Philip Hasard Killigrew hat gekämpft und verloren. An Bord der ›Isabella von Kastillien‹ hat der Seewolf Tote, Sterbend...
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Philip Hasard Killigrew hat gekämpft und verloren. An Bord der ›Isabella von Kastillien‹ hat der Seewolf Tote, Sterbende und Verwundete aus den Truppen von Norris und Courcy. Noch geben die Spanier und Iren nicht auf. Die ›Marygold‹, die ›Santa Cruz‹ und Sir Johns Karacke, die ›Wasp‹ stehen weiterhin im Gefecht mit zwei spanischen Kriegsgaleonen und drei spanischen Karavellen. Da passiert es: Kapitän Drake geht außenbords. Boote werden ausgesetzt. Man findet Schiffstrümmer, Fässer, Leichen - aber keinen Drake. Nur ein Mann weiß, was geschehen ist, und er kann nichts sagen. Kostbare Stunden vergehen. Da hört Hasard, was geschehen ist. Er redet nicht lange, er handelt ...
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle Meere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der ›Marygold‹ - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
Roy Palmer
Kämpft, daß die Fetzen fliegen!
Seewölfe Band 23
DIE AUTHENTISCHEN ERLEBNISSE, KAPERFAHRTEN UND SEESCHLACHTEN DES PHILIP HASARD KILLIGREW
1. Dieser Nachmittag unter dem eisengrauen Himmel, der im Dezember 1576 die Dungarvanbucht überspannte, war für die rauben Männer an Bord der Galeone ›Isabella von Kastillien‹ so etwas wie ein Rückzug nach verlorener Schlacht. Es waren Stunden, von denen Philip Hasard Killigrew sich wünschte, sie nie erlebt zu haben. Mit verbissener Miene stand er auf dem Achterkastell seines Schiffes, die Fäuste in die Seiten gestemmt, die eisblauen Augen nach vorn gerichtet. Der Anblick, der sich ihm bot, war mit der Bezeichnung grauenvoll geradezu milde umschrieben. Die ›Isabella von Kastillien‹ segelte bei halbem Wind ostwärts zum Ausgang der Bucht. Hinter dem Heck klatschten die letzten Geschosse aus den Musketen der Iren ins Wasser und ließen kleine, fontänenartige Spritzer aufsteigen. Bis an die Aufbauten gelangte jedoch keine und konnte den Schaden, den die Truppe hatte hinnehmen müssen, nicht mehr vergrößern. Die ›Isabella‹ befand sich außer Reichweite. In dem gewagten See- und Landunternehmen, das von Francis Drake im Auftrag der Krone durchgeführt worden war, hatten bisher zwar fünf spanische Karavellen und ein irisches Waffen- und Munitionslager vernichtet werden können, aber die vorübergehende Einnahme von Dungarvan und der vergebliche Marsch von Captain ›Black‹ John Norris in die Drum Hills hatten zu viele Blutopfer gekostet. Hasard trat an die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Decks auf dem Achterkastell bildete. Sein Blick glitt über die auf dem Deck und der Back liegenden stöhnenden, klagenden, blutverschmierten Gestalten. Captain Norris war mit einem Rest von dreißig mehr oder weniger verwundeten Soldaten auf der Holzpier von Dungarvan eingetroffen, und Hasard hatte es geschafft, sie trotz heftigen irischen Beschusses an Bord zu nehmen. Hierbei hatte sich wieder einmal
bewiesen, wie wirkungsvoll der Einsatz der vier Drehbassen auf der Back und dem Achterdeck der Galeone im Gefecht gewesen war. Mehr als die bloße Rettung der Bedrängten hatten Hasard und seine Männer jedoch nicht zu leisten vermocht. Er hatte die Achterleine kappen lassen, und dann hatte die ›Isabella‹ Distanz zwischen sich und die Pier gelegt. Captain James Courcy war schwer verletzt. Captain Norris hatte einen Schläfenstreifschuß, eine Säbelwunde an der linken Seite, eine Schulterwunde sowie einen Pistolensteckschuß im rechten Oberschenkel. Insgesamt sechsundvierzig Soldaten waren noch am Leben, davon jedoch keiner ohne Blessuren. Hasard entdeckte bekannte Gesichter wie das von Jake Tinkler unter den Männern, jenes Soldaten, der bereits das Massaker der Burton-Truppe überlebt hatte. Und auch das haßverzerrte Antlitz des degradierten Burton selbst gewahrte er. Hasards Finger hatten die Handleiste der Balustrade umklammert. Jetzt lösten sie sich. Er versetzte sich einen Ruck und stieg auf das Mitteldeck hinab. Die ›Isabella‹ glitt unter Großsegel und Fock bei Wind aus Süden dahin. Um die Schiffsführung brauchte er sich nicht zu kümmern. Die hatte Ben Brighton, der Bootsmann und Erste Offizier, für ihn übernommen. Hasard eilte dem Kutscher zu Hilfe, der seine Aufgabe als Feldscher versah und sich um die Verwundeten kümmerte. Dem Seewolf war zumute, als wate er durch kniehoch stehendes Blut. Links und rechts von ihm, vor und hinter ihm krümmten sich Männer mit zerschossenen Leibern und Gliedmaßen. Mühsam mußte er sich einen Weg zu dem Kutscher hinüber suchen, ständig darauf bedacht, keinem der Verletzten auf eine Hand, einen Arm oder eine andere Körperpartie zu treten. Finger streckten sich nach ihm aus und umklammerten sein rechtes Bein. Hasard wandte den Kopf. Weit aufgerissene Augen schauten flehend zu ihm hoch, und die Lippen in jenem
blutüberströmten Gesicht bewegten sich unaufhörlich. Sie murmelten Unverständliches. Der Seewolf preßte die Lippen zusammen, daß sie wie ein Strich wirkten. Er bemerkte Batuti, den riesigen GambiaNeger, in seiner Nähe und winkte ihm zu. Batuti trat heran, ließ die Schultern bedrückt hängen und sagte nur ein Wort: »Verdammich.« »Kümmere dich um diesen Mann«, forderte Hasard ihn auf. »Gib ihm zu trinken. Ich schätze, der Kutsche r braucht mich dringend.« »Ich eilen«, erwiderte Batuti. Hasard bückte sich und schob die klammernde, drängende Hand von seinem Fußknöchel fort. Es widerstrebte ihm, aber mit einem einzigen Blick hatte er erkannt, daß seine Unterstützung drüben, vor den Eichenplanken des Vorkastells, im Augenblick nötiger waren. Dort kniete der Kutscher vor einem übel zugerichteten Mann - Captain James Courcy. In der Kombüsentür auf der Steuerbordseite des Vorkastells tauchte soeben die Gestalt Blackys auf. Blacky erschien mit einer Pütz voll Trinkwasser, frischen Leinentüchern und einer der Flaschen, die der Kutscher streng unter Verschluß hielt und an die bisher nicht einmal das Bürschchen Dan bei aller Gerissenheit herangeraten war. Der dunkelblonde Haarschopf des Kutschers ruckte herum, als Hasard neben ihm stand. Hasard bemerkte, daß das Gesicht seines Kochs und Feldschers grünliche Färbung angenommen hatte. Sein Blick wanderte zu Captain Courcy. Der saß aufrecht mit dem Rücken gegen die Querplanken gelehnt und zog eine tapfere Miene. Der erschütternden Tatsache konnte aber auch er sich nicht verschließen. Sein linker Unterarm hing nur noch an irgendwelchen Muskel- und Sehnenfetzen. Der Unterarm war Knochenmus. Gehacktes Blei aus einer irischen Muskete hatte ihn durchsiebt. »Ich weiß«, sagte Courcy und schaute auf. »Er muß amputiert
werden. Auf was wartet ihr? Ich bin bereit.« Hasard sah, wie der Kutscher schluckte, und beugte sich zu ihm hinab. »Reiß dich zusammen und sag mir, was ich zu tun habe. Ich assistiere dir.« »Himmel, ich habe meinem früheren Brötchengeber, Sir Freemont, einige Handgriffe aus der Wundbehandlung abgeschaut. Aber das hier ...« Hasard erwiderte nichts, und auch Blacky, der die Pütz und die Leinentücher und die Flasche Schnaps absetzte, brachte kein Wort hervor. Captain Courcy richtete sich noch ein Stückchen höher auf. Das bereitete ihm Schmerzen. Gequält verzog er das Gesicht. Dann aber fixierte er den Seewolf. »Kapitän Killigrew! Ich befehle Ihnen, nicht mehr Rücksicht walten zu lassen als bei einem Mannschaftsdienstgrad. Was mich erwartet, ist mir klar. Aber im Interesse aller anderen, die hier liegen und auf Behandlung warten: Beeilen Sie sich!« Hasard nickte kaum merklich. »Fangen wir an.« Der Kutscher sagte: »Die Prozedur ist simpel. Ich denke, ich habe alles Erforderliche bis auf eine Kleinigkeit. Hole einen Lederriemen. Einen breiten, starken Lederriemen, Blacky.« Blacky verschwand in der Kombüse. Der Kutscher breitete unterdessen vor sich aus, was er schon zuvor mit heraufgebracht hatte - ein Arsenal jener Gegenstände, die er sonst täglich für ganz andere Zwecke benötigte. Fünf große, scharfgewetzte Fleischermesser lagen auf einem Stück weißen Tuches. Ebenso eine eiserne Knochensäge und mehrere Holzkochlöffel zum Schienen von Knochenbrüchen. Letztere waren im Fall Courcy überflüssig. Blacky kehrte an Deck zurück. Er hatte ein Stück Rohlederstreifen von einem Tampen abgesäbelt, der in der Kombüse zum Festzurren bestimmter Gegenstände benötigt wurde. Der Kutscher nahm das Ding entgegen und reichte es Captain James Courcy. »Wissen Sie, wie Sie es benutzen müssen, Sir?«
»Ja.« Hasard entkorkte die Flasche und hockte sich rechts neben den Mann. »Sie sollten einen ordentlichen Schluck davon nehmen. Es ist Whisky. Kein schlechter Tropfen.« Er wollte ihm die Öffnung der Flasche an die Lippen führen. Doch Courcy schnitt eine Grimasse, nahm sie ihm mit der gesunden Rechten ab und setzte selbst an. Gluckernd rann ein Teil der rostbraunen Flüssigkeit durch seine Kehle. Die Männer schwiegen betreten. Keinem entgingen die feinen Schweißperlen, die sich auf Courcys Stirn gebildet hatten, sich nun teilweise auflösten und über seine Wangen liefen. Der Captain ließ die Flasche sinken und gab einen keuchenden Laut von sich. Hasard nahm sie ihm ab. Ohne zu zögern, steckte sich Courcy das dicke Leder zwischen die Zähne. Der Seewolf blickte zu Blacky hoch. Dieser verstand sofort, leckte sich mit der Zungenspitze über die trockenen Lippen und kniete sich, um die Beine des Mannes festzuhalten. Hasard griff nach dem gesunden Arm des Captains und richtete sich so ein, daß er mit der anderen Hand Gewalt über den Oberkörper hatte. Courcy schwitzte nun stärker. Seine Augen weiteten sich, und nur ein Wunsch war daraus zu lesen: Besorgt es schnell! Sie zogen ihn ein Stück von der Querwand des Vorkastells fort und drückten ihn auf die Planken, damit der Kutscher besser arbeiten konnte. Hasards Koch und Feldscher kennzeichnete mit einer knappen Bewegung der Hand die Stelle, an der er ansetzen würde und griff nach der Säge. Er wollte auf jeden Fall gründlich sein und rasch zu Werke gehen, wie er es bei Sir Freemont, dem Arzt in Plymouth, gesehen hatte. Vielleicht hätte ein scharfes Messer genügt, um den blutigen Verbund aus Muskel- und Sehnenfetzen zu durchtrennen, der den reglos daliegenden Unterarm noch hielt. Möglich war jedoch auch, daß der Widerstand der Substanzen
größer war, als er vermutete. Der Kutscher brachte die Klinge der Säge dem Ansatzpunkt näher. Mit der linken Hand packte er zu, mit der Rechten führte er das Werkzeug. Captain Courcy schloß die Augen und biß mit aller Macht auf das Stück Leder. Auch Blacky kniff unwillkürlich die Augen zusammen. Philip Hasard Killigrew blickte starr auf den zerfleischten Arm und die Säge. Er konnte nicht anders. Plötzlich schienen die Laute rund um ihn herum mit einem Schlag zu zerreißen das Knarren der Rahen und Blöcke, das Klatschen der Wellen gegen die hölzerne Bordwand, das Stöhnen und Jammern der Verwundeten. Das alles war wie ausgelöscht. Für Sekunden fühlte sich der Seewolf von absolutem Schweigen umgeben. Dann begann es. Die Laute, die die Säge hervorrief, Courcys Aufbäumen und Stöhnen, das Zappeln der Beine, das von Blacky mit brutaler Gewalt unterdrückt werden mußte, der Moment, in dem ein wildes Zucken durch den Körper lief und selbst Hasard alle seine Kraft aufbieten mußte, um den Patienten halten zu können. Courcys Kopf schlug ein paarmal heftig hin und her, dann lag er still. Bewußtlos, dachte Hasard. Er reagierte, ließ Arm und Oberkörper des Mannes los und steckte zwei Finger in dessen Mund, um das Stück Leder hervorzuholen, das er sonst unzweifelhaft heruntergewürgt hätte. Er hätte daran ersticken können. Der Kutscher atmete schwer. Er hatte es vollbracht. Hasard war ihm dabei behilflich, die frische Wunde mit dem Schnaps zu desinfizieren, mit dem Trinkwasser zu waschen und zu verbinden. Blacky schaffte inzwischen den abgetrennten Unterarm fort. Er war ein kräftiger Kerl mit harten Fäusten, der gegen jeden Wind spuckte, aber jetzt war ihm anzusehen, wie sehr ihm die schreckliche Aufgabe zugesetzt hatte. Hasard schaute sich um, als sie mit Captain James Courcy fertig waren. Captain Norris lag in der Nähe des Schanzkleides
an der Backbordseite. Er bot einen weniger grauenvollen Anblick als der arme Teufel Courcy. Seinem Gesicht war aber anzusehen, daß er heftige Schmerzen litt. Hasard deutete auf den ohnmächtigen Courcy. »Tragt ihn unter Deck«, sagte er zum Kutscher. » Und bereitet da auch den Übrigen, die du verarztet hast, ihre Lager.« »In Ordnung. Aye, aye, Sir«, gab der Kutscher ein wenig verwirrt zurück. Seine Gesichtsfarbe hatte sich um ein paar Nuancen normalisiert. Der Seewolf bewaffnete sich mit einem kurzklingigen Messer, einigen Leinentüchern, Schnaps und Wasser. Er lavierte zwischen den blutverschmierten liegenden Gestalten hindurch. Einige hatten wie Courcy das Bewußtsein verloren. Für die, die wach waren und mit allen Sinnen ihre scheußliche Lage erfaßten, war es grausamer. Hasard hätte gern alle gleichzeitig operieren, zusammenflicken oder verbinden lassen, aber das war unmöglich. Seine übrigen Männer standen an den Brassen und Schoten der ›Isabella‹ und hatten vollauf damit zu tun, das Schiff unter Ben Brightons Kommandos aus der Bucht herauszumanövrieren. Captain ›Black‹ John Norris grinste krampfhaft, als er Hasard auf sich zukommen sah. Der Seewolf ließ sich unter den Leewanten und Pardunen nieder und betrachtete die Verletzungen. »Jetzt ist die Reihe an mir, wie? Nur zu, Kapitän Killigrew. Wir werden dann bald nur noch einen halben Norris haben, aber das ist immer noch besser als ein toter Norris, oder?« Hasard säuberte die Wunde, die der Schläfenstreifschuß hervorgerufen hatte. Norris stöhnte auf, biß aber die Zähne zusammen und hielt still. »Möchte wissen, wie Sie ohne den Gehirnkasten auskommen wollen«, sagte Hasard frotzelnd. »Ein ziemlich kopfloses Dasein wäre das.« »Was ein richtiger Kerl ist, der gewöhnt sich an alles«,
entgegnete der Seewolf und legte einen Kopfverband an, so gut er das vermochte. »Eigentlich bin ich mehr um das Bein als den Schädel besorgt, wissen Sie?« Der Captain bemühte sich wieder um ein Grinsen, aber es mißlang kläglich. »Sie haben bei Courcy zugesehen?« »Was blieb mir denn übrig?« Hasard betrachtete die Stelle, wo ein Schuß Norris rechten Oberschenkel erwischt hatte. Das Fleisch sah aus wie aufgetrieben. Aus der blutigen Rosette der Verletzung sickerte roter Lebenssaft hervor. Hasard reinigte auch diese Blessur. »Die Kugel steckt«, sagte er ruhig. »Aber der Knochen scheint nicht verletzt zu sein. Ich hole das Blei raus, Captain. Wenn Sie keinen Wundstarrkrampf kriegen und auch sonst gut über die Runden kommen, laufen Sie bald wieder als ganzer Norris durch die Gegend, um Ihre Leute zusammenzustauchen.« »Danke für den Trost.« »Sie glauben mir nicht?« »Kein Wort.« »Sie werden ja sehen.« Hasard drückte ihm die Flasche Whisky in die Hand und schaute zu, wie er sie bis zur Hälfte leerte. Dann erkundigte er sich ziemlich barsch: »Brauchen Sie jetzt auch ein Stück Leder zwischen die Kiemen, oder können wir darauf verzichten?« »Verzichten.« Hasard fackelte nicht lange. Er führte die Messerspitze in die Wunde. Mit angespannter Miene, schwitzend und fluchend forschte er nach dem Geschoß. Norris blieb die ganze Zeit über bei Bewußtsein, und er gab nicht einen einzigen Schrei von sich. Endlich zog der Seewolf sein Werkzeug zurück und hielt das Ding zwischen Zeigefinger und Daumen der Rechten hoch. »Pistolenkugel, Captain.« »Verdammte irische Bastarde!«
»Wir sind noch nicht miteinander fertig, mein Lieber.« Batuti näherte sich genau im richtigen Augenb lick. Er hatte verschiedenen Verwundeten zu trinken gegeben. Und einem hatte er sogar einen Fausthieb unter die Kinnlade verpaßt, denn der Mann hatte zu sehr unter seinen Schmerzen gelitten. Jetzt lag er still. Das war eine rauhe, aber doch annehmbare Art gewesen, ihm wenigstens für einige Zeit ein bißchen Linderung zu verschaffen. Batuti nahm das Messer aus Hasards Hand entgegen. »Über dem Kombüsenfeuer zum Glühen bringen«, sagte der Seewolf. »Schnell.« »Ich fliegen.« Batuti steuerte erstaunlich geschickt zwischen den verletzten Soldaten hindurch auf das Vorkastell zu. Für kurze Zeit tauchte seine massige Gestalt in dem dunklen Türloch unter. Als er mit dem rotglühenden Messer zurückkehrte, sah Hasard Norris fest in die Augen. »Wir müssen die Wunde ausbrennen, ist das klar, Captain? Wegen des Wundstarrkrampfes.« »Aye, aye«, gab dieser verzerrt grinsend zurück. Hasard zögerte auch diesmal nicht. Norris empfand die Prozedur wie eine scheußliche Folter - ihm war, als zucke das heiße Metall bohrend durch sein Fleisch, vom Bein in den Unterleib hinauf, und explodiere dort mit vernichtender Macht. Die Besinnungslosigkeit war wie eine Erlösung für ihn. Dieses teuflische Brennen in der Wunde hätte auch der bärenstärkste und abgebrühteste Höllenhund nicht bei Bewußtsein durchgestanden. Der Seewolf ging gründlich zu Werke. Als er weißen Leinenstoff zu handbreiten Streifen zerriß und um die Blessur wickelte, war er sicher, daß ›Black‹ John Norris bald wieder umherstapfen würde. Die Schulterwunde und die Säbelwunde waren nicht weiter schlimm. Er säuberte und verband sie. Hasard erhob sich und wandte den Kopf. Neben ihm ragte die Herkulesgestalt von Batuti auf. Hasard lugte an ihm vorüber
und gewahrte Blacky, der sich ziemlich aufgeregt näherte. Zwei Schritte vor seinem Kapitän blieb er stehen, schaute auf den verbundenen Norris und dann wieder auf Hasard. »Der Kutscher braucht dich wieder. Der, den er gerade in Behandlung hat, sträubt sich dagegen, daß ihm was abgeschnitten wird. Ich meine, ich weiß nicht, wie ich ...« Der Seewolf hob die Hand. »Schon gut. Bringt Captain Norris nach unten. Er soll neben Courcy seinen Platz haben.« Hasard begab sich sofort zum Kutscher hinüber. Dieser hatte sich Zug um Zug bis zu den Hauptwanten an der Steuerbordseite durchgearbeitet und hinter sich teils operiert, teils nur verbundene Männer zurückgelassen, die ebenfalls noch von Batuti und Blacky unter Deck befördert werden mußten. Zwei an den Armen beziehungsweise an der Brust leichter angeschrammte Soldaten standen bereit, um ihnen dabei zu helfen. Der Kutscher befand sich in diesem Augenblick einem jungen Soldaten gegenüber. Mit gespreizten Beinen hockte dieser da und sah den Feldscher kampfeslustig an. Es lag noch mehr in diesem Blick, und vielleicht, weil Hasard es erkannte und sich in die Lage des armen Teufels versetzen konnte, wechselte er die Position, schritt fast bis zum Achterkastell, schlug einen Bogen und näherte sich dem Mann dann von der Seite. Er saß mit dem Rücken gegen das Schanzkleid gelehnt, dem Kutscher schräg zugewandt. Der Seewolf blickte auf die halb zerrissenen Stiefel des Soldaten. Blut quoll aus den Öffnungen im Leder hervor. Sonst schien der Mann keine Blessuren erlitten zu haben. Aber dort, an beiden Füßen, schien es ihn hart erwischt zu haben. In der Miene des Kutschers mischten sich Mitleid und Ratlosigkeit. »Hör zu«, sagte er soeben. »Es geht nicht an, daß du dich weigerst. Laß wenigstens deine Füße anschauen. In ein paar Stunden beginnen sie zu eitern und zu faulen, und dann wird
sich der Herd durch deinen ganze n Körper fressen, bis du innerlich kaputt bist. Ja, du wirst ganz langsam von innen heraus kaputtgehen, wenn du dich nicht zurechtflicken läßt, mein Junge. So wahr ich hier stehe.« »Hau ab«, gab der Soldat zischend zurück. »Verschwinde. Ich lasse keinen an mich ran. Wenn ich verrecken muß, verrecke ich eben. Immer noch besser das, als den Rest des Lebens als verfluchter Krüppel dahinzuvegetieren. Was taugt denn noch ein Mann ohne Füße?« Hasard ging weiter. Vielleicht noch vier, fünf Schritte trennten ihn vo n den beiden. Der Kutscher rang in echter Verzweiflung die Hände. Und sicherlich verdammte er in diesem Augenblick mehr als zuvor die Aufgabe, die er an Bord der ›Isabella von Kastillien‹ übernommen hatte. »Hör mir gut zu«, sagte er wieder und bemühte sich, seiner Stimme einen gelassenen Klang zu geben. »Matt Davies von unserer Mannschaft hier an Bord hat einen Eisenhaken statt der rechten Hand. Und der Alte von Donegal Daniel O’Flynn wandert in diesem Augenblick vergnügt mit seinem Holzbein über die Decksplanken einer Karacke, die unter dem Kommando von Sir John Killigrew steht. Und so gibt es Tausende von Männern, die sich damit abgefunden haben.« »Aber nicht ich!« schrie ihn der Soldat an. »Wenn beide Füße ab sind, kann ich nur noch auf Krücken laufen.« »Laß mich einen Blick darauf werfen.« »Nein!« »Vielleicht brauchen wir gar nicht zu amputieren«, sagte der Kutscher geduldig. Er ging einen Schritt auf den Hockenden zu. Aber in diesem Moment riß dieser etwas unter seiner zerlumpten, angesengten Uniformjacke hervor - eine kleine Radschloßpistole. »Die ist geladen«, sagte er. »Keinen Schritt weiter!« »Du bist verrückt«, fuhr ihn der Kutscher an. »Natürlich. Und ich bringe jeden um, der mich zu
überwältigen versucht.« Hasard hatte seine Bewegungen verlangsamt. Jetzt befand er sich in unmittelbarer Nähe des jungen Soldaten. Doch der bemerkte ihn nicht, weil er ihm den Rücken zukehrte. Hasard handelte. Sich bücken, zupacken und wieder hochfahren, das war fast eins. Die Radschloßpistole wurde dem Mann aus der Hand gerissen, ohne daß er die Zeit fand, den Zeigefinger um den Abzug zu krümmen. Mehr vor Überraschung und vor Wut als vor Schmerz schrie er auf. Hasard legte den Daumen auf den Hammer der Waffe. Dann betätigte er den Abzug, hielt aber den Hammer mit der Kuppe des Daumens fest und ließ ihn vorsichtig nach vorn gleiten. Nachdem er die Waffe gesichert hatte, steckte er sie hinter den Gürtel. Der junge Soldat fuhr im Sitzen herum. Erheben konnte er sich nicht, wollte aber dem Seewolf einen Fausthieb gegen das Knie verpassen. Hasard trat zur Seite. Der Schlag ging daneben. Der Mann ließ ein verzweifeltes, enttäuschtes Schluchzen vernehmen, lehnte sich mit der Schulter gegen das Schanzkleid und krallte die eine Hand oben in den untersten Webeleinen der Steuerbordwanten fest - eine Geste der Hilflosigkeit, der Aufgabe. »Wie heißt du, Soldat?« fragte der Seewolf. Verbissenes Schweigen. Der Kutscher antwortete anstelle des Befragten. »Hank Mandell ist sein Name. Ich hab’s von anderen vernommen.« »Gut, Hank, wir können dich da nicht so liegenlassen.« Hasard beugte sich zu dem Mann hinunter und brachte sein Gesicht dicht neben dessen Kopf. Mandell mußte ihn ansehen, ob er wollte oder nicht. Seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz. Auf seiner Stirn und dem Gesicht zeichnete der Schweiß Spuren in die Staubschicht, die die Haut bedeckte. »Sei nicht so starrköpfig«, fuhr Hasard fort. »Wenigstens untersuchen lassen könntest du dich. Was sollen denn die
anderen sagen? Denk daran, daß du nicht der einzige bist, der verletzt wurde. Schau dich um.« Mandell lachte bitter auf. »Sie vergeuden Ihre Zeit, Kapitän Killigrew. Nehmen Sie die Pistole und jagen Sie mir die Kugel durch den Schädel. Das ist die beste Lösung. Für alle.« »Es steht außerhalb meiner Befugnis. Es wäre bestialisch.« »Und ohne Füße leben? Ist das menschlicher?« »Hank, ich will jetzt deine Stiefel abschneiden und die Beine ansehen.« »Niemals!« Der Seewo lf versuchte es trotzdem. Kaum hatte er den Mann berührt, ließ dieser die Webeleinen los, drehte sich und hieb auf ihn ein, auf Hasards Kopf, den Oberkörper, den Unterleib. Wie in Todesangst schlug er um sich. Dem Seewolf blieb nichts anderes übrig, als ihn außer Gefecht zu setzen - so leid ihm dies tat. Er duckte sich und blockte die prasselnden Hiebe des nicht gerade schwachen jungen Mannes ab. Dann holte er aus und ließ ihm einen rechten Haken unter das Kinn krachen. Mandell sank mit verhaltenem Ächzen in sich zusammen. Hasard und der Kutscher trennten mit den scharfen Messern aus der Kombüse das Leder der Stiefel auf. Vorsichtig zogen sie das Schuhwerk von den blutigen Klumpen, die einmal Mandells Füße gewesen waren. Selbst unter der leisen Berührung stöhnte der Soldat in seiner Besinnungslosigkeit. Hasard verspürte ein seltsames, würgendes Gefühl in der Kehle, als der Kutscher das Unabwendbare aussprach. »Die Füße müssen amputiert werden. Beide.« Der Seewolf entdeckte Blacky, der sich vor dem Vorkastell gemeinsam mit den beiden leicht verwundeten Soldaten um einen verbundenen Beinverletzten bemühte. Batuti befand sich anscheinend noch unter Deck. Hasard hob die Rechte und winkte Blacky heran. „Du gehst zu Captain Norris und Captain Courcy. Einer von
beiden wird inzwischen wieder bei Bewußtsein sein. Wahrscheinlich Norris. Frage ihn, ob er einverstanden ist, daß wir dem Soldaten Hank Mandell beide Füße amputieren.« »Aye, aye.« Blacky benötigte etwas Zeit, um den Befehl auszuführen. Während dieser Minuten unterstützte Hasard den Kutscher dabei, einen anderen, leichteren Fall zu verarzten. Der Kutscher war wieder grünlich im Gesicht und murmelte etwas, das Hasard nicht verstand. Auf dem Vorderdeck regte sich etwas. Hasard schaute auf und meinte, für Sekunden das Gesicht und die Gestalt Burtons erblickt zu haben. Sofort bückte sich der Mann jedoch wieder, und es schien so, als trete auf der Back wieder Ruhe ein - von dem Wälzen, Lamentieren und Stöhnen der Verwundeten abgesehen. Blacky erschien und überbrachte die Erwiderung Norris, die aus einem simplen »Ja« bestand. Schweigsam und mit verkniffenen Mienen gingen sie an die furchtbare Aufgabe. Blacky blieb, und sie verfuhren fast genauso wie bei Captain James Courcy. Auf Schnaps und den Lederriemen zum Beißen konnten sie verzichten. Sie hofften nur inständig, daß der Soldat während der Prozedur ohnmächtig blieb. Er blieb es nicht. Er fuhr hoch und schrie, als der Kutscher die Säge ansetzte. Hasard mußte seine gesamte Kraft aufbieten, um den Mann niederzuhalten, und auch Blackys Züge wiesen die Zeichen äußerster Anstrengung auf. Die Laute, die Hank Mandell von sich gab, waren grauenvoll und kaum mehr menschlich. »Weiter«, befahl der Seewolf keuchend seinem Koch und Feldscher. »Weiter - nicht aufhören!« »Stopf ihm doch den Mund«, sagte Blacky. »Ich kann’s nicht hören.« Hasard tat es nicht. Er wußte, daß das Schreien dem jungen Soldaten helfen würde, etwas von dem unsäglichen Schmerz zu
überwinden. Philip Hasard Killigrew preßte den Soldaten auf die Planken nieder, schaute auf den Kutscher und nicht auf das Gesicht Mandells und verfluchte in diesem Augenblick die Seefahrt, das gesamte Königreich und den Tag, an dem er sich auf das höllische Irland-Abenteuer eingelassen hatte. Das Schreien brach ab und erstarb mit einem langgezogenen Stöhnen. Hank Mandell war wieder besinnungslos geworden. Er zuckte zwar, kam aber nicht wieder zu sich. Hasards Gesicht und die Mienen seiner beiden Männer waren verschlossen und hart, als sie den Rest hinter sich brachten. Hank Mandell wurde von Blacky und Batuti unter Deck transportiert. Der Kutscher wandte sich einem neuen Patienten zu. Aber Hasard stand eine Weile ohne jegliche Bewegung, das Gesicht dem Vorkastell zugewandt. Nur seine schwarzen Haare stellten sich ein wenig unter dem Südwind auf, der durch die Dungarvanbai strich und die ›Isabella‹ auf die offene See hinaustrug. Hasards Augen konzentrierten sich auf einen Punkt außerhalb des Schiffes. Hasard war an einen Punkt gelangt, an dem er das Erlebte verarbeiten mußte, um nicht die Fassung zu verlieren. Er lag im Kampf mit sich selbst. Seine Augen hatten jenen jugendlichen Glanz verloren und waren nur noch hart. Sein Gesicht wirkte wie gemeißelt, unauslöschlich von Wind, Wetter und Sonne gezeichnet.
Ausgerechnet diesen heiklen Augenblick hatte sich Isaac Henry Burton ausgesucht, um sich von den Planken der Back aufzurappeln und wankend den Stufe n zuzustreben, die zum Mitteldeck führten. Burton, der Feigling, Burton, der Mann, der neunundvierzig Soldaten verantwortungslos in den Kampf gegen den Feind getrieben hatte, Burton, der degradierte
Captain. Er hatte seine Männer im Stich gelassen und Hasard die Schuld an dem mißglückten Landunternehmen in die Schuhe schieben wollen. Aber Jake Tinkler, der einzige überlebende Soldat des Massakers, hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gezogen und verhindert, daß der Seewolf durch einen gemeinen, hinterhältigen Schachzug über den Löffel barbiert wurde. Burton hatte an der Rah aufgehängt werden sollen. Nur der Begnadigung durch Francis Drake hatte er es zu verdanken, daß er noch lebte. Burton war der Bruder des Samuel Taylor Burton, des Friedensrichters vo n Plymouth. Die Auseinandersetzung mit jenem feisten, durchtriebenen Kerl und die ewigen Streitereien mit Isaac Henry Burton hatten dem alten Zwist zwischen den Burtons und den Killigrews neue Nahrung verschafft. Die Burtons neideten den Killigrews die Vorrangstellung in Cornwall - und daran würde sich nichts ändern, solange auch nur ein Vertreter jeder Familie aufrecht stehen konnte. Der Seewolf blickte Burton entgegen, wie er sich näherte untersetzt, fadblond mit blaßblauen Augen, fleischigen Wangen, massivem gespaltenem Kinn. Geduckt, haßerfüllt, verschlagen - Burton war ein Schläger, der lärmend auftrat und sich bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund drängte. Dabei entpuppte er sich als jämmerlicher Hasenfuß, wenn ihm die nötige Unterstützung fehlte. Und doch: Weder die Degradierung noch die dauernden Niederlagen gegenüber Hasard und seiner Mannschaft hatten etwas zur Änderung seines Charakters beitragen können. Immer noch rachsüchtig, immer noch durchtrieben und bissig, so baute er sich vor Hasard auf. Er verharrte, stemmte die Fäuste in die Seiten und hob zu einer donnernden Rede an. »Was ist das für eine Art? Wieso werde ich nicht sofort verbunden - als erster? Wollt ihr mich verbluten lassen?« Der Seewolf richtete sich auf, seine Augen wurden schmal. In seiner Miene lag etwas Bedrohliches.
