Als Janet und Mike erfahren, dass sie ins Internat sollen sind sie gar nicht begeistert. Doch entgegen allen Erwartunge...
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Als Janet und Mike erfahren, dass sie ins Internat sollen sind sie gar nicht begeistert. Doch entgegen allen Erwartungen gefällt es ihnen in Sankt Roland bald schon rich tig gut. Schnell finden sie Freunde, mit de nen sie jeden Unsinn anstellen können. Nur der undurchsichtige Nick gibt allen Rätsel auf. Wieso ist er immer so mürrisch und schwärzt seine Mitschüler bei den Lehrern an? Als die anderen ihn nicht zu Mikes mitternächtlicher Geburtstagsparty einla den, rächt er sich fürchterlich … Eine spannende, lustige und geheimnisvol le Internatsgeschichte der berühmten Au torin
Kuchenschlacht
um Mitternacht
Mit Illustrationen von Silvia Christoph Aus dem Englischen von Annemarie Bruhns
C. Bertelsmann
Gesetzt nach den Regeln der Rechtschreibreform 1. Auflage 1998
© 1947 Enid Blyton Limited
Die Originalausgabe erschien 1947 unter dem Titel
»Mischief at St Rollo’s« bei T. Warner Laurie Ltd.
© 1998 für die deutschsprachige Ausgabe
C. Bertelsmann Jugendbuch Verlag GmbH, München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Übersetzung: Annemarie Bruhns
Lektorat: Yvonne Hergane
Umschlagbild und Innenillustrationen: Silvia Christoph
Umschlagkonzeption: Klaus Renner
bm • Herstellung: Peter Papenbrok
Satz: Uni + Massopust, Aalen
Druck: Graphischer Großbetrieb Pößneck
ISBN 3-570-12337-5 • Printed in Germany
Inhalt 1. Kapitel Eine neue Schule 2. Kapitel Die beiden richten sich ein 3. Kapitel Eine herrliche Zeit 4. Kapitel Tom hat nur Unfug im Sinn 5. Kapitel Ein toller Einfall 6. Kapitel Die Mitternachtsfete 7. Kapitel Ein Ende mit Schrecken
8. Kapitel
Ein Schock für Tom – ein Schock für Nick 9. Kapitel Alles wieder im Lot! 10. Kapitel Das Jahr geht zu Ende
1. Kapitel Eine neue Schule »Ich will aber nicht ins Internat«, sagte Michael. »Und ich auch nicht«, schloss sich Janet ihrem Bru der an. »Ich verstehe überhaupt nicht, wozu das gut sein soll, Mama.« »Ihr solltet euch glücklich schätzen, dass ihr in ein Internat gehen dürft«, erwiderte die Mutter. »Dazu noch zusammen! Papa und ich haben extra eine ge mischte Schule für euch ausgesucht, damit ihr nicht getrennt werdet. Wir wissen ja, wie ihr aneinander hängt. Im Übrigen finden wir, es ist sowieso schon höchste Eisenbahn, dass ihr einmal von zu Hause fort kommt. Ich kümmere mich viel zu viel um euch. Ihr müsst endlich lernen, auf eigenen Füßen zu stehen.« Mit diesen Worten verließ die Mutter das Zimmer. Die beiden Kinder starrten sich an. »So wie das klang, haben wir keine Chance«, sagte Janet und schnippte ein Papierkügelchen nach Mi chael. »Aber wenn wir schon in den sauren Apfel beißen müssen, dann bin ich dafür, dass unsere neue Schule dafür ein wenig büßen muss.« 7
»Ich habe gehört, dass die einen auf der St.-RolandSchule ziemlich hart rannehmen«, meinte Michael. »Aber nicht mit mir! Ich werde mir dort eine schöne Zeit machen. Hoffentlich kommen wir in dieselbe Klasse.« Die beiden waren altersmäßig nur ein Jahr ausein ander. Da Janet aber ein aufgewecktes und kluges Kind war, hatte sie bisher immer in dieselbe Klasse wie ihr ein Jahr älterer Bruder gehen dürfen. Sie hat ten von Anfang an eine gemischte Schule besucht, und obwohl sie jetzt von zu Hause fortgehen sollten, waren beide doch sehr froh darüber, dass sie wenigs tens nicht getrennt wurden, wie es den meisten Ge schwistern erging, wenn sie auf ein Internat über wechselten. Die letzte Ferienwoche verging wie im Flug. Die Mut ter schleppte Janet und Michael in alle möglichen Ge schäfte, um die notwendige neue Garderobe einzu kaufen. »Das ist ja ‘ne ganze Menge, was wir für unsere neue Schule haben müssen«, stellte Janet sachlich fest. »Hoffentlich springt da auch noch etwas zum Futtern raus – so ‘ne Art ›süßes Fresspaket‹, das wir mitneh men können.« »Wenn ihr brav seid«, stellte die Mutter lachend in Aussicht. 8
Natürlich bekamen sie von der Mutter etwas zum
Naschen mit. Für jeden packte sie ein Päckchen mit einem herrlichen Johannisbeerkuchen, einem großen Ingwerkuchen, zwölf Mohrenköpfen, einer Dose Sah nebonbons und einer großen Tafel Schokolade. Jeder bekam genau das Gleiche eingepackt. Die beiden wa ren hochzufrieden. Dann war der Tag da, an dem sie sich auf den Weg in die neue Schule machen mussten. Einerseits waren sie irgendwie neugierig auf das, was sie erwartete. Andererseits waren sie natürlich auch ziemlich ner vös. Aber schließlich würden sie beide zusammen bleiben, und das allein bedeutete schon, dass es lustig werden würde. Sie nahmen den Zug nach London, und ihre Mut ter, die sie begleitete, brachte sie zu dem Bahnhof, von welchem der Schulsonderzug abfahren sollte. »Reserviert für St.-Roland-Schule«, stand auf ei nem großen blauen Schild an einem der Waggons. Auf dem Bahnsteig drängten sich unzählige Jungen und Mädchen. Sie schwatzten miteinander, lachten, riefen sich was zu. Einige schienen Neue zu sein. Sie sahen ziemlich verloren und verschüchtert aus. Janet und Mike blieben dicht zusammen. Neugierig mus terten sie die Kinder um sich herum. »Eigentlich sehen sie ganz nett aus«, sagte Mike zu 9
seiner Schwester. »Ich bin gespannt, wer von ihnen in unserer Klasse sein wird.« Die Jungen und Mädchen trugen graue Schuluni formen und sahen darin hübsch und adrett aus. Ein paar Lehrer und Lehrerinnen eilten auf dem Bahn steig hin und her, wechselten ein paar Worte mit den Eltern, die ihre Kinder zum Zug begleitet hatten, und forderten schließlich die Schüler auf einzusteigen. Janet und Mike drängten zusammen mit anderen Jungen und Mädchen in einen der Waggons und suchten sich zwei freie Plätze. »Hallo«, rief ihnen jemand zu. Es war ein pfiffig aussehender Junge von etwa elf Jahren. »Ihr seid neu, stimmt’s?« »Ja«, erwiderte Mike. »Wie heißt ihr?«, fragte der Junge weiter und zwin kerte ihnen dabei mit seinen blauen Augen aufmun ternd zu. »Ich bin Michael Fairley und dies ist meine Schwes ter Janet«, stellte Mike sie beide vor. »Und wie heißt du?« »Tom Young«, erklärte der Junge. »Schätze, ihr werdet in meine Klasse kommen. Bei uns geht’s im mer recht lustig zu. Kannst du Flieger machen?« »Papierflieger?«, fragte Mike. »Natürlich! Das kann doch jeder!« »Na, dann warte erst mal ab, bis du meine neueste 10
Technik gesehen hast«, prahlte der Junge und zog aus seiner Schultasche ein Heft mit dicken Blättern. Aber gerade, als er eines davon ausreißen wollte, blies draußen der Bahnhofsvorsteher auf seiner Sig nalpfeife, und der Zug setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. »Auf Wiedersehen, Mama!«, schrien Mike und Ja net. »Auf Wiedersehen! Wir schreiben dir gleich morgen!« »Auf Wiedersehen, meine zwei«, rief ihnen die Mut ter zu. »Viel Spaß – und macht uns keine Schande!« Der Zug rollte aus dem Bahnhof. Und jetzt, nach dem er wirklich abgefahren war, fühlten Janet und Michael sich ein klein wenig verlassen. Der Gedanke, dass sie Mama und Papa eine ganze Weile nicht se hen würden, kam ihnen plötzlich überhaupt nicht lustig vor. Zum Glück hatten sie einander! Tom musterte sie. »Kopf hoch!«, versuchte er sie zu trösten. »Mir ist es beim ersten Mal genauso er gangen. Ihr werdet ziemlich schnell darüber hinweg kommen, glaubt mir. Aber jetzt schaut erst einmal, wie ich meine neuartigen Papierflieger bastle.« Tom hatte in der Tat äußerst geschickte Finger. In ein, zwei Minuten hatte er aus der Heftseite einen spitzen Papierflieger gefaltet, der, nachdem er ihn abgeschossen hatte, genau ins angepeilte Ziel flog. »Besser als die meisten Flieger, oder?«, fragte Tom 11
voller Stolz. »Ich hab mir diese Methode vor den Sommerferien ausgedacht. Als ich die Dinger das ers te Mal ausprobiert habe – bei Miss Thomas –, lande te der Flieger genau unter ihrem Kragen. Sie hat mich deshalb vor die Tür geschickt.« Janet und Mike schauten Tom voller Respekt an. Die übrigen Kinder im Waggon lachten. »Tom ist der frechste Kerl von der ganzen Schule«, warnte ein dickes Mädchen mit rosigen Wangen die beiden Neuen. »Er hört auf nichts und niemand. Lasst euch bloß nicht von ihm beschwatzen.« »Ist Miss Thomas eine Lehrerin?«, fragte Mike. »Gibt es in St. Roland Lehrer und Lehrerinnen?« »Aber sicher«, antwortete Tom. »Wenn ihr in meine Klasse kommt, dann habt ihr Miss Thomas als Klassenlehrerin und einen Haufen anderer Lehrer und Lehrerinnen in den verschiedenen Fächern. Ich werde euch rechtzeitig darüber aufklären, bei wem man herumflachsen kann und bei wem man sich besser ordentlich aufführt.« »Da du dich in keiner Stunde ordentlich aufführst, kann ich mir nicht vorstellen, wie du jemanden über den Unterschied aufklären willst«, mischte sich das dicke Mädchen wieder ein. »Halt die Klappe, Marian«, rief Tom. »Wenn in die sem Waggon einer was sagt, dann ich, verstanden?« Nun reichte es den übrigen Kindern. Sie stürzten 12
sich auf Tom und stupsten und knufften ihn. Gut mütig wehrte er sich mit ein paar halbherzigen Boxhieben. Mike und Janet beobachteten die Balgerei la chend, trauten sich aber nicht mitzumachen. Die Kinder hatten alle Lunchpakete mit und durf ten sie jederzeit nach halb eins, keinesfalls aber frü her, auspacken und essen. Tom hielt nach einiger Zeit seinen Arm hoch und schaute auf die Uhr. »Alles klar! Es ist halb eins!«, rief er und begann seine Sandwiches auszupacken. Marian blickte ihn verblüfft an. »Aber Tom! Es ist noch nicht halb eins«, sagte sie und schaute auf ihre Armbanduhr. »Es ist gerade mal Viertel vor zwölf.« »Tut mir Leid, deine Uhr muss falsch gehen«, sag te Tom und biss kräftig in ein Sandwich. Janet blickte auf ihre Uhr. Es war ganz sicher erst Viertel vor zwölf. Sie war überzeugt, dass Tom seine Uhr absichtlich vorgestellt hatte. Als sie sahen, wie Tom genüsslich in sein Schinken sandwich biss, bekamen auch die übrigen Kinder Ap petit. Die Idee, ihre Uhren ebenfalls vorzustellen, fanden sie auf einmal recht verlockend. Doch in die sem Augenblick tauchte ein Lehrer auf dem Gang auf. Tom versuchte hastig sein Sandwichpaket ver schwinden zu lassen, aber es war zu spät. »Na, Tom«, sagte der Lehrer und blieb vor dem Jungen stehen. »Kannst du es nicht einmal mehr ab 13
warten, bis wir in der Schule sind, bevor du gegen die Regeln verstößt?« »Mr. Wills, Sir, auf meiner Uhr ist es fünf nach halb eins«, sagte Tom und streckte dem Lehrer mit einem unschuldigen Augenaufschlag seinen Arm mit der Uhr entgegen. »Sehen Sie?« »Du weißt genau, dass das nicht stimmt«, erwider te Mr. Wills. Er nahm Tom die Uhr vom Handgelenk und drehte die Zeiger zurück. »Hier. Pack dein Lunchpaket weg und hol es erst wieder hervor, wenn es auf deiner Uhr halb eins ist.« Tom schaute auf das Zifferblatt. Dann blickte er entsetzt seinen Lehrer an. »Sir! Sie haben meine Uhr eine halbe Stunde zurückgestellt! Das heißt, dass ich vor eins nicht essen darf!« »Ja. Genauso ist es! Was bist du doch für ein schlau es Kerlchen!«, sagte Mr. Wills. »Mir drängt sich übri gens die Frage auf, was schlimmer ist: eine Uhr, die zu schnell geht, oder eine, die zu langsam geht. Wie schade, Tom. Jetzt musst du deine Sandwiches eine halbe Stunde später als die anderen essen.« Er drehte sich um und ging. Tom blickte ihm fins ter nach. »Wahrscheinlich findet er das auch noch lustig«, knurrte er. Aber er verstaute brav seine Sandwiches, denn er war klug genug zu wissen, dass Mr. Wills je derzeit wieder im Gang auftauchen konnte. 14
Um halb eins holten die anderen Kinder alle ihre Lunchpakete hervor und packten sie ungeduldig aus, denn inzwischen waren sie wirklich hungrig. Der arme Tom aber musste dasitzen und zusehen, wie sie voller Genuss kauten. Denn auf seiner Uhr war es erst zwölf. Um ein Uhr, als die anderen fertig waren, holte er seine Sandwiches wieder hervor. »Jetzt habe ich ei nen solchen Mordshunger, dass meine Schinkenund Eisandwiches, die Butterhörnchen mit Marme lade, der Kuchen, der Apfel und die Schokolade, die meine Mama mir eingepackt hat, kaum ausreichen werden«, sagte er und machte sich hungrig über sei nen Reiseproviant her. Inzwischen rollte der Zug weiter vorwärts. Er sollte um halb drei am Nachmittag ankommen. Als die Zeit immer näher rückte, blickten Janet und Mike neugierig aus dem Fenster. »Kann man St. Roland vom Zug aus sehen?«, frag te Janet. »Ja«, erwiderte Marian, »es liegt auf einer Anhöhe, du wirst es von deinem Fenster aus gleich sehen. Es ist ein graues Gebäude mit einem Turm an jeder Sei te. In der Mitte ist ein großer Torbogen. Pass auf, es muss jeden Moment kommen.« Die beiden Kinder blickten erwartungsvoll aus 15
dem Fenster – und wie Marian angekündigt hatte, kam gleich darauf St. Roland in Sicht. Ihre neue Schule sah wirklich nicht schlecht aus, fanden sie. Mit ihren beiden großen Türmen erhob sie sich auf der Anhöhe. An den grauen Steinmauern rankten Kletterpflanzen empor, und ein rötlicher Hauch an manchen Stellen ließ vermuten, dass mit dem fort schreitenden Herbst die Mauern flammend rot leuch ten würden. An einem kleinen Bahnhof hielt der Zug schließlich an und die Kinder stiegen aus. Mehrere Busse warte ten bereits auf dem kleinen Bahnhofsvorplatz. La chend und lärmend kletterten die Kinder in die Fahr zeuge, während ihr Gepäck verladen wurde. Als Letzte stiegen die Lehrer und Lehrerinnen ein und dann setzten sich die Fahrzeuge in Bewegung. Die Busse schaukelten den Hügel hinauf und hiel ten vor dem großen Tor der Schule. Jetzt, wo sie so dicht vor dem Gebäude standen, kam das Internat Mike und Janet riesig vor. Im Nu hatten die Kinder die Busse verlassen und waren auf das große Tor zu gestürmt. Janet und Mike folgten Tom, der sich zu ihrem Führer gemacht hatte, eine Treppe hinauf zu einem großen, freundlichen Zimmer, in das die Nachmit tagssonne schien. Eine rundliche Frau mit Pausba 16
cken, die Leiterin des Internats, blickte ihnen erwar tungsvoll entgegen. »Guten Tag«, sagte Tom, als sie den Raum betra ten. »Ich habe zwei Neue mitgebracht. Werden sie in meinem Schlafsaal untergebracht? Ich hoffe es sehr.« »Wenn das der Fall ist, können sie mir jetzt schon Leid tun«, erwiderte die Leiterin, zog ein großes Heft zu sich heran und blätterte ein paar Seiten um. »Wie heißt ihr zwei?« »Michael und Janet Fairley«, sagte Mike. Die Leiterin fand ihre Namen und hakte sie ab. »Ja, Michael ist in der Tat in deinem Schlafsaal, Tom«, sagte sie. »Janet kommt mit Marian und vier anderen Mädchen in den Saal auf der anderen Seite des Flurs. Ich hoffe für dich, Tom, dass die beiden einen guten Einfluss auf dich ausüben werden. Denk daran, was ich dir vor den Ferien gesagt habe. Wenn du in diesem Jahr wieder nichts als dumme Streiche im Kopf hast, schicke ich dich ins Direktorat, und was das heißt, weißt du ja!« Tom grinste. Er packte Mike am Arm und zog ihn und Janet aus dem Zimmer. »Ihr müsst allmählich wirklich glauben, dass ich der größte Flegel aller Zei ten bin«, meinte er. »Kommt mit – ich zeige euch erst einmal alles!«
