Hannes Rehm · Sigrid Matern-Rehm Kommunalfinanzen
Hannes Rehm Sigrid Matern-Rehm
Kommunalfinanzen
Bibliografische ...
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Hannes Rehm · Sigrid Matern-Rehm Kommunalfinanzen
Hannes Rehm Sigrid Matern-Rehm
Kommunalfinanzen
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15593-7
Inhaltsverzeichnis
5
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis Tabellenverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
13 16 17
Einleitung
23
Teil A.
Teil B.
Die Kommunalpolitik im politischen System der Bundesrepublik I. Die Struktur und die Kompetenzausstattung der kommunalen Ebene II. Das Verhältnis von Staat und dezentralen Gebietskörperschaften – Kommunalpolitik im Bundesstaat III. Zur Interpretation des Begriffs „kommunale Selbstverwaltung“ 1 Das normative Ausgangsmodell und die Verfassungswirklichkeit 2 Die zunehmende Politikverflechtung zwischen den staatlichen Ebenen 3 Die Neu-Interpretation der kommunalen Selbstverwaltung 4 Die gewandelten Funktionen der Kommunalpolitik 5. Zusammenfassung: Die Gemeinden als eigenständige Elemente der politischen Willensbildung im föderativen Staatsaufbau Die Theorie des Föderalismus I. Der Entscheidungsbedarf in dezentralisierten Staatssystemen II. Die ökonomische Theorie des Föderalismus 1 Der allokationstheoretische Ansatz 2 Die Aspekte der Verteilungspolitik 3 Die Aspekte der Stabilitätspolitik 4 Die politökonomische Theorie des Föderalismus III. Die ökonomische Theorie der Bürokratie IV. Die aus der Theorie abzuleitenden Gestaltungsmaximen 1 Das Subsidiaritätsprinzip 2 Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz V. Die rationale Kompetenzverteilung in der Theorie des Föderalismus 1 Die fiskalische Äquivalenz als Strukturprinzip des Fiskalföderalismus 2 Das Strukturprinzip und die Bereitstellungseffizienz 3 Die Effizienzkriterien für eine föderalistische Staatsorganisation
25 25 28 29 29 30 33 35 36 37 37 39 39 43 44 44 45 46 46 47 48 48 49 49
6
Inhaltsverzeichnis
4 5
Teil C.
Teil D.
Die Wirkung von Mobilität: Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften Die komparativen Vorteile des Prinzips der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz für die Kompetenz-Zuordnung im föderativen Staatsaufbau
Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU) I. Die institutionelle Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung in der Europäischen Union II. Die Europäische Union und die Theorie des Föderalismus III. Der Einfluss der Europäischen Union auf die kommunale Selbstverwaltung IV. Die Rückwirkungen der europäischen Rechtsetzung auf die kommunale Wirtschaft V. Die Bewahrung kommunaler Handlungsspielräume in der EU Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie I. Die kommunale Selbstverwaltung und die kommunale Finanzausstattung im Bundesstaat II. Die Gestaltungs-Optionen für die kommunale Finanzausstattung III. Die Stellung der Gemeinden im deutschen System der Aufgabenund Finanzierungsverteilung 1 Die Zuordnung der Aufgaben zwischen den staatlichen Ebenen 2 Die Zuordnung der Ausgaben zwischen den staatlichen Ebenen 3 Die Zuordnung der Einnahmen zwischen den Ebenen IV. Die Gemeinden im System der Mischfinanzierung – das Beispiel der Kindertagesbetreuung und der Hartz IV-Reform V. Die Struktur und die Organisation der kommunalen Aufgabenerfüllung 1 Die Aufgabenkompetenz der Kommunen 2 Die Systematik kommunaler Aufgaben 3 Die Formen der Aufgabenwahrnehmung 4 Die Organisation der kommunalen Aufgabenerfüllung 4.1 Zur Struktur der kommunalen Ebene 4.2 Die Kreise als Teil der kommunalen Ebene 4.3 Die gemeindeübergreifenden Organisationsformen VI. Die Entwicklung der kommunalen Ausgaben am Anfang des Jahrtausends VII. Die künftigen Bestimmungsgründe für die Entwicklung der kommunalen Aufgaben und Ausgaben
51 52 55 55 56 57 58 63 65 65 68 69 69 71 72 74 77 78 79 81 82 82 82 84 87 94
Inhaltsverzeichnis
Teil E.
Die kommunalen Einnahmen I. Das kommunale Steuersystem – der Befund 1 Die Finanzierungsverantwortung als Reflex der Aufgabenverantwortung 2 Die Finanzverfassung des Grundgesetzes in ihrer Bedeutung für die kommunale Finanzwirtschaft II. Das Einnahmesystem der Kreise III. Die grundsätzlichen Schwächen des gegenwärtigen Gemeindefinanzierungssystems IV. Die einzelnen Kommunalsteuern 1 Die Charakteristika der Kommunalsteuern 2 Die Beurteilungsmaßstäbe 3 Die Realsteuern 3.1 Die allgemeinen Kennzeichen der Realsteuern 3.2 Die Grundsteuern 3.3 Die Gewerbesteuer 4 Die Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden 5 Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer 6 Die sonstigen („kleinen“) Gemeindesteuern 7 Die Reform der Gemeindesteuern 7.1 Der gegenwärtige Befund als Ausgangspunkt für eine Reform 7.2 Die Korrekturen und Ergänzungen der Gewerbesteuer durch das Unternehmensteuer-Reformgesetz 2008 V. Die Gebühren und Beiträge als Teil des kommunalen Einnahmesystems – zur Preispolitik für kommunale Leistungen 1 Der Stellenwert der Gebühren und Beiträge im Rahmen der kommunalen Einnahmen 2 Die rechtliche Definition von Gebühren und Beiträgen 3 Die wirtschaftliche Definition von Gebühren und Beiträgen 4 Das Potential für die Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen – zur Frage des „Ob“ ihrer Erhebung 5 Die Grenzen für die Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen – zur Frage des „Wie“ ihrer Erhebung 6 Die kommunalen Gebührenhaushalte und deren Kostendeckungsgrade 7 Die weitere Intensivierung der Erhebung von Gebühren und Beiträgen in den Gemeindehaushalten als kommunalpolitische Strategie 8 Die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige kommunale Entgeltpolitik 9 Die kommunalpolitische Bedeutung einer zukunftsfähigen Entgeltpolitik
7
99 99 99 104 106 107 108 108 109 111 111 112 119 125 127 130 131 131 136 138 138 139 140 141 142 144 147 149 151
8
Teil F.
Inhaltsverzeichnis
Die kommunale Verschuldung I. Der Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Kommunalverschuldung 1 Der Stand der Verschuldung 2 Die voraussichtliche Entwicklung der Kommunalverschuldung II. Die ökonomische Begründung der Kommunalverschuldung 1 Die Funktion der Verschuldungsinstrumente auf kommunaler Ebene 2 Die Kommunalverschuldung und das Ziel des Belastungsausgleichs 3 Die politikökonomischen Gründe der Kommunalverschuldung III. Die Rechtsgrundlagen der kommunalen Kreditaufnahme 1 Die allgemeinen Grundsätze 2 Die Bedeutung der Kommunalaufsicht für die Kommunalverschuldung 2.1 Die Kriterien der Kommunalaufsicht für die Beurteilung der Neuverschuldung 2.2 Der Haushaltsplan der Kameralistik als Indikator für die Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts 2.3 Der Haushaltsplan der Doppik als Indikator für die Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts 2.4 Die Grenzen der Kommunalaufsicht bei der Beurteilung der Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts IV. Die Haftungskette der Finanzverfassung zugunsten der Kommunen 1 Die vorherrschende Auffassung 2 Die Verwirklichung der Haushaltsdisziplin durch Föderalismus mit Insolvenz? 3 Das Rating auf der kommunalen Ebene V. Die Instrumente der kommunalen Verschuldung 1 Der Überblick 2 Die Instrumente im Einzelnen VI. Das kommunale Debt Management 1 Ziele und Konzepte 1.1 Die Determinanten der Ziele 1.2 Die Optimierung der Zinsausgaben 1.3 Die Reduzierung der Risiken 1.4 Die Bedeutung der Zinsstrukturkurve 1.5 Die Technik der Referenzzinssätze 2 Der Einsatz derivativer Instrumente im kommunalen Debt Management 2.1 Die Charakteristika der derivativen Instrumente 2.2 Die Einsatzmöglichkeiten der derivativen Instrumente 2.3 Die Vorteilhaftigkeit des Einsatzes derivativer Instrumente
153 153 153 159 160 160 161 164 166 166 172 172 173 174 174 175 175 179 183 187 187 189 194 194 194 196 198 200 201 202 202 207 214
Inhaltsverzeichnis
9
3 4
Anhang: Teil G.
Teil H.
Der Rechtsrahmen für den Einsatz derivativer Instrumente Die Steuerung der relevanten Risiken beim Einsatz von Derivaten 4.1 Die relevanten Risiken 4.2 Die Ansätze zur Risikobegrenzung 4.3 Die instrumentellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine integrierte Ergebnis-Risiko-Steuerung 4.4 Die Auslagerung des kommunalen Debt Managements 5 Die wirtschaftliche Evaluierung des Einsatzes von derivativen Instrumenten Das Glossarium zu den im Text (Teil F.) dargestellten Finanzinnovationen Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt I. Die Privatisierungsdiskussion im kommunalen Bereich 1 Die Unterschiede zwischen formeller und materieller Privatisierung 2 Die Gründe für neue Finanzierungsansätze im kommunalen Bereich II. Die Modelle zur Finanzierung kommunaler Investitionen durch Private im Überblick III. Die Varianten modifizierter Projektfinanzierungen IV. Das Betreibermodell V. Die Public-Private-Partnership als kommunale Finanzierungsalternative VI. Die Restriktionen für die Umsetzung von Modellen des Public Private Partnership VII. Die Haushaltsrechtliche Aspekte der Finanzierungsalternativen VIII. Die Agency-Theorie als Ansatz für die Analyse der neuen Finanzierungsansätze IX. Die finanz- und ordnungspolitische Bewertung der alternativen Finanzierungsansätze im kommunalen Bereich Der kommunale Finanzausgleich I. Die Gründe für den kommunalen Finanzausgleich II. Die Systematik des kommunalen Finanzausgleichs auf Landesebene III. Die Ziele des kommunalen Finanzausgleichs 1 Die Aufstockung der kommunalen Finanzmasse (fiskalische Funktion) 2 Der (tendenzielle) Ausgleich der Finanzkraftunterschiede zwischen einzelnen Gemeinden (redistributive Funktion) 3 Die allokative Funktion des kommunalen Finanzausgleichs 4 Die stabilisierungspolitische Funktion des kommunalen Finanzausgleichs
219 222 222 227 233 238 242 250 253 253 253 255 257 258 263 265 272 273 277 279 283 283 284 287 287 288 288 289
10
Inhaltsverzeichnis
5
Die raumordnungspolitische Funktion des kommunalen Finanzausgleichs IV. Die wesentlichen Entscheidungsparameter für die Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs V. Die qualitative Struktur des kommunalen Finanzausgleichs 1 Die Schlüsselzuweisungen 2 Die Bedarfszuweisungen 3 Die Zweckzuweisungen VI. Die quantitative Struktur des Finanzausgleichs 1 Das Verteilungsverfahren bei Schlüsselzuweisungen 2 Die Steuerkraftmesszahl als Indikator der kommunalen Finanzkraft VII. Der Ausgleich zwischen Ausgangsmesszahl und Steuerkraftmesszahl VIII. Die kritische Analyse des gegenwärtigen kommunalen Finanzausgleichs 1 Die Kritik an der Systematik des Finanzausgleichs 2 Die Kritik an der „veredelten Einwohnerzahl“ als bedarfserhöhendes Element 3 Die Kritik an der Ermittlung der Finanzkraft IX. Die Frage nach dem teilweisen oder vollständigen Ausgleich der Differenz zwischen dem Finanzbedarf und der Finanzkraft X. Das Finanzsystem der Kreise als Teil des kommunalen Finanzausgleichs XI. Die Perspektiven des kommunalen Finanzausgleichs Teil I.
Das kommunale Haushaltswesen I. Die Bedeutung des Haushalts für die kommunale Finanzwirtschaft II. Die Funktionen des kommunalen Haushalts III. Der Aufbau des Kommunalhaushalts 1 Die kommunale Haushaltssatzung 2 Der kommunale Haushaltsplan 2.1 Der Haushaltsplan in der Kameralistik 2.2 Von der Kameralistik zur Doppik – Ziele und Verfahrensschritte der Umstellung IV. Die Doppik im Kommunalhaushalt 1 Die Ziele der Doppik 2 Die Einführung der Doppik auf der kommunalen Ebene – die wesentlichen Elemente der Umstellung 3 Der Zusammenhang zwischen Doppik und Budgetdisziplin 4 Das Drei-Komponenten-System der kommunalen Doppik 5 Die Integrierte Verbundrechnung 6 Die Implikationen des neuen Ansatzes V. Der Haushaltsplan der Doppik als Indikator für die Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts VI. Das Haushaltswesen der Doppik als Steuerungsinstrument
289 289 291 291 291 292 293 293 297 299 303 303 305 307 308 309 312 315 315 316 317 317 318 318 319 321 321 323 324 327 329 334 337 341
Inhaltsverzeichnis
Teil J.
Teil K.
Teil L.
Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft I. Die Motive für die Reform der Steuerung der kommunalen Finanzwirtschaft II. Die wesentlichen Elemente für ein neues Steuerungsmodell III. Die Anpassung des Haushaltswesens an das neue Steuerungsmodell 1 Die grundsätzlichen Fragen 2 Der „neue“ Planungsprozess 3 Der Vollzug des „neuen“ Haushalts 4 Die Kontrolle des „neuen“ Haushalts IV. Die Planungsrechnungen im Integrierten Neuen Rechnungswesen 1 Die grundsätzlichen Fragen 2 Der Ergebnisplan 3 Der Finanzplan 4 Der „neue“ Haushaltsplan V. Das Controlling in der Kommunalverwaltung 1 Die Grundgedanken des Controlling 2 Die Aufgaben des Controlling in der Kommunalverwaltung 3 Die Formen des Controlling 4 Die Umsetzung des Controlling in der Kommunalverwaltung VI. Die Grenzen des Neuen Steuerungsmodells Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik I. Die notwendige Weiterentwicklung der Steuerungsinstrumente II. Die Ziele, Methoden und Indikatoren für eine nachhaltige kommunale Finanzpolitik III. Das kommunale Risikomanagement 1 Die Notwendigkeit eines kommunalen Risikomanagements 2 Die möglichen Instrumente für ein kommunales Risikomanagement IV. Die kommunalen Unternehmen als Instrumente der Selbstverwaltung 1 Die Typologie kommunaler Unternehmen 2 Die Bedeutung der kommunalen Unternehmen 3 Die Rolle der Kommune gegenüber ihren Unternehmen 4 Das Verhältnis zwischen der Kommune und ihren Betrieben 5 Die Transparenz kommunaler Unternehmen im Hinblick auf die Rechnungslegung und Steuerung 6 Die kommunalen Unternehmen im Wettbewerb V. Die Fortentwicklung des doppischen Haushalts zur Rechnungslegung für den „Konzern Kommune“ VI. Die kommunale Wirtschaftsförderung als Steuerungsaufgabe Der Ausblick und die Perspektive
Literaturverzeichnis
11
345 345 347 351 351 352 356 356 357 357 358 358 359 361 361 361 362 363 365 371 371 374 378 378 379 380 380 383 384 385 386 386 389 392 397 401
Abbildungsverzeichnis
13
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27:
Abbildung 28:
Das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz Die Wahrnehmung gemeindlicher Aufgaben Die Metropolregionen in Deutschland – Gemeindescharfe Abgrenzung Die kommunalen Ausgaben in West und Ost 2008* Determinanten der kommunalen Finanzen Die Steuereinnahmen der Kommunen 2000–2006 Die Struktur der Einnahmen in den west- und ostdeutschen Gemeinden – Gv. 1997, 2002 und 2007 Die Steuerautonomie der Gemeinden nach dem Grundgesetz Die Ermittlung des Aufkommens der einzelnen Gemeinde aus dem kommunalen Einkommensteueranteil Die Abgrenzung von Benutzungsgebühren und Beiträgen Die Finanzlage der Kommunen 2000 - 2006 Die kommunale Finanzlage nach Bundesländern im Jahr 2006 Die Notenskalierung nach S&P und Moody’s Die wichtigen kommunalen Ratingkriterien Die Vorschriften zur Kreditwirtschaft in den Bundesländern Der Kapitalmarkt und seine Teilmärkte Die Systematik der Grundformen von Derivaten Die wichtigen derivativen Finanzierungsinstrumente Das Grundmuster eines Swap-Geschäfts Das Grundmuster eines „Forward Rate Agreement“ Das Grundmuster eines Cap Das Grundmuster eines Collar Die Konstruktion eines Forward-Swap Die Grundstruktur einer Swaption Die Nutzung von Derivaten in den Jahren 2003 und 2004 Die Synopse des Rechtsrahmens für den Einsatz von Derivaten in Kommunen Die Muster-Dienstanweisung1 für den Einsatz von derivativen Finanzinstrumenten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement Die Strukturierung für den dokumentierten und nachvollziehbaren Einsatz von Derivaten – Das Beispiel der Stadt Salzgitter
54 81 86 93 96 101 102 105 129 139 158 159 185 187 189 204 206 207 208 209 210 212 213 214 219 224
225 226
14
Abbildungsverzeichnis
Die Dokumentation für den Kauf einer Zinsobergrenze (Cap) Das Beispiel für einen Report für den Kauf einer Zinsobergrenze Die Bedingungen für einen erfolgreichen Einsatz von Derivaten Der CMS-Spread-Ladder-Swap (CSL) Die separate Steuerung von Liquidität und Zinsen in der PortfolioSteuerung Abbildung 34: Die Objektgesellschafts-Struktur der Beteiligten Abbildung 35a: Die Aufgaben in den Phasen Planung, Bau, Betrieb Abbildung 35b: Die Rolle und Einbindung des Projektführers aus Nutzersicht Abbildung 35c: Die Aufgabenverteilung aus Projektsicht Abbildung 36: Die Verbundgrundlagen des kommunalen Finanzausgleichs – Stand 2005 Abbildung 37: Das Verfahren zur Ermittlung der Schlüsselzuweisungen für die einzelne Empfangskommune Abbildung 38: Die Ermittlung der Schlüsselzuweisung für eine Gemeinde Abbildung 39: Hauptansatzstaffel und Ergänzungsansätze für kreisangehörige Gemeinden – Stand 2005 Abbildung 40: Der Verlauf der Ausgleichstarife für die Berechnung der Schlüsselzuweisungen Abbildung 41: Die Funktionen des kommunalen Haushalts Abbildung 42: Der Vermögenshaushalt in der Kameralistik Abbildung 43: Die drei Elemente der Doppik Abbildung 44: Die Elemente der Integrierten Verbundrechnung Abbildung 45: Die Grundstruktur der Vermögensrechnung in Kontoform Abbildung 46: Die Grundstruktur der Ergebnisrechnung Abbildung 47: Die Grundstruktur der Finanzrechnung Abbildung 48: Die Unterschiede zwischen NKR/NKH, NKF und NKRS Abbildung 49: Die Integrierte Verbundrechnung und die Erfassung von Leistungszielen, Output, Ressourcenverbrauch, Vermögen, Schulden und Finanzen Abbildung 50: Das Steuerungssystem im Neuen Steuerungsmodell Abbildung 51: Die dezentrale Führungs- und Organisationsstruktur Abbildung 52: Die Budgetierung im Neuen Steuerungsmodell Abbildung 53: Das Beispiel für eine Output-Planung Abbildung 54: Der Haushaltsplan im Integrierten öffentlichen Rechnungswesen Abbildung 55: Die Erwartungen an und die Furcht vor dem Neuen Steuerungsmodell Abbildung 56: Die zusammenfassende Übersicht und Bewertung von Konzepten der Nachhaltigkeit Abbildung 57: Die kommunalen Risiken Abbildung 58: Die Typologie kommunaler Unternehmen Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33:
234 236 238 241 244 259 270 271 271 286 294 295 298 302 317 318 328 330 331 333 335 336
342 348 349 353 355 360 366 377 379 381
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 59: Indikatorenset für den kommunalen Finanz- und Schuldenreport 2008 Abbildung 60: Die kommunalen Standortfaktoren
15
391 395
16
Tabellenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17:
Die Ausgaben der Kommunalhaushalte 2000 - 2006 Der kommunale Investitionsbedarf 2006 bis 2020 Die sozialen Leistungen der Kommunen 2000 - 2006 Die Einnahmen der Kommunalhaushalte Die Synopse wichtiger Vorschriften der Kommunalabgabengesetze der Länder für den Bereich der kommunalen Benutzungsgebühren Die Kostendeckungsgrade in ausgewählten kommunalen Gebührenhaushalten Die Entwicklung der Schulden deutscher Gebietskörperschaften 1950 - 2005 Die kommunalen Verwaltungs- und Vermögenshaushalte 2000 - 2005 Die Struktur der kommunalen Verschuldung (ab 1991 einschließlich der ostdeutschen Länder) Die Errechnung der Schlüsselzuweisung für eine Gemeinde A, hypothetisches Beispiel, EUR Die Ausgleichsregelungen in den Bundesländern – Stand 2003 Der Stand der Reform des Gemeindehaushaltsrechts in ausgewählten Bundesländern Die grundlegende Gegenüberstellung von klassischer Kameralistik, erweiterter Kameralistik und Doppik Die Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen von Städten und Gemeinden in Deutschland Die Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen von Städten und Gemeinden in der Schweiz Die am häufigsten verwendeten Indikatoren in lokalen und regionalen Indikatorensystemen Die Bewertungsraster mittels Indikatoren für die kommunale Wirtschaftsförderung
89 90 92 100 142 145 154 155 157 300 301 320 324 325 327 376 394
Abkürzungsverzeichnis
17
Abkürzungsverzeichnis
a. a. O.
am angegebenen Ort
Abb.
Abbildung(en)
Abs.
Absatz
AG
Aktiengesellschaft
AK
Anschaffungskosten
ALG
Arbeitslosengeld
AO
Abgabenordnung
Arge
Arbeitsgemeinschaft
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
BaFin
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
Bd.
Band
bearb.
bearbeitet
BemG
Bemessungsgesetz
BfA
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBl.
Bundesgesetzblatt
BIP
Bruttoinlandsprodukt
BOT
Build Operate Transfer
BT-Drs.
Bundestags-Drucksache
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
bzw.
beziehungsweise
ca.
circa
CBL
Cross Border Leasing
CDU
Christlich demokratische Union
CDO
Collaterialized Debt Obligation
CHF
Schweizer Franken
CMS
Constant Maturity Swap
CSL
CMS-Spread-Ladder
18
DAWI
Abkürzungsverzeichnis
Dass.
Dienstleistungen von Allgemeinen Wirtschaftlichen Interesse Dasselbe
Ders.
Derselbe
Dies.
Dieselbe(n)
Difu
Deutsches Institut für Urbanistik
d. h.
das heißt
Diss.
Dissertation
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
DM
Deutsche Mark
DSGV
Deutscher Sparkassen- und Giroverband
EBF
European Banking Federation
EBITDA EG
Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation; Amortization Europäische Gemeinschaft
EGV
Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
EK
Eigenkapital
Endg.
Endgültig
ESt
Einkommensteuer
EStG
Einkommensteuergesetz
EStR
Einkommensteuerrichtlinien
etc.
et cetera
EU
Europäische Union
EuGH
Europäischer Gerichtshof
EUR
Euro
EURIBOR
Euro Interbank Offered Rate
EZB
Europäische Zentralbank
FAG
Finanzausgleichsgesetz
FAZ
Frankfurter Allgemeine Zeitung
f.
folgende
ff.
fortfolgende
FMA
Financial Markets Association
FIBOR
Frankfurt Interbank Offered Rate
FRA
Forward Rate Agreement
Abkürzungsverzeichnis
19
GG
Grundgesetz
GewStDV
Gewerbesteuerdurchführungsverordnung
GewStG
Gewerbesteuergesetz
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GOBY
Gemeindeordnung Bayern
GONRW
Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen
GOS-H
Gemeindeordnung Schleswig-Holstein
GrStG
Grundsteuergesetz
GSiG
Grundsicherungsgesetz
GuV
Gewinn- und Verlustrechnung
H.
Heft
HGrG
Haushaltsgrundsätzegesetz
HGO
Hessische Gemeindeordnung
HK
Herstellungskosten
HKR
Haushaltskassen und Rechnungswesen
Hrsg.
Herausgeber
HWK
Handwerkskammer
i. d. R.
in der Regel
i. e. S.
im eigentlichen Sinne
IHK
Industrie- und Handelskammer
IMK
Innenministerkonferenz der Länder
InsO
Insolvenzordnung
i. S.
im Sinne
i. V. m.
in Verbindung mit
IW-BCV
IW Bauwert-Consult & Verwaltungsgesellschaft
Jg.
Jahrgang
Kfz
Kraftfahrzeug
KLR
Kosten- und Leistungsrechnung
KOM
Kommission
KONTRAG
Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich
KSt
Körperschaftsteuer
KStG
Körperschaftsteuergesetz
KWG
Kreditwesengesetz
20
Abkürzungsverzeichnis
lfd.
laufende(n)
LIBOR
London Interbank Offered Rate
LVA
Landesversicherungsanstalt(en)
MaRisk
Mindestanforderungen an das Risikomanagement
m. a. W.
mit anderen Worten
Mio.
Million(en)
Mrd.
Milliarde(n)
n. F.
neue Fassung
NKF
Neues Kommunales Finanzmanagement
NKR/NKH NKRS
Neues Kommunales Rechnungswesen/Neues Kommunales Haushaltswesen Neues Kommunales Rechnungs- und Steuerungssystem
Nr.
Nummer
NRW
Nordrhein-Westfalen
NSM
Neues Steuerungsmodell
ÖPNV
Öffentlicher Personennahverkehr
OTC
Over the Counter
o. ä.
oder ähnliches
o. V.
ohne Verfasserangabe
p. a.
per annum
PDG
Partnerschaften Deutschland GmbH
PPP
Public Private Partnership
PSC
Public Sector Comperator
rd.
rund
Rd. Nr.
Randnummer
S.
Seite(n)
SGB
Sozialgesetzbuch
S&P
Standard & Poor’s
sog.
so genannte(n)
StabWG Tab.
Gesetz zur Förderung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft Tabelle(n)
TAG
Tagesbetreuungsausbaugesetz
Tz
Textziffer
Abkürzungsverzeichnis
21
u. a.
und andere, unter anderem
u. a. m.
und andere mehr
usw.
und so weiter
Vgl.
Vergleiche
v. H.
vom Hundert
VOB
Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen
VOL
Verdingungsordnung für Leistungen
v. T.
vom Teil
WpHG
Wertpapierhandelsgesetz
WNA
Wachstums- und Nachhaltigkeitswirksame Ausgaben
ZAG
Zentren für Arbeit und Grundsicherung
z. B.
zum Beispiel
z. T.
zum Teil
Ziff.
Ziffer
Einleitung
23
Einleitung
Noch zu Beginn des Jahrtausends bestand die Aussicht auf eine schrittweise Konsolidierung der Finanzen der deutschen Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände. Durch eine stetige konjunkturelle Aufwärtsbewegung nahmen die kommunalen Steuereinnahmen zu, die Neuverschuldung ging zurück, der Finanzierungssaldo des kommunalen Bereichs wurde geringer. Es gab die Hoffnung, dass am Ende der Föderalismusreformen I und II eine mit Blick auf die finanzwirtschaftliche Lastverteilung ausgewogenere Struktur der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung zwischen den Ebenen des Gesamtstaates stehen werde. Diese Hoffnungen haben getrogen. Bereits im Frühjahr 2009 wurden die aufgrund der Wirtschaftskrise erwarteten Einbrüche des Gewerbesteueraufkommens deutlich und die Presse prophezeit „Kommunen in der Klemme“ (Süddeutsche Zeitung vom 26. April 2009, S. 6). In den zurückliegenden Jahren hatte eine für die Gemeinden erfreuliche Entwicklung des Steueraufkommens die strukturellen Probleme der Kommunalhaushalte überdeckt: Die zunehmende Abhängigkeit von Mitteltransfers aus den Haushalten des Bundes und der Länder, die mit Ausgabenbelastungen durch die Ausführung von Bundes- und Landesgesetzen einherging, die fiskalische Abhängigkeit von der Gewerbesteuer, deren Aufkommen selbst zwischen Gemeinden gleicher Größenklassen stark streut, die letztlich zu euphorisch eingeschätzten Möglichkeiten, durch Privatisierung von Aufgaben die Kommunalfinanzen dauerhaft zu entlasten, und schließlich das Unvermögen, die verfügbaren Ressourcen so zu steuern, dass die Bürger die gemeindlichen Aktivitäten in Übereinstimmung mit ihren Erwartungen und Ansprüchen an die lokale Daseinsvorsorge sehen. Auch wenn die finanzwirtschaftliche Situation der Gemeinden sich im Einzelfall sehr unterschiedlich ausprägt, muss man insgesamt feststellen, dass die Kommunen mit diesen Belastungen insgesamt in ein Szenario gehen, das aufgrund eines tiefgreifenden gesamtwirtschaftlichen Einbruchs und einer wahrscheinlich nur zögerlichen Erholung der gesamtwirtschaftlichen Situation Anlass dazu sein muss, strukturelle Veränderungen des kommunalen finanzwirtschaftlichen Handelns einzuleiten. Die Gründe dafür zu analysieren, aber auch entsprechende Lösungsansätze aufzuzeigen, ist die Zielsetzung dieses Buches, dessen Inhalt sich in folgenden Schritten entwickelt: In einem ersten einleitenden Teil werden die institutionellen Grundlagen der gemeindlichen Finanzwirtschaft dargestellt. In diesem Zusammenhang werden zum einen die einschlägigen Verfassungsnormen und die Verfassungswirklichkeit ebenso dargestellt wie die Auswirkungen der Europäischen Union auf die kommunale Selbstverwaltung. Der Befund wird zum anderen gespiegelt an den wesentlichen Aussagen der ökonomischen Theorie des Föderalismus zur Gestaltung dezentraler politischer Systeme und insofern mit normativen Maßstäben abgeglichen (Teile A bis C). Der sich anschließende zweite Themenkomplex befasst sich mit der tatsächlichen Entwicklung der kommunalen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen in den zurückliegenden Jahren, also mit dem empirischen Befund der gemeindlichen Finanzwirtschaft (Teil D). Der dritte Schwerpunkt untersucht die kommunalen Finanzierungsquellen, d. h. die Einnahmen des Gemeindehaushalts, die Steuern, die Gebühren und Beiträge (Teil E), Finanzierungspotentiale der Gemeinden aus der kommunalen Verschuldung (Teil F). Teil G
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Einleitung
ist den kommunalen Finanzierungsalternativen, Teil H dem kommunalen Finanzausgleich gewidmet. In einem vierten Fokus werden wesentliche Instrumente der gemeindlichen Finanzwirtschaft vorgestellt: Der kommunale Haushalt (Teil I) und die neuen Steuerungsmethoden in der Kommunalverwaltung (Teil J). Daran anknüpfend wird in einem fünften Schwerpunkt der Frage nach den Zielen und Instrumenten einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik nachgegangen und in diesem Zusammenhang u. a. Aspekte der kommunalen Risikosteuerung, aber auch – mit Blick auf gemeindliche Handlungsfelder – der kommunalen Unternehmen und der gemeindlichen Wirtschaftsförderung analysiert (Teil K). Im Teil L wird sechstens ein Resümee gezogen, und es werden Handlungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene angedeutet, die geeignet sind, den Status quo der Gemeindehaushalte zu überwinden und i. S. einer finanzwirtschaftlichen Flankierung tatsächliche kommunale Selbstverwaltung zu revitalisieren. Mit allem verbindet sich die Hoffnung, einen Beitrag zur Analyse und damit auch zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion zu leisten.
Teil A. Die Kommunalpolitik im politischen System der Bundesrepublik
Teil A.
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Die Kommunalpolitik im politischen System der Bundesrepublik1
Teil A. Die Kommunalpolitik im politischen System der Bundesrepublik2
I.
Die Struktur und die Kompetenzausstattung der kommunalen Ebene
(1)
Das kommunale Finanzsystem der Bundesrepublik Deutschland entstand, vollzieht und entwickelt sich vor dem Hintergrund von Rahmenbedingungen. Eine verstehende Analyse des Systems und dessen Bewertung kann nicht ohne Kenntnis dieses Rahmens erfolgen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein dezentral organisiertes politisches System: Kennzeichnend sind mehrere eigenständige politische Ebenen, nämlich der Bund, die Länder und die Gemeinden. Die Eigenständigkeit dieser politischen Ebenen zeigt sich in jeweils eigenen inhaltlichen Zuständigkeiten, eigener Aufgabenerfüllung und dem dazu erforderlichen jeweils selbständigen politischen Willensbildungsprozess. Die untere Ebene kann nicht erst dann tätig werden, wenn die höhere sie ausdrücklich dazu ermächtigt, vielmehr besitzt jede Ebene einen Tätigkeitsbereich aus eigenem Recht. Dazu gehört, dass jede Ebene auch über eigene finanzielle Einnahmen verfügt und nicht von den anderen alimentiert wird. Dem steht auch nicht entgegen, dass staatsrechtlich der Bund und die Länder jeweils Staatsqualität besitzen, die Gemeinden aber nach dem Grundgesetz Bestandteil der Bundesländer sind. Inhaltlich ist Kommunalpolitik vor allem Daseinsvorsorge. Der Begriff „Daseinsvorsorge“ ist 1938 von Ernst Forsthoff in die Verwaltungswissenschaft eingeführt
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Vgl. T. Ellwein: Perspektiven der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 1997, S. 1 ff.; H. Wollmann, R. Roth (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, 2. Aufl., Berlin 1998; O. W. Gabriel: Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland, in: T. Ellwein, E. Holtmann (Hrsg.): 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland – Rahmenbedingungen – Entwicklungen – Perspektiven, Opladen 1999, S. 154–1967; A. Kost, H.-G. Wehling: Kommunalpolitik in den deutschen Ländern, Bonn 2003; N. Kersting: Die Zukunft der lokalen Demokratie. Modernisierungs- und Reformmodelle, Frankfurt/M. 2004; J. Bogumil, L. Holtkamp: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung, Hagen 2005; E. Stein: Demokratie durch Gemeindeselbstverwaltung, in: G. Frank, H.-W. Langrehr (Hrsg.): Die Gemeinde. Festschrift für H. Faber, Tübingen 2007, S. 3–16; H. Naßmacher, K.-H. Naßmacher: Kommunalpolitik in Deutschland, 2. Aufl., Wiesbaden 2007. Vgl. T. Ellwein: Perspektiven der kommunalen Selbstverwaltung in Deutschland, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 1997, S. 1 ff.; H. Wollmann, R. Roth (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, 2. Aufl., Berlin 1998; O. W. Gabriel: Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland, in: T. Ellwein, E. Holtmann (Hrsg.): 50 Jahre Bundesrepublik Deutschland – Rahmenbedingungen – Entwicklungen – Perspektiven, Opladen 1999, S. 154–1967; A. Kost, H.-G. Wehling: Kommunalpolitik in den deutschen Ländern, Bonn 2003; N. Kersting: Die Zukunft der lokalen Demokratie. Modernisierungs- und Reformmodelle, Frankfurt/M. 2004; J. Bogumil, L. Holtkamp: Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung, Hagen 2005; E. Stein: Demokratie durch Gemeindeselbstverwaltung, in: G. Frank, H.-W. Langrehr (Hrsg.): Die Gemeinde. Festschrift für H. Faber, Tübingen 2007, S. 3–16; H. Naßmacher, K.-H. Naßmacher: Kommunalpolitik in Deutschland, 2. Aufl., Wiesbaden 2007.
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worden3. Er verknüpft die Abhängigkeit des verstädterten Bürgers von öffentlichen Versorgungsleistungen mit einer entsprechenden staatlichen Verantwortung4, die deshalb eine Leistungsverwaltung5 sein soll. Die Notwendigkeit dieser Leistungserbringung auf kommunaler Ebene ist bis heute unbestritten, dass „Ob“ steht nicht in Rede, wohl aber das „Wie“. Dahinter steht die Frage, ob die erforderlichen Leistungen hoheitlich oder im Wettbewerb zu erbringen sind, eine Diskussion, die sich aufs engste mit der Wettbewerbspolitik der EU verknüpft und auf die an anderer Stelle zurückzukommen sein wird (vgl. unten Teil C.), z. B. Infrastrukturpolitik, Wirtschaftsförderung, Sozialpolitik, Kulturpolitik: Die Gemeinde stellt Wasser und Energie bereit, beseitigt Abwasser und Müll, sorgt für Wege und Straßen, betreibt – je nach Gemeindegröße unterschiedlich – den öffentlichen Personennahverkehr, errichtet Kindergärten und Schulgebäude, unterhält Krankenhäuser und Friedhöfe. Ihrem Wesen nach ist Kommunalpolitik also Gesellschaftspolitik: Hier wird menschliches Zusammenleben gestaltet, wird auf gesellschaftliche Bedürfnisse direkt reagiert, und zwar von Gemeinde zu Gemeinde in durchaus unterschiedlicher Weise und Intensität. Darin liegt wiederum der politische Charakter von Kommunalpolitik begründet. Denn um Politik geht es immer dann, wenn zwischen Alternativen entschieden werden muss – entlang konkreter Interessen, Wertvorstellungen übergreifender politischer Konzeptionen. Dabei ist Politik nicht mehr die allgemeine Normsetzung im Unterschied zur Normanwendung auf einen konkreten Einzelfall, die als unpolitische – weil lediglich anwendende – Verwaltung bezeichnet wird. Kommunalpolitik ist vielmehr ihrem Wesen nach projektbezogen und einzelfallorientiert: Im Gemeinderat wird nicht generell über Straßenführung und Straßenbreite entschieden, sondern über ein ganz bestimmtes Straßenbauprojekt. Die Vertreter eines so beschriebenen Politikverständnisses sprechen hier von Selbstverwaltung und nicht von Kommunalpolitik. Damit meinen sie, dass es hier mehr darum geht, sachgerechte Lösungen im Rahmen vorgegebener Richtlinien zu finden als politische Entscheidungen zu treffen. Doch Verwaltung ist auf keiner politischen Ebene lediglich politischer Gesetzesvollzug bzw. sachgerechte Anwendung genereller Normen auf den Einzelfall. Was sich Verwaltung nennt, ist auf allen Ebenen zur politischen Entscheidung im Einzelfall geworden, unter Berücksichtigung von Einzelinteressen, in Anbindung an politische Wertvorstellungen, im Hinblick auf parteipolitische Machtverhältnisse – also zur Politik. Allerdings haben die Bürger aufgrund des allgemeinen gesellschaftlichen Wertewandels ihre Einstellungen gegenüber dem Staat und der Kommune geändert. Zwar erwarten sie weiterhin die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen durch die öffentliche Hand, jedoch hat das Vertrauen in den Wohlfahrtsstaat und dessen Problemlösungsfähigkeit abgenommen. Gleichzeitig wächst der Wunsch, sich vermehrt an kommunalpolitischen Entscheidungen zu beteiligen. Nicht zuletzt deshalb zielt die kommunale Daseinsvorsorge immer stärker darauf, die (beteiligten) GeVgl. E. Forsthoff: Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart/Berlin 1938. Vgl. G. Püttner: Daseinsvorsorge: Eine Idee mit Zukunft?, in U. Kirchhoff, G. Drilling (Hrsg.): Öffentliche Wirtschaft, Sozialwirtschaft und Daseinsvorsorge im Wandel, Festschrift für H. Cox, Regensburg 2003, S. 1– 11, S. 1. Vgl. „Die Daseinsvorsorge, deren Zweck die Befriedigung allgemeiner Bedürfnisse zu sozial angemessenen Bedingungen ist, ist Teil der öffentlichen Verwaltung“ (E. Forsthoff: Lehrbuch des Verwaltungsrechts, München 1966, S. 161).
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meindebürger zu Betroffenen in dem Sinne zu machen, dass sie einen Prozess akzeptieren, bei dem sie über ihre Zahlungsbereitschaft den Umfang und die Struktur der kommunalen Leistungen (mit-)bestimmen. Dazu kommt, dass seit Anfang der 90er Jahre unter dem Sammelbegriff „New Public Management“ eine Vielzahl von Reformstrategien für die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung diskutiert wird. Durch ein Umdenken in Richtung Dezentralisierung, Ergebnisverantwortung, Einsatz von Managementinstrumenten, Wettbewerb sowie Bürger- und Kundenorientierung sollen die Friktionen bürokratischer Organisationen überwunden werden. Die Verwaltungsmodernisierung fördert in den Kommunen ein unternehmerisches Denken, das zur Orientierung hin auf den Markt beiträgt (vgl. dazu Teil I.). Die ordnungspolitische Reaktion auf diese Entwicklung ist das Modell der Gewährleistungskommune. Dieses kann als eine pragmatische und angemessene Antwort auf die neuen drängenden kommunalen Fragen angesehen werden. Dieses Modell ist die Synthese zwischen dem Leitbild des Wohlfahrtsstaates und der damit einhergehenden Gefahr des Staatsversagens einerseits, und dem liberalen Ansatz mit der Möglichkeit des Marktversagens andererseits. Aus diesem Konzept folgt auch ein neues Verständnis für die Produktion gemeindlicher Dienstleistungen. Ausschlaggebend für die Effizienz, Effektivität und Qualität der kommunalen Daseinsvorsorge ist nicht die Eigentumsstruktur (öffentlich oder privat), sondern das jeweilige Marktregime, genauer das Vorhandensein eines funktionierenden Wettbewerbs auf den Märkten für Dienstleistungen im kommunalen Interesse6. Eine ganz andere Frage ist es, ob der kommunalpolitische Entscheidungsspielraum nicht durch die übergeordneten politischen Ebenen immer stärker eingeschränkt worden ist, etwa indem finanzielle Zuschüsse des Bundes und der Länder an bestimmte Bedingungen geknüpft wurden. Sind – so lautet die Frage – die eigenständigen Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinde heute überhaupt noch groß genug, dass man von eigenständiger Kommunalpolitik sprechen kann? Generell wird man diese Frage nicht beantworten können: Eine kommunale Wohnungsbau- oder Sportpolitik kannten frühere Zeiten nicht. Gegenwärtig kommt z. B. im Bereich des Umweltschutzes und der Sozialpolitik eine Fülle neuer Gestaltungsmöglichkeiten auf die Gemeinden zu. Die These von der ständigen Einschränkung des kommunalen Handlungsspielraums ist also pauschal nicht zutreffend, die Analyse muss tiefer ansetzen und das gewandelte Verhältnis von Staat und dezentralen Gebietskörperschaften im Bundesstaat beleuchten7.
Vgl. C. Reichard: Governance öffentlicher Dienstleistungen, in: D. Budäus, R. Schauer, C. Reichard (Hrsg.): Public and Nonprofit Management. Neuere Entwicklungen und aktuelle Problemfelder, Hamburg 2002, S. 25–40; H. Mühlenkamp: Daseinsvorsorge durch staatliche oder private Unternehmen? in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, H. 11, S. 707–711. Vgl. H. Häußermann: Die Bedeutung „lokaler Politik“ – neue Forschung zu einem alten Thema, in: Politische Vierteljahresschrift, Jg. 1991, Sonderheft, S. 22 ff., S. 35; H. Zielinski: Kommunale Selbstverwaltung im modernen Staat, Köln 1997, S. 146 ff.
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II.
Das Verhältnis von Staat und dezentralen Gebietskörperschaften – Kommunalpolitik im Bundesstaat8
(1)
Der staatsorganisatorische Aufbau der Bundesrepublik wird geprägt durch die Prinzipien der Gewaltenteilung, der Bundesstaatlichkeit und der kommunalen Selbstverwaltung. Das Prinzip der Gewaltenteilung weist die Gesetzgebung, die Verwaltung und die Rechtsprechung jeweils besonderen Organen zu (Art. 20, Abs. 1; Art. 28, Abs. 1 GG). Es entspricht dem Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung, dass sich diese auf den Ebenen der Gemeinden und Gemeindeverbände, der Landkreise, entfaltet. Art. 28, Abs. 2, S. 1 GG besagt: „Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Das Prinzip der Gewaltenteilung spiegelt dabei die „horizontale“ und das Prinzip der Bundesstaatlichkeit i. V. m. der kommunalen Selbstverwaltung die „vertikale“ Staatsorganisation wider. In der „vertikalen“ Gliederung unterscheidet das Grundgesetz zwischen der Bundes- und der Landesverwaltung. Dabei führen entsprechend dem „Grundsatz der Landesexekutive“ (Art. 83 GG) die Länder nicht nur das Landesrecht, sondern auch die Gesetze des Bundes als „eigene Angelegenheit“ aus, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zulässt. Hierbei wird – ebenso wie beim Bund (Art. 86 GG) – zwischen unmittelbarer und mittelbarer Staatsverwaltung unterschieden. Orientiert man sich an dieser Systematik, so gehören die im Rahmen der Normen über die verfassungsmäßige Ordnung der Länder im zweiten, „Der Bund und die Länder“ überschriebenen Teil des Grundgesetzes mit bestimmten Rechten ausgestattete Gemeinden und Gemeindeverbände zur mittelbaren Staatsverwaltung. Diese Auffassung lehnt also einen ursprünglichen und staatsunabhängigen Wirkungsbereich der Gemeinden ab und unterstreicht die Staatsbezogenheit aller öffentlichen Verwaltung. Nur dem Staat verdanken demnach Gemeinden und Gemeindeverbände ihren öffentlichen und öffentlich-rechtlichen Status. Gleichwohl hebt das Grundgesetz durch Art. 28, Abs. 2, die kommunale Selbstverwaltung hervor, die zusammengefasst wie folgt in den Staatsaufbau eingeordnet ist: Diese ist nach Art. 28, Abs. 2 GG institutionell garantiert, sie ist den Ländern einoder angegliedert, zum Bund existieren wichtige sachliche Beziehungen. Die Gemeinden und Gemeindeverbände sind Träger öffentlicher Verwaltungsfunktionen in einem festgelegten und abgegrenzten Aufgabenkreis. Sie besitzen als Körperschaft des öffentlichen Rechts eine eigene Rechtspersönlichkeit, d. h. sie haben die Befugnis, im Rahmen oder nach Maßgabe der staatlichen Gesetze mit hoheitlicher Gewalt die örtlichen Angelegenheiten selbst zu ordnen.
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8
Vgl. J. J. Hesse: Stadt und Staat – Veränderungen der Stellung und Funktion der Gemeinden im Bundesstaat? Das Beispiel Bundesrepublik Deutschland, in: J. J. Hesse, H. Ganseforth, D. Fürst, E.-H. Ritter (Hrsg.): Staat und Gemeinden zwischen Konflikt und Kooperation, Baden-Baden 1983, S. 11 ff. sowie die Beiträge von G. Püttner, R. Heneller, W. Rudolf, J. Pietzker, H. H. v. Arnim, in: J. Isensee, P. Kirchhof (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV: Finanzverfassung und Bundesstaatliche Ordnung, Heidelberg 1990; A. Gern: Deutsches Kommunalrecht, 3. Aufl., Berlin 2003, Rd. Nr. 54.
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III. Zur Interpretation des Begriffs „kommunale Selbstverwaltung“9 1
Das normative Ausgangsmodell und die Verfassungswirklichkeit
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Dieses normative Ausgangsmodell der kommunalen Selbstverwaltung ist mit der Verwaltungswirklichkeit kaum noch vereinbar. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen. Diese sind in den vergangenen Jahren von den sich mit kommunalen Problemen befassenden wissenschaftlichen Disziplinen ebenso wie von der politischen Praxis von unterschiedlichen theoretisch-normativen und politischen Standorten analysiert worden10. Bei allen Unterschieden in den Fragestellungen und in den Perspektiven kommen diese Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die politischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen eine Neu-Interpretation der dem Art. 28, Abs. 2 GG zugrundeliegenden Idee der kommunalen Selbstverwaltung nahe legen. Die kommunale Wirklichkeit ist durch eine Reihe gegenläufiger Entwicklungen gekennzeichnet, die nicht ausschließlich die kommunale Selbstverwaltung erodiert, sondern diese neu ausgeprägt haben. Von diesen Tendenzen sollen hier nur vier genannt werden:
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a. b.
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Im sog. „übertragenen“ Wirkungskreis und in der Angewiesenheit des Staates auf den Aufgaben- und Gesetzesvollzug durch die Kommunen haben die Gemeinden und Landkreise an Bedeutung auf der Vollzugsebene gewonnen11. Der eindrucksvollen Ausweitung der Leistungsangebote sozialstaatlicher Daseinsvorsorge, die den Gemeinden diese Erweiterung ihrer Handlungsbereiche gebracht hat, steht allerdings auch eine partiell zunehmende Einengung der kommunalen Handlungs- und Entscheidungsspielräume gegenüber. Die zunehmende Aufgaben- und Politikverflechtung und die zunehmende Zentralisierung von gesamtstaatlichen Steuerungs- und Kontrollfunktionen integriert die Kommunalebene zwar voll in den Politikvollzug. Es gibt jedoch kaum noch Aufgabenfelder, die von den Gemeinden kraft einer „Allzuständigkeit“ tatsächlich eigenständig gestaltet werden können. Eine Verstärkung dieser Tendenz zur Aufgaben- und Politikverflechtung ist seit den fünfziger Jahren zu erkennen. Sie ist 1969 durch die Einführung der „Gemeinschaftsaufgaben“ (Art. 91 a, b, Art. 104 a, Abs. 4, S. 1 GG) legalisiert worden. Die Kommunen sind immer intensiver in ein Zuschuss- und Zuweisungssystem mit wechselnden Auflagen und Bedingungen integriert worden, z. T. haben sie allerdings diesen Verbund auch selbst gesucht. Dabei gefährden vor allem die „Mischfinanzierungen“ die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Kommunen. Sie ermöglichen eine Ausweitung der „Staatsaufsicht“ über die Gemeinden, sie führen zu einem Abbau der politischen Verantwortlichkeit, sie
Vgl. A. Katz: Kommunale Selbstverwaltung im Wandel, in: Der Städtetag, Jg. 1999, H. 10, S. 684 ff. Vgl. J. J. Hesse: Erneuerung der Politik „von unten“? Stadtpolitik und kommunale Selbstverwaltung im Umbruch, in: J. J. Hesse (Hrsg.): Erneuerung der Politik „von unten“?, Opladen 1986, S. 11 ff.; F.-L. Knemeyer: Kommunale Selbstverwaltung in Deutschland, in: J. H. Kaiser (Hrsg.): Verwaltung und Verwaltungswissenschaften in Deutschland, Baden-Baden 1983, S. 73 ff. Vgl. A. Saipa: Der übertragene Wirkungskreis: Die Macht der Kommunen, in: G. Frank, H.-W. Langrehr: Die Gemeinde, a. a. O., S. 117–136, S. 118.
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d.
vernebeln den Blick für die Folgekosten kommunaler Investitionen und sie verursachen letztlich unvertretbar hohe Verwaltungs- und Personalkosten (vgl. dazu eingehender unten Teil D., IV.). Dem Zentralisierungssog12 können sich Gemeinden z. B. im Bereich der Bauleitplanung (§ 1, Abs. 3 Bundesbaugesetz), die zusammen mit der mittelfristigen Finanzplanung und der staatlichen Regionalpolitik zu den wichtigsten Instrumenten der kommunalen Infrastrukturpolitik gehört, kaum entziehen. Durch staatliche Rahmenvorgabe ist die planerische Gestaltungsfreiheit zunehmend eingeengt worden. Noch restriktiver als die räumliche Planung erweisen sich die Festlegungen und Perspektiven der Fachplanung vor allem dann, wenn sie mit Finanzzuweisungen als Wohlverhaltensprämien verbunden werden. Der Bund und die Länder beeinflussen damit durch die Einbindung der Gemeinden in immer umfassendere und zugleich dichter werdende Systeme zentraler Rahmenvorgaben immer mehr Politikfelder, dies hat nachhaltige Wirkungen vor Ort.
2
Die zunehmende Politikverflechtung zwischen den staatlichen Ebenen
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Bereits 1977 konstatierte der Schlussbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages: „Der in der Verfassungswirklichkeit sichtbare Bedeutungswandel in den Beziehungen zwischen Staatsverwaltung und Kommunalverwaltung, der auf eine stärkere Verzahnung der örtlichen Verwaltung mit überregionalen Entscheidungsträgern drängt, sowie die stärkere Steuerung der kommunalen Selbstverwaltung durch zentrale Entwicklungs- und Fachplanungen, die Zunahme finanzieller Abhängigkeit vom Staat bei steigendem kommunalen Investitionsbedürfnis für Infrastrukturaufgaben sind offenkundig. Die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im gesamten Bundesgebiet und der gesteigerte Anspruch des Bürgers auf öffentliche Daseinsvorsorge sind die bestimmenden Einflussgrößen dieser Entwicklung“13. Diese allgemeine Aussage wachsender staatlicher Steuerungszentralisierung und zunehmender Restriktionen kommunaler Entscheidungen durch staatliche Vorgaben ist jedoch zu differenzieren. In der Praxis lassen sich auch Gegenbewegungen beobachten:
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Die sich sektoral ausprägende Steuerungszentralisierung stößt bei zunehmender Ausdifferenzierung der gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsprozesse an die Grenze, heterogene Problemprägungen noch einheitlich und „standardisiert“ über den Zentralstaat regeln zu können. Die Vollzugsebenen gewinnen dadurch auch mitunter Freiräume der Anpassung staatlicher Regelungen an ihre konkrete Problemsituation. Der sozio-ökonomische Strukturwandel erzeugt neue Probleme, deren politische Inzidenz zunächst auf der Gemeindeebene anfällt: Randgruppenbildung,
Vgl. H. Zielinski: Kommunale Selbstverwaltung und ihre Grenzen. Über den Einfluss von Staat und Wirtschaft auf die Gemeinden, Frankfurt/M. – New York, 1977, S. 77 ff. Vgl. BT-Drs. VII/5924, S. 171.
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Artikulation neuer sozialer Bedarfe, wie z. B. Umweltschutz, Lebensqualität, Wohnwertbezüge usw. Der politische Wandel zu Themen der Staatsverdrossenheit, der Überbürokratisierung, der Dezentralisierung wertet die Kommunalebene auf.
Gleichwohl führen die sozio-ökonomischen Änderungen im Umfeld föderaler Strukturen dazu, dass in zunehmendem Maße binnenföderale Problem- und Politikverflechtungen die Problemlösungsfähigkeit des Gesamtstaates bestimmen. Der seit langen für die einzelnen föderalen Ebenen beobachtete Übergang von der sog. „legislatorischen Steuerung“ zur „exekutiven Führerschaft“ (Steuerung durch die Verwaltung zu Lasten des politischen Entscheidungsprozesses) begünstigt diese Entwicklung. Dazu kommen strukturelle Gegebenheiten, wie z. B. technisches Größenwachstum der Infrastruktureinrichtungen in solche Dimensionen, die lokale, ja regionale Bezüge überschreiten; Interdependenzen von Problemfeldern durch räumliche Nähe und Identität der sozial Betroffenen, der Übergang von der Ordnungsverwaltung zur Leistungsverwaltung mit zunehmendem vertikalen finanziellem und inhaltlichem Abstimmungsbedarf über mehrere föderale Ebenen hinweg. Die Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland, wie überhaupt in allen modernen Industrieländern, sind auch wirtschaftlich keine autonomen Gebilde mehr, die isoliert und relativ autark für sich selbst existieren, die für sich selbst sorgen, deren Einwohner in nahezu allen ihren Lebensäußerungen auf ihre örtliche Ebene bezogen sind. An die Stelle einer in starkem Maße lokal verankerten und begrenzten Wirtschaft ist eine überlokale, ja vielfach sogar international verflochtene Wirtschaft getreten. Die Prosperität einheimischer Wirtschaftsbetriebe hängt weniger von lokalen Gegebenheiten ab als vielmehr von der nationalen und internationalen Konkurrenz, der nationalen konjunkturellen Situation und der internationalen Wirtschaftslage. Das Netz sozialer Sicherheit – jahrhundertlang eine zentrale Aufgabe der örtlichen Solidargemeinschaft – ist schon seit den Bismarckschen Reformen zu Ende des 19. Jahrhunderts national geknüpft. Dass eine moderne Industriegesellschaft eine in hohem Maße mobile Gesellschaft ist, spiegelt sich sehr sinnfällig in den täglichen großen Pendlerströmen wider: Arbeitspendeln, Ausbildungspendeln, Freizeitpendeln. Hier hat die bereits angedeutete „Politikverflechtung“ (Fritz W. Scharpf)14 ihre bestimmende Erklärung. Dahinter stehen im Wesentlichen zwei Entwicklungslinien: Die erste resultiert aus dem Postulat der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“15. Ein ausgeprägter Föderalismus über alle „Ebenen“ hinweg hat zwangsläufig Ungleichheiten in quantitativer und qualitativer Ausprägung zur Folge. Wo die verschiedenen Ebenen völlig frei ihre Prioritäten und inhaltlichen Entscheidungen setzen können, muss das Ergebnis unterschiedlich sein: So kann es zum Beispiel in der einen Gemeinde einen Kindergarten geben, in der anderen Gemeinde jedoch nicht, obwohl von der Kinderzahl her Vgl. F. W. Scharpf, B. Reissert, F. Schnabel: Politikverflechtung: Theorie und Empirie des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, Kronberg 1976; Dies. (Hrsg.): Politikverflechtung II – Kritik und Berichte aus der Praxis, Kronberg 1977; J. J. Hesse (Hrsg.): Politikverflechtung im föderativen Staat – Studien zum Planungsverbund zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, Baden-Baden 1978. Vgl. H.-G. Lange: Wertgleiche Lebensverhältnisse und örtliche Selbstverwaltung – ein Widerspruch?, in: Deutscher Städtetag (Hrsg.): Im Dienst deutscher Städte 1905 bis 1980, Stuttgart 1983, S. 117 ff.
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in beiden der Bedarf gleich groß ist. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie den USA und der Schweiz, ist in der Bundesrepublik die Neigung gering, solche Unterschiede als Kosten der Eigenständigkeit in Kauf zu nehmen. Von daher spiegelten die Politikverflechtung und die Maxime „einheitlicher Lebensverhältnisse“ eine stärker unitarisch akzentuierte politische Kultur wider16. Zum anderen ist der Grad der Politikverflechtung die Folge eines zunehmenden wirtschaftspolitischen Interventionismus. Ziel dieses Politikverhältnisses ist, den Konjunkturverlauf nicht nur durch das Einnahmeverhalten, sondern auch durch die Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand zu verstetigen: In Zeiten der Hochkonjunktur hat diese sich in ihren Ausgaben zurückzuhalten und Kaufkraft abzuschöpfen. Mit der Schaffung von Kaufkraft, ggf. über den Weg der Geldschöpfung, soll in der konjunkturell gegenläufigen Phase – vereinfacht gesprochen – die Wirtschaftsaktivität angekurbelt werden. Interventionistische Wirtschaftspolitik besteht in diesem Konzept zu einem beachtlichen Teil aus einem antizyklischen Ausgabeverhalten des Staates. Da der Staat in der Bundesrepublik aufgrund der föderalen Struktur und der Selbständigkeit der Gemeinden rd. 16.000 öffentliche Hände umfasst, die recht unkoordiniert ihre Ausgaben tätigen und sich im Zweifelsfall prozyklisch verhalten, liegt es von dieser wirtschaftspolitischen Konzeption her nahe, zentralstaatlichen Einfluss auf die Ausgabenpolitik der Länder und der Gemeinden zu nehmen, um ein gleichgerichtetes antizyklisches Verhalten zu erreichen. Die Gemeinden werden dabei in einer entscheidenden Rolle gesehen, da sie rd. zwei Drittel der öffentlichen Investitionen in der Bundesrepublik tätigen. Diese Ziele verfolgen nicht nur das Instrumentarium des Artikel 109 GG (Beeinflussung der Haushaltswirtschaft), auch die Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104 a Abs. 4 GG an die Länder und die Gemeinden sollen nicht zuletzt „zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ dienen. Damit geht allerdings zum einen eine Fehleinschätzung der objektiven Voraussetzungen für eine „kommunale Konjunkturpolitik“ einher. Zum anderen widerlegen auch die empirischen Erfahrungen deren Realisierbarkeit17. Diese Verflechtung hat weitreichende Folgen auf die Gestaltung von Politik auf allen Ebenen. Sie ist undurchsichtiger geworden, politische Verantwortlichkeiten sind nicht mehr deutlich auszumachen. Allgemein ist damit das Gewicht der Exekutiven und ihrer Bürokratien zu Lasten der Parlamente gestärkt worden. Dies trifft auch auf die Ebene der Gemeinden zu. Auch hier gilt das Kontaktprivileg der Exekutiven: Finanzierungsmöglichkeiten, „Töpfchen“, aufzuspüren, ist Sache des Bürgermeisters. Er verhandelt die Modalitäten, tritt vor den Gemeinderat mit beschlussreifen Verhandlungsergebnissen, die nur geschlossen angenommen Neumark hat diesem „unbestimmten Rechtsbegriff“ (Fischer-Menshausen) „geradezu utopischen Charakter“ zugeschrieben. (Vgl. F. Fischer-Menshausen: Unbestimmte Rechtsbegriffe in der bundesstaatlichen Finanzverwaltung, in: W. Dreißig (Hrsg.): Probleme des Finanzausgleichs I, Schriften des Vereins für Sozialpolitik Bd. 96/I, Berlin 1978, S. 75 ff.; F. Neumark: Bemerkungen zu einigen ökonomischen Aspekten der grundgesetzlichen Vorschriften über die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland, in: W. Dreißig (Hrsg.): Probleme des Finanzausgleichs I, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 96/I, Berlin 1978, S. 136 ff. bzw. 165 ff.). Vgl. auch H. Zimmermann: Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“, in: K. Schmidt (Hrsg.): Beiträge zum ökonomischen Problem des Föderalismus, Berlin 1987, S. 35 ff. Vgl. K.-A. Schwarz: Kommunale Haushalte und Konjunkturpolitik, in: H.-G. Henneke, H. Pünder, C. Waldhoff: Recht der Kommunalfinanzen, München 2006, S. 775–782.
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oder abgelehnt werden können. Das kommunalpolitische Wünschbare wird durch das mittels Mischfinanzierung finanzpolitisch „Machbare“ ersetzt. Es liegt auf der Hand, dass dieses Ablaufmuster zu einer zunehmenden Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung im Sinne originärer politischer Entscheidungen auf Gemeindeebene und zu immer stärkeren Einschränkungen der kommunalen Finanzautonomie führen muss. Die aufgezeigten Entwicklungslinien sind durch die deutsche Wiedervereinigung nicht gebrochen, sondern eher noch verstärkt worden. Die politische Zäsur wurde nicht als Chance und Möglichkeit begriffen, Fehlentwicklungen zu revidieren und Strukturen zu schaffen, die auch insofern einen Neuanfang ermöglicht hätten. Allerdings bleibt bei diesem kritischen Hinweis zu relativieren, dass das Tempo der Angleichung in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht eine zeitliche Synchronisation der politisch-institutionellen Schrittfolge notwendig machte, so dass allein deshalb tiefgreifende Reformen des politisch-administrativen Überbaus nicht möglich waren. Im Übrigen leisteten die westdeutschen Kommunen und deren Verbände solidarisch eine beachtliche Aufbauarbeit bei der Entwicklung der SelbstverwaltungsStrukturen in den neuen Bundesländern18.
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Die Neu-Interpretation der kommunalen Selbstverwaltung
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Für den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung muss also auf der Grundlage des sich in den letzten Jahrzehnten vollziehenden Zentralisierungsprozesses nach neuen Abgrenzungen bzw. einem neuen Selbstverständnis kommunaler Politik gesucht werden. Das erscheint vor allem deshalb notwendig, weil die Unterscheidung zwischen „örtlichem“ und „überörtlichem“ Aufgabenkreis nicht mehr den tatsächlichen Verhältnissen entspricht bzw. der kommunalen Selbstverwaltung ein originärer Entscheidungsbereich immer mehr entzogen wird. Die gewandelte normative Interpretation der kommunalen Selbstverwaltung hat sich daher, ausgehend von dem Befund der Verfassungspraxis, dass der Bund, die Länder und die Gemeinden parallele und sich vielfach entsprechende Ebenen des politisch-administrativen Systems der Bundesrepublik sind, a. b.
an der gewandelten politischen Dimension der kommunalen Selbstverwaltung und an der Einfügung und dem Eingebundensein der kommunalen Selbstverwaltung in den Staatsaufbau der Bundesrepublik
zu orientieren19. Dieses Verständnis begreift die Gemeinden als einen essentiellen Bestandteil des politischen Systems der Bundesrepublik mit eigenem Gestaltungsauftrag. Nach dieser Auffassung ist die Erfüllung von öffentlichen Aufgaben durch Gemeinden 18
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Vgl. H. Wollmann: Um- und Neubau der Kommunalstrukturen in Ostdeutschland, in: H. Wollmann, R. Roth: Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, 2. Aufl., Berlin 1998, S. 149 ff. Vgl. M. Rosenfeld: Hat die Dezentralisierung öffentlicher Aufgaben eine Chance?, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 1989, S. 28 ff.
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und Gemeindeverbände gleichwertig mit der Wahrnehmung von Aufgaben durch den Bund und die Länder. Dabei erschöpft sich die kommunale Selbstverwaltung keineswegs in administrativer Dezentralisation. Sie ergänzt vielmehr das Prinzip der Gewaltenteilung und kann übermäßiger Machtkonzentration entgegenwirken sowie einen in Stufen gegliederten demokratischen Staat gewährleisten. Erst die Kombination von administrativer und politischer Dezentralisation kennzeichnet somit die politische Funktion der Selbstverwaltung. Das ist vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass im letzten Jahrzehnt die Kommunalpolitik durch die weit gespannten Demokratisierungs- und Partizipationsdiskussionen einen neuen Stellenwert erhalten hat. Damit ist eine Aufwertung der Kommunalpolitik insgesamt verbunden. Diese wird zunehmend als eine Möglichkeit zur Überwindung oder zumindest zur Abschwächung des gefährlichen Phänomens der bürokratischen Entfremdung des Bürgers vom demokratischen Gemeinwesen gesehen, als eine Möglichkeit, die Kontrolle durch die legitimierten Organe zu verbessern. Dazu kommen zentrale ökonomisch-technische Gegenwartsund Zukunftsprobleme, die sich u. a. als Umweltprobleme manifestieren, und die sich häufig einer zentralstaatlichen Beeinflussung entziehen und insofern auf der lokalen und regionalen Ebene „anfallen“. Durch die Zusammenhänge zwischen technologischer und ökonomischer Entwicklung, zwischen sozialen und kulturellen Veränderungen einerseits und politischen Entscheidungen andererseits, haben die kommunalen und regionalen Aufgaben eine neue Qualität und Intensität erhalten. So steht die Kommunalpolitik heute gleichzeitig als Adressat wie auch als Träger von Entscheidungen vor neuartigen Problemen. Dabei werden zentrale Rahmenbedingungen für kommunales Handeln vor allem durch zu erwartende Veränderungen in den zentralen Politikfeldern Arbeitsmarktpolitik, Wirtschaftsförderung, Sozialpolitik, Kulturpolitik und Umweltpolitik sowie durch veränderte Werte und Orientierungen markiert. Die Bewältigung dieser Problemfelder wird ein hohes Maß an Flexibilität voraussetzen. Die Anforderungen, die im Rahmen einer integrierten Gesellschaftspolitik in den kommenden Jahren an die Kommunen herangetragen werden, treffen allerdings auf Politikstrukturen, die bereits gegenwärtig mit der Bewältigung von zentralstaatlichen Aufgaben überlastet sind. Die Zukunft der Kommunen wird letztlich davon abhängen, ob und inwieweit es gelingt, das Verhältnis zwischen Gemeinden und Staat den komplexen Bedingungen des föderativen Systems der Bundesrepublik anzugleichen. Es wird darauf ankommen, den Kommunen neue materielle Handlungsspielräume zu eröffnen. Entscheidend wird dabei sein, dem Funktionsabbau der Kommunen durch eine Rekommunalisierung der Politik entgegenzuwirken.
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Die gewandelten Funktionen der Kommunalpolitik20
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Konsequenterweise ist deshalb nach neuen Funktions-Abgrenzungen für die Kommunalpolitik zu suchen. Die Grundlage dafür kann nicht in erster Linie der Gegensatz zwischen Staatsverwaltung und Selbstverwaltung sein, aus dem dann die Ableitung einer unpolitischen Kommunalverwaltung von der Staatspolitik folgt. Vielmehr ergeben sich aus dem gesamtgesellschaftlichen Bezug der Kommunalpolitik und entsprechend der durch gesamtgesellschaftliche Wandlungsprozesse bedingten Veränderungen neue Orientierungspunkte für eine Funktionsbestimmung der Kommunen und für die angemessene Einbeziehung der Kommunen in den Gesamtaufbau des Staates. Es ist evident, dass die Kommunalpolitik durch diese geänderte Einordnung gegenüber dem traditionellen Verständnis ihre Akzente verändert. Bestand nach dem hergebrachten Verständnis eine Nachordnung der kommunalen Verfassungsstufe im Bereich der Staatlichkeit, so ist die kommunale Ebene heute als essentieller Bestandteil des politisch-administrativen Systems zu verstehen. Das bedeutet: Der Kommunalpolitik kommt ein eigenständiger Auftrag zu, zumal die Erfüllung von Aufgaben durch die Gemeinden und Gemeindeverbände gleichwertig mit der Erfüllung von Aufgaben durch den Bund und die Länder zu sehen ist. Dieses funktionale Verständnis überwindet die ursprüngliche (vgl. oben II.) dargelegte Auffassung, wonach die Gemeinden und Gemeindeverbände lediglich Elemente der mittelbaren Staatsverwaltung sind21. Die Fragwürdigkeit dieses traditionellen Ansatzes wird auch angesichts der Einbeziehung der Kommunalpolitik in den politisch-administrativen Planungs-, Steuerungs- und Leistungsverbund deutlich. Denn gerade hier zeigt sich, dass diese die wirklich entscheidende Ebene der gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen ist, dass sie damit aber auch alle Elemente der „Politik“ einschließt. Da die Kommunalpolitik in diesem modernen Verständnis in größere funktionale Zusammenhänge einzuordnen ist, müssen sich ihre Aufgaben aus einem neuen „Gegenstrommodell“ und nicht aus dem tradierten „Trennungsmodell“ ableiten. In dem neuen Ansatz22, der den Funktionswandel des modernen Staates, vor allem aber die Verflechtung der Politikbereiche von der Bundesebene zur Lokalebene und in umgekehrter Richtung berücksichtigt, gewinnt die Kommunalpolitik neuarti-
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Vgl. E.-H. Ritter: Kommunale Selbstverwaltung auf der Suche nach dem Standort, in: Deutscher Städtetag (Hrsg.): Im Dienste deutscher Städte 1905 bis 1980, Stuttgart 1983, S. 247 ff.; W. Brom: Die Selbstverwaltung der Gemeinden im Verwaltungssystem der Bundesrepublik, in: Deutsches Verwaltungsblatt, Jg. 99 (1984), S. 293 ff.; W. Bick: Die veränderten Rahmenbedingungen für Kommunalpolitik und kommunale Selbstverwaltung, in: J. J. Hesse (Hrsg.): Zur Situation der kommunalen Selbstverwaltung heute, Stadtpolitik und kommunale Selbstverwaltung im Umbruch, Baden-Baden 1987, S. 33 ff.; W. Wollmann, R. Roth (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, 2. Aufl., Bonn 1998. Vgl. zur Situation und Weiterentwicklung der kommunalen Selbstverwaltung z. B.: Politik und kommunale Selbstverwaltung – Stellungnahme des Sachverständigenrates zur Neubestimmung der kommunalen Selbstverwaltung beim Institut für Kommunalwissenschaften der Konrad-Adenauer-Stiftung, Köln 1984; A. Janssen: Die zunehmende Parlamentarisierung der Gemeindeverfassung als Rechtsproblem, Göttingen 1988; H.U. Erichsen (Hrsg.): Kommunalverfassung heute und morgen. Bilanz und Ausblick, Köln u. a. 1989. Vgl. E. Laux: Kommunale Selbstverwaltung im Staat der Siebziger Jahre, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 9, 1970, S. 217 ff.; A. Benz: Changing Federalism in West Germany, Speyer 1986 (Speyerer Arbeitshefte Nr. 72); Beitrag von H. Hill (Hrsg.) in H.-U. Erichsen (Hrsg.): Kommunale Verwaltung im Wandel, Köln u. a. 1999.
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Teil A. Die Kommunalpolitik im politischen System der Bundesrepublik
ge Legitimations-, Umsetzungs- und Gestaltungsfunktionen sowie Innovations- und Rückkopplungsaufgaben. Entsprechend dieser politisch-funktionalen Begründung, die über das verfassungsrechtlich normierte Verständnis der kommunalen Selbstverwaltung hinausgeht und die föderale Organisation des Staates hervorhebt, ergänzen sich Staatspolitik und Kommunalpolitik. Die Erfüllung dieser Funktion setzt allerdings auch eine entsprechende finanzwirtschaftliche Basis für eine derartige Kommunalpolitik voraus.
5.
Zusammenfassung: Die Gemeinden als eigenständige Elemente der politischen Willensbildung im föderativen Staatsaufbau
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein dezentral organisiertes politisches System: Kennzeichnend ist die Existenz mehrerer eigenständiger politischer Ebenen, nämlich der Bund, die Länder und die Gemeinden (Gemeindeverbände). Die Eigenständigkeit dieser politischen Ebenen zeigt sich in eigenen inhaltlichen Zuständigkeiten, eigener Aufgabenerfüllung und dem dazu erforderlichen jeweils eigenen politischen Willensbildungsprozess. Die Gemeinden sind im Rahmen des föderalistischen Staatsaufbaus eigenständige Elemente der politischen Willensbildung und der gesellschaftspolitischen Gestaltung im Sinne einer ständigen Abstimmung und Ergänzung von Staats- und Kommunalpolitik. Tätig werden kann die jeweils untere Ebene nicht erst dann, wenn die höhere sie dazu ausdrücklich ermächtigt hat, vielmehr sind im Verständnis der Balance diesen drei Ebenen im Staatsaufbau der Bundesrepublik originäre politische Verantwortungen zugeordnet. Dies erfordert, dass jede Ebene auch über eigene finanzielle Einnahmen verfügt und nicht (völlig) von den anderen Ebenen alimentiert wird.
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
Teil B.
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Die Theorie des Föderalismus
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
I.
Der Entscheidungsbedarf in dezentralisierten Staatssystemen1
(1)
Der im vorangegangenen Kapital für die Bundesrepublik Deutschland dargestellte politisch-empirische Befund wirft die Frage nach der theoretisch „richtigen" Zuordnung von politischen Verantwortungen und Kompetenzen, von Aufgaben und der zu ihrer Erfüllung notwendigen finanziellen Ressourcen auf. Die ökonomische Theorie des Föderalismus ist ein Ansatz oder ein Versuch, dieses Problem zu lösen. In dezentralisierten Staatssystemen sind aus ökonomischer Sicht folgende Fragestellungen zu beantworten:
(2)
(3)
Allen Staaten liegen Organisationsprinzipien zugrunde. Diese sind durch folgende Begriffspaare zu kennzeichnen:
1
Welche Güter und Dienste (im Weiteren der Einfachheit wegen auch als „Güter“ bezeichnet) werden (bzw. sollen) von welcher Ebene (regional definiert) angeboten (werden)? Dies ist die Frage nach der vertikalen Funktionsteilung. Wie sind (bzw. sollen) regionale Ebenen in regionale Körperschaften (im Weiteren auch als Gebietskörperschaften bzw. gebietskörperschaftliche Einheiten bezeichnet) gegliedert (werden)? Dies ist die Frage nach der horizontalen Funktionsteilung. Haben (bzw. sollen) die gebietskörperschaftlichen Einheiten im Rahmen des Güterangebotes (über) die entsprechende Entscheidungsbefugnis (verfügen)? Wie ist bzw. wie soll die Steuerhoheit (Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit) über unterschiedliche Finanzierungsquellen auf diese gebietskörperschaftlichen Einheiten aufgeteilt (werden)? Werden (bzw. sollen) die gebietskörperschaftlichen Entscheidungen aufeinander abgestimmt (werden)? In welcher Form werden (bzw. sollen) diese Abstimmungen koordiniert (werden)?
Zentralisation – Dezentralisation Konzentration – Dekonzentration Unitarismus – Föderalismus.
Vgl. E. Deuerlein: Föderalismus. Die historischen und philosophischen Grundlagen des föderativen Prinzips, München 1972; R. Sturm, P. Zimmermann: Föderalismus. Eine Einführung, Baden-Baden 2005; W. E. Oates: Toward a Second-Generation Theory of Fiscal Federalismn, in: International Tax and Public Finance, Jg. 2005, S. 349–373; H. P. Schneider: Finanzautonomie von föderalen Gliedstaaten und Kommunen. Ein internationaler Vergleich, Gütersloh u. a. 2006; E. Ahmad, G. Brosio: Handbook of Fiscal Federalism, Cheltenham 2006; D. Wellisch: Theory of Public Finance in a Federal State, Cambridge 2006; R. Boadway, A. Shah: Fiscal Federalism. Cambridge 2009.
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(4)
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
Im Folgenden sind die beiden Funktionsprinzipien „Unitarismus“ und „Föderalismus“ von besonderem Interesse. In der gängigen Ausprägung wird unter Föderalismus eine auf Dauer angelegte Verbindung von eigenständigen Körperschaften zu einer größeren Gesamtheit zur Verfolgung bestimmter (gemeinsamer) Aufgaben verstanden. Dabei bleibt eine gewisse politische Selbständigkeit auch in der Verbindung aufrecht. Unitarismus dagegen bedeutet im Kern Zusammenfassung der Zuständigkeiten auf einer Ebene, was Dekonzentration und Delegation allerdings nicht völlig ausschließt. Staatsrechtlich ist der Gleichrang von Bund und Ländern das entscheidende, konstitutive Element einer föderalistischen Organisation. In ihr bezeichnet der Begriff des Föderalismus im Allgemeinen eine Organisationsform des Bundesstaates, bei der nur ein Teil der staatlichen Aufgaben vom Gesamtstaat wahrgenommen wird. Die übrigen Aufgabengebiete werden von den Gliedstaaten erfüllt. Sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten sind eigenständig und verfügen über die Gesetzgebungshoheit in gewissen Aufgabenbereichen. Für den Staatsrechtler ist deshalb der verfassungsmäßig garantierte Autonomiebereich der unteren Ebenen entscheidend. Die Politikwissenschaft sieht im Föderalismus nicht eine zentralisierte politische Formation, sondern eine bestimmte Art der Machtverteilung auf eine zentrale und mehrere regionale Regierungen mit der Absicht (Tendenz), die Teilautonomie der regionalen Körperschaften zu bewahren und dauerhaft zu sichern. Für den Ökonomen besteht das Wesen des Föderalismus in erster Linie in einer mehrstufigen, kollektiven Aufgabenerfüllung und der damit verbundenen Willensbildung und Entscheidung. Ihn interessiert zwar die Frage der ökonomischen Machtverteilung i. S. der Produzenten- und Konsumentensouveränität, jedoch nicht die formale Autonomie. Er will vielmehr einerseits die wohlfahrtsökonomischen Aspekte der Aufgabenerfüllungsverteilung (normative Richtung) und andererseits die wechselseitigen Wirkungen zwischen gegebenen institutionellen Zuständigkeiten und deren ökonomischen Effekte sowie die dahinter wirkenden Kräfte im Rahmen der Aufgabenerfüllungsentscheidungen (positive Richtung) analysieren. Im Hinblick auf den ersten Aspekt geht es darum, welcher Grad der Zentralisierung oder Dezentralisierung der Aufgabenerfüllung am meisten zur Wohlfahrt der Bürger eines Landes beiträgt. Damit soll die Frage beantwortet werden, welche Aufgaben die verschiedenen Gebietskörperschaften bzw. gebietskörperschaftlichen Ebenen erfüllen sollen. Unter dem zweiten Aspekt interessieren die Entscheidungsverfahren bzw. -kriterien, die zu bestimmten Ausprägungen der Aufgabenerfüllung führen.
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
II.
39
Die ökonomische Theorie des Föderalismus2
Da die regionale und funktionale Gliederung der Staatswirtschaft die ökonomischen Wirkungen der staatswirtschaftlichen Aktivitäten entscheidend beeinflusst, ist der Föderalismus auch Erkenntnisobjekt der Wirtschafts-, insbesondere der Finanzwissenschaft. Unter ökonomischen Aspekten kann der Föderalismus ausgehend von folgenden Ansätzen analysiert werden: 1
Der allokationstheoretische Ansatz
(1)
Bei diesem Ansatz lautet die zentrale Frage: Sollen öffentliche Güter und Leistungen zentral oder dezentral angeboten werden? Wenn dezentral, wo sollen die Grenzen für ein effizientes Angebot gezogen werden? Unter der Annahme, dass alle Individuen gleiche Präferenzen und Einkommenshöhen aufweisen, wird bei diesen Ansätzen zunächst anhand eines öffentlichen Gutes untersucht, wo die optimale Größe einer Gruppe bei gegebenem Angebot eines öffentlichen Gutes, oder die optimale Höhe des Angebotes eines öffentlichen Gutes bei gegebener Größe der Gruppe liegt. Öffentliche Güter weisen unterschiedliche Nutzungsstreuungen auf. So verteilt sich der Nutzen bestimmter öffentlicher Güter über das gesamte staatliche Territorium, der Nutzen anderer Güter dagegen bleibt räumlich auf bestimmte Gebiete begrenzt. Daraus wird gefolgert, dass die Kosten des angebotenen öffentlichen Gutes entsprechend den Präferenzen derjenigen Einwohner verteilt werden sollen, die in der Nutzenzone domizilieren. Auch sollen diese Konsumenten über das Angebot im Rahmen des notwendigen politischen Prozesses bestimmen. Mit anderen Worten: Aus ökonomischer Sicht ist in einem Staatswesen dann die optimale Gliederung gegeben, wenn jene Kollektive, die den Prozess der Willensbildung und Entscheidung tragen, so groß sind, dass sie alle Begünstigten, Betroffenen und Beteiligten gänzlich einschließen. Dies nennt man das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz. Im Sinne einer fiskalischen Äquivalenz soll also die Übereinstimmung von Entscheidungsträger, Nutznießer und Kostenträger gewährleistet sein und damit das Auftreten von „spill overs“ verhindert werden. Als „spill over“ oder externe Effekte werden dabei solche ökonomischen Wirkungen bezeichnet, die außerhalb der Region der Kosten-
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2
Vgl. M. Neumann: Zur ökonomischen Theorie des Föderalismus, in: Kyklos, Jg. 1971, S. 493 ff.; K. Buluto÷lu: Fiscal Decentralization: A Survey of Normative and Positive Contributions, in: Finanzarchiv, Jg. 1976, S. 1 ff.; E. Tanner: Ökonomisch optimale Aufgabenteilung zwischen den staatlichen Ebenen, Bern u. Frankfurt/M. 1982; E. Thöni: Politikökonomische Theorie des Föderalismus, Baden-Baden 1986; D. Sauerland: Föderalismus zwischen Freiheit und Effizienz. Der Beitrag der ökonomischen Theorie zur Gestaltung dezentralisierter politischer Systeme, Berlin 1996; R. L. Frey (Hrsg.): Föderalismus – zukunftstauglich?, Zürich 2005; W. E. Oates: Toward a Second-Generation Theory of Fiscal Federalismn, in: International Tax and Public Finance, Jg. 2005, S. 349–373; D. Wellisch: Theory of Public, Finance in a Federal State, Cambridge 2006; Ch. B. Blankart: Föderalismus in Deutschland und in Europa, Baden-Baden 2007.
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Teil B. Die Theorie des Föderalismus
träger anfallen3. Dieses Prinzip kann allerdings nur als eine theoretische Maxime verstanden werden. Zum einen ist realistischerweise anzunehmen, dass bei vielen Gütern der Grenznutzen, bezogen auf die Entfernung zum Bereitstellungsort, abnimmt. Zum anderen streuen die Nutzen vieler kollektiver Güter über die Grenzen der zu Verfügung stellenden Gebietskörperschaften, so dass diese Güter von der Bevölkerung einer anderen Region ebenfalls mit konsumiert werden. Anders formuliert: Das Leistungsangebot eines föderalen Staates ist i. d. R. mit räumlichen Nutzen- und/oder Kosten„spill overs“ verbunden. Diese „spill overs“ werden im Entscheidungsprozeß vernachlässigt und führen deshalb zu einer falschen Höhe und Struktur der Ausgaben der jeweiligen Gebietskörperschaften. Bei Vorliegen von „spill overs“ kann ein ökonomisch rationaler Entscheid einer untergeordneten Gebietskörperschaft über z. B. Infrastrukturausgaben zu Ergebnissen führen, die mit ihren langfristigen Interessen, insbesondere aber mit gesamtwirtschaftlichen Bedürfnissen, nicht vereinbar sind. Das sub-nationale Kollektiv verhält sich als ein nur seinen eigenen Nutzen maximierender homogener Entscheidungsträger, der das Gemeinwohl nicht oder nicht hinreichend berücksichtigt4. Im Wesentlichen gibt es zwei Möglichkeiten, über die ein Teil der Kosten der öffentlichen Leistungen eines Gliedstaates andere Gliedstaaten belasten und begünstigen kann: Zum einen ist es die fiskalische Interdependenz, welche durch die Steuererhebung und Ausgabentätigkeit einer übergeordneten Gebietskörperschaft entsteht. Andererseits ist es die ökonomische Wechselwirkung des Marktes, welche die Steuerlast über die Grenzen des Gliedstaates hinausträgt. Schließlich führt auch die Mobilität der Produktionsfaktoren zu „spill overs“. Als mögliche Relationen zwischen den Nutzen-Grenzen eines Kollektivgutes und den Grenzen des Zuständigkeitsbereiches der Regierung, von der es angeboten wird, lassen sich demnach folgende Fälle unterscheiden:
Die Wirkung des Kollektivgutes geht über die Grenzen des anbietenden Kollektivs hinaus (1). Das Kollektivgut erreicht nur einen Teil der zum relevanten Kollektiv gehörenden Individuen (2). Die Grenzen des öffentlichen Gutes stimmen mit denen des anbietenden Kollektivs überein (3).
Man könnte daran denken, die mit den Fällen 1 und 2 verbundenen Ineffizienzen dadurch zu beseitigen, dass alle „spill overs“ internalisiert werden. Dazu müssten diese Funktionen auf eine Ebene verlagert werden, deren Bevölkerung dann die gesamten kollektiven Nutzenempfänger umfasst. Mit anderen Worten: Jedes Kollektiv müsste dann so groß sein, das keine Konsequenzen der von ihm getroffenen Entscheidungen über seine Grenzen hinaus streuen. Diese Regel würde aber im Ergebnis bedeuten, dass für die unterschiedlichen „spill overs“ eine Reihe differierender
3
4
Vgl. Ch. M. Tiebout: A Pure Theory of Local Expenditures, in: Journal of Political Economy, Jg. 1956, S. 416 ff. Vgl. J. M. Buchanan: An Economic Theory of Clubs, in: Economica, Jg. 1965, S. 583 ff.
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
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41
Regierungseinheiten für die entsprechenden Funktionen zu bilden wären5. Dies kann also keine praktikable Zuordnungsregel sein. Da sich also von der Nachfrageseite her keine operationalen Entscheidungsregeln formulieren lassen, wäre zu überlegen, das Problem von der Produktionsseite anzugehen. Die These dabei könnte lauten: Das Kollektiv soll so groß sein, dass die Produktionseinheit in optimaler Größe gegeben ist und die Kostendegressionen optimal ausgenutzt werden. Es soll dann jene Gutsmenge angeboten werden, die sich zu minimalen Stückkosten produzieren lässt. Aber auch für diesen Ansatz ergeben sich in der Wirklichkeit erhebliche Schwierigkeiten. Zum einen weiß man sehr wenig über die relevanten Kostenkurven bei der Produktion kollektiver Güter. Zum anderen ist zu bedenken, dass Skalenerträge nur dann für die Wahl eines zweckmäßigen Kollektivs von Bedeutung sind, wenn dieses Kollektiv gleichzeitig als Produktionseinheit für dieses Kollektivgut fungieren muss. Besteht nämlich die Möglichkeit, dieses Gut von einem anderen Produzenten zu kaufen, dann entfällt das Argument der „economies of scale“ bei der Suche nach der optimalen Kollektivgröße. Ein Versuch, die aufgezeigten Probleme zu überwinden, ist der Ansatz des „interkollektiven Wettbewerbs“, der bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts entwickelt wurde. Mit ihm wird versucht, die in der Markttheorie gängigen Denkmuster hin zu einem „Wettbewerbsföderalismus“ weiterzuentwickeln6. Im Kern unterstellt dieser Ansatz, dass jeder Bürger, dem das angebotene Bündel an kollektiven Gütern einschließlich der damit einhergehenden Belastungen nicht zusagt, in eine andere, seine Präferenzen besser entsprechende Gebietskörperschaft abwandern kann. Als Ergebnis einer solchen „Abstimmung mit den Füßen“7 ergeben sich Kollektive mit Bürgern gleicher Präferenzen. Dieser Effekt würde sich jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen einstellen:
atomistische Struktur des Angebots und der Nachfrage nach öffentlichen Gütern, unmittelbare Anpassungsmöglichkeiten (unendlich große Mobilität der Produktionsfaktoren) geringe bzw. keine externen Effekte „gerechte“, d. h. eine allgemein akzeptierte Einkommensverteilung.
Es ist offenkundig, dass in der Wirklichkeit diese Bedingungen kaum erfüllt sind. Darüber hinaus kann dieses Modell nicht erklären, wie es zunächst überhaupt zu einem Angebot bestimmter Güter, zudem in bestimmter Höhe, auf den verschiedenen Ebenen und in den verschiedenen Kollektiven kommt. Gibt man zudem die 5
6
7
Vgl. R. Cornes, T. Sandler: The Theory of Externalities, Public Goods and Club Goods, Cambridge u. a. 1986; H. S. Rosen, A. C. Cases, J. R. Hines: Budget Spillovers and Fiscal Policy Interdependence: Avidence from the States, in: H. S. Rosen (Hrsg.): The Fiscal Behavior of States and Local Governments, Cheltenham u. Lyme 1997, S. 3 ff. Vgl. W. E. Oates: The Theory of Public Finance in a Federal System, in: Canadian Journal of Economics, Jg. 1968, S. 37 ff.; A. Williams: The Optimal Provision of Public Goods in a System of Local Government, in: Journal of Political Economy, Jg. 1966, S. 18 ff.; D. Biehl: Begründung eines dezentralisierten Föderalismus, in: Institut für Kommunalwissenschaften (Hrsg.): Dezentralisierung des politischen Handelns, Melle 1978, S. 58 ff. Vgl. A. O. Hirschmann: Abwanderung und Widerspruch, Tübingen 1974.
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Teil B. Die Theorie des Föderalismus
Annahme gleicher Einkommenshöhe der Bevölkerung auf, so könnten mögliche Wanderungsbewegungen zu erneut weiterer Polarisierung der räumlichen Einkommensverteilung führen. Es träten dann sog. Agglomerationskosten, d. h. Kosten der räumlichen Verdichtung, auf. Die oben genannten Analysen erhalten zusätzliche Akzente durch die Berücksichtigung der Elemente des Entscheidungsverfahrens. Dabei werden Fragen aufgegriffen wie die partiellen Kosten der Informationen, die Kosten der Entscheidung (Konsensfindung), die Kosten der Frustration, Kosten der Bürokratie oder Kosten der Verhandlungen. Was ist damit gemeint? Bei der Annahme, dass Individuen unterschiedliche Präferenzen haben, werden die Kosten der Information und damit der Entscheidung wahrscheinlich (bei gegebener Größe der Bevölkerung) um so größer sein, je höher der Prozentsatz der mit der Entscheidung betrauten Bevölkerung ist, ein um so größerer Anteil der Bürger also im Entscheidungsfindungsprozess berücksichtigt werden muss, um die politischen Externalitäten (d. h. Kosten, die einer Minderheit dadurch entstehen, dass sie überstimmt wird) auf ein akzeptables Maß zu reduzieren. Es zeigt sich, dass homogene Einheiten geringere Informations- und Konsensfindungskosten aufweisen als heterogene. Darüber hinaus wird mit sinkender Größe des Kollektivs die Frustration seiner Mitglieder durch diese nicht genehmen Entscheidungen sinken. Im Zusammenhang mit der Ausweitung des Kollektivumfangs muss darüber hinaus eine weitere Kostenart in die Betrachtung einbezogen werden, nämlich die Kosten der Bürokratie. Die dabei relevante These lautet: Diese Kosten steigen stetig mit zunehmender Kollektivgröße. Es ist nicht auszuschließen, dass sie progressiv ansteigen, d. h. im Verhältnis zur Größe des Kollektivs eine überproportionale Entwicklung nehmen8. Insgesamt ist festzuhalten, dass das Allokationsziel im föderalen Staatsaufbau vor allem zwei Aspekte betont: Die Produktion soll den Präferenzen der Bürger entsprechen (Struktureffizienz). Sie soll außerdem zu den geringst möglichen Kosten erfolgen (Kosteneffizienz). Speziell im Hinblick auf die Struktureffizienz sprechen vor allem folgende Gründe für eine dezentrale Aufgabenverteilung:
8
Es ist zu erwarten, dass sowohl die Bereitschaft als auch die Fähigkeit, die Bürgerpräferenzen zu berücksichtigen, umso größer sind, je kleiner die Gebietskörperschaften, je bürgernäher die Entscheidungsträger sind. Letztere kennen dann eher aus unmittelbarer persönlicher Erfahrung die jeweiligen Verhältnisse, sie bedürfen nicht der indirekten Information. Es kommt hinzu, dass in kleinen Körperschaften die Bürger einen größeren Anreiz haben, ihre Präferenzen zum Ausdruck zu bringen. Denn sie sind sicherer, die Entscheidungsträger zu erreichen und auch effektiv beeinflussen zu können. Soweit wegen der unterschiedlichen Präferenzen das Angebot an öffentlichen Leistungen regional unterschiedlich ist, ergibt sich für die Bürger die erwähnte
Vgl. Ch. M. Tiebout: Eine ökonomische Theorie fiskalischer Dezentralisierung, in: G. Kirsch, W. Wittmann (Hrsg.): Föderalismus, Stuttgart u. New York 1977, S. 36 ff.
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
43
Möglichkeit, „mit den Füßen abzustimmen“, und mit der Veränderung des Wohnsitzes ihre Situation zu verbessern9.
(9)
Im Hinblick auf die Kosteneffizienz können sich dagegen Argumente für zentrale Aufgabenverteilung ergeben, wenn nur so „economies of scale“ genutzt werden können. Es ist z. B. unter diesem Aspekt nicht sinnvoll, für jedes Dorf eine Gesamtschule oder für jede Stadt mit 50.000 Einwohnern eine voll ausgebaute Universität zu errichten. Es ist jedoch zu beachten, dass bei den Kosten nicht nur jene einzubeziehen sind, die beim Staat anfallen. Es müssen auch solche der privaten Benutzer staatlicher Einrichtungen berücksichtigt werden, z. B. in Form von Fahrtkosten einschl. Fahrzeit, die mit wachsender Zentralisierung steigen. Im Übrigen gilt:
Eine dezentrale Aufgabenverteilung kann sich sowohl auf die Struktur- als auch auf die Kosteneffizienz günstig auswirken, sofern sich ein gewisser Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften der untergeordneten Ebene ergibt bzw. sofern durch die größere Zahl der Entscheidungsträger das Innovationstempo steigt. Die allokationsbezogene Analyse verdeutlicht Aspekte, die z. T. für mehr Dezentralisierung der Aufgabenverteilung sprechen. Das Gewicht der einzelnen Aspekte wird von Aufgabe zu Aufgabe unterschiedlich sein, so dass unter dem Blickwinkel der Allokation eine sehr große Zahl von auf einzelne Aufgaben bezogenen regionalen Abgrenzungen angebracht sein mag. Eine solche Aufsplittung ist aber aus organisatorischen Gründen nicht möglich, insbesondere wenn in demokratischen Staaten die Kontrolle durch die Volksvertreter gewahrt bleiben soll. Aus diesem Grund wird man sich mit der Bildung weniger Ebenen begnügen. Dabei dürfte der größere Spielraum, den föderalistische Lösungen im Vergleich zu zentralistischen bieten, vorteilhaft sein.
2
Die Aspekte der Verteilungspolitik
(1)
Wenn man davon ausgeht, dass einzelne Bürger unterschiedliche Auffassungen über die Art und das Ausmaß der anzustrebenden Umverteilung haben, könnte man dazu neigen, diese Aufgabe dezentral erfüllen zu lassen. Auf den untergeordneten Ebenen gäbe es dann je nach Bürgerpräferenzen mehr oder weniger finanzpolitisch egalisierende Körperschaften. Eine solche Betrachtung würde allerdings vernachlässigen, dass es bei der Umverteilung im Urteil der meisten Staatsbürger nicht in erster Linie um die mehr oder weniger große Gleichheit per se geht, sondern darum, den Lebensstandard der wirtschaftlich Schlechtergestellten zu verbessern. Diese Chance ist jedoch bei dezentraler Umverteilung geringer als bei zentraler. Denn bei gegebener Bevölkerungsverteilung ist das regionale Umverteilungspotential nach Maßgabe des regionalen Wohl-
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Vgl. J. M. Buchanan, C. J. Goetz: Efficency Limits of Fiscal Mobility, in: Journal of Public Economics, Jg. 1972, S. 25 ff.; W. E. Oates: Ein ökonomischer Ansatz zum Föderalismusproblem, in: G. Kirsch, W. Wittmann, a. a. O., S. 15 ff.;
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(2)
3
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
standsgefälles unterschiedlich. Das kann dazu führen, dass in den reichen Regionen die Versorgung der Armen vergleichsweise großzügig, in den armen Gebieten trotz höherer Belastung der Einkommensstarken zurückhaltend ist. Dieses Gefälle verstärkt sich, wenn Wohlhabende von Gebieten niedrigen Wohlstandes und hoher Steuerbelastung in Gebiete hohen Wohlstandes und niedriger Steuerbelastung wandern10. Dabei können sich auf der Zeitachse auch Wohlstandsverschiebungen zwischen den Generationen ergeben11. Wanderungen der Produktionsfaktoren, die das Wohlstandsgefälle vergrößern, ergeben sich u. U. auch in umgekehrter Richtung, wenn wohlhabende Regionen nicht wegen geringerer Leistungsfähigkeit, aber wegen geringerer Umverteilungsbereitschaft für Arme ein geringeres Unterstützungsniveau aufweisen, so dass diese in die armen Regionen abwandern. Beide Effekte lassen sich vermeiden, wenn die Umverteilungsaufgabe dem Zentralstaat übertragen wird. Bei geringer Mobilität, wie sie z. B. gegenwärtig (noch) zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten der EU aufgrund sprachlicher, kultureller und sozialversicherungsbedingter Barrieren besteht, ist dies möglich und wird auch praktiziert. Das ist u. a. darauf zurückzuführen, dass wegen verbleibender oder befürchteter interregionaler und interpersonaler Einkommensunterschiede die Produktion supranationaler öffentlicher Güter im Binnenmarkt an die Umverteilung zwischen Bürgern, Ländern und Regionen gekoppelt wurde. Die Umverteilung ist insoweit dann selbst ein supranationales öffentliches Gut. Die Aspekte der Stabilitätspolitik
Stabilitätsbezogene Maßnahmen zielen darauf ab, die gesamtwirtschaftliche Nachfrage über die unmittelbare Variation der staatlichen Nachfrage oder über die Änderung jener Größen, die einen Einfluss auf die private Nachfrage haben, in konjunkturpolitisch erwünschter Richtung zu beeinflussen. Solche Maßnahmen tangieren nicht nur die jeweiligen Gebietskörperschaften. Soweit sie z. B. den „grenzüberschreitenden“ Handel beeinflussen, übertragen sich die Wirkungen auch auf andere Gebiete, es ergeben sich dann stabilisierungspolitische externe Effekte. Umgekehrt: Bei rein dezentralen Lösungen wären die Anreize zu eigenen stabilitätspolitischen Maßnahmen wegen regionaler externer Effekte gering. Analog zu den für allokationsbezogene externe Effekte angestellten Überlegungen ist zu fordern, dass die Stabilisierungsaufgabe ebenfalls auf der Ebene des Zentralstaates anzusiedeln ist. 4
Die politökonomische Theorie des Föderalismus
(1)
Im vorigen Abschnitt wurden die Vorteile eines föderativen Aufbaus aus ökonomischer Sicht begründet und Kriterien für die Zuordnung von öffentlichen Aufgaben
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Vgl. G. Brennan, J. M. Buchanan: The Power to Tax: Analytical Foundations of a Fiscal Constitution, Cambridge 1980. Vgl. K. A. Konrad: Federalism and Intergenerational Redistribution, in: Finanzarchiv, Jg. 1995, S. 166 ff.
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
(2)
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auf die staatlichen Ebenen entwickelt. Gegenstand der ökonomischen Theorie der Politik ist dagegen der Prozess der Entscheidungsfindung auf den föderativen Ebenen. In der ökonomischen Theorie der Politik werden die grundlegenden Verhaltensannahmen, insbesondere des methodologischen Individualismus und des Eigennutzstrebens, auch auf den politischen Prozess angewandt. Die Organisierbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit der Interessen verschiedener Gruppen spielen dabei eine wesentliche Rolle. Untersucht wird, inwiefern sich Bürgerpräferenzen über Wahlen (und eventuell Instrumente der direkten Demokratie) in politischen Entscheidungen und deren Umsetzung durch den bürokratischen Apparat widerspiegeln und ob es insofern Unterschiede zwischen den Ebenen gibt. In dem im Wesentlichen auf A. Downs12 zurückgehenden Ansatz der ökonomischen Theorie der Politik wird unterstellt, dass Politiker aus Eigennutzstreben heraus versuchen, Regierungsämter zu erlangen und dabei die Präferenzen möglichst vieler Bürger berücksichtigen müssen, um gewählt zu werden. Im Idealfall, d. h. unter sehr restriktiven Annahmen, berücksichtigen Politiker nach dem Medianwähler-Modell von Downs gleichmäßig alle Wählerinteressen. Bei realitätsnäheren Annahmen entstehen aber ungleichgewichtige Wählereinflüsse und diskretionäre Spielräume, weshalb Politiker und Bürokraten Eigeninteressen verfolgen können. Diskretionäre Handlungsalternativen für Politiker kommen u. a. dadurch zustande, dass die Wähler Politikerverhalten nicht fortlaufend kontrollieren und bewerten können. Wahlen finden nur in bestimmten Zeitabständen statt, zwischen den Wahlterminen ergeben sich Spielräume. Auch sind Probleme oft komplex, ihre Lösung entzieht sich deshalb einer einfachen Bewertung durch die Wähler. Diese stehen zudem vor dem Problem, die für die Bewertung notwendigen Informationen zu erlangen, und sind dabei auf die Informationen von Politikern (und Bürokraten) angewiesen. Um gewählt zu werden, müssen Politiker Wählerpräferenzen erkennen und in politische Programme umsetzen. Wählergruppen, die sich besser organisieren und artikulieren können, haben eine größere Chance, dass ihre Präferenzen wahrgenommen und umgesetzt werden. Insbesondere große Gruppen mit geringen Ressourcen haben aber Schwierigkeiten, sich zu organisieren. Diese Schwierigkeiten gehen auf hohe Organisationskosten und den Anreiz zum „Schwarzfahren“ zurück, der aufgrund der relativ geringen Anteile der einzelnen Gruppenmitglieder an den Gesamtkosten entsteht.
III. Die ökonomische Theorie der Bürokratie (1)
12 13
Bei der Vorbereitung und Umsetzung politischer Entscheidungen spielt die Bürokratie eine große Rolle. Entsprechend der ökonomischen Theorie der Bürokratie (Niskanen)13 besitzen Bürokraten aufgrund ihres Fachwissens einen Informationsvorsprung vor Politikern und Wählern, den sie im eigenen Interesse nutzen. Dabei sind sie einerseits an der Maximierung des von ihnen verwalteten Budgetvolumens Vgl. A. Downs: An Economic Theory of Democracy, New York 1957. Vgl. W. A. Niskanen: Bureaucracy and Representativ Government, Chicago 1971.
46
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
interessiert, weil dieses Einkommen und Aufstiegschancen bestimmt, andererseits auch an einem größtmöglichen diskretionären Budget, das sich aus der Differenz zwischen dem Budgetansatz und den Ausgaben bei kostenminimaler Produktion der öffentlichen Güter ergibt. Diesen Zielen gemäße Verhaltensstrategien führen zu einer Budget- und Aufgabenausweitung über das von den Bürgern gewünschte Maß hinaus sowie zu einer Leistungserstellung, die nicht optimal ist. Diese Ineffizienz kann umso besser reduziert werden, je ausgeprägter die Möglichkeiten und Anreize zur Kontrolle durch Politiker und Wähler sind und je wahrscheinlicher die Ausübung der Exit-Option, d. h. der Abwanderung der Bürger, ist. Politische Entscheidungen sowie deren Umsetzung werden von den Wählern und ihren Interessengruppen, den gewählten Politikern und der Bürokratie bestimmt. Diese Gruppen gehören auf jeder Ebene zum Kreis der Entscheider. Für die Ebene der Gemeinden und Kommunen ergeben sich folgende Besonderheiten: Die dezentrale, kommunale Ebene ist gekennzeichnet durch Problemnähe sowie kurze Informations- und Entscheidungswege. Aufgrund des relativ hohen Gewichts der einzelnen Wählerstimme ist der Anreiz zu wählen hoch. Durch den Wettbewerb mit anderen lokalen Gebietskörperschaften sind diskretionäre Handlungsspielräume von Politikern und Bürokraten ebenfalls begrenzt. Aus der Sicht der ökonomischen Theorie der Politik und der Bürokratie ist die dezentrale Ebene daher bei der Kompetenzzuordnung zu bevorzugen14. Bei der Durchsetzung von Wählerinteressen auf kommunaler Ebene gibt es dennoch Probleme. Hier ist insbesondere der Einfluss lokaler Interessengruppen, die sich aufgrund ihrer Eigenschaften als kleiner „Club“ besonders gut organisieren können, zu nennen, daneben auch die Intransparenz von Verantwortlichkeiten wegen der Aufgabenverflechtung mit übergeordneten Ebenen sowie mangelndes Wählerinteresse wegen eingeschränkter lokaler Handlungsspielräume.
(2)
IV. 1 (1)
14
15
Die aus der Theorie abzuleitenden Gestaltungsmaximen Das Subsidiaritätsprinzip15 Die ökonomische Theorie des Föderalismus, die ökonomische Theorie der Politik und der Bürokratie zeigen, dass es vorteilhaft ist, staatliche Aufgaben auf mehreren Ebenen wahrzunehmen. Diese Ansätze entwickeln Kriterien für die Zuordnung von bestimmten staatlichen Aufgaben auf diese Ebenen. Die Effizienz einer dezentralen Ebene bei der Aufgabenerfüllung wird vor allem allokativ begründet. Dabei wird von regional oder lokal unterschiedlichen Präferenzen für öffentliche Güter mit begrenztem Nutzenkreis ausgegangen. Diese können durch ein dezentrales Angebot, das an diese Präferenzen angepasst ist, besser und, aufgrund geringerer Informations-, Entscheidungsfindungs- und Kontrollkosten, kostengünstiger befriedigt wer-
Vgl. D. L. Rubinfeld: The Economics of the Local Public Sector, in: A. A. Auerbach, M. Feldstein (Hrsg.): Handbook of Public Economics, Bd. II, Amsterdam 1987, S. 571 ff. Vgl. R. L. Frey: Zwischen Föderalismus und Zentralismus, Bern u. Frankfurt/M. 1977; H. P. Bull: Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl., Kronberg 1977; M. Frenkel: Föderalismus und Bundesstaat, Bern u. a. 1984.
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den. Selbst bei identischen Präferenzen für lokale öffentliche Güter ist eine zentrale Lösung höchstens gleichwertig; wenn von konstanten Skalenerträgen ausgegangen wird und interregionale externe Effekte vernachlässigt werden. Aus diesen im Dezentralisierungstheorem von Oates (a. a. O.) angelegten Erkenntnissen wird der grundsätzliche Vorrang der Aufgabenerfüllung durch dezentrale Einheiten abgeleitet. Diese ökonomische Interpretation unterlegt das aus der katholischen Soziallehre stammende Subsidiaritätsprinzip. Sinkende Skalenerträge bei der Produktion öffentlicher Güter sprechen ebenso für eine Dezentralisierung. Steigende Skalenerträge sind dagegen ein Argument für Zentralisierung. Das schließt nicht aus, dass die dezentralen Gebietskörperschaften sich in Verhandlungen auf eine zentrale Produktion einigen. Auf die Kommunen bezogen wird diesen die Aufgabe zugeordnet, lokale öffentliche Güter entsprechend den Präferenzen ihrer Bürger kostengünstig anzubieten. Idealerweise sollten lokale Leistungen nur mit geringen externen Effekten verbunden sein und eine effiziente Produktion in kleinen Einheiten möglich sein; es darf keine Abstimmungsprobleme zwischen den Kommunen geben, und eine Mindestversorgung muss garantiert sein.
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Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz16
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Neben dem Prinzip des grundsätzlichen Vorrangs der dezentralen Ebene ist das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz ein wichtiges Element für die Gestaltung eines effizienten föderativen Staatsaufbaus. Zu einem allokativ optimalen Ergebnis gelangt man nämlich nur dann, wenn Nutzen-, Finanzierungs- und Entscheiderkreis identisch sind. Diese Übereinstimmung soll bewirken, dass nur Entscheidungen über Ressourcen getroffen werden können, die der Erfüllung eigener Bedürfnisse dienen, da es andernfalls zu Verschwendung oder Unterversorgung kommen kann. Die Eigenverantwortlichkeit soll Finanzierungsillusion vermeiden und ein Abwägen zwischen dem Nutzen der Ausgaben und den Kosten der Einnahmen begünstigen. Treten interregionale externe Effekte bei einer öffentlichen Aufgabe auf, ist das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz verletzt, was eine suboptimale Allokation öffentlicher Güter zur Folge haben kann. Diese interregionalen externen Effekte könnten dadurch internalisiert werden, dass die betroffene öffentliche Aufgabe zentral erfüllt wird17. Andere Lösungen, die die Autonomie der dezentralen Gebietskörperschaften weniger beeinträchtigen, können zum selben Ergebnis führen und sollten aus Sicht des Subsidiaritätsprinzips vorrangig berücksichtigt werden. Hierzu zählen insbesondere Verhandlungen zwischen den betroffenen dezentralen Gebietskörperschaften, die Bildung von Zweckverbänden und Zweckzuweisungen der übergeordneten Ebenen. Hinzuweisen bleibt aber auf die Unsicherheit rein dezentraler Ab-
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Vgl. J. M. Buchanan: Federalism and Fiscal Equity, in: American Economic Review, Jg. 1950, S. 583 ff.; M. Olson: The Principle of „Fiscal Equivalence“: The Division of Responsibilities among different Levels of Government, in: The American Economic Review, Jg. 1969, S. 479 ff. Vgl. P. Pawlowsky: Räumliche externe Effekte lokaler öffentlicher Leistungen im föderativen Staat, Diss. Basel 1972.
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stimmungslösungen wegen einer möglichen Freifahrerhaltung der Gebietskörperschaften, die Nutznießer der interregionalen externen Effekte sind. Fiskalische Eigenverantwortung setzt eine klare Aufgabenabgrenzung zwischen den Gebietskörperschaften voraus. Aufgabenverflechtungen fördern dagegen das Streben nach Finanzierung aus fremden Quellen. Außerdem erfordern sie aufwendigere Verhandlungslösungen und können wegen der Intransparenz und der Diffusion der Verantwortung zu Lähmungserscheinungen der Politik führen. Das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz gebietet weiterhin, dass die Kompetenz zur Wahrnehmung von Aufgaben mit der Ausgabenverantwortung zusammenfällt (Konnexitätsprinzip). Fallen hingegen Aufgaben- und Ausgabenverantwortung auseinander, so spricht man vom „unsichtbaren Finanzausgleich“. In diesem Fall erlässt eine übergeordnete Gebietskörperschaft Regelungen, sieht also die Erfüllung einer Aufgabe vor, und be- oder entlastet dabei jedoch andere Gebietskörperschaften finanziell. Auf diese Weise beeinflusst sie auch deren Autonomiespielräume. Für einen funktionierenden Abwägungsprozess zwischen Einnahmen und Ausgaben ist ebenfalls erforderlich, dass jede Ebene ihre Einnahmen mit den wahrzunehmenden Aufgaben in Einklang bringen kann und ein hohes Maß an Einnahmenautonomie besitzt.
Die rationale Kompetenzverteilung in der Theorie des Föderalismus Die fiskalische Äquivalenz als Strukturprinzip des Fiskalföderalismus Aus den vorangegangenen Ausführungen lassen sich Regeln für die Zuordnung von Aufgabenkompetenzen auf die staatlichen „Ebenen“ ableiten. Es ist nicht auszuschließen, dass bei der Erfüllung der öffentlichen Aufgaben der Staat einer Gruppe von Wirtschaftssubjekten ein öffentliches Gut zum Konsum bereitstellt und diese Bereitstellung von einer anderen Gruppe von Wirtschaftssubjekten finanzieren lässt. Dann sind Kosten- und Nutzungsträgerkreis inkongruent. Dies führt zu Ineffizienz, da sich Kostenträger, die nicht dem Nutzenträgerkreis, angehören, benachteiligt fühlen können, und Nutzenträger, die nicht zum Kostenträgerkreis gehören, ein staatlich bereitgestelltes Gut in einem höheren Maß konsumieren als dies der Fall wäre, wenn sie einen marktgerechten Preis dafür entrichten müssten. Durch die Realisierung fiskalischer Äquivalenz bei der Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat entstehen Gruppen von Wirtschaftssubjekten, die jeweils gemeinsam die durch den Staat angebotenen öffentlichen Güter nutzen und bezahlen. Damit geht eine Dezentralisierung des öffentlichen Sektors einher, was eine Annäherung an den Marktmechanismus bedeutet, da sich Wirtschaftssubjekte mit fiskalisch gleichen Bedürfnissen zusammenschließen. Fiskalische Äquivalenz als Organisationsprinzip führt über eine Dezentralisation des öffentlichen Sektors zu einer wirtschaftlich effizienteren Staatstätigkeit, und wird so zum Strukturprinzip des Fiskalföderalismus.
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Das Strukturprinzip und die Bereitstellungseffizienz Die durch die Durchsetzung der fiskalischen Äquivalenz entstehende Dezentralisation ist jedoch mit Kosten verbunden, die zunächst allgemein als Kosten oder Wohlfahrtsverluste durch Dezentralisation bezeichnet werden sollen. Durch diese Wohlfahrtsverluste werden die Wohlfahrtsgewinne, die aus der Verwirklichung der fiskalischen Äquivalenz entstehen, gemindert. Maximale fiskalische Äquivalenz bei der Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat führt also nicht immer zu einer optimalen Bereitstellungseffizienz. Ab dem Punkt, an dem die Wohlfahrtsverluste, die aus den Kosten für die Dezentralisation entstehen, die Wohlfahrtsgewinne, die aus der Durchsetzung fiskalischer Äquivalenz entstehen, überwiegen, ist auf eine weitere Dezentralisierung des öffentlichen Sektors nach dem Strukturprinzip des Fiskalföderalismus zu verzichten. Das heißt: Der optimale Zentralisationsgrad für die Erfüllung von Staatsaufgaben wird zwar nach dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz bestimmt. Inwieweit dieses Prinzip jedoch durchgesetzt werden sollte, hängt davon ab, ob die Wohlfahrtsgewinne der dadurch erreichten Dezentralisation deren Wohlfahrtsverluste zumindest aufwiegen. Um den optimalen Zentralisationsgrad und damit eine rationale Kompetenzverteilung im föderalistischen Staat bestimmen zu können, ist es erforderlich, diese Wohlfahrtsgewinne und -verluste zu beschreiben und zu operationalisieren. Auf diesem Wege sollen im Folgenden Effizienzkriterien für eine föderalistische Staatsorganisation entwickelt werden. Die Effizienzkriterien für eine föderalistische Staatsorganisation18
a) Wohlfahrtsgewinne durch Dezentralisation Zunächst sollen Kriterien für die Bestimmung von Wohlfahrtsgewinnen, die aus einer Dezentralisation des öffentlichen Sektors resultieren, entwickelt werden. Zunächst ist hier der bereits erläuterte Wohlfahrtsgewinn durch die Anwendung des Prinzips der fiskalischen Äquivalenz zu nennen: 1. Kriterium: Je mehr dezentrale Ebenen und Gebietskörperschaften auf diesen Ebenen existieren, desto größer ist der Wohlfahrtsgewinn aus der möglichen Gewährleistung fiskalischer Äquivalenz und der damit vermiedenen Fehlallokation der Ressourcen. Der durch Dezentralisation entstehende Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften einer Ebene führt zum einen zu unterschiedlichen Güterbündeln, die die Gebietskörperschaften ihren Mitgliedern bereitstellen. Zum anderen führt das Werben um die Mitglieder zu einer hohen Innovationsfähigkeit dieser Ebene, da mit steigendem Wettbewerb neue Produktarten und effizientere Bereitstellungsverfahren für öffentliche Güter entwickelt werden. Diese Überlegungen führen zu folgenden Effizienzkriterien:
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Vgl. C. Liedtke: Theorie der öffentlichen Güter und optimale Struktur einer Föderation, Berlin 1972.
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2. Kriterium: Je mehr Gebietskörperschaften auf einer Ebene existieren und je stärker sich die Präferenzen der Wirtschaftssubjekte im Staate unterscheiden, desto größer ist der Wohlfahrtsgewinn, der sich in einer besseren Befriedigung dieser Präferenzen ausdrückt. 3. Kriterium: Je mehr Gebietskörperschaften auf einer Ebene existieren, desto größer ist der Wohlfahrtsgewinn, durch Produkt- und Verfahrensfortschritt aufgrund der größeren Innovationsfähigkeit dieser Ebene. Des Weiteren führen kleinere Gebietskörperschaften zu mehr Bürgernähe. Zum einen wird dadurch der Prozess der staatlichen Tätigkeit transparenter, zum anderen verringern sich die Kosten für die notwendige Bestimmung der Präferenzen der Mitglieder. Zudem werden in kleineren Verwaltungen steigende Kosten nach dem Parkinsonschen Gesetz vermieden. Als weitere Effizienzkriterien sind daraus abzuleiten: 4. Kriterium: Je kleiner die Gebietskörperschaften einer dezentralen Ebene sind, desto größer ist die Transparenz der staatlichen Tätigkeit und damit der Wohlfahrtsgewinn durch eine bessere Beziehung der Wirtschaftssubjekte zum Staat. 5. Kriterium: Je kleiner die dezentralen Einheiten des öffentlichen Sektors sind, desto geringer sind die Wohlfahrtsverluste durch Informations- und teilweise auch Verwaltungskosten für die Bereitstellung öffentlicher Güter. Mit einer zunehmenden Dezentralisation des öffentlichen Sektors steigen die in diesen Kriterien (1. - 5.) genannten Wohlfahrtsgewinne. b) Wohlfahrtsverluste durch Dezentralisation Wohlfahrtsverluste durch Dezentralisation resultieren zunächst aus der Existenz von öffentlichen Gütern. Je kleiner eine Gebietskörperschaft ist, desto mehr öffentliche Güter weisen räumlich externe Effekte auf. Mit einer zunehmenden Anzahl von Gebietskörperschaften einer Ebene gestaltet sich zudem die Internalisierung diese externen Effekte schwieriger, da dann mehr Verhandlungspartner existieren. Deshalb gilt: 6. Kriterium: Je kleiner die Gebietskörperschaften einer dezentralen Ebene sind, desto größer sind die Wohlfahrtsverluste, die durch räumlich externe Effekte bei der Bereitstellung öffentlicher Güter entstehen. Die Bereitstellung mancher öffentlicher Güter erfordert eine Mindestbetriebsgröße. Überschreitet diese die Leistungskraft einer Gebietskörperschaft, entfällt die Bereitstellung dieses Gutes oder es wird eine Koordination mehrerer Gebietskörperschaften einer Ebene erforderlich. Ersteres führt zu Wohlfahrtsverlusten durch verminderte Präferenzbefriedigung, zweiteres verursacht Kosten, die ebenfalls zu Wohlfahrtsverlusten führen. Solche Wohlfahrtsverluste entstehen auch durch Koordinationszwang, der auftritt, wenn Interdependenzen zwischen öffentlichen Leistungen verschiedener Körperschaften bestehen, und aus den damit verbundenen Kontrollkosten. Aus diesen Überlegungen folgt:
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7. Kriterium: Je kleiner die Gebietskörperschaften einer dezentralen Ebene sind, desto größer sind die Wohlfahrtsverluste aus mangelnder Präferenzbefriedigung wegen der Erfordernis von Mindestbetriebsgrößen. 8. Kriterium: Je mehr Gebietskörperschaften auf einer dezentralen Ebene existieren, desto größer sind die Wohlfahrtsverluste, die aus den Kosten für notwendige Koordination zwischen diesen Gebietskörperschaften entstehen. Des Weiteren können Wohlfahrtsgewinne aus sinkenden Durchschnittskosten („economics of scale“) bei der Produktion von öffentlichen Gütern in größeren Gebietskörperschaften eher erzielt werden. Es folgt daraus: 9. Kriterium: Je kleiner die Gebietskörperschaften auf einer Ebene sind, desto geringer sind die Wohlfahrtsgewinne, die aus abnehmenden Durchschnittskosten resultieren. Aus den Überlegungen zu einer gewünschten Mindestversorgung mit einem öffentlichen Gut soll kein weiteres Effizienzkriterium abgeleitet werden. Der Wunsch nach Mindestversorgung kann aus egoistischen und altruistischen Motiven erfolgen. Findet sich dann eine Mehrheit für diesen Wunsch, ist eine effiziente Bereitstellung nach den bisher genannten Kriterien möglich. Hegt hingegen nur eine Minderheit den Wunsch, wird der gewünschte Mindeststandard zu einem meritorischen Gut. Das heißt: mit ökonomischen Effizienzgründen ist eine Bereitstellung dann aber nicht mehr begründbar. Mit zunehmender Dezentralisation steigen die in diesen Kriterien genannten Wohlfahrtsverluste. Mit solchen Überlegungen lässt sich theoretisch ein optimaler Zentralisationsgrad ableiten. Dieser ist dann das Ergebnis gedanklicher Reflektion und kann insofern kein selbständiges kommunalpolitisches Ziel sein. Gleichwohl wird deutlich, welche kommunalpolitischen Entscheidungskriterien zur Anwendung gelangen sollten. 4
Die Wirkung von Mobilität: Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften
(1)
Bislang wurde Mobilität aus der Betrachtung ausgeklammert. Bei dezentraler Aufgabenwahrnehmung kann Mobilität zusätzliche wohlfahrtssteigernde Effekte hervorbringen. Diese Überlegungen gehen auf Tiebout (1956)19 zurück. Bürger können in eine andere dezentrale Gebietskörperschaft, die ihre Präferenzen besser befriedigt, auswandern und so ihr Wohlfahrtsniveau steigern. Auf diese Weise legen sie auch ihre Präferenzen für lokale öffentliche Güter offen, wodurch marktähnliche Vorgänge initiiert werden. Diese Exit-Möglichkeit führt gleichzeitig zu Wettbewerb zwischen den Gebietskörperschaften, die deshalb gezwungen sind, präferenzgerechte Lösungen möglichst kostengünstig anzubieten, und zum Anreiz für die Gebietskörperschaften, innovative Lösungen zu entwickeln. Dadurch kann Wachstum gefördert werden. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass durch dezentrale Kompetenzen i. V. m. Mobilität staatliche (Monopol-)macht begrenzt wird. Mobilität ist bei diesen Wirkungen von entscheidender Bedeutung. Der Wettbewerb zwischen Gebietskörperschaften
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19
Vgl. Ch. M. Tiebout: A Pure Theory of Local Expenditures, in: Journal of Political Economy, Jg. 1956, S. 416 ff.
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kann dann zu suboptimalen Ergebnissen führen, wenn sich diese strategisch verhalten und zur Attrahierung mobiler Faktoren (z. B. mobiler Bevölkerungsschichten oder Unternehmen) öffentliche Güter nicht kostendeckend für die mobilen Nutzer anbieten und diese durch steigende Verschuldung oder überhöhte Besteuerung immobiler Faktoren finanzieren. Auf Gemeindeebene wird in diesem Zusammenhang von Subventionskonkurrenz gesprochen, in der Europäischen Union wird ein Subventionswettlauf der Mitgliedstaaten oder Regionen befürchtet. Die suboptimalen Ergebnisse kommen also dann zustande, wenn das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz verletzt wird. Nach der ökonomischen Theorie des Föderalismus werden verteilungspolitische Kompetenzen eher der Zentralebene zugeordnet. Um eine „gerechte“ Verteilung zu verwirklichen, sollte in erster Linie die Ausgangsverteilung der Ressourcen verändert, aber nicht in den Marktmechanismus, auch nicht auf der Ebene regionaler Entscheidungen, eingegriffen werden. 5
Die komparativen Vorteile des Prinzips der Subsidiarität und der fiskalischen Äquivalenz für die Kompetenz-Zuordnung im föderativen Staatsaufbau
(1)
Die vorangegangenen Ausführungen haben verdeutlicht, dass es für eine im Sinne der Aufgabenverantwortlichkeit und -erfüllung entscheidend darauf ankommt, die Kongruenz des Nutzen- und Kostenkreises sowie des Kreises der Träger finanzpolitischer Entscheidungen Geltung zu verschaffen. Dieses Prinzip – mitunter auch Prinzip des ökonomischen und politischen Verbundes genannt20 – ist wie das Prinzip des Selbstinteresses und der Subsidiarität eine zentrale Erklärungs- und Handlungsmaxime der modernen politischen Ökonomie. Im Kern besagt es: Ein Kollektiv kann nur dann seine knappen Ressourcen effizient einsetzen, wenn Nutzer, Zahler, Entscheider und Anbieter öffentlicher Güter miteinander verbunden sind, soweit dies sinnvoll möglich ist. Diese Maxime konkretisiert sich in drei Teilprinzipien der Kompetenzzuordnung21, nämlich
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21
im Prinzip der fiskalischen Äquivalenz (der Kreis derjenigen, die ein öffentliches Gut gemeinsam nutzen, soll sich mit dem Kreis derjenigen decken, welche die Kosten für die Bereitstellung dieses Gutes tragen müssen); im Demokratieprinzip (wer Entscheidungen über die Bereitstellung, d. h. die Beschaffung und Finanzierung von Gütern, unterworfen ist, sollte auch kontrollberechtigt sein); im Prinzip der Direktkontrolle (wer kontrollberechtigt ist, sollte seine Kontrolle selbst oder durch ein von ihm direkt gewähltes Gremium ausüben dürfen).
Vgl. H. C. Recktenwald: Föderalismus im säkularen Wandel – erste Ergebnisse einer empirischen Analyse, in: A. S. Koch, H.-G. Petersen (Hrsg.): Staat, Steuern und Finanzausgleich. Festschrift für H. Kolms, Berlin 1984, S. 279 ff., S. 282. Vgl. H. Grossekettler: Verwaltungsstrukturpolitik, in: H.-J. Ewers, H. Schuster (Hrsg.): Probleme der Ordnungs- und Strukturpolitik. Festschrift für S. Seidenfus, Göttingen 1987, S. 16 ff.
Teil B. Die Theorie des Föderalismus
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53
Implizit ist in der horizontalen Kompetenzregel (dem Äquivalenzprinzip) das Subsidiaritätsprinzip der Marktwirtschaft enthalten. Dieses verlangt, dass Entscheidungen stets so bürgernah wie möglich gefällt werden, d. h. im Zweifel so lange, wie übergeordnete Ebenen keine eindeutigen Entscheidungsvorteile vorweisen können. Dies setzt (ebenso wie die anderen Prinzipien und das Funktionieren einer Marktwirtschaft überhaupt) voraus, dass grobe Verteilungsungerechtigkeiten über das öffentliche Steuer-Transfer-System ausgeglichen werden. Mit dem Kongruenzprinzip (Verbundprinzip) würde die Diskussion über die kommunale Daseinsvorsorge stärker objektiviert. Denn häufig postuliert die Kommunalpolitik „Bedarfe“, weil deren Deckung im Regelfall einen politisch verwertbaren Erfolg verheißt. Mit anderen Worten: Es wird zunächst ein „Bedarf“ verfügt, dann erst wird versucht, Nachfrage zu wecken, damit das Produkt auch abgesetzt werden kann. Das Kongruenzprinzip würde einen gewissen Zwang schaffen, bedarfsermittelnde Methoden zu entwickeln, wie sie etwa in den USA unter dem Begriff „social-marketing“ seit Anfang der Siebziger Jahre diskutiert werden22. Im Rahmen eines solchen Ansatzes entstünde für die Gemeinden auch die Notwendigkeit bzw. der Anreiz, die unterschiedlichen Aufwands- bzw. Kostenentwicklungen offenzulegen, die mit bestimmten Aufgaben und Ausgabenprogrammen verbunden sind. Das kommunale Finanzproblem hat nicht zuletzt seine Ursache im fehlenden Zwang bzw. in der fehlenden Bereitschaft der kommunalen Anbieter, dem Bürger die Wahl zwischen durchgerechneten Ausgabenalternativen zu eröffnen. Die Dominanz des kurzfristigen politischen Kalküls hat vielmehr dazu geführt, den gegenwärtigen Nutzen zu über- und die künftigen Belastungen zu unterschätzen. Die vorliegenden empirischen Studien legen die Vermutung nahe, dass jene eigenständigen Ausgaben der Gemeinden, welche für die Einwohner eine Alternative zu privaten Gütern und Dienstleistungen sind, in Höhe und Struktur weitgehend auf Nachfrageentscheidungen der Einwohner beruhen23. Die Erfahrung zeigt: In dem Maße, in dem die finanzpolitische Verantwortlichkeit der Gemeinden nicht mehr deckungsgleich ist mit deren finanzpolitischer Kompetenz, kommt es zu Fehlentscheidungen in der Allokation gerade im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge: Wenn die finanziellen Belastungen im Zusammenhang mit bestimmten Vorhaben nicht ausschließlich den Bürgern der jeweiligen Gemeinden angelastet, sondern auch andere Ebenen zur Finanzierung herangezogen werden, entsteht durch Fiskalillusion die Neigung, die Aufgabenerfüllung und damit die Ausgaben in Umfang und Struktur zu überziehen bzw. falsche Schwerpunkte zu setzen. Auch ist dann eine effiziente Finanzkontrolle nicht mehr gewährleistet. Die Ergebnisse dieser Fehlentscheidungen manifestieren sich heute vor allem in kommunalen „Investitionsruinen“. Deren Folgekosten führen dazu, dass kaum noch Optionen für neue kommunale Aufgaben- und Ausgabenfelder, ja nicht einmal mehr
Vgl. D. Hesse: Verteilung öffentlicher Tätigkeiten, Konstruktion und Kritik alternativer Möglichkeiten der Ermittlung ihrer personalen Inzidenz, Berlin 1975, S. 136 ff.; R. M. Reichhardt: Gesellschaftliche Bedarfsanalyse. Ein Ansatz zur Ermittlung der Bürgerpräferenzen für öffentliche Güter, Berlin 1979. Vgl. dazu in neuester Zeit: F. Schläpfer, P. Zweifel: Nutzenmessung bei öffentlichen Gütern: Konzeptionelle und empirische Probleme in der Praxis, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 3, S. 210–216. Vgl. A. Bothe: Die Gemeindeausgaben in der Bundesrepublik. Ein nachfrageorientierter Erklärungsansatz, Tübingen 1989 (Kieler Studien Nr. 226).
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für Variationen der sachlichen und zeitlichen Priorität im Vollzug bereits begonnener Ausgabenprogramme möglich sind. Abbildung 1:
Das Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz
Subsidiaritätsprinzip: Vorrang dezentraler Aufgabenerfüllung Argumente für dezentrale Aufgabenerfüllung – regional/lokal unterschiedliche Präferenzen – negative Skaleneffekte – geringere Informations-, Verwaltungs- und Kontrollkosten (in der Leistungserstellung) – dezentraler Wettbewerb – geringere Entscheidungsfindungskosten – bessere Kontrollmöglichkeiten für Wähler
Argumente für zentrale Aufgabenerfüllung –
positive Skaleneffekte
– –
„Subventionskonkurrenz“ Aufbrechen von „Verkrustungen“
Prinzip der fiskalischen Äquivalenz: Äquivalenz von Nutzen-, Zahler- und Entscheiderkreis – Aufgabenerfüllung entsprechend dem Nutzenkreis, keine wesentlichen externen Effekte: d. h. dezentrale Aufgabenerfüllung bei vorwiegend lokalem Nutzenkreis, bei überregionalem Nutzenkreis zentrale Aufgabenerfüllung oder, soweit möglich, dezentrale Alternativlösungen (z. B. Verhandlungen) – klare Aufgabenabgrenzung – Konnexitätsprinzip: Ausgabenverantwortung folgt Aufgabenverantwortung – Einnahmenautonomie Voraussetzung für wohlfahrtstiftenden Wettbewerb durch Mobilität zwischen Gebietskörperschaften ist die Einhaltung des Prinzips der (gruppenmäßigen) fiskalischen Äquivalenz.
Teil C. Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU)
Teil C.
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Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU)1
Teil C. Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU)2
I.
Die institutionelle Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung in der Europäischen Union
(1)
Die vorangegangenen Ausführungen sind – in die Zukunft gerichtet – mit der Frage zu verbinden, wie die Einbettung auch der deutschen Gemeinden in die Europäische Union (EU) deren politischen und damit auch die finanzpolitischen Aktionsspielräume beeinflussen wird. Die Europäische Union steht als noch relativ schwach ausgeprägte obere Ebene verschieden aufgebauter Mitgliedstaaten am Anfang ihrer institutionellen Entwicklung. Sie nimmt daher zurzeit auf die Kommunen direkt wenig Bezug. Von einer „Kommunalblindheit“ in den Verträgen kann jedoch nicht gesprochen werden. Entwicklungsschritte zu einem „Europa der Kommunen“, also dem Modell einer dezen-
1
2
Vgl. K. M. Heinemann: Deutsche kommunale Selbstverwaltung und die Europäische Gemeinschaft, in: Sparkasse, Jg. 1989, H. 12, S. 560 ff.; E. Pappermann: Die Städte in Europa, in: Der Städtetag, Jg. 1989, H. 12, S. 756 ff.; P. M. Mombauer: Kommunalpolitik in der Europäischen Union, 3. Aufl., Göttingen 1994; Ders., H.G. Lennep: Europarecht und deutsche kommunale Selbstverwaltung, in: Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.): Kommunale Selbstverwaltung in Europa, Göttingen 1998, S. 11 ff.; H. Mäding, R. Voigt (Hrsg.): Kommunalfinanzen im Umbruch. Städte und Gemeinden in Europa, Stuttgart 1998, S. 57 ff.; S. Funke: Kommunale Finanzpolitik in der Europäischen Union. Anmerkungen zu den Wirkungen der fortschreitenden europäischen Integration und der innerstaatlichen Umsetzung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf die Kommunalfinanzen, in: M. Kübbeler, C. Lange (Hrsg.): Wirtschafts- und Finanzpolitik nach ordoliberalen Prinzipien: ausgewählte Beiträge zur theoretischen Fundierung und praktischen Umsetzung, Berlin 1999, S. 37 ff.; H.-G. Henneke (Hrsg.): Kommunen und Europa – Herausforderungen und Chancen, Stuttgart 1999; die Beiträge von D. Ehlers, D. Jarass, I. Pietzecker, R. v. Ameln in H.-U. Erichsen (Hrsg.): Kommunale Verwaltung im Wandel, a. a. O.; A. Stöß: Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, Frankfurt/M. 2000; H. Brede (Hrsg.): Wettbewerb in Europa und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 2000; R. Hrbek, M. Nettesheim (Hrsg.): Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, Baden-Baden 2002; B. Dafflon (Hrsg.): Kommunen in Europa, Cheltenham 2002. Vgl. K. M. Heinemann: Deutsche kommunale Selbstverwaltung und die Europäische Gemeinschaft, in: Sparkasse, Jg. 1989, H. 12, S. 560 ff.; E. Pappermann: Die Städte in Europa, in: Der Städtetag, Jg. 1989, H. 12, S. 756 ff.; P. M. Mombauer: Kommunalpolitik in der Europäischen Union, 3. Aufl., Göttingen 1994; Ders., H.G. Lennep: Europarecht und deutsche kommunale Selbstverwaltung, in: Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.): Kommunale Selbstverwaltung in Europa, Göttingen 1998, S. 11 ff.; H. Mäding, R. Voigt (Hrsg.): Kommunalfinanzen im Umbruch. Städte und Gemeinden in Europa, Stuttgart 1998, S. 57 ff.; S. Funke: Kommunale Finanzpolitik in der Europäischen Union. Anmerkungen zu den Wirkungen der fortschreitenden europäischen Integration und der innerstaatlichen Umsetzung des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf die Kommunalfinanzen, in: M. Kübbeler, C. Lange (Hrsg.): Wirtschafts- und Finanzpolitik nach ordoliberalen Prinzipien: ausgewählte Beiträge zur theoretischen Fundierung und praktischen Umsetzung, Berlin 1999, S. 37 ff.; H.-G. Henneke (Hrsg.): Kommunen und Europa – Herausforderungen und Chancen, Stuttgart 1999; die Beiträge von D. Ehlers, D. Jarass, I. Pietzecker, R. v. Ameln in H.-U. Erichsen (Hrsg.): Kommunale Verwaltung im Wandel, a. a. O.; A. Stöß: Europäische Union und kommunale Selbstverwaltung, Frankfurt/M. 2000; H. Brede (Hrsg.): Wettbewerb in Europa und die Erfüllung öffentlicher Aufgaben, Baden-Baden 2000; R. Hrbek, M. Nettesheim (Hrsg.): Europäische Union und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge, Baden-Baden 2002; B. Dafflon (Hrsg.): Kommunen in Europa, Cheltenham 2002.
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(3)
Teil C. Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU)
tralen Europäischen Union, das – mit den kommunalen Gebietskörperschaften als Grundeinheiten – von „unten nach oben“ aufgebaut ist, sind bereits erkennbar. Die Verträge, die der EU zu Grunde liegen, enthalten zwar nicht das dem deutschen Recht entsprechende Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung. Ein Schutz kommunaler Handlungsspielräume in der EU ist indirekt dadurch gegeben, dass nach der Präambel des Vertrages über die Europäische Union die Entscheidungen entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip möglichst bürgernah getroffen werden sollen. Auch der Lissabonner Reformvertrag vom 18.10.2007 betont ausdrücklich die Achtung der kommunalen Selbstverwaltung und das Subsidiaritätsprinzip. Sofern der „Rahmen der Gesetze" (i. S. des Art. 28 Abs. 2 GG) kommunale Belange berührt, könnten allerdings verstärkte kommunale Mitwirkungsrechte erforderlich und sinnvoll sein, um ein gewisses Maß der Kompetenzabgrenzung zu erreichen. Solche formalen Mitwirkungsrechte sind auf der EU-Ebene stärker ausgeprägt als im nationalen Kontext. Allerdings können diese die Politikverflechtung und die mit ihr verbundenen Nachteile, beispielsweise die Verzögerung von notwendigen Entscheidungen, verstärken. Deshalb dürfte insgesamt einem stärkeren Schutz autonomer Handlungsmöglichkeiten gegenüber verstärkten Mitwirkungsrechten der Vorrang einzuräumen sein. In der institutionellen Ausgestaltung der kommunalen Ebene sind europaweit Elemente erkennbar, die vom Ansatz her Handlungsspielräume eröffnen. Dazu gehören die grundsätzliche Allzuständigkeit der Kommunen für die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft und die normierte Einnahmenautonomie. Gleichzeitig bestehen aber die angedeuteten rechtlichen Unschärfen. Um diese auszuräumen, sollten die Kommunen als vollwertige Ebene ausgestaltet und gemeindliche Kompetenzen durch einen expliziten Kompetenzkatalog stärker geschützt werden. In diesem Zusammenhang wird auch in der europäischen Diskussion immer wieder gefordert, kommunale Mitwirkungs- und Zustimmungsrechte auch auf nationaler Ebene stärker zu verankern3.
II.
Die Europäische Union und die Theorie des Föderalismus4
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Wichtig ist: Die EU entwickelt sich Schritt für Schritt zu einer neuen staatlichen Ebene im föderativen System. Dieser Ebene wurden in den zurückliegenden Jahren immer mehr Aufgaben übertragen. Eine ökonomische Begründung dafür könnte sein, dass eine wachsende Zahl von Aufgaben einen übernationalen Nutzenkreis haben, und deshalb Sinnvollerweise auf der supranationalen Ebene wahrgenommen werden sollten. Zunehmende internationale Verflechtung und Mobilität können er-
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Vgl. B. Rahmann, U. Steinborn, G. Vornholz: Empirische Analyse der Autonomie lokaler Finanzwirtschaften in der Europäischen Gemeinschaft, Frankfurt/M. 1994, S. 56 ff. Vgl. J. M. Buchanan, D. R. Lee: On a Fiscal Constitution for the European Union, in: Journal des Économistes et des Études Humaines, Jg. 1995, S. 219 ff.; F. Heinemann: Die Finanzverfassung und Kompetenzausstattung der Europäischen Union nach Maastricht. Eine finanzwissenschaftliche Soll-Ist-Analyse, BadenBaden 1997; M. C. Burda, H. Seitz, G. Wagner (Hrsg.): Europäischer und nationaler Fiskalföderalismus, Berlin 2000; R. Caesar: Eine neue Finanzverfassung für die EU?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2002, H. 6, S. 322 ff.; R. Vaubel: Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zentralisierungsdynamik, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, H. 2, S. 84 ff.
Teil C. Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU)
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hebliche externe Effekte verursachen und eine Aufgabenzuordnung auf die übergeordnete Ebene angezeigt erscheinen lassen. Beispiele dafür sind eine gemeinsame Außenhandels- und Wettbewerbspolitik, die Bemühungen zur Schaffung eines Binnenmarktes und europaweite Umweltprobleme. Da eine Ebene hinzugekommen ist, aber keine abgeschafft wurde, teilen sich allerdings immer mehr Ebenen den Bestand an öffentlichen Aufgaben. Dies bedingt automatisch einen relativen Bedeutungsverlust aller anderen föderativen Ebenen zusammen. Aus ökonomischer Sicht könnte die Gliederung in mehr staatliche Ebenen zu einer besseren Abstimmung mit den Nutzenkreisen der angebotenen Güter und damit zu Effizienzgewinnen führen. Die Unterhaltung und Ausgestaltung mehrerer Ebenen ist aber institutionell aufwendig. Deshalb ist eher zu erwarten, dass Aufgaben des übernationalen oder überregionalen Nutzenkreises, die bislang typischerweise auf den Ebenen des Bundes und der Länder wahrgenommen wurden, auf die EU übergehen. Dadurch würden die Zuständigkeiten der Gemeinden selbst kaum berührt werden. Die anderen übergeordneten Ebenen könnten aber versuchen, ihren Aufgabenverlust durch die Übernahme gemeindlicher Aufgaben zu kompensieren. Die (noch) relativ schwache institutionelle Stellung der Kommunen könnte dies begünstigen.
III. Der Einfluss der Europäischen Union auf die kommunale Selbstverwaltung5 (1)
(2)
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Von den gemeinschaftlichen Politiken sind die Kommunen durch die Verkehrs-, Wettbewerbs-, Sozial-, Struktur- und Umweltpolitik mittelbar betroffen. Die Förderung von Forschung und Entwicklung, der allgemeinen und beruflichen Bildung, die Industriepolitik, die Agrarmarktpolitik und die Entwicklungshilfe sind keine vorrangigen kommunalen Angelegenheiten. Inwieweit die Gemeinschaft ihre Kompetenzen hinsichtlich der transeuropäischen Netze, der Gesundheitspolitik, der Entfaltung des Kulturlebens, des Verbraucherschutzes wahrnimmt, wodurch sich zusätzliche Berührungspunkte zur Kommunalpolitik ergeben könnten, bleibt abzuwarten. Bisher sind die Aktivitäten über einzelne Aktions- und Förderprogramme relativ geringen Umfangs nicht hinausgegangen. Unmittelbar beeinflusst die EU hauptsächlich die kommunalen Aufgaben der Wirtschaftsförderung (im weitesten Sinne, einschließlich der Arbeitsmarktpolitik und des Vergabewesens), und zwar durch Regional- und Strukturpolitik sowie die Beihilfenaufsicht des Wettbewerbsrechts, welche die Kommunen als Empfänger und Geber staatlicher Beihilfen betrifft, die Umweltpolitik sowie die wirtschaftliche Betätigung Vgl. H.-E. Folz: Kommunale Selbstverwaltung und Europäische Einigung, in: A. Weber (Hrsg.): Kommunen und Europa. Festschrift für H. Hahn, Baden-Baden 1997, S. 611–623; F.-L. Knemeyer: Europa der Regionen – Bestandsaufnahme, in: Ders. (Hrsg.): Europa der Regionen – Europa der Kommunen, Baden-Baden 1994, S. 55–65; H.-G. Henneke (Hrsg.): Kommunale Perspektiven im zusammenwachsenden Europa, Stuttgart u. a. 2002; S. Hobe, D. Biehl, N. Schroeter: Europarechtliche Einflüsse auf das Recht der deutschen kommunalen Selbstverwaltung, Stuttgart u. a. 2004, S. 74–89; S. Hobe: Zur Stellung der Kommunen in der Europäischen Union, in: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwissenschaften, Jg. 2005, H. 2, S. 38–45; U. Häde: Kommunalfinanzen und europäische Integration. Einwirkungen der EU-Finanzverfassung und der Haushaltsdisziplin, in: H.-G. Henneke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 97–107.
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Teil C. Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU)
der Kommunen, letztere insbesondere wegen der Liberalisierungsbemühungen im Rahmen des Binnenmarktprogramms, im Versorgungsbereich und in der Kreditwirtschaft (vgl. dazu unten unter IV.). Rückwirkungen auf den Einnahmebereich der Kommunen ergeben sich aus der gemeinsamen Nutzung von öffentlichen Einnahmequellen, der Steuerharmonisierung im Rahmen des Binnenmarkts sowie den eingeschränkten Verschuldungsmöglichkeiten durch die Maastricht-Kriterien. Die aufgezeigten Zusammenhänge erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Eine umfassende Aufzählung ist schon deshalb nicht möglich, weil „nahezu alle Bereiche kommunaler Selbstverwaltung und der damit zusammenhängenden wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden Berührungspunkte zu den gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Marktfreiheiten aufweisen“6.
IV.
Die Rückwirkungen der europäischen Rechtsetzung auf die kommunale Wirtschaft
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Den gravierendsten Einschnitt hat die EU für die kommunale Wirtschaft gebracht, die sich auf dem Europäischen Binnenmarkt völlig neuen Herausforderungen gegenübergestellt sieht. „Die Liberalisierungs- und Privatisierungsbestrebungen in der Politik der Europäischen Union (EU) und des Bundes öffnen Aufgaben, die traditionell im Verantwortungsbereich der öffentlichen Hand lagen, zunehmend dem Wettbewerb“7. Dazu zählt in erster Linie der Wegfall kommunaler Monopole in den Bereichen Energieversorgung, Abwasserwirtschaft und Abfallentsorgung. Weitere Beispiele für eine potentielle Schwächung der gemeindlichen Selbstverwaltung durch europäisches Primär- und Sekundärrecht sind die Privatisierungsüberlegungen im Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV), in der Wasserversorgung und im Sparkassenwesen. Die Basis für den „Einzug“ privater Akteure aus den Ländern der EU in den Bereich der kommunalen Aufgaben bildet das europäische Vergaberecht8, wonach auch die Kommunen verpflichtet sind, ihre Aufträge ab einem bestimmten Wert europaweit und für jedermann zugänglich auszuschreiben. Diese Intention wurde durch den „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge“ vom 10.5.2002, KOM (2002) 275 nachhaltig unterstrichen. Damit wird die kommunale Daseinsvorsorge zunehmend zum Gegenstand der Wettbewerbspolitik. Im September 2000 legte die Europäische Kommission die sog.
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Vgl. C. O. Lenz: Entwicklung und unmittelbare Geltung des Gemeinschaftsrechts, in: W. Hoppe, A. Schink (Hrsg.): Kommunale Selbstverwaltung und europäische Integration, Köln 1990, S. 6 ff., S. 7. Vgl. J. Libbe u. a.: Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Aufgabenbereiche in Kommunen. Endbericht des Sondierungsprojekts O7SOE22 des Deutschen Instituts für Urbanistik, Berlin 2001. Vgl. L. Hausmann: Haushaltsrechtliche Vorgaben für die kommunale Auftragsvergabe, in: H.-G. Henneke, H. Pünder, Ch. Waldhoff: Recht der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 782–802; R. Bieber, A. Epiney, M. Haag: Die Europäische Union – Europarecht und Politik, 7. Aufl., Baden-Baden 2006; B. Herrmann: Der Einfluss der Europäischen Union auf die Zukunft der öffentlichen Dienstleistungen, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.): Die Zukunft der öffentlichen Dienstleistungen, Berlin 2007, S. 84–90.
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„Zweite Mitteilung zu Leistungen der Daseinsvorsorge“ vor, die für sog. „wirtschaftliche Aktivitäten“ folgende Prinzipien verankert:
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Neutralität im Hinblick auf öffentliches oder privates Eigentum an Unternehmen. Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten bei der Definition von Leistungen der Daseinsvorsorge, die allerdings einer Kontrolle auf offenkundige Fehler unterworfen ist. Verhältnismäßigkeit, die sicherstellt, dass Einschränkungen des Wettbewerbs und Begrenzungen der Freiheiten im Binnenmarkt nicht über das zur wirksamen Erfüllung der Aufgaben notwendige Maß hinausgehen.
Mit dieser Liberalisierungsstrategie zielt die EU-Kommission auf Kernbereiche der kommunalen Selbstverwaltung, indem sie zum einen für bestimmte Sektoren – wie Energie und Verkehr – mit gemeinschaftsweiten Richtlinien diese Leistungen in den Wettbewerb stellt9. Zum anderen fordert sie die Einhaltung der Europäischen Wettbewerbs- und Binnenmarktvorschriften für alle öffentlichen Dienstleistungen, soweit sie nach europäischer Definition (Art. 86 Abs. 2 EGV) „Dienstleistungen von Allgemeinen Wirtschaftlichen Interesse“ (DAWI)“ sind10. Diese Art von Dienstleistungen sind marktbezogene Dienstleistungen, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und von der zuständigen Gebietskörperschaft mit spezifischen Gemeinwohlbindungen verknüpft werden. Im Lissabonner EU-Reformvertrag von 2007 ist dieses abschließend verankert worden. Dahinter steht folgender Gedanke: Während es im Fall von Marktversagen darum geht, dass der Markt nicht den effizienten Umfang einer bestimmten Leistung erbringt, geht es bei der Daseinsvorsorge darum, dass der Markt nicht den politisch gewünschten Umfang einer Leistung bereitstellt. Der politisch gewünschte Umfang ist in einer Demokratie auch dann zu respektieren, wenn er rein ökonomisch betrachtet nicht effizient ist11. Bei der europarechtlichen Definition von DAWI bleibt ausdrücklich offen, wer solche Dienste erbringt, d. h. ob solche Dienste von öffentlich, gemeinwirtschaftlichen oder privaten Unternehmen dargestellt werden. Insofern ist der DAWI-Begriff Vgl. Grünbuch der EU-Kommission zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Brüssel 21.5.2003 KOM (2003) 2760 endg.; Mitteilung der EU-Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Brüssel 12.5.2004 KOM (2004) 374 endg.; M. Schöneich: Europäische Wirtschaftsordnung und nationales Gemeindewirtschaftsrecht – Ein schwieriger Ausgleich, in: D. Bräunig, D. Greiling (Hrsg.): Stand und Perspektiven der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre II. Festschrift für P. Eichhorn, Berlin 2007, S. 138–148; Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.): Die Zukunft der öffentlichen Dienstleistungen, Berlin 2007; K. O. Nass: Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union, in: G. Frank, H.-W. Langrehr (Hrsg.): Die Gemeinde. a. a. O., S. 57–80, S. 67 ff. Vgl. D. Ehlers: Art. „Europa – verfassungsrechtliche Vorgaben“, in: G. Wurzel, A. Schraml, R. Becker (Hrsg.): Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, München 2005, S. 11–32; J. Wieland: Wettbewerbsordnung und Gemeinde-Wirtschaftsrecht – ein schwieriger Ausgleich, in: .M Schöneich (Hrsg.): Stadt-Werke, Festschrift für G. Widder, Frankfurt/M. 2007, S. 81–92; J. Haucap: Daseinsvorsorge zwischen Beihilfekontrolle und globalem Wettbewerb, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, S. 712 ff. Vgl. F. Schulz-Nieswandt: Neuere Literatur zum Wandel der Staatlichkeit, dargelegt im Bezugskreis der europarechtlichen Neu-Adjustierung der (insbesondere sozialen) Dienstleistungen von allgemeinen (wirtschaftlichen) Interesse, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2008, H. 4, S. 438–451.