Im Hintergrund tauchte Jake Tinkler an der Balustrade des Vorkastells auf. Er ging aber wieder in die Knie und hatte offensichtlich auch einen oder mehrere tückische Kratzer aus dem Gefecht davongetragen. Zweifellos waren es aber er und seine Kameraden gewesen, die Isaac Henry Burton bislang davon abgehalten hatten, die Kuhl zu betreten. »Antworten Sie, Killigrew«, sagte Burton schrill. »Sie haben sich mir gegenüber für diesen Fehltritt zu rechtfertigen. Was Sie getan haben, kommt einem Verbrechen gleich. Jawohl einem Verbrechen. Ich verlange, sofort behandelt zu werden. Das steht mir dienstgradmäßig zu.« Hasard fixierte ihn, und Burton wich diesem Blick immer wieder aus. »Dienstgradmäßig?« »Ja. Captain Norris und Captain Courcy sind als Ausfälle zu verzeichnen. Ich habe die Führung des Restes der Truppe übernommen.« Schweigen breitete sich aus. Das Stöhnen der Verwundeten hatte sich verringert, die Bemühungen des Kutschers trugen Früchte. Der Koch schaute ärgerlich von der Behandlung eines blutenden Soldaten auf. Blacky und Batuti, die gerade wieder an Deck erschienen waren, verhielten ihren Schritt und schauten in einer Mischung aus Zorn und Neugier herüber. Und auch den übrigen Besatzungsmitgliedern an Bord der ›Isabella von Kastillien‹ entging nicht, was sich da in unmittelbarer Nähe der Steuerbordhauptwanten zwischen dem Seewolf und Isaac Henry Burton abspielte. Weder Ben Brighton auf dem Achterkastell noch Dan O’Flynn, der mit seinen scharfen Augen vom Großmars lugte, weder Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, oder Smoky, der ehemalige Decksälteste der ›Marygold‹, oder Matt Davies mit seiner Hakenhand verpaßten die Szene, die sich anbahnte. Pete Ballie, der Rudergänger, und der Fockmastgast Gary Andrews äugten gespannt herüber. Sowohl der dickliche Segelmacher Lewis
Pattern als auch Stenmark, der Schwede, Carter, Al Conroy, Jim Maloney und Tom Smith, die gerade in den Wanten turnten, beobachteten das Unwetter, das unweigerlich aufzog. Hasard sprach mit normaler Lautstärke, aber es war ihm anzusehen, daß er sich mühsam beherrschte. »Burton. Im Moment gibt es hier nichts zu führen. Außerdem kann ich mich beim besten Willen nicht entsinnen, daß die Degradierung aufgehoben wurde.« »Das spielt keine Rolle!« »Und ob.« »Nach dem Kriegsrecht ...« »Nach dem Kriegsrecht hätten Sie längst wie ein Sack an einer Rah baumeln müssen, Sie Narr.« Hasard hatte die Augenbrauen zusammengezogen. Alle Zeichen standen auf Sturm. »Kerle wie Sie sollte man mindestens alle acht Glasen auf der Gräting auspeitschen lassen und im übrigen in den Pumpensod oder sonstwohin sperren, damit sie nicht vergessen, daß sie zu kuschen haben.« »Ich verbitte mir das! Unerhört! Sie haben kein Recht, mich zu beleidigen!« Plötzlich wurde der Seewolf wieder ruhig, verdächtig ruhig. »Sie verlangen also, verbunden zu werden. Meinetwegen. Sie sehen wirklich schwer lädiert aus, Freundchen. Wo sitzen denn die Blessuren, wenn man fragen darf?« »Das ist im Augenblick unerheblich.« Hasard grinste mit einem Mal grimmig. In seinen eisblauen Augen tanzten tausend Teufel. »O nein. Ich will sie sehen und muß mich überzeugen, daß sie schwerwiegend sind. Das ist ein Befehl.« »Ich weigere mich ...« »Burton«, sagte der Seewolf fast sanft, »ich brauche doch wohl nicht noch einmal darauf hinzuweisen, daß ich an Bord meines Schiffes absolute Befehlsgewalt habe und mir von keinem dreinreden lasse. Also, ich warte auf das Vorzeigen der
Wunden.« Burton drehte sich langsam um. Mit einem Finger wies er auf den ellenlangen Streifen, der quer über die Sitzfläche seiner Hose verlief. Der Stoff war aufgeplatzt, darunter schimmerte es rötlich. Hasard konnte nicht länger an sich halten. Nicht, nachdem er den Operationen beigewohnt hatte, die an den armen Teufeln vorgenommen worden waren, die ihr Leben für das Unternehmen in die Schanze geschlagen hatten und jetzt den bitteren Preis dafür zahlten. Hasard holte mit dem rechten Fuß aus und trat Burton mit aller Macht gegen das Hinterteil. Genau auf den Streifschuß, der da von einer Kugel gezogen worden war. Burton gab einen brüllenden Laut von sich. Im nächsten Moment lag er auch schon auf den Planken, alle viere von sich gestreckt. Hasard war neben ihm und mußte sich zügeln, um ihn nicht voll Verachtung anzuspucken. »Seht ihn euch an!« rief der Seewolf. »Da habt ihr die lebensgefährliche Verletzung, wegen der er sofort behandelt werden wollte. Habt ihr sie gut betrachtet? Was verrät sie euch? Blacky! Kutscher! Batuti! Sagt eure Meinung!« Batuti neigte den Oberkörper ein wenig nach vorn und senkte den Kopf, als müsse er sich erst vom Zustand Burtons überzeugen. Seine Augen waren schmal, und sein Gesicht hatte einen unheilvollen Ausdruck angenommen. »Verdammich! Er wieder gelegen haben, als Kugeln flogen. Hintern nach oben, Kopf nach unten. Er nicht kämpfen.« »Dieser erbärmliche Feigling«, sagte Blacky. »Eine alte Flasche«, pflichtete der Kutscher ihm bei. Deutlicher sagte es Smoky, der ohnehin schon mehrfach sehr handfest Burton seine Meinung mitgeteilt hatte: »Daß das Schwein überhaupt noch wagt, das Maul aufzureißen! Ich hätte große Lust, ihm eins zwischen die Rippen zu geben.« Vom Großmars aus meldete sich das Bürschchen Dan
O’Flynn mit einer eindeutigen Mißfallenskundgebung gegen den sich fluchend aufrappelnden Isaac Henry Burton. Dan steckte die Zunge zwischen die Zahnreihen und ließ sie mittels der rasch ausgestoßenen Atemluft vibrieren, so daß ein sehr häßliches, quäkendes Geräusch entstand. Burton kam auf die Beine und drehte sich zu Hasard um. Seiner verzerrten Miene war anzusehen, wie sehr er die Schmach empfand - und daß er nicht im Traum daran dachte, sich jetzt zurückzuziehen. »Ich breche Ihnen alle Knochen, Killigrew«, versetzte er voll ohnmächtiger Wut. »Lassen Sie es genug sein, Burton«, entgegnete Hasard scharf. »Das sollte Ihnen als Warnung genügen. Verschwinden Sie!« Burton tat genau das Gegenteil. Mit einem haßvollen Laut sprang er vor und stürzte sich auf den Seewolf. Dieser empfing ihn. Zwei gemeine Schläge, die auf die Unterleibsgegend gezielt waren, blockte er ab. Einen gegen sein Brustbein abgeschossenen rechten Haken parierte er ebenfalls. Dann duckte er sich etwas, brach die Deckung Burtons auf und konterte mit ein paar trockenen, gut abgewägten Boxhieben. Burton schrie und gebärdete sich fuchsteufelswild. Er war knallrot im Gesicht. Statt mit Methode vorzugehen, um überhaupt eine Chance gegen den Seewolf zu haben, ließ er sich von seinen Rachegefühlen treiben und prügelte planlos drauflos. Für Hasard war es eine Kleinigkeit, mit dieser Art von Attacke fertigzuwerden. Blacky, Smoky und Batuti rückten von verschiedenen Seiten näher. Doch ihrer Unterstützung bedurfte es nicht - Hasard hätte es als eine Schande angesehen, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Schlag, von schräg nach unten gegen den Kopf Burtons geführt, warf den untersetzten Mann zurück. Hasard hatte die Wange getroffen. Es gab ein knackendes Geräusch, ein Zeichen dafür, daß mindestens der Knochen verrenkt worden
war. Ein wenig höher, und der Hieb wäre an der Schläfe explodiert und hätte Burton den langen Sprung über die düstere Schwelle ins Jenseits antreten lassen. Burton taumelte zurück, ruderte mit den Armen und ließ einen gurgelnden Laut vernehmen. Trotz seiner verzweifelten Anstrengungen fand er das Gleichgewicht nicht wieder. Er wäre hart auf den Planken gelandet, hätte Batuti ihn nicht aufgefangen. Wie ein Mehlsack hing Burton in den Armen des mächtigen Negers. Er gab noch einen heiseren Seufzer von sich, dann fiel er in tiefe Bewußtlosigkeit. Hasard verzog verächtlich den Mund. »Sperrt ihn in die Vorpiek. Und wenn er noch so jammert: Er wird nur herausgelassen, wenn ich den ausdrücklichen Befehl dazu erteile. Klar?« »Aye, aye, Ssör«, erwiderte Batuti.
2. Die Galeone ›Marygold‹, die unter dem Kommando von Kapitän Francis Drake stand, sowie die Galeone ›Santa Cruz‹ von Kapitän John Thomas und die Karacke ›Wasp‹ des Sir John Killigrew befanden sich etwa fünf Seemeilen südlich von der Einfahrt zur Dungarvanbai - querab von Mine Head -, als der Ausguck auf dem Großmars Mastspitzen an der Kimm sichtete. Was sich da Backbord voraus allmählich über den Horizont schob, entpuppte sich als die Segel und Maststengen von fünf Schiffen. Spanische Schiffe! Sehr schnell erging die Meldung an Francis Drake, daß man es mit drei Karavellen und zwei Kriegsgaleonen zu tun hätte. Die Karavellen schienen nicht sehr stark armiert zu sein. Da sie aber sehr tief im Wasser lagen, folgerte Drake, daß es sich wieder um Transporter mit Nachschublieferungen für die irischen Aufständischen
handelte. Von der ›Marygold‹ aus wurden Signale an die ›Santa Cruz‹ und die ›Wasp‹ weitergegeben. Während die ›Santa Cruz‹ wegen ihres Gewichtes ein wenig schwerfällig zu manövrieren begann, fiel Sir John Killigrew sofort von seinem Kreuzkurs ab und entfernte sich von den Verbündeten, um dem Gegner in die Seite zu fallen oder gegebenenfalls den Rückzug abzuschneiden. Die ›Wasp‹ als Karacke war im Gegensatz zu den Galeonen schnell und wendig, allerdings weniger gut mit Kanonen bestückt. Sowohl auf der Backbord- als auch auf der Steuerbordseite verfügte sie über jeweils drei Dreipfünder. Es war ein Schiff zum Entern, ganz wie es dem alten Sir John entsprach. Die drei spanischen Karavellen und die beiden Kriegsgaleonen liefen unter voller Takelung bei Südwind in die bereitgestellte Falle. Ehe die Besatzungen es sich versahen, befanden sie sich im Schußbereich der Engländer, und es blieb keine Zeit mehr, abzudrehen oder auszuweichen. Sie konnten nur noch den Durchbruch versuchen. »Schiff klar zum Gefecht!« Dieser Befehl war an Bord der ›Marygold‹, der ›Santa Cruz‹ und der ›Wasp‹ längst ergangen. Auf den beiden Galeonen ertönten die Bootsmannspfeifen, das Patschen nackter Fußsohlen tönte rhythmisch über die Decksplanken. Die Männer begaben sich im Eiltempo auf ihre Gefechtsstationen. Stückpforten gingen hoch, rumpelnd wurden die Kanonen ausgefahren, aus den Luken schauten drohend die Mündungen hervor. Die Kombüsenfeuer wurden gelöscht und die Decks mit Sand bestreut. Nachdem die Brooktaue gelöst worden waren, nahmen die Stückmeister die Zubehöre der Kanonen in Augenschein - Kartuschen, Kuhfüße, Handspaken, Schwämme und Keile. Alle Pulverhörner mußten ordnungsgemäß gefüllt sein. Die Pulverträger füllten die Eimer, die zum Befeuchten der Wischer bereitstanden, mit Meerwasser.
Auf der ›Santa Cruz‹ ging diese Prozedur mit dem größten Aufwand an Männern und Material vonstatten, denn sie war ja ein ausgesprochenes Dickschiff mit dreißig Kanonen auf jeder Seite. Davon befanden sich je zwanzig unter Deck, und zwar Culverinen und Demi-Culverinen. Kapitän John Thomas hatte seinen Platz auf dem Achterkastell eingenommen. Er stand neben dem Rudergänger und blickte mit dem Kieker zu Francis Drake auf der ›Marygold‹ hinüber, der das Zeichen zur Eröffnung des Feuers geben würde. Drake beobachtete, wie sich die spanischen Galeonen schützend vor die Karavellen schoben, wie sie mit steif aufgeblähten Segeln die See pflügten und sich nach und nach auf Schußweite näherten. Die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ begegneten jeder Schiffsbewegung des Gegners mit einem geeigneten Manöver. Und bald war der Augenblick gekommen, in dem sie der ersten Kriegsgaleone die vollen Breitseiten präsentieren konnten. Drake gab das Zeichen. Mittlerweile hatte die emsige Tätigkeit auf den Batteriedecks keine Sekunde nachgelassen. Pulver war in die Bodenstücke der Kanonen gefüllt worden, daß ihr Gewicht etwa der Hälfte der Schwere der Kugeln entsprach. Die Männer hatten die Kellen aus den Händen gelegt und mit Ansetzern Knäuel Kabelgarn auf das Pulver gepreßt. Sodann waren die Kugeln aufgesetzt worden, die wiederum mit Kabelgarn in ihren Lagen gehalten wurden. Die Zündlöcher waren mit Pulver gefüllt worden. »Spannt die Hähne! Feuer! Klar bei Kartuschen!« Gellend hallten die Kommandos über die Decks. Rote Feuerzungen leckten fast gleichzeitig aus den Rohrmündungen auf der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ hervor. Der Lärm der donnernden Kanonen klang ohrenbetäubend unter den niedrigen Decksbalken auf der ›Santa Cruz‹. Beißender gelber Pulverrauch floß in dichten Wolken ineinander, als die
schweren Kanonen im Rückstoß nach hinten prallten. Die Demi-Culverinen, Neunpfünder, hatten zweimal vergebens gefeuert, um die erste spanische Galeone am Durchbruch zu hindern. Jetzt traten auch die Culverinen auf dem Hauptdeck in Aktion. Bollernd spien die Siebzehnpfünder ihre verheerende Ladung aus, und der Gluthauch des Todes fegte auf den Gegner zu. Von drüben wurde das Feuer erbost beantwortet. Weiße Wolken von Pulverdampf stiegen über den Stückpforten der beiden Galeonen auf, dann auch bei den Karavellen. Bleikugeln fegten orgelnd herüber, rissen Wasserfontänen vor den Bordwänden der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ hoch und ließen kraterförmige Gebilde aufsteigen, die rauschend wieder in sich zusammenfielen. Francis Drake stand hoch aufgerichtet auf dem Achterkastell seiner Galeone. Ra uchschwaden hüllten ihn ein. Seinem unbestechlichen Auge entging nicht die kleinste Einzelheit in der Reaktion des Feindes. Sehr schnell hatte er entdeckt, daß ein Teil der Kanonen auf den spanischen Kriegsgaleonen jetzt mit Kettenkugeln geladen worden waren - jenen Kugeln, die speziell für die Zertrümmerung von Masten und Takelage bestimmt waren. Eine höllische Art von Waffe, die einen Gegner binnen Minuten absolut manövrierunfähig schießen konnte. Francis Drake ließ trotzdem nicht vom Kurs abweichen. Unaufhaltsam strebte die ›Marygold‹ weiter und schnitt der ersten spanischen Galeone den Weg ab. Die Dons drüben auf den von Qualmschwaden überzogenen Decks wußten, was das zu bedeuten hatte, und sie setzten sich immer erbitteter zur Wehr. Schmutziggelbe und rote Feuerzungen leckten aus den Rohrmündungen auf beiden Seiten hervor. Die Lage spitzte sich zu. Drüben riß eine der ›Marygold‹-Kugeln ein klaffendes Loch in die Bordwand der ersten Galeone, jedoch nicht
unterhalb der Wasserlinie. Wieder wirbelte eine volle Breitseite des Spaniers herüber, und dieses Mal war auch auf der ›Marygold‹ ein Treffer zu verzeichnen. Holz splitterte, etwas schlug mit dumpfem Krachen auf die Planken. Männer schrien auf. Durch den Feuerrauch und Pulverqualm waren Holzfragmente zu sehen, die durch die Luft schwirrten. Kapitän Drake stand nach wie vor aufrecht und beglückwünschte sich, daß keine der Kettenkugeln ihr Ziel gefunden hatte. Eine Wende trat ein, als die erste Galeone zurückfiel. Die Dons hatten eingesehen, daß sie es auf diese Weise nicht schaffen konnten, dem Gegner einen empfindlichen Schlag zu versetzen. Die erste Galeone half nun der zweiten, die mit der ›Santa Cruz‹ im Gefecht lag. Zwei Karavellen unterstützten den massierten Angriff - nur die eine nahm Kurs auf die ›Marygold‹ und näherte sich dreist, um ihr in einer waghalsigen Einzelaktion zuzusetzen. Francis Drake ließ den Blick von Schiff zu Schiff schweifen. Er war ein kraftig gebauter Mann von niederem Wuchs, mit rundem Schädel, braunem Haar und Vollbart. Ein verärgerter Ausdruck trat in seine klaren Augen, als er die ›Wasp‹ sah - die ›Wasp‹ unter Sir John Killigrew, der sich augenscheinlich den Teufel um die Order scherte, die Transporter zu vernichten. Allem Anschein nach wollte er sich auf die im spanischen Verband etwas nachhängende Karavelle stürzen. Er war scharf darauf, Beute aufzubringen. Zweifellos würde er versuchen, die Karavelle zu entern. Drake blieb keine Zeit, sich über Sir Johns Einzelgang aufzuregen. Die Karavelle begann zu halsen und präsentierte aus bedrohlicher Nähe ihre Steuerbordbreitseite. Drake vernahm durch das Fluchen und Brüllen seiner Männer die dröhnende Stimme Carberrys, des Profoses. Die Kanonen wurden mit Auskratzern und Wischern traktiert und nachgeladen, gepfropft und mit Zündpulver versehen. Dann
griffen die Geschützführer nach den Abzugsschnüren. Carberry brüllte »Feuer!« und die Vierpfünder auf der Steuerbordseite spien Feuer, Blei und Verderben aus. Auf dem Achterdeck zuckten die Dreipfünder auf ihren Lafetten zurück, wurden von den Tauen abgefangen und verbreiteten beißenden Rauch. Die Karavelle schoß, was das Zeug hielt. Aber die Besatzung schien über keine Kettenkugeln zu verfügen. Und ihre Armierung war leichter als die der ›Marygold‹. Offenbar hatten die Dons nicht mit dem Einsatz der beiden Serpentinen auf der Back gerechnet, die Carberry auf Drakes Befehl hin auf den drehbaren Gabellafetten herumschwenken ließ. Während unten wieder eine Breitseite vorbereitet wurde, ließ der Profos den Geschützführern der Serpentinen die Zeit, haargenau Ziel zu nehmen und mit der größtmöglichen Bedächtigkeit zu zünden. Dann rauschte die Doppelladung röhrend zu der Karavelle hinüber. Kapitän John Thomas von der ›Santa Cruz‹ war es derweil gelungen, einen vernichtenden Schlag gegen die zweite Kriegsgaleone der Spanier zu führen. Der Großmast des feindlichen Schiffes war längst bis über die Stenge hinaus geknickt. Ein weiterer Treffer, und der gesamte Großmast hatte empfindlich zu schwanken begonnen. Die Rah des Großmarssegels hatte sich gelöst, war donnernd auf die Kuhl niedergekracht, hatte Männer umgerissen, zu Boden geworfen, zerquetscht. Gräßliche Schreie tönten zur ›Santa Cruz‹ herüber. Die Spanier schickten sich an, die Wanten und Stagen zu kappen, um den Großmast zu fällen. Ein Teil der Geschützmannschaften war ausgefallen, die Galeone war nur noch teilweise gefechtsklar. Furchtbare Szenen spielten sich an Bord ab. Ein unter der Großmarsrah begrabener Seemann kämpfte sich frei, kroch blutüberströmt und mit zerschmetterten Beinen zum Scha nzkleid und ließ sich über Bord fallen. Aus einer Stückpforte ragte bedrohlich schräg das Rohr einer Kanone hervor. Immer weiter schob sie sich
über den Lukensüll hinaus, hatte sich offenbar aus der Halterung der Brooktaue gelöst und drohte, an den Schildzapfen auszubrechen. Zwei Männer hielten sie an. Neues Feuer aus den Rohren der ›Santa Cruz‹ ließ den mächtigen Leib der Kriegsgaleone erzittern. Die losgelöste Kanone der Spanier brach unter Krachen und Rumpeln aus der Luke und nahm den Süll sowie die beiden brüllenden Männer mit in die Tiefe. Die Galeone war unterhalb der Wasserlinie getroffen worden - zweimal. Beängstigend schnell krängte sie zur Seite über. Die unteren Decks füllten sich mit sprudelndem Salzwasser. Kapitän John Thomas, der die Niederlage des Spaniers mit unbewegter Miene von der Backbordseite des Achterkastells aus verfolgte, konnte sich vorstellen, wie das Drama unter Deck seinen Fortgang nahm. Wie Schotts vom eindringenden Wasser eingedrückt wurden und Männer reihenweise ertranken, weil sie nicht mehr den Weg nach oben fanden, wie Panik ausbrach. Schreie klangen herüber. Das Kanonenfeuer der spanischen Galeone war verstummt. Für die Besatzung galt es, das nackte Leben zu retten. Das geschah in jenen Minuten, als Francis Drake der abgesonderten spanischen Karavelle mit der Steuerbordbreitseite und dem Beschuß durch die beiden Serpentinen auf der Back einheizen ließ. Ungefähr zur selben Zeit holte Sir John Killigrew zum entscheidenden Schlag aus. Breitbeinig stand er auf dem Achterdeck seiner Karacke und kommandierte die Männer mit eiserner Hand. Unausgesetzt tönte seine barsche Stimme über die Decks. Thomas Lionel Killigrew, mit seinen neunzehn Jahren der jüngste der drei Brüder des Seewolfs, hatte auch kuschen müssen, obwohl er vor dem schimpflichen Untergang der Karacke seines Vaters die ›Wasp‹ geführt hatte. Jetzt mußte er gehorchen und springen wie alle anderen Mitglieder der Besatzung, obwohl ihm das Springen erheblich schwerer fiel, denn er war von
Natur aus ein ziemliches Stück plumper und dümmlicher als seine Brüder oder, allgemein gesprochen, als jeder durchschnittlich begabte Mensch zu Wasser oder zu Land. Brutal hatte Sir John der im spanischen Verband etwas abfallenden Karavelle zusetzen lassen. Keine Atempause hatte er dem Feind gegönnt. Und doch dachte er nicht daran, das Schiff zum Sinken zu bringen. Nach den Informationen, die der hartgesottene Soldat Tinkler übermittelt hatte, mußten diese drei Karavellen eine weitere Lieferung Waffen und Munition an Bord haben. Demnach mußte schon allein diejenige, die Sir John durch sein Spektiv fixierte, ein fetter Brocken sein. Ein Brocken, dessen Ladung sich in bare, klingende Münze umwandeln ließ. So diente das ganze Manövrieren, Feuern und Lavieren, das er mit der ›Wasp‹ veranstaltete, nur dem einen Zweck, den Gegner zu verunsichern, ihm Angst einzujagen und ihn Fehler begehen zu lassen, die letztlich zum Ersehnten führten: Zum Entern. Die Wendigkeit der Karacke war ungemein größer als die der schwer beladenen, behäbigen Karavelle. Diesem Trumpf hatten die Dons einfach nichts entgegenzusetzen. Der Bugspriet, die Blinde und die Stenge des Fockmastes waren Teile des Schiffes, die das spanische Schiff bereits eingebüßt hatte. Verwirrung und Hast bestimmten die Aktionen der Mannschaft. Sir John nutzte diesen Umstand aus. In einem ihm günstig erscheinenden Moment ließ er den Kurs wechseln und die Kraracke auf das Heck der Karavelle zugleiten. Unter steifem Südwind und bei kabbeliger See näherte sich die ›Wasp‹ ihrem Feind, bis sie sich schließlich Steuerbord achteraus von ihm befand - im toten Winkel der spanischen Kanonen! Für die Engländer kam es nun darauf an, sehr präzise in den Manövern zu sein. Dementsprechend gebärdete sich Sir John. Er stampfte mit dem Fuß auf, gestikulierte, schrie und fluchte
und hetzte seine Männer in einem Tempo vom Oberdeck in die Wanten, von den Wanten auf Gefechtsstation und von den Gefechtsstationen auf das Vorderdeck, als wüßte er, daß sie fliegen konnten. Thomas Lionel achtete darauf, ja nicht zu sehr in die Nähe des Alten zu geraten. »Auf eure Posten!« brüllte Sir John. »Klar zum Entern!« Wie ein perfekter Tyrann führte er sich auf, dieser bullige, jähzornige, rothaarige Mann mit der Knollennase und den hellblauen Augen. Er war ein Urvieh von einem Mann, der nur an seinen persönlichen Vorteil dachte, dabei aber ein ausgezeichneter Seemann und Navigator war. Die ›Wasp‹ schob sich unaufhaltsam an den Spanier heran. Natürlich hatten die Gegner die Lage in ihrer vollen Tragweite erkannt. Köpfe mit Helmen schoben sich hinter dem Schanzkleid des Achterkastells empor, Musketen- und Pistolenläufe wurden sichtbar. John Killigrews Männer indes standen auf der Back bereit - mit Entermessern und Haken, Musketen, Pistolen und Piken bewaffnet. Einer hielt sogar eine Handspake bereit, um damit im Augenblick des Übersetzens tüchtig zuzuschlagen. Der Abstand zwischen beiden Schiffen verringerte sich. John Killigrew war durch das sich anbahnende Geschehen so gefesselt, daß er nicht einmal das Auftauchen von Donegal Daniel O’Flynn an seiner Seite richtig bemerkte. Der alte O’Flynn, Vater des Bürschchens an Bord der ›Isabella von Kastillien‹, hielt einen Säbel in der Faust, bereit, jedem sich ihm entgegenstellenden Spanier damit den Kopf vom Rumpf zu trennen oder ihm die Brust zu durchstoßen. Drüben auf der Karavelle pufften mehrere weiße Qualmwölkchen hoch, begleitet von dem typischen Krachen der Musketen. Einer von Killigrews Männern kippte schreiend nach hinten über. Sir John wetterte und rief immer wieder: Entert! Entert endlich, ihr verdammten Bastarde! Ihr Schwachköpfe und
Hurensöhne!« Aber seine Leute wußten auch so, was sie zu tun hatten. Enterhaken flogen gegen den Bleihagel aus den gegnerischen Waffen an und krallten sich scheppernd hinter das Schanzkleid der Karavelle. Die Schnapphähne lagen in ihren Deckungen und zerrten, was das Zeug hielt. Näher und näher rückten sich die Bordwände der beiden Schiffe, und dann endlich prallten sie mit einem dumpfen Laut zusammen. Sir John und O’Flynn waren in diesem Moment bereits auf der Kuhl und liefen auf die Back zu. Mit gezückten Säbeln erklommen sie das Vorkastell und jumpten an der Spitze ihrer Meute auf die Planken des fett beladenen Spaniers hinüber. Eine Muskete belferte dicht vor John Killigrews Nase los. Er duckte sich gedankenschnell, hieb mit seinem Säbel zu und erwischte die Beine des Schützen. Die Ladung strich über seinen Rücken hinweg und schlug einem seiner Leute mitten ins Gesicht Sir John drehte sich um und sah, daß es sich um gehacktes Blei gehandelt hatte. Mit völlig zerfleischtem Gesicht und unter entsetzlichem Geschrei stürzte der Mann außenbords, fiel zwischen die beiden Bordwände und wurde dort zerquetscht. Aber der Rest der ›Wasp‹-Mannschaft drang unter Johlen, Brüllen und Fluchen auf das Achterkastell der Karavelle vor. Eine dichte Traube aus Menschenleibern baute sich vor ihnen auf, ein dicker Wust aus Haß und erbittertem Widerstand, dessen Merkmale die blinkenden Helme und die breiten Wehrgehänge waren. Musketen krachten wieder, Pistolen knallten, Eisenwaffen wurden geschwungen und glänzten unter dem schwächer werdenden Sonnenlicht des ausblendenden Tages. Unter Deck dröhnte noch einmal eine der achtern platzierten Kanonen los. Aber wenn der Stückmeister und die Geschützmannschaft, die dort am Werk war, gedacht hatten, der ›Wasp‹ eins auszuwischen, so hatten sie sich getäuscht: Brüllend raste die Kugel an dem Vordersteven der Karacke
vorbei ins Leere und klatschte weit draußen in die See. Jetzt zeigte sich, was für ein alter Fuchs Killigrew war. Und der Drill und Schliff, den er seinen rauhbeinigen Kerlen auferlegt hatte, erwies sich als erfolgbringend. Unter Geheul und mörderischem Fluchen hieben, schossen und stachen die Männer eine Bresche in die Menschentraube. Sir John und der alte Dan O’Flynn kämpften in der vordersten Reihe. Sir John fällte den Rudergänger mit einem furchtbaren Hieb seines Säbels. Der alte Dan O’Flynn schaffte ihm einen heimtückischen Gegner von der Seite fort und nahm gleich darauf mit gellendem Schlachtruf den Zweikampf mit einem schwarzbärtigen Spanier auf, der zu den Offizieren an Bord zu gehören schien. Thomas Lionel, äußerlich seinem Erzeuger beinahe wie aus dem Gesicht geschnitten, an Geist und Gestalt aber bei weitem nicht so rege, lag im Kampf mit einem muskulösen, hochgewachsenen Spanier. Thomas Lionel besaß einen prächtigen Schiffshauer mit rasiermesserscharfer Klinge und einem handbedeckenden, ganz schwarzgefärbten Gefäß. In anderer Hand wäre das Gerät gewiß zu einer furchtbaren, alles niedermetzelnden Waffe geworden - nur Thomas Lionel verstand sie nicht zu führen. Der Spanier parierte mit einer simplen Pike, unternahm flinke Ausfälle, ließ die Spitze seines Spießes gegen das Heft des Schiffshauers knallen. Der Spanier unternahm ein ähnliches Manöver noch zweimal. Dann stieß Thomas Lionel einen wehmütigen, verzweifelten Laut aus und bewegte schlenkernd die Hand, in der sich eben noch die Waffe befunden hatte. Der Schiffshauer wirbelte durch die Luft bis zur ›Wasp‹ hinüber, fiel mit der Spitze nach unten und blieb zitternd in den Planken der Back stecken. Der Spanier trieb Thomas Lionel mit seiner Pike gegen die Schmuckbalustrade an der Vorderseite des Achterkastells. Der plumpe Killigrew-Sproß ließ ein Ächzen vernehmen, wollte über die Balustrade klettern und sich einfach nach unten fallen
lassen - aber dazu hätte er schneller sein müssen. Der bärenstarke Spanier hieb ihm den Schaft der Pike gegen die Seite. Thomas fuhr herum, schrie und fühlte die Spitze des Spießes plötzlich an der Kehle. Der Spanier brauchte nur noch eine ruckartige Geste zu vollführen, und es war um den jüngsten Killigrew geschehen. Urplötzlich war eine undeutliche Bewegung vor den Beinen des Spaniers. Dieser reagierte nicht sofort. Und das war sein Pech. Sir John war in geduckter Stellung vor ihm aufgetaucht. Jetzt schwang er hoch und hieb seinen Säbel gegen die Pike, wobei diese von Thomas Lionels Gurgel gefegt und in zwei Stücke getrennt wurde. Während der breitschultrige Don noch ungläubig auf das klägliche Spießende in seiner Faust schaute, stieß John Killigrew den Säbel in seinen Leib. Er schob ihn ein, daß er aus dem Rücken des Gegners wieder hervorragte, riß ihn zurück und schenkte dem Don, der mit ersterbendem Gurgeln auf die Planken sank, nur noch einen verächtlichen Blick. Thomas Lionel stand wie gelähmt. Sir John musterte ihn geringschätzig, trat rasch auf ihn zu und erteilte ihm mit der linken Hand zwei schallende Ohrfeigen, eine auf die linke, die andere auf die rechte Wange. »Verfluchter Nichtsnutz!« »Pa, es war nicht meine Schuld ...« Sir John rückte auf die Seite, versetzte seinem Sproß einen deftigen Tritt und rief: »Nicht? Dann war es vielleicht meine Schuld oder die der Krone und der Lissy, daß du fast massakriert worden wärst, wie? Ich ziehe dir die Haut vom Hintern, wenn das noch mal passiert. Pack dich jetzt!« Er warf Thomas Lionel seinen Säbel zu. Fast hätte dieser ihn an der Klinge aufgefangen. Sir John kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er fuhr herum, um mit dem rasch aus dem Gurt gezerrten Messer einen neuen Gegner aufzuhalten. Hartnäckig rang der alte Killigrew mitten im Zentrum des
Kampfgetümmels. Und auch O’Flynn, dem man wegen seines Holzbeines eine solche Fertigkeit überhaupt nicht mehr zugetraut hätte, zeigte Zähne und Krallen. Die Auseinandersetzung weitete sich vom Achterkastell über das Mitteldeck bis zur Mitte hin aus. Und eindeutig wendete sich das Blatt immer mehr zugunsten der Engländer. Als Sir John dem spanischen Kommandanten die Messerspitze auf die Brust setzte, löste sich ein nahezu einstimmiger Jubelruf aus den Kehlen der Männer des Enterkommandos.
