Papierflieger und ihre Physik
Falten und fliegen WERNER GRUBER
Ein Blatt Papier, ein paar Faltungen, ein perfekter Wurf, und man kann sich am ästhetischen Gleitflug eines Papierfliegers freuen. Für einen gelungenen Flug bedarf es jedoch einiger Tricks aus der Physik.
P
apierflieger und Drachen teilen ganz ähnliche Flugeigenschaften. Sie haben deshalb eine lange und nicht immer friedliche Geschichte. Im 5. Jahrhundert vor Christus experimentierte man in China schon mit Drachen aus Bambusstäben und Stoff: Diese schweren Apparate erhoben sich allerdings nur bei starkem Wind, Schnüre hielten sie fest und sorgten wie bei heutigen Drachen für den richtigen Anstellwinkel. Im Jahr 204 v. Chr. setzte der Legende nach der chinesische Feldherr Han Hsin Drachen für militärische Zwecke ein. Er wollte einen Tunnel unter eine feindliche Festung graben lassen, um sie zu stürmen. Um die dafür nötige Tunnellänge zu ermitteln, ließ er Drachen über die Festung treiben und dann aus der Länge der Drachenschnur die Entfernung ermitteln, die seine Soldaten graben mussten. In Japan baute man militärische Riesendrachen, die so groß waren, dass sie sogar Menschen tragen konnten. Damit wurden Späher oder fliegende Bogenschützen in die Lüfte geschickt. In der frühen Heian-Ära (782-1184 n. Chr.) wurden angeblich sogar kleine „Papier"-Flieger aus Holz und dünnem Papier mit scharfen, vergifteten Spitzen gebaut und in großer Zahl in Schlachten eingesetzt.
Menge Faltanleitungen [1-3] (siehe „Internet"). Manche Flieger haben
Der Auftrieb Man kann das Fliegen auf verschiedene Arten erklären: über den Druckunterschied unter und über der Tragfläche, über die Impulserhaltung der anströmenden Luft oder die Zirkulationsströmung um das Tragflächenprofil herum. Jede Erklärung hat Stärken und Schwächen, wenn es darum geht, ein Verständnis des Fliegens zu vermitteln. Im Folgenden werden alle drei Ansätze benutzt, um die Physik des Papierfliegers möglichst einfach zu erklären. Für den Auftrieb sind drei Parameter verantwortlich: die Größe der Tragfläche, der Anstellwinkel und die Fluggeschwindigkeit. Bei Papierfliegern ist die Wölbung der Tragfläche - also das eigentliche aerodynamische Profil - meist nicht ausschlaggebend. Das unterscheidet sie von größeren Flugzeugen. Ganz allgemein gilt für alle Flugzeuge, dass rund ein Drittel des Auftriebs durch einen Überdruck auf die Tragflächenunterseite verursacht wird. Mikroskopisch betrachtet sorgt der Flug dafür, dass die Luftmoleküle auf die Tragflächenunterseite prallen und dort reflektiert werden (Abbildung la). Die Impulsänderung der Moleküle bremst zum einen den Flieger in Flugrichtung ab (Luftwiderstand), und zum anderen drückt sie die Tragflächen nach oben. Die daraus resultierende Kraft wirkt (als Komponente senkrecht nach oben) der Gewichtskraft entgegen. Bei Motorflugzeugen und Jets kommt noch der aktive Vortrieb hin-
DOI:10.1002/piuz.200401047
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Über 320 Arten Heute sind Papierflieger ausgesprochen friedliche Fluggeräte. Damit ein solcher Flieger perfekt gleitet, müssen folgende Komponenten stimmen: das Papier, die Konstruktion, der Wurf und das Tuning - also die Verbesserung durch Versuche. Aus einem Blatt Papier lassen sich nach heutigem WisINTERNET sensstand über 320 Papierflieger falten, die sich in ihrer grundlegenBauanleitungen zu weiteren Planarfliegern www.phiuz.de (Zusatzmaterial zu den Heften) den Konstruktion unterscheiden. In BastelBauanleitungen und zusätzliche Informationen büchern und im Interbrain.exp.univie.ac.at net findet man jede Physik des Fliegens mit Animationen und Videos
www.wvbg.aic.by.schule.de/faecherjphlfliegenf
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eine pfeilförmige Gestalt und können verhältnismäßig große Strecken zurücklegen, andere sind perfekte Gleiter, die minutenlang in der Luft schweben können. Es gibt auch Bauformen, die schön aussehen, aber fluguntauglich sind. Dazu zählen die meisten Origami-Modelle. Für einen sauberen Flug ist es wichtig zu erkennen, für welchen Zweck ein Flieger konstruiert ist. Daraus ergeben sich die richtige Wurftechnik und das beste Tuning. Wenn man einen Flieger faltet, sollte man die Falze etwa mit dem Daumennagel oder dem Lineal nur sanft nachziehen. Sonst kann beispielsweise ein rundes Tragflächenprofil verloren gehen, das manchen Papierfliegern ihre speziellen Flugeigenschaften verleiht. Die Faltungen des Papiers sorgen für ein aerodynamisches Tragflächenprofil und Strukturkomponenten, welche die Flugeigenschaften wie Stabilität und Gleitwinkel beeinflussen. Die Flugeigenschaften hängen von drei Größen ab: • dem Auftrieb, • dem Schwerpunkt und • dem Luftwiderstand des Fliegers.
