Aus dem Amerikanischen übertragen von Tony Westermayr Herausgegeben von Dr. Herbert W. Franke Made in Germany • 7/80 • ...
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Aus dem Amerikanischen übertragen von Tony Westermayr Herausgegeben von Dr. Herbert W. Franke Made in Germany • 7/80 • 1. Auflage -1112 © der Originalausgabe 1979 by Frederik Pohl © der deutschsprachigen Ausgabe 1980 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Umschlagentwurf: Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München Umschlagillustration: Jürgen F. Rogner, München Gesamtherstellung: Mohndruck Graphische Betriebe GmbH, Gütersloh Verlagsnummer 23360 Lektorat: Helmut Putz/Peter Wilfert • Herstellung: Peter Papenbrok ISBN 3-442-23360-7 2 Frederik Pohl – JEM – Die Konstruktion einer Utopie
I
Als Danny Dalehouse zuerst nach Sofia fuhr, wußte er noch nicht, daß das die erste Etappe einer viel längeren Reise war, oder auch nicht, daß er einige seiner zukünftigen Gefährten kennenlernen würde. Er hatte nie von jenem ferneren Ziel gehört, das den reizlosen Namen N-OA Bes-bes Geminorum 8426 trug, und auch nicht von den Leuten gehört. Sie hießen Nan Dimitrowa und Captain Margie Menninger. Der Anlaß war die Zehnte Vollversammlung der Weltkonferenz über Fragen der Exobiologie, und die Zeit war in keiner Weise für irgend jemanden von ihnen ungünstig. Es war Frühling, und für einen Augenblick schien dort die ganze Welt zu duftendem, freundli chem Leben zu erblühen. Zur Eröffnungssitzung in der Großen Halle für Kultur und Wissenschaft hatten sich dreitausend Menschen eingefunden; so viele davon waren politisch tätig, daß die fünf- oder sechshun dert Wissenschaftler, die aktiv beteiligt waren, Mühe hatten, Plätze zu finden. Selbst die Dolmetscher zwängten sich zu zweit in ihre Kabinen. Der gutaussehende, altersgraue Carl Sagan hielt die Eröffnungsansprache und wirkte wie ein rüstiger Achtzigjäh riger; sein wahres, unglaublich hohes Alter war ihm nicht anzusehen. Er rollte schon vor zum Rednerpult, als Dan Dalehouse sich ganz hinten im Saal auf einen Platz zwängte. Dalehouse war vorher noch nie in Bulgarien gewesen. Es hatte ihn in die sonnigen Parkanlagen gelockt, und er nahm sich vor, das Museum jahrhundertealter Ikonen unter dem Stephansdom zu besuchen; es war nur ein paar Straßen entfernt. Aber Sagan wollte er nicht versäumen, und die erste Vollsitzung war ein Seminar über Tachtrans-Berichte. Einen Teil des Materials kannte er noch gar nicht. Das war vermutlich Sagans Werk, dachte er. Selbst als einer der Ehrenvorsitzenden ließ Sagan das ganze Programm durch seinen Unsinnsfilter gehen. Was übrigblieb, war es gewiß wert, gehört zu werden. Sagan sprach kurz und humorvoll und rollte unter einem Beifallssturm der sich erhebenden Versammlung davon.
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Da der erste Hauptredner ein Amerikaner gewesen war, mußte der Vorsitzende des Tachyon-Transport-Seminars von einem der anderen Blöcke kommen. Das war internationale Etikette. Er war ein Engländer, aus Fred Hoyles Cambridge-Gruppe. Einige Würdenträger aus dem Erdöl-Block blieben sitzen, um ihm aus Gruppensolidarität zuzuhören, aber die meisten anderen Politleute entfernten sich so unauffällig, wie sie konnten, so daß Dalehouse zu einem besseren Platz im Mittelblock gehen konnte. Er setzte sich bequem zurecht, um die einleitenden Worte des Vorsitzenden über sich ergehen zu lassen, eingelullt vom Blumenduft, der durch die offenen Fenster hereindrang – Bulgarien benützte Klimaanlagen noch weniger als die Vereinig ten Staaten. Da man von Nahrung und Erdöl schon gehört hatte, verlangt das Protokoll, daß als nächstes die Volksrepubliken an die Reihe kamen. Es war also ein Pakistani, der den ersten Vortrag hielt, einen mit dem Titel ›Lebensmerkmale‹, berichtet von Körpern in Umlaufbahnen um Alpha Draconis, Procyon, i7~Kappa Indi und Kungs quasi-stellares Objekt‹. Dalehouse hatte halb gedöst, aber als er den Titel im Kopfhörer vernahm, setzte er sich auf. »Manche von den Sternen kenne ich überhaupt nicht«, sagte er zu seiner Nachbarin. »Wer ist der Mann?« Sie zeigte auf ihr Programm und den Namen: Dr. Achmed Dulla, Sulfikar Ali Bhutto-Universität, Haiderabad. Als Dalehouse sich hinüberbeugte, entdeckte er, daß der Blumenduft nicht durch die Fenster kam, sondern von ihr, und er schaute genauer hin. Blond. Ein bißchen mollig, aber mit solidem, gutmütigem, hübschem Gesicht. Das Alter schwer zu schätzen, aber vielleicht dem seinen, also Mitte Dreißig, ungefähr entsprechend. Seit seiner Scheidung war Dalehouse sich der Sexualität weiblicher Kollegen und zufällig kennengelernter Frauen im allgemeinen stärker bewußt, aber auch wachsamer. Er bedankte sich mit einem Lächeln und lehnte sich zurück, um zuzuhören. Der erste Teil war nicht aufregend. Die Berichte über die Sonde nach Alpha Draconis waren bereits veröffentlicht worden.
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Dalehouse hatte kein großes Interesse daran, noch einmal von den photometrischen Messungen zu hören, mit denen das Vorhandensein photosynthetischen ›Pflanzen‹-Lebens in einer Reduktionsatmosphäre nachgewiesen worden war. Es gab genug solche Planeten, die von den Tachyon-Sonden mit ihrer Fracht von Instrumenten abgetastet und gemeldet worden waren – das Ganze nicht größer als eine Grapefruit, aber auf wundersame Weise fähig, in einer Woche interstellare Entfernungen zu überspringen. Der Pakistani schien aber entschlossen zu sein, jedes Wort jedes einzelnen Berichts zu wiederholen, und er versäumte nicht, sich zur Zahl der anderen entdeckten Planeten mit Reduktions-Atmosphäre und zu der anscheinend allgemein niedrigen Ebene entwickelten Lebens auf ihnen zu äußern. Die Procyon-Sonde war aus der Synchronisation geraten, und die Berichte waren bestenfalls zweideutig. Glücklicherweise ließ sich Dulla nicht näher über die Bestückung mit Instrumenten aus. Kappa Indi klang besser – wenigstens eine Sauerstoff atmosphäre, obwohl die Temperaturskala ungünstig war und man die Merkmale als lückenhaft bezeichnen mußte –, aber der wahre Erfolg kam am Schluß. Kungs quasistellares Objekt war nicht viel größer als ein Planet selbst. Für einen Stern war es winzig, kaum groß genug, um Atomkerne zu verschmelzen und Hitze abzustrahlen, aber es besaß einen Planeten, der sich erfreulich anhörte. Heiß. Feucht. Dichte Luft, aber ungefähr der richtige Sauerstoff-Partialdruck, um dem Leben zuträglich zu sein – einschließlich dem Leben einer menschlichen Forschungsgruppe, wenn irgend jemand Lust haben sollte, das Geld für diesen Versuch auszugeben. Und die Merkmale waren erstklassig. Kohlendioxyd. Spuren von Methan, aber nur Spuren. Gute Photometric. Die einzigen Kennwerte, die fehlten, waren Radio-Wellenlängen; ansonsten hätte es sich ganz wie Miami Beach angehört. Der Pakistani erklärte dann weiter, wie Kungs Stern von dem großen, starren Radioteleskop bei Nagchhu Dsong in den Thanglha-Bergen entdeckt worden war, und daß es sich um eine direkte Folge der Weisheit und des Beispiels des toten Vorsitzen
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den Mao handele. Das war, für sich genommen, nicht sehr interessant, außer für die anderen Mitglieder des Volks-Blocks, die ernsthaft Zustimmung nickten; aber der Planet erschien reichlich merkwürdig. Die Simultanübersetzung hatte Schwierig keiten, mit dem Pakistani Schritt zu halten, und es war ohnehin nicht Dalehouses besonderes Interessengebiet, aber er kam zu dem Schluß, daß nur ein Teil einer Halbkugel in der biotischen Untersuchung erfaßt worden war. Komisch! Er war auch nicht der einzige, der sich fasziniert zeigte. Er schaute zur Reihe der Dolmetscher hinauf, jeder in seiner eigenen Glaskabine, wie Nagelscheren und Taschenkämme hinter den Fenstern eines Verkaufsautomaten. Jede Kabine besaß ihre kunstvoll gefältelten dunkelroten Vorhänge, die gerafft waren mit einer Goldkordel, sehr slawisch und unpassend, und die Dolmetscher dahinter sahen mit ihren halbleiterbestückten Übertragungshelmen aus wie Astronauten. Unter ihnen befand sich ein junges Mädchen mit frischem, einfachem Gesicht, das sich vorbeugte, um den Redner abwechselnd mit Fassungslosigkeit oder Verzückung anzustarren. Ihre Lippen bewegten sich nicht; sie schien zu gebannt zu sein, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Dalehouse lieh sich von seiner Nachbarin einen Bleistift und notierte sich am Rand seines Programms: ›Kungs Stern unters. Mögl.‹ Er nannte den Planeten nicht. Dieser besaß noch keinen Namen, obschon Dalehouse manche von den Volks-Leuten ihn halb ehrfürchtig ›Kungs Sohn‹ hatte nennen hören. Man würde ihm noch andere Namen geben und schlimmere.
Was kann man von jemandem wie Danny Dalehouse sagen? Grundschule, Oberschule, College, Graduiertenstudium; er hatte seinen philharmonischen Doktor mit sechsundzwanzig Jahren gemacht, und Arbeitsplätze waren rar. Es gelang ihm, ein Jahr lang Biologie fürs erste Semester zu lehren, dann ein Jahr mit einem Stipendium in Tiflis zu verbringen und über ein Jahr Habilitierungsstudium zu betreiben, so daß er dreißig war, als er im neuen Exobiologie-Fachbereich der Michigan State-Universität
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unterkam. Die Ehe, die ein Jahr Leben von Käse und Weißwein in Georgien überstanden hatte, war in East Lansing aufgelöst worden. Er war, wohlwollend betrachtet, mittelgroß – mit Schuhen ungefähr einssiebzig – und schlank. Er war auch nicht besonders gutaussehend. Dafür war er klug. Er war so klug, daß er in drei Jahren an der Michigan State zu einem der Spitzen fachleute des Nahrungs-Blocks für die Auswertung der Tele metrie einer Tachyon-Transport-Sonde geworden war und sie in eine brauchbare Vermutung darüber umsetzen konnte, wieviel an Leben die Merkmale darstellten. Sogar, welche Art von Leben. An diesem Abend traf er die Blondine in der Aperitif-Bar wieder. Er war hingegangen, um sich die Nachrichtenkonferenz der Schlagzeilenmacher anzuhören, aber das Gedränge an diesem Ende der Bar war groß, und die meisten Leute schienen wirklich Reporter zu sein, die wegzuschieben er sich nicht für befugt hielt. Zwischen ihren Köpfen und Kameras erhaschte er Blicke auf Sagan und Iosif Schklowskij, die in ihren Lebenserhaltungs-Stühlen an einem Ende des schmalen Raumes beisam mensaßen, sich photographieren ließen und lächelnd Bemerkun gen und eine Sauerstoffmaske austauschten. Sie rollten zu den Aufzügen davon, und die Masse der Anwesenden folgte ihnen. Dalehouse entschied sich, etwas zu trinken, und ließ den Blick über die Bartheke gleiten. Die Blondine trank mit zwei kleinen, dunkelhäutigen, lächeln den Männern Scotch – nein, falsch, sie trank Scotch; die anderen tranken Orangensaft. Die Männer standen auf und verabschiedeten sich, während er noch einen Platz suchte, und er nutzte die Gelegenheit. »Stört es Sie, wenn ich mich zu Ihnen setze? Ich bin Danny Dalehouse, Michigan State.« »Margie Menninger«, sagte sie, und es machte ihr gar nichts aus, daß er sich zu ihr setzte. Es machte ihr nichts aus, sich einen Drink spendieren zu lassen und selbst einen zu spendie ren, und es machte ihr nichts aus, zu einem Spaziergang zu dem prallen bulgarischen Frühlingsmond mitzukommen, und es
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machte ihr nichts aus, mit auf sein Zimmer zu gehen, um seine Flasche bulgarischen Weines aufzumachen; und alles in allem war der Tag, an dem Danny Dalehouse das erstemal von Kungs Stern hörte, für ihn ein sehr erfolgreicher und vergnüglicher Tag. Der nächste Tag – nicht ganz so gut. Er begann am frühen Morgen noch sehr angenehm. Sie erwachten in einer Umarmung und liebten sich erneut, ohne die Stellung zu verändern. Es war zu früh, um etwas zu essen zu bekommen, deshalb teilten sie sich den Rest der Flasche Wein, während sie duschten und sich anzogen. Dann beschlossen sie, spazierenzugehen. Während der Nacht hatte es ein wenig geregnet. Die Straßen waren feucht, aber die Luft war warm, und im wunderschönen rosigen Schimmer des Sonnenaufgangs waren die MariaTheresia-gelben Gebäude von satter Pfirsichfarbe und wirkten freundlich. »Das nächste, was ich machen möchte«, sagte Dalehouse überschwenglich und legte einen Arm um Margies Hüfte, »ist, mir Kungs Stern anzusehen.« Margie blickte ihn mit neuem Interesse an. »Hast du die Finanzen dafür?« »Tja«, sagte er belämmert, »nein. Nein, das wohl nicht. Die MSU hat voriges Jahr vier Tachtrans gestartet, aber die Finanzierung für eine bemannte Sonde haben wir nie bekom men.« Sie stieß den Kopf an seine Schulter. »Du bist raffinierter, als man dir ansieht.« »Was?« »Du haust nicht aufs Blech, Dannyboy, aber du weißt immer ganz genau, was du tust, nicht? Wie gestern abend. Die beiden Araber haben gar nichts erreicht, als sie sich um mich bemüh ten. Und du hast dich ganz unauffällig eingeschlichen.«
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»Ich bin nicht sicher, ob ich weiß, wovon wir reden.« »Nein?« »Nein, eigentlich nicht.« Aber sie schien nichts weiter klarstel len zu wollen, so daß er zu dem zurückkehrte, was ihn wirklich interessierte. »Der Planet hört sich wirklich ganz toll an, Margie. Vielleicht gibt es sogar Industrie. Hast du das mitbekommen? Spuren von Kohlenmonoxyd und Ozon.« »Es gab keine Radiosignale«, wandte sie nachdenklich ein. »Nein. Beweist aber gar nichts. Vor zweihundert Jahren hätte man auch keine Radiosignale von der Erde gehört, und eine Zivilisation gab es doch.« Sie spitzte die Lippen. Er kam auf den Gedanken, daß ihn irgend etwas beunruhigte, vielleicht irgendwas Weibliches von der Art, das zu begreifen er sich nie besonders zugetraut hatte. »Das würde mindestens zwei Jahre dauern«, sagte sie. »Würdest du wirklich hinwollen?« »Ich, äh, ich glaube, ich würde dich vermissen, Margie«, sagte er, sie mißverstehend. »Ach, red keinen Quatsch«, erwiderte sie ungeduldig. »Wür dest du hinfliegen, wenn die Finanzierung gesichert wäre?« »Probier’s mal mit mir.« »Der Paki war so verdammt zufrieden mit sich. Wahrscheinlich hat er mit Erben Maos schon vereinbart, daß die Volks-Leute eine bemannte Sonde hinschicken.« »Das ist mir auch recht. Ich will nicht aus politischen Gründen hin. Mir ist es egal, welches Land auf die ersten zivilisierten fremden Wesen trifft; ich will einfach dabeisein.« »Aber mir ist es nicht egal«, sagte sie. Sie löste sich von ihm, um sich eine Zigarette anzuzünden. Dalehouse blieb stehen und sah ihr zu, wie sie die Hände um das Feuerzeug wölbte, damit die leichte Brise die Flamme nicht
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ausblies. Sie hatten ziemlich viel getrunken und nicht sehr viel geschlafen. Er spürte eine gewisse innere Schwäche, aber Margie Menninger schien nicht betroffen zu sein. Das war das erstemal, daß er mit einer Frau ins Bett gegangen war, ohne daß es einen Austausch einiger autobiographischer Kapitel gegeben hatte. Vom Intellekt her kannte er sie überhaupt nicht, nur durch seine Sinne. Margie Menninger hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Polly, die dunkelhaarig, sehr klein, quick und leicht zu langweilen gewesen war. Wie war eigentlich Margie Menninger genau? Dalehouse hatte sich noch keine feste Meinung gebildet. Sie schien verschiedene Personen zugleich zu sein. Gestern in der großen Halle für Kultur und Wissenschaft war sie eine AkademikerKollegin mehr gewesen, gestern nacht genau das, was jeder vollblütige amerikanische Jüngling gern in seinem Bett fand. Aber wer war sie heute morgen? Sie schlenderten nicht mehr dahin, die Arme jeweils um die Hüften des anderen gelegt. Margie war einen Meter entfernt und ein wenig voraus, ging mit schnellen Schritten, rauchte intensiv und starrte geradeaus. Sie schien zu einer Entscheidung zu gelangen und sah ihn an. »Michigan State-Universität, Institut für extrasolare Biologie. Daniel Dalehouse, B. A. M. Sc. Dr. phil. Ich glaube, ich habe dir nicht erzählt, daß ich, bevor ich Washington verließ, einen Vorabdruck deines Vertrags gelesen habe.« »Tatsächlich?« Er war verblüfft. »Interessante Arbeit. Ich habe das Gefühl, du meinst es ernst, wenn du sagst, du möchtest hinfliegen. Dannyboy, ich könnte dir vielleicht helfen.« »Mir wie helfen?« »Mit Geld, mein Lieber. Das ist alles, was ich zu geben habe. Aber ich glaube, ich kann dir davon etwas zukommen lassen. Für den Fall, daß du mein Namensschild nicht gelesen hast, als du dabei warst, mich auszuziehen: Das ist meine Beschäftigung; ich bin bei WEEKOM.«
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»Gesegnet sei KOM, von der alle Gaben kommen«, sagte Danny inbrünstig; es waren die jährlichen Zuschüsse der Weltraum-Erforschungs- und Entwicklungs-Kommission, die Dalehouses Institut florieren ließen. »Wieso habe ich dich nie gesehen, wenn ich mit meiner Bettelschale nach Washington kam?« »Ich bin erst seit Februar dabei. Ich bin stellvertretende Leiterin der Abteilung für neue Projekte. Den Posten gibt es erst seit Anfang des Jahres, und ich habe ihn bekommen. Vorher unterrichtete ich über das Thema an meiner Alma Mater… unter anderem; wir hatten nicht viel an extrasolarer Abteilung. Die Schule ist klein und erlebte schwere Zeiten schon, als ich dort zu studieren anfing. Also? Wie ist es?« »Wie ist was?« »Hast du nur so dahingeschwätzt, oder willst du das Geld für einen bemannten Flug zu Kungs Stern?« »Und ob! Gott, ja, und wie, und wie!« Sie ergriff seine Hand und tätschelte sie. »Du kannst es als abgemacht betrachten. Hallo, was ist das?« »Aber – « »Abgemacht, habe ich gesagt.« Sie sah ihn nicht mehr an; irgend etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie waren zu einem großen Park gekommen, und rechts von ihnen führte eine Promenade zu einem Denkmal. Am Zugang zur Promenade standen zwei heroische Bronzestatuengruppen. Dalehouse folgte ihr, als sie darauf zuging, und fühlte sich nicht nur verkatert, sondern auch betäubt. Das Ganze war noch nicht eingedrungen. »Ich sollte wohl einen Antrag stellen«, meinte er zögernd. »Na klar. Schick mir zuerst einen Entwurf, bevor du den Dienstweg beschreitest.« Sie betrachtete die Statuen. »Sieh dir das an.«
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Dalehouse starrte sie ohne Interesse an. »Sicher, aber so alt ist es nicht. Das ist eine Maschinenpistole, die der Soldat trägt… und da sitzt einer auf einem Motorrad. Und schau, unter den Soldaten sind Frauen.« Sie bückte sich und besah sich die kyrillische Inschrift. »Verdammt. Versteh’ ich nicht. Aber es sind Arbeiter und Bauern bei der Begrüßung der Befreier, nicht? Es muß der letzte von den großen gewesen sein – der Zweite Weltkrieg. Mal sehen, das ist Bulgarien, also muß das die Rote Armee sein, welche die Deutschen verjagt, und alle Bulgaren bringen Blumen und drücken den Soldaten brüderlich die Hand und geben ihnen frisches Quellwasser zu trinken. Mann! Danny, meine beiden Großväter und eine Großmutter haben in diesem Krieg gekämpft. Zwei auf der einen Seite, einer auf der anderen.« Dalehouse sah sie belustigt und liebevoll, wenn auch nicht mit vollem Verständnis, an; es war sonderbar, heutzutage jemanden zu finden, der sich für altmodischen Fußkrieg interessierte, nachdem alle wußten, daß für jedes Land, das überleben wollte, ein Krieg überhaupt nicht mehr erschwinglich war. »Und deine andere Großmutter? Wohl eine Drückebergerin?« Sie sah kurz zu ihm auf. »Sie ist bei den Bombardierungen umgekommen«, sagte sie. »He, das macht Spaß.« Die Bronzestatuen waren für jeden Kriegsbegeisterten jeden falls militärisch genug. Jede Figur drückte Tapferkeit, Freude und Entschlossenheit im maximalen sozialistischen Realismus aus. Sie waren in viereckigen Blöcken gemeißelt, eng aneinander, so daß sie aussahen wie eine Dose erstarrter Sardinen, die sich alle umeinanderschlangen. Margies Interesse an der Skulptur erregte Aufmerksamkeit, wie Dalehouse bemerkte; die Gendarmen hatten das Ende ihrer Runde erreicht und kamen auf dem Rückweg in der Nähe vorbei, um wohlwollend zuzusehen. »Was macht so viel Spaß an Soldaten?« fragte er.
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»Das ist mein Beruf, lieber Dan. Hast du das nicht gewußt? Marjorie Maude Menninger, Captain, U. S. Army, ehemals West Point, oder ehemals vom ehemaligen West Point, wie ich manchmal sage. Du solltest mich in Uniform sehen.« Sie zündete sich wieder eine Zigarette an, und als sie ihn einen Zug machen ließ, begriff er, daß das nicht Tabak war. Sie sog den Rauch tief ein und blies ihn dann hinaus. »Ah, das waren noch Zeiten«, sagte sie verträumt, die Statuen betrachtend. »Sieh dir den an, der das Baby hochhält. Weißt du, was er zu seinem Kameraden sagt? ›Nur zu, Iwan, ich halte das Kleine, während du die Mama vergewaltigst. Dann bin ich dran.‹« Dalehouse lachte. Ermuntert fuhr Margie fort: »Und der Junge da sagt: ›Schokolade? Russki-Zigaretti? He, ruhmreicher Soldat der Roten Armee, willst du meine Schwester?‹ Und die Uniformierte, die der Frau die Blumen abnimmt, sagt: ›Aha, Genossin! Landwirtschaftliche Erzeugnisse aus dem Volkspark stehlen! Verlaß dich drauf, du kommst für lange Zeit ins Lager!‹ Bis die Sowjets hier ankamen, waren die Deutschen natürlich schon erledigt, aber – « »Margie«, sagte er. » – es muß trotzdem sehr aufregend gewesen sein.« »He, Margie, gehen wir weiter«, sagte er unbehaglich. Er hatte plötzlich bemerkt, daß die Polizisten nicht mehr lächelten, und erinnerte sich ein wenig verspätet daran, daß die ganze Stadtpolizei für die Tagung Sprachunterricht erhalten hatte.
