Kleines 1 × 1 der Relativit¨atstheorie
Princeton, 4.5.1936 Liebe Nachwelt! Wenn ihr nicht gerechter, friedlicher und u¨ berhaupt vern¨unftiger sein werdet, als wir sind, bezw. gewesen sind, so soll euch der Teufel holen. Diesen frommen Wunsch mit aller Hochachtung ge¨aussert habend bin ich euer (ehemaliger) gez. Albert Einstein
Gottfried Beyvers · Elvira Krusch
Kleines 1 × 1 der Relativit¨atstheorie Einsteins Physik mit Mathematik der Mittelstufe 2. Auflage
Dr. Gottfried Beyvers Dr. Elvira Krusch http://www.1x1relativitaet.de
[email protected] 1. Auflage erschienen bei Books on Demand GmbH, Norderstedt, 2007 ISBN: 978-3-540-85201-8
e-ISBN: 978-3-540-85202-5
DOI: 10.1007/978-3-540-85202-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. c
Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009
Dieses Werk ist urheberrechtlich gesch¨utzt. Die dadurch begr¨undeten Rechte, insbesondere die der ¨ Ubersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielf¨altigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielf¨altigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zul¨assig. Sie ist grunds¨atzlich verg¨utungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten w¨aren und daher von jedermann benutzt werden d¨urften. Einbandgestaltung: eStudio Calamar S.L., F. Steinen-Broo, Girona, Spain; Design des Hintergrundmusters von Dipl.-Ing. Klaudius Krusch Gedruckt auf s¨aurefreiem Papier 9 8 7 6 5 4 3 2 1 springer.com
Vorwort
Wenn Sie gerne wissen m¨ochten, • • • •
was es mit dem Zwillingsparadoxon auf sich hat, woher das Gold bzw. Silber Ihres Ringes oder Kettchens letztlich stammt, warum es soviel Eisen auf der Erde gibt, warum Uhren in den Bayerischen Alpen tats¨achlich anders laufen als in Berlin, • wie der Himmel im Inneren eines Schwarzen Lochs aussieht • und vieles andere mehr, und bereit sind, einige human dargebotene Rechnungen nachzuvollziehen, dann sollten Sie auf jeden Fall weiterlesen! Das Grundger¨ust dieses leichtverst¨andlichen Textes zu den Relativit¨atstheorien entstand in seiner Urform zun¨achst als Strukturierungshilfe f¨ur die Autoren selbst, w¨ahrend sie ihre ersten B¨ucher u¨ ber Einsteins Werk lasen. Mit jeder weiteren ausgewerteten Literaturquelle stieg der Seitenumfang an, wiederholt und konsequent wurde dabei unanschauliches Material verworfen und anschaulicheres eingearbeitet. Das Ergebnis der vielj¨ahrigen Besch¨aftigung mit dieser Thematik ist die vorliegende Einf¨uhrung mit ihren leicht nachvollziehbaren Formelherleitungen. Hauptziel dieser Schrift ist es, den Leser unter Anwendung einfacher Schulmathematik an die Spezielle Relativit¨atstheorie hinzuf¨uhren (Kapitel 1) und ihm erste Einblicke in die Allgemeine Relativit¨atstheorie zu gew¨ahren (Kapitel 2). Diese Theorien sind keine weltfremden Ideenkonstrukte, sondern z¨ahlen immerhin zu den Grundpfeilern des heutigen Weltbildes und vieler moderner Wissenschaftszweige, u.a. der Theoretischen Physik, der Teilchenphysik, der Astrophysik und der Kosmologie; außerdem ist die Spezielle Relativit¨atstheorie eines der Standbeine der relativistischen Quantenmechanik. Auch bei verschiedenen technischen Anwendungen sind die Relativit¨atstheorien zunehmend im Spiel, z.B. bei der Kernenergieerzeugung, der v
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Vorwort
Strahlentherapie, der Geod¨asie, den satellitengest¨utzten Navigationssystemen (GPS und Nachfolgesysteme) etc. Der Wunsch nach einem Verst¨andnis von Einsteins Theorien ist unter naturwissenschaftlich Interessierten sehr weit verbreitet und bleibt doch meist unerf¨ullt. Mit ein Grund daf¨ur ist, daß manche Texte zu sehr an der Oberfl¨ache bleiben, andere nur wortreiche Umschreibungen von im Kern mathematisch einfach darstellbaren Zusammenh¨angen liefern, wieder andere hingegen den Leser mit vielen zu knapp erl¨auterten Formeln u¨ berfordern. Hier wird nun ein Mittelweg versucht: Mit Schulmathematik etwa auf Mittelstufenniveau, mit eing¨angigen Gedankenexperimenten, mit treffenden Analogien und nur das Wesentliche zeigenden Abbildungen werden die wichtigsten Aspekte der Relativit¨atstheorien verst¨andlich dargestellt. Der Speziellen Theorie wird die erste H¨alfte des Buches gewidmet, nicht weil sie zeitlich gesehen zuerst entstanden ist, sondern weil sie sehr viel leichter als die Allgemeine Theorie zu verstehen ist, ja sogar mit der hier verwendeten kleinen Schulalgebra“ fast vollst¨andig durchdrungen wer” den kann. Lediglich die Abschnitte 1.10 und 1.14 enthalten wenige einfache Anwendungen der Winkelfunktionen; diese Rechenschritte k¨onnen aber auch ohne Nachteil f¨ur das Gesamtverst¨andnis des Textes u¨ bersprungen werden. F¨ur eingefleischte Mathematikabstinenzler bietet der Abschnitt 1.17, der auch unabh¨angig vom Rest des Buches gelesen werden kann, eine alternative Einf¨uhrung in die Spezielle Relativit¨atstheorie, die ganz ohne Formeln zu bew¨altigen ist. Auch die Textpassagen der u¨ brigen Abschnitte sind meist so ausf¨uhrlich gehalten, daß sogar Leser, die einen großen Bogen um s¨amtliche Gleichungen machen, immer noch einen ausreichenden Eindruck von den Theorien bekommen d¨urften. Neben der Erarbeitung von interessanten Formeln kommen n¨amlich Erkl¨arungen der Zusammenh¨ange und Hinweise auf astronomische Bez¨uge nicht zu kurz. Gerade am Beispiel der Schwarzen L¨ocher (Kapitel 3) wird deutlich, wie sehr insbesondere die Allgemeine Relativit¨atstheorie das heutige Weltbild der Astrophysik beeinflußt. Zur Abrundung schließt der Text mit Kapitel 4 u¨ ber die verschiedenen Arten von ¨ Rotverschiebung einschließlich einigen wichtigen kosmologischen Uberlegungen. Die in den verschiedenen Abschnitten beispielhaft erw¨ahnten Typen von Himmelsk¨orpern werden im Anhang A zusammenfassend beschrieben. Die Fachleute aus der Theoretischen Physik m¨ogen den Autoren einige Vereinfachungen verzeihen; die ersch¨opfende Diskussion aller Umst¨ande f¨ur stets l¨uckenlose Beweisf¨uhrungen w¨urde viele Einsteiger vom Wesentlichen ablenken. Einige Herleitungen m¨ussen außerdem auf quasinewton” sche“ Weise erfolgen (v.a. Kapitel 2). Bei sorgf¨altigem, ggf. wiederholtem Studium aller Abschnitte in der vorliegenden Reihenfolge sollte wirklich jedem interessierten Leser der Zugang
Vorwort
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zu dieser Materie gelingen. Aber auch jemand, der evtl. nur einen Teil des Textes nachvollziehen kann, mag dies als f¨ur sich gewinnbringend empfinden. In diesem Sinne w¨unschen die Autoren viel Erfolg, zahlreiche Aha-Erlebnisse und vor allem Freude bei der Entdeckungsreise durch dieses immer wieder faszinierende Wissensgebiet.
Dr. G. Beyvers
Ergoldsbach, M¨unchen, 2008 Dipl.-Phys. Dr. E. Krusch
Hinweise: Aus Platzgr¨unden werden W¨orter wie Leser“, Beobachter“, Astronaut“ ” ” ” etc. nur in m¨annlicher Form verwendet. Die Autoren bitten darum, dies nicht als Vernachl¨assigung des weiblichen Geschlechts aufzufassen. Das Interesse auch aller Leserinnen ist ausdr¨ucklich willkommen. Die sogenannte alte Rechtschreibung ist in vielen Punkten eindeutiger als die durch die Rechtschreibreform verordnete Schreibweise. Sie eignet sich daher wesentlich besser zur Vermittlung des vorliegenden Stoffes und wird im gesamten Text verwendet.
Danksagung Bis zu seinem viel zu fr¨uhen Tod hat uns Herr Priv.-Doz. Dr. Hartmut Schulz bei der Ausarbeitung des Textes geduldig und selbstlos unterst¨utzt. Mit seiner herausragenden Fachkompetenz hat er entscheidend zur Verbesserung des Manuskripts beigetragen. Warum m¨ussen so großartige Menschen diese Welt oft zu fr¨uh verlassen? Dank geb¨uhrt auch Herrn Prof. Dr. Wolfhard Schlosser und Herrn Priv.-Doz. Dr. J¨org Frauendiener f¨ur die kritische Durchsicht des Textes. F¨ur einige Verbesserungsvorschl¨age bedanken wir uns ferner bei Frau Dr. Marianne Kupfer, bei Herrn Diplomphysiker Dr. Alexander Unzicker, bei Herrn Dipl.-Ing. Klaus Mischke und bei Herrn cand. rer. nat. Stefan Geier. Die Abbildungen und den Computer-Satz hat Herr Dipl.-Ing. Klaudius Krusch mit unvergleichlicher Genauigkeit angefertigt. Auch f¨ur die Umschlaggestaltung und die Erstellung der Homepage danken wir ihm herzlich. Als hilfreich empfanden wir nicht zuletzt auch den Service des SpringerVerlages.
¨ Lehrer und Fortgeschrittene Hinweise fur
Es mag einerseits vermessen erscheinen, Mittelstufensch¨ulern rotierende Schwarze L¨ocher oder die kosmologische Rotverschiebung nahebringen zu wollen. Andererseits werden solche Ph¨anomene gerade auch in vielen popul¨aren Medien aufgegriffen − leider zu oft in unsachgem¨aßer Weise. Deshalb schien es den Autoren w¨unschenswert, als Gegengewicht hierzu eine etwas sachlichere Darstellung zu schaffen, ohne jedoch die Faszination der Thematik verloren gehen zu lassen. Der Leser muß nat¨urlich mehr Zeit, Konzentration und M¨uhe investieren als beim Konsum leichterer Kost: Das Buch versteht sich daher vor allem als Arbeitstext f¨ur Interessierte. Der Schwierigkeitsgrad ist aber strikt der Mittelstufenmathematik und -physik angepaßt. Etwas komplexere Themen wurden als Anh¨ange aus dem Haupttext ausgegliedert. Im Gegensatz zum u¨ blichen Vorgehen erfolgt der Einstieg in die Spezielle Relativit¨atstheorie (SRT) (Kapitel 1) direkt u¨ ber die Einsteinschen Postulate, nicht u¨ ber den Michelson-Morley-Versuch. Dieser ist zwar f¨ur den Fortgeschrittenen lehrreich, der Einsteiger ger¨at aber mit den dabei angenomme¨ nen Rahmenbedingungen (ruhender Ather, variable Lichtgeschwindigkeit) allzuleicht zun¨achst aufs falsche Gleis“; und das Dilemma der Physik vor ” Einstein l¨aßt sich auch einfacher aufzeigen. Die Rechenschritte des Versuchs lernt der Leser trotzdem kennen: in Abschnitt 1.5 (Raumkontraktion), jedoch gleich unter der richtigen Devise: Invarianz von c. Fast alle Formelherleitungen beginnen mit einem Gedankenexperiment, obwohl die meisten Beziehungen der SRT auch direkt aus der LorentzTransformation ableitbar w¨aren. F¨ur den Anf¨anger ist es aber viel anschaulicher, wenn er jeweils mit einem Gedankenexperiment starten kann und sieht, wie daraus dann Gleichungen entwickelt werden. Auch die LorentzTransformation selbst wird mit einem Gedankenexperiment erarbeitet, da der u¨ bliche Weg ( Wir nehmen folgenden linearen Ansatz...“) f¨ur den Neu” ling wenig durchsichtig ist. Einige Gleichungsumformungen, die nur Platz eingenommen h¨atten, ohne den Leser neue Prinzipien zu lehren, wurden
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Hinweise f¨ur Lehrer und Fortgeschrittene
weggelassen. Gleiches gilt f¨ur Pr¨ufungsaufgaben“, diese w¨urden viele Ein” steiger doch nur frustrieren. Enthalten sind aber einige Beispielrechnungen und viele Hinweise, die den Leser zum Selberrechnen anregen sollen. Die Allgemeine Relativit¨atstheorie (ART) (Kapitel 2) und die Schwarzen L¨ocher (Kapitel 3) k¨onnen hier naturgem¨aß nur beschreibend erkl¨art werden, oft mittels Analogien. Letztere werden aber nur dort eingesetzt, wo sie physikalisch gerechtfertigt sind. In Kapitel 4 werden kosmologische Zusammenh¨ange (bereits unter Ber¨ucksichtigung des aktuellen Weltmodells) aus einer zum Teil ungewohnten Perspektive geschildert, die aber doch wissenschaftlich abgesichert ist (vgl. z.B. Publications of the Astronomical Society of Australia 2004, 21, 97-109). Das Literaturverzeichnis ist nicht als Empfehlungsliste anzusehen, sondern als Zusammenstellung der verwendeten Quellen. Literaturempfehlungen sind auf diesem Gebiet ein schwieriges Unterfangen, da der Nutzen eines bestimmten Werkes ganz empfindlich von den Mathematikkenntnissen des Lesers abh¨angt. Ein Versuch sei dennoch gewagt: • F¨ur die SRT kann Eine Formel ver¨andert die Welt“ von H. Fritzsch emp” fohlen werden; leicht zu lesen ist auch Spacetime Physics“ von Taylor ” und Wheeler. • Einfache, aber doch korrekte Darstellungen der ART sind leider extrem d¨unn ges¨at. Empfohlen werden kann Exploring Black Holes“ von Tay” lor und Wheeler; Grundkenntnisse der Differential- und Integralrechnung sind aber hierf¨ur n¨otig. • F¨ur kosmologisch Interessierte ist Cosmology“ (2. Auflage, 2000) von ” E.R. Harrison das Nonplusultra. F¨ur wen, außer dem schon erw¨ahnten Mittelstufensch¨uler, ist das Buch sonst noch geeignet? Eventuell auch f¨ur den hochmotivierten Hauptsch¨uler und f¨ur jedermann mit ausreichenden Algebra-Kenntnissen. Vielleicht k¨onnen auch einige Studenten der Naturwissenschaften Teile des Textes als prop¨adeutische Lekt¨ure nutzen. Falls den Autoren nach Drucklegung noch Fehler im Text bekannt werden, erfolgt deren Ver¨offentlichung unter www.1x1relativitaet.de . Die Leser k¨onnen ihrerseits eventuelle Fehlermeldungen an die dort angegebene E-Mail-Adresse richten.
Verzeichnis der verwendeten Gr¨oßen ¨ und Abkurzungen
Verwendete Gr¨oßen Allgemein: c
Lichtgeschwindigkeit im Vakuum
= 2, 99792458 · 108
G
Gravitationskonstante
= 6, 674 · 10−11
π
Kreiszahl Pi
= 3, 1416
h
Plancksches Wirkungsquantum = 6, 6261 · 10−34 J · s km/s Hubble-Konstante = 71 ± 4 Mpc
H0 Erde:
g RE
Erdfallbeschleunigung, Mittelwert Erdradius, Mittelwert
ME Erdmasse ρL
Sonne:
RS
m3 kg · s2
m s2 = 6 371 km
= 9, 807
= 5, 974 · 1024 kg
Dichte der Luft (0◦ C, 1013 hPa)
= 1, 293
Radius der Sonne
= 695 500 km
kg m3
MS Masse der Sonne
= 1, 989 · 1030 kg
RS
= 2, 954 km
Schwarzschild-Radius
m s
xi
xii
Verzeichnis der verwendeten Gr¨oßen und Abk¨urzungen
Einheiten L¨ange:
m
Meter
1 AE
Astronomische Einheit = 149 597 871 km (Definition auf der Basis der mittleren Entfernung Erde - Sonne)
1 Lj
Lichtjahr (Lichtweg in = 9, 461 · 1012 km = 0,3066 pc 365,2422 Tagen) = 63 240 AE
1 pc
Parsec
= 3, 0857 · 1013 km = 3, 2616 Lj = 206 264, 8 AE
Winkel:
1 rad
Radian (360◦ / 2π)
= 57, 29578 Winkelgrade = 206 264, 8 Bogensekunden
Zeit:
s
Sekunde
Masse:
kg 1t
Kilogramm Tonne
Hz
Hertz (Schwingungen/s)
Frequenz:
Temperatur: K
Kelvin = ◦ Celsius plus 273,15
Energie:
Joule (J = kg·m2 /s2 = Nm = Ws)
1J
= 1000 kg
= 2, 7778 · 10−7 kWh
1 kWh Kilowattstunde
= 3, 60 · 106 J
1 erg
Erg
= 10−7 J
Leistung:
W
Watt (W = J/s = kg·m2 /s3 )
Kraft:
N
Newton (N = kg·m/s2 )
Verzeichnis der verwendeten Gr¨oßen und Abk¨urzungen
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Zehnerpotenzen 10−24 10−21 10−18 10−15 10−12 10−9 10−6 10−3
= = = = = = = =
YoctoZeptoAttoFemtoPikoNanoMikroMilli-
103 106 109 1012 1015 1018 1021 1024
= = = = = = = =
KiloMegaGigaTeraPetaExaZettaYotta-
= 0, 000 000 000 000 001 = 0, 000 000 000 001 = 0, 000 000 001 = 0, 000 001 = 0, 001 = = = = =
(y) (z) (a) (f) (p) (n) (μ) (m)
1 000 (k) 1 000 000 (Mio) (M) 1 000 000 000 (Mrd) (G) 1 000 000 000 000 (T) 1 000 000 000 000 000 (P) (E) (Z) (Y)
¨ Symbole und Abkurzungen a ART E g m, M p, P r, R R R RZD SRT t, T T v, u, w V
Beschleunigung VAB Allgemeine Relativit¨atstheorie x, y, z z Energie ν Erdbeschleunigung λ Masse α, β, ϕ Impuls γ Radius ∞ Skalenfaktor Schwarzschild-Radius > < Raum-Zeit-Diagramm Spezielle Relativit¨atstheorie ≤ Zeit oder Zeitintervall ≈ Schwingungsperiode = Geschwindigkeiten Volumen
Versuchsaufbau Orte, Strecken Rotverschiebung Frequenz Wellenl¨ange Winkel Gamma-Faktor unendlich gr¨oßer als kleiner als sehr viel kleiner als kleiner oder gleich ann¨ahernd gleich ungleich
Weitere Abk¨urzungen werden in den betreffenden Abschnitten erl¨autert.
Inhaltsverzeichnis
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.1 Prinzip der Relativit¨at . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 1.1.2 Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.2 Beweis der Invarianz von Strecken quer zur Bewegungsrichtung – Alles wie gehabt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.3 Zeitdilatation – Geschwindigkeit verlangsamt Uhren . . . . . . . . 10 1.4 Mathematik-Exkurs – Rechnen mit Exponenten . . . . . . . . . . . . 19 1.5 Lorentz- oder Fitzgerald-Kontraktion – Der Raum schrumpft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.6 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit – Kann vorher gleichzeitig nachher sein? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1.7 Addition“ hoher Geschwindigkeiten – Eins plus eins ” gleich eins? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.8 Das Zwillingsparadoxon – l¨uckenlos erkl¨art . . . . . . . . . . . . . . 43 1.9 Massenzunahme – Wir machen aus einer M¨ucke einen Elefanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1.10 Aberration des Lichts − Ein Knick in der Optik? . . . . . . . . . . . 58 1.11 Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas ” Absolutes! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 ¨ 1.12 Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee ” Quadrat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1.13 Die Lorentz-Transformation – Ein n¨utzlicher Dolmetscher . . . 96 1.14 Doch schneller als das Licht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1.14.1 Das Scherenproblem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 ” 1.14.2 Das Leuchtturmproblem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 ” 1.14.3 Tachyonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 ¨ 1.14.4 Uberlichtgeschwindigkeit bei der Bewegung schneller Teilchen in Medien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
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Inhaltsverzeichnis
1.14.5
1.15 1.16 1.17
1.18
Lichtechos von Novae und Supernovae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1.14.6 Materie-Jets bei Quasaren, Mikro-Quasaren, Radiogalaxien etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1.14.7 Quantenmechanische Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 ¨ 1.14.8 Uberlichtgeschwindigkeit bei der Expansion des Weltalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 ¨ 1.14.9 Vermeintliche Uberlichtgeschwindigkeit bei Mißachtung der Raumkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . 116 ¨ 1.14.10 Uberlichtschneller Fluß des Raumes in Schwarzen L¨ochern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1.14.11 Das Stabproblem“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 ¨ ” 1.14.12 Uberlichtschnelle Rakete im Anflug! . . . . . . . . . . . . . 118 1.14.13 Der rasende Bildschirmpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1.14.14 Phasengeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 ¨ 1.14.15 Uberlichtgeschwindigkeiten in der Allgemeinen Relativit¨atstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 ¨ 1.14.16 Scheinbare Uberlichtgeschwindigkeit bei Mißachtung des Additionstheorems . . . . . . . . . . . . . . 121 Wichtige relativistische Effekte auf einen Blick . . . . . . . . . . . . 124 Schein oder Wirklichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.17.1 Teil 1 – Ein umgebauter Fahrplan . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.17.2 Teil 2 – Andere Leute, andere Achsen . . . . . . . . . . . . 140 1.17.3 Teil 3 – Reiche Ernte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls mit invarianter Masse (nur f¨ur tiefer Interessierte) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie . . . . . . . . . . 191 2.1 Einf¨uhrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2.2 Die Ablenkung von Licht durch Gravitation − Linsen ohne Glas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2.4 Gravitative Zeitdilatation – Bei Dicken geht’s gem¨utlich zu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 2.5 GravitativeRotverschiebung−Schwerwiegendes l¨aßt err¨oten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 2.6 Anhang zu Kapitel 2 – Kovarianz, Invarianz, Konstanz und Erhaltungsgr¨oßen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Inhaltsverzeichnis
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3 Der Extremfall der Gravitation − Die phantastische Welt der Schwarzen L¨ocher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3.1 Definition Schwarzer L¨ocher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 3.2 Aufbau und Eigenschaften (nicht-rotierender) Schwarzer L¨ocher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 3.3 Zwerge und Giganten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 3.4 Besonderheiten rotierender Schwarzer L¨ocher . . . . . . . . . . . . . . 277 4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 ” 4.1 Was ist Rotverschiebung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung . . . . . . . . . . 289 4.2.1 Konventionelle Rotverschiebung/Klassischer Doppler-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 4.2.2 Longitudinaler Doppler-Effekt der SRT . . . . . . . . . . 290 4.2.3 Transversaler Doppler-Effekt der SRT . . . . . . . . . . . . 292 4.2.4 Gravitative Rotverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4.2.5 Kosmologische Rotverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . 295 ¨ 4.3 Weitere kosmologische Uberlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 4.4 Das Weltall als Raum-Zeit-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 A Rote Riesen, Weiße Zwerge & Co. − Was steckt hinter diesen Namen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 A.1 Hauptreihensterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 A.2 Rote Riesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 A.3 Weiße Zwerge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 A.4 Neutronensterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 A.5 Schwarze L¨ocher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 B Biographische Daten zu Albert Einstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 C Die neuesten Daten glasklar − unsere kosmologische Tabelle . . . 339 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
Kapitel 1
Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
1.1 Vorbemerkung Albert Einstein hat die Spezielle Relativit¨atstheorie (SRT) in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts erarbeitet. Mit dieser neuen Theorie erl¨oste er die damalige Physik aus einem großen Dilemma: Einerseits war experimentell nachgewiesen worden, daß die Geschwindigkeit des Lichts unabh¨angig von der Geschwindigkeit der Quelle und des Beobachters stets exakt denselben Wert aufweist. Andererseits sollte die zu messende Lichtgeschwindigkeit nach der alten Newtonschen Physik sehr wohl variabel sein: Danach sollte z.B. das Licht einer Straßenlaterne bei einem mit 80 km/h davonfahrenden Auto mit der Geschwindigkeit (Lichtgeschwindigkeit minus 80 km/h) ankommen. Viele der f¨uhrenden Physiker der damaligen Zeit hatten sich vergeblich darum bem¨uht, diesen eklatanten Widerspruch zu kl¨aren. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert lag die L¨osung gewissermassen in der Luft: Wesentliche Vorarbeiten hatten n¨amlich schon insbesondere der niederl¨andische Physiker Hendrik Antoon Lorentz (1853-1928) und der franz¨osische Mathematiker Henri Poincar´e (1854-1912) geleistet. Aber erst der bis dahin weitgehend unbekannte Albert Einstein hat in seinem Artikel Zur Elektrodynamik bewegter K¨orper“, erschienen 1905 in den Annalen ” der Physik, Band 17, Seiten 891 bis 921, den endg¨ultigen Bruch mit der alten Physik vollzogen. Der damalige Beamte des Patentamtes Bern in untergeordneter Position gilt seitdem als der Begr¨under der SRT. Es muß aber auch erw¨ahnt werden, daß Poincar´e unabh¨angig von Einstein die wesentlichen mathematischen Strukturen der SRT aufgedeckt und sie fast zeitgleich mit Einstein in zwei Zeitschriftenbeitr¨agen dargelegt hat. Wesentlicher Inhalt der SRT ist eine v¨ollig neue Auffassung von Raum ¨ und Zeit; die Theorie ist in sich widerspruchsfrei und in Ubereinstimmung mit allen einschl¨agigen Experimenten und Beobachtungen. Sie beruht vor allem auf den folgenden zwei Postulaten (grundlegenden Annahmen): G. Beyvers, E. Krusch, Kleines 1 × 1 der Relativit¨atstheorie, 2. Aufl., C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85202-5 1,
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
1.1.1 Prinzip der Relativit¨at Nach diesem Prinzip, das schon von Galileo Galilei (1564-1642) benutzt wurde, kann ein Beobachter in einem geradlinig bewegten und unbeschleunigten System nicht feststellen, ob er sich in einem ruhenden oder bewegten System befindet. Galilei nannte als Beispiel ein auf ruhiger See dahingleitendes Schiff. Ein Passagier in einer geschlossenen Kabine kann in der Tat nicht feststellen, ob sich das Schiff gleichm¨aßig vorw¨arts bewegt oder ob es ruht. Zum Beispiel laufen Fallexperimente darin unabh¨angig von der Geschwindigkeit des Schiffes stets gleich ab: So w¨urde etwa ein von einem Punkt der Kabinendecke fallender Tropfen jeweils an derselben Stelle landen, egal ob das Schiff steht oder mit z.B. 10 Knoten gleichm¨aßig geradeaus f¨ahrt. Ein Experimentator kann durch keinen Versuch im Schiffsinneren die Geschwindigkeit des Schiffes bestimmen. Selbst Str¨omungsger¨ausche sind kein Beweis f¨ur eine Bewegung des Schiffes; die gibt es auch bei einem verankerten Schiff in einer Meeresstr¨omung. Genaugenommen weist Galileis Beispiel aber Schw¨achen auf, weshalb man sich besser einem anderen Modell f¨ur ein geradlinig und unbeschleunigt bewegtes System zuwenden sollte, was uns Kindern des Raumfahrtzeitalters nicht besonders schwer fallen d¨urfte: Als modernes Modell f¨ur ein solches System k¨onnte man sich ein Raumschiff mit abgeschaltetem Triebwerk weitab von irgendwelchen Himmelsk¨orpern vorstellen. Ein solches System, • das sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit und ohne Rotation geradeaus bewegt, • in dem Beobachter deshalb keine Kr¨afte als Folge der Bewegung wahrnehmen, • in dem ebenso freie Testmassen aller Art keine Kr¨afte sp¨uren“ und die ” deshalb (falls nicht angestoßen) darin ruhen oder sich (falls angestoßen) mit gleichbleibender Geschwindigkeit geradeaus bewegen, • in dem sich auch Licht mit gleichbleibender (s.u.) Geschwindigkeit geradeaus bewegt, nennt man Inertialsystem. Im Gegensatz dazu sind in beschleunigten Systemen, mit denen wir uns im Kapitel 1 nur am Rande befassen werden, sehr wohl Kr¨afte sp¨urbar: ¨ • Bei Anderung des Geschwindigkeitsbetrages (Bremsung / Beschleunigung): Tr¨agheitskraft in bzw. entgegen der Bewegungsrichtung. ¨ • Bei Anderung der Geschwindigkeitsrichtung (Rotation des Systems oder Kurvenflug): Fliehkraft nach außen“; bei Bewegung innerhalb eines ” rotierenden Systems: Corioliskraft.
1.1 Vorbemerkung
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In Inertialsystemen gilt das Relativit¨atsprinzip ganz allgemein, im Beispiel des Raumschiffs nicht nur im Inneren der Astronautenkabine, sondern auch nach außen hin. Nicht nur Experimente in der Kabine laufen unabh¨angig von der Geschwindigkeit nach denselben Gesetzm¨aßigkeiten ab, lassen demnach eine Geschwindigkeitsbestimmung nicht zu, auch f¨ur alle Beobachtungen und Experimente außerhalb gilt dies: Die Raumfahrer k¨onnen zwar z.B. ihre Relativgeschwindigkeit zur Erde, zur Sonne oder zu irgendeinem anderen Himmelsk¨orper durch Beobachtungen messen, nicht jedoch ihre Absolutgeschwindigkeit. Welchen Bezugspunkt sollten sie dabei auch nehmen? Nirgendwo im Weltall gibt es einen wirklich festen Boden“! Weder ist die ” Angabe einer Absolutgeschwindigkeit m¨oglich, noch gibt es eine absolute ” Ruhe“; kein Inertialsystem kann diesen Sonderstatus f¨ur sich in Anspruch nehmen. Da Experimente in allen Inertialsystemen unabh¨angig von der Geschwindigkeit verlaufen und sich kein solches System durch eine festgelegte Absolutgeschwindigkeit auszeichnet, sind alle Inertialsysteme gleichwertig (¨aquivalent). Und wenn alle Inertialsysteme a¨ quivalent sind, dann kann sich ein Beobachter in jedem beliebigen Inertialsystem genausogut als ruhend ansehen. (So wie wir das auf der Erde oft tun, obwohl die Erdoberfl¨ache nicht einmal ein Inertialsystem darstellt.) Nat¨urlich ist jeder, der sich in bezug auf ein Inertialsystem mit gleichbleibender Geschwindigkeit geradeaus bewegt (und nicht rotiert), selbst wieder ein Teil eines Inertialsystems oder ein Inertialbeobachter. Das Recht eines jeden Inertialbeobachters, sich als ruhend zu betrachten, bereitet fast jedem, der erstmals damit konfrontiert wird, gewisse Schwierigkeiten. Deshalb ein Beispiel hierzu: Ein Raumschiff, das mit abgeschaltetem Triebwerk von der Erde zum Stern Wega unterwegs ist, kann als Inertialsystem angesehen werden. Demnach hat die Besatzung das Recht zu sagen: Wir r¨uhren uns nicht von diesem Fleck hier. Von unserem Ort hier ist vor ” kurzem die Erde in Richtung unseres Hecks weggeflogen. In einiger Zeit wird Wega auch hier bei uns vorbeikommen. Wir erwarten sie aus Bugrichtung.“1
Das ist aber mehr als nur eine lustige Wortspielerei. Es ist eine f¨ur bestimmte Berechnungen sogar notwendige Betrachtungsweise! In einigen der folgenden Berechnungen wird nach der Ortsver¨anderung eines Inertialbeobachters aus eigener Sicht gefragt. An diesen Stellen ist immer null einzusetzen. In der Rechentechnik der SRT wird also aus dem Recht, sich als ruhend anzusehen, sogar eine Pflicht!
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Und von Einstein wird berichtet, daß er den Schaffner gefragt habe: H¨alt Z¨urich ” auch bei diesem Zug?“
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Merke: Die Ortsver¨anderung eines Inertialbeobachters aus eigener Sicht ist immer null! Das zweite zu besprechende Postulat wird diesen Punkt best¨atigen. Woher kommt eigentlich der Name Inertial“system? Der Ursprung ” liegt im Wort inertia“, lateinisch f¨ur Tr¨agheit“. Die Berechtigung dieser ” ” Namenswahl ergibt sich ganz von selbst, wenn man bedenkt, daß die obige Definition der Inertialsysteme nur das Erste Newtonsche Gesetz, das Tr¨agheitsprinzip, widerspiegelt: Jeder K¨orper beh¨alt seine Geschwindigkeit nach Betrag und Richtung so lan” ge bei, wie er nicht durch a¨ ußere Kr¨afte gezwungen wird, seinen Bewegungszustand zu a¨ ndern.“
Dieses Erste Newtonsche Gesetz bleibt also (im Gegensatz zum Großteil der Newtonschen Mechanik) in der SRT unangetastet. Wie groß muß man sich ein Inertialsystem vorstellen? Im (idealisierten) schwerkraftfreien Raum der SRT gibt es daf¨ur keine Obergrenze. Dem Inertialsystem eines gleichf¨ormig bewegten Beobachters A kann jedes auch noch so weit entfernte Objekt O zugeordnet werden, sofern sich O mit derselben Geschwindigkeit in dieselbe Richtung wie A bewegt. Alle anderen gleichf¨ormig bewegten Objekte mit • anderem Geschwindigkeitsbetrag und/oder • anderer Bewegungsrichtung geh¨oren dagegen fremden Inertialsystemen an. Ebenso kann jedes zeitlich ” entfernte“ Objekt dem Inertialsystem von A zugeordnet werden, also auch ein Objekt, das in der Vergangenheit dort ruhte, oder ein Objekt, das in der Zukunft dort ruhen wird. ¨ Obige Uberlegung zeigt auch, daß Inertialsysteme nicht unbedingt abgeschlossene Gebilde (z.B. Raumschiffe) sein m¨ussen. Sie k¨onnen vielmehr auch offen“ sein und sich deshalb auch gegenseitig durchdringen. Die ent” scheidenden Kriterien f¨ur die Mitgliedschaft“ in einem bestimmten Iner” tialsystem sind die identische Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung der Objekte (auch wenn sich zwischen ihnen Fremdlinge“ aus anderen ” Systemen tummeln). So k¨onnte man im obigen Beispiel die beiden Himmelsk¨orper Erde und Wega (bei Vernachl¨assigung ihrer langsamen Eigenbewegungen) demselben Inertialsystem zuordnen, w¨ahrend das zwischen ihnen mit hoher Geschwindigkeit fliegende Raumschiff ein anderes Inertialsystem verk¨orpert. Vielleicht inspiriert durch stets identische Ergebnisse bei Lichtgeschwindigkeitsmessungen hat Einstein die G¨ultigkeit dieses Relativit¨atsprinzips nicht nur f¨ur die Mechanik, sondern auch f¨ur alle anderen Bereiche der Physik (und Chemie etc.) postuliert. Demnach gelten nicht nur die Gesetze
1.1 Vorbemerkung
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der Mechanik in allen Inertialsystemen in identischer Form, sondern auch alle anderen Naturgesetze. Dies bedeutet: Alle denkbaren Experimente aus allen Wissenschaftsgebieten verlaufen in allen Inertialsystemen nach denselben Gesetzm¨aßigkeiten, das gilt z.B. auch f¨ur Versuche zum Elektromagnetismus oder zur Lichtausbreitung. (Von letzterer wird in den folgenden Abschnitten intensiv Gebrauch gemacht werden.) Und daraus folgt wiederum: Mit keinem naturwissenschaftlichen Versuch kann eine Absolutgeschwindigkeit eines Inertialsystems bestimmt werden; absolut keine Methode l¨aßt die Unterscheidung von Ruhe und gleichf¨ormiger Bewegung zu. Damit war auch der vor Einstein als absolut ruhendes Lichtwellen-Tr¨agermedium angesehene Licht¨ather“ gegenstandslos, es gibt ihn nicht! ” Durch die Ausweitung des Postulats auf alle Naturgesetze wird es zum Relativit¨atsprinzip der SRT: Alle Inertialsysteme sind in jeder Beziehung gleichberechtigt. Wenn in vielen der folgenden Gedankenexperimente die Rede davon ist, daß ein Beobachter oder der Versuchsaufbau ruht“, dann dient diese Angabe ” nur zur Unterscheidung von relativ dazu bewegten Objekten und soll keine absolute Ruhe ausdr¨ucken, eine solche gibt es in der SRT nicht. Dar¨uberhinaus machen Geschwindigkeitsangaben nur dann Sinn, wenn man auch angibt, relativ zu welchem Bezugssystem sie gelten. F¨ur die Ausweitung des Relativit¨atsprinzips auf alle Bereiche der Physik gab es auch a¨ sthetische Gr¨unde: Einstein empfand es im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Physik als Makel, daß dieses Prinzip f¨ur einen Teilbereich der Naturwissenschaften (die Mechanik) g¨ultig sein sollte, f¨ur andere dagegen nicht.
1.1.2 Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum Dieses zweite Postulat besagt: Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum hat, unabh¨angig von der Geschwindigkeit der Lichtquelle und auch der Beobachter in Inertialsystemen, stets denselben Wert c“: knapp 300 000 km/s (c von celeritas, lat. f¨ur Schnel” ligkeit). Beispiel: Ein Raumschiff fliegt mit 90% der Lichtgeschwindigkeit, also 0,9 c, an der Erde vorbei. Es gibt dabei einen Lichtblitz in Flugrichtung ab, der aus Sicht der Besatzung, die sich nat¨urlich als ruhend betrachten kann (s.o.), die Geschwindigkeit c hat. Aber auch f¨ur Beobachter auf der Erde hat der Lichtblitz Lichtgeschwindigkeit, nicht etwa 1,9 c! Sogar jeder Beobachter in einem Inertialsystem wird den Lichtblitz mit der Geschwindigkeit c sehen“. Auf diese scheinbar widerspr¨uchliche Aussage baut die ” gesamte SRT auf, letztere ist aber in sich und mit allen Beobachtungen
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
widerspruchsfrei, wie sich zeigen wird. Das Prinzip der Konstanz von c ist in der Praxis durch Messungen mit enormer Genauigkeit best¨atigt worden.2 So widerspr¨uchlich das Prinzip der Konstanz von c einerseits erscheint, ¨ so ist es bei genauerer Betrachtung andererseits doch in voller Ubereinstimmung mit dem Relativit¨atsprinzip: W¨urden n¨amlich Beobachter in verschiedenen Inertialsystemen verschiedene Lichtgeschwindigkeiten messen, dann k¨onnten sie aus diesen unterschiedlichen Geschwindigkeiten R¨uckschl¨usse auf ihren eigenen Bewegungszustand ziehen. Und damit w¨are das Relativit¨atsprinzip verletzt, wonach kein Experiment die Bestimmung der eigenen Geschwindigkeit erm¨oglicht. Somit muß jeder Beobachter in einem Inertialsystem immer dieselbe Lichtgeschwindigkeit c messen. Auch das Prinzip der Konstanz von c f¨uhrt (wie das Relativit¨atsprinzip) zu dem Resultat, daß jeder Inertialbeobachter aus eigener Sicht ruht, denn: Wollte man durch Messung der Geschwindigkeit des Lichts verschiedenster Lichtquellen, das aus den verschiedensten Richtungen eintrifft, seine eigene Geschwindigkeit bestimmen, dann w¨are das Ergebnis immer null: Man ist selbst in Ruhe! Der genaue Wert von c ist: 2, 99792458 · 108 m/s ¨ Interessanterweise hat man diesen Wert durch Ubereinkunft festgelegt! Dies bedeutet, daß sich der Wert von c selbst bei einer Verbesserung der Meßgenauigkeit nicht a¨ ndern kann; vielmehr w¨urde dies zu einer Anpassung der Einheit Meter f¨uhren (die Einheit Sekunde ist ihrerseits durch eine weitere Konvention festgelegt). Damit bekommt die Konstanz“ von c sozusa” gen eine doppelte Bedeutung. Im folgenden meinen wir mit dem Prinzip der Konstanz von c aber nat¨urlich immer im physikalischen Sinne Einsteins ¨ Postulat, nicht die Ubereinkunft u¨ ber den genauen Zahlenwert. Die Konvention demonstriert jedoch das enorme Vertrauen der Physiker in das Postulat. In jedem Inertialsystem breitet sich das Licht im Vakuum geradlinig mit c aus. Beobachter in verschiedenen Inertialsystemen k¨onnen dabei unterschiedliche Ausbreitungsrichtungen registrieren, wie sp¨ater erkl¨art wird. Bei den nachfolgenden Herleitungen verschiedener Formeln der SRT fließt das Prinzip der Konstanz von c immer wieder (meist unerw¨ahnt) dadurch ein, daß in Gedankenexperimenten und daraus erwachsenden Gleichungen die Geschwindigkeit ausgesandter und empfangener Lichtstrahlen stets mit ein und demselben c eingeht, unabh¨angig vom Bewegungszustand der Lichtquellen und der Beobachter. Die meisten der Gedankenexperimente in diesem ersten Kapitel werden vergleichende Beobachtungen 2
zuletzt 2002 auf 1/1015 genau
1.1 Vorbemerkung
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enthalten, n¨amlich den Vergleich zwischen der Beobachtung eines ruhenden Versuchsaufbaus und der Beobachtung eines am Beobachter vorbeibewegten Versuchsaufbaus. In beiden F¨allen darf vorausgesetzt werden, daß der Beobachter immer eine Lichtausbreitung mit c sieht“, u¨ brigens auch unabh¨angig ” von der Ausbreitungsrichtung des Lichts, dessen Intensit¨at, Farbe etc. Apropos sehen“: Die Laufzeit der Lichtsignale von Ereignissen3 zum ” Auge eines“ bestimmten Beobachters soll bei zuk¨unftigen Gedankenex” perimenten (von wenigen Ausnahmen abgesehen) unber¨ucksichtigt bleiben! Statt sich einen Beobachter vorzustellen, muß man richtigerweise von einer riesigen Beobachtertruppe ausgehen, die jedes Inertialsystem dicht bev¨olkert. So kann jedes Ereignis immer an Ort und Stelle und sofort registriert werden, hierzu sind die Uhren innerhalb eines bestimmten Inertialsystems als synchronisiert anzusehen. Exakt synchronisieren kann man zwei ruhende Uhren z.B. dadurch, daß man sie von einem genau in der Mitte zwischen ihnen aufgestellten Zeitzeichensender ansteuert. Außerdem sollen alle Uhren in ihren Inertialsystemen stets richtig“ gehen ( ideale Uhren“). Die ” ” Formulierungen ein Beobachter“ und sehen“ sind in diesem Sinne zu ver” ” stehen! Historisch bedingt wird das Prinzip der Beobachterunabh¨angigkeit von c in der Literatur meist immer noch Prinzip der Konstanz von c“ genannt ” (auch hier). Wissenschaftlich korrekt m¨ußte es aber im Kontext der SRT Prinzip der Invarianz von c“ heißen (siehe Abschnitt 2.6). ” Innerhalb eines Inertialsystems sind auch nach der SRT f¨ur darin ruhende Beobachter L¨angen und Zeitabschnitte fixe Gr¨oßen, aber bei der Bewertung der Verh¨altnisse in einem anderen, relativ dazu bewegten Inertialsystem werden neue Regeln gelten: Allein auf der Basis der o.g. Postulate werden, ¨ wie in den folgenden Abschnitten dargestellt, erhebliche Anderungen an den Gesetzen der klassischen Physik notwendig. Aufgegeben werden m¨ussen z.B. • die Vorstellung vom gleichm¨aßigen Fluß der Zeit im ganzen All ( absolute ” Zeit“), • die These von der Unver¨anderlichkeit des Raumes ( absoluter Raum“)4 , ” • der Begriff der Gleichzeitigkeit, • die unbeschr¨ankte (gew¨ohnliche) Addierbarkeit von Geschwindigkeiten. 3
Ereignis: Das Geschehen in einem bestimmten Raumpunkt zu einem bestimmten Zeitpunkt 4 Hinweis: Auch die Newtonsche Physik beinhaltet das (mechanische) Relativit¨atsprinzip, Newton bezog aber die Inertialsysteme doch immer auf einen absoluten Raum und eine absolute Zeit. Diese werden in der SRT abgeschafft und durch eine absolute Raumzeit ersetzt, wie sp¨ater noch erl¨autert wird.
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Es wird sich aber auch zeigen, daß die Newtonsche Mechanik, die in der Schule gelehrt wird, eine extrem genaue N¨aherung im Sinne der Einsteinschen Physik f¨ur den Bereich geringer Geschwindigkeiten darstellt. Unseren Alltag wird nat¨urlich auch in Zukunft die klassische Mechanik bestimmen, kein Leser wird es allerdings bereuen, in den folgenden Abschnitten die exotischen Konsequenzen der SRT zu entdecken! In diesem ersten Kapitel wird noch ein drittes Postulat (auch oft ohne ausdr¨uckliche Erw¨ahnung) eingesetzt: Wenn ein Beobachter in einem Inertialsystem feststellt, daß zwei Ereignisse am selben Ort und zum selben Zeitpunkt geschehen, dann wird auch jeder andere Inertialbeobachter f¨ur diese zwei Ereignisse Orts- und Zeitgleichheit best¨atigen (wobei aber Ort und Zeitpunkt nicht mit den vom ersten Beobachter gemessenen u¨ bereinstimmen werden). Dieses Postulat heißt Prinzip der Invarianz der Raum-Zeit-Koinzidenz5 . Es folgt direkt aus dem Relativit¨atsprinzip: Sieht ein Beobachter in einem Inertialsystem z.B. das Zusammentreffen zweier Autos am selben Ort und zur selben Zeit, also deren Kollision, dann wird wegen der nachpr¨ufbaren Realit¨at des Geschehens (z.B. entstandene Beulen an den Autos) auch jeder andere Inertialbeobachter eine Kollision, also eine Raum-Zeit-Koinzidenz, wahrnehmen! Wie schon angedeutet, m¨ussen wir darauf gefaßt sein, daß verschiedene Beobachter bez¨uglich bestimmter Ereignisse verschiedene Orts- und Zeitangaben machen werden. Beobachterunabh¨angig ist aber die bloße Existenz von Ereignissen. Nimmt z.B. ein Beobachter A eine Anzahl von n Ereignissen wahr, dann sieht ein relativ zu A bewegter Inertialbeobachter B auch n Ereignisse, wenn auch woanders und zu anderen Zeitpunkten.
1.2 Beweis der Invarianz6 von Strecken quer zur Bewegungsrichtung – Alles wie gehabt Dieser Beweis ist recht unspektakul¨ar, f¨ur den Abschnitt 1.3 (Zeitdilatation) ist es aber wichtig zu wissen, daß Strecken im Raum quer zur Bewegungsrichtung f¨ur alle Beobachter in Inertialsystemen gleich lang bleiben. Gedankenexperiment: Zwei in Ruhe gleich lange St¨abe a und b (z.B. 1m lang) sollen sich mit hoher Geschwindigkeit mit ihren Breitseiten treffen. Mit jedem Stab soll je ein Beobachter A bzw. B mit fliegen“. ” Man kann nun die (zu widerlegende) Hypothese aufstellen, daß Beobachter A, der sich selbst als mit a ruhend betrachtet, den vorbeifliegenden Stab 5
Invarianz: Beobachterunabh¨angigkeit; Koinzidenz: Zusammentreffen zweier Ereignisse 6 Invarianz: Beobachterunabh¨angigkeit
1.2 Beweis der Invarianz von Strecken quer zur Bewegungsrichtung
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b verk¨urzt sieht. Beispielsweise k¨onnte er die 100-cm-Marke von b auf die 95-cm-Marke von a und die 0-cm-Marke von b auf die 5-cm-Marke von a treffen sehen. Das Zusammentreffen der genannten Marken, das etwa durch Hinterlassung von Kratzern auf Stab a dokumentiert sein k¨onnte, muß auch der mit Stab b mitfliegende Beobachter B so wahrnehmen (jeweils RaumZeit-Koinzidenzen: Begegnung der Marken und Entstehung der Kratzer). Da Beobachter B sich als mit b ruhend ansehen kann, ist f¨ur ihn Stab a derjenige, der in Bewegung ist. Aus der Beobachtung des Zusammentreffens der Marken m¨ußte Beobachter B aber schließen, daß sich bewegte St¨abe (f¨ur ihn Stab a) quer zur Bewegungsrichtung verl¨angern, da er seinen 1-Meter-Stab b als den Richtigen ansieht und dieser ausweislich der Kratzer k¨urzer ist als Stab a! Dies w¨are aber eine Verletzung des Prinzips der Relativit¨at (gleicher Ausgang von gleichartigen Experimenten in allen Inertialsystemen), denn Beobachter A hatte gem¨aß obiger Hypothese den f¨ur ihn bewegten Stab b verk¨urzt gesehen. Der Widerspruch l¨aßt sich nur aufl¨osen, wenn man die obige Hypothese verwirft; Strecken quer zur Bewegungsrichtung verk¨urzen sich nicht. Ein analoger Beweis kann auch gegen eine Verl¨angerung von Strecken quer zur Bewegungsrichtung gef¨uhrt werden. Also a¨ ndern Strecken quer zur Bewegungsrichtung ihre L¨ange f¨ur Beobachter in den beteiligten Inertialsystemen nicht. Hinweis: Ebensowenig wie mit einer Verk¨urzung eines zur Bewegungsrichtung quergestellten Stabes ist mit dessen bewegungsbedingter Verdrehung zu rechnen: Kein Stabende ist irgendwie bevorzugt, eine bewegungsabh¨angige Verdrehung in eine bestimmte Richtung w¨urde jedoch eine Bevor-
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zugung eines Stabendes oder einer Raumrichtung bedeuten. W¨are z.B. das obere Ende von Stab b zu Stab a hin geneigt, dann w¨are dies eine Bevorzugung der Raumrichtung oben“ gegen¨uber unten“. Daf¨ur ist kein Grund ” ” erkennbar; eine Verdrehung des Stabes tritt daher nicht auf. Daß schnell bewegte Objekte allerdings scheinbar verdreht sind, ist eine andere Geschichte, die in Abschnitt 1.10 erz¨ahlt wird!
1.3 Zeitdilatation – Geschwindigkeit verlangsamt Uhren Zeitdilatation bedeutet soviel wie Dehnung der Zeit. Einstein konnte zeigen, daß ein Inertialbeobachter Zeitabl¨aufe in einem relativ zu ihm bewegten Inertialsystem verlangsamt registriert. Eine solche Zeitdilatation ergibt sich zwangsl¨aufig, wenn man die bisher dargestellten Postulate und Erkenntnisse konsequent anwendet. Gedankenexperiment: Ein Lichtblitz verl¨auft von einer Lampe A zum Spiegel B und zur¨uck zu A, wobei A und B im selben Inertialsystem ruhen sollen.
In der linken Grafik ist gezeigt, wie ein solcher Beobachter das Experiment sieht, der dieselbe Bewegung wie der Versuchsaufbau ausf¨uhrt oder mit ihm zusammen ruht. Der Lichtweg A-B-A betr¨agt 2 · X . So wie in der Grafik rechts dargestellt, sieht den Versuch ein Beobachter, der sich gegen¨uber dem Versuchsaufbau nach links (oder demgegenu¨ ber sich der Versuchsaufbau nach rechts) bewegt. W¨ahrend der Laufzeit des Lichtblitzes von A u¨ ber B zur¨uck zu A bewegt sich der Versuchsaufbau aus
1.3 Zeitdilatation – Geschwindigkeit verlangsamt Uhren
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Sicht des Beobachters um den Weg 2 · Y weiter. Der Lichtweg wird durch diese Relativbewegung aufgespreizt zu den schr¨ag verlaufenden Linien Z . Aufgrund des diagonalen Verlaufs ist dieser Lichtweg 2 · Z l¨anger als der Weg 2 · X im links dargestellten Fall. Der Abstand X zwischen A und B ist unver¨andert (siehe Beweis in Abschnitt 1.2). Der Beobachter habe eine beliebig große Zahl mit ihm ruhender Meßgehilfen parallel zu Y verteilt, deren Uhren untereinander synchronisiert seien, damit die Zeit zwischen Start und R¨uckkehr des Lichtblitzes genau gemessen werden kann. ¨ Qualitative Uberlegung: Der Lichtweg verl¨auft im rechts dargestellten Fall diagonal, er ist damit l¨anger als im links abgebildeten Fall. Bei einem l¨angeren Weg muß wegen der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auch die Lichtlaufzeit zugenommen haben: l¨angerer Lichtweg Lichtweg = , Lichtlaufzeit l¨angere Lichtlaufzeit Geschwindigkeit = Weg / Zeit.
konstante Lichtgeschwindigkeit = denn:
Quantitative Bestimmung: Dazu werden folgende Abk¨urzungen eingef¨uhrt: c v
Lichtgeschwindigkeit Relativgeschwindigkeit zwischen Beobachter und Versuchsaufbau (VAB) t Lichtlaufzeit f¨ur Lichtweg A-B-A bei v = 0 (linke Abbildung) Lichtlaufzeit f¨ur Lichtweg A-B-A bei Relativbewegung zwischen t Beobachter und VAB (rechte Abbildung) X, Y, Z siehe obige Abbildungen ¨ Nach der obigen (qualitativen) Uberlegung muß das Verh¨altnis der Lichtwege zu den Lichtlaufzeiten in beiden F¨allen gleich sein, n¨amlich gleich c : c=
2 ·Z 2·X = t t
⇒
t = t ·
Z X
(1.1)
Ferner gilt f¨ur den rechts abgebildeten Fall: Weg des VAB = 2 · Y = v · t
⇒
Y =
v · t 2
(1.2)
und Lichtweg = 2 · Z = c · t Denn es gilt:
⇒
Weg = Geschwindigkeit · Zeit.
Z=
c · t . 2
(1.3)
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Schließlich gilt nach dem Lehrsatz von Pythagoras (rechter Winkel zwischen den Strecken X und Y ): (1.4) X2 + Y 2 = Z2 Letzteres dividiert durch Z 2 : (X/Z )2 + (Y/Z )2 = 1 ⇒ (X/Z )2 = 1 − (Y/Z )2 ⇒ X/Z = 1 − (Y/Z )2 ⇒
Z/X =
1 1 − (Y/Z )2
(1.5) (1.6) (1.7) (1.8)
Einsetzen der oben abgeleiteten Beziehungen (1.2) und (1.3) ergibt Z/X =
1 1 − (v/c)2
.
(1.9)
Einsetzen von (1.9) in (1.1):
wobei man den Faktor
1 t = ·t 1 − (v/c)2 1 γ = 1 − (v/c)2
(1.10) (1.11)
auch als Lorentz-“ oder Gamma-Faktor“ bezeichnet, zuk¨unftig z.T. als ” ” γ -Faktor“ oder auch nur γ “ abgek¨urzt. ” ” Um diesen γ -Faktor wird also die Lichtlaufzeit aus dem Blickwinkel eines Beobachters im jeweils anderen Inertialsystem gedehnt, wenn sich dieses gegen¨uber ihm mit der Geschwindigkeit v bewegt. Von dieser Verlangsamung sind nat¨urlich nicht nur Lichtlaufzeiten betroffen, sondern alle Zeitabl¨aufe. Man k¨onnte sich n¨amlich entsprechend dem obigen Versuchsaufbau eine Lichtuhr konstruieren, bei der als Unruh“ ein Lichtblitz auf einer ” bekannten Meßstrecke hin und her l¨auft, die quer7 zur Bewegungsrichtung liegt. Die Lichtlaufzeit einer solchen Uhr kann zur Zeitmessung wie jede andere Uhr auch verwendet werden. Da innerhalb eines Inertialsystems geeichte Uhren die gleiche Ganggeschwindigkeit haben, l¨auft f¨ur einen Beobachter nicht nur die Lichtuhr in einem relativ zu ihm bewegten Inertialsystem langsamer, sondern z.B. auch eine Atomuhr, Quarzuhr, Federuhr 7
Genaugenommen ist die Ausrichtung der Lichtuhr egal, so ist es aber anschaulicher.
1.3 Zeitdilatation – Geschwindigkeit verlangsamt Uhren
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oder eine biologische Uhr“ wie der Herzschlag eines Menschen etc. – es ” sind also wirklich alle Zeitabl¨aufe8 betroffen! Eine deutlich sp¨urbare Zeitdilatation tritt aber erst bei sehr hohen Relativgeschwindigkeiten auf (oberhalb von etwa 0, 1 c). F¨ur Werte von v im Intervall 0 . . . c kann der γ -Faktor die Werte 1 . . . ∞ und t die Werte t . . . ∞ annehmen. Die Extremf¨alle der relativistischen Zeitdilatation lauten daher: v=0 v=c
⇒ ⇒
t = t (keine Zeitdilatation), t = ∞ (Zeit bleibt stehen).
Letzterer Fall ist aber f¨ur K¨orper mit einer Ruhemasse gr¨oßer als null nicht erreichbar (siehe Abschnitte 1.9 und 1.12). Wie sich der γ -Faktor in Abh¨angigkeit von der Relativgeschwindigkeit verh¨alt, zeigt folgende Abbildung:
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Denn wenn f¨ur einen Beobachter alle denkbaren Uhren in einem Inertialsystem langsamer laufen, dann tut es auch die Zeit selbst!
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Mit zunehmender Relativgeschwindigkeit steigt der Gamma-Faktor (und damit die Zeitdilatation) zun¨achst gem¨achlich an, aber ab etwa 0, 9 c erfolgt ein dramatischer Anstieg. Beispiel: Bei 0, 7 c betr¨agt der Gamma-Faktor 1,4; auch die Zeit ist um diesen Faktor gedehnt. Bei 0, 995 c liegt der Faktor schon u¨ ber zehn! An dieser Stelle soll gleich ein h¨aufig auftretendes Mißverst¨andnis aufgekl¨art werden: Die Zeitdilatation, also der verlangsamte Zeitfluß, z.B. in einem schnell vorbeifliegenden Raumschiff, zeigt sich f¨ur einen ruhenden Beobachter als langsameres Vorr¨ucken des Uhrzeigers der Raumschiffuhr. Der ruhende Beobachter registriert, daß der Zeiger der Raumschiffuhr zwischen zwei Ereignissen weniger Zeiteinheiten u¨ berstreicht als der Zeiger der eigenen Uhr. Je gr¨oßer die Zeitdilatation, desto weniger Zeiteinheiten verfließen im Raumschiff. Die Berechnung dieser Zeiteinheiten kann daher nicht direkt mit der Formel (1.10) mit ihrem mit v anwachsenden GammaFaktor erfolgen! Da die Zahl der verflossenen Zeiteinheiten im Raumschiff umgekehrt proportional zum Ausmaß der Zeitdilatation ist, muß vielmehr der Kehrwert des Gamma-Faktors verwendet werden. So wird zum Beispiel aus 1 Stunde der ruhenden Uhr der kleinere Skalenwert 1 Stunde mal 1 − (v/c)2 im Raumschiff. Diesen oft nicht oder nur am Rande erw¨ahnten Sachverhalt gibt die folgende Abbildung wieder. Sie zeigt, welcher Bruchteil des auf einer ruhenden Uhr abgelaufenen Zeitabschnitts w¨ahrenddessen auf einer bewegten Uhr vergeht. Beispiel: Wird auf der ruhenden Uhr ein Zeitabschnitt von 1 Stunde abgelesen, dann vergehen aus der Sicht des ruhenden Beobachters in einem an ihm mit 0, 8 c vorbeifliegenden Raumschiff nur 0,6 Stunden, also 36 Minuten. W¨ahlt man bei diesem Diagramm gleiche Einheiten f¨ur die waagerechte und senkrechte Achse, so ergibt sich genau ein Viertelkreis. Merke: Je nach Fragestellung kann uns die Zeitdilatation bei zuk¨unftigen Berechnungen in zwei verschiedenen Formen begegnen: Interessiert uns • der Verlangsamungsfaktor der Uhrengeschwindigkeit/Verlangsamungsfaktor der Fließgeschwindigkeit“ der Zeit ” oder wieviele Zeiteinheiten auf der eigenen ruhenden Uhr vergehen, bis auf einer schnell bewegten Uhr eine Zeiteinheit abl¨auft, dann lautet der Umrechnungsfaktor:
1 1 − v 2 /c2
(Gamma-Faktor)
1.3 Zeitdilatation – Geschwindigkeit verlangsamt Uhren
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• welcher Bruchteil desjenigen Zeitintervalls, das auf der eigenen ruhenden Uhr abgelesen wird, w¨ahrenddessen auf einer schnell bewegten Uhr abl¨auft, dann brauchen wir den Faktor: 1 − v 2 /c2 (Kehrwert des Gamma-Faktors)
Im Zweifelsfall sollte der Leser die Fragestellung analysieren und an dieser Stelle den zutreffenden Faktor ausw¨ahlen. Mit einiger Routine wird dies aber nicht mehr so schwerfallen, speziell dann nicht, wenn man sich das Schlagwort Bewegte Uhren laufen langsamer“ einpr¨agt. ”
Wichtige Definition: Die Eigenzeit9 Der auf ein und derselben Uhr U zwischen zwei Ereignissen 1 und 2 im Leben“ dieser Uhr abgelesene Zeigerweg heißt Eigenzeitintervall. Letzteres ” ist invariant (beobachterunabh¨angig), denn: 9
engl.: proper time
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
• die Zeigerstellung zu Beginn des Intervalls und Ereignis 1 sowie • die Zeigerstellung am Ende des Intervalls und Ereignis 2 sind jeweils Raum-Zeit-Koinzidenzen: Diese Vorg¨ange geschehen jeweils zur selben Zeit und am selben Ort, n¨amlich am Ort der Uhr U . Damit muß unter allen Inertialbeobachtern Einigkeit bestehen u¨ ber Anfangs- und Endstellung des Zeigers, somit nat¨urlich auch u¨ ber den dazwischen zur¨uckgelegten Zeigerweg. Drastisches Beispiel hierzu: • Ereignis 1 = Einsetzen der Batterie in eine Armbanduhr bei Zeigerstellung 12.00 Uhr, • Ereignis 2 = Stop der Uhrzeiger beim Zerquetschen der Uhr in einem Schraubstock bei der Zeigerstellung 13.00 Uhr. Es ist sofort einsehbar, daß f¨ur alle Inertialbeobachter Anfangs- und Endstellung des Zeigers verbindlich sind, somit auch das abgelaufene Eigenzeitintervall von 1 Stunde! Unterschiedlicher Meinung sind verschiedene Inertialbeobachter aber (wegen der Zeitdilatation) bei Vergleichen mit auf anderen Uhren abgelaufenen Intervallen zwischen den Ereignissen 1 und 2: • Ein am Ort der Uhr U (auf der das Eigenzeitintervall bestimmt wurde) ruhender Beobachter sieht die Uhren anderer Inertialbeobachter langsamer laufen (U ist f¨ur ihn die schnellste!), deshalb ordnet er diesen anderen Beobachtern zwischen den beiden Ereignissen ein kleineres Zeitintervall als das Eigenzeitintervall von U zu, im obigen Beispiel weniger als 1 Stunde. • Ein relativ zu U bewegter Beobachter sieht U langsamer laufen als seine eigene Uhr, oder umgekehrt gesagt: Er sieht seine eigene Uhr schneller laufen als U . Also ordnet er sich selbst zwischen den beiden Ereignissen ein gr¨oßeres Zeitintervall als das Eigenzeitintervall von U zu, im obigen Beispiel mehr als 1 Stunde. Der wichtige Begriff Eigenzeit wird sp¨ater noch eine große Rolle spielen! Der immense Wert der Eigenzeit, sowohl in der Speziellen als auch in der Allgemeinen Relativit¨atstheorie besteht darin, daß sie ein unverr¨uckbarer, unver¨anderlicher Fixstern“ inmitten eines Dschungels relativer Gr¨oßen ist. ” Die Eigenzeit, die ein Beobachter auf einer mit ihm ruhenden Uhr abliest, kann somit immer als sicherer Ausgangspunkt bei Gedankenexperimenten und Berechnungen dienen. Die Zeitdilatation ist inzwischen vielfach experimentell nachgewiesen worden, z.B. bei Versuchen in Teilchenbeschleunigern, aber auch bei der Mitnahme hochpr¨aziser Uhren bei Fl¨ugen von Flugzeugen und Raketen. In
1.3 Zeitdilatation – Geschwindigkeit verlangsamt Uhren
17
Beschleunigern schnell bewegte instabile Teilchen haben eine l¨angere durchschnittliche Lebensdauer als ruhende Teilchen derselben Sorte. Die Standpunkte der Beobachter in zwei zueinander bewegten Inertialsystemen sind wegen des Relativit¨atsprinzips austauschbar: Jeder wird die Zeitdilatation im jeweils anderen System beobachten. Es handelt sich also um ein v¨ollig symmetrisches Ph¨anomen. Ein unumkehrbarer manifester und einseitiger Effekt wird die Zeitdilatation erst, wenn sich eines der beteiligten Systeme nicht mehr mit gleichm¨aßiger Geschwindigkeit geradeaus bewegt, sondern nicht-inertiale Bewegungen, z.B. Richtungs¨anderungen, ausf¨uhrt. Daraus resultiert dann das bekannte Zwillingsparadoxon, bei dem ein Zwilling nach einer interstellaren Reise zur¨uck auf die Erde kommt und feststellt, daß sein Bruder weit mehr gealtert ist als er selbst. Siehe dazu Abschnitt 1.8. ¨ Wichtig ist auch folgende Uberlegung: Da Beobachter in beliebigen Inertialsystemen bei der Beschreibung anderer Inertialsysteme jeweils individuelle Zeitangaben machen, kann es keine absolute Zeit geben! Gleich konstruierte Uhren gehen aber im eigenen Inertialsystem immer am schnellsten ( Eigenzeit“ = proper rate“). ” ”
¨ unserer Experimente: Licht Herzstuck An dieser Stelle soll auch daran erinnert werden, daß Licht nur eine spezielle Form von elektromagnetischer Strahlung ist. Alles was in dieser Schrift u¨ ber Licht ausgesagt wird, ist auch f¨ur andere Bereiche des elektromagnetischen Spektrums g¨ultig. Dieses gliedert sich wie folgt: Gammastrahlung, R¨ontgenstrahlung, Ultraviolettstrahlung, sichtbares Licht von violett bis rot, Infrarotstrahlung, Mikrowellen und Radiowellen von UKW bis zu den Langwellen. In der genannten Reihenfolge nimmt die Wellenl¨ange zu und die Frequenz ab. Zwischen diesen beiden Parametern gilt die Beziehung: Wellenl¨ange · Frequenz = c Denn: Geschwindigkeit = Weg / Zeit, hier: c = Wellenl¨ange / Schwingungsperiode, ferner gilt:
Schwingungsperiode = 1/Frequenz.
Beides zusammengefaßt ergibt: c=
Wellenl¨ange 1
= Wellenl¨ange · Frequenz
Frequenz Hierbei bedeuten: • Wellenl¨ange: Strecke von Wellenberg“ zu Wellenberg“ (oder von Tal“ ” ” ” zu Tal“), z.B. in m (Meter), ”
18
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
• Schwingungsperiode: Zeitabschnitt zwischen dem Eintreffen zweier benachbarter Wellenberge oder -t¨aler, z.B. in s (Sekunden) gemessen, • Frequenz: Anzahl der pro Zeiteinheit eintreffenden Wellenberge oder -t¨aler, gemessen in Schwingungen / s = Hz (Hertz). Im letzten Absatz wurde das Licht als Wellenph¨anomen angesehen; in anderen Abschnitten dieser Schrift wird der Leser mit dem Aspekt Lichtteil” chen“ ( Photonen“) konfrontiert. Dies ist kein Trick der Autoren: Licht ist ” tats¨achlich ein Zwitterwesen“; einmal stehen Welleneigenschaften im Vor” dergrund, ein andermal Teilchenwirkungen. In der Physik spricht man daher vom Welle-Teilchen-Dualismus“. ” Die erstmalige Formulierung der Teilchentheorie des Lichts in moderner Form verdanken wir auch Albert Einstein (1905). Den Welle-TeilchenDualismus, der sich voll best¨atigte, hat er 1909 postuliert. Jede elektromagnetische Strahlung, auch das sichtbare Licht, hat eine gewisse Energie. Im Teilchenmodell der elektromagnetischen Strahlung stellt jedes Photon ein winziges Energiepaket, ein Energiequantum dar. Die Energie E eines solchen Quants errechnet sich aus der Formel E = Frequenz · h
(1.12)
(Plancksches Wirkungsquantum h = 6, 6261 · 10−34 J · s). Die Energie jeder elektromagnetischen Strahlung (genauer: ihrer einzelnen Photonen) ist somit ganz einfach direkt proportional zu ihrer Frequenz: Gammastrahlen sind am energiereichsten, Langwellen am energie¨armsten. Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, daß bei der Zeitdilatation (und auch bei einer Reihe von weiteren Ph¨anomenen der SRT) die Richtung der Relativgeschwindigkeit keinerlei Rolle spielt. Erkennbar ist dies an der Form des mathematischen Ausdrucks f¨ur den Gamma-Faktor, in dem die Relativgeschwindigkeit nur als Quadrat vorkommt. Wegen dieses quadratischen Terms ist es f¨ur den Wert des γ -Faktors irrelevant, ob die Relativbewegung • in Form einer Abstandszunahme (+v) oder • in Form einer Ann¨aherung (−v) existiert, denn: (+v)2 = v 2 ebenso wie (−v)2 = v 2 . Diese Feststellung gilt f¨ur den auf Seite 7 geforderten Idealfall, daß sich z.B. eine Uhr durch ein Inertialsystem bewegt, das so dicht mit Meßgehilfen“ ”
1.4 Mathematik-Exkurs – Rechnen mit Exponenten
19
bev¨olkert ist, daß jedes Ereignis (hier: jeder Schlag“ der Uhr) sofort und an ” Ort und Stelle registriert werden kann. Betrachtet man im Gegenteil einen Einzelbeobachter, so erzeugt f¨ur diesen die zu- oder abnehmende Lichtlaufzeit zwischen Uhr und Beobachter bei Entfernungszu- oder -abnahme zus¨atzliche Effekte ( longitudinaler Doppler-Effekt“), die in Abschnitt 4.2 ” n¨aher untersucht werden. Tip: Manchmal ist es notwendig, den Wert des γ -Faktors f¨ur extrem niedrige oder extrem hohe Geschwindigkeiten zu berechnen. Bei solchen extremen Geschwindigkeiten rechnet man vorteilhaft mit folgenden N¨aherungsformeln: v2 γ -Faktor ≈ 1 + 2 2c v • f¨ur Werte von v extrem nahe an c: γ -Faktor ≈ 1/ 2 · 1 − c • f¨ur extrem kleine Werte von v:
1.4 Mathematik-Exkurs – Rechnen mit Exponenten Eine kleine Wiederholung aus der Schulmathematik – das Rechnen mit sehr großen und sehr kleinen Zahlen: In der Relativit¨atstheorie hat man es oft mit astronomisch“ großen oder ” mikroskopisch kleinen Zahlen zu tun; diese dr¨uckt man am besten mit Zehnerpotenzen aus: = 10 100 = 1 101 102
= 100
3 · 108 = 300 000 000 3 · 10−5 = 0, 000 03
usw.
F¨ur solche Zehnerpotenzen gelten die folgenden Rechenregeln: 1. Bei der Multiplikation werden die Exponenten (die hochgestellten Zahlen) addiert. Beispiele: 2 · 103 · 3 · 105 = 6 · 108
10−7 · 105 = 10−2
2. Bei der Division wird der Exponent im Nenner von dem im Z¨ahler subtrahiert. Beispiele: 6 · 107 2 · 103
= 3 · 104
4 · 109 2 · 10−2
= 2 · 109−(−2) = 2 · 1011
Deshalb gilt auch z.B. 103 + 105 = 103 · (1 + 102 ). Ebenso folgt: 1/10−5 = 105 oder auch 10−7 = 1/107 .
20
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
3. Beim Potenzieren von Zehnerpotenzen werden die Exponenten multipliziert. Beispiele: (3 · 108 )2 = 9 · 1016
(2 · 10−6 )3 = 8 · 10−18
4. Das Wurzelziehen aus Zehnerpotenzen erfolgt durch Halbierung des Exponenten, der hierzu ggf. erst geradzahlig gemacht werden muß (was im folgenden Beispiel im ersten Rechenschritt erfolgt): √ √ 109 = 10 · 108 = 10 · 108 = 10 · 104 ≈ 3, 16 · 104 = 31 600 Nun ein etwas komplexeres Beispiel, das in Abschnitt 2.2 verwendet wird: 4 · Gravitationskonstante · Sonnenmasse = (Lichtgeschwindigkeit)2 · Sonnenradius m3 · 1, 989 · 1030 kg 4 · 6, 67 · 10−11 kg · s2 m 2 · 6, 955 · 108 m 2, 998 · 108 s Zwischenbemerkung: Der Bruch enth¨alt an dieser Stelle außer Zehnerpotenzen nur solche Zahlen, die vor dem Komma lediglich eine Ziffer (von 1 bis 9) aufweisen. Dies hat den großen Vorteil, daß man das Ergebnis schon im Kopf u¨ berschlagsweise absch¨atzen kann, n¨amlich durch Zusammenfassung der Zehnerpotenzen. Dies ergibt hier 10−5 , ein Wert, der schon recht nah am Endergebnis liegt. Die in diesem Bruch verwendete Schreibweise nennt man auch wissenschaftliche Notation“10 . ” m3 53, 067 · 1019 2 s = 0, 849 · 10−5 = 8, 49 · 10−6 = 3 m 62, 512 · 1024 2 s Gleichzeitig hat dieses Rechenbeispiel gezeigt, wie vorteilhaft es ist, nur Meter, Sekunden, Kilogramm oder andere aus diesen drei Basiseinheiten zusammengesetzte Einheiten zu verwenden. Zehnerpotenzen haben als Basis“ die Zahl zehn. Das Rechnen mit Poten” zen auf anderer Basis folgt nat¨urlich denselben vier Regeln; z.B. c2 · c4 = c6 . 10
In strenger wissenschaftlicher Notation (die hier nicht praktiziert wird) verzichtet man auch bei den Einheiten auf die Bruchschreibweise. So schreibt man etwa m·s−1 statt m/s .
1.5 Lorentz- oder Fitzgerald-Kontraktion – Der Raum schrumpft
21
Tip: Bei der Berechnung des γ -Faktors kann man sich das Rechnen mit Potenzen meist ersparen, wenn man v als Bruchteil von c einsetzt; c2 k¨urzt sich dann heraus. Beispiel: (0, 8 c)2 0, 64 c2 v2 = = = 0, 64 ⇒ c2 c2 c2 1 1 1 =√ = γ -Faktor = √ = 1, 667 0, 6 1 − 0, 64 0, 36
v = 0, 8 c :
1.5 Lorentz- oder Fitzgerald11 -Kontraktion12 – Der Raum schrumpft In Abschnitt 1.2 war gezeigt worden, daß Strecken, die quer zur Relativbewegung verlaufen, ihre L¨ange nicht ver¨andern. In diesem Abschnitt soll nun untersucht werden, wie sich zur Bewegungsrichtung parallel verlaufende Strecken verhalten. In der SRT hat Einstein eine Verk¨urzung solcher Strecken vorhergesagt. Obwohl diese Raumkontraktion stets mit der Zeitdilatation einhergeht, ist sie viel weniger bekannt als die letztgenannte. Ein Gedankenexperiment, das Einstein vor allem zur Demonstration der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit (s. Abschnitt 1.6) ersonnen hat, eignet sich auch gut zur Veranschaulichung der L¨angenkontraktion in Bewegungsrichtung: F¨ur einen Beobachter B am Bahndamm schl¨agt gleichzeitig je ein Blitz in das vordere und hintere Ende eines fahrenden Zuges ein, sie hinterlassen an den dortigen Gleisstellen 1 und 2 Rußmarkierungen. Blitzeinschlag, Entstehung der Rußmarken und Anwesenheit der Zugenden an den Orten 1 bzw. 2 sind jeweils Raum-Zeit-Koinzidenzen, u¨ ber die sich alle Inertialbeobachter einig sind. F¨ur B ist der Zug genauso lang wie die Strecke zwischen den Rußmarken 1 und 2 (siehe obere Abbildung, Zeitpunkt I). B , ein Passagier genau in der Mitte des Zuges, bewegt sich mit dem Zug auf den Entstehungsort der kugelf¨ormig sich ausbreitenden Lichtfront des vorderen Blitzeinschlag-Ereignisses zu, sie erreicht ihn als erste (siehe untere Abbildung, Zeitpunkt II). Erst sp¨ater wird ihn die hintere Lichtfront erreichen. B folgert daraus, daß der Blitz zuerst vorne eingeschlagen hat, hinten aber erst sp¨ater. Und er kommt zu dem Ergebnis: Da zwischen den Blitzeinschl¨agen eine gewisse Zeit vergangen ist, muß das vordere Zugende 11 12
urspr¨ungliche Schreibweise: FitzGerald nach George Francis FitzGerald Kontraktion: Zusammenziehung, Stauchung
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
bereits die Stelle 2 passiert haben, als das hintere Zugende bei Stelle 1 vom Blitz getroffen wurde. Und daraus wiederum muß er schließen, daß sein Zug l¨anger ist als die Strecke zwischen den Stellen 1 und 2! Oder umgekehrt gesagt: F¨ur B ist der Zug k¨urzer als f¨ur B . F¨ur die rechnerische Best¨atigung der L¨angenkontraktion benutzen wir ein weiteres Gedankenexperiment: Wir denken uns zwei Lichtuhren 1 und 2 (siehe Abschnitt 1.3) mit gleicher Schenkell¨ange und verbinden sie so miteinander, daß ein rechter Winkel13 entsteht: Von Lampe L ausgehende Lichtblitze werden von den Spiegeln S1 und S2 dorthin zur¨uckgeworfen. Beobachter B ruht im System der Uhren. Er sieht wegen der gleichen Schenkell¨ange der Uhren die von Lampe L ausgehenden Lichtblitze gleichzeitig wieder zu L zur¨uckkehren, die Uhren laufen f¨ur B also synchron. Beobachter B sieht, wie sich der Versuchsaufbau (VAB) nach rechts bewegt. Aber auch er sieht die Uhren synchron laufen. Denn: Aussendung und R¨uckkehr der zwei Lichtblitze bei L sind zwei Ereignisse, die f¨ur B jeweils gleichzeitig und am selben Ort (L) geschehen, die also Raum-ZeitKoinzidenzen darstellen. Damit m¨ussen die Uhren f¨ur alle Inertialbeobach13
Der rechte Winkel ist im Prinzip nicht n¨otig, erleichtert aber die Herleitung.
1.5 Lorentz- oder Fitzgerald-Kontraktion – Der Raum schrumpft
23
ter, so auch f¨ur B , synchron laufen! Rein rechnerisch l¨aßt sich nun zeigen, daß aus Sicht von B nur dann die Lichtblitze gleichzeitig zu L zur¨uckkehren, wenn f¨ur ihn die Strecke L S2 (die B mit X bezeichnet) verk¨urzt ist. Die Strecke L S1 = X ist dagegen auch aus Sicht von B unver¨andert (siehe Abschnitt 1.2). Quantitative Bestimmung: Es werden folgende Abk¨urzungen eingef¨uhrt: t t thin tzur v c X
X
Lichtlaufzeit Lampe-Spiegel-Lampe f¨ur Beobachter B (ruht mit VAB) Lichtlaufzeit Lampe-Spiegel-Lampe f¨ur Beobachter B (Relativbewegung zu VAB) Lichtlaufzeit von L hin zu S2 f¨ur B Lichtlaufzeit von S2 zur¨uck zu L f¨ur B Relativgeschwindigkeit zwischen VAB und B Lichtgeschwindigkeit Strecke von L bis S1 f¨ur Beobachter B und B , Strecke L S2 f¨ur B Strecke von L bis S2 f¨ur Beobachter B
Nun werden die Lichtlaufzeiten f¨ur die Lichtwege aus Sicht der einzelnen Beobachter errechnet:
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Beobachter B: F¨ur beide Uhrenschenkel ben¨otigt das Licht f¨ur den einfachen Weg die Zeit X/c (denn: Zeit = Weg / Geschwindigkeit). Der Hin- und R¨uckweg erfordert das Doppelte: t = 2 X/c
(1.13)
Beobachter B : Hier m¨ussen wir zwischen horizontalem und vertikalem Weg unterscheiden, bei ersterem sogar zwischen Hin- und R¨uckweg: a) Weg L → S2 : Dieser Hinweg ist l¨anger als X , da sich der Spiegel S2 seit dem Start des Lichtblitzes mit v nach rechts bewegt hat, und zwar um den . Der Gesamtweghin ist somit: X + v · thin . Weg v · thin Die Lichtlaufzeit von L nach S2 ist dann (Weg dividiert durch Geschwindigkeit): X + v · thin = (1.14) thin c b) Der R¨uckweg S2 → L ist k¨urzer als X , da sich die Lampe auf den Refle . xionspunkt zubewegt, und zwar um die Strecke v · tzur Daraus folgt: Netto-Wegzur = X − v · tzur tzur =
⇒
X − v · tzur c
(1.15)
= X + v · thin Umformung der Gleichung (1.14): c · thin ⇒ c · thin − v · thin = X ⇒ (c − v) · thin = X ⇒ thin = X /(c − v)
(1.16)
Eine analoge Umformung von Gleichung (1.15) f¨uhrt zu: = X /(c + v) tzur
(1.17)
Die Gesamtlichtlaufzeit f¨ur den Weg L → S2 → L ist dann (mit (1.16) und (1.17)): + tzur = X /(c − v) + X /(c + v) (1.18) t = thin c) Die Lichtlaufzeit L → S1 → L hat f¨ur B betragen: t = 2 X/c (siehe (1.13)). W¨ahrend diesem B-Zeit-Intervall t ist (da B Uhren von B verlangsamt sieht) f¨ur B mehr Zeit vergangen, und zwar: t =
1 2X · c 1 − v 2 /c2
(1.19)
1.5 Lorentz- oder Fitzgerald-Kontraktion – Der Raum schrumpft
25
Vergleiche hierzu den Merksatz zur Zeitdilatation in Abschnitt 1.3, Seite 14/15 (t ist ein Eigenzeitintervall). Wegen der oben dargestellten Raum-Zeit-Koinzidenzen k¨onnen nun die B -Lichtlaufzeiten f¨ur die Wege L → S1 → L (Gleichung (1.19)) und L → S2 → L (Gleichung (1.18)) gleichgesetzt werden:
⇒
2X X 1 X · + = c−v c+v 1 − (v/c)2 c c+v+c−v 2X 1 X · · = (c − v) · (c + v) 1 − (v/c)2 c 2c 1 2X ⇒ X · 2 = · 2 c −v 1 − (v/c)2 c c2 − v 2 2X 1 · · ⇒ X = 2c 1 − (v/c)2 c 1 ·X ⇒ X = [1 − (v/c)2 ] · 1 − (v/c)2 √ √ a · a folgt:) X = 1 − (v/c)2 · 1 − (v/c)2 · (da a =
⇒
⇒
X =
1 1 − (v/c)2
·X
1 − (v/c)2 ·X
Kehrwert des γ -Faktors
(1.20)
Um diesen Kehrwert des Gamma-Faktors sind also Strecken in Bewegungsrichtung aus dem Blickwinkel eines Beobachters (hier B ) in einem anderen Inertialsystem (hier in dem von B) verk¨urzt, wenn sich dieses ihm gegen¨uber mit der Geschwindigkeit v bewegt. F¨ur Werte von v im Bereich 0 . . . c kann der Kehrwert des γ -Faktors die Werte 1 . . . 0 und X die Werte X . . . 0 annehmen. Die Extremf¨alle der Raumkontraktion sind daher: v = 0 ⇒ X = X (keine Raumkontraktion); v = c ⇒ X = 0 (Strecken verschwinden, Startpunkt = Zielpunkt). Der letztgenannte Fall ist aber f¨ur materielle K¨orper nicht erreichbar (siehe Abschnitte 1.9, 1.12).
26
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Zur graphischen Darstellung der Raumkontraktion kann das ViertelkreisDiagramm aus Abschnitt 1.3 (Zeitdilatation) herangezogen werden. Das dort eingezeichnete Beispiel kann f¨ur die Raumkontraktion so beschrieben werden: Wenn ein Raumschiff mit 0, 8 c an einem ruhenden Beobachter vorbeifliegt und ein f¨ur einen mitfliegenden Astronauten 1 m langer Stab darin parallel zur Flugrichtung liegt, so ist er f¨ur den ruhenden Beobachter auf 0,6 m verk¨urzt. Wie bei der Zeitdilatation ist beim Umgang mit den Formeln f¨ur die Raumkontraktion Vorsicht geboten: Fliegt z.B. an einem ruhenden Stab parallel ein anderer gleicher (aber kontrahierter) Stab vorbei und will man zum Zeitpunkt der Deckungsgleichheit der beiden Stab-Nullpunkte Skalenwerte auf dem kontrahierten Stab ermitteln, kann die Formel (1.20) nicht direkt herangezogen werden. Im Vergleich zum ruhenden Stab ergeben sich n¨amlich h¨ohere Skalenwerte, wie folgende Abbildung zeigt:
Zur Ermittlung der Skalenwerte, die der ruhenden Skala gegen¨uberliegen, muß daher der Gamma-Faktor selbst verwendet werden, nicht dessen Kehrwert aus (1.20). Bei der Herleitung der Lorentz-Transformationen (Abschnitt 1.13) wird dies noch eine wichtige Rolle spielen. Deutliche Effekte treten wie bei der Zeitdilatation erst ab etwa 0, 1 c auf. Das Ph¨anomen der Raumkontraktion ist vor allem durch Experimente in Teilchenbeschleunigern praktisch nachgewiesen worden. Aber auch Beobachtungen an nat¨urlicherweise sehr schnellen Teilchen haben die Raumstauchung als reale Naturerscheinung aufzeigen k¨onnen: So k¨onnten z.B. Myonen14 die Strecke von ihrem Entstehungsort in ca. 10 km H¨ohe hinab zur Erdoberfl¨ache wegen ihrer kurzen durchschnittlichen Lebensdauer15 nicht u¨ berwinden, wenn f¨ur sie der Raum nicht kontrahiert w¨are; viele von ihnen werden tats¨achlich auf Meeresniveau registriert. Dies kann alternativ auch mit der Zeitdilatation erkl¨art werden: Aus Erdsicht tickt“ die Lebensuhr“ ” ” 14
hier: extrem schnelle Sekund¨arteilchen der kosmischen Strahlung Ca. 1,5 Mikrosekunden; in dieser Zeitspanne w¨urde sich der Abstand TeilchenErde selbst bei v = c nur um s = c · t = 450 m reduzieren.
15
1.5 Lorentz- oder Fitzgerald-Kontraktion – Der Raum schrumpft
27
der Myonen verlangsamt: Bis zu ihrem Zerfall l¨auft auf den Erd-Uhren viel mehr Zeit ab, in der sie die Erdoberfl¨ache leicht erreichen k¨onnen. Wie bei der Zeitdilatation sind wegen des Relativit¨atsprinzips auch bei der Raumkontraktion die Rollen von ruhendem und bewegtem Beobachter austauschbar, die Raumstauchung wird immer im jeweils anderen Inertialsystem beobachtet. Gleich konstruierte Maßst¨abe sind so im eigenen Inertialsystem jeweils am l¨angsten ( Eigenl¨ange“, Ruhel¨ange“, proper length“). ” ” ” Wichtig: Die Raumkontraktion tritt nur in Bewegungsrichtung auf, quer dazu dagegen nicht (s. Abschnitt 1.2). In der Praxis wahrnehmbar w¨are die Kontraktion von Gegenst¨anden u¨ brigens nur indirekt: Durch die Aberration des Lichts (s. Abschnitt 1.10) w¨urden n¨amlich Gegenst¨ande derart verdreht“ erscheinen, daß die damit ” assoziierte perspektivische Verk¨urzung genau der Raumkontraktion entspr¨ache. Hinweis: In den Abschnitten 1.2 und 1.5 wurde untersucht, wie sich Strecken quer (Winkel 90◦ ) und parallel (Winkel 0◦ ) zur Richtung der Relativbewegung verhalten. F¨ur beliebige Winkel β zur Bewegungsrichtung gilt die Beziehung: 1 − v 2 /c2 (1.21) X =X· 2 2 2 1 − sin β · v /c
Warum eigentlich Raumkontraktion? Hergeleitet wurde die Lorentz- bzw. Fitzgerald-Kontraktion nur als Verk¨urzung einer Strecke. Ist dann das Wort Raumkontraktion u¨ berhaupt gerechtfertigt? Ja, denn es wird auch das Volumen eines gegebenen Raumes oder K¨orpers um 1/Gamma-Faktor verringert. Am einfachsten kann man sich das an einem Quader oder einem (mit der Symmetrieachse parallel zur Relativbewegung aufgestellten) Zylinder klarmachen: Die Lorentz-Kontraktion wirkt nur in Bewegungsrichtung (z.B. mit der x-Richtung eines kartesischen Koordinatensystems zusammenfallend); die zwei anderen dazu senkrechten Raumrichtungen (y- und z-Richtung) bleiben unbeeinflußt (siehe Abschnitt 1.2 !). F¨ur das Volumen des Quaders oder des Zylinders (aber auch f¨ur unregelm¨aßig begrenzte R¨aume) bedeutet dies gegen¨uber dem Ruhevolumen V eine Verringerung auf V = V ·
1 − v 2 /c2 .
Hinweis auf die G¨ultigkeit auch bei unregelm¨aßig geformten Volumina: Jeden noch so unregelm¨aßig geformten K¨orper k¨onnte man parallel zur
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Bewegungsrichtung in beliebig viele und beliebig d¨unne Pommes-frites” Quader“ aufteilen. Jeder dieser zur Bewegungsrichtung parallelen Quader wird um den Kehrwert des Gamma-Faktors verk¨urzt, somit reduziert sich auch das gesamte Volumen um diesen Wert. Das Wort Raumkontraktion hat also durchaus seine Berechtigung!
Ist die Relativgeschwindigkeit absolut“? ” Nachdem sich nun die Basisgr¨oßen der Geschwindigkeit (Strecken und Zeitabschnitte) als variabel“ erwiesen haben, ist dies eine weitere Frage, die ” bei frischgebackenen Einstein-J¨ungern Zweifel aufkommen lassen k¨onnte: Beurteilen zwei Beobachter A und B in zwei verschiedenen Inertialsystemen ihre Geschwindigkeit zueinander, also ihre Relativgeschwindigkeit, jeweils wirklich als gleich groß (was bisher stillschweigend vorausgesetzt worden ist)? Die Antwort auf diese Frage ist ja. Denn: Bei der Beurteilung der Geschwindigkeit eines fremden Systems spielen Zeitdilatation und Raumkontraktion u¨ berhaupt keine Rolle, weil die f¨ur die Geschwindigkeitsmessung notwendigen Meßwerte im eigenen System gewonnen werden. Fliegt z.B. an Beobachter A eine Rakete B vorbei, so mißt A • die durchflogene Meßstrecke s im eigenen System ( A) und • die daf¨ur ben¨otigte Flugzeit t im eigenen System ( A). Diese beiden Meßwerte gen¨ugen A, um die Geschwindigkeit von B festzulegen. Und die Formel v = s/t darf auch in der SRT verwendet werden, wenn Weg und Zeit demselben System entstammen. Man darf nur nicht mischen, z.B. den im System A gemessenen Weg durch die im System B gemessene Zeit dividieren! Nat¨urlich sind aus Sicht von A Strecken in B verk¨urzt und gehen Uhren in B langsamer, f¨ur die Messung von Bs Geschwindigkeit braucht aber A diese Effekte u¨ berhaupt nicht! Umgekehrt gilt nat¨urlich dasselbe: B w¨urde As Geschwindigkeit nach im System von B gewonnenen Meßwerten bestimmen. A und B kommen so bei der Bestimmung der Relativgeschwindigkeit immer zum selben Ergebnis16 , die Relativgeschwindigkeit zwischen zwei Inertialbeobachtern ist also f¨ur die zwei Beteiligten in diesem Sinne absolut. Die vom Relativit¨atsprinzip geforderte Symmetrie l¨aßt kein anderes Resultat zu. Jeder weitere Beobachter mit einer anderen Geschwindigkeit wird aber eine andere Relativgeschwindigkeit zwischen A und B angeben! 16
betragsm¨aßig; die Richtungen der Geschwindigkeiten sind nat¨urlich entgegengesetzt
1.5 Lorentz- oder Fitzgerald-Kontraktion – Der Raum schrumpft
29
Beachte außerdem: Will ein Beobachter A die Geschwindigkeit zwischen sich und einem dritten Beobachter C ermitteln, dann darf er keinesfalls die von B bestimmte Geschwindigkeit Cs zur Relativgeschwindigkeit zwischen A und B hinzuaddieren17 , wie in Abschnitt 1.7 dargestellt wird.
Wollen Sie das Universum durchqueren? Kein Problem, die Raumkontraktion macht’s m¨oglich, sofern Sie sich um die Beschaffung des Fortbewegungsmittels selbst k¨ummern. F¨ur die Besatzung eines Raumschiffes mit einer Geschwindigkeit sehr, sehr nahe an c schrumpfen n¨amlich alle Strecken in Flugrichtung, somit auch der Durchmesser des beobachtbaren Universums, extrem stark. Die Durchquerung des beobachtbaren Universums in sehr kurzer Eigenzeit w¨are so (bei Vernachl¨assigung der Raumexpansion) m¨oglich. Zu den hierbei (ab 0, 707 c) auftreten¨ den scheinbaren Uberlichtgeschwindigkeiten siehe Abschnitt 1.14.9. Diese zun¨achst u¨ berraschende Fernreisem¨oglichkeit l¨aßt sich auch aus Erdsicht begr¨unden: Wegen der Zeitdilatation steht die Raumschiffuhr fast: W¨ahrend eines Lebensalters k¨onnte jedes Reiseziel erreicht werden!
Die h¨ochsten Geschwindigkeiten Die h¨ochsten vom Menschen produzierten“ Geschwindigkeiten erreichen ” Elektronen in Teilchenbeschleunigern. Un¨ubertroffen schnell sind aber (was materielle Teilchen mit bekannter Ruhemasse angeht) Partikel der kosmischen Strahlung18 . Darin kommen durchaus Geschwindigkeiten von 0, 999 999 999 999 999 999 999 95 c vor! Der Gamma-Faktor erreicht bei dieser Geschwindigkeit den schwindelerregenden Wert von γ -Faktor = 1011 ! Tip: Bei Geschwindigkeiten oberhalb von etwa 0, 999 c kann man den γ -Faktor recht genau mit folgender N¨aherungsgleichung ermitteln: 1 γ -Faktor ≈ 2 · (1 − v/c) 17
auch nicht, wenn alle Bewegungen auf einer geraden Linie stattfinden Deren Ursprung ist noch unklar; m¨oglicherweise wird sie bei Supernova-Explosionen produziert. Bestimmte Merkmale sprechen aber teilweise f¨ur einen Ursprung in Quellen außerhalb der Milchstraße. 18
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Oder noch einfacher: Bei v = 0, 9999. . . 99995 c (Zahl der 9er“ = 2 n) ” betr¨agt der γ -Faktor ziemlich genau 10n . Wie w¨urde die Welt aus der Sicht eines Teilchens mit dieser Geschwindigkeit aussehen? • Der Durchmesser einer typischen Spiralgalaxie (z.B. unserer Milchstraße) von grob 100 000 Lichtjahren w¨urde auf ein Millionstel Lichtjahr zusammenschrumpfen, das sind etwa 10 Millionen Kilometer, rund 6% der Entfernung Erde-Sonne! Die Durchquerung einer solchen Galaxie dauert f¨ur das Teilchen gerade einmal 31 Sekunden! • Die Strecke zu 15 Mrd. Lichtjahre entfernten Objekten wird f¨ur das Teilchen auf 0,15 Lichtjahre kontrahiert, etwa 4% der Strecke von hier zum sonnenn¨achsten Stern Proxima Centauri. Um diesen Weg zu u¨ berwinden, braucht das Teilchen (bei Vernachl¨assigung der Raumexpansion) nur ca. acht Wochen! Auf der Erde vergehen aber w¨ahrenddessen 15 Milliarden Jahre. . . Ein einzelnes Proton19 hat bei dieser Geschwindigkeit dieselbe kinetische Energie (ca. 15 J; siehe dazu Formel (1.63) in Abschnitt 1.12) wie – ein 1 kg schwerer Stein bei 5,5 m/s oder – ein 1 g schweres Steinchen bei 624 km/h.
1.6 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit – Kann vorher gleichzeitig nachher sein? In der SRT verliert auch der Begriff Gleichzeitigkeit seine universelle, also system¨ubergreifende G¨ultigkeit. F¨ur eine qualitative Betrachtung verfolge man das n¨achste Gedankenexperiment: Ein Raumschiff mit darin synchronisierten Uhren am Bug (Uhr 1) und am Heck (Uhr 2), die den Abstand L voneinander haben, und mit einem Astronauten A in der Mitte zwischen beiden Uhren passiert mit Geschwindigkeit v einen Beobachter B. Das Raumschiff denke man sich mit einer Panoramaverglasung ausgestattet, so daß man Vorg¨ange im Inneren gut beobachten kann. In dem Moment, in dem A genau auf H¨ohe von B ist, z¨undet A einen kurzen Lichtblitz. A, der sich als mit den Uhren ruhend betrachten kann, wird den Lichtblitz gleichzeitig bei den von ihm gleich weit entfernten Uhren 1
19
Kern des Wasserstoffatoms, Ruhemasse ca. 1, 67 · 10−27 kg
1.6 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit – Kann vorher gleichzeitig nachher sein?
31
und 2 ankommen sehen. Er kann einen solchen Lichtblitz sogar zur Synchronisation seiner Uhren verwenden. F¨ur Beobachter B fliegt aber Uhr 2 dem Lichtblitz (der auch f¨ur ihn Lichtgeschwindigkeit c hat) entgegen, das Licht wird f¨ur ihn dort zuerst ankommen. Uhr 1 dagegen bewegt sich aus B-Sicht w¨ahrend der Lichtlaufzeit nach rechts, f¨ur B braucht das Licht mehr Zeit, um dorthin zu gelangen. B sieht so im Gegensatz zu A das Licht nicht gleichzeitig bei den Uhren eintreffen. Stellt also ein Beobachter in seinem Inertialsystem die Gleichzeitigkeit von zwei r¨aumlich getrennten Ereignissen fest (hier A), dann sind diese f¨ur einen Beobachter in einem anderen Inertialsystem in der Regel nicht gleichzeitig. Mit anderen Worten: Der Begriff Gleichzeitigkeit“gilt uneingeschr¨ankt nur ” in dem jeweils betrachteten Inertialsystem. Die G¨ultigkeit des Konzepts der Gleichzeitigkeit innerhalb eines Inertialsystems ist ja auch die Voraussetzung f¨ur eine (bleibende) Synchronisation von darin ruhenden Uhren. In einem bestimmten Inertialsystem sind zwei Ereignisse dann gleichzeitig, wenn an den zwei Orten dieser Ereignisse ruhende und in diesem System synchronisierte Uhren die Ereignisse bei gleicher Zeigerstellung registrieren. Diese Definition der Gleichzeitigkeit (in einem Inertialsystem) hat den großen Vorteil, daß Lichtlaufzeiten keine Rolle spielen. Quantitative Bestimmung: Um die Berechnung zu erleichtern, wird nun in Gedanken ein Lichtblitz von Uhr 1 zu Uhr 2 geschickt. Zu Beginn dieses Versuchs stellt A beide Uhren auf null. Untersucht werden soll zun¨achst, ob B eine Zeitdifferenz an den A-Uhren abliest und wie groß diese ggf. ist: Der Abstand der Uhren betr¨agt f¨ur B wegen der Lorentz-Kontraktion nicht L, sondern (siehe (1.20)): (1.22) L = L · 1 − (v 2 /c2 ) Beobachter B mißt folgende Lichtlaufzeit von Uhr 1 nach Uhr 2: t =
L − v · t , c
(1.23)
32
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
denn Uhr 2 fliegt aus Sicht von B dem Licht von Uhr 1 entgegen, und zwar w¨ahrend der Lichtlaufzeit t um den Weg v ·t ; der effektive Lichtweg betr¨agt daher nur noch L − v · t . Einsetzen von (1.22) in (1.23) ergibt: L · 1 − (v 2 /c2 ) − v · t t = (1.24) c 1 − v/c L (1.25) Eine Umformung liefert: t = · c 1 + v/c W¨ahrend der Lichtlaufzeit t von Uhr 1 nach Uhr 2 macht sich aus Sicht von B bei beiden Uhren nat¨urlich auch die Zeitdilatation bemerkbar, die den Lauf der Uhren verlangsamt. Eine Zeitdehnung um den Gamma-Faktor bewirkt wegen des langsameren Uhrenlaufs ein um den Kehrwert des Gamma-Faktors weniger weites Vorr¨ucken der Zeiger. Der Lauf der AUhren w¨ahrend der Lichtlaufzeit von Uhr 1 nach Uhr 2 betr¨agt daher f¨ur B: 1 − v/c 1 L (1.26) = · · 1 − (v 2 /c2 ) t · γ c 1 + v/c Eine Umformung ergibt: Lauf der A-Uhren f¨ur B w¨ahrend der Lichtlaufzeit: =
L ·v L − 2 c c
(1.27)
F¨ur den mitfliegenden Astronauten A ben¨otigt das Licht von Uhr 1 zu Uhr 2 die Laufzeit L/c; bei Eintreffen des Lichts bei Uhr 2 liest auch B dies ab (Raum-Zeit-Koinzidenz, also zwei Ereignisse am selben Ort und zur selben Zeit: Eintreffen des Lichts und Anzeige der Uhr!). Wenn auf Uhr 2 f¨ur Beobachter B w¨ahrend der Lichtlaufzeit die Zeit L/c − L · v/c2 (siehe (1.27)) abgelaufen ist, und sie bei Versuchsende L/c anzeigt (siehe vorherigen Absatz), dann muß sie zu Beginn des Versuches f¨ur B L · v/c2 angezeigt haben. Das Nachvollziehen dieses Satzes f¨allt leichter, wenn man Zahlenwerte f¨ur L/c (eine gr¨oßere Zahl) und f¨ur L · v/c2 (eine kleinere Zahl) einsetzt. Da aber Uhr 1 zu Beginn des Versuchs auch f¨ur B null angezeigt hatte (Raum-Zeit-Koinzidenz: Anzeige der Uhr und Absenden des Lichts!), ging und geht Uhr 2 f¨ur Beobachter B um L · v/c2 vor! Sind also zwei Uhren f¨ur einen mit den Uhren ruhenden Beobachter synchronisiert und im Abstand L voneinander aufgestellt, geht f¨ur einen parallel zu L bewegten zweiten Beobachter die r¨aumlich nachfolgende Uhr um (1.28) L · v/c2
1.6 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit – Kann vorher gleichzeitig nachher sein?
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vor. Um die Anzeige der hinteren Uhr nach Ende des Versuchs zu erreichen, braucht die vordere Uhr wegen der Zeitdilatation dann noch die B-Zeit 1 L ·v · . 2 c 1 − (v 2 /c2 ) Erl¨auterung zu den letzten drei Zeilen: Die Differenz des Uhrenstandes (L · v/c2 ) in dem ihm fremden Inertialsystem von A allein stellt f¨ur B noch keine Zeitdifferenz von Ereignissen dar! Aber man kann daraus eine Zeitdifferenz bilden, wenn man fragt, wieviel Zeit f¨ur B z.B. zwischen • dem Ereignis H : Anzeige der hinteren Uhr (Uhr 2) L/c“ ” und • dem Ereignis V : Anzeige der vorderen Uhr (Uhr 1) L/c“ ” vergeht! Beobachter A sieht die Ereignisse H und V gleichzeitig, da f¨ur ihn die Uhren synchron laufen. Nun zu B: Er muß zwischen dem Ereignis H und dem Ereignis V abwarten, bis der Zeiger von Uhr 1, die f¨ur B (siehe oben) um L · v/c2 nachgeht und am Ende des obigen Experiments erst L/c − L · v/c2 anzeigt, auf L/c voranschreitet. Da B alle Vorg¨ange im Raumschiff von A zeitdilatiert sieht, dauert f¨ur ihn auch dieser Vorgang eben nicht L · v/c2 , sondern L · v/c2 mal γ -Faktor! Nur dies ist die Zeitdifferenz von Ereignissen f¨ur B, die f¨ur A gleichzeitig sind und in Flugrichtung den Abstand L voneinander haben! ¨ Hier noch einmal alle Daten des Experiments im Uberblick: Aus A-Sicht Uhr 2 Uhr 1 Uhrenanzeige beim Start des Lichtblitzes bei Uhr 1 Lichtlaufzeit Uhrenanzeige bei Ankunft des Lichtblitzes bei Uhr 2 Nachlaufzeit von Uhr 1 bis zur Anzeige L/c“ ”
”
0“ ”
0“ ”
L/c
L/c
L/c“
—
”
L/c“
0
Uhr 2
Aus B-Sicht Uhr 1
L · v/c2 “
0“ ”
L/c − L · v/c2
L/c − L · v/c2
”
”
L/c“
—
”
L/c − L · v/c2 “
L · v/c2 · γ
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Der Schl¨ussel zum Verst¨andnis dieser Herleitung der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit liegt darin, daß beide Beobachter (als Raum-Zeit-Koinzidenzen) jeweils zwei Ereignisse gleichzeitig und am selben Ort wahrnehmen: • Absenden des Lichts bei Uhr 1 und deren Anzeige null (Versuchsbeginn), • Ankunft des Lichts bei Uhr 2 und deren Anzeige L/c (Ende des Versuchs). Raumkontraktion und Zeitdilatation erzwingen dann geradezu das Vorgehen von Uhr 2 f¨ur Beobachter B im Vergleich zu Uhr 1, wie oben berechnet. Man k¨onnte aber auch sagen: Die Konstanz von c und die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit erzwingen Zeitdilatation und Raumkontraktion! Die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit gilt nat¨urlich auch f¨ur andere r¨aumlich getrennte Ereignisse aller Art, nicht nur f¨ur den Uhrenlauf, der hier lediglich zur Darstellung des Effektes gedient hat:
Allgemeine Formulierung des Gesetzes der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit20 : Sind zwei Ereignisse f¨ur einen ruhenden Beobachter zeitgleich und durch den Abstand L voneinander getrennt, dann erscheint einem anderen Beobachter, der sich relativ dazu mit der Geschwindigkeit v und parallel zu L bewegt, das f¨ur ihn r¨aumlich f¨uhrende Ereignis um L ·v 1 · c2 1 − (v/c)2
(1.29)
versp¨atet gegen¨uber dem f¨ur ihn r¨aumlich nachfolgenden Ereignis. Bei einer Bewegung quer zu L bleibt die Gleichzeitigkeit von Ereignissen allerdings erhalten (keine Raumkontraktion, gleichf¨ormige Zeitdilatation). Selbstverst¨andlich wird der Effekt erst bei sehr hohen Geschwindigkeiten auff¨allig und bleibt auch dann relativ gering (c2 im Nenner!): W¨urde z.B. ein Raumschiff mit 99,5% der Lichtgeschwindigkeit an der Erde vorbeifliegen, dann w¨urden zwei synchronisierte Erd-Uhren im Abstand von 1000 km f¨ur die Raumschiffsbesatzung nur eine Differenz der Zeitanzeige von L · v/c2 = 0, 003 3 Sekunden aufweisen! Da jedoch der γ -Faktor im Spiel ist (siehe (1.29), rechter Teil), kann der Zeitunterschied der Wahrnehmung zweier Ereignisse bei Geschwindigkeiten nahe c beliebig gesteigert werden; aber 20
engl.: relativity of simultaneity
1.6 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit – Kann vorher gleichzeitig nachher sein?