PAP1ERFLIEGER I PHYSIK IM ALLTAG
Der Autor und sein selbst gebauter Windkanal für Papierflieger. „Rauch" von verdampfendem, flüssigen Stickstoff macht die Umströmung des Papierfliegers sichtbar. Der Aufbau mit der Waage erlaubt es, den Auftrieb des Papierfliegers zu messen. (Foto: Lothar Bodingbauer.)
zu. Makroskopisch betrachtet sorgen diese Gegenkräfte dafür, dass sich unter dem Flügel ein erhöhter Luftdruck aufbaut [4]. Dieser Auftrieb funktioniert allerdings nur, solange der Anstellwinkel a zwischen dem Luftstrom und der Tragfläche größer Null ist. Sonst herrscht auf der Tragflächenunterseite kein Überdruck. Aber auch mit Anstellwinkel Null können Flugzeuge sich im Prinzip noch in die Lüfte erheben. Dafür brauchen sie gewölbte Tragflächenoberseiten. Physikalisch stellt diese Wölbung ein Hindernis für den Luftstrom dar. Nach dem Hydrodynamischen Paradoxon von Bernoulli gilt, dass an einem solchen Hindernis die Geschwindigkeit des Luftstroms zu- und gleichzeitig der Druck abnimmt. Auf einer Tragflächenoberseite mit ausgeprägtem aerodynamischen Profil passiert genau das: Die höhere Geschwindigkeit der Luft produziert einen Unterdruck, der die Tragfläche nach oben „saugt" (Abbildung lb). Bei normalen Flugzeugen ist der Bernoulli-Effekt wichtig, bei typischen Papierfliegern ist das gewölbte Längsprofil der Tragflächen weniger stark ausgeprägt. Deshalb ist für sie der Bernoulli-Effekt nur von untergeordneter Bedeutung [5]. Den dritten Beitrag zum Auftrieb liefert der Coanda-Effekt aus der Hydrodynamik [6]: Ströme aus einer Flüssigkeit oder einem Gas wie Luft zeigen die Tendenz, sich bei Annäherung an eine begrenzende Fläche an dieses Hindernis anzulegen und seiner geometrischen Form zu folgen. Das funktioniert allerdings nur, solange die Strömung zu keinen abrupten Richtungsänderungen gezwungen wird. Die sanft gewölbten Tragflächen von Flugzeugen erfüllen diese Bedingung. Deshalb schmiegt sich der von vorne auftreffende Luftstrom an die Tragflächenoberseite an. Die Wölbung lenkt den Oberflächen nahen Teil des Luftstroms im hinteren Tragflächenbereich nach unten ab und ändert so den Impuls der strömenden Luftteilchen (Abbildung lc). © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
Wegen der Impulserhaltung wird die Tragfläche nach oben „gesaugt". Da die Tragflächen von Papierfliegern kaum gewölbt sind, spielt bei ihnen der Coanda-Effekt nur dann eine Rolle, wenn der Anstellwinkel größer als Null ist. Zwar sorgt die vordere Flügelkante dann - rein geometrisch betrachtet - für eine abrupte Richtungsänderung der strömenden Luft, doch bei den geringen Geschwindigkeiten schaffen es die Tragflächen trotzdem, auf ihrer Oberseite den Luftstrom schräg nach unten abzulenken (Abbildung 2). Allerdings darf der Anstellwinkel nicht zu groß gewählt werden. Sonst verändern die Tragflächen die Richtung der anströmenden Luft zu stark, verursachen Wirbel und lassen den Luftstrom abreißen. Für den Auftrieb eines Papierfliegers hat der Coanda-Effekt also viel mehr Bedeutung als der Bernoulli-Effekt. Umso wichtiger ist der richtige Anstellwinkel. Zusammengefasst lässt sich also bilanzieren, dass bei Papierfliegern wie bei allen Flugzeugen der Auftrieb zu etwa einem Drittel durch den Überdruck auf der Tragflächenunterseite getragen wird. Die restlichen zwei Drittel übernimmt jedoch fast alleine der Coanda-Effekt auf der Tragflächenoberseite: Das unterscheidet Papierflieger von größeren Flugzeugen.