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eigentümer- bzw. unternehmensneutral. Solche Dienstleistungen werden auch von kommunalen Unternehmen erbracht, die im Rahmen des kommunalen Selbstverwaltungsrechts ausdrücklich dazu gegründet und bestimmt worden sind. Möglich ist aber auch, dass eine Gebietskörperschaft Dritte mit der Erbringung solcher Dienstleistungen beauftragt, so dass auch private Dritte mit solchen Diensten betraut werden können. In diesem Fall tritt die Gebietskörperschaft als Gewährleistungsstaat auf, weil die Gebietskörperschaft nicht selbst die Produktion dieser öffentlichen Dienstleistung durchführt, sondern sich hierzu eines Privaten bedient. Dabei gesteht die europäische Ebene den Kommunen zu, dass diese die öffentlichen Leistungen selbst definieren, finanzieren und organisieren können. Sie fordert aber gleichzeitig, dass öffentliche und private Unternehmen grundsätzlich gleich zu behandeln sind. Dies hat auch Konsequenzen für die Finanzierung und Ausschreibung öffentlicher Dienstleistungen, wie weiter unten dargelegt wird. Ein Weiteres ist von Bedeutung: Die EU-Kommission sieht finanzielle Vorteile, die von Behörden an Unternehmen gezahlt werden, um die Kosten auszugleichen, als „Beihilfen“ im Sinne des EU-Vertrages an – unabhängig davon, ob es sich um private oder öffentliche Unternehmen handelt. Zwar hat die Kommission für die DAWI, die unterhalb bestimmter Schwellenwerte liegen (Jahresumsatz 50 Mio. EUR, Ausgleichsleistung 30 Mio. EUR) Ausnahmeregeln festgelegt, so dass für diese keine Notifizierung erfolgt. Der EuGH hat allerdings in seinem Urteil AltmarkTrans (Rechtssache C/280/00) entschieden, dass nicht alle finanziellen Vorteile Beihilfe darstellen. Dabei ist die Freistellung von der Notifizierungspflicht an bestimmte Bedingungen gebunden. So müssen die Städte im Rahmen eines sog. Betrauungsaktes vor Erbringung der Dienstleistungen die Parameter für die Finanzierung und Leistungserstellung festlegen. Dies wiederum bedeutet, dass die bisherige Verfahrensweise – etwa der nachträgliche allgemeine Defizitausgleich des kommunalen Unternehmens am Ende des Jahres – in jedem Fall eine staatliche Beihilfe darstellt, die angemeldet und genehmigt werden muss. Diese Normsetzung bedeutet gleichzeitig, dass im Vorfeld der Erbringung der Leistung Transparenz und Klarheit zwischen Staat und Unternehmen im Hinblick auf die konkrete Leistungserstellung und ihre jeweilige Finanzierung hergestellt werden muss. Weiterhin hat die EU-Kommission die ausschreibungsfreie Erbringung öffentlicher Dienstleistungen eingeschränkt. Sie ist der Auffassung, dass öffentliche Dienstleistungen auch unterhalb der Schwellenwerte der Vergaberichtlinien grundsätzlich transparent vergeben werden müssen, damit alle Unternehmen der Gemeinschaft die Möglichkeit haben, einen entsprechenden öffentlichen Auftrag zu erhalten.12 Betroffen ist insbesondere die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern: Darf eine Gemeinde einer Nachbarkommune die Abfallentsorgung übertragen, wenn sie dem Privatsektor eine Bewerbung um diesen „Auftrag“ nicht ermöglicht hat?13 Zwar gibt es Ausnahmen für öffentliche Unternehmen die ihrerseits Teil eines öffentlichen Vgl. Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.): Ausschreibungswettbewerb – obligatorisch für alle öffentlichen Dienstleistungen?, Berlin 2003; H. Herdt: Vergaberecht und Ausschreibungszwang, in: W. Gottschalk (Hrsg.): Stadt-Werke, a. a. O., S. 93–110. Vgl. S. Ohlhoff, C. Wörz: Das Vergaberecht hemmt die Zusammenarbeit von Gemeinden, in: FAZ 20.5.2009, S. 21.
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Konzerns sind (sog. Inhouse-Geschäfte); diese Ausnahmen werden jedoch zunehmend enger gefasst. So wird hinsichtlich der Steuerung des Tochterunternehmens u. a. eine „Beherrschung des Unternehmens wie über eine eigene Dienststelle“ verlangt. Nach dem EuGH-Urteil Halle (Rechtssache C/26/03) ist diese Beherrschung nur noch bei 100prozentigen Töchtern gegeben. Neben diesen quantitativen Erfordernissen prüft der EuGH zunehmend auch qualitativ, ob ein solcher Einfluss vorliegt. Im EuGH-Urteil „Parking Brixen“ (Rechtssache C/458/03) wird dieser Tatbestand z. B. für den Fall verneint, dass es sich um eine Aktiengesellschaft handelt („Untersteuerung“) und eine teilweise Privatisierung in den kommenden Jahren erfolgen soll. Damit ist die bisherige Aufgabenerfüllung durch gemischtwirtschaftliche Unternehmen so nicht mehr ausschreibungsfrei möglich. Eine weitere Aushöhlung der kommunalen Organisationshoheit zeichnet sich insofern ab, als auch städtebauliche Verträge der öffentlichen Hand, die mit Grundstücksverkäufen verbunden sind, ohne europaweite Ausschreibung nichtig sind. Das Oberlandesgericht hat einen solchen Fall in 2007 zur Überprüfung an den EuGH geleitet. Das Vorgehen ist insofern nicht schlüssig, als zunächst die Kommunen auch von europäischer Seite aufgefordert wurden, durch Hereinnahme privater Partner strategische Allianzen zu bilden und nunmehr andererseits die Gemeinden die Erfahrung machen müssen, dass sie ihre eigenen Unternehmen nicht mehr ohne Ausschreibung beauftragen dürfen14. Dies schafft für die Kommunen aus zwei Gründen eine neue Situation: Zum einen, weil sie sich aufgrund von Ausschreibungszwängen und kleiner werdenden Spielräumen für die Eigenerledigung von kommunalen Aufgaben in ihrer Organisations- und Gestaltungsfreiheit eingeengt sehen. Zum anderen trifft es die kommunalen Unternehmen. Diese werden nämlich einem doppelten Regime unterworfen, weil sie sowohl dem Gemeindewirtschaftsrecht als auch den Wettbewerbsgrundsätzen der EU entsprechen sollen. In der Summe führen die dargestellten Entwicklungen zu einem System der verpflichtenden Ausschreibung von Dienstleistungskonzessionen im kommunalen Bereich15. Dies wird insbesondere durch die „Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen-Gemeinschaftsrecht“ vom 29.4.2002 deutlich16. Danach liegt immer dann, wenn eine Gebietskörperschaft (also auch eine Kommune) eine wirtschaftliche Aktivität auf einen Dritten übertragen will, der nach Auffassung der Kommission z. B. ein Stadtwerk in Form einer GmbH oder AG sein kann und dieser Dritte seine Leistungen über Preise (einschließlich Gebühren und Beiträge) vergütet bekommt, ein Sachverhalt vor, der die Gebietskörperschaft zur Ausschreibung dieser Dienstleistungskonzession verpflichtet. Dabei müssen die öffentlichen (also auch die kommunalen) Unternehmen im Wege der Gleichbehandlung gegenüber anderen Dienstleistern insofern als diesen vergleichbare Dritte behandelt werden. Der EuGH hat mit Urteil vom 8.11.2008 allerdings die Anwendung Vgl. H. Ganseforth: Die Regelungen des europäischen Binnenmarktes und die Zukunft der kommunalen Daseinsvorsorge im öffentlichen Personennahverkehr, in: G. Frank, H.-W. Langrehr (Hrsg.): Die Gemeinde, a. a. O., S. 319–343. Vgl. R. Plaßmann: Kommt jetzt für die Städte der totale Wettbewerb?, in: Der Städtetag, Jg. 2000, H. 6, S. 36 ff.; R. Noch: Öffentliches Auftragsrecht, in: R. Schulze, M. Zuleeg (Hrsg.): Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, Baden-Baden 2006, S. 1302–1361. Amtsblatt der EG: C 121/2 vom 29.4.2002.
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des Vergaberechts auf die interkommunale Zusammenarbeit insofern eingeschränkt, als einzelne Kommunen Dienstleistungskonzessionen direkt, also ohne Durchführung eines Wettbewerbverfahrens, an Zweckverbände vergeben können, sofern dessen Mitglieder eine kollektiv bestimmende Kontrolle über diese Dienstleistung ausüben und der Zweckverband zu mehr als 90% die Leistungen gegenüber seinen Mitgliedern erbringt. Gleichwohl ist die Intention der EU-Kommission, den gesamten Bereich der öffentlichen (kommunalen) Wirtschaft (soweit es sich nicht um rein innerorganisatorische Verhältnisse handelt) einem System zu unterwerfen, bei dem die Auswahl des Dienstleisters durch die jeweilige Gebietskörperschaft durch öffentliche Ausschreibungen zu erfolgen hat17. In diese Linie reihen sich weitere wesentliche Dokumente ein, nämlich
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der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge, Dienstleistungsaufträge und Bauaufträge (COM 2000) 275 Endg. vom 10.5.2000, 2000/0115 (COD), der Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung (COM 100) 276 Final vom 10.5.2000, 2000/0117 (COD) sowie der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Anforderungen des öffentlichen Dienstes und der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für den Personenverkehr auf der Schiene, der Straße und auf Binnenschifffahrtswegen (COM 2000) 7 Endg. vom 26.7.2000, 2000/0212 (COD).
Im Anhang I der ersten Richtlinie werden insgesamt 27 Dienstleistungskategorien aufgezählt, darunter z. B. Landverkehr, Postfernmeldewesen, Stadt- und Landschaftsplanung, Abfall- und Abwasserbeseitigungen, Eisenbahnen, Gesundheitsund Sozialwesen. Der zweite Richtlinienentwurf beinhaltet den Vorschlag für eine Neufassung der geltenden sog. Sektorenrichtlinie. Der dritte Verordnungsentwurf geht davon aus, dass die öffentlichen (kommunalen) Aufgabenträger grundsätzlich alle Verkehre auszuschreiben haben. Hier gilt die Ausschreibungsverpflichtung nach dem Entwurfstext nicht nur für neu hinzukommende, sondern auch für bestehende Verkehre. Damit ist der Markt des ÖPNV, also des öffentlichen Personennahverkehrs, für ausländische Anbieter geöffnet. Wie bereits angedeutet, werden diese Entwicklungen die Rahmendaten der kommunalen Unternehmen in Deutschland nachhaltig verändern. Es bleibt offen, ob und inwieweit sich die Auffassung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „Teckal / Gemeinde Viarno“ durchsetzt. Der EuGH hatte Vgl. D. Greiling: Europäische Dimension des kommunalen Managements bei Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse, in: P. Eichhorn, M. Wiechers (Hrsg.): Strategisches Management für Kommunalverwaltungen, Baden-Baden 2001, S. 106 ff.
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hier dem Umstand Rechnung getragen, dass es keinen Unterschied machen kann, ob eine Kommune bestimmte Dienstleistungsaufgaben selbst durch ihre eigenen Dienststellen oder durch ein ihr gehörendes Unternehmen wahrnimmt. Der EuGH hatte sich hier auf das Recht der kommunalen Selbstverwaltung gestützt, das die Legitimation zur Selbstorganisation und zur wirtschaftlichen Selbstverwaltung und Selbstorganisation einschließt. Es wäre zu wünschen, dass sich diese Rechtsauffassung innerhalb der Europäischen Union durchsetzen wird. Die Alternative wäre eine Denaturierung der kommunalen Daseinsvorsorge zu einem System konzessionierter Dienstleister, die von der Gemeinde lediglich überwacht werden und deren wirtschaftliches Interesse nicht mehr durch übergreifende Aspekte des Gemeinwohls geprägt ist.
V.
Die Bewahrung kommunaler Handlungsspielräume in der EU
(1)
Die Herausbildung einer neuen, noch präföderativen europäischen Ebene, berührt die Kommunen also nachhaltig. Der EU wurden zunehmend Kompetenzen übertragen, welche diese auch ausfüllt. Damit wirkt die EU auf nahezu alle kommunalen Handlungsfelder ein. Dies ist auch aus ökonomischer Sicht nicht unproblematisch. Das an anderer Stelle (vgl. oben Teil B., V. 5.) in seiner normativen Bedeutung herausgearbeitete Kongruenz- bzw. Verbundprinzip wird damit zunehmend aufgebrochen18. Als politische „Abwehrmechanismen“ kommen vor allem das Subsidiaritätsprinzip und das Recht auf kommunale Selbstverwaltung in Betracht. Auf europäischer Ebene sind die Kommunen durch diese Prinzipien – wie dargestellt – zurzeit nur relativ gering geschützt. Umso mehr wird es darauf ankommen, das auch in der EU anerkannte Subsidiaritätsprinzip umfassend auszugestalten. Hierbei käme es wesentlich darauf an, alle Aufgaben und Instrumente in die Subsidiaritätsprüfung einzubeziehen und das Prinzip insgesamt zu operationalisieren. Zur Erhöhung der Wirksamkeit des Schutzes wäre es möglicherweise auch hilfreich, das Subsidiaritätsprinzip explizit auf die Kommunen auszudehnen und effektive Instrumente zu seiner Durchsetzung zu installieren. In diesem Zusammenhang könnte eine stärkere Abgrenzung der Aufgaben, verbunden mit einem weniger hierarchischen, dafür eher funktionalem Verhältnis der Ebenen, eine dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Erfüllung öffentlicher Aufgaben fördern. Ebenso wichtig wie der passive Schutz der Kommunen ist jedoch deren aktive Rolle. Dabei ist in erster Linie an die institutionelle Beteiligung, z. B. im Ausschuss der Regionen oder in der länderübergreifenden Partnerschaft, zu denken. Die institutionellen Möglichkeiten, über diese Beteiligungsformen kommunale Interessen in der EU durchzusetzen, sind allerdings begrenzt. Um so mehr gewinnen informelle Aktivitäten der Kommunen an Bedeutung. Die Lobbyarbeit der Kommunen kann, wenn sie rechtzeitig und fundiert betrieben wird, durchaus Wirkung entfalten. Sie wird
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Vgl. R. Vaubel: Europa-Chauvinismus. Der Hochmut der Institutionen, München 2001.
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Teil C. Die deutschen Kommunen in der Europäischen Union (EU)
umso erfolgreicher sein, je selbstverständlicher es für die Kommunen wird, die europäische Dimension in der täglichen Arbeit zu berücksichtigen19. In ökonomischer Hinsicht wird es vor allem darauf ankommen, die Steuerungsvorteile dezentraler Entscheidungseinheiten, die in Ansehung und Kenntnis der Verhältnisse vor Ort und in der Region handeln und die sich dabei an der Kongruenz von Verantwortung und Kompetenz, von wirtschaftlicher Belastung und Nutzen messen lassen müssen, nicht durch insofern suboptimale Entscheidungshierarchien auszuhöhlen. Die Konsequenzen wären hohe Kosten der Entscheidungsfindung und ein relativ diffuses Ergebnis hinsichtlich des Nutzens und der Kosten für die Bürger. Dem steht nicht entgegen, es wäre sogar wünschenswert, wenn es im Zuge des weiteren Zusammenwachsens der Europäischen Union zu neuen „grenzüberschreitenden“ kommunalen Konfigurationen käme, die den sich wandelnden sozialen und ökonomischen Raumdeterminanten auch in der politischen Entscheidungsfindung, z. B. im Bereich der Infrastrukturplanung, des Umweltschutzes, des Verkehrs und der Energieversorgung Rechnung tragen. Beispiele dafür finden sich z. B. in den „Grenzräumen“ Aachen – Lüttich – Maastricht oder Freiburg – Basel – Straßburg20.
Vgl. R. Vaubel: Die politisch-ökonomischen Ursachen der Zentralisierungsdynamik, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, H. 2, S. 84–88. Vgl. X. Gu (Hrsg.): Grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Regionen in Europa, Baden-Baden 2002; T. Bovaird, E. Löffler, S. Parrado-Diez: Developing Local Governance Networks in Europe, BadenBaden 2002; W. Wessels: Die Öffnung des Staats-Modells und die Wirklichkeit grenzüberschreitender Verwaltungspraxis 1960–1995, Opladen 2000.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
Teil D.
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Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
I.
Die kommunale Selbstverwaltung und die kommunale Finanzausstattung im Bundesstaat
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In einer den kommunalen Aufgaben nicht angemessenen Finanzausstattung wird eine Gefährdung des grundgesetzlich verankerten Rechts auf kommunale Selbstver1 waltung gesehen . Aus dieser Einschätzung wird häufig der Vorschlag zugunsten eines verfassungsrechtlichen Schutzes der kommunalen Selbstverwaltung derart abgeleitet, dass kommunale Selbstverwaltung eine „unantastbare Mindestfinanzaus2 stattung“ voraussetzt, die landesseitig garantiert werden muss“ . Unter ökonomischen Gesichtspunkten wird man diese Auffassung nicht uneingeschränkt akzeptieren, denn in der Perspektive einer dynamischen Allokationseffizienz müssen im Zeitablauf sich verändernde Bürgerpräferenzen für öffentliche Leistungen unterstellt werden. Insofern wäre eine wie auch immer geartete Vorfestlegung der verfügbaren Ressourcen ökonomisch suboptimal. „Aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung folgt indessen nicht, dass den Gemeinden und Gemeindeverbänden ein bestimmter und gleichbleibender Bestand an Finanzmitteln zur Verfüllung ihrer Aufgaben garantiert ist. Vielmehr kann die Frage der Angemessenheit der kommunalen Finanzausstattung wegen der Gleichrangigkeit der Aufgaben von Bund, Ländern und Kommunen nur unter gleichzeitiger Berücksichtigung der übrigen im Finanzverbund zusammengeschlossenen Körperschaften und ihrer Auf3 gaben und Belange beantwortet werden“ . Der Inhalt der verfassungsmäßigen Gewährleistung einer aufgabenorientierten Finanzausstattung kann deshalb nicht allein aus Sicht der kommunalen Ebene bestimmt werden. Vielmehr ist grundlegend von einer Gleichrangigkeit der Aufgaben und Ausgaben von Land und Kommune auszugehen. Eine aus ökonomischer Sicht objektive Quantifizierung von Bedarfen bzw. „notwendigen Aufgaben und Ausgaben“ ist nicht möglich, wie die Bewertungsdiskussionen über die UmsatzsteuerVerteilung zwischen dem Bund und den Ländern gezeigt hat. Auch das „Maßstäbegesetz“ zum bundesstaatlichen Finanzausgleich hat keinen über das Grundgesetz hinausgehende Konkretisierung gebracht. Angesichts dieses Befundes stellt sich die Frage welche Vorgehensweise denkbar wäre, um den Gemeinden eine gewissermaßen berechenbare und willkürfreie Fi-
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Vgl. M. Nierhaus: Verfassungsrechtlicher Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung, in: Ders. (Hrsg.): Kommunalfinanzen. Beiträge zur aktuellen Debatte, Arbeitsheft 9 des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, Potsdam 2005, S. 9–24. Vgl. M. Dombert: Zur finanziellen Mindestausstattung von Kommunen, in: Deutsches Verwaltungsblatt, Jg. 18 (2006), S. 1136–1141, S. 1137. Vgl. T. Döring: Zur Forderung nach einer kommunalen Mindestfinanzausstattung, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, H. 1, S. 40–47.
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
nanzausstattung zuzumessen. Dazu gibt es grundsätzlich folgende Lösungsmöglichkeiten: a.
Eine verfahrensorientierte Absicherung der kommunalen Finanzausstattung4. Folgt man der Auffassung, dass das Problem einer angemessenen Finanzverteilung zwischen dem Bund, den Ländern und den Kommunen letztlich nur politisch gelöst werden kann, stellt sich die Frage nach dem angemessenen politischen Entscheidungsverfahren. Zwischen den dafür grundsätzlich verfügbaren institutionellen Modellen (Gesetzes- bzw. Garantiemodelle vs. informelles Entscheidungs- bzw. Dialogmodell) wird aus rechtswissenschaftlicher Sicht häufig das Gremienmodell als einzig zielführende Lösung eingestuft. Verschiedene Bundesländer haben dieses Modell gesetzlich institutionalisiert und nach dem Vorbild des auf Bundesebene in § 51 HGrG vorgesehenen Finanzplanungsrates Beiräte vorgesehen, die aus Vertretern des zuständigen Finanzministeriums sowie der kommunalen Spitzenverbände besetzt sind. Aufgabe dieser Beiräte ist es, auf konsensorientierte Lösungen in der Finanzmittelverteilung zwischen Länderebene und kommunaler Ebene hinzuarbeiten und im jeweiligen Landtag als Haushaltsgesetzgeber Vorschläge zur Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs zu unterbreiten. Die von dieser Verfahrensweise ausgehende Schutzwirkung zugunsten der kommunalen Finanzausstattung kann dabei insofern noch verstärkt werden, als der Landtag sich nur unter Nennung von besonderen Gründen über die Empfehlungen eines solchen Beirates hinwegsetzen kann.
Eine solche Ermittlung der kommunalen Finanzausstattung im Rahmen eines verfahrensbezogenen Ansatzes birgt allerdings auch Probleme: Zum einen verstärkt sie die Gefahr, dass die Landesparlamente immer stärker auf die Rolle einer Ratifikationsinstanz reduziert werden, ein Mehr an Demokratie also nicht eintritt. Zum anderen hängt die Funktionsfähigkeit des Gremienmodells entscheidend von den beiderseitigen Willen zur Verständigung ab. Sofern ein gegenseitiges Wohlwollen besteht und ein solches wechselseitiges Einvernehmen gegeben ist, stellt sich allerdings die Frage, ob es überhaupt einer besonderen Kommission oder Plattform bedarf, um ein gemeinsam getragenes Ergebnis hinsichtlich der vertikalen Finanzverteilung zu erzielen. b.
4 5
Eine weitere Alternative zu einer grundlegenderen Reform des föderativen Systems, die zugleich mit der Aussicht auf eine Verbesserung der kommunalen Finanzlage verbunden wäre, ist eine nachhaltige Reduzierung gesetzlicher Standards im Rahmen der Bereitstellung kommunaler Leistungen5. Solche Ansätze treffen einerseits auch auf Landesebene häufig auf Vorbehalte, da die seitens des Gesetzgebers als zweckmäßig erachtete Einführung von Rechtsansprüchen des Bürgers und Vorgaben an die Bereitstellung kommunaler Leistungen ex post als überflüssig und nicht sachgerecht bewertet werden müssen. Aber auch auf kommunaler Seite trifft die Forderung nach einem Abbau von Standards
Vgl. T. Döring, a. a. O., S. 44. Vgl. T. Döring, a. a. O., S. 44.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
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nicht selten auf Vorbehalte, da sie einerseits mit einem partiellen Orientierungsverlust in der kommunalpolitischen Praxis verbunden ist, und zum anderen zu einer Intensivierung des interkommunalen Wettbewerbs beiträgt, die nicht bei allen Kommunalpolitikern auf uneingeschränkte Zustimmung stößt. Ein gelungenes Beispiel für die Verstetigung der kommunalen Einnahmen und damit auch der Gewährung einer kommunalen Mindest-Finanzausstattung ist der ab 2007 in Rheinland-Pfalz im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs etablierte Stabilisierungsfonds6. Dieser zielt auf eine Abkopplung der Finanzzuweisungen des Landes von konjunkturellen Schwankungen und damit auf eine stärkere Kontinuität des Mittelzuflusses an die Kommunen bei einem jährlich garantierten Wachstum der Finanzausgleichssumme in bestimmter Prozenthöhe. Die Kommunen gewinnen auf diese Weise mehr Planungssicherheit im Rahmen ihrer haushaltspolitischen Entscheidungen. Zugleich sorgt das Zusammenspiel aus stetigem Aufwuchs der Finanzausgleichsmasse und Kompensation konjunkturell bedingter Finanzzuweisungsrückgänge ab einem bestimmten Niveau für garantierte kommunale Einnahmen, was in seiner Wirkung einer Absicherung der kommunalen Finanzausstattung entspricht. Eine solche Lösung hat gegenüber einer verfassungsrechtlichen Finanzausstattungsgarantie den Vorzug, dass die Bereitschaft zu gemeindeindividuellen Lösungen der bestehenden Haushalts- und Finanzierungsprobleme erhalten bleibt.
Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Vorschläge zur institutionellen Absicherung einer kommunalen Mindestfinanzausstattung lediglich auf die Korrektur von Symptomen eines tiefer liegenden Problems zielen. Dieses verbindet sich strukturell mit dem in Deutschland vorherrschenden Modell des kooperativen Föderalismus. Eine echte Reform im Sinne einer ökonomisch zweckmäßigen Lösung des Problems erfordert Schritte in Richtung eines Systems mit hinreichender Autonomie der einzelnen Ebenen bei einem gleichzeitigen sukzessiven Abbau der bestehenden Finanzverbundelemente7. Die Dringlichkeit des Handlungsbedarfes lässt durch die jüngsten Prognosen des Deutschen Städtetages erwarten, dass der kommunale Finanzierungssaldo, der in 2008 durch einen Überschuss von 7,4 Mrd. EUR gekennzeichnet war, bereits in 2009 sich in ein Defizit von rd. 1 Mrd. EUR wandelt, eine Entwicklung, die sich aufgrund der negativen gesamtwirtschaftlichen Perspektiven auch nach 2009 eher verstärken wird8. Auch die Entwicklung der kommunalen Verschuldung deutet auf zunehmende Ungleichgewichte zwischen der Ausgaben- und der Einnahmeentwicklung hin: Die Kreditmarktschulden der Gemeinden verharren bei einem Volumen von rd. 80 Mrd. EUR und der Bestand an Kassenkrediten ist auch in 2008 erneut gestiegen9.
Vgl. I. Deubel: Vom Beistandspakt zum Stabilisierungsfonds – Ein Beitrag zur Verstetigung der kommunalen Einnahmen, in: G. Milbradt, I. Deubel (Hrsg.): Ordnungspolitische Beiträge zur Finanz- und Wirtschaftspolitik, Berlin 2004, S. 33–47. Vgl. J. Werner: Local Public Finance in Germany, in: A. Shar (Hrsg.): Local Government Organisation and Finance: Comparative International Practises, Washington D. C. 2005 (World Bank). Vgl. Die fetten Jahre sind vorbei, in: Süddeutsche Zeitung vom 13.5.2009, S. 5. Vgl. Deutsche Bundesbank: Öffentliche Finanzen, in: Monatsbericht Oktober 2008, S. 8–10.
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
II.
Die Gestaltungs-Optionen für die kommunale Finanzausstattung
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In den Teilen A – C wurde versucht, normative Beurteilungsmaßstäbe für die Gestaltung der kommunalen finanzpolitischen Autonomie zu entwickeln. In diesem Teil soll nunmehr der tatsächliche Befund, also nicht das „Soll“ sondern das „Ist“, dargestellt werden. Dabei ist es zweckmäßig, auf die wesentlichen Elemente des Staatsaufbaus der Bundesrepublik und auf die „Finanzverfassung“ als Teil des Grundgesetzes einzugehen. In jedem Staatswesen lassen sich drei Problemfelder umreißen, in denen zu jedem Zeitpunkt Grundentscheidungen getroffen werden müssen. Es muss geklärt werden
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die vertikale und horizontale Aufgliederung des öffentlichen Sektors in einzelne Entscheidungs- und Organisationseinheiten (Organisationsproblem); die vertikale und horizontale Aufteilung der öffentlich bzw. kollektiv zu erfüllenden Aufgaben auf diese Entscheidungsträger- und Durchführungsinstanzen (Kompetenz- bzw. Funktionalproblem); die vertikale und horizontale Aufteilung der vom öffentlichen Sektor zu seinerAufgabenerfüllung beanspruchten volkswirtschaftlichen Ressourcen auf die einzelnen Aufgabenträger (Finanzierungsproblem).
Jedes dieser eng miteinander verflochtenen Problemfelder lässt eine Vielzahl unterschiedlicher Lösungsmuster („Optionen“) zu, über die je nach dem Einfluss politischer, ökonomischer, historisch-traditionaler, staatsrechtlicher, institutionell-technischer und anderer Faktoren in den einzelnen Staatswesen in recht unterschiedlicher Weise entschieden wird. Die Auseinandersetzung über diese Elemente hat auch die Diskussion über die Reformmöglichkeiten des deutschen Föderalismus in den zurückliegenden Jahren geprägt10. Die Auseinandersetzung bewegte sich zwischen den Polen eines „Wettbewerbsföderalismus“ (keine Mischfinanzierung, Trennsystem bei der Besteuerung, Steuerwettbewerb, verringerter Finanzausgleich) einerseits und dem erwähnten „kooperativen Föderalismus“ andererseits; sie blieb letztlich ohne Ergebnis. Der Grund dafür ist im Kern offensichtlich, dass die Ziele „Transparenz“ und „Verantwortung“ als Fluchtpunkte eines „Wettbewerbsföderalismus“ nicht verwirklicht werden können. Der Bund nimmt seine Aufgaben auf demselben Staatsgebiet wahr wie die Länder, Überschneidungen sind unvermeidlich. Man kann zwar die Aktivitäten von Vgl. H. Zimmermann: Fiskalkrieg in Deutschland? Zur Zukunft der föderativen Finanzbeziehungen, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2003, H. 12, S. 786–791; F. Decker (Hrsg.): Föderalismus an der Wegscheide? Optionen und Perspektiven einer Reform der bundesstaatlichen Ordnung, Wiesbaden 2007; Zeitgespräch „Gescheiterte Reform des Föderalismus?“, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2005, H. 1, S. 7 ff. mit Beiträgen von R. Peffekoven: Zweifel an der Reformfähigkeit der Politik, U. Häde: Föderalismus in Deutschland – und er bewegt sich doch; B. Huber: Föderalismusreform bleibt weiter dringlich; W. Renzsch: Föderalismusreform – vorerst gescheitert?; O.-E. Geske: Stand und Perspektiven der deutschen Föderalismusdebatte, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2005, H. 7, S. 435–444; K. A. Konrad, B. Jochimsen: Finanzkrise im Bundesstaat, Frankfurt/M. 2006; Ch. B. Blankart: Föderalismus in Deutschland und in Europa, Baden-Baden 2007; W. Kitterer, R. Plachta: Reform des Bund-Länder-Finanzausgleichs als Kernelement einer Modernisierung des deutschen Föderalismus, Baden-Baden 2008; R. Th. Baus: Zur Reform der föderalen Finanzverfassung in Deutschland, Baden-Baden 2008.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
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Bund und Ländern trennen, aber nicht deren Wirkung. Diese „Verflechtungsfalle“11 und die aufgrund eines umfassenden Länderfinanzausgleichs eingeschränkte Verantwortung der Bundesländer für ihre Finanzen12 geben auch wenig Perspektive, dass die Föderalismusreform II13 – sofern diese Kern-Defekte nicht beseitig werden – tatsächlich Fortschritte in Richtung der erwähnten Fiskal-Äquivalenz bringen wird. Die bundesstaatliche Verfassung garantiert den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln (Art. 28 Abs. 2 GG). Gleichzeitig soll der Bund dafür Sorge tragen, dass die Verfassungen aller Bundesländer das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden respektieren. Dieses Recht ist in allen Landesverfassungen verankert, auch in die Verfassungen bzw. Verfassungsentwürfe der neuen Bundesländer hat die kommunale Selbstverwaltung Eingang gefunden. Die Position der Kommunen im Bundesstaat wird nicht allein durch die Normen der Verfassung bestimmt. Der Stellenwert kommunaler Selbstverwaltung findet vor allem seinen Ausdruck in den Kompetenzen, die den Gemeinden zugewiesen sind, und den Finanzmitteln, die ihnen dafür zur Verfügung stehen. Entscheidend ist im Föderalismus mithin die Aufgaben- und Finanzverteilung. Deshalb soll im Folgenden die Stellung der Gemeinden im deutschen System der Aufgaben- und Finanzierungsverteilung dargestellt werden.
III. Die Stellung der Gemeinden im deutschen System der Aufgabenund Finanzierungsverteilung14 1
Die Zuordnung der Aufgaben zwischen den staatlichen Ebenen
Eine föderale Ordnung muss die Aufgaben-, die Ausgaben- und die EinnahmenVerantwortung zwischen den staatlichen „Ebenen“ regeln. Im Folgenden werden die gegenwärtigen Zuordnungen dieser Kompetenzen in der Bundesrepublik Deutschland dargestellt, um zu einer grundsätzlichen Beurteilung der Stellung der Gemeinden in diesem System zu kommen. (1)
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Die Erfüllung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Gesetzgebung sowie der Ausführung der Gesetze ist nach der Verfassung (Art. 30, 70, 83 GG) grundsätzlich Vgl. G. Kirchgässner: Die Verflechtungsfalle bleibt bestehen, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 9, S. 569– 571. Vgl. M. Junkernheinrich, H. Scheller, M. Woisin: Zwischen Reformidee und Funktionsanspruch. Konzeptionen und Positionen zur deutschen Finanzverfassung, Berlin 2007, S. 12 ff. Vgl. T. Lenk: Föderalismuskommission II – Reformen sind Daueraufgabe, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 9, S. 572–575; G. Färber: Föderalismusreform II: Zwiespältige Ansätze und gute Lösungen, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 9, S. 576–579. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Bund/Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung, Berlin 2007; K.-H. Hausner, S. Simon: Die Verteilung der staatlichen Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen, in: Wirtschaft und Statistik, Jg. 2007, H. 2, S. 103–107; Bundesministerium der Finanzen: Bund/Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung, Berlin 2007, S. 60 ff.
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Sache der Länder. Der Bund ist nur dann zur Aufgabenerfüllung befugt, wenn das Grundgesetz ihn hierzu ausdrücklich oder stillschweigend ermächtigt. Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes sind im Wesentlichen in Art. 70 ff. GG und speziell für den Bereich der Steuern in Art. 105 GG geregelt. Zu unterscheiden sind ausschließliche (Art. 71, 73, 105 Abs. 1 GG) und konkurrierende Gesetzgebungskompetenzen (Art. 72, 74, 105 Abs. 2 GG) des Bundes. Im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung nur, wenn und soweit sie hierzu in einem Bundesgesetz ausdrücklich ermächtigt werden. Hingegen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Insgesamt haben sich die Gesetzgebungszuständigkeiten in der Staatspraxis weitgehend auf den Bund verlagert. Grund hierfür ist vor allem die umfangreiche Inanspruchnahme des weit reichenden Katalogs der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen des Bundes. Der Bundesgesetzgeber hat hier in der Vergangenheit – weitgehend in Übereinstimmung mit den Ländern oder auf deren Wunsch – wesentliche Regelungsmaterien zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse und der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet an sich gezogen. Die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund wurden durch Grundgesetzänderung im Jahr 1994 in Form des Überganges von einer Bedürfnis- zu einer Erforderlichkeitsklausel zunächst verschärft. Gleichzeitig wurde die Befugnis geschaffen, durch Bundesgesetz zu bestimmen, dass eine bundesgesetzliche Regelung, für die eine Erforderlichkeit nicht mehr besteht, durch Landesrecht ersetzt werden kann (Art. 72 Abs. 4 GG). Mit der Föderalismusreform I von 2006 (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl. I, S. 2034) ist eine Neuabgrenzung der Gesetzgebungszuständigkeiten vorgenommen worden. Sie führt zur Stärkung der ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes in überregional bedeutsamen Bereichen (z. B. Melde- und Ausweiswesen, Schutz des deutschen Kulturgutes, Waffen- und Sprengstoffrecht) sowie der ausschließlichen Länderkompetenzen in regionalbezogenen Regelungsfeldern (z. B. Strafvollzug, Versammlungsrecht, Beamtenbesoldung und -versorgung). Die Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen durch den Bund wird teilweise erleichtert, indem nur noch bestimmte Regelungsmaterien der Erforderlichkeitsprüfung untergeordnet werden (z. B. öffentliche Fürsorge, Recht der Wirtschaft, Straßenverkehr). Im Gegenzug erhalten die Länder die Möglichkeit, in bestimmten Bereichen von Bundesgesetzen abzuweichen (z. B. Teilbereiche des Umweltrechts, Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse). Nunmehr sind drei Fallgruppen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz zu unterscheiden, nämlich erstens eine solche, die nicht der Erforderlichkeitsprüfung unterliegt, zweitens eine solche, die nicht der Erforderlichkeitsprüfung unterliegt, aber von einem Abweichungsrecht der Länder begleitet wird, und drittens eine solche, die der Erforderlichkeitsprüfung unterliegt.
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Die Zuordnung der Ausgaben zwischen den staatlichen Ebenen
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Nach dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz (vgl. oben Teil B. IV. 2.) tätigt jener Entscheidungsträger, dem eine Aufgabe überantwortet wurde, auch die entsprechenden Ausgaben, die er durch Abgaben, die er in eigener Verantwortung erhebt, finanziert. Dieser Grundsatz, das Recht der Aufgabenerfüllung mit der Pflicht zur Übernahme der damit verbundenen Ausgaben zu verknüpfen, findet in Art. 104a Abs. 1 GG seinen Niederschlag: „Der Bund und die Länder tragen gesondert die Ausgaben, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben, soweit dieses Grundgesetz nichts anderes bestimmt.“ Die in diesem Grundsatz ausgedrückte Konnexität15 von Aufgaben und Ausgaben ist in einem Bundesstaat mit autonomer Haushaltswirtschaft des Zentralstaates und der Gliedstaaten die adäquate Lastenverteilung. Nur so wird ein wirtschaftlicher Vollzug gewährleistet und eine parlamentarische Kontrolle durch das jeweils zuständige parlamentarische Gremium ermöglicht. Der Grundsatz der strikten Trennung der Finanzierungsverantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern erfährt jedoch Ausnahmen. So räumt das Grundgesetz dem Bund wegen seiner gesamtstaatlichen und gesamtwirtschaftlichen Verantwortung vor allem Kompetenzen zur Mitfinanzierung von Länderaufgaben ein16. Diese Mischfinanzierungstatbestände sind im Zuge der Föderalismusreform I von 2006 mit den Zielen der Effizienzverbesserung und der entflechtenden Begrenzung teilweise neu gestaltet worden. Für bestimmte Aufgabenbereiche der Länder, die für die Zukunftsentwicklung des Gesamtstaates von erheblicher Bedeutung sind, sieht die Verfassung nach wie vor die Beteiligung des Bundes an der Wahrnehmung und Finanzierung der Aufgabe vor, wenn dies zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Art. 91a Abs. 1 GG, sog. „Gemeinschaftsaufgaben“). Die Mitwirkung erstreckt sich auf folgende im Grundgesetz abschließend aufgeführte Aufgabengebiete:
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Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes.
In den Fällen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ trägt der Bund jeweils die Hälfte, in den Fällen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ mindestens die Hälfte der Ausgaben in jedem Land, wobei in den zuletzt genannten Fällen die Beteiligung für alle Länder einheitlich festzusetzen ist. Die Möglichkeit einer Mitfinanzierung durch den Bund eröffnet die Verfassung auch in Form von spezifischen Finanzhilfen. Gemäß Art. 104b Abs. 1 GG kann der Bund, soweit das Grundgesetz ihm Gesetzgebungsbefugnisse verleiht, den Ländern Vgl. P. Kirchhof: Wer bestellt – bezahlt. Das Konnexitätsprinzip zwischen Bund, Ländern und Kommunen, in: G. Seiler (Hrsg.): Gelebte Demokratie. Festschrift für M. Rommel, Köln 1997, S. 45 ff. Vgl. A. Boss: Welche Aufgaben und welche Berechtigung hat die Mischfinanzierung und wie weit kann sie reichen?, in: C. Hüttig, F. Nägele (Hrsg.): Neue Maßstäbe? Finanzausgleich und die Zukunft des deutschen Föderalismus, Loccumer Protokolle, 74/00, Loccum 2002, S. 179–200.
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Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden bzw. Gemeindeverbände gewähren, die
zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums
erforderlich sind. Die Förderung muss daher entweder auf Wachstumseffekte (1. Alternative) oder auf strukturelle Wirkungen als Basis für eine Wirtschaftsentwicklung innerhalb des regionalen Gebiets (2. und 3. Alternative) abzielen. Zugleich muss es sich um gesamtstaatlich besonders bedeutsame Investitionen im Aufgabenbereich der Länder handeln. Mit dem in 2009 beschlossenen Konjunkturpaket II stellt der Bund den Ländern 10 Mrd. EUR zur Verfügung, von denen diese mindestens 70% den Gemeinden in 2009 und 2010 für Investitionen in Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und in den Straßenbau zur Verfügung stellen sollen. Bei allen diesen Formen der Mitfinanzierung müssen die Gemeinden die Mittel der Komplementärfinanzierung und die Folgekosten aufbringen, im Zweifel zu Lasten ihrer autonomen Ausgabendispositionen und der Tragfähigkeit des Kommunalhaushalts. 3
Die Zuordnung der Einnahmen zwischen den Ebenen
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Im Bereich der Abgaben besitzt der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Zölle und Finanzmonopole (Art. 105 Abs. 1 GG). Im Hinblick auf die übrigen Steuern hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebung, wenn ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz oder zum Teil zusteht, was beispielsweise bei den drei sog. Gemeinschaftsteuern, der Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer, der Fall ist (Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG), oder das Steuergesetz die Erforderlichkeitsprüfung besteht (Art. 105 Abs. 1 GG). Da der Bund auch im Bereich der Steuern seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz aus Gründen der Rechts- und Wirtschaftseinheit umfassend wahrgenommen hat, verbleiben den Ländern – einschließlich ihrer Gemeinden – im Wesentlichen Steuererhebungsmöglichkeiten in Form von örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, die bundesgesetzlich geregelten Steuern nicht gleichartig sind (Art. 105 Abs. 2a Satz 1 GG). Außerdem besitzen die Länder die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Kirchensteuer (Art. 140 GG) und – seit der Föderalismusreform I von 2006 – für die Bestimmung des Steuersatzes bei der Grunderwerbsteuer (Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG). Den Gemeinden kommt das Recht zu, die Hebesätze der Grundsteuer und der Gewerbesteuer festzulegen (Art. 106 Abs. 6 Satz 2 GG). Ergänzt wird diese Struktur der Steuergesetzgebungshoheit durch eine Zuordnung der Ertragshoheit auf die einzelnen staatlichen Ebenen. Dabei wird das Aufkommen der verschiedenen Steuerquellen zum einen ausschließlich einer Ebene zugeordnet („Trennsystem“). Zum anderen regelt ein „Verbundsystem“ die Teilhabe mehrerer Ebenen am Aufkommen einer Steuerquelle (Art. 106 GG).
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
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Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild17: a)
Ertragshoheit nach Trennsystem
Bundessteuern (z. B.) - Verbrauchsteuern (ohne Biersteuer) - Mineralölsteuer - Versicherungsteuer - Ergänzungsabgabe zur ESt und KSt Landessteuern (z. B.) - Erbschaftsteuer - Kfz-Steuer - Spielbankenabgabe Gemeindesteuern (z. B.) - Grundsteuer - Gewerbesteuer - Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis
b)
Ertragshoheit nach Verbundsystem
Einkommensteuer (einschl. Lohnsteuer) Bund: 42,5 v. H. Länder: 42,5 v. H. Gemeinden: 15,0 v. H. Zinsabschlag Bund: 44,0 v. H. Länder: 44,0 v. H. Gemeinden: 12,0 v. H. Körperschaftssteuer Bund: 50,0 v. H. Länder: 50,0 v. H. Umsatzsteuer18 Bund: 54,7 v. H. Länder: 43,3 v. H. Gemeinden: 2,0 v. H.
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Die Motive, Maßstäbe und die fiskalischen Effekte dieser Zuordnung sind ständiger Gegenstand der finanzpolitischen Auseinandersetzung. Diese beschwert nicht nur die mittelfristige Planungshoheit der einzelnen Ebenen, sondern diese Struktur verhindert, dass in den einzelnen Gebietskörperschaften die finanzpolitischen Entscheidungen nach Maßgabe der Präferenzen der Bürger für Ausgabennutzen einerseits, Einnahmebelastungen andererseits getroffen werden. Dabei soll hier nicht in KateVgl. Bundesministerium der Finanzen: Bund/Länder-Finanzbeziehungen auf der Grundlage der Finanzverfassung, a. a. O., S. 60 ff. Aus dem Umsatzsteueranteil des Bundes steht der Europäischen Union als Mehrwert-Eigenmittel ein Anteil zu, der jährlich neu berechnet wird.
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
gorien des sog. „Wettbewerbs-Föderalismus“ argumentiert, sondern es soll daran erinnert werden, dass eine föderale Struktur ohne eine gewisse Korrespondenz von Ausgaben- und Einnahmen-Verantwortung eigentlich ihren Sinn verliert.
IV.
Die Gemeinden im System der Mischfinanzierung – das Beispiel der Kindertagesbetreuung und der Hartz IV-Reform
(1)
Diese Betrachtungsweise führt auch zu einer kritischen Beurteilung von „Verbundlösungen“ auf der Ausgabenseite. Insofern ist der erwähnte Abbau der Mischfinanzierung auf Gemeindeebene zu begrüßen, denn diese hatte in der Vergangenheit zu einer schleichenden Einschränkung der kommunalen Finanzautonomie als Konsequenz der „goldenen Zügel“ der übergeordneten Ebenen geführt. Ebenso ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass inzwischen durch die erwähnte Föderalismus-Reform I von 2006 das Prinzip der Konnexität zwischen dem Bund und den Gemeinden zugunsten der Kommunen konkretisiert, präzisiert und inzwischen auch in den meisten Länderverfassungen umgesetzt wurde. Seitdem darf auch der Bund grundsätzlich keine Aufgaben auf die Kommunen übertragen (Art. 84 Abs. 1 Satz 7 GG). Dies ist allein den Ländern vorbehalten, die dann nach den jeweiligen Konnexitätsregeln auch die Kosten ersetzen müssen. Insofern beschränkt sich die Möglichkeit einer mitgestaltenden Kofinanzierung aus dem Bundeshaushalt für die Kommunen – abgesehen von der erwähnten „außergewöhnlichen Notsituation“ – grundsätzlich auf eine zeitlich befristete Investitionshilfe an die Länder nach Art. 104b GG zum Zwecke des Wirtschaftswachstums, die diese an die Gemeinden weiterleiten. Im Verhältnis der Länder zu ihren Kommunen haben seit 1998 fünf Länder erstmals eine Regelung des Konnexitätsprinzips in ihren Landesverfassungen vorgenommen, die anderen Länder haben ihre schon bestehenden Vorschriften präzisiert und mit verbindlichem Charakter versehen. Allerdings ist es für den Bund und die Länder nach wie vor möglich, Verabredungen auf Kosten der Kommunen zu treffen, solange die Schwelle des Übertragungsverbots nach Art. 84 Abs. 1, Satz 7 GG nicht überschritten wird. Als besondere Einfalltore erweisen sich hierbei bundesgesetzliche Standarderhöhungen bei sog. Alt-Aufgaben, die Umwandlung von freiwilligen Aufgaben in Pflichtaufgaben oder weite Zuständigkeitsklauseln in Landesrecht. Dass finanzwirtschaftlich bedeutende Gemengelagen der Finanzierungsverantwortung eintreten können, zeigt die Diskussion über den Ausbau und die Finanzierung der Kindertagesbetreuung19 und über die Verteilung der Finanzierungslasten im Zusammenhang mit Hartz IV. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung beider Komplexe für die gemeindliche Finanzsituation soll dies hier näher erläutert werden. Die Kindertagesbetreuung im Rahmen der öffentlichen Jugendhilfe ist gemäß SGB VIII eine Pflichtaufgabe der Länder und Kommunen, für die sie auch die Finanzierungsverantwortung innehaben. Träger der Tageseinrichtungen sind zum einen Kirchen- und Religionsgemeinschaften sowie Verbände der freien Wohlfahrts-
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Vgl. Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahre 2000, in: Monatsbericht Juli 2007, S. 29–49, S. 44; Der Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2008, S. 28 ff.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
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pflege (freie Träger), zum anderen Kreise, kreisfreie Städte und – sofern durch Landesrecht bestimmt – auch kreisangehörige Gemeinden sowie überörtliche Behörden wie die Landesjugendämter (öffentliche Träger). Während Kinder vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt seit 1996 einen Rechtsanspruch auf einen Platz in einer Kindertageseinrichtung haben (§ 24 Abs. 1 SGB VIII) und die Kapazitäten entsprechend ausgeweitet wurden, ist das Angebot für unter Dreijährige insbesondere in den alten Bundesländern deutlich geringer. Mit dem 2005 in Kraft getretenen Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) sollen zusätzlich zu den Ende 2002 in den alten Bundesländern gezählten 100.000 bis Ende 2010 weitere 230.000 Kleinkinderbetreuungsplätze geschaffen werden. Die Investitionen wurden auf 2 1/2 Mrd. EUR und die jährlichen Betriebskosten ab 2011 auf 1 3/4 Mrd. EUR taxiert. Aus der bei der Arbeitsmarktreform 2005 zugesicherten Entlastung der Kommunalhaushalte um 2 1/2 Mrd. EUR sollten langfristig 1 1/2 Mrd. EUR für diese Zwecke eingesetzt werden. Anders als in Westdeutschland senkte in den neuen Ländern vor allem der starke Geburtenrückgang jahrelang den Bedarf und damit angesichts dort vorhandener umfangreicher Betreuungskapazitäten auch die Ausgaben deutlich. Insgesamt bestanden zwischen den einzelnen Ländern aber erhebliche Unterschiede bezüglich der Aufwendungen, worin sich insbesondere verschieden umfangreiche Betreuungsangebote niederschlugen. Der Anteil der unter Dreijährigen, die eine Tageseinrichtung besuchten, lag 2006 zwischen 50% in Sachsen-Anhalt und 5% in Niedersachsen. Im April 2007 wurde zwischen Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden vereinbart, die Zahl der Betreuungsplätze für Unter-Dreijährige so weit auszubauen, dass 2013 durchschnittlich ein Angebot für 35% der Kinder in dieser Altersgruppe entsteht. Dazu soll die Zahl der Plätze von bundesweit 285.000 im März 2006 auf rund 750.000 Plätze annähernd verdreifacht werden. Offenbar soll es dann einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Jahr geben. Umstritten sind nach diesem „Krippengipfel“ aber die Höhe der Kosten und die Beteiligung des Bundes an der Finanzierung. Während die Bundesregierung die Investitionskosten für zusätzliche 300.000 Plätze gegenüber der im TAG vorgesehenen Versorgung auf 3 1/2 Mrd. EUR und die späteren zusätzlichen jährlichen Betriebskosten auf 2 Mrd. EUR veranschlagt, gehen die Kommunen von höheren Lasten aus (5 Mrd. EUR Investitionen bzw. 3 Mrd. EUR Betriebskosten p. a.). An den geschätzten Mehrausgaben von insgesamt 12 Mrd. EUR bis 2013 will sich der Bund zu einem Drittel beteiligen. Für die Zeit danach wurde die Absicht einer weiteren anteiligen Übernahme der zusätzlichen Betriebskosten erklärt, ohne Genaueres festzulegen. Die Weiterleitung und Aufstockung der entsprechenden Bundesmittel werden deshalb in vielen Bundesländern als „wesentlicher Prüfstein für den Umgang mit den verankerten Konnexitätsprinzipien gesehen“20. Allerdings haben auch die Länder fast ein Jahr gebraucht, um die entsprechenden Rahmenbedingungen festzulegen. Eine ähnlich unklare Situation hinsichtlich der Verteilung der Finanzierungs-Lasten ergibt sich im Hinblick auf die Hartz IV-Reformen. Damit sollte durch ein neues „Arbeitslosengeld II“ (ALG II) die bis dahin vom Bund getragene Arbeitslosenhilfe Vgl. Der Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2008, a. a. O., S. 30.
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und die von den Gemeinden gezahlte Sozialhilfe in eine neue „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ transformiert werden. Es war erklärtes Ziel des Gesetzgebers, die Kommunen mit den Hartz IVReformen bundesweit um 2,5 Mrd. EUR jährlich zu entlasten21. Eine Reihe neuartiger Transfers zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen sollte dies sicherstellen. Die Planungen hinsichtlich der Ausgaben für das neue ALG II erwiesen sich jedoch als viel zu optimistisch. Allein die von den Kommunen zu tragenden Kosten für Unterkunft und sonstige Leistungen betrugen bereits in 2005 nach Schätzungen rd. 1 Mrd. EUR mehr als geplant. Eine besondere Problemlage ergibt sich ferner in den ostdeutschen Kommunen. In Ostdeutschland gab es vor der Hartz IV-Reform relativ mehr Empfänger von Arbeitslosenhilfe, weshalb die dortigen Kommunen durch den Wegfall der Sozialhilfe vergleichsweise wenig entlastet werden. Ein direkter Mitteltransfer von den westdeutschen an die ostdeutschen Kommunen ist im Rahmen der Finanzverfassung nicht möglich. Die Korrektur der regional ungleichmäßigen Entlastung geschieht deshalb seit 2005 durch zusätzliche Ergänzungszuweisungen in Höhe von jährlich 1 Mrd. EUR. Mit dem Übergang zu dem neuen System stellte sich auch die Frage, wie eine „Leistungserbringung aus einer Hand“ mit den gemischten Finanzierungszuständigkeiten für das neue System vereinbart werden kann22. Da eine Kooperation zwischen dem Bund und den Gemeinden verfassungsrechtlich schwierig ist wurde das Modell der „Arbeitsgemeinschaft“ (Arge) geschaffen, um gleichwohl das Zusammenwirken der Bundesagentur für Arbeit (BfA) mit den Sozialhilfeträgern zu ermöglichen. Rd. 350 Städte und Kreise nutzen zurzeit dieses Modell. Daneben bestehen 69 sog. „Optionskommunen“. Sie können im Zuge eines befristeten Modellversuchs die Harz IV-Leistungen alleine verwalten, d. h. ohne Mitwirkung der BfA. Schließlich setzen in 22 Landkreisen die BfA und Kommunen Hartz IV ohne formale Kooperation um. Insgesamt arbeiten in diesen Hartz IV-„Job-Centern“ 63.000 Beschäftigte. Den größten Teil stellt die BfA, 18.000 stehen auf den Gehaltslisten der Kommunen. Das Urteil des BVerfG vom 20.12.2007 hat die Arbeitsgemeinschaften wegen der unzulässigen Mischverwaltung als nicht verfassungskonform qualifiziert und dem Gesetzgeber aufgegeben, spätestens bis zum Jahre 2010 eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen. Drei Jahre nach der Fusion von Arbeitslosen- und Sozialhilfe durch „Hartz IV“ muss also auch die Grundsatzfrage entschieden werden, welche staatliche Ebene für die Langzeitarbeitslosen zuständig ist. Kernpunkt der Diskussion ist die Finanzierungszuständigkeit. Hauptfinanzierer von Hartz IV soll nach der Mehrheit der vorliegenden Konzepte der Bund bleiben. Die Kostenfrage ist auch die größte Hürde für die Befürworter einer rein kommunalen Lösung, für die etwa der Deutsche Landkreistag plädiert23. Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass die Vgl. C. Büchner, O. Grundel (Hrsg.): Hartz IV und die Kommunen. Konzepte, Umsetzungsstrategien und erste Ergebnisse, Arbeitsheft 8 des Kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität, Potsdam 2005. Vgl. S. Koch, U. Walwei: Weiterentwicklung des SGB II: Flexible Lösungen für eine heterogene Klientel, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 2, S. 95–99. Vgl. H.-G. Henneke: Karlsruhe setzt Signale für kommunale Gesamtträgerschaft des SGB II, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 2, S. 85–89.
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BfA über eine lange Erfahrung in der Vermittlung von Arbeitslosen verfügt. Bei der Betreuung durch die Kommunen würden die Organisation und Finanzierung in verschiedene Hände gelegt. Die Kommunen haben vorwiegend ein finanzielles Interesse daran, auch nicht erwerbsfähige Personen an die Arbeitsverwaltung zu überstellen, um ihren Etat zu entlasten. Die Bundesregierung legte deshalb im Februar 2008 ein Konzept des „kooperativen Job-Centers“ vor. Dieses Modell sollte die geforderte Trennung von Bund und Kommunen quasi nur im „back-office“, nicht aber im „front-desk“ umsetzen. Faktisch handelt es sich um eine Einladung an die Kommunen, ohne formalen Rahmen freiwillig mit der BfA zu kooperieren24. Dieser Versuch, die „Arbeitsgemeinschaften“ in „Zentren für Arbeit und Grundsicherung“ (ZAG) aufgehen zu lassen, damit diese weiter „Leistungen aus einer Hand“ unter der Regie der BfA gewähren können, ist im März 2009 gescheitert. Diese Lösung hätte eine Änderung des Grundgesetzes erfordert, um diese Form der Mischverwaltung zu legitimieren. Dazu war die CDU mit Verweis darauf, dass durch die Föderalismusreform II die Mischverwaltung beseitigt werden soll, nicht bereit. Im Kern geht es um die Verfügung über rd. 45 Mrd. Euro öffentlicher Mittel für Langzeitarbeitslose, die damit nach wie vor strittig ist. Unabhängig von der Frage der Finanzierungszuständigkeit müssen künftig zwei Probleme gelöst werden: Zum einen die „Leistungserbringung aus einer Hand“, die das Verfassungsgericht mehrfach als geboten hervorhebt, zum anderen die Sicherstellung einer auch überregionalen Vermittlung der Langzeitarbeitslosen. Verglichen mit der Bedeutung der Lasten im Zusammenhang mit den Hartz IVReformen und für die Kindertagesbetreuung sind andere Tatbestände der Mischfinanzierung und der Verletzung des Konnexitätsprinzips für die Kommunen nachgeordnet, sollen hier aber zumindest erwähnt werden: die Mitfinanzierung der Jugendhilfe und der sog. Grundsicherung. Seit 2003 tragen die Gemeinden Lasten aus dem sog. Grundsicherungsgesetz (GSiG), die nicht vollständig, sondern lediglich mittels Pauschalsätzen an die Gemeindehaushalte ausgeglichen werden. Mittelbar werden die Kommunen – hier die Landkreise und kreisfreien Städte – in die Finanzverantwortung für das gesamtgesellschaftliche Phänomen der Verarmung vor allem älterer Bevölkerungskreise gedrängt, obwohl die Gemeinden keine Verantwortung dafür tragen und die Betroffenen nur deshalb keinen Anspruch gegen Bundes- oder Landeskassen (i. d. R.: BfA und LVA) haben, weil ihnen die Rentenanwartschaften fehlen.
Die Struktur und die Organisation der kommunalen Aufgabenerfüllung
Die zuvor geschilderten Sachverhalte sind deshalb relativ ausführlich dargestellt worden, um an konkreten Beispielen das Parallelorgan jener Kräfte und Einflüsse zu verdeutlichen, in dem sich die kommunale Finanzwirtschaft auf der Aufgaben- und Ausgabenseite bewegt.
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Vgl. R. Schmachtenberg: Grundsicherung für Arbeitsuchende – die Bündelung von Kompetenzen, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 2, S. 79–95.
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
Im Folgenden soll dieses Spannungs- und Konfliktfeld systematisch durch die Analyse der Struktur und Organisation der kommunalen Aufgabenerfüllung herausgearbeitet werden. 1
Die Aufgabenkompetenz der Kommunen
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Die Verfassung weist den Kommunen die Wahrnehmung der Aufgaben mit örtlichem Wirkungskreis zu. Dies ist kein festumrissener, abschließend bestimmter Aufgabenkatalog. Welche Aufgabe jeweils dem örtlichen Wirkungskreis zuzurechnen ist, muss stets neu bestimmt werden. Jede neue Aufgabe ist aber zunächst daraufhin zu überprüfen, ob sie in kommunaler Selbstverwaltung erledigt werden kann (Subsidiaritätsgrundsatz). Dabei spielt auch die Größe und Leistungsfähigkeit der einzelnen Kommune eine gewichtige Rolle. So hat die Stärkung kommunaler Verwaltungskraft im Zuge der Gebiets- und Verwaltungsreform der 70er Jahre den Kreis der Aufgaben, die kommunaler Wahrnehmung zugänglich sind, tendenziell erweitert. Einzelne Kommunalverfassungen – so z. B. in Thüringen – enthalten zwar eine, allerdings nicht abschließende Ennumeration kommunaler Aufgaben. Sie ist jedoch nur beispielhaft und schränkt den Bereich der kommunalen Aufgabenerfüllung nicht weiter ein. Die Selbstverwaltungsgarantie ist indes insoweit begrenzt, als sie an den Rahmen der Gesetze gebunden ist. Der Bund, insbesondere aber die Länder, sind berechtigt, auch für Aufgaben mit örtlichem Wirkungskreis gesetzliche Regelungen zu schaffen, die die Kommunen bei ihrer Aufgabenwahrnehmung binden. Durchführungsund Gesetzgebungskompetenz können mithin in unterschiedlicher Hand liegen. Mit ihrer Gesetzgebungskompetenz haben der Bund und die Länder die Möglichkeit, die Kommunen zur Wahrnehmung bestimmter örtlicher Aufgaben zu verpflichten bzw. den Standard der Aufgabenerfüllung vorzugeben. Die Kommunen sind daher nicht in allen Fällen frei, darüber zu entscheiden, ob und in welcher Form sie ihre örtlichen Aufgaben durchführen. Der Bezug auf den örtlichen Wirkungskreis bedeutet andererseits jedoch auch nicht, dass überörtliche Aufgaben generell kommunaler Verantwortung entzogen sind. Zum einen können überörtliche Aufgaben bestimmten Gemeindeverbänden zugeordnet sein; dies sind in erster Linie die Kreise. Aber auch eine über die Kreise hinausgehende Lösung ist möglich; so ist z. B. die überörtliche Sozialhilfe in mehreren Bundesländern regionalen Gemeindeverbänden (Landschaftsverband, Landeswohlfahrtsverband, Bezirk) zugewiesen, während sie in anderen Bundesländern von der Landesebene wahrgenommen wird. Darüber hinaus können Kommunen gemeinsam Aufgaben erledigen, die die Grenzen der jeweils eigenen Gebietskörperschaft überschreiten. Die verbreitetste Organisationsform hierfür ist der Zweckverband, der z. B. im ÖPNV, bei der Abwasserbeseitigung oder in der Wasserversorgung eine wichtige Rolle spielt. Für die interkommunale Zusammenarbeit existieren dafür jeweils eigenständige Rechtsvorschriften (Zweckverbandsgesetz, Gesetz über kommunale Zusammenarbeit o. ä.). Schließlich sind die Kommunen auch an der Erfüllung staatlicher Aufgaben beteiligt. Die Kommune ist die dem Bürger nächste Verwaltungseinheit. Insofern liegt es nahe, sich bei der Erfüllung staatlicher Aufgaben kommunaler Verwaltungen zu be-
(2)
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
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dienen. Dies findet in verschiedenen Bundesländern seinen Ausdruck in der Tatsache, dass die Kreisverwaltungen auch untere staatliche Verwaltungsbehörde sind (z. B. als Kommunalaufsicht für die kreisangehörigen Gemeinden). Neben ihren kommunalen Aufgaben nehmen sie demzufolge auch unmittelbare staatliche Aufgaben wahr (vgl. V 4.2.). 2
Die Systematik kommunaler Aufgaben
(1)
Im Folgenden soll gezeigt werden, wie sich die Bestimmungsgründe für Kommunalpolitik in der Kompetenzstruktur der gemeindlichen Aufgabenerfüllung widerspiegeln. Dabei können im Wesentlichen drei Kategorien von kommunalen Aufgaben unterschieden werden:
(2)
Freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben – Bei diesen Aufgaben kann die Gemeinde das „Ob“ und das „Wie“ der Aufgabenerfüllung entscheiden. Diese Aufgaben werden als den Gemeinden unmittelbar zugehörig angesehen. Zu diesen gehören die Sportförderung, also z. B. der Bau von Sportplätzen, der Kulturbereich, wie z. B. die Einrichtung und Erhaltung von Theatern und Orchestern, aber auch die Errichtung und Erhaltung eines Jugendheims. Pflichtige Selbstverwaltungsaufgaben (Pflichtaufgaben) – In diesen Aufgabenbereichen müssen die Gemeinden ein Angebot erstellen, d. h. nicht das „Ob“, sondern nur das „Wie“ ist kommunalpolitisch gestaltbar. Es gibt zwar keine direkten „Weisungen“, wohl aber indirekte, z. B. über vorgegebene Qualitätsstandards. Zu diesen Aufgaben zählen so gewichtige Bereiche wie der Feuerschutz, der Bau- und Betrieb von Schulen, die Gemeindestraßen, die Abwasserbeseitigung und die Wasserversorgung. Übertragene Angelegenheiten (Auftragsangelegenheiten) – Bei diesen Aufgaben liegen sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ der Aufgabenerfüllung weitestgehend fest. Dementsprechend geht man i. d. R. davon aus, dass es sich um eine staatliche Aufgabe handelt. Der Staat, also das Land oder der Bund, schaltet die Gemeinde insofern lediglich in den Instanzenweg ein. Zu diesen Aufgaben zählen z. B. Standesamts- und Passangelegenheiten.
Bei den Auftragsangelegnheiten können die Kommunen im Wesentlichen nur die Organisation der Aufgabenwahrnehmung bestimmen; die Aufgabe selbst ist staatlich definiert. So ist z. B. das Wohngeld eine staatliche Aufgabe, die Antragsbearbeitung obliegt jedoch den Kommunen. Die für die Berechtigung und Auszahlung maßgeblichen Vorschriften sind staatlich vorgegeben; die Kommune kann in Grenzen allenfalls darüber befinden, welche Verwaltungseinheit zu welchen Zeiten mit welcher Personalkapazität die Bearbeitung durchführt. In der jüngeren Vergangenheit hat eine Aufgabe auf gemeindlicher Ebene ganz besonders an Bedeutung gewonnen, die öffentliche Planung. Die herausragende gemeindliche Planungsaktivität ist die sog. „Bauleitplanung". Sie trägt raumordnerischen Charakter und zählt zu den kommunalen Pflichtaufgaben. Mit dem wachsenden Engagement des öffentlichen Sektors im planerischen Bereich, mit dem Aus-
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
dehnen des Spektrums an raumordnerischen sowie fachlichen Planungen hat die Zahl an Normen, welche den Gesamtbereich öffentlicher Planung regulieren, stark zugenommen. Dabei haben sich länderweise verschiedene Regelungen für die Zuständigkeiten der Planaufgaben entwickelt. Teilweise sind eigene Verwaltungseinheiten mit der Durchführung sog. flächenbezogener Planung vor allem der Regionalund Flächennutzungsplanung betraut. Landesgesetze bewirken, dass kommunale Planungen nicht mehr von den Gemeinden selbst, sondern von derartigen Sonderverwaltungen durchgeführt werden. Sicherlich bringt eine mehrere Einzelgemeinden einbeziehende Planung ökonomische und finanzwirtschaftliche Vorteile. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass „bloße Mitwirkungsrechte“ an die Stelle von „gemeindlicher Alleinentscheidung“ getreten sind. Der kommunale Freiheitsgrad erweitert sich etwas bei den Pflichtaufgaben insoweit, als die Kommunen neben der Organisation auch den Inhalt der Aufgabe in Grenzen beeinflussen können. Lediglich die Wahrnehmung der Aufgabe selbst ist ihnen verpflichtend vorgegeben, dabei können auch bestimmte Rahmenbedingungen staatlich gesetzt werden. Die Begründung neuer Pflichtaufgaben ist ebenfalls nur durch Gesetz möglich. Zu den klassischen Pflichtaufgaben der Selbstverwaltung zählt – wie erwähnt – die Versorgung mit Schulraum. Sofern staatlicherseits ein Schulangebot am Ort vorgesehen ist, hat die Kommune die notwendigen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Welche Räumlichkeiten an welchem Standort sie wählt, ist ihrem pflichtgemäßen Ermessen ebenso anheim gestellt wie die Ausstattung der Schule mit Sachmitteln. Dabei muss allerdings gewährleistet sein, dass die ordnungsgemäße Durchführung des Schulbetriebs möglich ist. Mit der Begründung von Pflichtaufgaben ist auch zu regeln, wie die dafür notwendigen Mittel aufgebracht werden sollen. Die Verknüpfung von Aufgabenübertragung und Finanzierungsregelung ist Kennzeichen des oben erläuterten (vgl. oben III. 2.) Konnexitätsprinzips, das mittlerweile in fast alle Landesverfassungen Eingang gefunden hat. Kernstück kommunaler Selbstverwaltung sind die sog. freiwilligen Aufgaben. Die Kommune kann selbst darüber entscheiden, ob und welche freiwilligen Aufgaben sie durchführen will. Eine Verpflichtung zur Wahrnehmung bestimmter freiwilliger Aufgaben gibt es nicht, auch wenn sich einzelne Aufgaben zum festen Bestandteil des kommunalen Leistungsspektrums entwickelt haben. Grundsätzlich können freiwillige Aufgaben – sofern nicht andere Restriktionen, z. B. personalrechtlicher Art dem entgegenstehen – auch wieder zur Disposition gestellt werden. Neben dem Recht zur Wahrnehmung gibt es daher grundsätzlich auch das Recht zum Abbau freiwilliger Leistungen. Zu den typischen freiwilligen Aufgaben zählen z. B. die Kultur oder die Förderung ortsansässiger Vereine. Derartige Leistungen stehen daher, stets im Zentrum der Diskussion, wenn es darum geht, einen nicht ausgeglichenen Haushalt zu konsolidieren. Es gibt deshalb immer wieder Bestrebungen, auch solchen Aufgabenbereichen einen pflichtigen Status zuzuerkennen, um diesen dem Konsolidierungsdruck zu entziehen. Bei einem solchen Vorgehen verbleiben dann jedoch keine freiwilligen Aufgaben mehr übrig, kommunale Selbstverwaltung wäre lediglich auf die Organisation
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
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vorgegebener Aufgaben beschränkt. Die Selbstverwaltungsgarantie lässt es zwar zu, dass den Kommunen gesetzliche Vorgaben für ihre Aufgabenwahrnehmung gegeben werden. Die Selbstverwaltung wäre indessen ausgehöhlt, wenn alle kommunaler Durchführung zugänglichen Aufgaben staatlich reglementiert wären. Ein Kernbestand freier Selbstverwaltungsaufgaben ist daher Voraussetzung kommunaler Selbstverwaltung. Vieles spricht für die Vermutung, dass in den zurückliegenden dreißig Jahren der Anteil der freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben zugunsten der Pflichtaufgaben und der Auftragsangelegenheiten deutlich zurückgegangen ist. In einer Untersuchung von Postlep25 wurde der Anteil der zurechenbaren freiwilligen Leistungen auf 17 v. H. an den kommunalen Gesamtausgaben geschätzt. Eine neuere Analyse schätzt z.B. für den Kreis Mettmann den Anteil der gemeindlichen freiwilligen Ausgaben an den Gesamtausgaben auf nur noch 5 v. H, zumindest ein Indiz für die Fortsetzung des genannten Trends.26 3
Die Formen der Aufgabenwahrnehmung
(1)
Die Gemeinde ist nicht verpflichtet, alle ihr obliegenden oder aus freiem Entschluss wahrgenommenen Aufgaben auch selbst zu erfüllen. Sie kann sich zur Durchführung eigener Betriebe oder Unternehmen ebenso bedienen wie privater Dritter. Schließlich gibt es auch die Möglichkeit, bestimmte Aufgaben in kommunaler Kooperation zu erfüllen (vgl. Abb. 2).
Abbildung 2:
Die Wahrnehmung gemeindlicher Aufgaben
Durch die Gemeinde selbst Ø Unmittelbar durch die Verwaltung
Durch Private Ø
Ø
Durch Betriebe des öfIn kommunaler fentlichen Rechts (insb. Zusammenarbeit Eigenbetrieb) oder privat- (insb. Zweckverbände) rechtliche Unternehmen der Kommune (GmbH, AG) Quelle: G. Schwarting: Der kommunale Haushalt, 2. Aufl., Köln 2001, S. 31.
Ø Durch Beauftragung privater Dritter (z. B. kirchliche Träger)
Die typische Form des öffentlich rechtlichen Betriebes ist der Eigenbetrieb (vgl. unten Teil J.), der insbesondere in sog. kostenrechnenden Einrichtungen Verbreitung gefunden hat. (2)
25
26
Die Übernahme öffentlicher Aufgaben durch private Dritte hat auf der kommunalen Ebene eine lange Tradition. Dies gilt in besonderem Maße für den sozialen Bereich, Vgl. R.-D. Postlep: Die Einbindung der gemeindlichen Finanzwirtschaft in den föderalen Staatsaufbau, in: H. Zimmermann, U. Hardt, R.-D. Postlep (Hrsg.): Bestimmungsgründe der gemeindlichen Finanzwirtschaft im föderalen Staatsaufbau, Bonn 1987. Vgl. D. Zacharias: Die Entwicklung der kommunalen Aufgaben seit 1975, in: Die öffentliche Verwaltung, Jg. 2000, H. 2, S. 62 ff.
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Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
in dem die Kirchen und die Verbände der freien Wohlfahrtspflege eine wichtige Rolle spielen. So werden in vielen Bundesländern Kindergärten in kirchlicher Trägerschaft oder Sozialstationen von freien Trägern geführt. Die aktuellen Tendenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben werden im Teil G. dargestellt. 4
Die Organisation der kommunalen Aufgabenerfüllung
4.1
Zur Struktur der kommunalen Ebene
Die Kommunen lassen sich nach
Gemeinden und Gemeindeverbände
klassifizieren. Gemeindeverbände sind vor allem die Landkreise, die in allen Bundesländern (die Stadtstaaten ausgenommen) bestehen und mehrere kreisangehörige Gemeinden umfassen. Darüber hinaus gibt es – unterhalb der Kreisebene – Verbandsgemeinden (Rheinland-Pfalz), Samtgemeinden (Niedersachsen) oder Ämter (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein) als Zusammenschluss mehrerer, meist sehr kleiner Ortsgemeinden. Nur sie verfügen über eine hauptamtliche Verwaltung; die ihnen angehörenden (Orts-)Gemeinden hingegen werden dann i. d. R. ehrenamtlich geführt. Bundesländer, die wie Nordrhein-Westfalen im Zuge der Gebietsreform größere Einheitsgemeinden geschaffen haben, verfügen über diese zusätzliche kommunale Ebene nicht. Einzelne Länder – so Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen oder Sachsen-Anhalt – kennen auch freiwillige Zusammenschlüsse im Rahmen einer Verwaltungsgemeinschaft. 4.2
Die Kreise als Teil der kommunalen Ebene27
(1)
Die Frage der Kompetenzverteilung stellt sich nicht allein im Verhältnis zwischen Kommunen einerseits und dem Bund und den Ländern andererseits. Auch innerhalb der kommunalen Ebene sind Fragen der Kompetenzverteilung zu lösen. Dies gilt insbesondere für die Aufgabenabgrenzung zwischen Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden. Eine klare allgemeingültige – aus dem Grundgesetz oder den Landesverfassungen abzuleitende – Aufgabenverteilung zwischen Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden existiert nicht. Ausgangspunkt der Zuordnung ist Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG; danach haben die Kreise im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Im Gegensatz zu den Städten und Gemeinden ist ihre Wirkungsmöglichkeit mithin auf ihren gesetzlichen Aufgabenbereich beschränkt. Eine zweite Bindung findet die Aufgabenstellung der Landkreise an das Kreisgebiet; die Kreise werden überörtlich tätig, örtliche Aufgaben sind Angelegenheiten der
27
Vgl. H.-J. v. d. Heyde: Stellung und Funktion der Kreise, in: H. Wollmann, R. Roth (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, 2. Aufl, Berlin 1998, S 123 ff.; H.-G. Henneke: Kreisverfassungen, in: H. Wollmann, R. Roth (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, 2. Aufl., Berlin 1998, S. 123–132 bzw. S. 133–148.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
(2)
Gemeinden. Ein Spannungsfeld ist insoweit stets die Abgrenzung beider Wirkungskreise in der Praxis. In der Diskussion über die Aufgabenabgrenzung zwischen Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden spielen zwei Fragen eine zentrale Rolle:
(3)
83
Welche Aufgaben kann der Gesetzgeber den Landkreisen – und nicht der örtlichen Ebene – zur Erfüllung übertragen? Welche Aufgaben können die Landkreise im Rahmen ihrer Selbstverwaltung wahrnehmen?
Die erste Fragestellung liegt dem sog. Rastede-Urteil aus dem Jahre 1988 zugrunde. Dabei ging es um die Frage, ob der Gesetzgeber befugt sei, ausschließlich die Landkreise und die kreisfreien Städte zu Trägern der Abfallentsorgung zu bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung grundsätzlich die Subsidiarität der Kreiszuständigkeit festgestellt. Vorrang genieße die Aufgabenerfüllung durch die örtliche Ebene; die Übertragung einer Aufgabe auf den Landkreis durch den Gesetzgeber sei nur aus Gründen des Gemeinwohls möglich. In einem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs aus dem Jahre 1992 ging es um die Frage, ob und inwieweit Landkreise eigene freiwillige Aufgaben übernehmen und hierfür Ausgaben leisten dürfen. Der Gerichtshof hat im Grundsatz entschieden, dass für freiwillige Leistungen im Kreishaushalt sehr enge Grenzen zu ziehen sind. Dies schließt freiwillige Ausgaben nicht vollkommen aus; sie sind aber im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Kreisumlage und damit die Finanzlage der kreisangehörigen Gemeinden zu sehen. Der Gestaltungsspielraum der Landkreise zur eigenverantwortlichen Aufgaben- und Ausgabengestaltung ist damit deutlich eingegrenzt worden. Üblicherweise werden die Aufgaben der Landkreise in drei Gruppen gegliedert:
übergemeindliche Aufgaben ergänzende Aufgaben ausgleichende Aufgaben.
Übergemeindliche Aufgaben reichen über den Wirkungsbereich einer einzelnen Gemeinde hinaus; die Wahrnehmung durch den Kreis wird notwendig, wenn ansonsten eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung gefährdet erscheint. Dies kann der Fall sein, wenn die Aufgabe von den Gemeinden auch in interkommunaler Kooperation nicht erfüllt werden kann oder ihre Durchführung die finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinden übersteigt. Zu den wichtigsten Aufgaben, die gegenwärtig von den Kreisen erfüllt werden, zählen das Polizeiwesen, der Feuerschutz, die Rettungsdienste, die Schülerbeförderung und die Jugendhilfe. Problematisch wird dies allerdings, wenn innerhalb des Kreisgebietes in einzelnen Gemeinden auf Grund ihrer Größe oder Finanzkraft die betreffende Aufgabenerfüllung sehr wohl innerhalb des örtlichen Wirkungsbereichs erledigt werden kann. Die Möglichkeit, in diesem Fall die Aufgabe an die Gemeinden zurückzuübertragen ist grundsätzlich gegeben, allerdings – so z. B. in Rheinland-Pfalz – an eine qualifizierte Mehrheit in den Vertretungskörperschaften des Kreises und der
84
(4)
(5)
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
Gemeinde gebunden Die Aufgabenzuordnung zwischen Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden war eine der wesentlichen Aufgaben der Funktionalreform. Sie ist indes nie vollständig zum Abschluss gebracht worden; zumal sich Aufgabeninhalte verändert haben und neue Aufgabenstellungen hinzugekommen sind. Die Funktionalreform bleibt insoweit Daueraufgabe. Eine ergänzende Funktion des Kreises kommt dort in Betracht, wo die Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden in Teilen oder insgesamt nicht ausreicht, um die Aufgabe wahrzunehmen. Typischerweise wird es sich hierbei um Aufgaben handeln, die wegen ihrer Kosten nur in einem größeren Einzugsbereich mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand erfüllt werden können. Auch in diesem Fall ergibt sich das Problem, dass die Aufgabenstellung des Kreises gegenüber seinen kleineren und seinen größeren Gemeinden unterschiedlich zu bewerten ist. Am schwierigsten gestaltet sich die Ausgleichsfunktion des Kreises, die allerdings nicht in allen Landkreisordnungen explizit erwähnt wird. Danach sollen die Kreise zu einem wirtschaftlichen Ausgleich im Kreisgebiet beitragen. Wie weit diese Ausgleichsfunktion reicht, ohne die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden und ihre damit verbundene Finanzhoheit zu gefährden, ist nicht definiert. Die Ausgleichsfunktion findet jedoch mit Sicherheit nicht erst dort ihre Grenze, wo sie zu einer Nivellierung der Wirtschafts- und Finanzkraft der kreisangehörigen Gemeinden führt. Diese wird sich in erster Linie darauf beschränken müssen, besonderen – und durch andere Maßnahmen nicht zu behebenden – Strukturschwächen im Kreisgebiet zu begegnen. Die Ausgleichsfunktion findet zunächst prägenden Ausdruck in der Erhebung der Kreisumlage; sie wird nach der Finanzkraft erhoben, so dass die kreisangehörigen Gemeinden auf diese Weise nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit zur Finanzierung der Landkreise beitragen (vgl. unten Teil H.). Zusammenfassend ist festzuhalten: Die Kreise haben eine Sonderstellung, sie zählen zur gemeindlichen Ebene und haben zugleich in Teilbereichen die Funktion einer unteren staatlichen Verwaltungsbehörde. Sie verhindern das Abwandern von kommunaler Hoheit zur staatlichen Ebene, deren Wahrnehmung mit Wirkungen verbunden wäre, die nicht mehr von den einzelnen Gemeinden internalisiert werden könnten, sofern diese von ihrer Leistungskraft her gesehen überhaupt tätig werden könnten. Im ersten Fall unterstützen sie die Aufgabenerfüllung ihrer Mitgliedsgemeinden und verhindern somit ein allzu großes Variieren des Leistungsangebotes (Versorgungsgrundsatz). Im zweiten Fall sind sie selbst der Aufgabenträger und gewährleisten dadurch, dass die Auswirkungen der Wahrnehmung von Kompetenzen nicht über ihren Entscheidungsraum hinausreichen, sie sichern insofern das KongruenzPrinzip.
4.3
Die gemeindeübergreifenden Organisationsformen28
(1)
Seit Ende der 60er Jahre hat sich die Struktur der gemeindlichen Ebene in der Bundesrepublik entscheidend verändert. Dieser Prozess vollzog sich im Rahmen der sog. Funktional- und Gebietsreform. Dabei wurde ein Weg zu mehr Konzentration inner-
28
Vgl. J. Bellers u. a. (Hrsg.): Interkommunale Zusammenarbeit, Münster 1997.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
(2)
29
85
halb der gemeindlichen Ebene eingeschlagen. Als Hauptgrund für diese Entwicklung ist immer wieder die Unterversorgung der Bürger in kleineren Gemeinden aufgrund der (angeblich oder tatsächlich) nicht ausreichend vorhandenen Leistungsund Verwaltungskraft genannt worden. Parallel mit der Schaffung größerer Verwaltungseinheiten ging eine Bewegung der Kompetenzausstattung von oben nach unten einher. Je nach dem Wirkungskreis (Inzidenzraum) der zu erfüllenden Aufgaben findet man heute in der Bundesrepublik Organisationsformen zur Erledigung kommunaler Aufgaben mit unterschiedlich großem Verwaltungsraum vor. Im Folgenden werden jene typischen kommunalen Einheiten skizziert, die zusätzlich zu den üblicherweise als „Einzelgemeinden“ bezeichneten bestehen. Organisationsformen mit regionalem Bezug Ein Teil der öffentlichen Aufgaben hat „übergemeindlichen“, aber dennoch nichtstaatlichen Charakter. Dazu zählen Aufgaben mit regionalem Bezug, z. B. jene, die noch heute in Nordrhein-Westfalen von den sog. Landschaftsverbänden erfüllt werden, so etwa im Sozialbereich, bei der Schwerbehindertenbetreuung, Jugendwohlfahrt, im Straßenwesen oder in der Kulturpflege, bei der Betreuung von Museen, Archiven und die Denkmalpflege. Die Tatsache, dass die staatliche Ebene sich dieser Verbände bedient, um sie in ihrem Auftrag tätig werden zu lassen, führt zu einer integrierten Aufgabenerfüllung durch Staat und Kommunen auf gemeindlicher Ebene. Ein anderes Motiv prägt den Ansatz der sog. „Metropolregionen“. Hier geht es um die interkommunale Bildung von Clustern im Wissenschafts-, Produktions- und im Sozialbereich, auch mit Blick auf die damit einhergehenden Möglichkeiten, die Förderkulisse der EU besser auszunutzen29. In der Bundesrepublik Deutschland bestehen zurzeit 11 solcher Metropolregionen wie Abb. 3 zeigt.
Vgl. A. Brandt, S. Krätke, C. Hahn, R. Borst (Hrsg.): Metropolregionen und Wissensvernetzung, Münster 2008.
86
Abbildung 3:
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
Die Metropolregionen in Deutschland – Gemeindescharfe Abgrenzung
Quelle: A. Brandt, S. Krätke, C. Hahn, R. Borst (Hrsg.): Metropolregionen und Wissensvernetzung, Münster 2008, S. 12.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
(3)
(4)
87
Stadt-Umland-Organisationen Stadt-Umland-Regionen sind durch eine sog. Kernstadt sowie ein davon mehr oder minder scharf abgegrenztes Umland gekennzeichnet. Diese Verdichtungsräume umfassen neben der Kernstadt zumeist eine Vielzahl von Einzelgemeinden. Weil einerseits der Verwaltungsraum der Kernstadt nicht identisch ist mit dem gesamten Verdichtungsraum, andererseits deren Aktivitäten in ganz entscheidendem Maße die Umlandgemeinden tangieren, werden Überlegungen erforderlich, ob und in welchen Bereichen Sonderformen der Aufgaben erledigt werden. In erster Linie zählen überörtliche Planungsaufgaben dazu. Dabei ist sowohl die raumbezogene Planung (Regional-, Flächennutzungsplanung) als auch die Fachplanung (Krankenhäuser, Schulen, Verkehr, Versorgung, Entsorgung) tangiert. Ebenso wichtig sind die Aufgaben aus den Bereichen Ver- und Entsorgung, etwa Trinkwasserbeschaffung, Energieversorgung bzw. Abwasser- und Abfallbeseitigung. Zu den Aufgaben in Ballungsräumen mit ständig wachsender Bedeutung zählen gegenwärtig der Umweltschutz sowie die Beseitigung von Umweltschäden. Zur Lösung dieser beispielhaft angeführten Stadt-Umland-Aufgaben sind in der Bundesrepublik besondere Organisationen geschaffen worden. Es handelt sich dabei um eigene Behörden, die mit Aufgabenkompetenz bezüglich der zuvor erwähnten Bereiche ausgestattet sind. Sie erledigen Aufgaben für ihre Mitgliedsgemeinden und werden zumeist zum großen Teil mittels Umlagen von diesen und damit von den Nutzern der Zentrumsleistungen mitfinanziert. Auf diesem Weg werden räumliche Externalitäten internalisiert30. Zweckverbände Bei einer Reihe gemeindlicher Aktivitäten erfordern die hohen Fixkosten, welche die Aufgabenerledigung mit sich bringt, übergreifende Lösungen. Hier bietet sich die Schaffung von sog. Zweckverbänden als effiziente Lösung an. Jeweils betroffene Gemeinden delegieren einen Teil ihrer Kompetenzen an eine solche Körperschaft. Diese übt sie dann für ihre Mitgliedsgemeinden aus. Zweckverbände ähneln in ihrer Struktur der Einzelgemeinde. Sie besitzen wie diese „Organe“ mit entsprechenden Kompetenzen. In der Bundesrepublik werden von den Zweckverbänden vor allem Aufgaben in folgenden Bereichen durchgeführt: Abwasserbeseitigung, Abfallbeseitigung, Wasserversorgung, Schulwesen. Durch die Zweckverbandslösung verliert die kommunale Ebene keine Kompetenzen. Sie stellt wiederum nur eine Variante der horizontal konzentrierten Aufgabenerledigung dar.
VI. Die Entwicklung der kommunalen Ausgaben am Anfang des Jahrtausends31 (1)
30
31
Die Entwicklung der kommunalen Ausgabenarten (vgl. Tab. 1) zeigt von 2000 bis 2006 folgendes Bild: Die kommunalen Gesamtausgaben im Zeitraum 2000 bis 2004 um jahresdurchschnittlich weniger 1% gewachsen. In 2005 kam es zu einem verstärkten Zuwachs von fast 3%, der sich in 2006 wieder auf 1,5% abschwächte. Die Vgl. R. P. Inman, D. L. Rubinfeld: Rethinking Federalism, in: Journal of Economic Perspectives, Jg. 1997, S. 43 ff. Vgl. Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahre 2000, in: Monatsbericht Juli 2007, S. 29–49, S. 44; Der Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2008, a. a. O., S. 16 ff.
88
(2)
(3)
(4)
32
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
zuletzt deutlicheren Anstiege sind auf die Auswirkungen der Arbeitsmarktreform 2005 zurückzuführen, denen allerdings zusätzliche Zuweisungen an die Gemeinden von per saldo rd. 3% der Gemeindeausgaben gegenüberstanden. Der insgesamt moderate Ausgabenanstieg ist jedoch nicht allein in den relativ strengen Vorgaben des kommunalen Haushaltsrechts, sondern auch in Ausgliederungen von Einrichtungen aus den Kernhaushalten begründet. Soweit dafür noch Zuschussbedarfe budgetiert werden, ergibt sich eine Verkürzung des Ausgabenvolumens, um die von den ausgelagerten Einheiten selbst erzielten Einnahmen. Die Personalausgaben der Gemeinden sind zwischen 2000 und 2006 um jahresdurchschnittlich 0,5% auf 40,5 Mrd. EUR gestiegen. Dabei resultiert der Anstieg allein aus den Zahlungen für Pensionen, Zusatzversorgung der Tarifbeschäftigten und Beihilfen. Trotz etwas höherer Sozialbeiträge und Mehrbelastungen durch Entgeltanhebungen um durchschnittlich 1,5% pro Jahr sind die Aufwendungen für das aktive Personal dagegen leicht gesunken. Ausschlaggebend dafür ist ein deutlicher Abbau des Personalbestandes um jahresdurchschnittlich 2,5% bis 2005. Dieser ist allerdings nicht vollständig auf Produktivitätssteigerungen und Aufgabeneinschränkungen zurückzuführen, sondern spiegelt die erwähnte Ausgliederung von Einheiten wider, deren Personalaufwand in der Finanzstatistik nun teilweise auf die Positionen Zuschüsse an Unternehmen oder Einkauf von Dienstleistungen verlagert wird. Die lfd. Sachaufwendungen sind wohl auch deshalb im hier betrachteten Zeitraum überdurchschnittlich um jährlich 2% auf 32 Mrd. EUR gewachsen. Die Entwicklung der Investitionsausgaben wurde in den zurückliegenden Jahren durch die angespannte Haushaltslage zahlreicher Gemeinden geprägt. Mit einem Gesamtvolumen von 18,5 Mrd. EUR lagen die Zahlungen für Sachinvestitionen im Jahre 2005 um 6 Mrd. EUR unter dem Stand des Jahres 2000, was einem jahresdurchschnittlichen Rückgang um 5,5% entspricht. Offensichtlich konnten viele Gemeinden den haushaltsrechtlich geforderten Nachweis einer hinreichenden finanziellen Leistungsfähigkeit nicht erbringen, der für die Aufnahme zusätzlicher Kredite für Investitionen erforderlich ist (vgl. dazu Teil F.). Bei teilweise deutlichen Finanzierungsüberschüssen konnten die Kommunen insbesondere in den süddeutschen Bundesländern ihre Sachinvestitionen aber im vergangenen Jahr wieder merklich aufstocken, so dass bundesweit ein Anstieg um 2,5% verzeichnet wurde. Der Rückgang der kommunalen Investitionen in den vergangenen Jahren durfte aber auch fühlbar durch die zuvor erwähnten Ausgliederungen überzeichnet worden sein. Dazu spielen öffentlich-rechtliche Partnerschaften eine Rolle (vgl. dazu Teil G.), bei denen zuvor kommunale Investitionen haushaltstechnisch in private Investitionen transformiert und dann von den Gemeinden gegen Entgelt genutzt werden. In der Studie „Investitionsrückstand und Investitionsbedarf“ des „Deutschen Instituts für Urbanistik“ (Difu) wird der kommunale Investitionsbedarf für die Jahre 2006 bis 2020 auf rd. 700 Mrd. EUR geschätzt32 (vgl. Tab. 2). Unter „kommunale Investition“ versteht die Studie die Investitionen von Städten, Gemeinden und Gemeindeverbänden inklusive des „kommunalen Bereichs“ der Stadtstaaten, der Zweckverbände sowie der kommunalen Eigenbetriebe und Gesellschaften, sofern der Kommunalanteil über 50% liegt. Auch PPP-Projekte werden hinzugezählt. Der Vgl. Der Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2008, a. a. O., S. 20 f.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
89
so ermittelte Bedarf wird analytisch getrennt in Nachholbedarf, Erweiterungsbedarf sowie Ersatzbedarf. Der Nachholbedarf umfasst dabei die bislang unterbliebenen, jedoch notwendigen Investitionen (den Investitionsrückstand). Der Erweiterungsbedarf gibt die in den Jahren 2006 bis 2020 notwendigen Anpassungen aufgrund veränderter Rahmenbedingungen an, und der Ersatzbedarf beschreibt die Investitionen, die aus technischen oder funktionellen Gründen notwendig werden. Tabelle 1: Die Ausgaben der Kommunalhaushalte 2000 - 2006 Position
2000
2001
Ausgaben davon: Personalausgaben Aktive Versorgung, Beihilfen Laufender Sachaufwand Laufende Zuschüsse Sachinvestitionen Sonstige
146,1
148,3
Ausgaben davon: Personalausgaben Aktive Versorgung, Beihilfen Laufender Sachaufwand Laufende Zuschüsse Sachinvestitionen Sonstige
1,6
39,5 35,1 4,4 28,2 37,2 24,7 16,4
0,9 0,5 4,4 2,9 2,8 0,5 0,2
2002 2003 in Mrd. EUR 150,4 150,1
2004
2005
2006
150,4
154,6
156,9
39,4 40,0 40,5 40,5 40,9 34,8 35,2 35,4 35,2 35,4 4,6 4,8 5,2 5,3 5,6 28,8 29,4 29,4 29,7 30,9 38,5 40,3 42,4 44,7 48,5 24,3 23,7 21,5 19,8 18,7 17,3 17,0 16,3 15,7 15,6 Veränderungen gegenüber Vorjahr in % 1,5 1,4 -0,2 0,2 2,8
40,6 35,0 5,6 31,8 49,7 19,2 15,7
-0,4 1,6 1,4 -0,2 1,1 -1,0 1,2 0,6 -0,5 0,5 4,1 4,6 7,3 2,3 4,7 2,0 2,1 -0,2 1,0 4,1 3,6 4,6 5,2 5,4 8,3 -1,7 -2,4 -9,4 -7,7 -5,5 5,8 -1,9 -4,3 -3,5 -0,6 Anteile an den Gesamtausgaben in %
-0,9 -1,0 0,2 3,0 2,6 2,4 0,7
Ausgaben davon: Personalausgaben 27,1 26,6 26,6 27,0 26,9 26,5 Aktive 24,0 23,4 23,4 23,6 23,4 22,9 Versorgung, Beihilfen 3,0 3,1 3,2 3,5 3,5 3,6 Laufender Sachaufwand 19,3 19,4 19,6 19,6 19,7 20,0 Laufende Zuschüsse 25,5 26,0 26,8 28,3 29,7 31,3 Sachinvestitionen 16,9 16,4 15,8 14,3 13,2 12,1 Sonstige 11,2 11,7 11,3 10,8 10,4 10,1 Quelle: Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahre 2000, a. a. O., S. 93.
1,5
25,9 22,3 3,5 20,3 31,7 12,2 10,0
Die Unterschiede zwischen den verschiedenen kommunalen Investitionsbedarfen in den neuen und alten Bundesländern sind derart gravierend, dass im Folgenden eine getrennte Darstellung nach Ost und West erfolgt. In den alten Bundesländern herrscht ein Investitionsbedarf in Höhe von 8.309 EUR pro Einwohner, während dieser in den neuen Bundesländern bei 9.439 EUR liegt. Deutliche Unterschiede zeigen sich auch bei der Art des Investitionsbedarfs. Während der Nachholbedarf in
90
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
den neuen Bundesländern 24% des gesamten Bedarfs entspricht, umfasst er in den alten Bundesländern nur 6%. Demgegenüber machen die Ersatzinvestitionen in den alten Bundesländern mit 63% nahezu zwei Drittel des gesamten Investitionsbedarfs aus, während der Anteil in den neuen Bundesländern mit 47% knapp unter der Hälfte liegt. An diesen beiden Werten zeigt sich deutlich die unterschiedliche Altersstruktur der kommunalen Infrastruktur in Ost und West. Aufgrund der verstärkten Investitionstätigkeit in den ostdeutschen Kommunen zu Beginn der 1990er Jahre befindet sich eine Vielzahl der Infrastrukturanlagen noch am Anfang ihres Nutzungszyklus, sodass ein Ersatz derzeit noch nicht notwendig wird. Tabelle 2: Der kommunale Investitionsbedarf 2006 bis 2020 Neue Bundesländer und Berlin
Alte Bundesländer in Mrd. Euro Trinkwasser
21,5
in %
in Euro/EW
in Mrd. Euro
3,9
327
7,5
in %
in Euro/EW
4,7
447
Deutschland in Mrd. Euro 29,0
in % 4,1
Abwasser
45,8
8,4
697
12,4
7,8
740
58,2
8,3
Verwaltungsgebäude
16,9
3,1
257
2,9
1,8
173
19,8
2,8
Krankenhäuser
23,7
4,3
361
7,2
4,5
429
30,9
4,4
Schulen
61,1
11,2
930
11,9
7,5
712
73,0
10,4
Sportstätten
27,1
5,0
413
8,1
5,1
483
35,2
5,0
118,3
21,7
1.801
43,3
27,3
2.581
161,6
23,0
30,4
5,6
463
8,0
5,1
477
38,4
5,5
6,3
1,2
96
3,8
2,4
226
10,1
1,4
160,0
29,3
2.436
48,4
30,6
2.885
208,4
29,6
34,7
6,4
528
4,8
3,0
286
39,5
5,6
Summe/Mittelwert 545,8 100 8.309 Quelle: Schätzungen des Deutschen Instituts für Urbanistik
158,4
100
9.439
704,1
100
Straßen ÖPNV Städtebau Sonstige Bereiche Erwerb von Grundvermögen
Für das Jahr 2005 stellt das Difu ein Investitionsniveau in Höhe von ca. 40 Mrd. EUR fest, wobei zu beachten ist, dass die Studie des Difu wie oben dargestellt, die Investitionen der kommunalen Unternehmen mit einrechnet. Im Vergleich zum Investitionsbedarf von 47 Mrd. EUR pro Jahr ergibt sich eine Lücke in Höhe von 7 Mrd. EUR jährlich. Auch die Zunahme der Investitionstätigkeiten in den Jahren 2007 und 2008 wird diese Lücke nicht vollständig schließen. Um den Investitionsrückstand abbauen zu können, werden daher weitere Investitionssteigerungen notwendig sein. Hierauf beruht die Schlussfolgerung, dass im Bereich der Investitionsausgaben die Trendwende zwar aus allgemeiner Sicht erreicht worden ist, allerdings weitere Steigerungen der Investitionen ermöglicht werden müssen. Einen gewissen Abbau des kommunalen Investitionsstaus werden die Beschlüsse der Bundesregierung vom 12.01.200933 bringen, mit denen in Höhe von insgesamt 3,5 Mrd. EUR die gemeindliche Infrastruktur modernisiert werden soll. Dabei sollen befristet auf zwei 33
„Entschlossen in der Krise, stark für den nächsten Aufschwung. Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes.“
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
(5)
(6)
(7)
91
Jahre die Schwellenwerte für Beschränkte Ausschreibungen und Freihändige Vergaben für Bauleistungen auf 1 Mio. EUR bzw. 100.000 EUR abgesenkt werden. Weiterhin sollen die entsprechenden Finanzstufen des Bundes unter einem „Gesamtdach“ des kommunalen Investitionsprogramms (Gesetz mit konkretisierender Verwaltungsvereinbarung) auch finanzschwachen Kommunen zur Verfügung gestellt werden. Die kommunalen Ausgaben für soziale Leistungen umfassten bis Ende 2004 insbesondere die Zahlungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, zu denen die Hilfen zu Lebensunterhalten in besonderen Lebenslagen gehören, die Jugendhilfe inn- und außerhalb von Einrichtungen sowie die Leistungen der Kriegsopfer und nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die kommunalen Ausgaben nach Leistungsbereichen gegliedert entfielen kräftige Anstiege auf die Zahlungen für Sozialhilfe in Einrichtungen (von 10 Mrd. EUR auf 12,5 Mrd. EUR bzw. + 5% pro Jahr) und die Jugendhilfe außerhalb von Einrichtungen auf 2 Mrd. EUR bzw. + 6% pro Jahr). Die Ausgaben für Sozialhilfe außerhalb von Einrichtungen wuchsen entsprechend dem Anstieg der Empfängerzahl um jahresdurchschnittlich 2% (von 9,5 Mrd. EUR auf 10,5 Mrd. EUR). Berücksichtigt man die 2003 eingeführte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, für die 2004 bereits gut 1,5 Mrd. EUR gezahlt wurden, fiel die Zunahme aber nur noch wenig hinter die für Sozialhilfe in Einrichtungen zurück. Spürbar gesunken sind allein die Ausgaben für Asylbewerber (1 Mrd. EUR). Beispielhaft für das Problem der Sozialausgaben (vgl. Tab. 3) auf kommunaler Ebene sollen die gemeindliche Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für die Umsetzung der erwähnten Arbeitsmarktreform dargestellt werden. Mit der Arbeitsmarktreform übernehmen die Kommunen – wie an anderer Stelle dargestellt (vgl. Teil D. IV.) – seit 2005 zusammen mit den lokalen Agenturen für Arbeit oder in getrennter Trägerschaft die Betreuung der Bezieher des neuen Arbeitslosengeldes II, die vorher überwiegend Arbeitslosen- oder Sozialhilfe erhielten. Die Gemeinden tragen dabei vor allem die Kosten für Unterkunft und Heizung, die zuvor im Rahmen der Sozialhilfe oder teilweise als Tabellenwohngeldleistungen bezahlt wurden. Der Bund beteiligt sich an den Unterkunftskosten, um die zugesicherte Entlastung der Gemeinden in Höhe von jährlich 2,5 Mrd. EUR zu gewährleisten. Dazu wurde zunächst eine Beteiligungsquote von 29,1% festgelegt, die für 2007 auf durchschnittlich 31,8% angehoben und nach Ländern gestaffelt wurde. Über die Bundesbeteiligung hinaus wurde vereinbart, dass die Länder ihre reformbedingten Einsparungen an die Kommunen weiterleiten. Die Grundlage für den Verteilungsschlüssel ist eine Berechnungsformel, die sich an der Zahl der Hartz IV-Haushalte in den Vorjahren orientiert. Mittlerweile liegt die Beteiligungsquote des Bundes aufgrund dieser Formel bei hur noch 26% und soll ab 2010 auf 23,6% abgesenkt werden, wodurch sich die entsprechende Belastung der Kommunen um rd. 2 Mrd. EUR erhöhen würde. Mit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für erwerbsfähige Personen stiegen die Ausgaben der Kommunen für soziale Leistungen in 2005 zunächst sprunghaft um 3,5 Mrd. EUR auf 35,5 Mrd. EUR (+ 10%) und in 2006 nochmals um 1 Mrd. EUR an. Bereinigt um die neuen Erstattungen von Bund und Ländern und sonstige (rückläufige) Einnahmen für andere soziale Leistungen ergab sich für die
92
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
Sozialleistungen insgesamt per saldo eine Mehrbelastung von 1 Mrd. EUR gegenüber 2004 (vgl. auch Tab. 3). Unter Berücksichtigung der vermutlich beträchtlichen Nettoentlastung bei Personal und Verwaltung und bei einem Vergleich mit der geschätzten Entwicklung im Falle eines Fortbestandes des alten Rechts dürfte sich letztlich eine deutliche Entlastung für die Kommunen ergeben haben. Tabelle 3: Die sozialen Leistungen der Kommunen 2000 - 2006 in Mrd. EUR Position
2000
Ausgaben davon: Leistungen aufgrund der 1) Arbeitsmarktreform Sozialhilfe außerhalb von Einrichtungen Sozialhilfe in Einrichtungen Leistungen für Kriegsopfer u. Ä. Jugendhilfe außerhalb von Einrichtungen Jugendhilfe in Einrichtungen Asylbewerberleistungen 2) Sonstige Einnahmen davon: Einnahmen aufgrund der Arbeitsmarktreform Ersatz von sozialen Leistungen Nettoausgaben
2001
2002
2003
2004
2005
2006
26,3
26,9
28,1
30,4
32,2
35,5
36,6
–
–
–
–
–
10,6
11,8
9,5
9,5
9,8
10,0
10,3
3,4
3,3
10,0
10,5
10,8
11,6
12,3
12,3
12,3
0,6
0,7
0,6
0,6
0,6
0,6
0,6
1,6
1,7
1,8
1,9
2,0
2,1
2,1
2,6
2,7
2,9
3,0
3,0
3,0
2,9
1,5 0,5
1,3 0,6
1,2 1,0
1,1 2,2
1,0 3,0
1,0 2,6
0,9 2,7
3,0
3,2
3,3
3,7
4,2
7,2
7,8
–
–
–
–
–
4,3
5,0
3,0
3,2
3,3
3,7
4,2
3,0
2,7
23,3
23,8
24,8
26,7
28,0
28,2
28,9
1)
Ohne die vom Bund vollständig erstatteten ALG II-Leistungen der Optionskommunen. Ab 2003 einschl. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Auf diese entfielen 2004 bis 2006 gemäß Kassenstatistik jährlich rd. 1,7 Mrd. EUR.
2)
Quelle: Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahre 2000, a. a. O., S. 40.
(8)
Mit Blick auf die Gemeinden in den ostdeutschen Bundesländern ergeben sich folgende wesentliche Abweichungen von der Entwicklung auf der Gemeindeebene im gesamten Bundesgebiet (vgl. Abb. 4): a.
Die Personalaufwendungen je Einwohner gingen im Zeitraum 2005 bis 2006 deutlich zurück, zwar nicht nur hinsichtlich der Pro-Kopf-Ausgaben, sondern auch mit Blick auf die Kopfzahl des aktiven Personals. Der Personalbestand in den Gemeinden der ostdeutschen Bundesländer wurde zwischen 2000 und 2005
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
b.
93
um jahresdurchschnittlich 6,5% verringert, während die Stellenabnahme in den alten Bundesländern jährlich lediglich 1,5% erreichte. Die immer noch merklich höheren Pro-Kopf-Sachinvestitionen in den ostdeutschen Gemeinden deuten darauf hin, dass es auch in den zurückliegenden Jahren weitere Fortschritte beim Abbau von Infrastruktur Rückstände gegeben hat. Insgesamt lagen die Sachinvestitionen bezogen auf die Einwohnerzahl in 2006 um 22,5% über dem Niveau in den alten Bundesländern.
Abbildung 4:
Die kommunalen Ausgaben in West und Ost 2008*
Quelle: Gemeindefinanzbericht 2008 des Deutschen Städtetages.
94
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
VII. Die künftigen Bestimmungsgründe für die Entwicklung der kommunalen Aufgaben und Ausgaben (1)
34 35
Mit Blick in die Zukunft stellt sich die Frage, welche Einflussfaktoren für die künftige Entwicklung der kommunalen Ausgaben und für die zu deren Erfüllung verfügbaren Einnahmen maßgeblich sein werden. Die Abb. 5 versucht, das entsprechende Beziehungsgeflecht zu verdeutlichen. Dies zeigt, dass es aus analytischer Sicht grundsätzlich schwierig ist, die Finanzstrukturen einzelner Kommunen auf die Entwicklung allgemein geltender bestimmter Größen festzulegen34. Sie sind vielfach auf differenzierte und individuelle Gegebenheiten zurückzuführen. Als prägender Parameter soll im Folgenden der Einfluss der Bevölkerungsentwicklung auf die Entwicklung der Kommunalfinanzen analysiert werden. Bei der Darstellung muss man demografische Niveau- und Struktureffekte unterscheiden. Für den Bevölkerungsumfang kann bereits heute relativ sicher prognostiziert werden, dass zwischen 2045 und 2050 rd. 70 Millionen Einwohner leben werden. Angesichts der gegenwärtigen Einwohnerzahl von 82 Mio. bedeutet dies ein Rückgang um mehr als 10 Mio. Menschen. Angesichts einer sich verändernden Bevölkerungsstruktur35 werden Kommunen mit einem hohen Durchschnittsalter der Bevölkerung andere Investitionsschwerpunkte legen müssen als Städte und Gemeinden mit relativ jungen Einwohnern. Im einen Fall könnten z. B. Investitionsvorhaben in Senioreneinrichtungen, im anderen Fall in Kindertagesstätten oder in das Schulwesen das Investitionsverhalten prägen. Auch die Siedlungsstrukturen haben erheblichen Einfluss auf die kommunalen Finanzen. Die finanziellen Probleme vieler Oberzentren sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass ein Großteil der dort tätigen Arbeitnehmer nicht im Oberzentrum selbst, sondern im Umland lebt und dort die Steuern entrichtet. Die Wirtschaftsstrukturen in Form branchenspezifischer Gesichtspunkte bestimmen maßgeblich das Einnahmepotenzial der Gebietskörperschaften auf kommunaler Ebene. So wirkte sich z. B. der Niedergang der deutschen Textilindustrie in den 1970er Jahren in vielen Unternehmensstandorten Westdeutschlands massiv aus, während andere Städte und Gemeinden gar nicht davon betroffen waren. Die Schließung militärischer Einheiten in den 1990er Jahren hatte z. B. in einem Kasernenstandort andere Auswirkungen als in einer Kommune, in der keinerlei militärische Institutionen präsent waren. Nicht zuletzt beeinflusst das kommunale Management auf der Mikroebene den Einzelabschluss der Stadt oder Gemeinde. Dies gilt insbesondere für die konkreten Investitionsentscheidungen. So macht es langfristig einen erheblichen Unterschied, ob tendenziell in konsumnahe oder in unternehmensnahe Infrastruktur investiert wird (z. B. Spaßbad oder Gewerbegebiet). Vgl. Landesrechnungshof Sachsen: Jahresbericht 50, Dresden 2002, S. 420. Vgl. die umfassende Darstellung bei H. Seitz: Implikationen der demografischen Veränderungen für die öffentlichen Haushalte und Verwaltungen, in: M. Nierhaus (Hrsg.): Kommunalfinanzen, Beiträge zur aktuellen Debatte, Arbeitsheft 9 des kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, Potsdam 2005, S. 25–56; G. Micosatt: Bevölkerungsentwicklung und Gemeindefinanzen, in: J. Lange: Wege aus der Verflechtungsfalle, Loccumer Protokoll Nr. 01/03, Loccum 2003, S. 211–230.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
(2)
(3)
36 37 38
39
40
41
95
Innerhalb der sozioökonomischen Rahmenbedingungen sind jedoch nicht nur spezifische Aspekte von Relevanz, sondern auch allgemeine Gesichtspunkte, die alle Städte und Gemeinden gleichermaßen betreffen. Eine ökonomische Rezession wirkt sich sowohl in ländlichen Regionen als auch in Ballungszentren aus, da die Bemessungsgrundlagen für die Steuerbasis dann i. d. R. rückläufig sind und damit allgemeine Einnahmenprobleme entstehen. Den sozioökonomischen Rahmenbedingungen stehen schließlich grundsätzliche Entscheidungen auf der staatlichen Ebene gegenüber, die sich massiv auf Einnahmen und Ausgaben der Kommunen auswirken können. Dies gilt insbesondere im föderalistischen Staatsaufbau der Bundesrepublik für den Länder- und darauf aufbauend für den kommunalen Finanzausgleich sowie für grundsätzliche Entscheidungen, die den staatlichen Transferprozess betreffen36. Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist von zwei Tendenzen gekennzeichnet. Zum einen wird wie erwähnt die Zahl der Einwohner absolut betrachtet sinken, zum zweiten werden die Einwohner im Durchschnitt deutlich älter als noch vor 40 Jahren37. Die Regionen und Kommunen sind hiervon unterschiedlich betroffen38. Bereits heute zeigen sich in vielen Städten und Gemeinden Ostdeutschlands die Folgen einer sinkenden und zugleich alternden Bevölkerung. Die Zahl der Einpersonenhaushalte nimmt seit Jahren zu. Die Veränderungen in der Altersstruktur führen wie bereits oben angedeutet zu Verschiebungen in der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen auf der kommunalen Ebene. Zudem ist davon auszugehen, dass infolge der hohen Arbeitslosenquoten in der vergangenen Dekade das Problem der Altersarmut an Bedeutung gewinnen dürfte.39 Werden damit die Aufwendungen für Wohngeld und Sozialhilfe steigen? Reicht die Absicherung in der Pflegeversicherung? Wer trägt die Kosten der Integration von Zuwanderern? Wie beeinflussen solche Tendenzen die einzelnen Gemeindetypen? Es ist abzusehen, dass vor diesem Hintergrund insbesondere kleinere und mittlere Gemeinden in peripheren Regionen massiven Einnahmeproblemen gegenüber stehen werden40. Gleichzeitig ist in vielen Ballungszentren eine erhebliche ökonomische Expansion zu verzeichnen, in deren Folge neue Bewohner in die Zentren ziehen. Da die Einwohnerzahl eine wesentliche Determinante im Verteilungsvolumen des Finanzausgleichs darstellt, werden sich die Kommunen – dies gilt in Ost- wie für Westdeutschland – unter sonst gleichen Bedingungen einem stärkeren „demografischen Wettbewerb“ aussetzen müssen, dessen Sinn darin besteht, Einnahmen zu generieren, um auch mittel- bis langfristig als eigenständige Kommune bestehen zu können41. Zudem wird die kommunale Finanzpolitik nachhaltiger als bisher ausgerichtet Vgl. Landesrechnungshof Sachsen: Jahresbericht 50, Dresden 2002, S. 420. Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2050, Wiesbaden 2006. Vgl. J. Flöthmann, U. Tovote, T. Schleifnecker: Ein Blick in die Zukunft: Deutschlands Kommunen im Wettbewerb um Einwohner, in: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Wegweiser Demografischer Wandel 2020 – Analyse und Handlungskonzepte für Städte und Gemeinden, Gütersloh 2006, S. 11–96. Vgl. H. Seitz: Nachhaltige Finanzpolitik und demografischer Wandel, in: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Wegweiser Demografischer Wandel 2020, Gütersloh 2006, S. 180–186. Vgl. H. Mäding: Demografischer Wandel und Kommunalfinanzen, in: Deutsche Zeitung für Kommunalfinanzen, Jg. 2004, H. 1, S. 84–102. Vgl. J. Meier, A. Esche: Kommunen und Regionen im Wettbewerb, Perspektive und Konsequenz, in: Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Wegweiser Demografischer Wandel, a. a. O., S. 6–9.
96
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
werden müssen. Schuldenabbau und klare finanzpolitische Ziele werden in Zukunft im Vordergrund stehen müssen42 (vgl. dazu auch unten Teil K.). Abbildung 5:
Determinanten der kommunalen Finanzen
Quelle: H. D. Löffelholz, H. Rappen: Bevölkerungsentwicklung und kommunale Finanzkrise, in: M. Junkernheinrich (Hrsg.): Bevölkerungsentwicklung, Finanzkrise und Gemeindefinanzreform, Berlin 2004, S. 21–28.
Zwar lässt sich argumentieren, dass eine rückläufige Bevölkerungszahl auch sinkende Ausgaben zur Folge hat. Das negative Einnahmenwachstum lässt sich jedoch kaum vollständig durch gleichlaufende Ausgaben kompensieren. Der Bevölkerungs42
Vgl. R. Windisch, G. Lietz: Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, 2003, S. 1100–1105.
Teil D. Die finanzpolitische Gestaltung kommunaler Autonomie
(4)
43
44
45
97
rückgang wird im Gegenteil durchschnittlich wachsende Pro-Kopf-Ausgaben für den Unterhalt und den Betrieb der Infrastruktur nach sich ziehen. Aufgrund der fixen Kosten steigen die Betriebskosten im Infrastrukturbereich i. d. R. sogar an. So können z. B. Wasserwerke nicht einfach geschlossen werden, da ansonsten die Versorgung mit Trinkwasser gefährdet ist. Dies lässt sich auch auf die Verkehrsinfrastruktur übertragen. Gleichzeitig sehen sich die Kommunen einer alternden Bevölkerung gegenüber, die andere Bedürfnisse hat als eine junge Gesellschaft. Nach der jüngsten Prognose der Bertelsmann-Stiftung wird bis 2025 die Zahl der über 80jährigen in Deutschland um 70% zunehmen. Damit verdoppelt sich der Anteil der Hochbetagten an der Gesamtbevölkerung nahezu und steigt auf über 8%43. So dürften die Pro-Kopf-Ausgaben für Pflege und Gesundheit ansteigen. Konkret wird sich dies in Investitionen in Senioreneinrichtungen und Krankenhäuser ausdrücken, während gleichzeitig der Bedarf an Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen sinken wird. Wie sich letztlich die demografische Entwicklung für die einzelnen Kommunen auswirkt, hängt von ihrer originären Steuerkraft sowie von der Ausgestaltung des Finanzausgleichs ab44. Schließlich ist offen, ob und inwieweit eine grundsätzliche Neuordnung der Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmeverantwortung zwischen den Ebenen in Angriff genommen wird. Ein solch grundsätzlicher Reformschnitt ist allerdings wenig wahrscheinlich. Es wäre für die Kommunen schon viel gewonnen, wenn das Konnexitätsprinzip, die Kongruenz von Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung im Verhältnis der Länder zu ihren Gemeinden, umfassend und – wie es die kommunalen Spitzenverbände fordern45 – verfassungsrechtlich umgesetzt werden würden. Zu den demografischen Herausforderungen der Kommunalpolitik gehört auch die mit dem Bevölkerungsrückgang verbundene Schrumpfung bzw. Abwanderung, von denen bereits jetzt zahlreiche Regionen vor allem in Ostdeutschland betroffen sind. In den neuen Bundesländern sind davon bereits jetzt rd. 50% aller Kreise betroffen. Die Antwort auf diese Herausforderung kann nicht der Versuch sein, die damit einhergehende Verminderung der kommunalen Finanzkraft durch Dotationen der übergeordneten Ebenen auszugleichen, etwa um gewissermaßen „gegen die Bevölkerungsentwicklung“ die im Grundgesetz angemahnte Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Vielmehr müssen hier die Ziele kommunaler Ausgabenpolitik und deren Erreichung neu definiert werden, etwa im Hinblick auf die infrastrukturellen Voraussetzungen für Bildung, Verkehr und Ver- und Entsorgung. Gleichermaßen ist der politisch-administrative Zuschnitt der Gemeinden so zu überdenken, dass die Angebote der kommunalen Daseinsvorsorge unter dem Gesichtspunkt der Kostendegression angelegt werden können. Diese Überlegungen sind die Ansatzpunkte des Landes Sachsen-Anhalt, die Zahl der Gemeinden durch eine Kommunalreform von rd. 1.000 auf 120 zu verringern. Ähnlich begründet sind die Überlegungen für eine Kreisreform in Mecklenburg-Vorpommern. Vgl. E. Schulz, A. Hannemann: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland bis 2050: Nur leichter Rückgang der Einwohnerzahl?, DIW-Wochenbericht Jg. 2007, Nov., S. 706–714, S. 713; Bertelsmann-Stiftung: Bevölkerungsvorausberechnung 2025, Gütersloh 2008. Vgl. H. Mäding: Demografischer Wandel und Kommunalfinanzen, in: Deutsche Zeitung für Kommunalfinanzen, Jg. 2004, H. 1, S. 84–102, S. 97. Vgl. Deutscher Städte- und Gemeindebund: Zehn Erwartungen der Städte und Gemeinden zur FöderalismusReform. Stellungnahme vom 20.10.2007.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Teil E.
99
Die kommunalen Einnahmen1
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Nachdem die Entwicklung der gemeindlichen Ausgaben dargestellt wurde, ist zu fragen, inwieweit die kommunalen Einnahmen im Hinblick auf ihre Struktur (Bemessungsgrundlagen, Steuersätze usw.) und ihre Wachstumselastizität mit der Entwicklung der anderen „Budgetseite“ des gemeindlichen Haushalts Schritt halten bzw. entsprechend angepasst sind und damit prinzipiell steigerungsfähig ausgestattet werden können. Diese Bestandsaufnahme ist durch die Frage zu ergänzen, mit welchen Veränderungen, sprich: Reformen des kommunalen Einnahmesystems, eine stärkere Korrespondenz, auch im Hinblick einer deutlicheren Ausprägung des Äquivalenzprinzips, zwischen dem Anspruch auf Leistungen der kommunalen Daseinsvorsorge einerseits, einer individuellen oder gruppenmäßigen Belastung der Gemeindebürger mit den dafür notwendigen Finanzierungsmitteln andererseits hergestellt werden könnte. Die Tab. 4 gibt einen Überblick über die Entwicklung der kommunalen Einnahmen insgesamt im Zeitraum 2000 bis 2006; die Abb. 6 zeigt die Entwicklung der kommunalen Steuereinnahmen in dieser Periode, während die Abb. 7 die Struktur der kommunalen Einnahmen für 2008 im Abgleich zwischen dem Durchschnitt der westdeutschen und der ostdeutschen Gemeinden verdeutlicht. Diese Übersicht demonstriert die wesentlich größere Abhängigkeit der staatlichen Kommunen von laufenden Zuweisungen als Reflex eines deutlich geringeren Niveaus der laufenden Einnahmen aus Gebühren und Steuern.
I.
Das kommunale Steuersystem – der Befund
1
Die Finanzierungsverantwortung als Reflex der Aufgabenverantwortung
(1)
Neben der Gewährleistung des durch die Zuständigkeitsvermutung bestimmten originären kommunalen Aufgabenbereichs umfasst das Selbstverwaltungsrecht auch die Garantie, diese Aufgaben in eigener Verantwortung zu erfüllen. Die Eigenverantwortlichkeit stellt das wichtigste Merkmal der gemeindlichen Selbstverwaltung dar. Wenn die Gemeinden und Gemeindeverbände bei den vorhandenen unterschiedlichen örtlichen Verhältnissen und demgemäß divergierenden Bedürfnissen nach öffentlichen Leistungen insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge der ihnen zukommenden – regelmäßig mit Ausgaben verbundenen – eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung gerecht werden sollen, benötigen sie auch eine gewisse finanzielle Beweglichkeit. Soll also die Garantie kommunaler Selbstverwaltung nicht faktisch wirkungslos sein, müssen die Kommunen sowohl über eine bestimmte Finanzausstattung als auch über die Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Einsatzes der Finanzmittel zur Aufgabenwahrnehmung verfügen. Der Aufgabenverantwortung der kommunalen Verwaltungsträger für die „eigenen“ Angelegenheiten entspricht mithin der Finanzverantwortung. Die aus
1
Vgl. Tab. 4 für einen Überblick über die kommunale Einnahmesituation.
100
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Art. 28 Abs. 2 GG herzuleitende Befugnis zu einer eigenverantwortlichen Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft im Rahmen eines gesetzlich geordneten Haushaltswesens wird als kommunale Finanzhoheit bezeichnet. Tabelle 4: Die Einnahmen der Kommunalhaushalte Position
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
in Mrd. EUR Einnahmen davon: Steuern Länderzuweisungen Sonstige darunter: Gebühren, Entgelte
148,0
144,2
147,0
142,1
147,0
152,3
159,9
51,9 51,8 44,3
49,0 50,6 44,6
47,5 50,3 49,1
46,9 49,1 46,1
51,3 50,0 45,7
54,4 54,0 43,9
61,1 55,1 43,6
16,7
16,2
16,3
16,3
16,1
16,0
17,1
Veränderungen gegenüber Vorjahr in % Einnahmen davon: Steuern Länderzuweisungen Sonstige darunter: Gebühren, Entgelte
1,4
-2,5
1,9
-3,3
3,5
3,6
5,0
2,0 4,1 -2,2
-5,6 -2,4 0,8
-3,1 -0,5 10,1
-1,4 -2,4 -6,1
9,5 1,8 -0,9
6,1 8,0 -4,0
12,3 2,1 -0,6
-0,5
-2,5
-2,9
0,7
-0,3
-1,2
-0,5
Anteile an den Gesamteinnahmen in % Einnahmen Steuern 35,1 34,0 32,3 33,0 34,9 35,7 Länderzuweisungen 35,0 35,1 34,2 34,6 34,0 35,4 Sonstige 29,9 31,0 33,4 32,5 31,1 28,8 darunter: Gebühren, Entgelte 11,6 11,6 11,0 11,5 11,1 10,5 Quelle: Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahre 2000, a. a. O., S. 38.
(2)
38,2 34,5 27,3 10,0
Wie dem Anspruch der Kommunen auf eine insofern angemessene Finanzausstattung Rechnung zu tragen ist, lässt Art. 28 II GG offen. Aus dieser Norm folgt also kein Anspruch auf eine bestimmte Ausgestaltung des kommunalen Einnahmesystems. Gleichwohl dürfen die Gewährung von Finanzzuweisungen und die Beteiligung an Steuern anderer „Ebenen“ nicht die einzigen kommunalen Einnahmequellen sein. Der Anspruch auf eine angemessene Finanzausstattung erschöpft sich nach dem Sinngehalt des Art. 28 II GG nicht nur in quantitativen Ansprüchen, er muss viel mehr auch qualitative Elemente enthalten. Hieraus darf jedoch nicht gefolgert werden, dass alle Finanzmittel der kommunalen Körperschaften der Steuer- und Abgabenhoheit entspringen müssten. Vielmehr reicht es aus, dass den Kommunen überhaupt eigenverantwortlich auszuschöpfende Finanzquellen zur Verfügung stehen. Dabei kann der politisch-demokratischen Funktion der kommunalen Selbstverantwortung nur Rechnung getragen werden, wenn sich zur Erhaltung des kommunalen Handlungs- und Entfaltungsspielraums ein wesentlicher Teil der kommunalen Einnahmen aus eigenem Recht ableitet.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Abbildung 6:
Die Steuereinnahmen der Kommunen 2000–2006
Quelle: Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahre 2000, a. a. O., S. 33.
101
102
Abbildung 7:
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Die Struktur der Einnahmen in den west- und ostdeutschen Gemeinden – Gv. 1997, 2002 und 2007
Quelle: Gemeindefinanzbericht 2008 des Deutschen Städtetages.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(3)
(4)
103
Obwohl also Art. 28 GG einen normierten Anspruch der Gemeinden und Gemeindeverbände auf eine aufgabengerechte Finanzausstattung bisher nicht enthält, besteht in der Rechtsprechung und im Schrifttum Einigkeit darüber, dass zum verfassungsrechtlich geschützten Kern der Garantie der Selbstverwaltung auch ein Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung gehört. Danach schließt das in Art. 28 II GG gewährleistete Selbstverwaltungsrecht der Kommunen insbesondere wegen der Eigenverantwortungskomponente zwangsläufig die Bereitstellung der hierfür erforderlichen Finanzmittel und damit eine angemessene Finanzausstattung ein. Kommunale Selbstverwaltung kann sich nur wirksam entfalten, wenn Gemeinden und Gemeindeverbände über hinreichende finanzielle Mittel verfügen. Dieser allgemein anerkannte kommunale Anspruch auf eine finanzielle Mindestausstattung hat zwei Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Zum einen ist die Finanzausstattung so zu bemessen, dass die aus der Aufgabenstellung erwachsene Ausgabenlast getragen werden kann. Zum anderen ist die Entscheidungskompetenz der kommunalen Vertretungskörperschaften zu berücksichtigen. Konkret bedeutet dies, dass die Kommunen finanziell insgesamt so ausgestattet werden müssen, dass sie neben den pflichtigen Selbstverwaltungs- oder Weisungsangelegenheiten auch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen imstande sind. Erst wenn nach Deckung der Ausgaben für alle pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben und Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung bzw. Auftragsangelegenheiten den Kommunen noch ein Spielraum zur Übernahme und Ausgestaltung freier Selbstverwaltungsaufgaben verbleibt, kann von einer angemessenen Finanzausstattung gesprochen werden. Anderenfalls könnte die Selbstverwaltung ausgehöhlt werden: Das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung wird – wie an anderer Stelle dargelegt wurde (vgl. Teil A. III.) – neben der verwaltungsorganisatorischen Funktion insbesondere durch die sog. politisch-demokratische Funktion gekennzeichnet und kann keineswegs mit dem bloßen administrativen Vollzug staatlicher Vorgaben gleichgesetzt werden. Diesem Gesichtspunkt ist bei der Bemessung einer angemessenen Finanzausstattung zu genügen. Da Finanzverantwortung Entscheidungsspielräume erfordert, ist den willensbildenden kommunalen Organen die Möglichkeit zur maßgeblichen Entscheidungsbildung hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben zu belassen. Die Mittelausstattung muss daher so beschaffen sein, dass die kommunal-demokratisch legitimierten Beschlussgremien in der Lage versetzt werden, für die Kommune in finanzieller Hinsicht Substantielles beschließen zu können. Es war deshalb folgerichtig, dass mit Wirkung vom 15.11.1994 einer Empfehlung der Gemeinsamen Verfassungskommission des Bundes und der Länder Rechnung tragend, dem Art. 28 II 2 GG der Satz angefügt wurde, dass die Gewährleistung der Selbstverwaltung auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung umfasst. Maßgebend aus Sicht des Verfassungsgebers war dafür der Befund, dass in der Vergangenheit die Belastungen der Gemeinden und Kreise bei der Erfüllung ihrer vielfältigen staatlichen Aufgaben und Verpflichtungen erheblich gewachsen sind. Der Gesetzgeber hat insofern akzeptiert, dass die kommunale Selbstverwaltung zunehmend von rechtlichen Vorgaben der Europäischen Gemeinschaft, des Bundes und der Länder betroffen ist. Hinzu kommt durch den Abbau von kommunalen Steuern und deren Ersatz durch staatliche Zuweisungen eine zunehmende Einflussnahme von Bund und Ländern auf die Kommunen. Für die Träger kommunaler
104
(5)
(6)
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Aufgaben ist es daher immer schwieriger geworden, ihren Verpflichtungen in ihrem originären Aufgabengebiet, den Selbstverwaltungsangelegenheiten, nachzukommen. Mit der genannten Erweiterung der Verfassungsnorm sollte ein deutliches Zeichen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und zum Erhalt der Handlungsfähigkeit der Kommunen gesetzt werden. Eine inhaltliche Erweiterung der bisher schon in der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung enthaltener Elemente ist damit nicht verbunden. Grundlage des Anspruchs auf eine angemessene Finanzausstattung ist das Prinzip der Gleichwertigkeit der Aufgaben von Bund, Ländern und Kommunen, deren Kostenlasten und die aus diesen erwachsenen Finanzbedarfen einem billigen Ausgleich zugeführt werden müssen. Die verfassungsrechtliche Erwartung der Kommunen auf eine angemessene Finanzausstattung darf nicht i. S. eines Vorrangs der Ansprüche der Gemeinden und Gemeindeverbände vor den Bedürfen des Bundes und der Länder verstanden werden. Umgekehrt schließt das Gebot einer angemessenen Finanzausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände es jedoch aus, dass Bund und Länder sich aus ihrer Finanznot dadurch befreien, dass sie staatliche Aufgaben den Kommunen zuweisen, ohne diesen die Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, die zur Erfüllung der übertragenen Aufgaben benötigt werden. Mit der erwähnten Erweiterung des Art. 28 II GG ging es um eine Klarstellung dahingehend, dass eine finanzielle Eigenverantwortung der Kommunen ohne eine ausreichende Finanzausstattung nicht verwirklicht werden kann. Nur wer über die Finanzmittel, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt, auch tatsächlich verfügt, kann seine finanziellen Entscheidungen eigenverantwortlich treffen. Ohne ausreichende Finanzausstattung fehlt den Kommunen das materielle Substrat für ein finanziell eigenverantwortliches Handeln. Dabei ist jedoch in Erinnerung zu rufen, dass es sich auch bei der Wahrnehmung von Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung und ihrer Finanzierung um die Ausübung von Staatsgewalt handelt (vgl. oben Teil A.). Die verfassungsrechtlichen Bindungen der Staatsgewalt gelten mithin auch für die Erhebung kommunaler Abgaben. Das heißt, dass die Abgabenerhebung nur aufgrund einer hinreichend bestimmten, speziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage erfolgen kann. Abgaben der Kommunen dürfen ebenso wie solche des Bundes und der Länder nur erhoben werden, wenn ein Gesetz im formellen Sinne dazu ausdrücklich ermächtigt. Die Kommunen sind also mangels Gesetzgebungskompetenz im formellen Sinne nicht in der Lage, sich selbst Ermächtigungsgrundlagen zur Abgabenerhebung zu schaffen. Das leitet zu der Frage über, wem eine diesbezügliche Kompetenz zusteht. Die folgenden Ausführungen detaillieren, was oben (Teil D. IIII. „Die Stellung der Gemeinden im deutschen System der Aufgaben- und Finanzierungsverteilung) bereits skizziert wurde.
2
Die Finanzverfassung des Grundgesetzes in ihrer Bedeutung für die kommunale Finanzwirtschaft
(1)
Das Grundgesetz billigt den Gemeinden keine Steuergesetzgebungskompetenzen zu. Für sonstige Abgaben, also hoheitlich auferlegte Geldleistungen, d. h. insbeson-
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
105
dere Gebühren und Beiträge, haben die Kommunen ebenfalls keine originäre Erhebungskompetenz, da insoweit der Vorbehalt des Gesetzes ein förmliches Landes (oder Bundes-)Gesetz verlangt, welches den Kommunen eine – nur derivative – Erhebungskompetenz verleihen kann (vgl. Abb. 8). Abbildung 8:
Die Steuerautonomie der Gemeinden nach dem Grundgesetz
Steuerart
Gesetzgebungshoheit (Rechtssetzungsbefugnis) der Gemeinden
Aufkommenshoheit 2 der Gemeinden
Verwaltungshoheit der Gemeinden
Gewerbesteuer
Vom Bund aktivierte Rechtssetzungsbefugnis, beschränkt auf Hebesatzrecht
Eigene, unbeschränkte Aufkommenshoheit = Aufkommens3 autonomie
Vom Land übertragene auf die Erhebung beschränkte Verwaltungshoheit
Grundsteuer
Vom Bund aktivierte Rechtssetzungsbefugnis, beschränkt auf Hebesatzrecht
Eigene, unbeschränkte Aufkommenshoheit = Aufkommensautonomie
vom Land übertragene auf die Erhebung beschränkte Verwaltungshoheit
Örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern
Vom Land übertragene Rechtssetzungsbefugnis, beschränkt durch landesgesetzliche Vorgaben oder Mustersatzung
Eigene, unbeschränkte Aufkommenshoheit = Aufkommensautonomie
vom Land übertragene, unbeschränkte Verwaltungshoheit
Schankerlaubnissteuer
vom Land übertragene Rechtssetzungsbefugnis, beschränkt durch landesgesetzliche Vorgaben oder Mustersatzung
Vom Land übertragene, unbeschränkte Aufkommenshoheit
Vom Land übertragene, unbeschränkte Verwaltungshoheit
Quelle: G. Schwarting: Kommunale Steuern, Berlin 1999, S. 81.
(2)
2 3
Freundlicher stellt sich die Lage der Kommunen hinsichtlich der Steuerertragskompetenz dar. Nach Art. 106 Abs. 5 GG erhalten die Gemeinden einen Anteil an dem Aufkommen der Einkommenssteuer (vgl. unten 5.). Nach Art. 106 Abs. 6 S. 1 GG steht den Gemeinden das Aufkommen der sog. Realsteuern (vgl. unten VI. 5.) zu. Zudem fließt ihnen nach Art. 106 Abs. 6 S. 1 GG das Aufkommen der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandsteuern (vgl. unten IV.) zu, sofern nicht die Landesgesetzgebung bestimmt, dass dieses den Gemeindeverbänden (= Kreisen) zusteht. Neben diesen originären Ertragszuweisungen enthält Art. 106 Abs. 7 GG die Bestimmung, dass den Gemeinden und Kreisen vom originären Länderanteil am Ertrag der Gemeinschaftssteuern, also der Mehrwertsteuer, der Körperschaftsteuer und der Einkommensteuer (vgl. Art. 106 Abs. 3 – 5 GG), ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Prozentsatz zuzufließen hat. Dies geschieht im Rahmen des in der Verantwortung jedes einzelnen Bundeslandes liegenden kommunalen Finanzausgleichs (vgl. unten Teil H.).
Sofern die betreffenden Gemeindesteuern erhoben werden. Faktisch beschränkt durch „Umlage“ an Bund und Länder.
106
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(3)
Hinsichtlich der Steuerverwaltungskompetenz sieht Art. 108 Abs. 4 S. 2 GG vor, dass die grundsätzlich den Landesfinanzbehörden (Finanzämtern) zustehende Verwaltung solcher Steuern, deren Ertrag allein den Kommunen zufließt, d. h. der Realsteuern und der örtlichen Verbrauchs- und Aufwandssteuern, durch Landesgesetz ganz oder zum Teil auf die Kommunen übertragen werden kann. Aus der alleinigen Ertragskompetenz folgt also keineswegs unmittelbar die Verwaltungskompetenz; vielmehr ist die Ertragskompetenz nur unabdingbare Voraussetzung für eine seitens des Landesgesetzgebers vorzunehmende Übertragbarkeit der Verwaltungskompetenz.
II.
Das Einnahmesystem der Kreise
(1)
An dieser Stelle ist – gewissermaßen als Exkurs – das Einnahmesystem der Kreise zu skizzieren. Die Kreise finanzieren ihre Ausgaben im Gegensatz zu anderen Gebietskörperschaften überwiegend nicht aus eigenverantwortlich bestimmbaren Einnahmen4. Der größte Teil ihrer Deckungsmittel fließt ihnen vielmehr von den Ländern (Finanzzuweisungen) und den Gemeinden (Kreisumlage) zu. Beide Dotierungen machen rd. 60% der Gesamteinnahmen der Landkreise aus. Dazu kommen sonstige Einnahmen (15,5%). Bei den eigenen Deckungsmitteln überwiegen die Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen (rd. 23% der Gesamteinnahmen), während die originären steuerlichen Einnahmen der Kreise praktisch unbedeutend sind (knapp 1,5% der Gesamteinnahmen). Die Finanzverfassung des Grundgesetzes enthält an mehreren Stellen Bestimmungen über die Steuerertragshoheit der Kreise. So regelt Art. 106 Abs. 7 Satz 1 GG, dass den Gemeinden und Gemeindeverbänden ein vom Landesgesetzgeber festzusetzender Hundertsatz des Länderanteils an den Gemeinschaftsteuern zufließt. Nach Art. 106 Abs. 7 Satz 2 GG können die Landesgesetzgeber die Gemeinden und Kreise zu einem von ihnen festzulegenden Anteil an den Aufkommen der Landessteuern beteiligen. Beide Vorschriften stellen Regelungen des vertikalen Steuerverbunds dar. Demgegenüber weist Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG nicht nur den Gemeinden, sondern auch den „Gemeindeverbänden“, also den Kreisen, nach Maßgabe der Landesgesetzgebung die Ertragshoheit am Aufkommen der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern zu. Bei diesen Abgaben besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen Gemeinden und Kreisen in jenen Bundesländern, deren Landkreise ein Steuerfindungsrecht eingeräumt wurde, das gleichberechtigt neben dem der Gemeinden steht. Einige Bundesländer haben dagegen den Landkreisen nur bestimmte örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern (z. B. Jagd- und Fischereisteuer, Schankerlaubnissteuer) gesetzlich zugewiesen. Alle anderen kommunalen Steuern sind den Gemeinden und Landkreisen in diesen Ländern alternativ zugeteilt.
(2)
(3)
4
Vgl. A. Günther: Probleme des Kreisfinanzsystems, Berlin 1980; A. Leidiger: Finanzsituation der Kreise in der Diskussion – Status und Aspekte der Fortentwicklung, in: Der Gemeindehaushalt, Jg. 1989, H. 2, S. 25 ff.; A. v. Mutius, O. Dreher: Die Reform der Kreisfinanzen, Baden-Baden 1990; H. Meyer: Kreisfinanzen, in: H. Wollmann, R. Roth (Hrsg.): Kommunalpolitik, a. a. O., S. 461–476.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
107
Um eine doppelte Erhebung von örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern durch Gemeinden und Landkreise zu vermeiden, haben die Länder Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die Besteuerung desselben Gegenstandes durch die Gemeinden und Kreise für unzulässig erklärt. Diese gesetzlichen Bestimmungen schließen zwar eine Doppelbelastung aus, lösen jedoch nicht den möglicherweise auftretenden Kollisionsfall zwischen Kreisen und Gemeinden bezüglich der Erhebung einzelner örtlicher Verbrauch- und Aufwandsteuern. Die kommunale Praxis verfährt hier offenbar nach dem Prioritätsgrundsatz. Danach ist diejenige kommunale Körperschaft ausschließlich Steuergläubigerin, welche die Steuern zuerst einführt. Das dürften in erster Linie die Gemeinden sein. Im Gegensatz zu den Gemeinden sind die Landkreise infolge der nur unzureichenden Ausstattung mit eigenen Steuern gezwungen, ihren Finanzbedarf überwiegend durch die Kreisumlage zu decken. Nach den Finanzausgleichsgesetzen ist die Kreisumlage von den Gemeinden abzuführen, soweit die sonstigen Einnahmen eines Landkreises dessen Bedarf nicht entsprechen. Die Ausgestaltung der Kreisumlage wird im Zusammenhang mit der Darstellung des kommunalen Finanzausgleichs erläutert (vgl. unten Teil H., X.).
III. Die grundsätzlichen Schwächen des gegenwärtigen Gemeindefinanzierungssystems5 (1)
Die vorangegangenen Ausführungen haben den verfassungsrechtlichen Status der Kommunen verdeutlicht. Dieser lässt sich wie folgt zusammenfassen:
(2)
Gleichwohl garantiert das Grundgesetz die Existenz von Kommunen ausdrücklich (Art. 28 Abs. 2 GG), sichert diesen auch das (einschränkbare) Recht auf Selbstverwaltung und räumt ihnen eine finanzwirtschaftliche Sonderstellung ein (Art. 106 Abs. 3 GG). Bevor in den folgenden Abschnitten die kommunale Einnahmenseite (einschließlich der Leistungen aus dem kommunalen Finanzausgleich) erörtert wird, soll anknüpfend an die vorangegangene Darstellung der finanzverfassungsrechtlichen Lage eine grundsätzliche Bewertung der kommunalen Einnahmesituation vorgenommen werden. Dabei ergibt sich folgendes Bild: a.
5
Die Kommunen haben zwar eine eigenständige und relativ starke Stellung im Verwaltungsaufbau, sie sind staatsorganisationsrechtlich aber Bestandteil der Länder und sie sind finanzverfassungsrechtlich von Bund und den Ländern abhängig.
Durch die gebündelten Steuer-Gesetzgebungszuständigkeiten beim Bund fallen die Ertragshoheit und die Gesetzgebungszuständigkeit auseinander. Die meis-
Vgl. H. Zimmermann: Kommunalfinanzen, Baden-Baden 1999, S. 101 ff.; O. Klein: Fehlentwicklungen im Gemeindefinanzierungssystem, in: M. Nierhaus (Hrsg.): Kommunalfinanzen, Beiträge zur aktuellen Debatte, Arbeitsheft 9 des kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, Potsdam 2005, S. 69–84; J. Werner: Das deutsche Gemeindefinanzsystem, Frankfurt/M. 2008.
108
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
b. c. d.
ten Steuern fallen in einen Steuerverbund von Bund und Ländern mit der Folge entsprechender Rivalitäten und gegenseitiger Ansprüche. Das damit verbundene Steuerverteilungssystem ist kompliziert, intransparent und verwaltungsintensiv. Durch die „Regelungswut“ des Steuergesetzgebers und infolge fehlender Gesetzeskontinuität kann von einem Steuersystem nicht mehr die Rede sein. Dem Steuerfindungsrecht des Bundes (z. B. Ökosteuer) vergleichbare Finanzerschließungsquellen stehen nicht zur Verfügung, da sie in rechtlicher Hinsicht nur neue örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern erschließen können (Art. 106 Abs. 6 GG).
(3)
Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die kommunale Einnahmesituation sollen im Folgenden anhand der einzelnen Abgaben dargestellt werden. Dabei wird zunächst der für die jeweilige Abgabe bestehende Steuerrechts-Rahmen beschrieben werden, der dann im Hinblick auf die Anforderungen an die Kommunalbesteuerung analysiert wird. Eine solche Bewertung setzt Maßstäbe voraus, anhand derer die Eignung einer Abgabe als Kommunalsteuer beurteilt werden kann.
IV.
Die einzelnen Kommunalsteuern6
1
Die Charakteristika der Kommunalsteuern
Mit Kommunalsteuern sind jene Steuern gemeint, deren Ertrag den Gemeinden zufließt, d. h. über die ihnen kraft Art. 106 Abs. 5 und 6 GG oder kraft Landesrechts die Ertragshoheit zusteht; die Gesetzgebungs- und die Verwaltungshoheit sind damit – wie erläutert – nicht unbedingt verbunden. Bei den Realsteuern und dem kommunalen Einkommensteueranteil liegt die Gesetzgebungskompetenz weitgehend beim Bund, teilweise aber auch bei den Ländern und (bezüglich der Realsteuerhebesätze) bei den Gemeinden. Auch das Grunderwerbsteuergesetz ist Bundesrecht; ob und in welcher Höhe die Kommunen an deren Aufkommen beteiligt werden, bestimmen die Landesgesetzgeber. Die sog. kleinen Gemeindesteuern sind teilweise landesrechtlich geregelt, z. B. in den meisten Ländern die Vergnügungssteuer; teilweise haben die Länder aber auch die ihnen zustehende Rechtssetzungsbefugnis auf die Kommunen übertragen, z. B. für die Hunde-, Jagd-, Schankerlaubnis- und die Zweitwohnungssteuer (vgl. unten 7.). Dass das derzeitige kommunale Steuersystem weder praktisch-finanzwirtschaftlich noch theoretisch – steuersystematisch befriedigt, wird sich im Laufe der weiteren Erörterungen zeigen (vgl. dazu unten 8.).
6
Vgl. P. Marcus: Umrisse einer kommunalspezifischen Besteuerungssystematik, Stuttgart 1987; M. Junkernheinrich: Tertiärisierung und Kommunalfinanzen, in: Der Gemeindehaushalt, Jg. 1998, H. 8, S. 174 ff.; G. Schwarting: Kommunale Steuern, Berlin 1999; W. Weiß: Finanzverfassung und kommunale Einnahmen, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, Jg. 2001, H. 2, S. 26 ff., H. 3, S. 52 ff.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
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2
Die Beurteilungsmaßstäbe7
(1)
Mit diesem Hinweis ist zugleich die Frage aufgeworfen, nach welchen Kriterien die Eignung einer Abgabe als Kommunalsteuer beurteilt werden soll. Zunächst ist festzuhalten, dass für die Gemeindesteuern die gleichen Maximen gelten wie für alle Steuern eines Steuersystems, insbesondere die der Allgemeinheit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Darüber hinaus sollten Kommunalabgaben den spezifischen Aufgabenstellungen der Gemeinden im Rahmen eines föderativen Staatsaufbaus genügen bzw. diese bei der Erfüllung ihrer Aufgaben finanzwirtschaftlich unterstützen. Im Folgenden werden diese Prinzipien unterteilt nach sog. kommunalwirtschaftlichen strategischen Maximen der Kommunalbesteuerung einerseits und solchen kommunalwirtschaftlich operativer Grundsätze andererseits. Bei den kommunalwirtschaftlich strategischen Besteuerungsmaximen der Gemeindebesteuerung kommt der Verwirklichung des Allokationsziels eine besondere Bedeutung zu. Unter dieser Vorgabe lassen sich folgende Teilziele subsumieren:
(2)
Die Betonung des Äquivalenzprinzips das Ausschließen von Zusatzlasten das Vermeiden unnötiger Wanderungen die bedarfsgerechte interkommunale Steuerkraftverteilung das Prinzip des Interessenausgleichs.
Unter dem Äquivalenzprinzip werden öffentliche Einnahmen als Gegenleistung für die Vorteile aus öffentlichen Leistungen erhoben. Die dadurch zu erwartenden Effizienzvorteile (Abwägung von Nutzen der Leistung gegen zu leistende Zahlung) zeigen den Allokationsbezug. Die Steuern werden in diesem Sinne als Gegenleistung für die Vorteile verstanden, welche die Steuerzahler in den betreffenden Gemeinden aus den kommunalen Leistungen ziehen. Innerhalb der Gemeinde kann man unternehmensbezogene Gemeindesteuern als Äquivalent für unternehmensorientierte Gemeindeausgaben interpretieren und ausgestalten. Ähnlich kann man für kommunale Leistungen argumentieren, welche auf die privaten Haushalte bezogen sind. Einzelne Steuern, wie die Grundsteuer oder Einkommensteuer, werden dann auf ihre mögliche Zuordnung zu einem dieser beiden Bereiche geprüft. Auch wenn eine solche Aufteilung nicht sehr trennscharf durchgehalten werden kann, weil viele Gemeindeleistungen sowohl Unternehmen als auch privaten Haushalten zugleich zugute kommen, so verbleibt doch die übergeordnete Sicht der Gemeinde als Einheit mit Äquivalenzcharakter erhalten, insbesondere im Vergleich mit der diffuseren Nutzenund Finanzierungsverantwortung in einem zentralstaatlichen Budget. Dieses Prinzip dient insofern der verfeinerten Begründung für die Steuererhebung auf dezentraler Ebene als Abgeltung einer lokalen gruppenmäßigen Äquivalenz.
7
Vgl. E. Zwilling: Untersuchungen zu einem rationalen Steuersystem der Gemeinden, Meisenheim am Glan 1971, S. 41 ff.; H. Zimmermann: Die Gemeindesteuerreform unter dem Blickwinkel der Beurteilungskriterien für Gemeindesteuern, in: Der Landkreis, Jg. 1984, H. 7, S. 315 ff.; H. Haller: Zur Frage der zweckmäßigen Gestalt gemeindlicher Steuern, Frankfurt/M. 1987, S. 55 ff.