Unterdessen hatte Francis Drake auf der ›Marygold‹ zweimal die Serpentinen auf der Back laden und feuern lassen. Unter dem Donnern und der entfesselten Wucht der gleichzeitig abgegebenen Breitseiten neigte sich die Galeone stets ein wenig auf die Backbordseite. Das Blei der Kanonen von der spanischen Karavelle sauste herüber, und irgendwo riß eine Kugel auch wieder ein Loch. Ein unterschwelliges Beben lief durch den Schiffsrumpf. Drake hatte schon ein ellenlanges Kraftwort als Kommantar auf der Zunge, da trat die Wende ein. Drüben, auf der Karavelle, zeichnete sich urplötzlich eine feurige Lohe ab, die mit rasender Geschwindigkeit nach oben hochstob und sich zu den Seiten hin ausbreitete. Den Bruchteil einer Sekunde später drang jenes gewaltige Dröhnen und Wummern herüber, das nur eine Ursache haben konnte und allen Männern auf der ›Marygold‹ wohlbekannt war: die Explosion von Pulver. Die Munition, die im Bauch der Karavelle lagerte, hatte durch einen der umherfliegenden Funken Feuer gefangen und hieb nun das Schiff in zwei Stücke. Ja, die Karavelle brach
mittschiffs auseinander! Der Großmast wirbelte in mehreren Einzelteilen durch die Luft, und inmitten der gigantischen Wolke aus Rauch, Feuerpilz, Trümmern und schäumendem Meereswasser waren die Leiber emporgeschleuderter Männer zu erkennen. Francis Drake hatte seinen Platz an der Steuerbordseite des Schanzkleides nicht verlassen. Grimmig schaute er in das wirbelnde Pandämonium, das sich seinen Augen bot und von den Männern unter Carberry mit Triumphgeschrei begleitet wurde. Sir Thomas Doughty steckte seinen Kopf genau in dem Augenblick aus der Backbordluke im Querabschluß des Achterkastells, als die durch die Explosion erzeugte Druckwelle heran war. Schleunigst zog er sich wieder zurück. Die in zwei Teile geborstene Karavelle hatte sich in etwas mehr als dreißig Yards Entfernung von der ›Marygold‹ befunden. Das trug jetzt Folgen. Mit der Druckwelle hieben Trümmerteile auf die Galeone hernieder. Der fluchende Profos und seine Männer la gen flach auf den Planken oder hatten Deckung gesucht. Ein halber Großbaum segelte heran, krachte auf die Oberkante des Schanzkleides an der Steuerbordseite, glitt aber glücklicherweise außenbords nach unten und verschwand mit klatschendem Geräusch in der grünblauen, durch Dünung aufgerührten See. Drake hatte mit den Händen die Handleiste umspannt und hielt sich ein wenig geduckt. Er beschäftigte sich in Gedanken bereits mit der nächsten Aktion, mit dem Problem, wie man der ›Santa Cruz‹ am wirkungsvollsten helfen konnte - da wurden seine Überlegungen mit einem jähen Schlag unterbrochen. Der Hieb oder Stoß traf ihn in die Seite. Für Sekunden war er unfähig, zu atmen und keuchte und röchelte nur noch. Aber das war bei weitem nichts das Schlimmste. Er flog gege n das Schanzkleid, kippte vornüber und verlor das Gleichgewicht. Das von der Karavelle herübergeschwirrte Holz, das ihn getroffen hatte, raste mit ihm in die Tiefe.
Kopfunter tauchte er in die kalte See und spürte noch, wie das Naß über ihm zusammenschlug. Er schluckte Wasser. Allmählich steuerte er auf einen schwarzen, teuflischen Schlund zu, wurde davon verschluckt und in ferne Bereiche entführt. Auf der Kuhl der ›Marygold‹ erhob sich Carberry, der Profos. Wetternd scheuchte er die Männer hoch. Und dann schaute er instinktiv zum Achterkastell empor, wo er nach wie vor die vertraute Gestalt Drakes vermutete. Doch der war verschwunden. Der Pulverdampf war wie Nebel, und doch hätte man ihn deutlich sehen müssen, den kleinen, kräftigen, unbezähmbaren Mann. »He! Ihr Affenärsche! Wo steckt der Kapitän?« Carberry erhielt keine richtige Antwort, nur ein paar undeutliche, gemurmelte Bemerkungen wurden laut. Das brachte den Profos noch mehr in Rage. »Hat ihn etwa ein Stück Blei umgehauen, was, wie? Das ist doch ein Ding der Unmöglichkeit, ihr Teufelsbraten!« Die Rah des Vormarssegels war von einem Trümmerstück der Karavelle getroffen worden und schwankte bedrohlich. Die Männer agierten von sich aus, bevor der Profos seinen gebrüllten Befehl ertönen ließ. Wie die Tiger sprangen sie an die Brassen und Fallen, um ein weiteres Verhängnis durch das gefährdete Segel abzuwenden. Der Seegang nahm zu, die ›Marygold‹ vollführte schlingernde Bewegungen. Ein einziger Mann stieg auf das Achterkastell. Es war Mac Pellew, der Schiffskoch und Feldscher. Er hatte in der Kombüse Verwundete verarztet, war aber, durch das Geschrei Carberrys aufmerksam geworden, an Deck gekommen. In der bösen Erwartung, Kapitän Drake irgendwo oben auf der Hütte reglos vorzufinden, kletterte er hinauf. Doch da war kein Kapitän. Und auch, als er weiter nach achtern schritt und schließlich die Hände auf das Schanzkleid legte, entdeckte er nichts. Mac Pellew blickte durch trübe
Schwaden von Qualm und Rauch hindurch auf die kabbelige See. Auf der Oberfläche schwammen Plankenreste, Segelfetzen und ein toter Spanier, der von dem sinkenden Wrack der Karavelle herübergetrieben war. Mac Pellew verspürte mit einemmal ein eigenartiges Gefühl. Ein leiser Verdacht war in ihm aufgekeimt, und er wurde ihn nicht los - im Gegenteil, er verdichtete sich zur Gewißheit, als er weiter draußen die reglose Gestalt sah, die schaukelnd auf den Wellen trieb. Das war kein Spanier. Mac Pellew hatte keinen Kieker zur Hand, glaubte aber, auch so die Statur und Kleidung seines Kapitäns zu erkennen. Er wollte einen Ruf ausstoßen. Doch unversehens schob sich etwas aus der dahinziehenden Wolke von Rauch hervor, die die Explosion der Munitionsladung hinterlassen hatte - die letzte der drei Karavellen, die noch in spanischer Hand und manövrierfä hig war. Der Koch verfolgte, wie flinke Hände ein Beiboot nach unten fierten, Männer über eine Jakobsleiter an der Bordwand in die Tiefe kletterten, auf der Ducht Platz nahmen und zu pullen begannen. Außer sich vor Entsetzen und Zorn wirbelte Mac Pellew herum. Seine Hände formten einen Schalltrichter vor dem Mund, und er rief: »Carberry!« Das mehrfache Krachen erfolgte in seinem Rücken. Bevor Mac Pellew erfaßte, daß die Spanier auf der Karavelle ihn gesichtet und mit Musketen auf ihn angelegt hatten, fuhr etwas Heißes, Stechendes quer über seinen Schädel. Der Profos antwortete mit dröhnender Stimme, aber Mac Pellew schaffte es nicht, eine Erwiderung auszustoßen. »Mac! Was ist los? Wo steckst du? He! So rede doch, du elender, verlauster Hurensohn!« Mac Pellew hatte den Eindruck, seine Hirnschale klaffe auseinander und eine gierige Flamme fräße sich in seinen Kopf und von dort aus durch den gesamten Körper. Tatsächlich handelte es sich nur um einen Streifschuß, der ihn getroffen
hatte, doch der tat empfindlich weh. Er kippte vornüber. Als er die Planken mit der Nasenspitze berührte, spürte er das bereits nicht mehr, denn er hatte das Bewußtsein verloren. Schritte näherten sich polternd über das Achterkastell. Der Profos beugte sich über ihn, sah den blutenden Hinterkopf und fluchte wieder. Kugeln sirrten über seinen Schädel weg. Gehacktes Blei aus spanischen Musketen schlug in die Bordwand. »Hierher, ihr Rübenschweine!« rief Carberry. »Soll ich euch erst Beine machen, was, wie? Wo zum Teufel steckt der Rudergänge r?« Es stellte sich heraus, daß der von einer herüberfliegenden Planke in Richtung Kuhl befördert worden war und dort nun alle viere von sich streckte. Carberry selbst übernahm den Kolderstock. Seine Hände packten zu, der wütende Eifer, der achteraus kreuzenden Karavelle eines auszuwischen, trieb ihn ah. Die Männer erwiderten das Feuer mit Musketen und Pistolen. Dann, als der Profos die ›Marygold‹ herumlaviert hatte, löste sich fauchend und donnernd eine neuerliche Breitseite aus den Rohrmündungen der Steue rbordgeschütze. Zu Carberrys größtem Erstaunen erwiderten die Spanier das Feuer nicht. Die Karavelle drehte plötzlich ohne ersichtlichen Grund ab. Und auch die letzte Kriegsgaleone, soviel vermochte er zu beobachten, ließ freiwillig von der ›Santa Cruz‹ ab und zog sich zurück. Fluchtartig setzten sich beide Schiffe westwärts in Richtung auf Youghal ab. Sir John Killigrew und seine Männer waren viel zu sehr mit der Enterung der dritten Karavelle beschäftigt, um eine Verfolgung aufzunehmen. Und Carberry? Der dachte ebenfalls nicht im entferntesten daran, sich auf die Fersen der Gegner zu heften, um ihnen den endgültigen Garaus zu bereiten. Kapitän Drake war verschwunden und mußte gesucht und gefunden werden.
Der Profos ließ zur ›Santa Cruz‹ hinübersignalisieren und teilte Kapitän John Thomas die schlechte Nachricht mit.
3. Carberry schritt mit finsterer Miene auf dem Achterdeck hin und her - wie ein gefangener Tiger im Käfig, der sich mit dem neuen Dasein nicht abzufinden vermochte. »Das gibt es nicht«, sagte er immer wieder. »Geht so etwas etwa mit rechten Dingen zu, was, wie?« Er stieß es laut genug hervor, so daß nahzu alle Männer an Bord der ›Marygold‹ es vernehmen konnten. Doch eine Antwort wußte niemand zu geben. Allen war das, was sich ereignet hatte, unerklärlich. Kapitän Drake war verschwunden, wie von der See verschlungen. Der Pulverdampf und die Rauchschwaden der Explosion hatten sich weitgehend verzogen. Auf Vormars und Großmars der Galeone ›Marygold‹ hockten Männer und suchten mit ihren Augen aufmerksam die Wasserfläche ab. Hin und wieder blickte der Profos zu ihnen hoch, aber sie konnten mit keinen Meldungen über den Verbleib des Kapitäns aufwarten. Die Stimmung an Bord wurde immer dumpfer, niedergeschlagener. Natürlich hatte Carberry längst das gesamte Schiff von den Masttoppen bis zum Pumpensod durchstöbern lassen. Keine Spur von Francis Drake! Mac Pellew, der vielleicht einen Hinweis liefern konnte, lag, zwar inzwischen am Kopf verbunden, jedoch immer noch bewußtlos, in der Kombüse neben denen, die er zuvor selbst verarztet hatte. Langsam segelte die ›Santa Cruz‹ unter Fock und Besan heran. Carberry stieg zum Achterkastell hoch. Er blickte zu der etwas lädierten Galeone hinüber und konnte nun die Gestalt von Kapitän John Thomas sehen, wie er sich dem Schanzkleid an der Backbordseite näherte. Er gab die Order, in den Wind zu
gehen. Kaum war er annähernd auf Rufweite heran, ließ er seine Stimme herüberschallen. »Noch nichts gefunden?« Der Profos schüttelte mißgelaunt den Kopf. »Ich sage, wir sollten jetzt die Beiboote aussetzen.« »Einverstanden!« Die Boote der beiden Galeonen wurden zu Wasser gelassen. Dann kletterten die Bootsgäste in die Boote, nahmen auf den Duchten Platz und ergriffen die Riemen. Der Profos der ›Marygold‹ ließ es sich nicht nehme n, persönlich an der mühseligen Suche in der kabbeligen See teilzunehmen. Aufrecht stand er vor der achteren Sitzbank und ließ den Blick umherwandern. Schiffstrümmer der explodierten Karavelle und der von der ›Santa Cruz‹ vernichteten spanischen Kriegsgaleone trieben herum, dazwischen Fässer, hier und da die Lafette einer Kanone oder irgendwelches Zubehör. Nicht selten sahen die Bootsgäste Leichen, Tote, die mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf Rücken oder Bauch trieben. Tote, die wie schlafend wirkten. Tote mit verzerrten Gesichtern und zerfetzten Leibern. Carberry hatte einen Kloß im Hals bei der Vorstellung, Drake könne unter den Leichen sein. Die Boote waren über eine Stunde unterwegs. Immer weiter hatten sie sich von ihren Schiffen entfernt, und immer befand sich Carberry mit seinem Boot an der Spitze. Schließlich aber vollführte er eine herrische Bewegung mit der Hand und blickte seine Männer an. »Schluß. So weit kann der Kapitän nicht abgetrieben sein. Wir kehren zurück zur ›Marygold‹. Legt euch ins Zeug! Pullt anständig, ihr Teufelsbraten! Das bißchen Kämpfen hat euch doch wohl nicht schlappgemacht, was, wie?« Keine Erwiderung fiel. Die Männer wußten, daß Carberry in seiner Wut und Ratlosigkeit sich irgendwie Luft verschaffen mußte. Nicht, daß
er seine Leute grundlos schikanieren wollte - nein, er konnte nur einfach nicht den Mund halten, mußte fluchen und sich aufregen. Das Beiboot legte an der Backbordseite der ›Marygold‹ an. Carberry wartete eine aufsteigende Wellenbewegung ab, packte das baumelnd e untere Ende der Jakobsleiter und hangelte nach oben. Leinen wurden von oben geworfen, die Bootsbesatzung ergriff sie. Dann wurden dieses Beiboot und auch die anderen wieder nach oben gehievt. Kapitän John Thomas ließ nur eins seiner Boote auf dem Wasser und kletterte hinunter. Die Männer der ›Santa Cruz‹ pullten es zur ›Marygold‹ hinüber. Thomas’ Gesicht war ernst und von Besorgnis gezeichnet, als er auf das Mitteldeck trat. Carberry stand bereits wieder auf dem Achterkastell, allein mit seinem Ärger und seiner Verzweiflung. Kapitän Thomas gesellte sich zu ihm. Schließlich erschien auch Sir Thomas Doughty, um sich Gewißheit über den Stand der Dinge zu verschaffen. »Es ist wie verhext«, sagte der Profos. »Ich könnte mir die Haare einzeln ausrupfen. Ich werde noch verrückt.« »Ich entnehme Ihren Worten, daß Sie Kapitän Drake immer noch nicht entdeckt haben, Carberry«, entgegnete Doughty Kuhl. »So ist es.« »Nehmen wir einmal an, er sei verwundet worden und ist außenbords gegangen«, sagte Kapitän Thomas. »Ganz sicher ist er über Bord gefallen, denn auf der ›Marygold‹ wurde er ja nicht gefunden. Es ist ausgeschlossen, daß ein Mann untertaucht und dann nicht wieder hochgetrieben wird. Das widerspricht den Naturgesetzen.« »Und falls er tot ist?« f ragte Doughty. Thomas kniff die Augenlider zusammen, daß sie nur noch Schlitze bildeten. »Selbst in dem Fall müßte er sich über dem Wasserspiegel befinden. Er hätte also auf jeden Fall gesehen
werden müssen.« »Vielleicht haben die Suchkommandos ihre Aufgabe nicht gründlich erledigt.« Doughty blickte Carberry an, denn diese Worte waren ihm zugedacht. Der Profos starrte ihn mit unverhohlener Mißbilligung an. Drei Männer standen sich gegenüber, die sich sehr voneinander unterschieden. John Thomas, der zuverlässige Kapitän unter Drake, gab eine biedere Figur ab - die eines waschechten Seebären und Kämpfers, blond, blauäugig, vollbärtig, vierschrötig, mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Seine Art war geradeheraus wie die von Carberry. Und doch zeichnete sich der Profos wieder durch andere Charaktermerkmale aus. Vielleicht war sein Gehirn weniger geschult als das von Thomas, vielleicht war aber auch die ruppige Art, der Vorsatz, stets mit dem Kopf durch die Wand zu rennen, mit in seine Wiege gelegt worden. Thomas begriff eine Situation aus ihren Ansätzen heraus. Carberry mußte sich erst den Schädel stoßen, um eine Einsicht zu gewinnen. So hatte der bullige Kerl mit dem Rammkinn und dem zernarbten Gesicht sich erst bis aufs Blut mit Philip Hasard Killigrew prügeln müssen, um zu kapieren, aus welchem Holz der geschnitzt war. Zwei Zähne hatte er eingebüßt. Dann hatte er gewußt, daß Hasard kein Lump war, sondern einer, der dem Teufel schon mehr als ein Ohr abgesegelt hatte. Und er hatte begonnen, ihn zu achten und zu bewundern. Ganz anders Sir Thomas Doughty. Er war ein Mann mit großartigen Beziehungen, gutaussehend, schlank, redegewandt. Es gab kaum eine Frau, die ihm nicht einen überzeugenden und unüberwindlichen Charme zuerkannte. Andererseits existierten natürlich auch Leute, die ihn als glattzüngig und intrigant bezeichneten, diesen Mann mit der makellosen Gesichtshaut, den braunen Augen, brünetten Haaren und dem vorzüglich gestutzten Spitzbart. Doughty war kein derber Kämpfertyp dennoch mangelte es ihm nicht an Mut. Nur schlug er nicht
wüst um sich wie ein antiker Held, sondern fand stets hundert Winkelzüge und Nebenwege, um seine Ziele zu erreichen. Er trug breite Schuhe, sogenannte »Kuhmäuler«. Seine Beine steckten in engen seidenen Strumpfhosen, darüber bauschte sich das kurze, als »Kürbishose« umschriebene Kleidungsstück, in kugeliger Form und mit Roßhaar gepolstert. Ein Schoßwams bildete den Fortsatz, dann ein saloppes kurzes Cape. Auf dem Kopf trug er einen schmalkrempigen Filzhut mit einer Straußenfeder. An der Seite dieses Mann wippte in einem Wehrgehänge ein zierlicher Stoßdegen. »Sir«, sagte Carberry, und er betonte das Wort besonders. »Sie können sich darauf verlassen, daß sowohl die Männer von der ›Marygold‹ als auch die von der ›Santa Cruz‹ ihre Pflicht gut und zuverlässig ausgeführt haben.« »Dann beantworten Sie mir eine Frage: Wo steckt Kapitän Drake?« »Ich weiß es nicht.« »Wollen Sie sagen, er habe sich in Luft aufgelöst?« Carberry hatte eine barsche Erwiderung auf der Zunge, aber Kapitän Thomas fuhr schnell dazwische n. »Es hat doch keinen Zweck, so unsinnig herumzureden. Machen wir lieber Nägel mit Köpfen. Überlegen wir, was als nächstes zu tun ist. Wir müssen so lange fahnden, bis wir den Kapitän finden.« Doughty kräuselte ein wenig die Lippen, bevor er sprach. »Ich bin dagegen. Alle Zeichen deuten darauf hin, daß wir Kapitän Drake abschreiben können. So sehr ich diese Tatsache bedaure, meine Herren - wir sollten hier abbrechen und so schnell wie möglich zurück nach Plymouth segeln.« »Nein!« Der Profos schrie es fast. »Nur über meine Leiche.« »Übertreiben Sie nicht, Carberry«, entgegnete Sir Doughty spöttisch. Kapitän Thomas schluckte und sagte etwas verwirrt: »Moment mal. Und wenn der Kapitän auch wirklich tot ist, wir haben die verdammte Pflicht, ihn an Bord zu nehme n und nach
England zu überführen. Außerdem müssen wir auf Sir Killigrew warten ...« Doughty lachte hart auf. »Der findet seinen Weg allein zurück nach Cornwall. Kapitän, Sie wissen doch, von welchem Schlag der ist. Brauchen Sie eine Bestätigung? Sehen Sie selbst!« Er wies mit dem ausgestreckten Arm über das Schanzkleid. Steuerbord achteraus von der ›Marygold‹ war die geenterte spanische Karavelle zu sehen. Die Umrisse der ›Wasp‹ wurden fast vollständig von ihr verdeckt. Dennoch entging keinem der Beobachter, was da an Bord der beiden Schiffe vorging. Sir John Killigrew hatte die noch lebenden Dons gefangengesetzt und fesseln lassen. Jetzt bevölkerten er und seine Schnapphähne die Karavelle, während O’Flynn sich wieder drüben auf der Karacke befand. Kommandos wurden gerufen, Segel wurden in aller Eile gesetzt, und die beiden Schiffe lösten sich voneinander. Sie gingen an den Wind und zeigten den Männern auf der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ ihre Hecks. »Da haben Sie es«, sagte Doughty triumphierend. »So sind die Killigrews. Jeder denkt nur an sich selbst. Selber essen macht fett, nicht wahr?« Carberry war im Begriff, vor Wut überzuschäumen. »Und Sie, Sir? Ist das bei Ihnen nicht genauso? Sie wollen sich so mir nichts, dir nichts verdrücken, was, wie? Aber daraus wird nichts, so wahr ich hier stehe. Ich lasse meinen Kapitän nicht im Stich.« »Ich auch nicht«, erklärte Kapitän Thomas spontan. Doughty musterte sie ärgerlich. »Muß ich Sie erst darauf hinweisen, daß ich Miteigner dieses Schiffes bin? Nochmals: Das Unternehmen wird abgebrochen. Wir kehren unverzüglich nach ...« »Nein«, fiel der Profos ihm ins Wort. Er rückte drohend näher und traf wirklich Anstalten, dem schlanken Mann an die Kehle
zu fahren. »Sie haben hier überhaupt nichts zu bestimmen, Mann! Nach dem Verschwinden von Kapitän Drake ist Captain Norris der dienstälteste Offizier, beziehungsweise Kapitän Thomas. Einer von beiden oder alle beide haben die Leitung des gesamten Verbandes zu entscheiden.« »Das werden Sie noch bereuen«, sagte Doughty. »Ihr dreistes Auftreten, Carberry, wird nach meiner Rückkehr an gewissen, einflußreichen Stellen des Hofes nicht unerwähnt bleiben. Sie wissen, daß das Konsequenzen für Sie hat, ernste Konsequenzen.« »Das ist mir scheißegal!« Carberry war rot im Gesicht und stapfte erbost mit dem Fuß auf, daß die Planken zitterten. »Sie sind ein Meuterer!« rief Sir Doughty. »Und Sie ein Verräter!« »Meuterer! Sie werden vor ein Kriegsgericht gestellt!« »Wir beide zusammen, was, wie?« Carberry schritt mit ausgebreiteten Armen an den arrogant blickenden Doughty heran. Wäre Kapitän Thomas nicht zwischen die beiden Kampfhähne getreten, hätte es sicher eine Schlägerei gegeben. »Schluß!« stieß Thomas hervor. »Reißen Sie sich zusammen, Profos. Und Sie, Sir Doughty, hören Sie auf, den Mann zu reizen. Ich habe folgendes entschieden: Wir brechen die Suche ab und laufen zum ehemaligen Versteck in der Nebenbucht der Dungarvanbai zurück. Dort warten wir auf Captain Norris und seine Truppe sowie die ›Isabella von Kastillien‹. Profos, Sie übernehmen ab sofort das Kommando auf der ›Marygold‹, verstanden?« »Aye, aye, Sir.« »Bis Kapitän Drake zurückgekehrt ist, tragen Sie die volle Verantwortung für Schiff und Besatzung.« »Aye, aye, Sir - und Kapitän Drake?« »Der Ausguck soll die Augen offenhalten. Vielleicht ist der Kapitän doch weiter abgetrieben, als wir angenommen haben.«
»Aye, aye, Sir.« Ganz zufrieden war Carberry nicht. Aber seine Gesichtsfarbe wurde wieder normal. Er ließ noch einen Schnaufer vernehmen, wandte sich ab und begab sich an den vorderen Rand des Achterkastells, um seine Order hinauszubrüllen. Die braunen Augen Sir Doughtys waren unverwandt auf den vierschrötigen Kapitän Thomas gerichtet. Leise sagte er: »Das wird ein Nachspiel haben, Kapitän. Glauben Sie bloß nicht, daß ich mir Ihren Alleingang gefallen lasse.« Thomas schaute an ihm vorbei zur ›Santa Cruz‹, die allmählich immer näher gedümpelt war und nun fast langsseits der ›Marygold‹ lag. Er trat ans Schanzkleid, legte die Hände an den Mund und rief seinem Bootsmann zu: »Nehmt das Beiboot an Bord! Ich steige sofort wieder um!« »Aye, aye, Sir«, tönte es zurück. Thomas drehte sich langsam zu Doughty um. »Sir. Es steht außer Frage, daß ich das Kommando an Bord beider Schiffe habe. Unser Irland-Unternehmen ist noch nicht zu Ende - aber daran scheint Ihnen nicht viel gelegen zu sein. Sie brauchen sich nicht zu empören. Das wäre vergeudete Kraft. Fügen Sie sich, und versuchen Sie, uns nach Kräften zu unterstützen.« Jetzt war es an Doughty, eine wütende Miene zu ziehen und die Farbe zu wechs eln. Aufgebracht drehte er auf dem Absatz um, marschierte davon und zog sich unter Deck zurück, ohne auch nur ein Wort zu erwidern. Er schmollte. Thomas, der seine Zweifel überwunden hatte und sich nun wieder ganz Herr der Lage fühlte, ließ ihn schmollen. Er wartete, bis die ›Santa Cruz‹ neben der ›Marygold‹ lag, stieg zur Kuhl hinunter und kletterte über die Schanzkleider auf sein Schiff zurück. Die See war nach wie vor kabbelig. Unruhig wiegten sich die beiden Galeonen auf den Wellen. Sie lösten sich vone inander, nachdem die aufgegeiten Segel wieder gesetzt waren. Die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ nahmen Kurs auf Nordost und zogen an Mine Head vorüber. Sie hielten auf die
Dungarvanbai zu. Kapitän John Thomas blickte achteraus über die düster werdende See. Der Tag neigte sich. Wärmende Sonnenstrahlen, die hier und da durch Löcher in der treibenden Wolkendecke fielen, verbreiteten nur noch schales Dämmerlicht. Die Silhouetten der ›Wasp‹ und der Karavelle, die nun als Prise gen Cornwall gesteuert wurde, nahmen sich nur noch als dunkle Flecken vor der Kimm aus. Sir John Killigrew hatte sein Schäfchen im trockenen. Und er scherte sich wirklich den Teufel darum, wie es um die beiden Galeonen bestellt war. Oder um ›Black‹ Norris und seine Truppe. Oder um den Kapitän der ›Isabella von Kastillien‹ Hasard, den Seewolf. Den Bastard, wie der alte Sir John ihn zu nennen pflegte.
In den späten Nachmittagsstunden hatte die ›Isabella von Kastillien‹ die Ausfahrt der Dungarvanbai erreicht und stieß auf die freie See vor. Philip Hasard Killigrew hatte alle Segel setzen lassen: Fock und Vormarssegel am Fockmast, Großsegel und Großmarssegel am Großmast und das Kreuzsegel am Besanmast. Unter vollen Segeln glitt die Galeone dahin. Ihre Geschwindigkeit betrug vier bis fünf Knoten. Hasard kreuzte mit langen Schlägen nach Süden auf. Dan O’Flynn sichtete die Mastspitzen der beiden entgegensegelnden Schiffe vom Großmars aus und verkündete die Nachricht mit hoher, greller Stimme. Hasard nahm sein Spektiv zur Hand und hielt vom Achterdeck aus Ausschau. Ben Brighton, der das Ruder an Pete Ballie abgegeben hatte, trat neben ihn. »Engländer«, sagte der Seewolf. »Und ich lasse mich
kielholen, wenn es nicht Drake und Thomas sind.« »Aber die Karacke - wo steckt die?« »Wir werden es bald erfahren.« Hasard schnitt eine Grimasse. »Die beiden Schiffe sehen etwas angekratzt aus. Sie haben ein Gefecht hinter sich. Ich will augenblicklich auf Grund laufen, wenn sie nicht an die Spanier geraten sind, die wir erwartet haben.« »Meinetwegen. Das erklä rt aber immer noch nicht, wo die ›Wasp‹ abgeblieben ist.« Brightons Augen suchten die Kimm ab, aber dort zeichnete sich nicht der Hauch einer weiteren Maststenge ab. »Das gibt mir zu denken. Die Karacke wird doch wohl hoffentlich nicht abgesoffen sein?« Hasard blieb ruhig. »Wie ich den Alten kenne, hat er ein schlaues Spiel getrieben. Ich schätze ihn und den gerissenen O’Flynn nicht so ein, daß sie sich einfach das Schiff unter dem Hintern wegschießen lassen. Aber wie schon gesagt: Wir werden ja gleich hören, wie sich die Dinge verhalten.« Mit verschlossener Miene wartete er das Eintreffen der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ ab. Schräg unter ihm auf der Kuhl bemühten sich der Kutscher unter Mithilfe von Blacky, Batuti, Smoky und einigen einigermaßen einsatzfähigen Soldaten um die restlichen Verwundeten. Es handelte sich um weniger schwere Fälle - sie konnten größtenteils aufrecht gehen, wenn sie von zwei Helfern gestützt wurden, und brauchten nicht getragen zu werden. Die meisten Verletzten waren im Vordeck untergebracht worden. Der Kutscher würde nun bald von seiner Tätigkeit als Feldscher wieder auf die reguläre Arbeit umsteigen - die Kombüsenfeuer anheizen, Kessel über dem Holzkohlenherd aufhängen und das Essen bereiten, das sowohl die Soldaten als auch die Männer der Besatzung bitter nötig hatten. Beeindruckend wirkte es, wie sich die mächtigen Leiber der beiden Galeonen an die ›Isabella‹ heranschoben. Bugwellen schlugen mit schmatzenden und schwappenden Lauten bis an
die Galions empor, Gischt schäumte um die Vordersteven, die Rahen und Blöcke knarrten, und schon waren Kommandorufe zu vernehmen. Während die behäbige ›Santa Cruz‹ sich im Hintergrund hielt, rauschte die ›Marygold‹ heran, um sich auf Rufweite mit Hasards Schiff zu begeben. Carberrys Organ klang herüber. Der Seewolf sah ihn jetzt. Carberry brüllte vom Achterkastell dem Bootsmann zu, die Segel gegenzubrassen, um das Schiff zum Stehen zu bringen. Hasard suchte vergebens das Deck der ›Marygold‹ nach der Gestalt von Francis Drake ab. Er wunderte sich und runzelte die Stirn. Es blieb keine Zeit, sich über das Fehlen Drakes Gedanken zu bereiten. Hasard mußte sich umdrehen, um Ben Brighton seinen Befehl zu erteilen, ihre Fahrt wie drüben auf der herandriftenden Galeone zu stoppen. Ben Brighton zeigte klar und lüftete seine Decksmannen an, alle Segel aufzugeien. Ihre Vortriebskraft wurde auf diese Weise aufgehoben. Allmählich verlor die ›Isabella‹ an Fahrt und dümpelte schließlich seitwärts auf die ›Marygold‹ zu, so daß sich beide Schiffe schließlich mit den Backbordseiten gegenüberlagen. »Carberry!« rief Hasard zur ›Marygold‹ hinüber. Der Profos hob die Rechte und bewegte sie sichelnd. »Hallo! Was ist geschehen?« Hasard teilte es ihm in knappen Sätzen mit, dann erkundigte er sich seinerseits: »Was gibt es bei euch Neues?« »Stelldichein gehabt!« schrie der Profos zurück. »Drei Karavellen der Dons, voll bis unter die Luken mit Waffen und Munition. Zwei Kriegsgaleonen. Eine Karavelle und eine Galeone versenkt. Sir John Killigrew mit einer Karavelle abgeschoben. Die letzten beiden Spanier abgehauen.« »Habe ich’s mir gedacht«, sagte der Seewolf zu Ben Brighton. »Mein Alter, dieser gerissene Spitzbube!« »Mit dem können wir also nicht mehr rechnen.«
»Du hast es erfaßt.« Hasard formte mit den Händen wieder einen Schalltrichter vor dem Mund und rief: »Ed! Wo, zum Teufel, steckt Kapitän Drake ?« Der Profos vollführte eine wütende Geste, bevor er antwortete. »Weg! Über Bord! Verschwunden! Kapierst du das, was, wie?« Hasard steckte die Hiobsbotschaft mit verbissener Miene ein. Er erwiderte nichts, stand nur da und las die Zeichen, die Carberry nun geben ließ - zurück in die Nebenbucht, lautete der Befehl von Kapitän John Thomas. Hasard erteilte seine Anweisungen, und Ben Brighton ließ wieder seine Stimme ertönen. Er scheuchte die Mannschaft an die Segel, und kurze Zeit darauf segelte die ›Isabella von Kastillien‹ vor dem Wind und lief auf die Nebenbucht zu, die als geheimer Treffpunkt vereinbart worden war.