Stabilität, Schwerpunkt und Luftauftriebspunkt Im Prinzip ist ein Papierflieger einfach ein Blatt Papier, das schräg zur Luftströmung steht: Wozu muss es dann noch so aufwendig gefaltet werden? Die Faltung hat drei wichtige Aufgaben. Erstens gibt sie dem Blatt eine stabile Form und verhindert so, dass es in der Luftströmung flattert. Zweitens legt die Art der Faltung die Lage des Schwerpunkts und des Luftauftriebspunkts fest, an letzterem Punkt kann der Auftrieb geometrisch zusammengefasst werden. Bei Nr. 5 35. Jahrgang. 2004 Phys. Unserer Zeit
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ABB. 1 I AUFTRIEB
manchen Modellen hat sie auch noch die dritte Aufgabe, die Tragfläche leicht nach oben zu wölben. Für die Stabilität des Papierfliegers sorgen im Wesentlichen seine Längsfaltungen, vor allem der lange Knick zwischen Rumpf und Tragfläche. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Tragflächen in den Flieger hinein zu falten: parallel zum Rumpf oder in einem leicht schrägen Winkel zu ihm. Eine schräge Faltung verschiebt die Lage des Schwerpunkts relativ zum Luftauftriebspunkt: Zum Heck hin lässt diese Faltung die Tragflächen etwas kleiner werden, während die Höhe des Rumpfs wächst, das senkt auch den Auftrieb im hinteren Bereich. Für einen stabilen Flug muss sich der Schwerpunkt vor dem Luftaufa) Die Luftteilchen werden auf der triebspunkt befinden. Dadurch kippt Tragflächenunterseite reflektiert. der Papierflieger mit der Spitze nach b) Das Hydrodynamische Paradoxon unten, gewinnt durch die Erdbewirkt bei Hindernissen in der Luft. schleunigung an Fahrt und damit an c) Durch den Coanda-Effekt folgt die Luft der geometrischen Form der Auftrieb, der aber in der Gleitphase imTragfläche, die sie unten ablenkt; mer kleiner als die Schwerkraft bleibt. wegen der Impulserhaltung wird die Liegt der Schwerpunkt jedoch zu weit Tragfläche nach oben gedrückt. vorne, dann bekommt der Flieger sei(Crafik: Didi Sommer.) ne Nase nicht hoch und stürzt steil auf seine Spitze ab. In diesem Fall sollte der Schwerpunkt relativ zum Luftauftriebspunkt etwas nach hinten korrigiert werden. Zum Beispiel geht das durch die eben beschriebene schräge Faltung des Rumpfs. Bei manchen Fliegern liegt der Schwerpunkt zu nahe am Luftauftriebspunkt. Dadurch zieht die Schwerkraft nicht mehr vor allem die Spitze nach unten, sondern den Flieger „als Ganzes" parallel zum Boden hinunter. Das führt ebenfalls zu einem unkontrollierten Absturz. Mit einer Büroklammer kann man das verhindern, wenngleich das unehrenhaft für einen echten Papierfliegerbauer ist. Dazu wird
Abb. 2 Der Windkanal macht den Coanda-Effekt sichtbar: Der umströmende Rauch zeigt, dass der Flieger (mit Anstellwinkel größer Null) die Luft nach unten ablenkt. (Foto: Lothar Bodingbauer.)