110
(3)
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Das Ausschließen einer Zusatzlast zielt auf folgenden Sachverhalt: Eine Zusatzlast tritt additiv zu jener Last auf, die den primären Zweck der Steuer bildet, nämlich dem Einkommenstransfer von Privaten auf den Staat (Einkommenseffekt). Die Zusatzlast besteht in jenen erforderlichen Anpassungskosten, mit denen die Bemessungsgrundlage umgangen werden soll, sei es durch Substitutionseffekte in der Faktorkombination der Produktion, sei es durch solche im privaten Konsum. Um diese Verluste gering zu halten, sind i. d. R. „breite“ Steuern (Umsatzsteuer, Einkommensteuer) besser als Steuern mit schmaler Bemessungsgrundlage, weil sie weniger Anreiz und Möglichkeit zum Ausweichen und damit geringerer Anpassungskosten mit sich bringen. Das Ziel, ineffiziente Wanderungen zu vermeiden, knüpft an den Tatbestand an, dass private Haushalte und Unternehmen ihren Wohnort bzw. Standort über die Gemeindegrenze hinweg verlagern können. Das kommunale Steuersystem soll die Standortwahl von Unternehmen und die Wohnortwahl von Haushalten nicht verzerren. Das bedeutet umgekehrt, dass die Steuerbelastung zwischen Gemeinden in dem Maße unterschiedlich sein muss, wie darin Unterschiede im Leistungsangebot zum Ausdruck kommen. Die höhere Steuer entspricht insoweit dem höheren „Preis" für eine bessere Leistung und ist von daher ähnlich effizient wie ein Marktpreis. Das bedeutet nicht, dass Wanderungen gänzlich verhindert werden sollen. Sie sind in einer dynamischen Volkswirtschaft üblich, und sie sind effizient, wenn durch sie auch die räumlich beste Verwendung der knappen Ressourcen erreicht wird. Eine wesentliche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Ballungsgebiete. Sie sind für den einzelnen privaten Haushalt oder das Unternehmen oft besonders vorteilhaft (hohes Einkommen, reichhaltige Infrastruktur usw.), aus Sicht des kommunalen Haushalts oder der Gesamtwirtschaft aber auch kostenträchtig (hohe öffentliche Ausgaben, Umweltbelastung, Kriminalität usw.). Auch insofern sollten kommunale Steuern also möglichst dem Leistungsempfang entsprechen. Nach dem Grundsatz der bedarfsgerechten interkommunalen Steuerkraftverteilung sind solche Steuern als Gemeindesteuern besonders geeignet, deren interkommunale Aufkommensstreuung den als Ziel adäquat angesehenen interkommunalen Finanzbedarfsanforderungen entspricht. Anders ausgedrückt: Das ProKopf-Aufkommen der Abgabe sollte in Gemeinden gleicher Größenordnung, d. h. gleicher Einwohnerzahl, nicht übermäßig variieren, auch weil sich ansonsten unmittelbare Auswirkungen auf das Ausmaß des erforderlichen Finanzausgleichs ergeben. Das Prinzip des Interessenausgleichs fordert, dass nicht nur die privaten Haushalte der Gemeinde, sondern auch die unternehmerische Wirtschaft in den Konnex der Leistung und Belastung einzubeziehen sind. Hinsichtlich der kommunalwirtschaftlich operativen Besteuerungsmaximen für Gemeindesteuern ist zunächst das Prinzip der fiskalischen Ergiebigkeit zu nennen. Darunter ist die Nettoergiebigkeit einer Abgabe zu verstehen, d. h. das Aufkommen abzüglich der verursachten Erhebungskosten des Fiskus und der Entrichtungskosten des Zensiten. Der Grundsatz der Kostengünstigkeit, der also die Erhebungsbilligkeit und die Entrichtungsbilligkeit umfasst, gilt insofern für eine Gemeindesteuer wie für jede andere Steuer. Er ist bei der Beurteilung der sog. kleinen Gemeindesteuern besonders wichtig.
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111
Das Fühlbarkeitspostulat verlangt die Ausgestaltung kommunaler Steuern in einer Form, dass die Belastung wahrgenommen wird und zwar möglichst von einer Vielzahl von Gemeindebürgern. Hinter dieser Maxime steht die Auffassung, dass ohne ein Belastungsgefühl bei den Nutzern der steuerfinanzierten kommunalen Leistungen das Verantwortungsbewusstsein der Gemeindemitglieder gegenüber der Gemeindepolitik nicht gestärkt wird. Daher gehört die Fühlbarkeit zu den operativen Kriterien, wenn das zentrale strategische Prinzip der fiskalischen Äquivalenz wirken soll. Das Prinzip der örtlichen Radizierbarkeit schließlich fordert, dass der Steuergegenstand bzw. das Steuerobjekt innerhalb der die Steuerlast auslösenden Gemeinde gelegen sein soll. 3
Die Realsteuern8
3.1
Die allgemeinen Kennzeichen der Realsteuern
(1)
Die Realsteuern (der Begriff ist gemäß § 3 Abs. 2 AO auf die Grund- und Gewerbesteuern beschränkt) gehören nach der herkömmlichen Steuerklassifikation zu den Objektsteuern. Die zu besteuernden Objekte sind der Grundbesitz und die Gewerbebetriebe. Da es dem Gesetzgeber nicht auf die Besteuerung der Grundstücks- oder der Betriebssubstanz, sondern der normalerweise daraus zu erwartenden Erträge ankommt, werden sie auch als Ertragsteuern oder – besser – als Sollertragsteuern bezeichnet (Sollertrag aus land-, forst- oder wohnungswirtschaftlicher Nutzung von Grundstücken und aus gewerblicher Tätigkeit). Die Sollertragsbesteuerung bedeutet, dass die Steuerschuld grundsätzlich ohne Rücksicht darauf entsteht, ob tatsächlich und in welcher Höhe Erträge erwirtschaftet werden und ob die Erträge dem Steuerschuldner selbst oder Dritten, z. B. Kapitalgebern in Form von Zinsen, Renten usw. zufließen; dadurch kann es in Einzelfällen zur Substanzbesteuerung kommen. Da die Realsteuerpflichtigen i. d. R. mit ihrem Einkommen auch der Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterliegen (die Ist-Erträge aus Grundbesitz und Gewerbebetrieb sind Einkommen), liegt hier eine Doppelbesteuerung vor. Tatsächlich sind die Realsteuern Relikte aus einer Zeit, in der die buchmäßige Erfassung von IstErträgen bzw. -Einkommen nicht vorausgesetzt, mindestens aber praktisch nicht kontrolliert werden konnte. Es bedarf daher einer besonderen Begründung dafür, dass die zusätzliche Besteuerung der Erträge aus Grundstücksnutzung und aus gewerblicher Tätigkeit bis heute beibehalten worden ist. Als Rechtfertigung dient das erwähnte Äquivalenzprinzip, das zumindest einen gewissen Zusammenhang zwischen den gemeindlichen Aufgaben und Ausgaben im Hinblick auf deren Charakter als „Vorleistung“ oder „Nutzenvorteil“ für die Steuerpflichtigen versteht, die auf diese Weise zumindest indirekt abgegolten werden.
8
Vgl. F. Zimmermann: Das System der kommunalen Einnahmen, Stuttgart 1988.
112
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
3.2
Die Grundsteuern9
(1)
Die Steuern auf den Grundbesitz und dessen Nutzung dürften zu den ältesten Steuern überhaupt gehören. Das Problem der Grundbesteuerung war schon im Ägypten der Pharaonen die maßgerechte Erfassung (Katastrierung) des Bodens und seine Bewertung nach Kulturart und Ertragsfähigkeit (Bonitierung). Sie war also schon sehr früh eine Ertragswertbesteuerung. Mit dem Abbruch der antiken Tradition im frühen Mittelalter wurde allerdings auch die alte Grundbesteuerung durch lehnrechtlich bzw. feudalverfassungsrechtlich orientierte, d. h. privatrechtlich-persönliche Abgaben (Zehnten, Beden usw.) ersetzt. Erst mit der Entstehung der modernen Territorialstaaten nahmen sie allmählich wieder den Charakter öffentlicher Abgaben an. Typenbildend dafür wurde schließlich – ähnlich wie bei der Gewerbesteuer – ein von den Physiokraten entwickeltes, von der Ersten französischen Republik übernommenes und später auch vom übrigen Europa übernommenes Grundsteuersystem, das wieder auf einem ausgebauten Bodenkataster mit Ertragsbewertung beruhte. Eine Vereinheitlichung des Grundsteuerrechts trat in Deutschland allerdings erst mit der Realsteuerreform von 1936 ein, die auch die Grundsteuer zu einer reinen Kommunalsteuer machte. In finanzwirtschaftlicher Sicht gehört die Grundsteuer zu den Ertragsteuern, d. h. zu den Steuern auf die Erträge der Produktionsfaktoren Arbeit, Boden und Kapital. Der Ertrag des Faktors Boden kann mittels einer Grundsteuer auf verschiedene Weise erfasst werden:
(2)
Der tatsächliche oder Ist-Ertrag wird beispielsweise besteuert, wenn eine Mietsteuer erhoben wird, die nur gezahlte Mieten erfasst; da selbstgenutztes Wohneigentum dann unbesteuert bliebe, wird man diese Steuer allein so kaum finden. Der Ist-Ertrag ist dann zugleich die Steuerbemessungsgrundlage. Diesem Vorgehen würde beim Faktor Arbeit eine Lohnsummensteuer und beim Faktor Kapital eine Zinssteuer entsprechen. Zumeist zielt eine Besteuerung des Grundbesitzes auf einen fiktiven oder SollErtrag ab. Dieser ist zunächst nur der Steuergegenstand (das Steuerobjekt), also das Objekt, auf das sich der Steuerzugriff richten soll (oder was der Staat letztlich besteuern will), ohne dass schon gesagt ist, wie die Bemessungsgrundlage aussieht. Diese ist als mengen- oder wertmäßige Größe zu definieren, die im Steuergesetz kodifiziert und der Ermittlung des Steuerbetrages zugrunde gelegt wird. Sie kann sich z. B. lediglich auf die Quadratmeter Fläche beziehen (Bodensteuer, Bodenflächensteuer) oder die Gebäude einbeziehen, oder beides gezielt differenziert belasten, etwa um der „Bodenversiegelung“ entgegenzuwirken.
Die Einbeziehung der Gebäude stellt eine erhebliche Schwierigkeit dar. Sie können zum einen nach den zeitnahen Marktwerten besteuert werden, dann müssen diese auf Basis beobachteter Verkäufe und ergänzender Schätzungen laufend fortgeschrieben werden, wie es in den USA weitgehend geschieht. Zum anderen kann man 9
Vgl. M. Reidenbach (Hrsg.): Bodenpolitik und Grundsteuer, Berlin 1999; D. Eisele: Grundsteuer, in: H.-G. Henneke, H. Pünder, Ch. Waldhoff (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, München 2006, S. 170–190.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(3)
aus Merkmalen der Gebäude mittels Umrechnungsregeln auf Marktwerte schließen, wie es in der deutschen Einheitsbewertung geschieht. Eine besondere Schwierigkeit stellen landwirtschaftlich genutzte Flächen dar, weil hier die Ertragsfähigkeit der Böden berücksichtigt werden muss. Im Vergleich von Ist- und Soll-Ertragbesteuerung ist letztere keineswegs ein Notbehelf, etwa weil man den Ist-Ertrag oft nicht kennt. Vielmehr ist die Besteuerung eines potentiellen Ertrages oder auch Einkommens der eines tatsächlichen oft vorzuziehen. Wer das Potential besser nutzt, wird deshalb nicht höher besteuert, d. h. es besteht ein Anreiz, mit vorhandenen Ressourcen mehr zu erwirtschaften (Anspornsteuer). Unter den Beurteilungsmaßstäben für Gemeindesteuern erweist sich die Grundsteuer (hier als Ausdruck für die Besteuerung des Grundbesitzes generell) unter vielen Aspekten als vorteilhaft:
(4)
113
Im Hinblick auf das Allokationsziel weist sie wenig Zusatzlast auf. Dies gilt insbesondere für den auf die Grundstücksfläche entfallenden Anteil. Ein Ausweichen ist im Vergleich mit manchen anderen Steuern nicht leicht möglich. Dies gilt insbesondere für die Belastung der privaten Haushalte (Mietwohnung und Wohneigentum). Weniger gilt dies für den Grundbesitz der Unternehmen, weil zumindest beim Aufbau einer neuen Produktion Standorte mit geringerer Grundsteuer präferiert werden können. Die Grundsteuer zählt insoweit also zu den Kapitalnutzungskosten. Unter dem Äquivalenzprinzip als spezifischer Ausprägung des Allokationsziels hat die Grundsteuer den Vorzug, für die vielen auf das Grundstück bezogenen Gemeindeleistungen eine Art pauschales Äquivalent zu sein. Dies beginnt mit der Tatsache, dass knappe Gemeindefläche in Anspruch genommen wird. Es tritt auch keine Doppelung zur Erhebung der Beiträge für die Grundstückserschließung auf, weil es sich bei diesen um ein einmaliges Entgelt für spezielle gemeindliche Leistungen geht, während die Grundsteuer mit Blick darauf erhoben wird, auf welche Weise die Kosten der allgemeinen Leistungen der Gemeinde auf die Bürger umgelegt werden. Fühlbarkeit und Beweglichkeit sind bei dieser Steuer, wenn sie entsprechend ausgestattet ist, in aller Regel gegeben. Daher weist diese Steuer einen deutlichen Bezug zur kommunalen Finanzautonomie auf. Verstärkend tritt hinzu, dass die Radizierbarkeit fast selbstverständlich vorliegt, weil diese Steuer sich nur auf die in der Gemeinde „belegenen“ Grundstücke erstreckt. Der Interessenausgleich ist in aller Regel gewahrt, denn sowohl private Haushalte als auch Unternehmen zahlen diese Steuer auf ihren Grundbesitz. Unter dem fiskalischen Ziel schließlich weist sie ein stetiges und konjunkturunabhängiges Aufkommen auf.
Im Hinblick auf die Eignung dieser Steuer als Gemeindesteuer ist allerdings auch auf die Frage ihrer Überwälzbarkeit einzugehen. Das Aufkommen aus jeder Steuer muss letztlich von Wirtschaftssubjekten durch Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit „getragen“ werden (Einkommenseffekt). Die Eigentümer des
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(5)
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Bodens (ohne Gebäude) tragen die Grundsteuer in dem Maße, wie sie auf den Boden entfällt (Bodensteuer). Insofern spricht man hier von „Steueramortisation", weil diese Steuer in – kumulierter und abgezinster – Form den Wert des Grundstücks reduziert. Demgegenüber werden Gebäude als langfristig „beweglich“ angesehen, so dass die Steuer insoweit von den Mietern der Gebäude getragen wird; andernfalls werden die Vermieter ihr Geld in andere Verwendungszwecke als in Gebäude lenken. Für kommerziell genutzte Gebäude wird letztlich ohnehin eine auf ihnen liegende Steuer auf die Konsumenten weitergewälzt. In beiden Fällen kommt es zu einer regressiven Belastung, also einer ungünstigen Verteilungswirkung des Steueranteils auf Gebäude. Aufs Ganze gesehen kann zumindest ein Teil der Grundsteuer vom Eigentümer des Grundstücks, der sie zu zahlen hat, auf den Nutzer überwälzt werden. Gleichwohl erweist sich die Grundsteuer unter vielen Aspekten als eine gut geeignete Gemeindesteuer. Heutige Rechtsgrundlage der Grundsteuer-Erhebung ist das Gesetz zur Reform des Grundsteuerrechts v. 7.8.1973 (BGBl. I S. 965), als dessen Art. 1 das Grundsteuergesetz (GrStG) neu erlassen worden ist. Steuergegenstand sind gemäß § 2 GrStG die Betriebe der Land- und Forstwirtschaft für die Grundsteuer A, die sonstigen (unbebauten und bebauten) Grundstücke für die Grundsteuer B (sächliche Steuerpflicht); diesen sind jeweils bestimmte Betriebsgrundstücke gleichgestellt, wobei auf die Normen des Bewertungsgesetzes Bezug genommen wird. Auch die persönliche Steuerpflicht knüpft an das Bewertungsrecht an: Steuerschuldner ist i. d. R. „derjenige, dem der Steuergegenstand bei der Feststellung des Einheitswertes zugerechnet ist" (§ 10 Abs. 1 GrStG). Neben dem Steuerschuldner haften persönlich die Inhaber von Nießbrauchs- oder ähnlichen Rechten und (begrenzt) auch der Erwerber des Steuergegenstandes. Und schließlich ruht die Grundsteuer als öffentliche Last (also auch ohne Grundbucheintragung) auf dem Steuergegenstand. Da dieser als solcher keine quantitative Größe ist, bedarf es einer Besteuerungsgrundlage, aus der sich die Steuer errechnen lässt. Diese ist der Einheitswert, der nach dem Bewertungsgesetz im Veranlagungszeitraum für den Steuergegenstand maßgebend ist. Der Einheitswert bestimmt sich nach dem Grundsatz des gemessenen Wertes (§ 177 BemG) und wird für unbebaute Grundstücke, bebaute Grundstücke, Erbbaurechte, Gebäude auf fremden Grund und Boden und für Grundstücke im Zustand der Bebauung festgesetzt. Der Einheitswert ergibt, multipliziert mit einer Steuermesszahl, den Steuermessbetrag. Die Steuermesszahl beträgt für land- und forstwirtschaftliche Betriebe (Grundsteuer A) 6 v. T. und für Grundstücke (Grundsteuer B) i. d. R. 3,5 v. T. für bestimmte Einfamilienhausgrundstücke beträgt er jedoch für die ersten 34.500 EUR des Einheitswertes nur 2,6 v. T. und für bestimmte Zweifamilienhäuser 3,1 v. T. (§§ 14 und 15 GrStG). Die Einheitswerte wurden durch das GrStG von 1973 mittels eines pauschalierten Faktors von den Wertverhältnissen zum 1.1.1935 auf das Niveau von 1964 hochgeschrieben. Für die neuen Bundesländer wurden durch den Einigungsvertrag und dessen Anlage I mit Wirkung zum 1.1.1991 die Wertverhältnisse weitergeführt. Für neu geschaffene Wohnungen, die vor dem 1.1.1992 bezugsfertig geworden sind, wurde eine zehnjährige Steuerfreiheit gewährt. Bei land- und forstwirtschaftlichen Vermögen hatten die Einheitswerte von 1935 Ende 1990 ihre Wirksamkeit verloren. Stattdes-
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sen werden seitdem bei der Festsetzung der Grundsteuermeßbeträge jeweils für die von einem Nutzer bewirtschafteten Flächen sog. „Ersatzwirtschaftswerte“ in Anlehnung an das Wertniveau von 1964 im Altbundesgebiet ermittelt. Der Einheitswert10 wird von den Einheitswertstellen der Finanzämter auf einen bestimmten Zeitpunkt, den Hauptfeststellungszeitpunkt, fixiert; er gilt dann, sofern zwischenzeitlich nicht eine Wert-, Art- oder Zurechnungsfortschreibung, eine Nachfeststellung oder eine Aufhebung des Einheitswertes erfolgt, bis zum nächsten Hauptfeststellungszeitpunkt. Daran anknüpfend wird gemäß § 16 GrStG auch der Grundsteuermessbetrag auf den Hauptfeststellungszeitpunkt allgemein festgesetzt; diese Messbetragsfestsetzung ist die sog. Hauptveranlagung. Der durch die Hauptveranlagung festgesetzte Grundsteuermessbetrag gilt vom Beginn des zweiten auf die Hauptveranlagung folgenden Kalenderjahres bis zum Wirksamwerden einer neuen Hauptveranlagung (Hauptveranlagungszeitraum), sofern nicht wegen zwischenzeitlicher Änderung des Einheitswertes durch Änderungsbescheid eine Neuveranlagung, Nachveranlagung oder Aufhebung des Messbescheides erfolgt (§§ 17 bis 21 GrStG). Sowohl das Einheitswert- als auch das Messbetragsverfahren liegen bei den Finanzämtern, die den Grundsteuermessbescheid dem Steuerpflichtigen und der hebeberechtigten Gemeinde mitteilen. Diese hat, meist in ihrer Haushaltssatzung, je einen getrennten Hebesatz für die Grundsteuer A und die Grundsteuer B festgesetzt, mit dem sie den Messbetrag oder ihren Zerlegungsanteil am Messbetrag multipliziert; die sich daraus errechnende Steuerschuld wird von der Gemeinde durch Steuerbescheid gegenüber dem Steuerschuldner festgesetzt (§§ 25 und 26 GrStG). Mittlerweile spiegeln die Einheitswerte weder das Niveau noch die Relationen der Grundstückswerte angemessen wider. Das Bundesverfassungsgericht hat es nicht zuletzt deshalb als mit dem Grundgesetz nicht vereinbar angesehen, Grundstücke im Rahmen der Vermögensteuer sowie der Erbschaft- und Schenkungsteuer mit den extrem geringen Einheitswerten anzusetzen, weil dadurch Grundstücke im Vergleich zu anderen Vermögenswerten in unzulässigerweise begünstigt würden (Urteil BVerfG vom 22.06.1995). Die Vermögensteuer wird seit dem 01.01.1997 nicht mehr erhoben. Seit dem gleichen Zeitpunkt werden für die Erbschaft- und Schenkungssteuer bei unbebauten Grundstücken der Bodenrichtwert und bei bebauten Grundstücken der Ertragswert als Bemessungsgrundlage angesetzt. Die seit Mitte 2005 beim BVerfG anhängige Verfassungsbeschwerde gegen die Erhebung der Grundsteuer auf selbstgenutztes Grundeigentum wurde mit Beschluss vom 21.06. 2006 nicht zur Entscheidung angenommen. Aus all diesen Gründen wird eine grundlegende Reform der Grundsteuer gefordert11. Nicht unumstrittenes Hauptziel dieser Reformanstrengungen ist es, die Grundsteuererhebung in Gänze der kommunalen Kompetenz zu überantworten und Vgl. W. Kruse: Einheitsbewertung – quo vadis?, in: Betriebsberater, Jg. 1989, H. 20, S. 1349 ff.; A. Oberhauser: Ein Vorschlag zur Reform der einheitswertabhängigen Steuern, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 1989, H. 10, S. 512 ff.; Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Die Einheitsbewertung in der Bundesrepublik Deutschland: Mängel und Alternativen, Bonn 1989. Vgl. dazu auch die Darstellung und Analyse der Reformvorschläge für das kommunale Steuersystem, welche die im Folgenden erläuterten Überlegungen z. T. ebenfalls aufgreifen (unten unter 7,) und: G. Mittler: Immobilienvermögen aus fiskalischer Sicht, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 2004, H. 10, S. 516– 518.
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im Bereich der Land- und Forstwirtschaft das in den neuen Bundesländern angewandte Prinzip der Nutzungseinheitsbesteuerung bundesweit einzuführen. Erwartet wird bei Aufkommensneutralität eine starke Rechts- und Verwaltungsvereinfachung. Diese von Länderseite ausgehenden Bemühungen scheiterten bislang aber am mangelnden politischen Interesse des Bundes, aber auch an fehlender Einigkeit der Länder. Die Grundsteuer sollte zunächst zusammen mit der Unternehmensteuer-Reform 2008 überarbeitet werden, man hat sich dann aber auf Änderungen bei der Gewerbesteuer beschränkt. Die Grundsteuer wurde bis auf weiteres von der Agenda genommen. Es gibt hierzu keinen laufenden Gesetzgebungsprozess. Offen ist, ob sich dies ändert, sobald die Erbschaftsteuer-Reform abgeschlossen ist. Statt ausgearbeiteter Gesetzentwürfe liegen bislang lediglich Modellüberlegungen zur Reform der Grundsteuer vor. Diesen Modellen ist gemeinsam, dass eine Neubewertung aller Grundstücke, eine neue Hauptfeststellung der Einheitswerte, nicht in Betracht kommt, sondern eine andere Bemessungsgrundlage gefunden werden muss. Alles spricht dafür, an der Grundsteuer festzuhalten und sie nach Möglichkeit sogar noch weiter auszubauen, denn sie entspricht allen Kriterien einer guten Kommunalsteuer. Allerdings müssen die Verzerrungen beseitigt werden, die als Folge der seit Jahrzehnten eingefrorenen Einheitswerte entstanden sind. Zugleich muss dafür gesorgt werden, dass künftige Bemessungsgrundlagen zeitnah auf die Faktoren reagieren, die sie bestimmen. Die Länderfinanzminister-Konferenz hatte deshalb in 2003 die Finanzminister von Bayern und Rheinland-Pfalz beauftragt, ein Reformkonzept für die Grundsteuer zu erarbeiten.12 Der Kernpunkt des Vorschlags der beiden Länderfinanzminister von 2004 ist die ersatzlose Streichung der Grundsteuer A für die landwirtschaftlichen Nutzflächen. Es sollen nur noch die landwirtschaftlichen Hofstellen mit den Wohngebäuden der Besteuerung unterworfen werden. Die Grundsteuer B soll in der Weise geändert werden, dass künftig die Bodenrichtwerte den wesentlichen Orientierungspunkt für die Bemessungsgrundlage darstellen. Bei unbebauten Grundstücken sollen die Bodenrichtwerte zu 100% die Bemessungsgrundlage, bei bebauten Grundstücken zu 70% bilden. Die Wohnfläche soll darüber hinaus mit standardisierten Werten in die Bemessungsgrundlage einbezogen werden, wobei für Ein- und Zweifamilienhäuser 800,00 EUR pro Quadratmeter und im Mietwohnungsbau 600,00 EUR pro Quadratmeter angesetzt werden sollen. Für Büros, Hotels und gewerbliche Flächen sollen drei weitere Staffeln hinzukommen. Auf einen Altersabschlag soll verzichtet werden, weil das Alter eines Gebäudes keine Aussage über die Wertigkeit eines Grundstückes trifft. Aufs Ganze gesehen zielt der Vorschlag der Länderfinanzminister auf eine verbundene Boden- und Gebäudesteuer. Die Einbeziehung der Gebäudefläche in die Bemessungsgrundlage erhöht allerdings den Verwaltungsaufwand deutlich, da sie Vgl. zu den Reformvorschlägen: A. Mannek: Grundsteuerreform, in: Der Bau- und ImmobilienSachverständige, Jg. 2003, H. 1, S. 5–12; Bericht des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen und des Ministers der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz an die Finanzministerkonferenz, Reform der Grundsteuer, 2004; D. Löhr: Flächenhaushaltspolitische Varianten einer Grundsteuerreform, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 2, S. 121–129.
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eine umfassende periodische Neubewertung der Gebäude voraussetzt – dies ist ja der wesentliche Grund dafür gewesen, warum die Bemessungsgrundlage über Jahrzehnte nicht aktualisiert wurde. Da keine verlässlichen Daten für den Gebäudebestand vorliegen, wäre es erforderlich, die einzelnen Flächen auszumessen, auch künftige Änderungen im Bestand wären nur schwer zu erfassen. Die im Vorschlag der Länderfinanzminister vorgesehene Korrektur des pauschalen Gebäudewertes durch einen Altersabschlag lässt sich bei einem gewachsenen Gebäudebestand kaum begründen, die Qualität der Gebäude ist vielfach nicht am Datum der ursprünglichen Erstellung abzulesen. Der Vorschlag der Länderfinanzminister stellt es – in Anerkennung der unterschiedlichen organisatorischen Bedingungen in den Ländern – dem jeweiligen Landesgesetzgeber frei, den derzeitigen Dualismus bei der Verwaltung der Grundsteuer zwischen (staatlichen) Finanzämtern und Kommunen beizubehalten oder sich für eine Kommunalisierung der Grundsteuer mit Alleinzuständigkeit der Gemeinden auch für die Bemessungsgrundlage auszusprechen. Dem Modell einer verbundenen Boden- und Gebäudesteuer steht der Ansatz einer reinen Bodenwertsteuer gegenüber, wie es in einem vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Auftrag gegebenen Gutachten zu den „Möglichkeiten der Baulandmobilisierung durch Einführung einer bodenwertorientierten Grundsteuer“ vorgeschlagen wird. Im Gegensatz zum geltenden Grundsteuerrecht und anderen Reformmodellen ist der Besteuerungsgegenstand bei diesem Modell allein der Wert des Grund und Bodens mit der Folge, dass die Besteuerung proportional zu dem Wert des Bodens erfolgt. Mithin resultiert die individuelle Höhe der Bodenwertsteuer aus der vom Bodenwert bestimmten Steuermesszahl multipliziert mit dem von der Kommune festgesetzten Hebesatz. Die Praktikabilität dieses Modells erfordert, dass Bodenrichtwerte (§ 196 BauGB) national festgelegt sind. Die aktuellen nach § 196 BauGB vorgesehene Festlegung der Bodenrichtwerte für einzelne lagetypische Grundstücke wäre zur Umsetzung von Modell C ungeeignet. Eine reine Bodenwertsteuer hätte gegenüber einer verbundenen Boden- und Gebäudesteuer den Vorteil, dass sie sich nicht ändert, wenn der Eigentümer das Grundstück bebaut, den vorhandenen Baubestand ausweitet bzw. qualitativ verbessert oder ein Gebäude abreißt. Der Bodenrichtwert bildet jenen Wert ab, den ein unbebautes Grundstück in einer bestimmten Lage und bei gegebenen Nutzungsrechten hat. Eine solche Grundsteuer behindert die optimale Nutzung des Grundstücks nicht. Diese Eigenschaft der Bodenwertsteuer hat auch Vorteile hinsichtlich der Berücksichtigung der die jeweilige Gemeinde überschreitenden Wirkungen. Ein Teil der Leistungen einer Kommune wird auch von Bürgern genutzt, die außerhalb der kommunalen Grenzen wohnen oder arbeiten. Belastet die Kommune nicht nur die Wohnung sondern auch die Gebäude, so kann es zweckmäßig sein, außerhalb der Grenzen dieser Kommune zu investieren, falls die Steuerbelastung einer angrenzenden Kommune geringer ist. Eine Steuer allein auf Bodenwerten hat dagegen keinen Einfluss auf die Wahl des Standortes für die Investition. Neben dem administrativen Vorteil einer Bodenwertsteuer bleibt allerdings die Frage, ob es nicht aus Gründen der Äquivalenz zwischen kommunalen Leistungen und zu zahlenden Steuern gleichwohl angemessener wäre, die Wohnfläche oder die Nutzfläche zusätzlich in die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer aufzunehmen. Dagegen spricht die Tatsache, dass die Wohnfläche pro Kopf deutlich variiert
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nach Wohngebieten und nach dem „Lebenszyklus“ eines Wohngebietes, so dass verschiedene öffentliche Einrichtungen benötigt und unterschiedlich stark in Anspruch genommen werden. Vermutlich ist die Schätzung der Nutzungsintensität anhand der zulässigen baulichen Nutzung über einen mittleren Zeitraum nicht wesentlich unbegründet. Da der Wert des Grundstücks vom Markt, d. h. von potentiellen Nutzern bestimmt wird, hängt die Bemessungsgrundlage unmittelbar davon ab, wie diese die Fläche, das Umfeld, die kommunale Infrastruktur und die sonstigen kommunalen Leistungen beurteilen. Da es sich um Marktpreise handelt, ist sichergestellt, dass sich grundsätzlich die Bewertung jenes potentiellen Nutzers durchsetzt, für den dieser Standort den höchsten Wert hat. Eine Änderung kommunaler Leistungen schlägt sich unmittelbar in dem Bodenpreis nieder, so dass die Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer höher wird, wenn die Standortqualität durch kommunale Maßnahmen verbessert wird und umgekehrt. Auf diese Weise werden die kommunalen Leistungen über den Markt bewertet. Für die Kommune besteht ein Anreiz, vorrangig solche Maßnahmen durchzuführen, die von den Grundstückseigentümern besonders geschätzt werden, denn mit den Bodenwerten steigen die Grundsteuereinnahmen. Unstrittig ist in der Diskussion über die Reform des kommunalen Steuersystems, dass auf keinen Fall auf die Grundsteuer verzichtet werden sollte, zumal es kaum ergiebige Steuern gibt, die dem Neutralitätsprinzip so nahe kommen, wie diese Abgabe. Man könnte eher die Frage stellen, ob nicht die Belastung durch die Grundsteuer, nach einer konsequenten Umformung in eine reine Bodenwertsteuer, erhöht werden sollte, um den Finanzbedarf bei den weniger neutralen Kommunalsteuern zu verringern. Bei solchen Überlegungen ist zu bedenken, dass eine höhere Grundsteuer unmittelbar in das Vermögen der Eigentümer eingreift. Der Wert einer Grundstücksfläche wird im Wettbewerb von den tatsächlichen und potentiellen Nutzern bestimmt. Der Eigentümer hat darauf keinen Einfluss. Er hat Interesse daran, sein Grundstück dem Nutzer zu überlassen, der die höchste Pacht zahlt und für den das Grundstück vermutlich den höchsten Wert hat. Eine höhere Grundsteuer auf den Bodenwert verringert die jährlichen Nettoerträge und den Vermögenswert des Grundstücks. Der Nutzungswert verändert sich durch die Steuer nicht, so dass weder der gegenwärtige Nutzer noch der potentielle Nutzer bereit sein werden, eine höhere Pacht zu zahlen. Die Grundsteuer lässt sich grundsätzlich nicht überwälzen, denn sobald der Nutzungsvertrag ausläuft oder dieser eine Anpassung der Pacht zulässt, wird der Pächter die zu zahlende Steuer von der Pacht abziehen, so dass die Summe aus beiden Zahlungen, also das Nutzungsentgelt, gleich bleibt. Der Eigentümer muss letztlich die volle Grundsteuer tragen. Der Eigentümer kann nicht einmal die Steuerbelastung senken, in dem er das Angebot verringert. In jedem Fall wird der Vermögenswert also um den Barwert der zusätzlichen Steuer verringert. Der Respekt vor dem Eigentum wird deshalb nur kleine Schritte in Richtung einer Erhöhung der Grundsteuer zulassen. Das gilt auch dann, wenn die Eigentümer in der Vergangenheit große Wertsteigerungen erfahren haben. Denn gerade in Gebieten mit hohen Wertsteigerungen haben die Grundstücke den Eigentümer häufig gewechselt und der neue Eigentümer hat den entsprechenden Kaufpreis zahlen müssen. Es gibt keinen Grund, diesen neuen Eigentümern einen besonderen Vermögensbeitrag zugunsten der Kommune abzuverlangen. Im Ergebnis kann die Grundsteuer in der Form einer
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reinen Bodenwertsteuer deshalb zwar einen leicht steigenden Beitrag zu den kommunalen Steuereinlagen leisten. Sie ist aber nicht geeignet, andere Steuerquellen zu einem großen Teil oder ganz zu ersetzen. 3.3
Die Gewerbesteuer13
3.3.1 Die allgemeinen Kennzeichen (1)
(2)
Die Gewerbesteuer geht zurück auf die von der Ersten französischen Republik 1791 eingeführte „contribution des patentes“ (meist kurz „patentes“ genannt), die in Frankreich erst 1976 durch die „taxe professionelle“ ersetzt wurde. Besteuerungsgrundlagen der „patentes“ waren nicht der Ertrag, sondern Ertragsindikatoren (z. B. der Wert der Geschäftsräume und Maschinen, getrennt nach diversen Gewerbeklassen); es handelte sich also von Anfang an ebenfalls um eine Objekt- bzw. Realsteuer (Sollertragsteuer). In Preußen wurde – daran anknüpfend – das Gewerbesteuergesetz von 3.5.1820 erlassen, das sechs Gewerbeklassen (Handel, Gastwirte, Bäcker usw.) unterschied und ein zuvor festgelegtes Steuerkontingent auf die einzelnen Gewerbeklassen und innerhalb der Klassen auf die einzelnen Steuerpflichtigen (zurück-) verteilte. Das Gewerbesteuergesetz v. 29.6.1891, das im Zuge der Miquelschen Steuerreform in Preußen erlassen wurde, verminderte die Zahl der Gewerbeklassen und führte die Besteuerung nach der Höhe des Ertrages und des Kapitals ein. Die Kontingentierung (Repartitionssystem) blieb jedoch im Wesentlichen erhalten. Die Gemeinden konnten daneben eigene Gewerbesteuerordnungen erlassen und darin neben Ertrag und Kapital auch die Zahl der Arbeitnehmer als Besteuerungsgrundlage einführen; an die Stelle der Arbeitnehmer trat im Laufe der Zeit die gezahlte Lohnsumme. In den süddeutschen Staaten ist jedoch die Zahl der Arbeitnehmer bzw. die Lohnsumme nicht sehr verbreitet gewesen; und auch als die Realsteuergesetzgebung von 1936 ein einheitliches Gewerbesteuerrecht für das ganze Reichsgebiet mit obligatorischer Besteuerung von Ertrag und Kapital und mit fakultativer Besteuerung der Lohnsumme einführte, war die Lohnsummenbesteuerung (bzw. die Lohnsummensteuer als Bestandteil der Gewerbesteuer) im Wesentlichen nur in den preußischen Nachfolgeländern verbreitet. Während heute die Gewerbesteuer allein auf dem Gewerbeertrag liegt, war sie auch in der Bundesrepublik zuvor breiter angelegt gewesen: 1.
13
Bis 1979 konnten Gemeinden in einigen Bundesländern mit Genehmigung des jeweiligen Landes auch eine Lohnsummensteuer als Teil der Gewerbesteuer erheben, die auf der Lohnsumme als Bemessungsgrundlage lag und deren Satz von der Gemeinde gesondert festgelegt wurde. Die Lohnsummensteuer hatte den Vorteil, auch dort Gewerbesteueraufkommen zu bringen, wo Unternehmen kurzfristig aus konjunkturellen oder langfristig aus strukturellen Gründen keinen Gewinn erwirtschaften und wenig steuerlich wirksames Kapital aufweisen, aber der Gemeinde nach wie vor Ausgaben verursachen.
Vgl. H. Zitzelsberger: Neuerliche Entwicklungstendenzen der Gewerbesteuer und Reformvorschläge, Siegburg 1985; H. Karrenberg: Zum Stand der Gewerbesteuerdiskussion, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, Jg. 1988, H. 8, S. 174 ff.
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2.
3.
Bis 1997 enthielt die Gewerbesteuer auch eine Gewerbekapitalsteuer. Die Basis bildete hier der Einheitswert des gewerblichen Betriebes im Sinne des Bewertungsgesetzes. Durch Hinzurechnen und Kürzungen entstand daraus das Gewerbekapital. Es wurde mit einer Steuermesszahl von 2 o/oo multipliziert und führte zum „Steuermessbetrag nach dem Gewerbekapital“. Die beiden Steuermessbeträge auf Gewerbeertrag und Gewerbekapital wurden dann zum „einheitlichen Steuermessbetrag“ addiert, auf den die Gemeinde ihren Hebesatz legte. Die anhaltende wirtschaftliche Schwäche der neuen Bundesländer erzwang 1997 den Austausch der Gewerbekapitalsteuer gegen einen kommunalen Anteil an der Umsatzsteuer. Die gegenwärtige Gewerbesteuer beruht auf dem Gewerbesteuergesetz als Bundesgesetz. Es legt die Bemessungsgrundlage und den Steuersatz fest. Die Gemeinden erheben dann hierauf einen Hebesatz. Bis 1969 floss der Ertrag der Gewerbesteuer voll den Gemeinden zu. Mit Wirkung zum 1.1.1970 wurde der Einkommensteueranteil der Gemeinden eingeführt. Gleichzeitig müssen die Gemeinden seither einen Teil des Aufkommens der Gewerbesteuer in Form der Gewerbesteuerumlage an das jeweilige Bundesland und an den Bund abführen.
3.3.2 Die Gewerbesteuer-Umlage (1)
(2)
Die Gewerbesteuerumlage, die aufgrund der Ermächtigung des Art. 106 Abs. 6 Satz 4 GG seit 1970 durch das Gemeindefinanzreformgesetz v. 8.9.1969 (BGBl. I S. 1587) eingeführt worden ist, soll an dieser Stelle kurz erläutert werden, obwohl sie keine kommunale Einnahme ist. Sie spielt jedoch insofern eine Rolle, als sie einerseits die kommunalen Gewerbesteuereinnahmen mindert und andererseits die kommunale Finanzplanung erschwert. Seit 1970 sind die kommunalen Gewerbesteuereinnahmen (brutto) von den nach Abzug der Umlage verbleibenden Steuern (netto) zu unterscheiden. Die Gewerbesteuerumlage sollte die früher bestehende einseitige Abhängigkeit der Gemeinden von der konjunkturempfindlichen Gewerbeertragsteuer vermindern. Ursprünglich war geplant, nach einigen Jahren die Gewerbesteuer selbst um den Betrag der Umlage zu verringern. Dies wurde jedoch nicht umgesetzt, weil der Bund und die Länder auf die Einnahmen aus der Umlage nicht mehr glaubten verzichten zu können. Zum Ausgleich der durch die Umlage eintretenden Steuerausfälle erhielten die Gemeinden ab 1970 einen Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer (vgl. unten unter 5.). Dieser Tausch der Gewerbesteuerumlage gegen die Einkommensteueranteil hatte sich für die Gemeinden zunächst ausgezahlt: Während 1971 von den Gemeinden 4,7 Mrd. DM Gewerbesteuerumlage zu zahlen waren, erhielten sie im gleichen Jahr 7,7 Mrd. DM aus dem Einkommensteueranteil; der Saldengewinn schlug also mit 3 Mrd. DM zu Buche. 1985 betrug die Gewerbesteuerumlage nach mehrmaliger Kürzung 5,2 Mrd. DM, während der Einkommensteueranteil, u. a. wegen der Anhebung der Anteilssatz von 14 auf 15 v. H., auf 24,5 Mrd. DM gestiegen war. Dieser „Gewinn“ ist inzwischen durch die Ausgabenentwicklung längst aufgezehrt. Die Spreizung prägte sich seit 2004 noch stärker aus, da die an den Bund und die
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Länder abzuführende Umlage des Gewerbesteuer-Aufkommens auf insgesamt 30 v. H. angehoben worden ist. Seit der Wiedervereinigung dient die Umlage auch als Instrument, um die Gemeinden an der Finanzierung der wirtschaftlichen Lasten der Einigung zu beteiligen. Der Bund und die Länder erhalten so fast 30% des gesamten Gewerbesteueraufkommens. Am Ende des Jahres 2003 wurde in Reaktion auf den massiven Gewerbesteuereinbruch in den Jahren 2001, 2002 und 2003 und als Minimalkompromiss zur angestrebten Reform der Gewerbesteuer dieser Satz wieder auf 20% zurückgeführt. Die Zukunft der Gewerbesteuerumlage ist untrennbar mit der Zukunft der Gewerbesteuer selbst verknüpft. Es stellt sich die Frage, welche sinnvolle Funktion diese mit vielen Mängeln behaftete Umlage im föderalen System überhaupt noch haben kann. 3.3.3 Die Gewerbeertragsteuer (1)
(2)
Der Gewerbeertrag ist die aktuelle Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer. Deshalb wird im Folgenden auch nur von der Gewerbesteuer gesprochen. Diese ist eine Objektsteuer. Im Gegensatz zu den Subjektsteuern, wie z. B. der Einkommensteuer, wird bei diesen Steuern nicht die Leistungsfähigkeit einer Person, sondern eine Sache, in dem konkreten Fall der Gewerbebetrieb, besteuert. Im Sinne des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) interessiert nicht, wem der Gewerbebetrieb gehört und wem die Erträge zufließen, sondern einzig und allein die objektivierte Ertragskraft des Unternehmens. Der Gewerbesteuer unterliegt jeder Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Hierunter versteht man ein gewerbliches Unternehmen i. S. des § 15 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), also eine
(3)
selbständige (auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung) nachhaltige Betätigung (auf bestimmte Dauer und Wiederholung angelegt, also eine ständige Erwerbsquelle) die mit Gewinnerzielungsabsicht (Absicht zur Mehrung des Betriebsvermögens), und in Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (Teilnahme am Leistungs- und Güteraustausch) unternommen wird und weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch eines freien Berufs noch als andere selbständige Arbeit anzusehen ist.
Steuerschuldner ist derjenige, für dessen Rechnung das Gewerbe betrieben wird (Unternehmer). Steuerberechtigt ist die Gemeinde, in der eine Betriebsstätte zur Ausübung des stehenden Gewerbes unterhalten wird. Für Einzelgewerbetreibende und Personengesellschaften beginnt die Gewerbesteuerpflicht in dem Zeitpunkt, in dem erstmals alle Voraussetzungen erfüllt sind, die zur Annahme eines Gewerbebetriebes erforderlich sind, für Kapitalgesellschaften mit der Handelsregistereintragung. Sie endet bei Einzelgewerbetreibenden und Personengesellschaften mit Einstellung des Betriebs, bei Kapitalgesellschaften erst mit Niederlegung jeglicher Tätigkeit; das ist i. d. R. der Zeitpunkt, in dem das Vermögen an die Gesellschafter verteilt worden ist.
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Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(4)
Besteuerungsgrundlage der Gewerbesteuer ist der Gewerbeertrag. Dies ist der nach den Vorschriften des EStG oder des KStG zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der um gesetzlich bestimmte Kürzungen und Hinzurechnungen ergänzt wird.
(5)
Ausgangspunkt ist der Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der der Einkommensteuer oder Körperschaftssteuer zugrunde gelegt wird (§ 7 GewStG). Bei der Ermittlung des Gewerbeertrages sind dem Gewinn bestimmte Beträge wieder hinzuzurechnen, die bei der Gewinnermittlung nach dem EStG abgezogen wurden (§ 8 GewStG). Die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen ist um gesetzlich festgesetzte Beträge zu kürzen (§ 9 GewStG). Ein Gewerbeverlust liegt vor, wenn der Gewerbeertrag (Gewinn + Hinzurechnungen – Kürzungen) einen negativen Betrag ergibt. Der aktuelle Gewerbeertrag ist um die Gewerbeverluste der vorangegangenen Erhebungszeiträume zu kürzen. Seit dem Erhebungszeitraum 2004 ist dies nur noch bis zu einem Betrag in Höhe von 1 Mio. Euro möglich (§ 10 a GewStG).
Steuermessbetrag und Gewerbeertrag Zur Berechnung der Gewerbesteuer ist von einem Steuermessbetrag auszugehen. Dieser ist durch Anwendung eines Prozentsatzes (Steuermesszahl) auf den Gewerbeertrag zu ermitteln (§ 11 GewStG).
Steuermesszahl
bis 2007 5% Staffelung (§ 11 Abs. 2 GewStG) für Personenunternehmen - für die ersten 12.000 EUR - für weitere 12.000 EUR - für weitere 12.000 EUR - für weitere 12.000 EUR - für alle weiteren Beträge andere Gewebebetriebe
ab 2008 3,5% keine Staffelung 1% 2% 3% 4% 5%
5%
Der Steuermessbetrag wird für den Erhebungszeitraum nach dessen Ablauf festgesetzt (§ 14 GewStG). Der Gewerbeertrag ist auf volle 100 EUR nach unten abzurunden. Der abgerundete Gewerbeertrag ist zu kürzen:
bei natürlichen Personen sowie bei Personengesellschaften (z. B. OHG, KG) um einen Freibetrag von 24.500 EUR; bei bestimmten sonstigen juristischen Personen, z. B. bei rechtsfähigen Vereinen, um einen Freibetrag von 3.900 EUR; höchstens jedoch in Höhe des abgerundeten Gewerbeertrags; für Kapitalgesellschaften (AG, GmbH; KGaA) gibt es keinen Freibetrag.
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Die Steuer wird auf Grund des Steuermessbetrags mit einem Prozentsatz (Hebesatz, mindestens 200%) festgesetzt und erhoben, der von der hebeberechtigten Gemeinde zu bestimmen ist (§ 16 GewStG). Ermittlung der Gewerbesteuerschuld
bis 2007 Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG) Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) u. a. 1. 50% der Entgelte für Dauerschulden 2. 100% Renten und dauernde Lasten 3. 100% Gewinnanteile des stillen Gesellschafters 4. 50% der Miet- und Pachtzinsen für die Benutzung der nicht in Grundbesitz bestehenden Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die im Eigentum eines anderen stehen
= =
= x = x =
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Kürzungen (§ 9 GewStG) maßgeb. Gewerbeertrag (§ 10 GewStG) Gewerbeverlust (§ 10a GewStG) Gewerbeertrag abgerundet auf volle 100 EUR (§ 11 Abs. 1 S. 3 GewStG) ggf. Freibetrag von 24.500 EUR (§ 11 Abs. 1 GewStG) verbleibender Betrag Steuermesszahl (§ 11 Abs. 2 GewStG) 5%, Staffelung für Personenunternehm. Steuermessbetrag Hebesatz der Gemeinde (§ 16 GewStG) Gewerbesteuerschuld
ab 2008 Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG) + Hinzurechnungen (§ 8 GewStG) u. a. 1. 100% der Entgelte für Schulden 2. 100% Renten und dauernde Lasten 3. 100% Gewinnanteile des stillen Gesellschafters 4. 20% der Miet-, Pachtzinsen, Leasingraten für die Benutzung von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögen 5. 65% der Miet-, Pachtzinsen, Leasingraten für die Benutzung der unbeweglichen Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens und 6. 25% der Aufwendungen für Überlassung von Konzessionen und Lizenzen - Freibetrag von 100.000 EUR (§ 8 Nr. 1 GewStG) = Zwischensumme, davon 25% Kürzungen (§ 9 GewStG) = maßgeb. Gewerbeertrag (§ 10 GewStG) Gewerbeverlust (§ 10a GewStG) = Gewerbeertrag abgerundet auf volle 100 EUR (§ 11 Abs. 1 S. 3 GewStG) ggf. Freibetrag von 24.500 EUR (§ 11 Abs. 1 GewStG) = verbleibender Betrag x Steuermesszahl (§ 11 Abs. 2 GewStG) 3,5% = x =
Beispiel: Gewerbeertrag abgerundet nach Hinzurechnung/Kürzungen Freibetrag verbleibender Gewerbeertrag x 3,5 Prozent Steuermessbetrag x Hebesatz (z. B. Hannover 460% Gewebesteuerschuld
Steuermessbetrag Hebesatz der Gemeinde (§ 16 GewStG) Gewerbesteuerschuld
100.000,00 Euro - 24.500,00 Euro 75.500,00 Euro 2.642,50 Euro 12.155,50 Euro
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Bilanzielle Berücksichtigung Rechtslage bis einschließlich 2007 Bis einschließlich 2007 war die Gewerbesteuer als Betriebsausgabe abzugsfähig. Deshalb waren (letztmalig) bei der Schlussbilanz 2007 nicht nur die Gewerbesteuervorauszahlungen als Schuld zu berücksichtigen, sondern für die zu erwartende Abschlusszahlung eine sog. Gewerbesteuerrückstellung einzusetzen. Eine exakte Berechnung unter Berücksichtigung der eigenen Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer lässt sich nur mit einer mathematisch anspruchsvollen Berechnung durchführen, die in der Fachliteratur näher erläutert wird. Nach R 20 Abs. 2 EStR ist als Näherungslösung die sog. Fünf-Sechstel-Methode zulässig; sie liefert allerdings nur bei einem Hebesatz von 400% und für die Regelmesszahl 5% ein genaues Ergebnis. Hiernach werden Gewerbesteuerrückstellungen mit schätzungsweise 5/6 des Betrages der Gewerbesteuer angesetzt, der sich ohne Berücksichtigung der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe ergeben würde.
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Rechtslage ab 2008 Mit Inkrafttreten des Unternehmensteuerreformgesetzes am 1. Januar 2008 entfällt die Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe. Anrechnung der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer Gemäß § 35 EStG wird bei Personenunternehmen die Gewerbesteuerzahl auf die Einkommensteuerschuld für Einkünfte aus Gewerbebetrieb angerechnet. Diese steuerliche Entlastung für Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist als Ausgleich für die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf bisher 25% und ab 2008 auf 15% bei Kapitalgesellschaften gedacht. Die Ermäßigung nach § 35 EStG beschränkt sich auf den Anteil der Einkommensteuer, der auf gewerbliche Einkünfte entfällt. Der Anrechnungsbetrag ergibt sich aus dem mit einem Anrechnungsfaktor multiplizierten Gewerbesteuermessbetrag. Der Anrechnungsfaktor beträgt: Anrechnungsfaktor der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer bei Personenunternehmen
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bis 2007
ab 2008
1,8
3,8
Die Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer kann maximal bis auf 0 EUR erfolgen. Ohne eine Überschreitung des Freibetrags von 24.500 EUR scheidet eine Gewerbesteueranrechnung aus. Gewerbesteuererklärung Nach § 25 Gewerbesteuerdurchführungsverordnung (GewStDV) ist eine Gewerbesteuererklärung abzugeben für
alle gewerbesteuerpflichtigen Einzelunternehmen und Personengesellschaften, deren Gewerbeertrag im Erhebungszeitraum den Freibetrag von 24.500 EUR überstiegen hat; Kapitalgesellschaften, soweit sie nicht von der Gewerbesteuer befreit sind; Vereine, die einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhalten und deren Gewerbeertrag im Erhebungszeitraum 3.900 EUR überstiegen hat.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(10)
(11)
125
Ausgangsbasis der Gewerbesteuererklärung ist der für die Körperschaftsteuer bzw. die Einkommensteuer ermittelte Gewinn aus Gewerbebetrieb. Zusätzlich hierzu hat der Gewerbetreibende Hinzurechnungen und Kürzungen bei seiner Gewerbesteuererklärung vorzunehmen. Für die Gewerbesteuererklärung sind die amtlichen Vordrucke zu verwenden. Die Formulare können online ausgefüllt werden im Formular-Management-System (FMS) der Bundesfinanzverwaltung. Die Verpflichtung zur Abgabe der Gewerbesteuererklärung zieht die Verpflichtung zu Vorauszahlungen (§ 19 GewStG) nach sich. Die Vorauszahlungen, die vierteljährlich (15. Februar, 15. Mai, 15. August, 15. November) zu leisten sind, werden normalerweise durch den letzten Gewerbesteuerbescheid festgesetzt und betragen grundsätzlich je ein Viertel der Steuer, die sich bei der letzten Veranlagung ergeben hat. Erstmals mit dem Erhebungszeitraum 2004 wurde für die Gemeinden mit § 16 Abs. 4 S. 2 in das Gewerbesteuergesetz eine zur Erhebung von Gewerbesteuer verpflichtende Vorschrift eingeführt. Dadurch sollte verhindert werden, dass das Hebesatzrecht der Kommunen durch den in einzelnen Gemeinden geübten Verzicht auf die Festsetzung eines Hebesatzes ausgehöhlt wird. § 16 Abs. 4 S. 2 GewStG regelt einen Mindestgewerbesteuer-Hebesatz von 200% und begründet so eine entsprechende Gewerbesteuerbelastung auch dann, wenn die Gemeinde keinen oder einen niedrigeren Hebesatz bestimmt hat. Zuständigkeit Für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen, die Festsetzung des Steuermessbetrages und den Erlass des Messbescheides ist das Finanzamt zuständig, in dessen Bezirk sich der Gewerbebetrieb befindet. Für die Festsetzung der Gewerbesteuer ist die jeweilige Gemeinde zuständig, in der sich der Gewerbebetrieb befindet. Werden Betriebsstätten in mehreren Gemeinden unterhalten, ist der Steuermessbetrag in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile zu zerlegen. Zerlegungsmaßstab sind die Arbeitslöhne, die in den Betriebsstätten der einzelnen Gemeinden bezahlt worden sind (Einzelheiten vgl. § 29 GewStG).
4
Die Umsatzsteuerbeteiligung der Gemeinden
(1)
Die 1997 eingeleitete Umschichtung der Gewerbesteuer zu einer Beteiligung der Gemeinden an der Umsatzsteuer (vgl. oben 3.3.1.) hat zwar mit der Aufhebung der Gewerbekapitalsteuer eine wichtige strukturelle Bereinigung bewirkt, die Last der Gewerbesteuer hat sie aber nicht dauerhaft mildern können. Eine Fortsetzung dieses Weges, der auf einen mehr oder minder deutlichen Rückbau, aber keine Abschaffung der Gewerbesteuer angelegt ist, wird von den Gemeinden – vornehmlich aus Verteilungsgründen – abgelehnt. Woran entzündet sich die Kritik der Gemeinden? Gemäß Art. 106 V a GG erhalten die Gemeinden seit dem 1.1.1998 einen Anteil an dem Aufkommen der Umsatzsteuer, der gesetzlich auf 2,2 v. H. festgelegt worden ist. Das entsprach 1998 einem Finanzvolumen von 5,5 Mrd. DM. Während die Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer zu 3/4 nach der Einwohnerzahl und zu 1/4 nach Steuerertragsschwäche erfolgt, wird der gemeindliche Umsatzsteu-
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Teil E. Die kommunalen Einnahmen
eranteil von 2,2 v. H. nach anderen Kriterien verteilt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die gemeindliche Umsatzsteuerbeteiligung eine finanzielle Kompensation der Gemeinden für die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer im bisherigen Bundesgebiet und die dauerhafte Nichterhebung in den ostdeutschen Ländern zum 1.1.1998 gewährleisten soll. Bei der Verteilung auf die einzelnen Gemeinden soll erreicht werden, dass diese möglichst ein Aufkommen erhalten, welches dem bisherigen Gewerbekapitalsteueraufkommen entspricht. In Art. 106 V a 2 GG ist daher bestimmt, dass der gemeindliche Anteil am Umsatzsteueraufkommen von den Ländern auf der Grundlage eines orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssels an die Gemeinden weitergeleitet wird. Gerade an der Fixierung dieses Schlüssels entzündet sich die kommunale Kritik. Die Verteilung des Gemeindeanteils an der Umsatzsteuer auf die einzelnen Gemeinden erfolgte zunächst in den Jahren 1998 und 1999 nach folgendem Schema: In einem ersten Schritt wurde der Umsatzsteueranteil der Gemeinden auf die Länder im bisherigen Bundesgebiet einschl. Berlin (West) und die neuen Länder einschl. Berlin (Ost) im Verhältnis 85 : 15 aufgeteilt. Dann wurde der auf die Gemeinden entfallende Anteil von den jeweiligen Ländern nach einem bundesgesetzlich geregelten Verteilungsmaßstab auf die einzelnen Gemeinden ihres Gebiets aufgeteilt. Für die Gemeinden in den alten Ländern setzt sich der Verteilungsschlüssel zu 70% aus dem bisherigen durchschnittlichen Gewerbesteueraufkommen der Jahre 1990 – 1996 sowie zu 30% aus der durchschnittlichen Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne öffentlichen Dienst i. e. S.) vom 30.6.1990 bis 31.12.1995 zusammen. Die Schlüsselzahlen wurden so gewählt, dass sie den Anteil in der betreffenden Gemeinde an der Summe der entsprechenden Gemeindewerte für das jeweilige Bundesland widerspiegelten. In den neuen Ländern wurde bei den einzelnen Gemeinden dagegen ausschließlich die Verteilung des bisherigen Gewerbesteueraufkommens der Jahre 1992 bis 1996 zugrunde gelegt. Im Jahre 1999 ist dieser zunächst für einen Übergangszeitraum festgelegte Verteilungsschlüssel mit dem Ziel einer Anpassung ab dem Jahre 2000 überprüft worden. Ab dem Jahre 2003 wurde auf einen fortschreibungsfähigen orts- und wirtschaftsbezogenen Schlüssel mit den Schlüsselelementen „Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne Beschäftigte von Gebietskörperschaften und Sozialversicherungen sowie deren Einrichtungen)“, „Sachanlagen“, „Vorräte“ sowie „Löhne und Gehälter“ umgestellt. Das Verhältnis der Merkmale zueinander wird durch Gesetz festgelegt. Damit wurde zwar eine Korrektur in der Verteilung des Gemeindeanteils der Umsatzsteuer für die Jahre 2000 bis 2002 zugunsten jener Städte erreicht, die von der Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer überdurchschnittlich betroffen sind. Für viele Städte, in denen die Gewerbekapitalsteuer eine besonders große Bedeutung besessen hatte, bleibt es allerdings auch nach den neuen Verteilungsschlüsseln bei teilweise unausgeglichenen Verlusten infolge des Ersatzes der Gewerbekapitalsteuer durch den Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer. In 2007 wurde deshalb der Schlüssel nochmals in einer schrittweisen Annäherung bis 2018 so verändert, dass dann für die Verteilung vor Ort 25% auf dem Gewerbesteueraufkommen, 50% auf der Anzahl der Beschäftigten und 25% aus den sozialversicherungspflichtigen Entgelten am Arbeitsort entfallen.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
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5
Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer
(1)
Bis 1969 waren die Gemeinden nicht an der Einkommensteuer beteiligt und konnten auch keine eigene Steuer dieser Art erheben. Durch die Finanzreform von 1969 partizipieren sie an der Einkommensteuer, die weiterhin auf einem Bundesgesetz beruht und bundeseinheitliche Bemessungsgrundlagen und Steuersätze aufweist. In Art. 106 Abs. 5 GG ist die Möglichkeit vorgesehen, dass die Gemeinden einen Hebesatz auf ihren Einkommensteueranteil erheben dürfen. Bisher ist diese verfassungsrechtliche Möglichkeit aber nicht genutzt worden (vgl. unten 7.). Als Grund wurden „verwaltungsmäßige Komplikationen“ oder mögliche größere regionale Disparitäten im Steueraufkommen genannt. Aus Abb. 9 ist zu ersehen, wie die entsprechende Einnahme, die der einzelnen Gemeinde aus dem Einkommensteueranteil zusteht, an diese Gemeinde gelangt. Bei dieser Ermittlung sind zwei Stufen (2 und 3) zu unterscheiden Die Gemeinden eines Bundeslandes erhalten als Gesamtheit 15% des Aufkommens der Einkommensteuer, das auf dieses Bundesland entfällt. Infolgedessen ist zunächst festzustellen, wie hoch das Aufkommen in einem Bundesland in einem bestimmten Zeitraum war. Dazu ist beispielsweise zwischen den Bundesländern eine Zerlegung erforderlich, wenn die Betriebsstätte (wo die Lohnsteuer im Wege des Quellenabzugverfahrens einbehalten worden war) in einem anderen Bundesland liegt als der Wohnort des Arbeitnehmers. Die Feststellung dieses Anteils von 15% und damit der in einem Bundesland insgesamt zu verteilenden Gesamtmasse ist noch vergleichsweise einfach. Schwieriger gestaltet sich dagegen die Bestimmung des Anteils, den die einzelne Gemeinde aus dieser zu verteilenden Gesamtmasse erhalten soll. Die Forderung, dass dies nach Maßgabe der Steuerleistung der Bürger dieser Gemeinde erfolgen solle, wurde vom Gesetzgeber eingeschränkt. Es sollte verhindert werden, dass einzelne Gemeinden vorwiegend Bezieher sehr hoher Einkommen anzulocken suchen und dass das im Konjunkturablauf (progressionsverstärkt) stark schwankende Aufkommen aus diesen hohen Einkommen diese Gemeinden dann zu einem prozyklischen Ausgabeverhalten verleiten könnte. Daher wurde festgelegt, dass der Schlüssel, nach dem eine Gemeinde am 15%-Landesaufkommen beteiligt wird, sich nur auf das „Sockelaufkommen“ der Einkommensteuer dieses Landes bezieht. Das Sockelaufkommen ist diejenige Einkommensteuer, die auf die zu versteuernden Einkommen bis zur „Sockelgrenze“ („Höchstbetrag“) entfällt; diese Sockelgrenze beträgt z. Zt. 40.000/80.000 DM jährliches steuerpflichtiges Einkommen (für Einzelveranlagte bzw. Ehepaare) in den alten Bundesländern und 25.000/50.000 DM in den neuen Bundesländern. Wenn das steuerpflichtige Einkommen der einzelnen Steuerzahler über diesem zu versteuernden Einkommen liegt, wird der auf den überschießenden Betrag entfallende Anteil der Einkommensteuer also nicht berücksichtigt. Der Schlüssel, der in Abb. 9 abgeleitet ist, besteht also aus dem Sockelaufkommen der Gemeinde als Anteil am Sockelaufkommen im gesamten Bundesland. Der sich für die einzelne Gemeinde ergebende Prozentsatz wird dann aber nicht auf das Sockelaufkommen, sondern auf die oben beschriebene Summe von 15% des im Land insgesamt aufgekommenen Volumens an Einkommensteuer angewendet. Dadurch wird zwar das gesamte Volumen verteilt, aber die einzelne Gemeinde kann
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128
(3)
(4)
(5)
14
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
durch die Gewinnung von Einwohnern mit Einkommensteilen oberhalb des Sockelaufkommens ihren Anteil nicht erhöhen. Die entsprechenden Schlüsselzahlen werden auf der Grundlage der in einem dreijährigen Turnus zu erstellenden Steuerstatistik errechnet und sind mit vier Jahren Verzögerung für die folgenden drei Jahre gültig. Die Logik der Ermittlung der Gesamtmasse und der Ermittlung des Anteils der einzelnen Gemeinde ist also unterschiedlich. Die 15% des Landesaufkommens der Einkommensteuer ergeben sich aus der Einkommensteuer auf alle Einkommenshöhen, also auch auf die Beträge, die auf Einkommensanteile oberhalb der Sockelgrenze entfallen. Wenn diese Gesamtmasse auf die Gemeinden verteilt wird, wird hierzu aber ein Schlüssel verwendet der die höheren Einkommensanteile ausschließt. Dieses kleinere Volumen dient also als Gewichtungs-Schema, um das größere Volumen auf die Gemeinden aufzuteilen. Die Verteilung nach dem regionalen Aufkommen gilt also nur für die Gesamtheit der Gemeinden eines Bundeslandes. Gemeinden eines einkommensteuerstarken Bundeslandes erhalten also mehr „Verteilungsmasse“ als die „armen“ Länder. Innerhalb des Bundeslandes hingegen wird bei der Aufteilung auf die Gemeinden eine Art von Begrenzung durch „Kappen“ hoher Einzeleinkommen praktiziert. Dies ist eine vor allem verteilungspolitisch motivierte Maßnahme, die für sich genommen eher Fehlanreize setzt. Warum sollte sich ein Kämmerer nicht auch um Bezieher höherer Einkommen bemühen, zumal, wenn diese auch ein Indiz für gelungenes regionales Wachstum sein können? Durch die Begrenzung auf die Proportional-Zone wird die kommunale „Einkommensteuer-Produktivität“, d. h. die gemeindliche Einkommensteuer-Leistung je Steuerzahler in den Kernstädten gewissermaßen eingefroren, obwohl gerade in diesen Agglomerationen i. d. R. auch für das Umland zentrale Funktionen vorgehalten werden. Gerade daran entzünden sich die Kritik und die Überlegungen für eine Reform (vgl. unten unter 7.). Aktuelle Berechnungen zeigen, dass in den alten Bundesländern die „Gewinner“ dieser fortgesetzten Umverteilungen die Ortsgrößen unterhalb von 50 000 Einwohnern, vor allem Gemeinden im Umland der Kernstädte, sind. Die schon aus der Vergangenheit bekannten kumulativen Dauerverluste der großen und größeren Städte haben sich stetig ebenso verstärkt wie die Gewinne der kleineren Gemeinden. Für die neuen Bundesländer ergibt sich ein vergleichbares Bild. Allerdings zeigt sich hier, dass sogar die Gemeinden mit 20 000 bis 50 000 Einwohnern noch zu den Verlierern des angewandten Schlüssels gehören. Dass diese Umverteilungsverluste in den neuen Ländern bis in diese Gemeindegrößenklasse herunterreichen, dürfte auf die andere Größenstruktur der ostdeutschen Städten und Gemeinden zurückzuführen sein. Die großen „Gewinner“ dieses Umverteilungsprozesses sind in den neuen Ländern die Gemeinden mit unter 3 000 Einwohnern. Mit dem „Gesetzentwurf zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes“ von 2001 hat die Bundesregierung eine Anhebung des Sockelbetrags in den alten Ländern auf 50 000/100 000 DM und in den neuen Ländern auf 40 000/ 80 000 DM vorgeschlagen. Dabei würden sich die erwähnten strukturellen Effekte zugunsten der kleineren Gemeinden abschwächen, sie würden aber nicht gänzlich entfallen14. Vgl. Deutscher Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2000, S. 40.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Abbildung 9: (1) (2) (3)
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Die Ermittlung des Aufkommens der einzelnen Gemeinde aus dem kommunalen Einkommensteueranteil
Festlegung der Steuerzahlung des einzelnen Steuerzahlers durch das Einkommensteuergesetz als Bundesgesetz; bundeseinheitlich Bestimmung der an die Gesamtheit der Gemeinden eines Bundeslandes zu verteilenden Gesamtmasse an Einkommensteuer; = 15% des Landesaufkommens der Einkommensteuer Bestimmung des Anteils der einzelnen Gemeinde: Gemeindeeinnahme aus Gemeindeanteil Einkommensteuer = Landesaufkommen x „Schlüsselzahl“ dieser Gemeinde. „Schlüsselzahl“ = Anteil dieser Gemeinde am Sockelaufkommen der Einkommensteuer dieses Landes. Sockelaufkommen = Einkommensteuer, die auf die „zu versteuernden Einkommen“ bis zu der Sockelgrenze entfällt. 15 Sockelgrenze („Höchstbetrag“) z. Zt. 40 000/80 000 DM . Die Schlüsselzahl wird nach der Steuerstatistik ermittelt, und zwar: Anwendungsjahr der Schlüsselzahl
1970 – 1971 1972 – 1074 1975 – 1977 1978 1979 – 1981 1982 – 1984 1985 – 1987 1988 – 1900 1991 – 1993 1994 – 1996 1997 ff.
Erhebungsjahr der Steuerstatistik 1965 1968 1971 1974 1974 1977 1980 1983 1986 1989 1992
1
Sockelgrenze (ledig/verheiratet) 8 000/16 000 DM 16 000/32 000 DM 16 000/32 000 DM 16 000/32 000 DM 25 000/50 000 DM 25 000/50 000 DM 32 000/64 000 DM 32 000/64 000 DM 32 000/64 000 DM 40 000/80 000 DM 40 000/80 000 DM
Da die Ermittlung der Schlüsselzahlen technisch aufwendig ist, wird sie nur alle drei Jahre durchgeführt. Dazu müssen Statistische Landesämter und Finanzämter zusammenarbeiten. Die einzelne Gemeinde bemüht sich, alle Lohnsteuerkarten zu erfassen, also auch für den Fall, dass kein Lohnsteuerjahresausgleich oder keine Einkommensteuererklärung erfolgt ist, aber dennoch Steuern gezahlt worden sind (z. B. für sehr niedrige Arbeitsentgelte). – Durch diese Erfassung im Drei-Jahres-Abstand stehen sich schrumpfende Gemeinden gut, wenn in der Zwischenzeit ihre Einkommensteuerbasis abgenommen hat, während wachsende Gemeinden benachteiligt sind, wenn in der Zwischenzeit die gewachsenen Bemessungsgrundlagen und dadurch gestiegene Steuersätze unberücksichtigt bleiben. Beispielsweise ist dieser Effekt im Verhältnis der Kernstadt (mit häufig schrumpfender Bevölkerung) zu den umliegenden „Schlafstädten“ (mit zunehmender Bevölkerung) von Bedeutung. Quelle: H. Zimmermann: Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 176.
15
In den neuen Bundesländern gelten 25.000/50.000 DM jährliches steuerpflichtiges Einkommen als Sockelgrenzen.
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Teil E. Die kommunalen Einnahmen
6
Die sonstigen („kleinen“) Gemeindesteuern
(1)
Neben den vorstehend etwas eingehender beschriebenen Hauptsteuereinnahmen der Gemeinden gibt es eine – allerdings längst nicht mehr in allen Bundesländern einheitliche – Anzahl sonstiger Gemeindesteuern. Wegen ihres relativ geringen Aufkommens (etwa 1 Mrd. DM, also ca. 1 v. H. des kommunalen Gesamtsteueraufkommens von ca. 100 Mrd. DM im Jahr 2000) werden sie bei der Darstellung der Kommunalsteuern häufig vernachlässigt. Bei diesen Gemeindeabgaben handelt es sich in erster Linie um die „örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern“, für die gemäß Art. 105 Abs. 2 a GG den Ländern die (ausschließliche) Gesetzgebungskompetenz zusteht. In einer ursprünglichen, nicht Gesetz gewordenen, Fassung der Finanzreformgesetze von 1969 war zunächst nur von den „herkömmlichen“, also von den damals bestehenden örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern die Rede; das hätte eine Festschreibung ihres Bestandes auf die Vergnügung-, Hunde-, Jagd-, Fischerei-, Speiseeis- und Getränkesteuer bedeutet; die Einführung neuer Verbrauch- und Aufwandsteuern, z. B. der Zweitwohnungsteuer, wäre danach nicht möglich gewesen. Diese Fassung ist auf Veranlassung des Bundesrates nicht Gesetz geworden. Da das Aufkommen der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern gemäß Art. 106 Abs. 6 Satz 1 GG den Gemeinden oder (nach Maßgabe von Landesgesetzen) den Gemeindeverbänden (Kreise) garantiert ist, haben die Länder den Kommunen entweder in eigenen Steuergesetzen die Ertrags- und Verwaltungshoheit oder auch die Befugnis zur inhaltlichen Regelung der betreffenden Steuern, also die Satzungshoheit überlassen. Das daraus resultierende „Steuerfindungsrecht“16 der Gemeinden ist jedoch sowohl durch Bundes- als auch durch Landesvorschriften stark begrenzt. Was die Bundesregelungen betrifft, können diese neuen Steuern nach Art. 106 nur in dem Bereich der „örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern“ entstehen. Dem dort prinzipiell vorhandenen Steuerfindungsrecht steht aber insbesondere das Verbot der Gleichartigkeit des Art. 105 Abs. 2a entgegen, d. h. eine neue Gemeindesteuer darf nicht einer bestehenden Bundessteuer von der Bemessungsgrundlage her ähnlich sein. Da aber die „breiten“ Bemessungsgrundlagen bereits von bestehenden Steuern erfasst sind, bleibt sehr wenig Spielraum. Des Weiteren schränken auch die auf die Kommunalabgaben bezogenen Gesetze und Verordnungen der Länder dieses Recht zusätzlich ein. Schon wegen des Verbots der Gleichartigkeit mit Bundessteuern bestimmen die meisten Ländergesetze, dass eine solche neue Gemeindesteuer von Seiten des Landes genehmigt werden muss. Solche Erlaubnisse wurden in der Vergangenheit oft versagt, beispielsweise für eine Zweitwohnungsteuer in Bayern, manchmal aber auch gewährt, wie für die Zweitwohnungsteuer in Schleswig-Holstein oder für die – inzwischen wieder aufgehobene – „Einweggeschirr-Abgabe“ in Kassel. Angesichts der häufig gegen diese Abgaben vorgebrachten Kritik sollte nicht übersehen werden, dass diese oft in geradezu Idealerweise dem Äquivalenzprinzip entsprechen. Sie sind effizienzsteigernd, solange die Kosten der Erhebung gering sind,
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Vgl. H. Mohl: Die Einführung und Erhebung neuer Steuern aufgrund des kommunalen Steuerfindungsrechts, Stuttgart u. a. 1992.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
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was im gemeindlichen Bereich – wegen der genaueren Kostenzurechnung – i. d. R. überprüft werden kann. Dass ein System kleinerer Kommunalsteuern mit Äquivalenz-Charakter ökonomisch sinnvoll und praktisch sogar erwünscht ist, zeigt z. B. die Situation in der Schweiz, wo man (trotz direkter Demokratie) an den „Bagatellsteuern“ festhält. Diese Möglichkeit der gemeindlichen Finanz-Autonomie bietet Potential für gemeindliche Finanzierungskreativität und bleibt zugleich dem Wettbewerb der Kommunen ausgesetzt17. 7
Die Reform der Gemeindesteuern
7.1
Der gegenwärtige Befund als Ausgangspunkt für eine Reform
(1)
Durch die Miquelsche Steuerreform von 1891 war ein sich konsistentes System „eigener“ Steuern der Gemeinden geschaffen worden, das an die drei in den Kommunen radizierbaren Produktionsfaktoren Arbeit, Kapital und Boden anknüpfte. Dieses System ist heute nahezu vollständig erodiert, nicht zuletzt durch die Aushöhlung der Gewerbesteuer, die heute lediglich solche Großbetriebe belastet, die als Kapitalgesellschaften geführt werden. Die Etappen der Aushöhlung der Steuerbasis sind hier nochmals in Erinnerung zu rufen: Die Lohnsummensteuer wurde 1980 abgeschafft, 1983 wurde die Hinzurechnung der Fremdkapitalzinsen beim Gewerbeertrag sowie des Fremdkapitals beim Gewerbekapital auf 50% beschränkt. Für Einzelunternehmen und Personengesellschaften wurden die Freibeträge erhöht (1978, 1980 und 1993) sowie eine Staffelung der Steuermesszahl bei der Gewerbeertragsteuer eingeführt (1991). Die Gewerbekapitalsteuer gibt es seit 1998 nicht mehr. Einzelne Branchen sind ohnehin seit jeher nicht gewerbesteuerpflichtig (freie Berufe, Landwirtschaft, private Wohnungsvermietung). Der Anteil der Gewerbebetriebe, die zur Finanzierung der kommunalen Ausgaben beitragen, hat sich damit auf rd. ein Drittel verringert. Damit sind die Kommunalfinanzen noch abhängiger geworden von der Gewinnentwicklung relativ weniger Großunternehmen und einzelner Branchen. Wegen fehlender allgemeiner Fühlbarkeit und auch wegen der mangelnden örtlichen Radizierbarkeit infolge ihrer Überwälzung und der damit einhergehenden Abweichung zwischen Steuerzahllast und Steuertraglast ist sie kaum noch mit dem Äquivalenzprinzip zu begründen. In ihrer starken Konjunkturanfälligkeit der Bemessungsgrundlage legt sie eine Instabilität in die Planung der Kommunalfinanzen. Schließlich steht sie steuersystematisch in Konkurrenz zur Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer. Hinsichtlich der Beteiligung der Gemeinden an der Einkommensteuer konzentriert sich die Kritik auf folgende Einwände: Erstens wird die Abhängigkeit dieses Teils der gemeindlichen Finanzkraft von Steuerrechtsänderungen bemängelt, auf welche die Gemeinden selbst keinen Einfluss haben. Tatsächlich sind in den letzten Jahren vor allen Dingen mit dem Ziel einer Milderung der „kalten Progression“ eine Reihe von Steuerrechtsänderungen bei
(2)
17
Vgl. P. B. Spahn: Zur Reform der Gemeindefinanzen, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 1989, S. 67 ff., hier: S. 82 ff.
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Teil E. Die kommunalen Einnahmen
der Einkommensteuer erfolgt, welche die „Bemessungsgrundlage“ des gemeindlichen Anteils am Aufkommen der Einkommensteuer verkürzten bzw. deren Wachstum abbremsten. Zweitens ist zwar der Gesamtanteil der Gemeinden an der Einkommensteuer wachstumsreagibel, wenn auch je nach der Einkommensteuerstärke des jeweiligen Bundeslandes in unterschiedlichem Maße: Den Gemeinden in einkommensteuerstarken Bundesländern steht eine höhere „Verteilungsmasse“ zur Verfügung, als den Kommunen in den einkommensteuerschwachen Bundesländern. Entscheidend aber ist, dass wegen der Art der Verteilung des Gesamtanteils auf die einzelnen Gemeinden das örtliche Aufkommen kaum wachstumsreagibel ist. Je mehr Erwerbstätige aufgrund der allgemeinen Einkommensentwicklung die Grenze der Proportionalzone erreichen, desto stärker wird der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer zu einer Steuer pro Erwerbstätige bzw. pro Einwohner. Da drittens die Schlüsselzahl den relativen Einkommensteueranteil einer Gemeinde – innerhalb des Sockelbetrages – gegenüber dem gesamten Bundesland ausweist, beeinflussen alle wirtschaftlichen Prozesse, auch die außerhalb der betreffenden Gemeinde, die Steuerkraftrelation zwischen der Gemeinde und dem Bundesland insgesamt. Die Grundsteuer führt ein Schattendasein, obwohl für eine spürbare Besteuerung des Grundbesitzes durch eine Gemeindesteuer – nicht zuletzt auch aus ausländischen Erfahrungen – vieles spricht, wenn sie von der Höhe her nicht überzogen ist. Solange aber – wie an anderer Stelle dargestellt – keine grundsätzliche Änderung der Bewertungsnormen erfolgt, wird eine Revitalisierung dieser Abgabe nicht möglich sein. Aus diesem Befund resultiert die Frage nach Reformmöglichkeiten der Gemeindesteuern18. Die entsprechenden Versuche scheiterten aber bislang. Dies gilt auch für die Überlegungen im Rahmen einer Bund-Länder-Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen 2002/2003 unter Einbeziehung von Gemeindeverbänden und der Tarifpartner19. Beispielhaft für diese Diskussion sollen hier vier Reformvorschläge erläutert und analysiert werden. Diesen Ansätzen ist gemeinsam, dass sie eine gesamtheitliche Lösung des kommunalen Finanzproblems intendieren.
Vgl. dazu z. B. W. Scherf: Perspektiven der kommunalen Besteuerung, in: N. Andel (Hrsg): Probleme der Kommunalfinanzen, Berlin 2001, S. 9–21; M. Broer: Ersatzvorschläge für die Gewerbesteuer, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2001, H. 12, S. 713–721; C. Fuest, B. Huber: Zur Reform der Gewerbesteuer, München 2001; vgl. Reform der Gemeindefinanzen – Zeitgespräch mit Beiträgen von M. Junkernheinrich, C. Fuest, B. Huber, A. Oberhauser, M. Jachmann, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2003, H. 9, S. 555–571; R. Peffekoven: Bemerkungen zur Reform der Gewerbesteuer, in: G. Milbradt, I. Deubel (Hrsg.): Ordnungspolitische Beiträge zur Finanz- und Wirtschaftspolitik – Festschrift für H. Grossekettler, Berlin 2004, S. 83–102; I. Deubel: Reform des Gemeindesteuersystems – Zurück zur kommunalen Selbstverwaltung, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2006, H. 1, S. 37–46; M. Zwick: Alternative Modelle zur Ausgestaltung von Gemeindesteuern: Mikroanalytische Quantifizierung der Einnahme-, der Einkommens- und der Verteilungseffekte, in: Statistisches Bundesamt, Statistik und Wissenschaft, Bd. 8, Wiesbaden 2007; J. Werner: Das deutsche Gemeindefinanz-System: Reformvorschläge im Kontext der unterschiedlichen Einnahmeautonomie der lokalen Gebietskörperschaften in Europa, Frankfurt/M. 2008. Vgl. Bundesministerium der Finanzen, Sekretariat der Arbeitsgruppe Kommunalsteuern: Bericht der Arbeitsgruppe Kommunalsteuern an die Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen, Berlin 20.7.2003.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
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7.1.1 Das Konzept der „Stiftung Marktwirtschaft“20 Dieses Reformmodell besteht aus vier Säulen: (1)
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Die erste Säule verkörpert sich in einer reformierten Grundsteuer. Ausgehend von den heutigen Hebesätzen soll eine insgesamt aufkommensneutrale Umsetzung erfolgen. Dabei wird die Grundsteuer A (für landwirtschaftliche Flächen) abgeschafft. Im Gegenzug sollen die landwirtschaftlichen Wohngebäude in die Grundsteuer B integriert werden. Diese soll zu einer modernen Gebäudewertsteuer umgestaltet werden. Die zweite Säule des Systems soll aus einer ebenfalls aufkommensneutralen Umwandlung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer in eine mit einem eigenen Hebesatzrecht ausgestattete Bürgersteuer bestehen. Die Steuer soll auf das zu versteuernde Einkommen (nach Abzug der Grundfreibeträge) erhoben werden. Der Ansatz wäre bei dem geltenden Tarifrecht aufkommensneutral, wenn ein durchschnittlicher Steuersatz von rd. 4% zur Anwendung käme. Bei der staatlichen Einkommensteuer wären die Steuersätze über den gesamten Tarifverlauf hinweg entsprechend abzusenken, so dass der Eingangssteuersatz bei rd. 11% und der Spitzensteuersatz bei rd. 38% liegen würden. Um ein zu großes Hebesatzgefälle und damit auch eine Verschärfung der Stadt-Umland-Problematik zu verhindern, solle das Hebesatzrecht auf Sockelbeträge beschränkt werden. Durch die Umwandlung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer in eine Bürgersteuer würde ein unmittelbares Interessenband zwischen der Gemeinde und den Einwohnern geknüpft. Der Haupteinwand gegen eine solche Bürgersteuer ist der zusätzliche Verwaltungsaufwand. Zwar ließe sich dieser technisch durch Veranlagung in den Finanzämtern der Länder und durch einen Quellensteuerabzug bei den Lohnsteuerpflichtigen reduzieren, dennoch würden im Ergebnis über 30 Millionen neue Steuerfälle entstehen. Die dritte Säule dieses Modells ist die Reform der Gewerbesteuer und ein Verzicht auf den als Kompensation für den Wegfall der Gewerbekapitalsteuer eingeführten Anteil der Gemeinden an der Umsatzsteuer. Mit Blick auf das Äquivalenzprinzip zwischen kommunalen wirtschaftsbezogenen Leistungen einerseits und der Zuordnung der entsprechenden Kosten auf die Verursacher andererseits wird eine Steuer auf die Wertschöpfung aller in einer Gemeinde vorhandenen Akteure favorisiert, wie sie schon 1982 der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen gefordert hat.21 Eine solche Steuer stößt allerdings auf europarechtliche Bedenken, da eine zu große steuersystematische Ähnlichkeit mit der Mehrwertsteuer eintreten würde. Mit Rücksicht auf diesen Befund sollen lediglich die beiden „großen“ Komponenten, nämlich die Lohnsumme und die Gewinne, herangezogen werden. Allerdings sollten auch gezahlte Zinsen und Lizenzgebühren in die Bemessungsgrundlage eingehen. Gegen deren Einbeziehung sprechen zwar eine mögliche DoppelbesteueVgl. Stiftung Marktwirtschaft, Kommission „Steuergesetzbuch“ (Hrsg.): Einfacher, gerechter, sozialer: Eine umfassende Ertragsteuerreform für mehr Wachstum und Beschäftigung, Steuerpolitisches Programm 2006. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Gutachten zur Reform der Gemeindesteuern, Bonn 1982; S. Homburg: Eine kommunale Unternehmensteuer für Deutschland, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 1996, H. 10, S. 491–501.
134
(4)
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
rung und ebenfalls europarechtliche Probleme, für deren Einbeziehung spricht, dass die Finanzierungsneutralität zwischen Eigen- und Fremdkapital anzustreben ist und die Tatsache, dass gezahlte Lizenzen häufig lediglich der Gewinnverlagerung hin zu einem steuergünstigen Standort dienen. Mit Blick auch auf diese Probleme wird im Ergebnis als dritte Säule dieses Reformmodells eine kommunale Unternehmensteuer vorgeschlagen, die als Bemessungsgrundlage die gesamten Erträge (vor Ort erzielte Gewinne bzw. Einkünfte aus unternehmerischen Tätigkeiten) berücksichtigt. Um eine Zusatzbelastung mit der Einkommensteuer zu vermeiden, müssten dann Einkünfte, die der Einkommensteuer unterliegen, mit der kommunalen Gewinnsteuer verrechnet werden. Als vierte Säule wird von der „Stiftung Marktwirtschaft“ eine Betriebslohnsteuer mit der örtlichen Lohnsumme als Bemessungsgrundlage vorgeschlagen. Die Belastung durch eine solche Betriebslohnsteuer müsste allerdings so bemessen sein, dass unter Berücksichtigung der Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer die Gesamtbelastung aus der dritten Säule und der vierten Säule nicht die bisherige Belastung aus der Gewerbesteuer übersteigt.
7.1.2 Das Konzept des „Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“22 (1)
(2)
22
Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten 2001/2002 einen gemeindefinanzpolitischen Paradigmenwechsel vorgenommen. Hatte er sich über viele Jahre hinweg für die Einführung einer kommunalen Wertschöpfungssteuer ausgesprochen, so votierte er nunmehr für eine kommunale Einkommensteuer und für eine Gewinnsteuer mit Kommunalzuschlag. Das Modell enthält nicht nur den Ersatz der Gewerbesteuer durch einen kommunalen Zuschlag zur Körperschaftsteuer, sondern sieht zugleich die Substitution des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer durch eine direkte Einkommensbesteuerung der Bürger seitens der Kommunen vor. Diese kombinierte Form soll die steuerpflichtigen Wirtschaftseinheiten über die Körperschaftsteuer (Kapitalgesellschaften) und über die Einkommensteuer (Personengesellschaften, Freiberufler usw.) erfassen. Im Rahmen der Einkommensteuer sollen dabei die gewinnorientierten Einkommensbestandteile dem Arbeitsort zugerechnet und dort versteuert werden, während alle anderen Einkommensbestandteile weiter am Wohnort erfasst und belastet werden. Die wirtschaftsbezogene Erweiterung des Kreises der Steuerpflichtigen in den Betriebsgemeinden soll also durch die Aufteilung der Einkommensteuer der bisher nicht gewerbesteuerpflichtigen Freiberufler u. a. zwischen Wohn- und Arbeitsort erreicht werden. Auf diese Weise wird eine räumliche Umverteilung der kommunalen Steuereinnahmen zugunsten der Arbeitszentren angestrebt. Die Schwächen dieses Konzeptes liegen in Folgendem: Ein kommunaler Körperschaftsteuerzuschlag würde nicht die notwendige Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bringen, da dieser allein gewinnorientiert ist. Wer die Gewerbesteuer gerade deshalb als kommunale Steuer für eine Vgl. Jahresgutachten 2001/2002, Tz 374 ff.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
135
„schlechte“ Abgabe hält kann sich angesichts der großen Ähnlichkeit beider Steuern kaum für die Beteiligung an der Körperschaftsteuer aussprechen. Gegenüber dem bestehenden Gemeindeanteil an der Einkommensteuer erhöht sich durch die „ungedeckelte“ Wirkung der Progressionskomponente des Einkommensteuertarifs (Wegfall der Sockelgrenzen) die Streuung des Steueraufkommens deutlich. Dies würde die Ausgleichsintensität des kommunalen Finanzausgleichs überfordern und zu sehr hohen Grenzabschöpfungen von Steuermehreinnahmen führen.
7.1.3 Das Konzept der „Bertelsmann-Stiftung“23 (1)
Der von der Bertelsmann-Stiftung eingebrachte Vorschlag basiert steuerpolitisch auf drei Bausteinen, wobei jeder mit einem kommunalen Hebesatzrecht versehen ist, um eine direkte Fühlbarkeit zum Nutzer kommunaler Leistungen herzustellen.
(2)
23
Anstelle der Gewerbesteuer soll eine kommunale Wirtschaftsteuer eingeführt werden, die alle lokalen Unternehmen und wirtschaftlich tätigen Personen erfasst, d. h. auch Freiberufler und die Land- und Forstwirtschaft. Neben dem Gewinn sind weitere Bestandteile der Wertschöpfung in die Bemessungsgrundlage aufzunehmen. Der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer sowie die Kompensationszahlungen im Familienlastenausgleich sind durch eine im Gesamtvolumen gleich hohe kommunale Bürgersteuer zu ersetzen. Die Grundsteuer B ist auf ein einfacheres und zeitnäheres Bemessungsverfahren umzustellen, das an den tatsächlichen Werten von Grundstücken und Immobilien anknüpft. Die Grundsteuer A ist abzuschaffen. Die Besteuerung der Land- und Forstwirtschaft soll in die kommunale Wirtschaftssteuer integriert werden. Bei einer Würdigung dieses Konzepts ist zunächst positiv hervorzuheben, dass die Korrespondenz zwischen den Nutzern und den Kostenträgern kommunaler Leistungen durch ein Hebesatzrecht auch auf die dritte große Kommunalsteuer erweitert wird. Die damit verbundene Stärkung der Gemeindeautonomie wäre positiv. Die wertschöpfungsgerichtete Bemessungsgrundlage der Wirtschaftsteuer, die am zu versteuernden Einkommen anknüpfende Bürgersteuer und die an den tatsächlichen Werten von Grundstücken und Immobilien orientierte Grundsteuer würde die allokative Funktion des Gemeindesteuersystems stärken und insgesamt zu einer bedarfsgerechteren Verteilung des Steueraufkommens zwischen den Gemeinden führen. Der Widerstand gegen diesen Ansatz dürfte insbesondere aus den Belastungsumverteilungen auf Zahlerseite (Berücksichtigung von bisherigen Nichtzahlern bei der Wirtschaftssteuer, höhere Belastungen durch die Grundsteuer) resultieren. Dies wäre aber im Sinne der Allgemeinheit der Besteuerung geboten. Darüber hinaus ist hervorzuheben, dass die „Bertelsmann-Stiftung“, weitgehend atypisch für die aktuelle Reformdiskussion, eine umfassendere Form des Gemeindefinanzsystems anstrebt
Vgl. Bertelsmann-Stiftung: Reform der Gemeindefinanzen, Gütersloh 2003.
136
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(Stärkung des Konnexitätsprinzips, Abbau der Regelungsdichte, Rückführung der kommunalen Sozialhilfebelastung usw.). 7.1.4 Das Konzept der „Kommunalen Spitzenverbände“24 (1)
Zentrales Reformelement dieses Modells ist eine Ausdehnung des Kreises der Steuerpflichtigen auf die Selbständigen und Freiberufler. Ferner soll die Bemessungsgrundlage durch folgende Elemente auf ein breiteres Fundament gestellt werden:
Hinzurechnung aller Zinsen zum Gewerbeertrag unter Berücksichtigung eines Freibetrages. Ebenso Hinzurechnung des Finanzierungsanteils aller Mieten, Pachten und Leasingraten zum Gewerbeertrag unter Berücksichtigung eines Freibetrages. Hinzurechnung von Veräußerungsgewinnen zum Gewerbeertrag auch bei Personengesellschaften. Modifizierung der gewerbesteuerlichen Organschaften.
(2)
Durch die Berücksichtigung der Hinzurechnungen soll die Ungleichbehandlung von Eigen- und Fremdkapital aufgehoben werden. Dafür sollen die Steuermesszahlen gesenkt, differenzierte Steuermesszahlen für Personen- und Kapitalgesellschaften eingeführt und die Gewerbesteueranrechnung im Einkommensteuerrecht beibehalten werden.
7.2
Die Korrekturen und Ergänzungen der Gewerbesteuer durch das Unternehmensteuer-Reformgesetz 2008
(1)
Der Gesetzgeber hat diese Überlegungen kaum aufgegriffen. Die Anpassungen bei der Gewerbesteuer wurden daran ausgerichtet, die steuerliche Attraktivität des Standorts Deutschland zu erhöhen und im internationalen Steuerwettbewerb das deutsche Steuersubstrat langfristig zu sichern. Insofern ist es nicht zu einer steuersystematisch bündigen Lösung gekommen. Mit der Verabschiedung des Unternehmensteuer-Reformgesetzes 2008 (BT-Drs 16/4841) sind folgende wesentliche Änderungen der Gewerbesteuer ausgelöst worden, die zum 1.1.2008 in Kraft treten. (diese sind bei der Darstellung des Gewerbesteuerrechts oben unter 3.3.3. berücksichtigt). a.
b.
24
Die bisherige hälftige Zurechnung der Dauerschuldzinsen entfällt und wird durch eine 25prozentige Hinzurechnung der Zinsen sowie der Zinsanteile in Mieten, Pachten, Leasingraten und Lizenzen ersetzt. Dabei ist ein Freibetrag von 100.000,00 EUR vorgesehen, um Kleinunternehmen nicht dieser Regelung zu unterwerfen. Die Gewerbesteuermesszahl wird von 5% auf 3,5% reduziert. Der bislang geltende Staffellauf entfällt.
Vgl. Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände: Vorschlag für eine modernisierte Gewerbesteuer, Köln 28.2.2003.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
c. d.
(2)
25
26
Der Anrechnungsfaktor der Gewerbesteuer auf die Einkommensteuer wird vom 1,8fachen auf das 3,8fache des Steuermessbetrages angehoben. Die Abzugsfähigkeit der Gewerbesteuer als Betriebsausgabe entfällt. Die Anrechnung der Gewerbesteuer wird betragsmäßig auf jenen Teil der Einkommensteuer begrenzt, der gewerblichen Einkünften zuzurechnen ist.
Um die Gemeinden durch die Unternehmensteuerreform im ersten Jahr der vollen Wirkung des neuen Rechts nicht zusätzlich zu belasten, wird die Gewerbesteuerumlage in 2008 um 2,5 Prozentpunkte und in 2009 um weitere 1,5 Prozentpunkte dauerhaft abgesenkt. Insgesamt bleibt festzustellen, dass damit wieder nur an Symptomen kuriert, nicht aber ein wirklich steuersystematischer Ansatz für eine Reform gewählt wurde. Insgesamt bestehen die Schwächen der Gewerbesteuer als Kommunalsteuer weiter: Der hohe Gewinnanteil an der Bemessungsgrundlage bedeutet eine starke Abhängigkeit des Steueraufkommens von größeren Unternehmen und deren Gewinnentwicklung. Eine „fiskalische Äquivalenz“ zwischen steuerzahlenden Unternehmen und den kommunalen Leistungen ist angesichts der Konzentration der Einnahmen auf wenige Unternehmen kaum gegeben. Dazu kommt, dass das BVerfG im Januar 2008 entschieden hat, dass die Einkünfte der freien Berufe, der sonstigen Selbständigen und der Land- und Forstwirtschaft nicht der Gewerbesteuer unterliegen. Das Gericht hat sich dabei davon leiten lassen, dass
(3)
137
die freien Berufe in geringerem Umfang Infrastrukturlasten der Gemeinden verursachen, die verschiedenen Anrechnungsbestimmungen der Gewerbesteuer im Einkommensteuerrecht das Gewicht der Ungleichbehandlung zwischen Gewerbebetrieben und Selbständigen mildern, der Wirtschaftserfolg der Land- und Forstwirte flächenabhängig und von den Wetterbedingungen abhängig ist.
Eindrucksvoller hätte der Mangel an steuersystematischem Denken kaum demonstriert werden können. Unabhängig von Einzelfragen und deren konkreter Lösung bleibt festzustellen, dass der Fluchtpunkt eines gemeindlichen Steuersystems, das diesen Namen wirklich verdient, auf eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen und der Steuerpflichtigen zielen muss. Nur so – und dies zeigt auch die Ausgestaltung der lokalen Besteuerung in anderen Ländern25 – kann das Aufkommen gleichmäßiger innerhalb der Gemeinden, aber auch zwischen Regionen verteilt werden.26 Das gemeindliche Finanzproblem wird ohne eine steuersystematische Abstimmung zwischen der Belastung von Grund und Boden, der spezifischen Einkünfte aus Gewerbebetrieb und des EinVgl. S. Bach, F. Fossen: Grundlegende Gewerbesteuerreformen haben deutliche Umverteilungswirkungen, in: DIW – Wochenbericht, Jg. 2008, Nr. 39, S. 587–591. Vgl. S. Bach, F. Fossen: Reforming the German Local Business Tax – Lessons from an International Comparison and a Micro simulation Analysis, in: Finanzarchiv/Public Finance Analysis, Jg. 64 (2008), S. 245– 272.
138
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
kommens nicht lösbar sein. Nur so wird auch eine Belastung konzipiert werden können, welche den Anforderungen an die Grundsätze der Kommunalbesteuerung entspricht.
V.
Die Gebühren und Beiträge als Teil des kommunalen Einnahmesystems – zur Preispolitik für kommunale Leistungen27
1
Der Stellenwert der Gebühren und Beiträge im Rahmen der kommunalen Einnahmen
(1)
Die Ausführungen über das gemeindliche Steuersystem und die Ansätze zu dessen Reform haben gezeigt, dass eine möglichst weitgehende Entsprechung zwischen den kommunalen Aufgaben, dem daraus resultierenden Finanzbedarf und den verfügbaren Deckungsmöglichkeiten über das Gemeindesteuersystem bzw. seine einzelnen Elemente kaum zu erreichen ist. Selbst wenn man mit Rücksicht auf die spezifischen Funktionen von Gemeindesteuern bereit wäre, für diese die Verbindlichkeit der Grundsätze der Allgemeinheit und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung einzuschränken, sind der Ausgestaltung des kommunalen Steuersystems enge Grenzen gezogen. Sie ergeben sich aus dem relativ hohen Grad der Gesamtsteuerbelastung der privaten Haushalte und Unternehmen, welche die Sensibilität gegenüber Variationen steuerlicher Belastung insgesamt deutlich erhöht hat, so dass gemeindespezifische Belastungsunterschiede zunehmend in der Gefahr stehen, eine ökonomische Reaktion der Zensiten auszulösen. Dazu kommen die steuerpolitischen und steuertechnischen Schwierigkeiten, zuverlässige und quantifizierbare Indikatoren (Steuerbemessungsgrundlagen) zu finden, anhand derer auf die Nutznießung der Besteuerten aus der Gemeindeaktivität oder auf die durch die Besteuerten verursachten Ausgaben der Gemeinden geschlossen werden könnte. Ein fiskalisch und finanzpolitisch nennenswertes Potential gemeindespezifischer Einnahmenpolitik im Sinne einer möglichst weitgehenden Entsprechung von kommunaler Belastung und eigenverantwortlich gestalteten gemeindlichen Aufgaben sowie Ausgaben besteht daher nur im Gebühren- und Beitragshaushalt28.
(2)
27
28
Vgl. M. Lehmann: Kommunale Beitragserhebung, Siegburg 1983; E. Gawel: Die kommunalen Gebühren, Berlin 1995; M. J. Matschke, T. Hering: Kommunale Finanzierung, München 1998, S. 62 ff.; H. Rehm: Kommunale Preispolitik: Befund – Probleme – Perspektiven, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2004, H. 3, S. 261–287; G. Färber: Theorie und Praxis kommunaler Gebührenhaushalte, Speyerer Forschungsberichte Nr. 214, Speyer 2001; M. Matschke: Die primäre Finanzausstattung der Kommunen. Gebühren, Beiträge und Steuern, in: M. Wallerath (Hrsg.): Kommunale Finanzen im Bundesstaat, Baden-Baden 2003, S. 159–168; P. Bohley: Die öffentliche Finanzierung, München–Wien 2004; P. Friedrich, A. Kaltschütz, Ch. Woon Nam: Significance and Determination of Fees for Municipal Finance, CESifo Working Paper No. 1357, Munich 2004; M. Kaufmann: Art. „Kommunale Gebühren“; M. Arndt: Art. „Kommunale Beiträge“, in: H.-G. Henneke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, München 2006, S. 256–282 bzw. S. 283–334; A. Dehne, P. Friedrich, Ch. Woon Nam: Determination of Fees for Local Services under the Consideration of Public and Management Objectives, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2005, H. 1, S. 1–18. „There are thus two principal reasons urging wider use of public pricing and devices such as special benefit taxes. One is the rare possibility of increasing public revenue in an economically efficient way. The other –
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
139
Abbildung 10: Die Abgrenzung von Benutzungsgebühren und Beiträgen Benutzungsgebühr
Beitrag
Gegenleistung für die konkrete Benutzung einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage
Gegenleistung für wirtschaftliche Vorteile durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer öffentlichen Einrichtung oder Anlage
Abdeckung sämtlicher betriebswirtschaftlicher Kosten der öffentlichen Einrichtung oder Anlage
Abdeckung von Investitionsaufwendungen für die öffentliche Einrichtung oder Anlage (Herstellung, Anschaffung, Erweiterung oder Verbesserung)
Vereinnahmung im Verwaltungshaushalt
Vereinnahmung im Verwaltungshaushalt
Laufende Erhebung bei jeder Benutzung der öffentlichen Einrichtung oder Anlage
Einmalige Erhebung bei der Herstellung, Erweiterung oder Verbesserung der öffentlichen Einrichtung oder Anlage
Kostendeckende Kalkulation der Benutzungsgebühr als Regelfall
In der Regel keine volle Abdeckung der Investitionsaufwendungen durch Beitragseinnahmen (öffentliches Interesse an der Einrichtung oder Anlage ist durch einen gemeindlichen Anteil an den Aufwendungen auszuweisen)
Erhebung von sämtlichen Benutzern der öffentlichen Einrichtung oder Anlage
Erhebung nur von Grundstückseigentümern oder Erbbauberechtigten
2
Die rechtliche Definition von Gebühren und Beiträgen
(1)
Eine gesetzlich ausgeformte Definition, die sämtliche de lege lata vorzufindenden Erscheinungsformen der Gebühr umfasst und aus der sich unmittelbare Kriterien für die Verfassungsmäßigkeit von Gebührenmaßstäben, Gebührensätzen oder Gebührenhöhen ableiten ließen, gibt es nicht. Sie ist weder im Grundgesetz noch in Gesetzen des Bundes oder der Länder enthalten. Dennoch hat sich in der Rechtsprechung und im Schrifttum – sozusagen als kleinster gemeinsamer Nenner – eine Umschreibung herausgeschält, die nahezu allgemeine Anerkennung gefunden hat, ohne den Anspruch zu erheben, dass darunter eine abschließende verfassungsrechtliche Definition des Gebührenbegriffs zu verstehen ist. Danach sind Gebühren öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm oder sonstige hoheitliche Maßnahme auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken. Ihre besondere Zweckbestimmung, Einnahmen zu erzielen, um die Kosten der individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen ganz oder teilweise zu decken, unterscheidet sie von der Steuer. Der Beitrag ist der Gebühr eng verwandt. Auch der Beitrag ist verfassungsrechtlich nicht definiert; das GG nennt nicht einmal den Begriff des Beitrags. Einfachgesetzliche Regelungen, insbesondere die Kommunalabgabengesetze der Länder, formen das Beitragsrecht aus. Unter einem Beitrag ist eine öffentlich-rechtliche Geldleistung zu verstehen, die nicht den Empfang, sondern das bevorzugte Angebot einer
(2)
really the other side of the same coin – is the improvement in the information available to guide the rational allocation of other public sector resources“ (R. M. Bird: Charging for Public Services: A New Look at an Old Idea, Canadian Tax Papers, No. 59, Toronto 1976, S. 35).
140
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Leistung der öffentlichen Hand entgilt. Anders als die Gebühr setzt der Beitrag nicht notwendig die tatsächliche Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung durch den Abgabenpflichtigen voraus, sondern stellt maßgeblich auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme ab. Der Beitrag ist von der Gebühr nicht mit tatbestandlicher Striktheit zu unterscheiden. Ob ein Gesetzgeber sich für eine Gebühr oder einen Beitrag entscheidet, hängt von ermittlungs- und erhebungstechnischen Überlegungen ab. So ist ein Beitrag statt einer Gebühr zu wählen, wenn sich zwar nicht der individuelle Leistungsempfänger tatbestandlich bestimmen lässt, wohl aber die Gruppe der potentiellen Leistungsnachfrager. Beiträge werden zur Deckung der Kosten für die Herstellung und Unterhaltung von im öffentlichen Interesse liegenden Einrichtungen von denjenigen erhoben, denen aus diesen Einrichtungen besondere Vorteile entstehen können. Eine Beitragserhebung kommt nur in Betracht, wenn sich der Kreis der Begünstigten von vornherein verlässlich abgrenzen lässt. 3
Die wirtschaftliche Definition von Gebühren und Beiträgen
(1)
In wirtschaftlicher Betrachtung ist die Gebühr eine Abgabe für individuell zurechenbare Leistungen, und wird entweder als eine Gegenleistung für die Inanspruchnahme von besonderen Leistungen (Verwaltungsgebühren) oder für die Inanspruchnahme von öffentlichen Einrichtungen (Benutzungsgebühren) verstanden. Dabei ist die Entgelthöhe nach der Inanspruchnahme (Wirklichkeitsmaßstab) oder – wenn dies besonders schwierig oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist – nach einem Wahrscheinlichkeitsmaßstab vorzunehmen. Während die Gebühr das Entgelt für die tatsächliche Inanspruchnahme einer kommunalen Leistung darstellt und sich in ihrer Höhe prinzipiell auch an deren effektiven Vorteil orientiert, knüpft der Beitrag an dem Nutzen an, der dem Abgabenpflichtigen aus der Möglichkeit erwächst, eine kommunale Einrichtung oder Anlage in Anspruch nehmen zu können. Abgabenpflichtig sind daher diejenigen, von denen ein besonderes Interesse an solchen öffentlichen Leistungen angenommen werden kann. Dieses ist also zugleich Motiv und Objekt für die Gebühren- und/oder Beitragserhebung, wenn auch nicht deren einzige Determinante, da sich die Höhe dieser Entgelte auch nach politischen Zielen unter Berücksichtigung der Nachfragestruktur richtet29. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die angenommene Äquivalenz am Nutzen oder an den Kosten der öffentlichen Leistung30 zu messen ist. Der Nutzungsmaßstab, d. h. die Maxime der Entgeltbemessung nach dem individuellen Nutzen der öffentlichen Leistung, ist ein Verteilungsmaßstab, das Kostenprinzip, d. h. die Entgeltbemessung nach den Kosten der öffentlichen Leistung, ist dagegen ein Allokationsinstrument. Beide Ansätze sind nur in der Marginalbetrachtung, d. h. in einem (theoretisch) optimalen fiskalischen System wegen der Entsprechung zwi-
(2)
29
30
Vgl. K.-H. Hansmeyer, D. Fürst: Die Gebühren. Zur Theorie eines Instrumentariums der Nachfragelenkung bei öffentlichen Leistungen, Berlin – Köln – Mainz 1968, S. 34; P. Bohley: Gebühren und Beiträge, in: N. Andel, H. Haller, F. Neumark (Hrsg.): Handbuch der Finanzwissenschaft, 3. Aufl., Bd. II, Tübingen 1979, S. 921. Vgl. z. B. H. Elsner: Das Gemeindefinanzsystem, Köln 1979, S. 181.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(3)
141
schen Grenzkosten und Grenznutzen identisch31. Diese Übereinstimmung wird in der Realität kaum erreichbar sein. So steht einer Orientierung der Finanzlastverteilung an Marginalgrößen entgegen, dass z. B. bei den Beiträgen die tatsächliche Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nicht unbedingt eine Funktion der Abgabenhöhe ist. Immerhin ist diese Identität bei den Gebühren und Beiträgen insofern zumindest tendenziell zu verwirklichen, als diese Entgeltfinanzierung im Bereich der sog. Mischgüter angewandt wird, also dort, wo das Vorhandensein von Privatkomponenten und die Möglichkeit der Identifizierung bzw. der Drohung mit der Ausschließung eine Offenlegung der individuellen Präferenzen nicht nur erfordert, sondern auch am ehesten ermöglicht32. Bei beiden Instrumenten, bei der Gebühr und bei dem Beitrag, handelt es sich um Kaufkraftübertragungen, die bei der Gebühr seitens einzelner Wirtschaftssubjekte und beim Beitrag seitens einer Gruppe von Wirtschaftssubjekten bei Vorliegen einer an sie adressierten besonderen öffentlichen Leistung erfolgen. Diese öffentlichen Leistungen sind von einem Mischtypus, da sie durch das Vorliegen externer Effekte und durch die Anwendbarkeit des Ausschlussprinzips gekennzeichnet sind.
4
Das Potential für die Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen – zur Frage des „Ob“ ihrer Erhebung
(1)
Daraus ergibt sich zugleich die Antwort auf die oben gestellte Frage, inwieweit kommunale Leistungen überhaupt der Entgeltpflicht unterworfen werden können. Zwar besteht bei diesen Abgaben eine Zweckbindung nicht in dem Sinne, dass die Entgelteinnahmen auf die Verwendung für bestimmte Ausgaben beschränkt sind. Dennoch ist ihre Erhebung an die Bereitstellung bestimmter, im Grundsatz individuell zurechenbarer Leistungen gebunden, so dass insofern der einnahmepolitische Handlungsspielraum begrenzt ist. Dessen Potential wird aber weniger durch diese Feststellung als durch die grundsätzliche ordnungspolitische Überlegung bestimmt, dass die Entscheidung für die Abgeltung externer Effekte bei der Zur-VerfügungStellung öffentlicher Leistungen eine Gebühren- bzw. Beitragspflicht einschließen sollte. Denn die Existenz einer Kollektivgutkomponente öffentlicher Leistungen bedeutet nicht zwangsläufig eine Option für deren „Verstaatlichung“. Anders ausgedrückt: Die Entscheidung darüber, welche Leistung gebühren- bzw. beitragsfähig und -pflichtig seien und welcher Kostendeckungsgrad für die einzelne Abgabe angestrebt werden sollen, ist eine politische, d. h. sie beruht nicht auf einer gegebenen, gewissermaßen „überpolitischen“, theoretisch-positivistischen Abgrenzung, sondern auf einer normativen Wertung33. Je nach den Kriterien für dieses Urteil ergeben sich unterschiedliche Beitrags- und Gebührenpotentiale. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass die Gemeindeordnungen von einem Primat der Entgeltvor der Steuererhebung ausgehen, also hinsichtlich des „Ob“ eine relativ große Autonomie der Gemeinden besteht.
(2)
31 32 33
Vgl. R. M. Bird: Charging for Public Services, a. a. O., S. 21 ff. Vgl. P. Bohley: Gebühren und Beiträge, a. a. O., S. 915–945. Vgl. G. Zeitel: Gebühren, in: W. Albers u. a. (Hrsg.): Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. IV; Tübingen 1965, S. 227–236.
142
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
5
Die Grenzen für die Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen – zur Frage des „Wie“ ihrer Erhebung
(1)
Unabhängig von der Frage des „Ob“ der Möglichkeiten der Gemeinden, Gebühren und Beiträge zu erheben, ist allerdings zu prüfen, „wie“ die Gemeinden dieses Einnahmepotential selbständig ausschöpfen können. So wird z. B. aus der Verwaltungsverordnung zu § 1 Kommunalabgabengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen deutlich, dass die Gemeinden bei Verwaltungsgebühren auf dem Gebiet der Auftragsangelegenheiten und der Pflichtaufgaben zu einer eigenen Regelung nicht befugt sind. Die Ziff. 3 der Verwaltungsverordnung zu § 5 Kommunalabgabengesetz Nordrhein-Westfalen bestimmt weiterhin den in diesen Fällen anzuwendenden Gebührenrahmen, so dass die Gemeinden die Einnahmehöhe selbst kaum oder gar nicht variieren können. Ähnliche Eingriffe in die kommunale Gebührenhoheit gibt es auch im Bereich der Benutzungsgebühren. Dass dennoch selbst innerhalb des gegenwärtig den Gemeinden zur eigenverantwortlichen Ausschöpfung verfügbaren Rahmens ein im Hinblick auf die Entgeltfinanzierung hinreichend großer einnahmepolitischer Spielraum gegeben ist, wird deutlich, wenn man die Gebührenhaushalte mit dem rechtlich vorgeschriebenen Regelfall der Vollkostendeckung vergleicht. Dabei ist einmal zu diskutieren, welcher Kostendeckungsgrad bei den praktizierten Kalkulationsschemata in den einzelnen Leistungsbereichen zurzeit tatsächlich erreicht ist. Zum anderen ist zu prüfen, welche Kostenarten in welcher Höhe in Ansatz gebracht werden sollten. So lassen sich bei gleichem Ressourcenbedarf für die Erstellung einer bestimmten öffentlichen Leistungseinheit in Abhängigkeit von den berücksichtigten Kostenarten und Bewertungsansätzen nicht unerheblich voneinander abweichende kostendeckende Gebührensätze ermitteln. Die Tab. 5 verdeutlicht dies im Hinblick auf die Vorschriften der Kommunalabgabengesetze der Länder für den Bereich der kommunalen Benutzungsgebühren.
(2)
Tabelle 5: Die Synopse wichtiger Vorschriften der Kommunalabgabengesetze der Länder für den Bereich der kommunalen Benutzungsgebühren Ansatzfähige Kosten
kalk. Abschreibungen
kalk. Verzinsung
Verteilungsschlüssel/Tarif
Besonderheiten
Branden-burgfür Inanspruchnahme von Einr. oder Anlagen, wenn diese überwiegend dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dienen
nach bw. Grundsätzen ansatzfähige Kosten; Kostenüberdeckungsverbot; i. d. R. Kostendeckungsgebot
linear auf Anschaffungs- o. Herstellungskosten
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen); Zinssatz zwischen langfr. Sollund Habenzins
nach der Inanspruchnahme der E. (Wirklichkeitsmaßstab, u. U. Wahrscheinlichkeitsmaßstab); Grundgebühr zur Deckung verbrauchsunabhängige Kosten zulässig; Sozialtarife nur bei Einrichtungen. m. sozialen Zwecken
Fähr-, Hafenund Schleusengelder
Mecklenburg-Vorpommern
nach bw. Grundsätzen ansatzfähige Kosten; Kostenüberdeckungsverbot; Ausnahme vom Kostendeckungsgebot bei öffentl. Interesse
linear auf Anschaffungs- o. Herstellungskosten
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen); Zinsgutschrift für Wiederbeschaffungswert
nach der Inanspruchnahme der E. (Wirklichkeits-, u. U. Wahrscheinlichkeitsmaßstab); Ermäßigungen aus sozialen Gründen zulässig, soweit es im öff. Interesse geboten ist u. kein Anschluss- o. Benutzungszwang; Grundgebühr zulässig
besondere Gebühr für die Benutzung öff. Straßen, Wege u. Plätze f. Messen, Märkte, Verkaufsstände u. a. Sondernutzung
Benutzungsgebühren
für Inanspruchnahme von Einr. oder Anlagen, wenn diese überwiegend dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dienen
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
143 Besonderheiten
Benutzungsgebühren
Ansatzfähige Kosten
kalk. Abschreibungen
kalk. Verzinsung
Verteilungsschlüssel/Tarif
Sachsen
für die Benutzung von kom. Einrichtungen
nach bw. Grundsätzen ansatzfähige Kosten; Kostenüberdeckungsverbot (Ausnahme: wirtsch. U. – angemessener Gewinn)
linear, Anschaffungsk. oder Wiederbeschaffungszeitwert (abzgl. Zuschüsse Dritter mit Ausn. Kapitalzusch., d. h. auch Beitragseinnahmen); Mehreinn. aus WBZW in Rücklage für Investitionen
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse u. Zuweisungen) Restwert- oder Durchschnittswertmethode; abzgl. Zinsen auf Rücklg.
n. Ausmaß der Benutzung (Leistung) o. durchschn. verursachte Kosten; Grundgebühr f. fixe Vorhaltekosten zulässig; Berücksichtigung umwelto. rohstoffschonender Lenkungsziele; sozial bedingte Ermäßigungen nicht zu Lasten anderer NutzerInnen
SachsenAnhalt
für die Inanspruch- Kostenüberdenahme kommunaler ckungsverbot; Einrichtungen Kostendeckungsgebot; niedrigeres Entgelt bei öff. Interesse
linear v. Anschaffungsk. oder Wiederbeschaffungszeitwert
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge u. Zuwendungen)
nach Art und Umfang der Inanspruchnahme (Wirklichkeits-, u. U. Wahrscheinlichkeitsmaßstab); Berücksichtigung sozialer Gesichtsp. bei öff. Interesse; Grundgebühr zulässig; Anreize f. umweltschonendes Verhalten
NordrheinWestfalen
für die Inanspruchnahme öff. Einrichtungen, die überwiegend dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dienen
Kostendeckungsgebot, Kostenüberdeckungsverbot; nach bw. Grds. ansatzfähige Kosten
über die mutmaßliche Nutzungsdauer (linear); Anschaffungs- oder Wiederbeschaffungswert
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen)
nach der Inanspruchnahme der Einrichtung; (Wirklichkeitsmaßstab, u. U. Wahrscheinlichkeitsmaßstab)
Saarland
für die Benutzung öff. Einrichtungen von einzelnen Personen o. Personengruppen
nach bw. Grundsätzen; Kostendeckungsgebot; Kostenüberdeckungsverbot
angemessenen Abschreibungen nach der Nutzungsdauer
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen)
nach Art und Umfang der Leistungen Wirklichkeits-, u. U. auch Wahrscheinlichkeitsmaßstab); Grundgebühr zulässig
RheinlandPfalz
für die Inanspruchnahme öff. Einrichtungen oder Anlagen
nach bw. Grundsätzen; Kostenüberdeckungsverbot
nach Anschaffungskosten bei Selbstverwaltung bzw. Anschluss- und Benutzungszwang
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen); auch: 1,6% des Buchrestwertes
nach dem Umfang der Leistungen (Wirklichkeits-, u. U. auch Wahrscheinlichkeitsmaßstab), Anreize für umweltschonendes Verhalten
SchleswigHolstein
für die Inanspruchnahme öff. Einrichtungen mit Vorteil einzelner oder Gruppen von Personen
nach bw. Grundsätzen f. lfd. Verwaltung und Unterhaltung; Kostendeckungsprinzip; Kostenüberschreitungsverbot
lineare Abschreibungen nach Anschaffungs- oder Wiederbeschaffungswert
Verzinsung des aufgewandten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen) mit einheitlichem Zinssatz auf das gesamte Kapital
nach tats. Nutzung, u. U. Marktstandauch Wahrscheinlichgeld keitsmaßstab; Gebührenermäßigung oder befreiung bei Nutzungspflicht und öff. Interesse; Grundgebühr zulässig
BadenWürttemberg
entsprechend der Nutnach betriebswirtangemesse- angemessene zung; ggf. sogar progresschaftlichen Grund- ne Abschrei- Verzinsung des eingesetzten (Rest-) siv sätzen ansatzfähige bungen Kapitals (ohne Kosten; „angeBeiträge, Zuschüsse messener Ertrag für und Zuweisungen Æ G.“ bei Versoreinheitlicher Mischgungseinrichtungen zinssatz u. wirtsch. U.
Fähr-, Hafenu. Schleusengelder u. a. Verkehrsabgaben
bei Wasser und Abwasser Grenzwerte durch IM für Höchstgebühren
144
Teil E. Die kommunalen Einnahmen Benutzungsgebühren
Ansatzfähige Kosten
kalk. Abschreibungen
kalk. Verzinsung
Verteilungsschlüssel/Tarif
Bayern
wenn und soweit eine Einrichtung überwiegend dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dient
nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähige Kosten; Kostenüberdeckungsverbot bei pflichtiger Benutzung
angemessene Abschreibungen (linear o. degressiv); nicht: Wiederbeschaffungskosten
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen) Æ Zinssatz auf halbe Kapitalsumme oder halber Zinssatz auf ganze Kapitalsumme
nach Ausmaß der Nutzung; bei Wasser und Abwasser linear, ggf. degressiv, den Betrieb Sparvorkehrungen für Wasserverbrauch tätigt; Grundgebühr zulässig, wenn Abrechnung nach tats. Nutzung noch möglich ist.
Hessen
als Gegenleistung für die Inanspruchnahme öff. Einrichtungen
i. d. R. Kostendeckungsgebot; Kostenüberdekkungsverbot; Kosten f. d. lfd. Verwaltung und Unterhaltung zzgl. Entgelte f. Fremdleistungen
angemessene Abschreibungen, i. d. R. linear, u. U. auch Wiederbeschaffungswert
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen)
Grad der Inanspruchnahme + Wirklichkeitsmaßstab, nur ausnahmsweise Wahrscheinlichkeitsmaßstab; Grundgebühr für die Kosten der Unterhaltung der öff. Einrichtung
Niedersachsen
für die Inanspruchnahme öff. Einrichtungen
Kostendeckungsgebot; Kostenüberdeckungsverbot; niedrigere Geb. bei öff. Interesse; Kosten nach bw. Grundsätzen auch kalk. Mieten, Wagnisse, Rückstellung
angemessene Abschreibungen (linear); Anschaffungs- oder Wiederbeschaffungswert
angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals (ohne Beiträge, Zuschüsse und Zuweisungen); Mischzinssatz; Halbverzinsungsregel unzulässig
nach Art und Umfang der Inanspruchnahme (Wirklichkeits-, ausnahmsw. Wahrscheinlichkeitsmaßst.); soziale Gesichtspunkte zugunsten bestimmter Gruppen von G.pflichtigen, nicht für Einr. mit Anschluss- u. Benutzungszwang + Straßenreinigung; Grundgebühr zulässig
Besonderheiten
Nds. AbfG: Überschuss von bis zu 10%
Quelle: G. Färber, a. a. O., S. 29 ff.
6
Die kommunalen Gebührenhaushalte und deren Kostendeckungsgrade
(1)
In Tab. 6 ist ein Ausschnitt der Entgelterhebung für die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1999 wiedergegeben, nämlich die hauptsächlichen Gebührenhaushalte. Die Tabelle umfasst nur eine Auswahl der deutschen Gemeinden und nicht alle Gebührenhaushalte, auch Beiträge und Erwerbseinkünfte sind nicht einbezogen. In der jeweils zweiten Spalte ist das Gewicht dieser einzelnen Gebührenhaushalte wiedergegeben. Nach dem Gebührenaufkommen dominieren die beiden Bereiche der Abwasser- und Abfallbeseitigung. Die übrigen Posten sind deutlich geringer. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Ausgaben für diese Leistungen gering sind. Ein niedriger Kostendeckungsgrad (jeweils erste Spalte) bedeutet i. d. R. einen hohen Zuschuss aus den allgemeinen Finanzmitteln der Gemeinde, soweit das verbleibende Defizit nicht durch Zuschüsse übergeordneter Ebenen, Erstattungen und andere einrichtungsspezifische Einnahmen abgedeckt wird. Die Einnahmen der Kommunen aus Gebühren und Beiträgen lagen im Jahr 2006 bei rd. 16 Mrd. EUR und damit nur gut 1 Mrd. EUR niedriger als im Jahr 2000; der Anteil der Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen an den gemeindlichen Gesamteinnahmen lag damit bei rd. 10%34. Grundsätzlich sind die Gemeinden insbesondere bei angespannter Finanzlage gehalten, kostendeckende Gebühren und Beiträge zu erheben und so etwaige Kos-
34
Vgl. Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahr 2000, a. a. O., S. 37.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(2)
145
tensteigerungen an die Nutzer weiterzugeben. Die darauf zurückzuführenden Gebührenerhöhungen wurden aber offensichtlich durch die Ausgliederung von Einrichtungen aus den kommunalen Kernhaushalten mehr als kompensiert35. Die Tab. 6 zeigt die unterschiedlichen Kostendeckungsgrade in ausgewählten kommunalen Leistungsbereichen bezogen auf das Jahr 1999. Aktuellere Zahlen sind in dieser Detaillierung nicht verfügbar. Allerdings bestätigen neuere Einzeluntersuchungen36 die Vermutung, dass die Einnahmen-Deckungsgrade der kommunalen Leistungen insgesamt im Durchschnitt immer noch relativ gering sind und nur in wenigen Bereichen der Daseinsvorsorge über 50 v. H. (gemessen an den Ausgaben) liegen.
Tabelle 6: Die Kostendeckungsgrade in ausgewählten kommunalen Gebührenhaushalten37 38
Kostendeckungsgrade 1999 Einrichtung
über Gebühren Alte Länder
Neue Länder
über einrichtungsspezifische Einnahmen Alte Neue Länder Länder v. H. 99,2 98,8 98,2 100,0
Abwasserbeseitigung 84,9 96,5 Abfallbeseitigung 86,1 86,6 Tageseinrichtungen für Kinder 11,2 11,9 38,4 Friedhöfe 69,2 58,5 88,4 Rettungsdienst 92,4 94,0 97,6 Straßenreinigung 78,6 48,9 93,6 Theater 10,5 6,9 27,1 Bäder 23,5 23,3 44,2 Volkshochschulen 32,9 32,0 60,7 Museen 1,4 1,1 3,7 Büchereien 5,2 2,3 12,6 Musikschulen 33,6 25,3 41,8 Quelle: Deutscher Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2002, a. a. O., S. 49.
35
36
37 38
39
47,5 66,4 96,1 62,0 41,6 36,1 61,5 4,5 15,6 46,5
Gewicht
39
Alte Länder
Neue Länder
40,1 34,8
7,2 47,7
6,4 5,6 4,8 2,8 2,3 1,7 1,2 0,3 0,2 x
17,5 4,3 14,1 2,4 2,8 2,0 1,2 0,7 0,2 x
Vgl. W. Killian, P. Richter, J. H. Trapp (Hrsg.): Ausgliederung und Privatisierung in Kommunen. Empirische Befunde zur Struktur kommunaler Aufgabenwahrnehmung, Berlin 2006. Vgl. G. Färber, a. a. O., die sehr detailliert die entsprechenden Daten für die Stadt Speyer in den Rechnungsjahren 1999 und 2000 ermittelt hat sowie die Befunde bei P. Friedrich, A. Kaltschütz,. Ch. Woon Nam: Significance and Determination of Fees for Municipal Finance, a. a. O. Ergebnis einer Umfrage bei den unmittelbaren Mitgliedsstädten des Deutschen Städtetages Anteil der Benutzungsgebühren u. ä. Entgelte bzw. der einrichtungsspezifischen Einnahmen des Verwaltungshaushalts (zusätzlich zu den Gebühren Erstattungen, Zuweisungen, Innere Verrechnungen u. a.) an den Ausgaben des Verwaltungshaushalts dieses Aufgabenbereiches. Anteil des Gebührenaufkommens des jeweiligen Aufgabenbereichs am gesamten Gebührenaufkommen der dargestellten Bereiche gem. Rechnungsstatistik 1998. Diese Gebührenhaushalte erwirtschafteten im Jahr 1998 73,8 Prozent (alte Länder), 64,6 Prozent (neue Länder) des gesamten kommunalen Gebührenaufkommens.
146
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
Bei der Bewertung dieses Befundes ist allerdings zu differenzieren:
40
In der Regel können weder über den Haushalt noch aus anderen Quellen vollständige Informationen über die kommunalen Entgelte gewonnen werden. Häufig fehlen Gebührenverzeichnisse, die Haushaltssatzungen führen die Entgeltforderungen nur partiell auf. Insbesondere die Gebühren der ausgelagerten Wirtschaftsbetriebe werden nicht (mehr) im Haushaltsplan ausgewiesen. Die Finanzstatistik erfasst nur noch solche Gebühreneinnahmen, die von kommunalen Gebietskörperschaften selbst haushaltswirksam eingezogen werden. Andere Gebühreneinnahmen, bei denen die Ertragshoheit bei verselbständigten kommunalen Unternehmen oder sog. öffentlichen Erfüllungsgehilfen (private Unternehmen, welche die öffentliche Aufgabenerfüllung als „Beliehene“ betreiben) liegt, werden ebenfalls nicht in der kommunalen Finanzstatistik ausgewiesen. Für tiefergreifende Analysen bleibt deshalb nur die Möglichkeit, einzelne kommunale Haushalte zu analysieren. Ein großes Problem für die kommunalpolitischen Entscheidungen im Bereich gebührenfinanzierter kommunaler Leistungen stellt die Überregulierung durch Europa-, Bundes- und Landesrecht dar. Zum einen enthalten die Regelungen kostentreibende Vorschriften (siehe die Trinkwasserrichtlinien der EU, aber auch das Abfallrecht des Bundes), zum anderen mischen sich die höherrangigen Gesetzgeber auch im Bereich der Gebührenfinanzierung in kommunale Angelegenheiten ein. Dies erschwert den verantwortlichen Kommunen, ein den Wählerpräferenzen entsprechendes kommunales Güterangebot zu gewährleisten. Nach wie vor scheint man sich wenig Gedanken über die Wahl effizienzerhöhender Gebührentarife zu machen. Vielmehr dominieren offensichtlich Argumente der generellen Einnahmenbeschaffung einerseits und kommunalpolitisch akzeptierbarer Preise (unter Einschluss der sozialen „Zumutbarkeit“) andererseits das Entscheidungsfeld der Kommunalpolitiker. Der gewollte Einnahmenausfall bei Mieten und Pachten bzw. von Benutzungsgebühren bei den Sportstätten wird im Zweifel noch nicht einmal als ein dem Gebührenverzicht verwandter Sachverhalt gesehen. Mit Ausnahme der privatisierten kommunalen Unternehmen werden selbst die betriebswirtschaftlichen Kosten nicht vollständig und sachgerecht ausgewiesen. Vielmehr fehlen i. d. R. Kostenbestandteile, die nicht Ausgaben sind, bei den nicht-kostendeckenden Einrichtungen vollständig. Kalkulatorische Mieten und Pachten werden für gemeindeeigene Immobilien kaum veranschlagt und in die Gebührenkalkulation einbezogen. Insofern wird der Kostendeckungsgrad durch Gebühreneinnahmen dort systematisch zu hoch ausgewiesen. Fehlende institutionelle Anreizstrukturen und Kontrollmöglichkeiten in der Kommunalverwaltung sowie unzureichende Transparenz des Gesamtfeldes der steuer- und beitragfinanzierten kommunalen Leistungen für die Wähler, die ihrerseits Schnittmengen zu Steuerzahler und Gebührenzahler darstellen, bewirken, dass das Leistungsangebot auch der gebührenfinanzierten Leistungen tendenziell viel zu hoch und die Gebühren selbst viel zu niedrig ausfallen40. Die
Vgl. U. Sacksofsky, J. Wieland (Hrsg.): Vom Steuerstaat zum Gebührenstaat, Baden-Baden 2000.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
147
politischen Preise dürften zudem den politischen Wettbewerb unter den Parteien um die Mandate der Kommunalparlamente zugunsten der regierenden Gruppierung verzerren. Schließlich lassen Verwaltungs- und Haushaltsrecht den kommunalen Einrichtungen relativ wenig Spielräume, selbst nach effizienten Lösungen einschließlich ihrer Gebührenfinanzierung zu suchen und diese umzusetzen. Das „Neue Steuerungsmodell“ (vgl. unten Teil J.) hat zwar dafür einige wichtige Änderungen gebracht. Jedoch besteht der Verdacht, dass neu verteilte Handlungskompetenzen bei gleichbleibendem Zielsystem der Handelnden nur neue strategische Verhaltensweisen hervorrufen41. Ein in sich schlüssiges Konzept der zu bewirtschaftenden Parameter fehlt im Neuen Steuerungsmodell ebenso wie die notwendigen Belohnungen und Sanktionsmechanismen. Nicht zuletzt deshalb sind der Umfang und die Struktur des lokalen öffentlichen Güterangebots verzerrt. Es werden gruppenspezifische Objektsubventionen kommunaler Leistungen begünstigt, welche in höherem Maß von den Nutzern finanziert werden könnten und sollten.
7
Die weitere Intensivierung der Erhebung von Gebühren und Beiträgen in den Gemeindehaushalten als kommunalpolitische Strategie
(1)
Unter Verweis auf die verwaltungsrechtliche Beschränkung des Ermessensspielraums bei der Entgelthöhe durch das Kostenüberschreitungsverbot wird häufig die Auffassung vertreten, eine Intensivierung der Abgeltung öffentlicher Leistungen durch Gebühren und Beiträge über das gegenwärtige Maß hinaus sei nicht möglich42. Die vorliegenden Analysen, deren Ergebnisse sich in Tab. 6 widerspiegeln, zeigen ferner, dass die „klassischen“ Gebührenhaushalte, wie Abwasserbeseitigung, Abfallbeseitigung, Straßenreinigung und Schlachthöfe kostenrechnend geführt werden, dass aber selbst in diesen Bereichen eine Kostendeckung von über 90 v. H. die Ausnahme ist. Die Intensität der betriebswirtschaftlichen Kostenermittlung nimmt schon beim Bestattungswesen und bei Bädern ab; bei den kulturellen Einrichtungen wie Volkshochschulen, Theatern und Museen wird z. B. diese gegenüber den fiskalischen Gebührenbedarfsrechnungen verfeinerte Methode der Kostenrechnung bislang nur ausnahmsweise angewandt. Der Kostendeckungsgrad liegt nach diesen Analysen bei Bädern bei 23 v. H., bei Volkshochschulen bei 33 v. H., bei Einrichtungen für Theater und Konzerte bei 10,0 v. H. und bei Museen nur bei 1,4 v. H. Die erwähnte Analyse von G. Färber unterlegt diesen Befund im Detail, und es spricht vieles dafür, dass die in dieser Untersuchung herausgearbeiteten Verhältnisse der Stadt Speyer repräsentativ sind. Gegen einen stärkeren Rückgriff auf Gebühren und Beiträge könnte stabilitätspolitisch eingewandt werden, damit werde der gesamtwirtschaftliche Preisauftrieb be-
(2)
41 42
Vgl. G. Färber, a. a. O., S. 67. Nach den Kommunalabgabegesetzen der einzelnen Bundesländer bilden die Kosten der öffentlichen Einrichtungen oder Anlagen die Obergrenze für die Bemessung der Gebühren. Überschüsse zur Finanzierung anderer Haushaltsaufgaben dürfen nicht erzielt werden.
148
(3)
43
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
schleunigt. Gegen diese generalisierende Behauptung sprechen jedoch sowohl theoretische als auch empirische Argumente. Zunächst: Die konzeptionelle Schwierigkeit der Beweisführung, ob die Entwicklung einzelner Preise inflationsfördernd oder preisstabilisierend ist, resultiert aus der Notwendigkeit, Veränderungen des Preisniveaus von denen der Preisstruktur zu trennen. Das bedeutet, dass eine Referenzgröße benötigt wird, die zeigt, welche Preisstrukturen sich bei Geldwertstabilität einstellen würde. Das allein wäre jedoch noch nicht einmal ausreichend: Man benötigt für die stabilitätspolitische Beurteilung der staatlich-administrierten Preise darüber hinaus jene hypothetische Preisstruktur, die sich unter Wettbewerbsbedingungen und bei freier Preisbildung ergeben hätte. Denn es ist nicht auszuschließen, dass sich infolge der staatlichen Preisadministration eine andere Preisstruktur einstellt. Die bislang vorliegenden Untersuchungen zum inflatorischen Einfluss der administrierten Preise vernachlässigen diesen Preisstruktureffekt gänzlich. Unabhängig von diesen theoretischen Schwierigkeiten lässt auch der unvollständige empirische Befund eine fundierte Aussage über die Wirkungen künftighin höherer und auch völlig neuer Gebühren für staatliche Leistungen auf das Preisniveau kaum zu: Bisher liegen – im Rahmen des Preisindex für die Lebenshaltung – lediglich Untersuchungen über die Gewichtsanteile von bestehenden Preisen für einzelne staatliche (kommunale) Leistungen vor, aber keine Analyse für alternativ höhere, kostendeckende Abgaben und vor allem nicht für sämtliche gebührenfähigen Leistungsbereiche. Dennoch kann man aus den vorliegenden Zahlen schließen, dass die Gewichte der öffentlichen Leistungsentgelte am Preisindex für die Lebenshaltung zur Zeit so gering sind, dass auch eine deutliche Anhebung der Gebühren und Beiträge deren relativen Einfluss auf den Preisindex – gemessen an anderen Komponenten – nur unwesentlich erhöhen würde. Weiterhin könnte gegen eine Intensivierung der Abgeltung öffentlicher, insbesondere kommunaler Leistungen, durch Gebühren und Beiträge vorgetragen werden, dass die Mehrzahl dieser Entgelte regressiv wirke, d. h. unerwünschte Verteilungseffekte auslöse43, insbesondere dann, wenn bislang steuerfinanzierte Ausgaben über diese Instrumente abgegolten würden. Dem positiven Allokationseffekt der Anwendung des Äquivalenzprinzips stünde dann ein negativer Distributionseffekt im Sinne der differentiellen Inzidenz gegenüber. Dieser mögliche Einwand verliert aber an Bedeutung, wenn man bedenkt, dass die sog. „Sozialtarife“ bzw. „Nulltarife“ öffentlicher Leistungen gerade unter verteilungspolitischen Aspekten „unsozial“ sein können, da sie jedem Benutzer zugute kommen, selbst wenn dieser entsprechend seinen Einkommens- oder Vermögensverhältnissen in der Lage wäre, ein kostendeckendes Entgelt zu entrichten. Daher schließt dieses Argument die Anwendung des Äquivalenzprinzips über den Gebühren- und Beitragshaushalt nicht aus. Vielmehr verdeutlicht es die Notwendigkeit, auf dem dafür geeigneten Weg für eine befriedigende Einkommensverteilung zu sorgen. Sofern Verteilungsaspekte beachtet werden müsVgl. W. S. Vickrey: General and Specific Financing of Urban Services, in: H. G. Schaller (Ed.): Public Expenditure Decisions in the Urban Community, Baltimore 1963, S. 63. So legt z. B. eine empirische Studie von Hanusch (vgl. H. Hanusch: Einkommensumverteilung durch kommunale Haushalte. Das Beispiel der Bundesrepublik Deutschland: 1963 und 1969, in: Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 1976, S. 219 ff.) die Schlußfolgerung nahe, dass die Regressionswirkung der Gebühren und Beiträge in den Kommunalhaushalten der Bundesrepublik zwischen 1963 und 1969 zugenommen hat.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
(4)
149
sen, ist es wirkungsvoller, kostendeckende Gebühren und Beiträge zu erheben und den Benutzern, soweit erforderlich, aus dem Sozialhaushalt entsprechend den Einkommensverhältnissen individuelle Beihilfen zu gewähren. Abschließend und zusammenfassend: Die Fehlentwicklungen in den Kommunalfinanzen sind auch darauf zurückzuführen, dass die finanzpolitische Verantwortung und lokale finanzwirtschaftliche Kompetenz nicht mehr einander entsprechen. Deshalb sollten die Vorschläge für eine Verbesserung der gemeindlichen Finanzsituation auch darauf abzielen, beide Elemente wieder zur Deckung zu bringen. Ein intensiverer Rückgriff auf das Instrument der Gebühren und Beiträge würde diesem Ziel nicht zuletzt deshalb entsprechen, weil er eine stärkere Dezentralisation der finanzpolitischen Entscheidungen ermöglichen würde. Maßgeblich aber ist: Jede Sozialtarifizierung bedeutet eine Abweichung von einer auf dem Kostenverursachungsprinzip basierenden Gebührengestaltung. Dabei ist das sozial bestimmende Kriterium häufig nicht (nur) das Verfügungseinkommen, sondern ein sozialer „Status“ (Schüler, Rentner, Arbeitsloser). Dadurch kommt es selbst hinsichtlich der verteilungspolitischen Motivation zu Ungereimtheiten: So geht z. B. der Arbeitslose mit hohem Arbeitslosengeldanspruch zu reduzierten Tarifen ins kommunale Theater, während der gering Verdienende den vollen Eintrittspreis bezahlt. Dass damit nicht nur Einzelfälle angesprochen sind, sondern entsprechend differenzierende Maximen der Gebührenpolitik, zeigen die einschlägigen länderspezifischen Gestaltungen44:
allgemeine Zulässigkeit der Berücksichtigung sozialer Zielsetzungen bei der Tarifgestaltung (Sachsen-Anhalt); Sozialtarife nur bei Einrichtungen ohne Anschluss- und Benutzungszwang (Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern); Gebührenermäßigung und -befreiung nur bei Nutzungspflicht und bei öffentlichem Interesse (Schleswig-Holstein); Sozialtarife nur bei Einrichtungen mit sozialen Zwecken (Brandenburg); sozial bedingte Ermäßigungen nicht zu Lasten anderer Nutzer (Sachsen).
Kommunalpolitisch und finanzwirtschaftlich kaum akzeptabel ist, dass in den Haushalten die Teile des Defizits, die auf Sozialtarife zurückzuführen sind, nicht ausgewiesen werden. Das Ausmaß sozial begründeter Subventionierung bleibt im Dunkeln. 8
Die Voraussetzungen für eine zukunftsfähige kommunale Entgeltpolitik
(1)
Grossekettler45 nennt drei Funktionen, die er bei einer Gebührenfinanzierung besser gewährleistet sieht als bei einer Steuerfinanzierung:
44 45
Vgl. G. Färber, a. a. O., S. 59. Vgl. H. Grossekettler: Steuerstaat versus Gebührenstaat – Vor- und Nachteile, in: U. Sacksofsky, J. Wieland (Hrsg.), a. a. O., S. 24 ff.
150
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
1. 2. 3.
(2)
(3)
Als konkrete Ziele zur Gestaltung von Gebührentarifen und Beurteilungskriterien für praktizierte kommunale Gebührenpolitik sind diese drei Funktionen indes kaum verwendbar, weil sie zu wenig auf die möglichen Gestaltungsdimensionen und konkreten Problembereiche abstellen. Sie sind in der Tat mehr geeignet, die Alternative zur Steuerfinanzierung zu thematisieren. Diese Funktionen geben nämlich Anhaltspunkte dafür, welche Dimensionen in der kommunalen Gebührenpolitik zu beachten sind: Nicht nur Fragen nach dem optimalen „Tarif“ sind Gegenstand einer sachgerechten Gebührenpolitik, sondern auch Maßnahmen, Vorkehrungen und institutionelle Arrangements, welche es den Beteiligten am Prozess der Produktion und des Konsums lokaler ganz oder teilweise gebührenfinanzierter kommunaler Leistungen ermöglichen, über Art und Umfang eines sich am volkswirtschaftlichen Ressourcenverbrauch orientierenden vertretbaren Angebots kommunaler Leistungen zu entscheiden46. Dabei müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
46 47
48
49
eine Informationsfunktion, weil Kosten und Leistungen öffentlicher Leistungen miteinander konfrontiert werden, mithin die Bürger ihre Präferenzen unter Kenntnis der Kosten artikulieren können, eine Motivationsfunktion, indem Bürger nicht mehr ein Maximum an öffentlichen Leistungen zum „Nulltarif“ anstreben, sondern Anreize „zur effektiven Kontrolle der Politiker“ erhalten, und eine Kompetenzverteilungsfunktion, weil die Verantwortlichkeit zur Einnahmenerwirtschaftung und Kostendeckung die politische und die bürokratische Haftung erhöht.
Ausweis nicht nur der betriebswirtschaftlichen, sondern der volkswirtschaftlichen Kosten, die bei der Produktion der jeweiligen kommunalen Leistung entstehen47, Nutzung der Nachfrageelastizitäten48 zur Bestimmung eines auch aus volkswirtschaftlicher Sicht „optimalen“ kommunalen Güterangebots durch die Wahl eines an den Besonderheiten der jeweiligen Aufgabe orientierten, sachlich gerechtfertigten Gebührentarifs, Transparenz bezüglich der allokativ begründeten Subventionen wie der quasilenkungssteuerlich begründeten Teile des Gebührenaufkommens sowie der verteilungspolitisch motivierten Abweichung49 vom aus volkswirtschaftlicher Sicht bestimmten Gebührentarif; außerdem: die Zuführung der Subventionen aus dem allgemeinen Steueraufkommen bzw. die Abführung des Mehraufkommens an den Kommunalhaushalt,
Vgl. B. Hansjürgens: Äquivalenzprinzip und Staatsfinanzierung, Berlin 2001, S. 51 ff. Vgl. B. Langenbrinck: Gestaltungsspielräume der Kommunen in der Gebührenpolitik; Diss. Univ. Bayreuth 1993. Vgl. R. M. Reichhardt: Gesellschaftliche Bedarfsanalyse. Ein Ansatz zur Ermittlung der Bürgerpräferenzen für öffentliche Güter, Berlin 1979. Vgl. U. Friedl: Können kommunale Gebühren mit sozialpolitischen Zielsetzungen ausgestattet werden?, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, Jg. 1999, H. 7, S. 152–160.
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
151
Verfügbarkeit einer hinreichenden Zahl an Freiheitsgraden für die entscheidungsverantwortlichen Politiker in den Gemeinden, um das den Präferenzen50 ihrer Bürger entsprechende lokale Güterangebot sowie den Umfang und die Struktur der kommunalen Gebühren zu bestimmen, und institutionelle Rahmenbedingungen und Bewirtschaftungsregeln der Gebührenhaushalte, die es den Managern in den jeweiligen Einrichtungen ermöglichen, zumindest näherungsweise optimale Entscheidungen im Hinblick auf kostenminimale Produktionsfunktionen zu fällen51.
9
Die kommunalpolitische Bedeutung einer zukunftsfähigen Entgeltpolitik
(1)
Bei allem stellt sich die Frage, ob der finanzpolitische Befund nicht eine Denaturierung der Zahlungsbereitschaft der Bürger zu Lasten der öffentlichen Leistungen signalisiert, die mit dem Grundsatz einer fiskalischen Äquivalenz nicht mehr zu rechtfertigen ist: Für die Benutzung einer privaten Kraftfahrzeug-Waschstraße wird ein Preis von 15,00 EUR anstandslos akzeptiert, eine Preisstellung von 5,00 EUR für den Eintritt in das städtische Schwimmbad löst dagegen kommunalpolitische Kontroversen aus. Der Preis für den Besuch eines Fußballspieles, eines Pop-Konzertes oder eines vergleichbaren anderen „Events“ wird auch in Höhe eines dreistelligen Euro-Betrages anstandslos entrichtet, das Theaterbillett für 60,00 EUR wird als „kommunaler Wucher“ apostrophiert, obwohl dies i. d. R. ein deutlich subventionierter Preis ist. Die Kommunen sind im eigenen Interesse und das heißt im Interesse einer finanzpolitisch dauerhaft abgesicherten kommunalen Selbstverwaltung gut beraten, wenn sie nicht in allokationspolitischer Permissivität verharren, sondern verdeutlichen, dass bestimmte Angebote bestimmte Preise erfordern, sollen Leistungen der Daseinsvorsorge dauerhaft erbracht werden. Die Städte und Gemeinden müssen sich die Frage stellen, welche Alternativen verfügbar sind. Die Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass immer mehr Theater und Museen, Schwimmbäder, Büchereien und ähnliche Einrichtungen geschlossen werden, weil diese nicht mehr zu finanzieren sind. Die Antwort auf die finanzwirtschaftlichen Probleme kann sich daher nicht darin erschöpfen, das kommunale Leistungsangebot auf ein Maß auszudünnen, dass die gemeindliche Daseinsvorsorge selbst in Frage stellt. Es geht auch offensichtlich an der Wirklichkeit vorbei, wenn die Analyse eines zusätzlichen Gebühren- und Beitragspotentials kategorisch mit dem Hinweis ausgeschlossen wird, die geringe Preiselastizität der entsprechenden Nachfrage ließe einen solchen Ansatz finanzpolitisch ins Leere laufen. Dezentralisation verlangt von der Verwaltung und vor allem von der Politik vor Ort auch den Mut, den Bürgern die entsprechenden Belastungen transparent zu machen, die mit unterschiedlichen Ausgabenwünschen verbunden sind. Nur so kann der zunehmenden Sozialisierung auch rein privater Güter entgegengewirkt und die Struk-
(2)
(3)
50
51
Vgl. D. Rondorf: Die Bewertung öffentlicher Leistungen durch die Bürger, Frankfurt/M.1985; W. Pommerehme: Ansätze zur Erfassung der Präferenzen für öffentliche Güter, Tübingen 1986. Vgl. A. Funke: Zielkostenmanagement in öffentlichen Betrieben und Verwaltungen, Frankfurt/M. 1998, S. 110 ff.
152
Teil E. Die kommunalen Einnahmen
tur der kommunalen Leistungen auf das abgestimmt werden, was die Bürger auch deshalb wirklich wollen, weil sie dafür zu zahlen bereit sind. Die Finanzprobleme werden nur zu bewältigen sein, wenn es gelingt, den Bürger tatsächlich zum Interessenten und damit auch zum Belasteten kommunaler Entscheidungen zu machen. Wenn auch unbestreitbar ist, dass die Lösung des kommunalen Finanzproblems eine Neuordnung des vertikalen Finanzausgleiches im Bundesstaat im Sinne einer Reform der Zuordnung von Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen zwischen den Ebenen voraussetzt, so gilt gleichwohl, dass die Kommunen jene Aufgaben, die unstrittig zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung gehören, dauerhaft nur dann erfüllen können, wenn sie diese kostendeckend bereitstellen.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Teil F.
153
Die kommunale Verschuldung
Teil F. Die kommunale Verschuldung
I.
Der Stand und die voraussichtliche Entwicklung der Kommunalverschuldung
1
Der Stand der Verschuldung
(1)
Die Kommunalverschuldung war aus statistischer Sicht in den letzten Jahren insbesondere durch zwei Aspekte gekennzeichnet. Zum einen ist seit langem ein relativer Rückgang der kommunalen Verschuldung im Vergleich zum Bund und Ländern an der staatlichen Gesamtverschuldung zu konstatieren, der sich aus der Entwicklung der Neuverschuldung erklärt (siehe Tab. 7). Diese hatte bis zur Rezession 1975/76 für die Gemeinden i. d. R. eine größere Bedeutung als für den Bund und die Länder und machte annähernd ein Drittel der Verschuldung des öffentlichen Gesamthaushalts aus. Erst der finanzpolitische Paradigmenwechsel hin zu einer zunächst antizyklischen Fiskalpolitik gegen Ende der 60er Jahre änderte dies nachhaltig. Der Bund und die Länder weiteten ihre Verschuldung nun stärker aus als die Kommunen. Politische Beweggründe führten dazu, dass auch nach Wegfall der konjunkturbedingten Mehrausgaben die Ausgabenintensität hoch blieb. Die zweite, ähnlich verlaufende Strukturverschiebung ergab sich mit der Wiedervereinigung ab 1990. Durch die Wiedervereinigung stiegen die Ausgaben von Bund und Ländern überproportional gegenüber denen der Gemeinden an. Gleichzeitig nahm die gesamtwirtschaftliche Schuldenstandsquote weiter zu. Obwohl der Anteil der kommunalen Verschuldung an der Gesamtverschuldung seit 2001 rückläufig war, nahm das gemeindliche Verschuldungsvolumen in der absoluten Dimension deutlich zu. Die Ursachen für die Zunahme der Neuverschuldung in den Jahren 2001 bis 2005 waren die Defizite in den Vermögenshaushalten (vgl. Tab. 8). In 2006 wurde dagegen ein positiver kommunaler Finanzierungssaldo von 1,55 Mrd. EUR erwirtschaftet1, der in 2007 auf 7,2 Mrd. EUR anstieg und sich in 2008 auf 3,25 Mrd. EUR zurückbildete2. Diese positiven Finanzierungssalden werden sich aber ab 2009 aufgrund der konjunkturell stark rückläufigen Steuereinnahmen ins Minus drehen.
(2)
1
2
Vgl. Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahr 2000, in: Monatsbericht Juli 2007, a. a. O., S. 49; Deutscher Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2008, S. 10. Vgl. F. Zinsmeier: Öffentliche Haushalte 2007/2008: Überschüsse horten – Investitionen stärken, in: DIW Wochenbericht Nr. 41, Jg. 2007, S. 585–596, S. 594; sowie Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände: Kommunalfinanzen 2006 bis 2008, 30.01.2008, S. 2 ff.
