bist." „Danke, Kumpel!" Deborah riss sich los, dann fügte sie hinzu: „Du bist auch nicht übel. Wohlgemerkt, normalerweise mag ich südländische Typen, weiß nicht, warum... wahrscheinlich beeindrucken mich schwarzes Haar und dunkle Augen. Isst du Käse? Es ist so ziemlich alles, was ich habe." „Nein, danke. Ich bin zum Abendessen verabredet, aber was deins betrifft, könnte ich dir unter die Arme greifen." Er zog einen Fünfzig-Dollar-Schein aus der Hosentasche, öffnete einen Knopf von Deborahs Strickjacke und steckte ihr das Geld in den BH. „Für geleistete Dienste", meinte Simon freundlich und ging. Deborah nahm wütend die Banknote heraus und zerriss sie. „Warum kommst du ständig bei mir vorbei?" beschwerte sich Deborah kühl, als Simon das nächste Mal bei ihr klingelte, an einem Samstag zur Mittagszeit. „Ist das deine Art zu sagen: Mach mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann, oder verschwinde?" fragte er mit einem leichten zynischen Lächeln. „Möglich. Fünfzig Dollar reichen nicht lange. Und was soll es heute sein?" Simon musterte ihren hübschen Rock, den weißen Pullover und das zu einem schlichten Knoten hochgesteckte Haar. „Wir könnten zum Pferderennen gehen."
Unwillkürlich leuchteten Deborahs Augen auf. Und Simon bemerkte es offensichtlich. „Magst du Pferde?" „Ja, sehr gern. Aber ich bin nicht schick angezogen." „Offen gestanden ziehe ich vor, dass du es nicht bist." „Du hast mich doch noch nie gut angezogen gesehen." „Nun, nein, allerdings habe ich dich vulgär aufgetakelt in Erinnerung, und ich dachte, das meinst du damit. Entschuldige." Deborah warf ihm einen wütenden Blick zu und strengte sich den ganzen Nachmittag gewaltig an, so gewöhnlich wie nur möglich zu sein. Simon schien es jedoch überhaupt nicht zu stören. Er führte sie zum Abendessen aus und brachte sie nach Hause, ohne sie anzurühren. Was Deborah, schon mit der Hand am Türgriff des Autos, zu der Bemerkung reizte: „Heute abend verteilst du keine Fünfzig-Dollar-Scheine, wie Mister?" „Möchtest du, dass ich es tue?" „Mach, was du willst." Deborah zuckte die Schultern. „Dann gute Nacht!" Sie stieg aus, und Simon versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Aber es war nicht immer so zwischen ihnen. Und in den folgenden Wochen war Deborah furchtbar nervös. Sie fragte sich, ob sie Simon jemals wiedersehen würde, sagte sich, dass es ihr egal sei, und wusste, es war ihr keineswegs gleichgültig. Denn er brauchte nur vor ihrer Tür zu stehen, und schon klopfte ihr Herz wie verrückt. Wie sie das hasste! Und trotzdem fühlte sie sich enttäuscht, wenn er sie verließ, ohne sie berührt zu haben. Küsste er sie jedoch, spielte sie weiter die Gleichgültige, was ihn nur zu amüsieren schien. Nun, nicht immer. Manchmal konnte Simon sehr verletzend sein, als würde dann eine dunkle Seite in ihm zum Vorschein kommen, die er normalerweise verbarg. Das ist ja wirklich verrückt! dachte Deborah verärgert. Warum höre ich nicht auf mit dem Theater? Weil Simon glaubt, was du ihm vorspielst, und du ihm das nicht verzeihen kannst! antwortete eine innere Stimme. Und das ist noch verrückter, entschied Deborah niedergeschlagen. Doch ausgerechnet an dem Abend, als er wieder einmal unerwartet bei ihr auftauchte und sie beschloss, nie wieder etwas mit Simon Macquarie zu tun haben zu wollen, demoralisierte er sie beina he völlig. „Es ist ein schöner Abend. Hast du Lust, nach South Head zu fahren? Wir könnten den Mond über dem Meer betrachten." „Nein", erwiderte Deborah unfreundlich. „Hör zu, Mister, glaub bloß nicht, du kannst hier erscheinen, wann immer es dir passt, und erwarten, dass ich gut gelaunt verfügbar bin." Sie war tatsächlich gerade von der Arbeit nach Hause gekommen. Endlich hatte sie einen Job gefunden, komischerweise bei einem Konkurrenzunternehmen des Partyservices, bei dem sie früher angestellt gewesen war, so dass sie jetzt genau dasselbe machte wie vor wenigen Wochen, als Simon und sie sich kennengelernt hatten. Allerdings trug sie jetzt ein konservatives schwarzes Kleid und eine Schürze mit Rüschen. „Ich verstehe." Simon lehnte sich an die Wand und beobachtete, wie Deborah die Schürze abnahm und über einen Stuhl warf. „Beansprucht dich heute abend einer deiner Latin Lover? Weißt du, Deborah, nichts deutet darauf hin, dass irgendein Mann hemmungslos Geld für dich ausgibt." „Das kommt noch", erwiderte sie gleichmütig. „Ich habe nur noch nicht den Typ getroffen, der es sich leisten kann. Dich ausgenommen, natürlich. Nur habe ich bei dir das Gefühl, dass du ein Geizhals bist, Mr. Simon Macquarie. Entweder das, oder auf der Welt wird heutzutage nicht mehr viel Cognac getrunken. Und erzähl mir jetzt nicht, du richtest deine Aufmerksamkeit lieber auf meine schöne Seele", fügte sie seltsam angespannt hinzu. „Nein, werde ich nicht. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht, was für eine Seele du hast. Auf jeden Fall hast du einen herrlichen Körper. Schlank, Haut wie Seide, wundervolle Augen. Bist du schon einmal verliebt gewesen?"
„Das soll wohl ein Scherz sein", höhnte Deborah. „Also glaubst du nicht an die Liebe?" „Im Moment nicht, nein. Aber lass dir davon nicht den Schlaf rauben." „Deborah." Sie versteifte sich, weil Simon direkt hinter ihr stand. „Warum verschwindest du nicht einfach?" „Tue ich, sobald ich dies getan habe ... nein, wehr dich nicht. Wir wissen beide, dass es dir gefällt, obwohl der geschäftliche Aspekt fehlt - der dir ja offensichtlich am Herzen liegt." Deborah drehte sich um. „Du hältst dich wohl für sehr klug?" „Nicht immer, nein. Sonst wäre ich jetzt nicht hier und würde dies tun", antwortete Simon langsam. „Aber da ich nun einmal da bin..." Was sie veranlasste, seinen Kuss mit plötzlicher, heftiger Leidenschaft zu erwidern, war ihr nicht gänzlich ein Rätsel. Anders verhielt es sich mit dem, wozu es führte ... Sie hatten keine Lampen eingeschaltet, doch der Mond schien hell und beleuchtete das kleine Sofa, auf dem Simon und Deborah saßen. Ihr Kleid war aufgeknöpft und von ihren Schultern geglitten, der vorn verschließbare BH war geöffnet, ihr Kopf ruhte an Simons Schulter. Deborah bebte, als Simon ihre Brustspitzen berührte, und bot ihm ihren Mund dar, damit Simon sie küsste. Er tat es, aber der Kuss war kurz und seltsam sanft, und dann schob Simon sie von sich und stand auf. „Du willst nicht weitergehen?" fragte Deborah angespannt. „Doch." „Warum...?" „Ich denke, wir sollten dem widerstehen", erwiderte Simon schroff. „Muss ich dir wirklich erklären, warum? Ich mache es mir nicht zur Gewohnheit, Liebe zu kaufen." Deborah schloss einen Moment die Augen, dann blickte sie an sich herunter und schloss BH und Kleid. Simon beobachtete sie schweigend. „In Ordnung", meinte sie schließlich. „Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?" fragte er ernst. „Was erwartest du denn?" Die Farbe, die aus ihrem Gesicht gewichen war, kehrte zurück. Zuviel davon, dachte Deborah nervös. „Macht ja nichts, war schön, dich kennengelernt zu haben? Willst du das hören? Meinetwegen." „Deborah..." Plötzlich verlor sie die Beherrschung. „Verschwinde, Mister. Ich bin nicht gut genug für dich - das wolltest du mir sagen, richtig? Nun, es braucht dir nicht peinlich zu sein. Geh einfach, bleib weg und glaub mir, es macht mir nichts aus!" In diesem Moment klopfte ihr Nachbar von unten an die Tür, um Deborah um zwei Teebeutel zu bitten. Er war trotz seines schwarzen Haars und der dunklen Augen ein sehr solider, ernsthafter dreiund zwanzigjähriger Zahnmedizinstudent und wohnte mit seiner kranken Mutter zusammen. Als Deborah öffnete, erlebte er die Überraschung seines Lebens. „Vinny, Darling, komm herein!" rief sie hocherfreut. „Simon will gerade gehen. Das passt so gut, als hätte ich die Eieruhr danach eingestellt, nicht wahr?" Das war es also, dachte Deborah an den folgenden Tagen öfter. Ich werde Simon nie wiedersehen, wofür ich äußerst dankbar sein sollte. Der Schmerz in ihrem Herzen schockierte sie. Und sie sah Simon doch wieder. Drei Tage später, Deborah wollte gerade zur Arbeit gehen, kam er mit einem Strauß Margeriten. „Jetzt hör einmal zu..." begann sie, musste jedoch feststellen, dass sie hoffnungsvoll
erbebte. „Könntest du mich nicht einfach hereinbitten?" Bekomme ich eine zweite Chance? dachte Deborah nervös. Kann ich ihm möglicherweise erklären, wie alles passiert, wie es außer Kontrolle geraten ist? „Nun, ich muss zur Arbeit, aber... na gut." „Es dauert höchstens zehn Minuten." „Soll ich uns schnell Kaffee machen?" „Nein, danke. Die sind für dich." Simon hielt ihr die Margeriten hin. „Ich fliege heute nachmittag nach Hause und ..." Er zögerte. „... und ich dachte, ich sollte vorbeikommen und mich von dir verabschieden." „Nach Großbritannien? Wie lange weißt du das schon?" Simon zuckte die Schultern. „Der Termin steht seit Wochen fest. Deborah, da sind einige Dinge, die..." Sie nahm den Blumenstrauß und verkrampfte die Finger um die Stiele. „So! Du bist mir ein Feiner! Nicht viel besser als die schmutzigen alten Männer, die mich in den Po kneifen!" „Du musst zugeben, dass ich das nicht getan habe", erwiderte Simon sarkastisch. „Nein, du bist sehr viel weiter gegangen, wie du zugeben musst. Und nur, um dich auf meine Kosten zu amüsieren. Weißt du, was du bist? Ein richtiger mieser Kerl!" „Oh, hör auf " sagte Simon schroff. „Was hast du denn erwartet? Ein Diamantarmband? Oder hast du versucht, dich für einen Ehering hinzugeben? Vor einigen Tagen übrigens waren deine Bemühungen nicht allzu erfolgreich", fügte er hinzu. Die Erinnerung an seine Zurückweisung an dem Abend vor drei Tagen reizte Deborah in ihrem Kummer zu maßloser Wut. „Ich hasse dich!" schrie sie und ohrfeigte Simon mit aller Kraft. „Und wenn du dir nur Margeriten leisten kannst..." Sie riss die Köpfe der Blumen ab, obwohl sie Margeriten sonst recht gern mochte „ geht es mir ohne dich besser!" „Na, ich weiß nicht", erwiderte Simon leise. Er nahm ihr den Strauß ab, zog sie in seine Arme und küsste sie leidenschaftlich. „Oh..." flüsterte Deborah, als es vorbei war. Mehr brachte sie nicht heraus. Er hielt sie weiter fest. „Ich bin gekommen, um dich zur Vernunft zu bringen, dir zu raten, mit diesem gefährlichen Spiel aufzuhören, das du mit den Männern treibst. Aber ich denke, meine frühere Einschätzung war richtig: einmal ein Flittchen, immer ein Flittchen." Mit einem verächtlichen Lächeln fügte er hinzu: „Der Himmel stehe dem Mann bei, der sich ernsthaft in dich verliebt, mein kleines australisches Flittchen. Er wird bedauern, geboren zu sein." Simon ließ Deborah los, hob die Reste seines Blumenstraußes auf, drückte ihn ihr in die Hand und ging. „O Deborah..." Beim Anblick der neuen Tränen in Janes Augen, kehrte Deborah erschrocken in die Gegenwart zurück. „Ach, Jane", sagte sie traurig. „Du wolltest es wissen. Aber es sollte dich aufheitern, nicht das Gegenteil!" „Es ist doch so traurig", widersprach Jane. „Nein, nicht mehr." Deborah stand auf und ging zum Fenster. „Ich habe mich lächerlich gemacht, das tun wir alle manchmal. Und jetzt bin ich viel klüger." „Du kannst ihn einfach nicht vergessen, nicht wahr? Gibt es deshalb keinen Mann in deinem Leben?" Deborah schwieg eine Weile, bevor sie müde antwortete: „Ich fühlte mich erniedrigt, weil ich ihm nicht mehr bedeutet habe als ... Mir fällt nicht einmal ein Vergleich ein. Also ja, es gibt ein paar Dinge, die schwer zu vergessen sind." „Für mich hörte es sich so an, als hättest du ihm nicht viel Gelegenheit gegeben, sich in dich zu verlieben", wandte Jane ein. „Aber ich wollte, dass er es tut. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ... Oh, was soll's?" Deborah drehte sich trotzig zu ihrer Freundin um. „Weißt du, warum ich trotz all meiner
großen Hoffnungen und Träume meine Rolle weitergespielt habe? Weil ich im Grunde meines Herzens wusste, dass er niemals mehr tun würde, als sich mit mir zu amüsieren." „Wieso das denn? Du bist schön, intelligent, hast Charakter ..." Deborah hob die Hand. „All das ist..." „Wahr!" „Hübsche Mädchen gibt es wie Sand am Meer, und wenn ich auf der Strecke bleibe, würde es nicht einmal jemand merken. Außerdem war ich damals ungehobelt. Ich meine damit nicht, dass ich primitiv oder ungebildet war, aber ich war zweifellos naiv. Ich hatte mein ganzes Leben auf einer Farm verbracht, nicht ganz am Ende der Welt, doch nicht weit davon entfernt. Schafe, Pferde und Motorräder, mehr kannte ich nicht. Verstehst du denn nicht?" „Doch, tue ich", erwiderte Jane. „Mit dem Wort ,ungehobelt' bin ich trotzdem nicht einverstanden. Du warst es höchstens in deinem Herzen. Aus deinem Heim vertrieben, entwurzelt, ohne Berufsausbildung plötzlich in der Großstadt - natürlich warst du unvorbereitet auf das neue Leben. Du hast gelitten und warst wütend auf all jene, die reich und sorglos ohne Existenzprobleme waren. Und du sehntest dich nach Liebe. Außerdem warst du gerade neunzehn", fügte Jane lächelnd hinzu, als Deborah ihr einen Blick zuwarf, der deutlich sagte, dass sie allzu dramatisch wurde. „Vergiss nicht deine Hormone, Schätzchen. Die können einem Mädchen das Leben zur Hölle machen, wie man in jeder Zeitschrift liest!" Deborah sah auf ihre Freundin hinunter, dann lächelte sie widerstrebend und setzte sich zu Jane auf das kleine Sofa. „Versprich mir, dass wir nie den Kontakt verlieren. O nein", rief sie hilfos, denn nun rollten noch mehr Tränen, doch Jane begann dabei zu lachen und meinte, dies seien die letzten. Der Flug nach Singapur dauerte acht Stunden, dann waren es noch fast zwölf nach London, was Deborah viel Zeit zum Nachdenken gab. Mehrere Male seufzte sie und wünschte inbrünstig, Jane nicht die ganze Geschichte anvertraut zu haben, denn es hatte alles wieder aufgerührt. Debora fragte sich, wie lange sie noch brauchen würde, Simon Macquarie zu vergessen. Ich sollte mir meine eigenen klugen Worte zu Herzen nehmen und mich daran erinnern, dass ich vielleicht nicht wäre, wo ich heute bin, wäre Simon nicht gewesen, dachte Deborah einmal ironisch. Sie legte den Kopf zurück. Die meisten anderen Passagiere in der halbdunklen Kabine schliefen, während die Maschine durch die Nacht flog. Nach der stürmischen Begegnung mit Simon hatte sich Deborah geschworen, eines Tages die Frau zu sein, in die sich ein Mann wie er verliebte. Selbstsicher, kultiviert, weltgewandt. Auf keinen Fall wollte sie das zornige, unbesonnene Mädchen bleiben, das zu kurze und enge Kleider tragen musste, um sich den Lebensunterhalt zu verdie nen. Doch ausgerechnet Kleider hatten Deborah ihrem Ziel näher gebracht. Niemals hatte sie auch nur in Erwägung gezogen, Model zu werden. Den Beruf hatte sie eines Tages aus heiterem Himmel ge wählt. Auf einer weiteren ermüdenden Cocktailparty hatte ihr ein junger Mann mit Pferdeschwanz und zwei Kameras um den Hals auf die Schulter getippt und in gebrochenem Englisch gesagt, er könne sie zur nächsten Elle MacPherson machen. Natürlich konnte er das nicht. Aber Deborah hatte sich mit André Jacobs Hilfe als Fotomodell und auf dem Laufsteg langsam hochgearbeitet. Und André hatte ihr nicht nur als Fotograf geholfen. Er vermittelte ihr auch sein Wissen über Stoffe und Mode. Die Zusammenarbeit verbesserte die finanzielle Situation von ihnen beiden beträchtlich, was Deborah den Spielraum gab, sich zu bilden und ihre Eltern zu unterstützen, bis beide kurz hintereinander starben. Es war der Aus löser für Deborahs Entschluss, ihren langgehegten Traum zu erfüllen und nach Europa zu gehen. André war beinahe in Tränen ausgebrochen und hatte sie angefleht zu bleiben, musste sich jedoch schließlich ihrer Entscheidung fügen. Und er hatte es dann überraschend gut hingenommen. Da Deborahs Großeltern in England geboren waren und sie eine Arbeitserlaubnis bekommen konnte,
hatte Andre an eine Freundin seiner Mutter in London geschrieben - Madame Minter, eine Designerin - und ihr Deborah als Model empfohlen. Also hatte sie am Tag nach ihrer Ankunft einen Termin bei Madame Minter, die in Australien nicht sehr bekannt war, deren Namen Deborah jedoch schon gehört hatte. Wenn nichts daraus wird, beginne ich einfach meinen Urlaub, dachte Deborah zum hundertstenmal irgendwo über Indien. Warum schläfst du jetzt nicht? Aber als sie endlich einschlief, träumte sie von Simon Macquarie, wie er sie belustigt oder auch manchmal ziemlich finster betrachtete, was Deborah nicht verstand, während sie systematisch aus einem Beet Margeriten eine nach der anderen ausriss ... „Nun?" „Du liebe Güte! Ach, du meine Güte!" Deborah stand in dem großen Atelier über dem exklusiven Laden in Chelsea, in dessen Schaufenster nur ein einziges kostbares schwarzes Seidenkleid ausgestellt war. Auf dem Glas stand in goldener Schrift lediglich „Yvette Minter". Das hat mir gerade noch gefehlt! dachte Deborah. Der Jetlag machte ihr zu schaffen, ihr Gepäck war verlorengegangen, sie hatte sich einige Kleidungsstücke kaufen müssen. Und London verwirrte sie. Jetzt, nur vierundzwanzig Stunden nach ihrer Ankunft, sah sie sich dieser strengen, selbstherrlichen Französin gegenüber, die sie von oben bis unten gemustert und ihr befohlen hatte, ein trägerloses goldfarbenes Abendkleid mit einem ausgestellten, bauschigen Rock anzuziehen und vorzuführen. Deborah hob trotzig das Kinn. „Ich weiß, dass ich nicht besonders gut aussehe, Madame Minter, aber so schlimm kann es ja wohl nicht sein." Madame Minter zog anmutig ein Spitzentaschentuch aus ihrer Tasche und drückte es an ihre Augen, während sie weiter betrübt den Kopf schüttelte. „Na schön! Sie brauchen nichts mehr zu sagen!" Deborah griff nach hinten, um das Kleid zu öffnen. „Halt, Sie törichtes Kind!" befahl Madame Minter und steckte das Taschentuch ein. „Ich bin nur so, weil ich mich frage, wo Sie mein ganzes Leben gewesen sind. Ah, dieser Hochmut, diese wundervolle Arroganz. So etwas habe ich seit Jahren nicht gesehen!" Deborah blickte sie erstaunt an. „Und gerade ein wenig Verletzlichkeit dann und wann. Dazu die sportliche Figur, die Beine, das goldene Haar, die Augen wie dunkelblaue Stiefmütterchen, der zierliche Knochenb au. Sie werden manchmal wie eine vornehme Dame und manchmal wie ein Wildfang aussehen. Ah, wenn ich mit Ihnen fertig bin, Miss Deborah, trifft London der Schlag. Und Sie und ich werden sehr viele Kleider verkaufen", fügte sie in perfektem Englisch ohne jeden Akzent hinzu. „Ich... ich..." Yvette Minter lächelte. „Manchmal benutze ich meinen französischen Akzent für meine Kundinnen, müssen Sie wissen. Hin und wieder, bei "großer Aufregung rede ich auch mit Akzent. Jetzt sagen Sie mir, warum hat André Sie die ganze Zeit für sich allein behalten?" „Darf ich mich setzen?" fragte Deborah. „Natürlich, nachdem ich das Kleid ausgezogen habe. Eins vorweg: Ich habe mich immer geweigert und werde mich weiterhin dagegen wehren, einen Schmollmund zu machen. Einige Fotografen regen sich deswegen auf." „Wer verlangt denn, dass Sie schmollen? Ich verabscheue selbst Frauen, die das tun!" So kam es, dass Deborah eine Weile später in einem Seidenkimono in einem kleinen Büro saß, starken Kaffee trank und verwirrt Madame Minter zuhörte. „Sie werden mein firmeneigenes Model sein", sagte die Designerin gerade. „Das letzte habe ich entlassen eine dumme Person. Wirklich, sie begann mich an ein Rindvieh zu
erinnern. Sie hatte diese großen, starr blickenden Augen und bewegte sich nie mit... Eleganz. Wenn ich meine Kollektion vorführe, engagiere ich selbstverständlich andere Models, aber Sie werden Ihren Platz sicher haben. In etwa einem Monat habe ich einen Termin... Oh, du meine Güte!" „Was?" „Ich hätte alles für Sie entwerfen können. Na, egal, die nächste Kollektion..." „Madame, das ist sehr schmeichelhaft, aber..." „Sie wollen über die Bedingungen sprechen?" Madame warf Deborah einen listigen Blick zu. „Was für einen Vertrag Sie unterzeichnen müssten? Ein Jahr mindestens." Deborah zögerte. „Nun, ich weiß nicht recht. Eigentlich sollte der Europaaufenthalt Urlaub sein. Ich möchte reisen ..." „Sie werden reisen! Ich habe Vorführungen im Ausland. Ich habe auch vor, Sie berühmt zu machen. Was ist schon ein Jahr, wenn man zweiundzwanzig ist? Meine liebe Miss Deborah, wenn Sie dreißig sind, kleine Falten bekommen und Ihr Haar nicht mehr soviel Schwung hat ihr Busen nicht mehr so straff ist... dann ist die Zeit zum Reisen gekommen!" Deborah musste lachen. „Sie glauben, dies ist nur ein kleines Geschäft?" „Nein, nein", versicherte Deborah hastig. „Ich habe ein ziemlich großes Unternehmen aufgebaut", sagte Madame Minter stolz. „In Kürze werde ich eine Konfektionskollektion herausbringen, die in den besten Modezeitschriften präsentiert wird. Mit Ihnen als Model. Aber nur, wenn Sie sich in meine Obhut begeben", fügte sie streng hinzu. „Sie denken, ich schmeichle Ihnen? Ich lobe lediglich das Rohmaterial." Dass Deborah Zusammenzuckte, bemerkte Madame Minter nicht. „Es ist ohne Zweifel gutes Rohmaterial vorhanden, allerdings müssen Sie noch sehr viel lernen. Haben Sie eine Wohnung hier? Nein? Dann werden Sie bei mir wohnen." „Nein, Madame, vielen Dank, aber ich bestehe darauf, mir selbst eine Wohnung zu suchen." Die Designerin erwiderte Deborahs festen Blick mit funkelnden Augen, und einen Moment lang rechnete Deborah mit einem Wutanfall, doch plötzlich lachte Yvette Minter. „Hören Sie, Sie dummes Mädchen, ich habe ein völlig abgeschlossenes Apartment im Keller, das ich Ihnen zum üblichen Preis vermieten werde. Sie können dort Ihre Freunde empfangen, ohne dass ich sie auch nur zu Gesicht bekomme. Wohlgemerkt, wie sehr ich sie auch liebe und obwohl Sex gut für das Aussehen ist, Männer machen das Leben schwierig." Madame Minter sah Deborah durchdringend an. „Wie wahr", sagte diese ruhig. Woraufhin Madame Minter die Augenbrauen hochzog. „Was soll das heißen? Mögen Sie keine Männer?" „Doch. Ich will nur im Moment keine Komplikationen." „Ah. Hm. Ich verstehe. Ja, wirklich. So, so." Jetzt zog Deborah die Augenbrauen hoch. „Ich verstehe nur, dass ein Mann Sie verletzt hat", erklärte die Designerin. Deborah errötete. „Macht nichts, bald werden Sie Herzen brechen", fuhr Madame fort. „Zunächst einmal: Sind Sie dabei, Deborah Winters?" „Ich ... oh, na schön, Feigheit bringt einen nicht weiter. Ja, ich bin dabei", hörte sich Deborah sagen. Zwei Wochen später hatte Deborah immer noch das Gefühl zu träumen. Ihre Kellerwohnung in Madames vornehmem Reihenhaus in Chelsea mit den Blumenkästen und -kübeln, der schwarz lackierten Haustür mit dem Messingklopfer und Blick auf einen gepflegten kleinen Park in der Mitte des Platzes war klein, aber gemütlich. Und obwohl sich Deborah dort unten zuerst ein bisschen eingesperrt
vorgekommen war, hatte sie sich bald eingewöhnt. Wer würde sich nicht in dem pulsierenden, schicken historischen Chelsea wohl fühlen? dachte sie manchmal. Und nach einer Weile kannte sie sich auch in der King'sRoad und Fulham Road, am Sloane Square, Cheyne Walk und Fluss aus. Deborah war im Naturhistorischen Museum gewesen, in der Albert Hall, bei Harrods und ging jeden Morgen bei jedem Wetter in den Hyde Park oder in die Kensington Gardens. Es hatte nicht oft geregnet - alle waren der Meinung, dass es bisher ein wunderschöner Frühling war. Natürlich gab es in Lond on noch viel mehr, das sie sehen musste, aber Yvette Minter war eine Sklaventreiberin: Deborah hatte noch nie in ihrem Leben so hart gearbeitet. Doch sie genoss es, auch wenn sie sich fünfzigmal am Tag umzog oder temperamentvolle Fotografen ihr schmeichelten, auf sie einredeten, sie anschrien. Letzteres taten alle anderen bei „Minter's" auch, denn Madames theatralische Nervosität wegen der bevorstehenden Präsentation der Konfektionsmode steckte alle an. Eines Nachmittags, ungefähr zwei Wochen nach Deborahs Ankunft, zog sie einen kaffeebraunen gerade geschnittenen, knöchellangen Seidenrock, eine ärmellose blaue Jacke und kaffeebraune Wildlederschuhe an, bürstete ihr langes offenes Haar, legte traubenförmige Perlenohrringe und ein goldenes, mit Perlen besetztes Armband an und ging in den eleganten Raum, in dem Kundinnen Madames Haute-Couture-Modelle vorgeführt wurden. Nur Madame war dort, wie immer in Schwarz, diesmal allerdings in einem Cocktailkleid. Sie wanderte mit geschürzten Lippen langsam um Deborah herum. „Ja", sagte Madame schließlich, „wir haben es richtig gemacht mit dem Haar. Auf eine Länge geschnitten, ein bisschen kürzer und mit den feinen helleren Strähnchen können Sie es schütteln, und es legt sich wie von selbst wieder und sieht mir ein wenig durcheinander aus, als ob ein Mann mit seinen Händen hindurchgefahren wäre. Es ist wirklich sehr gut. Und die Hüften unter der Seide... ganz wundervoll!" „Danke", erwiderte Deborah gelassen, doch sie war auf der Hut. Inzwischen hatte sie nämlich gelernt, dass Madames französischer Ak zent nicht nur zum Vorschein kam, wenn sie mit Kundinnen sprach oder aufgeregt war, sondern auch, wenn sie verschlagen war. Und manchmal konnte sie äußerst verschlagen sein. „Und?" Deborah warf einen vielsagenden Blick auf die leeren vergoldeten Stühle. „Und?" wiederholte Madame arrogant. „Ich gebe heute abend eine kleine Cocktailparty bei mir zu Hause. Nur Freunde sind eingeladen. Und Sie kommen auch, Miss Deborah!" Deborah seufzte. „Es war sehr nett von Ihnen, mir Ihre Kellerwohnung zu vermieten. Sie haben mich noch nie auch nur im geringsten gestört, und ich hoffe, Sie können dasselbe von mir sagen ... aber ich finde, dabei sollten wir es belassen." Ein Wortschwall in Französisch war die Antwort, und da Deborah den Wutausbruch Madames gelassen ertrug, wurde diese noch zorniger. Schließlich wechselte sie zu Englisch und schimpfte: „Es ist geschäftlich, Sie störrisches, undankbares Kind!" „Ich dachte, Sie hätten etwas von Freunden gesagt." „Ja, Freunde, die nach der Party über Sie sprechen werden! Verstehen Sie denn überhaupt nichts? Ist Australien so hinterwäldlerisch, dass man dort nicht einmal..." „Also jetzt hören Sie aber..." „Nein, Sie hören mir zu. Das Fest ist Teil meiner Kampagne, Sie berühmt zu machen, und was tun Sie? Sie widersetzen sich!" Deborah verzog das Gesicht. „Zufällig hasse ich Cocktailpartys." „Diese nicht, das garantiere ich. Meine Partys hat noch nie jemand gehasst! Bitte, Deborah Winters! Ich möchte, dass Sie kommen, und ich habe nur die besten Absichten." Madame wechselte so schnell die Taktik, dass Deborah erstaunt blinzelte. „Alle sollen dieses großartige Mädchen sehen, das sich schon bald in eine wundervolle, elegante Frau verwandeln wird..." „Halt. Ich komme." Deborah schüttelte ein bisschen benommen den Kopf, lachte jedoch dabei.
„Sie müssen, ob Sie wollen oder nicht", fuhr Madame streng fort. „Dieses Land Australien - sind dort alle wie Sie? So misstrauisch, so hartherzig, so..." „Madame! Ich sagte: ich komme!" Zum erstenmal sah Deborah den Salon im ersten Stock von Madames Haus, und war tief beeindruckt. Die gelben Samtvorhänge an den ho hen Fenstern waren in dekorative Falten gelegt und mit Quasten ge schmückt, auf dem pastellgrünen Teppichboden lagen kostbare chinesische und persische Brücken, die Möbel waren wunderschön, zierlich und mit Einlegearbeiten versehen, die Stühle mit hellrosa Seide bezogen. Natürlich war es trotzdem eine Qual - einer stetig anwachsenden Zahl von Menschen vorgestellt zu werden, sich von ihnen mustern zu lassen, zu versuchen, sich mit völlig Fremden zu unterhalten, ohne unbeholfen und unsicher zu wirken. Diese Nervosität hätte ich eigentlich längst ablegen müssen, dachte Deborah und trank einen Schluck Sherry. Wie viele Male bin ich schon vor Hunderten von Fremden auf- und abgelaufen? Aber das ist etwas anderes. Auf dem Laufsteg kann ich mich von allem distanzieren. Wie soll das hier gehen, wenn ich meinen australischen Akzent selbst so deutlich höre? Ist mir doch egal, was man darüber denkt. Warum fühle ich mich dann so unsicher? fragte sie sich gereizt. Vielleicht sollte ich mich auf den Gedanken konzentrieren, dass ich eines Tages selbst einen solchen Salon besitzen könnte... „Miss Deborah?" Madames Stimme unterbrach ihre Überlegungen, und Deborah drehte sich um. „Ich möchte Ihnen einen besonderen Gast vorstellen, meinen Neffen. Simon, dies ist mein Schützling, Deborah Winters. Ist sie nicht phantastisch?" Deborah blickte den großen, breitschultrigen Mann in dem grauen Maßanzug an und erstarrte. Sie nahm seine selbstbewusste Haltung und die Autorität, die er ausstrahlte, wahr, sein braunes Haar, die schlanken Hände, die sie früher einmal allein bei dem Gedanken, sie auf ihrem Körper zu spüren, vor Lust hatten erschauern lassen. Erst ganz zuletzt sah sie in Simon Macquaries graugr üne Augen, die einen seltsamen Aufdruck hatten.
2. KAPITEL
„So trifft man sich wieder", sagte Simon langsam mit dieser spöttischen Stimme, die Deborah bis in ihre Träume verfolgte. „Ist das nun reiner Zufall oder... etwas anderes?" Zwei Dinge passierten gleichzeitig: Madame sprach vor Überraschung Französisch, und Deborah umfasste ihr Sherryglas so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden. Was Simon veranlasste, Madames Redeschwall zu unterbrechen. „Also wirklich, Deborah", meinte er trocken, „das hatten wir doch schon einmal. Bei dem Champagner habe ich außergewöhnlich verständnisvoll reagiert, aber es gibt Grenzen. Ich an deiner Stelle würde den Sherry trinken." Deborah tat genau das. Dann stellte sie das leere Glas sanft auf einem Tisch ab und verließ mit all dem Hochmut, der Verachtung und beherrschten Wut, zu der sie fähig war, den Raum. Hinter ihr senkte sich ein gespanntes Schweigen über die Gesellschaft. Sicher in ihrer Kellerwohnung angekommen, schloss Deborah die Tür ab, nahm Ohrringe und das Armband ab und warf den Schmuck auf den Küchentisch. Sie wollte gerade die Jacke aufknöpfen, als sie - fast konnte sie es nicht glauben - einen Schlüssel sich im Türschloss drehen hörte. Eine Sekunde später wurde die Tür geöffnet, und Simon betrat die Wohnküche. Wütend, mit bebenden Fingern knöpfte Deborah die Jacke zu, sich bewusst, dass Simon zumindest einen Blick auf den cremefarbenen BH aus Seide und Spitze erhascht haben musste. „Wie kannst du es wagen!" fauchte Deborah. „Woher hast du einen Schlüssel? Das ist ja einfach unerträglich!" „Es ist Yvettes Hauptschlüssel", sagte er gelassen und legte ihn auf den Tisch. „Sie war mit mir einer Meinung, dass wir beide einige Dinge klären müssen." „O nein, das müssen wir nicht!" brauste Deborah auf, dann holte sie tief Luft und versuchte, sich zu fassen. „Meiner Ansicht nach nicht", fuhr sie kühl und ruhig fort. „Auch dann nicht, wenn du glaubst, dass ich dich irgendwie aufgespürt und mich bei deiner Tante eingeschmeichelt habe, um ..." Deborahs Zögern erwies sich als fataler Fehler. „Um wieder einen Platz in meinem Leben zu erobern?" fragte er sanft, doch so höhnisch, dass Deborah zusammenzuckte. „Ja, der Gedanke ist mir gekommen." „Dann bist du verrückt! Ich hatte keine Ahnung, dass sie deine Tante ist, sonst würde ich ganz bestimmt nicht für sie arbeiten." Simon lächelte. „Nun, du musst mir verzeihen, wenn ich ein bisschen misstrauisch bin, was deine Beweggründe angeht. Aber..." Er musterte Deborah von oben bis unten. „... deinem Ehrgeiz gebührt höchstes Lob, mein kleines australisches Flittchen. Für eine Serviererin, die den männlichen Gästen unsittliche Anträge macht, hast du es erstaunlich weit gebracht. Möchtest du mir erzählen, wie du diesen sozialen Aufstieg geschafft hast?" Simon zog zynisch die Augenbrauen hoch, setzte sich an den Küchentisch und ließ nachdenklich das goldene Armband durch seine Finger gleiten. Deborah hatte noch nie rotgesehen, jetzt tat sie es. Nur die Erinnerung an das, was beim letzten Mal passiert war, als sie diesen Mann ohrfeigte, rettete sie. Wie sie es gelernt hatte, atmete sie unauffällig tief ein, dann nahm sie Simon gegenüber Platz und zuckte die Schultern. „Was glaubst du? Es ist ganz erstaunlich, was man im Liegen erreichen kann." Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, Deborahs Blick war - so hoffte sie jedenfalls - nicht einmal trotzig, doch die Spur von Skepsis in Simons Augen verwirrte sie. Doch dann fragte sie sich, ob sie es sich nur eingebildet hatte. „Also war das wirklich wahr?" Jetzt drückte sein Blick eindeutig Abscheu aus. „Natürlich. Hast du je daran gezweifelt?" fragte Deborah zuckersüß, obwohl sie verletzt war und das Gefühl hatte, in einen dunklen Schacht zu fallen - durch eigene Schuld, aber unfähig, es zu verhindern. „Vielleicht war ich damals ein wenig unreif. Hattest du deshalb vielleicht noch Zweifel? Nun, ich habe inzwischen sehr viel mehr Erfahrung. Willst du eine Kostprobe?"
