Nr. 338
Kollision im Nichts Begegnung mit dem Raumschiff der Aggiaren von Harvey Patton
Die Erde ist wieder einmal da...
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Nr. 338
Kollision im Nichts Begegnung mit dem Raumschiff der Aggiaren von Harvey Patton
Die Erde ist wieder einmal davongekommen. Pthor, das Stück von Atlantis, dessen zum Angriff bereitstehende Horden Terra überfallen sollten, hat sich dank Atlans und Razamons Eingreifen wieder in die unbekannten Dimensionen zurückgezogen, aus denen der Kontinent des Schreckens urplötzlich materialisiert war. Atlan und Razamon, die die Bedrohung von Terra nahmen, gelang es allerdings nicht, Pthor vor dem neuen Start zu verlassen. Zusammen mit dem Kontinent und seinen seltsamen Bewohnern befinden sie sich auf einer ungesteuerten Reise ins Ungewisse. An eine Kursbestimmung von Pthor ist noch nicht zu denken, und so werden es Al gonkin-Yatta und seine exotische Gefährtin, die beiden Reisenden durch Zeit und Raum, die seit langem nach Atlan suchen und die den Arkoniden, als er noch auf der Erde weilte, nur knapp verfehlten, es schwer haben, sich weiter an seine Fersen zu heften. Der Arkonide ist jedoch kein Mann, der in Tatenlosigkeit verharrt. Während Odins Söhne nach dem Tod der Herren der FESTUNG ihre Herrschaftsansprüche auf Pthor geltend machen, beginnt Atlan, nach dem verborgenen Steuermechanismus des »Dimensionsfahrstuhls« zu suchen. Doch gleichzeitig naht das Unheil. Pthor und ein großes, unbekanntes Objekt pral len aufeinander – und es kommt zur KOLLISION IM NICHTS …
Kollision im Nichts
3
Die Hautpersonen des Romans:
La'Mghor - Kommandant der ARMOSTUZ, eines Raumschiffs der Aggiaren.
Re'Gahn, Zo'Nrag und Xe'Bnorg - Besatzungsmitglieder der ARMOSTUZ.
Atlan - Der Arkonide erreicht die »Seele von Pthor«.
Thalia, Razamon und Kolphyr - Sie gehen auf die Suche nach Atlan.
Heimdall, Sigurd und Balduur - Die neuen Herren der FESTUNG.
1. Die Antriebsaggregate der ARMOSTUZ summten ruhig und gleichmäßig. La'Mghor, der Kommandant des Forschungsraumers, schwenkte einen seiner Sinnesäste zur Seite und führte das daran sitzende Auge über die Instrumentenkonsole hinweg. Was er sah, befriedigte ihn. Das Schiff lag genau auf dem Kurs zu der Sonne, zu der ihn sein Auftrag führte. Sie besaß, soweit das aus dieser Entfernung fest zustellen war, mindestens sechs Planeten, die es zu untersuchen und zu katalogisieren galt. Vielleicht konnte einer davon später von den Aggiaren besiedelt werden, sofern er geeignet war und die Rasse neuen Le bensraum benötigte. Der zu dem Gestirn führende Gravitati onsstrom, den er selbst ausgelotet hatte, zeichnete sich als mattsilbern schimmerndes Band auf einem Spezialbildschirm ab. Wenn nun weiterhin alles gutging, mußte die AR MOSTUZ das System innerhalb einer Deka de erreichen. La'Mghor bewegte einen seiner Greifäste und schaltete den Autopiloten ein. Dann drehte er sich zur Seite und wandte sich an den Astrogator, der wartend hinter ihm stand. »Für die nächsten zehn Zeiteinheiten gibt es hier praktisch so gut wie nichts zu tun«, sagte er befriedigt. »Nimm solange meinen Platz ein und beobachte die Instrumente, verändere jedoch nichts daran. Ich ziehe mich jetzt zurück, um zu ruhen und Nahrung zu saugen. Störe mich nur dann, wenn es Kursabweichungen geben sollte, die so schwerwiegend sind, daß ich mich selbst darum kümmern muß.«
»Ich habe verstanden, Kommandant«, gab der Astrogator zurück. Langsam wandte sich La'Mghor um und bewegte sich auf den Hauptausgang der Steuerzentrale zu. Seine Wurzelfüße schlurften über den Boden, die Gelenke seiner Beinextremitäten knarrten leise. Er konzentrierte sich kurz, sandte einen telepathischen Befehl aus, und das Schott schnurrte zur Seite. Draußen ange kommen, betrat er das Laufband und ließ sich zu seiner Kabine tragen. Für einen Menschen hätte er, wie alle Mitglieder seiner Rasse, einen befremdli chen Anblick geboten. Die Aggiaren glichen in ihrem Aussehen kurzen, wandelnden Baumstämmen, und etwas Ähnliches waren sie im Grunde auch. Ihre Vorfahren waren, irgendwann in grauer Vorzeit, tatsächlich Pflanzen gewe sen. Eine seltsame Laune der Natur hatte es zuwege gebracht, daß diese Gewächse im Lauf der Zeit lernten, ihre Wurzeln aus dem Boden zu lösen und sich fortzubewegen, so fern die Umweltbedingungen es erforderten. Das war zunächst nur rein instinktmäßig geschehen, doch die Evolution hatte sich da mit nicht begnügt. Allmählich hatten die Aggiaren Intelligenz entwickelt und gelernt, die Umwelt nach ihren Bedürfnissen zu for men. Sie hatten begriffen, daß sie auf einem Planeten lebten, und daß es draußen im Uni versum zahlreiche andere Welten dieser Art gab. Die logische Folge war gewesen, daß sie Raumfahrzeuge bauten, als ihre zivilisatori sche Entwicklung weit genug fortgeschritten war. Es hatte die üblichen Rückschläge ge geben, von denen keine Rasse verschont blieb, aber sie hatten alle Schwierigkeiten gemeistert. Nun bewohnten sie bereits meh rere Planeten in verschiedenen Sonnensyste
4 men ihrer Heimatgalaxis und breiteten sich nach und nach immer weiter aus. Auch ihr Aussehen hatte sich im Lauf der Jahrtausende gewandelt. Sie besaßen keine Belaubung mehr, ihre Äste waren verküm mert und hatten sich zu Extremitäten umge bildet. Einige davon liefen in rudimentären Zweigen aus, die ihnen nun als Greifwerk zeuge dienten. An anderen saßen knotenför mige Verdickungen, die zu Sinneswerkzeu gen ausgebildet waren, mit denen sie sehen, hören und riechen konnten. Da ihnen die Blätter fehlten, basierte ihr Stoffwechsel auch nicht mehr auf der Koh lenstoffassimilation durch Photosynthese. Nach wie vor nahmen sie ihre Nahrung durch Wurzeln auf, aber sie besaßen auch Lungen und die dazu gehörigen Atemöff nungen in ihrer rindenartigen graubraunen Haut. So war es nicht ausgeblieben, daß sie gelernt hatten, sich akustisch zu verständi gen, indem sie mit den Mündern zischelnde Laute bildeten. Es gab jedoch auch, hervorgerufen durch besondere Umwelteinflüsse, anders geartete Individuen unter ihnen, die besondere Fähig keiten besaßen. Auf der Erde hätte man sie als Mutanten bezeichnet, und auch unter den Aggiaren besaßen sie einen ähnlichen Sta tus. La'Mghor gehörte zu dieser Kategorie. Er besaß nicht nur die seltene Fähigkeit, sich anderen Artgenossen telepathisch mit teilen zu können, sondern war außerdem ein Gravitationsspürer. Seine mutierten Sinne waren dazu imstande, die überall im Welt raum vorhandenen Gravitationsströme aus zuloten und ihren Verlauf über große Entfer nungen hin zu verfolgen. Damit war er her vorragend als Raumschiffkommandant ge eignet. Die Antriebe der ellipsoiden Raumschiffe der Aggiaren basierten dann, wenn es größe re Entfernungen zu überwinden galt, vor al lem auf der Ausnutzung dieser Gravitations ströme. Gelang es, ein Fahrzeug in eine die ser unsichtbaren Linien »einzufädeln«, be deutete das ein erheblich rascheres Voran-
Harvey Patton kommen bei gleichzeitiger Treibstofferspar nis. Folglich waren alle Kommandanten von Fernraumern Mutanten, wie auch hier in der ARMOSTUZ. La'Mghor hatte sein Ziel erreicht und ver ließ das Laufband. Mit einem telepathischen Impuls öffnete er die Tür seiner Kabine und schlurfte hinein. Zuerst bewegte er sich auf die Kästen zu, in denen er eine Anzahl nor maler, unintelligenter Gewächse sozusagen als Haustiere hielt. Er kontrollierte die Strahlung der Sonnenlampen und öffnete ei ne Leitung, durch die mit Spurenelementen versetztes Wasser in die Kästen floß. Erst als seine Pflanzen versorgt waren, dachte er an sich selbst. Er begab sich in einen Nebenraum, dessen Boden mit einer humusartigen, etwa einen halben Meter dicken braunen Schicht be deckt war. Während aus unter der Decke an gebrachten Düsen ein feiner Wasserschleier auf ihn herabsprühte, senkte er seine Lauf wurzeln hinein, und gleichzeitig öffneten sich in ihnen Poren, die der Nahrungsauf nahme dienten. Etwa eine halbe Zeiteinheit lang blieb er dann unbeweglich stehen. Das Wasser aus den Düsen reinigte seinen Körper und mach te gleichzeitig die Rinde wieder geschmei dig, die Poren in den Wurzeln saugten Nähr stoffe aus der Humusschicht. La'Mghor schaltete während dieses Vorgangs geistig fast vollkommen ab und gab sich ganz dem Wohlbehagen hin, das durch ihn ausgelöst wurde. Fast widerwillig löste er sich dann wieder aus seiner Starre, zog die Wurzeln aus dem Nährboden und bewegte sich in die Kabine zurück. Dort legte er sich in ein hängemat tenähnliches Gebilde und schloß die Augen an seinen Sinnesästen, um zu ruhen. Wesen seiner Art brauchten keinen Schlaf wie Men schen oder Tiere. Ihnen genügte eine Ruhe phase, während der sich die Nahrungsstoffe im Körper verteilten und die geöffneten Po ren allmählich wieder schlossen. Sein Geist arbeitete indessen weiter. Seine telepathischen Sinne durchforschten die
Kollision im Nichts Räume des Schiffes und nahmen die Gedan ken der Besatzung auf. Die ARMOSTUZ hatte einhundert Aggiaren an Bord, von de nen siebzig als Techniker verschiedener Fachrichtungen Verwendung fanden. Die anderen dreißig waren Wissenschaftler, de ren Aufgabe in der Erforschung fremder Pla neten bestand. Keiner von ihnen spürte die heimliche Kontrolle, der er gerade durch den Schiffs führer unterzogen wurde. Allerdings wußten alle an Bord um seine besonderen Fähigkei ten und hatten sich längst damit abgefunden, daß La'Mghor stets über alles informiert war, was sie dachten oder taten. Er war der Kommandant und ein Mutant dazu, stand al so weit über ihnen und hatte alle Rechte. Zugleich trug er aber auch in erhöhtem Maße die Verantwortung für sie. Von seiner Begabung als Gravitationsspürer hing es auf Fernflügen ab, wie gut oder schlecht das Schiff manövriert wurde. Bisher hatte sich jedoch noch niemand über ihn beklagen können, er erledigte seine Aufgabe mit vor bildlicher Zuverlässigkeit. Diesmal war das Schicksal jedoch gegen ihn. La'Mghors gedankliche Sondierungen wurden abrupt unterbrochen, als ein gravita torischer Impuls von ungewohnter Stärke seine Sinne erreichte. Augenblicklich wußte der Kommandant, was das zu bedeuten hat te: Störungen aus einer übergeordneten Di mension hatten die Raumkrümmung durch brochen und tobten sich nun im Normaluni versum aus! Die Sicherheit der ARMO STUZ war aufs höchste gefährdet. Hastig stemmte der Kommandant seine Greifäste gegen den Rand der Hängematte und senkte seine Wurzelfüße auf den Boden. Dieser hob sich im nächsten Moment, als ein schwerer Stoß das Schiff aus dem Kurs warf. La'Mghor stürzte und war für kurze Zeit benommen, aber er raffte sich sofort wieder auf. Er mußte in die Steuerzentrale und versuchen, das drohende Unheil abzu wenden. Als der vom Astrogator ausgelöste Alarm
5 in seiner Kabine aufklang, war er bereits un terwegs.
* Während ihn das schnellste Laufband der Zentrale entgegentrug, konzentrierte er sich und sandte mit voller Kraft eine Telepathie botschaft an die Schiffsinsassen aus. »Höchste Gefahr für alle! Die ARMO STUZ wurde durch Hyperkräfte aus der Gravitationslinie geworfen und treibt nun unkontrolliert dahin. Notfallplan Grüner Ast tritt sofort in Kraft, alle darin vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen sind zu treffen. Ich werde versuchen, das Schiff aus dem Be reich der Anomalie zu bringen und es wie der in einen anderen Gravitationsstrom ein zuschleusen.« Er erreichte den Steuerraum nur unter Schwierigkeiten, denn nun hatte der Raumer wild zu schlingern begonnen. Der Schutz schirm der ARMOSTUZ hatte sich beim Auftreten der Störungen sofort automatisch eingeschaltet und konnte von den Hyper energien nicht durchdrungen werden, weil er selbst aus fünfdimensionaler Energie be stand. Er bildete eine stabile Blase um das einhundert Meter lange und in der Mitte sechzig Meter durchmessende Ellipsen schiff, aber in der augenblicklichen Situation hatte das auch beträchtliche Nachteile. Die Hyperkräfte, die zum größten Teil gravitato rischer Art waren, schleuderten es hin und her. Jeder neue Stoß wirkte sich aus, die Ab sorberfelder konnten Energien solcher Stär ke nur zu einem kleinen Teil neutralisieren. »Es steht nicht gut, Kommandant«, sagte der Astrogator, als La'Mghor beim Piloten pult eingetroffen war. Der Schiffsführer verankerte einige Grei fäste in den dafür vorgesehenen Ösen, um einigermaßen festen Halt zu haben. Inzwi schen schwenkten bereits die Sinnesäste mit den Augen über die Instrumentenkonsole, und dann kam ein stöhnender Laut aus sei nem Mund. Dutzende von Störungslampen blinkten
6 hektisch, sämtliche Anzeigen spielten voll kommen verrückt. Auf den Bildschirmen war kein Stern mehr zu sehen, statt dessen waberte ein fahlblaues Leuchten um das Schiff und brach sich an dem Schutzschirm. Der Antrieb lief noch, die Konverter und Generatoren arbeiteten mit Vollast, ein dumpfes Grollen klang vom Triebwerkssek tor her. Rasch griff La'Mghor zu und schaltete sämtliche Aggregate ab. Sie waren in dieser Lage nicht nur nutzlos geworden, sondern trugen noch dazu bei, die Schlingerbewe gungen des Schiffes zu verstärken. Es war bereits zu ersten Energierückschlägen ge kommen, die die Gefahr einer verheerenden Explosion in sich bargen, die den Raumer restlos zerrissen hätte. Der Kommandant dachte nicht daran, dem Astrogator Vorwürfe zu machen, weil dieser die Maßnahme nicht von sich aus getroffen hatte. Ein normaler Aggiare war durch die turbulenten Ereignisse restlos überfordert, weil er ihren Ursprung nicht begriff. Nur ein Mutant »sah« die zerstörerischen Gravitati onskräfte, die sich in der Umgebung des Raumers ballten. Das laute Grollen im Hinterschiff erstarb, eine geisterhaft anmutende Stille breitete sich aus. Sie wurde nur durch die dumpfen Stöße unterbrochen, wenn eine neue Welle der Kräfte aus dem Hyperraum die ARMO STUZ traf und wie einen Spielball umher schleuderte. Dann jaulten auch die Andruck absorber auf, denen La'Mghor zusätzliche Energien zugeführt hatte, um die Wucht der Auswirkungen auf die Besatzung auf ein tragbares Maß herabzumindern. Was war nun weiter zu tun? Wie ließ sich die dem Schiff drohende Zerstörung noch abwenden? Der Kommandant nutzte einen Moment relativer Ruhe aus. Er aktivierte seinen Spürsinn und ver suchte, die chaotischen Gravitationsballun gen auszuloten. Der Schutzschirm beein trächtigte seine Fähigkeiten jedoch stark, so daß er nur die nähere Umgebung durchfor-
Harvey Patton schen konnte. Nur die besonders stark strah lende Zone des Strukturrisses, durch den die fremden Energien einfielen, war für seine mutierten Sinne wie ein grelles Leuchtfeuer zu erkennen. Von ihm gingen spiralförmige »Äste« von Gravostrahlung aus, die sich in einem stän digen rasenden Wirbel drehten. Von der Gravitationslinie, in der sich die ARMO STUZ zuvor bewegt hatte, war nun nichts mehr zu spüren, sie war von den weit stärke ren Hyperkräften einfach eliminiert worden. La'Mghor wußte, daß die Störungen an dauern würden, solange der Strukturriß be stand. Er war ungewöhnlich kräftig und würde sich noch über mehrere Stunden hin weg halten, das war dem erfahrenen Mutan ten klar. Es mußte ihm irgendwie gelingen, das Schiff aus dieser Zone zu bringen, sonst war es mitsamt seiner Besatzung verloren. Der immer neuen Belastung durch die Stoß fronten konnte auch die stabile Schiffshülle nicht lange standhalten. Schon jetzt waren in den Verstrebungen immer wieder verdächtig knisternde Geräusche zu hören, obwohl die annähernde Eiform ein guter Stabilisations faktor war. Der Kommandant zog seine Sinnesäste ein und schloß alle daran sitzenden Augen. Er konzentrierte sich nun vollständig auf das Bild der Gravitationsfelder, das vor seinem »inneren Auge« erstand. Mit ihm verfolgte er den Verlauf der energetischen Spiralen und suchte nach einem relativ ruhigen Punkt zwischen ihnen. Neue Stöße, die den Raumer durchliefen, störten immer wieder sein Bemühen. Trotz dem ließ sich La'Mghor nicht entmutigen – er trug nicht nur die Verantwortung für die hundert Aggiaren an Bord, sondern hing auch selbst an seinem Leben. Allmählich gelang es ihm dann doch, ein gewisses Schema in den scheinbar chaoti schen Bewegungen der Spiralfelder zu ent decken. Zwei von ihnen strebten gerade auf einander zu, mußten sich in Kürze kreuzen, um sich dann im Zuge ihrer konträren Be wegungen wieder von einander zu entfernen.
Kollision im Nichts Auf diese Weise würde genau dort für einige Minuten eine energetisch »tote« Zone ent stehen, und das war eine Entkommenschan ce für die ARMOSTUZ! Eine geringe Chance nur, darüber war sich der Kommandant klar. Sie war jedoch für absehbare Zeit die einzige, das sagte ihm die Extrapolation für die übrigen Gravitati onsballungen, die er jetzt rasch vornahm. Sie trieben das Schiff im Augenblick vor sich her, genau auf den in Frage kommenden Sektor zu. Schnelles Handeln war geboten, und La'Mghor zögerte nun keinen Augenblick mehr. Hastig streckte er einen der Greifäste aus und betätigte damit den Sammelschalter, der alle Funktionen von Antriebsanlagen und Andruckabsorbern in der Instrumentenkon sole vor ihm vereinigte. Der Autopilot war im Augenblick vollkommen nutzlos, er be saß keine Programmierung für einen solchen Extremfall. Der Kommandant mußte die ARMOSTUZ manuell steuern, im Vertrauen auf seine besonderen Fähigkeiten und sein rasches Reaktionsvermögen. Ein Hebeldruck, und der Antrieb lief wie der an. Der Astrogator ließ ein erschrecktes Aufstöhnen hören, denn La'Mghor lenkte das Schiff genau auf eine Zone zu, die auf den Bildschirmen zur Zeit besonders grell leuchtete. Dort tobten jetzt noch die Energi en der beiden Hyperspiralen, deren Kreu zung eben im Gange war. Stampfend und schlingernd setzte sich der Raumer in Bewegung und schoß mit voller Maschinenkraft darauf zu. Nur unter Einsatz aller Greifäste konnte der Kommandant ihn auf einem halbwegs geraden Kurs halten. Die Konverter und Generatoren summten und dröhnten so laut, daß alle Aggiaren an Bord die Öffnung ihrer Hörorgane schlossen und ihr Ende bereits gekommen glaubten. La'Mghor dagegen war geradezu anomal ruhig. Er hatte um seinen Körper herum ein Stasisfeld erzeugt, das seinen »Stamm« fest hielt, ungeachtet aller Schwingungen und Stöße. Die ARMOSTUZ wurde rasch
7 schneller, ihr Antrieb war mit fast fünfzig Prozent überlastet. Falls es wirklich gelang, sie aus der Zone der vernichtenden Energien zu bringen, würden viele Aggregate nur noch besserer Schrott sein, mehr nicht. Ein Zehntel Zeiteinheit, das betreffende Gebiet war fast erreicht. Doch noch immer tobten sich dort die Kräfte der beiden Gravi tationsspiralen aus, und nun verließ selbst den Schiffsführer der Mut. Hatte er viel leicht doch falsch kalkuliert – steuerte er das Schiff geradewegs in die endgültige Ver nichtung hinein …? Mit unsäglicher Erleichterung erkannte er dann, daß seine Extrapolation doch richtig gewesen war. Gerade zum richtigen Zeitpunkt strebten die Spiralen auseinander, eine energetisch und gravitatorisch freie Zone entstand. In diese stieß nun die ARMOSTUZ hinein und wurde immer schneller, zugleich nahmen ih re unkontrollierten Schlingerbewegungen merklich ab. La'Mghor entspannte sich, un willkürlich kam ein pfeifender Laut der Er leichterung aus seinem Atemorgan. Er hatte das fast unmöglich Scheinende geschafft! Sein Schiff war dem tödlichen Mahlstrom entkommen und ließ ihn allmäh lich immer weiter hinter sich.