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die Differenz der Zeitanzeige zweier r¨aumlich getrennter Uhren strebt dabei nur dem Grenzwert L · c/c2 = L/c zu. Wie andere Effekte der SRT ist auch die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit wegen des Relativit¨atsprinzips ein symmetrisches Ph¨anomen: Die Standpunkte beider Beobachter sind austauschbar; das Auseinanderdriften von Ereigniszeiten ist im jeweils anderen Inertialsystem wahrnehmbar.
Vorher oder nachher, oder beides? Die Radikalit¨at der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit wird vollends klar, wenn man ein Gedankenexperiment mit drei Beobachtern verschiedenen Bewegungszustands durchf¨uhrt (B bewegt sich nach rechts, C nach links, A ruht):
Wenn n¨amlich f¨ur A die r¨aumlich getrennten Ereignisse E 1 und E 2 gleichzeitig stattfinden, dann geschieht f¨ur B: Ereignis E 1 nach E 2 und f¨ur C: Ereignis E 1 vor E 2 !
Die Zeitdilatation auf den Kopf gestellt? Hat ein Beobachter A mehrere Uhren in seinem System synchronisiert, dann ist der Uhrenstand f¨ur einen relativ dazu bewegten Beobachter B abh¨angig von der jeweiligen Position einer Uhr in Bewegungsrichtung: Je mehr r¨aumlichen Vorsprung“ eine Uhr hat, desto mehr geht sie ” gegen¨uber einer Vergleichsuhr in der Mitte (siehe folgende Abbildung) nach; je mehr eine Uhr r¨aumlich nachhinkt, desto mehr geht sie vor. Bei einem tats¨achlichen Flug eines Reisenden B durch ein Ruhesystem A mit darin synchronisierten Uhren h¨atte dieser Effekt eine interessante Konsequenz: F¨ur den Reisenden B, der an einer im Ruhesystem A aufgestellten und darin synchronisierten Uhrenreihe entlangfliegt und der fortlaufend seinen eigenen Uhrenstand mit der jeweils gerade auf seiner H¨ohe befindlichen
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
A-Uhr vergleicht, wird die Zeitdilatation verschleiert, ja sogar (scheinbar) in ihr Gegenteil verkehrt: Je weiter B fliegt, desto mehr geht die jeweils gerade auf seiner H¨ohe befindliche A-Uhr im Vergleich zu seiner eigenen Uhr vor statt (wie nach der Zeitdilatation zu erwarten) nach! Dies ist so, weil der Reisende B mit zunehmender Flugstrecke (und damit zunehmender Flugzeit) fortlaufend A-Uhren erreicht, die beim Start f¨ur B noch r¨aumlich nachfolgend waren und somit f¨ur ihn beim Start schon um jeweils L · v/c2 vorgegangen sind und in der Zwischenzeit (wenn auch verlangsamt: Zeitdilatation!) weiter gelaufen sind. Was liest der Reisende nun genau auf den jeweils gerade passierten A-Uhren ab? Zu Beginn dieses Gedankenexperiments synchronisiert der Reisende B seine Uhr mit derjenigen A-Uhr, an der er gerade vorbeifliegt, auf null (f¨ur Beobachter im Ruhesystem A zeigen zu diesem Zeitpunkt alle Uhren 0 an). Sp¨ater, z.B. nach der Flugdauer t B (Eigenzeit des Reisenden), zeigt eine dann gerade passierte A-Uhr nicht nur ihren Anfangsvorsprung“ L · v/c2 ” an, sondern zus¨atzlich die im Ruhesystem A abgelaufene Zeit, t B / γ = t B · 1 − v 2 /c2 (der Reisende sieht bei jeder Einzeluhr von A eine verlangsamte Zeigergeschwindigkeit). Also: Anzeige der zur Zeit t B passierten A-Uhr = L · v/c2 + t B ·
1 − v 2 /c2
L ist ein Abstand im Ruhesystem und l¨aßt sich nach (1.20) ersetzen: ⎛ ⎞ 2 2 v L · v/c + t B · 1 − v 2 /c2 ⎝denn L = L · 1 − 2 ⎠ = 2 2 c 1 − v /c
1.6 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit – Kann vorher gleichzeitig nachher sein?
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Auch L l¨aßt sich ersetzen (L = Eigenzeit · Geschwindigkeit): t B · v · v/c2 = + t B · 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 2 2 /c2 2 2 t · 1 − v B t B · v /c = + 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 Und dies l¨aßt sich umformen zu: Anzeige der zur Zeit t B passierten A-Uhr =
tB 1 − v 2 /c2
(1.30)
Die nacheinander vom Reisenden B passierten Uhren des Ruhesystems A zeigen also im Vergleich zu seiner eigenen Uhr nicht um den GammaFaktor weniger an (wie nach der Zeitdilatation zu erwarten), sondern um den Gamma-Faktor mehr! Bei genauerer Betrachtung u¨ berrascht dieses Ergebnis aber nicht: Versetzt man sich n¨amlich in einen Beobachter des Ruhesystems A, dann ist sofort klar, daß die nun bewegte Uhr des Reisenden B langsamer gehen muß, oder umgekehrt gesagt: die eigenen A-Uhren laufen schneller, wie in obiger Formel zum Ausdruck kommt. F¨ur den Beobachter im Ruhesystem A spielt die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit in diesem Beispiel keine Rolle, da er ja nur eine Uhr des Reisenden B betrachtet. F¨ur den A-Beobachter gilt somit die Zeitdilatation allein (was die Beobachtung der B-Uhr betrifft). Die zun¨achst widerspr¨uchlich erscheinende Beobachtung Bs der mehr statt weniger anzeigenden Uhren des durchreisten Systems A wird durch die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit widerspruchsfrei erkl¨art. Wenn man umgekehrt den Reisenden B mit einer Uhrenreihe ausstattet und deren Zeigerstellungen von einem einzelnen Ruhebeobachter in A beurteilen l¨aßt, zeigt sich ein analoges Ergebnis: Jede gerade den Ruhebeobachter passierende B-Uhr zeigt um den Gamma-Faktor mehr an als die Uhr des Ruhebeobachters (bei Synchronisation auf 0 zu Beginn des Versuchs). Die in diesem Gedankenexperiment erw¨ahnten Uhrenvergleiche vor Ort sind nat¨urlich unter den beiden Beobachtern unumstritten, denn es handelt sich ja um Raum-Zeit-Koinzidenzen: • Zusammentreffen der Uhren und • momentane Zeigerstellung der beiden zu vergleichenden Uhren: Drei Ereignisse am selben Ort zur selben Zeit!
38
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Dazu ein Zahlenbeispiel: Angenommen, ein Raumschiff B fliegt mit v = 0, 8 c (Gamma-Faktor = 1,667) an der Erde vorbei. Im Moment der Begegnung sollen die Uhren von Raumschiff und Erde auf null synchronisiert werden. Die Erde habe viele entfernte Außenposten (die Geschichte spielt im Jahre 3905!), deren Uhren alle mit der Erde synchronisiert seien (im Sinne eines riesigen Inertialsystems). Nach 6,75 Jahren Eigenzeit t B passiert das Raumschiff B den Außenposten bei Sirius. Was liest die Raumschiffsmannschaft auf einer dortigen Außenpostenuhr ab? Bei diesem Experiment m¨ussen zwei verschiedene Resultate auseinandergehalten werden: • Wegen der Zeitdilatation schreiten aus B-Sicht die einzelnen Uhren des Erde-Sirius-Systems w¨ahrend des Fluges nat¨urlich nur um t B /GammaFaktor = 6, 75/1, 667 = 4, 05 Jahre voran. • Aber die Sirius-Uhr zeigt beim dortigen Uhrenvergleich wegen der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit mehr an, n¨amlich nach (1.30): t B · Gamma-Faktor = 6,75 · 1,667 = 11,25 Jahre. Alle Daten dieses Experiments (und auch f¨ur den R¨uckflug!) werden in Abschnitt 1.8 – Zwillingsparadoxon – ausf¨uhrlich besprochen. Welche Lehre kann man aus dem Gesagten ziehen? • Ist man Ruhebeobachter mit mehreren zur Verf¨ugung stehenden Systemuhren, dann gen¨ugt f¨ur die Beurteilung einer einzelnen vorbeibewegten Uhr die Zeitdilatation: Die vorbeibewegte Uhr l¨auft langsamer. • Bewegt man sich als einzelner Beobachter entlang mehrerer (in dem fremden System synchronisierter) r¨aumlich getrennter Uhren, dann richtet sich die Laufgeschwindigkeit dieser Uhren zwar auch nach der Zeitdilatation (und ist entsprechend verlangsamt), aber der Uhrenstand dieser Uhren wird von der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit entscheidend mitbestimmt. Ein Einzelbeobachter muß das Schlagwort Bewegte Uhren gehen langsa” mer“ daher mit Bedacht anwenden: Bezogen auf die Laufgeschwindigkeit jeder beobachteten Einzeluhr trifft es zwar zu, f¨ur den Uhrenstand mehrerer nacheinander passierter Uhren muß es aber abgewandelt werden: Nacheinander an mir vorbeibewegte und im anderen System synchronisierte ” Uhren zeigen bei der Begegnung jeweils zunehmend sp¨atere Uhrenst¨ande als meine eigene Uhr.“
Da dieses Ph¨anomen der mehr statt weniger anzeigenden Uhren dermaßen unerwartet ist, hierzu noch ein experimentell best¨atigtes Beispiel: Synchronisiert man bei Entstehung eines Myons 10 km u¨ ber der Erdoberfl¨ache
1.6 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit – Kann vorher gleichzeitig nachher sein?
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(siehe Abschnitt 1.5) die Uhren im Erdsystem auf null, so zeigt eine Uhr am Erdboden beim dortigen Zerfall des schnell bewegten Myons, in dessen System die Eigenzeit von 1, 5 μs vergangen ist, mehr an, n¨amlich schon 1, 5 μs · γ −Faktor; nicht etwa 1, 5 μs / γ −Faktor ! Letzteres ist aber aus Myon-Sicht die Laufzeit jeder einzelnen der Erd-Uhren, die aus Sicht des Teilchens jedoch desynchronisiert sind: Die Uhr am Boden geht als r¨aumlich nachfolgende vor. Aus Erdsicht reicht zur Erkl¨arung des Ergebnisses (1, 5 μs · γ −Faktor) die Zeitdilatation allein: Aus Sicht des Erdsystems tickt die Lebensuhr des Myons verlangsamt: Bis sie die Anzeige 1, 5 μs“ ” erreicht hat, vergeht auf allen Erd-Uhren mehr Zeit, eben 1, 5 μs · γ -Faktor !
Eine historische Anmerkung zu diesem Thema Der eigentliche Ausgangspunkt bei der Erarbeitung der SRT war f¨ur Albert Einstein in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts ein Gedankenexperiment zur Relativit¨at der Gleichzeitigkeit. Raumkontraktion und Zeitdilatation ergaben sich daraus erst sekund¨ar. Bei dem Gedankenexperiment stellte sich Einstein u¨ brigens relativ zu einem Bahnsteig bewegte Eisenbahnwaggons vor, die zur damaligen Zeit schnellsten Transportmittel.
¨ alle Beobachter absolut starr sind? Gibt es K¨orper, die fur Nein, solche K¨orper gibt es nicht, wie sich unter anderem mit der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit zeigen l¨aßt: Hierzu stelle man sich einen Zylinder vor, der in einem bewegten System S gleichf¨ormig um seine Symmetrieachse rotiert, welche parallel zur Bewegungsrichtung liegen soll. Den Zylinder k¨onnte man sich nun auch zusammengesetzt denken aus vielen ganz d¨unnen Kreisscheiben, die ebenfalls gleichf¨ormig und in S mit gleicher Winkelgeschwindigkeit um besagte Achse rotieren. Jede einzelne dieser Kreisscheiben kann man wegen ihrer gleichf¨ormigen Rotation auch als ideale Uhr auffassen. Diese Analogie wird deutlicher, wenn man auf jede Kreisscheibe ihren Radius zeichnet oder malt; dieser Radius ist der Zeiger“ der Uhr. In S ” l¨aßt es sich ohne weiteres so einrichten, daß alle Zeiger zu einem bestimmten Zeitpunkt in dieselbe Richtung zeigen; die Uhren sind dann in S bleibend auf Gleichstand synchronisiert. Vom Ruhesystem S aus gesehen bewegt sich der aus den kreisf¨ormigen Uhren zusammengesetzte Zylinder aber parallel zu seiner Drehachse. Die Uhren haben damit wegen ihres r¨aumlichen Versatzes unterschiedliche Zeigerst¨ande: Der Zylinder ist verwrungen oder tordiert“ (und nat¨urlich ” zus¨atzlich Lorentz-kontrahiert)! Das Testobjekt heißt u¨ brigens nach dem Erfinder dieses Gedankenexperiments Max von Laue Laues Zylinder“. ”
40
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
1.7 Addition“ hoher Geschwindigkeiten – Eins plus eins ” gleich eins? Hohe Geschwindigkeitsbetr¨age sind nach der SRT nicht einfach addierbar; dies ergibt sich schon allein daraus, daß man nach diesem Verfahren leicht Werte u¨ ber c erreichen w¨urde (z.B. 0, 9 c +0, 9 c). Die Lichtgeschwindigkeit als universelle Grenzgeschwindigkeit ist jedoch nicht u¨ berschreitbar (siehe Abschnitt 1.9). Es gilt also, eine allgemeing¨ultige Additionsformel“ f¨ur ” hohe Geschwindigkeiten zu entwickeln. Gedankenexperiment: Von einer Startrampe A entfernt sich eine Rakete B mit der Geschwindigkeit u; B wiederum dient als Startplattform f¨ur die Raumkapsel C, die von B aus gesehen Geschwindigkeit v hat.
Gesucht ist die Relativgeschwindigkeit w zwischen A und C. Daß w stets ¨ kleiner als c sein muß, ergibt sich aus folgender qualitativer Uberlegung: C kann ein Funksignal an B senden, ebenso kann auch B ein Funksignal an A senden (jeweils Geschwindigkeitsdifferenzen unter c). Nun kann man sich B als Relaisstation f¨ur Funksignale von C vorstellen, welche die C-Signale ohne Zeitverz¨ogerung an A weitersendet. Aber eine Relaisstation, die Signale ohne Zeitverz¨ogerung weitersendet, kann man sich genausogut ganz wegdenken, sie ist unter dem Gesichtspunkt der Signalgeschwindigkeit nicht n¨otig! Also k¨onnen die Signale von C auch direkt A erreichen. Das wiederum bedeutet, daß sich A und C mit Unterlichtgeschwindigkeit voneinander entfernen, sonst k¨onnte kein Signalaustausch erfolgen! Die folgende quantitative Bestimmung wird dies best¨atigen: Eine Uhr im Inertialsystem von C habe die Periode (Abstand zwischen zwei Schl¨agen“) T . Ein Beobachter in der Rakete B sieht21 diese Uhr in ” C aber nicht mit der Periode T ticken, sondern mit einer verl¨angerten Periode f v · T , wobei sich der Periodenverl¨angerungsfaktor f v folgendermaßen ergibt: Die Mannschaft in B berechnet f¨ur die Uhr in C wegen der Zeitdilatation zun¨achst die l¨angere Periode
21
Hier ist tats¨achliches Sehen durch einen Beobachter gemeint!
1.7
Addition“ hoher Geschwindigkeiten – Eins plus eins gleich eins? ”
T ·γ =T·
1 1 − (v/c)2
41
.
Da sich C mit v von B entfernt, d.h. w¨ahrend einer Periode um den Weg v · T · γ -Faktor, treffen die Uhrensignale von C bei B mit der noch weiter verl¨angerten Periode 1 v · T v · T ·γ =T· + 2 c 1 − (v/c) c · 1 − (v/c)2 1 + v/c (1 + v/c)2 1 + v/c · T =T· =T·√ = 2 1 − v/c (1 + v/c) · (1 − v/c) 1 − (v/c) T ·γ +
ein. Der von B beobachtete Periodenverl¨angerungsfaktor f v f¨ur die Uhr in C betr¨agt damit: 1 + v/c (1.31) fv = 1 − v/c Die Beobachter auf Startrampe A k¨onnen nun die Signale der Uhr in C als • von C kommend mit der verl¨angerten Periode f w · T oder als • von B kommend mit der verl¨angerten Periode f u · ( f v · T ) betrachten. Beide Sichtweisen sind gleichberechtigt, es muß daher gelten: fw · T = fu · ( fv · T ) ⇒ fw = fu · fv 1 + w/c 1 + u/c 1 + v/c = · ⇒ 1 − w/c 1 − u/c 1 − v/c Quadrieren und aufl¨osen nach w ergibt: w=
u+v 1 + u·v c2
(1.32)
Gleichung (1.32) liefert die gesuchte Geschwindigkeits summe“ aus u und ” v und wird deshalb auch Additionstheorem“ der SRT genannt. ” Extremf¨alle: u = v = 0 =⇒ w = 0 u = v = c =⇒ w = c Bei Werten von u und v nahe null ergibt sich f¨ur w ann¨ahernd die konventionelle Summe u + v. Andererseits kann w auch bei den h¨ochsten Werten von u < c und v < c den Wert c nie u¨ berschreiten.
42
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Zahlenbeispiele: u = v = 0, 001 c =⇒ w = 0, 001 999 998 c ≈ 0, 002 c u = v = 0, 99 c =⇒ w = 0, 999 95 c Hinweis: Gleichung (1.32) liefert die Gesamtgeschwindigkeit w nur f¨ur den Spezialfall, daß beide Geschwindigkeitskomponenten genau parallel liegen. Besteht zwischen ihnen ein beliebiger Winkel, dann zerlegt man am besten eine der beiden Geschwindigkeiten u oder v in zwei Anteile, zum Beispiel u in • u x (parallel zu v) und • u y (senkrecht zu v). Die Geschwindigkeits summen“ in x- und y-Richtung sind dann: ” ux + v (Diese Formel entspricht (1.32).) wx = ux · v 1+ c2 1 − v 2 /c2 wy = u y · (Herleitung in Abschnitt 1.13) ux · v 1+ c2
(1.33)
(1.34)
Es besteht nat¨urlich ein enger logischer Zusammenhang zwischen dem Additionstheorem und dem Prinzip der Konstanz von c: F¨ahrt ein Auto mit v auf eine Lampe zu, mißt man am Auto nicht eine Lichtgeschwindigkeit von c + v, sondern von c, nach beiden Gesetzen. Bei Anwendung des Additionstheorems mit einer der Teilgeschwindigkeiten gleich c : c · (c + v) c+v c+v c·v = v = c + v , ergibt sich 1+ 2 1+ c c als Geschwindigkeits summe“ immer c , wie es das Prinzip der Konstanz der ” Lichtgeschwindigkeit verlangt! Hier zeigt sich die innere Widerspruchsfreiheit der SRT besonders sch¨on. Da sich das Licht einer mit Geschwindigkeit v an einem Beobachter vorbeibewegten Lichtquelle nicht in Bewegungsrichtung mit c + v und in Gegenrichtung mit c − v ausbreitet, sondern in jede Richtung mit c, erzeugen Lichtblitze f¨ur alle Inertialbeobachter kugelf¨ormige Lichtfronten, nicht etwa eif¨ormige. Gew¨ahrleistet“ wird dies durch Zeitdilatation und Raumkontrak” ¨ tion. Uberspitzt ausgedr¨uckt: Zeitdilatation und Raumkontraktion sind nur dazu da, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit sicherzustellen und allen Inertialbeobachtern kugelf¨ormige Lichtfronten zu bieten!
1.8 Das Zwillingsparadoxon – l¨uckenlos erkl¨art
43
Wichtig: Analog zu Geschwindigkeitssummen sind auch Differenzen gr¨oßerer Geschwindigkeiten relativistisch22 zu behandeln. Wenn z.B. im obigen Gedankenexperiment die Kapsel C von B aus mit der Geschwindigkeit −v retour zu A fliegt, dann ergibt sich nach (1.32): w=
u −v u·v 1− c2
Eselsbr¨ucke f¨ur das Vorzeichen von Geschwindigkeiten (in der Physik allgemein anwendbar): Entfernungszunahme : Entfernungsabnahme :
+v −v
Relativistische Geschwindigkeitssummen sind kleiner als konventionelle; relativistische Geschwindigkeitsdifferenzen sind gr¨oßer als konventionelle!
¨ 1.8 Das Zwillingsparadoxon23 – luckenlos erkl¨art Eine von Einstein unmittelbar erkannte Konsequenz aus der SRT ist ein zu erwartender Altersunterschied, wenn ein Beobachter (A) in seinem Inertialsystem bleibt, ein zweiter Beobachter (B) sich aber schnell von A wegbewegt und dann wieder zu ihm zur¨uckkehrt. Gleich zu Beginn dieses Abschnittes muß jedoch betont werden, daß sich dieser Zwillingseffekt im Rahmen der SRT widerspruchsfrei ergibt. Zun¨achst wird der Zwillingseffekt an einem Zahlenbeispiel demonstriert, Hinweise zur Deutung im Rahmen der SRT folgen im Anschluß daran. Gedankenexperiment: Die Zwillingsbr¨uder A und B verabschieden sich voneinander: W¨ahrend A auf der Erde bleibt, fliegt sein Bruder B zu Sirius, dem hellsten Stern am irdischen Nachthimmel. Ohne sich dort aufzuhalten, kehrt B dann wieder zur Erde zur¨uck. Die einfache Wegstrecke betr¨agt (vom wirklichen Wert etwas aufgerundet) 9 Lichtjahre (Lj). Der Einfachheit halber soll B (abgesehen vom Umkehrereignis) bei Hin- und R¨uckflug stets gleich schnell sein, n¨amlich 0, 8 c. Bei dieser Geschwindigkeit betragen • der Gamma-Faktor γ = 1, 666. . . • und dessen Kehrwert 1/γ = 0, 6 . 22 23
relativistisch: im Sinne und nach den Regeln der Relativit¨atstheorie auch Uhrenparadoxon genannt
44
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Die Umkehr von B bei Sirius denke man sich als pl¨otzliche Richtungs¨anderung. Durch diese Simplifizierung des Flugplanes bleibt der Rechenaufwand gering. Wegen der Umkehr bei Sirius darf f¨ur B aber nicht angenommen werden, daß er sich die ganze Zeit in einem Inertialsystem befindet (Inertialsysteme bewegen sich definitionsgem¨aß nur geradeaus, d¨urfen also nicht umkehren!). Durch die oben eingef¨uhrten Vereinfachungen im Reiseablauf ist es aber zul¨assig, f¨ur B zwei Inertialsysteme einzurichten: • B1 f¨ur den Hinflug, • B2 f¨ur den R¨uckflug. Denn sowohl w¨ahrend des Hin- als auch w¨ahrend des R¨uckfluges bewegt sich B mit gleichbleibender Geschwindigkeit geradeaus.
Berechnung der Alterung von A aus eigener Sicht w¨ahrend der Abwesenheit von B: F¨ur A auf der Erde dauert der Hinflug von B: Weg/Geschwindigkeit = 9 Lj/0, 8 c = 11, 25 Jahre (Hinweis: 1 Lj = 1 Jahr · c) F¨ur den R¨uckflug von B ermittelt A ebenso: Flugdauer = 9 Lj/0, 8 c = 11, 25 Jahre Summe (= Alterung von A): 22,50 Jahre Berechnung der Alterung von B w¨ahrend der Trennungszeit aus eigener Sicht: B sieht sich als ruhend an; die Erde entschwindet erst und kommt dann wieder zur¨uck. Erde und Sirius geh¨oren aus Sicht von B einem gemeinsamen Inertialsystem an, ihr Abstand ist Lorentz-kontrahiert. Die Zeit zwischen dem Abschied von A und dem Zusammentreffen mit Sirius betr¨agt daher: Abstand(kontrahiert) / v = 9 Lj · 0, 6/0, 8 c = 6, 75 Jahre Gleiches gilt f¨ur die Zeit zwischen dem Zusammentreffen mit Sirius und dem Wiedersehen mit A: 9 Lj · 0, 6/0, 8 c = 6, 75 Jahre Summe (= Alterung von B w¨ahrend der Trennungszeit aus eigener Sicht): 13,50 Jahre ¨ (Zu der dabei auftretenden scheinbaren Uberlichtgeschwindigkeit siehe Abschnitt 1.14.9.)
1.8 Das Zwillingsparadoxon – l¨uckenlos erkl¨art
45
Der Altersunterschied der Zwillinge betr¨agt damit beim Wiedersehen 22,50 minus 13,50 = 9 Jahre. Da es sich bei A um einen intelligenten Erdbewohner handelt, kann er die Alterung von B um nur 13,50 Jahre mit Hilfe der Zeitdilatation auch aus seiner Sicht untermauern: Eigenzeit von A · Kehrwert des γ -Faktors = Alterung von B: 22,5 Jahre · 0,6 = 13,50 Jahre In diesem Sinne besteht erwartungsgem¨aß keine Paradoxie. Als eigentliches Zwillingsparadoxon wird daher die Frage angesehen, warum nicht auch auf der von B aus bewegt gesehenen Erde die Zeitdilatation manifest geworden ist. Ein gedachtes Blinklicht auf der Erde hilft, die Angelegenheit auch unter diesem Aspekt zu pr¨ufen: Es soll einmal pro Sekunde blinken, seine Periode betr¨agt damit f¨ur die Erdlinge 1 s. B1 (B auf dem Hinflug) berechnet dann wegen der Zeitdilatation eine verl¨angerte Blinkperiode von 1 s · Gamma-Faktor = 1,667 s. Zwischen zwei Lichtblitzen entfernt sich die Erde f¨ur B aber auch noch um den Weg Geschwindigkeit · Zeit(dilatiert) = 0, 8 c · 1,667 s = 1,333 Lichtsekunden, ¨ dessen Uberwindung weitere 1, 333 s erfordert. Die Lichtblitze treffen demnach nur alle 1,667 s + 1,333 s = 3 s bei B1 ein. B1 erscheinen deshalb alle Zeitabl¨aufe auf der Erde dreimal langsamer als vor Ort! Von B1 aus gesehen24 vergehen somit auf der Erde w¨ahrend seines 6,75j¨ahrigen Wartens vom Abschied von A bis zum Zusammentreffen mit Sirius nur 6,75 Jahre/3 = 2,25 Erdjahre! Nun zu B2 (B auf dem R¨uckflug): B2 berechnet wegen der Zeitdilatation zun¨achst auch eine verl¨angerte Blinkperiode: 1 s · Gamma-Faktor = 1,667 s. 24
Auch hier ist tats¨achliches Sehen durch einen Beobachter (B) gemeint.
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Aber zwischen zwei Blitzen n¨ahert sich die Erde nun um den Weg Geschwindigkeit · Zeit(dilatiert) = 0, 8 c · 1, 667 s = 1, 333 Lichtsekunden. Jedem weiteren Lichtblitz bleibt dieser Wegabschnitt zu B2 erspart; dies spart nat¨urlich auch 1, 333 s Lichtlaufzeit. Die Blinksignale treffen demnach bei B2 in viel k¨urzeren Zeitabst¨anden ein, n¨amlich alle 1, 667 s − 1, 333 s = 0, 333 s. Von B2 aus gesehen l¨auft die Zeit auf der Erde deshalb dreimal schneller als vor Ort ab! Aus B2 s 6,75j¨ahriger Wartezeit zwischen dem Zusammentreffen mit Sirius und dem Wiedersehen mit A werden daher 6, 75 Jahre · 3 = 20,25 Erdjahre! Addiert man dazu die oben f¨ur B1 ermittelten 2,25 Erdjahre, dann mißt auch B (B1 , B2 ) eine auf der Erde vergangene Zeit von 22,50 Erdjahren, das ist genausoviel wie A nach eigener Erfahrung gealtert ist. Auch in diesem Sinne liegt ein Widerspruch nicht vor: Denn es zeigt sich auf der Erde selbst dann keine bleibende Zeitdilatation, wenn man, wie bei dieser letzten Rechnung geschehen, in die Rolle des Raumfahrers B schl¨upft und dabei die Erde samt Blinklicht zun¨achst entschwinden und dann wieder n¨aher kommen sieht. Die Zeitdilatation auf der Erde, die B auf dem Hinflug zu Sirius registrierte, hat sich nicht manifestiert: Auf dem R¨uckflug wird sie wieder vollst¨andig ausgeglichen. Es bleibt sowohl aus Sicht von A als auch aus Sicht von B bei einem Zeitablauf von 22,5 Jahren auf der Erde. Der entscheidende Grund hierf¨ur ist, daß der Erdzwilling A von Bs Abflug bis zu Bs R¨uckkehr n¨aherungsweise im selben Inertialsystem verblieben ist (ein Wechsel des Inertialsystems w¨are objektiv mit einem Beschleunigungsmesser nachweisbar gewesen). Der Reisende B dagegen hat bei der Umkehr bei Sirius einen fliegenden Wechsel der Inertialsysteme vollzogen (von B1 zu B2 )25 , hierdurch konnte die Zeitdilatation, die er sich auf seiner Hochgeschwindigkeitsreise erarbeitet hatte, manifest werden, denn: Die zwischen Inertialsystemen wechselseitig wahrgenommene Zeitdilatation ist nicht widerspr¨uchlich (s. Abschnitt 1.3), weil sie mit Uhren in unterschiedlichen Systemen gemessen wird. Wechselt nun einer der Zwillinge (B) sein 25
Ein solcher Wechsel eines Inertialsystems ist nat¨urlich auch in der SRT ein absoluter Vorgang, der einer Beschleunigung entspricht.
1.8 Das Zwillingsparadoxon – l¨uckenlos erkl¨art
47
System, muß sich auch ein absoluter Eigenzeitunterschied ergeben, weil das Bezugssystem des ruhenden Beobachters ( A) mit den beiden Inertialsystemen (B1 , B2 ) des Reisenden (B) unterschiedlich zeitlich koordiniert ist. Das System B2 hat n¨amlich eine andere Gleichzeitigkeitsbeziehung zu A als das System B1 . (Graphisch l¨aßt sich dies sehr sch¨on mit sogenannten RaumZeit-Diagrammen zeigen. Siehe hierzu Abschnitt 1.17, der gr¨undlich in diese Methode einf¨uhrt und ganz ohne Vorkenntnisse gelesen werden kann. Nach einer obligatorischen Einf¨uhrung wird dort auch das Zwillingsbeispiel behandelt.) Auch die folgende Tabelle dient zur Verdeutlichung des Zeitsprungs, den B (infolge der unterschiedlichen Gleichzeitigkeitsbeziehung zwischen Erdsystem und B1 bzw. B2 ) bei der Beurteilung des Erdzeitablaufs bemerkt. Diese Tabelle sieht auf den ersten Blick etwas verwirrend aus, aber bei genauerer Besch¨aftigung damit wird jeder Leser das Zwillingsbeispiel verstehen k¨onnen (siehe Hinweise auf den Seiten 47 und 49). Hinweise zur Tabelle: 1. Zugrundegelegte Daten: Entfernung L Erde-Sirius: 9 Lj Relativgeschwindigkeit v: 0,8 c Kehrwert des Gamma-Faktors: 0,6 Gamma-Faktor: 1,666... 2. B (B1 , B2 ) bewegt sich relativ zu Erde und Sirius, die beide als einem Inertialsystem angeh¨orend angesehen werden k¨onnen. Wegen dieser Relativbewegung zwischen B und dem Erde-Sirius-System (mit gedachten darin synchronisierten Uhren) sieht B Zeitunterschiede zwischen den Erd- und Sirius-Uhren, die (gem¨aß Abschnitt 1.6) vom Betrag L · v/c2 sind, in Zahlen: 9 Lj · 0, 8 c/c2 = 7, 20 Jahre Beim Hinflug sieht B1 die Sirius-Uhr als die nachfolgende an, sie geht damit im Vergleich zur Erd-Uhr (die beim Start null anzeigt) um 7,20 Jahre vor. Beim R¨uckflug sieht B2 die Erd-Uhr als die nachfolgende an, somit geht diese nun im Vergleich zur Sirius-Uhr um 7,20 Jahre vor. F¨ur die Beurteilung des Uhrenstandes im Erde-Sirius-System darf B nur diejenigen Ausgangsuhrenst¨ande verwenden, die er selbst vor Ort ablesen kann: • F¨ur den Hinflug (B1 ) ist die Erd-Uhrenanzeige null“ die Beurteilungs” grundlage, denn diesen Wert liest B beim Start auf der Erde ab. • F¨ur den R¨uckflug (B2 ) ist die aktuelle Sirius-Uhrenanzeige die Beurteilungsgrundlage, denn bei der Umkehr liest B diese Uhr vor Ort ab. Die auf dem Hinflug zur Beurteilung verwendete Erd-Uhrenanzeige ist f¨ur B auf dem R¨uckflug hinf¨allig, da er ja zwischenzeitlich das Iner-
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
1.8 Das Zwillingsparadoxon – l¨uckenlos erkl¨art
49
tialsystem gewechselt hat! Der einzige (neue) Ausgangspunkt f¨ur die Beurteilung der Uhrenst¨ande im Erde-Sirius-System ist f¨ur B auf dem R¨uckflug die bei der Umkehr mit eigenen Augen vor Ort abgelesene Sirius-Uhrenanzeige! 3. Lichtlaufzeiteffekte (die bei der obigen Blinklichtberechnung ber¨ucksichtigt werden mußten) entfallen hier; es werden die tats¨achlichen Uhrenst¨ande und -l¨aufe genannt, getrennt f¨ur die Beobachter im Raumschiff und auf der Erde. 4. Alle Zeiten werden in Jahren angegeben. 5. Die Tabelle sollte zeilenweise gelesen werden; man erkennt dann, daß sich jede Eintragung logisch aus einer Berechnung und/oder einer anderen Eintragung ergibt, ohne irgendeinen faulen Trick! 6. Der Sprung der Zeitanzeige der Erd-Uhr f¨ur Raumfahrer B ist durch eine gepunktete Linie gekennzeichnet. Dieser Zeitsprung ist aber noch nicht identisch mit dem Altersunterschied der Zwillinge. Um den zu erhalten, muß man noch die Differenz der abgelaufenen Zeiten im Raumschiff und auf der Erde (jeweils aus Raumschiffsicht) abziehen: Erd-Uhr nach Zeitsprung: 18,45 Jahre minus Erd-Uhr vor Zeitsprung: − 4,05 Jahre damit Zeitsprung: = 14,40 Jahre minus (2 · 6, 75 − 2 · 4, 05) = − 5,40 Jahre (diese Zahlen ergeben sich aus der Tabelle) damit Altersunterschied: = 9,00 Jahre, der sich auch aus der letzten Zeile der Tabelle ergibt. Daß aus Raumschiffsicht bei Reiseende am Umkehrpunkt weniger Zeit als auf der Erde abgelaufen ist (Sirius-Uhrenanzeige nur 15,30 Jahre), ist nicht etwa ein Manko des Fließdiagramms, sondern vielmehr das i-T¨upfelchen der Beweisf¨uhrung: Auf dem R¨uckflug muß die nun r¨aumlich f¨uhrende SiriusUhr gegen¨uber der Erd-Uhr um 7,20 Jahre nachgehen. Die Beschleunigungsphase beim Start bzw. die Bremsphase bei der R¨uckkehr werden hier nicht behandelt; w¨ahrend dieser Phasen entsteht bzw. verschwindet die Desynchronisation von Erd- und Sirius-Uhr. Bei gleichbleibendem Geschwindigkeitsbetrag auf Hin- und R¨uckflug ist der Altersunterschied allgemein: Alterung von A − Alterung von B = t − t · 1 − v 2 /c2 = t · (1 − 1 − v 2 /c2 ) Wenn Beobachter B bei Sirius von System B1 auf System B2 umsteigt, ergibt sich f¨ur ihn ein Zeitsprung der A-Uhr in die Zukunft. Dieser Zeitsprung
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
bleibt erhalten, bis B wieder bei A auf der Erde eingetroffen ist. F¨ur A und B ist damit eine unterschiedliche Eigenzeit abgelaufen. So kann das Zwillingsbeispiel als einfache Folge der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit26 erkl¨art werden. Bei dieser tabellarischen detaillierten Darstellung des Zwillingseffekts hatten wir − wie erw¨ahnt − Lichtlaufzeiten nicht zu ber¨ucksichtigen. Dadurch konnten wir den Zeitsprung, den B bei der Beurteilung des Erdzeitablaufs bemerkt, so klar herausarbeiten. In einem realen Zwillingsexperiment w¨urden nat¨urlich Lichtlaufzeiten zwangsl¨aufig eine Rolle spielen, es erg¨abe sich dann f¨ur B ein Zeitablauf auf der Erde, wie er bei der Blinklichtrechnung dargestellt wurde: Die Lichtlaufzeiten verschleiern dabei den Zeitsprung, aber der unterschiedliche Eigenzeitablauf bleibt bestehen. Wer also sehr schnell reist und zu seinem Ausgangspunkt zur¨uckkehrt, altert tats¨achlich weniger als die Daheimgebliebenen. Dies ist nur in praktischer Hinsicht Science-Fiction (es fehlt einfach die Fortbewegungstechnik f¨ur Geschwindigkeiten nahe c ), ansonsten aber gesichertes Wissen der SRT. Ein h¨aufiges Mißverst¨andnis beim Zwillingseffekt besteht darin, daß vermeintlich der Weltraumreisende seine verlangsamten K¨orperfunktionen wie Herzfrequenz und Atmung selber in Zeitlupe“ wahrnimmt. Das ist ” nat¨urlich nicht so, der Betroffene merkt u¨ berhaupt nichts von der Zeitdilatation. F¨ur ihn l¨auft zwar aus Erdsicht wirklich weniger Zeit ab, aber dies in gewohnter Geschwindigkeit“. F¨ur den ruhenden Beobachter auf der Erde ” hingegen laufen alle Vorg¨ange im Raumschiff, auch die Lebensfunktionen, tats¨achlich verlangsamt ab! Auf dem R¨uckflug wird dieses Ph¨anomen jedoch durch den Doppler-Effekt (siehe Abschnitt 4.2) verschleiert. Wenn der Raumfahrer mit Lichtgeschwindigkeit reisen k¨onnte, dann w¨urde er aus Sicht der Erdbewohner u¨ berhaupt nicht altern. Aber f¨ur einen K¨orper mit Ruhemasse gr¨oßer als null ist dies nicht nur praktisch, sondern sogar theoretisch unm¨oglich (siehe Abschnitte 1.9 und 1.12). Lichtteilchen (Photonen) dagegen bewegen sich nur mit c, Licht kann demnach nicht altern“ (im Vakuum). F¨ur Photonen steht die Zeit still! ” Praktische Tests der verschieden schnellen Alterung von K¨orpern sind bei der heute zur Verf¨ugung stehenden Technik nicht leicht durchzuf¨uhren. Aber im Maßstab der Elementarteilchen sind solche Versuche Routine: L¨aßt man z.B. Myonen in einem Kreisbeschleuniger mit 0,9994 c laufen, so steigt ihre durchschnittliche Lebensdauer im Vergleich zu ruhenden Zwillingsteil” chen“ auf fast das 30fache! Bei Fl¨ugen mitgenommene hochpr¨azise Uhren erlauben aber auch den Nachweis bei makroskopischen K¨orpern.
26
Auch die meisten anderen Paradoxa der SRT k¨onnen mit der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit aufgel¨ost werden.
1.8 Das Zwillingsparadoxon – l¨uckenlos erkl¨art
51
Das soeben genannte Beispiel der Myonen in einem Kreisbeschleuniger wirft die Frage auf, wie im Rahmen der SRT der Zwillingseffekt bei beschleunigten Bewegungen (hier Kreisbeschleunigung“) erkl¨art wer” den kann. Eine geometrische N¨aherung hilft hier weiter: Ein Kreis kann angen¨ahert durch ein Vieleck dargestellt werden. Eine Bewegung entlang des Vielecks bedeutet einen raschen Wechsel von • kurzen geradlinigen unbeschleunigten Bewegungen entlang der einzelnen Vieleckseiten (als lokale Inertialsysteme“ aufzufassen) ” und • kleinen Richtungswechseln an jeder Ecke des Vielecks, entsprechend einem Wechsel des Inertialsystems. Bei jedem der letztgenannten Inertialsystem-Wechsel (an jeder Ecke des Vielecks) kommt es jeweils zu einem kleinen absoluten Zeitsprung; diese addieren sich auf und ergeben im Endeffekt auch bei einer Kreisbewegung einen Zwillingseffekt. Mit demselben erlaubten Trick (den die Fachleute bei der mathematischen Bearbeitung ebenfalls anwenden) kann auch eine geradlinige beschleunigte ¨ Bewegung als ein rasch aufeinanderfolgendes Uberwechseln von einem Inertialsystem auf das n¨achste aufgefaßt werden. Die in schneller Abfolge durchlaufenen lokalen Inertialsysteme“ unterscheiden sich aber in diesem Falle ” jeweils durch einen gering unterschiedlichen Geschwindigkeitsbetrag (nicht gering unterschiedliche Richtung, wie bei der Kreisbewegung). Auch hierbei kommt es jeweils zu kleinen ( infinitesimalen“) absoluten Zeitspr¨ungen; ” somit ist bei jeder beliebigen beschleunigten Bewegung der Zwillingseffekt im Denkrahmen der SRT erkl¨arbar. Es sei auch noch betont, daß weder die Richtung der Reise, noch die Form der Flugbahn f¨ur das Zustandekommen eines Altersunterschiedes der Zwillinge entscheidend sind. Wichtig ist nur, daß einer der beiden nach seiner Hochgeschwindigkeitsreise zu seinem Ausgangspunkt zur¨uckkehrt. Wieviel Zeitdilatation manifest wird, h¨angt von der Geschwindigkeit und der zur¨uckgelegten Wegstrecke ab. Wie wir gesehen haben, ist der entscheidende Faktor beim Zustandekommen des Zwillingseffekts die Asymmetrie zwischen A (bleibt in seinem Inertialsystem) und B (wechselt das Inertialsystem bei Sirius). W¨urde ein dritter Beobachter C z.B. zum gleichweit entfernten Stern UV Ceti mit gleicher Geschwindigkeit fliegen und dann zu A zur¨uckkehren, dann best¨unde eine Symmetrie zu B: B und C w¨aren aus Erdsicht um denselben (kleinen) Betrag gealtert. Zeitreisen sind ein oft verwendetes Requisit der Science-Fiction, die Realit¨at der SRT setzt aber hier enge Grenzen: Bezogen auf die Erdbewohner kann der Weltraumreisende zwar seine Alterung bremsen und dieses
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Jungbrunnen-Guthaben“ auch auf Dauer behalten. Eine sp¨atere Beschleu” nigung der Alterung ist aber nicht m¨oglich. Man k¨onnte demnach von einer Reise mit Alterungsbremse“, aber ohne Alterungsgaspedal“ sprechen! Der ” ” Raumfahrer wird seine Klassenkameraden auf der Erde nie mehr als Gleich¨ altrige erleben, sondern immer nur als Altere, soweit sie bei seiner R¨uckkehr u¨ berhaupt noch leben. Und die selbst erlebte Lebensdauer des Weltraumreisenden (= Eigenzeit) wird nicht verl¨angert, er kann die u¨ bliche Zahl von 70 bis 80 Geburtstagen feiern. Legt der Raumfahrer unterwegs Pausen ein, dann ist f¨ur diese Zeitr¨aume (bei Relativgeschwindigkeit null in Bezug zur Erde) die Alterung nicht verlangsamt, sondern genauso schnell“ wie f¨ur die Erdbewohner. ” Noch ein (er)kl¨arendes Wort f¨ur die allerletzten Zweifler gew¨unscht? Bitte sehr: Erinnern wir uns an Abschnitt 1.6 (Relativit¨at der Gleichzeitigkeit). Dort wurde der Leser mit der zun¨achst paradox klingenden Tatsache vertraut gemacht, daß ein durch ein fremdes Inertialsystem reisender Einzelbeobachter die Zeitdilatation nicht direkt beobachten kann, sondern sogar das Gegenteil davon: Uhren des fremden Systems, auf die er nach und nach trifft, zeigen beim direkten Vergleich mit seiner eigenen Uhr jeweils vor Ort fortlaufend mehr an (nicht weniger, wie nach der Zeitdilatation zu erwarten w¨are!). Ja, der Stand jeder Vergleichsuhr betr¨agt tats¨achlich (wenn alle Uhren zu Beginn des Experiments in ihren Ruhesystemen auf null gestellt wurden) nicht um den Gamma-Faktor weniger, sondern um den Gamma-Faktor mehr als die jeweilige Eigenzeit des Reisenden (Erkl¨arung und Rechenweg ggf. in Abschnitt 1.6 nachlesen). Im Zahlenbeispiel von Abschnitt 1.6 wurde (wie hier) ein Reisender mit 0,8 c von der Erde zum 9 Lj entfernten Sirius geschickt. Bei der Ankunft nach einer Eigenzeit des Reisenden von 6,75 Jahren zeigte die Sirius-Uhr +11,25 Jahre an. Der Altersunterschied zwischen den Sirius-Leuten und dem Astronauten betrug daher 11,25 minus 6,75 = 4,50 Jahre; das ist genau die H¨alfte des Altersunterschiedes unseres Zwillingsbeispiels! Angenommen, der Reisende bleibt f¨ur den Rest seines Lebens bei den Sirianern, dann bleibt dieser Altersunterschied von 4,5 Jahren selbstverst¨andlich erhalten. Reist er dagegen zur¨uck (sofort oder sp¨ater), herrschen auf dem R¨uckflug analoge Verh¨altnisse: Es tritt ein zus¨atzlicher Altersunterschied von 4,5 Jahren auf! Insgesamt betr¨agt der Altersunterschied dann 4,5 Jahre + 4,5 Jahre = 9 Jahre! Man erkennt jetzt: In dem Gedankenexperiment in Abschnitt 1.6, bei dem der Reisende ein Inertialsystem durchquert und dabei auf mehr statt weniger anzeigende Uhren trifft, ist schon der Keim“ f¨ur das Zwillingsparadoxon ” angelegt; schon dieses Gedankenexperiment erkl¨art die erste H¨alfte der Reise samt halbem Altersunterschied vollst¨andig! Und f¨ur den R¨uckweg gelten analoge Verh¨altnisse: Der Reisende durchquert noch einmal das fremde Iner-
1.9 Massenzunahme – Wir machen aus einer M¨ucke einen Elefanten
53
tialsystem und es entsteht die zweite H¨alfte des Gesamtaltersunterschiedes. Wer also die differierenden Uhrenst¨ande (mit direktem Vergleich vor Ort!) in Abschnitt 1.6 akzeptiert, der kann den Altersunterschied beim Zwillingsparadoxon gar nicht mehr ablehnen! Abschließend auch hierzu eine historische Anmerkung, die gleichzeitig hilft, ein weiteres Mißverst¨andnis aufzukl¨aren: Oft wird behauptet, daß man zur Erkl¨arung des Zwillingsparadoxons die Allgemeine Relativit¨atstheorie ben¨otige. Zu dieser Frage bitten wir Albert Einstein h¨ochstpers¨onlich in den Zeugenstand: Schon in seiner allerersten Arbeit zur SRT von 1905 (also zehn Jahre vor der Allgemeinen Theorie) steht geschrieben: Befinden sich in A zwei synchron gehende Uhren und bewegt man die eine ” derselben auf einer geschlossenen Kurve mit konstanter Geschwindigkeit, bis sie wieder nach A zur¨uckkommt, . . . so geht die letztere Uhr bei ihrer Ankunft in A gegen¨uber der unbewegt gebliebenen . . . nach.“
In der Tat lassen sich im Denkrahmen der SRT auch nicht-inertiale Bewegungen (und damit auch der Zwillingseffekt) rechnerisch bearbeiten und interpretieren. Voraussetzung ist aber immer, daß die bewegte Uhr die nichtinertialen Phasen der Reise unbeschadet u¨ bersteht, also eine ideale Uhr ist (sogenannte Uhrenhypothese). Wirklich ben¨otigt wird die Allgemeine Relativit¨atstheorie nur bei gekr¨ummter Raumzeit.
¨ 1.9 Massenzunahme – Wir machen aus einer Mucke einen Elefanten Vorbemerkung: In der nun folgenden Herleitung wird der Begriff Impuls im Newtonschen Sinne (Masse mal Geschwindigkeit, m · v) eingesetzt. Davon zu unterscheiden ist der relativistische Impuls m·
u 1 − v 2 /c2
,
wie ihn die Fachleute meist verwenden. Bei diesem ist der Gamma-Faktor den drei Komponenten der Geschwindigkeit u in den drei Raumrichtungen zugeordnet. Der Faktor m (die Masse) wird hierbei als invariant27 angesehen. Dieses Vorgehen bietet große Vorteile bei der Einordnung der Begriffe Energie- und Impulserhaltung, Energie und Impuls in das Gesamtsystem der SRT, ist aber f¨ur den Nicht-Physiker etwas schwer verdaulich. F¨ur tiefer 27
beobachterunabh¨angig
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
interessierte Leser wird das Konzept im Anhang zu Kapitel 1, Abschnitt 1.18 kurz vorgestellt. In Anlehnung an andere popul¨arwissenschaftliche Texte wird dagegen bei der nachfolgenden Darstellung der durch die Zeitdilatation ins Spiel kommende Gamma-Faktor nicht der Geschwindigkeit, sondern der Masse zugeordnet. Das Ergebnis kann als Zunahme der Masse eines bewegten K¨orpers im Vergleich zu seiner Masse in Ruhe (die im weiteren Verlauf des Textes auch als Ruhemasse bezeichnet wird) interpretiert werden. Gedankenexperiment: Aus einer Entfernung s wird ein Geschoß A mit einer Geschwindigkeit u(u c) auf ein idealisiertes Impulsmeßger¨at abgefeuert. Dessen Meßbalken B soll dabei den Impuls (Produkt aus Masse und Geschwindigkeit) des Geschosses vollst¨andig aufnehmen. Das Impulsmeßger¨at soll nur f¨ur Impulse aus der Schußrichtung (in der Abbildung von unten) sensitiv sein:
So sieht ein Beobachter das Experiment, wenn er dieselbe Geschwindigkeit wie der Versuchsaufbau (VAB) hat oder mit ihm ruht (oben).
1.9 Massenzunahme – Wir machen aus einer M¨ucke einen Elefanten
55
So sieht ein Beobachter das Experiment, wenn sich der Versuchsaufbau mit Geschwindigkeit v nach rechts (oder der Beobachter nach links) bewegt. Die Gesamtgeschwindigkeit und der Gesamtimpuls von A setzen sich nun aus zwei Teilen zusammen: aus einem in der urspr¨unglichen Richtung von u und aus einem in Richtung v. Der Impuls in Richtung v soll hier unber¨ucksichtigt bleiben, da das Impulsmeßger¨at nur f¨ur Impulse aus Richtung u sensitiv ist. Der Abstand s hat sich nicht ver¨andert, weil er quer zur Relativbewegung zwischen VAB und Beobachter verl¨auft (siehe Beweis in Abschnitt 1.2). ¨ Qualitative Uberlegung: B muß unabh¨angig von der Geschwindigkeitsdifferenz zwischen VAB und Beobachter immer den gleichen Impuls von unten erhalten. Der Impuls des Geschosses in senkrechter Richtung muß also in den dargestellten F¨allen stets gleich groß sein. Im zweiten abgebildeten Fall ist aber die Zeitdilatation im Spiel: Der relativ zum VAB bewegte Beobachter sieht das Geschoß A langsamer in Richtung B fliegen! Wenn sich v an c ann¨ahert, wird die Geschwindigkeitskomponente u immer kleiner. Damit der Impuls in Richtung u , also das Produkt aus Geschoßmasse und u , in beiden F¨allen gleich bleibt, muß die verringerte Gr¨oße u durch eine erh¨ohte Geschoßmasse ausgeglichen werden: Das Geschoß muß eine h¨ohere Masse haben als im ersten abgebildeten Fall! Damit ist der Weg f¨ur die rechnerische Ermittlung der Massenzunahme schon vorgezeichnet: Quantitative Bestimmung: Dazu werden folgende Abk¨urzungen eingef¨uhrt: m Masse des Geschosses, wenn Beobachter und VAB im selben Inertialsystem sind (= Ruhemasse) m Masse des Geschosses bei Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB v Relativgeschwindigkeit zwischen Beobachter und VAB u Geschwindigkeit des Geschosses ohne Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB u Geschwindigkeitsanteil des Geschosses in Richtung B bei Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB p Impuls des Geschosses, wenn Beobachter und VAB im selben Inertialsystem sind p Impulsanteil des Geschosses in Richtung B bei Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB s Flugstrecke des Geschosses / quer zur Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB t Flugzeit des Geschosses ohne Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB t Flugzeit des Geschosses bei Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB
56
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Wenn Beobachter und VAB demselben Inertialsystem angeh¨oren, gilt: p =m·u =m·
s t
(1.35)
Bei einer Relativbewegung zwischen Beobachter und VAB gilt entsprechend: s (1.36) p = m · u = m · t t ist gr¨oßer als t, denn bei Relativbewegung zwischen VAB und Beobachter braucht das Geschoß f¨ur den Beobachter wegen der Zeitdilatation um den Gamma-Faktor l¨anger, um den (gleichbleibenden) Weg s zur¨uckzulegen: p = m ·
s γ ·t
(1.37)
Wegen des beobachterunabh¨angigen Ausgangs von Experimenten in Inertialsystemen muß gelten: (1.38) p = p Also k¨onnen (1.35) und (1.37) gleichgesetzt werden: s s =m· γ ·t t m · s · γ ·t ⇒ m = t ·s ⇒ m = γ · m m ·
(1.39)
oder ausf¨uhrlich geschrieben: m =
1 1 − v 2 /c2
·m
(1.40)
Massen erscheinen also im jeweils anderen Inertialsystem um den GammaFaktor gr¨oßer, wenn zwischen diesen Systemen die Relativgeschwindigkeit v besteht. F¨ur Werte von v im Intervall 0 . . . c kann der Gamma-Faktor die Werte 1 . . . ∞ und m Werte zwischen m . . . ∞ annehmen. Die Extremf¨alle der Massenzunahme sind daher: v = 0 ⇒ m = m (keine Massenzunahme) v = c ⇒ m = ∞
1.9 Massenzunahme – Wir machen aus einer M¨ucke einen Elefanten
57
Der letztgenannte Fall ist aber weder praktisch noch theoretisch machbar, jedenfalls nicht f¨ur K¨orper mit einer Ruhemasse, die gr¨oßer als null ist. Hierzu denke man sich einen K¨orper, dessen Geschwindigkeit nur einen winzigen Schritt von der Lichtgeschwindigkeit entfernt ist. Nach Gleichung (1.40) w¨are dann auch seine aktuelle Masse nur einen winzigen Schritt von unend” lich entfernt“. F¨ur den letzten Beschleunigungsschritt hin zu c w¨are dann eine unendlich große Kraft erforderlich, die nat¨urlich im ganzen Universum trotz all seiner Wunder nicht zu finden ist. Materielle K¨orper k¨onnen somit nie c erreichen. Anders ist das bei Teilchen ohne Ruhemasse: Photonen (Lichtteilchen) k¨onnen (und m¨ussen) sich im Vakuum mit c bewegen. W¨ahrend ihrer Lebenszeit kommen sie nicht zur Ruhe, sie k¨onnen also auch keine Ruhemasse haben. Selbst in dichtesten durchsichtigen Medien bleiben sie nie stehen, werden aber langsamer als die Vakuumlichtgeschwindigkeit. Zur graphischen Darstellung der Massenzunahme eignet sich das GammaFaktor-Diagramm auf Seite 13. Das darin eingezeichnete Beispiel l¨aßt sich auf die Massenzunahme folgendermaßen anwenden: Fliegt ein Raumschiff mit 0, 7 c an einem ruhenden Beobachter vorbei, betr¨agt seine Masse das 1,4fache der Ruhemasse. Ein 100-Tonnen-Schiff h¨atte dann 140 t! Ein darin ruhender Astronaut merkt aber davon nichts. Die Massenzunahme ist ein in Teilchenbeschleunigern routinem¨aßig beobachteter Effekt. Die dramatische Massenzunahme der Teilchen mit Geschwindigkeiten nahe c muß nat¨urlich schon bei der Konstruktion von Beschleunigern eingeplant werden. Aus Sicht der Teilchen w¨urde u¨ brigens die Erdmasse um den Gamma-Faktor zunehmen! Damit w¨are die Masse eines K¨orpers nicht mehr als feste Gr¨oße anzusehen. Als konstante Gr¨oße verbleibt nur die Ruhemasse eines gegebenen K¨orpers, die er f¨ur den Beobachter annimmt, in dessen Inertialsystem er ruht. F¨ur jeden relativ dazu bewegten Beobachter hat er eine h¨ohere Masse. Hinweis: F¨ur gr¨oßere Geschoßgeschwindigkeiten im obigen Gedankenexperiment ergibt sich (etwas weniger anschaulich) dasselbe Resultat, wenn man das Additionstheorem f¨ur Geschwindigkeiten quer zur Relativbewegung (Gleichung (1.34)) einsetzt: 1 − v 2 /c2 mit u y = u und u x = 0 wy = ux · v · u y 1+ c2 Die Impulsgleichung lautet nun:
m · u = m · wy
1 − v 2 /c2 ⇒ m·u =m · ux · v · u y 1+ 2 c
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
⇒ m · u = m · ⇒ m =
1 − v 2 /c2 · u y 1
1 − (v 2 /c2 )
·m
(wegen u x = 0)
(wegen u y = u)
Vergleiche mit (1.40). Auf die alternative Sichtweise (relativistischer Impuls mit invarianter Masse) sei noch einmal ausdr¨ucklich hingewiesen; siehe hierzu Abschnitt 1.18, den Anhang zu Kapitel 1. Experimentelle Hinweise auf eine geschwindigkeitsabh¨angige Masse (von Elektronen) hatte es schon vor 1905 gegeben (z.B. Kaufmann 1901), aber erst Einstein hat eine schl¨ussige Erkl¨arung geliefert.
1.10 Aberration des Lichts − Ein Knick in der Optik? Lichtaberration bedeutet Verschiebung“ des Lichts. Diesen Effekt hat nicht ” Einstein entdeckt, er folgt schon allein aus der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Bereits 1676 hatte der d¨anische Astronom Olaf Christensen R¨omer (1644-1710) erstmals die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit nachgewiesen, u¨ brigens durch die Analyse von Meßwerten bez¨uglich der Schattenspiele Jupiters mit einem seiner Monde, Io. Da die Umlaufzeit von Io um Jupiter eine konstante Gr¨oße T ist, treten die Verfinsterungen dieses Mondes durch den Schatten des Planetenk¨orpers vor Ort in recht gleichm¨aßigen Zeitabst¨anden auf, die wegen der geringen Bahngeschwindigkeit Jupiters ebenfalls etwa T betragen. W¨are die Entfernung Jupiter-Erde konstant, dann w¨urden wir die Ereignisse auch nahezu im Zeitabstand T voneinander sehen. In Wirklichkeit ist diese Entfernung ver¨anderlich, vor allem wegen der Bewegung der im Vergleich zu Jupiter viel flinkeren Erde um die Sonne. Hierdurch ergeben sich nat¨urlich auch Ver¨anderungen in der Laufzeit des Lichts, das uns von den Verfinsterungsereignissen erreicht: Angenommen, der Abstand Io-Erde nimmt gerade zu, z.B. w¨ahrend einer Umlaufperiode T um den Weg d. Dann muß das Licht eines jeden Verfinsterungsereignisses um die Zeit d/c l¨anger unterwegs sein als das des vorhergehenden. Der Zeitraum zwischen dem Eintreffen zweier Verfinsterungssignale auf der Erde ist also nicht T , sondern T = T + d/c . Durch Auswertung m¨oglichst vieler aufeinanderfolgender Io-Uml¨aufe erh¨oht sich die Meßgenauigkeit und c kann sogar quantitativ ermittelt werden. In Zeitr¨aumen, in denen die Entfernung Io-Erde abnimmt, kommt umgekehrt die Erde dem Licht entgegen, pro Umlauf um einen Abstand d , die Zeit zwischen zwei Eklipsen ist dann f¨ur den Erdbeobachter T = T − d/c . Selbstverst¨andlich
1.10
Aberration des Lichts − Ein Knick in der Optik?
59
¨ fußten diese Uberlegungen R¨omers auf der (nicht SRT-konformen) Annahme der Existenz einer f¨ur alle Beobachter g¨ultigen absoluten Zeit (was aber bei der Ungenauigkeit des Meßverfahrens keine Rolle spielte). Wegen der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit ist bei einer Relativbewegung zwischen einem Beobachter und einer seitlich von ihm liegenden Lichtquelle eine scheinbare Verschiebung der Lichteinfallsrichtung aus Sicht des Beobachters zu erwarten, die allen Lesern von irdischen Niederschl¨agen bekannt vorkommen wird: Will ein Radfahrer verhindern, daß ihn der Regen naß macht, muß er den Regenschirm nach vorn kippen, weil die Tropfen scheinbar immer von vorne kommen. Sch¨on sieht man den Effekt auch bei Schneefall: F¨ahrt ein zuvor stehendes Auto langsam an, dreht sich f¨ur die Insassen die scheinbare Ursprungsrichtung der Flocken immer mehr nach vorn in Fahrtrichtung, und zwar nahezu unabh¨angig von der tats¨achlichen Windrichtung. Analoges gilt f¨ur die Lichtteilchen (Photonen): Je schneller man sich an einer Lichtquelle vorbeibewegt, desto mehr scheint diese zur Flugrichtung des Beobachters hin verschoben zu sein, weil auch die Photonen scheinbar mehr von vorn“ kommen. ” Zur grunds¨atzlichen Darstellung des Effekts gen¨ugt zun¨achst folgende ¨ nicht-relativistische Uberlegung:
60
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
W¨ahrend das senkrecht einfallende Licht des Sterns Q (siehe Abbildung) den Weg vom Objektiv zum Okular eines Fernrohres zur¨ucklegt, bewegt sich auch die Erde geringf¨ugig mit Geschwindigkeit v weiter. Damit das Licht des Sterns, das die Mitte des Objektivs passiert hat, auch exakt in der Mitte des Okulars ankommt, muß das Fernrohr um den Winkel β in Flugrichtung der Erde geneigt sein. Wenn t die Lichtlaufzeit vom Objektiv zum Okular ist, dann gelten die folgenden Beziehungen: t ·v d =t ·v tan β = l =t ·c t ·c v ⇒ tan β = (1.41) c Der Aberrationswinkel“ β betr¨agt also bei v = 0 null Grad und steigt mit ” der Geschwindigkeit an. Bei gr¨oßeren Geschwindigkeiten muß allerdings das Additionstheorem der SRT ber¨ucksichtigt werden:
Relativistische Betrachtung der Aberration:
Dazu stelle man sich ein Bezugssystem A vor, in dem ein Lichtstrahl eines Sterns Q senkrecht, also parallel zur y-Achse, einf¨allt. Bewegt sich ein Beobachter B mit der Relativgeschwindigkeit v parallel zur x-Achse, dann kann er das Additionstheorem der SRT (Gleichung (1.34)) dazu verwenden, die senkrechte Komponente w y der Gesamtgeschwindigkeit (c) des Lichtstrahls zu bestimmen:
1.10
Aberration des Lichts − Ein Knick in der Optik?
61
wy =
1 − v 2 /c2 · uy 1 + ucx2·v
Einsetzen von u y = c und u x = 0 ergibt: w y = c · 1 − v 2 /c2 F¨allt ein Lichtstrahl mit dieser senkrechten Geschwindigkeitskomponente in ein Fernrohr des Beobachters B, dann gelten die Beziehungen (siehe vorherige Abbildung): d =t ·v ⇒ l = t · w y = t · c · 1 − v 2 /c2 v/c (1.42) (β = Aberrationswinkel) tan β = 1 − v 2 /c2 Dieser Spezialfall gilt aber nur f¨ur eine relativistisch schnelle Bewegung genau quer zur Lichteinfallsrichtung. Allgemein gilt dagegen folgende Beziehung: Besteht f¨ur einen ruhenden Beobachter A ein Winkel β zwischen dem Strahl einer ruhenden (weit entfernten) Lichtquelle und der Flugrichtung eines bewegten Beobachters A , dann sieht A diese Lichtquelle nur unter einem kleineren Winkel β von seiner Flugrichtung, wobei gilt: cos β =
v/c + cos β 1 + vc · cos β
(1.43)
Beachte: Die Winkel in den beiden letzten Formeln haben eine unterschiedliche Bedeutung: • in (1.42) bedeutet β die Abweichung von der (f¨ur den Ruhebeobachter g¨ultigen) 90◦ -Lichteinfallsrichtung (nimmt mit steigender Relativgeschwindigkeit zu); • in (1.43) bezeichnen β und β die Winkel, um die ein Lichtstrahl f¨ur zwei relativ zueinander bewegte Beobachter von der Flugrichtung des bewegten Beobachters abweicht (mit β < β). Aus den beiden letzten Formeln folgt, daß f¨ur einen mit Geschwindigkeiten nahe c bewegten Beobachter fast seine gesamte sichtbare Umgebung (z.B. die Himmelskugel“) auf einen kleinen Bereich um den Zielpunkt der Bewe” gung zusammengedr¨angt ist! Nur die Positionswinkel von Objekten exakt in Bewegungsrichtung und in der Gegenrichtung a¨ ndern sich nicht, alle anderen werden f¨ur den bewegten Beobachter in Bewegungsrichtung verschoben.
62
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Umgekehrt wird ein Lichtstrahl, der im System des bewegten Beobachters unter einem Winkel β zur Flugrichtung ausgestrahlt wird, vom ruhenden Beobachter unter dem kleineren Winkel β wahrgenommen. Das Licht einer im bewegten System gleichm¨aßig in alle Richtungen strahlenden Lichtquelle erscheint dem ruhenden Beobachter demnach in Flugrichtung konzentriert. Nach Formel (1.43) werden Lichtstrahlen aus einer Richtung mit urspr¨unglich gr¨oßerem Winkelabstand zur Flugrichtung st¨arker verschoben wahrgenommen als solche aus einer Richtung mit urspr¨unglich kleinerem Winkelabstand. Dies hat z.B. zur Folge, daß seitlich von einem schnell bewegten Betrachter liegende, urspr¨unglich gerade Linien diesem bogenf¨ormig verzerrt erscheinen: Fliegt man mit hoher Geschwindigkeit z.B. auf ein Fenster mit quadratischer Fenster¨offnung zu, dann ergibt sich folgendes Bild:
Vor allem in der Astronomie hat die Aberration auch praktische Auswirkungen: a) Beobachtet ein irdischer Astronom einen Himmelsk¨orper, dann ist dieser scheinbar verschoben, und zwar wegen ¨ • der Erdrotation ( t¨agliche Aberration“, am Aquator 0,3 Bogensekunden, ” an den Polen null), • der Bewegung der Erde um die Sonne ( j¨ahrliche Aberration“), ” • der Eigenbewegung der Sonne ( s¨akulare Aberration“). ” Diese Verschiebung der Lichteinfallsrichtung ist bei der im Vergleich zu c nur geringen Bahngeschwindigkeit der Erde (ca. 30 km/s) klein: Die
1.10
Aberration des Lichts − Ein Knick in der Optik?
63
j¨ahrliche Aberration betr¨agt 20,5 Bogensekunden28 ; bei genauen astronomischen Ortsbestimmungen (Astrometrie) muß das Ph¨anomen aber nat¨urlich ber¨ucksichtigt werden. Entdeckt hat die Aberration des Lichts der englische Astronom J. Bradley schon im Jahre 1728 nach Beobachtungen des Sterns Gamma Draconis. b) Ein Staubteilchen in einer Sonnenumlaufbahn ist unter anderem dem sogenannten Strahlungsdruck der Sonne ausgesetzt. Er entsteht durch St¨oße von Lichtteilchen (denen ein Impuls zugesprochen werden kann, siehe Abschnitt 1.12) gegen das Staubteilchen. Wegen der Aberration des Lichts erfolgen diese St¨oße nicht exakt von der Seite, sondern auch geringf¨ugig von vorne (aus der Sicht des Staubteilchens):
Vor allem Staubteilchen in der Gr¨oßenordnung von einigen Mikrometern verlieren unter anderem durch diesen Photonen-Gegenwind“ soviel Bahn” 28
Sterne in der N¨ahe des Ekliptik-Pols (beim Katzenaugen-Nebel im Sternbild Drache) bewegen sich im Laufe eines Jahres scheinbar auf kleinen Kreisen (entsprechend der fast kreisf¨ormigen Erdbahn) mit diesem Radius; Sterne in der N¨ahe der Ekliptik (also im Bereich der Tierkreis-Sternbilder) ziehen scheinbar strichf¨ormige Bahnen (lineare Oszillationen) mit einer L¨ange von 41 Bogensekunden. Alle Sterne zwischen diesen Extremen vollf¨uhren kleine Ellipsen mit einer großen Halbachse von 20,5 Bogensekunden. Diese aberrationsbedingte scheinbare Bewegung aller Sterne hat nichts mit der zus¨atzlich auftretenden Parallaxe“ zu tun. Letztere ” ist nur die Folge verschiedener Blickwinkel (z.B. von gegen¨uberliegenden Punkten der Erdbahn). Somit tritt sie geschwindigkeitsunabh¨angig auf und macht sich bei n¨aheren Sternen st¨arker bemerkbar als bei fernen.
64
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
energie, daß sie sich wegen dieses Energieverlusts auf zunehmend engeren Bahnen der Sonne n¨ahern (Poynting-Robertson-Effekt). W¨are das Licht unendlich schnell, dann w¨urden die St¨oße genau von der Seite erfolgen. Bei diesen beiden Ph¨anomenen spielt der Unterschied zwischen relativistischer und nicht-relativistischer Aberration keine Rolle, sehr wohl aber bei den folgenden Effekten. Die Aberration des Lichtes bewirkt auch die scheinbare Drehung von Objekten, an denen man sich schnell vorbeibewegt:
Im hier gezeichneten Beispiel bewegt sich B mit von I bis III zunehmender Geschwindigkeit an dem Objekt A vorbei. Die Position von A ist dabei jeweils so dargestellt, wie B sie sieht. Die mit einer Doppellinie gekennzeichnete Seite des W¨urfels neigt sich mit zunehmender Relativgeschwindigkeit scheinbar zu B hin. Bei sehr hohen Geschwindigkeitsdifferenzen kann man wegen dieses Effekts sogar um die Ecke sehen: Die im Ruhezustand von B nicht einsehbare Seite mit der Doppellinie zeigt im unteren Bild direkt auf ihn! Und die im Ruhezustand B zugewandte Seite (fett gezeichnet) erscheint bei hoher Relativgeschwindigkeit aus Sicht von B in perspektivischer Verk¨urzung, deren Ausmaß exakt der Lorentz-Kontraktion von Strecken (siehe Abschnitt 1.5) entspricht!
1.10
Aberration des Lichts − Ein Knick in der Optik?
65
Diese Drehung von Objekten ist gar kein mysteri¨oser Effekt, sie l¨aßt sich ¨ durch folgende geometrische Uberlegung veranschaulichen; dabei wird sich auch herausstellen, daß der Drehwinkel gleich dem oben hergeleiteten Aberrationswinkel ist: Angenommen, das folgende Quadrat mit Seitenl¨ange s und den Ecken 1 bis 4 bewegt sich relativ zu einem weit unten befindlichen Beobachter mit Geschwindigkeit v nach rechts. Zun¨achst soll gekl¨art werden, wie der Beobachter Ecke 2 in bezug auf Ecke 1 sieht: Die Lichtlaufzeit t von Ecke 2 zu Ecke 1 betr¨agt t = s/c . In dieser Zeit t bewegt sich Ecke 1 um den Weg v · t = v · s/c weiter. (Umgekehrt erreicht das Licht der Ecke 3 den Beobachter nicht, da es durch die nach rechts voraneilende Frontseite 34 verdeckt wird.) Die L¨ange der unteren Quadratseite s sieht der Beobachter wegen der Lorentz-Kontraktion nat¨urlich auf s · 1 − v 2 /c2 verk¨urzt.
s·
Wir addieren nun die Quadrate der beiden ermittelten Strecken v · s/c und 1 − v 2 /c2 : v 2 · s 2 /c2 + s 2 · (1 − v 2 /c2 )
Das Resultat lautet s 2 ! Nach dem Lehrsatz des Pythagoras l¨aßt sich diese Summe und ihr Ergebnis geometrisch wie folgt darstellen:
66
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Ein Beobachter weit unterhalb der waagerechten Linie sieht das Quadrat also tats¨achlich verdreht. F¨ur den Drehwinkel β gilt nach dieser Abbildung: tan β =
v/c 1 − v 2 /c2
(vergleiche mit (1.42))
Der Drehwinkel ist somit identisch mit dem oben ganz anders hergeleiteten relativistischen Aberrationswinkel! Die voraneilende Seite 34 wendet sich vom Beobachter ab, die nachfolgende Seite 12 wendet sich ihm zu. Die Ursache der Drehung kann man nach dieser Herleitung auch so ausdr¨ucken: Die Drehung ist ein Bild im Auge eines Einzelbeobachters, das dadurch entsteht, daß zu unterschiedlichen Zeiten ausgesandte Lichtstrahlen gleichzeitig wahrgenommen werden! Einer Kugel ohne erkennbares Muster auf ihrer Oberfl¨ache w¨urde man keine Drehung ansehen! Kugeln bleiben f¨ur den weit entfernten Betrachter bei jeder Relativgeschwindigkeit kugelf¨ormig. Ein Oberfl¨achenmuster auf einer Kugel w¨are allerdings gegen¨uber dem Ruhezustand verzerrt. Durch gleichzeitige Ortsbestimmung an mehreren Punkten der Oberfl¨ache der bewegten Objekte k¨onnte man zwar tats¨achlich eine Raumkontraktion ohne Drehung feststellen (aus einer Kugel wird ein in Bewegungsrichtung abgeplattetes Sph¨aroid29 , aus dem oben verwendeten Quadrat ein Rechteck usw.), aber das Auge eines einzelnen entfernten Beobachters nimmt nur eine perfekte Drehung wahr! Interessanterweise ist die aberrationsbedingte Drehung schnell bewegter Objekte Einstein selbst und allen u¨ brigen fr¨uhen Relativisten entgangen; erst Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts hat J. Terrell darauf hingewiesen. F¨ur das volle Verst¨andnis dieser Drehung von Objekten ist es wichtig zu betonen, daß sie ein zusammengesetzter Effekt ist: Neben der Raumkontraktion ist ein Lichtlaufzeiteffekt beteiligt. Wie die folgende nicht-relativistische Darstellung zeigt, bewirkt dieser Lichtlaufzeiteffekt f¨ur sich genommen schon eine verzerrte Abbildung von Objekten mit scheinbarer Abwendung der Fl¨achen in Flugrichtung und Zuwendung der gegen¨uberliegenden Fl¨achen:
29
Rotationsellipsoid
1.10
Aberration des Lichts − Ein Knick in der Optik?
67
Eine Rakete mit der gezeigten R¨uckansicht soll sich mit hoher Geschwindigkeit v nach rechts an einem Beobachter vorbeibewegen, wobei der Beobachter weit u¨ ber der Papierebene stehen soll: W¨ahrend der Lichtlaufzeit t von Punkt 0 nach Punkt 2 legt die Rakete den Weg s mit s = v · t zur¨uck. Die Lichtlaufzeit t von 0 nach 2 betr¨agt t = d/c . Setzt man die zweite Gleichung in die erste ein, dann ergibt sich: s = d · v/c
Auf diese Breite s wird die R¨uckseite verzerrt dargestellt. Ohne den Lichtlaufzeiteffekt w¨are die R¨uckseite im Vorbeiflug u¨ berhaupt nicht sichtbar (siehe obere und mittlere Darstellung). Das Auge des Beobachters nimmt also gleichzeitig wahr: • die Punkte 2 und 5, • die Punkte 1, 3, 4, 6 und 7 um s/2 nachhinkend, • den Punkt 0 um s nachhinkend. Der perspektivisch richtige Eindruck einer Drehung entsteht aber erst durch Hinzunahme der Raumkontraktion (siehe oben).
68
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Beaming-Effekt Die Aberration des Lichts bewirkt auch, daß bei hoher Relativgeschwindigkeit zwischen einem Beobachter und einer Lichtquelle deren Strahlung in Flugrichtung konzentriert wird. Das Ausbreitungsverhalten des Lichts einer bez¨uglich eines Beobachters ruhenden bzw. schnell bewegten Lichtquelle kann schematisch so dargestellt werden: Lichtquelle ruht bez¨uglich des Beobachters: Es besteht eine gleichm¨aßige Lichtausbreitung.
Lichtquelle wie oben, die sich bez¨uglich eines Beobachters aber mit hoher Geschwindigkeit nach rechts bewegt: Das Licht wird in Flugrichtung konzentriert und in Gegenrichtung ausged¨unnt“. ” Dies ist vermutlich einer der Gr¨unde daf¨ur, daß man bei vielen Radiogalaxien und Quasaren30 nur den auf uns zu gerichteten Jet (fast lichtschneller Plasmastrom) erkennen kann: Das Licht des Jets in Gegenrichtung wird entsprechend abgeschw¨acht und bleibt dadurch schwer oder nicht nachweisbar. Weitere Informationen zu Jets finden sich in den Abschnitten 1.14, 3.2 und 4.2. 30
Hinweis: Quasare sind Objekte mit extremer Leuchtkraft, die meist in den Kernen ferner Galaxien sitzen. Der hellste Quasar am Himmel ist 3C273 im Sternbild Jungfrau. Er kann schon mit mittelgroßen Amateurfernrohren gesehen werden, allerdings nur als Lichtpunkt. (Entfernung ca. 2 Milliarden Lichtjahre!)
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
69
Dieses Ph¨anomen wird Beaming-Effekt31 genannt; die intensivere Wahrnehmung der auf uns zu gerichteten Jets wird allerdings mitverursacht durch den longitudinalen Doppler-Effekt, der in Abschnitt 4.2 dargestellt wird. Der Beaming-Effekt zeigt uns, warum man von einem Objekt, dem man mit Geschwindigkeiten nahe c begegnet, die R¨uckseite sehen kann: Von dem Objekt selbst nach schr¨ag hinten gerichtete Lichtstrahlen (in obiger Abbildung mit s gekennzeichnet) werden vom Beobachter als nach vorne gerichtet gesehen! Ein weiterer Aspekt des Beaming-Effekts: Wenn man sich mit hoher Geschwindigkeit auf eine große Fl¨ache zubewegt, die f¨ur einen mit dieser Fl¨ache ruhenden Beobachter eine gleichm¨aßige Fl¨achenhelligkeit (Helligkeit pro Fl¨acheneinheit) aufweist, dann sieht man sie als bewegter Beobachter um den Zielpunkt der Bewegung herum aufgehellt! Denn von der Region um den Zielpunkt der Bewegung erreichen den bewegten Beobachter wesentlich mehr Photonen, da aufgrund der Aberration die Fl¨ache dort f¨ur ihn viel st¨arker zusammengedr¨angt“ ist als in weiter seitlich gelegenen Fl¨achenab” schnitten. Sehr sch¨on beobachten l¨aßt sich der Beaming-Effekt bei der Arbeit an bestimmten Teilchenbeschleunigern: Die von beschleunigten elektrisch geladenen Teilchen ausgesandte elektromagnetische Strahlung (SynchrotronStrahlung) ist ganz extrem in Flugrichtung der Teilchen geb¨undelt; sie wird deshalb auch Vorw¨artsstrahlung genannt. Und abschließend noch ein weiterer interessanter Bildeindruck: Ein r¨aumlich ausgedehntes Objekt (z.B. eine Zielscheibe), auf das man mit einer Geschwindigkeit nahe c geradewegs zufliegt, sieht nicht (wie zun¨achst nach der Lorentz-Kontraktion zu erwarten) wie n¨aherger¨uckt aus, sondern verkleinert und damit wie in die Ferne ger¨uckt! Grund daf¨ur ist, daß alle von außerhalb des Zielpunktes der Bewegung kommenden Lichtstrahlen, z.B. die von den R¨andern des Zielobjekts, f¨ur den Beobachter in Richtung Zielpunkt der Bewegung verschoben werden (z.B. zum Zentrum einer Zielscheibe, die deshalb kleiner zu sein scheint).
1.11 Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden ” etwas Absolutes! Der Speziellen Relativit¨atstheorie sagt man zu unrecht nach, sie mache alles relativ“. Die im Alltag als absolut angesehenen Gr¨oßen wie Strecken ” und Zeitabschnitte sind zwar nach Einstein unter anderem abh¨angig von 31
auch headlight effect, (engl.): Scheinwerfer-Effekt
70
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Geschwindigkeitsdifferenzen, daf¨ur werden aber andere beobachterunabh¨angige Gr¨oßen eingef¨uhrt. Eine davon ist die Vakuumlichtgeschwindigkeit (siehe Abschnitt 1.1, Vorbemerkung zu Kapitel 1). Ein weiterer beobachterunabh¨angiger Parameter, der Raum- und Zeitabst¨ande vollwertig ersetzt, ja sogar ihnen ihre Relativit¨at abnimmt und sie in eine absolute Gr¨oße u¨ berf¨uhrt, soll in diesem Abschnitt hergeleitet werden. Diese neuen Gr¨oßen, mit denen alle gleichf¨ormig bewegten Beobachter unabh¨angig von ihrer Geschwindigkeit den Abstand von Ereignissen in der Raumzeit (Definition folgt) identisch angeben k¨onnen, werden als Raum-Zeit-Abst¨ande oder Raum-Zeit-Intervalle bezeichnet. In der Raumzeit, dem unaufl¨oslichen Gewebe aus Raum und Zeit, gibt es keine unabh¨angigen Orts- oder Zeitangaben mehr, sondern nur noch gemischte“ Angaben, die Ereignisse genannt werden. ” Zur Herleitung dient folgendes Gedankenexperiment: Zwei Raumschiffe A und B begegnen sich mit gleichbleibender Relativgeschwindigkeit v. Es werden nun zwei Ereignisse betrachtet: Erstens das Zusammentreffen der Schiffe und zweitens ein Ereignis beim Raumschiff A, das aus dem Blickwinkel von A um den Zeitraum t A nach dem ersten Ereignis stattfindet. Wie in der Vorbemerkung zu Kapitel 1 dargestellt, darf sich z.B. Raumschiff A zurecht als ruhend betrachten:
Es werden folgende Abk¨urzungen eingef¨uhrt: t A Zeitintervall zwischen beiden Ereignissen aus dem Blickwinkel von A t B Zeitintervall zwischen beiden Ereignissen aus dem Blickwinkel von B x A r¨aumlicher Abstand zwischen den Ereignissen aus Sicht von A; dieser betr¨agt null, da beide Ereignisse bei Raumschiff A geschehen; also xA = 0 x B r¨aumlicher Abstand zwischen den Ereignissen aus Sicht von B v Relativgeschwindigkeit zwischen den Schiffen B sah w¨ahrend des (invarianten) Eigenzeitintervalls t A zwischen den zwei Ereignissen die A-Uhr (wegen der Relativbewegung) langsamer laufen als
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
71
seine eigene, oder umgekehrt gesagt: Seine B-Uhr ist schneller gelaufen, n¨amlich um den Gamma-Faktor schneller. Auf der B-Uhr ist also ein gr¨oßeres Zeitintervall abgelaufen: tB = t A · ⇒ t A = tB ·
1 1 − v 2 /c2
1 − v 2 /c2
(1.44)
Quadrieren und ausmultiplizieren: ⇒ t A2 = t B2 − t B2 · v 2 /c2 Ferner gilt : t B = x B /v
(1.45) (1.46)
Einsetzen von (1.46) in (1.45): t A2 = t B2 − x B2 /c2
(1.47)
Multiplikation mit (−c2 ): − c2 · t A2 = x B2 − c2 · t B2
(1.48)
F¨ur A ist der r¨aumliche Abstand x A der Ereignisse null, damit auch x 2A = 0. Einsetzen in (1.48) ergibt: x 2A − c2 · t A2 = x B2 − c2 · t B2
(1.49)
Der Ausdruck beiderseits des Gleichheitszeichens wird als Quadrat des Raum-Zeit-Abstands aus Sicht von A (x 2A − c2 · t A2 ) und von B (x B2 − c2 · t B2 ) bezeichnet. Beide sind identisch, obwohl A und B jeweils v¨ollig verschiedene Raumabst¨ande (x) und Zeitabst¨ande (t) f¨ur die Ereignisse angeben! Bisher wurde davon ausgegangen, daß sich A und B exakt auf derselben geraden Linie bewegen. Eine Erweiterung auf drei Raumdimensionen ist noch n¨otig. Dies erm¨oglicht der Lehrsatz des Pythagoras (siehe auch Abbildung unten): x 2 − c2 · t 2 (vergl. (1.49)) 1-dimensionaler Raum : x 2 + y 2 −c2 · t 2 2-dimensionaler Raum :
2-dimensionaler Pythagoras x 2 + y 2 + z 2 −c2 · t 2 3-dimensionaler Raum :
3-dimensionaler Pythagoras
(1.50)
72
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Diese Ausdr¨ucke werden als Raum-Zeit-Abst¨ande oder Raum-Zeit-Intervalle bezeichnet. Ausdruck (1.50) enth¨alt neben den drei Raumdimensionen x, y, z noch den Term c · t zum Quadrat. c · t , also das Produkt aus der Lichtgeschwindigkeit und der Zeit hat die Dimension einer L¨ange und kann somit als hier gleichberechtigte − die Zeit repr¨asentierende − vierte Dimension neben den drei Raumdimensionen x, y und z angesehen werden. Daß r¨aumliche und zeitliche Dimensionen aber nicht vermischbar sind, erkennen wir an den unterschiedlichen Vorzeichen: x 2 , y 2 , z 2 : positiv c2 · t 2 : negativ Der Raum-Zeit-Abstand insgesamt hat die vertraute Einheit Meter bzw. andere L¨angeneinheiten wie z.B. das Lichtjahr (siehe Zahlenbeispiel unten). Einige Bemerkungen zur 4. Dimension“ c · t : ” Sie unterscheidet sich von den Raumdimensionen x, y und z nat¨urlich nicht nur im Vorzeichen der Quadrate in der Formel (1.50). Jeder Leser weiß es, trotzdem sei es an dieser Stelle ausdr¨ucklich betont: • Im Raum k¨onnen wir eine ruhende Position einnehmen. Nicht so bei der Zeit: Im eigenen Inertialsystem l¨auft sie unaufhaltsam immer mit derselben Geschwindigkeit“ weiter (Eigenzeit). Von anderen, relativ zu uns ” bewegten Inertialsystemen aus gesehen l¨auft unsere Zeit zwar (um den Kehrwert des Gamma-Faktors) langsamer, aber doch auch stetig weiter. Ein Stillstand der Zeit w¨are nur bei Relativgeschwindigkeit c denkbar, c ist aber f¨ur keine materielle Uhr erreichbar. • Im Raum k¨onnen wir hin- und zur¨uckreisen, der Zeitablauf l¨aßt sich hingegen nicht umkehren. Die Zeit schreitet nur voran von der Gegenwart zur Zukunft, nie zur¨uck. Auch der beim Zwillingsparadoxon beschriebene Zeitsprung war ein Sprung in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit. Man sagt: Der Zeitpfeil“ ist stets in die Zukunft gerichtet. ” Insofern hat die vierte Dimension im Vergleich zu den drei Raumdimensionen schon ganz besondere Qualit¨aten. Rein formal lassen zwar alle Formeln der Relativit¨atstheorien auch eine zur¨ucklaufende Zeit zu ( Zeitumkehrsym” metrie“), betrachtet man Naturvorg¨ange aber zus¨atzlich aus dem Blickwinkel eines anderen Zweiges der Naturwissenschaften (Thermodynamik), dann bekommt der Zeitpfeil wieder seine aus dem Alltag vertraute Richtung in die Zukunft: Ein Holzhaus kann abbrennen; der Ablauf in umgekehrter Richtung (das Wiedererstehen des Hauses aus Asche, Rauch und W¨armeenergie) ist dagegen nicht im Bereich des Wahrscheinlichen. Trotz der Besonderheiten der Zeit werden in der SRT Raum und Zeit miteinander verheiratet“, wie (unter anderem) durch die Raum-Zeit-Abst¨ande ”
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
73
zum Ausdruck kommt. Das Ergebnis dieser Vereinigung wird Raumzeit genannt, mehr dazu in K¨urze. Hinweis: In einigen anderen Texten zur SRT sind die Vorzeichen von Raum- und Zeitkomponenten gerade umgekehrt gew¨ahlt: x 2 , y 2 und z 2 negativ, c2 · t 2 positiv. Dies ist ohne wesentliche Bedeutung; wichtig ist allein das unterschiedliche Vorzeichen von Raum- und Zeitkomponenten im Ausdruck f¨ur die Raum-Zeit-Intervalle. Diese Unterschiedlichkeit der Vorzeichen f¨uhrt dazu, daß es drei Gruppen von Raum-Zeit-Abst¨anden gibt: positive, negative und Null-Intervalle. Dazu bald mehr! Mit diesen Raum-Zeit-Abst¨anden kann der Abstand“ zweier Ereignisse ” in der Raumzeit unabh¨angig von der Geschwindigkeit der Beobachter beschrieben werden. Mit anderen Worten: Beobachter in den verschiedensten Inertialsystemen stellen denselben Raum-Zeit-Abstand zwischen zwei bestimmten Ereignissen fest. Die Raum-Zeit-Abst¨ande sind damit invariant. Diese Invarianz der Raum-Zeit-Abst¨ande ist mathematisch analog zur Invarianz eines Raumabstandes bei einer Rotation von u¨ blichen Koordi-
74
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
natensystemen (siehe Abbildung). Auch hier gilt, daß der Abstand zweier Punkte P und Q unabh¨angig vom Koordinatensystem ist, denn: 2
P Q = x02 + y02 = x02 + y02 (Anwendung des Lehrsatzes des Pythagoras.) Und bei Erweiterung zur dritten Raumdimension gilt entsprechend (nach dem dreidimensionalen Pytha” goras“): 2 P Q = x02 + y02 + z 02 = x02 + y02 + z 02 Wie bei den Raum-Zeit-Abst¨anden gilt: Die Wahl eines anderen Koordinatensystems erzeugt zwar neue Koordinaten (in der Raumzeit der SRT: neue Orts- und Zeitkoordinaten), aber der Abstand der Punkte P und Q (in der SRT: der Raum-Zeit-Abstand zweier Ereignisse) bleibt stets gleich. Hinweis: Eine allgemeing¨ultige Herleitung der Gleichung (1.49) folgt in Abschnitt 1.13; diese wird aber nicht so anschaulich sein wie die hier angegebene. Newtons absoluter Raum und absolute Zeit, die durch die Raumkontraktion und Zeitdilatation aufgegeben werden mußten, werden jetzt durch ein absolutes Raum-Zeit-Kontinuum (kurz: Raumzeit) ersetzt: Denn man k¨onnte sich die Raumzeit der SRT mit Abst¨anden zwischen allen m¨oglichen Ereignissen, also mit Raum-Zeit-Abst¨anden, durchsetzt und verwoben vorstellen. Da die Raum-Zeit-Abst¨ande beobachterunabh¨angig sind, ist es auch die gesamte Raumzeit! Der Mensch spaltet aber durch seine subjektive Betrachtungsweise dieses Raum-Zeit-Kontinuum in Raum und Zeit auf. Denn (die beobachterabh¨angigen) Raum- und Zeitabst¨ande sind uns aus dem Alltag bekannt, nicht aber die beobachterunabh¨angigen Raum-Zeit-Abst¨ande. Die SRT ist damit eine absolute Raum-Zeit-Theorie. Diese Absolutheit beruht darauf, daß nur eine bestimmte Klasse von Beobachtersystemen zugelassen ist, eben die Inertialsysteme. Hinter dem Wort Raum-Zeit-Kontinuum steckt u¨ brigens nichts Geheimnisvolles. Es bedeutet nur, daß man sich beliebig kleine Raum-Zeit-Abst¨ande denken kann, welche die Raumzeit komplett erf¨ullen. Analog ist auch der u¨ bliche Raum ein Kontinuum, und zwar ein dreidimensionales. Auch hier sind beliebig kleine Raumabst¨ande denkbar. Nimmt man die Zeit als eindimensionales Kontinuum hinzu, gelangt man zum (3+1) - Kontinuum der Raumzeit. Analysieren wir kurz den mathematischen Ausdruck f¨ur das Quadrat der Raum-Zeit-Abst¨ande: x 2 + y2 + z2
Quadrat des r¨aumlichen Abstands
−
c2 · t 2
Quadrat der Entfernung, die das Licht in der Zeit t zur¨ucklegt
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
75
Das Quadrat des Raum-Zeit-Abstandes ist also die Differenz dieser beiden Quadrate. Sonderf¨alle bei den Raum-Zeit-Abst¨anden: Hier gibt es drei verschiedene F¨alle: a) Denkt man sich zwei Ereignisse entlang eines Lichtstrahls, z.B. Ereignis 1: Absenden eines Laser-Blitzes zum Mond, Ereignis 2: Ankunft des Laser-Blitzes dort, dann ist deren r¨aumlicher Abstand ( x 2 + y 2 + z 2 ) nat¨urlich genauso groß wie der Lichtweg c · t, damit wird das Quadrat des RaumZeit-Abstands null! Dieses wichtige Ergebnis sollte man sich besonders gut einpr¨agen: Ereignisse, die32 durch Lichtstrahlen verbunden werden k¨onnen, besitzen den Raum-Zeit-Abstand null. b) Betrachten wir umgekehrt zwei Ereignisse, die f¨ur einen bestimmten Beobachter nacheinander am selben Ort geschehen. Die Ortsver¨anderung zwischen den Ereignissen ist dann null, in der Formelsprache:
x 2 + y2 + z2 = 0
Damit wird das Quadrat des Raum-Zeit-Abstands maximal negativ, n¨amlich −c2 · t 2 . Ergo erreicht auch der Raum-Zeit-Abstand einen Maximalwert von c · t . Eine Uhr, die am Ort der beiden Ereignisse ruht, zeigt zwischen den beiden Ereignissen die Zeitdifferenz t an, diese ist dann identisch mit der schon in Abschnitt 1.3 erw¨ahnten Eigenzeit. Auch dieses Ergebnis sollte man sich gut einpr¨agen: Eine ruhende Uhr (und auch jeder andere ruhende K¨orper) legt zwischen zwei an diesem Ort geschehenden Ereignissen den maximalen Raum-Zeit-Abstand c · t zur¨uck, wobei t die Eigenzeit der Uhr bedeutet. H¨ort sich gew¨ohnungsbed¨urftig an: An einem Ort ruhen und doch in der Raumzeit einen maximalen Raum-Zeit-Abstand zugeordnet zu bekommen, ist aber so! Nach der Diskussion dieser zwei Sonderf¨alle der Raum-Zeit-Abst¨ande ist es leicht, sich auszumalen, was zwischen diesen beiden Extremen passiert: • Zwei Ereignisse, die zwar nicht durch einen Lichtstrahl verbunden werden k¨onnen, aber durch eine nur geringf¨ugig niedrigere Geschwindigkeit als c, werden sehr kleine Raum-Zeit-Abst¨ande aufweisen.
32
ohne zwischengeschaltete Spiegelung
76
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
• Zwei Ereignisse, die in geringer Entfernung voneinander und in großem Zeitabstand geschehen (also durch eine langsame Bewegung miteinander verbunden werden k¨onnten), haben einen großen Raum-Zeit-Abstand, nahe beim Maximum von c · Eigenzeit. Damit zum dritten Sonderfall der Raum-Zeit-Abst¨ande: c) Geschehen f¨ur einen Beobachter zwei r¨aumlich getrennte Ereignisse gleichzeitig, dann ist der zeitliche Abstand t und damit auch c2 · t 2 nat¨urlich null; das Quadrat des Raum-Zeit-Abstandes wird maximal positiv: x 2 + y 2 + z 2 . Der Raum-Zeit-Abstand selbst, also x 2 + y 2 + z 2 , ist identisch mit der aus Abschnitt 1.5 bekannten Eigen- oder Ruhel¨ange. F¨ur die meisten anderen Beobachter ist zwar die Gleichzeitigkeit zerst¨ort, aber der Raum-Zeit-Abstand ist f¨ur alle Beobachter gleich.
Ein Zahlenbeispiel zu den Raum-Zeit-Abst¨anden Der Einfachheit halber betrachten wir hierzu zwei Ereignisse aus der Zwillingsgeschichte in Abschnitt 1.8: • Ereignis 1: Start des reisenden Zwillings auf der Erde, • Ereignis 2: dessen Ankunft bei Sirius. Zur Erinnerung die Daten: • Entfernung x: 9 Lj • Relativgeschwindigkeit: 0,8 c • Kehrwert des Gamma-Faktors: 0,6 A) Berechnung des Quadrats des Raum-Zeit-Abstands aus Sicht des Erdbewohners: R¨aumlicher Abstand der Ereignisse: x = 9 Lj Zeitlicher Abstand der Ereignisse: t = Weg / Geschwindigkeit = 9 Lj / 0,8 c = 11,25 Jahre ⇒ x 2 − c2 · t 2 = 81 (Lj)2 − c2 · 126, 56 (Jahre)2 = −45,56 (L j)2 B) Berechnung des Quadrats des Raum-Zeit-Abstands aus Sicht des SiriusFliegers: R¨aumlicher Abstand der Ereignisse: x = 0, denn der Raumfahrer betrachtet sich als ruhend; er sieht die Erde davonsausen und Sirius heranrasen, beide Ereignisse passieren bei ihm! Zeitlicher Abstand der Ereignisse: t = Abstand Erde-Sirius (kontrahiert)/Geschwindigkeit = 9 Lj · 0,6/0,8 c = 6,75 Jahre
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
77
⇒ x 2 − c2 · t 2 = 0 − c2 · 45,56 (Jahre)2 = −45,56 (L j)2 Beide ermitteln also ganz unterschiedliche r¨aumliche Abst¨ande und zeitliche Abst¨ande zwischen den zwei Ereignissen, u¨ ber den. Raum-Zeit-Abstand herrscht aber Einigkeit: 45, 56 (Lj)2 = 6,75 Lichtjahre (= Eigenzeit des Reisenden mal c) Im Zusammenhang mit den Raum-Zeit-Abst¨anden tauchen manchmal die etwas abstrakt klingenden Bezeichnungen • lichtartig, • raumartig und • zeitartig auf. Mit diesen Adjektiven soll lediglich die Beziehung zwischen zwei Ereignissen E 1 und E 2 beschrieben werden. Die folgende doppelseitige Tabelle kl¨art u¨ ber die Bedeutung der Begriffe auf und gibt auch praktische Beispiele. Der in der Tabelle verk¨urzt mit x“ ” bezeichnete r¨aumliche Abstand lautet vollst¨andig: x 2 + y 2 + z 2 . Beim Studium der doppelseitigen Tabelle ist dem aufmerksamen Leser sicher das Auftauchen der Begriffe Eigenl¨ange und Eigenzeit aufgefallen. ¨ Deren große Bedeutung wird uns durch folgende Uberlegungen klar: 1. • Im Sonderfall des raumartigen Abstandes zwischen zwei Ereignissen gilt: Zeitabstand = 0 (Gleichzeitigkeit) −→ Raum-Abstand = Raum-Zeit-Abstand = Eigenl¨ange • Im Sonderfall des zeitartigen Abstands zwischen zwei Ereignissen gilt: Raumabstand = 0 (beide Ereignisse geschehen am selben Ort) −→ Zeitabstand · c = Raum-Zeit-Abstand (mit Zeitabstand = Eigenzeit) 2. Wir wissen, daß der Raum-Zeit-Abstand zwischen zwei bestimmten Ereignissen E p und E q f¨ur alle Inertialbeobachter gleich groß ist, siehe (1.49). Kombiniert man nun die Aussagen 1. und 2., dann ergibt sich, daß • bei einem raumartigen Ereignisabstand der Raum-Zeit-Abstand f¨ur alle Inertialbeobachter identisch ist mit der Eigenl¨ange desjenigen Beobachters, der beide Ereignisse gleichzeitig sah, und • bei einem zeitartigen Ereignisabstand der Raum-Zeit-Abstand f¨ur alle Inertialbeobachter identisch ist mit der Eigenzeit desjenigen Beobachters, der beide Ereignisse bei sich erlebt hat, multipliziert mit c.
78 Beziehung zwischen Ereignis E 1 und E 2
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht praktisches Beispiel
Ist eine Ursache-WirkungsBeziehung zwischen E 1 und E 2 m¨oglich?
lichtartig
Ein Lichtsignal verl¨aßt die Erde (= E 1 ). E 2 geschieht genau beim Eintreffen des Lichtsignals bei Wega.
Ja, die Zeit zwischen E 1 und E 2 reicht gerade aus, um das zweite durch das erste Ereignis auszul¨osen (Die Signalgeschwindigkeit ist gleich c).
raumartig
E 1 wie oben, E 2 geschieht auf Wega noch vor Eintreffen des Lichtsignals dort.
Nein, das Signal von E 1 zu E 2 ¨ m¨ußte sich mit Uberlichtgeschwindigkeit bewegen, wenn E 2 durch E 1 ausgel¨ost werden soll.
zeitartig
E 1 wie oben, E 2 geschieht auf Wega erst nach Eintreffen des Lichtsignals dort.
Ja, da die Zeit zwischen E 1 und E 2 l¨anger ist als die Lichtlaufzeit. Diese l¨angere Zeit reicht leicht aus, um E 2 durch E 1 ausl¨osen zu lassen. Wenn sich materielle Teilchen von E 1 zu E 2 bewegen sollen, dann steht ihnen nur diese Variante zur Verf¨ugung (siehe obiges Zahlenbeispiel).
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
79
Wert des Quadrats des Raum-Zeit-Abstandes (t: zeitlicher Abstand, x: r¨aumlicher Abstand)
Ist die zeitl. Reihenfolge der Ereignisse f¨ur alle Beobachter eindeutig?
Sind beide Ereignisse f¨ur alle Beobachter r¨aumlich getrennt?
r¨auml. Abstand = c· Zeit, also: x = c · t ⇒ x 2 = c2 · t 2 ⇒ x 2 − c2 · t 2 = 0. Also: Das Quadrat des Raum-Zeit-Abstands ist gleich null.
Ja, außer im System“ ” der Photonen selbst, dort sind E 1 und E 2 gleichzeitig ( Licht ” altert nicht“).
Ja, außer im System“ ” der Photonen selbst, dort sind E 1 und E 2 am selben Ort (f¨ur Licht gilt: Startpunkt gleich ” Zielpunkt“).
r¨auml. Abstand > c· Zeit, also: x > c · t ⇒ x 2 > c2 · t 2 ⇒ x 2 − c2 · t 2 > 0. Also: Das Quadrat des Raum-Zeit-Abstands ist gr¨oßer als null. Spezialfall: t = 0 (E 1 , E 2 gleichzeitig) ⇒ (RaumZeit-Abstand)2 = x 2 = (Eigenl¨ange)2
Nein, es gibt 3 verschiedene Gruppen von Beobachtern: F¨ur einige ist E 1 vor E 2 , f¨ur einige E 1 nach E 2 , f¨ur mindestens einen Beobachter sind E 1 und E 2 gleichzeitig (Relativit¨at der Gleichzeitigkeit).
Ja.
c· Zeit > r¨auml. Abstand, also: c · t > x ⇒ x 2 < c2 · t 2 ⇒ x 2 − c2 · t 2 < 0. Also: Quadrat des RaumZeit-Abstandes < 0 (imagin¨are Zahl), siehe obiges Zahlenbeispiel. Spezialfall: (Beobachter bewegt sich so von E 1 zu E 2 , daß beide Ereignisse bei ihm, also am selben Ort geschehen): x = 0 ⇒ (Raum-ZeitAbstand)2 = −c2 · t 2 = Extremwert = −(c· Eigenzeit)2
Ja, es gibt auch keinen einzigen Beobachter, der E 1 und E 2 gleichzeitig sieht! F¨ur den Sonderfall, daß ein Beobachter bei beiden Ereignissen anwesend ist, ist die Zeitdifferenz die Eigenzeit.