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II
Was man über Ana Dimitrowa sagen konnte, brauchte kaum ausgesprochen werden, weil es bei der ersten Begegnung unverkennbar war: Sie war ein liebes, heiteres Mädchen mit großer Liebesfähigkeit. Manchmal hatte sie die zermürbenden Spannungs-Kopfschmerzen, typisch für Leute, deren Corpus Callosum, der Balken im Endhirn, durchtrennt worden war, und dann war sie desorientiert, gereizt, manchmal durch die Schmerzen von Übelkeit befallen. Aber sie ertrug das im stillen, wenn sie konnte. Sie wurde früh wach und schlich in die Küche, um selbst Tee zu kochen. Kein Pulverzeug für Achmed! Als sie ihn hineintrug, schlug er die herzzerreißend langen Wimpern auf und lächelte sie an, mit kleinen Fältchen um die dunkelbraunen Augen. »Du bist zu gut zu mir, Nan«, sagte er auf Urdu. Sie stellte die Tasse hin und bückte sich, um seine Wange mit der ihren zu berühren. Achmed hielt nichts vom Küssen, außer unter Umständen, die sie zwar genoß, die aber in ihren derzeitigen Plänen nicht enthalten waren. »Ziehen wir uns schnell an«, schlug sie vor. »Ich möchte dir mein liebes Ungeheuer zeigen.« »Ungeheuer?« »Du wirst schon sehen.« Sie entwand sich seinem Zugriff und zog sich in die Dusche zurück, wo sie das heiße Wasser lange auf ihre Schläfen prasseln ließ. Der Übertragungshelm rief die Kopfschmerzen oft hervor, und heute wollte sie sich davor bewahren. Später, während sie ihr langes, braunes Haar trocknete, kam Achmed stumm herein und fuhr mit den Fingern über die schmale Narbe an ihrer Kopfhaut. »Liebe Nan«, sagte er, »so viel Aufwand, um Urdu zu lernen. Ich habe es umsonst gelernt.« Sie lehnte sich einen Augenblick an ihn, dann wickelte sie das
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Handtuch um sich und rügte sanft: »Dafür bleibt keine Zeit, wenn wir mein Ungeheuer in der Morgendämmerung sehen wollen. Außerdem habe ich mein Hirn nicht durchtrennen lassen, um Sprachen zu lernen, sondern nur dazu, daß ich sie besser übertragen kann.« »In Pakistan würden wir so etwas nicht tun«, sagte er, aber sie wußte, daß er nur lieb zu ihr sein wollte. Vor der Badezimmertür, als er unter dem kalten Wasser prustete und murrte, dachte Nan ernsthaft über ihn nach. Sie war eine praktisch denkende Person. Sie sah sich durchaus imstande, ein materielles Gut für ein Prinzip oder ein Gefühl zu opfern, aber sie zog es vor, genau zu wissen, was auf dem Spiel stand. Für ihre Liebesaffäre mit Achmed war der Einsatz ziemlich hoch. Wie die Sowjetunion gehörte Bulgarien zu den Nahrungs mittel exportierenden Ländern, die dem Volks-Block noch die größte Duldsamkeit entgegenbrachten, aber die Grundlinien der internationalen Politik blieben trotzdem klar. Sie würden einander nur selten und unter Schwierigkeiten sehen können, es sei denn, einer von ihnen gab seine Bürgerschaft auf, und sie wußte, daß das nicht Achmed sein würde. Wie tief wollte sie sich mit diesem lieben Pakistani einlassen? Konnte sie ein Leben in den überfüllten, trägen Städten des Volksblocks teilen? Sie hatte sie gesehen. Sie waren reizvoll genug. Aber eine Ernährung fast nur von Getreide, ein fast völliger Mangel an Maschinen für den einzelnen, das nach innen gerichtete Denken im Volksblock – wollte sie das? Angenehm zu besuchen, erfreulich und malerisch für einen Tag oder einen Monat… aber für den Rest ihres Lebens? Sie zog sich schnell an, ohne eine Entscheidung zu fällen. Ein Teil ihrer Aufmerksamkeit galt dem, was sie tat, der andere Teil ging ihre Pläne für die heutige Arbeit bei der Tagung durch, für Achmed blieb nichts. Sie machte das Bett, während er sich anzog, räumte das gespülte Geschirr und die Gläser weg und zerrte ihn beinahe zur Tür hinaus. Der Himmel war von hellem Rosa, aber die Sonne tauchte
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gerade erst auf; es blieb Zeit, wenn sie sich beeilten. Sie führte ihn die Treppe hinunter; kein Warten auf den winzigen KurbelAufzug, und hinaus in den Hof, dann rasch fort von der Universität zu einer Kreuzung von zwei Boulevards. Sie blieb stehen und drehte sich um. »Da, siehst du?« Achmed kniff die Augen zusammen und starrte in den Sonnen aufgang. »Ich sehe den Dom«, sagte er. »Ja, das ist er. Und das Ungeheuer?« »Ungeheuer? Ist es im Dom?« »Es ist der Dom.« »St. Stephan ein Ungeheuer…? Oh! Ja, ich glaube, ich verste he. Diese Fenster hoch oben sind die Augen. Und die Fensterrei he darunter die Zähne.« »Es lächelt uns an, siehst du? Und da sind die Ohren und die Nase.« Achmed blickte nicht mehr auf die Kathedrale, sondern auf sie. »Du bist ein sonderbares Mädchen. Ich frage mich, was für eine Pakistani du wärst.« Ihr stockte der Atem. »Nein! Das ist zuviel. Bitte, sprich nicht so.« Sie griff nach seinem Arm. »Bitte, gehen wir einfach spazieren.« »Ich habe nicht gefrühstückt, Ana.« »Dafür bleibt Zeit genug.« Sie führte ihn durch den kleinen Park zur Universität und dann hinunter zu dem größeren Park. Sie lachte. »Hast du mir verziehen, daß ich dich so schlecht ins Bulgarische übersetzt habe?« »Ich hätte nicht gewußt, wie schlecht, wenn du es mir nicht gesagt hättest.«
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»Es war schlimm genug, Achmed. Ich habe dich angesehen, als du von Kungs Stern gesprochen hast, und vergessen, zu dolmetschen.« Er blickte sie vorsichtig an. »Weißt du«, sagte er, »Erbe Maos interessiert sich persönlich für diesen Planeten. Er war es, der den Namen für das quasistel lare Objekt ausgesucht hat. Er war im Observatorium dabei, als es entdeckt wurde. Ich glaube – « »Was glaubst du, Achmed?« »Ich glaube, es werden aufregende Dinge passieren«, sagte er dunkel. Sie lachte und hob seine Hand an ihre Wange. »Aha«, sagte er und blieb mitten auf dem Boulevard stehen, »hör mir zu. Es ist nicht unmöglich, weißt du. Selbst wenn ich danach eine Zeit fort sein müßte, wäre es für dich und mich nicht unmöglich.« »Bitte, lieber Achmed – « »Es ist nicht unmöglich! Ich weiß«, sagte er bitter, ohne darauf zu achten, daß sie mitten auf der Straße standen, »daß Pakistan ein armes Land ist. Wir haben keine Nahrungsmittel zu exportieren wie ihr und die Amerikaner, und wir haben kein Öl wie die Staaten des Mittleren Ostens und die Engländer. Also schließen wir uns den Ländern an, die noch übrigbleiben.« »Ich achte Pakistan sehr hoch.« »Du bist ein Kind gewesen, als du dort warst«, sagte er streng. »Aber trotzdem ist es nicht unmöglich, glücklich zu sein, selbst im Volks-Block.« Ein Oberleitungsbus kam daher, drei Wagen lang, und auf den Gummireifen fast lautlos. Nan zog Achmed zur Seite, froh über die Gelegenheit, das Thema wechseln zu können. Das Problem bei internationalen Tagungen ist, dachte sie, daß man politische Gegner kennenlernt und sie manchmal überhaupt
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nicht als Gegner empfindet. Sie hatte diese Beziehung zu jemandem von der Seite nicht gewollt. Sie wollte ganz gewiß nicht die Unannehmlichkeiten und Qualen, die damit verbunden waren. Sie wußte, was auf dem Spiel stand. Als Dolmetscherin für vier voll beherrschte Sprachen und ein halbes Dutzend teilweise gemeisterte kannte sie die ganze Welt – gewiß, zumeist innerhalb des Nahrungs-Blocks, aber dazu gehörten immerhin Moskau und Kansas City und Rio und Ottawa. Sie hatte Überläufer von den anderen Seiten kennengelernt: in Sydney eine Waliserin; an der Universität hier gab es zwei oder drei Japaner; ihre eigenen Nachbarn in Sofia. Sie versuchten stets verzweifelt, dazuzugehören, aber sie waren immer Außenseiter. Sowohl der Morgen als auch Achmed waren zu schön für derart unglückliche Gedanken. Der Teil ihres Gehirns, der in den Tag hineinträumte und sich Sorgen machte, wechselte von der Sorge zum Tagtraum; der andere Teil, der wahrnehmende und interpretierende, hatte Vorgänge auf der anderen Seite der Straße verfolgt und beanspruchte jetzt ihre Aufmerksamkeit. »Schau«, sagte sie, um eine Ausrede bemüht, mit der sie Achmeds Beharren auf diesem Thema unterlaufen wollte, »was geht da drüben vor?« Es war an der Befreiungs-Promenade. Die blonde Frau, die sie bei einem der Empfänge gesehen hatte, stritt mit zwei Angehörigen der Miliz. Einer davon hielt sie am Arm fest, der zweite hatte die Hand am Betäubungsstab und sprach streng auf einen anderen Mann ein, einen noch jüngeren Professorentyp, der ebenfalls an der Tagung teilnahm. Achmed sagte ohne Interesse: »Amerikaner und Bulgaren. Die Fetten sollen ihre Probleme untereinander austragen.« »Nein, im Ernst!« sagte Nan beharrlich. »Ich muß sehen, ob ich helfen kann.«
Aber alles, was Nan Dimitrowa schließlich erreichte, war, daß sie ebenfalls festgenommen wurde. Schuld war die Amerikanerin. Selbst ein Amerikaner hätte so
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viel Verstand haben müssen, keine chauvinistischen Witze über die Rote Armee in Hörweite der Polizei eines der russophilsten Länder zu machen. Wenn sie das nicht gewußt hatte, hätte sie es sich wenigstens versagen sollen, auf ihrem Vertragsrecht zu bestehen, daß der amerikanische Botschafter von dem Vorfall unterrichtet wurde. Bis zu diesem Punkt suchten die Milizionäre nur nach einem geeigneten Anlaß, die Verwarnung der Übeltäter abzuschließen und davonzuschlendern. Danach ging es um internationale Politik. Das einzig Gute dabei war, daß Achmed nicht in die Sache verwickelt wurde. Nan schickte ihn weg. Er ging bereitwillig, sogar belustigt. Die anderen, die beiden Amerikaner und Nan selbst, wurden alle in den Justizpalast des Volkes gebracht. Da es Sonntagmorgen war, mußten sie stundenlang auf harten Holzbänken sitzen, bis man einen Polizeirichter fand. Niemand sprach mit ihnen. Niemanden hätte es im geringsten gestört, das stand für Nan fest, wenn sie die einladend geöffnete Tür benützt hätten und heimlich davongeschlichen wären. Aber allein wollte sie das nicht tun. Die Amerikaner waren nicht bereit, sich darauf einzulassen, die Frau, weil sie der Meinung zu sein schien, es gehe um ein Prinzip, der Mann offenkundig deshalb, weil die Frau in die Sache verwickelt war. Nan betrachtete die beiden mit Mißvergnügen, vor allem die Frau mit den blondgebleichten Haaren, die selbst für den Nahrungs-Block um mindestens fünf Kilo zu gut genährt war. Deine Verbündeten kannst du dir nicht aussuchen, dachte sie. Der Mann schien in Ordnung zu sein. Nicht zu wählerisch, mit wem er seine sexuellen Späße trieb. Immerhin, als die Zeit verging und die Milizionäre ihnen Milchbrötchen und starken Tee brachten, führte die Nähe sie zusammen. Sie unterhielten sich ganz munter, bis der Volks-Richter endlich erschien, es barsch ablehnte, sich etwas von Verträgen oder Botschaftern anzuhören, sie anwies, in Zukunft die Vernunft zu gebrauchen, die der liebe Gott ihnen verliehen habe, wie die guten Manieren, die ihre Mütter ihnen zweifellos beigebracht hätten, und sie gehen ließ. Inzwischen hatten sie die Zehn-Uhr-Sitzung der Konferenz
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völlig versäumt, außerdem das für die Delegierten vorgesehene besondere Mittagessen, was beinahe ebenso schlimm war. Da es ein Sonntagmorgen im Frühling war, erwiesen sich alle Restaurants durch private Hochzeitsfeiern ausgebucht, und keiner von ihnen bekam etwas zu essen. Das war die erste Begegnung der drei; die zweite fand sehr viel später und sehr, sehr weit entfernt davon statt. Danny Dalehouse fand einen Kollegen, der seinen Vortrag für ihn verlas. Das Verpassen der Vormittagssitzung erwies sich somit nicht als totale Katastrophe und schien vielmehr sogar sein Gutes zu haben. Margie war intelligent genug, einzusehen, daß sie albern gewesen war, und war auch seelisch stabil genug, das sogar einzugestehen. Wie ernst Margie es auch gemeint haben mochte, was die Finanzierung anging, als sie den Boulevard hinuntergeschlendert waren, voll von Wein, Hasch und Rosen, jetzt war sie reumütig genug, sich an ihr Versprechen zu erinnern. Auf dem ganzen Heimweg im Muscheljet von der Tagung hatte Dalehouse sein Notizbuch auf den Knien und entwarf einen Antrag, bis es Zeit war, zu seiner Koje zu gehen. In der Morgendämmerung waren sie über dem braun-weißen Labrador, und der Jet flog langsamer durch die kalte Nachtluft. Dalehouse frühstückte allein, eine schläfrige TWA-Stewardeß briet ihm die Rühreier und goß ihm den Kaffee ein, und er schaute hinaus auf die Wolken, als der Muscheljet wie eine Achterbahn in sie hineinund wieder hinausflog. Er fragte sich, wie der Planet von Kungs Stern wohl sein mochte.
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III
Am Tag, nachdem Margie Menninger in ihr Büro in Washington zurückgekommen war, erhielt sie Dalehouses Antrag. Sie hatte das Verfahren, das einen positiven Bescheid erbringen sollte, bereits in die Wege geleitet. Sie hatte die Tagung früh verlassen, um mit einem Hydrojet der NASA zurückzufliegen. Es war ein rauher und teurer Flug, aber ein schneller, zurück zu ihrer Wohnung in Houston gewesen. Von dort aus hatte sie den stellvertretenden Unter staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten angerufen. Es war nach der Bürozeit, aber sie erreichte ihn ohne Schwierigkeiten. Margie kam mit dem stellvertretenden Unterstaatssekretär sehr gut aus. Sie war seine Tochter. Nachdem sie ihm erklärt hatte, daß sie eine angenehme Reise gehabt hätte, kam sie sofort zur Sache: »Papa, ich brauche Finanzierung für einen bemannten interstellaren Flug.« Es blieb kurze Zeit still, dann sagte er: »Warum?« Margie kratzte sich unter dem Nabel und dachte an all die Gründe, die sie hätte nennen können. Zur Förderung des menschlichen Wissens? Zugunsten künftiger wirtschaftlicher Vorteile der Vereinigten Staaten und des Rests der Nahrungsmit tel produzierenden Welt? Um ihres Versprechens an Danny Dalehouse willen? Das waren alle für den einen oder anderen wichtige Gründe, manche wichtig auch für sie, aber ihrem Vater nannte sie den einen Hauptgrund, der Vorrang hatte: »Weil sonst die gottverdammten Pakis es tun.« »Allein?« Sie hörte selbst aus der Entfernung von dreitausend Kilometern die Skepsis heraus. »Die Chinesen liefern das Material. Sie sind auch beteiligt.« »Du weißt, was das kosten wird.« Es war keine Frage; sie kannten beide die Antwort. Selbst eine Tachtrans-Kapsel kostete um die zwei Millionen Dollar, wenn man sie von einem Sternsys tem zum anderen transportierte, und sie wogen nur einige
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Kilogramm. Was sie im Sinn hatte, waren mindestens zehn Leute mit ihrer ganzen Ausrüstung; sie verlangte Milliarden Dollar. »Viel«, sagte sie, »aber es lohnt sich.« Ihr Vater lachte bewundernd. »Du bist immer ein kostspieliges Kind gewesen, Margie. Wie willst du das durch den Gemeinsamen Ausschuß bringen?« »Ich glaube, ich kann es. Laß das meine Sorge sein, Papa.« »Hm. Nun, ich helfe von hier aus. Was willst du im Augenblick von mir?« Margie zögerte. Es war eine offene Telephonverbindung, und sie wählte ihre Worte mit Bedacht. »Ich habe diesen Paki um eine Kopie seines vollständigen Berichts gebeten. Ich bin natürlich ein wenig gehandikapt, bis ich ihn habe.« »Versteht sich. Sonst noch etwas?« »Bevor ich den vollständigen Bericht nicht gesehen habe, kann ich nicht viel tun.« »Ich verstehe. Na gut. Was gibt es sonst Neues? Wie haben dir unsere tapferen bulgarischen Verbündeten gefallen?« Sie lachte. »Du weißt sicher, daß ich festgenommen worden bin.« »Ich wundere mich nur, daß das nicht öfter vorkommt. Du bist eine schreckliche Person, Liebes. Von meiner Seite der Familie hast du das nicht.« »Ich erzähle Mama, daß du das gesagt hast«, versprach sie und legte auf; und bis sie nach Washington zurückkam, hatte sie auf privatem Weg bereits eine Mikrofilm-Kopie vom vollständigen Bericht des Pakistani erhalten, schon übersetzt. Sie las ihn sorgfältig durch und machte sich Notizen. Dann schob sie ihn weg und lehnte sich im Sessel zurück.
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Der verdammte Paki hatte eine Menge für sich behalten. In seinem privaten Bericht, dreimal so dick wie jener, aus dem er in Sofia vorgelesen hatte, befand sich eine Liste der wichtigsten Lebensformen. In Sofia hatte er davon überhaupt nichts erwähnt. Mindestens drei Arten schienen eine Form gesellschaft licher Organisation zu besitzen: eine Art Gliederfüßler; eine Spezies, die Grabgänge baute, warmblütig und weichhäutig; und eine fliegende Gattung – nein, keine fliegende, verbesserte sie sich. Sie befand sich die meiste Zeit in der Luft, aber ohne Flügel entwickelt zu haben. Sie waren Ballonfahrer, keine Vögel. Drei gesellschaftlich organisierte Arten! Mindestens eine von ihnen mochte durchaus intelligent genug sein, um zivilisiert werden zu können. Das brachte sie wieder auf Danny Dalehouse, seine Abhandlung über ersten Kontakt mit intelligenten Lebensformen auf subtechnologischer Ebene und seinen Finanzierungsantrag. Sie blickte wieder auf die unterste Zeile des Antrags und grinste. Jung-Danny kannte keine Scheu, zu verlangen, was er wollte. Siebzehn Milliarden Dollar. Siebzehn Milliarden Dollar, dachte sie, das war der geschätzte Gesamtwert von Manhattan Island… das Bruttosozialprodukt irgendeines von fünfundzwanzig oder dreißig Ländern der Welt… ungefähr das Brennstoffdefizit in der Zahlungsbilanz der USA für zwei Monate. Es war viel Geld. Sie legte die Unterlagen und ihre Notizen in einen grellroten Aktendeckel mit dem Stempel ›Streng geheim‹ und sperrte ihn weg. Dann begann sie für Danny Dalehouse zu beschaffen, was er haben wollte. Es ließ sich viel über Margie Menninger sagen, und das Wichtigste war, daß sie stets wußte, was sie wollte. Sie wollte viel und sehr verschiedene Dinge. Ihre Motivationen waren in ihrem Inneren deutlich und rangmäßig markiert. Das Dritte oder Vierte von oben würde sich vermutlich erreichen lassen. Das Zweite war beinahe Gewißheit. Aber am Obersten gab es nichts
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zu rütteln.
Eine Woche später hatte sie Dalehouses endgültig formulierten Antrag und einen Termin, vor dem Gemeinsamen Ausschuß vom Repräsentantenhaus und Senat für Weltraum-Entwicklung auszusagen. Sie nützte die Woche gut, zuerst, um Dalehouse (am Telephon, und unmittelbar danach durch Faksimile erläutert) zu sagen, wie er seinen Antrag abändern mußte, um die Chancen für eine Annahme maximal auszunutzen, und dann, um die nicht gerade wenigen Lücken in ihrem Wissen darüber, was gebraucht wurde, auszufüllen. Um eine Senderkapsel oder eine Schiffsladung von Menschen von einem Stern zum anderen zu schleudern, muß man sie zuerst in eine Umlaufbahn bringen. Der Tachyon-Transport selbst ist ein Musterbeispiel technologi scher Eleganz. Sobald man seine Kapsel in den erforderlichen Ladungszustand versetzt hat, gehorcht sie den tachyonischen Gesetzen. Sie bewegt sich mühelos mit Überlichtgeschwindigkeit und legt interstellare Entfernungen zu jedem beliebigen Punkt der Galaxis innerhalb von Tagen zurück. Sie verbraucht dabei erstaunlich wenig Energie. Das Paradox des Tachyons besteht darin, daß es mehr Energie braucht, um langsam zu fliegen, als bei schnellem Flug. Das schwerste ist, die Kapsel in den Ladungszustand zu versetzen. Dazu braucht man eine ziemlich umfangreiche Startplattform. Die Plattform ist teuer. Mehr noch, sie ist schwer. Die Plattform in eine Umlaufbahn zu bringen, ist ganz und gar nichts Elegantes. Das verlangt brutale Kraft. Für jedes Gramm, das im tachyonischen Zustand gestartet wird, müssen hundert Kilogramm Treibstoff verbrannt werden. Treibstoff ist Treibstoff. Man kann Erdöl verbrennen oder etwas, das man erzeugt, indem man Erdöl verbrennt – sagen wir, flüssigen Wasserstoff und flüssigen Sauerstoff. So oder so, um zehn Menschen und ein Mindestmaß an Ausrüstung auf den Weg zu Kungs Stern zu
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bringen, mußten über eine halbe Million Tonnen Erdöl verbren nen. Eine halbe Million Tonnen! Es war nicht nur der Dollarwert. Es waren vier Supertanker voll Erdöl, die alle aus einem der treibstoffexportierenden Länder kommen mußten, und diese ließen Anzeichen erkennen, daß sie wieder einmal aufbegehren wollten. Die QUIP-Drei Interblock-Konferenz über Quoten für Importe und Preise verlief schlecht für die Nahrungsmittel exportierenden Länder. Wenn Margie die Expedition nicht rasch auf die Beine stellen konnte, würden die steigenden Ölpreise die Kosten sogar noch weit über Danny Dalehouses Schätzungen hinaustreiben. Als alle Zahlen vom Papier sicher in Marges Kopf übertragen waren, sperrte sie ihren Schreibtisch im Washingtoner Büro ab. Sie ging zum Sitzungssaal 201 im alten Rayburn-Of-fiveGebäude, mit dem Wissen, daß sie eine enorme Aufgabe vor sich hatte. Die Hindernisse hätten eine andere Person vielleicht abge schreckt. Margie ließ sich von nichts abschrecken. Ihr diszipli niertes Denken zerlegte das unmittelbare Problem in seine Bestandteile, und sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit darauf, wie jeder einzelne angepackt werden mußte. Das Problem des Gemeinsamen Ausschusses zerfiel mühelos in vier Bestandteile: der Vorsitzende; der Führer der Minderheit; der juristische Chefberater für den Ausschuß; und Senator Lenz. Sie bereitete für jeden ihre Strategie vor. Der Führer der Minderheit war ein Freund ihres Vaters und konnte ihm überlassen werden. Der Vorsitzende wollte unbedingt Präsident werden. Er würde wohl Wellen schlagen, sobald er eine Gelegenheit erkannte, sich Publizität zu verschaffen. Die Art, mit ihm umzugehen, bestand darin, sich zurückzuhalten und ihm möglichst wenig Anlaß zu liefern, eine Wahlfeldzugs-Position einzunehmen. Nachdem sie vereidigt worden war und ihre vorbereitete Erklärung verlesen hatte, befragte er sie als erster.
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Der Vorsitzende: Nun, Madam, ich bin sicher, daß Ihre Motive überaus ehrenwerte sind, aber wissen Sie, wie angestrengt wir im Kapitol daran arbeiten, das Defizit zu verringern? Captain Menninger: Das weiß ich, Mr. Senator. Der Vorsitzende: Und trotzdem erwarten Sie von uns, daß wir Ihnen weiß Gott wie viele Milliarden für dieses Projekt bewilli gen? Das war vielversprechend. Er hatte nicht gesagt, ›dieses hirnrissige Projekt‹ oder ›diese absurde Überspanntheit‹ Captain Menninger: Ich ›erwarte‹ es nicht, Senator. Ich hoffe darauf. Ich hoffe, der Ausschuß wird dem Antrag zustimmen, weil es sich nach meinem Urteil um eine Investition handelt, die auf viele Jahre hinaus den mehrfachen Ertrag einbringen wird. Der Vorsitzende: Nun, hat jemand von meinen hervorragenden Kollegen Fragen an diese Zeugin? Die hatten sie, aber sie waren meist beiläufiger Art. Die wichtigen Leute, wie Senator Lenz und der Führer der Minderheit, hielten sich für eine andere Gelegen heit zurück; den Minderheits-Mitgliedern kam es in erster Linie darauf an, ihre eigene Einstellung klarzumachen. Der Chefberater war ein größeres Problem. Er war schlau. Er legte überdies den größten Wert darauf, seine Chefs gut aussehen zu lassen, indem er den Gemeinsamen Ausschuß vor Schwierigkeiten bewahrte. Margies Hoffnung bestand darin, ein Ja unproblematischer erscheinen zu lassen als ein Nein. Mr. Gianpaolo: Sie haben von Ertrag gesprochen. Meinen Sie damit konkrete finanzielle Gewinne oder eine abstrakte Form von Wissen oder Erfolg? Captain Menninger: Oh, beides, Mr. Gianpaolo. Mr. Gianpaolo: Wirklich, Miss Menninger? Erträge in Dollars? Captain Menninger: Gestützt auf frühere Erfahrungen und angesichts der Erkenntnisse über diesen Planeten, ja. Ganz entschieden. Mr.
Gianpaolo:
Können
Sie
uns
eine
Vorstellung
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davon
vermitteln, wie diese Erträge aussehen werden? Captain Menninger: In Umrissen, ja. Die Tachtrans-Berichte deuten auf wertvolle Rohstoffe und das Vorhandensein intelligenten Lebens hin – jedenfalls nahezu auf Gewißheit für das erstere und auf eine starke Möglichkeit des zweiten. Natürlich handelt es sich nur um Instrumentenmessungen. Mr. Gianpaolo: Die, soviel ich verstehe, widersprüchlicher Auslegung unterworfen sind. Captain Menninger: Genau, Mr. Gianpaolo, und das ist der Grund, warum es notwendig ist, eine bemannte Expedition hinauszuschicken. Der ganze Grund für die Expedition ist der, herauszufinden, was wir auf andere Weise nicht in Erfahrung bringen können. Wenn wir wüßten, was sie findet, brauchten wir sie nicht hinzuschicken. Aber es gibt noch einen anderen Ertrag, den ich noch für wichtiger halte. Ich bezeichne ihn als ›Führer schaft‹. Mr. Gianpaolo: Führerschaft? Captain Menninger: Die ganze freie Welt Nahrungsmittel exportierender Länder blickt auf uns nach dieser Führerschaft, Mr. Gianpaolo. Ich glaube nicht, daß irgend jemand von uns sie im Stich lassen möchte. Das ist eine Gelegenheit, die sich im Leben nur einmal bietet. Ich bin hier, weil ich nach bestem Wissen und Gewissen die Verantwortung nicht dafür überneh men kann, sie auszulassen. Es ist letztlich die Bürde, die dieser Ausschuß selbst zu tragen hat. Da in der öffentlichen Sitzung nichts entschieden werden würde, war Margie zuversichtlich, daß Zeit übrigblieb, den Mitgliedern begreiflich zu machen, diese ›Bürde‹ könnten sie am ehesten loswerden, indem sie dafür stimmten, ihr das Geld zu geben. Wenn es nach Margie Menninger gegangen wäre, hätten die Zeugenbefragungen damit ein Ende gefunden. Aber das Arrangement stammte von Gianpaolos Hand. Er war zu klug, um mit dem Ton aufzuhören, den sie beigesteuert hatte. Er dämpfte die dramatische Wirkung, indem er eine lange Reihe von
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technischen Daten aus ihr herauspreßte. »Ja, Mr. Gianpaolo, soviel ich weiß, beträgt die Oberflächen-Schwerkraft des Planeten Nullkommasiebensechs von jener der Erde, und der Luftdruck liegt ungefähr dreißig Prozent höher. Aber der Sauerstoffgehalt ist etwa derselbe.« Er las ihr Zitate über den ›in der Praxis sich ergebenden Treibhauseffekt‹ vor und fragte sie, was mit den Bemerkungen irgendeines Fachmannes gemeint sei, ›daß eine unerschöpfliche Reserve an Gasabgabe auf der kalten Seite (bestehe), beim Verkochen flüchtiger Stoffe durch die Innenwärme‹. Er verwickelte sie und sich in eine anhaltende Komplikation darüber, ob die Bezeichnung des Sterns, von dem sie sprachen, wirklich Bes-bes Geminorum 8326 oder Bes-bes Geminorum 8426 nach dem Neuen OAO-Generalkatalog laute – anscheinend waren beide aufgeführt, weil irgendeine Schreiberin sich vertippt hatte –, bis der Vorsitzende unruhig wurde. Dann vertagte er, in der Überzeugung, daß die Hälfte der Zuhörer schon halb schlief. Margie war sicher, daß alles richtig lief. Es blieb das Problem von Senator Lenz. Er hatte im Ausschuß, wie im Senat selbst, weit mehr Einfluß als jeder andere. Man mußte sich eigens und privat mit ihm befassen, und Margie hatte bereits ihre Pläne. Sie buchte ihren Rückflug nach Houston mit Umweg nach Denver. Ihr Vater fuhr sie mit dem eigenen Wagen zum Dulles Airport. Nun, präzise gesagt, war es nicht sein eigener. Er gehörte einer Behörde. Wie Godfrey Menninger selbst, wenn man es genau nahm. Der Wagen war ein Vorrecht des Ranges und eine unentbehrliche Notwendigkeit bei seiner Arbeit für das Amt; zweimal am Tag suchten andere Angestellte des Amtes das Fahrzeug mit elektronischen Schnüfflern und Radiosonden ab, um sich zu vergewissern, daß weder Bomben noch Wanzen angebracht worden waren. »Du hast dich bei der Anhörung gut gehalten«, sagte Godfrey Menninger zu seiner Tochter. »Danke, Papa. Und vielen Dank für den Bericht des Pakis.« »Hat er enthalten, was du brauchst?«
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»Ja. Sprichst du für mich mit dem Minderheitsführer?« »Schon erledigt, Schatz.« »Und?« »Ach, das klappt. Wenn du Gus Lenz überreden kannst, hast du den Ausschuß in der Tasche, glaube ich. Er hat bei der Anhörung nicht viel gesagt.« »Das habe ich auch nicht anders erwartet.« Ihr Vater wartete, aber als Margie nicht weitersprach, ging er nicht weiter darauf ein. »Über deinen Pakistani-Freund gibt es Neues«, meinte er. »Er ist bei irgendeinem Treffen in K’ushui, zusammen mit ein paar sehr mächtigen Leuten.« »K’ushui? Was, zum Teufel, ist ein K’ushui?« »Na«, sagte ihr Vater, »ich wünsche mir eigentlich, ich könnte dir eine bessere Antwort geben, als ich sie selbst weiß. Das ist ein Ort in der Provinz Sinkiang. Wir haben noch keine, äh, sehr vollständigen Berichte darüber. Aber es ist nicht weit von Lop Nor entfernt, und nicht sehr weit vom großen Radioteleskop, und Erbe Maos ist im vergangenen Jahr fünf- oder sechsmal dort gewesen.« »Das hört sich so an, als wollten sie anfangen.« »Das denke ich auch. Ich habe deine Schätzungen eingegeben, und es spricht vieles dafür, daß Erbe Maos das betreibt, was du durchsetzen willst.« »Scheiße!« »Keine Sorge«, sagte ihr Vater. »Ich habe das streng vertrau lich dem Minderheitsführer gesagt. Und ich zweifle nicht daran, daß er es an Gianpaolo weitergeben wird. Das wirkt sich also zu deinen Gunsten aus.« »Ich wollte die erste sein.« »Der erste gewinnt nicht immer die Murmeln, Schatz. Wie viele
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Leute haben Nordamerika entdeckt, bevor die Engländer es in die Tasche steckten? Aber erzähl mir doch einmal, warum dieser Planet so interessant ist.« Margie blickte auf die Wohntürme in den Vororten von Virginia, Ziggurats, die mit den Schwarz in Schwarz gehaltenen Quadraten ihrer Solarheizplatten in die Höhe stiegen. »Das stand alles in Achmed Dullas Bericht, Papa.« »Ich habe ihn nicht gelesen.« »Schade. Nun, da ist ein kleiner Stern mit einer Reihe lausiger kleiner Planeten und einem einzigen großen. Ungefähr von der Größe der Erde. Die Schwerkraft ist ein wenig höher. Die Luft ein bißchen dichter. Es ist enorm viel Grund und Boden, Papa. Und es riecht ganz stark nach Leben.« »Wir haben vorher schon Leben gefunden.« »Moos und Quallen. Kristalle, die man lebendig nennen kann, wenn man will. Das hier ist etwas anderes. Das ist eine Flora und Fauna, vielleicht so vielfältig wie bei uns. Vielleicht sogar eine Zivilisation. Der Planet ist auch in anderer Hinsicht interessant. Er rotiert nicht, ich meine im Verhältnis zu seinem Stern – so, wie der Mond relativ zur Erde nicht rotiert. Die Tagesseite hat also die ganze Zeit über eine Sonne am Himmel.« Ihr Vater hörte behaglich zu und kratzte sich am Bauch knapp unter dem Nabel, während seine Tochter weiter über den Planeten berichtete. Als sie verstummte, um Atem zu holen, sagte er: »Augenblick, Schatz.« Er beugte sich vor, um das Radio einzuschalten; selbst in einem laufend auf Wanzen untersuchten Fahrzeug ging Godfrey Menninger kein Risiko ein. Über dem Getöse synthetischer Gitarren sagte er: »Es gibt noch etwas, das du wissen solltest. Die Erdölländer sprechen unter sich über eine Preiserhöhung von sechzig Prozent.« »Mensch, Papa! Ich trinke keinen Tropfen Scotch mehr!« »Nein, diesmal sind es nicht die Briten. Es sind seltsamerweise die Chinesen.«
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»Aber sie sind Menschenexporteure!« »Sie exportieren alles«, verbesserte ihr Vater. »Der einzige Grund, warum sie im Volks-Block sind, ist der, daß sie dort mehr Gewicht haben. Erbe Maos treibt sein eigenes Spiel. Diesmal hat er den Ölern zu verstehen gegeben, daß China einseitig seine Preise erhöhen werde, ohne Rücksicht darauf, was die anderen im Block machen. Das war alles, was die Scharfmacher in Caracas und Edinburgh brauchten. Die Saudis waren natürlich dafür. Sie wollen, was sie an Erdöl noch haben, strecken. Und die Indonesier und der Rest der Kleinen müssen bei den Großen einfach mitmachen.« Er machte eine gedankenvolle Pause. »Daß du jetzt mit einer Anforderung von einer halben Million Tonnen Öl daherkommst, kompliziert also alles nur noch.« »Das sehe ich ein, Papa. Was sollen wir tun? Ich meine nicht mein Projekt, sondern unser Land.« »Was wir nicht tun werden«, sagte er grimmig, »ist, die Getreidepreise zu erhöhen. Wir können es nicht. Das Verflixte bei Erbe Maos ist, daß die Preiserhöhung nur für die Exporte gilt. Alle Geschäfte innerhalb des Volks-Blocks behandelt er als inländische. Er verkauft also billig an die Volks-Leute, und das heißt, daß die das, was sie für Bewässerung und Düngung brauchen, zu Tiefpreisen erhalten. Wenn wir den Preis erhöhen, lohnt es sich für sie, in drei oder vier Jahren den Import einzustellen. Wir könnten das vielleicht bei uns verkraften, aber die Sowjets, die Indochinesen, die Bulgaren, die Brasilianer und die anderen lateinamerikanischen Länder – die könnten das nicht hinnehmen. Ihre Wirtschaft würde zusammenbrechen. Der Block würde auseinanderfallen. Es gibt keinen Zweifel, daß Erbe Maos genau das anstrebt.« Er lenkte den Wagen auf den Kurzzeit-Parkplatz am Flughafen. Bevor er das Radio abschaltete, sagte er: »Ich glaube, das wird sich noch zwei Monate hinziehen. Du mußt also zusehen, daß du dein Projekt so rasch wie möglich über die Bühne bringst.« Margie schob sich hinaus in die feuchte, heiße VirginiaAbendluft. Die gewölbten Rücken abzufertigender Clamjets
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ragten über die Parkplatzhecke. Sie konnten den Lärm hören, als zwei davon ihren Antrieb aufwärmten, und das leisere Rauschen eines startenden. Margie folgte ihrem Vater, als er ihre Reisetasche ergriff und zum Abfertigungsgebäude ging. »Papa«, sagte sie, »kann ich dem Senator das, äh, sagen?« »Guter Gott, nein! Nicht, daß er es vermutlich nicht schon wüßte. Aber du sollst es angeblich nicht wissen.« Überraschenderweise lachte sie. »Nun, ich wollte es ohnehin anders anpacken. He, halt, Papa, ich fliege nicht nach Houston.« »Nein?« »Nein. Ich nehme einen anderen Weg nach Hause.« Menninger küßte zum Abschied seine Tochter am Abfertigungs schalter für den Muscheljet nach Denver. Er sah sie mit einem Gemisch von Bewunderung und Betroffenheit im Flugsteigtunnel verschwinden. Er hatte sich überlegt, sie zu fragen, wie sie es mit Senator Lenz anstellen wolle, aber das war nicht mehr nötig. Das war die Maschine, in der Lenz sitzen würde.