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die Büroklammer in das vorderen Drittel des Rumpfes gesteckt und durch Probieren optimal positioniert. Ehrenhaftes Feintuning Ehrenhafter unter Papierflugzeugkonstrukteuren sind Änderungen an der Konstruktion ohne Hilfsmittel aus Fremdmaterialien. Diese beeinflussen dann nicht den Schwerpunkt, sondern den Anstellwinkel. Zum Beispiel kann man zu diesem Zweck die hinteren Ecken der Tragflächen leicht hoch biegen. Diese Biegung sollte kaum sichtbar sein, um eine optimale Wirkung zu erzielen. Unter gar keinen Umständen darf man die Ecken der Tragfläche richtig umknicken, und man sollte auch keine „Luftklappen" am Flügelende einreißen. Die hoch gebogenen Tragflächen erhöhen den Luftwiderstand und lassen den Flieger nach hinten kippen: Dadurch stellt er sich auf, sein Anstellwinkel wird größer und er gleitet dann meist auch besser. Allerdings müssen beide Flügelenden des Fliegers genau gleich stark gebogen sein, sonst macht er eine Kurve. Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, den Anstellwinkel zu verbessern. Dazu knickt man ein Dreieck in das Rumpfende und faltet es in den etwas gespreizten Rumpf hinein (Abbildung 3). Auch dieses Dreieck erhöht den Luftwiderstand hinten am Flieger und bewirkt somit den gleichen Effekt wie die aufgebogenen Tragflächen. Nach Bedarf kann man die Größe des Dreieckes und seine „Aufstellung" variieren. Eine weitere Variante, den Luftwiderstand im hinteren Bereich des Papierfliegers zu erhöhen, besteht in der Verwendung von zwei parallelen Einschnitten von unten in den Rumpf hinein (siehe Anleitung zum Modell Hörnet in „Der Planarflieger" auf S. 238). Dabei entsteht eine Lasche, die man nach oben umklappt, so dass sie oben aus dem Flieger heraus ragt. Auch sie vergrößert als „Luftbremse" den Anstellwinkel. Allerdings vermindert der Einschnitt in den Rumpf die Stabilität des Fliegers. Die letzte Faltung Viele bauen einen perfekten Papierflieger und geben sich bei den oft komplizierten Faltanweisungen sehr viel Mühe. Dann vergessen sie das Wichtigste: die letzte Faltung. Diese sollte den Tragflächen eine leicht nach oben gerichtete Stellung geben, so dass der Flieger von hinten betrachtet die Form eines Y bekommt (Abbildung 4, linke Spalte). Diese Y-Stellung (auch Dihydral-Stellung) verleiht ihm einen stabilen Flug durch die kleinen Luftturbulenzen, die auch in Innenräumen überall auftreten. Trifft eine solche Turbulenz den Flieger von der Seite (Pfeil in Abbildung 4), dann zwingt sie ihn zum Rollen, also zu einer Drehung um seine Längsachse. Die Y-Stellung wirkt diesem Effekt entgegen. Sie sorgt dafür, dass die Auftriebskräfte einerseits nach oben und andererseits zum Rumpf hin gerichtet sind (Abbildung 4, links oben). Kippt der Flieger um seine Längsachse, dann entstehen an den beiden Tragflächen unterschiedliche Auftriebswerte. Die der Störung abgewandte Tragfläche hat einen kleineren Anstiegswinkel © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
PAPIERFLIEGER
ABB. 3
PHYSIK IM ALLTAG
VERÄNDERUNG DES ANSTELLWINKELS
Falls der Flieger durch einen zu weit vorne liegenden Schwerpunkt zu kopflastig wird, kann ein Dreieck im Rumpfende das Flugverhalten verbessern. Als Luftbremse verändert es den Anstellwinkel. (Grafik: Didi Sommer.)
als die der Störung zugewandte Tragfläche. Infolgedessen ist auch ihre „effektive" Fläche in der Projektion parallel zur Erdoberfläche größer und trägt somit mehr zum Auftrieb bei (Mitte links): Dadurch rollt der Flieger weder in die ursprüngliche Lage zurück (links unten). Alternativ könnte man auch eine negative Y-Stellung mit nach unten „hängenden" Flügeln falten (Abbildung 4, rechte Spalte). Bei ihr würden dann die Auftriebskräfte nach oben und in seitlicher Richtung weg vom Rumpf wirken. Beim Rollen kehren sich nun die Verhältnisse um: Die Tragfläche, die die Störung trifft, bekommt wegen des „günstigeren" Winkels zur Erdoberfläche einen höheren Auftrieb als die andere Tragfläche (Mitte rechts). Das verstärkt die Rollbewegung, der Flieger trudelt und stürzt ab. Übrigens erklärt das auch, •warum die letzte Faltung eine T-Stellung der Tragflächen unbedingt vermeiden muss. Nach dem Loslassen öffnet