F¨ur die meisten Beobachter ja. Denkbar ist aber ein Inertialbeobachter, der sich so von E 1 zu E 2 bewegt, daß er bei diesen beiden Ereignissen anwesend“ ist. ” F¨ur diesen Beobachter geschehen E 1 und E 2 am selben Ort!
80
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
In der Formelsprache: raumartig : x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2 = Eigenl¨ange2 (in der Fachliteratur : σ 2 ) zeitartig : x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2 = −c2 · Eigenzeit2 (in der Fachliteratur : −c2 · τ 2 ) lichtartig : x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2 = 0 ( Null-Intervall“) ”
(1.51)
Und in der von den Autoren bevorzugten praktischen Ausdrucksweise: • Will man bei raumartig zueinander gelegenen Ereignissen die Gr¨oße des Raum-Zeit-Abstandes wissen, dann gen¨ugt es, denjenigen Beobachter nach der r¨aumlichen Entfernung zu befragen, der beide Ereignisse gleichzeitig erlebt hat; • will man bei zeitartig zueinander gelegenen Ereignissen den Raum-ZeitAbstand ermitteln, dann reicht es, denjenigen Beobachter nach dem zeitlichen Abstand zu fragen, der beide Ereignisse bei sich erlebt hat; die Multiplikation dieser Eigenzeit mit c ergibt den Raum-Zeit-Abstand. Ganz deutlich wird hierdurch, daß ein Raum-Zeit-Abstand, der f¨ur den einen Beobachter raumartig ist, auch f¨ur alle Inertialbeobachter raumartig ist. Ebenso gilt: Ein f¨ur einen Beobachter zeitartiger Raum-Zeit-Abstand ist es auch f¨ur jeden anderen! Daß lichtartige Raum-Zeit-Abst¨ande f¨ur alle Beobachter lichtartig sind, ergibt sich schon direkt aus dem Prinzip der Konstanz von c. Die drei Klassen von Raum-Zeit-Abst¨anden sind also strikt getrennt. Diese beobachterunabh¨angige Klassenzugeh¨origkeit von Raum-Zeit-Intervallen zwischen je zwei Ereignissen stellt u¨ brigens sicher, daß zwei kausal voneinander abh¨angige Ereignisse (erst das verursachende Ereignis, dann das dadurch verursachte) f¨ur alle Inertialbeobachter in der richtigen“ Reihenfol” ge geschehen. Denn solche kausal zusammengeh¨origen Ereignispaare haben f¨ur alle Beobachter zeit- oder lichtartige Raum-Zeit-Abst¨ande (siehe Tabelle) mit unumkehrbarer Reihenfolge. Und diese Ereignispaare mit licht- oder zeitartigem Intervall k¨onnen sich f¨ur keinen Beobachter in die Klasse der raumartigen Intervalle verirren“; und nur dort w¨are eine Umkehrung der ” Reihenfolge von Ereignissen m¨oglich! Hinweis: Leser mit Vorkenntnissen aus der Quantenmechanik werden wissen, daß dort das Kausalit¨atsprinzip in dieser Form nicht gilt; in der uns vertrauten makroskopischen Welt trifft allerdings die obige Darstellung zu. Mit Blick auf die Klasse der raumartigen Raum-Zeit-Abst¨ande erkennt man auch, weshalb die im Rahmen der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit m¨ogli-
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
81
che Umkehrung der Reihenfolge von Ereignissen widerspruchsfrei ist: Von einem Ereignis E 1 hin zu einem raumartig dazu gelegenen Ereignis E 2 kann kein (potentiell E 2 ausl¨osendes) Signal gelangen (dieses m¨ußte sich mit nicht ¨ m¨oglicher Uberlichtgeschwindigkeit bewegen). E 1 und E 2 k¨onnen daher nicht kausal voneinander abh¨angen, es m¨ussen zwei g¨anzlich unabh¨angige Ereignisse sein. Eine Umkehrung der Reihenfolge von E 1 und E 2 (f¨ur Beobachter mit unterschiedlichen Relativgeschwindigkeiten) ist damit zul¨assig und keine Verletzung der Kausalit¨at. Denn eine ohnehin ausgeschlossene Kausalit¨atsbeziehung kann nat¨urlich auch nicht verletzt werden! Die Bezeichnungen zeit- und raumartig sind f¨ur Einsteiger unter anderem deshalb problematisch, weil z.B. zeitartig“ suggeriert, hier w¨urde nur ” die Zeit eine Rolle spielen. Raum-Zeit-Abst¨ande setzen sich aber f¨ur die meisten Beobachter aus einem Zeitanteil (c · t) und einem Raumanteil 2 ( x + y 2 + z 2 ) zusammen, wobei bei zeitartigen Raum-Zeit-Abst¨anden ersterer immer u¨ berwiegt, bei raumartigen immer letzterer. Treffendere Bezeichnungen w¨aren daher zeitlastig bzw. raumlastig! Rein zeitartige bzw. rein raumartige Raum-Zeit-Abst¨ande zwischen zwei Ereignissen messen (in dieser Sprechweise) Beobachter, die beide Ereignisse bei sich erleben bzw. beide Ereignisse gleichzeitig, aber r¨aumlich getrennt erleben (siehe oben genannte Sonderf¨alle). Anderslautende, aber gleichbedeutende Definitionen f¨ur raum- und zeitartig sind: • Raumartig ist ein Raum-Zeit-Abstand dann, wenn sich mindestens ein Inertialsystem finden l¨aßt, in dem die beiden betrachteten Ereignisse gleichzeitig geschehen. • Zeitartig ist ein Raum-Zeit-Abstand, wenn sich ein Inertialsystem einrichten l¨aßt, in dem beide Ereignisse nacheinander am selben Ort stattfinden. Zwei weitere Besonderheiten sollten beachtet werden: • F¨ur zwei bestimmte zeitartig zueinander gelegene Ereignisse E 1 und E 2 ist der zeitliche Abstand in demjenigen Inertialsystem am kleinsten, in dem die Ereignisse am selben Ort geschehen (nennen wir es Ruhesystem). Denn: Von allen anderen Inertialsystemen (mit Relativbewegung zum Ruhesystem) aus gesehen geht eine Uhr im Ruhesystem um den Kehrwert des Gamma-Faktors langsamer; oder umgekehrt ausgedr¨uckt: Beobachter in allen anderen Inertialsystemen sehen ihre eigenen Uhren um den Gamma-Faktor schneller laufen als die Uhr im Ruhesystem. Damit l¨auft zwischen E 1 und E 2 in allen anderen Systemen mehr Zeit ab als im Ruhesystem!
82
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
• F¨ur zwei bestimmte raumartig zueinander gelegene Ereignisse E 3 und E 4 ist der r¨aumliche Abstand x in demjenigen Inertialsystem am kleinsten, in dem sie gleichzeitig geschehen (nennen wir es Gleichzeitigkeitssystem). Begr¨undung: Es gilt die Beziehung: (Eigenl¨ange)2 = x 2 − c2 · t 2 (siehe oben). Im Gleichzeitigkeitssystem selbst ist der zeitliche Abstand t = 0 , damit ist auch x gleich der Eigenl¨ange. In allen anderen Inertialsystemen mit Geschwindigkeitskomponente parallel zur Verbindungslinie zwischen den zwei Ereignissen ist die Gleichzeitigkeit zerst¨ort, also t = 0 , damit auch c2 · t 2 > 0 . Und daraus wiederum folgt: x 2 > (Eigenl¨ange)2 , also auch x > Eigenl¨ange. Der r¨aumliche Abstand x ist somit gr¨oßer als im Gleichzeitigkeitssystem, in dem er gleich der Eigenl¨ange ist! Dieses Ergebnis ist bei oberfl¨achlicher Betrachtung u¨ berraschend, w¨urde man doch wegen der Lorentz-Kontraktion ein gegenteiliges Resultat erwarten. Es geht hier aber nicht um die Messung z.B. der L¨ange eines Stabes, die in jedem Inertialsystem durch gleichzeitige Ortsbestimmung der Stabenden erfolgen m¨ußte, siehe Abschnitte 1.13 und 1.17. E 3 und E 4 geschehen dagegen nur im Gleichzeitigkeitssystem simultan. In jedem anderen System mit Relativbewegung parallel zur Verbindungslinie zwischen E 3 und E 4 geschieht das r¨aumlich nachfolgende Ereignis zuerst; dadurch vergr¨oßert sich der r¨aumliche Abstand aus Sicht eines solchen Systems. Nach Bew¨altigung des Abschnitts 1.13 kann der Leser selbst ein einfaches Beispiel hierzu durchrechnen und diese Aussage auch mit den Lorentz-Transformationen u¨ berpr¨ufen. Hinweis f¨ur Leser des Abschnitts 1.17: Die in den Teilen 2 und 3 des Abschnitts 1.17 dargestellten Hyperbeln resultieren aus der Invarianz des Raum-ZeitAbstandes zwischen zwei Ereignissen: Bei der Bestimmung von Ort und Zeit aller Ereignisse, die denselben zeitartigen Raum-Zeit-Abstand vom Nullpunkt haben, ergeben sich die Hyperbel¨aste oberhalb (und unterhalb) der Ortsachse; einheitliche raumartige Raum-Zeit-Abst¨ande f¨uhren zu den Hyperbel¨asten (links und) rechts der Zeitachse. Denn wenn die Differenz der Quadrate zweier Variablen konstant ist (hier: x 2 − c2 · t 2 = (invarianter Raum-Zeit-Abstand)2 ), dann ergibt sich als resultierende Kurve eine Hyperbel. In Abschnitt 1.7 ist schon das f¨ur alle Inertialbeobachter invariante Erscheinungsbild kugelf¨ormiger Lichtfronten erw¨ahnt worden. Abschliessend seien diese (und ihre 2- und 1-dimensionalen Analoga) auch mathematisch dargestellt. Hierzu brauchen wir nur, wie schon bekannt, den RaumZeit-Abstand jeweils gleich null zu setzen: • kugelf¨ormige Lichtfront im dreidimensionalen Raum: x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2 = 0
1.11
Raum-Zeit-Abst¨ande, 4. Dimension“ – Wir finden etwas Absolutes! ”
83
oder (leichter als Formel f¨ur eine Kugel mit Radius c · t erkennbar):
x 2 + y2 + z2 = c · t
• kreisf¨ormige Lichtfront im zweidimensionalen Raum: x 2 + y 2 − c2 · t 2 = 0 oder (leichter als Formel f¨ur einen Kreis mit Radius c · t erkennbar): x 2 + y2 = c · t • Lichtstrahl im eindimensionalen Raum (Gerade): x 2 − c2 · t 2 = 0 oder (leichter als Formel f¨ur eine Gerade mit L¨ange c · t erkennbar): x =c·t (Bei Ber¨ucksichtigung der Lichtausbreitung auch in Gegenrichtung (−x) betr¨agt die L¨ange des Lichtstrahls nat¨urlich 2 c · t.) Die Form dieser vom Licht gemalten“ Figuren bleibt f¨ur alle Inertialbe” obachter erhalten. Denn: Bei Verwendung von Ortskoordinaten x , y , z und Zeitkoordinaten t beliebiger anderer Inertialbeobachter haben lichtartige Raum-Zeit-Abst¨ande ebenfalls den Wert null; es ergeben sich daher Gleichungen von exakt der gleichen Form. Hinweis: In der Fachliteratur stolpert der Leser eventuell u¨ ber den Ausdruck Linienelement“. Damit ist lediglich ein infinitesimal kleiner Raum” Zeit-Abstand gemeint. Bei der ersten Lekt¨ure mag so mancher Einsteiger diesen Abschnitt als etwas trocken empfunden haben. Aber er ist in mindestens dreierlei Hinsicht wichtig: 1. Mit den Raum-Zeit-Abst¨anden haben wir invariante Gr¨oßen gefunden; und solche Gr¨oßen sind in der Relativit¨atstheorie besonders begehrte Preziosen. 2. Wir wissen nun, was es mit der vierten Dimension auf sich hat: Sie ist keine zus¨atzliche r¨aumliche, sondern eine zeitliche Dimension, die sich in der Rechentechnik der Relativit¨atstheorie in vielerlei Hinsicht als n¨utzlich erweist.
84
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
3. Wir haben die Voraussetzung f¨ur Kausalit¨at in der makroskopischen Welt (deren Kausalstruktur“) gefunden; n¨amlich die zeit- oder lichtartige ” Beziehung zwischen Ereignissen. Bei raumartigen Beziehungen ist Kausalit¨at ausgeschlossen; damit haben wir auch der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit, bei der es nur um raumartige Beziehungen geht, ihren letzten Schleier entrissen. Erstmals ausf¨uhrlich mit Raum-Zeit-Abst¨anden hat sich 1908 der Mathematiker Hermann Minkowski besch¨aftigt.33 Er f¨uhrte die Begriffe raumund zeitartig ein; Ereignisse nannte er Weltpunkte“. Wie fundamental und ” umw¨alzend er die neuen Erkenntnisse einsch¨atzte, zeigt sich an seinem ber¨uhmten Ausspruch: Von Stund’ an sollen Raum f¨ur sich und Zeit f¨ur sich v¨ollig zu Schatten her” absinken und nur noch eine Art Union der beiden soll Selbst¨andigkeit bewahren.“
Diese Union, die wir als Raumzeit bezeichnen, nannte Minkowski schlicht die Welt“. ”
Anhang – Ein negatives Quadrat? Kritische Leser, die in der Mathematik aufgepaßt haben, fragen sich bestimmt, wie es sein kann, daß das Quadrat des Raum-Zeit-Abstands negative Werte annehmen kann, n¨amlich bei allen zeitartigen Intervallen. F¨ur diese Frage gibt es einerseits eine elegante mathematische L¨osung, andererseits einen pragmatischen Ausweg: • Die mathematisch orientierten Fachleute multiplizieren hierzu manchmal c2 · t 2 mit i 2 (i = imagin¨are Einheit“ mit i 2 = −1). Aus c · t wird dann ” die imagin¨are Zahl i · c · t . Dann sind formal alle vier Terme des RaumZeit-Abstands-Quadrats positiv: (Raum-Zeit-Abstand)2 = x 2 + y 2 + z 2 + (i · c · t)2 Diese Gleichung kann sogar als vierdimensionaler Pythagoras“ aufge” faßt werden! Und die Lorentz-Transformation (s. Abschnitt 1.13) wird mit diesem Kniff formal zu einer konventionellen Rotation des Koordinatensystems! • Die Physiker w¨ahlen dagegen meist einen ganz pragmatischen Weg: Sie schreiben die Formel f¨ur den Raum-Zeit-Abstand einfach je nach Bedarf 33
abgesehen von Poincar´e in einer Arbeit von 1906
1.12
¨ Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee Quadrat“ ”
85
und Aufgabenstellung in einer solchen Form, daß sein Quadrat immer positiv ist: a) in allen zeitartigen F¨allen: (Raum-Zeit-Abstand)2 = c2 · t 2 − (x 2 + y 2 + z 2 ) b) in allen raumartigen F¨allen: (Raum-Zeit-Abstand)2 = x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2 Bei a) ist das Raum-Zeit-Abstands-Quadrat stets positiv, weil dann c2 · t 2 > x 2 + y 2 + z 2 ist; und bei b) ist es ebenfalls stets positiv, weil dann x 2 + y 2 + z 2 > c2 · t 2 ist. Der gordische Knoten l¨aßt gr¨ußen!
¨ 1.12 Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee ” Quadrat“ Vor der Einsteinschen SRT betrachtete man Masse und Energie als zwei grundlegend wesensverschiedene Gr¨oßen, die zwar in der Physik und in der Chemie miteinander in Kontakt kamen, jedoch nicht austauschbar waren. Dieser Grundsatz kam vor allem im Massenerhaltungssatz und im Energieerhaltungssatz von Physik und Chemie zum Ausdruck. Erst durch die Spezielle Relativit¨atstheorie wurde offenbar, daß Masse und Energie eine innige Wesensverwandtschaft aufweisen und sich nur durch einen konstanten Proportionalit¨atsfaktor voneinander unterscheiden. Sp¨ater wurde zudem klar, daß sich Masse und Energie entsprechend der Einsteinschen Formel sogar ineinander umwandeln“ lassen; ein vorher unfaßbarer Gedanke wurde Rea” lit¨at − f¨ur jedermann sp¨atestens mit den ersten Atombomben un¨ubersehbar. Bildhaft l¨aßt sich die Verwandtschaft von Masse und Energie dadurch treffend ausdr¨ucken, daß die Masse als eingefrorene“ Energie angesehen ” werden kann. Taut“ man die Masse auf, verwandelt sie sich in ungeheure ” Energiemengen, wie sich gleich zeigen wird. Die nun folgende Herleitung der Formel E = m ·c2 folgt nicht streng physikalischen Wegen; eine solche Richtschnur w¨urde viel Rechenarbeit erfordern. Die Autoren haben sich daher f¨ur einen kurzen, aber leicht nachvollziehbaren Weg entschieden. Auf den ersten Blick handelt es sich nur um eine grobe N¨aherung, in Wirklichkeit ist die Rechnung zuverl¨assig: F¨ur sehr kleine Werte von x gilt folgende N¨aherung: x 1 =1+ √ 2 1−x
(1.52)
86
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Daß die Einschr¨ankung f¨ur sehr kleine Werte“ bei dieser Herleitung keine ” wirkliche Einschr¨ankung bedeutet, sondern tats¨achlich sogar zielf¨uhrend ist, wird bald klar werden. 2 Anwendung von (1.52) auf x = vc2 :
1 v2 1− 2 c
=1+
1 v2 · 2 c2
(1.53)
Die Anwendung von (1.53) auf die Gleichung (1.40) ergibt: 1 1 v2 ·m = 1+ · 2 ·m m = 2 c v2 1− 2 c 1 v2 ⇒ m = m + · 2 · m 2 c 1 mal c2 : ⇒ m · c2 = m · c2 + · m · v 2 2
(1.54)
(1.55) (1.56)
Der Anteil in (1.56) u¨ ber der geschweiften Klammer entspricht der aus der Mechanik bekannten kinetischen Energie. Da nur gleichartige physikalische Gr¨oßen addiert werden k¨onnen, m¨ussen auch die anderen beiden Terme der letzten Gleichung Energieanteile benennen. Dem Anteil mit der Ruhemasse m (m · c2 ) muß demnach eine Art Ruheenergie“ zugeordnet werden, dem ” gr¨oßeren (weil m > m) Anteil (m · c2 ) entspricht dann die Summe aus kinetischer und Ruheenergie. Die Gleichung (1.56) kann man dann auch so formulieren: Gesamtenergie = Ruheenergie +
1 · m · v2 2
(1.57)
Und f¨ur sehr kleine Werte von v 2 /c2 , damit f¨ur sehr kleine Werte von v, gilt diese Beziehung in der Tat. Hier treffen sich die physikalische Realit¨at und die obige Bestimmung f¨ur sehr kleine Werte“ recht harmonisch. ” Einer ruhenden Masse kann daher die Ruheenergie E = m · c2 und einer bewegten Masse die Gesamtenergie E = m · c2 zugeordnet werden.
mit m = Gammafaktor · m
(1.58)
1.12
¨ Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee Quadrat“ ”
87
Dies ist Einsteins ber¨uhmteste Formel geworden; sie hat fast eine Art Kultstatus errungen. Aber nicht alle, die sie in den Mund nehmen, als TShirt-Aufdruck stolz herumtragen etc., wissen um die phantastische Bedeutung von E = m · c2 . Genau darum soll es aber in den folgenden Abs¨atzen gehen: Die Verwandtschaft von Masse und Energie zeigt sich an dieser Formel eindeutig: Multipliziert man eine bekannte Ruhemasse mit c2 , dann erh¨alt man den Energieinhalt dieser Masse. Wegen des riesigen Proportionalit¨atsfaktors c2 (≈ 9 · 1016 m2 /s2 ) stecken selbst in winzigen Massen unvorstellbar große Energiemengen. K¨onnte man z.B. ein Gramm Hausstaub vollst¨andig in Energie umwandeln, dann erg¨aben sich: E = m · c2 = 0, 001 kg · 9 · 1016 m2 /s2 = 9 · 1013 Joule (Wattsekunden) = 25 000 000 kWh Ein Durchschnittshaushalt mit einem Jahresverbrauch von 5 000 kWh k¨onnte damit 5 000 Jahre lang waschen, kochen, sp¨ulen..! Leider lassen sich in der Praxis Ruhemassen aber meist nicht vollst¨andig in Energie umwandeln, sondern allenfalls zu einem kleinen Teil. Daß die Formel E = m · c2 funktioniert“, zeigen jedoch Nuklearexplosionen und ” kontrollierte Kettenreaktionen in Kernkraftwerken eindeutig: Die Spaltprodukte haben weniger Masse als die urspr¨unglich vorhandenen Kerne (Uran, Plutonium), diese verlorene“ Masse (sogenannter Massendefekt) wird in ” Energie umgewandelt. Selbst bei nichtnuklearen chemischen Reaktionen, die mit Energieaufnahme oder -abgabe verbunden sind, bestehen (unmeßbar) winzige Massenunterschiede zwischen Ausgangs- und Endprodukten! So ist etwa ein bei der Verbrennung (unter Energiefreisetzung) entstandenes CO2 -Molek¨ul geringf¨ugig masse¨armer als die Summe der Massen eines C-Atoms und eines O2 -Molek¨uls. Eine vollst¨andige Umwandlung von Ruhemasse in Energie gelingt nur auf der Ebene von Elementarteilchen: Beispielsweise k¨onnen ein Elektron und dessen Antimaterie-Zwilling, das Positron, ganz in Gammastrahlung verwandelt werden. Auch der umgekehrte Vorgang ist schon oft beobachtet worden: Ein energiereiches Gammaquant kann ein Elektron und ein Positron erzeugen“, wobei es selbst verschwindet. ” Aber nicht nur bei den genannten Kernspaltungsreaktionen und der Umwandlung von Gammaquanten in Teilchen zeigt sich immer wieder die ¨ uhrung von Energie Richtigkeit von E = m · c2 . Ein weiterer Fall der Uberf¨ in Masse ist (wahrscheinlich unbemerkt) schon einige Seiten vorher behan-
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
delt worden, n¨amlich in Abschnitt 1.9 (Massenzunahme)34 . Diese Massenzunahme eines mit zunehmender Geschwindigkeit bewegten Objekts kann ¨ als die teilweise Uberf¨ uhrung der zur Beschleunigung aufgewendeten Energie in Masse interpretiert werden. Der andere Teil dieser Energie tr¨agt durch die Geschwindigkeitserh¨ohung zur Steigerung der kinetischen Energie bei. Der Anteil der zur Beschleunigung aufgewendeten Energie, der in Masse umgewandelt wird, h¨angt sehr stark von der Ausgangsgeschwindigkeit des Objekts ab: Bei niedrigen Alltagsgeschwindigkeiten betr¨agt dieser Anteil praktisch null, die gesamte Energie wird zur Geschwindigkeitserh¨ohung aufgewendet. Ganz anders ist es bei Geschwindigkeiten nahe c. Hier wird fast die gesamte Energie in den weiteren Massenzuwachs des Objekts umgewandelt, dessen Geschwindigkeit a¨ ndert sich nur noch minimal. Hautnah erleben k¨onnen dies Teilchenphysiker bei der Arbeit an ihren Beschleunigern. Bei Teilchen, deren Geschwindigkeit nur noch Bruchteile eines Promilles von c entfernt ist, besteht fast eine lineare Beziehung zwischen weiter aufgewendeter Energie E und Masse m eines Teilchens, E = m · c2 ergibt sich hier (n¨aherungsweise) direkt aus dem Experiment! Hinweis: Die Fachleute, die mit dem relativistischen Impuls mit invarianter Masse (siehe Vorbemerkung zu Abschnitt 1.9) arbeiten, k¨onnen die Unm¨oglichkeit, einen K¨orper bis auf c zu beschleunigen, anders erkl¨aren: Wegen der in der N¨ahe von c immer st¨arker zunehmenden Zeitdilatation w¨urde es unendlich lange dauern, einen K¨orper bis zur Grenzgeschwindigkeit zu beschleunigen! Das Ergebnis ist dasselbe: Es w¨urde eine unendlich große Energie zur Beschleunigung bis c erfordern, ob nun wegen zunehmender Masse oder wegen der Notwendigkeit, eine Beschleunigungskraft unendlich lange einwirken zu lassen. Sogar die Zuf¨uhrung thermischer Energie f¨uhrt zu einem Massenzuwachs: Eine heiße W¨armflasche ist (allerdings unmeßbar gering) massereicher als eine kalte. Mit Abgabe der W¨armeenergie wird sie dann wieder masse¨armer! Und die gespannte Feder einer mechanischen Uhr ist massereicher als dieselbe Feder in entspanntem Zustand. Auch Energie in Form statischer Elektrizit¨at, also elektrischer Aufladung, macht sich durch eine Ruhemassenzunahme bemerkbar. Elektrisch geladene Teilchen sind tats¨achlich schwerer als ihre ungeladenen Zwillinge. Beispielsweise sind π + - und π − -Mesonen massereicher als ungeladene π 0 -Mesonen. Oder: Bei Gold werden fast 0,5 % der Masse durch elektrische Felder in den Atomen erzeugt! Als weiteres Beispiel sei die Kernbindungsenergie genannt: Spaltet man z.B. einen Heliumkern in seine Bestandteile auf, dann erfordert dies eine 34
nach der in Abschnitt 1.9 gew¨ahlten Interpretation; siehe jedoch auch 1.18 Anhang zu Kapitel 1
1.12
¨ Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee Quadrat“ ”
89
Energie, die Kernbindungsenergie. Nach der Spaltung taucht diese Energie als Masse wieder auf, denn die Bestandteile sind zusammengerechnet schwerer als der intakte Heliumkern. In der Sonne und den meisten anderen Sternen (sowie bei einer Wasserstoffbombenexplosion) verl¨auft dieser Vorgang in umgekehrter Richtung unter Energieabgabe (siehe unten) und damit Massenverlust (Kernfusion). Bei geeigneter Wahl der Einheiten kann man auch c = 1 setzen, damit auch c2 = 1 . Einsteins Formel lautet dann E = m ; dadurch wird die Energie¨ Masse-Aquivalenz besonders deutlich! Masse und Energie sind zwei Seiten derselben Medaille. Als Einstein in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts diese ber¨uhmteste seiner Formeln entwickelte, waren entsprechende Beobachtungsbefunde von Kernreaktionen noch nicht bekannt. Trotzdem war er von ihrer Richtigkeit u¨ berzeugt, ja er hat sogar mit einer geradezu unfaßbaren Weitsicht vorgeschlagen, seine Formel mit Untersuchungen an Radiumverbindungen zu u¨ berpr¨ufen! Wegen der gem¨aß E = m · c2 m¨oglichen Austauschprozesse zwischen Masse und Energie werden der Massenerhaltungssatz und der Energieerhaltungssatz durch die SRT entthront“ und durch einen neuen gemeinsamen ” Erhaltungssatz ersetzt: In einem abgeschlossenen System ist die Summe aller Ruhemassen·c2 plus die Summe aller Energiebetr¨age (kinetische, Kernbindungs-, W¨arme-, elektrische Energie usw.) konstant. Bezeichnet man die in den Ruhemassen steckende Energie als Ruheenergie, dann wird der neue Erhaltungssatz einfacher: In einem abgeschlossenen System ist die Summe aller Energiebetr¨age konstant! Die bisher unerw¨ahnte, aber aus der Schulphysik bekannte potentielle Energie (Lageenergie) eines K¨orpers tr¨agt nicht eins zu eins zur Masse¨ Energie-Aquivalenz bei. In der Relativit¨atstheorie verliert n¨amlich diese potentielle Energie den selbst¨andigen Status, den sie in der Newtonschen Mechanik innehat. Sie geht vielmehr in der Allgemeinen Relativit¨atstheorie in der Bindungsenergie“ des jeweiligen Gravitationsfeldes auf, vergleich” bar der Bindungsenergie elektrisch geladener Teilchen in einem elektrischen Feld oder der Bindungsenergie von Kernteilchen im Feld der starken Kernkraft eines Atomkerns. Entfernt man zun¨achst durch ein solches Feld gebundene Teilchen unter Aufwendung einer Arbeit E voneinander, dann steigt die Gesamtmasse der Einzelteilchen um m = E/c2 an35 . Dieser Massenzu35
Oder umgekehrt gesagt: Ein Stern ist masse¨armer als die Summe der Massen der Einzelbestandteile. Ein sehr kompakter Himmelsk¨orper kann bis u¨ ber 10 % leichter sein als die Summe der Massen der Einzelteilchen. Bei seiner Entstehung wird dieser Massendefekt“ als Energie frei. ”
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
wachs verteilt sich aber proportional auf alle beteiligten Teilchen, kommt also nicht nur einem angehobenen“ Testteilchen zugute. Deshalb ist das ” Konzept einer potentiellen Energie hier nicht brauchbar. Wichtig: Unter all den vorhin erw¨ahnten Wechselspielchen“ zwischen ” Energie und Masse hat die Massenzunahme durch Beschleunigung eines K¨orpers eine zweifelhafte Sonderstellung: Sie ist Geschmackssache“, wie ” in den einleitenden S¨atzen zu Abschnitt 1.9 und im Anhang zu Kapitel 1 nachzulesen ist. Dagegen kommt es bei allen anderen der oben erw¨ahnten Prozesse zu einer tats¨achlichen Ruhemassen¨anderung. Die damit a¨ quivalenten Energie¨anderungen betreffen in der einfachen Form (E = m · c2 ) aber nur die Ruheenergie. Treten zus¨atzlich bewegte Massen auf, wird die Sache komplizierter (siehe Anhang zu Kapitel 1).
Zusatz – Relativistische Darstellung der kinetischen Energie36 Die aus dem Physikunterricht bekannte Formel f¨ur die kinetische Energie m 2 E kin = ·v 2 muß bei hohen Geschwindigkeiten modifiziert werden, da sich die Masse als variabel bzw. die Geschwindigkeit als limitiert erwiesen haben (siehe Abschnitt 1.9 Massenzunahme). Die Einsteinsche Formel E = m · c2 ist der entscheidende Schl¨ussel f¨ur eine allgemeing¨ultige Darstellung der kinetischen Energie: Gesamtenergie oder: E
= Ruheenergie = E0
+ kinetische Energie (1.59) + E kin
(Der Index 0 steht f¨ur Ruheenergie oder Ruhemasse.) Anwendung von E = m · c2 : m · c2 = m 0 · c2 + E kin ⇒ E kin = m · c2 − m 0 · c2
(1.60)
Anwendung von (1.40): E kin = Gammafaktor · m 0 · c2 − m 0 · c2
(1.61)
E kin = (Gammafaktor − 1) · m 0 · c ⎛ ⎞ 1 − 1⎠ · m 0 · c2 oder E kin = ⎝ 2 1 − (v/c) ⇒
36
Bewegungsenergie
2
(1.62) (1.63)
1.12
¨ Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee Quadrat“ ”
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Dies ist nun die neue, f¨ur alle Geschwindigkeiten unterhalb von c g¨ultige Formel f¨ur die kinetische Energie. Sie f¨uhrt bei hohen Geschwindigkeiten zu einem wesentlich st¨arkeren Anstieg von E kin als die konventionelle Formel. Zahlenbeispiel: Ein einzelnes hochenergetisches Proton der kosmischen Strahlung (m 0 = 1, 67·10−27 kg, Gamma-Faktor ≈ 1011 ) hat eine kinetische Energie von ungef¨ahr 15 J. Die konventionelle Formel 12 m · v 2 erg¨abe nur 7, 5 · 10−11 J. Extremf¨alle: • F¨ur Werte von v c n¨ahert sich der Wert von (1.63) immer mehr dem der konventionellen Formel an. v = 0 ergibt nat¨urlich auch E kin = 0. • F¨ur Werte von v nahe c steigt der Gamma-Faktor und damit auch E kin gegen unendlich, c selbst ist aber f¨ur massive K¨orper nicht erreichbar (siehe Abschnitt 1.9).
¨ ¨ die Astronomie Bedeutung der Aquivalenz von Masse und Energie fur In der Astronomie hat die Formel E = m · c2 die Schl¨usselstellung schlechthin. Nur durch sie wird klar, woher die Sterne einschließlich unserer Sonne die ungeheure Energie gewinnen, die sie in der Regel u¨ ber Milliarden von Jahren in Form von Licht, W¨armestrahlung, ultraviolettem Licht und Teilchenwinden in ihre Umgebung abgeben. Im Inneren der Sterne werden bei hohem Druck und hoher Temperatur vor allem aus Protonen (=Wasserstoffkerne) in Zwischenschritten Heliumkerne durch Fusion hergestellt. Dabei wiegt jeder Heliumkern geringf¨ugig weniger als die Bausteine, aus denen er zusammengesetzt wurde. Diese minimale Massendifferenz ( Massendefekt“) wird gem¨aß der Einsteinschen Formel in ” Energie umgewandelt und stellt damit den Brennstoff“ des Sonnenofens ” dar. Bei der Sonne und massereicheren Sternen macht der Prozeß aber beim Helium nicht halt37 . Es entstehen vielmehr in einem sp¨aten Sternstadium (Rote-Riesen-Stadium) durch weitere Fusionsprozesse zunehmend gr¨oßere Atomkerne, wobei wieder die Endprodukte jeweils geringf¨ugig leichter sind als deren Bausteine, was f¨ur den Stern nach E = m · c2 einen stetigen Energienachschub bedeutet. Auf diesem Wege entstanden und entstehen in Sternen auch diejenigen Elemente, aus denen der menschliche K¨orper neben dem Wasserstoff zusammengesetzt ist, wie z.B. Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Diese Fusionskette kann sich bis zu Eisenkernen fortsetzen.
37
Die Sonne bleibt aber noch einige Milliarden Jahre im Stadium des Wasserstoffbrennens.
92
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Ab dem Eisen wendet sich das Blatt: Bei denkbaren Fusionen zu noch schwereren Atomkernen w¨urden die Endprodukte mehr wiegen als die dazugeh¨origen Bauteile. Dieses Mehr an Masse entspricht nach der Einsteinschen Formel einer entsprechend hohen Energie, die nun aber in den Prozeß hineingesteckt werden m¨ußte. Die hierf¨ur n¨otige Energie steht auch in den gr¨oßten Sternen zun¨achst nicht zur Verf¨ugung. Eisen hat also eine Sonderstellung als Endstation des Kernbrennens“ in den Sternen. Der Grund f¨ur ” diese Sonderstellung des Eisens ist kernphysikalischer Art: Der Kern von Eisen 56 hat eine so ideale zahlenm¨aßige und strukturelle Zusammensetzung aus 26 Protonen und 30 Neutronen (insgesamt 56 Kernteilchen), daß er sehr resistent ist sowohl gegen Kernspaltung als auch gegen eine Fusion mit weiteren Kernteilchen. Aus Atomkernen, die masse¨armer sind als Eisen 56, l¨aßt sich in der Regel durch Kernfusion Energie gewinnen, aus massereicheren dagegen mittels Kernspaltung. Eisen 56 selbst eignet sich nicht f¨ur die Energiegewinnung. Die Schl¨usselstellung als Endprodukt des Kernbrennens erkl¨art auch die relative H¨aufigkeit des Eisens im Weltall38 ; man denke nur daran, daß f¨ur fast alle Planeten massive Eisenkerne angenommen werden, auch viele Meteorite bestehen zu großen Teilen aus Eisen. Sogar in den Außenbereichen von Neutronensternen werden gr¨oßere Eisenmassen bzw. -krusten vermutet. Wenn sehr massereiche Sterne ihr Leben in einer Supernova (Typ Ib, Ic oder II) beenden, dann stehen f¨ur kurze Zeit die hohen Energiemengen zur Verf¨ugung, die zur Fusion von Elementen jenseits des Eisens ben¨otigt werden. Bei einem solchen Ereignis kollidieren die herabst¨urzenden mittleren Schichten eines Sterns mit extremer Wucht mit dem schon vorher kollabierten und dadurch enorm harten Kern. Die Folge ist eine nach außen laufende energiereiche Schockwelle. Erst ab diesem Moment k¨onnen Elemente wie Silber, Gold und Uran entstehen. Vom harten Kern des sterbenden Sterns werden die herabst¨urzenden Massen zur¨uckgeworfen wie ein Querschl¨ager von einer Stahlt¨ur, dadurch bekommen sie einen Schwung“ weg vom Kern. ” Diese, vor allem durch Freisetzung extrem zahlreicher (ca. 1057 !) Neutrinos39 verst¨arkte Ausw¨artsbewegung tritt als die eigentliche Supernovaexplosion nach außen in Erscheinung. Die neugebildeten schweren Atomkerne werden mit dieser Explosion nach außen getragen und werden Teil des inter38
Gr¨oßere Eisenmengen (und auch schwerere Elemente) entstehen aber auch bei der Explosion eines Weißen Zwerges, der durch Massenzuwachs sein zul¨assiges ” Gesamtgewicht“ von 1,4 Sonnenmassen (= Chandrasekharsche Grenzmasse) u¨ berschreitet: Supernova Typ Ia. 39 Deren Energie stammt letztlich aus der freiwerdenden Bindungsenergie des entstehenden Neutronensterns.
1.12
¨ Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee Quadrat“ ”
93
stellaren Mediums40 , das dann als Baumaterial f¨ur die n¨achste Sterngeneration zur Verf¨ugung steht. So stammt auch der Goldschmuck, den der eine oder andere Leser tragen wird, von einer oder mehreren Supernovaexplosionen − ein, wie die Autoren immer wieder finden, faszinierender Aspekt, auch wenn schon lange bekannt ist, daß die Sonne ein Stern der zweiten oder eventuell der dritten Generation sein muß (von selbst entstanden nach dem Urknall nur Wasserstoff und Helium sowie ein winziger Anteil Lithium und Beryllium). Auch Uran wurde (und wird) bei Supernovae gebildet. Wenn wir es heute in unseren Kernkraftwerken unter Energiegewinn wieder in kleinere (und zusammengerechnet auch leichtere) Bausteine zerlegen, dann setzen wir damit genaugenommen eine bei fr¨uheren Sternkatastrophen gespeicherte Energie wieder frei. Diese Energiequelle ist somit noch a¨ lter als die fos” silen“ Brennstoffe (Kohle, Erd¨ol, Erdgas), die ja erst im Laufe der Erdgeschichte entstanden sind!
Anhang – Beziehung zwischen Energie und relativistischem Impuls Die bisherigen Erkenntnisse erlauben es nun, eine interessante Beziehung zwischen Energie und relativistischem Impuls herzustellen (siehe dazu auch 1.18 Anhang zu Kapitel 1): (1.40) multipliziert mit c2 : m · c2 =
m 0 · c2 1 − v 2 /c2
(Auch hier steht der Index 0 f¨ur Ruhemasse bzw. Ruheenergie.) Quadrieren ergibt: m 2 · c4 = ⇒ ⇒
m 02 · c4 1 − v 2 /c2
m 2 · c4 · (1 − v 2 /c2 ) = m 02 · c4 2 4 2 2 2 2 m · c4 · c − m · v · c = m 0
E2 p2 E 02
(1.64)
( p = Impuls, hier p = m 0 · v · Gammafaktor) Also : 40
E 2 − p 2 · c2 = E 02
(vergl. auch Abschnitt 1.18)
fein verteilte Gas- und Staubpartikel im Raum zwischen den Sternen
(1.65)
94
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Was bedeutet das nun? Zun¨achst zu E 0 : Das ist die Ruheenergie, die sich ¨ aus der Ruhemasse ergibt. Uber diese Ruheenergie sind sich nat¨urlich alle Beobachter einig, die einen K¨orper gleicher Masse mit sich f¨uhren. Wegen dieser Einigkeit“ u¨ ber E 0 , damit auch u¨ ber E 02 , muß auch Einigkeit u¨ ber die ” Differenz E 2 − p 2 · c2 bestehen, da diese mit einem Gleichheitszeichen mit E 02 verbunden ist! V¨ollig unabh¨angig vom Inertialsystem kann aus einer der beiden Gr¨oßen E und p die jeweils andere berechnet werden, obwohl jeder Beobachter verschiedene Werte f¨ur Energie E und Impuls p eines K¨orpers ermitteln wird. Man sagt: Die Differenz E 2 − p 2 · c2 ist invariant gegen eine Transformation von einem Inertialsystem in ein anderes. In Abschnitt 1.11 waren ebenfalls invariante Gr¨oßen hergeleitet worden, die Raum-Zeit-Abst¨ande. F¨ur Licht selbst ergibt sich aus (1.65): E 2 − p 2 · c2 = m 20 · c4 mit m 0 = 0 (= Ruhemasse der Photonen): (E/c)2 − p 2 = 0 ⇒
p = E/c !
(1.66)
Photonen haben also einen Impuls p und k¨onnen somit einen Strahlungs” druck“ auf andere Teilchen aus¨uben. Der Impuls der Photonen ist direkt proportional zur Energie E der Photonen und damit zur Frequenz (da E = Frequenz · h) des Lichts. Der Strahlungsdruck der Photonen der Sonne und anderer Sterne, den sie aufgrund ihres Impulses E/c aus¨uben k¨onnen, hat eine ganze Reihe von interessanten Wirkungen: • Poynting-Robertson-Effekt (siehe Abschnitt u¨ ber die Lichtaberration). • Jarkowski-Effekt (anglo-amer.: Yarkovsky): Der klingt zun¨achst wie ein M¨archen aus 1001 Nacht, ist aber doch wahr: Ein Asteroid (Kleinplanet) kann ihn als nat¨urlichen Antrieb“ benutzen und dadurch eine h¨ohere ” Bahn erreichen! Das geht so: Rotiert ein Asteroid in derselben Richtung um seine Achse, in der er die Sonne umkreist (orthograde Rotation), ger¨at die kurz vorher von der Sonne beschienene und damit erhitzte Seite stets nach hin” ten“. Dort strahlt sie die empfangene W¨armeenergie in Form von W¨armestrahlung wieder ab; der Strahlungsdruck dieser Photonen u¨ bt (wegen actio = reactio) einen Schub auf den Asteroiden aus. Letzterer steigt hierdurch auf eine h¨ohere Bahn! Rotiert der Asteroid dagegen in umgekehrter Richtung (retrograd), wird ihm durch den gleichen Effekt Energie entzogen, er spiralt auf die Sonne
1.12
•
•
•
•
¨ Aquivalenz von Masse und Energie – E gleich em cee Quadrat“ ”
95
zu. Wirksam ist der Jarkowski-Effekt vor allem bei Asteroiden mit etwa 1 bis 10 Meter Durchmesser. Das eigentliche Geheimnis des JarkowskiEffekts ist aber, daß die Zeit f¨ur ihn arbeitet: Selbst dieser winzige Schub kann Asteroidenbahnen erheblich ver¨andern − wenn er u¨ ber viele Millio¨ nen von Jahren wirkt. Eine Anderung der Bahnh¨ohe eines Asteroiden um 0,1 AE (15 Mio. km) dauert etwa 10 bis 100 Millionen Jahre! Erzeugung des Staubschweifes bei Kometen: Die durch andere Prozesse aus dem Kometeninneren freigesetzten Staubteilchen werden von den Sonnenphotonen weit vom Kometenkern weggeschubst: Der gelbliche Staubschweif entsteht. ¨ Massenverlust bei Sternen: Vor allem bei Roten (Uber-)Riesen spielt der Strahlungsdruck der eigenen Photonen eine entscheidende Rolle bei der Ausd¨unnung“ der Sternatmosph¨aren. Aber auch heiße Sterne entledigen ” sich so ihrer a¨ ußeren H¨ullen. Der Strahlungsdruck energiereicher Photonen heißer junger Sterne ist auch an der Modellierung“ vieler galaktischer Nebelkomplexe beteiligt ” (z.B. Pferdekopfnebel, Adlernebel), deren bizarre Formen uns auf Bildern immer wieder begeistern. Mitwirkung am Abdriften geostation¨arer Satelliten von ihrer Sollposition.
Photonen eignen sich sogar dazu, Raumsonden anzutreiben: Zum einen gibt ¨ es Uberlegungen, Sonden mit großen Segeln“ mit Hilfe des Impulses der ” Sonnenphotonen in die Außenbereiche des Sonnensystems zu bef¨ordern. Bei einer Oberfl¨achenverspiegelung mit 100% Reflexionsverm¨ogen w¨urde sich der Impuls auf das Segel verdoppeln. Zum anderen wird schon lange u¨ ber Photonentriebwerke diskutiert, die statt heißer Gase Strahlungsquanten ausstoßen w¨urden und nach dem Prinzip actio = reactio (3. Newtonsches Gesetz) Raumfahrzeuge bei hinreichend langer Brenndauer“ auf sehr hohe Endge” schwindigkeiten bringen k¨onnten.
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Nicht verwechselt werden darf dieser Strahlungsdruck mit den Effekten des Sonnenwindes, der aus Partikeln mit Ruhemassen gr¨oßer als null besteht, vor allem aus Protonen und Elektronen. Diese Partikel erzeugen die zweite Art von Kometenschweifen, den bl¨aulichen Gas- oder Ionenschweif. Da der Lichtimpuls schon vor Erarbeitung der SRT bekannt war, h¨atte man bereits vor 1905 mit einem einfachen Gedankenexperiment die Energie¨ Masse-Aquivalenz finden k¨onnen: Wir denken uns einen geschlossenen langen Laderaum eines Raumschiffs, das weitab von Himmelsk¨orpern parkt. Eine Lampe an der Vorderwand des Laderaums gibt einen kr¨aftigen Lichtblitz in Richtung R¨uckwand ab. Diese Lichtabstrahlung nach hinten gibt dem Raumschiff einen Impuls nach vorn (actio = reactio); es ger¨at in Bewegung! Trifft der Lichtblitz auf die R¨uckwand (und wird dort absorbiert), erh¨alt das Raumschiff einen gleich großen Impuls nach hinten, kommt also gleich wieder zum Stehen. Betrachten wir nun das Experiment unter dem Aspekt des Prinzips der Erhaltung des Schwerpunktes geschlossener Systeme: W¨ahrend der Bewegung des Raumschiffs nach vorn kann der Systemschwerpunkt nur dann station¨ar geblieben sein, wenn man der Energie des nach hinten fliegenden“ Lichtblitzes auch ” eine (tr¨age) Masse zuschreibt!
¨ 1.13 Die Lorentz-Transformation – Ein nutzlicher Dolmetscher Ein Inertialbeobachter B kann sich ein mit ihm fest verbundenes dreidimensionales kartesisches Koordinatensystem (Bezugssystem) S einrichten. Einem bestimmten Ereignis E kann er dann die Ortskoordinaten x, y, z und die Zeitkoordinate t zuordnen. Ein vorbeifliegender Inertialbeobachter B , der ebenfalls ein mit ihm fest verbundenes Bezugssystem (S ) besitzt, registriert nun dasselbe Ereignis E und ordnet ihm die Ortskoordinaten x , y , z und die Zeitkoordinate t zu. Wie lassen sich nun x , y , z und t durch x, y, z und t ausdr¨ucken? Die Beantwortung dieser Art von Fragen erlauben die Lorentz-Transformationen, die wir in diesem Abschnitt herleiten werden. Außerdem k¨onnen mit Hilfe dieser Formeln viele Beziehungen der SRT rasch abgeleitet werden. Gedankenexperiment: Zwei sich u¨ berlappende Bezugssysteme (Inertialsysteme) S und S sollen entlang ihrer x-Achsen zueinander in Bewegung sein. Dabei sollen x- und x -Achse auf derselben Geraden verlaufen; der ¨ Ubersichtlichkeit halber sind hier aber S und S untereinander gezeichnet. Das Bezugssystem S soll ruhen. Uhren, die man sich entlang der x-Achse verteilt denken kann, seien alle synchronisiert und zu Beginn des Versuchs auf null gestellt.
1.13
Die Lorentz-Transformation – Ein n¨utzlicher Dolmetscher
97
Das Bezugssystem S bewege sich mit v nach rechts. Eine Uhr beim Nullpunkt soll in dem Moment null anzeigen, in dem die Nullpunkte der Koordinatensysteme auf gleicher H¨ohe sind (= Startzeit des Versuchs). Weitere auf der x -Achse verteilte Uhren sollen f¨ur einen mitbewegten Beobachter mit der Uhr im Nullpunkt synchron laufen.
Die Situation zum Zeitpunkt null: Die bewegte x -Achse ist zwar gem¨aß der Formel f¨ur die Raumkontraktion aus Sicht des ruhenden Systems S verk¨urzt um 1/Gammafaktor (in der obigen Abbildung um 50%), die dort auf H¨ohe eines bestimmten Wertes x der unbewegten x-Achse abgelesenen Skalenwerte weisen aber um den GammaFaktor h¨ohere Zahlenwerte auf. In der Abbildung wird z.B. aus x = 3 der ruhenden Achse der verdoppelte Wert x = 6 auf der bewegten Achse. Dem Wert x der ruhenden x-Achse entspricht allgemein gesagt der Wert x der bewegten Achse: x (1.67) x = 1 − v 2 /c2 Eine gedachte Uhr an diesem Ort x der bewegten x -Achse geht f¨ur einen Beobachter im ruhenden System gegen¨uber der Uhr beim Nullpunkt wegen der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit (siehe Abschnitt 1.6) nach, und zwar um x · v/c2 .
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Setzt man (1.67) ein, dann ergibt sich: −x · v/c2 Uhrenstand bei x = (aus Sicht des ruhenden Systems) 1 − v 2 /c2
(1.68)
Das Minuszeichen im Z¨ahler soll andeuten, daß die Uhr bei x gegen¨uber der Uhr am Nullpunkt (die null anzeigt) nachgeht“ (jeweils aus dem Blickwin” kel eines Beobachters des unbewegten Bezugssystems S). Bisher wurden nur die Verh¨altnisse im Moment der Deckungsgleichheit der Nullpunkte der Koordinatensysteme untersucht. Nun soll auch die Koordinaten-Transformation noch f¨ur einen sp¨ateren Zeitpunkt t vorgenommen werden: Ein Punkt x des bewegten Systems S , der zur Zeit t (des ruhenden Systems) auf H¨ohe des Punktes x des ruhenden Systems S ist, war zur Zeit null auf H¨ohe des Punktes (x − v · t) des ruhenden Systems (siehe Abbildung unten). Nach (1.67) entspricht dies im bewegten System dem Punkt x : x −v·t x = 1 − v 2 /c2
(1.69)
Zur Erl¨auterung der letzten Zeilen hier die Situation zur Zeit t:
Eine Uhr im bewegten System, die zur Zeit t des ruhenden Systems auf H¨ohe des Ortes x des ruhenden Systems ist, war zur Zeit null ebenfalls auf
1.13
Die Lorentz-Transformation – Ein n¨utzlicher Dolmetscher
99
H¨ohe des Punktes (x − v · t), also auch an der durch (1.69) beschriebenen Stelle der x -Achse. Zur Zeit null zeigte sie also nach (1.28) den Wert −(x − v · t) · v/c2 1 − v 2 /c2
an.
Da seit dem Zeitpunkt null die Zeit t des ruhenden Systems vergangen ist und die Uhr sich mit v bewegt, zeigt sie wegen der Zeitdilatation um t · 1 − v 2 /c2 mehr an als zur Zeit null; die Anzeige der besagten Uhr in S lautet zur Zeit t des ruhenden Systems S demnach: t =
−(x − v · t) · v/c2 + t· 1 − v 2 /c2
1 − v 2 /c2
Eine Umformung ergibt: v·x t− 2 c t = 1 − v 2 /c2
(1.70)
Ein Ereignis, das in einem ruhenden System S bei x und t geschieht, ereignet sich also in einem bewegten System S bei x −v·t x = 1 − v 2 /c2
(siehe (1.69)) und
v·x t− 2 c t = . 1 − v 2 /c2
Ein vollst¨andiges Koordinatensystem hat aber nicht nur eine Raumkoordinate (x), sondern zwei weitere (y, z). Eine Erweiterung ist daher noch n¨otig.
Erweiterung auf drei Raumdimensionen: Die Einf¨ugung der zwei mittleren Gleichungen von (1.71) ist zul¨assig, da • jedes Koordinatensystem durch eine konventionelle Transformation so ausgerichtet werden kann, daß nur eine Relativbewegung entlang der xAchsen u¨ brig bleibt“, ” • Strecken parallel zu y und z dann quer zur Bewegungsrichtung (x) verlaufen und somit nicht der Raumkontraktion unterliegen (siehe Abschnitt 1.2),
100
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
• sich die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit auch nur parallel zur Bewegungsrichtung bemerkbar macht (siehe Abschnitt 1.6). Gleichzeitige Ereignisse parallel zu y und z bleiben gleichzeitig; somit sind auch keine zeitlichen Komplikationen zu erwarten. x −v·t x = 1 − v 2 /c2 y = y z = z
(1.71)
v·x t− 2 c t = 1 − v 2 /c2
Diese vier Gleichungen ( spezielle Lorentz-Transformation(en)“) wurden ” schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts von dem niederl¨andischen Physiker H. Lorentz41 und auch von dem Deutschen W. Voigt (1887) verwendet. Ihre volle Bedeutung erkannte aber erst Einstein. ¨ Im Rahmen der SRT erlauben sie einen bequemen Ubergang von einem Inertialsystem in ein anderes, wenn zwischen beiden die Geschwindigkeitsdifferenz v besteht.
Umkehrung der Lorentz-Transformation Sind die Ereigniskoordinaten des bewegten Systems bekannt und will man sie in Koordinaten des eigenen Systems umrechnen, dann m¨ussen die Lorentz-Formeln in inverser (= umgekehrter) Form verwendet werden. Wegen der vom Relativit¨atsprinzip geforderten Symmetrie erh¨alt man diese einfach durch Ver¨anderung des Vorzeichens von v (denn der Orts-Nullpunkt von S bewegt sich aus Sicht von S entlang der negativen Richtung der x Achse!) und Vertauschung der gestrichenen und ungestrichenen Gr¨oßen: x + v · t x= 1 − v 2 /c2 y = y z = z v · x t + 2 c t= 1 − v 2 /c2 41
in exakt dieser Form allerdings erst 1904
(1.72)
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Die Lorentz-Transformation – Ein n¨utzlicher Dolmetscher
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Eselsbr¨ucke zum Vorzeichen im Z¨ahler: Strich links ( ) → Strich rechts (−)! Zahlenbeispiel f¨ur die Anwendung der Lorentz-Transformationen: Zwei Bezugssysteme S und S bewegen sich relativ zueinander mit Geschwindigkeit v = 0, 6 c wie in obiger Herleitung entlang ihrer x-/x -Achsen, wobei im gemeinsamen Zeitnullpunkt t = t = 0 auch die Orts-Nullpunkte in Deckung waren: x = x = 0 (= Ereignis E 0 ). Wann und wo geschieht ein Ereignis E 1 in S , das in S zur Zeit t und am Ort x y z
= 5 Jahre = + 2 Lichtjahre, = + 3 Lichtjahre, = + 4 Lichtjahre geschieht?
Hinweis: 1 Lichtjahr (Lj) = 1 Jahr · c 0, 6 c · 2 Jahre · c 5 Jahre − 3, 8 Jahre c2 = = 4, 75 Jahre t = 1 − 0, 62 1 − (0, 6 c)2 /c2 x =
2 Jahre · c − 0, 6 c · 5 Jahre −1 Jahr · c = = −1, 25 Lichtjahre 2 2 2 1 − 0, 6 1 − (0, 6 c) /c
Im System S geschieht E 1 somit zur Zeit t und am Ort x y z
= 4, 75 Jahre = − 1, 25 Lichtjahre, = + 3 Lichtjahre, = + 4 Lichtjahre.
Die x -Koordinate ist negativ, da sich bei der hohen Relativgeschwindigkeit der Orts-Nullpunkt von S in der Zeit seit t = t = 0 schon am Ort x = 2 Lichtjahre vorbeibewegt hat. Eine kleine Kontrolle auf Rechenfehler kann durch die Berechnung der Raum-Zeit-Intervalle zwischen E 0 und E 1 in S und S erfolgen: x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2 sollte gleich x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2 sein.
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Dieses Quadrat des Raum-Zeit-Abstandes ist hier in der Tat jeweils 4 (Lichtjahre)2 , der Raum-Zeit-Abstand selbst 2 Lichtjahre. Das Intervall ist u¨ brigens raumartig (da das Quadrat des Raum-Zeit-Abstandes positiv ist). Andere B¨ucher u¨ ber die SRT enthalten oft komplexere Textaufgaben zur Anwendung der Lorentz-Transformationen; im Gegensatz dazu soll es hier bei der einfachen Aufgabenstellung des obigen Zahlenbeispiels bleiben. Denn die komplexeren Aufgaben lehren den Leser meist keine neuen Prinzipien, frustrieren aber oft den Einsteiger (und das w¨are das Allerletzte, was die Autoren beabsichtigten). F¨ur neugierige Leser folgen nun aber einige Hinweise, wie man auch solche Aufgaben angehen kann: 1. Da mit den Lorentz-Transformationen prim¨ar Ereigniskoordinaten transformiert werden, empfiehlt es sich, den Aufgabentext erst nach Ereignissen abzusuchen. Man kann sie mit E 0 , E 1 usw. benennen. 2. Dann sollten relativ zueinander bewegte Bezugssysteme festgelegt werden, je nach Fragestellung zwei oder mehr. Mit einer geschickten Festlegung dieser Bezugssysteme l¨aßt sich im weiteren Verlauf viel Rechenarbeit einsparen: a) Eines der Ereignisse sollte im gemeinsamen Nullpunkt (x = x = 0 = t = t ) der festzulegenden Bezugssysteme liegen; b) die x- und die x -Achsen sollten nat¨urlich auf derselben Linie verlaufen; c) die Richtung der x- und x -Achsen sollte so gew¨ahlt werden, daß sie durch den Ort eines weiteren Ereignisses (neben dem Nullpunktsereignis) verlaufen; d) die Relativgeschwindigkeit zwischen den Bezugssystemen ist meist durch die Aufgabenstellung vorgegeben, sie kann aber bei bekannten Ereigniskoordinaten auch Gegenstand der Berechnung sein. 3. Nach der Wahl der Bezugssysteme kann man zur Verdeutlichung die (schon gegebenen) Ereigniskoordinaten (Orte und Zeitpunkte) aufschreiben, getrennt nach Bezugssystemen. 4. Entwurf der Strategie: a) Welche Form der Lorentz-Transformationen kann eingesetzt werden, die direkte oder die inverse? b) Wie k¨onnen noch fehlende Ereigniskoordinaten bestimmt werden? Beispielsweise mittels: • Geschwindigkeit = Weg / Zeit (darf nur in jeweils demselben Inertialsystem angewandt werden!), • Eigenzeit = Raum-Zeit-Abstand oder • Eigenl¨ange = Raum-Zeit-Abstand,
1.13
Die Lorentz-Transformation – Ein n¨utzlicher Dolmetscher
103
¨ • Ubernahme der (gleichbleibenden) Raumkoordinaten quer zur Bewegungsrichtung (y, z). c) Sind noch andere Zwischenschritte mit bekannten Formeln (z.B. Additionstheorem) n¨otig? 5. Zu den Einheiten: Prinzipiell k¨onnen beliebige Einheiten eingesetzt werden, sofern man sie schließlich richtig ineinander umrechnet. Aber auch hier l¨aßt sich Rechenarbeit einsparen: W¨ahlt man (wie in obigem Zahlenbeispiel) Jahre und Lichtjahre (oder Sekunden und Lichtsekunden etc.), dann k¨urzt sich c in den Lorentz-Transformationen (und bei anderen Formeln) heraus; eine praktische Sache! ¨ Aquivalent hierzu kann man auch die Zeit in Metern messen: 1 Zeit” meter“ ist die Zeitspanne, die ein Lichtstrahl f¨ur die Strecke 1 m ben¨otigt, also: Weg 1 Zeitmeter“ = ” Geschwindigkeit 1m = = 1/299 792 458 s 299 792 458 m/s Verwendet man diesen Zeitmeter und Meter, dann wird c = 1 . Die Lorentz-Transformationen bekommen dann die sch¨one symmetrische Form: x = Gammafaktor · (x − v · t) t = Gammafaktor · (t − v · x)! Raum- und Zeitkoordinaten sind hier gleichwertig! Die Lichtgeschwindigkeit f¨allt so in allen Formeln von vorneherein weg. Dies ist ein in der Fachliteratur meist beschrittener Weg, f¨ur den Einsteiger ist er aber nicht ohne T¨ucken, deshalb wird in diesem Buch c in jeder Formel explizit notiert. ¨ 6. Einen guten Uberblick u¨ ber Problemstellung und zu erwartende L¨osung gibt oft die zeichnerische Darstellung in Form eines sogenannten RaumZeit-Diagramms. Diese Darstellungsweise wird in Abschnitt 1.17 aufgezeigt. 7. Ein wichtiger Hinweis zum Schluß: Bei der Geschwindigkeit v sollte man immer auf das richtige Vorzeichen achten: positiv bei Bewegung entlang der positiven x- (oder y- oder z-) Richtung, negativ in Gegenrichtung. Mit diesen Tips gelingt vielleicht auch das L¨osen von Textaufgaben in anderen B¨uchern zu diesem Thema. Wer dies dennoch nicht gleich schafft, dem sei zum Trost gesagt, daß solche Denksport¨ubungen f¨ur das Verst¨andnis der
104
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
¨ SRT keineswegs entscheidend sind! Uberhaupt ist der didaktische Wert der Lorentz-Transformationen umstritten, sie sind aber auf jeden Fall ein n¨utzlicher Umrechnungsapparat“ (zwischen inertial bewegten Bezugssystemen), ” in den die entscheidenden SRT-Ph¨anomene (Zeitdilatation, Raumkontraktion, Relativit¨at der Gleichzeitigkeit) schon serienm¨aßig eingebaut“ sind! ” Die Lorentz-Transformationen k¨onnen aber nicht nur f¨ur die Umrechnung von Orts- und Zeitkoordinaten von einem Bezugssystem in ein anderes verwendet werden. Auch reine Abstandsintervalle x, y, z und Zeitintervalle t k¨onnen damit transformiert werden, ohne daß die zugeh¨origen Koordinaten selbst bekannt sein m¨ußten! Die Orts- und Zeitintervalle werden hierzu einfach jeweils an jenen Stellen in die LorentzTransformationen eingesetzt, an denen sonst die Orts- und Zeitkoordinaten stehen: x − v · t x = 1 − v 2 /c2 v · x t − c2 t = 1 − v 2 /c2
y = y
z = z
(1.73)
Analog k¨onnen auch die inversen Lorentz-Transformationen auf Intervalle von Raum und Zeit angewendet werden. Hinweis: Gleichung (1.69) ist nichts anderes als die durch den GammaFaktor korrigierte spezielle Galilei-Transformation x = x − v · t, die den ¨ Ubergang von einem Bezugssystem zu einem relativ dazu (langsam) bewegten zweiten System beschreibt. Bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten gehen also die Lorentz-Transformationen in die Galilei-Transformation u¨ ber, einschließlich t = t. W¨ahrend bei der Galilei-Transformation die Zeitkoordinate ortsunabh¨angig ist, werden in der Lorentz-Transformation Raumund Zeit-Koordinaten ineinander verwoben (siehe Gleichung (1.70) f¨ur t , welche die Ortskoordinate x enth¨alt). Auch dies ist ein Anzeichen f¨ur die Unaufl¨oslichkeit des Raum-Zeit-Gewebes“ oder Raum-Zeit-Kontinuums. ”
Aus den Transformationen lassen sich viele Formeln der SRT wiedergewinnen“: ” Unter Ausnutzung der Lorentz-Transformationen kann z.B. die Gleichung (1.49) f¨ur die Quadrate der Raum-Zeit-Abst¨ande allgemeing¨ultig hergeleitet werden: Die Differenz x −c·t kann mit Hilfe der Lorentz-Transformationen wie folgt ausgedr¨uckt werden:
1.13
Die Lorentz-Transformation – Ein n¨utzlicher Dolmetscher
x − c · t = = = x − c · t =
x −v·t 1 − v 2 /c2 1 1 − v 2 /c2 1 1 − v 2 /c2 1 + v/c 1 − v 2 /c2
c · t − v ·2x c − 2 1 − v /c2
105
· (x − v · t − c · t + v · x/c) · [x · (1 + v/c) − c · t · (1 + v/c)] · (x − c · t)
(1.74)
Analog kann die Summe x + c · t umgeformt werden zu 1 − v/c · (x + c · t) . x + c · t = 1 − v 2 /c2
(1.75)
Multipliziert man nun die Gleichungen (1.74) und (1.75), dann ergibt sich: 1 + v/c 1 − v/c · (x − c · t) · · (x + c · t) (x − c · t ) · (x + c · t ) = 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 (1 + v/c) · (1 − v/c) (x − c · t ) · (x + c · t ) = (x − c · t) · (x + c · t) · 1 − v 2 /c2 (x − c · t ) · (x + c · t ) = (x − c · t) · (x + c · t) oder x 2 − (c · t )2 = x 2 − (c · t)2
(vergleiche (1.49))
Das sind wieder die f¨ur Beobachter in allen Inertialsystemen invarianten Quadrate der Raum-Zeit-Abst¨ande. Als Beispiel einer Anwendung der inversen Lorentz-Transformation folgt hier die Herleitung von (1.34):
106
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Im System S von B hat ein Teilchen die Geschwindigkeit u, die sich in die Komponenten u x und u y aufspalten l¨aßt. Welche Geschwindigkeitskomponenten wx und w y sieht nun Beobachter A, wenn zwischen A und B die Relativgeschwindigkeit v parallel zu u x herrscht? wx ergibt sich aus der schon bekannten Additions“formel (1.32). ” Nun zu w y : B stellt fest: 1. u x = x /t A stellt fest: 3. wx = x/t
2. u y = y /t 4. w y = y/t
Anwendung der inversen Lorentz-Transformation (siehe (1.72)) auf 4. ergibt: y wy = v · x t + 2 c 1 − v 2 /c2 Division durch t im Z¨ahler und Nenner und anschließende Anwendung von 1. und 2. liefern: u y · 1 − v 2 /c2 (vergleiche (1.34)) wy = v · ux 1+ 2 c Bei u x = 0 (entspricht einer Bewegung des Teilchens genau quer zur Relativbewegung der zwei Bezugssysteme) ergibt sich f¨ur w y : wy = u y ·
1 − v 2 /c2
Dies bedeutet eine Verminderung der urspr¨unglichen Quergeschwindigkeit“ ” u y um den Kehrwert des Gamma-Faktors (was auch im Abschnitt u¨ ber die Massenzunahme ausgenutzt wurde). Ein sch¨ones Anwendungsbeispiel f¨ur die Lorentz-Transformation ist ferner die Herleitung der Formel f¨ur die Lorentz-Kontraktion (alternativ zu Abschnitt 1.5): Ein Stab der L¨ange L 0 ruht im System S und ist darin parallel zur x Achse ausgerichtet. Die x -Koordinaten der Stabenden sind x1 und x2 . Welche L¨ange L hat der Stab f¨ur einen Beobachter in S, einem System, das sich mit v relativ zu S parallel zu dessen x -Achse bewegt?
1.13
Die Lorentz-Transformation – Ein n¨utzlicher Dolmetscher
107
Anwendung der Lorentz-Transformation: x 2 − v · t2 x 1 − v · t1 − L 0 = x2 − x1 = 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 ¨ An dieser Stelle ist folgende Uberlegung wichtig: Ein Beobachter in S muß f¨ur eine sinnvolle L¨angenmessung den Ort beider Stabenden gleichzeitig bestimmen! W¨urde er n¨amlich zwischen den Ortsablesungen eine noch so kleine Zeitspanne vergehen lassen, dann w¨are das Meßergebnis durch die Relativbewegung in dieser Zeitspanne massiv verf¨alscht. Er muß also zur selben Zeit t1 = t2 den Ort festlegen: x2 − v · t2 x 1 − v · t1 x2 − x1 − = ⇒ L 0 = x2 − x1 = 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 ⇒ L = x2 − x1 = L 0 · 1 − v 2 /c2 (vergleiche (1.20)) Auch zwei weitere Gesetze der SRT lassen sich unmittelbar aus den LorentzTransformationen ableiten: Setzt man in der letzten Gleichung von (1.73) • t = 0 (Zeitdifferenz zwischen zwei Ereignissen = 0, also Gleichzeitigkeit), dann ergibt sich sofort die Formel f¨ur die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit (vgl. (1.29)); • x = 0 (Wegstrecke zwischen zwei Ereignissen = 0, also zwei Ereignisse am selben Ort mit Zeitunterschied = Eigenzeit), dann resultiert die Formel f¨ur die Zeitdilatation! Schlußendlich sollte es nicht verwundern, daß auch die Invarianz von c in den Transformationen steckt“: Wenn sich die Systeme der Beobachter B ”
108
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
und B wie in obiger Herleitung entlang ihrer x-/x -Achsen bewegen und B zur Zeit t0 = t0 = 0 am Ort x0 = x0 = 0 einen Lichtblitz aussendet, kommt dieser im B-System zur Zeit t1 am Ort x1 = c · t1 an. Anwendung von (1.71): v · t1 − c · t 1 x 1 − v · t1 c · t1 − v · t1 c x1 = = = ; 2 2 1 − v /c 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 v · x1 v · c · t1 v · t1 t1 − 2 t1 − t − 1 c c2 c = = . t1 = 2 2 2 2 2 1 − v /c 1 − v /c 1 − v /c2 Der Lichtblitz breitet sich also auch im B -System mit c aus, denn x1 /t1 ergibt wieder c ! Die Bezeichnung Lorentz-Transformation“ hat Poincar´e 1905 gepr¨agt. ” Einstein hat, ebenfalls 1905, diese Gleichungen neu hergeleitet, ohne dabei explizit auf Lorentz Bezug zu nehmen.
1.14 Doch schneller als das Licht? In der Vorbemerkung zu Kapitel 1 wurde der Speziellen Relativit¨atstheorie zugrunde gelegt, daß die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum eine absolut invariante (beobachterunabh¨angige) Gr¨oße ist. Licht kann sich also nicht schneller als mit c fortbewegen. c gilt auch als universelle Grenzgeschwindigkeit f¨ur materielle K¨orper, wie in mehreren der vorhergehenden Abschnitte dargestellt worden ist. Und doch ist in verschiedenen Meldungen immer wieder einmal die Rede davon, dieses oder jenes habe sich schneller als Licht bewegt, oft in Verbindung mit zweideutigen Mutmaßungen u¨ ber die Richtigkeit der SRT. Wie verh¨alt es sich nun mit solchen Berichten? In diesem Abschnitt wird ver¨ sucht, die am h¨aufigsten auftauchenden Uberlichtgeschwindigkeitsf¨ alle“ zu ” besprechen.
1.14.1 Das Scherenproblem“ ” Schließt man eine Schere, so bewegt sich der Schnittpunkt der Schneiden in der Endphase schneller als die Schneiden selbst. Denkt man sich nun eine Schere, bei der die Schneidenenden mit z.B. 99% der Lichtgeschwindigkeit aufeinander zu bewegt werden, dann pflanzt sich der Schnittpunkt der Schneiden in der Endphase tats¨achlich mit einer Geschwindigkeit von mehr als c fort. Dies ist aber kein Widerspruch zur SRT, denn hier bewegt sich ja
1.14
Doch schneller als das Licht?
109
¨ nur der geometrische Schnittpunkt zweier K¨orper mit Uberlichtgeschwindigkeit, die sich selbst sehr wohl mit Unterlichtgeschwindigkeit bewegen! F¨ur den Fall sehr langer Scherenbl¨atter siehe Stabproblem, Abschnitt 1.14.11. ¨ Analoge Quasi-Uberlichtgeschwindigkeiten ergeben sich auch • an einer Guillotine mit fast parallelen Schneiden oder • wenn eine gerade Wasserwellenfront fast parallel auf eine gerade Kaimauer trifft.
1.14.2 Das Leuchtturmproblem“ ” Man denke sich eine stark geb¨undelte Lichtquelle, wie z.B. eine Taschenlampe, einen Laser oder eben ein Leuchtturmlicht. Schwenkt man die Lichtquelle mit gleichbleibender Winkelgeschwindigkeit (wie beispielsweise in der Abbildung), u¨ berschreitet die Geschwindigkeit des geometrischen Strahls in hinreichender Entfernung, zum Beispiel auf der Mondoberfl¨ache, die Lichtgeschwindigkeit. Nun darf man aber den geometrischen Strahl nicht verwechseln mit dem tats¨achlichen Lichtstrahl, der die Quelle mit der endlichen Geschwindigkeit c verl¨aßt und dessen Lichtspur“ bei Schwenk-Ende ” wie unten dargestellt verl¨auft:
Zu Beginn des (mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ausgef¨uhrten) Schwenks zeigt die Lampe A in Richtung auf den Punkt B; zum Zeitpunkt des Schwenk-Endes hat das in der Anfangsrichtung ausgestrahlte Licht dann diesen Punkt B erreicht.
110
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Am Ende des Schwenks betr¨agt die Lichtlaufstrecke in Richtung der Endstellung null. An Orten oberhalb und rechts der fett gezeichneten Kurve a ist das Licht noch gar nicht angekommen. Und entlang der Kurve a bewegen sich u¨ berhaupt keine Photonen, die Kurve wird vielmehr von unterschiedlichen Lichtteilchen bei Schwenk-Ende u¨ berquert. Die Lichtspur breitet sich also so aus, wie in der Abbildung mit kurzen geraden Pfeilen dargestellt, und zwar nat¨urlich mit c. Bei mehreren Rotationen der Lichtquelle formt die Lichtspur eine archimedische Spirale. Wie sieht nun die Sache aus, wenn zum Beispiel in Mondentfernung die mit c voranschreitende Lichtspur eine Strecke (in der Abbildung: b) mit ¨ Uberlichtgeschwindigkeit“ u¨ berstreichen soll? Wenn t die Schwenkzeit von ” ¨ Richtung C bis Richtung D ist, dann gilt f¨ur diese Uberstreichgeschwindigkeit vu¨ : vu¨ = b/t In der Schwenkzeit t legt das Licht die Strecke L zur¨uck: L =c·t
⇒
t = L/c
Einsetzen von t in die erste Gleichung ergibt: vu¨ = b · c/L ⇒ vu¨ /c = b/L vu¨ u¨ berschreitet also dann c, wenn b gr¨oßer als L ist. In hinreichender Entfernung ist dies auch beim langsamsten Schwenk immer der Fall, denn b w¨achst mit zunehmender Entfernung, w¨ahrend L (= Laufzeitunterschied der Strahlen mal c ) konstant bleibt. In Mondentfernung muß der Schwenk also z¨ugig erfolgen, f¨ur die u¨ berlichtschnelle Beleuchtung“ der Andromedagalaxie (Entfernung u¨ ber ” 2 Mio. Lichtjahre) von einem Ende zum anderen gen¨ugt dagegen selbst der gem¨utlichste Schwenk. Aber die Andromeda-Leute m¨ussen auch u¨ ber 2 Mio. Jahre auf das Signal warten. . . Eine Signal¨ubertragung von Punkt C nach Punkt D findet nat¨urlich nicht statt, sondern immer nur von A aus, und zwar mit c. Die SRT bleibt somit g¨ultig! ¨ Wo Licht ist, ist auch Schatten: Alle Uberlegungen zum Leuchtturmproblem betreffen analog auch die Geschwindigkeiten“ bewegter Schatten. ”
1.14.3 Tachyonen Das sind hypothetische Teilchen, die sich nur schneller als c bewegen sollen. Jeglicher Beweis f¨ur ihre Existenz steht derzeit aus. Die Regeln der SRT schließen die Existenz von Tachyonen nicht aus; verboten ist aber die Passage der Grenze c, und zwar aus beiden Richtungen.
1.14
Doch schneller als das Licht?
111
¨ 1.14.4 Uberlichtgeschwindigkeit bei der Bewegung schneller Teilchen in Medien Licht breitet sich in Medien langsamer aus als im Vakuum: c Medium < c Beim Zerfall radioaktiver Stoffe k¨onnen sich einige Zerfallsprodukte mit Geschwindigkeiten knapp unter der Vakuumlichtgeschwindigkeit vom Ort des Zerfalls wegbewegen. Auch Teilchen der kosmischen Strahlung (bzw. deren Sekund¨arteilchen) k¨onnen beim Eintritt in die irdische Atmosph¨are knapp unter c schnell sein. Die anf¨angliche Teilchengeschwindigkeit in den betreffenden Medien (z.B. Wasser in Kernreaktoren, Luft bei Teilchen der kosmischen Strahlung) kann dabei tats¨achlich h¨oher sein als die spezifische Lichtgeschwindigkeit des jeweiligen Mediums. Diese Geschwindigkeiten liegen damit zwischen c Medium und c, die Vakuumlichtgeschwindigkeit bleibt aber immer unterschritten. Das bl¨auliche Leuchten in einem wassermoderierten Kernreaktor (Tscherenkow42 -Strahlung) ist immer ein Zeichen daf¨ur, daß die wasserspezifische Lichtgeschwindigkeit von einigen (elektrisch geladenen) Zerfallsprodukten u¨ berschritten wird. Auch in der Astronomie nutzt man beim Einsatz von Tscherenkow-Teleskopen diese elektromagnetische Strahlung gleichen ¨ von Namens, die durch die auf c Lu f t bezogene Uberlichtgeschwindigkeit elektrisch geladenen Teilchen der kosmischen Strahlung induziert wird. Die Energie der Tscherenkow-Strahlung stammt aus der kinetischen Energie der schnellen Teilchen, die in Medien (durch Zusammenst¨oße mit deren Teilchen) nat¨urlich rasch abgebremst werden. Auf der niedrigeren Lichtgeschwindigkeit in Medien beruht u¨ brigens die Linsenwirkung (bei Glas und a¨ hnlichen Medien).
1.14.5 Lichtechos von Novae43 und Supernovae Nach dem Ausbruch von Novae oder Supernovae beobachtet man manchmal bogen- oder kreisf¨ormige helle Strukturen um die Lichtquelle herum. Von der Erde aus gesehen breiten sich die Erscheinungen rasch nach außen aus, und zwar so schnell, daß man bei Ber¨ucksichtigung der Entfernung des ¨ Objekts zun¨achst auf Uberlichtgeschwindigkeitswerte kommen k¨onnte. In 42 43
anglo-amer.: Cherenkov Helligkeitsausbr¨uche bestimmter Doppelsternsysteme
112
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Wirklichkeit handelt es sich um einen rein perspektivischen Effekt, der sich aus folgender Lichtweggeometrie ergibt (siehe Abbildung unten): Zwischen der Lichtquelle Q und der Erde befindet sich eine Staubwolke S (genauer: Nebelstruktur), an der das Licht der Quelle teilweise in Richtung Erde umgelenkt wird. Die Strahlen zur Erde k¨onnen wegen der großen Entfernung zwischen der Staubwolke und uns in guter N¨aherung parallel gezeichnet werden. Der von Q stammende Lichtblitz breitet sich nat¨urlich kugelf¨ormig im Raum aus und erreicht zum Beispiel die Punkte B und C gleichzeitig; f¨ur einen Beobachter auf der Erde leuchtet die Staubwolke zuerst bei C auf. Um den Punkt A zu erreichen, muß das Licht dann nur noch die kurze Strecke B A zur¨ucklegen. F¨ur die irdischen Astronomen leuchtet so Punkt A schon kurz nach C auf, scheinbar wird der lange Weg ¨ C A mit Uberlichtgeschwindigkeit zur¨uckgelegt. Das ist im Wesentlichen analog zum Kaimauereffekt (siehe oben).
I. Ansicht von oben“ ” (= senkrecht zur Sichtlinie Richtung Erde)
II. (Stark vergr¨oßerte) Himmelsansicht von der Erde aus
1.14
Doch schneller als das Licht?
113
Das Auftreten der scheinbar supraluminalen (= u¨ berlichtschnellen) Lichtechos l¨aßt sich auch quantitativ bearbeiten: Wenn t die Lichtlaufzeit von Q nach A ist, dann gelten f¨ur das rechtwinklige Dreieck QC A (siehe obige Abbildung) die folgenden Beziehungen: QA = c · t (= tats¨achlicher Lichtweg nach A) C A = c · t · sin α (= scheinbarer Lichtweg nach A von der Erde aus gesehen) QC = c · t · cos α Ferner gilt: Q B = QC Die Strecke B A ist dann die Differenz aus Q A und QC: B A = Q A − Q B = Q A − QC Q A − QC Die daf¨ur n¨otige Lichtlaufzeit ist nat¨urlich: c In derselben Zeit wird, wie im obigen Text dargestellt, scheinbar die Strecke C A vom Licht zur¨uckgelegt, also: scheinbare Lichtgeschw. =
scheinbarer Weg C A Lichtlaufzeit f¨ur B A
=
CA Q A − QC c
Einsetzen der obigen Beziehungen f¨ur Q A, C A und QC ergibt: Scheinbare momentane Lichtgeschwindigkeit =
c · sin α 1 − cos α
¨ Das Ausmaß der scheinbaren Uberlichtgeschwindigkeit h¨angt damit allein vom Winkel α ab; je kleiner er ist, desto schneller scheint sich das Lichtecho auszubreiten. Und α ist umso kleiner, je fr¨uher die Beobachtung der Echos erfolgt und je gr¨oßer der Abstand zwischen Lichtquelle und Staubwolke ist (α darf nicht verwechselt werden mit dem Winkeldurchmesser der Echos am irdischen Himmel, der wiederum vom Abstand Staubwolke-Erde abh¨angt). Die obige Formel wurde f¨ur den Fall einer ebenen Staubwolke zwischen Lichtquelle und Erde hergeleitet. Im wahrscheinlicheren Fall einer die Quelle kugelf¨ormig umgebenden Nebelwolke (stammend von fr¨uheren Materieausw¨urfen) wird diese f¨ur einen Beobachter bei der Quelle u¨ berall praktisch gleichzeitig beleuchtet. Die Lichtechoausbreitung f¨ur einen Beobachter auf der Erde erfolgt aber nach genau derselben Formel, wie sich der Leser nun vielleicht selbst klarmachen kann!
114
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Scheinbar u¨ berlichtschnelle Echos wurden erstmals bei der Nova Persei 1901 beobachtet. Es gab zun¨achst die verschiedensten Erkl¨arungsversuche; erst 1939 hat P. Couderc das Problem vollst¨andig gel¨ost. Ein weiterer ber¨uhmter Fall von Lichtechos war die Supernova 1987A in der Großen Magellanschen Wolke; hier wurden Werte bis zur 20fachen Lichtgeschwindigkeit beobachtet. Wenn die Staubwolke nicht genau quer zwischen Quelle und Erde steht, sondern schr¨ag, dann sind die B¨ogen oder Kreise exzentrisch, ansonsten konzentrisch um die Quelle. Trifft die Lichtfront auf mehrere hintereinander liegende Staubwolken, so k¨onnen ineinander geschachtelte Echos sichtbar werden.
1.14.6 Materie-Jets bei Quasaren, Mikro-Quasaren, Radiogalaxien etc. Auch scheinbar u¨ berlichtschnelle Jets (extrem scharf geb¨undelte Teilchenstr¨ome) der genannten Objekte resultieren aus einem perspektivischen Effekt. Hier bewegt sich aber im Gegensatz zu den oben besprochenen Lichtechos eine unterlichtschnelle Materie. Gedankenexperiment: Ein Quasar Q st¨oßt Materie mit der Geschwindigkeit v in Richtung A aus, wo sie nach der Zeit t ankommt:
Richtung zur Erde (wegen der großen Entfernung der Objekte k¨onnen die Richtungspfeile in guter N¨aherung parallel sein)
Zun¨achst werden die Seitenl¨angen des Dreiecks AQB berechnet: QA = v · t (= tats¨achlicher Materieweg) B A = v · t · sin α (= scheinbarer Materieweg am irdischen Himmel) Q B = v · t · cos α Der Punkt A liegt n¨aher an der Erde als Punkt Q, n¨amlich um die Strecke Q B. Demzufolge ben¨otigt das Licht von Punkt A eine geringere Lichtlauf-
1.14
Doch schneller als das Licht?
115
zeit zu uns als das Licht von Q, und zwar um v · t · cos α weniger. c Von der Erde aus sieht man die Ankunft der Materie bei A deshalb nicht erst im Zeitabstand t, sondern schon nach t minus dem gerade berechneten Lichtlaufzeitunterschied, also: v · t · cos α tscheinbar = t − c Die scheinbare Materiegeschwindigkeit von B nach A (= vscheinbar ) errechnet sich dann wie folgt: Q B/c =
vscheinbar =
scheinbarer Weg v · t · sin α BA = = v · t · cos α tscheinbar tscheinbar t− c v · sin α ⇒ vscheinbar = 1 − cos α · v/c
Bei v nahe c und Winkeln α deutlich unter 90◦ erreicht vscheinbar leicht Werte u¨ ber c. Beispielsweise ergibt sich bei v = 98 % der Lichtgeschwindigkeit und α = 50◦ eine Jetgeschwindigkeit von scheinbar 2 c ! Schon Anfang der 1970er Jahre wurden beim bekannten Quasar 3C273 Materieausw¨urfe mit scheinbar sogar dreifacher Lichtgeschwindigkeit beobachtet. Die Erfahrungen mit den Lichtechos f¨uhrten aber schnell auf die richtige Spur. Jets in Quasaren und Radiogalaxien scheinen mit vehementen Aktivit¨aten im Bereich Schwarzer L¨ocher assoziiert zu sein; andere Mechanismen sind nach heutiger Kenntnis nicht in der Lage, die f¨ur solche Jets notwendigen enormen Energien u¨ ber l¨angere Zeitr¨aume bereitzustellen. N¨aheres zu Schwarzen L¨ochern findet sich in Kapitel 3.
1.14.7 Quantenmechanische Effekte ¨ In einige dieser Effekte k¨onnte eine Uberlichtgeschwindigkeit hineininterpretiert werden. Diese Ph¨anomene wie z.B. Tunnel-Effekt, Casimir-Effekt, Teleportation etc. folgen jedoch den Eigengesetzlichkeiten der Quantentheorie und stehen damit außerhalb, aber nicht in Widerspruch zur SRT. Neben den mit der Quantenmechanik verbundenen Namen Bohr, Born, de Broglie, Dirac, Heisenberg, Jordan, Pauli, Planck, Schr¨odinger und Sommerfeld ist auch hier Einstein mit wichtigen Beitr¨agen zu nennen: Aufkl¨arung des Photo-Effektes (daf¨ur bekam er den Nobelpreis 1921), Arbeit zur spezifischen W¨arme der Festk¨orper, beste Herleitung der Formel
116
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
zur Schwarzk¨orperstrahlung, in diesem Zusammenhang Postulierung der induzierten Emission, Mitwirkung an der Entwicklung der Einstein-BoseStatistik.
¨ 1.14.8 Uberlichtgeschwindigkeit bei der Expansion des Weltalls Dieser Fall sprengt die Grenzen der SRT mit ihrer absoluten (starren) Raumzeit und wird deshalb erst in Kapitel 4 besprochen.
¨ 1.14.9 Vermeintliche Uberlichtgeschwindigkeit bei Mißachtung der Raumkontraktion Dazu betrachte man zum Beispiel die Zwillingsgeschichte aus Abschnitt 1.8: Angenommen, der dort erw¨ahnte Astronaut B kennt die SRT nicht gut und wird, wie im dortigen Beispiel beschrieben, mit 0, 8 c auf den 9 Lichtjahre langen Weg zu Sirius geschickt. Daß er dort schon nach 6,75 Jahren (= Eigenzeit) ankommt, wird ihn sehr verwundern und er wird rechnen: Geschwindigkeit = Weg“/Zeit ” = 9 Lj/6, 75 Jahre = 1, 333 c! H¨atte B aber ber¨ucksichtigt, daß aufgrund der Relativbewegung zwischen ihm und den Sternen im Nahbereich (die man als ein Inertialsystem ansehen kann, einschließlich der Wege zwischen ihnen) der Weg kontrahiert ist, w¨are er nicht auf diesen absurden Wert gekommen. Ab welcher Relativgeschwindigkeit tritt diese Form der scheinbaren ¨ Uberlichtgeschwindigkeit auf? Dazu m¨ussen wir uns die Konstruktion“ ” von Astronaut B genau anschauen: Er dividiert den im Erdsystem gemessenen Weg (statt den aus Raumschiffsicht kontrahierten Weg Raumschi f f = Weg Er dsystem · 1 − v 2 /c2 ) durch seine Eigenzeit:
scheinbare Geschwindigkeit =
Weg Er dsystem
Zeit Raumschi f f scheinbare Geschwindigkeit = v/ 1 − v 2 /c2
Weg Raumschi f f 1 − v 2 /c2 = Zeit Raumschi f f
1.14
Doch schneller als das Licht?
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Diese scheinbare Geschwindigkeit soll also gr¨oßer als c werden: v/ 1 − v 2 /c2 > c ⇒ v 2 /(1 − v 2 /c2 ) > c2 ⇒ v 2 > c2 · (1 − v 2 /c2 ) ⇒ v 2 > c2 − v 2 ⇒ v 2 > c2 /2 √ ⇒ v > c/ 2 ≈ 0, 707 c Ab dieser Relativgeschwindigkeit tritt also in obiger Betrachtungsweise eine ¨ scheinbare Uberlichtgeschwindigkeit auf. Die von B verwendete gemisch” te“ Gr¨oße, das Verh¨altnis aus Eigenl¨ange des anderen Beobachters zu Eigenzeit, wird manchmal auch als Eigengeschwindigkeit bezeichnet. Diese Eigengeschwindigkeit, die nat¨urlich keine reale Relativgeschwindigkeit darstellt, hat aufgrund ihrer Definition keinen oberen Grenzwert; die des Lichts ist unendlich!
¨ 1.14.10 Uberlichtschneller Fluß des Raumes in Schwarzen L¨ochern ¨ Dieser zehnte Uberlichtgeschwindigkeitsfall“ ist an dieser Stelle nur der ” Vollst¨andigkeit halber erw¨ahnt. Aus thematischen Gr¨unden kann er erst in den Abschnitten 3.2 und 3.4 besprochen werden, siehe dort.
1.14.11 Das Stabproblem“ ” Man denke sich einen m¨oglichst starren Stab, beispielsweise aus einer kaum verformbaren Spezialkeramik. Lagert man den Stab so, daß er in L¨angsrichtung frei beweglich ist, und u¨ bt auf ein Stabende einen Stoß aus, dann k¨onnte man annehmen, daß sofort der gesamte Stab in Bewegung versetzt wird. Nach dieser Annahme w¨urden beide Stabenden gleichzeitig in Bewegung geraten, das heißt, die Wirkung des Stoßes h¨atte sich sofort“, also ” ¨ mit Uberlichtgeschwindigkeit, vom angestoßenen Ende zum gegen¨uberliegenden Ende ausgebreitet. Die Realit¨at sieht aber anders aus: Auch die Atome/Molek¨ule des h¨artesten denkbaren Materials liegen nicht so eng aneinander, daß es keine Spielr¨aume f¨ur (wenn auch noch so kleine) Deformationen eines angestoßenen K¨orpers g¨abe. Der Stoß pflanzt sich so nach und nach von Atom zu Atom beziehungsweise von Molek¨ul zu Molek¨ul fort, welche dabei kleine Bewegungen oder Schwingungen ausf¨uhren. Im Endergebnis f¨uhrt dies dazu, daß zun¨achst eine prim¨are Stoßwelle den Stab mit endlicher
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Geschwindigkeit kleiner als c durchl¨auft, erst dann wird auch das dem Stoß gegen¨uberliegende Stabende in Bewegung versetzt. Diese prim¨are Stoßwelle kann lokal gegebenenfalls in Form einer Schockwelle zwar die materialspezifische Schallgeschwindigkeit u¨ berschreiten, nicht jedoch die Lichtgeschwindigkeit. Neben diesem an Zusammensetzung und Form des betreffenden K¨orpers gebundenen Ph¨anomen verbietet allerdings auch noch ein echter relativistischer Effekt die Existenz von K¨orpern, die f¨ur alle Beobachter starr (unverformbar) sind: Beschleunigt man einen ausgedehnten K¨orper eine Zeitlang so, daß f¨ur den in Ruhe verbleibenden Beobachter alle Teile des K¨orpers gleichzeitig beschleunigt werden, so erfolgt wegen der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit die Beschleunigung im System des K¨orpers ungleichzeitig. (Zus¨atzlich erfolgt auch die Lorentz-Kontraktion der verschiedenen K¨orperteile ungleichm¨aßig) Der K¨orper wird f¨ur andere (z.B. momentan mitbewegte) Beobachter verformt! Denkbar w¨are ferner ein Hebel, bei dem ein Arm extrem lang ist. Bei der Bewegung dieses Hebels wird das Ende des langen Armes aber nie c erreichen, da das Hebelmaterial nicht v¨ollig steif ist, sondern sich wegen der auch hier auftretenden Deformationen erst nach und nach in Bewegung setzt und dann auch noch der Massenzunahme unterliegt.
¨ 1.14.12 Uberlichtschnelle Rakete im Anflug! Eine Rakete fliegt mit einer Geschwindigkeit v (kleiner als c nat¨urlich) von ¨ Ulm u¨ ber Bern in Richtung Genf. Beim Uberfliegen von Ulm gibt die Rakete ¨ einen hellen Lichtblitz ab, ebenso beim Uberfliegen von Bern einen Zeitraum t sp¨ater (nach den Uhren von Ulm und Bern). Der Weg zwischen Ulm und Bern betr¨agt dann v · t .
Die Lichtblitze treffen bei einem Beobachter in Genf kurz hintereinander ein, denn das Licht des Berner Blitzes startet zwar im Vergleich zum Ulmer
1.14
Doch schneller als das Licht?
119
Blitz um t sp¨ater, hat aber nur eine (um v · t) k¨urzere Strecke zur¨uckzulegen. Aufgrund der kurz hintereinander eintreffenden Blitze kann der Genfer Beobachter einen falschen Eindruck von der Geschwindigkeit der Rakete bekommen: ¨ Berechnung der Zeit zwischen dem Uberfliegen von Ulm und dem Eintreffen der Blitze in Genf: v·t +d Lichtweg Ulm-Genf = • Ulmer Blitz: c c • Berner Blitz: Lichtweg Bern-Genf d Raketenflugzeit Ulm-Bern + =t+ c c Die Differenz dieser beiden Zeiten sieht der Beobachter in Genf: t+
d v·t +d t · (c − v) − = c c c
Die scheinbare Raketengeschwindigkeit ist dann: Weg v·t v·c = = t · (c − v) Zeitdifferenz c−v c ¨ Diese Art von Uberlichtgeschwindigkeit“ wird ab c/2 erreicht, eine obere ” Grenze besteht nicht (siehe Differenz im Nenner).
1.14.13 Der rasende Bildschirmpunkt ¨ Der nun zu besprechende Uberlichtgeschwindigkeitsfall ist gewissermassen eine Abwandlung des Leuchtturmproblems unter Einsatz von schnellen Elektronen: In einer Braunschen R¨ohre (PC, Fernsehger¨at, Oszillograph) werden Elektronen durch Hochspannung auf sehr hohe Geschwindigkeiten beschleunigt. Die Richtung des Elektronenstrahls l¨aßt sich durch einen Ablenkmechanismus im hinteren Drittel der R¨ohre fast verz¨ogerungsfrei variieren. Beim Auftreffen der Elektronen auf eine spezielle Schicht auf der R¨uckseite des Sichtschirms entsteht ein Bildpunkt. Wird nun der Elektronenstrahl (siehe folgende Abbildung) zum Beispiel zuerst maximal nach links abgelenkt (Stellung 1), dann gleich maximal nach rechts (Stellung 2), so kann die Bildpunktgeschwindigkeit v B P tats¨achlich Werte u¨ ber c erreichen.
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Die Strecke L kann ausgedr¨uckt werden durch: L = Elektronengeschwindigkeit mal Schwenkzeit t , oder: L = vE L · t
⇒
t = L/v E L
Die Bildpunktgeschwindigkeit v B P entspricht: v B P = b/t = b · v E L /L vB P b vE L ⇒ = · c L c Da v E L /c den Wert 1 nicht erreichen kann, wird die Bildpunktgeschwindigkeit eventuell dann u¨ berlichtschnell, wenn b gr¨oßer als L ist. Es findet aber keine Signal¨ubertragung von Stellung 1 zu Stellung 2 statt, sondern nur immer vom Ablenkmechanismus zum Bildschirm, und zwar nur mit einer Geschwindigkeit unter c . (Die Elektronengeschwindigkeit in Braunschen R¨ohren reicht bis etwa 0, 3 c, in R¨ontgenr¨ohren sogar bis u¨ ber 0, 6 c !) Die Regeln der SRT werden nicht verletzt.
1.14.14 Phasengeschwindigkeiten Phasengeschwindigkeiten von sogenannten de Broglie-Wellen liegen immer u¨ ber c; auch die Phasengeschwindigkeiten in besonderen Medien, bei denen
1.14
Doch schneller als das Licht?
121
f¨ur bestimmte Wellenl¨angenbereiche der Brechungsindex kleiner als 1 ist, k¨onnen c u¨ berschreiten. Mit Phasengeschwindigkeiten lassen sich aber keine Informationen u¨ bertragen, insofern liegt keine Verletzung des Prinzips der Konstanz von c vor. N¨aheres hierzu findet sich in einschl¨agigen Physiklehrb¨uchern.
¨ 1.14.15 Uberlichtgeschwindigkeiten in der Allgemeinen Relativit¨atstheorie Bestimmte Ph¨anomene dieser Theorie k¨onnen als Abweichungen von c interpretiert werden, siehe Kapitel 3. Aber lokal (also unmittelbar bei einem frei fallenden Beobachter gemessen) gilt immer: Geschwindigkeit des Lichts im Vakuum = c .
¨ 1.14.16 Scheinbare Uberlichtgeschwindigkeit bei Mißachtung des Additionstheorems Entfernt sich von einem ruhenden Beobachter A ein Raumschiff B nach rechts mit 200 000 km/s und ein weiteres Raumschiff C mit ebenfalls 200 000 km/s nach links, dann betr¨agt der gegenseitige Abstand zwischen B und C f¨ur A nach einer A-Sekunde 400 000 km. Beobachter A k¨onnte daraus auf eine Relativgeschwindigkeit zwischen B und C von 400 000 km/s schließen. In diesem Fall h¨atte A aber sicher Abschnitt 1.7 nicht gelesen! Schade. Zum Abschluß dieses Abschnitts muß auch noch darauf hingewiesen ¨ werden, daß eine Fortbewegung mit Uberlichtgeschwindigkeit zu vielen Merkw¨urdigkeiten f¨uhren w¨urde, wie beispielsweise folgendes Gedankenexperiment zeigt: Angenommen, es g¨abe eine Superrakete, die f¨ur den u¨ berlichtschnellen Flug zur Wega pr¨apariert wird. Nimmt man weiter an, daß die Bewohner eines Planeten bei Wega u¨ ber ein Riesenteleskop verf¨ugen, dann k¨onnten diese die Startvorbereitungen auf der Erde verfolgen. W¨ahrend sie so die Konstruktion der Rakete beobachten (deren Lichtstrahlen nat¨urlich mit c bei Wega ankommen), w¨urde die Rakete schon bei ihnen eintreffen! Die WegaMenschen w¨urden so die Ankunft der Rakete (nach u¨ berlichtschnellem Flug ¨ mit Uberholen“ des Lichts der Startvorbereitungen) vor dem Start sehen. ” Es kommt aber noch bunter: Auch die Raketenmannschaft k¨onnte nach dem Flug an das Teleskop treten und sich selbst in der Vergangenheit sehen, aber nicht nur einfach, sondern doppelt:
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
• einmal in der Zeit vor dem Start (in der richtigen Reihenfolge) und • einmal auf dem Flug, der aber (wie ein verkehrt herum abgespulter Film) r¨uckw¨arts abl¨auft! Erst nach der Lichtlaufzeit Erde-Wega (ab Start gerechnet) verschwinden mit den Bildern vom Abflug auf der Erde beide Fernrohrbilder der Mannschaft. Sch¨on l¨aßt sich dies mit einem sogenannten Raum-Zeit-Diagramm erkl¨aren, siehe hierzu Abschnitt 1.17, dessen erste zwei Teile aber Voraussetzung f¨ur das Verst¨andnis der Diagramme sind. Die Schallgeschwindigkeit ist bekanntlich u¨ berschreitbar, deshalb kommt ¨ es hierbei zu einem ganz a¨ hnlichen, aber realen Effekt: Von einem Uber¨ schallflugzeug h¨ort man (nach dem Uberschallknall) die Schallwellen des Anflugs nicht in der Reihenfolge, in der sie entstanden sind, sondern in umgekehrter Reihenfolge! Mithilfe eines dritten unterlichtschnellen Beobachters und unter Anwendung der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit l¨aßt sich ein Widerspruch auch rechnerisch belegen: Angenommen, dieser dritte Beobachter startet mit 0, 9 c gleichzeitig mit der u¨ berlichtschnellen Rakete zur Zeit t = 0 und fliegt dieser hinterher in Richtung Wega (Entfernung ca. 25 Lj). Wenn die Superrakete 5 c schnell ist, dann werden Beobachter auf der Erde und auch auf Wega (die beide einem Inertialsystem zugeordnet werden k¨onnen) folgende Reisedauer ermitteln: 25 Lj / 5 c = 5 Jahre. Erd- und Wega-Uhren zeigen also bei Ankunft der u¨ berlichtschnellen Rakete t = 5 Jahre an. Wegen der Invarianz der Raum-Zeit-Koinzidenz muß auch gelten, daß alle Beobachter in Inertialsystemen, damit auch der unterlichtschnelle Beobachter, die Ankunft der Superrakete und die Anzeige der Wega-Uhr t = 5 Jah” re“ als gleichzeitig ansehen. Zus¨atzlich gilt aber, daß der unterlichtschnelle Beobachter, der sich selbst als ruhend ansieht und Erde und Wega vorbeisausen sieht (Erde voraus, Wega nachfolgend), wegen der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit eine Differenz der Zeitanzeige zwischen Erd- und Wega-Uhren feststellt. Diese betr¨agt nach Abschnitt 1.6: L · v/c2 . Die nachfolgende Uhr, hier die Wega-Uhr, geht f¨ur ihn demnach um 25 Lj · 0, 9 · c/c2 = 22, 5 Jahre vor. Wenn die Erd-Uhr beim gemeinsamen Start t = 0 anzeigte, dann stand die Wega-Uhr schon auf +22, 5 Jahre. Da sie aber bei Ankunft der u¨ berlichtschnellen Rakete 5 Jahre“ anzeigte, m¨ußte f¨ur den unterlichtschnellen ” Beobachter die Ankunft vor dem Start liegen! Bei kausal voneinander abh¨angigen Ereignissen kann die Reihenfolge aber niemals vertauscht sein: Der Start (= Ursache) muß immer vor der Ankunft (= Wirkung) liegen, und zwar f¨ur alle Beobachter ausnahmslos.
1.14
Doch schneller als das Licht?
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¨ Eingefleischte Uberlichtgeschwindigkeitsfreunde lassen sich davon nicht beeindrucken. Sie sagen: Warum soll die Zeit nicht zur¨ucklaufen?44 Lassen ” wir doch die Ankunft vor dem Start erfolgen.“ Einige kann man dann aber doch noch u¨ berzeugen, wenn man zus¨atzlich annimmt, daß die Superrakete nach u¨ berlichtschnellem Flug auf dem WegaPlaneten eine Bruchlandung hinlegt. Wenn sie nun so verbeult da liegt, sollte sie sich etwa dann selbst entbeulen“, um dann zur Erde zu fliegen? (Das ” w¨are zus¨atzlich zur verletzten Kausalit¨atsbeziehung auch noch im Widerspruch zum Zeitpfeil der Thermodynamik.) Lassen wir die bisher ge¨außerten Bedenken zur Kausalit¨at einmal beiseite und spinnen den Faden weiter: Akzeptiert man die Wega-Uhranzeige t = 5 Jahre“ bei Ankunft der Superrakete dort, so geht die r¨aumlich f¨uhren” de Erd-Uhr f¨ur den unterlichtschnellen Beobachter wegen der Relativit¨at der Gleichzeitigkeit weiterhin um 22,5 Jahre nach, zeigt also 5 − 22, 5 = ¨ −17, 5 Jahre“ an. Fliegt die Superrakete nun mit ausreichender Uberlicht” geschwindigkeit zur Erde zur¨uck, kommt sie f¨ur den unterlichtschnellen Beobachter vor ihrem urspr¨unglichen Start dort an! Dies ergibt einen noch sch¨arferen Widerspruch zum Kausalit¨atsprinzip: Bei entsprechender Gestaltung von Reisedauer und -geschwindigkeit k¨onnte der Pilot der Superrakete so fr¨uh“ zur¨uckkehren, daß er seine eigenen Ahnen t¨oten k¨onnte, er selbst ” also nie existiert h¨atte. . . Dieses Paradoxon ( Großvater-Paradoxon“) ist im ” Gegensatz zum Zwillingsparadoxon ein wirklicher, unaufl¨osbarer Widerspruch. Auch dieser Abschnitt hat (wie bereits mehrere vorangegangene und darin enthaltene Formeln) gezeigt: Das Hauptcharakteristikum von c ist nicht, daß dies die Geschwindigkeit des Lichts im Vakuum ist, sondern daß es sich dabei um die allgemeine ( universelle“) Grenzgeschwindigkeit in der Natur ” f¨ur Signale aller Art und f¨ur Materie aller Art handelt. Als Wortspiel (nach N. D. Mermin): Das Besondere an der Lichtgeschwindigkeit ist nicht, daß dies die Geschwindigkeit des Lichts ist, sondern es ist das Besondere am Licht, daß seine Geschwindigkeit (ausgerechnet) die Lichtgeschwindigkeit ist, also exakt die universelle Grenzgeschwindigkeit.