Da es ein Nachtflug war, blieb der Jet zwanzig Minuten zum Aufheizen stehen, bevor er starten konnte. Die Passagiere mußten an Bord sein, und die Stewardessen eilten mit Ohrstöp seln und Mitgefühl hin und her. Die beste Wärmequelle, die es gibt, ist eine Düsenturbine. Die Motoren, die beim eigentlichen Flug die Maschine durch die Luft treiben würden, waren jetzt nach innen gedreht, und die muschelförmigen Staubleche lenkten den Schub, um zahllose Tausende von BTU in die Auftriebsanlage zu jagen. Margie nützte die Zeit, um sich das Gesicht zu waschen, die Haare zu bürsten und frisches Make-up aufzulegen. Sie hatte den Senator an Bord kommen sehen. Sie überlegte, ob sie statt
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ihrer Uniform etwas Feminineres anziehen sollte, und entschied sich dagegen. War nicht nötig. War nicht ratsam: Das mochte berechnend wirken, und Margie berechnete sorgfältig alle Möglichkeiten, um nicht berechnend zu erscheinen. Das Vollschub-Brüllen der Aufwärm-Jets verstummte, und alles schnallte sich zum Start an. Das ging leiser. Der Muscheljet hüpfte ein paarmal und flog steil hinauf. Als sie in Reisehöhe waren, verließ Margie ihre Kabine und bestellte in der Bar der Ersten Klasse etwas zu trinken. Nach wenigen Minuten stand Senator Lenz neben ihr und lächelte. »Margie«, sagte er, »ich wußte, daß das ein schöner Flug wird, aber bis jetzt ahnte ich nicht, warum.« Margie tippte auf den Platz neben sich. »Geben Sie mir meine siebzehn Milliarden?« fragte sie. Lenz lachte. »Sie verlieren keine Zeit, Margie.« »Ich habe keine Zeit zu verlieren. Die Vaus fliegen hin, wenn wir es nicht tun. Sie werden es vermutlich ohnehin tun. Es ist ein Rennen.« Er runzelte die Stirn und wies mit dem Kinn auf die Stewardeß: zierlich, dunkelhäutig; sie trug ihre United Air Lines-Uniform wie einen Sari. Als die Getränke serviert waren, sagte er: »Ich habe mir Ihre Aussage angehört, Margie. Sie klang gut. Ich weiß aber nicht, ob sie siebzehn Milliarden Dollar wert war.« »In der ergänzenden Erklärung war Material enthalten, das zu lesen Sie vielleicht noch keine Gelegenheit hatten. Ist Ihnen die Stelle aufgefallen, wonach der Planet seine eigene Sonne hat?« »Ich bin mir nicht sicher.« »Sie ist klein, aber nicht sehr weit entfernt. Sie strahlt vor nehmlich in den unteren Wellenlängen. Es gibt nicht viel sichtbares Licht darunter. Aber enorm viel Wärme. Und der Planet dreht sich im Verhältnis zu ihr nicht, so daß sie immer
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dort hängt.« »Und?« »Und Energie, Senator. Sonnenenergie! Wirtschaftlich!« »Ich verstehe nicht ganz, was Sie sagen. Sie meinen, dieses quasistellare Ding ist heißer als unsere Sonne?« »Nein, nicht annähernd so heiß. Aber viel näher. Das Entschei dende ist, daß sie sich nicht bewegt. Was ist hier das große Problem mit der Sonnenenergie? Die Sonne bleibt nicht an ihrem Platz. Sie wandert durch den ganzen Himmel, und die Hälfte der Zeit ist sie überhaupt nicht da, weil Nacht ist und die Sonne sich auf der anderen Seite der Erde befindet. Ich meine, sehen Sie sich die Maschine an, in der wir sitzen. Wir mußten fast eine halbe Stunde lang vorheizen, damit das Gas leicht genug für den Auftrieb wurde, weil es schon dunkel ist. Auf der Seite des Planeten zur Sonne – die einzige, die mich interessiert, wird es nie dunkel.« Lenz nickte, trank und wartete. »Es ist nie dunkel. Es ist nie Winter. Die Sonne bleibt, wo sie ist, so daß man seine Fresnellinsen nicht beweglich zu machen braucht. Und, was beinahe ebenso wichtig ist, das Wetter ist kein Problem. Sie wissen, wie das bei unseren eigenen Sonnenenergie-Anlagen ist. Wenn man die Muscheljets bei Tag nicht rechnet – da sie sich einen Großteil der Zeit über den Wolken befinden –, verlieren wir bis zu fünfundzwanzig Prozent Arbeitszeit, weil die Wolken das Sonnenlicht verdecken.« Lenz sah sie verwirrt an. »Auf diesem Planeten gibt es überhaupt keine Wolken?« »Doch, sicher. Aber sie fallen nicht ins Gewicht. Die Strahlung ist fast ganz Wärme, und sie dringt durch die Wolken hindurch. Rechnen Sie es sich aus. Hier verlieren wir die Hälfte der Energieerzeugungszeit durch die Sonne an die Nacht. Ein paar Prozent mehr an Morgen- und Abenddämmerung, weil die Sonne so tief steht, daß sie nicht sehr wirksam ist. Bis zu sechzig
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Prozent zusätzlich für die Hälfte des Jahres, weil es Winter ist. Und weitere fünfundzwanzig Prozent wegen der Wolkendecke. Nimmt man das alles zusammen, können wir von Glück sagen, zehn Prozent Nutzeffekt zu haben. Auf diesem anderen Planeten kann eine billigere Anlage nahezu hundert Prozent erzielen.« Lenz dachte kurz nach. »Hört sich interessant an«, sagte er vorsichtig und bestellte neue Getränke. »Margie? Was haben Sie gegen die Pakis?« »Pakis? Aber nichts, im Grunde.« »Sie scheinen die Konkurrenz von diesem Achmed ziemlich ernst zu nehmen.« »Nicht persönlich, Gus. Ich bin nicht wild auf Pakis. Aber ich hatte mit einer Reihe von ihnen freundliche Beziehungen. Als ich in West Point unterrichtete, hatte ich einen Paki-Burschen. Netter Kerl. Bügelte meine Sachen und störte mich nie, wenn ich ihn nicht um mich haben wollte.« »Das klingt ganz nach einem praktischen Gerät«, meinte Lenz. »Ja, ja, ich verstehe schon.« Sie dachte nach. »Darum geht es aber nicht. Ich bin nicht gegen Achmed, weil er ein Paki ist. Ich bin gegen die Pakis, weil sie die andere Seite sind. Ich kann nicht anders, Senator. Ich setze mich für mein Team ein.« »Und das ist, Margie? Einfach der Nahrungs-Block? Nur die Vereinigten Staaten? Vielleicht nur die weiblichen Offiziere der US-Army?« Sie kicherte behaglich. »Allesamt, in dieser Reihenfolge«, bestätigte sie. »Margie«, sagte er ernsthaft, »wir unterhalten uns hier nur bei einem Schluck. Ich will nicht zu ernst werden.« »Warum nicht, Gus? Bestellen Sie nach, und fangen wir an.« Er gehorchte. Während sie auf die neuen Drinks warteten, sagte er: »Sie sind ein nettes Mädchen, Margie, aber ein bißchen
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zu stur. Schade, daß Sie West Point besucht haben.« »Falsch, Gus. Schade ist, daß jetzt so wenige junge Amerikaner Gelegenheit dazu haben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe dafür gestimmt, die Kriegsakademien mit der Zeit stillzulegen und das Militärbudget zu kürzen.« »Das weiß ich. Das war Ihre schlechteste Entscheidung.« »Nein. Es blieb keine andere Wahl. Wir können uns Kriege nicht leisten, Margie. Können Sie das nicht begreifen? Selbst Pakistan könnte uns von der Landkarte wischen! Von den Chinesen und Türken und Polen und den anderen im Volks-Block gar nicht zu reden. Von den Briten, den Saudis, den Venezolanern zu schweigen. Wir können es uns nicht leisten, mit irgend jemandem zu kämpfen, und niemand kann es sich leisten, gegen uns zu kämpfen. Und alle wissen es. Sie sind nicht unsere Feinde.« »Aber sie konkurrieren mit uns, Senator«, sagte Captain Menninger, setzte sich plötzlich gerade auf und sprach mit größerer Schärfe: »Wirtschaftlich. Politisch. In jeder anderen Beziehung. Das gehört zum Leben. Die Treibstoff-Leute erhöhen ständig ihre Preise. Und die Länder mit den Menschenmassen verlangen unaufhörlich mehr Geld für ihre Exportarbeiter, oder sie behalten sie zu Hause, und woher nehmen wir dann Offiziersburschen und Stewardessen? Und wir konkurrieren mit. Aber wenn ich konkurriere, Gus, dann mit allen Mitteln. Ich will gewinnen. Dieser Planet von Kungs Stern ist etwas, das ich gewinnen will. Ich glaube, es gibt Leckerbissen auf dem Planeten. Ich will sie für uns. Wir, definiert als der NahrungsBlock, die Vereinigten Staaten, der Bundesstaat Texas, die Stadt Houston und alle anderen Unterkategorien, die Sie genannt haben oder nennen wollen, einschließlich blonder ExProfessorinnen aus West Point, wenn Sie wollen, in abnehmen der Größenordnung. Worüber Sie auch sprechen wollen, wenn ich damit zu tun habe, soll es das Erste, das Beste und das
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Erfolgreichste sein. Ich glaube, das nennt man Patriotismus, Senator. Ich bezweifle eigentlich, daß Sie dagegen etwas einwenden wollen.« »Hm.« Lenz sah sie nachdenklich an und schwankte unter dem sanften Auf und Ab des Muscheljets in seinem Sitz. »Na ja«, sagte er, »wir werden sehen.« Er lächelte sie an. »Was machen wir mit dieser Nacht, die Gott uns gegeben hat, Margie? Es ist zu spät, um angestrengt zu denken, und zu früh, um zu schlafen. Wollen Sie sich eine Weile die Sterne ansehen?« »Genau das will ich«, sagte sie, leerte ihr Glas und stand auf. Sie gingen durch die fast leere Bar zur vorderen Aussichtsplatt form und lehnten sich an das gepolsterte Geländer. Der Muscheljet schwebte über den runden Hügeln von West Virginia dahin. Vor ihnen folgte die Venus einem Sichelmond zum Horizont. Nach einer Weile legte Lenz den Arm um sie. »Nur nachprüfen«, sagte er. »Die eiserne Lady.« Margie lehnte sich ganz zufrieden an ihn. Lenz war kein hochgewachsener Mann. Er war auch nicht besonders gutausse hend, aber warm und kräftig, und sein Arm um sie fühlte sich gut an. Es gibt schlimmere Methoden, um Stimmen zu erjagen, dachte sie, als sie ihm das Gesicht zudrehte.
Er hielt Wort. Der Ausschuß ließ das Gesetz passieren, und an einem heißen Nachmittag in Georgia, zwei oder drei Monate später, wurde Margie von ihrer Kompanie weggerufen, um einen dringenden Anruf entgegenzunehmen. Die Sommer-Feldmanöver wurden unter möglichst echten Kriegsbedingungen abgehalten. Sie schwitzte, war verdreckt von Tarnfarbe und Georgia-Lehm, und sie wußte, daß sie ganz ordentlich stank. Ihre Kompanie war außerdem gerade dabei, einen Hügel zu nehmen, den sie persönlich ausgemacht und angegriffen hatte, so daß sie in keiner guten Stimmung war, als sie ans Telephon kam.
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»Captain Menninger«, fauchte sie, »und das sollte lieber verdammt wichtig sein.« Ihr Vater lachte. »Das mußt du mir sagen«, gab er fröhlich zurück. »Der Präsident hat vor zehn Minuten dein Gesetz unterzeichnet.« Margie sank in den makellos sauberen Sessel des Hauptfeldwe bels. »Mensch, Papa«, sagte sie, »das ist eine Wucht!« Sie starrte die Wände des Befehlswagens an, ohne sie zu sehen, und überlegte sich, ob es wichtiger war, mit dem Rest der Wochenend-Soldaten den Hügel zu nehmen, oder zu telephonieren, um Danny Dalehouse in Bewegung zu setzen. » – Was?« Sie entdeckte, daß ihr Vater etwas gesagt hatte. »Ich sagte, es gibt auch andere Neuigkeiten, die nicht so gut sind. Dein Paki-Freund.« »Was ist mit ihm, Papa?« »Der, äh, Urlaub, den er nehmen wollte? Er hat ihn vorige Woche genommen.«
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IV
Der Pilot war Wissarion Iljitsch Kappeljuschnikow. Er war klein und dunkelhaarig, in der alten Kosmonauten-Tradition, mit mehr Tataren in seinem Stammbaum, als sein Name anklingen ließ. Der Öko-Ingenieur der Expedition war ebenfalls ein Sowjetrusse, aber kosakengroß und blond; er hieß Pete Kriwitin. Der nominelle Leiter der Expedition war ein Amerikaner, Alex Woodring. Und sie redeten alle durcheinander. Alex versuchte zwischen den beiden Russen zu vermitteln, unterstützt von Harriet Santori, der Dolmetscherin. Sie erreichte nicht viel, aber der Commander hatte auch keinen Erfolg bei seinen Vermitt lungsbemühungen. Kappeljuschnikow wollte landen und es hinter sich bringen. Kriwitin wollte sich die Sondenberichte noch einmal ansehen, bevor er die Landestelle bestätigte. Harriet wollte, daß alle sich wie verantwortliche Erwachsene benahmen, um Himmels willen. Woodrings Problem war, daß bis zur Landung Kappeljuschnikow der Kapitän des Schiffes war und Alex’ Autorität nur eine potentielle darstellte. Und das ging nun schon seit über einer Stunde so. Danny Dalehouse unterdrückte erneut den Drang, sich einzumischen. Er löste die Gurte seiner G-Liege und schaute zur Luke hinaus. Da war der Planet, das Fenster ausfüllend. Aus weniger als hunderttausend Kilometern Entfernung sah er nicht mehr ›fern‹ aus, sondern ›unten‹. Dann also nichts wie hin, dachte er gereizt. Diese Leute schienen nicht zu begreifen, daß sie an seiner persönlichen Expedition herumpfuschten, daß keiner von ihnen dabei wäre, wenn er diese blonde ArmyAngehörige nicht dazu überredet hätte, sie zu genehmigen. Eine Stimme an seinem Ohr sagte: »Glauben Sie, daß wir je hinkommen?« Danny wich zurück. Die Frau neben ihm war Sparky Cerbo, so freundlich, wie nur irgend jemand bei der Expedition, aber nach neun Tagen Gemeinsamkeit in nicht einmal zwanzig Kubikmetern Raum wurden sie alle nervös. Der andauernde Streit in der Entfernung einer Armlänge besserte nichts.
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»Sieht nicht besonders aus, wie?« fuhr Sparky fort, entschlos sen um ein Gespräch bemüht. Dalehouse zwang sich, darauf einzugehen. Sie konnte nichts dafür, daß er von ihrer Stimme, ihrem Anblick und Geruch genug hatte, und außerdem hatte sie recht. Kungs Sohn sah überhaupt nicht aus wie ein richtiger Planet. Danny wußte, wie Planeten auszusehen hatten. Manche waren rot und düster, wie der Mars. Öfter waren sie weiß oder weißgefleckt, wie alles andere, von der Venus bis zu den Gasriesen. Dieser hier gab sich nicht einmal Mühe, richtig auszusehen. Das lag nicht so sehr am Planeten selbst, als an Kung; als Stern war er einfach untüchtig. Wenn Kungs Sohn in einer Umlaufbahn um die Erdsonne gewesen wäre, hätte er gut ausgesehen. Er war ähnlich zusammengesetzt wie die Erde. Was er nicht besaß, war ordentliches Sonnenlicht. Kung schwelte, und zwar nicht viel heller als der Erdmond bei einer totalen Mondfinsternis. Das einzige Licht, das auf Kungs Sohn fiel, war blutrot, und so sah der Planet von einer Umlaufbahn aus wie eine offene Wunde. Es wäre nützlich gewesen, wenn er einen richtigen Terminator gehabt hätte, aber Kungs Licht war so trüb, daß es keine klare Unterscheidung zwischen ›Tag‹- und ›Nacht‹-Seite gab, nur einen verwischten Übergang von Dunkel zu völligem Dunkel. Kriwitin hatte ihnen versichert, daß sie, sobald sie gelandet sein und ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben würden, verhältnismäßig gut würden sehen können. Vom Weltraum aus erschien das zweifelhaft. Und dafür, dachte Danny, habe ich einen guten Job an der Michigan State aufgegeben. Das Geschrei in Russisch erreichte einen Höhepunkt und hörte plötzlich auf. Kriwitin, der so gefaßt lächelte, als wäre das Gebrüll nicht mehr gewesen denn eine freundliche Unterhaltung über das Wetter, zog sich um die festgezurrten und ineinander geschachtelten Maschinen in der Mitte der Hauptkabine herum und guckte zu ihnen herein. »Sara, meine Liebe«, sagte er in seinem perfekten Englisch,
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»Sie werden vorn gebraucht. Sie kommen am besten auch mit, Daniel.« »Wir landen?« sagte Sparky. »Ganz gewiß nicht. Cappy hat endlich begriffen, daß ein weiterer Umlauf nötig ist.« »Mist«, sagte Sparky; sogar ihr unermüdlicher Drang, anderen gefällig zu sein, ließ also nach. Dalehouse teilte ihre Gefühle; noch ein Umlauf war fast ein weiterer ganzer Tag, und er hatte nichts zu tun, als zu versuchen, den anderen nicht in den Weg zu geraten. »Ja, der Meinung bin ich auch«, sagte Kriwitin, »aber Alex möchte, daß Sie noch einmal versuchen, die Signale der VolksLeute abzuhören.« Harriet beklagte sich, aber Dalehouse hörte nicht mehr zu. Er schüttelte die Gurte ab und griff müde nach den Datenkassetten, die er sich aufgehoben hatte. Er schloß sie an, schob den Hörstöpsel ins Ohr und berührte den Schalter. Das Band rauschte leise, man hörte ein Knacken, dann ein fernes, düsteres Heulen. Das waren die Geräusche von der Wolfsfallen-Landekapsel. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, biologische Proben zu nehmen und in ihren eingebauten Labors zu untersuchen; aber ihre Mikrofone hatten Laute aufgenom men, die nicht von ihr selbst stammten. Er hatte sie sich schon fünfzigmal angehört. Nach einer Weile zuckte er die Achseln, stoppte das Band und legte eine andere Kassette ein. Diesmal waren die Geräusche lauter und deutlicher, viel leichter voneinander zu unterscheiden. Die Landekapsel war in diesem Fall ein Schwebegerät mit neutralem Auftrieb gewesen, mit einer kleinen Reserve an Schubkraft und einem Peilgerät für Kohlendioxyd; wie ein weiblicher Moskito, der sich von Blut nähren wollte, um seine Eier zu befruchten, sollte es dahintrei ben, bis es eine CO2-Spur fand, um ihr dann zu folgen, bis es Beute entdeckte. Dann schwebte es einfach so lange in der Nähe, bis es Geräusche auffangen und übermitteln konnte. Aber
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was für Geräusche! Manchmal hörte es sich wie ein Chor von Dudelsäcken an, manchmal wie Halbwüchsige bei einem Zahnknirschwettbewerb. Dalehouse hatte die Frequenzen in Diagrammen erfaßt, von weit unter dem menschlichen Hörvermögen bis über einen Fledermausschrei hinaus, und mindestens zwanzig Phoneme identifiziert. Das waren keine Vogelrufe. Das war Sprache. Hitze traf seine nackte Haut, und er wandte sich erneut dem Lukenfenster zu. Kung war wieder in Sicht gekommen und sah aus wie ein dünnhäutiger, ausgehöhlter Kürbis, hinter dessen gefleckter Oberfläche Hades-Glut schwelte. Er kniff die Augen zusammen und zog einen Strahlungsfilter über die Luke; es war nicht gefährlich, das anzustarren, aber wenn man es zu lange tat, ging man das Risiko ein, seine Netzhaut zu zerstören. In der Wärme wurde er schläfrig. Warum nicht? dachte er und schaltete das Band ab. Er lehnte sich zurück, schloß die Augen und war gerade am Einschlafen, als er seinen Namen hörte. »Dalehouse! Kriwitin! DiPaolo! Alles antreten!« Er schüttelte sich wach, wünschte sich eine Tasse Kaffee und zog sich nach vorn zum Arbeitsbereich. Alex Woodring sagte: »Seht euch das lieber alle an. Die Vaus haben wieder einen Bericht übermittelt, und Harriet hat ihn für uns aufgezeichnet.« Dalehouse kroch näher heran, um den Videoschirm besser sehen zu können, gerade als dieser blinkte und aufleuchtete. Auf dem Bildschirm war eine Pflanze zu sehen, rostrot und farnartig, mit erdbeerähnlichen Früchten, die von den Zweigen hingen. »Lassen Sie das Band laufen, Harriet«, sagte Woodring ungeduldig. Die Bilder auf dem Schirm flackerten und tanzten, dann hörten sie auf. Zuerst hatte Dalehouse gedacht, es handele sich um noch eine Klung-Blume, möglicherweise um eine Wüsten-Fettpflanze: rote und gelbe Klumpen, aus denen eine Art Saft quoll. Dann bewegte sie sich.
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»Guter Gott«, flüsterte jemand. Dalehouse spürte, wie etwas in seiner Kehle hochstieg. »Was ist das?« »Ich habe es für eine weiße Maus gehalten, vorher«, sagte Morrissey, der Biologe. »Was ist passiert?« »Das ist genau das, was ich noch nicht weiß«, sagte der Biologe grimmig, aber mit einem Anflug von Befriedigung. »Die Vaus verschlüsseln ihre mündlichen Berichte.« »Sie sollen uns doch an den Informationen teilhaben lassen«, knurrte Dalehouse. »Nun, vielleicht tun sie es noch. Ich nehme an, Erbe Maos wird von seiner UNESCO-Delegation Bericht erstatten lassen. Und wenn der in New York freigegeben wird, schickt Houston uns bestimmt eine Kopie davon. Aber nicht sehr bald, nehme ich an. Das Bild war deutlich genug. Wenn man es genau nimmt, ist das alles, was wir wissen müssen: Klung ist nicht so gastfreundlich, wie wir es gerne hätten.« Er zögerte, dann fuhr er fort: »Ich glaube nicht, daß das eine ansteckende Krankheit ist. Es sieht mehr nach einer allergischen Reaktion aus. Ich kann mir ohnehin nicht vorstellen, daß ein fremder Mikroorganismus sich derart schnell an unsere Körperchemie anpaßt. Ich vermute, wir sind für sie so giftig, wie sie für uns, so daß wir zunächst einmal nichts essen und nichts trinken als unsere eigenen versiegelten Vorräte und unser destilliertes Wasser.« »Sie meinen, wir landen trotzdem?« sagte die kanadische Elektronikerin. Kapitän Kappeljuschnikow fauchte: »Da!« Er nickte lebhaft, dann murmelte er mit der Dolmetscherin, und diese sagte: »Er meint, deshalb wären wir hergekommen. Er sagt, wir treffen alle Vorsichtsmaßnahmen. Er sagt, beim nächsten Umlauf geht es los.«
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Dalehouse spielte die Lieder der Moskito-Sonde noch ein paarmal ab, aber die Geräte, die er brauchte, um ernsthafte Analysen anzustellen, waren verstaut, und es machte wenig Sinn, sie wieder aufzubauen. Die Zeit mußte totgeschlagen werden. Schläfrig schaute er zu dem Planeten hinunter und schlief ein, während er sich überlegte, wie er genannt werden sollte. Kungs Kind, Sohn Kungs – ›Klung, Kungs Sohn‹, hatte einer der Amerikaner ihn getauft – beunruhigend war er unter jedem Namen. Als Dalehouse wach wurde, bekam er eine Tube dicke Vaseline, um sich damit einzuschmieren. »Ziehen Sie sich aus und schmieren Sie den ganzen Körper ein; vielleicht schützt Sie das vor Giftefeu oder was es da gibt, bis wir uns eingerichtet haben.« Dann zog er sich wieder an und wartete. Die Elektroni kerin hatte sich eingeschaltet, um weitere Sendungen von unten abzuhören, und steckte Nadeln in eine Likris-Karte der Sonnenseite von Klung. »Es scheint zwei Stationen zu geben, die senden«, meinte Dalehouse. »Ja. Muß das Hauptlager sein und jemand, der auf Streifzug gegangen ist, vermute ich. Da ist der Stützpunkt der Vaus – « sie berührte einen Punkt am purpurroten Meer, an einer Seite einer hundert Kilometer langen Bucht, » – und da ist die andere Station.« Das war auf der anderen Seite der Bucht. »Wir wissen, daß das ihr Stützpunkt ist; wir haben ihn beim letzten Umlauf photographiert. Nicht viel da. Sie sind noch nicht richtig eingerichtet, würde ich sagen. Das Signal ist pulsverschlüsselt, vermutlich wissenschaftliche Grunddaten auf dem Weg zu ihrem Orbiter, um von dort aus zur Erde geschickt zu werden.« »Was ist auf der anderen Seite der Bucht?« »Nicht viel. Da befindet sich eine Art Nest der Gliederfüßer, aber die haben keinen Funk.« Sie zog den Hörstöpsel heraus und reichte ihn Dalehouse. »Hören Sie sich das an.« Dalehouse hielt den Kopfhörer ans Ohr. Das Geräusch war ein stakkatoartiges Zweiton-Piepen, ständig klagend wiederholt.