Simon entspannte sich plötzlich. „Nein, danke, Miss Winters, das ist wohl nicht nötig. Mich hat nur zum Teil die Echtheit deiner... Wutanfälle verunsichert. Nun, wir irren uns alle einmal. Weiß meine Tante, mit welchen Mitteln du arbeitest?" Ich bin zu weit gegangen! Wieder! dachte Deborah wie betäubt, während sie errötete. Warum tut mir dieser Mann das an? Sie stand unvermittelt auf. „Nein. Und ich habe ein neues Leben begonnen. Jetzt, da ich Karriere mache, wäre es dumm... nun, du weißt, was ich meine." „Einen schlechten Ruf zu erwerben?" „Ja", sagte Deborah kurz angebunden, warf Simon jedoch unwillkürlich einen flammenden Blick zu. „Nun, ich wünsche dir Erfolg. Und ich hoffe, es fällt dir nicht allzu schwer, ohne zu leben." Simon erhob sich ebenfalls. Deborah wusste genau, was er meinte. Wieder ließ er den Blick über sie gleiten, und es war, als könnte er unter die blaue und kaffeebraune Seide sehen. Es erinnerte Deborah erschreckend deutlich daran, was für ein Gefühl seine Hände auf ihrem Körper ausgelöst hatten. Jetzt kam Simon auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen, so dass all das, was sie immer so quälend attraktiv gefunden hatte, erneut auf Deborah einstürmte: seine Größe und die breiten Schultern, der schwache Duft seines After-shaves, seine schlanke, durchtrainierte Figur, die sie insgeheim so bewundert hatte. Deborah dachte daran, wie wundervoll es gewesen war, von ihm geküsst zu werden, wie ihr Herz geklopft und ihre Haut geprickelt hatte ... Sie versuchte, unbeeindruckt zu ihm aufzuschauen. Simon war ihr immer überlegen gewesen. Nach einer leidenschaftlichen Umarmung hatte er ihr oft abschätzend und mit kühler Belustigung in die Augen gesehen, und dann hatte er spöttisch gelächelt, manchmal auch vernichtend zynisch. Deborah wollte verzweifelt irgend etwas sagen, um die unerträgliche Spannung dieses Moments zu lösen, doch Simon sprach zuerst. „Ohne Sex zu leben, meine ich", flüsterte er und lächelte, als sie plötzlich zitterte. „Es dürfte interessant sein, zu beobachten, wie du damit fertig wirst. Und man kann dich wohl nicht einmal gänzlich dafür verurteilen, dass du dich im Liegen nach oben gearbeitet hast, wenn es Stellen an deinem Körper gibt, wo deine Haut wie Seide ist und du so schön, so erotisch und empfindlich bist." Simon machte absichtlich eine Pause. „Es ist ein Jammer, dass du nicht das Herz und die Seele hast, die damit übereinstimmen. Aber..." „Hinaus!" forderte Deborah starr, blass geworden. „Ich gehe schon. Viel Glück." „Ich entschuldige mich für die Art, wie ich Ihre Party verlassen habe, falls Sie mich jedoch trotzdem entlassen wollen, ist es auch gut." Yvette Minter hob die Hände. Sie war im Morgenrock die Kellertreppe hinuntergestiegen und hatte an Deborahs Tür geklopft. Es war der Morgen nach der Party, ein Sonntag, und ungefähr neun Uhr. „Warum wusste ich, dass Sie so etwas sagen würden?" Es klang sehr gekränkt. „Wollen Sie mir zu dieser schrecklichen Stunde des Tages nicht einmal eine Tasse Kaffee anbieten?" Deborah zuckte die Schultern und ging zum Herd, neben dem eine Kaffeemaschine leise zischte. „Wenn Sie möchten." Sie schenkte zwei Tassen ein. Madame setzte sich, ordnete die üppigen Falten des Morgenrocks und blickte auf Deborahs gesenkten Kopf, schwieg jedoch ausnahmsweise einmal eine ganze Weile. „Hier." Deborah schob einen gefüllten Becher über den Tisch und nahm nach kurzem Zögern auch Platz. „Merci." Madame lächelte flüchtig und verzog die Lippen. Was Deborah veranlasste, sich zu fragen, was nun kommen würde. „Ich dachte nur gerade: was für ein Unterschied!" erklärte Madame. „Gestern abend
waren Sie eine elegante Dame, heute morgen sehen Sie wie ein Teenager aus." Deborah blickte an sich hinunter. Sie trug Leggings mit einem Blumenmuster und ein weites, langes T-Shirt. „Und?" „Das ist auch so eine Sache! Wie oft Sie auf diese Weise ,und?' zu mir sagen." „Tut mir leid. Wenn ich meine Chance verpatzt habe, in Ungnade gefallen bin, falls Sie keine Hoffnung mehr haben, etwas zu retten und mich berühmt zu machen..." Eine Spur von Ironie schwang in Deborahs Stimme mit. „... nur heraus damit." „Deborah", tadelte Madame, „warum sind Sie so reizbar?" „So bin ich eben." „Schön, ich glaube Ihnen, aber warum meinen Sie, gestern abend in Ungnade gefallen zu sein? Sie haben lediglich Ihr Image mit ein bisschen Würze und Geheimnis versehen. Simon stehenzulassen - allein es zu wollen, geschweige denn, es tatsächlich zu tun - ist etwas, das nicht viele Frauen machen." „Sollten sie aber." Die Worte waren heraus, bevor sich Deborah zurückhalten konnte. „Es tut mir leid, wenn er Ihr Neffe ist, nur..." „Weiter." Madames dunkle Augen blitzten vor Neugier. Wie mich das an Jane erinnert! dachte Deborah. „Nein... je weniger geredet wird, desto rascher wird alles wieder gut. Außer er..." Sie verstummte und schaute Yvette Minter direkt an. „Simon hat wirklich nichts gesagt. Nur, dass er Sie vor drei Jahren in Australien kennengerlernt hat. Er hat mich also völlig im unklaren gelassen, was für eine Frau wie mich äußerst frustrierend ist", gab Madame ehrlich zu. „Wohlgemerkt, es ist nicht schwer zu erraten, dass ihr etwas miteinander hattet, die Luft knisterte ja förmlich zwischen euch beiden. Was für ein Schlag für Sondra Grant!" Madame seufzte zufrieden. „Wer ist das?" „Seine Verlobte. Na ja, inoffizielle Verlobte. Wussten Sie das nicht?" „Ich weiß nichts von Simon, außer wie er manchmal sein kann. Ein absoluter..." „Dann werde ich Ihnen von ihm erzählen." Madame beugte sich eifrig vor und beachtete Deborahs Protest überhaupt nicht. „Er ist der Sohn des Bruders meines verstorbenen Mannes. In Wirklichkeit tragen wir denselben Namen, ich benutze aus geschäftlichen Gründen meinen Mädchennamen. Und jetzt denken Sie, wie seltsam, dass ich einen Schotten geheiratet habe? Überhaupt nicht. Die Macquaries haben oft Französinnen geheiratet, die Familie ist sowieso halb französisch, weil..." „Das mit dem Likör weiß ich", warf Deborah ein. „Wir haben uns in Australien auf einer Cocktailparty kennengelernt, nur dass auf jener Likör serviert wurde." „Ah! Wissen Sie denn auch, dass Simon das Familienunternehmen davor bewahrt hat, in Vergessenheit zu geraten, und es in einen sehr erfolgreichen Konzern verwandelt hat? Weil er ein brillanter Geschäftsmann ist... dynamisch. Ohne seinen Rat wäre selbst ich nicht, wo ich heute bin, und..." „Madame." Deborah stand auf. „Das interessiert mich wirklich nicht. Entschuldigung." „Also war Simon derjenige?" „Welcher?" „Der Ihnen weh getan hat. Hören Sie ..." Madame wurde böse. „... halten Sie mich nicht für dumm, Miss Winters!" „Tue ich nicht. Aber er ist Ihr Neffe. Oh, das Ganze ist unmöglich", flüsterte Deborah. Zu ihrem Entsetzen traten Tränen in ihre Augen. Die Hoffnung auf ein neues Leben zerrann ihr wie Sand zwischen den Fingern. „Was hat das damit zu tun?" „Was womit?" fragte Deborah gereizt, während sie sich mit dem Handrücken über die Augen fuhr. „Dass er mein Neffe ist!" sagte Madame fast so hochmütig wie sonst.
„Alles. Ich hasse ihn, er ... verachtet mich. Es ist gut möglich, dass wir uns ständig über den Weg laufen, und offensichtlich bewundern Sie ihn sehr." „Und deshalb glauben Sie, ich würde automatisch auf seiner Seite stehen?" „Ja!" Madame erhob sich und drapierte würdevoll den Morgenrock um sich. „Dann kennen Sie mich überhaupt nicht, Deborah Winters", schalt sie frostig. „Ich entwerfe nicht nur erlesene Kleider, sondern bin auch sehr gut darin, Menschen zu beurteilen. Außerdem bin ich eine Vollblutfranzösin, und als solche weiß ich eine Menge über Männer. Nicht einmal im Traum würde mir einfallen, Simon für außerordentlich ehren- und tugendhaft zu halten, nur weil er mein Neffe ist. Statt dessen sage ich mir: Vor allem ist er ein Mann, und wir Frauen wissen, was für gemeine Kerle Männer manchmal sein können!" Deborah blickte sie starr an, setzte sich wieder und lachte ein bisschen hysterisch. „Sie kennen mich doch kaum!" „Stimmt. Aber ich mag Sie. Also, hassen Sie Simon, wenn Sie wollen. Mich kümmert das nicht. Allerdings lasse ich mich auch nicht völlig davon täuschen." „Was meinen Sie damit?" „Cherie", sagte Madame freundlich, „Sie täuschen mich keine Sekunde lang. Nun, bevor Sie wieder wütend werden, schweige ich lieber! " Und einmal im Leben tat sie es. Deborah verlor auch kein Wort mehr darüber. Aus dem einfachen Grund, weil sie das Gefühl hatte, zur Schnecke gemacht worden zu sein. Am nächsten Morgen erschien Deborah jedoch pünktlich zur Arbeit, und das Eingeständnis ihrer Sympathie hielt Madame nicht davon ab, Deborah einen aufreibenden Tag zuzumuten und ihr bei der Anprobe eines bestimmten Kleids zu sagen, es würde wie ein Kartoffelsack an ihr aussehen. Fast zwei Wochen vergingen, bevor Deborah Simon Macquarie wiedertraf, dann begegnete sie ihm zweimal innerhalb von zwei Tagen. Das erste Mal war es in einem Pub in der Fulham Road. An jenem heißen, trockenen Freitag schien die Sonne - für England untypisch - gnadenlos vom Himmel. Die ganze Woche war auch sehr anstrengend gewesen und Deborah mehr als froh, den Laden während ihrer Mittagspause verlassen zu können. Das Innere des Pubs sah einladend kühl aus, und so ging Deborah hinein und bestellte einen „Caesar salad" und ein Glas Eistee. Erst nach ein paar Minuten bemerkte sie Simon in einer Gruppe auf der anderen Seite des Raums. Bis auf eine auffallende junge Frau, die neben ihm saß, waren es nur Männer in Geschäftsanzügen und mit Aktenkoffern. Sondra Grant? fragte sich Deborah. Oder eine Geschäftspartnerin? Die Frau wirkte nämlich mit dem kurzen dunklen Haar, der olivfarbenen Haut und dem dunkelrot geschminkten Mund sehr weiblich und schick, trug aber ein strenges schwarzes Kostüm, eine weiße Bluse und eine Männerarmbanduhr am Handgelenk. Und während Deborah sie beobachtete, öffnete die Frau ihren Aktenkoffer und nahm ir gendwelche Papiere heraus, die sie Simon reichte. Nein, wahrscheinlich keine rein geschäftliche Beziehung, dachte Deborah bei der Art, wie sich die beiden über das Dokument beugten und dabei an den Schultern berührten. Der leckere Salat schmeckte plötzlich überhaupt nicht mehr. Kur ze Zeit später stand Deborah auf und ging. Sie machte einen Umweg, so dass sie nicht zu nahe an Simons Tisch herankam, um von Simon erkannt zu werden. Der nächste Tag war ihr freier Samstag. Nachdem sie ausgeschlafen und ihren Haushalt gemacht hatte, kaufte sie in der South Kensington ein, sah sich eine ganze Stunde lang in einem interessanten Bücherladen um und lief schließlich durch die Sydney Street und an der St. Luke's Parish Church zurück. Aus irgendeinem Grund blieb sie vor der Kirche stehen, als sie erkannte, dass dort eine Hochzeit stattfand. Noch mehr Menschen standen vor den Absperrgittern, und nach den Rolls und Mercedes zu urteilen, die vorfuhren, würde
es eine vornehme Hochzeit werden. Deborah sagte sich, dass sie sowieso nichts anderes zu tun habe, und wartete ebenfalls. Außerdem war es interessant, sich die eleganten Kleider der Gäste anzusehen und zu raten, welche Designermode waren und welche nicht. Endlich kam die Braut vor der Kirche an. Das junge Mädchen war klein, mollig und hatte rosige Wangen. Es trug ein schlichtes wunderschönes Seidenkleid und wirkte nervös und strahlend vor Glück zugleich. Deborah sah, wie die Braut tief Luft holte und dann am Arm ihres Vaters in die Kirche ging. Nur zwei kleine Jungen streuten Blumen. Ein reizloses Mädchen machte einen bedeutenden Schritt in ihrem Leben, der blaue Himmel, die schöne alte Kirche aus honigfarbenem Stein vor dem grünen Rasen ... Ungewöhnlich gerührt, bückte sich Deborah und nahm ihre Einkaufstaschen. Deshalb war sie doppelt schockiert, als sie bemerkte, dass Simon Macquarie, in einer Khakihose und einem blauen, am Hals offenen Hemd, direkt hinter ihr stand und sogar eine ihrer Tüten hochhob. Sie wusste nämlich genau, dass ihre Stimme sie verraten würde. Doch Simon hatte offensichtlich schon an Deborahs Miene erkannt, was los war, denn er zog die Augenbrauen hoch und sagte: „Ich hatte dich nicht für eine Frau gehalten, die auf Hochzeiten weint." Deborah räusperte sich. „Nein? So kann man sich irren. Vielleicht bedaure ich versäumte Gelegenheiten? Und was", fügte sie kühl hinzu, „tust du hier?" „Ich wohne ganz in der Nähe." „Das hätte ich mir denken können." „Was soll das nun heißen? Übrigens habe ich dich gestern bei deinem einsamen Mittagessen gesehen." „Aber ich ..." Deborah schloss hastig den Mund. Simon lächelte. „Aber du hast dich so bemüht, von mir nicht bemerkt zu werden. Ich weiß. Vielleicht besitze ich eine gewisse Sensibilität, was dich betrifft." „Nach drei Jahren?" fragte Deborah trocken. „Schwer zu glauben. Wenn du mir freundlicherweise meine Lebensmittel geben würdest, mache ich mich jetzt auf den Weg." „Ich bringe dich nach Hause. Es ist ein so schöner Tag." Doch Simon rührte sich nicht, sondern musterte versonnen Deborahs bunte Leggings, das T-Shirt und die blauen Segeltuchschuhe. „Was ist jetzt wieder?" fragte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Du siehst in diesem Aufzug blutjung und unschuldig aus, und ich habe gerade überlegt, was du wohl tun würdest, um die Illusion zu zerstören." „Nun, ich habe eine Überraschung für dich." Deborah hatte kurz mit sich gekämpft und war zu dem Schluss gekommen, dass sie lieber sterben würde, als ihm eine Szene zu machen, auch wenn sie ihm vielleicht in die Hände spielte. Ich werde ihn trotzdem ärgern, schwor sie sich, nahm ihre Tüten und ging los. „Ich bin wirklich erstaunt", fuhr sie liebenswürdig fort. „Hat dir noch nie jemand gesagt, dass Männer, die alles zu wissen glauben, entsetzlich langweilig sind?" Simon lachte. „Komm und trink etwas mit mir, dann können wir über deine Theorie diskutieren." „Nein!" „Nicht einmal im Chelsea Farmer's Market auf der anderen Straßenseite? Dort bist du völlig sicher. Dachtest du, ich wollte dich in mein Haus locken? Also das wäre wirklich gefährlich, Deborah. Für uns beide." Und mit einem spöttischen Blick, der sie bis ins Mark traf, überquerte er mit ihren Lebensmitteln einfach die Straße und ging durch den Eingang. „War also doch keine so schlechte Idee", sagte Simon, nachdem Deborah einen Hamburger gegessen und ein Glas Weißwein getrunken hatte. „Es ist oft ein hartes Stück Arbeit, Models zu überreden, Salatblätter zu essen, von Hamburgern ganz zu schweigen, aber schließlich hast du ja auch gestern dein Mittagessen nicht aufgegessen, nicht wahr?" Deborah ließ sich nicht provozieren. „Und heute mittag
habe ich gar nichts zu mir genommen." „Ich kenne das Gefühl." Simon streckte seine langen Beine aus und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Und?" „Und was? Spielst du darauf an, dass ich nie an die Spitze kommen werde, wenn ich weiter Hamburger esse?" „Nein, ich hatte nur vor zu erwähnen, dass wir uns in der Gesellschaft des anderen entspannen können." „Ja", gab Deborah leise zu. „Aber ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst." Simon lächelte. „Vielleicht sind sogar alte Feinde wie wir unfähig, sich ständig zu streiten. Wie läuft die Arbeit?" Bleib einfach gelassen, ermahnte sich Deborah. „Deine Tante ist sehr temperamentvoll. Für sie zu arbeiten ist wahrscheinlich nie eine friedliche Erfahrung, aber die neue Konfektionskollektion ist phantastisch, und trotz all der Aufregung macht mir der Job große Freude." „Ich glaube, es macht ihr große Freude, dich zu haben. Neulich sagte sie zu mir: ,Ah, die hat ihren eigenen Kopf!'" „Du hast mit ihr über mich gesprochen?" „Nein. Deine Geheimnisse sind bei mir völlig sicher. Yvette hat mir nur einige der Fotos für die neue Kollektion gezeigt." „Und mehr hat sie nicht gesagt?" „Nein. Warum?" „Ach, nichts." Deborah schob ihren Stuhl zurück. „Danke für das Mittagessen. Ich ziehe besser los." „Eine Frage noch. Hast du schon Freundschaften geschlossen?" „Nein. Wie du sehr richtig beobachtet hast, schaffe ich es immer noch, keusch zu bleiben." Sie warf Simon einen ironischen Blick zu. „Dann gehst du jetzt nach Hause, um dein Haar zu waschen und diesen schönen Samstag abend vor dem Fernseher zu verbringen?" fragte Simon spöttisch. „Welche Verschwendung. Man kann nicht nur mit Männern befreundet sein." „Das weiß ich." Deborah zählte in Gedanken bis zehn, während sie den genauen Betrag für den Hamburger und den Wein aus ihrem Portemonnaie nahm. „Und nein, ich habe noch keine Freundinnen gefunden, aber das kommt schon noch. Mir scheint, Todfeinde wie du und ich können nichts anderes tun, als zu streiten, deshalb hatte ich recht damit, dass diese Art Waffenstillstand wenig Sinn hat und zudem ziemlich ermüdend ist." Sie schob Simon das Geld über den Tisch zu und fügte hinzu: „Niemand soll von mir behaupten, ich sei billig. Wiedersehen!" Deborah wollte sich abwenden, doch Simon packte sie am Handge lenk und sagte so leise, dass es außer ihr niemand von den Leuten, die auf dem Markt die Sonne und frische Luft genossen, hören konnte: „Du wirst es nicht mehr lange aushalten. Wenn ich nicht so vernünftig gewesen wäre, hättest du vor drei Jahren mit mir geschlafen." Sie zog es vor, sich nicht noch mehr anzuhören. Mit einer ruckartigen Armbewegung riss sie sich los, nahm ihre Einkaufstüten und ging davon. „Aha!" rief Madame zufrieden. Während der vergangenen Tage war Deborah so gereizt gewesen wie ein wütender Tiger, doch niemand schie n es bemerkt zu haben. Es war eine der seltenen Kaffeepausen in Madames unordentlichem kleinen Büro, und die Designerin war in eine Zeitung vertieft. Yvette Minter liebte die Boulevardpresse und las eifrig die Klatschspalten. „Etwas über jemand, den Sie kennen?" fragte Deborah. „Ja. Sie. Allmählich wird man auf Sie aufmerksam. Und genau wie ich sagte, macht diese Sache mit Simon Sie noch interessanter und geheimnisvoller, cherie. Habe ich etwa vergessen, Sie darauf hinzuweisen, dass der Farmer's Market vielleicht nicht der beste Ort ist,
um mit ihm die Speere zu kreuzen, wenn es nicht die ganze Welt mitbekommen soll?" „Klingen kreuzen", verbesserte Deborah sie. Und dann: „Oh, verdammt!" „Die Fehde geht also weiter", fuhr Madame mit einem schadenfrohen Blick auf ihr firmeneigenes Model fort. „Nun, hier steht auch: ,Wer ist das bildschöne Mädchen, das am vergangenen Samstag mit dem Cognac-Tycoon Simon Macquarie auf dem Chelsea Farmer's Market gesehen wurde? Wir glauben, Madame Minter hat es versteckt ...' Ah, aber die Hüllen fallen!" „Warten Sie eine Sekunde! Mir war nicht klar, dass Sie diese Art von Publicity wollen." „Was ist falsch daran?" fragte Madame unschuldig. Deborah biss die Zähne zusammen. „Schon gut. Was genau meinen Sie mit den Hüllen, die fallen?" „Nur, dass wir anfangen, Sie in die Gesellschaft einzuführen. Ascot, Wimbledon, solche Dinge. Und wir werden doch nicht haben den Streit, den wir wegen der Cocktailparty hatten, oder? Nach allem, was ich für Sie getan habe? Ist es zuviel verlangt, dass Sie meine Kleider dort tragen, wo all die reichen Frauen und Mädchen sie sehen, und sich augenblicklich aus tiefstem Herzen wünschen, etwas von Yvette Minter zu kaufen? Ist es wirklich zuviel verlangt, wenn Sie dabei gleichzeitig die Spitzen der Gesellschaft kennenlernen, all die wohlabenden und berühmten Leute, die Sie zu Hause in Australien niemals getroffen hätten? Seien Sie nicht überrascht, wenn Sie sogar einen reichen, gutaussehenden Ehemann mit einem Adelstitel finden! Und wem würden Sie dann danken müssen? Mir!" Bei diesem Wortschwall hielt sich Deborah die Ohren zu. „Ich will keinen adligen Ehemann. Außerdem bin ich sicher, dass mich kein Adliger will..." „Natürlich wollen Sie! Jede Frau will das", schimpfte Madame. „Wissen Sie, was ich war, als ich Simons Onkel kennenlernte? Eine Maschinennäherin in einer Kleiderfabrik. Und sehen Sie mich jetzt an! Ich habe eine Loge in Ascot, mein Haus, ein Millonen-PfundUnternehmen. Weil ich benutzt habe meinen Kopf und mein Aussehen! Denken Sie daran", fügte sie plötzlich freundlicher und in perfektem Englisch hinzu, „welch ein Schlag es für Simon wäre. Sie hassen ihn doch so, oder?" „Ich dachte, mein Auftauchen sollte ein Schlag für seine Verlobte sein", sagte Deborah leicht hysterisch. Madame hob die Hände. „Wie auch immer." „Ist sie dunkelhaarig und sieht wie eine erfolgreiche Geschäftsfrau aus?" Unglaublich, dass ich das frage! dachte Deborah wütend. „Ja. Sondra Grant ist Wirtschaftsprüferin in der Firma, die Simons Buchhaltung macht. Sehr direkt und geschäftsmäßig, außerdem ziemlich attraktiv - wenn man herrische, superintelligente Frauen mag." Madame zuckte die Schultern. „Noch einmal, Deborah Winters: Machen Sie mit?" Also wurde Deborah in einem kurzen dunkelblauen Seidenkostüm und mit einem großen Hut beim Pferderennen gesehen, und viele Frauen blickten sie neugierig an und seufzten sehnsüchtig. Man konnte Deborah beim Verzehr von Erdbeeren mit Schlagsahne in Wimbledon beobachten, wo sie ein hautenges gelbes Top, einen schilfgrünen, wadenlangen Rock und einen Strohhut mit Blumen trug und dieselben Reaktionen auslöste, allerdings nicht bei Simon Macquarie, der an diesem Tag zufällig auch in Wimbledon war. Er stellte sich ihr einfach in den Weg und hinderte Deborah so daran, an ihm vorbeizugehen. Simon war leger gekleidet, die Sonne ließ Strähnen seines dichten braunen Haars glänzen. Er wirkte entspannt und musterte gelassen Deborahs nackte Schultern und die Rundungen ihrer Brüste unter dem trägerlosen gelben Top. Dann sagte er freundlich: „Du zeigst heute, was du zu bieten hast." Allein bei seinem Anblick hatte Deborahs Herz begonnen, unregelmäßig zu schlagen. Sie presste verärgert die Lippen zusammen. Warum passierte ihr das bei einem Mann, der so grausam sein und sie mit einigen wenigen Worten und einem zynische n Lächeln so leicht verletzen konnte? Nach einem spannungsgeladenen Moment drehte sie sich auf
dem Absatz um und ging in die andere Richtung davon. Deborah wurde im Theater gesehen, beim Mittagessen, bei der Fahnenparade anlässlich des Geburtstags der Königin, auf einem Vergnügungsboot auf dem Fluss, bei Shows, Musikfestivals und auf Ausstellungen. Und Madames Zeitungsausschnitte türmten sich. Im allgemeinen begannen sie mit dem Satz: „Das australische Model Deborah Winters zeigte wieder herausragende britische Mode." Dann wurde der Inhalt jedoch allmählich persönlicher: „Das ungewöhnlich reservierte australische Model Deborah Winters macht sich nie die Mühe, seinen Akzent zu verbergen, wenn es denn einmal zum Sprechen gebracht werden kann. Und anscheinend lehnt es Miss Winters ab, zu schmollen ...". Oder: „Das australische Model Deborah Winters vertraute uns an, dass es sich auf einem Motorrad viel wohler fühlt... welche Verwandlung!" Mit dem Motorradbraut-Image, wie sie es nannte, war Madame nun überhaupt nicht einverstanden. „Ich habe das nicht so gesagt, als wäre ich irgendeine stolze Motorradbraut!" protestierte Deborah. „Ich verstehe einfach nicht, warum sich alle für jedes Wort interessieren, das ich von mir gebe, und warum mich alle Leute so neugierig ansehen." „Also wirklich, Deborah! Ich weiß, dass Sie nicht eitel sind - tatsächlich sind Sie das erfrischende Gegenteil -, aber dumm sind Sie doch wohl auch nicht", schalt Madame ironisch. „Nein ... ich frage mich nur manchmal, ob nicht mehr daran ist. Nehmen wir nur einmal den Artikel, den Sie gerade lesen." Deborah riss Madame die Zeitung aus den Händen. „Bei dem Picknick in Henley, zu dem Sie mich geschickt haben, sagte ich zu einem jungen Mann auf einer Harley Davidson, dass mir sein Motorrad gefiele. Er war der einzige, den ich als Gesprächspartner finden konnte. Alle anderen waren mit Partner gekommen. So, und dies haben sie dann darüber geschrieben." Deborah las den Rest des Artikels vor: Deborah Winters, die nicht nur bildschön ist, sondern auch großartig für Yvette Minters Mode wirbt, bleibt ein Rätsel. Sie scheint sich nie so richtig wohl zu fühlen. Hat sie noch immer Heimweh nach Australien? Sie dazu zu bringen, sich zu entspannen, ist zweifellos schwer. Und anders als die meisten Models hat sie offenbar keine drei oder vier gutaussehenden Männer im Schlepptau. Nicht einmal einen! Es gibt Gerüchte über sie und Simon Macquarie, aber die besagen, dass er den Laufpass bekommen hat. Verzeihung, Simon! Nur mit einem Mann habe ich die einzigartige Deborah ungezwungen plaudern sehen: Ricky Asquith-Font. Sie sollen sich angeblich über Motorräder unterhalten haben, bekanntlich eine Leidenschaft des Erben von ... „Was?" Madame setzte sich kerzengerade auf. „,Bitte, Deborah'", las Deborah weiter, „.können Sie uns nicht aus unserem Elend erlösen? Uns hängt allen die Zunge heraus ...' Das ist widerlich!" Deborah warf die Zeitung auf den Boden. „Wenn die meinen, ich werde ... Was ist?" „Sie haben mir nicht gesagt, dass es Ricky Asquith-Font war!" „Ich wusste es nicht. Was ist so interessant daran? Hatten Sie den Artikel nicht schon gelesen?" „So weit war ich nicht, als Sie ihn mir aus der Hand gerissen haben. Deborah, sein Vater ist ein Earl!" „Na und? Er ist noch ein grüner Junge. Und obendrein Motorradfan!" fügte sie spöttisch hinzu. „Oho! Und Sie sind so erfahren, wie? Ricky Asquith-Font ist dreiundzwanzig, ein Jahr älter als Sie. Überdies scheint er der einzige Mann in ganz London zu sein, mit dem Sie gut auskommen!"
„In meinem Vertrag steht nicht, dass ich London mit Gerüchten darüber, mit wem ich schlafe oder nicht schlafe, versorgen soll", erwiderte Deborah ruhig. „Sie selbst haben gesagt, Männer würden das Leben schwierig machen." „Ich erwarte ja gar nicht, dass Sie mit allen ins Bett gehen, aber..." „Danke." „... aber an keinem interessiert zu sein! Mir fehlen die Worte!" „Mir nicht. Vielleicht sollten Sie daran denken, dass Sie Designerin sind und keine Vermittlerin von Bettpartnern." Die Bemerkung löste natürlich einen Streit von solchen Ausmaßen aus - zum erstenmal geriet auch Deborah richtig in Wut -, dass alle geduldig leidenden Angestellten Madames fest mit Deborahs Entlassung rechneten. Deborah blieb. Nach drei Tagen in eisiger Atmosphäre wagte sie den ersten Schritt. „Madame, wenn ich Sie beleidigt habe, entschuldige ich mich dafür. Meine Meinung ändere ich jedoch nicht." „Nicht ändern! Ihre Meinung! Ich habe doch nur versucht, Ihnen klarzumachen, dass es ein Anfang ist. Ein junger Mann, mit dem Sie gut reden können. Ein junger Mann, der den Stein vielleicht ins Rollen bringt. Ist das so schlimm, dass Sie mir krassen Geschäftssinn vorwerfen müssen?" Deborah seufzte. „Nachdem ich den Artikel gelesen hatte, dachte ich, vielleicht nicht Ihren Erwartungen zu entsprechen. Dass Sie so böse geworden sind, weil ich gar nicht die geheimnisvolle, betörende Frau bin, die man sein muss, um für Mode zu werben, sondern nur ein bodenständiges australisches Mädchen, das im Umgang mit Männern wie ein Holzklotz ist. Und daran kann ich nichts ändern. Außerdem ist das allein meine Sache." Madame holte tief Luft, und Deborah wappnete sich für einen weiteren Wutanfall. Doch die ältere Frau setzte sich und sagte: „Ist Simon für all das verantwortlich? Glauben Sie mir, ich will Ihnen keine Bettpartner vermitteln. Ich war nur so sicher, dass Sie, wenn Sie Ihre Nervosität erst einmal überwunden haben, wie jede normale Frau Ihres Alters das Leben genießen, lachen und lieben würden. Sie sind für die Liebe geschaffen, Deborah." Deborah schwieg. „Dann verrate ich Ihnen noch etwas: Ich verkaufe mehr Kleider als jemals zuvor. Sehen Sie sich um, gehen Sie in die Fabrik, zählen Sie diese Bestellungen ..." Madame schlug auf einen Stapel Zettel. „Wir sind eingedeckt damit!" „Mir war nicht bewusst... Warum sind Sie dann so wütend geworden?" „Weil ich Sie mag. Allerdings frage ich mich oft nach dem Grund", erwiderte Madame sarkastisch. „Nicht, weil ich die Männer eher in die Flucht schlage, als sie zu erobern?" „Nachdem ihnen schon die Zunge heraushängt!" „Ich hasse diesen Ausdruck!" „Und weil Sie meinen Rat nicht annehmen wollen!" fuhr Madame frustriert fort. „Ich versuche, Ihnen zu helfen, sich ein Leben wie meins aufzubauen, und Sie tun nicht ... wollen nicht ... ich weiß nicht!" „Sie sehnen sich doch nicht etwa nach ..." Deborah verstummte. „Sagen Sie es!" „Vielleicht besser nicht..." „Nach Vermittlerin von Bettpartnern und krassem Geschäftssinn kann es ja nicht viel schlimmer kommen!" meinte Madame bissig. „Nach einer Tochter?" Madame stand seufzend auf. „Ich hätte keine schlechtere Wähl treffen können, um meine mütterlichen Instinkte auszuleben, oder? Es stimmt, manchmal bedaure ich es, keine Kinder zu haben, trotzdem überrascht es mich, wie sehr ich mich um Sie sorge, Deborah Winters. Sie erinnern mich an mich in Ihrem Alter. Ich war auch hitzköpfig,
fühlte mich ständig angegriffen und war oft wütend." „Das ist so ziemlich das Netteste, was mir jemals gesagt wurde", erklärte Deborah. „Dann versöhnen wir uns?" „Bis zum nächsten Mal", meinte Deborah lächelnd. „Und Sie werden dieses Kleid zum Fashion Guild-Ball tragen?" Madame zog einen Vorhang beiseite. „Niemand wird Sie darin fälschlicherweise für einen Holzklotz halten", bemerkte sie listig. Deborah betrachtete kritisch das Kleid. „Es ist wunderschön, aber irgendwie..." „Deborah!" „Oh, in Ordnung."
3. KAPITEL
Ich muss verrückt gewesen sein, dachte Deborah, während sie neben Madame und deren Begleiter, einem vornehmen grauhaarigen Gentle man, darauf wartete, vorgestellt zu werden. Madame schien den Mann sehr zu mögen. Tatsächlich hatte Deborah ihn schon zweimal früh morgens das Haus verlassen und in einen schwarzen BMW steigen sehen. Verrückt, ohne Partner zu kommen, überlegte sie weiter. Verrückt, überhaupt zu kommen! „Madame Minter, Sir Oswald Henry, Miss Deborah Winters." Deborah trat vor, äußerlich das selbstsichere, strahlende Model, doch nicht einmal das bewundernde Raunen, das durch den Raum ging, tröstete sie. Das gilt mehr dem Kleid als mir, sagte sie sich. Wahrscheinlich ist es die schönste Abendrobe, die ich jemals getragen habe. Es war nicht, wie Madame ihr zu erklären versucht hatte, das typische trägerlose Taftkleid mit ausgestelltem Rock, wie es normale Debütantinnen bevorzugten, sondern genau das Gegenteil: ein bodenlanges jadegrünes Seidenkostüm aus einer kurzärmeligen, hochgeschlossenen, mit Perlen und Pailletten bestickten Jacke und einem schlichten, gerade geschnittenen Rock, der nur hinten einen dezenten Schlitz hatte. Die Schuhe waren mit jadegrünem Stoff bezogen und hatten Pailletten an den Fersen. Abgesehen von der Perlen- und Paillettenstickerei war es ein fast strenges Modell, und doch betonte es jede Rundung von Deborahs Körper und saß so perfekt wie eine zweite Haut. Es machte jede Bewegung mit, wie es nur ein hervorragend gearbeitetes Kleidungsstück konnte. Und es stellte jedes andere Abendkleid im Raum weit in den Schatten. „Wieder Aufsehen erregt!" flüsterte Madame Deborah ins Ohr. „Ihr Haar ist so aufgesteckt auch gut. Wundern Sie sich nicht, wenn ein Mann es lösen möchte oder Ihnen das Kleid herunterreißen will. Ich sage das nur, um Sie zu warnen. Natürlich wäre ich gar nicht glücklich, wenn jemand dieses Kreation zerreißen würde." Deborah musste lachen und entspannte sich ein bisschen. Jemand berührte ihren Ellbogen, und als sie sich umdrehte, stand Ricky Asquith-Font vor ihr. Trotz seines extravaganten Smokings, der roten Samtfliege und seiner modischen Frisur wirkte er wie erschlagen und furchtbar nervös. Deborah hatte Mitleid mit ihm und fragte ihn nach seiner Harley Davidson. Zwei Stunden später flüsterte Madame ihr zu: „Ich habe es Ihnen ja gesagt! Sie können sich amüsieren, wenn Sie nur einmal ein bisschen aus sich herausgehen." Deborah verzog das Gesicht, doch ihre Wangen waren leicht gerötet, sie war keinen Moment ohne Tanzpartner, und es stimmte, sie amüsierte sich. Später hörte sie sogar einen jungen Mann klagen: „Haben Sie das gesehen? Das Eismädchen ist zum Leben erwacht! Und nur durch unseren guten Ricky. Was hat er, was ich nicht habe?" „Wenn man den Zeitungsartikeln glauben kann, hat er dieselbe Vorliebe für Motorräder wie sie und einen Grafentitel in Aussicht", erwiderte sein Freund trocken. Aber Deborah lächelte nur. Sie war auf der Toilette gewesen und ging zurück zu Rickys Tisch. Ihr Lächeln verschwand, als sie zu dem Mann aufsah, der sich ihr plötzlich in den Weg stellte. Simon Macquarie. Sein Anblick in dem Smoking und weißen Hemd raubte Deborah beinahe den Atem. Und die Art, wie er sie musterte, machte sie sprachlos. Er schaute auf ihre dunkelrot geschminkten Lippen, ihr schimmerndes Haar, den Puls, der an ihrem Hals schlug, und ihm entging nicht, dass sie unwillkürlich die Hände zu Fäusten ballte. Und dann wurde Deborah klar, dass Simon ebenfalls das Gespräch der beiden jungen Männer gehört hatte, denn er bemerkte wie beiläufig: „Er ist zu jung für dich, Deborah. Trotz des Grafentitels." „Und ich glaube allmählich, du warst immer zu alt für mich, Simon. Darf ich bitte vorbei?" „Nicht, bevor wir getanzt haben. Ich bin es langsam leid, ständig als der Kerl in den Klatschspalten zu stehen, der von Deborah Winters einen Korb bekommt."