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2. Kapitel Die beiden richten sich ein In St. Roland gab es für die beiden viel Neues und Interessantes zu besichtigen. Die Schlafsäle waren groß und freundlich. Jedem Kind stand eine eigene kleine Ecke zu, die aus einem Bett, einer Kommode und einem kleinen Schrank bestand. Dieser kleine Raum konnte durch einen weißen Vorhang, der rundherum angebracht war, von den anderen abge trennt werden. Als die Kinder den Schlafsaal betraten, stand ihr Gepäck schon da. »Wir packen später aus«, meinte Tom. »Schaut her, dies hier ist mein Bett. Ich will mal sehen, was sich machen lässt, damit du gleich das daneben be kommst, Mike. Am besten, wir stellen deinen Koffer schon mal da hinein, damit es kein anderer in Be schlag nimmt.« Sie zogen den riesigen Koffer in die Schlafnische und stellten ihn dort quer in den Raum. Dann zeigte Tom Janet ihren Schlafsaal, der auf der anderen Seite des Flurs lag. Er glich dem Jungenschlafsaal aufs 18
Haar, nur dass die Bettbezüge rosa statt blau waren. Danach führte Tom sie zu den Klassenzimmern. Sie waren hell und freundlich, mit großen Fenstern, die auf einen sonnigen Schulhof und die dahinter lie genden großzügigen Sportplätze blickten. »Dies wäre unser Klassenzimmer, wenn ihr in meine Klasse kommt«, erklärte Tom. Janet und Mike gefiel der Raum sehr gut. »Im letzten Jahr habe ich da vorne gesessen«, fuhr Tom fort und wies auf die erste Reihe. »Ich versuche immer einen Platz ganz hinten zu ergattern – aber früher oder später werde ich in die erste Reihe ver setzt. Offensichtlich ist man der Meinung, dass man mich ständig im Auge behalten müsse. Auf die Dauer ist das ganz schön lästig, kann ich euch sagen.« »Ich bin gespannt, welche Plätze wir zugeteilt be kommen werden«, sagte Mike. »Ihr habt die freie Auswahl«, erwiderte Tom. »Ihr könnt versuchen, euch die Bank zu sichern, indem ihr ein paar Bücher drauflegt. Wo würdet ihr denn gern sitzen?« »Am liebsten nahe am Fenster, damit ich hinaus schauen kann«, antwortete Mike. »Aber Blickkontakt zu dir würde ich möglichst auch gern haben, Tom.« »Also, ich werde wie gewöhnlich versuchen, mir eine der hintersten Bänke zu sichern«, sagte Tom. Er nahm aus einem Regal einige Bücher und warf sie auf 19
drei Bänke in der letzten Reihe, die sich in der Nähe eines Fensters befanden. »Diese hier ist für dich, diese für Janet und die für mich. Alle in einer Reihe!« Dann zeigte ihnen Tom die Sportplätze und das Hockeyfeld, die großartige Turnhalle und die Aula, wo sich am Morgen alle zu einem Gebet versammel ten. Er führte sie zu den Umkleideräumen, wo die Schüler sich für die Sportstunden umzogen, und schließlich zu den Tagesräumen, wo sich die Schüler der einzelnen Klassen nach den Unterrichtsstunden aufhielten, um zu lesen, zu schreiben oder zu spielen. Wie sollen wir uns hier bloß jemals allein zurecht finden?, fragten sich Janet und Mike. »Wir sollten jetzt besser unsere Sachen auspacken gehen«, meinte Tom schließlich. »Danach gibt’s den Nachmittagstee. Ich freue mich schon drauf! Heute dürfen wir uns dazu was aus unseren eigenen Fress paketen mitnehmen.« Sie machten sich auf den Weg zu ihren Schlafsä len, wo sich Janet von den beiden Jungen trennte. Im Mädchenschlafsaal entdeckte sie Marian, die sie freundlich anlächelte. »Hallo«, sagte sie. »Ich habe gesehen, dass Tom euch schon auf eine Besichtigungstour mitgenommen hat. Er ist eigentlich ein prima Kerl, aber er kann euch, wenn ihr nicht aufpasst, in Teufels Küche bringen. 20
Aber jetzt komm und pack erst einmal deine Sachen aus. Ich zeige dir, wie man alles am besten verstaut. Ich bin übrigens die Stubenälteste in diesem Saal.« Janet begann mit dem Auspacken und bald waren ihre Sachen in den Schubladen der Kommode und im Schrank untergebracht. Auch die anderen Mäd chen waren eifrig damit beschäftigt, ihre persönli chen Dinge einzuräumen. Später kam Marian wieder zu Janet. »Kennst du eigentlich schon irgendjemanden hier, nein?«, fragte sie. »Also, hier – gleich neben dir – das ist Audrey. Dann kommt Bertha. Der kleine Floh dort ist Connie und hier haben wir Doris, die immer Klassenbeste ist, ob sie sich nun anstrengt oder nicht.« Doris lachte. Mit der großen Brille auf der Nase sah sie wirklich furchtbar klug aus. »Wir sind alle in derselben Klasse«, erklärte sie Janet. »Ist dein Bruder in Tom Youngs Schlafsaal untergebracht?« »Ja«, erwiderte Janet. »Wisst ihr vielleicht, ob er auch in meine Klasse kommt?« »Ja«, erklärte Doris. »Alle vier Schlafsäle auf dieser Etage gehören zur gleichen Klasse. Miss Thomas ist unsere Klassenlehrerin. Sie ist nett, aber ziemlich streng. Nur gegen einen kommt sie nicht an: Tom Young. Er macht einfach, was er will. Und er ist im mer der schlechteste Schüler – aber trotzdem ein net ter Junge.« 21
Inzwischen stellte Tom Mike die Mitschüler in sei nem Schlafsaal vor. »Siehst du den schielenden Knaben dort drüben, den mit der Hakennase? Das ist Eric.« Mike hielt nach jemandem Ausschau, der schielte und eine Hakennase hatte, aber der Junge, auf den Tom zeigte, hatte die geradeste Nase, die er je gese hen hatte, und die braunen Augen blickten ihn voll kommen normal an. Der Junge grinste. »Ich bin Eric«, sagte er. »Hör einfach nicht darauf, was Tom so daherredet. Er bil det sich ein, wahnsinnig witzig zu sein.« Tom reagierte nicht darauf. »Und jetzt zu dem Burschen drüben in der Ecke. Der mit dem Gesicht voller Pickel. Das ist Fred. Die Pickel hat er, weil er zu viele Süßigkeiten isst.« »Halt die Klappe!«, sagte Fred, der nur einen ein zigen kleinen Pickel am Kinn hatte. Fred war groß, hatte hellblaue Augen und sah mit seinen roten Wangen frisch und gesund aus. »Und dieser Riese von einem Kerl ist George«, fuhr Tom fort und zeigte auf einen kleinen Jungen mit schmächtigen Schultern. Auch er grinste. »Ohne deine dummen Witze fühlst du dich nicht wohl, Tom, stimmt’s?«, sagte er freundlich. »Und jetzt, Mike Wie-auch-immer-du heißt, lass mich dir den größten Clown und Scherz 22
keks der Welt vorstellen, den Oberkomiker und Superdummkopf Thomas Henry William Young, der die Ehre hat, das Schlusslicht der Klasse zu bil den!« Mike brach in schallendes Gelächter aus. Tom, der lächelnd zugehört hatte, holte zu einem nicht ernst gemeinten Boxhieb aus, dem George geschickt aus wich. Es gab noch einen Jungen im Raum, doch Tom hatte ihn nicht erwähnt. Er sah nicht gerade freund lich aus, und Mike wunderte sich, warum Tom ihn nicht vorgestellt hatte. »Wer ist das?«, fragte er Tom und deutete mit dem Kopf in Richtung des Jungen, der mit mürrischem Gesicht seine Sachen auspackte. »Nick«, erwiderte Tom nur. Der Junge blickte auf. »Mach schon! Erzähl’s ihm«, sagte er. »Der Neue wird’s sowieso bald erfahren. Los! Amüsier dich doch auf meine Kosten, wenn du willst.« »Ich will aber nicht«, sagte Tom. »Gut, dann werd ich’s ihm eben erzählen«, meinte der Junge. »Ich bin ein Betrüger! Ich habe bei den Prüfungen vor den Sommerferien gemogelt. Tom hat es bemerkt und mich verpetzt. Und deshalb wis sen es jetzt alle.« »Ich habe dich nicht verpetzt«, verteidigte sich Tom. »Ich habe dir das schon ein paar Mal gesagt. Ich 23
habe zwar gesehen, dass du gemogelt hast, aber ich habe dich nicht verraten. Miss Thomas hat es selbst herausgefunden. Aber wie auch immer, ich will von dem Kram nichts mehr hören. Schummel von mir aus, so viel du willst, mir ist das völlig schnuppe.« Er drehte Nick den Rücken zu. Mike war die Sache sehr peinlich. Er wünschte, er hätte sich nicht nach dem Jungen erkundigt. Zum Glück begann Eric von seinen Ferienerleb nissen zu erzählen. Die anderen steuerten ihre Ge schichten bei, und so merkte keiner, wie Nick sich leise aus dem Raum schlich. »Es dürfte jetzt allmählich Teezeit sein«, sagte Tom schließlich und schaute auf seine Uhr. »Oje! Noch eine halbe Stunde bis dahin! Ich weiß nicht, ob ich das noch durchstehe.« In diesem Augenblick läutete es laut zur Teezeit und Tom fiel vor Verblüffung die Kinnlade herunter. Mike prustete los. »Hast du es denn vergessen?«, fragte er. »Mr. Wills hat doch deine Uhr eine halbe Stunde zurückgestellt.« »Ach ja, stimmt ja!«, rief Tom erleichtert und stell te seine Uhr wieder eine halbe Stunde vor. »Na, dann los! Kommt mit. Ich habe so einen Hunger, dass ich ein ganzes Pferd verdrücken könnte – wenn es aus Kuchenteig wäre. Nehmt eure Kuchenpakete mit. Was habt ihr alles drin? Wenn ihr mir von euren Sa 24
chen etwas abgebt, kriegt ihr was von mir. Ich habe einen absolut himmlischen Schokoladenkuchen.« Dieses erste gemeinsame Essen machte viel Spaß. Alle Kinder brachten ihre Kuchenpakete mit und es wurde ringsherum getauscht und ausprobiert. Es war die reinste Kuchenschlacht! Janet hatte sich zu Mike gesetzt und beide boten den anderen Kindern von ihren mitgebrachten Sa chen an. Im Tausch erhielten sie dafür alle mögli chen anderen Kuchenstücke. Als die Teezeit zu Ende war, hatten sie so viel gegessen, dass sie keinen einzi gen Krümel mehr heruntergebracht hätten. »Ich hoffe, wir müssen nicht noch Abendbrot es sen«, stöhnte Mike. »Ich habe das Gefühl, als könnte ich die nächsten vierzehn Tage keinen Bissen mehr runterkriegen. Trotzdem: Es war absolut super!« Nach der Teezeit mussten die Kinder bei dem Di rektor und der Direktorin antreten. Beide hatten graue Haare und ihr Gesichtsausdruck war freund lich, aber streng. Mike und Janet waren sehr aufgeregt und kaum in der Lage, die Fragen zu beantworten, die die bei den stellten. »Ihr werdet erst einmal in derselben Klasse sein«, sagte Direktor Quentin. »Janet ist zwar ein Jahr jün ger, aber wie ich gehört habe, ist sie ihrem Alter et was voraus. Ihr kommt beide in die sechste Klasse.« 25
»Ja, Sir«, sagten die Kinder. »In St. Roland wird fleißig gearbeitet«, fügte Miss Lesley, die zweite Direktorin, hinzu. »Aber es bleibt immer genug Zeit zum Spielen. Ihr werdet also viel Spaß an unserer Schule haben und jeder einzelne Tag wird euch, wie ich hoffe, Freude bereiten. Haltet euch nur immer unser Motto vor Augen: ›Nicht die niedrigste, sondern die höchste Hürde wollen wir meistern.‹« »Ja«, sagten die beiden Kinder artig. »Unsere Schule gibt den Schülern alles, was sie kann«, fuhr Miss Lesley fort. »Von euch wird dafür erwartet, dass ihr eurerseits alles gebt, was ihr könnt. Und jetzt dürft ihr gehen.« Die Kinder verließen das Büro. »Ich finde die bei den Direxe ganz in Ordnung, Mike«, sagte Janet. »Allerdings machen sie mir auch ein bisschen Angst. Ich möchte nicht unbedingt zu ihnen zitiert werden, wenn ich was ausgefressen habe.« »Ich wette, dass Tom darin bereits Erfahrung hat«, meinte Michael. »Aber jetzt komm, wir müssen zu Miss Thomas.« Die Lehrerin saß im Klassenzimmer und ging die Schülerliste durch. Als die beiden Kinder den Raum betraten, blickte sie auf. »Hallo, Michael, hallo, Ja net«, begrüßte sie die Geschwister lächelnd. »Schaut 27
ihr euch ein bisschen um? Am Anfang ist alles etwas verwirrend, nicht wahr? Ich habe mir gerade eure letzten Zeugnisse angesehen und finde sie recht gut. Ich hoffe, ihr werdet bei mir genauso tüchtig sein wie bei eurer letzten Klassenlehrerin.« »Wir werden uns Mühe geben«, sagte Michael. Den beiden Kindern gefielen Miss Thomas’ Lächeln und ihre braunen Augen auf Anhieb. »In Mathe bin ich ziemlich schlecht«, gestand Janet. »Und ich habe eine fürchterliche Handschrift«, sagte Michael. »Na, wir werden sehen, was sich da machen lässt«, meinte Miss Thomas. »Jetzt geht erst einmal zu den anderen in den Tagesraum zurück. Ihr könnt ihn nicht verfehlen. Achtet einfach darauf, hinter welcher Tür der größte Lärm gemacht wird.« Die Kinder verließen lachend das Klassenzimmer. »St. Roland gefällt mir immer besser«, sagte Janet ver gnügt. »Alle sind so freundlich hier. Die Mädchen in meinem Schlafsaal sind richtig nett. Wie ist das bei dir, Mike? Gefallen dir die Jungs in deinem Schlafsaal?« »Ja, die sind prima – bis auf einen. Er heißt Nick«, erwiderte Mike. Während er seiner Schwester von dem mürrischen Jungen berichtete, gelangten sie zu einer offenen Tür, aus der ein Durcheinander von Geräuschen drang. »Na, was meinst du, Janet? Ist das der Gemeinschaftsraum oder nicht?« 28
Drinnen war ein Plattenspieler zu hören, zu dem ein paar Kinder nicht schön, aber laut sangen. Zwei oder drei andere zankten sich und ein Junge häm merte aus irgendeinem Grund auf dem Boden he rum. Janet und Mike blieben vor der offenen Tür stehen. »Das kann nicht unser Gemeinschaftsraum sein«, meinte Mike. »Die Kinder hier sind alle viel größer als wir.« »Verschwindet, ihr Küken!«, rief der Junge, der auf den Boden hämmerte. »Ihr habt hier nichts verloren! Schaut, dass ihr in euren Kindergarten kommt!« »Unverschämtheit!«, empörte sich Janet. »Uns ein fach Küken zu nennen!« »Es ist wohl wirklich besser, wir verschwinden«, meinte Michael und sie machten sich weiter auf die Suche nach ihrem Tagesraum. Der Gang mündete in einen zweiten Flur und von dort schallte ihnen wieder ohrenbetäubender Krach entgegen. Er kam aus einem großen Raum zu ihrer Linken. Ein zu voller Lautstärke aufgedrehtes Radio und ein ebenso lauter Plattenspieler übertönten sich gegenseitig, sodass weder das, was aus dem einen, noch das, was aus dem anderen Gerät schallte, zu verstehen war. Vier, fünf Kinder schienen auf dem Boden in eine Art Ringkampf verwickelt zu sein, und ein paar andere standen um die Streithähne herum 29
und feuerten sie mit »Lass dir nichts gefallen!« – »Gib ihm Saures!« – »Pass auf!« an. Plötzlich kam ein Kissen durch die Luft gesegelt und traf Janet an der Schulter. Sie warf es sofort zu rück. Eine Mädchenstimme war zu vernehmen, die verzweifelt um Ruhe bat. »Seid endlich leise! Ich möchte Radio hören!« Als niemand davon Notiz nehmen wollte, rief das Mädchen noch lauter: »Ich möchte Radio hören!« Irgendjemand schaltete den Plattenspieler aus, und die Tanzmusik, die aus den Radiolautsprechern dröhnte, erschien dadurch noch ohrenbetäubender. »He, los, wir wollen tanzen!«, brüllte Fred. Er hielt ein Kissen an sich gedrückt, als hätte er eine Tanz partnerin im Arm, und hüpfte und drehte sich im Kreis. Als er Janet und Mike an der Tür erblickte, rief er: »Hallo, ihr zwei! Wo um alles in der Welt habt ihr gesteckt? Kommt rein. Betretet diesen Ort der Stille und des Friedens und steht nicht wie zwei ver schreckte Mäuschen herum!« Die beiden ließen sich nicht lange bitten. Zwar verunsicherte sie anfangs der Lärm um sie herum, aber schon bald gewöhnten sie sich daran. Sie er blickten mehrere Mädchen und Jungen, die sie schon kennen gelernt hatten, und andere Kinder, die auch in ihrem Alter waren. Alle unterhielten sich munter miteinander, lachten und alberten herum. Es tat gut, 30
in einem so fröhlichen Kreis zu sein. Es war wie in einer großen, glücklichen Familie. Nach etwa einer Stunde wurden die Kinder ein we nig müde und der vergnügliche Lärm legte sich all mählich. Die Kinder holten Bücher oder Spiele hervor, das Radio wurde leiser gestellt, und diese gemütliche Ruhe hielt an, bis es zum Abendessen läutete und die Kinder sich auf den Weg in den Speisesaal machten. Der erste Tag war fast vorbei. Nach dem Essen waren alle noch eine Stunde lang zusammen und dann ging’s in die Federn. Es sah ganz so aus, als würde es viel Spaß machen, im St.-Roland-Internat zu sein!