4. Die Dungarvanbai selbst verlief in Ost-West-Richtung. In dieser Richtung maß sie etwa dreieinhalb irische Meilen, in Nord-Süd-Richtung ungefähr zwei irische Meilen. An ihrem westlichen Ende lag Dungarvan, das die ›Isabella‹ zuvor in einem überstürzten Rückzug verlassen hatte. Nördlich von Dungarvan mündete der Colligan in die Dungarvanbai. Südlich der Stadt bildete die Bai noch einmal eine Bucht, die die Form eines Stiefels aufwies. Die Spitze dieses Stiefels wies nach links, also nach Westen. Und etwa drei bis vier irische Meilen von der Stiefelspitze entfernt in West-Süd-Richtung erhoben sich die Kuppen der Drum Hills, jenem Gelände, in dem sich das irische Waffenversteck befunden hatte, das Hasard und seine Männer trotz Isaac Henry Burtons quertreiberischer und wahnwitziger Aktion hatten vernichten können.
Die Nebenbucht lag in einer sackähnlichen Ausbuchtung im Nordosten der Bai, und zwar etwa eine halbe irische Meile von der See her landeinwärts. Auf ihren Eingang - dreißig Yards breit und vierzig Yards tief - steuerte die ›Isabella‹ an der Spitze des kleinen Verbandes zu. Ihr folgte die ›Santa Cruz‹, zuletzt die ›Marygold‹. Die Sicht wurde zunehmend schlechter. Im Westen hatte die Sonne wieder eine Lücke in den Wolken gefunden und präsentierte sich mit blassem Abendrot. So war es gut, daß Hasard an der Spitze des Konvois fuhr, denn er hatte den Jungen mit den schärfsten Augen im Großmars hocken: Dan O’Flynn. Unter seinen unausgesetzt ausgestoßenen Hinweisen lavierte die ›Isabella‹ in vortrefflicher Manier auf den Eingang der Nebenbucht zu. Die anderen beiden Galeonen befanden sich in ihrem Gefolge und richteten sich in den Manövern strikt nach ihrem Vorbild. Einmal den Einlaß passiert, war der Rest für keine der drei Besatzungen ein Problem. Hinter dem schmalen Schlund, den es geschickt zu nehmen galt, wenn man nic ht auflaufen wollte, öffneten sich die Ufer sofort in Richtung Nordosten und formten die Bucht, die ihren Zwecken so willkommen war. Hasard ließ nach Osten steuern. Zweihundert Yards vom Einlaß entfernt schickte Brighton die Männer nach vorn und achtern, um die Anker an Bug und Heck ausfahren zu lassen. Rauschend glitten sie an ihren Trossen in die Tiefe, durchstießen klatschend die Wasseroberfläche und sanken auf den Grund. Hasard gab Dan O’Flynn Anweisung, die bewaldeten Felshänge der Nebenbucht unverzüglich mit dem Fernrohr zu erforschen. Der Ankerplatz, auf dem nun auch die ›Marygold‹ und die ›Santa Cruz‹ eintrafen, war von der Dungarvanbai aus nicht einzusehen. Er wollte jedoch vor Überraschungen durch die Iren völlig sicher sein und ließ deshalb keine
Vorsichtsmaßnahme aus. Eine weitere Auseinandersetzung wie in Dungarvan, und sie konnten endgültig die Flagge streichen. Sicherheitshalber ließ der Seewolf die vier Drehbassen auf Back und Achterdeck gefechtsklar stellen und pla tzierte an jedem Geschütz eine Wache. Es gab immer noch alle Hände voll zu tun. Schäden mußten sowohl hier auf der ›Isabella‹ als auch auf den beiden anderen Galeonen ausgebessert werden. So wie Ferris Tucker und seine Helfer waren auch drüben auf der ›Marygold‹ und der ›Santa Cruz‹ die Schiffszimmerleute am Werk. Da wurde gehämmert und gesägt, geflucht und getüftelt, um vor Anbruch der Dunkelheit wenigstens das Allernötigste wiederherzustellen. Hasard stattete dem Kutscher einen Besuch ab. Er stand bereits in seiner Kombüse, hatte die Holzkohlenfeuer angeheizt und ließ sie schüren. Er war vollauf beschäftigt. Zwei Soldaten hatten sich freiwillig gemeldet, bei der Essensausteilung und den Vorbereitungen dazu zu helfen - sie hatten gewiß nicht den schlechtesten Job. »Ich möchte, daß du eine Bilanz ziehst«, sagte Hasard. Der Kutscher blickte auf. »Aye, aye. Soweit ich sehen kann, sind nahezu alle über den Berg - wenn man einmal außer acht läßt, daß die meisten Amputierten wie Hank Mandell mit seinen verflixten zerschossenen Füßen nie wieder volltaugliche Soldaten abgeben werden. Leute wie Jake Tinkler sind harte Brocken und überstehen Schmerzen und Fieber sehr schnell. Die nehmen sich ein Beispiel an ihrem Captain Norris.« »Und Courcy?« »Der bereitet mir echtes Kopfzerbrechen.« »Weswegen?« »Er liegt im Fieber. Faselt wirres Zeug.« »Also ist es fraglich, ob er die Amputation übersteht?« »Leider. Er ist noch nicht über den Berg.« Der Kutscher zog die Schulter hoch und ließ sie wieder sinken. »Tut mir leid.
Aber ich hab wirklich mein möglichstes getan.« »Dir wirft niemand etwas vor.« Hasard ließ ihn mit seinen Kochtöpfen und den beiden ausgehungert wirkenden Soldaten allein, die schon die ersten Näpfe bereithielten, um heißen, dampfenden Hirsebrei mit eingekochtem Pökelfleisch entgegenzunehmen. Hasard wählte den ihm am nächsten liegenden Niedergang an der Backbordseite und stieg in den düsteren Leib des Schiffes hinunter. Auf dem Mittelgang des unteren Decks verbreiteten schaukelnde Öllampen flackerndes Licht. Im Helligkeitsbereich einer Laterne erkannte der Seewolf eine gebückte, humpelnde Gestalt - Captain ›Black‹ John Norris. Er war wirklich ein eisenharter Mann. Trotz der Beinwunde bewegte er sich ohne Krücke oder Stock durch die Gegend. »Sie sind verrückt«, sagte Hasard zu ihm. Norris zeigte grimmig seine hellen Zahnreihen. »Es ist die einzige Möglichkeit, damit fertigzuwerden. Glauben Sie mir. Ich will Ihnen nicht wünschen, daß Ihnen mal etwas Ähnliches zustößt. Aber sollte der Henker es wollen, so verhalten Sie sich wie ich, Kapitän Killigrew. Kommen Sie, wir müssen nach Courcy sehen. Ich weiß, wo er liegt.« Er ging wankend voran. Hasard verzichtete darauf, ihn zu stützen, allein der Versuch hätte ihm nur einen Anraunzer eingebracht. Männer wie Norris gestatteten es nicht, daß man ihnen half, sobald sie nur eben wieder kriechen konnten. Viele dieses Schlages schossen sich im hohen Alter eine Kugel in den Schädel, weil sie es nicht ertragen konnten, gebrechlich und von anderer Leute Barmherzigkeit abhängig zu sein. Etwa in der Nähe des Großmastes betraten sie einen der schmalen Schlafräume. Er lag völlig im Dunkeln. Hasard nahm eine Öllampe von der Decke des Ganges und führte sie über die Holzkoje, in der Captain James Courcy vom Kutscher untergebracht worden war. Es war ein schwitzender, keuchender, sich ständig wälzender Courcy, den sie da vor sich
hatten. Seine Haare waren vom Schweiß klitschnaß. Fortwährend bewegten sich seine Lippen, formulierten Worte wie »Achtung« oder »Nicht zurück« oder »Vormarsch« oder »Feuer«. Norris’ Miene drückte wenig aus. Aber Hasard las die Erschütterung, die sein Inneres erfüllte, in seinen Augen. »Courcy«, sagte er. »Captain! Hören Sie mich?« Courcy reagierte nicht, er fuhr in seinen unkontrollierten, hektischen Bewegungen fort. Hasard legte ihm die Hand auf die Stirn. Auch jetzt schlug der Mann nicht die Augen auf oder gab irgendein Zeichen, aus dem zu entnehmen war, daß er sich der Anwesenheit der Männer bewußt war. »Es sieht schlecht aus«, sagte Captain Norris. »Ausgerechnet Courcy! Schauen Sie mich nicht so komisch an, Killigrew. Es tut mir verdammt leid um jeden Soldaten, den es erwischt hat, und ich war bei jedem der Verwundeten, bevor ich auf Sie traf. Und doch trifft mich Courcys Schicksal besonders. Wenn er abtreten muß, verliert die Krone einen außerordentlich fähigen Offizier und wir einen treuen, opferbereiten Kameraden.« Hasard schwieg eine Weile, bevor er etwas entgegnete. »Ich werde einen Mann abkommandieren, der ständig hier im Raum bleibt und ihm kühle Umschläge auflegt. Außerdem soll von Zeit zu Zeit der Verband gewechselt werden.« »Danke, Kapitän.« »Es ist meine Pflicht.« »Nicht alle legen dieses Wort gleich aus. Gehen wir nach oben.« Norris warf noch einen Blick auf den Fiebernden. Dann begaben sie sich zurück auf das Oberdeck. Unterwegs griff der Captain den Seewolf beim Arm. »Natürlich habe ich vernommen, was der Profos der ›Marygold‹ Ihnen zugerufen hat. War ja wach genug um die Zeit. Hören Sie, Kapitän Killigrew, ich hätte gern Ihre Meinung zu dem Verschwinden von Drake gehört.« »Meinen ist nichts wissen.«
»Trotzdem. Ich suche eine Bestätigung für den Verdacht, den ich hege.« Hasard blickte ihm fest in die Augen. »Ich glaube nicht, daß er tot ist. Und der Aussicht, daß er noch irgendwo in der Irischen See herumtreibt, sich an einem Stück Treibholz festklammert, räume ich wenig Chancen ein. Ich denke an etwas anderes, Captain.« »Dann grübeln wir also in der gleichen Richtung?« »Wie es scheint, ja.« »Danke, das genügt mir.« Sie stiegen auf Deck und sprachen fortan wenig miteinander. Hasard bestimmte Batuti als den Mann, der sich um Captain Courcy kümmern sollte. Inzwischen war das Beiboot mit dem Lateinersegel zu Wasser gelassen worden und Matt Davies und Smoky warteten darauf, daß der Seewolf zustieg. Hasard schwang sich über das Schanzkleid und stieg in die Sprossen der Jakobsleiter, die Ben Brighton über die Leeseite der Galeone hatte wegfieren lassen. Norris folgte seinem Beispiel. Auch diesmal benötigte er keinerlei Unterstützung, wirklich eine beachtliche Leistung für einen Mann, der mehrfach verwundet worden war und vor rund zwei Stunden noch eine Kugel im Bein stecken gehabt hatte. Smoky und Matt Davies nahmen sie in dem Boot in Empfang. Sodann legte das Boot ab und wurde zur ›Santa Cruz‹ hinübergesegelt, die genau wie die ›Marygold‹ an der Ankerkette schwojte. Ein Beiboot schaukelte bereits vertäut neben der Jakobsleiter der Galeone. Es stammte von der ›Marygold‹ und hatte Carberry, den Profos, gebracht. Schweigend enterten sie die Jakobsleiter hoch. Smoky begleitete sie auf Hasards Geheiß hin. Matt Davies blieb als Wache bei den Booten zurück. Sie betraten das Achterdeck und steuerten die Kapitänskammer an. Ein Mann der Besatzung öffnete, und sie betraten den Raum, der durch mehrere Talglichter gemütlich ausgeleuchtet war - von der Stimmung
konnte man das nicht behaupten. Kapitän John Thomas saß hinter dem Eichenholztisch mit der polierten Platte, den man querschiffs geschoben hatte. Die Ellbogen hatte er aufgestützt und die Fingerspitzen gegeneinandergestellt, so daß Hände mit Unterarmen eine Pyramide bildeten. Grübelnd schaute er über die Fingerspitzen weg und fixierte einen imaginären Punkt an der Querwand der Kajüte. Außer Carberry und Sir Thomas Doughty, der Norris und den Seewolf mit hochgezogenen Augenbrauen musterte, befand sich nur noch der Erste Offizier der ›Santa Cruz‹ neben ihm am Tisch. »Nehmen Sie Platz«, sagte Kapitän Thomas. »Captain Norris, ich würde es begrüßen, wenn Sie mit einem kurzen, aber umfassenden Situationsbericht beginnen.« Norris tat dies und ließ die Tatsache, daß Courcy aller Wahrscheinlichkeit nach die Amputation nicht überstehen würde, nicht aus. Thomas drückte sein Bedauern darüber aus. Er stellte nachdrücklich fest, daß das Kommando des Unternehmens nun in seinen und den Händen von Captain ›Black‹ John Norris läge. Dies sagte er nicht, ohne einen bedeutungsvollen Seitenblick zu Doughty hinüberzuschicken. Der bemühte sich, eine gelassene Miene zur Schau zu stellen. Kapitän Thomas ging zum wichtigsten Punkt der Lagebesprechung über. »Wo sollen wir Kapitän Drake noch suchen? Hat das überhaupt noch Sinn?« »In der Nacht sowieso nicht«, bemerkte Sir Doughty spöttisch. »Wie wollen Sie denn wohl bei Dunkelheit einen auf der See treibenden Leichnam entdecken? Sie können mit Pechfackeln fünf Yards dran vorüberfahren und würden ihn doch nicht sehen.« Carberry meldete sich zu Wort und beharrte steif auf seinem Standpunkt. In seinem wüsten Narbengesicht zuckte es. Hasard konnte sich vorstellen, wie gern sich der Profos mit Doughty unter vier Augen unterhalten hätte.
»Bis morge n früh können wir nicht warten.« Carberry hockte in einer der Backbordecken der Kammer - ostentativ weit von Doughty entfernt. »Kapitän Drake ist nicht tot.« »Wissen Sie das, Profos?« erklang Doughtys schneidende Stimme. »Sind Sie hellseherisch begabt?« »Ich spür’s, daß er lebt.« »Gott segne Ihren sechsten Sinn.« Carberry schlug mit der Faust auf den Tisch. »Mal angenommen, der Kapitän ist verwundet - wie soll er die lange Nacht durchstehen? Wenn der Morgen kommt und wir wieder ausreichend Sicht haben, könnte er tatsächlich hinüber sein.« Er war wahrhaftig kein Meister der Redekunst, darum nannte er die Dinge unverblümt beim Namen. »Wo sollen wir suchen?« sagte Kapitän Thomas wieder. Ratlosigkeit schwang in seiner Stimme mit. Norris hatte sich gesetzt und das verwundete Bein von sich gestreckt. »Ich hätte eine Frage zu stellen. Wo befanden sich die letzten beiden spanischen Schiffe, als Drake verschwand?« »Carberry, Sie sind dran«, versetzte Doughty. Der Profos räusperte sich und rutschte auf seinem Stuhl herum. »Also, das war so. Nach der Explosion der Karavelle ging es drunter und drüber an Bord der ›Marygold‹. Planken und allerhand anderes Zeug flogen durch die Luft. Plötzlich war der Kapitän weg. Ich rief irgend etwas, und Mac Pellew, der Koch, wetzte aus seiner Kombüsentür, lief über Deck und kletterte aufs Achterkastell. Was da weiter passierte, kriegte ich nicht mit, denn wir hatten genug mit der verdammten Takelage zu tun. Plötzlich rief Mac Pellew meinen Namen. Ich lief zu ihm, dann krachten Musketenschüsse, und ich sah ihn liegen.« »Musketenschüsse?« Hasard horchte auf. »Die Karavelle der Dons, die letzte, die sie noch in Händen hatten, schob sich heran und veranstaltete Rabatz. Mac Pellew hat einen Streifschuß am Kopf abgekriegt. Ich küßte schnell die
Planken, ehe es mir an den Kragen gehen konnte. Wir feuerten zurück, und die Spanier schoben ab.« »Auch die Kriegsgaleone«, ergänzte Kapitän Thomas. »Sie brach ohne ersichtlichen Grund plötzlich das Gefecht ab und floh. Wir verfolgten sie nicht, weil es galt, nach Kapitän Drake zu suchen.« Hasard stand von dem Stuhl auf, auf dem er sich während des Berichtes niedergelassen hatte. »Moment mal, Profos. Mac Pellew wollte dir etwas mitteilen, das ist doch klar. Er hat was gesehen. Etwas Wichtiges.« »Glaube ich auch.« »Und du hast keinen Blick übers Schanzkleid werfen können, als die Karavelle heranschob?« »Glatter Selbstmord wäre das gewesen. Die Kugeln flogen mir wie Hornissen um die Ohren - jawohl, wie Hornissen.« »Du hast also nicht gesehen, was zwischen der ›Marygold‹ und dem Schiff der Spanier vor sich ging?« »Nein, zum Henker.« »Und Mac Pellew?« Carberry vollführte eine abgehackte, nickende Kopfbewegung. »Lebt.« »Natürlich. Ich will wissen, was er dir erzählt hat.« »Bis jetzt hab ich ihn noch nicht gefragt.« »Soll das heißen, daß er immer noch bewußtlos unter Deck liegt?« »Das nicht.« Der Seewolf ließ einen ächzenden Laut vernehmen. »Ed, wie oft soll ich dir noch sagen, daß du mit dem Kopf und nicht mit irgendeinem anderen Körperteil denken sollst!« »Aye, aye, Sir.« »Mac Pellew ist der einzige Mann, der höchstwahrscheinlich beobachtet hat, wie Kapitän Drake in die See trieb und was dann weiter mit ihm geschah. Kannst du mir folgen?« »Aye, aye.«
»Geht dir ein Talglicht auf?« »Nein.« Carberry wurde es immer unwohler in seiner Haut. Er zupfte an seinen Fingern herum, daß die Knöchel knackten. Hätte Sir Thomas Doughty einen solchen Tonfall ihm gegenüber angeschlagen, wäre er wahrscheinlich wütend wie ein Stier hochgefahren und hätte zu brüllen angefangen. Aber bei Philip Hasard Killigrew, den er zu achten gelernt hatte, verhielten sich die Dinge anders. Carberry zog den Kopf ein und schien in sich zusammenzuschrumpfen. Kapitän Thomas wandte sich seinem Ersten Offizier zu. »Sorgen Sie dafür, daß Mac Pellew von der ›Marygold‹ herübergeholt wird. Rasch.« »Aye, aye. Sofort, Sir.« Er wollte sich in Bewegung setzen. Doch in diesem Moment polterten eilige Schritte heran und näherten sich unverkennbar der Tür der Achterkammer. Zwei Stimmen ertönten, die Hasard nur zu genau kannte und bei deren Klang sich unwillkürlich ein schmales Grinsen in seine Mundwinkel stahl. Es wurde heftig angeklopft, und Kapitän Thomas antwortete. Sogleich schwang die Tür auf. und unter ihrer hölzernen Füllung waren die Gestalten und Gesichter von Matt Davies und Mac Pellew zu erkennen. Matt Davies trug eine Öllaterne an seinem Eisenhaken. Sie schwenkte etwas hin und her, und die Reibung des Metallbügels an der Prothese verursachte quietschende Geräusche. Mac Pellew atmete heftig, seine Miene war griesgrämiger denn je. »Ich bitte darum«, versetzte er steif und förmlich, »sofort angehört zu werden.« Matt Davies’ Augen suchten Hasards Gesicht. Als sie es gefunden hatten, verzog er den Mund und meinte: »Verzeihung, Sir. Ich hielt Bootswache und sah Mac Pellew, der wie ein - ein Verrückter herrüberwinkte. Da hab ich ihn geholt.«
»Ausgezeichnet. Wir wollten das ohnehin gerade tun«, sagte Hasard und lächelte. Matt Davies kriegte rote Ohren, drehte sich um und trottete davon. Der Seewolf winkte Mac Pellew zu. Der zog die Tür hinter sich ins Schloß, schlurfte heran und baute sich mit verdrossener Miene etwa in der Raummitte auf. Sein Kopf wurde durch einen dicken Verband verunziert, den er sich augenscheinlich selbst angelegt hatte, da er ja über die gleichen Fertigkeiten verfügte wie der Kutscher auf der ›Isabella von Kastillien‹. Mac Pellews Gesicht hatte die graue Farbe frischen Hefeteiges, und alles in allem wirkte er wie der wandelnde Tod. »Ich will hundert Schläge mit der Neunschwänzigen haben, wenn ich es nicht deutlich gesehen habe«, erklärte er mürrisch. »Wenn du was nicht gesehen hast?« erkundigte sich der Profos begriffsstutzig. Doughty schnitt eine verächtliche Grimasse, der Erste der ›Santa Cruz‹ stöhnte ungewollt auf. Hasard bedeutete dem Koch von der ›Marygold‹ mit einer aufmunternden Geste, weiterzusprechen. »Los, Mac Pellew. Wir sind ganz Ohr. Rede, wie dir der Schnabel gewachsen ist und plag dich nicht mit geschraubten Redewendungen ab.« »Aye, aye. Nun, das war so: Ich lugte aus meiner Kombüse, weil der Profos irgendwas herumschrie, in dem dauernd der Name des Kapitäns vorkam. Ich dachte - na, Himmel und Hölle, hab ich gedacht, dem Alten - ich meine, Kapitän Drake wird doch wohl nichts passiert sein ...« »Soweit wissen wir längst Bescheid, Mann«, unterbrach ihn Doughty. »Fassen Sie sich gefälligst kürzer. Berichten Sie von dem Augenblick an, in dem Sie einen Blick über das Schanzkleid am Achterkastell warfen,« Mac Pellew kratzte sich am Hinterkopf und verzog das Gesicht, weil die Wunde ihn piekste. Er war aus dem Konzept gebracht.
Kapitän Thomas blickte ärgerlich in die Runde. »Wer jetzt noch einmal unterbricht, verläßt die Versammlung. Ich bitte mir Disziplin aus.« Das saß. Sir Doughty verkündete durch einen galligen Gesichtsausdruck, wie er die Zurechtweisung aufgenommen hatte. »Also gut, ich ging zur Hütte rauf«, fuhr Mac Pellew fort. »Oder vielmehr, ich lief. Ich schaute Steuerbord achteraus aufs Wasser hinunter - und da sah ich den Kapitän treiben.« Er fühlte die gespannten Blicke der Zuhörer auf sich und hüstelte verlegen. »Also, tot sah er nicht aus. Will sagen, er blutete nicht, soweit ich das erkennen konnte. Schien bloß bewußtlos zu sein.« Er schaute zu Carberry hinüber, zu Smoky, dann zu Hasard, und dieser nickte ihm zu, drängte wortlos: weiter, nur weiter! Mac Pellew zog ein Gesicht, als habe er eine Pütz voll spanischem Rotweinessig die Kehle hinabgespült. »Ich sehe also den Alten - äh - den Kapitän da unten auf den Wellen und denke, mich trifft der Schlag. Ich schaue noch ein Stück weiter, und da segelt doch der verdammte Waschzuber genau auf uns zu, und ich denke: Jetzt haut es dich wirklich um.« Doughty starrte giftig auf den Koch, weil er glaubte, der würde absichtlich so langwierig und nervtötend schildern. Der Erste der ›Santa Cruz‹ wurde auch zusehends nervöser, hütete sich jedoch, auch nur eine Silbe zu sagen. Kapitän John Thomas wartete geduldig den Ausgang des Berichtes ab. Carberrys Narbengesicht zuckte, und er ließ die Fingerknöchel in kürzeren, nahezu rhythmischen Abständen knacken. ›Black‹ Norris und der Seewolf zählten mit Kapitän Thomas zu den gelassenen Zuhörern. Smoky zeigte eine stoische Miene. Mac Pellew führte die rechte Hand quer unter den Nasenflügeln durch und ließ ein schniefendes Geräusch vernehmen. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, richtig: Die Höllenhunde von Dons rücken also mit ihrer elenden Karavelle
auf uns zu. Ich sehe, wie die ein Beiboot abfieren, und denke, das träumst du! Sie pullen auf den Kapitän zu. Der ist immer noch weggetreten. Sie kommen ihm immer näher - da drehe ich mich um und brülle aus Leibeskräften: ›Carberry! ‹ Das letzte, was ich mitkriege, ist, wie er was zurückschreit. Dann pfeift mir die Kugel schräg über den Kürbis, und ich sacke um. Mehr weiß ich nicht.« Sekundenlanges Schweigen breitete sich in der Achterkajüte aus. Der Profos brach es, nachdem er geradezu verzweifelt die Hände gerungen hatte. »Mac Pellew, du Teufelsbraten! Warum hast du das nicht eher ausgespuckt?« »Weil du mich nicht gefragt hast«, gab der Koch sauertöpfisch zurück. »Ich hockte unter Deck und wartete, daß du dich zeigst. Als es dunkel wurde und immer noch keiner aufkreuzte, kroch ich aus meiner Kombüse, stellte mich auf die Backbordseite und winkte Matt Davies zu, den ich in dem Beiboot der ›Isabella‹ erkannte. Und den Rest weißt du ja.« »Verdammt«, zürnte der Profos und erhob sich. »Ich habe den Moses und einen anderen Mann in die Kombüse gescheucht, damit sie was in die Kessel warfen und zum Kochen brachten. Da lagst du total weggetreten in deiner Ecke.« »Da noch.« »Es ist zum Verrücktwerden!« rief der Profos wild. Hasard ging zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter. »Mit dem Kopf denken, Profos. Nicht mit was anderem.« »Aye, aye.« »Es ist aber unnötig, daß du dir jetzt noch das Gehirn zermarterst. Selbst wenn dir Mac Pellew seine Beobachtungen eher auseinandergesetzt hätte, hätten wir am Stand der Dinge nichts mehr ändern können. Die Situation ist so oder so verfahren.« Er wandte sich Kapitän Thomas, Norris und dem Ersten der ›Santa Cruz‹ zu. »Es ist, wie wir insgeheim vermuteten, Captain Norris: Drake wurde von den Spaniern
aufgefischt. Und sie erkannten, welch dicker Brocken ihnen da ins Netz gegangen war. Der Captain der Karavelle hat Signal an die letzte Kriegsgaleone geben lassen, und sie verzupften sich. Sie wären ja verrückt gewesen, wenn sie es nicht getan hätten.« »Himmel noch mal«, sagte Thomas. »Kapitän Drake in spanischer Gefangenschaft! Es ist unvorstellbar. Damit haben uns die Kerle praktisch in der Hand.« »Was tun?« ›Black‹ Norris ließ Hasard nicht aus den Augen. »Ich glaube, Kapitän Killigrew hat bereits einen Vorschlag zu unterbreiten.« »Natürlich.« Der Seewolf umrundete den quergestellten Eichenholztisch und trat an die Seekarte, die Kapitän Thomas für die Dauer des Irland-Unternehmens an die Heckwand der Kammer hatte pinnen lassen. Sie zeigte die irische SüdostKüste von Waterford bis Mizen Head hinab sowie einen wasserblauen Streifen von rund hundert Seemeilen Breite, der das Meer oberhalb des Süd-Kanals darstellte. Hasard griff zum Zeigestock, der in einem eigens dafür vorgesehenen Ständer ruhte, hob ihn hoch und tippte auf die Dungarvanbai. »Wir müssen Drake heraushauen, das steht doch wohl außer Frage!« Sir Thomas Doughty schritt auf den Eichenholztisch zu, verharrte und legte den Kopf ein wenig schief. »Ich wußte nicht, daß Kapitän Killigrew das Oberkommando über diesen Verband in Händen hat. Man hat mir mitgeteilt, nach Francis Drakes Verschwinden bekleideten Kapitän Thomas und Captain Norris dieses Amt.« »So ist es auch«, entgegnete Thomas ziemlich widerwillig. »Killigrew will doch lediglich seine Idee erklären.« »Und nimmt die Entscheidung vorweg !« Hasard blieb ruhig. Fast gemütlich gab er seine Erwiderung. »Wir befinden uns an Bord eines Kriegsschiffes. Nicht am Hof Ihrer Majestät, der Queen. Hier werden keine Haarspaltereien
betrieben und hier wird nicht intrigiert, Sir Doughty. Und wer sich damit nicht abfinden kann, der tut gut daran, bei der nächstbesten Gelegenheit sein Bündel zu packen und abzudanken.« Doughty lachte spöttisch. »Ein schlechter Kapitän, der nicht die leiseste Kritik verkraften kann, Killigrew. Ich meine eher: So zartbesaitete Typen wie Sie haben an Bord von Schiffen nichts zu suchen.« Norris knallte die flache Hand auf den Tisch. »Schluß jetzt. Tragen Sie Ihre persönlichen Streitigkeiten woanders aus. Hier ist Wichtigeres zu besprechen. Kapitän Killigrew, reden Sie weiter - zur Sache!« Hasard stellte sich wieder neben die Karte. Die Spitze des Zeigestocks ließ er ein kleines Stück über die Karte wandern, und zwar von der Dunga rvanbai ein paar Meilen südostwärts auf die offene See hinaus. »Hier fand das Gefecht zwischen der ›Marygold‹, ›Santa Cruz‹, ›Wasp‹ und den spanischen Schiffen statt. Die letzte Karavelle und die letzte Galeone sind nach Westen davongesegelt.« Er verfolgte die Kursrichtung auf der Karte, bis er wieder auf das Festland stieß. »Hier!« Er wies auf eine breite Flußmündung, an deren westlichem Ufer sich die Markierung einer größeren Ansiedlung abhob. »Das ist Youghal am Blackwater-Fluß. Ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß die Dons dorthin ausgewichen sind.« Er wandte sich der Versammlung zu, legte eine winzige Pause ein und gab seinen dann ausgesprochenen Worten eine besondere Bedeutung. »Wir sollten sofort wieder auslaufen. Es wäre ein Fehler, den Spaniern überhaupt eine Verschnaufpause zu gewähren. Gewiß, Kapitän Drake befindet sich in ihrer Gewalt. Sie können diesen Umstand als Druckmittel benutzen. Aber wir werden eine List anwenden und ihn trotz aller Widrigkeiten wieder herauspauken.« Wieder tickte er mit dem Zeigestock gegen die Karte. »Der Blackwater ist bis weit nach Norden hinauf schiffbar,
wie allgemein bekannt sein dürfte. Zumindest für eine flachgehende Karavelle. Östlich des Stromes befinden sich die Drum Hills. Also: Die Karavelle wird, wie ich die Dinge sehe, den Blackwater hinauflaufen und an einem geeigneten Landeplatz ihr Kriegsmaterial für die Iren löschen lassen.« »Und die Kriegsgaleone?« fragte Smoky. Mac Pellew saß neben ihm auf einem Stuhl und reckte den Hals, damit ihm auch ja keine Einzelheit entging. »Die Kriegsgaleone wird selbstverständlich den Blackwater abriegeln«, erklärte Hasard. »Jetzt stellt sich die Frage: Wer hat Drake?« »Doch wohl die Kriegsgaleone«, gab Captain Norris wie aus der Pistole geschossen zurück. »Das glaube ich auch. Jetzt mein Vorschlag: Wir befreien ihn und vernichten die Galeone. Anschließend befassen wir uns mit der Karavelle. Das Unternehmen muß von der ›Isabella von Kastillien‹ und der ›Marygold‹ durchgeführt werden. Die ›Santa Cruz‹ ist zu unhandlich und behäbig. Hingegen halte ich sie für am besten geeignet, sämtliche Verwundeten zu übernehmen und als Versorger hier in der kleinen Bucht zu bleiben.« Doughty hob die Hand. »Einspruch! Mit einem solchen Wahnsinn kann ich mich nicht einverstanden erklären, Gentlemen! Killigrew ist ein übergeschnappter Draufgänger, der sinnlose Verbrauch von Mann und Material bedeutet ihm nichts. Aber mir! Ich trage einen stattlichen Anteil an der ›Marygold‹. Und wenn sie bei dem irrsinnigen Abenteuer draufgeht, wie ich mit Sicherheit annehme, ist das ein ungeheuerlicher Verlust für mich.« ›Black‹ Norris fuhr hoch und scherte sich den Leibhaftigen darum, daß stechender Schmerz durch sein verwundetes Bein schoß. »Sir! Jetzt reicht’s mir aber. Hören Sie mein Angebot: Da Sie so fürchterlich um die ›Marygold‹ besorgt sind, können Sie von mir aus gern an dem Unternehmen teilnehmen. Dank
Ihres aufopfernden Einsatzes wird es dann ja wohl verhindert werden, daß der Kasten draufgeht, oder?« Carberry und Smoky grinsten ungeniert. Mac Pellew starrte Doughty so vernichtend und bösartig an, als wünsche er, daß jener augenblicklich durch den Kajütenboden und das gesamte Schiff auf den Boden der Bucht sinke. Hasard fixierte Doughty ebenfalls, und in seinen Mundwinkeln nistete ein amüsiertes Lächeln. Kapitän Thomas verhielt sich parteilos, ebenso sein Erster. »Ich verzichte dankend«, entgegnete Sir Thomas Doughty spitz. »Sie haben mich grundlegend mißverstanden, Captain Norris.« »Meinetwegen. Sie erhalten eine Kammer auf der ›Santa Cruz‹ zugewiesen.« Norris schenkte dem schlanken Mann keine weitere Beachtung mehr. Indes wandte er sich Hasard zu, trat zwei Schritte näher und sah ihn aus glitzernden Augen an. »Vorschlag angenommen, Kapitän Killigrew. Wir beginnen sofort mit den Vorbereitungen, damit wir so schnell wie möglich ankerauf gehen und Youghal anlaufen können.« »Aye, aye«, erwiderte der Seewolf. Er zeigte seine weißen Zahnreihen, blickte zu Sir Thomas Doughty hinüber und setzte sein unverschämtestes Grinsen auf. Norris stellte sich vor die Karte, drehte sich um und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sollte jemand mit einem Ergänzungsvorschlag oder gar einem besseren Plan aufzuwarten haben, so soll er das sagen. Was zu besprechen ist, muß jetzt auf den Tisch. Später ist keine Zeit mehr dazu, dann hat alles rasch und mit größtmöglicher Präzision abzulaufen.« Kapitän Thomas hatte nichts hinzuzufügen. Doughty schon gar nicht. Er ließ sich vom Ersten Offizier der ›Santa Cruz‹ nach draußen begleiten, um die ihm zugeteilte Kammer aufzusuchen. Er musterte Philip Hasard Killigrew mit einem bösen Blick, als er die Kapitänskammer verließ und sich noch einmal zu ihm umdrehte. Hasard grinste verwegen.