„Wenn du nicht... Wenn du mich nicht immer schikanieren würdest ... Sollte ich deinen Stolz verletzt haben, bin ich froh darüber", brachte Deborah endlich einen zusammenhängenden Satz zustande. Simon nahm ihre Hand. „Na schön, dann tu es wieder. Alle hier werden fasziniert und wir beide morgen in jeder Zeitung groß herausge stellt sein." Zornig biss sich Deborah auf die Lippe, ließ sich aber widerstandslos von ihm auf die Tanzfläche führen und in seine Arme ziehen. „Dieses Spiel können auch zwei spielen!" Sie lächelte scheinbar völlig ge löst an ihm vorbei, während sie kaum hörbar hinzufügte: „Du wolltest es ja so ... Sehen wir einmal, was die Presse hiervon macht!" Und Deborah passte sich Simons Schritten an, schmiegte sich an ihn und gab sich der Musik hin, nur um festzustellen, dass er ein ebenso gutes Gefühl für Rhythmus hatte wie sie und sie zusammen tanzten, als wären sie füreinander geschaffen. „Was wolltest du beweisen?" fragte Simon einmal, während er Deborah gekonnt drehte und wieder in seine Arme zog. „Dass ich über meine eigenen Füße falle?" „Ich dachte, du seist nicht einmal hier." „Bin später gekommen." „Mit Sondra Grant?" Die Worte waren heraus, bevor sich Deborah auf die Zunge beißen konnte. Simon zog die Augenbraue n hoch. „Nein. Was weißt du von Sondra?" „Nichts. Und ich will auch nichts wissen", log Deborah. „Ich habe mich nur unwillkürlich gefragt, was sie wohl von den Klatschspalten denkt. Du hast sie hoffentlich beruhigt." „Oh, Sondra braucht nicht beruhigt zu werden. Wenn überhaupt, war sie amüsiert. Du tanzt außergewöhnlich gut, Deborah." Simon wirbelte sie ein letztes Mal herum. „Danke." Deborah kam genau in Simons Armen zum Stehen, wie er es beabsichtigt hatte. „Lass mich nicht..." Sie sprach nicht weiter. Lass mich nicht los, hatte sie sagen wollen. Nur, weil ihr schwindlig war, natürlich. Hatte er das auch beabsichtigt? „Tue ich nicht." Simon wartete, bis sie wieder normal atmete und sich der Raum nicht mehr um sie drehte - und die anderen Paare die Tanzfläche verlassen hatten. Dann küsste er Deborah fordernd auf den Mund. Ihre Lippen öffneten sich, ihre Augen wurden groß und dunkler, aber schon gab Simon Deborah frei, verbeugte sich mit der finsteren Miene, die sie schon öfter an ihm gesehen hatte, ging davon und ließ Deborah ganz allein mitten auf der Tanzfläche stehen. Einen Moment lang blickte Deborah ihm nach, dann kehrte sie scheinbar kühl, stolz tatsächlich aber gedemütigt, was jedoch nur wenige Leute bemerkten - zu Rickys Tisch zurück und setzte sich rasch, bevor ihre Beine nachgaben. „Ist das nicht ein bisschen übertrieben?" Deborah blickte vom Kofferpacken auf und sah ungläubig Simon Macquarie an ihrer Schlafzimmertür stehen. Es war der folgende Morgen, ein Sonntag. „Das hätte ich mir denken können!" fauchte sie. „Verschwinde!" „Dass Yvette mich herrufen würde?" Er lehnte sich lässig an den Türrahmen. In der Khakihose und dem dunkelblauen Pullover wirkte Simon beunruhigend groß, beherrscht und ... Zu allem fähig, dachte Deborah mit einem leichten Schaudern. „Meine Tante ist außer sich", fuhr er fort. „Sie sagt, du willst sofort zurück nach Australien, und wirft mir vor, eine phantastische Karrie re ruiniert zu haben. Dich ruiniert zu haben." „O nein, hast du nicht", leugnete Deborah kühl. „Warum dann diese quälenden Gewissensbisse?" fragte Simon trocken. „Du hältst das für den Grund? Noch mehr kannst du dich nicht irren. Ich erkläre es dir. Es ist Abscheu, besonders vor dir. Und ich lasse nicht zu, dass man über mich schreibt wie über ein Stück Fle isch." Deborah versagte die Stimme, deshalb warf sie schweigend noch
mehr Unterwäsche in den Koffer. „Ich finde, du bist heute morgen ziemlich gut weggekommen. Alle Zeitungen berichten, dass Simon sich endlich gerächt hat, aber im wesentlichen bekunden alle Mitleid mit dir. ,Hat die einzigartige Deborah - und gestern abend war sie wirklich einzigartig - eine solche Behandlung verdient? Was geht zwischen den beiden vor?'" zitierte Simon aus einer Zeitung, die er vom Boden aufgehoben hatte. Ein Foto zeigte Deborah in dem Moment, als sie Simon nachblickt, der die Tanzfläche verlässt. Deborah schlug den Koffer zu. „Wenn du nicht gehst, tue ich es." Sie lief an Simon vorbei in die Küche. An der Wohnungstür holte er sie ein, und zu spät erkannte sie, dass er sie gar nicht zurückzuhalten versuchte, sondern sie sogar nach draußen schob. „Fahr mit. Du hast recht, diese Sache zwischen uns dauert schon zu lange. Mir macht es auch keinen Spaß, also lass uns gemeinsam eine Lösung finden." „Nein!" Aber Deborah war kein ernstzunehmender Gegner für Simon, und am Ende hob er sie einfach hoch und setzte sie in den Jaguar, der im Parkverbot vor dem Haus stand. Simon atmete nicht einmal schwer, als er spottete: „Deborah, meine Liebe, das ist genau die Art Szene, die diese ganze Angelegenheit unverhältnismäßig angeheizt hat." Trotzdem fuhr er dann auch noch mit quietschenden Reifen los. „Wenn du mich nicht dazu bringen würdest, Dinge zu tun, die ich gar nicht tun will", brauste sie auf, musste sich jedoch Tränen aus den Augen wischen, „würde es nicht ständig soweit kommen!" „Ach, nein? Ich habe das Gefühl, dass es zwischen uns nie anders als explosiv sein sollte." Simon sagte nichts mehr, während er das große Auto geschickt durch Londons Straßen lenkte. Deborah brach schließlich das Schweigen. Sie waren aus der Stadt heraus, und Simon fuhr schneller. „Wohin willst du mit mir?" „Zu einem Pub am Fluss. Zum Mittagessen. Ich habe weder die Ab sicht, dich zu verführen, noch dich bloßzustellen, und ich wäre dir dankbar, wenn du das berücksichtigen und auf eine Szene verzichten würdest." „Ich wünschte, du hättest gestern abend darauf verzichtet", erwiderte Deborah, doch ihre Stimme zitterte verräterisch und veranlasste Simon, ihr einen scharfen Blick zuzuwerfen. Sie zuckte die Schultern und fuhr trotzig fort: „Für etwas Besonderes bin nicht passend ange zogen, falls du es noch nicht bemerkt hast." „Hör auf, Deborah. Du weißt genau, dass du sogar in einem Sack gut aussehen würdest." Sie blickte hinunter auf ihre verwaschenen Lieblingsjeans und die schlichte blaue Bluse und verzog das Gesicht. Der Pub war bezaubernd, die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel. Simon und Deborah saßen im Garten unter einer Weide. Nicht weit entfernt floss der Fluss vorbei. Simon betrachtete die Flasche Wein, die er zum Essen bestellt hatte. „Du hast geradezu unglaubliches Sommerwetter mitgebracht." „Wie schön, dass es etwas gibt, das ich in deinen Augen richtig ma chen kann", erwiderte Deborah ausdruckslos. „Ja, nun, Yvette hat eine verblüffende Behauptung aufgestellt." Deborah legte Gabel und Messer auf den Teller. „Welche?" Einen Moment lang schaute Simon ihr in die Augen, dann ließ er den Blick zu ihren Brüsten gleiten, die sich unter dem blauen Baumwollstoff abzeichneten. „Dass du nicht die liederliche Person bist, für die ich dich damals in Australien hielt." Sie atmete hastig ein und aß einen Bissen, anstatt sofort zu antworten. „Wie ist das überhaupt zur Sprache gekommen?" „Während Yvettes Vorwürfen gestern abend und heute morgen." Simon lächelte
ironisch. „Willst du genau wissen, was sie sagte? Ich zitiere: ,Warum behandelst du sie so? Warum reagierte sie auf diese Art? Es ergibt keinen Sinn. Sie ist solch ein liebes, vernünftiges, gescheites Mädchen.'" „Woraufhin du nicht widerstehen konntest, deine Tante aufzuklären." „Du bist plötzlich so ruhig und beherrscht, Deborah." „Ich warte mit angehaltenem Atem darauf, zu erfahren, ob du dich hast überzeugen lassen." „Von dir überzeugt zu sein fällt mir ein bisschen schwer", gab Simon ebenso sarkastisch zurück. „Das war vor drei Jahren. Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass vielleicht nicht alles so war, wie, es schien?" „Wie ich schon sagte, doch. Du hast es abgestritten." „Nun, Simon Macquarie, ich muss gestehen, dass du etwas an dir hast, was meine schlechtesten Seiten zum Vorschein bringt." Er sah sie aus zusammengekniffenen Augen lange an. „Was versuchst du, mir zu sagen?" Dies ist die Gelegenheit, alles richtigzustellen, dachte Deborah. Will ich das? Verdient er die Wahrheit? Und kann ich erklären, was vor drei Jahren passiert ist, ohne Dinge preiszugeben, die er auf keinen Fall wissen soll? „Ich..." begann sie und sprach nicht weiter, als hinter ihnen eine Frau fröhlich sagte: „Simon! Hier bist du also. Dave und Miranda kamen vorbei, und ich rief bei dir an, damit wir alle zusammen zu Mittag essen, aber nie mand nahm ab. Was für ein Zufall!" Und Deborah blickte überrascht drein, als Simon leise fluchend aufstand, um die drei Leute zu begrüßen, die jetzt zum Tisch traten. Die Frau, deren Stimme Deborah gehört hatte, war Sondra Grant. Falls sie schockiert war zu sehen, wer bei Simon war, so reagierte Sondra bewundernswert. Sie blinzelte zweimal und fuhr lebhaft fort: „Wenn das nicht Deborah Winters ist! Ich habe Sie schon lange kennenlernen wollen, Deborah. Wie schade, dass kein Fotograf in Sicht ist! Dann könnten wir diesen ganzen Unsinn, der über Sie und Simon geschrieben wird, blitzschnell aus der Welt schaffen, nicht wahr?" Sondra lachte und wandte sich an Simon. „Darling, da ihr noch nicht mit dem Essen fertig seid und wir am Verhungern sind, sollten wir uns alle an einen größeren Tisch setzen. Kümmerst du dich darum?" „Natürlich." Er schüttelte dem anderen Paar die Hände. „Dave, Miranda - das ist Deborah Winters. Deborah, die beiden sind gerade aus den Flitterwochen in Australien zurückgekehrt." Australien, ich danke dir! dachte Deborah hinterher. Du hast mich gerettet! Denn Daves und Mirandas Begeisterung darüber, eine Australierin zu treffen, der sie all die wunderbaren Dinge schildern konnten, die sie gesehe n hatten, half über die peinlichsten Momente hinweg und brachte das Gespräch nach kurzer Zeit in Schwung. Außerdem hatten die beiden, wie Deborah bald klar würde, all den Klatsch verpasst und Sondras erste Bemerkung Deborah gegenüber entweder nicht mitbekommen oder ignorierten sie taktvoll. Allerdings stellte sich auch heraus, dass Sondra die Sonntagszeitungen noch nicht gelesen hatte. Weil sie nämlich gegen Ende des Essens fragte: „Und? Wie war der Fashion Guild-Ball, Darling? Ein weiterer Triumph für Yvette? Wie ärgerlich, dass ich nicht dort sein konnte, aber Mama hatte nun einmal Geburtstag." „Es war wie immer", erwiderte Simon, während Deborah verlegen auf ihrem Stuhl herumrutschte und beinahe ihr Weinglas umstieß. „Leider sind Deborah und ich wieder in Verlegenheit gekommen." „Ihr beide müsst einfach aufhören aneinanderzugeraten", meinte Sondra lächelnd und wechselte das Thema - diesmal ein bisschen abrupt. Nicht lange danach löste sich die kleine Gesellschaft auf. Deborah machte die Rückfahrt
auf dem Rücksitz des Jaguars, Sondra verhielt sich wie die perfekte charmante Gastgeberin. Trotz ihres Unbehagens und der Fassungslosigkeit über das zufällige Zusammentreffen fand Deborah, dass Sondra Grant nicht ganz die herrische, superintelligente Karrierefrau war, die Madame aus ihr gemacht hatte. Gewiss vertrat Sondra energisch ihre Ansichten, verfügte über eine rasche Auffassungsgabe und war im Umgang mit Menschen sehr geschickt, doch im Verlauf des Nachmittags gewann Deborah noch mehrere andere Eindrücke: Dass Sondra Grant trotz ihrer auffallenden, ziemlich exotischen Erscheinung eine bodenständige Person zu sein schien, sich Simons Macquaries nicht ganz sicher war und vorsichtig zu Werke ging. Sind die beiden verlobt oder nicht? fragte sich Deborah. Sondra trug keinen Ring. Und Simon benahm sich ihr gegenüber nicht gerade wie ein Liebhaber. Allerdings wirkten die beiden in manchen Dingen wie ein Paar. Zum Beispiel hakte ihn Sondra beim Verlassen des Pubs unter, und Simon wies sie keineswegs zurück. Außerdem setzte sich Sondra wie selbstverständlich auf den Beifahrersitz des Jaguars und wählte eine Kassette für den Kassettenrecorder aus, ohne ihn zu fragen, als würde sie alle Aufnahmen kennen. Und die Art, wie sie über Sondras Eltern plauderten, ließ auf eine gewisse Vertrautheit Simons mit ihnen schließen. Sie sind fast wie ein Ehepaar, dachte Deborah, während sie den beiden zuhörte. Was natürlich ein Widerspruch zu ihrer Beobachtung war, dass sich die andere Frau Simons nicht sicher war. Alles in allem war Deborah ungeheuer erleichtert, als das vertraute Chelsea in Sicht kam, doch schnell verwandelte sich die Erleichterung in große Bestürzung. Denn vor Madames Haus drehte sich Sondra um und sagte: „Es war so nett. Sie kennenzulernen, Deborah. Ich gebe am Mittwoch abend eine Dinnerparty. Nur ein paar Freunde ... und Simon, natürlich!" Sie klopfte ihm neckisch auf die Schulter. „Ich würde mich freuen, wenn Sie auch kommen." Bitte lass mich nicht so entsetzt aussehen, wie ich bin! war Deborahs erster Gedanke. „Nun, ich ... ich ..." Jetzt wandte sich Simon um, und der Ausdruck in seinen graugrünen Augen war völlig rätselhaft. „Ja, tu das, Deborah. Ich hole dich ab. Wann, Sondra?" „So gegen sieben. Oh, ich habe gerade einen Geistesblitz! Ich werde Ricky einladen. Da ist Yvette und winkt uns zu, Simon. Ist es dir recht, wenn wir nicht aussteigen, Darling? Ich dachte, wir könnten ein leichtes Abendessen zu uns nehmen und früh ins Bett gehen. Und, sosehr ich Yvette mag, manchmal ist es ein bisschen schwierig, von ihr wegzukommen." „Sie bleiben?" fragte Madame. Deborah atmete tief ein und aus. „Ich bin ... verwirrt." „Warum saß Sondra mit im Auto? Das verstehe ich nicht. Ihr solltet heute eure Differenzen beilegen. Simon und Sie, Deborah!" Deborah warf Madame einen ironischen Blick zu, dann erklärte sie, was geschehen war. Sie teilte ihr auch die Neuigkeit mit der Dinnerparty mit. „Dummes Mädchen!" schalt Yvette Minter. „Ich habe Ihnen doch gesagt, Sondra sei schlau und herrisch." „Der Zusammenhang ist mir nicht ganz klar. Aber falls Sie auch nur eine Sekunde lang daran denken, ich würde mit ihr um Simon Macquarie kämpfen, vergessen Sie es. Ich tue es nicht." „Sie meinen, so etwas würde mir einfallen?" fragte Madame gekränkt. „Ja!" „Sie gehen trotzdem hin?" Deborah ließ die Schultern hängen. „Glauben Sie es oder nicht, ich wurde ausmanövriert. Warum, weiß ich nicht. Normalerweise passiert mir das nicht oft." „Ich glaube es. Dass es Ihnen nicht oft passiert, meine ich", fügte Madame hastig
hinzu. „Ich backe die besten Omelettes in London. Wussten Sie das?" Deborah blinzelte erstaunt. Madame zuckte die Schultern. „Sie wollen mir ein Omelette machen?" „Nach dem Abend, den Sie gestern hatten, und dann auch nach diesem Tag dachte ich, ein leichtes Abendessen und früh ins Bett ist genau das richtige, das ist alles", sagte Madame streng. Deborah musste lachen, erwiderte aber nur: „Danke. Ich würde gern eins essen." Am Mittwoch hatten Deborah und Madame einen kleinen Streit darüber, was Deborah zu Sondras Dinnerparty anziehen sollte. Yvette Minter kam mit einem Kleidersack über dem Arm hinunter in den Keller und musste feststellen, dass Deborah bereits angekleidet und entschlossen war, ihre eigenen Sachen anzubehalten. „Na ja, es ist ganz hübsch", meinte Madame zu dem wadenlangen blauen Rock und der cremefarbenen Bluse mit gepolsterten Schultern, langen Ärmeln und engen Manschetten, „aber dies hier ist phantastisch! " Sie klopfte auf den Kleidersack. „Nein", erklärte Deborah freundlich. „Ich würde nicht gerade behaupten, dass die Dinnerparty ein Vergnügen wird, doch geschäftlicher Natur ist sie nicht." Deborah bürstete noch einmal ihr Haar, das sie offen trug, dann schlüpfte sie in dunkelblaue Pumps. „Sie sollten nie eine Gelegenheit versäumen, großartig auszusehen", belehrte Madame sie. „Das halten Sie für krassen Geschäftssinn? Dagegen wehre ich mich entschieden! Ich möchte lediglich, dass Sie so vorteilhaft wie möglich ausschauen." „Entschuldigung", sagte in diesem Augenblick jemand von der Tür her, „ich finde nichts an ihr auszusetzen." Deborah und Madame drehten sich um. Simon lehnte amüsiert lächelnd an der Wohnungstür. Madame seufzte übertrieben laut. „Gegen das Urteil eines Mannes kommt man nicht an. Kümmere dich heute abend gut um sie, Simon. Bring sie nicht wieder dazu, nach Australien zurückkehren zu wollen. Das halten meine Nerven nicht aus." „Du bist so still", sagte Simon. „Wir sind gerade erst ein paar Straßen weit gefahren", erwiderte Deborah, doch dann fügte sie hinzu: „Um ehrlich zu sein, ich kann es noch immer nicht fassen." Sie hielten an einer Ampel, und als Simon den Gang wechselte, schaute Deborah unwillkürlich auf seine Hand und erschauerte. Es erinnerte sie an ihre Empfindungen vor drei Jahren und war wie ein Schlag ins Gesicht. Leicht verzweifelt wandte sie den Blick der Ampel zu. „Dass Sondra dich zum Abendessen eingeladen hat?" „ Ja. Und du sie dabei unterstützt hast." „Da hatten du und ich doch schon beschlossen, die Situation zu entschärfen, oder?" „Willst du damit sagen, ihr beide, du und Sondra, hattet die Einladung schon geplant?" Simon blickte Deborah von der Seite an, dann fuhr er weiter. „Nein, ich war auch überrascht." „Also ..." Deborah sprach nicht weiter und biss sich auf die Lippe. „Was?" „Ist nicht so wichtig." „Sondra ist ziemlich bestimmend." „Das habe ich gemerkt." Deborah sah Simon lächeln und fuhr ein wenig entnervt fort: „Hör zu, sie ist doch sicher nicht begeistert über das Ganze, und ich würde ihr wirklich gern klarmachen, dass nichts davon meine Schuld war. Nur kann ich das nicht, ohne ..." „Mich ins Spiel zu bringen?" schlug Simon sarkastisch vor. „Warum zögerst du, es auszusprechen, geschweige denn, es zu tun?" „Vielleicht in der Hoffnung, dass wir alle mit dem geringsten Schaden aus dieser Sache
herauskommen? Nein, sag es nicht!" warnte Deborah. „Was?" „Dass du mir das nicht abnimmst. Ich weiß ..." „Warum legst du mir Worte in den Mund?" „Tue ich nicht. Es ist nur, was du oft genug erklärt oder angedeutet hast." „Ich entschuldige mich. Sprich weiter." „Was soll ich sonst noch dazu sage n? Im Grunde geht es mich ja nichts an. Du bist schließlich mit ihr verlobt." „Wer hat dir das erzählt?" „Madame." Simon lächelte zynisch. „Ich hätte gedacht, dir wäre inzwischen klargeworden, dass Yvette manchmal übertreibt." „Ach?" „Sondra und ich sind nicht verlobt. Und? Welchen Unterschied macht das?" „Nicht einmal inoffiziell?" „Nein." „Aber ... aber ..." begann Deborah verwirrt. Und dann: „Ihr benehmt euch wie ein Paar." „Ach, ja?" „Ja. Obwohl..." Nein, halt bloß den Mund, warnte sie sich. „Ich warte auf deine weisen Worte." „Oh, verdammt!" fauchte sie. „Was interessiert mich denn, was ihr seid! Versuch nur nicht, mir weiszumachen, Sondra würde nicht alles darum geben, mit dir verlobt zu sein." „Gesagt hat sie bis jetzt nichts. Wir sehen diese Dinge beide sehr vernünftig und nüchtern." „Hast du eine Beziehung mit ihr oder nicht, Simon? Wenn nicht, kannst du sofort umkehren und mich nach Hause bringen." „Vor ein paar Sekunden war es dir angeblich noch egal, was Sondra und ich sind. Die Kehrtwendung wirst du erklären müssen." „Hör mir jetzt zu!" brauste Deborah auf. „Ich halte Sondra für eine ziemlich praktisch denkende Person und dachte, sie würde mit diesem Abend bezwecken, ihre angeschlagene Position zu festigen. Und weil ich mich irgendwie schuldig fühle - warum, weiß ich selbst nicht -, wollte ich..." „Über Ricky Asquith-Font herfallen?" unterbrach Simon sie sanft. „Das ahnte ich. Übrigens, wir sind da. St. John's Wood. Nun, Deborah, überleg doch einmal, was passieren würde, wenn ich jetzt hineinge hen und allen erklären müsste, dass du im letzten Moment abgesagt hast?" „Ich habe meine Meinung geändert. Wenn Sondra Grant dich nicht vor den Altar bekommt, wird mir das keine Gewissensbisse machen. Statt dessen werde ich mich für sie freuen!" Es war eine elegante, perfekte Dinnerparty. Sondra servierte mit einem Minimun an Aufwand hervorragendes Essen, ihre Wohnung war dezent luxuriös und modern eingerichtet, und die Gäste harmonierten gut. Außer Ricky, Dave und Miranda und einem verlobten Paar, Linda und Michael, waren noch zwei weitere Paare da. Deborah war sich bewusst, dass sie zuerst Ziel einiger Neugier war. Linda stand es im Gesicht geschrieben, und Miranda war offensichtlich ins Bild gesetzt worden, denn sie wirkte nervös. Doch Sondra war sehr geschickt. Sie erklärte überhaupt nichts, empfing Deborah lediglich mit anscheinend aufrichtiger Herzlichkeit und überspielte die ersten peinlichen Minuten, wobei ihr Ricky half, der in Bestform war. Und Sondra blieb den ganzen Abend eine so perfekte Gastgeberin. Sie ließ keinen Zweifel daran, dass sie Simon für sich beanspruchte, tat es aber taktvoll. Deborah dachte, dass Sondra eine wundervolle Ehefrau
abgeben würde - jedenfalls für einen Mann, der eine Frau wollte, die zu repräsentieren verstand -, fragte sich jedoch auch, was wirklich in Sondras Kopf vorging. Allerdings gab es auch Momente, in denen es eine lebhafte, angenehme Dinnerparty war und Deborah ihre schreckliche Fehde mit Simon Macquarie fast vergessen konnte. Dazu trugen Dave und Miranda bei, die noch immer von ihren Flitterwochen schwärmten, und Ricky, der den Platz neben Deborah hatte und sehr glücklich darüber zu sein schien. Und Deborah gelang es, Simon während des Abends einige Male zu überraschen. So, als sie das Leben auf der Schaffarm schilderte, auf der sie aufgewachsen war. Sie erzählte, dass sie Motorräder benutzt hatten, um die Schafe zu hüten, und sie seit ihrem zwölften Lebensjahr Motorrad fahren konnte. Ricky war entzückt zu hören, dass Deborah schon mit vier Jahren auf ihrem ersten Pferd gesessen hatte. Und auf Daves Drängen rezitierte sie Banjo Pattersons lustiges Gedicht über ein Polospiel zwischen einer Mannschaft vom Lande und einer aus der Großstadt, wobei Deborah unbeabsichtigt ihre Kenntnis australischer Dichter wie A. B. Patterson und Henry Lawson verriet. Beide Male blickte Simon sie forschend an, als fragte er sich, warum nichts davon vor drei Jähren zum Vorschein gekommen war. Lass ihn rätseln, dachte Deborah boshaft, denn noch immer quälten sie einige Dinge, die er im Auto gesagt hatte. Lass ihn sich schön wundern .... Die Dinnerparty endete gegen dreiundzwanzig Uhr, und Deborah wurde wieder nervös. Würde Simon darauf bestehen, sie nach Hause zu bringen? Wag es nicht! versuchte sie ihm mit Blicken zu drohen. Tu es weder ihr noch mir an. Er tat es nicht. Als Ricky anbot, sie mitzunehmen, und ihr versicherte, er sei mit dem Auto, nicht mit seinem Motorrad da, nahm Deborah dankbar an, und niemand machte Einwände. Nun musste Deborah nur noch mit Ricky Asquith-Font fertig werden. Er fuhr mit seinem brandneuen leuchtendroten Porsche quälend langsam. „Du magst mich doch, oder?" fragte er kurze Zeit, nachdem sie aufgebrochen waren. Deborah seufzte im stillen. „Ja, Ricky. Aber im Moment will ich keine ernste Beziehung. Nicht mit dir und mit keinem anderen Mann." „Wegen Simon?" Ihr Lächeln verschwand. „Unsinn." „Aha." „Was soll das heißen?" „Ich weiß nicht genau. Es bedeutet vielleicht, dass ich verwirrt bin. Und ein bisschen verliebt." Deborah musste wieder lächeln. „Ich finde dich wirklich nett und bin froh, dich als Freund zu haben. Aber..." Sie zuckte die Schultern. „Das nennt man ,auf die sanfte Art jemand in Stücke reißen'!" klagte Ricky trübsinnig. „Mein einziger Trost ist, dass du nicht gesagt hast, du würdest mich wie einen Bruder lieben." „Tja, jetzt da du es erwähnst..." „Deborah! Wag es nicht! Was ich für dich empfinde, ist kein bisschen geschwisterlich." „Es tut mir leid, aber... so ist es einfach." „Schon gut. Wollen wir morgen vormittag im Park reiten? Ich halte zwei Pferde in der Stadt." „Ich denke, das ist keine besonders glückliche Idee. Außerdem habe ich keine Reitkleidung. Und morgen kann ich ganz bestimmt nicht." Leider bemerkte Ricky den sehnsüchtigen Ton in Deborahs Stimme und sagte sofort: „Überlass das mir!" Er brachte sie bis an die Kellertür, ohne sie anzurühren. Falls Madame die nächsten Tage vor Neugier fast platzte, verbarg sie es außerordentlich gut. Tatsächlich erwähnte sie die Dinnerparty mit keinem Wort. Und Deborah, die sich darauf vorbereitet hatte, alle Fragen abzuwehren, fühlte sich, als wäre ihr der Wind aus den Segeln genommen. Warum? Es ist doch viel besser so, dachte sie. Es bedeutet, dass sich die Lage
beruhigt. Vielleicht kann ich sogar lockerer werden und Simon mit ganz anderen Augen sehen. Ach, glaubst du das wirklich? spottete eine verräterische innere Stimme. Ich tue es als eine Erfahrung ab, sagte sie sich. Mehrere Wochen später musste Deborah ihre Meinung jedoch ändern. Wie versprochen, stand Ricky eines Abends mit Reithose, Stiefeln und einer Reitkappe in den Händen vor ihrer Tür. Die Sachen gehörten einer seiner fünf Schwestern, erklärte er. Sie würde sie Deborah wirklich gern leihen und den Ausritt auf dem Rotten Row am nächsten Morgen mitmachen. Es wurde zur Gewohnheit, dass Deborah zwei- oder dreimal die Woche mit Ricky und seiner Schwester ausritt. Und zum erstenmal, seit sie nach London gekommen war, freundete sich Deborah mit einer Frau an. Rickys Schwester Annabel war sechsundzwanzig, eine attraktive Rothaarige mit einem wachen Verstand. Sie teilte die Leidenschaft ihres Bruders für Motorräder nicht, statt dessen war sie verrückt nach Pferden. Obwohl sie die Tochter eines Earls war, hatte Lady Annabel keine Allüren. Sie und Deborah mochten sich auf Anhieb, was Ricky ein bisschen ärgerte, und aßen einige Male zusammen zu Mittag, besuchten ein Konzert in der Albert Hall und machten einen Einkaufsbummel. „Das ist gut", meinte Madame, als sie eines Abends in die Kellerwohnung kam und Deborah und Annabel überraschte, die gebackenen Käse aßen und wie zwei Schulmädchen kicherten. „Deborah ist manchmal ein wenig steif, sie braucht eine Freundin." Deborah verzog das Gesicht, sagte jedoch nichts, vielleicht, weil Madame recht hatte. Aber die Freundschaft mit Annabel führte dazu, dass Deborah wieder mit Simon zusammentraf - und die Folgen waren verhängnisvoll. „Komm mit zum Polo", sagte Annabel eines Tages. „Ich habe ein Auge auf einen göttlichen Australier geworfen und brauche ein bisschen moralische Unterstützung. Ach ja, nimm etwas Schickes zum Anziehen mit, nach den Spielen findet wahrscheinliche eine Party statt." „Wo?" „Irgendwo. Ist doch egal." Annabel lachte, dann ließ sie sich doch erweichen. „Sie spielen auf dem imposanten Besitz einer Freundin von mir. Es ist eine Art Wohltätigkeitsveranstaltung. Wir sind herzlich eingeladen, über Nacht zu bleiben, wenn wir Lust haben." Deborah zögerte, gab jedoch Annabels Drängen nach, und war dann froh, es getan zu haben. Nach einer regnerischen Woche war es nämlich an dem Tag schön, das Spielfeld und die umliegende Land schaft rochen zwar noch stark nach feuchter Erde, leuchteten aber strahlendgrün unter einem wolkenlosen blauen Himmel. Und überall waren Pferde, bildhübsche, mutige kleine Poloponys, bei deren Anblick Deborah der Atem stockte. Am späten Nachmittag sah sie plötzlich von der Tribüne aus Simon Macquarie auf das Spielfeld reiten. Zum Glück plauderte Annabel gerade mit Freunden und bemerkte nicht, wie nervös Deborah wurde. Und als sich Annabel wieder umwandte, hatte sich Deborah wieder in der Gewalt und erwiderte den etwas besorgten Blick ihrer Freundin mit einem Schulterzucken. „Ich hätte daran denken müssen", flüsterte Annabel. „Er spielt nicht mehr oft, was schade ist, weil er früher großartig war." „Es ist unwichtig. Das Ganze ist von der Presse maßlos übertrieben worden. Wir haben uns vor Jahren in Australien kennengelernt und ... mochten uns nicht. Ihn hier zu treffen hatte ich wirklich nicht erwartet, und dasselbe gilt bestimmt auch für ihn. Oh, sieh, dein göttlicher Australier ist auch in der Mannschaft!" Das lenkte Annabel von Simon Macquarie ab. Von Deborah konnte man das nicht sagen. Es war eine seltsame Qual, sein Können als Reiter zu beobachten, seine Eleganz im Sattel, seine Kraft und seine wütende Miene, wenn er einen Schlag schlecht timte. Und es wurde schwierig, sich nicht zu benehmen, als wollte man um jeden Preis irgendwo
anders sein. Schließlich deutete Deborah an, dass sie noch vor der Party allein nach London zurückfahren würde. Annabel brachte sie davon ab. „Und abgesehen von allem anderen, Deborah Winters, bist du hier, um mich moralisch zu unterstützen. Wohlgemerkt, du bist so schön, dass die Idee wahrscheinlich verrückt ist. Wie dem auch sei, du kannst nicht dein Leben lang vor Simon davonlaufen." „Ich..." „Vertrau mir, Deborah!" So kam es, dass sie Simon später begegnete. Sie trug ein kurzes, ärmelloses gelbes Leinenkleid und trank in dem großen Zelt Champagner. „Hallo, Deborah", sagte er ruhig hinter ihr. Das war ja unvermeidlich, dachte sie entnervt und drehte sich um. Simon trug noch seine weiße Reithose, Reitstiefel und eine Tweedjacke. Er musterte flüchtig das kurze Kleid und Deborahs nackte, gebräunte Beine und Arme, bevor er ihr wieder in die Augen sah. „Hallo, Simon", erwiderte sie ebenso ruhig, dann brachte sie kein Wort mehr heraus. „Bist du allein hier?" „Nein." Sie erklärte es und stellte erleichtert fest, dass sie ihre Sprache wiedergefunden hatte und auch sonst alles normal war. „Ich wusste nicht, dass du Polo spielst." „Oder du wärst nicht gekommen?" „Ja.“ „Nun, es gibt viele Dinge, die wir voneinander nicht wussten, nicht wahr?" „Vielleicht", räumte Deborah ein. „Allerdings ist seitdem schon viel Wasser die Themse hinuntergeflossen. Würdest du mich bitte ent schuldigen? Ich sehe Annabel dort auf der anderen Seite ... Oh!" „Ja, sie ist auf dem Weg zu uns und winkt dir, stehenzubleiben", sagte Simon. „Du wirst also meine Gesellschaft noch ein bisschen länger ertragen müssen. Ach, Annabel bringt einen Landsmann von dir mit. Wie geht es Ricky?" „Gut", antwortete Deborah steif. „Mit den Asquith-Font hast du ja einen schönen Treffer erzielt." Deborah blickte starr in ihr Glas und kämpfte gegen Tränen. „Ganz so würde ich es nicht ausdrücken." „Sieh mich an", verlangte Simon leise. Mit äußerster Anstrengung drängte sie die Tränen zurück und schaute zu ihm auf. „Warum? Damit du mich noch mehr quälen kannst? Beachte übrigens, dass ich trotz deiner Provokationen mein Bestes tue, um keine Szene zu machen." Er sah sie forschend an, und entsetzt überlegte sie, ob er den feuchten Schimmer in ihren Augen bemerkt hatte. „Ich ..." begann sie, wurde jedoch sofort unterbrochen. „Erinnerst du dich nicht, ein hartherziges, gewöhnliches kleines Flittchen gespielt zu haben?" fragte Simon und fügte mit einer vernichtenden Sanftheit hinzu: „Wenn du mir die echte Deborah Winters zeigen würdest, könnten wir diese Sache vielleicht ein für allemal beenden." „Deborah!" Es war Annabel, die ihren „göttlichen Australier" hinter sich herzog. „Hallo, Simon!" Sie küsste ihn auf die Wange. „Schön, dass ihre beide, du und Deborah, miteinander plaudert. Deborah, ich möchte dir Paul vorstellen. Er kommt aus Scone in New South Wales. Wehe, du verliebst dich in sie, Paul!" Annabel lachte und warf ihr langes rotes Haar zurück. „Ich habe dich zuerst entdeckt! Hör zu, Deborah, wir dachten, wir fahren zu einem Restaurant in der Nähe, um einen Happen zu essen. Diese Party hier wird allmählich reichlich ausgelassen. " „Oh, ich ..." Deborah zögerte, und plötzlich wusste sie, dass sie weder die Energie noch Lust hatte, die Anstandsdame zu spielen. „Ich fahre lieber nach Hause..." Sie verstummte
frustriert, da Annabel wild entschlossen Luft holte und ihr, Deborah, einfiel, dass sie um diese Zeit ohne Auto unmöglich zurückkommen konnte. „Wie?" fragte Annabel. „Jetzt mach doch nicht so ein ..." „Zufällig fahre ich heute abend noch nach London zurück", sagte Simon Macquarie gelassen.