154
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Tabelle 7: Die Entwicklung der Schulden deutscher Gebietskörperschaften 1950 - 2005 Mio. EUR Jahr
davon alle öffentlichen Haushalte
1950
Bund/Sondervermögen
10.550,0
Länder
3.727,3
6.567,0
Kommunen 255,6
1960
26.975,2
13.751,2
7.513,4
5.710,6
1970
64.366,5
29.556,8
14.206,8
20.602,5
1980
239.597,5
120.460,4
70.458,1
48.679,1
1990
538.640,9
306.315,5
168.106,1
64.219,3
2000
1.211.439,0
774.834,0
338.143,0
98.462,0
2003
1.357.759,0
826.526,0
423.632,0
107.600,0
2004
1.430.582,0
869.371,0
448.672,0
112.539,0
2005
1.489.029,0
901.619,0
471.376,0
116.034,0
Anteil in v. H. Jahr
davon alle öffentlichen Haushalte
Bund/Sondervermögen
Länder
1950
100
35,3
62,2
2,4
1960
100
51,0
27,9
21,2
1970
100
45,9
22,1
32,0
1980
100
50,3
29,4
20,3
1990
100
56,9
31,2
11,9
2000
100
64,0
27,9
8,1
2003
100
60,9
31,2
7,9
2004
100
60,8
31,4
7,9
Kommunen
2005 100 60,6 31,7 7,8 Quelle: Eigene Berechnungen nach Daten der Deutschen Bundesbank. Anmerkung: Sozialversicherungen bleiben in der Einzeldarstellung unberücksichtigt. Daher ist die Summe größer als die Anteile der einzelnen Gebietskörperschaften.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
155
Tabelle 8: Die kommunalen Verwaltungs- und Vermögenshaushalte 2000 - 2005 in Mrd. EUR Vermögenshaushalte
Verwaltungshaushalte
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 kumuliert 2000-2005
Einnahmen 128,1 125,3 126,3 122,7 127,2 134,0 138,2
Ausgaben 116,2 118,1 121,3 123,6 125,0 130,0 133,6
Defizit/ Überschuss 11,9 7,2 5,0 -0,9 2,2 4,0 4,6
Einnahmen 19,9 19,0 20,0 18,8 18,1 17,1 20,6
Ausgaben 29,9 30,2 28,7 26,4 24,1 23,3 23,8
Defizit/ Überschuss -10,0 -11,2 -8,7 -7,6 -6,0 -6,2 -3,2
Defizit/ Überschuss Gesamthaushalt 1,9 -4,0 -3,7 -8,5 -3,8 -2,2 1,8
763,6
734,2
29,4
112,9
162,6
-49,7
-20,3
Defizit/ Überschuss
Defizit/ Überschuss Gesamthaushalt
jährliche Veränderungen Verwaltungshaushalte
Vermögenshaushalte
Defizit/ Überschuss
Einnahmen
Ausgaben
Einnahmen
Ausgaben
2001
-2,2
1,6
-4,5
1,0
2002
0,8
2,7
5,3
-5,0
2003
-2,9
1,9
-6,0
-8,0
2004
3,7
1,1
-3,7
-8,7
2005
5,3
4,0
-5,5
-3,3
2006
3,1
2,8
2,9
2,1
2000
2000-2005 4,6 11,9 -14,1 -22,1 kumuliert Quelle: Deutscher Städtetag: Gemeindefinanzbericht, in: Der Städtetag, H. 5, Köln 2006, S. 14–99, S. 80.
(3)
An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die ausgewiesene Verschuldung lediglich die Größen beinhaltet, die den Kommunen unmittelbar haushaltstechnisch zuzuordnen sind. Unberücksichtigt bleiben die Verbindlichkeiten, die in der Finanzstatistik nicht erfasst sind. Diese sind insbesondere
Schulden aus kreditähnlichen Rechtsgeschäften (z. B. Leasing), Schulden der Zweckverbände (anteilig),
156
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(4)
(5)
3
4 5
Schulden der wirtschaftlichen Unternehmen, an denen die Kommunen mehrheitlich, aber nicht alleine beteiligt sind3.
Die Höhe des Schuldenstandes der Gemeinden ist inzwischen in einem erheblichen Umfang durch (ein mitunter sehr unterschiedliches Maß von) Ausgliederungen aus den Kernhaushalten gekennzeichnet. Soweit den betreffenden Einrichtungen auch Verbindlichkeiten zugeordnet werden, sind diese im Rahmen der Finanzstatistik für die Gemeindehaushalte am aktuellen Rand nicht mehr automatisch erfasst, auch wenn die Kommune die ausgegliederten Einrichtungen unmittelbar steuert und letztlich für deren Verbindlichkeiten haften muss. In einer jüngeren Untersuchung4 wird dargestellt, dass sich bei der Berücksichtigung von rechtlich unselbständigen Eigenbetrieben, kommunalen Fonds, Einrichtungen und Unternehmen, im Bundesdurchschnitt ein Aufschlag von 100% auf die Gesamtschulden der Kernhaushalte ergibt. Die Struktur der kommunalen Verschuldung ist, anders als beim Bund und bei den Ländern, primär kreditorientiert (vgl. Tab. 9): Deutlich über 95% der Schuldenaufnahme erfolgen durch Direktausleihungen bei Kreditinstituten. Hier handelt es sich zu einem wesentlichen Teil um Schuldscheindarlehen. Gläubiger sind insbesondere die Sparkassen und Landesbanken. Problematisch ist in diesem Zusammenhang der steigende Rückgriff der Kommunen auf das Instrument der Kassenkredite. Diese Kreditart soll nach den Haushaltsregeln eigentlich nur kurzfristige Engpässe überwinden. In den „Defizitjahren“ 2001-2005 war dies jedoch nicht der Fall. Die Kommunen finanzierten damit auch längerfristige Ausgaben. Dies führte dazu, dass die Kassenkredite zwischen 1999 und 2006 von rd. 6 Mrd. EUR auf rd. 28 Mrd. EUR anstiegen. Den Kassenkrediten fällt damit faktisch die Aufgabe klassischer Haushaltskredite zu5. Das Ausmaß der Verschuldung mit Kassenkrediten je Einwohner ist nach Bundesländern deutlich unterschiedlich (vgl. Abb. 11). Die höchsten Werte hatten Ende 2006 die Gemeinden im Saarland, in Rheinland-Pfalz und in Nordrhein-Westfalen zu verzeichnen, deren Finanzierungssalden überdies immer negativ ausfielen und deren Länderhaushalte überdurchschnittliche Defizite aufwiesen. Andererseits wurden die im Durchschnitt niedrigsten Überbrückungskredite aus den Gemeinden von Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen gemeldet, wo auch die Lage der Länderfinanzen günstiger war (vgl. Abb. 12).
Vgl. Landesrechnungshof Sachsen: Jahresbericht 50, Dresden 2002, S. 406; Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahr 2000, a. a. O. sowie M. Junkernheinrich, G. Micosatt: Kommunaler Schuldenreport Nordrhein-Westfalen, Gütersloh 2007, S. 8 ff. Vgl. M. Junkernheinrich: Kommunaler Gesamtschuldenmonitor, http://www.bertelsmann-stiftung.de, 2007. Vgl. R. Peffekoven: Gemeindefinanzen in desolatem Zustand, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Heft 23, Jg. 2004, S. 1338–1340, S. 1339; M. Junkernheinrich, G. Micosatt: Kommunaler Schuldenreport Nordrhein-Westfalen, a. a. O., S. 14 und Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Expertise im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Berlin 2007, S. 67.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
157
Tabelle 9: Die Struktur der kommunalen Verschuldung (ab 1991 einschließlich der ostdeutschen Länder) Mrd. EUR
Anteil an der Gesamtverschuldung in v. H.
andere Direktausleihungen der SozialverNichtJahr gesamt Anleihen Kreditinstitute sicherungen banken 1955 2.387,7 1,5 70,9 10,2 17,4 1961 6.547,1 2,6 74,2 6,1 17,1 1965 13.213,8 2,2 77,4 4,8 15,6 1970 20.602,5 1,7 80,3 2,5 15,5 1975 38.045,7 0,6 90,3 5,8 3,3 1980 48.679,1 0,2 93,2 4,7 1,9 1985 58.153,3 0,2 94,4 4,0 1,4 1990 64.219,3 0,1 96,9 1,8 1,2 1995 100.519,5 0,7 96,2 1,7 1,4 2000 98.462,0 1,0 96,8 0,2 2,0 2005 116.034,0 0,4 96,4 0,1 3,1 Quelle: Deutsche Bundesbank: Zur Entwicklung der Gemeindefinanzen seit dem Jahr 2000, a. a. O., rechnungen.
(6)
gesamt 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 eigene Be-
Aufs Ganze gesehen sind die Kommunen im Vergleich zum Bund und zu den Ländern einem stärkeren „Verschuldungszwang“ ausgesetzt. Dies resultiert daraus, dass sie mit dem Gebühreninstrumentarium sowie den Einnahmen aus Gewerbesteuer bisher nur geringe die Möglichkeiten der Eigenfinanzierung haben. Somit steht diesem vergleichsweise hohen „Verschuldungszwang“ gleichzeitig ein sehr geringer Spielraum für die eigene Schuldenpolitik gegenüber. Hinzu kommt, dass insbesondere die ostdeutschen Kommunen nur auf eine unzureichende Einnahmebasis zurückgreifen können.
158
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Abbildung 11: Die Finanzlage der Kommunen 2000 - 2006
Quelle: Statistisches Bundesamt.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
159
Abbildung 12: Die kommunale Finanzlage nach Bundesländern im Jahr 2006
Quelle: Statistisches Bundesamt – 1) Überschuss: -. Ohne die Erlöse Dresdens aus dem Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft (982 Mio. EUR bzw. 229 EUR je Einwohner Sachsens und 13 EUR je Einwohner Deutschlands).
2
Die voraussichtliche Entwicklung der Kommunalverschuldung
(1)
Zunächst: Es ist kaum zu erwarten, dass die Föderalismusreform II eine grundsätzliche Neuordnung der Aufgaben-, Ausgaben- und Einnahmeverantwortung zwischen den staatlichen Ebenen konstituieren wird. Dies wäre aber Voraussetzung für eine wirklich nachhaltige Verbesserung der finanzwirtschaftlichen Situation der Städte und Gemeinden. Zwar gingen die Status-quo-Prognosen bis 2011 ursprünglich von einem positiven Finanzierungssaldo für die kommunale Ebene insgesamt aus6. Diese Einschätzung berücksichtigt aber nicht die erwähnten Finanzierungsbedarfe bei den Kommunen aufgrund der demografischen Veränderungen und deren Anforderungen an kommunale Daseinsvorsorge. Dazu kommt der Renovierungsbedarf wesentlicher Teile der kommunalen Infrastruktur. Eine generell rückläufige Tendenz der kommunalen Neuverschuldung kann man auch im Hinblick auf die aktuellen Prognosen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung nicht erwarten. Es wird also darauf ankommen, die Neuverschuldung tatsächlich auf die Finanzierung investiver Ausgaben zu begrenzen und die Schuldenstrukturpolitik so anzulegen, dass die Refinanzierungskosten der Kreditaufnahme im Griff der Kämmerer bleiben.
6
Vgl. z. B. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Jahresgutachten 2007, Tz 384.
160
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(2)
Im Hinblick auf die künftige Entwicklung der Kommunalverschuldung stellt sich auch die Frage nach den Konsequenzen der europäischen Vorgaben für die gemeindliche Kreditfinanzierung. Es ist nicht abschließend geklärt, wie die Vorgaben aus dem Maastrichter Stabilitätspakt, der eine maximale Defizitgrenze von 3% bzw. eine maximale Verschuldung in Höhe von 60% des Bruttoinlandsproduktes vorsieht, in einem föderalen Staat wie der Bundesrepublik auf die drei Ebenen der Gebietskörperschaften umgelegt werden sollen7. Eine Nichterfüllung der Kriterien sieht – nach einer gewissen Zeit – Strafzahlungen vor. Eine Aufteilung muss auf der vertikalen Ebene (Bund, Länder und Gemeinden) als auch auf horizontaler Ebene (Länderebene) erfolgen. Hinsichtlich der vertikalen Aufteilung haben sich Bund und Länder im Jahr 2002 auf einen „Deutschen Stabilitätspakt“ geeinigt: Demnach sollte ab 2004 die Defizitquote im Verhältnis 45 zu 55 auf Bund einschließlich Sozialversicherung sowie die Länder und Gemeinden aufgeteilt werden8. Auf die 3%-Grenze bezogen würde dies für den Bund einen Anteil von 1,35% und für die Länder von 1,65% bedeuten.
II.
Die ökonomische Begründung der Kommunalverschuldung
1
Die Funktion der Verschuldungsinstrumente auf kommunaler Ebene
(1)
Im Abschnitt I. wurden die statistischen Entwicklungen der Verschuldung von Städten und Gemeinden in Deutschland beschrieben. Es stellt sich nun die Frage nach der ökonomischen Begründung für die Verschuldung de Gebietskörperschaften auf der kommunalen Ebene. Die Bedeutung des Verschuldungsinstrumentes ist auf Gemeindeebene aus zwei Gründen von anderer Bedeutung als beim Bund und bei den Ländern: Zum einen sollten die spezifischen Aufgaben in Gemeinden ausschließlich im Allokationsbereich liegen, eine wirksame Stabilitäts- und/oder Verteilungspolitik kann auf kommunaler Ebene nicht betrieben werden9. Stabilisierungspolitische Maßnahmen einer einzelnen Gemeinde haben nur marginale und aus gesamtwirtschaftlicher Sicht vernachlässigbar geringe Auswirkungen auf die Beschäftigung und das Wachstum. Zum anderen ergeben sich Unterschiede aufgrund der abweichenden Handlungsmaximen der Entscheidungsträger in einer einzelnen Gemeinde, die vor allem wegen der Größe der Gebietskörperschaft von einzelwirtschaftlicher Sichtweise geprägt werden. Dies führt typischerweise zu Divergenzen zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Rationalität; es bestehen nur geringe Anreize, das eigene Verhalten an den Erfordernissen des Gesamtstaates auszurichten. Außerdem ist es für eine einzel-
7
8
9
Vgl. Deutsche Bundesbank: Zur Reform des deutschen Haushaltsrechts, in: Monatsbericht Oktober 2007, Frankfurt am Main, S. 47–68, S. 47. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Stellungnahme Verbesserungsvorschläge für die Umsetzung des Deutschen Stabilitätspakts, Berlin 2003, S. 8 ff.; F. Helmedag: Ist das starre Festhalten an den Maastricht-Kriterien sinnvoll?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2003, H. 9, S. 601–604, S. 601 ff.; O. Singer: Der europäische Stabilitätspakt – Sachstand und Reformdebatte, in: Deutscher Bundestag: Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Berlin 2005. Vgl. H. Zimmermann: Kommunale Verschuldung – Wozu?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2006, H. 6, S. 391–397, S. 391 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(2)
161
ne Gemeinde aufgrund der Kollektivgutproblematik i. d. R. rational, auf eine originär stabilisierungsorientierte Verschuldungspolitik zu verzichten. Empirische Untersuchungen bestätigen zudem, dass von den Gemeinden in der Vergangenheit tatsächlich auch keine funktionalen Stabilisierungsbeiträge geleistet wurden, dass ihnen vielmehr ein prozyklisches Verhalten nachgewiesen werden kann10. Dies resultiert maßgeblich aus den konjunkturellen Einnahmeschwankungen, die durch die Kompetenzverteilungsregelung der Finanzverfassung nicht genügend geglättet werden. Hinzu kommt, dass eine zur Vermeidung kollektiven stabilisierungspolitischen Fehlverhaltens notwendige Koordinierung der kommunalen Finanzpolitik nur aufgrund der großen Zahl an zu beteiligenden Kommunen mit hohen Kosten der Durchführung und Kontrolle verbunden wäre und auch technisch kaum zu bewerkstelligen sein dürfte11. Schließlich begrenzt das kommunale Haushaltsrecht den konjunkturpolitischen Spielraum der Gemeinden. Die Kreditaufnahme unterliegt dem Genehmigungsvorbehalt durch die Aufsichtsbehörde. Diese muss darauf achten, dass die dauernde Leistungsfähigkeit der Gemeinde gewährleistet bleibt. Die konjunkturell bedingten Einnahmeschwankungen schlagen sich bei gleich bleibendem Niveau der Ausgaben unmittelbar in der für diese maßgeblichen „freien Spitze“ (vgl. unten unter III.) nieder. Nicht zuletzt dies sind die Gründe, warum bislang die Möglichkeiten der §§ 19 StabWG („Schuldendeckelverordnung“) nur einmal (1973) angewandt wurden12. Für eine temporäre Kreditaufnahme auf kommunaler Ebene gibt es deshalb nur zwei grundsätzliche Motive: Zum einen die Finanzierung von großen Investitionsprojekten, zum anderen der Ausgleich von starken Schwankungen des gemeindlichen Steueraufkommens. In beiden Fällen kann durch die Kreditaufnahme i. S. eines „tax smoothing“ eine „excess burden“ vermieden werden13.
2
Die Kommunalverschuldung und das Ziel des Belastungsausgleichs
(1)
Eine kontinuierliche Kreditaufnahme kann unter Allokationsaspekten das Ziel eines Belastungsausgleichs zwischen den Generationen im Sinne einer zeitlichen Äquivalenz und eine dem „pay-as-you-use“-Prinzip erfolgende Zuordnung von Nutzen und Kosten verfolgen. Die Kommunalverschuldung kann insofern auf Gemeindeebene als ein Instrument zur Schaffung einer ausgeglicheneren und damit faireren Lastenverteilung zwischen Gegenwart und Zukunft, zur Herstellung von mehr Gerechtigkeit zwischen den Generationen bzw. als Werkzeug einer rationalen temporalen Verteilungspolitik verstanden werden14. Allerdings ist eine Verwirklichung des Äquivalenzprinzips nicht im Verständnis einer personalen Identität von Nutzern, Zahlern und Entscheidungsträgern mög-
10
11 12
13
14
Vgl. S. Ziffzer: Ökonomische Grenzen der staatlichen Kreditaufnahme, Berlin 1980, S. 151 ff.; R.-D. Postlep: Gesamtwirtschaftliche Analyse kommunaler Finanzpolitik, Baden-Baden 1993. Vgl. K.-H. Storckmann: Konjunktur und Kommunalverschuldung, Bochum 1991. Vgl. K.-. Schwarz: Kommunale Haushalte und Konjunkturpolitik, in: H.-G. Hennecke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, München 2006, S. 775–781. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung: Staatsverschuldung wirksam begrenzen, Berlin 2007, S. 45 ff. Vgl. H. Schlesinger, M. Weber, G. Ziebarth: Staatsverschuldung ohne Ende?, Darmstadt. 1993, S. 218.
162
(2)
Teil F. Die kommunale Verschuldung
lich15. Dies scheitert allein daran, dass zukünftige Generationen gegenwärtig noch nicht geboren sind und die lebende Generation für diese mit entscheiden muss. Lediglich in der finanziellen Dimension des Äquivalenzprinzips liegt beim „pay-asyou-use“-Prinzip eine Entsprechung von Nutzen- und Kostenströmen vor. Diese Feststellung wird unterstützt durch die Tatsache, dass die aufgeschobene und deshalb in der Zukunft anfallende Steuerbelastung nicht eine Zahlung der Zukunftsgeneration an die Gegenwartsgeneration auslöst, sondern einen Transfer innerhalb der Zukunftsgeneration: Es zahlen die Steuerzahler an die Besitzer der Schuldtitel und damit die Mitglieder der Zukunftsgeneration an sich selbst. Aber auch die Begründung der Kommunalverschuldung mit dem „pay-as-you-usePrinzip ist nicht völlig überzeugend:
(3)
15 16 17
Erstens sind die Besitzer von Schuldtiteln nicht notwendigerweise identisch mit den Steuerzahlern und insofern bleibt ein interpersonales Verteilungsproblem auch innerhalb der Zukunftsgeneration bestehen. Zweitens sind auch die kommunalen Verschuldungstitel teilweise in ausländischer Hand, so dass die spätere Steuerzahlung einen echten Vermögenstransfer ins Ausland darstellt, was ebenfalls eine Trennung von Nutzern und Zahlern bewirkt. Drittens gehen von der Kommunalverschuldung unterschiedliche gesamtwirtschaftliche Wirkungen aus, die sich von denen der Steuerzahlung unterscheiden. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Zinswirkungen sowie für den Einfluss auf die Kapitalbildung und damit auf den zwischen den Generationen weitergegebenen volkswirtschaftlichen Kapitalstock. Viertens ist schließlich eine realwirtschaftliche Verschiebung der Kosten von Investitionsprojekten für eine einzelne Kommune leicht möglich, da die Verschuldung der Gemeinde i. d. R. zum größten Teil externer Art ist, d. h. bei den Mitgliedern anderer Regionalverbände erfolgt. Die interkommunale Verschuldung ist mit einem Ressourcen-Import in die Gemeinde bei der Kreditaufnahme und Mittelverwendung verbunden und mit einem Ressourcen-Export bei der anschließenden Bedienung der Schulden.
Aus allem folgt, dass die Kommunalverschuldung mit dem Gedanken der personellen und/oder räumlichen Äquivalenz letztlich nicht überzeugend begründet werden kann16. Auch die Maxime der temporalen Äquivalenz zwischen dem Nutzen und den Tragkosten kann nur mit Einschränkungen herangezogen werden. Offen bleibt ja, ob von den übrigen Gebietskörperschaften nicht gleichzeitig ebenfalls erhebliche Lasten in die Zukunft verschoben worden sind und verschoben werden und welche nachhaltigen Wirkungen dies für die Belastungen von Generationen hat. Klarheit über die Inzidenz können hier nur die neueren Ansätze des „Generation Accounting“ bringen17. Diese versuchen, in einem umfassenden Sinn jene NutVgl. R. K. v. Weizsäcker: Staatsverschuldung und Demokratie, in: Kyklos 1992, S. 51–67, S. 55. Vgl. B. Hansjürgens: Äquivalenzprinzip und Staatsfinanzierung, Berlin 2001, S. 256 ff. Vgl. H. Fehr: Vom „Deficit Accounting“ zum „Generational Accounting“. Ein neues Konzept zur Messung intergenerativer Belastungsverschiebung, in: Staatswissenschaft und Staatspraxis, Jg. 1995, S. 209–255, S. 209 ff.; M. Hüther: Intergenerational Justice and Economic Growth – A Challenge for Economic Growth, in:
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(4)
18
19
163
zen- und Kostenströme zwischen den Generationen zu ermitteln, die auch unter dem Gesichtspunkt des Äquivalenzprinzips relevant sind. Dabei werden die staatlichen Jahresdefizite und Schuldenstände der bisherigen Verschuldungsbetrachtung durch Generationenkonten für jede Altersgruppe ersetzt. Auf diese Weise sollen die Effekte der finanzwirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand auf das private Verhalten durch die explizite Lebensperspektive für die einzelnen Alterskohorten erfasst werden. Der zugrunde liegende Lastbegriff ist dabei umfassend gewählt, indem zum einen der Staatskonsum sowie die Steuern und zum anderen die Transfers berücksichtigt werden – also nicht nur die jahresbezogenen Defizite –. Zum anderen werden auch zukünftige staatliche Einnahmen und Ausgaben mit ihren Gegenwartswerten einbezogen. Das Konzept weist unter Äquivalenzgesichtspunkten entscheidende Vorteile auf: Die öffentlichen Ausgaben werden auf diese Weise mit den zugehörigen Belastungen für einzelne Altersjahrgänge verknüpft, so dass der einzelne repräsentative Bürger einer Alterskohorte abschätzen kann, welche staatlichen Leistungen ihm zugute kommen und welche Finanzierung er hierfür leisten muss. So kommt es – zumindest für einzelne Altersklassen – zu einer simultanen Betrachtung von Kosten und Nutzen der Staatstätigkeit. Zeigt sich, dass die Nettozahlungen der zukünftigen Generation größer sind als die Nettozahlungen der in der Basisperiode existierenden Generation, so findet eine Belastung der zukünftigen Generation statt. Die ersten vorliegenden Ergebnisse zum „Generation Accounting“ zeigen, dass die gegenwärtige Finanzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland in ganz erheblichem Maße durch eine Verlagerung von Belastungen auf zukünftige Alterskohorten gekennzeichnet ist18. Eine kontinuierliche Kommunalverschuldung kann also nur schwerlich mit dem Argument einer angemessenen Verteilung der Lasten kommunaler Aufgaben zwischen den Generationen der Gemeindebürger gerechtfertigt werden. Dieser Begründungsansatz erscheint jedoch in einem anderen Licht, wenn nicht auf die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand insgesamt abgestellt wird, sondern auf einzelne Investitionsobjekte. Diese objektbezogene Begründung spielte für die kommunale Verschuldung lange Zeit eine große Rolle. Anders als in der situationsbezogenen Verschuldung wurde diese zur Finanzierung „außerordentlicher“ Ausgaben gerechtfertigt. Haushaltspolitisch – so wurde argumentiert – führt diese Art der Verschuldung dazu, dass sich Investitionen selbst finanzieren und somit zukünftige Haushalte nicht belasten19. Dies lässt sich verdeutlichen am Beispiel kommunaler Einrichtungen, die kostendeckend arbeiten: Wenn die Finanzierung über eine objektbezogene Schuldaufnahme erfolgt, kann die Bedienung des Schuldendienstes (Zinsen und Tilgung) auf dem Weg der Gebührenerhebung erfolgen. Die Nutzer der kommunalen Einrichtung verwirklichen durch ihre Zahlung das Äquivalenzprinzip. Es handelt sich bei dieser objektbezogenen Verschuldung um einen Sonderfall des „pay-asyou-use“-Prinzips insofern, als zum einen der Blick auf einzelne Investitionsobjekte Foundations for he Rights of Future Generations: Demographic Change and Intergenerational Justice: The Implementation of Long -Term Thinking in the Political Decision Process, London 2008, S. 145–158. Vgl. S. Boll: Intergenerative Umverteilungswirkungen der Fiskalpolitik in der Bundesrepublik Deutschland – Ein Ansatz mit Hilfe des Generational Accounting, Frankfurt/Main 1994; Deutsche Bundesbank: Die fiskalische Belastung zukünftiger Generationen – eine Analyse mit Hilfe des Generational Accounting, in: Monatsbericht November 1997, Frankfurt am Main, S. 17–30, S. 17 ff. Vgl. H. Zimmermann: Kommunale Verschuldung – Wozu?, in: Wirtschaftsdienst, a. a. O., S. 395 f.
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Teil F. Die kommunale Verschuldung
gerichtet ist und zum anderen solche Objekte ausgewählt werden, die rentabel sind oder doch mindestens volkswirtschaftlich produktive Ausgaben zulassen. Das Äquivalenzprinzip wird allerdings auch in diesen Fällen im Hinblick auf die politische Dimension dieser Maxime insofern verletzt, als die zukünftigen Nutzer und Zahler bei der Investitionsentscheidung in der Gegenwart nicht berücksichtigt werden20. Entscheidend für die Tragfähigkeit dieser Begründung der Kommunalverschuldung ist allerdings, ob und inwieweit eine Abgrenzung rentabler Investitionen möglich ist. Die Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland stimmen hier eher nachdenklich. Dies liegt in erster Linie an dem häufig gesuchten Rückgriff auf eine „Umwegrentabilität“ und die damit einhergehende Erosion des Begriffs der „rentierlichen Investition“. Aber selbst, wenn man diese definitorischen Fragen ausklammert und lediglich auf die Finanzierung direkt rentabler Investitionen abstellt, ist unter dem Gesichtspunkt der temporalen Äquivalenz entgegenzuhalten, dass die jeweils gegenwärtige Generation nicht nur Kollektivgüter erstellt, die in der Zukunft Nutzen stiften, sondern gleichzeitig auch früher hergestellte zukunftswirksame Projekte nutzt. Deshalb wäre eine Kommunalverschuldung, die auf rentierliche Investitionen abstellt, nur im Umfang der Differenz zwischen erzeugten und empfangenen Nutzenströmen zuzulassen. Bei im Zeitablauf relativ kontinuierlich getätigten Investitionen würden dann allokative Verzerrungen durch die fehlende Internalisierung negativer zeitlicher externer Effekte (in Form unterlassener Zukunftsinvestitionen) und positiver externer Effekte (in Form getätigter Zukunftsinvestitionen) vermieden. Die kommunale Kreditaufnahme ist im Rahmen dieses Begründungs-Ansatzes also vertretbar, wenn diese trotz der relativ begrenzten Finanzierungskraft der Gemeinden aus Steuern, Gebühren und Beiträgen eine kontinuierliche Investitionstätigkeit ermöglicht. Daraus folgt: Eine gewisse Verschuldungsautonomie der Gemeinden ist aus ökonomischer Sicht also insofern zu rechtfertigen, als diese eine adäquate Reaktion auf Diskontinuitäten ermöglicht und der Sicherung der allokativen Aufgabe der gemeindlichen Finanzpolitik insofern dient, als sie sowohl der kommunalen Steuerpolitik Optionen als auch Planungssicherheit bei den Investitionsausgaben und die Erfüllung der gemeindlichen Allokationsaufgaben ermöglicht.
3
Die politikökonomischen Gründe der Kommunalverschuldung
(1)
In der finanzpolitischen Wirklichkeit wird die kontinuierliche Kommunalverschuldung sehr viel stärker als durch diese finanzwissenschaftlichen Begründungen durch politökonomische Motive erklärt21. Die Gemeindepolitiker erscheinen bei dieser Sichtweise als Getriebene. Die treibenden Kräfte sind gemeindeintern in der Parteienkonkurrenz und gemeindeextern in der Bürgermeisterkonkurrenz zu sehen, wobei Letzteres auf Ersteres zurückgeführt werden kann. Die besondere Problematik der
20
21
Vgl. B. Reinhardt: Neue kommunale Finanzierungsmodelle und Zukunftsgerechtigkeit. Zugleich ein Plädoyer für den Schutz nachfolgender Generationen, Berlin 2006, S. 201 ff. Vgl. A. Alesina, R. Peroffi: The Political Economy of Budget Deficits, IMF Staff Papers 1995, Vol. 42; R. Neck: Staatsverschuldung aus politisch-ökonomischer Sicht: Theorie und österreichische Evidenz, in: B. Genser (Hrsg.): Haushaltspolitik und öffentliche Verschuldung, Berlin 2005, S. 95–130, S. 105 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(2)
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23
24 25
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Haushaltsdisziplin ergibt sich aber durch die Verfügbarkeit eines Instruments mit der besonderen Qualität der „Verführbarkeit“. Diese „Schuldenillusion“ führt dazu, dass sich die Bürger und die gemeindlichen Entscheidungsträger über die Folgebelastung der Kreditaufnahme nicht ausreichend im Klaren sind. Dazu kommt, dass durch die Kreditaufnahme sich die Budgetrestriktion in der kurzen Frist, etwa einer Wahlperiode, lockern lässt und den damit ggf. einhergehenden Einschränkungen in der Zukunft weniger Gewicht beigemessen wird, etwa weil die davon betroffenen zukünftigen Generationen heute nicht wahlberechtigt sind oder weil mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Zukunft eine andere kommunale Exekutive im Amt sein wird22. Eine besondere Hypothese haben Homburg/Röhrbein formuliert, begründet und getestet23. Danach reflektiert die Verschuldung der öffentlichen Hand die private Verschuldungsmentalität ihrer Bürger: Dort, wo die Bürger ihre private Verschuldung im Griff haben, bestehen für die Politiker, die dasselbe für die öffentliche Verschuldung versprechen, bessere Aussichten auf ein Amt, und die Amtsinhaber werden in einem solchen Gemeinwesen auf gesunde öffentliche Finanzen achten. Im Gegensatz zu der Auffassung, eine übermäßige öffentliche Verschuldung sei Ausdruck eines Politikversagens, wolle nach diesem Ansatz die demokratische Mehrheit insofern ein „Opfer der Politik“ erhalten. Die Bürger würden insofern das von ihnen gewünschte Ausmaß der öffentlichen Verschuldung bestimmen. Die Autoren haben diese Erklärung auf die Ergebnisse des „Schuldenkompass 2006“ (eine von der Schufa Holding AG herausgegebene wissenschaftliche Untersuchung der privaten Verschuldung in Deutschland) gestützt. Sie haben die Ergebnisse dieser Analyse und die sich daraus ergebenden länderspezifischen Ranglisten der privaten Verschuldung verglichen mit den Schuldenstandsquoten der Bundesländer und haben dabei eine deutliche Übereinstimmung zwischen privater und öffentlicher Verschuldung festgestellt. Mit anderen Worten: Es besteht zwischen der Schuldenstandsquote und der privaten Verschuldungssituation ein signifikanter positiver Zusammenhang: Länder, deren Einwohner stärker mit privaten Schuldenproblemen kämpfen, weisen auch tendenziell höhere öffentliche Schuldenstandsquoten auf. Ähnlich argumentiert Gentinetta: „Damit stellt sich unweigerlich die Frage, ob es sich bei der hohen, politisch zu wenig intensiv diskutierten staatlichen Verschuldung und der immer stärker zutage tretenden privaten Verschuldung um zwei lose Phänomene oder um eine historische Koinzidenz handelt. Sollte es sich um eine Koinzidenz handeln, können die Gründe dafür – technisch – in mangelnder Regulierung oder aber – moralisch – in einer problematischen Einstellung gesichert werden“24. In eine ähnliche Richtung der politökonomischen Deutung geht eine These von Wentzel25: Danach eigne sich das Thema Staatsverschuldung nur begrenzt, um in einer Mediengesellschaft Aufmerksamkeit zu erzeugen; das Thema widerspreche den Grundsätzen des Pressemarktes. Die Staatsverschuldung sei als Thema nicht neu Vgl. T. Passon, G. Tabellini: Political Economics, Explaining Economic Policy, MIT Press, Cambridge (Mass.) 2006, S. 21 ff. Vgl. S. Homburg, C. Röhrbein: Ökonomische Anmerkungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006, in: Der Staat, Jg. 2007, H. 2, S. 1–17, S. 1 ff. K. Gentinetta: Die Last der Verschuldung, in: Schweizer Monatshefte 2007, H. 9/10, S. 14–15, S. 15. Vgl. D. Wentzel: Zur Begrenzung der Staatsverschuldung nach dem Scheitern des Stabilitätspaktes, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2005, S. 605–612, S. 609 f.
166
Teil F. Die kommunale Verschuldung
und auch nicht spektakulär. Es errege somit kaum spezifisch zurechenbare Betroffenheit und Aufmerksamkeit. Es sei selbst für interessierte Laien kaum vermittelbar, wie hoch die tatsächliche öffentliche Verschuldung ist. Wenn aber ein Thema nicht oder zumindest nur schwer in den Massenmedien darstellbar sei, dann werde es letztlich auch nicht zu einer Verhaltensänderung der Politiker beitragen. In der modernen Gesellschaft – so die Begründung – würden Dinge in der Öffentlichkeit nur wahrgenommen, wenn die Medien darüber berichten. Allerdings kann man im Hinblick auf eine übermäßige Verschuldung auf den nachgelagerten Ebenen am ehesten ein Gegensteuern durch Elemente der direkten Demokratie erwarten. So unterliegen z. B. in vielen Kantonen der Schweiz oder auch in den dortigen Gemeinden größere Verschuldungsrahmen einem Referendum26. Ökonometrische Studien haben jedoch gezeigt, dass Elemente der direkten Demokratie auf der Ebene der Kantone am ehesten nur den Staatsanteil begrenzen, d. h. die Ausgabendynamik bremsen. Auf das Defizitverhalten haben sie dagegen weniger Einfluss. Dagegen wirken die Elemente der direkten Demokratie gerade auf der Gemeindeebene auch eindeutig in Richtung Defizitbegrenzung27.
III. Die Rechtsgrundlagen der kommunalen Kreditaufnahme 1
Die allgemeinen Grundsätze
(1)
Bei der Ausgestaltung des kommunalen Verschuldungsrechts sollte also die mittelbis langfristige Sicherung der Aufgabenerfüllung der Gemeinden und, daraus abgeleitet, die Sicherstellung des längerfristigen Finanzierungsspielraums Vorrang vor anderen Zielsetzungen haben. Der Gesetzgeber sollte auch insofern dafür Sorge tragen, dass größere räumliche und zeitliche Disparitäten in der Bereitstellung kommunaler Leistungen weitgehend vermieden werden. Im Folgenden ist zu prüfen, inwieweit das Gemeindehaushaltsrecht diesen Zielsetzungen Rechnung trägt. Im Anschluss an die große Haushaltsrechtsreform für den Bund und die Länder 1969 wurde bis zum Jahre 1974 auch das Gemeindehaushaltsrecht den neuen Aufgabenstellungen angepasst28. Eine der Zielsetzungen der kommunalen Haushaltsreform war, die Verschuldungsmöglichkeiten flexibler zu gestalten. Gleichzeitig wurde das Haushaltsrecht vereinheitlicht. Dabei folgten zunächst im Zuge dieser Reform Vorschriften des Gemeindehaushaltsrechts im Allgemeinen und diejenigen der Kreditaufnahme im Speziellen einem einheitlichen Musterentwurf und waren damit textgleich. Da jedoch die Bundesländer seit 1974 eine Reihe von Änderungen vorgenommen haben, kann gegenwärtig nur noch eingeschränkt von einem einheitlichen kommunalen Haushaltsrecht gesprochen werden. Für die darzustellenden maßgeblichen Verschuldungsbestimmungen dürfte die Einheitlichkeit gleichwohl weitestgehend gewahrt sein. Gegenstand der folgenden Ausführungen ist die haushalts-
(2)
26
27
28
Vgl. L. P. Feld, G. Kichgässner: Does direct democracy reduce public debt? Evidence from swiss municipalities: in: Public Choice 2001, Vol. 4, S. 347–370, S. 347 ff. Vgl. C. A. Schaltegger, L. P. Feld: Do large cabinets favor large governments? Evidence from swiss subfederal jurisdications, in: CESifo Working Paper Nr. 1294, Februar 2006. Vgl. R. R. Klein: Kommunale Schuldenpolitik, Stuttgart 1977, S. 51 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
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rechtliche Zulässigkeit der Verschuldung gemäß dem geltenden Recht und die Bewertung anhand der normativen Anforderungen. Bei der Ausgestaltung des kommunalen Verschuldungsrechts hat der Gesetzgeber den oben (vgl. II.) erwähnten grundsätzlichen Überlegungen Rechnung getragen. Die mittel- bis langfristige Sicherung der Aufgabenerfüllung der Gemeinden und, daraus abgeleitet, die Sicherstellung des längerfristigen Finanzierungsspielraums hat Vorrang vor anderen Zielsetzungen. Der Gesetzgeber will größere räumliche und zeitliche Disparitäten in der Bereitstellung kommunaler Leistungen weitgehend vermeiden. Stabilisierungspolitische Aufgaben haben demgegenüber Nachrang, obwohl die Verpflichtung auch der Gemeinden auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht 1974 als eines der wichtigsten Reformziele betont wurde. Das kommunale Haushaltsrecht bindet die Kreditfinanzierung kommunaler Ausgaben an die Erfüllung einer Reihe formeller und materieller, restriktiver Voraussetzungen29. Verfahrensrechtlich besteht ein zweistufiger Genehmigungsvorbehalt. Zum einen ist die Kreditaufnahme, wie im staatlichen Bereich, nur zulässig, wenn eine ordnungsgemäße haushaltsrechtliche Grundlage vorliegt. Dies bedeutet als erste Stufe des Genehmigungsverfahrens, dass die maximale Verschuldungshöhe eines Haushaltsjahres mit der öffentlich bekannt zu machenden Haushaltssatzung vom Gemeinderat zu genehmigen ist. Die Ermächtigung zur Kreditaufnahme gilt i. d. R. bis zum Ende des Folgejahres. Durch die 2-jährige Geltungsdauer der Kreditermächtigung wird die Flexibilität der Einnahmeinstrumente erhöht und eine gewisse Streckung der Investitionsausgaben zum Zwecke einer flexibleren Investitionspolitik ermöglicht. Der Schuldenbegriff wird im Gemeindehaushaltsrecht recht umfassend abgegrenzt. Zu den kommunalen Schulden zählen sämtliche Rückzahlungsverpflichtungen, die eine Gemeinde unmittelbar eingeht bzw. eingegangen ist, also neben solchen aus Deckungs- und Kassenkrediten auch diesen wirtschaftlich gleichkommende Vorgänge. Zum anderen erfolgt als zweite institutionelle Stufe ein Genehmigungsverfahren durch die Kommunalaufsicht, die in Deutschland ausschließlich Angelegenheit der Länder ist. Die Länder sind berechtigt, die Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden einzuschränken, wenn sie dabei den verfassungsrechtlich geschützten Kern der kommunalen Selbstverwaltung beachten. Kurz gefasst unterliegen geplante Kreditaufnahmen stets dem Genehmigungsvorbehalt, der an den Nachweis der sog. Schuldendienstfähigkeit gebunden ist (vgl. dazu unten in diesem Abschnitt). Finanzpolitisch kann die Einflussnahme der Länder mit dem Kongruenzprinzip gerechtfertigt werden. Da das jeweilige Bundesland – wie weiter unten dargestellt wird (vgl. V.) – im Falle erheblicher Finanzierungsengpässe oder der Zahlungsunfähigkeit einer Gemeinde für deren Rückzahlungspflichten einstehen muss und zugleich (nicht de jure, aber de facto) auch die implizite Funktion eines „last lender“ und Bürgen übernimmt, benötigt es ebenfalls die Kontrollkompetenz über die kommunale Verschuldung. Nur auf diese Weise kann das jeweilige Land das Risiko seiner subsidiären Deckungspflicht gegenüber den Gemeinden begrenzen und steuern. Ob und inwie-
Vgl. S. Funke: Die Verschuldungsordnung, Berlin 1994, S. 333 ff.
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weit die im Mai 2009 durch Ergänzung des Art. 109 GG30 zur Einführung einer verfassungsmäßigen Grenze für die Neuverschuldung des Bundes und der Länder künftig Rückwirkungen auch für die kommunale Neuverschuldung haben wird, ist zurzeit noch nicht zu übersehen. Hinsichtlich der materiellen Kriterien ist Folgendes festzustellen: Die Gemeindehaushaltsverordnungen der Länder regeln im Rahmen der Grundsätze der Einnahmebeschaffung – de jure verbindlich – die Rangfolge der Deckungsmittel für kommunale Aufgaben. Als erste materielle Verschuldungsregel gilt, dass die Kreditaufnahme nur dann zulässig ist, wenn eine andere Finanzierungsart nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzweckmäßig wäre31. Der Begriff der „wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit“ lässt einen weiten Interpretations- und Auslegungsspielraum, so dass de facto nicht von einer Nachrangigkeit der Kreditfinanzierung gesprochen werden kann. Darüber hinaus sind die Kreditaufnahmen zudem in ihrer ausgabenseitigen Verwendung eingeschränkt. Sie sind ausschließlich im Vermögenshaushalt und nur für Investitionen, Investitionsförderungs-Maßnahmen und Umschuldungen erlaubt. Diese zweite materielle Verschuldungsregelung, die Bindung der Krediterlöse an bestimmte Ausgabenzwecke, verkörpert insofern auch die absolute Obergrenze der geplanten Kreditaufnahme. Die rechtliche Zulässigkeit der Kreditfinanzierung ist im Vergleich zum staatlichen Haushaltsrecht im Gemeindehaushaltsrecht dabei enger gefasst. Investitionen werden im Gemeindehaushaltsrecht als „Ausgaben für die Veränderung des Anlagevermögens“ definiert. Demnach muss es sich bei Investitionsausgaben um Ausgaben für die Schaffung, Erweiterung oder Erhaltung von größeren, länger nutzbaren Anlagen handeln. Die insgesamt engere Abgrenzung des Investitionsbegriffs trägt der oben abgeleiteten Maxime Rechnung, dass das kommunale Haushaltsrecht primär einzelwirtschaftlich orientiert ist und das finanzielle Gleichgewicht der Gemeinde im Mittelpunkt steht. Dies gilt auch für die ausdrücklich zugelassenen Umschuldungsmaßnahmen zum Zwecke der Zinsausgabensenkung. Die Verpflichtung zur strengen (obligatorischen) Objektbindung für Kreditaufnahmen, die noch für das Verschuldungsrecht vor 1974 maßgebend war, wurde mit der Haushaltsrechtsreform 1974 aufgegeben. Für den Vermögenshaushalt gilt seit dem das Gesamtdeckungsprinzip. Die Kredite dienen zur Deckung aller Ausgaben im Vermögenshaushalt einer Kommune. Aus ökonomischer Sicht war diese Flexibilisierung insofern ein Rückschritt, als die temporale Äquivalenz für einzelne gemeindliche Investitionen die Bindung an Objekte voraussetzt. Faktisch führt diese Regelung dazu, dass die Kommunen ihre Verschuldungsmöglichkeiten durch den Umfang ihrer Investitionstätigkeit selbst bestimmen können. Eine „Investitionsschranke“ besteht lediglich in der Definition der Investitionen und der Investitionsfördermaßnahmen in den Gemeindehaushaltsverordnungen. Aus dieDurch diese Ergänzung gilt spätestens ab 2016 für den Bundeshaushalt und spätestens ab 2020 für die Länderhaushalte: „Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.“ Vgl. E. Schmidt-Jortzig: Kommunalrecht, Stuttgart.1982, S. 34; G. Püttner: Kommunales Schuldenwesen. Überblick über Schuldenstand und Schuldenregelungen, in: Handbuch der kommunalen Wirtschaft und Praxis, Bd. 6, Berlin 1985, S. 616–620, S. 617; M. Junkernheinrich: Gemeindefinanzen. Theoretische und methodische Grundlagen ihrer Analyse, Berlin 1991, S. 101 ff.
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sen ergibt sich, dass die Kreditfinanzierung der ordentlichen Tilgung und der Rücklagenzuführung ausgeschlossen wird. Wegen dieser relativ niedrigen Schwelle ist ein drittes Kriterium entscheidend: Die Kreditaufnahme darf innerhalb dieses Rahmens nur dann erfolgen, wenn die Verschuldungshöhe nicht im Widerspruch zu einer ordentlichen Haushaltswirtschaft steht, und das heißt, dass die Kreditverpflichtungen mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde im Einklang stehen muss. Ist dies nicht der Fall, ist die Genehmigung zu versagen. Diese ökonomisch grundsätzlich sinnvolle Anforderung der positiv rechtlichen Verschuldungsgrenze beinhaltet jedoch unbestimmte Rechtsbegriffe, die naturgemäß unterschiedlich interpretiert werden. Erhebliche Schwierigkeiten ergeben sich bei dem Versuch, den Begriff der dauernden finanziellen Leistungsfähigkeit operational und damit justitiabel zu definieren. Die Aufsichtsbehörde verwendet als Beurteilungsgröße die sog. jährliche Schuldendienstfähigkeit32. Was hierunter genauer zu verstehen ist, wird in speziellen Verwaltungsvorschriften der Länder zu den Gemeindeordnungen näher beschrieben und verwaltungsmäßig mehr oder weniger umsetzbar gemacht. Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Bestimmung eines Idealindikators für die zukunftsorientierte Leistungsfähigkeitsprognose wird in der Praxis ein weniger anspruchsvoller, pragmatisch orientierter Bestimmungsversuch unternommen: Die Aufsichtsbehörde orientiert sich vorrangig an der sog. „freien Finanzspitze“ als Hilfsindikator für die Schuldendienstleistungsfähigkeit und berechnet diese anhand der Daten des Finanzplans. In einer ersten Annäherung ist die „freie Finanzspitze“ derjenige Betrag, über den die Gemeinde dauerhaft nach Bestreitung ihrer zwangsläufigen Ausgaben noch verfügen kann. Der Begriff der dauernden Leistungsfähigkeit ist dabei eng verknüpft mit dem erwähnten Prinzip der stetigen Aufgabenerfüllung, es fehlt jedoch eine eindeutige Definition dieser Maxime. Aus den Kreditrundschreiben der Länder lassen sich folgende Kriterien ableiten:
Die Beurteilung der dauernden Leistungsfähigkeit geht über das jeweilige Haushaltsjahr hinaus und soll zumindest den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung umfassen. Sie soll nicht nur die Erfüllung der bestehenden Ausgabeverpflichtungen gewährleisten, sondern auch eine pflegliche und wirtschaftliche Verwaltung des Vermögens sicherstellen. Dabei soll der dafür notwendige Bedarf an Erhaltungs- bzw. und/oder Ersatzinvestitionen berücksichtigt werden.
Im System der Kameralistik kennzeichnet die „freie Finanzspitze“ unter Rückgriff auf diese Kriterien jene Größe, um welche die Nettozuweisungen vom Verwaltungsan den Vermögenshaushalt die haushaltsrechtlich vorgeschriebene Mindesthöhe der Zuweisungen an die Allgemeine- und an die Sonder-Rücklage übertreffen33. An an-
32
33
Vgl. B. Bastiansen: Die Beurteilung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Gemeinden nach den haushaltsrechtlichen Vorschriften, in: Der Gemeindehaushalt, Jg. 1992, H. 2, S. 40–44, S. 41. Vgl. G. Schwarting: Kommunales Kreditwesen, Berlin 2007, S. 47–134, S. 78 ff.
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Teil F. Die kommunale Verschuldung
derer Stelle (vgl. unten unter IV. 1.) wird aufgezeigt, wie sich dieser Begriff durch die Einführung der Doppik in das kommunale Rechnungswesen verändert. Die Berechnung der „freien Finanzspitze“ ist nicht deckungsgleich mit der Definition der Pflichtzuführung, die für den Haushaltsausgleich erforderlich ist. Nach den einschlägigen Vorschriften ergibt sich die Höhe der Pflichtzuführung aus der Summe der ordentlichen Tilgungen und den Kreditbeschaffungskosten, soweit dafür keine besonderen Einnahmen, d. h. zur Tilgung zweckgebundene vermögenswirksame Einnahmen, zur Verfügung stehen. Die Tilgungen und Ausgaben für die Kreditbeschaffung werden nämlich im Vermögenshaushalt veranschlagt. Mindestens die Pflichtzuführung muss in jedem künftigen Jahr erbracht werden können, damit die Gemeinde als dauerhaft leistungsfähig betrachtet werden kann. Der die Pflichtzuführung übersteigende Teil der Zuführung steht dann zur Eigenfinanzierung von Investitionen zur Verfügung. Die Pflichtzuführung kann aufgrund ihrer Zweckbindung nicht zur „freien Finanzspitze“ gezählt werden. Werden über die Pflichtzuführungen hinaus keine Einnahmeüberschüsse im Verwaltungshaushalt erwirtschaftet, nimmt die „freie Finanzspitze“ den Wert Null an. Dies besagt, dass weitere Kredite nicht bedient werden können. Ist der ausgewiesene Überschuss jedoch größer als die Pflichtzuführung, so steht der Saldo – als unkorrigierte „freie Finanzspitze“ – im Prinzip für zusätzliche Kreditaufnahmen zur Verfügung, soweit die ermittelte Verschuldungsreserve auch in den Folgejahren erhalten bleibt. Diese Größe verkörpert aber erst dann die echte „freie Spitze“, wenn durch Zu- und Abrechnungen ein Indikator abgeleitet wurde, der auch einigermaßen valide Aussagen über die dauerhafte Liquiditätsentwicklung erlaubt34. Bei der Ableitung der „freien Finanzspitze“ sind schließlich die Quellen des Kapitaldienstes zu berücksichtigen: Kommunale Schulden, die durch Entgelteinnahmen bedient und getilgt werden, haben einen anderen Charakter als Staatskredite und ähneln der Fremdfinanzierung von Investitionen privater Unternehmen, die diese über zusätzliche Verkaufserlöse später decken bzw. zu decken beabsichtigen. Tatsächlich unterscheiden seit Beginn der 90er-Jahre die kommunalen Aufsichtsbehörden in ihren Kreditgenehmigungen wieder nach Krediten für rentable und für nicht rentable Investitionen. Kreditfinanzierte rentable Investitionen belasten danach die dauernde Leistungsfähigkeit der kommunalen Gebietskörperschaft nicht. Als „rentabel“ werden Investitionen qualifiziert, bei denen die aus der Nutzung des Investitionsgutes hervorgehenden Kosten einschließlich der Kapitalkosten auf die Empfänger der Leistung ganz oder überwiegend abgewälzt werden können. Mindestens die Pflichtzuführung muss in jedem künftigen Jahr erbracht werden können, damit die Gemeinde als dauerhaft leistungsfähig betrachtet werden kann. Der die Pflichtzuführung übersteigende Teil der Zuführung steht dann zur Eigenfinanzierung von Investitionen zur Verfügung. Die Pflichtzuführung wird aufgrund ihrer Zweckbindung nicht zur freien Finanzspitze gezählt. Werden über die Pflichtzuführung hinaus keine Einnahmeüberschüsse im Verwaltungshaushalt erwirtschaftet, nimmt die freie Finanzspitze den Wert Null an. Dies besagt, dass weitere Kredite nicht bedient werden können. Ist der ausgewiesene Überschuss jedoch größer als die Pflichtzuführung, so steht der Saldo – als unkorrigierte freie Spitze – im Prinzip für Vgl. R. Peffekoven: Gemeindefinanzen in desolatem Zustand, a. a. O., S. 1339.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
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zusätzliche Kreditaufnahmen zur Verfügung, soweit die ermittelte Verschuldungsreserve auch in den Folgejahren erhalten bleibt. Die Zuführungshöhe ist aber nicht mit der „echten freien Finanzspitze“ identisch, da noch einige Zu- und Abrechnungen vorgenommen werden müssen, um einen Indikator zu erhalten, der einigermaßen valide Aussagen über die dauerhafte Liquiditätsentwicklung erlaubt. Der Überschuss kann insofern lediglich die Basis bilden, in der eine Reihe weiterer Größen zur Berechnung der aussagekräftigen, korrigierten freien Finanzspitze berücksichtigt werden müssen. In der Praxis werden die notwendigen Zu- und Abrechnungen nicht in jedem Land verlangt. In den meisten Bundesländern wird die Basisgröße gleichwohl um einige, allerdings unterschiedliche Faktoren korrigiert. Dabei wird eine Differenzierung in dauerhafte Zahlungen einerseits und nur einmalige Zahlungen andererseits vorgenommen, um auf diese Weise vor allem hinsichtlich der Liquiditätswirkungen zu aussagekräftigeren Kennziffern zu kommen. Die kommunale Verschuldung kann also aus Sicht einer einzelnen Gemeinde auf eine ökonomische Obergrenze stoßen: Diese ist dann erreicht, wenn die langfristigen Kosten der Kreditaufnahme und -verwendung den gesamten Nutzen für die Kommune übersteigen und die stetige Aufgabenerfüllung einer Gemeinde nicht mehr gewährleistet ist. Konkret bedeutet dies: Die Kreditgrenze einer Gemeinde muss als erreicht angesehen werden, wenn die langfristige Entwicklung der zukünftigen Einnahmen und Ausgaben keinen Spielraum zur Finanzierung zusätzlicher Zins- und Tilgungsausgaben aus geplanten einzugehenden Verpflichtungen und den Folgeausgaben im Zusammenhang mit den beabsichtigten kreditfinanzierten Investitionen eröffnet. Die zuvor abgeleiteten Kriterien und Maßstäbe für die Kommunalverschuldung werden in der kommunalen Praxis zunehmend durch den Missbrauch der Überziehungskredite unterlaufen. Letztere sollen nicht als dauerhaftes Finanzierungsinstrument eingesetzt werden (vgl. oben I. 1.), sie sind entweder im Verlauf des Jahres zurückzuzahlen oder durch Haushaltskredite zu ersetzen. Die Realität sieht anders aus: Kassenkredite werden – im Widerspruch zu den Regelungen der Gemeindeordnungen – immer wieder über ein Jahr hinaus verlängert, zum Teil sogar von vornherein mit Laufzeiten von mehr als einem Jahr aufgenommen, so dass sie de facto den Charakter von Haushaltskrediten haben. So besagt das Kommunalselbstverwaltungsgesetz des Saarlandes in § 94 Abs. 3: „Ist aufgrund des Haushaltssanierungsplans erkennbar, dass ein Haushaltsausgleich in konkret absehbarer Zeit nicht möglich ist, kann die Gemeinde Kassenkredite mit Laufzeiten über das Haushaltsjahr hinaus aufnehmen, soweit dies wirtschaftlich geboten ist“. Der Bedeutungszuwachs der Kassenkredite wird deutlich, wenn man das Verhältnis der Kassenkredite zu den Kreditmarktschulden betrachtet, das sich von 8,3% im Jahr 2000 auf 28,7% im Jahr 2005 erhöht hat35. Insbesondere in Kommunen, die sich in der Haushaltssicherung befinden, wird verstärkt auf Kassenkredite zurückgegriffen36. Insofern ist die weitere Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Pressemitteilung vom 24.2.2006: Schulden der öffentlichen Haushalte um knapp 4% gestiegen. Vgl. K. Birkholz: Aktives kommunales Debt Management in Deutschland – ein bisher vernachlässigtes Sparpotential, in: K. Birkholz, C. Maaß, P. v. Maravié, P. Siebart (Hrsg.): Public Management – eine neue Generation von Wissenschaft und Praxis. Festschrift für C. Reichard, Potsdam 2006, S. 257–280, S. 259 f.
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Teil F. Die kommunale Verschuldung
Lockerung der Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Kassenkrediten z. B. durch die Novellierung des Art. 69 Abs. 1 der Bayerischen Gemeindeordnung vom 26. Juli 2004 kritisch zu sehen37. 2
Die Bedeutung der Kommunalaufsicht für die Kommunalverschuldung
2.1
Die Kriterien der Kommunalaufsicht für die Beurteilung der Neuverschuldung
(1)
Im Folgenden wird die Bedeutung der Kommunalaufsicht für die gemeindliche Schuldenpolitik beschrieben. Das entscheidende Kriterium für die Genehmigung einer zusätzlichen Kreditaufnahme ist die dauerhafte Leistungsfähigkeit der jeweiligen Gemeinde. Stellt die Kommunalaufsicht fest, dass diese gefährdet ist, kann sie die Kreditgenehmigung ganz oder teilweise versagen oder mit Bedingungen und Auflagen versehen. Bei Versagen der Kreditgenehmigung ist auch die Haushaltssatzung nicht genehmigungsfähig, so dass die Kommune dann den Haushalt erneut beraten und so gestalten muss, dass eine weitere Kreditaufnahme nicht mehr erforderlich oder der Haushaltsausgleich dauerhaft gesichert ist. Die Kommunalaufsicht kann die Kreditgenehmigung auch auf einen Teilbetrag beschränken und für den Restbetrag versagen. Dann ist die Haushaltssatzung der Gemeinde entsprechend zu ändern und darüber hinaus muss die Gemeinde festlegen, welche neuen Maßnahmen nunmehr nicht durchgeführt, aufgeschoben oder zeitlich gestreckt werden sollen. Die Anforderungen an den Haushaltsausgleich sind in den Gemeindeordnungen umfassend kodifiziert. Neben der Grundaussage aller Kommunalverfassungen, dass der Haushalt in jedem Jahr auszugleichen sei, gibt es in den Gemeindehaushaltsversordnungen sowie in ergänzenden Vorschriften zahlreiche Hinweise, wie dieses Gebot zu erfüllen ist. Die Genehmigung konzentriert sich auf die Haushaltssatzung mit dem zugehörigen Haushaltsplan durch die staatliche Aufsichtsbehörde, bei kreisangehörigen Städten und Gemeinden ist dies meist der jeweilige Landkreis, bei kreisfreien Städten und Landkreisen das Regierungspräsidium oder eine vergleichbare Mittelinstanz. Eine Ausnahme bildet lediglich das Land Nordrhein-Westfalen, das 1991 vom Genehmigungs- auf das Anzeigeverfahren übergegangen ist. Im Rahmen des Anzeigeverfahrens kann die Aufsichtsbehörde die Verschuldung lediglich prüfen und eine Stellungnahme abgeben, wenn sie den Haushaltsausgleich als gefährdet sieht. Die zusätzliche Absicherung der dauernden Leistungsfähigkeit auf dem Wege der vorbeugenden Kommunalaufsicht entfällt damit. Damit sollte ein Zeichen für das Vertrauen in ein mehr eigenverantwortliches Handeln der Gemeinden gesetzt werden und diese sollten wesentlich stärker als bislang in die Verantwortung über ihre eigenen finanzpolitischen Entscheidungen genommen werden. Allerdings ist diese Regelung zweischneidig, denn die Wahrnehmung der genannten Einflussmöglichkeit ex post kann zu spät kommen. Erst nach Anzeige eines Fehlbetrages wird der Kommunalaufsicht direkt die Gelegenheit gegeben, in die gemeindliche Haushaltswirtschaft einzugreifen. Auch in Nordrhein-Westfalen blieb aber das sog. Haushaltssiche-
(2)
(3)
37
Vgl. F. Zeller: Kassenkredite – in Hülle und Fülle: Die Novelle der Bayerischen Gemeindeordnung zeigt einen Staat ohne Verantwortung, in: Verwaltung und Management, Jg. 2005, H. 4, S. 204–205.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
173
rungskonzept dem Genehmigungsvorbehalt der Aufsichtsbehörde unterworfen. Das Instrument des Haushaltssicherungskonzeptes greift im Falle eines unausgeglichenen Haushalts38. 2.2
Der Haushaltsplan der Kameralistik als Indikator für die Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts
(1)
In der Kameralistik ist – wie erwähnt – für die Beurteilung der dauerhaften Leistungsfähigkeit die sog. „freie Spitze“, d. h. der Überschuss der laufenden Einnahmen über die laufenden Ausgaben im Verwaltungshaushalt maßgeblich. Weißt der Verwaltungshaushalt ein Defizit aus, muss die Gemeinde der Haushaltssatzung ein Konzept beifügen, aus dem hervorgeht, mit welchen Mitteln und in welchem Zeitraum der Fehlbetrag des Verwaltungshaushalts abgebaut werden soll und wie „die künftige, dauernde Leistungsfähigkeit der Gemeinde“ (vgl. § 76 Abs. 2, S. 1 GONRW n. F.) gewährleistet werden kann. Andere Länder formulieren ähnlich und verlangen auch verbindliche Angaben zum Zeitraum der Zielerreichung. Sieben Kommunalverfassungen, nämlich die von Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Thüringen, sehen die Aufstellung eines Haushaltssicherungs-/Haushaltskonsolidierungsgesetzes vor39. Der Kern der finanzwirtschaftlichen Dimension des aufsichtsrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist – wie dargestellt – die Antwort auf die Frage nach der dauerhaften Leistungsfähigkeit der Kommune. Es muss sichergestellt sein, dass die Gemeinde künftig bei ausgeglichenem Haushalt ihre Aufgaben erfüllen kann. Die normative Vorgabe des Haushaltsausgleichs gilt dabei nicht nur für den Haushaltsplan, sondern auch für die Rechnungslegung, denn ein in der Jahresrechnung verbleibender Fehlbetrag ist auf das nächste, spätestens auf das übernächste Jahr vorzutragen. Mit dem Haushaltssicherungskonzept soll die Kommune darlegen, wie sie mittelfristig zu einer ausgeglichenen Haushaltswirtschaft zurückkehren wird. Reichen die darin vorgesehenen Maßnahmen nicht aus, hat die Aufsichtsbehörde im Extremfall die Möglichkeit, die kommunale Selbstverwaltung außer Kraft zu setzen und einen Beauftragten zu ernennen, der an die Stelle der politisch gewählten Repräsentanten die Geschäfte der Kommune führt, bis die Haushaltswirtschaft wieder geordnet ist. Die betroffenen Gemeinden befinden sich dann in der vorläufigen Haushaltsführung, d. h. sie dürfen prinzipiell nur Angaben tätigen, zu denen sie rechtlich verpflichtet sind. Hiervon sind derzeit zahlreiche Gemeinden betroffen. So mussten z. B. in Nordrhein-Westfalen von den 427 Kommunen des Landes 198 ein Haushaltssicherungskonzept vorlegen mussten, wobei in 115 Fällen von der Kommunalaufsicht die Genehmigung versagt wurde.
(2)
38 39
Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Kommunalfinanzbericht, Mai 2007, S. 11. Vgl. G. Färber: Haushaltsausgleich und Haushaltssicherungskonzept, in: H.-G. Henneke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, München 2006, S. 661–685, S. 673 ff.
174
Teil F. Die kommunale Verschuldung
2.3
Der Haushaltsplan der Doppik als Indikator für die Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts
(1)
In der Doppik (vgl. dazu unten Teil H.) ist die Beurteilung der dauerhaften Leistungsfähigkeit als Voraussetzung einer zusätzlichen Schuldaufnahme nicht auf den laufenden Überschuss/das laufende Defizit, sondern auf die Bilanz ausgerichtet. Die kommunale Bilanz zeigt nicht nur eine stichtagsbezogene Darstellung der gesamten Verbindlichkeiten aus Krediten, sondern zusätzlich auch eine Aufstellung des bilanziellen Vermögens, das diesen Verbindlichkeiten gegenübersteht. Zudem beinhaltet die Bilanz neben den Krediten auch weitere künftige Verpflichtungen, die in die Beurteilung einfließen (z. B. als Rückstellungen). Die Gegenüberstellung aller Verpflichtungen und des gesamten Vermögens zeigt an, ob die Belastungen mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinde im Einklang stehen. Anders als bei einer an der jährlichen Neuverschuldung und an den Investitionen ansetzenden Regel wird der Wert des Vermögens jährlich ebenso fortgeschrieben wie die Summe der Schulden. Dadurch ist gewährleistet, dass unterschiedliche Kreditlaufzeiten und Nutzungsperioden der Vermögensgegenstände die Darstellung der finanzwirtschaftlichen Situation der Kommunen nicht verzerren Die haushaltswirtschaftlichen Voraussetzungen für die Kreditaufnahme ändern sich durch die Doppik nicht grundsätzlich, der Gedanke der dauerhaften Leistungsfähigkeit gilt auch weiterhin, es verschiebt sich aber die Definition der dauerhaften Leistungsfähigkeit40. Der Haushaltsausgleich in der Doppik basiert auf zwei Kriterien: Er ist einmal aktuell dann gegeben, wenn die Erträge ausreichen, um alle Aufwendungen zu decken, der Ergebnishaushalt mithin einen positiven Saldo in der Planung bzw. in der Rechnung aufweist. Um den Haushaltsausgleich dauerhaft sicherzustellen ist jedoch eine zweite Bedingung zu erfüllen: Die Gemeinde muss ein positives Eigenkapital ausweisen. Mit anderen Worten: In der Bilanz muss die Summe der Aktiva die Summe der Verbindlichkeiten – im Wesentlichen die Rückstellungen und die kurz- bzw. langfristige Verschuldung – übersteigen. Bei einem negativen Eigenkapital, d. h. einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag, ist der Fall der Überschuldung gegeben. Kann die Gemeinde also kein positives Eigenkapital ausweisen, hat sie ein von der Aufsicht zu genehmigendes Haushaltssicherungskonzept aufzustellen.
(2)
2.4
Die Grenzen der Kommunalaufsicht bei der Beurteilung der Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts
In den zurückliegenden Jahren hat die Wirksamkeit der kommunalen Aufsicht zur Gewährleistung fiskalischer Disziplin der Kommunen deutlich abgenommen. Die Probleme sind
40
Vgl. G. Schwarting: Kommunales Kreditwesen, Berlin 2007, S. 47–134, S. 80; H. Bolsenkötter: Öffentliche Verschuldung und neues (integriertes) öffentliches Rechnungswesen, in: A. Goldbach u. a. (Hrsg.): Entwicklungslinien und Problemschwerpunkte der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre, Frankfurt/Main 2005, S. 165–180, S. 165 ff.; Ders: Haushaltssicherungskonzepte nach neuem kommunalen Haushaltsrecht, in: M. Brüggemeier u. a. (Hrsg.): Controlling und Performance Management im öffentlichen Sektor, Festschrift für D. Budäus, Bern-Stuttgart-Wien 2007, S. 157–164, S. 157 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
175
vor allen Dingen in größeren Städten mittlerweile so deutlich, dass sie auch mit dem gängigen Instrumentarium nicht mehr angegangen werden können. Schwarting verweist als Gründe für dieses Versagen u. a. auf folgende Aspekte41:
Die staatliche Aufsicht steht in einem latenten Konflikt zum Grundgesetz, insoweit kann sie – abgesehen von dem Fall der Bestellung eines Beauftragten – nicht unmittelbar in kommunales Handeln eingreifen. Das staatliche Genehmigungsverfahren ist letztlich nur funktionsfähig, sofern es auf wenige überschaubare Problemfälle angewandt wird. Bei zunehmender Zahl unausgeglichener Haushalte ist die Aufsichtsbehörde allein personell überfordert. Die schärfste Waffe der Kommunalaufsicht, die Bestellung eines Beauftragten, ist bislang lediglich bei kleineren Kommunen, und auch dort nur selten, eingesetzt worden, bei größeren Städten bislang noch nie. Die typischen Bedingungen und Auflagen in Genehmigungsverfahren, wie Verzicht auf freiwillige Leistungen oder Beförderungsstopp, sind möglicherweise angemessen, um kleinere Defizite zu beheben. Für das Ungleichgewicht der kommunalen Haushalte in größeren Dimensionen sind sie nicht geeignet und es fehlen entsprechende Rechtsnormen. Die engen Wechselbeziehungen zwischen den politischen Repräsentanten erschweren einer weisungsabhängigen Kommunalaufsicht, konsequente Konsolidierungsauflagen umzusetzen.
IV.
Die Haftungskette der Finanzverfassung zugunsten der Kommunen
1
Die vorherrschende Auffassung
(1)
Im Abschnitt III ist die Rechtsgrundlage der Kommunalverschuldung dargestellt worden. Im Folgenden soll einerseits der Frage nachgegangen werden, ob Städte und Gemeinden zahlungsunfähig werden können und andererseits, inwieweit möglicherweise Änderungen in dem zu analysierenden Befund zu erwarten sind. Die Frage einer möglichen Zahlungsunfähigkeit einer Gemeinde ist in der staatsrechtlichen und finanzrechtlichen Literatur nicht zuletzt unter dem Eindruck des Finanzdebakels der schweizerischen Gemeinde Leukerbad in 1998 in jüngerer Zeit eingehend diskutiert worden.42 Gleichermaßen wurde dieses Thema dadurch problematisiert, dass die Kommunalaufsicht des Landes Brandenburg 1994 in einer schriftlichen Verlautbarung Zweifel daran genährt hat, dass es die Zahlungsstörungen bei seinen Kommunen und kommunalen Einrichtungen ausgleichen wird43.
41
42
43
Vgl. G. Schwarting: Einige Gedanken zur fiskalischen Disziplin kommunaler Gebietskörperschaften in Deutschland, in: B. Genser (Hrsg.): Haushaltspolitik und öffentliche Verschuldung, Berlin 2005, S. 131–169, S. 142 f. Vgl. o. V.: „Mehr Sicherheit bei Anleihen von Gemeinden. Eine Konsequenz aus Leukerbad“, in: Neue Zürcher Zeitung vom 06.10.1999, S. 24. Vgl. o. V.: Das Jahrzehnt der Derivate, in: Handelsblatt vom 24.9.1996, Beilage, S. 1726.
176
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(2)
In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Frage gestellt, ob es einen Anspruch der Kommunen an das jeweilige Land auf dessen Einstandspflicht, also einen Anspruch auf ein „bailing out“44 gibt. Die Länder haben es lange vermieden, eine rechtliche Garantenstellung für kommunale Schulden anzuerkennen. Der Bundesgerichtshof verwies allerdings in seiner Revision gegenüber dem so genannten „Oderwitz-Urteil“ darauf, dass die Aufsichtsbehörden generell eine Haftung gegenüber den beaufsichtigten Kommunen haben und alle Informationen zum Zeitpunkt der aufsichtsrechtlichen Entscheidung vollumfänglich zu berücksichtigen seien. Die Aufsicht muss somit prüfen, ob günstigere Finanzierungsmöglichkeiten in Bezug auf ein Investitionsprojekt für eine Gemeinde bestehen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn auch tatsächlich eine Kommunalaufsicht im jeweiligen Bundesland besteht. Ist dies nicht der Fall, gibt es keine Haftungskette, die auf die Landesregierung zurückfällt. Der BGH sieht somit die Kommunalaufsicht als „drittschützend“ an. Demnach muss sie ihre Amtspflichten vollumfänglich wahrnehmen. Dies gelte für jede Art der Betätigung als Aufsichtsbehörde, auch für die Erteilung eines Rates45. Zusammengefasst ist das Urteil somit nicht nur hinsichtlich der faktischen Haftung der Kommune von Bedeutung, sondern in Bezug auf die Amtshaftung einer Kommunalaufsicht. Weiterhin sind bei der Betrachtung der Haftungsketten verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Die Ergebnisse der vorliegenden rechtlichen Analysen46 lassen sich wie folgt zusammenfassen. Bundesverfassungsrechtlich folgen aus Art. 28 Abs. 2 GG die staatliche Einstandspflicht im Falle des faktischen Kommunalkonkurses. Die kommunale Selbstverwaltungsgarantie gewährleistet zugleich die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung und damit für den Kernbereich der gemeindlichen Aufgaben einen Anspruch der einzelnen Gemeinde auf finanzielle Mindestausstattung. Dabei gehört es nach herrschender Auffassung zum Wesensgehalt des Art. 28 Abs. 2 GG, dass das jeweilige Bundesland den Gemeinden über die zur finanziellen Lebensfähigkeit erforderlichen Finanzmittel hinaus weitere Gelder in jenem Umfang zur Verfügung stellt, der die Erfüllung substanzieller Aufgaben des Selbstverwaltungsbereiches ermöglicht. Insbesondere gilt das für die Erfüllung von Aufgaben des übertragenden Wirkungskreises, d. h. der Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung, und der pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben, sofern diese mit den der Gemeinde zur Verfügung stehenden Finanzmitteln nicht mehr bewältigt werden können. In diesen Fällen haftet das jeweilige Land für bestehende Verbindlichkeiten. Vollstreckungen setzen die Zulassungsverfügung der Aufsichtsbehörde voraus, die in Bezug auf das
44
45
46
Vgl. A. Faber: Zahlungsunfähigkeit von Kommunen, in: H.-G. Henneke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, München 2006, S. 685–700, S. 691 ff. Vgl. Bundesgerichtshof: Urteil des Bundesgerichtshofes vom 12 Dezember 2002, AZ III ZR 201/01, 17.12.2007, www.bundesgerichtshof.de sowie IMK: Bericht des Unterausschusses „Kommunalverfassungsrecht und kommunale Personalangelegenheiten“ des AK III der IMK zur Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 12. Dezember 2002 zur Amtshaftung der Rechtsaufsichtsbehörde gegenüber der durch sie beaufsichtigten Körperschaft („Oderwitz-Sachsen“ vom 12. September 2003), Berlin 2003. Vgl. F. Engesing: Zahlungsunfähigkeit von Kommunen und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Vollstreckung und finanzielle Einstandspflicht, Stuttgart u. a. 1997; K.-A. Schwarz: Staatsgarantie für kommunale Verbindlichkeiten bei „faktischem Konkurs von Kommunen“?, Baden-Baden 1998; A. Voitl: Der Kommunalkredit auf dem Prüfstand, in: Der langfristige Kredit, Jg. 1999, S. 263–270, S. 267; M. Nierhaus, I. Gerhardt: Zur Ausfallhaftung des Staates für zahlungsunfähige Kommunen, Berlin 1999.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(3)
(4)
(5)
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für die Erfüllung von Pflichtaufgaben unverzichtbare Vermögen nicht erteilt werden darf47. Tatsächlich haben in der Vergangenheit eine Reihe von Bundesländern – ohne ausdrückliche Begründung – im Rahmen des Finanzausgleichs Mittel für Bedarfszuweisungen vorgesehen, die jenen Gemeinden auf Antrag zur Verfügung gestellt werden, die aus eigener Kraft den Haushaltsausgleich nicht sicherstellen konnten. Auch das Land Brandenburg hatte für bestimmte Fallkonstellationen 1996 einen „Haushaltssicherungsfonds zur Unterstützung kreisangehöriger Gemeinden, die aufgrund ihrer ungeordneten Haushaltswirtschaft zahlungsunfähig sind“, eingerichtet. Auch auf solche Mittel besteht kein Rechtsanspruch; sie stehen stets unter dem Vorbehalt einer strengen Prüfung durch die Aufsichtsbehörde48. Ein bemerkenswertes „bailing out“ hat das Land Nordrhein-Westfalen Ende der 80er Jahre mit der Auflösung des seinerzeitigen Ausgleichskontos den Empfängerkommunen als Entschuldungshilfe in Höhe von insgesamt 210 Mio. DM (= 107,4 Mio. EUR) gewährt49. Es liegt auf der Hand, dass mit solchen Maßnahmen das eigentliche Problem nicht gelöst wird. Die Bedarfszuweisungen werden in der Systematik des kommunalen Finanzausgleichs kritisch betrachtet. Sie haben allenfalls eine Berechtigung, wenn Kommunen unverschuldet in eine finanzielle Notlage geraten. Im Übrigen reichen in vielen Ländern die für Bedarfszuweisungen zur Verfügung gestellten Mittel bei weitem nicht mehr aus, um die bestehenden Probleme zu lösen. Vor diesem Hintergrund toleriert die Kommunalaufsicht hohe und steigende Kassenkreditvolumina. Dass die Liquidität der Kommunen insofern auch bei hohen Defiziten als „Ausweg“ funktioniert setzt voraus, dass die Kommunen unbegrenzt Kassenkreditlinien von der Kreditwirtschaft erhalten. Dies verdeutlicht, dass auch die Banken die Einstandspflicht der Länder bislang unterstellen. Unabhängig von der rechtlichen Begründung würde das Vertrauen in diese Einstandspflicht und deren wirtschaftliche Realisierungsmöglichkeit wahrscheinlich nachhaltig tangiert, wenn das gesamte Ausmaß der daraus für ein Land entstehenden Traglast erkennbar wäre. In der Kameralistik der Gemeindehaushalte werden bisher nur solche Verbindlichkeiten berücksichtigt, die sich aus der Aufnahme von Krediten als monetäre Größe in Form der Kredithöhe ohne Betrachtung der Zinsverpflichtungen im Zeitablauf ergeben. Andere künftige Zahlungsverpflichtungen wie etwa Pensionsverpflichtungen werden nicht erfasst. In einem dem tatsächlichen Verhältnis entsprechenden Ausweis des Vermögens und der Schulden müssen derartige Verbindlichkeiten als Rückstellung ausgewiesen werden mit entsprechenden Konsequenzen für die Kapitalstruktur. Bei der überwiegenden Zahl von Gebietskörperschaften würde dann eine faktische, durch das bisherige Rechnungswesen kaschierte, Überschuldung transparent werden. Insofern wird der Übergang zur Doppik hier zu einer Aufklärung über die Tragweite solcher Einstandspflichten der Länder führen, die möglicherweise auch deren rechtliche Verpflichtung zum Ausgleich nicht Vgl. W. Hoppe: Der Anspruch der Kommunen auf aufgabengerechte Finanzausstattung, in: Deutsches Verwaltungsblatt 1972, S. 117–121, S. 117 ff.; D. Bayer: Staatliche Gemeindefinanzierung und Verfassungsrecht, in: Deutsches Verwaltungsblatt, Jg. 1993, S. 1287–1290, S. 1287 ff. Vgl. G. Schwarting: Haushaltskonsolidierung in Kommunen, Berlin 2006, S. 105 f. Vgl. F. W. Held: Wir erinnern uns: Wichtige Entwicklungen in Kommunalpolitik und Kommunalaufsicht der zurückliegenden Jahre, in: Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.): Forum Kommunalaufsicht, Düsseldorf 2001, S. 38–45, S. 40 f.
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dem Grunde, aber der Höhe nach in Frage stellt. Dies hätte dann auch Konsequenzen für die Gewährung von Krediten an Kommunen. Aber nicht nur die Orientierung der kommunalen Haushaltsplanung und Haushaltsrechnung am Geldverbrauch statt am tatsächlich realisierten Ressourcenverbrauch führt zu einer völlig unzulänglichen Information über die zukünftigen Verpflichtungen der Gemeinde. Hinzu kommt als weiteres Informationsdefizit, dass sich die dargestellten Inhalte i. d. R. nur auf die Kernverwaltung beziehen und nicht auf die dezentralen, vollständig oder anteilig im Eigentum der einzelnen Gebietskörperschaften sich befindenden Organisationen unterschiedlichster Rechtsform. Hier handelt es sich um eine zusätzliche implizite Verschuldung50. Informationen über die tatsächliche Vermögens-/Ertrags- und Finanzlage einer Kommune erfordert eine Konsolidierung der dezentralen Einheit mit der Kernverwaltung. Dafür spricht auch, dass in der derzeitigen schwierigen Finanzsituation die Gemeinden dazu neigen, mit dezentralen Einheiten bewusst Schattenhaushalte einzurichten, um ihre tatsächliche Verschuldung intransparent zu gestalten. Dieser Befund erhält zusätzliche Brisanz dadurch, dass das erreichte hohe Niveau der Zinszahlungen dazu führt, dass auch kommunale Konsolidierungsanstrengungen nicht ausreichen, die zusätzlichen Zinseffekte aufgrund der Neuverschuldung abzudecken. Damit verbunden ist im Zeitablauf die faktische Abkopplung der Kredite von Vermögens- und Leistungsäquivalenten. Entweder sind die Kredite indirekt in Konsumausgaben geflossen oder aber die mit den Krediten finanzierten Investitionen sind nicht mehr existent bzw. haben unter Berücksichtigung von Abschreibungen den Buchwert von Null. Damit wird die Abkopplung des Kredites von dem zu finanzierenden Vermögenswert zum zentralen Problem. Die Kreditrückzahlung orientiert sich nicht an der Laufzeit der mit dem Kredit finanzierten Investition, vielmehr besteht der zur Finanzierung aufgenommene Kredit weit über die Laufzeit der mit dem Kredit finanzierten Investitionen hinaus. Daraus resultiert eine sich verstärkende Tendenz zur vermögensunabhängigen Kreditfinanzierung mit einem kontinuierlichen Anstieg der Verschuldung bei gleichzeitig sinkendem Vermögen. Kommunalkredite werden bislang zu privilegierten Konditionen (Befreiung von den Vorschriften des Kreditwesengesetzes) vergeben und als risikolose (Gewichtung mit dem sog. Null-Risiko) eingestuft. Dies hat zur Konsequenz, dass sie nicht mit Eigenkapital unterlegt werden51. Dieser Regelungspraxis liegt das Vorverständnis zugrunde, dass der Staat und mit ihm die Kommunen über eine uneingeschränkte Bonität verfügen und praktisch als Adresse nicht ausfallen können. Sollte eine staatliche Einheit wider erwarten doch ausfallen und Not leidend werden, springe die übergeordnete staatliche Ebene automatisch ein. Die bisherige Regelungspraxis führte dazu, dass der Kommunalkredit eine sehr günstige Finanzierungsquelle war, auf die mit geringem Aufwand und schnell zurückgegriffen werden konnte. Die zunehmende Finanzkrise der Kommunen und die o. g. Fälle lassen Zweifel an diesem Vorverständnis aufkommen. Zudem sind die internationalen Normen für die Neuregelung der Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung zur Verbesserung des Risikomanagements von Kreditinstituten, die den Kommunalkrediten nicht länger ein Vgl. M. Junkernheinrich: Gemeindefinanzen. Theoretische und methodische Grundlagen ihrer Analyse, Berlin 1991, S. 101 ff. Vgl. J. Walter: Bankenrating für Kommunen, in: Der Gemeindehaushalt, Jg. 2004, H. 1, S. 25–33, S. 28.
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Null-Risiko unterstellen, geeignet, den Glauben an die unbegrenzte Bonität der Kommunen zu erschüttern (vgl. dazu ausführlich unten unter 3.). 2
Die Verwirklichung der Haushaltsdisziplin durch Föderalismus mit Insolvenz?
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Angesichts der Schwierigkeiten, mit kommunalaufsichtsrechtlichen Instrumenten oder mit dem Konzept eines Nationalen Stabilitätspaktes auf kommunaler Ebene die notwendige Haushaltsdisziplin herbeiführen zu können, wird auch vorgeschlagen, die öffentlichen Haushalte im Allgemeinen und die Kommunen im Besonderen über den Kapitalmarkt zu disziplinieren. Dieser Diskussion liegt die These zugrunde, dass der Föderalismus dauerhaft nur reformierbar ist, wenn er i. S. der finanzwirtschaftlichen Verantwortung bis hin zur institutionalisierten potentiellen Insolvenz zu Ende gedacht wird52. Nur durch eine solche Möglichkeit – so ist die Überlegung – würden Maßnahmen ausgelöst, die eine solche Konsequenz verhindern. Zugleich eröffne die Insolvenz die Perspektive eines späteren Neuanfangs, d. h. der Restrukturierung des Kommunalhaushaltes53. Auf diese Weise würden Vorsichtsmaßnahmen ausgelöst, durch die die Insolvenz zunächst möglichst verhindert und durch die klargestellt werde, dass eine Insolvenz alle Beteiligten zu einem Arrangement, zu einem Neustart zwinge. Insofern könne die Möglichkeit der Insolvenz auch zu einer politisch attraktiven Institution werden54. Auch bei nachgeordneten Gebietskörperschaften, also auch bei Gemeinden, sei nicht deren Zahlungsunfähigkeit, sondern die Eintrittsverpflichtung der übergeordneten Gebietskörperschaft, welche über die Glaubwürdigkeit einer „non bail out“ Drohung entscheide, maßgebend. Damit würde eine mangelnde Budgetdisziplin befördert und die übergeordneten Gebietskörperschaften in eine Situation gebracht, in der sie faktisch keine Alternative zur Hilfe gegenüber zahlungsunfähigen Gebietskörperschaften hätten. Diese Überlegungen gehen davon aus, dass insgesamt keine hinreichenden Anreize bestehen, Haushaltskrisen zu vermeiden. Dies hat im Wesentlichen drei Ursachen:
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Die Gebietskörperschaften können (formal) nicht insolvent werden. Der Bund und die Länder können über das Ausmaß ihrer eigenen Verschuldung eigenständig entscheiden, bei den Gemeinden ist dies wegen der Bindung an kommunalaufsichtsrechtliche Normen de jure nur eingeschränkt möglich; aus den genannten Gründen greifen de facto diese Beschränkungen jedoch nur partiell.
Vgl. Ch. B. Blankart, E. Fasten, A. Klaiber: Föderalismus ohne Insolvenz?, in: Wirtschaftsdienst, Hamburg 2006, H. 9, S. 567–571, S. 567 ff.; G. F. Schuppert, M. Rossi: Bausteine eines bundesstaatlichen Haushaltsnotlagenregimes, Hertie School of Governance Working Paper, No. 3, Berlin 2006; Ch. B. Blankart: Föderalismus in Deutschland und in Europa, Baden-Baden 2007, S. 979 ff. Vgl. C. Paulus: Überlegungen zur Insolvenzfähigkeit der Gemeinden, in: Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht, Jg. 2003, H. 19, S. 863–872, S. 863 ff. Vgl. B. Jochimsen, K. A. Konrad: Anreize statt Haushaltsnotlagen, in: Diess. (Hrsg.): Finanzkrise im Bundesstaat, Berlin 2007, S. 11–28, S. 18 ff.; Ch. B. Blankart, A. Klaiber: Wer soll für die Schulden von Gebietskörperschaften haften?, in: C. Schaltegger, S. Schaltegger (Hrsg.): Perspektiven der Wirtschaftspolitik, Festschrift für René L. Frey, Zürich 2004, S. 137–150, S. 137 ff.
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In Fällen extremer Haushaltsnotlage befinden sich der Bund und die Länder über das bündische Prinzip praktisch in einer Art Schuldengemeinschaft, welche die Gemeinden als finanzverfassungsrechtlichen Teil der Länder einschließt.
Damit werden die Solidität der Haushaltspolitik und ein daraus resultierendes gutes Kreditrating zu einer Art „Kollektivgut“. Aus dieser Erkenntnis resultieren zwei konzeptionelle Ansätze: Der eine, der z. B. vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium55 favorisiert wird, zielt auf eine Einschränkung oder gar Beseitigung der gegenseitigen Einstandspflicht. Dies wäre jedoch keine wirkliche Lösung des Problems, da ein solcher Verzicht auf Hilfe innerhalb einer so eng verflochtenen Struktur wie dem deutschen Föderalismus nicht glaubhaft und damit nicht praktizierbar ist. Zudem würde ein solcher formaler Verzicht die extreme Haushaltsnotlage einer Gebietskörperschaft auch nicht zuverlässig ausschließen. Der andere Ansatz, der vom Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesministerium der Finanzen56 favorisiert wird, sieht in einem geeignet gestalteten Insolvenzrecht für Gebietskörperschaften einen Weg, mit dem zwar die Politik nicht davon abgehalten werden kann Schulden aufzunehmen, der gleichwohl die Kapitalgeber an den Kreditmärkten davon überzeugen kann, ihre Ausleihungen an bestimmte öffentliche Adressen zurückzunehmen. Dass dieser Anreizmechanismus nicht nur in der Theorie sondern auch in der Praxis funktioniert zeigt ein Blick in die USA: Die Stadt Philadelphia versuchte im Jahr 1990 sich 375 Mio. US-Dollar auf dem Kapitalmarkt zu leihen. Aufgrund ihrer desolaten finanziellen Situation verweigerten private Investoren den Kredit. Die Stadt musste daraufhin in einen mühsamen, Jahre andauernden Konsolidierungsprozess ihre Finanzen aus eigener Kraft sanieren57. Ordnungspolitisch erscheint die Disziplinierung der öffentlichen Haushalte durch Märkte attraktiv58. Ohne jedes Eingreifen der politischen Akteure würden die Gebietskörperschaften sich zwangsläufig bemühen, ein gutes Rating und damit günstige Kredite zu erhalten. Jene Gebietskörperschaften, denen ein „Investment Grade“ abgesprochen wird, würden durch Zinszuschläge bestraft oder in letzter Konsequenz kreditrationiert59. Nach herrschender Rechtsauffassung sind Gebietskörperschaften jedoch nicht insolvenzfähig. § 12 Abs. 1 der deutschen Insolvenzordnung lautet: „Unzulässig ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen erstens des Bundes oder eines Landes; zweitens einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit: Zur finanziellen Stabilität des deutschen Föderalstaates, Berlin 2005. Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Haushaltskrisen im Bundesstaat, Berlin 2005. Vgl. S. Homburg, C. Röhrbein: Ökonomische Anmerkungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006, in: Der Staat, Jg. 2007, H. 2, S. 1–17, S. 15. Vgl. B. Jochimsen: „Staatsschulden ohne Haftung“ – Eine Option für deutsche Bundesländer, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, H. 8, S. 518–524, S. 518 ff.; K. A. Konrad: Vorschläge zur wirksamen Verschuldungsbegrenzung der Länder, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, H. 9, S. 581–585, S. 581 ff.; Deutsche Bundesbank: Zum disziplinierenden Einfluss der Finanzmärkte auf die staatliche Haushaltspolitik, in: Monatsbericht Oktober 2007, Frankfurt am Main, S. 60–61, S. 60 f. Vgl. B. Ziegenhorn: Market-based Fiscal Discipline: Disziplinierung staatlicher Schuldner durch den Kapitalmarkt, Frankfurt/Main 1999.
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Landes untersteht, wenn das Landesrecht dies bestimmt.“ Die Insolvenzunfähigkeit gilt zunächst für den Bund und die Länder. Sie erstreckt sich aber nach allen Landesgesetzgebungen auch auf die Gemeinden60. Mit Blick auf die Gemeinden ist daher festzustellen, dass der § 12 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Insolvenzfähigkeit des Bundes und der Länder gänzlich ausschließt und in der Nummer 2 dieser Norm es den Ländern hinsichtlich ihrer aufsichtsrechtlich untergeordneten juristischen Personen – und damit auch der Gemeinden – die Entscheidung überlässt, ob diese dem Regelungsregime der Insolvenzordnung unterworfen sein sollen oder nicht. Für die Gemeinden statuiert die Norm also prinzipiell die Insolvenzfähigkeit und damit die Anwendbarkeit der gesamten Insolvenzordnung, „wenn das Landesrecht dies bestimmt“. Damit verweist der Bundesgesetzgeber auf die grundsätzlich bestehende Insolvenzfähigkeit und überantwortet dem Landesgesetzgeber die Verantwortung und Entscheidung für die Frage, ob die in seinem Hoheitsbereich domizilierenden Gemeinden dem Regime der Insolvenzordnung unterfallen sollen oder nicht. Sämtliche Bundesländer haben bis heute diese Frage verneint. Zunächst ist die zentrale Begründung für diese Position, dass die uneingeschränkte Anwendbarkeit des Insolvenzrechts bei Gemeinden zu untragbaren Ergebnissen führe, etwa durch das damit ausgelöste Recht eines jeden Gläubigers gegenüber der Gemeinde, den Insolvenzantrag zu stellen. Wichtigster Grund für diesen Ausschluss des Insolvenzverfahrens über kommunales Vermögen ist, dass mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gemäß § 80 Abs. 1 InsO der Schuldner sein Recht, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, an den Insolvenzverwalter verliert. Dies ist mit der öffentlichen Aufgabenerledigung der Kommunen nicht vereinbar. Tatsächlich kann es jedoch nicht darum gehen, durch eine Änderung der Insolvenzordnung dieses Vorbehaltsrecht der Länder ersatzlos aufzuheben. Es ist auch kaum vorstellbar und erst recht nicht wünschenswert, dass gemeindliche Vermögen gewissermaßen meistbietend zu verwerten. Vielmehr muss es Ziel sein, auch den Gemeinden das 1998/99 im Zuge der Reform des bis dahin geltenden Insolvenzrechts vorgesehene Planverfahren nach § 217 ff. InsO zu ermöglichen. Mit dieser Ergänzung des Insolvenzrechts wurde in Abkehr vom gesetzlich bis dahin vorgesehenen Liquidationsmechanismus die gleichwertige Sanierungsalternative ermöglicht. Dieser Ansatz zielt darauf, dass das schuldnerische Vermögen nicht zerschlagen und zur anteiligen Befriedigung der Gläubiger verwandt wird, sondern alternativ die Gläubiger und die Schuldner im Zusammenwirken versuchen, den Schuldner wieder in den Zustand erfolgreicher Marktteilnahme zu bringen. Es kann also nicht darum gehen, eine Gemeinde der insolvenzrechtlichen Liquidation anheim zu geben, sondern eine Restrukturierung nach den Regeln des Sanierungs- bzw. Planverfahren der § 217 ff. InsO einzuleiten. Die Frage ist, ob und wie diesem Wahlrecht der Länder ein praktikabler Inhalt zugeordnet werden kann. Eine Lösung könnte das Vorbild des US-amerikanischen Chapter 9-Verfahrens sein, das zurzeit das offensichtlich ausgefeilteste Gemeindeinsolvenzverfahren ist. Nach diesem Procedere sind bislang rund 200 Fälle abgewickelt Vgl. A. Faber: Zahlungsunfähigkeit von Kommunen, in: H.-G. Henneke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, München 2006, S. 685–700, S. 689.
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worden. Dieser Ansatz könnte wegen seiner engen Anlehnung an das Chapter 11Verfahren auch deshalb ein brauchbares Vorbild sein, weil das Planverfahren nach der reformierten Insolvenzordnung seinerseits in weiten Teilen dem Chapter 11Verfahren nachgebildet wurde. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass entgegen § 13 Abs. 1 Nr. 2 InsO, der die Antragsberechtigung sowohl dem Schuldner als auch dem Gläubiger einräumt, dieses Recht im Falle einer Gemeindeinsolvenz immer nur ausschließlich bei der Gemeinde selbst liegen sollte. Das heißt: Die Ziehung der Insolvenzoption ist immer nur als freiwilliger Akt in der Gemeinde und ihrer dazu politisch legitimierten Gremien vorstellbar. Internationalen Vorbildern folgend sollte erfahrungsmäßig nur eine Sanierung in Betracht kommen, in deren Rahmen die Zahlungsfähigkeit durch die vom Insolvenzverwalter zu treffenden Maßnahmen wieder hergestellt wird und die Gläubiger auf ihre Forderung ganz oder zum Teil verzichten. Die Disziplinierung der öffentlichen Haushalte durch Märkte setzt logisch voraus, dass die Kreditgeber im „Fall des Falles“ nicht – wie derzeit – letztlich vom Steuerzahler freigestellt werden, sondern mit Forderungsverlusten rechnen müssen. Nur unter dieser Voraussetzung haben Kreditgeber einen Anreiz, die jeweilige Verschuldungssituation genauer zu beobachten und ggf. Zinszuschläge zu verlangen oder die weitere Kreditvergabe ganz einzustellen. Deshalb wäre nicht lediglich § 12 Abs. 1 InsO zu streichen61, sondern die Insolvenzordnung auch um einen neuen Abschnitt „Insolvenz von Gebietskörperschaften“ zu ergänzen, der tatbestandlich die Zahlungsunfähigkeit voraussetzt und als Rechtsfolge die Sanierung nach einem Insolvenzplan anordnet. Dem Insolvenzverwalter wäre damit aufzugeben, überflüssige Ausgaben der Gebietskörperschaften zu kürzen, Vermögen – das nicht für die Wahrnehmung der Gemeindeaufgaben benötigt wird – zu veräußern und die Gläubiger quotal zu befriedigen. Aufgrund der gesetzlich vorgeschriebenen Sanierung wären extreme Haushaltsnotlagen i. S. einer Existenzbedrohung ausgeschlossen, die Versorgung der Gemeindebürger mit lokalen Gütern bliebe gesichert62. Weiterhin sollten Gebietskörperschaften ein hohes Maß an Schutz vor den Forderungen der Gläubiger haben, ähnlich den hohen Pfändungsfreigrenzen im Rahmen eines Insolvenzverfahrens von Privatpersonen. Die genaue Gestaltung birgt hier eine Reihe praktischer Probleme, so muss beispielsweise geregelt werden, was genau pfändbar ist und wie in die Haushaltsstruktur eines Landes eingegriffen werden könnte. Des Weiteren, wie Schulden besichert werden könnten und ob diese Besicherung nur für Altschulden oder auch für die Neuverschuldung gelten sollte. Es muss geklärt werden, ob es vorrangige und nachrangige Gläubiger gibt und welche Anteile der Gläubiger an einem neuen Tilgungsplan der Gebietskörperschaften hat. Ein Gutteil dieser Fragen ist gelöst63. So unterscheidet z. B. Chapter 9 bei der Befriedigung der Schuldner zwischen besicherten und unbesicherten Schulden. Für besicherte Schulden muss die Gebietskörperschaft mindestens den Wert des besiVgl. Ch. B. Blankart: Föderalismus in Deutschland und in Europa, Baden-Baden 2007, S. 191. Vgl. S. Homburg, C. Röhrbein: Ökonomische Anmerkungen zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006, in: Der Staat, Jg. 2007, H. 2, S. 1-–17, S. 16. Vgl. C. G. Paulus: Überlegungen zur Insolvenzfähigkeit der Gemeinden, in: Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht, Jg. 2003, H. 19, S. 863–872, S. 869 ff.
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chernden Vermögens zahlen, für unbesicherte Schulden muss sie im Zweifel nichts oder so gut wie nichts zahlen. Ob und wenn ja, wie viel sie zahlen muss hängt von den möglichen künftigen erzielbaren Steueraufkommen ab64. Es sei dahingestellt, ob solche Ansätze zurzeit oder auch in Zukunft durchsetzbar sind. Es entstünde bei deren Verwirklichung jedenfalls eine funktionierende Schuldenbremse, bei der die Entscheidung über die Verschuldung dem Markt überlassen bleibt. Allerdings wäre die bisherige uneingeschränkte Privilegierung des Kommunalkredits in bankaufsichtsrechtlicher Hinsicht in einem solchen Szenario nicht mehr durchhaltbar65. Vielmehr käme es zu einer Abstufung der Risikoeinschätzung der betroffenen Gemeinde, die bei den kreditgewährenden Banken zu einer komparativ höheren Unterlegung mit Eigenkapital für die Ausleihungen an diese kommunale Adresse und damit zu höheren Kreditkosten führt. Dies entspräche aber der ordnungspolitischen Logik dieses Ansatzes. 3
Das Rating auf der kommunalen Ebene
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Die Disziplinierungsmöglichkeit einer Kommune durch den Kapitalmarkt setzt voraus, dass diesem ein Überwachungsinstrument zur Verfügung steht, das für alle Marktteilnehmer transparent ist. Als ein solches Instrument wird im Allgemeinen das Rating angesehen. In Deutschland fällt innerhalb der kommunalen Finanzierung traditionell dem Bankkredit eine dominierende Rolle zu. Mehr als 96% der Finanzierung erfolgt über Kreditinstitute. Die Finanzierung über den Kapitalmarkt ist dagegen heute noch unbedeutend (vgl. oben I.). Die Kreditinstitute als Anbieter unterliegen strengen aufsichtsrechtlichen Regularien66. Unabdingbar ist hierbei das Unterlegen der Kreditvergabe durch Eigenkapital der Bank. Nach den alten Regularien – festgelegt im sog. Basel I-Ansatz – müssen die Kredite unabhängig von der Bonität des Kreditnehmers grundsätzlich mit 8% eigenem Kapital unterlegt werden. Nach den neuen Bestimmungen, die im sog. Basel II-Ansatz geordnet sind, erfolgt die EK-Unterlegung an der Bonität des jeweiligen Schuldners. Die Bonität wird ausgedrückt durch ein Rating. Seit Januar 2007 ist dieser neue Eigenkapitalakkord für Banken – vulgo: Basel II – in Kraft67. Demnach bedarf es grundsätzlich eines Ratings für die einzelnen Kreditnehmer. Operativ festgelegt ist dies in der Ende 2006 verabschiedeten Solvabilitätsverordnung, die die konkrete Umsetzung des Basel-II-Akkords in nationales Recht beinhaltet68. Ausnahmen stellen wie bereits im Basel I-Ansatz auch hier die öffentlichen Gebietskörperschaften in Deutschland dar. Die Verschuldung in Form des Haushaltsabschlus-
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Vgl. United States Bankruptcy Court: Municipality Bankruptcy – Chapter 9, 7.11.2007, www.nvb. uscourts.gov. Vgl. R. Josten: Kommunalkreditgeschäft: Kommunen zwischen Insolvenzfähigkeit und finanzwirtschaftlichem Kollaps, in: Bank- und Kapitalmarktrecht, Jg. 2006, H. 4, S. 133–139, S. 133 ff. Aufsichtsbehörde ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Vgl. Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht: Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Juni 2004, Frankfurt am Main, abrufbar unter: www.bundesbank.de. Vgl. Deutsche Bundesbank: Verordnung über die angemessene Eigenmittelausstattung (Solvabilität) von Instituten – Solvabilitäts-Verordnung, 15.11.2007, www.bundesbank.de.
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ses war vor dem Hintergrund der bisherigen Vorschriften über die Eigenkapitalanforderungen von Banken somit ohne Relevanz. Auch dies dürfte ein Grund für die oben genannte Dominanz des Bankdarlehens als Finanzierungsinstrument sein. Im Vorfeld der Umsetzung von Basel II in nationales Recht war jedoch sehr umstritten, ob die Städte und Gemeinden weiterhin auf eine Nullanrechnung von Kommunalkrediten auf das Eigenkapital der Banken und Sparkassen vertrauen konnten (sog. „partial use“). Aus der Diskussion ergab sich ein Kompromiss: Die Basel IIRegelungen wurden zunächst in eine EU-Richtlinie und schließlich in nationales Recht umgesetzt. Aus der EU-Richtlinie ergab sich nicht zuletzt aufgrund von Interventionen der damaligen Bundesregierung sowie verschiedener Landesregierungen ein Wahlrecht (Option) für die nationalen Regierungen, ob sie Forderungen an Kommunen genauso behandeln wie Forderungen an den Zentralstaat. Die Bundesregierung zog die Option und stufte damit in der Solvabilitätsverordnung Kredite an Kommunen als risikolos ein69. Sie unterliegen in der gültigen Verordnung einem dauerhaften partial use. „Dauerhaft“ bedeutet, dass es keine zeitliche Befristung des Nullansatzes gibt. Die Anrechnung kommunaler Kredite mit dem Faktor Null gilt so lange, bis sie vom Gesetzgeber widerrufen wird. Die Solvabilitätsverordnung müsste somit explizit geändert werden. Dies ist für die Zukunft nicht auszuschließen, da die EU-Richtlinie den Hinweis enthält, dass Forderungen an Kommunen nur dann mit Forderungen an den Zentralstaat vergleichbar und damit faktisch als risikolos einzustufen sind, „… sofern sich das Risiko dieser Forderungen nicht unterscheidet, da die Gebietskörperschaften über eigenständige Steuererhebungsrechte verfügen und besondere institutionelle Vorkehrungen getroffen wurden, um ihr Ausfallrisiko zu reduzieren“70. Die Aufsichtsbehörde – die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)– sieht daher für die Kommunen für eine Ausfallwahrscheinlichkeit und damit auch eine Eigenkapitalunterlegung von Null vor. Diese Präferenz wird allerdings nur solange Bestand haben, wie die Bonität jeder einzelnen Kommune aufgrund einer vom jeweiligen Bundesland uneingeschränkt akzeptierten Haftungsverpflichtung – auch mit Blick auf die Verpflichtung der Bundesländer zu einem kommunalen Finanzausgleich (vgl. dazu Teil G.) – als unzweifelhaft angesehen wird. Könnte dies nicht mehr unterstellt werden, wäre eine generelle Nullanrechnung für Kommunen nicht mehr haltbar und es käme ein differenzierendes Rating zum Tragen. Die Banken müssten dann entweder nach dem Standardansatz, in dem sie auf das Rating einer externen Agentur zurückgreifen, oder nach einem von ihnen selbst dargestellten sog. internen Ansatz, mit dem sie selbst die Risikobewertung vornehmen, die Kreditwürdigkeit der kommunalen Kunden bewerten71.
Vgl. Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen: Basel II und Auswirkungen auf die Kommunen, in: StGB NRW-Mitteilung 381/2004 vom 17.05.2004.sowie Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie: Schreiben vom 22.10.2003: Drittes Konsultationspapier der EUKommission zur Umsetzung von Basel II in der EU vom 1.7.2003, München 2003, S. 6. Europäische Union: Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, in: Amtsblatt der Europäischen Union L 177/1, Anhang VI, Randziffer 9. Vgl. Deutsche Bundesbank: Neue Eigenkapitalanforderungen für Kreditinstitute (Basel II), in: Monatsbericht September, Frankfurt am Main 2004, S. 75–100, S. 75 ff.
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Kommunen, die sich bereits in der Vergangenheit über den organisierten Kapitalmarkt finanzierten, mussten faktisch ohnehin das Ratingurteil einer Ratingagentur (externes Rating) vorweisen, um ihre Anleihen platzieren zu können. Unter Kostengesichtspunkten betrachtet müssen die Kunden für ein bankinternes Rating keine Aufwendungen veranschlagen, während ein externes Rating erhebliche Gebühren zur Folge hat. Dies dürfte auch ein maßgeblicher Grund dafür sein, dass in Deutschland bisher (Stand: Dezember 2006) lediglich die Stadt Düsseldorf sowie der Landkreis Miesbach ein externes Rating der Agenturen Moody`s bzw. S&P aufweisen72. Der Deutsche Städtetag empfiehlt seinen Mitgliedern sogar, von einem externen Rating abzusehen73. Gleichwohl muss man konstatieren, dass die Anwendung eines Ratings, auch unter Rückgriff auf die haushaltsmäßige Performance in der Rechnungslegung der Doppik, zu einer differenzierenden Einschätzung der kommunalen Bonität führen würde. Die damit einhergehende Abschichtung der Refinanzierungskosten könnte zumindest mittelbar zu einer Disziplinierung der kommunalen Finanzpolitik durch die Märkte führen74. Sofern die Gemeinden den internationalen Kapitalmarkt beanspruchen wollen, ist ein Rating sogar Voraussetzung. Abbildung 13: Die Notenskalierung nach S&P und Moody’s Moody’s
S&P
Aaa AAA Aa1 AA+ Aa2 AA Aa3 AAA1 A+ A2 A A3 ABaa1 BBB+ Baa2 BBB Baa3 BBBBa1 BB+ Ba2 BB Ba3 BBB1 B+ B2 B B3 BCaa CCC Ca CC C SD/D Quelle: Moody’s, S&P.
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Bonitätseinstufung
Bewertung
höchste Bonität, geringstes Ausfallrisiko hohe Bonität, kaum höheres Risiko; hohe Zahlungswahrscheinlichkeit
Sehr gut Sehr gut bis gut
überdurchschnittliche Bonität, etwas höheres Risiko; starke Fähigkeit zur Zinszahlung und Tilgung mittlere Bonität, starke Anfälligkeit bei negativen Entwicklungen im Unternehmensumfeld; angemessene Fähigkeit zur Zinszahlung und Tilgung spekulativ; wahrscheinlich in der Lage, Zinszahlung und Tilgung zu leisten, aber bei negativen Entwicklungen gefährdet geringe Bonität, relativ hohes Ausfallrisiko
gut bis befriedigend
geringste Bonität, höchstes Ausfallrisiko In Zahlungsverzug
ungenügend
befriedigend ausreichend mangelhaft
zahlungsunfähig
Vgl. Price Waterhouse Coopers: Basel II und kommunales Rating – Wissen, Erwartungen und Vorbereitungen von Kommunen und Banken, Frankfurt/Main 2006, S. 25. Vgl. Deutscher Städtetag: Externes Rating von Kommunen – Beschluss des Präsidiums des Deutschen Städtetages vom 25.4.2006, 15.12.2007, www.staedtetag.de. Vgl. G. Schwarting: Einige Gedanken zur fiskalischen Disziplin kommunaler Gebietskörperschaften in Deutschland, in: B. Genser (Hrsg.): Haushaltspolitik und öffentliche Verschuldung, Berlin 2005, S. 131–169, S. 150 ff.
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Der Begriff Rating umfasst den systematischen Bewertungsprozess, der ein standardisiertes und objektives Bewertungsverfahren sowie das Bewertungsergebnis darstellt75. Es werden i. d. R. quantitative und qualitative Faktoren als Kriterien verwendet. Dies gilt für das bankinterne Rating, das von den Banken durchgeführt und nicht veröffentlicht wird ebenso wird für das externe Rating, das i. d. R. von speziellen Rating-Agenturen wie Standard & Poor’s oder Moody’s durchgeführt und publiziert wird. Gewichtung und Bewertung der Kriterien – bezogen auf einen vorher definierten Schuldner – führen zum Ratingergebnis, das durch eine Note ausgedrückt wird. Je schlechter die Note, desto höher die Finanzierungskosten der Kommunen. Die Notenskalen der wichtigsten Rating-Agenturen – Standard & Poor’s sowie Moody’s – werden in der folgenden Tabelle dargestellt. Tendenziell sind die internen Skalen der Banken ähnlich ausgerichtet. Die Bewertung der Bonität des Schuldners ist zukunfts- und risikoorientiert76. Im Allgemeinen wird zwischen Emittenten- und Emissionsratings unterschieden. In den Emittentenratings kommt die allgemeine Finanzkraft des Schuldners zum Ausdruck, in den Emissionsratings wird die Bewertung einzelner Emissionen eines Schuldners (z. B. Anleihen) beurteilt. Da in Deutschland von den Kommunen vorerst noch kaum Anleihen am Kapitalmarkt emittiert werden, sondern i. d. R. die Kreditbeziehung zu einer Bank von Bedeutung ist, wird im Folgenden nur das Emittentenrating betrachtet. Die wichtigsten Kriterien für das Rating sind nicht nur quantitativer, sondern auch qualitativer Natur. Die folgende Abb. 14 gibt dazu einen Überblick. Die Basel-II-Regularien sehen vor, dass das Ratingurteil in keinem Fall besser ausfallen kann als die Ratingnote des Zentralstaates77. Hintergrund ist, dass die Zentralregierungen i. d. R. über Machtbefugnisse verfügen, die eine höhere Zahlungsfähigkeit gegenüber den nachgeordneten Gebietskörperschaften wahrscheinlich erscheinen lassen. Als Beispiel sei an dieser Stelle das Recht genannt, gesetzliche Zahlungsmittel zu emittieren. Die quantitativen Kriterien lassen sich grundsätzlich in demografische, wirtschaftliche und haushaltstechnische Indikatoren differenzieren78. In den demografischen Daten kommt die Bedeutung der lokalen Gebietskörperschaft im jeweiligen Staat zum Ausdruck.
(5)
75
76
77
78
Vgl. H. Rehm, M. Tholen: Das neue System der Haushaltsrechnungen im Spiegel des Ratings für kommunale Gebietskörperschaften, in: M. Brüggemeier u. a. (Hrsg.): Controlling und Perfomance Management im Öffentlichen Sektor, Bern 2007, S. 309–320, S. 313. Vgl. C. Esters: Basel II und das Rating von Städten und Gemeinden, in: Finanzwirtschaft, Jg. 2003, Nr. 2, S. 37–42, S. 37 ff. Vgl. Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht: Internationale Konvergenz der Kapitalmessung und Eigenkapitalanforderungen, Juni 2004, Frankfurt am Main, S. 20, abrufbar unter: www.bundesbank.de. Vgl. Standard & Poor’s : Bonitätsratings für Gebietskörperschaften, Frankfurt 2006, S. 2.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
187
Abbildung 14: Die wichtigen kommunalen Ratingkriterien Quantitative Rating-Kriterien –
Einwohnerzahl und -entwicklung
–
Arbeitslosenquote
–
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Vergleich zum Zentralstaat
–
Wachstumsaussichten der Wirtschaft
–
Gesamtverschuldung im Verhältnis zu den Gesamteinnahmen
–
Zinszahlungen in v. H. der Gesamteinnahmen
–
Anteil der Transferzahlungen an den Gesamteinnahmen
–
Allgemeine wirtschaftliche Situation und Entwicklung
–
Finanzierungssaldo im Verhältnis zu den Gesamteinnahmen
Qualitative Rating-Kriterien –
Organisation, Effizienz und Effektivität der Finanzverwaltung
–
Qualität von Haushaltsplanung und Rechnungslegung
–
Schuldenmanagement
–
Steuerkraft-/-potenzial
–
Finanzausgleich
–
Qualität der Infrastruktur sowie der Wirtschaftsstruktur
Ergebnis des Haushalts auf Basis von Doppik-Kennzahlen Quelle: Aus den Veröffentlichungen der Rating-Agenturen S&P, Moody’s. –
In den wirtschaftlichen Kriterien wird der Zusammenhang zwischen Haushaltskraft und wirtschaftlicher Entwicklung abgebildet. Eine Kommune mit dynamischer Wirtschaftsentwicklung, geringer Arbeitslosenquote und/oder vielfältiger Branchenstruktur wird im Allgemeinen ein höheres Einnahmepotenzial bzw. Einsparungspotenzial (z. B. bei Dienstleistungen) aufweisen als eine stagnierende Gebietskörperschaft. Die Gebietskörperschaft kann daher als haushaltstechnisch flexibler angesehen werden als eine Kommune mit entsprechenden stagnierenden Parametern. Dies ist insbesondere in den unterschiedlichen Phasen des Konjunkturzyklus von Bedeutung79.
V.
Die Instrumente der kommunalen Verschuldung
1
Der Überblick
(1)
Der Kommunalkredit stellt als bewährte konventionelle Form zur Fremdfinanzierung die Finanzierungsform mit Schlüsselcharakter dar. Dabei handelt es sich um ein langfristiges Darlehen, das eine Kommune bei einer Sparkasse oder bei einem sonstigen Kreditinstitut aufnimmt. Die Kredit gebenden Banken refinanzieren sich durch Begebung von Kommunalobligationen auf dem Kapitalmarkt bzw. durch Be-
79
Vgl. D. Budäus: Rating von Bund, Ländern und Kommunen: Wie kreditwürdig ist der öffentliche Sektor?, in: H. Hill (Hrsg.): Die Zukunft des öffentlichen Sektors, Baden-Baden 2006, S. 167–220.
188
(2)
(3)
80
Teil F. Die kommunale Verschuldung
gebung anderer kapitalmarktgängiger Titel. Die Voraussetzungen der Kreditaufnahme sind durch Erlasse der Bundesländer geregelt (vgl. Abb. 15). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Muster-Dienstanweisungen des Deutschen Städtetages zu verweisen80. Soweit der Kapitalmarkt durch die Einlagenstruktur der betreffenden Kreditinstitute ausreichende Möglichkeiten einer Refinanzierung unter Ausschluss von Liquiditäts- und Zinsänderungsrisiken bietet, lässt sich die Tilgung eines Kommunalkredits aus der Sicht der Kreditwirtschaft individuell und variabel gestalten. Das annuitätisch getilgte Darlehen ist die vorherrschende Tilgungsform des Kommunalkredits (vgl. Einzelheiten unter 2.). Da der Kommunalkredit ausschließlich als langfristige Finanzierungsform seine Bedeutung besitzt, sei hier auch die kurzfristige Finanzierungsmöglichkeit zur Sicherung der laufenden Liquidität der Kommune erwähnt. Der Kassenkredit dient lediglich zur liquiditätsmäßigen Überbrückung kurzfristiger Zahlungsschwierigkeiten bzw. Einnahmen- und Ausgabenschwankungen in der Gemeindekasse, nicht als mittel- oder langfristiges Finanzierungsmittel. Gleichwohl ist – wie bereits an anderer Stelle erwähnt – (vgl. oben Abschnitt I. dieses Teils) eine zunehmende Ausnutzung dieses Instruments zur längerfristigen Haushaltsfinanzierung zu verzeichnen. Zu beachten hat die Kommune dabei den in der Haushaltssatzung festgelegten Höchstbetrag, der zu keinem Zeitpunkt des Haushaltsjahres überschritten werden darf. Diese Grenze wird von der kommunalen Vertretung mit der Genehmigung der Haushaltssatzung beschlossen. Eine Festsetzung lediglich des Höchstbetrages für ein Haushaltsjahr in der Haushaltssatzung bedeutet, dass die Kassenkreditaufnahme im Haushaltsplan nicht veranschlagt wird. Da Kassenkredite dennoch eine Schuld darstellen, und diese im Laufe des Jahres nur dann mehrfach aufgenommen werden dürfen, wenn sie zwischenzeitlich getilgt worden sind, hat die kommunale Aufsichtsbehörde bei der Genehmigung der Haushaltssatzung auch insofern einer Überschuldung vorzubeugen. Darum ist auch der in der Haushaltssatzung festgelegte Höchstbetrag der Kassenkredite genehmigungspflichtig. Kassenkredite werden in den meisten Fällen als Überziehung des laufenden Kontos in Form eines Kontokorrentkredits in Anspruch genommen. Für eine Gemeinde existiert zudem eine weitere Verschuldungsmöglichkeit in der Form der sog. inneren Verschuldung, die für den Bund und die Länder nicht vorgesehen ist. Einer Gemeinde ist die zeitweilige, quantitativ begrenzte Mittelentnahme aus den eigenen Rücklagenbeständen erlaubt, um die Kreditmarktverschuldung zu ersetzen. Die innere Verschuldung soll hier aber nicht näher betrachtet werden, da die Bedeutung der kommunalen Rücklagenwirtschaft im Laufe der Jahre erheblich zurückgegangen ist und damit auch das Ausmaß der inneren Verschuldung.
Vgl. Deutscher Städtetag (Hrsg.): Muster-Dienstanweisung für die Neuaufnahme von Krediten und die Umschuldung von Krediten, Berlin 2005 und Muster-Dienstanweisung zur Liquiditätssicherung (Kassenkredite), Berlin 2005.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
189
Abbildung 15: Die Vorschriften zur Kreditwirtschaft in den Bundesländern Land
Bestimmungen in der Kommunalverfassung § 87
Spez. Vorschriften zur Kreditwirtschaft ** *
Baden-Württemberg Bayern Brandenburg
Spez. Vorschriften zu kreditähnlichen Rechtsgeschäften** 2003
Art. 71 + 72
1983
2001
§ 85
2003
Hessen
§ 103
*
Mecklenburg-Vorpommern
§ 54
1992
Niedersachsen
§ 92
1993
Nordrhein-Westfalen
§ 85
1989
Rheinland-Pfalz
§ 103
*
Saarland
§ 92
1990
Sachsen
§ 82
2005
2005
Sachsen-Anhalt
§ 100
1992
1993
Schleswig-Holstein
§ 85
2003
Thüringen
§§ 63 + 64
2003
* **
1993
Keine eigenständigen Vorschriften (VV zum jeweiligen § der Gemeindeordnung). Jahr der Veröffentlichung bzw. der letzten größeren Änderung.
Quelle: Bundesverband öffentlicher Banken (Hrsg.): Bankgeschäfte mit Kommunen – Rahmenbedingungen für die Kommunalfinanzierung, Berlin 2006.
2
Die Instrumente im Einzelnen
(1)
Die vorherrschende Form des Kommunalkredits ist das Schuldscheindarlehen. Anders als die Verschuldung des Staates konzentriert sich die Kommunalverschuldung am Kapitalmarkt mithin auf ein Instrument. Hinsichtlich der Bestimmung der Laufzeit und damit der Fristigkeit des Darlehens sind dabei zwei Aspekte zu beachten: der Zeitpunkt der endgültigen Rückzahlung des Darlehens und der Zeitraum der Zinsbindung. Zunächst wird die Laufzeit eines Darlehens durch die Tilgungsvereinbarungen determiniert. Erst mit der endgültigen Tilgung hat der Darlehensvertrag seinen Abschluss gefunden. Hierbei sind drei Arten der Tilgung möglich: 1. 2. 3.
(2)
Festbetragskredit: Tilgung in einer Summe am Ende der vereinbarten Laufzeit Ratenkredit: Tilgung in jährlich gleichen Raten Annuitätenkredit: Tilgung in jährlich steigenden Raten
Beim Festbetragskredit ist die Laufzeit durch den Zeitpunkt der Rückzahlung eindeutig bestimmt. Dabei ist die geforderte Langfristigkeit zu gewährleisten. Bis zum Zeitpunkt der Rückzahlung hat die Kommune eine gleich bleibende jährliche Belastung lediglich in Höhe der Zinszahlungen zu tragen. Um jedoch eine außerordentli-
190
(3)
(4)
Teil F. Die kommunale Verschuldung
che Belastung im Zeitpunkt der Rückzahlung zu vermeiden, muss sie während der Vertragslaufzeit entsprechende Rücklagen ansammeln. Mit der Rücklagenbildung tritt mithin eine der laufenden Tilgung vergleichbare haushaltswirtschaftliche Belastung ein. Da allerdings die Rücklagenmittel verzinslich angelegt werden können, erhält die Gemeinde während der Kreditlaufzeit Zinseinnahmen, welche die Gesamtbelastung für den Haushalt mindern. Die Belastung ist daher degressiv, sie ist zu Beginn der Laufzeit hoch, am Ende vergleichsweise niedrig. Die endgültige Tilgung am Ende des letzten Jahres stellt keine gesonderte Belastung mehr da, da lediglich die bis dahin angesammelte Rücklage aufgelöst wird. Eine besondere Form des Festbetragskredits ist der Zero-Kredit, bei dem auch die aufgelaufenen Zinsen erst am Ende der Laufzeit fällig werden. Die Rücklagenzuführung muss dementsprechend höher ausfallen. Die Degressionswirkung ist entsprechend ausgeprägter. Die Laufzeit eines Ratenkredits ist vom vereinbarten Tilgungssatz abhängig. Bei der geforderten Langfristigkeit des Rechtsgeschäfts dürfte der Tilgungssatz mithin 10% p. a. nicht überschreiten, damit wäre eine Laufzeit von 10 Jahren gewährleistet. Bei niedrigerem Tilgungssatz steigt die Laufzeit, bei 5% beträgt sie 20 Jahre. Wie beim Festbetragskredit ist die Rückzahlung eindeutig festgelegt. Da laufend getilgt wird, sinkt das zu verzinsende Restkapital, so dass die Annuität, d. h. die Summe aus Zins und Tilgung, sich im Zeitablauf gleichfalls reduziert. Im Gegensatz zum Festbetragskredit stellt beim Ratenkredit die Annuität bereits die jährliche Haushaltsbelastung dar. Die haushaltswirtschaftliche Belastung ähnelt allerdings dem Festbetragskredit. Unterschiede ergeben sich vor allem aus der Differenz zwischen zu zahlendem Zins und auf die angesparten Rücklagenmittel zu erwartendem Zins. Da diese Differenz in aller Regel positiv ist, kann der Festbetragskredit nur dann haushaltswirtschaftlich vorteilhaft sein, wenn das Zinsniveau im Zeitpunkt der Kreditaufnahme vergleichsweise niedrig ist und während der Kreditlaufzeit ansteigt. Da eine derartige Prognose in der Praxis kaum möglich ist, spielt der Festbetragskredit im Kommunalkreditgeschäft nur eine untergeordnete Rolle. Wann ein Annuitätendarlehen getilgt ist, hängt vom Tilgungs- und vom Zinssatz ab. Das Annuitätendarlehen zeichnet sich dadurch aus, dass der jährlich zu leistende Schuldendienst, d. h. Zins und Tilgung, bis zur endgültigen Rückzahlung, mit Ausnahme der letzten Rate, die eine Art Restzahlung darstellt, gleich bleibt. Wie beim Ratenkredit entspricht auch hier die Annuität der Haushaltsbelastung. Mit fortschreitender Tilgung sinkt das zu verzinsende Restkapital und damit der Zinsanteil, die ersparten Zinsen werden im Tilgungsbetrag zugeschlagen. Die Tilgungssumme wächst mithin – im Gegensatz zum Ratenkredit – jährlich an. Wie schnell sie zunimmt, hängt von der Höhe des Zinssatzes ab: Je höher der Zinssatz, desto rascher wird getilgt. Ein Annuitätendarlehen mit dem im kommunalen Kreditgeschäft üblichen Tilgungssatz von 1% ist bei einem Zinssatz von 7% in gut 30 Jahren, bei einem Zinssatz von 9% hingegen bereits in knapp 27 Jahren zurückgezahlt. Welche der genannten Formen gewählt wird, ist abhängig von der gewünschten Verteilung von Zins- und Tilgungsleistungen im Zeitablauf. Bei einem Annuitätendarlehen wird ebenso wie beim Ratenkredit der Verwaltungshaushalt durch sinkende Zinsausgaben kontinuierlich entlastet. Dieser Effekt wird beim Festbetragskredit durch die steigenden Guthabenzinsen erzielt. Allerdings erfordert das Annuitäten-
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(5)
81
82
191
darlehen steigende Zuführungen aus dem Verwaltungs- an den Vermögenshaushalt in Höhe der jeweiligen Tilgungsbeträge (Pflichtzuführung). Dieser Betrag ist beim Ratenkredit während der gesamten Laufzeit unverändert, so dass die Belastung des Verwaltungshaushaltes schrittweise reduziert wird. Demgegenüber ist beim Annuitätendarlehen eine – mit Ausnahme der letzten Raten – konstante Belastung des Verwaltungshaushaltes gegeben. Allerdings ist die Annuität gegenüber dem Ratenkredit zunächst geringer; auf die Laufzeit insgesamt betrachtet wird dieser Anfangsvorteil jedoch wieder ausgeglichen. Der Vorzug des Annuitätendarlehens wird daher eher darin gesehen, dass es eine konstante Vorgabe für die Haushaltswirtschaft der künftigen Jahre darstellt. Hinsichtlich der Refinanzierungsbedingungen der Kreditinstitute erweist sich allerdings die Festbetragsvereinbarung als günstiger; dabei kann das kommunale Zinsrisiko bei der Anlage der für die Rückzahlung anzusammelnden Rücklagen ggf. durch Zinssicherungsinstrumente (vgl. unten unter VII.) verringert werden. Tatsächlich endet die Laufzeit eines Schuldscheindarlehens jedoch bereits früher. Mit dem Ende der Zinsbindungsfrist kann der Darlehensvertrag im Regelfall beendet werden. Im Wege der Umschuldung oder Prolongation wird dann ein neues Kreditgeschäft begründet. Insoweit ist es nur folgerichtig, die Laufzeit eines Kredits auch über die Zinsbindungsfrist zu bestimmen. Als Instrument der langfristigen Kapitalaufnahme stehen die Schuldschein-Darlehen im Wettbewerb mit Anleihen81. Aus Sicht der Gemeinde haben SchuldscheinDarlehen den Vorteil, dass sie eine laufende, bedarfsgerechte und zeitlich flexible Kreditaufnahme ermöglichen. Sie sind lautloser und schneller durchzuführen und sind mit weniger Formalitäten belastet, als die Emission von Anleihen. Außerdem kann in den bilateralen Verhandlungen die Bereitschaft der Kapitalgeber zu Zinsund Laufzeitzugeständnissen ausgelotet werden, was wegen bestehender Informationsasymmetrien und – situationsbezogen – einer gewissen Marktmacht der Gemeinden zu einer Differenzierung bei den Konditionen der einzelnen Kapitalgeber führen kann82. Schließlich sind alle am Kapitalmarkt möglichen Ausstattungen von Anleihen hinsichtlich der Zins- und Tilgungszahlungen auch mit Schuldscheindarlehen darstellbar. Ein renditeorientierter Aufwandsvergleich zeigt allerdings, dass die kommunale Refinanzierung über die Begebung von Anleihen sich nur bei relativ großen Beträgen rechnet. Denn mit einer Emission sind diverse Nebenkosten verbunden, die zum Teil in die Festlegung des Emissionskurses und des Coupons eingerechnet werden. Dies sind u. a. Kommissionen (Verkaufsvergütung) sowie Management- und anderweitige Provisionen (Einführungsprovisionen, Zahlstellen- und Treuhandprovisionen) sowie der Ersatz für entstandene Kosten seitens des Konsortiums (z. B. für die Erstellung des Prospektes der Vertragsdokumentation, Druck der Anleiheurkunden etc.). Neben der Kostenseite ist ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen dem Schuldschein-Darlehen und der Anleihe die Marktfähigkeit. Schuldscheine sind weder börsen- noch EZB-fähig, sie können lediglich nach Abtretung durch Zessionen Vgl. H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld – Befund, Probleme, Perspektiven, Stuttgart 2005, S. 257 f. Vgl. Deutsche Bundesbank: Die Beziehung zwischen Bankkrediten und Anleihemarkt, in: Monatsbericht Januar 2000, Frankfurt am Main, S. 33–48, S. 37 f.
192
(6)
(7)
83
Teil F. Die kommunale Verschuldung
gehandelt werden, wobei drei Abtretungen möglich sind. Der Handel vollzieht sich im Gegensatz zu börsennotierten staatlichen Wertpapieren nicht auf einem organisierten, sondern auf einem informellen Markt unter einer kleinen überschaubaren Gruppe von Kreditinstituten und Versicherungen, die im Wesentlichen mit dem Teilnehmerkreis im Primärmarkt identisch ist. Dies führt zu einer gewissen Illiquidität des Schuldscheins, vor allem dann, wenn die dritte und letzte Abtretung erfolgt ist. Hier weisen schon kleinvolumige Anleihen eine vergleichsweise größere Liquidität auf. Eine Verbreitung der Investorenbasis wird daher mit einer Neugewichtung zwischen Schuldschein- und Anleihefinanzierung einhergehen. Aus Sicht der Gläubiger sprach in der Vergangenheit die wichtige Eigenschaft der Deckungsstockfähigkeit für das Schuldscheindarlehen. Im „Dritten Finanzmarktförderungsgesetz“ von 1998 war aber der Darlehensbegriff auch auf Anleihen öffentlicher Emittenten erweitert. Dadurch können nun z. B. Pfandbriefemittenten solche Anleihen als ordentliche Deckung in den Deckungsstock einstellen, da Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand als Ersatzdeckung für Pfandbriefemissionen seitdem zugelassen sind. Bislang waren die Schuldscheine insbesondere von den Hypothekenbanken und den Landesbanken aufgenommen und als Deckung für die Ausgabe von Pfandbriefen verwandt worden. Sie waren also in gewisser Hinsicht von den Aktivgeschäften dieser Bankengruppen abhängig, mithin eher nachfragegeprägt. Während Schuldverschreibungen bis 1998 nur bis maximal 10% zur Ersatzdeckung herangezogen werden können, ist seitdem das Kommunalkreditgeschäft für Inhaberschuldverschreibungen und zwar aller Emittenten im europäischen Währungsraum geöffnet. Damit kann die Deckungsmasse eines öffentlichen Pfandbriefs zu 100% aus marktfähigen öffentlichen Papieren bestehen83. Dazu kommt, dass seit April 2000 die Hypothekenbanken unter bestimmten Voraussetzungen zum Führen eines Handelsbuches und damit zu zusätzlicher Eigenkapitalunterlegung ihrer Geschäfte verpflichtet sind. Auch dies hat aus Sicht der Gläubiger Konsequenzen für die Konditionengestaltung des Schuldscheingeschäftes. Im Ergebnis sind außer dem nicht vorhandenen Abschreibungsbedarf für Schuldscheine (im Gegensatz zu Anleihen) aus Gläubigersicht heute keine eindeutigen Wettbewerbsvorteile des öffentlichen Schuldscheindarlehens gegenüber Anleihen zu erkennen. Im Übrigen ist nicht auszuschließen, dass die bisherige Dominanz der Finanzierung über Kreditinstitute, ausgelöst durch Marktunvollkommenheiten infolge der erwähnten institutionell bedingten Transaktionskosten und Informationsasymmetrien durch die modernen Informations- und Kommunikationsmedien, zurückgehen wird. Inwieweit diese Faktoren tatsächlich künftig die Wahl zwischen diesen beiden möglichen Finanzierungsalternativen prägen, ist schwer prognostizierbar. Denn bei der Finanzierungsentscheidung können für die Kommunen neben der reinen Markt- und Kostenbetrachtung auch andere Faktoren von Bedeutung sein. Insbesondere können die mit einer Anleihe verbundenen Public-Relations-Effekte besonderes Gewicht haben. So lenkt z. B. die mit einer Anleihebegebung verbundene Publizität die Aufmerksamkeit der interessierten Öffentlichkeit auf den Emittenten. Mit den Veröffentlichungen, insbesondere mit dem Angebotsmemorandum, lässt sich für die kommunale Adresse eine Darstellung ihres Wirtschaftsstandortes sowie ihrer weiteVgl. H. Schäfer, M. Hochstein: Zur Konkurrenzfähigkeit des Pfandbriefes. Neue theoretische und empirische Erkenntnisse, in: Kredit und Kapital, Jg. 1999, H. 4, S. 547–578, S. 554.
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(8)
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84
193
ren Investitionsplanung und -entwicklung verbinden. Das Interesse potentieller Investoren kann u. U. auf diese Weise geweckt werden. Über eine Anleihe können auch gezielt lokale und regionale Privatanleger für eine direkte Haushaltsfinanzierung und damit für eine stärkere Identifizierung mit den kommunalen Belangen eingeworben werden. Ist das langfristige Finanzimage bzw. das Standing der Kommune das wesentliche Motiv für den Rückgriff auf den Refinanzierungsweg der Anleihe, so kommt der Pflege des Börsenkurses während der Laufzeit der Anleihe erhöhte Bedeutung zu. Dabei kommt es darauf an, dass der Kurs auf dem Niveau vergleichbarer Titel gehalten wird, damit nicht durch zufällige einseitige Kauf- oder Verkaufslagen die Marktrendite zu Lasten des Emittenten beeinflusst wird. Es bleibt abzuwarten, ob und inwieweit die Internationalisierung des Kommunalkredits im EURO-Währungsraum auch deutsche Kommunen veranlassen wird, stärker auf das Instrument der Anleihe zurückzugreifen, um das Refinanzierungspotenzial des europäischen Kapitalmarkts zu nutzen. Als Ergänzung zu Schuldscheinen und Anleihen sind im langfristigen Bereich auch die subventionierten Verschuldungsmöglichkeiten bei öffentlichen Kapitalgebern, zweckgebundene Mittel der öffentlichen Hand oder auch der „Kreditanstalt für Wiederaufbau“ erhältlich. Der kommunale Debt Manager muss solche Angebote identifizieren und die Beantragung für die Gemeinde veranlassen, um die vergünstigten Konditionen für die Kommune zu sichern. Da die Kreditvergabe i. d. R. zweckgebunden ist, kommen solche nicht marktmäßigen Angebote aber nur in Frage, wenn die Gemeinde die vom Kapitalgeber für die einzelnen Darlehen festgelegten Voraussetzungen erfüllt. Zinssubventionierte Darlehen der öffentlichen Hand können daher nur als Beimischung zum gesamten kommunalen Portfolio dienen. Im Übrigen setzt die zunehmend restriktive Handhabung der Europäischen Kommission dem Einsatz solcher Finanzierungshilfen mittlerweile enge Grenzen. Eine weitere Möglichkeit der langfristigen kommunalen Finanzierung sind Bausparverträge84. Die Genehmigung erfolgt üblicherweise im Rahmen der Zustimmung zu dem im Haushaltsplan veranschlagten Gesamtkreditbetrag. Die Einzahlungen in den Bausparvertrag dürfen nur aus freier Liquidität und aus nicht gebundenen Rücklagemitteln getätigt werden. Die Finanzierung durch Kreditaufnahme oder durch Unterschreiten der Untergrenze der allgemeinen Rücklage ist nicht zulässig. Der Bausparvertrag bietet den Kämmerern einen Weg, Bodensatzmittel und Reserven durch Umwidmung in Bausparguthaben gegenüber ausgabefreudigen Politikern zu sichern. Kritisch wird dagegen die Wirtschaftlichkeit eines Bausparvertrages betrachtet. Dem Vorteil des gesicherten, meist unter Marktkonditionen liegenden Darlehenszinses steht der Nachteil der meist ebenfalls unter den Marktkonditionen liegenden Guthabenzinsen während der Ansparphase des Bausparvertrages gegenüber. Die Verzinsung des Bausparkredits ist infolge des niedrigen Guthabenzinses in der Ansparphase vergleichsweise gering und über die Laufzeit konstant. Allerdings ist die Laufzeit z. B. im Vergleich zum Schuldschein-Darlehen erheblich kürzer. Der Tilgungssatz beträgt oft 4,5% bis 5%. Die während dieses Zeitraums für den Haushalt
Vgl. E. Ruff: Abschluss von Bausparverträgen durch Kommunen, in: Sparkasse, Jg. 1995, H. 1, S. 40–46, S. 40 ff.
194
Teil F. Die kommunale Verschuldung
der Kommune maßgebliche Annuität ist deshalb deutlich höher als der Nominalzins des Bausparkredits erwarten lässt. Die für private Haushalte in Form der Bausparprämie und der Arbeitnehmersparzulage gewährte renditeerhöhende Subventionierung des Bausparens durch den Staat ist für die öffentlich-rechtlichen Körperschaften ohne Bedeutung. Da der Zuteilungszeitpunkt und der dann geltende Marktzins nicht im Voraus bekannt sind, ist ein Wirtschaftlichkeitsvergleich mit alternativen Finanzierungsmöglichkeiten erst zum Zeitpunkt der Zuteilung möglich. Insgesamt spielen Bausparverträge zur Refinanzierung des Kommunalhaushalts eine eher untergeordnete Rolle.
VI.
Das kommunale Debt Management85
1
Ziele und Konzepte
1.1
Die Determinanten der Ziele
(1)
Als Dauerschuldner stehen die Kommunen nicht nur vor der Aufgabe, die Neuverschuldung fühlbar zu reduzieren, sie müssen auch ständig die Herausforderung bewältigen, den aufgebauten Bestand an Schulden zu bewirtschaften. Beides – die Rückführung der Neuverschuldung und die Bewirtschaftung des Schuldenstandes – stellen den Kämmerer immer wieder vor die Frage nach dem Zeitpunkt der Kreditaufnahme, nach der Laufzeit und nach der Verzinsungsform. Diese Fragen sind nur im Rahmen eines Verschuldungskonzeptes zu beantworten, über das jeder rational handelnde Dauerschuldner verfügen sollte. Nur ein solches Konzept ermöglicht die jeweils gegebenen Marktverhältnisse auf die individuelle Position zu beziehen und daraus dann den notwendigen Handlungsbedarf abzuleiten. Ein solches Konzept bedarf einer Zielsetzung. Die Zielsetzung des kommunalen Zinsmanagements ist zunächst die Gewährleistung der Liquidität. Dies beinhaltet die traditionelle Deckungsfunktion im Rahmen des Haushalts. Sie ist in den Ermächtigungen entsprechend veranschlagt.
(2)
85
Vgl. I. Deubel: Praxis des kommunalen Debt Managements, in: Sparkasse, Jg. 1992, H. 3, S. 122–126, S. 122 ff.; R. Pampel: Finanzinnovationen im Debt Management, Wiesbaden 1993; H. Jünger, J. Walter: Kommunales Finanzmanagement: Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes kreditwirtschaftlicher Instrumente im kommunalen Bereich, Köln 1997; N. Hornung: Kommunales Schuldenmanagement, in: Der Gemeinderat, Jg. 1999, H. 1-4; G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001; J.-P. Ritscher: Der Einsatz von Finanzderivaten unter einer modernisierten Schuldenstrukturpolitik des Bundes, Frankfurt/Main u. a. 2002; W. Müller, D. Fey, J. Nagel (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Teil I, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, Jg. 2004, H. 5, S. 116–128, Teil II, ebenda, H. 6, S. 143–151, Teil III, ebenda, S. 173–179, S. 116 ff.; N. Hornung: Kreditportfoliomanagement in kommunalen Haushalten – eine permanente Chance, in: Kommunalwirtschaft, Jg. 1997, H. 1, S. 27–36, S. 30 ff.; H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld – Befund, Probleme, Perspektiven, Stuttgart 2005; K. Birkholz: Kommunales Debt Management in Deutschland – eine empirische Analyse, Arbeitsheft 12 des kommunalwissenschaftlichen Instituts an der Universität Potsdam, Potsdam 2006; K. Birkholz: Zielsetzungen und Rahmenbedingungen eines kommunalen Debt Managements, in: R. Schauer, D. Budäus, C. Reichard (Hrsg.): Public und Nonprofit Management, Arbeitsberichte und Forschungsergebnisse aus Deutschland und Österreich, Potsdam 2007, S. 47–82; Deutscher Städtetag (Hrsg.): Kommunales Schuldenmanagement – Auf dem Weg zu mehr Effizienz, Stuttgart 2007.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
195
Für die Gewährleistung der Liquidität und damit der Zahlungsfähigkeit der Kommune ist eine Liquiditätsplanung notwendig, die auch in den Gemeindeordnungen durchgängig haushaltsrechtlich vorgegeben ist. Gleichwohl bestehen hier Risiken der Prognose, da eine sichere Einschätzung der Zahlungsein- und -ausgänge nicht möglich ist. Diese Unwägbarkeit überträgt sich auch auf die Frage nach dem „richtigen“ Zeitpunkt der Liquiditätsbeschaffung, der vor, bei und nach dem Liquiditätsbedarf liegen kann. Der Liquiditätsbedarf bestimmt auch die Kapitalbindung. Die Gestaltung der Kapitalbindungsstruktur erfolgt durch Festlegung der Laufzeit und der Tilgungsform. Er muss sich dabei in erster Linie an der Schuldendienstplanung orientieren. Die Forderung nach einer langfristigen Kapitalbindung ist daher dann zu hinterfragen, wenn die Tilgungstermine der bestehenden Schuld und die Liquiditätslage der Gemeinde es sinnvoll erscheinen lassen, kurz- oder mittelfristige Laufzeiten vorzuziehen. Gängige Tilgungsformen sind die o. g. Annuitäten- und Ratentilgung sowie die endfällige Tilgung. Dabei haben die Gemeinden wegen der Regelmäßigkeit des Schuldendienstes und der daraus resultierenden Planungssicherheit eine Präferenz für Annuitätendarlehen. Für das einzelne Darlehen ist die Kapitalbindung während der Laufzeit, außer durch die teilweise oder vollständige außerplanmäßige Rückzahlung, nicht zu verändern. Ist eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit nicht vorgesehen, so ist aber eine Vorfälligkeitsentschädigung zu entrichten. Um sich flexiblere Eingriffe in die Fälligkeitsstruktur vorzubehalten, sollte der Debt Manager bei Neuverschuldungen neben der üblichen Tilgungsvereinbarung regelmäßig die Möglichkeit der vorzeitigen Kündigung vorsehen. Von der Kapitalbindung zu trennen ist die Frage nach der Zinsbindung. Hier stehen bislang 10 bis 15jährige Zinsbindungsfristen im Vordergrund, obwohl die Vergangenheit zeigt, dass das Risiko einer 15jährigen Zinsbindung deutlich über dem einer variablen Finanzierung auf Basis des 6-Monats-Libor liegt. Neben der festen und der variablen Finanzierung gibt es noch weitere Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Zinsmodalitäten. Dazu gehören z. B. die Reverse-Floater, bei denen die Zinszahlung im inversen Zusammenhang zum Marktzins steht, oder auch die Gleit- oder Staffelzinsanleihen genannten Kombizinsanleihen, bei denen die jährlichen Zinszahlungen nicht über die Laufzeit konstant, sondern i. d. R. am Anfang deutlich unter und am Ende deutlich über dem aktuellen Marktzins liegen. Die Steuerung der Zinsausgaben und der damit verbundenen Risiken stellt darüber hinaus aus wirtschaftlicher Sicht die eigentliche Herausforderung dar: Es geht um die Optimierung der im Haushalt veranschlagten Zinsausgaben über einen mittel- bis langfristigen Horizont. Diese Optimierung selbst beinhaltet wiederum die zwei am Kapitalmarkt für die Finanzierung klassischen (und konfliktären) Teilziele: (3)
Die Reduzierung der Zinsausgaben (Ergebnisverbesserung) und die Reduzierung der Risiken.
Aus der Sicht des Zinsmanagements besteht dabei folgender Zusammenhang: In der Regel können (ex ante) geringere Zinsausgaben nur unter Inkaufnahme höherer
196
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Zinsänderungsrisiken erzielt werden. Im (nahezu) arbitragefreien Kapitalmarkt gibt es keine risikolosen Zusatzerträge. Jede Entscheidung durch Festlegung der Zinsbindungsdauer ist immer auch eine Entscheidung über ein bestimmtes Risikoprofil, z. B. in Form einer variablen Verzinsung bzw. der früheren oder späteren Anschlussfinanzierung mit entsprechenden Folgekosten bei Fälligkeit. Die Aussage über Ergebnisse und Risiken sind deshalb untrennbar mit einander verbunden. Sie sind zwei Seiten einer Medaille. In der Kapitalmarkttheorie wird dieser Zusammenhang auf die Teilziele Rendite und Risiko (Volatilität) reduziert. Die Praxis des Zinsmanagements betrachtet die beiden Teilziele nicht gleichwertig, sondern sieht die Zinsausgaben (Ergebnisse) als Zielgröße und die Risiken als Nebenbedingungen, die in Form eines Limits vorgegeben wird. Aufgrund der Rolle als Dauerschuldner bedeutet dies für die öffentliche Hand, dass die Optimierungszielsetzung sich zwangsläufig auf einen mittel- bis langfristigen Horizont beziehen muss. Dies unterscheidet die öffentlichen Kreditnehmer fundamental vom Bereich der Finanzintermediäre, vor allen von den Kreditinstituten, die aufgrund der Handelsgeschäfte einen wesentlich kürzeren Planungshorizont haben und im Übrigen nicht auf die Zinsausgaben hinsteuern, sondern sich an den Barwerten des Zinsaufwands orientieren. 1.2
Die Optimierung der Zinsausgaben
(1)
Bei der Entwicklung eines Konzeptes für das kommunale Debt Management gibt es keine allgemein gültigen Maßstäbe86. Jede Gemeinde muss für sich bestimmen, wie sich die Zinsausgaben entwickeln sollen bzw. dürfen. Ein solches Konzept kann sich an verschiedenen Vorgaben orientieren:
86
Es kann auf einen Quotienten als Kennziffer für die Entwicklung der Zinsausgaben, sei es in der Form der Zinssteuerquote, sei es in der Form der Zinsausgabenquote, abgestellt werden. Statt der Vorgabe von Quoten können für künftige Haushalte bzw. Finanzplanungsperioden auch absolute Vorgaben für die Höhe der Zinsausgaben festgelegt werden. Dabei muss man von der Höhe der gegebenen Schulden ausgehen und zunächst die bestehenden Zinsbindungen quantifizieren und für die neuen Schulden und künftigen Umschuldungen Annahmen hinsichtlich der vermuteten Zinsentwicklungen fixieren. Daraus können dann mit der Haushaltsentwicklung vertretbare absolute Vorgaben für die Entwicklung der Zinsausgaben abgeleitet und darauf aufbauend für jede Haushaltsperiode als Planungsvorgabe eine absolute Obergrenze für die Zinsausgaben festgelegt werden. Ein weiterer Konzeptbaustein zielt auf die Festlegung einer Relation von festverzinslich zu variabel verzinslichen Schuldtiteln. In einer solchen Relation kommt die Bereitschaft der Kommune zum Ausdruck, das Risiko einer variablen Verzinsung einzugehen. Die Chance besteht dann spiegelbildlich darin, an den i. d. R. niedrigeren variablen Sätzen partizipieren zu können.
Vgl. W.-A. Prautzsch, J. Walter: Schuldenmanagement für Kommunen, in: Verlagsbeilage der FAZ „Kommunale Dienstleistungen“, 31.8.1998, S. B1; G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001, S. 44 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(2)
197
Schließlich sollte jedes Konzept ein bewertendes Element bzw. eine Kennziffer für Optimalität enthalten. Dies kann z. B. der durchschnittliche Zinssatz der Gesamtschulden der Kommune im Vergleich zu dem für den im Referenzzeitraum von der Bundesbank ermittelten Satz der Umlaufrendite für Bankschuldverschreibungen sein. Die stetige Messung an den tatsächlichen Marktverhältnissen führt dann zu einer laufenden Evaluierung des Konzepts.
Die Entwicklung eines Optimierungsmodells für das kommunale Debt Management sollte in enger Abstimmung mit der kommunalen Verwaltung erfolgen und folgende Schritte umfassen:
Bewertung der Ist-Situation und Liquiditätsentwicklung des kommunalen Haushalts, Erfassung und Darstellung des bestehenden Kreditportfolios, Erörterung und Festlegung zukünftiger Zinsszenarien und Analyse des kommunalen Schuldenbestandes vor dem Hintergrund der Zinsmeinung.
Ausgehend von diesem Grundlagenmuster können strategische Handlungsoptionen zur Zielerreichung entwickelt werden, die allerdings ihrerseits die Bildung einer Zinsmeinung voraussetzt. Diese begründet sich auf einer Betrachtung der historischen Zinsentwicklung. Sie sollte die Zinsprognosen von mehreren Kreditinstituten heranziehen sowie die erkennbaren Einflussfaktoren am Kapitalmarkt berücksichtigen. Die instrumentalen Ansatzpunkte sind: (3)
Reduzierung/Optimierung des Tilgungsaufwandes, Reduzierung/Optimierung des Zinsaufwandes, Begrenzung von Zinsänderungsrisiken in der Zukunft und mehr Flexibilität bei der Gestaltung von Kreditmodalitäten.