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»Klingt traurig«, sagte er. Die Frau nickte. »Ich glaube, es ist ein Notsignal«, sagte sie stirnrunzelnd. »Aber sie scheinen nicht zu antworten.«
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V
Was kann man über ein Wesen wie Sharn-igon sagen, damit es klar und deutlich hervortritt? Vielleicht läßt es sich auf Umwegen erreichen. Etwa so: Man nehme an, es gäbe einen guten, heiteren Mann, einen, der Kinder zum Angeln mitnimmt, der Polka tanzt, elisabethanische Verse liest und weiß, warum die Tebaldi die größte Mimi war, die es je gegeben hat. Ist das Sharn-igon? Nein. Das ist nur ein Vergleich. Vielleicht gehen wir weiter und fragen, ob dir dieser Mann je begegnet ist. Du zögerst und blätterst in den Zufallsbegegnungen des Lebens. Nein, sagst du, einen Finger an der Nase, ich glaube, ich bin so einem Menschen nie begegnet. Und angenommen, wir sagen dann zu dir: aber doch! Vor einer Woche am Donnerstag. Er steuerte den Bus A 37, mit dem du vom Bahnhof zum Federal Building gefahren bist, und du hast dich zu einem Termin bei deinem Steuerbeamten verspätet, weil dieser Mann einen Fünfdollarschein nicht wechseln wollte. Was sagst du dann? Vielleicht sagst du: Mensch, Mann! Daran erinnere ich mich gut! Aber das war kein liebenswürdiger Volkstänzer! Das war ein Busfahrer! So wäre es auch mit Sharn-igon. Es ist leicht genug, sich vorzustellen, daß du ihn kennenlernst (vorausgesetzt, wir machen uns keine Gedanken darüber, wie du hinkommst). Machen wir das Denkexperiment notwendig, um zu sehen, was geschehen würde. Angenommen, du stehst auf irgendeine Weise außerhalb von Zeit und Raum, wie ein Gott von H. G. Wells, der aus einer Wolke herabblickt. Du stößt deinen Finger in das Unendliche. Du berührst Sharn-igons Planeten, und du entdeckst ihn. Du betrachtest ihn. Was siehst du? Man könnte versuchen, ihn dir zu beschreiben, indem man
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sagt, Sharn-igon sei politisch konservativ, tief moralisch und von Grund auf ehrlich. Man könnte versuchen, deine Sympathie zu wecken, indem man sagt, daß er (wie wer, den du kennst?) innerlich vor ungeheiltem Schmerz schreit. Aber würdest du das sehen? Oder würdest du hinblicken, den Atem anhalten, deinen Finger angeekelt zurückziehen und sagen: Mensch, Mann! Das ist keine Person. Das ist ein fremdes Wesen. Es lebt (lebte? wird leben?) tausend Lichtjahre entfernt, auf einem Planeten, der einen Stern umkreist, den ich nie gesehen habe. Und außerdem sieht es widerlich aus. Wenn ich sagen sollte, wie es aussieht, um ihm dabei entgegenzukommen, so weit ich kann, müßte ich sagen, es sieht aus wie die Hälfte eines teilweise zerquetschten Krebses. Und du hättest natürlich recht…
Wie Sharn-igon für sich selbst aussah, war wieder eine ganz andere Sache. Zum einen ist er keine Erfindung des Augenblicks für dein Auge. Er ist eine Person. Er hat Beziehungen. Er lebt in einer Gesellschaft. Er bewegt sich (bewegte sich?) um und in einem dichten Geflecht von Sitten, Gesetzen, Bräuchen und traditionel len Lebensformen. Er war nicht wie jeder andere Krinpit (wie sein Volk sich nannte), gleichgültig, wie ununterscheidbar sie deinem Auge alle vorkommen mögen. Er war Sharn-igon. Zum Beispiel haßte Sharn-igon, obwohl es Zeit für den RingGruß war, den Ring-Gruß. Für ihn war das der einsamste und schlimmste Teil des Zyklus. Ihm mißfiel die Geschäftigkeit, er ärgerte sich über die falschen und heuchlerischen Gefühle. Alle Läden und Bordelle waren überlaufen, als jeder versuchte, Geschenke zu bekommen und schwanger zu werden, aber in Sharn-igons Leben war das leerer Hohn, denn er war allein. Wenn man ihn gefragt hätte, Sharn-igon hätte erwidert, daß er
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den Ring-Gruß immer schon gehaßt hat, jedenfalls seit seiner letzten Mauser. (Als junger Samen, gerade damit beginnend, am Gitter seiner männlichen Mutter zu schwanken, war er begeistert gewesen, natürlicherweise. Das taten alle Jungen. Ring-Gruß war etwas für Kinder.) Das stimmte nicht ganz. Bei dem Zyklus zuvor hatten er und seine Er-Frau Cheepruitt einen sehr schönen Gruß gehabt. Aber Cheepruitt war fort. Sharn-igon winkte seinem Schirm und stolperte beinahe über einen nicht eßbaren Geist, der davor lag. Er bekam keine Antwort. Er zögerte. Irgend etwas – vielleicht der Geist – schien seinen Namen zu rufen. Aber das war lächerlich. Nach einem Augenblick der Unentschlossenheit krabbelte er über den überfüllten Weg zu – nennen wir es eine Bar –, um ein paar Schnelle zu kauen. Sieh dir Sharn-igon an, wie er an Fasern von halluzinogenem Farn kaut, zwei, drei dichtgedrängte Reihen um den Krinpit, der den Stoff knetet und verteilt. Er war eine gute Erscheinung. Männlich breit – von Rand zu Rand gut zwei Meter – und erfreulich schlank, nicht mehr als vierzig Zentimeter bis zur Spitze seines Brustpanzers. Trotz seiner Stimmung fanden ihn ungepaarte Männchen und Weibchen aller Beschreibungen anziehend. Er war jung, gesund, sexuell potent und in seinem selbstgewählten Beruf erfolgreich. Nun, ganz stimmt das nicht, denn es handelt sich um ein Paradox. Sharn-igons Beruf war eine Form von Sozialarbeit. Je erfolgrei cher er war, je befriedigter im Sinn seiner eigenen IchBedürfnisse, desto schlechter ging es seiner Gesellschaft. Nur wenn Krinpits in Schwierigkeiten waren, wandten sie sich an Personen wie Sharn-igon. Die Krinpits waren bis zu einem Grad sozial voneinander abhängig, wie man ihn mit einer technologi schen Kultur auf der Erde nicht in Verbindung brachte. Vielleicht fand man diese Art von eng verbundenem Clan unter den Eskimos oder Buschmännern, wo jedes Mitglied der Gemein schaft in der Lage sein mußte, sich auf jedes andere zu
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verlassen, sonst starben sie alle. Aus diesem Grund war Sharn igon am glücklichsten, wenn er am wenigsten gebraucht wurde. Ring-Gruß brachte die übliche Zahl an beschädigten Ichs, hervorgerufen durch Einsamkeit inmitten der FeiertagsFröhlichkeit. Er war mehr beschäftigt denn je, und damit weniger glücklich. Steh auf deiner Wolke und blicke auf Sharn-igon hinab. Für dich sieht er gewiß seltsam aus, vielleicht sogar sehr abstoßend. Seine halbmondförmige Schale ist übersät mit etwas, das wie Chitin-Segel aussieht. Manche sind einige Zentimeter hoch, andere viel kleiner; und rundherum läuft, klickend und scharrend, etwas, das aussieht wie Läuse. In Wirklichkeit sind es keine. Sie sind nicht einmal Parasiten, außer in dem Sinn, daß ein Fötus ein Parasit seiner Mutter ist; sie sind die Jungen. Sharn-igon ist in der Bar nicht der einzige Krinpit, der Junge trägt. Von den hundert Personen in der Bar sind acht oder zehn in der männlichen Brutphase. Manchmal fällt eines der dahinhuschenden kleinen Wesen herunter oder wird unabsicht lich von der Schale eines anderen Krinpit, wenn sie einander berühren, fortgetragen. Sie nehmen sofort wahr, was geschehen ist, und geraten außer sich bei dem Versuch, zurückzugelangen. Die Enden von Sharn-igons Schale sind gefaltetes Chitin, mit Knorpeln befestigt. Dieser Teil ist ständig in Bewegung, dehnt sich mit Akkordeonfalten, kippt, spreizt sich wie ein Fächer. Er gleitet auf einem Dutzend doppelknochiger Beine auf dem gestampften Lehmboden oder den Körpern von Krinpits unter ihm dahin (in der Geselligkeit der Bar stört es keinen, wenn man auf ihm herumkriecht). Nachdem er drei Kurze genommen hatte, fühlte er sich besser, verließ die Bar und lief seitwärts den grasbewachsenen Weg hinunter, ohne Eile, ohne ein bestimmtes Ziel. Auf beiden Seiten des Weges befindet sich das, was man als ziemlich schäbige japanische Wandschirme bezeichnen könnte. Sie sind in keiner Weise verziert, aber mit Scharnieren versehen und faltbar, und es gibt sie in allen Größen. Sie unterscheiden die Unterkünfte und Geschäfte, von denen manche mit Dutzenden von Krinpits
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gefüllt sind, wie die Bar, andere fast leer sind. Auch die Schirme sind mit den winzigen, segelartigen Vorsprüngen bestückt, aber sonst tragen sie keinen Schmuck. Was einem sofort auffallen würde, ist, daß sie nicht gefärbt sind. Die Krinpits wissen nichts von Farben, und im Licht von Kungs Stern, blutrot und düster, würde man anfangs ohnehin kaum Farben sehen, selbst wenn es sie gäbe. So würde er für dich, mit deinen menschlichen Augen, ausse hen. Wie sähe er für Krinpit-Augen aus? Bedeutungslos; es ist eine sinnlose Frage, weil die Krinpits keine Augen haben. Sie besitzen in ihren Schalen fotoempfindliche Rezeptoren, aber es gibt keine Linse, keine Netzhaut, kein Mosaik empfindlicher Zellen, die ein Bild analysieren und es zusammenfügen können. Aber wenn die Szenerie dunkel war, so auch lärmend. Jeder von den Krinpits dröhnte unaufhörlich seinen Namen hinaus – nun, nicht seinen ›Namen‹ in dem Sinn, wie der Name von Franklin Roosevelts Frau Eleanor war. Der Name war kein willkürlicher Einfall. Er war der Laut, den jeder Krinpit erzeugte. Er war der Schall, der sie lenkte, der die Welt rings um sie abtastete und ihren ganz agilen und leistungsfähigen Gehirnen Informationen zuführte. Die Schallimpulse, die sie hinausschick ten, um die Echos aufzufangen, waren ihre ›Namen‹. Jeder war anders, und jeder wurde unablässig erzeugt, solange sein Besitzer lebt. Ihr Haupt-Hörapparat war die trommelfellpralle Unterseite des Bauches. Er besaß ein Luftloch, wie bei einem Delphin, das eine erstaunliche Skala von Vokallauten hervorbrin gen konnte. Die ›Knie‹ der doppelknochigen Beine konnten sie mit getrommelten ›Konsonanten‹ untermalen. Sie gingen in Musik, wohin sie sich auch begaben. Sie konnten sich nicht lautlos bewegen. Die Geräusche, die sie hervorbrachten, waren steuerbar; sie besaßen sogar eine komplizierte und raffinierte Sprache. Die Laute, die zu ihren Erkennungssignalen wurden, fielen ihnen vermutlich am leichtesten, aber sie konnten nahezu jedes andere Geräusch hervorbringen, das im Frequenzbereich ihres Hörvermögens lag. Darin waren ihre Stimmen den menschlichen ganz ähnlich.
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Wohin Sharn-igon also auch ging, er war umgeben von diesem Laut: ›Sharn‹, ein anschwellendes, langgezogenes Geräusch wie eine singende Säge, überlagert von Weißrauschen; ›igon‹, ein Stakkato-Doppel-Trommelschlag, der wieder ins Hörbare zurückkehrte. Es war nicht allein Sharn-igon. Alle Krinpits erzeugten unaufhörlich ihre Namens-Grundgeräusche, wenn sie keine anderen hervorbrachten. Es waren nicht allein die Krinpits. Ihre Umwelt sang für sie. Jedes der Gehege war bezeichnet von windgetriebenen, schallerzeugenden Maschinen. Fast alle besaßen Ratschen oder Brummpfeifen oder Rasseln oder Instrumente mit ringförmigen Saiten, die ihre eigenen Erken nungssignale hinaussandten. Für ein menschliches Auge war Sharn-igon also ein schiefer Krebs, in einer klappernden Masse von anderen Krebsen dahinhuschend, in höllenhaft roter Düsternis, mit einem Inferno plärrender Geräusche aus allen Richtungen. Sharn-igon nahm das völlig anders wahr. Er schlenderte ziellos auf einer wohlvertrauten Straße dahin. Die Straße hatte einen Namen; er ließ sich ziemlich genau übersetzen mit ›Der Große Weg‹.
An der Kreuzung mit der Brütersuhle sprach Sharn-igon mit einem Bekannten. »Hast du Kenntnis vom Verbleib Chee-pruitts?« »Negativ. Mutmaßung: statistisch wahrscheinlich, daß er sich an der Seeseite des Ortes befindet.« »Warum?« »Einige Personen verletzt oder krank. Viele Zuschauer. Mehrere anomale Geister gesichtet.« Sharn-igon bestätigte die Mitteilungen und wandte sich zur Seeseite. Er entsann sich, daß einige Zeit zuvor in der Nähe von Chee-pruitts Heim ein Geist gewesen zu sein schien. Und er war anomal. Im Grunde gab es zwei Arten von Geistern. Die Geister
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Darüber waren häufig und mühelos ›sichtbar‹ (weil sie so viel Lärm machten), warfen aber für das Sonar eines Krinpits keine Echosignale zurück, die der Rede wert gewesen wären. Sie waren gute Nahrung, wenn man sie fangen konnte. Die Geister Darunter waren beinahe unsichtbar. Sie erzeugten selten sichtbare Laute und warfen kaum Echos zurück; sie wurden zumeist dann beobachtet, wenn ihr Graben unter dem Boden einen Krinpit-Bau oder eine ihrer Farmen beschädigte. Auch sie schmeckten gut, und man jagte sie deshalb systematisch, wenn die Krinpit das Glück hatten, ein Nest von Jungen zu entdecken. Aber was waren die anomalen, weder Geister Darüber noch Geister Darunter? Sharn-igon krabbelte durch die Brütersuhle zum Platz der Fischverkäufer und am See entlang zu dem Gedränge an der Floßankerung. In der sanften Dünung der Bucht schaukelte etwas nahezu Unsichtbares. Obwohl die Krinpits Metall nur sehr sparsam verwendeten, erkannte Sharn-igon seine Helligkeit; aber das helle Metall schien über etwas so Weichem und Körperlosem zu schweben, daß es seine Sondierungen nicht erwiderte. Der helle Teil warf Sharn-igons Laute jedoch nicht nur beinahe blendend grell zurück, er erzeugte selbst Geräusche: ein schwaches, hohes, gleichmäßiges Heulen, ein unregelmäßiges Rascheln wie von trockenem Sand. Sharn-igon konnte die Geräusche nicht identifizieren, aber er hatte auch noch nie eine TV-Kamera oder einen Radio-Transponder gesehen. Er hielt einen der Krinpits auf, der sich gereizt von der Gruppe entfernte, und fragte, was geschehen sei. »Einige Krinpits haben versucht, den Geist zu essen. Sie sind beschädigt.« »Negativ. Nach dem Essen erlitten sie Schaden. Ein Geist ist noch da. Rate vom Essen ab.« Sharn-igon ließ Töne bedächtiger von dem Fremden zurück prallen. »Hast auch du von den Geistern gegessen?«
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»Ganz wenig, Sharn-igon. Auch ich bin beschädigt.« Sharn-igon berührte mit dem anderen die Unterkiefer und ging weiter, besorgt um Cheepruitt. Er hörte ihn nirgends in der Menge, aber der Lärm war blendend. Mindestens zweihundert Krinpits rutschten und scharrten übereinander hinweg, drängten sich um die blutige Masse, die einer der ›Geister‹ gewesen war. Sharn-igon blieb stehen und lotete unentschlossen in die Runde. Hinter sich glaubte er seinen eigenen Namen zu hören, schlecht ausgesprochen, aber erkennbar: Sharn-igon. Als er sich umdrehte, erkannte sein peilstarker Gehörsinn die Quelle. Es war der Geist. Der, welcher seinen Namen gesprochen zu haben schien. Sharn-igon näherte sich vorsichtig; der Geruch gefiel ihm nicht, so wenig wie sein gedämpfter, schattenhafter Ton. Aber er war eine Kuriosität. Zuerst sein eigener Name: Sharn-igon. Und dazwischen – was? Ein anderer Name. Es war gewiß kein KrinpitName, aber der Geist wiederholte ihn ständig. Es klang wie OCH med duh LA.
Am anderen Ufer der Bucht der Kulturrevolution, fünfzig Kilometer entfernt, spülte Feng Hua-tse die Honigeimer im dunkelroten Wasser aus und trug sie zurück zum Kuppelgedrän ge, dem Stützpunkt des Volks-Blocks. Vom Ufer aus konnte man das Landefahrzeug selbst nicht sehen. Die hinausgeschobenen Kuppeln umgaben und verbargen es. Hinter den durchscheinen den Wänden der Kuppel (man hätte sie undurchsichtig machen können, aber die Gruppenentscheidung war die gewesen, daß Energiesparen wichtiger sei als Privatleben) konnte er die undeutlichen Schatten der beiden Frauen sehen, die als Lazarettgehilfinnen eingesetzt worden waren. Sie hatten den Auftrag erhalten, weil sie eigentlich selbst ins Bett gehörten. Kaum fähig, sich aufrechtzuhalten, konnten sie mehr oder weniger für sich selbst und die beiden Bettlägerigen sorgen. Und es gab niemanden, der das für sie hätte übernehmen können. Feng stellte die sauberen Eimer in die Lazarettkuppel und
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ärgerte sich über die Vergeudung des kostbaren Nachtdungs. Es war aber seine eigene Entscheidung gewesen, daß die Abfallstof fe der Kranken in die Bucht geschüttet werden sollten, statt für die Düngung ihres winzigen Gartens verwendet zu werden. Bis sie Gewißheit hatten, was ein Mitglied der Expedition getötet und vier weitere auf die Krankenliste gebracht hatte – mit einem Schlag die Hälfte ihres Einsatzpersonals außer Gefecht gesetzt! – , wagte Feng keine Verseuchung zu riskieren. Es war schade, daß ihr Biologe der kränkste der Überlebenden war; seine Kenntnisse wurden gebraucht. Aber Feng war in seiner Jugend selbst Barfuß-Biologe gewesen und führte die Experimente mit den Tieren fort, verfaßte die Tachtrans-Berichte nach Peking und führte die viermalige Untersuchung der Kranken am Tag durch. Er blieb im Funkraum stehen. Der Videoschirm für die kleine Gruppe, welche die Bucht überquert hatte, zeigte nach wie vor dieselbe monotone Szene. Anscheinend war die Kamera auf dem Floß zurückgelassen worden, und offenbar war das Floß in der trägen, unregelmäßigen Strömung der Bucht umhergetrieben worden, so daß die Kamera nur vereinzelt einen schmalen Küstenstrich zeigte, der einen Viertelkilometer entfernt war. Ab und zu konnte man einen der Arthropoden dahinhuschen sehen, und hier und da waren ihre niedrigen, dünnen Gebäude zu erkennen. Aber er hatte bisher weder Achmed Dulla noch den Costaricaner gesehen, der ihn begleitet hatte. Vor der Kuppel für die Kommunikationsanlagen schaufelten die beiden Westinder lustlos Humus in geflochtene Körbe. Feng sprach sie scharf an und erreichte eine vorübergehende Beschleunigung der Arbeit. Sie waren auch krank, aber es zeigte sich noch nicht deutlich, ob es dieselbe Krankheit war wie bei den anderen. Sie sollten sich hier eigentlich zu Hause fühlen, dachte er bitter. Die Hitze und die Luftfeuchtigkeit waren dschungelähnlich. Schlimmer war die Beleuchtung, immer vom selben düsteren Rot, nie hell genug, daß man deutlich sehen konnte, nie dunkel. Feng hatte seit ihrer Ankunft Kopfschmer zen, und es war seine private Meinung, daß das von den überanstrengten Augen kam. Zumindest Feng hatte nichts von
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der Nahrung auf Kungs Sohn gegessen. Darin war er glücklicher oder klüger als die vier im Lazarett und als jener, der gestorben war, ganz zu schweigen von dem Dutzend Ratten und Meer schweinchen, an denen sie das Zeug ausprobiert hatten. Feng fluchte. Warum hatte er sich vom langnasigen Bergbewohner Dulla einreden lassen, die Mannschaft zu teilen? Gewiß, das war geschehen, bevor die fünf schwerkrank geworden waren. Trotzdem war das ein Fehler gewesen. Wenn er nach Shensi zurückkam, würde es einen langen Tag der Selbstkritik für ihn geben, räumte Feng vor sich selbst ein. Falls er zurückkam. Er hob die beiden vollen Körbe mit dem Schulterjoch hoch und nahm sie mit, während er den Damm besichtigte. Das war seine größte Hoffnung. Wenn der Damm fertig war, würden sie Strom im Überfluß haben. Strom, um die UV-Lampen zu betreiben, die noch immer im Frachtraum des Landefahrzeugs lagen, damit sie die schwächlichen, blassen Setzlinge in kräftige Ernten verwandelten. An diesem Boden war nichts auszusetzen. Gleichgültig, wie viele krank wurden, selbst wenn sie starben, am Boden lag es nicht; Feng hatte ihn zwischen Finger und Daumen gerieben, daran gerochen, einen Spaten voll umgesto chen und verwundert auf die Kriechwesen geblickt, die ihn bewohnten. Sie waren seltsam, aber sie bedeuteten, daß der Boden fruchtbar war. Was er nicht hatte, war richtiges Sonnenlicht. Das würden sie herstellen müssen, sobald der Damm fertig war, und dann, so schwor sich Feng, würden sie Ernten produzieren, um die sie jedes Kollektiv in der Provinz Shensi beneiden mußte. Es regnete, als er zurückging, träge fallende, dicke, warme Tropfen, die an Fengs Rücken unter seiner Baumwolljacke herunterliefen. Noch etwas Gutes: Wasser genug. Nicht nur gut für die Pflanzen, sie hielten auch die Sporen nieder, und Feng verdächtigte sie stark als die Quelle der Krankheit. Selbst durch die Wolken konnte er die Wärme von Kung Fu-tze spüren. Dieser war nicht sichtbar, aber er verlieh den Wolken den zornig geröteten Anblick des Himmels über einer fernen Großstadt. So
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würde es bleiben, bis die Luftmasse mit den Wolken fortzog; dann würde es diese ferne glühende Kohle und den purpur schwarzen Himmel mit seinen Sternen geben. Feng ging auf dem Waldweg zurück zum Stützpunkt und untersuchte die Fallen. Eine enthielt zwei vielbeinige Wesen, die aussahen wie an Land lebende Hummer, eines von ihnen war tot, während das andere es fraß. Feng kippte sie beide weg und stellte die Falle nicht neu ein. Es hatte keinen Sinn. Sie hatten zuwenig Leute, um noch mehr Tiere zu untersuchen. Drei von den Fallen waren ausgelöst, aber leer, eine fehlte einfach. Feng murrte gereizt vor sich hin. Es gab vieles, was sie über die Fauna dieses Farnwaldes noch nicht wußten. Wer, zum Beispiel, hatte die Falle gestohlen? Die meisten Wesen, die sie gesehen hatten, waren Gliederfüßer, käfer- oder schalentierartig, keiner größer als eine Männerhand. Die intelligenten Wesen in der Siedlung auf der anderen Seite der Bucht waren mannsgroß. Aber die wilden, wenn es sie gab, ließen sich nicht blicken. Und es gab etwas, das zwischen den hohen, holzigen Farnpflanzen lebte. Man konnte sie hören, von Zeit zu Zeit sogar etwas huschen sehen, aber noch niemand in der Expedition hatte bisher eines dieser Wesen fangen oder auch nur photographieren können. Es leuchtete ein, daß, wenn es kleine Wesen gab, größere vorhanden sein mußten, welche die kleineren fraßen, aber wo waren sie? Und wie sahen sie aus? Wolfsgebiß, Katzenkrallen, Krebsscheren? – Feng gab diesen Gedankengang auf; er war nicht beruhigend. Gewiß würde die hiesige Fauna Menschen ebenso unverdaulich finden, wie es umgekehrt der Fall war. Es begann so auszusehen, als würden Menschen auf Klung überhaupt nichts zu essen finden. Der Biologe war dazu gezwungen gewesen, von jedem Mitglied der Mannschaft Proben von Mikroorganismen zu entnehmen und auf Agar-Plättchen Kulturen anzulegen. Versuchstiere konnten nicht mehr verwendet werden. Sie waren alle tot. Und der Reihe nach prüfte er jedes aussichtsreiche Stück Pflanze oder Tier, das man ihm brachte, goß eine Nährbouillon aus ihnen auf das Agar, und eines nach dem anderen zerstörten sie den dunkelnden Kreis
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wachsender Bakterien. Sie waren ideale Antibiotika. Bis auf eines: Sie hätten den Patienten schneller getötet als jede Krankheit. Dennoch. Die Bäume ringeln. Mochten sie eingehen. Gräben in den sumpfigen Boden ziehen… Aber die Bäume schienen keine richtige Rinde zu besitzen. Eigentlich waren sie gar keine Bäume. Fällen und Niederbrennen mochten hier nicht wirksam sein. Aber irgend etwas anderes! So oder so, die Felder von Kungs Kind würden gedeihen! Feng hörte, daß sein Name gerufen wurde. Er wandte sich von der Stelle ab, wo die letzte Falle gewesen war, und trabte zur Siedlung zurück. Als er sich dem Strand näherte und die Farnwedel dünner wurden, sah er eine der nicht bettlägerigen Kranken aufgeregt winken. Feng kam außer Atem an. »Was, was?« murrte er. »Ein Funksignal von dem Langnasigen. Ein Notsignal, Hua tse.« »Ts! Was hat er gesagt?« »Er hat nichts gesagt, Hua-tse. Es ist das automatische Notrufsignal. Ich habe versucht, ihn zu erreichen, aber es kam keine Antwort.« »Natürlich«, fauchte Feng und preßte zornig die Hände zusammen. Noch etwas, das vor der Kommune eingestanden werden mußte. Zwei Mitglieder der Mannschaft gefährdet, vielleicht verloren, weil er so unklug gewesen war, eine Trennung zuzulassen. Zwei unersetzliche Leute – ein Bergbe wohner und ein Hispanier, gewiß; nichtsdestoweniger Personen. Ihr Fehlen würde ernst sein. Und nicht nur die Personen. Eine ihrer drei Fernsehkameras. Der Radio-Transponder. Das kostbare Plastikmaterial, dazu verwendet, die Hülle des Bootes herzustellen. Die Menge war begrenzt. Sie hatten viel davon für die Kuppeln verschwendet, um die Kranken, die Ausrüstung,
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ihren ganzen bescheidenen Besitz unterzubringen. Auch das war töricht; der Farnwald bot unbegrenzten Nachschub an holzigen Stengeln für Gerüste, Wedeln für Decken und Wände. In dieser triefenden Wärme brauchten sie nicht mehr als das, aber er hatte schwächlich das Aufblasen von Kuppelunterkünften zugelassen, statt zu nutzen, was die Natur bot. Konnten sie ein zweites Boot bauen? Es war keineswegs gewiß, daß es nur für Rumpf und Segel genug Plastik gab; und woher sollten sie das Material nehmen, wenn es verbraucht war? Wen konnte er hinschicken? Von den ursprünglichen elf Leuten war einer tot, zwei waren vermißt und vier krank. War es nicht noch törichter, sich weiter aufzuteilen, zu versuchen, den Schaden gutzumachen, den die erste Torheit angerichtet hatte? Und was konnten sie tun, wenn sie wirklich ein Boot bauten und über die Bucht segelten? Was dem Bergbewohner und dem Hispanier zugestoßen war, konnte ebenso mit denen geschehen, die ihnen nachfuhren. Sie hatten nur wenige Waffen, nicht mehr zu erübrigen, als Dulla und der andere Mann schon mitgenommen hatten, und genützt hatte es ihnen wenig genug. »Gehen wir, Hua-tse?« Er wurde aus seinen Gedanken gerissen. »Was?« »Werden wir unseren Genossen helfen?« Feng verkrampfte die Hände noch stärker. »Womit?« fragte er scharf.
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VI
Auf einem Planeten, der keine Nacht kennt, sind die Tage endlos, dachte Danny Dalehouse, einen Meter tief im KlungBoden. Seine Muskeln machten ihm klar, daß er seit mindestens acht Stunden an dieser Latrine grub. Der entmutigend kleine Haufen neben ihm widerlegte das, und das rötliche Leuchten über den Wolken am Himmel bot keine Hilfe. Latrinen schaufeln war nicht die Aufgabe, für die er sich gemeldet hatte. Aber es war etwas, das getan werden mußte, und er war eindeutig das überflüssigste, deshalb das geeignetste Mitglied der Mannschaft, das zu tun; nur: Warum mußte das so lange dauern? Sie waren erst drei Tage auf dem Planeten (nicht, daß es Tage gab, aber die alten Gewohnheiten waren schwer zu überwinden), und schon ließ die Freude nach. Was nicht ausgesprochen unange nehm war, wie das Graben von Latrinen, langweilte. Was nicht schon langweilte, war unheimlich, wie das irrsinnig heftige Gewitter, das nur Stunden nach der Landung ihr erstes Zelt weggeweht hatte, oder war aufreizend unbehaglich, wie der juckende Ausschlag, den sie alle bekommen hatten, und die Magenbeschwerden, die Latrinen so dringend erforderlich machten. Und obendrein schienen sie auch noch Gesellschaft zu haben. Kappeljuschnikow war auf russisch fluchend erschienen, um zu melden, daß ein drittes Tachtrans-Schiff an seinem Ladungszustand herabgeklettert war, um Klung zu umrunden. Öler, ohne Zweifel. Das bedeutete, daß nun alle auf der Welt auf Klung vertreten waren. Wie sah es nun aus mit dem auf sich gestellten Pionier? Sein Spaten stach in Luft. Danny verlor das Gleichgewicht, stürzte und landete in Fötushaltung in der Grube; sein Gesicht steckte beinahe in dem Loch, das sich unerwartet geöffnet hatte. Ein kühler, moderiger Geruch drang heraus. Er erinnerte ihn an ungelüftete Keller und die Käfige von Hausmäusen, und er hörte rasche, verstohlene Bewegungen. Schlangen. Er wies den Gedanken sofort von sich. Das war eine
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irdische Angst, auf Klung nicht angebracht. Aber was es auch war, es mochte leicht tödlicher sein als ein Nest von Klapper schlangen. Er sprang mit begreiflicher Schnelligkeit aus der Grube und schrie: »Morrissey!« Der Biologe war nur ein paar Meter entfernt und verschloß Pflanzenproben in Plastikbeuteln mit Konservierungsflüssigkeit. »Was ist los?« »Ich bin auf ein Loch gestoßen. Vielleicht ein Tunnel. Wollen Sie es sich ansehen?« Morrissey blickte unentschlossen auf die dunkelrote Samenkap sel in seiner Pinzette und dann auf Dalehouses Grube, dann sagte er: »Sicher, ich muß nur die hier erst verstauen. Graben Sie nicht weiter, bis ich fertig bin.« Das war ein willkommener Befehl, und Dalehouse befolgte ihn dankbar. Er gewöhnte sich daran, Befehle entgegenzunehmen. Selbst als Latrinenschaufler mußte er auf der Stelle einspringen, wenn irgendein im Augenblick wichtigeres Mitglied der Expediti on zwei zusätzliche Hände brauchte: Harriet, um ihr Funkgerät aufzubauen, Morrissey, um seine Beutel zuzuschweißen, Sparky Cerbo, um die Dosentomaten und die Küchenmesser zu suchen, die bei dem Gewitter verschwunden waren. Schon zweimal hatte er die chemische Toilette des Landefahrzeugs in eine flache Grube entleeren und den Humus von Klung darüberschaufeln müssen, weil der Rest der Besatzung nicht warten wollte, bis er die Arbeit beendete, die zu beenden man ihn hinderte. Es war eine Mühsal. Aber er war auf Kungs Sohn! Er konnte die seltsamen Klung-Gerüche erschnuppern – Zimt und Schimmel und abgeschnittene Vegetation, und etwas, das ein wenig wie Mamis Apfelkuchen war, aber nicht wirklich genau das. Er konnte die Landschaft von Klung sehen – er konnte sehr viel davon sehen, jeweils eine Schaufel voll. Es entsprach seinen Erwartungen in einer Expedition von Spezialisten. Dalehouse war kein Koch, kein Landwirt, kein Arzt, kein Funkvermesser. Er besaß keine der überentwickelten
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Fähigkeiten, die alle anderen vorweisen konnten. Er war der einzige Generalist der Expedition und würde es bleiben, bis sie Kontakt mit den einheimischen intelligenten Wesen herstellten und er die Kommunikations-Fähigkeiten anzuwenden vermochte, die ihm zugeschrieben wurden. Inzwischen war er Hilfsarbeiter. Kappeljuschnikow, der russische Pilot, brüllte seinen Namen: »Sie, Danny, kommen Sie trinken! Bringt Schweiß wieder!« »Warum nicht?« Danny stellte erfreut fest, daß Cappy ein Glas mit einem Zentimeter Wasser hochhielt und breit grinste. Die Brennerei des Russen funktionierte endlich. Dalehouse trank die wenigen Tropfen und wischte sich anerkennend die Lippen und dann die feuchte Stirn. Kappeljuschnikow hatte in dieser Beziehung wahrlich recht. In der feuchten, schwülen Luft waren sie beide schweißüberströmt. Der Destillierapparat wurde mit einer kleinen Ölnebelflamme betrieben, was ungefähr soviel bedeutete, als verbrenne man Hundertdollarscheine. Später sollte er zum Seeufer gebracht und mit Solarenergie betrieben werden, aber im Augenblick brauchten sie Wasser, das sie trinken konnten. »Sehr gut, nicht?« fragte Kappeljuschnikow. »Sie fühlen sich nicht schwach, wie bei Gift? Okay. Dann bringen wir Gasha zu trinken.« Die Dolmetscherin hatte selbständig das Kommando über die Errichtung des Lagers übernommen, und niemand erhob Einwände; sie verbrachte Stunden an ihrem Funkgerät und versuchte aus dem Empfangenen klug zu werden, aber sie behauptete, die andere Hälfte ihres Gehirns sei in der Lage, die Einsätze aller anderen zu behalten. Sie hat vielleicht sogar recht, dachte Dalehouse. Sie war die am wenigsten freundliche Person der Expedition, und niemand wollte sich mit ihr so recht anlegen. Sie war auch nahe daran, die körperlich am wenigsten Anziehen de zu sein, mit strähnigen, schwarzen Haaren und einem Ausdruck permanenter Enttäuschung. Aber für das Wasser war sie widerwillig dankbar. »Danke, daß Sie die Destillieranlage in Gang gebracht haben.