4. KAPITEL „Und deine Pferde?" fragte Deborah angespannt, als sie im Jaguar saß. „Ich besitze zur Zeit keine, weil ich das Polo so gut wie aufgegeben habe." Simon legte den Arm um den Sitz und blickte durch das Rückfenster, während er zurücksetzte. „Heute habe ich geliehene Pferde geritten." „Oh." „Ja. Noch mehr Einwände?" Er wandte sich wieder um und fuhr los. „Oder handelt es hier um den Fall einer Dame, die sich ein bisschen zu sehr ziert?" Sie holperten über den ausgefahrenen Feldweg. „Immerhin sitzt du in meinem Auto, und entführt habe ich dich nicht gerade." Deborah presste die Lippen zusammen. „Ich wollte die beiden nicht begleiten." „Angst, Paul könnte sich in dich verlieben und deine schöne neue Freundschaft mit Annabel zerstören? Er hat keinen Grafentitel zu bieten." „Das sind ja interessante Aussichten..." Deborah sah auf ihre Armbanduhr. „Ich habe ungefähr eineinhalb Stunden, um he rauszufinden, wie beleidigend du noch werden kannst." Simon lächelte. „Das ist meine Deborah!" Sie schwieg, während sie die Straße erreichten und in Richtung London fuhren. Nach zehn Minuten legte Deborah den Kopf zurück, aber quälende Gedanken hielten sie hellwach. „Leg doch eine Musikkassette ein", sagte Simon schließlich. „Nein. Das ist Sondras Aufgabe", antwortete Deborah, ohne zu überlegen. „Sondra ist nicht hier." „Ihr Geist schon." Deborah wandte den Kopf und schaute aus dem Seitenfenster. Simon erwiderte nichts darauf, doch sie hörte den Kassettenrecorder klicken, und dann erklang Dvoraks Sinfonie „Aus der neuen Welt" mit dem fast unerträglich schönen Spiritual „Going Home". Es hatte eine verheerende Wirkung auf Deborah. Tränen strömten ihr plötzlich über die Wangen, und sie setzte sich auf und schlug die Hände vors Gesicht. „Deborah?" Simon nahm die Kassette heraus und fuhr an den Straßenrand, versuchte jedoch nicht, Deborah zu berühren, sondern wartete einfach nur, bis ihre Tränen versiegten. Sie suchte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch und flüsterte dabei: „Entschuldige. Das war albern von mir. Wir können jetzt weiter." „Nein, das können wir nicht. Nicht so." Deborah putzte sich die Nase, bevor sie ebenso schroff wie er sagte: „Na schön. Was willst du? Eine Beichte? Ich war gerade neunzehn, zornig auf die Welt im allgemeinen und auf ..." „Zornig?" Sie schilderte kurz den aussichtslosen Kampf ihrer Eltern gegen die Dürre, und wie sie ihr Land fast mittellos hätten verlassen müssen. „Ach so." Simon nickte. „Ich hatte mich schon gewundert, als du neulich abend auf Sondras Dinnerparty die Farm beschrieben hast. Du warst also wütend auf die Welt im allgemeinen und auf ...?" „Auf Männer, die mich anzufassen versuchten, im besonderen", fuhr Deborah heftig fort. „Und als du mich fälschlicherweise für ein Flittchen hieltest, dachte ich …“ Sie zuckte die Schultern. „... lass ihn doch. Aber ich war auch ein bisschen verliebt." Sobald die Worte über ihre Lippen kamen, zuckte sie zusammen, unter anderem, weil sie an Ricky denken musste. „Obwohl ich mir einredete, es nicht zu sein", fügte sie noch hinzu, dann verstummte sie seufzend. „Also hast du mich wegen meines Irrtums gehasst. Der mir übrigens unterlief, weil es wirklich so aussah ..." „Nun, ja, ich wollte dem Kerl gerade meinen Absatz in den Schuh bohren, und in dem
Moment hast du mich gepackt." Simon Macquarie schwieg einen Augenblick, dann lachte er leise. „Und Vinny?" „Wer?" „Dein Latin Lover, der an dem Abend kam, als wir..." Simon sprach nicht weiter. „Oh, Vinny!" Deborah erklärte es und endete: „Danach sprang er jedesmal, wenn wir uns trafen, zehn Schritte rückwärts." „Ich hätte es wissen sollen", meinte Simon. „Das Problem war, ich kannte dich damals nicht." „Jetzt tust du es auch nicht", erwiderte Deborah kühl. „Willst du mir damit zu verstehen geben, dass du nicht mehr ,ein bisschen verliebt' bist?" „In den vergangenen drei Jahren ist mir klargeworden, dass es eine Pseudo-Verliebtheit war, wie sie typisch ist für neunzehnjährige Mädchen, besonders, wenn es sich bei der Person um einen älteren, erfahrenen Mann handelt." „Das klingt unglaublich schwülstig, Deborah", spottete Simon. Blitzschnell, mit vor Wut funkelnden Augen wandte sie sich ihm zu. „Scher dich doch zum Teufel, Simon Macquarie! Genau das ist damals passiert, und mehr war da nicht!" Er presste finster die Lippen zusammen. „Dem muss ich leider widersprechen. Die Wahrheit ist, wir konnten nicht genug voneinander bekommen, und bei jeder weiteren Begegnung wird eine explosive Spannung zwischen uns herrschen - bis wir es nicht mehr aushalten." Deborah rang nach Luft. Plötzlich lächelte er ironisch. „Ich dachte, du würdest unsere Bezie hung in einem besseren Licht sehen, wenn du erfährst, dass es gegenseitig ist." „In einem besseren Licht? Gegenseitig?" flüsterte sie. „Wie kannst du es wagen..." „Hör auf, Deborah", sagte Simon ungeduldig. „Ich brauchte dich nur zu küssen, und wir beide würden ... Es würde dir ebenso gefallen wie mir. Früher tat es das." Sie kämpfte dagegen, zu zittern. „Und die Jahre dazwischen? Für die habe ich dir noch keine einleuchtende Erklärung gegeben." Dieser durchdringende Blick, den sie fürchten und hassen gelernt hatte, traf sie. „Du bist jetzt erwachsen. Wie du in der Zwischenzeit gelebt hast, ist allein deine Sache. Und dasselbe gilt für mich." „Sondra, mit anderen Worten?" „Ich habe dir von ihr erzählt. Weder sie noch ich sind mit unserer Beziehung eine Verpflichtung eingegangen." „Du meinst, du kannst zwischen uns pendeln? Oder hast du genug von Sondra, und ich bin die Abwechslung, um es einmal so auszudrücken?" Mindestens zwei Minuten herrschte angespanntes Schweigen. Dann entgegnete Simon sanft: „Würden wir uns diese Dinge sagen, wenn wir uns nicht wollten, Deborah? Ich denke, nicht." Die Wahrheit seiner Worte ließ sie erröten, doch sie widersprach ihm tapfer. „Und ich denke, ich mache dir gerade klar, warum es mit uns nichts wird, Simon." „Nein, du erklärst mir, dass du dich immer noch in deinem Stolz verletzt fühlst." Es stimmte und war doch gleichzeitig nur ein solch kleiner Teil der Wahrheit, dass Deborah wieder blass wurde und die Augen schloss. „Wie es auch sei, eins könnten wir versuchen." Sie sah ihn an. „Was?" Simon legte eine andere Kassette ein. Ein zauberhaftes Stück von Brahms erklang. „Was immer du sonst von mir hältst, es war nicht meine Absicht, dich heimwehkrank zu machen, und ich möchte wenigstens das heilen. Weil ich dich und die Art, wie du es mit der Welt aufgenommen hast, bewundern muss. Die Einzelheiten sind mir nicht wichtig." Und während Deborah ihn wie hypnotisiert anblickte, zog er sie in seine Arme. „Vielleicht können wir dies als Begrüßungskuss zwischen zwei Kampfversehrten verstehen." Er
berührte mit dem Finger ihren Mund. „Wäre dir das recht?" Bevor Deborah antworten konnte, neigte Simon den Kopf und küsste sie. Fahle Morgendämmerung erhellte allmählich die Zimmerdecke, an die Deborah die halbe Nacht verzweifelt geschaut hatte. Verzweifelt, weil es derselbe alte Zauber gewesen war, unmöglich zu widerstehen. Unwillkürlich hätte sie ge zittert vor Erwartung, als Simon sie gestreichelt und ihren Mund geküsst hatte, sanft zunächst, dann härter ... Schwer atmend hatten sie sich voneinander gelöst. Simon hatte nichts gesagt, obwohl die Frage in seinem Blick unverkennbar gewesen war. Doch Deborah war zur Besinnung gekommen, und mit der Vernunft stellte sich die Hoffnungslosigkeit ein, die ein so vertrauter Gefährte geworden war. Sie hatte sich fast völlig einem Mann hingegeben, der sie wahrscheinlich irgendwann auf die gleiche Art verlassen würde, wie er es schon einmal getan hatte, einem Mann, der die schrecklichsten Waffen gegen sie einsetzte. Mit anderen Worten, sie hatte sich dem Feind ergeben, und das zum zweitenmal... Weil ihr das bewusst wurde, hatte Deborah bei Simons fragendem Blick den Kopf gesenkt und sich abgewandt. Und nach einem Moment hatte Simon den Motor angelassen und schweigend den Rest der Strecke zurückgelegt. Vor Madames Haus war Deborah wortlos aus gestiegen, und Simon hatte keinen Versucht gemacht, sie aufzuhalten. Er war einfach davongefahren. „Geht es Ihnen nicht gut?" „Doch, Madame", sagte Deborah später an diesem Morgen. „Sie sehen aber schlecht aus ... Dunkle Ringe unter den Augen und keinen Schwung, keine Lebensfreude!" „Vielleicht weil ich nicht weiß, ob ich ein Wildfang, ein Waisenkind oder ein Flittchen sein soll! Ich bin ein Meter sechsundsiebzig groß, und ich bin nicht Twiggy! Diese sackartigen, saloppen Sachen stehen mir einfach nicht. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen einer sportlich- lässigen Frau und einer Obdachlosen!" „Sie wagen es, meine Sportkleidung sackartig und salopp zu nennen?" rief Madame entrüstet. „Nein, ich..." „Aber Sie haben gerade gesagt..." „Ich meinte, es gibt einen Look und ein Gesicht und eine Figur, die zu dem Look passen. Und ich finde, diese Art Kleidung steht mir nicht!" erklärte Deborah entnervt. „Sie haben recht." „Wie bitte?" Madame hob die Hände. „Sie haben recht, weil es ein Verbrechen ist, Ihre Figur in weiten Sachen zu verstecken. Was wollen Sie noch? Dass ich vor Ihnen auf die Knie gehe?" Und Sie blickte ihr firmeneigenes Model angriffslustig an. Deborah musste lächeln. „Entschuldigung. Nein, natürlich nicht. Und was werden Sie nun tun?" „Die weiten Modelle wegwerfen. Was bedeutet, dass wir mit den Aufnahmen der Pret á-porters fertig sind und Sie eine Woche Urlaub machen können. Fahren Sie nach Schottland, Deborah. London ist zu heiß, aber in Schottland werden Sie wieder Farbe im Gesicht bekommen. Ich weiß es, ich habe früher einmal dort gelebt." Verblüfft sah Deborah die ältere Frau an. „Danke, doch nach Schottland möchte ich auf gar keinen Fall." „Er wird nicht dort sein, er ist in Bordeaux." „Wer?" „Wer wohl? Simon!" „Warum sagen Sie mir das?" Madame zuckte die Schultern. „Er hat nicht direkt gesagt, ich solle es Ihnen mitteilen, aber er hat es mir gegenüber erwähnt. Heute morgen, als er Ihre Reisetasche brachte."
Deborah biss sich auf die Lippe und setzte sich. Die Tasche hatte sie völlig vergessen gehabt. Sie hatten sie aus Annabels Auto in den Jaguar umgeladen. „Na gut. Und was hat er sonst noch erzählt?" „Nichts! Brauchte er nicht. Ich habe an seinem Ton erkannt, dass wieder etwas vorgefallen ist. Und Ihr Aussehen, Miss Deborah, bestätigt es. Ich glaube, diesmal haben Sie ihn wirklich wütend gemacht. Sie haben es hoffentlich unter vier Augen getan?" „Ja." „Das war klug." „Daran, wie es passiert ist, war nichts Kluges." „Ah." „Ja, nun... warum ausgerechnet Schottland?" fragte Deborah, noch immer ein bisschen argwöhnisch. „Sie könnten mir gleichzeitig einen Gefallen tun." Deborah zog die Augenbrauen hoch. „Tartan." „Was?" „Das bunte Karomuster, das die Schotten so gern tragen. Ich bin sicher, es wird in der nächsten Saison ein Verkaufsschlager, deshalb habe ich einige Modelle im voraus entworfen. Ich möchte Fotos davon. Mit Edinburgh Castle im Hintergrund." „Ich verstehe." „Ihr Honorar würde die Reisekosten decken, und Sie brauchen einen, höchstens zwei Tage Ihrer Urlaubswoche zu opfern. Danach können Sie sich einen Mietwagen nehmen und fahren, wohin Sie Lust haben. Trotz des schlechten Wetters ist Schottland sehr schön." Deborah hatte Schottland schon immer kennenlernen wollen. Ihre tragische Beziehung zu einem Schotten hatte daran nichts geändert. Oder war der Wunsch, dorthin zu fahren, sogar stärker geworden, seit sie Simo n Macquarie kannte? Nein, darüber wollte sie nicht nachdenken. „Sie sagten doch, Sie wollten reisen", meinte Madame. „Werden Sie in Edinburgh nicht dabeisein?" „Leider nein. Ich muss nach Paris, aber ich weiß ja, dass ich mich auf Sie verlassen kann." „Wer ist der Fotograf?" Madame nannte einen Namen und fügte hinzu: „Er mag Sie lieber als jedes andere Model. Und wer weiß? Vielleicht landen Sie in meinem Tartan auf der Titelseite von ,Vogue'." „Warum komme ich mir wie ein Esel vor?" Deborah lächelte plötzlich. „Esel?" „Ich habe das Gefühl, mit einem ganzen Bund Karotten überredet worden zu sein. Egal, ich fahre. Ich wollte schon immer einmal auf die Hebriden und nach Skye." „Braves Mädchen. Vergessen Sie nicht die Inneren Hebriden, Arran, lona und besonders Mull. Wirklich wunderschön." So kam es, dass Deborah zwei Tage lang vor den Zinnen von Edinburgh Castle fotografiert wurde. Als der Fotograf endlich zufrieden war, stieg sie erleichtert in das kleine Auto, das sie geliehen hatte, und fuhr los, um sich Schottland anzusehen. Und schnell verliebte sie sich in das Land - bei jedem Wetter. Die letzten beiden Tage verbrachte sie auf der bezaubernden Insel Mull. Von dort aus machte sie bei strahlendem Sonnenschein einen Ausflug nach lona, der Wiege des frühen Christentums in Schottland. Deborah bewunderte die ungewöhnlich schönen Lichtverhältnisse auf der Insel, die, wie sie aus ihrer Broschüre wusste, schon viele und weitaus berühmtere Leute als sie berührt hatten, auch Keats. In heiterer Stimmung kehrte Deborah nach Mull zurück, fuhr in Fionnphort von der Fähre und am Loch Scridain entlang zu ihrer bescheidenen Pension in Craignure, in Gedanken noch immer beim heiligen Columba und den keltischen Kreuzen auf lona. Als vor ihr plötzlich zottelige Hochlandrinder die Straße versperrten, hielt Deborah an und
beobachtete sie in Ruhe. Sie war allein, alle anderen Autos von der Fähre hatten sie überholt. Zehn Minuten später hupte jemand hinter ihr. Deborah drehte sich um und sah einen ihr sehr vertrauten dunkelblauen Jaguar. Das ist unmöglich! dachte sie mit klopfendem Herzen. Nein! Doch ein ihr ebenso vertrauter großer Mann stieg aus dem Jaguar, kam an ihr Fenster und sagte durchaus freundlich, er habe es leider eilig. Dann trafen sich ihre Blicke, und er fuhr gar nicht mehr freundlich fort: „Verdammt! Wenn das Yvettes Werk ist, bringe ich sie um! Steckt sie dahinter?" Einen Moment lang war Deborah sprachlos. „Sie hat mir erzählt, du seist in Bordeaux", erwiderte sie schließlich heftig. „Meine Tante wusste sehr gut, dass ich nicht dort bin!" „Aber... aber... Lebst du etwa auf der Insel?" „Ja", antwortete Simon kurz angebunden. „Mull ist die Heimat meiner Familie, und ich verbringe zu dieser Jahreszeit immer zwei Wochen hier." „Ich verstehe noch immer nicht... Madame hat mir Mull empfohlen …“ „Natürlich!" höhnte Simon. „Weil ich hier bin." „Sie konnte doch nicht ahnen, dass wir uns begegnen!" „Yvette ist manchmal eine intrigante, höchst gewissenlose Frau. Außerdem riskiert sie gern etwas. Hätten wir uns nicht getroffen, hätte sie die Schultern gezuckt und nach einer anderen Möglichkeit gesucht, ihr Ziel zu erreichen", erklärte Simon kalt. „Bis jetzt hat sie nichts erreicht, und wenn du so nett wärst, die Straße für mich zu räumen, fahre ich weiter - oder du fährst als erster, ganz wie du willst - und damit ist die Sache erledigt." Deborah drehte den Zündschlüssel. „Deborah..." „Nerv mich nicht mit deinem ,Deborah...'!" fauchte sie und ließ den Motor aufheulen, ohne einen Gang eingelegt zu haben. Das hatte verheerende Folgen. Eins der Hochlandrinder erschrak und sprang auf das Auto zu. Es kehrte allerdings sofort wieder um, doch schon hatte Deborah das Steuer herumgerissen, ihr Wagen bockte, geriet von der Straße ab und blieb auf der Wiese stehen. Deborah fluchte leise. Ihre Laune besserte sich nicht, als sie Simon amüsiert lächelnd und mit den Händen in den Hosentaschen, mitten auf der Straße stehen sah. Sie ließ den Motor wieder an, entschlossen, einfach ohne ein weiteres Wort davonzufahren, musste jedoch feststellen, dass sie im Morast feststeckte. Sie stieg aus und schlug heftig die Tür zu. . „Es ist nie klug, in Wut zu handeln", meinte Simon in nachsichtigem Ton. „Du hast dich richtig schön festgefahren." „Und ich bin so richtig schön ... Was, zum Teufel, mache ich denn jetzt?" „Du könntest mich um Hilfe bitten", schlug Simon vor. Deborah biss sich auf die Lippe. Er lachte. „Dein Gesichtsausdruck spottet jeder Beschreibung. Es wird bald regnen. Wir sollten hier nicht allzu lange stehen und plaudern." Sie blickte zum Himmel. Die dicken schwarzen Wolken hatte sie gar nicht bemerkt. „Wenn es dir nichts ausmacht... Ich wäre dir wirklich dankbar", sagte sie steif. „Na, ich weiß nicht..." Simon ging zurück zu seinem Jaguar. Nach einer halben Stunde hatten sie das Auto aus dem Morast gezogen. In der Zwischenzeit hatte es zu regnen begonnen, und Simon und Deborah waren bis auf die Haut nass und mit Schlamm bespritzt. Und dann wollte der Motor nicht anspringen. „Bitte tu mir das nicht an!" Deborah stieg aus und öffnete die Kühlerhaube. „Was soll das?" „Ich kann nicht die ganze Nacht hier sitzen." „Natürlich nicht!" schimpfte Simon gereizt. „Warte, ich mache das Abschleppseil wieder fest." „Du willst mich nach Craignure abschleppen?" „Wohl kaum. Das ist Meilen weit weg. Zu mir nach Hause."
„Nun, ich versuche lieber, es zu reparieren. Ich verstehe etwas von Automechanik, was man von dir wohl nicht behaupten kann", lehnte Deborah spitz ab. „Du..." Simon hielt einen Moment lang inne, während sie sich wütend anblickten. Der Regen prasselte herunter, Wasser lief beiden über das Gesicht. „... wirst in das Auto steigen und tun, was ich sage! Ich bin völlig durchnässt, müde, und es steht mir bis hierhin! Also? Ich versichere dir, es wäre mir ein Vergnügen, dich zu zwingen." Deborah stand in der Halle, und eine Pfütze begann sich auf den Fliesen um ihre Füße zu bilden, während sich eine kleine, ältere weißhaarige Dame besorgt über Deborahs Zustand äußerte. „Das ist Deborah, Grace", stellte Simon Macquarie sie vor. „Sie übernachtet hier. Bringen Sie sie bitte im gelben Schlafzimmer unter. Irgendwelche Anrufe?" Grace nannte mehrere Namen, dann wandte sie sich wieder Deborah zu. „Sie Ärmste! Aber nach einem schönen heißen Bad werden Sie sich viel besser fühlen, und ich habe eine dicke Ente im Backofen. Jetzt kommen Sie mit, bevor Sie sich noch den Tod holen." Dass der Familienwohnsitz so ist, hätte ich mir denken können, dachte Deborah eine Stunde später, als sie am Fenster des gelben Schlafzimmers ihr Haar bürstete. Es hatte aufgehört zu regnen, und trotz der noch immer dichten Wolkendecke hatte sie einen herrlichen Blick auf den See und einen prachtvollen Azaleen- und Rhododendrongarten, der sich bis an sein Ufer erstreckte, sowie auf eine mit Gänseblümchen und Klee übersäte Wiese, die bis an die von gewaltigen Bäumen gesäumte Straße reichte. Das stattliche, zweistöckige weiße Haus mit grünem Fachwerk und vielen Schornsteinen ließ sich am besten als „kleines Herrenhaus" beschreiben. Wunderschöne Möbel, Vorhänge, Teppiche, Gemälde und kostbares Porzellan, Kristall und Silber bestätigten den Eindruck. In dem gelben Zimmer stand ein Doppelhimmelbett mit gelben, zur Tapete passenden Seidenvorhängen. Das angrenzende Badezimmer war modern und luxuriös. Ja, ich hätte es wissen müssen, dachte Deborah. Ebenso, dass Yvette irgend etwas im Schilde führt. Ob sie sich wohl einen solchen Erfolg ihrer Machenschaften vorgestellt hat? Es klopfte leise an der Tür. Grace kam herein. „Oh, sehen Sie hübsch aus!" Deborah blickte hinunter auf die elfenbeinfarbene Hose und kamelienfarbene Bluse. „Die Sachen sind doch nichts Besonderes." „Dann kommt es, weil Sie sie tragen. Simon bat mich, Ihnen auszurichten, das Abendessen sei bald fertig und ob Sie einen Drink mit ihm nehmen möchten?" „Ich ... Ja, danke. Wohnt noch jemand im Haus?" „Kein Mensch." Grace zwinkerte schelmisch. Das hat mir gerade noch gefehlt! dachte Deborah. „Was darf ich dir anbieten?" „Einen trockenen Sherry, danke. Dein Haus ist wunderschön", fügte Deborah hinzu. Sie nahm den Drink, ohne Simon Macquarie in die Augen zu sehen. Er hatte geduscht und sich umgezogen. Jetzt trug er eine helle Hose und ein dunkelgrünes Hemd. „Danke", sagte Simon leise. „Prost." „Ja, Prost." Deborah trank einen Schluck Sherry und ging zu einem der Erkerfenster des Salons mit Blick auf den Garten und den See. „Nun, worüber wollen wir uns unterhalten?" Sie blickte sich nicht um. „Ich weiß nicht. Wähl du ein Thema." „Wir könnten über Yvette sprechen. Warum sie besessen davon ist, mich mit dir zusammenzubringen - oder dich mit mir." Jetzt drehte sich Deborah um. „Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist es einfach der brennende Wunsch, dich verheiratet zu sehen?" Simon lächelte. „Setz dich. Ich sehe keinen Grund für einen solchen Wunsch. Ich schade
niemandem, indem ich ledig bleibe." „Du wirst allerdings älter." „Ja, das wird es wohl sein", erwiderte Simon kein bisschen beleidigt und mit einem boshaften kleinen Funkeln in den Augen. „Und welchen Grund könnte sie bei dir haben?" „Deine Tante hegt manchmal mütterliche Gefühle für mich: Wenn sie mich nicht gerade anschreit und mir sagt, ich würde aussehen wie ein Sack Kartoffeln." Einen Moment lang wirkte Simon aufrichtig überrascht. „Das wäre die einzige andere Erklärung, die einen Sinn ergibt. Aber warum du?" „Ich erinnere sie an sich selbst in meinem Alter. Anscheinend war sie eine zornige junge Frau." „Ich verstehe." Simon lachte leise. „Nun, und wie wollen wir Yvette von dieser fixen Idee befreien?" In diesem Augenblick schaute Grace zum Zimmer herein und teilte ihnen mit, sie habe die Suppe aufgetrage n. Deborah und Simon nahmen ihre Gläser mit in den bezaubernden Wintergarten, der ein späterer Anbau zu sein schien und über dessen Dach sich ein echter Weinstock rankte. Der Tisch war für zwei gedeckt, das goldene Licht einer gelben Kerze in einem silbernen Ständer spiegelte sich im Glas. „Wie romantisch", flüsterte Deborah leicht verzweifelt. Während sie ihre Serviette ausbreitete, wartete sie auf eine ironische Antwort. Doch Simon blickte sich um und sagte: „Meine Mutter hat den Wintergarten geplant. Sie ist auch für die Gartenanlagen verantwortlich. Die gehörten natürlich schon ziemlich lange zum Haus, waren aber völlig verwildert, bevor meine Mutter sich um sie gekümmert hat." Deborah begann ihre Suppe zu essen. „Erzähl mir mehr von ihr." Jetzt lächelte er ironisch. „Ein nettes, unverfängliches Thema. Nun, vielleicht hast du recht. Sie war eine sehr liebenswerte Frau." „Und dein Vater?" „Er war einer der gemeinsten Menschen, die ich jemals kennengerlernt habe. Mit Sicherheit hat er ihr das Leben zur Hölle gemacht." Deborah schaute Simon schockiert an. „Warum?" „Warum machen Männer Frauen das Leben zur Hölle? Um das zu ergründen, müsste man wohl durch die Schlafzimmertür blicken. Ganz allgemein war er ein starrköpfiger, egoistischer Mann, übertrieben korrekt und sehr von sich eingenommen. Um so mehr hat wahrscheinlich sein Selbstwertgefühl gelitten, als sich herausstellte, dass er nicht gerade der beste Geschäftsmann der Welt war. Meine Mutter war zerstreut, liebenswürdig, manchmal witzig und überhaupt nicht eingebildet, obwohl sie aus einer viel älteren und vornehmeren Familie kam." Simon verstummte und sah in die Kerzenflamme. „Ihr Lebensmut schwand mit jedem Jahr. Vielleicht war sie sogar glücklich, dass sie am Ende einfach immer schwächer wurde." „Das ist furchtbar traurig. Warum hat sie ihn nicht verlassen?" „Vermutlich, weil er jede Widerstandskraft in ihr gebrochen hat. Eine ,zornige junge Frau' wie du kann das vielleicht kaum glauben. Aber wir sind nicht alle gleich." „Nein, natürlich nicht", meinte Deborah leise. „Bedeutet das, du denkst ein bisschen zynisch über die Ehe?" Simon ließ sich mit der Antwort Zeit. „Möglich." „Solltest du nicht. Du hast gerade selbst gesagt, wir sind nicht alle aus demselben Holz geschnitzt." „Danke für deine Besorgnis", entgegnete er trocken. „Außer du bietest dich selbst als Ehefrau an?" Deborah presste die Lippen zusammen und warf ihm einen wütenden Blick zu. „Du bist... Du gibst nie auf, oder?" „Ja, nun", erwiderte Simon langsam, „der Grund könnte sein, dass ich dich will, Deborah. Ich habe schon lange keine Frau mehr so sehr gewollt wie dich."
„Na, ist das eine Ente?" Grace trug stolz das knusprig gebackene Fleisch auf einer Silberplatte herein.