sich nämlich der Rumpf, die Tragflächen kippen nach unten, und so erhält man ungewollt eine negative Y-Stellung. Der richtige Wurf Einen Papierflieger zu bauen ist eine Sache - ihn fliegen zu lassen eine andere. Viele Fehler passieren nicht beim Falten, sondern beim Abwurf. Leider ist es nicht einfach zu erklären, mit welcher Geschwindigkeit man einen Flieger in die Luft entlassen sollte. Der entscheidende Tipp besteht in der alten Weisheit „Übung macht den Meister". Versuchen Sie ruhig verschiedene Geschwindigkeiten und Startwinkel beim Abwurf. Vergessen Sie nicht, dass der Auftrieb eines Fliegers sehr stark von der Geschwindigkeit abhängt: Manche Flieger eignen sich eher für geringe Abwurfgeschwindigkeiten, während andere Flieger mit der ganzen Kraft des Arms in den Raum geschleudert werden müssen. © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
Den Boden erreicht ein Papierflieger im Prinzip über vier verschiedene Flugkurven, für die Abwurfgeschwindigkeit und der Abwurfwinkel die ganz wesentlich sind (Abbildung 5). Im einfachsten „Fall" entspricht die Bahn einer Wurfparabel und der Flieger stürzt ab (Abbildung 5, rote Kurve). Entweder ist dann der Flieger vorne zu schwer, der Anstellwinkel zu klein oder die Abwurfgeschwindigkeit zu gering. Bringt eine Erhöhung der Wurfgeschwindigkeit kein besseres Resultat, dann probieren Sie es mit der Faltung eines Rumpfdreieckes oder biegen sie die hinteren Ecken der Tragflächen nach oben. Es kann auch passieren, dass der Flieger nach dem Loslassen erst stark steigt, bis zum Höhepunkt seiner Flugkurve an Geschwindigkeit und Auftrieb verliert, dann überzieht und steil abstürzt (Abbildung 5, gelbe Kurve). Für diesen Fall gibt es mehrere Lösungen. Man kann die Abwurfgeschwindigkeit stark reduzieren und den Flieger nur mit einem sanften Abwurf in die Luft entlassen. Damit ist der Auftrieb geringer und es kommt nicht zum Überziehen. Eine andere Lösung besteht darin, die hinteren Flügelecken nach unten zu biegen. Damit wird der Anstellwinkel kleiner, aber der Auftrieb sollte noch immer ausreichen. Die unehrenhafte Lösung wäre die Verwendung einer Büroklammer - wiederum im vorderen Drittel des Bugs. Normalerweise kommt es aber zum Pendeln (Abbildung 5, blaue Kurve): Der Flieger sinkt zuerst stark, dabei steigt ABB. 4
DIE Y-STELLUNC
Ein Papierflieger fliegt nur stabil durch seitliche Störungen (Pfeil) aus Turbulenzen, wenn seine Tragflächen in Y-Stellung stehen (linke Spalte). Rechte Spalte: Eine negative Y-Stellung führt bei solchen Störungen zu einer „Selbstverstärkung" des Rollens und destabilisiert den Flieger. (Grafik: Didi Sommer.)
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DER PLANARFLIEGER
Manche Faltgrößen können willkürlich gewählt werden. Nur durch das richtige Ausprobieren kommt man zu tollen Ergebnissen. Dieses Modell hält den Weltrekord in der Flugdauer mit fast 30 Sekunden in der Luft.
1. Das Papier wird der Länge nach in der Mitte gefaltet und wieder aufgefaltet.
2. Die obere Kante wird um eine Daumenbreite nach unten gefaltet.
3. Der entstandene Streifen wird nochmals umgefaltet. Dies macht man solange, bis man ungefähr die Mitte des Papiers erreicht.
4. Die rechte und linke Seite werden zusammengefaltet.
5. Die Tragflächen werden gerade rund 1-2 Daumenbreiten gefaltet.
Die Y-Stellung nicht vergessen. Mit wenig Kraft leicht nach oben, leicht nach unten oder einfach geradeaus schießen.
Modell Hörnet
1. Man faltet das Papier der Länge nach und faltet es wieder auf.
2. Es wird eine einfache Spitze hinein gefaltet.
3. Das gesamte Dreieck wird nach unten zur Mitte hinein gefaltet.
7. Die beiden Tragflächen leicht schräg falten
5. Das kleine Dreieck wird umgefaltet.
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6. Das Papier umdrehen und zusammenfalten. Innen darf keine Faltung sein - die sind auf der Außenseite.
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4. Man drittelt den Bereich des umgekehrten Dreieckes und faltet auf diesen Punkt die beiden Ecken hin. ACHTUNG: Es entsteht eine stumpfe Spitze.
und fertig.
Mit einem kleinen Trick wird der Flieger meist besser: zwei Einschnitte in den Rumpf und die entstandene Lasche nach oben falten.