Er verabschiedete sich wie Captain Norris von Kapitän Thomas. Gemeinsam mit Smoky begaben sich die beiden auf Deck und stiegen die Jakobsleiter hinunter. Leichte Dünung erfüllte die Bucht. Sie mußten eine aufwärtige Wellenbewegung abwarten, um in das Boot mit dem Lateinersegel springen zu können. Matt Davies grinste kampflustig, als er die Neuigkeiten von Smoky erfuhr. Er griff in die Schot und holte das Segel dichter. Der Wind trieb sie in rascher Fahrt auf die ›Isabella‹ zu.
5. Nur die allernotwendigsten, auf kleine Flamme gedrehten Bordlaternen kennzeichneten die Ankerposition der Galeone ›Isabella von Kastillien‹. Gerade Licht hätte dem Feind verraten können, wer hier versteckt lag. Und das, so hatte sich Hasard unauslöschlich eingehämmert, durfte auf keinen Fall geschehen. Sonst sahen sie Drake nicht wieder. Der alte Francis, wie ihn seine Leute gelegentlich nannten, hatte in den letzten Monaten fette Beute gerissen. Zäh, verwegen und mit rücksichtsloser Härte hatte er die ›Marygold‹, die alles andere als ein schweres Kriegsschiff war, gegen den Feind geführt. Es war seinen seemännischen Qualitäten zuzuschreiben, daß er mit der wendigen Galeone auch gegenüber größeren und besser armierten Gegnern hatte auftrumpfen können. Kuhl und sachlich hatte er seine Chancen berechnet und war stets mit taktischem Vorteil ins Gefecht gegangen. Fette Beute hatte er gerissen - aber jetzt befand er sich in der Gewalt des Gegners. Eines gnadenlosen Gegners, der bereit war, ihm die erlittenen Niederlagen Zug um Zug persönlich zurückzuzahlen. Wieder zurück an Bord der ›Isabella‹ erschien Blacky vor ihnen und verkündete: »Burton schlägt Rabatz. Veranstaltet
einen Heidenradau in der Vorpiek. Habe keine Ahnung, woher er überhaupt noch die Kraft und den Mut dazu nimmt.« ›Black‹ Norris zeigte eine Miene, die schon mehr als verstimmt war. Natürlich hatte ihm Hasard von der jüngsten Auseinandersetzung mit Isaac Henry Burton berichtet und ihm erklärt, warum Burton in der Vorpiek eingesperrt war. »Bitte begleiten Sie mich, Kapitän Killigrew.« Norris wartete keine Erwiderung ab, sondern marschierte voraus, etwas hinkend zwar, aber scho n wieder sehr fit und resolut. Sie suchten das untere Deck auf. Batuti meldete nichts Neues über den Zustand von Captain Courcy. Unablässig war er damit beschäftigt, dem im hohen Fieber liegenden Mann kalte Umschläge aufzulegen, damit die Temperatur wenigstens etwas gedämpft wurde. Norris kommandierte zwei leichtverletzte Soldaten zu sich persönlich ab. Dann ließ er sich von dem Seewolf zur Vorpiek führen. Sie lag im untersten Bugraum - ein finsteres Loch, der Eingang zur Hölle, in dem schon so mancher widerspenstige Bursche weichgeklopft worden war. Hasard hatte auch seine Erfahrungen mit der Vorpiek gesammelt, und zwar auf der ›Marygold‹. Kurze Zeit, nachdem ihn das Preßkommando von der Kneipe »Bloody Mary« in Plymouth fortgeschleift hatte, hatte er sich auf der Galeone wiedergefunden und es mit dem Profos Carberry aufgenommen, ohne damals zu ahnen, daß das Schiff unter Francis Drakes Kommando fuhr, zu dem er ja eigentlich hatte stoßen wollen. Nun, das Fazit der Schlägerei war ein Abstecher in die Vorpiek gewesen. Ein feuchtes und muffiges Loch war das, mit jenen Gerüchen angereichert, die einem den Magen zuoberst kehrten. Hasard hatte sich nicht gebeugt. Allem Anschein nach wollte Burton ihm in dieser Beziehung nacheifern. Schon von weitem vernahmen sie, wie er in seinem Verließ herumpolterte, statt sich stocksteif in eine Ecke zu klemmen und den Gestank des Bilgewassers zu ertragen, das unter der Gittergräting
schwappte. Hasard ließ die beiden Riegel des Schotts zurückschnappen. Unter der Bewegung seines Armes schwang es auf, und ›Black‹ John Norris hatte den Blick auf seinen degradierten Unterführer frei. »Sir«, stieß Burton keuchend hervor. Eilfertig und höchst widerwärtig in den Bewegungen kroch er auf Norris zu. »Das brauche ich mir nicht gefallen zu lassen. Das ist unter der Würde eines englischen Offiziers.« »Offiziers?« »Soldaten, Soldaten«, beeilte sich Burton zu verbessern. »Sie haben einen Fehler begangen, Kapitän Killigrew«, versetzte Norris ernst. »Sie hätten diesen Burschen mit ein paar soliden Manschetten festzurren lassen sollen. Zuviel Menschlichkeit bekommt ihm nicht, wie Sie sehen.« Er winkte die beiden Soldaten heran. »Legt ihn in Ketten. Er wird in ein Beiboot verstaut und mit den Verletzten zur ›Santa Cruz‹ hinübergepullt.« Burton protestierte und traf Anstalten, wieder fuchsteufelswild zu werden. Als Norris ihm androhte, ihn vor versammelter Mannschaft auspeitschen zu lassen, schwieg er endlich und ließ sich abführen. Nach und nach wurden die Verletzten zur ›Santa Cruz‹ hinübergeschafft. Besonders viel Zeit mußte auf die Beförderung von Captain James Courcy verwandt werden. Er wurde auf eine hölzerne Trage gelegt und mit vielen Decken umwickelt. Taue wurden um die Trage geschlungen. Dann hievte man ihn außenbords. Blacky und Smoky bedienten die Taue, und sie ließen sie sehr langsam durch die Taljen laufen, um Courcys Zustand auf keinen Fall durch Erschütterungen zu verschlechtern. Hilfreiche Hände streckten sich von unten aus dem Beiboot empor, das ihn zur ›Santa Cruz‹ hinüberbringen sollte. Hasard blickte dem armen Teufel mit verschlossener Miene nach, als sie ihn davonpullten.
Insgesamt vierundzwanzig Soldaten standen für das neue Unternehmen zur Verfügung. Sie hatten nur leichte Verletzungen davongetragen und versicherten, so weit auf dem Damm zu sein, um aktiv mitkämpfen zu können. Sie wurden auf die ›Isabella‹ und die ›Marygold‹ verteilt - je ein Dutzend pro Schiff. Captain ›Black‹ Norris fuhr bei Carberry auf der ›Marygold‹ mit. Die Anker wurden gelichtet, Wendemanöver vollführt, dann glitten beide Galeonen fast gespenstisch leise durch die schmale Einfahrt aus der versteckt liegenden Bucht. Sie drehten keine halbe Meile von dem Einlaß entfernt und nahmen direkten Kurs auf Youghal. Kapitän John Thomas stand auf dem Achterdeck und schaute den beiden Schiffen mit gemischten Gefühlen nach. Sir Doughty, der weiter unten in einer schwach erleuchteten Kammer der ›Santa Cruz‹ hockte, zog in diesen Minuten allerdings eine noch sehr viel verdrossenere Miene.
Es war kurz vor Mitternacht, als Philip Hasard Killigrew die Positionslaternen und überhaupt jegliches Licht auf der ›Isabella von Kastillien‹ löschen ließ. Captain Norris und Carberry auf der ›Marygold‹, die nun in ihrem Kielwasser dahinglitt, folgten dem Beispiel. Der Seewolf piekte zwei Männer heraus, einen von der Besatzung, einen als Vertreter der Soldaten. Es handelte sich um Smoky und Jake Tinkler. Weisungsgemäß traten sie auf dem Achterkastell vor ihm an. »Hört zu«, sagte Hasard. »Ihr flitzt jetzt herum und sagt
jedem, daß ich äußerste Ruhe wünsche. Smoky, das gilt besonders für Dan. Batuti soll sich meinetwegen in die Wanten hängen und jeweils weitergeben, was der Ausguck zu melden hat. Es geht auf keinen Fall, daß Dan herumkräht wie ein Hahn auf dem Mist.« Er streckte die Hand aus und wies mit dem Zeigefingur Backbord voraus. Lichtflecken glitzerten in nicht allzu großer Ferne - vielleicht drei, vier irische Meilen in westlicher Richtung. »Das ist Youghal. Wir werden ungesehen und ungehört daran vorübersegeln, verstanden? Dem ersten, der sein Maul nicht halten kann, lasse ich die Haut in Streifen vom Hintern ziehen. Noch Fragen?« »Nein«, erwiderten die beiden grimmig. »Dann nichts wie ab!« »Aye, aye, Sir«, sagte Smoky. Die Nachricht wurde wie im Flug weitergegeben. Stille trat ein. Nur das Knarren der Rahen und Blöcke und das unterschwellige, dumpfe Tönen tief in den Verspannungen des Schiffsrumpfes waren zu vernehmen, als sie die Stadt an der Mündung des Blackwater passierten. Ben Brighton hatte neben dem Rudergänger Aufstellung genommen - es war Pete Ballie, ein kleiner und stämmiger Mann mit Fäusten so groß wie Ankerklüsen. Seine grauen Augen hielt er strikt nach vorn gerichtet, das blonde Haar flatterte in dem immer noch von Süden wehenden Wind. Brighton ließ hin und wieder einen geraunten Hinweis fallen. Und Ballie steuerte die ›Isabella‹ durch die Nacht, daß sie wie Samt und Seide lief. Er hatte ein urwüchsiges Gespür für Wind und Welle und steuerte die Galeone, als sei sie ein rohes Ei. Hasard hatte den Kieker zur Hand genommen. Une ntwegt blickte er nach Youghal hinüber. Unter dem drüben verstreuten Licht einiger Laternen und der Helligkeit, die noch aus vielen Fenstern der Häuser ins Freie drang, konnte er die Kaimauer und die daran vertäuten Schiffe sowie die auf der Reede
ankernden kleineren Kähne erkennen. Die spanische Kriegsgaleone, die ihm von Kapitän Thomas eingehend beschrieben worden war, befand sich nicht darunter. Insofern verlor der Hafen von Youghal sogleich wieder an Bedeutung für den Seewolf. Er beobachtete, bis die Lichter der Stadt Backbord achteraus lagen. Dann setzte er den Kieker ab, richtete die Nase nach vorn, lächelte grimmig und entblößte dabei seine blitzenden Zahnreihen. Das Abenteuer lag fast zum Greifen nahe vor ihnen. Und schon jetzt stand es unumstößlich fest, daß er den tollkühnsten, halsbrecherischsten Part darin übernehmen würde - wie immer. Selbst mit dem Fernrohr vermochte Hasard nicht zu erkennen, was jenseits des Bugspriets der ›Isabella‹ in zwei bis zweieinhalb Meilen Entfernung lag. Die Nacht war finster, der Mond nur eine schmale Sichel. Hasard konnte diese Tatsache jedoch nur als Vorteil werten. Die Dunkelheit war ihr engster Verbündeter in diesem Einsatz. Und was den sich vor ihnen erstreckenden Streifen Land und die Mündung des Blackwater betraf, so bedurfte es nur ein bißchen Phantasie und Vorstellungskraft, um sich deren Anordnung ausmalen zu können. Hasard kannte dieses Gebiet so gut, daß er sich blind orientieren konnte. Dabei mußte er sich eingestehen, daß er dies seinem Alten, dem Rauhbein und Draufgänger John Killigrew, zu verdanken hatte. Wäre er nicht durch dessen harte Schule gegangen, dann hätte er heute vielleicht nicht einmal geahnt, daß es eine Youghalbai und einen Fluß namens Blackwater auf dem Erdball gab. Er wandte sich um und schritt zu Ben Brighton und Pete Ballie hinüber. Vorsichtig bewegte der Rudergänger den Kolderstock, mal etwas nach Backbord, mal einen Deut nach Steuerbord. »Zwei Strich Steuerbord jetzt«, wies Hasard ihn an. »Wir
rauschen dann schnurgerade auf die Mündung zu.« »Aye, aye.« Brighton schaute zum wiederholten Male zum gewölbten Großsegel und Großmarssegel empor, die sich undeutlich gegen den Nachthimmel abhoben und wie geisterhafte Schemenwesen anmuteten. »Wir haben immer noch Südwind. Und das auflaufende Wasser hilft uns auch.« Der Seewolf grinste ihn an. Er war zuversichtlich - Optimist wie immer, wenn es galt, dem Gegner ein Schnippchen zu schlagen. Tatsächlich war es ein unschätzbarer Vorteil, mit halbem Wind und Flut in die Flußmündung zu segeln. Andernfalls wäre es gewiß mit Schwierigkeiten verbunden gewesen, gegen die Strömung zu bolzen. Bei Flaute hätten sie ganz aufstecken können. »Hoffen wir, daß kein Posten der Dons am Ufer auf uns wartet«, sagte Hasard. »Oder ein närrischer, verirrter irischer Dickschädel, der uns durch Zufall vorüberschippern sieht«, entgegnete Ben Brighton. »Wenn’s ein besoffener Dickschädel ist, wird er an ein Trugbild glauben.« »Und wenn’s ein nüchterner ist?« »Haben wir innerhalb der nächsten Stunde mindestens ein halbes Dutzend irischer Rebellenkähne von der einen und die spanische Kriegsgaleone von der anderen Seite auf dem Pelz.« Hasard stand mit dem Rücken gegen das Backbordschanzkleid gelehnt und hatte die Hände aufgestützt. »Also, Männer: Betet, daß sämtliche irischen Quadratschädel bei ihren Frauenzimmern in den Betten liegen oder sich in ihren Schenken volllaufen lassen - und daß die Dons nicht genügend Grips in den Köpfen haben, um auf die hervorragende Idee gekommen zu sein, Wachen an der Mündung aufzustellen.« »Bete«, sagte Brighton zu Pete Ballie. Der lachte - verhalten, weil er sich an die Order hielt und
keine Lust hatte, sich die Haut streifenweise abziehen zu lassen. Der Seewolf begab sich an die Schmuckbalustrade an der Querseite des Achterkastells. Schräg über seine m Kopf war Tuscheln zu vernehmen, eigentlich nur ein Schnattern, dessen Urheber unverkennbar Donegal Daniel O’Flynn war. Selbst geraunt klang sein unausgereiftes Sprechorgan noch grell und reichlich schräg. Ein massiver Schatten turnte die Webeleinen der Luvhauptwanten herab, glitt auf die Kuhl hinunter und eilte mit leisen patschenden Fußsohlen herüber. Batuti. Er erblickte Hasard und blieb vor den Querplanken des Achterkastells stehen. »Flußmündung in Sicht«, versetzte er so leise wie möglich. »Wo?« »Gerade voraus.« »Wie kann das Bürschchen so sicher sein? Ich sehe nichts.« Batuti, der einen Narren an Dan gefressen hatte und ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit verteidigte, warf sich in die Brust. »Dan gute Augen«, versicherte er leise. »Beste Augen an Bord. Augen wie Nachteule.« Er legte die Hände an die Ohren und streckte die Zeigefinger empor, um seinem Kapitän bildhaft zu zeigen, was eine Nachteule war - für den Fall, daß dieser noch keine gesehen hatte. Hasard grinste breit, wurde aber sofort wieder ernst. »Sag der Nachteule, sie soll weiter die Klüsen aufsperren und im übrigen leiser flüstern, wenn es was zu melden gibt.« »Leiser - flüstern?« »Richtig. Sonst rupfe ich ihr ein paar Federn aus dem Achtersteven.« »Oh«, flüsterte Batuti und hetzte davon. In der Tat, sie hatten die Mündung des Blackwater exakt angesteuert. Hasard und die anderen Männer an Bord der Galeone sichteten bald zu beiden Seiten der Bordwände graue,
fleckenartige Gebilde, die sich in einiger Entfernung ausdehnten. Es waren die Ufer des Blackwater. Wenigstens soviel Licht spendete die dürre Mondsichel, daß man wußte, wo das balkenlose Element aufhörte und fester Boden begann, ohne jedoch Einzelheiten sehen zu können. Befand sich drüben an der West- oder Ostseite des Gewässers ein Beobachter, so war es sicher, daß sie ihn nicht bemerken würden, wohl aber er die Schiffsbewegungenzum Binnenland hin! Hasard gab sich nicht mehr mit solchen oder ähnlichen Gedanken ab. Seine Überlegungen waren in eine andere Richtung gezielt. Nachdenklich stand er an der Balustrade. Vor seinem geistigen Auge breitete sich das Bild einer Landkarte aus - einer Karte, wie sie in der Achterkammer der ›Santa Cruz‹ angepinnt war. Auch an Bord der ›Isabella von Kastillien‹ befand sich eine ähnliche Karte. Aber er brauchte nicht in seine Kammer zu gehen und sie aufzurollen, um sich Gewißheit über ihre jetzige Position zu verschaffen. Der Verlauf des Blackwater von der Mündung landeinwärts sah folgendermaßen aus: Von Youghal aus führte er zunächst rund anderthalb Meilen schnurgerade in nördliche Richtung. Dann schlug er einen Bogen nach Osten, und zwar eine recht starke Krümmung. Hinter der Biegung konnte die spanische Kriegsgaleone vor Anker liegen. Vor der Biegung - ebenfalls auf der östlichen Seite - wich das Ufer ein beträchtliches Stück von seiner bisherigen Linie ab und beulte sich landeinwärts zu einer kleinen Bucht aus. Hasard wußte aus Erfahrung, daß sie tief genug war, um ein Schiff mit dem Tiefgang der ›Isabella‹ oder ›Marygold‹ aufzunehmen. Unter schwachem Rauschen und dem leisen Knarren der Takelage schob sich die ›Isabella‹ tiefer in den Fluß. Auf der Karte erschien die Mündung wie ein aufgerissenes Schlangenmaul - Hasards Galeone und die in ihrem Kielwasser
laufende Galeone des Francis Drake würden sich bis in den Rachen des Ungeheuers hineinschieben. Und dort würde sich entscheiden, ob sie nach kurzem, höllischen Aufruhr verschluckt und verdaut oder als ungenießbar und widerspenstig wieder ausgespuckt werden würden. Der Seewolf grinste bei dem Vergleich, der sich da anbot und noch weiter ausspinnen ließ. Keine Kommandos tönten über Deck. Was die neunundzwanzig Männer an Bord der ›Isabella‹ betraf, so herrschte absolutes Schweigen unter ihnen. Desgleichen auf der ›Marygold‹. Nur die gedrungenen Schiffsleiber und die Takelagen ließen fortwärend ihre eigentümliche Sprache erklingen - ihre Musik. Dan O’Flynn erspähte die kleine Bucht selbstverständlich als erster und hielt es für angebracht, die Angelegenheit zu melden. Diesmal war seine Stimme nicht auf dem Achterdeck zu vernehmen. Batuti glitt einem Raubtier gleich aus den Wanten herab und erstattete Hasard wieder kurzen Bericht. »Nehmt alle Segel weg bis auf Fock und Besan«, sagte Hasard flüsternd. »Wir steuern in die Bucht und ankern dort. Gib das an alle weiter.« »Aye, aye!« Der Seewolf bestellte Ben Brighton zu sich. Er riskierte es, der ›Marygold‹ ein knappes Leuchtzeichen erteilen zu lassen. Es erschien ihm noch weniger waghalsig, als hinüberzurufen. Lag die spanische Galeone wirklich hinter der großen Krümmung, so konnten sie gehört werden - kaum aber gesehen. Hasard ließ etwas nach Steuerbord drehen. Peter Ballie legte Ruder. Mit abnehmender Geschwindigkeit glitt die ›Isabella‹ auf die Bucht zu. Das Ufer des Flusses schien drohend auf sie zuzurücken. Nur für höchstens dreißig Yards riß es auf und gab den Weg in die Bucht frei. Trotz Hasards guter Ortskenntnis war es ein Wagnis, hindurchzulavieren.
Sie konnten auf Untiefen stoßen. Hasard wandte den Kopf und sah diese Besorgnis auf Ben Brightons und Pete Bailies Gesichtern. Er lächelte ihnen zu, und sie grinsten etwas verkniffen zurück. Für knapp eine halbe Minute herrschte äußerste Spannung auf der ›Isabella von Kastillien‹ - dann waren sie hindurch durch die schmale Passage, und Pete Ballie atmete sichtlich erleichtert auf. Für die ›Marygold‹ war es einfacher, das Manöver zu bewältigen. Sie brauchte nur im Kielwasser der führenden Galeone zu folgen. Leise näherten sich die Schiffe dem Mittelpunkt der Bucht. Hasard ging in den Wind. Dann kletterten die Männer beider Galeonen auf die Rahen, um alle Segel aufzutuchen. Verhältnismäßig viel Zeit wurde auf das Ankermanöver verwandt. Ganz langsam rutschten die schweren Brocken dem Wasser entgegen, und das Auslaufen der Trossen klang bei weitem nicht so laut wie gewöhnlich. Hasard begab sich auf die Kuhl und gab Batuti einen Wink, Dan herunterzuholen. Gleich darauf erteilte er Smoky, Stenmark und einigen anderen den Befehl, das Beiboot zu Wasser zu lassen. Das Bürschchen erschien in den Backbordwanten, rutschte ein Stück herunter und ließ sich auf die Planken plumpsen. Sodann eilte es heran und baute sich vor Hasard auf. »Nimm den Kieker mit, Dan«, sagte der Seewolf. »Wir sehen jetzt mal nach, ob die Dons sich wirklich eingenistet haben, wo ich vermute.« »Wäre doch gelacht, wenn wir denen nicht ihren elenden Waschzuber unter den Beinen wegschießen würden!« »Soweit sind wir noch nicht!« Hasard bestimmte Batuti und Smoky als weitere Begleiter. Sie stiegen in das Boot mit dem Lateinersegel, das bereits mittschiffs an der Steuerbordseite der ›Isabella‹ auf den Wellen schaukelte, und nahmen Kurs auf die ›Marygold‹, die keine
dreißig Yards entfernt die Anker geworfen hatte. Um keine Zeit zu verlieren, warteten sie außenbords auf Captain ›Black‹ John Norris. Er enterte die Jakobsleiter hinunter, und es sah wirklich so aus, als habe er nie einen Steckschuß im Bein gehabt. Oben am Schanzkleid tauchte der mächtige Schädel von Carberry auf. Norris gesellte sich zu den vier Männern im Beiboot. »Wir gehen an Land, Sir«, sagte Hasard. »Sie kennen sich auch hier aus?« »Vorzüglich. Ich halte es für möglich, daß die spanische Galeone hinter der Flußbiegung geankert hat. Am nördlichen Rand dieser Bucht erhebt sich eine Art Hügel. Wir brauchen den nur zu erklimmen und haben den Blick auf alles frei, was sich hinter seinem Buckel tut.« Norris bedeutete durch eine Kopfbewegung, daß er einverstanden war. »Kundschaften Sie die Situation aus, Kapitän Killigrew. Sollten Sie sich getäuscht haben, ist das auch kein Beinbruch. Dann gehen wir wieder ankerauf und forschen weiter.« Kurze Zeit darauf steuerte das Boot auf das Nordufer der Bucht zu. Hasard hockte im Heck. Smoky und Batuti kümmerten sich um das Segel und bedienten die Schot. Dan kauerte vorn und hielt Ausschau. Im flachen Uferwasser sprang er als erster über das Dollbord, watete durch das kühle Naß und platzierte den kleinen Anker. Anschließend suchte er das Trockene auf und wartete auf die anderen. Die gesamte Bucht war von einer Anhöhe umgeben. Der höchste Punkt befand sich jedoch auf der Kuppe des Hügels, den Hasard Captain Norris bezeichnet hatte. Der sanft ansteigende Hang erstreckte sich vor ihnen. Sie stiegen hinauf. Die Vegetation war nicht besonders üppig. Zunächst spürten sie nur dürres Schafgras unter den Füßen und pirschten hier und da an flachen Gebüschen vorüber. Auf der Kuppe allerdings breiteten mehrere große Laubbäume ihre
Äste aus. Durch die kahlen Wipfel strich der Wind, ohne nennenswerten Widerstand zu finden. Es herrschten Feuchtigkeit und Kälte, typische Merkmale des irischen Klimas im frühen Winter. Hinter einem Baumstamm bezogen sie Posten. Smoky blieb etwas zurück, damit er hin und wieder einen Blick auf das Beiboot werfen konnte. Batuti befand sich neben Dan und schoß ihm einen warnenden Blick zu, als der unwillkürlich einen kleinen Pfiff ausstieß. Sie hatten einen umfassenden Blick über den weiterführenden Verlauf des Blackwater. Schwach glitzernd zeichnete sich der Wasserspiegel ab. Zunächst schlug er fast östliche Richtung ein, knickte dann aber wieder nach Norden ab. Und hinter der Krümmung, genauso wie Hasard angenommen hatte, lag ihr Ziel. Die spanische Kriegsgaleone! Deutlich hoben sich die Umrisse von der Umgebung ab - die Dons hatten Bordlaternen angezündet. Hinter dem Schanzkleid sahen sie deutlich die Gestalten von Wachtposten. Das Schiff hatte seinen Ankerplatz fast unmittelbar unter den vier Männern. Hasard schätzte, daß höchstens eine halbe Meile Luftlinie die drei Galeonen voneinander trennte. »Mann«, sagte Batuti leise und voller Bewunderung. »Jetzt hier oben eine Batterie Geschütze stehen haben«, wünschte sich Dan. Hasard nahm ihm den Kieker ab und verschaffte sich ein genaues Bild von der Stärke der Bordwache. Es handelte sich um sechs Mann - zwei auf dem Achterdeck, zwei auf der Kuhl und zwei auf der Back. Hasard ließ den Blick weiterschweifen und sah, daß drüben, jenseits der Kriegsgaleone am gegenüberliegenden Ufer des Blackwater, ein dichter Waldgürtel fast bis an das Ufer reichte. Die Optik zeigte ihm weiterhin, wie sehr die Spanier auf der Hut vor etwaigen Angriffen waren. Die Stückpforten auf der Steuerbordseite gähnten ihn an. Die anderen, die er nicht sehen
konnte, standen bestimmt auch offen. Weiter war er sicher, daß die Dons in dieser Nacht neben ihren Kanonen schliefen. Was passierte also unweigerlich, sobald sich ein feindliches Schiff um die Biegung schob und von den Wachtposten gesichtet wurde? »Es wäre Selbstmord«, sagte Hasard nachdenklich. »Die ›Isabella‹ brauchte nur den Vordersteven zu präsentieren und würde als Antwort darauf sofort eine volle Breitseite vor den Bug geknallt kriegen.« »Himmel, Arsch und Zwirn«, fluchte das Bürschchen wie einer, der der Seefahrt und der Lissy bereits mehr als dreißig Jahre seines Lebens und ein Bein geopfert hatte - wie sein alter Herr Donegal Daniel O’Flynn. Der Seewolf zog sich mit seinen Männern auf den Hang zurück, den sie zuvor beschritten hatten. Neben einem dornigen Busch ließ er sich nieder. Einen nach dem anderen schaute er die drei an. »Also. Wie denkt ihr darüber? Hat einer was vorzuschlagen?« »Mit den Schiffen kommen wir nicht ran an die verdammten Dons«, stellte Smoky noch einmal nachdrücklich fest. »Dann schaffen wir eben die Kanonen auf den Hügel.« Hasard winkte ab. »Das dauert zu lange. Außerdem haben wir zu wenig Geschütze. Der Spanier hustet uns mit einer einzigen Breitseite von dem Hügel weg.« »Da gibt es nur eine Möglichkeit«, meldete sich Dan zu Wort. »Na, Smoky, geht dir jetzt ein Licht auf?« »Mir schon.« »Ich auch wissen«, sagte Batuti und grinste von einem Ohr zum anderen. »Entern!« Hasard musterte sie mit einem gespielten Tadel im Blick. »Daß ihr es nicht lassen könnt! Was versprecht ihr euch denn davon? Wollt ihr euch etwa den jenseitigen Hang hinabpirschen, in den Fluß steigen und an die Galeone heranschwimmen?« Er legte es ihnen in die Münder, und doch
schauten sie ihn zweifelnd an. Hasard grinste verwegen. »Es ist euch doch wohl klar, daß die Bordwache uns zu sehen kriegt, oder? So lange kann keiner tauchen. Irgendwann müssen wir die Köpfe aus dem Wasser stecken. Und dann - peng - jagen sie uns pro Kopf eine Musketenladung um die Ohren.« Batuti ließ einen unwilligen Laut vernehmen. Er vollführte eine Geste, als habe er einen kampfbereiten Spanier vor sich und würde ihm die Gurgel umdrehen. »Verdammich«, sagte er. »Nicht warten - kämpfen!« Das hatte er Stenmark abgelauscht, der beim Kampf gegen die irischen Rebellen Isaac Henry Burton mit ähnlichen Hinweisen angeschrien hatte. »Man muß die Dons irgendwie ablenken«, versetzte Smoky. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er angestrengt nachdachte. Dan sprang auf. »Ja! Ablenken und dann drauf auf sie! Arwenack!« Hasard bremste ihn. »Sei still. Du lockst sie uns noch auf den Hals. Los, wir segeln zurück zur ›Isabella‹ und ›Marygold‹ und halten Kriegsrat mit Norris und Carberry.« Etwas später - sie hatten das Boot flottgemacht und glitten auf ihre Galeonen zu - wandte sich Smoky an den Seewolf. »Wir haben etwas vorgeschlagen. Jetzt bist du dran. Sag doch deine Meinung!« Hasard blickte ihn seltsam, halb strafend, halb verschmitzt, an. »Ihr sagt also allen Ernstes, wir sollen entern?« »Was denn sonst?« »Wenn ihr mich so bedrängt, kann ich gar nicht anders.« Der Seewolf grinste jetzt unverblümt. Tausend Teufel tanzten in seinen eisblauen Augen. »Ich muß einfach ja sagen.« »Aye, aye, Sir!« rief Dan heiser. Im nächsten Moment hielt er sich den Mund zu. Hasards Gesicht hatte wieder jenen drohenden Ausdruck angenommen, und das Bürschchen mußte um sein Sitzflächenleder bangen.