2. Vereinzelt griffen immer noch Ausläufer des Hyperausbruchs nach dem Raumer, konnten ihm jedoch nichts mehr anhaben. Sie rüttelten ihn lediglich durch, aber mit dieser Belastung wurden die Absorber spie lend fertig. Das Leuchten des Strukturrisses wurde schwächer und blieb immer weiter zurück. Nach etwa zwei Zeiteinheiten hatte die ARMOSTUZ die annähernde Lichtge schwindigkeit erreicht. La'Mghor hatte die Leistung der Antriebsaggregate inzwischen vermindern müssen, weil die Techniker ein dringlich warnten. Nun schaltete er sie ganz ab, das Schiff trieb im freien Fall dahin. Dann gab er die Beendigung des Alarmzu
8 stands bekannt und ging daran, Bestandsauf nahme zu machen. Alles in allem waren die Aggiaren glimpf lich davongekommen. Nur ein Dutzend von ihnen hatte Brüche der Gehwurzeln oder Greifäste davongetra gen; Verletzungen also, die sich durch Be strahlung mit Sonnenlampen in relativ kurz er Zeit wieder heilen ließen. Die Leidtragen den waren fast ausschließlich Wissenschaft ler, wie der Kommandant nicht ohne Scha denfreude bemerkte. Ihre eigene Schuld, denn sie hatten die Sicherheitsvorschriften nur nachlässig oder gar nicht befolgt. Natürlich waren die Raumfahrer die Elite dieses Volkes, aber das wollten diese küm merlichen Planetenspezialisten eben nicht einsehen. Sie dünkten sich klug und überle gen und wollten sich keine Vorschriften ma chen lassen – das hatten sie nun davon! Das Schiff selbst war fast ohne Beschädi gung geblieben. Zwar waren einige Verstre bungen angeknickt, aber die Techniker wa ren bereits dabei, sie auszubessern oder durch neue zu ersetzen. Der Energiever brauch war groß gewesen, sämtliche Spei cher waren so gut wie leer. Nun, sie konnten in den nächsten Stunden wieder aufgeladen werden, also gab es auch hier keine großen Probleme. La'Mghor rief den Astrogator und seinen Stellvertreter zu sich. Sie beschäftigten sich eingehend mit den Navigationsinstrumenten und stellten den genauen Standort des Schif fes fest. Natürlich war die ARMOSTUZ durch die äußeren Einwirkungen und die notwendige Richtungsänderung weit von ihrem Kurs ab gekommen. Ihr Zielsystem lag nun seitlich rechts von ihr, sie driftete auf eine andere, näher gelegene Sonne zu. Der Kommandant sah jedoch darin keinen Grund zur Besorg nis. Er aktivierte seinen Gravitationsspürsinn und durchforschte den umliegenden Raum nach für ihn nutzbaren Gravoströmen. Er nahm aber nur die Reste der Energieballung aus dem Hyperraum wahr, die sich aufzulö-
Harvey Patton sen begann, nachdem sich der Strukturriß in zwischen ganz geschlossen hatte. Andere Li nien waren nicht feststellbar, eine seltene und abnormale Tatsache. La'Mghor stieß einen seufzenden Laut aus. »Das muß eine Folge des Hyperausbruchs sein«, erklärte er seinen Untergebenen. »Die fünfdimensionalen Kräfte scheinen alle frei en Energien in weitem Umkreis an sich ge zogen oder irgendwie neutralisiert zu haben. Wir müssen also notgedrungen abwarten, bis sich die Verhältnisse wieder normalisieren. Nun, die Besatzung hat nach den Ereignis sen der letzten Zeiteinheiten eine Ruhepause redlich verdient. Lassen wir den Dienstbe trieb für den nächsten halben Tag ruhen, nur einige Sicherheitswachen bleiben auf Po sten.« Das große Schott glitt auf, und Re'Gahn stelzte in den Steuerraum. Er war der Leiter des wissenschaftlichen Teams, ein alter Ag giare mit brüchig wirkender Rinde, dessen Gelenke bereits vernehmlich knarrten. In Fachkreisen genoß er als Exobiologe einen ausgezeichneten Ruf, sein Spezialgebiet wa ren jene seltsamen Wesen, die man auf vie len Welten fand. Sie besaßen keine feste Rinde, sondern waren so weich, daß man sich vergeblich fragte, wie ihre Körper über haupt zusammenhielten. Sie waren einfach ekelhaft, und das in je der Hinsicht. Es gab viele verschiedene Ar ten von ihnen, aber bisher war keine mit ei ner nennenswerten Intelligenz entdeckt wor den. Manche waren bepelzt und bewegten sich am Boden dahin, andere besaßen Fe dern und flogen durch die Lüfte. Gewiß, sie waren weit schneller als jeder Aggiare, doch das war auch ihr einziger Vorzug. Viele von ihnen fraßen sich gegenseitig auf, und das war schon schlimm genug. Ein Teil ernährte sich jedoch auch von Pflanzen, die verschlungen, verdaut und wieder ausge schieden wurden – eine unglaubliche, wahr haft obszöne Tatsache! Schon der Umstand allein, daß Re'Gahn sich damit beschäftigte, das Dasein und Ver
Kollision im Nichts halten dieser Wesen zu studieren, hätte ge nügt, ihn dem Kommandanten unsympa thisch zu machen. Der Wissenschaftler war aber obendrein auch noch stolz darauf und bildete sich ein, ein ganz besonders kluger Aggiare zu sein. Das erniedrigte ihn in La'Mghors Augen noch weiter, und so war das Verhältnis zwischen beiden das denkbar schlechteste. Re'Gahn machte das aber gar nichts aus. Er kam auf den Schiffsführer zu, stützte sei nen Körper am Eingabeelement des Bordrechners ab und richtete die Augen an seinen Sinnesästen mit vorwurfsvollem Blick auf ihn. »Was denken Sie sich eigentlich, Kom mandant?« knarrte er heiser. »Weshalb die ser lange Aufenthalt im freien Fall, der uns daran hindert, unseren Aufgaben nachzu kommen? Das Schiff hat keine merklichen Schäden davongetragen und ist voll einsatz fähig, das hat mir einer unserer Spezialisten versichert. Warum setzen wir den Flug zum Zielsystem nicht unverzüglich fort?« La'Mghor zählte in Gedanken erst einmal bis zehn, denn er hatte nicht vor, sich von diesem Unwürdigen provozieren zu lassen. Dann wedelte er müde mit einem Greifast und erwiderte: »Ich vergesse unsere Aufgabe in keinem Augenblick, dessen dürfen Sie versichert sein. Im Gegensatz zu Ihnen und Ihren Gei stesgrößen hat die technische Besatzung aber in der Zeit, als wir gegen die Gra voströme aus dem Hyperraum kämpfen mußten, schwere Arbeit tun müssen. Sie be darf also der Ruhe und muß kräftige Nah rung saugen, um sich wieder zu erholen. Das ist bei Ihren geliebten tierischen Weichlin gen nicht anders, soviel ich weiß. Sie verfal len sogar in der Nacht in einen scheintoten Zustand. Wollen Sie unseren Leuten etwas absprechen, was für diese ekelhaften Wesen eine Selbstverständlichkeit ist?« »Das höre ich gern, Kommandant«, sagte der Exobiologe scharf. »Sie greifen das Team der Wissenschaftler an und beleidigen mich grundlos, nur um von Ihrer eigenen
9 Unfähigkeit abzulenken. Soviel ich weiß, genügen zehn Ihrer Techniker vollauf, um die Anlagen in Betrieb zu halten, die für ei ne Fortsetzung unserer Reise notwendig sind. Sechzig können sich also trotzdem aus ruhen, um diese später abzulösen. Ich ver lange also, daß Sie die ARMOSTUZ sofort wieder auf den richtigen Kurs bringen, da mit die schon eingetretene Verzögerung wieder aufgeholt wird.« La'Mghor kräuselte spöttisch die Rinde um seinen Mund. »Sie reden fast so gut wie gewisse konser vative Politiker auf Aggia, und Ihr Urteil ist gleichfalls von keinerlei Sachkenntnis ge trübt. Man soll immer nur dort kritisieren oder gar verurteilen, wo man etwas besser machen kann, Re'Gahn! Habe ich mich schon einmal in die Belange Ihrer Wissen schaftler eingemischt?« »Das wäre auch das letzte, das ich mir bieten ließe«, knarrte der Forscher. »Im üb rigen möchte ich mir verbitten, daß Sie un ser Team mit Politikern vergleichen, egal welcher Richtung. Wir Wissenschaftler sind schon immer neutral gewesen, wir dienen al lein unserer Aufgabe und niemandem sonst. Sie lenken aber mit Ihren unqualifizierten Angriffen schon wieder vom Kernpunkt der Sache ab. Wollen Sie nun das Schiff unver züglich zum Zielsystem weiterfliegen las sen, oder nicht?« »Gern«, entgegnete der Kommandant trocken. »Voraussetzung dazu ist allerdings, daß mir einer Ihrer hochgelobten Speziali sten einen Gravitationsstrom zeigt, den wir benutzen können! Ich selbst vermag zur Zeit keinen zu entdecken, der Hypersturm hat al le weggefegt.« Re'Gahn wußte, wann er verloren hatte. Er stieß noch einen verächtlich klingenden Laut aus, entfernte sich dann und verließ den Steuerraum. Die Anwesenden sahen ihm nach, bis sich das Schott wieder hinter ihm geschlossen hatte. Dann sagte der Astroga tor: »Sie haben sich da eben – Verzeihung –, du hast dir da eben einen Feind auf Lebens
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Harvey Patton
zeit erworben, Kommandant. Was du Re'Gahn an den Stamm geworfen hast, wird er dir nie verzeihen, das ist sicher.« La'Mghor winkte mit allen Greifästen ab. »Meinst du, ich wüßte das nicht? Ich habe schließlich eben seine Gedanken gelesen – sie waren noch weit ekelhafter als die wei chen Geschöpfe, die Pflanzenfresser sind!«
* Die Ruhezeit war vorüber, die Besatzung der ARMOSTUZ nahm den vollen Dienst betrieb wieder auf. Auch der Kommandant kehrte in die Zentrale zurück, in der sein Stellvertreter solange Wache gehalten hatte. »Alles ruhig und in Ordnung«, meldete dieser. »Das Reparaturkommando hat mir bereits vor sieben Teilzeiten mitgeteilt, daß alle Wiederherstellungsarbeiten abgeschlos sen sind. Darf ich mich jetzt zurückziehen, um Nahrung zu saugen?« »Natürlich«, gab La'Mghor zurück und nahm seinen Platz an der Instrumentenkon sole ein. Er überprüfte die Anzeigen mit ei nem flüchtigen Blick und wandte die Augen seiner Sinnesäste dann den Bildschirmen zu. Die Ansicht darauf war fast unverändert, denn das Schiff hatte sich trotz seines fast lichtschnellen Fluges der vor ihm liegenden Sonne nur unwesentlich genähert. Einige Techniker erschienen und nahmen ihre Plätze ein, doch der Kommandant be achtete sie nicht weiter. Er schloß alle Au gen und aktivierte dafür seinen Sondersinn, der weit ins All hinausgriff, um nach Gravi tationsströmen zu forschen. Doch auch jetzt, viele Zeiteinheiten nach dem Ausbruch aus dem Hyperraum, hatte sich die Lage noch nicht wieder normali siert. La'Mghor hatte derartige Ereignisse bis her nur einige Male aus größerer Entfernung beobachten können, wußte also nicht genau, was dabei im einzelnen vor sich ging. Fest stand nur, daß die fremden Energien und Gravoballungen alle gleichgearteten Kräfte sozusagen aufsogen und nicht wieder freiga-
ben. Was später aus all diesen titanischen Gewalten wurde, blieb nach wie vor unklar. Sie lösten sich beim Abklingen des Hyper sturms auf – doch wohin mochten sie ver schwinden? Der aggiarische Mutant wußte es nicht. Er konnte nur vermuten, daß sie irgendwie mit in den Prozeß einbezogen wurden, durch den sich der Strukturriß wieder schloß. Viel leicht wurden sie dabei sozusagen »verbraucht« und dienten dazu, die Stabili sierung der Raumkrümmung gegenüber dem Hyperraum herbeizuführen. Das erschien ihm plausibel, denn ein spurloses Ver schwinden so gewaltiger Energien konnte es den bekannten Naturgesetzen nach einfach nicht geben. Wie dem aber auch sein mochte, es gab jedenfalls weit und breit auch nicht den schwächsten Gravitationsstrom, in den sich die ARMOSTUZ hätte einfädeln können. Somit war an eine schnelle Fortsetzung der Reise also vorerst nicht zu denken, und La'Mghor gab seine Bemühungen auf. Er beließ das Schiff im freien Fall und begab sich in die Maschinenräume, um dort nach dem Rechten zu sehen. Schon beim Durchschreiten der Schleuse sah er, daß darin überall eifrig gearbeitet wurde. Er rief den Leitenden Ingenieur zu sich und fragte: »Wie sieht es aus, Zo'Nrag? Haben Sie Schwierigkeiten?« Der Ingenieur wies mit seinen Greifästen in verschiedene Richtungen. »Hier ist vieles nicht mehr so, wie es sein sollte, Kommandant. Die lange Überbela stung hat einer großen Anzahl von Aggrega ten so sehr geschadet, daß sie einer einge henden Überholung bedürfen. Wir sind da bei, sie zu reparieren, soweit das noch mög lich ist. Ich befürchte aber, daß wir verschie dene Maschinensätze komplett werden aus wechseln müssen, wenn das Schiff wieder voll manövrierfähig werden soll. Auch dann werden wir jedoch nicht viel weiter kom men, als bis zu unserem Zielsystem. An eine Rückkehr nach Aggia können wir vorerst nicht denken, fürchte ich.«
Kollision im Nichts La'Mghor las in seinen Gedanken und er kannte, daß Zo'Nrag eher noch untertrieb. »Wir müssen froh sein, daß wir noch so da vongekommen sind«, tröstete er den Inge nieur. »Tun Sie, was Sie können, mehr kann niemand von Ihnen verlangen. Wir werden Zeit für eine Generalüberholung haben, wenn wir erst auf einem Planeten gelandet sind. Die Wissenschaftler brauchen bekannt lich immer sehr lange, um eine neue Welt zu erforschen, und das kommt uns dann zugu te.« Zwei weitere Tage vergingen, ohne daß sich die Lage änderte. Re'Gahn erschien noch einmal beim Kommandanten, diesmal in Begleitung an derer Mitglieder seines Teams. Er stellte er neut seine unsinnigen Forderungen, aber La'Mghor fertigte ihn auch dieses Mal ihn ähnlicher Weise ab. Jetzt konnte er noch zu sätzlich darauf hinweisen, daß sich Teile der Antriebsanlagen in Reparatur befanden, und dieses Argument wog schwer. Er selbst fühlte sich jedoch denkbar unbe haglich, obwohl er sich das nach außen hin nicht anmerken ließ. Seit mehr als zwei Jahrzehnten befehligte er nun schon Raum schiffe verschiedener Art, aber so viele Schwierigkeiten wie auf dieser Fahrt hatte er noch nie erlebt. Deshalb atmete er erleichtert auf, als ihm der Leitende Ingenieur endlich melden konnte, daß die Reparaturarbeiten abgeschlossen waren. »Meine früheren Vorbehalte bleiben je doch bestehen, Kommandant«, sagte Zo'Nrag. »Besondere Sorgen bereiten mir die Wandelfeldaggregate des Gravitationsli nienantriebs. Normalerweise sind sie absolut pannensicher, deshalb haben wir auch keine Ersatzteile dafür an Bord. Alle mechani schen und elektronischen Teile, die abge nutzt oder fast ausgeglüht waren, konnten wir durch den Einbau selbstgefertigter Teile ersetzen, nicht aber die Schwingquarze in diesen Aggregaten. Sie sind größtenteils so angegriffen, daß sie über kurz oder lang zer bröckeln werden – und was das bedeutet, wissen Sie.«
11 La'Mghor wußte es sehr genau, denn er besaß selbst eine vorzügliche technische Ausbildung. Er winkte jedoch ab und gab sich betont optimistisch. »Hauptsache, daß wir es noch bis zu unse rem Zielsystem schaffen«, entgegnete er. »Dort können dann Re'Gahns Wissenschaft ler beweisen, daß sie wirklich so gut sind, wie sie immer vorgeben zu sein. Sie können auf die Suche nach neuen Quarzen gehen, sobald wir auf einem Planeten gelandet sind.« »Wenn es dort aber keinen für uns be wohnbaren Planeten gibt?« gab der Astroga tor zu bedenken, als sie wieder unter sich waren. La'Mghor winkte jedoch überzeugt ab. »Auf jeder Welt finden sich Quarze aller Art, ob sie nun bewohnbar oder lebensfeind lich ist«, erklärte er. »Ungünstige Umwelt bedingungen können lediglich ihr Auffinden erschweren, mehr nicht, wir kommen wohl behalten wieder nach Aggia zurück, verlaß dich darauf.« Der Astrogator glaubte ihm, denn sie wa ren nicht nur gute Freunde, sondern gehör ten auch zu den Ablegern desselben Haupt stammes. Nun ging der Kommandant daran, wieder nach einem brauchbaren Gravitati onsstrom zu suchen, und diesmal hatte er Er folg damit. Er ortete eine neu erstandene Feldlinie, knapp einen halben Lichttag von der AR MOSTUZ entfernt. Sie war zwar noch rela tiv schwach, kräftigte sich aber nach und nach, so daß sie von dem Schiff ohne Be denken benutzt werden konnte. Ihr einziger Nachteil war, daß sie nicht in den Bereich des Zielsystems führte, sondern zu der Son ne, auf die der Ellipsenraumer jetzt zutrieb. La'Mghor nahm das jedoch gern in Kauf, denn nahe dieses Gestirns bildete sich ein zweiter Gravitationsstrom aus, der die ge wünschte Richtung nahm. Es gab nun also zwei Möglichkeiten, die Reise fortzusetzen. Im günstigeren Fall konnte die ARMO STUZ fast ohne Aufenthalt auf das Zielsy stem zufliegen und dort auf einem seiner
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Harvey Patton
Planeten landen. Standen die Blattzeichen schlechter, mußte eben eine Zwischenlan dung auf einer Welt der näheren Sonne in Kauf genommen werden, von wo die Wis senschaftler neue Schwingquarze beschaffen konnten. Das bedeutete einen Aufenthalt von höchstens einer Dekade, kaum mehr. Es gab noch einen dritten Weg für den Fall, daß die Schwierigkeiten größer wur den, als La'Mghor jetzt annahm: Er konnte Aggia über den Hyperfunk rufen und von dort ein anderes Schiff anfordern, das der ARMOSTUZ zu Hilfe kam. Diese Möglich keit zog der Kommandant jedoch nicht ernsthaft in Betracht. Er war fest entschlos sen, es aus eigener Kraft zu schaffen. Er aktivierte den Antrieb wieder, lenkte den Raumer auf den ausgeloteten Gravitati onsstrom zu und »fädelte« ihn geschickt dar in ein.
3. Alles ließ sich ausgesprochen gut an. Der Gravitationslinienantrieb brachte zwar nicht ganz die gewohnte Leistung, arbeitete je doch störungsfrei. Die große gelbe Sonne kam rasch näher und erschien auf den Bild schirmen bereits als strahlend heller Feuer ball. Der Kommandant entspannte sich und ging dazu über, schon den zweiten Gra vostrom auszuloten. Er gab die ermittelten Daten an den Astrogator weiter, der nun dar an ging, mittels des Bordrechners den weite ren Kurs festzulegen, der dann dem Autopi loten eingegeben werden sollte. In diesem Augenblick versagte das erste Antriebsaggregat. La'Mghor wurde jäh aus seiner geistigen Konzentration gerissen, als plötzlich auf der Steuerkonsole einige Kontrollampen hek tisch zu flackern begannen. Er brauchte nur wenige Augenblicke, um zu erfassen, was die Ursache dafür war. Hastig streckte er ei nige Greifäste aus, legte die nutzlos gewor denen Maschinen still und schaltete dafür die übrigen um eine Stufe höher. Nur noch etwa ein Zehntel Zeiteinheit, dann war es
geschafft. An einen Weiterflug zur Zielsonne war al lerdings jetzt nicht mehr zu denken. Der Kommandant sah jedoch auf den Bildschir men, daß auch das nahe Gestirn sieben Pla neten besaß, von denen sich zwei innerhalb der für Aggiaren gültigen Lebenszone be fanden. Er winkte dem Astrogator und wies ihn an, den Kurs zum dritten Planeten zu be rechnen, der allem Anschein nach die besten Aussichten bot. Ein Signallicht blinkte auf, und ein Schirm des Bord-Kommunikationsnetzes er hellte sich. Auf ihm erschien das Abbild des Leitenden Ingenieurs, der erregt mit allen Greifästen wedelte. »Wir müssen den Gravoantrieb abschal ten!« brachte er hastig hervor. »Einige Schwingquarze sind bereits zerfallen, die restlichen beginnen sich ebenfalls aufzulö sen. Schnell, Kommandant, sonst …« La'Mghor handelte sofort, aber es war be reits zu spät. Auf dem Bildschirm gleißte eine blenden de Lichtflut auf, und zugleich kam aus dem Lautsprecher das brüllende Krachen einer schweren Explosion. Eine ganze Reihe von Alarmsignalen leuchtete auf der Instrumen tenkonsole auf, ein schwerer Schlag durch lief das Schiff. Der Kommandant spürte einen stechenden Schmerz in jenen Gehirn partien, mit denen er ständig die Intensität des Gravitationsstroms kontrollierte, und dieser Schmerz machte ihn sekundenlang handlungsunfähig. Er spürte nicht, wie die ARMOSTUZ von dem Gravofeld sozusagen ausgespien und haltlos durch den Raum geschleudert wurde. Hinten in den Maschinenräumen erfolgten weitere Explosionen und zerstörten erneut unersetzliche Aggregate. Der Astrogator war es, der dann die unvermeidlich scheinende Katastrophe verhinderte. Er handelte für seinen aktionsunfähigen Vorgesetzten und legte durch einen Schlag auf den Hauptschalter sämtliche Krafterzeu ger für den Gravitationslinienantrieb still. Gleichzeitig aktivierte er die internen
Kollision im Nichts Schirmfeldprojektoren. Schutzschirme bau ten sich auf und riegelten den Bereich dieser Antriebsanlagen gegenüber den anderen Räumen des Schiffes ab. Relative Stille trat ein, nur unterbrochen durch das Grollen der Konverter, die den Andruckabsorbern Energie zuführten. Sie wurden voll beansprucht, denn noch immer wirbelte die ARMOSTUZ unkontrolliert umher, von den Gravitationslinien abgesto ßen, die sich als Reaktion auf die Ereignisse in turbulenter Bewegung befanden. Sie ver hinderten, daß die nicht vorgewarnte Besat zung von den Auswirkungen dieser Gewal ten erfaßt wurde und schwere Verluste erlitt. Endlich ließen die Schmerzen nach, La'Mghors Handlungsfähigkeit kehrte zu rück. Er fühlte sich so schlecht, wie noch nie in seinem Leben, aber sein Wille und die Sorge um sein Schiff ließen ihn die Schwä cheperiode überwinden. Auch ohne alles bewußt miterlebt zu ha ben, wußte er, daß es nun sehr schlimm um die ARMOSTUZ stand. Die Bestätigung lie ferte ihm Zo'Nrag, der nun wieder auf dem Bildschirm zu sehen war. »Der Hauptantrieb ist zum größten Teil zerstört, Kommandant!« meldete er tonlos, und die Augen an seinen Sinnesästen zwin kerten in mühsam unterdrückter Erregung. »Es ist gut, daß Sie so rasch gehandelt ha ben, sonst wäre vermutlich das ganze Schiff zerrissen worden.« La'Mghor wedelte matt mit einem Grei fast. »Dieses Lob müssen Sie unserem Astro gator zollen, ich selbst war infolge des gei stigen Schocks vorübergehend ausgeschal tet. Hat es Ausfälle unter Ihren Leuten gege ben?« »Zum Glück nicht«, gab der Leitende In genieur zurück. »Da ich befürchten mußte, daß die Gravitationsaggregate über kurz oder lang versagen würden, habe ich alle Techniker aus den umliegenden Sektionen zurückgezogen und alle Anlagen auf Fern bedienung umgeschaltet. Was sollen wir jetzt tun, Kommandant?«
13 »Vorerst nichts«, bestimmte La'Mghor. »Die Schutzschirme um die Antriebsanlagen bleiben stehen, bis die Temperaturen in den betreffenden Räumen wieder auf ein erträg liches Maß zurückgegangen sind. Erst dann können Sie mit Ihren Leuten dort nach dem Rechten sehen. Versuchen Sie inzwischen festzustellen, ob auch der Normalantrieb in Mitleidenschaft gezogen worden ist.« Zo'Nrag bestätigte und schaltete ab. Der Kommandant sank zurück und hielt sich an den Ösen vor der Instrumentenkonsole fest, denn ein neuer Schwächeanfall hatte ihn er faßt. Rasch holte der Astrogator eine Am pulle mit konzentrierter Nährlösung hervor und hielt sie an eine der dünnen elastischen Basthäute unterhalb eines Greifarmes. Leise zischend entleerte sie ihren unter Druck ste henden Inhalt in den Kreislauf La'Mghors, der sich daraufhin schnell wieder erholte. »Ich muß dir schon wieder danken, Stammbruder«, sagte er matt. »Ein Glück, daß wir das vor uns liegende System schon fast erreicht haben, sonst sähe es noch schlechter um uns aus. Ich sehe nun ein, daß wir unsere Reise nicht mehr aus eigener Kraft fortsetzen können. Aktiviere das Hy perfunkgerät, ich werde Aggia rufen und um ein Schiff ersuchen, das uns zu Hilfe kommt.« Der Astrogator stakste zur Seite und schaltete das Gerät ein. Er justierte die Sen derantenne in Richtung auf den Heimatpla neten und griff nach dem Mikrophon. Dann hielt er jedoch inne, denn mitten in den Kon trollinstrumenten blinkte eine grellgrüne Lampe auf. »Das Funkgerät ist gestört, Komman dant!« sagte er bestürzt. »Ich weiß nicht, weshalb, denn die Energiezufuhr funktio niert normal. Wir werden das Reservegerät in Betrieb nehmen müssen.« La'Mghor stimmte zu, aber ohne große Hoffnung, denn er hegte eine ganz bestimm te Befürchtung. Sie bestätigte sich gleich darauf, denn auch das zweite Gerät arbeitete nicht. »Eine logische Folge der letzten Ereignis
14 se«, erklärte er seinem Untergebenen resi gniert. »Auch der Hyperfunk arbeitet mit ähnlichen Schwingquarzen, wie sie in den Aggregaten des Gravoantriebs sitzen. Sie sind sogar noch empfindlicher und wurden deshalb von den Energien aus dem Hyper raum vollständig zerstört. Ich hätte es gleich wissen müssen, aber im Moment fällt mir das logische Denken noch schwer.« Tatsächlich spürte er in den mutierten Sektoren seines Gehirns seit dem Schock ein seltsames, bisher unbekanntes und beunruhi gendes Gefühl. Er hatte den sicheren Ein druck, daß sich darin jetzt Veränderungen vollzogen, und befürchtete das Schlimmste. Vielleicht verlor er seine Fähigkeit, Gra vitationsströme auszuloten, jetzt teilweise oder gar ganz! Ein schrecklicher Gedanke für einen Aggiaren, der sie besessen und mit ihnen gearbeitet hatte, solange er zurückden ken konnte. Auch sein Telepathiesinn streik te, er vermochte nicht einmal mehr, die Ge danken seiner Untergebenen in der Zentrale zu erfassen. Er hütete sich jedoch, den anderen gegen über etwas davon verlauten zu lassen. Die Schlingerbewegungen der ARMOSTUZ hat ten inzwischen fast aufgehört, die Verhält nisse in diesem Raumsektor normalisierten sich wieder. Er rief nacheinander die einzel nen Sektorenleiter im Schiff an und ließ sich von ihnen berichten. Erleichtert stellte er fest, daß außerhalb der Anlagen des Gravitationslinienantriebs keine Schäden aufgetreten waren. Nur ganz im Anfang war ein leichter Andruck durch geschlagen, zu schwach, um die Raumfahrer in Bedrängnis bringen zu können. Re'Gahn allerdings beschwerte sich wie der einmal wortreich und warf dem Kom mandanten völliges Versagen vor. »Sie haben unbedacht und verantwor tungslos gehandelt, La'Mghor!« ereiferte er sich. »Sie hätten es nie wagen dürfen, das Schiff mit einem Antrieb zu manövrieren, der nicht voll einsatzfähig war. Sie sollten abtreten und die Schiffsführung uns Wissen schaftlern übergeben, denen das Wohl der
Harvey Patton Besatzung mehr am Herzen liegt, als es bei Ihnen der Fall zu sein scheint.« »Ihr Gedächtnis scheint nicht weiter zu reichen als Ihre Greifäste«, erwiderte La'Mghor sarkastisch. »Vor gar nicht so lan ger Zeit haben Sie schließlich noch darauf gedrängt, daß wir die Reise möglichst schnell fortsetzen sollten. Als Begründung nannten sie das Gutachten eines Ihrer angeb lichen Spezialisten, nach dessen Auffassung die ARMOSTUZ voll einsatzfähig sei! Demnach habe ich, allerdings erst nach Vollendung der nötigen Reparaturarbeiten, nur genau das getan, was Sie kategorisch ge fordert haben, nachdem uns wieder ein brauchbarer Gravitationsstrom zur Verfü gung stand. Wie können Sie mir jetzt dafür Vorwürfe machen, Re'Gahn?« »Alles nur Ausreden«, knarrte der Team leiter. »Ich werde jedenfalls nicht versäu men, Ihr Verschulden auf Aggia zu melden, sobald wir wieder dorthin zurückgekehrt sind; darauf können Sie sich fest verlassen, Kommandant.« »Vorausgesetzt, daß Sie noch einmal dazu kommen«, erwiderte La'Mghor kühl. »Unsere Hyperfunkgeräte sind ausgefallen, der Gravoantrieb ist vollkommen zerstört! Mit etwas Glück können wir gerade noch das vor uns liegende System erreichen und auf einem der dortigen Planeten landen. An schließend bin ich gern bereit, das Komman do über das Schiff an Sie zu übergeben. Ich bin davon überzeugt, daß Ihr vorzügliches Team innerhalb kurzer Zeit neue Antriebs anlagen bauen und die Schwingkristalle da für herbeischaffen wird …« Er unterbrach die Verbindung und wandte sich wieder seinen dringenden Aufgaben zu.