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PAPIERFLIEGER I PHYSIK IM ALLTAG
MODELL VORTEX
Dieser Papierflieger ist einer der wenigen Flieger, die aus einem dreieckigen Blatt Papier gefaltet werden. Die beiden Basisseiten sollten gleich lang sein. Am besten schneidet man sie aus einem Blatt Din-A4-Papier heraus.
Ende
1. Vom unteren Rand sollte ungefähr eine Daumenbreite umgefaltet werden. Dieses Mal sollte man nicht exakt parallel sondern etwas schief falten.
2. Diese Faltung wiederholt man einmal - wieder etwas schief.
3. Und noch einmal falten.
Ende 2
4. Danach legt man das gefaltete Dreieck mit der gefalteten Seite auf eine Tischkante und zieht das Dreieck mehrmals über die Tischkante. Nachdem das Dreieck schön gebogen ist, werden die beiden Enden 1 und 2 ineinander gesteckt (deshalb die leicht schräge Faltung).
So entsteht, aus der Flugrichtung betrachtet, ein Kreis. Mit den Fingern dafür sorgen, dass der Kreis schön rund wird: Der dick gefalzte Teil ist nämlich die „Spitze" des Fliegers. Die tonnenartige Form hat die gleiche stabilisierende Wirkung wie die Y-Stellung. Man hält den Flieger hinten mit zwei Fingern oben und dem Daumen unten, neigt ihn leicht nach unten und gibt ihm einen kleinen Stoß. Er stürzt ein wenig, fängt sich dann und gleitet langsam zu Boden. Der Vortex eignet sich für eindrucksvolle „Fernflüge" aus höheren Stockwerken.
seine Geschwindigkeit und wächst sein Auftrieb; das lässt ihn wieder steigen, doch dabei verliert er Tempo und kippt schließlich mangels Auftrieb vornüber, sinkt erneut stark und wird wieder schneller. So geht es weiter, bis der Flieger landet. Das Pendeln verursacht eine zu starke Luftbremse am Heck, und damit einen zu großen Anstellwinkel. Diese Bremse muss man dann durch „Trimmen" entschärfen, also je nach Konstruktion die hinteren Tragflächenecken zurück biegen oder das Rumpfdreieck verkleinern oder ganz wegnehmen. Man benötigt etwas Erfahrung und Zeit, um einen Papierflieger so zu trimmen, dass er einen absolut perfekten Gleitweg in Form einer Geraden nimmt (Abbildung 5, grüne Kurve). Dann erzielt man die größten Weiten. Papier ist nur begrenzt geduldig Es gibt sehr viele Sorten von Papier, aber für den Bau von Fliegern gibt es nur ein Unterscheidungsmerkmal: geeignetes oder ungeeignetes Papier. Geeignetes Papier besitzt eine Knickstabilität, die Falze bleiben also beim Flug erhalten. Deshalb taugen weder Zeitungspapier noch Papierhandtücher. Auch Karton oder schweres Papier sollte man meiden, denn es lässt sich nur schwer falten, und es besitzt keine Spannkraft: Die Falze sind sehr starr, federn nicht und der Flieger kann sich nicht an die Luftbewegungen anpassen. Geeignet ist jedes Papier mit 80 g/m2. Kopierpapier ist am billigsten und erfüllt alle wichtigen Bedingungen. Papier, auf dem schon kopiert -wurde, ist sogar um eine Spur besser, denn es -wird durch das Kopieren steifer und fester. Das © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
Papier kann sich in Textur, Tönung und Dicke unterscheiden. Für spezielle Origami-Modelle eignet sich 40 g/m2Papier ausgezeichnet, dann flattern ihre Flügel tatsächlich beim Fliegen. Leider funktioniert dieser Effekt nur einige Male, weil die Falze in diesem dünnen Papier schnell an Spannkraft verlieren. Wenn man schön bunte Modelle haben möchte, kann man auch Geschenkpapier verwenden - es ist ausreichend knickfest. Leider muss man es dann noch auf das A4-Format zurecht schneiden, das die meisten Modelle brauchen. Letzt-
Abb. 5 Ein Flieger kann grundsätzlich vier verschiedene Wege zum Boden einschlagen.