44
Bei der Betrachtung sogenannter Feynman-Diagramme k¨onnte man zu der Fehlinterpretation gelangen, daß sich manche Elementarteilchen auch in der Zeit r¨uckw¨arts bewegen k¨onnen. Dieses Mißverst¨andnis verschwindet sofort, wenn man die betreffenden Partikel richtigerweise als Antiteilchen identifiziert. Auch diese bewegen sich in der Zeit nur vorw¨arts.
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Diese wichtige Erkenntnis mußte in den Jahren nach 1905 in der Physik erst m¨uhsam etabliert werden, denn der bis dahin vorherrschenden Newtonschen Mechanik war eine Grenzgeschwindigkeit v¨ollig fremd.
1.15 Wichtige relativistische Effekte auf einen Blick Beobachter und Raumschiff im selben Inertialsystem:
Große Geschwindigkeitsdifferenz zwischen einem Beobachter und dem Raumschiff:
Querdurchmesser des Raumschiffs bleibt gleich (s. Abschn. 1.2 ) Zeitdilatation (s. Abschn. 1.3 ) Raumkontraktion (nicht erkennbar wegen Effekt ) (s. Abschn. 1.5 ) Relativit¨at der Gleichzeitigkeit: Uhr a geht vor (s. Abschn. 1.6 ) Aberration des Lichts: Raumschiff wendet sich ab (s. Abschn. 1.10) Rotverschiebung (transversaler Doppler-Effekt) (s. Abschn. 4.2 ) Massenzunahme (s. Abschn. 1.9 )
Die Effekte sind nicht maßstabsgerecht dargestellt.
1.16
Schein oder Wirklichkeit?
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1.16 Schein oder Wirklichkeit? In den vorangegangenen Abschnitten war wiederholt von Ruhel¨ange“, ” Eigenzeit“ und Ruhemasse“ die Rede. Dabei k¨onnte leicht der Eindruck ” ” entstehen, diese Werte, die ein Beobachter in seinem eigenen System mißt, seien etwas n¨aher an der Wahrheit im Vergleich zu kontrahierten L¨angen, langsamer gehenden Uhren und vergr¨oßerten Massen. Das ist aber keineswegs der Fall; die o.g. Ruhewerte sind nicht realer oder wahrer als Meßwerte von Beobachtern mit Relativbewegung bez¨uglich der zu messenden Objekte, letztere k¨onnen auch nicht als nur scheinbar“ abgetan werden. Die Meßer” gebnisse aller Beobachter in Inertialsystemen sind v¨ollig gleichberechtigt, sie sind nur eine Frage des Blickwinkels“, genauer: eine Frage der Relativ” geschwindigkeit. Ruhel¨ange, Eigenzeit und Ruhemasse mißt halt ein Beobachter mit Relativgeschwindigkeit null bez¨uglich der zu messenden Objekte. Diese Ruhewerte bilden damit lediglich Randwerte des m¨oglichen Meßbereiches, nicht mehr und nicht weniger. Alle anderen Meßwerte sind f¨ur Beobachter mit Relativgeschwindigkeit ungleich null genauso real, richtig und g¨ultig. Die Beobachtung der Zeitdilatation, Raumkontraktion und Massenzunahme ist weder eine Illusion noch eine tats¨achliche physikalische Ver¨anderung45 der beobachteten Uhren, Maßst¨abe und Massen, sondern, und das ist entscheidend, das Ergebnis des Meßverfahrens, wenn ein Beobachter seine mit ihm ruhenden Uhren und Maßst¨abe einsetzt, um Messungen an relativ zu ihm bewegten Objekten vorzunehmen. Die Relativgeschwindigkeit spielt in der SRT eine a¨ hnliche Rolle wie der Standpunkt des Beobachters bei perspektivischen Abbildungen. So k¨ame auch niemand auf die Idee zu sagen, er habe nur ein scheinbares oder irreales Bild eines Hauses vor sich, nur weil beim Anschauen ein anderer Bildeindruck auf der Netzhaut zustandekommt als ihn Grund-, Auf- und Seitenriß des Architekten zeigen! In unserer Alltagswelt haben wir eben einen sehr einseitigen Blickwin” kel“, n¨amlich: Relativgeschwindigkeit praktisch gleich null. Denn auch z.B. die schnellsten Raketen oder Geschosse bewegen sich nur mit winzigen Bruchteilen von c . Andere Blickwinkel“ (Relativgeschwindigkeiten zwi” schen 0, 000 1 c und c ) kennen wir nicht, entsprechend fremd sind uns die damit einhergehenden Perspektiven“, sprich Zeitdilatation, Raumkontrakti” on, Massenzunahme, Relativit¨at der Gleichzeitigkeit etc. Man bedenke, daß sich das Licht fast eine Million mal (!) schneller ausbreitet als der Schall! Unsere Sinne haben nicht die geringste Erfahrung mit solchen Geschwin45
H. Lorentz hatte die nach ihm benannte Kontraktion als physikalische Ver¨ande¨ rung von relativ zum Ather“ bewegten K¨orpern interpretiert, die auch im Ruhesy” stem dieser K¨orper auftreten sollte. Lorentz’ Theorie konnte außerdem die Kontraktion eines leeren Raumvolumens nicht erkl¨aren.
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
digkeiten. Deshalb mußten wir immer wieder auf Gedankenexperimente zur¨uckgreifen; die daraus gewonnenen Resultate sind zwar gew¨ohnungsbed¨urftig, aber zwingend richtig. Wenn in der obigen Analogie die beobachterabh¨angigen Gr¨oßen wie Zeit und L¨angen den Projektionen eines Hauses aus dem Blickwinkel eines Beobachters entsprechen, dann stellen die invarianten Raum-Zeit-Abst¨ande die unver¨anderliche Struktur des Geb¨audes dar. F¨ur die Frage, ob die Ph¨anomene der SRT nur Schein oder doch Wirklichkeit sind, liefert das Zwillingsparadoxon die beste Entscheidungshilfe: Beide Zwillinge k¨onnen am selben Ort ihre Kalender vergleichen, und dabei gibt es nun kein Entrinnen mehr: Der reisende Zwilling ist nach seiner eigenen Einsch¨atzung und nach der des seßhaften Zwillings j¨unger als letzterer, wirklich j¨unger, keineswegs nur scheinbar! Treffend schreibt Max Born zu diesem Zwillingseffekt (in Die Relativit¨atstheorie Einsteins“): Wenn man ” ” sich gegen dieses Ergebnis zur Wehr setzt und es als paradox bezeichnet, so meint man mit diesem Wort nichts als ungewohnt“, sonderbar“; dar¨uber ” ” hilft die Zeit hinweg.“ Born meinte damit sicherlich, daß dem Lernenden die mit der Zeit heranreifenden Erfolge und Erkenntnisgewinne die Akzeptanz erleichtern w¨urden. Aber die Zeit half noch in einem ganz anderen Sinne u¨ ber die verbreitete Skepsis hinweg: 1971, nur ein Jahr nach Borns Tod, konnten J.C. Hafele und R. Keating das Zwillingsparadoxon beim Transport von Atomuhren auf Linienflugzeugen best¨atigen.
1.17 Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern 1.17.1 Teil 1 – Ein umgebauter Fahrplan In den Abschnitten 1.3 bis 1.13 haben sich verschiedene Ph¨anomene der Speziellen Relativit¨atstheorie (SRT) aus algebraischen Herleitungen ergeben. Es gibt aber auch einen Weg zu diesen relativistischen Ph¨anomenen, der ganz ohne Formeln beschritten werden kann! Dieser dreiteilige Abschnitt 1.17 f¨uhrt systematisch in diese Methode ein. Es kommen zwar einige Formelrechnungen vor, diese sind aber nur als Zusatzinformation gedacht und f¨ur das Verst¨andnis absolut nicht relevant. Deshalb kann dieser Abschnitt auch ganz unabh¨angig vom Rest des Textes gelesen werden, sogar von Lesern, welche die Schulmathematik verpaßt, verdr¨angt oder vergessen haben! Es gen¨ugt zu wissen, was Diagramme sind; diese sind sicherlich jedermann aus Zeitungen und Zeitschriften bekannt. Fast alle Ph¨anomene der SRT lassen sich n¨amlich auch mit sogenann¨ ten Raum-Zeit-Diagrammen (RZD) darstellen. Durch geometrische Uberlegungen sind dabei sogar quantitative Herleitungen relativistischer Beziehun-
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
127
gen m¨oglich. Hier sollen jedoch qualitative Schl¨usse im Vordergrund stehen; nur die Lorentz-Kontraktion wird f¨ur interessierte Leser auch quantitativ aus einem RZD beispielhaft bestimmt. RZD sind schon lange in Gebrauch, z.B. in Form graphischer Fahrpl¨ane bei der Eisenbahn (s. Abb. 1). Der in Kaunas (Litauen) geborene Mathematiker H. Minkowski (1854-1909) war es, der schon fr¨uhzeitig auf die Vorteile dieser Darstellungsweise f¨ur das Verst¨andnis der Raum-Zeit-Struktur der SRT hingewiesen hat. Er war u¨ brigens Einsteins ehemaliger MathematikProfessor; aber keine Angst: Diese Minkowski-Diagramme, wie sie auch genannt werden, lassen sich ganz ohne h¨ohere Mathematik“ verstehen! ”
Abb. 1 Fiktiver graphischer Fahrplan als Beispiel f¨ur ein RZD ( Bildfahrplan“) ”
Der Raum wird in einem solchen Diagramm nur eindimensional − in der Regel auf der waagerechten Achse (x) − dargestellt, was f¨ur den Zweck (z.B. Abbildung von Zugbewegungen auf dem eindimensionalen Schienenweg) meist v¨ollig ausreicht. Die zweite Dimension des Koordinatensystems, die senkrechte Achse, wird f¨ur die Zeit t ben¨otigt. Im RZD stellt jeder Punkt ein Ereignis“ dar, entsprechend einem Wertepaar aus einem bestimmten Ort x ” und einem bestimmten Zeitpunkt t. Beispielsweise bedeuten in Abb. 1: Ereignis 1 (Ulm, 0845 ): Ankunft des Zuges in Ulm, Ereignis 2 (Ulm, 0850 ): Abfahrt des Zuges in Ulm, Ereignis 3 : geschieht in Augsburg nach der Abfahrt des Zuges dort, Ereignis 4 : geschieht in Stuttgart noch vor Ankunft des Zuges dort.
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Weltlinien“ ” Die durchgezogene Linie in Abb. 1 von M¨unchen bis zum Ereignis 5 kann man sich aus lauter einzelnen Ereignissen im Verlauf der Zugfahrt zusammengesetzt denken; man nennt sie Weltlinie“ des Zuges. Sehen wir uns ” ihren Verlauf genauer an: Der Leser wird sich schon denken, daß die senkrechten Abschnitte den Stehzeiten des Zuges entsprechen; hier gibt es keine Ortsver¨anderung (x bleibt konstant). Es vergeht sozusagen nur Zeit t . Hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied zu u¨ blichen Koordinatensystemen: Im RZD erzeugt auch ein ruhendes Objekt eine Linie! So erzeugen z.B. auch die Bahnh¨ofe in Abb. 1 jeweils Weltlinien (siehe die senkrechten gestrichelten Linien). Die schr¨agen Abschnitte der Zugweltlinie bedeuten dagegen eine Ortsver¨anderung. Die Steigung der schr¨agen Abschnitte dr¨uckt dabei die Zuggeschwindigkeit aus:
hohe Geschwindigkeit: flacher Verlauf, geringe Geschwindigkeit: steiler Verlauf, und im Extremfall (Stillstand des Zuges): senkrechter Verlauf.
Abb. 2 Weltlinien von Objekten mit unterschiedlichem Bewegungsverhalten
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
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Der Zug ist also auf der Strecke M¨unchen-Augsburg am schnellsten, auf der Strecke Ulm-Stuttgart am langsamsten (bei Annahme einer linearen Entfernungsskala). Verschiedene Bewegungsformen lassen sich in einem RZD wie in Abb. 2 darstellen. Die dort abgebildeten Objekte verhalten sich wie folgt: 1: ruht am Ort x1 , Weltlinie also senkrecht, somit parallel zur t-Achse; 2: bewegt sich von x1 aus mit konstanter Geschwindigkeit nach rechts, entfernt sich also von Objekt 1; 3: bewegt sich von x1 aus schneller als 2 nach rechts, aber auch mit konstanter Geschwindigkeit; 4: bewegt sich mit zunehmender Geschwindigkeit von x1 aus nach rechts; 5: bewegt sich mit abnehmender Geschwindigkeit von x1 aus nach rechts; 6: bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit von x1 aus nach links; 7: bewegt sich mit derselben Geschwindigkeit wie 6 nach links, aber von x7 aus; 8: bewegt sich von x8 aus mit konstanter Geschwindigkeit auf Objekt 1 zu; 9: pendelt um x9 . Beim Ereignispunkt X begegnen sich 4 und 5. Schnittpunkte von Weltlinien bedeuten somit Anwesenheit zur selben Zeit am selben Ort. Und noch ¨ ein Hinweis zu 9: Eine Ahnlichkeit dieser Weltlinie mit den helixf¨ormigen Darstellungen der Bewegungen der Jupiter- und Saturnmonde in astronomischen Jahrb¨uchern und Zeitschriften ist nicht zuf¨allig: Auch das sind in der Tat Raum-Zeit-Diagramme. Den Ruhebeobachter, also den Zeichner“ des RZD, muß man sich zur ” Zeit null im Nullpunkt des Diagramms denken. Da er nach eigener Anschauung ruht (siehe Kasten 1, Relativit¨atsprinzip) und zwar am Ort x = 0, verl¨auft seine eigene Weltlinie stets entlang der t-Achse. Bis auf diese frei gew¨ahlte Position am Orts-Nullpunkt hat der Ruhebeobachter aber keinerlei Sonderstellung im Vergleich zu den Objekten 1, 2, 3, 6, 7 und 8. Alle Genannten f¨uhren Inertialbewegungen aus, wie in Kasten 1 erkl¨art wird. Bevor wir die Eigenschaften und M¨oglichkeiten der RZD weiter untersu¨ chen k¨onnen, sind noch Uberlegungen zur Lage und Skalierung der Achsen des von unserem Ruhebeobachter gezeichneten RZD notwendig.
Die Achsen des RZD Die Wahl des Winkels zwischen den Achsen ist grunds¨atzlich beliebig, wie sp¨ater noch klar werden wird. Daß wir im Folgenden dem Ruhebeobachter ein senkrechtes Achsenkreuz zuteilen, ist nur in der Bequemlichkeit begr¨undet!
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Zur Skalierung der Achsen: Da wir mit den Minkowski-Diagrammen Geschwindigkeiten im Bereich der Lichtgeschwindigkeit c darstellen wollen, k¨amen bei den u¨ blichen Sekunden-/Meter-Skalen wegen der gigantischen Gr¨oße von c unpraktische Zahlenunget¨ume zustande. Ein in der SRT meist benutzter und sehr vorteilhafter Ausweg besteht darin, auf der Zeitachse statt Zeiteinheiten diejenigen L¨angeneinheiten zu verwenden, die das Licht in den jeweiligen Zeiteinheiten zur¨ucklegt, also statt 1 s: 1 Lichtsekunde, statt 1 min: 1 Lichtminute, statt 1 Jahr: 1 Lichtjahr oder allgemein statt t : c mal t, kurz: ct .
Kasten 1: Das Relativit¨atsprinzip Das Relativit¨atsprinzip besagt, daß ein Beobachter in einem geradlinig und unbeschleunigt bewegten System (= Inertialsystem) nicht feststellen kann, ob sich sein System bewegt oder ob es ruht. Als Modell f¨ur ein Inertialsystem kann man sich ein Raumschiff mit abgeschaltetem Triebwerk weitab von irgendwelchen Himmelsk¨orpern vorstellen. Kein Experiment im Inneren des Raumschiffs erm¨oglicht eine Unterscheidung zwischen Ruhe oder gleichf¨ormiger Bewegung, denn Versuche aller Art verlaufen dort und in allen anderen Inertialsystemen g¨anzlich unbeeinflußt von der Geschwindigkeit. Alle Inertialsysteme sind demnach v¨ollig gleichwertig (¨aquivalent). Deshalb kann sich ein Beobachter in jedem beliebigen Inertialsystem zurecht als ruhend ansehen. Eine absolute Ruhe“ gibt es aber in der SRT nicht; kein Inertialsystem kann ” diesen Sonderstatus f¨ur sich in Anspruch nehmen. Wenn im Haupttext von Ruhebeobachtern die Rede ist, so dient dies nur der Unterscheidung von relativ dazu bewegten Beobachtern und soll keine absolute Ruhe ausdr¨ucken. Inertialbewegungen zeigen sich im RZD durch gerade Weltlinien, denn bei einer Inertialbewegung werden in gleichen Zeitabschnitten gleiche Entfernungen zur¨uckgelegt. (Ausf¨uhrlichere Hinweise hierzu finden sich in Abschnitt 1.1.1.) Wir etikettieren damit zwar die Zeitachse formal mit L¨angeneinheiten, wenn wir aber im Auge behalten, daß es bei ct um die Variable t geht, kann dabei eigentlich gar nichts passieren. Wenn wir nun noch f¨ur x- und ct-Achse die gleichen L¨angeneinheiten verwenden, dann ergibt sich folgendes Koordinatensystem (Abb. 3):
1.17
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Abb. 3 Raum-ZeitDiagramm mit Standardskalen
Ein erster Vorteil dieser Darstellungsweise zeigt sich gleich, wenn man die Lichtausbreitung in einem RZD verfolgt:
Lichtausbreitung im RZD Nach dem Einsteinschen Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (siehe Kasten 2) legt das Licht f¨ur alle Beobachter in einer Sekunde den Weg eine Lichtsekunde46 , in zwei Sekunden den Weg zwei Lichtsekunden usw. zur¨uck. Damit ergibt sich f¨ur das Licht eine Weltlinie mit der gut einpr¨agsamen Steigung von 45◦ (Abb. 4). Dies ist die wichtigste Grundregel f¨ur ¨ die weiteren Uberlegungen: Licht erzeugt in unseren RZD immer Weltlinien mit 45◦ Steigung! Die Lichtweltlinie wird in den folgenden RZD stets mit L gekennzeichnet.
Abb. 4 Lichtausbreitung im RZD 46
299 792, 458 km, ca. 78% des Weges von hier zum Mond.
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Im rechten Teil der Abb. 4 ist noch eine zickzackf¨ormige Lichtweltlinie dargestellt. Sie entsteht dadurch, daß das Licht zwischen den Orten 3 und 4 Lichtsekunden hin und her reflektiert wird. Eine Reflexion des Lichts zeigt sich also im RZD durch ein Umknicken der Lichtweltlinie nach oben um 90◦ , so daß der weitere Verlauf wieder mit 45◦ Steigung erfolgen kann.
Kasten 2: Das Prinzip der Konstanz von c Nach diesem Prinzip mißt jeder Beobachter in einem Inertialsystem, unabh¨angig von seiner Geschwindigkeit und auch unabh¨angig von der Geschwindigkeit der Lichtquelle, stets dieselbe Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichts, knapp 300 000 km/s47 . Das klingt zun¨achst widerspr¨uchlich, w¨urde man doch z.B. bei Ann¨aherung an eine Lichtquelle eine h¨ohere Geschwindigkeit des eintreffenden Lichts erwarten. In Wirklichkeit ist dieses Prinzip aber bestens vertr¨aglich mit dem Relativit¨atsprinzip (siehe Kasten 1): W¨urden n¨amlich Beobachter in verschiedenen Inertialsystemen verschiedene Lichtgeschwindigkeiten messen, dann k¨onnten diese Beobachter aus diesen unterschiedlichen Geschwindigkeiten R¨uckschl¨usse auf ihren eigenen Bewegungszustand ziehen. Das w¨are aber eine Verletzung des Relativit¨atsprinzips, wonach kein Experiment die Bestimmung der eigenen (Absolut-)Geschwindigkeit erlaubt. In den RZD kommt dieses Prinzip dadurch zur Geltung, daß f¨ur alle Beobachter in Inertialsystemen wegen der eingef¨uhrten Skalierung die Weltlinie des Lichts immer die Winkelhalbierende zwischen Orts- und Zeitachse ist. (Siehe auch Abschnitt 1.1.2.) Da sich das Licht in unserem eindimensionalen Raum nat¨urlich auch in der Gegenrichtung ausbreiten kann (wie auf einem Gleis ja auch Z¨uge in beiden Richtungen fahren k¨onnen), d¨urfen wir das RZD nach links erweitern (Abb. 5):
Abb. 5 Lichtausbreitung vom Nullpunkt aus in beide Richtungen des eindimensionalen Raums 47
f¨ur Autofahrer: 1,08 Mrd. km/h!
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
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An dieser Stelle machen wir noch einmal einen kurzen Abstecher zu weiteren Raumdimensionen: Ber¨ucksichtigen wir eine zweite Raumdimension (y), dann ergibt sich folgendes Bild der Lichtausbreitung (Abb. 6): Abb. 6 Der Lichtkegel
Dies ist der in vielen Literaturquellen erw¨ahnte Lichtkegel“. Sein ” Entstehungsmechanismus ist leicht zu verstehen: Das Licht breitet sich im zweidimensionalen Raum (Fl¨ache (x; y)) kreisf¨ormig aus; der gr¨oßer werdende Lichtkreis formt durch den Zeitablauf entlang der ct-Achse einen Kegelmantel. Solche Lichtkegel sind f¨ur alle Ereignispunkte des RZD denkbar, nicht nur f¨ur den hier beispielhaft gew¨ahlten Nullpunkt! Ein RZD mit drei Raumdimensionen l¨aßt sich schon nicht mehr zeichnen, weil z.B die sich im dreidimensionalen Raum kugelf¨ormig ausbreitende Lichtfront schon die drei Dimensionen x, y und z beansprucht, f¨ur die Darstellung der Zeit bliebe keine Koordinatenachse mehr u¨ brig, man br¨auchte vier Achsen!
Orientierung im RZD Zur¨uck zu den r¨aumlich eindimensionalen RZD. So wie es auf der x-Achse auch einen Raum links vom Nullpunkt gibt, so existiert auch eine Zeit unter” halb“ des Nullpunktes, das ist die Zeit vor dem Jetzt, also die Vergangenheit. Das RZD wird in diesem Sinne erneut erweitert (Abb. 7). Nun noch einmal zur Bedeutung der beiden Achsen: Die x-Achse bildet nebeneinander alle Ereignisse der r¨aumlich eindimensionalen Welt zur Zeit t = 0 ab, sie stellt eine Art Momentbild48 aller Ereignisse unserer eindimensionalen Raumschiene zum Zeitpunkt jetzt“ dar. Alle ” 48
Hinweis f¨ur Fortgeschrittene: Was hier als Momentbild“ bezeichnet wird, ist ” strenggenommen kein Bild, das im Auge eines (Einzel-)Beobachters entsteht (Licht-
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Abb. 7 Zur Orientierung in einem RZD
Parallelen zur x-Achse unterhalb des Nullpunkts sind demnach Momentbilder aller Ereignisse zu bestimmten Zeitpunkten in der Vergangenheit, Parallelen oberhalb der x-Achse sind Momentbilder zu Zeitpunkten in der Zukunft. Will man also einen Vorgang in einem RZD in zeitlicher Hinsicht verfolgen, legt man ein (am besten transparentes) Lineal parallel zur x-Achse und verschiebt es dann unter Beibehaltung dieser Parallelit¨at in Richtung des Pfeils der ct-Achse. H¨alt man das Lineal dabei irgendwo an, erh¨alt man ein Momentbild aller Ereignisse auf der eindimensionalen Raumschiene zu demjenigen Zeitpunkt, der am Schnittpunkt des Lineals mit der ct-Achse abgelesen werden kann. Ereignisse auf der x-Achse oder auf Parallelen zu ihr sind also f¨ur den zugeh¨origen Beobachter jeweils gleichzeitig. Die ct-Achse bildet in zeitlicher Reihenfolge alle Ereignisse ab, die am Ort x = 0 geschehen, sie stellt die Weltlinie des Ortes x = 0 (und damit auch die des Ruhebeobachters) oder dessen Geschichte“ in Vergangenheit ” und Zukunft dar. Parallelen zur ct-Achse sind dann Weltlinien anderer Orte, n¨amlich derjenigen, die am Schnittpunkt der Parallelen mit der x-Achse abgelesen werden k¨onnen. H¨alt man ein Lineal parallel zur ct-Achse, u¨ berblickt man sofort die Geschichte des betreffenden Ortes. Ereignisse auf Parallelen zur ct-Achse finden also f¨ur den zugeh¨origen Beobachter jeweils am selben Ort statt.
Bewegung im RZD Betrachten wir nun bewegte Objekte in unserem RZD: Wegen der Wahl der Skalierung f¨ur die ct- und x-Achse sind f¨ur Bewegungen mit Geschwindigkeiten unter c nicht mehr (wie beim Zugfahrplan) Weltlinien mit allen laufzeiten!). Sorgf¨altige Autoren unterscheiden zwischen Weltbild“ und Weltkar” ” te“; um letztgenannte geht es hier.
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
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Abb. 8 Gleichf¨ormige Bewegungen im RZD: A ruht; B bewegt sich nach rechts; C bewegt sich schneller als B nach rechts; D bewegt sich fast mit c nach rechts
m¨oglichen Steigungen zul¨assig: Wenn sogar die Lichtweltlinie, die ja die schnellstm¨ogliche Bewegung abbildet, eine Steigung von 45◦ hat und andererseits Weltlinien ruhender Objekte senkrecht verlaufen, dann m¨ussen die Weltlinien aller Objekte mit Geschwindigkeiten zwischen null und c steiler als 45◦ verlaufen (Abb. 8). Alle Weltlinien in dieser Abbildung verlaufen durch ein Referenzereignis im Nullpunkt (= Zusammentreffen der Objekte A, B, C und D). Man erkennt folgendes Verhalten der Weltlinien: • Je langsamer die Bewegung eines Objekts ist, desto mehr schmiegt sich seine Weltlinie an die Vertikale an, • je schneller die Bewegung eines Objekts ist, desto mehr schmiegt sich seine Weltlinie an die des Lichts (L) an, • Weltlinien, die flacher als L verlaufen, existieren nicht49 . Analog gilt in der r¨aumlich zweidimensionalen Welt: Weltlinien zum Nullpunkt hin und vom Nullpunkt weg k¨onnen nur innerhalb seines Lichtkegels verlaufen oder maximal (f¨ur Bewegungen mit c ) auf diesem (Abb. 9). Objekte, die den Nullpunkt passieren, k¨onnen keine Weltlinien außerhalb seines Lichtkegels erzeugen. Am Lichtkegel von Abb. 9 lassen sich auch gut die f¨ur Einsteiger recht abstrakt klingenden Begriffe licht-, raum- und zeitartig erl¨autern: • Vom Ereignis P aus ist es keinem Objekt, und auch nicht dem Licht, m¨oglich, das Nullpunktereignis zu erreichen, weil die Weltlinie dieses Objekts dann flacher als L verlaufen m¨ußte, entsprechend einer (nicht m¨oglichen) u¨ berlichtschnellen Bewegung. Man sagt: P und 0 liegen raumartig“ zueinander. ” ¨ von Tachyonen abgesehen (hypothetische Teilchen mit Uberlichtgeschwindigkeit)
49
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Abb. 9 Zur Erl¨auterung der Begriffe licht-, raum- und zeitartig
• Vom Ereignis Q (innerhalb des Lichtkegels gelegen) aus kann das Nullpunktereignis sehr wohl erreicht werden (auch von materiellen Teilchen): Eine Weltlinie W von Q zu 0 hat die erlaubte Steigung steiler als 45◦ . Der Fachausdruck daf¨ur ist: Q und 0 liegen zeitartig“ zueinander. ” Eine alternative Definition daf¨ur w¨are: Zwei Ereignisse liegen dann zeitartig zueinander, wenn sie durch einen mindestens einmal reflektierten Lichtblitz miteinander verbunden werden k¨onnen. Beispiel in Abb. 9: Die Ereignisse Q und 0 k¨onnen durch einen Lichtblitz verbunden werden, der von Q aus zuerst das Ereignis R erreicht (gepunktet in der Abbildung) und dort zu 0 hin reflektiert wird (zu Spiegelungen: siehe Abb. 4). • Vom Ereignis R (genau auf dem Lichtkegel liegend) aus kann das Nullpunktereignis nur durch eine lichtschnelle Bewegung (ohne zwischengeschaltete Spiegelung) erreicht werden, z.B. durch das Licht selbst. Die Beziehung zwischen R und 0 nennt man daher naheliegenderweise lichtartig“. Die verbindende Weltlinie ist die Lichtweltlinie mit der 45◦ ” Steigung. Lichtweltlinien selbst repr¨asentieren immer lichtartige Ausbreitungsvorg¨ange, in der Summe“ verbindet aber ein reflektierter Lichtblitz zwei ” zeitartig zueinander gelegene Ereignisse (in Abb. 9: Q und 0).
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
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Die Weltlinien aller Objekte, die den Nullpunkt passieren, m¨ussen innerhalb des Doppelkegels verlaufen oder (f¨ur das Licht selbst) auf seiner Oberfl¨ache liegen. Die Wahl der Bezeichnungen zeit- und raumartig wird noch etwas transparenter, wenn man beachtet, daß • Ereignis P (raumartige Beziehung zum Nullpunkt) einen gr¨oßeren Raumabstand (= Entfernung zur Weltlinie des Nullpunkts) als Zeitabstand (= Abstand zur x-Achse) zum Nullpunkt hat; • Ereignis Q (zeitartige Beziehung zum Nullpunkt) einen gr¨oßeren Zeitabstand (= Entfernung zur x-Achse) als Raumabstand (= Abstand zur Weltlinie des Nullpunkts) zum Nullpunkt hat. Da Lichtkegel f¨ur alle denkbaren Punkte (= Ereignisse) eines RZD gezeichnet werden k¨onnen (nicht nur f¨ur den hier beispielhaft gew¨ahlten Nullpunkt), l¨aßt sich auch die Beziehung zwischen zwei beliebigen Ereignissen in die Kategorien zeit-, raum- oder lichtartig einordnen: Dazu braucht man nur durch eines der beiden Ereignisse den Lichtkegel zu zeichnen; durch die Lage des zweiten Ereignisses ist die Art der Beziehung festgelegt: - innerhalb des Lichtkegels: zeitartig; - außerhalb des Lichtkegels: raumartig; - auf dem Lichtkegel: lichtartig. Der Lichtkegel eines Ereignispunkts grenzt somit • Ereignisse, die zu diesem zeitartig liegen (innerhalb des Kegels), von solchen • Ereignissen ab, die zum gew¨ahlten Ereignispunkt raumartig liegen (außerhalb des Kegels). Alle Ereignisse, die der Ruhebeobachter gleichzeitig sieht, die also auf der xAchse (oder auf Parallelen zu ihr) liegen, liegen selbstverst¨andlich raumartig zueinander (da kein Lichtkegel gezeichnet werden kann, der zwei solcher Ereignisse enth¨alt). Nun noch ein praktisches Beispiel zu dem Konzept von raumartigen, zeitartigen und lichtartigen Beziehungen zwischen zwei Ereignissen, das sich zwar recht abstrakt anh¨ort, aber bei zuk¨unftigen Marsmissionen zu handfesten Problemen f¨uhren kann: Angenommen, Mars befindet sich gerade in 20 Lichtminuten Entfernung; Uhren auf Erde und Mars seien synchronisiert. In der Marsstation bricht um 17 Uhr die Spannungsversorgung zusammen; man kann der Kontrollstation auf der Erde gerade noch mitteilen, daß man um genau 0000 Uhr f¨ur den
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Empfang eventueller Reparaturtips von der Erde (per Notstrom) ganz kurz auf Empfang gehen werde. Denkbare Fallkonstellationen: Ereignis 1
Ereignis 2
Beziehung
Ein Techniker auf der Erde hat exakt um 2340 Uhr den rettenden Gedankenblitz und funkt ihn sofort zum Mars.
Die Marsstation geht um genau 0000 Uhr kurzzeitig auf Empfang; die Reparatur gelingt.
lichtartig
Ein Techniker auf der Erde hat um 2330 Uhr den rettenden Gedankenblitz (der dann in Ruhe um 2340 Uhr abgeschickt werden kann).
Die Marsstation geht um genau 0000 Uhr kurzzeitig auf Empfang; die Reparatur gelingt.
zeitartig
Der Techniker hat die richtige Idee erst um 2350 Uhr.
Die Marsstation geht um genau 0000 Uhr kurzzeitig (vergebens) auf Empfang.
raumartig
In der Sprache“ unseres RZD: ” ¨ • Im lichtartigen Fall ist f¨ur die rechtzeitige Ubermittlung der rettenden Idee ein Signal mit Lichtgeschwindigkeit erforderlich: Weltlinie mit 45◦ Steigung. ¨ • Im zeitartigen Fall k¨ame (theoretisch) eine Ubermittlung mit einer Signalgeschwindigkeit unter c in Frage: Weltlinie steiler als 45◦ . • Im raumartigen Fall w¨are eine (nicht m¨ogliche) u¨ berlichtschnelle Signal¨ubermittlung n¨otig: Weltlinie mit einer (unzul¨assigen) Steigung flacher als 45◦ . An diesem Beispiel wird ganz deutlich, daß eine wie auch immer geartete Beeinflussung von Ereignis 2 durch Ereignis 1 nur im licht- oder zeitartigen Fall m¨oglich ist, nicht jedoch im raumartigen Fall. Der Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Steigung der Weltlinie l¨aßt sich beim rechtwinkligen Koordinatensystem auch leicht quantitativ ausdr¨ucken, wobei diese Formel aber f¨ur das weitere Verst¨andnis keinerlei Rolle spielt (Abb. 10).
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
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Abb. 10 Zum Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit und Steigung der Weltlinie
Im rechtwinkligen Dreieck gilt:
tan β =
Weg v = c · Zeit c
Die Extremf¨alle dieser Beziehung lauten: v = 0 ⇔ β = 0◦ : vertikale Weltlinie; v = c ⇔ β = 45◦ : Lichtweltlinie. F¨ur das Objekt in Abbildung 10 ergibt sich: v = 0, 7 c v = 0, 7 c , also 70 % der Lichtgeschwindigkeit β = 35◦
⇒
⇒
tan β =
Nur zur Verdeutlichung: Eine (schr¨ag) nach oben verlaufende Weltlinie bedeutet nicht, daß sich hier ein Objekt (schr¨ag) nach oben bewegt! Nein, alle r¨aumlichen Bewegungen spielen sich nur auf der Ortsachse (x) ab; wir stellen den Raum n¨amlich nur eindimensional dar. Nur der im RZD zus¨atzlich dargestellte zeitliche Ablauf in Richtung des Pfeils der Zeitachse f¨uhrt zur (schr¨ag) nach oben verlaufenden Weltlinie. Dies ist zu Beginn sicher gew¨ohnungsbed¨urftig, geht aber bei genauem Studium der hier vorgestellten RZD bald ins Blut u¨ ber“. ” Da also der Zeitablauf schon in die Konstruktion einer Weltlinie eingeflossen ist, w¨aren auch Formulierungen der Art Bewegung entlang einer ” Weltlinie“ wie h¨olzernes Holz“! ” In den meisten RZD betrachten wir Objekte, die man sich sehr klein, ja sogar idealisiert als punktf¨ormig vorstellen muß. Durch den zeitlichen Ablauf in Richtung der ct-Achse wird aus solchen Punktobjekten eine strichf¨ormige Weltlinie. Reale Objekte haben dagegen eine r¨aumliche Ausdehnung; wie k¨onnen wir solche Objekte im RZD abbilden? Stellen wir uns dazu z.B. einen ganz d¨unnen, langen Stab vor, der im System des Ruhebeobachters entlang der x-Achse ausgelegt ist. Dann erzeugt nat¨urlich jedes einzelne Atom des Stabes eine Weltlinie, letztere verlaufen alle parallel. Unter Vernachl¨assigung solcher mikroskopischer Feinheiten kann man ein
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r¨aumlich ausgedehntes Objekt im RZD als kontinuierlichen Streifen darstellen, auch Weltfl¨ache“ genannt. ” Das bisher gewonnene Wissen k¨onnen wir als Zwischenergebnis mit folgenden Grundregeln (GR) formulieren: GR 1: Jeder Punkt im RZD, also jedes Wertepaar (x, t), stellt ein Ereignis in der r¨aumlich eindimensionalen Welt dar. Die Aneinanderreihung der Ereignisse eines Objekts ist dessen Weltlinie. GR 2: Der Ruhebeobachter, der das RZD zeichnet, ruht am Ort x = 0 . Seine Weltlinie verl¨auft entlang der Zeitachse. GR 3: Bei der gew¨ahlten Achsenskalierung und -anordnung bildet die Weltlinie des Lichts stets einen 45◦ -Winkel mit der Vertikalen (in der r¨aumlich zweidimensionalen Welt: Lichtkegel). GR 3a: Eine Spiegelung des Lichts a¨ ußert sich im RZD durch ein Umknicken der Lichtweltlinie um 90◦ nach oben. GR 4: Gleichf¨ormige (= Inertial-) Bewegungen bilden gerade Weltlinien mit Winkeln zwischen null und 45◦ mit der Vertikalen. GR 4a: Je gr¨oßer die Relativgeschwindigkeit ist, desto flacher wird die Weltlinie und schmiegt sich der des Lichts an. Je niedriger die Geschwindigkeit ist, desto steiler verl¨auft die Weltlinie und schmiegt sich der Vertikalen an; ruhende Objekte erzeugen senkrechte Weltlinien. GR 4b: Gleichschnelle Objekte erzeugen parallele Weltlinien. GR 4c: Schnittpunkte von Weltlinien bedeuten die Begegnung zweier Objekte (oder eines Objekts mit einem Lichtblitz). GR 5: Parallelen zur x-Achse sind Momentbilder zu bestimmten Zeitpunkten in Vergangenheit, Gegenwart (= x-Achse selbst) oder Zukunft ( Gleichzeitigkeitslinien“). ” GR 5a: Gleichzeitigkeit bedeutet f¨ur den betreffenden Beobachter: Parallelit¨at zu seiner x-Achse. GR 6: Parallelen zur ct-Achse sind die Geschichte“ von Orten. ” GR 6a: Am selben Ort“ bedeutet f¨ur den betreffenden Beobachter: Paral” lelit¨at zu seiner ct-Achse. Im n¨achsten Abschnitt werden wir unter Anwendung dieser Regeln zus¨atzlich einen bewegten Beobachter als Gast in unser RZD aufnehmen.
1.17.2 Teil 2 – Andere Leute, andere Achsen Hinweis: F¨ur Leser, die die Abschnitte 1.3 bis 1.16 bew¨altigt haben, wird vor allem in Teil 2 und 3 dieses Abschnittes 1.17 vieles des fr¨uher Gebrachten in graphischer Darstellung wiederholt und dadurch auch klarer!
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
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In Teil 1 haben wir gelernt, was ein RZD ist und wie man sich darin orientiert; ferner haben wir seine Achsen f¨ur unsere Zwecke zurechtgezimmert. Vor der Bearbeitung dieses zweiten Teils sollte der Leser noch einmal die im ersten Teil gewonnenen Grundregeln GR 1 bis 6a studieren. Betrachten wir nun zwei Inertialbeobachter A und B, die sich auf der eindimensionalen Raumschiene vom Nullpunkt aus voneinander entfernen. So sieht das RZD aus, wenn A als ruhend betrachtet wird (siehe GR 2 und 4) (Abb. 11a). Abb. 11a Zwei Beobachter verschiedenen Bewegungszustands: A ruht, B flieht nach rechts
Wegen des Relativit¨atsprinzips (siehe Kasten 1 in Teil 1) kann sich aber auch B als ruhend ansehen, dann ergibt sich das folgende RZD (Abb. 11b). Abb. 11b B ruht, A flieht nach links
Es handelt sich also um eine absolut symmetrische Situation. Wenn wir beide Beobachter in ein RZD einzeichnen, dann gelten aber unsere bisheri¨ gen Uberlegungen zur Lage und Skalierung der Achsen nur f¨ur den Ruhebeobachter, der bei x = 0 ruht und dessen Achsen wir senkrecht aufeinander gew¨ahlt haben. Wir d¨urfen keineswegs darauf vertrauen, daß auch der bewegte Beobachter die x-Achse benutzen kann (die ct-Achse sowieso nicht, außer beide Beobachter w¨aren immer am selben Ort x = 0). Wenn wir aber wissen wollen, ob ruhender und bewegter Beobachter beim Messen
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von Strecken und Zeitabschnitten eventuell verschiedene Ergebnisse erhalten, dann m¨ussen wir zwei entscheidende Fragen beantworten: 1. Wie liegen die Achsen des bewegten Beobachters im RZD des Ruhebeobachters? 2. Sind die Achsen des bewegten Beobachters mit denselben Skalen zu versehen wie die des Ruhebeobachters? Im Folgenden wird der Ruhebeobachter immer mit A bezeichnet, der bewegte Beobachter mit B. Eine Teilantwort zur Frage 1 kann sofort gegeben werden: F¨ur den Ruhebeobachter A verl¨auft seine ct A -Achse entlang seiner Weltlinie, da er sich als am Ort x A = 0 ruhend ansieht (GR 2). Analog muß aber wegen des Relativit¨atsprinzips auch f¨ur einen bewegten Beobachter B gelten: Der sieht sich selbst am Ort x B = 0 als ruhend an. Dessen ct B -Achse muß also auch entlang seiner Weltlinie verlaufen (Abb. 12). Denn die ct B -Achse besteht aus allen Orten, f¨ur die gilt: x B = 0 . Abb. 12 Lage der Zeitachsen zweier zueinander bewegter Beobachter A und B, die sich im Nullpunkt getroffen haben.
Newton w¨are an dieser Stelle mit der Ausgestaltung des RZD vollauf zufrieden. Wir fragen aber vorsichtshalber als n¨achstes, ob B auch eine andere Ortsachse als A haben k¨onnte. Dazu erinnern wir uns an die Grundregel 5a, wonach gleichzeitige Ereignisse f¨ur den betreffenden Beobachter auf Parallelen zu dessen x-Achse liegen. Wir brauchen also nur zwei f¨ur B gleichzeitige Ereignisse zu finden; deren Verbindungslinie zeigt uns dann schon die Richtung der x B -Achse an.
Konstruktion der Ortsachse des bewegten Beobachters Um unser Ziel zu erreichen, geben wir dem bewegten Beobachter B zwei Begleiter B1 und B2 mit, die in gleichem Abstand von B (B1 vor ihm, B2 hinter ihm) mit gleicher Geschwindigkeit mitfliegen (Abb. 13a).
1.17
Raum-Zeit-Diagramme – Die Spezielle Relativit¨atstheorie in Bildern
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Abb. 13a Der bewegte Beobachter B hat zwei Begleiter B1 und B2 in gleichem Abstand; diese drei Weltlinien verlaufen parallel (GR 4b).
Wenn nun B z.B. im Zeitnullpunkt einen Lichtblitz aussendet (s. Abb. 13b), dann muß die Ankunft dieses Lichtblitzes bei B1 und B2 aus Sicht von B gleichzeitig erfolgen, denn B kann sich zusammen mit seinen Begleitern als ruhend ansehen (siehe Kasten 1 in Teil 1). Die Lichtweltlinien verlaufen wie immer im 45◦ -Winkel (siehe Kasten 2 in Teil 1 und GR 3). Die Schnittpunkte dieser Lichtweltlinien mit den Weltlinien von B1 und B2 sind Ereignisse, die f¨ur B gleichzeitig sind. Nach GR 5a muß daher die Gerade G in Abb. 13b eine Parallele zur gesuchten Ortsachse x B von B sein! Damit kennen wir schon die Richtung dieser Achse, die demnach stark von der Richtung von x A abweicht. Da wir bei allen unseren Schemata dieses Teils 2 davon ausgegangen sind, daß sich A und B im Nullpunkt des RZD getroffen haben, also zur Zeit t A = t B = 0 und am Ort x A = x B = 0 , muß Bs Ortsachse auch durch diesen Punkt laufen. Abb. 13b Konstruktion zweier Ereignisse, die f¨ur B gleichzeitig sind. Es sind die beiden Schnittpunkte (GR 4c) der Weltlinien von B1 und B2 mit den Lichtweltlinien L. Zur Verdeutlichung wurde die Gerade G durch diese beiden Ereignisse gelegt.
Wir brauchen nur die Gerade G bis zum Nullpunkt parallelverschieben, dann haben wir die Ortsachse x B gefunden. Es zeigt sich, daß ein bewegter Beobachter im RZD des Ruhebeobachters seine eigene“ Ortsachse hat. ”
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Mit einem weiteren Schachzug k¨onnen wir beweisen, daß die x B -Achse den gleichen Winkel mit der x A -Achse bildet wie die ct B -Achse mit der ct A Achse:
Abb. 13c Durch Zur¨uckspiegelung des Lichtblitzes von B1 /B2 zu B entsteht ein Lichtviereck“. ”
Dazu r¨usten wir Bs Begleiter B1 und B2 noch mit je einem Spiegel aus, mit dem sie Bs Lichtblitz zu ihm zur¨uckwerfen (Abb. 13c). Bez¨uglich der Spiegelungen erinnere man sich an GR 3a. Wir ersparen uns ab jetzt die separate Kennzeichnung von Beobachterweltlinien; man denke sich diese immer entlang der ct-Achsen der Beobachter (vergleiche Abb. 12 bis 13b). Das so entstandene Lichtviereck ist ein Rechteck (GR 3a), das um 45◦ gekippt ist (GR 3). Und in einem um 45◦ gekippten Rechteck • bildet die steilere Diagonale (= ct B -Achse!) mit der Vertikalen (= ct A Achse!) stets den gleichen Winkel • wie die flachere Diagonale (hier Gerade G = Parallele zur x B -Achse!) mit der Horizontalen (= x A -Achse!).
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Damit w¨are die obige Frage 1 nach der Lage der Achsen des bewegten Beobachters im RZD von A vollst¨andig beantwortet. Die aufgefundenen Achsen verlaufen so wie in Abb. 14 dargestellt.
Abb. 14 Lage aller Achsen, wenn Beobachter A ruht und B sich nach dem Treffen im Nullpunkt nach rechts bewegt.
Die x B -Achse bildet also mit der x A -Achse den gleichen Winkel β wie die ct B -Achse mit der ct A -Achse, wobei wieder gilt (siehe Teil 1): tan β = v/c . Bekannt ist auch schon, daß mit zunehmender Geschwindigkeit die ct B Achse an die Lichtweltlinie heranr¨uckt. Nun k¨onnen wir erg¨anzen, daß die x B -Achse dies in gleichem Ausmaß tut. Mit abnehmender Geschwindigkeit n¨ahern sich die Achsen des bewegten Beobachters denen des Ruhebeobachters. Bei Bewegung von B nach links zeigt nat¨urlich seine ct B -Achse nach links, die x B -Achse zeigt in diesem Fall nach rechts unten. Ordnet man also dem Ruhebeobachter ein rechtwinkliges Achsenkreuz zu, dann erh¨alt ein relativ dazu bewegter Beobachter ein schiefwinkliges Koordinatensystem nach obigem Muster. Theoretisch k¨onnte man auch dem Ruhebeobachter ein schiefwinkliges Koordinatengitter zuweisen; dann h¨atte ein mit der passenden Geschwindigkeit bewegter Beobachter ein rechtwinkliges. Aus Bequemlichkeitsgr¨unden wollen wir diesen Weg aber nicht
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beschreiten. Beachte: L ist f¨ur alle Beobachter die Winkelhalbierende zwischen Zeit- und Ortsachse!
B bekommt eine Skala Nun zur etwas kniffligeren Frage 2 (s.o.) nach der Skalierung der Achsen des bewegten Beobachters: Hierzu greifen wir auf das oben verwendete Lichtviereck zur¨uck, welches durch Lichtreflexion an zwei Spiegeln S entsteht, die vom jeweiligen Beobachter gleich weit entfernt sind und mit ihm ruhen (oder dieselbe Geschwindigkeit wie er haben). Abb. 15a Das Lichtviereck des Ruhebeobachters
Gehen wir zun¨achst von einem Lichtviereck des Ruhebeobachters aus. Wie in Abb. 15a gezeigt wird, ist es nat¨urlich ein Quadrat mit einer bestimmten Fl¨ache F; das Lichtviereck soll auf seiner steileren Diagonale (hier sogar senkrecht) bis zur Marke 1 Lichtsekunde“ reichen. Diese Diagonale ” ist selbstverst¨andlich die ct-Achse des Ruhebeobachters A. Ordnet man nun bewegten Beobachtern B, C, D usw. Lichtvierecke zu, die mit dem des Ruhebeobachters fl¨achengleich sind (was man mit dem Relativit¨atsprinzip fordern kann; bessere Erkl¨arung f¨ur Fortgeschrittene s.u.), dann zeigt sich etwas Interessantes (Abb. 15b): Die oberen Ecken dieser fl¨achengleichen und vom Nullpunkt ausgehenden Lichtvierecke liegen alle auf einer Kurve, die in der Mathematik als Hyperbel bekannt ist. Es ist die Eichhyperbel H des RZD, denn so wie • der Ruhebeobachter von 0 bis a eine Lichtsekunde auf seiner ct A -Achse mißt, so messen wegen des Relativit¨atsprinzips auch • der Beobachter B von 0 bis b eine Lichtsek. auf seiner ct B -Achse, • ein Beobachter C von 0 bis c eine Lichtsek. auf seiner ctC -Achse, • ein Beobachter D von 0 bis d eine Lichtsek. auf seiner ct D -Achse usw.
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Abb. 15b Die oberen Ecken dieser fl¨achengleichen Lichtvierecke liegen alle auf einer Hyperbel H .
Denn die ct-Achsen der bewegten Beobachter laufen ja entlang der steileren Diagonale der Lichtvierecke, wie wir schon wissen. Leser mit Vorkenntnissen brauchen sich nat¨urlich nicht damit zu begn¨ugen, daß vom Nullpunkt ausgehende fl¨achengleiche und um 45◦ gekippte Rechtecke mit ihren oberen Ecken eine Hyperbel bilden. Sie wissen eventuell: Ordnet man dem Quadrat des Raum-Zeit-Intervalls x 2 − c2 t 2 den Standardwert −1 zu, dann ergibt sich graphisch (nach dem Muster x 2 − y 2 = 1) eine Einheitshyperbel (ebenso wie der Ausdruck x 2 + y 2 = 1 zum Einheitskreis f¨uhrt). Und f¨ur jeden Punkt (= Ereignis) auf der Hyperbel gilt: x 2 − c2 t 2 = −1 , unabh¨angig vom Beobachter. Ein Beobachter, der ein Ereignis auf seiner Weltlinie mit dieser Hyperbel zusammenfallen sieht, mißt f¨ur dieses Ereignis x = 0, ct = ± 1 . Formen wir das Quadrat des Raum-Zeit-Intervalls um: x 2 − (ct)2 = (x + ct) · (x − ct) , so erkennt man u¨ brigens, daß obige Erkl¨arungskr¨ucke“ (Fl¨ache F der Licht” vierecke) physikalisch v¨ollig gerechtfertigt ist: Die beiden Faktoren auf der rechten Seite der letzten Gleichung sind n¨amlich in der Tat die Seitenl¨angen der Lichtvierecke, und das Produkt somit ihre Fl¨ache! (Man erkennt dies
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bei Einf¨uhrung eines neuen Koordinatensystems mit den Lichtweltlinien als Hauptachsen.) Die Strecken vom Nullpunkt bis zu den Schnittpunkten ct-Achsen/Hyperbel H sind also die Zeit-Einheitsmaßst¨abe der betreffenden Beobachter mit beliebigen Geschwindigkeiten im Bereich −c bis +c (bezogen auf den Ruhebeobachter). Die Abb. 15c soll den Zusammenhang zwischen Relativgeschwindigkeit und der Skaleneinteilung der ct-Achsen noch mehr verdeutlichen:
Abb. 15c Zur Verdeutlichung des Zusammenhangs zwischen Relativgeschwindigkeit und Skaleneinteilung auf den ct-Achsen (Erl¨auterung siehe Text)
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• Die Relativgeschwindigkeit bestimmt bekanntlich die Steigung der ctAchse (A ruht; die u¨ brigen Beobachter in Abb. 15c, also B, C, D und E, bewegen sich − mit in dieser Reihenfolge zunehmender Geschwindigkeit − nach rechts); • die Steigung der ct-Achsen wiederum bestimmt den Abstand zwischen ihren Schnittpunkten mit der Eichhyperbel H und dem Nullpunkt. Diese Abst¨ande sind jeweils eine Zeiteinheit auf der ct-Achse des betreffenden Beobachters. Analoge Lichtvierecke mit gleicher Fl¨ache F kann man auch f¨ur die Ortsachse bilden (nun ausgehend von L und mit der linken Ecke des Lichtvierecks jeweils im Nullpunkt); es ergibt sich als H¨ullkurve auch hier eine Hyperbel (Abb. 15d). Diese zus¨atzliche (zur ersten symmetrische) Hyperbel stellt die Eichhyperbel H f¨ur die Ortsachsen dar: So wie der Ruhebeobachter A vom Nullpunkt bis zum Schnittpunkt der x A -Achse mit der Hyperbel eine Lichtsekunde mißt, so mißt auch jeder bewegte Beobachter B vom Nullpunkt bis zum
Abb. 15d Zus¨atzliche Eichhyperbel f¨ur die Ortsachsen
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Schnittpunkt von dessen Ortsachse x B mit der Hyperbel genau eine Lichtsekunde. Auch dies gilt f¨ur alle denkbaren Relativgeschwindigkeiten von −c bis +c . Aus Abb. 15d ist auch ersichtlich, daß die flachere Diagonale dieser Lichtvierecke identisch ist mit der Ortsachse des betreffenden Beobachters. Der Leser sollte sich an dieser Stelle nicht dadurch irritieren lassen, daß die L¨angeneinheiten der bewegten Beobachter im RZD l¨anger sind als die des Ruhebeobachters, die Bedeutung dieses Befundes kl¨art sich bald auf. Was haben wir nun mit unseren Eichhyperbeln gewonnen? Fast die ganze Welt der SRT, k¨onnte man antworten! Wir k¨onnen damit in jedem beliebigen Inertialsystem alle m¨oglichen Zeitabschnitte und L¨angen vermessen! Gleichzeitig haben wir damit auch die oben gestellte Frage 2 nach der Skalierung der Achsen des bewegten Beobachters beantwortet. Das Koordinatennetz des bewegten Beobachters B kann nun vollst¨andig gezeichnet werden (Abb. 16).
Abb. 16 Das richtig skalierte Koordinatennetz des bewegten Beobachters B im ¨ RZD von A. Von den Eichhyperbeln H sind der Ubersichtlichkeit halber nur die zentralen Anteile gezeichnet.
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Durch Ausmessen k¨onnen wir nun z.B. feststellen, daß das Ereignis X f¨ur B 2,5 Sekunden nach der Zeit t B = 0 und am Ort x B = 0 stattfindet, das Ereignis Y nach 2 s und 1 Lichtsekunde rechts vom Nullpunkt sowie das Ereignis Z 1,5 Lichtsekunden rechts vom Nullpunkt, aber zur B-Zeit null usw. Unsere Eichhyperbeln sind also hocheffektive Werkzeuge, mit denen wir im n¨achsten Abschnitt viele Ph¨anomene der SRT aufzeigen k¨onnen. Als Zusammenfassung dieses Teils 2 k¨onnen wir unseren Grundregeln noch zwei hinzuf¨ugen: GR 7: Ordnet man einem Ruhebeobachter ein rechtwinkliges Koordinatensystem zu, dann ergibt sich f¨ur einen relativ dazu bewegten Beobachter ein schiefwinkliges. Dessen Zeitachse entspricht der Weltlinie des bewegten Beobachters; die Ortsachse bildet mit der Horizontalen den gleichen Winkel wie die Zeitachse mit der Vertikalen. F¨ur alle Inertialbeobachter ist die Lichtweltlinie L die Winkelhalbierende zwischen Zeit- und Ortsachse. GR 8: Die Skaleneinteilung der Orts- und Zeitachse des bewegten Beobachters ergibt sich aus dem Abstand zwischen dem Nullpunkt und dem Schnittpunkt der Achsen mit der Eichhyperbel. Dieser Abstand entspricht f¨ur alle Inertialbeobachter mit beliebiger Geschwindigkeit einer Entfernungs- bzw. Zeiteinheit.
¨ Leser des Abschnitts 1.13 Hinweis fur Vermißt man die Lage eines bestimmten Ereignispunktes des RZD abwechselnd mit den Koordinaten des ruhenden Beobachters A bzw. mit denen des bewegten Beobachters B, dann ist dieses Vorgehen nichts anderes als die graphische Ausf¨uhrung einer Lorentz-Transformation f¨ur den betreffenden Punkt. Das folgende RZD (Abb. 16a) ist f¨ur eine Relativgeschwindigkeit von ca. 0,83 c gezeichnet. Im System von B hat z.B. der Punkt X die Koordinaten: ct B = 1 Lichtsekunde, also t B = 1 Sekunde und x B = 0 Lichtsekunden Setzt man diese B-Koordinaten in die inversen Lorentz-Transformationen (Gleichungen (1.72)) ein, so ergeben sich folgende A-Koordinaten:
⇒
t A = 1/ 1 − v 2 /c2 Sekunden ct A = 1/ 1 − v 2 /c2 Lichtsekunden und
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Abb. 16a Ein RZD mit zwei relativ zueinander bewegten Beobachtern ist eine gra” phische Lorentz-Transformation“.
⇒
x A = v · 1 Sekunde/ 1 − v 2 /c2 x A = (v/c)/ 1 − v 2 /c2 Lichtsekunden.
In Zahlen (mit v = 0, 83 c) ergeben sich: ct A = 1, 79 Lichtsekunden und x A = 1, 49 Lichtsekunden. Diese errechneten Werte stimmen genau mit den A-Koordinaten der Abbildung u¨ berein (vergleiche die auf die A-Achsen projizierten Koordinaten des Ereignispunktes X ). Vergleichbare Betrachtungen k¨onnte man auch f¨ur jeden anderen Punkt des RZD anstellen. Ein RZD, in dem die Koordinatennetze zweier relativ zueinander bewegter Beobachter u¨ berlagert sind, ist also ganz einfach die graphische Repr¨asentation der Lorentz-Transformationen der komplet-
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ten abgebildeten (1+1 -dimensionalen) Raumzeit f¨ur die gew¨ahlte Relativgeschwindigkeit! Und gleich noch ein weiterer Hinweis f¨ur Leser, die den Abschnitt 1.13 bew¨altigt haben: Sie k¨onnen die Geradengleichungen der Achsen des bewegten Beobachters leicht aus den Lorentz-Transformationen bestimmen: v • In (1.70) t = 0 setzen ⇒ t = v · x/c2 ⇒ ct = · x c (Gleichung f¨ur x B -Achse mit Steigung v/c); c • in (1.69) x = 0 setzen ⇒ x = v · t ⇒ ct = · x v (Gleichung f¨ur ct B -Achse mit Steigung c/v)!
1.17.3 Teil 3 – Reiche Ernte Nach der m¨uhevollen Erarbeitung der Grundregeln 1 bis 8 in den ersten beiden Teilen wartet nun eine reiche Ernte auf uns: Das Tor zur graphischen Darstellung vieler Ph¨anomene der SRT steht weit offen.
Raumkontraktion Einstein hat vorhergesagt, daß man Strecken (in Bewegungsrichtung) in einem anderen schnell bewegten Inertialsystem verk¨urzt (kontrahiert) sieht. Zur Darstellung dieser Raumkontraktion in einem RZD m¨ussen wir uns aber erst u¨ berlegen, was es bedeutet, L¨angenmessungen an bewegten Objekten auszuf¨uhren: Eine solche L¨angenmessung muß durch gleichzeitige Ortsablesung beider Enden eines bewegten Objektes erfolgen. W¨urde man n¨amlich zwischen der Ablesung am vorderen und der am hinteren Ende eines Objekts eine auch noch so kleine Zeitspanne vergehen lassen, dann w¨are das Meßergebnis durch die Bewegung des Objekts w¨ahrend dieser Zeitspanne massiv verf¨alscht. Nur durch eine gleichzeitige Ortsbestimmung der beiden Enden des Objekts wird seine L¨ange bei Relativbewegung sinnvoll definiert. Abb. 17a zeigt die Messung eines im System des Ruhebeobachters ruhenden Maßstabs durch einen bewegten Beobachter B. Diese Abbildung soll im Folgenden erl¨autert werden: Im System des Ruhebeobachters ruht ein Maßstab der L¨ange 1 Lichtsekunde. Die Weltlinien seiner Enden verlaufen damit senkrecht. Die L¨ange dieses Maßstabes beurteilt der bewegte Beobachter B nach dem oben Gesagten durch gleichzeitige Ortsbestimmung seiner Enden. Gleichzeitig“ be” deutet aber f¨ur B z.B. all das, was sich auf seiner Ortsachse x B abspielt (GR 5a). B schaut also nach, wo die Weltlinien der Maßstabenden seine
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Abb. 17a B sieht Strecken im System von A verk¨urzt (siehe Text).
x B -Achse schneiden; dies ist in 0 und S der Fall. F¨ur B ist aber die Strecke 0R 1 Lichtsekunde lang, also ist Bs Meßergebnis (Strecke 0S) k¨urzer als 1 Lichtsekunde! F¨ur den relativ zu A bewegten Beobachter B sind somit Strecken im System von A (die in Bewegungsrichtung liegen) tats¨achlich verk¨urzt (kontrahiert)! Wegen des Relativit¨atsprinzips muß aber auch gelten, daß A Strecken im System von B verk¨urzt sieht, was sogleich demonstriert werden soll (Abb. 17b): Hier bewegt sich ein Maßstab mit B nach rechts, er ruht im System von B. Die Weltlinien seiner Enden laufen damit parallel zur Zeitachse ct B . F¨ur B hat dieser Maßstab die L¨ange 1 Lichtsekunde, da er auf der x B -Achse vom Nullpunkt bis zum Schnittpunkt R mit der Hyperbel reicht. A beurteilt die L¨ange dieses Maßstabs danach, in welchem Abstand die Weltlinien der Maßstabenden die x A -Achse schneiden (gleichzeitige Ortsbestimmung). Dieser Abstand ist die Strecke 0Q, und die ist k¨urzer als 1 Lichtsekunde auf As Ortsachse (0P)! Also mißt auch A Strecken im System von B verk¨urzt!
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Abb. 17b Auch A sieht Strecken im System von B verk¨urzt.
Das Ph¨anomen der Raumkontraktion ist somit tats¨achlich symmetrisch. Merke: Ein Beobachter mißt Strecken (in Bewegungsrichtung) in einem relativ zu ihm bewegten System verk¨urzt. N¨ahert sich die Relativgeschwindigkeit zwischen beiden Beobachtern c an, dann geht die L¨ange von Strecken gegen null. Hinweis: Reale Objekte w¨urden aber nicht verk¨urzt gesehen, sondern (durch die sogenannte Lichtaberration) so verkippt aussehen, daß die perspektivische Verk¨urzung genau der Raumkontraktion entspr¨ache.
¨ Um wieviel verkurzt? Am Beispiel der Raumkontraktion soll nun gezeigt werden, daß auch das quantitative Ausmaß relativistischer Effekte aus den RZD ermittelt werden kann. Dies geschieht nur f¨ur tiefer Interessierte; diese Berechnung ist f¨ur das weitere Verst¨andnis des Textes absolut unwichtig. − Wir legen zwei St¨abe in ein RZD (Abb. 18):
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1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Abb. 18 Zur quantitativen Bestimmung des Ausmaßes der Raumkontraktion
Der A-Stab ruht im System von A, der B-Stab in dem von B. Der AStab reicht im System von A von 0 bis P, ist also eine L¨angeneinheit lang. Wir wissen schon, daß B diesen A-Stab verk¨urzt sieht. Wenn wir den Verk¨urzungsfaktor, um den der A-Stab f¨ur B verk¨urzt ist, n nennen (n ≤ 1), dann gilt f¨ur Bs Meßergebnis auf seiner Ortsachse x B (gleichzeitige Ortsablesung der Maßstabenden): 0S = n · 0R
(0R ist Bs L¨angeneinheit)
(1.76)
Die L¨ange des B-Stabs ist nun so gew¨ahlt, daß er f¨ur B genauso lang ist wie die von B ermittelte L¨ange des A-Stabs, er reicht also im B-System von 0 bis S. Nun will A wiederum diesen B-Stab vermessen. Gem¨aß (1.76) ist der B-Stab gegen¨uber Bs L¨angeneinheit 0R schon um den Faktor n verk¨urzt, er
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ist also kein Einheitsmaßstab. F¨ur A ist der B-Stab bei Messung auf As Ortsachse x A (gleichzeitige Ortsablesung) (weiter) verk¨urzt, und zwar wegen des Relativit¨atsprinzips auch um den Faktor n. Im Vergleich zu As L¨angeneinheit 0P ist der B-Stab somit insgesamt um n 2 verk¨urzt: 0Q = n 2 · 0P
Daraus folgt: 0Q / 0P = n 2
(1.77)
Ferner gelten:
tan β = v/c = S P / 0P
(1.78)
tan β = v/c = Q P / S P
(1.79)
(Winkel Q S P = β , da die Strecke Q S parallel zur ct B -Achse ist.) 0Q = 0P − Q P Aus (1.78) folgt:
S P = 0P · v/c
Einsetzen in (1.79):
QP v = c 0P · v/c
(1.80)
⇒
Q P = 0P · v 2 /c2
Einsetzen in (1.80): 0Q = 0P − 0P · v 2 /c2 = 0P · (1 − v 2 /c2 ) ⇒
0Q / 0P = 1 − v 2 /c2
Vergleich mit (1.77): n 2 = 1 − v 2 /c2 Somit : n = 1 − v 2 /c2 Dieser Ausdruck ist der Kehrwert des Gamma-Faktors“ (siehe dazu Kasten ” 3 auf Seite 158). Die Raumkontraktion l¨aßt sich nun vollst¨andig so formulieren: Ein Beobachter sieht Strecken, die in einem relativ zu ihm bewegten System in Bewegungsrichtung liegen, um den Faktor 1 − v 2 /c2 verk¨urzt.
Zeitdilatation Sie ist das wohl ber¨uhmteste Ph¨anomen der SRT; die Darstellung mit einem RZD ist einfach (Abb. 19a): F¨ur den ruhenden Beobachter A stellt die Strecke 0PA eine Zeiteinheit dar. Wie ordnet nun der bewegte Beobachter B den Ereignispunkt PA in zeitlicher Hinsicht in Bezug auf das gemeinsame Referenzereignis im Nullpunkt ein? Er legt eine Parallele zu seiner x B -Achse durch PA (GR 5a) und registriert, wo diese Parallele seine Zeitachse ct B schneidet. Dies ist bei R
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Kasten 3: Der Gamma-Faktor Der Gamma-Faktor hat in quantitativer Hinsicht eine zentrale Bedeutung in der SRT. In einem relativ zu einem Ruhebeobachter mit der Geschwindigkeit v bewegten Inertialsystem wird z.B. • die Zeit um den Gamma-Faktor gedehnt, • die Masse um den Gamma-Faktor vermehrt, • der Raum um den Kehrwert des Gamma-Faktors kontrahiert. In der Formelsprache lautet er: 1/ 1 − v 2 /c2 Hierzu eine kleine Wertetabelle: Geschwindigkeit
Wert des γ -Faktors
0,1 c 0,5 c 0,6 c 0,7 c 0,8 c 0,9 c 0,98 c 0,99 c 0,999 c
1,005 1,155 1,250 1,400 1,667 2,294 5,025 7,089 22,366
(siehe auch Gamma-FaktorDiagramm in Abschnitt 1.3)
Man erkennt, daß sich der Wert des Gamma-Faktors bei Relativgeschwindigkeiten bis ca. 0,5 c noch nicht weit von 1 entfernt, ab etwa 0,9 c erfolgt aber ein dramatischer Anstieg. Wenn die Relativgeschwindigkeit gegen c geht, steigt der Wert des Gamma-Faktors ins Unendliche.
der Fall: PA und R sind f¨ur B gleichzeitig. Die Zeitspanne zwischen dem Zusammentreffen von A und B im Nullpunkt und dem Ereignis PA beurteilt damit B auf seiner Zeitachse wie den Zeitabschnitt zwischen Nullpunkt und R. Und der ist l¨anger als seine eigene Zeiteinheit (Strecke 0PB )! F¨ur den bewegten Beobachter B sind also Zeitabschnitte im System von A verl¨angert ( dilatiert“). Damit haben wir ein weiteres wichtiges Ph¨anomen der SRT gra” phisch dargestellt.
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Abb. 19a B sieht Zeitabschnitte im System von A verl¨angert. . .
Strenggenommen ben¨otigt B mindestens zwei Vergleichsuhren: • Eine auf der Weltlinie von B = ct B -Achse, die bei R abgelesen wird; • eine zweite Uhr mit einer zur ct B -Achse parallelen Weltlinie durch PA (gepunktete Linie), die im Ereignispunkt PA (somit f¨ur B gleichzeitig mit R) abgelesen wird. Wegen des Relativit¨atsprinzips muß aber auch gelten, daß A Zeitabschnitte im System von B dilatiert sieht, und auch dies l¨aßt sich graphisch darstellen (Abb. 19b). Hier ist die Strecke 0PB eine Zeiteinheit im System von B. A beurteilt den Ereignispunkt PB in zeitlicher Hinsicht in Bezug auf das gemeinsame Referenzereignis im Nullpunkt dadurch, daß er eine Parallele zu seiner x A Achse durch diesen Punkt legt und schaut, wo diese Parallele seine Zeitachse ct A schneidet; das ist bei Q der Fall50 . Die Strecke 0Q ist aber l¨anger als 50
Strenggenommen muß man sich vorstellen, daß A (mindestens) zwei Vergleichsuhren mitlaufen l¨aßt: Eine im Nullpunkt und eine zweite, deren Weltlinie durch PB verl¨auft (gepunktet in Abb. 19b) und die dort zur Zeit Q abgelesen wird.
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Abb. 19b . . . und A sieht Zeitabschnitte im System von B verl¨angert.
As Zeiteinheit (= 0PA ). Also sieht auch A Zeitabschnitte im System von B dilatiert! Merke: In einem relativ zu ihm bewegten System mißt ein Beobachter Zeitabschnitte (z.B. die Zeit zwischen zwei Schl¨agen einer Uhr) verl¨angert. Der Verl¨angerungsfaktor ist hier der Gamma-Faktor (siehe Kasten 3), wie ¨ sich durch a¨ hnliche geometrische Uberlegungen wie bei der Raumkontraktion zeigen l¨aßt. Uhren gehen im jeweils anderen System also langsamer als die eigene (= Eigenzeit des Beobachters). N¨ahert sich die Relativgeschwindigkeit zwischen den Systemen der Lichtgeschwindigkeit, wird die Zeitdilatation unendlich groß. Hier noch die mathematische Form: t = t/ 1 − v 2 /c2
Bei c selbst ist nach obiger Formel die Zeit unendlich gedehnt, es vergeht u¨ berhaupt keine Zeit: Licht altert nicht!“ ”
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¨ zur Eichhyperbel: Nachdem wir die Zeitdilatation Noch einmal zuruck und die Raumkontraktion kennengelernt haben, l¨aßt sich die Eichhyperbel noch viel anschaulicher darstellen: Wir schreiben das Jahr 2905. Der Planungschef der Earth Space Agency macht sich Gedanken u¨ ber einen Flug zum erd¨ahnlichen Planeten X (beim Stern Y ). Wie weit w¨urden die Astronauten bei verschiedenen Relativgeschwindigkeiten in einem Jahr Eigenzeit (also nach Raumschiffkalender) wohl kommen? Die ermittelten Werte zeigt die folgende Tabelle: Fall
Relativgeschwindigkeit
GammaFaktor
a b c d e f g
0,00 c 0,15 c 0,30 c 0,50 c 0,65 c 0,77 c 0,9999 c
1,00 1,01 1,05 1,15 1,32 1,57 70,71
Zeitablauf auf der Erde w¨ahrend der Astronauteneigenzeit 1 Jahr 1,00 Jahre 1,01 Jahre 1,05 Jahre 1,15 Jahre 1,32 Jahre 1,57 Jahre 70,71 Jahre
Erreichte Wegstrecke = Erdzeitablauf mal Geschwindigkeit
0,00 Lichtjahre 0,15 Lichtjahre 0,31 Lichtjahre 0,58 Lichtjahre 0,86 Lichtjahre 1,21 Lichtjahre 70,71 Lichtjahre
Tr¨agt man die Werte der beiden letzten Spalten in ein RZD ein (Abb. 19c), so ergibt sich die Eichhyperbel (f¨ur ein Jahr). Der Fall g ist nicht eingezeichnet, eine solche Weltlinie w¨urde praktisch mit L zusammenfallen. Zwischen dem Ereignis im Nullpunkt (= Start) und den jeweiligen Endpunkten vergeht im Raumschiff jeweils ein Jahr; dies ist nach Teil 2 dieses Abschnitts gerade der Sinn der Eichhyperbel. In den F¨allen f und g legen die Raumfahrer in einer Eigenzeit von einem Jahr mehr als ein Lichtjahr (aus Erdsicht) zur¨uck. Wer nun glaubt, hier einen ¨ Fehler in der SRT (Uberlichtgeschwindigkeit) entdeckt zu haben, der irrt. Zur Geschwindigkeitsermittlung darf man n¨amlich nicht die Strecke eines anderen Systems (Erde) durch die eigene Zeit (Raumfahrer) teilen! Beides, Entfernung und Zeit, muß demselben System entstammen. Wie muß also die Geschwindigkeitsermittlung aus Raumschiffsicht aussehen? Der Abstand zwischen Start- und Zielpunkt z.B. im Fall f ist f¨ur die Astronauten wegen der Relativbewegung kontrahiert, und zwar von 1,21 Lichtjahren (um den Kehrwert des Gamma-Faktors) auf 0,77 Lichtjahre. Damit zur Schlußrechnung: Geschwindigkeit = Weg / Zeit = 0,77 Lj / 1 Jahr = 0,77 c
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Abb. 19c Die Eichhyperbel ergibt sich wieder, wenn man Wege und Zeiten f¨ur verschiedene Relativgeschwindigkeiten, aber f¨ur eine feststehende Eigenzeit des Reisenden (hier 1 Jahr) eintr¨agt
Das ist also ebenso viel wie die Relativgeschwindigkeit aus Erdsicht. Die tats¨achliche Relativgeschwindigkeit bleibt immer unter c , selbst im Fall g. Besonders an diesem letzten Fall sieht man aber sehr sch¨on, daß bei Relativgeschwindigkeiten extrem nahe an c selbst in der kurzen Eigenzeit von einem Jahr sehr große Strecken u¨ berwunden werden k¨onnten. Theoretisch w¨are somit auch eine Reise zu den entferntesten Galaxien innerhalb eines Lebensalters m¨oglich, wenn es ein geeignetes Fortbewegungsmittel
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g¨abe... Aber auf der Erde w¨urden in der Zwischenzeit Milliarden von Jahren vergehen!
Das Zwillingsparadoxon Auch dieses Paradoxon l¨aßt sich mit einem RZD bearbeiten (Abb. 20). Ein Beobachter B soll zu einer interstellaren Reise aufbrechen, die nach seiner Messung 20 Jahre dauert, davon 10 Jahre Hin- und 10 Jahre R¨uckflug. Ein zweiter Beobachter A verbleibt auf der Erde. Der Geschwindigkeitsbetrag von B soll der Einfachheit halber bei Hin- und R¨uckflug stets gleich groß sein; die Umkehr nach 10 Jahren Eigenzeit denke man sich als pl¨otzliche Richtungs¨anderung, entsprechend einem Wechsel des Inertialsystems. Da A auf der Erde ruht, verl¨auft seine Weltlinie nat¨urlich senkrecht entlang
Abb. 20 Das Zwillingsparadoxon
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seiner ct A -Achse. Die Weltlinie von B verl¨auft dagegen geknickt; der Knick (= Umkehr) tritt nach genau 10 Jahren Eigenzeit von B auf. Um den Effekt besser zeigen zu k¨onnen, wurde deshalb als Zeiteinheit auch das Jahrzehnt gew¨ahlt; eine entsprechende Eichhyperbel schneidet Bs Weltlinie genau im Umkehrereignispunkt R. F¨ur A ist aber B nach 10 A-Jahren noch nicht am Umkehrort U , sondern erst beim Ort P ! Der Umkehrort U ist damit nicht bei 10 A-Jahren, sondern erst bei ca. 14 A-Jahren erreicht. Da auf dem R¨uckflug symmetrische Verh¨altnisse herrschen, wird die R¨uckkehr von B f¨ur A etwa 28 A-Jahre (= Erdjahre) nach dem Start erfolgen. Dies ist deutlich l¨anger als die 20 Jahre, die B nach eigener Messung unterwegs war, B kommt so weniger als A gealtert zur¨uck! Noch deutlicher wird der Zeitsprung, den B bei der Beurteilung des Erdzeitablaufs erlebt, wenn man zus¨atzlich die Gleichzeitigkeitslinien (x-Achsen oder Parallelen dazu) f¨ur • B auf dem Hinflug und • B auf dem R¨uckflug durch den Umkehrereignispunkt R legt und auf deren Schnittpunkte mit As ¨ halber ist dies in einem separaten Zeitachse ct A achtet. Der Ubersichtlichkeit RZD (Abb. 20a) ausgef¨uhrt (zum Verlauf der Bzur uck ¨ -Achsen vergleiche Text nach Abb. 14 in Teil 2): • F¨ur B auf dem Hinflug ist S (liegt auf Parallele zu x B -hin -Achse) gleichzeitig mit R, • f¨ur B auf dem R¨uckflug ist T (liegt auf x B -zur uck ¨ -Achse) gleichzeitig mit R. Damit liegt der Erd-Zeitabschnitt S-T • f¨ur B auf dem Hinflug bis kurz vor R in der Zukunft, • f¨ur B auf dem R¨uckflug sofort nach R pl¨otzlich in der Vergangenheit (da unter der x B -zur uck ¨ -Achse gelegen)! Der Bereich zwischen den Punkten S und T auf der Zeitachse von A ist genau der Zeitsprung, den B durch den Wechsel seines Inertialsystems am Umkehrpunkt bei der Beurteilung des Erdzeitablaufs erlebt. Je schneller B ist (je n¨aher seine Weltlinie sich L anschmiegt), desto mehr o¨ ffnet sich die Schere“, die durch die Gerade s (= Parallele zu x B -hin -Achse) und die ” oßer wird der Zeitsprung, den B x B -zur uck ¨ -Achse gebildet wird, und umso gr¨ erlebt.
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Abb. 20a Der Zeitsprung f¨ur B wird sichtbar
Hier f¨allt eine auf den ersten Blick gew¨ohnungsbed¨urftige, aber wichtige Eigenschaft der RZD besonders auf: Bs Weltlinie von 0 bis V ist in der Zeichnung l¨anger als As Weltlinie von 0 bis V , obwohl f¨ur A die meiste Zeit vergangen ist und f¨ur B deutlich weniger! Aber wir m¨ussen uns daran erinnern, daß f¨ur das Objekt“ mit der l¨angsten Weltlinie in Abb. 20a, also das ” Licht, sogar u¨ berhaupt keine Zeit vergeht ( Licht altert nicht“). Je mehr sich ” die Weltlinie des bewegten Beobachters an die Lichtweltlinie anschmiegt, desto schneller ist er, desto weniger Zeit vergeht f¨ur ihn und desto weiter kann er in seiner Lebensspanne reisen! F¨ur den ruhenden Beobachter A vergeht dagegen die maximale Eigenzeit zwischen den Ereignissen 0 und V .
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Relativit¨at der Gleichzeitigkeit In der SRT verliert auch der Begriff Gleichzeitigkeit seine universelle, also system¨ubergreifende G¨ultigkeit, siehe dazu Abb. 21a.
Abb. 21a Gleichzeitige Ereignisse f¨ur A sind f¨ur B nicht gleichzeitig
Zur Zeit t A = 0 zeigen f¨ur A beide mit ihm ruhende Uhren gleichzeitig null an (Momentbild auf seiner Ortsachse). Eine Sekunde sp¨ater zeigen nat¨urlich beide 1 s an, siehe Momentbild zum Zeitpunkt 1 Lichtsekunde. F¨ur B ist aber all das gleichzeitig, was sich z.B. auf seiner x B -Achse abspielt: Dort steht die linke Uhr noch auf null, w¨ahrend die rechte Uhr schon 1 s anzeigt. F¨ur B geht also die r¨aumlich nachfolgende Uhr vor (aus Sicht des ruhend gedachten B bewegen sich die A-Uhren ja nach links)! Auch hier zeigt sich eine perfekte Symmetrie (Abb. 21b): B synchronisiert zwei mit ihm ruhende Uhren auf null (siehe Momentbild auf der x B -Achse). F¨ur A ergibt sich aber, z.B. auf der x A -Achse, ein anderes Momentbild: Uhr P steht dort zwar auch auf null, Uhr Q hat dagegen beim Ablesen auf der x A -Achse (also f¨ur A gleichzeitig mit Uhr P) die Anzeige null“ noch nicht erreicht; sie zeigt dort z.B. erst −1“ an. Demnach ” ” geht f¨ur A (die f¨ur ihn r¨aumlich nachfolgende) Uhr P im Vergleich zu Uhr Q vor!
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Abb. 21b Gleichzeitige Ereignisse f¨ur B sind f¨ur A nicht gleichzeitig
Noch drastischer zeigt sich die Relativit¨at der Gleichzeitigkeit im folgenden RZD (Abb. 22): • Auf der Geraden PA geschehen Ereignisse zu einem bestimmten Zeitpunkt nach t A = 0, • auf der Geraden PB geschehen Ereignisse zu einem bestimmten Zeitpunkt vor t B = 0. Das Ereignis Y geschieht demnach f¨ur B vor dem zeitlichen Nullpunkt, also vor dem Zusammentreffen von A und B, f¨ur A dagegen ist es nach dem Zusammentreffen im Nullpunkt! Es ist nat¨urlich auch ein Beobachter denkbar, f¨ur den Nullpunkt und Y gleichzeitig sind: Dessen Geschwindigkeit m¨ußte so bemessen sein, daß seine Ortsachse die Verbindungslinie zwischen 0 und Y bildet. Merke: Sind f¨ur einen Beobachter in einem Inertialsystem zwei r¨aumlich getrennte Ereignisse gleichzeitig, so sind diese f¨ur Beobachter in anderen Inertialsystemen in der Regel nicht gleichzeitig. F¨ur einige Beobachter geschieht Ereignis 1 vor Ereignis 2, f¨ur andere 2 vor 1. Diese unterschiedliche Bewertung der zeitlichen Reihenfolge von Ereignissen tritt bei raumartig“ zueinander gelegenen Ereignissen auf (siehe Teil ”
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Abb. 22 F¨ur B geschieht Y vor dem Zeitnullpunkt, f¨ur A danach!
1, Abb. 9 und Erkl¨arung hierzu). In zeitlicher Hinsicht k¨onnte man daher Abb. 9 auch folgendermaßen beschriften: • unterer Lichtkegel + Inhalt: absolute Vergangenheit, • oberer Lichtkegel + Inhalt: absolute Zukunft, • Bereich außerhalb der Lichtkegel: relative Vergangenheit und relative Zukunft (je nach Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung der Beobachter), aber: absolut woanders“. ” In Teil 1 haben wir festgestellt, daß der Lichtkegel raum- und zeitartige Ereignisse (f¨ur den Ruhebeobachter) voneinander trennt. Nun k¨onnen wir erg¨anzen, daß dies f¨ur alle Beobachter gilt. Der Lichtkegel hat einen absoluten, beobachterunabh¨angigen Charakter. F¨ur alle Inertialbeobachter gilt also: • Bei zwei zeitartig zueinander gelegenen Ereignissen ist eines in der absoluten Zukunft bzw. in der absoluten Vergangenheit des anderen; • bei zwei raumartig zueinander gelegenen Ereignissen ist eines in der relativen Zukunft / relativen Vergangenheit des anderen.
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¨ – Oder: Fata Morgana auf Wega Einmal Science-Fiction und zuruck Mit zwei raumartig zueinander gelegenen Ereignissen k¨onnen wir auch zei¨ gen, zu welch sinnlosen Situationen Uberlichtgeschwindigkeitsgeschichtchen (z.B. in der Science-Fiction) f¨uhren: Angenommen, eine u¨ berlichtschnelle Rakete fliegt zur Wega; ihre Weltlinie“ verl¨auft flacher als 45◦ ” (Abb. 22a). Gleichzeitig mit ihr startet unser wohlvertrauter bewegter Beobachter B, allerdings mit Unterlichtgeschwindigkeit. Die Ankunft der u¨ berlichtschnellen Rakete soll (nach dem Start zum gemeinsamen Zeitpunkt t = 0) zur Erdzeit t1 erfolgen. Die Erdbewohner seien die Ruhebeobachter A. F¨ur den Beobachter B ergibt sich nun aber eine kuriose Situation: Der Start der u¨ berlichtschnellen Rakete erfolgt f¨ur ihn zwar auch zur Zeit t B = 0, die Ankunft bei Wega (Ereignis U ) liegt aber unterhalb der x B -Achse, also vor der Zeit t B = 0, im Fall der Abbildung bei t B = −1 (willk¨urliche Zeiteinheit). Denn: Die Gerade g ist eine Parallele zu x B durch U und besteht deshalb aus Ereignissen, die f¨ur B mit der Ankunft der Rakete gleichzeitig sind. Mit anderen Worten: F¨ur B erfolgt die Ankunft vor dem Start! F¨ur kausal voneinander abh¨angige Ereignisse wie Start und Ankunft ist die Reihenfolge aber nat¨urlich nicht vertauschbar! Wegen der hypothetischen
¨ Abb. 22a Uberlichtgeschwindigkeit f¨uhrt zu Widerspr¨uchen
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¨ Uberlichtgeschwindigkeit liegen Start und Ankunft raumartig zueinander, in Wirklichkeit k¨onnen aber kausal voneinander abh¨angige Ereignisse nur zeitoder maximal lichtartig zueinander liegen, wie schon in Teil 1 dargestellt. Und materielle K¨orper (hier: Rakete) k¨onnen in Wirklichkeit nur zeitartige Weltlinien erzeugen. Damit aber noch nicht genug der Merkw¨urdigkeiten, die ein u¨ berlichtschneller Flug mit sich bringen w¨urde: Wenn die Raketenmannschaft nach
Abb. 22b Die Astronauten sehen sich selbst in der Vergangenheit, und zwar gleich doppelt!
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der Landung mit einem ausreichend starken Fernrohr in Richtung Erde blicken w¨urde, dann k¨onnte sie sich in der eigenen Vergangenheit sehen, und zwar gleich doppelt, wie Abb. 22b zeigt: Angenommen, der Flug dauert 5 Erd-/Wega-Jahre: Blicken die Astronauten z.B. 10 Erd- oder Wega-Jahre nach ihrem Start zur¨uck, dann sehen51 sie sich bei S w¨ahrend des Fluges und gleichzeitig bei S auf der Erde; 15 Jahre nach dem Start sehen sie sich bei R und R usw. Die Zeit vor dem Start l¨auft f¨ur sie in der richtigen Richtung ab, der Flug wird aber in falscher Richtung gesehen: Sie sehen sich zur Erde fliegen! Mit den Bildern vom Start hat das Schauspiel dann sein Ende; beide Bilder der Mannschaft verschwinden gleichzeitig. Zeichnet man f¨ur den R¨uckflug der Superrakete ein RZD mit B als Ruhebeobachter und A als nach links bewegt (Umkehrereignispunkt U auch hier unterhalb der x B -Achse!), dann k¨ame die Rakete vor ihrem Start zur¨uck. Ihr Pilot k¨onnte seine Erzeuger vor seiner Zeugung t¨oten ( Großvater” Paradoxon“). Und wenn die Astronauten noch nicht gestorben sind, dann fliegen sie ¨ bestimmt heute noch mit Uberlichtgeschwindigkeit f¨ur die Science-FictionGemeinde...
¨ ¨ Addition“ hoher Geschwindigkeiten fuhrt nie zur Uberschreitung ” von c Nach Newton berechnet w¨aren 0, 9 c + 0, 9 c = 1, 8 c. Das folgende RZD beweist dagegen die Nicht¨uberschreitbarkeit von c bei der Aufaddierung von Geschwindigkeiten (Abb. 23). A ist wieder der Ruhebeobachter, B flieht mit sehr hoher Geschwindigkeit (Weltlinie = ct B -Achse fast parallel zu L) nach rechts. Ein dritter Beobachter C flieht mit einer ebenso hohen Geschwindigkeit nach links. Beide entfernen sich mit jeweils u¨ ber 0,9 c von A. Nach der ¨ Newtonschen Physik m¨ußten nun B und C sich mit Uberlichtgeschwindigkeit voneinander entfernen. Daß dem nicht so ist, l¨aßt sich z.B. dadurch zeigen, daß C im Ereignispunkt P einen Lichtblitz zu B senden kann, den dieser auch (bei Q) erh¨alt. Damit ist hinreichend bewiesen, daß die Relativgeschwindigkeit zwischen B und C kleiner als c ist! Also muß die Summe“ ” zweier auch noch so nahe an c liegender Geschwindigkeiten wieder einen Wert unter c ergeben.
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Im Formalismus der RZD ist die Aussage Beobachter X sieht das Objekt Y “ ” gleichbedeutend damit, daß eine vom Objekt Y ausgehende Lichtweltlinie L mit der Weltlinie des Beobachters X zusammentrifft.
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Abb. 23 Addition“ hoher Geschwindigkeiten ”
Die entsprechende Formel lautet:
w=
u+v 1 + u · v/c2
(w = Gesamtgeschwindigkeit; u, v = Teilgeschwindigkeiten) Diese Formel wird f¨ur Interessierte in Abschnitt 1.7 hergeleitet.
Relativistische Massenzunahme Nach Einstein nehmen relativ zu einem Beobachter schnell bewegte Objekte (in der hier verwendeten Interpretation) auch an Masse zu. Um das mit einem RZD zu zeigen, nehmen wir eine Anleihe aus der Newtonschen Mechanik: Nach dem Schwerpunktsatz gilt bei St¨oßen oder Zerfallsvorg¨angen, daß die Entfernungen d der Teilmassen vom Massenschwerpunkt zu einem beliebigen Zeitpunkt im umgekehrten Verh¨altnis zueinander stehen wie die Massen m der Teilst¨ucke. In der Formelsprache:
m 1 /m 2 = d2 /d1
Betrachten wir nun ein Teilchen A, das zun¨achst am Ort x A = 0 ruht (Abb. 24). Zum Zeitpunkt null zerf¨allt es dann in zwei gleich schwere Bruchst¨ucke A1 und A2 , die sich mit gleicher Geschwindigkeit vom Zerfallsort entfernen: A2 nach links, A1 nach rechts. Der Schwerpunkt der Teilchen verbleibt daher am Ort x A = 0. F¨ur einen am Ort des ehemaligen Teilchens A verbleibenden Beobachter haben die Teilmassen A1 und A2 zu jedem Zeitpunkt den gleichen Abstand,
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Abb. 24 Die relativistische Massenzunahme
damit sind aus dessen Blickwinkel die Massen gleich groß. Nicht so z.B. aus dem Blickwinkel von Teilchen A1 : Eine Momentaufnahme, realisiert durch eine Parallele zu x A1 , zeigt, daß f¨ur A1 der eigene Abstand vom Schwerpunkt (d1 ) gr¨oßer ist als der von A2 (d2 ). A2 ist aus diesem Blickwinkel nach dem Schwerpunktsatz massereicher als A1 . Da die Ruhemassen von A1 und A2 gleich groß sind, hat die Masse von A2 aus dem Blickwinkel von A1 (das sich selbst als ruhend ansieht) durch die Relativbewegung zugenommen. Das Ausmaß dieser Massenzunahme wird quantitativ durch den Gamma 2 Faktor beschrieben: M = M/ 1 − v /c2 (siehe auch Kasten 3). Merke: Ein Beobachter in einem Inertialsystem registriert bei relativ zu ihm bewegten Objekten um den Gamma-Faktor erh¨ohte Massen im Vergleich zu den Ruhemassen dieser Objekte.
Relativistischer (longitudinaler) Doppler-Effekt Sendet der Ruhebeobachter A eine Lichtwelle aus, dann sieht diese der sich entfernende Beobachter B mit erniedrigter Frequenz (rotverschoben). Auch diesen Effekt kann man mit einem Minkowski-Diagramm zeigen. Da sich eine Lichtwelle im RZD kaum darstellen l¨aßt, beschr¨anken wir uns
174
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
auf die Abbildung der Gipfel“ der Wellenberge“, die in regelm¨aßigen ” ” Zeitabst¨anden jeweils im 45◦ -Winkel von der ct A -Achse abzweigende Lichtweltlinien (gestrichelt) erzeugen (Abb. 25).
Abb. 25 Der relativistische longitudinale Doppler-Effekt
F¨ur A betr¨agt im Beispiel der Abbildung der Zeitabstand zwischen den bei ihm erzeugten Wellenbergen 1 s , B mißt dagegen zwischen dem ersten und zweiten Wellenberg (und auch zwischen allen folgenden) einen Zeitabstand von ca. 3 s . Man beachte aber, daß hier zwei verschiedene Mechanismen am Werk sind: 1. die Zeitdilatation, die f¨ur B die Wellenberge schon in gr¨oßeren Zeitabst¨anden starten“ l¨aßt (siehe gepunktete Linie = Bs Momentbild ” beim Start des zweiten Wellenbergs, nach B-Zeit ca. 1,7 s nach null), 2. ein Lichtlaufzeiteffekt: Das Licht von A muß dem sich entfernenden (schr¨ag verlaufende Weltlinie = ct B -Achse!) Beobachter B nachlaufen“, ”
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
175
es kommt damit zu einer weiteren Verz¨ogerung der Ankunftszeit zweier aufeinanderfolgender Wellenberge bei B. Wenn sich Beobachter B auf A zubewegen (statt wegbewegen) w¨urde, dann w¨urde B die von A ausgehenden Lichtwellen mit h¨oherer Frequenz (blauverschoben) wahrnehmen. Effekt 1 (Zeitdilatation) ist zwar auch in diesem Fall wirksam (mit der Tendenz zur Rotverschiebung), er wird aber durch die Umkehrung von Effekt 2 (sich fortlaufend verk¨urzende Lichtlaufzeit) mehr als aufgewogen.
Raum-Zeit-Diagramme − Schlußwort Die Autoren hoffen, daß mit Hilfe dieses Abschnittes 1.17 auch viele mathematisch unge¨ubte Leser ihren“ Zugang zur SRT gefunden haben. Und die ” recht weit verbreitete Scheu vor den RZD in diversen Ver¨offentlichungen erweist sich nach gr¨undlicher Lekt¨ure dieses einf¨uhrenden Abschnittes als unbegr¨undet! Außerdem haben uns die RZD beinahe spielerisch auch die (oft als mysteri¨os angesehene) Raumzeit“ nahegebracht, denn die von den ct- und x” Achsen aufgespannte Spielwiese“ mit den Eichhyperbeln ist tats¨achlich ” eine 1+1-dimensionale Raumzeit! Obwohl darin nur eine Raumdimension vertreten ist, bestehen keine prinzipiellen Unterschiede zur 2+1dimensionalen Raumzeit (siehe Abb. 6 und 9 in Teil 1) oder zur 3+1dimensionalen Raumzeit unserer makroskopischen Welt.
1.18 Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls mit ¨ tiefer Interessierte) invarianter Masse (nur fur In Abschnitt 1.9 ist eine geschwindigkeitsabh¨angige Masse eingef¨uhrt worden. Die meisten Fachleute lehnen dieses Konzept ab und bevorzugen statt dessen eine neue Impulsdefinition, in der die Masse eines Teilchens invariant ist. In diesem Anhang wird f¨ur tiefer interessierte Leser kurz darauf eingegangen: Der Newtonsche Impuls eines Teilchens zwischen zwei Ereignispunkten 0 und 1 auf seiner Weltlinie lautet: p = m · v, bzw. aufgegliedert f¨ur die drei Raumrichtungen: ⎫ px = m · (x1 − x0 )/(t1 − t0 ) ⎬ also: Masse mal (Ortsverp y = m · (y1 − y0 )/(t1 − t0 ) ⎭ a¨ nderung pro Zeitabschnitt) p = m · (z − z )/(t − t ). z
1
0
1
0
Betrachtet man die Masse eines Teilchens als konstante Gr¨oße, dann m¨ussen die bei hohen Relativgeschwindigkeiten zu erwartenden Impulszunahmen
176
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
A: Bedeutung der Eigenzeit beim maximal negativen Raum-Zeit-Abstands-Quadrat: Das Quadrat des Raum-Zeit-Abstandes lautet: x 2 + y 2 + z 2 − c2 · t 2
(vergleiche (1.50))
Geschehen zwei Ereignisse am selben Ort, dann ist f¨ur eine an diesem Ort station¨are Uhr die Ortsver¨anderung null, d.h. x 2 + y 2 + z 2 = 0 ; die Uhr selbst zeigt zwischen den beiden Ereignissen die Eigenzeit an. Angenommen, diese Eigenzeit sei 1 Stunde: Das Quadrat des Raum-Zeit-Abstandes nimmt dann den hierf¨ur maximal negativen Wert −1 (Lichtstunde)2 an. Betrachten wir dagegen zwei andere zeitartig zueinander gelegene Ereignisse, die f¨ur einen Beobachter zwar auch einen Zeitabstand von 1 Stunde haben, aber nicht am selben Ort geschehen (also x 2 +y 2 +z 2 > 0 ), dann ist das Quadrat des Raum-Zeit-Abstands hierf¨ur zwischen null und −1 (Lichtstunde)2 . Nur bei ruhender oder gleichf¨ormig bewegter Uhr zwischen den beiden Ereignissen ist das Quadrat des Raum-Zeit-Abstands maximal negativ, n¨amlich −(c · Eigenzeit)2 .
(im Vergleich zur Newtonschen Mechanik) anderweitig in den Impulsterm eingebracht werden. Bew¨ahrt hat sich dabei die aus mehreren der vorangegangenen Abschnitte bekannte invariante Eigenzeit: Im System des betrachteten Teilchens ist der Uhrzeigerweg teigen zwischen den zwei Ereignissen 0 und 1 aus Sicht aller anderen Inertialbeobachter am geringsten. Denn: Beobachter in allen anderen Inertialsystemen sehen die Zeiger im relativ zu ihnen bewegten Teilchensystem wegen der Zeitdilatation verlangsamt; oder umgekehrt ausgedr¨uckt: Sie sehen zwischen den Ereignissen 0 und 1 die Zeiger ihrer eigenen Uhren weiter voranschreiten, n¨amlich um den Gamma-Faktor weiter: t1 − t0 = teigen / 1 − v 2 /c2 ⇒ teigen = (t1 − t0 ) · 1 − v 2 /c2 (1.81) ¨ Uber diese Eigenzeit, also das Minimum der zwischen den beiden Ereignissen vergangenen Zeit, sind sich alle Inertialbeobachter einig, sie ist eine invariante Gr¨oße.
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
177
B: Die Eigenzeit als invariantes Minimum des Zeitablaufs zwischen zwei Ereignissen im System eines Teilchens: Daß die Eigenzeit das Minimum des Uhrenlaufs zwischen zwei Ereignissen im System eines Teilchens aus dem Blickwinkel aller anderen Inertialsysteme ist, resultiert aus der Zeitdilatation: Vergeht in dem System, in dem das Teilchen ruht, z.B. eine Stunde Eigenzeit zwischen zwei bestimmten Ereignissen 1 und 2, dann lesen Beobachter in allen anderen Systemen zwischen diesen Ereignissen auf ihren eigenen Uhren mehr als eine Stunde ab. In einem System, das sich z.B. mit 0, 6 c relativ zum Teilchen bewegt, laufen zwischen den beiden Ereignissen 1 Stunde und 15 Minuten ab, in einem System mit einer Relativgeschwindigkeit von 0, 8 c sogar 1 Stunde und 40 Minuten usw. Der im System des Teilchens abgelesene Wert 1 Stunde“ ist tats¨ach” lich das Minimum zwischen den Ereignissen 1 und 2. Dieses Minimum ist identisch mit der Eigenzeit im Teilchensystem. Und die Invarianz der Eigenzeit f¨ur alle Beobachter folgt auch aus der Tatsache, daß im System des Teilchens die Uhranzeige t1 und Ereignis 1 sowie die Anzeige t2 und Ereignis 2 jeweils Raum-ZeitKoinzidenzen sind! Die Invarianz der Eigenzeit folgt außerdem aus der Invarianz des Raum-Zeit-Abstandes; beide unterscheiden sich ja nur durch den konstanten Proportionalit¨atsfaktor c!
Mit der Eigenzeit als Minimum des Zeitablaufs im Teilchensystem k¨onnte beim Leser eventuell Verwirrung aufkommen, da die Eigenzeit in Abschnitt 1.11 mit einem Maximum des Raum-Zeit-Abstandes in Verbindung gebracht wurde. Zur Beseitigung von Zweifeln werden beide Aspekte nun unmittelbar nebeneinander gestellt (zwei K¨asten): Damit zur¨uck zum Thema relativistischer Impuls: Mit dieser Eigenzeit l¨aßt sich nun eine etwas kuriose Geschwindigkeit definieren: z.B. in xRichtung: x1 − x0 vx x1 − x0 = = teigen (t1 − t0 ) · 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 Aufgrund ihrer Konstruktion kann diese Geschwindigkeit u¨ ber alle Grenzen wachsen. Sie ist in der Tat identisch mit der in 1.14.9 erw¨ahnten Eigengeschwindigkeit. Es sei hier noch einmal betont, daß sie keine tats¨achliche
178
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Relativgeschwindigkeit ist; f¨ur den relativistischen Impuls ist sie allerdings eine wertvolle Rechengr¨oße. Setzen wir sie probeweise einmal in den Ausdruck f¨ur den Impuls ein: Wir verwenden f¨ur den relativistischen Impuls den Großbuchstaben P. (Newtonscher Impuls: p = m · v) Px = m ·
x1 − x0 vx =m· teigen 1 − v 2 /c2
(1.82)
Py = m ·
vy y1 − y0 =m· teigen 1 − v 2 /c2
(1.83)
Pz = m ·
z1 − z0 vz =m· teigen 1 − v 2 /c2
(1.84)
oder zusammengefaßt: P=m·
v 1 − v 2 /c2
(mit m = constans)
(1.85)
Dieses Ergebnis ist sehr befriedigend: Bei hohen Geschwindigkeiten steigt der Impuls mit der Geschwindigkeit um den Gamma-Faktor; bei kleinen Geschwindigkeiten geht er in den Newtonschen Impuls u¨ ber. Da zwischen den Ereignispunkten 0 und 1 auf der Weltlinie nicht nur eine Ortsver¨anderung von (x0 , y0 , z 0 ) zu (x1 , y1 , z 1 ) erfolgt, sondern auch Zeit ” vergeht“ (t0 bis t1 ), k¨onnen wir auch einen entsprechenden Term f¨ur die Zeit einf¨uhren: t1 − t0 1 Pt = m · =m· (vergl. (1.82) bis (1.84)) (1.86) teigen 1 − v 2 /c2 Aber welche physikalische Bedeutung soll Pt eigentlich haben? Um das herauszufinden, wenden wir die N¨aherungsformel (1.53) an, die f¨ur kleine Werte von v 2 /c2 gilt:
oder: mal c2 :
1 v2 Pt = m · 1 + · 2 2 c 1 1 Pt = m + · m · v 2 · 2 2 c 1 2 2 Pt · c = m · c + · m · v2
2
RuheNewtonsche energie kinetische Energie
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
179
Nun wird also klar, daß Pt · c2 gleichbedeutend ist mit der Gesamtenergie, also der Summe aus Ruheenergie und (in diesem Fall Newtonscher) kinetischer Energie: E = Pt · c2 Einsetzen von (1.86):
E = m · c2 / 1 − v 2 /c2
(1.87)
Die Bestandteile der Gleichungen (1.82), (1.83), (1.84) und (1.87) kann man als sogenannten Vierervektor, den Impuls-Energie-Vektor, auffassen, so wie auch x, y, z, und t zu einem Vierervektor zusammengefaßt werden k¨onnen. Dieser zeitartige Vierervektor verl¨auft immer tangential zur Weltlinie des betrachteten Teilchens, wie sp¨ater noch klar werden wird. Die Brauchbarkeit der vier Gleichungen (1.82), (1.83), (1.84) und (1.87) zeigt sich auch daran, daß (wie t und x, y, z durch die Lorentz-Transformation) Impuls und Energie sich leicht f¨ur Beobachter in verschiedensten Inertialsystemen transformieren lassen. Die dazu notwendigen Transformationen lauten: 2 Px = (Px − v · E/c )/ 1 − v 2 /c2 Py = Py Pz = Pz
(1.88)
E = (E − v · Px )/ 1 − v 2 /c2 Mit diesen Transformationen lassen sich die Werte Px , Py , Pz , E eines Teilchens, die in einem System S gemessen werden, in die Werte Px , Py , Pz , E , die in einem relativ zu S bewegten System S gemessen werden, umrechnen (ebenso wie mit den Lorentz-Transformationen x, y, z, t und x , y , z , t ineinander umgerechnet werden k¨onnen). Ferner l¨aßt sich analog zu den Raum-Zeit-Abst¨anden eine invariante Gr¨oße entwickeln: Gleichung (1.85) dividiert durch (1.87): P/E = v/c2 oder:
E = P · c2 /v
Quadrieren von Gleichung (1.87): E 2 = m 2 · c4 /(1 − v 2 /c2 ) oder: Einsetzen von (1.89) ergibt:
E 2 − E 2 · v 2 /c2 = m 2 · c4
(1.89)
180
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
E 2 − P 2 · c2 = m 2 · c4 (ebenfalls mit m = constans)
(1.90)
Hier wird nun die Analogie zu den Raum-Zeit-Abst¨anden deutlich: Impuls-Energie-Gleichung E2
− (Px2 + Py2 + Pz2 ) · c2 =
(c ·
t)2
−
(x 2
y2
z2)
+
+
(m · c2 )2
= (Eigenzeit·c)2
Raum-Zeit-Abstand (f¨ur materielle Teilchen) • E vertritt die Zeitkomponente, • P (· c) vertritt die Raumkomponenten, • m 2 · c4 ist die invariante Gr¨oße (analog zum Quadrat der Raum-ZeitAbst¨ande; sie ist das Quadrat der Impulsenergie“). ” Denn: Es l¨aßt sich zeigen, daß f¨ur alle Beobachter gilt: E 2 − c2 · (Px2 + Py2 + Pz2 ) = E 2 − c2 · (Px2 + Py2 + Pz2 ) Mit anderen Worten: Bei der Betrachtung eines Teilchens aus verschiedenen Inertialsystemen ergeben sich zwar unterschiedliche Werte f¨ur • die Energie E und • den Impuls P, aber die Differenz E 2 − P 2 · c2 ist invariant, n¨amlich m 2 · c4 , das Quadrat der Ruheenergie (ebenso wie bei den Raum-Zeit-Abst¨anden t und x, y, z variabel sind, aber die Differenz (r¨aumlicher Abstand)2 −(zeitlicher Abstand)2 ·c2 invariant ist!). Daneben gestattet die Gleichung (1.90) die bequeme Berechnung eines der drei Parameter E, P, m, wenn die zwei u¨ brigen bekannt sind. Dies gilt nicht nur f¨ur ein einzelnes Teilchen oder einen K¨orper, sondern auch f¨ur komplexere Systeme aus vielen Einzelmassen und auch f¨ur Photonen (zu letzteren siehe unten). Insbesondere in der Teilchenphysik spielt daher die Gleichung (1.90) eine große Rolle; dort wurde auch ihre Richtigkeit vielmals best¨atigt. Die Differenz der zwei Quadrate in Gleichung (1.90) zeigt, daß sich dieser Ausdruck auch (analog zu den Raum-Zeit-Diagrammen) in einem ImpulsEnergie-Diagramm darstellen l¨aßt.