3. Kapitel Eine herrliche Zeit Anfangs kamen Janet und Michael einige Dinge noch fremd und ungewohnt vor, aber schon nach wenigen Tagen hatten sie sich daran gewöhnt und St. Roland wurde ihnen immer vertrauter. Sie hatten keine Mü he mehr, sich in dem weitläufigen Gebäude zurecht zufinden – allerdings erst, nachdem sich die arme Ja net am zweiten Tag auf der Suche nach ihrem Klas senzimmer einmal gehörig verlaufen hatte. 31
Sie hatte eine Tür geöffnet, von der sie angenommen hatte, dass sie in ihren Klassenraum führte, und war plötzlich vor einer völlig fremden Klasse aus viel älteren Schülern gestanden, die offensichtlich Zeichenunter richt hatten. Die Mädchen und Jungen hatten mit ih ren Zeichenblöcken dagesessen und ganz vertieft eine Vase mit buntem Herbstlaub zu zeichnen versucht. »Hallo! Wen suchst du denn?«, hatte der Zeichen lehrer Janet gefragt. »Die sechste Klasse«, hatte sie geantwortet und war feuerrot geworden. »Nun, dann bist du hier ganz falsch«, hatte der Leh rer sie aufgeklärt. »Die ist im Erdgeschoss. Du musst die Treppe hinunter. Die erste Tür auf der rechten Seite ist es dann.« Janet hatte sich bedankt und sich im Stillen darüber geärgert, dass sie so dumm gewesen war zu verges sen, in welchem Stock ihr Klassenzimmer lag. Wäh rend sie die Treppe hinunterrannte, versuchte sie sich zu erinnern, ob der Zeichenlehrer rechts oder links gesagt hatte. Ich glaube, er hat »links« gesagt, überlegte sie und bog prompt nach links ab, als sie im Erdgeschoss an gelangt war. Sie öffnete die erste Tür – und fand sich zu ihrem Entsetzen in einem Lehrerzimmer wieder. Zwei junge Lehrerinnen saßen über Stundenpläne gebeugt und blickten neugierig hoch. 32
»Was gibt’s?«, fragte diejenige, die der Tür am nächsten saß. »Nichts«, antwortete Janet und wurde wieder rot. »Ich suche nur mein Klassenzimmer – ich bin in der sechsten Klasse. Anscheinend erwische ich dauernd die falsche Tür.« »Du bist sicher neu hier«, sagte die Lehrerin nach sichtig lächelnd. »Also, pass auf: Du gehst jetzt den Gang hinunter und dort ist es die erste Tür auf der rechten Seite.« So hatte Janet zu ihrer großen Erleichterung schließlich doch noch ihr Klassenzimmer gefunden. Nach drei, vier Tagen konnte sie es sich schon fast nicht mehr vorstellen, dass sie sich derart verlaufen hatte. Obwohl das Schulgebäude riesig groß war, wurde es ihr immer vertrauter. In der Klasse ging alles bald seinen gewohnten Gang. Janet und Michael waren die einzigen Neuen. Miss Thomas hatte nichts dagegen, dass sie sich auf die schon vorher ausgewählten Plätze setzten, nahm aber mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis, dass Tom in der hintersten Reihe neben Janet saß. »Aha«, meinte sie, »du hast dir also wieder einmal einen Platz in der letzten Reihe ausgesucht, Tom. Glaubst du, dass sich das überhaupt lohnt? Du weißt doch so gut wie ich, dass es vermutlich keine Woche 33
dauert, bis ich dich wieder nach vorn in die erste Reihe versetzen muss, damit ich dich besser im Auge habe.« »Miss Thomas«, sagte Tom treuherzig, »ich werde mich in diesem Schuljahr bessern, ganz ehrlich. Bitte lassen Sie mich hier sitzen. Ich möchte unseren bei den Neuen helfen – und da muss ich doch neben ih nen sitzen.« »Ach so ist das«, meinte Miss Thomas, und man sah ihr an, dass sie Tom kein Wort glaubte. »Na schön! Ich gebe dir eine Woche, Tom. Warten wir’s also ab.« Die Klasse von Janet und Mike war ziemlich groß, aber schon bald kannten die beiden all ihre Mitschü ler. Alle waren schrecklich freundlich, gut gelaunt und immer zu Späßen aufgelegt. Mit einer Ausnah me: Nick. Er redete mit kaum einem seiner Klassen kameraden und schien immer schlechter Laune zu sein. Tom dagegen war überall beliebt. Er kam auf die verrücktesten Einfälle, dachte sich ständig irgendwel che Streiche aus und war dabei doch immer bereit, anderen zu helfen, wenn es nötig war. Auch die Leh rer mochten ihn, wenngleich sie ihn ununterbrochen ermahnen mussten, weil er von Schularbeiten nicht besonders viel hielt. »Ist es eigentlich nötig, dass du immer wieder der Schwächste bist, Tom? In jedem Fach und jeden Tag?«, 34
rügte ihn Miss Thomas und fügte hinzu: »Wie wäre es, wenn du mich einmal angenehm überraschen würdest und der Beste wärest? Nur ein einziges Mal!« »Oh, Miss Thomas, wäre das wirklich so schön für Sie?«, fragte Tom verschmitzt. »Wäre es nicht eher ein Schock für Sie als eine angenehme Überra schung? Ich möchte wirklich nicht, dass Sie einen Schock kriegen.« »Wenn man bedenkt, dass du die Hälfte deiner Zeit damit zubringst, dir irgendwelchen Unfug aus zudenken, mit welchem du deine Mitmenschen schockieren kannst, so ist das eine recht dumme Be merkung«, sagte Miss Thomas. Und an die ganze Klasse gewandt fuhr sie fort: »Und nun schlagt Seite neunzehn in eurem Buch auf.« Janet und Michael stellten schon bald fest, dass sich der Unterricht in St. Roland kaum von dem unter schied, den sie von zu Hause gewohnt waren. Da sie beide helle Köpfe waren, hatten sie keine Probleme, mit den anderen mitzuhalten. Janet war sich sogar ziemlich sicher, dass sie durchaus Klassenbeste wer den konnte, wenn sie sich entsprechend anstrengte. Sie hatte ein phantastisches Gedächtnis und vergaß nie, was sie einmal gelesen oder gehört hatte. Diese Begabung machte ihr das Lernen leicht. Doris, das Mädchen mit der Brille, war immer die 35
Erste und Beste. Sie schien niemals irgendwelche Probleme zu haben. Sogar der leicht erregbare Fran zösischlehrer strahlte Doris an, wenn er sie sah, und lobte sie über den grünen Klee – was er kaum jemals bei den anderen tat. Janet und Mike hatten vor ihm sogar ein bisschen Angst. »Hattest du heute früh nicht auch den Eindruck, dass Monsieur Crozier so aussah, als würde er mich gleich fürchterlich zusammenputzen?«, fragte Janet eines Tages ihren Bruder. »Er schreit jeden fürchterlich zusammen, der ihm auch nur den leisesten Anlass dazu gibt«, entgegnete Tom lächelnd. »Im letzten Jahr hat er mich einmal so arg angebrüllt, dass ich beinahe aus der Haut gefah ren wäre. Ich bin gerade rechtzeitig wieder reinge schlüpft.« »Spaßvogel!«, sagte Mike. »Ich gehe jede Wette ein, dass du dir wieder einmal eine nette Bosheit für ihn ausgedacht hattest.« »Erraten«, mischte Fred sich ein. »Er hatte sich sei ne Locken mit weißer Farbe angemalt – und als Mon sieur Crozier ihn deshalb zur Rede stellte, was glaubt ihr, hat Tom da gesagt?« »Was denn?«, fragten Janet und Mike wie aus ei nem Mund. »Er sagte: ›Monsieur Crozier, von den Anstren gungen, die vielen französischen Verben zu lernen, 36
die Sie uns diese Woche aufgegeben haben, sind meine Haare weiß geworden‹«, berichtete Fred. »Ist es da verwunderlich, dass Monsieur Crozier getobt hat?« »Ich werde mir für den alten Monsieur noch etwas ganz besonders Schönes ausdenken, wartet es ab«, sagte Tom. »Da sind wir aber gespannt«, erwiderten die Kin der, die sich um ihn geschart hatten. »Hoffentlich müssen wir nicht zu lange darauf warten!« Ein, zwei Wochen gingen vorbei und Janet und Mike hatten sich sehr gut eingelebt. Ihnen gefiel alles an der neuen Schule. Der Unterricht war nicht beson ders anstrengend für sie. Die Lehrer waren prima. Das Feldhockeyspielen machte Spaß. Es wurde drei mal die Woche gespielt und jeder musste daran teil nehmen. Das Turnen war auch super. Mike und Ja net waren darin sehr gut und sie freuten sich schon immer auf die Stunden in dem großen Turnsaal. Um das Internat herum gab es herrliche Spazier und Wanderwege. Die Schüler durften sich dort frei bewegen, vorausgesetzt, sie machten sich mindestens zu dritt auf den Weg. So war es ganz natürlich, dass Janet, Mike und Tom häufig zusammen unterwegs waren. Auch die anderen Kinder nutzten diese Mög lichkeit zu Ausflügen in die nähere Umgebung. Sie 37
bildeten kleine Gruppen und streiften, wenn es die Zeit erlaubte, eine Stunde oder länger durch die Na tur, suchten nach Beeren und pflückten Haselnüsse. »Geht Nick niemals nach draußen?«, fragte Janet, als sie, Mike und Tom wieder einmal von einem er frischenden Spaziergang in der herbstlichen Nach mittagssonne zurückkehrten und Nick tief über ein Buch gebeugt in einer Ecke des Gemeinschaftsraums vorfanden. Er war der Einzige in dem Zimmer. Alle anderen hielten sich im Freien auf, spielten Hockey, machten sich im Garten nützlich oder streiften in den Hügeln umher. »Na ja, man darf ja nur zu dritt oder zu mehreren ausgehen«, erklärte Tom leise, »und natürlich fragt keiner Nick, ob er mitkommen will. Und er selbst würde niemals andere bitten, mit ihm zu gehen, weil er wohl sicher ist, dass sie ihm einen Korb geben.« »Warum kann ihn denn niemand leiden?«, fragte Janet. »Er wäre ja immerhin ein recht hübscher Jun ge, wenn er nicht immer so miesepetrig dreinblicken würde.« »Er kam erst im letzten Jahr zu uns«, erklärte Tom. »Zwar ist er nicht der Hellste, aber er ist ein wahnsinniger Streber. Büffelt in einer Tour, hat ständig die Nase in irgendeinem Buch und beteiligt sich niemals an den Dingen, die wir in der Freizeit hier treiben. Und als er bei den Prüfungsarbeiten im 38
letzten Schuljahr auch noch geschwindelt hat, da war der Ofen ganz aus. Keiner wollte mehr etwas mit ihm zu tun haben.« »Er dürfte nicht gerade sehr glücklich sein«, mein te Janet, die ein weiches Herz hatte und mit jedem gut auskommen wollte. »Vielleicht hat er es nicht anders verdient«, sagte Tom. »Aber selbst wenn man es nicht verdient hat, glücklich zu sein, so muss es doch schrecklich sein, wenn man es niemals ist«, entgegnete Janet. »Oje, versuch bloß nicht wieder den barmherzigen Engel zu spielen, Janet«, sagte Mike ungeduldig. »Denk daran, wie Leid dir dieser grässliche Hund unseres Nachbarn getan hat, der immer dafür ausgeschimpft wurde, dass er die armen Hühner scheuchte. Und was passierte, als du versuchtest, freundlich zu ihm zu sein, weil du meintest, er wäre unglücklich? Er schnappte nach dir und hätte dir beinahe den Finger abgebissen.« »Ich weiß«, erwiderte Janet. »Aber das war nur, weil er sich überhaupt nicht vorstellen konnte, dass jemand lieb zu ihm sein könnte.« »Also, Nick würde dir vermutlich den Kopf abbei ßen, wenn du ein paar freundliche Worte an ihn ver schwenden würdest«, sagte Tom lachend. »Pass auf, da kommt er schon!« 39
Die Kinder unterbrachen ihre Unterhaltung, als Nick sich von seinem Stuhl erhob und sich auf den Weg zur Tür machte. Er musste dabei an den dreien vorbeigehen und warf ihnen einen spöttischen Blick zu. »Schätze, ihr redet über mich, oder?«, sagte er. »Schon komisch, wie alle verstummen, sobald ich auftauche.« Als er an ihnen vorbeiging, rempelte er Janet so grob an, dass sie gegen die Wand flog. Die beiden Jungen wollten sich auf ihn stürzen, aber er war schon durch die Tür, bevor sie ihn packen konnten. »Na, willst du immer noch hinter ihm herlaufen und ihm Nettigkeiten sagen?«, fragte Tom Janet. Die schüttelte nur den Kopf. Sie fand Nick nun ebenfalls schrecklich – aber irgendwie tat er ihr trotz dem noch Leid. Mike und Janet schrieben fleißig Briefe an ihre El tern. »Wir sind so froh, dass wir in St. Roland sind«, schrieb Mike. »Es macht riesigen Spaß mit all den Jungen und Mädchen hier. Da Janet und ich in einer Klasse sind, sind wir so viel zusammen wie zu Hause. Übrigens würde ich mich gar nicht wundern, wenn sie schon bald Klassenbeste wäre. Das Hockeyspielen ist super. Ich bin schon ziemlich gut. Schickt uns bit te etwas Schokolade, wenn es geht.« Ihre Eltern schmunzelten beim Lesen dieser Briefe. 40
Sie verrieten ihnen, dass ihre Kinder auf der Schule, die sie für die beiden ausgewählt hatten, glücklich und zufrieden waren. Und das machte auch sie glücklich und zufrieden. »St. Roland ist prima«, schrieb Janet. »Ich bin heil froh, dass wir hierher kommen durften. Es geht hier sehr lustig zu!« So war es auch – und es sollte schon bald noch lus tiger werden!
4. Kapitel Tom hat nur Unfug im Sinn Tom hatte nur Unsinn im Kopf. Selbstverständlich kannte er alle üblichen Streiche – zum Beispiel den, bei dem man ein Stück Papier auf einer Seite mit Tinte voll schmierte und es dann jemandem wie ein ganz gewöhnliches Blatt überreichte – woraufhin der, wenn er zugriff, die Finger voller Tinte hatte. Er konnte Papier zu allen möglichen Flugobjekten fal ten. Er konnte ein Papierkügelchen so von unterhalb seiner Bank hervorschießen, dass es genau im ausge wählten Ziel landete. Es gab in dieser Hinsicht nichts, was Tom nicht kannte und beherrschte. 41
Seinen Platz in der hintersten Reihe behielt er ge rade mal vier Tage, dann setzte ihn Miss Thomas nach vorne in die erste Reihe. »Habe ich es dir nicht prophezeit, dass du keine Woche da hinten sitzen würdest?«, sagte sie. »Ich fühle mich viel wohler, wenn ich dich hier vorne unter meinen Augen habe. Das ist viel besser für dich – und für mich. Allein schon die Papierkügel chenkanonaden auf deine Mitschüler, die ernsthaft arbeiten möchten, dürften dir von hier aus schwerer fallen.« Der Streich, der Miss Thomas veranlasste, Tom wieder nach vorne zu setzen, hatte bei der Klasse große Heiterkeit ausgelöst. In der Geschichtsstunde hatte Miss Thomas Fragen zum durchgenommenen Stoff an die Tafel geschrieben und die Kinder sollten sie alle schriftlich beantworten. Janet hatte sich eifrig an die Arbeit gemacht, weil sie eine gute Note be kommen wollte. Auch Mike mühte sich redlich. Plötzlich bekam Janet einen leichten Stoß in die Rippen und sie blickte von ihrem Heft auf. Tom schien die Fragen schon beantwortet zu haben – al lerdings hatte Janet den leisen Verdacht, dass er hin ter einige einfach nur »Weiß ich nicht« geschrieben hatte. Tom deutete mit dem Kopf in Richtung Fens ter. Janet schaute nach draußen. Einer der Gärtner 42
machte sich emsig an einem der Beete zu schaffen. Es handelte sich um einen großen Mann mit einem ro ten Gesicht und einer dicken und langen Nase. »Sollen wir Meister Riechkolben einen kleinen Schrecken einjagen?«, flüsterte Tom und klappte den Deckel seiner Bank hoch, um sich dahinter zu verste cken. Janet nickte begeistert. Sie hatte keine Ahnung, was Tom im Schilde führte, aber ganz sicher würde es sehr lustig sein. Tom kramte in dem Fach so lange herum, bis er gefunden hatte, wonach er suchte. Es war ein kleiner Klumpen Ton. Tom schloss den Deckel wieder und bearbeitete den Ton unter der Bank in seiner Hand so lange, bis er warm und weich war. Dann zupfte er einzelne Stückchen aus dem Klumpen und drehte sie zu kleinen Kugeln. Janet und Mike beobachteten ihn aufmerksam. Miss Thomas blickte zu ihnen und sah, dass sie nicht mehr schrieben. »Janet! Michael! Tom! Wenn ihr die Fragen alle beantwortet habt, dann holt euer Geschichtsbuch hervor und geht die Antworten auf Seite dreiund zwanzig durch!« Die drei holten ihre Bücher hervor. Tom zwinker te den beiden Geschwistern übermütig zu. Er warte te, bis Miss Thomas ihnen den Rücken zudrehte, und 43
schnippte dann das Tonkügelchen geschickt mit dem Daumen aus dem offen stehenden Fenster. Es prallte gegen den Hut des Gärtners. Der erhob sich erstaunt und blickte zum Himmel hinauf, denn er glaubte, dass es zu regnen begonnen hätte. Janet kicherte leise. »Sei still!«, flüsterte Tom. Er wartete, bis der Mann wieder in die Hocke gegangen war. Seine Nase bilde te jetzt ein ideales Ziel. Plopp! Eine größere Kugel zischte durch das Fenster und traf dieses Mal genau die Nasenspitze des Mannes. Der Mann sprang hoch und rieb sich die Nase. Dann blickte er zum Fenster. Aber alles, was er sehen konnte, waren über Hefte gebeugte Köpfe und un schuldige Gesichter. Es gab allerdings ein kleines Mäd chen, das vergnügt vor sich hin kicherte. Natürlich war das Janet, die es einfach nicht fertig brachte, ernst zu bleiben. Der Gärtner murmelte etwas vor sich hin, schaute noch einmal auf die scheinbar eifrig lernenden Schü ler und ging dann vor dem Beet erneut in die Knie, um sich wieder seiner Arbeit zuzuwenden. Tom wartete einen Moment und ließ dann wieder eines seiner Geschosse durchs Fenster sausen. Es traf den Mann draußen mitten auf die Wange. Mit einem Schmerzenslaut sprang er wieder in die Höhe. Neugierig schauten die Kinder von ihrer Arbeit 44
hoch. Miss Thomas blickte überrascht zum offenen Fenster, vor dem jetzt der Gärtner stand. »Nun reicht es mir aber«, sagte der Mann und starrte in das Zimmer. »Wer von euch war das? Wer hat mit einer Erbse oder so was Ähnlichem nach mir geschossen? Wo ist euer Lehrer?« »Ich bin hier«, erwiderte Miss Thomas. »Was ist los? Jemand hat Sie mit Erbsen beworfen? Ich glaube nicht, dass einer der Schüler hier so etwas täte. Sie müssen sich irren. Bitte stören Sie den Unterricht nicht weiter!« »Irren soll ich mich? Glauben Sie im Ernst, ich merke nicht, wenn man mit Erbsen oder sonst was auf mich schießt?«, sagte der Gärtner entrüstet. Er starrte zu Janet hinüber, die immer noch leise kicherte. »Das merke ich sehr wohl. Und das Mädchen dort hat es getan, wenn Sie mich fragen. Schauen Sie doch, wie sie sich amüsiert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sogar gesehen habe, wie sie auf mich schoss.« »Das reicht jetzt!«, sagte Miss Thomas. »Ich werde mich mit der Angelegenheit befassen. Es tut mir Leid, dass Sie bei Ihrer Arbeit gestört worden sind.« Sie schloss das Fenster und der Mann schlurfte wie der zu seinem Beet zurück. Miss Thomas fixierte Janet, die einen roten Kopf bekommen hatte. »Würdest du in Zukunft freundli cherweise die Gärtner ihre Arbeit in Frieden tun las 45
sen, Janet?«, sagte sie scharf. »Räum deine Sachen aus deiner Bank und bringe sie zu dem freien Platz in der ersten Reihe. Ich glaube, es ist besser, wenn du vorne sitzt.« Janet wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie konnte Tom doch nicht verraten. Wenn sie behauptete, dass sie es nicht gewesen sei, würde Miss Thomas wissen wollen, wer es sonst getan habe. Und dann würde Tom großen Ärger bekommen. So klappte sie mit zitternder Unterlippe den Deckel ihrer Bank auf und begann ihre Sachen auszuräumen. Da meldete sich Tom zu Wort. »Es war nicht Ja net«, sagte er. »Ich hab’s getan. Mir hat die Nase die ses Mannes nicht gefallen und deshalb habe ich mit Tonkügelchen nach ihm geworfen. Miss Thomas, ich glaube, Sie hätten genauso gehandelt, wenn Sie diese große Nase da draußen gesehen hätten.« Die Mitschüler brachen in schallendes Gelächter aus, während Miss Thomas keine Miene verzog und Tom eisig anblickte. »Zu deinem großen Glück sind meine Manieren besser als deine«, sagte sie. »Ich könnte sonst nicht garantieren, was ich mit dir mache. Pack jetzt deine Sachen zusammen und komm nach vorne. In Zu kunft werde ich dich während meiner Unterrichts stunden nicht aus den Augen lassen.« Mit viel Geseufze und Gestöhne räumte Tom sei 46
nen Platz neben Janet und zog nach vorne um. »Wie schade, Tom«, meinte Janet nach der Stun de, als sie auf Monsieur Crozier warteten. »Jetzt hast du kaum eine Chance, irgendetwas auszuhecken – in der ersten Reihe bist du ständig unter Kontrolle.« »Ach du Unschuldsengel«, klärte Fred sie auf. »Glaubst du im Ernst, dass sich Tom dadurch von irgendwas abhalten ließe?« Und Fred sollte Recht behalten. Mit Monsieur Crozier war nicht gut Kirschen essen. Er war immer leicht gereizt, und man wusste nie, wie er auf etwas reagieren würde. Wenn Tom oder Marian irgendetwas Witziges sagten, warf er manchmal seinen Kopf mit den grauen Haaren nach hinten und brach in schallendes Gelächter aus. Es kam aber ge nauso oft vor, dass er solche Äußerungen überhaupt nicht lustig fand und einen Wutanfall bekam. Kaum einer der Schüler erlaubte sich irgendeinen Scherz mit dem Französischlehrer. Tom war natür lich wieder die Ausnahme. Als Janet und Mike eines Morgens in die Klasse kamen, sahen sie Tom in einer Ecke hinter dem Lehrerpult knien. Er schien irgend etwas hinter den aufgerollten Landkarten, die dort standen, zu verstecken. »Was hast du schon wieder vor?«, fragte ihn Janet neugierig. 47
Tom grinste. »Ich habe eine kleine Überraschung für unseren lieben Monsieur vorbereitet«, antwortete er. »Und wie sieht die aus?«, fragte Mike und beugte sich zu ihm herab. »Ganz einfach«, erklärte Tom bereitwillig. »Siehst du die zwei leeren Garnrollen hier? Ich habe um jede einen dünnen schwarzen Faden gewunden. Und schau mal, wo diese Fäden hinführen: hinter dem Schrank, dem Bücherregal und den Heizungsrohren zu meinem Tisch. Was passiert wohl, wenn ich an den Fäden ziehe?« »Die Garnrollen werden in der Ecke herumtan zen«, kicherte Janet. »Und Monsieur Crozier wird keine Ahnung haben, was das für ein Geräusch ist, weil die Ecke so weit von seinem Pult entfernt ist. Was für eine tolle Idee!« Vor der Unterrichtsstunde erklärte Tom der ganzen Klasse, was er vorhatte. Es war keine großartige Ange legenheit, aber sie versprach doch lustig zu werden, und die Schüler waren begeistert. In der Französisch stunde sollten an diesem Morgen Verben abgefragt werden, was im Allgemeinen furchtbar langweilig war. Nun würde es vielleicht doch noch ganz witzig werden. Monsieur Crozier betrat, die Brille auf der Nase, das Klassenzimmer. Sein volles, dichtes Haar stand ihm unordentlich vom Kopf ab. Ganz offensichtlich hatte er mit irgendjemandem eine Auseinanderset 48