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lieh kann man aus den ungewöhnlichsten Papieren schöne Flieger bauen: Fahrkarten, Prospekte oder Speisekarten wovon aber in den meisten Restaurants abzuraten ist. Einige Tipps zum Schluss Wenn man Papier faltet, sollte man sorgfältig arbeiten. Dazu noch ein paar Tipps: • Arbeiten Sie nur auf einer festen Unterlage, weil die Faltungen dann exakter und stabiler werden. • Fassen Sie das Papier nur an, wenn sie wirklich damit arbeiten. Vor allem im Sommer verursacht sonst der Schweiß, dass sich das Papier wellt. • Achten Sie auf die Ecken: Wenn sie leicht verbogen sind, nehmen Sie lieber ein neues Blatt. Wie wir besprochen haben, können diese Biegungen das Flugverhalten nämlich stark beeinflussen. Und wie bewahrt man die Papierflieger am besten auf? Eigentlich gar nicht, denn wenn die Luftfeuchtigkeit etwas steigt, dann beginnt das Papier seine Eigenschaften, die es durch die Faltung bekommen hat, zu verlieren. Besondere Modelle oder schwierig zu faltende Modelle kann man vorsichtig in Plastikhüllen legen, dann bleibt die Faltung gut erhalten. Manche Flieger baut man zehnmal, doch nur einer fliegt. Meist stimmt dann die Abwurftechnik nicht. Seien Sie nicht frustriert, wenn es nicht auf Anhieb klappt. Überlegen Sie sich, warum der Flieger abstürzt, zur Seite rollt oder in Kurven fliegt: Durch genaueres Beobachten kann man das Problem meistens beheben. Falls der Flieger trotz aller Versuche nicht fliegen will, empfiehlt sich ein Neubau mit einem frischen Blatt Papier. Bei manchen Fliegern entstehen durch die Faltungen zufällig Wölbungen. Diese Wölbungen sollte man mit der flachen Hand glattstreichen. Gelegentlich kann das allerdings auch die Flugeigenschaften verschlechtern: Dann stellen Sie diese Wölbungen sachte wieder her. Viel Spaß beim Experimentieren!
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Zusammenfassung
Mit Papierfliegern können wichtige Eigenschaften der Aerodynamik anschaulich vermittelt werden: ein Blatt Papier, ein paar Faltungen und schon kann man experimentieren. Allerdings sind beim Trimmen des Fliegers einige Punkte zu be achten. Besonders wichtig ist die Y-Stellung der Flügel, die ihm Flugstabilität verleiht. Ist der Flieger fertig, dann gilt es, die dem Modell am besten angepasste Wurftechnik herauszufinden. Dazu variiert man Wurfgeschwindigkeit und Abwurfwinkel. Den Boden kann ein Papierflieger auf vier prinzipiell verschiedenen Flugkurven erreichen: Optimal ist die Gerade, dann fliegt er am weitesten.
Stichworte Papierflieger, Aerodynamik, Hydrodynamik, Auftrieb, Anstellwinkel, Bernoulli-Effekt, Coanda-Effekt, Auftriebspunkt, Schwerpunkt, Flugkurve.
Literatur [1] J. Mander, Papierflieger, Hugendubel, München 1994. P.Jackson, Papierflieger falten wie die Meister, Bechtermünz Verlag,
[2] Augsburg 1998. N. Robinson, Papierflieger die wirklich fliegen, Augustus Verlag,
[3] Augsburg 1994. Bergmann, Schäfer, Mechanik, Relativität, Wärme, Band 1, Walter de
[4] Gruyter1998. [5] K. Weltner, Flugphysik, Aulis Verlag Deubner, Köln 2001. [6] E. Cuyon et al., Hydrodynamik, Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig/Wiesbaden 1997.
Der Autor Werner Gruber, geb. 1970, Studium der Physik, Promotion am Institut für Experimentalphysik der Universität Wien, seit 1997 dort wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Neurophysik und Lehramtsausbildung. Hobby: Papierßeger. Anschrift: Werner Gruber, Institut für Experimentalphysik, Universität Wien, Boltzmanngasse 5, A-1090 Wien.