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
181
Interpretation: • Beobachtet man ein Teilchen aus einem Inertialsystem, in dem es ruht, zeigt der Impuls-Energie-Vektor senkrecht nach oben; sein Impulsanteil betr¨agt null. Der Energiebetrag nimmt sein Minimum an, es ist die Ruheenergie = m · c2 . • Besteht dagegen eine Relativbewegung zwischen Teilchen und Beobachter, dann bildet der Impuls-Energie-Vektor einen Winkel gr¨oßer als null mit der senkrechten Energie-Achse“ und trifft z.B. bei B auf die Eichhy” perbel. In diesem Fall existiert also neben einem Energieanteil (E B ) auch ein Impulsanteil (PB · c). Die Differenz ihrer Quadrate ist jedoch ebenso groß (m 2 · c4 ) wie im ersten Fall. Letzteres gilt f¨ur Beobachter in allen denkbaren Inertialsystemen. Wie das Diagramm zeigt, k¨onnen die Komponenten des Impuls-EnergieVektors folgende Werte annehmen: Energie: minimal m · c2 , keine obere Grenze; Impuls: minimal null, keine obere Grenze. So wie in der Raumzeit Raum und Zeit ein unaufl¨osliches Geflecht bilden, so existiert auch ein untrennbares Gewebe aus Impuls und Energie, die Impulsenergie. Bei der Beobachtung einzelner Teilchen nehmen Impuls und Energie f¨ur verschiedene Beobachter unterschiedliche Werte an, der absolute ” Maßstab“ der Impulsenergie E 2 − P 2 · c2 ist aber invariant. Noch einmal zur¨uck zu Gleichung (1.89): Formt man sie um, erlaubt sie eine einfache Geschwindigkeitsbestimmung eines Teilchens, wenn Impuls und Energie bekannt sind:
182
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
v = P · c2 /E
(1.91)
Eine weitere Umformung zeigt, daß der Energie-Impuls-Vektor immer tangential zur Weltlinie eines Teilchens ausgerichtet ist: v/c = P · c/E : • Bei v = 0 ist die Weltlinie senkrecht, aber auch P·c2 /E ist dann null (P = 0), somit zeigt auch der Impuls-Energie-Vektor senkrecht nach oben. • Bei v = c (Photonen) muß auch E = P · c sein, damit verl¨auft der Energie-Impuls-Vektor parallel zur Lichtweltlinie L, also im 45◦ -Winkel zur senkrechten Achse. • Aber auch bei Zwischenwerten“ haben Weltlinie und Energie-Impuls” Vektor identische Steigungen (siehe unten). Apropos Photonen: F¨ur sie gilt nat¨urlich immer v = c , aus Gleichung (1.89) wird dann: oder auch
E = P ·c P = E/c .
(1.92)
Photonen haben also einen Impuls vom Betrage E/c .52 Aus Abschnitt 1.3 wissen wir, daß sie auch eine Energie in H¨ohe E = h · Frequenz besitzen. Aber was ist mit ihrer Impulsenergie? Quadrieren wir dazu (1.92): ⇒
E 2 = P 2 · c2 E 2 − P 2 · c2 = 0 !
Die Impulsenergie von Photonen ist also immer null. So wie f¨ur die Lichtteilchen die Zeit stillsteht und Strecken verschwinden, so ist auch ihre Impulsenergie null, obwohl sie einen Impuls und auch Energie in sich tragen (letztere hat jeder schon einmal bei einem Sonnenbrand schmerzhaft zu sp¨uren bekommen). Auch diesbez¨uglich besteht eine Analogie zu den Raum-ZeitAbst¨anden (f¨ur lichtartig zueinander liegende Ereignisse stets = 0)! Eine kleine Rechnung unter Ausnutzung einiger in diesem Anhang vorkommenden Gleichungen kann u¨ brigens auch einen direkten Zusammenhang zwischen Impulsenergie und Raum-Zeit-Abstand liefern ( t steht f¨ur t1 − t0 , x steht f¨ur x1 − x0 usw.) : W¨ahlt man die Einheiten so, daß c = 1, dann gilt: E = P ; bei Photonen sind damit also Energie und Impuls betragsm¨aßig identisch.
52
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
183
(Impulsenergie)2 = E 2 − P 2 · c2 = m 2 · c4 · (γ -Faktor)2 − m 2 · (Eigengeschw.)2 · c2 = =
m2
·
c4
·
c2
m 2 · c4 · t 2 2
(Eigenzeit) ·
t 2
−
m2
·
− m2 · ( x 2
x 2 + y 2 + z 2 2
(Eigenzeit)
· c2
+ y 2 + z 2 ) · c2 · c2
c2 · (Eigenzeit)2 = m 2 · c4 ·
c2 · t 2 − ( x 2 + y 2 + z 2 ) c2 · (Eigenzeit)2
Im Z¨ahler erkennt man das Quadrat des Raum-Zeit-Abstands, wenn auch etwas verdreht! Also: (Raum-Zeit-Abstand)2 oder (Impulsenergie)2 = (Ruheenergie)2 · c2 · (Eigenzeit)2 Impulsenergie = Ruheenergie ·
Raum-Zeit-Abstand c · Eigenzeit
Interpretation: Die Betr¨age von Z¨ahler und Nenner im obigen Bruch sind gleich groß; damit ist der Betrag des Impuls-Energie-Vektors identisch mit der Ruheenergie, soweit nichts Neues. In der Vektorschreibweise gibt aber der Bruch (Einheitsvektor) die Richtung des Impuls-Energie-Vektors an (die immer tangential zur Weltlinie ist); seine L¨ange wird durch die Ruheenergie festgelegt (so, wie die L¨ange des (zeitartigen) Raum-Zeit-Vektors durch Eigenzeit · c festgelegt ist). Zur Verdeutlichung: Ruheenergie und Impulsenergie sind nicht dasselbe: Letztere ist ein Vierervektor, die Ruheenergie ist nur dessen Betrag. Schließlich sei noch ein besonderer Vorteil der in diesem Anhang eingef¨uhrten Impuls- und Energiedefinition erw¨ahnt: Bei Stoß- und anderen Experimenten bleiben f¨ur alle Beobachter • die Gesamtenergie (die nat¨urlich eventuelle Ruheenergien m ·c2 involvierter Massen mit umfaßt) der beteiligten Teilchen und • der Gesamtimpuls der beteiligten Teilchen f¨ur jede Raumrichtung (x, y, z) erhalten. Dies gilt f¨ur materielle Teilchen ebenso wie f¨ur Photonen. Einen ¨ Uberblick dar¨uber, welche Gr¨oßen in einem abgeschlossenen System aus mehreren Teilchen (welche evtl. miteinander wechselwirken) erhalten bleiben, welche additiv und welche beobachterunabh¨angig sind, gibt die folgende doppelseitige Tabelle.
184
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
Parameter
Bleibt der Parameter bei allen Wechselwirkungen∗ zwischen den Teilchen des Systems erhalten?
Energie∗∗ eines Einzelteilchens
nein
Energie∗∗ des Gesamtsystems
ja (um die Ruheenergie erweiterter Energieerhaltungssatz)
Impuls eines Einzelteilchens je Raumrichtung x, y oder z
nein
Impuls des Gesamtsystems je Raumrichtung x, y oder z
ja (Impulserhaltungssatz)
Impulsenergie eines Einzelteilchens
nein; bei elastischen St¨oßen bleibt sie dem Betrag nach erhalten, nicht aber ihre Richtung
Impulsenergie des Gesamtsystems
ja
∗ ∗∗ ∗∗∗
∗∗∗∗
Fußnoten zu dieser Tabelle: z.B. Teilchenerzeugung, Teilchenvernichtung, Teilchenumwandlungen, St¨osse aller Art, Zerf¨alle... Die Energie enth¨alt jeweils auch ggf. vorhandene Ruheenergien m · c2 . Da die Impulsenergie dem Betrage nach identisch ist mit der Ruheenergie m · c2 , ist analog auch die Summe der Ruhemassen ungleich der Ruhemasse des Gesamtsystems (letztere ist gr¨oßer). Der Umkehrschluß gilt sogar f¨ur Photonen: Bewegen sich Photonen eines Systems in verschiedene Raumrichtungen, dann ist die Impulsenergie dieses Photonensystems gr¨oßer als die Summe der Einzelimpulsenergien der Photonen (die gleich null ist). Also ist die Impulsenergie des Photonensystems gr¨oßer als null; in der Formelsprache: m Photonensystem · c2 > 0 , damit auch: m Photonensystem > 0 !!! In diesem Sinne kann einem solchen Photonensystem eine Masse zugesprochen werden, nicht jedoch den Einzelphotonen. Letztere k¨onnen aber z.B. einem K¨orper Masse entziehen (wenn sie von ihm emittiert werden) und auf einen anderen u¨ bertragen (wenn sie von diesem absorbiert werden).
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
185
Ist die Summe der Parameterwerte der Einzelteilchen gleich dem Wert des Gesamtsystems?
Ist der Parameterwert beobachterunabh¨angig?
ja
nein; das Minimum betr¨agt m · c2 (aus dem Blickwinkel eines Inertialsystems, in dem das Teilchen gerade ruht); keine obere Grenze
—
nein; das Minimum betr¨agt m System · c2 (aus dem Blickwinkel eines Inertialsystems, in dem der Gesamtimpuls des Systems = 0 ist); keine obere Grenze
ja
nein; Minimum = 0 f¨ur Inertialsystem, in dem das Teilchen gerade ruht; keine obere Grenze
—
nein; Minimum = 0; keine obere Grenze
nein∗∗∗ ; Ausnahme: alle Teilchen bewegen sich ohne Wechselwirkung mit derselben Geschwindigkeit in dieselbe Richtung∗∗∗∗
ja, f¨ur Zeitabschnitte, in denen das betreffende Teilchen keine Wechselwirkung erleidet
—
ja (Invarianz der Impulsenergie)
Energien und Impulse der Einzelteilchen eines Systems summieren sich also zur Gesamtenergie bzw. zum Gesamtimpuls des Systems. Aber: Die Impulsenergien der Einzelteilchen sind aufsummiert kleiner als die Impulsenergie des Systems! Ebenso verh¨alt es sich mit den Ruhemassen der Einzelteilchen, die sich eben nicht zur Ruhemasse des Systems aufaddieren. Will man die Impulsenergie oder die Ruhemasse eines Systems ermitteln, so muß dies immer mit Hilfe der Gleichung (1.90) erfolgen, nicht durch Addition der Einzelwerte (siehe unten). Mit Hilfe dieser Informationen kann der etwas fortgeschrittenere Leser sogar viele Aufgaben aus der Teilchenphysik l¨osen. Die wichtigsten Gleichungen hierf¨ur in der Zusammenschau: A) Summe der Energien in einem System vor der Wechselwirkung = Gesamtenergie = Summe der Energien in dem System nach der Wechselwirkung.
186
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
B) Summe der Impulskomponenten in jeder Raumrichtung in einem System vor der Wechselwirkung = Gesamtimpuls in dieser Richtung = Summe der Impulskomponenten in dieser Raumrichtung in dem System nach der Wechselwirkung (hierbei auf Vorzeichen achten!). C) Impuls in einer Raumrichtung (z.B. x) = m · vx · Gammafaktor (vgl. (1.82)) D) Energie = m · c2 · Gammafaktor Ruheenergie = m · c2
(vgl. (1.87)) (vgl. (1.58))
E) Gesamt-Energie = Ruheenergie + Kinetische Energie, also: m · c2 · Gammafaktor = m · c2 + m · c2 · (Gammafaktor − 1) (vgl. (1.63)) F) v = P · c2 /E ; genauer: vx = Px · c2 /E, v y = Py · c2 /E, vz = Pz · c2 /E
(vgl. (1.91))
G) F¨ur Photonen: P = E/c (liefert nur Betrag des Impulses) (vgl. (1.92)) H)
E2
−
P2
·
c2
= · (= 0 f¨ur Photonen) m2
c4
(vgl. (1.90))
Und f¨ur ein System aus mehreren Teilchen: (Summe der Energien)2 − (Summe der Impulskomponenten in x-Richtung)2 · c2 − (Summe der Impulskomponenten in y-Richtung)2 · c2 − (Summe der Impulskomponenten in z-Richtung)2 · c2 = (Gesamtmasse des Systems)2 · c4 Insbesondere die letzte Gleichung erweist sich dabei als Vielzweckwerkzeug: Sie l¨aßt sich einsetzen zur Ermittlung fehlender Impuls-, Energie- und Massenwerte • bei Einzelteilchen vor oder nach der Wechselwirkung, • im Gesamtsystem wechselwirkungs¨ubergreifend“, ” • und dabei obendrein jeweils aus der Sicht verschiedenster Inertialbeobachter (Invarianz der Impulsenergie); also eine h¨ochst bemerkenswerte und vielseitige Beziehung! N¨utzlich sind in diesem Zusammenhang nat¨urlich auch die vier Transformationsgleichungen (1.88). Mancher Leser mag sich nun fragen, worin der Vorteil gegen¨uber dem Konzept der geschwindigkeitsabh¨angigen Masse (siehe 1.9) besteht. Die Verwendung der invarianten Masse ist wesentlich transparenter! Warum?
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
187
Bei der geschwindigkeitsabh¨angigen Masse besteht unvermeidlich eine (oft undurchsichtige) Verquickung zwischen Ruheenergie und kinetischer Energie; und andere Energieformen m¨ussen separat behandelt werden. Bei Benutzung der invarianten Masse umfaßt E (z.B. in Gleichung H) dagegen alle denkbaren Energieformen (Ruhe-, kinetische, elektrische, Photonenenergie usw.); m 2 · c4 ist dabei das Betragsquadrat der Impulsenergie mit m = invariante Masse (eines Teilchens oder auch eines ganzen Teilchensystems). Der Vorteil der Subsumierung aller Energieformen zeigt sich an folgendem kleinen Zahlenbeispiel: Ein ruhendes Elektron (Masse = m e ) wird von links von einem Photon der Energie E vor = 1, 5 m e · c2 frontal getroffen. Nach dem Stoß bewegt sich das Elektron mit v = 0, 8824 c nach rechts. Wie hoch sind die Systemmasse sowie die Energie E nach und der Impuls Pnach des Photons nach dem Stoß?
Vor dem Stoß: Anwendung von A): E Gesamt = 1, 5 m e · c2 + 1, 0 m e · c2 = 2, 5 m e · c2 Anwendung von B), G): PGesamt = E vor /c + 0 = 1, 5 m e · c Anwendung von H): (m System )2 · c4 = (2, 5 m e · c2 )2 − (1, 5 m e · c)2 · c2 = 4 m 2e · c4 ⇒ m System = 2 m e ; dies ist mehr als die Masse des einzigen vorhandenen materiellen Teilchens, aber weniger als der evtl. intuitiv erwartete Wert E Gesamt /c2 = 2, 5 m e !
Nach dem Stoß: Anwendung von A), D): E Gesamt = 2, 5 m e · c2 = m e · c2 · Gammafaktor + E nach = m e · c2 · 2, 1254 + E nach ⇒ E nach = (2, 5 − 2, 1254) · m e · c2 = 0, 375 m e · c2 W¨urde uns nur der Betrag des Photonenimpulses interessieren, dann k¨onnten wir G) anwenden; wollen wir aber auch die Richtung des Impulses (und damit die Flugrichtung des Photons) wissen, dann geht das unter Anwendung von B), C):
188
1 Die Spezielle Relativit¨atstheorie – leicht gemacht
PGesamt = 1, 5 m e · c = m e · v · Gammafaktor + Pnach = m e · 0, 8824 c · 2, 1254 + Pnach ⇒ Pnach = 1, 5 m e · c − 1, 875 m e · c = −0, 375 m e · c Das Photon bewegt sich also nach dem Stoß mit niedrigerer Energie (den Großteil seiner Energie hat es an das Elektron abgegeben und dieses damit angeschubst), und zwar l¨auft das Photon nun nach links (Impuls negativ), es ist am Elektron abgeprallt“53 ! ” Die Endgeschwindigkeit des Elektrons h¨atte u¨ brigens nicht vorgegeben werden m¨ussen, auch sie k¨onnte aus den Daten vor dem Stoß berechnet werden! Dieses Rechenbeispiel ist u¨ brigens ein Spezialfall des Compton-Effekts, der dem einen oder anderen Leser noch aus der Schulphysik bekannt sein d¨urfte. Interessanterweise erlauben die Formeln dieses Anhangs auch einen Br¨uckenschlag zwischen dem Teilchen- und dem Wellenbild des Lichts. Nehmen wir als Ausgangspunkt eine Formel, die eindeutig dem Teilchenmodell des Lichts zuzuordnen ist: P = E/c
(Impuls eines Photons, vgl. (1.92))
Einsetzen in (1.88), 4. Gleichung ergibt: E − v · E/c E · (1 − v/c) = E = 1 − v 2 /c2 1 − v 2 /c2 Da wegen (1.12) Frequenz ν und Photonenenergie E proportional zueinander sind, muß auch gelten: ν · (1 − v/c) ν = 1 − v 2 /c2 Eine Umformung ergibt: ν = ν ·
1 − v/c 1 + v/c
Frequenz ν und Wellenl¨ange λ sind umgekehrt proportional zueinander. Daraus folgt: 53
Ein Quantenmechaniker k¨onnte nat¨urlich einwenden, daß nach dem Stoß ein neues“ Photon existiert, aber diese Sichtweise steht hier nicht zur Diskussion. ”
1.18
Anhang zu Kapitel 1 – Relativistischer Impuls
λ = λ·
189
1 + v/c 1 − v/c
Dies ist nun die Formel f¨ur den (longitudinalen) Doppler-Effekt, die uns in Kapitel 4 begegnen wird. Und dieser Doppler-Effekt ist eindeutig dem Wellenmodell des Lichts zuzuordnen! Soviel zur SRT; nun noch ein neugieriger Blick auf Einsteins Meisterwerk, die Allgemeine Relativit¨atstheorie.
Kapitel 2
Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
¨ 2.1 Einfuhrung Die Allgemeine Relativit¨atstheorie (ART) hat Einstein ab ca. 1907 bis 191554 , also nach der SRT, ausgearbeitet. W¨ahrend er bei letzterer zum Teil auf einige vorher von anderen Wissenschaftlern geschaffene Bausteine aufbauen konnte, betrat er bei der Allgemeinen Relativit¨atstheorie weitgehend Neuland (von mathematischen Vorarbeiten abgesehen). Die Genialit¨at Einsteins wird in diesem Werk noch deutlicher als bei der SRT. Triebfeder f¨ur die Erarbeitung der ART war die Beschr¨ankung der SRT ¨ auf Inertialbeobachter, ein St¨orfaktor f¨ur den Astheten Einstein. Insbesondere beabsichtigte er, durch eine neue Theorie den in der SRT vorhandenen absoluten Charakter der Beschleunigung zu beseitigen. W¨ahrend sich die oben dargestellte Spezielle Relativit¨atstheorie vor allem mit den Effekten hoher Geschwindigkeiten befaßt, geht es bei der Allgemeinen Relativit¨atstheorie u¨ berwiegend um die Wechselbeziehungen von Gravitation, Raum, Zeit, Licht und Materie. Leider sind die Feldgleichungen der ART sehr viel schwerer herzuleiten und zu verstehen als das Formelwerk der SRT (siehe Abschnitte 1.3 bis 1.14), ¨ weshalb die Allgemeine Theorie hier nur im Uberblick dargestellt wird. Einige Einzelaspekte werden aber auch rechnerisch bearbeitet. Die ART beruht vor allem auf dem Postulat, daß schwere Masse (die also in einem Schwerefeld eine Gewichtskraft auf die Unterlage aus¨ubt) und tr¨age Masse (zu deren Beschleunigung eine Kraft erforderlich ist) a¨ quivalent sind. Diese Annahme galt schon seit Stevins und Galileis Fallversuchen als naheliegend, bei denen sich herausstellte, daß alle K¨orper, unabh¨angig von ihrer Masse, Form, Gr¨oße und Zusammensetzung, am selben Ort die gleiche Fall-
54
Erstmalige Ver¨offentlichung der endg¨ultigen Version: Sitzungsberichte der Preussischen Akademie der Wissenschaften 1915, S. 844ff. G. Beyvers, E. Krusch, Kleines 1 × 1 der Relativit¨atstheorie, 2. Aufl., C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85202-5 2,
191
192
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
beschleunigung im Schwerefeld der Erde erhalten (bei Vernachl¨assigung des Luftwiderstandes nat¨urlich). Aus diesem gleichen Fallverhalten kann man schon schließen, daß Schwere und Tr¨agheit aller K¨orper stets Hand in Hand gehen. Denn: Das Gewicht (= Ausdruck der schweren Masse) ist beim freien Fall die antreibende Kraft; die tr¨age Masse bestimmt den Widerstand. Ein schwerer K¨orper wird nun zwar st¨arker angetrieben als ein leichter, daf¨ur wehrt er sich aber mit seiner gr¨oßeren Tr¨agheit auch st¨arker gegen den Antrieb. Nur wenn beide Effekte (und damit auch beide Massetypen“) ” exakt gleich groß sind, erhalten alle K¨orper am selben Ort die gleiche Fall¨ beschleunigung. Auch sp¨atere Pr¨azisionsexperimente haben die Aquivalenz 55 von schwerer und tr¨ager Masse mit extremer Genauigkeit best¨atigt. Die bis dahin nur empirisch gewonnene Beziehung hat Einstein in der ART zum ¨ Prinzip erhoben. Dabei dehnte er die Aquivalenz von Schwere und Tr¨agheit auch auf die jeweiligen Ausl¨oser“ aus: Gravitation (genauer: das Ruhen in ” einem Gravitationsfeld) und Beschleunigung sind dann auch a¨ quivalent. Dazu ein praktisches Beispiel: Ein Astronaut kann ohne Blickkontakt nach außen nicht unterscheiden, ob seine Rakete mit laufendem Triebwerk auf der Erdoberfl¨ache steht oder mit konstanter Beschleunigung von 9,81 m/s2 (entspricht 1 g = Erdbeschleunigung“) durch den leeren Raum ” fliegt! In beiden F¨allen wird er mit der gleich großen Kraft (= seinem Gewicht) auf den Boden seiner Kabine gedr¨uckt. Der Triebwerkslauf auf der Erde dient nat¨urlich nur als Ger¨auschkulisse! Ebenso kann ein Raumflieger ohne Sichtverbindung nach außen nicht unterscheiden, ob er im materiefreien und damit gravitationslosen Raum frei schwebt oder ob er im freien Fall auf ein großes Schwarzes Loch ist, sich also nach herk¨ommlichen Normen stark beschleunigt bewegt. In beiden F¨allen wird er sich v¨ollig schwerelos f¨uhlen. ¨ Die Aquivalenz von Beschleunigung und Gravitation kann jeder Leser in einem Flug- oder Fahrsimulator am eigenen Leib erleben: Die Beschleunigung beim Start wird dabei oft nur durch das Zur¨uckkippen der Kabine simuliert. Der Insasse h¨alt die ihn nun auf die R¨uckenlehne pressende Schwerkraft f¨ur eine Beschleunigung! ¨ Bis hierher h¨atte auch Newton der Aquivalenz von Gravitationsund Beschleunigungsfeldern (Tr¨agheitsfeldern) ohne weiteres zustimmen ¨ k¨onnen. Albert Einsteins genialer Schritt war aber nun, die Aquivalenz von Gravitation und Beschleunigung nicht nur in solchen rein mechanischen F¨allen anzunehmen, sondern sie auf alle Bereiche der Physik auszudehnen. Experimente aller Art verlaufen demnach in Gravitationsfeldern und Beschleunigungsfeldern“ lokal stets nach denselben Gesetzm¨aßigkeiten. ” 55
auf etwa 1/1013 genau
2.1 Einf¨uhrung
193
Kein Experiment im Inneren eines (kleinen) geschlossenen Systems erlaubt es dem Experimentator, zwischen diesen beiden Feldarten zu differenzieren. So wie in der SRT davon ausgegangen wird, daß alle Inertialsysteme v¨ollig gleichwertig sind, baut die ART auf die lokale Gleichwertigkeit von Gravitations- und Beschleunigungsfeld. Letztere gelten in der ART sogar als lediglich verschiedene Erscheinungsformen ein und derselben Feldart! ¨ Dieses starke Aquivalenzprinzip“ (wie es im Gegensatz zum schwa” ” ¨ chen Aquivalenzprinzip“ − tr¨age Masse = schwere Masse − bezeichnet wird) hat aber auch noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Am obigen Bei¨ spiel des Raumfliegers war schon die Ahnlichkeit von kr¨aftefreier Bewegung im schwerkraftfreien Raum und einem freien Fall im Gravitationsfeld angesprochen worden. Auch bez¨uglich dieser beiden Zust¨ande postuliert das ¨ starke Aquivalenzprinzip, daß lokal durch kein Experiment (ob mit Lichtstrahlen, elektrischen oder magnetischen Feldern o.¨a.) eine Unterscheidbar¨ keit besteht. Das starke Aquivalenzprinzip besagt damit auch, daß im freien Fall die Wirkung der Gravitation lokal in jeglicher Beziehung aufgehoben wird ( wegtransformiert“ wird, wie der Fachmann sagt), also nicht nur in ” den offensichtlichen mechanischen F¨allen ( Schwerelosigkeit“). Und des” halb k¨onnen in einem Freifallsystem die Gesetze der SRT lokal angewandt werden, wie in Inertialsystemen. Damit hatte es Einstein erm¨oglicht, die gesamte Physik, die mit der SRT verkn¨upfbar ist, u¨ ber dieses Prinzip an die ART anzuschließen. Ansonsten h¨atte er daf¨ur Extraregeln“ aufstellen ” m¨ussen. Diese Gleichbehandlung“ von Gravitationsfeldern und Beschleuni” gungs feldern“ ist im ersten Moment zugegebenermaßen h¨ochst ge” ¨ w¨ohnungsbed¨urftig, die auf diesem Aquivalenzprinzip beruhende ART hat aber alle Tests (ob astronomische Beobachtungen oder experimentelle Untersuchungen) gl¨anzend bestanden. Der Leser kann sich daher ohne weiteres darauf einlassen: Die in diesem Kapitel 2 eingesetzten Gedankenexperimente verlaufen in Gravitationsfeldern und beschleunigten Systemen (ja sogar in einer Mischung“ aus beiden!) lokal56 nach denselben Gesetzm¨aßigkeiten. ” ¨ Diese Aquivalenz von Gravitations- und Beschleunigungsfeldern hat recht spektakul¨are Auswirkungen, von denen die sch¨onsten in den nun folgenden Abschnitten 2.2 bis 2.5 behandelt werden. Vor dem Einstieg in die verschiedenen Ph¨anomene der ART aber noch folgende Hinweise:
56
Die Notwendigkeit der hier o¨ fter verwendeten Einschr¨ankung lokal“ wird in ” Abschnitt 2.3 erl¨autert.
194
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
1. Im folgenden ist o¨ fter von einem entfernten oder weit entfernten Beobachter die Rede. Die damit verbundenen Aussagen gelten in aller Strenge nur f¨ur einen Beobachter in unendlicher Entfernung von dem betrachteten Himmelsk¨orper (mit dort gedachter Gravitation = null). Mit befriedigender Genauigkeit treffen diese Aussagen aber auch f¨ur Beobachter in viel geringerer Entfernung zu, z.B. in einem Abstand, der etwa dem 200fachen des Durchmessers57 des Himmelsk¨orpers entspricht. Der fer” ne“ Beobachter soll außerdem an seinem Platz ruhen. 2. Die meisten der in den folgenden Abschnitten genannten Formeln gelten genaugenommen nur f¨ur nicht-rotierende kugelf¨ormige Himmelsk¨orper. Mit hinreichender Exaktheit treffen sie aber auch auf langsam rotierende und nicht exakt kugelf¨ormige Objekte zu, also f¨ur die meisten realen Himmelsk¨orper (nicht jedoch f¨ur schnell rotierende Neutronensterne und Schwarze L¨ocher). 3. Wenn von Testmassen oder Testk¨orpern die Rede ist, dann sind damit Objekte gemeint, deren Masse im Vergleich zu dem Himmelsk¨orper, in dessen Schwerefeld sie sich bewegen, vernachl¨assigbar klein ist. Freie Testk¨orper sind solche, die sich selbst u¨ berlassen sind und die auch keinen eigenen Antrieb besitzen. Die ART hat als derzeit g¨ultige Theorie der Gravitation Newtons Gravitationsgesetz abgel¨ost. Letzteres ist aber als N¨aherung f¨ur schwache Gravitationsfelder in der ART enthalten und wird deshalb weiterhin in der Schule gelehrt.
2.2 Die Ablenkung von Licht durch Gravitation − Linsen ohne Glas Wichtiger Hinweis: Die exakte Berechnung der Lichtablenkung in Gravitationsfeldern ist sehr aufwendig und erfordert exzellente Kenntnisse des mathematischen und physikalischen Apparates der ART. Die nun folgende Darstellung ist lediglich eine qualitative quasi-newtonsche Absch¨atzung auf der Basis eines homogenen58 Gravitationsfeldes; sie ist also nicht ohne weiteres u¨ bertragbar auf die meist kugelsymmetrischen Gravitationsfelder 57
Abweichung dort (auch bei den kompaktesten Himmelsk¨orpern): unter 1,3 Promille! 58 Feld von u¨ berall gleicher St¨arke und Richtung; Beispiel aus dem Elektromagnetismus: Homogen ist z.B. das elektrische Feld zwischen den parallelen Platten eines Plattenkondensators; symbolisiert durch gerade verlaufende parallele Feldlinien u¨ berall gleicher Dichte.
2.2 Die Ablenkung von Licht durch Gravitation
195
realer Himmelsk¨orper. Es handelt sich nur um eine einfache Demonstration ¨ der Anwendbarkeit des Aquivalenzprinzips.
Gedankenexperiment: In einer beschleunigten Rakete wird ein Lichtstrahl vom Punkt A der Seitenwand zur gegen¨uberliegenden Seitenwand gesandt (linkes Bild); dabei wird der Lichtstrahl nach hinten“ abgelenkt, ” weil das Raumschiff w¨ahrend der Lichtlaufzeit weiter beschleunigt wird. (Begr¨undung: Jede in einem Inertialsystem geradlinige gleichf¨ormige Bewegung verl¨auft in einem quer zu dieser Bewegung beschleunigten System ¨ gekr¨ummt.) Wegen der Aquivalenz von Gravitationsfeldern und Beschleunigungsfeldern muß derselbe Effekt in einer Rakete auftreten, die in einem (homogenen) Gravitationsfeld mit derselben (Schwere-)Beschleunigung ruht (Bild rechts). Die obere gestrichelte waagerechte Linie zeigt den Verlauf des Lichtstrahls, wenn weder eine Beschleunigung noch eine Schwerkraft einwirken w¨urde. Zur quantitativen Berechnung werden die folgenden Abk¨urzungen eingef¨uhrt:
196
t a s1 s2
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Laufzeit des Lichtstrahls quer durch die Rakete Beschleunigung der Rakete bzw. Schwerebeschleunigung Breite der Rakete Strecke, um die das Licht vertikal abgelenkt wird
Es gelten im Fall der beschleunigten Rakete folgende Beziehungen: • t = s1 / c • Raketenendgeschwindigkeit v E = a · t (wenn Anfangsgeschwindigkeit = 0) ⇒ Mittlere Raketengeschwindigkeit vm =
(2.1) (2.2) 1 ·a·t 2
• s2 = vm · t 1 ⇒ s2 = · a · t 2 (durch Einsetzen von (2.3)) 2 a · s12 Einsetzen von (2.1) ergibt: s2 = 2 · c2
(2.3) (2.4) (2.5) (2.6)
Um diese Strecke s2 wird also der Lichtstrahl auf dem Weg quer durch ¨ die s1 breite beschleunigte Rakete abgelenkt. Wegen des Aquivalenzprinzips muß aber auch gelten: In einem homogenen Gravitationsfeld mit Schwerebeschleunigung a wird ein horizontal startender Lichtstrahl entlang der Meßstrecke s1 ebenfalls nach unten um s2 abgelenkt! Der Effekt ist nat¨urlich extrem klein (c2 im Nenner!) und spielt im irdischen Alltagsleben keine Rolle.59 Anders ist dies aber in der Astronomie, wo man es mit viel st¨arkeren Gravitationsfeldern auf anderen Himmelsk¨orpern (und damit gr¨oßerem a) zu tun hat; auch die Meßstrecke s1 kann hierbei die sprichw¨ortlichen astronomischen Ausmaße annehmen. Wie aber oben bereits angedeutet, ist Formel (2.6) nur eine N¨aherung f¨ur homogene Felder (¨uberall gleiche Richtung und St¨arke der Gravitation); damit ist sie im astronomischen Maßstab nicht anwendbar60 . F¨ur die eher kugelsymmetrischen Gravitationsfelder realer Himmelsk¨orper verwendet man daher eine andere N¨aherungsformel (siehe unten). Aufgrund der Gravitationswirkung sind auch die aus Abschnitt 1.17 bekannten Lichtkegel ver¨andert: Verengt und zur Weltlinie des Gravitationszentrums hin geneigt. Wie in der SRT k¨onnen Weltlinien materieller Teilchen nur innerhalb des betreffenden Lichtkegels verlaufen. Selbst auf einer Meßstrecke s1 = 1000 km erg¨abe sich in einem homogenen Gravitationsfeld der St¨arke a = 9, 81 m/s2 (= Erdbeschleunigung) nur eine Ablenkung um s2 = 0, 05 mm ! 60 Die tats¨achlich beobachtete Lichtablenkung an Himmelsk¨orpern ist gr¨oßer. 59
2.2 Die Ablenkung von Licht durch Gravitation
197
Manche Autoren bezeichnen die Lichtablenkung als (gravitative) Lichtaberration. Wegen der Verwechslungsgefahr mit der durch Relativbewegung verursachten Aberration (Abschnitt 1.10) verzichten wir auf diese Nomenklatur. Beobachtung der Lichtablenkung: In welcher Form kann man die Lichtablenkung durch gravitierende (= Schwerkraft erzeugende) Himmelsk¨orper tats¨achlich beobachten? Hier gibt es vor allem die folgenden drei Ph¨anomene, die aber alle eine Gemeinsamkeit aufweisen: Lichtstrahlen von einem weiter entfernten Objekt laufen auf ihrem Weg zu uns an einem massereichen Vordergrundobjekt vorbei und werden bei der Passage zu diesem hin verbogen“. Diese Richtungs¨anderung der Lichtstrahlen erinnert ” an die Wirkung einer Linse; das massereiche Vordergrundobjekt nennt man daher auch Gravitationslinse. a) Ein Lichtstrahl eines Fixsterns, der von der Erde aus gesehen den Sonnenrand passiert, verl¨auft (¨ubertrieben gezeichnet) etwa so:
Da ein Beobachter ein Objekt in der Regel in jener Richtung lokalisiert, aus der sein Auge von den Lichtstrahlen des Objekts getroffen wird, ist f¨ur den Beobachter auf der Erde der Stern wegen der Gravitationswirkung der Sonne um den Winkel ϕ von ihr wegversetzt! Dieser Ablenkungswinkel errechnet sich in diesem Fall nach folgender N¨aherungsformel: 4 · G · MS (in Radian) RS · c 2 m3 −11 G Gravitationskonstante 6, 674 · 10 kg · s2 30 MS Masse der Sonne (1, 989 · 10 kg) ϕ=
(2.7)
RS Radius der Sonne (695 500 km = 6, 955 · 108 m) Dieser Bruch wurde schon im Abschnitt 1.4 berechnet. Tip: Multipliziere das Ergebnis mit 206265, um Bogensekunden zu erhalten.
198
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
F¨ur die Sonne ergibt sich direkt am Sonnenrand nach (2.7) eine Lichtablenkung von ca. 1,75 Bogensekunden. Erstmals konnte diese gravitative Lichtablenkung (wie von Einstein empfohlen) bei einer totalen Sonnenfinsternis, am 29. Mai 1919, beobachtet werden. Die damalige Best¨atigung, daß das Licht von Sternen61 nahe am Sonnenrand durch das Schwerefeld der Sonne tats¨achlich so abgelenkt wird, daß die Sterne f¨ur den Erdbeobachter minimal von der Sonne wegversetzt sind (siehe obige Abbildung), brachte den Durchbruch f¨ur die Anerkennung der ART in der wissenschaftlichen Welt und auch in weiten Teilen der naturwissen¨ schaftlich interessierten Offentlichkeit. Nach dem Bekanntwerden der positiven Beobachtungsergebnisse pr¨agte Einstein den bekannten Ausspruch: Da ” k¨onnt’ mir halt der liebe Gott leid tun“ (wenn die Messungen seine Theorie nicht best¨atigt h¨atten). Der Nachweis der Lichtablenkung von 1919 war allerdings eher qualitativer Natur. Heute kann man aber mit radioastronomischen Verfahren sehr pr¨azise Messungen durchf¨uhren, diese best¨atigen die ART auch quantitativ. Wie obige Abbildung zeigt, erlaubt es die Lichtablenkung sogar, Objekte wahrzunehmen, die ohne die lichtablenkende Wirkung des VordergrundHimmelsk¨orpers von diesem abgedeckt w¨aren. Mit anderen Worten: Man kann um die Ecke sehen! Deshalb k¨onnte auch ein entfernter Beobachter mehr als eine Hemisph¨are kompakter Himmelsk¨orper gleichzeitig u¨ berblicken, denn auch Lichtstrahlen von einem Streifen jenseits des geometrischen Horizonts werden in Richtung des Beobachters gebogen: Beispielsweise w¨urde der Anblick eines Neutronensterns ca. 3/4 seiner Oberfl¨ache auf einmal offenbaren! Die beiden folgenden F¨alle b) und c) spielen sich auf viel gr¨oßeren Entfernungsskalen ab, zum Teil u¨ ber Milliarden von Lichtjahren. b) Bei sehr großen Entfernungen zwischen Lichtquelle, linsendem“ K¨orper ” und Erde kommt es durchaus vor, daß von ein und derselben Lichtquelle ausgehende Strahlen auf dem Weg zur Erde die Gravitationslinse an gegen¨uberliegenden Seiten passieren:
61
Die Sonne stand damals bei den Hyaden (= Sternhaufen im Sternbild Stier).
2.2 Die Ablenkung von Licht durch Gravitation
199
Der Beobachter auf der Erde sieht nun zwei oder mehr Bilder desselben Objekts! Einstein hatte sich schon 1936 theoretisch mit dieser M¨oglichkeit befaßt (aber die Beobachtbarkeit von Doppelbildern f¨ur sehr unwahrscheinlich gehalten); das erste Doppelbild eines Quasars wurde erst 1979 entdeckt. Auch ein Vierfachbild eines Quasars in Form eines Kleeblatts ( Einstein” Kreuz“) ist bekannt. Bei idealen geometrischen Bedingungen (Lichtquelle, Linse“ und Erde exakt auf einer Linie; Zentralsymmetrie des Gravi” tationsfeldes der Linse“) entst¨unde ein ringf¨ormiges Bild der Lichtquelle ” ( Einstein-Ring“). Einige solcher (allerdings unregelm¨aßigen) Ringe wur” den schon beobachtet; die Unregelm¨aßigkeiten der Ringstruktur r¨uhren von Abweichungen von den genannten Idealbedingungen her. In denjenigen F¨allen, bei denen aufgrund der Beobachtungsbedingungen der Ring nicht als solcher aufgel¨ost (abgebildet) werden kann, f¨uhrt die Linsenwirkung aber dennoch zu einem meßbaren Effekt: n¨amlich zur Helligkeitssteigerung des Lichts der Lichtquelle. Auch dieses Ph¨anomen wird in der Praxis genutzt, z.B. bei der Suche nach Objekten, welche die sogenannte Dunkle Materie in den Außenbereichen der Milchstraße verk¨orpern sollen. Bewegen sich solche dunklen K¨orper vor dem Hintergrund von Sternen (z.B. der Milchstraßen-Begleitgalaxie Große Magellansche Wolke“), dann ” m¨ußte es gelegentlich zu einer vor¨ubergehenden Helligkeitszunahme einzelner Hintergrundsterne kommen ( Microlensing“). Hierf¨ur charakteristische ” (symmetrisch verlaufende) Helligkeitsvariationen wurden schon beobachtet; nach jetzigen Hochrechnungen tragen die linsenden dunklen K¨orper aber nur wenig zur Dunklen Materie bei. Diesen dunklen Gesellen am Rande der Milchstraßengesellschaft hat man den wenig schmeichelhaften Namen MACHOs gegeben (Massive Astrophysical Compact Halo Objects)! c) Die Lichtablenkung durch Gravitation betrifft nat¨urlich nicht nur die bisher betrachteten Objekte wie Sterne und Quasare, die wegen ihrer Entfernung uns mehr oder weniger punktf¨ormig erscheinen, sondern auch alle Punkte eines fl¨achenhaften Objekts (z.B. einer Galaxie). Als Ergebnis erscheint uns eine weit entfernte Galaxie vergr¨oßert, da ihr Lichtb¨undel bei der Passage eines massiven Vordergrundobjekts fokussiert wird. Beispielsweise erreichen uns Lichtstrahlen von entgegengesetzten R¨andern der Galaxie unter einem gr¨oßeren Winkel als ohne Anwesenheit der Linse“. Hier ” wird der Name Gravitationslinse besonders einsichtig: Die weit entfernte Hintergrundgalaxie wird wie durch eine Fernrohrobjektivlinse vergr¨oßert abgebildet. Bei diesem Macrolensing“ haben die Linsen“ aber in der Regel ” ” Gravitationsfelder mit sehr unregelm¨aßiger Struktur (oft sind es kompakte Galaxienhaufen), weshalb meist recht verzerrte und vervielfachte Bilder entstehen. So kann eine einzige Hintergrundgalaxie durch einen im Licht-
200
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
weg befindlichen Galaxienhaufen in Form von Dutzenden Bildchen abgebildet werden! Viele der Bilder sind mondsichelf¨ormig und mit der Konkavseite zum Gravitationszentrum orientiert ( Einstein-B¨ogen“). Galaxienhau” fen sind also schlecht geschliffene“ Linsen mit vielen Buckeln und T¨alern! ” Trotz dieser Komplexit¨at der erzeugten Bilder versucht man, aus einem solchen Zerrbilder-Puzzle Erkenntnisse zu gewinnen, sowohl u¨ ber die gelinste Galaxie (z.B. aus ihrem Spektrum) als auch u¨ ber die Linse“ (Struktur und ” St¨arke des Gravitationsfeldes). Auch bei letzterem zeigt sich indirekt die Dunkle Materie, da die Gravitationsfelder der Linse nach diesem Meßverfahren viel st¨arker sind als die Gesamtzahl der sichtbaren Sterne erwarten ließe! Die Lichtablenkung kann aber auch noch zu einem anderen bizarren Effekt f¨uhren: In Abh¨angigkeit von der Gesamtdichte des Universums f¨uhren dessen Masse und Energie als Ganzes auch zu einer Lichtablenkung. Extrem weit entfernte Objekte sollten also durch den Linseneffekt des zwischen ihnen und uns liegenden Teils des Universums heller erscheinen. Zwar bleibt dabei die Fl¨achenhelligkeit (Helligkeit pro Fl¨acheneinheit) gleich, durch Zunahme der abgebildeten“ Fl¨ache steigt aber die Gesamthelligkeit62 . ” Schließlich bleibt noch zu erw¨ahnen, daß die Lichtablenkung umso st¨arker ist, • je kompakter“ der ablenkende Himmelsk¨orper ist (siehe Rangfolge der ” Kompaktheit“ in Abschnitt 2.3) und ” • je n¨aher die Lichtstrahlen dem Gravitationszentrum kommen. Die extremste Lichtablenkung betreiben die Schwarzen L¨ocher: Sie zwingen das Licht sogar auf eine kreisf¨ormige Umlaufbahn, und direkt am Rand“ ” eines Schwarzen Lochs tangential abgestrahltes Licht f¨allt“ stets in dessen ” Zentrum (siehe Abschnitt 3.2). Das Ausmaß der Lichtablenkung ist aber von der Farbe, Frequenz und Energie des Lichts unabh¨angig.
¨ 2.3 Raumzeitkrummung, Gravitationswellen Die oben besprochene Lichtablenkung in Gravitationsfeldern hat ihren Grund in einem viel ber¨uhmteren, aber auch schwieriger zu verstehenden Ph¨anomen der ART: der Raumzeitkr¨ummung. Auch diese ist nur von FachBei Objekten mit einer Rotverschiebung z > ca. 1, 6 liefert aber die geringere Emissionsentfernung (siehe Kapitel 4) den Hauptbeitrag f¨ur die Vergr¨oßerung des Winkeldurchmessers der Objekte am irdischen Himmel. 62
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
201
leuten exakt zu berechnen, es handelt sich wie auch bei anderen Ph¨anomenen der ART um sehr komplexe mathematische Ausdr¨ucke. Deshalb soll hier nur in allgemeiner Form darauf eingegangen werden. Daß mit dem Raum in einem Gravitationsfeld irgendetwas nicht stimmen ” kann“, zeigt unter anderem ein Gedankenexperiment in Anlehnung an die SRT, das in a¨ hnlicher Weise schon Einstein benutzt hat. Gedankenexperiment: Man denke sich eine große ebene Kreisscheibe, die in einem gravitationslosen Raum zun¨achst ruht (bezogen auf die Fixsterne der Umgebung). Ein dort wohnendes Scheibenvolk will nun seine Welt“ vermessen. Hierzu stehen viele gleich lange Meßst¨abe zur Verf¨ugung, ” von denen jeder sehr viel kleiner ist als die Ausmaße der Scheibe. Zur Messung des Scheibenradius wird eine gerade St¨abchenreihe vom Mittelpunkt zum Scheibenrand ausgelegt; zur Umfangsmessung wird der Scheibenrand l¨uckenlos mit St¨abchen belegt. Durch Z¨ahlung der Meßst¨abchen ergibt sich das Verh¨altnis von Umfang zu Radius, das erwartungsgem¨aß 2 π betr¨agt.
Nach dieser Vermessung im Ruhezustand wird die Kreisscheibe mitsamt den ausgelegten St¨abchen (bezogen auf die Fixsternumgebung) in eine gleichf¨ormige Rotation um ihren Mittelpunkt versetzt. Ein Beobachter auf der Scheibe außerhalb des Scheibenmittelpunkts versp¨urt nun eine radiale Kraft nach außen. In Newtons Sprache w¨urden wir sie Fliehkraft nennen, also eine auf der Drehbeschleunigung beruhende Scheinkraft. Unter ¨ Anwendung des Aquivalenzprinzips k¨onnen wir aber ebensogut von einer nach außen wirkenden Gravitationskraft sprechen. Dieses Gravitationsfeld“ ” hat sicherlich eine recht ungew¨ohnliche Struktur: Im Zentrum betr¨agt die Schwerkraft null, radial nach außen nimmt sie kontinuierlich zu. Dies soll uns aber nicht weiter st¨oren.
202
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
F¨ur einen Beobachter B, der u¨ ber dem Scheibenmittelpunkt schwebt und (bezogen auf die Fixsternumgebung) nicht rotiert, tritt nun aber wegen der Scheibenrotation eine Komplikation auf: Er sieht jeden f¨ur die Umfangsmessung an den Scheibenrand gelegten Meßstab (z.B. M2 in der Abbildung) um den Kehrwert des Gamma-Faktors kontrahiert. Denn: Jeder dort tangential liegende Stab bewegt sich f¨ur B in Richtung seiner L¨ange (in hinreichend kurzen Zeitintervallen und bei hinreichender Scheibengr¨oße ann¨ahernd geradeaus!). Deshalb k¨onnen die Regeln der SRT angewandt werden: Es kommt zur Lorentz-Kontraktion eines jeden einzelnen Meßstabes. Bei den Meßst¨aben, die f¨ur die Radiusmessung vom Mittelpunkt zum Scheibenrand aneinandergereiht sind, tritt dieser St¨oreffekt nicht auf, denn diese Meßst¨abe (z.B. M1 in der Abbildung) bewegen sich f¨ur B stets quer zu ihrer L¨ange. F¨ur den Beobachter B ist wegen dieses der SRT entlehnten Effektes das Verh¨altnis zwischen Umfang und Radius nun nicht mehr 2 π (wie vor Beginn der Rotation), sondern kleiner, denn der Umfang hat sich f¨ur ihn verkleinert, w¨ahrend der Radius gleich groß geblieben ist. Ein Meßwert, der vom normalerweise (bei ruhender Scheibe) zu erwartenden Umfang abweicht, l¨aßt sich aber am besten als Ausdruck einer Kr¨ummung oder W¨olbung der rotierenden Scheibe interpretieren (so wie auf der Erdoberfl¨ache das Mißverh¨altnis“ ”¨ ¨ zwischen Umfang am Aquator und der Strecke Nordpol-Aquator gegen eine Scheibenform spricht)! Hier besteht also eine Abweichung von der euklidischen63 Geometrie! Wenn in einem (hier Dreh-)Beschleunigungsfeld eine Kr¨ummung des (hier zweidimensionalen) Raumes auftritt, dann muß ¨ dies wegen des Aquivalenzprinzips auch f¨ur ein Gravitationsfeld (mit hier gedachter Anziehungskraft nach außen) gelten. Nun wird also klar, daß wir uns in Gravitationsfeldern vom ebenen Raum der SRT verabschieden m¨ussen. Je weiter man sich vom Mittelpunkt der Scheibe (dem gravitationslosen“ ” Punkt) entfernt, desto h¨oher ist die Geschwindigkeit relativ zu B (bei fixer Winkelgeschwindigkeit), desto st¨arker ist also die Lorentz-Kontraktion f¨ur B und umso st¨arker ist damit auch die Raumkr¨ummung. Im realen Universum wird Gravitation nat¨urlich nicht durch rotierende Scheiben erzeugt, sondern im Wesentlichen durch massereiche Himmelsk¨orper. In deren Umgebung ist die Raumzeitkr¨ummung umso st¨arker, 63
euklidische Geometrie: Die aus der Schulmathematik bekannte Geometrie mit in der Regel drei Raumrichtungen (x, y, z), bei der z.B. das Verh¨altnis Umfang eines Kreises zu Radius stets 2 π betr¨agt, die Winkelsumme im Dreieck 180◦ ergibt und es durch einen Punkt außerhalb einer Geraden genau eine Parallele zu der Geraden gibt (siehe auch Tabelle S. 220/221).
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
203
je n¨aher man der Oberfl¨ache des Objekts ist und je kompakter (dichter) und massereicher der Himmelsk¨orper ist. Bez¨uglich der Kompaktheit von Objekten l¨aßt sich eine Rangordnung aufstellen (mit in dieser Reihenfolge zunehmender Dichte): • • • • •
Rote Riesen, normale“ Sterne (sogenannte Hauptreihensterne), ” Weiße Zwerge, Neutronensterne, Schwarze L¨ocher (Raumzeitkr¨ummung unendlich!).
Materie spielt also in der Mechanik und der Gravitationsphysik nicht nur die passive Doppelrolle als schwere und tr¨age Masse, sondern sie erzeugt auch Raumzeitkr¨ummung. Masse (und dazu a¨ quivalente Energie) kr¨ummen die Raumzeit; und diese Kr¨ummung wiederum gibt Massen und dem Licht die Bahnen vor, auf denen sie sich zu bewegen haben. Dies sind die Kernaussagen der ART! Die Raumzeitkr¨ummung (besser ausgedr¨uckt: die durch die Anwesenheit von Massen ver¨anderte Geometrie der Raumzeit) ist nicht nur ein Symbol f¨ur die Gravitation, sondern sie ist die Gravitation!
Eine Analogie Kein Mensch kann sich eine Raumzeitkr¨ummung vorstellen, ja im Allgemeinen nicht einmal die Kr¨ummung eines dreidimensionalen Raumes. Es muß ¨ daher auf eine vorstellbare Analogie zur¨uckgegriffen werden. Ublicherweise reduziert man dazu zun¨achst die Zahl der Raumdimensionen von drei auf zwei, also auf eine Fl¨ache. Die dadurch frei gewordene“ dritte Dimension ” kann nun zur Darstellung der Kr¨ummung verwendet werden. Praktischerweise stellt man sich als erw¨ahnte Fl¨ache ein Gummituch vor (z.B. eine Trampolinsprungfl¨ache). Ist keine Masse vorhanden, bleibt die Fl¨ache eben, die Kr¨ummung betr¨agt null. Dieser Zustand entspricht dem flachen Raum der SRT. Legt man eine schwere Metallkugel auf das Gummituch, so kommt es zu einer Einsenkung, gleichzeitig weist das Tuch in der Umgebung der Kugel, die nat¨urlich einen massereichen Himmelsk¨orper repr¨asentieren soll, eine Kr¨ummung auf. Die folgende Abbildung zeigt in dieser Analogie zwei benachbarte Himmelsk¨orper unterschiedlicher Masse. Weit von der schweren Kugel entfernt wird die Kr¨ummung vernachl¨assigbar klein, entsprechend einer immer geringeren Gravitation. Zwei Hinweise zu diesen auch andernorts oft benutzten Trampolinmul” den“: • Eine solche Mulde stellt nur die Raumkr¨ummung einer 2-dimensionalen Schnittfl¨ache durch das Zentrum des Himmelsk¨orpers dar. Die dritte
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2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
dort dargestellte Raumdimension, in die sich das Tuch hineinw¨olbt, ist hier nur eine Hilfsdimension zur Demonstration der Raumkr¨ummung des ausgew¨ahlten 2-dimensionalen (Schnittfl¨achen-)Raums. Eine weitere Bedeutung hat diese Dimension nicht. Wollte man die Kr¨ummung des 3-dimensionalen Raums darstellen, dann br¨auchte man entsprechend mindestens eine hypothetische vierte Hilfs-Raumdimension (die nichts mit der Zeitdimension zu tun hat). • Die Kr¨ummung des Zeitanteils“ der Raumzeitkr¨ummung wird nicht dar” gestellt. Man k¨onnte von einem Momentbild der Raumzeitkr¨ummung der Schnittfl¨ache durch das Zentrum des Himmelsk¨orpers sprechen. Der Zeitanteil“ der Raumzeitkr¨ummung wird sp¨ater noch besonders behan” delt. Nun zur¨uck zur wirklichen Raumzeitkr¨ummung: Nicht nur Lichtteilchen m¨ussen auf ihren Wegen die Raumzeitkr¨ummung in Kauf nehmen (siehe Lichtablenkung), viel st¨arker noch m¨ussen ihr materielle K¨orper folgen, da diese sich ja langsamer als das Licht fortbewegen. In dieser Sichtweise f¨allt ein Butterbrot nicht wegen der Erdanziehungskraft zu Boden, sondern weil es der Raumzeitkr¨ummung folgen muß, die durch die Anwesenheit der Erdmasse entsteht! Der nat¨urliche Weg aller K¨orper auf der Erde w¨are der freie Fall als Nachgeben“ gegen¨uber der Raumzeitkr¨ummung, aber der Erdboden h¨alt ” alles auf 64 . Die Raumzeitkr¨ummung existiert (schw¨acher) auch noch in der Ferne: Beispielsweise bekommt der Mondumlauf um die Erde durch sie eine v¨ollig
¨ Unter Anwendung des Aquivalenzprinzips k¨onnen wir auch sagen: Der Erdboden erzeugt durch Behinderung des freien Falls eine Beschleunigung aller auf ihm liegenden K¨orper nach oben! Aus diesem Blickwinkel wird auch sofort klar, warum an einem bestimmten Ort alle Gegenst¨ande gleichschnell fallen“: Beispielsweise ” zwei gleichzeitig und auf gleicher H¨ohe nebeneinander losgelassene Kugeln, eine aus Gold, die andere aus Aluminium, ruhen in ihrem System und werden von dem nach oben beschleunigten Erdboden nat¨urlich gleichzeitig getroffen“! Die Masse ” spielt bei dieser Betrachtungsweise u¨ berhaupt keine Rolle; und alles Philosophieren u¨ ber die Gleichheit der tr¨agen und schweren Masse wird u¨ berfl¨ussig!
64
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
205
neue Grundlage: Der Mond wird nicht durch Anziehungs- und Fliehkraft auf seiner Bahn gehalten, er ist vielmehr ein K¨orper, der dem Weg ent” langf¨allt“, den ihm die durch die Anwesenheit der Erde vorhandene Raumzeitkr¨ummung vorschreibt. In der Gummituch-Analogie kreist er entlang der Außenwand der durch die Erde verursachten Einsenkung des Tuchs wie ein Rennfahrer an der außen erh¨ohten Bahn eines engen Rundkurses. Bei anderen gravitativ gebundenen Himmelsk¨orpern verh¨alt es sich ebenso; Doppelsterne bilden z.B. eine gemeinsame Mulde“ in der Raumzeit, in deren Zen” trum der gemeinsame Schwerpunkt der beiden Sterne liegt, den sie st¨andig umkreisen m¨ussen. Die Einsenkungen, die durch Schwarze L¨ocher hervorgerufen werden, sind nicht so seicht wie die normaler Himmelsk¨orper, sondern verlaufen schlauchartig (in der Gummituch-Analogie) in unendliche Tiefe.
Radiale Raumkontraktion Auf einem Neutronenstern65 k¨onnte wegen der extremen Gravitation kein Lebewesen existieren. Aber zur Verdeutlichung eines wichtigen Effekts in der ART soll uns eine solche Sternleiche“ in Gedanken nun als Beobach” tungsobjekt dienen. W¨urden zwei Beobachter, einer vor Ort auf dem Neutronenstern und ein zweiter weit entfernt, die Sternoberfl¨ache A vermessen, dann k¨amen beide ¨ zum selben Ergebnis. Uber Kugeloberfl¨achen besteht also Einigkeit unter beiden Beobachtern. Anders ist es bei radialen Entfernungen (also senkrecht zur Sternoberfl¨ache gemessenen): F¨ur den Beobachter vor Ort sind radiale Abst¨ande gr¨oßer als f¨ur den entfernten Beobachter! Diese radiale Raumkontraktion“ ” (aus der Sicht des entfernten Beobachters) ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Raumzeitkr¨ummung, der hier allerdings nicht hergeleitet werden kann. Diese Diskrepanz bei der Messung radialer Abst¨ande betrifft insbesondere auch den Radius des Neutronensterns als Ganzes: F¨ur den Neutronensternbewohner ist er deutlich gr¨oßer als f¨ur einen weit entfernten Beobachter. Offensichtlich kann daher die aus der euklidischen Geometrie bekannte Formel Kugeloberfl¨ache A = 4π · Radius2 (gemessen) nicht f¨ur beide Beobachter gleichzeitig gelten; u¨ ber die Oberfl¨ache waren sich beide einig, nicht jedoch u¨ ber den Radius. 65
sehr kompakter Himmelsk¨orper mit ca. 1,5-facher Sonnenmasse, aber nur etwa 20 km Durchmesser; entsteht bei Kollaps des Kerns eines massereichen Sterns; der Rest des Sterns explodiert (Supernova)
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2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Um in dieses nun drohende Chaos bei radialen Entfernungsangaben ein wenig Ordnung zu bringen, k¨onnen beide Beobachter vereinbaren, eine √ Radius-Koordinate“ zu benutzen, die beide aus A/4π bestimmen. Radia” le Abst¨ande vom Gravitationszentrum sind damit nominell f¨ur die Beobachter eindeutig festgelegt, denn u¨ ber die Oberfl¨ache besteht ja Einigkeit unter allen Beobachtern. Alle Radiusangaben, die in Formeln zur ART in den√ Kapiteln 2 und 3 vorkommen, unterliegen diesem Prinzip: Sie sind stets als A/4π zu verstehen! Dies gilt auch dann, wenn gar keine feste Oberfl¨ache vorhanden ist, z.B. im Nahbereich eines Schwarzen Lochs. Bei allen radialen Entfernungsangaben denke man sich eine durch den betreffenden Ort verlaufende Kugelschale mit dem Gravitationszentrum als Mittelpunkt; nur daraus errechnet sich nach obiger Formel der von nun an verwendete Abstand“ vom Gravitationszentrum. ” In schwachen Gravitationsfeldern spielt diese Vorsichtsmaßnahme nat¨urlich keine wesentliche Rolle: Bei der Erde z.B. ist es egal, ob man den Radius R E durch eine Bohrung zum Erdmittelpunkt oder aus der Oberfl¨achenvermessung ermittelt, beide Werte w¨aren praktisch identisch. Nicht so beim Neutronenstern; hier w¨are der durch eine (hypothetische!) Bohrung ermittelte Radius-Wert deutlich h¨oher als der aus der √ Oberfl¨ache berechnete! Bei der Darstellung der Radius-Koordinate als A/4π tut man so, als sei der Raum im Bereich des betrachteten Himmelsk¨orpers flach (ungekr¨ummt), denn tats¨achlich gilt diese Formel ja nur in der euklidischen Geometrie. In Wirklichkeit ist der Raum um den Himmelsk¨orper aber gekr¨ummt; die von den Beobachtern verwendete Radius-Koordinate ist also nur ein theoretischer Hilfswert mit dem Vorzug, daß ihn verschiedene Beobachter ver” stehen“; jeder Beobachter kann ihn bei Bedarf in den f¨ur sein Bezugssystem g¨ultigen Meßwert umrechnen. Ein in einem starken Gravitationsfeld ruhender Beobachter (wie unser Neutronensternbewohner) muß bei dieser Umrechnung eben die nun bekannte radiale Raumkontraktion ber¨ucksichtigen, die aus seiner Sicht radiale Entfernungen im Vergleich zur RadiusKoordinate vergr¨oßert. Welches Ausmaß nimmt die radiale Raumkontraktion an? F¨ur einen √ Beobachter bei einem Abstand R (bestimmt aus A/4π) von einem Gravitationszentrum ist eine kleine radiale Abstandsdifferenz, die f¨ur einen weit entfernten Beobachter r betr¨agt, gr¨oßer als r , n¨amlich 1−
r 2·G·M R · c2
.
G : Gravitationskonstante M : Masse des Himmelsk¨orpers
Wirklich relevant wird die radiale Raumkontraktion nur bei kompakten Himmelsk¨orpern, also solchen mit kleinem Radius“ R bei gleichzeitig großer ”
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
207
Masse M (Neutronensterne, Schwarze L¨ocher). In Abschnitt 3.2 findet sich eine Beispielrechnung f¨ur einen Neutronenstern. Bei normalen“ Himmelsk¨orpern hingegen ist umgekehrt R groß und ” somit der Wert des Bruchs in der Wurzel nahe bei null, damit der Wert der Wurzel nahe bei 1. F¨ur beide, den Beobachter vor Ort bei R und den weit entfernten Beobachter, betr¨agt die kleine radiale Abstandsdifferenz praktisch r . Ein anschauliches Beispiel f¨ur diese nach innen zunehmende radiale Raumkontraktion: K¨onnte man auf einem Neutronenstern eine hohe Stufenpyramide errichten, die f¨ur den Baumeister vor Ort jeweils gleiche Stufenh¨ohen aufweist, so w¨aren f¨ur einen entfernten Beobachter die Stufenh¨ohen nicht gleich: Die unteren w¨aren kleiner als die oberen. Wenn man die Pyramide dagegen so baut, daß aus Sicht eines in der Ferne ruhenden Architekten die Stufenh¨ohen alle gleich sind, dann messen Beobachter vor Ort unten eine gr¨oßere Stufenh¨ohe als an der Spitze. Die radiale Raumkontraktion und die Raumkr¨ummung (symbolisiert durch die Gummituchmulden) sind zwei alternative Sichtweisen desselben Sachverhalts. Dies soll anhand der beiden folgenden Abbildungen gezeigt werden, die jeweils einen Schnitt durch das Zentrum eines massereichen Himmelsk¨orpers darstellen sollen: In beiden F¨allen w¨are f¨ur einen Kreis um den Mittelpunkt des Himmelsk¨orpers in der Schnittebene das Verh¨altnis Umfang / Radius < 2π. L¨aßt sich die Raumzeitkr¨ummung nachweisen? Ja, zumindest indirekt: Die oben dargestellte Lichtabweichung an gravitierenden K¨orpern wird ja durch die Raumzeitkr¨ummung verursacht. Es gibt allerdings auch experimentelle Nachweise: Radar-Echos von Merkur, Venus und Mars erscheinen verz¨ogert, wenn diese Planeten jenseits“ der ” Sonne stehen66 . Diese Laufzeitverz¨ogerung wird je zur H¨alfte von der Raumkr¨ummung und der noch zu besprechenden gravitativen Zeitdilatation verursacht. Noch genauere Messungen der Laufzeitverz¨ogerung erlauben Funksignale von Raumsonden, die jenseits der Sonne unterwegs sind. Alle Messungen konnten die Raumzeitkr¨ummung im Sinne der ART best¨atigen. Nach dem Erstbeobachter dieser Laufzeitverz¨ogerungen nennt man letztere auch Shapiro-Effekt. In der Gummituch-Analogie k¨onnte man diese Laufzeitverz¨ogerungen (zum Teil) damit erkl¨aren, daß ein Signalweg zwischen zwei Orten A und B, der an einem gravitierenden Himmelsk¨orper vorbeif¨uhrt, durch eine (von diesem verursachte) Mulde im Tuch verlaufen muß; dieser Signalweg ist somit l¨anger als wenn der Raum zwischen A und B flach (ebenes Tuch ohne Mulde) w¨are. Und ein l¨angerer Weg erfordert mehr Zeit! 66
(obere) Konjunktion
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2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Gravitative radiale Raumkontraktion: Radial liegende Maßst¨abe im Bereich eines massereichen Himmelsk¨orpers sind verk¨urzt, um der Gravitation Rechnung zu tragen. Die Kontraktion nimmt nach innen“ hin zu. ”
Geht man dagegen formal davon aus, daß auch in einem Gravitationsfeld Maßst¨abe stets gleich lang sind, dann hat zwischen zwei Raumpunkten A und B dieselbe Anzahl von Maßst¨aben nur dann Platz“, wenn man sie entlang ” einer Gummituchmulde auslegen kann; der (hier zweidimensionale) Raum ist gekr¨ummt!
Freifallsysteme, Gezeitenkr¨afte In der N¨ahe von gravitierenden Himmelsk¨orpern, also inmitten ihrer Schwerefelder, kann es aber auch Systeme mit lokal flachem Raum“ geben. Damit ” sind Systeme im freien Fall gemeint. Die Bezeichnung flach, also kr¨ummungsfrei, ist absolut berechtigt, wenn man bedenkt, daß es innerhalb eines frei fallenden Systems wie in einem Inertialsystem der SRT zugeht: Ein einmal angestoßener K¨orper fliegt mit gleichbleibender Geschwindigkeit geradeaus, nicht angestoßene K¨orper schweben an ihrem Platz, solange der freie Fall anh¨alt. Ja sogar die Vakuumlichtgeschwindigkeit c gilt dort, was ansonsten bei Beschleunigungs- und Gravitationsfeldern nicht so eindeutig festgestellt werden kann (siehe dazu Abschnitt 2.4). Man ist also gezwungen, einem frei fallenden System dieselben Qua-
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
209
lit¨aten wie einem Inertialsystem der SRT zuzugestehen. Und in der SRT gibt es bekanntlich keine Raumkr¨ummung, von Gravitation ist dort keine Rede. Also ist der Raum im Inneren des Freifallsystems tats¨achlich flach. Man kann ein solches System daher auch als Inertialsystem der ART“ bezeichnen. Ein ” wesentlicher Unterschied zu den Inertialsystemen der SRT besteht nat¨urlich, aber nur nach außen hin: Es ist gegen¨uber diesen in beschleunigter Bewegung. Und es ist r¨aumlich und zeitlich begrenzt (siehe unten). Auch in der Newtonschen Mechanik hat der freie Fall eine Sonderstellung: Beschleunigung(sfeld) und Schwere(feld) heben sich genau auf; wie in einem Inertialsystem wirkt keine resultierende Kraft. Genaugenommen darf man im Zusammenhang mit Freifallsystemen aber nur von lokalen Inertialsystemen sprechen. Denn die Regeln der SRT gelten dort (je nach erw¨unschter Meßgenauigkeit) nur in kleinen Raum- und Zeitbereichen. Werden diese Raum- und Zeitgrenzen u¨ berschritten, dann treten Gezeitenkr¨afte auf (siehe auch folgende Abbildungen: Gezeitenkr¨afte I und II): • Zur r¨aumlichen Begrenztheit der G¨ultigkeit der Regeln der SRT in Freifallsystemen: • Nebeneinander fallende Testmassen n¨ahern sich einander, weil jede f¨ur sich in Richtung des Mittelpunkts des Himmelsk¨orpers f¨allt. Die Fallbahnen konvergieren (= laufen zusammen); im Freifallsystem selbst n¨ahern sich die Testmassen, kompakte K¨orper werden quer zur Fallrichtung komprimiert ( Ebbe“). Unterschreitet das System eine gewis” se Gr¨oße, werden diese Ver¨anderungen unmeßbar klein, es besteht ein lokales Inertialsystem! • Untereinander fallende Testmassen entfernen sich voneinander, weil die untere Testmasse der Raumzeitkr¨ummung/Gravitation st¨arker ausgesetzt ist als die obere; kompakte Massen werden in Fallrichtung gedehnt ( Flut“). Auch hierbei h¨angt die Meßbarkeit des Ph¨anomens ” von der Gr¨oße des Systems ab, Kleinheit“ bedeutet: SRT gilt lokal! ” • Zur zeitlichen Begrenztheit der Anwendbarkeit der SRT-Regeln in Freifallsystemen: Bei einem l¨angeren freien Fall zeigen sich die oben genannten Gezeitenkr¨afte auch in kleinr¨aumigen Systemen: Die SRT-Regeln gelten (abh¨angig von der Meßgenauigkeit) nur kurzzeitig, sozusagen zeitlich lokal“! ” Diese Gezeitenkr¨afte erlauben somit die Bestimmung der Variabilit¨at der Raumzeitkr¨ummung von Ort zu Ort (also der Struktur eines Gravitationsfeldes): Betrachtet man das Gravitationsfeld eines Himmelsk¨orpers als zusammengesetzt aus vielen kleinen freifallenden Inertialsystemen, die mit je einer Testmasse versehen sind, dann zeigt sich die Variabilit¨at der Raumzeitkr¨ummung am unterschiedlichen Verhalten benachbarter Systeme:
210 Gezeitenkr¨afte I Massen in einem Freifallsystem n¨ahern sich quer zur Fallrichtung einander, weil jede f¨ur sich in Richtung Mittelpunkt des Himmelsk¨orpers f¨allt.
Man sieht hier sehr sch¨on, daß die Gezeitenkr¨afte allein auf der Inhomogenit¨at des Feldes beruhen. In einem homogenen Feld (¨uberall gleiche Richtung und St¨arke) g¨abe es keine Gezeitenkr¨afte!
Gezeitenkr¨afte II Teilmasse 2 ist dem Himmelsk¨orper n¨aher und wird deshalb st¨arker angezogen als Teilmasse 1. Die Kraft F2 ist also gr¨oßer als die Kraft F1 . Die Differenz dieser Kr¨afte bringt den die Teilmassen verbindenden Faden zum Zerreißen.
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
211
• an der Ann¨aherung nebeneinander fallender Testmassen und • an der Abstandszunahme untereinander fallender Testmassen. Bei dieser gezeitenbedingten Relativbewegung zwischen den benachbarten lokalen Inertialsystemen handelt es sich um beschleunigte“ Bewegungen ” (in der Sprache der SRT). Daher k¨onnen diese lokalen Inertialsysteme nicht einfach durch Lorentz-Transformationen miteinander verkn¨upft werden (wie in der SRT)! Auch die Erdgezeiten lassen sich so vielleichter verstehen (verglichen mit umst¨andlichen Kr¨aftevergleichen auf Basis des gemeinsamen Schwerpunkts S der K¨orper): Aus Sicht des Mondes (der bei den Gezeiten u¨ berwiegend als Gravitationszentrum wirksam ist):
Aus Sicht des Freifallsystems Erde“: ” Gravitationskraft = 0, Restkr¨afte = Gezeitenkr¨afte:
( = Fliehkraft: Sie ist f¨ur jeden Punkt der Erde nach Betrag und Richtung gleich, da der Erdschwerpunkt (hier mit M bezeichnet) sich auf einer fast kreisf¨ormigen Bahn in 27,32 Tagen67 einmal um den Schwerpunkt S des Erde-Mond-Systems bewegt. Alle anderen Erdpunkte ziehen im selben Zeitraum Kreisbahnen mit demselben Radius, nur r¨aumlich versetzt zur Bahn des Erdschwerpunkts M.) 67
siderischer Monat
212
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Erl¨auterungen: • Kraft F2 ist gr¨oßer als Kraft F1 (da Punkt 2 n¨aher am Gravitationszentrum Mond ist als Punkt 1); die Differenz der Kr¨afte zerrt an der Erde einschließlich ihrer Wassermassen: Flut. • Die Kr¨afte F3 haben eine Komponente nach innen“ (da sie ja auf den ” Mondmittelpunkt gerichtet sind). Im Freifallsystem wirken nur noch diese nach innen gerichteten Komponenten. Sie komprimieren die Erde senkrecht zu ihrer Fallrichtung“ und beeinflussen entsprechend unter anderem ” die Ozeane: Ebbe. Diese Gezeitenkr¨afte treten nicht nur in Freifallsystemen auf, sondern sind bezugssystemunabh¨angig (beobachterunabh¨angig). Sie fehlen aber in reinen Beschleunigungsfeldern (homogene Beschleunigung). Damit offenbaren die Gezeitenkr¨afte in der Tat die Struktur eines Gravitationsfeldes ganz exakt. Die Messung der Gezeitenkr¨afte kann auch im Inneren eines Raumschiffs erfolgen, Astronauten k¨onnten demnach ohne einen Blick nach draußen, ohne Radar oder andere externe Meßverfahren die Struktur des lokalen Gravitationsfeldes bestimmen (dessen von Ort zu Ort unterschiedliche St¨arke und Richtung). Die Gezeitenkr¨afte lassen sich nicht (wie die Gravitationskraft selbst) wegtransformieren. Der Leser wird nun auch verstehen, daß die im einf¨uhrenden Abschnitt zur ¨ ART erw¨ahnte Aquivalenz zwischen Gravitations- und Beschleunigungsfeld ebenfalls nur lokal gilt. Das gesamte Erdschwerefeld durch ein einziges Beschleunigungsfeld zu simulieren“, k¨onnte z.B. nicht gelingen. Bei ” infinitesimaler Kleinheit eines Freifallsystems gibt es aber keine Gezeiten¨ kr¨afte: Das Aquivalenzprinzip und damit auch die Gesetze der SRT gelten exakt! Wie groß ist die Gezeitenkraft genau? Zwischen zwei Punkten eines K¨orpers (oder zwischen zwei Massen) im Abstand d voneinander betr¨agt die Gezeitenbeschleunigung 2·G·M · d, a= R3 √ wobei R aus A/4π mit einer gedachten Kugelschalenoberfl¨ache A mit dem Gravitationszentrum als Mittelpunkt ermittelt wird (siehe oben). Durch Multiplikation mit Teilmassen des K¨orpers erh¨alt man dann die auseinanderzerrende Gezeitenkraft. Die quer dazu wirkende komprimierende Gezeitenkraft ist nur halb so groß.
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
213
Aus der dritten Potenz von R im Nenner erkennt man, daß bei abnehmender Entfernung vom Gravitationszentrum die Gezeitenkraft stark zunimmt. Deshalb verwundert es nicht, daß der winzige Erdmond einen st¨arkeren Gezeiteneinfluß auf die Erde aus¨ubt als die sehr viel m¨achtigere Sonne! Bez¨uglich der Gezeitenkr¨afte bietet sich folgende Gummituch-Analogie an: Wenn eine große Zahl kleiner Metallkugeln in zun¨achst kreisf¨ormiger Formation auf eine im Verh¨altnis dazu sehr große Gummituchmulde zurollt, so wird aus dem Kreis eine Ellipse, denn • der Abstand der Kugeln quer zur Laufrichtung verkleinert sich, weil jede einzelne Kugel auf das Muldenzentrum zul¨auft; • der Abstand der Kugeln in Laufrichtung vergr¨oßert sich, weil die dem Muldenzentrum n¨aheren Kugeln schon auf einem absch¨ussigeren Abschnitt der Mulde rollen (im Vergleich zu nachfolgenden Kugeln) und daher st¨arker beschleunigt werden.
Im Raum: Bahnen − In der Raumzeit: Geod¨aten Die Bahnen freier K¨orper werden nach dem oben Gesagten nicht von Newtons Anziehungskraft bestimmt, die auf mysteri¨ose Art und Weise68 auf die Ferne wirken sollte, sondern allein von der lokal vorhandenen Raumzeitkr¨ummung. Mit zunehmender Entfernung von einem Himmelsk¨orper verd¨unnt“ sich die Raumzeitkr¨ummung dabei im gr¨oßer werdenden Volu” men, wird dort also schw¨acher. In sehr großer Entfernung von Himmelsk¨orpern ist die Raumzeit ann¨ahernd flach; dort gilt praktisch die SRT. Letztere ist somit als Grenzfall in der ART enthalten. Newton hielt den Raum f¨ur euklidisch (flach), deshalb mußte er zur Erkl¨arung z.B. der gekr¨ummten Planetenbahnen seine Anziehungskraft einf¨uhren. Die ART erkl¨art die (im Raum gekr¨ummten) Bahnen freier K¨orper dagegen viel nat¨urlicher: Jeder freie K¨orper folgt in dem gerade durchflogenen lokalen Inertialsystem einer geraden Bahn (wie in der SRT). Da aber die nacheinander durchflogenen lokalen Inertialsysteme69 in einem Gravitationsfeld in beschleunigter Bewegung zueinander sind, entsteht im Endeffekt im Raum eine gekr¨ummte Bahn, z.B. eine Ellipse (Ausnahme: gerade Fallbahn bei senkrechtem Fall in Richtung Gravitationszentrum). 68
Newton hatte diesen Schwachpunkt seiner Theorie selbst erkannt und bedauert. Daß eine beschleunigte Bewegung durch viele lokale Inertialsysteme mit jeweils minimal voneinander verschiedener Geschwindigkeit beschrieben werden ¨ kann, wurde schon in Abschnitt 1.8 erw¨ahnt. Wegen der Aquivalenz zwischen Beschleunigungs- und Gravitationsfeldern kann auch der Weg durch letztere mittels Aneinanderreihung vieler lokaler Inertialsysteme beschrieben werden. 69
214
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Eine auf die Ferne wirkende Kraft ist entbehrlich! Um der Anschaulichkeit willen wird aber im Folgenden dennoch gelegentlich von der Gravitationskraft die Rede sein. Strenggenommen ist die Schwerkraft nach der ART nur eine Scheinkraft (sie tritt ja nur bei Behinderung des freien Falls auf), ganz a¨ hnlich wie die Fliehkraft in der Newtonschen Mechanik eine Scheinkraft ist, die nur bei Auslenkung aus einer geradlinigen Inertialbewegung auftritt. Daß im Raum gekr¨ummte Bahnen im lokalen Inertialsystem sehr wohl gerade sind, k¨onnte man mit einem transparenten frei fallenden Aufzug sch¨on demonstrieren: Ein im Aufzug in eine beliebige seitliche Richtung geworfener Ball bewegt sich f¨ur Beobachter auf der Erdoberfl¨ache auf einer Parabelbahn (¨ubliche Wurfparabel). F¨ur die Beobachter im Aufzug (= lokales Inertialsystem f¨ur den Ball) ist die Bahn des Balles aber exakt geradlinig! Bez¨uglich der lokalen Inertialsysteme besteht folgende GummituchAnalogie: Jede (endlich) gekr¨ummte Fl¨ache kann man so in winzige Teilfl¨achen zerlegen, daß letztere im Rahmen der Meßgenauigkeit (lokal) eben sind! Die Neigungswinkel zwischen diesen einzelnen Facetten sind Ausdruck der Kr¨ummung der Gesamtfl¨ache. Die Bezeichnung freier Fall“ hat hier nat¨urlich eine umfassendere Bedeu” tung als nur der senkrechte Fall, z.B. in Richtung Erdmittelpunkt. Jede Bahn eines antriebslosen K¨orpers im Schwerefeld eines gravitierenden Himmelsk¨orpers gilt als freier Fall, z.B. auch das Herumschwingen eines Kometen um die Sonne, der dann wieder, eventuell auf Nimmerwiedersehen, verschwindet. Von diesem letzten Gedankengang ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zu der Erkenntnis, daß auch Planetenbahnen einen freien Fall darstellen. Die Kr¨ummung der Raumzeit bewirkt in diesen F¨allen, daß die Fallbahn“ ” nicht gerade, sondern elliptisch oder im Spezialfall kreisf¨ormig ist. Trotz der Kr¨ummung dieser Bahnen im Raum stellen sie in der gekr¨ummten Raumzeit lokal immer die geradesten Verbindungslinien ( geod¨atische Linien“) ” dar! Bei v¨ollig flacher Raumzeit (SRT) w¨aren geod¨atische Linien stets gerade. So sind z.B. alle geraden Weltlinien in den Raum-Zeit-Diagrammen des Abschnitts 1.17 geod¨atische Linien oder kurz Geod¨aten“. In Schwerefel” dern mit ihrer gekr¨ummten Raumzeit k¨onnen Geod¨aten dagegen nur lokal als gerade angesehen werden. Am Beispiel der Erdbahn: Hier k¨onnte man einen 30 Meter langen Abschnitt der insgesamt 940 Millionen Kilometer messenden Bahn der Erde um die Sonne sicherlich als geradlinig ansehen (dieser Bahnabschnitt wird in einer Millisekunde durchflogen). Eine Abweichung dieses Wegst¨uckes von der Geradlinigkeit w¨are mit den u¨ blichen Meßmethoden nicht nachweisbar; Experimente im Erdschwerpunkt w¨urden in die-
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
215
sen Raum- und Zeitgrenzen wie im flachen Raum der SRT verlaufen. Der Erdschwerpunkt ist in diesem Sinne ein lokales Inertialsystem im Schwerefeld der Sonne. In großen Raum- und Zeitabschnitten sind die Bahnen von K¨orpern, also der r¨aumliche Anteil ihrer Geod¨aten, in Gravitationsfeldern aber immer krumm, so auch die Erdbahn. Die Planeten oder auch der Mond haben bei ihrer Entstehung einen Bewegungsimpuls mitbekommen, der heute noch dazu ausreicht, sie auf ihren Bahnen entlangfallen zu lassen. Auch die Bahn eines jeden anderen K¨orpers, auf den keine nicht-gravitativen Kr¨afte wirken, ist in der Raumzeit eine zeitartige geod¨atische Linie. An dieser Stelle besteht eine weitere interessante Querverbindung zur SRT, die bei Bahnberechnungen in starken Gravitationsfeldern auch tats¨achlich angewandt wird: Die SRT und speziell der Zwillingseffekt haben uns folgendes gelehrt: • Eine kr¨aftefreie Bewegung“ (siehe ruhender Zwilling mit gerader Welt” linie) zwischen zwei bestimmten Ereignissen ist mit dem Ablauf einer maximalen Eigenzeit (maximale Alterung) verbunden: Wer rastet, der ” rostet maximal!“ • Eine nicht kr¨aftefreie Bewegung zwischen denselben zwei Ereignissen (siehe reisender Zwilling: Krafteinwirkung bei der Umkehr) bringt eine im Vergleich dazu reduzierte Eigenzeit (geringere Alterung) mit sich. Dieses Konzept des maximalen Eigenzeitablaufs bei kr¨aftefreier Bewegung ist auch in der ART g¨ultig. Man kann daher folgende Sachverhalte als synonym betrachten: kr¨aftefreie Bewegung eines K¨orpers = freier Fall des K¨orpers = maximaler Eigenzeitablauf zwischen zwei Ereignissen auf der Weltlinie des K¨orpers = die Weltlinie des K¨orpers ist eine zeitartige Geod¨ate (geradeste Linie) in der Raumzeit. Noch drastischer ausgedr¨uckt: Ein freier K¨orper muß sich so bewegen, daß eine von ihm mitgef¨uhrte Uhr zwischen zwei Ereignissen auf seiner Weltlinie den maximalen Zeitablauf anzeigt. Dies ist die nat¨urlichste aller Bewegungen. Einige wichtige Begriffe betreffend die Bewegung freier K¨orper werden nun noch tabellarisch zusammengefaßt. F¨ur die Bewegung eines freien K¨orpers gilt nach der SRT bzw. nach der ART folgendes:
216
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Theorie
SRT
ART
Raumzeittyp
pseudoeuklidisch70
gekr¨ummt, falls Materie oder Energie anwesend
Form der Weltlinie in der Raumzeit
Gerade (vergl. Abbildungen in Abschnitt 1.17); ist Spezialfall einer Geod¨ate. Gummituch-Analogie: Styroporkugel rollt auf flach gespanntem Gummituch geradeaus.
Raumtyp
euklidisch = flach = eben, da materiefrei
geradestm¨ogliche Linie (lokal gerade) auch in der gekr¨ummten Raumzeit = Geod¨ate. Analogie: Der Fahrer eines Gel¨andewagens, dessen Lenkrad in Geradeausstellung blockiert ist, wird auch beim Befahren einer unebenen (Gummituch-) Landschaft sagen: Ich fahre zu jedem ” Zeitpunkt exakt geradeaus“ (lokales Inertialsystem!). Siehe jedoch Zeile Bahnform im Raum“! ” gekr¨ummt, falls Materie und/ oder Energie anwesend (vgl. Gummituch-Analogie)
Bahnform im Raum
Gerade (Beispiel: In den Abbildungen von Abschnitt 1.17 verl¨auft die Bahn“ des ” bewegten Beobachters stets entlang der x A -Achse.)
70
in der Regel gekr¨ummt. Beispiel: Die von dem oben erw¨ahnten Gel¨andewagen hinterlassene Spur ist (z.B.) aus der Vogelperspektive krummlinig. Bewegt sich eine freie Testmasse im Einflußbereich nur eines Himmelsk¨orpers, so entsteht als Bahn n¨aherungsweise ein Kegelschnitt: Hyperbel, Parabel, Ellipse, Kreis oder Gerade (letztere bei radialem Fall auf das Gravitationszentrum).
pseudo“euklidisch deshalb, weil die vier Terme des Quadrats des Raum-Zeit” Abstandes (x 2 , y 2 , z 2 , t 2 ) im Gegensatz zu den drei Termen des Quadrats des euklidischen Raumabstandes (x 2 , y 2 , z 2 ) nicht alle das gleiche Vorzeichen haben (siehe Abschnitt 1.11).
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
217
Auch die Erkenntnis aus der SRT, daß Licht nicht altert (besser ausgedr¨uckt: Raum-Zeit-Abstand zwischen zwei Ereignissen auf einer Lichtweltlinie = 0) ist in der ART g¨ultig. Lichtweltlinien werden daher auch als Null” geod¨aten“ bezeichnet. In der flachen Raumzeit der SRT sind diese Linien gerade, in Gravitationsfeldern sind Lichtstrahlen dagegen im Raum gebogen (siehe Abschnitt Lichtablenkung). Die Geod¨aten, die die Bewegung materieller Teilchen im freien Fall repr¨asentieren, sind nat¨urlich durch die Raumzeitkr¨ummung selbst eindeutig festgelegt (und nicht etwa von Eigenschaften der fallenden Testk¨orper beeinflußt). Analog zur Feststellung Galileis, daß alle K¨orper am selben Ort derselben Beschleunigung unterliegen, gilt auch in der Raumzeit: Ein mit bestimmter Anfangsgeschwindigkeit in eine bestimmte Richtung geworfener K¨orper kann nur eine ganz bestimmte Geod¨ate in der Raumzeit erzeugen, unabh¨angig von seiner Masse, Zusammensetzung, Dichte usw. Beispiel: Ein Staubkorn erzeugt im Gravitationsfeld der Sonne bei gleichen Anfangsbedingungen genau dieselbe Geod¨ate wie ein Komet oder Asteroid. Die fallenden K¨orper k¨onnten nur dann einen eigenen Einfluß aus¨uben, wenn sie sehr massereich sind und somit ihrerseits merklich an der Raumzeitkr¨ummung mitwirken k¨onnen. Auch Lichtweltlinien (Nullgeod¨aten) verlaufen an einem bestimmten Ort bei gleicher Startrichtung“ stets identisch, also z.B. unabh¨angig von der ” Energie/Farbe des Lichts.
Auch das wußte Newton nicht ¨ Ubrigens ist die Raumzeitkr¨ummung selbst eine Energieform! Und diese Energie bewirkt wiederum eine Verst¨arkung der Raumzeitkr¨ummung, letztere verst¨arkt sich also selbst71 . Dieser Selbstverst¨arkungsmechanismus ist der Newtonschen Gravitationstheorie v¨ollig fremd; bei Newton bestimmt allein die Masse des gravitierenden K¨orpers die St¨arke des Gravitationsfeldes, welche bei ihm streng dem quadratischen Abstandsgesetz72 folgt. Letzteres bedeutet:
71
als Wortspiel: Gravitation gravitiert! Newtonsche Gravitationskraft F = G · m 1 , m 2 = Massen der beteiligten K¨orper; K¨orper
72
m 1 ·m 2 ; r2
G = Gravitationskonstante; r = Abstand der Mittelpunkte der
218
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
• Verdoppelung der Entfernung − nur noch 1/4 der Gravitationskraft, • Verdreifachung der Entfernung − nur noch 1/9 der Gravitationskraft usw. Der von Einstein gefundene Selbstverst¨arkungsmechanismus macht sich nat¨urlich in unmittelbarer N¨ahe eines Himmelsk¨orpers st¨arker bemerkbar als in gr¨oßerer Entfernung, dementsprechend findet man auch Abweichungen von Newtons quadratischem Abstandsgesetz am ehesten ganz nahe an massereichen K¨orpern. In gr¨oßeren Entfernungen dagegen gehen diese Abweichungen praktisch gegen null; dies erkl¨art den jahrhundertelangen Erfolg der Newtonschen Himmelsmechanik“, mit der z.B. die Bahnen der a¨ uße” ren Planeten auf Jahrtausende im voraus richtig berechnet werden k¨onnen. Eine Abweichung davon ist allerdings bei den inneren Planeten zu bemerken, vor allem bei Merkur, n¨amlich eine (zus¨atzliche) Periheldrehung. Diese sei hier kurz erl¨autert: Nach der Newtonschen Mechanik w¨urde ein solit¨arer Planet stets auf einer stabilen Ellipsenbahn verbleiben (linkes Bild). Einstein sagte aber ¨ eine Periheldrehung (also eine stetige Anderung des sonnenn¨achsten Bahnpunktes) voraus, was zu einer Rosettenform der Umlaufbahn f¨uhrt (rechtes Bild):
Der Grund f¨ur diese Periheldrehung liegt darin, daß geschlossene Ellipsenbahnen nur bei strenger G¨ultigkeit des quadratischen Abstandsgesetzes m¨oglich w¨aren. Die ART sagt nun aber (in Sonnenn¨ahe sehr geringe) Abweichungen von diesem Gesetz voraus, diese Abweichungen verhindern geschlossene Planetenbahnen. Wegen der N¨ahe zur Sonne ist der Effekt
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
219
nat¨urlich bei Merkur am deutlichsten, aber selbst bei ihm betr¨agt der Anteil der zus¨atzlichen Einsteinschen Periheldrehung nur etwa 7 12 % der Gesamtperiheldrehung (der Einfluß der anderen Planeten u¨ berwiegt den ART-Effekt bei weitem). Der nach der ART errechnete Wert stimmt sehr gut mit den Beobachtungen u¨ berein.73 Eine exakte Kreisbahn bleibt zwar r¨aumlich stabil, mit einem Kreiselexperiment l¨aßt sich aber auch auf einer solchen Bahn die Raumzeitkr¨ummung nachweisen74 . Der Korrekturfaktor, mit dem nach der ART die Newtonsche Gravitatimultipliziert werden muß, lautet: onskraft G · m·M R2
1
2·G·M 1− R · c2
(mit R ermittelt aus
A/4π)
(2.8)
Gemeint ist die Kraft, die n¨otig ist, um einen K¨orper in einem festen Abstand zum Zentralk¨orper zu halten. muß nach der Auch die Newtonsche Gravitationsbeschleunigung G·M R2 ART mit diesem Faktor multipliziert werden. • Bei großem R (in großer Entfernung von einem Himmelsk¨orper) ist der Korrekturfaktor ann¨ahernd 1; dort gilt das alte Newtonsche Gravitationsgesetz mit extremer Genauigkeit. • In geringer Entfernung von einem Himmelsk¨orper (kleiner Wert f¨ur R) kann der Korrekturfaktor (bei ausreichender Masse und Kompaktheit des Himmelsk¨orpers) deutlich gr¨oßer als 1 werden; entsprechend ist auch die Gravitationskraft deutlich st¨arker als nach Newtons quadratischem Abstandsgesetz. Der Faktor dr¨uckt den beschriebenen Selbstverst¨arkungsmechanismus aus. Bei Schwarzen L¨ochern erreicht der Korrekturfaktor den Wert unendlich; damit wird dort auch die Gravitationskraft unendlich stark. Die Raumkr¨ummung kann in zwei Varianten auftreten: als positive und negative Kr¨ummung. Art und Ausmaß der Kr¨ummung ergeben sich aus
73
Einstein testete seine neu entdeckten Feldgleichungen in der ersten Novemberh¨alfte 1915 als erstes an diesem Problem und fand spontan das exakt zu den (bis dahin unerkl¨arten) astronomischen Beobachtungen passende Resultat! Dies versetzte ihn nach eigenem Bekunden in große Aufregung. 74 wegen der sogenannten geod¨atischen Pr¨azession (siehe Abschnitt 3.4)
220
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Raumkr¨ummung
negativ
zweidimensionales Analogon
Sattelfl¨ache mit hyperbolischer Metrik
Winkelsumme im Dreieck75
unter 180◦
Verh¨altnis von Kreisumfang zu Kreisdurchmesser
u¨ ber 3,14 (π )
Anzahl der Parallelen durch einen Punkt außerhalb einer Geraden
mehr als eine
Verhalten zweier zueinander senkrechter Linien beim zweidimensionalen Analogon
kr¨ummen sich in der Ferne in verschiedene Richtungen
gewissen Maßzahlen; die obige doppelseitige Tabelle gibt einfache Beispiele hierzu. Innerhalb von Planeten oder Sternen ist der Raum durchweg positiv gekr¨ummt; außerhalb davon sind die Verh¨altnisse sehr viel komplizierter. Je mehr die Werte (z.B. Winkelsumme im Dreieck) von denen der euklidischen Geometrie abweichen, desto st¨arker ist die Kr¨ummung. Oben wurde schon erw¨ahnt, daß man sich die Kr¨ummung des dreidimensionalen Raums (oder gar der Raumzeit) im Allgemeinen nicht vorstellen kann. Nach dem Studium der obigen Tabelle erkennt man allerdings, daß dies gar nicht n¨otig ist! Denn so wie in einem zweidimensionalen Raum (Fl¨ache) ein zweidimensionales Wesen z.B. durch Ausmessen der Winkel
75
Gilt f¨ur Dreiecke, die aus geradesten“ Linien (Geod¨aten) gebildet werden, z.B. ” aus Großkreisen im Falle einer Kugel; auf der Erdkugel sind alle L¨angenkreise und ¨ der Aquator Großkreise, nicht jedoch die u¨ brigen Breitenkreise.
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
221
positiv
null
Kugeloberfl¨ache mit sph¨arischer Metrik
Ebene mit euklidischer Metrik
u¨ ber 180◦
180◦
unter 3,14 (π )
3,14 (π )
keine: alle lokal parallelen Linien ¨ (z.B. L¨angengrade in Aquatorn¨ ahe) schneiden sich im weiteren Verlauf
genau eine
kr¨ummen sich in der Ferne in dieselbe Richtung
keine Kr¨ummung
eines Dreieckes und deren Aufsummierung eine Kr¨ummung der Fl¨ache feststellen k¨onnte, so k¨onnen auch wir als dreidimensionale Wesen durch a¨ hnliche Messungen im dreidimensionalen Raum prinzipiell dessen Kr¨ummung bestimmen. In Erdn¨ahe sind jedoch die Abweichungen von der euklidischen Geometrie unmeßbar gering. Aber wir brauchen weder in Gedanken noch physisch den Sprung von der Drei- zur Vier-Dimensionalit¨at zu unternehmen, um die Kr¨ummung eines dreidimensionalen Raumes zu erkennen.
Gravitationswellen Die Raumkr¨ummung ist nat¨urlich kein statisches Ph¨anomen: Beschleunigt76 man Massen, so entstehen Wellen im Raum, die Gravitationswellen
76
in der Sprache Newtons, also einschließlich Zentripetalbeschleunigung in Gravitationsfeldern
222
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
(Ausnahmen: Rotation drehachsensymmetrischer Massen, kugelsymmetrischer Kollaps oder kugelsymmetrische Explosion). Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen elektromagnetischen und Gravitationswellen zeigt die folgende Tabelle auf. Elektromagnetische Wellen
Gravitationswellen
Erzeugung
Beschleunigung elektrischer Ladungen, z.B. Elektronen in Sendeantenne
Beschleunigung von Massen
R¨uckstoß auf das die Wellen abstrahlende Objekt
ja
ja
Ausbreitungsgeschwindigkeit
c
c
G¨ultigkeit des quadratischen Abstandsgesetzes
ja
ja (angen¨ahert)
Nachweis/Wirkung
Anstoß elektrischer Ladungen, z.B. Elektronen in Empfangsantenne
Verformung großer K¨orper, Anstoß kleiner Testmassen
Schw¨achung beim Auftreffen auf materielle K¨orper
stark, aber abh¨angig von der Frequenz der Welle und der Zusammensetzung des K¨orpers
vernachl¨assigbar (erschwert den Nachweis der Gravitationswellen!)
Wellenform (jeweils transversal)77
Dipolwellen
Quadrupolwellen (siehe Haupttext)
vermittelnde Teilchen (jeweils ohne Ruhemasse und elektrische Ladung)
Photonen
Gravitonen (noch nicht nachgewiesen)78
Beziehungen zur Raumzeit
bewegen sich durch den Raum und kr¨ummen ihn merklich nur bei hohen Energien
sind Schwingungen des Raumes selbst
77 78
transversale Welle: Schwingungsrichtung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung ergeben sich aus Bem¨uhungen, die ART als Quantenfeldtheorie zu verstehen
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
223
Erl¨auterung zum Begriff der dort erw¨ahnten Quadrupolwellen: Im Gegensatz zum Elektromagnetismus gibt es bei der Gravitation keine zwei Pole (wie plus/minus und magnetischer Nord-/S¨udpol). Gravitationswellen weisen daher kein Dipolmuster auf, sondern zeigen etwa folgendes Bild:
(im Abstand von jeweils einer Halbperiode)
Demzufolge wird eine kreisf¨ormige Struktur durch Gravitationswellen z.B. wie folgt deformiert (die Ausbreitungsrichtung der Wellen steht senkrecht auf der Papierebene). Die Fl¨ache der Struktur bleibt dabei konstant. Nat¨urlich ist der Effekt stark u¨ bertrieben gezeichnet!
(im Abstand von jeweils einer Viertelperiode)
Bei den Gravitationswellen k¨onnte man auch von einer Art Erdbeben“ ” im Raum-Zeit-Gewebe sprechen. Gummituch-Analogie: Schwingungen des Tuches! Anders ausgedr¨uckt: Gravitationswellen sind Wellen sich a¨ ndernder Gravitation. Von der Wirkung her entsprechen Gravitationswellen Gezeitenkr¨aften, die in einer zur Ausbreitungsrichtung senkrechten Ebene auftreten und in dieser Ebene periodisch ihre Richtung a¨ ndern. Freie Testteilchen selbst versp¨uren“ ” beim Durchlauf einer Gravitationswelle keine Kr¨afte (sie fallen ja frei, auch in der nun ver¨anderten Raumzeit), ein entfernter Beobachter sieht die Testmassen aber in beschleunigter Bewegung. Ausgedehnte K¨orper werden von den Gravitationswellen durchdrungen und dabei im Rhythmus von deren Frequenz in einer Richtung gestaucht und quer dazu gedehnt, dann umgekehrt usw. Die Wellenl¨ange von Gravitationswellen l¨aßt sich meist leicht ermitteln: Die vom Erdumlauf um die Sonne verursachten Gravitationswellen haben eine Wellenl¨ange von genau einem Lichtjahr, die von Jupiter (Umlaufzeit
224
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
ca. 12 Jahre) verursachten sind etwa 12 Lichtjahre lang etc. Die Frequenz der Gravitationswellen ergibt sich aus der Beziehung Frequenz = c/Wellenl¨ange. Derzeit (2008) laufen mehrere Großversuche zur Detektion der Schwerkraftwellen, einer auch in Niedersachsen ( GEO 600“). Dabei werden jeweils ” zwei senkrecht zueinander verlaufende Meßstrecken interferometrisch79 u¨ berwacht. Aber auch mehrere hundert Meter lange Meßstrecken werden durch die theoretisch zu erwartenden Gravitationswellen nur um Bruchteile eines Atomkerndurchmessers (!) gestaucht und gestreckt, ein Beobachtungserfolg kann daher durchaus auf sich warten lassen. Gute Kandidaten f¨ur die Aussendung nachweisbarer Gravitationswellen sind asymmetrisch verlaufende Supernovae und aufeinander zu spiralende kompakte K¨orper wie Weiße Zwerge, Neutronensterne oder Schwarze L¨ocher. Vertrautere Quellen haben dagegen nur eine geringe Strahlungsleistung: Erde 200 W, Jupiter 5300 W . Ein indirekter Nachweis von Gravitationswellen ist u¨ brigens schon gelungen: Im Bin¨arpulsar PSR 1913+16 (zwei sich eng umkreisende kompakte K¨orper) n¨ahern sich beide Komponenten einander. Berechnet man die damit verbundene Energieabnahme dieses Systems, dann ergibt sich genau der Wert, der nach der ART in Form von Gravitationswellen abgestrahlt werden sollte. Auch normale Doppelsternsysteme verlieren durch Gravitationsstrahlung Energie, aber viel weniger als PSR 1913+16, dessen Komponenten meßbar immer weiter aufeinander zu spiralen und miteinander verschmelzen werden. Letztgenanntes System, von einem anderen Autor zurecht als Lustobjekt der Relativisten“ tituliert, zeigt wegen der Kompaktheit sowohl ” der zwei Komponenten als auch des Gesamtsystems noch weitere ARTPh¨anomene in voller Auspr¨agung: Shapiro-Effekt, gravitative Rotverschiebung und Zeitdilatation (siehe unten) sowie Periheldrehung (vier Grad pro Jahr!).80 Trotz aller meßtechnischer Schwierigkeiten haben sich Gravitationswellenastronomen einiges vorgenommen: Sie wollen sogar den Urknall selbst untersuchen! Zumindest theoretisch ist dies auch m¨oglich: Das nach dem Urknall vorhandene Plasma81 war f¨ur elektromagnetische Strahlung undurchl¨assig82 (das Weltall wurde erst transparent, als nach gen¨ugender Abk¨uhlung die Bildung stabiler Atome m¨oglich wurde; genau 79 80 81 82
Interferometer: optisches Pr¨azisionsmeßger¨at f¨ur L¨angen¨anderungen Inzwischen wurden weitere Bin¨arpulsare entdeckt. heißes Gemisch geladener Teilchen so wie auch der Sonnenk¨orper undurchsichtig ist
2.3 Raumzeitkr¨ummung, Gravitationswellen
225
aus dieser Zeit stammt die in Kapitel 4 zu besprechende Mikrowellenhintergrundstrahlung), sehr wohl konnte es aber von Gravitationswellen durchlaufen werden. W¨ahrend also die Astronomen diese ersten einige hunderttausend Jahre mit Licht, UV, R¨ontgenstrahlen etc. prinzipiell nicht untersuchen k¨onnen, m¨ußten die Nachbeben“ des Urknalls auch heute noch das Univer” sum in Form schwacher Gravitationswellen durchlaufen. Die Energie f¨ur die Abstrahlung von Gravitationswellen kann u¨ brigens sogar der Masse Schwarzer L¨ocher entstammen, wie in Abschnitt 3.2 erl¨autert wird. Es gibt ein Gedankenexperiment, das recht anschaulich nahelegt, daß beschleunigte Massen Gravitationswellen aussenden m¨ussen: Man denke sich weitab von anderen Himmelsk¨orpern zwei sich gegenseitig gravitativ anziehende K¨orper M1 und M2 mit sehr großer Masse, z.B. der des Mondes. Sie seien durch eine idealisierte (nach der Newtonschen Mechanik unged¨ampfte Schwingungen zulassende) Schraubenfeder F verbunden. St¨oßt man die K¨orper l¨angs der Federachse an, so wird das System in Schwingungen versetzt. Diese Schwingungen werden aber trotz idealisierter Feder aus folgendem Grund ged¨ampft werden: Wie schon aus der SRT bekannt ist, breiten sich Signale aller Art, so auch die Gravitation, nur mit maximal c , also einer endlichen Geschwindigkeit aus.