zung gehabt, denn er pflegte sich immer die Haare zu raufen, wenn er wütend war. Die Kinder grinsten verstohlen, als sie ihn hereinkommen sahen. »Asseyez-vous!«, bellte Monsieur Crozier und die Kinder setzten sich sofort hin. In klaren, einfachen Sätzen erläuterte er, was sie in dieser Stunde zu tun hatten. Ein Kind nach dem anderen sollte aufstehen und die Verben aufsagen, die sie seit der letzten Französischstunde hatten auswendig lernen müssen. Diejenigen, die gerade nicht an der Reihe waren, soll ten die Wörter niederschreiben. »Ich erwarte, dass heute Morgen anständig gear beitet wird«, sagte der Französischlehrer. »Die sieben te Klasse hat heute eine blamable Leistung erbracht – blamaaabel! Ich möchte bei euch nichts Ähnliches er leben, verstanden?« »Ja, Monsieur Crozier«, antwortete die Klasse im Chor. Monsieur Crozier schaute zu Tom, der wie die Unschuld in Person dasaß. »Ich erwarte, dass auch du dich anstrengst, Tom. Du musst nicht unbedingt immer das Schlusslicht sein. Wenn ich nicht genau wüsste, dass du genug Verstand hast, dann würde ich dich nur bedauern und mir sagen: ›Der arme Junge. Er kann nichts dafür.‹ Aber du bist nicht dumm. Es ist wirklich ein Trauerspiel mit dir, Tom.« »Ja, Sir«, sagte Tom und Monsieur Crozier ließ 49
sich mit einem Seufzer auf seinem Stuhl nieder. Fred kam als Erster mit den Verben dran. Der Rest der Klasse beugte sich über die Hefte und schien eifrig mitzuschreiben. In Wirklichkeit warteten sie alle darauf, dass Tom mit seinem Spaß begann. Aber Tom verhielt sich so lange ruhig, bis Fred sich wieder hingesetzt hatte. Monsieur Crozier kritzelte eine Note in sein kleines Merkbuch und einen Moment lang war es mucks mäuschenstill im Raum. Da zog Tom an den Fäden, die an seiner Bank en deten, und im gleichen Augenblick begannen die Garnrollen hinten in der Ecke zu hüpfen und zu kreiseln und einen klappernden Tanz aufzuführen. Monsieur Crozier blickte verwirrt auf. Er konnte nicht ausmachen, wo das Geräusch herkam. Er warf einen Blick auf die Klasse, die friedlich dasaß. Die Kinder hatten die Köpfe über ihre Hefte gebeugt, damit er nicht sehen konnte, dass sie nur mit Mühe ihr Grinsen verbargen. Noch schöpfte Monsieur Cro zier keinen Verdacht. Janet konnte allerdings das La chen kaum noch unterdrücken und presste sich ver zweifelt die Hand auf den Mund. Sie war eine hoff nungslose Kichererbse. Mike schaute beunruhigt zu ihr hinüber. Janet verdarb ihnen so oft das Vergnü gen, weil sie sich nicht beherrschen konnte und vor zeitig in lautes Gelächter ausbrach. 50
Da hörten die seltsamen Geräusche wieder auf und
Monsieur Crozier rief Doris auf. Sie machte – wie immer – so gut wie keinen Fehler und durfte sich wieder setzen. Der Lehrer notierte seine Beurteilung ins Merkbüchlein – und Tom zog an den Fällen. Die Garnrollen begannen wieder ihren lustigen Tanz hinter den Landkarten. »Was ist das für ein merkwürdiges Geräusch?«, fragte der Lehrer genervt und schaute sich um. »Was für ein Geräusch?«, erkundigte sich Tom mit Unschuldsmiene. »Ist da irgendwo etwas zu hören? Ich habe gerade ein Flugzeug gehört, das über unsere Schule geflogen ist.« »Ein Flugzeug verursacht keine merkwürdigen Ge räusche im Klassenzimmer«, erwiderte der Lehrer ge reizt. »Es klingt wie das Klappern von Holzstücken. Wo mag das wohl herkommen? Wer macht das?« »Klappern, Sir?«, fragte Mike scheinheilig und schaute suchend in die Runde. »Meine Bank klap pert, weil sie wackelig ist, Sir. Vielleicht haben Sie das gehört?« Mike rüttelte wie wild an seiner Bank und erzeugte damit einen ziemlichen Lärm. Die Kinder lachten. »Hör auf der Stelle auf damit!«, brüllte Monsieur Crozier, der kurz davor war, an die Decke zu gehen. »Was ich höre, ist nicht deine Bank. Ruheeee! Seid alle mal ganz still und achtet mit mir auf dieses Geräusch!« 51
Im Klassenraum herrschte Totenstille, denn selbstverständlich zog Tom jetzt nicht an den Fäden. Kein Laut war zu vernehmen. Dann stand Eric auf, und sowie er mit seiner Piepsstimme die Verben herunterzuleiern begann, zog Tom wieder an den Fäden. Die Garnrollen tanzten und rappelten hinter den Landkarten und erzeugten auf dem Holzfußboden einen Höllen lärm. »Da! Da ist es wieder!«, rief der Lehrer aufgeregt. »Still, Eric! Sei still! Hört ihr es?« Alle lauschten angestrengt. Tom konnte der Ver suchung nicht widerstehen und zog in diesem Au genblick besonders heftig an den Fäden. Die Garn rollen klapperten fröhlich. Klickediklack-klickediklack-klickediklack, tönte es aus der Ecke und die Schüler begannen wieder zu ki chern. »Es scheint aus der Ecke zu kommen, wo die Landkarten stehen«, sagte der Lehrer verblüfft. »Höchst sonderbar!« »Vielleicht sind es Mäuse«, meinte Michael. Tom grinste anerkennend. Mike war ein guter Mitspieler. Monsieur Crozier war kein Freund von Mäusen. Er starrte nervös in die Ecke mit den Landkarten. Sollte sich eines der Kinder wieder einen Schaber nack ausgedacht haben und der Urheber dieser Ge 52
räusche sein? Aber nein, die Landkarten standen viel zu weit von den Bänken der Kinder entfernt. »Soll ich mal nachsehen?«, fragte Tom und stand auf. »Ich habe keine Angst vor Mäusen. Mike hat wahrscheinlich Recht. Es klingt wirklich so, als hätte sich dort hinten eine Maus verirrt. Soll ich nach schauen, Sir?« Tom hatte sich bei seinem hilfreichen Angebot na türlich etwas gedacht. Er wollte so tun, als sähe er hinter den Landkarten nach dem Rechten. In Wirk lichkeit aber wollte er die beiden Garnrollen rasch in seiner Hosentasche verschwinden lassen, nachdem er die Fäden abgemacht hatte. Dann wollte er lauthals verkünden, dass weit und breit keine Maus zu sehen sei. Als er aber in der Ecke angelangt war, konnte er es nicht lassen, den Spaß noch etwas weiter auf die Spitze zu treiben. Ich werde so tun, als wäre tatsächlich eine Maus da, überlegte er. Das wird der Klasse erst richtig gefallen. Er kniete sich in die Ecke und nestelte hinter den Landkarten herum, bis er die Fäden gelöst und die Rollen in seiner Hosentasche verstaut hatte. Dann stieß er einen so durchdringenden Schrei aus, dass alle – sogar der Lehrer – zusammenfuhren. »Eine Maus!«, brüllte Tom. »Eine Maus! Komm her, du kleines freches Biest! Sir, es ist wirklich eine Maus!« Natürlich wussten die Kinder ganz genau, dass 53
keine Maus da war. Janet versuchte ihr lautes Gluck sen als Hustenanfall zu tarnen, um nicht die Auf merksamkeit des genervten Französischlehrers auf sich zu ziehen. Sie sah, dass sich sogar der sauertöpfi sche Nick das Grinsen kaum verkneifen konnte. Tom warf inzwischen die Landkarten um und ver suchte die nicht vorhandene Maus zu fangen. Er tat so, als wäre das verschreckte Tier in seiner Angst mit ten ins Klassenzimmer geflüchtet. Er sprang hinter der eingebildeten Maus her, kroch unter den Bänken hin durch und nahm dabei einen kleinen Schreibtisch beinahe auf seinem Rücken mit. Die Kinder bogen sich vor Lachen. Die wütende Stimme von Monsieur Crozier ging in dem Tumult völlig unter. »Komm hierher! Auf der Stelle!«, brüllte Tom, dem das Ganze am meisten Spaß zu machen schien. »Ah, jetzt hab ich dich. Nein, doch nicht! Das war nur der Schwanz. Aber jetzt, jetzt hab ich dich. Mei ne Güte, was für eine Maus! Das gibt es ja nicht! Ups, jetzt ist sie wieder weg!« Mike verließ seinen Platz, um Tom zu helfen. Die beiden Jungen krochen auf allen vieren unter den Bänken herum und trieben den Lehrer, der verge bens auf sein Pult hämmerte, fast in den Wahnsinn. Aber es war ihm einfach unmöglich, die Klasse zu bändigen. Die Kinder brüllten vor Lachen, bis ihnen die Seiten wehtaten. 54
Mitten in dieses Durcheinander platzte wut schnaubend Miss Thomas. Sie hatte im angrenzen den Klassenzimmer Unterricht gegeben und wollte nachsehen, was der Lärm im Nebenraum zu bedeu ten hatte. Sie war sich sicher, dass die sechste Klasse unbeaufsichtigt sein musste, und blieb fassungslos wie angewurzelt stehen, als sie Monsieur Crozier mit zorngerötetem Gesicht vor seiner außer Rand und Band geratenen Klasse stehen sah. Beim Anblick ihrer Klassenlehrerin verstummten die Kinder augenblicklich. Miss Thomas konnte sehr unangenehme Strafen verhängen, und die Jungen und Mädchen hatten das unbehagliche Gefühl, dass sie ihnen die Geschichte mit der Maus nicht abneh men würde. »Entschuldigen Sie bitte, Monsieur Crozier«, sagte sie zu ihrem Kollegen, »ich war der Meinung, dass Sie für einen Moment das Klassenzimmer verlassen hätten.« »Miss Thomas, ich finde Ihre Klasse absolut unge zogen«, erwiderte Monsieur Crozier, der sich nicht entscheiden konnte, ob er seine Wut an der Kollegin oder an den Kindern auslassen sollte. »Sie sind un diszipliniert und haben keine Manieren. Schauen Sie sich das hier nur einmal an! Sie verfolgen eine Maus und jagen sie durchs Klassenzimmer. Oh, diese schlimmen, ungezogenen Kinder!« 56
»Eine Maus?«, fragte Miss Thomas überrascht. »Wo soll hier eine Maus herkommen? Wir haben in unserer Schule keine Mäuse. Dafür sorgen schon un sere Katzen. Oder hat einer von euch vielleicht eine zahme Maus?« »Nein, Miss Thomas«, riefen die Kinder im Chor. »Wir haben was hinter dieser Landkarte gehört«, fing Tom an, aber Miss Thomas brachte ihn mit ei nem eisigen Blick zum Schweigen. »Du hast also etwas gehört, ja?«, sagte sie unange nehm leise. »Du bist mir doch hoffentlich nicht böse, Tom, wenn ich an deine Maus nicht glaube.« Und an die anderen Schüler gewandt, fuhr sie fort: »Vor der nächsten Stunde habe ich mit euch allen ein Wört chen zu reden.« Dann blickte sie ihren Kollegen an. »Entschuldigen Sie bitte, dass ich so hereingeplatzt bin, Monsieur Crozier. Und ich entschuldige mich auch für meine Klasse.« Nachdem sie gegangen war, verhielten sich die Kinder wieder friedlich. Ihr Französischlehrer gab ihnen am Ende der Stunde solche Mengen von Hausaufgaben auf, dass sie aufgestöhnt hätten, wä re da nicht dieser Blick und der Tonfall in seiner Stimme gewesen. So blieben sie lieber still. Nur Tom wollte protestieren. Er kam jedoch nicht weit, denn Monsieur Crozier schrie ihn so an, dass er den Mund ganz schnell wieder zumachte. Monsieur 57
Crozier konnte ungenießbar werden, wenn ihm der Kragen platzte. Miss Thomas war äußerst ungehalten, als sie die Kinder vor Beginn der nächsten Stunde um sich versammelte. Natürlich nahm sie ihnen die Ge schichte mit der Maus nicht ab. Sie fragte, wer von ihnen die Ecke, aus der die Geräusche kamen, un tersucht habe. »Das war ich«, sagte Tom, der nie zögerte, sich zu seinen Streichen zu bekennen. »Das dachte ich mir bereits«, meinte Miss Tho mas. »Du wirst mir bis heute Abend einen vier Seiten langen Aufsatz über die Lebensgewohnheiten der Mäuse schreiben.« »Aber Miss Thomas«, stieß Tom hervor, »Sie wis sen doch, dass heute Nachmittag dieses Hockeyspiel stattfindet, bei dem wir alle zuschauen wollen, und nach dem Tee gibt es ein Konzert.« »Das interessiert mich überhaupt nicht, Tom«, sagte Miss Thomas. »Im Augenblick interessieren mich nur ganz außerordentlich die Lebensgewohn heiten der Mäuse. Und weil das so ist, bestehe ich darauf, dass du diesen Aufsatz bis sieben Uhr heute Abend bei mir ablieferst. Und jetzt will ich kein Wort mehr darüber hören, Tom, es sei denn, du möchtest auch noch einen Aufsatz über – sagen wir einmal – 58
Garnrollen schreiben. Du solltest inzwischen wissen, dass ich nicht so leicht hinters Licht zu führen bin wie Monsieur Crozier.« Damit war alles gesagt. Janet und Mike verzichte ten darauf, sich das Hockeyspiel anzusehen, und hal fen Tom stattdessen bei seinem Aufsatz. Mike suchte alles Wissenswerte über Mäuse zusammen und Janet kümmerte sich um die Rechtschreibung. Unter viel Jammern und Stöhnen schaffte es Tom, bis sieben Uhr vier Seiten voll zu kriegen, wobei er so groß wie nur irgend möglich schrieb. »Ich finde es sehr nett von euch, dass ihr mir ge holfen habt«, sagte er dankbar. »Na ja«, meinte Michael, »schließlich haben wir gemeinsam Spaß gehabt, da sollten wir doch auch gemeinsam die Strafe auf uns nehmen, oder?«
5. Kapitel Ein toller Einfall Ein paar Wochen waren vergangen und Mikes Ge burtstag stand vor der Tür. Er konnte es kaum noch erwarten, denn er wusste, dass er viele Päckchen be kommen würde, und er hoffte, dass auch eines mit 59
einer tollen Geburtstagstorte von seiner Mutter dabei sein würde. »Hoffentlich ist die Torte nicht in tausend Stücke zerfallen, wenn sie hier ankommt«, sagte er zu seiner Schwester. »Du weißt, was Fred über seinen Ge burtstag vor den großen Ferien und über den Ku chen erzählt hat, den er bekommen hat. Er war so zerbröselt, dass sie ihn mit Löffeln essen mussten. Ich glaube, ich werde Mama vorsichtshalber warnen und sie bitten, die Torte sehr, sehr gut zu verpacken.« Aber seine Mutter ging erst gar kein Risiko ein. Sie schrieb Mike, er sollte sich selber in der großen Kon ditorei in der Stadt eine Torte kaufen. »Ich habe auch nichts dagegen, wenn du eine kleine Party für deine besten Freunde geben willst«, schrieb sie wei ter. »Kauf etwas zu essen und zu trinken ein und sag in den Geschäften, man möge die Rechnung an mich schicken. Ich weiß, ich kann mich darauf verlassen, dass du beim Einkaufen nicht übertreiben wirst. Ich wünsche dir ganz viel Spaß dabei. Achte darauf, dass viel Zuckerguss auf der Geburtstagstorte ist.« Mike war hocherfreut. Er zeigte Tom den Brief. »Ist meine Mutter nicht fabelhaft?«, sagte er. »Wenn du Lust hast, kannst du mit mir und Janet in die Stadt gehen, wenn wir alles aussuchen und bestel len.« »Du willst doch nicht etwa alle Jungs und Mäd 60
chen aus unserer Klasse zu deiner Party einladen, oder?«, fragte Tom. »Ich schätze, das würde deine Mutter ein mittleres Vermögen kosten.« »Meinst du?« Mike hatte sich das noch gar nicht überlegt. »Aber was soll ich dann machen? Wenn ich nur einige einlade, werden die anderen sauer sein.« »Hm! Ja, da könntest du Recht haben. Lass mich überlegen. Wie wär’s, wenn du nur die Jungs aus deinem und die Mädchen aus Janets Schlafsaal einla den würdest?«, meinte er dann. »Das wäre doch eine gute Lösung.« »Ja, wirklich. Das ist eine gute Idee«, sagte Mike erleichtert. »Gut wäre es auch, wenn wir unsere Party in einem abgetrennten Zimmer feiern könnten, da mit die anderen, die nicht eingeladen sind, nicht zu sehen müssen, wie wir uns die Geburtstagstorte und all die anderen leckeren Sachen schmecken lassen. Ich käme mir dabei ein wenig schäbig vor.« »Da fällt mir noch etwas ein«, sagte Tom. Er war ganz aufgekratzt. »Hört zu! Warum veranstalten wir nicht eine Mitternachtsfete? Wir haben schon über ein Jahr keine mehr gehabt, da wird es langsam Zeit.« »Eine Mitternachtsfete?«, fragte Janet. Vor Stau nen fielen ihr fast die Augen aus dem Kopf. »Oh, das wäre ja riesig. Ich habe schon einiges über solche Partys gehört. Die sollen einen Riesenspaß machen. 61
Ach, Mike, bitte lass uns deine Party in der Nacht feiern – mitten in der Nacht! Bitte, bitte!« Mike musste von seiner Schwester gar nicht erst groß überredet werden. Er fand den Gedanken ge nauso großartig wie sie und Tom. Aufgeregt began nen die drei sogleich Pläne zu schmieden, wie und wo und was alles zu machen war. »Soll die Fete in eurem oder in unserem Schlafsaal stattfinden?«, fragte Janet die Jungen. »Weder noch«, meinte Tom. »Mr. Wills schläft neben unserem Raum und Miss Thomas neben eu rem, Janet. Mindestens einer von beiden wird be stimmt etwas hören, denn geräuschlos wird unsere Fete ja nicht sein, und dann kriegen wir Ärger.« »Wir müssen doch nicht unbedingt Lärm ma chen«, sagte Janet, »wenn wir einfach nur essen und trinken.« »Aber Janet! Gerade du musst das sagen. Du könn test doch wohl kaum eine oder gar zwei Stunden aus halten, ohne einen deiner Lachanfälle zu kriegen«, sagte ihr Bruder. »Und du machst dabei einen Hei denlärm. Schon dein Gekicher klingt wie eine mittle re Explosion.« »Stimmt, du hast Recht«, gab Janet kleinlaut zu. »Ich kann nun mal nichts dagegen tun. Ich versuche es zwar immer zu unterdrücken, aber je mehr ich das tue, desto schlimmer wird es. Manchmal habe ich 62
schon Angst, dass ich platze, und dann – plötzlich – kann ich nicht mehr an mich halten und … na ja, du weißt, was dann passiert. Also schön, wenn wir die Fete nicht in einem unserer Schlafsäle feiern können, wo soll sie dann stattfinden?« Alle drei überlegten angestrengt. Plötzlich grinste Tom fröhlich. »Ich hab’s. Ich weiß genau den richti gen Platz dafür. Den großen Geräteschuppen der Gärtner! Was haltet ihr davon?« »Den Geräteschuppen?«, wiederholten Janet und Mike wie aus einem Munde. »Warum ausgerechnet dort?« »Na, weil er nicht im Schulgebäude ist«, sagte Tom, »und wir dort deshalb Krach machen können, so viel wir wollen. Außerdem ist er nicht weit von dem kleinen Türchen entfernt, durch das wir immer zu den Sportplätzen gehen. Wir können uns ohne Probleme dorthin schleichen und hindurchschlüp fen. Und – das kommt auch noch dazu – wir können dort wunderbar unsere Einkäufe aufbewahren. Wir verpacken sie in Schachteln und decken sie mit den Säcken zu, die dort in Massen herumliegen.« »Ja, das klingt wirklich gut«, meinte jetzt auch Mi chael. »Es wäre sicher besser, wenn wir die Party au ßerhalb des Schulgebäudes veranstalten – denn ohne ein wenig Radau wird sie wohl kaum abgehen.« »Unsere letzte Mitternachtsfete haben wir in einem 63
Schlafsaal abgehalten«, erzählte Tom. »Irgendwann ließ jemand eine Limoflasche auf den Boden fallen. Das Gepolter hat uns einen solchen Schrecken einge jagt, dass wir alle in unsere Betten gehüpft sind. Natür lich war die Party damit beendet. Wenn wir unsere Fe te im Gartenschuppen feiern, brauchen wir vor nichts und niemandem Angst zu haben. Also abgemacht?« Der Veranstaltungsort stand damit fest. Als Nächs tes stand der Ausflug hinunter in die Stadt auf dem Programm, um dort die feinen Sachen für das leibli che Wohl einzukaufen. Zuerst gingen sie in die große Konditorei, wo Mike seine Geburtstagstorte aussuchte und bestellte. »Sie muss sehr groß sein«, erklärte er der Verkäuferin. »Für zwölf Personen. Und sie soll ganz und gar mit rosa Zuckerguss überzogen sein. Und oben drauf soll in Weiß ›Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag‹ stehen. Können Sie das machen?« »Aber sicher«, sagte die Verkäuferin und schrieb Mikes Namen und die Adresse seiner Mutter auf, der die Rechnung zugeschickt werden sollte. »Irgendwelche Vorschläge, was wir sonst noch nehmen sollen?«, fragte Mike seine Schwester und Tom. Die beiden ließen sich nicht zweimal bitten und so wurde die Bestellung noch um Mohrenköpfe, Scho koladenkekse, Plätzchen und Rosinenbrötchen er 64
weitert. Danach marschierten sie zu einem Lebens mittelladen und bestellten ein paar Büchsen von die ser dickflüssigen, süßen Kondensmilch, die sie alle so gern hatten. Auf Toms ausgefallenen Wunsch hin orderten sie Ölsardinen und Janet wünschte sich Ananasscheiben in Dosen. Limonade durfte bei einer Fete natürlich auch nicht fehlen. Man versprach ihnen, alles in einen Karton zu pa cken und für sie bereitzuhalten, wenn sie die Sachen abholen wollten. Die Kinder nahmen sich vor, an Mikes Geburtstag gleich nach dem Unterricht in die Stadt zu gehen und alles abzuholen. Sie konnten den Tag kaum noch erwarten. Später gingen Janet und Mike noch einmal alles durch, was sie bestellt hatten, und kamen zu dem Schluss, dass es genug war, um alle ordentlich satt zu machen. »Und nun müssen wir nur noch die Jungen und Mädchen zu meiner Party einladen«, sagte Mike zu frieden. »Ich sag es heute Abend den Mädchen in meinem Schlafsaal«, bot Janet an. »Die anderen aus der Klasse sind dann nicht dabei und kriegen deshalb nichts da von mit. Ich bin übrigens dafür, dass wir außer de nen, die wir einladen, niemandem etwas von unserer Fete sagen. Wir wollen schließlich vermeiden, dass irgendein Lehrer davon Wind bekommt. Sag den 65
Jungs in eurem Schlafsaal, dass sie auch ihren Mund halten sollen, Mike.« »In Ordnung«, erwiderte Mike, dann runzelte er die Stirn. »He, Janet, mir fällt gerade was ein. Was machen wir mit Nick? Sollen wir ihn auch einladen?« Janet blickte ihren Bruder ratlos an. Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. »Na ja«, meinte sie schließlich, »besser wäre es schon, wenn wir es täten. Es würde vermutlich einen miserablen Eindruck ma chen, wenn wir ihn übergehen. Er gehört immerhin zu deinem Schlafsaal. Zwar kann ihn keiner ausste hen, aber ich kann mir vorstellen, dass er sich ganz scheußlich fühlt, wenn er erfährt, dass wir eine Party feiern und ihn nicht dabeihaben wollen.« »Na schön«, sagte Mike, »dann frage ich ihn eben, ob er mitmachen will. Wenn er bloß nicht so ein furchtbarer Miesepeter und Langweiler wäre!« Tom fand auch, dass man Nick zumindest fragen sollte. »Ich könnte zwar auf ihn verzichten, aber er gehört nun mal zu unserem Schlafsaal«, meinte er. »Es dürfte ihn ziemlich hart treffen, wenn alle ande ren eingeladen sind, nur er nicht.« Mike hatte also beschlossen, Nick ebenfalls einzu laden, aber dann geschah etwas, was seine Meinung änderte. Schuld daran war Tom und es passierte in der Unterrichtsstunde von Mr. Wills.