* Zwei Zeiteinheiten später meldete sich Zo'Nrag wieder bei ihm. »Bedauerlicherweise wurde auch der Nor malantrieb in Mitleidenschaft gezogen«, er klärte er. »Vermutlich bereits durch die Energierückschläge während des Ausbruchs
Kollision im Nichts aus dem Hyperraum. Inzwischen haben mei ne Leute alle Schäden so gut beseitigt, wie sie konnten, ich habe die Arbeiten selbst ge leitet. Ich muß Sie aber darauf hinweisen, daß die Anlagen nicht die sonst gewohnte Leistung mehr erbringen werden. Sie bedür fen einer umfassenden Reparatur, die wir aber im Raum nicht vornehmen können.« »Ich verstehe«, sagte La'Mghor. »Nun, ich habe zusammen mit dem Astrogator eben vom Bordobservatorium aus eingehen de Beobachtungen und Messungen an den beiden Planeten vorgenommen, die eine für uns brauchbare Atmosphäre besitzen. Wir haben festgestellt, daß der dritte Sonnentra bant Aggia weitgehend ähnelt, wogegen der zweite eine Wasserwelt mit nur wenigen kleinen Inselkontinenten ist. Das alles wäre zwar Sache der Spezialisten aus Re'Gahns Team gewesen, aber gerade die liegen zur Zeit unter den Sonnenlampen und pflegen ihre gebrochenen Äste. Wir werden also den dritten Planeten anfliegen und uns dort einen geeigneten Landeort suchen. Dort werden Sie dann Zeit haben, den Antrieb gründlich zu überholen.« »Wie soll es aber später weitergehen?« fragte der Astrogator, als sich der Ingenieur wieder entfernt hatte. »Damit, daß wir diese Welt erreichen, ist es doch nicht getan, Kommandant. Wie kommen wir ohne einen intakten Gravolinienantrieb wieder nach Ag gia zurück?« »Voraussichtlich gar nicht«, antwortete La'Mghor, nachdem er sich vergewissert hatte, daß ihn niemand sonst hören konnte. »Das kann ich jedoch den anderen nicht sa gen, sonst würde es zu einer Panik kommen. Lassen wir sie noch in dem Glauben, daß die ARMOSTUZ auf dem fremden Planeten wieder voll flugtüchtig gemacht werden kann. Später werde ich ihnen die Wahrheit nach und nach beibringen müssen.« »Im Endeffekt heißt das also: Wir müssen auf dieser Welt bleiben und dort unser Le ben beenden!« überlegte der Astrogator nüchtern. »Bedauerlich, daß wir keine weib lichen Stämme an Bord haben, mit denen
15 wir Ableger großziehen könnten; dann hät ten wir eine kleine Kolonie gründen können. So aber werden unsere Stämme einst in fremder Erde vermodern.« »Es sei denn, daß wir dort Quarze für das Hyperfunkgerät finden«, schränkte der Kommandant ein. »Diese Möglichkeit ist nicht ganz auszuschließen, etwas Hoffnung bleibt uns also noch.« Er begab sich zum Pilotenpult, aktivierte die Bordsprechanlage und rief alle Techni ker auf ihre Posten. Dann testete er die Funktionen des Normalantriebs durch und war mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden. Auf Zo'Nrag war Verlaß, das hatte sich nun schon oft genug erwiesen. Gleich darauf schwang die ARMOSTUZ herum und schoß den Grenzen des fremden Systems entgegen. Der dritte Planet glich Aggia tatsächlich sehr, wenn er auch um etwa ein Zehntel kleiner war. Er besaß fünf Kontinente, von weiten Ozeanen umgeben, und stand fast senkrecht zur Ekliptik, so daß sein Klima mild und ausgeglichen war. La'Mghor wies einen Spezialisten an, die Energieortung in Betrieb zu nehmen, aber sie brachte keine Echos herein. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten gewesen, denn dieser Raumsek tor wurde erstmals von Aggiaren besucht. Auf den Gedanken, daß es hier auch andere Lebewesen mit einer vergleichbaren Intelli genz geben könnte, kam niemand an Bord, weil man einer solchen Rasse nie zuvor be gegnet war. Der Kommandant bremste das Schiff ab und leitete den Landeanflug ein. Als Ziel hatte er eine weite Ebene mitten auf dem größten Kontinent ausgesucht, der eine Viel falt verschiedener Bodenformationen auf wies. Die Massetaster zeigten das Vorhan densein großer Erzlager an, so daß die Ge winnung von Metallen für die Herstellung von Ersatzteilen gesichert war. Die ARMOSTUZ befand sich bereits in den ersten Ausläufern der Planetenatmo sphäre, als der Astrogator plötzlich einen schrillen Pfeiflaut ausstieß.
16 »Wir sind soeben von mehreren Ortungs strahlen erfaßt worden!« meldete er erregt. La'Mghor zuckte zusammen und schwenkte hastig zwei Sinnesäste mit Augen herum. Verblüfft sah er, daß sich auf dem Spezialbildschirm tatsächlich die grünlichen Linien abzeichneten, in deren Schnittpunkt das Raumschiff lag. Wie war das nur mög lich? Er kam jedoch nicht mehr dazu, sich lan ge Gedanken über dieses erstaunliche Ereig nis zu machen. Plötzlich zeigten sich auf dem Schirm mehrere kleine Körper, die vom Boden ab hoben und auf langen Feuersäulen der AR MOSTUZ entgegenschossen. Es handelte sich um schlanke, längliche Projektile, die offenbar von primitiven Flüssigkeitstrieb werken angetrieben wurden, wie man sie auf Aggia nur noch vom Hörensagen kannte. Trotzdem gewannen sie schnell an Höhe und mußten das Schiff innerhalb kurzer Zeit er reicht haben. »Das ist ein Angriff, Kommandant!« stöhnte der Astrogator. La'Mghor war sekundenlang vollkommen verwirrt. Die Aggiaren waren eine vollkom men friedliche Rasse, zumindest seit einigen Jahrtausenden ihrer Geschichte. Früher ein mal sollte es auch Kriege zwischen den Ab legern verschiedener Stämme gegeben ha ben, doch davon erzählten nur noch halbver gessene Sagen. Die Bewohner dieses Plane ten schienen jedoch noch in diesem aggres siven Stadium zu sein, anders war das Ge schehen kaum zu erklären. Hastig griff der Kommandant in die Steuerung und brach den Landeanflug ab. Gleichzeitig aktivierte er den Schutzschirm rings um die ARMOSTUZ, gerade noch im letzten Augenblick. Schon Sekunden später waren die ersten Projektile heran, gerieten in das energetische Feld und explodierten in grellem Feuerschein! Das Schiff wurde heftig durchgeschüttelt, die Andruckabsorber sprangen mit lautem Grollen ein. Eine Flammenwand stand auf den Sichtschirmen, und La'Mghor zog hastig
Harvey Patton die Sinnesäste mit den Augen zurück. Eilig gab er Gegenschub, der Bug hob sich, und der Raumer schoß wieder in die Höhe. Drei weitere Geschosse folgten ihm noch, blieben aber bald weit hinter ihm zurück. »Das waren Kernexplosionen!« sagte der Kommandant, als er sich wieder gefaßt hat te. »Einfach unfaßbar, das es so etwas gibt, daß Lebewesen ohne Warnung andere Lebe wesen angreifen. Wir hatten doch gar nicht die Absicht, den Fremden etwas zu tun.« Der Astrogator wiegte nachdenklich sei nen Stamm, während er die Anzeigen eini ger Instrumente ablas. »Es waren Kernexplosionen«, bestätigte er gleich darauf. »Nun, ich kann die Frem den in mancher Hinsicht schon verstehen. Ihre Rasse muß noch sehr jung sein, sie kennt noch nicht einmal eine Raumfahrt, sonst hätten wir etwas davon bemerken müs sen. Als nun unser Schiff über ihrem Plane ten erschien, müssen sie, ihrer eigenen Men talität entsprechend, an einen Angriff ge glaubt haben. Sie wollten sich nur wehren, meine ich, mehr nicht.« »Vermutlich hast du recht«, gab La'Mghor nach kurzem Überlegen zu. »Für uns ergeben sich daraus jetzt allerdings Kon sequenzen, die nicht sehr angenehm sind. Wir können nicht auf dieser Welt landen, man würde uns überall nur feindlich entge gentreten. Wir werden also notgedrungen die Wasserwelt anfliegen müssen, obwohl die Bedingungen dort für uns viel ungünsti ger sind.« Er nahm weitere Schaltungen vor, aber das Schiff reagierte nur zögernd darauf. Im nächsten Moment erhellte sich ein Schirm vor ihm, und darauf erschien das Abbild des Leitenden Ingenieurs, der wild mit allen Greifästen winkte. »Den Antrieb abschalten, schnell!« rief er unbeherrscht. Der Kommandant reagierte sofort und kam seinem Verlangen nach. »Was ist geschehen?« fragte er dann knapp. Zo'Nrag stieß ein zischelndes Geräusch der Resignation aus. »Die heftigen Erschütterungen eben wa
Kollision im Nichts
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ren zuviel für die ohnehin nicht voll betrie bsklaren Antriebsaggregate, Kommandant. Sie haben verschiedene neue Schäden verur sacht, wir werden wieder reparieren müssen. Was ist eigentlich passiert?« La'Mghor erklärte es ihm kurz und schloß: »Wir werden jetzt den zweiten Pla neten aufsuchen, sobald es geht, um dort auf einem der Inselkontinente zu landen. Unse ren Erfahrungen nach müßten sie unbewohnt sein, so nahe der Sonne entwickelt sich Le ben erst viel später. Wird der Antrieb das noch aushalten?« »Das weiß allein das große Blatt!« sagte der Ingenieur matt und schaltete die Verbin dung ab. Stunden vergingen, die ARMOSTUZ trieb langsam von dem Planeten weg. Der Astrogator holte nun einiges nach, das zuvor versäumt worden war. Ausschnittsvergröße rungen zeigten, daß alle Kontinente dieser Welt dicht besiedelt waren, es gab zahlrei che große Städte. Als er dann den Normal funk einschaltete, gab es eine neue, nicht weniger große Überraschung. Die Planetarier besaßen bereits ein relativ primitives Fernsehen. Zahlreiche Sender wa ren in Betrieb, und für alle gab es offenbar nur noch ein Thema: Die ARMOSTUZ, de ren Bild gezeigt wurde, ebenso der Raketen angriff auf das Schiff. Dann erschien das Abbild eines Sprechers auf dem Schirm, aber niemand achtete auf die unverständlichen Laute, die er nun her vorbrachte. Alle Aggiaren im Steuerraum starrten nur seine Erscheinung an, die bei ih nen größte Bestürzung hervorrief. Dieser Fremde ähnelte ihnen in keiner Hinsicht – er war ein tierischer Weichling!
4. Von Re'Gahns früherer Überheblichkeit war nun nichts mehr zu bemerken. Die Au gen an seinen Sinnesästen waren glanzlos, seine Stimme klang noch brüchiger als sonst. Früher hätte La'Mghor einen kleinen Ast dafür gegeben, ihn einmal so niederge
schlagen und außer Fassung zu sehen. Jetzt waren alle Gegensätze vergessen. »Was sagen Sie dazu?« fragte der Kom mandant, als die Aufzeichnung abgelaufen war, die später mehrere dieser Geschöpfe zeigte, die offenbar mit einer Diskussion be gonnen hatten. Inzwischen hatte sich das Schiff zu weit von dem Planeten entfernt, so daß diese Sendung nicht mehr empfangen werden konnte. Der Leiter des wissenschaftlichen Teams wedelte hilflos mit den oberen Greifästen. »Mir fällt dazu nichts ein, das sich wis senschaftlich fundieren ließe«, mußte er zu geben. »Das alles ist neu, vollkommen un wahrscheinlich und widerspricht allen aggia rischen Erfahrungsgrundsätzen. Schließlich haben wir noch nie Tiere gefunden, die eine bemerkenswerte Intelligenz entwickelt ha ben.« »Diese hier haben es jedenfalls ge schafft«, sagte La'Mghor lakonisch. »Möglicherweise stellen sie nicht einmal einen Einzelfall dar, vielleicht gibt es an derswo noch ähnliche fortgeschrittene Ras sen. Das Universum ist groß, und wir haben bisher ja nur einen kleinen Teil unser Gala xis erforscht.« »Trotzdem bleiben diese Geschöpfe durch und durch abscheulich«, knarrte Re'Gahn und schüttelte sich demonstrativ. »Ihre nack ten Gesichter, dazu die Federkronen auf ih ren Köpfen … ich fühle mich schlecht, Kommandant, und werde mich zurückzie hen, um mich wieder zu erholen.« »Und so einer will nun Wissenschaftler sein«, meinte der Schiffsführer abfällig, als er die Zentrale verlassen hatte. »Gerade von ihm hätte ich etwas mehr Anpassungsver mögen erwartet. Sonst sind diese Forscher doch immer hell begeistert, wenn sie etwas Neues entdecken.« Der Astrogator sah ihn verwundert an. »Soll das heißen, daß du diese Weichlinge nicht widerwärtig findest, Kommandant? Mir kräuseln sich alle weichen Rindenteile, wenn ich mir nur ihren Anblick wieder vor die Augen rufe.«
18 »Mir ergeht es nicht viel besser«, gab La'Mghor zu. »Obendrein müssen sie auch noch kriegerisch veranlagt sein, sonst wür den sie nicht derartige Waffen besitzen. Nein, sie sind mir in keiner Weise sympa thisch, ich pflege nur pragmatisch zu den ken. Wir müssen uns damit abfinden, daß es sie gibt, ob uns das nun gefällt oder nicht.« Er wies die übrigen anwesenden Techni ker an, über das Geschehene zu schweigen, damit die restliche Besatzung nicht beunru higt wurde. Nach all den unangenehmen Vorfällen der letzten Zeit war ihre Moral oh nehin nicht mehr sonderlich gut. Früher oder später mußte trotzdem etwas durchsickern, denn Re'Gahn würde alles mit seinen Unter gebenen diskutieren. Dann aber hoffte der Kommandant bereits den zweiten Planeten erreicht zu haben, so daß es neue Probleme gab, die die allgemeine Aufmerksamkeit be anspruchten. Diesmal mußte er jedoch volle vier Zeit einheiten warten, ehe Zo'Nrag in der Steuer zentrale anrief. »Es ist um unseren Antrieb schlecht be stellt, Kommandant!« sagte er bedrückt. »Wir können nur noch die Hälfte der Aggre gate benutzen, denn eine ganze Anzahl von Feldspulen ist ausgebrannt, so daß die Ab lenkfelder der betreffenden Düsen nicht mehr stabilisiert werden können. Es liegt an Ihnen, ob Sie trotzdem eine Landung auf der zweiten Welt riskieren wollen; ich kann für ihren reibungslosen Ablauf nicht garantie ren.« »Haben wir denn eine andere Wahl?« fragte La'Mghor fatalistisch. »Die einzige Alternative wäre ein sinnloses Umhertreiben im All, bis wir sterben, weil uns diese oder jene Vorräte ausgegangen sind. Überwachen Sie alle noch intakten Anlagen sorgsam und warnen Sie mich sofort, falls es neue Schwierigkeiten gibt.« Er begab sich vor die Instrumentenkonso le und testete sorgsam alle Kontrollen durch. Nachdem er so ein Bild von der wirklich schlechten Verfassung der Aggregate ge wonnen hatte, schaltete er vorsichtig die heil
Harvey Patton gebliebenen oder reparierten Anlagen ein. Zum Glück verteilten sich die ausgefallenen Düsen ziemlich gleichmäßig über das Heck, so daß wenigstens kein einseitiger Schub er folgte, der das Manövrieren noch weiter er schwert hätte. Langsam setzte sich die ARMOSTUZ wieder in Bewegung und glitt auf den zwei ten Planeten zu. Er befand sich zur Zeit fast jenseits der Sonne, und so dauerte der Flug dorthin fast einen halben Tag. La'Mghor zog sich nur einmal für eine halbe Zeiteinheit in seine Kabine zurück, um Nahrung zu sau gen, und überließ die Steuerung solange dem Astrogator. Diesmal wurden bei der Annäherung an die fremde Welt alle denkbaren Vorsichtsre geln beachtet. Es fanden sich jedoch keiner lei Anzeichen dafür, daß es auch auf ihr in telligentes Leben gab. Die Energietaster sprachen nicht an, und auch auf den Funk frequenzen gab es keinerlei Empfang. Die Schwerkraft dieses Planeten lag dafür aber um ein Drittel höher als die von Aggia. Zu ihrer Kompensation und damit zu einer ordnungsmäßigen Landung reichten die ver bliebenen Düsen nicht aus. Der Komman dant brachte deshalb das Schiff zunächst in eine Umlaufbahn, die es spiralig an die fremde Welt heranführte. Dann suchte er zu sammen mit dem Astrogator nach einem ge eigneten Landeplatz. Das war kein leichtes Vorhaben, denn rund neunzig Prozent der Planetenoberfläche waren von Meeren bedeckt. Die kleinen In selkontinente wiederum bestanden größten teils aus schroffen Gebirgen, zwischen de nen es nur wenige ebene Landflächen gab. Dies waren aber fast durchweg Gebiete mit einem urwelthaften Dschungel aus Riesen farnen und Schachtelhalmgewächsen, zwi schen denen kaum ein freier Fleck zu finden war. La'Mghor entdeckte schließlich eine große Insel, auf der es eine Anzahl noch schwach tätiger Vulkane gab. Diese hatten im Verlauf der Jahrtausende soviel Magma ausgespien, daß zwischen ihnen eine fast
Kollision im Nichts ebene Fläche aus erstarrtem Schmelzfluß entstanden war. Alles sprach dafür, daß sich dort auch Quarze finden würden, wenn auch vielleicht tief unter der Oberfläche. War das der Fall, konnte an eine Wiederherstellung des Gravitationslinienantriebs gedacht wer den, und damit an eine Heimkehr nach Ag gia! Der Kommandant konsultierte die betref fenden Spezialisten des wissenschaftlichen Teams, und sie gaben ihm recht. So führte er schließlich die ARMOSTUZ näher an den Planeten heran, ließ sie kurz in die Atmo sphäre eintauchen und benutzte diese zur zu sätzlichen Abbremsung des Schiffes. Er wie derholte das Manöver mehrmals und setzte schließlich endgültig zur Landung an. Notgedrungen mußte er die ohnehin dezi mierten Düsen überlasten, denn die hohe Schwerkraft des Planeten machte sich unlie bsam bemerkbar. Zusätzlich führte er auch den Antigravanlagen mehr Energie zu, unge achtet der Proteste des Leitenden Ingenieurs. Er hatte nur diese ein Chance und mußte sie optimal nutzen. Alles schien gut abzugehen. Der Raumer stieß von Osten schräg auf die Insel zu, de ren dunkle Felsmassen sich deutlich von der im Morgenlicht schimmernden Meeresober fläche abhoben. Die verschiedenen Aggre gate grollten und jaulten zwar infolge der Überlastung, aber sie hielten durch. Nur noch ein Zehntel Zeiteinheit, dann war es geschafft. La'Mghor hatte diesen Gedanken kaum zu Ende gedacht, als sich die Katastrophe abzu zeichnen begann. Schlagartig fielen drei Antriebsdüsen aus, deren Feldumlenkungsspulen ausgebrannt waren. Augenblicklich wurde die ARMO STUZ wieder schneller, die Oberfläche des Planeten raste ihr in beängstigendem Tempo entgegen. Der Kommandant versuchte ge genzusteuern, doch die Bremsleistung der restlichen Triebwerke reichte einfach nicht mehr aus. Schließlich versagten auch die überbeanspruchten Antigravprojektoren noch – das Schiff sackte steil nach unten
19 weg, schlug weit vor der Insel ins Meer und versank wie ein Stein!
* Ich lebe immer noch! dachte La'Mghor verwundert, als er wieder zu sich kam. Müh sam stemmte er seine Greifäste gegen den Boden und richtete sich wie in Zeitlupe auf. Die Schwerkraft des Planeten behinderte deutlich alle Bewegungen. Im Schiff war es geisterhaft still, denn er hatte sämtliche Aggregate abgeschaltet, als er erkannt hatte, daß die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten war. So hatte er wenig stens verhindern können, daß es zu Explo sionen kam, die die ARMOSTUZ zerrissen hätten. Im Steuerraum war es fast dunkel, denn die reguläre Beleuchtung hatte ausgesetzt. Nur die automatischen Notlampen spendeten gerade soviel Licht, daß eine notdürftige Orientierung möglich war. Der Komman dant schwenkte seine Sinnesäste mit den Augen und erkannte dicht neben sich den re gungslosen Stamm des Astrogators. Äch zend beugte er sich wieder zum Boden herab und bemühte sich, ihn aufzurichten. Der Astrogator kam wieder zu sich, war aber sichtlich benommen. Diesmal war es La'Mghor, der ihm ein Stärkungsmittel zu führte, das ihn wieder auf die Wurzelfüße brachte. Dann bemühten sich beide gemein sam um die übrigen Mitglieder der Zentral ebesatzung, ungeachtet der Schmerzen in al len möglichen Ästen und Stammesteilen. Für zwei der Techniker kam diese Hilfe zu spät. Die übrigen vier waren verletzt, aber nicht allzu schwer. Der Astrogator übernahm es, sie zu betreuen, La'Mghor schaltete den Bordfunk ein und rief nachein ander alle Sektionen des Raumers an. Wenig später hatte er einen ungefähren Überblick. Achtzehn Aggiaren waren tot, ihre Geister befanden sich bereits beim großen Blatt. Weitere dreißig waren mehr oder weniger schwer verletzt, die übrigen waren mit Astoder Wurzelbrüchen und Prellungen davon
20 gekommen. Der Kommandant wies sie an, sich um die schwerer Verletzten zu küm mern und anschließend mit Aufräumungs und Wiederherstellungsarbeiten zu begin nen. Der Druckkörper der ARMOSTUZ war wie durch ein Wunder heil geblieben. Zwar war eine Anzahl von Streben und Trägern zu Bruch gegangen, aber die Hülle hatte gehal ten. Auch die Belüftungs- und Klimaanlagen arbeiteten noch. Das alles war dem Kommandanten aber nur ein schwacher Trost. Sein Schiff lag auf dem Meeresgrund, ungefähr fünfhundert Meter tief! Die Antriebsanlagen waren voll kommen unbrauchbar geworden, der Anti grav funktionierte ebenfalls nicht mehr. Es gab nicht die geringste Aussicht mehr, aus dieser schrecklichen Lage zu entkommen. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, wenn wir alle umgekommen wären! dachte La'Mghor resigniert. Dann flammte die volle Beleuchtung wie der auf und riß ihn aus diesen trüben Gedan ken. Zo'Nrag hatte trotz einiger Astbrüche umgehend wieder seinem Dienst zum Wohle aller aufgenommen, und der Schiffsführer wollte ihm keinesfalls nachstehen. Er begab sich auf einen Rundgang durchs Schiff und griff selbst mit zu, wo es notwendig war. Erleichtert bemerkte er, daß seine telepa thischen Fähigkeiten zurückzukehren began nen. Im Augenblick waren sie ihm aber eher eine Last, denn er fing so viele Gefühle von Schmerz und Verzweiflung auf, daß er lie ber auf ihren Gebrauch verzichtete. Zwei Zeiteinheiten später herrschte wie der Ordnung an Bord, zumindest soweit, wie es die materiellen Belange anging. Dafür waren in der Zwischenzeit drei weitere Be satzungsmitglieder ihren Verletzungen erle gen, der Zustand mehrerer anderer war kri tisch. Die kleine Medostation reichte nicht für die vielen Schwerverletzten aus, man hatte zwei weitere Räume mit ihnen belegen müssen. Unter den Toten befand sich auch Re'Gahn. La'Mghor ordnete eine Ruhepause für alle
Harvey Patton an, die nicht mit den beiden als Mediziner ausgebildeten Technikern zusammen die schweren Fälle betreuten. Anschließend konferierte er mit dem Leitenden Ingenieur und dem Geologen Xe'Bnorg, der nun als Sprecher des Wissenschaftlerteams fungier te. Dieser war noch relativ jung, aber eine tüchtige Fachkraft, und besaß nichts von der Voreingenommenheit und Borniertheit sei nes Vorgängers. »Sie wissen beide, wie es um uns steht«, begann der Kommandant. »Beide Antriebe sind ausgefallen, wir liegen auf dem Grund des Ozeans fest. Zum Glück besteht keine unmittelbare Gefahr für die Überlebenden der Katastrophe; Energie, Sauerstoff und Wasser sind auf Jahre hinaus vorhanden. Das heißt allerdings nicht, daß ich gedenke, mich mit dem jetzigen Zustand abzufinden. Deshalb nun meine Frage an Sie beide: Was können wir tun, auf lange Sicht gesehen, um ihn zu unserem Vorteil zu ändern?« »Um wieder von hier wegzukommen, meinen Sie?« fragte Zo'Nrag. La'Mghor be jahte, und der Ingenieur fuhr fort: »Das läßt sich im Augenblick noch nicht genau sagen, Kommandant, ich bin noch nicht dazu ge kommen, das volle Ausmaß der Schäden an den Antriebsanlagen festzustellen. Mit viel Zeit und geduldiger Arbeit könnte es aber vermutlich gelingen, wenigstens einen Teil von ihnen wieder verwendungsfähig zu ma chen. Nicht alle sind in gleicher Weise be schädigt, so daß ein Austausch der verschont gebliebenen Teile möglich ist. Das gilt so wohl für den Normal- wie auch für den Gra vitationslinienantrieb.« »Zeit und Geduld haben wir gezwungen erweise reichlich«, sagte der Kommandant. »Nehmen wir einmal an, daß es tatsächlich gelingt, die Aggregate zu mindestens einem Drittel wiederherzustellen. Dazu eine Frage an Sie, Xe'Bnorg: Halten Sie es für möglich, auch ohne große Hilfsmittel auf der Insel vor uns Schwingquarze ausfindig zu machen und herbeizuschaffen? Ihr Team könnte da zu die beiden kleinen Beiboote benutzen, unsere Leute würden Sie unterstützen, so
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weit sie dazu imstande sind.« »Theoretisch wäre es möglich«, gab der Geologe zurück. »Es erscheint mir nur frag lich, ob die Beiboote auch für diesen Zweck geeignet sind. Der Wasserdruck in dieser Tiefe ist beträchtlich und könnte sie zerquet schen, sobald sie das Schiff verlassen.« »Das ist richtig«, stimmte ihm Zo'Nrag zu. »Die Druckkörper der Fahrzeuge sind re lativ schwach, denn sie sind im Grunde nur für Erkundungsflüge innerhalb planetarer Lufthüllen gedacht. Wir müßten sie be trächtlich verstärken, wenn wir nicht ihren Verlust und den Tod ihrer Insassen riskieren wollten.« La'Mghor machte eine Geste der Zufrie denheit. »Auch diese Aufgabe ist lösbar, nehme ich an. Die Hauptsache ist, daß es uns zuvor gelingt, die Voraussetzungen dafür zu schaf fen, also eine wenigstens teilweise Wieder instandsetzung der Antriebsanlagen. Damit wären die grundsätzlichen Fragen beantwor tet, das Ausmaß der zu lösenden Probleme umrissen. Versuchen wir nun, unser Bestes zu tun – vielleicht hilft uns das große Blatt!«
* Drei Jahre später lag die ARMOSTUZ noch immer auf dem Grund des Meeres die ser fremden Welt. Zo'Nrag und seine Techniker hatten viel geleistet, aber den entscheidenden letzten Schritt nicht geschafft. Für Reparaturen die ser Größenordnung hätte es der Hilfsmittel einer regulären Schiffswerft bedurft, nicht der beschränkten Werkzeuge an Bord. Auch der größte Eifer konnte dieses Handikap nicht ausgleichen. Dabei hatte es im Anfang ausgesehen, als könnte ein Drittel der Normaltriebwerke re lativ schnell wieder betriebsklar gemacht werden. Die Techniker hatten sich, nachdem ihre Verletzungen geheilt waren, in die Ar beit gestürzt und sich nur die nötigsten Pau sen gegönnt. Sämtliche Aggregate wurden auseinandergenommen und die noch ver
wendbaren Teile sortiert. Aus diesem Kon glomerat von Einzelstücken wurden dann wieder Anlagen zusammengebaut, fehlendes wurde mühsam mit den unzulänglichen Mit teln ergänzt, so gut es ging. Zo'Nrag und sei ne Leute erwiesen sich als Meister der Im provisationen. Nach einem halben Jahr konnten die er sten Probeläufe erfolgen. Sie gaben begrün deten Anlaß zum Optimismus, doch dann kam ein Rückschlag, der alle bisherige Ar beit wieder zunichte machte. Ein relativ un wichtiger Teil versagte, es kam zu einer Ex plosion, und die Maschinenräume glichen erneut einem Trümmerhaufen. Vier Techniker kamen dabei ums Leben, zehn weitere Aggiaren waren im Laufe der Zeit an Spätfolgen ihrer beim Absturz erlit tenen Verletzungen gestorben. Damit war die Besatzung der ARMOSTUZ bereits um ein Drittel reduziert gewesen. Mutlosigkeit ergriff auch jene, die bisher immer noch an ein Entkommen aus dieser schlimmen Situation geglaubt hatten. Selbst Zo'Nrag brauchte mehrere Tage, bis er sich wieder dazu überwinden konnte, von neuem zu beginnen. La'Mghor hatte sich inzwischen, zumin dest innerlich, sehr verändert. Nicht nur sein Telepathiesinn war wieder erwacht, sondern auch die Fähigkeit, Gravitationsströme aus zuloten. Sie war jetzt sogar um ein Vielfa ches stärker als früher geworden. Der Kom mandant vermochte nun Gravofelder zu »sehen«, die sich viele Lichtjahre weit drau ßen im Raum befanden. Sie konnten ihm je doch nichts nützen, solange sich das Schiff in seinem nassen Gefängnis befand. Deshalb befaßte sich sein Mutantensinn nun zuneh mend mit dem Gravitationsfeld des Wasser planeten. Zuerst fast bestürzt, dann freudig über rascht, bemerkte er, daß es ihm in be schränktem Rahmen möglich war, damit zu manipulieren. Wenn er sich besonders stark konzentrierte, konnte er zuweilen sogar die auf die ARMOSTUZ einwirkende Schwer kraft bis auf die Hälfte reduzieren. Das ge