6. Die Beratung fand an Bord der ›Isabella von Kastillien‹ statt. In der Achterkammer hatten sich Captain Norris, der Profos Carberry, Ben Brighton und Ferris Tucker mit dem Seewolf getroffen. Dieses Mal trat kein Störenfried vom Schlag eines Thomas Doughty auf. Diesmal ging das Gespräch flüssig und ohne lange Umschweife vonstatten. Philip Hasard Killigrew berichtete, was sie von der Kuppe des Hügels aus erspäht hatten. Niemand unterbrach ihn. Die Augen der Männer hatten sich auf seine Lippen konzentriert. Carberry schob den narbigen Schädel vor und duckte ihn dabei etwas, so daß er wie ein kampfbereiter Stier wirkte. Er war er, der am Schluß von Hasards Schilderung ganz spontan hervorstieß: »Teufel auch! Wir müssen den Satansbraten von einem Don um jeden Preis entern, Leute!« »Ganz meine Ansicht«, gab Ferris Tucker, der Schiffszimmermann der ›Isabella‹, zu verstehen. »Auf was warten wir noch?« Ben Brighton setzte die Faust hart auf den Tisch, um den sie sich gruppiert hatten. »Auf sie mit Gebrüll! Die Kerle werden so überrascht sein, daß sie gar nicht an Gegenwehr denken.« Hasard musterte seinen Bootsmann und Ersten Offizier und erfaßte haarscharf, was in dessen Kopf vorging. Brighton wurde von der Sorge um Drake, den alten Francis, wie sie ihn nannten, getrieben. Und nicht anders ging es Carberry und Tucker. Natürlich war auch ›Black‹ John Norris in ähnliche Erwägungen verstrickt - aber er benahm sich in diesem Moment bedächtiger und ließ keinen Umstand außer acht. Hasard sah, daß sie wieder in der gleichen Richtung überlegten. Norris zeichnete mit dem Finger eine imaginäre Linie auf den Tisch. Zweimal beschrieb sie einen Bogen. »Das ist der Blackwater«, sagte er, »und hier«, er deutete den
Punkt an, »liegt die Kriegsgaleone vor Anker. Sechs Bordwachen halten die Augen offen. Alles erweckt den Anschein, als könne das Schiff binnen Sekunden gefechtsklar gemacht werden. Kapitän Killigrew hat es nicht ausgesprochen, aber ich bin sicher, daß er so denkt wie ich. Es wäre heller Wahnsinn, den Don mit unseren beiden Schiffen anzugreifen. Die Bordwachen würden uns auf jeden Fall sichten, selbst wenn wir wieder ohne Lichter fahren würden. Die Distanz zwischen der Kriegsgaleone und der Biegung ist zu knapp.« »Dann starten wir doch ein Ablenkungsmanöver!« rief Carberry aus. »Endlich denkst du mit dem Kopf«, sagte Hasard lächelnd. Ben Brighton nickte aufgeregt. »Wir können ein Beiboot aussetzen, und das pullt oder segelt an der linken Uferseite entlang - also im Westen. Es folgt der äußersten Krümmung des Blackwater. Wenn die Dons es sichten, stürzen sie alle sofort an die Backbordseite und glotzen hinüber.« »Und in diesem Moment entern wir von der Steuerbordseite aus«, sagte Ferris Tucker. Seine Augen erhielten jetzt einen wilden Glanz. Der Profos der ›Marygold‹ lachte rauh und rieb sich die Hände. »Wir machen das natürlich ohne Schiffe, was, wie? Die bleiben hier in der Bucht schön brav vor Anker liegen. Wir brauchen ja nur den Hügel ‘raufzukriechen und an der anderen Seite wieder runter. Dann ins Wasser, schwimmen wie die Dorsche, Enterhaken schmeißen, hochklettern und - Arwenack! Was, wie?« Hasard grinste breit. Was das Bürschchen Dan O’Flynn in jener ereignisreichen Nacht vor der »Bloody Mary« in Plymouth immer wieder herausgebrüllt hatte, war zum Schlachtruf der gesamten Mannschaft geworden. Arwenack nach dem Stammsitz der Killigrews, oberhalb von Falmouth, über der sturmumtosten Küste Cornwalls. Carberry gebrauchte
den Ausdruck, ohne sich dessen überhaupt noch richtig bewußt zu werden. »Fassen wir zusammen.« Norris erhob sich und rollte die Karte aus, die Hasard ihm kurz vor dem Eintreffen der anderen ausgehändigt hatte. Sie stammte aus dem Kartenständer in der Achterkammer der ›Isabella von Kastillien‹ und zeigte den Verlauf des unteren Blackwater in allen Einzelheiten und im übrigen einen Großteil der irischen Südostküste. Sogar die kleine Bucht, die sie als Refugium benutzten, war eingezeichnet. Captain Norris deutete mit der Kuppe des Zeigefingers darauf. »Also: Ein Beiboot, besetzt mit, sagen wir, einem halben Dutzend Männern, begibt sich auf den Fluß hinaus.« Er kennzeichnete die Richtung. »Zur selben Zeit macht sich auch das Enterkommando auf den Weg, landet am Ufer der Bucht, überquert die Anhöhe, schleicht auf das Wasser zu. Sobald sich das Beiboot im Sichtbereich der Dons befindet, schwimmen diese Männer los.« Er schaute zu Hasard hinüber und bemerkte, daß dieser sich zu Wort melden wollte. »Bitte, Kapitän Killigrew.« Hasard räusperte sich. »Captain Norris, ich glaube, wir sind uns einig, daß ich das Enterkommando führen werde.« »Ich würde gern dabeisein.« »Mit Ihrem Bein ist es nicht ratsam, in den Fluß zu steigen.« »Es wäre Leichtsinn«, fügte Ben Brighton hinzu. ›Black‹ Norris hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. »Ich bedaure das wirklich sehr, muß aber eingestehen, daß Sie recht haben.« Der Seewolf beugte sich vor. »Folgendes. Wir müssen bereits schwimmen, wenn das Beiboot noch gar nicht um die Biegung herum ist. Nur so können wir die Überraschung der Dons voll ausnutzen. Ich schlage vor, der Profos und sechs Männer übernehmen diesen Teil.« Carberry hatte plötzlich eine störrische Miene. »Ich will auch
entern, Hölle und Teufel. He, Hasard, du weißt ganz genau, daß ich nicht zur zweiten Garnitur gehöre.« »Davon ist auch gar nicht die Rede. Hör mir gut zu. Euer Anteil in diesem Unternehmen ist fast genauso riskant wie der unsrige. Ich bin nämlich der Ansicht, daß es keinen Zweck hat, das Boot einfach mir nichts dir nichts am Ufer entlangsegeln zu lassen. Das schafft nicht den nötigen Effekt.« »Also, wie machen wir’s?« wollte Carberry wissen. »Ed - streng dein Gehirn an. Was würdest du tun, um die Dons so richtig schön aus dem Häuschen zu bringen? Würdest du etwa mucksmäuschenstill durch die Gegend kreuzen?« »Nein. Teufel, nein.« »Sondern?« »Spektakel schlagen, was, wie?« »Richtig. Und zwar ganz gewaltig. Das wird die Spanier für einige Zeit so beschäftigen, daß wir - wenn alles andere glatt verläuft - einen Enterangriff vornehmen, wie er im Bilderbuch gemalt sein könnte.« Hasard schaute in die Runde und erfaßte jedes Gesicht mit einem Blick. »Der Profos und seine Männer werden ein wildes Theater inszenieren. Musketen und Pistolen sollen knallen, und ich schlage sogar vor, sie zünden ein Feuer auf dem Uferstreifen an.« »Einverstanden«, stieß Carberry hervor. »Das ist nach meinem Geschmack!« »Na bitte. Captain Norris, sind Sie einve rstanden?« Hasard schaute den drahtigen, dunkelhaarigen Mann erwartungsvoll an. »Natürlich. Zweifellos gibt es keine bessere Idee.« Er stieß wieder mit dem Zeigefinger auf die Karte und tippte auf die kleine Bucht. »Während die beiden Trupps sich in Bewegung setzen, werden wir bereits mit den Schiffen gefechtsklar und zum Auslaufen bereit liegen. Für den Fall, daß etwas nicht nach Plan verlauten sollte, springen wir ein.« »Gut.« Philip Hasard Killigrew stand auf. »Dann sollten wir
keine Zeit mehr verlieren. Jede Minute, die sich Kapitän Drake in den Händen der Spanier befindet, ist eine verflixte Minute.« Norris zog die Augenbrauen zusammen. »Und wenn wir uns getäuscht haben? Was ist, wenn er nicht an Bord der Kriegsgaleone eingesperrt ist?« Hasard warf den Kopf zurück und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Dann stecken wir die Schlappe ein und nehmen den Captain des Zubers und von mir aus ein paar andere Dons gefangen. Die benutzen wir dann als Faustpfand gegen die Besatzung der Karavelle. Falls alle Taue reißen, müssen sich die Dons eben entscheiden, ob sie ein paar Männer für die Genugtuung opfern würden, Drake in Händen zu haben.« »Ich befürchte, die würden sogar hundert ihrer Leute dafür abschlachten lassen«, sagte Norris. »Warum so schwarzmalerisch sein, Captain?« »Sie haben recht. Es hat keinen Sinn, düstere Vorausschau zu halten.« Hasard nahm die Karte an sich, rollte sie zusammen und trug sie zum Ständer zurück. Er schob sie ein und wandte sich um. »Lassen wir also die Fakten sprechen. Bestimmen wir nun die Männer, die die Trupps bilden sollen. Ed, du kehrst auf die ›Marygold‹ zurück und suchst dir deine sechs Leute aus.« »Aye, aye.« »Ich begleite Carberry«, versetzte Captain ›Black‹ John Norris. »Für die Zeit seiner Abwesenheit übernehme ich das volle Kommando über die ›Marygold‹.« Die beiden steuerten auf die Tür zu und traten ins Freie. Hasard folgte ihnen. In seinem Kielwasser schritten Ben Brighton und Ferris Tucker. Sie traten an das Schanzkleid an der Backbordseite des Schiffes und blickten dem Profos und Norris nach, die die Jakobsleiter hinabhangelten und in das Boot jumpten, mit dem sie hergepullt waren. Hasard drehte sich um. Brighton und Tucker beobachteten ihn und waren ganz Ohr.
»Ben«, sagte Hasard. »Du bleibst an Bord und sorgst dafür, daß der Rest der Mannschaft den Kasten einsatzbereit hält. Die Soldaten sollen mit schußfertigen Musketen in Stellung gehen.« »Aye, aye.« »Im übrigen hörst du auf das Kommando von Captain Norris.« »Aye, aye.« Der Seewolf schaute zu Ferris Tucker, dem rothaarigen Riesen, hinüber. »Ferris! Du gehörst zur Entergruppe. Außerdem: Batuti, Stenmark, Pete Ballie, Matt Davies und Gary Andrews. Setz dich in Bewegung und trommle sie zusammen. Daß euch bloß nicht einfällt, Lärm zu veranstalten!« »Aye, aye.« Tucker vollführte eine Kehrtwendung und eilte in Richtung Vorderdeck davon. Während Hasard weitere Anweisungen an Ben Brighton gab, ließ sich Bewegung auf der Back erkennen. Tuscheln drang an Hasards Ohren, dann das Scharren und dumpfe Trittgeräusch mehrerer Füße. Batut i, Stenmark, Matt Davies und Gary Andrews zeigten sich. Der Zimmermann hastete weiter zum Achterkastell, um auch Pete Ballie zu holen. Anschließend suchte Hasard mit den sechs Ausgewählten Al Conroy auf. Der stämmige Schwarzhaarige lächelte seinen Kapitän an und hob die Hand. »Nichts sagen. Weiß schon Bescheid. Enterhaken, Entermesser und Dolche, stimmt’s?« »Genau, Al.« »Aye, aye.« Conroy, der Geschützführer und Waffenmann, suchte ihnen die für ihre Zwecke am besten geeigneten Waffen aus. Da wechselten Kurzsäbel und zweischneidige Dolche von Hand zu Hand, wurden probeweise durch die Luft gezogen. Andere wieder hatten es nötig, geschliffen zu werden. Auch die Haken,
die die Entermannschaft benötigte, stammten aus der Waffenkammer des Schiffes: Stücke mit scharf und spitz gekrümmten ankerförmigen Eisenteilen waren das, die an langen Tampen befestigt waren. Auf Piken, Hellebarden und langklingige Entermesser, die beim Schwimmen hinderlich sein konnten, verzichteten die Männer. Hasard hatte sich einen blitzenden, gedrungenen Kurzsäbel ausgesucht. Sonst nichts. Er schaute zu, wie seine sechs Männer ihre Ausrüstung prüften und vervollständigten und gab Ratschläge. Zum Schluß grinste er und sagte: »So, und jetzt eine Frage an Batuti: Was ist besser, Waffenöl oder Öl aus der Kombüse?« Batuti guckte verblüfft. »Zu was?« »Zum Einreiben.« »Öl aus Kombüse.« »Dann nichts wie auf in die Kombüse zum Kutscher.« Sie folgten ihm einigermaßen verdattert. Als sie dann allesamt beim Vorkastell versammelt waren und der Kutscher fragend von einem winzigen Holzkohlenfeuer aufblickte, das er angefacht hatte, sagte Hasard: »Also dann - runter mit den Klamotten!« »Was?« stieß Pete Ballie unwillkürlich hervor. »Wie?« »Pete«, versetzte der Seewolf beinahe mitleidig, »äffst du jetzt schon Carberry nach? Hast du keine eigenen Sprüche auf Lager?« »Doch.« »Also?« »Wir sollen uns ausziehen?« »Ja.« »Heiliger Strohsack - ich meine, ganz?« »Bis auf die Haut. Die könnt ihr anbehalten.« Ferris Tucker räusperte sich. »Darf man fragen, warum?« Hasard gr inste immer noch. »Man darf. Wir entblättern uns und reiben uns von oben bis unten mit gutem spanischen
Olivenöl ein, das die Dons uns liebenswürdigerweise auf der ›Isabella‹ zurückgelassen haben.« »O verdammt«, ächzte Stenmark. »Himmel - Arsch«, erklärte Gary Andrews entgeistert. Nur Batuti feixte und kam der Aufforderung nach. Zu gewissen Dingen hatte er eben eine urwüchsigere Beziehung als seine weißen Kameraden. »Na, wird’s bald?« Der Seewolf knöpfte sein Hemd auf, streifte es ab und schleuderte es in eine Ecke. »Wollt ihr euch eine Befehlsverweigerung leisten? Ziert euch nicht so. Es ist stockfinster. Euch sieht keiner.« Der Kutscher lachte aus vollem Hals und handelte sich fünf strafende Blicke ein. Dann gehorchten auch Ferris Tucker. Stenmark, Pete Ba llie, Matt Davies und Gary Andrews. Als sie im Adamskostüm dastanden, hatte der Kutscher bereits eine Korbflasche mit Olivenöl aus dem Vorratsschapp geholt und entkorkte sie. Er füllte das gluckernde, schwer fließende Zeug in kleine Gefäße ab - je eine Muck pro Mann, die sie sich über den Leibern leeren sollten. »Daß mir kein Tropfen auf den Boden kommt«, sagte er vorsorglich. »Das Öl ist verdammt schwer wieder wegzukriegen, und wer drauf tritt, veranstaltet eine Segelpartie quer durch die Kombüse. Wenn einer ins Feuer fällt, reißt mir der Kapitän den Kopf ab.« »So ist es.« Hasard hatte sich dick mit Öl eingerieben. Jetzt überwachte er, daß die sechs es ihm gleichtaten. »Das Zeug wärmt«, erklärte er ihnen. »Wolltet ihr etwa mit eurer Kleidung schwimmen und anschließend an Lungenentzündung krepieren? Das Wasser ist kalt um diese Jahreszeit. Man braucht zwar kein Eis aufzuschlagen, um hineinzugelangen, aber trotzdem ist die Temperatur nicht zu unterschätzen. Und noch was: Wer ölig ist, schwimmt besser. Wie ein Fisch.« »Na dann«, meinte Ferris Tucker. »Gelobt sei, was hart macht«, sagte Gary Andrews.
»Was glatt macht«, verbesserte Stenmark. Er war fertig, schritt probeweise durch die Kombüse - und rutschte tatsächlich aus. Er schlug hart auf und rieb sich fluchend das Gesäß. Die anderen konnten sich das Lachen nicht verkneifen. »Ruhe«, sagte Hasard. »Sperrt jetzt gefälligst die Ohren auf: Was wir vorhaben, ist alles andere als ein Kirchgang. Falls uns die Dons zu früh bemerken, schießen oder stechen sie nicht nur uns nieder. Dann muß auch Kapitän Drake die Konsequenzen tragen.« »Die was?« erkundigte sich Matt Davies. »Die Folgen«, setzte Hasard ihm erläuternd auseinander. »Sie würden sich an dem alten Francis schadlos halten. Jetzt kapiert?« »Aye, aye.« »Es ist also unsere verdammte Pflicht, so vorsichtig wie möglich vorzugehen. Die Hauptsache ist, ins Achterkastell einzudringen. Ich nehme stark an, daß die Spanier Kapitän Drake dort eingelocht haben. Erst anschließend, wenn ihr mein Zeichen seht, wißt ihr, daß ihr drauflosschlagen könnt. Prägt euch eines ein: Erst muß Drake befreit werden, dann folgt der Rest.« »Aye, aye, Sir«, ertönte nahezu einstimmig die Entgegnung. »Dann nichts wie los, ihr Ölprinzen. Nehmt eure Waffen auf. Daß sich keiner einen Säbel, Dolch oder Enterhaken in den Leib jagt. Und paßt beim Absteigen ins Beiboot auf der Jakobsleiter auf. Wer jetzt noch ausgleitet, Stenmark, wird kielgeholt.« »Aye, aye«, gab der Schwede verdrossen zurück. Draußen, vor den Querbalken des Vorkastells, bemerkte Ferris Tucker noch: »Man ist doch schließlich nicht mehr grün hinter den Ohren.« »Nein, aber ölig«, erwiderte Matt Davies. Es hatte ein Witz sein sollen. Statt einer Lachsalve handelte er sich jedoch nur einen Boxhieb von Tucker ein.
Philip Hasard Killigrew kletterte als erster in das Beiboot hinunter und nahm auf der dem Bug am nächsten gelegenen Ducht Platz. Die anderen sechs hangelten ebenfalls nach unten - matt glänzende Gestalten unter dem fahlen, schwachen Licht des Mondes. Sie stiegen zu, ergriffen die Riemen und stellten sie zunächst auf. Batuti löste die Vertäuung. Dann versetzte er der düster neben ihnen aufsteigenden Bordwand der ›Isabella von Kastilien‹ einen Schubs, was zur Folge hatte, daß sich das Beiboot in Bewegung setzte und Abstand von der Galeone erhielt. Die Männer legten jetzt die Riemen in die Dollen und begannen zu pullen. Hasard winkte Ben Brighton zu. Brighton beugte sich oben über das Backbordschanzkleid. Er erwiderte die Geste. Der Seewolf wußte, daß er von nun an ständig in Alarmbereitschaft sein und kaum den Blick von dem nördlich gelegenen Hügel nehmen würde. Hasard schaute zur ›Marygold‹ hinüber. Was oben an Bord vorging, konnte man beim besten Willen nicht erkennen. Wohl zeichnete sich aber die schwarze Silhouette des Beibootes gegen den etwas helleren Wasserspiegel ab. Mit halbem Wind segelte das Boot auf die schmale Öffnung der BlackwaterBucht zu. An Bord wurde kein Wort gesprochen, genauso wie in Hasards Boot Schweigen herrschte. Drüben auf dem Achterkastell stand sicherlich ›Black‹ Norris und begleitete die beiden kleinen Mannschaften mit allen erdenklichen guten Wünschen. Und insgeheim malte er sich gewiß aus, wie es innerhalb der nächsten Stunde zugehen würde, wie sich die stille nächtliche Flußlandschaft in chaotisches Schlachtgelände verwandelte, wie vierzehn zu allem entschlossene Männer ihr nacktes Leben riskierten, um Drake herauszupauken. Bestimmt wägte er auch die Chancen ab, die sie hatten, um das Unternehmen zu bestehen. Der Seewolf plagte sich nicht mit solchen Überle gungen.
Nacktes Leben, dachte er und entblößte grinsend seine prächtigen weißen Zähne. Es stimmte im wahrsten Sinne des Wortes. Wie kriegerische Eingeborene würden sie durch den Fluß schwimmen, die Tampen mit den Enterhaken um die blanken Leiber geschlungen, die Messer und Dolche zwischen den Zähnen. Stenmark, der seinen Kapitän grinsen sah, gestattete sich eine geraunte Bemerkung. »Mann o Mann, wenn ich mir vorstelle, daß jetzt ein paar aufgetakelte Frauenzimmer auf den Decks der Galeonen stünden und uns nachlugten - Himmel, wäre das ein Fest!« »Umkommen vor Begeisterung würden sie«, erklärte Ferris Tucker. »Glaube ich kaum.« Matt Davies sagte das nicht zu Unrecht. Er war nämlich der einzige, der auch nach der allgemeinen Entblätterung noch einen Fremdkörper auf dem Leib trug. Die Ledermanschette mit dem spitzgeschliffenen Haken anstelle der fehlenden rechten Hand! In der Tat wäre es für eine Lady kein sonderlich ergötzender Anblick gewesen. Sie verstummten wieder und legten sich kräftig in die Riemen. Sehr rasch hatten sie die Bucht durchquert und befanden sich in flachem Uferwasser. Hasard nahm seinen Kurzsäbel zwischen die Zähne, schwang sich außenbords und half seinen Männern, das Boot an Land zu ziehen. Gerade so weit, daß es nicht freikommen konnte, schoben sie es auf den knirschenden Ufersand. Im Fall einer überstürzten Flucht brauchte kein Anker gelichtet zu werden. Es bedurfte dann nur eines kräftigen Stoßes, und das Boot schaukelte wieder auf den seichten Wellen des Blackwater. Sie stiegen den Hang hinauf, schweigend, entschlossen. Hassard musterte die Männer und sagte sich, welch unschätzbarer Vorteil es war, einen Trupp zur Seite zu haben, auf den man sich bedingungslos verlassen konnte. Nicht nur der Fockmastgast Gary Andrews, der fast selbstvernichtend für
seinen Kapitän einstand, sondern auch die anderen fünf wären für ihn durchs Feuer gegangen. Hasard schaute noch einmal zurück zu den Galeonen. Längst lagen sie gefechtsklar und bereit, sofort ankerauf zu gehen, wenn es nötig sein sollte. Das Beiboot der ›Marygold‹ hatte mittlerweile die Bucht verlassen und würde nun auf die andere Flußseite segeln, dort hochdrehen und vor dem Wind flußaufwärts gleiten. »Schneller«, drängte der Seewolf flüsternd. Sie huschten über die Kuppe des Hügels. Wie Schattenwesen glitten sie den Hang hinunter, der dem Fluß und der spanischen Kriegsgaleone zugewandt lag. Hasard hielt beim Laufen den Blick unablässig auf die beleuchtete Deckpartie und die Gestalten der Bordwachen gerichtet. Vier konnte er sehen. Er behielt sie scharf im Auge, um seine Männer rechtzeitig warnen zu können, falls einer der Posten auf die Bewegung am Hang aufmerksam wurde. Nichts dergleichen geschah. Sie rückten ohne Zwischenfälle dem Flußwasser näher. Ein flaches Ufergestrüpp schirmte den Uferrand gegen die Wasserfläche ab. Die Männer preßten sich dahinter flach auf den Untergrund und beobachteten durch Zwischenräume, die ihre Hände behutsam in das Strauchwerk schlugen. »Wenn die wüßten«, raunte Gary Andrews. »Wäre es so, könnten wir schon jetzt die Flagge streichen«, gab Hasard wispernd zurück. »Hört zu. Carberrys Boot ist noch nicht in Sicht. Trotzdem steigen wir langsam ins Wasser. Einer nach dem anderen.« »Nicht drängeln«, flüsterte Pete Ballie, und Batuti ließ einen dunklen, amüsierten Laut vernehmen. Ferris Tucker zeigte eine warnende Geste, und sie waren wieder still. Philip Hasard Killigrew durchquerte als erster den schmalen Strauchgürtel. Dornen kratzten auf seiner Haut. Er hatte den
Tampen, an dem sein Enterhaken befestigt war, um die Taille geschlungen, und zwar so, daß der Haken festsaß und ihn weder beim Kriechen noch beim Schwimmen behindern konnte. Der Kurzsäbel ruhte zwischen seinen weißen, kräftigen Zähnen. Er zog die Beine an, streckte sich wieder aus und lag quer vor dem Fluß. Sehr vorsichtig ließ er sich hineingleiten. Er versetzte sich laufend in die Situation der Wachtposten auf der Kriegsgaleone: Die sprachen kaum und sicherten wirklich sehr aufmerksam nach allen Seiten. Sicherlich hatte der Captain ihnen versprochen, sie allesamt an den Wanten festzuzurren und mit der Neunschwänzigen kitzeln zu lassen, falls auch nur einer von ihnen einpennte. Nun, bestimmt verfügten sie über wache Sinne und nahmen es wahr, wenn das normale Strömungsrauschen des Blackwater durch ein Glucksen, Schwappen oder Plätschern unterbrochen wurde. Dann würden Köpfe herumfliegen, Musketen angelegt werden. Eben deshalb glitt Hasard sanft wie ein Aal in das Naß. Er hielt sich an einem Grasbüschel der Böschung fest und bedeutete seinen Männern, gleichfalls zum gemeinsamen Bad heranzurobben. Batuti gesellte sich zu ihm, zwinkerte, grinste. Anschließend kam Gary Andrews. Es folgten Matt Davies, Pete Ballie, Stenmark und zuletzt Ferris Tucker. Schließlich paddelten sieben Gestalten im Fluß, von denen nur noch die messer- oder dolchbewehrten Köpfe über die Wasserlinie hinausragten. Kein Wort fiel. Hasard drehte sich allmählich um und schaute am Achtersteven der Kriegsgaleone vorbei. Undeutlich sah er drüben, am gegenüberliegenden Ufer, eine schwache Bewegung. Diese Beobachtung genügte jedoch für die Feststellung: Carberry war zur Stelle. Vielleicht wäre er noch ein beachtliches Stück am Ufer entlanggeschoben, bis er von den Spaniern gesichtet wurde.
Vielleicht hätten die Dons einem so kleinen, weder armierten noch sonstwie gefährlich aussehenden Kahn auch gar keine Beachtung geschenkt - wenn nicht Carberry den Befehl erteilt hätte, mit dem Zauber zu beginnen. Zu dem Vorhaben, das seinen Teil des Plans darstellte, hatte er einen stattlichen Schwung Musketen und Pistolen, Munition, Fackeln und anderes Zubehör an Bord genommen. Sogar ein kleines Faß Pulver befand sich unter den Duchten, wie der Profos Hasard zuvor grinsend versichert hatte. Pulver, Verdämmungspfropfen und Bleigeschosse waren in die Läufe befördert und festgestopft worden. In diesem Augenblick waren die Hämmer der Rad- und Steinschloßmechanismen gespannt, um innerhalb der nächsten Sekunden ausgelöst zu werden und Zündfunken zu schlagen.
Zwei oder drei Feuerblitze waren auf der gegenüberliegenden Uferseite wahrzunehmen. Weiße Wölkchen stoben hoch und waren sofort in der Nacht verschwunden. Jetzt drang das mehrfache Knallen der Waffen an die Ohren der im Wasser wartenden Männer. Musketen und Pistolen wurden abwechselnd betätigt. Von einem Moment auf den anderen war ein Heidenlärm ausgebrochen. Am jenseitigen Ufer schien eine Auseinandersetzung Auge um Auge, Zahn um Zahn zu sein. Carberry und seine sechs Männer brüllten wild durcheinander. Sie mimten rasende Angreifer, jammernde Verwundete und Sterbende zugleich und veranstalteten alles in allem einen Heidenspektakel. Schließlich wurden sogar Brandpfeile abgeschossen. In langen, bogenförmigen Bahnen strichen sie auf die Böschung zu und gingen dort nieder.
Hasard und seine Männer schwammen jetzt. Sie sahen, wie die Wachtposten an Deck der Galeone aufschreckten, sich anstarrten und dann wie aufgescheuchte Hühner auf die Backbordseite hinüberrannten. Rufe wurden laut, Türen und Schotts klapperten. Der Lärm hatte andere Besatzungsmitglieder aufgeweckt, die nun ebenfalls an Deck stürzten. Die Männer im Wasser grinsten. Batuti lachte sogar guttural, jetzt konnte er sich’s erlauben, weil die Dons total abgelenkt waren. Hasard ordnete aber trotzdem noch einmal an, um Himmel willen still zu sein. Sie hätten ein gutes Stück waten können, wäre der Fluß an dieser Stelle so beschaffen gewesen wie in der Bucht. Hinter der Uferböschung aber war der Boden sofort ziemlich steil abgefallen. Im Wasser hatten sie sogleich lediglich noch ein paar Handbreit Grund unter den Fußsohlen gespürt. Dann war auch der abgerissen. Sie schwammen, jeder auf seine Art. Hasard bewegte sich ähnlich einem Hund fort. Höchstens mit dem einen Unterschied: Er gebrauchte einen wechselnden Armschlag. Die Beine bewegte er dabei gestreckt auf und ab. Dies war eine Fortbewegungsart zu Wasser, wie er sie schon seit seinem fünften Lebensjahr anwandte, als der Alte ihn einfach ins balkenlose Element geworfen hatte. Damals hatte Sir John sich über das verzweifelte Strampeln des »Bastards« totlachen wollen. Später, als Hasard sechs war, hatte er ihn vorn bei der Galion festgebunden und sich zehn Stunden lang prächtig amüsiert, als Hasard sich die Seele und vielleicht noch einiges mehr aus dem Leib gespuckt hatte. Kalte Wut auf Sir John, das salzgewässerte Rauhbein, hatte er verspürt. Kaum losgebunden, hatte er ihm zum Dank kräftig ins Handgelenk gebissen. Fünfzig Yards waren es schätzungsweise vom Ufer bis zu der
spanischen Galeone. Die Männer bewältigten sie in wahrer Rekordzeit. Jeden Augenblick waren sie bereit, die Köpfe unter Wasser zu ziehen und längere Tauchstrecken zurückzulegen aber die Spanier erschienen nicht über dem Schanzkleid an der Steuerbordseite. Sie waren viel zu beschäftigt mit dem Betrachten des Feuerwerks drüben am anderen Ufer des Blackwater. Spanische Wortfetzen schollen herüber. Hasard, der ein wenig der Sprache durch Ben Brighton gelernt hatte, entnahm dem Kauderwelsch, daß die Dons recht ratlos über das Geschehen waren. Carberry ließ nun tatsächlich das Pulverfäßchen zünden. Wahrscheinlich hatte er das Boot irgendwo vertäuen lassen sehen konnten Hasard und seine Männer es nicht mehr. Sie nahmen aber den mächtigen Knall und die feurige Lohe wahr, die da entfesselt wurde. Eine Stichflamme, beachtlich groß, schoß hinter der Takelage der Galeone empor. Ein paar Spanier schrien wütend auf, andere fluchten. Carberry ließ seine Kerle wie die Teufel tanzen. Irgendwo hatte etwas Feuer gefangen, brannte, verbreitete Licht - vielleicht ein Baum. Hasard vermutete, der Profos würde noch einen halben Waldbrand vom Stapel lassen. Wie dunkle, glänzende Seehunde strichen die sieben Männer an die Galeone heran. Hasard war als erster unter der Bordwand. Er trat Wasser, blickte nach oben und bereitete im selben Moment schon seinen Enterhaken vor. Den Tampen löste er von seinem Leib - ohne bei alledem jedoch auch nur eine Sekunde den scharfgeschliffenen Kurzsäbel aus dem Gebiß freizugeben. Ein hölzerner Wulst umschloß wie ein Gurt das Achterkastell der Galeone und setzte sich unterhalb des Schanzkleides bis zur Kuhl fort. Das war der Punkt! Der Seewolf zögerte nicht lange. Er hob den Enterhaken aus dem Wasser empor und ließ den Tampen über seinem Kopf schwingen, daß ein häßliches,
surrendes Geräusch entstand. Es war kein leichtes Stück, vom Wasser aus einen Enterhaken zu werfen. Hasard gelang es erst beim zweiten Mal. Sein Gesicht war verkniffen, als die spitzen Eisenteile sich hinter den hölzernen Wulst krallten. Er prüfte den Sitz, indem er kräftig an dem Tampen zerrte. Kostbare Sekunden waren verlorengegangen - aber eine Jakobsleiter, die zufällig bis auf die Wasserfläche herabbaumelte, stand nun einmal nicht zur Verfügung. Hasard hangelte wie ein Affe am Tau hoch. Sodann kroch er auf den hölzernen Sims, kauerte sich unters Schanzkleid und riskierte einen Blick. Drüben, auf der Backbordseite, standen zehn bis zwölf Spanier und lehnten sich über. Sie starrten und starrten, gestikulierten und diskutierten erregt, wie man sich verhalten solle - ignorieren oder eingreifen? Der Seewolf drehte den Kopf nach hinten, beugte sich ein Stück nach unten und gab den anderen durch eine Geste zu verstehen, die Luft sei rein. Gary Andrews kletterte als nächster herauf. Gleich darauf löste er seinen Enterhaken, befestigte ihn auf dem Holzwulst und ließ den Tampen nach unten baumeln. Batuti und Matt Davies arbeiteten sich zu ihnen hoch. Auch Batuti brachte sein Enterwerkzeug zum Einsatz, so daß Ferris Tucker und Pete Ballie zum Schluß gleichzeitig hochhangeln konnten. Hasard schob sein Bein über das Schanzkleid. Er verlagerte das Gleichgewicht, zog das andere Bein nach und stand auf dem Deck des gegnerischen Schiffes. Carberry und seine sechs Männer zogen immer noch alle erdenklichen Register und trieben das Feuerwerk immer neuen Höhepunkten entgegen. Ihrem Gebrüll nach zu urteilen, mußten sie für die Dons nicht knapp ein halbes Dutzend, sondern hundert oder noch mehr Kerle sein. Gary Andrews war Hasards Beispiel gefolgt. Er befand sich
hinter ihm. Als nächster erschien Batuti auf den Planken. Sie schlichen geduckt zum Achterkastell. Dorthin, wo sich aller Wahrscheinlickeit nach nicht nur Drakes Gefangenenzelle, sondern ganz sicher die Kammer des spanischen Kapitäns befand. Hasard wollte nach dem altbewährten Prinzip vorgehen - hat man den Kapitän, dann hat man auch das Schiff. Sie fanden hinter der Tür Unterschlupf, die auf den Niedergang an der Steuerbordseite führte. Hasard kauerte neben der Füllung, Andrews war in seinem Rücken. Batuti hockte auf den obersten Stiegen der Treppe und war ein Bild der äußeren Gelassenheit. Sie schauten an den Geschützen vorüber, die hier auf dem Oberdeck hinter den Sülls der Stückpforten standen. Matt Davies war über die Handleiste des Schanzkleides gerutscht und pirschte sich zu ihnen heran. Er hatte die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als es passierte. Einer der Spanier auf der Backbordseite drehte sich abrupt um. Davies fand gerade noch Zeit, unter das Rohr des ihm am nächsten aufgebauten Geschützes zu kriechen. Da hockte er nun - auf verlorenem Posten, nicht ausreichend verdeckt, dem Feind ausgeliefert. Gary Andrews gab ein leises, verzweifeltes Stöhnen von sich. Batuti äußerte nichts, doch seine Augen weiteten sich. Hasard harrte mit angespannter Miene aus. Der Spanier steuerte quer über Deck. Es mutete beinahe wie ein Wunder an, daß er den nur notdürftig untergeschlüpften Mann mit der Hakenhand nicht entdeckte. Und doch - er marschierte achtlos an ihm vorüber, hielt jedoch auf die Tür zu, hinter deren Rahmen die drei Freunde lauerten! Für Hasard bestand kein Zweifel: Dieser Mann wollte den Capitan der Kriegsgaleone über den Stand der Dinge unterrichten. Jener hatte, wie sich das für einen standesbewußten Kapitän ziemte, seine Kammer im Achterkastell natürlich nicht verlassen, als die Konfusion am gegenüberliegenden Ufer ausgebrochen war.