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Mr. Wills unterrichtete gerade die sechste Klasse in Mathematik, was Tom – wie sollte es anders sein – langweilte. Er hasste Mathe und kam höchst selten zu einem richtigen Ergebnis. Mr. Wills hatte fast schon alle Hoffnung aufgegeben und ließ Tom, so lange er still war und die anderen nicht störte, in Ruhe. Wenn er aber merkte, dass Tom wieder ir gendetwas im Schilde führte, konnte er fuchsteu felswild werden. Tom wusste, dass mit Mr. Wills nicht zu spaßen war, und hatte Respekt vor ihm. Gewöhnlich be nahm er sich deshalb in den Mathestunden auch immer mustergültig. An diesem Morgen schien ihn aber wieder einmal der Hafer zu stechen. Er hatte in der Nacht tief und fest geschlafen und strotzte so vor Übermut, dass er kaum still sitzen konnte. Er hatte für die nächste Stunde – Französisch stand auf dem Stundenplan – einen Streich ausgeheckt und konnte es nun kaum erwarten, damit loszulegen. Es handelte sich dabei wieder um einen Trick mit einer Schnur. Mit Schnüren, Fäden oder Bändern hatte Tom sich schon oft meisterhafte Sachen ausge dacht. Darin war er ganz große Klasse. An diesem Morgen war er vor der ersten Stunde ins Klassen zimmer geschlichen und hatte dicke gelbe Schnüre an den Bolzen angebracht, die die schwarze Tafel in ihrem Gestell festhielten. Ein Ruck an einer der bei 67
den Schnüre – und die Bolzen würden herausfliegen und die Tafel auf den Boden poltern. Tom schaute zu Mr. Wills. Der fing seinen Blick auf und runzelte argwöhnisch die Stirn. »Na, Tom! Wieder mal keine Lust? Streng dich doch wenigstens ein bisschen an«, ermahnte er seinen faulen Schüler. »Wenn du auch nicht zwei und zwei richtig zusam menzählen kannst, so solltest du zumindest so tun als ob, damit du wenigstens den Eindruck erweckst, dass du irgendwas tust.« »Ja, Mr. Wills«, sagte Tom lammfromm und krit zelte ein paar belanglose Zahlen in sein Heft. Es juck te ihn in den Fingern, die Bolzen aus der Fassung zu ziehen. Da er in der ersten Reihe saß, konnte er mü helos mit einem Satz bei der Tafel sein, den Bolzen aufheben und die Schnur verschwinden lassen, bevor Mr. Wills den Trick durchschaut hätte. Eigentlich zu gefährlich, so ein Spielchen bei Mr. Wills zu treiben, überlegte er, aber ehe ich mich zu Tode langweile … Mich kribbelt’s zu sehr in den Fin gern, ich muss unbedingt irgendetwas tun! Er drehte sich nach hinten zu Mike um. Der zwin kerte ihm zu. Tom zwinkerte zurück, erst einmal, dann zweimal mit dem linken und zweimal mit dem rechten Auge. Das war das Zeichen für Mike, dass er etwas im Schilde führte und es gleich losgehen wür de. 68
Mike stupste Janet an. Beide schauten gespannt nach vorne. Nick wurde auf sie aufmerksam und fragte sich, was da vor sich ging. Vermutlich, über legte er, hat Tom wieder irgendeinen Unfug im Sinn. Er schaute neugierig zu ihm hin. Mr. Wills befand sich gerade im hinteren Teil des Klassenzimmers, um Berthas Rechenkünste zu über prüfen, als Tom an der Schnur zog. Einer der Bolzen flog aus der Halterung heraus, die Tafel kippte nach einer Seite und polterte dann mit einem ohrenbetäu benden Krach zu Boden. In der Klasse fuhren alle vor Schreck hoch. Mike und Janet, die gewusst hatten, was passieren würde, versuchten krampfhaft das La chen zu unterdrücken. Ehe sie sich versahen, war Tom von seiner Bank aufgesprungen und wie ein geölter Blitz zur Tafel ge stürmt. Er hob den Bolzen auf, stopfte ihn in die Halterung und hievte die Tafel an ihren Platz zurück. Er überlegte noch, ob er die Schnur abmachen sollte, entschloss sich aber, sie dranzulassen – vielleicht konnte er das Spielchen gleich noch einmal wieder holen. »Danke, Tom«, sagte Mr. Wills, der keinen Au genblick daran dachte, dass es sich hier um einen Streich handeln könnte. Und zur Klasse gewandt, fügte er hinzu: »Fahrt mit eurer Arbeit fort!« Die Schüler vermuteten natürlich alle, dass Tom 69
hinter dieser Geschichte steckte, und sie warteten ge spannt darauf, dass sich das Ganze gleich noch ein mal abspielen würde. Mr. Wills war inzwischen zu Nick gegangen und prüfte dessen Arbeit. Fast alle Endergebnisse waren falsch und der Lehrer hielt ihm eine kleine Standpauke. »Was hast du dir denn dabei gedacht, als du diese Zahlen niedergeschrieben hast? Kannst du mir verra ten, wie du zu diesen Ergebnissen gekommen bist? Keiner deiner Mitschüler hat so viele Fehler ge macht.« Nick wurde puterrot. Er hasste es, wenn er vor der ganzen Klasse abgekanzelt wurde. »Ich wette, Tom hat noch mehr Fehler gemacht als ich«, verteidigte er sich zaghaft. Im selben Augenblick zog Tom mit der Schnur beide Bolzen aus ihren Halterungen und die Tafel donnerte noch lauter als beim ersten Mal zu Boden. Die Kinder kicherten und Janet bekam wieder einen ihrer berühmten Lachanfälle. Sie steckte damit ihre Schulkameraden an, die nun auch alle in lautes Ge lächter ausbrachen. »Was ist heute Morgen bloß mit der Tafel los?«, fragte Mr. Wills genervt. »Es würde mich gar nicht wundern, wenn Tom dahinter steckte«, sagte Nick gehässig. »Sie werden sehen, dass er nicht eine einzige Aufgabe richtig ge 70
löst hat, weil ihn die Tafel mehr interessiert hat als das Rechnen. Ich habe es wenigstens versucht.« In der Klasse war es plötzlich still geworden. Mr. Wills ging zur Tafel und untersuchte die Bolzen. Aber dieses Mal waren keine Schnüre mehr daran, denn Tom hatte sie blitzschnell abgemacht und sie in seinen Hosentaschen verschwinden lassen. Dort wa ren sie sicher aufgehoben – meinte er. Aber eben doch nicht sicher genug! Mr. Wills drehte sich zu Tom um. »Leer bitte sofort deine Ho sentaschen aus«, forderte er den Jungen auf. Tom gehorchte ohne Widerspruch – und da lagen sie, die verräterischen gelben Schnüre mit den kleinen Ösen an einem Ende. »Melde dich nach der Stunde bei mir«, sagte Mr. Wills. »Offenbar kann ich dich nicht davon überzeu gen, dass der Unterricht auch für dich da ist. Dann will ich wenigstens dafür sorgen, dass du die anderen nicht von der Arbeit abhältst. Mittlerweile solltest du eigentlich verstanden haben, dass mit mir solche Spielchen nicht zu machen sind.« »Ja, Sir«, sagte Tom kleinlaut. »Mathematik ist ein sehr wichtiges Fach«, fuhr Mr. Wills fort. »Einige deiner Mitschüler sind auf Stipen dien angewiesen und sie müssen dafür gute Leistun gen erbringen. Solltest du daher meine Stunde noch ein einziges Mal stören, werde ich dafür Sorge tra 71
gen, dass du vom Unterricht ausgeschlossen wirst. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?« »Ja, Sir«, wiederholte Tom und diesmal wurde er sogar rot. Mr. Wills’ Worte ließen keinen Zweifel daran, was ihn erwartete, wenn er sich nicht fügte. Der Lehrer wandte der Klasse den Rücken zu und schrieb etwas an die Tafel, die wieder fest auf ihrem Gestell ruhte. Tom nutzte den Augenblick, um sich nach einem aufmunternden Blick von Mike und Ja net umzudrehen. Die beiden nickten ihm zu – und dann erblickte er Nick. Ein schadenfrohes Lächeln lag auf dessen Gesicht. Er genoss es ganz offensichtlich, Tom in Schwierig keiten gebracht zu haben. »Fieses Petzmaul!«, zischte Mike ihm zu. »Ruhe!«, rief Mr. Wills, der immer noch mit dem Rücken zur Klasse stand und an die Tafel schrieb. Mike schwieg, aber er strafte Nick mit einem Blick, der mehr als tausend Worte sagte. Na, warte bis nach der Schule!, sagte der Blick. Wart’s nur ab!
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6. Kapitel Die Mitternachtsfete Tom bekam nach der Mathestunde die Standpauke seines Lebens. Als er mit vier Minuten Verspätung und hochrotem Kopf zum Französischunterricht er schien, schaute Monsieur Crozier ihn strafend an. »Dürfte ich erfahren, warum du zu spät kommst?«, fragte er. »Es ist ganz und gar nicht üblich, in meinen Unterricht zu marschieren, nachdem er längst be gonnen hat.« »Entschuldigen Sie bitte, Sir«, sagte Tom, »aber Mr. Wills hatte mir etwas zu sagen.« Da der Französischlehrer sich vorstellen konnte, was Mr. Wills Tom zu sagen gehabt hatte, ging er nicht weiter darauf ein. Tom saß den Rest der Stunde ziemlich geknickt da. Mr. Wills hatte ihm ordentlich die Leviten gele sen und Tom hatte sich am Schluss richtig geschämt. Streiche zu spielen und sich eine lustige Zeit zu ma chen sei schön und gut, hatte Mr. Wills am Ende et was versöhnlich gesagt, aber es gäbe noch etwas an deres auf einer Schule zu tun, nämlich zu lernen. 73
Und so saß Tom also in dieser Stunde wie ein be gossener Pudel auf seinem Platz und hörte aus nahmsweise sogar einmal dem zu, was Monsieur Crozier erzählte. Nach dem Unterricht knöpften sich Mike, Janet und Fred Nick vor. »Gemeine Petze!«, empörte sich Mike. »Das ist ja wohl das Letzte, Tom zu verraten!« »Warum denn?«, erwiderte Nick. »Im letzten Schul jahr hat er mich verraten.« »Hat er nicht!«, widersprach ihm Mike. »Er sagt, er hat es nicht getan – und du weißt genauso gut wie alle anderen auch, dass Tom ehrlich ist. Er erzählt keine Lügenmärchen. Du bist eine hinterhältige Ka nalratte!« »Ach, halt doch den Mund!«, sagte Nick wütend und stapfte davon. Aber die anderen gaben nicht auf. Sie folgten ihm und beschimpften ihn weiter. Nick verschwand in einem Musikübungsraum. Er knallte ihnen die Tür vor der Nase zu und sperrte von innen ab. »Er ist wirklich ekelhaft«, sagte Janet zu ihrem Bruder. »Du wirst ihn doch jetzt nicht noch zu unse rer Party einladen, oder?« »Ganz bestimmt nicht«, erwiderte Mike. »Ich will doch nicht so einen widerwärtigen Mistkerl bei mei nem Geburtstag dabeihaben! Keine Angst, Janet.« 74
»Wir laden jetzt all die anderen wie geplant ein und bitten sie, Nick gegenüber kein Wort zu verlie ren«, sagte Janet. Und so geschah es auch. Fred, Eric, der kleine George, Marian, Bertha, Connie, Audrey und Doris wurden eingeladen. Zusammen mit Mike, Janet und Tom würden es elf Kinder sein. »Und kein Wort zu irgendjemandem außerhalb unserer Schlafsäle, klar!«, ermahnte Mike sie. »Und selbstverständlich auch kein Wort zu Nick, der ollen Petze. Ich wette, wenn er davon erfährt, dass wir eine Fete planen, erzählt er es überall herum. Also denkt daran: Kein Wort zu Nick!« Mikes Geburtstag war endlich gekommen und mit ihm eine Menge Glückwunschkarten und Geschenke. In vielen Briefen steckte ein Geldschein, und Mike nahm sich vor, dieses Geld für die Ferien aufzusparen. Seine Eltern schickten ihm einen Malkasten und ein Federmäppchen mit seinem Namen darauf. Von sei nem Großvater erhielt er die erfreuliche Nachricht, dass bei ihm ein neues Fahrrad auf Mike warte. Janet schenkte ihm Briefpapier und dazu Briefmarken. Von seinen Freunden bekam er kleine Aufmerksamkeiten wie Bleistifte, Radiergummis, Süßigkeiten und ande res mehr. Mike freute sich sehr über alle Geschenke. »Nach dem Unterricht schnappen wir uns ein paar 75
Taschen und gehen hinunter in die Stadt, um die be stellten Sachen zu holen«, sagte er. »Ich glaube, ich bitte noch ein oder zwei andere mitzukommen, denn wir drei schaffen es sicher nicht alleine, alles hochzu schleppen.« Fred und Marian machten gerne mit und so mar schierten die fünf plappernd und lachend in die Stadt hinunter. Voll bepackt kehrten sie zurück und holten im Gartenschuppen aufgeregt die Geburtstagstorte aus der Schachtel heraus. Sie war einfach phantastisch. Quer über die Torte stand »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag« geschrieben, die Glasur war schön dick und nicht zu hart. Es war ein wunderschöner und sehr großer Ku chen. Die Kinder waren begeistert. Vorsichtig bug sierte Mike die Torte wieder in die Schachtel zurück. Im Schuppen, der sehr geräumig war, stapelten sich Kisten, Kartons, Blumentöpfe, Kannen, Werk zeuge und vieles mehr. Die Gärtner kamen selten hierher, denn es gab noch einen kleineren Schuppen, den sie lieber mochten, den großen benutzten sie eher als Lagerraum. Schon bald hatten die Kinder ein geeignetes Versteck für ihre Partyvorräte gefunden. An der Rückwand des Schuppens befand sich ein rie siger Holzkasten, in den sie alles hineinstellten und den sie mit einem Brett abdeckten. Obendrauf stell ten sie zur Tarnung noch ein paar Blumentöpfe. 76
»Klasse«, sagte Mike. »Jede Wette, dass niemand vermuten würde, was unter den Pötten steckt! Und jetzt lasst uns überlegen, was wir zum Sitzen verwen den können.« Es gab jede Menge Kisten und große Blumentöpfe und die Kinder trugen sie zusammen, pusteten den dicksten Staub weg und stellten sie auf. »Vielleicht sollten wir Säcke vor die Fenster hän gen«, schlug Mike vor, »damit man den Kerzen schein nicht von draußen sehen kann.« »Das machen wir besser erst heute Abend«, sagte Tom. »Es könnte nämlich Verdacht erregen, wenn je mand vorbeikommt und die verhängten Fenster sieht.« Das leuchtete allen ein und sie verschoben die Verdunkelung auf den Abend. Im Moment konnten sie nichts weiter tun. Janet und Marian hatten sich bereit erklärt, Tassen, Teller und Löffel zu besorgen. Sie wussten schon, wie sie das Geschirr aus der Kü che schmuggeln wollten. Am Nachmittag, nach dem Werkunterricht, wollten sie sich in die Küche schlei chen und das notwendige Geschirr holen. Nach der Fete wollten sie es abwaschen und wieder an seinen Platz zurückstellen. »Ja, das wär’s dann wohl fürs Erste«, sagte Mike zufrieden. »Mann, das wird ein Riesenspaß werden! Was meint ihr? Ich jedenfalls kann es kaum erwar ten, bis es Abend wird!« 77
»Ich werde die Mädchen in meinem Schlafsaal we cken, wenn es so weit ist, und du die Jungs bei euch«, sagte Janet zu ihrem Bruder. »Pass auf, dass du nicht aus Versehen auch Nick aufweckst!« Alles lief nach Plan. Janet war abends rechtzeitig zu Bett gegangen. Kurz vor Mitternacht wachte sie auf. Sie schaltete ihre Taschenlampe ein und schaute auf die Uhr: fünf vor zwölf! Leise kroch sie aus ihrem Bett, schlüpfte in Strümpfe und Schuhe, zog sich über das Nachthemd eine Strickjacke und darüber ihren Morgenmantel an. Dann weckte sie die ande ren Mädchen. Der Reihe nach rüttelte sie sie sacht an der Schulter und flüsterte ihnen ins Ohr: »Aufstehen! Es ist Zeit. Die Mitternachtsfete fängt gleich an.« Die Mädchen waren sofort hellwach und began nen sich hastig anzukleiden. Drüben im Jungenschlafsaal hatte Mike inzwi schen seine Freunde geweckt – mit Ausnahme von Nick natürlich. In aller Eile und so leise wie möglich zogen sie sich an. Im Gegensatz zu den Mädchen trauten sie sich nicht einmal miteinander zu flüstern, denn sie hatten Angst, sie könnten Nick aufwecken. Sie schlichen sich aus dem Zimmer und trafen auf dem Flur die sechs Mädchen, die bereits auf sie war teten. Janet hatte schon wieder Mühe, ein Kichern zu unterdrücken. 78
»Um Gottes willen, bitte nur keinen deiner übli chen Ausbrüche, bevor wir im Schuppen sind«, sagte Michael ängstlich. Janet biss sich auf die Lippe und versuchte sich zu beherrschen. Die elf Kinder schli chen die Treppe hinunter und verließen das Gebäu de durch eine kleine Seitentür. Von dort rannten sie zu dem Schuppen. Mike öffnete die Tür und einer nach dem anderen schlüpfte hinein. Nachdem sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hatten, fühlten sie sich sicher und begannen leise miteinander zu schwatzen. Mike und Tom verhängten schnell die drei Fenster mit Säcken und zündeten dann die Kerzen an. Die zuckenden Flammen warfen gespenstische Schatten an die Wände und alles wirkte aufregend und ge heimnisvoll. Unter den neugierigen Blicken der an deren Kinder gingen Mike und Tom zur Rückwand des Schuppens und hoben die Blumentöpfe von dem Brett. Gleich darauf kamen die feinen Leckereien zum Vorschein. Den Jungen und Mädchen – von der be scheidenen Internatskost nicht gerade verwöhnt – lief das Wasser im Mund zusammen. Der verbotene nächtliche Ausflug hatte sie hungrig gemacht und der Anblick der Köstlichkeiten erfreute sie. Mike hob vorsichtig die Geburtstagstorte aus der Schachtel und stellte sie auf eine Kiste. Die Kinder, 79
die sich um ihn drängten, um einen Blick auf die Torte zu werfen, fanden sie wunderschön. »Wir schneiden sie ganz zum Schluss an«, erklärte Mike. »Und vergesst dabei nicht, euch etwas zu wünschen, wie das bei einer Geburtstagstorte üblich ist.« Sie begannen mit den Sardinen, dann kamen der Kuchen und die Plätzchen – eine seltsame Mischung, aber ihnen schmeckte es. Die Kekse, Mohrenköpfe, Ananasscheiben, die dicke gezuckerte Milch, alles wurde unter viel Geplapper und viel Gekicher ver drückt. Die Kinder aßen und tranken, als hätten sie tagelang am Hungertuch nagen müssen. Als Fred schließlich noch von der Kiste kippte, auf der er ge sessen hatte, und sich von oben bis unten mit der di cken, süßen Dosenmilch begoss, mussten alle laut hals loslachen. Es sah aber auch zu komisch aus, wie Fred da mit den Beinen in der Luft herumzappelte, über und über mit der klebrigen Milch bekleckert. »Pst! Pst!«, machte Mike. »Wir wecken noch die ganze Schule auf. Janet, um Himmels willen, sei still! Dein Gekicher steckt die anderen an – und ich kann mich auch bald nicht mehr bremsen. Oh, ich kann nicht mehr! Hör endlich auf!« Als sie sich alle wieder etwas beruhigt hatten, meinte Tom, der sich dabei zwei Mohrenköpfe auf den Teller bugsierte: »Das ist das beste Fest, das wir jemals gehabt haben. Ist noch etwas Limo da, Mike?« 80
»Ja, hier«, erwiderte Mike. »Bedien dich. Was haltet ihr davon, wenn wir jetzt meine tolle Geburtstagstorte anschneiden?«, fragte er die anderen. »Die reicht für die ganze Schule, so wie sie aus sieht«, meinte Marian. »Schade nur, dass Nick nicht weiß, was ihm hier entgeht. Vermutlich liegt er fried lich in seinem Bett und schläft.« Aber da irrte sich Marian gewaltig. Nick war gegen halb eins aufgewacht, hatte sich aber gleich wieder umgedreht, um weiterzuschlafen. Plötzlich hatte er das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Irgendwas war anders als sonst. Da es im Schlafsaal sehr dunkel war, konnte er natürlich nichts sehen, aber er war sich ganz sicher, dass ir gendetwas fehlte! Auf einmal wusste er, was es war. Er hörte das gleichmäßige Atmen seiner Zimmergenossen nicht. Er lauschte angestrengt. Nichts war zu hören – gar nichts. Nick setzte sich beunruhigt auf. Warum hörte er niemanden atmen? Das war doch das gewohnte und vertraute Geräusch, wenn man nachts einmal auf wachte! Was war los? Nick knipste seine Taschenlampe an und stieg aus dem Bett. Er schaute hinter den Vorhang, der seine Schlafnische von seinem Nebenmann trennte – das Bett war leer! 81
Jetzt untersuchte er auch die übrigen Betten im Zimmer. Alle waren verlassen. Und plötzlich däm merte es ihm auch, warum. Mike hat heute Geburtstag, fiel ihm schlagartig ein, und er veranstaltet irgendwo eine Mitternachts party. Der gemeine Kerl! Alle hat er dazu eingeladen, nur mich nicht! Ich gehe jede Wette ein, dass in Ja nets Schlafsaal auch niemand ist. Er schlüpfte hinaus auf den Flur und öffnete vor sichtig die Tür zum Mädchenschlafsaal. Es war so, wie er es sich gedacht hatte – das Zimmer lag einsam und verlassen da. Alle Betten waren leer, die Bettde cken ordentlich zurückgeschlagen. Nick war verletzt und wütend. Sie hätten ihn auch einladen müssen! Es war gemein, so behandelt zu werden. Jedes Mal, wenn etwas los ist, werde ich übergangen, dachte er, und plötzlich quollen heiße Tränen unter seinen Lidern hervor. Jedes Mal! Glau ben die wirklich, ich werde mich ihnen gegenüber besser benehmen, wenn sie mich so behandeln? Oh, ich hasse sie. Ich hasse sie alle! Aber ich werde ihnen ihr Fest ordentlich vermasseln. Die werden sich noch wundern!