Üblicherweise ist die Umschuldung von Darlehen der klassische und von Kommunen laufend praktizierte Handlungsrahmen, um ihre Kreditverbindlichkeiten auf diese Ziele hinzusteuern. Für Darlehen, deren Zinsanpassung planmäßig ausläuft bzw. eine Kündigung während der Zinslaufzeit ohne Einhaltung besonderer Fristen möglich ist, gestaltet sich eine Neufestsetzung sämtlicher Kreditbewilligungen unproblematisch. Da die Vertragsbindung an den bisherigen Kreditgeber nicht mehr gegeben ist, erfolgt i. d. R. eine neue Kreditausschreibung. Soll eine Umwandlung der Kreditkondition noch während der vertraglich vereinbarten Laufzeit erfolgen, berechnet die Gläubigerbank für die vorzeitige Rücknahme der Refinanzierungsmittel u. U. einen Wiederanlageverlust. Diese Kosten werden i. d. R. in den neuen Zinssatz eingerechnet. Grundsätzlich sind bei dieser Situation zwei Handlungsalternativen zu unterscheiden: Erstens: Die Kommune erwartet gestiegene Zinsen zum regulären Zinsanpassungstermin und möchte ein Zinsänderungsrisiko ausschließen. Sie vereinbart daher
198
Teil F. Die kommunale Verschuldung
bereits jetzt einen neuen Zinssatz, beispielsweise für 10 Jahre mit Wirkung ab Zinsanpassungstermin (Forward-Darlehen). Zweitens: Die Kommune möchte das aktuell niedrige Zinsniveau nutzen, um den Zinsaufwand für ein Altdarlehen zu reduzieren. Sie vereinbart daher einen neuen Zinssatz für beispielsweise 10 Jahre, der sofort wirksam wird. Die dafür anfallende Vorfälligkeitsentschädigung kann in den neuen Zinssatz eingerechnet werden. Sowohl bei Neuaufnahmen als auch bei anstehenden Zinsanpassungen werden verstärkt Darlehen auf variabler Zinsbasis aufgenommen. Der Zinssatz setzt sich aus einem Referenzzinssatz (vgl. dazu unten unter 1.5.) und einem vertraglich fixierten Aufschlag zusammen. Obwohl der Zinssatz sich in jeder Periode ändert, handelt es sich nicht um eine Zinsanpassung im originären Sinn. Da eine feste Vereinbarung über einen längeren Zeitraum geschlossen ist, muss das Darlehen zu den Roll-over-Terminen nicht erneut ausgeschrieben werden. Trotzdem gibt es durch ein Kündigungsrecht zu jedem dieser Termine die Möglichkeit, das Darlehen umzugestalten oder zurückzuzahlen (Roll-over-Darlehen). 1.3
Die Reduzierung der Risiken
(1)
Diese wenigen Hinweise haben verdeutlicht, dass die laufende Umschuldung der ausstehenden kommunalen Kreditverbindlichkeiten ein relativ schwerfälliges und für die Kommune auch teures Verfahren ist87. Diese Nachteile bei der Steuerung der Zinsausgaben können durch den Einsatz von derivativen Finanzierungsinstrumenten deutlich eingeschränkt werden (vgl. dazu unten unter 2.). Voraussetzung ist allerdings, dass die Risiken beim Einsatz dieser Instrumente beherrscht und gesteuert werden können. Insofern ist die Risikosteuerung – neben der Steuerung der eigentlichen Zinsausgaben – die zweite Säule eines Konzeptes für kommunales Debt Management. Hier sollen diese Risiken zunächst skizziert werden, an anderer Stelle (unter 4.) wird erläutert werden, mit welchen methodischen und organisatorischen diese gesteuert werden können. Die für die Praxis des kommunalen Zinsmanagements wesentlichen Risikokategorien sind das Marktrisiko, das Kreditrisiko (Bonitätsrisiko) und das operationelle Risiko. Dabei ist die für die Ergebnis-Risiko-Steuerung zentrale Risikokategorie das Marktrisiko oder – bezogen auf die Zinskonditionen – das Zinsänderungsrisiko. Unter diesen wird die Gefahr einer negativen Wertentwicklung von Einzelpositionen oder des Portfolios aufgrund von Marktzinsänderungen verstanden. Die zentrale Voraussetzung für die Steuerung und Begrenzung des Zinsänderungsrisikos ist die zieladäquate Messung der negativen Wertentwicklung unter Einbeziehung mögli-
87
Vgl. U. Bähr: Risikomanagement für Kommunen und öffentliche Unternehmen, in: E. Meurer, G. Stefan (Hrsg.): Rechnungswesen und Controlling in der öffentlichen Verwaltung, Loseblattsammlung, München 1999, S. 1–22, S. 1 ff.; T. Fischer: Debt Management, in: Obst/Hintner (Hrsg.): Geld-, Bank- und Börsenwesen (bearb. von J. H. v. Stein, J.v. Hagen), Stuttgart 2000, S. 1027–1031, S. 1027 ff.; P.-A. Kocher: Das öffentliche Schuldenmanagement – Controllingaudit des Landesrechnungshofes Vorarlberg, Bregenz 2005; M. Brüggemeier, R. Schauer, K. Schedler (Hrsg.): Controlling und Performance Management im öffentlichen Sektor, Festschrift für D. Budäus, Bern-Stuttgart-Wien 2007, S. 185–191, S. 185 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
199
cher Marktzinsänderungen mit Hilfe von geeigneten Verfahren. Dabei stellen sich folgende wesentliche Aufgaben:
(2)
die Definition der Steuerungsgrößen, insbesondere für die Ergebnisse und Risiken, die Gestaltung der Ergebnis-Risiko-Steuerung, d. h. die Planungssteuerung und Kontrolle des Zielkonflikts im Vergleich zu einem Maßstab (Benchmark) und die Limitierung der Risiken.
Die beiden anderen Risiken, das Bonitätsrisiko und das operationelle Risiko, sind gegenüber der Bedeutung des Zins-(änderungs-)risikos vergleichsweise nachgeordnet. Das Bonitätsrisiko bezieht sich auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des jeweiligen Partners der Kommune. Das operationelle Risiko betrifft die Verfahrensabläufe bei der Vorbereitung, Durchführung und Dokumentation der jeweiligen Geschäfte. Das Zinsrisiko besteht darin, dass aufgrund von Änderungen des Zinsniveaus oder der Zinsstruktur sich
der Wert des Kreditportfolios verändert (Barwertrisiko) oder die Zinszahlungen in einem zukünftigen Haushaltsjahr anders ausfallen als erwartet (Cash Flow-Risiko)88.
Der Barwert eines Festzinskredites nimmt bei einer Zinssenkung ab, soweit der Kredit auf einen Zinssatz und einen Auszahlungsstrom festgelegt ist und nicht von Zinssenkungen profitieren kann. Umgekehrt nimmt das Barwertrisiko eines Kredits zu, wenn Festzinsbindungen verlängert oder variable Kredite in Festzinskredite umgewandelt werden. Das Barwertrisiko eines Kredits ist dann am geringsten, wenn es ausschließlich aus variabel verzinslichen Krediten besteht. Umso höher ist dann das Cash Flow-Risiko. Unter dem Cash Flow-Risiko versteht man das Risiko schwankender Zinszahlungen. Im Kern geht es um die Frage, inwieweit sich ceteris paribus die laufenden Zinszahlungen der Kommune durch Marktzinsänderungen verändern. Dem CashFlow-Risiko sind alle Verbindlichkeiten ausgesetzt, deren Zinsbindung kürzer ist als die Gesamtlaufzeit, also insbesondere variabel verzinsliche Kredite. Aber auch Festzinskredite unterliegen dem Cash-Flow-Risiko, wenn die Zinsbindung kürzer ist als die Gesamtlaufzeit. Das Barwertrisiko wird auch als Festzinsrisiko, das Cash Flow-Risiko auch als variables Zinsänderungsrisiko bezeichnet89. Zusammenfassend ist festzustellen: Variabel verzinsliche Positionen enthalten kein Barwert-Risiko, aber ein Cash Flow-Risiko; festverzinsliche Positionen ein Barwert- aber (bis zu einer eventuellen Prolongation) kein Cash Flow-Risiko. Das 88
89
Vgl. H.-J. Tebroke: Zum Verschuldungsrisiko und Zinsmanagement im kommunalen Bereich, in: M. Brüggemeier u. a. (Hrsg.): Controlling und Performance im öffentlichen Sektor, Festschrift für D. Budäus, Berlin 2007, S. 165–175, S. 169 ff. Vgl. T. Wesenberg: Zinsrisikomanagement, in: T. Priermeier (Hrsg.): Finanzrisikomanagement in Unternehmen, München 2005, S. 103–170, S. 118.
200
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Zinsmanagement ist im Wesentlichen eine Entscheidung zwischen Barwert- und Cash Flow-Risiko. 1.4
Die Bedeutung der Zinsstrukturkurve
(1)
Die Grundlage für die im kommunalen Debt Management zu treffenden Entscheidungen ist die sog. Zinsstrukturkurve (auch übliche Bezeichnung: Zinskurve)90. Dies ist der am Kapitalmarkt verwendete Begriff, um das jeweilige Verhältnis von Zinshöhe und Laufzeit zu charakterisieren. Die Zinsstrukturkurve selbst ist die grafische Darstellung von Zinssatz bzw. Rendite und Restlaufzeit von Schuldverschreibungen mit gleichem Kreditrisiko, aber unterschiedlichen Fälligkeiten zu einem gegebenen Zeitpunkt. Die Steigung der Zinsstrukturkurve lässt sich als die Differenz zwischen Zinssätzen für zwei ausgewählte Restlaufzeiten berechnen. Man spricht dann von einer normalen Zinsstrukturkurve, wenn die Höhe des Zinssatzes mit der Laufzeit positiv korreliert. Dies ist im Allgemeinen der Regelfall. Darin kommt zum Ausdruck, dass der Zins der Preis für die Nutzung fremden Kapitals ist. Je länger die Nutzung dauert, desto höher ist der Preis. Ein Beispiel: Der Zinssatz beträgt für ein Jahr 4%, für 5 Jahre 5,50% und für 10 Jahre 7%. Eine flache Zinsstrukturkurve liegt dann vor, wenn sich die Zinssätze in unterschiedlichen Jahren nur geringfügig oder gar nicht unterscheiden. Beispiel: Der Zinssatz beträgt für ein Jahr 5,30%, für 5 Jahre 5,60% und für 10 Jahre 5,80%. Die dritte mögliche Lage ist eine inverse Zinsstrukturkurve. In diesem Fall liegen die kurzfristigen Sätze über den Sätzen für lange Laufzeiten. Auch hier ein Beispiel: Der Zinssatz für ein Jahr beträgt 5%, für 5 Jahre 4,5% und für 10 Jahre 4,4%. Inverse Zinsstrukturkurven liegen oftmals vor, wenn die Marktteilnehmer z.B. eine veränderte Zinspolitik der Zentralbank erwarten. Das Maß für die Steilheit der Zinskurve ist der sog. Spread, also der Unterschied zwischen den Sätzen für die Titel mit der Laufzeit von 1 Jahr, 5 oder 10 Jahren. Hinsichtlich der Entwicklung dieser Spreads in der Zukunft gibt es am Markt stets unterschiedliche Einschätzungen. Es sind diese differierenden Prognosen, die erst einen Markt entstehen lassen. Entsprechend ihrer eingenommenen Position, der sog. Zinsmeinung, sind dann die Marktteilnehmer bereit, entweder auf fallende, gleich bleibende oder steigende Zinsen zu setzen und am Markt entsprechende Kontakte anzubieten oder nachzufragen. Erst wenn die Kommune keine Überlegung hinsichtlich der Entwicklung bzw. Nutzung der Zinsstrukturkurve anstellt und jeden Kredit traditionell auf der Grundlage „10 Jahre fest“ abschließt, bezieht sie eine für die Nutzung von Spreads durch andere Marktteilnehmer verwertbare Position. Denn Zinsfestschreibung über 10 Jahre bedeutet, dass die Gemeinde nicht damit rechnet, dass im Verlauf dieses Dezenniums die Zinsen sinken werden. Würde sie damit rechnen, könnte sie eine kürzere Kreditlaufzeit wählen. Für die Vermeidung dieses Risikos zahlt die Gemeinde eine Prämie, die aus dem Spread zwischen lang und kurz besteht und diese Prämie ist um so höher, je steiler die Zinskurve verläuft. Es liegt in der Natur des Kapitalmarkts, dass die Erwartungen über die Zinsentwicklung ständig im Fluss sind. Die Zunft der Analysten lebt davon, hierüber mehr oder
(2)
90
Vgl. G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001, S. 14 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(3)
(4)
201
weniger kontroverse Einschätzungen auszutauschen und den Marktteilnehmern zur Orientierung anzubieten. Entsprechend ihrer eingenommenen Zinsmeinung sind dann die Marktteilnehmer bereit, entweder auf fallende, gleich bleibende oder steigende Zinsen zu setzen und am Markt entsprechende Kontakte anzubieten oder nachzufragen. Wer z. B. eine Zinsobergrenze („Cap“) kaufen möchte, fürchtet steigende Zinsen und wer eine Zinsobergrenze verkauft, sieht dieses Risiko nicht und rechnet damit, dass er sich der Prämieneinnahme aus dem Verkauf des Cap bis zur Fälligkeit ungeschmälert wird erfreuen können. (Näheres zum „Cap“ vgl. den Anhang zu diesem Teil). Wenn eine Kommune von den Spreads profitieren möchte, könnte sie sich folgende Position aufbauen: Statt wie geplant ein Darlehen mit einer Laufzeit von zehn Jahren zu 7,00% aufzunehmen, könnte die Kommune das gleiche Darlehen zunächst mit einer Laufzeit von nur fünf Jahren zu einem Satz von 5,50% beschaffen und dann darauf hoffen, dass die Anschlussfinanzierung in fünf Jahren nicht teuerer sein wird als 7% zuzüglich der Zinsersparnis aus den ersten fünf Jahren. Da es einen Markt gibt, auf dem Zinserwartungen gehandelt werden, sollte sich die Kommune nicht allein auf das Prinzip Hoffnung verlassen, sondern im Verlauf der ersten fünf Jahre im Vorgriff an der Festlegung des Zinssatzes für die zweiten fünf Jahre arbeiten. Die dafür verfügbaren Instrumente (Derivate) werden weiter unten ausführlich beschrieben (vgl. unter 2.). Dank der Entwicklung der Märkte ist es auch für die Kommune möglich geworden, die traditionelle Position des Stillhalters (Prototyp: „zehn Jahre fest“) zu verlassen und die benötigten Darlehen aktiv zu strukturieren. Aus dieser neuen Herangehensweise an die Fremdfinanzierung folgt auch eine qualitative Veränderung der Beziehungen zwischen Kommune und Bank bzw. Sparkasse. Es kommt demnach nicht mehr nur darauf an, über die Gewährung eines Darlehens zu verhandeln, sondern stets die Finanzierungsstruktur insgesamt im Auge zu behalten: Einerseits die Bereitstellung der Liquidität und andererseits die Möglichkeiten einer davon unabhängigen Gestaltung der Zinskosten durch die Nutzung von derivativen Instrumenten.
1.5
Die Technik der Referenzzinssätze
(1)
Der Referenzzinssatz ist ein variabler Zinssatz, auf den sich die Vertragspartner für bestimmte Finanzgeschäfte einigen. Sie legen bei Vertragsschluss fest, dass der an einem bestimmten Tag für eine bestimmte Laufzeit festgelegte („gefixte“) jeweilige Referenzzinssatz für ihre Geschäfte gelten soll. Die Verzinsung variabler Titel wird in aller Regel an einen anerkannten Referenzzinssatz gekoppelt. Dies hat für die Vertragsparteien den Vorteil, nicht anlässlich jeder Zinsanpassung erneut verhandeln zu müssen. Insbesondere eröffnet die Kopplung der Verzinsung eines Kredits an einen Referenzzinssatz die Möglichkeit, die Zinsausgaben mittels derivativer Instrumente zu gestalten. Der Bildung dieser Zinssätze liegt folgende Vorgehensweise zu Grunde: Bankarbeitstäglich tauscht eine Gruppe von 57 am Geldmarkt führenden europäischen Banken (deshalb: EURIBOR: „Euro Interbank Offered Rate“; Vorgänger war der FIBOR: „Frankfurt Interbank Offered Rate“; daneben gibt es den LIBOR: „London Interbank Offered Rate“) die Briefsätze für Laufzeiten von einem bis zwölf
(2)
202
(3)
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Monaten aus und „fixt“ nach einem bestimmten Verfahren die für diesen Tag geltenden Euriborsätze. Diese Sätze stehen etwa ab 11 Uhr Brüsseler Zeit zur Verfügung. Die Verbreitung erfolgt zeitgleich über die Kapitalmarktinformationssysteme, wie z. B. über Reuters, Bloomberg oder Telerate, und wird am folgenden Tag in der einschlägigen Wirtschaftspresse, wie z. B. in der Börsenzeitung, im Handelsblatt oder in der FAZ veröffentlicht. Außerdem können diese Sätze inzwischen dank Internet am gleichen Tag mit etwas Zeitverzögerung aus den Internetseiten zahlreicher Banken und Zentralbanken entnommen werden (z.B. www.bundesbank.de). Mit diesem Verfahren ist gewährleistet, dass für Geschäfte am Geldmarkt täglich marktgemäße und faire Referenzzinssätze zur Verfügung stehen. Träger des Fixingverfahrens sind die „European Banking Federation“ (EBF) und die „Financial Markets Association“ (FMA). Eine Vereinbarung, den Referenzzinssatz zu Grunde zu legen, lautet entweder auf „EURIBOR Flat“ oder auf „EURIBOR Minus bzw. Plus“. Der Bund und die Länder erreichen stets ein „EURIBOR Minus“, wie z. B. „6-Monats-EURIBOR minus 10“. Das heißt: als Zinssatz für die Zinsperiode von sechs Monaten gilt der jeweils gefixte Satz für sechs Monate abzüglich von 0,10-Prozentpunkten p. a. Im Falle „EURIBOR Flat“ erfolgt weder ein Auf- noch Abschlag auf den gefixten Satz. Die jeweilige Vereinbarung ist das Ergebnis der Verhandlungen über einen Kredit. Ob es der Gemeinde gelingt, einen Satz in Form von „EURIBOR minus“ herauszuholen, hängt von ihrem Standing und der Marktlage ab. Ein „EURIBOR flat“ sollte für die kommunale Ebene stets möglich sein. Grundsätzlich könnte man fragen, ob ein öffentlicher Kreditnehmer überhaupt einen Aufschlag auf einen Interbankenzinssatz zahlen sollte91. Zunächst ist diese Usance nur unbedenklich, solange der allgemeine Zinsunterschied zwischen Krediten an europäische Großbanken und deutsche Kommunen vernachlässigbar gering sind. Genau dies ist aber seit Beginn der Bankenkrise zunehmend nicht mehr der Fall.
2
Der Einsatz derivativer Instrumente im kommunalen Debt Management92
2.1
Die Charakteristika der derivativen Instrumente
(1)
Die Verwirklichung der oben genannten Zielsetzungen des kommunalen Debt Management und die Umsetzung der dazu möglichen – beispielhaft geschilderten – Konzepte erfordern von einem aktiven Debt Management nicht nur eine möglichst
91 92
Vgl. G. Stark: Bindung am Euribor kostet Krisenprämie, in: FAZ vom 4.1.2008, S. 22. Vgl. G. Merl: Zeitgemäßes Finanz- und Schuldenmanagement auch für Kommunen, in: Der langfristige Kredit, Jg. 1994, H. 14, S. 491–494; N. Hornung: Kommunales Schuldenmanagement, in: Der Gemeinderat, Jg. 1999, H. 1–4; G. Schwarz: Finanzinnovationen auch auf kommunaler Ebene einsetzen, in: Der Gemeindehaushalt, Jg. 1999, H. 4, S. 253–260; U. Kirchhoff, H. Henning: Zinssteuerung von Kommunalschulden mit Hilfe von Zinsderivaten, in: Sparkasse, Jg. 2000, H. 7, S. 27–36; W. Müller u. a. (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Baden-Baden 2004; F. Kutschera: Kommunales Debt Management als Bankdienstleistung, Sternenfels 2003, S. 94–166; K. Birkholz: Kommunales Debt Management in Deutschland, a. a. O.; G. Schwarting: Kommunales Kreditwesen, Berlin 2007, S. 47–134; Deutscher Städtetag (Hrsg.): Kommunales Schuldenmanagement – Auf dem Weg zu mehr Effizienz, a. a. O.; H. Rehm, M. Tholen: Kommunalverschuldung – Befund, Probleme, Perspektiven, Berlin 2008, S. 147 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(2)
203
kostenoptimale Erstausstattung von Krediten, sondern auch die Anpassung des Kreditbestandes an neue Marktkonstellationen und -erwartungen. Dies kann z. B. nicht durch ständige Umschichtungen bestehender Kreditpositionen erfolgen, zumal eine solche Vorgehensweise mit hohen Transaktionskosten verbunden wäre. Die Marktvolatilitäten machen vielmehr den Einsatz von Instrumenten notwendig, mit deren Hilfe Zinserwartungen umgesetzt werden können, ohne die zugrunde liegende Position verändern zu müssen. Zinskostenreduzierung und Risikosteuerung sind Ziele, die durch den Einsatz sog. Derivate erreicht werden können. Bei diesen handelt es sich im Regelfall um eine Kombination von bisher bereits üblichen Verschuldungstechniken. Derivate sind Finanzierungsverträge, die – wie der Begriff verdeutlicht – keine völlig unabhängigen Instrumente darstellen, sondern von Basiswerten abgeleitet werden. Der zentrale Unterschied zwischen Basiswert und Derivat liegt in ihrem Markt und damit in der Form des Leistungsaustausches, in der diese gehandelt werden. Die Trennung der Beschaffung der Liquidität von der Gestaltung der Zahlungsströme ist möglich geworden, weil der Kapitalmarkt sich seit Ende der 80er Jahre zu einem sich ergänzenden System von drei Teilmärkten entwickelt hat (vgl. Abb. 16):
Kassa-Markt, Markt für den Tausch von Zinssätzen (Swap-Markt) und Markt für Optionen auf Zinssätze in der Zukunft (Options-Markt).
Dank dieser drei Teilmärkte wird es dem Schuldner bzw. der Gemeinde möglich, die Kapitalbeschaffung und die Festlegung der Zinsen zeitlich, sachlich und institutionell von einander getrennt zu managen. Auf dem Kassa-Markt werden das benötigte Kapital und die Zinsen in einem Geschäft gefixt. Anders dagegen am Swap- und am Options-Markt: An diesen Märkten wird nicht mit Kapital gehandelt, sondern mit Erwartungen über zukünftige Zinssätze. Am Swap-Markt treffen sich Partner, die bereit sind, ihre jeweiligen Zinsverpflichtungen zu tauschen. Der Zahler eines Festzinssatzes sucht demnach einen Partner, der diese Zahlungsverpflichtung übernimmt. Er bietet ihm im Gegenzug an, seine variablen Verpflichtungen zu übernehmen. Auch die umgekehrte Vertragsgestaltung ist möglich. Beide Partner erwarten sich aus dem Tausch eine relative Besserstellung ihrer ursprünglichen Situation. Am Options-Markt geben die Marktteilnehmer ihren Zinserwartungen dadurch Ausdruck, dass sie z. B. bereit sind, für die Zusage eines bestimmten Zinssatzes in fünf Jahren einen Preis, die sog. Optionsprämie, zu bezahlen oder bereit sind, gegen die Vereinnahmung einer Optionsprämie einem anderen Marktteilnehmer einen bestimmten Zinssatz zu garantieren. Das Bindeglied zwischen dem Kassa-Markt und dem Swap- bzw. OptionsMarkt sind die erwähnten Referenzzinssätze. Referenzzinssätze sind jene Zinssätze, auf die sich die Marktteilnehmer im Voraus einigen, ohne ihre jeweilige Höhe zu kennen. Diese Referenzzinssätze werden bankarbeitstäglich für die Laufzeiten von einem Monat bis zwölf Monate festgelegt (gefixt). Die Festlegung erfolgt durch eine Gruppe ausgewählter Banken. Seit Beginn der Europäischen Währungsunion ist
204
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hierfür eine Gruppe europäischer Banken zuständig. Der Referenzzinssatz ist der EURIBOR. Der jeweils gefixte Satz entspricht dem Mittelwert aus den Angeboten der ausgewählten Bankengruppe (vgl. dazu oben unter 1.5.). Abbildung 16: Der Kapitalmarkt und seine Teilmärkte
Quelle: G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001.
(3)
93
Neben der Möglichkeit, Zinsänderungs- und Währungsrisiken abzugrenzen und abzusichern („hedgen“), ohne die Liquiditätssphäre zu berühren, haben die derivativen Instrumente auch den Vorzug, von unterschiedlichen Zins- und Wechselkurserwartungen der Marktteilnehmer profitieren zu können. Natürlich können die am Markt bestehenden Risiken durch den Einsatz von Derivaten nicht vollkommen ausgeschaltet werden. Dies wäre nach wie vor nur durch eine sichere Zinsprognose möglich, die es nicht gibt. Derivate bieten aber den Vorteil, Marktrisiken handelbar zu machen. Damit wird deren Überschaubarkeit für die Marktteilnehmer erhöht und gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, sie solchen Marktpartnern zuzuweisen, die diese zu tragen willens und fähig sind93. Auch in der Vergangenheit konnten z. B. Zinserwartungen durch Kredite und Wertpapiere mit festem oder variablem Zinssatz umgesetzt werden. Diese Finanzierungsinstrumente bewegen jedoch stets Kapitalströme, so dass jede Transaktion auch liquiditätswirksam wird. Durch die Instrumente des Zinsmanagements können dageVgl. o. V.: Das Jahrzehnt der Derivate, in: Handelsblatt vom 24.9.1996, Beilage; A. Wuerst, R. Horn: Einsatz von Zinsderivaten in volatilen Märkten, in: Sparkasse, Jg. 1998, H. 2, S. 66–74.
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(4)
205
gen Entscheidungen getroffen werden, die keine Konsequenzen für die Liquiditätssphäre nach sich ziehen. Bei einer genauen Betrachtung von Instrumenten des Zinsmanagements ist deshalb immer die klare Trennung von Liquiditäts- und Zinsströmen zu beachten. Es wird lediglich das Zinsrisiko bzw. das Zinsänderungsrisiko, nicht aber das Liquiditätsbeschaffungsrisiko tangiert. Dies ist der wesentliche Unterschied zum Festzinskredit, bei dem die Liquiditätsbeschaffung und die Zinsbindung gleichzeitig erfolgen. Darin liegt auch der Vorteil der neuen Instrumente, mit deren Hilfe Zinsentscheidungen ohne direkte Konsequenzen für die Liquiditätssphäre getroffen werden können. Die Trennung von Liquiditäts- und Zinsrisiko erlaubt deren separate Steuerung. Dadurch besteht auch die Möglichkeit, Zinsrisiken abzugrenzen und abzusichern, ohne die Liquidität zu bewegen94. Die Entwicklung von Derivaten orientiert sich im Allgemeinen an sog. Basiswerten (z.B. an einer festverzinslichen Anleihe). Man spricht hier vom „Underlying“. Steigt der Basiswert, so gilt das ebenfalls für das Derivat. Neben dem klassischen „Underlying“ durch den Basiswert, der am Kassa-Markt gehandelt wird, haben sich Instrumente herausgebildet, die sich selbst auf ein Derivat als Basis beziehen (z. B. Optionen auf Futures oder sog. Swaptions). Um die Einsatzmöglichkeiten der Zinsderivate (die folgende Darstellung beschränkt sich auf Zinsderivate, da diese im kommunalen Schuldenmanagement die entscheidende Rolle spielen, sie können jedoch analog auf Währungsderivate übertragen werden) sowie deren Zielsetzung und Ausgestaltung analysieren zu können, ist eine Systematisierung der verschiedenen Derivateformen notwendig. Diese Analyse soll anhand der Grundformen der sog. „plainvanilla“-Derivate erfolgen. Diese sind
Swaps, Optionen, Futures und Forwards.
Deren Charakterisierung und Unterscheidung erfolgt nach zwei Kriterien: Der Art des Leistungsaustausches und der institutionellen Gestaltung des Marktes. a.
b.
94
Hinsichtlich des Leistungsaustausches ist zu fragen, welche terminbezogenen Pflichten die Parteien mit dem Kontrakt auf sich nehmen. Zu unterscheiden sind Derivate mit Options- und solche mit Verpflichtungscharakter. Bei der Gruppe mit Optionscharakter bestehen keine automatischen Verpflichtungen zu Vertragsbeginn. Vielmehr hat ein Vertragspartner die Möglichkeit zu entscheiden, ob im Zeitpunkt (oder -raum) der Fälligkeit ein Austausch des Basiswertes zu der fixierten Gegenleistung zustande kommt oder nicht. Das zweite Unterscheidungskriterium für Derivate besteht in der institutionellen Gestaltung des Marktes. Auf der einen Seite stehen die börsengehandelten Derivate. Diese sind in ein hoch standardisiertes und formalisiertes (Handels-
Vgl. H. Rehm: Debt Management der öffentlichen Schuld – Befund, Probleme, Perspektiven, Stuttgart 2001, S. 272; J.-P. Ritscher: Der Einsatz von Finanzderivaten unter einer modernisierten Schuldenstrukturpolitik des Bundes, Frankfurt/Main u. a. 2002, S. 39 ff.
206
Teil F. Die kommunale Verschuldung
)System eingebunden, wodurch die Voraussetzung für einen liquiden Markt geschaffen wird. Unmittelbar mit den börsengehandelten Derivaten ist ihre Abwicklung über sog. Clearingstellen verknüpft. Diese treten stets als passive Partei auf und sie gewährleisten eine möglichst effiziente Durchführung des derivativen Geschäfts. Daneben stehen die Over-the-Counter-Derivate (OTC- Derivate), deren Ausgestaltungsmerkmale in ihrem strengsten Sinne direkt zwischen zwei Verhandlungsseiten festgesetzt werden und die keinerlei institutionell geprägter Ordnung unterliegen. Abbildung 17: Die Systematik der Grundformen von Derivaten
Quelle: J.-P. Ritscher: Der Einsatz von Finanzderivaten unter einer modernisierten Schuldenstrukturpolitik des Bundes, Frankfurt/Main u. a. 2002.
(5)
Wie bereits erwähnt, erlaubt der Einsatz von Derivaten die Kapitalbeschaffung einerseits und die Festlegung der Zinsen andererseits sachlich, zeitlich und institutionell voneinander getrennt zu managen, so dass zwei Rechtsgeschäfte entstehen. Wenn also eine Gemeinde einen Kreditbedarf hat, hat sie immer die Möglichkeit, die benötigte Liquidität zunächst durch die Aufnahme eines Darlehens am KassaMarkt zu beschaffen und dann je nach Lage der Verhältnisse am Swap- und Options-Markt die Gestaltung der Zinsen für dieses Darlehen zu verändern. So kann sie einen Festsatz in eine variable Verzinsung swapen und umgekehrt; sie kann auf eine variable Verzinsung eine Zinsobergrenze (Cap) kaufen, um so einerseits von dem i. d. R. tieferen variablen Sätzen zu profitieren und gleichzeitig gegen einen starken Anstieg der variablen Sätze geschützt zu sein. Sie kann derartige derivative Vereinbarungen treffen für neu aufzunehmende Darlehen, für bereits im Bestand befindliche Darlehen und für in der Zukunft geplante Darlehen. Weiter ist wichtig, dass diese derivativen Vereinbarungen nicht das Grundgeschäft in Form des aufgenomme-
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207
nen Darlehens tangieren und dass sie überdies unabhängig vom Darlehensgläubiger geschlossen werden können. Daraus ergibt sich für die Gemeinde eine bisher nicht gekannte Dispositionsfreiheit zur Gestaltung der Zinsbelastung bzw. der diesbezüglichen Titel im Haushalt. 2.2
Die Einsatzmöglichkeiten der derivativen Instrumente
(1)
Im Folgenden soll die Wirkungsweise der wichtigsten Zinssicherungsinstrumente dargestellt werden. Dabei handelt es sich im Kern um verschiedene Ausprägungen von Swap-Geschäften und Options-Geschäften. Die wichtigsten derivativen Finanzierungsinstrumente sind in Abb. 18dargestellt.
Abbildung 18: Die wichtigen derivativen Finanzierungsinstrumente Termin-/Verpflichtungsgeschäfte
Options-Geschäfte
•
•
Swaps (Tausch in der Kasse)
Optionen auf Zinsbegrenzungen
- fest gegen variabel
- Cap
- Variabel gegen fest
- Floor
•
Doppel-Swaps
- Collars
•
Forward Swaps (Tausch mit Start in der Zukunft) - fest gegen variabel
- Forward Rate Agreements •
Optionen auf Swaps (Swaptions)
- variabel gegen fest Quelle: H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld – Befund, Probleme, Perspektiven, Stuttgart 2005.
(2)
95
Bei Zinsswap-Geschäften erfolgt ein Tausch von Zinszahlungen, i. d. R. feste gegen variable Zinsen, innerhalb einer festgelegten Laufzeit, bezogen auf einen zugrunde liegenden Kapitalbetrag. Der variable Zins ist – wie oben dargestellt – immer an einem Referenzzinssatz orientiert, zumeist LIBOR oder EURIBOR. Für die Kommune kann es z. B. interessant sein, bei steigenden Zinsen ein variables Darlehen abzusichern, d. h. variable Zinsen gegen feste Zinsen zu tauschen. Sie hat dann variable Zinsen zu zahlen, bekommt aber gleichzeitig auch variable Zinsen vom SwapPartner vergütet, so dass sich diese Zahlungen ausgleichen. Übrig bleibt die Verpflichtung zur Zahlung eines festen Zinssatzes aus dem Swap-Vertrag (Payer swap). Damit wird der ursprünglich variable Kredit wirtschaftlich gesehen in einen Festzinskredit verwandelt (vgl. Abb. 19). Wird dagegen ein fallender Zins erwartet, kann umgekehrt ein Festzins durch einen variablen Zins flexibilisiert werden (Receiver swap). Der Einsatz95 eines Zinsswaps kann an folgenden Beispielen verdeutlicht werden:
Im Text wird die Anwendung der Instrumente beschrieben, die Beschreibung und Definition der Instrumente finden sich im Anhang zum Teil F.
208
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Die Kommune hat einen Kredit von 8%, der noch eine Restlaufzeit von 5 Jahren aufweist. Bei der herkömmlichen Verfahrensweise war die Gemeinde auf die Bereitschaft der Bank angewiesen, diesen Kredit vorzeitig abzulösen, um in den Genuss des jeweils niedrigeren Zinsniveaus zu kommen. Gleichzeitig war damit eine Ausgleichszahlung (Vorfälligkeitsentschädigung) an die Bank verbunden, die damit ihren Verlust aus der Rücknahme des Kredits kompensieren konnte. Über einen Zinsswap wird der Kommune von einem Swap-Partner der feste Satz von 8% gezahlt. Dafür verpflichtet sich diese, einen variablen Satz des Partners zu tragen. Der Vorteil liegt für die Gemeinde bei fallenden Zinstrends darin, dass sie insgesamt einen niedrigen Zinsaufwand hat, also an fallenden Zinsen partizipiert, ohne sich aus ihrer ursprünglichen festen Zinsvereinbarung lösen zu müssen. Abbildung 19: Das Grundmuster eines Swap-Geschäfts
Quelle: In Anlehnung an H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld, a. a. O.
(3)
Bei einer Terminzinsvereinbarung („Forward Rate Agreement“, FRA) legen die zwei Vertragspartner einen Zinssatz bereits heute für ein in der Zukunft liegendes Geschäft (Geldaufnahme/Geldanlage) fest. Da beide Partner die Zinsentwicklung nicht exakt voraussehen können, brauchen sie einen Risikoausgleich, der dadurch abgegolten wird, dass zu dem Zeitpunkt, an dem das Geschäft konkret wird, ein Ausgleich von dem Partner mit der „falschen“ Erwartung gezahlt wird. Die Befristung für derartige Vereinbarungen liegt i. d. R. unter einem Jahr. Geht man davon aus, dass der Kommune die Notwendigkeit einer kurzfristigen Geldaufnahme bereits zum heutigen Zeitpunkt bekannt ist, der Bedarf aber z. B. erst in 3 Monaten auftritt, so lässt sich heute ein FRA mit der Bank abschließen, und zwar zu einem niedrigeren Satz, als man vielleicht in 3 Monaten erwartet. Das bedeutet, dass man sich für einen bestimmten Kapitalbetrag einen Zinssatz reserviert. Vereinbart werden muss außerdem ein Referenzzinssatz, der die Bezugsgröße für spätere Ausgleichszahlungen bildet (vgl. Abb. 20).
Teil F. Die kommunale Verschuldung
209
Zum Zeitpunkt des Geldbedarfs wird der FRA-Zinssatz mit dem Referenzzinssatz verglichen. Sofern die Erwartung steigender Zinsen richtig war, erhält die Gemeinde von ihrem Vertragspartner (Bank) die Differenz zwischen FRA-Satz und dem gestiegenen Referenzzins. Bei gegenläufiger Entwicklung zahlt sie die Differenz an die Bank. Wirtschaftlich gesehen bedeutet dies, dass die Kommune in jedem Fall den FRA-Satz zahlt, sie also eine feste Kalkulationsbasis hat. Ob dies auch die günstigste Lösung war, stellt sich erst zum Zeitpunkt der Geldaufnahme heraus. Auch dafür ein Beispiel: Abbildung 20: Das Grundmuster eines „Forward Rate Agreement“
Quelle: H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld, a. a. O.
(4)
Der Kommune ist bekannt, dass sie in 3 Monaten einen Kassenkredit für 6 Monate benötigt. Sie schließt mit der Bank einen FRA-Kontrakt zu 7% ab und sichert sich somit gegen steigende Zinsen ab. Am Fixingtag beträgt der Zinssatz für einen 6Monats-Kassenkredit 8%, d. h. die Bank ist verpflichtet, der Gemeinde die Differenz zu erstatten. Lautet der Zins am Fixingtag dagegen 6%, muss der öffentliche Vertragspartner der Bank die Differenz erstatten. Bei den Zinsbegrenzungsvereinbarungen handelt es sich um Limitierungen nach oben („Cap“), nach unten („Floor“) aber auch gleichzeitig nach beiden Seiten hin („Collar“). Möchte sich ein Kreditnehmer gegen steigende Zinsen absichern, so kann er für ein zugrunde liegendes Darlehen eine Zinsobergrenze vereinbaren, d. h. einen Cap kaufen. Er kann dann sicher sein, dass seine Zinsverpflichtung diese Zinsobergrenze nicht überschreitet. Als Gegenleistung zahlt er dafür eine Prämie direkt bei Vertragsabschluss. Es kann also vorteilhaft sein, sich bei zinsvariablen Darlehen mit einem Cap die feste Kalkulationsbasis zu schaffen.
210
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Der Kauf eines Floor, also die Vereinbarung einer Zinsuntergrenze, ist für zinsvariable Geldanlagen interessant und funktioniert in seiner Wirkungsweise in entgegen gesetzter Richtung. Der Collar ist eine Kombination von Cap und Floor und kann dazu dienen, den Prämienaufwand zu begrenzen. Zum Beispiel kann bei Absicherung eines variablen Darlehens durch eine Zinsobergrenze der Kreditnehmer gleichzeitig durch Akzeptanz einer Kredituntergrenze seine Prämie ermäßigen, weil er insofern auch das Risiko seines Partners mindert. Die Wirkungsweise von Zinsbegrenzungsvereinbarungen soll zunächst am Beispiel des Caps verdeutlicht werden: In der Niedrigzinsphase nimmt die Kommune ein zinsvariables Darlehen in Höhe von 10 Mio. EUR über 5 Jahre auf. Für dieses Darlehen zahlt sie den 6Monats-EURIBOR, der 5% betragen soll. Um sich vor einer starken Zinssteigerung zu schützen, kauft sie bei der Bank einen Cap mit einer Zinsobergrenze von 6,50%. Dafür bezahlt sie eine Prämie von 2,60%, also 260.000 EUR. Liegt in den folgenden 5 Jahren alle 6 Monate der 6-Monats-EURIBOR über 6,5%, so bezahlt die Bank die Differenz zwischen beiden Zinssätzen nachschüssig. Die Gemeinde bezahlt weiterhin Darlehenszinsen in Höhe des 6-Monats-EURIBOR. Sie hat also ein zinsvariables Darlehen aufgenommen und ihre maximale Zinsbelastung auf 6,50% festgeschrieben, wobei für den Effektivzins der Prämienaufwand zu berücksichtigen ist (vgl. Abb. 21). Abbildung 21: Das Grundmuster eines Cap
Quelle: H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld, a. a. O.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(5)
(6)
211
Als Erweiterung zum Fallbeispiel Cap wird angenommen, der Kommune sei die Cap-Prämie zu hoch. Zur Senkung der Prämien-Kosten besteht für die Bank die Möglichkeit, gleichzeitig zum Verkauf des Caps an den Kunden, von diesem einen Floor zu kaufen. Diese Kombination eines Cap-Verkaufs mit einem Floor-Kauf – bzw. umgekehrt – wird als Collar bezeichnet (vgl. Abb. 22). Ein Floor ist die Vereinbarung einer Zinsuntergrenze, die der variable Zins – hier der 6-MonatsEURIBOR – nicht unterschreiten darf. Da die Kommune Verkäufer des Floor ist, erhält sie hierfür eine Prämie. Im Gegenzug muss sie bei Unterschreitung der vereinbarten Floor-Untergrenze die Zinsdifferenz als Ausgleichszahlung an ihren Collar-Partner (Bank) zahlen. In Kombination mit einem variablen Darlehen resultiert somit eine Zinsuntergrenze, die der variable Darlehenszins zzgl. Kreditmarge nicht unterschreiten kann. Die Gemeinde verzichtet dabei allerdings auf die Chance, an niedrigen variablen Zinsen unterhalb der Floor-Untergrenze zu partizipieren. Ein Collar – die Kombination einer Zinsober- mit einer Zinsuntergrenze – ist somit die Vereinbarung eines Zinskorridors. Die Reduzierung der Kosten des Caps durch Abschluss eines Collar ergibt sich aus der Aufrechnung der von der Kommune zu zahlenden Prämie für den Kauf des Caps mit dem Erlös aus dem Verkauf des Floor. Neben den Vereinbarungen von Zinsobergrenzen für den variablen Zins (Cap) sowie von Zinsuntergrenzen für variable Zinsen (Floor) bzw. dem Collar als Kombination von Cap und Floor sind auch Terminvereinbarungen auf den Abschluss eines genau spezifizierten Swaps (Forward Swap) und Optionen auf ein SwapGeschäft (Swaptions) möglich. Beide Möglichkeiten sollen im Folgenden dargestellt werden. Der Forward Swap ist ein Swap, der erst nach Ablauf einer Vorlaufperiode beginnt. Der Wirkungsmechanismus ist an folgendem Beispiel zu verdeutlichen: Die Kommune hat vor 5 Jahren einen Kredit mit 1% Anfangstilgung abgeschlossen. Der Zinssatz beträgt aktuell 7,2% und ist in 12 Monaten zur Zinsanpassung/Umschuldung fällig. Man möchte das günstige heutige Zinsniveau für die Anpassung nutzen sowie Zinsänderungsrisiken absichern und eine Bereitstellungsprovision vermeiden. Die Zinsmeinung der Kommune geht auf Sicht von einem Jahr von einer deutlichen Zinssteigerung aus. Diese Einschätzung liegt oberhalb der Terminkurve in 12 Monaten. Die Lösung einer solchen Konstellation besteht darin, dass die Gemeinde sich den heute günstigen Zinssatz durch einen Forward Swap sichert. In 12 Monaten, bei Fälligkeit des jetzigen Kredits, nimmt sie ein variabel verzinsliches Darlehen auf. Gleichzeitig steigt sie in den vorab vereinbarten Swap ein und wird zum Festzinszahler (vgl. Abb. 23).
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Abbildung 22: Das Grundmuster eines Collar
Quelle: H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld, a. a. O.
(7)
Eine Swaption, d. h. eine Vorvereinbarung von Zinstauschgeschäften, wäre für folgende Ausgangssituationen die Lösung (vgl. Abb. 24: Ein kommunaler Eigenbetrieb plant z. B. den Bau einer neuen Kläranlage. Die Kredit- und Verpflichtungsermächtigung für die beiden Folgejahre sind im lfd. Haushalt bereits berücksichtigt. Man möchte eine sichere Kalkulationsgrundlage für zukünftige Abwassergebühren, eine Absicherung gegen Zinsänderungsrisiken, und die Möglichkeit, bei einem günstigeren Marktzins diesen zu nutzen. Weiterhin soll der Tag der Liquiditätsaufnahme flexibel gewählt werden können und es sollen Bereitstellungsprovisionen gespart werden. Schließlich geht der Geschäftsführer des Eigenbetriebes davon aus, dass auf Sicht von einem Jahr eine Zinssteigerung von 0,4- bis 0,5-Prozentpunkten eintritt. Mitunter wird diese Steigerung auch in Basispunkten angegeben; 10 Basispunkte entsprechen dann 0,1 Prozentpunkten. Die Zinsmeinung des Geschäftsführers liegt oberhalb der Terminkurve in 12 Monaten. Aufgrund dieser Konstellation kann der Eigenbetrieb eine Option auf einen Forward Swap erwerben. Er sichert sich somit das heute günstige Marktniveau, hält sich aber
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auch die Möglichkeit offen, die Option verfallen zu lassen und sich zu dem späteren aktuellen Marktzins zu refinanzieren96. Abbildung 23: Die Konstruktion eines Forward-Swap
Quelle: H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld, a. a. O.
Die Intention, mit Swap-Operationen variable und flexible Kreditkonditionen für die Kommune zu erreichen, erinnert an die früher üblichen variabel verzinslichen Darlehen. Diese waren allerdings weit weniger flexibel, da die Zinsvereinbarung und der Kredit ein einheitliches Rechtsgeschäft darstellten. Variabel verzinsliche Kredite konnten – bei steigenden Zinsen – zu einem erheblichen Haushaltsrisiko werden, da der Schuldendienst auch ohne weitere Neuverschuldung zunahm. Zwar gab es die Möglichkeit, mit der Neufestsetzung der Zinsen das Darlehen zu kündigen, allerdings entstand dann die Notwendigkeit der kompletten Umschuldung. Der Swap hingegen erlaubt eine separate Steuerung der Zinslast aus einem Darlehen, ohne die Liquidität aus der Kreditvereinbarung selbst zu tangieren.
96
Vgl. U. Kirchhoff, H. Henning: Haushaltsspielräume durch modernes kommunales Finanzmanagement, in: S. Müller, T. Jönk, A. Bruns: Beiträge zum Finanz-/Rechnungs- und Bankwesen. Gedenkschrift für G. Zimmermann, Wiesbaden 2005, S. 636–659, S. 654 ff.
214
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Abbildung 24: Die Grundstruktur einer Swaption
Quelle: H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld, a. a. O.
2.3
Die Vorteilhaftigkeit des Einsatzes derivativer Instrumente
(1)
Nachdem die für das kommunale Debt Management wesentlichen derivativen Instrumente kurz vorgestellt wurden, soll ein Zwischenergebnis gezogen werden. Wichtig für einen konzeptionellen Einsatz von Derivaten ist, dass der kommunale Handel sich von der Kreditbeschaffung und von punktuellen Aktivitäten löst und dauernd den Schuldenstand daraufhin analysiert, ob die Zinsbelastung angesichts der Möglichkeiten des Swap- und Options-Marktes reduziert werden kann. Dabei sind die Chancen für relative Verbesserungen herauszuarbeiten und durch eine Entscheidung der für die Haushaltspolitik zuständigen Organe zu beurteilen. Der Einsatz der Derivate sollte zum einen aus dem Verschuldungskonzept abgeleitet werden. Zum anderen sollte er sich an einem zu fixierenden Zinsänderungsrisiko, also an einer in den Prämissen nachvollziehbaren Zinsprognose und dem im Zusammenhang damit festzulegenden Zinsänderungsrisiko pro Periode orientieren. Dieses Zinsänderungsrisiko leitet sich ab aus den fälligen Umschuldungen, den Zinsverpflichtungen aus variabel verzinslichen Schuldtiteln und der wahrscheinlichen Neuverschuldung. Es muss in seiner Höhe fixiert und in der Begründung do-
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(2)
(3)
215
kumentiert, also nachvollziehbar sein. Dabei kann die oben (vgl. 1.3.) erwähnte Unterscheidung in Barwert- und Cash-Flow-Risiko hilfreich sein. Nur durch ein solches begründetes und dokumentiertes Konzept lässt sich die Entscheidung zum Einsatz von Derivaten rechtfertigen. Von dieser „ex-ante“-Dimension im Entscheidungszeitpunkt zu trennen sind die „ex-post“-Beurteilung und damit die haushaltswirtschaftliche Bewertung des Erfolgs des Instrumenteneinsatzes. Auf das so „legitimierte“ Zinsänderungsrisiko muss jedes Derivat bezogen werden. Denn im Kern führt der Einsatz eines Zinsderivates immer dazu, entweder eine feste Position in eine variable umzuwandeln oder aus einer variablen in eine feste Verpflichtung zu drehen. Deshalb setzt der vertretbare Einsatz von Derivaten immer die Entscheidung über die Höhe des Zinsänderungsrisikos als Prämisse voraus. Transaktionen mit Derivaten dürfen sich nur im Rahmen dieser Prämisse bewegen. Eine erste Indikation, ob es wirtschaftlich Vorteile erbringen kann, ein Derivat einzusetzen, ergibt sich aus dem Vergleich der eigenen Bestände mit dem aktuellen Verlauf der Zinsstrukturkurve. So kann es bei extremer „Steilheit“ Sinn machen, auf eine feste Verpflichtung einen „Forward Swap“ abzuschließen. In diesem Fall kann der Schuldner einen Festzins in einen variablen Zins mit sehr hohem Abschlag wandeln. Dies soll am Beispiel der Zinssituation von Ende 1994 verdeutlicht werden, als das Zinsniveau relativ hoch war97: Auf ein mit 6,75% (Marktzinssatz zum damaligen Zeitpunkt) zu verzinsendes Darlehen mit einer Restlaufzeit von 9 Jahren konnte ein sog. „1 + 8-ForwardSwap“ mit einem Festsatz in Höhe von 8,25% gelegt werden. Der Schuldner, also die öffentliche Hand, erhielt dann in einem Jahr für die folgenden 8 Jahre 8,25% fest und zahlte variabel, i. d. R. den 6-Monats-LIBOR. Wirtschaftlich hatte die öffentliche Hand dann folgende Zahlungsströme in der Kasse: 6,75% für das Darlehen minus und im Swap plus 8,25% minus 6-Monats-LIBOR. Saldiert lautet die neue Belastung: 6-Monats-LIBOR abzüglich 1,50%. Zum Vergleich: Drei Jahre später lag der 6-Monats-LIBOR bei 3,15625%. Über einen solchen Swap wäre eine ursprüngliche 6,75%-Verpflichtung auf 1,65625% reduziert worden (3,15625% - 1,50%).
(4)
97
Ob es vertretbar ist, für diese Chance der Verbilligung der Zinskosten das Risiko variabler Sätze in der Zukunft von über 8,25% einzugehen, hängt von der Einbettung dieses Swap in das Verschuldungskonzept ab. So müsste im Beispiel die variabel geswapte Position auf den Anteil der ohnehin am Gesamtschuldenbestand beabsichtigten variablen Position angerechnet werden. Nur dann wäre das im Verschuldungskonzept als verantwortbar erachtete Zinsänderungsrisiko nicht tangiert. In dem genannten Fall war eine bestehende Position durch den Wechsel von einer festen in eine variable Verpflichtung verändert worden. Natürlich hätte man Derivate auch von vornherein in das neue Geschäft einbauen können. Gut zu handhaben, sowohl beim Abschluss als auch in der Bewirtschaftung, ist z. B. der Verkauf Vgl. G. Schwarz: Derivate bei der öffentlichen Hand, in: Börsen-Zeitung vom 15.2.1997, S. 13.
216
(5)
Teil F. Die kommunale Verschuldung
einer Payer Swaption. In diesem Fall kauft der Investor das Recht, mit der Kommune in der Zukunft, z. B. in 4 Jahren, in einen Swap eintreten zu können, bei dem die Gemeinde variabel bezahlt und fest empfängt. Die Höhe der Prämie hängt ab von der Wahl des Festsatzes, dem sog. „Strike“. Je höher der „Strike“, desto geringer ist die Prämie, da die Ausübungswahrscheinlichkeit mit der Höhe des „Strikes“ sinkt. Umgekehrt steigt natürlich die Prämie, je tiefer der „Strike“ ist. Erforderlich ist also die Abwägung der Höhe der Prämie einerseits und der Situation der Kommune im Falle der Ausübung andererseits. Auch hierzu ein Beispiel. Zeitgleich mit der Emission eines 10-jährigen Schuldscheins (Kupon: 6,75%) wird eine sog. „4 + 6 Payer Swaption“ mit einem „Strike“ von 8,25% verkauft. Die hierfür erzielbare Prämie in Höhe von 2,00% wird in den Kupon investiert. Er sinkt dann von 6,75% auf 6,47%, d. h., statt mit 6,75% ist die Kommune auf 10 Jahre nur mit 6,47% belastet. Es sei angenommen, die Option laufe vier Jahre. Wird die Option am Ende der Laufzeit ausgeübt, bleibt die Kommune durch den Schuldschein weiterhin mit 6,47% belastet, empfängt aber im Swap 8,25% fest und bezahlt im Swap variabel i. d. R. den 6-Monats-LIBOR. In der Kasse hat die Kommune dann für die kommenden 6 Jahre die Belastung 6-Monats-LIBOR minus 178 Basispunkte (8,25%./. 6,47%). Im Verlauf der vierjährigen Laufzeit hat die Kommune die Möglichkeit, die Option zu schließen. Das bietet sich an, wenn der Preis für die Option verfällt, womit bei einem steigenden Markt immer gerechnet werden kann. Außerdem verliert die Option im Zeitablauf an Wert. Insgesamt ergibt sich für die Kommune mit dem Verkauf von „Payer Swaption“ eine gut ausbaufähige Position: Auf jeden Fall wird eine Anfangsentlastung der Zinskosten durch Investition der Prämie in den Kupon realisiert. Während der Optionslaufzeit besteht die Chance, die Option unter den Einstandskosten zu schließen. Selbst wenn die Option ausgeübt wird, bietet die Position LIBOR minus 178 Basispunkte erneut eine gute Ausgangslage, diese variable Position zu einem späteren Zeitpunkt durch einen weiteren Swap wieder in eine feste Position zurückzuwandeln. Lässt der Optionskäufer die Option verfallen, hat die Kommune ein 10-JahresPapier zu 6,47% statt zu 6,75%. Auch ein solches Geschäft ist allerdings nur vertretbar, wenn es im Rahmen des verantwortbaren Zinsänderungsrisikos verbleibt bzw. auf dieses angerechnet wird.
(6)
Durch den Einsatz von Derivaten können auch bestehende Darlehen gemäß der Interessenlage der Kommune verändert werden. Derivate können zur Strukturierung bereits herausgelegter Darlehen eingesetzt werden, und zwar unter Vermeidung der oben (vgl. 2.1.) dargestellten Friktionen und Transaktionskosten der Umschuldung. Dies soll im Folgenden näher erläutert werden. Die Kommunaldarlehn zeichnen sich im Allgemeinen durch einfache Regelungen aus: Gläubiger und Schuldner verständigen sich über einen bestimmten Kreditbetrag, über den Zinssatz und über die Laufzeit. Ein weiteres Merkmal ist, dass Darlehen i. d. R. unkündbar sind. Jedoch können Schuldner und Gläubiger bei Vertrag-
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217
schluss weitere Vereinbarungen treffen, die im Ergebnis dazu führen, dass die Darlehensbedingungen in Form einer bestimmten Struktur gestaltet werden. Obwohl im Bereich der Strukturen Gestaltungsfreiheit gegeben ist, haben sich inzwischen folgende vertragliche Gestaltungen in Bezug auf das Recht zur Kündigung, d. h. Rückzahlung des Kapitals vor der vereinbarten Fälligkeit, und in Bezug auf die Wandlung des ursprünglich vereinbarten Zinssatzes herausgebildet98:
Darlehen mit dem Recht des Gläubigers auf einmalige Kündigung zu einem bestimmten Zeitpunkt, Darlehen mit dem Recht des Gläubigers auf einmalige Wandlung des Zinssatzes von fest in variabel bzw. von variabel in fest zu einem bestimmten Zeitpunkt und Darlehen mit dem Recht des Schuldners auf einmalige Kündigung zu einem bestimmten Zeitpunkt.
Werden diese vertraglich vereinbarten Rechte am Tag der Fälligkeit des Rechts nicht ausgeübt, läuft das Darlehen planmäßig bis zum Ende der vertraglichen Laufzeit. (7)
(8)
98
Wenn der Schuldner ein Kündigungsrecht bzw. ein Wandlungsrecht für den Gläubiger akzeptiert, erhält er dafür vom Gläubiger eine „Prämie“ in Form einer unter dem Marktsatz liegenden Verzinsung. Wenn z. B. ein Darlehen mit einer Laufzeit von zehn Jahren marktmäßig mit 6,25% fest verzinst wird, könnte eine Bank der Gemeinde folgendes Angebot machen: Laufzeit zehn Jahre, Zinssatz 5,75%, wenn die Gemeinde der Bank nach fünf Jahren ein Kündigungsrecht einräumt. Die Zinsreduktion ist die „Prämie“ für das Kündigungsrecht. Geht die Gemeinde darauf ein, trägt sie das Risiko der Zinsänderung in fünf Jahren. Es könnte sein, dass der 5-Jahres-Zins zum Zeitpunkt der Kündigung in fünf Jahren bei 8% liegt. In diesem Fall wird die Bank kündigen und die Gemeinde muss den Tilgungsertrag am Markt zu den dann herrschenden Konditionen in Höhe von 8% beschaffen. Im Gegenzug wird die Bank in die Lage versetzt, den Rückzahlungsbetrag am Markt zu 8% anzulegen. Liegen die Zinssätze zum Zeitpunkt der Kündigung bei 5,75% und darunter, wird die Bank natürlich nicht kündigen. In diesem Fall läuft das Darlehen bis zur Fälligkeit unverändert weiter. Der Gemeinde bleibt dann die Prämie ungeschmälert erhalten. Umgekehrt kann die Gemeinde für sich mit der Bank ein Schuldnerkündigungsrecht vereinbaren und dafür einen Zinssatz bezahlen, der über dem Marktsatz liegt. Nur auf den ersten Blick erscheint es für eine Gemeinde abwegig, dies zu tun. Wenn die Gemeinde dieses Recht gekauft hat, hat sie aber die Chance, an künftigen Zinssenkungen zu partizipieren. Denn sinken die Zinsen, kann sie kündigen und sich auf einem tieferen Niveau refinanzieren. Statt des Rechts auf Kündigung kann ein Recht auf Wandlung des Zinssatzes von fest in variabel vereinbart werden. Auch hier besteht der Preis für dieses Recht in einer entsprechenden Reduzierung des Zinssatzes. In der Regel lautet die Wandlungsformel „Recht auf Wandlung der Verzinsung in 6-Monats-EURIBOR minus 0,25%Punkte p. a.“. Im Unterschied zur Kündigung wird hier kein Kapital bewegt, es werVgl. G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001, S. 14 ff.
218
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(9)
(10)
99
den nur die Zinssätze ausgetauscht. Der Verkäufer dieses Rechts hat bei Ausübung kein Liquiditätsrisiko, sondern „nur“ ein Zinsänderungsrisiko. Für diese Konstellation gelten die in Bezug auf die Swaption angestellten Überlegungen: Wenn die Gemeinde das Kündigungsrecht kauft, riskiert sie nur den Kaufpreis und erhält dafür die Chance, durch eine Kündigung an sinkenden Sätzen zu partizipieren. Beim Verkauf des Kündigungsrechts trägt sie das Risiko erhöhter Zinsen zum Zeitpunkt der Kündigung und hat dafür aber den reduzierten Zinssatz – zumindest bis zur Kündigung. Das verdeutlicht, dass ein strukturiertes Darlehen als die Kombination aus einem festverzinslichen Darlehen und einer Option auf einen Swap verstanden werden kann. Wenn die Kommune das Angebot einer Bank erhält, ein strukturiertes Darlehen mit einem Gläubigerkündigungsrecht abzuschließen, kann sie wie folgt vorgehen: Sie schließt ein festverzinsliches Darlehen zu marktmäßigen Konditionen ab und verkauft gleichzeitig an die Bank, die den besten Preis bietet, eine Option auf einen Swap, eine Payer Swaption. Mit dem Optionspreis senkt sie den Kupon ab und hat eine entsprechend geringere Zinsbelastung. Im Falle der Ausübung der Option wird die Verzinsung von fest in variabel gewandelt. Dieses Vorgehen hat gegenüber der üblichen Strukturierung von Darlehen zwei Vorteile: Erstens: Die Gemeinde kann den Abschluss des Darlehens und den Verkauf der Option jeweils mit dem Bestbieter am Markt durchführen. Zweitens: Die verkaufte Option ist ein separates Rechtsgeschäft, das während der Laufzeit auch separat bewirtschaftet werden kann. Entwickelt sich der Markt gegen die Position der Gemeinde, kann sie die Option noch rechtzeitig zu marktmäßigen Konditionen schließen. Im Falle des strukturierten Darlehens müsste sie mit dem Darlehensgläubiger in Verhandlungen treten; hierbei hätte sie von vornherein die schwächere Position. Im Ergebnis bedeutet dies, dass an die Stelle der Strukturierung von Darlehen i. S. von vereinbarten Fälligkeiten und im Hinblick auf die Wandlung des ursprünglich vereinbarten Zinssatzes die Verknüpfung eines Grundgeschäftes mit einem Derivat tritt. Die Frage nach dem „Ob“ des Einsatzes von Derivaten im kommunalen Finanzmanagement hat der Markt bereits entschieden. Allerdings zeigt eine Untersuchung von Birkholz,99 dass die Umsetzung – wie nicht anders zu erwarten – nicht flächendeckend, sondern nur schrittweise erfolgt (vgl. Abb. 25). Entscheiden für die Inanspruchnahme von Derivaten ist allerdings das „Wie“. Die hierauf bezogenen Warnungen an die Verantwortlichen, nur hinreichend vorbereitet in den Markt zu treten, sind ernst zu nehmen. Wie diese Aufforderungen im kommunalen Debt Management Rechnung getragen werden kann, soll im Folgenden dargelegt werden.
Vgl. K. Birkholz: Derivate zur Steuerung von Zinsänderungsrisiken in der kommunalen Praxis – empirische Befunde, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 2007, H. 4, S. 178–183.
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Abbildung 25: Die Nutzung von Derivaten in den Jahren 2003 und 2004
Quelle: K. Birkholz: Derivate zur Steuerung von Zinsänderungsrisiken in der kommunalen Praxis, a. a. O., S. 180.
3
Der Rechtsrahmen für den Einsatz derivativer Instrumente
(1)
Derivate sind keine Kreditgeschäfte, mithin fallen sie nicht unter die einschlägigen Vorschriften der Krediterlasse100. Sie sind vielmehr Teil der Konditionsvereinbarung. Insofern war es folgerichtig, dass z. B. das Bayerische Staatsministerium des Innern als Kommunalaufsichtsbehörde in einer der ersten Verlautbarungen über „Derivative Finanzierungsinstrumente für Kommunen, insbesondere Swap-Geschäfte“ vom 8. November 1995 erklärte, dass die Nutzung derivativer Finanzierungsinstrumente zwar keiner besonderen Genehmigung bedürfe, allerdings angezeigt werden müsse und deren Einsatz an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen sei. Ein vom Bundesverband Öffentlicher Banken und dem Deutschen Sparkassenund Giroverband in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigt die genannte Rechtsauffassung, dass Kommunen eindeutig im Rahmen ihrer sog. Verwaltungszuständigkeit derartige Geschäfte tätigen können und jeder Vertragspartner der Kommune sich auf die Rechtswirksamkeit dieser Geschäfte verlassen kann. Diese seien weder an einen
100
Vgl. T: Bücker: Finanzinnovationen und kommunale Schuldenwirtschaft. Zum Einsatz von Swap-Geschäften und Swap-Derivaten im Schuldenmanagement von Gemeinden, Baden-Baden 1993, S. 190 ff.; G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001, S. 155 ff.
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(2)
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Rechtsbeschluss gebunden noch von der Aufsichtsbehörde genehmigungspflichtig, da sie weder ein Kreditgeschäft noch ein kreditähnliches Rechtsgeschäft101 seien. Unabhängig von dieser generellen Haltung hat die Kommunalaufsicht Kriterien entwickelt, um im Interesse aller Beteiligten, der Kommune, der Kreditinstitute und der Rechnungsprüfungsbehörden Klarheit über die Voraussetzungen für den Einsatz derivativer Instrumente zu schaffen. Unbeschadet der Tatsache, dass sie (zivilrechtlich) grundsätzlich rechtswirksam abgeschlossen werden können102, sollten sie im Hinblick auf die Wirkungen im Innenverhältnis zum Verwaltungsträger bestimmten Beschränkungen unterworfen werden. Dabei werden im Wesentlichen folgende Restriktionen genannt:
(3)
Das Spekulationsverbot (um zu verhindern, dass die rechtliche Selbstständigkeit der Instrumente dazu führt, dass die Gemeinde als Anbieter oder Nachfrager, losgelöst vom zugrunde liegenden Kreditgeschäft, auftritt), die Unzulässigkeit der Abdeckung von Zinsrisiken Dritter; die Unterwerfung unter die Kreditprüfung (einschließlich der Vorlage der entsprechenden Verträge nach Abschluss gegenüber der Rechtsaufsichtsbehörde zur Information) und die Begrenzung der Geschäftspartner, z. B. auf Triple-A-Adressen.
Eine besondere Rolle spielt im Zusammenhang mit den Legitimationsvoraussetzungen der Maßstab der Konnexität. Konnexität ist – nach herrschender Auffassung – gegeben, wenn
ein gegenständlicher Bezug (objektives Erfordernis), eine zeitliche Begrenzung und ein subjektives Erfordernis
vorliegen. Eine gegenständliche Verknüpfung besteht, solange sich das Derivat in (weit) überwiegendem Maße (z. B. durch Bezugsbetrag und Laufzeit) im Rahmen des Kredits bewegt, da es dann immer noch auf diesen bezogen ist, dessen Konditionengestaltung dient und nicht zu einem von ihm losgelösten Geschäft wird. Der zeitliche Bezug liegt vor, wenn das Derivatgeschäft gleichzeitig mit dem Kreditgeschäft oder während der Laufzeit des Kreditgeschäfts abgeschlossen wird. Das subjektive Erfordernis ergibt sich aus der Feststellung der Ziele des Derivateinsatzes. Diese sollten als „Optimierung der Kreditkonditionen“ und „Begrenzung des Zinsänderungsrisikos“ konkretisiert werden.
101 102
Vgl. o. V.: Gutachten der Kanzlei Hengeler, Müller, Weize, Würzburg 1994. Vgl. W. Kewenig, H. Schneider: Swap-Geschäfte der öffentlichen Hand in Deutschland, in: Wertpapiermitteilungen, Jg. 1992, Sonderbeilage 2; T. Bücker: Finanzinnovationen und kommunale Schuldenwirtschaft. Zum Einsatz von Swap-Geschäften und Swap-Derivaten im Schuldenmanagement von Gemeinden, Baden-Baden 1993, S. 212 ff.
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(4)
(5)
(6)
103
221
Unabhängig von diesen generellen Festlegungen gibt es gleichwohl eine Reihe von Auslegungsfragen103. Diese sind ursächlich dafür, dass viele Gemeinden bisher mit dem Einsatz von Zinsderivaten gezögert haben. Diese Interpretationsfragen sollen im Folgenden aufgezeigt werden. Unzweifelhaft sind derivative Geschäfte, die ausschließlich auf Spekulationsgewinne ausgerichtet sind, für Gemeinden unzulässig (vgl. z. B. hierzu § 108 Abs. 2 HGO; siehe auch Abb. 26). Die Grenzen zur Spekulation sind allerdings fließend, da jede Zinserwartung als Voraussetzung für die Kaufentscheidung eine Antizipation der Zukunft ist. Wegen dieser Unsicherheit empfiehlt sich in jedem Fall eine klare Dokumentation der Zinsmeinung und auch des Prozesses ihrer Ableitung. Ähnliche Auslegungsfragen gibt es bei dem Begriff der Konnexität. Dienen Geschäfte zur Gestaltung und Kontrolle der Zinsänderungsrisiken eines konkreten Grundgeschäftes, so liegt Konnexität vor. Unterschieden wird dabei in sachliche Konnexität, d. h. die Nominalbeträge und die Währung von Grund- und Derivategeschäft sind identisch, sowie die zeitliche Konnexität, d. h. die Laufzeit des Derivates überschreiten die Laufzeit des Grundgeschäftes nicht. Werden diese Grundsätze eingehalten, ist der i. S. einer dokumentierten Zinsprognose „spekulativ“ motivierte Einsatz von Derivaten legitimiert. Im Hinblick auf den auch i. S. der Zinsprognose „nicht-spekulativen“ Einsatz von Derivaten wird die Ansicht vertreten, dass deren Einsatz dann zulässig ist, wenn zwischen den abzuschließenden Transaktionen und dem gemeindlichen Kreditbestand ein gegenständlich-finaler Bezug, eine sog. gelockerte Konnexität besteht. So werden z. B. Swapgeschäfte bewusst mit dem Ziel eingesetzt, die Kosten konkreter Finanzierungen unmittelbar oder mittelbar zu senken, bestehende bzw. neu aufzunehmende Kredite gegen Zinsrisiken abzusichern oder konkrete Kreditverpflichtungen an die erwartete Kapitalmarktentwicklung anzupassen. Dem Debt Manager ermöglicht das gelockerte-konnexe Prinzip einen flexibleren und ökonomischeren Umgang mit Zinsderivaten, denn durch einen solchen „Makro Hedge“ kann er sich auf den Abschluss eines übergreifenden Derivates beschränken, während er bei dem nach dem strengen Konnexitätsprinzip ausschließlich zulässigen „Mikro Hedge“ für mehrere selbständige Kreditverhältnisse mehrere separate Derivate eingehen müsste. Dadurch kann er den Transaktions- und Dokumentationsaufwand verringern und durch den höheren Nennbetrag die Marktfähigkeit und die Konditionen des Zinsderivates verbessern. Unterschiedliche Ansichten gibt es über den Abschluss von Zinsderivaten in Konnexität zu zukünftigen Krediten. Dieses ist nach enger Auslegung nicht zulässig und wird in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt explizit ausgeschlossen. Ein Grenzfall besteht, wenn die Herstellung des gegenständlichen Bezugs zwischen Kredit- und Zinssicherungsgeschäft für FRA und Swaption möglich ist, so z. B. im Zusammenhang mit der Finanzierung von größeren Infrastrukturprojekten, deren Erstellung sich über mehrere Haushaltsjahre erstreckt, der zukünftige Kreditbedarf bereits bekannt und in der Finanzplanung berücksichtigt ist.
Vgl. K. Schaffer, C. Jungk: Verbesserung der Effizienz des Kreditmanagements durch den Einsatz von Zinsderivaten, der Minister für Finanzen und Energie des Landes Schleswig-Holstein (Hrsg.), Kiel. 1994; F. Kutschera: Kommunales Debt Management als Bankdienstleistung, Sternenfels 2003, S. 94–166, S. 155 ff.
222
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(7)
Wie Abb. 26 verdeutlicht, sind die rechtlichen Regelungen für den Einsatz von Zinsderivaten durch Gemeinden in einzelnen Bundesländern nicht identisch. In den meisten Bundesländern veröffentlichten die für die Kommunalaufsicht zuständigen Ministerien Erlasse oder Rundschreiben, die den Abschluss von Derivaten durch Gemeinden regeln sollen. Daneben besteht eine Musterdienstanweisung des Deutschen Städtetages für den Einsatz von Finanzderivaten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement, deren Inhalt in Abb. 27 wiedergegeben wird. Abb. 28 zeigt beispielhaft die Ausformung dieser Rahmenbedingungen im Debt Management der Stadt Salzgitter. Während die Kommunalaufsicht in Hessen und NRW außerordentlich liberal vorgeht, sind die entsprechenden Grenzen in Sachsen relativ eng gezogen. Unterschiede in den geltenden Regelungen bestehen vor allem in der geforderten Konnexität und der Melde- und Genehmigungspflicht. Im Einzelnen ergibt sich folgendes Bild: Während es in Hessen und NRW keinerlei Einschränkung für den Einsatz von Zinsderivaten gibt, haben die Gemeinden in Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen und Schleswig-Holstein explizite Vorgaben für die Organisation und die Dokumentation der Geschäfte mit Zinsderivaten (vgl. hierzu auch unten unter 4., insbesondere Abb. 26). In Brandenburg müssen die Kommunen die Aufsichtsbehörden über jedes Geschäft auf einem standardisierten Meldebogen informieren. In Sachsen ist die Aufsichtsbehörde am Ende der Laufzeit des Derivates über die Ergebnisse der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu unterrichten. In Schleswig-Holstein gibt es zahlreiche Dokumentationspflichten, darunter auch eine laufende Ergebniskontrolle.
4
Die Steuerung der relevanten Risiken beim Einsatz von Derivaten
4.1
Die relevanten Risiken
(1)
Unter Risiko wird die Gefahr negativer Abweichung des tatsächlichen vom erwarteten Wert aufgrund unzureichender Informationen verstanden104. Mit Blick auf das kommunale Debt Management ist zu unterscheiden zwischen
104
den Risikoarten, der Risikobegrenzung und der Risikosteuerung.
Vgl. U. Heuser-Greipl: Risikomanagement für Derivate, Wiesbaden 1999; T. Jöhnk: Risikosteuerung im Zinsmanagement, Wiesbaden 1999; M. Boll: Einsatz derivativer Finanzinstrumente im öffentlichen Haushalt (II) – Gestaltung und Kontrolle von Risiken oder Risiken ohne Kontrolle?, in: Finanzwirtschaft, Jg. 2000, H. 12, S. 271–275, S. 271 ff.; G. Schwarting: Finanz- und Haushaltsrisiken – Gedanken zum finanzwirtschaftlichen Risk Management in öffentlichen Haushalten, in: H. Hill (Hrsg.): Aufgabenkritik, Privatisierung und neue Verwaltungssteuerung, Baden-Baden 2003, S. 117–128, S. 117 ff.; C. Jungk: Steuerung und Begrenzung der Risiken aus Zinsderivaten, in: W. Müller u. a. (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Baden-Baden 2004, S. 37–62, S. 37 ff.; P.-A. Kocher: Gemeinden im Konflikt von Kostenreduktion und Risikobegrenzung: Schuldenmanagement ist kein trivialer Job, in: Kommunal: Offizielles Organ des österreichischen Gemeindebundes, Jg. 2005, H. 4, S. 46–48.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
223
Die für die Praxis des kommunalen Zinsmanagements wesentlichen Risikoarten – wie bereits erwähnt – (vgl. oben unter 1.3.) sind das Marktpreisrisiko (Zinsänderungsrisiko), das Kreditrisiko (Bonitätsrisiko) und die operationellen Risiken. Letztere konkretisieren sich vor allem in Rechtsrisiken und in Betriebsrisiken. a)
b)
c)
d)
e)
Marktpreisrisiken (Zinsänderungs- und Währungsrisiken) Grundsätzlich beschreibt das Zinsänderungsrisiko den potenziellen Verlust aufgrund einer Veränderung der Zinsstrukturkurve. Dieser besteht dann, wenn sich zinsabhängige Zahlungsansprüche und zinsabhängige Zahlungsverpflichtungen unausgeglichen gegenüberstehen (offene Zinspositionen). Entsprechend beinhaltet das Währungsrisiko die Volatilität an den Devisenmärkten. Kreditrisiko (Bonitätsrisiken) Als Adressenausfallrisiko wird der potenzielle Verlust aus derivativen Finanzinstrumenten bei Ausfall des Kontraktpartners definiert. Von besonderer Bedeutung für die öffentliche Hand ist das sog. Eindeckungsrisiko, das die Gefahr zusätzlicher Kosten für einen Neuabschluss des ausgefallenen Geschäfts beschreibt. Dieses besteht bei Zinsswaps, Forward-Zinsswaps und Forward RateAgreements in Höhe des im jeweiligen Geschäft vorhandenen Bewertungsgewinnes und bei Optionsgeschäften (Zinsswap-Optionen und Zinsbegrenzungsvereinbarungen) in Höhe der aktuellen Optionsprämie. Zusätzlich ergibt sich ein Vorleistungsrisiko für den Fall, dass der Kontrahent trotz erfolgter Leistung durch die Kommune (z. B. Up Front Payments bei Zinsswaps) seine Gegenleistung nicht erbringt. Liquiditätsrisiko Eine besondere Kategorie der Kreditrisiken ist das Marktliquiditätsrisiko. Dieses beschreibt den potenziellen Verlust aus einer Marktsituation, bei der derivative Geschäfte aufgrund unzulänglicher Markttiefe oder anderer Marktstörungen nicht aufgelöst oder glattgestellt werden können. Eine Quantifizierung dieses Risikos ist ex ante nicht möglich. Rechtsrisiko Ein Rechtsrisiko aus derivativen Geschäften besteht immer dann, wenn zwischen den Kontrahenten keine Einigkeit über den Inhalt der jeweils abgeschlossenen Vereinbarung herrscht. In derartigen Fällen kann es vorkommen, dass Verträge nicht anerkannt oder falsch interpretiert werden. Betriebsrisiko Das Betriebsrisiko aus derivativen Finanzgeschäften hat seine Ursache zumeist in Schwächen der Aufbau- oder Ablauforganisation sowie des internen Kontrollsystems. Derartige Mängel ziehen potenzielle Verluste aus Handlungen oder Zuständen (z. B. Doppelzahlungen, Zahlungsverspätungen, unerkannte offene Zinspositionen) nach sich.
224
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Abbildung 26: Die Synopse des Rechtsrahmens für den Einsatz von Derivaten in
Kommunen
Regelungen zum Einsatz von Derivaten in einzelnen Bundesländern1 Kriterien
BadenWürttemberg
Bayern
Erlass der Innenministerien
17.8.1998 AZ 22251.2/2 X
8.11.1995 nicht aktualisiert AZ IB 4513.1-2 X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X X
X
Spekulationsverbot Prinzip der Konnexität Organzuständigkeit Vertragspartner Vertragsumfang Organisatorische Voraussetzungen Anforderungen an Finanzmanagement Dokumentation Genehmigung Rechtsaufsichtliche Prüfung
X X
X
Brandenburg
MecklenburgVorpommern 28.1.2000 RunderRunderlass lass vom II/20 6.7.2002 X
X
X
X
X
X
X
X
X
X X
X X
Niedersachsen
Saarland
Sachsen
siehe Anmerkung2
siehe Anmer kung3
28.4.1999 28.9.1999 AZ-23aRunder2252.10/18 lass 32.1410245/1 X X
X
X
X
SachsenAnhalt
Quelle: Bundesverband öffentlicher Banken (Hrsg.). Die Inhalte der spezifischen Regelungen für Derivate sind dort jeweils unter der Ziff. 5 der länderweisen Darstellung vollständig abgedruckt.
______________ Anmerkungen: 1 In Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und in Thüringen bestehen keine expliziten Regelungen. 2 Anweisung des Innenministeriums des Landes Niedersachsen an die Aufsichtsbehörde, im Einzelfall die Rechtslage des Landes Baden-Württemberg anzuwenden. 3 Kein Erlass; die Haltung des Ministeriums des Innern des Saarlandes zum Abschluss von Derivaten, insbesondere Swap-Geschäften, durch die Kommunen wird in einem Schreiben vom 12.11.1998 an den Saarländischen Städte- und Gemeindetag dargestellt.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
225
Abbildung 27: Die Muster-Dienstanweisung1 für den Einsatz von derivativen
Finanzinstrumenten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement
Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeines 1.1 Geltungsbereich 1.2 Ermächtigungsgrundlagen 1.3 Begriffsbestimmungen 2. Allgemeine Anforderungen an den Einsatz von Finanzderivaten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement 2.1 Ziele des Derivateinsatzes 2.2 Funktionsalternativen des Derivateinsatzes 2.3 Konnexität 2.4 Wirtschaftlichkeit des Derivateinsatzes 3. Besondere Anforderungen an den Einsatz von Finanzderivaten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement 3.1 Marktbeobachtung 3.2 Marktanalyse 3.3 Zinsmeinung 4. Anforderungen an die Organisation eines kommunalen Zins- und Schuldenmanagements 4.1 Funktional-/Aufbauorganisation 4.2 Ablauforganisation 4.3 Zuständigkeiten 4.4 Personalorganisation 4.5 IT-Organisation 5. Verfahren beim Abschluss von Finanzderivaten 5.1 Grundsätze der Angebotseinholung und Vergabe 5.2 Handlungsvorschlag 5.3 Abschlussvorbereitung 5.4 Angebotseinholung 5.5 Form und Fristen der Angebotseinholung 5.6 Angebotsauswertung 5.7 Derivatabschluss/Zuschlag 5.8 Abwicklung des Derivatgeschäftes 6. Risikomanagement und Risikosteuerung 6.1 Organisation 6.2 Portfoliostruktur-Limite 6.3 Katalog zulässiger Finanzderivate 6.4 Produkt-Limite 6.5 Limite zur Sicherung von Kassenkrediten 6.6 Kontrahentenlimite 6.7 Betriebsrisiko 6.8 Rechtsrisiko 6.9 Liquiditätsrisiko 6.10 Verlustrisiko 6.11 Identifizierung und Quantifizierung von Risiken 6.12 Steuerung von Risiken im Portfolio 7. Dokumentation und Berichtswesen 7.1 Dokumentation 7.2 Berichtswesen 8. Verfahren für die Änderung und die Beendigung von Derivatgeschäften 9. Inkrafttreten
Anmerkung: 1 Der Erlass einer Dienstanweisung für den Einsatz von Finanzderivaten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement ist conditio sine qua non (vgl. Sachsen, Derivaterlass vom 28.4.1999, Nr. 5.2; Thüringen, Derivaterlass vom 26.6.2006 Nr. 4) bzw. „empfohlen“ (vgl. Sachsen-Anhalt, Derivaterlass vom 31.5.2005 Nr. 5). Quelle: E. Grunwald: Effizientes Zins- und Schuldenmanagement in der Stadt Salzgitter, in: W. Müller (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Baden-Baden 2004, S. 74–92, S. 90.
226
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Abbildung 28: Die Strukturierung für den dokumentierten und nachvollziehbaren Einsatz
von Derivaten – Das Beispiel der Stadt Salzgitter
1. 2.
3. 4. 5.
6.
7.
8.
Einleitung Rahmenbedingungen 2.1 Ausgangslage 2.1.1 Liquiditätsmanagement 2.1.1.1 Wirtschaftlichkeitsrechnungen 2.1.1.1.1 Finanzierungsmittel 2.1.1.1.2 Zahlungsstromerwartung 2.1.2 Zinsmanagement Strategie der Stadt Salzgitter Märkte, an denen abgeschlossen werden darf Art, Umfang, Rechtliche Gestaltung und Dokumentation der Geschäfte 5.1 Art und Umfang der Geschäfte 5.1.1 Kassenkredite 5.1.1.1 mit variabler Verzinsung 5.1.1.2 mit Zinsfestschreibungen 5.1.2 Kommunalkredite mit und ohne Zinsfestschreibung 5.1.3 Derivate 5.2 Dokumentation und Vertragsgestaltung 5.2.1 Kreditverträge/-zusagen 5.2.2 Derivate/Rahmenvertrag für Finanztermingeschäfte Kennzahlen (Verfahren zur Messung, Analyse, Überwachung und Steuerung der Risiken 6.1 Risikoarten 6.1.1 Cash Flow-Risiko 6.1.2 Wertänderungsrisiko 6.2 Risikokennzahlen 6.2.1 Offene Positionen durch variable und aus der Zinsbindung kommende Kredite, für die neue Zinsvereinbarungen getroffen werden müssen (Kassenkredite und Kommunalkredite) 6.2.1.1 Aussage 6.2.1.2 Messmethode/Modell 6.2.1.2.1 Volumen der offenen Positionen 6.2.1.2.2 Berechneter Rückzahlungswert der Prognose 6.2.1.2.3 Berechneter Wert der offenen Positionen 6.2.2 Durchschnittliche Kapitalbindungsdauer 6.2.2.1 Aussage 6.2.2.2 Messmethode/Modell 6.2.3 Durchschnittliche Zinsbindungsdauer 6.2.3.1 Aussage 6.2.3.2 Messmethode/Modell 6.2.4 Berechneter Wert der Kredite und Derivate 6.2.4.1 Aussage 6.2.4.2 Messmethode/Modell 6.2.5 Überschlägiger Kurs der Kredite 6.2.5.1 Aussage 6.2.5.2 Messmethode/Modell 6.2.6 Value at Risk der offenen Positionen 6.2.6.1 Aussage 6.2.6.1.1 Value at Risk der offenen Positionen für Kommunalkredite 6.2.6.1.2 Value at Risk der offenen Positionen für Kassenkredite 6.2.6.2 Messmethode/Modell 6.2.7 Sensitivitäten 6.2.7.1 Aussage 6.2.7.2 Messmethode/Modell Höhe der zulässigen Limite für ausgewählte Risikopositionen und Vorgaben für die ausgewählten Benchmarks 7.1 Limite 7.1.1 Value at Risk der offenen Positionen 7.1.2 Volumen der Kassenkredite gem. Genehmigung 7.1.3 Volumen der Kommunalkredite 7.1.4 Volumen der Derivate 7.2 Benchmarks 7.2.1 Zinssatz für Kommunalkredite 7.2.2 Zinssatz für Kassenkredite Inkraftsetzung
Quelle: E. Grunwald: Effizientes Zins- und Schuldenmanagement in der Stadt Salzgitter, in: W. Müller (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Baden-Baden 2004, S. 74–92, S. 91 f.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
4.2
Die Ansätze zur Risikobegrenzung
(1)
Ein funktionaler, sukzessiver Risikomanagement-Prozess ist durch die Schritte105
(2)
105
106
227
Risikoidentifizierung, Risikoquantifizierung, Risikosteuerung und Risikocontrolling
gekennzeichnet. In einem ersten Schritt sind im Rahmen der Risikoidentifikation die Zinsänderungsrisiken zu erfassen. Dabei sollte ein Zinsbindungsverlauf des Portfolios erstellt werden. Dieser weist den Anteil der Kredite mit einer variablen und festen Zinsbindung aus. Dabei gelten Festzinskredite, die in der jeweils betrachteten Periode aus der Zinsbindung auslaufen als variable Positionen. Die Risikoquantifizierung kann mit Hilfe der Szenarioanalyse erfolgen. Dabei kann die Bewertung der Zinsänderungsrisiken entweder mit der Hilfe von „value at risk“ oder den auf dieser Basis aufbauenden „cash flow at risk“-Größen erfolgen. Die so identifizierten und quantifizierten Zinsänderungsrisiken sind zu steuern. Das Ziel der Risikosteuerung ist die Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Risiken zu reduzieren oder deren Tragweite zu begrenzen. Diese Steuerung muss sich an festgelegten Risikolimiten orientieren. Die Risikosteuerung kann aktiv darauf abzielen, Risiken zu vermeiden, zu minimieren bzw. zu diversifizieren. Passiv kann sie auf Risikotransfer bzw. Risikovorsorge angelegt sein. Das Risikocontrolling prüft, ob die rechtlichen Voraussetzungen für den Instrumenteneinsatz vorlagen und die definierten Risikolimite eingehalten worden sind. Der Instrumenteneinsatz ist zu dokumentieren und ein turnusmäßiger Bericht ist für die politischen Gremien zu erstellen. In Ergänzung dieser generellen Struktur der Risikosteuerung ist Folgendes anzumerken: Im Hinblick auf die Eingrenzung des Zinsänderungsrisikos bedarf es zum einen klarer Vorgaben zur Risikobegrenzung durch die politischen Gremien106, zum anderen aber auch eindeutiger Regeln für die Steuerung des Risikos. Hinsichtlich der Risikolimitierung reicht eine haushaltsrechtliche Begrenzung auf den Nominalwert der zulässigen Geschäfte nicht aus. Durch diese am Nennwert der Geschäfte orientierte Betrachtung bleiben risikoreduzierende Effekte zwischen originären und derivativen Finanzgeschäften unberücksichtigt. Weiterhin geht bei einem solchen Ansatz die mittlere durchschnittliche Laufzeit der zugrunde liegenden Titel (Duration) nicht in Vgl. K. Birkholz: Derivate zur Steuerung von Zinsänderungsrisiken in der kommunalen Praxis – empirische Befunde, a. a. O., S. 179. Vgl. Landesrechnungshof Schleswig-Holstein: Bericht des Landesrechnungshofs Schleswig-Holstein an den Landtag und an die Landesregierung gemäß § 99 LHO über das Ergebnis der Prüfung der Vereinbarungen zur Begrenzung von Zinsänderungsrisiken sowie zur Optimierung der Kreditkonditionen (derivative Finanzinstrumente), Kiel 1997; C & L Deutsche Revision: „Über die Sachverständigentätigkeit im Zusammenhang mit dem Einsatz derivativer Finanzinstrumente durch das Land Schleswig-Holstein für den Landesrechnungshof Schleswig-Holstein“, Hamburg 1996.
228
(3)
(4)
Teil F. Die kommunale Verschuldung
die Risikobetrachtung ein. Insbesondere bei Optionsgeschäften, deren Wert in hohem Maße von der Schwankungsbreite des Marktkurses (Volatilität) abhängt, führt eine Risikobeurteilung auf der Basis nominaler Kontraktvolumina nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Auch deshalb ist es zur globalen Begrenzung der Zinsänderungsrisiken sinnvoll, den haushaltsrechtlichen Ermächtigungsrahmen für den Abschluss derivativer Finanzgeschäfte um eine am Marktpreisrisiko orientierte Größe (z. B. die zu Marktpreisen bewertete offene Zinsposition) zu ergänzen. Aus den genannten Gründen wäre es ebenfalls zweckmäßig, im Zusammenhang mit der Steuerung des Zinsänderungsrisikos die bisherige einzelgeschäftsbezogene Betrachtung aufzugeben und stattdessen zu einer portfoliobezogenen Sichtweise überzugehen. Das Zinsänderungsrisiko der öffentlichen Hand kann nur dann effizient gesteuert werden, wenn sämtliche originären Mittelaufnahmen und die ihnen gegenüberstehenden Derivate in einem Risiko-Portfolio zusammengefasst werden. Innerhalb dieses Portfolios sollten die Geschäfte in regelmäßigen Abständen (z. B. einmal pro Monat) mit einem einheitlichen Maßstab bewertet werden. Als Wertgröße kommen hierfür z. B. die aktuellen Marktpreise der Geschäfte oder die Zinsprognosewerte der Debt-Manager in Betracht. Die Beurteilung anhand aktueller Marktpreise und die Einführung eines Risikosteuerungssystems auf der Grundlage von Verlustlimiten (z. B. nach dem „money-at-risk“-Ansatz) setzt eine entsprechende EDVStruktur voraus, um die alternative Zinsstrukturkurve laufend in die Betrachtung einbeziehen zu können. Neben der stichtagsbezogenen Ermittlung von Risikobeiträgen könnte mit Hilfe des Portfolioansatzes untersucht werden, welche Gewinne oder Verluste aus den im Portfolio zusammengefassten Geschäften bei einer Veränderung der Zinsstrukturkurve zu erwarten sind. Derartige Sensitivitätsanalysen sind ein unabdingbarer Bestandteil der Risikosteuerung107. In diesem Zusammenhang sollen diese generellen Hinweise genügen, die damit zusammenhängenden Einzelfragen werden im Abschnitt 5. erörtert. Ansätze für eine entsprechende Steuerung dieser Risiken sind z. B. das Portfoliokonzept des Landes Schleswig-Holstein108 bzw. das Konzept des Idealportfolios der Stadt München109. Das Portfoliokonzept im Debt Management des Landes Schleswig-Holstein kann verstanden werden als wirtschaftliche Ergebnis-Risikosteuerung unter Berücksichtigung der haushaltsmäßigen Rahmenbedingungen:
107
108
109
Grundlage für die Steuerung sind die jährlichen Zinsausgaben aus Zinsderivaten über den Planungshorizont von 10 Jahren (cash flow-Orientierung). Die Höhe der Zinsausgaben im Zeitablauf i. S. effektiver Ausgaben ist ein zentraler Aspekt für die Haushaltsführung. Damit unterscheidet sich die Zielgröße insbesondere vom Bankenbereich, wo mit Blick auf das Handelsgeschäft die cash flows im Barwert als Zielgröße zusammengefasst werden.
Vgl. K. Schaffer: Wirtschaftliche Erfolgskontrolle und Verfahren zur Ergebnis- und Risikosteuerung für Zinsderivate sowie für variable und strukturierte Darlehen, Kiel 2001, S. 11 ff. Vgl. C. Jungk: Steuerung und Begrenzung der Risiken aus Zinsderivaten, in: W. Müller u. a. (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Baden-Baden 2004, S. 37–62, S. 47 ff. Vgl. R. Sperl: Städtische Schuldenverwaltung – Reaktionen auf veränderte Rahmenbedingungen am Beispiel der Landeshauptstadt München, in: W. Müller u. a. (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Baden-Baden 2004, S. 63–71, S. 63 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(5)
229
Mit dem Verfahren werden die Zinsausgaben aus dem Ist- und aus dem PlanPortfolio wirtschaftlich im Vergleich zu den Zinsausgaben eines (synthetischen) Referenz-Portfolios gesteuert. Die Zinsausgaben des Referenz-Portfolios sind sowohl der Maßstab für die Ergebnis-Risiko-Steuerung als auch für die Ergebniskontrolle. Die wirtschaftlichen Ergebnisse in Form der jährlichen Zinseinsparung im Vergleich zum Referenz-Portfolio werden zusammen mit den haushaltsmäßigen Zinsausgaben im Haushalt ausgewiesen. Weiterhin werden mit Hilfe des Verfahrens die Zinsausgaben des Haushalts und der mittelfristigen Finanzplanung geplant und gesteuert. Die Zinsänderungsrisiken sind in diesem Zusammenhang die potenziellen Zinsmehrausgaben, die sich bei einer von den Zinsannahmen des Haushalts abweichenden Zinsentwicklung ergeben. Die Ist-Zinsausgaben werden im Rahmen der kommunalen Haushaltsrechnung nachgewiesen. Die Zinsszenarien enthalten grundsätzlich mehrere Zinskurven im Zeitablauf. Dadurch lassen sich mit Blick auf die längerfristige Zielsetzung der Optimierung Zinsentwicklungen im Zeitablauf simulieren. Zur Errechnung der Zinsänderungsrisiken wird dem Haushalts-Zinsszenario ein sog. Risiko-Zinsszenario gegenüber gestellt. Das Risiko-Zinsszenario wird mit Hilfe eines standardisierten Verfahrens auf der Basis historischer Zinssätze ermittelt. Das Risiko-Zinsszenario ist mit einer wahrscheinlichkeitstheoretischen Aussage verknüpft (Konfidenzniveau 95%). Zur Begrenzung der Zinsänderungsrisiken wird mit dem Haushalt Jahresweise eine Obergrenze (Limit) per Gesetz parlamentarisch festgelegt. Das Limit bezieht sich auf die Schwankungsbreite der gesamten Zinsausgaben im Haushalt bei einer abweichenden Zinsentwicklung. Darüber hinaus besteht ein Bestandslimit für Zinsderivate in der Form, dass der laufende Vertragsbestand höchstens die Hälfte des Gesamtschuldenstandes ausmachen darf. Geschäfte zur Begrenzung des Zinsänderungsrisikos sind dabei ausgenommen. Die Limite werden im Rahmen des Berichtswesens und des Controllings im Vollzug laufend überwacht. Schließlich wird im Haushalt eine sog. Zinsausgleichsrücklage gebildet. Diese dient – mit Blick auf die längerfristige Zielsetzung der Optimierung – der Verbuchung von Zinsbestandteilen aus Zinsderivaten zur risikoadäquaten und periodengerechten Abgrenzung der Zinsausgaben. Damit wird der Gefahr kurzfristiger Ergebnisverbesserung zu Lasten größerer langfristiger Zinsänderungsrisiken begegnet. Die Zweckbindung der Rücklage ist im Haushaltsgesetz verankert.
Die Stadt München setzt das Konzept für das kommunale Debt Management auf ein „Idealportfolio“. Dieses ist jenes Portfolio, bei dem sich Zinshöhe und Risiko ausgleichen. Ermittelt wird es durch finanzmathematische Berechnungen auf Basis von Daten der zurückliegenden 20 Jahre. Das Idealportfolio gliedert sich dabei in einen Geldmarktanteil und in einen Kapitalmarktanteil. Dabei werden für den Geldmarktbereich die Zinsbindungsfristen aufgrund der Zinsentwicklung der zurückliegenden Jahre vorgegeben. Als Resultate ergeben sich die idealen Zinsbindungsfristen für den Kapitalmarktbereich. Dieses Idealportfolio wird in zwei- bis dreijährigen Ab-
230
(6)
110
Teil F. Die kommunale Verschuldung
ständen neu berechnet und wird durch das Debt Management sukzessive nachmodelliert. Im Rahmen dieses Konzeptes hat der Stadtrat von München den zulässigen Geldmarktbereich – und damit das offene Risiko – auf 30% des aktuellen Kreditportfolios begrenzt. Dieser Geldmarktbereich kann mit Hilfe von Zinsderivaten gesichert werden. Als Reflex des Geldmarktbereiches umfasst der Kapitalmarktbereich des Idealportfolios 70% des jeweils aktuellen Gesamtkreditportfolios. Auf Basis finanzmathematischer Berechnung gliedert sich der Kapitalmarktbereich in drei Zinsbindungssegmente: Das kurzfristige Kapitalmarktsegment mit Zinsbindungsfristen von mehr als einem Jahr bis zu drei Jahren ist auf maximal 30% des Kapitalmarktbereiches (insgesamt also 30% von 70% = 21%) begrenzt, das mittelfristige Kapitalmarktsegment mit Zinsbindungsfristen von vier bis sieben Jahren darf maximal 70% des Kapitalmarktbereiches (70% von 70% = 49%) betragen, das langfristige Kapitalmarktsegment mit Zinsbindungsfristen von acht Jahren und mehr muss mindestens 30% (= 21% des Kapitalmarktbereiches) umfassen. Die Segmente werden als Limite behandelt und überwacht. Hinsichtlich der Begrenzung des Adressenausfallrisikos ist auf Folgendes zu verweisen: In der Regel ist die Gemeinde Schuldner, d. h. sie erhält einen Kredit, das Kreditrisiko trägt die Bank als Gläubiger der Kreditsumme und der Zinsen. Diese Konstellation gilt jedoch nicht für Geschäfte mit Derivaten. Wenn die Gemeinde z. B. einen Cap kauft, nimmt sie die Position des Gläubigers ein. Das heißt, sie leistet eine Prämienzahlung und erwartet dafür eine Ausgleichszahlung im Falle des Eintritts einer bestimmten Zinssituation. Sie trägt damit das Risiko, das die Bank, die den Cap verkauft hat, auch leistet. Ähnlich ist die Situation für die Kommune im Swap, wenn sie an die Bank variabel (z. B. den 6-Monats-EURIBOR) bezahlt und von der Bank den Festsatz erhält. Denn gemäß den Usancen im Swap wird der Festsatz jährlich nachträglich gezahlt mit der Folge, dass der Zahler der variablen Seite seine Zahlung zur Hälfte ein halbes Jahr früher leistet und erst am Ende des Jahres erfolgt die volle Gegenrechnung von variabler und fester Zahlung. Das Risiko, dass die andere Seite nicht leistet, muss durch die Wahl des Geschäftspartners ausgeschaltet werden. Es kann also nur mit sog. ersten Adressen kontrahiert werden, d. h. mit Banken, die mindestens über ein A-Rating verfügen. Das Adressenausfallrisiko kann insbesondere durch die Begrenzung des Kreises der Kontrahenten sowie durch die Vorgabe von Kontrahentenlimiten begrenzt werden. Bei der Auswahl der Adressen sollte man sich ausschließlich auf Partner mit einem Rating, zumindest auf dem Niveau „investment grade“, beschränken. Für die Kontrahentenlimite bietet es sich an, die Nominalbeträge der abgeschlossenen Geschäfte mit geeigneten Verfahren in Kreditäquivalente umzurechnen. Dadurch wird eine Gleichnamigkeit der Risikobeträge aus originären und derivaten Finanzgeschäften erreicht. Die Ermittlung der kreditäquivalenten Beträge sollte mit Hilfe der vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen entwickelten Laufzeitmethode gemäß Grundsatz I Abs. 6 KWG (heute: Solvabilitätsverordnung)110. Im Zusammenhang mit der Begrenzung der Adressenausfallrisiken sollte der haushaltsrechtliche Ermächtigungsrahmen um eine an kreditäquivalenten Beträgen Vgl. T. Prager: Risikomessung für Portfoliomanagement und Controlling: Kann die öffentliche Hand von der Kreditwirtschaft lernen?, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 1997, H. 16, S. 471–478, S. 471 ff.
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(7)
(8)
orientierte Vorgabe für die maximale Gesamthöhe des Adressenausfallrisikos ergänzt werden. In Bezug auf das Marktliquiditätsrisiko sollte es sich bei den derivativen Finanzinstrumenten hinsichtlich des Volumens, der Produktart und der Ausstattung um „gängige“ Produkte handeln. Die zulässigen geographischen Märkte sollten auf das Inland und auf die großen Finanzzentren beschränkt werden. In den liquiden Instrumenten wird eine vorübergehende Verzerrung rasch durch Arbitragegeschäfte der Marktteilnehmer aufgehoben. Bei komplexeren und damit tendenziell weniger liquiden Instrumenten und insbesondere bei angespannten Marktsituationen besteht ein Substitutionsrisiko. Darunter ist das Risiko zu verstehen, dass beim gewünschten Schließen einer offenen Position nicht oder nicht schnell genug der faire Wert erzielt werden kann. Wird aber eine Position dann durch Abschluss eines Gegengeschäftes aufgelöst, bestehen zwei Positionen mit entsprechenden Bonitätsrisiken. Rechtsrisiken sollten weitgehend dadurch ausgeschlossen werden, dass den einzelnen Geschäftsarten Rahmenverträge zugrunde gelegt werden und deren Verwendung obligatorisch ist. Hinsichtlich derivativer Geschäfte bei Kommunen ist darüber hinaus auf eine Besonderheit hinzuweisen:
(9)
111
231
Der sachliche Zusammenhang zwischen der Kreditaufnahme und dem Derivat sollte durch eine rechtsverbindlich unterzeichnete Erklärung (Grundgeschäftserklärung der Gemeinde) bestätigt werden. Mit dem Dritten Finanzmarktförderungsgesetz aus dem Jahr 2000 sind die in § 31 Abs. 2 WpHG geregelten Mitteilungspflichten auf Derivate erweitert worden. Die hiernach erforderliche Aufklärungspflicht der Banken vollzieht sich in zwei Stufen. Zum einen über die Aushändigung der Broschüre „Basisinformationen über Finanzderivate“, zum anderen über ein qualifiziertes Beratungsgespräch, in dem die Gemeinde auf die möglichen Chancen und Risiken des Derivates hingewiesen wird. In diesem Zusammenhang sollte auch die Zinsmeinung der Gemeinde erörtert werden. Da diese nicht börsentermingeschäftsfähig sind, ist die für die Wirksamkeit bestimmter Finanztermingeschäfte erforderliche Börsentermingeschäftsfähigkeit nur durch Aushändigung des Informationsblattes („Wichtige Informationen über Verlustrisiken bei Börsentermingeschäften“) herzustellen.
Das Betriebsrisiko kann durch die o. g. aufbau- und ablauforganisatorischen Maßnahmen begrenzt werden. Detaillierte Hinweise für solche Regelungen finden sich z. B. in dem Bericht der C & L Deutsche Revision „über die sachverständige Tätigkeit im Zusammenhang mit dem Einsatz derivativer Finanzinstrumente durch das Land Schleswig-Holstein für den Landesrechnungshof Schleswig-Holstein“ von 1996111. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Betriebsrisiko beim Einsatz von Derivaten im Debt Management durch folgende Voraussetzungen bzw. Maßnahmen auf ein vertretbares Maß eingegrenzt werden kann: Vgl. G. Halvax: Grundsätzliche Erfordernisse im internen Kontrollsystem als Voraussetzung einer wirksamen Risikokontrolle bei neuen Finanzinstrumenten, in: Österreichisches Bank-Archiv, Jg. 1989, S. 1149–1160, S. 1149 ff.
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Teil F. Die kommunale Verschuldung
(10)
112 113
114
115
eindeutige Funktionstrennung zwischen Handel, Abwicklung und RisikoControlling, eine Ablauforganisation auf überprüfbarer Basis, schriftliche Regeln für die Bewilligung und den Einsatz der Marktinstrumente und der Kontrahenten, eindeutige Limite durch Vorgabe der politischen Gremien, ein regelmäßiges Berichtswesen, das für Risikotransparenz sorgt und das vor allen Dingen das ökonomische Zinsrisiko transparent macht, d. h. nicht nur den Effekt steigender Zinsen im Hinblick auf den Aufwand reflektiert (cash flowRisiko), sondern auch die potenziellen Barwertschwankungen eines Kreditportfolios indiziert (Barwertrisiko), für Zins- und Liquiditätsrisiken einen Abgleich zwischen aktueller Position und Limit zeigt und die eingesetzten Instrumente und Kontrahenten identifiziert.
In diesem Zusammenhang ist zu unterstreichen, dass für den Handel und die Abwicklung derivativer Finanzgeschäfte nach Maßgabe dieser Kriterien ein integriertes EDV-System mit entsprechenden Schnittstellen und Kontrollroutinen erforderlich ist, vor allem in Hinblick auf die Anbindung an das sog. HKR-Programm (EDVProgramm für Haushaltskassen und Rechnungswesen)112. An dieser Stelle ist darauf zu verweisen, dass die durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) für Kreditinstitute erstellten Mindestanforderungen an das Risikomanagement113 eine Trennung von Markt bzw. Handel, Marktfolge, Risikocontrolling sowie Abwicklung und Kontrolle vorsehen. Diese Anforderungen hat die Arbeitsgruppe „Finanzmanagement/Treasury“ beim Deutschen Städtetag in der erwähnten Musterdienstanweisung für die Aufnahme und die Umschuldung von Krediten aufgegriffen und fordert unter Punkt 2.3 die „strikte funktionale Trennung zwischen Handel und Abwicklung nach dem Vieraugenprinzip“. Empirische Analysen114 zeigen allerdings, dass diesen Anforderungen bislang nur unzureichend Rechnung getragen wird. Die Umfragen zeigen, dass knapp 40% der Kommunen eine solche funktionelle Trennung bislang nicht vollzogen haben. Eine organisatorische Trennung wird von 55% der befragten Kommunen nicht praktiziert. Die o. g. Voraussetzungen wurden bisher in knapp 85% der insgesamt 212 befragten Kommunen nicht erfüllt. Zwar reduziert sich dieser Anteil unter jenen Kommunen, die Derivate nutzen. Ebenfalls fehlen Maßnahmen für evtl. virulent werdende Risiken. So erfasst die Stadt München „die Ergebnisse des Kredit- und Derivatemanagements“ laufend über eine gesonderte Rücklage (Zinsausgleichsrücklage)115. Auch in diesem Bereich identifizierte die Umfrage noch ein deutliches Defizit, da rd. 92% der Kommunen nicht über ein Instrument der Risikovorsorge verfügen.
Vgl. Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg: Das Schuldenmanagement, Hamburg 1998, S. 228. Vgl. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Hrsg.): Rundschreiben 18/2005: Anforderungen an das Risikomanagement. Vgl. K. Birkholz: Derivate zur Steuerung von Zinsänderungsrisiken in der kommunalen Praxis – empirische Befunde, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 2007, H. 4, S. 178–183, S. 182. Vgl. R. Sperl: Städtische Schuldenverwaltung – Reaktionen auf veränderte Rahmenbedingungen am Beispiel der Landeshauptstadt München, in: W. Müller u. a. (Hrsg.): Reformoptionen für das kommunale Schuldenmanagement, Baden-Baden 2004, S. 63–71, S. 70.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
233
(11)
Der Bund und die Länder haben Anfang der 90er Jahre zusammen mit dem Bundesverband deutscher Banken und dem Bundesverband öffentlich-rechtlicher Banken ein abgestimmtes standardisiertes Vertragsmuster für die Dokumentation von derivativen Geschäften ausgearbeitet. Sie stehen seit dem in Kontakt und passen das Vertragswerk bei Bedarf einvernehmlich an neue Entwicklungen an. Es liegt nahe, dass auch die kommunale Ebene sich dieses Vertragsmusters bedient. Dieses hat folgenden Aufbau: Die öffentlich-rechtliche Körperschaft und die Bank schließen einen Rahmenvertrag ab und innerhalb dieses Rahmenvertrages werden die einzelnen Geschäftsabschlüsse jeweils bei Abschluss auf einem dafür vorgesehenen Formular dokumentiert. Im Ergebnis bilden der Rahmenvertrag und alle einzelnen Abschlüsse einen einheitlichen Vertrag. Abb. 29116 gibt eine erste Orientierung für eine rechtlich einwandfreie Dokumentation von derivativen Geschäften am Beispiel des Kaufs einer Zinsobergrenze. Dieses Muster enthält eine Struktur sowohl für die interne Dokumentation als auch für die gegenseitige Bestätigung der Geschäfte zwischen der Bank und der Gemeinde. Sie entspricht der dabei anzulegenden Sorgfaltspflicht und ist nicht nur im Verhältnis zwischen Bank und Kommune von Bedeutung, sondern auch im Hinblick auf die Prüfung des Einsatzes von Derivaten durch die Kommunalaufsicht bzw. durch den Rechnungshof.
4.3
Die instrumentellen und organisatorischen Voraussetzungen für eine integrierte Ergebnis-Risiko-Steuerung
(1)
Unabhängig von den genannten Einzelaspekten der Risikosteuerung kommt es darauf an, diese Elemente in einem übergeordneten strategischen Zusammenhang zu stellen und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Diese Integrationsleistung definiert gleichzeitig die spezifische Rolle des Risikocontrollings im Rahmen einer integrierten Ergebnis-Risiko-Steuerung. Aus strategischer Sicht muss die Risikosteuerung bei diesem Ansatz zwei Grundsatzfragen beantworten:
116
Die Frage nach der Risikotragfähigkeit und die Frage nach der Risikoperformance (Lohnt sich die Risikoübernahme?).
Vgl. G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001, S. 61.
234
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Abbildung 29: Die Dokumentation für den Kauf einer Zinsobergrenze (Cap) Daten zum Cap Datum Eigene lfd. Nummer Vertragspartner Nr. des Vertragspartners Name des Gesprächspartners Uhrzeit des Abschlusses Bezugsbetrag (Mio. EUR) Basissatz Höchstsatz (Satz der Zinsobergrenze, die sog. Cap Rate) Vertragsbeginn Erstes Fixing Vertragsende Letztes Fixing Zahlungstermin im Falle einer Ausgleichszahlung Prämienzahlung in einer Summe am ...... in Höhe von ...... EUR Prämienzahlung annulisiert in Höhe von ..... EUR, erstmals am ..... Daten zum Grundgeschäft Darlehen Nr. Betrag Zinszahlungstermin Beginn Zinslauf Ende Zinslauf Fällig am ..... in Höhe von (voraussichtlich) ..... Bemerkungen Konzeptionelle Begründung Zinsumfeld Quelle: G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001.
(2)
Diese Fragestellungen verdeutlichen, dass in eine so verstandene Risikosteuerung alle wichtigen Risikokategorien und alle Ergebnis- bzw. Ertragskomponenten einfließen müssen. Die konkrete Umsetzung erfordert eine hohe Integrationsqualität und -fähigkeit. In der Praxis sind für den prozessualen Ablauf dabei folgende Maßnahmen wesentlich:
(3)
Ableitung und Überwachung von Kontrollgrößen, durch Gegenüberstellung von Ist- und Planwerten, Überwachung von Limiten und Erfassung von Abweichungen, Ursachenbestimmung, d. h. Quantifizierung der Teilabweichungen sowie Analyse von deren Herkunft und Einfluss, Beurteilung der Abweichungen, d. h. die Darstellung der Auswirkungen bzw. Konsequenzen und Erarbeitung von Korrekturvorschlägen.
Die Erfahrungen zeigen, dass dabei vor allen Dingen folgende Anforderungen erfüllt sein müssen:
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(4)
Entsprechende personelle Ressourcen, insbesondere mit einer fachbezogenen Ausbildung und einer entsprechenden laufenden Weiterbildung, müssen verfügbar sein. Eine entsprechende Hardware-Umgebung (leistungsfähiger Rechnung bzw. Datenbankserver) vor allem zur Steuerung der Zinsausgaben und der damit verbundenen Risiken muss eingerichtet werden. Der Schwerpunkt muss auf der portfolio-orientierten Ergebnis-Risiko-Steuerung der Zinsausgaben (Marktrisiko) liegen. Die Entscheidungsträger müssen frühzeitig eingebunden werden. Die Risikosteuerung setzt voraus, dass die Verantwortung für die Beurteilung der Risikotragfähigkeit und die Ableitung von Limiten klar definiert und entsprechend zugeordnet ist. Ein aussagekräftiges Berichtswesen und ein regelmäßiger Berichtsturnus müssen implementiert werden. Es muss eine unabhängige Controllingeinheit geschaffen werden.
Im Folgenden sollen einige Hinweise auf die organisatorische Umsetzung dieser Anforderungen gegeben werden.
(5)
235
Es ist durch geeignete Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu gewährleisten, dass das Qualifikationsniveau des Personals dem aktuellen Stand der Entwicklung entspricht. Dabei ist insbesondere den Anforderungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) im RS 5/2007 – „Mindestanforderungen an das Risikomanagement“ (MaRisk) – zu entsprechen. Für die Aufbauorganisation empfiehlt es sich, den für das Schuldenmanagement zuständigen Fachbereich in Anlehnung an die MaRisk in ein Frontoffice (Handelstätigkeit), ein Backoffice (Abwicklung Controlling/Rechnungswesen) sowie in ein Middleoffice (Controllingüberwachung, Innenrevision) zu gliedern. Die EDV muss dieser Gliederung von Frontoffice über Middleoffice zu Backoffice zumindest mit folgenden Komponenten entsprechen: Darlehensbuchhaltung, Derivatebuchhaltung, Marktinformationssystem (z. B. Reuters, Blomberg oder sonstige), das ein Einspielen jeweils aktueller Marktdaten in das Gesamtsystem ermöglicht und ein Risikomanagementsystem, mit dem die jeweiligen Risiken aktuell bewertet bzw. die erwarteten Risiken und Entwicklungen betrachtet werden.
Ein aktives Schuldenmanagement erfordert weiterhin ein über die kommunalgesetzlichen Anforderungen hinausgehendes aussagefähiges Berichtswesen, insbesondere für die politischen Entscheidungsträger. Beispielhaft soll hier das Reporting, das die Stadt Salzgitter im Rahmen ihres kommunalen Debt Management eingeführt hat und das im quartalsmäßigen Rhythmus erfolgt, dargestellt werden (vgl. hierzu Abb. 30). Dabei werden die konkreten vertraglichen Vereinbarungen über Kredit- und – soweit abgeschlossen – Derivateverträge mit der zu 95% unterstellten Wahrscheinlichkeit eintretenden Zinsentwicklung für die nächsten 21 Arbeitstage abgeglichen.
236
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Damit wird implizit die Frage nach notwendigen Strategiewechseln gestellt, weil sich eben der Zinsmarkt zu einer 95%igen Wahrscheinlichkeit verändert oder eben nicht verändert. Das Reportsystem ist auf die aktuelle Strategie der Stadt Salzgitter ausgerichtet, die darin besteht, dass der Wert, der in der Zukunft tatsächlich zu leistenden Zins- und Tilgungsaufwendungen den Wert der in der mittelfristigen Finanzplanung geplanten Zins- und Tilgungsaufwendungen nicht übersteigt. Die Abb. 30 zeigt schematisch den Inhalt dieses Reports. Mit diesem Reporting ist zugleich auch eine Erfolgskontrolle des kommunalen Debt Management gewährleistet. Die Abb. 31 fasst die Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Einsatz von Derivaten im kommunalen Schuldenmanagement zusammen. Abbildung 30: Das Beispiel für einen Report für den Kauf einer Zinsobergrenze Buchwert der Kredite in EUR berechneter Rückzahlungswert der Prognose (Planung) in EUR ber. Rückzahlungswert der Kredite und Derivate in EUR berechneter Wert der offenen Positionen in EUR
10.000.000 12.000.000 11.000.000 1.000.000
Value at Risk aus der Zinsbindungslücke innerhalb eines Monats (Konfidenzniveau 95% in EUR) aktuelle Limitausnutzung max. Limitausnutzung
240.000 24% 70%
berechneter Kurs der Kredite
110,0%
Durchschnittsverzinsung der Planung per Stichtag Durchschnittsverzinsung der Kredite per Stichtag Durchschnittliche Zinsbindung der Kredite in Jahren Durchschnittliche Kapitalbindung der Kredite in Jahren
6,5% 5,5% 6,5 9,5
Quelle: G. Schwarz: Steuerung der Zinsausgaben durch Zinsderivate: Ein Leitfaden für die kommunale Praxis, Wiesbaden 2001.
Dabei sind:
Buchwert der Kredite – aktueller Kontostand der Kredite. Berechneter Rückzahlungswert der Prognose – die geplanten Zins- und Tilgungsleistungen der in die Haushalts-/Finanzplanung eingehenden Kredite werden diskontiert und mit ihrem Wert ausgewiesen. Berechneter Rückzahlungswert der Kredite und Derivate – die Zins- und Tilgungszahlungen bis zum vereinbarten Zinsbindungsende der abgeschlossenen Kredite und Derivate werden diskontiert und mit ihrem Wert ausgewiesen. Berechneter Wert der offenen Positionen (Zinsbindungslücke) – die Differenz der beiden zuletzt genannten Werte entspricht dem Wert der offenen Positionen (Zinsbindungslücke). Der Wert sollte nicht negativ sein, da ansonsten die Planung nicht eingehalten werden kann. Value at Risk (VaR) – dieser Wert wird in Euro ausgewiesen und gibt an, wie sich in einem Zeitraum von 20 bzw. 21 Arbeitstagen (= ein Monat) und einer
Teil F. Die kommunale Verschuldung
237
Wahrscheinlichkeit von 95% der berechnete Wert der offenen Positionen aufgrund der Veränderbarkeit (Volatilität) der Marktzinsen ändern kann. maximale Limitausnutzung – um sicherzustellen, dass die Planung eingehalten werden kann, darf der VaR den Wert der offenen Positionen nicht übersteigen. Somit entspricht das Limit dem Wert der offenen Positionen (= 100%). Um einen Sicherheitsabstand einzuhalten, wird das VaR-Limit auf 70% des Wertes der offenen Positionen – für jede Kommune individuell – angepasst. aktuelle Limitausnutzung – der VaR wird ins Verhältnis zur offenen Position gesetzt und zeigt an, ob Steuerungsbedarf besteht (maximale Limitausnutzung wird erreicht oder gar überschritten) und nicht besteht (aktuelle Limitausnutzung < maximaler Limitausnutzung). Zur Steuerung werden dann Zinsbindungsvereinbarungen in Kreditverträgen oder über Derivate eingesetzt. Die gewünschten Einspareffekte können im Wesentlichen durch die Nutzung der Zinsdifferenz/des Carry zwischen den Geld- und Kapitalmarktzinsen (Kurzund Langfristzinsen) erzielt werden, wobei das Risiko des Zinsanstieges gegenüber der Planung durch den Einsatz von Zinssicherungsinstrumenten (Derivaten) gesteuert und das Risiko über den Report transparent gemacht wird. Kurs der Kredite – diese Kennzahl stellt die Relation zwischen Buchwert (= Kontoauszug) und dem aktuellen Marktwert der Kredite dar. Kurse > 100% zeigen einen für die Stadt nicht vorteilhaften Marktwert bei vorzeitiger Tilgung an, das heißt, der Rückzahlungsbetrag ist höher als der Buchwert laut Kontoauszug. Noch nicht berücksichtigt ist dabei der von der Bank i. d. R. in Rechnung zu stellende Margenschaden, der den Rückzahlungsbetrag weiter erhöht. Die übrigen Kennzahlen sind selbsterklärend.
238
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Abbildung 31: Die Bedingungen für einen erfolgreichen Einsatz von Derivaten Allgemeine gesetzliche Legitimation: Die Kommunalaufsicht und die Bürgervertretung der Kommune sollten per Gesetz bzw. Verordnung sowohl das Volumen als auch die Art der Derivate und eine Risikogrenze genehmigen. Haushaltsrechtliche Bedingung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit: Unter Berücksichtigung der allgemeinen Haushaltsgrundsätze ist das Eingehen von Risiken an strenge Bedingungen gebunden. Eine tragfähige Konzeption des Risikomanagements und der Risikokontrolle muss daher realisiert werden können. Dabei muss das Konnexitätsprinzip, also die Bindung eines Derivats an ein abgeschlossenes Basisgeschäft, gewährleistet sein. Rechnungslegung: Voraussetzung für die Risikosteuerung und Öffentlichkeit des Derivateinsatzes ist die getrennte Veranschlagung der derivaten Geschäfte in der Rechnungslegung der Kommune. Funktionstrennung: Die Aufbauorganisation muss eine Funktionstrennung zwischen Geschäftsabschluss, Abwicklung und Risikosteuerung gewährleisten. Die Ablauforganisation sollte durch geeignete Regelungen die Funktionstrennung in der Aufbauorganisation unterstützen und den Kenntnisstand der Mitarbeiter berücksichtigen. Zinsmeinung: Eine regelmäßige Feststellung der Zinsmeinung (Zinsprognose) muss institutionalisiert sein. Controlling: Eine systematische Erfolgsmessung durch ein anerkanntes Verfahren ist Voraussetzung für einen dauerhaften, wiederholten Einsatz von Derivaten. IT: Eine angemessene personelle und EDV-technische Ausstattung ist notwendig. Transparenz: Der Derivateinsatz muss für die Öffentlichkeit transparent sein. Eine regelmäßige Berichterstattung an die Bürgervertreter ist wünschenswert. Quelle: K. Reding, W. Müller: Neue Geschäftsmodelle für das kommunale Debt Management, in: T. Bieger u. a. (Hrsg.): Zukünftige Geschäftsmodelle, Berlin u. a. 2002, S. 221–246.
4.4
Die Auslagerung des kommunalen Debt Managements
(1)
Obwohl die Erfahrungen und das Wissen im Bereich der Kreditportfoliosteuerung bei den Kämmerern stetig zunehmen, sind die umfangreichen Anforderungen in den Kommunen selbst oft nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand zu erfüllen117. Nicht zuletzt haben Banken deshalb verschiedene Beratungskonzepte für die öffentliche Hand entwickelt. Diese Ansätze lassen sich in zwei Grundrichtungen untergliedern, den Beratungs- und den Treuhandansatz118. Beim Treuhandansatz wird das Management der kommunalen Schulden komplett an einen externen Berater vergeben. Die Kommune wird sowohl von der Arbeit als auch von den Entscheidungen in Bezug auf das Management entlastet. Das Risiko
(2)
117
118
Vgl. F. Kutschera: Kommunales Debt Management als Bankdienstleistung, Sternenfels 2003, S. 94–166, S. 166 ff. Vgl. H. Schremmer: Die Beurteilung des Zinsmanagements kommunaler Haushalte als Geschäftsfeld der Banken, Leipzig 1999, S. 94 ff.; N. Hornung: Kommunales Kreditmanagement als Synthese von Haushalt und Markt, in: Sachsenlandkurier, Jg. 2006, H. 3, S. 127–129, S. 127 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(3)
(4)
119
239
verbleibt in den meisten Fällen jedoch vollständig bei der öffentlichen Hand. Ein Wissensaufbau in den Kämmereien erfolgt bei diesem Konzept nur bedingt. Eine Beurteilung bzw. eine Kontrolle der abgeschlossenen Produkte durch die Kommunen ist somit nahezu unmöglich, wenn sie nicht über Steuerungs- und Bewertungstools einer Bank verfügt. Dies ist insbesondere dann problematisch, wenn ein solcher Treuhandvertrag beendet wird und das fremd gemanagte Schuldenportfolio wieder von der Kommune übernommen werden muss. In der Planungsphase individualisiert die Gemeinde das Produktangebot des externen Debt Managers, in dem sie den Einsatz der Gestaltungsparameter abwägt. Hier liegen die Gemeinde und der externe Debt Manager gemeinsam den Grundstein für den Erfolg oder Misserfolg des Debt Management-Mandates. Die anschließende Wahl des Stils des Portfoliomanagement hängt wesentlich von der Risikoneigung der kommunalen Entscheidungsträger und ihrer Einschätzung der Prognosefähigkeiten des Debt Managers ab. In den Bereichen Kontrollund Anreizmechanismen kann die Auftraggebende Kommune ihre Einflussnahme darauf beschränken, mit dem Debt Manager einen mittel- bis langfristigen Schuldendienstplan festzulegen, eine adäquate Benchmark zu fixieren und die wichtigsten Rahmenbedingungen vorzugeben. In diesem Rahmen kann sie dann dem externen Debt Manager die Freiheit lassen, über den Einsatz der Aktionsparameter in eigener Verantwortung zu entscheiden. Eine solche Treuhandlösung ist z. B. der Vertrag, den die Stadt Bottrop mit der Westdeutschen Landesbank in 2002 geschlossen hat. Bei diesem Vertrag berechnet die WestLB 0,15% des städtischen Schuldenbestandes zur Abdeckung der Grund- und Gemeinkosten. Die Bank profitiert darüber hinaus mit 20% an der finanziellen Verbesserung, die bei der Stadt Bottrop erreicht wird119. Beim Beratungsansatz verbleibt die Entscheidungshoheit bei der Kommune, die dadurch laufenden Einfluss auf die gewünschten Produkte und Risiken für das Portfolio nimmt. Dieser Einfluss kann institutionalisiert werden mit einem sog. Portfoliobeirat, der sich aus Entscheidungsträgern und den betroffenen Mitarbeitern der Kommune sowie Vertretern der Bank zusammensetzt. Dieses Gremium kann als zentrales Informations- und Kompetenzzentrum fungieren, in dessen Rahmen die für das Portfoliomanagement relevanten Entscheidungen getroffen werden. Ziel der Beratungen dieses Portfoliobeirates ist ein auf der gefundenen Zinsmeinung der Kommune aufbauendes strategisches und taktisches Management. Beim strategischen Management steht die Steuerung der Marktrisiken über einen längerfristigen Zeitraum im Vordergrund. Ziel ist die Nutzung eines günstigen Zinsniveaus zur längerfristigen Zinssicherung und sofortigen Zinsentlastung. Das taktische Management dagegen arbeitet mit den kurzfristigen Schwankungen an den Zinsmärkten, die im Jahresverlauf ausgenutzt werden können. Bei einem solchen Beratungsansatz trifft sich der Portfoliobeirat i. d. R. zwei bis vier Mal im Jahr, um die Strategie zu optimieren, die Taktik an den aktuellen Marktgegebenheiten auszurichten und neue Handlungsoptionen zu beschließen. Bei diesem Ansatz erhält das Kreditinstitut für die erbrachte Beratungsleistung ein periodisch festzusetzendes Entgelt. Nach empirischen Erhebungen nutzen zurzeit rd. 40% der Kommunen Derivate in ihrem Debt Management. Dabei besteht offensichtlich ein signifikanter ZusammenVgl. P. Noetzel: Outsourcing bei der Kämmerei, Bottrop lässt seine Schulden von der WestLB managen, in: Die Demokratische Gemeinde, Jg. 2004, H. 11, S. 8.
240
(5)
120
121 122
Teil F. Die kommunale Verschuldung
hang zwischen dem Derivateeinsatz und der Frage, wie das Debt Management in der einzelnen Kommune durchgeführt wird. Erfolgt die Umsetzung vollständig in eigener Regie, so verzichten rd. 42% der Kommunen auf die Nutzung dieser Finanzinstrumente. Wird das Debt Management jedoch unter Beteiligung von externen Beratern/ Finanzinstituten durchgeführt, so kehrt sich das Verhältnis um: Unter diesen Voraussetzungen machen 75% der Kommunen von Derivaten Gebrauch. In der Mehrzahl der Fälle wird das Debt Management in Eigenregie durchgeführt. Interessant ist jedoch, dass mit höherem Schuldenvolumen stärker auf externe Unterstützung zurückgegriffen wird120. Diese instrumentellen und organisatorischen Voraussetzungen laufen allerdings ins Leere, wenn es an einem „vernünftigen“ Risikobewusstsein fehlt. In jüngerer Zeit klagten einige deutsche Kommunen – z. T. erfolgreich – gegen ein großes deutsches Kreditinstitut, weil sie aus komplizierten Zinsswaps Millionen-Verluste erlitten haben121. Gegenstand der Klagen sind die Empfehlungen zu sog. CMS-Spread-LadderSwaps (CSL). CMS steht hierbei für „Constant Maturity Swap“, d. h., die Laufzeit der vereinbarten und zugrunde gelegten Zinsswaps bleibt stets gleich. Das Basisgeschäft orientiert sich somit nicht auf die Zinssätze am Geld- bzw. Kapitalmarkt, sondern auf die die Sätze von Swapgeschäften, die ihrerseits wiederum auf bestimmte Zinssätze am Geld- und Kapitalmarkt bestimmt werden. „Spread“ weist darauf hin, dass nicht nur auf einen Zinssatz zurückgegriffen wird, sondern auf die Differenz von zwei Zinssätzen. Es handelt sich somit um ein Zinsdifferenzgeschäft. „Ladder“ deutet darauf hin, dass sich im Zeitablauf des Geschäftes eine treppenförmige Abfolge von festen Zahlungselementen ergibt. CSL verkörpern im Endeffekt Spekulationen auf die Entwicklung der Zinsstruktur-Kurve am Swapmarkt122. Konkret: Sie unterstellen einen zunehmenden „Spread“ zwischen einem langfristigen und einem kurzfristigen Swapsatz. Während ein „klassischer“ Zinsswap z.B. Zinsrisiken variabler Kredite eliminieren kann – dies ist z. B. dann der Fall, wenn die der Zahlungsanspruch aus dem Swap variabel, die Zahlungsverpflichtung aber konstant und damit kalkulierbar ist – ist dies beim CSL-Swap nicht der Fall. Im Gegenteil: Die komplexe Konstruktion verstärkt sogar die Risiken, da sowohl die Zahlungsansprüche wie auch die Zahlungsverpflichtungen variabel vereinbart werden und damit nur schwer kalkulierbar sind: Der CSLInhaber empfängt auf der einen Seite Zahlungsströme in Abhängigkeit von kurz- bis mittelfristigen Swapkonditionen, auf der anderen Seite leistet er Zahlungen in Abhängigkeit von den längerfristigen Zinssätzen. Sowohl die empfangenen wie auch die geleisteten Zahlungen orientieren sich an den variablen Swapmarktsätzen, die je nach Marktgeschehen sehr volatil ausfallen können. Im Fall der kommunalen Klagen gegen das Kreditinstitut führten die CSL zu Verlusten, weil seit 2006 der Abstand zwischen lang- und kurzfristigen Zinsen gering und zeitweise sogar negativ („invers“) geworden ist. Die spekulative Gestaltung dieses Produkts wird in Abb. 32 verdeutlicht. Prinzipiell ist es daher zweifelhaft, ob Vgl. K. Birkholz: Derivate zur Steuerung von Zinsänderungsrisiken in der kommunalen Praxis – empirische Befunde, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, Jg. 2007, H. 4, S. 178–183, S. 180. Vgl. B. v. Haacke: Geld zurückholen, in: Wirtschaftswoche vom 19.3.2007, S. 52–54, S. 52 ff. Vgl. G. Stark, C. Loose: Exotische Zinsderivate im kommunalen Schuldenmanagement, in: Finanz Betrieb, Nr. 10, Jg. 2007, S. 610–618, S. 610 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
241
CSL den Vorgaben der Kommunalaufsicht entsprechen123. Für das spekulative Element spricht auch die Tatsache, dass nur der Bank, nicht aber der Kommune ein Kündigungsrecht eingeräumt wurde und die in der Konstruktion eingebauten Hebel aus Kundensicht im Verlustfall stärker als im Gewinnfall wirken124. Abbildung 32: Der CMS-Spread-Ladder-Swap (CSL)
Quelle: FAZ: Bericht vom 31.8.2007, S. 20.
Die Abb. 32 illustriert die Konsequenzen eines solchen Produkts für eine Gemeinde bei unterschiedlichen Zinsstrukturen. Zugrunde gelegt für das CSL-Geschäft ist die Differenz zwischen einem zwei- und einem zehnjährigem Swapzins. Im Beispiel zahlt die Bank jedes Jahr 3,46% auf den unterliegenden Betrag, zum Beispiel 10 Millionen Euro, an den Kunden. Der Kunde zahlt im ersten Jahr einen Zins von 2% – was ihm im ersten Jahr einen Netto-Zinsgewinn von 1,46% beziehungsweise 146.000 Euro garantiert. Vom zweiten Jahr an richtet sich die Zinszahlung des Kunden nach der sich jährlich ändernden Formel. Deren Kernelement ist der Zinsabstand 123 124
Vgl. H.-P. Wickel: Am Zinsmarkt verzockt, in: Sparkasse, Jg. 2007, Nr. 12, S. 20. Vgl. A. Maier: Großes Kino für die Kläger, in: Financial Times Deutschland vom 30.10.2007, S. 18.
242
Teil F. Die kommunale Verschuldung
zwischen dem Zehn- und dem Zweijahreszins, gemessen als Spread an einem Stichtag. In der Abbildung sind vier fiktive Szenarien durchgespielt. Die erste Spalte unterstellt, dass der Zinsabstand in jedem Jahr 2 Prozentpunkte beträgt. Aus der Formel ergibt sich ein negativer Zins; laut Vertrag beträgt der vom Kunden zu zahlende Zins dann 0%, und er erzielt den für ihn maximalen Netto-Zinsgewinn von 3,46%. In Spalte 4 ist eine leicht inverse Zinsstrukturkurve unterstellt: Der Zweijahreszins liegt um 0,2 Prozentpunkte über dem Zehnjahreszins. In diesem Fall ergeben sich für den Kunden jährlich stark zunehmende Zinszahlungen und hohe NettoZinsverluste. Der CSL ist in der Risikostruktur ein hoch spekulatives Termingeschäft, der im Fall eines Misserfolgs ähnliche Auswirkungen haben kann wie der Leerverkauf von Optionen. Dies wird deutlich am Beispiel der Stadt Dortmund: Das Schuldenmanagement der Stadt hatte durch das Eingehen eines CSL einen Verlust in Höhe von 6,2 Mio. EUR zu konstatieren. Die nordrhein-westfälische Stadt Hagen muss im schlimmsten Fall sogar mit einem Verlust von bis zu Mio. EUR bis zum Ende der Laufzeit ihrer CSL-Geschäfte rechnen125. Andererseits kann sich diese Entwicklung auch umdrehen und aus dem Minus ein Plus werden, wenn sich die Lage an den Zinsmärkten verändert. Auch hier wird der hochspekulative Charakter der CSL deutlich. Nicht nur der Fall der CSL, der inzwischen zu einer breiten Klagewelle von rd. 40 deutschen Kommunen gegen dieses deutsche Kreditinstitut geführt hat, bei denen die klagenden Kommunen z. T. im Gerichtsverfahren unterlegen waren126, unterstreicht die Bedeutung einer sachgerechten Einordnung der im Debt Management eingesetzten Finanzprodukte hin auf eine wirklich ausgewogene Beurteilung von Chancen und Risiken. Auch die ähnlich gelagerten Vorgänge in den 80er Jahren bei der britischen Gemeinde Hammersmith und dem kalifornischen Distrikt Orange County, wie auch die jüngste Fehlspekulation bei den norwegischen Städten Narvik, Hamnes, Rana und Hattfjielldal127 unterstreichen die Bedeutung eines funktionierenden Risikobeurteilungs-, Steuerungs- und Controlling-Systems für das kommunale Schuldenmanagement. 5
Die wirtschaftliche Evaluierung des Einsatzes von derivativen Instrumenten
(1)
Unter Steuerungsgesichtspunkten kommt der Ermittlung des wirtschaftlichen Erfolgs des Derivateeinsatzes eine besondere Bedeutung zu128. In einer ersten Annäherung könnte man argumentieren, die Kreditkonditionen seien dann optimiert, wenn sich der Zinssatz einer festverzinslichen Mittelaufnahme durch den Abschluss deri-
125
126 127
128
Vgl. C. Rottwilm: Kommunen verwetten Milliarden von Steuergeldern, 27.08.2007, www.managermagazin.de. Vgl. Deutsche Bank siegt im Prozess gegen Würzburg, in: FAZ vom 12.5.2009, S. 14. Die norwegischen Städte hatten für 4 Mrd. norwegische Kronen sog. „Collaterialized Debt Obligations“ (CDOs) platziert, die im Zuge der US-Hypothekenkrise um ca. 50% schrumpften, womit die Gemeinden gegenüber den Zeichnern garantiepflichtig wurden (vgl. D. Ibison: Cold winds of global credit squeeze blow into remote Norwegian towns, in: Financial Times vom 24.11.2007, S. 7). Vgl. K.-P. Fox: Erfolgskontrolle für Finanzinnovationen. Grundsätzliches und Anwendung, Manuskript, Saarbrücken 1998; H. Rehm: New Approaches to Fiscally-Oriented Debt Management Strategy: Objectives, Instruments, and Risks, in: Finanzarchiv, Jg. 2005, H. 4, S. 587–608, S. 587 ff.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
(2)
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129
243
vativer Geschäfte reduziert. In der einzelgeschäftsbezogenen Erfolgskontrolle werden zur Ermittlung des wirtschaftlichen Erfolges die Einheit aus Bezugsdarlehen und Derivat entsprechend dem Konnexitätsprinzip einer originären Kreditaufnahme ohne Derivat, dem sog. Vergleichsdarlehen, gegenübergestellt. Das Vergleichsdarlehen entspricht dabei in Laufzeit und Ausstattung jenem des Bezugsdarlehens. Als Grundlage der Erfolgsermittlung dienen die historischen und die künftigen Zahlungsströme während des gesamten Finanzierungszeitraums. Der wirtschaftliche Erfolg aus dem Abschluss eines einzelnen derivativen Finanzgeschäfts ergibt sich durch den Vergleich des Barwertes aus dem Bezugsdarlehen und dem Zinsderivat mit dem Barwert des Vergleichsdarlehens. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass es aus Gründen der Risikosteuerung angezeigt ist, für die originären und die derivativen Finanzgeschäfte portfoliobezogene Risikogrößen zu ermitteln und diese im Hinblick auf deren mögliche Risikoentwicklung sog. Sensitivitäts-Analysen zu unterwerfen. Für eine auf Portfolien abstellende Risikoquantifizierung spricht, dass sich die Einzelrisiken in ihren Auswirkungen gegenseitig beeinflussen können und damit das Risiko des Portfolios geringer sein kann als die Summe der Einzelrisiken. Der „Value-at Risk“ ist dafür das geeignete Risikomaß: „Value-at Risk is a measure of the maximum potential change in value of a portfolio of financial instruments with a given probability over a pre-set horizon. VaR answers the question: how much can I lose with x % probalitiy over a given time horizon.”129 Damit stellt sich die Frage, ob nicht auch bei der Beurteilung des wirtschaftlichen Ergebnisses des Derivateeinsatzes auf eine Portfoliobetrachtung abgestellt werden sollte. Ein solcher Portfolio-Ansatz stößt zunächst an die Grenzen des Konnexitätsprinzips. Dies fordert – wie bereits dargestellt –, dass nur ein konkreter Kredit und nicht ein Portfolio Gegenstand einer „Ergänzung“ durch ein Derivat sein kann, da letzteres aufgrund verschieden gestalteter und teilweise wechselnder Kredite zu uneinheitlich und damit kein geeigneter Gegenstand für die Ergänzung i. S. der strengen Konnexität sein könne. Dies würde bedeuten, dass die Kommune zwar zur regelmäßigen Quantifizierung und Steuerung von Zinsänderungsrisiken von originären und derivativen Finanzgeschäften sämtliche Grund- und Sicherungsgeschäfte in einem Risikoportfolio zusammenfassen kann, dies jedoch nicht dazu führen darf, dass derivate Geschäfte nur auf das Portfolio und nicht auf einen bestimmten Kredit bezogen werden können. Diese Auslegung ist durch das Spekulationsverbot geprägt. Es stellt sich die Frage, ob dies eine sinnvolle Maxime für ein zinskostenoptimierendes Debt Management ist. Wenn man einerseits davon ausgeht, dass durch die vorgenannten Bedingungen und Maßnahmen ein risikobewusster und entsprechend gesteuerter Einsatz von derivativen Finanzierungsinstrumenten erfolgt, andererseits gerade unter dem Gesichtspunkt der Risikosteuerung eine Portfoliobetrachtung angezeigt ist, so stellt sich die Frage, ob sich nicht auch die Kriterien der Messung des wirtschaftlichen Erfolges von der einzelgeschäftlichen Betrachtung hin zu einer Portfoliobetrachtung weiten sollten, d. h. das Debt Management als ein umfassendes Liability Management begriffen und fortentwickelt werden sollte. Abb. 33 verdeutlicht, dass es mit Hilfe von ZinsdeVgl. J. P. Morgan: Risk MetricsTM, Technical Document, 1996.
244
Teil F. Die kommunale Verschuldung
rivaten möglich ist, das Zinsrisiko des bestehenden Schuldenportfolios entsprechend der Zinsprognose/Zinserwartung zu gestalten, da so die Steuerung von Marktpreisrisiken zeitlich, sachlich und institutionell unabhängig vom zugrunde liegenden Marktgeschäft möglich ist. Bei diesem Verständnis sind folgende Gesichtspunkte zu beachten:
Die einem solchen Liability Management zugrunde zu liegenden Strategien, die für die Verfolgung dieser Strategien verfügbaren Möglichkeiten, das Zinsänderungsrisiko zu steuern und zu überwachen und die Möglichkeiten zur Messung des wirtschaftlichen Erfolgs solcher Strategien der Portfolio-Steuerung.
Abbildung 33: Die separate Steuerung von Liquidität und Zinsen in der Portfolio-
Steuerung
Quelle: N. Hornung: Kreditportfoliomanagement in kommunalen Haushalten – eine permanente Chance, in: Kommunalwirtschaft, Jg. 1997, H. 1, S. 27–36, S. 32.
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Zunächst zu den möglichen Strategien: Niedrige Finanzierungskosten sowie Sicherheit in der Finanzplanung sind vorrangige Zielsetzungen im öffentlichen Schuldenmanagement. Die Auswahl der Finanzierungsinstrumente und der Fälligkeiten soll dazu führen, dass ein Anstieg des Zinsaufwands vermieden oder begrenzt werden kann. Drei Grundmuster von Strategien sind denkbar: Bei der defensiven Strategie erfolgt die Finanzierung auf der Grundlage langfristiger Festzinsdarlehen. Auf mögliche Kostenvorteile aus Derivaten wird hierbei zugunsten der Planungssicherheit weitgehend verzichtet. Mit der Streuung der Fälligkeiten über mehrere Jahre kann bei Einsetzen einer Hochzinsphase zwar ein sprunghafter Anstieg der gesamten Zinsausgaben vermieden werden, allerdings unter Inkaufnahme eines hohen, länger anhaltenden Durchschnittswerts. Bei der offen-
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siven Strategie werden Art und Dauer der Finanzierung aus Marktprognosen abgeleitet. Auf diese Weise sollen die Chancen einer an unterschiedliche Zinsphasen angepassten Finanzierung genutzt werden. Hierbei erfolgt eine langfristige Festfinanzierung in Erwartung nachhaltig steigender Kapitalmarktsätze, eine variable oder kurzfristige Finanzierung bei der Prognose gleich bleibender oder sinkender Zinssätze. Der Chance auf Kostensenkungen steht das Risiko ungeplanter Mehrausgaben gegenüber. In der optimierten Defensivstrategie werden zunächst die historischen Aufwands-/Risiko-Werte der verschiedenen Zinsinstrumente analysiert und daraus die optimale Portfoliozusammensetzung ermittelt. Die Steuerung des Schuldenportfolios wird also aus den historischen Ergebnissen der Zinsinstrumente abgeleitet130. M. a. W.: Es wird ein Analysekonzept entwickelt, das es erlaubt, unterschiedliche Umschuldungsstrategien zu bewerten. Die Analyse hat das Ziel, das Potenzial alternativer Schuldenportfolios zur Senkung des Zinsaufwands aufzuzeigen. Gesucht wird diejenige Kombination von Zinsinstrumenten, die bei einem mit der vorhandenen Schuldenstruktur vergleichbaren Risiko eine Aufwandsminimierung bewirkt. Unter Aufwand wird der aus dem Zinsinstrument resultierende Gesamtaufwand (Kupon und Wertveränderung), unter Risiko die Schwankung des Aufwands um den historischen Durchschnittswert verstanden. Die Definition des Aufwands bezieht entstandene Wertveränderungen der Zinsinstrumente mit ein, da die Belastung des Haushalts bei alleiniger Betrachtung der Zinskuponaufwendungen nur unvollständig widergespiegelt würde. Mit dem durchschnittlichen Aufwand und der Schwankung der Aufwandswerte um ihren Mittelwert stehen Kriterien zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit von Zinsinstrumenten zur Verfügung. Ein Performancevergleich (vorhandene Schuldenstruktur versus alternative Portfoliostrukturen) macht deutlich, ob und in welchem Ausmaß mit einer Restrukturierung des Schuldenstandes eine Senkung des Aufwands und/oder des Risikos erzielt werden kann. Allerdings bedingen solche Ansätze, dass die Zinsänderungsposition bezogen auf Gesamtportfolios gesteuert werden kann. Mit dieser Anforderung ist ein Schlüsselthema in der aktuellen Diskussion über den Einsatz von Derivaten in öffentlichen Haushalten, nämlich das bereits erwähnte Konzept der Konnexität, angesprochen131. Zur Erinnerung: Im Kern besagt dieses Konzept, dass das Derivategeschäft nur der Konditionengestaltung eines einzelnen bestimmten Kredits dienen darf. Die objektive Konnexität verlangt nach Kewenig und Schneider, dass der Nominalbetrag des Derivats den Nominalbetrag des Kredits, auf den das Derivat bezogen ist, nicht übersteigt, dass die Laufzeit des Derivats nicht größer ist als die des entsprechenden Kredits und dass Kongruenz hinsichtlich der Währung von Derivat und Kredit besteht. Subjektive Konnexität liege dann vor, wenn derjenige, der ein Derivat abschließt, dies in der Absicht tut, die Konditionen eines konkreten Einzelkredits zu gestalten. Möglicherweise motiviert durch die von Kewenig und Schneider getroffene Abgrenzung zwischen dem (legitimen) konnexen Einsatz von Derivaten einerseits Vgl. N. Hornung: Kreditportfoliomanagement in kommunalen Haushalten – eine permanente Chance, in: Kommunalwirtschaft, Jg. 1997, H. 1, S. 27–36, S. 27 ff. Vgl. W. A. Kewenig, H. Schneider: Swap-Geschäfte der öffentlichen Hand in Deutschland, in: Wertpapiermitteilungen, Jg. 1992, Sonderbeilage 2.
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und ihrer (nicht legitimen) spekulativen Verwendung zum Zweck der Einkommenserzielung andererseits, wird mitunter die Auffassung vertreten, die Einhaltung des Konnexitätsprinzips gewährleiste die Begrenzung des Zinsrisikos aus dem Einsatz von Derivaten132. Wäre dies tatsächlich der Fall, so wäre dies in der Tat ein wichtiger Grund für die Durchsetzung des Konnexitätsprinzips beim Einsatz von Derivaten bei der öffentlichen Hand. Beispiele aus der Praxis des Schuldenmanagements der öffentlichen Hand belegen jedoch, dass das Konnexitätsprinzip als Risikobegrenzungsnorm ungeeignet ist. Angenommen, das Debt Management deckt einen Teil des Kreditbedarfs revolvierend durch kurzfristige Schuldscheindarlehen mit einer Laufzeit von etwa 6 Monaten, da diese Darlehen aufgrund spezieller Konstruktionen eine besonders günstige Finanzierung erlauben. Der Kreditreferent ist bestrebt, das Zinsänderungsrisiko, das durch die kurzfristige Zinsbindung entsteht, zu begrenzen. Er schließt dazu langlaufende Payer Swaps ab. Insgesamt liegt die Zinsbelastung aus dieser Konstruktion unterhalb der Zinsbelastung, die bei einem Festzinsdarlehen mit einer den Payer Swaps vergleichbaren Laufzeit zu erzielen gewesen wäre. In diesem Beispiel erfüllen die Swaps jedoch nicht die Voraussetzungen der Konnexität nach Kewenig und Schneider, da ihre Laufzeit die jedes einzelnen Kredits, auf den sie während ihrer Laufzeit bezogen sind, deutlich übersteigt. Die Swaps können daher bei Abschluss nicht als Konditionengestaltung konkreter Einzelkredite aufgefasst werden. Sie sind vielmehr Teil einer langfristigen Portfoliostrategie. Wollte man in dieser Situation die Einhaltung des Konnexitätsprinzips erzwingen, so hätte der Kreditreferent die Wahl, entweder auf die besonders günstigen Finanzierungskonditionen zu verzichten oder aber ein deutlich erhöhtes Zinsänderungsrisiko in Kauf zu nehmen. Umgekehrt ist es nicht möglich, durch die Bezugnahme auf das Konnexitätsprinzip zu verhindern, dass unerwünschte Risiken eingegangen werden. Dies zeigt das Beispiel der strukturierten Darlehen. Da sie in idealtypischer Weise die Anforderungen des Konnexitätsprinzips erfüllen, könnte sich die öffentliche Hand im Bestreben, günstige Konditionen zu erzielen und das Konnexitätsprinzip einzuhalten, auf den Abschluss solcher Konstruktionen konzentrieren. Strukturierte Darlehen können aber eine Vielzahl von beliebig komplexen und risikoreichen Derivaten enthalten, die der Debt-Manager möglicherweise gar nicht bewerten oder in ihrem Risikogehalt nicht korrekt einschätzen kann. Dazu kommt, dass die Preisfindung bei strukturierten Darlehen intransparent ist, sodass er möglicherweise Risiken übernimmt, ohne dafür ein angemessenes Entgelt zu erhalten. Wichtig für ein effektives Risikomanagement ist daher weniger die Herstellung einer engen Verbindung von Derivat und Grundgeschäft als vielmehr die Zerlegung von komplexen Konstruktionen in ihre Bestandteile, die dann einzeln einer risikomäßigen Beurteilung und Steuerung unterworfen werden können. Diese Vorgehensweise entspricht im Übrigen auch aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Bestimmungen der Solvabilitätsverordnung im Bankbereich. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Durchsetzung des Konnexitätsprinzips tatsächlich zu einer effektiven volumenmäßigen Begrenzung des Einsatzes von DeVgl. Hessischer Landtag: Bericht des Landesschuldenausschusses nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes zur Aufnahme und Verwaltung von Schulden des Landes Hessen, in: Hessischer Landtag, Drucksache 16/3824, Wiesbaden 2005.
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rivaten in öffentlichen Haushalten führen würde. In dem Verständnis von Kewenig und Schneider können durchaus mehrere Derivate auf ein Grundgeschäft bezogen werden. In den Schuldenportfolios der Kommunen wird sich i. d. R. immer ein Grundgeschäft finden, mit dem ein abzuschließendes Derivat gemäß dem Konnexitätsprinzip verknüpft werden kann. Die Einhaltung des Konnexitätsprinzips wird dann zu einer rein formalen Übung133. Zudem wäre eine Volumensbegrenzung leicht durch eine explizite Formulierung in der Haushaltssatzung zu erreichen, wie sie in der Praxis bereits häufig angewandt wird. Auf das Konnexitätsprinzip kann also auch in diesem Zusammenhang verzichtet werden. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die Auffassung, das Konnexitätsprinzip schließe den Einsatz von Derivaten zur Zinsrisikosteuerung auf Gesamtportfolioebene aus, im Widerspruch zu dem erwähnten Erfordernis der Ermittlung des Zinsrisikos auf der Basis des gesamten Schuldenportfolios steht. So schlägt Freiling gerade mit Blick auf die Risikobegrenzung vor, dass die „Risikomessung ... dabei auf der Grundlage eines Portfolios erfolgen (sollte), das sämtliche originären Mittelaufnahmen und die zugehörigen Derivate enthält”134. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Einhaltung des Konnexitätsprinzips weder notwendig noch hinreichend für ein effektives Zinsrisikomanagement ist. Das Konzept der Konnexität ist aber auch mit Blick auf Performancemessung bei Einsatz von Derivaten durch die öffentliche Hand unzureichend. In der Tat erlaubt die Zuordnung von Derivaten zu bestimmten Krediten einen Vergleich der Kosten der Mittelaufnahme mit und ohne Derivat. Zu fragen aber ist, ob dieser Vergleich tatsächlich zu einer sinnvollen Aussage über die Leistung des Schuldenmanagements führt. Denn zunächst zeigt er lediglich, dass sich ex post in Bezug auf einen speziellen Kredit eine bestimmte Konditionengestaltung – und nichts anderes ist der Abschluss von Derivaten unter dem Konnexitätsprinzip – als vorteilhafter erwiesen hätte als eine andere. Dies stellt letztlich nur eine Überprüfung der Prognosefähigkeiten des verantwortlichen Kreditreferenten dar. Wichtige Aspekte der Performancemessung bleiben dabei unberücksichtigt. Ausgangspunkt einer jeden Performancemessung ist eine klare Zieldefinition. Die exakte Prognose der Zinsentwicklung ist nicht das einzige oder wichtigste Ziel des Debt Management. Überzeugender sind Zielsetzungen wie die Einhaltung der jährlichen Haushaltsansätze für die Zinsausgaben, die Verstetigung der Zinsausgaben im Zeitablauf relativ zur finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommune, aber auch die Schaffung von Spielräumen für die Politik durch die Erzielung dauerhaft günstiger Kreditkonditionen. Diese Zielsetzungen knüpfen am Gesamtportfolio an. Sie verbinden – wie in der Portfoliotheorie üblich – Ertrags- (hier Zinsaufwand) und Risikogesichtspunkte. Sie sind zukunftsorientiert auf die Entwicklung der Zinsbelastung und des Zinsrisikos im Zeitablauf ausgerichtet. Die Erreichung dieser Ziele lässt sich durch eine an der Konnexität anknüpfende Performancemessung nicht überprüfen. Indem der Blick auf den einzelnen Kredit eingeengt wird, bleibt die Laufzeitstruktur des Gesamtportfolios, die für den dauerVgl. K.-P. Fox: Derivateeinsatz im öffentlichen Bereich nicht durch überbordende Regelungen ersticken, in: Blick durch die Wirtschaft (Beilage der FAZ) vom 14.7.1998, S. 4. Vgl. A. Freiling: Mindestanforderungen an den Einsatz derivativer Finanzgeschäfte durch die öffentliche Hand, in: Blick durch die Wirtschaft (Beilage der FAZ) vom 18.5.1998, S. 7.