22 lang ihm zwar immer nur für kurze Zeit, aber es weckte einen kühnen Plan in ihm. Er rief den Leitenden Ingenieur und Xe'Bnorg zu sich und unterrichtete sie über diese Entwicklung. »Ich bin dafür, daß Sie sich nicht länger damit aufhalten, die Trümmer des Norma lantriebs erneut reproduzieren zu wollen, Zo'Nrag«, erklärte er dann. »Mit seiner Hilfe könnten wir ohnehin nur in den freien Raum dieses Systems kommen, viel weiter kaum. Statt dessen beauftrage ich Sie damit, eine wenigstens zwanzigprozentige Wiederher stellung des Gravoantriebs zu versuchen.« Der Ingenieur wedelte unsicher mit seinen Greifästen. »Wissen Sie auch, was Sie da von uns verlangen, Kommandant?« erkundigte er sich. »Schon bei den einfachen Aggregaten haben wir ein halbes Jahr gebraucht, bis es so aussah, als ob sie wieder arbeiten wür den! Die komplizierten Anlagen aber wer den ein Vielfaches dieser Zeit erfordern, glauben Sie mir.« »Ich glaube es nicht nur, ich weiß es«, er widerte La'Mghor ruhig. »Dies ist aber mei ner Ansicht nach eine gute Chance für uns, nicht nur von dieser Welt zu entkommen, sondern sogar zurück nach Aggia zu gelan gen! Meine geistigen Kräfte werden immer noch stärker, sie allein reichen dazu jedoch nicht aus, das Schiff zu bewegen. Wenn aber einige Gravitationsaggregate arbeiten und ich meine Fähigkeiten mit ihnen koordinie ren kann, wird es mir gelingen, einen star ken Abstoßeffekt zu erzeugen. Dieser wird uns weit hinaus ins All schleudern, bis zu ei nem richtigen starken Gravostrom – dann ist unsere Heimkehr so gut wie sicher!« »Sie müssen es wissen, Kommandant«, sagte Xe'Bnorg in seiner bedächtigen Art. »Natürlich steht und fällt das ganze Vorha ben damit, ob Schwingquarze für den An trieb vorhanden sind, ehe eine vielleicht un nütze Reparatur der Aggregate in Angriff genommen wird.« »Gerade darum wollte ich Sie ersuchen«, gab der Schiffsführer zurück. »Zo'Nrag, be-
Harvey Patton ginnen Sie also zuerst damit, unsere Beiboo te so auszurüsten, daß sie dem Wasserdruck draußen gewachsen sind. Anschließend schicken wir eine Expedition auf die Vul kaninsel, die dort nach Quarzen schürft. Dann sehen wir weiter.« Die Arbeiten an den beiden Booten dauer ten zwanzig Tage. Die zusätzliche Panze rung machte sie natürlich erheblich schwe rer, so daß sie nur noch bei vollem Einsatz des Antigravs flugfähig waren. Die zurück zulegende Strecke war jedoch nur kurz, so daß das keine allzugroße Rolle spielte. Wenn das Vorhaben Erfolg brachte, würde man sie ohnehin später nicht mehr brauchen. Auch die Wandungen der Luftschleuse, durch die sie ausfliegen sollten, waren stark gepanzert worden, damit es nicht zu einem Wassereinbruch ins Schiff kam. Die aggiari schen Techniker hatten also alles getan, um dem Unternehmen zum Erfolg zu verhelfen. Nun hing sein Ausgang davon ab, ob es auf der Felseninsel Quarze gab oder nicht. Xe'Bnorg war gedämpft optimistisch, aber Hellsehen konnte er leider nicht. Der Druckausgleich in der Schleuse wur de hergestellt, gurgelnd flutete das Wasser herein und umspülte die beiden kleinen Fahrzeuge. Jedes hatte zehn Aggiaren an Bord, je zur Hälfte Wissenschaftler und Techniker, und jedes führte auch eine voll ständige Ausrüstung für die Sucharbeiten mit sich. Falls einem der beiden etwas zu stieß, konnte das andere sie immer noch selbständig durchführen. La'Mghor wäre gern selbst mitgeflogen, aber dieses Risiko konnte er unmöglich ein gehen. Er war schließlich der einzige an Bord der ARMOSTUZ, der das Schiff von der Wasserwelt fortbringen konnte, von sei nem Leben hing auch das aller anderen ab. Die Besatzung wußte das und umhegte ihn, als wäre er ein persönlicher Abgesandter des großen Blattes. Die Restbestände einiger be sonders wertvoller Nährstoffe waren nur für ihn reserviert worden, ohne daß jemand da gegen Einspruch erhob. Mit einem Gefühl leisen Bangens verfolg
Kollision im Nichts te er mit, wie die Boote die Schleuse verlie ßen und nach oben stiegen. Er las die Ge danken ihrer Piloten und stellte erleichtert fest, daß vorerst alles gut ging. Nacheinan der hoben sich die beiden Fahrzeuge schwerfällig aus dem Ozean, gewannen langsam Höhe und bewegten sich dann auf die Insel zu. Bald darauf riß jedoch der telepathische Kontakt ab, und nun konnte der Komman dant nur noch warten und hoffen. Eine kurze Funknachricht traf eine halbe Zeiteinheit später ein, aus der hervorging, daß beide Boote wohlbehalten gelandet wa ren. Dann ereignete sich längere Zeit über nichts. Die zwanzig Aggiaren waren ausge stiegen und hatten mit den Bodenanalysen und anderen Arbeiten begonnen. Sie führten Schneidstrahler und Sprengstoff mit sich, denn anders war der dicken Lavaschicht zwischen den Vulkanen nicht beizukommen. La'Mghor zog sich für zwei Zeiteinheiten in seine Kabine zurück, um Nahrung zu sau gen und etwas zu ruhen. Dann erschien er wieder im Steuerraum, wo der Astrogator solange am Funkgerät Wache gehalten hatte. Beide warteten nun schweigend, denn es gab nichts zu sagen. Erst fünf Zeiteinheiten spä ter ertönte der Summer des Funkgeräts, der Bildschirm erhellte sich und zeigte das Ab bild Xe'Bnorgs. »Es sieht gut für uns aus, Kommandant!« meldete er. »Wir haben tief in das Gestein gehen müssen, sind dort aber auf Quar zadern von verschiedener Beschaffenheit ge stoßen. Eine erste Analyse hat ergeben, daß mindestens zwei der gefundenen Sorten für den Antrieb verwendbar sein dürften. Wir werden von jeder eine größere Menge ber gen und treten dann den Rückweg an.« Er gab sich gelassen, konnte aber das ver räterische Zucken seiner Sinnesäste nicht verbergen. La'Mghor verstand ihn, denn auch er fühlte eine tiefe Erleichterung, und der Astrogator hinter ihm wedelte begeistert mit allen Greifarmen. »Verteilen Sie die Menge gleichmäßig auf beide Boote«, ordnete er an. »Zwischenfälle
23 sind nie auszuschließen, und wir dürfen kein Risiko eingehen.« Die Berechtigung dieser Vorsichtsmaß nahme sollte sich bald schon erweisen. Die Fahrzeuge waren wieder gestartet und überflogen die Vulkankette an der Inselkü ste, als es plötzlich zu einem schweren Aus bruch kam. Glühende Lava und große Ge steinsbrocken wurden hoch in die Luft ge schleudert, und eines der Boote wurde da von getroffen. Der Pilot versuchte verzwei felt, es weiter hochzuziehen, aber das über lastete Triebwerk gehorchte nicht. Das Boot kam ins Trudeln, stürzte ab und verschwand in einem feuerflüssigen Lavasee … Das andere mit Xe'Bnorg an Bord entkam und erreichte wieder das Schiff – Die Nach richt von dem schweren Verlust war ihm auf dem Funkweg vorangeeilt und drückte schwer auf die Stimmung des Kommandan ten. Mit hundert Aggiaren an Bord war er zu diesem Unglücksflug gestartet – jetzt lebten nur noch fünfundfünfzig von ihnen! Am nächsten Tage hatte das restliche Wissenschaftlerteam die eingehende Analy se der Quarze abgeschlossen. Beide Sorten waren brauchbar, wenn auch nicht von der gewohnten guten Qualität. Hier konnte je doch ein Ausgleich geschaffen werden, in dem man die Quantität erhöhte, die in die Antriebsaggregate eingebracht wurde. Für das Hyperfunkgerät waren sie dagegen nicht verwendbar, so daß nicht daran gedacht wer den konnte, Hilfe von Aggia herbeizurufen. Die Besatzung der ARMOSTUZ blieb auf sich selbst gestellt. Nun begann Zo'Nrag unverzüglich damit, die Anlagen des Gravitationslinienantriebs – oder besser das, was von ihnen noch vorhan den war – zu zerlegen. Diesmal waren die Schwierigkeiten aber ungleich größer als früher beim Normalantrieb, denn diese Ag gregate waren ungleich komplizierter. Au ßerdem fehlten ihm jetzt drei seiner besten Techniker, die beim Absturz des Bootes ums Leben gekommen waren. Tage vergingen in harter Arbeit, reihten sich zu Dekaden, diese wiederum zu Jahren.
24 Nach drei Jahren war das mühsame Werk immer noch nicht vollendet, aber es gab an dere, sehr ernste Schwierigkeiten. Eine rät selhafte Krankheit grassierte an Bord! Offenbar hatten die Insassen des Beiboots irgendwelche fremden Erreger von ihrer Ex pedition mitgebracht. Man hatte diese Mög lichkeit überhaupt nicht in Erwägung gezo gen, weil die Vulkaninsel ohne jede Vegeta tion oder tierisches Leben war, und deshalb auch keine besonderen Vorsichtsmaßnah men getroffen. Zudem hatten sich die Mi kroben in der ersten Zeit auch nicht bemerk bar gemacht. Erst nach etwa einem Jahr tra ten die ersten Krankheitsfälle auf. Einige Aggiaren klagten über Bewe gungsschwierigkeiten, verbunden mit einem Gefühl von Taubheit in ihren Extremitäten. Sie wurden eingehend untersucht, aber die Mediziner konnten keine plausible Ursache für diese Erscheinung finden. Ihre Diagnose war jedoch bestürzend: Die Erkrankten be gannen langsam zu versteinern! Es war ein schleichender Tod. Fast un merklich verringerte sich die Bewegungsfä higkeit der Glieder, die weichen Rindenpar tien verhärteten sich, bis der Betroffene voll kommen bewegungsunfähig wurde. So ve getierte er noch einige Zeit dahin, bis auch die Atmungsorgane versteinerten und der Tod durch Ersticken eintrat. Die Mediziner versuchten, ein Gegenmit tel zu finden, aber umsonst. Es gelang ihnen nicht einmal, den Erreger zu identifizieren, so daß sie nicht wußten, wo sie anzusetzen hatten. Sie konnten lediglich eine gewisse Linderung herbeiführen, die aber immer nur für kurze Zeit anhielt. Dann schienen sich die Mikroben auf die veränderten Gegeben heiten eingestellt zu haben, und der Verstei nerungsprozeß schritt unaufhaltsam weiter fort. Nach zwei Jahren waren fast sämtliche Expeditionsmitglieder tot, alle übrigen mehr oder weniger stark von der Krankheit befal len. Nur eine Ausnahme gab es: Der Kom mandant wurde seltsamerweise von der Epi demie verschont! Die Mediziner vermuteten,
Harvey Patton daß dies irgendwie mit seiner besonderen Konstitution als Mutant zusammenhing. Wahrscheinlich stimmte das auch, alle Gra vitationsspürer hatten von Natur aus den Vorzug, daß ihre Lebenserwartung dreimal so hoch wie die normaler Aggiaren war. Die Überlebenden an Bord resignierten trotz dieser tödlichen Krankheit nicht. Im Gegenteil, sie verdoppelten ihre Anstren gungen noch, damit sie diese unheimliche Welt möglichst rasch verlassen konnten. Je der von ihnen hoffte geheilt werden zu kön nen, wenn die ARMOSTUZ erst einmal nach Aggia zurückgekehrt war. Nach Ablauf von drei Jahren lebten nur noch zwanzig, alle bereits mehr oder weni ger schwer behindert. Sie brauchten nicht mehr zu laufen, denn als Ersatz für die zu erst befallenen Laufwurzeln waren kleine Elektrofahrzeuge gebaut worden, mit deren Hilfe sie sich bewegen konnten. So rollten sie zwischen den allmählich wieder rekon struierten Aggregaten hin und her und arbei teten so lange, bis es nicht mehr ging. Am besten hielt sich der Leitende Inge nieur. Zo'Nrag besaß einen außergewöhnlich starken Willen, der ihm eine besondere Wi derstandskraft gegen die Erreger zu verlei hen schien. »Vermutlich werde ich ebenfalls sterben«, erklärte er dem Kommandanten während ei ner vertraulichen Unterredung. »Ich habe mir aber geschworen, solange durchzuhal ten, bis so viele Aggregate betriebsklar sind, wie das Schiff zum Verlassen des Planeten braucht. Mein Stamm soll nicht hier auf dem Meeresgrund liegenbleiben, sondern einst auf Aggia ruhen, im Angesicht des großen Blattes.« Nach dreieinhalb Jahren lebten außer ihm und La'Mghor nur noch zwei weitere Tech niker. Sie konnten ihre Greif- und Sinnesä ste kaum noch bewegen, aber sie gaben dem Kommandanten die Anweisung für die letz ten Arbeiten, die noch durchzuführen waren. La'Mghor hatte sich schon seit langem aktiv betätigt, ohne seine Mitwirkung wären die drei Gravitationslinienaggregate nie fertig
Kollision im Nichts geworden. Als er die Schwingquarze in ihre Kam mern brachte, war er bereits mit Zo'Nrag al lein. Alle übrigen Besatzungsmitglieder ruh ten versteinert in Kühlkammern und warte ten dort auf die Rückkehr in die Heimat. Dann war auch diese Arbeit getan, nur der abschließende Funktionstest stand noch aus. Er mußte vom Bordrechner vorgenommen werden, der mit allen Aggregaten verbunden war, ein einzelner konnte ihn unmöglich vornehmen. Auch der Ingenieur konnte sich nicht mehr bewegen. Der Kommandant hatte sein Fahrzeug jeweils so postieren müssen, daß er mit seinen Augen alles verfolgen und ihm Anweisung geben konnte. Nun ließ La'Mghor ihn allein und begab sich in den Steuerraum. Dort umgab ihn bedrückende Stille, aber daran war er nun bereits ge wöhnt. Sorgfältig programmierte er den Rechner, drückte den Sammelschalter und beobachtete mit banger Sorge die Kontrol len. Dies war der entscheidende Augenblick! Wenn jetzt die Anhäufung von Improvisa tionen versagte, gab es auch für La'Mghor keine Möglichkeit mehr, Abhilfe zu schaf fen. Er hatte viel von Zo'Nrag gelernt, aber das letzte technische Wissen fehlte ihm doch. Als Kommandant und Gravitations spürer hatte er es nie gebraucht. Der Bordrechner schaltete, seine Impulse sprangen auf die Triebwerke über. Gleich zeitig konzentrierte sich La'Mghor voll, um jede Unregelmäßigkeit sofort entdecken zu können. Seine Parafähigkeit war im Lauf der Zeit noch gewachsen, er spürte jetzt auch den Strom der Energien, die zu den Aggre gaten gingen. Diese waren natürlich auf Leerlauf geschaltet, damit etwaigen Zwi schenfällen vorgebeugt werden konnte. Sie liefen augenblicklich an! Induktions ströme gingen von den Erregerkreisen zu den Schwingquarzen und von diesen weiter zu den Feldspulen. Diese emittierten nun ein Minimum jener Energie, die zum Aufbau der fünfdimensionalen Abstrahlfelder der
25 Düsen nötig war. Ein leichtes Zittern durch lief das Schiff, als dann der Kommandant behutsam einen Bruchteil seiner geistigen Kräfte in diesen Kreislauf »einbrachte« und mit ihm eine Verbindung zum Gravitations feld des Planeten schuf. Das sagte ihm genug. Er zog sich augen blicklich wieder zurück und schaltete den Rechner ab. Das Grollen der Konverter erstarb, die Schwingungen der Aggregate verebbten. Mit einem Gefühl unsagbarer Er leichterung verließ La'Mghor den Steuer raum und begab sich zurück zu seinem letz ten Gefährten. »Es ist geschafft!« sagte Zo'Nrag müh sam, denn seine Atemorgane waren bereits angegriffen. »Bring mich bitte in meine Ka bine, von dort aus kann ich den Start verfol gen. Vielleicht erlebe ich die Ankunft auf Aggia noch.« »Bestimmt wirst du das«, versicherte La'Mghor rasch. Innerlich war er jedoch an derer Meinung, er hatte die Symptome des schmerzlosen Todes zur Genüge kennenge lernt. Griff die Versteinerung erst einmal auf die Atemwege über, stand das Ende dicht bevor. »Das große Blatt behüte dich«, sagte der Ingenieur, als er ihn verließ. Der Komman dant der ARMOSTUZ kehrte in die Zentrale zurück und bereitete sich auf den Start von der Todeswelt vor.
5. La'Mghor hatte das untere Ende seines Stammes über einen niedrigen Hocker ge stülpt, die Laufwurzeln stützten ihn am Bo den ab. Mit zwei Greifästen hielt er sich an Ösen der Instrumentenkonsole fest, während die übrigen langsam über die Kontrollinstru mente glitten. Alle vorbereitenden Schaltun gen waren bereits durchgeführt, jetzt über prüfte er nochmals alle Funktionen. Eine ge naue Justierung aller Aggregate war erfor derlich, wenn der Start gelingen sollte, der das Schiff weit hinaus in den Weltraum schleudern mußte.
26 Trauer, gemischt mit einem Gefühl gren zenloser Einsamkeit, erfüllte den Komman danten. Er befehligte nur noch ein Toten schiff, denn das Erlöschen der Gedankenim pulse Zo'Nrags hatte ihm kurz zuvor verra ten, daß auch der Ingenieur inzwischen ge storben war. Zu diesem Zeitpunkt wäre ihm jedes le bende Wesen zur Gesellschaft willkommen gewesen, selbst ein tierischer Weichling. La'Mghor hatte in den vergangenen Jahren viel Zeit zum Nachdenken gehabt und war zu dem Schluß gekommen, daß man auch die Existenz solcher Wesen akzeptieren mußte. Wenn das große Blatt zugelassen hatte, daß sie eine den Aggiaren vergleich bare Intelligenz entwickelten, mußten sie auch eine Daseinsberechtigung im Univer sum haben. So gesehen, erschienen sie ihm längst nicht mehr so widerlich wie früher einmal. Nun, sie saßen auf dem dritten Planeten, und er würde ihnen nie mehr begegnen. Wenn alles wie geplant ablief, würde die ARMOSTUZ ohne einen regulären Start weit aus dem System hinauskatapultiert wer den, direkt in den Bereich eines starken Gra vitationsstroms. La'Mghor »sah« diesen Strom in der Fer ne so deutlich wie ein Leuchtfeuer, er bilde te den Bezugspunkt für ihn. Außer ihm gab es noch mehrere andere, in die er das Schiff anschließend »einfädeln« könnte, bis Aggia schließlich wieder erreicht war. Der Gedanke an die Heimatwelt erfüllte ihn aber keineswegs nur mit Freude, denn er sah bereits jetzt große Komplikationen vor aus. Er selbst schien zwar gegen die Versteine rungsseuche immun zu sein, aber ihre Erre ger befanden sich nach wie vor im Schiff. Es war also für längere Zeit nicht daran zu den ken, daß er seine Wurzelfüße wieder auf den Boden Aggias setzen konnte. Eine reguläre Landung konnte es für die ARMOSTUZ oh nehin nicht geben, weil ihre Normaltrieb werke ausfielen. La'Mghor würde Funkver bindung zu den Behörden aufnehmen und
Harvey Patton ihnen seine Situation erklären müssen. Die logische Folge mußte dann eine lange Quarantäne für ihn sein. Wissenschaftler würden an Bord kommen, in hermetisch schließenden Schutzanzügen, um ihre Fest stellungen zu treffen. Von ihren Forschungs ergebnissen würde es dann abhängen, ob man ihn als möglichen Überträger einer ge fährlichen Seuche überhaupt noch einmal nach Aggia ließ. Falls nicht, würde er den Rest seines Lebens hier im Schiff verbringen müssen, einsam für immer, praktisch nur noch ein lebender Toter! Gewaltsam verdrängte La'Mghor diese quälenden Gedanken. Das alles lag noch in weiter Ferne, und vielleicht ging auch alles anders und viel besser für ihn ab. Sämtliche Einstellungen stimmten nun bis ins letzte, auch der Bordrechner konnte keine Fehler quellen entdecken. Der Kommandant schal tete den Autopiloten ein und gab ihm eine Vorlaufzeit von einem Zwanzigstel Zeitein heit bis zur Aktivierung der Triebwerke. Dann konzentrierte er sich, sein Parasinn griff nach dem Gravitationsfeld des Planeten und leitete die Manipulation ein, die den Ab stoßeffekt herbeiführen mußte. Er ging so in seiner Aufgabe auf, daß er das Grollen nicht vernahm, mit dem die Konverter und Generatoren anliefen. Er spürte nur mit seinen mutierten Sinnen, wie die Gravolinienaggregate in Funktion traten, nachdem der Autopilot geschaltet hatte. Dies war der entscheidende Zeitpunkt, und nun handelte er entschlossen. Ein gewaltiger Ruck durchfuhr das Schiff, es löste sich vom Meeresgrund und schoß weit aus dem System hinaus. Erst jetzt bemerkte der Aggiare, daß er die inzwischen neu in ihm erwachten Kräfte ge fährlich unterschätzt hatte. Nicht nur die ARMOSTUZ verließ den Planeten, sondern mit ihr auch ein riesiger Wasserball, der sich in Sekundenbruchteilen gebildet hatte und sie nun wie eine feste Wand von allen Seiten her umgab! La'Mghor war bestürzt, denn das hatte er keinesfalls beabsichtigt. Im nächsten Augen
Kollision im Nichts blick trat jedoch ein weiteres Phänomen auf, das noch viel beunruhigender war: Die AR MOSTUZ erreichte zwar wie vorgesehen den Gravitationsstrom, fädelte sich jedoch nicht in ihn ein. Sie schoß immer noch wei ter und wurde dabei so schnell, daß das nor male Universum nicht mehr imstande war, sie zu halten. Sie wurde über die Grenzen hinausgeschleudert und verlor sich irgendwo zwischen den Dimensionen! Als La'Mghor endlich aus seiner Verwir rung erwachte und seinen Parasinn desakti vierte, war es längst zu spät. Das Schiff mit dem ihn umgebenden Wasserball schoß mit einer unfaßbaren Geschwindigkeit auch dann noch weiter, als er die Gravotriebwer ke längst stillgelegt hatte. Er hatte keinen Einfluß auf seine Bewegung mehr. Der Aggiare schloß die Augen an seinen Sinnesästen und versuchte, seine Umgebung mittels des Parasinns zu erkunden. Das ge lang ihm aber nur sehr unvollkommen, denn er wurde mit einer ihm gänzlich unbekann ten Zustandsform konfrontiert. Schließlich identifizierte er sie als eine Form von n dimensionaler Energie, die das Schiff in weitem Abstand von allen Seiten umgab. Sie schien die Form einer riesigen Röhre zu haben, die irgendwo in die Unendlichkeit führte. La'Mghor kam nach eingehendem Überlegen zu dem Schluß, daß es sich dabei um eine Art von Korridor zwischen den Dimensionen handeln mußte. Wohin dieser führen mochte, wußte wohl nur das große Blatt allein – nach Aggia zurück aber auf gar keinen Fall! Der Kommandant machte sich die heftig sten Selbstvorwürfe, denn an diesem Mißge schick war er selbst schuld, weil er es ver säumt hatte, den Umfang seiner Mutations kräfte genau festzustellen. Er hatte genügend Zeit dazu, denn die rasende Fahrt der vom Wasser umgebenen ARMOSTUZ schien kein Ende mehr nehmen zu wollen. La'Mghor spielte mit dem Gedanken, sei nem Leben selbst ein Ende zu setzen, ver wirklichte ihn jedoch nicht. Er hatte be merkt, daß zuweilen ähnliche Korridore den
27 kreuzten, in dem sich das Schiff befand, wenn er sie auch immer nur schemenhaft er kennen konnte. Es schien also auch im Nie mandsland zwischen den Dimensionen eine gewisse gesetzmäßige Ordnung zu herrschen – wie im normalen Weltraum, soweit er ihn kannte. Vielleicht würde auch dieser Irr sinnsflug einmal sein Ende finden, und das Schiff fiel wieder in ein solches Universum zurück. In welches wohl? Die Neugier darauf war es, die den Aggia ren in seiner Einsamkeit die folgende Zeit überstehen ließ. Tag reihte sich an Tag, De kade an Dekade, in immer gleicher Eintö nigkeit. Schließlich wurden sogar Jahre dar aus. Überlebensprobleme hatte La'Mghor nicht. Nährstoffe für ihn gab es an Bord ge nug, Luft und Wasser wurden immer wieder regeneriert. Er legte die meisten Schiffsanla gen still und ließ nur noch jene in Betrieb, die den Steuerraum und den Sektor versorg ten, in dem sich seine Kabine befand. In die sem begrenzten Lebensraum spielte sich nun sein Dasein ab. Er beschäftigte sich nun auch mit Dingen, denen er früher kaum Aufmerksamkeit ge schenkt hatte, denn sie bewahrten ihn davor, eines Tages durchzudrehen. Vor allen aber pflegte er seine noch lebenden Pflanzen, sie verkörperten ein Stück Heimat für ihn. Er verstand zu wenig von Biologie, sonst hätte er versucht, aus ihnen irgendwie einen Able ger seiner selbst zu ziehen, um nicht mehr so allein zu sein. Doch dann trat ein Ereignis ein, das sei nem Schicksal endlich eine Wende gab. La'Mghor befand sich im Steuerraum und ruhte in einer Hängematte, die er vor der In strumentenkonsole angebracht hatte. Der Hauptschalter befand sich immer in Reich weite, so daß er bestimmte Anlagen mit ei nem Griff aktivieren konnte, falls das erfor derlich war. Er hatte sowohl den Bordrech ner wie auch den Autopiloten mit einer Viel zahl von Programmen für alle nur denkbaren Fälle versehen, um für alle Eventualitäten
28 gerüstet zu sein. Im Lauf der Zeit hatte er auch gelernt, das Auftauchen anderer Dimensionskorridore schon von weitem zu spüren. Zuweilen hatte er auch festgestellt, daß sich darin andere Objekte bewegten, aber sie huschten stets zu schnell vorbei, um identifiziert werden zu können. Nun erfaßte sein Parasinn wieder eine »Röhre«, die weit voraus den Weg der ARMOSTUZ kreuzte. Der riesige Ball aus Wasser umgab das Schiff noch immer und hielt auf eine Weise zusammen, die dem Ag giaren unerklärlich war. La'Mghor bemerkte auch den großen Kör per, der mit großer Geschwindigkeit in die sem Korridor herangeschossen kam. Er brauchte nur wenige Sekundenbruchteile, um zu erkennen, daß diesmal eine Kollision unvermeidlich war. Rasch aktivierte er das kugelförmige Andruck-Absorberfeld um die Schiffszentrale, das er für den Fall solcher Ereignisse um eine Zehnerpotenz verstärkt hatte. Der Wasserball würde zwar ein gewis ses Polster bilden, aber die Wucht des Zu sammenstoßes mußte trotzdem noch be trächtlich sein. Sekunden später trafen die beiden unkon trolliert dahinsausenden Gebilde tangential aufeinander: Die ARMOSTUZ mit der sie umgebenden Wasserblase und der Kontinent Pthor! Obwohl sich La'Mghor noch nie in einer solchen Lage befunden hatte, sah er die Fol gen klar voraus. Er registrierte das Gravitati onsfeld der Landmasse und versuchte, mit tels seines Parasinns einen Abstoßeffekt her beizuführen, aber das gelang ihm nicht. In den Dimensionstunneln waren die normalen physikalischen Gesetze nicht gültig, dage gen war auch der aggiarische Mutant macht los. Der Wasserball streifte die äußerste Kante von Pthor, wirbelte einmal um seine Achse und schlug dann dort auf, wo sich die Ebene Kalmlech, der einstige Tummelplatz der Un geheuer der jetzt toten Herren der FE STUNG befand. Im gleichen Augenblick verschwanden die Bindungskräfte, die die
Harvey Patton gewaltigen Wassermassen solange zusam mengehalten hatten. Das gesamte Gebilde zerplatzte wie ein Regentropfen und breitete sich in alle Richtungen hin aus. Plötzlich war auch die ARMOSTUZ wie der frei. Sie unterlag nun nicht mehr den Ge gebenheiten des Dimensionstunnels, sondern wurde unaufhaltsam von der Eigengravitati on des Kontinents angezogen. Innerhalb winziger Sekundenbruchteile reduzierte sich ihre Fahrt praktisch bis auf Null, dann fiel sie wie ein Stein auf den Boden von Pthor zu. La'Mghor schätzte rasend schnell alle ge gensätzlichen Faktoren ab und erkannte, daß sein Schiff nicht mehr zu retten war. Trotz dem besaß er noch eine Überlebenschance, und er nutzte sie rechtzeitig. Er aktivierte das Rettungssystem, das die Steuerzentrale umgab und sie als selbständige Einheit aus der ARMOSTUZ katapultierte, als diese am Boden aufschlug und zerschellte. Das in ihr bestehende Absorberfeld wirkte weiter. Es verhinderte nicht nur, daß La'Mghor durch den Andruck zerquetscht wurde, sondern verwandelte den Sturz des Zentralesektors auch in einen halbwegs sanften Gleitflug. Das Gebilde wurde durch die Einwirkung der Atmosphäre noch weiter abgebremst, beschrieb einen weiten Bogen und schlug dann in einen der Seen in der Ebene Kalmlech, in dem es langsam ver sank. Die Auswirkungen dieser Kollision auf den »Dimensionsfahrstuhl« Pthor waren ver schiedener Art. Plötzlich fielen gewaltige Wassermassen auf ihn nieder und breiteten sich wie ein Sturzflut aus. Ganze Völkerstämme wurden von ihnen überrascht, ihre Häuser, Hütten oder sonstigen Unterkünfte brachen zusam men und begruben ihre Bewohner unter sich. Hunderte von ihnen starben dabei, aber kaum jemand ertrank, denn auf ebenem Bo den verteilte sich das Wasser schnell, um dann allmählich darin zu versickern. Dies war jedoch nur ein sekundärer Ef fekt. Die Primärwirkung bestand darin, daß
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die kinetische Energie von Pthor soweit ver ringert wurde, daß sie unter das in einem Di mensionskorridor erforderliche Minimum absank. Damit entfielen die Voraussetzun gen für eine weitere Vorwärtsbewegung in dem Nirgendwo zwischen den Universen. Der Kontinent schlingerte heftig hin und her, wurde dann gewissermaßen zur Seite geschoben und durchdrang die Wand des Korridors. Allmählich fiel er ins Normal kontinuum zurück – in welchen Bereich, in welche Galaxis, das vermochte niemand zu sagen!