Betrachten wir nun zuerst die Verh¨altnisse w¨ahrend der Ann¨aherungsphase der K¨orper: Wenn sich z.B. M2 bei der Einw¨artsschwingung gerade bei 6 (willk¨urliches L¨angenmaß) befindet, nimmt M2 nicht die Anziehungskraft von M1 am Punkt −6 wahr (das w¨are der Fall bei Signalgeschwindigkeit = unendlich), sondern wegen der endlichen Signalgeschwindigkeit die schw¨achere Anziehungskraft, als M1 z.B. noch am Punkt −7 war. W¨ahrend der Ann¨aherungsphase registrieren die K¨orper also eine schw¨achere gegenseitige Anziehungskraft, als bei unendlicher Signalgeschwindigkeit zu erwarten w¨are. Nun zur Phase der Abstandszunahme: Ist M2 gerade bei Stelle 6, so registriert M2 nicht die Anziehungskraft von M1 am Punkt −6, sondern die st¨arkere Anziehungskraft, als M1 noch bei z.B. −5 war! W¨ahrend der Abstandszunahme der K¨orper sp¨uren diese also eine st¨arkere gegenseitige Anziehungskraft, als bei unendlich schneller Signalausbreitung zu erwarten w¨are.
226
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Fazit: Die Schwingung wird ged¨ampft. Nach dem Energieerhaltungssatz kann die Schwingungsenergie aber nicht spurlos verschwinden. Die idealisierte Feder kann sie nicht aufnehmen, ebensowenig die K¨orper M1 und M2 , weil man sich diese idealisiert als Massenpunkte denken kann. Also wird die Schwingungsenergie nach und nach als Gravitationsstrahlung frei! Wie Lichtstrahlen unterliegen auch Gravitationswellen einer • Ablenkung, wenn sie an einem massereichen Himmelsk¨orper vorbeilaufen; • gravitativen Rot“verschiebung (Wellenl¨angenzunahme), wenn sie von ” einem massereichen Himmelsk¨orper aufsteigen (siehe Abschnitt 2.5); • kosmologischen Rot“verschiebung, wenn sie l¨angere Zeit im expandie” renden Weltall unterwegs waren (siehe Abschnitt 4.2). Eine treffende Analogie zur Entstehung von Gravitationswellen stammt von Stephen Hawking: Wirft man einen Korken ins Wasser, dann zappelt er anfangs noch stark hin und her, aber nicht lange. Denn mit seinen Bewegungen erzeugt er Wasserwellen und u¨ bertr¨agt damit Energie an das umgebende Wasser, das wiederum einen benachbarten Korken in Schwingungen versetzen kann. Analog u¨ bertragen die Gravitationswellen Energie (und damit − in geringem Umfang − auch Masse) von einem K¨orper zu anderen K¨orpern. Die Gravitationswellen, die als Botschafter“ von Gravitations¨anderungen ” f¨ur den Rest des Universums“ auftreten, offenbaren einen weiteren deutli” chen Unterschied zur alten Newtonschen Gravitationstheorie: Nach dieser werden Gravitationswirkungen auf entfernte Massen ohne Zeitverz¨ogerung u¨ bertragen, quasi als u¨ berlichtschnelle Sofortwirkung. Dagegen m¨ussen nach Einstein entfernte Massen erst die Anreise der Botschafter“ (Gravi” tationswellen), die mit c unterwegs sind, abwarten, bevor sie auf Gravitations¨anderungen reagieren k¨onnen. Wenn also ein kosmischer Zauberer die Sonne entfernen w¨urde, dann m¨ußte die Erde noch u¨ ber acht Minuten lang auf ihrer Ellipsenbahn bleiben, erst dann k¨onnte sie wegen nun fehlender Raumkr¨ummung geradeaus fliegen. Zusammenfassend k¨onnte man den Unterschied zwischen der Newtonschen Gravitationstheorie und der Einsteinschen ART so ausdr¨ucken: • Bei Newton ist die Gravitation eine aktive Kraft zwischen K¨orpern in einem passiven, starren euklidischen Raum und in einer passiven, u¨ berall konstant fließenden Zeit; Bahnen freier K¨orper sind in Gravitationsfeldern deshalb gekr¨ummt. • Nach Einstein beeinflussen (unter anderem) Massen die Geometrie der Raumzeit; die Bahnen freier K¨orper und des Lichts werden wiederum durch die durchaus dynamische Geometrie der Raumzeit festgelegt; die
2.4 Gravitative Zeitdilatation
227
Geod¨aten sind in allen nacheinander durchflogenen lokalen Inertialsystemen gerade, die Bahnen im Raum aber im Allgemeinen gekr¨ummt. Bildhaft hat es E.T. Whittaker (zitiert in Rindler 1977) so ausgedr¨uckt: Alle bekannten Kr¨afte (elektromagnetische, elastische usw.) treten auch auf der neuen B¨uhne“ ART auf. Nur die Gravitationskraft ist nicht auf der B¨uhne ” vertreten, sondern sie ist ein Teil der B¨uhne selbst geworden! Gravitation und Raumzeitkr¨ummung sind dasselbe! Die Raumzeitkr¨ummung ist aber nicht bloß ein neues rhetorisches Gewand f¨ur die alte Newtonsche Schwerkraft. Nein, es bestehen fundamentale und auch grunds¨atzlich meßbare Unterschiede, wie z.B. bei der Lichtablenkung, der Periheldrehung und den Gravitationswellen zum Ausdruck kommt. Nur bei schwacher Gravitation gilt Newtons Gravitationsgesetz n¨aherungsweise; in starken Feldern versagt es. So wie die SRT die Newtonsche Mechanik als Grenzfall enth¨alt (bei geringen Relativgeschwindigkeiten), so ist also auch das alte Gravitationsgesetz in der ART als Grenzfall (bei schwacher Gravitation) enthalten.
2.4 Gravitative Zeitdilatation – Bei Dicken geht’s ¨ gemutlich zu In Abschnitt 2.3 haben wir aus dem System der rotierenden Scheibe geschlossen, daß der Raum in Beschleunigungs-/Gravitationsfeldern ver¨andert sein muß. F¨ur die Zeit k¨onnen wir a¨ hnliches aus diesem System ableiten: Denken wir uns zahlreiche Uhren auf der rotierenden Scheibe verteilt. F¨ur einen außerhalb der Scheibe in Bezug zum Rotationszentrum ruhenden Beobachter haben die Uhren nun unterschiedliche Geschwindigkeiten: Die Uhr genau im Zentrum r¨uhrt sich nicht vom Fleck, sie hat die Relativgeschwindigkeit null. Eine Uhr am Scheibenrand hat dagegen eine sehr hohe Geschwindigkeit. Da sie sich bei hinreichender Scheibengr¨oße und in hinreichend kleinen Zeitintervallen ann¨ahernd geradeaus bewegt, d¨urfen wir die Regeln der SRT anwenden, und nach denen muß diese ScheibenrandUhr langsamer laufen als die Uhr in der Mitte (Zeitdilatation). Nun k¨onnen ¨ wir wieder das Aquivalenzprinzip anwenden und folgern, daß die gerade in einem (hier Dreh-)Beschleunigungsfeld beobachtete Zeitdilatation auch in einem Gravitationsfeld auftreten muß. ¨ Eine andere Uberlegung, ebenfalls in Anlehnung an die SRT, erlaubt sogar, die quantitativ korrekte Formel dieser gravitativen Zeitdilatation f¨ur das zentralsymmetrische Gravitationsfeld eines Himmelsk¨orpers zu ermitteln (Achtung: Dies ist jedoch keine Herleitung im Sinne der ART):
228
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Dazu denken wir uns einen Beobachter, der mit zwei gleich konstruierten Uhren in praktisch unendlicher Entfernung von einem Himmelsk¨orper ruht. Nachdem er sich dort vom exakt synchronen Lauf der Uhren u¨ berzeugt hat, l¨aßt er eine der beiden Uhren in Richtung auf den Himmelsk¨orper fallen. Wegen der zun¨achst unendlich gedachten Entfernung wird die Uhr anfangs extrem langsam fallen, bei zunehmender Ann¨aherung wird ihre Geschwindigkeit aber fortlaufend zunehmen. Wenn wir wissen wollen, welche Zeitdilatation bei der fallenden Uhr im Abstand R vom Himmelsk¨orper auftritt, m¨ussen wir erst ihre dortige Geschwindigkeit ermitteln. Normiert man die potentielle Energie im Unendlichen auf null83 , dann sind beim freien Fall aus dem Unendlichen die Betr¨age von (Newtonscher) kinetischer und potentieller Energie stets gleich groß: m · v 2 /2 = G · M · m/R Dabei bedeuten: m Masse des fallenden Objekts v momentane Fallgeschwindigkeit m3 G Gravitationskonstante 6, 674 · 10−11 kg · s2 M Masse des gravitierenden Himmelsk¨orpers R momentaner Abstand zwischen fallendem Objekt und dem Mittelpunkt des Himmelsk¨orpers Aufl¨osung der obigen Gleichung nach der Fallgeschwindigkeit v ergibt: 2G · M (2.9) v= R Setzt man diese Geschwindigkeit in die bekannte Formel der Zeitdilatation (1.10) ein, dann ergibt sich im Abstand R vom Himmelsk¨orper eine Zeitdilatation von 1 (2.10) t = t · 2G · M 1− 2 R · c
im Vergleich zur zweiten Uhr. Um diesen Faktor ist also der Zeitfluß im Abstand R vom Zentrum des Himmelsk¨orpers f¨ur den entfernten Beobachter verlangsamt. (Der entfernte Beobachter w¨urde oben genannte Uhr wegen des Doppler-Effektes noch weiter verlangsamt laufen sehen, siehe dazu Kapitel 4.) 83
Beim Fallen eines K¨orpers wird ihr Wert dann negativ.
2.4 Gravitative Zeitdilatation
229
Außer in extrem starken Schwerkraftfeldern ist der Wert der Wurzel wegen des riesigen Betrags von c2 praktisch gleich 1, deshalb spielt im Alltagsleben diese gravitative Zeitdilatation keine Rolle. Deutlich sp¨urbar wird sie √ allerdings bei Objekten mit kleinem ”Radius“ R (wobei R aber immer aus A/4π bestimmt werden muß!) und gleichzeitig großer Masse M, also bei kompakten Himmelsk¨orpern wie Weißen Zwergen, Neutronensternen und Schwarzen L¨ochern, zu letzteren siehe Kapitel 3. Ein Beobachter in der N¨ahe eines solchen Himmelsk¨orpers w¨urde umgekehrt eine weit entfernte Uhr schneller laufen sehen. Diese Erkenntnis darf nat¨urlich nicht zu dem Mißverst¨andnis f¨uhren, daß man sich nur weit genug von jedem Himmelsk¨orper entfernen m¨usse, um dort dann eine absolute ” Zeit“ zu finden. Daß es keine absolute Zeit geben kann, hat uns n¨amlich die SRT gelehrt: Jedes Inertialsystem hat seine individuelle Zeit, und jedes System ist mit allen anderen gleichberechtigt. Je n¨aher eine Uhr also an die Oberfl¨ache eines Himmelsk¨orpers heranr¨uckt, desto langsamer l¨auft sie f¨ur einen entfernten Beobachter. F¨ur einen kugelf¨ormigen Himmelsk¨orper kann man sich demnach hohlkugelf¨ormige, fließend ineinander u¨ bergehende Zeitzonen mit jeweils einer Verlangsamung der Zeit nach innen hin vorstellen; daf¨ur wurde der Begriff Zeitschalen“ ” gepr¨agt. Uhren in unterschiedlichen Entfernungen vom Gravitationszentrum lassen sich also prinzipiell nicht (bleibend) synchronisieren. Wenn f¨ur einen entfernten Beobachter ein Jahr abl¨auft, dann vergehen nach dessen Beobachtung auf der Erde 0,02 s, auf der Sonne 67 s, auf einem Weißen Zwerg ca. 80 Minuten und auf einem Neutronenstern ca. 90 Tage weniger! Extremfall der gravitativen Zeitdilatation: Am Rand eines Schwarzen Lochs kommt der Lauf der oben beschriebenen Uhr aus Sicht des in der Ferne ruhenden Beobachters v¨ollig zum Erliegen, weil ihre Geschwindigkeit an c heranr¨uckt. F¨ur einen entfernten Beobachter bleibt die Zeit demnach am Rande eines Schwarzen Lochs stehen! Bei nicht-rotierenden Schwarzen L¨ochern liegt dieser Rand“ kugelsymmetrisch um das Zentrum des Lochs; ” der Abstand“ zwischen Zentrum und Rand“ heißt Schwarzschild-Radius. ” ” Die Zeitdilatation in Gravitationsfeldern ist experimentell schon mehrmals best¨atigt worden, z.B. durch den schnelleren Lauf hochpr¨aziser Uhren, die mit Flugzeugen oder Raketen in große H¨ohen gebracht wurden, im Vergleich zu Uhren gleicher Bauart, die auf der Erdoberfl¨ache zur¨uckgelassen wurden. Die Pr¨azision heutiger Atomuhren reicht aus, um den Effekt auf der Zugspitze innerhalb weniger Tage nachzuweisen! Auch die oben erw¨ahnte Laufzeitverz¨ogerung von Radar-Echos bzw. Funksignalen von hinter“ der Sonne stehenden Planeten bzw. Raumsonden ” ist mit auf die gravitative Zeitdilatation zur¨uckzuf¨uhren.
230
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Hinweis: Die Formel (2.10) gilt nur f¨ur den Spezialfall, daß sich der Beobachter im Unendlichen“ befindet. ” Allgemein gilt dagegen: Ein Beobachter in einer Entfernung R B von einem Gravitationszentrum sieht eine Uhr in der geringeren Entfernung RU von diesem Zentrum verlangsamt laufen mit dieser Zeitdilatation: 2G · M 1 − 2 c · RB t = t · 2G · M 1− 2 c · RU F¨ur sehr große Beobachterentfernungen R B n¨ahert sich der Wert dieser Formel demjenigen von (2.10) an. Und f¨ur Werte R B < RU ergibt sich die oben angesprochene Umkehrung der Zeitdilatation. Wie bei der Zeitdilatation in der SRT bemerkt der Betroffene“ keine Ver” langsamung des Zeitablaufes: F¨ur einen Beobachter in der N¨ahe eines Gravitationszentrums l¨auft die eigene Zeit mit der u¨ blichen Geschwindigkeit“ ” ab (als kleine Wortspielerei: Eine Sekunde pro Sekunde“). ” In Verbindung mit dem Fermatschen Prinzip ( Prinzip der schnellsten ” Ankunft“: Das Licht sucht“ sich zwischen zwei Punkten A und B stets ” denjenigen Weg, auf dem es am schnellsten ankommt) liefert die gravitative Zeitdilatation eine zus¨atzliche Deutung der Lichtablenkung: So wie das Fermatsche Prinzip in der Optik die Lichtbrechung an der Grenzfl¨ache zweier Medien mit unterschiedlichem Brechungsindex erkl¨art, so f¨uhrt es in der ART zur Lichtablenkung, denn das Licht sucht“ sich auch in der ” gekr¨ummten Raumzeit stets den schnellsten Weg zwischen zwei Punkten. Der geradlinige Weg, z.B. tangential an der Sonnenoberfl¨ache vorbei, ist nicht der schnellste Lichtweg, da in Sonnenn¨ahe wegen der gravitativen Zeitdilatation auch die tangentiale Geschwindigkeit des Lichts reduziert ist! Der Lichtweg mit der minimalen Lichtlaufzeit umgeht vielmehr die innersten Bereiche der verlangsamenden Zone“ um den Him” melsk¨orper, verl¨auft also gekr¨ummt! Bei einem zu großen Umweg“ w¨urde ” die Lichtlaufzeit allerdings wieder zunehmen. Das Optimum (k¨urzeste Lichtlaufzeit) stellt der Weg mit der tats¨achlich beobachteten Lichtablenkung dar. Hinweis: Um die gravitative Zeitdilatation auch in schwachen Gravitationsfeldern (Planeten, normale Sterne) bequem berechnen zu k¨onnen, benutzt man zu (2.10) auch folgende N¨aherungsformel: G·M t =t · 1+ R · c2
2.4 Gravitative Zeitdilatation
231
¨ Wegen der Aquivalenz von Gravitationsfeldern und Beschleunigungsfeldern muß die Zeitdilatation auch bei letzteren auftreten. So w¨urde z.B. ein Astronaut in einer stark beschleunigten Rakete eine am Heck angebrachte Uhr langsamer laufen sehen als eine Buguhr. Oft wird die Zeitdilatation in Beschleunigungsfeldern zur Deutung des Zwillingseffektes der SRT (siehe Abschnitt 1.8) herangezogen. Daß die Beschleunigung f¨ur das Ausmaß des Altersunterschieds aber keine entscheidende Rolle spielt, l¨aßt sich mit folgendem Drillingsexperiment zeigen: Drilling 1 wird auf eine interstellare Reise mit konstanter Beschleunigung a geschickt. Nach halber Wegstrecke bremst er mit derselben (nun negativen) Beschleunigung; der R¨uckweg soll analog verlaufen. Bei ausreichender Beschleunigung und Flugzeit wird Drilling 1 Geschwindigkeiten nahe c erreichen und viel weniger gealtert zur¨uckkehren als sein Bruder Drilling 2, der ein biederes Alltagsleben auf der Erde gef¨uhrt hat. Drilling 3 hat w¨ahrend der gesamten Abwesenheit von Drilling 1 in einer Zentrifuge auf der Erde verbracht, in der er einer genau gleich großen Beschleunigung a ausgesetzt war wie Drilling 1 (Drehbeschleunigung). Seine Alterung konnte Drilling 3 damit aber praktisch nicht bremsen, denn beim (im Vergleich zum Raumschiff von 1) Schneckentempo der Zentrifuge konnte er sich im Gegensatz zu 1 so gut wie keine Zeitdilatation erwirtschaften. Damit ist nun klar ersichtlich: Beschleunigung spielt beim Zustandekommen des Zwillingseffekts bei Hochgeschwindigkeitsreisen keine wesentliche Rolle. Es sind vielmehr die hohe Relativgeschwindigkeit und der Wechsel des Inertialsystems (bei gleichbleibender Reisegeschwindigkeit) bzw. die Wechsel zwischen vielen Inertialsystemen mit jeweils infinitesimal kleinen Geschwindigkeitsunterschieden (bei beschleunigter Reise). Auch die ART wird hier nicht ben¨otigt: Die SRT kann auch beschleunigte Bewegungen meistern! Daß Beschleunigungseffekte im Zwillingsbeispiel von Abschnitt 1.8 und vergleichbaren Fl¨ugen keine entscheidende Rolle spielen, zeigt auch folgen¨ de Uberlegung: Wird der Flug mit konstanter Geschwindigkeit durchgef¨uhrt und verdoppelt man (bei gleicher Geschwindigkeit) die Flugstrecke, dann ergibt sich auch der doppelte Altersunterschied, verdreifacht man die Strecke, ist auch der Altersunterschied dreimal so groß usw. In allen diesen F¨allen sind aber die Beschleunigungseffekte bei der Umkehr gleich groß, da das Raumschiff jeweils von Geschwindigkeit v auf −v gebracht werden muß. Da jedoch der Altersunterschied nur von der Flugstrecke/-zeit abh¨angt, k¨onnen Beschleunigungseffekte nicht f¨ur das Ausmaß des Altersunterschieds bei solchen Fl¨ugen verantwortlich sein! Nat¨urlich k¨onnte man sich als Alterungsbremse alternativ zu einer Hochgeschwindigkeitsrundreise auch eine Zeitlang sehr starken Beschleunigun-
232
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
gen (oder Gravitationsfeldern) aussetzen; letzteres w¨are aber wohl nicht sehr komfortabel. Diese beiden M¨oglichkeiten (Hochgeschwindigkeitsrundreise und starke Beschleunigung) der Bremsung der Alterung sind aber zwei Paar Stiefel, wie diese Darstellung sicher gezeigt hat. Ein Wort zur Einordnung der Zeitdilatation in die ART: Die gravitative Zeitdilatation enth¨alt gewissermaßen den Zeitanteil“ der Raumzeit” kr¨ummung! Und noch ein kleines, aber interessantes Zahlenbeispiel zur gravitativen Zeitdilatation: Neutronensterne haben eine meist sehr konstante Umdrehungsgeschwindigkeit, sie stellen damit hochgenaue Uhren dar. Man k¨onnte n¨amlich einen Nullmeridian (analog zu dem von Greenwich) als Zeiger“ auf den Stern ” malen. Zum Beispiel der Neutronenstern im Zentrum des (im Sternbild Stier gut beobachtbaren) Krebsnebels M1 dreht sich aus unserer Sicht 30 mal in der Sekunde (!); f¨ur uns als entfernte Beobachter ist die Periode dieser Uhr“ ” damit 0,033 s . Wie schnell dreht sich der Neutronenstern f¨ur einen (hypothetischen) Beobachter, der knapp oberhalb der Neutronensternkruste ruht? Fiktive Daten f¨ur den Neutronenstern: • Radius“ R = 10 km, ” • Masse M = 1, 5 Sonnenmassen. Nach (2.10):
1
0, 033 s = T · 1−
⇒ ⇒ ⇒
2G · M R · c2
3 −11 m · 1, 5 · 1, 989 · 1030 kg 2 · 6, 674 · 10 2 kg · s T = 0, 033 s · 1 − m 2 104 m · 2, 998 · 108 s T = 0, 033 s · 1 − 0, 44 T = 0, 025 s
Der Krebsnebel-Neutronenstern dreht sich f¨ur einen Beobachter vor Ort pro 1 mal, also 40 mal! Dies ist deutlich schneller als nach den MesSekunde 0,025 sungen der irdischen Radioastronomen! Hinweis: Dieses Ergebnis beruht auf der Annahme, daß die zur Rotationsfrequenzmessung benutzten Radiopulse unmittelbar an der Neutronensternoberfl¨ache starten. Ist der Ausgangspunkt dieser Radiopulse in gr¨oßerer Entfernung, dann ist die vor Ort gemessene Rotationsfrequenz niedriger als
2.5 Gravitative Rotverschiebung
233
40 Hertz. Auch der Lense-Thirring-Effekt (siehe Abschnitt 3.4) ist bei dieser Beispielrechnung unber¨ucksichtigt geblieben.
¨ Wurden GPS & Co. ohne Einstein funktionieren? Ein GPS-Empf¨anger registriert Funksignale jeweils mehrerer Satelliten; diese Signale enthalten exakte Zeit- und Ortsangaben der jeweiligen Satelliten. Im Empfangsger¨at wird hieraus nach der Formel Lichtweg = c · Lichtlaufzeit der genaue Ort des Beobachters errechnet. Aber in einem solchen Navigationssystem m¨ussen mindestens zwei relativistische Effekte ber¨ucksichtigt werden: 1. Aus Sicht eines auf der Erdoberfl¨ache ruhenden Beobachters weisen die Satellitenuhren eine Bewegung auf, weshalb die Zeitdilatation der SRT ber¨ucksichtigt werden muß (mit der Tendenz zur Verlangsamung des Uhrenlaufs). 2. Ein Beobachter am Erdboden sieht alle Vorg¨ange in den weiter vom Gravitationszentrum (= Erdmittelpunkt) entfernten Satelliten schneller ablaufen (Umkehrung der gravitativen Zeitdilatation); die Satellitenuhren gehen deshalb schneller als Erd-Uhren. Wie die genaue Berechnung zeigt, u¨ berwiegt f¨ur die GPS-Satelliten Effekt 2; die Satellitenuhren gehen aus Erdsicht schneller als Erd-Uhren, und zwar im Laufe eines Tages um sage und schreibe 0,04 Millisekunden (entsprechend einem Orientierungsfehler von bis zu zw¨olf Kilometern)! Ohne entsprechende Korrekturen zum Ausgleich dieser relativistischen Einfl¨usse w¨urde das System schnell aus dem Ruder laufen! Einsteins Theorien als Allerweltsanwendung − wer h¨atte das gedacht!
2.5 Gravitative Rotverschiebung − Schwerwiegendes l¨aßt err¨oten Zum Ph¨anomen der gravitativen Rotverschiebung gelangen wir zwanglos u¨ ber die oben ermittelte gravitative Zeitdilatation (siehe Abschnitt 2.4). Nehmen wir an, daß f¨ur das dortige Gedankenexperiment keine normale Uhr, sondern eine Atomuhr verwendet wird. Die Unruh“ einer Atomuhr ist eine ” elektromagnetische Welle mit einer extrem stabilen Schwingungsperiode T (gemessen am Ort der Uhr). Befindet sich eine solche Atomuhr tief im Gravitationsfeld eines massereichen Himmelsk¨orpers, dann dauert f¨ur einen
234
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
entfernten Beobachter die Schwingungsperiode l¨anger als T , n¨amlich wegen der gravitativen Zeitdilatation T = T ·
1 2G · M 1− R · c2
.
(2.11)
Bei elektromagnetischen Wellen besteht die Beziehung Wellenl¨ange λ = c · T .
(2.12)
Dementsprechend ist auch die Wellenl¨ange der Atomuhrschwingung verl¨angert von (2.13) λ auf λ = c · T . Die elektromagnetische Welle der Atomuhr ist also rotverschoben (siehe Abschnitt 4.1). Die Rotverschiebung z ist formal definiert als z=
λ − λ . λ
(2.14)
Durch Einsetzen von (2.11) bis (2.13) in (2.14) ergibt sich: gravitative Rotverschiebung z =
1
2G · M 1− R · c2 (z ist eine dimensionslose Zahl)
−1
(2.15)
Der Effekt betrifft selbstverst¨andlich jede elektromagnetische Schwingung, nicht nur die einer Atomuhr. Analog zur gravitativen Zeitdilatation gilt nat¨urlich, daß das Ph¨anomen nur bei sehr starken Feldern relevant wird (bei schwachen Feldern ist der Wert der Wurzel praktisch nicht von 1 zu unterscheiden und somit z ≈ 0). Dementsprechend schwierig ist es, den Effekt im Schwerefeld der Erde nachzuweisen, was erstmals 1959 durch Messungen an Gammastrahlen in einem Lichtschacht mit 22,6 m H¨ohe an der Harvard-Universit¨at gelang. Best¨atigt wurde das Auftreten der gravitativen Rotverschiebung sp¨ater auch durch Untersuchungen an Spektren der Sonne (1962) und von Weißen Zwergen (u.a. 1977). Der Extremfall der gravitativen Rotverschiebung tritt am Rand Schwarzer L¨ocher auf: F¨ur einen entfernten Beobachter kommt die elektromagnetische Schwingung der Atomuhr (und nat¨urlich auch jede andere!) v¨ollig zum Erliegen: Schwingungsperiode unendlich, Wellenl¨ange unendlich, Rotverschiebung also unendlich, Frequenz null. Damit erreicht den entfernten
2.5 Gravitative Rotverschiebung
235
Beobachter keine elektromagnetische Schwingung, das Schwarze Loch tr¨agt demnach seinen Namen zurecht. Mehr zu Schwarzen L¨ochern in Kapitel 3. Wie die gravitative Zeitdilatation ist auch die daraus abgeleitete Rotverschiebung kein einseitiger Effekt: Ein Beobachter in der N¨ahe eines Gravitationszentrums sieht das Licht weit entfernter Objekte blauverschoben. Aber die Wellenl¨ange von Objekten, die auf gleicher H¨ohe wie er liegen, ist f¨ur den Beobachter unver¨andert. ¨ Die Aquivalenz zwischen Gravitationsfeldern und Beschleunigungsfeldern ist bei der Rotverschiebung besonders augenf¨allig: Blickt der Astronaut einer beschleunigten Rakete auf deren hinteres Positionslicht, so erscheint ihm dies vermehrt ger¨otet. Denn: In der Zeitspanne, in der das Licht vom Heck bis zur Astronautenkabine unterwegs ist, haben die Rakete und mit ihr der Astronaut durch die Beschleunigung wieder etwas an Geschwindigkeit zugenommen; die Lichtwellen kommen dementsprechend gestreckt an. Und eine gr¨oßere Wellenl¨ange bedeutet wieder eine Rotverschiebung. Hinweis: Wenn der Beobachter sich nicht unendlich“ weit von einem ” Himmelsk¨orper entfernt befindet, sondern von der endlichen Entfernung R B aus eine Lichtquelle beobachtet, die vom Gravitationszentrum den Abstand R Q hat, dann betr¨agt die gravitative Rotverschiebung: z=
1−
2G · M c2 · R B
2G · M 1− 2 c · RQ
−1
F¨ur sehr große Werte von R B geht diese Formel u¨ ber in die Gleichung (2.15). Und f¨ur R B < R Q ergibt sich die erw¨ahnte Blauverschiebung; deren Extremwerte sind 0 und −1. Ein Rechenbeispiel zur gravitativen Rotverschiebung: Ein hypothetisches (und u¨ bernat¨urlich robustes!) kleines gr¨unes M¨annchen (Wellenl¨ange des Lichts von seiner Haut: 520 nm) sitzt am Nordpol eines Neutronensterns mit denselben Daten wie der aus dem Zahlenbeispiel in Abschnitt 2.4. Welche Farbe hat das Wesen f¨ur einen entfernten Beobachter? Nach (2.15) ist die Rotverschiebung z=
1 2G · M 1− R · c2
− 1.
Den Wert des Bruches in der Wurzel u¨ bernehmen wir einfach aus Abschnitt 2.4:
236
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
1 z=√ − 1 = 0, 34 1 − 0, 44 Dieses Zwischenergebnis bedeutet, daß die Wellenl¨ange des Lichts um 34% zugenommen hat. Das Licht von der Haut des M¨annchens hat f¨ur den entfernten Beobachter also die Wellenl¨ange ⇒
520 nm + 0, 34 · 520 nm = 697 nm . Das ist nun rot! Auch zur Formel (2.15) gibt es eine N¨aherungsgleichung zur Berechnung der gravitativen Rotverschiebung des Lichts von K¨orpern mit geringer Gravitation (Erde, Sonne): G·M z= R · c2 Die beim Hinabfallen“ von Licht aus einer Entfernung r auf einen Him” melsk¨orper (f¨ur einen dortigen Beobachter) auftretende Blauverschiebung ist zur Rotverschiebung beim Licht aufstieg“ von diesem Himmelsk¨orper ” zu einer Entfernung r genau a¨ quivalent. W¨urde man also z.B. Laser-Licht einer ganz bestimmten Wellenl¨ange zu einer Neutronensternoberfl¨ache hinabschicken, so w¨urde das von dort reflektierte Licht am Ort des (station¨ar gedachten) Lasers wieder mit der urspr¨unglichen Wellenl¨ange zur¨uckkehren. Hinweis: W¨urde jemand behaupten, die Beobachtung der gravitativen Rotverschiebung und Zeitdilatation w¨urde die Richtigkeit der ART in ihrer Gesamtheit beweisen, dann l¨age er damit falsch. Diese zwei Ph¨anomene ¨ beweisen n¨amlich nur das Aquivalenzprinzip allein. F¨ur den Beweis der Richtigkeit von Einsteins Feldgleichungen muß man daher nach anderen Ph¨anomenen suchen (z.B. Periheldrehung), die nat¨urlich l¨angst gefunden wurden. Mehr zum Thema Rotverschiebung, insbesondere weitere Formen und Ausl¨oser“ hierf¨ur, findet sich in Kapitel 4. ” Nun noch eine Tabelle, die auf sehr anschauliche Weise die Namensgebung der SRT und der ART erkl¨art: Orte
Zeit
Beschleunigung
Newtonsche Mechanik
relativ
absolut
absolut
Spezielle Relativit¨atstheorie
relativ
relativ
absolut
Allgemeine Relativit¨atstheorie relativ
relativ
relativ
Und auch noch ein Wort zur Bezeichnung Theorie“ in diesem Zusam” menhang: Die vielen in den bisherigen Abschnitten erw¨ahnten Experimente und Beobachtungen, welche die SRT und ART durchweg best¨atigen, zeigen,
2.6 Anhang zu Kapitel 2 – Kovarianz, Invarianz. . .
237
daß es sich hier um mehr als rein theoretische Gedankenkonstrukte oder Vermutungen handelt. Innerhalb ihrer Geltungsbereiche sind Einsteins Theorien die bisher nat¨urlichsten und exaktesten Beschreibungen der entsprechenden physikalischen Ph¨anomene. Aber es ist keineswegs ausgeschlossen, daß in Zukunft noch exaktere Theorien entwickelt werden und/oder die SRT und ART mit gewissen Modifikationen in eine viel umfassendere Theorie ein” gepaßt“ werden. Die st¨andige Verbesserung der die Ph¨anomene beschreibenden Gesetze ist eine Kernaufgabe der Naturwissenschaften; von diesem evolution¨aren (und gelegentlich auch revolution¨aren) Verbesserungsprozeß k¨onnen eines Tages auch die Relativit¨atstheorien erfaßt werden (wie es auch Newtons Gravitations gesetz“ widerfahren ist). Vor allem im Rahmen der angestreb” ten Vereinheitlichung der vier Grundkr¨afte (Elektromagnetismus, Gravitation, schwache und starke Kernkraft) kann dies geschehen ( Suche nach der ” Weltformel“).
2.6 Anhang zu Kapitel 2 – Kovarianz, Invarianz, Konstanz und Erhaltungsgr¨oßen In diesem Anhang erh¨alt der Leser eine zusammenfassende Erkl¨arung der Begriffe Kovarianz, Invarianz, Konstanz und Erhaltungsgr¨oße.
Kovarianz Solche Naturgesetze, die f¨ur eine bestimmte Gruppe von Beobachtern in identischer Form gelten ( forminvariant sind“), nennt man kovariant. Bei” spiele: • In der SRT gelten alle (!) Naturgesetze f¨ur alle Inertialbeobachter in identischer Form. Der Fachmann sagt: Alle Naturgesetze sind kovariant unter Lorentz-Transformationen (letztere sind ja Vermittler“ zwischen ” verschiedenen Inertialbeobachtern). Im Denkrahmen der SRT gilt diese Kovarianz f¨ur Beobachter in beschleunigten Systemen dagegen nicht. • In der ART gelten alle (!) Naturgesetze f¨ur Beobachter in allen lokalen Inertialsystemen (also Freifallsystemen von infinitesimaler Kleinheit) in identischer Form. Und da sich in allen Gravitationsfeldern solche Freifallsysteme einrichten lassen, sind die Naturgesetze84 kovariant unter belie” bigen Koordinatentransformationen“, wie es in der Fachliteratur formuliert wird. 84
bei sogenannter tensorieller Formulierung
238
2 Grunds¨atzliches zur Allgemeinen Relativit¨atstheorie
Bez¨uglich der SRT drehen die Physiker u¨ brigens den Spieß sogar um: Diese Theorie gilt als so zweifelsfrei g¨ultig, daß sie selbst zur Pr¨ufinstanz“ anderer ” Theorien geworden ist! Konkret bedeutet das: Physikalische Theorien kommen nur dann als generell g¨ultig in Betracht, wenn sie sich so formulieren lassen, daß sie unter Lorentz-Transformationen kovariant sind. Bestehen sie diese Feuertaufe nicht, k¨onnen sie grunds¨atzlich nicht als allgemeing¨ultig angesehen werden. Die Physiker vertrauen also so stark auf die SRT, daß sie sie zu einem der Fundamente der gesamten modernen Physik erkl¨art haben. Das Zweite Newtonsche Bewegungsgesetz (Kraft = Masse mal Beschleu¨ nigung bzw. Kraft = Anderung des Impulses pro Zeitintervall) w¨urde u¨ brigens bei diesem Test durchfallen“: Es ist nur unter der Galilei” Transformation kovariant, nicht jedoch unter Lorentz-Transformationen. Paradebeispiel eines unter Lorentz-Transformationen kovarianten Gesetzes sind die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik. H.A. Lorentz h¨atte deren Kovarianz schon 1904 beinahe gefunden, aber ihm ist ein Rechenfehler unterlaufen! So war es dann Einstein, der diesen Zusammenhang als erster erkannte (Juni 1905), knapp vor Poincar´e (Juli 1905).
Invarianz Gr¨oßen, die f¨ur verschiedene Mitglieder einer bestimmten Beobachterklasse denselben Wert aufweisen, nennt man invariant. Beispiele, die schon in der SRT erw¨ahnt wurden, die also f¨ur alle Inertialbeobachter invariant sind, sind die Raum-Zeit-Intervalle, die Impulsenergie eines geschlossenen Systems und die Vakuumlichtgeschwindigkeit. Diese Gr¨oßen sind unter Lorentz-Transformationen invariant. Das Prinzip der Konstanz von c m¨ußte also (im Kontext der SRT) exakt lauten: Prinzip der Invarianz von c. Man sieht, daß hier die Nomenklatur nicht immer exakt verwendet wird, was aber auch f¨ur diesen Text gilt. Das Wort Konstanz ist so eing¨angig, daß man es nur ungern gegen das Wort Invarianz tauschen will! Beispiele f¨ur allgemeine Invarianten (die nicht nur in der SRT gelten, also nicht nur Lorentz-invariant sind) sind die elektrische Ladung des Elektrons oder des Protons und die Teilchenzahl N eines abgeschlossenen Systems.
Konstanz Gr¨oßen, bei denen das Fehlen einer Ver¨anderung im zeitlichen Verlauf im Vordergrund steht, nennt man Konstanten. Als Beispiele k¨onnen die Elementarladung (Elektron, Proton), das Plancksche Wirkungsquantum h oder die Gravitationskonstante G dienen; c ist in diesem Sinne auch konstant.
2.6 Anhang zu Kapitel 2 – Kovarianz, Invarianz. . .
239
Es gibt allerdings auch exotische Theorien, denen zufolge sich selbst solche Naturkonstanten langsam a¨ ndern k¨onnten. Warum die Zahlenwerte der Naturkonstanten so sind, wie sie sind, ist u¨ brigens eines der gr¨oßten noch ungekl¨arten R¨atsel der Wissenschaft. Hauptproblem dabei sind nicht die absoluten Zahlenwerte, sondern die Relationen der Naturkonstanten untereinander. Die absoluten Zahlenwerte sind ja durch vom Menschen frei gew¨ahlte Einheiten festgelegt. Aber warum betr¨agt z.B. die Protonenmasse das 1 836, 152 672 47-fache der Elektronenmasse?
Erhaltungsgr¨oßen Das sind Gr¨oßen, die bei ablaufenden Vorg¨angen oder Prozessen ihren Wert beibehalten. Beispiele: Bei Kollisionen oder Zerfallsprozessen von Elementarteilchen bleiben Energie und Impuls eines geschlossenen Systems erhalten, bei rotierenden Himmelsk¨orpern bleibt der Drehimpuls beim Kollaps zu kompakteren K¨orpern erhalten. Leser des Anhangs 1.18 wissen auch, daß die Impulsenergie eines abgeschlossenen Systems ebenfalls eine Erhaltungsgr¨oße ist. Invarianten und Erhaltungsgr¨oßen, wie sie hier beispielhaft im Kontext der Relativit¨atstheorie vorgestellt wurden, sind eigentlich die Dreh- und Angelpunkte einer jeden physikalischen Theorie. Interessanterweise wurde einmal sogar daran gedacht, die SRT als Invariantentheorie“ zu bezeichnen. ” Dies w¨are durchaus gerechtfertigt: Sie l¨aßt zwar einerseits Strecken und Zeitintervalle nicht mehr als invariant gelten, setzt aber andererseits daf¨ur neue und sicherere invariante Fundamente, wie etwa c , die Raum-Zeit-Intervalle und die Impulsenergie. Mit diesem Blick durch das Schl¨usselloch“ in die ART endet der eigentliche ” Rundgang durch die wunderbare Welt der Relativit¨atstheorien, die uns Albert Einstein erschlossen hat. Im folgenden Kapitel 3 geht es um die exotischsten aller Himmelsk¨orper, die Schwarzen L¨ocher. Kapitel 4 wird dann noch einen ¨ Uberblick u¨ ber alle Formen von Rotverschiebung geben, in diesem Zusammenhang werden auch einige kosmologische Fragen85 angeschnitten.
85
Kosmologie: Teilgebiet der Astrophysik, das sich mit den Eigenschaften, der Struktur und der Evolution des Weltalls als Ganzes befaßt.
Kapitel 3
Der Extremfall der Gravitation − Die phantastische Welt der Schwarzen L¨ocher
Sicher hat schon jeder Mensch von Schwarzen L¨ochern geh¨ort oder gelesen, viele haben aber nur vage oder u¨ bertriebene Vorstellungen von diesen Objekten. In diesem Kapitel sollen die wichtigsten Erkenntnisse u¨ ber Schwarze L¨ocher zusammengefaßt werden, soweit sie sich aus der heute etablierten Physik ergeben.
3.1 Definition Schwarzer L¨ocher Ein Schwarzes Loch ist ein Himmelsk¨orper, an dessen Oberfl¨ache“ die Gra” vitation so enorm groß ist, daß selbst Licht nicht mehr entweichen kann, und damit nat¨urlich erst recht keine Materie mehr. Diese Definition legt gleichzeitig auch die Gr¨oße eines Schwarzen Loches fest: Bei einer Ann¨aherung von außen“ beginnt“ das Schwarze Loch dort, ” ” wo der Wert der Entweichgeschwindigkeit c u¨ berschreitet. Unter Entweichgeschwindigkeit versteht man diejenige Anfangsgeschwindigkeit, die ein K¨orper ben¨otigt, um dem Gravitationsfeld eines Himmelsk¨orpers endg¨ultig (also bis ins Unendliche) zu entkommen. Bei der Erde betr¨agt die Entweichgeschwindigkeit ca. 11,2 km/s; auf diesen Wert muß man jede Rakete, die zu anderen Planeten fliegen soll, erst einmal beschleunigen. Beim Jupiter betr¨agt der Wert knapp 60 km/s, bei der Sonne u¨ ber 600 km/s. Hieran zeigt sich schon, welch enorme St¨arke das Schwerefeld eines Schwarzen Loches haben muß, damit eine Entweichgeschwindigkeit von 300 000 km/s zustande kommt! Die Entweichgeschwindigkeit v E l¨aßt sich mit folgender Formel berechnen: vE =
2·G·M r
G. Beyvers, E. Krusch, Kleines 1 × 1 der Relativit¨atstheorie, 2. Aufl., C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85202-5 3,
(3.1) 241
242
3
Die Welt der Schwarzen L¨ocher
Sie entspricht der Fallgeschwindigkeit bei einem Fall aus dem Unendlichen bis zu einem Abstand“ r von einem Himmelsk¨orper, wie sie bei der Her” ” leitung“ der gravitativen Zeitdilatation verwendet wurde. Dabei bedeuten: G Gravitationskonstante (siehe Abschnitt 2.4) M Masse des Himmelsk¨orpers r Radius“ des Himmelsk¨orpers (wenn die Entweichgeschwindigkeit f¨ur ” dessen Oberfl¨ache bestimmt werden soll, ansonsten steht r f¨ur die Ent” fernung“ vom Mittelpunkt des Himmelsk¨orpers; in der ART: RadiusKoordinate) An obiger Formel erkennt man schon, daß v E beliebig hohe Werte annehmen kann, wenn M hinreichend groß oder r hinreichend klein gew¨ahlt wird. Bei entsprechender Kombination von M und r kann also auch die f¨ur ein Schwarzes Loch charakteristische Entweichgeschwindigkeit c erreicht wer den: 2·G·M (3.2) c = r (Auch dies ist keine Herleitung im Sinne der ART, siehe unten.) Im Falle eines Schwarzen Loches wird der Radius“ mit Schwarzschild” ” Radius“ R bezeichnet (nach dem deutschen Astronomen Karl Schwarzschild). L¨ost man obige Formel nach r bzw. R auf, so erh¨alt man diese nur von der Masse des Schwarzen Loches abh¨angige Entfernung“ von dessen ” Mittelpunkt, bei der v E gerade gleich c ist: 2·G·M (3.3) c2 Die Gleichung (3.3) hilft auch gleich, einen weitverbreiteten Irrtum aufzukl¨aren: Ein Schwarzes Loch muß keineswegs immer etwas sehr Massereiches sein! W¨ahlt man n¨amlich eine sehr kleine Masse M, dann l¨aßt sich auch damit ein Schwarzes Loch bauen“, der Schwarzschild-Radius wird dann ” eben auch entsprechend klein! Schwarze Mini-L¨ocher sind somit zumindest theoretisch denkbar. Nach obiger Formel k¨onnte man z.B. auch aus der Erde ein Schwarzes Loch machen, man m¨ußte nur“ die Masse der Erde auf ein ” K¨ugelchen mit einem Durchmesser“ von knapp 1,8 cm zusammenpressen. ” F¨ur die Sonne erg¨abe sich eine Kugel von ca. 6 km Durchmesser“. ” Da der Schwarzschild-Radius eines Schwarzen Lochs direkt proportional zu seiner Masse ist (siehe (3.3)), ergibt sich aus der letztgenannten Zahlenangabe folgende Faustregel: R =
Radius“ eines Schwarzen Lochs (in km) ” = 3 · Masse des Lochs (in Sonnenmassen)
3.1 Definition Schwarzer L¨ocher
243
Zur Erinnerung: In der ART √ hatten wir gelernt, radiale Entfernungen vom Gravitationszentrum aus A/4π zu ermitteln (mit A = Fl¨ache einer Kugelschale symmetrisch um das Zentrum des Objekts). Bei Schwarzen L¨ochern ist dies aus folgenden Gr¨unden essentiell: • Innerhalb Schwarzer L¨ocher verbieten sich Vermessungsarbeiten ohnehin (siehe unten); • in unmittelbarer N¨ahe Schwarzer L¨ocher w¨urden f¨ur einen dort ruhenden Beobachter radiale Abst¨ande ohne Grenze anwachsen (siehe FormelAnhang zu Abschnitt 3.2). Der Schwarzschild-Radius ist somit kein echter“ Radiuswert, sondern nur √ ” das Resultat aus A/4π ! Bis zu dieser Erinnerung wurden die Worte Radius, Durchmesser und Entfernung deshalb in Anf¨uhrungszeichen gesetzt; im folgenden wird darauf verzichtet. Mini-L¨ocher mit geringeren Massen als die der Neutronensterne (ca. 1,5 Sonnenmassen) k¨onnten aber nur in der ersten Sekunde des Urknalls entstanden sein, da kein physikalischer Prozeß bekannt ist, der im heutigen Universum die hohen Dr¨ucke erzeugen k¨onnte86 , die f¨ur die Kompression von Materie zu Mini-L¨ochern erforderlich sind. Bisher gibt es auch keinerlei Hinweise aus astronomischen Beobachtungen auf die Existenz Schwarzer L¨ocher dieser Gr¨oße. Schwarze L¨ocher mit mehr als ca. zwei Sonnenmassen bed¨urfen f¨ur ihre Entstehung dagegen keiner a¨ ußeren (aktiven) Kompression; hier gen¨ugt der passive gravitative Druck des Vorl¨aufer-Himmelsk¨orpers, also eines sehr massiven Sterns auf seinen Kern. Ein hinreichend massereicher (aus Eisen bestehender) Kern eines Riesensterns kann aufgrund der eigenen Schwere kollabieren; auf die Masse der u¨ brigen Sternanteile kommt es dabei nicht an. Die prim¨are Dichte eines Himmelsk¨orpers ist aber nicht ausschlaggebend: Auch Himmelsk¨orper mit sehr niedriger Dichte (z.B. der von Wasser) k¨onnen zu Schwarzen L¨ochern kollabieren, wenn nur die Masse groß genug ist. Man geht heute davon aus, daß alle Himmelsk¨orper, denen ganz am Ende ihrer Entwicklung noch mehr als ca. zwei oder drei Sonnenmassen verbleiben, zu Schwarzen L¨ochern werden. Man muß hierbei aber bedenken, daß alle massereichen Sterne im Laufe ihres Lebens ganz erhebliche Massenanteile durch verschiedene Mechanismen verlieren, selbst noch bei ihrem Tod, einer Supernova. Letztere tritt ein, wenn dem Stern der Brennstoff“ ” ausgeht, also keine Kernfusion mehr stattfinden kann. Diese Fusionsprozesse verhindern w¨ahrend des aktiven Lebens des Sterns durch Aufbau eines 86
Ausnahmen auf Ebene der Elementarteilchen: Der neue Beschleuniger LHC des CERN und St¨oße hochenergetischer Teilchen der kosmischen Strahlung.
244
3
Die Welt der Schwarzen L¨ocher
hohen Innendrucks einen Kollaps; nach Erl¨oschen des nuklearen Feuers im Sterninneren gewinnt aber die Gravitation die Oberhand: Der Zusammenbruch kommt. Sterne, die bei ihrer Geburt zu wenig Masse abbekommen haben oder im Laufe ihres Lebens sich durch ausreichenden Masseverlust erleichtert haben, entgehen dem Kollaps zum Schwarzen Loch. Sie enden dann entweder als Neutronensterne oder, bei noch geringerer Endmasse, als Weiße Zwerge (in letztgenannte Kategorie wird unsere Sonne fallen). Weiße Zwerge und Neutronensterne werden durch einen quantenmechanischen Effekt ( Entartungsdruck“ der Elektronen bzw. Neutronen) vor dem ” Kollaps bewahrt. Bei zu hoher Masse wird aber auch dieser Druck u¨ berwunden. Berechnungen zeigen, daß der Kollaps eines Eisenkerns mit mehr als ca. 1,5 Sonnenmassen ab einem bestimmten Verdichtungsgrad der Materie aus folgendem Grund unaufhaltsam wird: Die extreme Kompression der Materie im Zentrum stellt selbst eine Energieform dar, die (¨aquivalent zur Masse) die Gravitation weiter verst¨arkt; diese wiederum verst¨arkt die Kompression weiter und so fort − ein nach heutiger Kenntnis unaufhaltsamer Teufelskreis. Einige der bei Schwarzen L¨ochern zu erwartenden Ph¨anomene sind bereits in Kapitel 2 (ART) punktuell erw¨ahnt worden. In den nun folgenden Abschnitten werden die Eigenheiten dieser Objekte ausf¨uhrlicher behandelt.
3.2 Aufbau und Eigenschaften (nicht-rotierender) Schwarzer L¨ocher Noch hat kein Astronom ein Schwarzes Loch aus der N¨ahe gesehen, aber die ART erlaubt uns dennoch eine Vorstellung von der Struktur dieser Objekte87 : Im Zentrum befindet sich eine punktf¨ormige sogenannte Singularit¨at88 . Auf diesen Punkt ist die Materie des/der Vorg¨angerobjekte/-s unter ihrer eigenen Schwerkraft zusammengesackt. In der Singularit¨at weisen Dichte und Gravitation/Raumkr¨ummung/Gezeitenkr¨afte unendlich hohe Werte auf. Dort wird u¨ brigens auch der Geltungsbereich der ART u¨ berschritten. Ereignishorizont: Eine gedachte Kugelschale mit der Singularit¨at als Mittelpunkt und mit der Oberfl¨ache 87
Hinweis f¨ur Puristen: Die hier beschriebene sogenannte Schwarzschild-L¨osung“ ” trifft nur zu, wenn in unendlicher Entfernung vom Loch der Raum flach ist. 88 Nach der Quantenmechanik sind allerdings wirklich punktf¨ormige Strukturen mit Raumvolumen null ausgeschlossen. Danach liegt die zul¨assige Minimalgr¨oße von Raumbereichen bei (1, 6 · 10−35 m)3 (Planck-Volumen).
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
245
A = 4π · R 2 wird Ereignishorizont genannt. Die Gravitationskraft (genauer: die erforderliche Kraft, um den Abstand eines K¨orpers vom Zentrum konstant zu halten) erreicht am Ereignishorizont den Wert unendlich (nicht jedoch die Gezeitenkraft!).
Daß die Gravitationskraft am Ereignishorizont unendlich groß wird, l¨aßt sich leicht zeigen: Der Korrekturfaktor zur Newtonschen Gravitationskraft G·m·M ist 12·G·M (siehe (2.8)). R2 1−
c2 ·R
(M = Masse des Schwarzen Lochs; m = Masse eines Testk¨orpers) (siehe (3.3)) kann man diesen Korrekturfaktor auch in Wegen R = 2·G·M c2 folgender Form schreiben: 1 R 1−
R
Die Gravitationskraft ist daher: F =
1 G·m·M · R2 R 1− R
(3.4)
Am Ereignishorizont (R = R ) wird der Wert der Gravitationskraft also unendlich (da der Betrag der Wurzel im Nenner gegen null geht). Jeder K¨orper wird durch diese Kraft so extrem beschleunigt, daß seine Fallgeschwindigkeit f¨ur einen Beobachter am Horizont dort c erreicht, auch wenn man eine noch so kurze Fallstrecke w¨ahlt. Die Beschleunigung eines Formel1-Wagens ist demgegen¨uber verschwindend klein! Und noch etwas Interessantes l¨aßt sich aus Gleichung (3.4) herauslesen: Untersucht man die St¨arke der Gravitationskraft (außerhalb des Ereignishorizonts) bei einem bestimmten Vielfachen des Schwarzschild-Radius (z.B. bei R = 1, 1 R ), so nimmt diese mit zunehmender Masse eines Schwarzen Lochs ab! Denn f¨ur ein bestimmtes Vielfaches des Schwarzschild-Radius ist
246
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
• der rechte Teil der Gleichung (3.4) eine Konstante, • der linke Teil dieser Gleichung mit zunehmender Lochmasse M kleiner (wegen der Proportionalit¨at von M und R ). Riesige Schwarze L¨ocher bewirken also bei z.B. R = 1, 1 R eine viel geringere Gravitationskraft als solche mit etwa drei Sonnenmassen. Die oft als grausame Abgr¨unde gescholtenen Riesenl¨ocher haben offenbar auch gutm¨utige“ Eigenschaften; bei der Gezeitenkraft wird sich dieser Eindruck ” best¨atigen! Innerhalb Schwarzer L¨ocher gibt es u¨ brigens nur Bewegungen hin zur Singularit¨at, niemals aber von ihr weg. Sie ist damit mehr als nur der Mittelpunkt eines Himmelsk¨orpers: Wirft man einen stabilen K¨orper hoher Dichte in einen fl¨ussigen oder gasf¨ormigen Himmelsk¨orper, so ist es durchaus denkbar, daß der einfallende K¨orper zuerst das Zentrum des Himmelsk¨orpers passiert, dann wieder zur¨uckkehrt und so eine Zeitlang um den Mittelpunkt pendelt, bis er dort zur Ruhe kommt. Anders bei Schwarzen L¨ochern: Kein K¨orper kann die Singularit¨at jemals wieder verlassen, wenn er sie einmal erreicht hat. Außerdem wird er schon kurz vor dem Erreichen der Singularit¨at komplett zerlegt“. ” Denn weder Atome noch Atomkerne noch Kernteilchen k¨onnen den dort extrem starken Gezeitenkr¨aften (siehe unten) standhalten. In welcher Form eingefallene Materie in der Singularit¨at fortexistiert, ist nicht bekannt; f¨ur die Natur der Singularit¨at werden exotische Zust¨ande diskutiert, z.B. Quan” tenschaum“. Von innerhalb des Ereignishorizonts kann f¨ur alle Beobachter kein Licht, auch keine andere elektromagnetische Strahlung und erst recht keine Materie mehr entkommen. Daher stammt der Name des Ereignishorizonts: Kein Informationstr¨ager wie Radiowellen etc. kann jemals u¨ ber das Innere eines solchen Objekts Mitteilung machen. Diese Eigenschaft des Ereignishorizonts als Einbahnstraße“ f¨ur Licht ” und Materie zeigt die Grenzen der Newtonschen Betrachtungsweise starker Gravitationsfelder besonders deutlich auf. Nach obiger (Newtonscher) Herleitung des Schwarzschild-Radius (in Abschnitt 3.1) k¨onnte man annehmen, daß man ein Objekt knapp innerhalb des Ereignishorizonts nur stark genug beschleunigen m¨ußte, damit es (zeitweise) dem Schwerefeld eines Schwarzen Lochs entkommen k¨onnte. In Wirklichkeit l¨aßt es die ART aber auch f¨ur Objekte mit der Geschwindigkeit c nicht zu, den Ereignishorizont nur um einen Millimeter von innen nach außen zu u¨ berschreiten! Wie bei der quasi-newtonschen Herleitung der gravitativen Zeitdilatation (in Abschnitt 2.4) ergibt sich zwar die richtige Formel, die allgemein-relativistische Interpretation weicht aber stark von der Newtonschen ab.
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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Der Raum zwischen Singularit¨at und Ereignishorizont ist v¨ollig leer (außer er wird gerade von einfallender Materie durchquert); auch den Ereignishorizont selbst darf man sich nicht als feste Oberfl¨ache o.¨a. vorstellen: Hier ist nur eine unsichtbare Grenze ohne Wiederkehr inmitten leeren Raums. Bei der Passage des Ereignishorizonts w¨urde man nichts Ungew¨ohnliches empfinden, abgesehen von den (allerdings stetig von großer Entfernung bis zur Singularit¨at) zunehmenden Gezeitenkr¨aften. Diese nehmen rein entfernungsabh¨angig zu, steigen also am Horizont nicht etwa sprungartig an. Innerhalb des Ereignishorizonts kann auch kein noch so gewaltiger Raketenschub den Fall in Richtung Singularit¨at verhindern, aber schon knapp außerhalb davon kann man durch entsprechend große Kraftaufwendung dem Schwarzen Loch noch entkommen; bei Ber¨uhrung des Ereignishorizonts gibt es jedoch kein Zur¨uck mehr, weil die Schwerkraft/Raumzeitkr¨ummung den betroffenen K¨orper unweigerlich in Richtung Singularit¨at zwingt. Nun zu weiteren Eigenschaften der Schwarzen L¨ocher:
Zeitdilatation Wenn ein Beobachter in einer sicheren Umlaufbahn um ein Schwarzes Loch eine antriebslose Sonde in Richtung Ereignishorizont schicken w¨urde, dann w¨urde sie aus dem Blickwinkel des Beobachters vor dem Ziel nicht schneller, sondern immer langsamer werden! Ein Versuchstier an Bord der Sonde w¨urde sich selber nat¨urlich immer schneller auf den Ereignishorizont zu fallen sehen. Aber der entfernte Beobachter w¨urde schließlich feststellen, daß die Sonde nahe am Ereignishorizont h¨angen bleibt. Der Grund f¨ur diese eigenartige Beobachtung ist die in Abschnitt 2.4 behandelte gravitative Zeitdilatation, die am Ereignishorizont den Wert unendlich erreicht. Jede Uhr an dieser Stelle bliebe f¨ur einen entfernten Beobachter stehen, damit auch die Zeit! F¨ur das einfallende System endet die Zeit aber erst an der Singularit¨at. Entsprechend unterschiedliche Sichtweisen erg¨aben sich auch beim Kollaps eines massereichen Sterns zum Schwarzen Loch: • Ein entfernter Beobachter s¨ahe eine Verlangsamung des Falls in Horizontn¨ahe: Die Sternmaterie scheint f¨ur ihn am Horizont einzufrieren“. ” Daher stammt ein fr¨uherer Name f¨ur Schwarze L¨ocher: Gefrorene Ster” ne“! Der v¨ollige Stillstand der zuvor fallenden Sternmaterie w¨are aber wegen der gravitativen Rotverschiebung nicht mehr beobachtbar (siehe unten). • Ein Beobachter auf dem Stern w¨urde sich selbst mit der Sternmaterie dagegen ungebremst zur Singularit¨at fallen sehen; auch am Ereignishorizont w¨urden er und die Sternmaterie nichts Besonderes versp¨uren.
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Ein weiteres Zwillingsparadoxon, Zeitrafferfilm inklusive Oben wurde schon erw¨ahnt, daß f¨ur einen Beobachter nahe an einem kompakten Himmelsk¨orper das Licht entfernter Objekte blauverschoben ist und damit auch dortige Ereignisse rascher ablaufen. Ein dicht genug am Ereignishorizont parkender“ Raumfahrer k¨onnte weit entfernte Uhren deshalb ” schneller laufen, Kalender- und Baumbl¨atter in k¨urzeren Abst¨anden fallen, Menschen schneller altern, ja sogar Sterne und ganze Galaxien vergehen sehen! Aber welche Ereignisse s¨ahe er da eigentlich im Schnelldurchgang“, ” Ereignisse aus der Vergangenheit? Die ist f¨ur den Raumfahrer schnell vorbei (Lichtstrahlen89 aus der Vergangenheit treffen f¨ur ihn in rascher Folge ein), dann sieht er die Zeit rasend schnell in die Zukunft hineinlaufen! So k¨onnten w¨ahrend seiner Lebenszeit vor seinen Augen in weit entfernten Regionen theoretisch Milliarden von Jahren ablaufen; und diese Beobachtung w¨are keine Illusion: W¨urde der Raumfahrer n¨amlich von seinem Aufenthalt in unmittelbarer N¨ahe des Ereignishorizonts wieder in eine weit vom Schwarzen Loch entfernte Region zur¨uckkehren, dann w¨aren dort tats¨achlich Milliarden von Jahren vergangen, niemand dort w¨urde sich mehr an ihn erinnern! Sein Zeitrafferfilm“ war also kein Traum! Wie beim Zwillingspara” doxon der SRT ist es zu einer Reise“ in die Zukunft gekommen; Reisen in ” die Vergangenheit sind dagegen nicht m¨oglich (von g¨anzlich hypothetischen Wurml¨ochern“ einmal abgesehen). ” Dieses Gedankenexperiment hat gezeigt, daß die gravitative Zeitdilatation eine zweite Seite hat: Nicht nur erscheinen weit entfernten Beobachtern Abl¨aufe am Rand eines Schwarzen Lochs einzufrieren“, vielmehr sehen ” umgekehrt Beobachter ganz nah am Ereignishorizont auch Abl¨aufe in der a¨ ußeren Welt stark beschleunigt. Um welchen Faktor genau altert“ dabei die entfernte Außenwelt ” schneller? 1 • Bei in Abstand r fixiertem Astronauten (z.B. 2·G·M Reiten auf Raketenstrahl): 1− r · c2 1 • Bei Aufenthalt auf Kreisbahn mit Radius r um 3·G·M das Schwarze Loch: 1− r · c2 Letzteres ist energiesparend und bringt ein gr¨oßeres Jungbrunnengutha” ben“. 89
z.B. von einer benachbarten Galaxie stammend
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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Noch einmal zur¨uck zum weit entfernten Beobachter: Der w¨urde nicht nur materielle Teilchen kurz vor dem Erreichen des Horizonts immer langsamer fliegen sehen: Auch ein Lichtblitz w¨urde ihm dort verlangsamt erscheinen! F¨ur den entfernten Beobachter ist also in Horizontn¨ahe auch die Lichtgeschwindigkeit reduziert (lokale Messungen w¨urden aber stets eine Lichtgeschwindigkeit = c ergeben). Radial verlaufende Lichtblitze sind von dieser Verlangsamung st¨arker betroffen als tangentiale; am Ereignishorizont geht f¨ur den entfernten Beobachter die Geschwindigkeit aller Lichtstrahlen gegen null.
Rotverschiebung Nachdem am Ereignishorizont die gravitative Zeitdilatation den Wert unendlich erreicht, muß f¨ur die daraus abgeleitete gravitative Rotverschiebung dasselbe gelten. F¨ur einen a¨ ußeren Beobachter wird das Licht (und jede andere elektromagnetische Welle) dort unendlich rotverschoben und damit unsichtbar. Signale von Objekten knapp außerhalb des Ereignishorizonts w¨aren extrem rotverschoben, auch Gammastrahlung k¨onnte so sichtbar werden oder im Radiobereich auftauchen! Und die oben erw¨ahnte Sonde, die zum Schwarzen Loch gesandt wurde, w¨are beim Erreichen90 des Ereignishorizonts schließlich nicht mehr detektierbar: Die Wellenz¨uge ihrer Funksignale und auch die Lichtwellen von ihrer Außenhaut w¨aren unendlich gestreckt: Wellenl¨ange unendlich, Schwingungsperiode unendlich, Frequenz null. Ein frei mitfallender Beobachter bemerkt dagegen keinerlei gravitative Rotverschiebung.
Lichtablenkung Der Raum zwischen Singularit¨at und Ereignishorizont ist zwar v¨ollig leer, wegen der Grundeigenschaft dieser Objektart aber undurchsichtig ( schwarz“). Dennoch ist es m¨oglich zu sehen, was sich hinter einem ” Schwarzen Loch abspielt! M¨oglich wird dies durch die enorm starke gravitative Lichtablenkung (siehe Abschnitt 2.2) im Nahbereich eines solchen Exoten. Jeder von ihnen stellt eine starke Gravitationslinse dar; das Umdie-Ecke-Sehen wird hier Wirklichkeit! Um aber ein Objekt hinter einem Schwarzen Loch tats¨achlich identifizieren zu k¨onnen, br¨auchte man entweder viel Phantasie oder ein geeignetes Bildbearbeitungsprogramm! Denn ein
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Tats¨achlich erreicht“ w¨are der Ereignishorizont f¨ur den entfernten Beobachter ” wegen der gravitativen Zeitdilatation erst nach unendlich langer Wartezeit.
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solches (kleines) Objekt w¨urde dem Beobachter stark verzerrt erscheinen, und zwar: • bei einer Position exakt hinter der Singularit¨at ringf¨ormig deformiert, also als Einstein-Ring“: ”
• bei einer dezentralen Position hinter einem Schwarzen Loch bogenf¨ormig verzerrt ( Einstein-B¨ogen“): ”
Wegen der Lichtablenkung erscheint ein Schwarzes Loch gr¨oßer als es wirklich ist, es vergr¨oßert sich also auch selbst (siehe unten)! Und wenn man eine Lampe in die N¨ahe des Ereignishorizonts bringen k¨onnte, erg¨abe sich etwa folgender Strahlenverlauf:
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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Zu flach startende Strahlen (z.B. a in der Abbildung) werden zum Ereignishorizont zur¨uckgebogen und verschwinden im Schwarzen Loch. Steil genug gerichtete Strahlen (z.B. c oder d) k¨onnen dagegen ins Unendliche entkommen, wenn die Lampe außerhalb des Ereignishorizonts positioniert ist. Solche Lichtstrahlen, die in einem Abstand von 1,5 SchwarzschildRadien von der Singularit¨at eine zum Horizont tangentiale Richtung aufweisen (Strahl b k¨onnte dies gelingen), k¨onnen in eine labile Kreisbahn um das Schwarze Loch einm¨unden! Dort gilt: Bahngeschwindigkeit f¨ur Kreisbahn = c. Dieser kugelf¨ormige Photonenorbit“91 wird in der Natur selbstver” st¨andlich auch durch tangential von außen einfallendes Licht aller dort sichtbaren Himmelsk¨orper gespeist. In dieser labilen Kreisbahn k¨onnen die Lichtstrahlen einen oder mehrere Uml¨aufe ausf¨uhren, bevor sie entweder zum Ereignishorizont hin abweichen und ins Schwarze Loch verschwinden oder wieder ins Unendliche entkommen. Ein ruhender Beobachter in einem Abstand von 1,5 Schwarzschild-Radien, also auf H¨ohe des Photonenorbits, w¨urde einen hellen Lichtring um das Schwarze Loch (das die gesamte untere H¨alfte des Blickfeldes einnimmt) wahrnehmen − und etwas verschwommen vielleicht auch seinen eigenen Hinterkopf! Da ein Teil der Lichtstrahlen den Photonenorbit wieder nach außen hin verl¨aßt, ist dieser Lichtring um das Loch auch noch in gr¨oßerer Entfernung erkennbar, aber deutlich schw¨acher. Licht, das aus der photon sphere wieder entkommt, weist im Unendlichen eine Rotverschiebung von 0,732 auf. Dies kann der Leser selbst nachpr¨ufen, wenn er in die Formel (2.15) f¨ur R den Wert 1, 5 · 2 · G · M/c2 (= Radius“ ” des Photonenorbits) einsetzt. Vom Schwarzen Loch wird nicht nur Licht (zumindest vor¨ubergehend) eingefangen, das von außen tangential oder in steilerem Winkel auf den Photonenorbit trifft, sondern auch noch √ Lichtstrahlen, die ohne die lichtablenkende Wirkung des Lochs beim 3 · 1, 5 ≈ 2, 6-fachen des SchwarzschildRadius eine tangentiale Richtung aufweisen w¨urden. Die Gravitation zwingt n¨amlich auch solche Lichtstrahlen auf eine am Ende doch (zum Photonenorbit) tangentiale Bahn. Strahlen mit gr¨oßerem Abstand werden nur abgelenkt und gelangen ins Unendliche. Denkt man sich umgekehrt statt der oben erw¨ahnten Lampe einen ruhenden Beobachter am selben Ort so nah an einem Schwarzen Loch (zwischen 1,0 und 1,5 R ), dann h¨atte dieser einen h¨ochst ungew¨ohnlichen Anblick:
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engl.: photon sphere (eigentlich pro Photon kreisf¨ormig, aber viele Photonen mit unterschiedlichen Richtungen f¨ullen eine ganze Kugeloberfl¨ache)
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Durch die Lichtablenkung w¨are die gesamte Himmelskugel“ auf eine ” Kreisscheibe mit dem Zenit als Mittelpunkt zusammengeschrumpft92 ! Das gesamte restliche Blickfeld bis hinunter zum Nadir w¨are vom Schwarzen Loch ausgef¨ullt! Das Licht aller Sterne/Galaxien in der verbliebenen Him” melsscheibe“ w¨are deutlich blauverschoben (Umkehrung der gravitativen Rotverschiebung).
Am Rand des Resthimmels“ finden sich auch Sekund¨ar- und Terti¨arbilder ” von Objekten der a¨ ußeren Welt; das sind Lichtstrahlen, die das Loch einoder zweimal umkreist haben und nun nach innen fallen! Wie groß genau w¨urde ein ruhender Beobachter dabei das Schwarze Loch sehen, und wie stark w¨are die Himmelskugel“ zusammengedr¨angt? ” Die folgende Tabelle gibt Beispiele f¨ur verschiedene Entfernungen: Abstand von der Singularit¨at93 300 R 3 R 2, 5 R 2 R 1, 5 R (Photonenorbit) 1, 1 R 1, 05 R
92
Gr¨oße des Schwarzen Lochs 1◦ 90◦ 107◦ 133◦ 180◦ 269◦ 295◦
Winkeldurchmesser des Resthimmels 359◦ 270◦ 253◦ 227◦ 180◦ (eine Hemisph¨are) 91◦ 65◦
Das Licht aller leuchtenden Objekte ist in Richtung Zenit verschoben; einzig und allein ein Stern exakt im Zenit bleibt unverschoben. 93 in Schwarzschild-Radien
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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Mit Ann¨aherung an den Ereignishorizont ist das Licht a¨ ußerer Quellen auch zunehmend blauverschoben. Unmittelbar am Ereignishorizont n¨ahert sich der Durchmesser des sichtbaren Himmels f¨ur einen (hier nur theoretisch denkbaren) ruhenden Beobachter der 0◦ -Marke! Im Gegensatz dazu w¨aren es hier immer noch 180◦ , wenn die euklidische Geometrie gelten w¨urde! F¨ur einen frei fallenden Beobachter gelten obige Tabellenwerte jedoch nicht. Wegen der aus der SRT bekannten Aberration des Lichts erscheint einem Freifaller das Schwarze Loch in jedem Abstand kleiner als dem ruhenden Beobachter, dementsprechend ist der Himmelsausschnitt gr¨oßer. Aber eben wegen dieser Aberration sind die Lichtquellen nicht (wie beim ruhenden Beobachter) im sichtbaren Himmelsausschnitt gleichm¨aßig verteilt, sondern in einem Streifen um den Rand des Schwarzen Lochs konzentriert. Ganz neugierige Leser werden jetzt noch wissen wollen, wie der Himmel im Inneren eines Schwarzen Lochs94 aussieht. Licht kann jederzeit durch den Ereignishorizont einfallen. In Fortsetzung der obigen Tabelle k¨onnte man nun wegen der maximalen Lichtablenkung erwarten, daß das Licht aller a¨ ußeren Quellen auf einen Punkt am Zenit konzentriert ist. Die Tabellenwerte beruhen jedoch auf Berechnungen f¨ur ruhende Beobachter; innerhalb des Ereignishorizonts gibt es aber keinen ruhenden Beobachter! Vielmehr kommt es dort bewegungsbedingt auch zu einer maximalen Lichtaberration, die dazu f¨uhrt, daß das Schwarze Loch selbst f¨ur Beobachter innerhalb des Ereignishorizonts weniger als eine Hemisph¨are einnimmt! Einem radial frei einfallenden Beobachter erscheint beim Durchqueren des Horizonts (also bei 1,0 R ) das Schwarze Loch unter einem Winkel von 90◦ , bei einem Abstand von 0,3 R zur Singularit¨at sind es etwa 150◦ . Ebenfalls wegen der maximalen Aberration ist der der Fallrichtung gegen¨uberliegende Abschnitt des Sternhimmels ausged¨unnt“: Das Licht der ” a¨ ußeren Quellen ist zunehmend zur Fallrichtung hin verschoben und sammelt sich auf einem Ring bei einem Winkel von 90◦ zur Fallrichtung. Dieser Ring wird zus¨atzlich zu den Prim¨arbildern der Lichtquellen auch durch ihre Doppelbilder, Dreifachbilder etc. gespeist: Das ist Licht, das ein- oder mehrmals das Schwarze Loch umrundet hat, nun aber auch zur Singularit¨at f¨allt! Im letzten Moment vor der Ankunft an der Singularit¨at trennt dieser nun sehr helle und schmale Ring f¨ur einen hypothetischen Beobachter das nun
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So mancher Physiker lehnt es prinzipiell ab, sich mit dem Inneren Schwarzer L¨ocher zu befassen. Die Autoren meinen aber, es m¨usse erlaubt sein, eine akzeptierte Theorie der Gravitation (die ART) auch dort anzuwenden.
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fast 180◦ große Schwarze Loch vom ebenfalls 180◦ großen und praktisch leeren Himmel. Was f¨ur ein tolles Finale! Auch innerhalb des Ereignishorizonts bewegt sich Licht stets schneller als Materie. Etwas makaber ausgedr¨uckt: Man k¨onnte einem Astronauten, der versehentlich durch den Ereignishorizont gefallen ist, gleich noch per Funk die K¨undigung hinterher schicken − wegen gef¨ahrlichen Leichtsinns bei der Dienstaus¨ubung. Am oder innerhalb des Ereignishorizonts nach außen abgestrahltes Licht wird noch beim Verlassen der Lichtquelle in Richtung Singularit¨at umgelenkt. Keinen Millimeter kann es sich nach außen bewegen. Ein frei fallender Beobachter innerhalb des Ereignishorizonts kann deshalb zwar Objekte in u¨ ber ihm liegenden Regionen des Schwarzen Lochs sehen, aber unter ihm liegende Regionen (damit auch die Singularit¨at) sieht er nicht. ¨ Und noch eine interessante Uberlegung: W¨urde man ein Schwarzes Loch von einem Standort außerhalb des Photonenorbits mit einer sehr kr¨aftigen Lichtquelle beleuchten, dann k¨ame, da die Photonen den Photonenorbit zum Teil auch wieder nach außen verlassen, ein gewisser Anteil des Lichts wieder zur¨uck! Die Lichtablenkung wird verursacht durch die Raumzeitkr¨ummung, die ihrerseits exotische Ph¨anomene mit sich bringt:
¨ Raumzeitkrummung Ehemals gerade Strecken w¨urden sich in Anwesenheit eines Schwarzen Lochs der Raumkr¨ummung entsprechend verbiegen, Oberfl¨ache und Volumen von Kugeln, die das Schwarze Loch einschließen, passen f¨ur einen dort ruhenden Beobachter nicht mehr zu ihrem Radius, welcher u¨ berproportional anw¨achst usw. Als Ausdruck der zur Singularit¨at hin zunehmenden Raumzeitkr¨ummung treten auch Gezeitenkr¨afte auf, wenn ausgedehnte K¨orper in den Nahbereich eines Lochs gelangen: • Die der Singularit¨at n¨aheren Teile eines ausgedehnten K¨orpers sind einer st¨arkeren Raumzeitkr¨ummung ausgesetzt als die entfernteren Teile: Die Differenz dieser Kr¨afte zerrt an dem K¨orper. Vor allem bei kleinen Schwarzen L¨ochern (Erkl¨arung siehe unten) wird diese Kraft schon außerhalb des Ereignishorizonts stark genug, auch kompakte K¨orper zu zerreißen oder elastische extrem zu dehnen ( Spaghettisierung“). Davon w¨are ” auch ein Mensch betroffen, der z.B. kopf¨uber in ein solches Objekt st¨urzt. Bei ungebremstem Fall w¨are die Schmerzphase allerdings kurz: Die Eigenzeitspanne zwischen den ersten gezeitenkraftbedingten Mißempfindungen und dem Erreichen der Singularit¨at betr¨agt bei allen Schwarzen L¨ochern bei normaler K¨orpergr¨oße ca. 0,3 s!
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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• Quer zur Fallrichtung wird ein ausgedehnter K¨orper durch die Gezeitenkraft zusammengequetscht, weil Anteile des K¨orpers mit großem Querabstand zur Singularit¨at eine unterschiedliche Fallrichtung aufweisen, die Fallrichtungen konvergieren zur Singularit¨at (siehe dazu auch die Abbildungen in Abschnitt 2.3). Zun¨achst u¨ berrascht es vielleicht, daß diese Gezeitenkr¨afte außerhalb des Ereignishorizonts bei kleinen Schwarzen L¨ochern sehr viel st¨arker sind als bei großen. Letztere haben zwar ein gr¨oßeres Gravitationsfeld global gesehen, aber die, etwa f¨ur die Spaghettisierung“ entscheidende Zunah” me der Raumkr¨ummung pro Entfernungseinheit ist bei kleinen L¨ochern im Nahbereich viel st¨arker ausgepr¨agt. Große Schwarze L¨ocher beherrschen zwar einen großen Einflußbereich, in dem aber die Raumkr¨ummung nach innen pro Entfernungseinheit nur langsam st¨arker wird: schwache Gezeitenkraft. Leicht ist auch einsehbar, daß der einen K¨orper quer zur Fallrichtung zusammenquetschende Anteil der Gezeitenkraft bei kleinen L¨ochern z.B. am Ereignishorizont st¨arker ist: Die Singularit¨at ist viel n¨aher, die Fallrichtungen der K¨orperteile mit großem Querabstand zur Singularit¨at weichen stark voneinander ab. Bei großen Schwarzen L¨ochern ist dagegen selbst am Horizont die Singularit¨at noch so weit entfernt, daß die Fallrichtungen ann¨ahernd parallel sind: wiederum schwache Gezeitenkraft. Berechnungen ergeben, daß man (unter dem alleinigen Aspekt der Gezeitenkr¨afte) den Sturz in ein sogenanntes supermassives Loch (siehe Abschnitt 3.3) bis weit innerhalb des Ereignishorizonts durchaus u¨ berleben k¨onnte. Ein Fall in ein Schwarzes Loch mit wenigen Sonnenmassen w¨are dagegen schon außerhalb des Ereignishorizonts letal. Den Sachverhalt kann man kurz auch so formulieren: Raum- und Zeitbereiche, die sich als lokale Inertialsysteme (vergleiche Abschnitt 2.3) qualifizieren, d¨urfen bei großen Schwarzen L¨ochern gr¨oßer sein als bei kleinen. Die St¨arke der Gezeitenkraft kann mit Hilfe der in Abschnitt 2.3 genannten Formel berechnet werden. Aus dieser Gleichung ergibt sich, daß die Gezeitenkraft proportional zu Masse / Entfernung3 ist. F¨ur den Spezialfall des Schwarzschild-Radius gilt, da er selber proportional zur Masse ist, daß die Gezeitenkraft dort proportional zu M / M 3 , also zu 1 / M 2 ist! Dies belegt die gerade gemachten Aussagen zur schw¨acheren Gezeitenkraft an den Ereignishorizonten großer Schwarzer L¨ocher. In der Singularit¨at erreicht die Gezeitenkraft bei Schwarzen L¨ochern jeder Gr¨oße nat¨urlich den Wert unendlich.
Jedoch: Normale“ Gravitation in großer Entfernung ” In einem wesentlichen Punkt verhalten sich Schwarze L¨ocher im Gegensatz zu landl¨aufigen Meinungen aber genau so wie jeder andere Himmelsk¨orper,
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n¨amlich in der gravitativen Wirkung in großen Entfernungen vom Ereignishorizont. Durch popul¨are Beitr¨age in die Irre gef¨uhrt, glauben ja viele Menschen, ein solches Objekt sei ein gefr¨aßiges Ungeheuer, das je nach Appetit sich das Futter aktiv aus der Umgebung heranhole, wie ein Staubsauger o.¨a. Das trifft nat¨urlich nicht zu; ab einer gewissen Entfernung vom Ereignishorizont l¨aßt sich das Gravitationsfeld eines Schwarzen Lochs nicht mehr von dem eines Sterns gleicher Masse unterscheiden! W¨urde man den Mond durch ein Schwarzes Loch mit Mondmasse ersetzen, so w¨are das f¨ur den Bahnverlauf der Erde oder f¨ur die Gezeiten praktisch ohne Bedeutung. Auch w¨urde keinem Menschen ein Haar gekr¨ummt, es sei denn, jemand wollte das Loch aus der N¨ahe untersuchen. Nicht einmal Satelliten in der Erdumlaufbahn w¨aren von der Anwesenheit des Moon-Black-Holes in irgendeiner Weise betroffen und w¨urden nicht in dieses st¨urzen. Wegen dieser g¨anzlich normalen Struktur des Gravitationsfeldes (gemeint ist: nicht unterscheidbar von u¨ blichen Himmelsk¨orpern) in großen Entfernungen k¨onnen Schwarze L¨ocher auch als Komponenten von Doppel ster” nen“ vorkommen. Sogar stabile Umlaufbahnen um ein Schwarzes Loch sind m¨oglich: Die innerste stabile kreisf¨ormige Umlaufbahn f¨ur materielle K¨orper liegt (bei nicht-rotierenden L¨ochern) in einem Abstand von drei SchwarzschildRadien von der Singularit¨at, also relativ nahe am Ereignishorizont. G¨anzlich stabil sind aber so enge Bahnen nicht: Wegen der Gravitationswellenabstrahlung tendieren sie dazu, enger zu werden. Zwischen 3,0 und 1,5 R gibt es nur noch instabile Kreisbahnen, die ein K¨orper nur f¨ur eine begrenzte Zeit besetzen kann, und auch das nur mit Hilfe von Korrektursch¨uben, z.B. von Antriebsraketen. Innerhalb von 1,5 R existieren u¨ berhaupt keine besetzbaren Kreisbahnen mehr; jeder freie K¨orper in einer Umlaufbahn mit einem Bahnradius kleiner als 1,5 R wird an den Ereignishorizont herantransportiert (durch einen Effekt, den man als Fliehkraftumkehr“ bezeichnen k¨onnte). Bis unmittelbar ” an R w¨are bei entsprechendem Kraftaufwand aber eine Flucht immer noch m¨oglich; erst bei der Ber¨uhrung des Ereignishorizonts gibt es kein Zur¨uck mehr. Sehr nahe am Ereignishorizont k¨onnte dessen Ber¨uhrung nur durch Reiten“ auf dem gewaltigsten denkbaren, senkrecht gerichteten Antriebs” strahl verhindert werden.
Kann man ein Schwarzes Loch sehen“? ” Lassen sich diese Objekte u¨ berhaupt aufsp¨uren, da sie doch definitionsgem¨aß kein Licht entkommen lassen? Die Antwort auf diese Frage ist ja, denn zumindest indirekt verraten sich die Black Holes doch. Haupts¨achlich geschieht dies auf folgenden Wegen:
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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a) Gravitationswirkung auf Partner in Doppelsternsystemen: Zwei gravitativ gebundene K¨orper ziehen Bahnen um den gemeinsamen Schwerpunkt des Systems. Wie wir oben gesehen haben, k¨onnen auch Schwarze L¨ocher als Komponenten in Doppelsternen auftreten. Aus Beobachtungen der Bewegung des leuchtenden“ Partners (z.B. durch die periodische Verschiebung ” seiner Spektrallinien (siehe Abschnitt 4.2)) l¨aßt sich auf die unsichtbare Komponente und deren Mindestmasse schließen. Beispiel: Cygnus X-195 im Sternbild Schwan: Hier kreisen ein (auch im kleinsten Amateurfernrohr sichtbarer) Stern 9. Gr¨oße und ein im sichtbaren Licht unsichtbares“ Objekt in 5,6 Tagen um einen gemeinsamen Schwer” punkt. b) Rasche Helligkeitsver¨anderungen von Objekten mit extremer Leuchtkraft: Ein Himmelsk¨orper mit Helligkeitsschwankungen (z.B. der Periode T ) kann nicht gr¨oßer sein als die Strecke, die das Licht w¨ahrend der Schwankungsperiode zur¨ucklegt (im Beispiel: c · T ). Von einigen Himmelsobjekten ist aber bekannt, daß sie extreme Leuchtkr¨afte aufweisen (Milliarden Sonnenleuchtkr¨afte), bei herk¨ommlicher Struktur also sehr groß sein m¨ußten, jedoch trotzdem rasche Helligkeitswechsel durchmachen, zum Teil in Tagen oder gar nur Tagesbruchteilen. Sie k¨onnen demnach nicht gr¨oßer als etwa ein Lichttag sein (ungef¨ahr die Ausmaße unseres Sonnensystems). F¨ur Milliarden von Sonnen ist in einem derart kleinen Volumen kein Platz“, daraus schließt ” man, daß die zentrale Maschine“ dieser Objekte ein Schwarzes Loch sein ” muß. Jede andere Struktur mit dieser Leuchtkraft und so kleinem Volumen m¨ußte in kosmologisch kurzer Zeit zu einem Black Hole kollabieren. Die genannten Eigenschaften weisen insbesondere Quasare und andere aktive galaktische Kerne auf. Beispiele: Quasar 3C273, Mrk 421 (wie der erstgenannte in mittelgroßen Amateurfernrohren sichtbar und wegen seiner Position unmittelbar s¨uds¨udwestlich des Sterns 51UMa leicht zu finden). Ein weiteres ber¨uhmtes Beispiel ist BL Lac im Sternbild Eidechse, das wegen seiner Helligkeitsvariabilit¨at und dem fast punktf¨ormigen Erscheinungsbild jahrelang als Ver¨anderlicher Stern in den Katalogen der Astronomen gef¨uhrt worden war. Erst sp¨ater stellte sich die große Entfernung und damit die extreme absolute Helligkeit des Objekts heraus. c) Gravitationswirkung im Kern vieler Galaxien: Die meisten Galaxien benehmen sich nicht so ungest¨um wie die gerade beschriebenen Objekte. Aber auch sie verraten uns die Existenz von riesigen Schwarzen L¨ochern in ihren Kernen: Bewegungsstudien an Gas- und Staubwolken sowie an Sternen in den Galaxienzentren zeigen, daß die Materie dort in kurzen Umlaufzeiten 95
Entfernung: ca. 8000 Lichtjahre
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
und auf engen Bahnen extrem schwere Objekte umkreist, die in kleinen Volumenbereichen konzentriert sein m¨ussen. Beispiel: Das Schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße: Sgr A* im Sternbild Sch¨utze (hat ca. 4,1 Mio. Sonnenmassen). d) Aussendung hochenergetischer Strahlung von Regionen außerhalb des Ereignishorizonts: Auf ein Schwarzes Loch z.B. von einem Begleitstern zustr¨omende Materie sammelt sich zun¨achst außerhalb des Ereignishorizonts in einer sogenannten Akkretionsscheibe. Durch Reibungsprozesse in der Scheibe verliert die Materie zunehmend Drehimpuls und r¨uckt dadurch dem Ereignishorizont n¨aher, parallel dazu heizt sich die Akkretionsscheibe stark auf; deren Temperatur steigt nach innen zu an. (Anlaß f¨ur Reibung und damit Aufheizung geben die unterschiedlichen Bahngeschwindigkeiten in der Akkretionsscheibe: Die inneren Materiepartikel rotieren schneller um das Zentrum als a¨ ußere.) Diese hohen Scheibentemperaturen f¨uhren zur Aussendung elektromagnetischer Strahlung entsprechend hoher Frequenz; dort, wo die Scheibe Millionen von Grad erreicht, werden sogar R¨ontgenstrahlen emittiert. Beispiele: Cyg X-1, V616 Mon und V4641 Sgr. Durch Detailuntersuchung dieser Strahlung kann auf Schwarze L¨ocher geschlossen werden. e) Auftreten relativistischer Jets: Bei Quasaren, Radiogalaxien und verwandten Objekten beobachtet man oft schlanke Forts¨atze“, in denen ungeheure ” Teilchenmengen fast lichtschnell Tausende Lichtjahre weit weg geschleudert werden. Die Astrophysik kennt keinen herk¨ommlichen Mechanismus, der die hierf¨ur n¨otigen riesigen Energiemengen u¨ ber l¨angere Zeit bereitstellen k¨onnte. Als einzig geeigneten Jet-Generator“ sieht man ein supermassives ” schnell rotierendes Schwarzes Loch mit starken Magnetfeldern96 an. Letztere beschleunigen die Jet-Teilchen und b¨undeln sie wahrscheinlich auch zu den beobachteten engen Plasmaschl¨auchen. F¨ur Schwarze L¨ocher als Verursacher der Jets spricht auch die enorme Richtungskonstanz der Jets bis hin zu Millionen von Jahren (z.B. bei NGC 6251). Diese Richtungsstabilit¨at l¨aßt sich am einfachsten dadurch erkl¨aren, daß die Jet-Achse die Verl¨angerung“ ” der Drehachse eines rotierenden supermassiven Schwarzen Loches ist, das wie ein Kreiselkompaß eine hohe Richtungsstabilit¨at gew¨ahrleistet. Bei einigen dieser Jets beobachtet man allerdings auch Richtungs¨anderungen, die auf engen Begegnungen oder Kollisionen zweier solcher Monster beruhen 96
Bei vorhandener Akkretionsscheibe kann es durchaus Magnetfelder im Nahbereich eines Schwarzen Lochs geben (im Gegensatz zu nicht-rotierenden L¨ochern im leeren Raum, siehe unten).
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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k¨onnten. Nahe Begegnungen ( Interaktionen“) von Galaxien finden sich in ” großer Zahl bei entsprechenden Untersuchungen. Der erste Jet wurde in der hellen Galaxie M87 im Zentrum des VirgoHaufens entdeckt. f ) Schließlich stellt sich noch die Frage, ob auch ein Schwarzes Loch ohne Begleiter in materiefreier Umgebung nachweisbar w¨are: Ja, durch den Gravitationslinseneffekt auf das Licht dahinter liegender Himmelsk¨orper! Und im Nahbereich eines Black Holes k¨onnte man sogar den Lichtring seines Photonenorbits sehen! Niemand braucht also zu bef¨urchten, daß die Erde dereinst u¨ berraschend in einem schwarzen Schlund verschwindet! Und ein nahegelegenes rotierendes Schwarzes Loch k¨onnte einen Beobachter sogar richtiggehend blenden: Die sich auf den Beobachter zu bewegende H¨alfte der Akkretionsscheibe w¨are wegen des Beaming-Effekts (Abschnitt 1.10) gleißend hell!
Ist ein nicht-rotierendes Schwarzes Loch immer exakt kugelf¨ormig? H¨ochstwahrscheinlich nicht! Ein Schwarzes Loch ist − von der Singularit¨at abgesehen − ein nur aus Raumzeitkr¨ummung bestehendes Objekt. Jedes von ihnen wird, zumindest gelegentlich, vermutlich sogar permanent von Gravitationswellen (andernorts entstanden) erfaßt. Von letzteren wissen wir, daß sie Wellen sich a¨ ndernder Raumkr¨ummung sind. Treffen sie auf ein Schwarzes Loch, so u¨ berlagern sie sich mit dessen Raumkr¨ummung und bringen es damit zum Schwingen! Der Ereignishorizont wird von diesem Schwingungsgeschehen sicher mit erfaßt und damit von der Kugelform immer wieder abweichen. Das Schwarze Loch ist aber st¨andig bestrebt, solche von außen eingebrachten Unregelm¨aßigkeiten wieder auszub¨ugeln“, ” indem es seinerseits Gravitationswellen aussendet. K¨onnte man es von Gravitationswellen abschirmen, w¨urde es in kurzer Zeit eine exakte Kugelform annehmen, nicht un¨ahnlich einem angestoßenen Weinglas, das eine Zeitlang (Ton)Schwingungen an den umgebenden Luftraum abgibt. F¨ur Gravitationswellendetektoren sind Schwarze L¨ocher also keineswegs schwarz“, sondern durchaus aufsp¨urbare Strahlungsquellen! ” Eine Frage steht nat¨urlich noch im Raum: ¨ Wie kann ein Schwarzes Loch den umgebenden Raum krummen, wo doch ansonsten der Ereignishorizont eine Einbahnstraße“, sogar f¨ur Licht, ” darstellt? Hierzu gibt es mehrere Erkl¨arungsm¨oglichkeiten, die aber fast gleichwertig sind: • Das Gravitationsfeld eines Schwarzen Lochs kann man als fossiles“ ” Feld auffassen, das ewig in dem Zustand eingefroren“ bleibt, den es ” im letzten Augenblick des Kollapses des Vorl¨auferhimmelsk¨orpers hatte,
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
also unmittelbar vor der Bildung des Schwarzen Lochs. Die Raumzeitkr¨ummung besteht so fort. • Man kann sich ein Gravitationsfeld auch als aus radialen Kraftlinien bestehend denken. Die Materie des kollabierenden Vorl¨auferhimmelsk¨orpers gleitet dann entlang dieser Feldlinien nach innen zum Zentrum. Deshalb sind diese Kraftlinien in der Lage, in der a¨ ußeren Welt zu u¨ berleben. Auch ein anderes Feld mit radialen Feldlinien, n¨amlich ein vorbestehendes elektrisches Feld, kann einen Gravitationskollaps zum Schwarzen Loch u¨ berleben. Magnetfeldlinien und andere Felder mit nicht-radialen Feldlinien werden dagegen beim Kollaps ins Innere des Ereignishorizonts hineingezogen (bzw. ihre a¨ ußeren Anteile abgestrahlt), diese Felder verschwinden f¨ur die Außenwelt. • Entgegen vielen popul¨aren Darstellungen stellt ein Schwarzes Loch kein eigenes“ abgetrenntes Universum dar, sondern es bleibt vollst¨andig ein ” Teil unseres Universums. Die durch die Masse des Schwarzen Lochs verursachte Raumkr¨ummung kann daher am Rand des Lochs nicht abrupt aufh¨oren zu existieren; die Raumkr¨ummung muß vielmehr kontinuierlich in die Außenwelt u¨ bergehen und dort auch (Gravitations-)Wirkung zeigen. • Nach den (auf diesem Feld noch unausgegorenen) Vorstellungen der Quantenmechanik erzeugt jeder massehaltige Himmelsk¨orper (und damit auch ein Schwarzes Loch) mit einem konstanten Schwerefeld dadurch Gravitationswirkungen auf benachbarte Massen, daß er virtuelle (d.h. nicht direkt detektierbare, aber doch existierende) Gravitonen aussendet. Treten dagegen Gravitations¨anderungen auf (z.B.: Stern f¨allt in Schwarzes Loch), werden auch reelle Gravitonen (¨aquivalent zu Gravitationswellen) abgestrahlt. Die Ursprungsorte dieser Gravitonen liegen aber außerhalb des Ereignishorizonts.
Endstation Schwarzes Loch? Zun¨achst schien es so, als seien die Schwarzen L¨ocher ein absoluter Endpunkt in der Evolution kosmischer K¨orper. Aber auch Schwarze L¨ocher leben nicht ewig, sie k¨onnen n¨amlich verdampfen, wie Stephen Hawking herausgefunden hat! Und das geht so: Auch ein Vakuum ist nach der Quantentheorie nicht v¨ollig leer: Es ist vielmehr ein kochender Brei“ aus unz¨ahligen Paaren sogenannter virtuel” ler97 Teilchen und Antiteilchen, die st¨andig neu entstehen und sich dann nach extrem kurzer Zeit wieder gegenseitig vernichten. 97
virtuell = nicht direkt nachweisbar
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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Geschieht eine solche Paarbildung exakt am Ereignishorizont, dann kann ein derartiges Paar durch die dort vorhandene Gezeitenkraft getrennt werden. Bei dieser Trennung werden die zwei Teilchen reell. Gelegentlich entkommt eines der reellen Teilchen, das Schwarze Loch verliert dadurch Masse und wird kleiner! Denn das entweichende Teilchen tr¨agt nicht nur seine eigene Ruhemasse mit sich fort, sondern zus¨atzlich die zur Paartrennung aufgewandte Energie und auch die zur Flucht erforderliche kinetische Energie. Alle diese Masse- und Energiebetr¨age entstammen dem Schwarzen Loch. Und f¨ur einen a¨ ußeren Beobachter strahlt das Loch! Da die Gezeitenkraft bei kleinen Black Holes am Ereignishorizont viel st¨arker ist als bei großen, dampfen“ Mini-L¨ocher auch viel st¨arker. Am Ende des Prozesses, also kurz ” bevor das Loch seine gesamte Masse verloren hat, l¨auft er sogar explosionsartig ab. Große L¨ocher verdampfen aber derart langsam, daß sie alle anderen Strukturen im Universum bei weitem u¨ berleben werden! Hinweis: Es entweichen haupts¨achlich Teilchen mit einem Durchmesser, der etwa dem des Schwarzen Lochs selbst entspricht. Echte materielle Teilchen dampfen daher vor allem von subatomaren98 L¨ochern ab. Bei gr¨oßeren L¨ochern verdampfen u¨ berwiegend Photonen einer Strahlung, deren Wellenl¨ange im Bereich des Umfangs des Lochs liegt. Bei großen Schwarzen L¨ochern bedeutet dies die Abstrahlung einer langwelligen = niedrigenergetischen Strahlung; auch deshalb ist der Prozeß bei großen L¨ochern so wenig effektiv. Wenn ein Schwarzes Loch Strahlung aussendet, dann muß man ihm auch eine Temperatur“ und eine Leuchtkraft“ zuordnen k¨onnen (Hawking dach” ” te bei der Entdeckung des Effekts in der entgegengesetzten Richtung: Temperatur → Strahlung). Die folgenden N¨aherungsgleichungen hierzu stammen aus H. Goenner: Einf¨uhrung in die spezielle und allgemeine Relativit¨atstheorie, Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 1996: Sonnenmasse (K) • Temperatur eines Schwarzen Lochs ∼ = 1, 6 · 10−7 · Masse Mit zunehmender Masse sinkt also die Temperatur. 1 • Leuchtkraft eines Schwarzen Lochs ∼ (erg/s) = 3, 4 · 1046 · Masse2 Dabei ist die Masse in Gramm einzusetzen. • Lebensdauer eines Schwarzen Lochs ∼ = 10−26 · Masse3 (s) Auch hier ist die Masse in Gramm einzusetzen. Bei einem Schwarzen Loch mit Sonnenmasse ergeben sich u¨ ber 1066 Jahre. Subatomare L¨ocher leben dagegen nur extrem kurz: Sie zerfallen praktisch sofort nach ihrer 98
subatomar = kleiner als ein Atom
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
Entstehung wieder. Deshalb stellen potentiell bei St¨oßen von hochenergetischen Teilchen (der kosmischen Strahlung oder des LHC = Large Hadron Collider) entstehende Mikro-L¨ocher“ keine Gefahr f¨ur die ” Erde dar.
¨ den Jet-Set? Ein Schwarzes Loch exklusiv fur ¨ In Kapitel 2 haben wir als wichtigen Grundpfeiler der ART die Aquivalenz von Gravitation und Beschleunigung kennengelernt. Es stellt sich daher die Frage, ob es f¨ur beschleunigte Systeme auch etwas mit Schwarzen L¨ochern Vergleichbares gibt. Die u¨ berraschende Antwort darauf ist: Ja! Zeigen l¨aßt sich das u.a. mit Raum-Zeit-Diagrammen. Die Weltlinie eines konstant beschleunigten K¨orpers ist in einem Minkowski-Diagramm immer eine Hyperbel (vergleichbar den Eichhyperbeln f¨ur Strecken in Abschnitt 1.17). Mit Mittelstufen-Mathematik l¨aßt sich dies zwar nicht leicht beweisen, ist aber einigermaßen plausibel: Die Weltlinie eines aus dem Stand“ beschleunigten K¨orpers ” • ist zun¨achst senkrecht (v = 0 beim Start), • neigt sich dann zur Seite (v gr¨oßer als 0) und • schmiegt sich mit zunehmender Dauer der Beschleunigung immer mehr einer im 45◦ Winkel verlaufenden Lichtweltlinie von unten an. Erst im Unendlichen (v = c) w¨urden sich diese beiden Linien ber¨uhren. Wir k¨onnen also z.B. die Eichhyperbel H in Abb. 17a von Abschnitt 1.17 als Weltlinie eines konstant beschleunigten Raumschiffes ansehen. Das Raumschiff startet am Ort P (x A = 1 Lichtsekunde)99 zur Zeit t A = 0. Ein zum gleichen Zeitpunkt t A = 0 im Orts-Nullpunkt gestarteter Lichtblitz mit der Weltlinie L wird das Raumschiff erst im Unendlichen erreichen (erst dort treffen L und H aufeinander). Und alle Lichtblitze, die von Ereignispunkten oberhalb der Lichtweltlinie L aus starten (z.B. von Punkt x A = 0, ct A = 1), werden das Raumschiff nie, auch nicht im Unendlichen erreichen! Denn eine von einem solchen Ereignispunkt ausgehende Lichtweltlinie ber¨uhrt die Kurve H keinesfalls. Mit anderen Worten: Die Raumschiffbesatzung kann diesen Raumzeitbereich nie einsehen. Gibt man also einem st¨andig beschleunigten Raumschiff einen ausreichenden Vorsprung, dann kann es sogar vom stets schnelleren Licht niemals mehr eingeholt werden; ein wirklich verbl¨uffendes Ergebnis! Erst recht k¨onnen nat¨urlich materielle Teilchen aus diesem Teil der Raumzeit nie zu dem Raumschiff gelangen. Die Analogie zu Schwarzen L¨ochern 99
Eine Streckeneinheit von einem Lichtjahr w¨are hier nat¨urlich realistischer!