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haften Erfolg jedes Zinsrisikomanagements von großer Bedeutung ist, unberücksichtigt. Zudem wird häufig fälschlicherweise unterstellt, die natürliche Alternativfinanzierung zu einem Kredit mit Derivat sei eine Festzinsfinanzierung mit gleicher Laufzeit wie der betrachtete Kredit. Möglicherweise hätte aber im Rahmen einer Gesamtportfoliobetrachtung z. B. statt eines 10-Jahres-Floaters plus Cap nur ein Festzinsdarlehen mit 5-jähriger Laufzeit eher zu der gewünschten Zinsreagibilität des Gesamtportfolios geführt. Schließlich bleibt bei der Performancemessung auf Basis des Konnexitätsprinzips der Zinsrisikoaspekt einer Finanzierung völlig außer Acht. Dieser ist auch eine Funktion der Zeitachse. Die in diesem Zusammenhang häufig anzutreffende Behauptung, Festzinsdarlehen seien risikofrei, ist augenscheinlich falsch. Es kommt offensichtlich bei der Frage nach dem Zinsrisiko auf den Planungshorizont an. Aus allem folgt, dass die Konnexität als Basis der Performancemessung eine unbefriedigende Behelfslösung ist. Erforderlich ist ein Vorgehen, bei dem Portfoliostrategien hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Zinsbelastungen und Zinsrisiken miteinander verglichen werden. Risiko- und Performancemessung sind damit untrennbar miteinander verknüpft. Der Schlüssel zu diesem Ansatz ist die Definition einer BenchmarkPortfoliostrategie als Vergleichsmaßstab und Meßlatte. 135 Diese sollte folgende drei Eigenschaften haben: 1.
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Sie sollte dem Konzept einer passiven Portfoliosteuerung genügen und außer der jeweils aktuell gültigen Zinskurve keine Informationen benutzen. Insbesondere soll die Benchmark-Portfoliostrategie unabhängig von Zins- oder Konjunkturprognosen sein. Die Benchmark-Portfoliostrategie sollte keine Zinsderivate oder variabel verzinsliche Papiere benutzen. Einzige Steuerungsvariable sollte die Aufteilung der Bruttokreditaufnahme auf die verschiedenen am Markt gängigen Restlaufzeiten sein. Die Zinsbelastung aus der Benchmark-Portfoliostrategie gemessen als periodenbezogene Zinsauszahlungen aus den im Portfolio befindlichen Krediten soll im Zeitablauf relativ zur Gesamtverschuldung möglichst langsamen Veränderungen unterliegen.
Mit diesen Eigenschaften wäre die Benchmark-Portfoliostrategie eine am Markt umsetzbare Alternative zu einem aktiven Portfoliomanagement, die zudem einem geringen Zinsrisiko unterläge. Die geforderte weitgehende Konstanz der Zinsbelastung über die Zeit erlaubte es darüber hinaus, auf die Berücksichtigung zukünftig erhöhter oder reduzierter Zinsbelastungen zu verzichten136. Eine solche BenchmarkPortfoliostrategie ist das Ergebnis einer empirischen Ableitung. Es ist zu vermuten, 135
136
Vgl. J. Hashagen, D. Sommer, M. Steitz: Zinsrisikosteuerung und Performancemessung. Derivateeinsatz und Schuldenmanagement der öffentlichen Hand, in: Verwaltung und Management, Jg. 1999, H 2, S. 107–112, S. 107 ff.; F. Kutschera: Kommunales Debt Management als Bankdienstleistung, Sternenfels 2003, S. 94–166, S. 166 ff. Unter Zinsbelastung oder Zinsauszahlungen sollen im Folgenden der Saldo aus Zinsein- und -auszahlungen einschließlich der im Zusammenhang mit dem Derivategeschäft stehenden Einmalzahlungen verstanden werden.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
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dass eine Portfoliostrategie, basierend auf einer gleichmäßigen Streuung der Kredite über alle marktgängigen Restlaufzeiten, die Anforderungen insgesamt recht gut erfüllen würde. Ziel des Portfoliomanagements muss es sein, möglicherweise unter Einsatz aller haushaltspolitisch und -rechtlich legitimierten Finanzinstrumente eine geringere periodenbezogene Zinsbelastung zu erzielen, als dies mit der BenchmarkPortfoliostrategie möglich wäre. Daneben kann zusätzlich das durch das aktive Portfoliomanagement generierte Zinsrisiko berücksichtigt werden. Wie stark diese Risikokomponente in die Zielsetzung für das Portfoliomanagement eingehen soll, ist haushaltspolitisch und -rechtlich vorzugeben. Die periodenbezogene Zinsbelastung durch das aktiv gesteuerte Portfolio kann wie folgt ermittelt werden: (PVBt1 – PVAt1) + Zat1 – t0 – (PVBt0 – PVAt0) mit Ende der Betrachtungsperiode t1: Anfang der Betrachtungsperiode t0: PVB: Barwert des Benchmark-Portfolios PVA: Barwert des aktiv gesteuerten Portfolios ZAt1– t0:Saldo aller im Zeitraum von t0 bis t1 angefallenen Zins- und Einmalzahlungen im Zusammenhang mit dem aktiv gesteuerten Portfolio (z. B. Optionsprämien, Agio, Disagio, nicht jedoch Tilgungsleistungen und Nettokredite).
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Wirtschaftlich steht hinter dieser Form der Berechnung der Zinsbelastung folgende Vorstellung: Zu Beginn der Periode tauscht der Kämmerer das Benchmark-Portfolio in das aktiv gesteuerte Portfolio. Dabei realisiert er Aus- oder Einzahlungen in Höhe von PVBt0 – PVAt0. Im Laufe der Betrachtungsperiode entstehen sodann Zinsbelastungen für das aktiv gesteuerte Portfolio in Höhe von ZAt1 – t0. Schließlich tauscht der Kämmerer sein aktiv gesteuertes Portfolio zum Zeitpunkt t1 zu den dann gültigen Preisen wieder in das Benchmark-Portfolio und realisiert dabei eine Aus- oder Einzahlung in Höhe von PVBt1 – PVAt1. Mit dieser Berechnung der Zinsbelastung aus dem aktiv gesteuerten Portfolio gelingt es, zukünftige durch das gegenwärtige Portfolio bedingte Zinsbelastungen in der Zinsbelastung der Betrachtungsperiode mit zu berücksichtigen und gleichzeitig der Tatsache Rechnung zu tragen, dass das Schuldenportfolio nicht glattgestellt werden kann. Die Glattstellung wird durch die Umschichtung in die Benchmark-Portfoliostrategie ersetzt. In dem Maße, wie durch die Umschichtung in die Benchmark-Portfoliostrategie Einnahmeüberschüsse erzielt werden, können diese auch tatsächlich durch die Kommune haushaltswirksam vereinnahmt werden. Die Berechnung eines Zinsrisikos für das aktiv gesteuerte Portfolio kann in Bezug auf eine bestimmte Betrachtungsperiode z. B. in der Weise erfolgen, dass auf der Basis vordefinierter Szenarien die Abweichungen der Zinsbelastungen durch die aktive Portfoliostrategie von den Zinsbelastungen infolge der Benchmark-Portfoliostrategie berechnet werden. Das Risiko der aktiven Portfoliostrategie könnte man dann als maximale Überschreitung der Zinsbelastung bei der Benchmark-Strategie durch die mit der aktiven Portfoliostrategie einhergehende Zinsbelastung definieren. An dieser Risikodefinition kann dann ein auf das Gesamtportfolio bezogenes Risiko-
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Teil F. Die kommunale Verschuldung
limit festgemacht werden. Die mögliche Einführung spezieller Produktlimits oder Limits auf Teilportfolien bleibt davon unberührt. Letztlich kann die tatsächlich realisierte Abweichung der periodenbezogenen Zinsbelastung aus einer aktiven Portfoliostrategie von der Zinsbelastung durch die Benchmark-Portfoliostrategie mit dem ex ante bestehenden Risiko der aktiven Portfoliostrategie gemäß den politischen Vorgaben zu einer angepassten risikoadjustierten Performancekennzahl verknüpft werden. Mit diesem Konzept wäre das kommunale Debt Management in der Lage, den verantwortlichen Politikern ein „Menü” für die Steuerung des Schuldenportfolios vorzustellen, aus dem diese dann auswählen könnten. Hätten sie ihre Wahl getroffen, so wäre für die Haushaltsrechnung eine realistische Prognose über die aus dieser Entscheidung resultierende Zinsbelastung zu treffen, die auch die planmäßig eingegangenen Risiken einschließt. Diese Zahl wäre in den Haushaltsplan einzustellen. Sie sollte so gewählt sein, dass sie bei korrekter Umsetzung der politischen Vorgaben zur Steuerung des Schuldenportfolios gemäß dem oben skizzierten Konzept nur in sehr seltenen Fällen überschritten würde. Das Ziel der Einhaltung des Haushaltsansatzes wäre dann weitgehend redundant, da sich der Haushaltsansatz aus vorgelagerten Entscheidungen über die Steuerung des Schuldenportfolios ergäbe. Angesichts stetig wachsender Verbindlichkeiten der Kommunen ist der konsequente Einsatz moderner Finanzinstrumente i. V. m. bewährten Finanzierungsmethoden nicht mehr wegzudenken. Die damit zusammenhängende Anforderung, die Einflüsse des Einsatzes dieser Finanzinstrumente auf Zinsrisiko und Performance im Schuldenmanagement jederzeit transparent darstellen zu können, wird jedoch mit zunehmender Anzahl und Komplexität der in den Gemeindehaushalten im Einsatz befindlichen Finanzinstrumente nicht einfacher. In der Tat ist es aber der Diskussion um den Derivateeinsatz bei den Kommunen zu danken, dass Themen wie Zinsrisiko und Performance im Schuldenmanagement im Kommunalhaushalt zum Gegenstand einer breiteren Debatte geworden sind. Die darin liegende Chance sollte genutzt werden, um adäquate Konzepte für die Messung und Steuerung dieser beiden Größen im kommunalen Haushalt zu entwickeln.
Anhang: 1.
2.
Das Glossarium zu den im Text (Teil F.) dargestellten Finanzinnovationen
Zinsswap (Interest Rate Swap) Ein Zinsswap ist der Austausch von Zinszahlungen einer Währung zwischen zwei Partnern. Der Austausch erfolgt, bezogen auf einen festen Kapitalbetrag und eine bestimmte Laufzeit, zu festgesetzten Zinszahlungsterminen. Er geschieht unabhängig von bestehenden oder neu zu begründenden Verbindlichkeiten oder Forderungen; durch den Zinsswap entstehen keine gegenseitigen Kapitalforderungen. Forward Rate Agreements, FRA (Zinssicherungsvereinbarung) Um ein Zinsänderungsrisiko für die eigenen Gelddispositionen auszuschließen, d. h. um Zinssätze für bestimmte Zeiträume in der Zukunft festzuschreiben, werden FRAs geschlossen. Dies gilt sowohl für Zinssteigerungen (zukünftiger Kreditbedarf) wie für Zinssenkungen (zukünftiger Anlagebedarf).
Teil F. Die kommunale Verschuldung
3.
4.
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Als Verkäufer eines FRA wird derjenige bezeichnet, der sich in Kenntnis einer zukünftigen Mittelanlage gegen fallende Zinsen absichern will. Als Käufer der, der im Bewusstsein eines zukünftigen Mittelbedarfs eine Versicherung gegen steigende Zinsen eingehen will. Wesentlich ist, dass der zugrunde gelegte Kapitalbetrag nicht ausgetauscht wird, sondern nur kalkulatorische Bedeutung als Berechnungsgrundlage hat; d. h., die Partner bleiben frei, wo sie zum festgelegten Termin die Mittel aufnehmen bzw. anlegen. Zwei Valutatage vor Beginn der vertragsmäßigen Laufzeit (Fixingtag) wird lediglich die Differenz zwischen dem vereinbarten Zinssatz und dem als Basis dienenden Referenzzinssatz (LIBOR oder FIBOR für die entsprechende Laufzeit) festgestellt. Die durch die Marktentwicklung begünstigte Partei erhält von der benachteiligten eine (abgezinste) Kompensationszahlung in Höhe der Zinsdifferenz zwischen vereinbartem und Referenzzinssatz. Swaption Eine Swaption ist die Kombination aus einem Swap und einer Option auf diesen Swap. Der Käufer kauft das Recht, aber nicht die Verpflichtung, einen Swap zu beziehen (Kauf oder Call) oder zu liefern (Verkauf oder Put). Der Verkäufer übernimmt im Gegenzug die Verpflichtung, das vereinbarte Swapgeschäft zu garantieren. Cap Ein Cap ist eine Vereinbarung zwischen dem Verkäufer des Caps und einem Käufer, dass bei Steigen eines festgelegten Marktzinses über eine vereinbarte Zinsobergrenze der Verkäufer dem Käufer den Differenzbetrag bezogen auf einen vereinbarten Nennwert erstattet. Die Zahlung des Verkäufers erfolgt dann und nur dann, wenn zu Beginn der festgelegten Zinsperioden der Referenzzinssatz oberhalb der Zinsobergrenze liegt. Die Zahlung erfolgt am Ende der Zinsperiode unter Berücksichtigung der Anzahl der Zinstage. Der Käufer zahlt für den Cap an den Verkäufer bei Vertragsabschluss eine pauschale Summe oder leistet periodische Zahlungen (Äquivalent der Einmalprämie). Cap-Preisfindung Caps können auf ein breites Spektrum von Zinsobergrenzen vereinbart werden. Unmittelbar einsichtig ist, dass die Prämie umso teurer wird, je niedriger die Zinsobergrenze gewählt wird. Die Prämie hängt jedoch von mehreren Faktoren ab, vor allem von:
dem Ausgangszinsniveau, dem festgelegten Höchstzinssatz, der Laufzeit des Vertrages, der erwarteten Schwankungsbreite des Referenzzinssatzes (sog. „Volatilität“). Bei ansonsten gleichen Faktoren hat z. B. eine langlaufende Zinssicherung gegenüber einer kurzlaufenden einen höheren Wert, da aufgrund der höheren Anzahl der Referenztermine eine größere Chance besteht, eine Zahlung vom Verkäufer des Caps zu erhalten.
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6.
7.
Teil F. Die kommunale Verschuldung
Technisch gesehen sind Caps eine Serie von Zinsoptionen; die Prämienberechnung erfolgt nach komplexen Modellen, der sog. Optionspreistheorie auf Basis von Computerprogrammen sowie gemäß Angebot und Nachfrage am Interbankenmarkt. Floor Floors sind quasi das spiegelbildliche Gegenstück zu Caps. Floors geben ihren Käufern die Garantie für eine Zinsuntergrenze für eine Geldanlage. Gegen Zahlung einer Einmal- oder von lfd. Prämien erstattet der Verkäufer dem Käufer die Differenz des Referenzzinssatzes zur vereinbarten Zinsuntergrenze, gemessen an festgelegten Stichtagen und bezogen auf ein vereinbartes Kapital. Der Anspruch aus dem Kauf des Floors ist ebenfalls nicht an eine zugrunde liegende Geldanlage gebunden. Collar Collars sind Kombinationen von Caps und Floors. Der variable Zinssatz einer Verbindlichkeit des Käufers wird auf eine bestimmte Bandbreite zwischen Unter- und Obergrenze limitiert, z. B. „höchstens 7% aber mindestens 5%“. Dadurch ist er Käufer eines Collars sowohl der Käufer eines Caps als auch der Verkäufer eines Floors: Er bezahlt für das Recht auf eine Obergrenze und wird für die Einräumung des Rechts auf eine Untergrenze bezahlt. Somit errechnen sich die Nettokosten eines Collars aus dem Cap-Wert abzüglich des Floor-Wertes; die Kosten eines Caps können also durch Collars reduziert werden. Collars sind wiederum nicht an zugrunde liegende Verbindlichkeiten oder Anlagen gebunden.
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
Teil G.
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Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
I.
Die Privatisierungsdiskussion im kommunalen Bereich
1
Die Unterschiede zwischen formeller und materieller Privatisierung
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Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen an die Stelle der „klassischen“ Haushaltsverschuldung alternative Finanzierungsinstrumente zur Darstellung kommunaler Investitionen eingesetzt werden sollen, ist in den zurückliegenden Jahren Gegenstand eines intensiven Dialogs zwischen den Kommunen, der Kreditwirtschaft und den Rechnungsprüfungsbehörden geworden. Die Diskussion über Finanzierungs-Alternativen im kommunalen Bereich verbindet sich häufig mit dem Schlagwort der Privatisierung kommunaler Leistungen und führt gerade deshalb auch ebenso häufig zu Missverständnissen. Diese werden auch ausgelöst durch mangelnde Präzisierung des Begriffs „Privatisierung“. Deshalb sind folgende Klarstellungen1 vorauszuschicken: Bei der Organisationsprivatisierung bedient sich die Gemeinde bei der Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe nicht mehr einer öffentlich-rechtlichen Betriebsform, sondern wählt dazu im Rahmen ihrer Organisationshoheit die Form des Privatrechts. Da sie unverändert für die Erfüllung der Aufgabe zuständig bleibt, wird diese Form der Privatisierung auch als formelle oder Scheinprivatisierung bezeichnet. Auch bei der funktionalen Privatisierung verbleiben die Aufgabenzuständigkeit und damit die Aufgabenverantwortung bei der Kommune. Lediglich der Vollzug einer gemeindlichen Aufgabe wird ganz oder teilweise auf ein (nicht lediglich formales) Privatrechtssubjekt übertragen. Das Modell der Einschaltung Privater als Verwaltungshelfer der Kommune kennt verschiedene graduelle Abstufungen der Erfüllungs- und Durchführungsverantwortung, die nicht zuletzt auch von aufgabenrechtlichen Bestimmungen geprägt sind. Unter Vermögensprivatisierung wird allgemein die Übertragung staatlichen Eigentums auf Private verstanden. Gegenstand dieser Form der Privatisierung sind z. B. kommunale Liegenschaften oder auch der Beteiligungsbesitz an kommunalen Unternehmen. Die Vermögensprivatisierung kann Teil der funktionalen Privatisierung sein, wenn zur Durchführung der Aufgabe dem Privaten öffentliches Vermö-
1
Vgl. R. Dautel: Kommunale Sonderfinanzierung. Ökonomische Analyse innovativer Finanzierungsinstrumente, Wiesbaden 2007, S. 76 ff; G. F. Schuppert: Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Staat, kommunale Gebietskörperschaften und Private, in: J. Ipsen (Hrsg.): Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Köln u. a. 1994, S. 17–36, S. 17 ff.; H. Rehm: Neue Finanzierungsformen für öffentliche Investitionen, in: B. Lüthje (Hrsg.): Bankgeschäft, öffentliche Hand und Finanzmarktpolitik, Festschrift für F. Neuber, Berlin 2001, S. 37–76, S. 37 ff.; H. Hill: Aufgabenkritik, Privatisierung und Neue Verwaltungssteuerung, Baden-Baden 2004; W. Killian, P. Richter, J. H. Trapp (Hrsg.): Ausgliederung und Privatisierung in Kommunen – Empirische Befunde zur Struktur kommunaler Aufgabenwahrnehmung, Berlin 2006.
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
gen überlassen wird, überwiegend ist sie aber Teil der Finanzierung von Investitionen durch den öffentlichen Haushalt. Die genannten Ausprägungen sind deshalb lediglich eine formelle Privatisierung, da die Kommune in der Verantwortung für die Erfüllung der gemeindlichen Aufgabe bleibt. Anders dagegen bei der materiellen Privatisierung. Hier zieht sich die Kommune im Rahmen der gemeindlichen Aufgabenkritik aus der Wahrnehmung einer Aufgabe zurück. Deshalb ist bei Gemeinden eine materielle Privatisierung nur bei freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben möglich, bei den Fremdverwaltungs- und bei den pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben liegt das Recht der Aufgabenkritik dagegen beim Landes- und Bundesgesetzgeber. Wirtschaftlich – auch mit Blick auf die Haushaltsentlastung – ist entscheidend, dass dann auch das Finanzierungs- und Betreiberrisiko in den privaten Sektor verlagert werden2. Mit diesen Hinweisen soll von vornherein verdeutlicht werden, dass es im Spannungsfeld zwischen Status quo und Privatisierung kommunaler Aufgaben unter Finanzierungsgesichtspunkten in der Praxis nicht den Königsweg gibt. Auch wenn die differenzierende Namensgebung von öffentlichen und privaten Finanzierungen es nahe legen mag, bei letzteren von Privatisierung zu sprechen, so trifft dies i. d. R. nicht für den Finanzierungsteil zu. Es wird zwar häufig von privater Finanzierung kommunaler Infrastruktur gesprochen, aber der Schritt zu einer echten Privatisierung wird unter Berücksichtigung der praktisch verbleibenden öffentlichen Verantwortungs- und Haftungstragung häufig nicht gesetzt. Dies liegt unter anderem daran, dass unter Finanzierungsaspekten Rechtsform und Organisationsform der Aufgabenerfüllung für die Kreditvergabeentscheidung zwar nicht unwesentlich, aber doch von nachrangiger Bedeutung sind. Öffentliche Interessenslage und infrastrukturtypische Risikokategorien gestatten wegen der verbundenen Unwägbarkeiten allenfalls partiell und projektphasenbezogen unternehmerische Selbständigkeit für private Beteiligte. Konzessionsabhängigkeit, staatliches Absicherungserfordernis, z. B. durch Bürgschaften, Patronate, Garantien, Einrede- und Einwendungsverzichte oder verlorene Zuschüsse, bewirken selbst bei Betreibermodellen eine so gut wie ausschließliche Abstellung der Finanzierung auf die beleihende und bezuschussende Kommune. Darin wird eines der Kernprobleme dieser Ansätze deutlich: Die tatsächliche Verlagerung von bestimmten Risiken, z. B. der Bevölkerungsentwicklung, der Gewerbeansiedlung, der Verkehrsströme und der Aufrechterhaltung der sozialen wie ökologischen Standards, in den privaten Sektor. Zwar gelten Betreibermodelle gemeinhin als die Musterbeispiele für private Aufgabenerfüllung. Die Praxis der zurückliegenden Jahre zeigt jedoch, dass in Deutschland so gut wie keine Kreditvergabeentscheidung für den kommunalen Bereich auf ausschließlich privatwirtschaftlicher Bonitätsbasis getroffen wurde. In diesem Zusammenhang spricht man bei privaten Projektfinanzierungen auch nur von modifizierten Projektfinanzierungen oder „Public Private Partnership“ und bringt damit die wesentliche Abhängigkeit der privaten Seite von der Kommune zum Ausdruck. Reine privatwirtschaftliche Projektfinanzierungen im öffentlichen Bereich sind bislang
Vgl. H. Rehm: Neue Finanzierungsinstrumente – Chance der Haushaltsentlastung, in: U. Müller (Hrsg.): Haushaltsreform und Haushaltskontrolle, Baden-Baden 1997, S. 65–96, S. 70.
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
255
in Deutschland die Ausnahme3. Die Regel sind Investitionsfinanzierungen im Bereich der infrastrukturellen Daseinsvorsorge, die in einer projektbezogene Vorgehensweise auf in sich geschlossene Maßnahmen gerichtet sind und die technisch, rechtlich, wirtschaftlich und kalkulatorisch zu selbständigen Ansätzen führen. 2
Die Gründe für neue Finanzierungsansätze im kommunalen Bereich
Generell stellt sich die Frage, weshalb sich der kommunale Bereich mit neuen Finanzierungsansätzen auseinandersetzen sollte. Dafür sind sowohl gesamtwirtschaftliche als auch einzelwirtschaftliche Gründe maßgeblich. (1)
(2)
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Aus makroökonomischer Sicht sind vor allem folgende Aspekte zu nennen: Erstens: Die kommunale Infrastruktur in der Bundesrepublik ist stark erneuerungsbedürftig, und zwar nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern mittlerweile auch in den alten Bundesländern. Der dafür notwendige Investitionsbedarf wurde auf rd. 700 Mrd. EUR veranschlagt4. Zweitens: Das Thema berührt das traditionelle spiegelbildliche Denken in den Kategorien der Kreditfinanzierung einerseits, des Vermögenshaushaltes andererseits. Wenn es aber richtig ist, dass der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft sich beschleunigt, dann gilt dies allemal für die Struktur der kommunalen Aufgaben. Wie kann sich der kommunale Sektor langfristig jene finanzpolitische Flexibilität erhalten, um auf veränderte Parameter, zum Beispiel in der Bevölkerungsentwicklung, zu reagieren? Ist die Schule in der Version A am Standort B im Hinblick auf Anforderungen in der Zukunft auf noch in 20 Jahren adäquat oder wird dann die Version C am Standort D benötigt? Muss die Kommune immer und zwingend Eigentümerin der Wirtschaftsgüter sein, die sie zur Darbietung der Leistungen für die Daseinsvorsorge befähigen? Ist dies langfristig wirklich sparsam und wirtschaftlich? Drittens ist unstrittig, dass solche kommunalen Vorleistungen wesentliche Faktoren für unternehmerische Investitionsentscheidungen im privaten Sektor sind, also maßgeblich zur gesamtwirtschaftlichen Produktivität beitragen und damit auf lange Sicht auch Voraussetzung für die Attraktivität jeder Kommune als Gewerbestandort sind5. Viertens ist aber gerade diese Intention eine Funktion der Zeitachse. Die wirtschaftlichen Wirkungen kommunaler Investitionen sind grundverschieden, je nach dem ob sie heute, in fünf oder zehn Jahren erfolgen. Mikroökonomisch sind es vor allem budgetmäßige Restriktionen bei Sprunginvestitionen, die den Rückgriff auf Finanzierungsalternativen veranlassen:
Vgl. D. Jacob, B. Kochendörfer: Private Finanzierung öffentlicher Bauinvestitionen – ein EU-Vergleich, Berlin 2000. Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik: Kommunaler Investitionsbedarf bis 2009, 15.12.2007, www.difu.de (vgl. auch Tab. 2, S. 90). Vgl. K. Conrad, H. Seitz: The economic benefits of public infrastructure, in: Applied Economics, Jg. 1994, Vol. 26, S. 303–311, S. 303 ff.; C. H. Schlag: Die Kausalitätsbeziehung zwischen der öffentlichen Infrastrukturausstattung und dem Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik Deutschland, in: Konjunkturpolitik, Jg. 1997, H. 1, S. 82–106, S 82 ff.
256
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
(3)
(4)
Eine zunehmende Zahl kommunaler Unternehmen wie Stadtwerke und Eigengesellschaften steht vor Problemen der Eigenkapitalzuführung oder sieht sich bei konventioneller Unternehmensfinanzierung erweiterten Besicherungserfordernissen ausgesetzt. Andere gemeindliche Unternehmen sind trotz guter Bilanzrelationen durch einen hohen Kapitalbindungsgrad in ihrer Liquidität angespannt und auf externe Mittelzuführung angewiesen. In diesen Fällen ist zwar Eigenkapital vorhanden, aber es ist aufgrund vorangegangener Investitionen in den Anlagenbestand nicht für Kapitalumschichtungen auf der Aktivseite verfügbar.
In diesem Zusammenhang könnte argumentiert werden, den sich darin verkörpernden Bedarfslagen könnte durch eine entsprechende finanzpolitische Prioritätensetzung Rechnung getragen werden, wie dieses für die Strukturierung von Haushaltsplänen und mittelfristigen Finanzplanungen typisch sei. Dieses Argument greift zu kurz, denn die finanzpolitische Entscheidung zugunsten eines solchen Vorhabens ist eine notwendige, nicht aber auch hinreichende Bedingung dafür, dass der Output dieser Investitionen, d. h. die öffentliche Leistung, tatsächlich zum erwünschten Zeitpunkt zur Verfügung steht. Mit anderen Worten: Es geht hier nicht darum, das Primat der Finanzpolitik, den Vorrang essentiell politischer Entscheidungen, in Frage zu stellen. Es geht auch nicht um das Aushebeln des Willensbildungsprozesses einer demokratisch legitimierten Finanzpolitik, sondern nur um das „Wie“ und „Wann“ für deren Umsetzung. Daraus erhellt sich zugleich auch, dass diese Finanzierungen nicht „am Haushalt vorbei“ erfolgen und kein Annex des Budgets sein sollten. Sie müssen inhärenter Bestandteil der Haushaltssatzung bzw. des Haushaltsplans sein und dürfen keine Ausnahmen von den Grundsätzen der Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit des Budgets auslösen. Die damit zusammenhängenden haushaltstechnischen Darstellungsfragen sind geklärt, beispielhaft ist hier auf die Ausarbeitung des Bund-LänderArbeitsausschusses „Haushaltsrecht und Haushaltssystematik“ vom Mai 1996 zu verweisen6. Kurzum: Das Thema bedeutet nicht
Schlupflöcher für den kommunalen Haushalt, Gestaltungsmöglichkeiten für „freie Spitzen“ oder ähnliche Haushaltskennziffern oder die Umgebung von Regeln der Nettokreditaufnahme.
Es geht allein darum, ob diese Alternativen, sofern sie im Rahmen eines demokratisch legitimierten Budgetierungsprozesses getroffen und im Haushaltsplan verankert sind, 6
gegenüber der „klassischen“ Kreditfinanzierung Vorteile bieten, wie diese zu ermitteln und worin diese begründet sind.
Vgl. Bund-Länder-Arbeitsausschuss: „Haushaltsrecht und Haushaltssystematik“, Private Vorfinanzierung öffentlicher Investitionen. Ergebnisse der Sitzung des Ausschusses am 8. und 9. Mai 1996.
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
257
II.
Die Modelle zur Finanzierung kommunaler Investitionen durch Private im Überblick
(1)
Untersucht man die möglichen Haushaltsentlastungen am Beispiel einer öffentlichen Infrastrukturinvestition, so ist zwischen den drei Bereichen
(2)
Erstellung (einschließlich Planung), Finanzierung und Betreiben
zu unterscheiden7. Diese Bereiche können sowohl öffentlich als auch privat durchgeführt werden. Eine vollständige Privatisierung liegt vor, sofern Finanzierung, Erstellung und Betreiben ausschließlich privat erfolgen, d. h. das Vorhaben ist auch materiell privatisiert, es liegt außerhalb der kommunalen Finanzwirtschaft. Der Entgegengesetzte Pol ist eine vollständige öffentliche Wahrnehmung der genannten Bereiche. Dies ist der klassische Fall der konventionellen Haushaltsbudgetierung und -finanzierung. Die beiden erwähnten Konstellationen markieren die jeweiligen Endpunkte eines Kontinuums der Arbeitsteilung zwischen der Kommune auf der einen Seite und Privaten auf der anderen Seite. Zwischen diesen Endpunkten liegt theoretisch eine Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten kommunaler und privater Aktivitäten. So kann z. B. die Finanzierung über einen Kommunalkredit, die Erstellung über Private, das Betreiben wiederum durch die Gemeinde erfolgen. Will man die einzelnen auf diesem Band liegenden möglichen Kombinationen zwischen privater und kommunaler Zuständigkeit beurteilen, so ist mit Blick auf die Aufwandseite zu unterscheiden zwischen
Erstellungsaufwand, Finanzierungsaufwand und Betreiberaufwand.
Dabei ergibt sich mit Blick auf unsere Fragestellung, dass bei der Beurteilung möglicher Lösungsansätze jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, für welche der denkbaren Alternativen die Resultate aus diesen drei Aufwandsblöcken am günstigsten ist. Die alternativen Finanzierungsansätze im kommunalen Bereich lassen sich auf zwei Grundmuster reduzieren: Die echte Projektfinanzierung einerseits, die modifizierte Projektfinanzierung andererseits. Echte Projektfinanzierungen abstrahieren von den Bonitäten der Initiatoren und Besicherungsmöglichkeiten der Objekte und stellen als sog. „Non Recourse Financing“ allein auf eine die Fremdkapitalrückführung gewährleistende Funktionserfüllung der investiven Maßnahme ab8. Es wäre aus volkswirtschaftlicher Sichtweise wünschenswert, privatwirtschaftliche Finanzierungen kommunaler Aufgaben dann
7
8
Vgl. H. Rehm: Neue Wege zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 1994, Beiheft 18, S. 17. Vgl. D. Tytko: Grundlagen der Projektfinanzierung, Stuttgart 1999, S. 14.
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
als echte Projektfinanzierungen zu gestalten, wenn kommunalrechtlich eine materielle Privatisierung möglich ist. Bei modifizierten oder unechten Projektfinanzierungen werden zwar die Aufgabenerfüllung privatisiert, nicht jedoch die gesellschaftlichen Risiken. Als Risiken sind beispielhaft Verbrauchsgewohnheiten, demographische Entwicklung und künftige Umweltgesetzgebung zu nennen. Der projektbezogene Cash-flow ist dann kein Ergebnis freier unternehmerischer Entscheidungsfindung, sondern umfangreicher kommunaler Vorgaben und Interessen. Eine modifizierte Projektfinanzierung bringt zum Ausdruck, dass die Kommune als Projektinitiator, Verantwortungsträger und größter Nutznießer mindestens gleichfalls einen Beitrag zur Absicherung des Cash flow zu erbringen hat. Insofern gehen modifizierte Projektfinanzierungen immer nur mit einer formellen Privatisierung kommunaler Aufgabenerfüllung einher. Im Folgenden werden zunächst die modifizierten Projektfinanzierungen skizziert. Diesem Überblick folgt eine Analyse der gegen diese Ansätze vorgetragenen Einwände. In einem weiteren Schritt wird für bestimmte kommunale Aufgabenbereiche der Frage nachgegangen, ob in diesen echte Projektfinanzierungen möglich sind. Dabei werden die Bestimmungsgründe der Risiken im Einzelnen dargestellt und es wird geprüft, ob diese ohne Einbindung der Kommune tragbar sind. Aufbauend auf die entwickelten Ergebnisse werden die vorgetragenen Ansätze schließlich finanz- und ordnungspolitisch bewertet.
III. Die Varianten modifizierter Projektfinanzierungen (1)
Die modifizierten Projektfinanzierungen erfolgen in unterschiedlichen Varianten. Gleichwohl lassen sich auch hier zwei Grundmuster unterscheiden:
Die eine Variante ist dadurch gekennzeichnet, dass die Errichtung und die Finanzierung privat, das Betreiben dagegen nach kommunalen Vorgaben und unter kommunaler Aufsicht erfolgt. Für die andere Variante ist typisch, dass sowohl die Errichtung, die Finanzierung und das Betreiben privatwirtschaftlich erfolgen, letzteres aber weiterhin wie bei der ersten Variante der kommunalen Aufsicht unterliegt. In diesem Fall spricht man von einer öffentlich-privaten Partnerschaft.
In finanzierungstechnischer Hinsicht lassen sich beide Varianten auf ein Grundmuster reduzieren. Kernpunkt dieser Basisstruktur ist eine Besitz- oder auch Objektgesellschaft, die das jeweilige Infrastrukturprojekt errichtet (vgl. Abb. 34).
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
259
Abbildung 34: Die Objektgesellschafts-Struktur der Beteiligten
Quelle: H. Rehm, M. Tholen: Management der öffentlichen Schuld, a. a. O.
Soweit diese Besitzgesellschaft das Objekt nicht auch selbst betreibt, vermietet sie es längerfristig an den Betreiber, der über die Mietzahlungen sicherstellt, dass die Besitzgesellschaft in der Lage ist, den Kapitaldienst zu erbringen. Der Betreiber und damit Mieter kann unmittelbar eine kommunale Adresse sein. Man kann aber auch eine privatrechtlich organisierte Betreibergesellschaft errichten, etwa eine GmbH, deren Geschäftsanteile mehrheitlich von der Kommune gehalten werden. Bei dieser auf den kommunalen Hintergrund des Betreibers abstellenden Variante gehen die Finanzierer der Besitzgesellschaft, der Eigenkapitalgeber und der Kreditgeber, lediglich ein überschaubares Risiko ein, weil der langfristig zu Mietzahlungen verpflichtete kommunale Nutzer von zweifelsfreier Bonität ist. Im Folgenden sollen Finanzierungsmodelle vorgestellt werden, die auf diesem Grundmuster aufbauen9. 9
Vgl. H. Rehm: Neue Wege zur Finanzierung öffentlicher Investitionen, a.a.O.; M. Kolodziej: Die private Finanzierung von Infrastruktur, Frankfurt/Main 1996; U. Kirchhoff, H. Müller-Godeffroy: Finanzierungsmo-
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
(2)
Das Forfaitierungsmodell kommt insbesondere im öffentlichen Hochbau zur Anwendung. Forfaitierungsmodelle sind in diesem Bereich regelmäßig als Mietkaufmodelle oder Kaufpreisstundungsmodelle konzipiert. Forfaitierungsmodelle profitieren von den budgetbedingten Nachteilen der Hochbaufinanzierung über VOB-Zahlungen, da Kaufpreisraten über einen Zeitraum von üblicherweise 10 Jahren und mehr annuitätisch, d. h. in jährlich gleich bleibender Höhe, verteilt werden. Damit kann die Kommune Investitionsprojekte zugunsten von Kapazitätserweiterungseffekten zeitlich vorziehen. Die annuitätische Verteilung wird zu Lasten einer Finanzierung der Projektgesellschaft vorgenommen, die ihren Mittelbedarf durch Verkauf der Kaufpreisraten an ein Kreditinstitut deckt. Teilweise ist die Projektgesellschaft mit dem Generalunternehmer identisch. Sofern die Kommune gegenüber dem Kreditinstitut einen Einrede- und Einwendungsverzicht erklärt, erhält die Projektgesellschaft annähernd gleiche Konditionen wie ein Kommunalkredit, so dass sich die Finanzierungskosten diesbezüglich kaum verändern. Da die Projektgesellschaft i. d. R. auch die Vorfinanzierung während der Bauzeit übernimmt und erst später bei Abnahme des Hochbaus in die Bemessungsgrundlage der dann einsetzenden Mietraten einrechnet, ergeben sich für den kommunalen Haushalt in dieser Zeit zusätzliche Entlastungseffekte. Dieses Prozedere ist mit Zinskostenvorteilen verbunden, wenn – wie in der Praxis festzustellen – die Kommune mit Auszahlung der VOB-Abschlagszahlungen sofort in die mittel- bis langfristige Endfinanzierung eintritt, die Projektgesellschaft hingegen auf kurzfristiger EURIBOR-Basis bis zum Abnahmezeitpunkt zwischenfinanziert. Anders als bei Leasing- oder Betreibermodellen sind die Vertragswerke inhaltlich gut überschaubar, und Fragen wie die Einräumung von Erbbaurechten oder Verkehrswertbestimmung stehen nicht an. Der Projektcharakter der Forfaitierung kommt haushaltsmäßig in der periodisierten Belastung der Jahresbudgets durch Verpflichtungsermächtigungen zum Ausdruck; von Bankenseite steht die private Vorfinanzierungszeit mit dem nicht kommunal gesicherten Fertigstellungsrisiko und das Vertragswerk zwischen kommunaler Einrichtung und Projektgesellschaft im Vordergrund. Die Zinsen auf die Zwischenfinanzierung stellen bezüglich der umsatzsteuerlichen Behandlung ein besonderes Problem dar und bedingen eine entsprechende Gestaltung der Finanzierungsverträge. Die Kommune ist bei diesem Modell noch weitestgehend Herr des Verfahrens, was z. B. in einer vorgegebenen Bauplanung oder Bewirtschaftung zum Ausdruck kommt. Wenn auch dieser Bereich in private Hände gelegt wird, erfolgt nach systematischer Würdigung der potenziellen Gesamtoptimierungseffekte der Übergang zu einem „Public Private Partnership“-Modell, mit Forfaitierung. Die Forfaitierung ist auch ein Instrument eher konventioneller Finanzierungen im kommunalen Bereich: Beispielsweise im Schul- und im Krankenhausbereich lassen sich durch Bescheid konkretisierbare Fördermittel mittels Forfaitierung als Ankauf der künftigen Zahlungen kurzfristig vorfinanzieren. Für Stadtwerke und Eigendelle für kommunale Investitionen, Stuttgart 1996; M. Willms: Private Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen. Theoretische und empirische Grundlagen, Baden-Baden 1998; M. J. Matschke, T. Hering: Kommunale Finanzierung, München 1998, S. 183 ff.; K. Heppe: Private Finanzierung kommunaler Investitionen, Frankfurt/Main 1999; C. Kröger: Möglichkeiten und Grenzen alternativer Finanzierungsmodelle kommunaler Investitionen, Wiesbaden 2002.
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
(3)
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gesellschaften ist die Forfaitierung als langfristige Unternehmensfinanzierung interessant, sofern sie regelmäßige Einnahmen aus Lieferung und Leistung an ihre Muttergemeinwesen mit Einredeverzicht an ein Kreditinstitut abtreten. In diesen Fällen kommen auch Institutionen privaten Rechts – wie erwähnt – in den Genuss von kommunalkreditähnlichen Konditionen. Das kommunale Finanzierungsleasing ist analog dem einfachen Forfaitierungsmodell im Wesentlichen auf die Finanzierungsfunktion reduziert, ohne die bauplanerische Seite der Projekte näher einzubeziehen. Die charakteristischen Merkmale sind entsprechend verwandt: Einrede- und Einwendungsverzicht auf die Leasingraten, Entlastung des kommunalen Haushalts in der Vorfinanzierungsphase und annuitätische Belastung in den Folgejahren. Die Endschaftsregelung, d. h. die Regelung über den Verbleib des Eigentums und ggf. zu entrichtende Kaufpreise bei Leasingvertragsende, ist im Sinne von Flexibilität offen gehalten und sieht ein Andienungsrecht der Leasinggesellschaft und/oder eine Kaufoption des Leasingnehmers vor. Wie auch bei der Forfaitierung liegt das uneingeschränkte Finanzierungsrisiko bei der refinanzierenden Bank. Die Konditionierung eines normalen Leasings ist nur bedingt kommunalkreditähnlich. Im Unterschied zu einem mietkaufbasierten Forfaitierungsmodell können jedoch Mehrkosten anfallen, da beim Leasing zum Unterhalt der Projektgesellschaft Verwaltungskosten und leasingbedingte Zusatzversicherungskosten einkalkuliert werden. Ob Leasing als Finanzierungsalternative günstiger ist, hängt im Wesentlichen von der Einräumung eines Erbbaurechts zur Verkehrswertbestimmung und von der steuerlichen Anerkennung (Stichwort: Spezialleasing) ab. Eine Erweiterung des kommunalen Finanzierungsleasings sind Leasing-FondsKonstruktionen. Aufgrund von Steuervorteilen sind private Fondsanteilszeichner zu Konditionenzugeständnissen bei der Eigenkapitalverzinsung bereit. Dabei akzeptieren die Zeichner eine für den kommunalen Investor wichtige niedrige Anteilsrendite vor Steuern aufgrund der hohen Anteilsrendite nach Steuern und des im Vergleich zu konventionellen Gewerbefonds relativ geringen Ausfallwagnisses. Das Fondskapital ist darüber hinaus zinsänderungssicher und steht bei entsprechender Konzeption für mehr als doppelt so lange Zeiträume zur Verfügung wie sie der Kapitalmarkt ansonsten für langfristige Zinsfestschreibungen anbietet. Aufgrund einer Fülle von anbietendem Finanzdienstleistern steht das kommunale Fonds-Leasing in seiner Form als Finanzierungsleasing in einem starken Wettbewerb, der die konditionenabhängige Platzierungsfähigkeit unter Druck setzt. Das anbieterseitige Interesse ist im Vergleich zum ertragsstarken, konventionellen gewerblichen Fonds-Leasing verhalten. Einzelne Leasinggesellschaften haben ihre Aktivitäten im kommunalen Leasing zurückgenommen, um ihre Vertriebskanäle nicht mit minderrentierlichen Produkten zu verstopfen. Das kommunale Finanzierungsleasing bietet ohne Optimierungsmöglichkeiten im Bauplanungsbereich und ohne etwaige fondsspezifische Steuervorteile relativ geringe originäre Vorteile. Entsprechend werden Bauplanung, -durchführung und überwachung durch Übertragung auf die Leasinggesellschaft i. d. R. in diesem Ansatz implementiert, denn durch diesen Baustein lassen sich erfahrungsgemäß die größten Kosteneinsparungen beim Leasing erwirken. Derart umfassende Vertragskonstruktionen sind jedoch selten anzutreffen, und viele angedachte kommunale
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
Projekte haben die Hürde, bei der kommunalen Verwaltung Bereitschaft und erforderliches Vertrauen, auch die Planungsfunktion aus den Händen zu geben, nicht überwinden können. Bei einzelnen Objekten, wie z. B. Kläranlagen und Heizkraftwerken wird im Rahmen des Leasings auch die Betriebsführung in die Hände der Leasinggesellschaft bzw. einer von dieser zu benennenden Projektgesellschaft gelegt. Gewerblich geprägte Leasingmodelle sind im kommunalen Bereich jedoch die Ausnahme, nicht zuletzt weil sie ganz besondere Anforderungen an das Know-how der Leasinggesellschaft stellen, wie z. B. den technischen Betrieb. Eine spezielle Variante des Leasingmodells war in den zurückliegenden Jahren das sog. „Cross-Border-Leasing“ (CBL)10, das in den zurückliegenden Jahren vielfach von deutschen Gemeinden genutzt wurde. Beim CBL wurde eine im deutschen Eigentum befindliche Anlage für bis zu 99 Jahre an einen US-Trust vermietet (Hauptmietvertrag) und im gleichen Zug von diesem für 30 Jahre an den deutschen Eigentümer zurückvermietet. Durch den Hauptmietvertrag wurde dem US-amerikanischen Vertragspartner nach US-Steuerrecht das wirtschaftliche Eigentum an der betroffenen Anlage verschafft. Dieses versetzt den US-Trust in die Lage, das Objekt abzuschreiben und Steuerstundungseffekte zu erzielen. Davon profitierte die deutsche Kommune durch den sog. Barwertvorteil, der ihr bei Vertragsabschluss zufließt. Kreditinstitute finanzierten den Fremdkapitalanteil des US-Trusts und gewährleisteten die Mietzahlung im Rahmen des Untermietvertrages. Die deutsche Gebietskörperschaft trat im Rahmen einer Erfüllungsübernahme die Zahlung der Miete an Banken ab und wurde so wirtschaftlich gesehen von ihren Schulden befreit. Beim CBL liegen die größten Risiken im Vorfeld der Transaktion, in einem möglichen Bonitätsverlust der beteiligten Banken oder auch in evtl. Nachverhandlungen der Verträge.11 Risiken für die Gewährung der Daseinsvorsorge bestehen nicht, da die Interessen der US-amerikanischen Investoren in der Erzielung des Steuervorteils liegen und nicht im Betrieb einer Anlage in Deutschland. Andererseits hat die Kommune die Verpflichtung, das Objekt während der Vertragslaufzeit immer betriebsbereit zu halten. Hinsichtlich der haushaltstechnischen und kommunalaufsichtsrechtlichen Behandlung bestehen bislang kaum eindeutige und zwischen den Ländern vergleichbare Regelungen. Die Fondszeichner des US-Trust konnten den „Kauf“ zunächst in ihrer Steuererklärung abschreiben. Diese Möglichkeit der US-Investoren ist jedoch durch eine entsprechende Änderung des US-Steuerrechts in 2004 weggefallen. Die Oberste USamerikanische Steuerbehörde „Internal Revenue Service (IRS)“ hat die amerikanischen Investoren aufgefordert, ihre Verträge mit den deutschen Partnern bis spätestens zum 31.12.2008 zu beenden. Mit Urteil vom 28.5.2005 hat der „United States District Court of Ohio“ in der Sache AWG Leasing Trust für den Fall einer Müll-
Vgl. P. Biagosch, K. Weinand-Härer: US-Lease in/Lease out Transaktionen – eine alternative Finanzierungsform für die öffentliche Hand, in: M. Kroll (Hrsg.): Leasing-Handbuch für die öffentliche Hand, Lichtenfels 1998, S. 340–359, S. 340 ff.; T. Lingemann: US-Lease als Mittel der Finanzierungsoptimierung, in: Kommunalwirtschaft, Sonderausgabe April 2001, S. 87–90, S. 87 ff.; W. Rügemer: Cross-Border-Leasing, Münster 2004. Vgl. T. Lenk, H. Köpping: Cross-Border-Leasing: Ein Risiko für die Kommunalfinanzen, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2004, H. 4, S. 331–345, S. 331 ff.
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verbrennungsanlage in Wuppertal die Auffassung der US-amerikanischen Finanzbehörde bestätigt und rückwirkend den Investoren die Steuervorteile aberkannt12. Aber nicht nur deshalb sind diese insgesamt rd. 160 Transaktionen in Höhe von rd. 140 Mrd. EUR, die eine Reihe deutscher Kommunen (so z. B. Stuttgart, Ulm, Bottrop, Berlin, Wuppertal, Gelsenkirchen, Nürnberg, Düsseldorf) in den zurückliegenden Jahren eingegangen sind, gefährdet. Zum einen versuchen die US-amerikanischen Investoren wegen des weggefallenen Steuervorteils die Verträge rückabzuwickeln, in dem sie Vertragsverletzungen seitens der deutschen Partner reklamieren. Zum anderen sind in vielen Fällen Finanzinstitute als Erfüllungspartner eingebunden, insbesondere, um das Eigenkapital des US-amerikanischen Investors sicherzustellen. Deren Rating ist in vielen Fällen infolge der Bankenkrise unter jenes Niveau gesunken, bei dessen Erreichen weitere Sicherungsleistungen zugunsten des USInvestors vertraglich vereinbart wurden. Schließlich legten die Kommunen die empfangenen Mietzahlungen bei US-amerikanischen Banken und Versicherungen an, insbesondere bei der von der Finanzkrise besonders betroffenen AIG, die die Mittel für den Rückkauf bereitstellen sollte. Damit stehen die betroffenen Kommunen vor einem doppelten Problem: Sie müssen ggf. die Transaktionen neu besichern, und dies zu höheren Kosten. Darüber hinaus müssen sie – sofern die Depotbank zahlungsunfähig wird – die Rückkaufsumme selbst aufbringen und damit die Transaktion zweimal bezahlen. Die möglichen Verluste sind beachtlich: In Berlin, wo die Verkehrsgesellschaft BVG einen Teil des rollenden Materials verleast hat, rechnet man ggf. mit einem Ausfall von rd. 160 Mio. EUR13.
IV. Das Betreibermodell (1)
Das Betreibermodell setzt auf das erläuterte Grundmuster einer Besitz- oder Objektgesellschaft auf (vgl. Abb. 34) und variiert dieses Grundmuster durch unterschiedliche Vertragsmuster, welche die Rechte und Pflichten der Vertragspartner, der Kommune einerseits, des Betreibers andererseits fixieren. Es ist Ausgangspunkt einer Reihe von weiteren Modellentwicklungen, deshalb wird es hier etwas ausführlicher dargestellt. Für die Kommune liegen die Vorteile
12
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in der partiellen Entlastung des kommunalen Vermögenshaushalts durch Auslagerung der Finanzierung auf ein privates Unternehmen, den Betreiber, in der Schaffung neuer Investitionsspielräume, da die ersparten öffentlichen Mittel nunmehr einer anderen Verwendung offen stehen, in der personellen und sachlichen Entlastung bei der Aufgabenerfüllung, in der Konzentration auf die Überwachungsfunktionen, in der bei hoheitlichen Aufgaben erfolgenden Umqualifizierung in eine gewerbliche Tätigkeit, die entsprechende umsatz- und ertragssteuerliche Vorteile mit sich bringen kann.
Vgl. Kommunen müssen sich auf Risiken aus Cross-Border-Leasing einstellen, in: Börsen-Zeitung vom 5.11.2008, S. 7. Vgl. O. Georgi: Kaum jemand las das Kleingedruckte, in: FAZ vom 17.3.2009, S. 3.
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Die Vorgehensweise sei am Beispiel der Abwasserentsorgung skizziert, gilt aber auch gleichermaßen für die Entsorgungswirtschaft: Unter Federführung der Kommune und gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit einem Beratungsunternehmen werden zu Projektbeginn die Vorgaben für eine Ausschreibung nach der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) ermittelt. Im Rahmen dieser Ausschreibung wird der günstigste Anbieter identifiziert. Einer vom ausgewählten Anbieter zu gründenden Betreibergesellschaft (Projektgesellschaft) wird in einem nächsten Schritt das Eigentum an den vorhandenen, den noch zu erstellenden Anlagen und an den erforderlichen Grundstücken übertragen. Hierbei kommen regelmäßig Erbbaurechtsverträge zur Anwendung. Parallel dazu wird ein langfristiger Betreibervertrag geschlossen, der die Dienstleistungspflichten des Betreibers regelt. Die entsorgungspflichtige Körperschaft erlässt durch Satzung einen Anschluss- und Benutzungszwang und erhebt Entgelte nach dem Kommunalabgabenrecht. Die Vergütung für die genannten Dienste erfolgt durch Weiterleitung der Entgelte. Diese dienen neben der Deckung der laufenden Betriebskosten zur Rückführung der durch den Betreiber aufgenommenen Finanzierung. Die meisten Betreiberverträge enden nach etwa 25 bis 30 Jahren. Zu diesem Zeitpunkt fallen Erbbaurechte und Eigentumsrechte an den Anlagen ggf. gegen einen vorab vereinbarten Restkaufpreis wieder an die Kommune zurück. Das B.O.T.-Modell („build – operate – transfer“14) ist eine Kurzläufer-Variante des Betreibermodells. Trotz eines im Grundsatz langfristig angelegten Vertragskonzepts hält sich die Kommune nach Ablauf von 5 - 8 Jahren das Optionsrecht zur eigenständigen öffentlichen Aufgabenerfüllung offen, d. h. das Recht einer vorzeitigen Übernahme der Anlagen zur Restvaluta. Im Interesse der Gebührensicherheit ist es empfehlenswert, dem als Betreiber eingeschalteten Fachunternehmen eine über zehn Jahre laufende, zinsfeste Finanzierung aufzuerlegen. Im Falle der Optionsausübung tritt die Kommune unter Verrechnung mit dem Restbuchwert der Anlagen in das Kreditverhältnis ein. Das in den ersten Betriebsjahren am höchsten einzustufende technische Risiko trägt der private Betreiber. Diese Jahre bieten der Kommune die Gelegenheit, den Betreiber bezüglich seiner Zuverlässigkeit und technischen Kompetenz zu prüfen. Das Contracting-Modell kommt insbesondere im Energiebereich zur Anwendung. Es handelt sich dabei um investitionsprogrammbezogene Vertragswerke, die zum einen über Fondskapital zum anderen alternativ über ein kommunal gesichertes Darlehen oder eine Forfaitierung finanziert werden. Das Contracting-Modell entspricht in seiner am weitesten verbreiteten Variante dem oben skizzierten Betreibermodell. Der Grundgedanke dieses Ansatzes, der insbesondere bei der Energieversorgung zum Tragen kommt, besteht darin, die Investition in ein Energieprojekt von der mit Energie zu versorgenden einzelnen kommunalen Einrichtung und deren Inanspruchnahme unabhängig zu machen. In diesem Sinne wird das Investitionsprojekt (z. B. eine Anlage zur Nutzung industrieller Abwärme) in einer eigens dafür gegründeten Betreibergesellschaft durchgeführt. An der Betreibergesellschaft können sich die Energieversorgungsunternehmen, die Anlagenhersteller und auch die kommunalen Abnehmer als „Kontraktoren“ beteiligen. Vgl. F. Niklisch: BOT-Projekte: Vertragsstrukturen, Risikoverteilung und Streitbeilegung, in: Der BetriebsBerater, Jg. 53 (1988), H. 1, S. 2–9, S. 2 ff.
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V.
Die Public-Private-Partnership als kommunale Finanzierungsalternative
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Allen genannten Modellen ist gemeinsam, dass sie durch „Public Private Partnership“ (PPP) Fragen der Gesamtoptimierung und der Risikoverteilung beantworten. Diese Ansätze sind durch die Einbeziehung des gesamten Projektlebenszyklus, durch die Risikoverteilung zwischen Kommunen und privaten Unternehmen, durch eine ergebnisbezogene Leistungsbeschreibung, die Spielräume für den Anbieter schafft, sowie durch leistungsorientierte Vergütungsregeln gekennzeichnet15. Der Projektlebenszyklus ist eher langfristig, da die Betriebsphase einbezogen wird. Bei den Risiken trägt der Private i. d. R. finanzielle, entwurfs- und baubedingte Risiken sowie Betriebs- und Marktrisiken, während gesetzgeberische und politische Risiken bei der Kommune verbleiben. Die Vergütungsregelungen sind gekoppelt an Verfügbarkeitskriterien und Qualitäten. PPP-Projekte erfordern auf der Seite der kommunalen Verwaltung die Fähigkeit zu einem kompetenten und umfassenden Ausschreibungs- und Vertragscontrolling. Das bedingt ein Informationssystem (Monitoring), das nicht nur Abweichungen vom gewünschten Kurs, sondern auch Vergleiche mit konkurrierenden Gemeinwesen ermöglicht (Benchmarking). Die Umsetzung dieses Ansatzes erfolgt durch Verträge, die primär definieren:
15
Die Regeln zum Inhalt der Leistungen und weniger die Art und Weise der Gestaltung und Beschaffung der Infrastruktur, die benötigten Leistungen, d. h. den Output und weniger den Input, die Nutzungsdauer, verbunden mit Plan, Bau und Betrieb der Infrastruktur, die Verpflichtung, wer und in welchem Umfang und zu welchen Konditionen die Finanzmittel beschafft, die Zahlungen der Kommune für vereinbarte Quantität und Qualität der Leistungen,
Vgl. D. Sack: Gratwanderung zwischen Partizipation und Finanzengpässen. Ein Überblick über die deutsche Public Private Partnershipentwicklung, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2003, H. 4, S. 353–370, S. 353 ff.; B. Grüb: Stand und Perspektiven von PPP in der Praxis – Zugleich Besprechung einer Grundlagenstudie zu PPP in der Schweiz, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2006, H. 3, S. 321–327, S. 321 ff.; D. Budäus (Hrsg.): Kooperationsformen zwischen Staat und Markt, Baden-Baden 2006; J. Ziekow: Public Private Partnership als zukünftige Form der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, in: H. Hill (Hrsg.): Die Zukunft des öffentlichen Sektors, Baden-Baden 2006, S. 49– 60, S. 49 ff.; H. Rehm: Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP). Befund – Probleme – Perspektiven, in: D. Bräunig, D. Greiling ([Hrsg.): Stand und Perspektiven der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre II, Festschrift für P. Eichhorn, Berlin 2007, S. 440–445; D. Budäus, B. Grüb: Public Private Partnership: Theoretische Bezüge und praktische Strukturierung, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2007, S. 245–272, S. 245 ff.; P. Hüffner: PPP-Markt gewinnt an Dynamik, in: Die Bank, Jg. 2007, S. 24–29, S. 24 ff, A. Eisenkopf: Daseinsvorsorge mit Public Private Partnership – ein dritter Weg?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2007, H. 11, S. 719–723, S. 720; J. Ziekow, A. Windoffer: Public Private Partnership: Struktur und Erfolgsbedingungen von Kooperationsarenen, Baden-Baden 2007; Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Deutscher Sparkassen- und Giroverband (Hrsg.): PPP-Handbuch, Leitfaden für Öffentliche-Private-Partnerschaften, Bad Homburg 2008; F. Baumgärtner, T. Eßer, R. Scharping (Hrsg.): Public Privat Partnership in Deutschland, Frankfurt/M. 2009; D. Suhlrie (Hrsg.): Öffentlich-Private Partnerschaften, Wiesbaden 2009.
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
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Die Chancen von PPP liegen darin, dass sich durch die Einbeziehung von Privaten eine bisher in kommunaler Hoheit erstellte Leistung effizienter erbringen lässt. Dies dürfte i. d. R. der Fall sein, wenn über den gesamten Lebenszyklus das Projekt geplant, finanziert, betrieben und erfolgsabhängig gesteuert wird. Ein besonderer Vorteil des Lebenszykluskonzeptes resultiert dabei daraus, dass sämtliche Kosten für eine bestimmte Leistung über die gesamte Projektlaufzeit erfasst und transparent gemacht werden. Beispielsweise empfiehlt ein Leitfaden des Bundesbauministeriums und der dort angesiedelten PPP-Task-Force aus 2006 zum Bau von Schulen die Verfügbarkeit von Klassenzimmern, Räumen für Fachunterricht, Nebenräumen und Sanitärräumen genau festzuschreiben. Für jeden Raum wird in Minuten je Monat gemessen, wie lange er nicht verfügbar ist. Fehlzeiten führen je nach Raumtyp und Ausfallzeit zu Maluspunkten. Je nach Zahl der Maluspunkte sinkt dann die monatliche Nutzungsgebühr – zu Lasten des Betreibers – um festgelegte Prozentsätze. Mit diesen Ansätzen kann ein nicht zu unterschätzendes Innovations- und Managementpotenzial in die kommunale Verwaltung transferiert werden. Zugleich lösen diese einen Wettbewerbsdruck gegenüber den weiterhin ausschließlich in kommunaler Hoheit erstellten Leistungen aus. Förderlich ist dabei eine Risikoverteilung zwischen den beteiligten Partnern. Allerdings sollte nicht die Diskussion über die Risikoverteilung im Vordergrund stehen, sondern die Vermeidung von Risiken. Notwendig ist die Implementierung von Risikomanagement- und Informationssystemen. Aufgrund der nicht für die gesamte Vertragslaufzeit eindeutig definierten Leistungen, Kosten und Risiken sowie der Komplexität von Vertragswerken ist bereits bei Vertragsabschluss ein systematisches Vertragsmanagement festzulegen. Bei der Vertragsgestaltung sind die Interessenlagen der Partner in einer PPP zu identifizieren und im Vertrag zu modifizieren. Was die Interessenlage der Kommune betrifft, so ist ihr primäres Interesse die Vorteilhaftigkeit eines solchen Finanzierungsweges gegenüber einer klassischen Haushaltsfinanzierung. Bei einer solchen Vergleichsbetrachtung ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die Kommune als erste Adresse an den Geld- und Kapitalmärkten finanzieren kann. Allerdings fallen z. B. über den Lebenszyklus eines Gebäudes 70% bis 80% der Kosten nach dessen Errichtung an. Daher sind allgemeine Aussagen zu einem Kostenvergleich auf der Finanzierungsseite wenig hilfreich. Notwendig ist vielmehr eine ins Detail gehende konkrete Berechnung im Einzelfall. Dabei sind auch die spezifischen Vorteile einer Projektfinanzierung zu berücksichtigen: Diese sind der Zeitvorteil durch die Vergabe des Gesamtpaketes, verbunden mit Optimierungseffekten. Da PPP-Projekte naturgemäß relativ hohe Transaktionskosten verursachen, sollte seitens der Kommune vor allen Dingen folgendes beachtet werden16:
16
die Verteilung und die Steuerung der Risiken und die Struktur und Höhe der notwendigen Einnahmen.
Um maximale Effizienzgewinne zu erzielen, sollten dem privaten Anbieter nur funktionale Vorgaben gemacht werden, damit er sein Know-how in die Konzeption und Planung des Projektes einbringen kann. Mit anderen Worten, es
Vgl. A. Pfnür: Möglichkeiten und Grenzen von Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei ÖPP-Projekten, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2007, H. 2, S. 221–229, S. 221 ff.
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sollte nur eine funktionale Leistungsbeschreibung vorgegeben werden, nur das „Was“, aber nicht das „Wie“. Um maximale Effizienzgewinne zu erzielen, muss ein PPP-Projekt alle Phasen des Lebenszyklus eines Projektes umfassen (Planung, Errichtung, Betrieb). Es sollte auf eine entsprechende Koordination der Schnittstellen zwischen diesen Phasen geachtet werden. Die Risiko-Zuordnung sollte in detaillierten Verträgen festgehalten werden. Der Wirtschaftlichkeitsvergleich soll wertneutral und ergebnisoffen die konventionelle Beschaffungsvariante und die PPP-Variante gegenüberstellen. Die PPP-Variante sollte nur zur Anwendung kommen, wenn sie sich über dem gesamten Lebenszyklus eines Projektes als vorteilhaft gegenüber der konventionellen Variante erweist. In diesem Zusammenhang ist auf den bundeseinheitlichen Leitfaden „Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen bei PPP-Projekten“ zu verweisen.
Besonders wichtig ist eine optimale Risiko-Allokation zwischen den Partnern. Dabei sollte der Grundsatz gelten, dass die Risiken jeweils jenem Partner zuzuordnen sind, der sie am besten (= kostengünstigsten) managen kann. Diese von allen PPPBefürwortern akzeptierte Maxime wird häufig nicht oder unzureichend beachtet. Beispiele dafür finden sich in den einzelnen Phasen eines Projektes: a)
Risiken in der Planungs- und Bauphase das Genehmigungsrisiko wird häufig dem privaten Partner angelastet, das Baugrundsrisiko wird häufig dem privaten Partner angelastet, ohne dass er Umfang und Methodik der Baugrunduntersuchung beeinflussen oder sich auf vorliegende Gutachten verlassen kann.
b)
Inbetriebnahme das Auslastungsrisiko eignet sich nur in sehr wenigen Fällen zur Übertragung auf den privaten Partner.
c)
Betriebsphase das Risiko aus Änderung gesetzlicher Anforderungen wird häufig auf den privaten Partner übertragen. die Risiken aus Änderungen der Steuergesetzgebung müssen zwischen öffentlichen und privaten Partner aufgeteilt werden. es ist zu klären, wer das Risiko geänderter Leistungsanforderung während der (langen) Vertragslaufzeit trägt. Übergabe In welchem Zustand ist das Projekt am Ende der Vertragslaufzeit zu übergeben und wer stellt fest, ob dieser Zustand gegeben ist? Wer trägt das Restwertrisiko?
d)
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Die PPP-Projekte unter diesen Aspekten sachgerecht auszuschreiben, die eingereichten Gebote zu vergleichen, den Vertrag im Detail auszuformulieren, erfordert eine spezielle Expertise. Daran fehlt es in der Kommunalverwaltung häufig.
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
Grundsätzlich sind folgende Vertragsvarianten zu unterscheiden:
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Erwerbermodell Ein Privatunternehmen überlässt der Gemeinde ein Gebäude zur Nutzung. Nach der Vertragslaufzeit – etwa 25 bis 30 Jahre – geht das Objekt an die Kommune über. Inhabermodell Im Unterschied zum Erwerbermodell wird die Kommune sofort nach Abschluss der Baumaßnahme Eigentümer. Der private Partner erhält das Besitzrecht im Wege eines Nießbrauchs. Diese Variante wird vornehmlich bei Sanierungen und Erweiterungen gewählt, weil dort der kommunale Auftraggeber ohnehin Eigner des Gebäudes ist. Vermietungsmodell Das Gebäude ist Eigentum des Privaten, der dem kommunalen Partner die Miete plus Betreiberkosten in Rechnung stellt. Kaufoptionen sind möglich, wobei der Preis offen bleibt. Kommunen wählen diese Variante, wenn sie ein Objekt nur während der Betriebsphase nutzen wollen. Leasingmodell Entspricht weitgehend dem Vermietmodell, aber es besteht eine Kaufoption zum kalkulierten Restwert.
Der Bedarf an PPP-Finanzierungen wird aufgrund des geschätzten Instandsetzungsrückstaues der öffentlichen Hand im Hoch- und Tiefbau in Deutschland auf ungefähr 600 Mrd. EUR geschätzt. Neubauten sind in dieser Hochrechnung noch nicht enthalten. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young leitet aus einer Umfrage bei 300 Kommunen ab, dass die Zahl der Gemeinden und Städte, die auf PPPProjekte setzen, von 2007 bis 2013 deutlich ansteigen werden. So hätten 16% der befragten Finanzverwaltungen angegeben, bereits in den nächsten drei Jahren solche Projekte zu planen. Mit dem in 2005 verabschiedeten sog. „Beschleunigungsgesetz“ (Gesetz zur Beschleunigung öffentlich-privater Partnerschaften) sollen die Rahmenbedingungen für PPP’s befördert werden. Diese Absicht wird unterlegt durch die Einrichtung von gemeinsamen Plattformen, die bundesweit eine Koordinations- und Informationsbasis bilden sollen. Um das angesprochene grundsätzliche Wissensdefizit der Kommunen auf dem Gebiet der PPP zu beheben, ist auf Initiative der Bundesregierung und der privaten Wirtschaft die Beratungsgesellschaft „Partnerschaften Deutschland GmbH“(PDG) gegründet worden. Diese soll standardisierte Verträge ausarbeiten, damit nicht jede Kommune z. B. bei einer Schulsanierung nur auf sich selbst verwiesen ist. Konkret soll die PDG das Wissen von Beratern, Bankern und der öffentlich-rechtlichen Hand bündeln. Es sollen zum einen Projekte auf ihre PPPTauglichkeit hin überprüft und zum anderen die Vergabestellen beraten und diese mit standardisierten Leitfäden und Vertragsmustern unterstützt werden Ziel der PDG ist es somit, allen Projektbeteiligten mehr Sicherheit im Ausschreibungsverfahren zu geben, Verfahren zu beschleunigen und insgesamt den Aufwand zu reduzieren. Dazu dienen auch Leitfäden, mit denen die Initiatoren den derzeit vergleichsweise hohen Beratungsbedarf bei PPP-Projekten und die damit verbundenen Trans-
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
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aktionskosten senken wollen. Der Ausgangspunkt dafür war ein vom Bundesverkehrs- und -bauministerium beauftragtes Gutachten aus 200317, das die rechtlichen Rahmenbedingungen, die notwendigen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen, den PPP-Eignungstest und den sog. Beschaffungsvariantenvergleich darstellt. Mittlerweile bestehen solche Leitfäden z. B. zu den Chancen und Risiken von PPP in den neuen Bundesländern und für einen Kriterienkatalog, mit dem Kommunen Schulprojekte auf ihre Eignung als PPP-Projekt hin untersuchen können. Ein weiterer Leitfaden zeigt auf, wie Kommunen Ausschreibungsunterlagen strukturieren können. Ein vierter Leitfaden beinhaltet das Beispiel einer PPP-Wirtschaftslichkeitsuntersuchung eines Schulprojektes sowie eine gesonderte Datei für eigene Eingaben. Der fünfte Leitfaden schließlich umfasst zwei Musterverträge. In dieser bundesweiten Einrichtung besteht auch Länderweise sog. Task Forces für PPP-Projekte, die in den Landesverwaltungen angesiedelt sind. Bislang sind auf kommunaler Ebene insbesondere Schulsanierungen in öffentlichprivater Partnerschaft durchgeführt worden. Diese basieren auf dem Inhabermodell18. Nach einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik19 entfallen auf dieses Modell etwas 40% der eindeutig zuzuordnenden Vorhaben. Am bekanntesten und umfangreichsten ist das Projekt zur Schulsanierung des Landkreises Offenbach, das ein Volumen von rd. 800 Mio. EUR hat. Die Mehrzahl der übrigen abgeschlossenen kommunalen Vorhaben befindet sich bis jetzt in Nordrhein-Westfalen. Ein aktuelles Beispiel für die Anwendung für ein Public Private PartnershipProjekt (PPP) ist die komplette Sanierung und das künftige Betreiben von fünf städtischen Schulen in der Stadt Magdeburg. Dabei erfolgte die Auswahl der Projektgesellschaft auf der Grundlage einer europaweiten Ausschreibung, die u. a. folgende Eckpunkte enthielt:
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Der mit den Sanierungsmaßnahmen geschaffene Startzustand ist nachhaltig durch professionelle Bewirtschaftung geeignet, geplante Durchführung aller Wartungen, Instandhaltungen und Instandsetzungen zu erhalten. Die Bauunterhaltung umfasst „alle konsumtiven Maßnahmen“, die der Erhaltung der baulichen Anlage einschließlich der technischen Anlagen (Betriebstechnik) und der Außenanlagen dienen. Die Instandhaltung wird als auf die Wartung folgende, nächst intensivere Maßnahme verstanden. Die Wartung umfasst „alle Maßnahmen zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrats“. Die Instandsetzung umfasst „alle Maßnahmen zur Rückführung einer Betrachtungseinheit in den funktionsfähigen Zustand, mit Ausnahme von Verbesserungen“. Sie wird immer dann notwendig, wenn das Bauteil oder die technische Anlage ausgefallen oder wesentlich beeinträchtigt ist (ungeplanter Verlust der Funktionsfähigkeit).
Vgl. Price Waterhouse Coopers, Freshfield Bruckhaus Deringer: PPP im öffentlichen Hochbau – Gutachten im Auftrag des Bundesverkehrs- und -bauministeriums, Berlin 2003. Vgl. T. Dünchheim: Das Monheimer Modell zur Schulbausanierung, in: P. Eichhorn (Hrsg.): Public Privat Partnership: Formen, Risiken, Chancen, Berlin 2004, S. 182–189. Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.): Public Privat Partnership-Projekte, Berlin 2005.
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
Die Stadt Magdeburg hatte im Rahmen der Ausschreibung eine Projektgesellschaft ausgewählt, die von der IW Bauwert-Consult & Verwaltungsgesellschaft (IW-BCV) Wernigerode geführt wird. Die Abb. 35a bis 35c verdeutlichen
die Aufgaben in den Phasen Planung, Bau, Betrieb, die Rolle und Einbindung des Projektführers aus Nutzersicht und die Aufgabenverteilung aus Projektsicht.
Die Prozessstruktur von der Auftragsannahme über die Auftragsgenerierung ist derart geregelt, dass der Ablauf vor der Auftragsannahme über die Auftragsgenerierung, die Abstimmung mit der Instandhaltungsplanung, die Auftragsabwicklung bis hin zur Auftragsrückmeldung hinsichtlich evtl. notwendiger Haushaltsinformationen mit der Stadt Magdeburg vorbesprochen wird. Die spätere Festlegung erfolgt durch den Projektführer als Basis der Prozess- und Qualitätssicherung in einem Prozessleitfaden. Gerade am Beispiel der privaten Finanzierung von Schulen wird ein grundsätzliches Problem von PPP deutlich, nämlich die Frage, wer letztlich das Auslastungsrisiko trägt: Der private Investor oder die Kommune20. Wird den privaten Investoren insofern ein nicht kalkulierbares Risiko zugemutet, besteht die Gefahr, dass die Kommune nachträglich für unerwartete Kosten eintreten muss. Denn letztlich behält die Gemeinde auch weiterhin die Verantwortung, Infrastrukturdienste langfristig zu planen und zu unterhalten und sie wird die Bereiche der Daseinsvorsorge nicht vollständig der privaten Wirtschaft überlassen können. Abbildung 35a:
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Die Aufgaben in den Phasen Planung, Bau, Betrieb
Vgl. D. Jacob: Erstellung eines Gerüsts für ein Public Sector Comparator bei vier Pilotprojekten im Schulbereich, Forschungsbericht, Freiberg 2003; M. Pfeiffer: Immobilienwirtschaftliche PPP-Modelle im Schulsektor – Großbritannien und Deutschland im Vergleich, Hamburg 2004; A. Pfnür, T. Eberhardt: Allokation und Bewertung von Risiken im immobilienwirtschaftlichen Public Private Partnership, in: D. Budäus (Hrsg.): Kooperationsformen zwischen Staat und Markt, Baden-Baden 2006, S. 159–188, S. 159 ff.
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
Abbildung 35b:
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Die Rolle und Einbindung des Projektführers aus Nutzersicht
Stadt MD
Projektgesellschaft (PG) Projektgesellschaft PPP Projekt Schulen – Paket 1
Wir machen Schule.
Objektmanagement
Kommunikation
gestellt von
Qualität, Arbeitssicherheit, Umweltschutz
Schulleitung, Lehrer
Helpdesk/ Portal/ FM-System
--Sporthallennutzer, Vereine
Standorte, Gebäude, Räume, Bauelemente, Anlagen
Abbildung 35c:
Wartung/ IH und Instandsetzung
Hausmeisterdienste
Reinigung
Betreiber IW-BCV bzw. Regionale Partner (Mittelstandsförderung)
Übrige Leistungen
Die Aufgabenverteilung aus Projektsicht
Nutzung/ Betrieb
Landeshauptstadt Magdeburg
Planung/ Koordination
Projektgesellschaft (PG)
Finanzierung
Ausführung
Betreibung/ Bewirtschaftung
EnergieVersorgung
Schulspeisung
Quelle: Planungsunterlagen der Stadt Magdeburg, 2007.
Drittnutzung
Weitere FM-Dienstleistung
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
VI. Die Restriktionen für die Umsetzung von Modellen des Public Private Partnership (1)
(2)
Unabhängig von dieser generellen Anmerkung stehen aber einer nachhaltigen Vertiefung dieser Ansätze auch im kommunalen Bereich folgende Restriktionen entgegen: Zunächst sind umsatzsteuerliche und ertragssteuerliche Belastungen zu erwähnen. Die umsatzsteuerliche Belastung der PPP-Modelle bedeutet z. B., dass der Personalaufwand, den ein Privater im Rahmen eines solchen Projektes übernimmt, mit 19% Mehrwertsteuer belastet ist. Dies ist für sich genommen auch der Grund dafür, dass die Gewerkschaften vermuten, dass dieser Nachteil nur „durch Flucht aus den Tarifverträgen“ zu kompensieren ist. Empfehlenswert ist daher die Einführung eines Refundmentsystems nach dem Beispiel Großbritanniens und der Niederlande. Das Ziel solcher Systeme ist die Neutralisierung von Umsatzsteuerbelastungen bei PPPModellen, in dem der die durch die Umsatzsteuer verursachte Differenzbetrag zwischen Eigenleistung und PPP-Modell in einen Fond eingestellt wird und die Fondmittel später der öffentlichen Hand gutgeschrieben werden. Die Verwirklichung dieser Ansätze würde in Deutschland gegenwärtig allerdings zu beachtlichen Problemen bei der Durchführung des kommunalen Finanzausgleichs führen. Unabhängig davon sollte jedoch die Möglichkeit geschaffen werden, bei einer Vermietung bzw. Verpachtung an die öffentliche Hand für die Umsatzsteuer zu optieren. Ertragssteuerrechtlich wird durch die Unternehmenssteuerreformen 2008 eine weitere beachtliche Hürde für solche Ansätze aufgestellt. Die Ursache dafür ist die sog. „Zinsschranke“. Diese soll ab 2008 den Abzug von Zinskosten deutlich einschränken. Zukünftig dürfen Unternehmen nur noch Zinsaufwendungen in Höhe des Zinsertrags und darüber hinaus nur noch in Höhe von 30% des steuerlich vorgegebenen Gewinns nach EBITDA (Earnings Before Interest, Taxes, Depreciation and Amortization) tatsächlich in Abzug bringen. Der Ertrag vor Abzug von Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen ist hier somit relevant. Nur wenn die Zinsaufwendungen nach Saldierung mit den Zinserträgen unter der sog. Freigrenze von einer Million Euro bleiben darf ein vollständiger Zinsabzug erfolgen. Viele kommunale Projekte, wie Schulen oder Schwimmbäder, überschreiten jedoch diese Grenze. In Zeiten steigender Zinsen können bereits Investitionsvolumina von etwas mehr als 15 Mio. EUR diese kritische Schwelle übersteigen. Besonders problematisch ist an der Zinsschranke, dass auf Seiten des Zahlungspflichtigen der Betriebsausgabenabzug zum Teil versagt wird, obwohl der Zinsempfänger diesen in vollem Umfang versteuern muss. Zwar sollen die Zinsen auf Folgejahre vorgetragen werden können. Aber auch das ändert nichts an der Tatsache, dass derartige Finanzierungsprojekte mit einer Laufzeit von oft 15 bis 25 Jahren im Zeitpunkt des Exits, d. h. am Ende der Partnerschaft, keine bzw. keine ausreichend hohen Gewinne realisieren, die eine vollständige Verrechnung mit Zinsen erlauben werden. Die Zinsen werden damit zu einem Kostenblock und Liquiditätsproblem. Auch die Finanzverwaltung hat offensichtlich dieses Problem erkannt. Derzeit wird diskutiert, ob das Weiterreichen der Zinsen im Rahmen der Projektierungsgebühren an den Auftraggeber eine denkbare Lösung sein kann.
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Vergaberechtlich muss ein fairer und transparenter Wettbewerb als Grundlage für die erwarteten Effizienzvorteile sichergestellt werden. Dabei sollten die mittelständischen Interessen durch die Förderung der Beteiligung von entsprechenden Bietergemeinschaften sowie im Rahmen der (wettbewerblichen) Vergabe von Unteraufträgen wirksam berücksichtigt werden. Die im deutschen Vergaberecht vorherrschende Meinung, dass Auftragnehmer die an sie vergebenden Leistungen zu wesentlichen Teilen im eigenen Betrieb zu erbringen haben, ist im Ergebnis hinderlich für die Umsetzung von PPP-Projekten. Insgesamt zielen die Regelungsinhalte des „Beschleunigungsgesetzes“ auf mehr Rechtssicherheit bei der Auftragsvergabe, was angesichts der Tatsache, dass zur Zeit über 40 Beschwerden über die Auftragsvergabe bei der Immo-Kommission anhängig sind, positiv zu bewerten ist. Das Gesetz folgt der Vorgabe der EU-Kommission, das zurzeit vorherrschende Verhandlungsverfahren um den neuen und komplizierten Weg des wettbewerblichen Dialogs als Vergabeart zu ergänzen und die Funktion des Generalunternehmers bei der Auftragserfüllung zuzulassen21.
VII. Die Haushaltsrechtliche Aspekte der Finanzierungsalternativen (1)
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Die Entscheidung der Kommune für die Art der Durchführung eines Investitionsvorhabens hat sich am Wirtschaftlichkeitsgebot zu orientieren. Das kommunale Haushaltsrecht bedingt, dass für Investitionen unter mehreren Möglichkeiten die wirtschaftlichste zu wählen ist. Diese Länderweise ähnliche Vorschrift ist nicht allein auf die Art und den Umfang des jeweiligen Projektes beschränkt. Sie schließt die Überlegungen, Private bei Planung und Betrieb einzubeziehen, nicht aus. Eine weitergehende Aufforderung zur Prüfung einer Einbeziehung Privater enthalten ausdrücklich die Kommunalverfassungen in Bayern (Art. 61 Abs. 2 S. 2 GOBY) und in Schleswig-Holstein (§ 2 Abs. 1 GOS-H). Danach sind die Gemeinden nicht verpflichtet, öffentliche Aufgaben selbst zu erfüllen, wenn dies eben so gut auch durch andere z. B. Private erfolgen kann. Im kommunalen Bereich handelt es sich bei PPP-Projekten grundsätzlich um kreditähnliche Geschäfte i. S. der Gemeindeordnung, die in fast allen Ländern der Genehmigung der Kommunalaufsicht bedürfen. Soweit nur eine Anzeigepflicht besteht, stellen sich für die Kommunalaufsicht umso höhere Anforderungen. „Da einerseits sowohl die Kommunalverwaltungen als auch die für die Entscheidung zuständigen Vertretungskörperschaften und andererseits auch die unteren Kommunalaufsichtsbehörden regelmäßig nicht über den notwendigen Sachverstand zur Beurteilung derartiger Geschäfte verfügen, sollen Mindestanforderungen an derartige Geschäfte durch Verwaltungsvorschriften allgemein vorgegeben werden“22. Dieser Genehmigungsvorbehalt und die damit korrespondierenden Mindestanforderungen sind auch deshalb geboten, weil die Kommune bei einer formellen Privatisierung dafür sorgen muss, dass der maßgebliche gemeindliche Einfluss auf die Vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: EU-Grünbuch zur öffentlich-privaten Partnerschaft und der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen, 2004. Vgl. Rechnungshöfe des Bundes und der Länder: Feststellungen der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten am 3. und 4. Mai 2006 in München, S. 6.
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Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
entsprechende Aufgabenerfüllung erhalten bleibt. Gleichermaßen muss die finanzielle Haftung der Kommune begrenzt werden, etwa durch Weisungsvorgaben, Zustimmungsvorbehalte für wichtige Geschäfte sowie den Ausschluss von Nachzahlungsverpflichtungen23. Darüber hinaus muss die Kommune einen Wirtschaftlichkeitsvergleich mit einer herkömmlichen Investition der Kommune, die durch einen Kommunalkredit finanziert wird, vorlegen. Ausgehend von den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit muss die Kommune im Rahmen des Genehmigungsverfahrens darlegen, dass sie nicht schlechter gestellt ist, als bei einer Finanzierung über einen Kommunalkredit. Für die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit eines PPP-Ansatzes reichen die reinen Investitions- und Finanzierungskosten jedoch nicht aus. Das kommunale Haushaltsrecht verlangt grundsätzlich bei größeren Investitionsvorhaben eine Berücksichtigung der Folgekosten, d. h. aller bis zum Ende der Nutzung des Objektes anfallenden Kosten (Lebenszyklusbetrachtung). Wegen der Vielfalt und Komplexität der jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen sind verallgemeinernde Aussagen über die Wirtschaftlichkeit der verschiedenen Modelle nicht möglich. Jeder Fall ist einzeln zu prüfen und zu bewerten. Ungeachtet der genannten Begründungen, Argumente und komparativen Vorteile sehen sich diese neuen Finanzierungsansätze gerade bei den Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen nach wie vor erheblichen Einwänden ausgesetzt, die im Folgenden analysiert werden sollen. Die Stichworte dieser Kritik sind im Wesentlichen:
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Steuereffekte, der originäre Konditionenvorteil des Kommunalkredits und methodische und theoretische Probleme der Vorteilhaftigkeits-Analyse.
Die Berechtigung bzw. die Stichhaltigkeit dieser Einwände soll im Folgenden überprüft werden: Bei einer Reihe der genannten Modelle – so z. B. beim Leasingmodell aber auch beim Leasing-Fondsmodell – wird die Vorteilhaftigkeit auf der Finanzierungsseite maßgeblich durch steuerliche Effekte24 derart bestimmt, dass unter gewissen Voraussetzungen dem Leasinggeber das wirtschaftliche Eigentum zugeordnet oder – bei Fondsfinanzierungen – den Fondszeichnern die steuerrechtliche Qualifikation als Bauherren zuerkannt wird. Dadurch verbilligen sich die Konditionen für den Eigenkapitaleinsatz. Dieser Effekt kann kalkulatorisch im Zinsanspruch weitergegeben werden. Dazu wird immer wieder – auch in den Stellungnahmen der Rechnungshöfe25 – betont, dass dies sowohl verteilungspolitisch, fiskalpolitisch aber auch unter AspekVgl. N. Hornung: Die Durchführung der Privatisierungsverträge. Vertragsmanagement zwischen öffentlichem und privatem Recht, in: Der Betrieb, Jg. 1995, H. 3, S. 309–316. Vgl. O. Heidemann: Steuerrechtliche Prämissen und ihre finanziellen Konsequenzen für Kommune, Investor und Gebührenzahler, in: W. Fettig, L. Späth (Hrsg.): Privatisierung kommunaler Aufgaben, Baden-Baden 1997, S. 83–95, S. 83 ff.; T. Beckers, J. P. Klatt: Kosteneffizienz von Public-Private-Partnerships: Erwartungen und empirische Erkenntnisse, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2009, H. 3, S. 176–183. Vgl. Bundesrechnungshof: Bemerkungen zur Haushalts- und Wirtschaftsführung (einschl. der Feststellungen zur Jahresrechnung des Bundes 1993), BR-Drs. 552/95, S. 26.
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ten des Finanzausgleichs bedenklich sei. Gegen diese Kritik ist einzuwenden, dass jene Effekte natürlich auch eintreten, wenn diese Finanzierungsformen für private Investitionen gewählt werden. Gerade mit Blick auf den erwähnten kommunalen Investitionsbedarf ist gesamtwirtschaftlich vertretbar, ja geradezu erwünscht, wenn es den Kommunen auf diese Weise gelingt, den Wettlauf der Investoren um privates Anlagekapital zumindest partiell zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Finanzpolitik hat Steuersubventionen immer dann toleriert, wenn man sich durch diesen Instrumenteneinsatz Erfolge hinsichtlich anderer, häufig allerdings unscharfer wirtschaftspolitischer Ziele versprach. Eine Großzügigkeit, die man im Übrigen auch gegenüber Steuerverschiebungen zwischen den staatlichen „Ebenen“ infolge einer solchen Politik an den Tag legte. Insofern sollte hier nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Man wird steuerpolitische Erwägungen kaum überstrapazieren, wenn steuerlich Finanzierungsformen begünstigt werden, deren volkswirtschaftlicher Stellenwert außer Zweifel steht, insbesondere wenn man die gesamtwirtschaftlichen und finanzpolitischen Multiplikatorwirkungen der damit angestoßenen Investitionen berücksichtigt. Zum immer wieder behaupteten relativen Zinskostenvorteil des Kommunalkredits sind drei Aspekte kritisch zu überdenken26: Erstens: Die relative Günstigkeit ist nicht unbedingt eine absolute. Die Empirie zeigt, dass die kommunale Verschuldung per Saldo nicht getilgt wird (Stichwort: Nettoneuverschuldung). Infolgedessen ist die Zinsbelastung (Zinsbelastung = Zinssatz x zu verzinsender Saldo) deutlich höher als bei einem Unternehmenskredit, bei welchem regelmäßig von einer signifikanten Tilgung auszugehen ist. Zweitens: Der Kommunalkredit ist als Mittelbeschaffung von der Mittelverwendung getrennt. Für die allgemeine Haushaltsfinanzierung hat dies seine Berechtigung, nicht jedoch für volumenmäßig bedeutende Vorhaben. Hier ist die Finanzierung Teil einer Gesamtinvestition, und es stehen verschiedene zu optimierende Finanzierungsalternativen zur Auswahl. Die Argumentation, eine investive Maßnahme über den Kommunal-Haushalt deshalb abzuwickeln, weil der Kommunalkredit die günstigste Lösung ist, greift zu kurz. Es wird nämlich übersehen, dass bei der Mittelverwendung ebenfalls die optimale Kostengünstigkeit nachzuweisen wäre, die wiederum in Abhängigkeit zur gewählten Finanzierungsform steht. Bei einer privaten Unternehmensfinanzierung sind Mittelbeschaffung und Mittelverwendung in ein Entscheidungssystem für die Finanzierung, nämlich die Investitionsrechnung, integriert. Drittens: Der Kommunalkredit ist ein spekulatives Finanzierungsinstrument, das von der realwirtschaftlichen Sphäre vollkommen isoliert ist. Es ist in das Belieben des staatlichen Portfolio-Managers gestellt, welche Kreditaufnahmetermine, welche Zinsbindungsfristen und welche Tilgungssätze gewählt werden. Bei variabel verzinsten Kommunalkrediten erfolgt eine Spekulation auf die Indexstabilität und repräsentativität. Die Zahlungstakte werden zudem vielfach unter Verkennung der
26
Vgl. K. Schwegmann: Die Finanzierungsalternativen der Banken, in: W. Fettig, L. Späth: Privatisierung kommunaler Aufgaben, Baden-Baden 1997, S. 103–130, S. 111.
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Effektivzinsprämissen von den tatsächlichen Zahlungsströmen gelöst mit der Folge, dass im Kreditvertrag ein „pseudooptimaler“ Zinssatz steht. Unternehmensfinanzierungen zielen dagegen auf eine Homogenisierung des Liquiditätsstroms. Die Zinsbindungsfristen werden unter dem Aspekt der langfristigen Kalkulationssicherheit gestaltet, die Tilgungsverläufe sind abschreibungsorientiert. (5)
Einen besonderen Stellenwert nehmen in der Diskussion über alternative Finanzierungsansätze im kommunalen Bereich die Maßstäbe, Normen und Kriterien für die Beurteilung der komparativen Vorteile dieser Ansätze gegenüber der „konventionellen“ Haushaltsfinanzierung ein. Auch die vorliegenden Beurteilungen durch die Rechnungshöfe zeichnen dazu ein widersprüchliches Bild27. Woran liegt das? Wie kann es zu unterschiedlichen Ergebnissen und Bewertungen kommen, wenn allgemein die Wirtschaftlichkeit alternativer Modelle nach der sog. Barwertmethode beurteilt wird? Dabei ist durchaus anzuerkennen, dass mit dem Beschluss der Konferenz der Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder vom 7. Mai 1996 über „Leitlinien für die Beurteilung von Immobilien-Leasing“ sowie mit den erwähnten Ergebnissen des Bund-Länder-Arbeitsausschusses „Haushaltsrecht und Haushaltssystematik“ zur „Privaten Vorfinanzierung öffentlicher Investitionen“ bereits einige Zweifel geklärt wurden. Gleichwohl sind hier noch Fragen offen. Nur einige sollen hier angedeutet werden:
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Die Bestimmung der Vergleichsdaten für die fiktiven Eigenbauten ist mit Unsicherheiten behaftet. Dies beginnt bei der Festlegung der fiktiven Baukosten. Ist es zum Beispiel zulässig, Richtwerte der Bauverwaltung heranzuziehen? Diese sind eben nur Orientierungswerte, die auch dann noch auskömmlich sein müssen, wenn die Bauwirtschaft boomt. Wie hoch ist der Zinssatz für die fiktiven Kredite bei einem Eigenbau zu bemessen? Geht man vom Durchschnittszinssatz der letzten 10 Jahre aus oder wählt man den zur Zeit der gedachten Baumaßnahme aktuellen Zinssatz? Wie hoch sind die jährlichen Unterhaltungskosten zu veranschlagen? Sind die Bauzeitzinsen kreditfinanziert oder werden sie aus laufenden Einnahmen bestritten bzw. welche Alternative unterstellt man? Wie werden zukünftige Finanzierungsabschnitte nach Ablauf von Zinsbindungsfristen simmulativ behandelt? Wie werden sich die Mieten entwickeln? Welche Größenordnungen sind also in die Vergleichsrechnung einzustellen? Welche Bauzeiten sind realistisch? Wie sind diese für die fiktive Eigenbaumaßnahme zu veranschlagen und welche Konsequenzen haben diese für den Vergleich der Bauzeitzinsen? Sind bei der Kommune – die sich nicht versichert hat – fiktive Versicherungsbeiträge zu veranschlagen und falls ja, in welcher Höhe?
Vgl. H. Rehm: Neue Finanzierungsinstrumente, a. a. O., S. 76.
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Wie beeinflussen unterschiedliche Möglichkeiten der Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel einerseits, unterschiedlicher Steuerpflichtigkeit und Steuergestaltung (z. B. Vorsteuer-Abzug) die Vergleichsrechnung28?
Es gibt also eine Fülle offener Fragen. Bei aller Übereinstimmung, dass eine dynamische Investitionsrechnung nach der Barwertmethode durchgeführt werden muss, liegt der Teufel nach wie vor im Detail. Solange sich die Verwaltungen und die Rechnungshöfe bis hin zu diesen Einzelaspekten noch nicht auf einheitliche Annahmen geeinigt haben, wird es hier zu strittigen Auseinandersetzungen kommen. Um Rechtssicherheit für alle Beteiligten, die Verwaltung, die Banken und die Investoren, zu schaffen, wäre es lohnend, die Frage, was, wann und wie verglichen wird, möglichst präzise zu beantworten. In Großbritannien, wo das PPP bereits einen größeren Anteil an öffentlichen Investitionen hat als hierzulande, wird ein solcher Wirtschaftlichkeitsvergleich i. d. R. durch den „Public Sector Comperator“ (PSC) abgebildet. Konkret werden die Barwerte des Cash Flow sowie der Ausgaben einer konventionellen Realisierung miteinander verglichen29. Neben den soeben aufgezeigten Einzelfragen ist bei einem solchen „Public Sector Comperator“ (PSC) generell Folgendes zu beachten:
Bei der Ermittlung der Zahlungsströme sind sämtliche Kosten einzubeziehen, namentlich verwaltungsinterne Overheadkosten sowie Transaktionskosten, die vor und während des Vertragsschlusses als Sicht-, Informations-, Verhandlungs- und Entscheidungskosten und nach Vertragsschluss als Kosten für die Kontrolle anfallen. Die Sicherung der Gemeinwohlverantwortung der Kommune besteht auch bei kooperativer Aufgabenerfüllung in Gestalt der Gewährleistungshaftung fort. Diese erfordert spezielle Vorkehrungen.
VIII. Die Agency-Theorie als Ansatz für die Analyse der neuen Finanzierungsansätze (1)
Einen theoretischen Ansatz zur Analyse und Bewertung der Vorteilhaftigkeit neuer Finanzierungsansätze im öffentlichen Bereich versucht die sog. „Agency-Theorie“. Ausgangspunkt dieser Betrachtungen ist die Tatsache, dass mit der Substitution herkömmlicher Investitions- und Finanzierungsverträge nicht nur die Aufgabenbündel einer Investition, sondern auch die mit ihnen verbundenen Weisungs-, Kontroll- und Delegationsrechte zwischen den Vertragsparteien anders als bisher aufgeteilt werden. Das Interesse einer Vorteilhaftigkeitsbetrachtung muss deshalb der Frage gelten, ob sich die Kommune mit der durch die Sonderfinanzierungsform geänderten
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Vgl. R. Wendt: Haushaltsrechtliche Probleme der Kapitalbeteiligung Privater an öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, in J. Ipsen (Hrsg.): Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Jg. 1994, S. 37–62, S. 54 ff.
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Vgl. Bundesverband deutscher Banken: Private Public Partnership, Chance für die Modernisierung von Infrastruktur und Verwaltung, Berlin 2004, S. 15.
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Verfügungsrechtssituation bei der Verfolgung ihrer Interessen besser stellt, als ihr das im Wege einer herkömmlichen Finanzierung von Investitionen möglich ist30. Die Agency-Theorie bietet ein Instrumentarium zur Analyse und Beurteilung vertraglich gefasster Verfügungsrechtssituationen, indem sie das Verhalten der Kooperationspartner in solchen Situationen systematisiert und bewertet. Grundlage einer agency-theoretischen Betrachtung sind Auftragsbeziehungen zwischen zwei Wirtschaftssubjekten, wie sie auch in Investitions- und Finanzierungsverträgen zwischen der Kommune und Privaten festgeschrieben werden. Auf der Basis von Sonderfinanzierungsverträgen sollen aus der Perspektive des Staates potenzielle Informationsvorsprünge privater Unternehmen dazu führen, die Erfüllung öffentlicher Aufgaben vorteilhafter zu finanzieren, als dies dem Staat in Eigenregie möglich wäre. Hingegen besteht für die Kommune ein Informationsdefizit im Hinblick auf das eigeninteressierte und potenziell opportunistische Verhalten des privaten Unternehmers. Entscheidend für die Vorteilhaftigkeit von Sonderfinanzierungsformen im Vergleich zu einer herkömmlichen Investitionsfinanzierung und –durchführung ist deshalb, ob sie „bessere“ Kooperationsdesigns im Sinne einer besseren Handhabung des mit dem Informationsgefälle entstandenen Prinzipal-Agenten-Problems erlauben. Bei einer agencytheoretisch fundierten Bewertung von Finanzierungsformen werden somit Kooperationsdesigns einer herkömmlichen Finanzierung mit Kooperationsdesigns von Sonderfinanzierungsformen verglichen. Den mit der Finanzierungsform verbundenen Opportunismusspielräumen des Agenten werden mögliche Sicherungsformen des Prinzipals, d. h. der Kommune, zur Verringerung dieser Anreizprobleme gegenübergestellt. Sicherungsformen und verbleibende Opportunismusspielräume verursachen stets Kosten, deren Minimierung eine vorteilhafte Finanzierung auszeichnet31. Im agencytheoretisch fundierte Untersuchungsmodelle sind
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die Kosten das Entscheidungskriterium, die anreizoptimale Vertragsgestaltung der Finanzierungsform die Entscheidungsvariable und der Wissensstand der Vertragspartner und die Informationsmöglichkeiten von Prinzipal und Agent die unabhängigen Variablen.
Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen dieses Ansatzes, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Auch wenn abschließend die Effizienz von Sonderformen kommunaler Investitionsfinanzierung nur im Einzelfall nach den Kriterien von Wirtschaftlichkeitsrechnungen bestimmbar ist, kann doch mit diesem Ansatz eine VorVgl. E. Wenger, E. Terberger: Die Beziehung einer ökonomischen Theorie der Organisation, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 1988, S. 506–514, S. 506 ff.; S. Brockenkamp: Public Private Partnership, Entstehung und Funktionsweise kooperativer Arrangements zwischen öffentlichen Sektor und Privatwirtschaft, Frankfurt 1999; D. Budäus, G. Grüning: Public Private Partnership – Konzeptionen und Probleme eines Instruments zur Verwaltungsreform aus Sicht der Public Choice-Theory, in: Public Private Partnership, neue Formen öffentlicher Aufgabenerfüllung, in: D. Budäus, P. Eichhorn (Hrsg.), Baden-Baden 2006, S. 25– 66, S. 25 ff.; H. Mühlenkamp: Public Private Partnership aus Sicht der Transaktionskosten-Ökonomik und der neuen politischen Ökonomie, in: D. Budäus (Hrsg.): Kooperationsformen zwischen Staat und Markt, BadenBaden 2006, S. 29–48, S. 29 ff.; K. Arrow: The Economics of Agency, in: J. Prall, R. Zeckhauser (Hrsg.): Principals and Agents: The Structure of Business, Boston 1991, Mass., S. 37–51, S. 37 ff. Vgl. R. Dautel: Kommunale Sonderfinanzierung. Ökonomische Analyse innovativer Finanzierungsinstrumente, Wiesbaden 1997, S. 205.
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entscheidung bei der Wahl der Form einer Finanzierung abgeleitet werden. Dies gilt insbesondere für Situationen, in denen derartige Vergleichsrechnungen ex ante, d. h. vor Vertragsabschluss, nicht möglich sind oder nur zu Scheingenauigkeiten führen. Darüber hinaus verdeutlicht dieser Ansatz, dass es auch bei den effizienten Finanzierungsformen sorgfältiger Vorarbeiten bei der Modellgestaltung und bei der vertraglichen Ausgestaltung der Kooperationsbeziehung bedarf, damit die Interessen der Kommune gewahrt und inverse Anreizstrukturen vermieden werden. Die Privatisierung kommunaler Aufgaben lässt die erhofften Effizienzgewinne nur i. V. m. der Vereinbarung von entsprechend gestalteter Anreiz-Regelungen erwarten.
IX.
Die finanz- und ordnungspolitische Bewertung der alternativen Finanzierungsansätze im kommunalen Bereich
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Mit den vorangegangenen Ausführungen sollte versucht werden, die wesentlichen Ausprägungen neuer Finanzierungsansätze im kommunalen Bereich vorzustellen und kritisch zu analysieren. Dabei ist deutlich geworden, dass es im Kern nicht nur um Finanzierungsansätze, sondern um spezielle Formen der Reorganisation des kommunalen Verwaltungshandelns überhaupt geht. Kennzeichnend für alle diese Ansätze ist der Versuch, die Elemente Planen, Finanzieren und Durchführen in einer neuen Struktur zu kombinieren und aus einer Hand darzustellen. Die Finanzierung ist dabei nur ein Teilaspekt. Die Finanzierung kann dabei so in die Gesamtstruktur der Verfahrensabläufe eingepasst werden, dass auch von der finanzierungstechnischen Seite das Investitionsprojekt vorgezogen und die Investitionsdauer verkürzt werden kann. Die Erfüllungsverlagerung in den privaten Sektor, der ganzheitliche Beschaffungsansatz im Rahmen eines Lebenszykluskonzeptes und die Bereitstellung von Leistungen unter Wettbewerbsbedingungen (Innovationswettbewerb auf der Bieterseite) können zu Effizienzvorteilen führen. Wesentliche Treiber von Effizienzgewinnen aus der gemeinsamen Realisierung von Projekten sind eine adäquate Risikoverteilung, funktionale Leistungsbeschreibung und ein Anreiz für Optimierung von Zahlungsmechanismen. Damit erweitern diese Ansätze den Kanon kommunaler Beschaffungsmodelle. Sie erhöhen die Kostentransparenz und zeigen die wirtschaftlichen Zusammenhänge von Investitions-, Finanzierungs- und Bewirtschaftungskosten (Lebenszyklusansatz) auf. Sie ermöglichen einen Wissenstransfer aus der Privatwirtschaft in die Verwaltung, führen dort zur Optimierung tradierter Abläufe und leisten insofern einen Beitrag zur Verwaltungsmodernisierung. Die Entscheidung „rein kommunal oder mittels Einschaltung Privater“ sollte nicht dogmatisch gefällt, sondern pragmatisch getroffen werden. Entscheidend ist, dass der Wettbewerbsgedanke tatsächlich umgesetzt wird. Bei PPP wird der Wettbewerb nicht nur auf die Ausschreibung der Bauleistung beschränkt. Diese Ansätze ermöglichen vielmehr auch Risiken und Erträge zu übertragen und innerhalb der Projektstrukturen so aufeinander abzustimmen, dass der öffentliche Sektor im Ergebnis einen besseren Gegenwert für die investierten Mittel erzielt.
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Im Einzelnen kann sich die höhere Effizienz aus Folgendem ergeben:
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Durch die private Mittelbereitstellung können Vorhaben eher begonnen und ein schnittstellenfreies Management über alle Projektstufen hinweg sichergestellt werden. Dies auch durch die Möglichkeit, als Investor das Gesamtvorhaben optimieren zu können. Die Mechanismen einer Projektfinanzierung führen zu einer nachhaltigen Absicherung von Zeit, Kosten und Qualität. Es erfolgt eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen des „Kunden“, d. h. des Nutzers. Das Kostenbewusstsein für die Inanspruchnahme von Infrastruktur führt zu einem wirtschaftlicheren Verhalten der Nutzer von Infrastrukturleistungen.
Richtig ist, dass sich trotz der von der Praxis immer wieder behaupteten Potenziale für solche alternativen Ansätze sich de facto ein ernüchterndes Bild zeigt. Das hängt offensichtlich auch damit zusammen, dass wesentliche Fragen noch intensiver aufgearbeitet werden müssen, um auch in der Praxis zu belastbaren Modellen zu kommen. Das gilt für die vertragstheoretischen Grundlagen, für die Methoden der Risikosystematisierung und -vorbeugung, für die Probleme der Komplexität sowie für die Höhe der Transaktionskosten. Kurzum: Die Erfolgsfaktoren dieser Ansätze müssen noch konkreter herausgearbeitet werden. Gleichwohl bleibt aber auch richtig, dass die neuen privatwirtschaftlichen Ansätze alternative Handlungsstrukturen aufzeigen und damit auch die Kommune zwingen, unter Konkurrenzdruck über eine grundsätzliche Reorganisation ihrer Entscheidungs- und Vollzugsabläufe nachzudenken. Die mit den neuen Ansätzen mögliche Neustrukturierung der Verfahrensabläufe für die Gestaltung kommunaler Investitionen ist offensichtlich durch Einschaltung Privater häufig leichter durchzusetzen als innerhalb der gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen des politisch-administrativen Systems. Daraus allein kann jedoch kein abschließendes Urteil über die ordnungspolitische Vorzugswürdigkeit der beiden prinzipiellen Lösungsansätze abgeleitet werden. Insofern geht auch die Dogmatisierung der Diskussion im Sinne einer Polarisierung unter dem Schlagwort „Privatisierung versus staatliches Handeln“ am Kern der eigentlichen Fragestellung vorbei. Unter ökonomischen Aspekten kann die Frage nach dem Umfang und der Struktur öffentlicher Aufgaben nicht abschließend beantwortet werden. Dies ist eine originär politische Fragestellung. Die Antwort ist deshalb stets zumindest auch durch gesellschaftspolitische Werturteile geprägt. Die entscheidende Frage zielt auf das „Wie?“ der Erfüllung kommunaler Aufgaben. Insofern ist bloße Ablehnung seitens der Kommune gegen eine vermeintliche Privatisierung öffentlicher Aufgaben genauso wenig am Platz wie eine mehr oder weniger blauäugige Zuversicht, dass privatwirtschaftliche Organisationsformen per se besser, das heißt effizienter seien. Die häufig vorgetragenen Beteuerungen, die den privatwirtschaftlichen Ansätzen zugeschriebenen Rationalisierungspotenziale könne die Kommunalverwaltung auch ausschöpfen, sind deshalb nicht überzeugend, weil dies offensichtlich im bestehen-
Teil G Die Finanzierungsalternativen im Kommunalhaushalt
281
den System des Verwaltungshandelns nicht möglich ist. Andernfalls wäre es nicht zu dem schleichenden Kompetenzverlust der öffentlichen Verwaltung gekommen. Die genannten Anstoßwirkungen sollten also positiv gewertet werden, denn es geht letztlich um die Lage der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit überhaupt. Man sollte sich vorurteilsfrei mit diesen Ansätzen befassen und für jeden Einzelfall prüfen, welcher Lösungsweg vorzuziehen ist. In dem nunmehr möglichen Szenario konkurrierender Ansätze liegt vielleicht die größte Chance für eine Selbstbesinnung und Neuausrichtung des kommunalen Handelns.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
Teil H.
283
Der kommunale Finanzausgleich
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
I.
Die Gründe für den kommunalen Finanzausgleich1
(1)
Nicht nur im Hinblick auf die strukturellen Schwächen der kommunalen Finanzsituation, sondern auch um einer suboptimalen Allokation der von den Gemeinden zur Verfügung gestellten Investitionen und Dienstleistungen entgegenzuwirken, ist die Frage eines (partiellen) Ausgleichs zwischen finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden zu stellen. Denn soweit kommunale Ausgaben mit über Gemeindegrenzen hinausgehenden Wirkungen verbunden sind, fällt deren Volumen aus gesamtwirtschaftlicher Sicht häufig suboptimal aus, da die einzelne Gemeinde nur diejenigen Ausgabenwirkungen zur Basis ihrer Entscheidungen macht, die innerhalb des Gemeindegebiets anfallen. Ein in Nachbargemeinden entstehender Nutzen kommunaler Ausgaben, etwa aufgrund kommunaler Straßenbaumaßnahmen, kommunaler Umweltschutzprojekte oder kommunaler Kläranlagen, bleibt damit unberücksichtigt und kann dazu führen, dass die Kommunen in diesen Bereichen Ausgaben tätigen, die unter dem gesamtwirtschaftlichen Optimum bleiben. Aufgabe des kommunalen Finanzausgleichs ist es auch, derartige Entwicklungen zu verhindern oder zumindest abzuschwächen. Der kommunale Finanzausgleich hat den Charakter eines vertikalen Finanzausgleichs (zwischen den einzelnen Gemeinden eines Bundeslandes und deren Gemeinden) mit horizontalem Effekt (differenzierende Behandlung der Gemeinden anhand von Steuerkraft- und Bedarfskriterien). Er umfasst den durch Zuweisungen, Darlehen und Zuschüssen des jeweiligen Bundeslandes erfolgenden Ausgleich unterschiedlicher Finanzausstattungen von Gemeinden, bezogen auf den fiktiven durchschnittlichen Bedarf, der einer in etwa gleichmäßigen und einheitlichen Aufgabenerfüllung entsprechen soll. Die Finanzzuweisungen von den Ländern an die Kommunen hatten in der ursprünglichen Konzeption nur einen subsidiären Charakter, der die originäre Finanzausstattung der Kommunen durch vertikale Zuweisungen insgesamt soweit ergänzen sollte,
(2)
(3)
1
Vgl. G. Seiler: Ziele und Mittel des kommunalen Finanzausgleichs – ein Rahmenkonzept für einen aufgabenbezogenen kommunalen Finanzausgleich, in: D. Pohmer (Hrsg.): Probleme des Finanzausgleichs II, Schriften des Vereins für Socialpolitik N. F., Bd. 96, II, Berlin 1980, S. 11 ff.; H. Timm: Der kommunale Finanzausgleich als Daueraufgabe, in: Finanzarchiv, Jg. 1981, S. 509 ff.; W. Hoppe (Hrsg.): Reform des kommunalen Finanzausgleichs, Stuttgart 1985; A. Katz: Der kommunale Finanzausgleich, in: G. Püttner u. a. (Hrsg.): Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. IV, Berlin 1983, S. 563 ff.; S. Homburg, T. Kuhn: Theorie des kommunalen Finanzausgleichs, in: Finanzarchiv, Jg. 1995, S. 288 ff.; H.-G. Henneke: Strukturfragen des kommunalen Finanzausgleichs, in: Der Gemeindehaushalt, Jg. 2002, S. 145 ff.; B. Rummel: Kommunaler Finanzausgleich in Deutschland, in: Der Gemeindehaushalt, Jg. 1999, S. 193 ff.; M. Wohltmann: Systematische Mängel im System des kommunalen Finanzausgleichs. Ein Problemaufriss aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, Jg. 2001, S. 98 ff.; H.-G. Henneke: Grundstrukturen des kommunalen Finanzausgleichs, in: H.-G. Henneke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 499 ff.; T. Lenk, H.J. Rudolph: Die kommunalen Finanzausgleichssysteme in der Bundesrepublik Deutschland, in: M. Nierhaus (Hrsg.): Kommunalfinanzen. Beiträge zur aktuellen Debatte, a. a. O., S. 58 ff.; Abschnitt III: Politikfeld „Kommunaler Finanzausgleich“, in: Der Städtetag, Gemeindefinanzbericht 2008, a. a. O.
284
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
dass diese zur Wahrnehmung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben in der Lage sind. Mit Anteilen bei den kommunalen Einnahmen von rd. 30% in den alten Bundesländern und rd. 50% in den neuen Bundesländern kann jedoch nicht mehr von einem subsidiären Instrument der Gemeindefinanzierung gesprochen werden. Die Durchführung des kommunalen Finanzausgleichs weicht darüber hinaus in den einzelnen Bundesländern sehr voneinander ab. Andererseits gibt es gemeinsame allgemeine Grundstrukturen, welche durch die verfassungsrechtlichen Vorgaben geprägt sind. Dabei handelt es sich um die Anforderungen an die
Bildung der Finanzausgleichs- oder Verbundmasse, die Arten der Zuweisungen sowie ihre jeweilige Verteilung auf die einzelnen Kommunen.
II.
Die Systematik des kommunalen Finanzausgleichs auf Landesebene
(1)
Der kommunale Finanzausgleich ist dadurch charakterisiert, dass in den Haushalten der Länder ein Teil der Steuereinnahmen für die Kommunen reserviert wird, der den Gemeinden und Gemeindeverbänden nach Maßgabe näherer Regelungen im jeweiligen Landesfinanzausgleichsgesetz zufließt. Die sich daraus ergebenden Beträge scheiden mit der Gesetzeskraft des Haushaltsgesetzes aus der Landesfinanzmasse aus und werden Bestandteil der Finanzausgleichsmasse der Gemeinden und Gemeindeverbände. Die Länder sind dem Grunde nach verpflichtet, die Gemeinden im Wege einer „verbundenen Steuerwirtschaft“ an ihren staatlichen Steuerquellen zu beteiligen. Nachdem einige von ihnen dieses nach dem Zusammenbruch von 1945 aus eigenem Entschluss getan hatten, hatte das „Bundesgesetz zur Änderung und Ergänzung des Artikels 106 GG vom 24.12.1956“ die Länder verpflichtet, ihre Gemeinden und Gemeindeverbände in ein Verbundsystem mit den den Ländern zufließenden Ertragsanteilen einzubeziehen. Dieses beschränkte sich zunächst auf das den Ländern zugeordnete Aufkommen aus der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer. Durch die weitere Novellierung des Artikels 106 GG auf der Grundlage des Finanzreformgesetzes von 1969 wurde dieser Steuerverbund durch den Artikel 106 Abs. 7 GG auf den Umsatzsteueranteil der Länder ausgedehnt. Der neu gefasste Artikel 106 Abs. 7 GG besagt: „Von dem Länderanteil an dem Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern fließt den Gemeinden und Gemeindeverbänden insgesamt ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Hundertsatz zu. Im Übrigen bestimmt die Landesgesetzgebung, ob und inwieweit das Aufkommen der Landessteuern den Gemeinden (Gemeindeverbänden) zufließt.“ Die Regelung des Art. 106 Abs. 7 GG enthält einen Auftrag an die Landesgesetzgeber. Er beinhaltet die Verpflichtung des jeweiligen Bundeslandes, die Gesamtheit der Gemeinden und Gemeindeverbände mit einem vom jeweiligen Land festzusetzenden Hundertsatz mindestens an dem Landesanteil der Gemeinschaftssteuern zu beteiligen. In welcher Höhe dieser Anteil an dem Landesaufkommen teilnimmt, schreibt das Grundgesetz der Landesgesetzgebung nicht vor. Das ist dem pflicht-
(2)
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
(3)
(4)
285
gemäßen Ermessen und der politischen Entscheidung der jeweiligen gesetzgebenden Körperschaft überlassen. Darüber hinaus steht es den Ländern frei, ob und in welcher Weise sie ihre Gemeinden auch an sonstigen ihnen zugewiesenen Steuerquellen beteiligen. Diese auf die unterschiedliche Struktur und Aufgabenverteilung in den Ländern Rücksicht nehmende Haltung des Grundgesetzes enthält zwangsläufig den Keim für eine differenzierte Zusammensetzung und Ausgestaltung der Verteilungsgrundsätze für die gemeindlichen Finanzausgleichsmassen. Die Länder verfahren hinsichtlich der Bemessung der gemeindlichen Verbundmasse unterschiedlich (vgl. Abb. 36). Einige haben sich auf ihre verfassungsrechtliche Pflicht beschränkt und deshalb nur ihre Gemeinschaftsteueranteile in die Verbundregelung mit den Gemeinden einbezogen. Andere haben die ihnen aus dem Länderfinanzausgleich zufließenden Beträge der Finanzausgleichsmasse zugeführt. Schließlich werden von manchen Ländern auch der Landesanteil an der Gewerbesteuerumlage und sonstige Landessteuern in die Verbundmasse einbezogen, allerdings in unterschiedlicher Höhe. Aus der grundgesetzlichen Bestimmung ergibt sich, dass der Umfang der Leistungen an die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften aus der Verbundregelung von der Finanzkraft des jeweiligen Landes, zum anderen von der Höhe der Finanzierungsmasse, den diese für deren Beteiligung bereitstellt, beeinflusst werden. Von wesentlicher Bedeutung für den kommunalen Finanzkraftausgleich ist indessen, dass es den Ländern gestattet ist, den sich aus der Grundgesetzregelung ergebenden vertikalen Finanzausgleichsstrom zu unterbrechen und ihn nach Maßgabe der Landesgesetzgebung vertikal/horizontal in differenzierter Weise an die gemeindlichen Gebietskörperschaften weiterzuleiten. Obwohl die landesspezifische Ausgestaltung des Kommunalen Finanzausgleichs stark variiert, lassen sich übergreifend die in Abb. 36 dargestellten allgemeinen Grundstrukturen herausarbeiten. In die Finanzausgleichsmasse fließen Landesmittel des obligatorischen und fakultativen Steuerverbundes sowie in einigen Ländern die von den Kommunen erhobene Finanzausgleichsumlage ein. Diese Finanzausgleichsmasse bedient verschiedene Zuweisungsarten, bei denen sich zunächst (zweckfreie) allgemeine Zuweisungen und Zweckzuweisungen gegenüberstehen. Zur ersten Kategorie zählen neben den Bedarfs- auch die Schlüsselzuweisungen, die an anderer Stelle (vgl. unten unter VI.) noch ausführlicher erörtert werden. Nach der Aufteilung der Schlüsselzuweisungen auf die kommunalen Säulen der Gebietskörperschaften (Gemeinden, kreisfreie Städte, Landkreise) erfolgt die Ermittlung der Zuweisungssumme für die einzelne Empfängerkommune. Die für sämtliche Zuweisungsarten und alle Kommunen insgesamt zur Verfügung stehende Finanzausgleichsmasse wird vom Landesgesetzgeber aber auch aufgeteilt in bestimmte Beträge bzw. Quoten für die einzelnen kommunalen Ebenen (kreisfreie und kreisangehörige Gemeinden). Für diese hat der Gesetzgeber die Zuweisungen nach einheitlichen und sachlich vertretbaren Kriterien aufzuteilen. Der Umfang der Zuweisungen an eine der Gruppen darf nicht zu sachlich ungerechtfertigten Voroder Nachteilen innerhalb anderer Gruppen führen.
Abbildung 35:
286
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
Abbildung 36: Die Verbundgrundlagen des kommunalen Finanzausgleichs – Stand 2005
Quelle: H.-G. Henneke: Grundstrukturen des kommunalen Finanzausgleichs, a. a. O., S. 512.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
(5)
287
Bei der Aufteilung ist zu berücksichtigen, dass im Gegensatz zum kreisfreien Raum die Verwaltungsorganisation im kreisangehörigen Raum zwei selbständige Ebenen umfasst, die einen besonderen Aufwand bedingen. In den Kreisen werden zudem zusätzlich Aufgaben wahrgenommen, die im kreisfreien Bereich so nicht anfallen. Schließlich können sich in den Kreisen bei gleichgearteten Aufgaben aufgrund der gegenüber den kreisfreien Städten unterschiedlichen raumwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, insbesondere der regelmäßig großräumigeren Fläche bei geringerer Einwohnerdichte, höhere Kosten ergeben (vgl. unten VII.). Für die Kommunen in den westdeutschen Ländern war der kommunale Finanzausgleich mit seinen vielschichtigen Steuerungsfunktionen stets ein Politikum ersten Ranges. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die Kommunen der ostdeutschen Länder, die wegen ihrer eklatanten Steuerschwäche – wie erwähnt – bis heute über 50% ihrer Ausgaben aus staatlichen Finanzausgleichsleistungen bestreiten. Mit der grundsätzlichen Übernahme der Regelung des Grundgesetzes für die Verteilung des Steueraufkommens auf den Bund sowie auf die Länder und Gemeinden war Anfang der 90er Jahre eine zentrale Ursache für die Zuweisungsabhängigkeit der ostdeutschen Kommunen geschaffen worden. Die Entscheidung für die unveränderte Übernahme der Steuerverteilung des früheren Bundesgebietes hatte zur Folge, dass die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden, aber auch der Länder in der ehemaligen DDR, noch auf Jahre hinaus außerordentlich gering sein werden. Der kommunale Finanzausgleich war damit von Anfang an die Haupteinnahmequelle der Städte, Gemeinden und Landkreise in den neuen Ländern – und wird dies auch noch auf Jahre hinaus bleiben.
III. Die Ziele des kommunalen Finanzausgleichs2 Es können drei Zielsetzungen des kommunalen Finanzausgleichs unterschieden werden: 1
Die Aufstockung der kommunalen Finanzmasse (fiskalische Funktion)
Wie bereits erwähnt, werden im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs durch das Land für notwendig erachtete Korrekturen an der kommunalen Einnahmeverteilung nicht durch Umschichtung von Einnahmen von „reichen“ auf „arme“ Gemeinden vorgenommen. Vielmehr erfolgt durch gezielte unterschiedlich hohe Zuweisungen von zusätzlichen Finanzmitteln der entsprechende Ausgleich. Insofern erfüllt der kommunale Finanzausgleich für die Gesamtheit der Kommunen einen fiskalischen Zweck.
2
Vgl. T. Lenk, H.-J. Rudolph: Die kommunalen Finanzausgleichssysteme in der Bundesrepublik Deutschland. Veröffentlichungen des Instituts für Finanzen – Finanzwissenschaft der Universität Leipzig, Leipzig 2003.
288
2
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
Der (tendenzielle) Ausgleich der Finanzkraftunterschiede zwischen einzelnen Gemeinden (redistributive Funktion)
Die lokalen Steueraufkommen je Einwohner weisen insbesondere wegen der starken Streuung des Gewerbesteueraufkommens erhebliche Unterschiede auf. Auch die Gemeindefinanzreform von 1969, mit der die dominierende Stellung der Gewerbesteuer via Gewerbesteuerumlage (an den Bund und die Länder) und durch die kommunale Beteiligung an der Einkommensteuer relativiert wurde, hat die Disparitäten im örtlichen Steueraufkommen nur verringert, nicht jedoch beseitigt. Ohne korrigierende Eingriffe würde diese ungleiche Steuerverteilung dazu führen, dass steuerstarke Gemeinden infolge ihrer größeren Leistungsfähigkeit auf dem Sektor der haushalts- und unternehmensorientierten Kollektivgüterproduktion weitere Unternehmen und Haushalte (und damit Steuerquellen) anziehen. Diese Tendenz zur wachsenden Diskrepanz zwischen „armen“ und „reichen“ Kommunen steht jedoch im Widerspruch zum Postulat der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“, wie immer man diese Maxime auch im Einzelnen interpretieren mag (vgl. oben Teil D.). Deshalb sollen unterschiedlich hohe Dotationen im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs tendenziell für eine Art „fiskalische Gleichheit“ zwischen den Gemeinden sorgen. Durch relativ hohe Zuweisungen soll die Finanzkraft der ursprünglich finanzschwachen Gemeinden soweit angehoben werden, dass ein annähernd gleiches kommunales Leistungsangebot finanziell möglich wird, bzw. die aus der unterschiedlichen Finanzkraft resultierenden Tendenzen zur Vergrößerung des Wohlstandsgefälles zwischen reichen und armen Gemeinden abgemildert werden. 3
Die allokative Funktion des kommunalen Finanzausgleichs3
Bei einer Reihe öffentlicher Aufgaben lassen sich die Auswirkungen der Aufgabenerfüllung nicht auf diejenige Gebietskörperschaft beschränken, welche die Aufgabe durchführt und finanziert (vgl. oben Teil B.). Es entstehen dann sog. externe Effekte positiver oder negativer Art. Das heißt: Durch die Tätigkeit einer Gebietskörperschaft A werden die Einwohner einer Gebietskörperschaft B begünstigt oder benachteiligt. Da die Gemeinde, die über die Art und das Volumen der Aufgabenerfüllung entscheidet, bei ihrem Kalkül solche externen Effekte nicht berücksichtigt, kommt es zu suboptimalen Allokationsergebnissen: So fällt z. B. das Ausmaß der Aufgabenerfüllung einer Gemeinde A gesamtwirtschaftlich zu gering aus, wenn dadurch auch in einer Gemeinde B ein Nutzen gestiftet wird, dieser bei der Entscheidungsfindung von der Gemeinde A jedoch nicht berücksichtigt wird. Umgekehrt wäre das Ausmaß der Aufgabenerfüllung zu hoch, wenn in einer anderen Gemeinde negative Wirkungen auftreten, diese jedoch in dem Kalkül von A vernachlässigt werden. Der kommunale Finanzausgleich ermöglicht, solche externen Effekte zu internalisieren und damit die Entscheidungen der einzelnen Gebietskörperschaften mit dem gesamtwirtschaftlichen Allokationsoptimum in Einklang zu bringen.
3
Vgl. T. Kuhn: Theorie des kommunalen Finanzausgleichs: Allokative und distributive Aspekte, Heidelberg 1996.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
4
289
Die stabilisierungspolitische Funktion des kommunalen Finanzausgleichs
Der Staat (hier: die Länder) kann (können) beispielsweise in Rezessionsphasen den Kommunen weitere Zuweisungen zur Verfügung stellen, um die staatliche Nachfrage auch der dezentralen Haushalte auszuweiten. Umgekehrt kann das Volumen solcher Zuweisungen in Boomphasen überproportional eingeschränkt werden, um die Nachfrage der dezentralen Haushalte antizyklisch zu beschränken. 5
Die raumordnungspolitische Funktion des kommunalen Finanzausgleichs
Mit der raumordnungspolitischen Zielsetzung rückte der Finanzausgleich von dem oben genannten Grundgedanken der fiskalischen Gleichheit ab und stellt das andere Extrem, die fiskalische Ungleichheit, in den Vordergrund, indem bewusst Finanzzuweisungen zur Realisierung eines raumordnungspolitischen Konzeptes eingesetzt und konzentriert auf ausgewählte sog. zentrale Orte gelenkt werden. Dieses grundsätzlich selektive Vorgehen erscheint dann legitim, wenn damit Sonderbedarfe (Investitionskosten und laufende Aufwendungen) abgedeckt werden, die dadurch begründet sind, dass diese Kommunen zusätzliche Aufgaben wahrnehmen, die im Rahmen eines zentralörtlich organisierten Versorgungssystems letztlich allen Gemeinden und ihren Bürgern zugute kommen. Während also der eher „sozial“ determinierte kommunale Finanzausgleich mit der fiskalischen und der redistributiven Funktion eine ausreichende und tendenziell gleichmäßige Deckung kommunaler Normalbedarfe für alle Gemeinden im Auge hat, will dieser „funktional“ orientierte Finanzausgleich denjenigen Mehrbedarf bestimmter Gemeinden finanziell anerkennen, der ihnen durch den Ausbau der zentralörtlichen Infrastruktur bzw. durch die laufende Erfüllung zentralörtlicher Funktionen entsteht und nicht durch andere Finanzquellen gedeckt ist.
IV.
Die wesentlichen Entscheidungsparameter für die Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs
(1)
Im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs ist über vier Parameter zu entscheiden4
(2)
4
das zu verteilende Volumen die Berechnung des Finanzbedarfs die Berechnung der Finanzkraft das Maß des Ausgleichs.
In den einzelnen Ländern wird – wie oben dargestellt – vorab festgelegt, welchen Umfang die Finanzausgleichsmasse (Schlüsselmasse) haben soll. Dazu ist nach Art. 106 Abs. 7 des jeweiligen Landes zunächst festzulegen, ein wie hoher ProzentVgl. M. Steinherr u. a.: Der Ausgleich zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft im kommunalen Finanzausgleich des Landes Rheinland-Pfalz, Ifo-Studien für Finanzpolitik, Bd. 66, München 1998.
290
(3)
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
satz der Gemeinschaftssteuern (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer) den Gemeinden zufließen soll. Die einzelnen Länder beteiligen ihre Gemeinden – wie erwähnt – sehr unterschiedlich an dem Steueraufkommen des Landes. Dabei ist die sog. Verbundquote, mit der ein Bundesland seine Gemeinden beteiligt, allein wenig aussagefähig. Wichtig ist, welche seiner Steuern in welchem Ausmaß es in die sog. Verbundgrundlagen hineinnimmt, auf die dann die Verbundquote angewendet wird. Die Ermittlung des Finanzbedarfs5 wirft die Frage nach den zutreffenden Indikatoren auf. Dieser sollte sowohl den Ausgleichstatbestand (das den Ausgleich auslösende Merkmal) eindeutig umschreiben und zugleich anreizkompatibel sein. Im Prinzip wird der Finanzbedarf auf zwei Wegen ermittelt: Zum einen kann der tatsächliche Bedarf berechnet werden. Zum anderen kann man eine übergreifende Größe als Pauschaltransfer wählen. Im Einzelnen kommen folgende Bedarfsindikatoren infrage:
(4)
(5)
5
Die Bevölkerungs(Einwohner-)Zahl, die regionalen externen Effekte des Angebots einer Gemeinde zugunsten anderer Gemeinden, die zentralörtlichen Funktionen.
Diese Indikatoren sind allerdings auch mit Vorbehalten zu versehen. Die Bevölkerung, gewichtet nach Ortsgrößenklassen, kann z. B. unerwünschte „Incentives“ setzen, wenn etwa weitgrößere Gemeinden sich veranlasst sehen können, kleinere Kommunen „einzugemeinden“. Auch die anderen Bedarfsindikatoren können kritisch hinterfragt werden (vgl. unten IX.). Die Ermittlung der Finanzkraft ist dagegen einfacher. Es ist dabei offensichtlich, dass die tatsächlichen (Steuer-)Einnahmen nur dann auch zugleich Ausdruck des Steuerpotentials sind, wenn es keine örtliche Festlegung des Steuersatzes gibt. Das heißt, dass bei der Grundsteuer und Gewerbesteuer die Steuersätze konkretisiert werden müssen, in dem z. B. ein Durchschnittssteuersatz verwendet wird. Anderenfalls würde strategisches Verhalten angeregt: Eine Gemeinde, die „sich selbst“ höher besteuert als der Durchschnitt, würde „reicher“ erscheinen, eine Gemeinde, die ihr Steuerpotential infolge sehr niedriger Steuersätze nicht ausnutzt, würde als „arm“ qualifiziert werden. Das Maß des Ausgleichs schließlich ist eine politische Entscheidung. In keinem Fall wird man eine völlige Nivellierung anstreben, um die finanzwirtschaftliche Eigenverantwortung der Gemeinde nicht gänzlich zu suspendieren.
Vgl. H. Hanusch, T. Kuhn: Messung des kommunalen Finanzbedarfs – ein alternativer Ansatz für Schlüsselzuweisungen, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Räumliche Aspekte des Finanzausgleichs, Hannover 1985, S. 55 ff.; U. Hardt: Kommunale Finanzkraft. Die Problematik einer objektiven Bestimmung kommunaler Einnahmemöglichkeiten in der gemeindlichen Haushaltsplanung und im kommunalen Finanzausgleich, Frankfurt/M. 1988.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
V.
291
Die qualitative Struktur des kommunalen Finanzausgleichs
Sämtliche Bundesländer haben den Auftrag des Grundgesetzgebers aus Artikel 106 Abs. 7 GG zum Anlass genommen, ein System von Finanzzuweisungen zu entwickeln, das die aus dem Kommunalsteuersystem verbleibenden Finanzkraftunterschiede der Gemeinden abmildert und dem jeweiligen Land die Möglichkeit gibt, einzelne Maßnahmen von besonderer Bedeutung individuell durch Zuweisungen zu fördern. Unter diesen lassen sich drei Gruppen unterscheiden: Die Schlüsselzuweisungen, die Bedarfszuweisungen und die Zweckzuweisungen. 1
Die Schlüsselzuweisungen6
Die Schlüsselzuweisungen sind Finanzzuweisungen, die nach einem im Landesfinanzausgleichsgesetz festgesetzten Verteilungsschlüssel an die Gemeinden zur Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs ausgeschüttet werden. Sie sind deshalb auch im Haushaltsplan der empfangsberechtigten Körperschaft als allgemeine Deckungsmittel auszuweisen und unterliegen insoweit den gleichen Verwendungsvoraussetzungen wie die vom Non-Affektationsprinzip beherrschten steuerlichen Einnahmequellen der Gemeinden. 2
Die Bedarfszuweisungen
(1)
Die Bedarfszuweisungen sind Dotationen der Länder an ihre Gemeinden und Gemeindeverbände, um nach Durchführung des horizontalen Finanzausgleichs verbliebene Leistungsschwächen oder sich bei seiner Durchführung ergebende Härten auszugleichen. Sofern der Automatismus der Schlüsselzuweisungen zur Deckung des notwendigen Finanzbedarfs sich als unzulänglich erweist, werden den Selbstverwaltungskörperschaften auf Antrag und unter Nachweis ihres Bedarfs Zuweisungen gewährt. Über die Bewilligung und die Höhe der Zuweisungen entscheiden die beteiligten Ressorts nach pflichtgemäßen Ermessen, i. d. R. auf der Grundlage von Richtlinien, die für diesen Zweck von den Ministern des Innern und der Finanzen erlassen worden sind. Die Gewährung von Bedarfszuweisungen setzt nach den Richtlinien regelmäßig voraus, dass die antragstellende Gemeinde ihre eigene Finanz- und Steuerkraft in unzumutbarer Weise ausgeschöpft hat. Die Mittel für die Bedarfszuweisungen werden im Allgemeinen einem Ausgleichsstock entnommen, der vor Durchführung der sonstigen Finanzausgleichsmaßnahmen aus der Verbundmasse der Gemeinden und Gemeindeverbände gebildet wird. Auf die Bedarfszuweisungen besteht kein Rechtsanspruch der antragstellenden Gemeinde. Insofern unterscheiden sich diese grundsätzlich von den Schlüsselzuweisungen. Sie bilden aber wie diese im Gemeindehaushalt allgemeine Deckungsmittel, es sei denn, dass mit der Zuweisung besondere Auflagen hinsichtlich ihrer Verwendung verbunden worden sind, die mit den Gründen für ihre Gewährung im Zusammenhang stehen. Solche Auflagen können sich als notwendig erweisen, wenn
(2)
6
Vgl. B. Rummel: Kommunaler Finanzausgleich in Deutschland, a. a. O.
292
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
anders nicht sichergestellt werden kann, dass gesetzliche oder vertragliche Verpflichtungen der Gemeinden erfüllt werden. 3
Die Zweckzuweisungen
(1)
Die Zweckzuweisungen sind ihrer Bestimmung nach echte Lastenzuschüsse und werden nach Maßgabe näherer Regelung im jeweiligen Landesfinanzausgleichsgesetz nicht zur Verstärkung der gemeindlichen Finanzkraft, sondern zur Finanzierung oder Mitfinanzierung konkreter Aufgaben der Gemeinden aus Mitteln der Finanzausgleichsmassen bereitgestellt. Zweckzuweisungen werden in aller Regel nach Kriterien zugeteilt, welche die Finanz- und Steuerkraft der empfangenden kommunalen Körperschaften weitgehend unberücksichtigt lassen. In der staatlichen Praxis dienen sie deshalb weniger der Überbrückung von finanzwirtschaftlichen Engpässen oder Notständen, sondern mehr als Mittel der Einflussnahme auf die Entschließungsfreiheit kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften. Sie sollen diese veranlassen, unter Teileinsatz eigener Mittel bestimmte förderungswürdige Investitionen durchzuführen. Ihnen ist deshalb eine Anstoßwirkung zugedacht. Mit ihrer Gewährung werden in aller Regel Auflagen über die Art der Durchführung verbunden. Die Entgegennahme von Zweckzuweisungen mit der aufgezeigten Zielsetzung führt deshalb – wie bereits an anderer Stelle erwähnt (vgl. oben Teil D.) – zur Bindung eigener Finanzmittel der Gemeinden und zur Beeinträchtigung ihrer Gestaltungsfreiheit im Hinblick auf das jeweilige Vorhaben. Anders sind solche Zweckzuweisungen zu beurteilen, die den Gemeinden und Gemeindeverbände nach objektivierten Maßstäben zugewendet werden. Bei diesen fehlen die Gesichtspunkte der Anstoßwirkung und der Einflussnahme auf die jeweilige Maßnahme. Die den Gemeinden und Gemeindeverbänden zur Verfügung gestellten zweckgebundenen Finanzzuweisungen dürfen nur für den Aufgabenbereich Verwendung finden, für den sie bereitgestellt worden sind. Sie sind deshalb spezielle Deckungsmittel und unterliegen den für die Veranschlagung dieser Art von Deckungsmitteln bestehenden Haushaltsgrundsätzen. Gegenüber der sie gewährenden Körperschaft sind Verwendungsnachweise zu führen. Neben den Zuschüssen zu den verschiedenen Verwaltungszweigen erhalten die Gemeinden auf diesem Wege jene Kosten erstattet, die ihnen als untere staatliche Verwaltungsbehörden durch Erfüllung staatlicher Aufgaben (Auftragsangelegenheiten bzw. Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung) entstehen (Beispiel: Gesundheitsämter, Katasterämter). In einigen Bundesländern ist die Zweckbindung dieser Erstattungen allerdings aufgehoben worden, um den Gemeinden einen Anreiz zur sparsamen Verwendung dieser Mittel zu geben. Weiterhin werden über Zweckzuweisungen den Gemeinden und Gemeindeverbänden Ausgaben ersetzt, die diesen dadurch entstehen, dass sie an ihre Einwohner im Auftrage des Landes bzw. des Bundes Sozialtransfers, z. B. nach dem Unterhaltssicherungs- oder Wohngeldgesetz zahlen. Die Gemeinden fungieren bei der Verwaltung dieser durchlaufenden Gelder lediglich als Zahlstellen des Landes bzw. des Bundes.
(2)
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
293
Zusätzlich zu den Mitteln aus der Verbundmasse werden im Rahmen des Finanzausgleichs auch sog. „ad hoc-Zuweisungen“ verteilt, deren Zweck und Höhe bereits in den Haushaltsplänen der jeweiligen Bundesländer fixiert sind.
VI.
Die quantitative Struktur des Finanzausgleichs
Die Verteilung der Finanzausgleichsmittel auf die einzelnen Zuweisungsarten und -zwecke ist in den Bundesländern völlig unterschiedlich. Deshalb ist ein Ländervergleich außerordentlich schwierig. Die Abb. 37 gibt dazu einen Überblick. 1
Das Verteilungsverfahren bei Schlüsselzuweisungen7
(1)
Bei der Berechnung der Schlüsselzuweisungen gehen die Finanzausgleichsgesetze aller Bundesländer vom Finanzbedarf, d. h. von einer durchschnittlichen Ausgabenbelastung einerseits, und der Finanzkraft der einzelnen Kommunen andererseits aus (das Verteilungssystem an Gemeindeverbände weist ein prinzipiell gleiches Grundmuster auf). Mittels Schlüsselzuweisungen soll tendenziell ein Ausgleich zwischen diesen Richtgrößen bewirkt werden. In allen Bundesländern, mit Ausnahme Baden-Württembergs, kommt ein gesetzmäßig festgelegter Ausgleichssatz zur Anwendung, zu dem die Differenz zwischen Finanzbedarf und Finanzkraft abgedeckt wird. Lediglich das Land Baden-Württemberg legt einen Grund-Kopf-Betrag mit dem Ziel fest, dem Finanzbedarf der Gemeinden angemessen Rechnung zu tragen. Die Ausgleichsquote ergibt sich hierbei endogen. Die Abb. 7 zeigt die beiden Verfahren (zum einen in Baden-Württemberg, zum anderen in den anderen Bundesländern) zur Ermittlung der Schlüsselzuweisungen für die einzelnen Empfängerkommunen. Den beiden Ansätzen liegt somit eine gegensätzliche Festlegung des aktiv zu bestimmenden Parameters einerseits und der endogenisierten Größe andererseits zugrunde. In Baden-Württemberg wird der Grundbetrag festgelegt, in den anderen Bundesländern dagegen der Ausgleichssatz. Da jedoch beide Methoden auf die vollständige Ausschöpfung der Schlüsselmasse und auf die hieraus resultierende Endogenisierung eines Ausgleichselementes abstellen, sollen die weiteren Schritte im Einzelnen lediglich anhand des von den Bundesländern, außer Baden-Württemberg, gewählten Verfahrens dargestellt werden. Die Ausgangspunkte der Berechnungen sind als Ausdruck des Finanzbedarfs einer Gemeinde die sog. „Ausgangs-„ oder „Bedarfsmesszahl“ und als Indikator der Finanzkraft die „Steuerkraftmesszahl“. Die Ausgangs- oder Bedarfsmesszahl ist rechnerisch das Produkt der Faktoren „Gesamtansatz“ und „Grundbetrag“. Im Gesamtansatz sollen sich möglichst alle bedarfsrelevanten Tatbestände der Kommunen ausdrücken. Der Grundbetrag ist eine monetäre Größe, die dafür sorgt, dass mit dem noch näher zu erläuternden „Ausgleich“ zwischen Ausgangs- und Steuerkraftmesszahl die für die Schlüsselzu-
(2)
7
Vgl. H. Grossekettler: Die Bestimmung der Schlüsselmasse im kommunalen Finanzausgleich, in: Finanzarchiv, Jg. 1987, S. 395 ff.
294
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
weisungen im Landeshaushalt insgesamt vorgesehene Finanzmasse (Schlüsselmasse) ausgeschöpft wird. Die Verteilung erfolgt also nach dem sog. RepartierungsPrinzip. Abbildung 37: Das Verfahren zur Ermittlung der Schlüsselzuweisungen für die
einzelne Empfangskommune
Quelle: T. Lenk, H.-J. Rudolph: Die kommunalen Finanzausgleichssysteme in der Bundesrepublik Deutschland, a. a. O., S. 60.
(3)
Das Gesamtvolumen der für die Schlüsselzuweisungen zur Verfügung stehenden Mittel ist die Schlüsselmasse. Sie wird als Teil der gesamten Finanzausgleichsmasse festgelegt. Der Finanzbedarf einer Gemeinde ist zunächst ein nicht in monetären Größen, sondern durch physische Faktoren bestimmter Wert. Um diesen mit der monetären Finanzkraft vergleichen zu können, wird die Summe der Bedarfsindikatoren mit dem Grundbetrag multipliziert. Das Ergebnis ist die sog. Ausgangsmesszahl (vgl. Abb. 38). Der Grundbetrag ist ein aus der Schlüsselmasse abgeleiteter Geldbetrag. Er wird so berechnet, dass die Schlüsselmasse insgesamt aufgebraucht und der vorgesehene rechnerische Ausgleich zwischen Bedarf und Finanzkraft gewährleistet ist. Würde man die tatsächlich ermittelten Bedarfe und die Steuerkraftmesszahl für jede Gemeinde miteinander vergleichen und auszahlen, so wäre die gesamte Summe erst als Ergebnis des Rechenprozesses festgelegt. Da das jeweilige Land aber seine Schlüsselmasse vorab festlegt, wird die Summe der sich aus den Haupt- und Nebenansätzen (aller Gemeinden) ergebenden Punkte mit einem Grundbetrag multipli-
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
295
ziert. Dieser wird unter Berücksichtigung der insgesamt zur Verfügung gestellten Finanzmasse (Schlüsselmasse) errechnet. Es gilt: Finanzmasse = der Bedarfsindikatoren x Grundbetrag. Schematisch sind die Abläufe wie folgt darzustellen: Bedarfsindikatoren8 x Grundbetrag = Ausgangsmesszahl
Normierte Steuereinnahmen = Finanzkraft
Dabei gilt: Summe ausgezahlter Schlüsselzuweisungen = Schlüsselmasse Abbildung 38: Die Ermittlung der Schlüsselzuweisung für eine Gemeinde
Ausgangsmesszahl (Finanzbedarf) x Ausgleichsfaktor ./.
Finanzkraft (Steuerkraft)
=
Schlüsselzuweisung sofern Finanzbedarf > Finanzkraft
(4)
8 9
Dominierendes Element der Ausgangsmesszahl (des Gesamtansatzes) ist der Hauptansatz. Er geht von der Zahl der Gemeindeeinwohner als wichtigstem Bedarfsmerkmal der einzelnen Gemeinde aus. In den meisten Bundesländern werden die Einwohner je nach Größenklasse der Gemeinde unterschiedlich gewichtet. Mit dieser sog. „Veredelung“, d. h. künstlichen Erhöhung der Einwohnerzahl mit steigender Gemeindegröße, will man der Erfahrung Rechnung tragen, dass mit wachsender Bevölkerung die Ausgaben für die gemeindliche Leistungserstellung nicht proportional, sondern progressiv ansteigen (vgl. zur Kritik an diesem, „Brecht‘sches Gesetz“9 genannten, Zusammenhang unter VIII.). In Nordrhein-Westfalen wird die progressive Staffelung des Hauptansatzes zusätzlich mit dem erhöhten Zuschussbedarf der Gemeinden mit zentralörtlichen Funktionen begründet. Andere Bundesländer haben dagegen in den letzten Jahrzehnten die Richtigkeit dieses Zusammenhangs für die heutige Zeit in Zweifel gezogen und den „veredelten“ Einwohner als Bezugsgröße abgeschafft und durch den „tatsächlichen“ Einwohner ersetzt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass in diesen Bundesländern größere Orte nicht über progressiv steiDie Summe der Bedarfsindikatoren ist der Gesamtansatz. Vgl. A. Brecht: Internationaler Vergleich der öffentlichen Ausgaben, Leipzig-Berlin 1932.
296
(5)
(6)
10
11 12
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
gende Schlüsselzuweisungen verfügen können. Dafür wurde eine neugeschaffene Schlüsselzuweisungsmasse für übergemeindliche Aufgaben an zentrale Orte bereitgestellt. Im Rahmen der Gemeindeschlüsselzuweisungen werden in diesem System aber alle Bürger als Bedarfsverursacher gleichgestellt, was seine Rechtfertigung in dem Anspruch aller Bürger auf gleichwertige Leistungen finden soll10. Ausgangspunkt der Bemessung des Finanzbedarfs ist also in allen Bundesländern die Einwohnerzahl der Gebietskörperschaften. Bei steigender Einwohnerzahl werden größere Aufgaben und ein höherer Finanzaufwand unterstellt. In den meisten Bundesländern wird darüber hinaus nicht jeder Einwohner mit dem Berechnungsfaktor „1“ angesetzt, vielmehr berücksichtigen – wie erwähnt – die meisten Bundesländer den Faktor „Einwohner“ um so mehr, je größer die Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde ist. Dieses auf ein Gutachten von Popitz11 zurückgehende Prinzip der veredelten Einwohnerzahlen unterstellt in Ableitung aus dem erwähnten Brechtschen Gesetz, dass der verhältnismäßige Verwaltungsaufwand mit der Größe der Bevölkerungszahl progressiv wächst12. Neben der aus veredelten Einwohnerzahlen bestehenden sog. Hauptansatzstaffel werden weitere „bedarfserhöhende“ Tatbestände bei der Berechnung der Ausgangsmesszahl durch sog. Ergänzungs- bzw. Nebenansätze erfasst (vgl. Abb. 39). Rein rechnerisch bewirken sie eine (fiktive) zusätzliche Erhöhung („Veredelung“) der Einwohnerzahl der berechtigten Gemeinden. Solche Ergänzungsansätze sind z. B. der sog. Raumordnungsansatz, der Schüleransatz, der Grenzlandansatz, der Bäderansatz, der Straßenansatz, der Ergänzungsansatz für Grubengemeinden, der Stationierungsansatz. In den einzelnen Bundesländern wird außerordentlich unterschiedlich von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, örtliche Bedarfsbesonderheiten, die von der Gemeindegröße unabhängig sind, über Nebenansätze ins Kalkül zu ziehen. Eine qualitative Analyse der einzelnen Ansätze lässt zudem erkennen, dass auch gleichlautende Sonderansätze in den einzelnen Bundesländern technisch höchst unterschiedlich ausgestaltet sind und dementsprechend abweichende Wirkungen haben können. Der Hauptansatz und die Ergänzungsansätze ergeben insgesamt die Ausgleichsmesszahl (den Gesamtansatz). Damit stellt diese zunächst nichts anderes als eine mehrfach „veredelte“ Einwohnerzahl dar, deren Höhe Hinweise auf den Finanzbedarf der Gemeinden geben soll. Für die Ermittlung des Finanzbedarfs bildet eine fiktive Größe, nämlich das Produkt aus Einwohnerzahl und Grundbetrag, den Ausgangspunkt. Darin spiegelt sich die Erkenntnis wider, dass die tatsächlichen Ausgaben keinen sachgerechten Anknüpfungspunkt für die Bedarfsermittlung bilden. Die Ist-Ausgaben definieren nicht, was nach finanzrechtlicher Notwendigkeit hätte ausgegeben werden müssen (Bedarf), sondern bezeichnen nur das, was die Gemeinde auszugeben bereit ist, mithin ihre Ausgabewilligkeit. Eine Bemessung des Bedarfs allein nach den tatsächlichen Ausgaben hätte die absurde Konsequenz, dass sparwilVgl. H. Zimmermann, R.-D. Postlep: Probleme des kommunalen Finanzausgleichs und H. Hanusch, T. Kuhn: Messung des kommunalen Finanzbedarfs – ein alternativer Ansatz für Schlüsselzuweisungen, beide Beiträge in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Ballung und öffentliche Finanzen, Hannover 1985, S. 2 ff. bzw. S. 55 ff. Vgl. J. Popitz: Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, Berlin 1932. Vgl. J. Kaehler: Brechtsches und Wagnersches Gesetz im Vergleich, in: Finanzarchiv, Jg. 1982, S. 445 ff.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
(7)
2
297
lige oder finanzschwache Gemeinden sich gerade wegen ihrer geringen Ausgaben auch einen geringen Bedarfsansatz zurechnen lassen müssten. Daher hängt eine angemessene Finanzausstattung nicht von dem Ausgabenwillen der berechtigten Gemeinden, sondern nur von deren notwendigen Ausgaben ab. Dieser Rechtsbegriff ist dahingehend zu interpretieren, dass nur der Bedarf notwendig ist, der sich für die kommunale Selbstverwaltung bei wirtschaftlicher Aufgabenerfüllung als unverzichtbar erweist. Hinsichtlich der Methode, den normativen Bedarf zu bestimmen, wählen die Landesgesetzgeber insb. bei der Ermittlung der Einwohnerzahl – wie dargestellt – unterschiedliche Wege. Zur Berechnung der Ausgangsmesszahl wird – wie erwähnt – der Gesamtansatz mit einem für alle Gemeinden einheitlichen jährlich neu festgesetzten Euro-Betrag, dem sog. Grundbetrag, multipliziert. Dadurch erfolgt jedoch keine monetäre Bewertung der in der Punktzahl der einzelnen Ausgangsmesszahlen ausgedrückten Finanzbedarfsrelationen der einzelnen Gemeinden in dem Sinne, dass nun der konkrete Finanzbedarf einer Gemeinde in Euro und Cent errechnet ist. Vielmehr hat der einheitliche Grundbetrag nur den Rang einer monetären Hilfsgröße, die so zu dimensionieren ist, dass mit dem „Ausgleich“ der Differenz zwischen Ausgangs- und Steuerkraftmesszahl die für Schlüsselzuweisungen an Gemeinden festgesetzte Finanzmasse aufgeteilt wird (vgl. Abb.40). Die „bewerteten“ Ausgangsmesszahlen der einzelnen Gemeinden können also bestenfalls Auskunft über Finanzbedarfsrelationen zwischen Gemeinden geben. Die Steuerkraftmesszahl als Indikator der kommunalen Finanzkraft
Mit der Steuerkraftmesszahl soll dem in der Form der Ausgangsmesszahl normierten Finanzbedarf die eigene finanzielle Leistungsfähigkeit der Gemeinde gegenübergestellt werden. Der Berechnung wird das Aufkommen aus der Grundsteuer A und B, der Gewerbesteuer (zu 60 v. H.) und aus dem kommunalen Anteil der Einkommensteuer zugrundegelegt13. Abgezogen wird von diesem Betrag die Gewerbesteuerumlage. Ähnlich wie bei der Ermittlung der Ausgangsmesszahl werden auch im Berechnungsverfahren der Steuerkraft die relevanten kommunalen Daten modifiziert. Dies geschieht durch die Verwendung von fiktiven, landeseinheitlichen Hebesätzen („Nivellierungssätze“). Damit soll u. a. verhindert werden, dass Gemeinden durch niedrige Hebesätze ihre potentielle Steuerkraft bewusst nicht ausnutzen, um auf diese Weise einerseits Unternehmen Standortvorteile zu bieten. Andererseits sollen die durch eine zurückhaltende Hebesatzpolitik entstehenden Mindereinnahmen nicht mittels Ausgleichszahlungen auf Kosten der anderen Gemeinden kompensiert werden.