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7. Kapitel Ein Ende mit Schrecken Nick zerbrach sich den Kopf, wie er den anderen den Spaß an ihrem Fest verderben könnte. Sollte er bei Mr. Wills an die Tür klopfen und dem Lehrer erzäh len, dass die Schlafsäle leer waren? Nein. Mr. Wills hielt nicht viel vom Petzen. Schön, dann blieb noch die Möglichkeit herauszufinden, wo die Mitschüler ihre Fete feierten, und ihnen gehörig die Tour zu vermasseln. Nick schaute aus einem der Fenster und entdeckte eher zufällig einen winzigen Lichtschein. Die Säcke, die Mike und Tom zum Verdunkeln aufgehängt hatten, waren zu klein, sodass ein schwa ches Licht aus der Ecke eines der Fenster nach außen drang. Nick stand noch immer auf dem Flur und blickte hinaus, verwundert, woher das Licht rührte. Es muss von dem großen Geräteschuppen der Gärtner kommen, überlegte er. Da also sitzen sie drin und feiern ihre Party. Ich werde gleich mal nachsehen, ob ich mich nicht täusche! 83
Er lief die Treppe hinunter und schlich sich durch die kleine Tür, welche die Kinder offen gelassen hat ten, hinaus ins Freie. Er durchquerte den Hof und den Garten, und als er zu dem Schuppen gelangte, hörte er Flüstern und Lachen herausdringen. Er presste seine Nase an die Scheibe, durch die der kleine Lichtstrahl fiel, und blickte auf eine ausgelassene, fröhliche Runde. Ausgetrunkene Limonadenflaschen und leere Do sen lagen auf dem Boden und überall waren Krümel verstreut. Kein Zweifel, die Mädchen und Jungen aus den beiden Schlafsälen hatten sich prächtig amüsiert. Nick kochte vor Wut. Er war so zornig, dass er am liebsten in den Schuppen gestürmt wäre und sich mit jedem Einzelnen darin angelegt hätte. Aber er beherrschte sich. Es würde nichts bringen, sagte er sich. Er blickte sich um und entdeckte einen größeren Stein. Er hob ihn auf und schleuderte ihn durch eines der Fenster. Die Scheibe ging mit lautem Klirren zu Bruch. Die Kinder im Schuppen sprangen erschrocken auf, einigen fiel sogar der Kuchen aus der Hand. »Was war das?«, rief Mike aufgeregt. »Die Scheibe ist zerbrochen! Wer war das?« Die zweite Scheibe zerbarst klirrend. Jetzt beka men es die Kinder wirklich mit der Angst zu tun. Sie konnten sich nicht erklären, was da vor sich ging. 84
»Mein Gott, der Lärm wird alle aufwecken!«, flüs terte Mike nervös. »Los, kommt! Wir müssen sofort zurück zu unseren Schlafsälen. Lasst alles stehen und liegen. Schnell! Haut ab!« Die dritte Scheibe verschonte Nick, als er sah, wie oben in Mr. Wills’ Zimmer das Licht anging. Es wür de keine Minute dauern, und der Lehrer würde auf der Bildfläche erscheinen, um nachzusehen, was der Lärm zu bedeuten hatte. Nick nahm die Beine in die Hand und flitzte ins Haus und die Treppe hinauf zu seinem Schlafsaal. Noch bevor sich die Tür von Mr. Wills’ Zimmer öffnete, lag er wieder in seinem Bett. Auch die elf Mädchen und Jungen aus dem Schuppen waren auf der Flucht zurück in die Schule. Sie hasteten die Treppe nach oben und rannten den Flur entlang zu ihren Schlafsälen. Gerade als sie an Mr. Wills’ Zimmer vorbeihuschen wollten, ging die Tür auf. Der Lehrer stand in seinem Morgenmantel da und starrte ungläubig auf die Schar bleichgesich tiger Kinder, die an ihm vorüberflitzten. »Halt!«, rief er mit Donnerstimme. »Was wird hier gespielt? Was hat dieser Aufzug zu bedeuten?« Er erhielt keine Antwort. Die Kinder rannten in ihre Schlafsäle und sprangen, halb angezogen, wie sie waren, ins Bett. Mr. Wills folgte den Jungen in ihren Schlafsaal, schaltete das Licht ein und schaute mit unheilvollem 86
Blick in die Runde. Bei einigen Schlafnischen waren die Vorhänge zugezogen. Er riss sie beiseite. »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte er wut entbrannt. »Wo seid ihr gewesen? Ich möchte eine Antwort darauf! Sofort!« Großes Schweigen. Mr. Wills stand ganz in der Nähe von Nicks Bett. Als niemand etwas sagte, pack te er den Jungen an der Schulter und schüttelte ihn. »Hör zu, mein Junge«, sagte er. »Du wirst mir jetzt auf der Stelle antworten! Was habt ihr gemacht?« »Sir, ich war die ganze Zeit in meinem Bett«, sagte Nick. »Was die anderen getan haben, weiß ich nicht. Ich war nicht dabei.« Mr. Wills ließ seinen Blick über die anderen Betten wandern. »Wie ich sehe, seid ihr alle halb angezo gen«, stellte er mit eisiger Stimme fest. »Zieht euch jetzt ordentlich aus und dann wird geschlafen! Mor gen früh erwarte ich von euch eine Erklärung. Und sagt den Mädchen, wenn ihr sie seht, dass dies für sie ebenfalls gilt. Ich kann mir vorstellen, dass dies ein Fall für die Direktion ist. Und jetzt raus aus den Bet ten und Schlafanzüge an!« Bis auf Nick sprangen alle aus dem Bett und zogen hastig ihre Wolljacken, Schuhe, Strümpfe und was sie sonst noch übergezogen hatten, aus. Mr. Wills forderte Nick auf, ebenfalls aufzustehen und sich umzuziehen. »Aber ich habe doch nur meinen Pyjama an, Sir«, 87
verteidigte der sich. »Ich war nicht mit den anderen mit.« Aber in dieser Nacht traute Mr. Wills niemandem mehr. Er scheuchte Nick aus dem Bett und musste zu seiner Verwunderung feststellen, dass der Junge die Wahrheit gesagt hatte: Er trug nur seinen Schlaf anzug. Allerdings übersah er eine Kleinigkeit – und zwar, dass Nick seine Schuhe anhatte. Mike bemerkte es jedoch und wunderte sich da rüber. Warum lag Nick mit Schuhen im Bett? Das war doch höchst sonderbar! Und plötzlich ging ihm ein Licht auf. Aber klar doch! Nick war aufgewacht, hatte die leeren Betten entdeckt, war in seine Schuhe geschlüpft und nach draußen geschlichen, um nach den anderen Kindern zu suchen. Er war der Mistkerl, der die Scheiben eingeworfen hatte. Ihm hatten sie es zu verdanken, dass sie jetzt alle bis zum Hals in Schwierigkeiten steckten! Aber Mike behielt seine Entdeckung erst einmal für sich. Morgen würde er den anderen davon erzäh len und dann würden sie weitersehen. Er kroch in sein Bett zurück und versuchte einzuschlafen. Die elf Kinder bibberten am anderen Morgen vor Angst. Sie hatten keine Ahnung, was Mr. Wills mit ihnen vorhatte, sollten es aber schon bald herausfin den. Mr. Wills hatte den Vorfall den beiden Direkto 88
ren gemeldet, und nun mussten die Kinder nicht zu ihrem Mathelehrer, sondern zu Miss Lesley und Mr. Quentin, was viel schlimmer war. »Geht jetzt«, sagte Mr. Wills nach der Morgenan dacht. »Ich will von euch keine Erklärung mehr, spart sie euch für die Direktoren auf. Eines solltet ihr allerdings wissen: Ich bin heute Nacht noch im Gerä teschuppen gewesen. Neben den Resten von eurer Feier fand ich mehrere brennende Kerzen und zwei zerbrochene Fensterscheiben. Ich könnte eventuell noch ein wenig Verständnis für euren Wunsch nach einer Party aufbringen, warum ihr aber die Fenster eingeworfen habt, geht über meinen Horizont. Ich schäme mich für euch.« »Wir haben die Scheiben nicht eingeworfen …«, begann Mike, aber Mr. Wills wollte kein Wort mehr hören. Er machte eine wegwerfende Handbewegung und bedeutete ihnen zu verschwinden. Nick musste mitgehen, obwohl er immer wieder beteuerte, dass er nicht dabei gewesen sei. Mike hatte die anderen in seine Vermutungen eingeweiht und die Mädchen und Jungen bedachten Nick mit em pörten und bösen Blicken. Mit zittrigen Knien machten sie sich auf den Weg zu den Direktoren. Bertha begann zu weinen und auch Janet fühlte sich den Tränen nahe. Sie waren al le unausgeschlafen, und einige von ihnen hatten da 89
zu noch Bauchweh, weil sie in der Nacht zu viel ge gessen hatten. Die Direxe blickten sie streng an. Sie stellten zu nächst ein paar Fragen und forderten dann Tom auf, die ganze Geschichte zu erzählen. »Ich habe Verständnis dafür, dass ihr Michaels Geburtstag feiern wolltet«, sagte Miss Lesley, als Tom geendet hatte, »aber die Fenster einzuwerfen ist eine andere Sache. Für ein derartig schlechtes Benehmen fehlen mir einfach die Worte.« »Ich glaube, Nick hat die Fenster eingeworfen«, platzte Mike heraus. Er konnte nicht länger damit zurückhalten. »So was würden wir niemals tun, Miss Lesley. Schon allein, weil wir Angst hätten, dass der Lärm uns verraten könnte. Wissen Sie, es war nämlich so: Wir haben Nick nicht zu der Party eingeladen, und ich glaube, dass er aus Wut darüber die Scheiben eingeworfen hat. Erstens, um uns zu erschrecken, und zweitens, damit man uns auch ganz sicher er wischt – bei dem Krach war das ja so gut wie sicher.« »Ist das wahr, Nick? Hast du die Scheiben einge worfen?«, fragte Mr. Quentin den Jungen, dessen Ge sicht feuerrot angelaufen war. »Nein, Sir«, antwortete Nick mit leiser Stimme. »Ich war in meinem Bett und hab geschlafen. Ich hab keine Ahnung, was passiert ist.« 90
»Und warum hast du dann deine Schuhe ange habt, als Mr. Wills dich heute Nacht aus dem Bett ge scheucht hat?«, rief Tom entrüstet dazwischen. »Mi ke hat gesehen, dass du sie anhattest!« Nick schwieg trotzig. Er hatte sich vorgenommen, bei seiner Version der Geschichte zu bleiben, egal, was die anderen sagten. Die Strafe fiel ziemlich mild und den Tatsachen angemessen aus. »Da ihr in der vergangenen Nacht so gut wie keinen Schlaf bekommen habt, werdet ihr eine Woche lang alle eine Stunde früher zu Bett ge hen«, verkündete Miss Lesley. »Und ihr bezahlt die zerbrochenen Scheiben«, fügte Mr. Quentin hinzu. »Du auch, Nick. Ich werde nicht weiter untersuchen, wie es dazu gekommen ist – aber ich glaube Michael, wenn er sagt, dass er schon allein wegen des Lärms niemals daran gedacht hätte, die Scheiben einzuschlagen. Trotzdem werdet ihr alle zu sammen für den Schaden aufkommen. Ihr bekommt die Summe von eurem Taschengeld abgezogen.« »Und bitte denkt daran, Kinder, obwohl ihr hier auch Spaß haben sollt, ihr seid nach St. Roland ge schickt worden, um etwas zu lernen – damit ihr euch später einmal im Leben zurechtfindet«, sagte Miss Lesley ernst. »Einige von euch wollen ein Stipendium haben. Ihr werdet keines bekommen, wenn ihr euch weiterhin so aufführt.« 91
Völlig niedergeschlagen verließen die Kinder das Büro. Der Gedanke, eine Woche lang eine Stunde früher zu Bett gehen zu müssen – eher noch als die Fünftklässler –, war grauenhaft. Und dann noch von ihrem Taschengeld für etwas bezahlen müssen, was sie nicht verbrochen hatten – das war sehr bitter. »Irgendwie haben wir aber doch Schuld«, meinte Michael. »Wenn wir die Party nicht gefeiert hätten, wären die Scheiben ganz geblieben. Aber der Übeltä ter war Nick, da bin ich ganz sicher. Er hat es aus reiner Bosheit getan. Wir werden nicht mehr mit ihm reden, ihn einfach wie Luft behandeln. Er soll dafür büßen, der gemeine Kerl.« Nick erging es von da an noch schlechter als vorher. All seine Klassenkameraden machten einen weiten Bogen um ihn und die fünfte und siebente Klasse schlossen sich ihnen an. Keiner sprach mehr mit ihm. Der Junge litt schwer darunter. Er zerbrach sich den Kopf darüber, wie er Abhilfe schaffen könnte. Inzwischen war ihm klar geworden, wie dumm und falsch es gewesen war, die Scheiben einzuwerfen. Er hatte es in einem Anfall von Wut getan, und selbst wenn er gewollt hätte, es war nicht mehr rückgängig zu machen. Jetzt bekam er die Quittung dafür. Es war schlimm, keine Freunde zu haben und wie ein Aussätziger behandelt zu werden. 92
Nachts wälzte er sich schlaflos in seinem Bett und
am Morgen stand er blass und müde auf. Seine Leis tungen litten darunter, was ihm immer häufiger den Tadel seiner Lehrer einbrachte, besonders da er einer der Schüler war, die ein Stipendium haben wollten. Obwohl er sich Stunden und Stunden auf den Unter richt vorbereitete und eifrig büffelte, vergaß er viel zu schnell, was er gelernt hatte, und bekam dauernd schlechte Noten. Nick wollte und musste unbedingt ein Stipendium bekommen, denn seine Eltern waren nicht sehr reich und auf eine finanzielle Beihilfe für Nicks Ausbil dung angewiesen. Er hatte Geschwister, die alle sehr intelligent waren und Stipendien erhalten hatten. Nick wollte seine Familie nicht enttäuschen. Er woll te nicht der Einzige sein, der versagte. Ich habe einfach nicht so viel auf dem Kasten wie meine Geschwister, sagte sich Nick, als er wieder einmal eine Liste mit Geschichtsdaten büffelte. Ihnen fällt alles so leicht. Sie haben keine Probleme beim Lernen. Wenn Papa und Mama das doch nur einse hen würden! Sie meinen, ich müsste genauso schlau sein wie der Rest der Familie. Aber ich bin es nicht! Und sie sind unzufrieden mit mir, weil ich nicht zu den Klassenbesten gehöre. Dabei gebe ich mir weiß Gott alle Mühe und pauke, was das Zeug hält.
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Die Fenster wurden repariert, den Kindern wurde das Geld dafür vom Taschengeld abgezogen, und sie gingen eine Woche lang eine Stunde früher zu Bett. Selbstverständlich hatten sie auch den Geräteschup pen aufräumen und wieder in Ordnung bringen müssen. Nach und nach geriet das Mittemachtsfest und sein unglückseliger Ausgang in Vergessenheit. Nur die Abneigung der Kinder gegen Nick blieb be stehen. »Ich werde das ganze Schuljahr über kein Wort mehr mit ihm reden«, verkündete Fred. Und die an deren sagten oder dachten dasselbe. Janet war die Einzige, die mit Nick Mitleid hatte. Sie bemerkte, wie blass und schlecht er aussah, aber sie musste zu den anderen halten, also redete auch sie nicht mit ihm und schaute zur Seite, wenn Nick in ihre Nähe kam. Ich halte das nicht mehr aus, sagte sich Nick im Stillen immer wieder. Am besten, ich haue ab! Wäre ich bloß schon alt genug, auf einem Schiff anzuheu ern und zur See zu fahren. Oh, wie ich die Schule hasse!