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
263
ist klar: Der von der Raumschiffbesatzung nicht beobachtbare Raumzeitbereich entspricht dem Bereich innerhalb des Ereignishorizonts eines Schwarzen Lochs! Der einzige prinzipielle Unterschied besteht darin, daß der Innenraum eines Schwarzen Lochs f¨ur alle a¨ ußeren Beobachter gleichermaßen nicht einsehbar ist, w¨ahrend das Jet-Set-Loch“ exklusiv f¨ur die Besatzung ” des beschleunigten Raumschiffes existiert. Geht das Raumschiff nach einer l¨angeren beschleunigten Phase in eine Inertialbewegung u¨ ber (von da an gerade Weltlinie, steiler als L verlaufend und damit L u¨ berquerend), so werden die vorher ausgeblendeten“ Ereignisse wieder nach und nach sichtbar. ” Die Weltlinie L spielt in diesem Beispiel also die Rolle eines Ereignishorizonts. Die Analogie geht allerdings noch tiefer: Die Geschichte“ von Objekten, ” die im System des Ruhebeobachters ruhen (und damit eine senkrechte Weltlinie erzeugen), kann die Raumschiffbesatzung nur bis zum Schnittpunkt dieser senkrechten Weltlinien mit der durch den Nullpunkt verlaufenden Lichtweltlinie L verfolgen. Bei L gefrieren“ aus Sicht der Raumschiffbesatzung ” alle Zeitabl¨aufe im System des Ruhebeobachters. Denn wenn das Raumschiff schon lange genug beschleunigt hat, dauert f¨ur die Besatzung z.B. die Zeit zwischen den letzten zwei Schl¨agen einer ruhenden Uhr vor dem Schnittpunkt zwischen ihrer Weltlinie und L fast unendlich lang (analog zur gravitativen Zeitdilatation!), ebenso die letzte Schwingung der Lichtwelle einer ruhenden Atomuhr (analog zur gravitativen Rotverschiebung!). Im Beispiel der Abb. 17a in Abschnitt 1.17 stellt der Orts-Nullpunkt dabei eine interessante Grenze dar: Links vom Nullpunkt bezieht sich das Ein” frieren“ auf Ereigniszeitpunkte vor dem Start (Schnittpunkt jeder senkrechten Weltlinie mit L ist unterhalb der x A -Achse), rechts vom Nullpunkt auf Ereigniszeitpunkte nach dem Start. Dieses (physikalisch korrekte) Gedankenexperiment mit einem beschleunigten Raumschiff, das von einem Lichtblitz nicht eingeholt werden kann, ist gewissermaßen eine vertrauensw¨urdige Neuauflage von Zenons Paradoxon vom Wettlauf des Achilles mit der Schildkr¨ote! ¨ In Abschnitt 1.14 sind diverse Uberlichtgeschwindigkeitsf¨ alle“ bespro” chen worden; auch die Schwarzen L¨ocher k¨onnen hierzu etwas beisteuern: Um dies zu verstehen, bedient man sich sogenannter statischer Punkte“. ” Das sind rein hypothetische Punkte, die nicht der Gravitation unterliegen sollen und von denen gelegentlich kurze Lichtblitze ausgehen. Diese Lichtblitze breiten sich nat¨urlich lokal kugelf¨ormig im Raum aus. Beobachtet man nun die Ann¨aherung von statischen Punkten an ein Schwarzes Loch, dann ergibt sich der in der Abbildung wiedergegebene Sachverhalt: Der oberste − noch weit entfernte − statische Punkt ist genau im Zentrum der kugelf¨ormigen Lichtfront. Bei kleiner werdendem Abstand zum Ereignishorizont verschiebt
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
sich die Lichtfront zum Schwarzen Loch hin. Ist der Punkt exakt am Ereignishorizont, dann ber¨uhren sich Punkt und Lichtfront; der ausw¨artsgewandte Teil der Lichtfront kommt hier nicht vorw¨arts, bleibt also station¨ar. Dies kann auch dahingehend interpretiert werden, daß am Ereignishorizont der Raum mit Lichtgeschwindigkeit nach innen fließt! Ganz exotisch sieht die Sache innerhalb des Ereignishorizonts aus: Der Punkt liegt nun außerhalb seiner ¨ eigenen Lichtfront, die mit Uberlichtgeschwindigkeit in Richtung Singula¨ rit¨at gezogen wird! Der Raum fließt dort also mit Uberlichtgeschwindigkeit. Auch folgende Darstellungsweise mit Hilfe eines Raum-Zeit-Diagramms ist aufschlußreich: Die Lichtkegel im Bereich eines Schwarzen Lochs sind zur Singularit¨at hin geneigt und nach innen zunehmend verengt. Wenn man ber¨ucksichtigt, daß Weltlinien materieller Teilchen nur innerhalb der Lichtkegel verlaufen k¨onnen und wenn man auf die Neigung des a¨ ußeren (hier linken) Lichtkegelrandes achtet, dann wird klar: Von Ort 2 ist gerade noch eine Flucht m¨oglich (wenn auch anfangs nur mit geringer Geschwindigkeit), ab Ort 3 (am Ereignishorizont) aber nicht mehr. Und f¨ur Ort 4 liegt die gesamte Zukunft“ in Richtung der Singularit¨at. Der innere ” Lichtkegelrand hat in dieser Darstellungsform dagegen u¨ berall die gleiche Neigung (45◦ ).
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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Raum-Zeit-Diagramm (in sogenannten Finkelstein-Koordinaten) eines Schwarzen Lochs (eine Raumdimension unterdr¨uckt)
Ein Massendefekt der anderen Art“ ” Die oben besprochene Hawking-Strahlung ist u¨ brigens nicht der einzige Weg, Schwarzen L¨ochern Masse zu entziehen! Die Masse Schwarzer L¨ocher kann n¨amlich auch zum Teil in Gravitationswellen umgewandelt werden! Stoßen z.B. zwei Black Holes zusammen, dann kann ein Teil der Massen der Einzell¨ocher als Gravitationswellen frei werden, die nach einem solchen fulminanten Ereignis f¨ur immer das Universum durchlaufen. Denn bei der Kollision (und anderen Wechselwirkungen) Schwarzer L¨ocher muß nach Stephen Hawking lediglich die Bedingung erf¨ullt sein, daß die Oberfl¨ache des Ereignishorizonts des Verschmelzungsprodukts mindestens so groß ist wie die Summe der Oberfl¨achen der Ereignishorizonte der beteiligten Einzell¨ocher. Stoßen also zwei gleich große Schwarze L¨ocher zusammen, dann betr¨agt der Radius des Verschmelzungsprodukts: • maximal das 2-fache des Einzellochradius im Falle, daß die Massen voll erhalten bleiben (da Masse und Schwarzschild-Radius proportional zueinander sind),
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
√ • minimal das 2-fache des Einzellochradius, wenn sich die Oberfl¨achen genau aufaddieren (dies ergibt sich, wenn man die Gleichung 2 2 · (4 · π · R 2Einzelloch ) = 4 · π · RVer schmelzungspr odukt nach R Ver schmelzungspr odukt aufl¨ost)100 . Wegen der Proportionalit¨at von Schwarzschild-Radius und Masse liefert die Differenz zwischen diesen beiden Extremwerten den √ maximal m¨oglichen Massenverlust: der betr¨agt also insgesamt das (2 − 2)-fache einer Einzellochmasse √ oder (2 − 2) · 100/2 = 29, 3% pro Einzelloch! Das ist genug Stoff“ f¨ur die Abstrahlung kr¨aftiger Gravitationswellen. ” Kann sich umgekehrt ein Schwarzes Loch auch in z.B. zwei kleinere L¨ocher aufspalten? Nein, weil ein Ereignishorizont nur gr¨oßer werden kann, nie kleiner (Ausnahme: der oben beschriebene Prozeß der HawkingStrahlung). Schwarze L¨ocher sind außerdem die effektivsten Energiemaschinen im gesamten Universum: Oben wurde schon erw¨ahnt, daß Materie, die auf ein Schwarzes Loch f¨allt, sich in der Regel in einer Akkretionsscheibe sammelt. Beim Herabst¨urzen der Materie entsteht aus Gravitationsenergie soviel Strahlungsenergie, daß bis zu 6%, bei rotierenden Schwarzen L¨ochern sogar bis zu 40% der Masse in Energie umgewandelt wird (teils in elektromagnetische Strahlung, teils in Gravitationswellen). Zum Vergleich: Auch die effektivsten Kernreaktionen k¨onnen nicht mehr als knapp ein Prozent der Masse in Energie umwandeln. Jets in Quasaren sowie in Radiogalaxien und andere titanische Gewalt” taten“ im Universum betrachtet man als Energie-Re-Investitionen“ materie” konsumierender Schwarzer L¨ocher. Der einzige noch effektivere Prozeß, die gegenseitige Zerstrahlung von Materie und Antimaterie, kommt in der Natur nach heutiger Einsch¨atzung nur jeweils in kleinem Rahmen vor, das heißt unter Beteiligung nur weniger Teilchen, da vermutlich keine gr¨oßeren Konzentrationen von Antimaterie existieren.
¨ tiefer Interessierte) Formel-Anhang zu Abschnitt 3.2 (fur Das obige Beispiel der Sonde, die zum Ereignishorizont gesandt wurde, hat deutlich gezeigt, daß es bei der Beschreibung der Ph¨anomene in starken Gravitationsfeldern ganz entscheidend auf den Standpunkt des Beobachters 100
Dieser Grenzfall ist strenggenommen ausgeschlossen: Die Oberfl¨ache des Verschmelzungsprodukts ist zumindest geringf¨ugig gr¨oßer als die Summe der Oberfl¨achen der Einzell¨ocher; analog zur Entropie, die bei keinem Prozeß gleich bleibt, sondern auch immer zumindest geringf¨ugig zunimmt.
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ankommt: Der weiter entfernte Beobachter sah eine Verlangsamung der Sonde in Horizontn¨ahe, das Versuchstier an Bord beobachtete dagegen eine st¨andig zunehmende Fallgeschwindigkeit. Die ART h¨alt bei so stark gekr¨ummter Raumzeit eine ganze Reihe von Fallstricken bereit! F¨ur tiefer interessierte Leser folgen nun einige Formeln und quantitative Angaben, die die Beobachterabh¨angigkeit in der ART noch mehr unterstreichen. Wer gerne rechnet, kann mit diesen Angaben die Verh¨altnisse in der N¨ahe von Schwarzen L¨ochern selbst sondieren (dabei auf einheitliche“ ” Einheiten achten, am besten nur m , s und kg verwenden). M ist die Masse des Lochs/Zentralk¨orpers. Noch ein Hinweis zum Parameter r , der in der folgenden Tabelle h¨aufig vorkommt: r (und f¨ur kleine Differenzbetr¨age r ) steht f¨ur die RadiusKoordinate (siehe Abschnitt 2.3). Wichtig ist hierbei, daß dieser Parameter √ r nach der Formel A/4π bestimmt wird. Man denkt sich also eine Kugelschale symmetrisch um die Singularit¨at mit Fl¨ache A und berechnet daraus r . Der Sinn dieser zun¨achst umst¨andlich erscheinenden Meßvorschrift ergibt sich gleich aus dem ersten Tabelleneintrag: Radiale Abst¨ande sind f¨ur verschiedene Beobachter unterschiedlich groß; nicht jedoch tangentiale Abst¨ande! Soweit die Formeln auch außerhalb des Ereignishorizonts anwendbar sind, gelten sie nicht nur f¨ur nicht-rotierende Schwarze L¨ocher, sondern auch f¨ur andere (starke) Gravitationsfelder, z.B. in der Umgebung von nicht oder langsam rotierenden Neutronensternen oder Weißen Zwergen. Beispielrechnung: Wie hoch ist f¨ur ein auf einem Neutronenstern (M = 1, 5 Sonnenmassen, r = 10 km) ruhendes Wesen W ein dortiger Berg“, ” der f¨ur einen weit entfernten Beobachter die H¨ohe r = 1 mm hat? (Auf Neutronensternen sind Berge wirklich so klein!) Die H¨ohe des Berges aus Sicht von W berechnen wir mit Hilfe der Formel aus der ersten Zeile der Tabelle, ganz links:
r W =
r 2·G·M 1− r · c2
mit r = 1 mm = 10−3 m M = 1, 5 Sonnenmassen = 1, 5 · 1, 989 · 1030 kg r = 10 km = 104 m
10−3 m r W = m3 · 1, 5 · 1, 989 · 1030 kg 2 · 6, 674 · 10−11 kg · s2 1 − m 104 m · (2, 998 · 108 )2 s −3 r W = 1, 34 · 10 m = 1, 34 mm
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
aus Sicht eines √Beobachters, der bei r ruht (mit r = A/4π ) Wert einer kleinen radialen101 Entfernungsdifferenz r (f¨ur weit entfernten Beobachter)
Wert einer kleinen Zeitdifferenz t auf einer Uhr bei r (f¨ur weit entfernten Beobachter)
Energie eines aus dem Unendlichen (dort urspr¨unglich ruhend) frei einfallenden K¨orpers bei r (m = Ruhemasse)
Energie eines im Unendlichen mit Energie E gestarteten Photons oder Lichtblitzes auf H¨ohe von r
r
2G M r · c2 Wert w¨achst bei kleiner werdendem r an, am Horizont sogar ins Unendliche 1−
t ·
1−
2G M r · c2
1
m · c2 ·
2G M r · c2 (wird am Horizont unendlich!) nur lokale Meßgr¨oße (Ruheenergie + relativistische kinetische Energie)102 1−
E 1−
2G M r · c2
101
Kleine tangentiale Entfernungsdifferenzen sind f¨ur alle drei Beobachter gleich groß. 102 Nicht zu verwechseln mit der Energie eines bei r fixierten Testk¨orpers: 2G M 2 E f ix = m · c · 1 − r · c2 Das Absinken dieses Werts in Horizontn¨ahe ist Ausdruck des negativen Beitrags der gravitativen Bindung (in großer Entfernung betr¨agt E f i x = m · c2 = Ruheenergie des K¨orpers; am Horizont geht E f i x gegen null). Zur Veranschaulichung dieses Zusammenhangs: Senkt man einen K¨orper St¨uck f¨ur St¨uck langsam in Richtung eines Schwarzen Lochs ab, so k¨onnte dadurch auf jeder einzelnen Etappe Energie gewonnen werden, die man z.B. per Laser in die Ferne senden k¨onnte. Hand in Hand
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher
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Beobachter in (gedachter) unendlicher Entfernung
radial frei fallender Beobachter, der urspr¨unglich im Unendlichen in Ruhe war
r
r
Kann aus Sicht dieses Beobachters als radiale Raumkontraktion interpretiert werden (bezogen auf Beobachter, der bei r ruht).
(Gilt nur f¨ur gleichzeitige Ereignisse.) Ist in Bezug auf den bei r ruhenden Beobachter eine Raumkontraktion der SRT!
gravitative Zeitdilatation (bezogen auf Beobachter, der bei r ruht)
Ein Freifaller sieht keine gravitative Zeitdilatation. Seine Wahrnehmung des Uhrenlaufs wird allein vom Doppler-Effekt der SRT und damit von der momentanen Relativgeschwindigkeit bestimmt.
m · c2
m · c2
E
E
t
F¨ur den Neutronensternbewohner W ist der Berg 1,34 mm hoch, also immerhin 34% h¨oher als f¨ur den weit entfernten Beobachter! Einen Haken hat die Sache nat¨urlich: Das Wesen wird sofort zerquetscht! Wenn es n¨amlich eine Masse m = 75 kg hat, dann wiegt es auf der Neutronensternoberfl¨ache (vergleiche Abschnitt 2.3): damit nimmt E f i x ab. Ist der K¨orper (als Grenzfall) am Ereignishorizont angelangt, kann man durch weiteres Absenken des K¨orpers dagegen keine in der Ferne nutzbare Energie mehr gewinnen, denn ein dort abgestrahlter Laserblitz kommt in der Ferne mit der Energie null an! Deshalb geht E f i x am Ereignishorizont gegen null. Beim Absenken eines K¨orpers aus großer Entfernung bis zu einem Abstand r wird die Energie m · c2 − E f i x frei; einen bei r fixierten K¨orper wieder in große Entfernung zu bringen, erfordert dieselbe Energie.
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
aus Sicht eines √Beobachters, der bei r ruht (mit r = A/4π ) 2G M 2G M − r r0 − 2G M 1− r0 · c2
Endgeschwindigkeit bei radialem Fall von r0 (dort urspr¨unglich in Ruhe) nach r
Erreicht am Horizont immer −c ! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Sonderfall: Fallgeschwindigkeit eines K¨orpers bei radialem Fall aus dem Unendlichen (dort urspr¨unglich in Ruhe) bei r
2G M r Steigt kontinuierlich bis zum Horizont und erreicht dort −c (bei 4 R betr¨agt der Wert −0, 5 c). −
Eigenzeit f¨ur radialen Fall aus Abstand ——– r (dort urspr¨unglich in Ruhe) zur Singularit¨at – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Spezialfall: Eigenzeit f¨ur Fall vom ——– Horizont zur Singularit¨at
Eigenzeit f¨ur radialen Fall (bei Start ——– mit v = 0 im Unendlichen) von r0 nach r – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Sonderfall: Eigenzeit f¨ur radialen Fall ——– vom Horizont zur Singularit¨at (bei Start im Unendlichen mit v = 0)
FG =
G· M ·m · r2
1 2·G·M 1− r · c2
= 2 · 1014 N
Dies entspricht etwa der Kraft, mit der ein Bergmassiv mit einem Volumen von 8 Kubikkilometern auf der Erdkruste lastet (Die Dichte von Gestein betr¨agt etwa 2, 5 · 103 kg/m3 )!
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher Beobachter in (gedachter) unendlicher Entfernung 2G M 2G M − 2G M r r0 − 1− · 2G M r · c2 1− r0 · c2
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radial frei fallender Beobachter, der urspr¨unglich im Unendlichen in Ruhe war ——–
Erreicht am Horizont immer null! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Geschwindigkeit aus eigener Sicht 2G M 2G M nat¨urlich 0; relativ zum in fixer Entfer· − 1− nung ruhenden Beobachter: Siehe bei r · c2 r Steigt zun¨achst bis Maximum bei r = diesem! 3R (−0, 385 c), f¨allt dann bis zum Horizont (dort 0 c). ——–
r3 π· 8G M – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – ——– GM π· 3 c f¨ur M = 3 Sonnenmassen: 46 μs; f¨ur M = 3 Mrd. Sonnenmassen: 13 Stunden! √ 1 2 · · r03 − r 3 3 GM – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – ——– 4 GM · 3 c3 f¨ur M = 3 Sonnenmassen: 20 μs ! ——–
N¨ahert man sich dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs, dann werden die Bedingungen noch viel extremer als auf einem Neutronenstern. Anmerkung zu den letzten vier Tabellenzeilen: Pflichtergebenen Astronauten, die auch nach dem Sturz durch den Ereignishorizont noch eine wichtige Aufgabe vollenden wollen, kann man Hoffnung machen: Nach Passage ¨ des Ereignishorizonts mit einer Geschwindigkeit > 0 k¨onnen sie ihre Uberlebenszeit durch den Einsatz von Bremsraketen ein wenig verl¨angern. Wer
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
aus Sicht eines √Beobachters, der bei r ruht (mit r = A/4π ) Geschwindigkeit materieller K¨orper auf Kreisbahn bei r
GM 2G M r · 1− r · c2 – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Wert f¨ur die innerste stabile Kreisbahn 0, 5 c (3 R )
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Wert f¨ur die innerste instabile Kreisc bahn (1, 5 R ) radiale Geschwindigkeit des Lichts c (lokal gemessen) tangentiale Geschwindigkeit des Lichts c (lokal gemessen) Wert der Geschwindigkeit des Lichts am Horizont
Bis beliebig nahe am Horizont ergeben lokale Messungen immer c .
Lichtlaufzeit vom Horizont zur Singularit¨at
——–
allerdings mit Geschwindigkeit = 0 am Ereignishorizont startet, verk¨urzt sei¨ ne Uberlebenszeit durch solche Man¨over nur (siehe G.F. Lewis, J. Kwan: No way back: Maximizing survival time below the Schwarzschild event horizon, Publications of the Astronomical Society of Australia 2007, 24, 46-52)! Wer den letzten Tabelleneintrag dazu benutzt, rein formal die Geschwindigkeit des Lichts beim Weg vom Ereignishorizont zur Singularit¨at zu berechnen, st¨oßt (unabh¨angig von der Masse des Lochs) stets auf dieselbe ¨ Uberlichtgeschwindigkeit“: ”
3.2 Aufbau und Eigenschaften Schwarzer L¨ocher Beobachter in (gedachter) unendlicher Entfernung
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radial frei fallender Beobachter, der urspr¨unglich im Unendlichen in Ruhe war ——–
GM r
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 0, 41 c ——– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – 0, 58 c ——–
2G M ±c · 1 − r · c2
c
am Horizont: null
c
2G M ±c · 1 − r · c2 am Horizont: null; am Photonenorbit (1, 5 R ): 0, 58 c strebt gegen null ——–
Bis beliebig nahe am Horizont ergeben lokale Messungen immer c. GM c3 Wert f¨ur ein Schwarzes Loch mit 3 Sonnenmassen: 11, 4 μs 0, 773 ·
R = Lichtlaufzeit
2G M c2 = 2, 59 c ! GM 0, 773 · 3 c
¨ Diese Uberlichtgeschwindigkeit ist aber nur scheinbar, weil die Weg” strecke“ 1 R kein Abstandswert im u¨ blichen Sinne ist. Mit Hilfe der Tabelle erkennt man beispielsweise, daß das 3. Keplersche Gesetz f¨ur Kreisbahnen bis hinab zu r = 3R gilt, wenn man konsequent mit den Parametern des entfernten Beobachters rechnet:
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Die Welt der Schwarzen L¨ocher
Umlaufzeit = Umfang / Bahngeschwindigkeit 2π r = GM r (der Term f¨ur die Bahngeschwindigkeit stammt aus der Tabelle) ⇒
(Umlaufzeit)2 =
4 π2 · r3 , GM
was offensichtlich proportional zu r 3 ist, wie vom 3. Keplerschen Gesetz gefordert (denn f¨ur einen gegebenen Himmelsk¨orper ist M ja eine konstante Gr¨oße)! Und auch noch ein Hinweis f¨ur Leser, die nun gleich tiefer einsteigen wollen: Im Kapitel u¨ ber die SRT ist erw¨ahnt worden, daß in der Fachliteratur meist c = 1 gesetzt wird, was dazu f¨uhrt, daß c in allen Gleichungen entfallen kann, und es erlaubt, Zeitabschnitte in Metern (eben Lichtlaufstrecke) auszudr¨ucken, oder wahlweise auch Strecken in Sekunden (Lichtlaufzeit). In der ART gehen die meisten Texte noch einen Schritt weiter und setzen zus¨atzlich die Gravitationskonstante G = 1 ! Dann k¨onnen in allen Gleichungen c und G entfallen. Der Schwarzschild-Radius wird in dieser Schreibweise einfach 2 m“. Das kleine m nennen die meisten Autoren dann ” Gravitationsl¨ange“.Diese Wortwahl macht durchaus Sinn, denn mit G = 1 ” k¨onnen das Kilogramm und somit alle Massen in Metern (oder wahlweise auch in Sekunden) ausgedr¨uckt werden: 6, 674 · 10−11 m3 kg · s2 6, 674 · 10−11 m3 1 kg = (299 792 458 m)2
G=1= ⇒ ⇒
1 kg = 7, 43 · 10
−28
(die Zahl in der Klammer ist die Lichtlaufstrecke w¨ahrend einer Sekunde)
m!
Die Gravitationsl¨ange eines K¨orpers ist dabei immer die H¨alfte des Schwarzschild-Radius, wenn dieser K¨orper ein Schwarzes Loch w¨are. Mit dieser Verkn¨upfung zwischen Kilogramm, Meter und Sekunde lassen sich nun auch von diesen Einheiten abgeleitete Einheiten (f¨ur Energie, Kraft, Beschleunigung...) in Metern oder auch Sekunden ausdr¨ucken. Die Beschleunigung als einfaches Beispiel wird von m/s2 zu 1/m abge¨andert. Wir verzichten der Deutlichkeit halber auf solche abgek¨urzte Schreibweisen. Der Leser wird es zun¨achst kaum glauben, aber diese Gravitationsl¨ange spielt sogar in der Quantenwelt eine eminent wichtige Rolle! Dazu u¨ berlegen
3.3 Zwerge und Giganten
275
wir uns zun¨achst, welche Masse das kleinste theoretisch denkbare Schwarze Loch h¨atte: Dieses m¨ußte sofort in zwei Photonen (genauer: ein Photon und ein Antiphoton; diese sind aber identisch) zerfallen (Hawking-Strahlung), wobei aber der Energieerhaltungssatz gelten muß: Masse des Mini-Lochs · c2 = 2 · h · ν ⇒ ⇒
m · c2 = 2 · h · c / λ λ = 2 · h / (m · c)
(h = Plancksche Konstante, ν = Frequenz der Strahlung, λ = Wellenl¨ange; es gilt: λ · ν = c) Diese Wellenl¨ange der Hawking-Strahlung ist aber genauso groß wie der Umfang des gesuchten Lochs (siehe oben): Umfang = 2 π · Schwarzschild-Radius = 2 π · 2 · G · m/c2 = 2 · h/(m · c) h·c = 2, 18 · 10−8 kg ⇒ m = 2π · G Diese Masse des kleinsten denkbaren Schwarzen Lochs heißt Planck-Masse. Rechnet man diese Masse mittels der oben angegebenen Umrechnungsvorschrift in die Gravitationsl¨ange um (7, 43 · 10−28 · 2, 18 · 10−8 ), ergibt sich 1, 62 · 10−35 m. Dies ist die Planck-L¨ange, die kleinste in der Natur vorkommende L¨ange! Alternativ kann der Rechenweg so erfolgen: Man setzt in die Formel λ = 2 · h / (m · c) die oben errechnete Planck-Masse ein, das Ergebnis ist die Wellenl¨ange der Strahlung, welche gleichzeitig der Umfang des Mini-Lochs ist. Dieser Wert wird durch 2 π dividiert, um den Schwarzschild-Radius zu erhalten; die Gravitationsl¨ange ist dann noch einmal die H¨alfte davon. Rechnet man schließlich aus, wie lange das Licht auf der Planck-L¨ange unterwegs ist (Planck-L¨ange/c), dann ergibt sich 5, 39 · 10−44 s. Diese kleinste denkbare Zeitportion heißt Planck-Zeit. So kurz also sind die Wege von der Astronomie zur Welt des Allerkleinsten!
3.3 Zwerge und Giganten Fast alle bisher vermuteten Schwarzen L¨ocher lassen sich in zwei Kategorien einteilen; die folgende Tabelle gibt dazu Einzelheiten:
276
3
Die Welt der Schwarzen L¨ocher
Stellare Schwarze L¨ocher
Supermassive Schwarze L¨ocher
Entstehung
Endprodukt des Kollapses schwerer Sterne (leichtere kollabieren zu Neutronensternen, noch leichtere zu Weißen Zwergen) oder Verschmelzungsprodukt von 2 Neutronensternen
Noch umstritten: Kurz nach dem Urknall oder als Verschmelzungsprodukt zahlreicher stellarer Schwarzer L¨ocher oder anderer (kompakter) K¨orper
Masse
ca. 3 − 30 Sonnenmassen
Millionen bis Sonnenmassen
SchwarzschildRadius
ca. 10 − 100 Kilometer
u¨ ber 1 Mio. Kilometer
Vorkommen
in allen Abschnitten einer im Kern vieler Galaxien103 Galaxie
Beispiele
Cygnus X-1
Sgr A* im Zentrum der Milchstraße104
Auffindetechnik
z.B.: Ein sichtbarer Stern umkreist ein schweres unsichtbares Objekt (wenn beide ein Doppelsternsystem bilden) → DopplerVerschiebung105
Messung hoher Bewegungsgeschwindigkeiten um das Zentrum einer Galaxie deutet auf extrem große Massenkonzentration auf sehr kleinem Raum hin
Gezeitenkr¨afte am Horizont
extrem stark (siehe Text in schwach Abschnitt 3.2)
Gravitationsbeschleunigung bei z.B. 1, 1 R
stark
schwach (siehe Abschnitt 3.2)
Milliarden
Text
in
In j¨ungster Zeit sind auch eine Anzahl Schwarzer L¨ocher mit Zwi” schengr¨oßen“ (einige Tausend Sonnenmassen) gefunden worden (u.a. in Kugelsternhaufen), deren Entstehungsmechanismus unbekannt ist. M¨oglicherweise sind sie auch Verschmelzungsprodukte mehrerer stellarer Schwarzer L¨ocher oder sie konnten durch den Einfall anderer Materie wachsen. 103
wahrscheinlich in allen Galaxien mit einer sogenannten Zentralverdickung ( bulge“) ” 104 sprich: Sagittarius A-Stern 105 in der Praxis zus¨atzliche Nachweisverfahren n¨otig
3.4 Besonderheiten rotierender Schwarzer L¨ocher
277
Daß einfallende Materie sp¨atestens beim Erreichen der Singularit¨at durch die Gezeitenkr¨afte v¨ollig zermahlen wird, braucht wohl nicht betont zu werden; gleichzeitig mit jedem Massenzuwachs vergr¨oßert sich der Schwarzschild-Radius gem¨aß (3.3). Daß dabei auch Antimaterie (z.B. die oben schon erw¨ahnten Positronen) konsumiert werden kann, steht fest, diese wird also nicht etwa abgestoßen! Auch einfallende Strahlung f¨uhrt zu einer Massenvermehrung des Schwarzen Lochs; das gilt f¨ur elektromagnetische und Gravitationswellen. Die massereichsten der heute vermuteten Schwarzen L¨ocher (meist in den Zentralgalaxien der Galaxienhaufen) weisen rein formal eine zun¨achst u¨ berraschend klingende Eigenschaft auf: Gemittelt u¨ ber das ganze Volumen ihres Ereignishorizonts ist ihre Dichte (= Masse pro Volumen) extrem gering. Zum Beispiel ergibt sich f¨ur ein Black Hole mit vier Milliarden Sonnenmassen (dasjenige in M87, der Zentralgalaxie des Virgohaufens, liegt in diesem Bereich) eine geringere Durchschnittsdichte als die unserer Atemluft! Der Grund daf¨ur ist einfach zu verstehen: • Die Masse eines Schwarzen Lochs ist proportional zu seinem Radius (siehe (3.3)), • das Volumen aber ist nach euklidischer Berechnung proportional zu Radius3 (VK ugel = 43 π · R 3 ). Bei gr¨oßer werdendem Schwarzem Loch steigt deshalb das Volumen schneller als die Masse, damit sinkt die Quasi-Dichte106 (= Masse / Volumen) bei steigendem Radius ab! Ist schon eine verr¨uckte Welt mit diesen Schwarzen L¨ochern.
3.4 Besonderheiten rotierender Schwarzer L¨ocher Nicht-rotierende Schwarze L¨ocher, wie sie bisher besprochen wurden, d¨urften in der Realit¨at eher die Ausnahme sein. Denn es rotieren praktisch alle Himmelsk¨orper, also bestimmt auch die Vorl¨auferobjekte von Schwarzen L¨ochern, bei deren Kollaps der Drehimpuls nat¨urlich erhalten bleibt. Wegen des viel kleineren Radius“ der Black Holes im Vergleich zu ihren ” Vorl¨auferhimmelsk¨orpern d¨urften sie sogar extrem hohe Rotationsfrequenzen besitzen (Pirouetten-Effekt). Rotierende Schwarze L¨ocher weisen eine zus¨atzliche morphologische Struktur auf, die Ergosph¨are. Auch die Singularit¨at eines rotierenden Schwarzen Lochs ist (ringf¨ormig) deformiert (nach der von dem neuseel¨andischen Mathematiker R. Kerr 1963 gefundenen L¨osung der Einsteinschen Feldgleichungen). Infolge der Dre106
Quasi-Dichte deshalb, weil nach der ART die gesamte Masse in der Singularit¨at konzentriert ist; dort ist die Dichte unendlich.
278
3
Die Welt der Schwarzen L¨ocher
Querschnitt durch ein rotierendes Schwarzes Loch entlang der Drehachse (hier und in der folgenden Abbildung sind die Strukturen nicht maßstabsgerecht dargestellt.)
hung des Schwarzen Loches wird der Raum in seiner Umgebung mitgezogen, a¨ hnlich wie ein R¨uhrger¨at einen z¨ahen Teig in der R¨uhrsch¨ussel mitzieht. Dieser Effekt heißt deshalb Mitschleppen der Inertialsysteme“ (anglo” amerikanisch: Frame-dragging“), eine andere Bezeichnung ist Lense” 107 ” Thirring-Effekt“ . Die Winkelgeschwindigkeit des mitgezogenen Raums ist nat¨urlich direkt am Ereignishorizont am h¨ochsten (dort rotieren beide gleich schnell) und f¨allt nach außen hin kontinuierlich ab. Form, Entstehung und Eigenschaften der Ergosph¨are kann man sich am besten dadurch veranschaulichen, daß man die in Abschnitt 3.2 angesprochene Flußgeschwindigkeit des Raums im Bereich Schwarzer L¨ocher heranzieht: Wie bei einem nicht-rotierenden Loch betr¨agt die nach innen gerichtete Geschwindigkeitskomponente am Ereignishorizont c, außerhalb davon weniger als c . Wegen der Rotation eines Schwarzen Lochs tritt aber knapp außerhalb des Ereignishorizonts neben der dort unterlichtschnellen radialen108 Komponente des Raum-Flusses eine zus¨atzliche tangentiale Kompo107 108
Oberbegriff: Gravitomagnetismus der ART radial: auf die Singularit¨at gerichtet
3.4 Besonderheiten rotierender Schwarzer L¨ocher
279
nente auf, so daß die Gesamtflußgeschwindigkeit dort (also außerhalb des Ereignishorizonts) u¨ berlichtschnell wird (siehe Schemazeichnung unten)! Erst in gr¨oßerem Abstand vom Ereignishorizont sinken Radial- und Tangentialkomponente der Raum-Flußgeschwindigkeit wieder so weit ab, daß die Gesamtgeschwindigkeit c unterschreitet: Genau dort ist die statische Grenze, die Außengrenze der Ergosph¨are. Innerhalb der Ergosph¨are besteht demnach ein u¨ berlichtschneller Fluß des Raums spiralf¨ormig nach innen. Damit wird auch die Form der Ergosph¨are ¨ verst¨andlich: Am Aquator ist sie am breitesten, weil dort der tangentiale Anteil des Raum-Flusses am gr¨oßten ist, und an den Rotationspolen verschwindet sie, weil dort dieser tangentiale Anteil null wird! Verwendet man wieder die nicht der Gravitation unterliegenden statischen Punkte (siehe Abschnitt 3.2), dann ergibt sich folgendes Bild:
280
3
Die Welt der Schwarzen L¨ocher
Die kreisf¨ormigen Lichtfronten sind nicht nur nach innen, sondern auch in Drehrichtung des Lochs verschoben. Und nicht nur statische Punkte innerhalb des Ereignishorizonts liegen außerhalb ihrer eigenen Lichtfront, sondern auch die innerhalb der Ergosph¨are (siehe Punkt 6). Punkt Nr. 5 ist der letzte, der direkten Kontakt zu seiner Lichtfront hat. Dies bedeu¨ tet, daß der Raum innerhalb der Ergosph¨are mit Uberlichtgeschwindigkeit fließt! Setzt man zur Beschreibung der Raumzeit in der Umgebung eines rotierenden Schwarzen Lochs Zukunfts-Lichtkegel ein, so ergibt sich folgender Befund: • In der Ergosph¨are sind die Lichtkegel – soweit in Drehrichtung des Lochs geneigt, daß die gesamte Zukunft eines materiellen Teilchens nur in dieser Richtung liegt; nichts mehr kann sich in Gegenrichtung bewegen! – auch ein wenig zur Singularit¨at geneigt. Eine Flucht nach außen w¨are hier noch m¨oglich. • Innerhalb des Ereignishorizonts sind die Lichtkegel zus¨atzlich soweit nach innen geneigt, daß die gesamte Zukunft eines Teilchens auch nur noch in Richtung der Singularit¨at liegt; nichts mehr kann sich von ihr entfernen. Hier ist weder eine Bewegung entgegen der Drehrichtung (wie schon in der Ergosph¨are) noch eine Flucht nach außen m¨oglich. Warum heißt nun die statische Grenze so? Minimal außerhalb der statischen Grenze k¨onnte z.B. ein Raumschiff (durch eine maximale Schubkraft) seine Position (bezogen auf die Fixsternumgebung) beibehalten, also statisch bleiben. In tangentialer Richtung ist dabei ein Raketenschub nur w¨ahrend des Ab- oder Aufstiegs erforderlich! (Aussage gilt f¨ur a¨ quatoriale Kreisbahn). Innerhalb der statischen Grenze k¨onnte aber selbst der st¨arkste Gegenschub eine Mitrotation nicht mehr verhindern! F¨ur ein zun¨achst nicht mitrotierendes Teilchen (das ja eigentlich gegen den Strom des Raums schwimmt) betr¨agt die Entweichgeschwindigkeit an der statischen Grenze somit c . Mitrotierende Teilchen (und Licht) k¨onnen dagegen die Ergosph¨are prinzipiell wieder verlassen (siehe unten). K¨orper mit zun¨achst fehlender tangentialer Geschwindigkeitskomponente, die in die Ergosph¨are geraten, werden nat¨urlich vom herumspiralenden Raum gezwungen, mitzurotieren. In kurzer Zeit erreichen sie die gleiche tangentiale Geschwindigkeit wie der Raum selbst, vergleichbar einem Staubkorn, das in einen Wasserstrudel f¨allt. Nichts, nicht einmal Licht, kann
3.4 Besonderheiten rotierender Schwarzer L¨ocher
281
geradlinig radial in ein rotierendes Schwarzes Loch fallen109 . Vielmehr wird (f¨ur einen entfernten Beobachter) alles auf eine spiralf¨ormige Bahn gezwungen. Dies w¨urde auch f¨ur eine Rakete gelten, die sich bem¨uhen w¨urde, das Schwarze Loch entgegen dessen Drehrichtung zu umkreisen: Bezogen auf den fernen Beobachter m¨ußte sie in der Ergosph¨are ihre Umlaufrichtung a¨ ndern, trotz st¨arkstem denkbarem Gegenschub! Wie bei nicht-rotierenden L¨ochern ist erst der Ereignishorizont die Grenze ohne Wiederkehr; er ist auch hier kugelf¨ormig. Eingefallene Materie sammelt sich f¨ur den entfernten Beobachter dort und rotiert ewig mit dem Horizont (nach theoretischen Berechnungen; die Materie dort ist wegen der gravitativen Rotverschiebung nicht mehr sichtbar). Anders sieht das ein eingefallener Beobachter: Er f¨allt durch den Ereignishorizont weiter zur Singularit¨at. Eine mitrotierende Rakete k¨onnte bei ausreichendem Schub die Ergosph¨are unbeschadet wieder verlassen, solange sie den Horizont nicht ber¨uhrt. Rotierende Schwarze L¨ocher bieten einen dritten Weg, Schwarzen L¨ochern Energie zu entziehen (neben der Hawking-Strahlung und der Gravitationswellenabstrahlung im Rahmen der Kollision von Black Holes, siehe Abschnitt 3.2). Hierzu bringt man einen K¨orper mit niedriger kinetischer Energie tangential in Drehrichtung in die Ergosph¨are ein und l¨aßt ihn dort so in zwei Bruchst¨ucke explodieren, daß sich die zwei Teile in tangentialer Richtung des Schwarzen Loches voneinander entfernen. Das in Drehrichtung beschleunigte Bruchst¨uck kann dann (wegen des Lense-Thirring-Effekts) mit stark erh¨ohter kinetischer Energie die Ergosph¨are wieder verlassen. Der Energiezuwachs dieses Bruchst¨ucks entstammt der Rotationsenergie des Schwarzen Loches, dieses dreht sich nun also langsamer. Das entgegen der Drehrichtung beschleunigte Bruchst¨uck f¨allt − mit negativer“ Energie ” behaftet − nach innen. Zur Bedeutung des Wortes negative Energie“ in diesem Zusammenhang: ” Die meisten Autoren lassen ihre Leser leider mit dieser etwas mysteri¨osen Bezeichnung im Regen stehen, dabei l¨aßt es sich verst¨andlich sagen: Der entgegen der Drehrichtung beschleunigte Teilk¨orper hat dann eine negative Energie, wenn mehr Energie als seine Ruheenergie (Ruhemasse · c2 ) aufgewendet werden m¨ußte, um ihn in große Entfernung zum Schwarzen Loch zu bringen. Denn er m¨ußte hierf¨ur zun¨achst unter Energieaufwand zur Mitrotation (zur¨uck-)gebracht werden; zusammen mit der nachfolgenden Hubarbeit“ bis ” in große Entfernung erfordert dies eine Energie von mehr als Ruhemasse · c2 . 109
Lediglich bis zur statischen Grenze w¨are eine geradlinige radiale Ann¨aherung m¨oglich, allerdings nur unter Kraftaufwand.
282
3
Die Welt der Schwarzen L¨ocher
Da beide Teilmassen mit einer minimalen kinetischen Energie in die Ergosph¨are gelangt sind, die in Drehrichtung beschleunigte Teilmasse aber mit hoher Energie entkommt, muß die Rotationsenergiebilanz f¨ur das Schwarze Loch negativ sein − es hat Miese gemacht, dreht sich nun also langsamer! Es mußte das entkommene Teilchen mit Zusatzenergie ausstatten und das andere zur Mitrotation zur¨uckzwingen. Der Name Ergosph¨are (oder Ergoregion) kommt von der Tatsache, daß bei Durchf¨uhrung des oben geschilderten Man¨overs (in dieser Region und nur dort) dem Schwarzen Loch Energie entzogen werden k¨onnte (ergon: griechisch f¨ur Arbeit). Entdeckt hat diese M¨oglichkeit der Energieentnahme Roger Penrose, man spricht vom Penrose-Prozeß. Das Rotieren eines Schwarzen Lochs beeinflußt auch das Ph¨anomen der Lichtablenkung: Beispielsweise w¨are der in Abschnitt 3.2 dargestellte Einstein-Ring (bei bzw. trotz Ausrichtung von gelinstem Objekt, rotierendem Loch und Beobachter genau auf einer geraden Linie) ungleichm¨aßig dick und auch etwas exzentrisch. An der statischen Grenze entgegen der Drehrichtung abgestrahltes Licht bleibt f¨ur einen entfernten Beobachter station¨ar; innerhalb dieser Grenze muß es (wie Materie auch) mitrotieren, das heißt, es muß noch beim Verlassen der Lichtquelle umkehren! Am schnellsten erfolgt diese erzwungene ¨ Mitrotation des entgegen der Drehrichtung abgestrahlten Lichts am Aquator des Horizonts, bei maximaler Rotation (siehe unten) sogar mit c . Hinweis: Auch jeder andere rotierende Himmelsk¨orper zieht den Raum in seiner Umgebung mit, aber mit wesentlich niedrigerer Geschwindigkeit. F¨ur ein nicht mitrotierendes Teilchen bleibt hierbei die Entweichgeschwindigkeit stets kleiner als c . Rotierende Weiße Zwerge oder Neutronensterne (typische Entweichgeschwindigkeiten: 0, 015 c bzw. 0, 5 c ) k¨onnen daher keine Ergosph¨are ausbilden. Dieser Lense-Thirring-Effekt ist der Newtonschen Theorie v¨ollig fremd: In ihr ist die Struktur eines Gravitationsfeldes g¨anzlich unabh¨angig von der Rotationsfrequenz des gravitierenden K¨orpers (sofern er kugelf¨ormig ist). Der Effekt hat u¨ brigens nichts mit der (rotationsunabh¨angigen!) Periheldrehung zu tun, beide Ph¨anomene treten simultan auf. Die Zusatzausstattung“ eines rotierenden Schwarzen Loches mit einer ” Ergosph¨are darf aber nicht dahingehend mißverstanden werden, daß es gr¨oßer sei als ein massegleiches nicht-rotierendes! Das Gegenteil ist der Fall: Durch die Rotation schrumpft der kugelf¨ormige Ereignishorizont; der ¨ ¨ Aquator der Ergosph¨are nimmt den Platz des Aquators des nicht-rotierenden Lochs ein. Da die Außengrenze der Ergosph¨are ein Ellipsoid ist, hat das rotierende Loch (nach euklidischer“ Berechnung) im Endeffekt ein gerin” geres Volumen als ein nicht-rotierendes!
3.4 Besonderheiten rotierender Schwarzer L¨ocher
283
Auch die innerste stabile Bahn f¨ur materielle Teilchen r¨uckt bei zunehmender Rotationsfrequenz weiter nach innen, ebenso der Photonenorbit (siehe auch unten: Daten f¨ur L¨ocher mit maximaler Rotation). Wegen der Abh¨angigkeit der Horizontgr¨oße von der Rotationsfrequenz (langsamere Drehung → gr¨oßere Horizontfl¨ache) ist es auch kein Widerspruch, daß beim Penrose-Prozeß trotz Energieentnahme die Horizontfl¨ache zunimmt!
¨ alle Drei reichen fur Jedes Schwarze Loch ist durch nur drei Parameter eindeutig charakterisiert: Masse, Drehimpuls und elektrische Ladung. Diese drei Parameter k¨onnen bei den verschiedensten Prozessen und Wechselwirkungen zu- oder abnehmen, aber die Horizontoberfl¨ache kann nur zunehmen (Ausnahme: Hawking-Strahlung). Alle anderen Werte (Gr¨oße, Temperatur, Leuchtkraft etc.) sind durch diese drei Parameter festgelegt. Und jede noch so komplexe Struktur des Vorl¨auferhimmelsk¨orpers und nachfolgend einfallender Materie geht unwiederbringlich verloren ( No-Hair-Theorem“). Denn es ergeben ” sich identische Schwarze L¨ocher, wenn • ein Schwarzes Loch mit vier Sonnenmassen direkt bei einer Supernova entsteht, • ein anderes seine Schwarzes-Loch-Karriere mit nur drei Sonnenmassen beginnt und dann sekund¨ar (durch radialen Materieeinfall) auf vier Sonnenmassen hochgef¨uttert“ wird, auch unabh¨angig von der Art der ” zugef¨uhrten Masse, egal ob Asteroiden, Antimaterie, Am¨oben, Autos, Atomraketen oder Apfelstrudel! Um letzteren w¨are es als Black-HoleFutter ohnehin viel zu schade, liefern Sie ihn lieber bei den Autoren ab. ¨ Schwarze L¨ocher mit maximaler Rotation (die meisten realen Daten fur Schwarzen L¨ocher d¨urften maximal oder fast maximal rotieren): • Der Radius des Ereignishorizonts hat sich halbiert (im Vergleich zum Ruhezustand). • 29% der Masse des Schwarzen Lochs entstammen der Rotationsenergie! ¨ • Die Drehgeschwindigkeit des Ereignishorizonts betr¨agt am Aquator c! F¨ur den entfernten Beobachter rotieren Materie und auch Licht dort mit c (real ist dies aber nicht beobachtbar: gravitative Rotverschiebung dort unendlich groß). • Die radiale Geschwindigkeitskomponente des Raums an der statischen √ ¨ Grenze betr¨agt am Aquator c/ 6 .
284
3
Die Welt der Schwarzen L¨ocher
¨ • Die ringf¨ormige Singularit¨at hat sich soweit vergr¨oßert, daß sie den Aqua¨ tor des Ereignishorizonts von innen ber¨uhrt, außen wird der Aquator vom geschrumpften Photonenorbit ber¨uhrt. ¨ • Auch die innerste stabile Kreisbahn liegt nun am Aquator des Ereignishorizonts. Dieser, die ringf¨ormige Singularit¨at, der Photonenorbit und die innerste stabile Kreisbahn fallen nun also zusammen! Die beiden letztgenannten Bahnen wandern“ also mit zunehmender Rota” ¨ tionsfrequenz durch die Ergosph¨are hindurch nach innen bis zum Aquator des Ereignishorizonts. Bis kurz vor der maximalen Rotationsfrequenz bleibt dabei diese Reihenfolge der Strukturen (von außen nach innen) erhalten: • • • •
Innerste stabile Kreisbahn, Photonenorbit, Ereignishorizont, Ringsingularit¨at.
Im Zusammenhang mit rotierenden L¨ochern ist oft von sich drehender Raumzeit die Rede. In der Raumzeit ist die Zeit jedoch schon enthalten; was sich hier im zeitlichen Verlauf bewegt, kann also allenfalls der Raum sein. Richtiger ist es daher, vom rotierenden Raum zu sprechen. Zum Schluß dieses Kapitels u¨ ber die Schwarzen L¨ocher noch einige historische Daten zu diesen exotischen Himmelsk¨orpern: Die Frage nach der Existenz von Masseansammlungen mit so starker Schwerkraft, daß sie nicht einmal (Newtonsche) Lichtkorpuskel entkommen lassen, haben erstmals der englische Priester J. Michell und kurz darauf auch Laplace im 18. Jahrhundert aufgeworfen. Karl Schwarzschild fand die ein Schwarzes Loch (aber auch andere nicht-rotierende kugelf¨ormige Himmelsk¨orper) beschreibende L¨osung der Einsteinschen Feldgleichungen binnen weniger Wochen nach Ver¨offentlichung der ART. Erste quantitative Berechnungen des Kollapses eines massereichen Sterns zu einem Schwarzen Loch stammen von einer Gruppe um R. Oppenheimer aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Und den Namen Black Hole“ hat J.A. Wheeler ” gepr¨agt; den Ereignishorizont hat W. Rindler so getauft. In diesem Zusammenhang noch eine tabellarische Zusammenstellung der weniger bekannten Ph¨anomene der ART: Zum letzten Tabelleneintrag: Nat¨urlich beeinflußt der Lense-ThirringEffekt nicht nur die Drehachsen kleiner Gyroskope, sondern auch r¨aumlich sehr weit ausgedehnte Bahnen von (k¨unstlichen) Satelliten: Bildet n¨amlich ¨ deren Bahnebene einen Winkel gr¨oßer als null mit der Aquatorebene eines rotierenden Himmelsk¨orpers, dann wird wegen des Gravitomagnetismus ein Drehmoment auf die Bahn der Satelliten ausge¨ubt: Die Bahn pr¨azediert (f¨uhrt Kreiselbewegungen aus). Beides, sowohl Gyroskopachsenpr¨azession
3.4 Besonderheiten rotierender Schwarzer L¨ocher
285
Effekt
Ursache
Nachweis
Periheldrehung
Abweichungen vom quadratischen Abstandsgesetz in der gekr¨ummten Raumzeit erzwingen rosettenf¨ormige Bahnen. Der Effekt ist unabh¨angig von der Rotation des Zentralk¨orpers.
Genaue Positionsbestimmung eines umlaufenden K¨orpers u¨ ber einen ausreichend langen Zeitraum.
geod¨atische Pr¨azession
Raumkr¨ummung ver¨andert die Ausrichtung der Achse eines nicht ortsfesten rotierenden Kreisels. Effekt unabh¨angig von der Rotation des Zentralk¨orpers.
Ist ein Gyroskop (Kreiselkompaß) in einer Umlaufbahn um einen Zentralk¨orper, pr¨azediert die Gyroskopachse in der Bahnebene dieser Umlaufbahn.
Framedragging
Ein rotierender Zentralk¨orper zieht den Raum in seiner Umgebung mit.
Achse eines Gyroskops pr¨azediert in Richtung ¨ der Aquatorebene des rotierenden Zentralk¨orpers.
als auch die Pr¨azession großr¨aumiger Bahnen, wird f¨ur den praktischen Nachweis des Lense-Thirring-Effekts im Feld der rotierenden Erde genutzt: ersteres mittels der Raumsonde Gravity Probe B, letzteres mit Hilfe der LAGEOS-Satelliten. Weit hat uns dieser Text bisher gebracht: von ganz irdischen Autos, die an Straßenlaternen vorbeifahren oder auch einmal kollidieren bis zu kosmischen Allesschluckern, die sich mit Lichtgeschwindigkeit drehen! Im letzten Kapitel 4 werden wir die Rotverschiebung des Lichts ergr¨unden und mit diesem Wissen die Grenzen des beobachtbaren Universums untersuchen.
Kapitel 4
Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
In vielen popul¨arwissenschaftlichen Darstellungen, vor allem aus dem Bereich der Kosmologie, werden verschiedene Rotverschiebungsformen meist wild durcheinander gew¨urfelt. Wie in einem echten Zoo sollte man aber auch hier die Arten auseinanderhalten. Bei den Rotverschiebungsarten gilt es also, die verschiedenen Ursachen zu ergr¨unden, die zugeh¨origen (jeweils g¨anzlich verschiedenen!) Formeln ergeben sich dann sehr einfach, wie dieses Kapitel zeigen wird.
4.1 Was ist Rotverschiebung? Was bedeutet das Wort Rotverschiebung eigentlich? Untersucht man das Licht von Himmelsk¨orpern durch Aufspaltung in ein Spektrum ( Regenbogen“) z.B. mittels eines Prismas, dann zeigen sich darin ” Linien, die f¨ur bestimmte Bestandteile der Objekte (etwa Atome, Ionen) charakteristisch sind110 . Sind diese Linien aus noch zu besprechenden Gr¨unden (von ihrem urspr¨unglichen Ort im Spektrum bei einer Messung im Labor) zum langwelligen Ende des Spektrums hin verschoben, dann spricht man von Rotverschiebung. Im umgekehrten Fall, der Ver¨anderung in Richtung zum kurzwelligen Ende des Spektrums, heißt der Effekt Blauverschiebung (manchmal auch Violettverschiebung genannt). War eine bestimmte Spektrallinie im urspr¨unglichen Zustand (f¨ur einen Beobachter direkt am Objekt oder im irdischen Labor) bei der Wellenl¨ange λ zu finden und mißt man sie dann im Spektrum des Himmelsk¨orpers bei der
110
Bei der Sonne und sonnen¨ahnlichen Sternen: Fraunhofersche Linien, nach Joseph von Fraunhofer, 1787-1826, deutscher Optiker und Physiker. G. Beyvers, E. Krusch, Kleines 1 × 1 der Relativit¨atstheorie, 2. Aufl., C Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2009 DOI 10.1007/978-3-540-85202-5 4,
287
288
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
gr¨oßeren Wellenl¨ange λ , dann wird die Rotverschiebung z traditionell wie folgt dargestellt:
z=
λ λ − λ oder z = −1 λ λ
(4.1)
Das heißt: Die Differenz der Wellenl¨angen wird auf die urspr¨ungliche Wellenl¨ange bezogen und dezimal dargestellt. Beispiel: urspr¨ungliche Wellenl¨ange λ: 500 nm (1 nm = 10−9 m) Wellenl¨ange im Spektrum λ : 750 nm ergibt nach (4.1): z = 0,5 Aus einer Wellenl¨angenzunahme um 50% wird also einfach eine Rotverschiebung von 0,5 ; bei einer Wellenl¨angenzunahme um 100% w¨are die Rotverschiebung 1,0 usw. Als weiteres Zahlenbeispiel sei die Mikrowellenhintergrundstrahlung (siehe Abschnitt 4.3) genannt. Ihr Strahlungsleistungsmaximum liegt heute bei einer Wellenl¨ange von ca. 1,1 mm, und als Rotverschiebung z wurde der Wert 1089 bestimmt. Wie groß war die urspr¨ungliche Wellenl¨ange dieser Strahlung? Durch Umformung von (4.1) erh¨alt man
λ=
1, 1 mm ∼ λ = = 1 Mikrometer, z+1 1090
das ist die Wellenl¨ange bei Emission dieser Strahlung gewesen (ca. 380 000 Jahre nach dem Urknall). ¨ Das fr¨uhe Universum ist also beim Ubergang vom undurchsichtigen Plasma zum etwas k¨uhleren durchsichtigen Weltall u¨ berwiegend von Infrarotstrahlung durchflutet gewesen. Es war aber auch das sichtbare Spektrum vertreten, vor allem dessen Rotanteile; eine interessante Vorstellung! Mit Gleichung (4.1) kennen wir nun zwar die allgemeine Formel der Rotverschiebung (die jedoch nur ihr Ausmaß beschreibt). Aber mit den angek¨undigten verschiedenen Mechanismen, welche die Wellen strecken“, ” wird uns erst der folgende Abschnitt bekannt machen.
4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung
289
4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung Nun zu den verschiedenen Typen von Rotverschiebung:
4.2.1 Konventionelle Rotverschiebung/Klassischer Doppler-Effekt111 Diese Form von Rotverschiebung ist in a¨ hnlicher Weise auch aus der Akustik bekannt: Die sich ann¨ahernde Polizeisirene hat einen h¨oheren Ton als die sich entfernende. Grund daf¨ur ist das h¨aufigere bzw. seltenere Eintreffen von Wellent¨alern“ und -bergen“ bei Ab- bzw. Zunahme der Entfernung ” ” zwischen Quelle und Empf¨anger. Zur mathematischen Darstellung des klassischen Doppler-Effektes dient (unter der nicht SRT-konformen Annahme der Existenz einer f¨ur alle Beobachter g¨ultigen absoluten Zeit) folgendes Gedankenexperiment: Ein Raumschiff entfernt sich mit Geschwindigkeit v von einer Lichtquelle (Bei Lichtwellen ist es egal, ob sich der Beobachter von der Lichtquelle entfernt oder umgekehrt; Relativit¨atsprinzip!). Bei der Quelle betrage der Zeitabstand zwischen zwei Wellenbergen T (= Periode der Schwingung). In diesem Zeitabschnitt T legt das Raumschiff den Weg v·T zur¨uck; jeder nachfolgende Wellenberg ist dann v · T /c l¨anger unterwegs als sein Vorg¨anger. Die Zeit zwischen dem Eintreffen zweier Wellenberge beim Raumschiff betr¨agt deshalb T = T + v ·
T . c
λ = c · T und
Ferner gilt:
λ = c · T, denn: Weg = Geschwindigkeit · Zeit T +v· λ = λ T
Daraus folgt:
⇒
111
T c
=1+
v c
λ − λ v = z = oder v = c · z λ c
(4.2)
nach Christian Andreas Doppler, 1803-1853, o¨ sterreichischer Mathematiker und Physiker
290
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Diese Formel gilt (abh¨angig von der angestrebten Meßgenauigkeit) f¨ur Geschwindigkeiten deutlich unter c. F¨ur astronomische Anwendungen innerhalb der Milchstraße reicht sie meist aus; sie wurde zum Arbeitspferd“ bei ” der Bestimmung von Radialgeschwindigkeiten (Abstandszu- oder -abnahme von Objekten). So wurden z.B. fast alle Exoplaneten112 unter Anwendung der Formel (4.2) durch geringe Wackelbewegungen, welche die nicht direkt beobachtbaren Planeten bei ihren Muttergestirnen verursachen, entdeckt. Stern und Planet kreisen ja um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Aber auch auf der guten alten Erde findet die Formel h¨aufig Anwendung, etwa bei RadarGeschwindigkeitsmessungen! F¨ur gr¨oßere Geschwindigkeitsunterschiede reicht diese nichtrelativistische Formel allerdings nicht mehr aus; hierf¨ur muß sie an die Erfordernisse der SRT angepaßt werden:
4.2.2 Longitudinaler113 Doppler-Effekt der SRT Dieser ist quasi eine Kombination aus dem konventionellen Doppler-Effekt und der Zeitdilatation: Eine Lichtwelle z.B. aus einem sich schnell entfernenden Raumschiff trifft auf der Erde n¨amlich aus zwei Gr¨unden mit erniedrigter Frequenz ein: • wegen des Lichtlaufzeiteffekts des klassischen Doppler-Effekts (siehe 4.2.1), • wegen der von der Erde aus gesehenen Zeitdilatation, welche die Lichtwelle sozusagen schon mit einer erniedrigten Frequenz (= gr¨oßeren Wellenl¨ange) starten l¨aßt! Die rechnerische Herleitung gelingt ganz leicht, wenn wir den Periodenverl¨angerungsfaktor aus Abschnitt 1.7 heranziehen. Dort wurde er benutzt, um die Zeit zwischen zwei Schl¨agen einer sich entfernenden Uhr zu bestimmen, hier wenden wir ihn an, um die Zeit zwischen zwei benachbarten Wellenbergen (oder auch zwei benachbarten Wellent¨alern), die von einer sich entfernenden Lichtquelle ausgehen, zu errechnen. Nach Gleichung (1.31) betr¨agt diese verl¨angerte Zeit T : 1 + v/c T = T · 1 − v/c 112
Planeten in fremden Sonnensystemen longitudinal = Relativbewegung entlang der Sichtlinie: Abstandszu- oder -abnahme
113
4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung
291
Der Faktor neben T heißt auch Doppler-Faktor oder K -Faktor. Da bei einer Lichtwelle die Wellenl¨ange direkt proportional zur Schwingungsperiode (= Zeit zwischen zwei Wellenbergen) ist, kann man auch setzen: 1 + v/c λ = λ · 1 − v/c Umformen nach (4.1) ergibt: 1 + v/c 1 + v/c −1= −1 z= 1 − v/c 1 − v 2 /c2
(4.3)
Oder aufgel¨ost nach v: v=
(1 + z)2 − 1 ·c (1 + z)2 + 1
(4.4)
Dies ist nun die relativistische Doppler-Formel, die f¨ur alle Geschwindigkeiten zwischen 0 und c g¨ultig ist. Bei Relativgeschwindigkeit v = 0 ergibt sich erwartungsgem¨aß eine Rotverschiebung von null. N¨ahert sich v an c an, erreicht z unendlich hohe Werte. F¨ur geringe Geschwindigkeiten ergibt sich ann¨ahernd die konventionelle Formel z = v/c. Zahlenbeispiel zu (4.3): v = 0, 5 c ⇒ z = 0, 732 : Beispielsweise wird aus einer Wellenl¨ange von 430 nm (tiefblau) 430 + 0, 732 · 430 = 745 nm (tiefrot). Hinweis zu den Formeln (4.2) (konventioneller Doppler-Effekt) und (4.3) (longitudinaler Doppler-Effekt der SRT): Bei einer Entfernungsabnahme zwischen Lichtquelle und Beobachter muß ein negativer Wert f¨ur v eingesetzt werden. Dies ergibt dann auch einen negativen Wert f¨ur z, der einer Blauverschiebung entspricht. Der Extremwert der Blauverschiebung betr¨agt im nichtrelativistischen und im relativistischen Fall jeweils −1 . Der longitudinale Doppler-Effekt f¨uhrt zu der kuriosen Situation, daß man bei der Registrierung einer Lichtwelle, z.B. im Weltraum, deren Ausgangsfrequenz grunds¨atzlich nicht feststellen kann, wenn weder Art noch Geschwindigkeit der Lichtquelle bekannt sind! Jeder Inertialbeobachter wird eine andere Frequenz der Lichtwelle messen, auch beim Doppler-Effekt zeigt sich also die Demokratie“ unter den Inertialbeobachtern. ” Kennt man aber • die Geschwindigkeit der Quelle der Lichtwelle, dann kann man nach (4.3) die Rotverschiebung, dann die Ausgangswellenl¨ange und damit die Ausgangsfrequenz bestimmen,
292
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
oder • die Art des Objekts (z.B. typische Spektrallinie), dann kann man aus der gemessenen Rotverschiebung mittels (4.4) die Relativgeschwindigkeit zur Lichtquelle berechnen. Will man eine Lichtwelle sinnentnehmend analysieren, dann muß also eine der beiden Informationen (Art, Relativgeschwindigkeit der Quelle oder ggf. ein anderer Grund f¨ur eine Frequenzverschiebung) bekannt sein. Es ist daher f¨ur die Astronomen keine Blamage, daß sie mit dem Licht von Himmelsk¨orpern zun¨achst unbekannten Typs (Quasare, BL Lacertae) zuerst nicht viel anfangen konnten! Hinweis: Auch die in Abschnitt 1.10 angesprochene intensivere Wahrnehmung der auf uns gerichteten relativistischen Jets von Quasaren und Radiogalaxien kann nun vollst¨andig erkl¨art werden: Zus¨atzlich zum dort beschriebenen Beaming-Effekt (der zu einer Helligkeitszunahme allgemein f¨uhrt) bewirkt der Doppler-Effekt eine Blauverschiebung (und damit eine Erh¨ohung der Photonenenergie) des Lichts, das von der Materie des auf uns zu gerichteten Jets kommt. Dieser leuchtet daher viel intensiver als der von uns abgewandte Jet, der durch den Beaming-Effekt eine Helligkeitsverminderung erf¨ahrt und zus¨atzlich aufgrund des Doppler-Effekts rotverschoben wird114 . ¨ Hier noch eine weitere interessante Uberlegung zum Doppler-Effekt: Bei Abstandszu- oder -abnahme bzgl. einer Lichtquelle a¨ ndert sich f¨ur den Beobachter • zwar nicht die Geschwindigkeit des Lichts (Konstanz der Lichtgeschwindigkeit), aber • die Wellenl¨ange des Lichts (siehe (4.3)), also auch die Frequenz, • damit auch die Energie der Photonen (wegen (1.12)) • und somit auch deren Impuls (siehe (1.66))!
4.2.3 Transversaler115 Doppler-Effekt der SRT Auch der darf bei einer Aufz¨ahlung der Rotverschiebungsformen nicht fehlen. Diese Art der Rotverschiebung tritt unabh¨angig von Entfernungs¨ande114
Ein dritter Effekt besteht darin, daß von den uns zu- bzw. abgewandten Jets (im Teilchenbild des Lichts) beim Beobachter entsprechend dem Periodenverl¨angerungsfaktor (siehe oben) mehr bzw. weniger Photonen pro Zeiteinheit eintreffen. 115 transversal = Relativbewegung quer zur Sichtlinie
4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung
293
rungen auf und beruht ganz allein auf der Zeitdilatation der SRT. Zum Tragen kommt der transversale Doppler-Effekt z.B. im Moment des Vorbeiflugs an einer Lichtquelle, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Entfernung sich kurzzeitig nicht a¨ ndert. Angen¨ahert ist er auch g¨ultig, wenn eine Lichtquelle einen ruhenden Beobachter auf einer Kreisbahn uml¨auft (deren Radius hinreichend groß sein soll, damit Beschleunigungseffekte nicht st¨oren). In diesen F¨allen verl¨angert sich die Zeit zwischen dem Eintreffen zweier Wellenberge wegen der Zeitdilatation von urspr¨unglich T (nach Eigenzeit der Lichtquelle) auf T = T · γ -Faktor aus Sicht des Beobachters. Daneben gelten wieder: λ = c · T und: λ = c · T. λ T · γ -Faktor Dann gilt: = = γ -Faktor λ T ⇒
λ − λ 1 −1 =z= λ 1 − v 2 /c2
(4.5)
Extremwerte: v = 0 ⇒ z = 0 , v = c ⇒ z = ∞. Eine korrespondierende Blauverschiebung existiert beim transversalen Doppler-Effekt nicht. Bemerkenswert an dieser Form der Rotverschiebung ist, daß sie aus nichtrelativistischer Sicht u¨ berhaupt nicht vorkommen d¨urfte. Hinweis: An dieser Stelle k¨onnen nun die Farbspiele“ bei der Begegnung ” mit einem sehr schnellen Raumschiff vollst¨andig beschrieben werden: • Vor der Begegnung: Es zeigt sich zwar eine Zeitdilatation (mit der Tendenz zur Rotverschiebung), sie wird aber v¨ollig u¨ berdeckt vom Lichtlaufzeiteffekt, der bei Entfernungsabnahme (negatives v in (4.3) einsetzen!) zu einer Blauverschiebung f¨uhrt; • im Moment des Vorbeiflugs: Es wirkt nur die Zeitdilatation, die mit dem transversalen Doppler-Effekt als Rotverschiebung in Erscheinung tritt (4.5); • nach der Begegnung: Zeitdilatation und Lichtlaufzeiteffekt (nun mit positivem v in (4.3) wirken additiv mit der Folge einer Rotverschiebung, die deutlich kr¨aftiger ist als jene im Moment des Vorbeiflugs.
294
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Analoges gilt f¨ur den Uhrenlauf: • Vor der Begegnung geht f¨ur den ruhenden Beobachter die Raumschiffuhr schneller, trotz der Zeitdilatation, die durch die fortlaufend abnehmende Lichtlaufzeit mehr als aufgewogen wird; • im Moment des Vorbeiflugs sieht der Beobachter den Lauf der Raumschiffuhr nur in bekannter Weise zeitdilatiert; • nach der Begegnung ist der Uhrenlauf im Raumschiff f¨ur den ruhenden Beobachter zus¨atzlich zur Zeitdilatation durch die fortlaufend zunehmende Lichtlaufzeit weiter verlangsamt. Analysiert man die Sache noch etwas genauer, dann erkennt man: Im Rahmen eines Vorbeiflugexperimentes u¨ berwiegt bei gen¨ugend hoher Geschwindigkeit der transversale Doppler-Effekt nicht nur exakt am Punkt der gr¨oßten Ann¨aherung, sondern auch schon kurz vorher (mit dem Ergebnis einer dort auftretenden Rotverschiebung/Uhrenverlangsamung). Dieser Umschlag zu einer Rotverschiebung schon vor dem Punkt der gr¨oßten Ann¨aherung offenbart den Unterschied zwischen SRT und klassischem Doppler-Effekt besonders drastisch: Nach der klassischen Theorie bliebe es n¨amlich bis exakt zum Punkt der gr¨oßten Ann¨aherung bei einer Blauverschiebung!
4.2.4 Gravitative Rotverschiebung Die entsprechende Formel wurde bereits in Abschnitt 2.5 hergeleitet und sei an dieser Stelle nur der Vollst¨andigkeit halber wiederholt: z=
1
2·G·M 1− R · c2
oder gleichbedeutend (da R = z=
1 R 1− R
2·G·M , c2
−1
siehe Gleichung (3.3)):
− 1 (R = Schwarzschild-Radius)
Licht von einer Quelle im Abstand R vom Mittelpunkt eines Himmelsk¨orpers mit Masse M erreicht einen weit entfernten Beobachter mit dieser Rotverschiebung. Weitere Einzelheiten dazu finden sich in Abschnitt 2.5.
4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung
295
4.2.5 Kosmologische Rotverschiebung Im Universum gilt die SRT nicht global (nur lokal), da das Weltall von Gravitation dominiert wird. Generell anwendbar ist dagegen die ART, und diese erlaubt“ auch eine Expansion (Ausdehnung) des Raumes. In der Tat wur” den auf der Basis von Einsteins ART die ersten expandierenden Weltmodelle noch vor Edwin Hubbles Entdeckung der Galaxienflucht“ erarbeitet ” (Friedmann, Lemaˆıtre). Mittlerweile gilt die Ausdehnung des Weltalls als allgemein anerkannt. Die kosmologische Rotverschiebung ist eine Begleiterscheinung der Raumexpansion und somit von ganz anderer Qualit¨at als die bisher besprochenen Rotverschiebungsformen. Ein h¨aufig vorkommendes Mißverst¨andnis bei der Raumexpansion besteht in dem Glauben, daß hierbei die Galaxien etc. durch den Raum fliegen, wie nach einer riesigen Explosion. Von dieser falschen Vorstellung sollte der Leser unbedingt Abstand nehmen. Die Ausdehnung des Weltalls betrifft n¨amlich nur den Raum selbst; die Materie in ihm wird dabei nur passiv mitgenommen, wie z.B. ein antriebsloses oder langsames Boot in einer schnellen Meeresstr¨omung. Ein Hinweis zu Beginn: In der Kosmologie hat es sich eingeb¨urgert, • mit dem Index 0 “ heutige Parameter zu kennzeichnen, z.B. die Jetzt” ” Zeit“ = heute = t0 , • mit dem Index e “ diejenigen Parameterwerte zu kennzeichnen, die bei ” der Aussendung (emission) des jetzt bei uns eintreffenden Lichts galten. Die Emissionszeit dieses Lichts ist in dieser Ausdrucksweise te . Zur Erkl¨arung der kosmologischen Rotverschiebung ist es g¨unstig, die Raumexpansion graphisch darzustellen. Die im ganzen Weltall gleichm¨aßige Raumexpansion l¨aßt sich nat¨urlich schwer zu Papier bringen, die folgende Abbildung stellt nur einen zweidimensionalen Schnitt dar. Der Leser sollte aber zur Kenntnis nehmen, daß die Raumexpansion mit einem Maßstab in gleichgroßen Einheiten in allen drei Raumrichtungen gemessen wird. Eine solche gleichm¨aßige Expansion wird auch isotrop genannt. Gummituch-Analogie: In alle Richtungen gleichm¨aßige Dehnung des Tuches. Links zeigt die Abbildung einen fr¨uheren Schnitt durch das Universum, rechts ist die heutige Situation abgebildet. Zur Verdeutlichung der Expansion wurde ein Koordinatensystem eingezeichnet, das man sich als mitexpandierend116 denken kann.
116
in der Fachliteratur: comoving
296
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Alle Entfernungen haben sich zwischen Zeitpunkt 1 und 2 verdoppelt. Betrachten wir eine Lichtwelle, die zur Zeit te von der Galaxie X emittiert wird und heute (t0 ) bei uns ankommt: Wie der obigen Abbildung zu entnehmen ist, bleiben die Galaxie X und die Erde bei der Raumexpansion an ihrem Platz“ im mitexpandieren” den Koordinatensystem. Nennen wir nun den gleichbleibenden Koordinatenabstand117 zwischen X und der Erde beispielsweise Y . Um dann den tats¨achlichen Abstand118 (etwa in Lichtjahren) in jeder Phase der Expan-
117 118
in der Fachliteratur: comoving distance in der Fachliteratur: proper distance
4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung
297
sion ausdr¨ucken zu k¨onnen, muß Y mit einem mit der Expansion mitwach” senden“ Faktor multipliziert werden. Diesen Faktor nennt man Skalenfaktor119 R. Bezogen auf unser Beispiel gilt dann • bei Emission (te ): tats¨achlicher Abstand re = Re · Y und • heute (t0 ): tats¨achlicher Abstand r0 = R0 · Y , mit R0 > Re . Entscheidend ist nun, daß die Lichtwellen, die den Koordinatenabstand Y u¨ berwinden m¨ussen, um denselben (Skalen-)Faktor gestreckt werden, wie der Raum w¨ahrend der Lichtlaufzeit: Steigt der Skalenfaktor durch die Raumexpansion w¨ahrend der Lichtlaufzeit von Re auf R0 , dann steigt die Wellenl¨ange des reisenden Lichts direkt proportional dazu von λe auf λ0 . λ0 R0 = λe Re λ0 − λe R0 − Re = λe Re
Also: Dies l¨aßt sich umformen zu:
Der linke Teil dieser Gleichung ist nun aber genau die Definition der Rotverschiebung (siehe Gleichung (4.1)). Daher kann man schreiben: R0 − Re Re R0 z= −1 Re 1 Re = R0 z+1 z=
oder oder auch
(4.6) (4.7)
Vielen Interessierten f¨allt die Unterscheidung zwischen Doppler-Rotverschiebung und expansionsbedingter Rotverschiebung sehr schwer, ein Umstand, der leider durch viele unpr¨azise Formulierungen in den meisten popul¨arwissenschaftlichen Darstellungen hervorgerufen wird. Harrison gibt ein sch¨ones Gedankenexperiment an, bei dem der fundamentale Unterschied dieser Rotverschiebungsformen klar zutage tritt: Zwei Galaxien, G 1 und G 2 , haben zu Beginn des Experiments den Abstand d und ruhen in ihrer Umgebung. Nun soll die Entfernung auf z.B. 1, 5 d erh¨oht werden: 119
oder Maßfaktor oder Maßstabsfaktor
298
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
a) einmal durch eine Eigenbewegung (= Pekuliarbewegung“) einer oder ” beider Galaxien, die aber nach Erreichen eines Abstandes 1, 5 d wieder zur Ruhe kommen soll, b) im zweiten Fall durch eine Raumexpansion, die aber auch nur f¨ur den Zeitraum der Entfernungszunahme wirken soll, davor und danach aber als abgeschaltet“ zu denken ist. ” Vor und nach der Abstandszunahme ruhen also beide Galaxien zueinander, ihr Abstand a¨ ndert sich nicht. Welche Rotverschiebungen treten nun in den F¨allen a) und b) auf, wenn ein von G 1 vor der Abstandszunahme ausgesandtes Lichtsignal nach der Abstandszunahme bei G 2 eintrifft? zu a) Da G 1 bei Emission ruht und G 2 bei Eintreffen des Lichts (wieder) ruht, weisen beide f¨ur diese Zeitpunkte die Relativgeschwindigkeit null zueinander auf. Nach der Doppler-Formel (egal, ob konventionell oder relativistisch) ist die Rotverschiebung null, ebenso nat¨urlich die kosmologische Rotverschiebung! zu b) Auch hier ruhen beide Galaxien bei Emission und Eintreffen des Lichts relativ zueinander. Zwischen diesen Zeitpunkten ist der Raumabschnitt zwischen G 1 und G 2 aber expansionsbedingt auf das 1,5fache angewachsen; die reisenden Lichtwellen sind damit ebenfalls auf das 1,5fache gestreckt worden! Hier kommt es also im Gegensatz zum Fall a) sehr wohl zu einer kosmologischen Rotverschiebung, deren Betrag ist nach (4.6) immerhin 1, 5 − 1 = 0, 5. 1 Die Doppler-Rotverschiebung w¨are dagegen 0 (s. Gleichung (4.3))! z=
Deutlicher l¨aßt sich die v¨ollig unterschiedliche Herkunft und Qualit¨at dieser beiden Rotverschiebungsformen wohl nicht mehr darstellen. In der Tat liefert bei großen Rotverschiebungswerten (z > 0, 1) die Interpretation als Doppler-Effekt sinnlose Ergebnisse, z.B. bei Entfernungs- und Geschwindigkeitsberechnungen. Rechentechnisch kann die kosmologische Rotverschiebung aus infi” nitesimalen Rotverschiebungen“ lokaler Inertialsysteme zusammengesetzt werden, unter Verwendung der SRT-Doppler-Formel. Die kosmologische ¨ Rotverschiebung darf aber keinesfalls als Aquivalent einer einzelnen Doppler-Rotverschiebung angesehen werden. Bei diesen Formeln f¨ur die kosmologische Rotverschiebung ((4.6), (4.7)) ¨ ist man zun¨achst unabh¨angig von der Geschwindigkeit, Uberlichtgeschwindigkeiten sind somit nicht ausgeschlossen. Noch einmal sei aber daran erinnert, daß sich nicht die Galaxien oder die Erde mit hohen Geschwindigkeiten
4.2 Die verschiedenen Ursachen der Rotverschiebung
299
bewegen, sondern der Raum selbst ist es! Nur diese Raumexpansion verursacht die kosmologische Rotverschiebung. Nehmen wir an, die Galaxie X weist eine Rotverschiebung von z = 5 auf. Nach (4.7) bedeutet dies, daß sich der Raum w¨ahrend der Lichtlaufzeit (von te bis t0 ) auf das Sechsfache ausgedehnt hat, denn Re /R0 = 1/6! Wegen der Isotropie des Weltalls (keine Richtung bevorzugt) und seiner Homogenit¨at kann man daraus sogar schließen, daß sich auch das gesamte beobachtbare Universum seit der Lichtemission auf das Sechsfache ausgedehnt hat, nicht nur der Raum zwischen Galaxie X und uns! ¨ Die expansionsbedingte Anderung der Entfernung jeder Lichtquelle in Abh¨angigkeit von z l¨aßt sich so darstellen: Entfernung zum Zeitpunkt der Emission des heute bei uns um z rotverschoben eintreffenden Lichts in Prozent der heutigen Entfernung = 100/(1 + z) Dies ist nur eine andere Form der Gleichung (4.7). Schnell kann man sich auch klarmachen, daß die kosmologische Rotverschiebung einen Indikator f¨ur die heutige Objekt-Entfernung darstellt: Je gr¨oßer die Rotverschiebung ist, • desto mehr hat sich das Weltall seit der Emission des Lichts ausgedehnt (siehe obige Definition der kosmologischen Rotverschiebung), • desto fr¨uher fand also die Emission statt (da man kaum annehmen kann, daß sich das Weltall zwischenzeitlich einmal zusammengezogen hat!), • und desto weiter ist die Lichtquelle heute entfernt (da sich bei kontinuierlicher Expansion alles von allem“ entfernt). ” Es gilt also: Je h¨oher die Rotverschiebung, desto weiter ist das Objekt heute entfernt. Daß zwischen z und dem Abstand zum Zeitpunkt der Emission des heute bei uns eintreffenden Lichts ein kurioserer Zusammenhang besteht, wird sp¨ater gezeigt. W¨urden wir in einem kollabierenden Universum leben (statt in einem expandierenden), dann k¨onnten wir eine Blauverschiebung der Galaxien beobachten! Diese Blauverschiebung entspricht einer negativen Rotver” schiebung“ (Wert zwischen 0 und −1), die sich dann ergibt, wenn man in Formel (4.6) Maßfaktoren mit R0 < Re einsetzt! ¨ Ubrigens unterliegen nicht nur Licht und andere elektromagnetische Wellen der kosmologischen Rotverschiebung; dasselbe gilt auch f¨ur Gravitationswellen und alle anderen zeitlich ver¨anderlichen Ph¨anomene; damit gilt ferner:
300
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Die dargestellte kosmologische Rotverschiebung f¨uhrt nat¨urlich auch zu einer kosmologischen Zeitdilatation: Denkt man sich n¨amlich die Schwingungen einer Lichtwelle am Ort ihrer Entstehung als Kernst¨uck einer Art Atomuhr, dann kommen diese Schwingungen durch ihre expansionsbedingte Streckung bei uns verlangsamt an! Somit gibt es neben der gravitativen und speziell-relativistischen Zeitdilatation noch eine dritte Form von Zeitdehnung. Dementsprechend sehen wir z.B. Helligkeitsschwankungen eines fernen Quasars zeitdilatiert! Herleitung der Formel f¨ur die kosmologische Zeitdilatation: λ0 T0 λ0 − λe =z⇒ =1+z ⇒ =1+z λe λe Te ⇒ T0 = Te · (1 + z)
(wegen λ = c · T )
Einen Vorgang, der auf einem Quasar mit z = 1 urspr¨unglich Te = 12 Stunden dauerte, sehen wir also auf T0 = 1 Tag dilatiert! ¨ Bevor im nun folgenden Abschnitt weitere kosmologische Uberlegungen angestellt werden, sei der v¨ollig unterschiedliche Ursprung der einzelnen Rotverschiebungsarten noch einmal zusammengefaßt (siehe Tabelle). Tats¨achlich beobachtete Rotverschiebungen sind Kombinationen dieser Formen, wobei die gravitative Rotverschiebung in der Regel keinen wesentlichen Beitrag leistet und die kosmologische Rotverschiebung jenseits von etwa 300 Mio. Lichtjahren bei weitem die anderen Typen u¨ berwiegt. Typ von Rotverschiebung
Ursache, Bemerkungen
konventioneller Doppler-Effekt (Gleichung (4.2))
reiner Lichtlaufzeiteffekt durch gew¨ohnliche Abstandsvergr¨oßerung (Geschwindigkeit mal Zeit, bei Annahme der G¨ultigkeit einer absoluten Zeit f¨ur alle Beobachter)
longitudinaler Doppler-Effekt der SRT (Gleichung (4.3))
Kombination aus Lichtlaufzeiteffekt und Zeitdilatation
transversaler Doppler-Effekt der SRT (Gleichung (4.5))
reine Folge der Zeitdilatation
gravitative Rotverschiebung (Gleichung (2.15))
Effekt der Gravitation bzw. (¨aquivalent dazu) der Beschleunigung
kosmologische Rotverschiebung (Gleichung (4.6))
Folge der Expansion des Raums; rechentechnisch auch darstellbar durch Summation st¨uckweiser Doppler-Effekte
¨ 4.3 Weitere kosmologische Uberlegungen
301
F¨ur einen Beobachter auf der Erdoberfl¨ache sind strenggenommen alle aus dem Weltraum eintreffenden elektromagnetischen Wellen unter anderem wegen der Erdgravitation minimal blauverschoben; bei der Schwachheit des irdischen Gravitationsfeldes ist dieser Effekt aber praktisch vernachl¨assigbar. Die Gesamt-(blau-)verschiebung, die eine elektromagnetische Welle extragalaktischen Ursprungs durch die kombinierte Gravitationswirkung der Milchstraße, der Sonne und der Erde erf¨ahrt, betr¨agt nur z ≈ −0, 001 ! Der Beitrag der Erde ist hierbei verschwindend gering. Die Beitr¨age“ verschiedener Rotverschiebungsformen addieren sich aber ” nicht einfach zu einer Gesamt-Rotverschiebung z Gesamt auf. Vielmehr gilt, beispielsweise f¨ur eine Kombination aus • einer Entfernungszunahme durch die Raumexpansion mit dem Beitrag z kosmolog. und einer simultan auftretenden • Pekuliarbewegung mit dem Beitrag z Doppler folgende Beziehung: 1 + z Gesamt = (1 + z kosmolog. ) · (1 + z Doppler ) Soviel zu den Rotverschiebungsformen allgemein; der Rest des Textes ist ganz allein dem sch¨onsten aller Faszinosa gewidmet: dem Weltall!
¨ 4.3 Weitere kosmologische Uberlegungen Die Abbildung der Raumexpansion in Abschnitt 4.2.5 hat uns zur einfachen Formel f¨ur die kosmologische Rotverschiebung gef¨uhrt. Diese Darstellung hat aber noch viel mehr zu bieten: Im oberen Bereich des mitexpandierenden Koordinatensystems finden sich die mit I, II und III markierten Gebilde; sie sollen Galaxien symbolisieren. Wie alle Abst¨ande im Bild haben sich zwischen te und t0 auch die Abst¨ande der drei Galaxien voneinander vergr¨oßert, in diesem Beispiel auf das Doppelte. Die Galaxien sind bei der Raumexpansion aber auf ihrem“ Platz im mitexpandierenden Koordinatensystem ” geblieben! Materie im Weltall kann also gleichzeitig in ihrer Raumgegend ruhen (oder sich dort langsam bewegen) und trotzdem mit hoher Geschwindigkeit mit der Raumexpansion mitschwimmen. Zur Erinnerung: Die Raumexpansion betrifft nur den Raum selbst, die in ihm enthaltene Materie wird dabei nur passiv mitgenommen. Ein weiterer wichtiger Befund ergibt sich aus der Abbildung in Abschnitt 4.2.5: Je gr¨oßer der Abstand zwischen zwei Objekten im All zu einem beliebigen Zeitpunkt ist, desto weiter entfernen sie sich innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts voneinander − mit anderen Worten: desto schneller entfernen sie sich voneinander. In der Abbildung hat sich zwischen Zeitpunkt 1 und
302
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Zeitpunkt 2 die Galaxie II wesentlich weiter von I entfernt als die Galaxie III – nun wieder mit anderen Worten: Galaxie II entfernt sich schneller von I als Galaxie III. Mit zunehmendem Ausgangsabstand steigt also die Flucht” geschwindigkeit“120 dieser Galaxienflucht“, die eigentlich eine Raumflucht ” ist, wie wir wissen. Und diese Abstands-/Geschwindigkeitsbeziehung war es, die Edwin Hubble Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts aus vielen Galaxienbeobachtungen herausdestilliert hat121 : Die Fluchtgeschwindigkeit v f steigt linear mit der Entfernung. Dies bedeutet: doppelte Entfernung − doppelte Fluchtgeschwindigkeit, dreifache Entfernung − dreifache Fluchtgeschwindigkeit usw. In der Formelsprache: Fluchtgeschwindigkeit v f = Abstand r mal Konstante Oder: v f = r · H und f¨ur den jetzigen Zeitpunkt (Index 0 ): v f0 = r0 · H0
(4.8)
Die Gleichung (4.8) wird auch als Hubble-Gesetz“ (genauer: lineares ” Geschwindigkeits-Entfernungsgesetz) bezeichnet. Graphisch l¨aßt sich diese Beziehung so darstellen:
Die Steigung der Geraden entspricht dem Faktor H . Der Faktor H , der v f und r miteinander verbindet, heißt HubbleKonstante. Sie beschreibt die Ausdehnungsrate des Weltalls. Kurz nach dem Urknall war dieser Parameter sicher sehr hoch und hat sich dann mit abnehmendem Schwung“ der Expansion des Weltalls verringert. Die ” 120
engl.: recession velocity; hat nichts mit der in Abschnitt 3.1 erw¨ahnten Entweichgeschwindigkeit zu tun! 121 Folgt strenggenommen nicht aus Beobachtungen, da im Allgemeinen weder Entfernungen noch Geschwindigkeiten direkt gemessen werden k¨onnen, sondern aus der ART.
¨ 4.3 Weitere kosmologische Uberlegungen
303
Bezeichnung Hubble-Konstante“ ist demnach a¨ ußerst unpassend, da es sich ” um einen (nat¨urlich langsam) variablen Parameter handelt. Als genauster Wert gilt zur Zeit 71 ± 4 km/s/Mpc. In jeder Entwicklungsstufe hat H im ganzen Universum denselben Wert. Ein Wert von H0 = 71 km/s/Mpc bedeutet, daß sich eine Galaxie in 1 000 Mpc Entfernung derzeit mit 71 000 km/s von uns entfernt, eine andere in 2 000 Mpc Entfernung mit 142 000 km/s usw. Hinweis: 1 Mpc = 3, 086 · 1019 km = 3,26 Mio. Lichtjahre Neuere Beobachtungen ergeben Hinweise darauf, daß zur Zeit die Expansionsgeschwindigkeit sogar wieder zunimmt! Ursachen f¨ur diesen u¨ berraschenden Befund sind noch nicht dingfest gemacht. Diskutiert wird eine Dunkle Energie“ als Ausl¨oser. ” Daß die Beobachtungen dem Hubble-Gesetz entsprechen, ist die Best¨atigung der Annahme einer homogenen und isotropen (in allen Richtungen gleichm¨aßigen) Expansion des Weltalls. Kehren wir noch einmal zum Expansionsschema in Abschnitt 4.2.5 zur¨uck: Dem aufmerksamen Betrachter ist sicher aufgefallen, daß sich die Gr¨oße der eingezeichneten Galaxien I, II, III und X w¨ahrend der Expansion nicht ver¨andert hat. Diese Darstellungsweise gibt durchaus die Realit¨at wieder: Die Gr¨oße von Galaxien bleibt bei der Raumexpansion tats¨achlich unver¨andert. In materiereichen kleinen Raumabschnitten u¨ berwiegt n¨amlich die Gravitationswirkung; das Sonnensystem, Galaxien, ja sogar ganze Galaxienhaufen nehmen daher bei der Expansion des Weltalls nicht an Gr¨oße zu. Nur gravitativ ungebundene Objekte schwimmen mit dem nach seinem Entdecker benannten Hubble-Fluß der allgemeinen Raumexpansion mit. F¨uhren Objekte dagegen unter dem Einfluß lokaler Gravitationsfelder Bewegungen aus, dann spricht man von Pekuliarbewegungen. In Grenzbereichen d¨urfte es ¨ zur Uberlagerung der beiden Effekte kommen. Eine mit Hilfe der Doppler-Verschiebung der Mikrowellenhintergrundstrahlung feststellbare Bewegung der Erde (zusammen mit dem Sonnensystem und zum Teil mit weiteren u¨ bergeordneten Systemen) mit ca. 370 km/s ist eine Pekuliarbewegung und darf nicht mit einem expansionsbedingten Effekt verwechselt werden (n¨aheres zu dieser Eigenbewegung der Erde siehe unten).
¨ Uberlichtgeschwindigkeit“ bei der Raumexpansion ” Nach dem Hubble-Gesetz nimmt die Fluchtgeschwindigkeit des Raumes mit der darin enthaltenen Materie direkt proportional zur Entfernung zu. Endet dieser Geschwindigkeitszuwachs irgendwo? Nach heutiger Kenntnis nein.
304
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Das Weltall d¨urfte nach aktueller Einsch¨atzung unendlich groß sein. Bei hinreichender Entfernung u¨ berschreitet die Expansionsgeschwindigkeit somit auch die Lichtgeschwindigkeit. Dies ist allerdings kein Widerspruch zur SRT und zum Grenzgeschwindigkeitscharakter der Lichtgeschwindigkeit: • Wie oben schon ausgef¨uhrt, ruht die Materie im lokalen Raum oder bewegt sich dort nur langsam, also weit unterlichtschnell. Bezogen auf das mitexpandierend gedachte Koordinatensystem der Abbildung in Abschnitt 4.2.5 wird c nie u¨ berschritten; auch Licht kann sich in Bezug zum mitexpandierenden Koordinatensystem nur mit c ausbreiten; • die Hubblesche Fluchtgeschwindigkeit ist keine mit den Mitteln der SRT zu messende Gr¨oße. Sie ist vielmehr ein Maß f¨ur die Expansion des Raumes (der geometrischen Maßbestimmung des Raumes) und nicht f¨ur die Bewegungen der Galaxien durch den Raum eines festen Bezugssystems, wie es die SRT voraussetzen w¨urde. Daß die SRT nicht global im Universum gilt (da dieses gravitationsdominiert ist) und die ART eine Expansion des Raumes erlaubt“, sei hier noch einmal ausdr¨ucklich wie” derholt. Es gibt also keinen vern¨unftigen Grund f¨ur die weitverbreitete Annahme, daß es auch eine Expansionsgrenzgeschwindigkeit“ vom Betrage c gibt. ” Man nimmt im Gegenteil an, daß weit entfernte Raumgegenden sich auch in diesem Moment mit mehr als c von uns entfernen. In welcher Entfernung erreicht die jetzige Expansionsgeschwindigkeit c? Nach dem Hubble-Gesetz gilt in dieser Entfernung:
oder aufgel¨ost nach r0 :
v f0 = r0 · H0 = c r0 = c/H0 .
Diese Entfernung wird in der Kosmologie Hubble-L¨ange“ genannt. Setzt ” man f¨ur H0 den wahrscheinlichsten Wert 71 km/s/Mpc ein, so ergibt sich ein Wert der Hubble-L¨ange von ca. 14 Mrd. Lichtjahren (Zwischenergebnis: 4222 Mpc). Die Menge aller Punkte, an denen die Expansionsgeschwindigkeit c erreicht, bildet eine Kugelfl¨ache um unseren Standort ( Hubble” Sph¨are“). Nach heutiger Erkenntnis endet dort das Weltall aber keineswegs, also m¨ussen sich nach dem Hubble-Gesetz Objekte jenseits der HubbleL¨ange zur Zeit mit mehr als c von uns entfernen. Da man annimmt, daß sich das All kurz nach dem Urknall viel rasanter als ¨ heute ausgedehnt hat, waren damals Uberlichtgeschwindigkeiten auch auf viel k¨urzeren Distanzen zu verzeichnen. Und die neueren Beobachtungshinweise auf eine noch zunehmende Expansionsgeschwindigkeit heute lassen auf sehr lange Sicht erwarten, daß sich jetzt noch knapp unterlichtschnell
¨ 4.3 Weitere kosmologische Uberlegungen
305
entfernende Raumbereiche k¨unftig u¨ berlichtschnell von uns fortbewegen werden. Je nach zugrundegelegtem Weltmodell haben Objekte mit hoher Rotverschiebung eine heutige Fluchtgeschwindigkeit von u¨ ber c (oberhalb einer Rotverschiebung von 1,46122 ). Das Weltall ist dort aber mitnichten zu ” Ende“! Gibt es zu dieser u¨ berlichtschnellen Raumexpansion auch eine Gummituch-Analogie? Mit ein bißchen Phantasie ja: Denken wir uns ein Gummituch, das in alle Richtungen gleichm¨aßig gedehnt wird, jedoch ziemlich schnell. Auf dem Gummituch verteilte Schnecken werden hierbei schneller voneinander entfernt als ihre Kriechh¨ochstgeschwindigkeit“. ” Letztere steht f¨ur die Lichtgeschwindigkeit, die Abstandszunahme der Schnecken erfolgt aber mit einer h¨oheren Expansionsgeschwindigkeit“. ” Selbst wenn sich die Schnecken u¨ berhaupt nicht relativ zu ihrer Auflagefl¨ache (ihrem lokalen Raum) bewegen, so werden sie doch analog zum Hubble-Flow voneinander weggetragen! Gegen¨uber der Unterlage gilt (wie f¨ur Materie und Licht im lokalen Raum) ein Geschwindigkeitslimit; die Expansionsgeschwindigkeit steigt dagegen unlimitiert mit der Entfernung an. Ein weiteres Argument gegen eine Grenzfluchtgeschwindigkeit von c ist, daß wir uns unter dieser Annahme im Nabel“ des Weltalls befinden ” m¨ußten, denn die Expansionsgeschwindigkeit erreicht nach dem linearen Geschwindigkeits-Entfernungsgesetz in jeder Himmelsrichtung in exakt derselben Entfernung c , eben nach einer Hubble-L¨ange. Und eine solche zentrale Lage w¨are schon recht ungew¨ohnlich, wenn man die Geschichte der astronomischen Entdeckungen verfolgt, die ja gezeigt haben, daß die Kro” ne der Sch¨opfung“ • • • •
weder im Zentrum des Sonnensystems, noch im Zentrum der Milchstraße, noch im Zentrum des lokalen Galaxienhaufens, noch im Zentrum des Superhaufens
zuhause ist (verallgemeinertes Kopernikanisches Prinzip: Die Erde hat keine privilegierte Position). Es kommt aber noch viel schlimmer f¨ur die Gegner einer u¨ berlichtschnellen Raumexpansion: Wir k¨onnen sogar Galaxien und Quasare sehen, die ¨ sich bei Emission ihres Lichts und/oder heute mit Uberlichtgeschwindigkeit von uns entfernt haben bzw. sich entfernen! Bei dem bis 1998 favorisierten Nach dem aktuellsten Weltmodell: Λ-CDM-Konkordanz-Modell mit 30% Materie und 70% Dunkler Energie. 122
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Einstein-de Sitter-Weltmodell (flacher Raum, kosmologische Konstante = 0) haben sich alle Objekte mit einer Rotverschiebung von u¨ ber 1,25 bei der ¨ Emission ihres Lichts mit Uberlichtgeschwindigkeit entfernt. Aber auch f¨ur das jetzt angenommene Modell (zun¨achst sich verlangsamende Expansion ¨ und dann vor (5-)6 Mrd. Jahren Ubergang in beschleunigte Weltallausdeh¨ nung) gilt: Wir k¨onnen Objekte sehen, die sich heute mit Uberlichtgeschwindigkeit entfernen (alle Objekte mit z > 1, 46) und auch immer entfernt haben! Alles an Licht, das wir aus den ersten 4 Mrd. Jahren nach dem Urknall empfangen, stammt von Objekten aus Regionen, die sich damals mit mehr als c von uns entfernt haben. ¨ Auf großen Distanzen ( kosmologischen Distanzen“) sind also Uberlicht” geschwindigkeiten ein unvermeidbares Ph¨anomen, auch wenn dies in den meisten popul¨arwissenschaftlichen Publikationen schamhaft verschwiegen wird. Nach diesen Erkenntnissen wird sicher jedem Leser klar, wie g¨anzlich unbrauchbar die Doppler-Interpretation der kosmologischen Rotverschiebung ist. Diese unzutreffende Interpretation • erlaubt keine Darstellung u¨ berlichtschneller Raumexpansion, • ber¨ucksichtigt in keiner Weise das zugrundeliegende Weltmodell und die Hubble-Konstante, • erlaubt keine Unterscheidung zwischen heutiger und Emissionsgeschwindigkeit (k¨onnte nur letztere liefern, und selbst das tut sie nur tr¨ugerisch!), • liefert oberhalb von z ≈ 0, 1 falsche Entfernungs- und Geschwindigkeitswerte. Dazu ein drastisches Zahlenbeispiel: Wie hoch war die Expansionsgeschwindigkeit der Raumregion, welche die heute eintreffende Mikrowellenhintergrundstrahlung emittierte, zur Zeit der Emission (Die Rotverschiebung wird zu 1089 gemessen)? • Nach dem konventionellen Doppler-Effekt (4.2) : v • nach dem relativistischen Doppler-Effekt (4.4) : v • nach dem Einstein-de Sitter-Modell :v • nach dem neuen Konkordanz-Modell :v
= c · z = 1089 c , = 0, 999998 c , = 64 c , = 58 c.
Die beiden letzten (ART-basierten) Modelle liefern recht nahe beieinanderliegende Werte. Der konventionelle Doppler-Effekt ergibt dagegen eine unrealistisch hohe Geschwindigkeit, w¨ahrend der relativistische DopplerEffekt an eine hier sinnlose Grenze (c) st¨oßt. Wir sollten also den armen Herrn Doppler nicht bei großen Rotverschiebungen u¨ berstrapazieren, sondern stattdessen das viel einfache-
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re, logischere und klarere Gesetz der kosmologischen Rotverschiebung verinnerlichen: Entfernung heute heute gemessene Wellenl¨ange = = z+1 Entfernung bei Emission Emissionswellenl¨ange Zusammen mit dem linearen Geschwindigkeits-Entfernungsgesetz ( Hubble-Gesetz“) ” heutige Geschwindigkeit = H0 · heutige Entfernung ist es modellunabh¨angig g¨ultig. Wenn wir zus¨atzlich ein bestimmtes Weltmodell ausw¨ahlen, dann k¨onnen wir beide Gesetze miteinander verkn¨upfen und Emissionsgeschwindigkeiten, Emissionsentfernungen, heutige Geschwindigkeiten und heutige Entfernungen berechnen. Gelegentlich wird behauptet, das lineare Hubble-Gesetz gelte auf große Entfernungen nicht mehr. In der oben angegebenen Form ist es aber lediglich die mathematische Ausdrucksweise f¨ur eine homogene und isotrope Expansion, die gew¨ahrleistet, daß ein (auf großen Skalen: u¨ ber 400 Mio. Lichtjahre) homogenes Universum homogen bleibt (zeitinvariante Homogenit¨at). Akzeptiert man eine solche isotrope Expansion, was die Kosmologen der Einfachheit halber tun, dann muß man auch das Hubble-Gesetz in der hier genannten Form als f¨ur jede Distanz g¨ultig ansehen. Die Hubble-Konstante variiert zwar in der Zeit, zu einem bestimmten Zeitpunkt ist sie aber u¨ berall im Weltall gleich! Leser von Kapitel 1 (SRT) m¨ogen nun einwenden, daß es keine absolute Zeit gibt und daher der Ausdruck zu einem bestimmten Zeitpunkt“ bedeu” tungslos ist. In der Kosmologie verwendet man jedoch sehr wohl eine im gesamten Weltall g¨ultige Zeit, die sogenannte kosmische Zeit“. Aus folgen” dem Grund ist dies nicht im Widerspruch zur SRT: Die Galaxien ruhen ja in ihrem lokalen Raum oder bewegen sich dort nur weit unterlichtschnell. Es spricht also nichts dagegen, jede Galaxie (nat¨urlich nur in Gedanken!) kurz nach dem Urknall mit identisch konstruierten Uhren auszustatten. Diese zeigen dann in jeder Entwicklungsstufe des Weltalls die gleiche Uhrzeit an. Wenn wir sagen, der Urknall war vor 13,7 Mrd. Jahren, dann benutzen wir ganz intuitiv die kosmische Zeit, ohne uns um die riesigen Expansionsgeschwindigkeiten zu k¨ummern! Nicht auf große Entfernungen g¨ultig ist dagegen die Doppler-Formel v = c · z , auch nicht in der Form r = c · z/H0 (einige Autoren bezeichnen diese Formel als Hubble-Gesetz“). Diese Formeln gelten (auch in ihrer speziell” relativistischen Form) nur auf kleinen Distanzen. Nicht zul¨assig ist es ferner, im linearen Geschwindigkeits-Entfernungsgesetz (Geschwindigkeit = Hubble-Konstante mal Entfernung) heutige und fr¨uher g¨ultige Werte vermischt einzusetzen. Man kann durchaus statt
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heutiger Werte einsetzen: Die Hubble-Konstante von vor 5 Mrd. Jahren123 und die Entfernung vor 5 Mrd. Jahren. Das Ergebnis ist dann die Geschwindigkeit vor 5 Mrd. Jahren. Aber eine Vermengung von Werten aus verschiedenen Epochen ist in dieser Formel nicht m¨oglich. Dem h¨aufig vorgebrachten Argument gegen die unlimitierte G¨ultigkeit des Geschwindigkeits-Entfernungsgesetzes − Mit dem Blick hinaus ” sehen wir doch auch in die Vergangenheit mit damals anderer HubbleKonstante. . .“ − liegt ein erstaunlich weitverbreiteter Denkfehler zugrunde: Das Gesetz beansprucht u¨ berhaupt keine G¨ultigkeit u¨ ber einen Zeitraum hinweg, es gilt immer nur f¨ur einen Zeitpunkt, f¨ur diesen aber r¨aumlich unbegrenzt. Es beschreibt nicht die Verh¨altnisse entlang eines Lichtstrahls zum Auge eines Beobachters, sondern setzt lediglich (auf Basis der postulierten Homogenit¨at des Weltalls) Entfernung und Expansionsgeschwindigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt (z.B. heute“) in Beziehung zueinander. ” Wie man vier wichtige Parameter mit den einfachen Gleichungen (4.7) und (4.8) ineinander umrechnen kann, zeigt das folgende Schema.
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Die Hubble- Konstante“ f¨ur beliebige Rotverschiebungswerte (also f¨ur die ” jeweiligen Emissionszeiten) folgt (f¨ur das aktuelle Weltmodell) aus: 1 −1 . He = 71 · (1 + z) · 1 + 0, 3 z + 0, 7 · (1 + z)2
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Trotz ihrer Einfachheit sind diese zwei Formeln also extrem n¨utzlich. Um von einer gemessenen Rotverschiebung z zu einem der genannten vier Parameter zu gelangen, sind allerdings schwierigere Formeln notwendig! Das im Randbereich des Schemas dargestellte Zahlenbeispiel zeigt die Anwendung der Formeln auf die Raumregion, welche die Mikrowellenhintergrundstrahlung emittiert hat.
Das Rotverschiebungsparadoxon In Abschnitt 4.2 haben wir gesehen, daß mit steigender Rotverschiebung die heutige Entfernung der Objekte monoton ansteigt. Bei allen Weltmodellen mit einem Urknall passiert aber mit der Entfernung zur Zeit der Emission des Lichts, das wir heute empfangen, etwas Merkw¨urdiges: Diese damalige Entfernung steigt nur bis zu einem gewissen Rotverschiebungswert, bei st¨arker rotverschobenen Objekten sinkt sie wieder! Das folgende Schema zeigt, wie es zu diesem Paradoxon kommt. Zeichenerkl¨arung: E = Erde A = hochrot verschobene Galaxie B = Galaxie mit mittlerer Rotverschiebung
Nun beachte man: < Strecke B E Z eit punkt 2 , Strecke AE Z eit punkt 1 also: Emissionsentfernung von A < Emissionsentfernung von B , obwohl: Rotverschiebung von A > Rotverschiebung von B , da: Entfernung von A heute“ > Entfernung von B heute“ ! ” ”
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4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Noch deutlicher w¨are der Effekt bei denkbaren Galaxien jenseits von A. Objekte mit sehr hoher Rotverschiebung waren uns bei Emission des heute eintreffenden Lichts also tats¨achlich n¨aher als Galaxien mit mittlerer Rotverschiebung. Mit zunehmender Rotverschiebung erreicht die Emissionsentfernung ein Maximum (im neuen Modell bei z ≈ 1, 6 und r¨aumlich ca. 5-6 Mrd. Lichtjahre von uns entfernt, im Einstein-de Sitter-Modell bei z = 1, 25) und sinkt dann wieder ab. Die Aufl¨osung des Paradoxons liegt in den unterschiedlichen Emissionszeiten: Objekte mit sehr hoher Rotverschiebung haben ihr Licht zu einem fr¨uheren Zeitpunkt emittiert, als das Universum noch deutlich enger zusammengedr¨angt war und sie uns deshalb n¨aher waren. Objekte mit mittlerer Rotverschiebung haben ihr Licht erst sp¨ater abgesandt, als sie von der Raumexpansion schon weiter weggetragen worden waren als die Emissionsentfernung der hochrotverschobenen Quellen. Und dieser Effekt kann naturgem¨aß nur bei Objekten wirksam werden, deren Raumbereiche von uns aus gesehen eine u¨ berlichtschnelle Expansion aufgewiesen haben. An diesen Schemazeichnungen sieht man auch sch¨on, daß trotz der kuriosen Beziehung zwischen z und Emissionsentfernung die Reihenfolge“ der ” Expansion stets erhalten bleibt: A liegt von der Erde aus gesehen immer voran. Besonders anschaulich l¨aßt sich das Paradoxon durch ein RZD aufl¨osen (Abschnitt 4.4). Beobachtete Winkeldurchmesser von Objekten mit hoher Rotverschiebung scheinen die geringeren Emissionsentfernungen zu best¨atigen: Wir sehen diese Objekte nicht nur so, wie sie bei der Emission aussahen, sondern wir sehen sie auch viel n¨aher als sie heute sind!