13
Vgl. R. Voigt: Das System des kommunalen Finanzausgleichs in der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart u. a. 1980, S. 68.
298
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
Abbildung 39: Hauptansatzstaffel und Ergänzungsansätze für kreisangehörige Gemeinden
– Stand 2005
Land
Hauptansatzstaffel von Einw.Zahl
MecklenburgVorpommern Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein II. Hessen < 5.000
Hundertsatz
I.
bis Einw.zahl Keine
Modifikation
Ergänzungsansätze
Keine
Keine
Keine Keine Mittelzentrum: mind. 125 MZ mit Teilfunktion Oberzentrum: mind. 130 Oberzentrum: mind. 140 > 50.000 Erw.: + 15 v. H. des Hauptans. –
Keine Keine 1. Stationierungsstreitkräfte 2. Bevölkerungszuwachs > 10 v. H. in den letzten 10 Jahren 3. Schüler
Hundertsatz
Keine Keine 107 > 50.000
130
Saarland
≤ 5.000
104
200.000
133
Sachsen
≤ 1.500
100
> 40.000 – 55.000
160
Sachsen-Anhalt
≤ 5.000
100
III.BadenWürttemberg
≤ 3.000
100
25.000 – 60.000 >600.000
118– 125 186
Brandenburg
< 2.500
100
> 55.000
128
Niedersachsen IV.Bayern
< 10.000 ≤ 5.000
100 108
> 500.000 180 150 500.000 e weitere +1 100.000
NordrheinWestfalen
≤ 25.000
100
634.000
Thüringen
≤ 3.000
100
> 200.000 150
157
1. Nicht kasernierte Stationierungsstreitkräfte 2. Kinder bei überdurchschnittlicher Geburtenrate 3. Straßen 4. Grubengemeinden für Bergschäden 5. Kurorte 6. Zentrale Orte Schüleransatz
Große Kreisstädte ≥ 20 000 Ew.: + 1 v. H. < 20 000 Ew.: + 0,5 v. H. – – –
1. Grundwehrdienstleistende und kasernierte Streitkräfte 2. Polizeibeamte in Gemeinschaftsunterkünften 3. Studierende Große kreisangehörige – Städte: mind. 123 Regionale Entwicklungszentren: 122 Mittelzentrum: mind.118 Grundzentrum:mind 113 Kleinzentrum: mind. 103 – – Kreisfreie Städte: 1. Nicht kasernierte + 10 v. H. des HauptStationierungsstreitkräfte ansatzes 2. Strukturschwache 3. Soziallasten kreisfreier Städte – 1. Schüler 2. Soziallasten nach Dauer der Arbeitslosigkeit 3. Zentralität nach Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Erfurt Kreisfreie – = 150 Städte + 5 Prozent- v. H. punkte
Quelle: H.-G. Henneke: Grundstrukturen des kommunalen Finanzausgleichs, a. a. O., S. 513.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
299
Es gilt also: Tatsächliches Realsteueraufkommen Örtlicher Hebesatz
x
fiktiver Hebesatz = Steuerkraftmesszahl
VII. Der Ausgleich zwischen Ausgangsmesszahl und Steuerkraftmesszahl (1)
(2)
(3)
Die Differenz zwischen der Ausgangsmesszahl als Indikator für den kommunalen Finanzbedarf und der Steuerkraftmesszahl als Maßstab für die gemeindliche Finanzkraft wird in den meisten Bundesländern nur zum Teil ausgeglichen. Hierfür maßgeblich sind die in den Finanzausgleichsgesetzen fixierten sog. „Ausschüttungsquoten“. Die jeweilige (vorläufige) Schlüsselzuweisung für eine Gemeinde wird dabei mit ihrer Steuerkraftmesszahl addiert und der Gesamtbetrag als Prozentsatz der Ausgangsmesszahl ausgedrückt. Liegt diese Ausschüttungsquote für eine Gemeinde unter dem vom jeweiligen Land angestrebten Satz, so werden die Beträge „aufgestockt“ (Sockel- oder Finanzkraftgarantie). Dies soll an den hypothetischen Zahlen der Tab. 10 für eine Gemeinde A verdeutlicht werden. Dabei wird unterstellt, dass die Ausschüttungsquote in dem zugrundeliegenden Finanzausgleichsgesetz mit 50% fixiert ist: Die Ausgangsmesszahl (Finanzbedarf) betrage 414 406 963 EUR; die Steuerkraftmesszahl 223 937 612 EUR. Bei einer Nivellierung auf zunächst 50% der Differenz zwischen der Ausgangsmesszahl und der Steuerkraftmesszahl (414 404 963 EUR ./. 223 937 612 EUR = 190 467 351 EUR) ergibt sich ein vorläufiger Betrag von 95 233 676 EUR. Wenn die „Aufstockung“ z. B. so erfolgen soll, dass die Summe aus Finanzkraft (223 937 612 EUR) und vorläufiger Zuweisung (95 233 676 EUR), d. h. 318 571 288 EUR, auf 90% des Finanzbedarfs angehoben werden soll, so muss eine zusätzliche Zuweisung („Aufstockung“) um 53 793 179 EUR auf die Summe von 149 026 855 EUR erfolgen. Eine detaillierte Auflistung der Ausgleichsregelungen in den Bundesländern enthält die Tab. 11, die eine Sortierung nach absteigender Höhe der Ausgleichsquote (Werte zwischen 100 und 50 v. H.) aufweist. Eine vergleichende Wertung der Ausgleichsintensität erfordert die Einbeziehung der Sockelgarantie, die den Kommunen in fünf Bundesländern eine bestimmte Finanzbedarfsdeckung zusichert. Während die Sockelgarantie im Saarland und in Rheinland-Pfalz jedoch als Vorwegausgleich gewährt wird und mittels anschließend gezahlter Schlüsselzuweisungen weiter aufgestockt wird, beziehen sich die Regelungen in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Hessen auf den Zustand nach Verteilung der ausgleichssatzbezogenen Schlüsselzuweisungen. Die baden-württembergische Garantieregelung (60 v H.) läuft bei einer derzeitigen Ausgleichsquote von etwa 70 v. H. ins Leere, wogegen die niedersächsischen Kommunen bei originären Bedarfsdeckungsquoten von unter 20 v. H. profitieren, was aber eher theoretische Bedeutung haben dürfte.
300
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
Tabelle 10: Die Errechnung der Schlüsselzuweisung für eine Gemeinde A, hypothetisches Beispiel, EUR Berechnungsschritte
Gemeinde
Berechnung des Finanzbedarfs (1)
Fortgeschriebene Bevölkerung im Basisjahr + Soldaten, ausländische Bedienstete, etc.
638 288
(3) (4)
„ergänzte“ Bevölkerungszahl x Hundertsatz gemäß Ortsgrößenklasse (Hauptansatz)
641 450 x 135%
(5) (6)
ergänzte Bevölkerungszahl + Nebenansätze, z. B. Schülerzahl
865 958 187 964
(7) (8)
„veredelte“ Bevölkerungszahl x hypothetischer „Grundbetrag“ von 393,24 DM führt zur „Ausgangsmesszahl“
(2)
Berechnung der Finanzkraft (9) „Steuerkraftmesszahl“
3 162
1 053 822 414 404 963 EUR 223 937 612 EUR
Berechnung der Zuweisung (10) (11)
(12) (13)
Vorläufiger Bedarf Zusätzliche Zuweisung, um Finanzkraft und vorläufigen Bedarf auf (z. B.) 90% des Finanzbedarfs zu bringen Ausgleichsbetrag (10) + (11) Steuerkraftmesszahl (9) + Ausgleichsbetrag (12) = 90% der Ausgangsmesszahl (8) von
95 233 676 EUR
53 793 179 EUR 149 026 855 EUR 372 964 467 EUR 414 404 963 EUR
Als Alternative zu der vor bzw. nach den regulären Schlüsselzuweisungen gewährten Sockelgarantie beinhaltet die schleswig-holsteinische Regelung eine dritte Grundsicherungsvariante für die Kommunen, nach der die Unterdeckung bis zu einem Teilbetrag (2003: etwa 67 v. H.) der Ausgangsmeßzahl um weitere 50 v. H. und damit insgesamt zu 90 v. H. ausgeglichen wird. Neben Schleswig-Holstein haben auch die anderen beiden Länder mit dem derzeit niedrigsten Ausgleichssatz von 50 v. H. ergänzende Regelungen getroffen: Während die Gemeinden in RheinlandPfalz zusätzliche Pro-Kopf-Zuweisungen erhalten profitieren vor allem die abudanten hessischer Kommunen von einwohnerbezogenen Mindestbeträgen (gestaffelt nach Einwohnerzahl und Zentralitätseinstufung). Mit dem letztgenannten Verfahren erhalten auch abudante Gemeinden Schlüsselzuweisungen, womit eine deutliche Schlechterstellung der im vorangegeangenen Ausgleichsjahr noch zuweisungsberechtigten Gemeinden vermieden wird.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
301
Tabelle 11: Die Ausgleichsregelungen in den Bundesländern – Stand 2003 - alle Angaben in v. H. der positiven Differenz Finanzbedarf ./. Finanzkraft BL
Ausgleichsquote
Sockelgarantie
Vorwegausgleich
nach Schlü sselzuw.
BesonAusderheiten gleichsquote
Gemeinden alle NW SL BB NI
Sockelgarantie (nach Schlüsselzuw.)
Beson Ausdergleichsheiten quote
kreisfreie Städte
Sockelg arantie (nach Schlüsselzuw.)
Besonderheiten
Landkreise
Kreisang.
90 90 80 75 75
70 80 60
ca. 70 b 70 70 65 55 50
73
50
50
80
zzgl. nach Einw. zzgl. Gemein desond erschl.z uw.: 40 c Mindest schlüsselzuw. d
100 80 80 100 75 a 80 a 75 75 75 (Verteilung nach Einw.) ca. 70 b 70 70 70 65 65 50 50 50
50
80
zzgl. nach Einw.
50
77
Mind 50 80 Minde eststschlü schlü sselz sselz uw. uw. Die bei d. kreisfreien Städten genannten Regelungen finden bei d. Verteilung d. Teilmasse für Gemeinde- u. für Kreisaufgaben Anwendung. Für die endogenisierte Ausschüttungsquote wird ein Wert von 70 v.H. angestrebt (2002 vorauss.: Gemeinden 70,3 v.H., Landkreise 71,3 v.H.). § 8 Abs. 2 in Verb. mit § 9 Abs. 2 bis 4 FAG SH sieht einen 40prozentigen Ausgleich der auf einen Teilbetrag der Ausgangsmesszahl (2003: 474 von 706 EUR, d.h. ca. 67 v.H.; Festlegung durch das Innenministerium bis 80 v.H.) bezogenen Unterdeckung vor, so dass der übersteigende Finanzbedarf bis zu dieser Schwelle zu insgesamt 90 v.H. befriedigt wird. KIRCHHOF (2001), S. 110, regt die Ergänzung durch ein gesetzliches Minimum der Aufstockung an. gestaffelt nach Einwohnerzahl und Zentralitätseinstufung Quelle: T. Lenk, H.-J. Rudolph: Die kommunalen Finanzausgleichssysteme in der Bundesrepublik Deutschland, a. a. O., S. 64.
(4)
14
Eine größere Aussagekraft für die Intensität besitzt indes ein Vergleich, der die Wirkungen von Ausgleichssatz und Sockelgarantie in ihrer Kombination erfasst14. Dafür dient die grafische Darstellung der Ausgleichstarifverläufe in Abb. 40. Vgl. T. Lenk, H.-J. Rudolph, a. a. O., S. 62 ff.
302
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
Während die Extrempositionen über weite Teile des Tarifs vom Saarland (mit einer Mindestdeckung des Finanzbedarfs nach Schlüsselzuweisungen von 97 v. H.) und von Bayern (mit der ausschließlichen Anwendung eines Ausgleichssatzes von 55 v. H.) eingenommen werden, konzentrieren sich die übrigen Finanzausgleichssysteme auf einen Bereich des effektiven Ausgleichs zwischen 70 und 80 v. H. Bei den vier tatsächlich wirksamen Sockelgarantieregelungen sind deutliche Unterschiede hinsichtlich der originären Finanzkraft zu erkennen, bis zu der eine Komplettaufstockung erfolgt. Während in Niedersachsen nur besonders finanzschwache Gemeinden (bis zu einer Bedarfsdeckungsquote von 20 v. H.) begünstigt werden, dürften die Regelungen in Hessen (60 v. H.), im Saarland (70 v. H.) und Rheinland-Pfalz (73 v. H.) bedeutend öfter in Anspruch genommen werden und das Novellierungsproblem damit in den Vordergrund rücken. Abbildung 40: Der Verlauf der Ausgleichstarife für die Berechnung der
Schlüsselzuweisungen
Quelle: T. Lenk, H.-J. Rudolph, a. a. O., S. 63.
(5)
In den Bundesländern mit einer separaten Teilschlüsselmasse für kreisfreie Städte orientieren sich die Vorschriften meist an den Regelungen für Gemeinden. Ausnahmen stellen die einwohnerbezogenen Verteilungen der Schlüsselmasse in BadenWürttemberg sowie die Sockelgarantien in Hessen dar, die mit 77 v. H. etwas geringer als die entsprechenden Gemeinderegelungen (80 v. H.) ausfällt.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
303
Eine bedeutsame Abweichung liegt hingegen beim Ausgleich der Differenz zwischen Finanzbedarf und Finanz- bzw. Umlagekraft der Landkreise vor. Einzigartig über alle kommunalen Säulen und Bundesländer hinweg wird diese Unterdeckung bei den brandenburgischen und nordrhein-westfälischen Landkreisen vollständig ausgeglichen. In Bayern kommt ein leicht reduzierter Ausgleichssatz (50 statt 55 v. H.) zum Zuge.
VIII. Die kritische Analyse des gegenwärtigen kommunalen Finanzausgleichs15 1
Die Kritik an der Systematik des Finanzausgleichs
(1)
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die wesentliche Begründung für einen kommunalen Finanzausgleich, der Ausgleich externer Effekte, kaum operational zu definieren und quantifizierbar ist. Eine Verallgemeinerung dieses Ziels könnte auch dazu führen, dass sämtliche kommunalen Ausgabenarten von den Ländern als internalisierungsbedürftig angesehen werden und deren Niveau und/oder Struktur via Zweckzuweisungen verändert wird. Die Berechtigung und Eignung von zweckgebundenen Zuweisungen als Instrument zur Realisierung landespolitischer, insbesondere raumordnungspolitischer Ziele, sind zwar grundsätzlich anzuerkennen. Es muss aber bezweifelt werden, ob die Länderebene die notwendigen Informationen besitzt, um dieses Instrument in den richtigen Bereichen und in der angemessenen Dosierung einzusetzen. Außerdem ist zu befürchten, dass die Gemeinden ihre Aufgabenwahrnehmung und Ausgabentätigkeit primär nur für solche Bereiche sehen, für die es staatliche Zuschüsse gibt (vgl. oben Teil D.). Das ist anzunehmen, wenn, wie häufig praktiziert, die Länder Kostenzuschüsse leisten. Dann besteht die Gefahr, dass das Instrument der Zweckzuweisungen überdosiert eingesetzt wird und nicht bezuschusste Aufgabenbereiche damit indirekt in der Dringlichkeitsliste der Gemeinden zurückgestuft werden. Verstärkt wird dies noch dadurch, wenn die Gemeinden außer Acht lassen, dass i. d. R. für die beträchtlichen Folgekosten der bezuschussten Maßnahmen keine Zuweisungen vom Land gewährt werden. Deshalb ist es durchaus denkbar, dass die Landesebene in ihrem Bemühen, mit Hilfe von Zweckzuweisungen Fehlallokationen zu verhindern, solche anderer Art und u. U. sogar größeren Ausmaßes geradezu hervorruft. Gleiches gilt auch für die Beurteilung von Zweckzuweisungen, die mit dem „Meritorisierungs-Argument“ begründet werden. Deren Einsatz zur Erreichung raumordnungspolitischer Ziele ist zwar theoretisch unmittelbar einsichtig. So lässt sich etwa das Ziel „einheitlicher Lebensverhältnisse“ oder die Sicherung von Mindestversorgungsstandards in allen Regionen eines Landes als ein meritorisches Gut betrachten,
(2)
15
Vgl. K.-H. Hansmeyer, M. Kops: Finanzwissenschaftliche Grundsätze für die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs, in: W. Hoppe (Hrsg.): Reform des kommunalen Finanzausgleichs, Stuttgart 1985, S. 33 ff.; S. Bötticher-Meyners: Grundmuster des kommunalen Finanzausgleichs in der Bundesrepublik Deutschland, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 1989, H. 3, S. 21 ff.; M. Junkernheinrich, G. Micosatt: Sachgerechtigkeit im kommunalen Finanzausgleich, Berlin 1998.
304
(3)
(4)
16
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
dessen Nutzen von den einzelnen Gemeinden häufig nicht angemessen erkannt bzw. berücksichtigt wird, und bei dem sich die Länder deshalb veranlasst sehen können, für die unterversorgten Bereiche (zweckgebundene) Zuweisungen zu gewähren. Dennoch muss bezweifelt werden, ob die Landesebene den Begriff der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ derart interpretieren bzw. Mindestversorgungsstandards derart festlegen kann, dass eine sinnvolle Zweckzuweisungspolitik hierauf aufbauen sollte. Die Gefahr, dass Einrichtungen in einheitlichen Größen und Standards auch dort geschaffen werden, wo der Bedarf gar nicht vorliegt, dass sich Uniformitäten in allen Landesteilen breit machen, kulturelle Eigenarten zerstört werden und unzweckmäßige Lösungen in voller Breite durchgesetzt werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Selbst wenn man unterstellt, dass es dem jeweiligen Land durch einen geschickten Einsatz der Zweckzuweisungen gelingt, Fehlallokationen auf der Gemeindeebene zu beseitigen oder zu vermindern, fällt die Beurteilung jenes Instruments nicht notwendigerweise positiv aus. Vielmehr sind möglichen Vorteilen die Kosten des Instrumenteneinsatzes gegenüberzustellen. Hierzu gehören zum einen solche direkten Kosten wie die Informations-, Koordinations- und Kontrollkosten, welche die Zweckzuweisungen bei Zuweisungsgebern und -nehmern hervorrufen. Zum anderen sind aber auch solche indirekten Kosten einzubeziehen wie der Verlust politischer Verantwortlichkeit, die Verringerung des Interesses an kommunalen Entscheidungen, der Abbau lokaler Zugehörigkeitsgefühle, die Erschwerung demokratischer Kontrolle und die Behinderung innovativer Kräfte auf Gemeindeebene. Die Messung des kommunalen Finanzbedarfs16 sollte sich in zwei gedanklich zu trennenden Stufen vollziehen. Zunächst ist es erforderlich, für jede Gebietskörperschaft, d. h. für jede Gemeinde, festzulegen, welche Aufgaben diese zu erfüllen hat (Festlegung eines Aufgabenkatalogs). Genau genommen müsste dabei zunächst exakt spezifiziert werden, welche Aufgaben in welcher Intensität, in welcher Qualität und Quantität von jeder Gemeinde erfüllt werden sollten. Auch ein Katalog gewünschter kommunaler Infrastruktureinrichtungen müsste festgelegt, und ggf. erforderliche investive Aufgaben aus der Gegenüberstellung von gewollter und vorhandener Infrastruktur bestimmt werden. Unterstellt, eine solche erschöpfende Aufgabenbeschreibung sei für alle Gemeinden und sämtliche Aufgabenarten vorgenommen worden, so könnte in einem zweiten Schritt der Bedarfsbestimmung der aus diesen Aufgaben für jede Gemeinde erwachsende Finanzbedarf ermittelt werden. Hierzu wäre es erforderlich, jede Aufgabe hinsichtlich der anfallenden Kosten zu bewerten. Dabei müsste von einer wirtschaftlichen und effizienten Aufgabenerfüllung ausgegangen werden. Eine solche vollständige Aufgaben-Ennumeration und Kostenquantifizierung werden häufig mit dem Argument abgelehnt, diese verstießen gegen die kommunale Selbstverwaltung. Die Gemeinden würden dadurch in ihrer Aufgabengestaltungsfreiheit und Ausgabenautonomie eingeschränkt. Vor allem werden solche Vorbehal-
Vgl. H. Zimmermann: Bedarfsmessung im kommunalen Finanzausgleich zwischen Allokation und Verteilung, in: M. Junkernheinrich, P. Kleiner (Hrsg.): Neuordnung des Gemeindefinanzsystems, Berlin 1996, S. 59 ff.; D. Vesper: Kommunalfinanzen und kommunaler Finanzausgleich in Brandenburg, in: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, H. 185, Berlin 2000, S. 31 ff.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
305
te gegen die Festlegung normierter und tatsächlicher Infrastrukturkataloge vorgebracht. Diese Auffassung überzeugt nicht. Die Festlegung eines Aufgabenkatalogs sowie der Versuch, die bei der Aufgabenerfüllung anfallenden Kosten zu bestimmen, erfüllt lediglich die Funktion, denjenigen Finanzbedarf der Gemeinden zu quantifizieren, der dann anfiele, wenn die Gemeinden den für sie politisch festgelegten und anerkannten Aufgabenkatalog auch wahrnehmen würden. Dass die Gemeinden diese Finanzmittel dann tatsächlich zur Deckung des bei der Finanzbedarfsquantifizierung zugrunde gelegten Aufgaben- und Ausstattungskatalogs verwenden, ist damit nicht gefordert. Falls die Vorstellungen einer Gemeinde bzw. ihrer Bürger vom Normkatalog abweichen, bleibt es der Gemeinde unbenommen, einzelne kommunale Aufgaben nicht oder in einem kleineren Rahmen wahrzunehmen, als dies bei der Finanzbedarfsrechnung unterstellt wurde. Dabei könnten dadurch eingesparte Mittel zur Finanzierung anderer Aufgaben verwendet werden, welche im Normkatalog nicht oder nur mit geringeren Ansätzen enthalten sind. Die Berechnung des normierten Finanzbedarfs bedeutet also keinesfalls, dass die Gemeinden gezwungen werden, die im Aufgabenkatalog angeführten Aufgaben tatsächlich durchzuführen. Dies zeigt, dass die Ermittlung des Finanzbedarfs trotz aller Unterstützung durch wissenschaftlich-analytische Methoden ohne normative Vorgaben letztlich nicht möglich ist. 2
Die Kritik an der „veredelten Einwohnerzahl“ als bedarfserhöhendes Element17
(1)
Die Praxis des kommunalen Finanzausgleichs orientiert sich – wie erwähnt – bei den Schlüsselzuweisungen an dem Axiom, dass der Pro-Kopf-Bedarf mit wachsender Gemeindegröße zunimmt. Diese Auffassung findet bei der Verteilungstechnik der Schlüsselzuweisungen seinen Reflex in der erwähnten progressiven Staffelung des Hauptansatzes. Eine derartige Schlussfolgerung übersieht, dass das kommunale Ausgabeverhalten in starkem Maße inputorientiert ist, dass also die Finanzkraft einer Kommune als maßgebliche Bestimmungsgröße für das Volumen der Ausgaben angesehen werden muss. Gilt diese These, dann spiegeln die unterschiedlich hohen Pro-KopfAusgaben der Kommunen nicht (ausschließlich) echte Finanzbedarfsunterschiede wider, sondern in erster Linie unterschiedliche kommunale Finanzpotentiale. Dies wiederum bedeutet, dass gerade in den Gemeinden, deren Budgets bisher relativ gering bemessen waren, für die Zukunft – unter der Zielsetzung in etwa gleicher Lebensverhältnisse – umfangreiche Nachholbedarfe vermutet werden müssen. Die normative Begründung für die Anerkennung eines relativ höheren Bedarfsniveaus für kommunale Leistungen in großen Städten geht auf Popitz zurück. In dem erwähnten Gutachten über den Finanzausgleich zwischen dem Reich, den Ländern
(2)
17
Vgl. H. Hanusch, T. Kuhn: Messung des kommunalen Finanzbedarfs, a. a. O.; P. Marcus: Das kommunale Finanzsystem der Bundesrepublik Deutschland, Darmstadt 1987, S. 80 ff.; S. Miera: Kommunales Finanzsystem und Bevölkerungsentwicklung, Frankfurt/M. 1994, S. 51 ff.; D. Dietrichs: Das Prinzip der Einwohnerveredelung in den Finanzausgleichssystemen der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1997.
306
(3)
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
und den Gemeinden aus dem Jahre 1932 vertrat dieser die Auffassung, dass den Einwohnern in städtischen Verdichtungsgebieten höhere Ansprüche an die kommunale Infrastruktur zugebilligt werden müssen als den Gemeindebürgern in ländlichen Räumen. Ein solches Werturteil wird heute nicht mehr akzeptiert, zumal es langfristig Siedlungsbewegungen stimulieren würde, bei denen der ländliche Raum sich aufgrund mangelnder Attraktivität zunehmend entleeren würde. Schließlich wird als Rechtfertigung eines mit der Gemeindegröße progressiv gestaffelten Hauptansatzes das Argument angeführt, dass kommunale Aktivitäten zur Befriedigung kollektiver Bedürfnisse in städtischen Verdichtungsgebieten mit höheren Kosten verbunden seien als vergleichbare Maßnahmen in ländlichen Gebieten. Tatsächlich sind derartige Kostenprogressionen mit der Zunahme des Ballungsgrades zu beobachten. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen zum einen in den mit zunehmender Agglomeration ansteigenden Faktorkosten, zum anderen in den ab einer bestimmten Ballungsgrenze notwendigen, zusätzlichen kommunalen Aufgaben (z. B. zusätzliche Maßnahmen zur inneren Sicherheit, Beseitigung von Verkehrsengpässen durch U-Bahnen usw.). Diesen Argumenten kann jedoch entgegengehalten werden18:
18
19
Den progressiven Kostenverläufen stehen Kostenkurven bei bestimmten Infrastruktureinrichtungen gegenüber, die konstant bzw. degressiv verlaufen. Mit höherer Siedlungsdichte können die spezifischen Kosten sinken, die für die leitungsgebundene Infrastruktur (z. B. Kanalisation, Wegeausbau) und für die flächenhafte Erschließung je Einwohner anfallen. Aus Sicht der Raumordnung kann es nicht Aufgabe des Finanzausgleichs sein, einen wachsenden Teil der „social costs“ der Agglomerationen in den größeren Städte durch die Bemessung des Finanzbedarfs entsprechend den mit wachsender Gemeindegröße steigenden spezifischen Ausgaben Rechnung zu tragen. Diese werden so der Internalisierung der kommunalen Kostenrechnung entzogen und sind via überhöhte Ausgaben als Ballungsnachteile nicht mehr spürbar19. Sollte die statistische Feststellung generell zutreffen, dass mit einer geringeren Einwohnerzahl die spezifischen Durchschnittskosten je Einwohner abnehmen, wäre es dennoch bedenklich, über ein geringeres Ausgabevolumen auf einen geringeren Bedarf zu schließen. Eine solche Parallelität besteht nicht. Es kann z. B. ein hoher Bedarf vorliegen, dem keine entsprechende Deckung gegenübersteht. Bei der Beurteilung eines möglichen Ausgleichs von Ballungskosten ist zudem zu beachten, dass mit zunehmender Gemeindegröße i. d. R. höhere Steuereinnahmen je Einwohner anfallen. Die Konsequenz aus dem mit steigender Ge-
Vgl. H. Zimmermann: Haben die Ballungsgebiete einen höheren Finanzbedarf?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2001, H. 4, S. 222 ff. Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 1987, Tz 298 und die damit ausgelöste Diskussion für die Pro- und Kontra-Argumente der Berücksichtigung von Agglomerationslasten im kommunalen Finanzausgleich: I. Deubel, E. Münstermann: Reiche Städte – Arme Landkreise?, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, Jg. 1988, H. 11, S. 242 ff. und G. Schwarting: Arme Städte – reiche Landkreise. Anmerkungen zu einem Beitrag von Deubel/Münstermann, in: Zeitschrift für Kommunalfinanzen, Jg. 1989, H. 4, S. 78 ff.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
307
meindegröße wachsenden Steuereinnahmekraft könnte z. B. sein, den Hauptansatz zur Ermittlung der Schlüsselzuweisungen mit zunehmender Gemeindegröße degressiv zu gestalten, wenn der Finanzausgleich die großen Gemeinden nicht zusätzlich bevorzugen soll. Eine gewisse Kritik ist auch gegenüber der These vom Zentralitätsausgleich bei wachsender Gemeindegröße angebracht. Dieser Ansatz unterstellt: Die kommunalen Ausgaben wachsen mit steigender Gemeindegröße, weil die zentralen Orte ihren Einzugsbereich mit Gütern und Dienstleistungen versorgen. Rechentechnisch wird damit im Finanzausgleich eine Affinität zwischen Einwohnerzahl, Grad der Zentralität und Finanzbedarf unterstellt. Diese Argumentation ist jedoch in zweifacher Hinsicht einzuschränken: Das Zentrale Ort-Konzept erfasst als Erklärungsansatz nur einen Teil der Raum- und Siedlungsstruktur. Es werden im Finanzausgleich lediglich die positiven externen Effekte des Zentrums an das Umland honoriert, nicht dagegen die Leistungsströme, die in umgekehrter Richtung fließen. Des Weiteren ist die veredelte Einwohnerzahl als alleiniger Zentralitätsindikator eine ungeeignete Maßgröße zur Bestimmung des erforderlichen Finanzbedarfs. Denn die Hauptansatzstaffelung kann die besonderen Finanzbedarfe Zentraler Orte nicht adäquat im Verteilungssystem der Finanzzuweisungen berücksichtigen.
(4)
Schließlich ist darauf zu verweisen, dass die „Veredelung“ der Einwohnerzahlen auch der Versuch ist, die Steuerkraftgefälle aufgrund der Stadt-Umland-Wanderung (vgl. oben Teil E.) zu korrigieren. Der kommunale Finanzausgleich wird insofern auch durch die Aufgabe geprägt, das auszugleichen, was das kommunale Steuersystem nicht leistet.
3
Die Kritik an der Ermittlung der Finanzkraft
(1)
Bei der Finanzkraftmessung ist die ausschließliche Berücksichtigung der Steuereinnahmen zu hinterfragen. Zwar lässt sich die Ausklammerung bestimmter, auch quantitativ bedeutsamer Einnahmearten der Gemeinden, etwa aus Kreditaufnahme oder Gebühren und Beiträgen, rechtfertigen. Solchen Einnahmen stehen auch Belastungen bzw. kommunale Leistungen gegenüber, so dass sie den Gemeinden letztlich keinen Wertzuwachs erbringen. Andere Einnahmearten der Kommunen, wie etwa die Erwerbseinnahmen und Konzessionserträge, führen aber durchaus zu einer erhöhten finanziellen Leistungsfähigkeit. Deren Nichtberücksichtigung bei der Finanzkraftmessung kann daher allenfalls gerechtfertigt werden, wenn sie diese Einnahmen autonom verursacht haben und deshalb im Selbstverwaltungsbereich zu belassen sind. In dem Ausmaß, in dem solche Einnahmen von gemeindeexternen Faktoren abhängen, müssten sie umgekehrt in die Finanzkraftberechnung einbezogen werden. Auch die Berechnung der Steuerkraftmesszahlen ist kritisch zu sehen. So werden die Realsteuer-Nivellierungssätze stets unterhalb des Landesdurchschnitts der tatsächlichen Hebesätze festgelegt. Außerdem wird nicht beachtet, dass die Hebesatzunterschiede nur zum Teil eine differenzierende Steueranspannung widerspiegeln, da sie
(2)
308
(3)
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
auch auf die Unterschiede der Bemessungsgrundlagenbewertung zurückgehen. So können z. B. Ballungsrandgemeinden mit jüngerer Bausubstanz und insofern mit realistischeren Einheitswerten geringere Grundsteuerhebesätze anwenden als Kernstädte mit überwiegend alten, d. h. unterbewerteten Wohngebäuden. Solche Faktoren führen dazu, dass die potentielle Steuerkraft der Gemeinden falsch eingeschätzt wird und systematische Verzerrungen der Verteilungsergebnisse eintreten. Verstärkt wird dieser Effekt noch dadurch, dass die Möglichkeiten zur Veränderung solcher Verteilungsergebnisse von den kommunalen Interessengruppen erkannt werden und im Rahmen der Finanzausgleichsgesetzgebung versucht wird, diese strategisch zu nutzen. Damit verlagert sich die politische Auseinandersetzung um die Verteilung der Schlüsselzuweisungen teilweise von der Finanzbedarfsbestimmung hin zur Finanzkraftmessung, eine Tendenz, welche im Interesse einer rationalen und transparenten Finanzausgleichsdiskussion nicht erwünscht sein kann20.
IX. Die Frage nach dem teilweisen oder vollständigen Ausgleich der Differenz zwischen dem Finanzbedarf und der Finanzkraft (1)
Auf den ersten Blick könnte man sich für einen vollständigen Ausgleich der Differenz zwischen Finanzbedarf und originärer Finanzkraft aussprechen: Wenn einer Gemeinde ein bestimmter politisch zugestandener Finanzbedarf im Rahmen der originären Einnahmenverteilung nicht zufließt, so ist im ergänzenden Finanzausgleich die Differenz vollständig zu kompensieren, da nur dann die Gemeinde ihren Finanzbedarf decken und die ihr zugewiesenen Aufgaben erfüllen kann. Gegen einen solchen „hundertprozentigen“ Ausgleich lassen sich allerdings mehrere Einwendungen vorbringen:
20
Es ist fraglich, ob stets zwischen anerkennenswerten und damit finanzbedarfsbegründenden Aufgaben einerseits und nichtanzuerkennenden, also „überflüssigen“ Aufgaben andererseits unterschieden werden kann. Deshalb ist es richtig, wenn die Differenz zwischen originärer Finanzkraft und Finanzbedarf nur teilweise ausgeglichen wird. Nur für den Fall, dass die Berechnung des Finanzbedarfs von einem genau spezifizierten Katalog „anerkannter“ Aufgaben der Gemeinden ausgeht, und die Kostendeckung anhand normierter, bei wirtschaftlicher Durchführung anfallender Kosten erfolgt, verliert dieses Argument seine Gültigkeit. In diesem Fall wäre ein vollständiger Ausgleich erforderlich. Ein vollständiger Ausgleich der Unterschiede zwischen Finanzbedarf und originärer Finanzkraft würde das Interesse der einzelnen Gemeinden an der Ausschöpfung eigener originärer Einnahmequellen mindern. Würde die Differenz zwischen Finanzbedarf und originärer Finanzkraft vollständig ausgeglichen, so würde das Interesse der Gemeinden zur Pflege der zugewiesenen Steuerquellen gemindert werden. Mit anderen Worten: Den Gemeinden wäre es gleichgültig, wenn ihre Steuerquellen (Anteile) an Ergiebig-
Vgl. G. Milbradt, D. Diedrichs: Berücksichtigung der kommunalen Einnahmeautonomie beim Finanzausgleich, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2001, H. 6, S. 331 ff.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
309
keit verlören, also z. B. die in der Gemeinde ansässige gewerbliche Wirtschaft weniger Erträge bringen würde, da die damit verbundenen Ausfälle im Finanzausgleich vollständig erstattet würden. (2)
Die Höhe des Ausgleichsgrades zwischen Finanzbedarf und originärer Finanzkraft wird wesentlich dadurch bestimmt, ob man eher allokative Ziele oder eher distributive Ziele in den Vordergrund rückt. Dominiert das allokative Ziel (Anreiz für die Pflege der kommunalen Steuerquellen), so spricht dies eher für einen niedrigen Ausgleichsgrad. Hat dagegen das innerstaatliche Distributionsziel Vorrang (jede Gemeinde soll Finanzeinnahmen in Höhe ihres politisch anerkannten Finanzbedarfs erhalten), so ist ein hoher, im Extrem ein hundertprozentiger Ausgleichsgrad zu fordern. Aufs Ganze gesehen ist der Gesamteffekt (unter Einschluss der Zweckzuweisungen) des kommunalen Finanzausgleichs in Deutschland sehr hoch. Klagen gegen Übernivellierung gab es z. B. in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 1980 und 1997 in Rheinland-Pfalz.
X.
Das Finanzsystem der Kreise als Teil des kommunalen Finanzausgleichs21
(1)
Wie oben dargestellt (vgl. Teil D.) ist der gegenwärtige Aufgabenbestand der Kreise und seine Entwicklung dadurch gekennzeichnet, dass manche Verwaltungsaufgaben über den Rahmen der örtlichen Gemeinschaft hinausgewachsen sind, andere haben sich von vornherein erst auf einer anderen als der Ortsebene als realisierbar erwiesen. Ein zunehmender Teil der öffentlichen Aufgaben lässt sich lediglich auf der Kreisebene sachgerecht bewältigen, weil nur hier die nötige Verwaltungskraft vorhanden ist. Die Regierungsbezirksebene hat sich in den Flächenländern für diese Aufgaben häufig als zu großräumig und zu ortsfern und überdies als nicht unmittelbar demokratisch legitimiert erwiesen. Andererseits stellt sich die Gemeindeebene für einige Aufgabenbereiche als zu wenig leistungsfähig dar. Da die Aufgabenübertragung auf die Kreise zumeist in besonderen bundes- oder Landesgesetzen erfolgt ist, lässt sich diese Entwicklung nicht unmittelbar aus der Fortentwicklung der Kreisordnungen ablesen22. Der dadurch ausgelöste Aufgabenzuwachs auf der Kreisebene ging je nach Aufgabenart mit mehr oder weniger starken Ausgabenanstiegen einher. Den Kreisen ist bislang keine verfassungsummittelbare Steuerertragskompetenz zugewiesen worden, obwohl sie dies immer wieder einfordern. Vor allem wird eine vollständige Übertragung der Grunderwerbsteuer sowie grundgesetzlich abgesicherter Beteiligungen an der Einkommen- bzw. Umsatzsteuer gefordert23.
(2)
21
22 23
Vgl. H.-G. Henneke: Besonderheiten der Einnahmen der Kreise und anderer kommunaler Gebietskörperschaften im Überblick, in: Ders. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 230–255. Vgl. H.-J. v. d. Heyde: Stellung und Funktion der Kreise, a. a. O., S. 123 ff. Vgl. H.-G. Henneke: Öffentliches Finanzwesen – Finanzverfassung. Eine systematische Darstellung, Jg. 2000, S. 304; H. Meyer: Kreisfinanzen, in: H. Wollmann, R. Roth (Hrsg.): Kommunalpolitik. Politisches Handeln in den Gemeinden, 2. Aufl., Berlin 1998, S. 461 ff.
310
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
(3)
Neben Zuweisungen und Kostenerstattungen ist die Kreisumlage eine auf die verfassungsrechtliche Garantie des Selbstverantwortungsrechts der Kreise, von der gemeindlichen Finanzmasse abgeleitete Einnahmequelle, deren Erhebung der alleinverantwortlichen Entscheidung der Kreise obliegt. Die Kreisumlage darf nur genutzt werden, soweit die sonstigen Einnahmen nicht ausreichen, den Finanzbedarf zu decken. Die in allen Bundesländern gesetzlich vorgeschriebene Rangordnung der Einnahmebeschaffung fordert nicht, dass die Kreise die für ihre Aufgabenerledigung vorrangigen Deckungsmittel bis zur Grenze des Möglichen auszuschöpfen hätten, bevor sie berechtigterweise die Kreisumlage erheben bzw. erhöhen. Es ist den Kreisen lediglich verwehrt, die gesetzliche angelegte Rangordnung dadurch zu unterlaufen, dass sie die von ihnen eigenverantwortlich bestimmbaren Einnahmequellen bewusst zu Lasten der Kreisumlage verschonen bzw. fehlerhaft veranschlagen. Die Bedeutung der Kreisumlage für die Finanzierung der Kreise erhellt sich daraus, dass die Kreise ihre Einnahmen im Bundesdurchschnitt zu lediglich 1,5% aus eigenen Steuern, zu rd. 30% aus staatlichen Zuweisungen, zu 23% aus Gebühren, zu 15,5% aus sonstigen Einnahmen und zu rd. 30% aus der Kreisumlage finanzieren. Mit der Kreisumlage belegt werden die kreisangehörigen Gemeinden grundsätzlich nach dem Maß ihrer Finanzkraft, also nach ihrer Steuerkraft und den ihnen zufließenden Schlüsselzuweisungen24. Obwohl nach dem kommunalen Finanzausgleichssystem die Einnahmen der kreisangehörigen Gemeinden aus Steuern und Schlüsselzuweisungen gewissermaßen mit der Kreisumlage vorbelastet sind, ihre Höhe also unter dem Vorbehalt der Kreisumlageerhebung steht, empfinden die Gemeinden die Pflicht zur Dotierung der Kreisumlage als eine Belastung ihrer Finanzkraft. Nicht zuletzt deshalb haben die kreisangehörigen Gemeinden darauf geachtet, dass der Umfang der von den Kreisen zu finanzierenden Aufgaben begrenzt bleibt. Der bereits erwähnte Rastede-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1984 hat hier eine eindeutige Grenzziehung vorgenommen: Der Gesetzgeber darf danach den Gemeinden eine Aufgabe mit relevantem öffentlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem nur dann entziehen, wenn die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung anders nicht sichergestellt wäre. Mit der Erhebung der Kreisumlage werden – wie überhaupt mit dem kommunalen Finanzausgleich, als dessen Element die Kreisumlage anzusehen ist – grundsätzlich zugleich zwei Funktionen erfüllt, nämlich die fiskalische (Finanzierungs-)Funktion für die Kreisaufgaben und die redistributive (Ausgleichs-)Funktion im Verhältnis der umlagepflichtigen Gemeinden untereinander. Unter diesem Gesichtspunkt ist es Ziel der Kreisumlage, die Finanzkraftunterschiede zwischen den kreisangehörigen Gemeinden abzumildern. Dabei soll die ausgleichende Wirkung der Kreisumlage bereits aufgrund der Erhebung als solcher eintreten, ohne dass es einer besonderen, auf einen Ausgleich gerichteten Willensbetätigung des einzelnen Kreises bedarf. Dies geschieht in allen Bundesländern und damit inzwischen auch in den fünf neuen Ländern dadurch, dass finanzstarke Gemeinden absolut einen größeren Teil ihrer Finanzkraft auf die Kreisumlageausgaben verwenden müssen als fi-
(4)
(5)
24
Vgl. G. Denk: Der kommunale Finanzausgleich, Stuttgart 1984, S. 108 ff.
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(6)
(7)
(8)
311
nanzschwächere Gemeinden. Das Aufkommen der Kreisumlage ergibt sich dabei aus der Multiplikation der von Land zu Land unterschiedlich geregelten Umlagegrundlagen mit dem seitens des jeweiligen Kreises festzusetzenden Umlagesatz. Die Umlagesätze der Kreise als solche haben also ohne gleichzeitige Betrachtung der Umlagegrundlagen kaum Aussagekraft. Im Vergleich zwischen den Ländern, so problematisch dieser im Einzelnen ist, muss also stets auch auf die Umlagegrundlagen abgestellt werden, um überhaupt zu aussagefähigen Schlussfolgerungen zu kommen. In allen Bundesländern stützen sich die Grundlagen für die Berechnung der Kreisumlage auf zwei Komponenten als Indikatoren der gemeindlichen Finanzkraft: Die Steuerkraftzahlen der Grundsteuer A und B, der Gewerbesteuer (abzüglich Gewerbesteuerumlage) und des Gemeindeanteils an der Einkommen- und der Umsatzsteuer sowie die den Gemeinden zufließenden Schlüsselzuweisungen. Lediglich in Thüringen und in Niedersachsen tritt ein Teil des Aufkommens der Spielbankabgabe hinzu. Alle Länder stehen derzeit vor der gesetzlichen Einbeziehung der gemeindlichen Umsatzsteuerbeteiligung in die Kreisumlage. Die meisten Regelungen sind bereits verabschiedet, in einigen Ländern steht die Normierung noch bevor. Als Steuerkraftzahlen der Gemeinden werden die gleichen Zahlen verwendet, die der Ermittlung der Steuerkraftmesszahl als Ausgangsgröße für die Berechnung der gemeindlichen Schlüsselzuweisungen für das Umlagejahr (Ausgleichsjahr) zugrunde gelegt werden. Das bedeutet, dass auch bei den Grundlagen der Kreisumlage die Steuerkraftmesszahlen der Grund- und Gewerbesteuer nach fiktiven Hebesätzen, der Gemeindeanteil an der Einkommen- und Umsatzsteuer dagegen nach dem IstAufkommen angesetzt werden. Hinsichtlich der Fixierung der fiktiven Hebesätze für die Grund- und Gewerbesteuer werden zwei Systeme praktiziert. Während die meisten Länder fiktive Hebesätze im Gesetz normieren, wird in anderen Ländern auf den gewogenen Landesdurchschnitt der Grund- und Gewerbesteuerhebesätze im vergangenen Haushaltsjahr abgestellt25. Die einzelnen Schritte für die Berechnung der Kreisumlage leiten sich ebenfalls aus den jeweiligen Finanzausgleichsgesetzen der Länder ab. Ausgangspunkt ist die Steuerkraftmesszahl der kreisangehörigen Gemeinde. Diesem Wert werden die Schlüsselzuweisungen aus dem Finanzausgleich ganz oder teilweise hinzugerechnet (y v. H.). Auf die Summe wird der Umlagesatz angewandt. Daraus ergibt sich dann die von der einzelnen Gemeinde zu zahlende Umlage. Der Umlagesatz muss dabei so bemessen sein, dass die Summe der Umlagen gerade dem nicht durch andere Einnahmen gedeckten Finanzbedarf des Kreises entspricht. Es gilt also: Steuerkraftmesszahl + (Schlüsselzuweisungen x y v. H.) x Umlagesatz = Umlagesoll Ȉ Umlagesoll = Restfinanzierungsbedarf des Kreises.
25
Vgl. A. Leidiger: Das Kreisfinanzsystem, in: G. Püttner u. a.: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis, Bd. V, Berlin 1985, S. 320 ff.; W. Scherf: Schlüsselzuweisungen und Kreisumlage. Die Problematik der Finanzierung der Landkreise am Beispiel des kommunalen Finanzausgleichs in Rheinland-Pfalz, Frankfurt/M. 1998, S. 67 ff.
312
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
(9)
Die Höhe der Kreisumlagesätze weicht zwischen den Kreisen eines Landes, insbesondere aber von Land zu Land stark voneinander ab, was seine Ursachen in der länderweise unterschiedlichen Gewichtung der Umlagegrundlagen ebenso hat wie in unterschiedlichen Aufgabenzuweisungen auf die Kreisebene sowie nicht zuletzt auf die von Land zu Land sehr unterschiedliche Aufteilung der Finanzausgleichsmasse zwischen der Gemeinde- und der Kreisebene zurückzuführen ist. Für letzteres gilt die Faustregel: Mit zunehmendem Anteil der Landkreise an der Finanzausgleichsmasse kann die Kreisumlage abgesenkt werden, wobei ein niedrigerer Anteil der kreisangehörigen Gemeinden zugleich mit einer Verminderung der Grundlagen für die Kreisumlage einhergeht. Das heißt, dass eine Erhöhung des Anteils der Kreise an der Finanzausgleichsmasse ceteris paribus nicht im gleichen Anteilsverhältnis zu einer Kreisumlagesenkung führt. Als weiteres Unterscheidungsmerkmal von Gewicht kommt die krass divergierende Steuerkraft der Gemeinden in den alten und den neuen Ländern hinzu. Die neuen Länder sind erst vor wenigen Jahren dazu übergegangen, die Kreisumlage auch auf die Gemeindesteuern zu erstrecken. Nicht zuletzt deshalb dominieren in den neuen Ländern anders als in den Kreisen der bisherigen Bundesrepublik die gemeindlichen Schlüsselzuweisungen als Basis der Kreisumlage.
XI.
Die Perspektiven des kommunalen Finanzausgleichs
(1)
Ein Finanzausgleich zwischen Gemeinden ist nur zu rechtfertigen, wenn man unterstellt, dass das Prinzip der kommunalen Äquivalenz – etwa aus den Gründen, die oben (unter B. V.) dargestellt wurden – nicht zu verwirklichen ist. Anders formuliert: Bei Realisierung des Äquivalenzprinzips, d. h. der Korrespondenz von öffentlicher Leistung und wirtschaftlicher Traglast auf der Gemeindeebene, würde sich der kommunale Finanzausgleich auf die Umverteilung von Zwangsbeiträgen zum Ausgleich externer Effekte beschränken26. Die Dotationskomponente des kommunalen Finanzausgleichs ist Ausdruck der Tatsache, dass allokations- und verteilungspolitische Aspekte sich auf Gemeindeebene übertragen und im Hinblick auf ein Distributionsziel, das mit dem Begriff der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ nur unscharf beschrieben ist, einen „Ausgleichs-Bedarf“ postulieren. Die Finanzausgleichsmassen der Städte, Gemeinden und Kreise einerseits, der Bundesländer andererseits sind vor allem über die Mechanismen der Steuerverbünde wie kommunizierende Röhren verbunden. Die Minder- wie Mehreinnahmen bei Gemeinschaftssteuern und auch bei anderen Landessteuern wirken sich in den Planzahlen der Finanzausgleichsgesetze unmittelbar und im Vollzug dieser Gesetze wegen unterschiedlicher Abrechnungsverfahren mit zeitlicher Verzögerung auf die Dotierungen der verschiedenen Finanzzuweisungen aus. Mit dem Steuerverbund sitzen die Kommunen mit ihren Ländern finanzwirtschaftlich „in einem Boot“. Das führt immer wieder zu der Frage, wie gewährleistet werden kann, dass dieses System kommunizierender finanzwirtschaftlicher Röhren die Symmetrie und Gleichwertigkeit der zu deckenden Finanzbedarfe bewahren bzw. wiederherstellen kann. Problematisch sind dabei die relative Unbestimmtheit und Offenheit der
(2)
26
Vgl. H. Grossekettler: Die Bestimmung der Schlüsselmasse, a. a. O., S. 438.
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
(3)
(4)
(5)
313
Rechtsnormen im kommunalen Finanzausgleich. Nach herrschender Meinung stellt das Grundgesetz mit den Rahmenregelungen für den obligatorischen und den fakultativen Steuerverbund den kommunalen Finanzausgleich allein unter das „Regime“ des rechtsstaatlichen Gleichheitsgrundsatzes und des finanzrechtlichen Nivellierungsverbots. Die Feinregulierung des Finanzausgleichsrechts bleibt in der Organisations- und Finanzgewalt der Länder und schlägt sich in den jeweiligen Landesverfassungen und spezifizierenden Landesgesetzen nieder. Alle Landesverfassungen – bis auf die bayerische – stellen die Pflicht zum kommunalen Finanzausgleich unter den Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit der Länder. Die erwähnte relative Unbestimmtheit der Rechtsnormen beim kommunalen Finanzausgleich zeigt in der Finanzausgleichspraxis deutliche Spuren. Jedes Flächenland hat sein eigenes Finanzausgleichssystem mit landesspezifisch unterschiedlichen Regelungen und Dotierungen, die aus subjektiver Landessicht als verfassungskonform gelten. Die Frage nach der „richtigen“ Dotierung des kommunalen Finanzausgleichs ist genau so alt wie der kommunale Finanzausgleich selbst. Eine in jeder Hinsicht überzeugende Lösung könnte bisher nicht und wird wohl auch künftig nicht gefunden werden. In der politischen Wirklichkeit liegt die Antwort auf die Frage regelmäßig zwischen Mathematik und finanzwissenschaftlichen Modellen einerseits und handfesten Auseinandersetzungen und politischen Kompromissen andererseits. Sowohl die Festlegung der Finanzausgleichsmasse als auch des interkommunalen Verteilungsmechanismus sind daher i. d. R. das Ergebnis einer konfliktbeladenen Suche nach einem Interessenausgleich. Im Streit um die angemessene Finanzausgleichsmasse geht es nicht nur um den Finanzbedarf der Kommunen, sondern naturgemäß auch um die finanzielle Leistungsfähigkeit der Länder. Nahezu alle Landesverfassungen stellen die Pflicht zum kommunalen Finanzausgleich unter den Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit der Landesetats. Dadurch relativieren sich die Aussichten der Kommunen, im Wege von verfassungsgerichtlichen Verfahren eine bessere Dotierung des Finanzausgleichs zu erstreiten. Auch der – von vielen Landesverfassungsgerichten anerkannte – Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung verspricht nicht zwangsläufig gute Erfolgsaussichten. Damit stellt sich die Frage, auf welchem Weg sichergestellt werden kann, dass die Länder als Träger des kommunalen Finanzausgleichs ihren Städten, Gemeinden und Kreisen genügend Finanzmittel bereitstellen, damit diese die ihnen zugewiesenen Aufgaben erfüllen können. Im Folgenden soll daher ein Überblick über zusätzliche alternative und flankierende Schutzmechanismen gegeben werden, die offensichtlich auch die weitere Entwicklung bestimmen werden. Einzelne Bundesländer haben sich für die Einführung des sog. Gleichmäßigkeitsgrundsatzes entschieden. Dieser soll sicherstellen, dass die Gesamteinnahmen des Landes (nach Abzug der Zuweisungen an die Kommunen) und die kommunalen Gesamteinnahmen sich gleichmäßig entwickeln. Dies hat den Effekt, dass die jeweilige Ebene für den Fall, dass die Steuereinnahmen der anderen Ebene stärker ansteigen als die eigenen, automatisch an dieser stärkeren Entwicklung partizipiert. Umgekehrt wird bei einem Einnahmeeinbruch ein Teil des Risikos auf die jeweils andere Ebene übertragen. Bei Anwendung des Gleichmäßigkeitsgrundsatzes ist die nach-
314
(6)
(7)
Teil H Der kommunale Finanzausgleich
gewiesene Verbundquote nicht das Ergebnis einer politischen Entscheidung, sondern Ausdruck einer Regelbindung und letztlich ein rechnerisches Ergebnis. Die Verstetigung im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs dient auch der Errichtung von Fonds gegen strukturelle und konjunkturelle Schwankungen. Eine Vorreiterrolle hat Rheinland-Pfalz auf diesem Gebiet eingenommen (vgl. oben Teil D.) und inzwischen hat auch Sachsen erste Schritte zu einer Verstetigung mittels einer Fondslösung unternommen. Ende 2002 wurde in einer Art „Beistandspakt“ den Kommunen zunächst bis 2006 eine Mindestausstattung des kommunalen Finanzausgleichs garantiert. Das System des Finanzausgleichs aus festem Verbundsatz und Abrechnung aus Vorjahren wurde damit zwar nicht außer Kraft gesetzt, aber das Land erklärte, eine etwaige Differenz zur Garantiesumme durch Gewährung von Verstetigungskrediten aufzustocken. Diese Kredite sollen erst dann verrechnet werden, wenn die Finanzausgleichsmasse wieder die Garantiesumme überschreitet. Um auch in Boom-Zeiten eine wirksame Verstetigung der Finanzausgleichsmasse zu erzielen, wurde in einem zweiten Schritt eine Obergrenze für die Entwicklung der Landesleistungen festgelegt. Mit ihr soll verhindert werden, dass in Zeiten sprudelnder Landeseinnahmen die Finanzausgleichsmasse stark ansteigt und es so zu einer Ausweitung des Angebotes auf kommunaler Ebene kommt, wodurch Folgekosten verursacht werden, die später kaum zu reduzieren sind. Die die Obergrenze übersteigenden Mittel sollen daher abgeschöpft und in einen Stabilisierungsfonds eingezahlt werden, aus dem später die in schlechten Zeiten anfallenden Verstetigungsdarlehen gezahlt werden können. In den zurückliegenden Jahren haben zahlreiche Bundesländer den prozeduralen Schutz der Kommunen in dem Verfahren zum kommunalen Finanzausgleich gestärkt. Wenn das Ergebnis der Verteilungsentscheidung überwiegend im politischen Raum getroffen wird und wegen der Weite des Entscheidungsspielraums kaum gerichtsfeste Kriterien gefunden werden können, dann soll wenigstens die verfahrensmäßige Einbindung und das Mitspracherecht der Betroffenen gestärkt und gesetzlich verankert werden. Im Sinne einer „Gerechtigkeit durch Verfahren“ sollen die inhaltlichen Mängel durch eine Stärkung der Verfahrensrechte ausgeglichen werden. Dazu wurden in den einzelnen Bundesländern teilweise sehr unterschiedliche, als Finanzausgleichsbeiräte oder -kommissionen bezeichnete, teilweise gesetzlich verankerte, Gremien geschaffen. Solche Gremien können zur Versachlichung der Diskussion beitragen und stellen einen Dialog zwischen Land und Kommune in Finanzausgleichsfragen sicher. In der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichtshöfe wird die Erforderlichkeit entsprechender institutioneller Verfahrenssicherungen gleichwohl sehr unterschiedlich beurteilt: Während der bayerische Verfassungsgerichtshof in einer Entscheidung vom 28.11.2007 das Fehlen verfahrensmäßiger Absicherungen als so gravierend ansah, dass er das bayerische Finanzausgleichsgesetz mit der Verfassung unvereinbar erklärte, wies der niedersächsische Staatsgerichtshof in einer Entscheidung von 2007 kategorisch zurück. Angesichts der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Anhörungspflicht der kommunalen Spitzenverbände sei ein weiteres formalisiertes Verfahren zur Ermittlung der Finanzausgleichsparameter nicht geboten.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
Teil I.
315
Das kommunale Haushaltswesen
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
I.
Die Bedeutung des Haushalts für die kommunale Finanzwirtschaft1
(1)
Der Haushalt ist eines der wichtigsten Planungsinstrumente der Gemeinden. Er weist einige spezifische Merkmale auf, die ihn von der Mehrzahl anderer kommunaler Planungen unterscheiden. Der Haushalt ist regelmäßig aufzustellen und auf einen bestimmten zukünftigen Zeitraum bezogen. Der Planungszeitraum beträgt i. d. R. ein Jahr, der Gesetzgeber hat jedoch die Möglichkeit eröffnet, einen Haushalt für zwei Jahre (Doppelhaushalt) – allerdings nach Jahren getrennt – aufzustellen. Im Gegensatz dazu werden die meisten Fachplanungen nicht mit dieser Regelmäßigkeit und nicht in so kurzen Zeitabständen neu erstellt. Der Haushalt ist gegliedert; die Systematik ist für alle Gemeinden durch Rechtsvorschriften verbindlich festgelegt. Maßgeblich sind dabei vor allem die Bestimmungen der Gemeinde-/Landkreisordnungen, die einen umfassenden haushaltsrechtlichen Teil enthalten. Ergänzend sind detailliertere Regelungen in den Gemeindehaushaltsverordnungen, im Hinblick auf Kassengeschäfte auch in den Gemeindekassenverordnungen niedergelegt. Die gesetzlichen Vorschriften basieren in allen Bundesländern auf einem einheitlichen Prinzip; Abweichungen im Einzelfall sind – verglichen mit anderen Bereichen des kommunalen Verfassungsrechts – vor allem bei den eigentlichen haushaltsrechtlichen Bestimmungen eher geringfügig. Der Haushalt ist ein umfassender Ausweis aller Vorgänge in einer Gemeinde (Gesamtplanung), die finanzielle Auswirkungen haben (monetäre Planung). Dies unterscheidet ihn von der Fachplanung, die nur einen bestimmten Ausschnitt kommunaler Aktivitäten zum Inhalt hat. Allerdings können Fachplanungen auch Sachverhalte berücksichtigen, die keine direkten finanziellen Auswirkungen haben. Der Haushalt entfaltet Bindungswirkung nach außen und nach innen. Gegenüber dem Bürger trägt er – ähnlich wie die Bauleitplanung – normsetzenden Charakter, indem die Steuersätze (Hebesätze) für das Haushaltsjahr festgesetzt werden. Für die Verwaltung ist er insofern bindend, als Aufgaben und Maßnahmen nur im Rahmen der im Budget getroffenen Festsetzungen durchgeführt werden können. Das bedeutet auf der einen Seite, dass die Verwaltung gehalten ist, die mit den Ausgabepositionen im Haushalt verbundenen Aufgaben und Maßnahmen durchzuführen, sofern dem nicht andere Gründe entgegenstehen. Auf der anderen Seite darf die Verwaltung Ausgaben lediglich bis zu der im Haushalt veranschlagten Höhe leisten. Aufträge dürfen nur im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel – das sind die im Haushaltsplan veranschlagten Beträge unter Einschluss evtl. bestehender Haushaltsreste – und ggf. vorgesehener Verpflichtungsermächtigungen erteilt wer-
(2)
(3)
(4)
1
Vgl. G. Schwarting: Der kommunale Haushalt, 2. Aufl., Köln 2001, S. 39 ff.; verschied. Verf.: Teil D „Haushaltsrecht“ in: H. G. Henneke u. a. (Hrsg.): Recht der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 527–685.
316
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
den. Der Haushalt verpflichtet die Verwaltung aber nicht, die ausgewiesenen Mittel in jedem Fall zu verausgaben. Kann die einzelne Aufgabe mit geringeren Mitteln erledigt werden, ist die Verwaltung nach dem Prinzip der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit gehalten, entsprechend zu handeln.
II.
Die Funktionen des kommunalen Haushalts
(1)
Durch die Aufstellung eines Haushalts sollen verschiedene Funktionen erfüllt werden (vgl. Abb. 41). Zunächst besitzt der Haushalt eine finanzwirtschaftliche Ordnungsfunktion. Mit Hilfe des Haushalts werden die zur Verfügung stehenden Mittel planmäßig auf die einzelnen Aufgabenbereiche, die eine Gemeinde zu erfüllen hat oder erfüllen will, verteilt (Steuerungsfunktion). Gleichzeitig dient der Haushalt damit auch dem Ausgleich von Bedarf und finanziellen Ressourcen (Bedarfsdeckungsprinzip). Zum einen ist darzustellen, wie die zur Deckung des notwendigen Bedarfs erforderlichen Mittel aufgebracht werden; andererseits begrenzen die Möglichkeiten der Mittelbereitstellung die jeweilige Erfüllung von Aufgaben. In einer planvollen Vorausschau über die zu erwartenden Ausgaben und Einnahmen hat der Haushaltsplan – i. V. m. der Finanzplanung – die Aufgabe, den Ausgleich von Bedarf und Deckung darzustellen. Die Entscheidung über den Haushalt zählt zu den wichtigsten Rechten des Gemeinderats; sie kann auch nicht auf einen beschließenden Ausschuss übertragen werden. Indem die Gemeindevertretung über die Gestaltung der Ausgaben unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Einnahmen befindet, setzt sie politische Prioritäten. Auch wenn auf kommunaler Ebene viele Aufgaben der grundsätzlichen Disposition der Gemeindevertretung enthoben sind, weil es sich um Auftragsangelegenheiten oder Pflichtaufgaben der Selbstverwaltung handelt, verbleibt ein Gestaltungsspielraum, der der politischen Prioritätensetzung zugänglich ist. So können sich politische Schwerpunkte in der relativen Ausweitung eines bestimmten Aufgabenbereichs, aber auch in der – finanzwirtschaftlich ablesbaren – Entscheidung über die Durchführung einer Aufgabe in kommunaler oder privater Trägerschaft (z. B. Kindergärten, Büchereien, Reinigung u. a. m.) darstellen. Der Hinweis auf den Umfang der für eine Aufgabe bereitgestellten Mittel war lange Zeit in der politischen Diskussion übliche Praxis. Mittlerweile konzentriert sich die Aufmerksamkeit stärker auf die Leistung selbst. Mit Hilfe des im „Neuen Steuerungsmodell“ (NSM) (vgl. unten Teil J.) entwickelten Produktgedankens soll die Leistungsrechnung in den Mittelpunkt gerückt werden. Die Haushaltsansätze dokumentieren in diesem Konzept den für eine bestimmte Leistung erforderlichen Ressourcenverbrauch. Von großer Bedeutung ist die Kontrollfunktion des Haushalts. Mit dem Haushalt wird ein Handlungsrahmen für die Verwaltung der Gemeinde gegeben. Der Haushalt ermächtigt die Verwaltung, Ausgaben im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel zu tätigen, sofern die zur Deckung erforderlichen Einnahmen eingehen. Die Gemeindevertretung, aber auch die Öffentlichkeit, haben mithin die Möglichkeit, aus dem Vergleich zwischen der tatsächlichen Haushaltsführung und den Vorgaben
(2)
(3)
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
317
des Haushalts zu prüfen, ob die Verwaltung sich innerhalb des von der Gemeindevertretung gesetzten Rahmens bewegt. Für Abweichungen ist die Verwaltung rechenschaftspflichtig. Hierfür liefert das im Zuge der Diskussion um das „Neue Steuerungsmodell“ entwickelte Berichtswesen. eine wichtige Grundlage. Dies gilt nicht nur für notwendige Mehrausgaben sondern auch für den Fall, dass eine im Haushalt vorgesehene Maßnahme aus anderen Gründen nicht realisiert werden kann. Neben dieser äußeren Kontrollfunktion erlaubt der Haushalt auch die Kontrolle nach innen. Aus dem Haushalt wird die Jahresrechnung entwickelt, die wiederum Grundlage für die Kontrolle der Haushalts- und Kassenführung durch die örtliche und überörtliche Rechnungsprüfung ist. Abbildung 41: Die Funktionen des kommunalen Haushalts Finanzwirtschaftliche Steuerungsfunktion – Steuerung der Aufgabenerfüllung – Ausgleich von Bedarf und Ressourcen
Politische Programmfunktion – Setzung von Prioritäten der Aufgabenerfüllung
Kontrollfunktion – –
Gesamtwirtschaftliche Funktion Handlungsrahmen – Transparenz und der Verwaltung Vergleichbarkeit Grundlage der öffentlicher HausRechnungsprühalte fung – Konjunkturpolitische Lenkung
Quelle: G. Schwarting: Der kommunale Haushalt, a. a. O., S. 41.
III. Der Aufbau des Kommunalhaushalts 1
Die kommunale Haushaltssatzung
(1)
Der Haushalt einer Gemeinde wird in Form einer Satzung verabschiedet. Die Haushaltssatzung enthält verpflichtend fünf wesentliche Festsetzungen:
(2)
Die Summe einer Haushaltsperiode zuzurechnenden Aufwendungen und Erträge. Die Höhe der Steuersätze (Hebesätze) für die Realsteuern. Die Ermächtigung zur Aufnahme von Krediten. Die Festsetzung der zur Liquiditätssicherung erforderlichen Kassenkredite. Die Höhe der zu Lasten künftiger Haushaltsjahre einzugehenden Verpflichtungsermächtigungen.
Über diese Bestandteile ist mit jeder Haushaltssatzung auch dann zu beschließen, wenn sie keine Änderungen erfahren. So unterliegen auch die Steuersätze oder der Höchstbetrag der Kassenkredite – Größen, die sich i. d. R. nicht jährlich ändern – stets der Festsetzung in der Haushaltssatzung. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Gesamtheit aller haushaltswirtschaftlichen Rahmenbedingungen dargestellt wird, jeder Haushalt mithin für sich genommen vollständig ist. Die Haushaltssatzung kann um weitere Bestimmungen ergänzt werden, soweit sie mit den Einnahmen und Ausgaben bzw. dem Stellenplan für das Haushaltsjahr ver-
318
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
knüpft sind. So ist es z. B. üblich, die Steuersätze der sog. „kleinen Gemeindesteuern“, wie der Hunde- oder der Vergnügungsteuer, oder die Gebühren- und Beitragssätze in die Haushaltssatzung aufzunehmen. Während jedoch die Realsteuersätze verbindlich durch die Haushaltssatzung festgelegt werden, bedürfen die übrigen Steuer-, Gebühren- oder Beitragssätze jeweils einer – nicht unbedingt jährlich neu zu fassenden – Einzelsatzung; die Erwähnung dieser Abgabesätze in der Haushaltssatzung erfolgt dann nur nachrichtlich. Darüber hinaus kann die Haushaltssatzung auch bestimmte Vermerke zum Stellenplan oder allgemeine Sperr- und Deckungsvermerke zum Haushaltsplan enthalten. 2
Der kommunale Haushaltsplan
2.1
Der Haushaltsplan in der Kameralistik
(1)
Bislang waren der kommunale Haushalt und damit auch der Haushaltsplan durch die Kameralistik geprägt. Das bedeutete, dass Einnahmen und Ausgaben nach dem Prinzip der Kassenwirksamkeit erfasst wurden. Im Umkehrschluss bedeutete, dass das wirtschaftliche Ergebnis des Verwaltungshandelns nicht abgebildet wurde, da eine Zuordnung nach der wirtschaftlichen Verursachung (Periodisierung) nicht erfolgte. Damit hatten der Haushaltsplan und auch das Haushaltsergebnis nur einen sehr begrenzten Aussagewert, letztlich wurde der Erfolg i. S. des Haushaltsausgleichs und der Übereinstimmung von Soll und Ist ermittelt. Das „alte“ kommunale Haushaltsrecht trennte zwischen dem Verwaltungshaushalt und dem Vermögenshaushalt. Dabei wurden durch die Gemeindehaushaltsverordnungen bestimmte Einnahmen und Ausgaben dem Vermögenshaushalt zugewiesen (vgl. Abb. 42).
(2)
Abbildung 42: Der Vermögenshaushalt in der Kameralistik Auf der Einnahmeseite – – – – –
die Zuführungen vom Verwaltungshaushalt Einnahmen aus der Veränderung des Anlagevermögens Entnahmen aus Rücklagen Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen und für die Förderung von Investitionen Dritter, Beiträge und ähnliche Entgelte Einnahmen aus Krediten und Inneren Darlehen
auf der Ausgabenseite – – – –
die Tilgung von Krediten, die Rückzahlung Innerer Darlehen, die Kreditbeschaffungskosten sowie die Ablösung von Dauerlasten Ausgaben für die Veränderung des Anlagevermögens, Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen Dritter sowie Verpflichtungsermächtigungen Zuführungen zu Rücklagen und die Deckung von Fehlbeträgen aus Vorjahren Zuführungen zum Verwaltungshaushalt
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
319
Alle übrigen Einnahmen und Ausgaben waren im Verwaltungshaushalt zu veranschlagen. Die Tab. 13 verdeutlicht die wesentlichen Unterschiede zwischen der kameralistischen Buchführung einerseits, der doppelten Buchführung andererseits. 2.2
Von der Kameralistik zur Doppik – Ziele und Verfahrensschritte der Umstellung2
(1)
In den neunziger Jahren sind in den deutschen Kommunen Überlegungen initiiert worden, die Effizienz des Verwaltungshandelns und der Mittelbewirtschaftung bzw. -verwendung zu erhöhen. Die Überlegungen erfolgten u. a. aufgrund der dauerhaft angespannten finanzwirtschaftlichen Situation der deutschen Kommunen. Kostenund Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte rücken in den Mittelpunkt. Diese Überlegungen werden unter dem bereits erwähnten Begriff „Neues Steuerungsmodell“ (NSM) zusammengefasst3. Durch Beschluss der Innenministerkonferenz vom 21. November 2003 soll das kommunale Rechnungssystem im Rahmen des NSM bis zum Jahr 2012 auf die Doppik („Doppelten Buchführung in Konten“) oder die erweiterte Kameralistik umgestellt werden4. Die Einführung der Doppik soll insofern das NSM unterstützen. Da die Reform des Gemeindehaushaltsrechts Sache der einzelnen Bundesländer ist, wird die Umstellung länderübergreifend nicht einheitlich gehandhabt. In der Mehrheit der Bundesländer werden die Gesetzesänderungen für die Umstellung der Rechnungslegung bis 2008 in Kraft treten (Tab. 12). In Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt wurde das Gesetzgebungsverfahren bereits durchgeführt, so dass das neue Rechnungssystem schon gesetzlich implementiert ist.5 Der jeweils aktuelle Umsetzungsstand in den einzelnen Bundesländern lässt sich im Internet verfolgen6.
2
3
4
5
6
Vgl. H. Bolsenkötter: Integriertes öffentliches Rechnungswesen, Baden-Baden 2000; Reform der Rechnungslegung der öffentlichen Verwaltung, in: Wirtschaftsprüfung Sonderheft 2004; W. Berens u. a.: Zum nicht mehr vertretbaren kameralen Haushalts- und Rechnungswesen in einem demokratischen Gemeinwesen. Hamburger Thesen zum notwendigen Wechsel von der Kameralistik zur integrierten Verbundrechnung mit outputorientierter Budgetierung, in: Die öffentliche Verwaltung, Jg. 2008, H. 3, S. 109–111. Vgl. KPMG: Doppik schlägt Kameralistik. Fragen und Antworten zur Einführung eines doppischen Haushalts- und Rechnungswesens, 4. vollständig überarbeitete Auflage, Berlin. 2005, S. 6. Vgl. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Geschäftsstelle: Auszug aus der Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 173. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 21. November 2003 in Jena. Vgl. W. Pohl: Gemeindehaushalte im Umbruch, in: Heinrich-Böll-Stiftung, Kommunalpolitische Infothek, 22.11.2007, www.kommunale-info.de.; N. Vogelpoth, M. Poullie: Einführung der Doppik im Gemeindehaushaltsrecht der Bundesländer, in: Wirtschaftsprüfung, Jg. 2007, H. 12, S. 517–525. Vgl. z.B. http://www.voeb.de/de/themen/publicfinance/kommunale_doppik/.
320
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
Tabelle 12: Der Stand der Reform des Gemeindehaushaltsrechts in ausgewählten Bundesländern Bundesland Baden-Württemberg Bayern
in Kraft seit 2007 -
Übergangsfrist bis 2012 -
Brandenburg Hessen
2007 2005
2011 2009
MecklenburgVorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein
2007
2012
2006 2005 2006 2007 2008 2006 -
2012 2009 2009 2008/2009 2011 2011 -
Buchungsstil Doppik Doppik/erweiterte Kameralistik Doppik Doppik/erweiterte Kameralistik Doppik
Doppik Doppik Doppik Doppik Doppik Doppik Doppik/erweiterte Kameralistik Thüringen 2009 Doppik/erweiterte Kameralistik Quelle: Innenministerium des Landes Baden-Württemberg: Informationen zum neuen kommunalen Haushaltsrecht in Baden-Württemberg, Stuttgart 2006, S. 10.
(2)
7
In der Mehrzahl der Länder ist vorgesehen, in Zukunft ausschließlich die Doppik anzuwenden. Einige Länder belassen ihren Kommunen ein Wahlrecht zwischen doppischem System und erweiterter Kameralistik. Das Land Nordrhein-Westfalen schreibt seinen Kommunen beispielsweise vor, bis zum Haushaltsjahr 2009 die Doppik einzuführen und einen Haushaltsplan in neuer Form sowie eine Eröffnungsbilanz aufzustellen7. In Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein und Thüringen wird den Kommunen ein Wahlrecht zwischen der Doppik und der erweiterten Kameralistik eingeräumt. Grundsätzlich sind sich die Bundesländer jedoch einig, dass sich die Doppik als Verfahren der kommunalen Buchführung etablieren soll. Um den europäischen wie nationalen Berichtsverpflichtungen Rechnung tragen und die Ergebnisse der verschiedenen Rechnungssysteme auch in der Übergangszeit aggregieren zu können, wurden die Statistikämter an der Ausgestaltung des neuen Produkt- und Kontenrahmens beteiligt. Die von den Landesgesetzgebern zwischenzeitlich verabschiedeten Vorgaben weichen jedoch teils beachtlich von diesen Vorgaben ab. Damit besteht die Gefahr, dass die finanzstatistische Datenbasis zu den Kommunalfinanzen insgesamt nur eine eingeschränkte Aussagekraft aufweist.
Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Kommunalpolitik und NKF. Basisinformationen für Rats- und Kreistagsmitglieder zum nordrhein-westfälischen Neuen Kommunalen Finanzmanagement, Düsseldorf 2006.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
321
IV.
Die Doppik im Kommunalhaushalt8
1
Die Ziele der Doppik
(1)
Das kameralistische Buchungssystem konzentriert sich auf Zahlungsströme und blendet damit insbesondere Belastungen aus, die erst in späteren Perioden zu Auszahlungen führen. Sie dokumentiert lediglich zahlungswirksame Vorgänge innerhalb des laufenden Haushaltsjahrs und ermöglicht einen Soll-Ist-Vergleich zwischen der Planung und der Ausführung des Haushalts. Sie liefert aber keine Auskunft über die tatsächliche Entwicklung des sachlichen und finanziellen Vermögens sowie über den Ressourcenverbrauch. Bei der Doppik sind in der zentralen Ergebnisrechnung dagegen alle in einer Periode zuzurechnenden Erträge und Aufwendungen einander gegenüberzustellen9 (vgl. Abb. 13). Ein wesentlicher Unterschied im Hinblick auf die Anforderungen an die Haushaltsführung besteht für die Kommunen in dem neuen System darin, dass nicht mehr die durch Kreditlaufzeiten steuerbaren Tilgungen erwirtschaftet werden müssen, sondern die tatsächlich in einer Periode ausweislich der Abschreibungen verbrauchten Mittel. Außerdem sind bei den Personalkosten nicht mehr die Versorgungszahlungen, sondern die für das aktive Personal zu bildenden zusätzlichen Rückstellungen abzudecken. Pensionszahlungen sind dann Tilgungen und keine zu erwirtschaftenden Aufwandspositionen. Dadurch schafft die Doppik Transparenz im Hinblick auf den Ressourcenverbrauch, das Vermögen und die Schulden. Mit der Umstellung von der Kameralistik auf die Doppik werden verschiedene Ziele verfolgt. Die wesentliche Intention ist, die Interessen künftiger Generationen durch die Verpflichtung zum Ausgleich aller laufenden Aufwendungen, d. h. durch die Verpflichtung zum Haushaltsausgleich, besser zu berücksichtigen. Ein weiterer Vorteil der Doppik wird darin gesehen, dass eine Konsolidierung der Ergebnisse der Kernhaushalte und ihrer Beteiligungen etwa in Form von Eigenbetrieben und –gesellschaften durch die Verwendung eines einheitlichen Buchungssystems deutlich erleichtert wird. Damit verbindet sich die Hoffnung auf eine bessere Steuerung des in den zurückliegenden Jahren durch Ausgliederung immer unübersichtlicher gewordenen kommunalen Beteiligungsportfolios. Aus statistischer Sicht ist für diese Konsolidierung bedeutsam, dass eine sachgerechte Abgrenzung zwischen staatlichen und marktlich bestimmten Einheiten erreicht wird (vgl. dazu unten Teil K.). Aber auch in den Kernhaushalten soll die Steuerung verbessert werden. Während im Kameralismus versucht wird, die politischen Ziele über Mittelzuteilungen
(2)
8
9
Vgl. K. Lüder: Ordnungsmäßigkeits-Grundsätze für das Neue Öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen, in: Die Wirtschaftsprüfung, Jg. 2006, H. 5, S. 605–612; N. Vogelpoth, M. Poullie: Einführung der Doppik im Gemeindehaushaltsrecht der Bundesländer, ebenda, Jg. 2007, H. 12, S. 517–525; R. Schauer: Rechnungswesen in öffentlichen Verwaltungen: Kameralistik und/oder Doppik. Einführung und Standortbestimmung, Wien 2007; H.-G. Henneke, H. Strobl, D. Diemert (Hrsg.): Recht der kommunalen Haushaltswirtschaft – Doppik, Neue Steuerung, München 2008; D. Budäus: Manifest zum öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen in Deutschland – Mehr Transparenz,. Effektivität und Effizienz in Politik und Verwaltungen durch ein einheitliches doppisches Haushalts- und Rechnungswesen, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2009, H. 3, S. 282–318. Vgl. H. Bolsenkötter (Hrsg.): Die Zukunft des öffentlichen Rechnungswesens, Baden-Baden 2007.
322
(3)
(4)
(5)
(6)
10
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
für einzelne Haushaltsstellen zu erreichen, werden in der Doppik Produkte definiert, denen die Herstellungskosten zuzuordnen sind und über deren Lieferungsumfang dann in den Kommunalparlamenten zu beschließen ist (vgl. dazu unten Teil J.). Der dafür notwendige Mittelbedarf wird in der Haushaltssatzung bewilligt. Den Politikern wie den Bürgern kann so verdeutlicht werden, welche Kosten mit den gewünschten Leistungsmengen verbunden sind. Wirtschaftlichkeitsvergleiche zwischen Haushaltsjahren, aber auch zwischen den einzelnen Kommunen, werden so erleichtert und können zur Eindämmung der Kosten beitragen. Insofern ist die Doppik Teil und Bindeglied zu „Neuen Steuerungsmodell“ (NSM), mit dem die Effizienz des kommunalen Verwaltungshandelns erhöht werden soll. Zwar werden verbesserte Steuerungsmöglichkeiten allein vielfach kaum ausreichen, die in zahlreichen Kommunen bestehenden Haushaltsprobleme rasch zu lösen. Allerdings dürften die noch vorhandenen Konsolidierungspotentiale einfacher zu erkennen und zu nutzen sein. Mit der neuen Darstellungsform eines ressourcenorientierten Haushalts- und Rechnungswesens wird eine vollständige Abbildung des Faktorverbrauchs und des Faktoraufkommens durch die Erfassung von Aufwendungen und Erträgen anstelle von Ausgaben und Einnahmen erreicht. Die neu gewonnenen Informationen sollen mit betriebswirtschaftlichen Elementen (Produktorientierung, Budgetierung, Kostenrechnung, Zielvorgaben und Kennzahlen) zu mehr Transparenz über das Verwaltungshandeln und einer effektiven Verwaltungssteuerung beitragen. So soll eine nachhaltige Haushaltswirtschaft und damit intergenerative Gerechtigkeit bei kommunalpolitischen Entscheidungen unterstützt werden. Inwieweit diese Zielsetzung verwirklicht wird, hängt wesentlich davon ab, ob die Doppik zu mehr Budgetdisziplin führt. Ob die Anforderungen für den Haushaltsausgleich im System der Doppik strenger als im kameralistischen System sind, hängt wesentlich davon ab, ob Abschreibungen und Rückstellungszunahmen stärker ins Gewicht fallen als die Tilgungsverpflichtungen und Pensionszahlungen. Dabei ist neben möglichen Fristeninkongruenzen bei kreditfinanzierten Investitionen zu bedenken, dass bedeutende Teile des Vermögens wie Grundbesitz und Beteiligungen regulär nicht abzuschreiben sind, aber kreditfinanziert und mit Tilgungsverpflichtungen verbunden sein können. Die Befürchtungen vieler Kommunen, dass die Haushaltsspielräume dadurch künftig enger ausfallen, müssen sich deshalb nicht zwangsläufig bewahrheiten. Dazu kommt, dass die erwähnte unterschiedliche Ausgestaltung der Buchführungsregeln zwischen den einzelnen Ländern sich z. B. bei der Bewertung von Vermögensgegenständen auswirkt. Sofern deren Bewertung zum Zeitwert zugelassen wird, übertreffen die Wertansätze und damit auch der Abschreibungsbedarf in der Doppik typischerweise das Niveau bei Orientierung an den historischen Anschaffungskosten10. Der Haushaltsausgleich wird dagegen erleichtert, wenn neben ordentlichen Erträgen auch solche aus der Hebung stiller Reserven bei Vermögensveräußerungen zur Deckung der Aufwendungen herangezogen werden können. In Nordrhein-Westfalen ist zudem noch eine Ausgleichsrücklage eingeführt worden. Ein Drittel des Eigenkapitals (max. im Umfang von einem Drittel der jährlichen Vgl. H. Bolsenkötter, P. Detemple, C. Marettek: Die Eröffnungsbilanz der Gebietskörperschaft. Erfassung und Bewertung von Vermögen und Schulden im integrierten öffentlichen Rechnungswesen (WIBERA/PWC Deutsche Revision), Frankfurt/M. 2002.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
323
Steuereinnahmen zzgl. Zuweisungen) kann in diese Rücklage eingestellt werden, aus der Fehlbeträge ohne weitere Einschränkungen zu Lasten des Eigenkapitals verrechnet werden können. Mit diesen Regelungen erleichtert das Land für Gemeinden mit angespannter Finanzlage den Wechsel zum neuen Buchungssystem. Das Ziel, die Interessen künftiger Generationen durch Verpflichtung zum Ausgleich aller laufenden Aufwendungen besser zu berücksichtigen, wird damit allerdings relativiert (vgl. dazu unten Teil K.). 2
Die Einführung der Doppik auf der kommunalen Ebene – die wesentlichen Elemente der Umstellung
(1)
Nach dieser einführenden Darstellung werden zunächst die grundlegenden Unterschiede zwischen Kameralistik und Doppik skizziert11. Es folgt eine Gegenüberstellung der verschiedenen Doppiksysteme in den Bundesländern sowie eine Diskussion der damit verbundenen Problemstellung. Die Kameralistik ist eine Buchführungsmethode, die den Geldverbrauch einer Kommune offen legt und somit ausschließlich Stromgrößen betrachtet. Kosten, die nicht explizit Geldzahlungen sind, bleiben unberücksichtigt. Einnahmen und Ausgaben werden durch einfache Buchungen abgebildet. Erträge, Aufwendungen, Vermögen und Schulden werden nicht ressourcengerecht betrachtet. Das heißt, dass Vermögensänderungen durch Abnutzung oder Aufwendungen für zukünftige Pensionen, die nicht durch Zahlungen widergespiegelt sind, ebenso wenig ausgewiesen werden wie kalkulatorische Aufwendungen (z. B. Zinsen, Mieten für eigene Grundstücke). Die Kameralistik bildet also nur gegenwärtige Ausgaben und Einnahmen ab und gibt keinerlei Auskunft über künftige Belastungen des kommunalen Haushalts. Durch die bloße Erfassung der Mittel werden Bewegungen auf Einnahmen- und Ausgabenkonten zudem nicht miteinander verknüpft. Somit wird kein systematischer Zusammenhang zwischen Verwendung und Herkunft der Ressourcen hergestellt. Bestandsgrößen wie Vermögen und Eigen- bzw. Fremdkapital sind in der Kameralistik unbekannt. Hinzu kommt, dass das kameralistische System in der spezifischen Ausprägung, wie sie in Deutschland in der Vergangenheit zu beobachten war, den Haushaltsplan letztlich auf der Basis von Vorjahresausgaben fortschreibt. Es besteht somit kein expliziter Anreiz, um Kosten zu sparen. Letztlich besteht das wichtigste Ziel der Kameralistik in einer Informationsfunktion für externe Instanzen, insbesondere für das Parlament, dem Rechnungshof sowie den vorgesetzten Behörden. Kontrolliert wird primär die ordnungsgemäße Erfüllung des Haushaltsplans und weniger die effiziente Erfüllung von Aufgaben. Die Doppik ist im Gegensatz dazu durch einen leistungs- bzw. ergebnisorientierten Ansatz für die interne Steuerung gekennzeichnet. Das doppische System bildet den Ressourcenverbrauch einschließlich nicht-zahlungswirksamer Variablen ab (z. B. Abschreibungen und Rückstellungen). Charakteristisches Merkmal dieser Buchführungsmethode ist die Buchung auf jeweils zwei Konten („Buchung und Gegenbuchung“). Dabei werden Erträge und Aufwendungen periodengerecht gegenüberge-
(2)
11
Stadt Lübeck: Einführung des Neuen kommunalen Finanzmanagements, Lübeck 2005, S. 8 ff.
324
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
stellt, so dass ein Vermögensabbau oder -zuwachs erkennbar ist. Die Doppik legt somit auch offen, welche Belastungen künftig auf die Kommune zukommen und ordnet diese der Entstehungsperiode zu. Tabelle 13: Die grundlegende Gegenüberstellung von klassischer Kameralistik, erweiterter Kameralistik und Doppik Tatbestand Rechnungsabgrenzung
Kameralistik (klassisch) Kassenwirksame Ströme einer Haushaltsperiode
Kameralistik (erweitert) Ressourcenverbrauch ohne Periodenabgrenzung
Art der Buchungserfassung
Einfach
Einfach mit Nebenrechnungen in Nebenrechnung in Nebenrechnung
Doppik Periodenabgrenzung (auch nicht Geldwert) und Ressourcenfluss Doppelt
Erfassen von Bestandsgrößen Nein Ja Berücksichtigung aktivierter Nein Ja Eigenleistungen Berücksichtigung künftiger Nein in Nebenrechnung Ja Zahlungen Erfassen von Abschreibungen Nein in Nebenrechnung Ja Berücksichtigung von Nein in Nebenrechnung Ja Grundvermögen Quelle: KPMG: Doppik schlägt Kameralistik, a. a. O. sowie D. Budäus: Reform des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens, in: Die Verwaltung, Berlin 2006, H. 2, S. 186–214.
(3)
Als Zwischenschritt zwischen dem klassischen kameralistischen System und dem doppischen System wurde die sog. „Erweiterte Kameralistik“ entwickelt. Diese sieht eine stärker leistungswirtschaftliche Orientierung des kameralistischen Systems vor, ohne aber vollständig mit den Grundsätzen dieses Systems zu brechen, wie es in der doppischen Buchführung der Fall ist. Das Leitbild dieses Rechnungslegungsmodells besteht in der unterschiedlichen Zielsetzung privater und staatlicher Aktivität. Es wird davon ausgegangen, dass private Unternehmen grundsätzlich auf Gewinnmaximierung fixiert sind. Damit sei das in der Privatwirtschaft vorherrschende doppische System –so die These – für die Erfüllung der aus der Daseinsvorsorge resultierenden politischen Ziele der Kommunen ungeeignet.
3
Der Zusammenhang zwischen Doppik und Budgetdisziplin
(1)
Mitunter wird als Gegenposition zu dieser Auffassung die Meinung vertreten, die Kameralistik sei geradezu eine wesentliche Ursache für die finanzpolitischen Probleme der Gebietskörperschaften in Deutschland. Es fördere das Ausgabenstreben des Staates12. Diese These ist allerdings nicht stringent zu verifizieren, wie ein Vergleich zwischen der Schweiz und Deutschland darlegt. In Deutschland wurde bis vor einigen Jahren ausschließlich kameralistisch gebucht, in der Schweiz hingegen bereits seit Anfang der 80er Jahre auf Grundlage ei-
12
Vgl. D. Budäus: Rating von Bund, Ländern und Kommunen: Wie kreditwürdig ist der öffentliche Sektor?, in: H. Hill (Hrsg.): Die Zukunft des öffentlichen Sektors, Baden-Baden 2006, S. 167–220.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
325
nes doppischen Systems. Betrachtet man die Daten über die Einnahmen und Ausgaben in Deutschland und der Schweiz, so wird deutlich, dass die deutschen Kommunen im Vergleich mit ihren Schweizer Pendants weniger ein Ausgaben- als vielmehr ein Einnahmenproblem haben (vgl. Tab. 14 und 15). Tabelle 14: Die Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen von Städten und Gemeinden in Deutschland Ausgaben
Einnahmen
Mrd. CHF 1996 148,6 144,5 1997 143,7 140,9 1998 142,5 144,6 1999 143,8 145,9 2000 146,1 148,0 2001 148,3 144,3 2002 150,0 146,3 2003 150,1 141,5 2004 149,1 145,3 Veränderung 1996–2004 0,6 0,6 (in v. H.) Quelle der Grunddaten: Bundesministerium der Finanzen.
Überschuss/ Ausgaben Defizit (v. H. des BIP) -4,1 7,9 -2,8 7,5 2,1 7,3 2,1 7,1 1,9 7,1 -4,0 7,0 -3,7 7,0 -8,6 6,9 -3,8 6,7
Während in der Bundesrepublik die kommunalen Ausgaben zwischen 1996 und 2004 mit 0,6% nahezu stagnierten, legten sie in der Schweiz deutlich um 14,6% zu. Da hierzulande jedoch auch die Einnahmen nur geringfügig anstiegen, wiesen die deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände im betrachteten Zeitraum bis auf die Jahre 1998 bis 2000 ein relativ stabiles Defizit aus. Anders die Eidgenossen: Hier stiegen die Einnahmen deutlich um 17,5% an. Dies führte dazu, dass die Kommunen seit 1999 Überschüsse erwirtschafteten. Der Ausgabenanteil am jeweiligen nationalen Bruttoinlandsprodukt liegt in der Schweiz jedoch trotz dieser Überschüsse erheblich über dem der deutschen Städte und Gemeinden. Gemessen an der reinen Ausgabenentwicklung und deren Steuerung lassen sich somit aus solchen Vergleichen keine grundsätzlichen Nachteile des kameralistischen gegenüber dem doppischen Hauhaltssystem aufzeigen. Für die Beurteilung der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung sowie der Verschuldungssituation sind vielmehr komplexere Zusammenhänge zu analysieren. Insbesondere die Fähigkeit, überhaupt zusätzliche Einnahmen generieren zu können, scheint hier ein wichtiger Grund zu sein. Es sei angemerkt, dass hier die Schweizer Kommunen bessere Möglichkeiten haben als die Kommunen in Deutschland13: Bei den Eidgenossen besteht – anders als in Deutschland – grundsätzlich ein Wettbewerbsföderalismus. Die Kommunen können ihre Einnahmen aus Zuschlägen auf die Kantonssteuern variieren. Zudem müssen die Schweizer Kommunen ihre Haushaltsabschlüsse veröffentlichen. Das ist formal zwar auch in Deutschland der Fall. Allerdings scheinen sich die Schweizer Gemeinden hier wesentlich informationsfreudiger zu verhalten und stellen ihre Ab13
Vgl. L. P. Feld: Fiskalischer Föderalismus in der Schweiz – Vorbild für die Reform der deutschen Finanzverfassung?, Gütersloh 2004, S. 9.
326
(2)
(3)
(4)
14 15
16 17
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
schlüsse z. B. in das Internet ein. Da das Prinzip der Doppik ebenfalls in der Privatwirtschaft verwendet wird, lassen sich die öffentlichen Daten zudem relativ einfach auch von interessierten Dritten interpretieren, die keine Kenntnisse der spezifischen Kameralistik haben14. In Deutschland hingegen wird die kameralistische Haushaltsführung ausschließlich im öffentlichen Sektor angewandt und ist von Prinzip her im nichtöffentlichen Bereich kaum bekannt. Die Gründe für die faktische Abschaffung der kameralistischen Rechnungslegung in den meisten Bundesländern liegen auch deshalb weniger in der Steuerungsfähigkeit auf der Ausgabenseite als vielmehr in der notwendigen Transparenz des Haushalts als Grundlage politischer Entscheidungen. Den Entscheidungsträgern stehen in der Kameralistik lediglich begrenzte Informationen über die wirtschaftliche und finanzielle Situation ihrer Kommune zur Verfügung. Von der Einführung der Doppik verspricht sich die Politik eine bessere Dokumentation des öffentlichen Vermögens, eine Sicherung der Zahlungsfähigkeit der Kommunen und damit die Möglichkeit einer intergenerativ gerechten und nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik. Der betriebswirtschaftliche Informationsgehalt der Doppik ist per saldo höher als der in kameralistischen Systemen. Dies zeigt sich auch am Beispiel der Stadt Salzgitter. Die Stadt hat als erste größere Kommune im Jahr 2005 eine Eröffnungsbilanz erstellt. Dabei ergab sich ein negatives Eigenkapital in Höhe von rund 4,4 Mio. EUR, da die Positionen auf der Passivseite höher waren als die bewerteten Aktiva. Die Stadt ist damit ceteris paribus nicht in der Lage, durch die Veräußerung ihres gesamten Vermögens ihre Schulden zu decken15. Erst durch die Einführung der Doppik wurde dies evident. Das kameralistische System zeigte diesbezüglich keinerlei Informationen an. Hamburg machte als erstes Bundesland ähnliche Erfahrungen. Die Hansestadt legte für 2006 als erstes Land einen Haushalt mit doppischer Rechnungslegung vor. Parallel dazu wurde ein Abschluss nach kameralistischen Regeln erstellt. Der Unterschied war evident: Nach den doppischen Vorschriften ergab sich ein Defizit in Höhe von 561 Mio. EUR, nach den kameralistischen hingegen ein Überschuss in Höhe von 587 Mio. EUR. Ebenso divergierte die Höhe der Schulden: In der Kameralistik wurden die Schulden mit rund 24 Mrd. EUR angegeben, in der Doppik waren die Verbindlichkeiten fast doppelt so hoch16. Im Rahmen der Privatisierungen der 80er und 90er Jahre wurde ein Teil der kommunalen Aufgaben in die Hand von privatwirtschaftlichen Einrichtungen gegeben, in denen die doppelte Buchführung angewendet wird. Die Aufgaben der Daseinsvorsorge durch die Kommunen werden somit von unterschiedlichen Stellen durchgeführt. Durch die unterschiedlichen Systematiken der Rechnungsführung in Kernverwaltung, Eigenbetrieben und privatwirtschaftlich organisierten Beteiligungsunternehmen ging dadurch die einheitliche Darstellung kommunaler Tätigkeiten verloren17. Die ÜberVgl. M. Hennies: Bilanzpolitik und Bilanzanalyse im kommunalen Sektor, München 2005, S. 20. Vgl. S. Wagener: Zur korrekten Erfassung der staatlichen Verschuldung, in: HWWA, Wirtschaftsdienst 2005, Nr. 8, S. 522–526, S. 525 f.; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.04.2005: Soll und Haben im Stadtsäckel; Die Welt vom 26.4.2005: Die Offenbarung – Salzgitter ist die erste Stadt, in der der Kämmerer offiziell die Pleite erklärt. Vgl. F. Pergande: Kameralistik ist kein Absolutismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.12.2007. Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Kommunalpolitik und NKF. Basisinformationen für Rats- und Kreistagsmitglieder zum nordrhein-westfälischen Neuen Kommunalen Finanzmanagement, Düsseldorf 2006.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
327
sichtlichkeit und Vergleichbarkeit wiederherzustellen ist ein weiterer Anreiz zur Einführung der Doppik für die öffentliche Hand (vgl. dazu unten Teil K.). Tabelle 15: Die Entwicklung der Ausgaben und Einnahmen von Städten und Gemeinden in der Schweiz Ausgaben Einnahmen Mrd. CHF 38,7 38,2 38,5 37,9 39,3 38,7 39,7 40,5 40,6 42,1 41,7 43,0 42,5 43,7 44,1 44,1 44,3 44,9
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 Veränderung 1996–2004 (in v. H.) 14,6 17,5 Quelle der Grunddaten: Eidgenössische Finanzverwaltung.
Überschuss/Defizit Ausgaben (v. H. des BIP) -0,5 10,3 -0,6 10,1 -0,6 10,1 0,8 10,0 1,5 9,8 1,3 9,9 1,2 9,9 0,0 10,2 0,6 9,9
4
Das Drei-Komponenten-System der kommunalen Doppik
(1)
Im Folgenden werden kurz die die wichtigsten Bestandteile des doppischen Systems skizziert. Die Innenministerkonferenz der Länder (IMK) beschloss – wie erwähnt – im Jahr 1999, den Bundesländern und ihren Kommunen freizustellen, ob sie die „Erweiterte Kameralistik“ oder ein rein doppisches System verwenden wollen („Optionenmodell“ der IMK). Konkretisiert wurde dieses Wahlrecht durch die Erarbeitung von (Rahmen)-Gemeindehaushaltsverordnungen, Produktrahmen und Kontenrahmen, die von der IMK 2003 publiziert wurden. Die meisten Bundesländer haben sich dazu entschlossen, ein rein doppisches System zu verwenden (vgl. hierzu oben Tab. 12). Grundsätzlich sieht das von der IMK vorgeschlagene kommunale Doppikwerk ein Drei-Komponenten-System vor. Die Kommunen sollen künftig mit der Finanzrechnung, der Gewinn- und Verlustrechnung sowie mit der Bilanz (Vermögensrechnung) drei Bestandteile innerhalb ihres Jahresabschlusses verwenden, die ineinander übergreifen. In der privaten Wirtschaft sind es mit der Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Bilanz zwei Bestandteile18. Das Element „Finanzrechnung“ dokumentiert, überwacht und steuert die Cash-Flows. Einzahlungen werden nach Mittelherkunft, Auszahlungen nach Mittelverwendung aufgeteilt. Die Finanzrechnung enthält somit alle kassenwirksamen Vorgänge. Die Bilanz sowie die Ergebnisrechnung, die die Gewinn- und Verlustrechnung darstellt, haben die gleiche Funktion wie im Jahresabschluss eines privaten Unternehmens: In der Bilanz werden Mittelverwendung (Aktiva: Vermögen) und Mittelherkunft (Passiva: Eigen- und Fremdkapital) gegenübergestellt. Beide Seiten der Bilanz sind per Definition stets ausgeglichen, da das kommunale Eigenkapital
18
Vgl. WIBERA Wirtschaftsberatung, Landkreistag Baden-Württemberg: Aufbau der Kostenrechnung einschließlich interner Leistungsverrechnungen in Kommunen, Düsseldorf 2001 u. a., S. 6 f.
328
(2)
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
rechnerisch aus der Differenz zwischen Vermögen und Fremdkapital berechnet wird. In der Ergebnisrechnung werden nicht nur die Ein- und Auszahlungen, sondern alle erfolgswirksamen Eigenkapitalveränderungen – z. B. auch Abschreibungen, denen keine Zahlungswirksamkeit gegenüberstehen – aufgezeigt. Die Veränderung des Eigenkapitals, die sich rein rechnerisch aus der Bilanz ergibt, muss somit in der Erfolgsrechnung zum gleichen Ergebnis führen. Die Differenz in der Ergebnisrechnung stellt das Jahresergebnis der Kommune dar. Anders als in der Privatwirtschaft müssen die Kommunen im Doppiksystem alle drei Rechnungskreise buchen, während in der Privatwirtschaft lediglich in GuV sowie Bilanz gebucht werden muss. Die Zusammenhänge zwischen den drei Bestandteilen der kommunalen Doppik sind in der Abb.43 dargestellt. Das „führende“ Element der Rechnungslegung ist die Vermögensrechnung (Bilanz) mit der vollständigen Erfassung und Bewertung des kommunalen Vermögens, der Schulden und Verbindlichkeiten als Fremdkapital sowie des Eigenkapitals. Die Finanzrechnung ist faktisch die alte kamerale Rechnung mit Einzahlungen und Auszahlungen. Sie stellt ein Unterkonto zur Bilanzposition „liquide Mittel“ dar und zeigt deren Änderung durch Einzahlungen und Auszahlungen auf. Die Ergebnisrechnung ist ein Unterkonto der Bilanzposition „Eigenkapital“ und zeigt dessen Veränderung innerhalb einer Periode durch Erträge und Aufwendungen auf. Als vierte Komponente kann eine Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) hinzukommen19. Die Kostenrechnung ist die Grundlage für die „Preisbildung“ von kommunalen Leistungen, für Wirtschaftlichkeitsvergleiche und für die interne Leistungsverrechnung. Sie ermöglicht auch Preisvergleiche mit privaten Anbietern. Die Ergebnisse der Rechnung für Kostenarten, Kostenstellen und Kostenträger fließen ein in die Bestimmung und Steuerung der Budgets.
Abbildung 43: Die drei Elemente der Doppik
19
Hierbei können drei Hauptfälle unterschieden werden: 1) die KLR ist in der Verwaltung schon implementiert und wird nur noch angepasst; 2) die KLR wird neu aufgesetzt, und 3) auf die Einführung einer KLR wird verzichtet. Die gesetzlichen Regelungen der einzelnen Bundesländer bezüglich der Einführung der KLR sind sehr heterogen und reichen von Soll- über Kann- bis hin zu Mussbestimmungen.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
329
(3)
Das Haushaltswesen ist für die Planungsebene das Äquivalent zur Ist-Rechnung des reformierten öffentlichen Rechnungswesens. Daher müssen die einzelnen Elemente des Haushaltswesens in der Konzeption und Struktur auch denen des Rechnungswesens entsprechen. Dies bedeutet, dass der Bilanz eine Planvermögensrechnung bzw. Planbilanz im Haushaltswesen, der Finanzrechnung ein Finanzhaushalt und der Ergebnisrechnung ein Ergebnishaushalt entsprechen muss. Zentrales Element und Steuerungsgröße im neuen Haushaltswesen ist die Ergebnisrechnung mit ihren Erträgen und Aufwendungen. Ein weiteres wesentliches Reformelement ist die Definition des Haushaltsausgleichs. Ein Haushalt ist in der Ergebnisrechnung grundsätzlich dann ausgeglichen, wenn aktuell die Aufwendungen nicht über den Erträgen in einer Periode liegen. Hinsichtlich der Einbeziehung von außerordentlichen Erträgen in den Haushaltsausgleich gibt es unterschiedliche Auffassungen. Wenn Aufwendungen und Erträge über mehrere Perioden nicht ausgeglichen sind, muss in jedem Fall ein entsprechendes Sanierungskonzept zwangsläufig wirksam werden (vgl. auch unten 5.).
5
Die Integrierte Verbundrechnung20
(1)
Die Integration der Planungsebene in Form des reformierten Haushaltswesens und der Ist-Dokumentation als reformiertes öffentliches Rechnungswesen wird als Integrierte Verbundrechnung bezeichnet und ist in der Abb. 44 schematisch wiedergegeben. Ebenso wie die Rechnungsebene mit ihren Teilmodulen auf dem Ressourcenverbrauchskonzept auf Basis der Doppik konzipiert ist, muss auch das reformierte Haushaltswesen, also das System der Haushaltsplanung, die Haushaltsebene, auf dem Ressourcenverbrauchskonzept und der Doppik basieren. Zentrale Bedeutung im neuen Haushalts- und Rechnungswesen hat – wie erwähnt – die Bilanz (Vermögensrechnung); beide Begriffe werden im Folgenden synomym verwandt. Sie dient der periodengenauen, stichtagsbezogenen Abbildung des vollständigen wertmäßigen Vermögens (Sachvermögen, Finanzvermögen, Beteiligungen, sonstige Ansprüche) und der vollständigen Schulden (Verpflichtungen, künftige Belastungspotenziale) sowie des Eigenkapitals einer Kommune. Die Bilanz als „Wertespeicher“ enthält die gesamten Vermögensbestände sowie das Eigenkapital und das Fremdkapital, das aus Geldschulden und „Nicht-Geldschulden“ besteht.
(2)
20
Vgl. Arbeitskreis „Integrierte Verbundrechnung“ beim Finanzministerium NRW: Eckpunkte für die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung im öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen auf Basis der Integrieten Verbundrechnung, in: Wirtschaftsprüfung, Jg. 2005, H. 16, S. 887–890.
330
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
Abbildung 44: Die Elemente der Integrierten Verbundrechnung
Der Aufbau der kommunalen Bilanz enthält auf der Aktivseite die Aufstellung des Vermögens, auf der Passivseite die Aufstellung des Kapitals in folgender Untergliederung (vgl. Abb. 45). Zum Vermögen zählt: das Anlagevermögen mit den Sachanlagen und den Finanzanlagen, das Umlaufvermögen mit den Vorräten, Forderungen und liquiden Mitteln und die Rechnungsabgrenzungsposten. Zum Kapital zählt: das Eigenkapital, die Sonderposten für Investitionszuweisungen und Beiträge, die Rückstellungen, die Verbindlichkeiten und die Rechnungsabgrenzungsposten. Der Saldo von Vermögen und Schulden ergibt die Nettoposition des Eigenkapitals. Die Höhe des Eigenkapitals wird in den Folgejahren über das Resultat der Ergebnisrechnung vermehrt oder vermindert.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
331
Abbildung 45: Die Grundstruktur der Vermögensrechnung in Kontoform Vermögensrechnung Aktiva D. Verwaltungsvermögen Immaterielles Vermögen Sachvermögen y Gewöhnliches Sachanlagevermögen y Sachanlagevermögen im Gemeingebrauch y Vorräte Finanzanlagen
B.
Realisierbares Vermögen Sachvermögen Finanzvermögen y Finanzanlagen y Transferforderungen y Forderungen aus Leistungen y Sonstige Forderungen y Liquide Mittel y Sonstige Finanzvermögen E. Abgrenzungsposten Aktive Rechnungsabgrenzung Abgrenzungsposten für geleistete Investitionszuschüsse Bilanzsumme Vorbelastungen künftiger Haushaltsjahre: Eventualverbindlichkeiten:
Passiva F. Nettoposition Basis-Reinvermögen Rücklagen y Rücklagen aus Überschüssen des o. Ergebnisses y Rücklagen aus Überschüssen des realisierten a. o. Ergebnisses y Sonstige Rücklagen Ergebnisvortrag in Folgejahr Sonderposten für Investitionszuweisungen und -beiträge A. Schulden Geldschulden Transferverbindlichkeiten Verbindlichkeiten aus Leistungen Sonstige Verbindlichkeiten Pensionsrückstellungen Sonstige Rückstellungen E.
Abgrenzungsposten Passive Rechnungsabgrenzung
Bilanzsumme In Anspruch genommene Verpflichtungsermächtigungen und ähnliche Verpflichtungen Verpflichtungen aus Bürgschaften u. ä.
Quelle: K. Lüder: Konzeptionelle Grundlagen des Neuen Kommunalen Rechnungswesens, Berlin 2001, S. 18.
(3)
Ein besonderes Problem sind die Eröffnungsbilanzen der Kommunen. Durch die dort vorgenommenen Wertansätze des vollständig erfassten Vermögens wird die Höhe des Eigenkapitals bzw. das Problem einer möglichen Überschuldung transparent. Insbesondere das Problem einer möglichen Überschuldung, ausgewiesen durch ein negatives Eigenkapital, lässt bisher zahlreiche Gebietskörperschaften zögern, eine entsprechende Eröffnungsbilanz aufzustellen. Losgelöst von solchen möglichen Konsequenzen muss die Vermögensbewertung objektiv und willkürfrei erfolgen. So sind auch nicht bewusst niedrige Wertansätze des Vermögens vorzunehmen, um möglichst niedrigere Abschreibungen herbeizuführen. Bei den kommunalen Bewertungsverfahren gibt es zwei mögliche Ansätze. Entweder wird ausgegangen von Wiederbeschaffungs-Zeitwerten oder aber von Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten. So gehen Bayern und Hessen grundsätzlich von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten aus, bei älteren Vermögensgegenständen werden Zeitwerte ermittelt. Nordrhein-Westfalen stellt hingegen auf vorsichtig geschätzte Zeitwerte ab. In der Ergebnisrechnung werden der Ressourcenverbrauch und das Ressourcenaufkommen in einer Periode erfasst. Hierzu gehören auch die Berücksichtigung von
332
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
Rückstellungen beispielsweise für Pensionsansprüche sowie der Ausweis von Abschreibungen als Wertminderung des Anlagevermögens. Der vollständige Ressourcenverbrauch soll dem Jahr zugerechnet werden, in dem er stattfand. Die Ergebnisrechnung macht deutlich, ob eine Kommune ihre Substanz erhalten kann oder ob sie zu Lasten späterer Generationen handelt. Hiermit wird das Ziel der Generationengerechtigkeit ablesbar und somit realisierbar. In Zukunft geht es neben der prinzipiellen Wahrung der Zahlungsfähigkeit (Einzahlungen sind größer oder gleich Auszahlungen) insbesondere um die Erhaltung des kommunalen Vermögens (Erträge sind größer oder gleich Aufwand). Bei der Gegenüberstellung von Ertrag (Ressourcenaufkommen) und Aufwand (Ressourcenverbrauch) zeigt sich in der Doppik, ob die Vermögenssubstanz angegriffen werden muss (Jahresfehlbetrag). In Anlehnung an die betriebswirtschaftliche Gewinn- und Verlustrechnung weist eine kommunale Ergebnisrechnung folgende Gliederung auf (vgl. auch Abb. 46).
(4)
Den Umsatzerlösen, den Bestandsveränderungen und dem sonstigen betrieblichen Ertrag stehen gegenüber der Materialaufwand, der Personalaufwand, die Abschreibungen und der sonstige betriebliche Aufwand. Der Saldo entspricht dem kommunalen Eigenergebnis, welches die Eigenwirtschaftlichkeit der Verwaltung vor Steuern und Transfers abbildet. Dieses Eigenergebnis wird ein regelmäßiges Defizit aufweisen. In der Zusammenschau von Eigenergebnis mit den Steuern und steuerähnlichen Erträgen, den Transferleistungen, Zuwendungen, Zuschüssen und besonderen Finanzerträgen ergibt sich im Saldo das Verwaltungsergebnis. Steuern und nicht zweckgebundene Transfers gelten als Erträge und dienen per Definition dem Zweck, die Aufwendungen aus Verwaltungsleistungen auszugleichen. Dem Verwaltungsergebnis hinzuzurechnen ist das neutrale Ergebnis, beide zusammen bilden das Jahresergebnis für das kommunale Haushalts- und Rechnungswesen. Dieses Jahresergebnis wird zur Grundlage für den Ergebnisplan bei der Haushaltsaufstellung. Das positive oder negative Ergebnis der Ergebnisrechnung geht im Jahresabschluss in die Bilanz ein.
Die kommunale Finanzrechnung als dritte Komponente der Doppik neben Bilanz (Stichtagsrechnung) und Ergebnisrechnung (Zeitraumrechnung) dient der Abbildung aller Ein- und Auszahlungen, dem Nachweis von Bestandsveränderungen bei den liquiden Mitteln und dem Aufzeigen von Ein- und Auszahlungen im Investitionsbereich und der Finanzierungstätigkeit (Aufnahme und Rückzahlung von Krediten). Nach den rechtlichen Vorgaben müssen in der Finanzrechnung die Zahlungsflüsse nach Arten nachgewiesen und nachvollziehbar werden. Die Finanzrechnung führt somit den Nachweis über die Entwicklung der liquiden Mittel der Kommune und darüber, welche Einzahlungen und Auszahlungen angefallen sind.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
333
Abbildung 46: Die Grundstruktur der Ergebnisrechnung Ergebnisrechnung + Steuern und andere Abgaben + Zuweisungen und Beiträge (u. a. aufgelöste Investitionszuweisungen und Beiträge) + Sonstige Transfererträge + Gebühren + Privatrechtliche Leistungsentgelte + Erträge aus Kostenerstattungen, Kostenumlagen + Finanzerträge + Aktivierte Eigenleistungen + Sonstige ordentliche Erträge = Ordentliche Erträge – Personalaufwendungen – Versorgungsaufwendungen – Sachaufwendungen – Planmäßige Abschreibungen – Zinsen und ähnliche Aufwendungen – Transferaufwendungen – Sonstige ordentliche Aufwendungen = Ordentliches Jahresergebnis (Verwaltungsergebnis) + realisierte a. o. Erträge + realisiertes a. o. Ergebnis – realisierte a. o. Aufwendungen + a. o. Ergebnis (neutrales Ergebnis) + Werterhöhungen von Gegenständen des + Bewertungsrealisierbarem Vermögens ergebnis – Wertminderungen von Gegenständen des realisierbaren Vermögens = Jahresergebnis * * Jahresergebnis + Ergebnisvortrag aus Vorjahr = Gesamtergebnis Quelle: K. Lüder: Konzeptionelle Grundlagen des Neuen Kommunalen Rechnungswesens, Berlin 2001, S. 11.
Durch den Ausweis von Zwischensummen
zur laufenden Verwaltungstätigkeit, zur Investitionstätigkeit und zur Finanzierungstätigkeit
wird eine dezidierte Abbildung der Zahlungsströme und der Finanzmittelsalden ermöglicht. Durch die Abbildung von reinen Zahlungsströmen unterliegen ihre Informationen keiner Beeinflussbarkeit durch die Bewertungen. Die Finanzrechnung kann darüber hinaus auch als ein weiteres Instrument der Haushaltsplanung, der Haushaltssteuerung und der Haushaltskontrolle verstanden werden. Besonders die zukunftsbezogenen (prospektiven) Aspekte finden Anwendung bei der Aufstellung von Finanzplänen. Die vergangenheitsbezogenen (retrospektiven) Aspekte der Finanzrechnung ermöglichen der Politik den Soll-Ist-Vergleich in der Finanzrechnung. Kommunale Finanzpläne erfüllen in erster Linie die Aufgabe, die kommenden Ein-
334
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
und Auszahlungen zu veranschlagen und Verpflichtungsermächtigungen für Investitionen und Investitionsfördermaßnahmen festzulegen. In der Finanzrechnung (vgl. Abb. 47) gibt der Cash Flow I Auskunft über die Eigenfinanzierungskraft einer Kommune aus ihrem laufenden Verwaltungshandeln. Aus ihm werden die laufenden Tilgungen aus Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten abgerechnet. Aus dem verbleibenden Cash Flow II, den Eigenmitteln, werden die geplanten Investitionen abgerechnet. Ist der neue Saldo, der Cash Flow III positiv, so stehen der Kommune freie Finanzmittel zur Verfügung, ist er negativ, so zeigt er den erforderlichen Umgang an Krediten oder Darlehen zur Finanzierung von Investitionen, also die Nettoneuverschuldung an. Die Ermittlung der Daten zur Finanzrechnung kann in originärer (Zahlungsstromrechnung) oder in derivativer Weise erfolgen. Bei der originären Datenermittlung werden die Ein- und Auszahlungsarten direkt aus den Buchungen auf den Finanzmittelkonten ermittelt. Für das öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen mit seiner laufend geführten Finanzrechnung ist sie zwingend erforderlich. Sie lässt sich ihrer besonderen Qualität nach unabhängig von den anderen Rechnungen des Jahresabschlusses führen und liefert eine genaue Bruttodarstellung der Zahlungen in der laufenden Geschäftstätigkeit. 6
Die Implikationen des neuen Ansatzes
(1)
Wie oben dargestellt, sieht die IMK ein Optionenmodell vor, d. h. die Bundesländer können entscheiden, ob sie ein reines Doppik-System oder ein erweitertes Kameralistik-System bevorzugen. Auch innerhalb der reinen Doppik-Modelle gibt es unterschiedliche Ansatzpunkte. Die Länder haben inzwischen auf Grundlage der beiden von der IMK favorisierten Grundansätze Leittexte veröffentlicht21. Dies ist zum einen die „Gemeindehaushaltsverordnung für ein doppisches Haushalts- und Rechnungswesen“, zum anderen die „Gemeindehaushaltsverordnung für die erweiterte Kameralistik“22. Einige Bundesländer haben auf Grundlage der Leittexte bereits Gesetze verabschiedet. Im Rahmen verschiedener Pilotprojekte wurden zudem im Wesentlichen drei unterschiedliche Modelle zur Verknüpfung von Haushalt und Steuerung entwickelt. Dabei handelt es sich um das „Neue Kommunale Rechnungswesen/Neues Kommunales Haushaltswesen (NKR/NKH)“, um das „Neue Kommunale Finanzmanagement (NKF)“ sowie um das „Neue Kommunale Rechnungs- und Steuerungssystem (NKRS)“. Das NKR/NKH wurde in Baden-Württemberg favorisiert, das NKF in Nordrhein-Westfalen. Die wesentlichen Unterschiede der drei Doppiksysteme sind in Abb. 48 dargestellt. Obwohl sich die Ansätze grundsätzlich am Handelsgesetzbuch orientieren, weichen diese aber nach Modelltyp in einigen Kriterien davon ab. Dies gilt insbesondere für das NKR/NKH, das sich hinsichtlich Ansatz, Bewertung
21
22
Vgl. D. Budäus: Rating von Bund, Ländern und Kommunen: Wie kreditwürdig ist der öffentliche Sektor?, a. a. O., S. 206 f. Vgl. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, Geschäftsstelle: Auszug aus der Sammlung der zur Veröffentlichung freigegebenen Beschlüsse der 173. Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 21.11. 2003 in Jena.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
335
und Ausweis von Vermögen primär an den Aufgaben und Zielen des öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens orientiert23. Der Optionenansatz der IMK führt in Deutschland dazu, dass sich zumindest kurz- bis mittelfristig kein einheitliches Modell durchsetzen wird. Eine fehlende Standardisierung der kommunalen Rechnungslegung dürfte erhebliche Probleme bringen. Wenn in den Ländern parallel unterschiedliche Kontenrahmen, Bewertungsansätze und Vermögens- bzw. Haushaltsstrukturierungen verwendet werden, sind die Abschlüsse nicht mehr aussagekräftig miteinander vergleichbar24. Abbildung 47: Die Grundstruktur der Finanzrechnung Finanzrechnung 1 + Empfangene Transferzahlungen (soweit nicht für Investitionen) 2 + Gebühren, Beiträge 3 + Privatrechtliche Leistungsentgelte 4 + Kostenerstattung, Kostenumlagen 5 + Zinsen und ähnliche Einzahlungen 6 + Sonstige Einzahlungen aus laufender Geschäftstätigkeit 7 = Einzahlung aus laufender Geschäftstätigkeit 8 – Personal 9 – Versorgung 10 – Sach- und Dienstleistungen 11 – Zinsen und ähnliche Auszahlungen 12 – Geleistete Transferzahlungen 13 – Sonstige Auszahlungen aus laufender Geschäftstätigkeit 14 = Cash Flow I (Zahlungsmittelüberschuss/-defizit aus laufender Geschäftstätigkeit) 15 + Empfangene Investitionszuweisungen und -beiträge 16 + Einzahlungen aus Desinvestitionen 17 – Investitionsauszahlungen 18 = Finanzmittelüberschuss/-fehlbedarf 19 + Aufnahme von Geldschulden 20 – Tilgung von Geldschulden 21 = Cash Flow II (Änderung des Bestandes an liquiden Mitteln) 22 + Einzahlungen aus Auflösung von Liquiditätsreserven 23 – Auszahlung aus Zuführung zu Liquiditätsreserven 24 = Cash Flow III (Änderung des Bestandes an Zahlungsmitteln) 25 + Anfangsbestand an Zahlungsmitteln 26 = Endbestand an Zahlungsmitteln Quelle: K. Lüder: Konzeptionelle Grundlagen des Neuen Kommunalen Rechnungswesens, a. a. O., S. 23.
23
24
Vgl. D. Budäus: Rating von Bund, Ländern und Kommunen: Wie kreditwürdig ist der öffentliche Sektor?, a. a. O., S. 209; K. Lüder: Konzeptionelle Grundlagen des neuen kommunalen Rechnungswesens, in: Innenministerium Baden-Württemberg (Hrsg.): Schriftenreihe des Innenministeriums Baden-Württemberg zum kommunalen Haushalts- und Rechnungswesen, Bd. 6, Stuttgart 1999. Vgl. R. Oster: Aktueller Stand der Gesetzgebung in den Ländern und ausgewählte Fragen des neuen Rechnungswesens, in: Loccumer Protokolle 11/05, Loccum 2005, S. 10–18.
336
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
Abbildung 48: Die Unterschiede zwischen NKR/NKH, NKF und NKRS Kriterien Vermögensrechnung Trennung des Vermögens in Verwaltungsvermögen und realisierbares Vermögen Bewertung des Vermögens: AK/HK und/oder Zeitwerte
NKR/NKH
NKF
NKRS
Ja
Nein
Nein
Verwaltungsvermögen: AK/HK Realisierbares Vermögen: Zeitwerte
Eröffnungsbilanz: Zeitwerte Folgebilanzen: AK/HK
AK/HK
Direkte Methode bei Finanzhaushalt und Finanzrechnung
Direkte Methode bei Finanzhaushalt und Finanzrechnung
Originäre Finanzrechnung
Originäre Finanzrechnung
Organischer Haushalt
Produktorientierter Haushalt
Finanzrechnung Direkte oder indirekte Methode Originäre oder derivate Finanzrechnung Haushaltsgliederung Organischer oder produktorientierter Haushalt
Indirekte Methode bei Finanzhaushalt, direkte Methode bei Finanzrechnung Derivative Finanzrechnung Wahlweise organischer oder produktorientierter Haushalt
Deckungsgrundsätze Ordentliches Ergebnis oder Jahresergebnis lt. Ergebnisrechnung/haushalt Quelle: D. Budäus: Rating von Bund, Ländern und Kommunen: Wie kreditwürdig ist der öffentliche Sektor?, a. a. O., S. 210.
(2)
25 26
Dies zeigt sich wiederum am bereits oben dargestellten Beispiel der Stadt Salzgitter: Die Stadt musste die niedersächsischen Vorschriften bei der Eigenkapitalberechnung heranziehen kam auf ein negatives Eigenkapital in Höhe von 4,4 Mio. EUR. Hätte sie nach den kommunalen Vorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen bilanziert, wäre der Jahresabschluss um 38 Mio. EUR günstiger ausgefallen: Statt der negativen 4,4 Mio. EUR Eigenkapital wäre ein Plus in der Eigenkapitalposition in Höhe von 34 Mio. EUR errechnet worden25. Daraus wird deutlich, dass der Abschluss einer Kommune in Nordrhein-Westfalen erheblich anders interpretiert werden muss als z. B. der einer Stadt oder Gemeinde in Baden-Württemberg oder Niedersachsen. Aus Sicht der Steuerbürger und der Gläubiger der öffentlichen Haushalte führt dies zu Informationsdefiziten. Abstimmungsprobleme statistischer Art auf nationaler und internationaler Ebene sind vorprogrammiert26. Es bleibt abzuwarten, ob die Jahresabschlüsse der Kommunen in Deutschland nur in bereinigter Form Eingang in die amtliche Statistik der Gebietskörperschaften auf nationaler sowie auf EU-Ebene finden können. Probleme könnte es insbesondere in der Darstellung der öffentlichen Verschuldung geben, z. B. in der Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26.04.2005: Soll und Haben im Stadtsäckel. Vgl. D. Budäus: Rating von Bund, Ländern und Kommunen: Wie kreditwürdig ist der öffentliche Sektor?, a. a. O., S. 211 ff.
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
(3)
337
Hinsicht, dass die relevanten Maastricht-Kriterien (Defizit- und Verschuldungskriterium) nur noch abgeleitet für Deutschland darstellbar sein werden. In diesem Fall würde die Aufbereitung der kommunalen Daten zusätzliche Bürokratiekosten nach sich ziehen. Damit verläuft die Entwicklung der Rechnungslegung in Deutschland konträr zur Rechnungslegung in der Privatwirtschaft, wo auf internationaler Ebene zunehmend einheitliche Regelungen entwickelt werden. Hier setzen sich mehr und mehr Standards durch und lösen sukzessive nationale Regelungen ab. In den föderalen Staaten USA und der Schweiz greifen die Bundesstaaten, Kantone und Kommunen ebenfalls auf bundes-weit einheitliche Standards zurück. In Deutschland hingegen ist in der Gestaltung kommunaler Rechnungslegungen ein Rückfall in die Kleinstaaterei zu beobachten, der in einer globalisierten Welt mit potenziellen internationalen Investoren nur schwer zu vermitteln ist. Den Kommunen wird hierdurch ein Weg erschwert, sich gegebenenfalls alternative Finanzierungswege auf inter-nationalem Terrain zu erschließen. Die Gesetzgeber in Deutschland sollten diesen Aspekt im Auge behalten und eine einheitliche Doppik-Systematik mit entsprechender technischer Ausgestaltung (z. B. hinsichtlich Kontenrahmen) entwickeln, die – wie bereits in den wichtigen föderal organisierten Staaten üblich – für alle Kommunen und Gemeinden gelten.
V.
Der Haushaltsplan der Doppik als Indikator für die Belastungsfähigkeit des Kommunalhaushalts
(1)
Mit der finanzwirtschaftlichen Umsetzung des NSM steht künftig ein Instrument zur Verfügung, das die Folgen einer übermäßigen Kreditaufnahme aufzeigt. Orientieren sich Städte und Gemeinden an der Doppik, so liefern diese mit der Bilanz die dafür notwendigen Informationen. Die kommunale Bilanz zeigt nicht nur eine stichtagsbezogene Darstellung der gesamten Verbindlichkeiten aus Krediten, sondern zusätzlich auch eine Aufstellung des bilanziellen Vermögens, das diesen Verbindlichkeiten gegenübersteht. Zudem beinhaltet die Bilanz neben den Krediten auch weitere künftige Verpflichtungen, die in die Beurteilung einfließen (z. B. als Rückstellungen). Die Gegenüberstellung aller Verpflichtungen und des gesamten Vermögens zeigt an, ob die Belastungen mit der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Gemeinde im Einklang stehen. Anders als bei einer an der jährlichen Neuverschuldung und an den Investitionen ansetzenden Regel wird der Wert des Vermögens jährlich ebenso fortgeschrieben wie die Summe der Schulden. Dadurch ist gewährleistet, dass unterschiedliche Kreditlaufzeiten und Nutzungsperioden der Vermögensgegenstände die Darstellung der finanz-wirtschaftlichen Situation der Kommunen nicht verzerren. Die haushaltswirtschaftlichen Voraussetzungen für die Kreditaufnahme ändern sich durch die Doppik nicht grundsätzlich, der Gedanke der dauerhaften Leistungsfähigkeit gilt auch weiterhin, es ändert sich aber die Definition der dauerhaften Leistungsfähigkeit27. In der Kameralistik stellte diese auf die Fähigkeit ab, durch Überschüsse
(2)
27
Vgl. G. Schwarting: Kommunales Kreditwesen, Berlin 2007, S. 47–134; H. Bolsenkötter: Öffentliche Verschuldung und neues (integriertes) öffentliches Rechnungswesen, in: A. Goldbach u. a. (Hrsg.): Entwicklungslinien und Problemschwerpunkte der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre, Frankfurt/Main 2005, S. 165–180; Ders.: Haushaltssicherungskonzepte nach neuem kommunalen Haushaltsrecht, in: M. Brüggemeier
338
(3)
28
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
im Verwaltungshaushat die notwendigen Tilgungen zu gewährleisten. Die Quellen für die Überschüsse waren dabei nicht entscheidend. Der Haushaltsausgleich in der Doppik basiert dagegen auf zwei Kriterien: Er ist aktuell dann gegeben, wenn die Erträge ausreichen, um alle Aufwendungen zu decken, der Ergebnishaushalt mithin einen positiven Saldo in der Planung bzw. in der Rechnung aufweist. Um den Haushaltsausgleich dauerhaft sicherzustellen ist jedoch eine zweite Bedingung zu erfüllen: Der Gemeindehaushalt muss ein positives Eigenkapital ausweisen. Mit anderen Worten: In der Bilanz muss die Summe der Aktiva die Summe der Verbindlichkeiten – im Wesentlichen die Rückstellungen und die kurz- bzw. langfristige Verschuldung – übersteigen. Bei einem negativen Eigenkapital, d. h. einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag, ist der Fall der Überschuldung gegeben. In diesem Fall hat die Gemeinde ein von der Aufsicht zu genehmigendes Haushaltssicherungskonzept aufzustellen. Mit der Bilanz steht insofern ein Instrument zur Verfügung, das die Folgen einer übermäßigen Kreditaufnahme aufzeigt. Damit kann die Verschuldung statt über eine Regel zur Begrenzung der Neuverschuldung über eine Regel zur Limitierung der Gesamtverschuldung gesteuert werden. Ein positives Eigenkapital bedeutet aber nicht in jedem Fall, dass die Verbindlichkeiten auch wirtschaftlich durch Eigenkapital gedeckt sind. Hinter dem ausgewiesenen Eigenkapital steht nur bedingt ein realisierbarer Marktwert, denn viele Vermögensobjekte einer Kommune lassen sich nicht veräußern, weil sie öffentlichen Zwecken gewidmet sind oder als Infrastrukturobjekte nur einen geringen Marktwert aufweisen. Die in der Doppik ausgewiesenen Vermögenswerte sind i. d. R. nur mit dem Sachwert erfasst, der keinen Verkehrswert darstellt. Gerade wegen dieser Bewertungsproblematik28 und den damit einhergehenden Fragen der „richtigen“ Abschreibungen auf die kommunalen Vermögenswerte ist es weder möglich noch sinnvoll, für alle Kommunen einen einheitlichen Eigenkapitalbetrag, eine einheitliche Eigenkapitalquote oder die Höhe des am Stichtag der Eröffnungsbilanzstichtag „zufällig“ vorhandenen Eigenkapitals festzuschreiben. Es kann Situationen geben, in denen eine Senkung des Eigenkapitals sinnvoll und vertretbar ist. Dies kann der Fall sein, wenn eine Kommune sich aus Aufgaben zurückzieht, wenn die Einwohnerzahl sinkt oder wenn aus ordnungspolitischen Erwägungen das im Auftrag des Bürgers verwaltete Kapital gezielt abgesenkt werden soll. Der Abbau des Eigenkapitals ist also zu regeln und dabei auch zu begrenzen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dazu – wie erwähnt – eine Ausgleichsrücklage eingeführt. In der Eröffnungsbilanz zur erstmaligen Erstellung eines doppischen Haushalts kann ein Teil des Eigenkapitals als Ausgleichsrücklage bestimmt werden. Diese dient dazu, auch bei unausgeglichenem Ergebnishaushalt noch die Möglichkeit zum Haushaltsausgleich auszuweisen. Diese Ausgleichsrücklage darf höchstens ein Drittel des in der Eröffnungsbilanz ausgewiesenen Eigenkapitals betragen. Allerdings darf die Summe ein Drittel der jährlichen Steuereinnahmen und der Einnahmen aus allgemeinen Zuweisungen im Durchschnitt der letzten zurückliegenden drei Jahre nicht übersteigen. Damit soll vermieden werden, dass hohes, aber nicht u. a. (Hrsg.): Controlling und Performance Management im öffentlichen Sektor, Festschrift für D. Budäus, Bern-Stuttgart-Wien 2007, S. 157–164. Vgl. J. Harms: Reformen der staatlichen Rechnungslegung in Deutschland – Entwicklungen und Anforderungen, in: Wirtschaftsprüfung – Sonderheft, April 2004, S. 18–22.
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(4)
(5)
29 30
31
339
realisierbares Anlagevermögen zu einer weitgehenden Lockerung des Ausgleichsgebotes führt. Der jeweils niedrigere Wert bestimmt das Volumen der Ausgleichsrücklage. Da die Ausgleichsrücklage für den Haushaltsausgleich in Anspruch genommen werden kann, ist im rechtlichen Sinne der Haushaltsausgleich gewährleistet. Umgekehrt kann die Ausgleichsrücklage aus Überschüssen dem Ergebnishaushalt wieder aufgefüllt werden. Mit der Ausgleichsrücklage hat Nordrhein-Westfalen den Haushaltsausgleich erleichtert. Erst wenn die Ausgleichsrücklage nicht mehr hoch genug ist, um einen negativen Saldo im Ergebnishaushalt zu kompensieren, ist der Haushaltsausgleich im rechtlichen Sinne verfehlt29. Die Ausgleichsrücklage stellt also einen bei der erstmaligen Bilanzierung gebildeten Puffer dar, mit dem die Kommunen zunächst wirtschaften können. Die Ausgleichsrücklage kann abgebaut werden, um das Eigenkapital gezielt zu senken. Sie kann auch eingesetzt werden, um temporäre Defizite der Ergebnisrechnung auszugleichen. Ebenso kann die Ausgleichsrücklage wieder durch Überschüsse aufgefüllt werden30. Welche Folgen sich aus der Verletzung einer der Bedingungen für den Haushaltsausgleich im Hinblick auf die Kreditaufnahme ergeben, kann angesichts noch fehlender Vorschriften nicht sicher gesagt werden. Der völlige Verzehr von Eigenkapital wird allerdings als besonders gravierend angesehen werden. Das Land Nordrhein-Westfalen verlangt für diesen Fall die Vorlage eines Haushaltssicherungskonzeptes (§ 76 Abs. 1 GONRW). Generell gilt: In der doppischen Rechnungslegung ergibt sich – wie dargestellt – das Reinvermögen oder das Eigenkapital aus der Differenz von Vermögen und Fremdkapital. Im Sinne einer generationsgerechten Haushaltswirtschaft ist das Eigenkapital zu sichern, und dieses wird damit langfristig zur zentralen Orientierung. Die nachhaltige Reduzierung des Eigenkapitals ist ein Indiz für eine Belastung nachkommender Generationen, da dies ceteris paribus mit zusätzlicher Verschuldung und damit steigendem Schuldendienst verbunden ist. Mit der Einführung der Doppik sind der Rat und die Verwaltung gezwungen, sich umfassender mit der finanziellen Lage der Kommune, wie sie sich auf der Passivseite der Bilanz widerspiegelt, auseinanderzusetzen. Dabei kann auch deutlich werden, dass die Kommune Verbindlichkeiten eingegangen ist, deren Auswirkungen auf die Ergebnis- und Finanzrechnung größer und weitreichender sind, als diejenigen aus der Kreditfinanzierung im engeren Sinne. Tebroke nennt das Beispiel einer typischen kreisangehörigen Kommune in Nordrhein-Westfalen31. Die Pro-Kopf-Verschuldung in dieser Gemeinde beläuft sich – abgestellt auf die Investitionskredite zum Stichtag 01.01.2007 – auf etwa 1.650 EUR. Dieser Wert liegt deutlich unter dem Landesdurchschnitt, nimmt zudem nach Plan in den nächsten Jahren ab. Dies könnte eine vorsichtige Entwarnung bedeuten, wenn die Analyse sich auf Investitionskredite beschränken würde. Bei Einbeziehung der Kassenkredite ergibt sich aber Vgl. G. Schwarting: Kommunales Kreditwesen, Berlin 2007, S. 47–134. Vgl. Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen: Neues Kommunales Finanzmanagement – Abschlussbericht des Modellprojekts "Doppischer Kommunalhaushalt in NRW" 1999 – 2003, Freiburg 2003. Vgl. H.-J. Tebroke: Zum Verschuldungsrisiko und Zinsmanagement im kommunalen Bereich, in: M. Brüggemeier, R. Schauer u. K. Schedler (Hrsg.): Controlling und Performance im öffentlichen Sektor, Festschrift für D. Budäus, Berlin 2007, S. 165–175, S. 167 f.
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(6)
32
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eine Pro-Kopf-Verschuldung von 2.200 EUR. Berücksichtigt man zudem weitere Verbindlichkeiten (z. B. aus Leasingverträgen, ausgewiesene ungewisse Verbindlichkeiten in Form von Rückstellungen, drohende Verluste in Form von Verpflichtungen aus Pensionszusagen, „Altlasten“ aus unterlassenen Instandhaltungsmaßnahmen sowie Defizite aus umlagefinanziertem Gebührenhaushalt, die oftmals erst mit Einführung der Doppik deutlich werden), so ergibt sich in dem Beispiel zum Stichtag allein aus dem Kernhaushalt – zum Konzern gehörende gemeindeeigene Unternehmen sowie Sondervermögen, Wasser und Abwasser werden nicht mit eingerechnet – eine bereinigte Pro-Kopf-Verschuldung in Höhe von 4.500 EUR. Diese liegt somit um mehr als das 1 1/2fache über der immer noch bevorzugt verwandten „traditionellen“ Pro-Kopf-Verschuldung. Dieser Befund verdeutlicht die Notwendigkeit für eine Transparenz durch den kommunalen Gesamtabschluss32. Mit der Umsetzung der Empfehlungen der Innenministerkonferenz zum neuen doppischen Haushalts- und Rechnungswesen wurden die doppisch buchenden Kommunen deshalb zu einer Konsolidierung von Kernhaushalt und ausgegliederten kommunalen Einrichtungen und Unternehmen verpflichtet. Das Ziel ist die Verbesserung des Gesamtüberblicks über Vermögens-, Finanz- und Ertragslage. Ziel ist nicht nur die Rückgewinnung des Gesamtüberblicks für die kommunalen Entscheidungsträger, sondern auch mit dem Gesamtabschluss die Grundlage für die Anwendung steuerungsorientierte Instrument zu schaffen. Dabei geht es auch um den Grundsatz der Einheit der Verwaltung, der durch eine jahrelange Ausgliederungswelle und die damit verbundene „Atomisierung“ der Verwaltung spürbar beeinträchtigt worden ist. Die kaufmännische Ausrichtung der Kernverwaltung bei Planung und Rechnung bietet nun die Möglichkeit, dieses Auseinandertriften durch einen Gesamtabschluss auf doppischer Grundlage wieder zusammenzuführen. Mit dem kommunalen Gesamtabschluss soll neben seiner grundlegenden Aufgabe der Rechenschaftslegung i. S. einer reinen Informationsfunktion ein konzernweites Informations- und Steuerungsinstrument geschaffen werden. Den politischen und administrativen Leitungsorganen auf Ebene der Konzernmutter, also auf der Ebene der kommunalen Gebietskörperschaft, muss stärker als bisher bewusst werden, dass sie nicht nur die Kernverwaltung, sondern auch die verselbständigten Einheiten in ihrem Konzern als eine integrierte Gesamtheit zu führen und diese nach einheitlichen Grundsätzen steuern müssen. Die Empfehlungen der Innenminister und die dazu erlassenen Regelungen der einzelnen Bundesländer verdeutlichen, dass sich der Gesamtabschluss nicht nur auf die Rechenschaftslegung über die Wirtschaftsführung im abgelaufenen Kalenderjahr beschränkt, sondern dieser auch Gegenwart und Zukunft des „Konzerns Gemeinde“ in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht adäquat darzustellen hat. Dazu soll insbesondere der Konsolidierungsbericht (Gesamtlagebericht) dienen. Dabei sind Informationen zur Erfüllung der kommunalen Aufgaben des öffentlichen Zwecks gefordert, was sinnvollerweise nur auf der Grundlage von strategischen und Vgl. J. Gornas, T. Grieger: Transparenz durch den kommunalen Gesamtabschluss, in: Innovative Verwaltung, IV-Special 2/2009, S. 12; M. Junkernheinrich, G. Micosatt: Kommunaler Finanz- und Schuldenreport Deutschland 2008 (Bertelsmann-Stiftung), Gütersloh 2008; Institut für den öffentlichen Sektor: Der kommunale Gesamtabschluss, in: Public Governance, Herbst 2009, S. 6–11.
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operativen Zielen mit zugeordneten Kennzahlen für das politische und administrative Handeln geschehen kann. Darüber hinaus enthält der Gesamtlagebericht mit dem Ausblick auf künftige Chancen und Risiken eine explizoit zukunftsorientierte Dimension. Der Gesamtabschluss richtet sich aber nicht nur an die politischen und administrativen Leitungsorgane, sondern dient sowohl der Information der Bürger/innen als auch Dritter. Mit dem Gesamtabschluss werden erstmals die wirtschaftliche Lage und das ökonomische sowie soziale Potenzial des kommunalen Konzerns in seiner Gesamtheit dargestellt. So bietet er Informationen über das gesamte Vermögen und die gesamte Verschuldung – nicht nur über diejenige der Kernverwaltung – sowie Informationen über alle getätigten Investitionen und über den erfolgsrechnerischen und finaziellen Status des Gemeinwesens als Ganzen. Auch die bislang nicht unmittelbar erkennbaren Entlastungen des kommunalen Haushalts durch Abführungen von Gewinnen zu Lasten der Eigenkapitalbildung kommunaler Unternehmen werden durch den Gesamtabschluss sichtbar.
VI.
Das Haushaltswesen der Doppik als Steuerungsinstrument
(1)
Zusammenfassend kann festgestellt werden33: Das neue öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen kann – anders als die Kameralistik – eine Steuerungs-, eine Informations- und eine Schutzfunktion wahrnehmen. Es erlaubt
(2)
die Entscheidungen über Leistungen und den dafür notwendigen Ressourcenverbrauch effektiv zu steuern, die Entscheidungsträger sowie die Bürger über die Situation und die künftige Entwicklung der einzelnen Gebietskörperschaft zu informieren, die jetzige Generation vor einer Überforderung durch die Zukünftige zu schützen.
Die Integrierte Verbundrechnung auf der Basis der Doppik fasst die Planung (Haushalt/Budgetierung) und die Ist-Rechnung (Rechnungswesen) zusammen. Sie stärkt und reformiert damit das Budgetrecht des Gemeinderates. Die Legislative erhält entscheidungsrelevante Informationen über – die Wirkungsziele, die für die Zielerreichung geplanten Maßnahmen/Produkte,
33
Vgl. aus der aktuellen jüngeren Diskussion: B. Raupach, K. Stangenberg: Doppik in der öffentlichen Verwaltung. Grundlagen, Verfahrensweisen, Einsatzgebiete, Wiesbaden 2006; R. Schauer: Rechnungswesen in öffentlichen Verwaltungen, Wien 2007; N. Vogelpoth, M. Poullie: Einführung der Doppik im Gemeindehaushaltsrecht der Bundesländer, in: Die Wirtschaftsprüfung, Jg. 2007, H. 12, S. 517–525; W. Thieme: Kaufmännische Buchführung in der öffentlichen Verwaltung?, in: Die öffentliche Verwaltung, Jg. 2008, H. 11, S. 433– 441; H. Wirtz: Grundsätze ordnungsgemäßer öffentlicher Buchführung, Berlin 2008; H. Bolsenkötter, M. Poullie, N. Vogelpoth: Der reformierte öffentliche Haushalt, Stuttgart 2009; KGSt, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Manifest zum öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen in Deutschland, Gütersloh 2009.
342
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
den für diese Maßnahmen geplanten tatsächlichen Ressourcenverbrauch, die den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Vermögens- und Schuldensituation der Gebietskörperschaft.
Abbildung 49: Die Integrierte Verbundrechnung und die Erfassung von Leistungszielen,
Output, Ressourcenverbrauch, Vermögen, Schulden und Finanzen
Quelle: KGSt, Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Manifest zum öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen in Deutschland, Gütersloh 2009.
(3)
Mit dem Ausweis der Vermögens- und Schuldensituation wird die Grundlage für eine Steuerung i. S. der Generationengerechtigkeit geschaffen. Generationengerechtigkeit ist dann gegeben, wenn diese auf der Grundlage des neuen Haushalts- und
Teil I Das kommunale Haushaltswesen
(4)
34
343
Rechnungswesens als Periodengerechtigkeit definiert und praktiziert wird. Diese ist gegeben, wenn der in jeder Periode angefallene Ressourcenverbrauch (Aufwendungen) durch die Erwirtschaftung eines entsprechenden Ressourcenaufkommens (Erträge) in derselben Periode gedeckt wird. Intergenerative Gerechtigkeit wird damit zu einer Frage des Haushaltsausgleichs (Ausgleich des Ergebnishaushalts).34 Das neue Haushalts- und Rechnungswesen ist die Grundlage für eine neue Verwaltungssteuerung, d. h. für das NSM, das – wie im nächsten Teil erläutert wird – die unterschiedlichen Funktionen von Politik und Verwaltung konzeptionell und instrumentell in einem Gesamtsystem integriert. Die Abb. 49 fasst die Inhalte der vorangegangenen Abb. 44 bis 47 in einer Gesamtsicht zusammen und verdeutlicht die Funktion der integrierten Verbundrechnung als Plattform für ein Planungs-, Steuerungs- und Rechnungssystem auf der Basis der Doppik.
Vgl. E. Schwarting: Haushaltsausgleich im Sinne der intergenerativen Gerechtigkeit, in: Innovative Verwaltung, IV-Special 2/2009, S. 5–6, S. 6.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
Teil J.
345
Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft1
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft2
I.
Die Motive für die Reform der Steuerung der kommunalen Finanzwirtschaft
(1)
Allen im Zusammenhang mit der Einführung der Doppik genannten Zielen ist gemeinsam, dass sie letztlich auf eine effektivere und effizientere Steuerung der Verwaltung abzielen. Die Erreichung der genannten Ziele ergibt sich jedoch nicht automatisch aus der Einführung der Integrierten Verbundrechnung auf Basis der Doppik. Diese liefert letztlich nur eine Datengrundlage, sie ersetzt und automatisiert aber keine Entscheidungen. Wenn Daten also nicht als Selbstzweck erhoben werden, sondern Grundlage von Entscheidungen sein sollen, dann ist es notwendig, Ziele zu formulieren und zu konkretisieren, um überhaupt Entscheidungsbedarf zu erkennen. Nach der Entscheidung sind die Zielerreichung zu messen und die Wirkung zu ana-
1
2
Vgl. K. Morath (Hrsg.): Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung. Reformkonzepte, Reformpraxis, Bad Homburg 1994; P. Eichhorn: Öffentliche Aufgaben und Verwaltungsorganisationen, in: Kommunalverwaltung, Jg. 1996, S. 1–12; A. Osner: Theorie der Unternehmung und Praxis des Neuen Steuerungsmodells – Brauchbare Konzepte und Implikationen für die Reform der Kommunalverwaltung, in: E. Lang u. a. (Hrsg.): Kommunen vor neuen Herausforderungen. Festschrift für W. Noll, Berlin 1997, S. 49–63; H.-U. Erichsen (Hrsg.):Verwaltung im Wandel, Köln u. a. 1999; Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV) (Hrsg.): Kommunales Management im Wandel, Stuttgart 1997; P. Eichhorn, M. Wiechers (Hrsg.): Strategisches Management für Kommunalverwaltungen, Baden-Baden 2001; K.-D. Grüske, M. Maier: Das neue Steuerungsmodell in der kommunalen Verwaltung: Grundlagen, Zwischenbilanz und kritische Analyse, in: N. Andel (Hrsg.): Probleme der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 171–183; L. Sander, Ch. Langer: New public management: Der Übergang zur outputorientierten Verwaltung, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 2004, H. 2, S. 88–94; B. Blanke, S. v. Bandemär, F. Nullmeier, G. Wewer (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, 3. Aufl., Wiesbaden 2005; S. Finger: Das neue öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen als Chance für Ansätze zur Ziel- und Wirkungsorientierung, in: M. Brüggemeier, R. Schauer, K. Schedler (Hrsg.): Controlling und Performance Management im Öffentlichen Sektor. Festschrift für D. Budäus, Bern u. a. 2007, S. 93–100. Vgl. K. Morath (Hrsg.): Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Verwaltung. Reformkonzepte, Reformpraxis, Bad Homburg 1994; P. Eichhorn: Öffentliche Aufgaben und Verwaltungsorganisationen, in: Kommunalverwaltung, Jg. 1996, S. 1–12; A. Osner: Theorie der Unternehmung und Praxis des Neuen Steuerungsmodells – Brauchbare Konzepte und Implikationen für die Reform der Kommunalverwaltung, in: E. Lang u. a. (Hrsg.): Kommunen vor neuen Herausforderungen. Festschrift für W. Noll, Berlin 1997, S. 49–63; H.-U. Erichsen (Hrsg.):Verwaltung im Wandel, Köln u. a. 1999; Deutscher Sparkassen- und Giroverband (DSGV) (Hrsg.): Kommunales Management im Wandel, Stuttgart 1997; P. Eichhorn, M. Wiechers (Hrsg.): Strategisches Management für Kommunalverwaltungen, Baden-Baden 2001; K.-D. Grüske, M. Maier: Das neue Steuerungsmodell in der kommunalen Verwaltung: Grundlagen, Zwischenbilanz und kritische Analyse, in: N. Andel (Hrsg.): Probleme der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 171–183; L. Sander, Ch. Langer: New public management: Der Übergang zur outputorientierten Verwaltung, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium, Jg. 2004, H. 2, S. 88–94; B. Blanke, S. v. Bandemär, F. Nullmeier, G. Wewer (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, 3. Aufl., Wiesbaden 2005; S. Finger: Das neue öffentliche Haushalts- und Rechnungswesen als Chance für Ansätze zur Ziel- und Wirkungsorientierung, in: M. Brüggemeier, R. Schauer, K. Schedler (Hrsg.): Controlling und Performance Management im Öffentlichen Sektor. Festschrift für D. Budäus, Bern u. a. 2007, S. 93–100.