* In der FESTUNG herrschte noch immer das Chaos. Die heftige Erschütterung beim Zusam menstoß mit dem unbekannten Körper hatte schlimme Folgen gezeitigt. Jetzt war das Bersten und Krachen verhallt, aber nun tra ten verschiedene Folgeerscheinungen auf. Ein dumpfes Dröhnen durchlief die weitver zweigten Anlagen der Befehlszentrale von Pthor, verbunden mit ständigen Vibrationen. Außerdem schien der gesamte Kontinent zu schwanken, so daß es ihren Insassen schwer fiel, sich auf den Beinen zu halten. »Beim Hammer meines Vaters!« grollte der finstere Heimdall mit verzerrtem Gesicht und starrte auf einen Bildschirm. »Wild wü ten werde ich unter den winzigen Wichten, wenn ich sie wieder am Wickel bekomme. Verzagt verlassen haben sie uns, die verräte rischen Vasallen, Böses brüte ich gegen sie.« Er meinte die Delegation der Technos, die bei den Söhnen Odins erschienen war, um ihnen die Dienste anzubieten, die sie bereits für die früheren Herren der FESTUNG ge leistet hatten. Sie waren in wilder Flucht da vongestürmt, als der heftige Stoß die Anla gen durchlief, und waren nun nicht mehr aufzufinden. »Lasse weichen deine Wut«, parodierte Sigurd die Ausdrucksweise des ältesten Bru ders. »Was selbst uns aufs höchste über
rascht hat, mußte in ihnen natürlich panische Furcht erwecken. Sie wären uns ohnehin keine Hilfe gewesen, denn von den Anlagen hier verstehen sie nichts. Ich begreife nur nicht, wo all das viele Wasser herkommen mag.« Der Bildschirm zeigte einen Ausschnitt der Umgebung des großen PyramidenRaumschiffs, das das Herz der FESTUNG bildete. Rings um das riesige Gebilde stau ten sich unermeßliche Fluten, die wild durcheinanderquirlten und die kleinen Pyra miden der Beiboote fast verschwinden lie ßen. Das seltsame Dämmerlicht, das wäh rend eines Fluges zwischen den Dimensio nen herrschte, ließ nur wenige Einzelheiten erkennen. Trotzdem waren die Verwüstun gen, die das herabstürzende Wasser ange richtet hatte, nicht zu übersehen. »Wahr gesprochen«, sagte Balduur, der zweitgeborene Bruder, mit der ihm eigenen Sachlichkeit. »Weder sie noch die Robotbür ger könnten uns in dieser Lage nennenswert helfen. Dies war ein Zusammenstoß, viel leicht mit einer anderen Welt, die sich wie wir auf der Reise durchs Ungewisse befand. Wahrscheinlich stammen die Fluten von ei nem ihrer Meere, aber es hätte auch viel schlimmer kommen können. Einen Aufprall auf festes Land hätte Pthor vermutlich kaum überstanden.« »Das viele Wasser allein erklärt aber noch nicht die jetzigen Vorgänge«, knurrte Heim dall unwirsch. »Es muß noch mehr gesche hen sein, ich fürchte, daß der Flug von Pthor neuerlich außer Kontrolle zu geraten droht. Arbeitet der Steuermann immer noch nicht wieder?« Sigurd hob entsagend die Hände. »Während du noch dabei warst, nach dei ner Fassung zu suchen, habe ich bereits ver sucht, ihn zur Aufnahme seiner Tätigkeit zu bewegen«, meinte er sarkastisch. »Vergebens, er reagiert auf nichts mehr, un sere geliebte Schwester scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Es sieht so aus, als müß ten wir uns selbst helfen, obwohl das eine den Söhnen unseres Vaters unwürdige Ar
30 beit ist.« »Was schlägst du vor?« fragte Balduur. »Willst du uns im Ernst zumuten, uns in die Tiefe zu begeben, wo das Herz der FE STUNG schlägt? Wir, die Söhne des großen Odin, sollen gemeine Arbeiten verrichten – nein, da mache ich nicht mit.« »Ganz, wie du willst«, gab Sigurd gleich mütig zurück. »Pflege nur deinen Stolz, er wird dir in dieser Situation eine große Hilfe sein. Ich werde das jedenfalls nicht tun, denn ich denke weiter. Wir sind zwar im Grunde unsterblich, aber auch wir werden umkommen, wenn Pthor zugrunde geht!« »Er hat recht«, gab Heimdall widerstre bend zu. »Wenn alle anderen Mittel versa gen, müssen sich die Odinssöhne auch selbst zu helfen wissen. Unser Leben ist wirklich zu kostbar, als daß es dem Stolz zum Opfer gebracht werden sollte. Brechen wir also auf.« Mit der »Tiefe« hatte Balduur die viel stöckigen und weit verzweigten Anlagen ge meint, die im Lauf vieler Jahrzehntausende im Boden unterhalb der FESTUNG entstan den waren. Die vielfältigen Einrichtungen der sieben Pyramidenschiffe erfüllten zwar wichtige Funktionen, waren jedoch in bezug auf die eigentliche Steuerung des Dimensi onsfahrstuhls kaum von Bedeutung. Die besonderen Aggregate, die den Flug des Kontinents bewerkstelligten, befanden sich dort unten. Zweifellos gab es dort auch separate Schalt- und Steuerelemente, die un abhängig von denen in der Hauptpyramide betätigt werden konnten. Nur wer sie zu be herrschen verstand, war der eigentliche Herr über Pthor. Die technischen Kenntnisse der drei Söh ne Odins waren nicht besonders groß. Trotz dem trauten sie sich zu, die Anlagen richtig bedienen zu können, wenn sie eng zusam menarbeiteten. Vermutlich gab es bei den Aggregaten auch Hinweise darauf, wie sie bedient werden mußten, falls ein Notfall wie der jetzige vorlag. Das Schlingern und unheimliche Dröhnen hielt nicht nur an, es schien sogar noch stär-
Harvey Patton ker zu werden. Heimdall warf noch einen Blick auf den Bildschirm, dann drehte er sich um und stapfte schwankend auf den Ausgang des Kontrollraums zu. Balduur und Sigurd folgten ihm, sie durchschritten einen Korridor, in dem nur einige matte Notleuch ten ein ungewisses Zwielicht verbreiteten. Sie gelangten an eine Treppe, die weiter nach unten führte, hielten dort aber abrupt an. Schmutziges Wasser schwappte in halber Höhe über die Treppenstufen und schlug mit leisem Gurgeln gegen die Wände des Nie dergangs. Dieser Sektor der unterirdischen Anlagen schien also bereits überflutet zu sein, und Balduur stieß ein humorloses La chen aus. »Zu ertrinken ist nicht eben der schönste Tod, habe ich mir sagen lassen. Hier gibt es kein Durchkommen mehr, wir werden es an derswo versuchen müssen, Brüder.« Bei den anderen Zugängen zur Unterwelt der FESTUNG sah es jedoch auch nicht bes ser aus. Eine Viertelstunde später mußten die neuen Herren von Pthor resignierend wieder umkehren. Für eine erfolgreiche Durchführung ihres Vorhabens hätten sie Taucheranzüge gebraucht, aber solche gab es weit und breit nicht. Heimdall fluchte hemmungslos, aber das half ihnen auch nicht. Schließlich standen sie wieder im Kontrollraum und starrten auf die Bildschirme, die ihnen weiterhin nur Bil der zeigten, die Verwüstungen und Chaos wiedergaben.
6. Atlan kämpfte verzweifelt gegen den ge waltigen Druck an, der ihn unaufhaltsam im mer weiter nach oben trieb. Er war tief de primiert, denn der gewaltige Schlag, der ganz Pthor erzittern ließ, war gerade im un geeignetsten Moment gekommen. Zusammen mit Elkohr und Kortmikel war er dem unheimlichen Reich der kannibali schen Dellos entkommen, als der Kampf zwischen Vater Pegallu und dem Zyklopen
Kollision im Nichts Urtyn entbrannt war. Die drei ungleichen Gefährten hatten die Schleuse durchschrit ten, hinter der sich zweifellos die Antriebs anlagen des Dimensionsfahrstuhls Pthor be fanden. Eine riesige Halle voller giganti scher Maschinen hatte vor ihnen gelegen, die selbst dem uralten Arkoniden mit seiner großen Erfahrung rätselhaft geblieben wa ren. Im gleichen Moment waren jedoch die Auswirkungen jener Warnung spürbar ge worden, die vor dem Eingang zu lesen ge wesen war. Sowohl Elkohr wie auch Kort mikel hatten sich aufgelöst, Atlan war allein zurückgeblieben. Doch auch das hatte er of fenbar nur der Schutzwirkung durch das Goldene Vlies zu verdanken gehabt, wie ihm sein Extrasinn zu verstehen gab. Er hatte die Riesenhalle mit einem fast ehrfürchtigen Gefühl betreten und die fremdartigen Maschinen bestaunt. Dann hat te etwas Unnennbares nach seinem Geist ge griffen und sich ihm mitzuteilen versucht. War es wirklich die »Seele von Pthor« ge wesen? Er hatte es nicht mehr erfahren können, denn gerade zu diesem Zeitpunkt erfolgte der Zusammenstoß zwischen dem Kontinent und dem riesigen Wasserball, in dessen Mit telpunkt sich die ARMOSTUZ befand. Da er keinerlei Verbindung zur Außen welt hatte, wußte er natürlich nicht, was ei gentlich geschehen war. Er hatte nur die starke Erschütterung gespürt und ihre Fol gen am eigenen Leibe kennengelernt. Au genblicklich war der geistige Kontakt abge brochen, und dann hatten sich große Massen einer öligen Flüssigkeit in die Maschinen halle ergossen. Irgendeine Schutzautomatik war einge sprungen und hatte diese Maßnahme getrof fen, um den Maschinenpark vor Zerstörun gen durch etwaige weitere Stöße zu schüt zen. Die Flüssigkeit war so rasch gestiegen, daß er keine Möglichkeit mehr gefunden hatte, die Halle durch die Schleuse zu ver lassen. Sie hatte ihn einfach fortgespült und zur Decke des Raumes emporgetragen, die
31 er mittlerweile erreicht hatte. Unmittelbare Lebensgefahr für ihn be stand nicht, denn auch hier bewährte sich wieder einmal das Goldene Vlies. Es umgab ihn mit seiner schützenden Aura, so daß er ungehindert atmen konnte. Ohne diese Ab schirmung wäre er jämmerlich in der Brühe ertrunken, das war ihm klar. So aber schoß er schließlich durch eine dunkle Öffnung, die sich in der Decke auf tat. Eine etwa zwei Meter durchmessende Röhre nahm ihn auf, offenbar einer der zahl reichen Tunnels, die es überall in der Unter welt von Pthor gab. Er krümmte sich zusammen und schützte den Kopf mit den Armen, denn die sprudelnde ölige Masse schleuderte ihn hin und her. Einmal stieß er mit den Füßen gegen die Röhrenwandung, und ein stechender Schmerz durchfuhr sein linkes Fußgelenk. Er biß die Zähne zusammen, überschlug sich zweimal und machte sich auf weitere Kolli sionen gefaßt. Sie kamen jedoch nicht, der Sog führte ihn aber unaufhaltsam in die Höhe. Nach wenigen Sekunden bemerkte der Arkonide einen vagen Lichtschimmer, der von oben kam. Dort mußte es also eine Öffnung ge ben, hinter der ein Raum einer höheren Ebe ne lag. Nun erkannte er auch die Tunnel wandung dicht neben sich, machte sich lang und entging so einem neuerlichen Anprall. Schon im nächsten Moment wurde er von dem Schwall der Flüssigkeit durch die Öff nung ins Freie geschleudert. Die trübe Masse schoß wie eine Fontäne in den oberen Raum, verteilte sich dort nach den Seiten hin und verlor ihre Druckintensi tät. Atlan wurde nach Erreichen ihres höch sten Punktes zur Seite gewirbelt und fiel. Es sah den Boden auf sich zukommen, ent spannte seinen Körper und fing den Aufprall durch eine Rolle ab. Sofort kam er wieder auf die Beine und entfernte sich von dem Loch im Boden. Daraus sprudelte noch im mer die Flüssigkeit hervor, nun aber schon wesentlich langsamer. Der Nachschub wird bald ganz aufhören,
32 prophezeite sein Extrasinn. Sobald die auto matische Flutanlage registriert hat, daß die Halle ganz ausgefüllt ist, wird sie sich wie der abschalten. Du bist also hier in Sicher heit. Atlan reagierte nicht auf diese Mitteilung, denn er widmete seine Aufmerksamkeit voll dieser neuen Umgebung. Er stand auf ebenem Steinboden fast in der Mitte einer großen länglichen Höhle, de ren höchster Punkt etwa zehn Meter über seinem Kopf lag. Ihre Wände wölbten sich zwar ziemlich gleichmäßig nach oben, wie sen aber keine sichtbaren Spuren von künst licher Bearbeitung auf. Maschinen oder son stige technische Anlagen gab es hier nicht. Nur eine Anzahl von Röhren und dicken Bündeln verschiedenfarbiger Kabel schlän gelten sich an beiden Seiten entlang, um dann in den Tunnelöffnungen an beiden En den der Höhle zu verschwinden. Einige Leuchtkörper, in unregelmäßigen Abständen angebracht, übergossen alles mit ihrem röt lich trüben Licht. Sie flackerten ständig, und das aus gutem Grund. Ein anhaltendes Vibrieren durchlief den Raum, begleitet von einem dumpfen Dröhnen, das von überall her zugleich zu kommen schien. Der gesamte Bereich der FESTUNG schien sich im Aufruhr zu befin den. Das ist keine lokal begrenzte Erschei nung! korrigierte der Logiksektor Atlans diesbezügliche Überlegungen sofort. Hier muß es eine Katastrophe gegeben haben, die ganz Atlantis betrifft. Dies ist nicht Atlantis, sondern Pthor! gab der Arkonide ärgerlich zurück. Ein Stück dieses Höllenkontinents, das auf der Erde re materialisierte. Sein Extrasinn produzierte ein leises Ki chern. Zugegeben, verehrter Lordadmiral. Du warst es aber, der beharrlich darauf hingear beitet hat, daß der Kontinent die Erde wieder verließ – und du bist bestrebt, die volle Herrschaft über ihn zu erlangen! Wie ich dich kenne, wirst du das auch erreichen, es
Harvey Patton ist also dein Kontinent, zukünftiger König von Atlantis! »Hirngespinste, nichts weiter«, knurrte Atlan mißmutig vor sich hin und bewegte sich auf den nächstgelegenen Ausgang zu. Extrasinn-Gespinste! kam es lakonisch zurück. Warte nur ab, wir werden ja sehen, wer recht behält. Der Arkonide antwortete nicht mehr, son dern blockierte seinen unbequemen inneren Gesprächspartner einfach. Er sah zurück und stellte fest, daß die ölige Flüssigkeit langsam zu versiegen begann. Sie reichte ihm nur noch bis zu den Knien. Von ihr ging ein un angenehm süßlicher Geruch aus, den Atlan als widerlich empfand. Er konnte jetzt wie der frei atmen, die Aura des Goldenen Vlie ses um ihn herum existierte nicht mehr. Er machte sich große Sorgen, denn aus langer Erfahrung wußte er, daß die Schluß folgerung seines Logiksektors sehr ernst zu nehmen war. Pthor befand sich auf einem ungesteuerten, unkontrollierten Flug irgendwo in einem unbekannten Bereich zwischen den Dimensionen. Auf dieser Reise ins Nir gendwo konnte es jederzeit zu ernsten Zwi schenfällen kommen, und der erste schien bereits eingetreten zu sein! Atlans Niedergeschlagenheit wuchs noch, als er wieder an die große Halle mit ihren vielen wunderbar anmutenden Maschinen dachte. Vor allem bedrückte es ihn aber, daß der eben erst zustande gekommene Kontakt mit der unbegreiflichen fremden Entität so abrupt unterbrochen worden war. Was im mer es auch gewesen sein mochte, das hier in geistige Verbindung mit ihm getreten war, es war groß und gut gewesen! Viel leicht hätte es irgendwie die Lösung aller Probleme bewirken können, vor die er ge stellt war. Er zuckte zusammen und wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. Als Folge der ständigen Vibrationen hat ten sich Felsbrocken von der Höhlendecke gelöst und stürzten auf ihn herunter. Er spur tete los, fühlte einen Schlag gegen den Rücken, aber das Goldene Vlies mit seinen
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elastischen Segmenten milderte ihn weitge hend ab. Dann hatte er die Tunnelöffnung erreicht. Der hier beginnende Gang lag etwas hö her als die Kaverne, wurde also von der trü ben Flüssigkeit nicht mehr erreicht. Atlan fühlte sich grenzenlos einsam und dachte an seine Gefährten, mit denen er in die FE STUNG gelangt war. Koy der Trommler war nicht mehr bei ihnen. Er hatte es vorge zogen, in seinen Heimatort zurückzukehren. Razamon und Kolphyr waren geblieben, und die Odinstochter Thalia hatte sich inzwi schen zu ihnen gesellt. Kein schlechter Er satz für Koy, dachte der einsame Mann und fühlte sich wieder etwas besser. Es kam jetzt darauf an, möglichst schnell zu ihnen zurückzugelangen. Auf Heimdall, Balduur und Sigurd konnte er nicht zählen, sie hatten ihre eigenen Interessen im Sinn. Vielleicht konnte er aber später zusammen mit den Freunden die rätselhafte Maschinen halle wieder aufsuchen, um einen erneuten Kontaktversuch zu der vermutlichen »Seele von Pthor« zu unternehmen. Mit neu erwachter Entschlossenheit drang Atlan in den vor ihm liegenden halbdunklen Tunnel ein.