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8. Kapitel Ein Schock für Tom – ein Schock für Nick Die Tage vergingen. Janet und Mike machte das Ler nen Spaß, aber noch mehr liebten sie die Freizeit, wenn sie mit ihren Freunden zusammen sein konn ten. Mit Tom waren sie besonders gern zusammen, denn mit ihm gab es immer irgendetwas Neues und Interessantes zu entdecken. Sie mochten auch die anderen Mitschüler – Nick natürlich ausgenommen – und sie vertrugen sich blendend mit ihnen. Im Augenblick fanden sie den Werkunterricht am tollsten. Die Jungen durften schreinern und manche stellten richtig brauchbare Gegenstände her. Die Mädchen lernten den Umgang mit Bast und flochten hübsche Körbe. Janet war stolz auf den großen Ein kaufskorb, den sie für ihre Mutter anfertigte. Sie verwendete dabei alle hellen, fröhlichen Farben, die ihr unter die Finger kamen. Mike arbeitete mit gro ßem Eifer an einem Pfeifenständer für seinen Vater. Das eindrucksvollste Stück entstand jedoch unter Toms geschickten Händen. Er schwärmte für Schiffe 95
und hatte sich daher entschlossen, ein Segelschiff modell anzufertigen. Er arbeitete jetzt an der Takela ge, schnitzte zierliche, schlanke Masten und befestig te mit dünnen Fäden schneeweiße Segel an ihnen. Das Schiff sah wirklich toll aus. Im Werkraum gab es Fenster mit sehr breiten Sim sen. Dort wurden die Arbeiten am Ende der Stunde hingestellt, sodass jeder begutachten konnte, was die anderen Schüler zu Stande gebracht hatten. Die größte Bewunderung fand zweifelsohne Toms Schiffsmodell. Und natürlich machte ihn das sehr stolz. »Gehe ich recht in der Annahme, dass dies das einzige Fach ist, in dem du wirklich gern und hart arbeitest, Tom?«, fragte der Lehrer und beugte sich über Toms Arbeit. »Wenn du dich in den anderen Fächern nur halb so viel anstrengen würdest wie bei mir, wärst du nicht immer das Schlusslicht. Du bist ein kluger Junge, ja, das bist du, und du weißt deinen Verstand zu gebrauchen – wenn du willst.« Tom wurde vor Verlegenheit rot. Er blickte auf sein Schiffsmodell und dachte voll Stolz, wie gut es sich zu Hause auf dem Kaminsims machen würde, wenn es erst einmal fertig war. Viel fehlte nicht mehr daran. Er konnte schon bald mit dem Anmalen be ginnen. Vielleicht schon am Nachmittag. Aber dazu kam es dann doch nicht. Der Werkun terricht war schon beinahe zu Ende und der Lehrer 96
trieb die Schüler zur Eile an. »Räumt eure Sachen zu sammen«, sagte er. »Beeilt euch. Du auch, Fred. Ich möchte nicht, dass ihr zu eurer nächsten Stunde zu spät kommt.« Die Kinder packten alles zusammen und stellten ihre Arbeiten auf die Fensterbänke. Der Lehrer öff nete die Fenster, um frische Luft hereinzulassen, und entließ dann die Kinder in ihr Klassenzimmer, das zwei Etagen tiefer lag. Die Werkräume waren im obersten Stockwerk untergebracht. Es waren große, helle Räume mit viel Sonnenlicht und frischer Luft. In der nächsten Stunde hatten sie Erdkunde. Miss Thomas wollte eine Landkarte aufhängen und stellte fest, dass sie sich nicht unter den anderen in der Ecke befand. Sie schickte Nick in das oberste Stockwerk, wo auf dem Flur in großen Schränken Landkarten und andere Lehrmittel aufbewahrt wurden. Inzwi schen prüfte Miss Thomas das Wissen ihrer Schüler, indem sie ihnen Fragen stellte. Während sich einer der Schüler mit einer Antwort abmühte, passierte etwas Merkwürdiges: Irgendetwas Weißes flog plötzlich an einem der Fenster vorbei und landete mit einem dumpfen Aufprall auf dem Weg neben einem Blumenbeet. Die Kinder blickten neugie rig nach draußen. Was konnte das gewesen sein? Ein Vogel? Danach hatte es eigentlich nicht ausgesehen. Mike, der ganz nahe am Fenster saß, erhob sich 97
und schaute hinaus – und schnappte aufgeregt nach Luft. »Was ist los, Mike?«, fragte die Lehrerin. »Miss Thomas – ich glaube, da draußen liegt Toms wunderschönes Schiff zerbrochen auf dem Weg«, stammelte Mike fassungslos. Tom war mit einem Satz am Fenster und stöhnte verzweifelt auf. »Mein Schiff!«, rief er. »Jemand muss es von der Fensterbank gestoßen haben und nun ist es kaputt. Die Takelage ist hinüber, die Masten sind zerbrochen …« Seine Stimme zitterte. Das Schiff hat te ihm wirklich sehr viel bedeutet. Er hatte so viel Mühe und Sorgfalt darauf verwendet. Es war ein kleines Meisterwerk gewesen … Im Klassenzimmer hätte man eine Stecknadel zu Boden fallen hören können. Alle waren erschrocken und hatten Mitleid mit Tom. Mitten in dieser Stille öffnete sich die Tür und Nick kam mit der Landkarte unterm Arm hereinspaziert. Bei seinem Anblick durchfuhr alle der gleiche Ge danke: Nick war im obersten Stockwerk gewesen, um die Karte zu holen – und der Kartenschrank befand sich genau gegenüber von ihrem Werkraum. Nichts lag also näher, als dass Nick in den Raum geschlichen war und Toms Schiff von der Fensterbank gestoßen hatte, damit es unten auf der Erde zu Bruch ging. »Du hast es getan!«, rief Mike entrüstet. 98
Nick schaute ihn verdutzt an. »Was soll ich getan haben?« »Toms Schiff kaputtgemacht!«, schrien mehrere Kinder gleichzeitig. »Ich weiß nicht, wovon ihr redet«, sagte Nick und schien wirklich erstaunt zu sein. »Das reicht jetzt!«, ermahnte Miss Thomas die Kinder. »Tom, geh hinaus und hol dein Schiff. Viel leicht ist es nicht ganz so ruiniert, wie du glaubst. Nick, du setzt dich an deinen Platz! Hast du irgend etwas dazu zu sagen?« »Absolut nichts, Miss Thomas«, erwiderte Nick. »Die Tür zu unserem Werkraum war zu, als ich die Karte aus dem Schrank nahm.« »Lügner!«, zischten einige in der Klasse. »Ruhe!«, rief Miss Thomas. Sie machte sich im Stillen Sorgen. Sie wusste, dass Nick Tom seit dem letzten Schuljahr hasste, und sie befürchtete, dass er wirklich das Schiff aus dem Fenster gestoßen hatte. Sie nahm sich vor, Nick später ernsthaft ins Gebet zu nehmen. Er würde ihr sicher die Wahrheit sagen, wenn sie ihn richtig anpackte. Nick fürchtete sich weniger vor Miss Thomas als vor seinen Mitschülern. Nach dem Unterrichtsende umringten sie ihn alle und beschimpften ihn. Sie nannten ihn Mistkerl, Lügenmaul, Schuft, Stinkstie fel und was ihnen sonst noch einfiel. 99
»Ich hab es nicht getan! Ich war es nicht!«, wieder holte er ständig und wehrte die Hände ab, die ihn festhalten wollten. »Versucht nicht, alles mir anzu hängen, nur weil ich ein- oder zweimal Mist gebaut habe. Ich war es nicht. Ich habe Toms Schiff auch ganz toll gefunden.«, Doch niemand wollte ihm Glauben schenken. Sie hackten den ganzen Nachmit tag auf ihm herum und ließen kein gutes Haar an ihm. Gegen sechs Uhr abends war der arme Junge so mitgenommen, dass er sich wie ein Häufchen Elend in den Schlafraum zurückzog, um endlich seine Ru he zu haben. Endlich allein, konnte er seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Er weinte und schluchzte und schämte sich zugleich, dass er sich nicht beherr schen konnte. »Ich hau ab von hier«, sagte er leise vor sich hin. »Ich kann nicht länger hier bleiben. Ich geh nach Hause. Mama und Papa werden zwar wütend auf mich sein, aber hier halten mich keine zehn Pferde mehr. Nichts mach ich denen hier recht. Ich habe dieses Schiff nicht aus dem Fenster geschubst. Mir gefiel es genauso gut wie den anderen, warum sollte ich es also kaputtmachen?« Er fing an, einige Kleidungsstücke in einen kleinen Koffer zu werfen. Ihm war kaum bewusst, was er tat. Er erinnerte sich daran, dass um Viertel vor sieben ein Zug ging, und den wollte er bekommen. 100
Den anderen Kindern fiel plötzlich auf, dass Nick gar nicht mehr da war. »Ist auch besser für ihn«, meinte Fred. »Ich würde ihm sonst noch ein paar nette Sachen um die Ohren knallen, dem Stinkstie fel.« Sie waren alle im Gemeinschaftsraum und be schäftigten sich immer noch mit Nicks angeblicher Missetat. Toms Schiff hatte einen Ehrenplatz auf dem Kaminsims erhalten, wo es allerdings einen ziemlich traurigen Anblick bot. Irgendwann kam der Werklehrer, um das beschädigte Modell in Augen schein zu nehmen. »Es hätte schlimmer ausgehen können, Tom«, sagte er aufmunternd. »Auf der Seite hier hat es eine Delle. Na schön, das lässt sich richten. Die Masten kannst du leicht wieder durch neue ersetzen und auch die Segel sind schnell wieder erneuert. Das ist für dich doch überhaupt kein Problem. Also los, Tom, Kopf hoch!« Der Lehrer ging wieder. »Der hat gut reden«, meinte Tom niedergeschlagen. »Schließlich ist es nicht sein Schiff. Da kann ich mich noch so sehr an strengen, so hübsch wie vorher wird es nicht mehr werden.« Von der Tür her kam ein leises Klopfen. Es klang so schüchtern und zaghaft, dass zunächst keines der Kinder davon Kenntnis nahm. »Da klopft jemand an die Tür«, sagte Audrey 102
schließlich verwundert. Sie waren es nicht gewohnt, dass man bei ihnen anklopfte. »Herein!«, riefen alle. Die Tür öffnete sich und ein Fünftklässler spitzte ängstlich um die Ecke. Es war ein kleiner Knirps und aus seinem Gesicht schien alle Farbe gewichen zu sein. »Hallo, Pete, was gibt es?«, fragte Fred. »Ich m-möchte m-mit T-Tom sprechen«, stotterte der Junge, der vor Angst am ganzen Körper schlot terte. »Hier bin ich, Kleiner.« Tom ging auf den Jungen zu. »Was gibt’s? Du schaust mich an, als würde ich dich gleich auffressen. Keine Angst, das hab ich nicht vor.« Der Junge machte den Mund auf und wieder zu – wie ein Fisch, der nach Luft schnappte –, aber es kam kein Wort über seine Lippen. Die Kinder im Zimmer begannen zu kichern. »Pete, was ist los?«, rief Janet. »Hat dir irgendje mand was getan?« »N-n-ein«, stotterte Pete. »Ich m-m-möchte Tom nur was sagen, aber ich t-t-trau mich nicht.« »Was willst du mir denn sagen?«, fragte Tom freundlich. Er war immer sehr nett zu den Jüngeren und sie alle mochten ihn deshalb. »Hast du irgend was angestellt? Fenster eingeworfen oder so was Ähn liches?« 103
»N-nein, Tom, w-w-was viel Schlimmeres«, stam melte der Knirps und blickte Tom mit großen, ängst lichen Augen an. »Es ist wegen deinem Schiff. Das dort …« Er deutete auf den Kaminsims. »Und was ist damit?« Tom rechnete damit, dass der Kleine ihm gleich berichten würde, dass er beo bachtet hätte, wie Nick das Modell aus dem Fenster schubste. »Oh, Tom, ich bin daran schuld, dass es kaputt ist«, brach es aus dem Kleinen hervor, und er schluchzte jämmerlich. »Ich war mit Dick Dennison im Werk raum. Wir beide haben ein bisschen herumgetobt und dabei bin ich gegen das Fensterbrett gerannt und … und …« »Weiter«, forderte Tom ihn auf. »Na ja, um nicht voll dagegenzuknallen, streckte ich meine Hand aus, und dabei erwischte ich dein Schiff. Es flog in hohem Bogen aus dem Fenster. Ich hatte solche Angst, Tom …« Dem Kleinen kullerten Tränen der Verzweiflung über die Wangen. Im Raum herrschte nach diesem Geständnis große Stille. Also hatte Nick tatsächlich nichts mit dieser Angelegenheit zu tun gehabt. Kein Wunder, dass er es so energisch abgestritten hatte. Die Kinder starrten alle auf den bleichen kleinen Pete, der immer noch schluchzte. »Ich hab m-mich n-nicht getraut, es jemandem zu 104
sagen«, fuhr er mit seiner Beichte fort. »Dick hat mir versprochen, es keinem zu verraten. Aber dann ha ben wir gehört, dass du Nick die Schuld gegeben hast – und da haben wir uns gesagt, dass wir jetzt wohl mit der Wahrheit rausrücken müssen. Deshalb bin ich hier. Ich habe das Schiff von der Fensterbank ge stoßen – aus Versehen, Tom.« »So war das also«, sagte Tom langsam. Er schaute dem Kleinen in das verheulte Gesicht und gab ihm dann einen freundschaftlichen Stups. »Ist schon gut«, sagte er. »Mach dir weiter keine Sorgen. Es war richtig von dir, zu mir zu kommen und alles zu beichten. Das nächste Mal kommst du aber sofort, wenn du was ausgefressen hast, verstanden? Wir ha ben jetzt nämlich einem von uns sehr unrecht getan – und das ist weniger schön. Geh jetzt wieder zurück in euren Tagesraum. Was das Schiff angeht, da mach dir mal keine Sorgen. Ich denke, ich werde das schon wieder hinbekommen.« Pete schaute Tom mit feuchten Augen dankbar an und schoss dann wie ein geölter Blitz aus dem Zim mer. Erleichtert lief er zu seinen Klassenkameraden zurück. »Es war also wirklich nicht Nick«, sprach Janet aus, was alle dachten, nachdem Pete ihren Tages raum verlassen hatte. »So ist es«, sagte Tom betreten. »Er war es nicht. 105
Wenn ich daran denke, was ich ihm alles an den Kopf geworfen habe! Ich hab ihm unrecht getan. Und das ist schlimm.« Sie fühlten sich alle unbehaglich bei dem Gedan ken, wie sie den armen Nick behandelt hatten. »Im merhin«, unterbrach Fred die Stille, »hat er schon ei nige krumme Sachen gemacht. Da muss er sich nicht wundern, wenn wir ihn verdächtigen. Außerdem war er doch gerade oben im Gang vor dem Werkraum, als es passierte.« »Ja, das war sein großes Pech«, sagte Mike. »Was sollen wir jetzt tun?« Alle schwiegen. Keiner hatte wirklich Lust, sich bei Nick zu entschuldigen. Tom starrte aus dem Fenster. »Wir können nicht hier herumstehen, wir müssen etwas tun«, sagte er plötzlich entschlossen. »Wo steckt er eigentlich? Wir müssen ihn suchen und hierher bringen. Und dann werden wir ihm sagen, dass wir uns geirrt haben. Wir waren alle mutig ge nug, ihn zu beschimpfen, jetzt müssen wir auch den Mut haben, uns bei ihm dafür zu entschuldigen.« »Ich gehe ihn suchen«, bot sich Janet an. Ihr fiel plötzlich Nicks verdattertes Gesicht ein, als er mit der Landkarte unterm Arm ins Klassenzimmer gekom men war und die anderen ihn beschuldigt hatten. Sie erinnerte sich auch an seinen unglücklichen Ge sichtsausdruck, als sie nach dem Nachmittagstee über 106
ihn hergefallen waren und ihm alle möglichen furcht baren Schimpfwörter an den Kopf geworfen hatten. Sie waren im Unrecht gewesen. Nick hatte zwar schon ein paar Sachen angestellt, aber diesmal war er un schuldig. Janet konnte es auf einmal gar nicht mehr erwarten, Nick zu sagen, wie Leid es ihr tat. Sie flitzte zum Klassenzimmer: leer. In die Turn halle: niemand da. Sie schaute in jeden Musik übungsraum und in die Bibliothek, wo Nick oft hin ging, um sich Bücher auszuleihen: Weit und breit kein Nick zu sehen! Wo kann er bloß sein?, fragte sie sich. Nach drau ßen war er offensichtlich nicht gegangen, denn seine Jacke hing im Gemeinschaftsraum am Haken. Wo also konnte er nur sein? Dann fiel ihr der Schlafsaal ein. Natürlich! Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen? Sie sauste die Treppe hinauf und sah Nick, der gerade mit einem kleinen Koffer aus dem Saal kam. Sie lief zu ihm hin. Sein Gesicht zeigte immer noch Spuren von Tränen. »Nick! Wo hast du bloß gesteckt? Wo willst du mit dem Koffer hin? Komm mit, wir möchten mit dir re den.« »Das kannst du einem anderen erzählen, Janet«, sagte Nick trotzig. »Niemand möchte irgendwas von mir. Und deshalb hau ich jetzt ab.« 107
»Aber Nick, was soll das?«, rief Janet bekümmert. »Hör mir doch erst einmal zu, Nick! Wir wissen jetzt, wer das Schiff kaputtgemacht hat! Der kleine Pete war’s. Er hat es aus Versehen aus dem Fenster gestoßen! Du hast also keinen Grund zum Weglau fen, Nick! Komm mit nach unten und hör dir an, was wir dir zu sagen haben!«
9. Kapitel Alles wieder im Lot! Nick stieß Janet unsanft beiseite. Sein Entschluss stand fest: Er wollte nach Hause fahren. Janet über legte krampfhaft. Nick durfte auf keinen Fall das In ternat verlassen, nur weil sie alle ungerechterweise so grässlich zu ihm gewesen waren. Entschlossen packte sie den Jungen am Ärmel und versuchte ihn zurück in den Schlafsaal zu ziehen. »Lass mich in Ruhe!«, knurrte Nick. »Ich gehe, basta! Und dass du es weißt, du bist auch nicht bes ser als die anderen, Janet. Also lass mich los! Es hat keinen Sinn, mich aufzuhalten.« »Aber hör mir doch zu, Nick!«, flehte Janet ihn an. »Hör mir nur eine halbe Minute zu! Pete ist zu uns 108
gekommen und hat die Sache mit dem Schiff zuge geben. Er hat es versehentlich aus dem Fenster ge stoßen, als er dort mit einem anderen Jungen he rumgetobt hat. Begreif doch endlich: Es tut uns allen sehr Leid, dass wir dir die Schuld daran gegeben ha ben.« Nick zögerte noch einen Moment, dann ließ er sich von Janet zurück in den Schlafraum ziehen. Er setzte sich auf sein Bett. »Na gut«, sagte er patzig. »Ihr habt jetzt also ein schlechtes Gewissen. Aber kannst du dir eigentlich vorstellen, wie mir zu Mute ist? Was glaubst du, was das für ein Gefühl ist, wenn du weißt, dass dich alle für ein Ungeheuer halten, dich beschimpfen und dir immer und überall aus dem Weg gehen? Hast du dir vielleicht einmal über legt, wie es ist, wenn man nachts aufwacht und die anderen sind alle zu einer Mitternachtsfete unter wegs – nur man selbst nicht? Du hast keine blasse Ahnung, wie elend man sich da fühlt. Du bist schließlich überall beliebt.« Janet, die sich inzwischen selbst ganz schrecklich fühlte, griff nach seiner Hand. Sie war eiskalt. »Nick«, sagte Janet, »Mike, Tom und ich – wir hatten vor, dich zur Fete einzuladen. Wir wollten dich nicht übergehen.« »Und warum habt ihr es dann getan?«, fragte der Junge. »Alles wäre anders gekommen, wenn ihr mich 109
ebenfalls eingeladen hättet. Ich hätte mich so darüber gefreut. Aber weil ihr mich nicht dabeihaben wolltet, hat mich die blanke Wut gepackt, und ich wollte euch die Tour vermasseln. Nachdem ich die Scheiben ein geworfen hatte, tat es mir furchtbar Leid. Ich habe euch das Fest verdorben und euch alle in Schwierig keiten gebracht. Aber in dem Moment, als ich euch im Schuppen so fröhlich zusammensitzen sah, hatte ich nur den einen Gedanken, euch den Spaß zu ver derben. Jetzt schäme ich mich dafür. Und das ist auch der Grund, weshalb ich weggehe. Janet, ich möchte, dass du den anderen etwas von mir ausrichtest.« »Was denn?« Janet war den Tränen nahe. »Sage ihnen, dass ich zugegeben habe, die Fenster eingeworfen zu haben – wer sollte es auch sonst ge wesen sein! Und sage ihnen auch, dass ich alles be zahlen möchte. Ihr musstet euch alle etwas von eu rem Taschengeld abziehen lassen – das möchte ich nicht. Hier, teilt dieses Geld unter euch auf. Ich woll te das schon früher machen, aber nachdem ich abge stritten hatte, die Scheiben eingeworfen zu haben, konnte ich euch doch schlecht anbieten, für den Schaden aufzukommen, oder? Aber jetzt, wo ihr alles wisst, ist das etwas anderes.« Nick hatte seine lederne Geldbörse hervorgezogen und zählte das Geld ab. »Hier, nimm es. Ich kann nicht mehr rückgängig machen, was ich getan habe, 110