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Und für die Latrine, natürlich, Danny. Wenn ihr beiden jetzt – « »Ich bin noch nicht fertig«, verbesserte Danny. »Jim will sich zuerst ein Loch ansehen. Gibt es etwas Neues im Radio?« Harriet lächelte mit geschlossenem Mund. »Wir haben eine Nachricht von den Vaus.« »Über den Mann, der festsitzt?« »O nein. Sehen Sie es sich an.« Sie gab ihm einen FaksimileFilm, auf dem stand: ›Die Volksrepubliken reichen der zweiten Expedition, die auf Kungs Kind eingetroffen ist, die Hand der Freundschaft. Durch friedliche Zusammenarbeit wer den wir einen ruhmreichen Triumph für die ganze Menschheit erringen. Wir laden Sie ein, zur Feier der fünfzehnhundertjährigen Wiederkehr des Datums von Konfuzius’ Schriften zu uns zu kommen, nach dem unser Stern benannt worden ist.‹ Dalehouse war verwirrt.
»Ist das nicht eine Art Winter-Feiertag?«
»Sie sind aber heute gut informiert, Danny. Er ist im Dezem
ber. Unser Lehrer nannte ihn die Antwort von Konfuzius auf Chanukkah, was natürlich die jüdische Antwort auf Weihnachten ist.« Er runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern – es begann schon schwerzufallen. »Aber wir haben noch nicht einmal Oktober.« »Sie sind tatsächlich auf Draht, Danny. Übersetzen Sie das also mal, ja?« »Ich weiß nicht. Soll das etwa heißen, stört uns zwei Monate lang nicht?« »Es heißt eher, euch soll der Schlag treffen«, warf der Pilot ein.
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»Das glaube ich nicht. Sie sind nicht abweisend«, sagte Harriet, griff nach dem Faksimile und starrte es mit zusammen gekniffenen Augen an. »Es fällt auf, daß sie Kung Fu-tse in der latinisierten Form des Namens erwähnen. Trotzdem – « Sie zog die Brauen zusammen. Selbst im besten Fall wirkten Harriets Augen stets ein wenig hervorquellend, wie die eines Kaninchens, weil sie dicke Kontaktlinsen trug. Nun spitzte sie auch die Lippen wie ein Kaninchen. »Auf der anderen Seite haben sie eigens darauf hingewiesen, daß wir die zweite Expedition sind.« »Soll heißen, daß sie die erste sind. Aber was soll das? Sie können keine Gebietsansprüche erheben, weil sie vor uns dagewesen sind, das steht alles in den UN-Verträgen. Niemand darf mehr als einen Umkreis von fünfzig Kilometern um einen selbstversorgungsfähigen Stützpunkt beanspruchen.« »Aber sie weisen darauf hin, daß sie es hätten tun können.« Cappy langweilte sich beim Protokollarischen. »Irgendein Liebesbrief von den Ölern, Gasha?« »Nur ›erhalten und bestätigt‹. Und jetzt diese Latrine – « »Gleich, Harriet. Was ist mit dem Paki, der gestrandet ist?« »Er ist es immer noch. Wollen Sie die neuesten Tonbänder hören?« Sie wartete nicht auf eine Antwort, die sie kannte. Sie schloß eine Spule an und spielte sie für sie ab. Es war das automatische Notrufsignal der Vaus, alle dreißig Sekunden ein verschlüsseltes SOS, gefolgt von einem fünf Sekunden langen Peilton. Zwischen den Signalen blieb das Mikrofon auf Sendung und übertrug, was an Geräuschen hörbar wurde. »Die Spreu habe ich zum großen Teil ausgesondert. Hier ist die Stimme des Mannes.« Weder Dalehouse noch Kappeljuschnikow zählten die UrduSprache zu denen, die sie kannten. »Was er sagen?« fragte der Pilot. »Er ruft nur um Hilfe. Aber er ist nicht in guter Verfassung. Die meiste Zeit sagt er gar nichts, und wir hören das hier.«
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Was aus dem Tonbandgerät kam, klang ein wenig wie das Zirpen einer unfaßbar großen Heuschrecke und sehr stark wie der Lärm eines chinesischen Neujahrsfestes, bei dem australi sche Ureinwohner ihre alten Instrumente spielten. »Was, zum Teufel, ist das?« fragte Danny. »Das«, sagte sie selbstzufrieden, »ist auch Sprache. Ich habe mich damit beschäftigt und ein paar Schlüsselbegriffe herausge funden. Sie sind in irgendwelchen Schwierigkeiten, ich weiß aber nicht, in welchen.« »Nicht in solchen wie der Paki«, knurrte Kappeljuschnikow. »Los, Danny, ist Zeit zu arbeiten.« »Ja, die Latrine ist – « »Nicht an Latrine! Gibt im Leben anderes als Scheiße, Gasha.« Sie funkelte ihn böse an. Kappeljuschnikow war so entbehrlich wie Danny Dalehouse, vielleicht noch mehr. Sobald die Expedition sich ganz eingerichtet hatte, würden Dalehouses Fähigkeiten, Verbindung mit intelligentem Leben aufzunehmen, ins Spiel kommen. So hofften sie wenigstens alle. Das eigentli che Können des Piloten war das Pilotieren. Ein Raumschiff, wenn ihm die Wahl blieb. Im Notfall ein Muscheljet, ein Rennfahrzeug oder ein Kanu. Nichts davon gab es auf Klung. Aber was er hatte, und was sich stets als nützlich erwies, war Einfallsreichtum. »Gasha, Liebe«, schmeichelte er, »ist nicht möglich. Ihr Morrissey hat immer noch seine Mausefallen in Loch. Und außerdem muß ich Wasserstoff machen, wo wir Wasser haben.« »Was, um alles in der Welt, wollen Sie mit Wasserstoff anstellen?« fragte Harriet. »Damit ich habe eine Beschäftigung. Zu fliegen.« »Sie wollen mit Wasserstoff fliegen?« »Sie verstehen mich, Gasha«, sagte der Russe strahlend. Er deutete. »Wie sie.«
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Danny blickte hinauf, dann lief er zum Zelt, um das eine anständige Fernglas zu holen – zwei Exemplare waren nach dem Gewitter ebenfalls nicht mehr auffindbar. Da war er, der Schwarm von Ballons, hoch oben und den Wolken nah. Sie waren mindestens zwei Kilometer entfernt, zu weit, als daß man ihr Lied hätte hören können, aber durch das Fernglas konnte Dalehouse sie deutlich sehen. Am purpurnen Himmel stachen sie mit ihren hellen Grün- und Gelbtönen hervor. Es stimmte wirklich, vergewisserte sich Dalehouse. Manche leuchteten wie Leuchtkäfer. Auf der fünf Meter großen Gasblase des größten zeichneten sich Aderngeflechte ab, flackernd von dahinrasenden biolumineszenten Funken. »Verdammt«, fauchte Dalehouse. »Was sagen Sie da, Cappy? Glauben Sie, daß Sie da oben fliegen können?« »Mit großer Leichtigkeit, Danny«, erwiderte der Pilot ernsthaft. »Ist nur Frage, Blasen zu machen und Wasserstoff hineinzutun. Dann fliegen wir.« »Abgemacht«, sagte Dalehouse entschieden. »Sagen Sie mir, was ich tun soll, und ich tue es. Ich – Augenblick! Was ist das?« Der Ballonschwarm zerstreute sich, und hinter ihnen, dort hindurchfliegend, wo sie gewesen waren, erschien etwas anderes, etwas, das mit einem rhythmischen Lichtblinken ratterte. Dann hörte er das Geräusch. »Ein Hubschrauber!« rief er erstaunt. Der Hubschrauberpilot war klein, dunkelhaarig und irischer Abstammung. Nicht nur irischer Abstammung, sondern, nach elf Jahren in Houston, Texas, ins Vereinigte Königreich repatriiert. Er und Morrissey verstanden sich sofort. »Erinnern Sie sich an Bismarck’s?« »Schon mal im La Carafe gewesen?« »Mal dort gewesen? Ich hab’ dort gelebt!« Und als sie alle
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versammelt waren, sagte er: »Freut mich, Sie alle kennenzuler nen. Mein Name ist Terry Boyne, und ich bringe Ihnen offizielle Grüße von unserer Organisation, das ist die Organisation ölexportierender Länder, an Sie, das sind Sie. Hübsch haben Sie’s hier«, fuhr er anerkennend fort und schaute sich um. »Wir sind unten in der Nähe des Hitzepols – wenn Sie meine Meinung hören wollen, Sie haben sich einen besseren Ort ausgesucht. Wo wir sind, gibt es Wind, daß man’s nicht glaubt, und außerdem ist es sengend heiß, wenn’s recht ist.« »Warum habt ihr euch das dann ausgesucht?« fragte Morris sey. »Ach, wir tun, was unsere Oberen uns sagen«, erwiderte Boyne. »Ist das bei euch nicht auch so? Und heute haben sie verlangt, daß ich herfliegen und einen gutnachbarlichen Besuch machen soll.« Harriet ergriff natürlich sofort das Wort. »Im Namen der Nahrungsmittel exportierenden Länder akzeptieren wir Ihre Grüße und möchten unsererseits – « »Bitte, genug, Harriet!« knurrte Kappeljuschnikow. »Aber wir nicht einzige andere Kolonie auf Klung, Terry Boyne.« »Was ist ›Klung‹?« »Wir nennen das hier so«, erklärte Dalehouse. »Hm. ›Klung‹. Wir sind angewiesen, den Planeten ›Jem‹ zu nennen – Abkürzung für ›Geminorum‹, nicht? Weiß der Himmel, was die Vaus dazu sagen.« »Sind Sie bei denen gewesen?« Boyne hustete. »Das ist es eigentlich mehr oder weniger, worum es geht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Haben Sie ihren Funkver kehr abgehört?« »Sicher. Den Ihren auch.«
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»Gut, dann haben Sie das Notrufsignal gehört. Der arme Kerl, der bei diesen Biestern festsitzt. Sie nennen sich ›Krinpits‹, wie unser Dolmetscher erklärt. Die Vaus reagieren nicht. Wir haben angeboten, zu helfen, und sie haben uns praktisch erklärt, wir sollten verschwinden.« Morrissey warf einen Blick auf Harriet. Der dortige Dolmetscher leistete mehr als sie. »Wir haben praktisch dasselbe erlebt, Terry«, sagte er. »Sie haben angedeutet, daß wir in ihrem Teil der Welt nicht willkommen sind. Natürlich haben sie kein Recht zu einer solchen Einstellung – « » – aber Sie wollen keine Schwierigkeiten zwischen den Blöcken hervorrufen«, ergänzte Boyne und nickte. »Nun, aus humanitären Gründen – « Er rang nach Luft und trank einen großen Schluck aus dem Glas, das Morrissey ihm hinhielt, bevor er weitersprach: »Verdammt, reden wir offen. Um der Neugier willen, und um einfach zu sehen, was da drüben vorgeht – aber auch aus humanitären Gründen – wollen wir hin und den Burschen rausfischen. Die Vaus können es offenbar nicht. Wir vermuten, daß sie uns und Sie deshalb fernhalten wollen, damit wir nicht sehen, wie schlecht es um sie steht. Sie können nicht – « Er zögerte. »Nun, offenbar wäre es für uns leichter, mit einem Hubschrauber hinzufliegen, als daß Sie eine Expedition auf dem Landweg hinschicken. Wir sind bereit dazu. Aber nicht allein, wenn Sie mich verstehen.« »Ich denke schon«, sagte Harriet naserümpfend. »Sie wollen, daß jemand die Schuld mit auf sich nimmt.« »Wir wollen eine klare Interblock-Hilfsaktion daraus machen«, verbesserte Boyne. »Ich bin also auf dem Sprung, hinzufliegen und ihn herauszuholen, jetzt sofort. Aber ich möchte, daß einer von Ihnen mitkommt.« Acht von zehn Mitgliedern der Mannschaft sprachen daraufhin gleichzeitig, aber Kappeljuschnikows »Ich gehe!« übertönte alle anderen. Harriet schaute sich nach ihrem Trupp um und sagte
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dann verdrossen: »Gut, gehen Sie, wenn Sie wollen, obwohl wir hier so wenige Leute haben – « Danny Dalehouse wartete nicht, bis sie ausgesprochen hatte. »Richtig, Harriet! Und deshalb sollte ich es sein! Ich bin entbehrlich, und außerdem – « »Nein! Ich, ich bin entbehrlich, Danny! Und ich bin Pilot – « »Bedaure, Cappy«, sagte Danny zuversichtlich. »Einen Piloten haben wir schon – Mr. Boyne hier – und außerdem müssen Sie Ihren Wasserstoff machen, damit Sie mit mir fliegen können, wenn ich zurückkomme. Und zweitens ist Kontakt mit fremden intelligenten Wesen meine Hauptaufgabe, nicht? Und – « er wartete nicht auf eine Antwort – »außerdem glaube ich, daß ich den Mann kenne, der dort festsitzt. Achmed Dulla. Wir sind vor ein paar Monaten beide von der Polizei in Bulgarien belästigt worden.«
Aus Wuuk, Wuuk, Wuuk wurde wickwickwickwick, als der Pilot den Rotorlauf beschleunigte und der Helikopter vom Boden abhob und einer Wolke zustrebte. Danny klammerte sich am Sitz fest und bestaunte die Verschwendungssucht, mit welcher der Erdöl-Block seine Schätze hinausjagte – allein vier Tonnen Hubschrauber, aus einer Umlaufbahn um die Erde tachyon transportiert, unter welchen Rohstoffkosten, konnte er sich nicht einmal vorstellen. »Sie werden doch nicht luftkrank, oder?« schrie Boyne über dem Lärm der Rotorblätter. Danny schüttelte den Kopf, der Pilot grinste und verstellte die Rotorkanten, so daß der Hubschrauber sich einer Kumulusformation zuneigte und darauf zuflog. Zu Dannys Enttäuschung war der Ballonschwarm außer Sichtweite, aber es befanden sich trotzdem kleine und große Wesen in der Luft, die Abstand hielten. Dalehouse konnte sie nicht sehr deutlich sehen und vermutete, daß sie es so wollten, am Rand der Sehweite zu bleiben und in Wolken zu verschwinden, wenn der Hubschrauber näher kam. Aber darunter! Das war für seinen
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Genuß ausgebreitet, als der Helikopter dahinhopste, keine fünfzig Meter über dem höchsten Gewächs. Gehölze von Bäumen wie Bambus, Ansammlungen von fünfunddreißig Meter hohen Farnen, Gewirr von mangrovenähnlichen Gewächsen, zwanzig Stämme oder mehr verschlungen zu einem unentwirrbaren Knäuel von Vegetation. Er konnte kleine Wesen huschen und springen sehen, die sich versteckten, als sie über ihnen hinwegflogen. Farben aller Art. Das starre rote Schwelen des Zwergsterns tönte Gestein und Wasser ab, aber die hellsten Farben waren keine Spiegelungen. Sie waren phospho reszierendes Leuchten und Glühwürmchenschwanz, das Licht der Pflanzen selbst. Dalehouse hatte die Karten von Klung natürlich studiert: Orbitalaufnahmen, ergänzt durch Seitenstreuradar. Aber das war etwas anderes, die Landschaft zu sehen, während sie darüber hinwegschwebten. Hinten am Ufer lag ihr eigenes Lager, an einer schmalen Landenge, die eine Bucht von dem größeren Ozean oder See abtrennte, ein, zwei Kilometer entfernt. Da war der See (oder Ozean) selbst, gewölbt wie ein angebissenes Stück Wassermelone, und im Licht von Kung fast von der gleichen Farbe. Unterhalb davon, an der Küste, befand sich das Lager der Vaus. Danach, zu dem Teil Klungs hin, der genau unter dem Stern lag, wo das Land trockener und die Temperatur noch höher war, befand sich das Lager der Öler. Diese beiden konnte man natürlich nicht sehen. Der Hubschrauber schwang sich hinaus über das Wasser. Boyne zeigte nach vorn, und Dalehouse nickte; er konnte sehen, wie ihr Ziel am anderen Ufer aus dem düsteren Dunst sich gerade herausschälte. Boyne war nicht ganz offen gewesen, entdeckte Dalehouse. Er hatte nicht erwähnt, daß das nicht sein erster Flug zur Gemeinschaft der Krinpits war. Vorher hatte es mindestens schon zweimaliges Überfliegen gegeben, denn er besaß Aufnahmen. Boyne zog ein Bündel davon aus einer elastischen Tasche an der Tür des Hubschraubers heraus, ging sie durch und reichte Danny eine hinüber.
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»Da, am Wasser!« schrie er. Sein Finger zeigte auf die zusammengekrümmte Gestalt, ein paar Meter hoch am Strand. In der Nähe lag ein Plastikboot, umgeben von Schuppen und obskureren Gebäuden. Außerdem gab es einige sehr unerfreuli che, wie Krebse mit geraden Hinterkanten aussehende Wesen: Krinpits. Einige von ihnen befanden sich in verdächtiger Nähe der zusammengekauerten Gestalt. »Lebt er noch?« schrie Danny. »Weiß nicht. Vor ein, zwei Tagen war er noch am Leben. Wasser hat er vermutlich genug, aber inzwischen muß er verdammt hungrig sein. Und wahrscheinlich krank.« Aus der Luft sah das Krinpit-Dorf wie ein Viehhof aus. Die meisten Gebäude bestanden nur aus nicht überdachten Wänden, wie Pferche. Die Wesen waren überall, wie Danny sah, erstaunlich schnell unterwegs, jedenfalls erstaunlich schnell im Vergleich mit den Schalentieren auf der Erde. Und sie nahmen deutlich wahr, daß der Hubschrauber sich näherte. Manche erhoben sich, um ihm ihre blinden Gesichter zuzuwenden, und eine ominöse Anzahl von ihnen schien dem Ufer zuzustreben. »Sehen unheimlich aus, wie?« rief Boyne. »Hören Sie«, erwiderte Danny, »wie wollen wir ihnen Dulla wegnehmen? Sie sehen nicht nur unheimlich aus. Sie sehen bösartig aus.« »Ja.« Boyne kurbelte sein Fenster herunter, beugte sich hinaus und flog im Kreis. Er schüttelte den Kopf, dann zeigte er hinunter. »Ist das Ihr Freund?« Die Gestalt hatte sich bewegt, seit die Aufnahme gemacht worden war, lag nicht mehr an einem der Schuppen, sondern einige Meter davon entfernt ausgestreckt am Boden, mit dem Gesicht nach unten. Dulla sah nicht sehr lebendig aus, aber tot war er offenkundig auch noch nicht. Boyne runzelte nachdenklich die Stirn, dann wandte er sich Dalehouse zu.
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»Machen Sie den Kasten zwischen Ihren Füßen auf, ja, und geben Sie mir ein paar von den Dingern.« Die ›Dinger‹ waren Metallzylinder mit einer Metallschleife am Ende. Boyne nahm ein halbes Dutzend, riß die Schleifen heraus und warf sie gezielt auf die Krinpits. Als sie aufschlugen, quoll gelber Rauch heraus und bildete eine dichte Wolke. Die Krinpits wankten aus dem Rauch, als hätten sie die Orientierung verloren. »Nur Tränengas«, sagte Boyne grinsend. »Sie hassen es.« Er starrte hinunter. Fast alle Wesen, die sich um den Mann am Boden gedrängt hatten, ergriffen jetzt die Flucht… alle, bis auf eines. Dieses eine war offenbar in Not, aber es verließ die Umgebung des hingestreckten Menschen nicht. Es schien Schmerzen zu leiden. Es zuckte vor und zurück, wie zwischen widerstreitenden Impulsen hin- und hergerissen: flüchten; bleiben; vielleicht sogar kämpfen. »Was machen wir mit dem Saukerl?« rief Boyne, über der Stelle schwebend. Aber dann entfernte sich das Wesen mühsam, und Boyne fällte seine Entscheidung. Er sank auf den Boden zwischen dem Krinpit und dem bewußtlosen Pakistani hinab. »Packen Sie ihn, Danny!« brüllte er. Danny riß seine Tür auf und sprang hinaus. Er hob den Pakistani hoch, und das machte ihm mehr Mühe, als er erwartet hatte. Dulla wog hier nicht viel über fünfzig Kilogramm, aber er war knochenlos wie Gummi, völlig erschlafft. Danny packte ihn unter den Armen und zerrte ihn mehr in den Helikopter, als er ihn trug, während Boyne sorgenvoll fluchte. Die Rotoren drehten sich, und sie begannen abzuheben, dann kam von der anderen Seite ein wilder, klappernder Ansturm. Zweihundert Kilogramm erwachsener Krinpit stürzten sich auf die Kufe. Boyne heulte vor Wut und riß den Steuerknüppel herum. Der Hubschrauber wankte und schien kippen zu wollen, aber Boyne zog ihn gerade, und er stieg empor und davon.
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»Was wollen Sie tun, Boyne?« schrie Danny, der Dullas Beine hereinzuziehen versuchte, damit er die Tür schließen konnte. »Sie können das Ding doch nicht einfach dort lassen!« »Und ob ich das kann!« Boyne starrte sorgenvoll auf die steifgelenkigen Beine, die den Kunststoff zu durchstoßen versuchten, um an ihn heranzukommen, dann steuerte er den Hubschrauber hinauf und über das Wasser. »Ich wollte schon immer ein Haustier. Mal sehen, ob ich den Kerl nach Hause bringe.«
Bis Dalehouse voll Staunen und Sorgen in sein eigenes Lager zurückkam, war er körperlich erschöpft. Er erstattete den anderen schnell Bericht und fiel dann in einen traumlosen Schlaf. ›Nacht‹ war auf Klung ein willkürlicher Begriff. Als Dalehouse erwachte, sah der Himmel aus wie immer: Wolken und die matt leuchtende Schlacke Kungs weit abseits der Mitte darüber. Die Arbeit ging weiter wie zuvor. Kappeljuschnikow oder sonst irgend jemand hatte für ihn geschaufelt. Er hatte nur noch knapp eine Stunde zu tun, hauptsächlich, um die Ränder zu begradi gen. Er begrüßte das, weil er mehr als eine Stunde nachzuden ken hatte. Nach der Rettung des Pakistani war Boyne schnurstracks zu seinem eigenen Stützpunkt zurückgeflogen. Er hatte nicht einmal gefragt, ob Dulla noch am Leben sei; seine Aufmerksam keit wurde bis zum Sättigungsgrad von dem grauenhaften und sehr aktiven Wesen beansprucht, das nur Zentimeter von seinem linken Ohr entfernt war, und von den Anforderungen des Fliegens. Die Öler, durch Funk vorgewarnt, hatten Netze vorbereitet. Bevor der Krinpit wußte, wie ihm geschah, war er gefesselt und verstaut. Dann eine schnelle Mahlzeit, während Dulla einer Art Notbehandlung unterzogen wurde; vor allem machte man ihn sauber und ließ etwas Traubenzuckerlösung in seine Vene tropfen. Dann über den nackten, heißen Boden zum Lager der Vaus, wo sie den Kranken zurückließen, hochmütige
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Dankesworte von dem Chinesen entgegennahmen, der dort das Sagen hatte, und Dalehouse wurde nach Hause geflogen. Insgesamt war er fünf oder sechs Stunden unterwegs gewesen. Und jede Sekunde war ausgefüllt von neuen Daten, über die er sich den Kopf zerbrechen mußte. Er neidete ihnen den Krinpit aufrichtig. Es gab keinen Zweifel daran, daß das Wesen intelligent war. Dies verriet der methodi sche Versuch, sich in den Hubschrauber hineinzubohren; dann die geduldige Hinnahme des Mißerfolgs, als der Kunststoff sich als undurchdringlich erwiesen hatte. Überlegung. Er hatte sich nur kurz gewehrt, als die Öler Netze über ihn warfen, und dann zugelassen, daß er in einen Stahlgitterkäfig gebracht wurde. Erst nachdem die Käfigtür hinter ihm zugefallen war, hatte er systematisch die Netze zerschnitten, um seine Gliedmaßen zu befreien. Dalehouse hatte jeden verfügbaren Augenblick dazu benützt, ihn zu beobachten und in seinen Lauten einen Sinn zu entdecken. Wenn er nur an irgendeinem Punkt seines Studiums die Hirntrennung hätte vornehmen lassen! Er wußte, daß Harriet, oder sogar die Bulgarin, Ana, etwas von der linguistischen Struktur erfaßt hätten, aber für ihn war das nur Geräusch. Und dann das Wunder des Öler-Lagers selbst. Stahlgitter! Ein Hubschrauber! Kojen auf Füßen, mit Metallfederung! Er konnte sich auch nicht annähernd vorstellen, was für ein verschwenderi scher Verbrauch von unersetzlichem Treibstoff es ihnen ermöglicht hatte, all das bei Überlichtgeschwindigkeit in eine Umlaufbahn um Kung zu schleudern und es dann sicher auf die Oberfläche des Planeten hinabzulassen. Sie besaßen sogar eine Klimaanlage! Gewiß, sie brauchten sie; die Oberflächen temperatur mußte gut über vierzig Grad liegen, so nah am Hitzepol. Aber niemand hatte sie gezwungen, sich dort niederzulassen, wo ein fortwährender Energieverbrauch durch Klimaanlagen unerläßlich war, um überleben zu können. Und im Gegensatz dazu die Vaus. Das war armselig. Der alte Soundso hatte sich alle Mühe gegeben, aber es war klar, daß die Rückkehr von Dulla für ihn in erster Linie ein weiteres Opfer bedeutete, um das sich gekümmert werden mußte, wobei kaum
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jemand gesund genug war, um die Pflege zu übernehmen, geschweige denn, irgend etwas anderes zu tun. Er hatte den Besuchern stolz zu verstehen gegeben, daß eine weitere Expedition unterwegs sei – ›fast so groß wie unsere‹. Aber wie groß war das? Jim Morrissey unterbrach seine Gedankengänge. Der Biologe hatte das Lager verlassen und den Bericht nicht gehört; nun wollte er alles aus erster Hand hören. Dalehouse erzählte und fragte dann: »Haben Sie mit Ihren Mausefallen etwas gefan gen?« »Hm? Oh.« Offenkundig lag das in Morrisseys Vergangenheit schon weit zurück. »Nein. Ich habe eine Sonde am Draht in den Tunnel hinuntergelassen, aber sie stieß immer wieder auf Sackgassen. Sie sind ziemlich schlau, wer sie auch sein mögen. Als Sie in ihren Tunnel gerieten, haben sie ihn sofort abge dämmt.« »Sie haben also keine Tiere, die Sie zur Erde zurückschicken können?« »Keine Tiere? Sagen und denken Sie das nicht, Danny. Ich habe eine ganze Menagerie. Krebs-Ratten und Käfer, Kriechtiere und Flugtiere. Weiß der Himmel, was sie alle sind. Ich glaube, die Krebs-Ratten sind vielleicht mit den Krinpits verwandt, aber man kann Verwandschaften nicht aufspüren, bis man Paläonto logie betreibt, und ich habe, bei Gott, noch nicht einmal mit der Systematik angefangen. Und die Pflanzen – na ja, man kann sie ebensogut Pflanzen nennen. Sie haben keine Stomata oder Mesophyllzellen. Möchten Sie das für möglich halten?« »Gewiß, Jim.« »Wie der photosynthetische Prozeß abläuft, weiß ich nicht«, fuhr Jim staunend fort, »aber es ist dieselbe gute alte Sache. Stärkeproduktion, hervorgerufen durch Sonnenstrahlung. Oder was hier als solche gilt. Sechs CO Zwei plus Sechs H Zwei O ergibt immer noch C-Sechs H-Zwölf O-Sechs und etwas Sauerstoff extra, wie auf Erden, so im Himmel. Oder umge
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kehrt.« »Das ist Stärke?« riet Dalehouse. »Klar. Aber essen Sie nichts davon. Und schmieren Sie sich mit der Salbe immer wieder ein, wenn sie abgeht. In dem ganzen Zeug sind Stammverwandte, die Ihnen den Garaus machen.« »Sicher.« Dalehouses Aufmerksamkeit irrte ab, und er hörte kaum noch zu, als Morrissey die Vegetation aufzählte, die er auf Klung bislang identifiziert hatte. Grasähnliche Gewächse, die Ebenen bedeckend; Fettpflanzen wie Bambus, mit hohlen Stengeln, die gutes Baumaterial abgeben würden; Wälder von Pflanzen, die wie Farn aussahen, aber fruchttragend waren und holzartige Stämme besaßen. Manche von ihnen wuchsen aus vielen Stämmen zusammen, wie Mangroven; andere ragten in einsamer Pracht empor, wie Sequoien. Es gab Ranken wie Weinreben, die sich ausbreiteten, indem sie ihre hartschaligen Samenkörner durch den Verdauungstrakt von Tieren weiterbe förderten. Einige davon leuchteten, andere waren Fleischfresser wie die Venusfliegenfalle. Manche – »Diese Stärke«, unterbrach ihn Dalehouse, seinen Gedanken gang weiterspinnend, »können wir sie nicht essen? Ich meine, das Gift einfach herauskochen, wie bei Tapioka?« »Danny, bleiben Sie bei dem, was Sie verstehen.« »Nein, im Ernst«, sagte Dalehouse beharrlich. »Wir schleifen an Nahrung sehr viel Masse mit. Ginge das nicht?« »Nein. Na ja, vielleicht. Im gewissen Sinn. Es braucht nur ein bißchen von ihren Proteinen, um eine Reaktion auszulösen, die ich nicht mehr beherrsche. Lassen Sie also die Experimente. Denken Sie an die weißen Mäuse der Vaus.« »Wenn sie Pflanzen sind, warum sind sie dann nicht grün?« »Das sind sie eigentlich. In diesem Licht sehen sie purpurrot aus, weil Kung so rot ist. Aber wenn Sie sie mit einer Lampe anleuchten, sind sie von einem grünlichen Gelb. Aber es ist nicht das übliche Chlorophyll, wissen Sie«, fuhr er ernsthaft fort.