Die Doppler-Verschiebung der Mikrowellenhintergrundstrahlung Die in Kapitel 1 besprochene SRT beruht urspr¨unglich, wie andere Naturgesetze auch, auf idealisierten Voraussetzungen, in diesem Falle sind dies unter anderem: • fehlende Raumkr¨ummung (ebener Raum), • fehlende Raumexpansion (absolute Raumzeit). Diese Idealbedingungen existieren nat¨urlich nirgends: Das reale Universum hatte eine heiße Geburt, sein Raum expandiert seither, seine Raumzeit ist durch die Anwesenheit zahlreicher Himmelsk¨orper vielf¨altig gekr¨ummt (sogar eine globale Kr¨ummung des Weltalls k¨onnte existieren) und es ist mit Strahlung erf¨ullt. Kein Leser braucht aber jetzt zu bef¨urchten, daß die SRT dadurch ihre G¨ultigkeit verliert! Nein, sie gilt lokal auch im realen Universum, also z.B. in allen nicht zu ausgedehnten Freifallsystemen.
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Abweichungen von den Idealbedingungen geben uns aber ein Instrument in die Hand, mit dem wir unter Umgehung des Relativit¨atsprinzips unsere Absolutgeschwindigkeit in Bezug auf den lokalen Raum bestimmen k¨onnen! Ungef¨ahr 380 000 Jahre nach dem Urknall vereinigten sich die Atomkerne und die Elektronen des Plasmas, welches das bis dahin undurchsichtige Weltall erf¨ullte, zu vollst¨andigen Atomen. Von da an war das Weltall transparent, die Strahlung des vorbestehenden feurigen Urzustandes konnte sich seitdem frei ausbreiten, und das tut sie bis heute. Durch die Expansion des Weltalls ist diese Strahlung allerdings heute sehr stark rotverschoben (kosmologische Rotverschiebung!). Dies ist die 1965 entdeckte Mikrowellenhintergrundstrahlung, die das Universum vollst¨andig erf¨ullt und fast gleichm¨aßig aus allen Richtungen bei uns eintrifft. Wir schwimmen sozusagen im Photonenozean dieses Nachgl¨uhens“ des Urknalls. ” W¨urden wir im lokalen (mitexpandierenden) Raum ruhen, dann h¨atte diese Mikrowellenhintergrundstrahlung in allen Richtungen exakt dieselbe Wellenl¨ange. Messungen zeigen allerdings in Richtung auf das Sternbild Becher eine Blauverschiebung und in Gegenrichtung eine Rotverschiebung. Unter Ausnutzung der Formel (4.2) l¨aßt sich daraus eine Bewegung der Erde mit ca. 370 km/s errechnen. Dies ist eine gravitativ bedingte Bewegung der Erde (Pekuliarbewegung) und darf nicht mit einem Expansionseffekt verwechselt werden. Das durch die Mikrowellenhintergrundstrahlung ausgezeichnete Bezugssystem ist mitexpandierend. Es beschreibt nicht den absoluten Raum Newtons oder ein irgendwie ausgezeichnetes starres SRT-System. Umgekehrt muß bei der Feinanalyse der Mikrowellenhintergrundstrahlung jede Eigenbewegung der Erde herausgerechnet werden: • • • • •
Eigendrehung der Erde, Lauf der Erde um die Sonne, Eigenbewegung der Sonne bez¨uglich der Fixsternumgebung, Lauf der Sonne um das Milchstraßenzentrum, Eigenbewegungen der Milchstraße, der Lokalen Gruppe von Galaxien und des Virgohaufens.
Bei dieser Angelegenheit nutzen wir zwei g¨anzlich verschiedene Rotverschiebungsformen: • Das Werkzeug“, die Mikrowellenhintergrundstrahlung, ist kosmologisch ” rotverschoben, gleichm¨aßig im ganzen Weltall (bis auf extrem kleine Variationen, mit denen man hofft, Strukturen im sehr fr¨uhen Weltall identifizieren zu k¨onnen, etwa die Vorl¨aufer der Galaxienhaufen) (z ≈ 1089). • Die Beobachtung der sekund¨aren Blau-/Rotverschiebung der Mikrowellenhintergrundstrahlung ist eine ganz normale Doppler-Verschiebung durch die Relativbewegung (Pekuliarbewegung) der Erde in Bezug auf
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den lokalen Raum. Durch diese Relativbewegung ist die Hintergrundstrahlung aus einer Himmelshalbkugel“ blauverschoben (in Flugrichtung ” der Erde), aus der anderen (entgegen der Flugrichtung) rotverschoben. Da es die Mikrowellenhintergrundstrahlung also erm¨oglicht, unsere Absolutgeschwindigkeit im lokalen Raum zu bestimmen, wird dieser Photonen” ¨ ozean“ gelegentlich als neuer Ather“ bezeichnet. Diese Namensgebung ist ” allerdings stark irref¨uhrend. Denn der durch die SRT endg¨ultig aus der Welt ¨ geschaffte Ather sollte ein nicht expandierendes Weltall komplett erf¨ullen und darin an jeder Stelle ruhen, also ein absolutes, universelles und statisches Bezugssystem darstellen. Die Mikrowellenhintergrundstrahlung bietet uns dagegen nur ein mitexpandierendes Bezugssystem, das es lediglich erlaubt, unsere Absolutgeschwindigkeit im lokalen Raum zu messen, nicht aber unsere Absolutgeschwindigkeit bez¨uglich des gesamten Universums. ¨ Der alte Ather bleibt also tot!
Zur kosmologischen Hintergrundstrahlung selbst Vor der Freisetzung der Hintergrundstrahlung war das Universum wie gesagt undurchsichtig, weil sich das Licht wegen der allgegenw¨artigen Elektronen und Protonen (und Heliumkerne) nicht frei ausbreiten konnte − aus demselben Grund ist auch der Sonnenk¨orper undurchsichtig. Nach weiterer Ausdehnung und damit Abk¨uhlung des Weltalls verbanden sich die geladenen Teilchen zu neutralen Atomen, von da an war der Weg f¨ur das Licht frei. Die kosmologische Hintergrundstrahlung ist genau das Licht dieses feurigen Urzustandes des Weltalls, nur eben stark kosmologisch rotverschoben (z ≈ 1089). Selbst wenn es vor der Zeit der Freisetzung dieser Strahlung schon leuchtende Objekte gegeben h¨atte, so k¨onnten wir diese mittels elektromagnetischer Strahlen nicht untersuchen, weil das Weltall hierf¨ur eben undurchsichtig war. Vielleicht gelingt es aber eines Tages, durch Registrierung von Gravitationswellen oder des Neutrinohintergrundes weiter in die Vergangenheit vorzustoßen. Denn diese Informationstr¨ager“ k¨onnen sich auch in ” einem Plasma fast ungehindert ausbreiten. Kann die L¨ucke zwischen den heutigen Rotverschiebungsrekorden (um 10) und 1089 jemals geschlossen werden? Dies h¨angt abgesehen von technischen Entwicklungen davon ab, zu welchem Zeitpunkt in der Evolution des Weltalls die ersten leuchtenden Objekte entstanden sind. Hier wurden die Theoretiker schon mehrfach von der Realit¨at eingeholt; lassen wir uns also einfach u¨ berraschen. Wer weiß, vielleicht gab es irgendwelche kosmischen ” Fr¨uhgeburten“ bei z = 15 oder gar 20!
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Daß die kosmologische Hintergrundstrahlung allgegenw¨artig ist und aus allen Richtungen fast gleichm¨aßig eintrifft, wurde oben schon erw¨ahnt124 . Jeder Leser, der noch eine Fernseh-Dachantenne besitzt, kann diese Strahlung selbst empfangen: Schalten Sie auf einen unbelegten Kanal im oberen UHF-Bereich. Dann sind mehrere Prozent des Schneegest¨obers“ auf dem ” Bildschirm und auch des weißen Rauschens“ aus dem Lautsprecher unmit” telbar von der Hintergrundstrahlung verursacht! Und wenn man die Hand aufh¨alt, so wird sie pro Sekunde von 1015 Photonen der Hintergrundstrahlung getroffen. Wir, die wir aus Sternenstaub bestehen, werden also unabl¨assig von diesem Nachgl¨uhen des Urknalls durchstr¨omt. Da behaupte noch einer, er habe mit dem Weltall nichts zu schaffen!
Gibt es eine Grenze des Weltalls und wenn ja, was ist dahinter? Ohne hier auf die nicht ganz einfache Thematik der kosmologischen Horizonte n¨aher einzugehen (Quellen f¨ur Interessierte: W. Rindler: Visual Horizons in World-Models, Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 116 (1956), 662-677, und E. R. Harrison: Cosmology − The Science of the Universe, Cambridge University Press 2000, Kapitel 21), kann auf jeden Fall soviel gesagt werden: Auch noch so riesige und empfindliche Teleskope werden an eine Grenze stoßen, selbst wenn es bis zur¨uck zum Urknall sichtbare Objekte g¨abe (was sicher nicht der Fall ist). Denn je weiter wir hinausblicken“, ” • desto l¨anger war das heute eintreffende Licht unterwegs, • desto a¨ lter“ ist dieses Licht also, ” • desto mehr Expansion und damit Wellenl¨angendehnung hat es auf dem Buckel, • desto st¨arker ist es also rotverschoben. Theoretisch ist aber bei einer Rotverschiebung von 1089 Schluß mit dem Empfang elektromagnetischer Strahlung! Dies ist die Rotverschiebung der Mikrowellenhintergrundstrahlung. Hier besteht eine absolute Grenze, dies ist aber nur eine Sichtgrenze. Bei dieser Rotverschiebung erblicken“ wir ” 124
Von Anfang an war ja unser Standort inmitten des feurigen Urzustandes des ¨ Weltalls. Da ist es kein Wunder, daß wir die Uberbleibselstrahlung“ dieses Nach” Urknallfeuers auch aus allen Richtungen (fast) gleichm¨aßig empfangen. Nach dem neuesten Weltmodell kommt die heute eintreffende Hintergrundstrahlung aus einer Region, die sich bei der Emission mit 58 c (!) von uns entfernt hat (und heute noch mit immerhin 3, 2 c entfernt). Die heutige Entfernung dieser Region ist ca. 44 Mrd. Lichtjahre!
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das extrem rotverschobene Licht des damals existierenden undurchsichtigen Plasmas. Dieses Licht wurde damals diffus gestreut, ein weiteres Vordringen scheitert hier. Die Existenz dieser Sichtgrenze (heutige Entfernung: ca. 44 Mrd. Lichtjahre) bedeutet aber nicht, daß das Weltall hier zu Ende ist! Dies k¨onnen wir uns z.B. dadurch klarmachen, daß wir (= Beobachter B1 ) in Gedanken an unserer Sichtgrenze einen Beobachter B2 plazieren. H¨atte dieser dann die Sichtgrenze vor seiner Nase? Nein, an der Sichtgrenze von B2 w¨aren wir. Und, was wichtiger ist, in der entgegengesetzten Richtung k¨onnte B2 auch so weit sehen wie die Entfernung zwischen B1 und B2 betr¨agt! Ein weiterer Beobachter B3 an der Sichtgrenze von B2 k¨onnte noch einmal weiter sehen usw. Dies ist durchaus vergleichbar mit dem Sehen bei dichtem Nebel: Jeder Einzelbeobachter hat dabei einen Sichtkreis um sich mit z.B. 100 m Radius. Ebensowenig wie am Rand eines solchen Sichtkreises die Erdoberfl¨ache zu Ende ist, ist an der Sichtgrenze z = 1089 das Weltall zu Ende. Ein Beobachter auf einer Galaxie in z.B. 13 Mrd. Lichtjahren Entfernung hat einen ebenso großen Sichtkreis (bis z = 1089 von ihm aus gesehen) wie wir; dieser Sichtkreis ist nur um 13 Mrd. Lichtjahre r¨aumlich versetzt. Und so k¨onnte man dies fortsetzen bis ins Unendliche! Wenn es also in anderen popul¨arwissenschaftlichen Darstellungen heißt, das Weltall sei ca. 14 Mrd. Lichtjahre mal 2 (sogar dieser Faktor zwei fehlt oft!) groß, so erkennt der Leser jetzt, daß damit allenfalls der beobachtbare Teil des Universums (genaugenommen nur ein Teil des beobachtbaren Teils!) gemeint ist! Diesen sichtbaren Teil des Universums mit dem gesamten Weltall gleichzusetzen, ist aber nicht nur sachlich-astronomisch falsch, sondern auch Ausdruck einer antiquierten anthropozentrischen (= den Menschen in den Mittelpunkt stellenden) Sichtweise. Erinnern wir uns hierzu an das verallgemeinerte Kopernikanische Prinzip: Eine privilegierte Position der Erde ist unwahrscheinlich. W¨are unsere Sichtgrenze (z = 1089) ein wirklicher Rand des Universums, dann w¨are es schon ein unglaublicher Zufall, daß wir diesen Rand in allen Himmelsrichtungen in gleicher Entfernung sehen. Oder anders gesagt: Wir w¨aren durch eine extrem gl¨uckliche F¨ugung im Zentrum des Weltalls. Wegen des Kopernikanischen Prinzips ist dieser Standpunkt nicht haltbar. F¨ur manchen mag es best¨urzend sein, f¨ur viele aber auch reizvoll: Wir sind nur im Zentrum unseres Sichtkreises (wie der Beobachter im Nebel auch), das Weltall erstreckt sich auch dar¨uberhinaus ins Unendliche. Die Erde mit uns Menschen an Bord“ ist darin ein Nichts, weniger als ein Staubk¨ornchen ” in unendlicher Weite − und dennoch sch¨utzenswert! Zum Schluß dieses Abschnitts noch Antworten auf einige h¨aufig gestellte Fragen
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a) War der Urknall an einer bestimmten Stelle im Weltall? Nein, durch ihn wurde ja das Weltall erst aufgespannt, der Raum entstand erst durch den Urknall. Aus heutiger Sicht war der Urknall somit u¨ berall, z.B. auch in der rechten Hand des Lesers! b) Was war vor dem Urknall? Diese Frage ist sinnlos, denn auch die Zeit entstand erst mit dem Urknall zusammen mit dem Raum als Raumzeit. Genauso sinnlos w¨are es zu fragen: Wer wohnte im Haus Hauptstraße 1, bevor es gebaut wurde?!“ 125 ” c) Sah das Universum ganz zu Beginn wie ein Punkt aus? Nein, keinesfalls! Erstens h¨atte kein Beobachter das Universum als Punkt sehen k¨onnen, selbst wenn es in dieser Form begonnen h¨atte. Denn auch schon damals hat das Universum den Raum vollst¨andig enthalten, es gab also keinen Raum und damit auch keinen Beobachter außerhalb. Zweitens wissen wir seit Einsteins ART, daß der Raum (nicht nur im Bereich von Massen, sondern auch im Maßstab) des Universums entweder (positiv oder negativ) gekr¨ummt oder flach ist. Vorstellen kann man sich die Kr¨ummung des dreidimensionalen Raums im Allgemeinen nicht, sehr wohl aber die entsprechenden zweidimensionalen Analoga: • negativ gekr¨ummter (hyperbolischer) Raum: sattel¨ahnliche Fl¨ache mit unendlicher Ausdehnung; • positiv gekr¨ummter (sph¨arischer) Raum: Kugeloberfl¨ache. Das Analogon des flachen Raums ist eine Ebene von unendlicher Ausdehnung (wenn man komplexere Topologien ausschließt). Nach neueren Erkenntnissen leben wir wahrscheinlich in einem flachen Raum. Da bereits dessen zweidimensionales Analogon eine unendliche Ausdehnung aufweist, muß dies f¨ur den dreidimensionalen Vollraum“ erst recht ” gelten. Was bedeutet das f¨ur den ganz fr¨uhen Kosmos? Er war von Anfang an unendlich, auch wenn sich dies der Vorstellung entzieht! Denn ein Sprung“ ” von einem zun¨achst endlichen Gebilde zu einem mit unendlicher Ausdehnung w¨are g¨anzlich unrealistisch. Diese Unendlichkeit von Anfang an gilt entsprechend auch f¨ur den Fall eines negativ gekr¨ummten Raums, da dessen zweidimensionales Analogon ebenso eine unendliche Ausdehnung hat. Nur ein Universum mit positiv gekr¨ummtem Raum h¨atte mit einem gewissen Mindestvolumen begonnen.
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Die Antworten auf die Fragen a) und b) stehen unter Vorbehalt, da u¨ ber den Urknall einfach zu wenig bekannt ist. Außerdem entstanden Raum und Zeit gleichzeitig als Raumzeit.
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Drittens sind aber auch nach der Quantenmechanik wirklich punktf¨ormige Objekte nicht zul¨assig. Kein Etwas“ kann ein r¨aumliches Mindestmaß in der ” Gr¨oßenordnung von etwa (1, 6 · 10−35 m)3 (Planck-Volumen) unterschreiten. Sicher kann nur gesagt werden, daß der heute beobachtbare Teil des Universums zu Beginn in einem kleinen Volumen zusammengepreßt war. Dessen Ausmaß kann aber nicht genau angegeben werden; hierzu m¨ußten wir wissen, um welchen Faktor sich das Weltall bisher ausgedehnt hat. Daß seit der Epoche 380 000 Jahre nach dem Urknall“ (also seit Freisetzung der Mikro” wellenhintergrundstrahlung) eine Expansion um das 1089fache stattgefunden hat, wissen wir ziemlich genau; das Ausmaß der davor vermutlich extrem st¨arkeren und schnelleren Ausdehnung liegt aber noch zum Teil im Dunklen. d) Hat das Weltall einen Mittelpunkt und einen Rand? Nein, keinesfalls! Zur Frage eines Mittelpunkts: Daß Universen mit flachem oder negativ gekr¨ummtem Raum keinen Mittelpunkt haben k¨onnen, zeigen schon ihre zweidimensionalen Analoga (siehe oben); auch denen fehlt ein nat¨urlicher Mittelpunkt. Das gilt aber auch f¨ur den positiv gekr¨ummten Raum: Den Mittelpunkt der Kugel im Inneren der als zweidimensionales Analogon dienenden Kugeloberfl¨ache muß man hierbei n¨amlich ausschließen, denn er geh¨ort ja nicht zum zweidimensionalen Raum der Kugelfl¨ache. Ebensowenig hat der positiv gekr¨ummte dreidimensionale Vollraum“ einen ” Mittelpunkt. Somit weist keines der Modelle der modernen Kosmologie einen Mittelpunkt auf. Zur Frage eines Randes: Wieder helfen die zweidimensionalen Analoga weiter: Bei der ebenen Fl¨ache und der Sattelfl¨ache ist das Fehlen eines Randes offensichtlich: Etwas Unendliches kann nicht begrenzt sein. Die Kugelfl¨ache ist zwar endlich, aber doch auch eindeutig unbegrenzt: Versetzt man sich in ein zweidimensionales Wesen, so wird man beim Herumreisen auf der zweidimensionalen Kugeloberfl¨ache niemals an eine Grenze stoßen. Ebensowenig hat ein Universum mit sph¨arischem Raum eine Grenze. W¨urde man sich in einem solchen Universum stets geradeaus bewegen, k¨ame man schließlich (bei ausreichender Lebensdauer des Universums) wieder an den Ausgangspunkt zur¨uck! Auch Lichtstrahlen w¨urden dort dieses Schicksal erleiden! Damit hat kein einziges der modernen Weltmodelle einen Rand! Wegen dieser Rand- und Mittelpunktlosigkeit ist auch das Bild des Feu” erballs“ f¨ur die ersten 380 000 Jahre des Weltalls irref¨uhrend: Ein Ball hat Mittelpunkt und Rand, das Universum aber hat beides nicht. e) Wie kann es sein, daß man einerseits der Mikrowellenhintergrundstrahlung eine Temperatur von 3 Kelvin (= minus 270◦ C) zuordnet, man aber andererseits mit Mikrowellen kochen kann?
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Hier muß man zwischen der Strahlungstemperatur (langwellige Strahlung = kalt, kurzwellige Strahlung = heiß) und der mittels Photonen u¨ bertragenen Energie unterscheiden. Auch eine Strahlung mit niedriger Strahlungstemperatur besteht aus Photonen, die man sich als kleine Energie-Pakete mit einer Energie von jeweils E = h·Frequenz vorstellen kann. Bestrahlt man nun z.B. ein Lebensmittel mit hinreichend vielen solcher Energie-Pakete, dann summieren sich auch diese zu einer hohen Gesamtenergie: Das Lebensmittel wird heiß! f) Breiten sich die Galaxien, Quasare etc. in einem vorher vorhandenen Raum aus? Nein, der Raum selbst dehnt sich aus! g) Bedeutet die Tatsache, daß sich in jeder Richtung alles von uns entfernt, daß die Erde im Zentrum des Weltalls steht? Nein, keinesfalls! Hier hilft die Luftballon-Analogie weiter: Klebt man auf eine halbgef¨ullte Luftballonh¨ulle viele kleine Papierschnitzel, dann entfernen sich von einem x-beliebigen Schnitzel alle anderen, wenn man die H¨ulle weiter aufbl¨ast. Das Weltall ist mittelpunktlos! Ein anderes Modell zur Erkl¨arung dieses alles entfernt sich von allem“ ” (das gleich noch eine ganze Batterie anderer treffender Analogien mitliefert) ist das Teigmodell“ der Raumexpansion: Darin vergleicht man das ” Universum mit einem aufgehenden (Expansion) Kuchenteig (den man sich aber ohne Grenzen vorstellen sollte!) mit gleichm¨aßig (Homogenit¨at) eingemischten Rosinen, die die Galaxienhaufen repr¨asentieren sollen. Jede Rosine entfernt sich von jeder anderen; die Entfernungszunahme pro Zeiteinheit ist proportional zum Ausgangsabstand (Hubble-Gesetz). Denkt man sich nun noch die den aufgehenden Teig verformende irdische Schwerkraft weg, dann besteht auch eine Isotropie. h) Wie sieht das Weltall von außen aus? Auch diese Frage ist sinnlos: Außerhalb des Alls gibt es keinen Raum, somit auch keine Beobachter. i) Wie wird sich das Weltall weiterentwickeln? Man weiß es nicht ganz sicher, die zur Zeit bekannten Daten bewertet man aber dahingehend, daß das Universum ewig expandieren wird. j) Gibt es auch woanders Leben im Weltall? Die Bedingungen f¨ur die Entstehung von Leben auf anderen Planeten oder Monden sind sicher nur bei einem winzigen Bruchteil dieser Himmelsk¨orper gegeben. Und das tats¨achliche Zustandekommen von Leben d¨urfte noch viel seltener sein. Da es aber
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• • • • •
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so extrem viele Galaxiensuperhaufen mit jeweils extrem vielen Galaxienhaufen mit jeweils extrem vielen Galaxien mit jeweils extrem vielen Sternen gibt und offenbar ein hoher Prozentsatz der Sterne Planeten besitzt,
ist die Wahrscheinlichkeit f¨ur Leben auch an anderen Orten durchaus nicht klein. Sollte das Weltall unendlich groß sein, wonach es derzeit aussieht, liegt die Wahrscheinlichkeit f¨ur außerirdisches Leben bei 100%. Kontakte zu anderen Zivilisationen (auch mittels lichtschneller Signale) sind aber u.a. wegen der riesigen Entfernungen schwierig zu bewerkstelligen.
4.4 Das Weltall als Raum-Zeit-Diagramm Raum-Zeit-Diagramme (RZD) wurden oben als Darstellungsmittel f¨ur SRTEffekte vorgestellt. Aber auch in der Kosmologie werden sie gerne eingesetzt und liefern dort gleichfalls interessante Einsichten. Leser, die mit RZD nicht vertraut sind, sollten vor dem Weiterlesen erst Abschnitt 1.17 studieren, zumindest dessen ersten Teil. Die folgende Abbildung zeigt nun ein solches Universum-RZD auf der Basis des aktuell akzeptierten Weltmodells (flacher Raum, 70% Dunkle Energie, 30% Materie, davon u¨ berwiegend kalte Dunkle Materie, H0 = 71 km/s/Mpc). Die Achsen dieses RZD sind im Prinzip genauso gew¨ahlt wie in Abschnitt 1.17: Lineare Skaleneinteilung, aufeinander senkrechte Achsen; nur die Einheiten sind etwas“ gr¨oßer gew¨ahlt: Mrd. Jahre (Zeitachse) und ” Mrd. Lichtjahre (Ortsachse, hier: proper distance126 ). Eigentlich m¨ußte bei einer solchen Achsenskalierung nach unseren Erkenntnissen aus Abschnitt 1.17 unser r¨uckw¨artiger Lichtkegel (Licht, das uns aus der Vergangenheit erreicht) aus geraden 45◦ -Lichtweltlinien bestehen. In Wirklichkeit ist der Lichtkegel bei dieser Darstellungsform stark deformiert; wie konnte das nur passieren? Dies ist das Ergebnis der Raumexpansion! Beginnen wir mit der Analyse bei t = 0, also zur Zeit des Urknalls: Damals waren Raumbereiche, die heute extrem weit voneinander entfernt sind, ganz dicht zusammengedr¨angt, deshalb beginnt auch der Verlauf unseres Lichtkegels so nah bei unserem Ort (0). Nach dem Zeitpunkt t = 0 wird dann das in unsere Richtung abgestrahlte Licht nicht (wie bei den Lichtkegeln der SRT) durch eine auf unsere Weltlinie (= t-Achse) zulaufende Lichtweltlinie abgebildet, nein, die Lichtweltlinie verl¨auft erst einmal von unserer 126
Wie in RZD u¨ blich sind zwei Raumdimensionen unterdr¨uckt: Es werden also nur Vorg¨ange entlang eines (Seh-)Strahls dargestellt.
Raum-Zeit-Diagramm des ⌳-CDM-Konkordanz-Modells (⍀ M ; ⍀Λ ) = (0,3; 0,7) mit H0 = 71 km/s/Mpc (nach T. M. Davis & C. H. Lineweaver 2004)
4.4 Das Weltall als Raum-Zeit-Diagramm 319
320
4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Weltlinie weg! Dies kommt dadurch zustande, daß (im lokalen Raum mit c) in unsere Richtung abgestrahlte Photonen durch die weit u¨ berlichtschnelle Raumexpansion des jungen Universums erst einmal von uns weggetragen wurden! Die (zumindest theoretisch) meßbare Entfernung (proper distance) zwischen uns und den Photonen nimmt also zun¨achst zu, obwohl sich die Photonen in ihrem lokalen System in unsere Richtung bewegen, und zwar fortw¨ahrend mit c ! Zu einem sp¨ateren Zeitpunkt hat der Lichtkegel dann kurzzeitig einen vertikalen Verlauf. Dies ist Ausdruck daf¨ur, daß die Photonen zu diesem Zeitpunkt ihre Entfernung relativ zu uns nicht mehr erh¨ohen; sie sind nun sozusagen station¨ar. Das wiederum bedeutet, daß sich zu diesem Zeitpunkt die dortige Raumgegend genau mit c von uns entfernt. Die Fluchtgeschwindigkeit c und die lokale Photonengeschwindigkeit c (allerdings in Gegenrichtung: auf uns zu) heben sich gegeneinander auf: Dies ergibt die Gesamtgeschwindigkeit null! Erst danach neigt sich die Lichtweltlinie unserer Weltlinie zu; die Nettogeschwindigkeit der Photonen ist damit erstmals auf uns zu gerichtet. Dies bedeutet, daß sie in diesem letzten Zeitabschnitt Raumgegenden durchfliegen, die sich langsamer als c von uns entfernen. Und ganz am Schluß der Reise (heute) treffen die Photonen mit genau c hier ein: Der Winkel zwischen unserer Weltlinie und der Lichtweltlinie ist genau 45◦ , wie es sein muß. Hier unmittelbar bei uns kommt n¨amlich nur die lokale Photonengeschwindigkeit c zur Geltung (Expansionsgeschwindigkeit = 0). Eine zweite Linie im RZD ist mit Hubble-Sph¨are“ beschriftet, genau” er m¨ußte es Radius der Hubble-Sph¨are“ heißen. Dieser Radius (auch ” Hubble-L¨ange“ genannt) ist dadurch definiert, daß dortige Raumberei” che eine Expansionsgeschwindigkeit von exakt c aufweisen. Innerhalb der Hubble-Sph¨are betragen alle Expansionsgeschwindigkeiten weniger als c, außerhalb mehr als c . Einen Ereignispunkt auf der Linie Hubble-Sph¨are“ haben wir schon ” erkl¨art: Dort wo der Lichtkegel vertikal ist, war die Expansionsgeschwindigkeit c; kein Wunder, daß sich hier beide Linien kreuzen. Wie erkl¨art es sich nun, daß sich die Hubble-Sph¨are st¨andig nach außen ausdehnt, also gr¨oßer wird? Dazu m¨ussen wir das Hubble-Gesetz bem¨uhen: Fluchtgeschwindigkeit = Hubble- Konstante“ mal proper distance r , ” kurz
v f = H · r.
Der Radius der Hubble-Sph¨are ergibt sich nach obiger Definition als Spezialfall dieses Gesetzes, n¨amlich
4.4 Das Weltall als Raum-Zeit-Diagramm
mit v f = c : oder :
321
c = H · (Radius der Hubble-Sph¨are), Radius der Hubble-Sph¨are = c/H !
Die Hubble- Konstante“ H m¨ussen wir hier nat¨urlich als variabel anse” hen, denn wir untersuchen ja die gesamte Geschichte des Weltalls: Bis vor (f¨unf bis) sechs Milliarden Jahren hat sich die anfangs extrem hohe Expansionsgeschwindigkeit (mit riesigem H ) verlangsamt. Und daß bei einer sich verlangsamenden Expansion der Wert von H abnimmt, ist sofort einsichtig. In den letzten (f¨unf bis) sechs Milliarden Jahren hat sich die Expansion wieder beschleunigt. Daß H auch bei sich beschleunigender Expansion (bei den allermeisten solcher Weltmodelle) abnimmt, leuchtet allerdings nicht so leicht ein. Dies ist aber tats¨achlich der Fall (f¨ur Spezialisten: Dies gilt f¨ur 0 > q > −1 ; q = Dezelerationsparameter127 ). Da nun H kleiner wird, muß (da H im Nenner steht) nach obiger Formel die Hubble-Sph¨are st¨andig gr¨oßer werden. Ihre heutige Gr¨oße erh¨alt man nat¨urlich durch Einsetzen des heutigen Wertes H0 : c = 13, 77 Mrd. Lichtjahre (Zwischenergebnis: 4222 Mpc). 71 km/s/Mpc Zur Zeit breitet sich die Hubble-Sph¨are mit ca. 0,15 c aus. Nachdem nun Lichtkegel und Hubble-Radius erkl¨art sind, k¨onnen wir uns endlich den Weltlinien der Galaxien zuwenden (es sind die mit verschiedenen Rotverschiebungswerten z beschrifteten Linien), was uns eine ganze Menge an Einsichten bescheren wird. Zuerst f¨allt nat¨urlich auf, daß es im Gegensatz zu den SRT-RZD hier auch Weltlinien mit einem flacheren Verlauf als 45◦ gibt. Sie repr¨asentieren Galaxien, die sich in Raumbereichen aufhalten, die sich u¨ berlichtschnell von uns entfernen. Die Steigung der Weltlinien kann sich auch ¨ a¨ ndern, was einer Anderung der Expansionsgeschwindigkeit entspricht. Diese Ver¨anderung der Steigung ist beim gew¨ahlten Maßstab fast unmerklich: Bis etwa acht Mrd. Jahre nach dem Urknall werden die Weltlinien etwas steiler (sich verlangsamende Expansion), danach etwas flacher (beschleunigte Expansion). Untersuchen kann man auch den Unterschied zwischen der Geschwindigkeit der Galaxien (genauer: ihrer Raumgegenden!) bei der Emission des Lichts, das wir heute empfangen (Kreuzungspunkt zwischen Lichtkegel und
127
q betr¨agt zur Zeit ca. −0,85
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4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Weltlinie = Emissionsereignis), und heute (Kreuzungspunkt zwischen Weltlinie und der Zeitlinie heute“). In der Regel wird die Emissionsgeschwin” > digkeit h¨oher sein (flacherer Weltlinienverlauf; f¨ur z ∼ 2). Nach dem Emissionsereignis trennen sich die Wege von Licht und Emitter: Den Weg des ersteren bildet der Lichtkegel ab, den Weg des letzteren die Weltlinie des Objekts. Was kann uns das RZD des Universums noch zeigen? Hier die wichtigsten Punkte: a) Wie weit reicht unser Blick nach draußen? Wenn man von Entfernungen im Weltall spricht, so meint man meist die heutige Entfernung des betrachteten Objekts, obwohl es das uns heute erreichende Licht an einem Ort viel n¨aher bei uns abgestrahlt hat. Untersuchen wir zun¨achst die Entfernungen heute“: Hierzu m¨ussen wir ” ¨ den Begriff Partikel-“ oder auch Weltlinienhorizont“ einf¨uhren. Uberle” ” gen wir zun¨achst, von welchen Objekten wir heute u¨ berhaupt Signale empfangen k¨onnen: Nat¨urlich von denjenigen Objekten, deren Weltlinien unseren heutigen Lichtkegel kreuzen. Solche Objekte, deren Weltlinien unseren heutigen Lichtkegel nicht kreuzen, k¨onnen wir nicht sehen. Um das am weitesten entfernte f¨ur uns noch theoretisch sichtbare“ ” Objekt zu finden, m¨ussen wir aus den Weltlinien, die unseren Lichtkegel kreuzen oder zumindest ber¨uhren, diejenige ausw¨ahlen, die ein Objekt mit einer Rotverschiebung von unendlich (also an der Grenze der Detektierbarkeit128 ) repr¨asentiert. Wo diese a¨ ußerste“ Weltlinie auf die Zeitlinie heute“ ” ” trifft, muß unser Horizont liegen129 . Wir finden ihn bei sage und schreibe 46 Mrd. Lichtjahren! Dies ist die maximale heutige Entfernung von Objekten, deren Signale (aber nicht Licht, siehe unten) wir heute theoretisch empfangen k¨onnen. Dieser Partikelhorizont bildet eine Kugelfl¨ache um unseren Standort herum mit einem Radius von 46 Mrd. Lichtjahren. Das ist er nun endlich: der beobachtbare Teil des Universums! Und er ist viel gr¨oßer als in popul¨aren Medien angegeben! Es handelt sich dabei aber nur um einen theoretischen Horizont, denn das im fr¨uhen Weltall vorhandene Plasma (feuriger Zustand) macht uns einen Strich durch die Rechnung: Es war undurchsichtig. Objekte mit extrem hoher Rotverschiebung (¨uber ca. 1090) k¨onnen wir daher (falls es sie gegeben h¨atte) mit elektromagnetischen Detektoren nicht registrieren. Dies k¨onnte 128
Denn eine unendlich rotverschobene, also bis auf eine Wellenl¨ange von unendlich gedehnte Lichtwelle ist nat¨urlich nicht mehr registrierbar. 129 Trifft auf alle Weltmodelle mit einem Urknall zu.
4.4 Das Weltall als Raum-Zeit-Diagramm
323
nur durch Beobachtung von Neutrinos oder Gravitationswellen gelingen, denn diese k¨onnen auch ein Plasma u¨ berwinden130 . F¨ur Beobachtungen von elektromagnetischen Lebenszeichen“ aus dem ” fr¨uhen Weltall m¨ussen wir uns also nach einem n¨aher gelegenen praktikableren Horizont umsehen. Wir m¨ussen uns auf Weltlinien beschr¨anken, die Objekte mit einer Rotverschiebung von 1090 oder weniger repr¨asentieren. Das Objekt“, das von der Weltlinie mit z = 1090 repr¨asentiert wird, ” ist das Weltall selbst! Dieses Licht wurde frei, als das Weltall transparent wurde. Die heutige Mikrowellenhintergrundstrahlung ist immer noch dasselbe Licht“, nur eben (kosmologisch) stark rotverschoben. Es ist die a¨ lteste ” elektromagnetische Strahlung, die wir registrieren k¨onnen. Verfolgt man nun diese Weltlinie bis zur Zeitlinie heute“, dann sieht man, daß dieser elektro” magnetische Horizont nur wenig n¨aher liegt als der Partikelhorizont, n¨amlich bei etwa 44 Mrd. Lichtjahren. Die Region, welche die Strahlung emittiert hat, befindet sich also heute in dieser Entfernung. Dies ist eine Art Sichtgrenze“. ” W¨are es nun richtig zu sagen, das Weltall sei 2 mal 46 Mrd. Lichtjahre groß? Nein! Weiter draußen ist auch noch Weltall“, nur eben unbeobacht” bares. b) Das Rotverschiebungsparadoxon Dieses besteht darin, daß uns hochrotverschobene Galaxien bei der Emission ihres Lichts n¨aher (!) waren als solche mit geringerer Rotverschiebung, obwohl wir das Licht beider heute gleichzeitig empfangen. Beispielsweise ist die Galaxie mit z = 10 heute nat¨urlich weiter von uns entfernt als die mit z = 3 . Bei den Emissionsorten verh¨alt es sich aber genau umgekehrt: Der Emissionsort der Galaxie mit z = 10 war n¨aher an unserer Weltlinie als der der Galaxie mit z = 3 ! (Die Emissionsereignisse sind die Schnittpunkte der jeweiligen Weltlinie mit unserem heutigen Lichtkegel.) Die Aufl¨osung des Paradoxons gelingt u¨ ber die unterschiedlichen Emissionszeiten. Die Galaxie mit z = 10 hat ihr Licht fr¨uher abgestrahlt (im Vergleich mit derjenigen mit z = 3), als das Weltall noch deutlich mehr zusammengedr¨angt war. In dem Zeitraum zwischen dem Emissionszeitpunkt von z = 10 und dem von z = 3 hat die Raumexpansion den Ort der (dann ja noch zuk¨unftigen!) Emission der Galaxie mit z = 3 weiter weggetragen. Als es dann zur Emission bei z = 3 kam, war diese Galaxie schon weiter von uns weggetragen worden als der Emissionsort der z-10-Galaxie!
130
Zeitlich k¨onnen wir also theoretisch bis zum Urknall zur¨uckforschen, r¨aumlich sind uns dagegen Grenzen gesetzt.
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4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Das Paradoxon tritt nur vom Urknall bis zum vertikalen Abschnitt des Lichtkegels auf; zwischen diesem vertikalen Abschnitt und der Jetztzeit ist die Welt dagegen in Ordnung“: Hier steigt die Emissionsdistanz monoton ” mit der Rotverschiebung. Der Wendepunkt“ des Lichtkegels ist bei etwa 5-6 ” Mrd. Lichtjahren Entfernung und bei z ≈ 1,6 ; dort war die Emissionsentfernung maximal. Alles an Licht, das wir heute sehen, stammt (unabh¨angig von der Rotverschiebung!) aus (Emissions-)Entfernungen von weniger als 6 Mrd. Lichtjahren! c) Wir sehen auch u¨ berlichtschnell weggetragene Objekte! Sehen wir uns dazu die Weltlinie der Galaxie mit z = 10 an: Ihr Licht wird durch die Raumexpansion zun¨achst noch von uns weggetragen, erkennbar am Breiterwerden des Lichtkegels nach der Emission. Das bedeutet, daß sich die Raumgegend, in der sich die Galaxie aufh¨alt, zur Emissionszeit schneller als c von uns entfernt. Aber im weiteren Zeitverlauf wird die Hubble-Sph¨are st¨andig gr¨oßer (siehe oben), und genau beim vertikalen Abschnitt des Lichtkegels f¨angt“ die Hubble-Sph¨are die Photonen gewissermaßen ein. Ein nun ” innerhalb der Hubble-Sph¨are befindliches Photon macht dort erstmals Boden gut: Die dortige Raumexpansion ist unterlichtschnell, zusammen mit der im lokalen Raum auf uns zu gerichteten Geschwindigkeit c ergibt sich eine auf uns zu gerichtete Nettogeschwindigkeit gr¨oßer als null. Das Photon hat nun ein zunehmend leichteres Spiel, die Distanz zu uns zu verringern. Und am Ende seiner Reise k¨onnen wir es auf der Erde registrieren: Ein Signal von einem Objekt, das sich u¨ berlichtschnell (aufgrund der Raumexpansion) von uns entfernt hat! Das zun¨achst Unglaubliche ist doch geschehen. Bei diesem Problem durften wir die heute sehr viel gr¨oßere Entfernung solcher Objekte (w¨ahrend der Lichtlaufzeit tr¨agt sie die Expansion ja weiter hinaus) getrost vergessen: Es gen¨ugte zu zeigen, daß uns Licht vom (sehr viel n¨aheren!) Emissionsort erreichen kann. d) Gilt das Hubble-Gesetz Fluchtgeschwindigkeit = H · proper distance“? ” Ja, auch dieses Gesetz steckt in unserem RZD, wenn auch etwas verborgen: Wenn wir die Steigung aller eingezeichneten (und weiterer) Weltlinien an ihrem Schnittpunkt mit der Zeitlinie heute“ messen und (nach ” tan β = v/c) in Geschwindigkeiten umrechnen w¨urden, erg¨abe sich: doppelte Entfernung − doppelte Fluchtgeschwindigkeit, dreifache Entfernung − dreifache Fluchtgeschwindigkeit, und zwar auf beliebige Entfernungen! e) Welche Galaxien sind heute expansionsbedingt lichtschnell? Dazu m¨ußten wir die Steigungen der (nicht eingezeichneten) Weltlinien zwischen z = 1 und z = 3 besonders fein abgestuft messen. Dann w¨urden wir
4.4 Das Weltall als Raum-Zeit-Diagramm
325
finden, daß diejenige mit z = 1,46 am Schnittpunkt mit der Zeitlinie heute“ ” genau eine Steigung von 45◦ aufweist. Das bedeutet: Eine Galaxie mit dieser Rotverschiebung ist heute lichtschnell, Galaxien mit Rotverschiebungen von weniger als 1,46 sind heute unterlichtschnell, solche mit mehr als 1,46 heute u¨ berlichtschnell. Mit anderen Worten: Eine Galaxie, die sich heute am Rand der HubbleSph¨are aufh¨alt, hat eine Rotverschiebung von 1,46. Der gr¨oßte Vorteil des Universums-RZD ist, daß Entfernungen und Geschwindigkeiten sowohl von Objekten (bzw. Raumbereichen) als auch der von ihnen emittierten Strahlung auf einen Blick beurteilt werden k¨onnen. Am Extrembeispiel der Mikrowellenhintergrundstrahlung sei dies gezeigt: Die Emission dieser Strahlung geschah fast am Nullpunkt des Diagramms, sowohl zeitlich (t = 0,000 380 Mrd. Jahre!), als auch r¨aumlich (nur ca. 40,5 Millionen Lichtjahre entfernt!), also sozusagen direkt vor unserer Haust¨ur! F¨ur einen (hypothetischen) damaligen Beobachter war die kosmologische Rotverschiebung nat¨urlich noch null (die Beschriftung der Weltlinien gibt ja nur die heutige Rotverschiebung an). Wegen der damals extrem raschen Raumexpansion sind die Weltlinien sowohl der emittierenden Raumregion (Linie mit z = 1090“) als auch die der Strahlung (also der Lichtkegel selbst) ” anfangs fast horizontal, entsprechend einer Geschwindigkeit von 58 c (emittierende Raumregion) bzw. 57 c (die im lokalen Raum mit 1 c in unsere Richtung emittierte Strahlung), beide Geschwindigkeiten sind noch jeweils von uns weggerichtet. Der weitere Geschwindigkeitsverlauf der Strahlung ergibt sich aus dem Steigungsverhalten der Lichtweltlinie (Lichtkegel), der Geschwindigkeitsverlauf der emittierenden Region aus der Steigung der Weltlinie z = 1090“. ” Beide Kurven werden steiler, entsprechend einer Verlangsamung, wobei die Lichtweltlinie sogar senkrecht wird (Effektivgeschwindigkeit des Lichts = null). Nach diesem senkrechten Abschnitt neigt sich die Lichtweltlinie in die entgegengesetzte Richtung und wird flacher, bis sie heute“ eine 45◦ ” Steigung erreicht. Dies bedeutet eine nun auf uns zu gerichtete Bewegung mit einem Geschwindigkeitszuwachs von null auf c (die Endrelativgeschwindigkeit in unserem lokalen Raum). Heute“ ergibt sich dann folgendes ” Bild: • Strahlung:
Ort: hier (Distanz = 0), Geschwindigkeit: c , Rotverschiebung: ca. 1090 ; • emittierende Region: Ort: ca. 44 Mrd. Lichtjahre entfernt, Geschwindigkeit: 3, 2 c .
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4 Ordnung im Zoo“ der Rotverschiebungen ”
Dieses Beispiel zeigt ganz drastisch, daß wir in der Kosmologie bei der Beurteilung eines Objekts immer Geschwindigkeiten und Entfernungen heu” te“ von den Emissionsgeschwindigkeiten und Emissionsentfernungen unterscheiden m¨ussen. Alle diese vier Werte (und alle Zwischenwerte) sind von der Weltlinie des Objekts ablesbar; Entfernung und Geschwindigkeit der emittierten Photonen sind vom Lichtkegel ablesbar. Eine wirklich praktische Sache! Soviel zum Weltall-RZD. Trotz seines einfachen Aufbaus hat es uns eine ¨ ganze Menge erz¨ahlen k¨onnen und uns endlich den ganz großen Uberblick“ ” verschafft. Mit diesem im Wortsinn allumspannenden Thema kommt diese Schrift zu ihrem Ende. Die Autoren hoffen, daß sie dem Leser viel Freude bereitet hat und ihm aufzeigen konnte, daß die hohe Wissenschaft“ Relativit¨atstheorie ” durchaus auch f¨ur den Laien faszinierende Einblicke bereith¨alt. Das zun¨achst scheinbar Unbegreifliche am Ende doch noch zu begreifen, wird jedem interessierten Leser ein intensiver Genuß sein! Die Autoren w¨urden sich jedenfalls freuen, wenn sie ein Quentchen jener Empfindungen weitergeben konnten, von denen Dawkins sagt: Das Gef¨uhl des ehrf¨urchtigen Staunens, das uns die Naturwissenschaften ver” mitteln k¨onnen, geh¨ort zu den erhabensten Erlebnissen, deren die menschliche Seele f¨ahig ist. Es ist eine tiefe a¨ sthetische Empfindung, gleichrangig mit dem Sch¨onsten, das Dichtung und Musik uns geben k¨onnen.“ R ICHARD D AWKINS in D ER ENTZAUBERTE R EGENBOGEN, 2002
Anhang A
Rote Riesen, Weiße Zwerge & Co. − Was steckt hinter diesen Namen?
In mehreren Abschnitten dieses Buches wurden verschiedene Sterntypen erw¨ahnt. Dieser Anhang bietet erg¨anzend eine Kurzvorstellung der verschiedenen Objektarten. Hier zun¨achst eine vereinfachte schematische Darstellung der wichtigsten Entwicklungswege von Sternen:
Nun zu den verschiedenen Objekttypen im einzelnen (die Absolutwerte f¨ur Sonnenmasse und Sonnenradius finden sich am Anfang des Buches):
A.1 Hauptreihensterne Diese finden sich in obigem Schema ganz links; die meisten sichtbaren Sterne geh¨oren diesem Typ an. Sie entstehen aus Gas- und Staubwolken, die unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren und sich verdichten. Der Kollaps einer solchen Wolke setzt sich so lange fort, bis in ihrem Kern aufgrund der hohen Druck- und Temperaturwerte die Fusion von Wasserstoff (aus dem sie im wesentlichen besteht) zu Helium beginnt. Dieses Wasserstoff” brennen“ im Kern ist ein gemeinsames Merkmal aller Hauptreihensterne, unabh¨angig von ihren sonstigen Eigenschaften. Durch diesen energiefreiset327
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A
Rote Riesen, Weiße Zwerge & Co.
zenden Fusionsprozeß entsteht ein starker Gegendruck, der dem gravitativen Druck die Waage h¨alt. So erreichen die Sterne eine gewisse Stabilit¨at; deshalb ist dieses Stadium auch das l¨angste im Leben“ der Sterne. Die Dauer ” dieser Lebensphase variiert aber von Stern zu Stern enorm: Extrem massereiche Sterne verbrauchen ihren Wasserstoffvorrat im Kern (wegen der dort sehr hohen Temperaturen und Druckwerte) in nur wenigen Millionen Jahren, w¨ahrend die leichtesten Sterne nur auf kleiner Flamme“ vor sich hin ” k¨ocheln und durchaus mehr als 100 Milliarden Jahre lang in diesem Stadium verbleiben k¨onnen. Die genannte Zahl ist kein Irrtum: Diese kleinsten Sterne haben eine Lebenserwartung, die ein Mehrfaches des bisherigen Alters des Weltalls betr¨agt! Unsere Sonne wird insgesamt etwa zehn Milliarden Jahre im Stadium des Wasserstoffbrennens zubringen, davon hat sie nun ungef¨ahr die H¨alfte hinter sich. Die Massen der Hauptreihensterne reichen von etwa 0,08 Sonnenmassen bis ca. 80 Sonnenmassen, wobei es wesentlich mehr leichte als schwere Sterne gibt. Die Gr¨oße der Hauptreihensterne variiert geringer: von etwa 0,2 bis 25 Sonnendurchmesser. Ihre Oberfl¨achentemperaturen betragen etwa 2 500 bis 40 000 Grad (Sonne: ca. 6 000 ◦ C)131 . Dabei besteht eine enge Korrelation zwischen Masse, Temperatur und Farbe der Hauptreihensterne: Die leichten, die nur langsam Wasserstoff zu Helium verbrennen, sind k¨uhl und glimmen nur orangefarben (daher Rote Zwerge“). Am anderen Ende der Skala ” stehen die extrem schweren, heißen und weiß-bl¨aulichen Sterne (Blaue Riesen). Die Farbe variiert analog zu einem St¨uck heißem Metall: rotes Glimmen − niedrige Temperatur, weiß-bl¨auliches Gl¨uhen − hohe Temperatur. Die Sonne steht mit ihrer weiß-gelblichen Farbe etwa in der Mitte der Skala. Unser Heimatstern ist also ein mittelm¨aßiger Hauptreihenstern mit in jeder Hinsicht gem¨aßigten Eigenschaften. Daß im Nahbereich der Sonne relativistische Effekte nur in geringem Ausmaß auftreten, wurde schon in Kapitel 2 erw¨ahnt. Ebenso verh¨alt es sich bei allen anderen Hauptreihensternen. Solche Objekte, die bei ihrer Geburt“ zu wenig Masse abbekommen ” haben, um das nukleare Feuer im Kern zum Z¨unden zu bringen (zu niedriger Innendruck), die also keine Hauptreihensterne sind, nennt man Braune Zwerge. Sie sind anfangs noch m¨aßig heiß (als Folge der Kontraktion des Gases) und k¨uhlen dann fortlaufend ab. Die leichtesten Hauptreihensterne werden nach Aufbrauchen des Wasserstoffs in ihrer Kernzone ohne großes Aufsehen langsam verglimmen und in 131
Im Inneren der Sterne sind die Temperaturen nat¨urlich sehr viel h¨oher: In den Zentren bis zu Dutzenden Millionen Grad.
A.2 Rote Riesen
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ferner Zukunft zu Schwarzen Zwergen werden. Sterne vom Kaliber unserer Sonne und alle schwereren Hauptreihensterne sterben dagegen nicht so leise, sondern durchlaufen erst ein turbulentes Stadium: das Rote-Riesen-Stadium.
A.2 Rote Riesen In diesem Stadium ist der Wasserstoffvorrat im Kern schon verbraucht! Dort verschmelzen nun zuerst Helium und sp¨ater auch noch schwerere Atomkerne miteinander, bis maximal zu Eisenkernen (dieses Ende der Fusionskette erreichen aber nur die schwereren Exemplare). Das Wasserstoffbrennen findet aber auch bei diesen Sternen noch statt, allerdings in einer Schale um den Kern herum. Da diese Zone des Wasserstoffbrennens somit n¨aher an der Sternoberfl¨ache liegt und zus¨atzlich aus dem Kern mehr Energie nach außen str¨omt, heizen sich die mittleren Schichten des Sterns st¨arker auf, der gesamte Stern bl¨aht sich auf! Die a¨ ußeren Schichten geraten bei diesem Aufplustern noch weiter nach außen, was sichtbare Folgen hat: Diese a¨ ußeren Schichten sind nun weit vom Gravitationszentrum (dem Sternmittelpunkt) entfernt und unterliegen daher nur noch einer geringen Schwerkraft. Dies bewirkt eine weitere Ausdehnung der a¨ ußeren Sternh¨ullen und damit deren Verd¨unnung und Abk¨uhlung auf etwa 3000 Grad: Die Sternoberfl¨ache leuchtet deshalb nicht mehr weiß, sondern eher gelb-orange (daher der Name!). Auf diese Weise kann ein Stern seinen Radius gut und gerne auf das Hun¨ dertfache steigern! Die gr¨oßten Roten (Uber-)Riesen w¨aren, w¨urde man sie an die Stelle der Sonne setzen, gr¨oßer als die Jupiterbahn! Im Zuge dieser Aufbl¨ahung werden auch sternnahe Planeten von den Gasmassen erfaßt oder (solche in gr¨oßerer Entfernung) in lebensfeindliche Hitzew¨usten verwandelt. Das letztgenannte Schicksal wird auch die Erde in ferner Zukunft ereilen. Dabei sind die Gasmassen der a¨ ußeren Schichten dieser Sterne extrem fein verteilt: Noch viele Tausende von Kilometern unter der Oberfl¨ache der Roten Riesen ist die Sternmaterie so d¨unn verteilt, daß sie f¨ur irdische Ingenieure als fast perfektes Vakuum gelten w¨urde! Aufgrund dieser Situation ist die durchschnittliche Dichte der Roten Riesen sehr niedrig. Bei diesem Sterntyp sind deutliche relativistische Effekte wegen der großen Entfernung zwischen Gravitationszentrum und Oberfl¨ache noch weniger als bei Hauptreihensternen zu erwarten. Ein typischer Vertreter dieser Objektklasse ist der gelblich-orange Beteigeuze, der linke Schulterstern des sch¨onen Wintersternbildes Orion. Im Vergleich zum Hauptreihenstadium dauert die Rote-Riesen-Phase nur kurz: weniger als eine Milliarde Jahre. Außerdem ist es f¨ur den Stern eine
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Rote Riesen, Weiße Zwerge & Co.
unruhige Zeit: Viele pulsieren regelrecht, ver¨andern also ihren Radius, was mit erheblichen Helligkeitsver¨anderungen verbunden ist. Ein Musterbeispiel daf¨ur ist der Stern Mira im Sternbild Walfisch. Beim Aufbl¨ahen ist er mit bloßem Auge ganz leicht zu sehen, bei minimalem Radius ein paar Monate sp¨ater ist er sogar mit einem Feldstecher nicht mehr auffindbar! In diesem unruhigen Stadium verlieren die meisten Roten Riesen durch Materieausst¨oße (aufgrund von Sternwinden und Strahlungsdruck) auch ganz erhebliche Anteile ihrer Gesamtmasse. Man sch¨atzt, daß ein Roter Riese dabei etwa 80% seiner Masse verlieren kann. Bei schweren Sternen m¨undet diese Phase der Unruhe in eine Katastrophe: eine Supernova (Typ II), die einen Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch hinterl¨aßt. Die leichteren Roten Riesen verpuppen sich dagegen weniger spektakul¨ar in Weiße Zwerge.
A.3 Weiße Zwerge Die leichteren der Roten Riesen (zu denen einmal auch unsere Sonne geh¨oren wird) stoßen am Ende der Rote-Riesen-Phase ihre a¨ ußeren Schichten komplett ab. Die abgestoßene Materie bildet einen sogenannten Planeta” rischen Nebel“; das ist nur eine den Anblick im Fernrohr grob beschreibende Bezeichnung und hat sonst nichts mit Planeten zu tun. Sch¨one und auch mit Amateurfernrohren gut zu beobachtende Beispiele f¨ur solche Nebel sind der Ringnebel (im Sternbild Leier), der Eskimonebel (Drache), der Hantelnebel (F¨uchslein) und der Blaue Schneeball (Andromeda). Der Rest des Sterns hat keinen (unter den gegebenen Umst¨anden) verf¨ugbaren Fusionsbrennstoff mehr und zieht sich wegen nun fehlendem Innendruck zu einem Weißen Zwerg zusammen. Diese Sternasche“ ist zun¨achst sehr heiß (Oberfl¨achen” temperatur bis u¨ ber 80 000 Grad) und k¨uhlt dann u¨ ber Milliarden von Jahren ab. Obwohl so ein Objekt immer noch 0,4 bis 1,3 Sonnenmassen schwer ist, hat es nur etwa Erdgr¨oße! Entsprechend hoch sind die Dichte (108 − 109 kg/m3 ) und die Oberfl¨achen-Schwerebeschleunigung (ca. 200 000 g; Erdfallbeschleunigung = 1 g)! Wegen dieser extremen Verh¨altnisse treten bei Weißen Zwergen schon relativistische Effekte auf, deren Ausmaß st¨arker als bei Hauptreihensternen ist, aber deutlich schw¨acher als bei den noch zu besprechenden Neutronensternen. Viele Weiße Zwerge bestehen zu großen Teilen aus Kohlenstoff, wobei es sich stellenweise um eine diamant¨ahnlich auskristallisierte Form handeln kann! In den Innenbereichen ist die Materie entartet“, man spricht ” auch von einem Elektronengas“. Weiße Zwerge k¨onnen als stabile End” stadien der Sternevolution extrem lange existieren, außer sie kollidieren mit
A.4 Neutronensterne
331
einem anderen Objekt oder u¨ berschreiten durch auf sie herabfallende Materie (z.B. von einem Begleitstern stammend) ihr zul¨assiges Gesamtgewicht“, ” die sogenannte Chandrasekharsche Grenzmasse von 1,4 Sonnenmassen. In diesem Fall explodieren sie, wobei kein massiver Himmelsk¨orper u¨ brig bleibt (Supernova Typ Ia). Solche Ereignisse sind aber selten; die meisten Weißen Zwerge k¨uhlen irgendwann soweit ab, daß sie mit u¨ blichen Methoden nicht mehr nachweisbar sind. In unserer Galaxie, der Milchstraße, gibt es vermutlich mehrere Milliarden davon! Der bekannteste Weiße Zwerg ist der Begleiter des Hundssterns Sirius (Sirius B, auch Welpe“ genannt). Sehr viel leichter zu beobachten (auch ” mit kleinen Fernrohren) ist aber Omikron-2-Eridani B im Wintersternbild Eridanus. Wichtige theoretische Erkenntnisse u¨ ber Weiße Zwerge einschließlich ihrer oberen Grenzmasse hat S. Chandrasekhar erarbeitet.
A.4 Neutronensterne Die schwereren der Roten Riesen machen ihrem Leben mit einem Riesenfeuerwerk ein Ende, mit einer Supernova (Typ II). Diese Sternkatastrophe ist in Abschnitt 1.12 des Haupttextes beschrieben. Sie hinterl¨aßt in der Regel zweierlei: ein rasch expandierendes nebeliges Gebilde, die Explosionswolke, auch SNR = supernova remnant genannt, und einen Neutronenstern. Letzterer entsteht aus dem kollabierenden Eisenkern des Vorl¨aufersterns. Wegen der riesigen Masse dieses Eisenkerns verl¨auft der Kollaps derart ruckartig und gewaltig, daß er erst dann zum Stillstand kommt, wenn die kollabierende Materie eine extrem hohe Dichte hat. Dabei werden sogar die ansonsten recht stabilen Atomkerne des Eisens zerst¨ort. Durch den enormen Druck vereinigen sich Elektronen mit Protonen zu Neutronen. Der gesamte Innenbereich des Sterns“ besteht dann fast nur noch aus Neutronen, man k¨onnte ihn als ” einen riesigen, nur aus diesen Teilchen bestehenden Atomkern bezeichnen! Entsprechend hoch ist die Dichte eines solchen Himmelsk¨orpers: bis etwa 1018 kg/m3 . Ein w¨urfelzuckergroßes St¨uck dieser Materie hat also die unvorstellbare Masse von rund einer Milliarde Tonnen! Da verwundert es nicht, daß die Neutronensterne nur noch kleine Volumina einnehmen: Ihr Radius betr¨agt ca. 10 bis 15 km, sie sind also nur etwa so groß wie Berlin! Und doch sind in diesem kleinen Raumbereich ca. 1,5 Sonnenmassen enthalten! Die Schwerkraft an der Oberfl¨ache eines solchen Gebildes ist im wahrsten Sinn des Wortes erdr¨uckend: Die Fallbeschleunigung betr¨agt dort etwa das 1012 fache der Erdfallbeschleunigung! F¨allt ein K¨orper aus großer Entfernung auf
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Rote Riesen, Weiße Zwerge & Co.
einen Neutronenstern, schl¨agt er mit etwa halber Lichtgeschwindigkeit (!) auf dessen Kruste auf. Bei diesen Objekten treten schon deutliche relativistische Effekte auf: Lichtablenkung, radiale Raumkontraktion, gravitative Zeitdilatation und Rotverschiebung (siehe Kapitel 2 und dortige Rechenbeispiele sowie die Musterrechnung im Formelanhang zu Abschnitt 3.2). Diese Effekte sind an der Oberfl¨ache eines Neutronensterns immerhin ungef¨ahr so stark wie bei einem Abstand“ (Radius-Koordinate) von dreieinhalb bis vier ” Schwarzschild-Radien von der Singularit¨at eines Schwarzen Lochs! Viele schnell rotierende Neutronensterne haben starke Magnetfelder und senden in diesem Zusammenhang scharf geb¨undelte Radiostrahlung aus. Die mit Hilfe dieser Radiostrahlung entdeckten Neutronensterne werden Pulsare genannt, weil wegen ihrer Eigendrehung der Radiostrahl der Neutronensterne wie ein rotierendes Leuchtturmlicht u¨ ber die Erde streicht und so in irdischen Radioteleskopen Pulse in ganz regelm¨aßigen Zeitabst¨anden erzeugt. Auf diese Weise hat 1967 Jocelyn Bell auch den ersten Pulsar CP1919 entdeckt. Die regelm¨aßigen Pulse dieses und kurz darauf entdeckter weiterer Objekte wurden zuerst von T. Gold und F. Pacini zutreffend als zu rotierenden Neutronensternen geh¨orend gedeutet. Die Rotationsfrequenz der Pulsare kann extrem hoch sein: Der Rekordhalter PSR J1748-2446ad dreht sich in einer Sekunde (!) sage und schreibe 716 mal um seine eigene Achse! Manche Neutronensterne haben eine so stabile Rotationsfrequenz, daß sie genauere Uhren“ als die genauesten Atomuh” ren darstellen! Die Neutronensterne k¨onnen aber noch mit weiteren rekordverd¨achtigen Eigenschaften aufwarten: Einige von ihnen haben Magnetfelder, die u¨ ber eine Billiarde mal st¨arker sind als das Erdmagnetfeld! Wegen dieses herausragenden Merkmals werden sie Magnetare genannt. Der bekannteste (1968 entdeckte) Pulsar ist derjenige im Krebsnebel (genauer: Krabbennebel) im Sternbild Stier. Beide, Nebel und Pulsar, sind die Endprodukte jener Supernova, die im Jahre 1054 von Astronomen am chinesischen Kaiserhof ausgiebig beobachtet und dokumentiert wurde. Sie war zeitweise sogar am Tag sichtbar! Neutronensterne k¨onnen extrem lange fortexistieren; sie sind ein sehr stabiler Endzustand der Evolution schwerer Sterne; es d¨urfte allein in der Milchstraße einige Millionen davon geben. Beim Zusammenstoß zweier Neutronensterne kann ein Schwarzes Loch entstehen; solche Ereignisse sind vermutlich die Ursache der h¨aufig registrierten kurzen Gammastrahlungsausbr¨uche (short gamma-ray bursts). Die Existenz von Neutronensternen wurde theoretisch schon 1934 von W. Baade und F. Zwicky vorhergesagt. Erste quantitative Berechnungen zur Entstehung und Stabilit¨at von Neutronensternen haben L. D. Landau und eine Arbeitsgruppe um R. Oppenheimer angestellt.
A.5 Schwarze L¨ocher
333
A.5 Schwarze L¨ocher Diese Objektart wird in Kapitel 3 ausf¨uhrlich besprochen. Zum Vergleich der Gravitationsst¨arke an der Oberfl¨ache“ verschiedener ” Objekte folgt nun noch eine Aufstellung der Gewichtskraft, die ein 75 kg schwerer Mensch hervorrufen w¨urde: Roter Riese (1 Sonnenmasse, Radius = 70 Sonnenradien): 4N Erde: 736 N Sonne: 20500 N Weißer Zwerg: ca. 1,5·108 N Neutronenstern: ca. 2·1014 N Schwarzes Loch: unendlich Dieser Zahlenvergleich zeigt sehr sch¨on, warum es w¨ahrend der RoteRiesen-Phase zu einem so starken Massenverlust kommt: Die Sternmaterie an der Oberfl¨ache dieser Objekte ist nur einer sehr schwachen Gravitation ausgesetzt; schon durch leichte St¨oße k¨onnen sich die Partikel verfl¨uchtigen. Sterne treten im All in der Regel nicht vereinzelt auf, sondern entstehen und vergehen in riesigen Verb¨anden, den Galaxien. Deren Sternanzahl erstreckt sich u¨ ber eine große Skala: Von wenigen Millionen bei den kleinsten Zwerggalaxien bis hin zu mehreren Billionen bei den großen Exemplaren. Unsere Sonne und alle mit bloßem Auge sowie mit kleinen Fernrohren sichtbaren Sterne geh¨oren zur Milchstraße, unserer Heimatgalaxie. Sie hat die Form eines ca. 100 000 Lichtjahre großen Diskus, den wir von innen sehen: Daher das Erscheinungsbild einer bandf¨ormigen Verdichtung am Nachthimmel, welche die Himmelskugel“ in zwei H¨alften teilt. Die ” Milchstraße beherbergt etwa 250 Milliarden Sterne! Ihr Zentrum verbirgt sich hinter Staubwolken im Sternbild Sch¨utze. Zusammen mit der Andromedagalaxie und M33 im Sternbild Dreieck sowie ca. 40 kleinen Galaxien bildet die Milchstraße die Lokale Gruppe“ von Galaxien. Diese etwa ” f¨unf Millionen Lichtjahre große Gruppe ist ein kleines Anh¨angsel des viel gr¨oßeren Virgo-Galaxienhaufens, dessen Zentrum von uns aus gesehen in Richtung der Sternbilder Jungfrau und Haar der Berenike liegt, und zwar ungef¨ahr 60 Millionen Lichtjahre entfernt. Dieser Haufen besteht aus ca. 2 500 Galaxien. Der Virgo-Haufen und mehrere Nachbarhaufen bilden einen Superhaufen, von denen es wiederum Zehntausende im beobachtbaren Teil des Universums gibt! In den Kernbereichen mancher Galaxien werden vielf¨altige Aktivit¨atszeichen beobachtet. Nach heutiger Einsch¨atzung verbirgt sich dahinter aber in
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der Regel eine einheitliche Ursache, n¨amlich ein rotierendes supermassives Schwarzes Loch mit einer sogenannten Akkretionsscheibe (letztere ist grob vergleichbar mit den Saturnringen, aber dicker und viel heißer) und an den Rotationspolen herausschießenden Jets (Plasmastr¨ome). Dennoch ergeben sich daf¨ur unterschiedliche Erscheinungsbilder, je nach Blickrichtung auf das Loch-/Scheiben-/Jet-System. Diese verschiedenen Erscheinungsbilder haben historisch bedingt auch zu unterschiedlichen Bezeichnungen gef¨uhrt: Quasare, Seyfert-Galaxienkerne, BL-Lacertae-Objekte. Bei letzteren zeigt der Jet direkt in unsere Richtung. Im Lichte der neuen Erkenntnisse u¨ ber die gleichartige Ursache subsumiert man diese Typenbezeichnungen aber heute unter dem Sammelnamen AGN (active galactic nuclei = aktive galaktische Kerne). Die Beschreibung der Galaxien w¨urde den Rahmen dieses Buches vollends sprengen, wir verweisen Interessierte deshalb auf die vielf¨altige astronomische Literatur. Aber hierzu eine ernste Warnung an alle Leser: Die genauere Besch¨aftigung mit der Astronomie birgt ein gef¨ahrliches Suchtpotential in sich.
Anhang B
Biographische Daten zu Albert Einstein
Einsteins wissenschaftliches Werk beschr¨ankt sich keineswegs auf die Spezielle und Allgemeine Relativit¨atstheorie. Die folgende Aufstellung nennt einige der von ihm gesetzten Meilensteine der Naturwissenschaft und auch pers¨onliche Daten: 14. M¨arz 1879 Geburt in Ulm 1885–1888 1888–1894 1895–1896 1896 1896–1900 1900 1901 1902–1909 1903 1905
1905 1905 1905
1906/1911
Katholische Volksschule in M¨unchen (Petersschule) Luitpold-Gymnasium M¨unchen (heute Albert-EinsteinGymnasium) Aargauische Kantonsschule Aarau Entlassung aus der w¨urttembergischen Staatsb¨urgerschaft (auf eigenen Antrag) Studium der Mathematik und Physik am Z¨uricher Polytechnikum (jetzt: ETH) Diplom als Fachlehrer f¨ur Mathematik und Physik Erwerb der schweizerischen Staatsb¨urgerschaft T¨atigkeit am Patentamt Bern ( Amt f¨ur geistiges Eigentum“) ” als technischer Experte Heirat mit Mileva Mariˇc Arbeit zur Lichtquantenhypothese, ein Grundstein der Quantentheorie; darin auch Aufkl¨arung des Photoeffekts und unabh¨angige Herleitung des Raleigh-Jeans-Gesetzes Deutung der Brownschen Molekularbewegung; damit Beweis der Existenz von Atomen bzw. Molek¨ulen Spezielle Relativit¨atstheorie (zwei Arbeiten) Promotion; Titel der Doktorarbeit: Eine neue Bestimmung ” der Molek¨uldimensionen“; erlaubte wie auch die Arbeit zur Brownschen Bewegung die Ermittlung der Loschmidt-Zahl Arbeiten zur spezifischen W¨arme der Festk¨orper 335
336
1907 1908–1909
1909 1909–1911 1911–1912
1912–1914 1912 1914–1933
1915 1915 1916 1916–1918 1916/1917
1917–1933 1917 1919 1919
1919 1922 ab ca. 1922
B Biographische Daten zu Albert Einstein
¨ Entdeckung des Aquivalenzprinzips und damit auch der gravitativen Rotverschiebung Nebenberuflich Privatdozent an der Universit¨at Bern (nach Einreichung einer Habilitationsschrift u¨ ber Schwarzk¨orperstrahlung) Formulierung des Welle-Teilchen-Dualismus Außerordentlicher Professor an der Universit¨at Z¨urich Ordentlicher Professor f¨ur Theoretische Physik, Deutsche Universit¨at Prag; in dieser Eigenschaft f¨ur ca. ein Jahr o¨ sterreichischer Staatsb¨urger Ordentlicher Professor f¨ur Theoretische Physik an der ETH Z¨urich Entdeckung des photochemischen Quanten¨aquivalenzgesetzes Ordentlicher Professor an der Friedrich-Wilhelm-Universit¨at Berlin und Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften (hierf¨ur auch informell Zuerkennung der deutschen Staatsb¨urgerschaft) Entdeckung des Einstein-de Haas-Effektes (Beitrag zur Aufkl¨arung der Natur des Magnetismus) Endg¨ultige Formulierung der Allgemeinen Relativit¨atstheorie Vorhersage der Existenz von Gravitationswellen Pr¨asident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft Mehrere Arbeiten u¨ ber Strahlungsquanten; in diesem Zusammenhang bessere Ableitung der Planckschen Strahlungsformel und Postulierung der stimulierten Emission (Prinzip des Lasers) Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts f¨ur Physik in Berlin Vorstellung eines statischen Weltmodells mit kosmologischer Konstante, die seit 1998 wieder aktuell ist Scheidung von Mileva Zwei britische Sonnenfinsternis-Expeditionen weisen die Lichtablenkung durch Gravitation (wie von der ART vorhergesagt) semiquantitativ nach; Einstein erlangt hierdurch Weltruhm Heirat mit Elsa L¨owenthal Nobelpreis f¨ur Physik (nachtr¨aglich f¨ur das Jahr 1921; Datum der Urkunde: 10. Dezember 1922) Lebenslange Arbeit an einer Vereinheitlichung von Gravitation und Elektromagnetismus, den beiden damals bekannten
B Biographische Daten zu Albert Einstein
1924/1925 1927–1933 1927
1932
1933
1936 1936 1939
1940 1950
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Grundkr¨aften; bis jetzt gibt es nur Teilerfolge bei der Vereinheitlichung der heute bekannten vier Grundkr¨afte Mitentwicklung der Einstein-Bose-Quantenstatistik Korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Beginn des Disputs u.a. mit N. Bohr u¨ ber die Interpretation der Ergebnisse der Quantenmechanik; die Entscheidung fiel mehrheitlich gegen Einstein; wesentliche Fragen bleiben allerdings offen Mitentwicklung des Einstein-de Sitter-Modells (expandierendes Universum ohne globale Kr¨ummung und ohne kosmologische Konstante), das bis 1998 als Standardmodell der Kosmologie Bestand hatte Emigration in die USA mit anschließender T¨atigkeit am Institute for Advanced Study, Princeton NJ; Aufgabe der deutschen Staatsb¨urgerschaft (aber Beibehaltung der schweizerischen Staatsangeh¨origkeit) Tod der Ehefrau Elsa Arbeit u¨ ber den Gravitationslinseneffekt Unterzeichnung eines Briefes an Pr¨asident Roosevelt, in dem auf die M¨oglichkeit der Entwicklung von Nuklearwaffen hingewiesen wird Erwerb der US-Staatsb¨urgerschaft Fernsehansprache gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe
18. April 1955 Einstein stirbt 76 j¨ahrig in Princeton NJ. Die Asche wird von Otto Nathan und Paul Oppenheim gem¨aß Einsteins Wunsch an einem unbekannten Ort verstreut. Einstein hat unser Bild des Weltalls revolutioniert: Im Newtonschen Universum waren Raum und Zeit rein passiv und dienten nur als B¨uhne f¨ur die himmelsmechanischen Abl¨aufe. Einstein verschmolz Raum und Zeit zur Raumzeit (siehe Spezielle Relativit¨atstheorie), die durch ihre Kr¨ummung die Bewegungen aller K¨orper und sogar des Lichts dirigiert (siehe Allgemeine Relativit¨atstheorie) und die damit als h¨ochst aktiver Bestandteil des Alls erkannt wurde. Diese wohl gr¨oßte aller geistigen Leistungen wird f¨ur immer unvergessen bleiben.
Anhang C
Die neuesten Daten glasklar − unsere kosmologische Tabelle
Kann gut sein, daß Sie die folgende Tabelle schon o¨ fter einmal vermißt haben, aber nun, da sie Ihnen zug¨anglich ist, werden Sie sie vermutlich nicht ¨ mehr hergeben wollen! Zweck der tabellarischen Ubersicht ist es, bei gegebenem Rotverschiebungswert eines Objekts (oberste Zeile der Tabelle) sofort alle anderen relevanten Daten auf einen Blick ablesen zu k¨onnen. Die Zahlen der zweiten Tabellenzeile (heutige Entfernung r0 ) und die Zeitangaben wurden mit dem Rechner bei http://www.astro.ucla.edu/ ∼wright/CosmoCalc.html ermittelt. Alle anderen Werte k¨onnen Sie mit den am linken Tabellenrand angegebenen Formeln ganz leicht selbst nachrechnen (Vorsicht: Wo es n¨otig ist, das Umrechnen von Megaparsec in Lichtjahre und umgekehrt nicht vergessen!). Zum Verst¨andnis dieser Formeln wird auf die Abschnitte 4.2.5 bis 4.4 verwiesen. In diesen Gleichungen steht wie u¨ blich der Index 0 “ f¨ur heutige Werte, der Index e “ f¨ur Werte zur Zeit der ” ” Emission. Der Tabelle liegt das Λ-CDM-Konkordanz-Modell mit folgenden Daten zugrunde, die dem Stand von Anfang 2008 entsprechen: • Zusammensetzung des Weltalls: 73% Dunkle Energie, 27% Materie, • H0 = 71 km/s/Mpc, • Weltalter: 13,66 Mrd. Jahre. Beispiel zur Anwendung der Tabelle: Sie lesen in einer Zeitschrift die Meldung, daß ein Quasar mit einer Rotverschiebung von z = 7 entdeckt worden sei. Der Tabelle k¨onnen Sie dann unmittelbar folgende Angaben entnehmen: 1. Heutige Entfernung des Quasars: 28,8 Mrd. Lichtjahre, 2. Entfernung zur Zeit der Emission des heute eintreffenden Lichts: 3,6 Mrd. Lichtjahre, 3. Hubble- Konstante“ zur Zeit der Emission: 837 km/s/Mpc, ” 4. Fluchtgeschwindigkeit bei Emission: 3, 1 c, 339
340
5. 6. 7. 8. 9.
C Die neuesten Daten glasklar
Heutige Fluchtgeschwindigkeit: 2, 1 c, Zeitraum zwischen Urknall und Emission: 0,8 Mrd. Jahre, Lichtlaufzeit: 12,9 Mrd. Jahre, Temperatur des Weltalls zur Emissionszeit: 21,8 K. Die damalige Materiedichte war 512mal h¨oher als die heutige Materiedichte.
Glauben Sie es also nicht, wenn man Ihnen erz¨ahlt, der Quasar mit z = 7 sei 12,9 Mrd. Lichtjahre entfernt, auch nicht, wenn der Erz¨ahler ein Pressesprecher von NASA, ESO oder einer sonstigen angesehenen Institution ist! Bei einer solchen irrigen Entfernungsangabe wird nur die Lichtlaufzeit (12,9 Mrd. Jahre) mit c multipliziert, was im expandierenden Weltall zu einem falschen Entfernungswert f¨uhren muß! Außerdem wird dabei unterschlagen, daß man unbedingt zwischen der Entfernung zur Zeit der Emission und der heutigen Entfernung unterscheiden muß, denn w¨ahrend der nicht gerade kurzen Lichtlaufzeit von 12,9 Mrd. Jahren bleibt der Quasar ja keineswegs in der gleichen Entfernung, sondern wird mit der Raumexpansion sehr viel weiter weggetragen, eben von 3,6 auf sage und schreibe 28,8 Mrd. Lichtjahre. F¨ur den besonders interessanten Rotverschiebungsbereich 1 < z < 8 sind die Daten recht fein abgestuft angegeben, sodaß Sie Werte f¨ur Objekte mit dazwischenliegender Rotverschiebung leicht interpolieren k¨onnen. Wer es genauer haben m¨ochte, kann so vorgehen: F¨ur einen gegebenen Rotverschiebungswert entnehmen Sie die heutige Entfernung und die Zeitangaben dem o.g. Kosmologie-Rechner, die weiteren Daten k¨onnen Sie dann mit den Formeln am Tabellenanfang exakt berechnen. Hinweise zu einigen besonderen Meilensteinen“ in der Tabelle: ” • Am linken Rand der Tabelle ist hier und heute“: Rotverschiebung null, ” die lokale Fluchtgeschwindigkeit ist nat¨urlich null, die Temperatur der Hintergrundstrahlung betr¨agt 2,725 K. • Objekte, deren Licht uns derzeit mit z = 1, 41 erreicht, liegen heute am Rand der Hubble-Sph¨are, die dadurch definiert ist, daß die heutige Fluchtgeschwindigkeit c betr¨agt. Alle Objekte jenseits der Hubble-Sph¨are bewegen sich mit mehr als c von uns weg (Erl¨auterung hierzu in Kapitel 4), alle Objekte innerhalb dieser Sph¨are haben eine heutige Fluchtgeschwindigkeit kleiner als c. • Objekte, deren Licht uns heute mit z = 1, 64 erreicht, hatten zur Emissionszeit eine Fluchtgeschwindigkeit von c. Die Emissionsentfernung erreicht bei dieser Rotverschiebung ein Maximum (5,8 Mrd. Lichtjahre). Objekte mit h¨oherer Rotverschiebung waren uns bei der Emission ihres Lichtes n¨aher (Rotverschiebungsparadoxon, s. Kapitel 4), Objekte
C Die neuesten Daten glasklar
341
mit einer niedrigeren Rotverschiebung auch. Die Tabelle zeigt somit eindrucksvoll, daß alles an Licht, das wir heute sehen k¨onnen, aus einer Sph¨are mit einem Radius von nur 5,8 Mrd. Lichtjahren kommt! • Diejenige Raumregion, welche die heute eintreffende Mikrowellenhintergrundstrahlung emittierte (z = 1090, 380 000 Jahre nach dem Urknall), ist heute in einer Entfernung von u¨ ber 45 Mrd. Lichtjahren. Weiter entfernte Objekte k¨onnen wir mit Licht oder anderen elektromagnetischen Wellen nicht registrieren ( elektromagnetischer Horizont“). Bei der Emission war ” diese Raumregion aber praktisch vor unserer Haust¨ur“: in nur 0,04 Mrd. ” Lichtjahren Entfernung! Sie hat sich damals aber mit extremer Fluchtgeschwindigkeit von uns entfernt, und hat auch heute noch eine Fluchtgeschwindigkeit von 3,3 c. Man beachte auch die riesigen Werte f¨ur die Hubble- Konstante“ und die Materiedichte bei z = 1090! ” • Bei ca. 46,5 Mrd. Lichtjahren heutiger Entfernung geht die Rotverschiebung gegen unendlich. Dies entspricht nat¨urlich dem Anfang der Zeit, dem Urknall. Weiter entfernte Objekte sind prinzipiell mit keiner Methode beobachtbar ( Teilchen- oder Partikelhorizont“). Eine Gravitationswelle, ” die zur Zeit des Urknalls in der genannten Entfernung gestartet ist, erreicht uns heute. Die vier erw¨ahnten Fl¨achen • • • •
Sph¨are der maximalen Emissionsentfernung (Radius: 5,8 Mrd. Lj.), Hubble-Sph¨are (Radius: 13,8 Mrd. Lj.), elektromagnetischer Horizont (Radius: 45,6 Mrd. Lj.), Partikel- oder Teilchenhorizont (Radius 46,5 Mrd. Lj.)
bilden konzentrische Kugelfl¨achen um unseren Beobachterstandort. Sie sind aber keine substantiellen, sondern nur beobachterabh¨angige Grenzen: Ein weit von uns entfernter Beobachter (z.B. einer in 10 Mrd. Lichtjahren Entfernung) hat seine eigenen Horizonte um seinen Standort, nur eben (bezogen auf unsere Horizonte) um 10 Mrd. Lichtjahre versetzt. Deshalb k¨onnen Sie ein Duplikat der nun folgenden Tabelle auch Ihrem Doppelg¨anger in einer 10 Mrd. Lichtjahre entfernten Galaxie geben: Er kann sie genauso gut verwenden; eine universelle Universum-Tabelle also! ¨ Dieser Uberlegung liegt das sogenannte Kosmologische Prinzip zugrunde: Es gibt keinen besonders ausgezeichneten Ort im All; alle Orte sind gleichberechtigt. (Aus diesem Prinzip und der beobachteten Isotropie des Weltalls folgt u¨ brigens auch dessen großr¨aumige Homogenit¨at nach folgendem Denkschema: Wir beobachten ein isotropes All um uns; wenn alle Orte gleichberechtigt sind, besteht von allen Orten aus gesehen eine Isotropie; und wenn um alle Orte das Weltall isotrop ist, dann ist es auch homogen.) Die letztg¨ultige Wahrheit“ u¨ ber die Verh¨altnisse an Orten jenseits unseres ”
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C Die neuesten Daten glasklar
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Teilchen- oder Partikelhorizonts k¨onnen wir zwar nicht erfahren. Aber unseren Horizont (oder gar die Hubble-Sph¨are) als eine Grenze des Weltalls zu beschreiben, wie es in manchen popul¨aren Medien getan wird, ist ebenso kurzsichtig wie der mythische Glaube mancher Naturv¨olker, die Welt bestehe nur aus ihrem eigenen Stammesgebiet zwischen der un¨uberwindlichen Gebirgskette und dem ebenso un¨uberwindlichen großen Fluß! W¨urde man ausgerechnet in der Kosmologie bei einer solch provinziellen Sichtweise verharren, dann bliebe die Kopernikanische Wende“ ein unvollendetes Projekt. ” Nein, wir m¨ussen der modernen Variante der von Sigmund Freud so bezeichneten Kopernikanischen Kr¨ankung“ tapfer ins Auge blicken: Die Sonne, ” die Milchstraße oder der Virgo-Galaxienhaufen sind nicht der Nabel eines umgrenzten Alls; es entfernt sich nicht nur alles“ von uns, sondern alles ” von allem; unser Horizont gilt nur f¨ur uns – weit entfernte Beobachter haben andere Horizonte. Es gibt auch keinen einzigen Hinweis aus astronomischen Beobachtungen auf eine Weltallgrenze, und alle modernen kosmologischen Weltmodelle sehen u¨ berhaupt keine Grenze mehr vor, auf die man stoßen k¨onnte. Diese kosmische Bedeutungslosigkeit unseres Heimatplaneten, dieses Staubkorns unter unsagbar vielen anderen in einem unsagbar großen All, nimmt unserem Leben aber keineswegs seine Bedeutung: Wir bleiben aufgerufen, das Dasein in unserer Nußschale namens Erde gerechter, friedlicher und vern¨unftiger zu gestalten, wie es Einstein am 4. Mai 1936 forderte, siehe sein Zitat am Anfang des Buches.
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Stichwortverzeichnis
A Aberration des Lichts 58–69, 124, 253 Aberrationswinkel 60, 61, 65, 66 Ablenkung des Lichts 194–200 absolute Ruhe 3, 5, 130 absolute Vergangenheit 168 absolute Zeit 7, 17, 74, 229 absolute Zukunft 168 absoluter Raum 7, 74 Absolutgeschwindigkeit 3, 5, 132, 311, 312 Achsen im Raum-Zeit-Diagramm 133 Addition hoher Geschwindigkeiten 40–43, 121, 171 Additionstheorem 40–42, 121 ¨ Aquivalenzprinzip 193, 195, 196, 201, 202, 212, 227 ¨ Aquivalenz von Beschleunigung und Gravitation 192, 193, 195, 262 ¨ Aquivalenz von Masse und Energie 85–96 ¨ Aquivalenz von schwerer und tr¨ager Masse 192 ¨ Ather 5, 125, 312 AGN 334 Akkretionsscheibe 258, 266, 334 Allgemeine Relativit¨atstheorie 191– 239, 336, 337 Antimaterie 87, 266, 277, 283 B Beaming-Effekt
68, 69, 292
beobachtbarer Teil des Universums 322 Beobachter 2, 3, 5, 7, 8, 130, 194 Beschleunigung 2, 191, 192, 195, 212, 231, 232, 235, 262 Beschleunigungsfeld 193, 202, 212 Bewegungsenergie 90 Bezugssystem 96 Bin¨arpulsar 224 Blauverschiebung 235, 236, 287, 291, 293, 299 Brauner Zwerg 328 Braunsche R¨ohre 119 C Chandrasekharsche Grenzmasse 331 chemische Reaktion 87 Corioliskraft 2
92,
D Dimension, vierte 69, 72, 83 Doppler-Effekt 173, 174, 300 Doppler-Effekt, longitudinaler 290, 300 Doppler-Effekt, transversaler 124, 292, 293, 300 Doppler-Faktor 291 Drehimpuls 239 Drehung von Objekten 64–67 Drittes Newtonsches Gesetz 95 Dunkle Energie 303, 339 351
352 E Ebbe 209, 211, 212 Eichhyperbel 146, 147, 149–151, 161, 162, 164, 262 Eigengeschwindigkeit 117, 177 Eigenl¨ange 27, 77, 79, 80, 82 Eigenzeit 15–17, 75, 77, 79, 80, 125, 160, 176, 177, 215 Eigenzeitintervall 15, 16 Einstein, biographische Daten 335 Einstein-Bogen 200, 250 Einstein-de Sitter-Modell 306, 310 Einstein-Formel 85 Einstein-Kreuz 199 Einstein-Ring 199, 250, 282 Eisen 92 elektrische Aufladung 88 elektromagnetische Strahlung 17, 18 elektromagnetischer Horizont 323, 341 elektromagnetisches Spektrum 17 Emissionsentfernung 307–310, 324, 340, 341 Emissionsereignis 322 Emissionsgeschwindigkeit 307, 308, 322 Emissionszeit 295, 310, 323, 324, 340 Energie 18, 85, 93, 94, 179–182, 184, 186–188, 203, 226, 239, 268, 281, 282, 292, 317 Energie-Impuls-Diagramm 181 Energie-Impuls-Vektor 179, 181–183 ¨ Energie-Masse-Aquivalenz 85–96 Energieerhaltungssatz 85, 89, 184 Energiequantum 18 Entweichgeschwindigkeit 241, 242 Erdbeschleunigung 192, 196 Erdgezeiten 211 Ereignis 7, 8, 70, 75, 76, 78, 81, 82, 96, 99, 101, 102, 127, 128, 134– 137, 140, 176 Ereignishorizont 245–248, 253–256, 263, 278, 281, 284 Ergosph¨are 277–282, 284
Stichwortverzeichnis Erhaltungsgr¨oße 237, 239 Erstes Newtonsches Gesetz 4 euklidische Geometrie 202, 220, 221 F Fallbeschleunigung 192 Fermatsches Prinzip 230 Fitzgerald-Kontraktion 21, 27 Fliehkraft 2, 201, 211, 214 Fluchtgeschwindigkeit 302–305, 320, 324, 339, 340 Flut 209, 211, 212 Frame-dragging 278, 285 freier Fall 192, 193, 204, 208, 209, 214, 215, 217 Freifallsystem 193, 208–212 Frequenz 17, 18, 234, 249, 290–292 G Galaxienflucht 302 Galilei-Transformation 104, 238 Gamma-Faktor 12, 14, 18, 19, 21, 29, 30, 157, 158, 160 Gamma-Faktor, N¨aherungsformel 19, 29 Gammastrahlung 17, 18 Gasschweif 96 GEO 600 224 Geod¨ate 213–217, 220, 227 geod¨atische Linie 214 geod¨atische Pr¨azession 219, 285 Gewicht 192 Gewichtskraft 191 Gezeitenbeschleunigung 212 Gezeitenkraft 208–213, 223, 245, 246, 254, 255, 261, 276, 277 Gleichzeitigkeit 7, 30–39, 77, 140, 166 Gleichzeitigkeit, Relativit¨at der 30–39 Gleichzeitigkeitslinie 140, 164 Gold 92 GPS 233 graphische Lorentz-Transformation 152
Stichwortverzeichnis Gravitation 191–194, 196, 199, 202, 203, 205, 208, 209, 217, 226, 227, 241, 244, 255 Gravitationsbeschleunigung 219, 276 Gravitationsfeld 192–196, 201, 202, 206, 208, 209, 213, 217, 226, 241, 256, 259, 260 Gravitationskonstante 197, 228, 238, 274 Gravitationskraft 201, 211, 212, 214, 217–219, 227, 245 Gravitationsl¨ange 274, 275 Gravitationslinse 197–199, 249 Gravitationswellen 221–227, 259, 260, 265, 266, 277, 312, 336 gravitative Rotverschiebung 224, 233–236, 249, 263, 294, 300, 332 gravitative Zeitdilatation 224, 227–233, 247, 248, 263, 269, 332 Gravitomagnetismus 278, 284 Graviton 222, 260 Großkreis 220 Großvater-Paradoxon 123, 171 Gummituch-Analogie 203, 205, 207, 213, 214, 216, 223, 295, 305 H Hauptreihenstern 203, 327, 328 Hawking-Strahlung 261, 275 headlight effect 69 Hebel 118 Hertz 18 Homogenit¨at 308, 317, 341 Hubble-Flow 305 Hubble-Fluß 303 Hubble-Gesetz 302–304, 307, 317, 320, 324 Hubble-Konstante 302, 306–308, 320 Hubble-L¨ange 304, 305, 320 Hubble-Radius 321 Hubble-Sph¨are 304, 320, 321, 324, 340, 341, 346
353 I ideale Uhr 7, 53 Impuls 54, 55, 93–96, 175, 178–182, 184, 186–188, 239, 292 Impuls-Energie-Diagramm 180 Impuls-Energie-Vektor 179, 181–183 Impulsenergie 180–187, 238, 239 Impulserhaltungssatz 184 Inertialbeobachter 3, 4, 6, 8, 141 Inertialbewegung 130 Inertialsystem 2–8, 130 Infrarotstrahlung 17, 288 Interferometer 224 Invarianz 8, 237, 238 Invarianz der Eigenzeit 15, 177 Invarianz der Impulsenergie 181, 185, 186 Invarianz der Lichtgeschwindigkeit 7, 107, 108, 238 Invarianz der Masse 175, 187 Invarianz der Raum-Zeit-Abst¨ande 73, 83, 177 Invarianz der Raum-Zeit-Koinzidenz 8, 122 Invarianz von Strecken 8 inverse Lorentz-Transformation 100, 105 Ionenschweif 96 isotrope Expansion 295, 307 Isotropie 299, 317, 341 J j¨ahrliche Aberration 62, 63 Jarkowski-Effekt 94, 95 Jet 68, 114, 258, 259, 266, 292, 334 K K-Faktor 291 Kaimauereffekt 109, 112 Kausalit¨at 84 Kausalit¨atsprinzip 80, 123 Kausalstruktur 84 Kernbindungsenergie 88, 89
354 Kernbrennen 92 Kernfusion 89, 91, 92, 243, 327 Kernkraftwerke 87, 93, 111 Kernspaltung 87, 92 kinetische Energie 86, 89–91, 178, 186, 268 klassischer Doppler-Effekt 289, 300 Koinzidenz 8 Konkordanz-Modell 305, 306, 319 Konstanz 237, 238 Konstanz der Lichtgeschwindigkeit 5, 6, 11, 42, 292 Kontraktion des Raumes 21–23 konventionelle Rotverschiebung 289 Kopernikanisches Prinzip 305, 314 kosmische Strahlung 29, 91, 111, 243, 262 kosmische Zeit 307 Kosmologie 239 kosmologische Rotverschiebung 295, 298–301, 311, 325 kosmologische Zeitdilatation 300 Kosmologisches Prinzip 341 Kovarianz 237, 238 L Lageenergie 89 Langwellen 17, 18 Laues Zylinder 39 Laufzeitverz¨ogerung 229 Laufzeitverz¨ogerung des Lichts 207 Leben im Weltall 317 Lense-Thirring-Effekt 278, 281, 282, 284, 285 Leuchtturmproblem 109, 110 LHC 243, 262 Lichtaberration 58–69, 124, 253 Lichtablenkung 194–200, 227, 230, 249, 250, 252, 253, 282, 332, 336 Licht¨ather 5 lichtartig 77, 78, 80, 135–138, 170 Lichtausbreitung im RZD 131 Lichtecho 111, 113, 114
Stichwortverzeichnis Lichtgeschwindigkeit 5, 6, 42, 58, 59, 108, 109, 111, 113–115, 118, 123, 130, 132, 138, 249 Lichtgeschwindigkeit in Medien 111 Lichtjahr 101 Lichtkegel 133, 135–137, 140, 168, 196, 264, 280, 318–325 Lichtlaufzeit 7, 11, 12, 19, 24, 49, 50, 66, 67, 113, 115, 122, 174, 230, 290 Lichtsekunde 131 Lichtuhr 12 Lichtviereck 144, 146, 147, 149, 150 Lichtweltlinie 131, 132, 135, 136, 139, 140, 217, 318, 320, 325 lineares GeschwindigkeitsEntfernungsgesetz 302, 307 Linienelement 83 Linsenwirkung 111 Lokale Gruppe 311, 333 lokales Inertialsystem 51, 209, 211, 213–216, 227 longitudinaler Doppler-Effekt 290, 300 Lorentz-Faktor 12 Lorentz-Kontraktion 21–30, 65, 106 Lorentz-Transformation 96–108, 151–153, 237, 238 Luftballon-Analogie 317 M Macrolensing 199 Magnetar 332 Masse 53–58, 85–93, 172, 173 ¨ Masse-Energie-Aquivalenz 85–96 Massendefekt 87, 89, 91 Massenerhaltungssatz 85, 89 Massenzunahme 53–57, 90, 124, 125, 172, 173 Maßfaktor 297, 299 Maßstabsfaktor 297 Microlensing 199 Mikrowellen 17, 316
Stichwortverzeichnis Mikrowellenhintergrundstrahlung 225, 288, 303, 306, 309–313, 316, 323, 325, 341 Milchstraße 333 Minkowski-Diagramme 126–175 Mitschleppen der Inertialsysteme 278 Momentbild 133, 134, 140, 204 Myon 26, 38, 50 N Navigationssystem 233 negative Energie 281 Neutrino 92, 323 Neutronenstern 92, 203, 205, 224, 229, 232, 235, 267, 327, 331–333 Newtonsches Gravitationsgesetz 194, 217, 226 No-Hair-Theorem 283 Nova 111, 114 Nuklearexplosion 87 Null-Intervall 73, 80 Nullgeod¨ate 217 P Parallaxe 63 Partikelhorizont 322, 323, 341, 346 Pekuliarbewegung 298, 303, 311 Penrose-Prozeß 282, 283 Periheldrehung 218, 219, 227, 285 Periodenverl¨angerungsfaktor 40, 41, 290, 292 Photon 18, 50, 57, 59, 94, 95, 182, 184, 186, 187, 222, 292, 324 Photonenorbit 251, 252, 254, 283, 284 Photonentriebwerk 95 Planck-L¨ange 275 Planck-Masse 275 Planck-Volumen 244, 316 Planck-Zeit 275 Plancksches Wirkungsquantum 18 Planetenbahn 213, 214, 218 Plasma 224 Positron 87, 277
355 potentielle Energie 89 Potenzrechnung 19, 20 Poynting-Robertson-Effekt 64, 94 Prinzip der Invarianz der Lichtgeschwindigkeit 7, 107, 108, 238 Prinzip der Invarianz der Raum-ZeitKoinzidenz 8, 122 Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit 5–7, 42, 131, 132 Prinzip der Relativit¨at 2 proper distance 296, 318, 320, 324 Proton 30, 91, 238 pseudoeuklidische Raumzeit 216 Pulsar 332 Q quadratisches Abstandsgesetz 217, 222 Quadrupolwellen 222, 223 Quantenmechanische Effekte 115 Quantum 18 Quasar 68, 114, 115, 257, 258, 266, 292, 300, 334, 339 R Radar-Geschwindigkeitsmessung 290 radiale Raumkontraktion 205–208, 269, 332 Radiowellen 17 Radius-Koordinate 206, 267 Raum, absoluter 7, 74 Raum-Zeit-Abstand 69–85, 105, 126, 176, 182, 217 Raum-Zeit-Diagramm 126–175, 318, 319 Raum-Zeit-Intervall 69–85 Raum-Zeit-Koinzidenz 8, 9, 16, 21, 22, 25, 32, 34, 37, 122 Raum-Zeit-Kontinuum 74, 77, 104 raumartig 78, 80–82, 135, 137, 138, 167–170
356 Raumexpansion 295–299, 301, 303, 305, 306, 310, 318, 320, 323–325, 340 Raumkontraktion 21–30, 66, 67, 97, 104, 116, 124, 125, 153, 155–157, 161, 269 Raumkontraktion, radiale 205–208, 269, 332 Raumkr¨ummung 202–204, 207, 219–221, 226, 244, 254, 255, 260 Raumzeit 70, 73–75, 84, 153, 175, 203, 205, 213–217, 220, 222, 223, 226, 284, 315, 337 Raumzeitkr¨ummung 200, 202–205, 207, 209, 213, 217, 219, 227, 232, 254, 260 Rechnen mit Exponenten 19, 20 relative Vergangenheit 168 relative Zukunft 168 Relativgeschwindigkeit 3, 28, 29, 125, 148, 149 relativistisch 43 relativistische Massenzunahme 53–58, 90, 124, 172, 173 relativistischer Impuls 93, 175, 177, 178 Relativit¨at der Gleichzeitigkeit 30–39, 50, 52, 79, 80, 84, 97, 104, 107, 122–125, 166, 167 Relativit¨atsprinzip 2–9, 17, 27, 28, 35, 129, 130, 141, 142, 146, 154, 157, 159, 289, 311 Relativit¨atstheorie, Allgemeine 191–239, 336, 337 Relativit¨atstheorie, Spezielle 1–189, 236, 335, 337 R¨ontgenstrahlung 17, 258 Roter Riese 203, 327, 329, 330, 333 Roter Zwerg 327, 328 rotierendes Schwarzes Loch 277–284 Rotverschiebung 287–289, 291–294 Rotverschiebung, gravitative 233– 236, 249, 294, 300, 332 Rotverschiebung, konventionelle 289
Stichwortverzeichnis Rotverschiebung, kosmologische 295, 298–301, 311, 325 Rotverschiebungsparadoxon 309, 323, 340 Ruhebeobachter 129, 134, 137, 140–142, 145, 149–151 Ruheenergie 86, 89, 90, 93, 94, 178–181, 183, 184, 186, 187, 268, 281 Ruhel¨ange 27, 76, 125 Ruhemasse 54, 55, 57, 93, 94, 125, 173, 268 S s¨akulare Aberration 62 Schattenwurfgeschwindigkeit 110 Scheinkraft 201, 214 Scheinwerfer-Effekt 69 Scherenproblem 108 ¨ schwaches Aquivalenzprinzip 193 Schwarzer Zwerg 327, 329 Schwarzes Loch 203, 241–285, 327, 333 Schwarzschild-Radius 242, 243, 245, 246, 251, 252, 255, 256, 265, 266, 274, 277 Schwere 192 schwere Masse 191–193, 203 Schwerebeschleunigung 196 Schwerefeld 191 Schwerelosigkeit 193 Schwerkraft 192, 195, 197, 201, 214, 227 Schwerpunktsatz 172 Schwingungsperiode 17, 18, 233, 234, 249, 289, 291 Shapiro-Effekt 207, 224 Sichtgrenze 313, 314, 323 Silber 92 Singularit¨at 244–247, 253–255, 277–281, 284 Skalenfaktor 297 Spaghettisierung 254, 255
Stichwortverzeichnis Spezielle Relativit¨atstheorie 1–189, 236, 335, 337 Stabproblem 117 ¨ starkes Aquivalenzprinzip 193 starrer K¨orper 39, 118 statische Elektrizit¨at 88 statische Grenze 279, 280, 282 statischer Punkt 263 Staubschweif 95 stellares Schwarzes Loch 276 Strahlungsdruck 94–96 supermassives Schwarzes Loch 276, 334 Supernova 29, 92, 93, 111, 114, 205, 224, 243, 327, 330–332 Synchronisation von Uhren 7, 31 Synchrotron-Strahlung 69 System der rotierenden Scheibe 201, 227 T t¨agliche Aberration 62 Tachyon 110, 135 Teigmodell der Raumexpansion 317 Teilchen-Welle-Dualismus 18 Teilchenhorizont 341 Testk¨orper 194 thermische Energie 88 tr¨age Masse 191–193, 203 Tr¨agheit 192 Tr¨agheitsfeld 192 Tr¨agheitskraft 2 Tr¨agheitsprinzip 4 transversaler Doppler-Effekt 124, 292, 293, 300 Tscherenkow-Strahlung 111 U ¨ Uberlichtgeschwindigkeit 108–123, 161, 169–171, 263, 264, 272, 273, 280, 303, 305, 306 Uhrenhypothese 53 Uhrenparadoxon 43
357 Uhrensynchronisation 7, 31 UKW 17 Ultraviolettstrahlung 17 Uran 87, 92, 93 Urknall 224, 304, 307, 311, 313, 315, 316, 321, 323, 324, 340, 341 Ursache-Wirkungs-Beziehung 78, 80, 122 V Vakuumlichtgeschwindigkeit 57, 111, 238 vierte Dimension 69, 72, 83 Viertelkreisdiagramm 14, 15 Violettverschiebung 287 Virgo-Haufen 333 virtuelles Teilchen 260 Vorw¨artsstrahlung 69 W W¨armeenergie 88, 89 Wasserstoffbombenexplosion 89 Weißer Zwerg 92, 203, 229, 327, 330, 331, 333 Welle-Teilchen-Dualismus 18, 336 Wellenl¨ange 17, 234, 236, 249, 288, 290–292 Weltalter 339 Weltbild 134 Weltfl¨ache 140 Weltkarte 134 Weltlinie 128–132, 135–140, 142, 216, 318, 320–325 Weltlinienhorizont 322 Z Zehnerpotenzen 19, 20 Zeit, absolute 7, 17, 74, 229 Zeitartig 77, 78, 80, 81, 135–138, 168, 170 Zeitdilatation 10, 13, 14, 16–18, 99, 104, 107, 124, 125, 157, 160, 161, 174, 290, 293
358 Zeitdilatation, gravitative 224, 227–233, 247, 248, 263, 269, 332 zeitinvariante Homogenit¨at 307 Zeitpfeil 72, 123 Zeitreise 51 Zeitschalen 229
Stichwortverzeichnis Zeitsprung
47, 49, 51, 164, 165
Zeitumkehrsymmetrie
72
Zweites Newtonsches Gesetz
238
Zwillingsparadoxon 43, 45, 52, 53, 126, 163, 215, 231