* La'Mghors Überlebenssystem war auf dem Grund des Sees angelangt. Ein einziges Bildgerät arbeitete noch. Der Aggiare schaltete es auf Infrarot um und konnte nun die Umgebung halbwegs deut lich erkennen. Das Wasser schien sehr kalt zu sein, sonst wäre das Bild erheblich besser gewesen. Während der langen Zeit auf dem Meeresgrund des Wasserplaneten hatte der Kommandant in dieser Hinsicht einige Er fahrungen gesammelt. Verwundert bemerkte er, daß der Durch messer des Sees in krassem Widerspruch zu seiner Tiefe stand. Das Verhältnis war unge fähr eins zu drei, und das kam La'Mghor äu ßerst ungewöhnlich vor. Wie konnte ein Ge wässer dreimal so tief sein, wie seine Ober
fläche groß war? Er schaltete erneut und aktivierte einen Außenscheinwerfer, den er langsam kreisen ließ. Gleich darauf hatte er die Lösung des Rät sels gefunden: Dieser See war nicht auf na türliche Weise entstanden! Im Scheinwerferlicht war deutlich zu se hen, daß er – zumindest hier unten – von ei ner exakten runden, fast glatten Steinwand eingefaßt war. Auch der Boden bestand aus Stein und war fast eben, nur stellenweise mit Ablagerungen bedeckt. Das Rettungssystem hatte einen Teil davon fortgewirbelt und da bei die steinerne Fläche freigelegt. Es könnte eine Art von Zisterne sein! überlegte der aggiarische Raumfahrer. Ein Wasserreservoir, das der Landbewässerung oder irgendwelchen technischen Zwecken diente, vielleicht. Für Genußzwecke war sein Inhalt kaum brauchbar, dafür war er zu sehr verunreinigt. Wie komme ich wieder hier heraus? war sein nächster Gedanke. Die Aussichten dafür waren nicht beson ders gut. Das Überlebenssystem besaß keinerlei ei gene Antriebsanlagen. War es einmal abge sprengt, trieb es solange im Raum, bis je mand den automatischen Hyperfunk-Notruf aufgefangen hatte und den Insassen zu Hilfe kam. Das gleiche galt für den Fall, daß es ir gendwo auf einem fremden Planeten nieder gegangen war. Auf dieser Welt gab es jedoch niemanden, den La'Mghor hätte zur Hilfeleistung herbei rufen können, denn Aggia war unendlich weit entfernt. Selbst für den Fall, daß es hier intelligente tierische Weichlinge gab, war ei ne Rettung durch sie mehr als unwahr scheinlich. Er besaß keine Möglichkeit, sich ihnen bemerkbar zu machen, denn die Funk anlage funktionierte nicht. Andererseits konnte er aber nicht einfach auf dem Grund dieses Gewässers bleiben und darauf warten, daß ein Wunder geschah. Der Notvorrat an Nährlösung reichte zwar für mehrere Dekaden, und auch Luft und
34 Energie gab es genug. Es schien dem Aggia ren aber ratsam, diesen Aufenthaltsort mög lichst schnell zu verlassen, denn der Unter grund wurde ständig durch heftige Vibratio nen erschüttert. Der Zusammenstoß mit der riesigen Was sermasse, die ihrerseits wie ein fester Körper wirkte, muß sie ausgelöst haben! überlegte La'Mghor. Nun hängt alles davon ab, wie stark die Bodenkruste dieser Welt ist. Ist sie nicht besonders stabil, dürfte es zu tektoni schen Aktivitäten kommen, in deren Verlauf der See vielleicht verschüttet wird. Dann wäre mein Schicksal besiegelt, ich müßte hier unten jämmerlich zugrunde gehen! Sollte er nur als einziger der Gefangen schaft auf dem Meeresgrund entkommen sein, um hier auf dem Boden eines anderen Gewässers zu sterben? Nein! sagte er sich energisch. Er mußte also das Überlebenssystem ver lassen und versuchen, an die Oberfläche des Sees zu gelangen. Das war kein großes Pro blem, denn es gab eine Notschleuse, durch die er aussteigen konnte, und der Wasser druck war nicht sehr groß. Die Frage war nur, ob er oben auch annehmbare Lebensbe dingungen vorfinden würde. Während des Absturzes hatte er nicht viel von der fremden Welt zu sehen bekommen. Die Sicht war schlecht gewesen, denn es hatte ein seltsames Dämmerlicht geherrscht, das auch die Bildkameras nur notdürftig zu durchdringen vermochten. Die Umgebung des Gewässers schien zwar relativ eben ge wesen zu sein, zugleich hatte sie aber auch einen unwirtlichen Eindruck gemacht. Au ßerdem war sie jetzt vermutlich von den Fluten des Wasserballs bedeckt, die sich wohl nur langsam verlaufen würden. Nun, auch das war nicht sonderlich schlimm. Normalerweise atmete La'Mghor ebenso wie alle anderen Aggiaren, notfalls konnte er aber auch tagelang ohne diese Art der Sauerstoffzufuhr auskommen, denn auch sein Körper war in gewisser Weise mutiert. In seinem Stamm gab es eine große Anzahl
Harvey Patton besonderer Poren, die Sauerstoff aus jedem Medium entnahmen, in dem er sich befand. Ich verlasse diesen Raum und begebe mich nach oben! beschloß der Aggiare. Falls erforderlich, kann ich immer noch hierher zurückkehren, aber im Augenblick bin ich an jedem anderen Ort vermutlich weit siche rer. Er schaltete den Scheinwerfer wieder aus und reduzierte die Beleuchtung auf ein Mi nimum, um die Energievorräte zu schonen. Als er aber auch das Bildgerät stillegen wollte, stutzte er. Bei einem letzten Blick auf den Sichtschirm fiel ihm etwas auf, das ihm zu vor entgangen war: An einer Stelle der Steinwand gab es eine große Nische, von der ein eigentümliches silbriges Leuchten aus ging. Es war nicht sonderlich hell und des halb zuvor von den aufgewirbelten Ablage rungen im Wasser absorbiert worden. Nun war es jedoch deutlich zu erkennen, und La'Mghor überlegte fieberhaft. Kein intelligentes Wesen, welcher Her kunft auch immer es sein mochte, hätte diese Nische hier unten völlig ohne Sinn und Zweck angelegt. Barg sie vielleicht den Zu gang zu irgendwelchen subplanetaren Anla gen in sich? Zu Räumen, in denen sich Ma schinen befanden, für die das Wasser des Zi sternen-Sees als Kühlmedium oder zu ähnli chen Zwecken gebraucht wurde? Dies war eine naheliegende und plausible Erklärung. Der schiffbrüchige Aggiare begab sich an eine Nebensektion der Instrumentenkonsole und führte einige Schaltungen durch. Sum mend lief ein Hohlraumresonator an, der mit zur Überlebensausrüstung gehörte. Auf dem dazu gehörigen Bildschirm zeichneten sich gleich darauf helle und dunkle Zonen ab, die dem erfahrenen Kommandanten anzeigten, daß es in unmittelbarer Nähe Hohlräume gab, zu denen ein Tunnel führte, der direkt hinter der Nische begann. Seine Vermutun gen waren also richtig gewesen. Er aktivierte daraufhin ein EnergieMeßgerät, das aber nur kaum merklich an
Kollision im Nichts sprach. Falls es in den Hohlräumen Aggre gate gab, waren sie offenbar nicht in Be trieb. Vielleicht waren die Anlagen auch schon alt und inzwischen von ihren Besit zern aufgegeben worden, weil man sie nicht mehr brauchte. La'Mghor schaltete die Geräte wieder ab, konzentrierte sich und streckte seine telepa thischen »Fühler« aus. Schon nach kurzer Zeit war er sicher, daß sich in seiner näheren Umgebung keine bewußt denkenden Wesen aufhielten. Er lehnte seinen Stamm gegen den Rand der Instrumentenkonsole und überlegte. Sollte er versuchen, in die Hohl räume einzudringen, oder nicht? Eine ganze Reihe von Gründen sprach da für. Wie es jetzt draußen an der Oberfläche des Planeten aussah, wußte er nicht. Es war aber damit zu rechnen, daß die Über schwemmung ein Chaos ausgelöst hatte, von dem ein weites Gebiet betroffen war. Falls diese Gegend bewohnt gewesen war, wür den die Planetarier nun vermutlich alles dar an setzen, ihre in Not befindlichen Rassege fährten zu retten. Wenn er nun plötzlich oben erschien und sie ihn als Führer des Schiffes erkannten, das diese Katastrophe ausgelöst hatte, mußte er auf unfreundliche Reaktionen gefaßt sein. Unter Umständen sogar auf den Tod, sofern ihre Mentalität der jener Wesen entsprach, die die ARMOSTUZ mit ihren Raketen angegriffen hatten. War es da nicht besser, sich Zugang zu den Hohlräumen zu verschaffen und sich darin solange zu verbergen, bis sich die La ge wieder einigermaßen normalisiert hatte? Ich werde es tun! entschied sich La'Mghor spontan. Diese Räume dürften stark abgesi chert sein, so daß sie auch im Fall eines Erd bebens nicht einstürzen werden. Später kann ich noch einmal in das Überlebenssystem zurückkehren, um mich mit Dingen zu ver sehen, die ich benötigen könnte. Es kann mir als Zwischenstation dienen, wenn ich den Weg an die Oberfläche antrete, der über kurz oder lang nicht zu umgehen sein wird. Der Aggiare begab sich zu einer Seiten
35 wand und öffnete einen kubischen Behälter, in dem sich ein kleiner Vorrat von Nährbo den befand. Er senkte seine Laufwurzeln hinein, verankerte seine Greifäste in einigen Ösen und begann, Nahrung zu saugen. So verharrte er eine halbe Zeiteinheit lang, ent spannte sich und vergaß sogar seine Proble me für diese Zeit. Anschließend traf er seine letzten Vorbe reitungen. Er hängte sich einen kleinen Be hälter mit konzentrierter Nährlösung um, der seinen Bedarf für mehrere Tage decken konnte. Außerdem nahm er zwei Kunststoff beutel an sich, in denen sich verschiedene Werkzeuge befanden, die ihm draußen von Nutzen sein konnten. Eine kleine Batterie lampe vervollständigte diese Ausrüstung. Irgendwelche Waffen waren nicht vorhan den, er hätte aber ohnehin keinen Wert dar auf gelegt. Es als einziger Fremder mit den Bewohnern eines ganzen Planeten aufneh men zu wollen, wäre ein sinnloses Unterfan gen gewesen, ein solches Handeln entsprach auch nicht der aggiarischen Mentalität. Er begab sich zu der kleinen Notschleuse, öffnete das innere Schott und zwängte sich hinein. Hinter ihm schloß sich die Öffnung wieder, eine kleine Pumpe lief an, und dann strömte unter leisem Gurgeln Wasser in die Schleuse und umspülte seinen Stamm. Das große Blatt möge mir helfen! dachte er be schwörend.
7. Das Seewasser war kalt, aber Aggiaren waren gegen Temperaturunterschiede relativ unempfindlich. La'Mghor hatte sein Atemor gan geschlossen, dafür weiteten sich nun die Poren an seinem Körper und entnahmen dem Wasser den nötigen Sauerstoff. Er stand vor der Nische, die ihm mühelos Platz bot, von dem silbrigen Leuchten um geben, für das es keine sichtbare Quelle gab. Es spendete genügend Licht, so daß er seine Umgebung gut sehen konnte. Seitenwände, Boden und Decke waren mit einem grauen Kunststoffbelag ausgeklei
36 det, der aber zum größten Teil von einem Schutzfilm bedeckt war. Die Innenwand da gegen bestand aus einem bläulichen Metall, war vollkommen blank und ohne jede Kor rosionsspuren. Der Aggiare schwenkte die Sinnesäste mit den Augen und suchte nach einem Öffnungsmechanismus. Es mußte einen geben, davon war er über zeugt. Kein denkendes Wesen baute einen Ausgang, der sich nicht von beiden Seiten her öffnen ließ. Das galt für Raumschiffe ge nauso, wie für alle anderen Anlagen. Die Frage war nur, ob diese Vorrichtung in ih rem Aussehen auch den aggiarischen Vor bildern entsprach. Bei einer vollkommen fremden Rasse mußte es in technischer Hin sicht beträchtliche Unterschiede geben. La'Mghor hatte sich jedoch verrechnet. Er war fast enttäuscht, als er den einfachen He belgriff sah, der seitlich in halber Höhe aus der Wandverkleidung ragte. Schon ein schwacher Druck mit einem Greifast genüg te, der Hebel senkte sich und rastete ein. Jenseits der Innenwand begann eine Pumpe zu rumoren, deren Klang trotz der ständigen Vibrationen und des Dröhnens, das den Bo den durchlief, deutlich zu vernehmen war. Wenig später glitt die Wand zur Seite hin weg, und vor dem Aggiaren lag eine geräu mige Schleusenkammer, die mit Wasser ge füllt war. Auch hier gab es das silbrige Licht, in dessen Schein ein weiterer Hebel sichtbar wurde. Er ließ sich ebenfalls leicht bewegen. Das Außenschott schloß sich, und die Pum pe lief wieder an. Sie saugte das Wasser ab, während gleichzeitig aus zuvor nicht sicht baren Öffnungen ein warmer Luftstrom kam. Als sein Atemorgan wieder freilag, öffne te La'Mghor es vorsichtig und atmete kurz ein. Er registrierte zufrieden, daß die Luft für ihn gut atembar war, ihr Sauerstoffgehalt war sogar noch höher als auf Aggia. Aller dings trug sie fremde Gerüche mit sich, de ren Herkunft vorerst nicht festzustellen war. Der aggiarische Raumfahrer kam jedoch auch nicht dazu, sich Gedanken darüber zu
Harvey Patton machen. Schon nach wenigen Sekunden glitt vor ihm das Innenschott zur Seite, und er sah in einen gewölbten halbrunden Korridor, dessen Ausmaße etwas größer als die der Schleuse waren. Sein Ende war nicht zu er kennen, denn in ihm gab es nur in größeren Abständen kleine quadratische Decken leuchten, die einen matten gelblichen Schein verbreiteten, der nur die nächste Umgebung erhellte. Diese Anlagen scheinen wirklich verlas sen zu sein, folgerte La'Mghor, nachdem er eine Weile gelauscht hatte. Zögernd verließ er die Schleusenkammer, die sich hinter ihm sofort wieder schloß. Es gab jedoch auch hier einen Bedienungshebel, so daß er im Notfall ohne Schwierigkeiten zu seinem Überlebenssystem zurückkehren konnte. Langsam setzte er sich in Bewegung und drang in den Korridor ein. Schon nach kurz er Zeit bemerkte er, daß dessen Zustand er heblich schlechter als der der Schleuse war. Hier hatte sich der Kunststoffbelag an vielen Stellen gelöst, war abgeblättert und bedeckte teilweise den Boden, der aus geglättetem Fels bestand. Die Luft war schwül und wirk te abgestanden, eine Zirkulation schien es nicht zu geben. Nun, das war nicht weiter verwunderlich, auch Aggiaren hätten sich mit einer aufge lassenen Anlage keine Mühe mehr gemacht. Der Schiffbrüchige bewegte seine Laufwur zeln schneller und setzte seinen Weg fort. Er gelangte bald an eine Stelle, an der die Beleuchtung ganz ausgefallen war. La'Mghor schaltete seine Lampe ein und drang in ihrem hellen Schein weiter vor. Das Dröhnen und Vibrieren schien jetzt noch stärker zu werden, zuweilen lösten sich Fla den des Deckenbelags und fielen auf ihn herunter. Er schüttelte sie ab und bewegte sich weiter. Bald erreichte er eine Region, in der die Beleuchtung wieder funktionierte. Außer dem sah er in einiger Entfernung einen hel leren Schimmer, der ihm verriet, daß der Gang dort in einen größeren Raum einmün dete. Die Luft wurde nun etwas frischer,
Kollision im Nichts trug aber zugleich einen seltsam stechenden Geruch in sich. Pflanzen! dachte der Aggiare sofort. Auch auf seiner Heimatwelt gab es Gewächse, die durch ihre Ausscheidungen ähnliche, nicht gerade angenehme Düfte erzeugten. Sie stellten eine Art von Unkraut dar, das nicht gern gesehen wurde. Trotzdem kam dieser Geruch dem einsamen Raumfahrer geradezu anheimelnd vor. Dann war das Ende des Korridors er reicht. La'Mghor blieb stehen und sah in den riesigen Hohlraum hinaus, der sich vor ihm auftat. Was er erblickte, war jedoch durch aus nicht geeignet, freudige Gefühle in ihm zu erwecken. Die längliche, von Tiefstrahlern hell aus geleuchtete Kaverne bot den Anblick völli gen Verfalls. Von den großen Maschinen, die einst hier gearbeitet hatten, waren nur noch bessere Schrotthaufen zu sehen. Dafür war fast der ganze Raum von Gewächsen überwuchert, die eine seltsame rötliche Fär bung zeigten. Sie schienen von den Eisenbe standteilen der verfallenen Maschinen zu le ben, denn hier gab es keinen Humus, in dem sie wurzeln konnten. La'Mghor ging zögernd einige Schritte in das Gewölbe hinein und öffnete unwillkür lich seinen Telepathiesektor. Diese verwil derten Pflanzen waren immerhin entfernte Verwandte von ihm – vielleicht sogar die einstigen Erbauer dieser Anlagen, die im Lauf der Zeit degeneriert waren? Ganz aus geschlossen erschien ihm das nicht, denn hier war alles weit älter, als er zuerst ge glaubt hatte. Zudem reagierten sie eindeutig auf seine Anwesenheit, denn ihre Äste wa ren in Bewegung geraten und wandten sich zu ihm hin. Sie denken nicht! erkannte er gleich dar auf tief enttäuscht. Für kurze Zeit hatte er sich geistig kon zentriert und alles andere außer acht gelas sen. Nun mußte er zu seinem Schreck be merken, daß diese Gewächse sich auf diesel be Art fortbewegen konnten, wie er selbst. Einige von ihnen waren inzwischen hinter
37 ihn gelangt und versperrten mit ihrem Stäm men den Rückweg in den Korridor. Andere drangen von vorn auf ihn ein, ihre Äste peitschten wild durch die Luft. Ehe er ganz begriffen hatte, was hier ge schah, hatten sie ihn umzingelt. Große Saugnäpfe, die zwischen ihrem Laub zum Vorschein kamen, griffen nach ihm und hef teten sich an seinen Stamm. Der Aggiare versuchte verzweifelt, sich wieder zu befreien, aber die Übermacht war zu groß. Die fremden Pflanzen stürzten von allen Seiten auf ihn ein, sie schienen regel recht um ihn zu kämpfen. Er stürzte zu Bo den und gab sich selbst bereits auf. Diese Gewächse waren weit schlimmer als das vergleichsweise harmlose Unkraut auf seiner Heimatwelt. Sein Tod schien bereits besie gelt zu sein. In ungläubigem Erstaunen bemerkte er nach einiger Zeit, daß die Phalanx der An greifer wieder von ihm abließ. Gleich darauf wußte er auch, weshalb, und das erheiterte ihn fast. Er war nicht eßbar für sie! Sie konnten nicht denken, sondern waren reine Instinktwesen, obwohl sie auch eine Mutation durchgemacht haben mußten. Wie alle Pflanzen besaßen sie auch eine Emoti onssphäre, die für einen parapsychisch be gabten Aggiaren spürbar war. Als sie La'Mghor wieder losließen, hatte er deutlich ein Gefühl der Enttäuschung wahrgenom men, das er nun zu deuten wußte. Ihr Metabolismus basierte hauptsächlich auf der Verwertung von Eisen, das sie den Überresten der alten Maschinen entzogen. Sie waren aber auch imstande, mit Hilfe ih rer Saugnäpfe tierischen Lebewesen die Le bensflüssigkeit zu entziehen, die gleichfalls einen hohen Prozentsatz an gelöstem Eisen enthielt. Im ersten Moment mußten sie La'Mghor also für einen Weichling gehalten haben, eine willkommene Beute für sie. Während er sich wieder erhob, dachte er weiter. Die logische Konsequenz aus dieser Tat sache war, daß es auch in diesen subplaneta
38 ren Anlagen tierische Wesen geben mußte. Die Frage war nur, ob sie die dominierende Intelligenz dieser Welt waren, oder nicht. Die Wahrscheinlichkeit dafür war jedoch ziemlich groß, wenn er den Zustand dieser Schmarotzerpflanzen in Betracht zog. Hät ten ihre früheren Stämme Intelligenz beses sen, hätten auch sie noch über ein Denkzen trum verfügen müssen, trotz ihrer Mutation. Das war aber offensichtlich nicht der Fall, sonst hätte er es mit dem Telepathiesinn ge spürt. Er mußte sich also jetzt darauf vorberei ten, früher oder später den Weichlingen zu begegnen, wenn er hier unten blieb! Das war kein angenehmer Gedanke für einen Aggiaren. La'Mghor erwog, ob er nicht in das Raumschiffsfragment zurück kehren sollte, verwarf diesen Plan aber so fort wieder. Das wäre nur eine Flucht vor der Wirklichkeit gewesen, der er sich früher oder später doch stellen mußte. Zudem war gar nicht gesagt, daß diese Begegnung schon in Kürze stattfinden würde. Die alten Anla gen schienen riesig zu sein und boten not falls bestimmt genügend Verstecke für ihn. Er sah sich um und entdeckte am anderen Ende der Kaverne zwei weitere Korridore, die in verschiedene Richtungen führten. Er entschied sich für den, der besser beleuchtet zu sein schien, setzte sich in Bewegung und suchte zwischen den verrotteten Maschinen den Weg dorthin. Die rötlichen Gewächse hatten sich zurückgezogen und ließen ihn weiter unbehelligt. Seine Wurzelfüße stockten jedoch auf halbem Weg, als er die drei Gerippe ent deckte, die zwischen zwei Maschinen sockeln lagen. Ekel stieg in ihm auf, aber er zwang sich dazu, seine Sinnesäste nahe an sie heranzuführen und sie genau zu betrach ten. Auf diese Weise bereitete er sich inner lich auf das Zusammentreffen mit lebenden Weichlingen vor. So sahen sie also aus: Kein fester Stamm, sondern eine Anzahl verschieden geglieder ter Äste oder Wurzeln, die von einem Binde gewebe zusammengehalten wurden. Nur je
Harvey Patton zwei Extremitäten zum Laufen und Greifen, die Sinnesorgane saßen in einem länglichen Auswuchs am oberen Körperende, ähnlich wie bei den Tieren auf Aggia. Woran sie ge storben waren, ließ sich leicht erraten – die Pflanzen hatten sie überwältigt und ihnen den Lebenssaft ausgesaugt! La'Mghor machte einen Bogen um diese Stelle und drang dann vorsichtig in den Tun nel ein. Das Dröhnen und die Erschütterun gen nahmen langsam an Stärke zu, aber das befürchtete Erdbeben schien auszubleiben, seit dem Absturz der ARMOSTUZ waren schon mehr als zwei Zeiteinheiten vergan gen. Leise scharrten seine Wurzelfüße über den steinigen Boden, ein langer Irrweg be gann für ihn.
* Atlan war nun seit dem Verlassen der überfluteten Maschinenhalle schon mehr als drei Stunden unterwegs. Er ging in die Rich tung, in der er das Zentrum der FESTUNG vermutete, aber einen geraden Weg dorthin gab es nicht. Die unterirdischen Anlagen waren ein wahres Labyrinth, ein einziges Gewirr von hohen und niedrigen, breiten und schmalen Gängen. Dazwischen lagen immer wieder Gewölbe verschiedener Größe, manche leer, andere mit Maschinen aller Art angefüllt. Die meisten waren so fremdartig, daß sich ihr Sinn und Zweck einfach nicht erraten ließ. Manche waren in vollem Betrieb, ande re wieder standen still oder waren bereits halb verfallen. Auf dieser Ebene schien es weder Dellos noch andere Lebewesen zu geben, die in Be trieb befindlichen Anlagen arbeiteten offen bar vollautomatisch. Dem Arkoniden war das sehr recht, er legte keinen Wert darauf, erneut Riesentermiten, Zyklopen oder kanni balischen Dellos zu begegnen. Er bedauerte das Ende seiner beiden Ge fährten, denn sowohl Elkohr wie auch Kort mikel waren ihm nützliche Helfer gewesen. Nun kam es ihm aber darauf an, die Hades
Kollision im Nichts Zone möglichst rasch wieder verlassen und die FESTUNG erreichen zu können. Dann mußte er die störrischen Odinssöhne irgendwie dazu bringen, eine Expedition zu der Anlage zu entsenden, die vermutlich die »Seele von Pthor« war. Falls es überhaupt noch eine Möglichkeit gab, das drohende Unheil von dem Kontinent abzuwenden, mußte sie dort zu finden sein. Der verschlungene Verlauf der Tunnels zwang den Arkoniden immer wieder zu neuen Umwegen. Manche waren auch bereits eingestürzt, so daß er umkehren und sich einen anderen Weg suchen mußte, auch war die Beleuchtung oft mehr als dürftig. Gleich im Anfang hatte er sich in einer Halle eine kurze Eisenstange beschafft, die ihm notfalls als Waffe dienen konnte. Er benutzte sie da zu, Zeichen auf den Boden oder in die Gangwände zu ritzen, um später den Weg wiederfinden zu können. Das Dröhnen und Vibrieren, das offenbar den ganzen Kontinent erschütterte, wurde allmählich lauter und stärker. Atlan wußte nicht, worauf es zurückzuführen war, aber seine Sorge stieg weiter. Er verfluchte die Tatsache, daß es in diesen uralten Gewölben kein einziges brauchbares Transportmittel gab. Schon ein simpler Elektrokarren hätte ihm geholfen, eine Strecke in einer halben Stunde zurückzulegen, für die er jetzt die sechsfache Zeit benötigte. Hunger und Durst plagten ihn, in seinen Gliedern machte sich eine zunehmende Mat tigkeit bemerkbar. Nur der Zellaktivator in seiner Brust, der ständig seine belebenden Impulse aussandte, verlieh ihm die Kraft zum Durchhalten. Er dachte an Thalia, Raz amon und Kolphyr, die sich bestimmt um ihn sorgten. Vielleicht waren sie auch längst aufgebrochen, um ihn zu suchen, aber in diesem vielstöckigen Labyrinth waren ihre Chancen, ihn zu finden, nicht sonderlich groß. Er erreichte ein weiteres Gewölbe mit ei nigen arbeitenden Aggregaten und schickte sich an, auch hier ein Zeichen anzubringen. Im nächsten Moment fuhr er zusammen und
39 ging in Abwehrstellung. Etwa ein Dutzend rattenähnlicher Tiere, alle so groß wie ein ir discher Terrier, stürzten mit schrillem Pfei fen auf ihn zu. Hastig wich er an die Wand zurück und hob die Eisenstange. Die Tiere waren offenbar vollkommen ausgehungert, denn sie gingen ohne jede Vorsicht auf ihn los. Er schlug zu, traf zwei von ihnen und tötete sie. Dann waren die übrigen bei ihm, sprangen an ihm hoch und versuchten sein Gesicht zu erreichen, das allein frei war. Er fand keine Zeit, seinen Gesichtsschutz zu schließen, und die Berührung mit dem Gol denen Vlies übte keinerlei Wirkung auf sie aus. Der »Anzug der Vernichtung« schien stets nur in Extremfällen seine besonderen Fähigkeiten zu zeigen. Atlan kämpfte stumm und verbissen, im mer wieder wirbelte seine Eisenstange durch die Luft. Die Riesenratten ließen jedoch erst von ihm ab, als ihre Zahl um die Hälfte ver mindert war. Mit geifernden Mäulern schnappten sie nun nach ihren toten Artge nossen, schleppten sie davon und zogen sich in irgendwelche Schlupfwinkel zurück. Es gehörte keine besondere Phantasie dazu, sich auszumalen, was nun dort mit den Ka davern geschah. Der einsame Mann atmete schwer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann ritzte er eine Markierung in den brü chigen Kunststoff am Tunneleingang und ging weiter. Zehn Minuten später erreichte er eine Ma schinenhalle, die hell erleuchtet war. Tosen de Arbeitsgeräusche schlugen ihm entgegen, er sah die haushohen Gehäuse von Konver tern und Transformern, die blitzblank und in vollem Betrieb waren. Hier wurde offenbar ein Großteil der Energie erzeugt, die diesen Sektor versorgte. Er blieb abwartend am En de des Korridors stehen und spähte aufmerk sam in das riesige Gewölbe. Sekunden später sah er die Gestalten, die sich zwischen den Maschinengehäusen be wegten. Es handelte sich um Dellos, und schon nach kurzer Zeit bemerkte er, daß sie sämtlich blind waren. Wie sich diese Wesen
40 zurechtfinden mochten, blieb ihm auch jetzt noch rätselhaft, aber von ihnen hatte er je denfalls nichts zu befürchten. Er durchquerte die Halle, sah an ihrem anderen Ende drei Ausgangstunnels und entschied sich dafür, den mittleren zu nehmen. Dann sah er die transparenten Kammern an der Wand, die diesen Arbeitssklaven of fenbar als Quartiere dienten. Sie waren im Gegensatz zu den Aggregaten schmutzig und verkommen, nur eine machte eine Aus nahme. In ihr befanden sich hohe Regale voller Lebensmittel, und plötzlich spürte At lan seinen Hunger mit voller Intensität. Der Eingang zu der Kabine stand offen, er betrat sie und sah sich darin um. »Fladenbrot und Synthesefleisch!« mur melte er, und das Wasser lief ihm im Munde zusammen. »Diese Anlagen sind wirklich wichtig, sonst würde man diese Wesen nicht so gut versorgen. Das besorgt vermutlich ei ne Automatik, vielleicht die einzige dieser Art, die hier noch funktioniert. Sie wird es kaum bemerken, wenn ich mich unangemel det bediene.« Wasserkanister waren ebenfalls vorhan den, und so war auch dieses Problem gelöst. Eine Viertelstunde später verließ der Arko nide den Raum wieder mit einem wohligen Gefühl der Sättigung. Der nächste Korridor nahm ihn auf, sein Weg in Richtung FE STUNG ging weiter. Die folgenden Korridore und Gewölbe befanden sich in ziemlich schlechtem Zu stand. Vorhandene Maschinenanlagen arbei teten nicht, waren verkommen oder teilweise zerstört. Einmal raste eine Horde großer Hunde kopflos durch eine Kaverne und ver schwand in einem Seitentunnel. Atlan drückte sich in eine Nische, aber seine Vor sicht war unbegründet. Die mutierten Tiere – manche besaßen sechs Beine, andere wie der zwei Köpfe – waren auf der Flucht, und das aus gutem Grund. Das ständige Vibrieren wirkte sich all mählich auf das uralte Labyrinth aus. Immer wieder gingen Steinschläge nieder, Rohre lösten sich aus ihren Verankerungen an
Harvey Patton Wänden oder Decken und stürzten herunter. Einmal war ein Gang schon vollkommen eingestürzt, so daß Atlan zurückkehren und nach einem neuen Weg suchen mußte. Eini ge Male warnte ihn sein Extrasinn rechtzei tig, so daß er niederprasselnden Stein brocken knapp entging. Dann geschah plötzlich etwas, das ihn überrascht zusammenzucken ließ: Er emp fing einen telepathischen Hilferuf!