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»Nicht einmal ein Porphyrinderivat. Sie scheinen ein Magnesiu mion zu benützen.« »Ich mache das hier besser fertig«, sagte Danny und klopfte dem Biologen auf die Schulter. Die Arbeit war fast getan. Er schleppte die chemische Toilette aus dem Landefahrzeug und balancierte sie über dem Graben, dann meldete er sich bei Harriet. »Alles fertig, erstklassiges amerikanisches Scheißhaus ge brauchsfertig.« Sie kam herüber, um sich das Werk anzusehen, und spitzte dann die winzigen Lippen. »Dalehouse, halten Sie uns für Tiere? Können Sie nicht wenigstens ein Zelt darüberstülpen? Und zwar, bevor es wieder regnet, ja? Verdammt, Danny, warum muß ich hier jedem sagen, was er tun soll?«
Er errichtete das Zelt. Aber der Sturm, als er kam, war ein gewaltiges Ding. Blitze durchzuckten den ganzen Himmel, von den Wolken bis zum Boden und quer durch die Luft. Kung war völlig verdeckt, nicht einmal ein trüber Schimmer zeigte sich, wo er am Himmel hing, und das einzige Licht waren die Blitze selbst. Das erste Opfer war die Stromversorgung, das zweite Dannys Abortzelt; es wurde fortgerissen von den achtzig Kilometer schnellen Böen. Bis es vorbei war, waren sie alle durchnäßt und elend, und sie mühten sich gemeinsam ab, das Lager wieder aufzubauen. In East Lansing gab es keine solchen Gewitter wie auf Klung, und Danny dachte mit düsteren Vorahnungen an die nächsten Jahre auf diesem heimtückischen Planeten. Als ihm klar wurde, daß er über zwanzig Stunden nicht geschlafen hatte, kippte er ins Bett und träumte von einem warmen Morgen in Bulgarien mit einer hübschen, blonden Frau. Als er wach wurde, hatte Jim Morrissey ihn angestoßen. »Aufstehen. Jetzt kriege ich das Bett.«
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Es war in Wirklichkeit nicht einmal ein Bett, nur ein Schlafsack auf einer Luftmatratze, aber wenigstens warm und trocken. Dalehouse räumte widerstrebend das Feld. »Das Lager hat also überlebt?« »Mehr oder weniger. Wagen Sie sich aber nicht in Harriets Nähe. Eines ihrer Funkgeräte fehlt, und sie gibt uns allen die Schuld.« Als er ins Bett stieg und die Beine ins warme Innere streckte, sagte er: »Cappy möchte Ihnen etwas zeigen.« Danny stürzte nicht zu dem Piloten. Es spricht manches dafür, daß man mich nur wieder für irgendeine Hilfstätigkeit braucht, dachte er. Das hat Zeit, bis ich etwas gegessen habe, wenn gleich das Essen nicht sehr viel mehr Spaß macht als Latrinen zu graben, überlegte er sich, während er beharrlich einen garantiert vollständigen Tagesbedarf an lebenswichtigen Vitaminen und Mineralen kaute. Aber das war es nicht, was Kappeljuschnikow im Sinn hatte. »Ist eine Weile keine Körperarbeit mehr für Sie und mich, Danny«, sagte er grinsend. »Bin jetzt geehrt durch Ernennung für Chefmeteorologe. Muß mehr Wasserstoff machen, um Winde zu messen, und Sie helfen.« »Das Gewitter hat Harriet schwer aus der Fassung gebracht«, riet Dalehouse. »Gasha? Ja, das will sie, besseres Wettervoraussage. Aber was ich will, ist exotisches Reise zu fernen Orte. Sie werden sehen.« Kappeljuschnikows Destillierapparat war auf Sonnenenergie umgestellt worden, ein Trog voll Brackwasser aus dem See befand sich zwischen V-Reflektoren aus Aluminium, und der Wasserdampf wurde von einer Plastikplane darüber aufgefangen. Die Tropfen glitten in einen Tank, und ein Teil des Frischwassers wurde durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff auf gespalten. Vom Wasserstoff-Kollektor, einem nahtlosen Kunststoffballon, pumpte ein kleiner Generator, der in regelmä ßigen Abständen ansprang, das Gas in einen dicken Metallzylin
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der. Kappeljuschnikow prüfte den Druckmesser und nickte feierlich. »Ist genug. Sie gehen jetzt Theodolit von Chef Gasha borgen. Nicht abweisen lassen, dann zeige ich Ihnen, was Sie wird baß erstaunen.« Zum Glück für Dalehouse war Harriet irgendwo anders, als er den Theodoliten holte, ein kleines Teleskop, das wie ein Vermessungsinstrument aussah. Bis er es zurückbrachte, hatte Kappeljuschnikow einen Plastikballon mit Wasserstoff gefüllt und glich geschickt den Auftrieb mit dem Gewicht eines Silberrubels aus. »Mein Talisman«, sagte er verträumt. »Ja, schön. Sie haben Bleistift?« »Was ist ein ›Bleistift‹? Ich habe einen Kugelschreiber.« »Sie sich nicht machen lustig über altmodische sowjetische Werte«, sagte Kappeljuschnikow streng. »Wenn ich Ballon loslasse, Sie schauen auf Uhr. Alle zwanzig Sekunden Sie mir rufen zu, ich sage Meßwert, Sie schreiben auf. Verstanden? Okay, loslassen!« Der kleine Ballon schnellte nicht aus Dalehouses Fingern davon, er schwebte nur hinauf und schwankte leicht, als Luftströmungen ihn erfaßten. In der Stille nach dem Sturm gab es keinen starken, vorherrschenden Wind, den Dalehouse spüren konnte, aber er sah, daß der Ballon hin und her wanderte. Bei jedem Zeitabstand las Kappeljuschnikow senkrechten Anstieg und Neigung ab. Nach der siebten Messung begann er zu fluchen, und nach der neunten richtete er sich mit finsterer Miene auf. »Ist nichts! Lausiges Kungsohn-Licht, kann ich nichts sehen. Nächstesmal wir binden Kerze an.« »Schön, aber würden Sie mir vielleicht verraten, was wir da machen?« »Höhenwinde messen, lieber Danny. Sehen, wie Ballon Kurve
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macht und zurückkommt? Wind in verschiedene Höhen bläst in verschiedene andere Richtung. Ballon folgt. Wir folgen Ballon. Jetzt wir bringen Messungen in System, und ich Sie bald tief erstaunen mit mehr über Klung-Windströmungen, als Sie wollen wissen.« Dalehouse starrte mit zusammengekniffenen Augen in die Richtung, wo der Ballon in der Düsternis verschwunden war. »Wie machen wir das?« »Oh, Danny, Danny! Wie unwissend ihr Amerikaner seid! Einfaches Trigonometrie. Ich habe senkrechte Ansteigen von Ballon nach zwanzig Sekunden, richtig? Also ich habe ein Winkel von rechtwinklige Dreieck. Zwei Winkel muß haben neunzig Grad – Sie verstehen, das so ist? Sonst wäre kein rechtwinklige Dreieck. Also gibt mir einfache Abzug von hundertachtzig letzte Winkel, und ich habe Dreieck genau beschrieben, bis auf Länge von Seiten. Okay. Jetzt ich gebe eine Länge der ersten Seite, und einfaches Umformung – « »Halt mal! Sie haben ja gar nichts gemessen. Woher haben Sie die Länge der einen Seite?« »Höhe von Ballon nach zwanzig Sekunden, natürlich.« »Aber woher wissen Sie – « »Ah«, sagte Kappeljuschnikow selbstzufrieden, »das ist, warum Sorgfalt so wichtig bei Auswiegen von Ballon. Wenn feststeht Auftrieb, Ballon steigt mit feststehende Geschwindigkeit. Auftrieb entspricht eine Silberrubel, und so ist Aufstieg für jede zwanzig Sekunden neunkommasiebendrei Meter. Wir stellen jetzt an Rechnung für Neigung und haben fixe Position von Ballon in drei Dimensionen. Kommen Sie, wir gehen weiter, während wir reden.« Er nahm Danny die notierten Meßdaten ab und überflog sie stirnrunzelnd. »So gräßliches Schrift«, beklagte er sich. »Trotzdem kann ich vielleicht gut genug lesen, um in Computer zu geben. Ist sehr leichte Berechnung.« »Warum brauchen Sie dann einen Computer?«
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»Ach, ich könnte leicht selbst berechnen. Aber Computer braucht Übung. Warten Sie mal, Danny.« Während der Russe an der Tastatur vor sich hin murmelte, steckte Harriet den Kopf in das Zelt. »Was macht ihr da?« fragte sie scharf. »Wichtiges wissenschaftliches Forschung«, sagte Kappel juschnikow locker, ohne den Kopf zu heben. Zu Dannys Überraschung reagierte die Dolmetscherin nicht. Sie wirkte mürrisch, verwirrt und unglücklich – kein auffälliger Unterschied zu ihrem sonstigen Aussehen, aber ihr normales Gebaren war erheblich schärfer als ihr Verhalten jetzt. Sie kam still ins Zelt, setzte sich und blätterte niedergedrückt in ihren Übersetzungs notizen. »Hab’ es!« rief der Pilot freudig und drückte auf eine Befehls taste. Die Flüssigkeitskristalle über dem Computer ließen farbige Lichtblitze aufzucken, dann zeigten sie ein Muster von Windrich tungspfeilen. »Spektrumfarben«, erklärte Kappeljuschnikow. »Rot ist am tiefsten, bis hinauf zu frische Grasgrün für das Höchste. Seht ihr? In fünfzig Meter Wind Richtung einsfünfundvierzig Grad, acht km/h. In hundert Meter auf fünfundneunzig Grad und jetzt fünfzehn Kilometer. Und so weiter. Triumph sowjetischer Technologie.« Dalehouse nickte anerkennend. »Das ist ja sehr hübsch, aber wozu wollen wir das wissen?« »Meteorologie«, sagte Kappeljuschnikow grinsend, zwinkerte und wies mit dem Kopf auf Harriet. Sie platzte heraus: »Hören Sie auf damit, Wissarion! Ich bin nicht in der Stimmung, mich von Ihnen verspotten zu lassen. Verraten Sie Dalehouse Ihren wirklichen Grund.« Der Russe wirkte überrascht und ein wenig nachdenklich, aber er zuckte die Achseln. »Also gut. Arme Amerikaner, Danny, ihr seid hilflos ohne eure
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Maschinen. Aber ich nicht. Ich bin Pilot. Ich will nicht sein Erdwurm wie eines von Wesen, auf das wir in Ihre Latrine scheißen, Danny. Ich will etwas zu fliegen. Sie geben mir kein Treibstoff. Sie geben mir kein Baumaterial für Segelflugzeug – wäre einfach, bis auf Start; genug Wind hier. Aber Gasha sagt nein, was ich kann tun? Ich schaue hinauf und sehe Bai-Ions am Himmel fliegen und sage, ich werden auch Ballonfahrer.« Er hieb mit der Faust auf den Computer. »Habe Gas. Habe Navigations daten für Winde in Höhe. Habe sowjetische Know-how. Habe auch Vorteil von niedrige Schwerkraft und hohe Luftdruck. So mache ich kleine Ballon, groß genug für mich, und bin wieder Pilot.« Dalehouse wurde von der Begeisterung angesteckt. »Mensch, das ist großartig! Geht denn das?« »Natürlich geht das!« »Wir könnten ihn verwenden, um hinter den Ballons herzuflie gen. Nah an sie heranzukommen. Harriet, hören Sie das? Dann bekämen wir Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen.« »Das ist gut«, sagte sie, und Dalehouse sah sie schärfer an. »Was ist los?« fragte er. »Ich habe das Funkgerät gefunden«, sagte sie. »Das vom Wind verweht worden ist?« Sie lachte wie eine Figur in einer Witzzeichnung: »He, he he.« »Da muß man schon richtig blöd sein, um das zu glauben. Wie könnte es verweht werden? Das verdammte Ding wiegt zwanzig Kilo. Ich bin auf den Gedanken gekommen, daß es vielleicht sendet, habe gelauscht, und so war es. Ich habe es mit Funkpeilung versucht und es sofort geortet. Direkt unter dem Boden«, sagte sie und starrte die beiden an. »Das verdammte Ding ist direkt unter uns im Boden.« Eine Minute blieb eine Minute. Danny vergewisserte sich, weil er zu zweifeln begonnen hatte. Sein Puls betrug nach der Uhr
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immer noch zweiundvierzig in sechzig Sekunden. Er konnte seinen Atem drei Minuten und vielleicht noch etwas länger anhalten. Die kleine Münze der Zeit hatte ihren Wert nicht verändert. Aber eintausendvierhundertvierzig Minuten schienen keinen Tag mehr auszumachen. Manchmal kam es einem vor, als wäre ein ganzer Tag vergangen, und die Uhr registrierte nur sechs oder sieben Stunden. Manchmal hatte er das Gefühl, müde zu sein, und die Uhr zeigte ihm, daß seit seinem letzten Schlaf mehr als dreißig Stunden vergangen waren. Harriet versuchte gereizt, sie alle in einem festen Zeitplan zu halten, nicht, weil es notwendig erschien, sondern weil es einfach ordentlich war. Sie scheiterte aber. Innerhalb – welcher Zeit? einer Woche? – schliefen sie, wann sie wollten, und aßen, wann sie Hunger hatten; den Ablauf der Zeit maßen sie, wenn überhaupt, an Ereignissen. Der erste Beinahe-Besuch von Ballon-Wesen kam nach dem großen Sturm und bevor die Vaus Verstärkung erhielten. Der Zeitpunkt, zu dem Kappeljuschnikow das verschwundene Funkgerät für Harriet mit Triangulierung ortete und entdeckte, daß es sich mindestens zwanzig Meter unter dem Boden befand, war kurz nachdem sie ihre ersten Berichte und Laborproben zur Erde zurückschickten. Und die Zeit, als die Ballon-Wesen sie besuchten – Das war eine ganz andere Sache, die Art von Ereignis, die alles zuvor und danach verändert. Dalehouse erwachte, mit den Gedanken im Himmel. Er machte seine Arbeit. Er half Morrissey, seine Fallen zu überprüfen, kochte sich eine Mahlzeit aus Trocken-Eintopf, reparierte ein Ventil in der Duschzelle am See. Aber woran er dachte, das waren Kappeljuschnikows Ballons. Danny hatte ihm die große einzelne, wasserstoffgefüllte Hülle ausgeredet: zu groß; zu plump; zu mühevoll herzustellen, und vor allem zu groß die Gefahr, daß der Insasse umkam, wenn sie von irgend etwas durchbohrt werden sollte. Sie hatten also sorgfältig hundert kleine Hüllen aufgeblasen, und der Russe hatte ein Netz angefertigt, um sie zusammenzuhalten. Der zusammenaddierte Auftrieb hing ganz vom eigenen Belieben ab. Alles, was er
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erforderte, waren mehr Ballons; man konnte sie, wenn man wollte, so vervielfachen, bis sich das ganze Lager hochheben ließ. Aber wenn einer oder zwei platzten, bedeutete das keinen toten Luftschiffer. Der Passagier würde vergleichsweise langsam herunterkommen – oder, um genauer zu sein, sie hofften, daß er langsam herunterkam. Er mochte sich weh tun. Aber wenigstens würde er nicht plattgequetscht die Landschaft von Klung verunstalten. Kappeljuschnikow erlaubte Danny nicht, die letzten Stufen von Aufblasen und Zusammenbinden der Ballons zu übernehmen. »Ist mein Genick, lieber Danny, also muß ich dafür sorgen, alles in Ordnung.« »Aber Sie brauchen so verdammt lange. Lassen Sie mich mithelfen.« »Njet. Ist ganz klar«, sagte der Pilot grinsend, »daß Sie glauben, bald auch mit meine Ballon fliegen. Vielleicht. Aber diese Mal ich bin einziges Fracht. Und außerdem müssen noch gemacht sein Auftriebsversuche. Bis dahin ich fliege nicht einmal selbst.« Dalehouse entfernte sich mürrisch. Er war nun – wie lange auch immer – auf Klung; mindestens zwei Wochen. Und der Verfasser von Vorbereitende Studien über einen ersten Kontakt mit subtechnologischen intelligenten Wesen wartete immer noch auf seine erste Begegnung mit einem subtechnologischen intelligenten Wesen. Oh, gesehen hatte er sie. Es gab Wühler unter seinen Füßen, und er war sicher, kurz etwas gesehen zu haben, als Morrissey unter einem mutmaßlichen Tunnel eine kleine Sprengladung gezündet hatte. Der Krinpit war eine halbe Stunde lang sein Mitfahrer gewesen. Und die Bai-Ion-Wesen schwebten oft am Himmel, wenn auch selten in der Nähe. Drei verschiedene Rassen für Studium und Umgang! Und das Produktivste, was er bisher geleistet hatte, war das Ausheben einer Latrine. Er ging in Harriets Zelt, in der Hoffnung, sie hätte auf wunder
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same Weise einen Riesensprung zum Verständnis einer der Sprachen getan – wenn es Sprachen waren. Sie war nicht da, aber ihre Tonbänder. Er spielte die besten davon immer wieder ab, bis Kappeljuschnikow fluchend und fröhlich hereinkam. »Bodenversuch ist gut. Auftrieb genug. Jetzt lassen wir ganzes Mischmasch eine Zeit sitzen und sehen nach Lecks. Gefällt Ihnen Konzert von fliegenden Freunden?« »Es ist kein Konzert, sondern eine Sprache. Ich glaube, es ist eine Sprache. Es sind keine beliebigen Vogelrufe. Man kann sie in Akkorden und Harmonien singen hören. Es ist eher chroma tisch als – verstehen Sie etwas von Musiktheorie?« »Ich? Bitte, Danny. Ich bin Pilot, kein langhaariges Fiedelspie ler.« »Na ja, jedenfalls ist es eher chromatisch als diatonisch, aber die Harmonien sind da, nicht allzuweit von dem entfernt, was man, sagen wir, bei Skriabin hört.« »Guter Komponist«, sagte der Russe strahlend. »Aber sagen Sie. Warum hören Sie Bänder, wenn Sie Wirkliches draußen haben?« Danny hob verblüfft den Kopf. Es war richtig. Manche der Laute, die er hörte, kamen von irgendwo außerhalb des Zeltes. »Außerdem Sie machen Gashas Reisschüssel kaputt«, fuhr Kappeljuschnikow streng fort. »Sie ist Dolmetsch, nicht Sie, und sie ist sehr schwierige Dame. Kommen Sie und hören Sie sich Ihre rosaroten und grünen Freunde an.«
Die Ballon-Wesen waren noch nie so nah gewesen, noch nie so viele. Das ganze Lager starrte zu ihnen hinauf. Es waren Hunderte, so viele, daß sie einander und einen Teil des Himmels verdeckten. Die rote Glut von Kung schimmerte schwach durch sie hindurch, wenn sie an seiner Scheibe vorbeiflogen, aber die meisten leuchteten selbst, vorwiegend, wie Kappeljuschnikow gesagt hatte, rosarot und hellgrün. Ihr Gesang war laut und klar.
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Harriet war schon zur Stelle; das Mikrofon war aufgebaut, um jeden Ton einzufangen, während sie mit einem Ausdruck des Ekels kritisch zuhörte. Das hatte aber nichts zu bedeuten. Sie sah immer so aus. »Warum so nah?« staunte Dalehouse. »Ich will auch nicht zerbrechen Ihre Reisschale, lieber Danny. Sie sind Fachmann. Aber ich halte für möglich, daß ihnen gefällt, was wir für Hubschrauberpilot haben aufgebaut.« Und Kappel juschnikow zeigte zu dem Takt-Peilfeuer auf dem Turm hinauf. »Hm.« Danny überlegte kurz. »Mal sehen. Tun Sie mir einen Gefallen und holen Sie einen der Suchscheinwerfer. Wir können sie dann besser sehen, und vielleicht kommen sie sogar noch näher.« »Warum nicht?« Der Russe verschwand im Vorratszelt und kam mit einem tragbaren Schweinwerfer in der einen und den Batterien in der anderen Hand zurück. Er fluchte, als er sich bemühte, nicht über die Kabel zu stolpern. Er arbeitete daran herum, und der gebündelte, weiße Lichtstrahl erstreckte sich plötzlich zum Horizont, um danach zu den Ballons hinauf zutanzen. Er schien sie zu erregen. Ihre Zirp-, Quietsch-, Bläh und Cellolaute vervielfältigten sich in verschlungener Weise, und sie schienen dem Strahl zu folgen. »Wie machen sie das?« sagte Harriet gereizt. »Sie haben keine Flügel oder sonst was, das ich sehen könnte.« »Genauso wie ich, liebe Gasha«, sagte der Russe dröhnend. »Hinauf und hinab, bis sie finden eine richtige Luftstrom. Da, Sie halten Licht. Ich muß beobachten Experten und lernen.« Die Ballons kamen näher. Offenbar lockte das Licht sie an. Nun, da es hell genug war, die Farben deutlich hervortreten zu lassen, war die Vielfalt ihrer Muster auffällig. Es gab wolken ähnliche Wirbel, breite Streifen, Schraffierungen, Tarnbemalung, die der im Ersten Weltkrieg verwendeten glich. »Seltsam«,
sagte
Dalehouse
und
starrte
den
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Schwarm
sehnsüchtig an. »Wozu haben sie alle diese Farben, wenn sie sie die meiste Zeit nicht sehen können?« »Ist Ihre Meinung, daß sie nicht können sehen«, sagte Kappeljuschnikow. »Licht ist für uns sonderbar wie Saft von rote Bete, wir sehen nur das Rote. Aber für sie ist vielleicht – Ho, Morrissey! Gut getroffen!« Dalehouse sprang einen Viertelmeter hoch, als das einzige Schrotgewehr im Lager hinter ihm losging. Über ihnen sank eines der Ballon-Wesen in Spiralen zu Boden. »Ich hole«, schrie Kappeljuschnikow und hetzte los, um es aufzufangen. »Was, zum Teufel, haben Sie gemacht?« schrie Dalehouse wütend. Der Biologe sah ihn verblüfft und erschrocken an. »Ein Probeexemplar geschossen«, sagte er. Harriet lachte unfreundlich. »Schämen Sie sich, Morrissey. Sie haben Dalehouses Erlaubnis nicht eingeholt, einen seiner Freunde abzuschießen. Das ist der Preis, den man dafür entrichtet, wenn man Spezialist für intelligente Wesen ist: Man verliebt sich in seine Versuchs wesen.« »Seien Sie nicht eklig, Harriet. Meine Aufgabe ist schwer genug, und mit solchen Dingen wird sie unmöglich. Auf sie zu schießen, ist der sicherste Weg, sie zu vertreiben.« »Na sicher, Dalehouse. Jeder sieht doch, daß sie vor Entsetzen auseinanderstieben, nicht?« Sie wies beiläufig auf den Schwarm, der noch immer im Licht durcheinanderschwebte und sang. Kappeljuschnikow kam mit einem gummiartigen Sack über der Schulter zurück. »Mußte fast einen von Ihren Krinpit-Freunden abwehren, um das zu holen«, knurrte er. »War groß, scheußliche Ding. Weiß nicht, was ich hätte gemacht, wenn er wirklich hätte gewollt
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streiten. Aber er ist davongelaufen.« »Hier gibt es keine Krinpits«, sagte Harriet scharf. »Jetzt schon, Gasha. Schon gut. Sehen Sie, wie hübsch unser neue Haustier.« Das Wesen war nicht tot. Es schien nicht einmal verwundet zu sein, jedenfalls sah man kein Blut. Die Schrotkugeln hatten ein Loch in die Gashülle gerissen, sonst nichts. Das kleine Gesicht zuckte wie das einer vollgesaugten Zecke, und riesengroße Augen starrten sie an. Es gab ganz schwache Laute von sich, so, als ächze es. »Ekelhaft«, sagte Harriet und wich zurück. »Warum schreit es nicht?« »Wenn ich die Antwort auf solche Fragen wüßte«, sagte Morrissey, während er sich neben dem Wesen auf ein Knie niederließ, um es genauer betrachten zu können, »würde ich keine Exemplare einfangen müssen, nicht? Aber ich schätze, das würde es tun, wenn ich ihm nicht die Luft weggeschossen hätte. Ich glaube, es benützt den Wasserstoff dazu, Laute hervorzu bringen. Weiß Gott, was es atmet. Muß natürlich Sauerstoff sein, aber – « Er schüttelte den Kopf und schaute hinauf. »Vielleicht sollte ich noch ein paar holen.« »Nein!« »Mensch, Dalehouse! Wissen Sie, Harriet hat recht mit Ihnen. Na ja – ich weiß. Wenigstens wollen wir sehen, wie phototrop sie sind. Geben Sie mir die Patronen.« Kappeljuschnikow gab ihm den Munitionsgürtel aus Kunststoff, und Morrissey kramte darin herum, bis er eine Leuchtpatrone fand. »Sie zünden sie an, Morrissey! Das ist Wasserstoff in den Ballons!« »Ach, Herrgott noch mal.« Aber der Biologe zielte sorgfältig an dem Schwarm vorbei. Immer mehr von ihnen schwebten in den Lichtstrahl hinein, der jetzt, nachdem Harriet den Scheinwerfer auf den Boden gestellt hatte, gerade in den Himmel ragte,
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während der ganze diffuse Schwarm sich zu einer dichten Masse vereinigte. Als die Leuchtkugel barst, schien der ganze Schwarm wie ein einziger Organismus zu zucken. Sie flogen nicht darauf zu. Sie blieben zusammengedrängt in einer ellipsoidenförmigen Masse an der Achse des Lichtstrahls, aber ihr Gesang steigerte sich zu einem wilden Kreszendo, und innerhalb des Schwarms schien eine systematische Umformung vorzugehen. Die kleineren und weniger hell gefärbten Exemplare sanken tiefer, die größeren und bunteren stiegen nach oben. Dalehouse starrte fasziniert hinauf, so hingerissen, daß er nicht einmal bemerkte, wie feucht und klebrig sein Gesicht war, bis Kappeljuschnikow erstaunt brummte. »He! Regnet es?« Aber es war kein Regen. Es war süß und scharf auf ihren Lippen, mit einem Nachgeschmack, der animalisch und streng war; es fiel wie sanfter Tau auf ihre emporgerichteten Gesichter und haftete an ihrer Haut. »Nicht schlucken!« schrie Morrissey in verspäteter Panik. Aber einige leckten schon ihre Lippen ab. Nicht, daß das eine Rolle gespielt hätte, dachte Dalehouse, sie waren beinahe durchtränkt davon. Wenn es giftig sein sollte, waren sie alle erledigt. »Ihr Narren!« rief Harriet und stampfte mit dem Fuß auf. Sie war nie anziehend gewesen, und jetzt sah sie aus wie eine Hexe, ihr fahles Gesicht war verzerrt, die schiefen Zähne bleckten. »Wir müssen das Zeug abwaschen. Kappeljuschnikow, Sie und Morrissey holen sofort eimerweise Wasser!« »Da, Gasha«, sagte der Pilot verträumt. »Sofort!« kreischte sie. »Oh, natürlich, sofort.« Er entfernte sich ein paar Schritte, blieb stehen und blickte kokett über die Schulter. »Aljuscha, Liebste. Du mir helfen, wichtige Wasser sofort holen?« Die Navigatorin lächelte geziert. Sie antwortete auf russisch,
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worauf Kappeljuschnikow grinste und Harriet fluchte. »Wißt ihr Tölpel denn nicht, daß wir alle in Gefahr sind?« schrie sie und griff flehend nach Dalehouses Hand. »Sie waren immer netter zu mir als diese anderen Dreckskerle, Danny. Helfen Sie mir, Wasser zu holen.« Er erwiderte den Druck ihrer Hand und flüsterte: »Verdammt, ja, Schatz, holen wir Wasser.« »Danny!« Aber sie war nicht mehr wütend. Sie lächelte und ließ sich von ihm zum See ziehen. Er fuhr wieder mit der Zunge über die Lippen. Was immer der Tau auch sein mochte, je mehr er davon schmeckte, desto besser gefiel er ihm: nicht süß, nicht scharf, nicht wie Obst oder Fleisch, nicht wie Blumen. Es war wie nichts, was er je zuvor geschmeckt hatte, aber er wollte mehr davon. Er sah Harriet mit ihrer spitzen Zunge ihre eigenen schmalen Lippen berühren und wurde plötzlich von dem Drang ergriffen, den Klung-Tau von ihrem Mund zu küssen. Er fühlte, wie die feuchte Wärme in ihm aufstieg, und packte sie fest um die Hüften. Sie küßten sich verzweifelt und rissen einander die Kleidung herunter. Sie kamen gar nicht auf den Gedanken, sich zu verstecken. Es scherte sie nicht, was die anderen in der Expedition von ihnen halten mochten, und die anderen kümmerten sich ebensowenig um Harriet und Dalehouse. Paarweise und in Gruppen lag die ganze Expedition am Boden, in einem Massenausbruch der Kopulation, während über ihnen die tanzenden Ballon-Wesen sangen und durch den Lichtstrahl schwebten und ihr sanfter Tau auf die menschlichen Wesen unter ihnen herabtroff.