Hasard unterrichtete die Begleiter. Batuti und Gary Andrews glitten sofort von der Treppe und schlüpften unter die hölzernen Stufen in einen Zwischenraum, der eigentlich nur einem Mann Platz geboten hätte. Hasard klemmte zur Mitte des Schiffes hin neben der Füllung und wartete auf den entscheidenden Augenblick. Der Spanier erschien und verdunkelte die rechteckige Öffnung der Tür. Er wollte nach unten ins Achterkastell eilen aber da legte sich von hinten eine Hand um seinen Mund. Hasard stieß mit dem Kurzsäbel zu. Der Don ließ nur einen gedämpften, gurgelnden Laut hören, dann kippte er die Treppe hinunter. Unter dem Niedergang breiteten Batuti und Andrews die Arme aus, um ihn aufzufangen. Hasard ging wieder auf Ausguckposten. Die übrigen Spanier schauten nach wie vor angestrengt zu dem anderen Ufer hinüber, wo der Profos soeben eine neue Serie von Musketenschüssen abgeben ließ. Krachend jagte die Salve in die Nacht hinaus. Die Spanier quittierten das mit entrüstetem Gemurmel. Immer noch nahm sie die Beobachtung des Spektakels derart in Anspruch, daß sie sich nicht zum Deck hin umschauten. Der Seewolf winkte Matt Davies zu. Der erhob sich und eilte herüber. Nach ihm schnürten die restlichen drei düsteren, ölglänzenden Gestalten heran: Tucker, Stenmark und Pete Ballie. Sie stiegen den Niedergang hinunter und drangen in das Innere des Achterkastells ein. Auf den Gängen, die sie beschritten, wurde warmes, anheimelndes Licht von in Eisenhaltern befestigten Öllaternen verbreitet. Die Kriegsgaleone schwojte an der Ankerkette, und in den Spanten ächzte und seufzte es geheimnisvoll. Sie befanden sich in einem Quergang, der von Bord zu Bord verlief, als sie die Stimmen vernahmen. Sie klangen aus Richtung des Hecks herüber - aus dem Mittelgang, dessen
Öffnung sich keine fünf Schritte von Hasard und seinen Begleitern entfernt abzeichnete. Der Seewolf stoppte und lauschte. Die Sprecher mußten sich in unmittelbarer Nähe der Galerie befinden. Hasard schnappte ein paar Brocken von dem auf, was sie sprachen. Immer wieder wurden die Ausdrücke »Fuego« und »Confusion« verwandt. Feuer und heilloses Durcheinander, Wuhling, wie man auch in der Seemannssprache sagte. Die Unterhaltung bezog sich also auf den Brandzauber, den Carberry und seine Männer am jenseitigen Ufer des Flusses veranstalteten. Hasard ließ sich auf alle viere nieder. Er schob sich vor und glitt bis an die Ecke, um die herum man auf den Mittelgang geriet. Er steckte den Kopf nur so weit vor, daß er mit dem rechten Auge spähen konnte. Ein kurzer, riskanter Blick, und er hatte die Lage erfaßt. Er drehte sich um, erhob sich und gab den anderen durch Zeichen zu verstehen, was anlag: Zwei Posten bewachten am Ende des Ganges eine Tür - zweifellos die der Kapitänskammer. Im Augenblick starrten die beiden Spanier durch die Achterscheiben der Galerie auf den Blackwater hinaus und staunten wie ihre Compadres oben an der Backbordreling über das Carberrysche Lichterfest. So hatten sie Hasard auch nicht bemerken können. Die Entfernung von der Öffnung des Ganges bis zu jenen Posten betrug allerhöchstens vier Yards. Das war nichts und doch viel, wenn man bedachte, daß die Entermannschaft sie hinter sich bringen mußte, ohne von den beiden Dons gesichtet zu werden. Der Seewolf wählte rasch zwei Männer aus: Matt Davies und Stenmark. Sie sollten den Eingang zum Achterkastell abriegeln. Gemeinsam mit den anderen vier wollte er den entscheidenden Sturm durchführen.
Davies und Stenmark zogen sich schleichend zurück. Batuti, Ferris Tucker, Gary Andrews und Pete Ballie standen bereit, mit ihrem Kapitän auf die Wachen einzudringen. Hasard wies Gary Andrews an, ihn in vorderster Linie zu begleiten. Die drei anderen sollten im Kielwasser folgen. Hasard legte sich wieder flach und lugte um die Ecke. Nach wie vor äugten die bewaffneten Posten auf die Wasserfläche. Höchstens zwei Minuten waren vergangen, seit Hasard und seine Männer über das Schanzkleid der Galeone gekrochen waren, und der Profos und seine Männer hatten immer noch genügend Munition, um die Dons aus dem Staunen nicht herauskommen zu lassen. Hasard richtete sich halb auf und glitt auf die andere Seite der Öffnung zum Mitteldeck hinüber. Gary Andrews wartete auf sein Zeichen. Hasard hob die Hand, grinste verwegen und pirschte voran. Er hatte den Kurzsäbel in der rechten Faust und streckte ihn vor. Zug um Zug näherten sie sich den Posten, die ihnen die Rücken zukehrten - Gary steuerbords, Hasard auf der Backbordseite des Ganges. Praktisch befanden sie sich in der Mitte der Galeone, marschierten also über dem Kielschwein in Bug-Heck-Richtung. Batuti war in Hasards Rücken. Ferris Tucker und Pete Ballie schlichen hinter Gary. Hasard überlegte die ganze Zeit nur, wie es möglich war, daß die Posten ihnen die Achtersteven zuwandten und erst auf sie aufmerksam wurden.wenn sie sich hinter ihnen aufrichteten und ihnen auf die Schultern klopften.
7. Aber dann geschah es: Einer der Spanier regte sich und wandte sich um. Vielleicht hatte er einen winzigen Laut vernommen, das leichte Schaben etwa, das Ferris Tuckers nackter Fuß einmal auf dem Boden des Ganges hervorrief -
oder das winzige Geräusch, das erklang, als Batuti seinen Dolch aus dem Mund nahm. Vielleicht hatte der Posten auch nur eine undeutliche Bewegung hinter sich gespürt. Wie immer dem war, er drehte sich um. Sein Blick fiel auf Hasard und auf die übrigen vier nackten Gestalten - seine Augen vergrößerten sich und nahmen den Ausdruck des Entsetzens an. Er benötigte den Bruchteil einer Sekunde, um zu einer Reaktion zu gelangen. In diesem Moment stürmten Hasard und die anderen los direkt auf ihn zu! »Jorge! Atencion!« Außer diesem Achtung-Ruf brachte der Don nur mehr ein erschrockenes, heiseres Gebrüll hervor. Die Entermannschaft griff an. Wütend sprang der erste Posten zurück und riß den Säbel aus der Scheide. Jorge, der zweite Mann, wirbelte herum und brachte eine Radschloßpistole in Anschlag. Ein verziertes Ding mit achtkantig gegossenem Lauf war das, und die Mündung richtete sich drohend auf Gary Andrews’ Bauch. Knackend schnappte der Hahn zurück. Der Posten mit dem Namen Jorge stieß ein Stakkato spanischer Worte hervor, deren Sinn nur Hasard in etwa verstand. »Halt! Stehenbleiben! Ich schieße euch nieder!« »Arwenack!« brüllte Ferris Tucker, sprang auf die Mitte des Ganges und warf sich nach vorn, um die Beine von Jorge zu erwischen. »Arwenack!« Philip Hasard Killigrew sprang mit seinem Kurzsäbel auf den ersten Posten zu, ließ die Klinge gegen dessen Säbel knallen, drückte ihn gegen die Wand. Jorge fluchte, vollführte einen Satz und wich dem Riesen Tucker aus. Der krachte auf den Boden und ließ das gesamte Achterkastell zittern. Der Don trat ihm auf die Hände, daß er aufbrüllte, und brachte seine Pistole wieder auf Gary Andrews
in Anschlag. Gary wäre in den Schuß gelaufen - wäre nicht Batuti gewesen. Mit grimmiger Miene duckte sich der gewaltige Gambia-Neger und ließ die Rechte vorschießen. Sein Dolch verließ die Handfläche und sirrte heckwärts. Plötzlich hatte Jorge ihn in der Brust stecken. Und zwar haargenau dort, wo sein Herz seinen Platz hatte. Er ließ ein Gurgeln vernehmen. Mit der Linken faßte er nach dem Heft des Dolches, das aus seiner Brust hervorragte. Sein Gesicht nahm einen ungläubigen Ausdruck an. Der Zeigefinger der Rechten krümmte sich doch noch um den Abzug der Radschloßpistole. Aber im selben Augenblick kippte der Mann mit dem Oberkörper nach hinten über, geriet aus dem Gleichgewicht und schlug rücklings hin. Der Schuß löste sich brüllend. Pulverrauch breitete sich in dem engen Gang aus, es stank nach Schwefel. Die Kugel war nach oben aus dem Lauf gefahren und über die Köpfe der Kämpfenden weg in einen breiten Balken geschlagen. Hasard wich einem geschickten Ausfall des ersten Postens aus. Der Mann sprang vor, stieß seinen Säbel vor - und stach nur durch die Luft und anschließend in die Seitenwand des Ganges. Denn Hasard hatte sich blitzschnell aus der Gefahrenzone gebracht. Jetzt hieb er mit dem Kurzsäbel zu. Der Posten brach mit entsetzlichem Stöhnen zusammen. Hasard hatte ihn mit einem einzigen Schlag gefällt. Blut lief über die Planken des Ganges, und mit dem Ausströmen des Lebenssaftes schied auch dieser Mann aus dem Leben. Hasard blickte auf. Schreie hallten über Deck, das Trampeln von Schritten war zu vernehmen. Hasard stand vor der Tür zur Kapitänskammer - und hielt doch einen Augenblick inne. Heftiges Wummern war zu vernehmen. Ganz in der Nähe! Das Trommeln von Fäusten gegen Holz. So konnte nur ein Mann hämmern, der sich in Gefangenschaft befand und
vermittels des Erlauschten begriffen hatte, was die Stunde geschlagen hatte. Francis Drake! »Das Holzschott!« rief Hasard und wies mit dem Kurzsäbel auf das schwere, massive Ding, das sich im Gang direkt neben der Tür zur Kammer des spanischen Capitans befand. »Brecht es auf!« Ferris Tucker und Batuti schickten sich sofort an, ihre riesigen Leiber dagegenzuwerfen und das Schott unter der Wucht ihrer Massen zerbersten zu lassen. Der Seewolf bleckte die Zähne, hob seine Waffe und drang in das Allerheiligste des Kapitäns ein. Die Tür flog auf und krachte gegen die Innenwand. Hasard sprang in den Raum und blieb mit angewinkelten Beinen stehen. Die Situation erfaßte er mit einem Blick. Der Kapitän stand vor seiner Koje. Er hatte es nicht mehr geschafft, volle Montur anzulegen, sondern präsentierte sich in Kürbishose, Unterhemd und weißen Strümpfen. Er war ein hagerer, braungebrannter Mann mit sorgfältig gestutztem Schnauzbart, dessen Enden ein wenig hochgezwirbelt standen. Ein Mann, der wenig Worte machte. Er hob nur seinen Degen, stellte den rechten Fuß vor und sagte: »Adelante-vorwärts!« Hasard glitt auf ihn zu und wartete darauf, daß er sich bekreuzigte, wie die Dons das gewöhnlich taten, bevor sie einen entscheidenden Kampf fochten. Aber der Capitan bekreuzigte sich nicht. Er wich ein Stück zur Seite, ließ die Klinge des Degens durch die Luft pfeifen und ging sofort aufs Ganze. Seinen ersten Angriff blockte Hasard mit einer raschen Parade ab. Dann ging er selbst zur Offensive über, wurde drängend und kampfbestimmend. Der Capitan sah den zornigen Riesen auf sich zunicken, eine wirbelnde Bestie aus Muskeln, Kraft, Mut und dies alles lenkender Klugheit - ganz
der Seewolf - ein um sich hauender Teufel mit grellblauen, wilden Augen, einem wilden Lachen, einer wilden, ungestümen Kraft. Scheppernd prallten die Klingen der Waffen gegeneinander. Der Capitan focht stilbewußt und selbstsicher. Alle Feinheiten und Tücken der Schule, die er durchlaufen hatte, brachte er ins tödliche Spiel. Hasard hatte dem weniger Eleganz entgegenzusetzen. Er wandte die rauhe, rücksichtslos draufgängerische Kampfmethode an, die ihm Sir John Killigrew eingepaukt hatte. Gegebenenfalls hä tte er eine ganze Meute von Gegnern überwältigt, eine Bresche geschlagen wie ein Schnitter im Kornfeld, um an den Capitan heranzukommen. Alles hätte er unternommen, um diese entscheidende Auseinandersetzung herbeizuführen. Schaffte er es, den Mann unter seine Gewalt zu zwingen, so war die ganze Schlacht gewonnen. Hasard war im Nachteil. Seine Waffe hatte eine kurze Klinge - wenn auch eine sehr scharf geschliffene. Der Spanier verfügte dank seines langen Degens über eine größere Reichweite. Der Seewolf trachtete danach, die Handlungen des Capitans schon im Ansatz zu erkennen und dementsprechend rasch sich darauf einzustellen. Der Mann tänzelte vor der Koje auf und ab. Hasard führte einen wuchtigen Schlag, der ihm gewiß den gewünschten Erfolg gebracht hätte - wenn der Don nicht blitzschnell auf die Koje gesprungen wäre. Sie kreuzten wieder die Klingen. Der Capitan der Galeone wollte aus seiner veränderten Position einen Vorteil ziehen, wollte die Spitze des Degens auf Hasards Kopf zielen und ihm möglicherweise ein Auge ausstechen. Hasard begriff, tauchte mit dem Kopf weg und hieb von unten her den Kurzsäbel gegen die Waffe des Gegners. Es krachte, und der Spanier stieß einen Fluch aus, in dem irgendein heiliger Santo Soundso, die Hölle und das am stärksten
gepolsterte menschliche Körperteil vorkam. Der Seewolf lachte rauh. »Gib es auf, Amigo!« »Niemals!« »Dann mache dich auf einen hübschen Tanz gefaßt.« Hasard befand sich nun am Fußende der Koje. Eigentlich handelte es sich nicht um eine ganz gewöhnliche Holzkoje zum Drinschlafen, sondern um ein an den Beinen verschnörkeltes Ding mit vier gedrechselten Aufsätzen an den Ecken, die einen weißen Baldachin hielten - eine Art Himmelbett zu Wasser also. Hasard schlug mit dem Kurzsäbel zu, daß die Lagerstatt in ihren Grundfesten erbebte. Der Don sprang zurück und hüpfte auf der Stelle. Hasard ließ die Schneide dicht vor seinen Füßen in die Koje fahren, und es gab einen trockenen, platzenden Laut. Das Federbett war aufgeschlitzt. Daunen quollen zu Hunderten und aber Hunderten hervor, stiegen auf und bildeten eine neckisch anzusehende Wolke. Hasard ließ die Waffe auf den Spanier zuzucken - der prallte gegen die hinter seinem Lager befindliche Wand. Mit einem einigen Hieb durchtrennte der Seewolf die rechte vordere Stütze des Baldachins. Der Capitan antwortete mit einem rasend schnellen und erbitterten Ausfall auf seine Bestrebungen. Hasard hatte aber auch das vorausgesehen und wich zur Seite. Der als totbringend gedachte Stoß ging ins Leere. Und wieder wetterte der Don. ›Santa Maria! Vayase al diablo!‹ »Zum Teufel soll ich gehen?« Hasard sprang nach links hinüber und zerschmetterte die nächste gedrechselte Stütze. »Später, Don Philipp, und wenn, dann nur in Begleitung!« Der Baldachin klappte an seiner Vorderseite nach unten, und plötzlich hatte der Capitan ein Hindernis vor sich, ein tückisches Ding, mit dem er unversehens in Widerstreit lag, genau wie mit den verflixten Daunen, die herumsegelten und
sich im Gesicht und am ganzen Körper festsetzten. Hasard lachte wild, hackte noch eine Stütze entzwei und sah voll Genugtuung, wie der Baldachinstoff den Mann unter sich begrub. Er wollte ihn herausholen, den Capitan. Doch der kroch mit ungeahnter Geschwindigkeit zur hinteren, noch samt Stückpfosten intakten Kojenecke fort, krabbelte unter dem beschwerenden und hinderlichen Tuch hervor und erhob sich. Hasard turnte über die lädierte Lagerstatt weg. Er trieb den Mann quer durch die Kammer auf die Tür zu. Der Don hatte einen Teil seines Selbstvertrauens verloren. Immer bleicher wurde sein Gesicht. Er öffnete den Mund und schrie nach Unterstützung. Hasard dirigierte ihn auf den Gang hinaus. Dort tobte ein weiterer Kampf: Pete Ballie und Gary Andrews hatten zwei weiteren Posten den Weg verstellt. Die beiden Spanier mußten sich in einer der Kammern des Achterkastells befunden haben und waren von dem Lärm aufgescheucht und angelockt worden. Einer der Posten sank tödlich verletzt zu Boden, als Hasard den Capitan gerade wieder mit dem Rücken gegen die Wand gedrängt hatte. Der schnauzbärtige Don ließ einen klagenden Laut vernehmen. Noch mehr war sein Selbstbewußtsein zusammengeschrumpft. Bald würde auch der letzte Rest zerbröckeln. Gary Andrews hatte den Posten erledigt. Jetzt half er Pete Ballie. Sie heizten dem übriggebliebenen Posten ein und hielten ihn vor allen Dingen von Batuti und Ferris Tucker fern. Die beiden waren nach wie vor mit dem massiven Holzschott beschäftigt. Sie fluchten und schwitzten. Immer wieder nahmen sie kurzen Anlauf. Ferris brüllte »Ho!« und dann stürzten sie sich geme insam auf das Hindernis, hinter dem Drake eingeschlossen war. Wuchtig prallten ihre Riesenleiber gegen das Schott. Es dröhnte und krachte, aber
dennoch hatte es den Anschein, als sei es nicht kleinzukriegen. Hasard wehrte einen neuen, verzweifelten Ausfall des Capitans ab. Schwungvoll zog er den Kurzsäbel hoch und führte ihn gegen die Waffe des anderen, daß es klirrte. Der Don stöhnte auf - mehr vor ohnmächtigem Zorn als vor Schmerz. Brüllend sprang er vor. Er setzte alles auf eine Karte und wollte Hasard die Klinge in den Leib rammen oder lieber selbst draufgehen. Der Seewolf ließ ihn an sich vorbeirasen. Er wollte ihn lebend. Ein toter spanischer Kapitän nutzte ihm nichts. Der Don hatte soviel Schwung, daß er seinen Degen in die gegenüberliegende Wand des Ganges rammte. Er zeterte und riß an dem Griff, aber die Waffe steckte fest im Holz. .Hasard grinste. In seinen Augen blitzte es wild, als er den Kurzsäbel hob und sogleich wieder niedersausen ließ. Der Säbel hieb die Klinge des Degens glatt durch - gleich vor dem Handgefäß. Verdutzt hob der Capitan den nutzlosen Griff hoch und starrte darauf. Er mußte das Geschehen erst verarbeiten. So etwas hatte er noch nicht gesehen. Hasard trat auf ihn zu. Aber in diesem Augenblick stellte sich etwas Überraschendes ein. Eine weitere Tür, die vom Gang in eine Kammer führte, flog auf. Heraus stürzte ein Don. Hasard sah an der Uniform, daß er der Erste Offizier des Schiffes war. Der Mann stoppte, ging etwas in die Knie und hielt seine Waffe mit beiden Fäusten. Eine Pistole, ähnlich der, die der eine Posten vor der Kapitänskammer gehabt hatte! Pete Ballie warf den einen Spanier, der ihnen noch lästig geworden war, mit einem gezielten Hieb seines Entermessers nieder. Der Mann streckte alle viere von sich. Der Gang wäre frei und in der Hand des Enterkommandos gewesen, wenn nicht der Erste mit seiner Pistole dagestanden hätte.
»Weg mit der Kanone!« brüllte Gary Andrews. Der Mann dachte nicht daran, zu gehorchen. Er schrie etwas Unverständliches und krümmte den Zeigefinger. Donnernd brach der Schuß. Ein greller Feuerblitz stach aus der Mündung der Waffe und schickte das Blei auf Reisen. Hasard, keinen halben Yard von dem Capitan entfernt, sah den Gluthauch des Todes auf sich zurasen. Geistesgegenwärtig ließ er sich fallen. Fauchend flog die Kugel über ihn weg. Sie schlug in eine Scheibe der Galerie. Die ging klirrend in die Brüche. Ein Scherbenregen prasselte teils auf die Planken, teils aufs Wasser des Blackwater nieder. Der Capitan sah seine Chance. Tollkühn rannte er los, an Batuti und Ferris Tucker, Gary Andrews und Pete Ballie vorbei. Pete Ballie stellte ihm ein Bein. Gary warf sich auf ihn. Doch dem schnauzbärtigen Don gelang es, den Gegner mit ein paar kräftigen Fußtritten abzuschütteln. Der Erste kniete immer noch und riß eine zweite Pistole aus dem Gurt hervor. Pete wirbelte herum und vollführte einen Hechtsprung. Er riß den Ersten mit sich zu Boden. Im nächsten Augenblick wälzten sie sich keuchend und fluchend über die Planken. Der Don versuchte, Pete trotzdem noch ein Loch in den Bauch zu schießen. Aber das wurde von Gary verhindert, der nun gleichfalls heran war und mit seinen öligen Händen den Arm des Dons packte. Er drehte ihn um. Der Gegner heulte auf, strampelte, trat um sich. Gary wurde zu Boden geworfen. Hasard hetzte durch den Gang. Mit einem langen Satz jumpte er über die am Boden Zappelnden hinweg. Pete und Gary wurden auch allein mit dem Widerspenstigen fertig. Zweifellos würden sie das Handgemenge zu ihren Gunsten entscheiden. Aber der spanische Kapitän - der mußte die Beute des Seewolfs sein! Soeben verließ er den Hauptgang und schlüpfte in die
Querverbindung, die ihn zum Niedergang und schließlich aus dem Achterkastell heraus bringen würde. Hasard flitzte hinter ihm her, den Kurzsäbel erhoben. Er mußte den Mann um jeden Preis packen, sonst ging das Unternehmen übel aus. Am Eingang zum Achterkastell war der Teufel los. Schüsse krachten, Männer schrien, etwas wurde bollernd über die Decksplanken geschoben. Die Spanier, die an der Backbordreling gewesen waren, hatten den Kampf mit den Feinden aufgenommen und versuchten, das Achterkastell zu stürmen. Matt Davies und Stenmark würden die Stellung nicht ewig halten können. Das Bollern nahm zu. Hasard wußte, was das zu bedeuten hatte: Die Dons brachten ein Geschütz in Schußstellung. Sie waren bereit, das Achterkastell und notfalls die ganze verdammte Galeone in Stücke zu schießen, wenn sie nur die Entermannschaft abservieren konnten. Die Lage spitzte sich zu. Es sah schlecht aus um Hasard und seine Männer! Wo steckte der Capitan ? Der Seewolf sah ihn nicht mehr vor sich. Er bog um die Ecke und hastete auf den Niedergang zu, auf dem sie den ersten Don aus dem Weg geschafft hatten. Matt Davies hatte den Posten bezogen, den zuvor Hasard gehabt hatte - neben der Füllung der Tür. Stenmark lauerte neben den Stufen. Hasard hetzte auf die beiden zu, aber Stenmark winkte ihm ab. »Vorsicht, raus aus der Schußlinie!« Als ob die Dons es vernommen hätten, krachte jetzt Musketenfeuer. Der Seewolf sah noch die Gabelstütze draußen auf dem Quarterdeck, das Ding, auf dem die Handfeuerwaffe lagerte, die unter einem schmutzigroten Mündungsblitz Blei und Verderben herausschleuderte. Dann lag er auch schon platt wie eine Seezunge auf den Planken. Zum zweiten Male in dieser Nacht raste die tödliche Ladung um wenige Handspannen über seinen Rücken weg. Klatschend bohrte sie sich an einer anderen Stelle in das Holz der
Aufbauten, wo sie keinen Schaden anrichten konnte. Hasard sah den grinsenden Sensenmann vor seinem geistigen Auge. Noch einmal war die Sichel des Todes haarscharf an ihm vorübergezischt. Aber der verfluchte Hund rückte weiter auf ihn zu, klapperte mit den Knochen, winkte mit der weißen Hand, wollte ihn zu sich locken ... Die rechteckige Öffnung des Einlasses verdunkelte sich plötzlich. Zwei Gestalten! Spanier, die springend ins Achterkastell eindringen wollten! Sie glaubten, die Enterer überrumpeln und in einem kühnen, schnellen Handstreich reinen Tisch schaffen zu können. Aber da hatten sie sich getäuscht! Matt Davies knallte dem einen den spitzgeschliffenen Eisenhaken in das Genick. Der Bursche erhielt noch mehr Schwung. Er sah aus wie einer, der von einem Zweiunddreißigpfünder ausgespuckt worden war, als er jetzt über die Stufen des Niederganges hinaus nach unten flog. Stenmark rutschte auf ihn zu. Aber das war im Grunde überflüssig. Der Mann, der da blutend neben ihm gelandet war, hatte bereits abgemustert - in jeder Beziehung. Der zweite trampelte die Stufen hinunter - schon zu weit entfernt für den grimmig ausschauenden Matt Davies. Stenmark fuhr herum und fegte ihm einen Doppelhieb seiner mächtigen Fäuste entgegen. Der Spanier geriet aus dem Gleichgewicht. Er brachte zwar noch seinen Säbel hoch, aber Stenmark war heran und befaßte sich eingehend mit ihm. Eine kurze Klinge blitzte auf. Der Don streckte sich schlaff auf dem Boden aus. »Ihr braucht Schußwaffen«, sagte Hasard schwer atmend. »Woher nehmen? Wir können den Posten hier nicht verlassen«, gab Matt Davies zurück. »Sonst strömen die Dons wie die Fische hier herein.« »Wo ist der Kapitän?« fragte Hasard. »Welcher Kapitän ?« erwiderte Stenmark verdutzt.
»Na, der spanische natürlich. Er muß hier vorbeigerast sein.« Stenmark und der Einarmige schüttelten die Köpfe. Matt rief zwischen zwei hereinzirpenden Pistolenschüssen: »Der müßte schon unsichtbar sein, um hier passieren zu können!« Hasard begriff. Er beeilte sich, wieder zurück in den Quergang zu gelangen. Warum war ihm das nicht sofort eingefallen? Der Capitan hatte sich schlauerweise in einen der Räume zurückgezogen. Aber in welchen? Nach kurzer Suche entdeckte er eine Tür, die nur angelehnt stand. Er zögerte nicht, nahm Anlauf und warf sich dagegen. Sie flog auf, und er jumpte wie der Leibhaftige in den dahinterliegenden Raum. Katzengewandt rollte er sich auf dem Boden ab. Er sprang wieder auf die Füße und sah, daß er sich nicht geirrt hatte. Dies war die geräumige Kammer im Achterkastell der Galeone. Zwei Talglichter brannten. Hinter einem breiten Tisch entdeckte Hasard die schlanke Gestalt des halb bekleideten Capitans. Aus einem Ständer hinter sich hatte der Mann eine Muskete genommen. Eine ganze Sammlung schwerer, wertvoller Handfeuerwaffen war in dieser Kammer untergebracht! Hasard stellte fest, daß der Don wirklich nicht untätig geblieben war, während er draußen nach ihm gesucht hatte. Die Muskete war auf ihn gerichtet. Gerätschaften zum Laden waren auf der Tischplatte ausgebreitet - der Stock, die Pulverflasche, die Kugelzange. Es stand außer Frage, wie es auf dem Grund des Waffenlaufes aussah. Bestimmt hatte der Schnauzbart eine überaus deftige Pulvermenge und ein besonders langes Geschoß eingefüllt oder gehacktes Blei. Der Sensenmann tauchte wieder in Hasards Geist auf. Und er grinste hämisch und verschlagen wie nie.