5. KAPITEL
„Was mache ich denn jetzt nur?" flüsterte Deborah kaum hörbar, während sie hilflos auf ihren zu einem Viertel leer gegessenen Teller schaute. Zu der gebratenen Ente mit Kirschen hatte Grace noch Röstkartoffeln, überbackenen Blumenkohl, Kürbis und grüne Bohnen serviert, und das nach Lauchsuppe. Unter günstigsten Umständen wäre es eine Herausforderung für Deborahs Appetit gewesen, doch dies waren keinesfalls günstige Umstände. Nach Simons Äußerung hatte Deborah noch kein Wort herausgebracht, und seit Grace wieder gegangen war, herrschte gespanntes Schweigen. „Habe ich dir den Appetit verdorben?" fragte Simon jetzt trocken. „Ja. Nein ... ich meine ..." Deborah konnte nicht weitersprechen. „Hör zu, lass dir Zeit. Entspann dich, und trink einen Schluck Wein." Hastig griff sie nach ihrem Glas. Simon beobachtete sie aufmerksam. „Eins kann ich mir beim besten Willen nicht erklären." Er hatte Gabel und Messer auch auf den Teller gelegt. „Wie du selbst zugegeben hast, wolltest du mich vor drei Jahren täuschen. Und du hast auch gesagt, du würdest gewisse Dinge auf eine jugendliche Schwärmerei zurückführen. Deshalb verstehe ich nicht ganz, warum dein Stolz dermaßen verletzt ist. Wenn überhaupt, hätte dir meine Bemerkung eben doch eine ziemliche Genugtuung verschaffen müssen." „Wenn du das meinst, hast du noch nicht einmal begonnen, mich zu kennen", erwiderte Deborah. Er aß weiter. „Na gut. Gehen wir die Sache von einer anderen Seite an. Offensichtlich gibt es sehr vieles, was wir voneinander nicht wissen. Ich zum Beispiel weiß nicht, wie die vergangenen drei Jahre für dich gelaufen sind. Ob du in der Liebe enttäuscht worden bist, misshandelt wurdest oder irgend etwas erlebt hast, was Frauen zynisch macht. Warum erzählst du mir nichts davon?" Deborah nahm widerwillig Gabel und Messer. Sie aß nur, um ihren inneren Aufruhr zu verbergen. „Es ist ein bisschen schwierig, mit einem Mann über meine Vergangenheit zu sprechen, der noch vor wenigen Stunden solche Abscheu bekundete, mich wiederzusehen." „Wenn du einen Mann so küsst und ihn danach auf eine solche Art verlässt, wie du es vor zwei Wochen getan hast, was erwartest du dann? Ich versichere dir, die meisten Männer würden darauf ähnlich reagieren." „Das Spiel können auch zwei spielen. Du hast mich verlassen, nachdem du - obwohl du mich für ein Flittchen hieltest - immer wiedergekommen und sehr viel weiter gegangen warst." Simon zog spöttisch die Augenbrauen hoch. „Aber ich habe eine gewisse Grenze eingehalten: mit dir geschlafen habe ich nicht." Ihre Blicke begegneten sich, Simons unergründlich, Deborahs wachsam und misstrauisch, was ihr jedoch nicht bewusst war. Dann fügte er leicht ironisch hinzu: „Bewegen wir uns nicht im Kreis, Deborah?" Sie wusste hinterher nicht, was sie zu dem Entschluss veranlasst hatte. Es geschah fast instinktiv. Vielleicht konnte sie einfach nicht länger mit einer Lüge leben. „Du hast recht. Die Sache ist die, dass ich noch Jungfrau war, als ich dich kennenlernte, und ich bin es noch." Deborah zögerte, unsicher, wie sie fortfahren sollte, und hatte die zweifelhafte Genugtuung zu sehen, dass Simon fest die Finger um den Stiel des Weinglases schloss. „Ich denke, unberührt das hohe Alter von zweiundzwanzig Jahren erreicht zu haben, ist eine grundlegende Erklärung für alles, was zwischen uns vorgefallen ist. Und ich werde mich jetzt nicht an einen Mann wegwerfen, der a: mich schon einmal verlassen hat, b: eine Beziehung zu einer anderen Frau hat, und c: mich wahrscheinlich wieder verlassen wird. Da hast du es in aller Kürze, Simon. Ob du mir glaubst oder nicht, bleibt abzuwarten." Deborah schob ihren Teller beiseite und schaute Simon trotzig an. Mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen, ließ er den Blick auf ihren Brüsten ruhen, die sich unter der kamelienfarbenen Bluse abzeichneten. „Ich habe es einige Male
vermutet." „W ... was hat dich dazu veranlasst?" flüsterte Deborah schockiert. Simon lächelte flüchtig. „Es gab einige Dinge, in denen du nicht sehr geübt warst. Einige Empfindungen, die dich zu überraschen schienen." „Also wirkte ich naiv, während ich ..." Sie sprach nicht weiter. „Während du mich vom Gegenteil überze ugen wolltest und mir gleichzeitig stets zu verstehen gabst, dass du mich nicht mochtest? Selbst als du versucht hast, ein Flittchen zu sein, warst du wunderschön, Deborah. Schön, temperamentvoll, leidenschaftlich. Eine berauschende Mischung. Aber ich mache es mir nicht zur Gewohnheit, Frauen zu entjungfern. Wenn ich damals diese Vermutung hatte, so erwartete ich, dass du nicht lange eine bleiben würdest, bestimmt nicht drei Jahre. Warum?" „Eins nach dem anderen", sagte Deborah leicht verwirrt. „Als wir uns in London wiedertrafen, hieltest du es für ausgeschlossen?" „Vergiss nicht, mit wie vielen Falschinformationen du mich gefüttert hast", erwiderte Simon trocken. „Und so habe ich das nicht gesagt. Doch es stimmt, ich nahm an, dass es passiert war. Du warst faszinierend und viel gelassener... meistens." Seine Augen funkelten spöttisch. „Außerdem dachte ich ..." Er zögerte, als wurde er sorgfältig seine Worte wählen. „... an das, was vor drei Jahren gewesen war..." „Und du konntest nicht glauben, dass das Mädchen von damals nicht seine Unschuld verloren hatte." „Ich bin nicht unfehlbar", entgegnete Simon rau und fügte plötzlich ungeduldig hinzu: „Willst du mir nun sagen, warum, oder nicht?" „Ganz einfach: Es fehlte der richtige Mann. Nein, das war vielleicht nicht der einzige Grund. Es soweit zu bringen war nicht leicht." Deborah blickte an sich hinunter und machte eine Geste, die so ausdrucksstark war, dass sie nicht nur Deborahs Aufenthalt in Europa, sondern alles andere, was sie erreicht hatte, einschloss. „Es erforderte sehr viel Zeit und harte Arbeit, und ich war fest entschlossen, mich durch nichts ablenken zu lassen, bis ich es geschafft habe." „Also nicht, weil du nicht vergessen konntest, wie es in meinen Armen war, wenn du mit einem anderen zusammen warst?" Deborah überlegte einen Moment, bevor sie ruhig antwortete: „Mir fiel es schwer, zu vergessen, lächerlich gemacht worden zu sein... oder besser, mich selbst lächerlich gemacht zu haben." „Weichst du damit nicht meiner Frage aus?" Simon ließ den Blick über ihr Gesicht und ihren Körper gleiten. „Das ist alles, was ich dazu... was es zu sagen gibt." Deborahs Hände zitterten, und sie versteckte sie unter dem Tisch. „Ich bin nicht mehr mit Sondra zusammen." Deborah atmete hörbar ein. „Warum?" Er lächelte flüchtig. „Was glaubst du? Auch wenn es deinen Erwartungen widerspricht, ich bin kein Mann, der Beziehungen mit zwei Frauen gleichzeitig hat." „Ich... aber... nein!" flüsterte Deborah. „Fühlst du dich verantwortlich? Du bist es. Was nicht heißt, dass es deine Schuld ist." Deborah zuckte zusammen. „Es ist ein bisschen schwierig, den Unterschied zu sehen." „Beunruhigt es dich wirklich so?" „Ja!" Simon schob seinen Teller beiseite und blickte nachdenklich in sein Weinglas. „Sondra hat viele wundervolle Eigenschaften. Organisationstalent, geschicktes Repräsentieren und so weiter. Was fehlt, ist der Funke, wie er zum Beispiel zwischen dir und mir existiert. Und mir ist klargeworden, dass der Rest unseres Lebens problemlos und in geordneten Bahnen verlaufen würde... und es einfach nicht genug ist. Tatsächlich hast du ihr einen Gefallen getan, Deborah. Was du für mich getan hast, bleibt abzuwarten." Ich habe es gespürt, dachte sie. Oder war das Wunschdenken? Oh, du meine Güte, was
mache ich denn jetzt? „Meinst du damit, ob wir diesen Funken in mehr verwandeln können? Du hast einmal gesagt, zwischen uns würde es nie anders als explosiv sein." „Das zu beweisen oder zu widerlegen hatte ich noch keine Gelegenheit", entgegnete Simon sarkastisch. Deborah stand auf. „Mehr kann ich nicht essen. Ich möchte ins Bett gehen, bitte." Er erhob sich ebenfalls, läutete jedoch hinterlistig die kleine silberne Tischglocke. Fast augenblicklich erschien Grace, und Deborah setzte sich entmutigt und flüsterte eine Entschuldigung. „Das ist schon in Ordnung!" meinte Grace freundlich, blickte aber Simon an. „Würden Sie den Kaffee bitte im Salon servieren?" bat er sie. „Ich fürchte, Miss Winters hatte einen anstrengenden Tag." „Sie Ärmste", rief Grace. „Gehen Sie, und entspannen Sie sich. Ich bringe Ihnen den Kaffee und verschwinde, sobald ich abgeräumt habe." „Grace wohnt nicht hier?" fragte Deborah zehn Minuten später im Salon bei einer Tasse Kaffee und, einem Teller mit Makronen. „Sie und ihr Mann Picton besitzen ein kleines Haus hinter meinem. Er kümmert sieh um das Grundstück. Keine Sorge, du bist hier völlig sicher. Vor mir." Deborah warf Simon einen kurzen, scharfen Blick zu, dann rieb sie sich die Augen. „Ich bin wirklich müde." „Nun, lass uns ein paar Dinge klären, und danach kannst du ins Bett gehen", schlug Simon vor. „Und welche? Es muss doch nur geklärt werden ..." Sie sah ihn zö gernd an. Sein Gesichtsausdruck war unergründlich, und sie spürte eine seltsame Furcht. „... wie wir mein Auto in Gang bringen, damit ich abfahren kann." „Du solltest bleiben." „N ...nein, das ..." „Hör mir einfach einen Moment lang zu" unterbrach Simon sie ungeduldig. „Verbring die Woche mit mir. Versuchen wir doch wenigstens, uns besser kennenzulernen. Ich würde nie gegen deinen Willen mit dir schlafen wollen." „Ist das dein Ernst?" „Ja.“ „Ich muss übermorgen wieder arbeiten..." Deborah biss sich auf die Lippe. „Du glaubst doch wohl nicht, dass Yvette etwas dagegen haben wird?" fragte Simon spöttisch. „Aber was würden wir machen?" Simon lächelte merkwürdig gr immig. „Was normale Leute im Urlaub so tun: entspannen, lesen, angeln, Spazierengehen." „Warum?" stieß Deborah hervor. „Damit du mich dazu bringen kannst, willig zu sein?" „Wenn du so strikt dagegen bist, ist das wohl nicht möglich ", erwiderte Simon ruhig. Sie spürte, wie ihr die Farbe ins Gesicht stieg, und legte die Hände an die Wangen. Simon bemerkte es. „Falls du bleibst, sollten wir keinen Machtkampf daraus machen. Ich bin zu alt, um eine Frau in eine Falle zu locken, damit sie mit mir schläft. Andererseits ist der Funke zwischen uns da, auch wenn du es leugnest. Aber wer weiß, vielleicht verschwindet er, sobald wir uns besser kennenlernen. Es ist deine Entscheidung", fügte Simon leicht ironisch hinzu. „Picton ist Automechaniker und hat deinen Wagen bereits repariert. Du kannst abfahren, wann immer du willst." „Machtkampf? Warum klingt das, als ob du mich gerade dazu herausforderst?" Plötzlich lächelte Simon ganz aufrichtig auf eine Art, die Deborah den Atem raubte. „Vielleicht war das unfair von mir. Schließlich bist du jemand, der vor allem anderen auf Herausforderungen reagiert. Ich dachte, es ist wirkungsvoller, als vor dir auf die Knie zu fallen.“
Nein, dachte Deborah. Tu es nicht! Und dann tat sie es doch. „Eine Woche. Sollte ich danach noch immer bei meinem Nein bleiben …" „Muss ich mich unwiderruflich selbst verbannen. Du hast mein Wort." „Wenn dein Wort soviel wert ist wie das deiner Tante ..." Deborah wurde jäh klar, worauf sie sich eingelassen hatte, und verlor den Mut. „Ich... ich..." „Du brauchst nur ins Bett zu gehen." Simon blickte sie einen Moment lang prüfend und ohne jede Belustigung an, dann wandte er sich unvermittelt ab. Am nächsten Morgen wachte Deborah auf, weil Grace an die Tür klopfte. „Ich bringe Ihnen Frühstück, Miss Winters!" „Oh, das wäre doch nicht nötig gewesen!" Deborah setzte sich auf und strich sich das Haar zurück. „Nun, da Sie gestern einen so schlimmen Tag hatten und Ihr Abendessen nicht gegessen haben, was blieb mir anderes übrig?" Strahlend stellte Grace ein überladenes Tablett auf Deborahs Knie. „Die Wahr heit ist, ich liebe es, für Mr. Simon und Gäste zu kochen und mich um alles zu kümmern! Viel zu tun habe ich heutzutage bei weitem nicht oft genug, was für ein so wunderschönes Haus schade ist." Grace eilte geschäftig herum und sammelte die Kleidungsstücke ein, die Deborah am Vorabend achtlos über eine Stuhllehne geworfen hatte. Deborah schaute auf den Orangensaft, das Müsli und den Yoghurt, dann hob sie die silberne Haube hoch und sah ein bisschen ratlos auf die zwei Spiegeleier mit Speck und Champignons. „Das ist ja wirklich ein gewaltiges Frühstück." „Nun, Mr. Simon will Sie heute zum Angeln mit auf den See nehmen, und wenn er erst einmal anfängt, Fische zu fangen, kann man nie wissen, wann er wieder aufhört. Wohlgemerkt, ich habe einen Picknickkorb vorbereitet..." „Angeln", sagte Deborah leise. „Können Sie das nicht? Deswegen würde ich mir keine Gedanken machen. Er will Sie sicher damit verblüffen, wie gut er es kann." „Oh, dann wird es wohl gehen." „Du hast schon öfter geangelt!" Deborah lächelte. Sie waren auf einem kleinen Kabinenkreuzer und schaukelten sanft auf dem blauen Wasser des Sees. Simon Macquarie trug alte Shorts und ein noch älteres geflicktes Hemd, die Sonne hob die dunkelblonden Strähnen in seinem Haar hervor. Sein kläglicher Gesichtsausdruck hatte etwas Drolliges. „Ein- oder zweimal." Deborah warf geschickt die Angelschnur ins" Wasser. „Warum hast du Grace in dem Glauben gelassen, du seist Anfängerin?" „Ich wollte ihr nicht ihre Illusione n rauben - sie sagte, du würdest mich mit deinem Können beeindrucken wollen. Außerdem wusste ich ja nicht, was genau du im Sinn hattest. Schließlich sind wir in Schottland, hier angelt man mit künstlichen Fliegen, in Wasserstiefeln und fängt Forellen. Nichts davon habe ich je gemacht." „Welche Erleichterung zu hören, dass es etwas gibt, das ich dir beibringen könnte! erwiderte Simon sarkastisch. „Bei deiner Begabung würdest du es allerdings allzu schnell begreifen. Wo hast du Angeln gelernt?" „Wir hatten einen See auf unserer Farm ... bis er ausgetrocknet ist. Und ein altes Boot. Mein Vater nahm mich mit zum Fischen, bevor ich laufen konnte. Oh!" Deborah spulte die Schnur auf. Es war ihr vierter Fisch. Simon hatte noch keinen einzigen gefangen. Sie musste über seine Miene lachen. „Vielleicht sollte ich eine Pause einlegen und dich erst einmal aufholen lassen." „Damit ich keinen Minderwertigkeitskomplex entwickle?" „Männer mögen es nicht, bei einer solchen Beschäftigung übertroffen zu werden, oder?" Simon dachte darüber nach, dann antwortete er ernst: „Ich denke, mich würde mehr stören, wenn du eine dieser Frauen wärst, die Angst haben, sieh die Hände oder die
Kleidung schmutzig zu machen, und vor einem zappelnden Fisch kreischend zurückweichen. Wie viele du fängst, ist für mich kein Problem, Deborah. Außerdem bist du heute morgen eine Augenweide." Er betrachtete ihr glänzendes, zerzaustes Haar, ihr ungeschminktes Gesicht, das einfache dunkelblaue T-Shirt, die Jeansshorts, die langen gebräunten Beine. „Macht es dir eigentlich Spaß, Model zu sein?" „Nicht immer. Unter Models gibt es viel Rivalität und Gehässigkeit, die Arbeit kann manchmal wirklich hart sein, und auf Dauer nervt es, wenn immer nur dein Aussehen im Vordergrund steht und sich niemand dafür interessiert, was im Innern von dir vorgeht." „Du hast dich doch als Persönlichkeit behauptet." „Weil ich mich weigere zu schmollen?" „Und es ablehnst, wie ein verwahrlostes Mädchen auszusehen." „Das ist nur guter Geschäftssinn", erklärte Deborah trocken. „Ich bin nicht gebaut wie eins." „Und das Schmollen?" „Fällt mir einfach schwer." Sie wartete darauf, dass sich Simon darüber auf eine Auseinandersetzung einließ. Doch er sagte nur: „Model sein ist für dich also mehr ein Mittel zum Zweck?" „Ja, ich denke, schon." „Und was willst du machen, wenn du die Mittel hast, die du brauchst?" „Ich weiß noch nicht... Du hast einen Fisch an der Angel." „Ja. Welch ein Zufall." Simons Augen funkelten spöttisch. „Na schön, zurück zu unserem Wettkampf. Jetzt bist du nur noch drei Fische voraus." Am Ende hatten sie jeder sechs gefangen. „Ein angemessenes Ergebnis, meinst du nicht auch?" bemerkte Deborah, während sie Simon half, das Boot an den Strand unterhalb des Hauses zu ziehen. Inzwischen war es Nachmittag, und wie am Vortag bewölkte es sich, und es sah nach Regen aus. Deborah konnte kaum glauben, wie schnell die Zeit vergangen war und wie angenehm. „Völlig angemessen", pflichtete Simon ihr bei, doch dann fügte er lachend hinzu: „Ich wäre verdammt wütend gewesen, wenn du mich übertroffen hättest." „Wahrscheinlich sollte ich das nicht sagen, aber... ich auch im umgekehrten Fall." „Warum denkst du, das nicht zugeben zu dürfen?" Deborah zuckte die Schultern. „Weiß ich auch nicht. Na ja, vielleicht wollte ich keinen Machtkampf daraus machen." „Gegen diese Art Kampf habe ich nichts." „Gerade eben hast du noch erklärt, du wärst wütend gewesen, wenn ich mehr gefangen hätte!" „Damit hätte ich leben können. Es gibt noch andere Tage und neue Fische." „Du bist... So leicht wirst du mich nicht schlagen, Simon Macquarie", entgegnete Deborah verärgert und belustigt zugleich. Um den Außenbordmotor hochzukippen, hatte sich Simon vornübergebeugt, jetzt richtete er sich auf und lachte. „Und du bist - ich weiß, das habe ich schon gesagt - eine Augenweide, Deborah. Ich glaube, so gefällst du mir sogar besser." Sie hielt den Atem an, dann blickte sie an sich hinunter. „Ich sehe grässlich aus." „Die halbe Welt würde alles darum geben, so wie du in diesem Moment auszuschauen. Sieh mich an", forderte Simon sie leise auf. Widerwillig tat sie es und erkannte sofort, dass es ein Fehler war. Weil sie nicht den Blick von ihm losreißen konnte, und, obwohl Simons Kleidung ebenso unordentlich war wie ihre, alle Empfindungen zurückkehrten, die Simon aufgewühlt hatte. Verzweifelt wusste Deborah, dass er nur die Hand auszustrecken und sie zu berühren brauchte, und ihre Gegenwehr würde zusammenbrechen ... Warum kämpfe ich überhaupt? fragte sich Deborah bitter. Ich habe mich schon immer zu Simon hingezogen gefühlt wie zu keinem anderem Mann. Vielleicht ist die einzige Möglichkeit, es zu überwinden... Nein, denk nicht einmal daran! Erinnere dich lieber, wie
du gelitten hast, als er dich das letzte Mal verließ. „Ich ... Und was machen wir jetzt?" Einen Moment lang glaubte Deborah, er würde genau das tun, was sie befürchtet hatte, doch Simon ließ seine Hand fast augenblicklich wieder sinken. „Wozu hast du denn Lust? Es wird bald wieder in Strömen regnen." „Sich mit einem guten Buch gemütlich in eine Ecke kuscheln? Du hattest Lesen erwähnt." Simon verzog das Gesicht. „Ja. Warum nicht? Ich muss noch ein paar Anrufe tätigen." Und so saß Deborah in dem Wohnarbeitszimmer, das laut Grace der Lieblingsraum von Simons Mutter gewesen war, in einem tiefen Lehnsessel vor dem Kaminfeuer und las in einem Buch, während der Regen auf das Dach trommelte. Grace hatte vorgeschlagen, dass Deborah das Zimmer benutzte, und diese hatte bewundernd auf den rosafarbenen Teppich, die zartgrünen, mit rosafarbenen und weißen Rosen gemusterten Sesselbezüge, die vollgestopften Bücherregale, antiken Uhren und die Porzellansammlung geschaut. „Es ist wunderschön." „Sie war eine wunderschöne Dame", hatte Grace traurig erwidert. „So, jetzt entspannen Sie sich hier. Ich bringen Ihnen den Tee." „Nichts zu essen, bitte!" hatte Deborah gebeten. „Wenn Sie mich weiterhin so füttern, werde ich meinen Job verlieren." Der Picknickkorb auf dem Boot war voll gewesen mit Köstlichkeiten. „Unsinn! Sie haben gestern abend nicht viel zu sich genommen." Also hatte Deborah zu dem aromatischen Earl Grey-Tee ein heißes, vor Butter und Honig tropfendes Scone gegessen, sich dann die Bücher angesehen, Paul Gallicos „Schneegans" gefunden, das sie als Kind gelesen hatte, und sich gesetzt, um es noch einmal zu lesen. Simon kam herein, als Deborah mit Tränen in den Augen das Buch zuschlug. „Deborah?" Er stand mit zwei Gläsern vor ihr und blickte fragend auf sie hinunter. „Es ist nichts. Nur ein sehr gutes Buch, das für mich wie ein alter Freund ist. Wie spät ist es?" „Fast Zeit zum Abendessen." „Madame wird gar nicht zufrieden mit dir sein, wenn ich doppelt so schwer zurückfahre." „Wir laufen es morgen wieder ab", schlug Simon vor. „Vorausgesetzt, es hört auf zu regnen. Möchtest du einen Sherry?" „Danke." Deborah nahm das Glas. „Was hast du die ganze Zeit gemacht?" Simon setzte sich ihr gegenüber. „Hauptsächlich Geschäfte erledigt. Ich scheine dem nie ganz entfliehen zu können. In Kürze fliege ich nach Japan. Das Land ist, Amerika ausgenommen, unser größter Markt." „Ich wollte schon immer gern einmal nach Japan." „Begleite mich." „Ich glaube, das ignoriere ich einfach", sagte Deborah kühl. Simon sah belustigt aus. „In Ordnung." Sie stand auf und ging ans Fenster. „Hast du mit Madame gesprochen?" „Ja." „Wie hat sie reagiert?" . „Mit Unschuldsbeteuerungen bis hin zu der Behauptung, sie hätte völlig vergessen gehabt, wo ich sein würde." „Mir sagte sie, du hättest ihr ... Oh, ist ja egal." „Deborah..." Simon stand plötzlich dicht hinter ihr. „Ich glaube dir, nicht ihr. Was macht dich jetzt wieder so bitter und angespannt?" „Nichts!" Sie drehte sich mit funkelnden Augen zu ihm um. „Dann komm wie ein braves Mädchen mit zum Abendessen." Deborah presste die Lippen zusammen, doch nach kurzem Zögern folgte sie Simon ins Esszimmer. „Also hat Madame nichts dagegen, dass ich die ganze Woche hierbleibe?" fragte Deborah.
„Sie ist völlig einverstanden." „Das hätte ich mir denken können." „Nun, das haben wir doch alles schon erörtert, nicht wahr?" Deborah warf ihm einen kurzen Blick zu und sagte kein Wort mehr, bis sie halb mit dem Hauptgang durch waren - Grace hatte den Fisch gegrillt, den sie gefangen hatten. Simon schien Deborahs Schweigen nicht im geringsten zu stören. Er aß mit Appetit und war anscheinend zufrieden damit, seinen Gedanken nachzuhängen. Ich hasse ihn! dachte Deborah jäh. Und ich kann nicht noch mehr ertragen... Als hätte er es erraten, blickte Simon sie unvermittelt forschend an. „Warum sagst du es mir nicht, anstatt alles zu unterdrücken? Weil du dich irrst, wenn du meinst, nur du leidest an einem Trauma." „Das habe ich keine Sekunde lang angenommen", erwiderte Deborah schneidend. „Es ist nur schade, dass unsere Traumen nicht übereinstimmen." „Wie können wir das wissen, bevor wir sie offenbart haben?" „Na gut! Du zuerst!" „Mein Trauma?" Simon zögerte einen Moment, dann fuhr er mit ausdrucksloser Stimme fort: „Ich bin in Versuchung, dir einen Heiratsantrag zu machen und damit diesen ganzen ermüdend langen Prozess abzukürzen." Deborah verschluckte sich und stieß ihr Weinglas um. Und Grace musste direkt hinter der Tür gestanden haben, denn sie war blitzschnell im Zimmer, tupfte mit Servietten die Tischdecke ab und klopfte Deborah auf den Rücken. Dabei richtete sie wiederholt einen empörten Blick auf ihren Arbeitgeber. „Danke, Grace", sagte Simon ernst. „Wir möchten das Dessert aus fallen lassen und sofort den Kaffee, bitte. Deborah sorgt sich um ihre Figur." Sie nahmen den Kaffee im Wohnzimmer von Simons Mutter ein. „Nun?" fragte er. „Ich glaube, ich bin sprachlos." Deborah hatte von dem Moment an, als sie ihr Glas umwarf, alles wie in Trance erlebt. Jetzt schaute sie Simon noch immer völlig verwirrt an. „Das kann nicht dein Ernst sein!" „Warum nicht? Es gibt offenbar keinen anderen Weg - zumindest keinen, zu dem du bereit bist -, um aus dieser Sackgasse herauszukommen ... Weil du Angst hast, ich könnte dich wieder verlassen?" fügte er sanft, doch vernichtend richtig hinzu. „Ich... ich habe keine Ahnung, ob wir uns lieben!" protestierte Deborah, die sich endlich ein bisschen von dem Schock erholte. „Wie stellst du dir die Liebe denn vor?" Deborah wurde blass. „Ich glaube, wir haben nicht dieselbe Vorstellung." „Trotzdem hast du keinem Mann erlaubt, dich anzurühren, seit ich dich verlassen habe. Was also erwartest du von der Liebe?" „Tu mir das nicht..." Errötend verstummte Deborah. „Ich soll dir das nicht antun?" spottete Simon. „Auf jede andere Art erreiche ich bei dir nichts." Er presste finster die Lippen zusammen. „Es geht dich nichts an ..." „Oh, doch. Und ich habe meine Absichten klargemacht." „Aber das ist dasselbe, wie zu sagen: Wenn ich dich anders nicht haben kann, heirate ich dich eben!" rief Deborah. „Genau. Ich dachte, das würde von mir verlangt." „Oh! Ich..." „Meine liebe Deborah, du behauptest, es habe nichts mit Stolz zu tun", fuhr Simon schonungslos fort. „Du weist meine Annäherungs versuche zurück, obwohl du in meinen Armen noch immer dahinschmilzt und mich küsst wie eine Frau, die es gar nicht erwarten kann ..." Simon sprach nicht weiter, weil Deborah aufsprang und die Hand hob, aber er zuckte nicht einmal mit der Wimper, sondern zog nur spöttisch die Augenbrauen hoch. Seine Vernunft behielt jedoch die Oberhand, und Deborahs brennendes Schamgefühl verwandelte sich in Wut, als er trocken sagte:
„Tut mir leid, dass keine Margeriten da sind, die du zerreißen kannst." Deborah wurde sich bewusst, dass sie außer Zorn noch etwas anderes empfand: Unbehagen. Weil Simon mit so vielem recht hatte, und weil es zwecklos war, weiter gegen ihn zu kämpfen, wenn er sie so gut kannte. Es war sogar schlimmer, demütigend und selbstverleugnend. Mit Tränen in den Augen, doch mit einem neuen Gefühl von Stolz sah Deborah auf. „Ich werde dich nicht heiraten. Unter solchen Umständen würde ich keinen Mann heiraten, aber ich kann auch nicht länger gegen dich kämpfen. Es wäre nicht ehrlich." Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, dass Simon sie mit einer grausamen Bemerkung verletzte, denn seine Miene änderte sich nicht, schien sogar wie aus Stein gemeißelt. Simon nahm ihre Hand und sagte kaum hörbar: „Danke." Und er zog Deborah in seine Arme. Sie bebte, sobald sich ihre Körper berührten. „Jetzt? Heute nacht, meine ich?" Er küsste ihren Hals und ihr Haar und ließ seine Hände über ihren Rücken gleiten. „Nur, wenn du es wirklich willst. Nicht, wenn du denkst: Ich kann es ebensogut gleich über mich ergehen lassen." Deborah musste lächeln. „Tue ich nicht, aber..." „Ich weiß." Simon umarmte sie fester. „Es ist ein großer Schritt. Möchtest du lieber noch ein oder zwei Tage umworben werden?" „Nein. Das klingt, als würde ich mich zieren, und es wäre ... nicht fair, deshalb..." Simon brachte sie mit einem Kuss zum Schweigen. „Ich habe so lange daran gedacht", flüsterte Deborah einige Minuten später. Sie lag in Simons Armen auf dem Sofa und befand sich in einem Zustand berauschender Wonne. „Sprich weiter." „Nein, es ist peinlich." Sie drehte den Kopf zur Seite. Simon hob sanft ihr Kinn an, so dass er ihr in die Augen blicken konnte. „Lassen wir nichts mehr zwischen uns peinlich sein. Aber ich will dich nicht drängen." „Im Moment fühle ich mich wie auf einem Zug, dessen Bremsen versagen", gestand Deborah und erschauerte, weil Simon seine Hand unter ihre Bluse gleiten ließ. Er lächelte. „Geht mir genauso. Du bist ..." Seine Stimme klang seltsam unsicher. „... schöner als jemals zuvor." „Simon?" „Ja?" Sie lagen nackt auf dem Bett im gelben Zimmer. Simon hatte Deborah lange und zärtlich gestreichelt, bis sie sich entspannte und der Lust hingab, die er in ihr weckte. Als ob er mich überredete, mich in seine Hände zu begeben, die letzten Schranken fallen zu lassen, hatte Deborah bei Simons leichten und dennoch so sicheren Berührungen einmal gedacht. Und sie hatte sich gefragt, ob sie jemals wieder dieselbe sein würde. Nicht nur, weil sie für immer ihre Unschuld verlor, sondern auch, weil sie von nun an ihm gehören und ihr Wohl von ihm abhängen würde ... „Deborah?" Simon stützte sich auf einen Ellbogen und blickte auf sie hinunter, aber ohne mit seinen Liebkosungen aufzuhören. Er ließ seine andere Hand über ihren Hals und ihre Brüste zu ihren Hüften gleiten, dann sah er Deborah in die Augen und streichelte ihre Brustspitzen. Sie erschauerte heftig. „Es ist zuviel... bitte", flüsterte sie. Simon hob ihr Kinn an und küsste sie auf de» Mund, bevor er sich auf sie schob und in sie eindrang.
6. KAPITEL „Deborah?" „Ja?" Sie bewegte sich schläfrig, dann wurde ihr bewusst, dass sie nackt war, und zog das Laken über sich. Simon schmiegte sich leise lachend an sie. „Vergessen, wo du bist?" „Ja. Ich meine ..." Deborah sprach nicht weiter, und als Simon nichts mehr sagte, kehrten allmählich die noch fremden, doch wundervollen Empfindungen zurück, mit denen sie aufgewacht war: die Wärme, das Gefühl von Nähe und Zusammengehörigkeit, die Wohligkeit. Verträumt lächelnd, kuschelte sich Deborah an Simon. „Ich meine, ich fühle mich wie eine träge, zufriedene Katze." „Ich bin sehr froh, das zu hören", erwiderte Simon. „Ja?" „Ja. Zum einen ist es völlig angemessen, zum anderen ist es höchst schmeichelhaft für mein Ego. Aber nein, ganz im Ernst..." sagte er, als Deborah lachte, „... ich hoffe, es hat nicht zu sehr weh getan." Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und sah ihr in die Augen. Deborah hielt bei der Erinnerung an jenen einen schwierigen Moment den Atem an. Simon hatte sie gehalten, ihren Namen geflüstert und ihr mit unendlicher Zärtlichkeit darüber hinweggeholfen. „Nein, dank dir. Und was danach kam, hätte nicht schöner sein können, nicht wahr?" Noch immer blickte er sie aufmerksam an, dann küsste er sie und legte sich wieder zurück. „Keine Reue am nächsten Morgen. Das freut mich." „Dachtest du, ich würde es bereuen?" „Ja, ich hatte damit gerechnet. Es war ein langer, steiniger Weg." „Vielleicht habe ich einen daraus gemacht. Ich würde es dir nicht verübeln, das zu denken." „Deborah..." Simon drehte sich auf die Seite und schaute sie durchdringend an. „Was immer von jetzt an geschieht - ich habe dir vor drei Jahren unrecht getan und es bei unserem Wiedersehen noch verschlimmert, während du ..." Er verstummte, und einen Augenblick lang war seine Miene unge wöhnlich finster. „... während ich mich vor dir verneigen muss." Es folgte eine spannungsgeladene kleine Pause. Warum? fragte sich Deborah. Was will er mir wirklich sagen? Doch dann war der Moment vorbei. Simon zog sie in seine Arme und barg das Gesicht zwischen ihren Brüsten. Zwei Tage später fand Deborah die Antwort darauf. „Du hättest nicht mit mir Spazierengehen müssen", sagte Deborah am Nachmittag. „So große Sorgen um meine Figur mache ich mir nun auch wieder nicht." Sie wanderten Hand in Hand einen steinigen Pfad über dem See hoch. Der herbe Duft von gelbem Thymian und feuchter Erde hing in der Luft, die Sonne schien von einem wolkenlosen blauen Himmel. Simon blieb stehen und drehte Deborah herum. „Ich sollte dich vielleicht warnen. Jede Anspielung auf deine Figur könnte unerwartete Folgen haben." „Doch nicht hier, im Freien, vor den Augen aller?" Deborah lächelte. „Sieh dich um. Meilenweit kein Mensch." „Nun ..." Einen Moment lang machte Simons Blick Deborah sprachlos. „Das ist nicht dein Ernst, oder?" fragte sie unsicher. „Doch." „Aber..." „Ich will dich hier und jetzt küssen." „Ach, das ..." Sie sprach nicht weiter. „Das ist in Ordnung? Danke, Madame. Ich werde mich bemühen, die Grenzen des
Anstands nicht zu überschreiten." Und Simon zog Deborah in seine Arme. Als er sie fünf Minuten später wieder losließ, waren ihre Wangen gerötet, und sie atmete schwer. Er lachte. „Das muss wohl erst einmal genügen." Bevor Deborah antworten konnte, bog eine Gruppe von Wanderern um die Biegung unter ihnen, und Deborahs Röte nahm noch zu. Sie wartete, bis die Leute vorbei waren, dann sagte sie: „Kein Mensch meilenweit?" „Ich habe mich geirrt", erwiderte Simon trocken. „Wir sollten sowieso besser nach Hause gehen. Dieser Ort ist nicht nur überbevölkert, sondern für das, was ich wirklich im Sinn habe, auch ein bisschen unbequem." Wieder errötete Deborah. Simon lächelte. „Nur mit deiner Erlaubnis, selbstverständlich." Die Art, wie er sie ansah, und seine Nähe machten Deborah schwach und erinnerten sie an seine Zärtlichkeiten in der Nacht. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie wie ein verlegenes, törichtes junges Mädchen wirken, das ihn anhimmelte. „Erlaubnis erteilt, Mr. Macquarie", sagte sie deshalb forsch, wenn auch heiser. „Ich bin derselben Meinung." Doch er rührte sich nicht. Statt dessen strich er ihr übers Haar und rückte ihren Blusenkragen zurecht, daraufhin berührte er flüchtig ihren Mund. „Wenn ich mit dir mache, was du mit mir machst, spielen wir dasselbe Spiel." Sein Scharfsinn ließ sie zusammenzucken. „Ich ... wollte nur nicht linkisch erscheinen." „Dann stellst du dir unter dem Wort etwas anderes vor als ich. Weil ich deine Art entzückend finde." „Danke." Deborah lächelte. „Trotzdem werde ich versuchen, nicht den ganzen Weg nach Hause zu rennen." Simon lachte, und sie dachte, dass er sie entzückte, wenn er so war. Doch bei ihrer Rückkehr erwartete eine aufgeregte Grace sie. „Irgend etwas ist los!" verkündete sie dramatisch. „Das Telefon hört nicht auf zu klingeln, das Fax dreht durch, und ich verstehe nur die Hälfte der Anrufe, weil die Leute französisch sprechen!" Simon warf Deborah einen wehmütigen Blick zu, bevor er seine Haushälterin tröstete. Dann wandte er sich wieder Deborah zu, zog ihre Hand an seine Lippen und schlug vor, dass sich Deborah vor dem Abendessen ausruhte. „Was immer es ist, muss ich klären, wenn wir nachher unseren Frieden haben wollen." „Eine ausgezeichnete Idee!" meinte Grace sofort zu Deborah. „Kommen Sie, Miss Winters. Ich bringe Ihnen eine Kanne Tee nach oben!" Und es war Grace, an die Deborah dachte, nachdem sie ihren Tee getrunken hatte und allein im gelben Schlafzimmer war. Simon hatte keinen Versuch gemacht, irgend etwas zu verheimlichen, und seine Haushälterin hatte die neue Situation völlig gelassen aufgenommen. Es hätte Deborah also gar nicht peinlich zu sein brauchen. Warum hat Grace so reagiert? überlegte sie, während sie in ihrer Unterwäsche auf dem Bett lag. Das mache ich sonst nie, dachte sie. Keine schlechte Idee, tagsüber zu ruhen... Doch ihre Gedanken kehrten zu Grace zurück, und unwillkürlich wanderten sie zu Madame. Warum drängen mich beide geradezu? Nun, nicht Grace, aber zweifellos Madame. Glücklich darüber ist Grace jedoch auch. Fast, als ob die beiden unbedingt eine Ehefrau für Simon finden wollten. Oder bilde ich mir das nur ein? Nein: Denk logisch! ermahnte sich Deborah. Die Haushälterin ist eine durch und durch ehrbare alte Dame und würde, obwohl sie Simon offensichtlich sehr gern hat, die Situation missbilligen. Grace würde es hinnehmen - was blieb ihr anderes übrig? - und sich mir gegenüber höflich und korrekt verhalten, mir aber gewiss nicht das Gefühl geben, so willkommen zu sein. Es sei denn... Und was Madame angeht, sie drängt mich ohne jeden Zweifel mit allen möglichen Tricks in Simons Arme. Warum? Deborah fand keine Antwort, und deshalb drückte sie ein Kopfkissen an sich und schlief ein. Es war fast Zeit zum Abendessen, als Deborah aufwachte. Im Haus war alles still. Sie