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VII
TechTurmTwo breitete sich über dem Ufer des Charles River aus, mehr als der doppelte Kubikinhalt aller alten Backstein gebäude zusammengenommen. Im Technologie-Turm Zwei gab es keine Hörsäle. Es gab auch keine Verwaltung. Alles diente der Forschung, von den Computeranlagen in den Tiefkellern bis zu den Solarstrahlungs-Experimenten, die das Dach mit Schüsseln und Frackschleifen schmückten. Das Massachusetts Institute of Technology verfügte über eine lange Tradition der Mitarbeit an der Weltraumforschung, die bis in eine Zeit zurückreichte, als es sie noch gar nicht gegeben hatte. Oder keine, die auf bedrucktem Papier stattgefunden hätte. Schon in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts hatte es eine Entwurfs-Klasse gegeben, deren ganzer Lehrplan sich um die Erzeugung von Produkten für den Export zu den Bewohnern des dritten Planeten um den Stern Arcturus gedreht hatte. Die Tatsache, daß es keinen bekannten Planeten des Arcturus gab, geschweige denn Bewohner, störte weder Lehrer noch Studen ten. Tech-Personal war es gewöhnt, auf Anforderung der Phantasie die Zügel schießen zu lassen. In der CambridgeGemeinschaft, die sich um M.LT. Harvard, die Garden StreetObservatorien und das ganze Wunderland der Staatstraße 128 scharte, hatte es Konstrukteure von interstellaren Raumfahrzeu gen gegeben, bevor der erste Sputnik in eine Umlaufbahn geschossen wurde. Margie Menninger hatte dort sechs Monate Graduiertenstudium getrieben, zwischen Tech und Harvard hinund herhetzend. Sie hatte großen Wert darauf gelegt, ihre Verbindungen aufrechtzuerhalten. Die Frau, die Margie sprechen wollte, war eine frühere Präsi dentin der MISFITS und wäre damit eine Macht in der Tech-Welt selbst dann gewesen, wenn sie nicht auch noch den Titel eines zweiten College-Dekans getragen hätte. Sie hatte auf Margies Bitte ein Arbeitsfrühstück anberaumt und fünf Abteilungsleiter mitgebracht. Der weibliche Dekan stellte sie der Reihe nach am Tisch vor
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und sagte: »Machen Sie’s jetzt gut, Margie. Abteilungsleiter sind nicht begeistert davon, so früh aufstehen zu müssen.« Margie probierte ihre Rühreier. »Bei dieser Art von Nahrung kann ich es ihnen nicht verden ken«, meinte sie und legte ihre Gabel weg. »Ich will gleich zur Sache kommen. Ich habe etwa zehn Minuten Holo-Aufnahmen der Autochthonen von Kungs Sohn, alias Klung. Kein Ton. Nur Bilder.« Sie beugte sich zur Anrichte zurück und drückte auf eine Taste, und aus dem rötlichen Leuchten entstand das erste holographische Bild. »Sie haben das alles vermutlich schon gesehen«, sagte sie. »Das ist ein Krinpit. Sie sind eine von drei intelligenten oder jedenfalls möglicherweise intelligenten Arten auf Klung, und die einzige davon, die Städte kennt. Sie werden gleich einige von den Gebäuden sehen. Sie sind oben offen. Offenbar achten die Krinpits kaum auf das Wetter. Warum sie überhaupt Gebäude haben, weiß keiner, aber sie sind da. Sie scheinen die Rasse zu sein, mit der es am leichtesten fallen müßte, Handel zu treiben, aber leider haben die Vaus da einen Vorsprung. Wir werden jedoch sicher aufholen.« Die Leiterin der Entwurfs-Abteilung war eine schmale, junge Farbige, die sich beim Frühstück auf Orangensaft und Kaffee beschränkt hatte und schon fertig damit war. »Worin aufholen, Captain Menninger?« fragte sie. Margie schätzte sie ab und verweigerte den Kampf. »Für den Anfang, Doktor Ravenel, möchte ich, daß Ihre Leute Handelsgüter erschaffen. Für alle drei Rassen. Sie werden eines Tages unsere Kunden sein.« Der Wirtschaftler löste den Blick vom Hologramm eines KrinpitBootes, um Margie anzugehen. »Kunden, das bedeutet wechselseitigen Handel. Was, glauben Sie, werden diese, äh, Klunganer uns verkaufen können, das es wert wäre, über all diese Lichtjahre hinweg befördert zu werden?«
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Margie grinste. »Ich dachte schon, Sie fragen nie.« Sie griff nach einer Aktentasche, stellte sie auf den Tisch und schob den Teller mit den Rühreiern weg. »Bis jetzt haben wir eigentlich noch keine hergestellten Gegenstände«, sagte sie. »Aber sehen Sie sich das an.« Sie verteilte mehrere zehn Zentimeter große Quadrate aus einem dünnen, biegsamen Material. »Das ist der Stoff, aus dem die Wasserstoffhüllen der Ballon-Wesen sind. Es ist wirklich etwas ganz Besonderes – ich meine, es hält gasförmiges H2 mit weniger als ein Prozent Schwund innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Wir könnten davon viel liefern, wenn es einen bestimmten Markt dafür gäbe.« »Müssen Sie nicht ein Ballon-Wesen töten, um es zu erhalten?« »Gute Frage«, sagte Margie und nickte dem Wirtschaftler mit einem falschen Lächeln zu. »In Wirklichkeit, nein. Das heißt, es gibt andere, nicht-intelligente Rassen mit demselben Körper aufbau, obwohl diese Proben, soviel ich weiß, von einem der intelligenten Wesen stammen. Wie ist es mit einem Markt? Wenn ich mich recht entsinne, mußten die Deutschen den zweiten Rindermagen verwenden, als sie die ›Hindenburg‹ bauten.« »Verstehe«, sagte der Wirtschaftler ernsthaft. »Wir brauchen uns nur mit ein paar Zeppelinherstellern in Verbindung zu setzen.« Es gab ein allgemeines Gekicher. »Ich bin sicher, daß Ihnen etwas Besseres einfällt«, sagte Margie ruhig. »Ach, eines sollte ich noch erwähnen. Ich habe mein Scheckbuch mitgebracht. Ein Zuschuß der National Science Foundation für Forschung und Entwicklung wartet darauf, daß jemand ihn beantragt.« Und auch für diese Gabe dank’ ich dir, lieber Papa, dachte sie. Der Wissenschaftler war nicht Leiter einer großen Abteilung geworden, um nicht zu wissen, wann er den Rückzug antreten mußte. »Ich wollte Sie nicht abweisen, Captain Menninger. Das ist sogar eine sehr aufregende Herausforderung. Was haben Sie
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noch für uns?« »Nun, wir haben eine Reihe von Proben, die noch nicht sehr gründlich untersucht worden sind. Offen gesagt, sie sollten eigentlich gar nicht hier sein. Camp Detrick weiß noch nicht, daß sie fort sind.« In der Gruppe regte es sich. »Margie, ich glaube, wir haben alle dasselbe Bild vor uns, wenn Sie Camp Derrick erwähnen«, sagte die Fakultätschefin. »Besteht hier irgendein Zusammenhang mit biologischer Kriegführung?« »Auf keinen Fall! Nein, glauben Sie mir, das steht hier über haupt nicht zur Debatte. Ich verlasse manchmal den Dienstweg, gewiß, aber was, glauben Sie, würde man mit mir machen, wenn ich bei solchen Dingen gegen die Sicherheits-vorschriften verstoßen würde?« »Weshalb dann Camp Detrick?« »Weil das fremde Organismen sind«, erklärte Margie. »Bis auf die Probe von dem Ballon-Wesen-Gewebe werden Sie sehen, daß alles, was ich hier habe, in einem doppelt verpackten, hitze verschweißten Behälter ist. Die Außenseite ist mit Säure verätzt und UV-sterilisiert. Nein, warten Sie – «, sagte sie grinsend. Alle am Tisch hatten angefangen, ihre Fingerspitzen dem Tisch weg. [Kommentar des Scanners: So lautet der Satz im Buch wirklich. Liebe Leute @ Goldman, ihr braucht bessere K-Leser!] »Diese Ballon-Wesen-Proben sind ungefährlich. Der Rest vielleicht nicht in solchem Maß. Sie sind sehr gründlich untersucht worden. Es scheint keine Krankheitserreger oder Allergiestoffe zu geben. Aber Sie werden natürlich vorsichtig damit umgehen wollen.« »Vielen Dank, Captain«, sagte die Design-Leiterin steif. »Wie können Sie bei diesem Gewebe so sicher sein?« »Ich habe vor drei Tagen ein Stück davon gegessen«, sagte sie. Sie hatte jetzt die volle Aufmerksamkeit der anderen und fuhr fort: »Ich sollte darauf hinweisen, daß die Gelder, die zugeschossen werden, natürlich auch alles einschließen, was Sie
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benötigen, um jede Gefährdung zu vermeiden. Nun – das hier sind Pflanzenproben. Sie sind photosynthetisch, und ihre Hauptreaktion spielt sich im Infrarot-Bereich ab. Interessant für die Agronomen? Richtig. Und das hier sollen Kunstgegenstände sein. Sie stammen von den Krinpits, die aussehen wie zer quetschte Kakerlaken. Die Dinger ›singen‹ angeblich. Das heißt, wenn man ein Krinpit ist und sie an seiner Schale reibt, erzeugen sie interessante Töne. Wenn man keinen Chitinpanzer hat, nimmt man eine Kreditkarte.« Die Frau von der Entwurfs-Abteilung griff vorsichtig nach einem Exemplar und starrte in den durchsichtigen Behälter. »Sie sagten, Sie möchten, daß wir Handelsgüter erfinden.« »Gewiß.« Das letzte, was Margie aus der Tasche zog, war ein rotgebundenes, photokopiertes Dokument. Auf dem Einband prangten grell die Worte ›Streng geheim‹. »Wie Sie sehen können, ist das geheimes Material, aber das sind nur die MilitärSchrullen. In etwa zehn Tagen wird das ohnehin der UNO übergeben, jedenfalls das meiste davon. Es ist der ausführlichste Bericht, den wir über die drei Hauptrassen von Klung haben zusammenstellen können.« Alle sechs Fakultätsmitglieder am Tisch griffen gleichzeitig danach, aber die Design-Leiterin war die schnellste. »Hm«, sagte sie, als sie darin blätterte. »Ich habe einen graduierten Studenten, der das verschlingen würde. Kann ich es ihm zeigen?« »Mehr noch. Lassen wir diese Kopie und die Proben bei unseren Freunden, und wir beide gehen hin und sprechen mit ihm.« Fünfzehn Minuten später war es Margie gelungen, die Leiterin loszuwerden, und sie und ein schlanker, erregbarer junger Mann namens Walter Pinson steckten die Köpfe zusammen. »Glauben Sie, daß Sie das schaffen?« fragte Margie. »Ja! Ich meine, nun, das ist eine große Sache – « Margie legte die Hand auf seinen Arm.
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»Ich bin sicher, Sie können es. Ich wäre Ihnen aber wirklich dankbar, wenn Sie mir sagen würden, wie Sie das anstellen wollen.« Pinson überlegte kurz. »Nun, als erstes muß man sich überlegen, was für Bedürfnisse sie haben«, meinte er. »Das ist faszinierend. Es muß ziemlich schwierig sein. Ich wüßte kaum, wo ich anfangen sollte. Auf Anhieb würde ich sagen, ihr größtes Bedürfnis ist für sie alle, einfach am Leben zu bleiben. Wie Sie sehen werden, wendet alles auf dem Planeten viel von seiner Zeit dafür auf, alles andere zu fressen, einge schlossen die anderen intelligenten Rassen.« »Kannibalismus?« »Nun, ich glaube nicht, daß man es so nennen kann. Sie sind verschiedene Arten. Und es gibt eine Vielzahl anderer Gattun gen, die versuchen, die intelligenten zu fressen.« »Raubtiere«, sagte Pinson und nickte. »Nun, da ist schon ein Ansatzpunkt. Mal sehen. Für die Raubwesen wie die BallonGeschöpfe, zum Beispiel, würde alles, was sie in Brand setzte, helfen, die intelligenten Wesen zu schützen – natürlich müßten wir dafür sorgen, daß so etwas nur dazu verwendet wird, die intelligenten Wesen gegen niedere Lebensformen zu schützen«, fügte er stirnrunzelnd hinzu. »Selbstverständlich«, sagte Margie schockiert. »Wir wollen ihnen keine Waffen liefern, mit denen sie Krieg führen können.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Ich habe eine Idee, Walter. Ich habe noch nicht richtig gefrühstückt, und es wird bald Mittag. Warum gehen wir beide nicht irgend etwas essen? Ich kannte früher ein Lokal, als ich hier studierte. In einem ziemlich schäbigen alten Motel, aber das Essen war gut – wenn Sie Zeit haben, meine ich.« »Oh, Zeit habe ich«, sagte Pinson und sah sie wohlgefällig an. »Es ist oben hinter dem Harvard Square, wir sollten uns ein
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Taxi nehmen. Und bitte lassen Sie mich zahlen – ich habe ein Spesenkonto, und das sind ohnehin alles Ihre Steuergelder.« Als sie zum Lift gingen, drängte ein Schwarm von Studenten zu einem Hörsaal. Sie blickte hinüber und sagte: »Kennen Sie zufällig einen Studenten namens Lloyd Wensley? Ich glaube, er ist im ersten Semester.« »Nein, ich glaube nicht. Ein Bekannter von Ihnen?« »Eigentlich nicht – oder jedenfalls nicht mehr, seit er ein kleiner Junge war. Ich kannte seine Familie. Und nun zu diesen, äh, Selbstschutzanlagen – «
Einige angenehme Stunden später stieg Margie vor dem alten Motel in ein Taxi. Das Essen war zwar nicht mehr so gut gewesen, wie sie es in Erinnerung gehabt hatte, aber dafür entsprachen die Zimmer immer noch den Anforderungen. Als sie sich dem Harvard Square näherten, kam ihr ein Einfall. »Fahren Sie die Mass Avenue hinunter«, sagte sie zu ihrem Chauffeur. »Ich möchte einen kleinen Umweg machen.« Nach einigen Querstraßen ließ sie ihn abbiegen und schaute sich um. Sie erkannte die Gegend. Da war der Supermarkt. Da war Giordan’s Spa, und dort, über dem Friseurgeschäft (nur war das jetzt ein Metallwarenladen) war die Dreizimmerwohnung, wo sie mit Lloyd und dem kleinen Lloyd während der zehn Monate ihres Graduierten Jahres und ihrer Ehe gelebt hatte. Der alte Lloyd! Dreißig, als sie neunzehn gewesen, und im Offiziersklub so verdammt höflich, daß man sich niemals hätte träumen lassen, wie er im Bett war. Nicht einmal, wenn man ihn ein-, zweimal ausprobiert hatte, wie Margie es vorsichtshalber tat. Wenn sie jetzt nur zu ihrem Schlafzimmerfenster hinaufsah, schmerzte sie ihr Nacken bei der Erinnerung, mit dem Kopf in eine Ecke des Betts hineingezwängt gewesen zu sein, von Kissen halb erstickt, damit Lloyd sich so schnell wie möglich leerpumpen konnte. So oft wie möglich. Wann es ihm paßte. Man bat einen Spucknapf nicht um Erlaubnis, hineinspucken zu dürfen, so wenig wie eine
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Frau zum Sex. Der Spucknapf konnte sich nicht wehren, nicht, wenn man ihn genau richtig eingeklemmt hatte, und er schrie nicht auf. Ebensowenig die Ehefrau, vor allem, da der sechsjäh rige Stiefsohn gleich nebenan schlief, und das nicht richtig. Sie wies den Chauffeur an weiterzufahren. Es wäre nett gewesen, den kleinen Lloyd wiederzusehen, der jetzt ganz erwachsen war. Aber lieber nicht. Es war besser so. Sie hatte seit der Auflösung der Ehe beide Lloyds nicht mehr wiedergesehen, und es war nicht ratsam, das Schicksal zu versuchen. Es war ein recht erschreckendes, demütigendes Erlebnis für ein junges Mädchen gewesen; was für ein Glück, dachte Margie, daß ich nicht für immer Narben davongetragen habe! Als sie in ihr Hotel zurückkam, erwartete eine aufgezeichnete Nachricht ihres Vaters sie: »Hören heißt Gehorchen. Sieh dir eine Nachrichtensendung an.« Sie schaltete den Fernsehapparat am Bett ein, während sie packte, und suchte eine Station, die nur Nachrichten sendete. Sie wurde mit fünf Minuten über die neuesten politischen Korruptionsskandale in Boston belohnt, dann mit einem ausführlichen Interview über die Zukunft des neuen Schlag manns der Red Sox. Aber endlich kam eine Zusammenfassung der wichtigsten internationalen Meldungen: »Mit einem überraschenden Schritt heute morgen vor den Vereinten Nationen erklärte der Leiter der polnischen Delegation, Wladislas Prczenski, daß seine Regierung die Herausforderung angenommen hat, die in der Entschließung der Bengali enthalten ist. Die Mächte des Nahrungs-Blocks haben sich darauf geeinigt, einen Untersuchungsausschuß zu entsenden, der umfassende Vollmachten erhält, um die angeblichen Fälle brutaler Behand lung eingeborener Rassen auf dem launig ›Klung‹ oder ›Kungs Sohn‹ genannten Planeten zu untersuchen. Es werden der Kommission keine Vertreter der großen Mächte wie der Vereinigten Staaten oder der Sowjetunion angehören. Sie wird sich zusammensetzen aus Friedensbeamten der UNO von Polen
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selbst, Brasilien, Kanada, Argentinien und Bulgarien.«
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VIII
Danny Dalehouse griff hastig hin, um den Theodoliten zu packen, als er im weichen Boden kippte. Morrissey grinste und entschuldigte sich. »Muß das Gleichgewicht verloren haben.« »Oder Sie sind wieder high«, sagte Dalehouse. Er war wütend – nicht nur auf Morrissey. In seinem Innersten wußte er, daß sein Zorn sich in erster Linie auf die Tatsache richtete, daß Kappeljuschnikow flog und er nicht. »Jedenfalls haben Sie’s diesmal vermasselt. Warum schlafen Sie sich das nächstemal nicht aus?« Sie waren alle durch den Tau der Ballon-Wesen auf einen Trip gegangen, und tagelang danach hatten alle in Abständen wiederkehrende Anfälle von Wollust und Euphorie erlebt. Bei Morrissey waren sie nicht nur intensiver, Dalehouse war auch ziemlich sicher, daß der Biochemiker sich dem Stoff immer noch aussetzte. Er hatte entdeckt, daß irgend etwas im Samen oder Sperma der männlichen Ballon-Geschöpfe in hohem Maße halluzinogen war – mehr noch, es war das langgesuchte wahre Aphrodisia kum, legendär in Liedern und Geschichten. Es war nicht Morrisseys Schuld, daß seine Forschungsarbeiten ihn von Zeit zu Zeit davon fernhielten, aber er hätte nicht darauf bestehen sollen, bei den Theodolitenmessungen mitzuwirken. Hoch oben drehte sich Kappeljuschnikows Haufen grellgelber Ballons, als der Pilot damit experimentierte, seine Höhe zu kontrollieren, während er in den verschiedenen Schichten die Luftströmungen nützte. Wenn er damit fertig war, würden sie grundlegende Informationen besitzen, die ihnen erlaubten, durch den Himmel zu segeln. Dann würde Dalehouse an die Reihe kommen. Aber er hatte das Warten satt. »Cappy«, sagte er ins Funkgerät, »die Messungen sind futsch. Kommen Sie lieber wieder herunter.«
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Harriet kam auf sie zu, als Kappeljuschnikow sich meldete. Er sprach russisch; Harriet hörte es und zuckte gereizt zusammen. Das paßte zu ihr. Sie hat gräßlich auf das Ganze reagiert, dachte Dalehouse. Als sie nach dem ersten unfaßbaren Trip Bieder normal geworden war, hatte sie ihn angefaucht: »Sie Tier! Wissen Sie nicht, daß Sie mich hätten schwängern können?« Er war nie auf den Gedanken gekommen, um Erlaubnis zu fragen. Sie übrigens bei der Gelegenheit auch nicht. Es hatte keinen Zweck, sie daran zu erinnern, daß sie genauso wild gewesen war wie er. Sie hatte sich in ihre harte Schale der trotzigen Jungfer zurückgezogen. Und seither war sie zehnmal so abweisend gewesen wie vorher und fünfzigmal so bösartig zu jedem, der in ihrer Gegenwart sexuelle Bemerkungen machte oder, wie Kappeljuschnikow eben jetzt, auch nur völlig gerechtfertigt Schimpfworte gebrauchte. »Ich habe neue Bänder für Sie«, sagte Harriet naserümpfend. »Fortschritte?« »Gewiß gibt es Fortschritte, Dalehouse. Es besteht eindeutig eine klare Grammatik. Ich werde das ganze Lager nach der nächsten Mahlzeit informieren.« Sie sah hinauf zu Cappy, der sich ein letztes Mal mit seinen Ballons vergnügte, als ein halbes Dutzend der Klungschen Geschöpfe ihn umtanzte, und zog sich zurück. Eindeutig eine Grammatik. Nun, es hatte keinen Sinn, Harriet drängen zu wollen. ›Vorbe reitende Studien über einen ersten Kontakt mit subtechnologi schen intelligenten Wesen‹ schien eine Ewigkeit zurückzuliegen. Dalehouse zählte die Ergebnisse zusammen. Eindrucksvoll waren sie nicht. Sie hatten keinen Kontakt mit den krebsartigen Wesen herbeigeführt, die Krinpits genannt wurden, und mit den Wühlern auch nicht. Die Gasballons trieben sich viel hier herum, seit dem Tag, an dem sie die Expedition mit ihrem Tau benetzt hatten. Aber sie kamen nicht nah genug heran für jene Art von Kontakt, den Danny Dalehouse anstrebte. Sie hüpften und schwebten die meiste Zeit Hunderte von Metern hoch in der Luft
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und kamen nur tiefer herunter, wenn das Lager fast leer war oder alle schliefen. Ohne Zweifel waren sie durch Äonen der Gefährdung darauf gedrillt, am Boden lebende Wesen zu meiden. Aber für Danny war es schwer. Wenigstens hatten Richtmikrofone, wenn die Ballons in der Nähe waren, viel von ihrem lauten, gesungenen Dialog erfaßt – wenn es ein Dialog war. Harriet behauptete, sie könne Struktu rierung feststellen. Harriet sagte, es seien keine Vogel- oder Alarmrufe. Harriet sagte, sie werde ihm beibringen, mit ihnen zu reden. Aber was Harriet sagt, braucht man nicht immer zu glauben, dachte Danny Dalehouse. Und was er noch dachte, war, daß sie eine andere Dolmetscherin brauchten. Die Operation zur Hirndurchtrennung förderte die Lernfähigkeit für Sprachen, aber sie hatte auch einige Nachteile. Manchmal rief sie ungünstige körperliche Folgen hervor, einschließlich lang anhaltender Schmerzen. Ab und zu führte sie zu Persönlich keitsveränderungen. Und nicht immer war sie wirksam. Eine Person, die von Anfang an keine Begabung für das Erlernen von Sprachen besaß, bekam die Gabe auch im Operationssaal nicht mit. In Harriets Fall hätte Danny annehmen wollen, daß alle drei Dinge zutrafen. Sie hatten ohnehin alle Aufzeichnungen zur Erde überspielt. Früher oder später würden die großen Semantik-Computer an der Johns Hopkins-Universität und an Texas A & M in Aktion treten, und Harriets Talente, oder ihr Mangel, würden nicht mehr so sehr ins Gewicht fallen. Was Danny brauchte, oder was Danny zumindest wollte, so sehr, daß er sich danach verzehrte, war, da oben bei einem der Ballon-Wesen am Himmel zu sein, nur sie beide, um eine Sprache auf die gute, altmodische Weise zu lernen. Alles andere war ein Kompromiß. Sie hatten alles versucht, was mit ihren Mitteln möglich war. Freischwebende, instrumentierte Ballons mit programmierten Sensoren, die auf Lebensmerkmale reagierten; Wolfsfallen für die Krinpits; vergrabene Mikrofone für die Wühler; die Richtmikrofone und die Gummilinsen-Kameras für die Gassäcke. Sie hatten Kilometer Tonbänder, mit Bildern
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und Geräuschen aller Arten von springenden, kriechenden, sich schlängelnden Wesen, und in den ganzen endlosen Stunden fanden sich kaum zehn Minuten, die Danny Dalehouse etwas nützten. Immerhin, es war etwas erreicht worden. So viel, daß er zwei Berichte abfassen und zur Erde hatte zurückschicken können. Genug sogar für seine eifersüchtigen Kollegen, daß sie begierig alles verschlingen würden, wenn auch nicht genug, um Danny zu befriedigen. Auf jeden Fall lernte man, auch wenn viel davon ohne positiven Wert war. Das erste, was zugrunde ging, war die hübsche Fabel von drei unabhängigen intelligenten Rassen, die in einer Art nutzbringen der Kooperation und Harmonie lebten. Es gab keine Zusammen arbeit. Zumindest hatten sie keine Anzeichen dafür und viele dagegen gesehen. Die Wühler schienen zu den anderen überhaupt keine Beziehungen zu haben. Die Gassäcke und die Krinpits besaßen sie, aber keine gegenseitig förderlichen oder harmonischen. Die Ballon-Geschöpfe sanken nie auf den Boden herab, soviel Danny gesehen hatte, jedenfalls nicht mit Absicht. Es gab mindestens ein Dutzend Gattungen, die Ballon-Wesen genußvoll verspeisten, wenn sie ihrer habhaft werden konnten: glatthäutige braune Geschöpfe, die ein wenig wie Fledermäuse mit Stummelflügeln aussahen, froschartige Springtiere, kleinere Gliederfüßer wie die Krinpits – und nicht zuletzt die Krinpits selbst. Wenn ein Gassack je tief genug hinunterschwebte, daß einer davon ihn zu packen vermochte, war er tot. Das ganze Leben der Ballon-Wesen, vom Laich zum Futter, wurde somit in der Luft verbracht, und zuletzt landeten sie stets im Verdau ungstrakt irgendeiner am Boden lebenden Rasse; solch ein trauriges Ende für eine so schöne Spezies!
Kappeljuschnikow kam tief und schnell heran, von den Winden in geringer Höhe umhergestoßen. Er zog bei fünf Metern die Reißleine und fiel herab wie ein Stein, wobei er die Gurte abstreifte, um herunterzuspringen. Er überschlug sich ein
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paarmal auf dem Boden, stand auf, rieb sich die Arme und rannte hinter dem erschlafften Ballonhaufen her, den der Wind dahintrieb. Danny schnitt eine Grimasse, als er sich seinen eigenen ersten Flug vorstellte. Der allerletzte Teil der Ballonfahrt würde der schwierigste sein. Er half Cappy, die Ballons zu bergen, und ein Gewehrschuß neben seinem Kopf ließ ihn zusammenzucken. Er fluchte. Wütend fuhr er herum. »Was, zum Teufel, soll das, Morrissey?« Der Biologe präsentierte das Gewehr und grüßte den herab taumelnden Gassack. »Ich beschaffe nur ein neues Exemplar, Danny«, sagte er fröhlich. Er hatte Höhe und Winddrift präzise berechnet, und der erschlaffte Sack fiel fast genau vor ihren Füßen herunter. »Ach, Scheiße«, meinte er angewidert. »Noch ein Weibchen.« »Wirklich?« sagte Danny, vor sich etwas, das wie eine riesige Erektion aussah. »Sind Sie sicher?« »Hab’ mich auch täuschen lassen«, erklärte Morrissey grin send. »Nein, die mit den Knüppeln sind nicht die Männchen. Es sind keine Knüppel. Ich meine, keine Penisse. Diese Wesen betreiben die Liebe nicht wie Sie und ich, Danny. Die Weibchen spritzen ihre Eier gewissermaßen hinaus, daß sie in der Luft schweben, und dann kommen die Jungs daher und machen sich darauf einen ab.« »Wann haben Sie denn das alles herausgefunden?« Danny ärgerte sich; die Grundregel der Expedition schrieb vor, daß jede Entdeckung umgehend Gemeingut wurde. »Als Sie sauer auf mich waren, weil ich auf einem Trip gewesen bin«, sagte Morrissey. »Ich glaube, es hängt damit zusammen, wie sie ihren Wasserstoff erzeugen. Es scheinen Sonnenfackeln beteiligt zu sein. Als sie unsere Lichter sahen, dachten sie, das wäre eine – und deshalb laichten sie. Nur befanden wir uns
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zufällig darunter und wurden bespritzt mit, äh, mit – « »Ich weiß, womit wir bespritzt worden sind«, sagte Dalehouse. »Ja? Wissen Sie, Danny, als ich diese Laufbahn hörte sich das Sezieren von Labortieren reichlich öde jedesmal, wenn ich an eine der Sexdrüsen dieser herankomme, geht es los bei mir. Langsam gefällt Arbeit.«
einschlug, an – aber Männchen mir diese
»Aber müssen Sie sie deswegen alle umbringen? Sie verjagen den Schwarm. Wie soll ich dann Kontakt aufnehmen?« Morrissey grinste. Er antwortete nicht. Er deutete nur nach oben. Dalehouse mußte gerechterweise zugeben, daß er recht hatte. Welche Empfindungen die Gassäcke auch haben mochten, Angst und Furcht gehörten nicht dazu. Morrissey hatte fast ein Dutzend von ihnen abgeschossen, aber seit dem ersten Kontakt war der Schwarm fast unaufhörlich in Sichtweite geblieben. Vielleicht war es das Licht, das sie anzog. Im beständigen Zwielicht Klungs gab es keinen ›Tag‹. Das Lager hatte sich dafür entschieden, einen zu schaffen, und zwar durch das Einschalten einer ganzen Batterie von Scheinwerfern am willkürlich bestimmten ›Morgen‹, die dann zwölf Stunden später wieder abgeschaltet wurden. Eine Lampe brannte immer. Um Raubtiere fernzuhalten, sagten sie zu sich selbst, aber in Wahrheit, um die Urdrohung der Dunkelheit abzuwehren. Morrissey hob das Ballon-Wesen auf. Es lebte noch, und seine verrunzelten Züge bewegten sich lautlos. Einmal am Boden, gaben sie keinen Laut mehr von sich – weil der Wasserstoff, wie Morrissey sagte, der ihnen Stimme verlieh, verlorenging, wenn ihre Ballons platzten. Aber sie versuchten es immer noch. Das erste abgeschossene Wesen hatte noch über vierzig Stunden gelebt. Es war im ganzen Lager herumgekrochen, seinen grauen, eingefallenen Sack hinter sich herziehend, und hatte offenbar die ganze Zeit über Schmerzen gelitten. Dalehouse war froh gewesen, als es endlich gestorben war, und war jetzt froh, als Morrissey das neue in einen Tötungsbeutel für den Versand zur Erde steckte.