aber immerhin kann ich den Schaden ersetzen. Auf Wiedersehen, Janet. Ich gehe jetzt.« »Nein, bleib doch, Nick! Bitte geh nicht fort!«, flehte Janet ihn wieder an. Ihre Stimme zitterte. »Bit te komm mit mir nach unten und hör dir unsere Entschuldigung an!« Doch Nick schüttelte ihre Hand ab und stürmte mit seinem kleinen Koffer die Treppe hinunter. Janet lief mit dem Geld in der Hand zurück in den Gemeinschaftsraum. Sie riss die Tür so heftig auf, dass die Köpfe der Anwesenden erschrocken herum fuhren. »Ich habe ihn gefunden«, rief Janet mit tränener stickter Stimme. »Er will weg – wahrscheinlich mit dem Zug um Viertel vor sieben. Er sagt, dass es ihm Leid tut, die Fenster eingeworfen zu haben, und er hat mir dieses Geld hier gegeben. Wir sollen es unter uns aufteilen, weil er nicht möchte, dass wir für den Schaden bezahlen. Es ist alles so furchtbar! Oh, Mike, ich kann ihn jetzt ja irgendwie verstehen. Er hat die Fenster eingeworfen, weil wir ihn nicht zu der Party eingeladen haben. Er war so wütend darüber.« »Hätten wir ihm doch nur nicht die Sache mit Toms Schiff angehängt.« Fred plagten offensichtlich Gewissensbisse. »Aber seit dem Schwindel im letzten Schuljahr hatten wir uns einfach alle eingebildet, dass er ein Nichtsnutz ist. Dabei war er davor ein ganz 111
netter Kerl. Und später haben wir ihm nie wieder ei ne, echte Chance gegeben.« »Hört zu«, sagte Tom und alle drehten sich zu ihm hin. »Ich mach mich jetzt sofort auf die Socken und versuche ihn aufzuhalten. Wie spät haben wir’s? Halb sieben? Da erwische ich ihn noch, bevor der Zug ab fährt. Wenn das alles hier herauskommt und Miss Lesley und Mr. Quentin davon erfahren, werden wir ganz schön Ärger kriegen. Und weiß Gott, was dann mit Nick passiert.« Damit war er auch schon aus der Tür. Er rannte die Treppe hinunter und hinaus ins Freie. Er spurtete zu dem kleinen Schuppen, in dem Mr. Wills sein Fahrrad untergestellt hatte, schob es heraus und schwang sich in den Sattel. Eine Minute später hatte er das große Tor und die Auffahrt hinter sich gelas sen und sauste den Hügel hinunter. Er trat kräftig in die Pedale, denn es war ein ziem lich weiter Weg zur Bahnstation. Unterwegs hielt er Ausschau nach Nick, aber er erblickte ihn erst, als er schon fast beim Bahnhof angelangt war. Nick war fast den ganzen Weg gerannt, weil er Angst hatte, den Zug zu versäumen. Tom fuhr mit dem Rad dicht an ihn heran, packte ihn beim Arm und zog ihn an den Straßenrand. Dann sprang er vom Rad, warf es in eine Hecke und zerrte den ver datterten Jungen auf das angrenzende Feld. 112
»Eh, was ist los! Ach, du bist es, Tom! Hau ab! Lass mich in Frieden! Ich fahr nach Hause«, sagte Nick. »Das wirst du nicht tun«, entgegnete Tom. »Zu mindest nicht, bevor du dir angehört hast, was ich dir zu sagen habe. Also, hör zu, Nick! Was wir ge tan haben, war wirklich unfair, und es tut uns echt Leid. Ehrlich! Na ja, manchmal konntest du ein ganz schöner Stinkstiefel sein, aber zum Teil haben wir wohl auch selbst daran Schuld. Ich will damit sagen, dass wir dich erst dazu gebracht haben, dich so zu benehmen. Ich sehe das jetzt ein. Wenn wir uns anders verhalten hätten, hättest du vermutlich auch anders reagiert. Wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus, stimmt’s? Und außerdem: Bis kurz vor den großen Ferien warst du eigentlich immer ganz in Ordnung. Wir konnten dich gut lei den …« »Ja, vor den großen Ferien …«, sagte Nick leise. »Damals fühlte ich mich auch wohl und war froh, dass ich hier sein konnte. Dann kam die Geschichte mit den Prüfungsaufgaben. Ich weiß, ich weiß, es gibt keine Entschuldigung dafür, aber damals sah ich keinen anderen Ausweg, als zu schummeln. Ich dachte, ich hätte gute Gründe dafür – inzwischen habe ich eingesehen, dass es Unrecht war. Aber ich wollte und musste doch auf jeden Fall durch die 113
Prüfungen kommen. All meine Geschwister sind kluge Köpfe und bestehen ihre Prüfungen immer mühelos. Sie alle erhalten Stipendien, und mein Va ter sagt, dass ich die Familie nicht enttäuschen darf. Ich musste also durchkommen. Aber mir fällt das Lernen eben nicht so leicht wie meinen Geschwis tern, ich muss immer hart büffeln. Das ist auch der Grund dafür, dass ich in der Freizeit nie mit euch gespielt habe oder durch die Gegend gewandert bin. Ich habe einfach keine Zeit dazu. Na ja, und weil ich Angst hatte, durch die Prüfungen zu rasseln, habe ich eben ein wenig geschummelt. Und du hast mich verraten.« »Das stimmt nicht«, wehrte sich Tom. »Ich habe zwar gesehen, dass du gemogelt hast, aber ich habe niemandem etwas davon gesagt. Miss Thomas hat es selbst herausgefunden. Warum willst du mir das nicht endlich glauben?« »Kannst du mir dein Ehrenwort geben, dass du mich nicht verpetzt hast?«, fragte Nick. »Ich schwöre, dass ich es nicht getan haben«, er widerte Tom ernst. »Hast du jemals gehört, dass ich jemanden verpetzt oder Lügenmärchen erzählt hätte? Ich habe schon viele verrückte Sachen angestellt und oft genug den Clown gespielt für euch, aber ich bin nicht gemein und schwärze auch keinen an, das soll test du eigentlich wissen.« 114
»Gut. Ich glaube dir«, sagte Nick. »Und jetzt kann ich dir auch verraten, wie sehr ich mich hinterher ge schämt habe, dass ich gemogelt hatte – und dass ihr alle davon erfahren habt. Wie du siehst, bin ich jetzt wenigstens ganz ehrlich.« Tom schwieg einen Augenblick. »Eigentlich sind deine Eltern schuld an dem ganzen Schlamassel«, sag te er dann nachdenklich. »Sie erwarten von dir ein fach zu viel. Warum erklärst du ihnen nicht offen und ehrlich, wie es wirklich um dich steht? Das wäre doch das Beste, oder?« »Das habe ich vor«, meinte Nick. »Das ist auch ein Grund dafür, dass ich jetzt nach Hause fahre. Meine Noten in diesem Halbjahr zeigen klipp und klar, dass ich zu dumm bin. Für ein Stipendium reicht’s jeden falls nicht. Irgendwie geht es nicht gerecht zu auf der Welt. Du bist zum Beispiel so schlau, machst aber überhaupt nichts daraus. Mike und Janet haben eben falls Köpfchen und was tun sie? Sie albern herum, beteiligen sich an jedem Unfug, dabei könnten sie, wenn sie sich nur ein ganz klein wenig anstrengen würden, die Klassenbesten sein. Und jetzt schau mich an! Ich plage mich ab mit meinem bisschen Grips und was kommt dabei heraus? Nichts.« Tom schämte sich plötzlich für all seine Streiche und Albernheiten und dafür, dass er Janet und Mike vom regelmäßigen Lernen abgehalten hatte. Nick 116
hatte Recht, sie hatten sich alle drei niemals richtig Mühe gegeben und sich auf den Hosenboden gesetzt, um zu lernen. Er biss sich auf die Unterlippe und starrte in die Dunkelheit, die sie jetzt umgab. »Ich habe genauso viel falsch gemacht wie du«, sagte er schließlich. »Du hast geschummelt, weil du nicht genug Grips hattest, und ich habe meinen Verstand für dummes Zeug statt zum Lernen be nutzt. Das war auch eine Art Mogeln. Ehrlich gesagt habe ich das bis jetzt zwar nie so gesehen, aber es ist so. Komm, Nick, wir gehen zurück. Lass uns einen neuen Anfang machen. Wir haben einen riesengro ßen dummen Fehler gemacht, aber noch können wir es ändern. Komm, gib uns noch eine Chance, dir zu zeigen, dass es uns ehrlich Leid tut, einverstanden?« Nick zögerte noch. »Ihr habt mir keine Chance ge geben«, sagte er. »Ich weiß. Umso großzügiger darfst du dich füh len, wenn du uns jetzt eine gibst«, versuchte Tom zu scherzen. Dann wurde er wieder ernst. »Ich verspre che dir, mein lieber Freund und Kupferstecher, dass ich meine Zeit und meinen Grips in Zukunft nicht mehr verplempern werde. Ich werde die Lehrer nicht mehr im Unklaren lassen, was meine Fähigkeiten be trifft. Von jetzt an werde ich mir Mühe geben, und ich werde dir helfen, wenn du versprichst, dass du mir hilfst. Ich habe keine Ahnung vom Büffeln, aber 117
du weißt darüber Bescheid und kannst es mir bei bringen. Dafür helfe ich dir da, wo du mit deinen kleinen grauen Zellen nicht weiterkommst. Abge macht?« In diesem Augenblick war vom Bahnhof her der grelle Ton einer Signalpfeife zu vernehmen, und die beiden konnten hören, wie sich ein Zug in Bewegung setzte. »Der Zug ist jedenfalls abgefahren«, sagte Nick und schaute grinsend zur Bahnstation. »Ohne mich! Es bleibt mir also erst einmal nichts anderes übrig, als mit dir mitzugehen. Ich werde erst mal eine Nacht darüber schlafen und sehen, wie die Welt morgen früh aussieht. Heute Abend möchte ich al lerdings keinen von euch mehr sehen. Ich würde mir etwas dumm vorkommen. Wenn ich morgen früh der Meinung bin, dass ich noch einmal von vorne anfangen sollte, werde ich dir beim Aufstehen mit dem Kopf zunicken. Dann wollen wir alles begraben und vergessen, einverstanden? Ich will keine unnöti ge Zeit mehr auf irgendwelche dummen Geschichten vergeuden. Wenn ich das Stipendium haben will, darf ich mich durch nichts von meiner Arbeit ablen ken lassen.« So kehrten die beiden wieder nach St. Roland zu rück. Nick verschwand sofort im Schlafsaal, nach dem er Tom gebeten hatte, ihn beim Abendessen zu 118
entschuldigen. Bevor sie sich trennten, streckte Nick Tom seine Hand hin, und der ergriff sie und drückte sie fest. Tom ging nachdenklich zum Gemeinschaftsraum. Er überlegte, was er den anderen sagen sollte. Sowie er den Raum betrat, wurde er von allen umringt und mit Fragen bombardiert. Er berichtete seinen Mitschülern von dem Ge spräch mit Nick. Als sie von dessen Sorgen hörten, von den Hoffnungen seiner Eltern, die von ihm die gleichen großartigen Leistungen wie von seinen be gabten Geschwistern erwarteten, schwiegen die Kin der alle verlegen. Deshalb also hatte Nick ständig ge büffelt. Jetzt konnten sie auch nachempfinden, wa rum er bei den Prüfungsaufgaben gemogelt hatte. Die meisten hatten schon einmal am eigenen Leib er fahren, wie schrecklich es war, wenn man seine El tern enttäuschen musste. »Jetzt können wir nur hoffen, dass er sich ent schließt, in St. Roland zu bleiben«, sagte Tom. »Und bei dieser Gelegenheit will ich euch gleich noch etwas mitteilen. Ich schäme mich auch ein bisschen für mein Verhalten. Meine Eltern zahlen, damit ich hier etwas lerne, und ich habe bis heute dafür noch kei nen Finger gerührt – vom Werkunterricht einmal abgesehen. Ich habe nichts als Unsinn im Kopf und spiele für euch den Klassenclown. Von jetzt an werde 119
ich mich ernsthaft hinter die Bücher klemmen. Und ihr beide, Janet und Mike, solltet es genauso machen. Keiner von euch beiden war bisher Klassenbester, obwohl ihr ganz locker Doris den ersten Platz streitig machen könntet, wenn ihr nur wolltet.« »Du hast Recht«, sagte Janet, der an diesem Tag einiges klar geworden war. »Ich werde in Zukunft auch mehr tun – auch wenn es nicht mein Hauptziel sein wird, Doris vom ersten Platz zu verdrängen. Miss Thomas hat mir und Mike schon oft genug die Leviten gelesen, weil wir so faul sind und uns keine Mühe geben.« »Hiermit verkünde ich feierlich, dass ich mich ab heute auch mehr anstrengen will«, fügte Mike hinzu. »Wie ihr sicher gemerkt habt, machen Janet und ich nämlich immer dasselbe.« Nick schlief schon, als die anderen Jungen in den Schlafsaal kamen. Es war das erste Mal seit sehr lan ger Zeit, dass er tief und fest und sorglos schlief. Die Dinge waren endlich geklärt und er war zum ersten Mal wieder glücklich. Als die Jungen am anderen Morgen von der Glocke geweckt wurden, hörte Tom, wie Nick leise vor sich hin pfiff. Kurz darauf schob Nick den Kopf durch den Vorhang vor Toms Schlafnische und grinste sei nen neuen Freund fröhlich an. Das war schon sehr 120
viel besser als das griesgrämige Gesicht, das er in der letzten Zeit immer gemacht hatte! Und was Tom besonders freute – Nick nickte ein paar Mal heftig, bevor er wieder verschwand. Tom fiel ein Stein vom Herzen, bedeutete doch das Ni cken, dass Nick im Internat bleiben wollte. Er wollte es noch einmal versuchen – und er gab den anderen ebenfalls eine Chance zu einem Neuanfang. Nick spürte die Veränderung in seiner Umgebung schon an diesem Morgen, als er den Gemeinschafts raum betrat. Anstatt sich wie sonst von ihm abzu wenden, kamen die Jungen und Mädchen auf ihn zu und redeten mit ihm wie mit allen anderen. Er ge hörte zu ihnen, war kein Ausgestoßener mehr! Alle waren glücklich und froh, dass es so gekommen war.
10. Kapitel Das Jahr geht zu Ende Miss Thomas und die anderen Lehrer erlebten in der folgenden Woche eine angenehme Überraschung. Zum ersten Mal, seit Tom nach St. Roland gekom men war, lernte der Junge wie die anderen auch. Die Lehrer kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, 121
als sie feststellten, dass nicht nur Tom, sondern auch Janet und Mike sich eines Besseren besonnen hatten und hart arbeiteten. »Ich habe keine Ahnung, was es ist, aber irgendet was muss geschehen sein«, sagte Miss Thomas zu Mr. Wills. »Und haben Sie auch bemerkt, dass Nick in den letzten Tagen viel glücklicher wirkt? Sieht ganz so aus, als hatten seine Mitschüler beschlossen, wie der freundlicher mit ihm umzugehen. Und was ganz besonders merkwürdig ist, Tom scheint mit Nick plötzlich Freundschaft geschlossen zu haben. Ich glaube, die beiden lernen sogar gemeinsam.« Und so war es auch. Sie machten ihre Hausaufga ben zusammen und lernten dabei voneinander. Tom fasste mit seinem wachen Verstand alles viel schnel ler und leichter auf als Nick. Dafür hatte Nick die Fähigkeit, schneller auf den Punkt zu kommen, wenn er etwas erst einmal verstanden hatte, und das sporn te den eher faulen Tom zu besseren Leistungen an. »Ihr seid ein hervorragendes Team«, lobte sie Miss Thomas. »Ich bin sehr zufrieden mit euch. Tom, ich denke, ich kann dich wieder nach hinten umziehen lassen. Setz dich neben Nick, da könnt ihr euch dann gegenseitig helfen.« »Oh, prima!« Tom strahlte. »Unter Ihrem gestren gen Auge kann ich mich auf Dauer nämlich nicht so recht entfalten, Miss Thomas.« 122
Er grinste verschmitzt und die Klasse lachte. Sei nen plötzlichen Entschluss, von nun an ordentlich zu arbeiten, hatten sie zwar begrüßt, sie machten sich nun jedoch Sorgen, dass er nicht mehr den Spaßvo gel spielen würde, wenn er in Zukunft das Lernen ernst nahm. Wer sollte in der Klasse für Heiterkeit sorgen? Ohne seine Streiche würde es ziemlich lang weilig werden. »Nur keine Bange«, sagte Tom, als Mike ihm von den Befürchtungen der Klassenkameraden berichtete. »Den einen oder anderen Streich werde ich schon noch aushecken. Mir wird schon genug einfallen, auch wenn ich meinen Kopf zunächst einmal zum Lernen benutzen werde.« Er hielt Wort und spielte ein, zwei Streiche, die die Klasse zum Lachen und Monsieur Crozier, der das Opfer war, zur Verzweiflung brachten. Einmal legte er auf das Lehrerpult einen Füller, aus dessen oberem Ende ein kleiner Wasserstrahl schoss, wenn man zu schreiben versuchte. Der ahnungslose Französisch lehrer, der darauf hereinfiel, war so erbost, dass er die Kreide auf den Boden schleuderte und darauf herumtrampelte. Sehr zum Vergnügen der Klasse, der diese Ge schichte noch lange Gesprächsstoff lieferte.
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Die Zeit verging für Janet und Mike trotz aller an fänglichen Bedenken wie im Fluge, und beide stellten eines Tages überrascht fest, dass es bis zu den Weih nachtsferien nur noch eine Woche hin war. »Schade, dass die schöne Zeit fast vorüber ist«, sagte Janet und es klang beinahe ein wenig traurig. »Meine Güte, Janet! Möchtest du denn nicht Weihnachten zu Hause sein?«, fragte Marian. »O doch, natürlich«, erwiderte Janet, »aber es macht so viel Spaß hier in St. Roland. Denk doch bloß an die tollen Dinge, die wir hier in den vergangenen Mona ten erlebt haben.« Miss Thomas, die in der Nähe der beiden Mäd chen stand und gehört hatte, was die beiden sich zu flüsterten, lächelte. Sie ging nach vorn zu ihrem Pult. »Soll ich euch verraten, was für mich die tollste Über raschung der letzten Tage war?«, fragte sie. »Was denn, Miss Thomas?«, fragten die Kinder. Miss Thomas hielt ein Blatt hoch, auf dem sie die Noten für die vergangene Woche aufgeschrieben hatte. »Nun, ich kann es selbst fast nicht glauben, aber Tom Young ist jetzt zum ersten Mal nicht der Letzte in der Klasse«, sagte sie. »Ich musste es direkt noch einmal nachprüfen, weil es mir so unglaublich schien, aber es stimmt. Ein Wunder ist geschehen und Tom ist auf der Leiter nach oben geklettert!« Die Schüler lachten und Tom wurde ganz rot vor 124
Verlegenheit. »Vermutlich von der untersten auf die zweitunterste Sprosse«, sagte er und grinste unsicher. »Da muss ich dich leider enttäuschen! Du bist näm lich diese Woche der Sechste von oben! Es ist einfach sagenhaft! Nick hat sich übrigens erstaunlicherweise ebenfalls verbessert. Er ist der Siebtbeste! Und Janet und Mike – die Wunder nehmen kein Ende – sind beide auf Platz zwei, ganz knapp hinter Doris.« Mike, Janet, Tom und Nick strahlten vor Stolz um die Wette. Ihre Anstrengungen hatten sich gelohnt! Nick zupfte Tom am Ärmel. »Ohne dich wäre die ses Wunder nicht geschehen. Du hast mir wirklich sehr, sehr viel geholfen«, sagte er dankbar. »Nicht nur beim Lernen. Auch sonst. Ich fühle mich pudel wohl, seit wir zusammenarbeiten. Alles hat sich für mich seitdem geändert.« Auch den Klassenkameraden war Nicks Verände rung nicht entgangen. Er lachte viel, alberte mit den anderen herum und schloss sich ihnen an, wenn sie draußen durch die Gegend streiften. Wer hätte je daran gedacht, dass sich alles so zum Guten wenden würde! Die letzten Tage vergingen wie im Fluge. Es gab Konzerte, Ausstellungen mit den Handarbeiten der Kinder und – weniger angenehm – die letzten Prü fungsaufgaben. 125
Aber die Gedanken der Kinder waren jetzt fast nur noch beim bevorstehenden Weihnachtsfest. Aufge regt unterhielten sie sich über Geschenke, Partys, Ausflüge – und die Lehrer drückten nachsichtig im mer wieder ein Auge zu. Am allerletzten Tag ging es in St. Roland ziemlich laut zu. Die Kinder packten in den Schlafsälen ihre Koffer, und ständig rannte der eine oder die andere die Treppen rauf und runter oder die Gänge entlang auf der Suche nach Büchern, Malkästen, Stiefeln oder anderen Dingen, die er oder sie unbedingt noch ein packen wollte. Manchmal stießen sie in der Eile mit anderen zusammen. Dabei konnte es passieren, dass ihre Sachen mit Gepolter die Stufen herunterkoller ten, was fröhliches Gelächter auslöste. »Ich schätze, dieser Lärm ist unvermeidbar«, sagte Mr. Wills, als er einem Fußball auswich, der sich selbstständig gemacht hatte und begleitet von ausge lassenem Gelächter die Treppe heruntergehüpft kam. »Was bin ich froh, dass ich mich bald von euch Gö ren verabschieden kann. Und welch ein Jammer, wenn ich daran denke, dass ich euch im neuen Jahr alle wieder sehen muss!« »O nein, Sir! Wir sind es, die froh sind!«, rief Mike und sprang dem Ball hinterher. »Wir werden zwar die Ferien genießen – aber es wird uns eine Freude sein, wieder nach St. Roland zurückkommen zu dürfen!« 126
Dann begann das große Abschiednehmen. Einige der Kinder fuhren mit dem Zug nach Hause, andere wurden mit dem Auto abgeholt. »Wie schön, dass wir noch bis London zusam menbleiben können«, sagte Janet zu den Schülern, die wie sie mit dem Zug die Heimreise antreten soll ten. »Kommt! Der Bus, der uns zum Bahnhof bringt, ist da.« Zusammen mit etwa zwanzig anderen Kindern kletterten Mike und Janet in den Bus. Als er sich in Bewegung setzte, drehten sich alle nach dem großen grauen Gebäude um. »Auf Wiedersehen, St. Roland«, sagte Mike. »Wir sehen uns im nächsten Jahr wieder! Bis bald!«