8. Der Arkonide blieb stehen und schüttelte ungläubig den Kopf. Er glaubte zuerst, sich getäuscht zu haben, aber gleich darauf wur de der Hilferuf wiederholt, und nun gab es keinen Zweifel mehr. Ein intelligentes, para psychisch begabtes Wesen war in Not! Atlan war selbst kein Telepath, aber mit diesem Phänomen seit langer Zeit vertraut. Er hatte oft eng mit dem Terranischen Mu tantenkorps zusammengearbeitet und war ei nige Male in einen von ihnen gebildeten »Block« einbezogen worden. Auch sonst hatte er im Lauf seines langen Lebens geisti gen Kontakt mit Telepathen gehabt. Daß sich aber ausgerechnet hier in dieser Unter welt ein solcher aufhalten sollte, erschien ihm wenig glaubhaft. Denke an die vielen Mutationen, denen du hier schon begegnet bist! sagte sein Extra sinn. Bisher hast du nur negative Erschei nungsformen angetroffen, aber nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit muß es auch Positivmutationen geben. Sieh nach, dann wirst du es wissen. Erneut klang der drängende Ruf in seinem Bewußtsein auf: Hilfe, ich bin verschüttet! verstand Atlan nun ganz deutlich, wogegen die beiden ersten Anrufe mehr emotionelle, nicht klar akzentuierte Spontanreaktionen gewesen waren. »Ich will ja gern helfen – aber wie?« mur melte er vor sich hin. »Gucky würde es leichtfallen, den Ausgangspunkt des Notrufs zu lokalisieren, aber mir fehlen alle Voraus setzungen dafür. Ob sich der Verschüttete
Kollision im Nichts vor oder hinter, unter oder über mir befindet, kann ich beim besten Willen nicht feststel len.« Unschlüssig ging er einige Schritte in das kleine, verlassen vor ihm liegende Gewölbe hinein. Plötzlich zwang ihn jedoch etwas, die Richtung zu ändern. Ohne daß er es wollte, bewegte er sich auf einen zweiten Tunnel zu, der im rechten Winkel zu dem lag, den er eben benutzt hatte. Augenblick lich meldete sich auch sein Logiksektor und erklärte: Diese Beeinflussung geht von dem Golde nen Vlies aus! Es will dich zu dem Verun glückten führen, wehre dich also nicht dage gen. Der Arkonide grinste humorlos, denn er hatte ohnehin keine Wahl. Seine Beine schienen sich selbständig gemacht zu haben und trugen ihn in den Gang hinein, der in ei nem denkbar schlechten Zustand war. Die Beleuchtung war fast ganz ausgefallen, Ge röllhaufen zwangen ihn zu akrobatischen Kletterkunststücken. Er gelangte in eine grö ßere Maschinenhalle und schreckte unwill kürlich zurück. Hier war ein Teil der Felsdecke einge stürzt und hatte einige Aggregate unter sich begraben. Ein Brand war ausgebrochen, die Blitze unkontrollierter elektrischer Entla dungen zuckten durch den Raum. Das Gol dene Vlies zwang ihn jedoch unaufhaltsam weiter vorwärts. Atlan schloß sein Schutzvi sier und spürte sofort, wie die Hitze ver schwand, die ihm entgegenschlug. Er über stieg unbeschadet einen Haufen glühender Trümmer, Überschlagblitze umzuckten ihn, schienen ihm jedoch regelrecht auszuwei chen. Der »Anzug der Vernichtung« enthüll te eine weitere, bisher unbekannte Fähigkeit. Ein weiterer Gang nahm ihn auf, wieder hörte er den Hilferuf des unbekannten Frem den. Ohne es zu wollen, verfiel er plötzlich in Laufschritt, übersprang herumliegendes Geröll, erreichte eine kleine Kaverne und stand vor einem Haufen herabgestürzter Steine. In diesem Augenblick wich der Zwang von ihm, und er wußte, daß er am
41 Ziel war. »Hilf mir, Fremder!« sagte nun die lautlo se Stimme in seinem Geist. »Ich kann mich nicht rühren, alle meine Äste sind einge klemmt, und das Gewicht droht mich zu er drücken.« »Natürlich helfe ich dir«, sagte Atlan, ob wohl er sich unter dem Begriff »Äste« beim besten Willen nichts Konkretes vorstellen konnte. Er warf einen mißtrauischen Blick nach oben, aber von dort drohte im Augen blick keine Gefahr. Dann setzte er seine Ei senstange an und hebelte damit die Stein brocken beiseite. Er zuckte unwillkürlich zusammen, als zwischen diesen dann eine graubraune Wur zel mit mehreren Ausläufern sichtbar wurde, die sich zu bewegen begann. Erst in diesem Augenblick begriff er, daß er hier mit einer Erscheinungsform konfrontiert wurde, der er noch nie zuvor begegnet war. Der Arkonide wußte längst, daß es auch Pflanzen gab, die in einem gewissen Rah men zu Eigenbewegungen fähig waren. Erst vor relativ kurzer Zeit war er zusammen mit dem Roboter Elkohr in die Fänge einer Tier pflanze geraten. Daß es aber auch denkende, wirklich intelligente Pflanzen geben könnte, war ihm stets als unmöglich erschienen. »Dasselbe habe ich bis vor kurzem auch von den Wesen angenommen, die wir als ›tierische Weichlinge‹ bezeichnen«, stellte das Wesen unter den Trümmern fest, das seine Gedanken gelesen hatte. »Wir müssen also beide umdenken, wie es scheint. Sei bit te vorsichtig, ich empfinde Schmerzen eben so wie du.« »Schon gut«, knurrte Atlan, legte die Stange weg und räumte das Felsgestein nun mit den Händen beiseite, die von den Hand schuhen des Goldenen Vlieses geschützt wurden. Etwa eine Minute später hatte er La'Mghors Stamm freigelegt und sah die Utensilien, die an Kunststoffriemen daran hingen. Das Pflanzenwesen war also nicht nur intelligent und telepathisch begabt, son dern verstand es auch, sich technischer Hilfsmittel zu bedienen! Das machte die
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Überraschung für ihn erst vollkommen. »Das beruht auf Gegenseitigkeit«, erklärte der Fremde lakonisch. »Auch wir Aggiaren hielten uns bis vor kurzem für die einzigen wirklichen Intelligenzen. Ich entnehme dei nen Gedanken, daß du einem Stamm ange hörst, der die Raumfahrt schon seit langem kennt – oh, du bist eine hochgestellte Per sönlichkeit und Kommandant über viele Raumschiffe gewesen! So gibt es also etwas, das uns verbindet, ungeachtet aller sonstigen Unterschiede.« Atlan zog den Aggiaren hoch und sah dann die Augen an den vier Sinnesästen, die sich nun auf ihn richteten. La'Mghor war fast so groß wie er selbst, sein runder Stamm war etwa vierzig Zentimeter stark. Er stand nun unsicher auf drei Wurzelfüßen, streckte den vierten von sich und bewegte ihn vor sichtig. »Es tut noch weh, es ist aber nicht gebro chen«, stellte er dann fest. »Ich werde eine kurze Pause benötigen, ehe ich ihn wieder benutzen kann. Hilf mir bitte zur Seite, es könnte zu weiteren Gesteinsschlägen kom men.« Atlan griff zu und stützte ihn, und dann zuckten beide zusammen. Der Arkonide fühlte das Holz der Greifäste mit ihren fin gerähnlichen Fortsätzen, der Aggiare das weiche Fleisch an seinen Händen, denn er hatte die Handschuhe inzwischen abgelegt und seine Gesichtsmaske geöffnet. Eine Welle von instinktiver Abneigung flutete zwischen ihnen hin und her, verging aber rasch und wich einem beiderseitigen Gefühl von Verlegenheit. Jeder empfand die Emotionen des anderen mit, Atlan faßte sich als erster und lachte lei se auf. »Der Geist siegt über Fleisch und Holz, und das läßt mich hoffen. Komm und erhole dich, in der Zwischenzeit können wir uns weiter unterhalten – Freund!«
* Sie nannten sich gegenseitig ihre Namen,
aber zu einer normalen sprachlichen Ver ständigung kam es nicht. Dem Arkoniden war es unmöglich, die zischelnden Laute zu verstehen oder gar nachzuahmen, die aus La'Mghors Atemmund kamen. Der Aggiare wiederum war nicht imstande, mit diesem Vokale zu bilden, so daß sie sich nur rein te lepathisch unterhalten konnten. »Ich bin an den jetzigen Zuständen auf diesem Planeten schuld«, bekannte La'Mghor unbehaglich. »Es war eine Fehl einschätzung meiner Fähigkeiten, infolge derer die ARMOSTUZ aus dem normalen Kontinuum gerissen und in einen Dimensi onstunnel geschleudert wurde. Als ich dann die Kollision kommen sah, war ich leider außerstande, sie zu verhindern.« »Die ARMOSTUZ?« wiederholte Atlan verwundert. »Ah, ich verstehe jetzt – ein Raumschiff also. Ich begreife nur nicht, weshalb der Zusammenstoß mit solch einem relativ kleinen Körper derart erhebliche Fol geerscheinungen hervorrufen konnte. Oder ist es dabei zu nuklearen Explosionen ge kommen?« Der Schiffbrüchige wedelte verneinend mit den Greifästen. »Nein, das nicht, alle entsprechenden An lagen waren stillgelegt und gesichert. Ich werde dir jetzt zunächst die Vorgeschichte schildern, ohne ihre Kenntnis dürfte es für dich zu schwer sein, dieses letzte Vorkomm nis zu verstehen.« Er unterrichtete Atlan kurz über die miß glückte Expedition, den Absturz auf die Wasserwelt und den langsamen Tod seiner Besatzung in den Jahren dort. Es tat ihm gut, sich nach so langer Zeit wieder einem ande ren denkenden Wesen mitteilen zu können – und es machte ihm jetzt nichts mehr aus, daß dieses »nur« ein Weichling war. Er schilderte auch die Geschichte seines »Katapultstarts« von dem Planeten und das nachfolgende unbeabsichtigte Eindringen in den Korridor zwischen den Dimensionen. Der erfahrene Arkonide brauchte keine lan gen Erläuterungen, um alles zu begreifen. Ein tiefes Mitgefühl für den Aggiaren über
Kollision im Nichts kam ihn, und er nickte, als dieser geendet hatte. »Es war also der riesige Wasserball, grö ßer als Pthor, mit dem wir kollidiert sind! Das waren Milliarden von Tonnen, kein Wunder also, daß der Kontinent so schwer erschüttert wurde.« »Der Kontinent?« fragte La'Mghor er staunt. »Soll das heißen, daß wir uns hier nur auf dem Bruchstück eines Planeten be finden, mein Freund und Retter?« Nun war es an Atlan, Erklärungen über Pthor und die Rolle abzugeben, die der »Dimensionsfahrstuhl« seit undenklichen Zeiten gespielt hatte. Er teilte dem Pflanzen wesen auch mit, wie er plötzlich auf der Er de erschienen war, streifte kurz die Verhält nisse im Solaren Imperium, um dann seine Erlebnisse seit seinem und Razamons Vor dringen nach Pthor zu schildern, soweit das für das Verstehen der jetzigen Situation er forderlich war. Als er geendet hatte, entstand eine lange Pause. Beide dachten über das nach, was sie voneinander an erstaunlichen Dingen erfah ren hatten, verarbeiteten es und ordneten es ein. Schließlich gab der Aggiare einen telepa thischen Seufzer von sich. »Wir sind also Leidensgenossen, zwei Fremde auf einer fremden Welt! Beim großen Blatt, ich hätte nie gedacht, daß es ganze Galaxien gibt, in denen nur Wesen deiner Art Intelligenz besitzen … Leider sieht es jetzt aber so aus, als sollte keiner von uns beiden jemals wieder in seine Hei mat zurückkehren können.« »Das befürchte ich auch«, bekannte Atlan resigniert. »Der Flug durch den Dimensions tunnel kann von der FESTUNG aus nicht mehr kontrolliert werden, nachdem der ›Steuermann‹ ausgefallen ist. Ich bin aufge brochen, um nach einer Möglichkeit zur Ab hilfe zu suchen und hatte bereits eine Anlage erreicht, mit deren Einsatz das möglich schi en. Dann kam jedoch der Zusammenprall, ein Schutzsystem trat in Tätigkeit und über flutete die Maschinenhalle. Meine Begleiter
43 waren nicht mehr, und allein war ich außer stande, noch etwas zu unternehmen. Ich war dabei, mich wieder zur FESTUNG durchzu schlagen, als ich deinen Hilferuf hörte und dich dann durch die Einwirkung des Golde nen Vlieses fand.« »Eine wirklich bemerkenswerte Umhül lung, die du trägst«, gab La'Mghor bewun dernd zurück. »Ich empfange von ihr gewis se Ausstrahlungen, die allerdings höherdi mensionaler Art sind, so daß ich sie nicht einordnen kann.« Beide fuhren zusammen, denn das bisher gleichmäßige Dröhnen, das sie umgab, schwoll plötzlich bedrohlich an. Ein unheil drohendes Knacken durchlief das sie umge bende Gestein, die ohnehin nur spärlichen Leuchtkörper flackerten und glommen dann nur noch trübe. Ein neuer Hagel von Fels brocken prasselte herab und zwang sie, sich in einer stahlverkleideten Nische in Sicher heit zu bringen, die früher vermutlich ein Fahrzeug beherbergt hatte. Während sie dort warteten, setzte der ag giarische Mutant erstmals nach langer Zeit wieder seine besonderen Fähigkeiten ein. Sekunden später durchlief ihn ein kalter Schreck, und unwillkürlich krallte er einen seiner Greifäste in Atlans Schulter. »Pthor ist dabei, den Dimensionstunnel zu verlassen«, teilte er seinem neuen Freund er regt mit. »Es ist zu langsam geworden, um sich noch länger darin halten zu können, und dringt allmählich durch seine Wandung nach draußen! Nur noch wenige Zeiteinheiten, dann wird der Sturz in ein fremdes Univer sum erfolgen.« »Das wäre das Ende für uns alle!« sagte Atlan alarmiert. »Nicht nur die FESTUNG würde untergehen, sondern der gesamte Kontinent. Hier zwischen den Dimensionen herrschen besondere Verhältnisse, die dann unwirksam werden müssen. Es ist niemand da, der imstande wäre, den Wölbmantel zu aktivieren, der Pthor normalerweise als Schutzhülle dient. Die Atmosphäre wird in diesem Fall schlagartig ins All entweichen, und damit ist für sämtliche Bewohner von
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Pthor das Ende gekommen!« Er hatte laut gesprochen, aber La'Mghor verstand ihn trotzdem, weil er seine gleich zeitig formulierten Gedanken empfing. »Wenn ich nur wüßte, wie ich euch helfen könnte«, erklärte er niedergeschlagen. »Schließlich ist es doch indirekt meine Schuld, daß alles soweit gekommen ist.« Atlan zuckte zusammen. »Vielleicht kannst du es doch!« gab er zu rück, denn ihm war ein neuer Gedanke ge kommen. »Ich habe dir von der Anlage be richtet, in der ich mich zuvor befand, ent sinnst du dich? Mit ihr muß es eine ganz be sondere Bewandtnis haben, vermutlich ist es die sogenannte ›Seele von Pthor‹. Irgend et was ist dort in geistigen Kontakt zu mir ge treten, eine Macht des Guten, das habe ich deutlich gespürt. Du bist ein natürlicher Te lepath, für derartige Dinge also bedeutend empfänglicher als ich! Du könntest also durchaus das erreichen, was mir versagt ge blieben ist.« »Das könnte sein«, räumte der Aggiare ein. »Gut, laß uns also dorthin aufbrechen, ehe der Weg vielleicht durch neue Einstürze unpassierbar wird. Du hast mir das Leben gerettet und mich dir dadurch für alle Zeiten verpflichtet – beim großen Blatt.«
9. Beide hasteten durch die Tunnels und Ge wölbe, so rasch sie nur konnten. Der Rück weg zu der überfluteten Maschinenhalle wurde für sie zu einem realen Alptraum. Das verstärkte Vibrieren und pochende Dröhnen hielt weiter an und zeitigte seine Folgen. Steinbrocken und Kunststoffteile der Deckenverkleidungen regneten herab, streckenweise war die Beleuchtung inzwi schen ganz ausgefallen. In diesen Gebieten erwies sich La'Mghors Lampe als unschätz bare Hilfe. Trotzdem kamen sie viel zu langsam vor an. Einstürze zwangen sie zu zeitraubenden Umwegen, die von Atlan eingeritzten Mar kierungen waren nur noch zum Teil zu er-
kennen. Außerdem war der Aggiare nicht mehr im vollen Besitz seiner Kräfte. Für ihn wäre es längst wieder an der Zeit gewesen, Nahrung zu saugen, aber es gab weit und breit keine Gelegenheit dazu. Atlan war ihm gegenüber im Vorteil, denn sein Zellaktivator half ihm zur ständi gen Regenerierung seiner Kräfte. Er half La'Mghor voran, so gut er konnte. Sie begegneten nirgends mehr einem an deren Lebewesen. Alle, die von je her in die ser Unterwelt hausten, schienen sich inzwi schen fluchtartig in sicherere Gebiete zu rückgezogen zu haben. Die beiden Schick salsgefährten dagegen mußten auf dieser Ebene bleiben, denn nur hier konnte Atlan mit Hilfe seines fotografischen Gedächtnis ses auch dort noch weiterfinden, wo es keine Markierungen mehr gab. Dann endlich, nach mehr als zwei Stun den, waren sie am Ziel. Sie standen am Eingang zu dem Gewölbe, in das Atlan durch den Druck der öligen Flüssigkeit emporgespült worden war. Von ihr waren jetzt jedoch nur noch vereinzelte Lachen zu sehen, die sich in Vertiefungen des Bodens angesammelt hatten. Die Öff nung, die nach unten führte, lag frei vor ih nen. »Wir sind da, Freund«, teilte der Arkoni de La'Mghor mit. Im nächsten Augenblick mußte er zugrei fen, denn der Aggiare sackte zusammen, sei ne Laufwurzeln knickten ein. Atlan sah, daß sich die Augen an den Sinnesästen geschlos sen hatten, also gab es auch für das Pflan zenwesen einen Zustand, der dem der Be wußtlosigkeit beim Menschen gleichkam. Er lehnte den schweren Stamm gegen die Wand des Tunnels, so gut sich das angesichts sei ner sperrigen Extremitäten machen ließ. Da er nicht wußte, wie er seinem neuen Gefährten helfen konnte, wartete er notge drungen ab. Hier waren die Geräusche und Erschütterungen nicht so stark zu spüren, sie wurden offenbar durch die Flüssigkeit in der Halle unter ihnen gedämpft. Trotzdem gab sich Atlan keinen Illusio
Kollision im Nichts nen hin, was die Zukunft des Kontinents an ging. Wenn der Aggiare recht behielt und Pthor tatsächlich den Dimensionstunnel ver ließ, mußten die Millionen verschiedener Lebewesen sterben, die an seiner Oberfläche lebten. Nur die Magier in der Großen Barrie re von Oth konnten das Entweichen der At mosphäre überleben, weil sie sich unter ei ner »magischen Glocke« befanden, die ih nen Schutz bot. Sie hatten sie errichtet, als sie den Herren der FESTUNG ihre Dienste verweigerten, und sie bestand auch jetzt noch immer. Wer konnte sonst noch davonkommen? Vermutlich ein Teil der Festungsbewoh ner, sofern sie sich rechtzeitig in die ge schlossenen Räumlichkeiten zurückzogen. Schließlich waren die sieben Pyramiden ehemalige Raumschiffe, deren Schleusen auch jetzt noch funktionieren würden. Die Odinssöhne mit ihrem beschränkten techni schen Wissen würden allerdings kaum in der Lage sein, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen. Es gab aber vermutlich Automati ken, die von selbst einspringen würden, so bald sie den Druckabfall registrierten. Eine geringe Überlebenschance gab es auch noch für all jene, die sich in den unter irdischen Labyrinthen aufhielten. Auch in ihnen mußte es eine autarke Luftversorgung geben, sonst wäre auf die Dauer darin kein Leben möglich gewesen. Die Schleusen in den Seen der Nobarcs würden vermutlich auch dann dichthalten, wenn das Seewasser sich verflüchtigte oder gefror. Die große Frage war nur, wie dieses weit verzweigte System die ständigen Vibratio nen überstand. In den Korridoren und Ge wölben war es schon jetzt zu zahlreichen Einstürzen gekommen. Vielleicht hatte es inzwischen auch an der Oberfläche Boden bewegungen gegeben, durch die Risse ent standen waren. Da es in der Unterwelt von Pthor aber keine Sicherheitsschotte zu geben schien – Atlan hatte jedenfalls bisher noch keine entdeckt –, bestand die Gefahr, daß die Luft nach und nach auch aus ihr entwich. Dann werden alle sterben! dachte der Ar
45 konide besorgt. Dellos sowohl wie die viel fältigen anderen Wesen, eingeschlossen die zahlreichen Mutationen von Menschen, Tie ren und Pflanzen. Und nicht nur sie – auch La'Mghor und ich mit ihnen! Der Aggiare regte sich immer noch nicht wieder, seine Bewußtlosigkeit dauerte nun schon fast eine Viertelstunde. Atlan bedau erte, daß er seinen Zellaktivator nicht zur Hilfeleistung verwenden konnte, weil dieser sich noch immer in seiner Brust befand. Sei ne Impulse hätten wahrscheinlich auch bei dem Pflanzenwesen ihre belebende Wirkung nicht verfehlt. Wenig später kam aber doch wieder Le ben in La'Mghor. Zuerst bewegten sich seine Greifäste ziel los hin und her, dann öffneten sich seine Au gen wieder. Langsam richtete sich der aggia rische Schiffskommandant wieder auf, pfei fende Laute kamen aus seinem Atemmund. »Es tut mir leid, Freund Atlan, daß ich nicht mehr durchgehalten habe«, entschul digte er sich telepathisch. »Ich bin auch jetzt noch sehr schwach und müßte dringend Nahrung saugen. Die konzentrierte Form, die ich mit mir führe, eignet sich aber leider nicht zur unmittelbaren Aufnahme durch meine Wurzelporen. Gibt es hier nicht ir gendwo Humus oder wenigstens loses Erd reich, das ich damit tränken kann?« Atlan sah sich um, zuckte dann aber resi gniert mit den Schultern. Weit und breit gab es nichts als Stein und Kunststoff, Erde war nur in jenen Kavernen zu finden, in denen Pflanzen wuchsen. Eine solche existierte je doch in weitem Umkreis nicht, zumindest nicht in der Etage, in der sie sich jetzt befan den. La'Mghor machte einige Schritte vorwärts und geriet dabei mit den Laufwurzeln in ei ne Vertiefung, in der sich noch ein Rest der öligen Flüssigkeit befand, die aus der Ma schinenhalle gesprudelt war. Gleich darauf empfing der Arkonide einen Impuls freudi ger Überraschung von ihm. »Diese Flüssigkeit ist vorzüglich als Nah rung für mich geeignet!« übermittelte ihm
46 der aggiarische Mutant. »Sie enthält zahlrei che wertvolle Nährstoffe in aufgeschlosse ner Form, die ich ohne jede Schwierigkeit zu mir nehmen kann. Gedulde dich eine kleine Zeiteinheit, dann werde ich mich wieder besser fühlen.« Atlan atmete erleichtert auf, denn auf die se unerwartete Weise erledigte sich ein schwieriges Problem von selbst. La'Mghor stakste weiter und senkte dann seine Wurzelfüße in eine größere Lache. Mi nutenlang blieb er dort unbeweglich stehen, die Aura seines Geistes, die sonst deutlich zu spüren war, erlosch fast ganz. In dieser Zeit versuchte der Mann, wieder den geistigen Kontakt zu der unbekannten Entität herzustellen, die sich in einer für ihn unbegreiflichen Form in der überfluteten Maschinenhalle befand. Es gelang ihm je doch zu seinem großen Bedauern nicht, ob wohl er sich mit Hilfe seines Extrasinns voll konzentrierte. Schließlich gab er auf und widmete seine Aufmerksamkeit wieder La'Mghor, dessen Stamm sich eben zu regen begann. »Jetzt bin ich wieder vollkommen frisch«, teilte ihm der Aggiare mit. »Ich habe regi striert, daß es dir inzwischen nicht gelang, wieder in Kontakt mit der Seele von Pthor zu treten. Würdest du mir bitte mitteilen, was ihr Weichlinge – entschuldige diesen Ausdruck, einen anderen kenne ich für eure Lebensform nicht – unter einer Seele ver steht?« Atlan bemerkte das Kräuseln der Rinde um seinen Mund und begriff, daß dies ein Äquivalent für ein Lächeln der Verlegenheit war. »Dies ist unsere Bezeichnung für die Es senz des intelligenten Lebens an sich«, er klärte er geduldig. »Wir Humanoiden nen nen es auch Geist oder Ego, andere Völker haben wieder andere Ausdrücke dafür. Fast alle meinen aber, daß dies der Teil unseres Wesens ist, der auch nach unserem Tode in irgendeiner Form weiter existiert. Manche meinen, daß er in einer Art von Wiederge burt auf andere Lebewesen übergeht, andere
Harvey Patton wieder glauben an seinen Eingang in eine andere, höhere Dimension.« »Ich verstehe«, gab La'Mghor zurück. »Auch wir glauben, daß ein Teil von uns in den Ablegern weiterlebt, die aus der Verbin dung mit weiblichen Stämmen entstehen. Gut, ich will jetzt versuchen, in Kontakt zu diesem seltsamen Stamm zu gelangen; störe mich bitte für eine Weile nicht.« Erneut blieb er unbeweglich stehen. Atlan spürte seine geistige Konzentration, konnte jedoch nicht daran teilhaben. Er als NichtTelepath vernahm nur Sendungen, die ge wissermaßen auf seiner geistigen »Wellenlänge« lagen, was darüber hinaus ging, blieb für ihn das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln. Dann kam plötzlich wieder Leben in den aggiarischen Mutanten. »Ich spüre eine schwache fremde Aura«, teilte er dem Arkoniden mit. »Sie mutet wie die eines schlafenden Wesens von großer Fremdartigkeit an. Es muß eine äußerst komplizierte Natur besitzen, ich möchte fast sagen, daß es auf mehreren Daseinsebenen zugleich existiert. Die von ihm ausgehenden Streuimpulse sind so vielschichtig, daß sie sich weitgehend überlappen, was eine ge naue Identifizierung fast unmöglich macht. Einige davon sind eindeutig höherdimensio naler Natur, andere wieder scheinen eher Gravitationslinien zuzuordnen zu sein.« »Kannst du diesen ›Schläfer‹ nicht wecken?« drängte Atlan. »Versuche es noch einmal, denke daran, was für uns und ganz Pthor davon abhängt!« »Mehr kann ich von hier aus nicht errei chen«, erklärte der Pflanzenmutant. »Die Flüssigkeit in der Halle setzt meinen Kräften eine erheblich dämpfende Einwirkung ent gegen. Sie bietet offenbar nicht nur Schutz gegen mechanische Einwirkungen, sondern isoliert dieses geheimnisvolle Etwas auch auf Psi-Ebene von der Umwelt.« Atlan biß sich auf die Lippen und über legte fieberhaft. »Du hast mir mitgeteilt, daß du auch län gere Zeit unter Wasser leben kannst. Könnte
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dir das auch in dieser Flüssigkeit gelingen, wenigstens für eine begrenzte Zeit?« fragte er dann. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung be jahte La'Mghor sofort. »Ohne Schwierigkeiten, Freund. Dieses Medium enthält auch einen gewissen Pro zentsatz an Sauerstoff, den ich durch die Po ren in meinen Stamm aufnehmen kann. Ei nem Versuch steht also von mir aus nichts im Wege.« »Worauf warten wir dann noch?« meinte der Arkonide und schob ihn vorwärts, auf den Tunnel zu, aus dem er aufgetaucht war.