stand auf und duschte. Sie wollte sich gerade abtrocknen, da ging die Badezimmertür auf, und Simon kam herein. Völlig verwirrt, ließ Deborah das Handtuch fallen. Sie bückte sich und hob es auf, doch Simon trat auf sie zu und na hm es ihr aus der Hand. Nervös richtete sich Deborah auf. Während Simon sie durchdringend ansah, wurden ihre Brustspitzen hart. „Wie, zum Teufel, soll ich dem widerstehen?" sagte Simon leise. Er ließ seinerseits das Handtuch fallen und umfasste ihre Brüste. „Du bist schön." Deborah blickte ihm in die Augen und errötete, als sie den verlangenden Ausdruck darin sah. „Danke." Er zog die Hände zurück. „Ich muss heute abend noch nach Edinburgh. Komm, ich erzähle es dir, während du dich anziehst. Ich würde ja anbieten, dich abzutrocknen, aber das würde meine Willenskraft überfordern." Er reichte ihr das Handtuch, Verwirrt trocknete sich Deborah hastig ab, wickelte sich das Handtuch um und folgte Simon ins Schlafzimmer. Er hatte zwei Gläser Sherry mitgebracht und gab ihr eins. „Es gibt eine Krise - seltsame Aktienbewegungen auf dem Markt, die ein Übernahmeangebot ankündigen könnten. Vielleicht ist es auch reiner Zufall. Jedenfalls musste ich für heute abend eine Vorstandssitzung einberufen. Steh dort nicht in dem feuchten Handtuch." „Das macht mir nichts aus." Deborah trank ihren Sherry nur, um nichts anderes tun zu müssen. „Ich möchte dir beim Anziehen zusehen", sagte Simon leise. „Vielleicht ist das ... Ich meine..." Sie biss sich auf die Lippe. „Nicht gut für meine Willenskraft? Vie lleicht nicht." Er lächelte spöttisch. „Das ertrage ich gern." Deborah zögerte unsicher. „Bitte, erfüll mir den Wunsch." Also stellte sie ihr Glas ab und ließ das Handtuch fallen. Schweigend beobachtete Simon, wie sie BH und Slip anzog, dann Jeans und einen kurzärmligen blauen Pullover. Schließlich setzte sie sich an den Toilettentisch und verschränkte verlegen die Hände. Simon brachte ihr den Sherry und blieb hinter ihr stehen. Ihre Blicke trafen sich im Spiegel, und Deborah flüsterte: „Ich hoffe, du hältst mich nicht für selbstgefällig." „Warum sollte ich?" „Ich habe schon oft genug Badeanzüge vorgeführt, aber dies habe ich noch nie gemacht." Einen Moment lang wurde Simons Miene finster. „Es tut mir leid, wenn du dich entblößt gefühlt hast. Die Sache ist nur, dass ich in Gedanken fluche wie der Teufel, weil ich dich schon bald verlassen muss. Wahrscheinlich überstürze ich die Dinge deswegen. Für dich ist alles so neu, nicht wahr? Ich vergesse das manchmal." Deborah schloss erleichtert die Augen und legte dankbar den Kopf zurück an Simons Taille. Er hatte sie verstanden. „Wann fährst du?" „In ungefähr zehn Minuten. Ein Hubschrauber holt mich ab. Ich komme morgen zurück, wann genau, weiß ich noch nicht. Grace wird sich um dich kümmern." „Davon bin ich überzeugt", sagte Deborah leise. Simon beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie zärtlich auf den Mund. „Erzählen Sie mir ein bisschen über Simon", bat Deborah am Nachmittag des folgenden Tages. Sie und Grace saßen im Garten. Deborah enthülste Erbsen - sie hatte darauf bestanden, bei der Vorbereitung des Abendessens zu helfen -, und Grace putzte eine alte Kupferkanne. Ein Tablett mit Teetassen und einem Teller mit selbstgebackenen Keksen stand auf dem Tisch zwischen ihnen. „Mr. Simon?" Grace sah einen Moment in die Ferne. „Ich kenne ihn seit seiner Kindheit. Er war ein reizender Junge. Es ist ein Jammer. Seine Eltern vertrugen sich nicht, und mit Streitereien aufzuwachsen ist nicht leicht. Ich frage mich immer, ob er deswegen manchmal
ein wenig hart und zynisch ist. Vor drei oder vier Jahren verliebte er sich in eine wundervolle junge Frau. Eine Woche vor der Hochzeit kam sie bei einem Autounfall ums Leben. Ich glaube, seitdem hat Simon es mit keiner anderen Frau wirklich ernst gemeint." Errötend fügte Grace hinzu: „Außer mit Ihnen, vielleicht." Deborah, die Grace starr angeblickt hatte, schenkte sich noch eine Tasse Tee ein. „Haben Sie jemals Sondra Grant kennengelernt?" Deborah verabscheute sich ein bisschen für das, was sie tat, doch es war wie ein Zwang. „Ja. Ich mochte sie", erwiderte Grace freimütig. „Aber Simon war nicht in sie verliebt." „Woher wollen Sie das wissen?" Grace lächelte. „Ich habe ihn oft genug mit Morag in diesem Haus erlebt, vergessen Sie das nicht." „Und ... ist er in mich verliebt?" Die alte Frau blickte Deborah direkt in die Augen. „Könnte sein, Mädchen", sagte sie freundlich. „Ich weiß es nicht. Sie?" „Nein", flüsterte Deborah. „Ist es richtig, dass Sie ihn gern verheiratet sehen würden?" „Ja. Picton und ich haben keine Kinder. Für uns ist Simon wie ein Sohn. Er glaubt, Morag nicht vergessen zu können. Und er wird es nie, wenn er nicht versucht, sich mit einer anderen ein Leben aufzubauen." „Ich glaube, mit Sondra hat er es versuchen wollen." „Möglich", räumte Grace ein. „Sie hat sich zweifellos Hoffnungen gemacht, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie ihn überhaupt verstanden hat." Deborah zuckte zusammen. „Ich stelle diese Fragen, weil... nun, Sie haben mich sozusagen mit offenen Armen empfangen, und ich habe mich darüber gewundert." „Ich mag, wen ich mag, und oft brauche ich nur wenige Minuten, um mich zu entscheiden. Jedenfalls sind Sie das genaue Gegenteil von ihr, und deshalb dachte ich ..." Grace verstummte verlegen und widmete sich wieder dem Putzen der Kanne. „Von wem?" „Morag, Mädchen. Die, mit der Simon verlobt war." „Würden Sie mir bitte sagen, wie unähnlich ich ihr bin? Niemand sonst hat diese Frau mir gegenüber auch nur erwähnt, und ich ..." Grace bemerkte Deborahs Anspannung. „Das ist nicht fair, finde ich. Morag war eine Rothaarige mit wundervollen bernsteinfarbenen Augen, aber sie war keine Schönheit, wie Sie es sind. Sie war etwas kleiner als Sie und schlanker. Sie war von atemberaubender Vitalität und außerdem unglaublich redegewandt. Sie konnte sich mit jedem über alles unterhalten, war sehr intelligent, geistreich und gewitzt und kein bisschen schüchtern. Mit ihr zusammen langweilte man sich nie. Jeder lud sie zu seinen Partys ein, die Männer liefen ihr in Scharen nach - nun, bis sie und Simon sich verlobten." Grace schwieg kurz, ehe sie hinzufügte: „Morag war... sie zog einfach alle in ihren Bann. In London war sie die Ballkönigin, und es sollte die Hochzeit des Jahres werden. Ich erzähle Ihnen das auch, weil Sie so verwirrt aussehen und ich das Gefühl habe, dass Sie Simon wirklich lieben. Vielleicht hilft es Ihnen ein wenig, ihn zu verstehen." Simon kam an diesem Tag nicht nach Hause. Er rief an und sagte Deborah, er würde ganz bestimmt morgen zurückkommen. Und Deborah lag an diesem Abend im Bett und fragte sich, was sich durch Grace' vertrauliche Informationen verändert hatte. Auf jeden Fall war jetzt klar, warum die Leute sie, Deborah, so angeschaut hatten. Möglicherweise hatte sie jetzt auch die Erklärung für die aufsehenerregenden Klatschspalten. Hatten alle dasselbe gedacht? Dass Deborah Winters, was Aussehen und Charakter betraf, das genaue Gegenteil von Morag war? Lag hier Madames Motiv - eine junge Frau, die Simon unmöglich an seine verstorbene große Liebe erinnern konnte? Simon hatte die Frau, die er liebte, eine Woche vor der Hochzeit verloren. Das musste der Grund für die Schwermütigkeit sein, die Deborah manchmal an ihm aufgefallen war. Würde es ihm genügen, dass sie, Deborah, ihn nicht an seine verlorene Liebe erinnerte? Würde es
ihr genügen? Wenn Madame sie tatsächlich mit Simon zusammenbringen wollte, weil sie ihn nicht an Morag erinnern konnte, war er sich dessen schon bei ihrem Gespräch über die Gründe seiner Tante bewusst geworden? Und akzeptierte er es? „Was immer von jetzt an geschieht..." hatte er vor zwei Tagen gesagt. Am nächsten Tag machte Deborah nachmittags einen Spaziergang. In der Zeit kehrte Simon zurück, so dass sie ihn unvorbereitet wiedersah. Sie hatte draußen vor der Hintertür die Schuhe ausgezogen und war auf dem Weg durch die Halle, um nach oben in ihr Schlafzimmer zu gehen, als sie Simon direkt in die Arme lief. „Oh! Simon!" . Er umfasste ihre Taille und verhinderte, dass Deborah das Gleichgewicht verlor. „Ich hatte mich schon gefragt, wo du bist." Er musterte ihre geröteten Wangen, das windzerzauste Haar, die Jeans und den Anorak. „Es ist nicht gerade das passende Wetter für einen Spaziergang. Außer man liebt den Kampf mit den Naturgewalten." „Tue ich manchmal." Deborah sagte nicht, dass ihre seelische Verfassung den tobenden Elementen gar nicht einmal unähnlich war und sie dort draußen auch dagegen gekämpft hatte. Simon schien etwas zu spüren, denn er blickte sie forschend an. „Komm hier herein." Er nahm ihre Hand und führte sie in das Wohnzimmer seiner Mutter. „Ich weiß genau, was dir fehlt - ich war zu lange fort." Er zog Deborah in seine Arme. „Nein ... ich meine, du konntest es ja nicht ändern." „Und du hast mich nicht vermisst?" Seine Augen funkelten boshaft. „Ich fand es zu lange. Es war nicht nur der Sex, obwohl das eine Qual gewesen ist. Das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen uns ist noch nicht stark genug." Simon zögerte, dann sagte er leise: „Man kommt sich verloren und einsam vor." Deborahs Augen wurden groß. „Das ist genau ... Woher weißt du das?" Simon küsste sie zärtlich. „Ich bin kein gefühlloses Monster. Komm." Er hob Deborah hoch und setzte sie in einen Sessel. „Frischverliebten geht es so ..." „Und wie ist es bei einer alten Liebe?" Er schwieg lange, strich ihr jedoch durchs Haar. Schließlich fragte er: „Möchtest du jetzt darüber reden?" „Nein. Ich... nein. Es ist alles noch zu neu. Küss mich bitte." Simon tat es. „Ist dir klar", sagte er eine Weile später nach einem Blick auf seine Uhr, „dass wir wieder dem Untergang geweiht sind?" „Abendessen?" Deborah lächelte. „Ja. Wir haben Grace schon einige Male übel mitgespielt." „Uns bleibt nach dem Essen noch genug Zeit." „Du hast ja recht. Ich werde einfach stark sein müssen." Wie gerufen, läutete die silberne Glocke. „Und ich habe mich noch nicht umgezogen!" „Das hast du nicht nötig." „Ich möchte mir wenigstens die Hände waschen und mich kämmen." „In Ordnung. Wir treffen uns im Esszimmer." Grace servierte Pilzsuppe, Coq au vin und Schokoladenmousse. Einmal würdigten Simon und Deborah das Essen gebührend, allerdings nahm Deborah vom Dessert nur eine kleine Portion, gerade genug» um Grace zufriedenzustellen. Beim Kaffee im Wohnzimmer lachten sie noch immer stillvergnügt in sich hinein. Endlich einmal hatten sie eine Mahlzeit gemeinsam beendet. . „Ich habe dich noch gar nicht gefragt, ob du das Problem gelöst hast", sagte Deborah. „Nicht, dass ich mich in deine Angelegenheiten mischen will", fügte sie hastig hinzu. „Ich hoffe, es ist alles gutgegangen?" Simon lehnte sich in seinem Sessel zurück und streckte die langen Beine aus. „Ja. Es
war ein hartes Stück Arbeit, aber..." Er sah amüsiert aus es schadet nicht, auf Draht zu bleiben." Sie beobachtete ihn verstohlen, und ihr Herz schlug schneller, weil sie die latente Kraft in ihm wahrnahm. Dieser Mann hatte innerhalb von vierundzwanzig Stunden die Gefahr einer Übernahme seines Unternehmens abgewendet. Hatte ich überhaupt jemals eine Chance, gegen ihn zu gewinnen? fragte sich Deborah. „Erzähl mir ein bisschen über Cognac." „Nun, das ist eine seltsame Sache. Cognac wird in der französischen Stadt Cognac aus französischen Trauben hergestellt, doch die meisten großen Unternehmen wurden von Ausländern gegründet. Otard war ebenfalls Schotte, Hennessy Ire." „Ärgert das nicht die Franzosen?" „Wäre ich Franzose, würde es mich stören. Aber weiter mit dem Cognac. Es gibt sechs gesetzlich festgelegte Anbaugebiete in der Umgebung von Cognac. Aus den weißen Trauben wird Wein gegoren, der,eau-de-vie' heißt. In der Brennerei wird er bis zum Siedepunkt erhitzt, der aufsteigende Dampf geht erst durch den sogenannten Schwanenhals, eine enge gebogene Röhre, und dann durch ein spiralförmiges Rohr, das durch kaltes Wasser verläuft, so dass der Dampf wieder kondensiert. Am nächsten Tag findet dieselbe Prozedur noch einmal statt, und heraus kommt ein hundertvierzigprozentiger Cognac." „Du liebe Güte!" Simon lächelte. „Ja, ziemlich starkes Zeug." „Und wie wird er trinkbar?" „Er wird in speziell dafür angefertigten Eichenfässern gelagert. Je länger, desto besser. Das Tannin der Eiche verleiht ihm seine goldene Farbe, der Cognac verliert sein Feuer und erlangt sein Bukett und seinen Geschmack. Je älter die Fässer, desto besser der Cognac. Aber am wichtigsten ist dabei ein kluger Kellermeister. Er mischt die verschiedenen ,eau-de-vie'. Normalerweise ein Beruf, der vom Vater auf den Sohn übergeht." „Wie beim Parfüm. Man muss mit der Nase dafür geboren sein - oder mit dem Gaumen in diesem Fall, vermute ich." „Du hast recht, obwohl beim Cognac Gaumen und Nase etwas damit zu tun haben." „Und wie lange stellt deine Familie schon Cognac her?" fragte Deborah. „Seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts." „Ich weiß über meine Familie nur bis zu meinen Großeltern etwas." „Leben deine Eltern noch?" „Nein", sagte Deborah leise. „Von dem Schlag, die Farm zu verlieren, haben sie sich nie wieder richtig erholt, obwohl ich sie finanziell unterstützen konnte, als ich Model würde." „Und du hast keine Geschwister?" fragte Simon. „Nein. Ich bin Einzelkind und war ein Nachzügler. Auch deshalb bin ich so gut in Jagen, Angeln, Reiten, Motorradfahren. Mein Vater hat mich immer wie einen Sohn behandelt." Simon blickte sie neugierig an. „Hat dich das nicht gestört?" „O nein! Mein Vater war trotzdem sehr lieb zu mir. Dachtest du, ich könnte deswegen irgendein Trauma haben?" „Nein. Aber manchmal machst du einen so ungezähmten und zornigen Eindruck." „Ich glaube, das ist mir angeboren", erwiderte Deborah. „Und du hast mich auch noch zu einem ungünstigen Zeitpunkt kennenge lernt." „Da wir von Zeitpunkt sprechen..." sagte Simon. „Wäre dieser günstig, um vorzuschlagen, dass wir ins Bett gehen? Wir haben die Anstandsregeln eingehalten: Es ist sogar schon fast dunkel." Deborah lächelte. „Warum nicht?" „Simon?" „Ja? Übrigens, lachst du?" Deborah strich ihm mit den Fingern durchs Haar. „Ja. Ich dachte gerade, dass ich jetzt
nicht sehr ungezähmt und zornig bin." Sie saß auf den Fersen auf dem Bett. Simon hatte sie bis auf ihren BH ausgezogen und selbst seine Sachen abgelegt. Es war schnell dunkel geworden, und er schaltete die Nachttischlampe ein. „Warum solltest du es auch sein, wenn du mich auf diese Art schlagen kannst?" sagte er leise. „Zwei qualvolle Tage lang habe ich nur daran denken können, dies zu tun." Er öffnete ihren BH. Dann zog er die Hände zurück, schaute Deborah jedoch unverwandt an, bis sie befangen den Blick senkte. „Noch immer schüchtern? Brauchst du nicht zu sein. Du bist wunderschön. Deine Brüste sind wie feste honigfarbene Früchte, deine Hüften ein Kunstwerk. Was deine Beine betrifft... weißt du eigentlich, wie mich dein Gang manchmal erregt?" Deborah befeuchtete ihre Lippen. „Mir wäre es lieber, du würdest mich in den Armen halten, wenn du solche Dinge sagst." Er zog sie an sich. „Ach, Deborah ..." Seine Stimme war plötzlich rau. „Wie ich es geschafft habe, das Abendessen und die Zeit danach zu überstehen, ist mir ein Rätsel. Und erst recht, wie ich mich vor drei Jahren zurückhalten konnte." „Scht! Lass uns nicht zurückdenken", flüsterte sie. „Du hast recht. Ich kann sowieso nur noch in eine Richtung denken", sagte er gequält und legte sich mit ihr zurück. „Stört dich das?" „Nein, natürlich nicht." Deborah liebte diese Ungeduld ebenso wie seine Geduld und sein Verständnis vorhin. Aber dann, als Simon sie mit einer Mischung aus Kraft und Beherrschung zu einem unbeschreiblich schönen Höhepunkt trieb, verbesserte sie sich in Gedanken: Sie liebte es einfach, ihn zu lieben ... Doch beim Aufwachen am nächsten Morgen lag Simon nicht neben ihr. Er stand angezogen gegenüber dem Bett an die Wand gelehnt und beobachtete sie. Deborah setzte sieh langsam auf, griff nach ihrem Nachthemd und zog es sich über den Kopf. Furcht überfiel sie, weil Simon nichts sagte, sie nur weiter mit unergründlicher Miene ansah. „Simon? Ist etwas passiert? Musst du wieder weg?" „Nein. Bereust du es, mit mir geschlafen zu haben?" Verunsichert blickte sie ihn aus großen Augen an. „Nein. Wie könnte ich? Warum fragst du das? Habe ich etwas falsch gemacht?" „Im Gegenteil - einige Dinge machst du fast zu gut. Deshalb finde ich es albern, um die Sache herumzureden. Willst du mich heiraten?"
7. KAPITEL „Nein..." „Nein? Einfach so?" „Simon... Warum tust du das? Ich meine..." Deborah sprach nicht weiter, als Simon zum Bett kam, neben ihr stehenblieb und mit den Händen in den Hosentaschen auf sie hinunterblickte. Und sie schauderte, weil seine ganze Ausstrahlung so anders war, finster und irgendwie bedrohlich. „Mit einem anderen wird es nicht besser", sagte Simon kühl. „Es kann nicht viel besser werden, glaub mir. Ich habe ein bisschen Erfahrung." Das ist ein Alptraum! dachte Deborah. „Hör auf damit", flüsterte sie. „Warum verunglimpfst du es?" „Meinst du nicht, du tust das nicht, wenn du so mit mir schläfst, mich aber nicht heiraten willst? Nachdem du mich schon drei Jahre liebst?" entgegnete Simon mit einer Sanftheit, die Deborah tief verletzte. Wie konnte er sich über Nacht so verändert haben? Und warum? „Irgend etwas ist passiert. Bitte, sag es mir. Das ergibt einfach keinen Sinn!" „Für mich schon. Warum das Unumgängliche hinauszögern?" „Was heißt denn ,unumgänglich'? Woher willst du wissen, dass wir uns nicht verabscheuen, wenn diese Leidenschaft abkühlt? Oder du feststellst, dass ich deine große Liebe nicht ersetze n kann, ganz egal, wie verschieden ich bin!" Trotzig, aber mit Tränen in den Augen, blickte Deborah zu Simon auf. „Also hatte ich recht. Ich habe schon gestern nachmittag vermutet, dass du wegen irgend etwas nervös bist. Jetzt weiß ich, warum." „Was meinst du damit?" „Ich bin heute morgen sehr früh aufgestanden, um in Edinburgh anzurufen, und Grace sagte mir, sie sei wohl indiskret gewesen. Anscheinend hat sie sich die ganze Nacht deswegen Sorgen gemacht. Aber ich will dich um deinetwillen heiraten, Morag hat nichts damit zu tun. Und ich bin nicht bereit, weitere drei Jahre über unsere Bezie hung zu reden und auf deine Entscheidung zu warten. Hör zu ..." Simon setzte sich auf die Bettkante und zog Deborah in seine Arme. „Wir passen zusammen, das verspreche ic h dir. Komm, ich beweise es dir." Und er küsste sie leidenschaftlich auf den Mund. Als Simon sich schließlich von ihr löste, war Deborah außer Atem, ihr Herz klopfte heftig, und obgleich sie sich nicht mehr berührten, war die erotische Spannung zwischen ihnen so stark, dass ihr Körper vor Verlangen schmerzte. „Ich..." flüsterte Deborah. „Oh, ich weiß nicht, was ich sagen soll!" „Sag ja." Zum erstenmal lächelte Simon. Er schob den Träger ihres Nachthemds hinunter und streichelte zart ihre entblößte Brust. „Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du es nicht bereust." „Und wenn ich trotzdem nein sage?" Er zog seine Hand zurück. „Dann hat es keinen Sinn, so weiterzumachen wie bisher. Aber warum solltest du meinen Heiratsantrag ablehnen?" „Damit wir uns erst noch besser kennenlernen ..." „Was willst du noch über mich wissen? Wir sind gern zusammen. Meinst du, du hättest sechs Stunden lang mit einem Mann angeln können, mit dem du nicht gern zusammen bist?" Deborah erkannte den belustigten Ausdruck in Simons Augen und biss sich auf die Lippe. „Ich halte das für einen guten Test", fuhr er sarkastisch fort. „Ich glaube nicht, dass ich ausgesprochen schlechte Angewohnheiten habe, solltest du jedoch welche bemerkt haben, musst du sie mir nur nennen, und ich werde sie mir abgewöhnen." „Simon!" flehte sie. „Dies ist ernst. Du hast recht. Fragst du dich, was für ein Leben wir führen würden? Ich hätte nichts dagegen, wenn du noch eine Weile weiter als Model arbeiten möchtest. Dass du
Yvette im Stich lässt, verlange ich nicht - solange ich nicht zu kurz komme und du mich auf meinen Reisen begleiten kannst. Ich würde sehr glücklich sein, wenn du Kinder haben und hier leben möchtest. Dann würde ich es so einrichten, dass wir die meiste Zeit in diesem Haus verbringen. Aber vielleicht argumentiere ich besser mit der Alternative: Willst du wirklich dein einsames Leben weiterführen und etwas tun, von dem du nicht völlig überzeugt bist, wenn wir beide so vieles miteinander teilen könnten? Wünschst du dir wirklich, dass dir unter einem Laufsteg die ganze Welt zu Füßen liegt, dich alle auf der Titelseite von ,Vogue' sehen, du dich um nichts anderes kümmerst als um dein Aussehen?" Es war ein überzeugendes und auch grausames Argument, und Deborah atmete heftig ein. Doch dann dachte sie: 'Nein, in Wirklichkeit geht es nur darum, Simon: Liebst du mich? Bist du so erfüllt davon, wie ich es unglücklicherweise bin? Oder versuchst du, Morag zu ersetzen? Vielleicht sogar, dich mit der Zweitbesten zu behelfen, was noch schlimmer wäre? Werde ich dir jemals diese Schwermütigkeit nehmen können, die dich manchmal überfällt? Bringe ich dich irgendwann dazu, die Worte zu sagen? Welchen Sinn hätte das, wenn ich nicht weiß, ob ich dir glauben kann? Deborah sah an sich hinunter, und beim Anblick ihrer nackten Brust und Simons Hand auf dem Laken über ihrer Taille wurde ihr schlagartig klar, dass es jetzt, nachdem sie mit Simon geschlafen hatte, völlig unmöglich geworden war, die Arme eines anderen Mannes um sich zu ertragen. Wenn man nicht alles haben kann, gibt man sich vielleicht mit dem zufrieden, was man hat, dachte sie. Und wie lange ist dieser Mann schon in deinem Kopf und deinem Herzen ... „Ja." Innerhalb von fünf Tagen waren Deborah und Simon verheiratet, und außer Grace und Picton wusste es kein Mensch. Deborah hatte den Verdacht, dass Simon es am liebsten noch schneller gehabt hätte, und ihn möglicherweise nur ihre Bestürzung veranlasst hatte, die Trauung in einer schönen alten Steinkirche auf der Insel zu organisieren und mit ihr nach Edinburgh zu fahren, um ein Kleid zu kaufen. „Wahrscheinlich wird mich Yvette umbringen", sagte Simon auf der Rückfahrt nach Mull. Das Kleid, das er nicht gesehen hatte, lag in einer Schachtel im Kofferraum. „Weil sie es nicht weiß und nicht zur Hochzeit eingeladen ist?" „Das auch, doch ich dachte eher daran, dass du nicht in einem von ihr entworfenen Kleid heiratest." Simon nahm eine Hand vom Steuer und legte sie auf Deborahs. „Ich weiß nicht, ob Grace dir alle Einzelheiten erzählt hat... Morags Mutter hatte eine große Hochzeit in London geplant. Einmal abgesehen davon, dass wir sie unter solchen Umständen absagen mussten, waren allein die langen Vorbereitungen eine Qual." Dankbar drehte Deborah ihre Hand herum und drückte Simons. „Ich verstehe. Und ic h habe ja auch niemand, der mir nahe steht, deshalb ... außer Madame." „Sie wird dir verzeihen. Schließlich hat sie dich zu mir geschickt. Sie ist ohnehin in Bahrein." „Was macht sie denn da?" „Keine Ahnung. Ich wette, es hat etwas mit Mode zu tun. Gut möglich, dass zu ihrer nächsten Kollektion Jaschmaks gehören." „Wunderschön." Grace trat mit Tränen in den Augen zurück. „Danke", flüsterte Deborah. Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel. Das knöchellange Kleid aus cremefarbenem Seidentaft war mit kleinen Blumen bestickt, hatte einen herzförmigen Ausschnitt und Puffärmel. Deborah trug ihr Haar offen, ohne jeden Schmuck. Sie drehte den Verlobungsring, den sie sich in Edinburgh ausgesucht hatte. Simon hatte ihr mehrere zur Auswahl vorlegen lassen, darunter einen Goldreif mit einem birnenförmigen Diamanten, dessen Preis ihr den Atem geraubt hatte. „Ach, Grace", sagte sie betrübt, „ich weiß nicht, ob ich das Richtige tue."
„Manchmal tut man einfach, was man tun muss. Wenn man einen Mann liebt." Grace stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste Deborah herzlich auf die Wange. „Vergessen Sie nicht, ich bin auf Ihrer Seite." Die ältere Frau ging hinaus, um mit Simon zur Kirche zu fahren. Picton fuhr Deborah mit dem Jaguar. Auf dem Beifahrersitz lag der schönste Blumenstrauß, den sie je gesehen hatte: cremefarbene Rosen und kleine Margeriten. „Für Sie", sagte Picton unnötigerweise. „Von Mr. Simon." Und als ob Picton die Anspannung der Braut spürte, redete er auf der ganzen Fahrt zur Kirche. Er erzählte, er habe seine Kamera dabei, mit der er sehr gut umgehen könne, weil er eifrig Vögel fotografieren würde. Deborah würde ihren Kindern später einige großartige Hochzeitsfotos zeigen können. Und dann zählte er die Namen aller Vögel auf, die er auf dem Film festgehalten ha tte. Trotzdem war Deborah noch immer nervös, als sie am Arm Pictons den Gang entlang zum Altar schritt. Bis Simon sich umdrehte. Denn einen kurzen Moment lang war er bei ihrem Anblick sichtlich überwältigt, und es gab Deborah den Mut, den sie so dringend brauchte. „Das sind also die Überraschungsflitterwochen... Frankreich", sagte Deborah, als Simon und sie später an diesem Tag in ein Flugzeug nach Bordeaux stiegen. „Ja." Simon nahm ihre Hand. „Ich besitze in Charente ein Ferienhaus. Wir werden dort ganz allein sein. Kannst du kochen?" „Du?" „Ein bisschen." „Oh." „Deborah?" Da es ein wenig bestürzt klang, sah sie ihn an und gab nach. „Ja, ich kann kochen, sehr gut sogar. Meine Mutter hat meinem Vater nicht erlaubt, mich gänzlich wie einen Sohn zu erziehen." Simon lachte. „Da bin ich aber erleichtert. Wohlgemerkt, wir hätten auswärts essen können, doch das war nicht ganz das, was ich im Sinn hatte." „Dann bin ich eine Woche lang nicht nur die Köchin, sondern auch eine Gefangene?" fragte Deborah gespielt ernst. „Du kannst mir auf dem Rückflug sagen, wie dir das und Frank reich gefallen haben." Frankreich? dachte Deborah eine Woche später auf dem Flug nach London. Nun, Charente mit Wiesen voller Blumen, Hummeln und Libellen, mit kräftigen braunen Rindern, Bächen und zwitschernden Vögeln. Kleine mittelalterliche Dörfer mit engen Gassen, alten Barchen und leuchtendbunten Markisen vor der „charcuterie", „boulan- gerie" und „boucherie". Rosen überall und Geranien und Stiefmütterchen in Blumenkästen und in Kübeln auf den Türstufen. Lavendel, Hortensien, Margeriten und Dahlien, Menschen mit langen unverpackten Baguettes unter dem Arm. Deborah hatte kein Gespräch führen können, wenn sie von Simon getrennt wurde, der so perfekt Französisch sprach wie ein Einheimischer. Er hatte ihr eine Cognac-Brennerei gezeigt und Limoges, wo sie ihm ihr Interesse für Porzellan, Töpferei und Keramik gestanden hatte. Sie vertraute ihm auch an, dass sie früher manchmal daran gedacht hatte, beruflich etwas mit Kunst zu machen. Und Simons zweihundert Jahre altes, teilweise restauriertes Bauernhaus, das umgehen von Feldern und Wäldern auf einer Anhöhe am Rand eines kleines Dorfes stand: dicke graue Mauern, innen weiße Wände, alte Holzböden, ein gewaltiger Kamin und zwei Betten aus Kirschholz, von denen eins die ganze Woche nicht benutzt wurde ... Geliebt zu werden, wann immer Simon danach war, ganz allein mit ihm zu sein, für ihn zu kochen, neben ihm einschlafen und aufwachen ... „Und?" Deborah blickte auf ihre Hand in seiner und wusste, dass Simon ihre Gedanken erraten hatte. „Es war wundervoll. Danke", meinte sie leise.
„Das brauchst du nicht zu sagen." „Doch." „Haben wir unseren ersten Streit als Ehepaar?" fragte Simon ruhig. „Nicht, dass ich wüsste. Was meinst du damit?" „Du hast ebensoviel wie ich dazu beigetragen, dass es wundervolle Flitterwochen waren. Deshalb ist Dank nicht nötig." „Nun, aber ich hätte dich nicht mit an einen so zauberhaften Ort nehmen können." „Ich verstehe. Fühlst du dich noch nicht mit mir verheiratet, Deborah?" Doch, in meinem Herzen. Aber sonst? dachte sie. Vielleicht frage ich mich manchmal, wann ich aufwachen werde. „Dies ist ein seltsames Gespräch. Ich bin nicht sicher, welche Antwort du von mir erwartest." „Ich erwarte gar nichts. Ich frage mich nur, warum du wieder so nervös bist." Unwillkürlich versuchte Deborah, ihre Hand zurückzuziehen. „Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wo du wohnst, und da ist Madame ..." „Aber du musst diese Dinge nicht allein bewältigen." „Nein. Weiß sie es?" „Nein." „Weiß es irgend jemand?" „Deborah, sieh mich an." Als sie es endlich tat, fuhr Simon fort: „Geht es irgend jemand außer uns etwas an?" „Nein. Entschuldige. Vielleicht brauche ich ein bisschen länger, um mich an alles zu gewöhnen." „Darf ich dir einen Rat geben?" „Welchen?" „Wenn du Zweifel hast, denk an uns im Bett." Deborah sah das Verlangen in seinen Augen. Farbe stieg ihr ins Gesicht, und sie wandte schnell den Kopf zum Fenster. „Ich mag es, dich zum Erröten zu bringen", meinte Simon gelassen. „Und ich würde es noch mehr mögen, wenn wir in diesem Moment zusammen im Bett liegen würden. Ich liebe es, dich so weit zu treiben, dass du dich mir entgegenbiegst und meinen Namen rufst." „Simon!" flüsterte sie. „Bitte, hör auf..:" „Das ist fast ebensogut." Er blickte bedauernd auf, als die Stewardess neben ihm stehenblieb und Getränke anbot. „Ich glaube, meine Frau und ich haben Champagner verdient." Am Flughafen nahmen sie den Gatwick Express und vom Victoria Station ein Taxi zu Madames Haus. Es war ein Sonntag, und Simon sagte: „Am besten erledigen wir das gleich, dann haben wir es überstanden." „Ihr seid was?" „Verheiratet, Yvette", wiederholte Simon amüsiert. „Und bevor du dich dazu äußerst wer hat denn Deborah alle möglichen Lügen erzählt und sie zu mir nach Mull geschickt?" „Setzt euch." Madame wankte zu einem Stuhl. „Das kommt ein bisschen überraschend." Sie sank nieder, sprang dann wieder auf, stürzte auf Deborah zu und umarmte sie. „Also hatte ich recht. Ich wusste es ja! Habe ich dir nicht gesagt, ich bin Expertin im Lesen von Herzen? Oh, ich freue mich so für dich! Und was sind schon ein paar Lügen, wenn das Ergebnis so wundervoll ist. Nicht wahr, Deborah Winters?" „Deborah Macquarie", warf Simon ein. „Sieht sie nicht großartig aus?" schwärmte seine Tante. „Ich muss dir voll und ganz zustimmen." „Wenn ich auch einmal etwas sagen darf..." Deborah sprach nicht weiter und blinzelte plötzlich. Madame umarmte sie wieder. „Junge Ehefrauen können manchmal ein bisschen sentimental werden, das ist normal." Und sie befahl Simon, eine Flasche ihres besten
Champagners zu Öffnen. „Das einzige, was ich bedauerlich finde ... was hattest du an, Deborah?" Simon nahm Deborahs Hand. „Sie hat ein Kleid in Edinburgh gekauft." Seine Tante rümpfte die Nase. „Eins, das mir die Sprache verschlagen hat... mit ihr darin", fügte er trocken hinzu. „Ah, na gut. Es gibt immer eine, die einem entwischt." Madame zuckte die Schultern, bevor sie Simon argwöhnisch anblickte. „Du willst sie ja wohl hoffentlich nicht in der Versenkung verschwinden lassen, Simon. Ich habe eine ganz neue Kollektion auf sie zugeschnitten. Jetzt, da ich es recht bedenke, könnte sich diese Heirat als Katastrophe erweisen!" Deborah und Simon lachten über Madames entsetzten Gesichtsausdruck. „Wir sind übereingekommen, dass ich noch eine Zeitlang arbeite", erklärte Deborah. „Wenn du es möchtest." „Ich es möchte!" „Nicht Vollzeit, Yvette", mischte sich Simon ein. „Und nicht außerhalb Londons." Sie warf ihm einen wütenden Blick zu, den er kühl und fest erwiderte. Madame gab nach. „Na schön." Es klang gekränkt. „Erzähl uns von Bahrain", war Simons gelassene Reaktion. „Hier wohnst du also." Deborah sah sich in dem vornehmen Haus am Onslow Square in Chelsea um. „Ja, wenn ich nicht gerade woanders bin", erwiderte Simon. „Und es ist nie wirklich mein Zuhause gewesen, nicht so wie Mull." „Aber es ist schön." Sie runzelte die Stirn, weil die zarten Farben sie an irgend etwas erinnerten. „Es ist alles Yvettes Werk." „Natürlich! Deshalb kommt mir dein Haus so vertraut vor." Deborah musterte die geschickte Kombination von Pastelltönen. Die Wände waren mattweiß, Teppich und Vorhänge magnolienfarben, Sessel und Sofas strohfarben, das Blassgrün der Kissen wiederholte sich in den Lampenschirmen. „Du und deine Tante steht euch ziemlich nahe, nicht wahr?" „Ja. Wenn wir uns nicht gerade streiten. Vielleicht, weil wir die letzten Macquaries sind nun, bis jetzt. Natürlich ist Yvette nur angeheiratet, aber sie benimmt sich oft mehr wie eine Macquarie als eine echte. Und sie hat ein übermäßig großes Interesse an meinem Leben, wie wir beide wissen", fügte Simon trocken hinzu. „Wahrscheinlich, weil sie selbst keinen Erben bekommen konnte." „Du liebst sie trotzdem", bemerkte Deborah. „Ja." Simon kam zu ihr und stellte sich sehr nah vor sie hin. „Ich kann es nicht erwarten, dir zu zeigen, was Yvette mit dem größten Schlafzimmer im Haus gemacht hat." „Du brauchst nicht zu warten." „Danke", meinte er leise. „Ich dachte, ich habe dich mit dem, was ich im Flugzeug sagte, vielleicht abgeschreckt." „Ja, hast du vielleicht. Hier könnte es anders sein." „Sprich weiter." In Jeans, einem am Kragen offenen Hemd und Tweedjacke stand Simon groß und lässig vor ihr, und Deborah staunte über ihr Verlangen. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust. „Es ist schön, wieder allein zu sein", flüsterte sie. Er zog sie in seine Arme. „Wohin willst du?" fragte er sehr viel später und hielt sie davon ab, das Bett zu verlassen. Deborah lächelte ihn an. „In die Küche, kochen. Die Zeit zum Abendessen ist schon ziemlich lange vorbei." „Du lieber Himmel. Den halben Nachmittag und fast den ganzen Abend nur damit
verbracht. Wir gehören ins Guinness-Buch der Rekorde." „Das bezweifle ich - wir haben auch geschlafen." „Wir könnten es noch einmal tun und wieder schlafen", schlug Simon vor. „Wenn man ein solches Zimmer hat, muss man seinen Zweck auch gebührend würdigen." Deborah verzog das Gesicht, denn es war ein schamlos erotisches Schlafzimmer. Hoch über dem Bett hielt eine Amorette einen Baldachin aus pfirsichfarbener Seide, die pfirsichfarbenen Seidenlaken waren mit elfenbeinfarbener Spitze verziert, der elfenbeinfarbene dicke Teppich war bis in das angrenzende Badezimmer mit den goldenen Armaturen verlegt, dessen Wandfliesen die gleiche Farbe hatten. „Ich muss dir zustimmen, der Zweck dieses Raums ist offe nkundig, aber die Wirkung wird noch dadurch verstärkt, dass Pfirsich und Elfenbein sehr schmeichelhafte Farben für die Haut sind." „Aha!" Simon sah ihr in die Augen. „Das erklärt es." „Was?" fragte Deborah gespielt unschuldig. „Warum ich nicht den geringsten Wunsch verspüre, dieses Bett zu verlassen. Nein, deine Haut..." Simon strich mit einem Finger über ihre Hüfte. „... ist ohne jede Schmeichelei weich und schimmernd genug. Vielleicht müssen wir in ein Kloster umziehen", meinte er nachdenklich; „Im Ernst, willst du, nachdem du mich in einen solchen Zustand gebracht hast, wirklich aufstehen und mich allein lassen? “ „Ja." „Nun, dann... Danke, Madame." Doch sein Blick sagte etwas anderes, und Simon nahm nicht die Hände von ihr. So kam es, dass Deborah erst eine halbe Stunde später das Bett verließ. „Entschuldige, aber ich konnte einfach nicht anders." Simon lächelte. „Jetzt steht es dir frei, zu tun, was immer du willst." „Manchmal bist du unmöglich, Simon Macquarie." „Das machst du mit mir." Er küsste sie, dann legte er sich zurück. „Vergiss das nicht, ja?" „Werde ich nicht. Hungrig?" „Hm." Deborah erwiderte seinen Kuss flüchtig und ging duschen. Als sie in einem Pyjama und elfenbeinfarbenen Bademantel ins Zimmer zurückkehrte, war Simon eingeschlafen. Sie besichtigte von oben nach unten das ganze Haus und fand im Kellergeschoß die Küche, die, wie drei andere Schlafzimmer, die Bibliothek und das Esszimmer Yvettes Handschrift trug. Einen Raum im ersten Stock hatte Madame jedoch offensichtlich nicht eingerichtet. Dieser war luxuriös, aber schlicht: keine dekorativen Falten und Vo lants, keine zarten Pastelltöne. Trotz des Doppelbetts wirkte es mehr wie ein Herrenzimmer. Deborah hatte es sich genauer angesehen, und ihr war klargeworden, dass es Simons Schlafzimmer war, mit seiner gesamten Garderobe darin. Hatte er jemals das pfirsichfarbene benutzt, außer um ... Nein! schalt sie sich. Denk nicht einmal darüber nach. Am Kühlschrank klebte ein Zettel von Simons Putzfrau mit der Nachricht, sie hätte wie gebeten frisches Brot, Milch, Eier, ein gegrilltes Hähnchen und Salatzutaten eingekauft. Er muss sie von Frankreich aus angerufen haben, dachte Deborah. Begeistert blickte sie sich in der hervorragend ausgestatteten, praktischen Küche mit den hängenden Kupfertöpfen, einem freistehenden Hackklotz und Messern in Ständern um. Deborah kochte gern, sie fand es beruhigend. Nicht etwa, dass sie sich beruhigen musste ... Oder doch? Natürlich nicht! sagte sie sich entschieden. Sie nahm eine Bratpfanne vom Haken und begann, Zwiebeln, Paprika und Pilze zu schneiden. In einem Schrank fand sie Reis und kochte ihn, während sie das Gemüse in Olivenöl dünstete und Hähnchenstücke hinzufügte. Dann machte sie einen Salat und legte das Brot in den Backofen auf. Sie deckte gerade den Tisch, als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Es war Simon. Er trug Jeans und ein altes Fußballtrikot, war ungekämmt und sah verschlafen aus.