Plötzlich ging alles rasend schnell. Hasard wirbelte quer durch den Raum, landete auf dem Boden und glitschte wegen des Olivenöls, des guten und stark riechenden spanischen Olivenöls, ein Stück über die Planken der Kammer. Der Capitan fluchte in allen Tonarten. Er wollte neu auf den Gegner zielen. Doch Hasard hatte den Tisch erreicht und riß mit aller Macht an dem einen Bein. Der Tisch flog um. Die eine Kante der Platte knallte dem Don auf die bestrumpften Füße. Er schrie auf. Der Lauf und Schaft der Muskete wurden hochgeworfen. Hasard packte den Tisch erneut und stieß ihn vor sich her. Da ließ der Don die Muskete fallen, ohne geschossen zu haben. Er wurde gegen die Wand gepreßt und riskierte, sich die Beine zerquetschen zu lassen. Hasard hatte den Kurzsäbel zwischen den Zähnen. Als der Capitan mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt stand, rappelte er sich auf, nahm die Waffe wieder in die Hand und rückte in drohender Haltung auf den Mann zu. Der Spanier wich aus, gelangte bis an den Waffenständer und riß einen reich verzierten Degen hervor. Hasard sah rot. Er raste auf ihn zu, brachte den Säbel ins Schwingen und ließ ihn gegen den Degen prallen. Die Wucht der Bewegung war so gewaltig, daß der Degen augenblicklich die Finger des Dons wieder verließ. In hohem Bogen segelte er durch die Kajüte. Der Capitan bewegte wirbelnd die Rechte. Seine Finger brannten von dem Schlag, der zwar gegen den Degen geführt gewesen war, sich aber durch die Waffe bis in seinen Arm fortgesetzt hatte. Hasard trat gegen den Waffenständer, daß er umkippte. Er griff sich den Capitan und setzte ihm die Spitze des Säbels gegen die Gurgel. »So, Don Philipp, der Angeschmierte!« Er brüllte es ihm auf Englisch ins Gesicht, aber den Rest radebrechte er dank der
Brocken Spanisch, die ihm Ben Brighton beigebracht hatte. »Aufgeben! Kampf einstellen! Sonst massakriere ich dich!« Der Spanier wagte es nicht, jetzt noch Widerstand zu leisten. Aus schreckensgeweiteten Augen blickte er den Seewolf an. In dessen Gesicht standen nur grenzenlose Härte und Entschlossenheit zu lesen. Auf Milde konnte der Capitan nicht hoffen. Er keuchte. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, den Wangen, überall. Einige öffneten sich und liefen in Rinnsälen die Haut hinab. Mut hatte er bewiesen, der Spanier. Aber ein Selbstmörder war er nicht. »Bien«, sagte er gequetscht. »Einverstanden.« »Dann gehen wir jetzt, und du sagst das deinen Leuten.« Hasard bugsierte ihn vor sich her auf den Quergang hinaus und von dort aus zum Eingang des Achterkastells. Matt Davies und Stenmark hielten die Stellung jetzt mit Unterstützung von Gary Andrews und Pete Ballie. Die beiden hatten den toten Spaniern aus dem Hauptgang die Feuerwaffen abgenommen und sie hierhergeschleppt. Aussichtsreich war der Kampf der vier aber dennoch nicht - draußen auf dem Quarterdeck zeichneten sich drohend die Umrisse des Geschützes ab. Es war noch eine Frage von Sekunden, dann würde die Kanone ihre vernichtende Saat ausstreuen. Hasard kitzelte die Kehle des Capitans mit der Klinge. Ein feiner Schnitt zeichnete sich ab. Im Licht der Bordlaternen konnte der Seewolf den Blutstropfen erkennen, der daraus hervorquoll. Der Schnauzbart war bleich im Gesicht. Kalkbleich. »Sag es ihnen«, herrschte Hasard ihn an. Ein Schwall spanischer Worte brach aus dem Mund des Mannes hervor. Er schrie heraus, was er seiner Mannschaft mitzuteilen hatte. Soweit Hasard folgen konnte, hielt er sich an den Befehl. Das bewies denn auch das Murren der Dons dort
oben auf dem Deck, das enttäuschte Sich-Zurückziehen. »Bien«, versetzte der Capitan, und es klang gepreßt. »Meine Leute geben auf.« »Ich will, daß du ihnen jetzt den Rest erklärst«, sagte Hasard. Ein siegessicheres Lächeln war in seine Mundwinkel gekerbt. Dreimal war er dem Teufel um Haaresbreite von der Schippe gesprungen. Jetzt aber war es geschafft. Matt Davies, Stenmark, Pete Ballie und Gary Andrews verharrten auf den Stufen des Niederganges und stießen ein triumphierendes Gejohle aus. Hasard bedeutete ihnen, sich ruhig zu verhalten. Der Capitan hatte noch einen Spruch aufzusagen. Hasard erklärte ihm halblaut, wie er sich diesen Vers vorstellte. Und um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, streichelte er die Halspartie des hastig atmenden Mannes wieder mit der Spitze der Klinge. Ungefähr in diesem Augenblick trat auch auf dem Mittelgang eine Wende ein. Die Bemühungen von Batuti und Ferris Tucker fruchteten endlich etwas. Unter einem neuerlichen Rammstoß ihrer muskelbepackten Oberkörper ging das Holzschott polternd und knirschend in die Brüche. Die Riegel wurden aus ihren Halterungen gerissen und verbogen. Die splittrigen Einzelteile des Holzschotts läppten quietschend zurück und prallten an der Innenseite der Wände hart auf. Batuti und der Schiffszimmermann brachen mitsamt einem losgelösten Teil des Schotts in die Kammer, die sich dahinter befand. Von der Wucht ihrer Bewegung vorwärtsgetrieben, rasten sie quer durch den Raum. Dabei hätten sie beinahe den Mann mitgerissen - den nicht sehr großen, jedoch kräftig gebauten Mann mit dem runden Schädel, dessen Kinnpartie durch einen braunen Bart verziert wurde. Francis Drake hatte einen Verband um den Kopf. Bei dem unfreiwilligen Bad außenbords der ›Marygold‹ war ihm ein weiteres Trümmerstück der explodierten Karavelle an den
Kopf geflogen, was letztlich zu seiner Bewußtlosigkeit geführt hatte. Drake sprang zur Seite. Beim Anblick der beiden mächtigen Kerle, die da wie Stiere auf die Wand zurasten, stieß er ein wahres Freudengebrüll aus. Batuti prallte gegen die Wand, daß es dröhnte. Ferris Tucker tat einen falschen Schritt, strauchelte und schlug nicht minder donnernd zu Boden. Plötzlich lag er quer vor Batutis schwarzen, ölig glänzenden Füßen. Er fluchte, setzte sich auf und schaute den Kapitän an. »Da sind wir, Sir!« »War ein schweres Stück Arbeit, nicht wahr, Ferris?« Drake trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen. »Ich danke Ihnen beiden. Für die Bravourleistung, dieses Schiff zu entern, verdienen Sie und die anderen meinen kompletten Restbestand an echtem Schottischen.« Ferris Tucker hatte sich aufgerappelt und stand nun neben dem grinsenden Batuti. Unwillkürlich lief Ferris rot an. Einerseits wegen der Auszeichnung. Eine Flasche vom Schottischen Kapitän Drakes war soviel wert wie ein Orden. Sie galt als Auszeichnung, zumal der Kapitän ein äußerst sparsamer Mann war und die Flaschen wie seine Augäpfel hütete. Andererseits wurde sich der Schiffszimmermann erst in diesem Moment wieder richtig seines nackten Zustandes bewußt. Er blickte an sich hinab, räusperte sich verlegen und sagte: »Äh - bitte um Verzeihung, Sir. Wir mußten schwimmen. Da waren die Kleider nur hinderlich. Und was hier so schillert, ist spanisches Olivenöl aus dem Vorratsschapp des Kutschers.« Drake lachte aus vollem Herzen auf. »Mit wieviel Mann haben Sie denn eigentlich geentert?« »Wir sind sieben.« »Was? Nur sieben?«
»Ja«, erwiderte Ferris rasch, »und was den Schottischen betrifft - den hat eigentlich der Seewolf, ich meine, Kapitän Killigrew verdient. Wenn er nicht gewesen wäre ...« »Seewolfs Plan«, verkündete Batuti stolz. »Guter Plan. Arwenack!« »Erstaunlich«, murmelte Drake. »Ich dachte, ihn jetzt ausreichend zu kennen. Und doch: Er hält immer noch Überraschungen bereit. Nach diesem tollkühnen Unternehmen würde ich eher noch sagen, ich habe ihn bisher unterschätzt.« Sie verließen die Kammer, in der der Kapitän Gefangener gewesen war. Drake mußte über Le ichen wegsteigen, um an die Vorderseite des Achterkastells zu gelangen. Er quittierte diesen Umstand mit einem Ausdruck der Genugtuung - nicht, weil er den Anblick toter Spanier besonders erbauend oder gar berauschend fand, sondern weil er die ungeheure Le istung des Seewolfes und seiner Männer mit innerem Lob bedachte. Vier Posten und der blutüberströmte Erste bedeckten mit ihren Gestalten die Planken des Ganges. Den Ersten ließen Drake, Ferris Tucker und Batuti als letzten hinter sich. Sodann bogen sie um die Ecke in den Quergang ab. Drake vernahm, was der spanische Capitan in diesem Moment rief. Und so bedurfte es keiner weiteren Erklärung. Klar war aus den heiser hervorgestoßenen Worten des Dons herauszuhören, wie sich die Dinge verhielten. Hasard hatte den schnauzbärtigen Capitan die Stufen des Niederganges hinaufbefördert. Gary Andrews, Pete Ballie, Matt Davies und Stenmark flankierten ihn grinsend. Hasard schob die Geisel bis vor den Eingang zum Achterkastell. Er benutzte den Don wie einen lebenden Schutzschild und deckte den eigenen Körper mit dessen Leib. Immerhin konnte ein Wahnsinniger aus den Reihen der Besatzung noch versuchen, ihn niederzuschießen und so den Kapitän wieder herauszuhauen. Die Klinge des Säbels verlief drohend von schräg unten her
auf die Gurgel des Capitans zu. Hasard hatte ihm eingeschärft, was er seinen Leuten auseinanderzusetzen hatte. »Sag es ihnen«, drängte er. Die Dons waren ein Stück von dem bereitgestellten Geschütz zurückgewichen. Über das matt schimmernde Kanonenrohr hinweg konnte Hasard jeden einzelnen von ihnen sehen. Ein Teil stand vor der Nagelbank des Großmastes, ein Teil nahe dem Schanzkleid an der Backbordseite der Galeone. Der Seewolf zählte sie. Es waren mehr als ein Dutzend. Die Waffen hatten sie gestreckt, sie la gen auf den Planken des Quarterdecks. Ihre Mienen zeigten Unschlüssigkeit - und grenzenlose Wut. Der Capitan stieß sprudelnd hervor: »Runter von Bord! Ihr sollt ins Wasser springen. Alle!« Hasard nahm eine Bewegung in seinem Rücken zur Kenntnis. Er hörte die halblaute Stimme von Francis Drake und wußte nun, daß Batuti und Ferris Tucker die Befreiungsaktion erfolgreich beendet hatten. Drake verharrte vor dem Sockel des Niederganges. Hasard grinste. Aber seine Miene wurde wieder steinhart und verwegen, als er die Reaktion der Dons sah. Besser: ihre Untätigkeit. Sie standen wie angewurzelt und schienen die Worte ihres Capitans überhaupt nicht aufgenommen zu haben. »Springt außenbords!« forderte der Capitan sie noch einmal auf, und diesmal klang es fast verzweifelt. Er wußte ja, daß mit einem Mann wie Philip Hasard Killigrew nicht gut Kirschenessen war. Hasard gab einen unwilligen Laut von sich. Er packte den Schnauzbärtigen härter. Den Kurzsäbel ließ er nun um einen Deut weiter nach oben zucken. Aber das hatte schon beängstigende Folgen. Der Schnitt am Hals des Capitans war tiefer und breiter geworden. Blut quoll hervor, bildete ein Rinnsal, das über seine blütenweiße Unterwäsche lief und eine häßliche rote Spur auf
Brust und Bauch hinterließ. »Ich steche ihn ab!« rief Hasard mit klirrender Stimme. »Ich schneide ihm den Hals durch, wenn ihr nicht pariert, ihr Bastarde!« »Ins Wasser!« Der Capitan keuchte entsetzt. Seine Stimme hatte jetzt einen schrillen Ton. »Springt, um Himmels willen, bei der heiligen Mutter Maria - springt!« Jetzt begriffen die Dons tatsächlich, daß das Dasein ihres Capitans nur noch an dem sprichwörtlichen seidenen Faden hing. Jetzt schoß Leben in ihre wie gelähmt erscheinenden Gestalten. Jetzt packten sie sich, schlichen wie geprügelte Hunde unter die Wanten und krochen über die Handleiste des Schanzkleides weg. »Ein bißchen schneller!« rief der Seewolf schneidend über das Deck. »Sputet euch, Amigos, hopp hopp, sonst kriegt er das Entermesser doch noch in den Hals!« »Adelante!« Der Capitan brüllte es. »A toda velocidad!« Die Mannschaftsmitglieder balancierten nun ausnahmslos auf dem schmalen Holzwulst außenbords. Einer mußte den Anfang machen - ein untersetzter Mann mit kurzen, dicken Armen: Er ließ sich als erster fallen. Es folgten ein zweiter, ein dritter. Dann plumpsten sie alle in den schwarzen, kalten Blackwater. Dumpfe, klatschende Geräusche schallten herauf. »Arwenack!« Drake und die sechs Männer erklommen die Stufen des Niederganges. Ihre Jubelrufe erfüllten das Schiff, drangen bis zu den Mastspitzen hoch. Hasard drehte sich zu ihnen um und grinste. Plötzlich spürte er, wie der Capitan sich unter seinem harten, unnachgiebigen Griff zu winden begann. Hasard wollte ihn brutaler packen, aber der Mann verpaßte ihm einen Tritt gegen das Schienbein. Nur eine Sekunde oder den Bruchteil davon paßte der Seewolf nicht auf - und der Don entschlüpfte ihm. Der Capitan stürmte über das Quarterdeck, als säßen ihm
tausend Teufel der Hölle im Nacken. Er schrie. Er hatte nur noch den einen Wunsch: dem Feind zu entgehen und den schwimmenden Compadres im Fluß Gesellschaft zu leisten. Wild hechtete er über das Schanzkleid hinweg, überschlug sich in der Luft, sackte nach unten weg und war nicht mehr zu sehen. Hasard war ihm zwei, drei Schritte nachgelaufen. Dann hatte er gestoppt. Laß ihn laufen, hatte er sich gesagt. Letztlich hatte es keine Bedeutung, ob sie einen Gefangenen hatten oder nicht. Ja, er hätte ihnen sogar hinderlich werden können wie ein Klotz am Bein. Wichtig war nur, daß Drake befreit war. Hasard blickte über das Wasser des Blackwater und richtete den Blick auf das Feuer, das an Land entfacht worden war. Carberrys Spektakel mit dem kleinen Pulverfaß hatte einige Bäume und Sträuchen wie Zunder entfacht. Die Gefahr eines richtigen Waldbrandes schien jedoch gebannt. Hasard bemerkte, daß die Flammen sich nicht ausbreiteten, sondern vielmehr im Begriff waren, in sich zusammenzufallen und nur ein knisterndes und knackendes Glutbett zurückzulassen. Vor dem Schein der Flammen hoben sich die Konturen des Bootes mit dem Segel ab. Der Profos und seine sechs Helfer hatten den Zauber längst beendet und ließen das Boot hoch an der Ankerkette schwojen. Sie warteten ab und hielten sich bereit für den Fall, daß das Enterkommando noch Hilfe benötigte. Hasard drehte sich um. Francis Drake stand vor ihm und nickte ihm knapp zu. Er lächelte. »Sie sind ein ganz verdammter Teufelsbraten, Killigrew«, sagte er. »Meinen Respekt für das blitzartige, vollendet durchgeführte Enterunternehmen.« »Danke, Sir.«
»Gelernt ist gelernt, nicht wahr? Sir John Killigrew wäre bestimmt mächtig stolz auf Sie gewesen, falls er das mitangesehen hätte.« Hasard probierte ein Grinsen, aber es wurde schief. »Hätte er ja können, wenn er sich nicht auf die ganz feine englische Art mit der ›Wasp‹ und der gekaperten Karavelle verdrückt hätte.« »Hm. Nun ja. Kapitän Killigrew, ich überlasse Ihnen das Kommando über den weiteren Verlauf der Aktion.« »Danke. Ferris!« »Hier, Sir!« Der Schiffszimmermann schob sich vor. »Hast du eine Ahnung, wo auf diesem alten Waschzuber die Pulverkammer untergebracht ist?« »Aye, aye, Sir. Kenne mich auf solchen Waschzubern aus.« »Also wo?« »Unter dem Achterkastell.« Hasard wählte Stenmark als Begleiter für Tucker aus. »Ihr saust jetzt runter in die Pulverkammer und zündet ein Feuerchen an. Ferris, du weißt, was ich meine. Von diesem Kasten will ich keine Mastspitze mehr aus dem Wasser ragen sehen, wenn er auf Grund geht.« »Aye, aye, Sir!« Ferris und Stenmark hetzten davon. Hasard gab seine nächsten Kommandos. »Batuti, Gary, Matt und Pete! Ihr laßt ein Beiboot zu Wasser und geht sofort mit Kapitän Drake an Bord der Nußschale.« »Aye, aye, Sir!« »Und Sie, Killigrew?« erkundigte sich Drake. »Was für eine Teufelei haben Sie jetzt wieder ausgeheckt?« »Ich erledige noch einen Job im Achterkastell, damit der letzte Teil des Planes auch wirklich hundertprozentig abläuft. Doppelt hält besser, Sir.« »Verstehe. Viel Glück.« Hasard benutzte wieder den Eingang zum Achterkastell und lief den Niedergang hinunter. Zielstrebig hielt er auf die Kajüte
zu, in der er den Capitan mit dem Schnauzbart entgültig überrumpelt hatte. Er stellte sich vor, wie traurig jetzt die Schnurrbartenden des Capitans herabhingen und wie er in diesem Moment einem Bordköter gleich im Wasser planschte. Er lachte bei dem Gedanken. Ferris Tucker und Stenmark hatten derweil tiefere Regionen der spanischen Kriegsgaleone aufgesucht. Vom Hauptdeck, auf dem der Kampf mit den vier Posten, dem Ersten und dem Capitan stattgefunden hatte, waren sie über einen weiteren Niedergang auf das Unterdeck gelangt. Ferris Tucker hatte eine der Öllaternen im Gang aus ihrer Halterung genommen. Auf den weiter unten im Bauch des Schiffes liegenden Deck herrschte nämlich tintenschwarze Finsternis. Der Schiffszimmermann bewies, daß er sich tatsächlich auf spanischen Schiffen zurechtfand. Im Eiltempo lief er vor dem Schweden her und lotste ihn immer tiefer hinab. Zunächst auf das Unterdeck, wo sie auf eine Batterie von Zweiunddreißigpfündern stießen. Sie hasteten daran vorbei, nahmen den nächsten Niedergang und erreichten das Orlopdeck. Schließlich stieß Ferris eine Tür auf, die in einen düsteren, muffig riechenden Raum führte. »Du, ich sage, hier sind wir falsch«, versetzte Stenmark mißtrauisch. Er schnupperte vernehmlich. »Hier stinkt’s nach Schimmel, und der Schimmel stammt vom Brot, wenn mich meine Nase nicht täuscht.« »Stimmt genau.« »Was hast du vor?« Ferris Tucker befand sich mitten im Raum und steuerte auf die rückwärtige Wand zu. Die Öllaterne warf einen flackernden Lichtkreis. »Komm! Hier liegt eins neben dem anderen. Noch ein Schott, und dann stehen wir in der Pulverkammer.« Sie durchquerten den Vorratsraum. Ferris leuchtete ein paar Borde ab. Darauf stapelten sich wirklich angeschimmelte Hartbrote und Schiffszwieback. Zentnerweise.
»Mann«, sagte Stenmark. »Wenn der Kutscher uns mit solchem Zeug verpflegen würde, würde der Seewolf ihm den Kopf abreißen.« »Da kannst du mal sehen! Wir haben keinen Grund, uns zu beklagen.« Sie öffneten das Schott in der Rückwand. Ferris Tucker hielt die Lichtquelle in die Öffnung und nickte zufrieden. Stenmark grinste. »Na also. Jetzt nichts wie ran an die Klamotten.« In der Pulverkammer hallten ihre Stimmen nicht, sondern klangen dumpf. Und das hatte einen plausiblen Grund. Dieser Raum war nämlich bis unter die Decksbalken mit übereinander gestapelten Fässern gefüllt. Nur ein paar schmale Gänge waren in der Mitte freigelassen, damit die Mannschaft auch in den hintersten Winkel gelangen konnte. Die Geräusche wurden durch die Faßwände geschluckt. Stenmark grinste immer noch. »Wird das ein Fest, Ferris. Los, beeilen wir uns.« Der Zimmermann begutachtete fachmännisch die massiven Eichenholzbehälter, auf denen mit schwarzer Farbe Zeichen und Worte aufgepinselt waren. In spanischer Sprache natürlich. Ferris Tucker konnte nur seine Muttersprache, aber er benötigte auch nicht mehr, um sich hier zurechtzufinden. Pulver war Pulver. Die Fässer waren sorgsam mit Brooktauen festgezurrt. Diese wiederum waren sehr fest in solide eiserne Augbolzen verspleißt. »Die kappen wir nicht erst«, sagte Ferris. »Glatter Zeitverlust. Sieh mal, was da drüben liegt, Stenmark.« Der Schwede blickte in die Richtung, in die Ferris wies. Er klatschte begeistert die Hände zusammen und lief gebückt zu den beiden Kästen hinüber, die Ferris Tucker ihm geze igt hatte. Es handelte sich um breite, bankartige Kisten. Für einen Seemann gehörte wirklich nicht viel Kombinationsvermögen dazu, um zu erraten, was sich in ihrem Inneren befand.
Stenmark beugte sich über den ersten Behälter. Er klappte den Deckel auf. »Zündschnur. Feuersteine. Feuerstahl. Lunten. Das alles in reicher Auswahl. Komm her und bediene dich.« »Wozu habe ich dich eigentlich mitgenommen, du Barsch?« »Da, nimm!« Stenmark warf ihm das nötige Zubehör zu. Ferris hatte mittlerweile das seiner Ansicht nach richtige Faß ausgesucht. Es befand sich mitten im Stapel, der das Zentrum der Pulverkammer ausfüllte. Ferris nahm den Packen Zündschnur, den Stenmark herübergeworfen hatte, zerrte ihn auseinander und brachte das eine Ende im Spundloch des Fasses an. Er legte die Schnur in der Mitte des Ganges aus und schätzte ihre Länge ab. Stenmark beobachtete ihn. Der Zimmermann nickte bestätigend. Gleich darauf nahm er Feuerstein und Feuerstahl zur Hand. Die Öllaterne war inzwischen erloschen. Er schlug sie aneinander und entfachte die bereitgelegte Lunte. »Sieh zu, daß du da verschwindest«, sagte er zu dem Schweden. »Stell dich gefälligst hinter mich.« Die Lunte glomm und verbreitete etwas Licht. Stenmark schob sich an Ferris Tucker vorbei. »Warte am Querschott!« forderte Ferris ihn auf. »Aye, aye.Sir!« »Rede doch keinen Blödsinn!« Ferris hielt die glühende Lunte an die Zündschnur. Es zischte, als der Funke übersprang. Knisternd und fauchend fraß sich die Flamme ihren Weg durch das Material der Zündschnur. Ein gespenstisches Licht füllte den Gang zwischen den Pulverfässern aus. »Nichts wie weg!« rief Ferris dem Schweden zu. Er erhob sich, drehte sich um und lief hinter dem hastenden Blonden zum Schott. Sie verloren keine Zeit damit, es zuzuknallen. Schweigend hetzten sie durch den Vorratsraum. Stenmark dachte daran, wie munter bald die vielen schimmeligen Brote durch die Nacht wirbeln würden.
Sie erreichten wieder das Hauptdeck. Aus der Kajüte im Achterkastell drangen Geräusche. Ferris schob seine mächtige Gestalt an die Tür heran. Stenmark nahm an der anderen Seite der Füllung Aufstellung. Vorsichtig lugten sie ins Innere. Beide blickten sie verdutzt, als sie Philip Hasard Killigrew erkannten. »Teufel auch«, sagte Ferris Tucker. »Jetzt hätte ich dich doch fast für eine n verdammten Don gehalten.« Hasard hatte die Öllaterne in der Hand. »Die paddeln außenbords, wenn du dich richtig entsinnst.« »Ich meine, vielleicht hat sich noch einer an Bord versteckt.« »Nein. Der wäre schon früher erschienen. Ich habe es laut genug herausgeschrien, daß wir den Kahn in die Luft jagen. Nein, wir haben nur noch fünf tote Spanier an Bord, und sie stehen bestimmt nicht wieder auf.« Er schaute sie an. »Auftrag ausgeführt?« »Aye, aye«, sagte Stenmark. Ferris grinste schief. »Die Lunte brennt nicht länger als fünf Minuten, Hasard. Zeit, daß wir uns aus dem Staub machen.« »Gut«, erwiderte Hasard. Er bückte sich und hielt die Flamme der Öllaterne an die Pulverspur, die er auf dem Boden der Kammer ausgelegt hatte, mit dem Zeug, das er in den Musketen und in einem Fach des umgekippten Waffenständers gefunden hatte. Das Pulver fing Feuer und erzeugte einen kleinen, dumpfen Laut. Rasend schnell fraß sich die Glut auf den umgestürzten Tisch zu. Der nahm die leckende Feuerzunge auf, gab ihr Nahrung, ließ den Brand hochschießen. Hasard warf die Öllaterne in das rotgelbe, zuckende Feuer. Etwas stob puffend und heiß hoch, und im nächsten Moment stand nahezu die gesamte Kammer in Flammen. »Ins Boot!« Der Seewolf stürmte hinaus auf den Gang. Ferris Tucker und Stenmark hatten sich bereits in Bewegung gesetzt. Trampelnd rannten sie die Stufen des Niederganges hoch und jagten über das Quarterdeck an die Steuerbordreling. Hasard
gelangte als letzter dort an. Sie stiegen über das Schanzkleid. In den hölzernen Wulst gekrallt hingen noch die Enterhaken des Kommandos. Batuti, Matt Davies, Gary Andrews und Pete Ballie hatten aber inzwischen eine Jakobsleiter ausgerollt und an der Bordwand hinabgelassen. Francis Drake und die vier Männer hatten abgeentert und das Beiboot besetzt, das weisungsgemäß abgefiert worden war. Es schaukelte auf den Wellen des Flusses, ein gedrungenes Dinghi, das mit knapper Not allen acht Platz bot. Drake und die anderen blickten drängend zu Hasard hinauf. Der Seewolf grinste und winkte ihnen zu. »Rasch«, rief Drake, »übertreiben Sie’s nicht, Mister Killigrew!« Ferris Tucker hangelte an der Jakobsleiter nach unten. Der Schwede befand sich über ihm und hatte auch bereits den hölzernen Vorsprung verlassen. Hasard folgte ihnen. Nur einen Blick schickte er noch zu dem Achterkastell zurück. Das Feuer breitete sich rasch aus. Schon schlugen die Flammen aus dem Eingang und züngelten gierig nach oben. In einer Minute würden sie das gesamte Achterdeck belegt haben. Keine stolze spanische Kriegsgaleone würde es mehr sein, die da an der Ankerkette schwojte - sondern ein weithin sichtbares, loderndes Fanal. Ein warnendes Zeichen für alle, die glaubten, einen Francis Drake ungestraft entführen zu können. Hasard begab sich nach unten. Er saß neben Drake auf der Ducht, als sie ablegten. Das Dinghi hatte großen Tiefgang und schaukelte zunächst gewaltig. Da gab es nur eins: Das Gewicht gleichmäßig verteilen und stillsitzen. Sonst konnte es umschlagen. Hasard und Drake hockten im Heck. Batuti und Ferris Tucker nahmen die vor ihnen befindliche Ducht ein. Dann folgte das Zweiergespann Gary Andrews - Matt Davies. Schließlich, am Bug, Stenmark und Pete Ballie.
Die sechs Männer pullten, was das Zeug hielt. Kein Wort wurde gesprochen. Nur stummes Blicken zur Galeone hinüber bestimmte die Szene. Der Abstand zwischen dem dicken Brocken und der winzigen Nußschale wuchs. Hasard hatte die Sekunden in etwa gezählt und wußte, daß sie höchstens noch drei Minuten Zeit hatten. Prasselnd strichen die Flammen aus dem Achterkastell hervor. Sie griffen das Achterdeck an und schlugen am Besanmast empor. Binnen weniger Augenblicke loderte das Kreuzsegel. Auch auf dem Quarterdeck knisterte nun das Feuer. Vielleicht würden die Flammen noch vor der Explosion den Großmast eingedeckt haben, an ihm hochgeklettert sein und der Stenge den roten Hahn aufgesetzt haben. Das Beiboot glitt mit winziger Bugwelle auf den Platz zu, an dem die sieben ölglänzenden Männer ihr Abenteuer begonnen hatten. Ungefährt zwanzig Yards trennten sie noch vom Ufer desBlackwater. Hasard schaute über die rechte Schulter zurück und konnte am Achtersteven des spanischen Schiffes vorbei auf die gegenüberliegende Flußseite sehen. Das Boot mit Carberry und seinen Männern schob sich auf die Biegung zu. In kurzer Zeit würde es wieder in die Bucht segeln, in der sich die ›Marygold‹ und die ›Isabella von Kastillien‹ versteckt hielten. Carberry hatte scharf beobachtet und wußte, daß seine Mission beendet war. Vielleicht hatten der Profos und seine Leute auch den einen oder anderen Don im kalten Wasser zappeln sehen. Das Dinghi war noch nicht ganz an der Uferböschung des Blackwater, als die Kriegsgaleone bereits bis über die Kuhl hinaus loderte. Der Großmast hatte auch Feuer gefangen. Immer heller leuchtete der Brand. Rundum wurden den Wellen des Blackwater rötliche Glanzlichter aufgesetzt. Hasard bezweifelte, daß der spanische Capitan diesen Anblick als schön empfinden würde.
»Pullt«, trieb Hasard seine Männer an. »Sagt bloß, ihr seid abgeschlafft! Willig, willig, nur keine Müdigkeit vorschützen. Glaubt nicht, ihr hättet es schon geschafft, ihr Teufelsbraten!« Die sechs legten sich mit grimmigen Mienen in die Riemen. Ein letzter energischer Schub, und das Dinghi brachte die letzten Yards hinter sich. Mit einem Ruck stieß es gegen das Ufer. Pete Ballie kletterte als erster an Land. Es folgten die anderen in sinnvoller, disziplinierter Reihenfolge. Hasard sprang nach Francis Drake an Land. Hinter dem Ufergestrüpp drehte er sich sofort wieder zu der Galeone der Dons um. Tatsächlich, der rote Hahn flatterte nun anstelle des Wimpels auf dem Großmasttopp! Hasard grinste, warf sich herum und folgte den anderen, die auf den Hang des Hügels zuhasteten. »Noch eine Minute!« rief Ferris Tucker. Er hatte auch die Sekunden gezählt. Hasard blickte auf den brennenden Spanier. Inzwischen fegten die Flammen auch über die Back weg und setzten den Fockmast in Brand. Ein loderndes Flammenmeer hatte sich nunmehr über das gesamte Oberdeck verteilt. Schließlich erreichten die wilden gelben und roten Zungen auch die Galion, tanzten über den Bugspriet bis zum Klüverbaum und verzehrten die Blinde. Lichterlos fackelte die Galeone ab. »Jetzt«, sagte Ferris Tucker. »Es ist soweit.« »Fahr zur Hölle«, versetzte Gary Andrews beinahe feierlich und meinte damit natürlich die Galeone. Zuerst schien es, als habe sich Ferris Tucker verschätzt. Dann sagte Stenmark: »Mensch, Ferris, die Zündschnur ist ausgegangen.« »Unmöglich, ich bin doch nicht blöd«, gab der Zimmermann gereizt zurück. Er hatte das letzte Wort noch nicht ganz ausgesprochen, da begann es. Das Geschehen kündigte sich mit einem unterschwelligen
Grollen an. Die Zündschnur in der Pulverkammer war bis auf den letzten Stummel abgebrannt, jetzt zündete der Inhalt des Fasses. Bevor jedoch der Explosionslärm nach draußen drang, verging ein Augenblick. Dann setzte das Ereignis mit voller Wucht ein. Das Achterkastell zerbarst, als sei es aus dünnem Kistenholz. Wüst beulte sich das Achterdeck von unten her auf, ein greller Feuerblitz stob hervor. Es splitterte und krachte, donnerte und klirrte. Ein Faß nach dem anderen explodierte, und das Schiff wurde regelrecht auseinandergehauen. Trümmer wirbelten höher als die größte Mastspitze in den Nachthimmel hoch. Der Großmast und die Fock knickten wie Strohhalme um, der Besanmast war längst hinüber. Die stolze Kriegsgaleone brach in der Mitte auseinander. Durch den Rauch und Qualm hindurch konnten die schweigend beobachtenden Männer unten am Hügel sehen, wie der Bugspriet und ein Teil des Vorkastells brennend aus dem Wasser des Blackwater ragten. Rauch bedeckte den Ankerplatz des Spaniers. Letzte Trümmerteile hagelten nieder. Einige Plankenteile gerieten wirbelnd bis auf die Anhöhe - letzte Zeugen, die davon kündeten, daß die Galeone Wirklichkeit und kein Traum war. »Zurück an Bord«, sagte Philip Hasard Killigrew. »Wenn ihr euch eingebildet habt, daß ihr euch jetzt auf die faule Haut legen könnt, so habt ihr euch getäuscht. Keiner der Männer lachte, aber alle wußten, wie sie den barschen Hinweis aufzufassen hatten. Philip Hasard Killigrew war beileibe kein Leuteschinder. In der Beziehung schlug er nicht nach seinem Alten, Sir John Killigrew, sondern eher nach Francis Drake, der neben ihm auf den Hang zuging.
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Band 24
In der Falle der Spanier von John Curtis Die Spanier haben kapiert, daß sie von nur sieben Engländern aufs Kreuz gelegt wurden. Das geht entschieden gegen die Ehre ihres Capitans. Wild entschlossen, die Scharte auszuwetzen, organisiert er eine Gruppe von vierzig Mann und legt einen Hinterhalt. Drake, Philip Hasard Killigrew und die kleine Mannschaft müssen sich kräftig ihrer Haut wehren. Noch einmal entkommen sie der spanischen Übermacht. Doch am Schluß fehlt Batuti - und Drake trifft eine falsche Entscheidung. Die ›Marygold‹ setzt sich auf eine Sandbank. Es geht nicht mehr vor und nicht zurück - und über den Horizont schieben sich die Mastspitzen der Spanier heran ...