346
(2)
(3)
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
lysieren, um zu erkennen, ob im Sinne der Zielerreichung die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. M. a. W.: Man benötigt Ansätze zur Ziel- und Wirkungsorientierung3. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der dauerhaft angespannten finanzwirtschaftlichen Situation der deutschen Kommunen sind seit Beginn der neunziger Jahre Überlegungen initiiert worden, die Effizienz des Verwaltungshandelns und der Mittelbewirtschaftung bzw. -verwendung in den Kommunen zu erhöhen. Im Kern geht es darum, die Wünsche der nachfragenden Bürger genauer zu erkennen und entsprechend zu befriedigen und die gewünschten Leistungen in besseren Aufwandsrelationen zu erbringen. In diesen neuen Steuerungsmodellen werden die Empfänger kommunaler Leistungen konsequent als „Kunden“ verstanden. Der Begriff „Kunde“ ist in der öffentlichen Verwaltung allerdings nicht unproblematisch. Die Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde sind keine souveränen Konsumenten, sondern Mitglieder einer örtlich politischen Gemeinschaft, und die Inanspruchnahme vieler kommunaler Leistungen ist an diese Zugehörigkeit gebunden. Hinzu kommt folgendes: Während sich die Beziehungen zwischen Kunden und Unternehmen des privaten Sektors auf eine freiwillige vertragliche Vereinbarung gründen, sind die Verwaltungsleistungen neben der Ortsgebundenheit auch durch hoheitliche Aspekte gekennzeichnet. Gleichwohl bleibt es bei der Feststellung, dass in der Kommunalwirtschaft wie im staatlichen Handeln generell Kosten- und Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte wichtiger werden und die Interessen der Bürger besser berücksichtigt werden müssen. Gefordert ist eine
(4)
3
flexible Leistungshaltung im Hinblick auf die Leistungsabnehmer, verstärkte Aufmerksamkeit für den politischen Willen der Vertretungskörperschaft, die Beobachtung konkurrierender Leistungsanbieter und gleichzeitig die Beachtung der Interessen der eigenen Mitarbeiter.
Im Folgenden werden zunächst die Ziele, die methodischen und systemischen Elemente dieses Ansatzes und deren Verknüpfung mit der Doppik beschrieben. In einem weiteren Abschnitt werden die Grenzen dieses Ansatzes, die in der bisherigen Umsetzung deutlich geworden sind, geschildert. Anschließend werden die Ursachen analysiert, die dazu geführt haben, dass die Akzeptanz dieses Vorgehens in der Politik, in der Verwaltung und auch bei den Bürgern bislang begrenzt ist. Schließlich wird aufgezeigt, wie diese Instrumente eine langfristig angelegte kommunale Finanzpolitik unterstützen und flankieren können.
Vgl. C. Reichard: Wirkungsorientiertes Verwaltungsmanagement, in: M. Brüggemeier u. a. (Hrsg.): Controlling und Performance Management im öffentlichen Sektor, Festschrift für D. Budäus, Bern-Stuttgart-Wien 2007, S. 3–12., S. 3–12.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
347
II.
Die wesentlichen Elemente für ein neues Steuerungsmodell
(1)
Diesen neuen Anforderungen kann die Kommunalverwaltung nicht gerecht werden, solange sie am Selbstverständnis und an den Konstruktionsprinzipien einer primär rechtsvollziehenden Verwaltung festhält. Die Kommunalverwaltung muss also ihr Selbstverständnis überprüfen. Der Ausgangspunkt für das neue Leitbild muss die Tatsache sein, dass die Verwaltung letztlich für die Bürger da ist. Vor diesem Hintergrund hat die „Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt)“ bereits Mitte der neunziger Jahre ein „Neues Steuerungsmodell“4 (NSM) entworfen. Das Reformkonzept besteht im Wesentlichen aus folgenden Bausteinen:
(2)
(3)
Ressourcenverbrauchskonzept statt Geldverbrauchsorientierung, insofern ist die Doppik notwendige Voraussetzung und integraler Bestandteil für eine neue Steuerung des kommunalen Handelns, Output- (Produkt) Steuerung statt Input-Steuerung, Einführung betriebswirtschaftlicher Analyse- und Steuerungsinstrumente, dezentrale Zusammenführung von Fach- und Ressourcenverantwortung, Kunden- bzw. Bürgerorientierung, Mitarbeiterorientierung.
Eine wesentliche Voraussetzung für das NSM ist die Schaffung einer unternehmensähnlichen dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur, die durch die Elemente
Kontraktmanagement, Veränderung der zentralen Steuerung und Output-Orientierung
gekennzeichnet ist (vgl. Abb. 50). In der Umsetzung dieses Konzepts wird den Fachbereichen zusätzlich zu der ihnen schon immer obliegenden Fachverantwortung weitestgehend auch die Ressourcenverantwortung übertragen. Die Verwaltungsführung (Rat, Kreistag und Bürgermeister/Landrat) trifft mit den Fachbereichen Vereinbarungen über die erwarteten Produkte sowie über die Ressourcen (Budget), die diesen zur Erbringung dieser Leistungen zur Verfügung gestellt werden (Kontraktmanagement)5 (vgl. Abb. 51). Aus ihrem Budget müssen die Fachbereiche alles erbringen, was zur Erstellung der definierten Leistung notwendig ist. Der Mehrbedarf innerhalb eines Fachbereiches wird durch fachbereichsinternen Ressourcenausgleich kompensiert. Die heute bestehenden Hindernisse bei der Mittelbewirtschaftung (z. B. die Beschränkungen bei der Deckungsfähigkeit und der zeitlichen Übertragbarkeit von Haushaltsmitteln) müssen zu diesem Zweck weitestgehend beseitigt werden. Die Führung definiert auch die 4
5
Vgl. G. Banner: Die kommunale Modernisierungsbewegung, in: DSGV (Hrsg.), a. a. O., S. 12–21; J. Dieckmann: Zur Modernisierung der Kommunalverwaltung, in: Finanzwirtschaft, Jg. 1995, H. 8, S. 181–189. Vgl. C. Winter: Das Kontraktmanagement, Baden-Baden 1998.
348
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
Managementspielräume, d. h. sie legt fest, was der jeweilige Fachbereich entscheiden soll und was nach wie vor zentral entschieden wird. Abbildung 50: Das Steuerungssystem im Neuen Steuerungsmodell
(4)
Durch die Definition der erwarteten Leistungen (das „Was“) und mittels der Festlegung der Budgets- und die Handlungsspielräume können die Fachbereiche das „Wie“ entscheiden und sind damit für ihr Arbeitsergebnis verantwortlich. Auf diese Weise wird auf Fachbereichsebene ganzheitliche Management- und Ergebnisverantwortung installiert. Damit kann ein wesentlicher Defekt der gegenwärtigen Praxis überwunden werden: Unzureichend definierte Leistungen, keine persönliche Ergebnisverantwortung, prinzipielle Vermehrbarkeit der Ressourcen ohne strikte Bedarfsnachweise. Im Ergebnis wird die Verwaltung dann nicht mehr durch Einzeleingriffe
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
349
des Rates/Kreistages, der Verwaltungsführung und der Querschnittsämter gesteuert, sondern durch die Absprache von Leistungsergebnissen (Produkten) und durch die Leistungskontrolle mittels eines Berichtswesens6. Abbildung 51: Die dezentrale Führungs- und Organisationsstruktur
(5)
6
7
Zielvereinbarungen benötigen als Grundlage eine Beschreibung kommunaler Leistungen, im NSM als Produkte bezeichnet. Die Produktbeschreibung dient zunächst einer Bestandsaufnahme der von der Kommune erbrachten Leistungen. Solche Übersichten fehlten in der Vergangenheit i. d. R.. Vielmehr wurden die Leistungen der Verwaltung in Arbeitsplatzbeschreibungen niedergelegt. Sie orientierten sich am Produktionsprozess, die Produktbeschreibung dagegen bezieht sich auf das Produktionsergebnis, d. h. auf die von der Kommune erbrachte Leistung. Damit wird für jedes Produkt unter Berücksichtigung der dafür erforderlichen und zur Verfügung gestellten Mittel definiert, in welchem Umfang, für welchen Empfängerkreis und in welcher Qualität es bereitgestellt werden soll und welche Kosten es verursacht7. Bislang wurde der Aufgabenbegriff durch den Begriff „Verwaltungszwecke“ in einer Art Zirkelschluss definiert. Damit wurde ein Schutzschild geschaffen, hinter dem sich bürokratisches Beharrungsvermögen und parasitäre Kosten verstecken konnten. Das „Dienstleistungsunternehmen Kommune“ zielt dagegen auf einen anderen Grundbaustein. Im Mittelpunkt stehen die Produkte, die konsequent abnehmerorientierte Leistungen sind, welche die Kommune nach den politisch-inhaltlichen Vorgaben der Volksvertretung im Rahmen der Gesetze so wirtschaftlich wie möglich er-
Vgl. W. Maas (Hrsg.): Wirtschaft und Verwaltung. Was können sie voneinander lernen?, Soest 1995; G. Schwarting: Effizienz in der Kommunalverwaltung, Bd. 1 – Dezentrale Verantwortung und Finanzsteuerung durch Budgetierung, Berlin 1997. Vgl. W. Pippke (Hrsg.): Qualitätsmanagement in der Kommunalverwaltung, Soest 1996; A. Funke: Zielkostenmanagement in öffentlichen Betrieben und Verwaltungen, Frankfurt/M. u. a. 1998, S. 87 ff.
350
(6)
(7)
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
bringt. Das „Dienstleistungsunternehmen Kommune“ erzeugt – so ist das Leitbild –, was vom Bürger nachgefragt wird. Um die kommunalen Leistungen (Produkte) und die zu ihrer Erstellung erforderlichen Ressourcen tragfähig definieren zu können, muss sich die Führung auf eine zentrale Stabstelle stützen können. Diese ist unmittelbar der Verwaltungsführung unterstellt (vgl. Abb. 51). Ihre Aufgabe ist es, mit den Fachbereichen darüber zu verhandeln, welche Leistungen in Bezug auf Menge, Qualität und Zielgruppe von ihnen erwartet werden, was diese Leistungen kosten dürfen, welche Prioritäten gesehen werden usw. Die Verhandlungen zwischen dem zentralen Steuerungsbereich und den Fachbereichen müssen durch die Führung bestätigt werden. Diese Koordinationsstelle ist auch aus einem anderen Grund notwendig: Mit dem neuen Steuerungsmodell geht eine wesentliche größere Autonomie der einzelnen Fachebene einher. Dies birgt die Gefahr unkoordinierten Verwaltungshandelns. Die Entwicklung der Kommune kann jedoch nicht von nebeneinander agierenden Verwaltungseinheiten bestimmt werden, sie muss konsistenten Vorgaben folgen. Zur Delegation von Verantwortung gehört mithin untrennbar die zentrale Steuerung, die zugleich dazu dient, die Rechte und Pflichten von Rat und Verwaltungsführung zu wahren. Die zentrale Steuerung muss daher vor allem gewährleisten, dass
(8)
Im Zeitalter des Internet ergeben sich zusätzliche Möglichkeiten, um dem Bürger eine höhere Servicequalität bei der Erbringung kommunaler Verwaltungsleistungen zu vermitteln. Es sei dahingestellt, wann tatsächlich die Voraussetzungen für „egovernment“ gegeben sein werden8. Gleichwohl sind die Stufen der InternetNutzung dorthin bereits heute erkennbar. Sie führen
8
die Aufgaben der Gemeinde ordnungsgemäß und angemessen wahrgenommen werden, die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommune gewährleistet ist, der politischen Entscheidung der Vertretungskörperschaft Rechnung getragen wird, die Einheit des Verwaltungshandels gewahrt bleibt.
von der Information über die Koordination zur Transaktion.
Vgl. H. Hill: Transformation der Verwaltung durch E-Government, in: Deutsche Zeitschrift für Kommunalwirtschaften, Jg. 2004, S. 17–47; C. Reichard, M. Scheske, T. Schuppan (Hrsg.): Das Reformkonzept EGovernment. Potentiale – Ansätze – Erfahrungen, Münster 2004; K. Lenk, M. Brüggemeier, C. Reichard: Organisatorische Gestaltungspotentiale durch E-Government – auf dem Weg zur vernetzten Verwaltung, Berlin 2006; Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (Hrsg.): Kommunales E-Government – Eine empirische Bestandsaufnahme, Köln 2006; A. Tabatt-Hirschfeldt: Die Organisationsstruktur der Kommunalverwaltung, veränderte Herausforderungen und neue Möglichkeiten, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2007, H. 4, S. 449–457.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
351
Damit ist Folgendes gemeint: Zunächst können für den Bürger und für das Verwaltungshandeln gegenüber dem Bürger wichtige Informationen über dieses Medium zusammengestellt werden. Dann können diese koordiniert werden, so dass die Verwaltung dem Bürger nicht mehr in einer Vielzahl von Kontaktnotwendigkeiten (Stellen, Ämter usw.), sondern als „one-stop-shopping“ gegenübertritt. Schließlich kann die „Transaktion“ (der „Verwaltungsakt“) über dieses Medium abgewickelt werden. Dazu müssen allerdings eine Reihe von Fragen noch geklärt werden, wie z. B. der Rechtscharakter einer „elektronischen Signatur“, die Zulässigkeit der elektronischen Archivierung für bestimmte Dokumente, Probleme des Datenschutzes und die Ausgestaltung der Bezahlsysteme. Die Vorteile dieses Ansatzes sind offenkundig:
Bürgernähe und -freundlichkeit, transparente Verwaltungsprozesse, ständige Verfügbarkeit, Standortvorteile durch schnelle Erledigung von Verwaltungsangelegenheiten, Kostenreduktion: mit durchgehenden Prozessen, ohne Medienbrüche arbeitet die Verwaltung effizienter, Außenwirkung: Die Verwaltung wird vom Bürger als modern, innovativ und servicefreundlich empfunden. („Nicht die Bürger, sondern die Daten sollen laufen“).
III. Die Anpassung des Haushaltswesens an das neue Steuerungsmodell 1
Die grundsätzlichen Fragen
(1)
Wenn das Konzept einer outputorientierten dezentralen Ressourcenverantwortung als der am meisten Erfolg versprechende Ansatz angesehen wird, ist die Grundlage der Bewilligung von Mitteln danach nicht mehr die detaillierte Beantragung und Veranschlagung nach Haushaltsstellen, sondern die Beauftragung mit bestimmten Outputs durch Kontrakte zwischen der Politik und der Verwaltung bzw. den Verwaltungseinheiten. Die sachliche Spezialität bezieht sich nicht länger auf die Ausgabenzwecke, sondern auf eben den Output einer Verwaltung. Hierdurch ändert sich auch die rechtliche Qualität der Bindung, da Mittelbereitstellung und Leistungserstellung miteinander verknüpft werden. Programmhaushalte, die neben Finanzgrößen auch Leistungsziele und -wirkungen abbilden, werden die Haushaltswirtschaft qualitativ erheblich aufwerten; sie kann sich von der Mittelverwaltung zur Leistungsplanung entwickeln9. Der vielfältigen und vielschichtigen Planungswirklichkeit einer Kommunalverwaltung kann nur ein sehr offenes und flexibles System der Planung und Budge-
9
Vgl. H. Brede: Der Erfolgsbegriff im Neuen öffentlichen Rechnungswesen, in: T. R. Fischer, R. Hömberg (Hrsg.): Jahresabschluss und Jahresabschlussprüfung. Festschrift für J. Bäthge, Düsseldorf 1997, S. 311–318.
352
(2)
2 (1)
(2)
10
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
tierung gerecht werden10. Planungsgegenstand eines solchen Systems ist das Produkt, wobei für die Erstellung eines Produktes mehrere (Teil-)Leistungen erforderlich sein können. Durch Zusammenfassung von Produkten zu Produktgruppen und Produktbereichen ergibt sich eine hierarchische Schichtung des Outputs. Die Planung in einer Gebietskörperschaft sollte dem Primat der Politik unterliegen. Das Rechnungswesen muss diese Funktion über alle Ebenen hinweg unterstützen. Der Politik muss es möglich sein, auf allen Ebenen (Verwaltungsführung, Fachverwaltung) ihre Ziele planerisch umzusetzen. Dazu muss die Planung auch instrumental in einer Spannbreite von grober Planung bis hin zu detailgenauer Planung möglich sein. Umgekehrt ergibt sich aus der Aggregation aller Budgetpläne der GesamtBudgetplan der Gebietskörperschaft. Entscheidend hierbei ist die strukturell einheitliche Ausgestaltung der Planungsrechnung. Damit wird es aus Sicht des Rechnungswesens unbedeutend, auf welcher Ebene jeweils geplant wird und welcher der beteiligten Akteure die outputrelevanten Informationen und Daten in das Planungs- und Rechnungssystem bringt. Der „neue“ Planungsprozess Der Planungsprozess einer Gebietskörperschaft kann – anders als der eines erwerbswirtschaftlichen Unternehmens – nicht über Ertragsziele gesteuert werden. Die Kommune ist dem Sachziel der Wohlfahrtsmaximierung im Sinne der BürgerInteressen mit qualitativen und quantitativen Komponenten verpflichtet. Der Budgetierungsprozess wird als umfassende Abstimmung von Finanz- und Leistungszielen definiert, und zwar in einer produkt- und zeitraumbezogenen Planungsrechnung. Leistungsmengen werden mit kostenrechnerisch ermittelten Selbstkosten bewertet, denen ihrerseits die erwarteten – internen oder externen – Erträge zugeordnet werden. Der Saldo zeigt an, ob es sich um ein Überschuss- oder ein Zuschussbudget handelt. Die Budgetierung bündelt Aufgaben, Kompetenz und Ressourcenverantwortung und verbindet für einzelne Verwaltungs- und Leistungseinheiten die finanz- und die güterwirtschaftliche Sphäre. Die Budgetierung dient der Planung von Aufwand und Ertrag (Auszahlungen/Einzahlungen). Sie soll mehr sein als eine Sparstrategie, welche die Entscheidung und Verantwortung über Einsparpotentiale von der politischen in die administrative Sphäre verlagert. Budgetierung soll auch kein Synonym sein für eine Plafondierung, d. h. für die Deckelung der Ausgaben, wie dies zunehmend in irrigem Verständnis, dass das Diktat der Mittelbegrenzung zu mehr Wirtschaftlichkeit führt, geschieht. Im Rahmen der Budgetierung werden die Aufgaben- und die Ressourcenverantwortung zusammengeführt und zugleich soweit wie möglich delegiert. Unerlässlich bleibt indes ein einheitliches und aufeinander abgestimmtes Verhalten aller Akteure in der Stadtverwaltung. Deshalb ist es notwendig, für alle Rahmenbedingungen zu setzen, innerhalb derer sie dann eigenverantwortlich agieren können. Diesen RahVgl. K. Lüder: Konzeptionelle Grundlagen des Neuen kommunalen Haushaltswesens, Stuttgart 1998; H. G. Schmitz: Ein neues Rechnungskonzept für die deutschen Kommunen, in: N. Andel (Hrsg.): Probleme der Kommunalfinanzen, a. a. O., S. 125–138.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
353
men bilden die Ziele, die in besonderem Maße der politischen Verantwortung unterliegen (vgl. Abb. 52). Abbildung 52: Die Budgetierung im Neuen Steuerungsmodell11
(3)
Die Produktdefinition bedeutet dabei zugleich die Fixierung von Zielen, i. d. R. für das kommende Haushaltsjahr, und zwar
11
welche Leistungen in welchem Umfang in welcher Qualität
Vgl. G. Schwarting: Mit Budgetierung Verantwortung stärken, in: Finanzwirtschaft, Jg. 1999, H. 3, S. 31–40.
354
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
zu welchen Kosten für wen
zur Verfügung gestellt werden. Budgetierung bedeutet aber auch Delegation. Hier ist zu unterscheiden zwischen vertikaler und horizontaler Delegation. Die vertikale Delegation betrifft im Kern das Verhältnis zwischen Rat und Verwaltung. In horizontaler Richtung sind damit insbesondere folgende Fragen aufgeworfen und zu beantworten: (4)
(5)
12
Ist eine Delegation bei Querschnittsaufgaben (z. B. Kämmerei) möglich und zweckmäßig? Welche Rahmen-Setzungen sind notwendig, um auch bei (horizontaler) Delegation die Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns zu wahren?
Es ist ein Wesensmerkmal dieses Vorgehens, dass das politische Zielprogramm nach seiner Festlegung sachlich konkretisiert und in ein Produkt-/ Leistungsportfolio in unterschiedlicher Ausprägung transformiert wird12. Dieser Transformationsprozess endet mit der inhaltlichen Definition des Ziels mit formalen und sachlichen Merkmalen (z. B. Kundenzufriedenheit und Versorgungsquote). Im Rahmen von Kontrakten zwischen vor- und nachgelagerten Ebenen wird die zur Zielerreichung notwendige finanzielle Ausstattung formuliert. Auf diesem Wege entsteht ein Programmhaushalt mit detaillierter Leistungsplanung. Die Struktur geht exemplarisch aus dem – jeweils über Hierarchieebenen zu aggregierenden – Planungsblatt (vgl. Abb. 53) hervor (darin ist neben der Planung für das laufende Planjahr auch der Aspekt der Mittelfrist-Planung – als Finanzplanung bezeichnet – berücksichtigt). Die finanzielle Dimension der Leistungserstellung kann sich auf unterschiedliche Weise konkretisieren. Der Kontrakt kann ausschließlich das Nettobudget festlegen; er kann aber auch – in Abhängigkeit von der politischen Dimension und Tragweite eines Produktes – bis hin zu einzelnen Aufwands- und Ertragspositionen detailliert werden. In diesen Fällen übt die Politik ihr Primat der Entscheidungskompetenz bis auf die untere Ebene der Outputsteuerung aus. Hier hat sie dann die Verantwortung über das qualitative und quantitative Produktergebnis. Vielfach kann es aber ausreichend sein, dass für ein Aufgabengebiet (eine Produktgruppe) das Budget insgesamt zur Verfügung gestellt wird und die Fachverwaltung ihrerseits Detailpläne entwickelt und vorlegt, die erkennen lassen, wie und mit welchen Ressourcen das verabredete Outputergebnis erreicht werden soll. Dies entspräche z. B. dem in Hessen entwickelten politischen Steuerungsmodell, in dem aus der Leistungsplanung nachgelagerte Teilpläne wie auch die Investitions- und Personalplanung entwickelt werden müssen, während dies im vorhandenen kameralen System eher umgekehrt geschieht.
Vgl. W. Berens: Outcome-orientiertes Management in der öffentlichen Verwaltung: Evolutionspfade zu einem wirkungsorientierten Controlling, in: Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Jg. 2004, H. 4, S. 223–241.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
355
Abbildung 53: Das Beispiel für eine Output-Planung
Quelle: Innenministerium NRW.
(6)
13
Mit diesen Ansätzen wird der Haushalt zum zentralen Instrument des NSM. Der Produktkatalog und die Kosten- und Leistungsrechnung müssen mit dem Haushalt eng verknüpft werden. Die Kernfrage der Steuerung ist: Wie müssen die kommunalen Organisationseinheiten so gesteuert werden, dass sie die richtigen Produkte wirtschaftlich erzeugen? Die Antwort lautet: durch Leistungs- und Finanzvorgaben, d. h. durch Budgetierung13.
Vgl. H. Bals: Die Neugestaltung der kommunalen Haushaltspläne. Vom kameralen Finanzplan zum budgetierten Produkthaushalt, in: Zukunft für Kommunalfinanzen, Jg. 1999, H. 11, S. 242–251.
356
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3
Der Vollzug des „neuen“ Haushalts
(1)
Die Implementierung eines outputorientierten Haushalts mit Produktbudgets verändert auch die Ausführung der Pläne. Insbesondere nehmen Ressourcenkompetenz und -verantwortung der betroffenen Organisationseinheiten zu. Die Veranschlagung der „eigenen“ Aufwendungen und Erträge erhöht den Anreiz zu wirtschaftlich effizientem Handeln, wenn das Ergebnis zumindest teilweise der Organisationseinheit zugute kommt. Dies führt auch zu neuen Wechselbeziehungen zwischen Mittelbewilligung und Verwaltungsleistung. Die Bereitschaft der Politik, Mittel bereitzustellen, korrespondiert unmittelbar mit der tatsächlichen Leistungserstellung der Gebietskörperschaft. Das Planungs- und Ausführungsrisiko wird zu großen Teilen von der Politik auf die Verwaltung verlagert, die verstärkt ihre Leistungsbereitschaft und -fähigkeit unter Beweis stellen muss. Die Planungsansätze der Vorjahre verlieren ihre bisherige dominierende Stellung, da die verfügbaren Mittel nur vom Outputvolumen abhängen. Die Ermächtigungsfunktion eines Haushaltsplans verschiebt sich in die Richtung einer Planungsfunktion im betriebswirtschaftlichen Sinn. Dadurch wird sich auch das sog. November- und Dezemberfieber abschwächen, da Mittel dann bereitstehen, wenn die vereinbarte Leistung erbracht wird. Gleichzeitig lässt sich die zu Recht kritisierte Aushöhlung des politischen Budgetrechts durch Übertragbarkeiten und Deckungsfähigkeiten vermeiden, da das Budget stringent an die Leistungserstellung gebunden ist. Der Budgetverantwortliche hat bei einer Abweichung der Aufwands- oder Ertragslage die Chance (Pflicht), mit geeigneten Maßnahmen das Budget als verbindliche Obergrenze der kommunalen Leistungsfähigkeit einzuhalten. Erst wenn dies auf Produktebene nicht mehr möglich ist, beginnt der Planungsprozess der politischen Ebene, d. h. die Setzung sachlicher und zeitlicher Prioritäten. Trotz der Vielzahl kommunaler Budget(teil)pläne kann es möglich sein, dass auf oberster Ebene der Gebietskörperschaft keine Erfolgsgefährdung vorhanden ist, da durch Überschüsse in anderen Budgetplänen das Gesamtbudget eingehalten wird.
(2)
(3)
4
Die Kontrolle des „neuen“ Haushalts14
(1)
Die veränderte Steuerungs- und Planungsmethodik wirkt sich auch auf die Kontrollphase aus. Die erfolgreiche und dauerhafte Realisierung eines Integrierten öffentlichen Rechnungswesens setzt eine unterjährige, vollzugsbegleitende Kontrolle voraus. Nur wenn Planabweichungen rechtzeitig erkannt werden, kann die Gebietskörperschaft auf Basis der Kontrollergebnisse bei Bedarf steuernd eingreifen. Dabei soll das Controlling rechtzeitig über Zielabweichungen informieren; es ist nicht gleichzusetzen mit der hier angesprochenen „Kontrolle“. Im Unterschied zur Kontrolle umfasst Controlling die Informationsversorgung und zukunftsorientierte In-
14
Vgl. H. Mühlenkamp, A. Glöckner: Die kommunale Finanzkontrolle – Eine Darstellung und Analyse des Systems zur finanziellen Kontrolle von Kommunen, in: Zeitschrift für Planung und Unternehmenssteuerung, Jg. 2009, H. 4, S. 397–420.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
(2)
357
formationsverarbeitung zur Unterstützung der Leitung bei der Entscheidungsfindung (vgl. dazu unten V.). Eine erkannte Leistungsabweichung hat i. d. R. eine gleichgerichtete Budgetvariation zur Folge. Insofern muss sich Kontrolle in diesem Kontext auch auf die Verwaltungsleistungen und darf sich nicht ausschließlich auf die Verwaltungsfinanzen richten. Die Kontrolle muss den Prozess der Haushaltswirtschaft über alle Phasen hinweg begleiten, um alle Beteiligten mit einem bedarfsorientierten Berichtswesen zu unterstützen. Dieses Berichtswesen hat zudem Beratungsfunktion bei der Planung und Umsetzung der Outputprogramme, denn die Verbindung zwischen den Controllingfunktionen Steuerung und Kontrolle bildet die Information, genauer: deren Gewinnung, Analyse und Verteilung.
IV. Die Planungsrechnungen im Integrierten Neuen Rechnungswesen 1
Die grundsätzlichen Fragen
(1)
Nach diesem Überblick sollen die Planungsrechnungen des Integrierten Neuen Rechnungswesens detailliert dargestellt werden. An anderer Stelle (vgl. Teil I.) wurden die drei Elemente der Integrierten Verbundrechnung erläutert; die Vermögensrechnung, die Finanzrechnung und die Ergebnisrechnung. Die Darstellung der drei Teilrechnungen des Neuen Integrierten Rechnungswesens hat verdeutlicht, dass die Periodisierung in Aufwand und Ertrag erhebliches Gewicht erlangt. Dies entspricht dem Ressourcenverbrauchskonzept, das über die traditionelle Geldverbrauchsrechnung hinausgeht. In der Systematik des neuen Systems bildet die Vermögensrechnung die Klammer von Ergebnis- und Finanzrechnung mit dem Ziel, sowohl die Veränderung des erfolgsbeeinflussten Eigenkapitalkontos als auch die der Liquidität zusammenfassend darzustellen. Diese Verbindung fehlt dem bisherigen öffentlichen Rechnungswesen, und das verhinderte in der Vergangenheit den betriebswirtschaftlich fundierten Ausweis der Vermögens- und Ertragslage der Gebietskörperschaft. Der Verwaltungs- und Vermögenshaushalt waren lediglich über verschiedene Formen von Zuführungen und Buchungsregeln miteinander verknüpft. Eine zusammenfassende und systematische Darstellung der Ergebnisse und Folgen des kommunalen Handelns in finanzwirtschaftlicher Hinsicht in Form einer kommunalen Bilanz gab es also nicht. In diesem Zusammenhang ist eine Entscheidung darüber erforderlich, in welcher der drei Teilrechnungssysteme (Vermögens-, Ergebnis- und Finanzrechnung) der Planungsprozess im Einzelnen und substantiell durchgeführt werden soll, da die Zahlen der Teilrechnungen miteinander verbunden sind. Zu vermeiden sind Planungsredundanzen oder -defizite. Deshalb sollte sich der Planungsprozess auf die Ergebnisund Finanzrechnung konzentrieren. Die Plan-Vermögensrechnung und ihre Veränderungen folgen aus den Ergebnissen und Salden von Ergebnis- und Finanzplanung. Insofern ist von der Planung in der Vermögensrechnung abzusehen; sie ist das Ergebnis von vorgelagerten Planungsprozessen in den anderen Rechnungskreisen.
(2)
358
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
2
Der Ergebnisplan
(1)
Der Ergebnisplan nimmt die geplanten Aufwendungen und Erträge der Gebietskörperschaft auf. Dabei wird man auf eine hierarchische Strukturierung des Ergebnisplans nicht verzichten können. Allerdings sind ergänzend, unter Berücksichtigung der individuellen Aufgaben- und Leistungsstrukturen, Teilergebnispläne zu entwickeln, die sich an der Outputstruktur (Produktstruktur) der Kommune orientieren. Der sich daraus ergebende finale (Gesamt-)Ergebnisplan ist inhaltlich mit der Struktur der Ergebnisrechnung identisch. Auf dieser obersten Aggregationsebene werden keine internen Verrechnungen ausgewiesen; sie gleichen sich über alle Teilpläne und hierarchischen Stufen in der Gesamtbetrachtung aus. Der so abgeleitete Gesamtergebnisplan dient der externen Kontrolle und der Steuerung durch Politik, Öffentlichkeit sowie sonstige Interessenten. Unterhalb der Gesamtergebnisebene vollzieht sich die dezentrale Planung innerhalb der Gebietskörperschaft in Teilergebnisplänen; sie dienen primär der internen Steuerung und Kontrolle. Die Hierarchieebenen der Planung lassen sich als Leistungs-, Produkt-, Produktgruppen-, Produktbereichs- und Fachbereichsebene definieren. Für die Ausgestaltung des Planungssystems ist es unerheblich, auf welcher dieser Ebenen der eigentliche Planungsvorgang stattfindet. Das Planungssystem muss aber – in Form von Outputtableaus – der jeweiligen Planungsebene angepasst sein und sollte jeweils nur die Informationen über Ressourcenverbräuche und Erträge in die Planung einbeziehen, die auf dieser Ebene dem Äquivalenzprinzip entsprechen; es muss also eine eindeutige Beziehung der Aufwendungen und Erträge zu den Produkten bestehen. Anderenfalls fehlt es der Planungsrechnung an der gewünschten Steuerungs- und Verantwortungsrelevanz. Der Aggregation der Teilergebnispläne dient letztlich die (Plan-)Ergebnisübersicht. Flexibilität auf der einen Seite und Aggregierbarkeit auf der anderen Seite muss also gesichert sein. Die Darstellungsdichte oder -tiefe der Aufwands- und Ertragsarten variierten mit der Ebene der Darstellung. Dabei lassen sich einzelne Teilergebnispläne nicht produktorientiert definieren, so z. B. die allgemeinen Deckungsmittel, die über interne Transfers zu verteilen sind. Sie werden in einem Zentralplan veranschlagt und erhalten erst über die Verteilung einen Produktbezug.
(2)
(3)
3
Der Finanzplan Der (Gesamt-)Finanzplan hat in dem Teil, der die Einnahmen und Ausgaben der gewöhnlichen Geschäfts-/Verwaltungstätigkeit darstellt, einen Bereich, der sich mit dem Ergebnisplan inhaltlich deckt (Erträge = Einnahmen, Aufwendungen = Ausgaben). Der Verwaltungs-Cash-Flow wird nicht detailliert veranschlagt, sondern nach der indirekten Methode aus dem Ergebnisplan (den Teilergebnisplänen) übernommen. Planung und Veranschlagung der investiven Maßnahmen vollziehen sich hingegen im Veranschlagungsteil des Finanzplans. Er nimmt alle Einnahmen und Ausgaben auf, die vermögenswirksam sind und daher nicht bereits im Ergebnisplan be-
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
359
rücksichtigt wurden. Der Veranschlagungsteil entspricht somit dem bisherigen Vermögenshaushalt. Durch die dargestellte Übernahme des Saldos der Ergebnisrechnung sind beide Planungssysteme miteinander verknüpft. Auch in der Finanzplanung wiederholt sich die Aufteilung in Teilfinanzpläne in organisatorischer und hierarchischer Hinsicht. Teilfinanzpläne sind wie der Gesamtfinanzplan zu strukturieren und damit aggregierbar zu gestalten. Zentral geplante Größen werden in einem Zentralplan veranschlagt. 4
Der „neue“ Haushaltsplan
(1)
Der Haushaltsplan der Kommunen bestand bislang – wie oben dargestellt, (vgl. Teil I.) – aus einem Verwaltungs- und einem Vermögenshaushalt. Stark vereinfacht gesagt, wurden im Verwaltungshaushalt alle für den laufenden Betrieb geplanten Einnahmen und Ausgaben veranschlagt. Im Vermögenshaushalt wurden – ebenfalls stark verkürzt dargestellt – alle Einnahmen und Ausgaben, die vermögensrelevant sind, veranschlagt. Ein Vergleich mit den Rechnungskreisen des Integrierten Öffentlichen Rechnungswesens zeigt, dass entsprechende Informationen dort in der Ergebnisrechnung (im weitesten Sinne zu verstehen als Pendant zum Verwaltungshaushalt) und in der Finanzrechnung (im weitesten Sinne zu verstehen als Pendant zum Vermögenshaushalt) zu finden sind. Beide Rechnungskreise haben eine Schnittmenge (vgl. Abb. 54). Da also die benötigten Informationen bereits direkt aus den oben beschriebenen Rechnungskreisen des Integrierten Öffentlichen Rechnungswesens gewonnen werden können, ist es nicht erforderlich, einen eigenen Rechnungskreis „Haushaltsrechnung“ aufzubauen. Vielmehr kann der Haushaltsplan als eine kombinierte Sicht der geplanten Finanzrechnung und der geplanten Ergebnisrechnung aufgefasst werden. Der Haushaltsprozess ist – insbesondere in der Planungs- und in der Kontrollphase – ein Ablauf, der parallel in den Teilbereichen der Verwaltung abläuft. Fachausschüsse setzen ihre fachpolitischen Prioritäten, Fachbereiche der hauptamtlichen Verwaltung planen und bewirtschaften ihren Teil des Haushaltsplans. Dementsprechend ist der Gesamthaushalt in Teilpläne aufzufächern. Diese Teilpläne sollten nach sachlichen Gesichtspunkten (Aufgaben) gegliedert werden. Es bietet sich eine Gliederung nach Produktgruppen oder/und Organisationseinheiten an. Die allgemeinen Deckungsmittel – also insbesondere Steuern, Umlagen und allgemeine Zuweisungen – sind in einem gesonderten Teilplan, dem Zentralplan, zu veranschlagen. Zentralplan und Teilpläne ergeben gemeinsam den Haushaltsplan neuer Prägung.
(2)
360
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
Abbildung 54: Der Haushaltsplan im Integrierten öffentlichen Rechnungswesen
(3)
Der Nachweis des Abgleichs von Planansatz und Ist-Ausführung geschieht in der Kameralistik durch Gegenüberstellung des Haushaltsplans und der Haushaltsrechnung, in der Doppik durch den Vergleich des Budgets mit den entsprechenden IstAbschlüssen. In der Kameralistik ergibt sich das Soll aus den Haushaltsresten der Vorperioden und der laufenden Sollstellung; das „Ist“ addiert sich aus „Ausführung“ (Ist) und den zu übertragenden Haushaltsresten. Im neuen Rechnungswesen erfolgt der Abgleich dagegen zwischen dem Budgetansatz einerseits und dem jeweiligen Saldo des Ergebnisplans („VerwaltungsCash-Flow“), ergänzt um alle entsprechenden vermögenswirksamen Einnahmen und Ausgaben des Finanzplans. Der Saldo spiegelt wider, wie sich das Rein-Vermögen der Kommune in der Rechnungsperiode verändert hat, oder anders ausgedrückt: Ob der Ressourcenzufluss höher oder niedriger war als der Ressourcenverbrauch. Damit erfolgt im Plan-Ist-Abgleich eine Orientierung, ob die Gemeinde über ihre finanzwirtschaftlichen Verhältnisse „gelebt“ hat – eine Aussage, welche die kameralistische Gegenüberstellung des Saldos aus Geldvermögen und Schulden nicht leisten kann.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
361
V.
Das Controlling in der Kommunalverwaltung15
1
Die Grundgedanken des Controlling
(1)
Im Zusammenhang mit dem neuen Steuerungsmodell in der Kommunalverwaltung wird auch die Einführung eines Controlling gefordert. Dabei ist „Controlling“ nicht mit „Kontrolle“ im Sinne des deutschen Sprachgebrauchs gleichzusetzen. Controlling ist vielmehr ein Verfahren, das der Steuerung von Institutionen dient. Controlling stellt nicht den Führungsprozess selbst dar. Seine Funktion lässt sich am Anschaulichsten am Beispiel des Fluglotsen erklären. Der Fluglotse überwacht den Kurs des Flugzeuges, er meldet eingetretene Kursabweichung, gibt notwendige Kurskorrekturen zur Vermeidung von Kollisionen an. Er unterstützt den Flugzeugführer, ohne an dessen Stelle zu treten. Controlling versteht sich also als Führungsunterstützungssystem. Controlling wirkt in die Zukunft – dies vor allem unterscheidet es von „Kontrolle“, unter der im Allgemeinen vergangenheitsbezogen die Prüfung abgeschlossener Sachverhalte verstanden wird. Kontrolle entfaltet nur indirekt Wirkung für die Zukunft. Insofern beinhaltet Controlling Information, Versorgung und zukunftsorientierte Informationsauswertung zur Unterstützung der Führung bei Entscheidungsfindung in komplexen Systemen.
(2)
2
Die Aufgaben des Controlling in der Kommunalverwaltung
(1)
Das Controlling kann die kommunalpolitische Führung unterstützen, indem es
(2)
15
erforderliche Daten beschafft, Zusammenhänge transparent macht und diese verständlich darstellt, die Koordination sichert, zielgerichtete Abstimmung mit den Leistungspartnern ermöglicht, alternative Lösungen aufzeigt, Effizienzindikatoren entwickelt, daran Soll-IstVergleiche anknüpft und den sparsamen Einsatz der Ressourcen initiiert und dafür sorgt, dass Entscheidungen getroffen werden können.
Grundlage des Controlling ist der Soll-Ist-Vergleich. Durch Ermittlung von Abweichungen der Ist-Ergebnisse von den Soll-Vorgaben durch Analyse der Abweichungsursachen, durch Entwicklung und Beurteilung von Handlungsalternativen
Vgl. T. Günther, M. Niepel, O. Schill: Herausforderungen an die Umsetzung des neuen Steuerungsmodells aus der Perspektive des Controlling, in: Controlling-Zeitschrift für erfolgsorientierte Unternehmenssteuerung, Jg. 2002, S. 219–231; D. Budäus: Neues Rechnungswesen und Controlling, in: T. Reichmann (Hrsg.): Controlling – Jetzt aktiv steuern, nicht nur kontrollieren, Dortmund 2003, S. 104–121; K. Homann: Verwaltungscontrolling, Wiesbaden 2005; L. Streitferdt: Staatliches Controlling auf der Grundlage der doppelten Buchführung, in: M. Brüggemeier u. a. (Hrsg.): Controlling und Performance Management im Öffentlichen Sektor, a. a. O., S. 149–156; S. Müller, U. Papenfuß, C. Schäfer: Rechnungslegung und Controlling in Kommunen – Status quo und Reformansätze, Berlin 2009; T. Pieper: Wirkungsorientiertes Controlling staatlichen Handelns, Frankfurt/M. 2009.
362
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
wird die Führung in die Lage versetzt, die Institution so zu steuern, dass die angestrebten Ziele erreicht werden. Während Kontrolle eine Rückschau in die Vergangenheit ist, verfolgt Controlling die Absicht, Zielabweichungen möglichst frühzeitig festzustellen, um Kurskorrekturen vornehmen zu können, bevor Fehlentwicklungen eintreten. Controlling hilft, Prozesse zu steuern, Mittel dazu ist die ex ante- weniger die ex post-Analyse. 3
Die Formen des Controlling
(1)
Controlling lässt sich nach verschiedenen Kriterien unterscheiden. Von besonderem Interesse ist die Einteilung in
die Aufgaben des Führungsprozesses und die Vorgehensweise.
Nach den Aufgaben des Führungsprozesses spricht man von (2)
(3)
strategischen Controlling und operativen Controlling.
Alle Tätigkeiten des Controlling, die im Hinblick auf Handlungsrichtung und Handlungsfelder, insbesondere auf die zu setzenden Ziele und daraus zu entwickelnden und auszuwählenden Strategien entfaltet werden, kann man als strategisches Controlling bezeichnen. Mit anderen Worten: Strategisches Controlling bezieht sich auf strategisches Management. Da es sich bei strategischen Fragen um Grundsatzfragen jeder Organisation handelt, ist das strategische Management unmittelbar den Führungsorganen zugeordnet. Für die Kommunalverwaltung heißt dies, dass solche Aufgaben von der Verwaltungsführung, vor allem aber von den politisch besetzten Organen (Stadtrat, Gemeinderat, Ausschüsse) wahrzunehmen sind. Das gleiche muss für das strategische Controlling gelten. Die Räte und ihre Ausschüsse sowie die Verwaltungsführung leisten einerseits in einem sehr komplizierten Prozess strategisches Management. Andererseits sollen sie im Wege des strategischen Controlling sicherstellen, dass strategische Planung stattfindet und zielorientiert sowie sachgerecht ausgeführt wird. Aus dem Wesen der Kommune als politisch geführte Institution ergibt sich, dass das strategische Management und konsequenterweise das strategische Controlling besonderen Gesetzmäßigkeiten unterliegen und die politische Durchdringung ausgeprägt ist. Dies gilt sowohl für die Inhalte als auch für die Verfahren der Ziel- bzw. Strategiebildung und auch für die Unterstützung bzw. für die kritische Analyse dieses Prozesses im Wege des Controlling (Sekundärkreislauf). Das Hinterfragen des strategischen Managements einer Kommune erfolgt vorwiegend in den Gremien selbst, in den Fraktionen, durch die Opposition und nicht zuletzt durch kritische Öffentlichkeit. Das strategische Controlling muss also ein Instrument der politischen Führung sein.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
363
(4)
Die weiteren Schritte, die sich auf die operative Planung, Realisation sowie Kontrolle erstrecken, werden als operatives Controlling verstanden. Dieses beinhaltet Führungsunterstützung im Einzelfall und auf kurze Sicht. Sie sind im Neuen kommunalen Steuerungsmodell Aufgaben der Zentralen Stabsstelle.
4
Die Umsetzung des Controlling in der Kommunalverwaltung
(1)
Kommunale Verwaltungen werden im NSM als Betriebe zur Produktion von Dienstleistungen verstanden. Der Prozess der Leistungserstellung ist wirtschaftlich und effizient zu gestalten. Dies setzt entsprechende Zielsetzung, Planung, Realisation und Kontrolle voraus. Die Komplexität der Aufgaben und Sachverhalte sowie die Größenordnung vieler Kommunalverwaltungen haben Bedingungen geschaffen, die jenen ähneln, die zur Entwicklung des Controlling in der privaten Wirtschaft geführt haben. Tatsächlich wird Controlling der Sache nach bei der kommunalen Leistungserstellung auch bereits heute ansatzweise praktiziert. Dies beruht zum Teil auf historisch gewachsenen Verwaltungsabläufen, zum Teil auf der Übertragung von Erkenntnissen der Betriebswirtschaftslehre auf die Verwaltung. Allerdings sind die Ansätze von Controlling in den Kommunalverwaltungen
(2)
(3)
noch nicht immer arbeitsteilig eingeführt, so dass Managementfunktionen im Sinne des Primärkreislaufs und Controlling-Funktionen im Sinne des Sekundärkreislaufs von den gleichen Personen wahrgenommen werden, weshalb die de facto ausgeübten Controlling-Funktionen schwer erkennbar sind; noch nicht flächendeckend, d. h. durch alle Bereiche und in allen Phasen des Verwaltungshandelns verwirklicht, so dass allenfalls von „Ansätzen“ bzw. „Inseln“ gesprochen werden kann; noch nicht in jeder Hinsicht effizient und zukunftsorientiert ausgestaltet, so dass der Aspekt der nachgehenden Kontrolle ausgeprägter ist als das vorbeugende Controlling; noch nicht einem geschlossenen verwaltungsspezifischen, personellen und organisatorischen Controlling-Konzept zugeführt.
Gleichwohl enthalten alle Planwerke wie Haushaltspläne, Investitionsprogramme, mittelfristige Finanzplanung und Entwicklungspläne (d. h. auch die Ergebnisse der strategischen Stadtentwicklungsplanung) zunehmend quantifizierte bzw. quantifizierbare Daten und ermöglichen so einen Soll-Ist-Vergleich. Dieser kann in vielfältiger Hinsicht Controlling-Prozesse auslösen (Anstoß zur Änderung der Ziele, Anstoß zur Änderung der Umsetzungsmethoden, Neuplanung etc.). Ein Beispiel: Der Schulentwicklungsplan sieht aufgrund einer bestimmten angenommenen Bevölkerungsentwicklung den Aufbau einer konkret definierten Schulkapazität vor. Die statistischen Erhebungen lassen für die Stadt aufgrund sinkender Geburtenrate sowie einer Tendenz zur Abwanderung die Ausgangsdaten zweifelhaft erscheinen. Wenn sichergestellt wird, dass daraufhin ein neuer (strategischer) Planungsprozess eingeleitet und aus der Diskrepanz zwischen den Plandaten
364
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
und der tatsächlichen Entwicklung die notwendigen Konsequenzen gezogen werden, dann handelt es sich um ein typisches Controlling-Vorgehen. Ein anderes Beispiel: Das Fachamt X kommt mit seinem Haushaltsansatz für eine bestimmte Aufgabe nicht aus. Es muss nach der Gemeindeordnung eine überplanmäßige Ausgabe beim Kämmerer beantragen. Die Ausgabe darf der Kämmerer nur genehmigen, wenn sie „unabdingbar“ ist und auch finanziert werden kann. Insbesondere aus dem Begriff der Unabdingbarkeit ergeben sich Ansätze für kritische Fragen. Es entspräche dem Controlling-Gedanken, darauf hinzuwirken, dass (4)
(5)
(6)
in solchen Fällen stets eine systematische Überprüfung (durch die Kämmerer) erfolgt, dabei möglichst analytische Methoden angewandt werden, z. B. indem nach den Mehrausgaben verursachenden Faktoren (Leistungsmengen, Fallzahlen usw.) gefragt wird, nach Alternativen gesucht wird, Konsequenzen gezogen werden und Wiederholungen des Falles möglichst verhindert werden.
Bei der Aufstellung des Haushaltsplanes geben Haushaltsstellen, bei denen im Vorjahr der Ansatz nicht ausgeschöpft wurde, i. d. R. Anlass für Diskussionen. Ein Controller könnte alle Haushaltsstellen heraussuchen (lassen), bei denen in zwei oder mehr Jahren Ausgabereste entstanden sind. Er untersucht in Zusammenarbeit mit den betroffenen Fachämtern hierfür die Gründe (z. B. schematisches Melden der Vorjahresansätze) und sorgt für Abhilfe. In gleicher Weise lässt sich ein ständiges Überschreiten bestimmter Haushaltspositionen über Jahre hinweg als Auslöser eines Controlling-Prozesses im Hinblick auf mehr Wirtschaftlichkeit bzw. Anpassung der Plandaten an die Erfordernisse der Realität nutzen. Insgesamt ist festzuhalten, dass der Aufbau eines Controlling in der Kommunalverwaltung als „Gegenstromprinzip“ einen wesentlichen Beitrag leisten kann, um die Ziele des Neuen Steuerungsmodells zu verwirklichen. Die Einführung des Controlling sollte nicht sofort flächendeckend erfolgen. Vielmehr steigt die Chance der Anwendung, wenn man schrittweise vorgeht. Das bedeutet, einzelne Keimzellen zu bilden, von denen aus eine längerfristig orientierte selbständige Weiterbildung angestrebt werden kann. So wurden im Verwaltungs-Controlling der Stadt Offenbach, die einer der deutschen Städte ist, die bei der Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells vorbildlich agiert hat, nach eigener Einschätzung zunächst „bescheidene“ fünf Produkte definiert, die Gegenstand eines Controlling sind: Im Straßenverkehrsamt sind es Fahrerlaubnisse, Geschwindigkeitsmessungen, Rotlichtüberwachung und Überwachung der gebührenpflichtigen Parkplätze im öffentlichen Straßenraum. Im Sozialamt ist es das „Produkt“ wirtschaftliche Hilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz außerhalb von Einrichtungen. Dieses schrittweise Vorgehen ist angezeigt, weil die Anpassung des Informationsangebots an die Informationsnachfrage der Führungsstellen das Hauptproblem des Controlling darstellt. Zunächst ist festzustellen, welche Informationen die Führungsstellen benötigen, um das Controlling adressaten- und problemorientiert auszurichten. Zweckentsprechende Führungsinformationen sind zusammen aufzubereiten und
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
365
benutzeradäquat zu präsentieren. Nur so können Führungsentscheidungen zum Zwecke der zielorientierten Koordination der einzelnen Teilbereiche ermöglicht werden. Ein stufenweises Vorgehen ist auch notwendig, um mögliche Widerstände in der Kommunalverwaltung selbst und bei den Mitarbeitern zu überwinden. Damit werden aus den Betroffenen Beteiligte, die das Controlling-System in seinen weiteren Ausprägungen selbst bestimmen.
VI.
Die Grenzen des Neuen Steuerungsmodells
(1)
Die gegenwärtig geführte Diskussion kann als Ansatz für eine nachhaltige Neugestaltung im Bereich der Kommunen genutzt werden. Das Aufgreifen betriebswirtschaftlicher Konzepte sowie ein grundsätzlicher Bewusstseinswandel bei den öffentlichen Angestellten und Beamten werden dabei unerlässlich sein. Die Wandlungsfähigkeit der deutschen Kommunalverwaltung darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht überschätzt werden. Ein bloßer Transfer erwerbswirtschaftlicher Konzepte auf den öffentlichen Sektor, ohne die konstitutiven Unterschiede in der Bereitstellung privater und öffentlicher Güter zu berücksichtigen, wird kaum möglich und sinnvoll sein. Gleichwohl kann man nur wünschen, dass die vorhandenen Ansätze weiter ausgeformt und energisch vorangetrieben werden und nicht nur das Resultat knapper Kassen bleiben. Mit der Einführung eines neuen Instrumentariums in ein so komplexes Gebilde wie eine Stadtverwaltung werden hohe – oft übertriebene – Erwartungen geweckt, zugleich aber große – oft unbegründete – Befürchtungen verknüpft (siehe Abb. 55). Dabei sind die hier dargestellten Einschätzungen gewiss nicht erschöpfend. Für den Bürger mag sich die Information über die Einführung eines Neuen Steuerungsmodells in der Hoffnung ausdrücken, alle seine Anliegen würden nunmehr schneller und ganz unbürokratisch gelöst. Dass gleichwohl rechtmäßiges Handeln für die Verwaltung weiterhin Voraussetzung ist, wird dabei oft und gern übersehen. Umgekehrt werden die Bürger Umstellungsprobleme in der Anfangsphase schnell als „Chaos im Rathaus“ kennzeichnen; es wird nicht leicht sein, sie davon zu überzeugen, dass es sich dabei lediglich um Schwierigkeiten einer Übergangsphase handeln soll. Die Rolle des Rates im NSM ist theoretisch zwar gelöst. Er soll die Ziele, das „Was“ für die Verwaltungsarbeit vorgeben, während der Verwaltung das „Wie“ obliegt. Gleichzeitig ist die Verwaltungsführung verpflichtet, den Rat – sehr transparent – über ihr Handeln, insbesondere über die Zielerreichung zu informieren. In der Praxis erweist sich dies als äußerst schwierig. Allein eine, auch nur für eine Stadt gültige, Abgrenzung zwischen „Wie“ und „Was“ ist kaum möglich. Selbst wenn dies gelänge, wird es im Alltag oft genug zu „Grenzübertretungen“ kommen. So kann der Verzicht auf die Detaildiskussion, z. B. die blattweise Beratung eines Haushaltsplans, als Verlust an Einflussnahme aufgefasst werden, und auch an Wählernähe, da doch vermutlich viele Ratsmitglieder „ihre“ Haushaltsstellen und spezielle, z. B. auf ihre Wohnquartiere bezogene Anliegen haben.
(2)
366
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
Abbildung 55: Die Erwartungen an und die Furcht vor dem Neuen Steuerungsmodell
Es erwarten
Die Bürgerschaft Rasches, unbürokratisches Handeln der Verwaltung
Es befürchten „Chaos im Rathaus“
Der Rat Ein bürgerfreundliches Rathaus
Die Verwaltungsführung Zeit für strategische Entscheidungen
Konsolidierungserfolge
Ein modernes Rathaus
Abdrängen in Grundsatzfragen Fehlende Information
Fehlender Überblick
Die Querschnittsämter Konzentration der Aufgaben
Bessere Präsentation der eigenen Arbeit Verlust an Einfluss und Bedeutung Fehlende Fähigkeiten der Fachebenen
Bürger erwarten Antwort von der Führung Wählerferne Eigendynamik der Veränderungsprozesse Quelle: G. Schwarting: Mit Budgetierung Verantwortung stärken, a. a. O., S. 36.
(3)
Neue Form der Konsolidierung Überforderung und Mehrarbeit
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Umsetzung der genannten Steuerungskonzepte weit hinter den ursprünglich mit deren Einführung verbundenen Erwartungen zurückgeblieben ist. Zwar sind diese Ansätze in der Mehrzahl der Kommunen initiiert worden, sie haben i. d. R. aber kaum einen wirklich spürbaren und prägenden Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung. Die wesentlichen Gründe dafür sind16: a)
16
Die Fachebenen Befreiung von unnötigen Fesseln
Im ersten Reformaufschwung Anfang der 90er-Jahre sind viele Reformakteure davon ausgegangen, dass die grundlegende Veränderung der öffentlichen Verwaltung angesichts ihrer offenkundigen Schwächen und Defizite in relativ kurzer Zeit erfolgreich abgeschlossen werden könne. Damit wurde ein Reformtempo vorgegeben, dem viele Akteure nicht folgen konnten. Daraus resultierten wiederum Ängste und Unsicherheiten, Enttäuschungen waren praktisch vorprogrammiert. Aus diesem Grunde ist es auch nicht überraschend, dass in den zur Jahrtausendwende durchgeführten Umfragen des deutschen Städtetages etwa 50% aller Kommunen davon ausgehen, dass der Umbau ihrer Verwaltungen noch fünf bis zehn Jahre in Anspruch nehmen werde. Zur grundsätzlichen Skepsis hat die Tatsache beigetragen, dass das Reformkonzept mit seiner strikt ökonomischen Rationalität in einem Umfeld eingeführt wurde, das von einer
Vgl. M. Röber: Wandel der Verwaltung zwischen Erneuerungselan und Reformmüdigkeit, in: B. Blanke u. a. (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, a. a. O., S. 473–480; G. Banner: Erfahrungen mit Change Management aus Sicht der Kommunalverwaltung, Alcatel/EL Stiftung für Kommunikationsforschung, Stuttgart 2007; T. Graßmann: Ökonomische Analyse der Umsetzung effizienz-orientierter Reformideen in öffentlichen Verwaltungen – Ursachen des Scheiterns und Bedingungen des Gelingens, München 2007.
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
b)
c)
d)
e)
f)
367
grundsätzlich anderen Tradition geprägt ist und das in seinem Entscheidungsverhalten weitgehend juristischen und politischen Entscheidungskriterien folgt. Am Beginn des Reformprozesses spielte das Argument eine große Rolle, dass wegen der im Vergleich zu privaten Dienstleistungsunternehmen niedrigeren Produktivität im öffentlichen Sektor erhebliche Rationalisierungspotentiale in der öffentlichen Verwaltung ruhen, die mit Hilfe einer leistungsfähigen Kostenrechnung identifiziert werden können. Mit einer daraus resultierenden modernen und schlanken Verwaltung glaubte man, zwei Dinge zugleich lösen zu können, nämlich eine kunden- bzw. bürgerorientierte Verwaltung einerseits und automatische „Rationalisierungsgewinne“ andererseits. Im Letzteren sah man einen nicht unerheblichen Beitrag zur Sanierung des Kommunalhaushalts. Diese Hoffnung musste aber Schritt für Schritt aufgegeben werden, weil die Sparpotentiale erheblich überschätzt und die Haushaltsprobleme erheblich unterschätzt worden sind. Dadurch entstand immer mehr der Eindruck, dass es sich bei der Verwaltungsreform nur um einen euphemistischen Begriff für eine besondere Variante der Kostensenkung handelt. Dazu kam, dass managementbedingte Minderkosten oder Mehreinnahmen aufgrund der desolaten Haushaltslage häufig nicht jenen Organisationseinheiten, die diese „Gewinne“ im Rahmen der dezentralen Ressourcenverantwortung erwirtschaftet haben, zu Gute kommen, sondern vom zentralen Finanzressort zur Konsolidierung des Haushalts vereinnahmt werden. Aus der Kluft zwischen wohlklingenden Reformkonzepten und einer aus Sicht der Beschäftigten eher ernüchternden Realität ist mittlerweile in einigen Gebietskörperschaften ein Glaubwürdigkeitsproblem entstanden, das zu einer immer größeren Hypothek für den weiteren Reformprozess werden könnte. In vielen Kommunen ist die Reform nach wie vor eine von der Verwaltung betriebene Angelegenheit, die von der Politik entweder nur am Rande zur Kenntnis genommen oder mit skeptischer Zurückhaltung betrachtet wird. Die Politik hat sich zu selten in den Reformprozess eingebracht und hat vor allem versäumt, klare Rahmenbedingungen für den weiteren Reformprozess zu formulieren. Diese Konstellation hat jenen Kräften Auftrieb gegeben, denen die ganze Richtung der Reform ohnehin nicht passt und diese in der Überzeugung bestärkt, dass auch dieser Versuch einer ökonomisch orientierten Verwaltungsreform „ausgesessen“ wird. Das zurückhaltende Interesse der Politik hängt auch damit zusammen, dass das Thema „Verwaltungsreform“ in der Öffentlichkeit als eher spröde gilt und dass es für politische Profilierungen nur sehr begrenzt geeignet ist. Über dies ist es nicht gelungen, der Bevölkerung zu verdeutlichen, dass eine Reform der Verwaltung in ihrem ureigenen Interesse liegt. Damit fehlt auch der Druck von außen, mit dem erreicht werden kann, dass alte verkrustete Strukturen den neuen Bedingungen und Herausforderungen schneller angepasst werden. Besonders wichtig ist es, die Beschäftigten in den Modernisierungsprozess einzubeziehen. Auch dies ist nicht erfolgt. Die Beschäftigten hatten vielmehr häufig das Gefühl, dass die Beteiligungs- und Delegationsangebote nicht ernst gemeint waren – mit der Folge, dass sich viele von denen, die an der Entwicklung der Konzepte engagiert mitgewirkt haben, in der Umsetzungsphase enttäuscht
368
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
g)
(4)
17
18
abwendeten. Deshalb wäre es für den weiteren Verlauf des Reformprozesses wichtig, dass denjenigen, die zu den Promotoren für eine neue Verwaltung gehören, im Rahmen von Personalentwicklungskonzepten interessante Perspektiven für ihre berufliche Zukunft eröffnet werden. Grundsätzlich muss man fragen, ob ein Verwaltungsleitbild dauerhaft tragfähig sein und allgemeine Gültigkeit beanspruchen kann, wenn es lediglich einen Erklärungsansatz vom öffentlichen Verwaltungshandeln unterstellt und diesen verabsolutiert. Hinter dem NSM-Ansatz steht die Auffassung von der Verwaltung als ein reines „Dienstleistungsunternehmen“, eine Entwicklung, die auch als „Ökonomisierung des Staates“ kritisiert wird, zumal diese außer Acht lässt, dass die öffentliche und auch die kommunale Verwaltung stets sowohl Ordnungs- als auch Leistungsverwaltung sind. Auf Dauer muss man sich auch in Verfolgung des NSM mit konkurrierenden Modellen, in denen die Verwaltung als ein offenes, in den Politikprozess eingebundenes System (Policy-Modell) oder als geschlossenes auf Regelanwendung ausgerichtetes System (BürokratieModell) erscheint, auseinandersetzen. Es reicht nicht, lediglich eine schlanke und effiziente Organisation anzustreben, deren Ergebnisse anhand klarer Zielvorgaben abzurechnen sind. Ein solcher Ansatz muss auch andere Organisationsmaximen berücksichtigen: Zum einen die Ausrichtung auf eine faire, korrekte und loyale Leistungserbringung, die sich auf öffentliches Vertrauen und politische Legitimation stützen kann. Zum anderen muss das Ziel im Auge behalten werden, eine robuste und anpassungsfähige Organisation zu schaffen, die ausreichende Reserven auch für Ausnahmesituationen und neue Problemlagen besitzt17.
Trotz dieser retardierenden Momente ist der Prozess der Verwaltungsmodernisierung vermutlich unumkehrbar. Allerdings ergeben sich immer wieder neue Fragestellungen, die bei der ursprünglichen Konzeption des NSM nicht oder nur am Rande beachtet wurden. Dabei soll nicht verhehlt werden, dass der Begriff des NSM missverstanden werden kann, durchaus irreführend sein kann; denn weder sind die dort enthaltenen Elemente völlig neu noch handelt es sich um eine praktische Arbeitsanleitung für jede einzelne Kommune. Empirische Studien und Projektberichte zu den Erfahrungen mit der Binnenreform kommunaler Verwaltungen kommen zu dem Ergebnis, dass sich Gesamtkonzepte des Neuen Steuerungsmodells in kommunalen Verwaltungen bisher nicht durchgesetzt haben, aber in vielfältiger Weise mit unterschiedlichen Elementen dieses Modells gearbeitet wird. Die Zuständigkeiten für heterogene Aufgaben und die zwangsweise Befolgung von Gesetzen erzeugen eine Vielzahl von Restriktionen, die insbesondere die strategische Orientierung von Kommunalverwaltungen begrenzen18. Vgl. E. Schröter, H. Wollmann: New Public Management, in: B. Blanke, S. v. Bandemär, F. Nullmeier, G. Wewer (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, 3. Aufl., Wiesbaden 2005, S. 63–73, S. 71 ff.; G. Püttner: Verwaltungen als Dienstleistungsbetriebe, in: D. Bräunig, D. Greiling (Hrsg.), a.a.O., S. 68–74 Vgl. J. Bogumil: Modernisierung lokaler Politik – Kommunale Entscheidungsprozesse im Spannungsfeld zwischen Parteienwettbewerb, Verhandlungszwängen und Ökonomisierung, Baden-Baden 2001; C. Reichard: Local Public Management Reforms in Germany, in: Public Administration, Jg. 2003, H. 2, S. 345–363; H. G. Ridder: Veränderungsprozesse in der kommunalen Finanzsteuerung. Strategien, Prozesse und Anpassungser-
Teil J. Die neuen Steuerungsmodelle in der Kommunalwirtschaft
(5)
19
369
Derzeit befinden sich die Städte, Gemeinden und Kreise in höchst unterschiedlichen Stadien der Modernisierung. Sicher kann keine Kommune von sich behaupten, bereits am Ende des Weges angelangt zu sein – wenn dies überhaupt möglich ist. Diese „produktive Unordnung“ besitzt zweifellos Vorteile, da sie ein großes, offenes Experimentierfeld bietet; sie verlangt umgekehrt ein hohes Maß an Koordination und Information, um den Aufwand von Parallelentwicklungen und Abwegen zumindest zu verringern. Diese Aufgabe wird insbesondere von den kommunalen Spitzenverbänden ebenso wie von den Kommunalaufsichten der Länder wahrgenommen. Dabei erweist sich die Tatsache, dass die Kommunen z. T. recht unterschiedliche Vorgehensweisen wählen, nicht als befördernd. Auf Dauer wird es sicher notwendig sein – schon um interkommunale Vergleiche anstellen zu können – zu einheitlichen, zumindest aber kompatiblen Lösungen zu kommen. Bei allen Überlegungen zu den NSM im kommunalen Bereich sollte man aber Folgendes immer im Blick haben. Derartige Ansätze werden zum einen begrenzt durch den Grundsatz der Rechtmäßigkeit der Verwaltung. Diese Maxime ist in ihrem normativen Charakter letztlich auch eine wesentliche Voraussetzung berechenbaren Verwaltungshandelns und insofern eine Vorbedingung für individuelle und unternehmerische Gestaltungsmöglichkeit. Die neuen Ansätze können und sollen sich nur innerhalb der durch diesen Grundsatz gezogenen Grenzen entfalten. Zum anderen sollte diese Diskussion nicht von einer vermeintlichen oder tatsächlich begründeten Bürokratie-Aversion getrieben werden. Es sollte bewusst sein, dass i. d. R. die Ursachen einer wuchernden Bürokratie politisch stimuliert sind und insofern die Verwaltung nur die Umsetzung von politischen bzw. gesetzgeberischen Intentionen ist. In dem Maße, indem die gesellschaftspolitische Willensbildung geprägt wird durch eine immer stärkere Neigung zur Individualisierung der Rechtsnormen und der Rechtsanwendung und zu einer umfassenden Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, wird die Administration in ihren Reform-Möglichkeiten begrenzt bleiben. Insofern geht die Fragestellung weit über Probleme der Verwaltungsorganisation hinaus und zielt auf grundsätzliche gesellschaftspolitische Fragestellungen und Befindlichkeiten. „Es kann nicht nur um Modernisierung nach dem zurzeit gängigen Leitbild einer Verwaltung gehen, die mehr leistet und weniger kostet. Weit wichtiger ist – und hier zitiert Siedentopf den Freiherrn von Stein – die Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, die Benutzung der schlafenden oder falsch geleiteten Kräfte und der zerstreut liegenden Kenntnisse“19. Im Anschluss an diesen Teil wird im Teil K. analysiert werden, durch welche wesentlichen Schwächen – selbst im Rahmen der geschilderten Grenzen – das NSM gekennzeichnet ist und wie es zu einer strategischen Steuerung eines nachhaltigen kommunalen Handelns weiterentwickelt werden kann.
folg, in: D. Bräunig, D. Greiling (Hrsg.): Stand und Perspektiven der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre II, Festschrift für P. Eichhorn, Berlin 2007, S. 729–737. Vgl. H. Siedentopf: Freiherr von Stein und die permanente Strukturreform der deutschen Verwaltung, in: Die öffentliche Verwaltung, Jg. 2007, H. 8, S. 877 ff., S. 878.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
Teil K.
371
Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik1
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
I.
Die notwendige Weiterentwicklung der Steuerungsinstrumente
(1)
Trotz der eher verhaltenen Beurteilung des Ansatzes und der Instrumente des NSM muss man die Frage nach der relevanten Alternative stellen. Wie sehe die Verwaltung heute aus, wenn es die von der KGST initiierten und von vielen Verwaltungen in Angriff genommenen Reformen nicht gegeben hätte? Wahrscheinlich wären die Haushaltsprobleme noch dramatischer, wahrscheinlich hätten noch mehr Leistungen für die Bevölkerung abgebaut werden müssen, wahrscheinlich wären die öffentlichen Bediensteten noch unzufriedener und wahrscheinlich wäre das Vertrauen der Bevölkerung in das politisch-administrative Handeln weiter gesunken. Allerdings kann das Reformfenster nicht unendlich lange offen gehalten werden. Wenn es nicht gelingt, die Reform von dem Geruch zu befreien, dass diese nur eine Veranstaltung von Bürokraten für Bürokraten ist, dann werden sich auch viele der Reformpromotoren fragen, ob sich der ganze Aufwand überhaupt lohnt. Dies kann im Rahmen einer verstärkten Dienstleistungs- und Wettbewerbsorientierung geschehen, indem den Bürgern mehr Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen (öffentlichen und/oder privaten) Leistungsanbietern eröffnet werden. Der Hebel ist, dass die absolute Bestandsgarantie für Institutionen des öffentlichen Sektors eingeschränkt und den Beschäftigten damit verdeutlicht wird, dass ihre individuelle Flexibilität, die im Vergleich mit der im privaten Sektor immer noch relativ gering ist, langfristig für das Überleben der gesamten Institution und damit auch für ihr Überleben in der Institution entscheidend ist. Es bleibt abzuwarten, ob die Einführung der Doppik hier einen nochmaligen Anstoß für die Akzeptanz geben und einen zusätzlichen Impetus in diese Richtung erzeugen wird. In jedem Fall kann die Doppik eine an der Nachhaltigkeit ausgerichtete kommunale Finanzpolitik unterstützen, da sie in der kommunalen Bilanz eindeutig die Belastungen künftiger Generationen indiziert.2 Damit erhält die längerfristige kommunale Finanzpolitik eine klare Orientierung. An die Seite des NSM als operatives Instrument der kommunalen Finanzpolitik muss deren strategische Ausrichtung treten. Dies erfordert eine Betrachtung der längerfristig wirkenden Einflussfaktoren auf die kommunale Finanzpolitik, wie z. B. solche der Demographie, der Wanderungen oder der Standortfaktoren.
(2)
1
2
Vgl. M. v. Hauff, B. Tarkan (Hrsg.): Nachhaltige kommunale Finanzpolitik für eine intergenerationelle Gerechtigkeit, Baden-Baden 2009. D. Budäus: Manifest zum öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesen in Deutschland, a.a.O., S. 284f.
372
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
Dies erfordert weiterhin
eine klare Zielsetzung für die Konkretisierung der Nachhaltigkeit Beurteilungsmaßstäbe für den Erfolg der darauf gerichteten Maßnahmen und eine Evidenz der verfügbaren Instrumente.
Die Fragen und Herausforderungen der Nachhaltigkeit an die kommunale Finanzpolitik sind erst in den zurückliegenden Jahren deutlicher artikuliert worden3. Dies mag der Grund dafür sein, dass dem NSM bislang der eigentliche Fluchtpunkt fehlte. Das operative Instrumentarium war ohne das Bewusstsein für die strategische Ausrichtung entwickelt worden. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gegeben, beide Aspekte zusammenzuführen. (3)
3
Dazu können sowohl die demografische Entwicklung (vgl. oben Teil D., VII.) als auch der Druck einer deutlich eingetrübten finanzpolitischen Perspektive beitragen, die im Gegensatz zu den zurückliegenden Jahren im Durchschnitt der Kommunalhaushalte keinen Finanzierungsüberschuss, sondern ein deutlich ansteigendes Finanzierungsdefizit signalisiert, insbesondere aufgrund des zu erwartenden deutlichen Rückgangs des Gewerbesteuer-Aufkommens. Dabei ist zu bedenken, dass trotz einer relativ günstigen Entwicklung während der zurückliegenden Jahre die Haushaltslage vieler Gemeinden auch in der Vergangenheit außerordentlich angespannt war. Vor allem lieferten die Haushaltskennziffern keine zutreffenden Informationen über die tatsächlichen Belastungen der Zukunft: An anderer Stelle (vgl. Teil F., III.) wurde dargestellt, dass im kameralistischen System als Maßstab für die finanzielle Leistungsfähigkeit die Fähigkeit galt, die für die Tilgungen notwendigen Überschüsse im Verwaltungshaushalt zu erzielen. Dabei wurde nicht berücksichtigt aus welchen Mitteln die Tilgung erfolgte – aus Zuschüssen anderer Ebenen, aus Veräußerungen von Vermögen oder durch Verzicht auf notwendige Zustandssetzungen. Sie musste dann auf Investitionen verzichten, wenn sie sich nicht etwa durch Gebühreneinnahmen oder Zuweisungen kompensierend finanzieren konnte. Die Konsequenz war, dass zukunftsfördernde Ausgaben unterblieben oder diese über den Ausweg kurzfristiger Finanzierung dargestellt wurden. Besonders deutlich lässt die Gesamtentwicklung der Kassenkredite die Anspannung der kommunalen Finanzen erkennen. Diese eigentlich nur zur Überbrückung kurzfristiger Liquiditätsengpässe vorgesehenen Darlehen werden – wie an anderer Stelle dargelegt (vgl. oben Teil F., I.) – inzwischen vielfach eingesetzt, um Deckungslücken bei laufenden Ausgaben für längere Zeit zu überbrücken. Noch Ende 1999 meldeten die Gemeinden Kassenkreditbestände von 6 Mrd. Euro. Ende 2002 war bereits ein Volumen von 10,5 Mrd. Euro erreicht. In den Folgejahren stieg es erheblich beschleunigt bis zur Jahresmitte 2006 auf gut 28 Mrd. Euro an. Angesichts deutlich unterschiedlicher Finanzentwicklungen in den einzelnen Gemeinden Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen: Nachhaltigkeit in der Fiskalpolitik: Konzepte für eine langfristige Orientierung öffentlicher Haushalte, Bonn 2001; B. Raffelhüschen: Ein Plädoyer für ein flexibles Instrument zur Analyse nachhaltiger Finanzpolitik, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2002, H. 2, S. 73–76; B. Jochimsen: Nachhaltige Finanzpolitik auf Länderebene – Konzepte, Indikatoren, Umsetzung, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2008, H. 2, S. 108–114. Vgl. auch die Literaturangaben zu Teil F, Abschnitt II.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
(4)
dürfte sich die Lage seitdem weiter verschärft haben. So mussten z. B. zum Jahresende 2006 von den 427 Kommunen des Landes Nordrhein-Westfalen 198 Gemeinden Haushaltssicherungskonzepte vorlegen, wobei in 115 Fällen von der Kommunalaufsicht die Genehmigung versagt wurde. Während der Kassenkreditbestand Rückschlüsse auf die Haushaltslage von Gemeinden zulässt, ist der Umfang der Kreditmarktschulden hierfür kaum geeignet. Das ergibt sich nicht nur aus den Genehmigungsvorbehalten der Kommunalaufsicht, die eine höhere Verschuldung finanzstarker Gemeinden zur Folge haben können, sondern auch durch ein mitunter sehr unterschiedliches Maß von Ausgliederungen aus den Kernhaushalten. Soweit den betreffenden Einrichtungen auch Verbindlichkeiten zugeordnet wurden, werden diese im Rahmen der Finanzstatistik für den Gemeindehaushalt am aktuellen Rand nicht mehr automatisch erfasst, auch, wenn die Kommune die ausgegliederten Einrichtungen unmittelbar steuert und letztlich für deren Verbindlichkeiten haften muss. Ein wesentlicherer Indikator für die Nachhaltigkeit der kommunalen Finanzpolitik ist die kommunale Bilanz (vgl. Teil I.): Hier muss die Summe der Aktiva die Summe der Passiva – im Wesentlichen die Rückstellungen und die Verschuldung – übersteigen, d. h. das Eigenkapital muss positiv sein. Andernfalls sind künftige Haushaltsjahre vorbelastet. Dabei ist auch zu beachten, dass andere Aspekte einer nachhaltigen Finanzpolitik in der Bilanz bzw. im Anhang und im Lage-/Rechenschaftsbericht verdeutlicht bzw. angesprochen werden. Über den Ausweis von Rückstellungen für Verbindlichkeiten der Zukunft, insbesondere für Pensionsverpflichtungen, wird deutlich, ob und in welchem Umfang die kommunale Finanzwirtschaft in der Folgezeit belastet wird. Weitere Hinweise bieten der Anhang und der Lage-/Rechenschaftsbericht im Hinblick auf nicht unmittelbar zu quantifizierende und/oder nicht mit hinreichender Sicherheit zu bestimmende Belastungen oder Risiken, so z.B. Haftungsübernahmen oder Garantieerklärungen oder die mögliche Volatilität der Gewerbesteuererträge aufgrund konjunktureller und branchenspezifischer Risiken4. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welches die Ziele einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik sein können und mit welchen Instrumenten der Ansatz des NSM ergänzt werden kann, um diese Ziele zu erreichen. Dabei werden insbesondere vier Kategorien von Instrumenten und deren Sterung i. S. der Nachhaltigkeit beleuchtet werden:
4
373
Die kommunale Risikosteuerung die kommunalen Unternehmen die Erweiterung der kommunalen finanzwirtschaftlichen Steuerung auf den „Konzern Kommune“ und die Instrumente der kommunalen Wirtschaftsförderung.
Vgl. Bertelsmann-Stiftung (Hrsg.): Zukunftsfähiges Wirtschaften in einem demokratischen Gemeinwesen auf der Basis vergleichbarer doppischer Haushalte, Güterloh 2009.
374
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
II.
Die Ziele, Methoden und Indikatoren für eine nachhaltige kommunale Finanzpolitik5
(1)
Eine nachhaltige kommunale Finanzpolitik muss darauf ausgerichtet sein, zukunftsfähige finanzwirtschaftliche Rahmenbedingungen für die Entwicklung einer Gemeinde zu schaffen. In den zurückliegenden Jahren sind verschiedene Ansätze entwickelt worden, um das Ziel „Nachhaltigkeit“ zu definieren. Diese sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. a)
b)
c)
5 6
Das OECD-Konzept spiegelt die „klassische“ Methode zur Ermittlung der Nachhaltigkeit der Finanzpolitik wider. Es beruht auf der intertemporalen Budgetrestriktion: Bei einem unendlichen Zeithorizont verlangt die intertemporale Budgetrestriktion, dass der Barwert des Schuldenstandes gegen Null konvergiert. Diese Bedingung ist dann erfüllt, wenn der Barwert der Primärüberschüsse des Kommunalhaushaltes der Summe aus gegenwärtigem Schuldenstand und Zinszahlungen für diesen Schuldenstand entspricht. Ist diese Bedingung verletzt, ist die Finanzpolitik in der bisherigen Form nicht nachhaltig, sie kann also nicht dauerhaft fortgesetzt werden. Da die Finanzpolitik nur einen endlichen Zeithorizont berücksichtigen kann, muss für das letzte Jahr des jeweiligen Betrachtungszeitraums ein Zielwert, also ein bestimmter Schuldenstand, festgelegt werden. Hier sind mehrere Zielwerte denkbar, da auch die Finanzwissenschaft keine eindeutigen Vorgaben für einen optimalen Schuldenstand ableiten kann. Eine gängige Option besteht darin, die Schuldenquote konstant zu halten, d. h. das jetzige Verhältnis zwischen Schuldenstand und Bruttoinlandsprodukt unverändert zu lassen. Ergibt sich bei dieser Betrachtung eine Differenz zwischen der für das Ende des Betrachtungszeitraums errechneten und der gegenwärtigen Schuldenquote, so misst die Differenz die Nachhaltigkeitslücke als Anteil am Bruttoinlandsprodukt. Beim Ressourcenverbrauchs-Konzept steht die Übertragung von Ansätzen des kaufmännischen Rechnungswesens auf den Haushalt und das Vermögen des öffentlichen Sektors, d. h. die Doppik, im Vordergrund. Der Kernbestandteil dieses Konzepts liegt in der Erstellung einer Vermögensbilanz des öffentlichen Sektors (vgl. oben Teil I.). Die Einführung des kaufmännischen Rechnungswesens ermöglicht die periodengerechte Zuordnung des Ressourcenverbrauchs und erhöht dadurch die Transparenz der Staatstätigkeit. Damit wird ein direkter Zusammenhang zwischen staatlichem Verbrauch (Kosten) und staatlicher Leistungserstellung sichtbar (vgl. oben Teil I.). Zunehmend werden Wachstums- und Nachhaltigkeitswirksame Ausgaben (WNA) als Indikatoren6 für die „Qualität der öffentlichen Finanzen“ herangezogen. Ein Beispiel für solche lokalen und regionalen Indikatorsysteme gibt die Tab. 16. Mit „Qualität“ ist in diesem Zusammenhang i. d. R. die Pro-
Vgl. B. Jochimsen, a. a. O. Vgl. H. Diefenbacher, D. Dümig, V. Teichert, S. Wilhelmig: Indikatoren zur lokalen Agenda 21, Karlsruhe 2002; T. Döring, S. Heiland, M. Tischer: Kommunale Nachhaltigkeitsindikatoren – Systeme in Deutschland, in: Vierteljahreshefte des DIW zur Wirtschaftsforschung, Jg. 2004, S. 96–111.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
(2)
(3)
375
duktivität oder Wachstumswirkung der öffentlichen Ausgaben gemeint. Künftige Generationen können zum einen diese Investitionen nutzen und befinden sich zum anderen aufgrund dieser Investitionen auf einem höheren Wachstumspfad. d) Einen anderen Ansatz verfolgt die Generationenbilanz. Hier liegt der Fokus auf der intergenerativen Verteilung. Dieser Ansatz knüpft an die intertemporale Budgetrestriktion der öffentlichen Hand an. Die Nachhaltigkeit liegt demnach dann vor, wenn der Barwert der Nettosteuerzahlungen aller gegenwärtigen und zukünftigen Generationen ausreicht, die Staatsschuld und die staatlichen Ausgaben zu finanzieren. Das heißt, dass die öffentliche Hand (Kommune) bei einem unendlichen Zeithorizont nur das verbrauchen kann, was im Ausgangsjahr an staatlichen Nettovermögen vorhanden ist, zzgl. der Summe zukünftiger Nettozahlungen (also künftiger Steuerzahlungen) abzüglich künftiger Transfers aller lebenden Generationen sowie der Summe der Nettozahlungen aller zukünftigen Generationen. Wird die intertemporale Budgetrestriktion verletzt, müssen entweder gegenwärtige oder künftige Generationen höhere Steuern zahlen oder mit weniger öffentlichen Leistungen auskommen. Alle diese Konzepte weisen Vor- und Nachteile auf. Die Abb. 56 zeigt eine zusammenfassende Übersicht und Bewertung dieser Konzepte. Ein komparativer Vergleich dieser Ansätze führt zu dem Ergebnis, dass das OECD-Konzept im Vergleich zu den anderen Nachhaltigkeits-Konzepten eine Reihe von Chancen und Vorzügen aufweist, während ein Großteil der Probleme dieses Ansatzes relativ einfach behoben werden kann. Ein Problem ist die Wahl der Diskontrate und des Basisjahres. Bei einem Prognosezeitraum von i. d. R. 30 Jahren sind jedoch die Konsequenzen einer möglicherweise falsch gewählten Diskontrate relativ gering. Das Problem, die „richtige“ Quote für das Basisjahr zu fixieren, kann durch die Möglichkeit gelöst werden, anstatt der Quote des Basisjahres die durchschnittliche Quote der zurückliegenden 5 Jahre heranzuziehen. Die regelmäßige Veröffentlichung geeigneter Indikatoren liefert einen wesentlichen Baustein zur Gestaltung einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik. Dies ist allerdings nur Mittel zum Zweck. Der Transmissionsmechanismus von der Veröffentlichung der Indikatoren zu einer Verwirklichung nachhaltiger Finanzpolitik erfolgt in drei Schritten:
Der Rückgriff auf Nachhaltigkeitsindikatoren erhöht die Transparenz der kommunalen Finanzen und ermöglicht auch Nicht-Haushaltsexperten zumindest in bestimmten Kernaussagen eine Interpretation der Kommunalhaushalte. Infolge der dadurch größeren Verständlichkeit kommunaler Haushalte können schlechte Indikatorenwerte zu einem Druck der Öffentlichkeit auf die politischen Entscheidungsträger führen, diese zu verbessern, m. a. W.: eine solidere Finanzpolitik zu betreiben. Damit wird das eigentliche Ziel erreicht: die Umsetzung einer auch künftigen Generationen gegenüber verantwortungsbewussten Finanzpolitik durch Kommunalpolitiker, deren Legitimation zur Durchsetzung auch unpopulärer Maßnahmen infolge des öffentlichen Drucks gestiegen ist.
376
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
Fluchtpunkt aller Überlegungen und Methoden muss letztlich die Intention sein, kommunale Selbstverwaltung dauerhaft finanzpolitisch abzusichern. Tabelle 16: Die am häufigsten verwendeten Indikatoren in lokalen und regionalen Indikatorensystemen Indikator 1.
Häufigkeit der Verwendung in %
Ökologie – Versiegelte Fläche/Siedlungsund Verkehrsfläche/Bodenfläche nach Nutzungsarten
88
2.
Ökologie – Trinkwasserverbrauch
64
3.
Ökologie – Abfallaufkommen
64
4.
Ökonomie – Arbeitslosigkeit
60
5.
Ökologie – CO2-Emissionen
56
6.
Ökologie – Energieverbrauch
52
7.
Ökologie – Anzahl der Pkw
52
8.
Ökologie – Angebot und Nutzung des ÖPNV
48
9.
Ökologie – Naturschutz bedeutsame/geschützte Gebiete
44
10.
Ökologie – Fahrradfahrer und Fußgänger
44
11.
Ökologie – Regenerative Energien
40
12.
Soziales – Zahl/Anteil der Sozialhilfeempfänger Ökonomie – Umweltmanagementsysteme in Unternehmen Ökonomie – Versorgung mit regionalen Produkten
13. 14. 15.
Soziale – Straftaten in der Kommune
40 40 40 40
Quelle: S. Heiland, M. Tischer, T. Döring, B. Jessel: Indikatoren zur Ziel- konkretisierung und Erfolgskontrolle im Rahmen der lokalen Agenda 21, Berlin 2008, S. 31.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
377
Abbildung 56: Die zusammenfassende Übersicht und Bewertung von Konzepten der
Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeitskonzept Ressourcenverbrauch
Vorteile
• Informationsgehalt
des Nettovermögens relativ groß • Intertemporale Lastverteilung sichtbar • Teilweise Berücksichtigung der impliziten Verschuldung • Leichte Kompatibilität mit Doppik
Nachteile
• vergangenheitsorientiert • Bewertungsprobleme
Gesamtbewertung
• Zu hoher
Bewertungsaufwand
schwer lösbar • Aufgrund komplizierter Bewertungsprobleme nur in größeren Abständen empfehlenswert, z. B. alle 5 Jahre • Keine Berücksichtigung der impliziten Verschuldung
• Jährliche Ermittlung der Indikatoren praktisch nicht möglich
Wachstums- und nachhaltigkeitswirksa me Ausgaben
• Innovativer Ansatz • langfristige
• empirisch umstritten, was
• Zu wenig erprobt,
Generationenbilanz
• Generationengenaue
• Aufteilung des Budgets
• Zu große Unschärfen
• Einfach zu berechnen • Kann ohne großen
• Wahl der Diskontrate • Wahl des Basisjahres
• Klares, einfaches
Wirkungen von Ausgaben werden berücksichtigt
Zurechnung staatlicher Einnahmen und Leistungen • Berücksichtigung der impliziten Verschuldung • Langer Prognosezeitraum
-Konzept
Aufwand jährlich angewandt werden • Überschaubarer Berichtszeitraum • Mehrere Varianten zur Steigerung der Komplexität möglich
Quelle: B. Jochimsen, a. a. O., S. 112.
wachstumsfördernd ist • Bezug zur Nachhaltigkeit nicht eindeutig, wachstumsorientiert muss nicht zwangsläufig nachhaltig bedeuten auf Alterskohorten sehr schwierig • Sehr große Prognoseunsicherheit aufgrund des extrem langen Berichtzeitraums, besonders in folgenden Bereichen: o Regionale demographische Entwicklung o Regionale Wanderungsbewegu ngen o Wahl der Diskontrate o Institutionelle Änderungen
willkürlich • Keine Berücksichtigung der impliziten Verschuldung
empirische Belastbarkeit zu unklar • Weiterentwicklung des Ansatzes abwarten und in zehn Jahren neu bewerten aufgrund hoher Prognoseunsicherheiten • Bisher keine befriedigende Lösung zur generationengemäße n Aufteilung des Budgets
Konzept
• Leicht zu handhaben • Etliche Nachteile können vergleichsweise einfach überwunden werden
378
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
III. Das kommunale Risikomanagement 1
Die Notwendigkeit eines kommunalen Risikomanagements
(1)
Notwendig für eine nachhaltige kommunale Finanzpolitik ist ein kommunales Risikomanagement. Dieses ist nicht nur angezeigt, um einem verspäteten Eingreifen der Aufsichtsbehörde vorzubeugen, sondern auch um den Unwägbarkeiten z. B. aus den Folgekosten kommunaler Investitionen, aus schwankenden Steuereinnahmen oder aus Verlusten kommunaler Unternehmen Rechnung zu tragen7. Das Konzept lehnt sich an das 1998 in Kraft getretene „Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich“ (KONTRAG), dem börsenotierte Aktiengesellschaften und jene Unternehmen unterliegen, die unter die Norm des § 53 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG) fallen. Das KONTRAG schreibt die Überwachung der unternehmerischen risikobehafteten Strukturen und Prozesse vor. Darüber hinaus fordert es ein Frühwarnsystem, das sensibel genug für feine Risikosignale ist, sowie die kontinuierliche Überwachung der Funktionsfähigkeit aller installierten Kontrollinstrumente. Dazu kommen müssen ein (EDV-gestütztes) Berichtswesen sowie die schriftliche Dokumentation der Risiken und des Risikomanagementsystems. Dabei ist das Spektrum kommunaler Risiken durchaus auf mehrere Elemente verteilt: Zu den kommunalen Risiken im engeren Sinn gehören die der Verwaltung selbst, im weiteren Sinne auch die der Eigen- und Regiebetriebe der Zweckverbände sowie der selbständigen Tochterunternehmen. Eine konsequente „kommunale Gesamthaushaltsführung“ ist allerdings bislang nur in Ansätzen zu erkennen. Risiken werden nur in seltenen Fällen systematisch erkannt, analysiert und gesteuert. Das Hauptproblem der Verankerung eines Risikomanagements in den Kommunen war bislang die Divergenz zwischen der Kameralistik einerseits und den betriebswirtschaftlichen Ansprüchen eines Risikomanagements an das Rechnungswesen und die Bilanzierung andererseits. Die Kameralistik liefert lediglich eine an Einnahmen und Ausgaben orientierte Ist-Soll-Rechnung für das Haushaltsjahr (vgl. Teil J.). Nicht erfasst wurden die tatsächlichen Kosten und Leistungen der Verwaltung, die Vermögenssituation und der Verschuldungsgrad. Die Doppik schafft – wie im Abschnitt I erwähnt – insofern wesentliche Voraussetzungen für das kommunale Risikomanagement. Im künftigen kommunalen Haushaltsrecht ist durch Ausweis von Rückstellungen Vorsorge für eine ganze Reihe von Eventualverbindlichkeiten zu bilden. Die Abb. 57 zeigt ein Raster der Risikostrategien für einen solchen Ansatz.
(2)
7
Vgl. U. Bähr: Risikomanagement für Kommunen und öffentliche Unternehmen, in: E. Meurer, G. Stefan (Hrsg.): Rechnungswesen und Controlling in der öffentlichen Verwaltung, Loseblattsammlung, München 1999, S. 1–22; S. Andrae: Risikomanagement in der Kommune: Von der Sparkasse lernen?, in: Finanzwirtschaft, Jg. 2003, H. 2, S. 42–47; S. 42 ff.; G. Schwarting: Gedanken zum Finanzwirtschaftlichen Risikomanagement in öffentlichen Haushalten, in: H. Hill (Hrsg.): Aufgabenkritik, Privatisierung und neue Verwaltungssteuerung, Baden-Baden 2004, S. 101–119, S. 101 ff.; F. Scholz, A. Schuler, H.-P. Schwintowsky (Hrsg.): Risikomanagement der Öffentlichen Hand, Berlin 2009.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
379
Abbildung 57: Die kommunalen Risiken
Risikokategorien Liquiditätsrisiken
Marktpreisrisiken
Operationelle Risiken
Sonstige Risiken
Neuverschuldung
Zinsrisiko
Rechtsrisiko
Strategierisiken
Verbindlichkeiten Steueraufkommensrisiko
Währungsrisiko
Personalrisiko
Reputationsrisiko
Immobilienrisiko
Technologierisiko
Energiepreis-/Rohstoffrisiko
Ereignis-/ Umweltrisiko
Quelle: S. Andrae: Risikomanagement in der Kommune: Von der Sparkasse lernen?, in: Finanzwirtschaft, Jg. 2003, H. 2, S. 47.
2
Die möglichen Instrumente für ein kommunales Risikomanagement
(1)
Eine Plattform für die Risikoabschätzung kann der Finanzplan sein. In einer Szenario-Technik können hier verschiedene Risikoausprägungen betrachtet werden8. Eine solche Betrachtungsweise verletzt zwar streng genommen den Haushaltsgrundsatz der Genauigkeit, dies sollte aber in Kauf genommen werden. Obwohl zur Wahrung der haushaltsrechtlichen Vorschriften dem endgültig zu verabschiedenden Haushaltsplan nur eine – als wahrscheinlich angesehene – Finanzplanung beigefügt werden kann, würde durch solche Ergänzungen für die Haushaltsberatungen und auch für das Genehmigungsverfahren ein wichtiges Instrument bereitgestellt, das auch mit einem Haushaltskonsolidierungskonzept verknüpft werden könnte. Eine andere Möglichkeit ist die Aufnahme von Aussagen zum Risikomanagement in den Vorbericht, der dem Haushaltsplan beizufügen ist. Dies geschieht vereinzelt bereits heute, z. B. im Hinblick auf die voraussichtliche Steuerentwicklung. Entscheidend ist, dass eine fundierte Vorsorge rechtzeitig ermöglicht ist und damit hektische
(2)
8
Vgl. G. Schwarting: Einige Gedanken zur fiskalischen Disziplin kommunaler Gebietskörperschaften in Deutschland, in: B. Genser (Hrsg.): Haushaltspolitik und öffentliche Verschuldung, Berlin 2005, S. 131–169, S. 146 ff.
380
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
(3)
Konsolidierungsrunden vermieden werden, die im Zweifel immer zu Lasten einer dauerhaften Aufgabenerfüllung gehen. Schließlich kommt dem bereits erwähnten (vgl. S. 340f.) Konsolidierungsbericht in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu, da dieser die künftigen Risiken verschiedener Handlungsoptionen verdeutlicht.
IV.
Die kommunalen Unternehmen als Instrumente der Selbstverwaltung9
1
Die Typologie kommunaler Unternehmen
(1)
Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist nicht an eine Rechts- oder Gestaltungsform gebunden. Neben der Verwaltung im eigentlichen Sinn sind auf örtlicher Ebene die kommunalen Betriebe und Unternehmen von Bedeutung für die Wahrnehmung kommunaler Aufgaben. Mit ihren wirtschaftlichen Unternehmen nimmt die Gemeinde in begrenztem Rahmen am marktwirtschaftlichen Prozess teil. Gleichzeitig sind diese Unternehmen ein wichtiger Bestandteil des kommunalen Vermögens. Vor allem können diese ebenfalls Instrumente einer nachhaltigen Kommunalpolitik sein. Dabei lassen sich mehrere Organisationsformen unterscheiden (vgl. auch Abb. 58), die Ausformungen bzw. Weiterentwicklungen des 1938 geschaffenen Rechts der kommunalen Eigenbetriebe sind. Damit wurden für rechtlich unselbständige wirtschaftliche Unternehmen der Kommunen eine organisatorische Verselbständigung und eine gesonderte Rechnungslegung eingeführt. Gleichzeitig wurden die Netto-Betriebe gegründet, d. h. diese Unternehmen erscheinen im Haushalt ihrer Trägerkommunen nur noch mit den Saldobeträgen der Gewinn-Abführung oder des Verlustausgleichs. Das Eigenbetriebsrecht besteht in ähnlicher Form noch heute – jetzt als Länderrecht –, wobei eine Tendenz zur Ausdehnung auch auf alle wirtschaftlichen Einrichtungen der Gemeinden zu beobachten ist. Ferner haben einige Länder (Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt) die rechtliche Möglichkeit geschaffen, solche Unternehmen auch mit eigener Rechtspersönlichkeit als Anstalt des öffentlichen Rechts zu führen.
9
Vgl. H.-G. Henneke: Kommunen als Unternehmer, in: G. Wurzel, A. Schraml, R. Becker (Hrsg.): Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, Stuttgart 2005, S. 1–11; C. Reichard: Kommunale Unternehmen zwischen Marktdynamik und öffentlichen Auftrag, in: M. Schöneich (Hrsg.): Stadt-Werke, Festschrift für G. Widder, Frankfurt/M. 2007, S. 65–80; Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.): Die Zukunft der öffentlichen Dienstleistungen, Berlin 2007; G. Bach, C. Parisot: German Municipal Companies. Essentially a Public Risk. Fitch Ratings, German Special Report, 5. Nov. 2008.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
381
Abbildung 58: Die Typologie kommunaler Unternehmen
Beispiel
Regiebetrieb Friedhof
Eigenbetrieb Anstalt d.ö.R. Abwasser Einige Fälle in Bayern GemeindeGemeindeordnung, ordnung EigVO Satzung Satzung nein ja
ja
Bürgermeister, evtl. delegiert Rat/Ausschuss
Werkleiter
Vorstand
Vorstand
Geschäftsführung
Vorstand
Werkausschuss
Verwaltungsrat
Mitgliederversammlung
Aufsichtsrat Hauptversammlung
Kommunal kein eig. Stellenplan, StOVO voll
Kommunal eig. Stellenplan, StOVO voll
Unternehmen, Verein, eig. eig. StellenStellenplan plan
[Aufsichtsrat], Gesellschafterversammlung Unternehmen, eig. Stellenplan Stamm-/Eigenkapital
Stamm-/Eigenkapital
Haushalt
Betrieb, Nachweis im Haushalt kfm. Jahresabschluss
Unternehmen
Anteil am Vereinsvermögen Verein
Unternehmen
Unternehmen
kfm. Jahresabschluss
kfm. Jahresabschluss
kfm. Jahresabschluss
(Betriebsrat)
BetrVG MitBG Betriebsrat
kfm. Jahresabschluss BetrVG MitBG Betriebsrat
gesetzl. Grundlage
Gemeindeordnung Satzung
Selbständig Leitungsbefugnis
nein
Gremien
Personal
Haftung der Kommune Kreditaufnahme Jahresabschluss Mitbestimmung
Prüfung
kameral. Rechnungslegung PersVG Personalrat
örtl. und überörtl. Rechnungsprüfung
voll
PersVG Personalrat Mitwirkung Ausschuss
PersVG Personalrat Mitwirkung im Verwaltungsrat AbschlussAbschlussprüfer prüfer fakultativ: fakultativ: Rechnungs- Rechnungsprüfungsamt prüfungsamt überörtl. Prüfung
überörtl. Prüfung
Verein
GmbH
AG
Verkehrsverein BGB Satzung
Stadtwerke GmbHG Gesellschaftsvertrag ja
Stadtwerke
Abschlussprüfer fakultativ: Rechnungsprüfungsamt überörtl. Prüfung]
AktG Gesellschaftsvertrag ja
Unternehmen, eig. Stellenplan
Abschlussprüfer fakultativ: Rechnungsprüfungsamt [überörtl. Prüfung]
Quelle: G. Schwarting: Der kommunale Haushalt, a. a. O., S. 179.
Nach Angaben des Deutschen Instituts für Urbanistik wurden in 2003 rd. 70% der kommunalen Unternehmen als GmbH, 6% als AGs, 5% als Eigenbetrieb und rd. 15% in anderen Rechtsformen geführt. (2)
Regiebetriebe sind rechtlich und wirtschaftlich unselbständig und den laufenden Weisungen der Gemeindeverwaltung unterworfen. Haushaltstechnisch können sie in den Haushalt integriert sein in dem Sinne, dass ihre Ausgaben auf der Ausgabenseite
382
(3)
(4)
(5)
(6)
10
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
des Haushalts erscheinen und dementsprechend auch die Einnahmen auf der Einnahmenseite aufgeführt werden (Budgetierung nach dem Bruttoprinzip). Sie sind mit einer Verwaltungseinheit vergleichbar, auch wenn sie einen eigenen Namen und ein eigenes Leitungsorgan besitzen. Eigenbetriebe sind zwar aus der Verwaltung ausgegliedert, werden aber dennoch nur als wirtschaftliche Unternehmen ohne eigene Rechtspersönlichkeit bezeichnet. Sie haben eine eigene Leitung, aber wichtige Entscheidungen trifft die Gemeindeoder Kreisvertretung. Rechtlich sind sie dementsprechend unselbständig, aber wirtschaftlich wird ihnen ein gewisser Freiraum zugesprochen. Dies geschieht beispielsweise in Eigenbetriebsverordnungen der Länder, die u. a. die Nettobudgetierung erlauben, d. h. dass diese Betriebe nur mit dem Saldo ihrer Ausgaben und Einnahmen im Gemeindehaushalt erscheinen. Typische Aufgaben, die mittels Eigenbetrieben erfüllt werden, sind etwa Versorgungsbetriebe oder Verkehrsbetriebe. Die Eigengesellschaften sind nicht mehr, wie die zuvor aufgeführten Eigenbetriebe, öffentlich-rechtlicher Art, sondern privatrechtlich organisiert (GmbH, AG) und damit ausgegliederte Sondervermögen der Gemeinde. Die Gemeinde kann alleiniger Gesellschafter sein, kann sich aber auch, was oft der Zweck einer solchen Gründung ist, mit anderen kommunalen Trägern in Form eines Zweckverbandes zusammentun. Typische Aufgaben, die in Eigengesellschaften erfüllt werden, sind beispielsweise die der großen Stadtwerke. Dem erhöhten Freiraum der Eigengesellschaft steht dementsprechend eine geringere Möglichkeit der kommunalen Einflussnahme gegenüber. Auch in der Anstalt öffentlichen Rechts können kommunale Unternehmen betrieben werden. Dies sind rechtlich und organisatorisch selbständige, i. d. R. rechtsfähige Wirtschaftseinheiten mit eigenem Wirkungskreis, die durch Rechtsprechung gebildet werden (z. B. kommunale Sparkassen). In der Typologie der kommunalen Unternehmen ist schließlich noch der kommunale Querverbund zu erwähnen10. Hier werden verschiedene Sparten, z. B. der öffentliche Nahverkehr, die Energieversorgung und die Wasserver- und -entsorgung unter einer geschäftsführenden Holding zusammengefasst, um die marktmäßigen und betriebswirtschaftlichen Risiken dieser Teilbereiche auszugleichen. Die Problematik des steuerlichen Querverbrauchs war seit vielen Jahren einer der Brennpunkte der Auseinandersetzungen zwischen den Finanzbehörden und den deutschen Kommunen. Insbesondere der Verlustausgleich zwischen den „typischen dauerdefizitären Einrichtungen“ (wie z. B. gemeindlichen Schwimmbädern) und gewinnträchtigen unternehmerischen Einheiten (wie z. B. Stadtwerken) führte zu oftmals langwierigen Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung. Mit dem Jahressteuergesetz 2009 hat der Gesetzgeber die Vorschriften für die steuerliche Anerkennung eines Verlustausgleichs zwischen mehreren Betrieben gewerblicher Art neu geregelt. Der neu gefasste § 4 Abs. 6 des Körperschaftssteuergesetzes lässt mit steuerlicher Wirkung die Zusammenfassung gewerblicher kommunaler Unternehmen zu, die der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser, Gas, Elektrizität oder Wärme, dem öffentlichen Verkehr oder dem Hafenbetrieb dienen.
Vgl. J. Borrmann: Eine Analyse des normativen Konzepts der Quersubventionierung, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2002, H. 2, S. 200 ff.
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383
2
Die Bedeutung der kommunalen Unternehmen
(1)
Nach Angaben des „Verbandes kommunaler Unternehmen“ bestanden in 2008 in Deutschland 1.350 Stadtwerke mit 233.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von insgesamt 71 Mrd. Euro. Die Trennungslinie zwischen Leistungen, die unmittelbar von der Kommune erbracht werden und solchen, die mittelbar von Unternehmen im Eigentum der Kommune hergestellt und vertrieben werden, ist im Einzelfall fließend. Generell kann man sagen, dass Dienstleistungen mit stärker technologisch fundierten Faktoreinsatz (Energie- und Wassererzeugung bzw. Abwasserbeseitigung, Nahverkehr mit den entsprechenden Betriebsmitteln) und mit einer größeren Marktnähe eher von der Kommunalwirtschaft erbracht werden, während Leistungen, die nicht diesen Kriterien genügen, tendenziell eher von unmittelbaren Einheiten (Ämtern, Abteilungen usw.) hergestellt werden. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung und Rolle der kommunalen Unternehmen ist im Vergleich zum Privatsektor nicht prägend11. Aus einer aktuellen empirischen Studie ergibt sich, dass der Beitrag der Kommunalwirtschaft zur Wertschöpfung bei etwa 3% des BIP in den alten Bundesländern und bei etwa 6% in den neuen Bundesländern liegt. Die Relationen im Hinblick auf die Rolle der Kommunalwirtschaft als Arbeitgeber liegen bei 2 bzw. 3%. Allerdings gibt es bestimmte Branchen, in denen der Anteil der Kommunalwirtschaft deutlich höher ist (z. B. Wasser-/Abwasserenergie, Abfall, ÖPNV, Wohnungswesen). Nach einer aktuellen Stichprobenerhebung haben Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohner im Schnitt 6,4 ausgelagerte Einrichtungen, Gemeinden zwischen 20.000 und 50.000 Einwohnern liegen bei 9,6 Ausgliederungen12 und Landkreise haben durchschnittlich 8,8 Ausgliederungen. Rückt man die größeren deutschen Städte in den Fokus, so steigt der Anteil der in kommunalen Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer an der Gesamtzahl aller Gemeindebediensteten auf rd. 18%13. Begrenzt man weiterhin die Analyse auf die 30 größten deutschen Städte, dann steigt die Quote gemäß einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik von 2003 sogar auf knapp 90% Beteiligungen pro Stadt14. Insgesamt steht dahinter ein beachtlicher Ausdifferenzierungsprozess, der in den deutschen Kommunen in den letzten Jahren stattgefunden und dazu geführt hat, dass nahezu die Hälfte der Beschäftigten nicht mehr in der eigentlichen Kommune, sondern in entsprechenden „Satelliten“ arbeiten. Im Hinblick auf die Wahl der Rechtsform zeigt die Entwicklung, dass von der früher dominierenden Form des Eigenbetriebs zunehmend in die privatrechtliche Form der GmbH gewechselt worden ist: Fasst 75% aller kommunalen Beteiligungen
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14
Vgl. T. Edeling, C. Reichard, P. Richter, S. Brandt: Kommunalwirtschaft im gesamtwirtschaftlichen Kontext, Potsdam 2006. Vgl. W. Bremeier, W. H. Brinckmann, W. Killian: Kommunale Unternehmen in kleinen und mittelgroßen Kommunen sowie in Landkreisen, in: W. Killian, P. Richter, J. H. Trapp (Hrsg.): Ausgliederung und Privatisierung in Kommunen. Empirische Befunde zur Struktur kommunaler Aufgabenwahrnehmung, Berlin 2006, S. 30 ff. Vgl. T. Edeling, C. Reichard, P. Richter,. S. Brandt: Kommunale Betriebe in Deutschland. Ergebnisse einer empirischen Analyse der Beteiligungen deutscher Städte, KGSt-Materialien, Köln 2004. Vgl. W. Killian, P. Richter, J. H. Trapp (Hrsg.): Ausgliederung und Privatisierung in Kommunen. Empirische Befunde zur Struktur kommunaler Aufgabenwahrnehmung, a. a. O., S. 85 ff.
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Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
sind nunmehr in dieser Rechtsform organisiert15. Weiterhin ist erwähnenswert, dass die kommunalen Unternehmen sich auf dem Weg zu hybriden Organisationen befinden: An knapp 40% von ihnen ist bereits privates Kapital beteiligt, d. h. es handelt sich um gemischtwirtschaftliche Unternehmen bzw. „Organisations-PPP’s“16. Hinsichtlich der künftigen Entwicklung kann man davon ausgehen, dass einerseits weitere Ausgliederungen sowie eine zunehmende Einbindung von privatem Kapital in Kommunalunternehmen erfolgen werden. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die aktuelle Forderung der EU-Kommission, dass die Suche und Gewinnung privater Partner im Hinblick auf eine Organisations-PPP nur im Wege der öffentlichen Ausschreibung erfolgen darf, den Trend zu solchen PPP’s deutlich bremst, weil damit die nötige Vertrauensbasis für eine derartige nachhaltige Bindung fehlt. Auf der anderen Seite wird der Trend zu materiellen Privatisierungen zunehmen, weil die allgemeine finanzwirtschaftliche Entwicklung der Kommunen und die Notwendigkeit der Zuführung von Kapital entsprechende Tendenzen verstärken wird.
3
Die Rolle der Kommune gegenüber ihren Unternehmen
(1)
Die Kommune ist gegenüber ihren Betrieben in doppelter Hinsicht in der Verantwortung: Zum einen ist sie die Eigentümerin dieser Einrichtungen und nimmt entsprechende Rechte und auch Pflichten wahr. Zum anderen ist sie als Gewährleister kommunaler Dienstleistungen, direkt oder indirekt, der Auftraggeber dieser Dienste gegenüber den Einrichtungen. In ihrer Rolle als Eigentümerin muss die Kommune darauf achten, die in den Unternehmen gebundene Vermögenssubstanz zu erhalten und zu pflegen. Insofern handelt die Kommune hier treuhänderisch für die Bürgerschaft. Obwohl die Kommunalunternehmen i. d. R. nicht oder zumindest nicht prioritär zum Zwecke der Gewinnerzielung betrieben werden, besteht das Eigentümerinteresse auch in angemessener Kapitalverzinsung. Im Zuge zunehmender Beteiligungen privater Eigner nimmt das Gewinninteresse zu. Nur bei der Zurverfügungstellung jener Güter, die als öffentliche oder meritorische Güter für die Gewährleistung des Gemeinwohls politisch als unerlässlich angesehen werden, aber auch bei anderen typischen kommunalen Dienstleistungen wie Energie- oder Wasserversorgung sowie Abfall- oder Abwasserentsorgung tritt die Gemeinde als gewährleistender Auftraggeber auf: Sie stellt die notwendigen Investitionsmittel bereit, legt bestimmte politisch wünschenswerte und finanzierbare Kapazitäten sowie Leistungs- und Qualitätsstandards fest und überwacht die fortlaufende Leistungserbringung. Damit wächst die Kommune zunehmend in die Funktion des Gewährleisters lokaler Dienstleistungen hinein, in der sie sich um die Auftragsvergabe, -abwicklung und Erfolgskontrolle zunehmend kümmern muss. Damit muss die Kommune zwei Interessenssphären Rechnung tragen: Auf der einen Seite ihrem Interesse als Eigentümer, zum anderen als Versorger. Das Interesse der Kommune als Eigentümer besteht in der Substanzerhaltung und –mehrung sowie in
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15 16
Vgl. T. Edeling u. a., a. a. O. Vgl. C. Reichard: Organisations-PPP: Typologie und praktische Ausprägungen, in: D. Budäus (Hrsg.): Kooperationsformen zwischen Staat und Markt, Baden-Baden 2006, S. 77–94.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
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der Kapitalverzinsung respektive Gewinnerzielung. Damit verbindet sich die Erwartung vollkostendeckender Preise. Das Hauptmotiv der Kommune als Gewährleister besteht i. d. R. in der Sicherstellung der Versorgung der lokalen Bevölkerung sowie der Bereitstellung der dazu erforderlichen Infrastruktur. Im Hinblick auf Preis- respektive Gebührenkalkulation dürfte sich das vielfach in der Erwartung einer sozialverträglichen Preisbildung niederschlagen. Da beide Rollen potentiell konfliktträchtig sind, sollte eine klare Rollentrennung bei der Ausgestaltung der Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten vorgenommen werden. Die Eigentümer- und die Auftraggeber-Rolle sollten in einer Kommune also nicht von der gleichen Instanz ausgeübt werden. Anders formuliert: Es muss klar separiert werden nach der Sphäre der Auftragsformulierung einerseits, der Organisation des Vollzugs dieses Auftrags andererseits. 4
Das Verhältnis zwischen der Kommune und ihren Betrieben
(1)
Damit die Kommune die beiden beschriebenen Rollen wirkungsvoll wahrnehmen kann, bedarf es angemessener institutioneller Lösungen17. Die Eigentumsrechte werden über entsprechende Überwachungs- und Kontrollstrukturen ausgeübt, die wesentlich mit der jeweiligen Rechtsform zusammenhängen. Diese „Corporate Governance“ ist bei privatrechtlichen Kapitalgesellschaften durch das GmbH- bzw. Aktienrecht geprägt: Die Eigentümerinteressen werden primär in der Haupt- bzw. in der Gesellschafterversammlung artikuliert, indirekt auch im jeweiligen Aufsichtsrat. Bei öffentlich-rechtlichen Rechtsformen, wie dem Eigenbetrieb, der kommunalen Anstalt oder dem Zweckverband, sind analoge Einflussstrukturen vorhanden bzw. können sie durch die Satzung entsprechend formuliert werden. Gleichwohl stößt die Intention, das kommunale Interesse in der Geschäftspolitik umzusetzen an Grenzen: Da das Gesellschaftsrecht als Bundesrecht Vorrang vor dem Kommunalwirtschaftsrecht hat und insbesondere das Aktienrecht das Wohl der Unternehmung als Richtschnur des Handels von Aufsichtsräten vorgibt und nicht die unmittelbaren Eigentümerinteressen der Kommune schlagen manche Einwirkungsversuche des kommunalen Eigentümers auf seine eigenen Betriebe fehl. Da es im privaten Bereich seit einigen Jahren eine intensive Debatte um die Verbesserung der Corporate Governance von Unternehmen gibt, die versucht, über Strukturverbesserungen und Regelwerke die Wahrnehmung der Eigentümerinteressen zu optimieren, ist eine solche Diskussion – insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis zwischen kommunalen Eigentümern und den Kommunalunternehmen – zur Zeit erst im Anfangsstadium. Ergänzende Eigentümerfunktionen werden i. d. R. einer spezialisierten Einheit der Kommunalverwaltung übertragen, welche die Aktivitäten der Kommunalunternehmen begleitet, überwacht und ggf. auch interveniert. Meist wird in
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17
Vgl. M. Ganske: Corporate Governance in öffentlichen Unternehmen, Berlin 2005; D. Budäus (Hrsg.): Governance von Profit- und Nonprofit-Organisationen in gesellschaftlicher Verantwortung, Wiesbaden 2005; R. Vogel: Gute Unternehmensführung für kommunale Kapitalgesellschaften, ZögK, Jg. 2005, H. 5, S. 234–249; C. Alsheimer, H.-J. Jacob, W. v. Wietzlow: Grundsätze einer Public Corporate Governance für eine erfolgreiche Aufsicht in öffentlichen Unternehmen, in: Die Wirtschaftsprüfung, Jg. 2006, H. 15, S. 337–340; Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.): Corporate Governance in der öffentlichen Wirtschaft, Berlin 2008.
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Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
diesem Zusammenhang von Beteiligungsverwaltung oder –management gesprochen18. Bisher gibt es allerdings nur wenige deutsche Städte, denen es gelungen ist, ein wirksames und proaktives Beteiligungsmanagement aufzubauen. 5
Die Transparenz kommunaler Unternehmen im Hinblick auf die Rechnungslegung und Steuerung
(1)
Das Problem der „corporate governance“ zwischen der Kommune und ihren Unternehmen wirft die Frage nach der Transparenz der Ergebnisse des wirtschaftlichen Handelns der kommunalen Versorgungsbetriebe auf. Das Gebot der Transparenz stellt sich dabei in zweierlei Hinsicht: Zum einen bezogen auf die einzelnen Erfolgsquellen im Querverbund der Kommunalbetriebe, zum anderen im Hinblick auf die Steuerung des „Konzerns Kommune“. Für den ersten Aspekt ist die im Rahmen der Binnenmarkt-Liberalisierung geforderte Entflechtung des Rechnungswesens der kommunalen Versorger („unbundling“). Im Kern bedeutet dies, dass integrierte Unternehmen in ihrer internen Buchführung für die Aktivitäten Erzeugung, Übertragung und Verteilung (bei Elektrizität) bzw. Fernleitung, Verteilung und Speicherung (bei Gas) getrennte Konten so führen müssen, als wenn die betreffenden Tätigkeiten von separaten Firmen ausgeführt würden. Außerdem haben sie für jede dieser Aktivitäten eine Gewinn- und Verlustrechnung in den Anhang ihres Jahresabschlusses aufzunehmen19. Der zweite Aspekt stellt darauf ab, dass die kommunalen „Kernhaushalte“ und die aus diesen ausgelagerten Aktivitäten zusammengefasst werden müssen, um ein zutreffendes Bild über die kommunale Finanzsituation und die Tragfähigkeit der jeweiligen kommunalen Finanzwirtschaft auch für die Zwecke der Steuerung zu erhalten. Eine wesentliche Grundlage für die Steuerung des „Konzerns Kommune“ wird der Gesamtabschluss sein, den die Kommunen im Rahmen der Doppik künftig zu erstellen haben. Bei der Festlegung des Konsolidierungskreises wird das handelsrechtliche Prinzip der tatsächlich ausgeübten einheitlichen Leistung oder alternativ das sog. „Control-Prinzip“ zur Anwendung kommen, das eine Vollkonsolidierung vorsieht, sofern der Gemeinde die Mehrheit der Stimmrechte der Gesellschafter zusteht bzw. ein Beherrschungsvertrag besteht.
(2)
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6
Die kommunalen Unternehmen im Wettbewerb
(1)
Die Kommunalwirtschaft hat in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Wandel vollzogen: Aus weitgehend geschützten und regulierten Märkten musste sie
18
19
Vgl. K. Ade (Hrsg.): Handbuch kommunales Beteiligungsmanagement, Stuttgart u. a. 1997; D. Hille: Grundlagen des kommunalen Beteiligungsmanagements, München 2003; R. Linhos: Der Konzern Stadt. Zum veränderten Bild der Kommunen und ihrer Beteiligungen. Arbeitsheft 11 des kommunalwissenschaftlichen Instituts der Universität Potsdam, Potsdam 2006. Vgl. H. Bolsenkötter, M. Poullie: Auswirkungen der Änderung der EU-Transparenzrichtlinie auf das Rechnungswesen, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2001, H. 3, S. 204– 220; M. Ellerich: Unbundling: Die IDW Verlautbarungen zur Rechnungslegung und Prüfung von Energieversorgungsunternehmen, in: Die Wirtschaftsprüfung, Jg. 2006, H. 13, S. 836–840.
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in einen zunehmend liberalisiertes Marktumfeld wechseln, und sich dabei mit inund ausländischen privaten Anbietern konkurrieren. Eine entscheidende Rolle hat dabei die Liberalisierungspolitik der EU-Kommission gespielt. Diese hat dazu geführt, dass immer mehr Sektoren für den privaten Wettbewerb geöffnet wurden: Strom, Gas, Telekommunikation, Wasser, Abfall sind bereits weitgehend liberalisiert. Der Verkehrssektor befindet sich in der Umstellung20. Das hat die kommunalen Unternehmen vor ein Paradigmenwechsel gestellt. Einerseits verkörpern sie die kommunale Selbstverwaltung. Andererseits führt die Liberalisierung der Märkte zu einem nachhaltigen Wettbewerbsdruck. So hat sich z. B. der Strommarkt nicht nur für die Industrie- sondern auch für die Haushaltskunden geöffnet. Gleiches ist für den Erdgasmarkt zu erwarten. Dadurch verändern sich die Rahmenbedingungen für die kommunalen Versorgungsunternehmen nachhaltig. Das neue Energiewirtschaftsrecht stellt vor allem jene Stadtwerke vor Probleme, die selbst Strom in Kraftwärmekopplungsanlagen erzeugen. Grundlage für die Wirtschaftlichkeitsberechnungen der Kraftwärmekopplung waren die geschlossenen Versorgungsgebiete. In einigen Städten ist der eigenerzeugte Stromanteil sehr hoch, andere Stadtwerke sind lediglich Weiterverteiler. Die gravierendste Folge für die Kommunen ist, dass infolge rückläufiger Erträge aus den Versorgungsbereichen zunehmend die Substanz zur Finanzierung defizitärer Leistungen wie Öffentlicher Personennahverkehr und Schwimmbäder im Querverbund verloren geht. Aus allen diesen Gründen versuchen die Stadtwerke, sich als kundenorientierte Dienstleistungsunternehmen in diesen wettbewerblich geprägten Märkten zu positionieren. Sie senken ihre Kosten, schaffen prozessorientierte Organisationen und bilden horizontale und vertikale Kooperationen. Viele kommunale Unternehmen gehen Vertriebspartnerschaften mit ihren bisherigen Vorlieferanten ein, die allerdings oft verbunden sind mit Anteilsverkäufen der kommunalen Eigner. Die Stadtwerke bilden auch zunehmend strategische Allianzen, sei es in den Beschaffungsmärkten, sei es in den Absatzmärkten. So ist es in den vergangenen Jahren zu Recht erfolgreichen Kooperationen von Stadtwerken wie die Enetco in Köln, die Cityworks mit den angeschlossenen Stadtwerken in München, Darmstadt, Mainz und Wiesbaden oder zur regionalen Kooperation „Trianel“ in Aachen gekommen21. In jüngster Zeit spricht man zudem von einer „Rekommunalisierung der Energieversorger“. So bauen derzeit in Rheinland Pfalz fast 60 Stadtwerke das Gemeinschaftsunternehmen „Pfalzenergie“ auf, im Nordwesten Nordrhein-Westfalens bereiten im Kreis Coesfeld neun kleinere Kommunen die Gründung der „Stadtwerke Münsterland“ vor. Der Energieversorger E.ON prüft derzeit die VerkaufsmöglichVgl. C. Reichard: Gemeinden als Marktteilnehmer. Wettbewerb zwischen öffentlichen und privaten Anbietern, in: C. Reichard (Hrsg.): Kommunen am Markt. Aktuelle Fragen der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen, Berlin 2001, S. 60 ff.; Ders.: Öffentliche Dienstleistungen im gewährleistenden Staat, in: Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft (Hrsg.): Öffentliche Dienstleistungen für die Bürger, Berlin 2006, S. 53–79. Vgl. M. Berz: Strukturveränderungen in den Stadtwerken als Folge des neuen europäischen und deutschen Wettbewerbrechts, in: M. Schöneich (Hrsg.): Stadt-Werke, a. a. O., S. 205–218; D. Budäus: Wettbewerbsund Kooperationsstrategien von Stadtwerken, ebenda, S. 129–146; Price Waterhouse Coopers: Kooperation oder Ausverkauf der Stadtwerke?, Frankfurt/M. 2008; Accenture u. Jacobs University Bremen: Wachstumsstarke Energieversorger lösen Übernahmen aus, Frankurt/M. 2009; T. Gaul: Kommunale Versorger mischen wieder mit, in: Financial Tomes Deutschland vom 26.8.2009, Beilage Stadtwerke, S. 4.
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keit für die Tochtergesellschaft Thüga, die mit mehr als 100 Beteiligungen die größte deutsche Stadtwerke-Holding ist. Eine Vielzahl der in den klassischen Ver- und Entsorgungsbranchen tätigen Kommunalunternehmen hat sich durch solche Schritte i. d. R. gut auf den Marktwettbewerb eingestellt und diesen meist auch erfolgreich bewältigt. Dies gilt nicht im gleichen Umfang für jene kommunalen Aufgabenbereiche, die traditionell der Kernverwaltung zugehörten und erst vor wenigen Jahren verselbständigt worden sind oder die dort immer noch ressortieren. Insbesondere kommunale Einrichtungen, bei denen keine eindeutige marktmäßige Kundenrelation gegeben ist oder die vorwiegend für andere kommunale Auftraggeber produzieren, sind oft weder fähig noch bereit, sich dem privaten Wettbewerb zu stellen wie etwa im Bereich der Bauhöfe, Gartenbaubetriebe oder der Kfz-Reparatur. Hier bestehen weiterhin erhebliche Potentiale, um diese Einrichtungen „fit für den Markt“ zu machen und sie damit auch vor Privatisierungen zu bewahren. Obwohl die EU-Regelung den freien Wettbewerb und Marktzugang sichern sollen und im Prinzip eigentumsneutral agieren und die öffentlichen Einrichtungen gegenüber privaten Wettbewerbern nicht benachteiligen sollen, sind vor allem kommunale Unternehmen von fairen Wettbewerbsbedingungen weit entfernt. Die wesentlichen Wettbewerbsnachteile resultieren aus dem deutschen Kommunal und Vergaberecht22. Eine besondere Restriktion der kommunalen Wirtschaftstätigkeit stellt vor allem der Schranken-Trias der Gemeindeordnungen dar23. Danach sind solche Tätigkeiten nur bei klarem öffentlichem Zweck im lokal begrenzten Raum und beim Fehlen wirtschaftlicher privater Angebote zulässig. Aber auch das Vergaberecht setzt enge Grenzen: So dürfen z. B. kommunale Einrichtungen sich nicht am Ausschreibungswettbewerb der eigenen Kommune beteiligen und sie können sich insofern nicht einem Markttest unterziehen24. Diese ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen letztlich dazu, dass sich ein Kommunalunternehmen, wenn es z. B. Aufträge im angestammten eigenen Einzugsbereich an private Wettbewerber verliert, nicht um Aufträge in anderen Regionen bemühen darf und dass es sich auch nicht – etwa zur Kapazitätsauslastung – in Geschäftsfeldern betätigen darf, mit denen sich traditionell kein klarer öffentlicher Auftrag verbindet. Damit kommen die Kommunalunternehmen in ein Dilemma: Einerseits werden sie von privatwirtschaftlicher Seite unter Druck genommen, andererseits dürfen sie sich nicht so dem Wettbewerb stellen, wie sie es gerne möchten und auch könnten. Der freie Wettbewerb ist also im Hinblick auf die Kommunalwirtschaft asymetrisch: Private können bislang in kommunale Märkte eintreten aber Kommunalunternehmen kommen nur sehr begrenzt in aussichtsreiche Märkte hinein. Die Zukunft der kommunalen Unternehmen wird insofern auch von ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen abhängen. Sofern man auch zukünftig eine starke kommunale Selbstverwaltung mit den zugehörigen Ver- und EntsorgungsleisVgl. H. Herdt: Vergaberecht und Ausschreibungszwang, in: M. Schöneich (Hrsg.): Stadt-Werke, a. a. O., S. 93–110; Wissenschaftlicher Beirat der Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft: Ausschreibung oder Direktvergabe – Plädoyer für ein Wahlrecht der Gebietskörperschaften, Berlin 2007. Vgl. H. Schliersky: Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., Köln 2003, S. 165 ff. Vgl. M. Blocher: Public Management by Competition – öffentliche Eigenproduktion und private Dienstleistungen im Marktwettbewerb, in: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Jg. 2007, H. 1, S. 68–77.
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tungen für die Bürgerschaft haben will, muss man entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, so z. B. im Hinblick auf einen fairen Wettbewerb und auf eine wirksame Corporate Governance der Unternehmen. Aber selbst wenn diese Rahmenbedingungen geschaffen werden, werden die kommunalen Unternehmen eine Reihe strategischer Herausforderungen bewältigen müssen. Sie müssen wettbewerbsfähig sein. Dies setzt Strategie- und Managementkompetenz seitens des kommunalen Auftraggebers wie auch eine angemessene Ausstattung mit Kapital voraus. Insofern besteht auf mittlere und lange Sicht kein Widerspruch zwischen originären kommunalen Interessen einerseits und der Kapitalmarktfähigkeit25 gemeindlicher Unternehmen andererseits. Im Gegenteil: Es gilt, neue Wege zu gehen, damit am Ende nicht obligopolitische Anbieterstrukturen und entsprechend benachteiligte Verbraucher stehen.
V.
Die Fortentwicklung des doppischen Haushalts zur Rechnungslegung für den „Konzern Kommune“
(1)
Gerade die beschriebene „Rekommunalisierung“ der gemeindlichen Unternehmen stellt die Frage nach den Grundlagen für die Steuerungsfähigkeit der gemeindlichen Finanzwirtschaft als Ganzes, auch mit Blick auf die Tragfähigkeit künftiger Belastungen. Dabei darf mit Blick auf den unternehmensbezogenen und damit gewinnwirtschaftlich ausgeformten Begriff „Konzern“ nicht übersehen werden, dass die Kommunen verfassungsrechtlich bestimmte, der Daseinsvorsorge und dem Gemeinwohl verpflichtete, politisch geführte Organisationseinheiten des Staates sind. Insofern ergibt sich lediglich aus organisationstheoretischer Sicht eine Analogie. Bereits im Teil I, Abschnitt V wurde auf die Bedeutung des kommunalen Gesamtabschluss als Voraussetzung für die Steuerung des „Konzerns Kommune“ verwiesen. Mit Blick auf den Status quo kann dieser nur schrittweise entwickelt werden; lediglich das Land Nordrhein-Westfalen schreibt diesen bereits für das Rechnungsjahr 2010 zwingend vor. Beispielhaft für einen ersten Schritt hin zu einem solchen ganzheitlichen Ansatz ist der „Indikatorenset für den kommunalen Finanz- und Schuldenreport Deutschland 2008 und den Wegweiser Kommune“26. In systematischer Hinsicht nähert sich die Terminologie und Gliederung des Reports dem Neuen Kommunalen Finanzwesen (NKF) an. Die kameralen Indikatoren wurden entsprechend angepasst, ohne dass sie aber inhaltlich mit der doppischen Begriffswelt gleichzusetzen sind. Dies bedeutet z. B., dass auf kameraler Seite für die Kernhaushalte nicht nur Kreditaufnahme und Tilgung am Kreditmarkt als besondere Finanzierungsvorgänge vom Finanzierungssaldo abgezogen werden. Vielmehr werden alle vermögenswirksamen Transfers (sonstige Kreditaufnahme und Tilgung, Gewährung und Rückflüsse von Darlehen) ausgeschlossen. Dagegen fehlen die Abschreibungen auf die Sachanlagen. Analog
(2)
25
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Vgl. H. Rehm: Neue Finanzierungsmodelle für eine modern aufgestellte Branche, in: M. Schöneich (Hrsg.): Stadt-Werke, a. a. O., S. 337–347. Vgl. M. Junkernheinrich, G. Micosatt,. M. Gnädinger: Indikatorenset für den kommunalen Finanz- und Schuldenreport Deutschland 2008 und den Wegweiser Kommune, in: Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2009.
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werden aber die Bauinvestitionen und die Zukäufe beweglicher (abnutzbarer) Anlagegüter erfasst. Für die Kernhaushalte werden dabei drei Ergebnisindikatoren gebildet (vgl. Abb. 59):
Als erstes Haushaltsergebnis wird der Abschluss des laufenden Geschäftes gebildet: das Primärergebnis. Er zeigt an, inwieweit die Gemeinden es schaffen, ihre laufenden Ausgaben (ohne Ausgaben für Zinsen u. ä. Zahlungen) mit den laufenden Einnahmen (ohne Einnahmen aus Zinsen u. a. Finanzerträgen) zu finanzieren. Fehlbeträge decken strukturelle Ungleichgewichte auf. Das Finanzergebnis (Zinseinnahmen, -ausgaben etc.) wird unter den Saldo des laufenden Geschäftes gezogen. Es dokumentiert vor allem die Zinsbelastungen aus kreditfinanzierten Investitionen und Defizitausgleichen der Vorjahre. Das Finanzergebnis führt zum ordentlichen Ergebnis27. Aus dem Vergleich von Primärergebnis und ordentlichem Ergebnis wird ersichtlich, wie stark eine Gemeinde von Altlasten finanziell eingeengt wird. Die Vermögensveräußerungen und -zukäufe werden zum Schluss separat ausgewiesen und als außerordentliche Erträge und Aufwendungen gebucht. Sie führen zum Jahresabschluss (Überschuss/Fehlbetrag). Die i. d. R. nur temporär erfolgenden, der Konsolidierung dienenden Vermögensveräußerungen werden erfasst und der Haushaltsausgleich durch Verkauf von „Tafelsilber“ dargestellt wurde.
Auf diese Weise wird die Darstellung stark der Gewinn- und Verlustrechnung der Doppik angenähert, wenngleich die gravierenden Unterschiede zwischen beiden Systemen (z. B. bei der Behandlung von Abschreibungen und Pensionslasten oder die [nicht]periodenscharfe Abgrenzung der [Einnahmen] Erträge und [Ausgaben] Aufwendungen) bestehen bleiben. Dennoch lässt der Ansatz strukturelle Defizite, Altschuldenbelastungen und Konsolidierungsbemühungen sichtbar werden.
27
Der hier verwendete Begriff darf nicht mit dem doppischen Begriff des ordentlichen Ergebnisses gleichgesetzt werden. Zur im Kontext der Doppik-Einführung heterogenen Definition des ordentlichen bzw. außerordentlichen Ergebnisses vgl. z. B. A. Glöckner, M. Gnädinger, Th. Grieger: Einführung und Weiterentwicklung des neuen kommunalen Haushalts- und Rechnungswesens unter besonderer Berücksichtigung des ethischen Leitbildes der intergenerativen Gerechtigkeit. Gastbeitrag für das Onlineportal www.lexikon-finanzpolitik.de, (erstellt am 21.11.2008), S. 10.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
Abbildung 59: Indikatorenset für den kommunalen Finanz- und Schuldenreport 200828
28
Vgl. M. Junkernheinrich, E. Micosatt: a.a.O.
391
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VI.
Die kommunale Wirtschaftsförderung als Steuerungsaufgabe
(1)
Bei der kommunalen Wirtschaftsförderung und Standortpolitik als Elemente einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik stellt sich angesichts enger finanzieller Spielräume zunehmend die Frage nach Ertrag und Effizienz der eingesetzten Instrumente. Eine entsprechende Beurteilung erfordert ein Raster, mit dem Aufwand und Ertrag der Leistungen objektiv gemessen und bewertet werden können29. Der Maßstab „Ansiedlungserfolge“ dürfte dabei heute nur noch in wenigen Fällen wirklich gerechtfertigt sein, da i. d. R. die Bestandsentwicklung, d. h. die Unterstützung der ansässigen Unternehmen und Gründer, die Hauptaufgabe der Wirtschaftsförderung ist30. Gerade hier lassen sich aber die erbrachten Leistungen und vor allem die Erfolge ungleich schwerer messen. Hinzu kommt, dass Politik und Verwaltung häufig nur ein unklares Bild von dem haben, was die Wirtschaftsförderung eigentlich leisten kann und soll, weil es weder Zielvereinbarungen noch Handlungsprogramme gibt. Dies führt u. a. dazu, dass letztere mit einer Vielzahl von Aufgaben befrachtet wird, die im Zweifelsfall viel Zeit und Geld kosten, letztlich aber kaum Wirkung zeigen. Ein aussagefähiges Steuerungs- und Bewertungssystem wird dies relativ schnell offen legen. Dieses kann auch dazu beitragen, dass die Wirtschaftsförderung weniger als Spielwiese für viele Ambitionen benutzt wird, um ihr dann doch, letztlich aufgrund rechtlicher Restriktionen31, mangelnde Effizienz zu bescheinigen. Zum anderen soll ein solches Raster nicht nur der Kontrolle dienen. Vielmehr ist es als ein Management-Instrument für die Geschäfts- oder Amtsleitung der Wirtschaftsförderung zu verstehen, mit dem Fehlentwicklungen vermieden und die Ressourcen auf die wichtigsten und erfolgsversprechenden Maßnahmen konzentriert werden können. Voraussetzung für ein solches System sind Zielvereinbarungen, aus denen entsprechende Soll-Werte abgeleitet werden können. Die Wirtschaftsförderung muss somit Vorstellungen entwickeln, was sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln konkret erreichen will und wo sie die Schwerpunkte setzen will und muss, um möglichst effizient und erfolgreich zu sein. Damit wird gleichzeitig eine für die Kommunalpolitik nachvollziehbare und fundierte Entscheidungsgrundlage geschaffen. Dieses schützt zudem vor einer Befrachtung mit nicht-zielkonformen Aufgaben. Vor allem aber schaffen klare Bewertungs- und Erfolgsmaßstäbe auf der Grundlage von Zielvereinbarungen die notwendige Transparenz der Leistungen und damit Vertrauen zwischen allen Beteiligten. Zudem kann die Geschäfts- oder Amtsleitung schneller auf Fehlentwicklungen reagieren, weil in die Prozesse Messinstrumente eingebaut sind, die dieses frühzeitig anzeigen (z. B. Zielgruppentests, Er-
(2)
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30
31
Vgl. M. Düchting: Steuerungs- und Bewertungssysteme für die kommunale Wirtschaftsförderung, in: Kommunalwirtschaft, Jg. 2001, H. 7, S. 392–395; M. Wiechers: Best Practice der Wirtschaftsförderung – beurteilt im Lichte des Neuen Steuerungsmodells, in: D. Bräunig, D. Greiling (Hrsg.): Stand und Perspektiven der öffentlichen Betriebswirtschaftslehre II, a. a. O., S. 783–795. Vgl. H. H. Eberstein, H. Karl (Hrsg.): Handbuch der regionalen Wirtschaftsförderung, Köln 2005; A. Brandt, H. Jung, S. Bredemeier, J. Lange (Hrsg.): Privat-Public-Partner-Ship in der Wirtschaftsförderung – Herausforderungen, Chancen und Grenzen, Stuttgart 2007. Vgl. O. Treiber: Zur Ohnmacht von Gemeinden: Gewerbepolitik im Halbschatten des Rechts, in: G. Frank, H.-W. Langrehr (Hrsg.): Die Gemeinde, Festschrift zum 70. Geburtstag von H. Faber, Tübingen 2007, S. 281– 300.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
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32 33
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folgsmessung von Werbecampagnen und Beratungen). Die Tab. 17 zeigt ein solches Bewertungsraster mittels Indikatoren für die kommunale Wirtschaftsförderung. Ein solcher Ansatz muss ergänzt werden durch ein System des Controlling und Monitoring32. Nach Durchführung der Projekte und Maßnahmen muss objektiv erkennbar werden, welchen Ertrag die Wirtschaftsförderung letztlich im Lichte der Ziele der Standortentwicklung erwirtschaftet und ob sich der Mitteleinsatz für die Kommune tatsächlich gelohnt hat. Die Zielsetzung der kommunalen Wirtschaftspolitik ist, im Interesse der Nachhaltigkeit der Kommunalpolitik die gemeindliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern33. Dabei geht es um harte und weiche Standortfaktoren, welche die Wünsche der kommunalen „Stakeholder“ repräsentieren. Die Abb. 60 zeigt diese im Überblick. Ein Beispiel für eine entsprechende Steuerungsmethode in der Kommunalpolitik bietet das Projekt „Kompass“ der Bertelsmann-Stiftung34.
Vgl. M. Bretschneider: Hauptprobleme der Stadtentwicklung und Kommunalpolitik, Berlin 2004, S. 51. ff. Vgl. T. Steinrücken, S. Jaenichen, B. Kuchinke: Standortwahl – was signalisiert kommunale Wirtschaftsförderung?, in: Wirtschaftsdienst, Jg. 2005, H. 6, S. 379–406. Vgl. G. Tebbe: Arbeiten und Kennzahlen: Anwendungserfahrungen aus den Projekten KiK und Kompass der Bertelsmann-Stiftung, in: S. Kuhlmann, J. Bogumil, H. Wollmann: Leistungsmessung und Leistungsvergleiche in Politik und Verwaltung, Wiesbaden 2004, S. 138–147.
394
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
Tabelle 17: Die Bewertungsraster mittels Indikatoren für die kommunale Wirtschaftsförderung
Standortmarketing/Neuansiedlung
Handlungsfeld Maßnahmen Neuansiedlu ngen
Standortmarketing ÖProspekte/ Flyer ÖDirektMaillings ÖAnzeigen Gewerbefläc hen Investorenservice
Bestandsentwicklung
Informationsveranstaltungen Seminare Gründer- und Betriebsberatungen
Zusammenar beit Verbände/ IHK/ HWK Hochschulen, Verwaltung, Behörden
Indikatoren quantitativ
qualitativ
Zahl der Ansiedlungen, Arbeitsplätze, verkaufte ha Investitionssum men zusätzliche Abgaben, Steuereinnahme n, Beiträge
Technologie- und Innovationsniveau, Beitrag zur Strukturentwicklung1, Qualifikationsniveau der Arbeitsplätze u. Wachstumsperspekti ven der neuen Betriebe
Zahl verschickter und ausgelegter bzw. ausgereichter Prospekte Zahl verschick. Materialien Zahl geschalteter Anzeigen ha (GE,GI) baureif/verkauft
Wirkungsgrad Zielgruppe/-gebiet Imagewirksamkeit (Messung mittels Umfragen/Testgruppen) Wirkungsgrad Zielgruppe/-gebiet Wirkungsgrad Zielgruppe/-gebiet Flächenqualität/ Erfüllung der Anforderungen der Zielgruppe Gesprächsdauer und -ergebnisse Wirkungsgrad Zielgruppe Diskussionsbeiträge (Art u. Umfang), Rückfragen, Bewertung durch die Teilnehmer selbst
Zahl der Beratungen Zahl verschick. Materialien Zahl der Veranstaltungen und der Teilnehmer Teilnahmequote Zielgruppe Zahl und Dauer neue Arbeitsplätze/ Betriebe Investitionsvolumen Höhe der Fördermittel Zahl und Dauer der Gespräche, Workshops, gemeinsamen Beratungen, und Veranstaltungen
Inhalt/Problemfelder, Ergebnisse (neuer Betrieb, Umsetzung der Vorschläge, erfolgreiche Förderanträge, Verlagerung/ Expansion) Inhalt/Kooperations-, Problem- und Beratungsfelder, Ergebnisse der gemeinsamen Gespräche, Projekte und Aktionen
Bewertung/Erfolgsmessung Soll-Werte/ Ist-Werte/ Soll-/IstErgebnisse Ergebnisse Vergleich tatsächlich erwartete neue erreichte Betriebe, Mitquantitative arbeiter, Invesund qualitative titionen und Werte bei den sonstige Bei+/- Werte Neuansiedlun träge der Neugen ansiedler zur Strukturentwickl und/oder ung
erwartete Quoten: Rücklauf/antworten, telf. Anfragen/ pers. Gespräche (allg. und zielgruppenspezifisch) geplante ha für bestimmte Zielgruppen; erfüllte Ford. erwartete Erfolgs- und Rücklaufquoten
tatsächliche Rückläufe/ Rückantworten oder Anfragen aus der Zielgruppe oder den Zielgebieten
erw. Teilnehmerzahl en (allgemein + Zielgruppe), Ergebnisse u. Bewertung Zahl/Art der Beratungen Gründungen (Anteil) Rücklaufquote Checkliste2,Beratungs ergebnisse erw. Ergebnisse der gemeinsamen Projekte, Aktionen, Maßnahmen und Veranstaltungen
tatsächliche Teilnehmerzahlen u. Ergebnisse/ Bew.
verfügbare/ verkaufte ha, Erfüllungsgrad
qualitativ er Vergleich durch Erläuterung der Soll-IstAbweichungen
Investments und Rückläufe
erreichte Beratungszahlen, Gründungen, Investitionen und Beratungsergebnisse tatsächliche Ergebnisse der Zusammenarbeit (Projektstand)
z. B. Verstärkung einer besonders wachstumsstarken Branche am Standort oder Schließung einer Angebots/Nachfragelücke in dem Wirtschaftsraum Am Ende des Beratungsgespräches sollte dem Gründer/Unternehmer eine Checkliste ausgehändigt werden, die nach Abarbeitung der mit der Wirtschaftsförderung besprochenen Fragen/Maßnahmen an letztere zurückgeschickt wird, so dass diese über den weiteren Verlauf des Beratungsprozesses und über die Ergebnisse informiert wird: ggf. sich auch wieder einschalten kann (Kunde bleibt im Kooperations- und Beratungsnetz der Wirtschaftsförderung).
Quelle: M. Düchting, a. a. O., S. 393.
Teil K Die Ziele und Methoden einer nachhaltigen kommunalen Finanzpolitik
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Abbildung 60: Die kommunalen Standortfaktoren
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Teil L Der Ausblick und die Perspektive
Teil L.
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Der Ausblick und die Perspektive
Teil L Der Ausblick und die Perspektive
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Versucht man, ein Resümee der kommunalen finanzwirtschaftlichen Situation und ihrer mittel- und langfristigen Perspektive zu ziehen, so sind folgende Eckpunkte festzuhalten: Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Städte und Gemeinden in Deutschland durch ein nachhaltiges Auseinandertriften von Verfassungsidee und Verfassungswirklichkeit betroffen sind. Dies gilt einerseits für die Verschiebungen zwischen Aufgaben- und Ausgabenverantwortung, bei denen der Bund und die Länder ihre politisch-gestalterischen Möglichkeiten zu Lasten der kommunalen Selbstverwaltung ständig ausgeweitet haben und welche die Gemeinden immer stärker in die Rolle eines Vollzugsinstruments gedrängt haben. Andererseits wurde diese Entwicklung begleitet von einer zunehmenden Erosion der originären gemeindlichen Steuerkraft. Die Föderalismusreformen I und II haben dies partiell korrigiert, aber nicht grundsätzlich geändert. Trotz der Bedeutung dieser generellen Entwicklungslinien können die Kommunen – auch mit Blick in die Vergangenheit – nicht von einer eigenen Verantwortung für den Status quo freigesprochen werden. Dies gilt für ihre vielfältige Neigung, sich an den „goldenen Zügel“ eines Systems von Mischfinanzierungen bzw. Zuwendungen legen zu lassen, um kurzfristige kommunalpolitische Erfolge zu erzielen, ohne ggf. abwägend die Folgebelastungen abzuschätzen. Das trifft gleichermaßen zu für die bislang wenig ausgeprägte Neigung der Kommunalpolitik, dem Prinzip der fiskalischen Äquivalenz Raum zu verschaffen und die Bürger zur Lasttragung jener Daseinsvorsorge heranzuziehen, die im politischen Willensbildungsprozess nicht nur als erwünscht, sondern als notwendig apostrophiert wird. Die politische Wirklichkeit in den Kommunen ist vielmehr i. d. R. dadurch gekennzeichnet, dass man aus vordergründigen verteilungs- und/oder sozialpolitischen Gründen meint, einen solchen Anspruch den Bürgern nicht zumuten zu können und/oder zu sollen. Das mit dieser Form finanzwirtschaftlicher Permissivität letztlich die einzige Mechanik ausgehebelt wird, welche langfristig die Kongruenz zwischen Ausgabenentwicklung einerseits, Deckungsmöglichkeiten andererseits ermöglicht, wird im Grunde erst jetzt deutlich, letztlich auch deswegen, weil der Verzicht auf bestimmte Leistungen der Daseinsvorsorge als einzig disponible Alternative verbleibt: Man schließt Schwimmbäder, Bibliotheken, Gemeindehäuser oder andere Teile der kommunalen Infrastruktur und droht, die Erfüllung gesetzlicher Aufgaben zu verweigern. Das gemeindliche finanzwirtschaftliche Instrumentarium, das ebenfalls erörtert wurde, kann diese Situation lediglich in gewisser Hinsicht abmildern, jedoch nicht grundsätzlich korrigieren. Das Ziel der Nachhaltigkeit sollte in der kommunalen Finanzwirtschaft so verstanden werden, dass kommunale Selbstverwaltung finanzwirtschaftlich dauerhaft möglich ist. Das bedeutet, dass die Kommunalpolitik die autonom beeinflussbaren Parameter ihres Handelns immer so einsetzt, dass die verfügba-
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Teil L Der Ausblick und die Perspektive
ren Ressourcen auch künftig ein eigenverantwortliches kommunalpolitisches Handeln ermöglichen. Eine solche Intention wirft die Frage auf, wie – ausgehend von diesem Fluchtpunkt – Nachhaltigkeit gewissermaßen operativ definiert werden kann, welche Indikatoren eine entsprechende Zielerreichung signalisieren und wie deren Eignung für das kommunale finanzpolitische Handeln zu beurteilen ist. Die Einführung der Doppik in der kommunalen Finanzwirtschaft bietet – wenn hier auch noch eine Reihe von Einzelfragen zu klären sind – grundsätzlich die Möglichkeit, die kommunale Finanzwirtschaft nach den Anforderungen der Nachhaltigkeit zu steuern und damit auch das kommunale Steuerungsinstrumentarium, wie z. B. das NSM bzw. eine kommunale Risikosteuerung, aber auch die wirtschaftspolitischen Instrumente, wie solche der Wirtschaftsförderung und der Rekommunalisierung der Stadtwerke, wieder stärker an den Zielen der gemeindlichen Daseinsvorsorge auszurichten. Insgesamt wird es darauf ankommen, das kommunale Leistungsangebot stärker auf die Bedürfnisse der Bürger auszurichten. Die Steuerungsinstrumente der Kommunalpolitik müssen noch intensiver als bislang darauf angelegt werden, deren Präferenzen zu erfassen und zu bewerten. Allerdings muss eine solche Intention begleitet werden von einem Paradigmenwechsel des Selbstverständnisses der kommunalen Finanzpolitik. Diese darf sich zum einen nicht – wie dies häufig in der Vergangenheit der Fall war – als Transformator von Ansprüchen ihrer Bürger sehen. Zum anderen bedeutet dies aber auch, nicht deshalb Ausgabenneigungen nachzugeben, weil übergeordnete Ebenen – der Bund und die Länder – Mittel für Vorhaben bereitstellen, die ohne diese Alimentation in lokaler Verantwortung nicht in Angriff genommen würden. Aufs Ganze gesehen sollten sich die Kommunen, wollen sie sich nicht ausschließlich auf hinsichtlich der zeitlichen und sachlichen Perspektive ungewisse weitere Verfassungsreformen verlassen, ihrer eigenen politischen Gestaltungsmöglichkeiten besinnen. Diese müssen letztlich darauf zielen, die (beteiligten) Gemeindebürger zu Betroffenen in dem Sinne zu machen, dass sie einen Prozess akzeptieren, bei dem sie über ihre Zahlungsbereitschaft den Umfang und die Struktur der kommunalen Leistungen bestimmen. Das NSM kann als Instrument der Transparenz, der Hinwendung zum Bürger und der Anerkennung seiner Souveränität, die notwendige Erneuerung der kommunalen Selbstverwaltung unterstützen. Für die kommunale Finanzsituation gilt das bekannte Wort von Heinrich Heine: „Es ist eine alte Geschichte, doch ist sie ewig neu.“ Auch wenn zeitweise, insbesondere getrieben durch konjunkturell bedingte Gewerbesteuereinnahmen, die gemeindliche Haushaltslage gemessen am Finanzierungssaldo aller Gemeinden sich verbessert hat, wird strukturell die Situation der Kommunalhaushalte tendenziell angespannt bleiben. Dazu kommen erhebliche Unterschiede in der finanzwirtschaftlichen Situation einer ganzen Reihe von Gemeinden, dieses interkommunale Gefälle wird im Zeitablauf nicht ab- sondern eher zunehmen. Eine Änderung dieser Entwicklung ist durch ein Kurieren am Symptom nicht zu erwarten. Dazu bedarf es grundsätzlicher Änderungen nicht nur einzelner Instrumente, sondern in dem Denken, das dem Einsatz dieser Instrumente vorangehen muss. Hier ist vor allem eine sehr viel stärkere Ausrichtung auf Nachhaltigkeit gefordert, um
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die künftigen finanzwirtschaftlichen Grundlagen der Kommunalpolitik abzusichern und spätere Generationen vor übermäßigen Belastungen zu bewahren. „Die Reihe der schlechten Finanzperioden war unabsehbar. Die Ära der Fehlbeträge schien ohne Anfang und Ende. Und eine Misswirtschaft, an der durch Personenwechsel nichts gebessert wurde, sah im Borgen die einzige Heilmethode gegen das schleichende Leiden.“ Dieser Satz aus dem Roman „Königliche Hoheit“ von Thomas Mann sollte nicht die finanzpolitische Wirklichkeit der Gemeinden in den nächsten Jahren werden. Auch deshalb sollte man offen sein für neues Denken und Handeln.
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