Deborah lächelte. „Ich hatte gerade überlegt, ob ich dich wecke oder nicht." Er schnupperte anerkennend. „Ich habe so das Gefühl, dass aus dir ein Juwel von Ehefrau wird. Wie, um alles in der Welt, hast du so ein Essen gezaubert?" Sie erklärte es ihm und forderte ihn auf, sich zu setzen. Es war eine gemütliche Mahlzeit, sie unterhielten sich angeregt, bis Deborah plötzlich völlig erschöpft war. „Entschuldige, ich muss noch das Geschirr spülen." Simon, der die dunklen Schatten unter ihren Augen bemerkte, nahm lächelnd ihre Hand und half Deborah auf die Füße. „Das mache ich - nachdem ich dich nach oben ins Bett gebracht habe. Nein, keine Widerrede." Vor dem pfirsichfarbenen Schlafzimmer zögerte er, dann führte er Deborah zu seinem und sagte bei ihrem fragenden Blick: „Dieses Bett ist frisch bezogen, das ist angenehmer." War es, wie sie feststellte, als sie zwischen die kühlen, glatten Baumwollaken glitt. „Wirst du ..." Sie biss sich auf die Lippe. „Ob ich komme und bei dir schlafe? Natürlich." Simon setzte sich auf die Bettkante. „Du siehst so jung aus ohne Make-up und mit dem schlichten Pferdeschwanz." Deborah gähnte hinter vorgeha ltener Hand. „Ich fühle mich im Moment auch ziemlich jung." „Vielleicht habe ich es übertrieben." „Das meinte ich nicht." „Nein, trotzdem... Ich muss morgen wieder arbeiten. Wirst du verärgert sein?" „Wenn du musst, ist das eine überflüssige Frage, Simon. " Er lächelte flüchtig. „Entschuldige. Ich muss, leider. Und wir haben abgemacht, dass du erst nächste Woche wieder bei Yvette anfängst. Aber ich dachte, die freie Zeit gibt dir Gelegenheit, das Haus kennenzulernen, Änderungen vorzunehmen und, wenn du möchtest, die Putzfrau zu bitten, öfter oder an anderen Tagen zu kommen." „Ich glaube nicht, dass ich irgend etwas ändern werde." „Deborah ... „ Simon blickte sie forschend an. „Es ist jetzt dein Haus. Morgen eröffne ich ein Bankkonto auf deinen Namen und kaufe dir ein Auto..." Er sprach nicht weiter, weil sich Deborah mit verstörter Miene aufsetzte. „Was ist?" „Ich habe mein eigenes Geld", flüsterte sie. „Nicht genug, um dieses Haus zu führen. Oder versuchst du, mir zu sagen, du möchtest nicht von mir ausgehalten werden?" Sie sank verwirrt zurück. „Deborah?" „Ich habe noch gar nicht darüber nachgedacht..." „In den meisten Ehen ist das so", sagte Simon - mit einer Spur von Ironie, wie Deborah fand - und fügte in anderem Ton hinzu: „Aber wenn es dich beunruhigt, führ dir vor Augen, dass du für mich sorgen könntest, sollte ich plötzlich all mein Geld verlieren." Sie musste lächeln. „Jetzt schlaf, und hör auf, dir Gedanken zu machen." Simon zog Deborahs linke Hand an seine Lippen, dann runzelte er jäh die Stirn und drehte den Trauring, der ein bisschen zu groß war. „Gib ihn mir morgen früh zusammen mit deinem Verlobungsring. Ich kenne einen guten Juwelier, er wird ihn ändern. Gute Nacht, mein Liebling, träum schön." Zwei Tage später kochte sich Deborah Tee und setzte sich an den Tisch. Sie hatte gerade eine anstrengende Unterhaltung mit Simons redseliger Putzfrau gehabt, und ihr war bewusst geworden, welchen Aufwand es erforderte, ein Haus dieser Größe zu führen. Bin ich dem gewachsen? fragte sich Deborah. Es klingelte. Deborah blickte seufzend auf ihre Jogginghose, den weiten Pullover und die Turnschuhe, dann, als es erneut klingelte, ging sie öffnen. Es war Sondra Grant.
8. KAPITEL
„Ich wusste, Simon hat jemand bei sich. Und dass es Sie sein müssen. Nun, ich habe versucht, das Ganze vernünftig und nüchtern zu betrachten, aber bevor es zu spät ist und wir alle verletzt werden, erzähle ich Ihnen jetzt einmal ein paar unbequeme Tatsachen. Lassen Sie mich herein, Deborah!" „Sondra..." „Nein, Sie schulden mir etwas." Die andere Frau drängte sich einfach an Deborah vorbei. Diese zögerte, da es jedoch in Strömen, regnete und Sondra bereits ihren Regenmantel ausgezogen und aufgehängt und auf dem Weg die Treppe hinunter in die Küche war, schloss Deborah die Haustür und folgte ihrer Besucherin. Nach einem Blick in das blasse, angespannte Gesicht Sondras sagte Deborah ruhig: „Ich habe gerade Tee gekocht. Möchten Sie eine Tasse?" „Warum nicht?" erwiderte Sondra verbittert. „Wenn Sie schon die Gastgeberin spielen, als wären Sie hier zu Hause... Wissen Sie, dass ich niemals eine Nacht hier verbracht habe? Und warum nicht? Weil Simon dieses Haus als Andenken an Morag bewahren will. Yvette hat es für die beiden eingerichtet, es war ihr Hochzeitsgeschenk. Aber jetzt kommt das wirklich Interessante. Wissen Sie, warum Sie hier sind? Weil Sie und Morag gar nicht verschiedener sein könnten. Ich weiß es, ich war mit ihr befreundet. Simon liebt Sie nicht, Deborah. Er kann es nicht ertragen, an Morag erinnert zu werden, und Sie tun das nicht." „Ach, ja?" Deborah schenkte der anderen Frau eine Tasse Tee ein. Sondra trank einen Schluck und fuhr fort: „Deshalb bin ich gekommen. Um Sie davor zu warnen, mehr in Ihrer Beziehung zu Simon zu sehen, als vorhanden ist. Keine Frau ist in der Lage, ihm zu geben, was er und Morag besaßen, zumindest kann ich ihm aber Frieden, Verständnis und Liebe schenken. Oh, Sie sind schön, doch neben Morag wäre Ihre Schönheit verblasst. Diese Frau faszinierte jeden." Deborah sah starr auf ihre ringlose linke Hand und dachte: Sondra weiß es nicht. Was mache ich denn jetzt nur? „Warum sollte ich ihm nicht Frieden und ... Liebe geben können?" „Weil Sie es nicht verstehen" erwiderte Sondra bitter. „Sie haben die beiden niemals zusammen erlebt, Sie kennen Simon nicht wirklich." „Ich habe ihn schon vor drei Jahren kennengelernt..." „Ein paar Wochen auf der anderen Seite der Welt", sagte Sondra verächtlich. „Außerdem war das nach Morag!" „Trotzdem, wir sind uns ziemlich nahegekommen." „Das kann ich mir vorstellen! Aber halten konnten Sie ihn nicht! Als Sie hierher nach London kamen, waren Sie allerdings schlauer, nicht wahr? Haben ihm die kalte Schulter gezeigt. Welch ein Theater!" Deborah atmete tief ein. „Es war kein Theater. Hören Sie, Sondra ... Ich weiß nicht so recht, wie ich es Ihnen sagen soll. Ich hoffe, Sie verzeihen mir eines Tages ... Simon und ich sind verheiratet." „Was?" „Ja. Meine Ringe sind beim Juwelier. Einer war zu groß. Es tut mir leid." „O nein, was habe ich getan?" flüsterte Sondra. „Sie haben mir nichts erzählt, was ich nicht schon wusste", erwiderte Deborah ruhig. „Außer... Hat Simon Ihnen Anlass gegeben zu glauben, er würde Sie heiraten?" Sondra ließ den Kopf auf den Tisch sinken und begann zu weinen. „Nein", schluchzte sie. „Im Gegenteil. Aber ich blieb hartnäckig, weil ich dachte, ich würde ihn schon noch für mich gewinnen. Und dann kam er vor ein paar Wochen zu mir und hat Schluss gemacht. Doch er sagte, er würde es nicht tun, um eine Beziehung mit Ihnen einzugehen." „Zu dem Zeitpunkt war das die Wahrheit, denke ich. Wir rechneten beide nicht damit,
so plötzlich zusammenzufinden." „Na, ich weiß nicht." Sondra stand auf. „Ich muss gehen. Seit wann sind Sie mit ihm verheiratet?" „Seit etwas über einer Woche." „So, hier sind sie." Beim Essen an jenem Abend zog Simon eine Schachtel mit Deborahs Ringen aus der Hosentasche. „Probier sie jetzt einmal." Deborah setzte den Trauring auf und schob den schönen Diamantring davor. Noch immer auf gewühlt von Sondras Besuch, blickte sie auf ihre Hand, dann fasste sie einen Entschluss und sah Simon an. „Danke, viel besser. Ich hatte heute einen Gast." „Das wundert mich. Von den Leuten, die ich kenne, sind die meisten zur Zeit in Urlaub." „Diese eine Person nicht." Deborah servierte die Paella, die sie ge macht hatte. „Und? Warum sagst du nicht einfach, wer es war?" Simon runzelte die Stirn. „Weil es ein bisschen ... Es war Sondra." Einen Moment lang war Simon ganz still. „Ich verstehe." Deborah setzte sich. „Ich erzähle es dir nur, weil es ohnehin herauskommen wird, wenn ihr euch begegnet. Und wenn vielleicht sonst nicht, wirst du zwangsläufig geschäftlich mit ihr zusammentreffen." „Offiziell ist Sondra auch gerade in Urlaub. Hat sie das erwähnt?" „Nein. Ich musste ihr sagen, dass wir verheiratet sind." „Hat sie dich beschuldigt, mich ihr ausgespannt zu haben?" Deborah bemerkte, dass Simon sie mit ernster, starrer Miene beobachtete. „Hör zu, es ist vorbei, deshalb ..." „Nein, ist es nicht, wenn sie dein Herz vergiftet", widersprach Simon rau. „Was hat sie gesagt?" „Das ist eine Sache zwischen Sondra und mir, und so wird es bleiben." „Fühlst du dich ihretwegen etwa immer noch schuldig?" „Wenn sich jemand schuldig fühlen sollte, dann wohl nicht ich!" entgegnete Deborah wütend. „Aber ich, meinst du?" „Ja." Sofort wurde ihr klar, dass sie es nicht wirklich glaubte. Simons Einstellung dazu hatte ihre Antwort provoziert. „Also hat Sondra ein bisschen Gift injiziert. Viel war nicht nötig, um dich zweifeln zu lassen." Und Simon warf Deborah einen durchdringenden Blick zu. „Warum reagierst du so?" fragte sie ungläubig. „Ich bin diejenige, die verstimmt sein sollte. Zu mir hat sie gesagt, du würdest dieses Haus als Andenken an Morag bewahren..." Deborah verstummte und sprang auf, während Simon freudlos über seinen Sieg lächelte. Blitzschnell hatte er sich ebenfalls erhoben und packte Deborah an den Armen, bevor sie an der Tür war. „Wehr dich nicht, dabei tust du dir nur weh", warnte er finster. „Ich würde niemals so etwas Lächerliches tun, wie ein Haus als Andenken an irgend jemand bewahren." „Aber du hast Sondra nie hier übernachten lassen." „Das hat sie dir auch erzählt? Es stimmt, allerdings hat sie dir wohl nicht verraten, dass wir, trotz ihrer Anspielungen, keine intime Bezie hung hatten." Deborah rang nach Luft. „Ich glaube dir nicht." „Es ist wahr." „Warum hast du mich denken lassen, dass es eine war?" „Glaub es oder nicht, ich versuchte, ihren Stolz zu retten. Es war ein bisschen schwierig, ihr zu widersprechen ... Oh, verdammt!" meinte Simon entnervt. „Setz dich, und hör dir die ganze Wahrheit über Sondra und mich an." Er holte Deborah ein Glas Wein. „Ich kenne Sondra seit Jahren", begann er. „Sie war eine Freundin von Morag, wir gehörten alle drei zu einer Clique. Nach ihrem Diplom fing
Sondra als Wirtschaftsprüferin in der Firma an, die meine Bücher führt, und wurde schließlich für mein Unternehmen zuständig. Das war ungefähr vor einem Jahr. Wir sahen uns daraufhin natürlich öfter im Büro, und allmählich trafen wir uns auch nach der Arbeit. Abendessen, Theater, solche Dinge. Und fast unmerklich entwickelte es sich weiter, bis wir von Bekannten als Paar eingeladen wurden, als Paar auftraten ..." Simon sah Deborah in die Augen. „Um ehrlich zu sein, ich habe mich manchmal über Sondras Geduld gewundert, denn weitere Annäherungsversuche von meiner Seite gab es nicht, aber mir passte es ganz gut so. Besonders stolz bin ich darauf nicht." Er zuckte die Schultern. „Und irgendwann begann ich mich zu fragen, ob Sondra vielleicht mehr für mich sein könnte." Eine spannungsgeladene kleine Pause folgte. „Dann bist du wieder in mein Leben getreten, und ich wusste sofort, dass es unmöglich war", fuhr Simon fort. „Da Sondra sehr zurückhaltend zu Werke ging und sich mir gegenüber als nüchterne, harte Karrierefrau gab, erkannte ich zu spät, welche großen Hoffnungen sie hegte und wie stolz sie war." „Und deshalb hast du ihr dann gesagt, du würdest die Beziehung nicht meinetwegen beenden?" flüsterte Deborah. „Nein, ganz so war es nicht. Sie beschuldigte mich, Schluss zu machen, um in deine Arme zu fliegen. Ich erklärte ihr, das sei höchst unwahrscheinlich. Das war zu der Zeit nicht gelogen, aber auch keine aufrichtige Antwort. Muss ich mich wegen Sondra schuldig fühlen? Ja, du hast recht, ich sollte. Und vermutlich ist das der Grund, warum ich nicht eher mit dir darüber gesprochen habe. Nur... Welchen Weg hättest du empfohlen, Deborah? Hätte ich Sondra ohne ein Wort verlassen sollen?" „Ich..." Deborah holte tief Luft. „Nein. Es tut mir leid. Soviel ist mit mir geschehen, und wenn mir ständig erzählt wird, dass du Morag nicht vergessen kannst..." „Deborah." Simon nahm ihre Hand. „Das hat Sondra zu mir auch immer gesagt, doch sie hat keine Ahnung... "Er zögerte. „Es ist etwas, das sie nicht versteht. Niemand tut das, nur du und ich." Sein trauriger Blick ließ Deborah erschauern. „Ich nehme an, deine Gefühle sind verletzt, weil ich dir nicht sage, dass ich dich mehr liebe, als ich Morag jemals geliebt habe. Ich wünschte, ich könnte es." Simon umfasste zärtlich Deborahs Gesicht, und einen Moment lang wurde die Trostlosigkeit zur Qual. „Doch ich glaube nicht an Erklärungen ewiger Liebe und ziehe es vor, sie zu leben, anstatt über sie zu reden." Ist das seine Art, einzugestehen, dass er niemals wieder eine Frau so lieben wird wie Morag? dachte Deborah. Nun, wenigstens weiß ich es jetzt. Vielleicht kann ich damit fertig werden... Simon zog seine Hände zurück. „Es war ein Fehler." „Mich zu heiraten?" flüsterte Deborah und traf eine schmerzliche Entscheidung, die ihr jedoch seltsamerweise Frieden gab. „Ich bereue es nicht." Sie drängte die Tränen zurück und lächelte gequält. „Ist dies ein weiteres ruiniertes Abendessen?" War es. Weil Simon sie nach oben ins Schlafzimmer führte und wundervoll liebte und in seinen Armen hielt, bis sie einschlief. Am nächsten Morgen hatte Deborah wieder Besuch, doch diesmal einen erfreulichen. „Annabel!" rief sie, als sie die Tür öffnete. Die beiden Frauen umarmten sich und gingen in die Küche, wo sie gemütlich Kaffee tranken. „Woher weißt du, dass ich jetzt hier wohne?" „Von dir nicht!" erwiderte Annabel vorwurfsvoll. Deborah drehte verlegen ihre Ringe. „Es ist alles so schnell gegangen." „Das ist mir schon klar!" Annabel lachte. „Simon rief mich an. Er meinte, ich würde es sicher gern wissen, bevor ich es in der ,Times' lese - die Anzeige erscheint morgen. Und jetzt erzähl mir alles!" Deborah ließ vieles aus, und die andere junge Frau bewies, dass sie nicht nur eine kluge, sondern auch eine echte Freundin war, denn sie fragte nicht nach. Statt dessen berichtete
sie eigene Neuigkeiten. „Ich reise nach Scone!" „Scone in Australien?" „Genau das. Paul fährt in zwei Monaten nach Hause und hat mich eingeladen. Um mich seinen Eltern vorzustellen, glaube ich. Meine haben ihn schon kennengelernt." „Und? Sind sie einverstanden? Ist es inzwischen so ernst?" „Sie mögen ihn, aber sie hätten es lieber gesehen, wenn ich jemand hier in ihrer Nähe heiraten würde", erwiderte Annabel. „Na, sie haben ja noch vier andere Töchter, an denen sie ihre mütterlichen und väterlichen Gefühle auslassen können. Ricky ist auch noch da. Und ja, Paul und mir ist es ernst, obwohl wir über Heirat noch nicht gesprochen haben. Seltsam, der gutaussehende, verwegene Polospieler ist ein sehr seriöser Mann, der nichts überstürzt. Wohlgemerkt, er hat keine Chance, mir zu entkommen, er weiß es nur noch nicht." Deborah kicherte, dann lachten sie beide. „Hoffentlich ist Ricky nicht... nun, wahrscheinlich hat er inzwischen sowieso schon eine andere." „Er wird am Boden zerstört sein, aber nur für ein paar Wochen", erwiderte Annabel. „Er ist ohnehin noch viel zu jung zum Heiraten, und ich habe ihm von Anfang an gesagt, dass du nicht die Richtige für ihn bist." „Danke - soll ich jetzt beleidigt sein oder nicht? Nein, ich habe ihm das ja selbst klargemacht, nur mochte ich ihn trotzdem gern." „Darling, es war immer offensichtlich, dass die Sache zwischen dir und Simon etwas weit außerhalb der Jugendliga ist, in die Ricky zweifellos noch gehört." „Manchmal wünschte ich, noch in seiner Liga zu sein", stieß Deborah unwillkürlich hervor. „Lass mich raten. Es gibt da einige Geister, die schwer zu bannen sind?" fragte Annabel. „Nein, sprich nicht darüber, wenn du nicht willst. Nur eins: Ich war seltsamerweise einer der wenigen Menschen, die Morag nicht mochten. Und als alle davon redeten, wie unähnlich du ihr seist, habe ich dem im Hinblick auf Simons Interesse an dir keine Bedeutung beigemessen. Tatsächlich ärgerte es mich und führte dazu, dass ich dich kennenlernen wollte." „Danke", flüsterte Deborah. „Nun hör aber auf! Da du die ganze Woche freihast, schlage ich vor, wir gehen morgen mittag zusammen essen. Wir takeln uns richtig auf und besuchen ein Restaurant, wo uns all die wichtigen Leute sehen - nun, so viele, wie zu dieser Jahreszeit in London sind - und ich werde mit meiner Freundin, Mrs. Deborah Macquarie angeben!" Deborah zögerte. „Eins noch, bevor wir das Thema beenden", sagte Annabel sanft. „Es gibt ein paar Geister, die nur du allein bannen kannst, und Sondra gehört zu ihnen." „Ich... Vielleicht hast du recht. Nochmals danke", erwiderte Deborah. „Ich habe mich heute zu einem ausgiebigen Einkaufsbummel verführen lassen", sagte Deborah am nächsten Abend. Es war ein herrlicher Sommertag gewesen, und Simon hatte aus dem Büro angerufen und gefragt, ob sie nicht auswärts essen wollten. Und so fuhren sie jetzt in dem Jaguar, den Picton aus Schottland überführt hatte, zu einem Gartenrestaurant. „War mir doch so, als hätte ich das Kleid noch nicht gesehen." Simon lächelte in sich hinein. „Du hast mir hoffentlich gestattet, es zu bezahlen?" Deborah blickte reumütig an sich hinunter. Es war ein sandfarbenes Strickschlauchkleid, kurz, mit kurzen Ärmeln und einem runden tie fen Ausschnitt. Sie trug dazu eine Bernsteinkette und hatte ihr Haar locker hochgesteckt. „Ja, eine unglaubliche Summe für das bisschen Stoff. " „Du siehst darin aber sensationell aus. J5u welchen Anschaffungen hast du dich noch verführen lassen?" „Na ja, um ehrlich zu sein, brauchte ich nicht lange überredet zu werden. Annabel ist
mit mir in dieses wundervolle Wäschegeschäft gegangen..." Simon stöhnte. „Dafür habe ich mein eigenes Geld ausgegeben", sagte Deborah schelmisch. „Das meinte ich nicht." Simon legte seine Hand auf ihre. „Kann ich damit rechnen, dass du heute abend zum Schlafengehen etwas sehr Erotisches trägst?" „Ich trage im Moment neue Unterwäsche, die ziemlich sexy ist." Deborah lachte über seinen Gesichtsausdruck. „Nein, ich ziehe dich nur auf. Nichts davon ist besonders aufreizend, es sind einfach schöne Stoffe, Spitzen und Biesen und so. Vielleicht sollten wir dieses Gespräch nicht weiterführen", fügte sie hinzu, als Simon seine Hand auf ihren Oberschenkel gleiten ließ, dorthin, wo das Kleid endete. „Um zu verhindern, dass wir bald beide magersüchtig aussehen, weil wir ständig unser Abendessen stehenlassen? Ich bin ganz deiner Meinung." Doch er zog seine Hand nicht zurück. Deborah kam plötzlich ein Gedanke, und sie errötete. „Ich wollte nicht provozierend sein." Nun nahm Simon die Hand fort, aber er streichelte flüchtig Deborahs Wange, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder ganz dem Fahren widmete. „Ich finde nichts dabei, wenn ein Ehepaar über Unterwäsche spricht, außerdem..." Er wartete, bis ihn Deborah ansah. „... genieße ich es noch immer, eine Frau zu haben, die man zum Erröten bringen kann." Sie verzog das Gesicht, aber es wurde ein gemütlicher, unbeschwerter Abend. Sie erzählte ihm, wie gut sie sich mit seiner Putzfrau verstehen würde, welch gute Freundin Annabel sei und wie sehr sie Yvette vermisse. „Ich glaube, ich könnte nicht den ganzen Tag nur zu Hause sitzen", sagte Deborah nachdenklich, „aber ein Heim zu haben, an das ich bei der Arbeit denken kann, ist wundervoll." „Das freut mich", erwiderte Simon. „Es tut mir leid, dass unsere Flitterwochen so kurz waren. Wir machen einfach irgendwann eine zweite Hochzeitsreise, ja?" „Erzähl mir mehr von deiner Arbeit. Wolltest du nicht nach Japan fliegen?" „Ich habe jemand hingeschickt. Wir haben an dem Tag, an dem ich fliegen sollte, geheiratet. Arbeit? Nun, du hast die Brennerei in Cognac gesehen, hauptsächlich leite ich das Unternehmen jedoch von London aus, obwohl ich auch Büros in Bordeaux und Edinburgh habe. Zum Konzern gehören jetzt noch andere Firmen, Weinkellereien zum Beispiel. Wir haben gerade eine Keramikfabrik gekauft, deshalb habe ich zur Zeit soviel zu tun. Das interessiert dich doch sicher. Sobald ich mir einen Tag freinehmen kann, fahre ich mit dir dorthin." „Danke!" sagte Deborah begeistert. Kurz darauf fuhren sie nach Hause. Während Simon nach dem Faxgerät sah, ging Deborah schon nach oben und zog eins ihrer neuen Nachthemden an. Es war weiß, nur am Ausschnitt und Saum war es mit schmalen schwarzen Bändern durchzogen. Sie hatte es sich gerade über den Kopf gestreift, als sie ein Geräusch an der Tür hörte. Deborah drehte sich um und sah Simon dort stehen und sie beobachten. Er ließ den Blick über das Nachthemd gleiten, dann sagte er: „Es ist wunderschön, doch was du gerade getan hast, wird in Kürze rückgängig gemacht werden." Deborah erschauerte unter dem verlangenden Ausdruck in seinen Augen. „Ich habe nichts dagegen." Er lächelte. „Eine gefällige Ehefrau bist du auch. Komm her." Sie ging zu ihm. Bevor er sie berührte, fragte er: „Wird es leichter, mit mir verheiratet zu sein?" „Ja.“ Aber als der Herbst kam, begann die Ehe - wenn auch zuerst fast unmerklich in die Brüche zu gehen. Zum einen stellte Deborah fest, dass Simon arbeitsbesessen war. Und als sie ihn deswegen einmal neckte und ironisch sagte, sie würde ihn zu gern einmal ein ganzes Jahr an einen Ort entführen, wo es keine Arbeit gäbe, glaubte sie einen Moment lang wieder
diese Niedergeschlagenheit in seiner Miene zu sehen. Tatsächlich bekam sie das Gefühl, dass es mit jener Bemerkung anfing, bergab zu gehen. Warum, konnte sie sich nicht erklären. Denn ihr Liebesleben änderte sich nicht. Es blieb knisternd erotisch, zärtlich, liebevoll. Und immer war es für Deborah Trost und Beruhigung, neben Simon aufzuwachen, in seinen Armen zu liegen, ihn zu spüren. Und es war etwas, das sie brauchte, während ein einsamer Tag dem nächsten folgte. Einsam, obwohl sie für Yvette arbeitete. Auch wunderte sich Deborah, dass Simon nicht auf Reisen ging, denn deshalb wollte er doch, dass sie nur Teilzeit arbeitete. Aber dann musste er nach New York, und sie konnte ihn nicht begleiten, weil sie Grippe hatte. Simon wollte nur fünf Tage weg sein, bestand jedoch darauf, Grace aus Schottland einzufliegen, damit sie sich um Deborah kümmerte. Und Yvette kam täglich vorbei. „Das ist wirklich nicht nötig", sagte Deborah einmal heiser zu Madame. „Ich bin sehr wohl imstande, meine Grippe alle in auszukurieren." „Einem geschenktem Gaul schaut man nicht ins Maul," entgegnete Yvette streng. „Ich denke, der Gedanke, dass du allein hier röchelst, macht Simon nervös. Übrigens, gefällt dir, wie ich dieses Haus eingerichtet habe?" „Sehr... Yvette, warum hast du mir nie von Morag erzählt? Du musst doch gewusst haben, warum der Klatsch blühte - weil sie und ich so verschieden sind." „Cherie, Morag oder nicht, dass du die Richtige für Simon bist, war mir von dem Moment an klar, als du dich nur um Haaresbreite zurückhieltest, ihm ein Glas Sherry ins Gesicht zu schütten." Deborah musste lächeln. „Hat er nicht mit dir darüber gesprochen?" „Doch. Ich frage mich nur manchmal..." „Sei nicht albern! Und jetzt sieh dir meine Entwürfe an. Du kannst mir ganz ehrlich sagen, was du denkst." „Ich glaube, Simon hatte recht", meinte Deborah einige Minuten später. „Es fehlen nur ein oder zwei Jaschmaks. Aber..." fügte sie boshaft lächelnd hinzu, während Yvette schon entrüstet den Mund öffnete, „ sie sind sensationell gut!" Madame regte sich ab. Dann sagte sie: „Weißt du, ich mag dich viel lieber, als ich Morag jemals mochte." Das sind zwei, dachte Deborah an diesem Abend. Aber Grace mochte Morag offenbar sehr. Merkwürdig ... An dem Tag, an dem Simon nach Hause kommen wollte, rief er an und erklärte, noch vier Tage länger bleiben zu müssen. Deborah holte tief Luft und schlug vor, zu ihm nach New York zu fliegen. Es ging ihr viel besser, und sie hatte Grace zurück nach Schottland geschickt. Simon zögerte, dann lehnte er seltsam angespannt und müde klingend ab. Nein, er würde so beschäftigt sein, dass es kein Vergnügen und erst recht keine Erholung für Deborah sein würde. Nachdenklich legte sie den Hörer auf und verließ das einsame Haus, um Yvette im Atelier zu besuchen. Dort wurde Deborah gedrängt, einige der neuen Modelle anzuprobieren. Als die Assistentin kam und sagte, im Laden verlangten zwei anscheinend sehr reiche Frauen, Kleider zu sehen, bat Madame Deborah, die Modelle vorzuführen. Deborah folgte Yvette zum Empfangsraum, wo die beiden Kundinnen Kaffee tranken. An der Tür blieb Yvette so unvermittelt stehen, dass Deborah fast auf sie prallte. Dann ging Yvette weiter und sagte kalt: „Ach, Iris. So trifft man sich wieder." Eine sehr gepflegte, teuer gekleidete Frau mittleren Alters erwiderte ebenso kühl: „Ja, Yvette." Ihr Blick glitt an der Designerin vorbei zu Deborah. „Wollen Sie mich nicht vorstellen? Egal, ich tue es selbst." Die Frau stand auf. „Sie müssen Deborah sein. Dies ist meine zukünftige Schwiegertochter, Fiona. Mich kennen Sie wahrscheinlich schon
wegen meiner Tochter ... Morag." Deborah war im Begriff gewesen, die Hand auszustrecken, doch statt dessen blickte sie nun zu Yvette. Einen Moment lang hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Gelassen fuhr Iris fort: „Fiona möchte für ihre Aussteuer unbedingt ein Kleid von ,Ihnen, Yvette. Nun, warum nicht, dachte ich und fragte mich, ob ich auf die Art Simons neue Frau kennenlernen würde. Du meine Güte, da ist überhaupt keine Ähnlichkeit, nicht wahr?" „Nein, keine", erwiderte Yvette mühsam beherrscht. „Ich glaube nicht, dass zwei junge Frauen verschiedener sein können." Ein bösartiger, heimtückischer Ausdruck trat in Iris' Augen. „Hat es dich nicht gefreut, dass niemand den Mut hatte, zu sagen: Simon Macquarie versucht, Morag Wallace durch eine Frau zu ersetzen, die ihn auf keinen Fall an sie erinnern wird?" „Nein, es hat mich nicht gefreut, weil es sowieso nicht wahr ist. Und nun zu Ihnen, meine liebe Fiona ..." Yvette wandte sich der ungefähr zweiundzwanzigjährigen jungen Frau zu, die mit verblüffter Miene noch immer auf einem der vergoldeten Stühle saß. „Wenn Sie wirklich meine Modelle kaufen möchten, kommen Sie allein zu mir. Au revoir, meine Damen." Yvette schob Deborah vor sich her aus dem Zimmer. „Was..." „Ich bin so wütend, ich könnte sie umbringen, aber du wirst es einfach ignorieren, Deborah!" befahl Yvette. „Wie kann ich das?" Deborah wusste nicht, wie blass sie geworden war. „Ich rufe sofort Simon in New York an. Das muss jetzt endlich ein Ende haben." „Was muss ein Ende haben? Meinst du, ich weiß nicht, wie sehr er sie geliebt hat?" Deborah schlug die Hände vors Gesicht. „Um das zu wissen, brauchte ich Morags Mutter nicht kennenzulernen. Jeder sagt es mir." „Ich habe es nie gesagt!" Yvette zog das Telefon heran, wählte und sprach offenbar mit Simons Sekretärin. Dann legte Yvette wütend den Hörer auf. „Er ist im Moment nicht zu erreichen. Dummes Mädchen! Glaubt dieses Ding, mich abspeisen zu können?" „Wenn du Simon damit belästigt, spreche ich nie wieder ein Wort mit dir!" drohte Deborah. Sie blickten sich wütend an. „Und was willst du tun?" fragte Yvette schließlich. „Nichts. Was soll ich denn machen?" „Du hast schon einmal deine Koffer gepackt und zu mir gesagt, du hättest Australien überhaupt nicht verlassen dürfen. Komm und iss heute abend mit Oswald und mir." „Nein, ich erwarte Annabel zum Abendessen", log Deborah und rang sich ein Lächeln ab. „Übrigens hat sie sich in einen Landsmann von mir verliebt." Yvette sah Deborah forschend an, dann lächelte sie widerstrebend. „Es muss ansteckend sein." Doch das einsame Haus war zuviel für Deborah. Noch schlimmer wurde es durch Janes Brief, der an diesem Tag gekommen war. Jane äußerte sich begeistert über Deborahs Heirat und wartete mit der Neuigkeit ihrer eigenen auf. Das beiliegende Hochzeitsfoto zeigte zwei glückstrahlende Verliebte. Deborah wanderte mit der Aufnahme in der Hand durch das Haus, aber schließlich befahl sie sich, einmal objektiv über den ersten Monat ihrer Ehe nachzudenken, und setzte sich dazu auf die Treppe. Und im Grunde ihres Herzens musste sie zugeben, dass sie sehr viel mehr hätte überlegen sollen, bevor sie Simon Macquarie heiratete. Allerdings hatte er starken Druck auf sie ausgeübt. Das bedeutete doch gewiss etwas? Dann fiel ihr ein, was ihre Mutter einmal zu ihr gesagt hatte: Bei Männern weiß man nie, nicht einmal beim besten ... Nun, er hat mich schließlich nicht heiraten müssen, um mich ins Bett zu bekommen, dachte Deborah. Und wenn Simon diese Ehe tatsächlich nur eingegangen ist, weil er sich körperlich zu mir hingezo gen fühlte und sowieso vorhatte zu heiraten - wusste er denn,
was er bekam, abgesehen davon, dass ich ihn nicht an Morag erinnern würde? Ich weiß ja selbst noch nicht einmal, was für eine Ehefrau ich tatsächlich abgeben werde. Das schien den Kern des Problems zu berühren. Deborah gestand sich ein, nicht ganz die weltkluge, ausgeglichene Frau zu sein, für die sich gehalten hatte. Ich bin still, sogar unsicher geworden, kritisierte sie sich. Suche verzweifelt nach Bestätigung und vergrabe mich zu Hause, um Trost zu finden. Macht mich das ständige Bewusstsein hilflos, dass ich so ganz anders bin als Morag? Deborah räumte ein, dass sie trotz allem eine sehr häusliche Ehefrau war und immer stolzer auf ihr Heim wurde. Störte Simon das? Wenn ja, warum versuchte er nicht, sie zu ändern? Und warum führte sie überhaupt so ein zurückgezogenes Leben? Vor der Hochzeit hatte sich Simon anders geäußert. Wartete er vielleicht darauf, dass sie sagte, sie wolle ein Kind, damit er sie nach Mull abschieben konnte? Dann würden wir eine dieser Ehen haben, in denen die Frau mit dem Haus und den Kindern beschäftigt ist und der Mann kommt und geht, wie er will, dachte Deborah. Wie würde ich mich dann fühlen? Sie stand auf und beschloss, ins Kino zu gehen, bevor sie noch länger grübelte und sich einredete, dass Simon die Heirat bereute. Deborah sah sich eine Doppelvorführung an und kam spät nach Hause. Am nächsten Morgen war sie mit Annabel und Paul zum Reiten verabredet und verbrachte schließlich den ganzen Tag mit den beiden bei einem Springturnier. Gegen sechs Uhr abends kehrte Deborah auf eine angenehme Art müde und in besserer Gemütsverfassung zurück und traf auf Simon, der offensichtlich auf sie gewartet hatte. Mit eiskaltem Blick fragte er finster: „Wo, zum Teufel, bist du eigentlich gewesen?"