* Sie befanden sich in der riesigen Maschi nenhalle und suchten mit langsamen Schwimmbewegungen ihren Weg. Die Sicht war schlecht, der Schein der Beleuchtungs körper wurde durch die schillernde ölige Masse zum größten Teil absorbiert. Die viel fältigen Maschinenanlagen waren nur ver schwommen zu sehen, alle Perspektiven fast bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Das galt zumindest für Atlan, der Aggiare fand sich überraschend gut zurecht. »Die Impulse gehen von der Gesamtheit der Anla ge aus«, erklärte er erregt. »Mit meinem Sondersinn kann ich diese deutlich wahrneh men, sie sind förmlich von einer strahlenden Aureole umgeben. Ich spüre eine wunder volle Harmonie ohnegleichen, der gegen über der beste Gravitationslinienantrieb ein Nichts ist. Jetzt ist auch der dämpfende Ef fekt aufgehoben, das Durcheinander der Im pulse beginnt sich zu entwirren. Noch mehr – eben bekomme ich den ersten Mentalkon takt!« Atlan stand dieser Begeisterung etwas hilflos gegenüber, denn er spürte diesmal nichts und sah nur ungewisse Schemen um sich herum. Fast wehmütig dachte er an den ersten Aufenthalt in dieser Halle zurück, an den wundervollen Einfluß, der von der frem den Entität auf ihn ausgegangen war. »Hast du Hoffnung, etwas erreichen zu
können?« erkundigte er sich. »Versuche al les, was in deinen Kräften steht, damit unser Flug stabilisiert und Pthor gerettet wird.« »Ich bin ziemlich optimistisch«, gab La'Mghor zurück. »Nimm es mir nicht übel, wenn ich dich jetzt bitte, diesen Raum wie der zu verlassen, Freund Atlan. Deine un kontrollierten Geistesimpulse stören mich in der Konzentration, und auch von deiner Um hüllung geht ein gewisser unerwünschter Störeffekt aus.« Der Arkonide lächelte hinter seinem Ge sichtsschutz. »Warum sollte ich dir dieses Verlangen verübeln, Freund La'Mghor? Auch bei Funk gesprächen ist ein Dritter, der auf derselben Frequenz dazwischenredet, höchst unwill kommen. Dieser Vergleich mag hinken, aber einen besseren finde ich nicht. Ich werde mich also nach oben zurückziehen und dort warten – möge dir das große Blatt helfen!« Der Aggiare berührte ihn abschiedneh mend mit einem Greifast und verschwand dann aus seinem Gesichtsfeld. Atlan schwamm zur Decke empor und suchte dort nach dem Tunnel zur höheren Etage. Gleich darauf stand er wieder in dem Gewölbe und vernahm das Rumoren, das Pthor immer stärker durchlief. Auch hier flackerte jetzt das Licht ständig, immer wieder lösten sich Steinbrocken von der Decke und fielen dumpf polternd zu Boden. Er suchte sich einen halbwegs sicheren Standort, doch schon im nächsten Moment meldete sich der Aggiare wieder. »Leider muß ich dich bitten, dich mög lichst weit zu entfernen, Atlan, deine Impul se stören noch immer. Auch einige andere Wesen von deiner Art sind in der Nähe, für die das gleiche gilt. Jetzt kann ich ihre Ge danken deutlich empfangen – sie sind auf der Suche nach dir!« Atlan fuhr freudig erregt zusammen. »Sind ihre Namen vielleicht Razamon und Thalia?« forschte er. »Richtig«, gab La'Mghor zurück. »Außerdem ist noch ein weiterer Weichling dabei, der eine noch seltsamere Umhüllung
48 trägt als du. Ich kann seine Gedanken nicht empfangen, sie sind stark verzerrt, als kämen sie aus einer Zwischendimension. Al le drei befinden sich auf der nächsthöheren Ebene des Labyrinths, sie bewegen sich von rechts her auf dich zu.« »Danke, Freund!« erwiderte der Arkonide und setzte sich sofort in Bewegung. Sein fotografisches Gedächtnis lieferte ihm das Bild einer Rampe, die von einem nahegelegenen Raum aus schräg nach oben verlief. Er fand sie allerdings halb zerstört vor und hatte Mühe, sich über die Trümmer einen Weg nach oben zu bahnen. Er kam in eine Höhle, in der einige mutierte Tiere von verschiedenem Aussehen in einer Nische hockten und bei seinem Auftauchen zu zi schen und zu knurren begannen. Als er je doch seine Eisenstange hob, stoben sie in wilder Flucht davon und verschwanden durch einen dunklen Korridor. Atlan orientierte sich kurz und schlug dann die entgegengesetzte Richtung ein. Er hatte Glück, denn der von ihm benutzte Gang stürzte hinter ihm mit Donnergetöse zusammen, als er ihn gerade verlassen hatte. Er stolperte in eine Halle mit grotesk wir kenden Maschinen aller Größen, die sämt lich noch in Betrieb waren. Diese Anlage schien wichtig zu sein, denn Wände und Decke bestanden aus Metall und waren voll kommen unversehrt. Es gab darin auch Unterkünfte für Dellos, die jedoch verlassen waren. Atlan inspizierte sie kurz und stellte fest, daß es auch hier noch Lebensmittelvorräte gab. Als er sich wieder umwandte, sah er im jenseitigen Ein gang eine Bewegung und duckte sich rasch zusammen. Narr! kommentierte sein Extrasinn sarka stisch. Erkennst du deinen Gefährten Kol phyr schon nicht mehr? Es war tatsächlich die riesige Gestalt des Antimateriewesens in seinem grünlichen Velst-Schleier, die sich dort vorsichtig ins Freie schob. Der Dimensionsforscher von Grulpfer hielt einen mächtigen Holzknüppel in seinen Händen und spähte aufmerksam
Harvey Patton umher. Dann winkte er nach hinten. »Ihr könnt nachkommen«, sagte er mit seiner eigentümlich schrillen Stimme, die so gar nicht zu seiner Erscheinung paßte. »Diese Halle ist bebensicher, und es hält sich niemand darin auf.« »Bin ich niemand?« fragte der Arkonide und richtete sich auf.
10. »Atlan!« schrie Thalia auf und stürzte auf ihn zu. Sie warf sich in seine Arme, schluch zende Laute der Freude und Erleichterung kamen aus ihrem Mund. Der Mann strich ihr beruhigend über das Haar. »Ich bin es noch immer, körperlich und geistig unversehrt, wie du siehst. Und da ist auch Razamon – es tut gut, dich ebenfalls zu sehen, Freund und Kampfgefährte vieler Ta ge. Wie geht es dir, Kolphyr, und deinem merkwürdigen Symbionten?« »Er scheint mich verlassen zu haben«, schrillte der Bera klagend. »Obwohl wir uns oft genug in schlimmen Situationen befun den haben, hat sich Wommser kein einziges Mal mehr gemeldet. Ich vermisse ihn wirk lich sehr.« »Dafür haben wir jetzt Atlan wieder«, sagte Razamon, kam heran und schlug sei nem Freund kräftig auf die Schulter. »Ehrlich gesagt, wir hatten schon jede Hoff nung aufgegeben, dich jemals wiederzufin den. In diesem Gewirr von Etagen, Korrido ren und Gängen kommt die Suche nach ei ner einzelnen Person wirklich der nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen gleich.« »Haben euch die Odinssöhne ausge schickt?« fragte Atlan. Thalia stieß ein ver ächtliches Zischen aus. »Du solltest meine lieben Brüder inzwi schen besser kennen, meine ich. Im Gegen teil, sie waren merklich erleichtert, als du von der Fahrt zum Wachen Auge nicht zu rückgekehrt bist. Wir haben sie überlistet und sind von der FESTUNG aus in diesen Sektor vorgedrungen.«
Kollision im Nichts Der Pthorer nickte grimmig. »So etwas von Verbohrtheit habe ich noch selten erlebt, und ich bin immerhin mehr als zehntausend Jahre alt. Jemand muß die Windrose entdeckt und ihnen seinen Fund gemeldet haben. Daraufhin hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als uns die Robotbürger nachzuschicken, die sich in der FESTUNG aufhielten. Sie haben uns unerbittlich gejagt und in den Anlagen allerhand Zerstörungen angerichtet. Dabei kam es zu einem Ein sturz, und wir alle landeten in der Höhle, in der ein merkwürdiger Typ hauste, der sich Vater Pegallu nannte. Der kämpfte gerade mit einem Zyklopen, den sich die Robots so fort aus Korn nahmen. Als dieser tot war, wollten sie uns zurück in die FESTUNG schleppen, aber Pegallu wollte uns ebenfalls haben. Er ging mit einer Horde von Dellos gegen sie vor, und es kam zu einer Ausein andersetzung, die sich gewaschen hatte.« Atlan lächelte und schüttelte den Kopf. »Es gibt tatsächlich Zufälle, die mehr als unglaublich sind. Es ist noch nicht allzu lan ge her, da war ich selbst mit zwei Beglei tern, die mir in dem Labyrinth sozusagen zu gelaufen waren, ebenfalls in Pegallus Reich. Dort wollte man uns auf den Speisezettel setzen, aber dann kam der Zyklop dazwi schen, mit dem wir zuvor schon zusammen geraten waren. Kaum zu glauben, daß die beiden immer noch miteinander kämpften, als ihr dorthin kamt.« »Die ausgestoßenen Dellos waren Kanni balen?« fragte Thalia, die sichtlich blaß ge worden war. Der Arkonide nickte. »Einwandfrei, meine Liebe. Ihr hattet also eine Menge Glück, daß ihr nicht in ihren Mägen gelandet seid, du und Razamon zu mindest. Wie ist Pegallus Kampf mit den Robotbürgern ausgegangen?« »Keine Ahnung«, sagte Razamon wahr heitsgemäß. »Mittendrin gab es plötzlich einen fürchterlichen Krach, alles flog durch einander und das Licht ging aus. Das haben wir ausgenützt und sind geflohen, und nun sind wir hier. Hast du eine Ahnung, was da mit Pthor geschehen ist, und was die dauern-
49 den Erschütterungen und das Dröhnen aus gelöst hat?« »Der Kontinent ist mit einem Raumschiff zusammengestoßen, Freund«, erklärte Atlan. »Unglücklicherweise befand sich dieses mit ten in einer riesigen Wassermasse, die grö ßer als Pthor gewesen sein muß. Diese Kol lision trägt die Schuld daran, daß wir jetzt dabei sind, den Dimensionstunnel zu verlas sen – wo wir dabei herauskommen werden, mögen allein die Götter wissen.« »Wie hast du das alles erfahren?« erkun digte sich Thalia. »Hast du irgendwo ein Be obachtungssystem gefunden?« »Das nicht, dafür aber den letzten Überle benden des Schiffes«, sagte der Arkonide. Er berichtete von seinem Zusammentreffen mit La'Mghor und von dessen ungewöhnli chen Fähigkeiten und schilderte ihr Eindrin gen in die Maschinenhalle, den vermutlichen Sitz der »Seele von Pthor.« »Ein intelligentes Pflanzenwesen, und da zu noch ein Mutant?« staunte der Pthorer. »Das klingt mehr als unglaublich! Wenn mir das ein anderer erzählen würde, nähme ich ihm diese Behauptung bestimmt nicht ab.« »Ich schon«, meldete sich Kolphyr zum Wort. »Ich finde das geradezu faszinierend, Atlan. Kann ich ihm eventuell irgendwie bei seinen Bemühungen helfen? Es wäre durch aus möglich, daß sich seine Paragaben und meine Kenntnisse über das Wesen der Dimensionen in mancher Hinsicht ergänzen.« »Kein schlechter Gedanke«, räumte Atlan ein. »Verhaltet euch für eine Weile still, ich werde versuchen, ihn telepathisch zu errei chen und ihm diesen Vorschlag übermit teln.« Die anderen schwiegen, während er sich gedanklich konzentrierte. Nun war das Dröhnen und Pochen wieder deutlicher zu hören, daneben liefen Wellen von Erschütte rungen durch das unterirdische System. Die verderblichen Geschehnisse trieben offenbar immer schneller ihrem Höhepunkt entgegen. Nach etwa einer Minute richtete sich der Arkonide wieder auf. »Der Aggiare will nicht«, erklärte er lako
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nisch. »Er hat mir mitgeteilt, daß ihm nie mand helfen kann, der nicht über parapsy chische Gaben verfügt, und solche besitzt Kolphyr leider nicht. Außerdem verbittet er sich jeden weiteren Anruf, um nicht in sei ner Konzentration gestört zu werden. Er sagt aus, daß er bereits gute Fortschritte gemacht habe und hofft, die Anlagen ganz unter Kon trolle bekommen zu können.« »Was fangen wir aber jetzt an?« fragte Thalia nach einer Weile. »Sollen wir nicht versuchen, in die FESTUNG zurückzukeh ren?« Ein berstendes Krachen übertönte ihre letzten Worte und ließ alle zusammen zucken. Atlan ließ seine Blicke durch die Maschinenhalle gleiten und schüttelte dann den Kopf. »Das scheint im Augenblick wenig ratsam zu sein, Odinstochter. In den Gängen und Gewölben herrscht jetzt das Chaos, und ich lege keinen Wert darauf, durch einen Fels sturz umzukommen. In diesem gut gesicher ten Raum dagegen kann uns kaum etwas ge schehen, und Lebensmittel gibt es hier auch. Außerdem befinden wir uns hier gerade noch in dem Bereich, in dem ein telepathi scher Kontakt mit La'Mghor möglich ist. Er wird sich zweifellos wieder melden, wenn er sein Ziel erreicht hat.« »Hoffen wir es!« sagte Razamon düster, und dann begann das lange, bange Warten für sie.
* Die Stimmung der neuen Herren der FE STUNG war auf dem absoluten Nullpunkt angelangt. Stundenlang hatten sie sich die Köpfe dar über zerbrochen, wie sie es bewerkstelligen konnten, eine Änderung des schlimmen Zu stands herbeizuführen, in dem sich der steu erlos dahintreibende Kontinent befand. All ihre Überlegungen waren jedoch fruchtlos geblieben. Solange der Weg in die Regionen versperrt war, in denen sich die Steueranla gen befanden, waren sie hilf- und machtlos.
»Schöne Herren von Pthor sind wir!« knurrte Balduur in einer Anwandlung von Selbsterkenntnis. »Wir haben zwar nominell hier die Macht übernommen, besitzen aber nicht die Mittel, sie auch tatsächlich auszuü ben. Was ist das für ein Leben für einen Sohn Odins?« »Es hindert dich niemand daran, die FE STUNG wieder zu verlassen«, meinte der jüngste der drei Brüder sarkastisch. »Irgendwie wird sich bestimmt ein Zugor auftreiben lassen, der noch flugtüchtig ist: Damit kannst du dann zu deinem Abschnitt der Straße der Mächtigen zurückkehren, um dein nutzloses Wächteramt weiter auszuü ben. Ob von deinem Heim noch etwas übrig geblieben ist, ist allerdings eine andere Fra ge, nachdem die Flut darüber hinweggegan gen ist.« »Das würde euch wohl gefallen?« fragte Balduur aggressiv. »Den Teufel werde ich tun – ich denke nicht daran, meinen Macht anspruch aufzugeben! Noch ist Pthor schließlich nicht verloren.« »Es ist aber nicht mehr weit davon ent fernt«, stellte Heimdall düster fest. »Das Wasser draußen verläuft sich zwar allmäh lich, aber dafür treten andere Phänomene auf. Seht einmal hier auf den Bildschirm – nun, wie gefällt euch das?« Nach wie vor lag jenes seltsame dämmri ge Grau über dem gesamten Kontinent, das ein Charakteristikum des Fluges durch einen Dimensionskorridor war. Die zwielichtige, bedrückende Atmosphäre, die dadurch her vorgerufen wurde, bestand auch jetzt noch. Der Schirm zeigte aber, daß hier bereits eine einschneidende Änderung im Gange war. Grelle Lichtblitze, deren Herkunft nicht festzustellen war, zuckten ständig in rascher Folge über die vom Bildgerät erfaßte Ober fläche dahin. Sie unterschieden sich jedoch grundlegend von den normalen Blitzen wäh rend eines Gewitters, und auch der übliche Donner war nicht zu hören. Dafür hatte sich das Pochen und Dröhnen, das den gesamten Kontinent durchlief, lau
Kollision im Nichts fend weiter verstärkt. Die Schlingerbewe gungen hatten dagegen nachgelassen und waren von immer stärker werdenden Vibra tionen abgelöst worden, unter deren Einfluß das Metall der großen Hauptpyramide zu er klingen begann. Balduur wiegte langsam den Kopf. »Ich halte es für möglich, daß diese Erscheinung durch die Magier von Oth hervorgerufen wird«, erklärte er. »Ihnen kann schließlich nicht verborgen geblieben sein, daß es zur Zeit schlecht um Pthor steht. Vielleicht ver suchen sie nun auf irgendeine Weise, Abhil fe zu schaffen. Es geht schließlich auch um ihr eigenes Leben, und das muß auch diese Einzelgänger aufrütteln.« »Unsinn«, erwiderte Sigurd mit überlege nem Lächeln, »mache dir nur keine unbe gründeten Hoffnungen. Das ist nicht das Werk von Magiern, das weiß ich genau. Im Gegensatz zu dir, der seine Zeit mit einem schlafenden Weib verplempert hat, habe ich mich nämlich auch für Dinge interessiert, die außerhalb des Bereichs meiner Nasen spitze lagen. Deshalb …« »Zähme deine vorlaute Zunge, Jüngling!« fuhr ihn sein Bruder zornbebend an. »Opal war kein ›Weib‹, sondern eine unvergleich lich schöne Frau, deren Andenken ich nicht in den Schmutz ziehen lasse. Noch ein Wort, und ich werde …« »Gib Ruhe!« wurde er seinerseits von Heimdall unterbrochen. »Mir scheint, daß wir wirklich bessere Dinge zu tun haben, als uns hier sinnlos zu streiten. Du kennst schließlich Sigurd und seinen Hang für der be Späße zu gut, als daß du dich noch dar über aufregen solltest. Was wolltest du sa gen, Bruder?« »Diese Blitze haben ihren Ursprung nicht hier auf Pthor«, erklärte Sigurd so ruhig, als ob nichts gewesen wäre. »Sie kommen von außerhalb, aber nicht aus dem Dimensions tunnel, durch den wir noch rasen. Es handelt sich um die ersten Einbrüche aus einem nor malen Raum-Zeit-Kontinuum, dem wir schon ganz nahe sind! In dieses wird der Kontinent vermutlich bereits innerhalb der
51 nächsten Stunden stürzen, wenn sich nie mand findet, der Abhilfe schafft.« Über Heimdalls finsteres Gesicht lief ein Zucken. »Wer sollte das sein?« fragte er resigniert. »Allem Anschein nach gibt es hier niemand mehr, der dazu imstande wäre. Atlan hätte es vielleicht schaffen können, er hat lange genug darauf gedrängt, etwas zu unterneh men. Ich bedaure jetzt, daß wir nichts getan haben, um ihn aus dem See zu retten.« »Die Robotbürger haben sich auch nicht mehr gemeldet«, lenkte Balduur ab, dem dieses Thema sichtlich unangenehm war. »Zuletzt teilten sie über Funk mit, daß sie Thalia und ihren Begleitern auf der Spur wä ren, aber dann riß die Verbindung plötzlich ab. Wir werden sie wohl auch auf die Ver lustliste setzen müssen, fürchte ich.« Sigurd war inzwischen zu dem Bildgerät getreten, über das die Verbindung mit dem Wachen Auge lief. Er schaltete es ein, und als sich das Bild auf dem Sichtschirm stabi lisiert hatte, fuhren die drei Odinssöhne zu sammen. Die Anlagen der Ortungsstation waren auf Fernbeobachtung geschaltet, das war sofort zu erkennen. Die Wandung des Dimensions tunnels zeichnete sich auf dem Schirm wie ein milchiger Schleier ab, doch sie wirkte nicht mehr stabil. Für Sekunden erschienen immer wieder Lücken in ihr, pulsierende schwarze Flecke verschiedener Größe. Dies war das Schwarz eines normalen Raumkontinuums – und darin waren ver schwommen helle Lichtfunken von wech selnder Intensität und Farbe zu sehen: Die Sterne einer fremden Galaxis! »Der Austritt aus dem Tunnel steht näher bevor, als ich vermutet habe«, stellte Sigurd alarmiert fest. »Pthor wird ziellos hinausge schleudert werden, Odin allein mag wissen, wohin. Wir werden vermutlich trotzdem einen Planeten erreichen, aber diesmal wird der Kontinent vollkommen schutzlos sein! Der Wölbmantel müßte sich jetzt längst auf gebaut haben, aber er tut es offensichtlich nicht.«
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»Dann ist seine Funktion also wohl ebenso gestört, wie die des Steuermanns«, sagte Balduur tonlos. »Dies wird keine normale Landung werden, Brüder! Schon jetzt herrscht das Chaos auf ganz Pthor, aber es dürfte relativ unbedeutend gegenüber dem sein, das durch einen ungemilderten Auf prall hervorgerufen werden wird!« Mutlos starrten die drei Odinssöhne das flackernde Bild auf dem Sichtschirm an. Sie waren jetzt die Herren der FESTUNG – und trotzdem waren sie genauso machtlos gegenüber dem Geschehen wie der unbedeu tendste Wilde irgendwo im Blutdschungel oder in der Wüste Fylln.
* La'Mghor, der Pflanzenabkömmling von Aggia, trieb mit langsamen Schwimmbewe gungen seiner Greifäste und Wurzelfüße in der öligen Flüssigkeit dahin. Die riesigen Anlagen innerhalb der Ma schinenhalle faszinierten ihn in einem bisher ungekannten Ausmaß. Es handelte sich um viele scheinbar selb ständige Aggregate von verschiedener Form und Größe, und doch stellten sie in ihrer Ge samtheit ein einziges, harmonierendes Gan zes dar. Er sah sie nicht mit seinen Augen, dafür waren die Lichtverhältnisse zu schlecht. Seine mutierten Sinne erfaßten sie dafür um so deutlicher. Geheimnisvolle Strömungen paramentaler Kräfte gingen zwischen ihnen hin und her, obwohl sie sich nicht eigentlich in Betrieb befanden. Er fühlte sie in seinem Denkzen trum wie die behutsamen geistigen Berüh rungen eines anderen Mutanten seines Vol kes, nur waren sie nicht klar akzentuiert. Und auch sie schienen seine Anwesenheit zu fühlen und den Kontakt zu ihm zu suchen! La'Mghor erschauerte innerlich bei jedem neuen Impuls. Das hier war etwas wirklich Großes, Einmaliges und Gutes. In ihm wohnten Kräfte, mit denen verglichen der Gravitationslinienantrieb der ARMOSTUZ nicht mehr als ein Spielzeug für die jüngsten aggiarischen Ableger war. Ihnen gegenüber fühlte er sich selbst als
ein solcher. Trotzdem verharrte er nicht in Ehrfurcht vor diesen überlegenen Kräften. Gedämpft spürte er ständig das Dröhnen und die Er schütterungen, die Pthor immer stärker durchliefen. Sie mahnten ihn an seine Auf gabe, die er freiwillig übernommen hatte, um unzählige Lebewesen zu retten. Er konzentrierte sich mit allen Kräften seiner mutierten Sinne, öffnete sie den Impulsen und gab sich ihnen widerstandslos hin. Nur so konnte der entscheidende Kon takt hergestellt werden, das wußte er intui tiv. Bis vor kurzem war ihm der Begriff »Seele« noch vollkommen unbekannt gewe sen. Aggiaren lebten ihr Leben mit seinen Freuden und Leiden, vergingen, wenn ihr Stamm nicht mehr lebensfähig war, und lie ßen nur ihre Ableger zurück. Erst die Begeg nung mit Atlan hatte La'Mghor begreifen lassen, daß es noch Dinge gab, von denen er so gut wie nichts wußte, obwohl er als Mu tant sie am ehesten hätte verstehen müssen. Er hielt sich jedoch nicht lange mit dieser Überlegung auf. Sie waren wichtig und wertvoll, aber jetzt war nicht die Zeit dafür. Ihnen konnte er sich auch später noch hinge ben, wenn der Kontinent erst einmal gerettet war. Allmählich, für seine Begriffe viel zu langsam, stellte sich eine lose Verbindung zu dem geheimnisvollen Überwesen her. Die fremde Entität, so unendlich überlegen und doch an eine simple Ansammlung von Ma schinen gebunden, begann zu reagieren. Er spürte ihre stumme Frage, und er antwortete darauf, so gut er es konnte. Pthor mußte gerettet werden, und alle Le bewesen darauf. Sie waren zwar nur Weich linge, aber La'Mghor hatte gelernt, sie zu verstehen. Ob das große Blatt mit ihm war, stand noch in den Sternen! ENDE
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