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MAGAZIN
MOL-GASTRONOMIE
Mayonnaise, Aioli & Co Hätten Sie einmal Lust auf selbst gemachte Mayonnaise? Oder ein cremiges, nach Knoblauch duftendes Aioli? Mögen Sie Fisch und eine kräftige Remoulade? Kein Problem, vor allem für Physiker, denn sie wissen, was zu tun ist, schließlich gehorchen all diese Kulinarien bestimmten molekularen Prinzipien. All diese Mayonnaisen sind mechanisch formstabil - zumindest solange sie nicht gegessen werden. Sie bestehen aus Eigelb, Öl, Gewürzen und vor allem aus Armschmalz, also mechanischer Energie, zum hinreichenden Schlagen der Zutaten. Doch der Reihe nach. Zunächst füllen wir zwei bis drei Teile Olivenöl und einen Teil Wasser in ein Glas mit Verschluss. Öl und Wasser mischen sich nicht, denn Wasser ist polar, während Öl unpolar ist. Es bildet sich zwischen beiden Komponenten eine Grenzfläche. Unter Schütteln geraten allerdings kleine Wassertropfen ins Öl, dadurch entstehen viele Grenzflächen. Die Bewegung erzwingt eine neue Phase: Es entstehen viele kleine Tröpfchen: Öl und Wasser bilden eine Emulsion. Diese ist allerdings nicht stabil und Öl und Wasser separieren sofort. Natürlich ist Öl und Wasser eine sehr schlechte Näherung für eine Mayonnaise, denn Eigelb besteht nicht nur aus Wasser, sondern enthält einen
erheblichen Anteil des grenzflächenaktiven Moleküls Lecithin (griechisch für Dotter!). Lecithin wirkt als Emulgator, denn sein elektrisch geladener Kopf ist hydrophil, also wasserlöslich, sein neutraler hydrophober Teil löst sich im Öl, ist also lipophil. Schlägt man Eigelb und langsam zugegebenes Öl mit dem Schneebesen, so bilden sich Wassertröpfchen im Öl. Dabei sind die Wassertröpfchen von lipophilen „Lecithinstacheln" umgeben. Darüber hinaus arrangieren sich die negativen Ladungen des Lecithins direkt unter der Oberfläche der Wassertröpfchen und sorgen zusätzlich dafür, dass sie Dank langreichweitiger Coulomb-Abstoßung separiert bleiben. Aus diesen Vorstellungen leiten sich jetzt eine Reihe beachtenswerter physikalischer Prinzipien für das Schlagen von Mayonnaisen ab. 1) Salzen Sie erst gegen Ende: Salzzugabe heißt erhöhte Ionenkonzentration. Die positiven Ladungen des Natriums arrangieren sich um
die negativen Ladungen des Lecithins und schirmen diese, nach einer Theorie von Debye und Hückel, ab. Dadurch wird aus dem Coulomb-Potential ein Debye-Hückel („Yukawa")-Potential, dessen Reichweite mit zunehmender Salzkonzentration ab nimmt. 2) Die Zugabe von Zitronensaft, also Säure, erniedrigt den pH-Wert. Dies ist vorteilhaft, denn in saurer Umgebung werden die Ladungen der Emulgatoren leichter frei gegeben. Die Säure erhöht sogar die Ladung mancher Emulgatoren. Dies unterstützt die Abstoßung. 3) Ist die Mayonnaise doch geronnen, ist noch nicht Alles verloren. Durch Einschlagen eines weiteren Eigelbs, das heißt mehr Lecithin und mehr Wasser, lässt sich dies korrigieren. Senf hilft übrigens auch, denn Senföle wirken wie Lecithin oberflächenaktiv und unterstützen so die Stabilität der Emulsion. Im Allgemeinen sind die Ergebnisse bei Handarbeit mit Schneebesen ausgezeichnet. Sollten Sie aber elektrische Mixer bevorzugen, ist das Resultat meist etwas flüssiger. Warum? Vermutlich liegt dies an der Größenverteilung der Tröpfchen. Versuche mit einem Mixer bei kleiner Drehzahl zeigen aber, dass sich durchaus feste Mayonnaisen erzeugen lassen. But further research is needed. Thomas Vilgis, MPIfür Polymerforschung, Mainz
PHYSIK IM BILD
Teilchenjagd unter Tage Für die nächste Generation von Teilchenbeschleunigern kommen nur zwei Typen in Frage: kreisförmige Proton-Proton-Collider und lineare Elektron-Positron-Collider. Beim CERN entsteht derzeit im Tunnel des ehemaligen LEP der Large Hadron Collider, LHC. In ihm werden zwei gegenläufige Protonenstrahlen auf jeweils 7000 CeV beschleunigt und zur Kollision gebracht. Der LHC wird über fast 1300 supraleitenden Dipolmagnete verfügen, die den Strahl auf die gekrümmte Bahn zwingen. Die Elektromagnete werden mit supraflüssigem Helium gekühlt und erreichen Felder von etwa 10 Tesla. Sie besitzen einen Durchmesser von jeweils 60 Zentimetern und sind 1,30 Meter lang. Auf dem Foto erkennt man im Zentrum die beiden Strahlkanäle. Unmittelbar darum herum liegen die supraleitenden Kabel aus einer Niob-Titan-Legierung, die von einem Stahlpanzer umschlossen sind (Foto: CERN).
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