9. KAPITEL
Simon trug einen dunklen Anzug, ein blaues Seidenhemd und eine grau-blaue Krawatte und sah wie ein mächtiger, einflussreicher Mann aus, der gewöhnt war, sich durchzusetzen. „Du erwartest doch sicher nicht, dass ich die ganze Zeit nur zu Hause sitze, wenn du auf Geschäftsreise bist?" entgegnete Deborah. „Nein. Aber ich erwarte, dass du um Mitternacht zu Hause bist", gab er wütend zurück. „Willst du damit sagen, du vertraust mir nicht?" „Wenn du mir nicht erzählst, wo du warst, kann ich das nicht wissen, oder? Ich habe gestern den ganzen Abend lang immer wieder angerufen, bis ich um Mitternacht ins Flugzeug gestiegen bin. Und als ich ankam, warst du auch nicht zu Hause. Dass du Annabel zum Abendessen bei dir hattest, war wohl eine Lüge? Eine, die in der Familie blieb?" „Woher weißt du das?" Deborah errötete, als sie daran dachte, wie sie Yvette angelogen hatte, dann begriff sie - zu spät. „Also hat sie dich angerufen?" „Yvette? Ja. Sie sagte, du hättest dich über die Begegnung mit Morags Mutter sehr aufgeregt. Deshalb bin ich hier, doch Yvette scheint sich geirrt zu haben. Oder, Deborah?" Simon musterte sie von oben bis unten. Sein Blick war anmaßend und unverschämt. „Ich hatte einfach... genug. Was möchtest du denn glauben, Simon? Dass ich bei einem anderen Mann war? Meinetwegen, such dir einen aus - ach, natürlich, wie dumm von mir! ,Eine Lüge, die in der Familie blieb.' Den Seitenhieb habe ich nicht berücksichtigt. Du dachtest, ich wäre bei Ricky gewesen, nicht wahr? Warum nicht?" „Treib keine Spiele mit mir", warnte Simon. „Sag mir, wo du warst." „Nein." Deborah war schneeweiß im Gesicht, doch ihre Augen funkelten wütend. Er trat drohend einen Schritt auf sie zu. „Und du wirst mich nicht soweit bringen, es zu tun", fügte sie trotzig hinzu. „Abwarten. Nebenbei bemerkt, wenn ich dieser Ehe überdrüssig bin, lasse ich es dich wissen, aber bis dahin leben wir weiter wie bisher." „O nein, das werden wir nicht!" sagte Deborah ungläubig. „Und wenn du glaubst, du kannst irgend etwas erzwingen ..." „Erzwingen, nein", unterbrach Simon sie fast sanft. „Allerdings können wir einfach die Probe machen: Weckt Ricky solche Empfindungen in dir, wie ich es tue?" „Simon", flüsterte sie, als er sie in seine Arme zog, „das ist nicht fair." „Ach, nein? Kennst du nicht den Spruch über Liebe und Krieg?" Er neigte den Kopf, um sie zu küssen. Deborah versuchte, sich zu wehren, doch Simon hob sie hoch und trug sie nach oben in das pfirsich- und elfenbeinfarbene Schlafzimmer. Er hielt sie einfach fest, bis sie zu kämpfen aufhörte, dann entkleidete er sie. Ihr Atem ging ein wenig schneller, und Simon lächelte. Es machte Deborah wieder wütend, und sie sagte sich, dass sie ihn hasste, aber es war unmöglich, nicht auf seine Liebkosungen zu reagieren. Er küsste abwechselnd ihre Brustspitzen, und Deborah umfasste leise stöhnend seine Schultern. Dann wurde es zu einem Machtkampf, denn Deborah erwiderte seine Zärtlichkeiten Schritt für Schritt, weil sie das alles verzehrende Verlangen spürte, Simon zu zeigen, dass sie mit gleicher Münze zurückzahlen konnte. Ihr Gefühlssturm schien sich in einer aufreizenden Sinnlichkeit auszudrücken. Deborah verführte Simon, bereitete ihm Lust, während sie gleichzeitig hilflos der Lust ausgeliefert war, die er in ihr weckte, bis die Spannung zwischen ihnen unerträglich wurde und es nur eine Erlösung gab. Die körperliche Erfüllung ließ Deborah aufschluchzen, Frieden im Herzen schenkte sie ihr nicht. Und Simon anscheinend auch nicht. Zwar hielt er Deborah in den Armen, bis die Tränen versiegten, dann jedoch stand er auf, zog Jeans an und stellte sich mit dem Rücken zu ihr ans Fenster.
Schließlich drehte er sich um und sagte ausdruckslos: „Schlaf jetzt. Ich muss noch arbeiten." Er ging hinaus und schloss die Tür. Deborah presste das Kopfkissen an sich und weinte bitterlich. Während der nächsten beiden Wochen sahen Deborah und Simon sich kaum, und wenn, sprachen sie so gut wie nicht miteinander. Er versuchte, sie nicht anzurühren, und schlief im anderen Schlafzimmer. Deborah kümmerte sich weiter um sein Haus, kochte, gab seine Sachen in die Reinigung. Doch bei allem hatte sie das Gefühl, gar nicht lebendig zu sein. Da Yvette wieder verreist war, konnte sich Deborah nicht mit Arbeit ablenken, andererseits war sie dankbar, weil sie wahrscheinlich unfähig gewesen wäre, Yvette zu täuschen. Es gab nur die Möglichkeit, Simon zu sagen, dass sie nicht bei Ricky oder irgendeinem anderen Mann gewesen war, aber im Grunde ihres Herzens wusste Deborah, dass es nicht so einfach war. Warum war Simon nach Yvettes Anruf sofort aus New York zurückgekehrt? Warum sollte er dermaßen eifersüchtig sein, wenn der Ursprung dieser Sache auf Morag zurückging, darauf, dass er sie nicht vergessen konnte? Und warum war er fest entschlossen, mit ihr, Deborah, verheiratet zu bleiben, wenn er ihre Moral anzweifelte? Die wahrscheinlichste Antwort schien zu sein, dass er, da er diese Ehe nun einmal eingegangen war, ein Scheitern nicht akzeptieren wollte. Ist die Ehe gescheitert? dachte Deborah gequält. Warum bleibe ich bei ihm? Weil ich Simon immer noch liebe? Eine Närrin bin? Oder hat er jeden Widerstand in mir gebrochen, so wie es sein Vater mit seiner Mutter machte? Es waren auf den Tag zwei Wochen vergangen, als Deborah einen entlaufenen jungen Hund fand. Vielmehr fand er sie. Er folgte ihr und blieb vor dem Haus sitzen, bis sie ihn hereinließ. Es war ein ungefähr fünf Monate alter Labradorwelpe. Alle Bemühungen, den Besitzer aufzuspüren, schlugen fehl, und ein paar Tage später wohnte er immer noch bei ihr. Simon war in Frankreich und wusste nichts von dem neuen Hausgenossen. An einem kalten, stürmischen Nachmittag kam Simon zurück. Er schloss die Tür auf und stand vor einem fremden, laut bellenden Hund, der offensichtlich glaubte, die innig geliebte und wichtigste Person in seinem Leben beschützen zu müssen - Deborah. „Was, zum Teufel...?" „Sam!" Deborah packte den Hund an seinem neuen Halsband. „Das darfst du nicht. Das ist Simon, er wohnt auch hier." Sam gab nach, knurrte jedoch weiter leise. „Danke", sagte Simon bissig. „Ist dies eine Methode, dich vor irgendwelchen Vergewaltigungsplänen zu schützen, die ich vielleicht hege?" Errötend verzichtete Deborah darauf, ebenso ironisch zu antworten. „Nein. Er ist mir zugelaufen." „Dann bringst du ihn besser ins Tierheim. Ich habe nicht vor, mich in meinem eigenen Haus anbellen und beißen zu lassen." „Simon... darf ich ihn behalten?" Er musterte sie von oben bis unten. „Komm doch mit nach unten in die Küche", fuhr Deborah hastig fort. „Ich koche dir Tee. Du siehst ganz erfroren aus... und Sam fühlt sich in der Küche am wohlsten." „Gern, wenn es bedeutet, dass er mich anzuknurren aufhört", antwortete Simon spöttisch. Sam tat es, ließ aber Simon keine Sekunde lang aus den Augen. Deborah machte schnell Tee und erklärte beim Einschenken: „Ich habe im Tierheim angerufen, Anzeigen in verschiedene Zeitungen setzen lassen und Zettel an Schaufenster hier in der Gegend geklebt. Nie mand hat sich gemeldet. Sam ist sehr anhänglich, stubenrein, und..." Sie seufzte. „Du hast dich in ihn verliebt", sagte Simon. „Ein bisschen. Es ist manchmal einsam hier", flüsterte sie. „Was, wenn er sich nie an mich gewöhnt?"
„Wird er, solange du ..." „Solange ich keine Feinseligkeit dir gegenüber zeige, Deborah?" „Versuchst, dich mit ihm anzufreunden." „Und wie soll ich mich mit seiner Herrin anfreunden?" fragte Simon trocken. Das war zuviel. „Wenn du das nicht weißt, dann lass es!" Er stand auf, „Schön, Sam. Falls wir uns einig werden, darfst du bleiben. Keine Dummheiten mehr." Ob es nun sein Tonfall war oder seine autoritäre Art, jedenfalls ließ sich Sam nach wenigen Sekunden von Simon streicheln und folgte ihm sogar nach oben. Deborah blieb allein zurück und blickte in ihre Teetasse, ohne etwas zu sehen. Zwei Tage später teilte Simon ihr beim Frühstück mit: „Wir sind heute abend zum Essen eingeladen. Halb acht. Es ist formell, ich werde einen Smoking tragen. Du kennst die Carringtons noch nicht, aber bei ihnen zu essen bedeutet: Silberservice, Butler, mindestens dreißig Personen und Abendkleidung. Tut mir leid, dass ich es dir so kurz vorher sage, ich hatte es vergessen. Vielleicht könnte dir Yvette helfen, sie würde wissen, welches Kleid richtig ist." Deborah ignorierte die Andeutung, dass sie so etwas möglicherweise nicht wusste. „Du erwartest, dass wir als Ehepaar ausgehen, obwohl wir kaum miteinander reden?" „Nicht nur das, sondern auch nicht miteinander schlafen. Ja, genau das meine ich." Simon lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und beobachtete, wie Deborah die Röte ins Gesicht stieg. „Anscheinend hast du diese Entscheidung für uns beide getroffen." „Ich gebe dir Bescheid, wenn ich bereit bin, sie zu ändern." „Sei nur nicht so sicher, dass ich sie nicht ändern werde, Simon." „Beim letztenmal ist es ein bisschen anders gekommen", erwiderte er ironisch. Während Deborah ihre Fassung wiederzufinden versuchte, fuhr er fort: „Solange du bleibst, bietest du dich als eine Art Geisel an, weißt du." „Ist es das, was du willst? Soll ich gehen?" flüsterte sie. „Obwohl du gesagt hast..." „Ich kann dich nicht an mich ketten. Deshalb wäre es interessant, wenn ausgerechnet du bleiben und dir dies gefallen lassen würdest." „Du kennst mich nicht, das habe ich dir schon einmal gesagt. Falls es dich tröstet, eine gewisse Verwirrung ist wahrscheinlich der Grund, warum ich noch hier bin. Aber jetzt hast du ja klargemacht..." „Ich habe nichts klargemacht", unterbrach Simon sie scharf. „Außer einem: Wenn du bleibst, werden wir wieder in jedem Sinne des Wortes ein Ehepaar sein." Er stand auf. „Ich frage mich, ob ich dich heute abend sehe." Und er ging hinaus. Zwei Minuten lang kämpfte Deborah gegen einen heftigen Wutanfall, doch nachdem sie sich beruhigt hatte, gelangte sie zu dem Schluss, dass sie auf die Probe gestellt wurde. Nun, sie würde dabei nicht die Verliererin sein. Also stattete Deborah der inzwischen zurückgekehrten Yvette einen Besuch ab und erklärte, für welchen Anlass sie ein Kleid brauchte. „Dieses bezahle ich", fügte Deborah mit einem matten Lächeln hinzu. „Die Carringtons? Sehr elegant..." überlegte Yvette laut. „Ich weiß genau das richtige Kleid." Es war schwarz, eng, trägerlos und war von oben bis unten mit Pailletten bestickt. Dazu gehörte ein langer grauer Satinmantel mit hochstehendem Kragen. Von Yvette aus ging Deborah in den Schönheitssalon und danach zum Friseur. Entschlossen ignorierte sie die innere Stimme, die fragte, warum sie das alles tat. Doch kurz nachdem Deborah sich am Abend angezogen hatte, passierte etwas, das ihr fast das Herz brach und sie beinahe wirklich davonlaufen ließ. Als sie Simon die Haustür auf schließen hörte, wusste sie, dass sie nicht noch ein Wortgefecht mit ihm ertragen würde, und trat aus dem pfirsichfarbenen Schlafzimmer, während er die Treppe heraufkam. „Tut mir leid, dass es so spät geworden ist. Ich bin in wenigen Minuten fertig. Wir müssen
noch ein älteres Ehepaar abholen. Du siehst..." Simon zögerte. „... phantastisch aus", fuhr er leise fort und verschwand in seinem Zimmer. Deborah stand mit einem Aperitif in der Hand unter einem Kronleuchter in dem zweifellos imposanten Haus der Carringtons. Maud Carrington plauderte sehr liebenswürdig mit ihr, wandte sich jedoch Simon zu, sobald dieser zu ihnen trat. „Simon! Sie und Deborah sind ein wunderschönes Paar! Sind Sie gekommen, um Ihre Frau für sich zu beanspruchen? Ich nehme es Ihnen nicht übel, aber ich muss Sie warnen Sie werden beim Essen nicht neben ihr sitzen." Maud ging davon, um sich unter ihre anderen Gäste zu mischen. „Sie ist nett", sagte Deborah. „Ja. Was ist?" Deborah blickte Simon verunsichert an, der in seinem Smoking so groß und vornehm aussah, und ihre Nervosität nahm noch zu. „Nichts. Mache ich etwas falsch?" „Nein. Du wirkst nur ein bisschen verloren." Was erwartest du denn? dachte sie, erwiderte jedoch ironisch: „Entschuldige, ich werde versuchen, heiterer zu sein." „Deborah ..." Simon sprach nicht weiter, da in diesem Moment zu Tisch gebeten wurde. Sie sah ihn verärgert die Lippen zusammenpressen und schauderte, weil es nur gegen sie gerichtet sein konnte. Beim Essen saß Deborah zwischen zwei älteren Gentlemen, die ihr galant Komplimente machten. Simon war zwischen eine nervöse Opersängerin und eine Frau, die ausgesprochen laut lachte, gesetzt worden. Jedesmal, wenn Deborah den Tisch entlangblickte, stellte sie fest, dass Simon sie beobachtete. Und gegen Ende des Abends dachte sie plötzlich: Ich hätte dies nicht tun sollen. Ich muss den Mut finden, zu gehen. Und den Mut, ihm zu sagen, warum. Im Auto war keine Gelegenheit dazu, da sie das ältere Ehepaar, das sie abgeholt hatten, auch wieder nach Hause brachten. Doch zurück in dem Haus am Onslow Square ging Deborah nicht sofort nach oben, sondern in den großen Salon, wo sie die Lampen einschaltete und die Vorhänge zuzog. Würde Simon kommen? Er tat es nach wenigen Minuten und fragte stirnrunzelnd: „Wo ist das Hundebaby?" „Sams Besitzer haben ihn vorhin abgeholt. Sie waren verreist und wussten bis heute nicht, dass er den Leuten, die sich um ihn kümmerten, weggelaufen war. Denen war überhaupt nicht eingefallen, beim Tierheim anzurufen." „Also deshalb siehst du aus, als ob dir das Herz gebrochen wäre." Deborah blickte Simon endlich an. „Ich bin traurig, aber ich werde wohl darüber hinwegkommen. Simon ..." „Bist du im Begriff, mir zu sagen, dass du über etwas anderes nicht hinwegkommen wirst? Ich weiß, was uns wieder auf den richt igen Kurs bringt: Geh mit mir ins Bett, Deborah. Vergessen wir den ganzen Unsinn." Ihre Lippen zitterten. „Wie kannst du nur? Wie ..." „Wir wissen beide, wie", höhnte Simon. „Soll ich es dir erklären? Na gut, warte..." „Nein", flüsterte Deborah. „Warum forderst du mich dazu heraus, dich zu verlassen? Nicht, dass es noch wichtig ist. Du hast es geschafft. Ich weiß wirklich nicht, warum unsere Ehe gescheitert ist, denn ich war zu akzeptieren bereit, dass ich in deinem Herzen niemals den gleichen Platz einnehmen werde wie Morag. Doch dies ertrage ich nicht. Vielleicht willst du es nicht hören, und eigentlich solltest du es ohne hin wissen, aber... ich liebe dich. Deshalb bin ich geblieben. Und weil ich wahrscheinlich blind und dumm bin und weniger welterfahren, als du vielleicht glaubtest. Vielleicht auch, weil ich dachte, irgendein Zuhause sei besser als gar keins. Nun, heute abend habe ich die Botschaft endlich voll und ganz begriffen. Es genügt dir nicht, oder? Du willst nur weitermachen, weil du ein solches und so schnelles Scheitern deiner Ehe nicht zugeben kannst." Simon stand reglos schweigend da, außer einem finsteren Ausdruck in den Augen verriet
sein Gesicht keine Emotion. „Übrigens, wenn du dir Sorgen darüber machst, was ich von dir verlangen könnte, ich will nichts von dir", fuhr Deborah fort. „Und wenn du mir sonst nichts glaubst, solltest du wenigstens das glauben. Ich wollte immer nur geliebt werden. Vielleicht könntest du unseren Anwälten sagen, sie möchten sich mit mir in Verbindung setzen, bevor ich zurück nach Australien fliege. Ach ja, und ich war an dem Abend, als du hier angerufen hast, mit niemandem zusammen. Ich war im Kino. Yvette wollte, dass ich mit ihr und Oswald zu Abend esse, und ich... ich konnte einfach nicht. Deshalb habe ich die Geschichte mit Annabel erfunden. Ich wusste immer, dass Ricky nicht der Richtige für mich ist. Wirst du es mir nun, da ich gehe, glauben, Simon?" Langes Schweigen folgte. Simon schaute Deborah durchdringend an, die dunklen Schatten unter ihren Augen schienen ihn nicht zu rühren. Es war, als ob er sie mit seinem Blick ausziehen, und - das war das Herzloseste von allem - sie daran erinnern würde, dass ihr Wohlergehen in seinen Händen lag. Deborah erwartete zu hören, dass er nichts von ihr wolle, außer mit ihr ins Bett zu gehen. Aber dann sagte er: „Ich weiß." „Du weißt?" flüsterte sie. „Jetzt, ja. In gewisser Hinsicht reitet mich manchmal der Teufel, Deborah." Er sah plötzlich so traurig aus, dass sie erschauerte. „Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen, was ich dir angetan habe", fuhr Simon fort. „Aber du hast recht, diese Ehe funktioniert nicht. Du irrst dich nur völlig, was den Grund angeht." Sie stand wie erstarrt da. Simon kam zu ihr und stellte sich nah vor sie hin. „Sieh mich nicht so an. Besser jetzt als später, wenn du soweit bist, mich zu hassen." „Warum?" fragte Deborah mit bebender Stimme. „Weil Morag und ich verschiedener sind, als du es ertragen kannst? Weil ich nicht klug und geistreich und faszinierend bin?" Er presste die Lippen zusammen. „Nein. Das ist nicht der Grund. Wenn überhaupt, bist du zu gut, zu anständig, zu nett und unschuldig ..." Simon seufzte. „Das Problem liegt bei mir. Ich kann dich nicht so lieben, wie du es verdienst. Ich dachte, es zu können, aber denk daran, was an dem Abend passierte, als ich aus New York zurückkam." „Meinst du deine Verdächtigungen?" flüsterte Deborah nervös. Sie ahnte, dass jetzt jedes Wort, das gesprochen wurde, auf unbekanntes Gebiet führte, und sie hatte schreckliche Angst vor dem, was sie hören würde. „Ja. Mir war immer klar, dass du nur den kleinen Finger heben müsstest und Ricky und der Grafentitel, den er erben wird, würden dir ge hören. Ich war halb wahnsinnig vor Eifersucht." „Und ich habe mich gefragt, warum dich so interessiert, wo ich war, warum du überhaupt früher nach Hause gekommen bist, wenn du nichts für mich empfindest. Ich hätte gleich daran denken sollen, doch auf mir lastete ein solcher Druck ..." „Das war indirekt auch mein Werk. Du musst wissen, Deborah, nicht Liebe fesselt mich an die Erinnerung an Morag, sondern Zynismus und Mangel an Vertrauen. Und beides kann ich nicht ablegen." „Ich... verstehe nicht..." „Das kommt, weil ich ..." Simon zögerte und sah Deborah in die Augen. „Weil ich dafür gesorgt habe, dass du es nicht tust. Auf die Art wollte ich mich selbst schützen. Die Wahrheit ist, ich hasste Morag zum Schluss. Ich sagte die Hochzeit eine Woche vorher ab und schwor mir, mich nie wieder von einer Frau in eine solche Lage bringen zu lassen. Morag fuhr wütend davon und kam um, und damit war ich zum Schweigen verurteilt." „Simon..." flüsterte Deborah benommen. „Das hört sich nicht nett an, nicht wahr? Ich werde dich nicht mit den Einzelheiten langweilen." „Erzähl es mir. Ich werde es keinem Menschen verraten, aber wenn irgend etwas
zwischen uns ist, dann schließ mich nicht länger aus. Ist dir denn nicht klar, wie sehr ich dich liebe? Ich mag manchmal wie ein Holzklotz wirken, unerfahren, einsam, begierig auf Bestätigung ..." „O nein!" Simon umfasste zärtlich Deborahs Gesicht. „Ich liebe dich, so wie du bist." „Nein, nein, das kannst du nicht sagen und erwarten, dass ich dir glaube, wenn du erst vor wenigen Minuten erklärt hast, unsere Ehe würde nicht gutgehen." Simon schloss einen Moment lang die Augen. „In Ordnung. Setz dich." Er wartete, bis Deborah auf einem Sofa saß, dann begann er zu reden. „In gewissem Sinne waren Morag und ich immer Gegner. Wir zogen uns gegenseitig an und stießen uns gleichzeitig ab. Sie war eine verwöhnte Tochter geschiedener Eltern. Ihre Mutter schlug ihr nichts ab und glaubte, Morag würde alle Menschen in den Schatten stellen. Tatsächlich war sie brillant und faszinierend. Sie fesselte die meisten Leute, ihre andere Seite kam nur zum Vorschein, wenn man sich dagegen wehrte, dass sie stets ihren Willen durchsetzen wollte. Und genau das zog mich sowohl in ihren Bann, als es mich auch abstieß. Morag wusste, dass es bei mir nicht immer nur nach ihrem Kopf ging, es hielt sie jedoch nicht davon ab, es stets von neuem zu versuchen. Dir war klar, dass ich es meinte, wenn ich nein sagte, und sie konnte nie sicher sein, wann ich es sagen würde. Es erzeugte eine Spannung zwischen uns, die wir beide irrtümlich für Liebe hielten." Simon blickte zu Boden, bevor er wieder Deborah ansah. „Nachdem wir uns verlobt hatten, pflegte Morag zu mir zu sagen: ,Du glaubst vielleicht, mich dort zu haben, wo du mich haben willst, aber ich werde trotzdem gegen dich kämpfen - und du wirst mich trotzdem heiraten.' Und ich dachte jedesmal: Ja, werde ich, und dann habe ich dich wirklich, wo ich dich haben will..." Er verstummte, weil Deborah zusammenzuckte. „Ich weiß", fuhr er fort. „Morags Vater ging nach der Scheidung auch noch bankrott, so dass Morag mit ungefähr fünfzehn Jahren plötzlich auf all die Dinge verzichten musste, die vorher selbstverständlich gewesen waren. Dinge, die ich ihr wiedergeben konnte. Dazu gehörte auch die gesellschaftliche Stellung in der Gemeinde." „Sie wollte dich nur wegen deines Geldes heiraten?" „Es war ein Grund", erwiderte Simon. „Ich will nicht behaupten, dass Morag eigentlich schlecht war. Wir brachten beim anderen die schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein, das drückt es vielleicht besser aus. Als sie eine große Hochzeit wollte, spielte ich zum Beispiel mit und bezahlte alles, obwohl ich mir aus solch einem Theater nicht viel mache. Nur kam sie dann damit, sich ein Jahr lange Flitterwochen zu wünschen..." Simon sprach weiter, obwohl Deborah einen gequälten Laut ausstieß. „... und da sagte ich nein. Das wurde unser letzter Machtkampf. Er zog sich über Monate hin." Deborah fröstelte. „Ich hatte immer das Gefühl, dass unsere Ehe zu scheitern würde, nachdem ich davon geredet hatte, ich würde dich gern ein ganzes Jahr von der Arbeit weglocken. Aber ich hätte doch niemals wirklich..." „Du konntest es nicht wissen", unterbrach Simon sie rau. „Glaub mir, ich habe mich bemüht, mich nicht davon berühren zu lassen. Es ist mir nicht gelungen. Alles schien aufzubrechen wie eine alte Wunde, und ich wurde wieder wachsam und misstrauisch. Verliebe dich nicht zu sehr in diese Frau, dachte ich." „Du hast die Hochzeit also abgesagt?" fragte Deborah nach langem Schweigen. „Eine Woche vorher..." Verlegen verstummte sie. „Ja. Unfassbar, nicht wahr?" Simons Stimme verriet bittere Selbstverachtung. „Wie kann man so kurz vorher plötzlich erkennen, dass die Zuneigung irgendwo auf dem Weg zum Altar gestorben ist? Nun, der Grund ist, dass Morag sich große Mühe gab, die Anziehungskraft am Leben zu erhalten. In dieser Hinsicht war sie ziemlich erfahren. Deutlicher brauche ich wohl nicht zu werden." „Nein." Deborah errötete. „Warum?" fragte Simon. Sie biss sich auf die Lippe. „Ich ... Es war einfach so, dass ich an jenem Abend mit gleicher
Münze zurückzahlen wollte, etwas in der Art." „Hast du. Nur hattest du dabei keine Hintergedanken, das ist der Unterschied. Aber dazu komme ich gleich noch. Was schließlich passierte, war, dass Morag in den letzten Wochen spürte, wie ich mich zurückzog. Ich weiß nicht, ob sie es aus Verzweiflung, Dummheit oder Berechnung tat, jedenfalls erschien sie bei mir und sagte, sie habe mit einem anderen Mann geschlafen. Sie teilte mir auch mit, wer es war: ein sehr guter Bekannter von mir. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie aufrichtig glaubte, der Gedanke, sie zu verlieren, würde mich umstimmen." Deborah schloss die Auge n. Ruhig und emotionslos fuhr Simon fort: „Das war der Moment, als mir klar wurde, dass ich niemals mit ihr würde leben können. Ich wusste plötzlich, ich verachtete und hasste sie. Der Zauber war gebrochen. Ich sah Morag an und dachte: Niemals wieder wird mir eine Frau so etwas antun." „Und du..." Deborahs Stimme zitterte. „Ich sagte Morag, die Hochzeit würde nicht stattfinden. Sie fuhr wütend davon, das habe ich schon erzählt. Der Unfall geschah auf einer gefährlichen Straße. Morag war einfach viel zu schnell gefahren." „Und du meinst, sie war nicht wirklich schlecht?" fragte Deborah unsicher. Simon seufzte. „Menschen, besonders überspannte, faszinierende, können gut und böse, sein. Der Einfluss ihrer Mutter war das schlimmste." „Wusste Iris Bescheid?" „Sie erriet es. Morag musste ihr ihre Zweifel anvertraut haben. Iris kam zu mir und beschuldigte mich, Morag in den Tod getrieben zu haben, weil ich ohne vernünftigen Grund die Hochzeit absagen wollte. Und sie, Iris, würde dafür sorgen, dass es alle erfahren. Ich erzählte ihr die Wahrheit, und sie begriff - mein Schweigen würde sicherstellen* dass der Name ihrer Tochter nicht in den Schmutz gezogen wurde, vorausgesetzt, sie hielt auch den Mund." „Du hättest ohnehin nichts gesagt, oder?" fragte Deborah. „Nein, natürlich nicht. Aber wenn man es mit einer Mutter zu tun hat, die... nun, lassen wir das besser. Und in gewisser Hinsicht fühlte ich mich ja schuldig. Ich wusste, wie Morag war, und habe ihre Spiele mitgespielt, indem ich ihr einige Wünsche erfüllte, andere versagte." „Und seitdem lebst du damit?" „Ja. Das ist die andere Ursache für meinen Zynismus, für dieses Gefühl, sich vielleicht besser nicht zu sehr mit jemandem einzulassen. Auch das kam dadurch wieder hervor." „Iris sieht nicht gerade arm aus." „Nein, sie hat noch einmal geheiratet, einen alten Millionär." „Weiß es Yvette?" „Nein. Ich denke, sie ahnt, wie es wirklich war. Sie kann Iris nicht ausstehen und mochte Morag nicht." Deborah löste sich plötzlich aus ihrer Erstarrung. „Hast du sofort an Morag gedacht, als du mich in Sydney sahst? Noch ein Mädchen, das nach oben will?" „Ja, in gewisser Weise, allerdings hast du mich manchmal ganz schön verwirrt." „Und als wir uns hier in London wiedertrafen?" fragte Deborah ängstlich. „Meine erste Reaktion war Erstaunen. Weil mir bewusst wurde, dass ich niemals vergessen hatte, wie es war, dich zu küssen. Ich erinnerte mich an dieses süße Erwachen in dir, bevor dir einfiel, was du mir glauben machen wolltest." „Warum..." Deborah räusperte sich. „Warum sagst du dann, unsere Ehe könne nicht gutgehen, Simon?" „Weil ich Angst habe, sie selbst zu zerstören. Hast du mir nicht vorhin erklärt, wie erfolgreich ich genau darin bin?" „Du kannst mich nicht losgelöst von Morag sehen, von der Erfahrung, die du mit ihr gemacht hast. Meinst du das? Muss ich für ihre Sünden bezahlen? Ich glaube, du bist zu ihr
netter gewesen, als du es zu mir bist. Und du vergisst dabei, dass es in meinem Leben außer dir keinen Mann gegeben hat. Bedeutet das überhaupt nichts?" „Deborah", erwiderte Simon eindringlich, „ich kann mir diese Dinge immer wieder sagen, und dann genügt ein Augenblick, in dem ich nicht weiß, wo du bist, um alles zurückzubringen, um mir vorzustellen, dass du mir untreu bist. Schon einige beiläufig gesprochene Worte reichen, und mir kommt der Gedanke, dass du in meinem Leben wichtiger wirst, als ich es zulassen darf." „Aber bist du nicht gerade deshalb nach Hause gekommen?" flüsterte Deborah angespannt. Dies war der entscheidende Moment in ihrem Leben, und sie wagte alles. „Für den Fall, dass ich mich dem Druck gebeugt und entschieden hatte zu gehen?" „Dachtest du daran?" „Ich dachte, du würdest bereuen, mich geheiratet zu haben, doch ich wollte trotzdem bleiben. Und als ich Sam hatte ..." „Um Himmels willen." Simon setzte sich und zog Deborah in seine Arme. „Natürlich bin ich deswegen zurückgekehrt..." Sie löste sich von ihm und berührte zärtlich seinen Mund. „Mehr will ich nicht hören. Du hast keine Chance, mich jetzt noch loszuwerden." „Ich habe dich so weit gebracht, zu sagen, dass du mich liebst, aber nichts von mir verlangst, bevor ich dir dies erzählte. Hat das für dich kein Gewicht? Oder wie ich dich verführte und mehr oder weniger zwang, mich zu heiraten, obwohl ich unfähig war, dir meine Liebe zu erklären? Zählt für dich nicht, dass ich dich herausforderte, mich zu verlassen? Es sollte!", meinte Simon grimmig. „Für mich zählt nur, dass ich mich vor drei Jahren in dich verliebt und nie aufgehört habe, dich zu lieben. Aber du könntest es mir jetzt sagen." Deborah hatte plötzlich Tränen in den Augen. „Dein kleines australisches Flittchen würde..." Weiter kam sie nicht, denn Simon begann sie mit einer Leidenschaft zu küssen, die für sich sprach. Dann zog er ihr den Mantel aus und sah sie lange einfach nur an, bevor er sie auf seinen Schoß hob. „Du bist so schön, mein kleines australisches Flittchen. Niemals werde ich vergessen, wie es war, dich auf Yvettes Cocktailparty wiederzusehen. Ich habe danach eine höllische Nacht verbracht. Und noch viele mehr ... besonders, nachdem ich dich im Auto geküsst hatte und du dich noch immer von mir abwandtest. Das machte mich so wütend, ich schwor mir, dich endgültig zu vergessen." „Das dachte ich mir. „Du warst furchtbar wütend, als wir uns auf Mull trafen." Simon lächelte. „Es hat nicht lange angehalten, nicht wahr?" Er küsste sie wieder. „In den vergangenen zwei Wochen hatte ich erst recht einige furchtbare Nächte." „Ich auch." „Wie kann ich es jemals wiedergutmachen?" „Brauchst du nicht. Von dem Moment an, als du sagtest, du würdest mich so lieben, wie ich bin, begannen meine Wunden zu heilen", flüsterte Deborah. „Weißt du eigentlich, wie eifersüchtig ich auf Sam war? Wie hat er reagiert?" fragte Simon eine Weile später. Deborah lächelte. „Er hat sich gefreut, dann war er verwirrt und schien einen Augenblick wirklich hin und her gerissen zu sein. Aber die Leute haben einen kleinen Jungen, der ihn anbetet. Das besiegelte es." „Und du hast einen Ehemann, der dich anbetet. Der Himmel stehe dem Mann bei, der sich ernsthaft in dich verliebt, habe ich einmal gesagt. Erinnerst du dich?" „Ja..." „Ich habe in letzter Zeit so oft daran gedacht." „Es hat lange gedauert, bis ich dir eine Hilfe sein konnte." Deborah zögerte und schaute ihm in die Augen. „Jener letzte Abend ..." „Ah, ja. Die Art, wie du mich geliebt hast... wie wir uns geliebt haben. Obwohl wir wütend aufeinander waren, wollte ich mit niemandem anders als mit dir schlafen, und ich denke, umgekehrt gilt dasselbe für dich. Das meinte ich damit, du hättest keine
Hintergedanken gehabt. Und darin lag der Unterschied zu Morag. Nur ein verdammter Narr wie ich konnte es nicht erkennen. In den vergangenen zwei Wochen habe ich mit der Angst gelebt, dich verletzt zu haben, und mit einer Eifersucht, von der ich mich nicht befreien konnte, obwohl ich mir immer wieder sagte, sie sei unbegründet. Ich sah, wie du dich immer weiter von mir entferntest, und musste ständig daran denken, dass du von Anfang an eine Schwäche für Ricky hattest. Tatsächlich war er der einzige Mann, in dessen Gegenwart du dich wohl fühltest." „Simon, die Beziehung zwischen uns war für mich schon in Australien etwas so Tiefes, Mächtiges und Rätselhaftes, dass es mich nie wieder losließ, ich nie einen anderen Mann ansah und wusste, ich würde es niemals tun. Du solltest es jetzt besser akzeptieren", flüsterte Deborah. „Ich möchte gern, dass du mich heim nach Mull bringst. Es ist ein schöner Ort, um ... eine Familie zu gründen." „Ja? Das möchtest du?" „Hm ... und besser angeln als du." „Darüber lässt sich streiten", erwiderte Simon ernst, doch mit einem boshaften Funkeln in den Augen. „Ich dachte, was das betrifft, sind wir uns ziemlich ebenbürtig." „Ich habe es dir schon öfter gesagt - du kennst mich nicht." Er zog Deborah eng an sich. „Aber ich beginne endlich, dich kennenzulernen. Ich verstehe nicht, wie du nach... allem solch Vertrauen zu mir haben kannst." „Vielleicht hat es etwas damit zu tun, unberührt von einem anderen das hohe Alter von zweiundzwanzig Jahren erreicht zu haben." Simons Griff wurde fester. „Wenn überhaupt, fühle ich mich bei dem Gedanken noch schlechter." „Darf ich dir einen Rat geben?" Deborah schaute ihm in die Augen, und ihre strahlten vor Liebe. „Es ist nur, was du einmal zu mir sagtest: Wenn du Zweifel hast, denk an uns im Bett." „Ich denke in diesem Moment daran." Simon barg das Gesicht in ihrem Haar. „Ich liebe dich so sehr, Deborah ..." - ENDE