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Kappeljuschnikow kam herangehumpelt und rieb sich das Gesäß. »Ist immer Märtyrer, erster Flugpionier«, murrte er. »So, Danny Dalehouse. Wollen Sie jetzt hinauf?« Ein elektrischer Schlag durchzuckte Danny. »Jetzt, meinen Sie?« »Klar, warum nicht? Wind nicht schlecht. Ich mache mit, sobald zwei Ballons voll.«
Es dauerte länger, als Dalehouse es für möglich gehalten hätte, bis die kleine Pumpe zwei Ballontrauben gefüllt hatte, die groß genug für menschliche Passagiere waren – vor allem deshalb, weil die Pumpe ein hastig montierter, funkenloser Kompressor war, der ebensoviel Gas entweichen ließ, wie er in die Ballons pustete. Dalehouse versuchte zu essen, versuchte ein Schläfchen zu halten, versuchte sich für andere Projekte zu interessieren und kam immer wieder zu den angeseilten Ballontrauben zurück, die langsam aufquollen, während sie von den Kordelnetzen festgehalten wurden. Das Wetter hatte sich verschlechtert. Wolken bedeckten den Himmel von Horizont zu Horizont, aber Kappeljuschnikow war unbeirrbar optimistisch. »Wolken werden fortgeblasen. Ist sicher, daß Himmel klar wird.« Als sich die erste Rötung am Himmel zu zeigen begann, sagte er entschieden: »Jetzt okay. Anschnallen, Danny.« Mißtrauisch schnallte Danny das Geschirr an. Er war größer, aber leichter als der Russe, und Kappeljuschnikow maulte vor sich hin, als er den überschüssigen Wasserstoff entweichen ließ. »Sonst Sie sausen zurück zu State of Michigan, East Lansing, huiii!« erklärte er. »Aber nächstemal nicht verschwenden so viel Gas.« Das Geschirr hatte an den Schultern einen Schnellverschluß,
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und Dalehouse berührte ihn versuchsweise. »Nein, nein!« schrie Kappeljuschnikow. »Sie wollen ziehen, wenn Sie sind zweihundert Meter hoch, schön, ziehen Sie. Ist Ihr Genick. Aber vergeuden Sie Gas nicht umsonst.« Er führte Dannys Hände zu den beiden entscheidenden Leinen. »Ist nicht Muscheljet, verstanden? Ist Freiballon. Muscheljet braucht Auftrieb, zu sparen Treibstoff. Hier kein Treibstoff, nur Auftrieb. Hier Sie fliegen, wohin Wind geht. Wenn Richtung nicht gefällt, Sie suchen andere Wind. Lassen Ballastwasser ab, Sie gehen hinauf. Lassen Wasserstoff ab, Sie gehen hinunter.« Dalehouse zappelte im Geschirr. Das würde nicht viel Ähnlich keit mit dem Segelfliegen über dem Ostufer des Michigan-Sees haben, wo es stets Westwind gab, der an die steilen Klippen blies und ein Segelflugzeug Stunden in der Luft hielt. Aber wenn der Russe es konnte, würde er es auch können. Hoffe ich, dachte er, und sagte: »Gut, ich glaube, ich kenne mich aus.« »Dann los!« rief der Russe grinsend, als er in sein Geschirr schlüpfte. Er bückte sich, hob einen ziemlich großen Stein auf und bedeutete Danny, es ihm nachzumachen. Die anderen Mitglieder der Expedition traten zurück, aber einer von ihnen reichte Danny einen Stein, und auf Kappeljuschnikows Anwei sung hin lösten sie die Leinen. Kappeljuschnikow tanzte zu Danny hinüber, wie ein Taucher, der über den Meeresgrund stelzt. Er kam so nah heran, wie die Ballontrauben es zuließen, und starrte ihn an. »Alles in Ordnung?« Danny nickte. »Dann Stein fallen lassen, und es geht los!« rief Kappeljuschnikow. Und er warf seinen Stein weg und begann schräg aufwärts zu schweben. Dalehouse atmete tief ein und folgte seinem Beispiel, während er zusah, wie der Russe hinaufstieg. Nichts schien zu geschehen. Danny spürte keine Beschleuni gung, nur schienen seine Füße plötzlich gefühllos geworden zu sein, und es herrschte kein Druckgefühl unter den Sohlen. Da sein Blick auf Kappeljuschnikow gerichtet war, vergaß er
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hinunterzuschauen, bis er fünfzig Meter hoch schwebte. Sie trieben nach Süden, die Küste entlang. Hoch über ihnen, landeinwärts, über den purpurroten Hügeln, die den Rand des Farnwaldes bildeten, weidete der ausgedehnte Schwarm von Ballon-Wesen an den winzigen Organismen, die er in der Luft finden konnte. Darunter und dahinter lag das schrumpfende Lager. Danny war schon höher als die Bugspitze ihrer RückkehrRakete, dem höchsten Objekt darin. Auf der linken Seite lag die See mit zwei Inseln im schlammigen Wasser, die mit vielstäm migen Bäumen bedeckt waren. Er riß sich von der Betrachtung los; Kappeljuschnikow plärrte ihn an. »Was?« brüllte Dalehouse. Der Abstand hatte sich vergrößert; Cappy befand sich jetzt vierzig Meter über ihm und schwebte landeinwärts, offenbar in einer anderen Luftschicht. »Bißchen… Wasser… ablassen!« schrie der Russe. Dalehouse nickte und griff zaghaft nach der Ventilschnur. Er zog leicht daran. Nichts rührte sich. Er zerrte noch einmal, diesmal heftiger. Ein halber Liter Ballast spritzte aus dem Tank und durchnäßte ihn. Danny hatte nicht erkannt, daß der Passagier sich unmittelbar unter dem Ballasttank befand, und schwor sich, nach Luft ringend, dieses Konstruktionselement zu ändern, bevor er ein zweites Mal aufstieg. Aber er flog! Nicht mühelos. Nicht mit Anmut. Nicht einmal mit der unbehol fenen Steuerung, die Kappeljuschnikow sich beigebracht hatte. Die erste Stunde verbrachte er damit, Cappy durch den Himmel zu verfolgen. Es war wie bei einem der Spiele in einem Vergnügungspalast, wo man sich selbst auf einer anderen rotierenden Plattform befindet als die Freundin und keiner einen Schritt tun kann, außer von einer wirbelnden Scheibe zur
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anderen zu wechseln. Er fing den Russen nie ein, obwohl Kappeljuschnikow alles tat, um ihm die Jagd zu erleichtern. Nicht bei dieser ersten Gelegenheit. Aber – fliegen! Es war genau der Traum, den er immer gehabt hatte, der Traum, den jeder hat. Die totale Eroberung der Luft. Keine Düsen. Keine Flügel. Keine Motoren. Nur ein sanftes Dahinschwimmen im Luftmeer, ohne sich mehr anzustrengen als in einer Salzwasserbucht. Er schwelgte darin, und im Lauf der Zeit – nicht beim ersten Flug oder beim zehnten; aber der Vorrat an Wasserstoff war unbegrenzt, wenn auch nur langsam aufzufüllen, und er unternahm so viele Flüge, wie er konnte – begann er Geschick lichkeit zu erlernen. Und das Problem, die Gassäcke zu erreichen, erwies sich als gar keines. Er brauchte sie nicht zu suchen. Sie flogen viel geschickter als er, und sie kamen zu ihm, schwankten um ihn wie riesenhafte Kürbiskopflaternen, mit gräßlichen, zeckenartigen Gesichtern, starrten neugierig in sein Gesicht und sangen, sangen, oh, wie sie sangen!
In der nächsten Woche, oder was auf Klung als eine Woche galt, verbrachte Dalehouse jede freie Minute in der Luft. Das Leben im Lager lief fast ohne ihn ab. Selbst Kappeljuschnikow war mehr am Boden als er. Es gab dort nichts, was Dalehouse festhalten konnte, und er kam sich beinahe wie ein Fremder vor, wenn er landete, schlief, Blase und Därme entleerte, aß, seine Ballons füllte und wieder hinaufschwebte. Harriet fuhr ihn an, weil er an Übersetzung mehr verlangte, als sie leisten konnte. Der Campleiter beklagte sich bitter über die Energie verschwendung bei der Wasserstoff-Herstellung. Jim Morrissey flehte um Zeit und Unterstützung beim Sammeln und Studieren der anderen Lebensformen. Selbst Cappy war wegen der Überbeanspruchung seiner Ballons mürrisch. Danny kümmerte
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sich nicht darum. Am Himmel von Klung wurde er lebendig. Er entwickelte sich vom kraftlosen Eindringling zum geschickten Luftschiffer; vom Fremden beinahe zu einem Angehörigen des riesigen, dahintreibenden Schwarms. Er lernte, mit einigen der Gassäcke wenigstens ansatzweise Gedanken auszutauschen, vor allem mit dem größten von ihnen – zwei Meter Durchmesser, mit einem Muster, das beinahe wie Schottenkaro aussah; Danny nannte ihn ›Bonny Prince Charlie‹, da ihm jeder Hinweis darauf fehlte, wie der Gassack sich selbst nannte. Danny begann ihn beinahe als Freund zu betrachten. Wären nicht seine körperli chen Bedürfnisse und noch etwas Zusätzliches gewesen, er hätte sich kaum noch die Mühe gemacht, überhaupt ins Lager zurückzukehren. Das eine Zusätzliche war Harriet. Er kam ohne ihre Hilfe beim Dolmetschen nicht aus. Es war nicht genug. Er war überzeugt davon, daß vieles nicht stimmte. Aber es war alles, was er hatte bei dem Bemühen, sich mit diesen schönen und monströsen Wesen der Luft zu verständigen. Er tobte vor den anderen und beharrte darauf, daß seine Beschwerden zur Erde weitergeleitet wurden; er beleidigte sie fast bis zu Tränen – aus Augen, von denen er geschworen hätte, daß sie das vorher nie gekannt hatten. Es war nicht genug für seine Wünsche… aber Flug um Flug, Stunde um Stunde begann sich Kommunikation zu entwickeln. Man wußte nie, welche Kenntnisse nützlich sein mochten. Die langen Studien von Chomsky und der Transformations grammatik, die kritischen Untersuchungen von Lorenz und Dart, die Semester über Territorialität und Paarungsriten – am Himmel von Klung schien nichts davon sehr hilfreich zu sein. Aber er segnete jede Stunde Segelflug und jeden Abend mit seinem Gesangsquartett. Die Sprache der Gassäcke war Musik. Nicht einmal Mandarinisch stellte solche Ansprüche an Tonhöhe und Tonalität wie ihre Lieder. Noch bevor er irgendwelche Worte kannte, stimmte er in ihren Chorgesang mit ein, und sie reagierten darauf, wenn auch nicht gerade erfreut, so doch mit Neugier. Der große Karierte lernte sogar, Danny Dalehouses
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Namen zu singen, so gut er das mit einem lauterzeugenden Apparat tun konnte, dem solche Grundphoneme wie der Reibelaut fehlten. Danny lernte, daß einige ihrer Lieder irdischen Vogelrufen nicht unähnlich waren: Es gab eines für Nahrung und mehrere für Gefahr. Es schien drei verschiedene Arten von Gefahr zu geben, eine für Gefahr vom Boden und zwei für Gefahren, wenn auch offenkundig anderer Art, aus der Luft. Einer der Ausdrücke klang beinahe hawaiianisch mit seinen Liquid- und Knacklauten; das schien zu einer Art räuberischem Gassack zu gehören, einem Lufthai, der ihr gefährlichster natürlicher Feind zu sein schien. Das andere – Dalehouse hatte keine Gewißheit, und Harriet war keine große Hilfe, aber es schien sich auf Gefahr von über der Luft zu beziehen; und nicht nur auf Gefahr, sondern auf diese Art besonderer mannhafter, risikoreicher Gefahr, bei der es um Leben und Tod ging, die aber, aus Gründen, die er nicht erkennen konnte, unendlich attraktiv war. Er grübelte stunden lang darüber nach und machte Harriet das Leben zur Hölle. In diesem Punkt keine Lösung. Aber die Tonbänder gingen zur Erde zurück, und die Computerauswertungen trafen ein, und Harriet wurde in die Lage versetzt, Sätze für ihn zu konstruieren, die er aussprechen konnte. Er sang: »Ich bin Freund«, und das Herz wollte stehenbleiben, als der große, karierte Gassack, den er Charlie nannte, mit einem ganzen Lied antwortete: »Du bist, du bist, du bist Freund!« Und der ganze Chor fiel ein. Das launische Wetter von Klung machte acht Kalendertage mit, dann wurde der Wind stärker, und die Wolken zogen heran. Wenn die Winde bliesen, hatte sogar der Gassack-Schwarm Schwierigkeiten, beieinander zu bleiben, und Danny Dalehouse wurde durch den ganzen Himmel geweht. Er versuchte das Lager in Reichweite zu halten, und weil er es tat, folgte ihm der ganze Schwarm dabei. Aber dabei wurden sie weit auseinander getrieben. Als er endlich beschloß aufzugeben, rief er ein ›Lebewohl‹ und hörte als Antwort den Gesang, der ›Himmelsge fahr‹ zu bedeuten schien. Dalehouse wiederholte ihn; er schien
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angemessen genug zu sein, wenn man das Wetter betrachtete. Aber dann wurde er sich eines dumpfen, flatternden Geräusches hinter dem Geheul des Windes bewußt. Das Geräusch eines Hubschraubers. Dalehouse ließ den Schwarm zurück, stieg hoch genug hinauf, um einen Rückkehrwind zu finden, dann lenkte er sich durch die Gegenwinde geschickt zurück zum Lager. Da war er, durch die zerfranste Unterseite einer Wolke sinkend: der Helikopter der Öler, an der Heckstrebe einen Union Jack. So viel Energiever geudung! Sie beförderten diese gewaltige Masse nicht nur auf dem Tachyon-Weg unter ungeheuren Kosten hierher, sie hatten auch genug Treibstoff mitgenommen, um den Piloten Vergnü gungsflüge unternehmen zu lassen. Und was war zwischen den Kufen befestigt? Irgendeine andere Maschine! Typisch ÖlerAngeberei! Danny fluchte angewidert über die Verschwendungssucht der Öler. Mit einem Bruchteil der Kilokalorien, die sie durch schlichte Unfähigkeit und Sorglosigkeit verpulverten, hätte er einen anständigen Computer, Kappeljuschnikow hätte längst sein Segelflugzeug, Morrissey hätte einen Außenbordmotor für sein Boot und damit eine fast vollständige Auswahl von Meereslebewesen-Proben haben können. In einer Welt, die zuließ, daß eine Handvoll Nationen Energie so rücksichtslos vergeudete, einfach, weil sie zufällig auf ihren Quellen saßen, konnte etwas nicht in Ordnung sein. Wenn sie verbraucht war, würden sie gewiß so armselig dastehen wie die Peruaner oder Pakis. Aber das war kein Trost. Ihr Niedergang würde der Niedergang der Welt sein. Oder zumindest der Niedergang jener Welt. Vielleicht konnte für diese hier etwas getan werden. Planung. Überlegung. Vorbereitung. Steuerung des Wachstums, damit karge Rohstoffe nicht für Torheiten unwiederbringlich vergeudet wurden. Eine gerechte Aufteilung der Schätze Klungs, damit keine Nation und keine Einzelperson sich bereichern konnte, indem sie andere aushungerte. Ein Versuch, Gleichberechtigung für alle zu sichern. Dalehouses Gedankengang riß ab, als er begriff, daß er Tagträumen nachhing. Die Winde hatten ihn weiter fortgetragen
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als er wollte, fast über das Meer hinaus. Er ließ verzweifelt Wasserstoff ab und landete fast im Wasser, schnell herabstür zend. Er raffte sich auf und sah die aufgerissenen Ballonhüllen im Wasser unerreichbar davontreiben. Cappy würde wütend sein. Wenigstens würde er sie nicht auf dem weiten Weg die Küste entlang zum Lager zurücktragen müssen, dachte er. Es war ein kleiner Trost, aber er hielt nicht lange an. Bevor er den halben Weg zurückgelegt hatte, begann es zu regnen. Und es regnete. Und regnete. Es war kein so heftiges, stürmi sches Gewitter, wie sie es kurz nach ihrer Landung erlebt hatten, aber es hielt ermüdend und zornerregend lange an, weit über den Punkt hinaus, wo es ein Zwischenfall, über die Zeit hinaus, wo es ein Ärgernis war, bis zu dem Punkt und über ihn hinaus, wo es schien, sie wären alle dazu verurteilt, daß die öligen Tropfen für den ganzen elenden Rest ihres Lebens den Boden in Schlamm und das Lager in ein Dampfbad verwandelten. Von Ballonfahren konnte keine Rede mehr sein. Es gab ohnehin keine Ballon-Geschöpfe zu sehen, denen er hätte folgen können. Kappeljuschnikow nähte und füllte grimmig seine Ballons in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Harriet Sant beschimpfte jeden, der in ihre Nähe kam. Morrissey verpackte in seinem Zelt Laborproben und studierte geheimnisvolle Bilder und Diagram me; er kam nur heraus, um wütend in den Regen zu starren und den Kopf zu schütteln. Danny verfaßte eine lange TachtransMitteilung an WEEKOM und die Universität und verlangte Geschenke für seine Gassack-Freunde. Kriwi und Sparky Cerbo brauten eine Art Hexengetränk aus den einheimischen Beeren und wurden alle beide schrecklich betrunken und dann noch schrecklicher krank, als ihre Körper sich anstrengten, sie gegen die fremden Proteinspuren in dem Fusel zu verteidigen. Sie starben beinahe. Es wäre dazu gekommen, explodierte Alex Woodring, bebend vor Zorn, wenn sie es mit diesem Schwach sinn früher versucht hätten; die anfängliche totale Verwundbar keit hatte sich zu Reaktionen verringert, die nicht mehr tödlich waren. Nur lang anhaltendes Elend. Dan erbte den Auftrag, sie
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zu pflegen und auf Harriets wütendes Verlangen hin Proben ihrer diversen unerfreulichen Ausscheidungen zur Analyse durch Jim Morrissey zu verpacken. Morrissey kauerte über seinen Bildern und Diagrammen, als Danny hereinkam, und weigerte sich rundweg, als ihm seine Pflicht erklärt wurde. »Mensch, Danny, ich hab’ keine Geräte für so etwas. Werfen Sie die Proben ins Scheißhaus, ich will sie nicht.« »Harriet sagt, wir müssen wissen, wie ernst diese Vergiftung ist.« »Das wissen wir schon, Mann. Sie sind ernstlich krank gewor den. Aber gestorben sind sie nicht.« »Harriet sagt, Sie könnten das wenigstens analysieren.« »Worauf? Ich wüßte nicht, wonach ich suchen sollte.« »Harriet sagt – « »Ach, fick doch Harriet. Entschuldigen Sie, Danny, ich wollte Sie nicht an Ihre, äh, Indiskretionen erinnern. Jedenfalls habe ich etwas Besseres zu tun, jetzt, da der Regen aufhört.« »Er hat nicht aufgehört, Jim.« »Er läßt nach. Wenn er aufhört, wird Boyne wieder vorbei kommen, um den Schaufelbagger zu holen, den ich mir ausgeliehen habe. Ich möchte ihn zuerst benützen.« »Wozu?« »Um einige unserer langfingrigen Freunde auszugraben.« Er deutete auf den Zeltboden. »Die Harriets Funkgerät geklaut haben.« »Das haben wir schon versucht.« »Ja. Wir haben festgestellt, daß es auf Schnelligkeit ankommt. Sie schließen die Tunnels schneller ab, als man glauben möchte, also müssen wir hinein, unterwegs sein und sie erreichen, bevor sie reagieren können. Wir haben sonst nie freies Feld, sie zu
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packen – es sei denn«, fügte er beiläufig hinzu, »wir fluten die Tunnels vorher mit Zyankali. Dann könnten wir uns Zeit lassen.« »Ist das alles, woran Sie denken, ans Töten?« brauste Dale house auf. »Nein, nein. Ich habe es nicht vorgeschlagen, sondern ausgeschlossen. Ich weiß, Sie mögen es nicht, wenn Ihre fremden Brüder getötet werden.« Dalehouse atmete tief ein. Er hatte von den Ballon-Wesen genug gesehen, um sie nicht mehr als Präparate, sondern beinahe als Menschen zu betrachten. Die Wühler waren ihm noch immer völlig unbekannt und vermutlich ziemlich ekelhaft – er dachte an Termiten und Maden und alle möglichen abscheulichen krabbelnden Wesen, wenn er sich mit ihnen befaßte. Aber für Völkermord war er nicht zu haben. »Was schlagen Sie dann vor?« fragte er. »Ich habe mir von Boyne einen Bagger ausgeliehen. Ich möchte ihn einsetzen, bevor er ihn abholt. Die Sache ist die, ich glaube, ich weiß, wo wir graben müssen.« Er nahm einen Stapel Papiere von der hochgestellten Feldkiste, die er als Schreibtisch benützte, und reichte ihn ihm. Die obersten Blätter schienen eine Karte zu sein, die Dalehouse gar nichts sagte, aber darunter befand sich eine Reihe von Fotos. Er erkannte sie; es waren Luftaufnahmen der Lagerumgebung. Einige hatte er selbst gemacht, die anderen stammten unzweifelhaft von Kappel juschnikow. »Irgend etwas stimmt nicht mit ihnen«, sagte er. »Die Farben sehen merkwürdig aus. Warum ist dieser Teil blau?« »Es ist Falschfarben-Fotografie, Danny. Der Teil besteht aus Infrarot-Aufnahmen; je blauer das Bild, desto wärmer der Boden. Da, sehen Sie diese hellen Streifen? Sie sind zwei oder drei Grad wärmer als die Umgebung.« Dalehouse drehte die Aufnahmen hin und her und fragte dann: »Warum?«
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»Nun, mal schauen, ob Sie zur selben Schlußfolgerung kommen wie ich. Sehen Sie sich die eine darunter an, in normalen Farben. Die haben Sie gemacht. Drehen Sie sie so, daß sie genauso ausgerichtet ist wie die Falschfarben-Aufnahme – so. Sehen Sie die orangeroten Sträucher? Sie scheinen beinahe in geraden Linien zu stehen. Und diese grellroten? Sie sind Verlängerungen dieser Reihen. Die Sträucher sind alle dasselbe Gewächs; der Unterschied ist der, daß die grellroten abgestorben sind. Nun, kommt es Ihnen nicht so vor, als entsprächen die hellen Linien in den Falschfarben-Aufnahmen den Gebüschreihen in den normalen? Und ich habe an diesen Linien Sonden hinuntergelassen, und raten Sie mal, was ich gefunden habe?« »Gänge«, sagte Dalehouse. »Sie sind ja so verdammt schlau«, murrte Morrissey. »Na gut, dann beweisen Sie, wie schlau Sie wirklich sind. Warum stehen diese Pflanzen und Markierungen mit den Tunnels in Verbin dung?« Dalehouse legte die Bilder geduldig weg. »Das weiß ich nicht. Aber ich wette, Sie sagen es mir.« »Hm, nein. Nicht hundertprozentig. Aber ich kann eine ziemlich brauchbare Vermutung anstellen. Ich würde sagen, das Graben der Tunnels verursacht an der Oberfläche chemische Verände rungen. Vielleicht werden die Nährstoffe unterschiedlich ausgelaugt? Und diese Pflanzen sind zufällig solche, die am besten in dieser Art von Humus gedeihen? Oder die Ausschei dungen der Wühler düngen sie, auch wieder in unterschiedlicher Weise. Das sind Vergleiche mit der Erde: Man kann Maulwurf gänge auf diese Weise erkennen, und Regenwürmer belüften den Boden und lassen die Pflanzen besser gedeihen. Das könnte hier ein völlig anderer Prozeß sein, aber ich wette, daß es im Grunde stimmt.« Er lehnte sich auf seinem Klappstuhl zurück und betrachtete Danny erwartungsvoll. Danny überlegte kurz und hörte dem nachlassenden Geprassel
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der Regentropfen auf dem Zeltdach zu. »Sie erzählen mir mehr, als ich wissen möchte, Jim, aber ich glaube, ich komme mit. Sie wollen, daß ich mithelfe, sie auszugraben. Wie wollen wir das schnell genug machen? Vor allem bei dem Schlamm da draußen?« »Deshalb habe ich mir Boynes Bagger ausgeliehen. Er ist aufgestellt, seit der Regen angefangen hat. Ich glaube, die Wühler spüren Bodenvibrationen; ich wollte, daß sie sich daran gewöhnen, bevor wir anfangen.« »Haben Sie ihm erzählt, wozu Sie ihn verwenden wollen? Ich hatte den Eindruck, daß sie selbst graben.« »Ich auch, und deshalb habe ich nichts gesagt. Ich sagte, wir brauchten neue Latrinen, und das stimmt auch. Irgendwann. Jedenfalls steht er jetzt über dem Gebüsch, das am vielverspre chendsten aussieht, und kann anfangen. Machen Sie mit?« Danny dachte sehnsüchtig an seine fliegenden Freunde, die soviel anziehender waren als diese Ratten oder Würmer. Aber vorerst waren sie nicht erreichbar. »Klar«, sagte er. Morrissey grinste erleichtert. »Nun, das war das Leichte an der Sache. Jetzt kommen wir zum Schwierigen: Harriet zu überzeugen, daß sie zustimmen muß.«
Harriet war exakt so widerspenstig, wie sie erwartet hatten. »Sie meinen doch nicht im Ernst, daß Sie in einem Wolken bruch alle hinausschleppen wollen, nur um ein paar Löcher zu graben?« sagte sie. »Kommen Sie, Harriet«, erwiderte Morrissey, einen Wutaus bruch unterdrückend. »Der Regen hat fast aufgehört.« »Und wenn, es gibt tausend wichtigere Dinge zu tun!« »Macht Spaß, Gasha«, warf Kappeljuschnikow ein. »Nach
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Fuchslöcher graben, wie ölreiche Großgrundherren in England. Sehr sportlich.« »Und es sind nicht nur ein paar Löcher«, fügte Morrissey hinzu. »Sehen Sie sich die seismologischen Spuren an. Da unten gibt es ganz große Dinge, Kammern, die zwanzig Meter lang sind und mehr. Nicht nur Tunnels. Vielleicht Städte.« Harriet sagte schneidend: »Morrissey, wenn Sie wissen wollen, warum niemand Zutrauen zu Ihnen hat, ist das genau der Grund. Sie sagen jeden Blödsinn daher, der Ihnen in den Sinn kommt. Städte! Es gibt Hinweise auf Schächte und Kammern, etwas größer als die Tunnels direkt unter der Oberfläche, ja. Aber ich würde ihnen nicht die Bezeichnung – « »Gut, gut. Es sind keine Städte. Vielleicht nicht einmal Dörfer, aber irgend etwas sind sie. Zumindest so etwas wie Brutkam mern, wo sie ihre Jungen unterbringen. Oder ihre Nahrung. Oder, mein Gott, ich weiß nicht, vielleicht haben sie da Ballettvorführungen oder spielen Bingo-Zahlenlotto, was spielt das für eine Rolle? Allein, weil sie größer sind, folgt daraus, daß sie auch wichtiger sein müssen. Es wird weniger wahrscheinlich oder zumindest schwerer für sie sein, sie abzuschließen.« Er sah zu Alex Woodring hinüber, der hustete und sagte: »Ich finde, das ist vernünftig, Harriet. Sie nicht?« Sie schob nachdenklich die Lippen vor. »Vernünftig? Nein, vernünftig würde ich es bestimmt nicht nennen. Sie sind natürlich unser Führer, jedenfalls nominell, und wenn Sie es für klug halten, eine Abweichung vom – « »Ich halte es doch für eine gute Idee, Harriet«, sagte Woodring kühl. »Wenn Sie mich, bitte, ausreden lassen würden? Ich sagte, wenn Sie glauben, wir sollten von der Abmachung abweichen, die wir alle getroffen haben, daß nämlich Gruppenent scheidungen einstimmig zu erfolgen haben, dann habe ich wohl nichts weiter zu sagen.«
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»Gasha, Schatz«, sagte Kappeljuschnikow, »halten Sie Mund, bitte. Erzählen Sie uns Plan, Jim.« »Na klar! Als erstes reißen wir mit dem Bagger ein Loch auf, so groß es geht. Wir sind alle draußen mit Schaufeln und springen hinein. Was wir wollen, sind Versuchsexemplare. Wir packen, was wir sehen. Wir sollten sie ziemlich stark überraschen, und außerdem«, sagte er mit einiger Selbstzufriedenheit, »können zwei von uns die hier tragen.« Er hielt seine Kamera hoch. »Sie haben gute, grelle Lampen. Ich kam durch Boyne auf die Idee, als wir miteinander etwas tranken; ich glaube, so machen sie es bei den Ölern. Sie gehen mit diesen Dingern hinein, teilweise, um Bilder zu machen, vor allem aber, um sie zu blenden. Solange sie vorübergehend geblendet sind, können wir sie leicht fassen.« »Vorübergehend, Jim?« warf Dalehouse ein. »Na ja«, sagte Morrissey widerstrebend, »nein, da bin ich mir nicht so sicher. Ihre Augen sind vermutlich sehr empfindlich – aber, Teufel noch mal, Danny, wir wissen ja gar nicht, ob sie überhaupt Augen haben!« »Wie werden sie dann geblendet?« »Gut. Aber ich möchte es trotzdem so machen. Und wir nehmen Handfunkgeräte mit. Wenn irgend etwas, äh, schiefgeht – « Er zögerte und begann dann von neuem. »Wenn Sie sich verirren sollten oder sonst was, graben Sie einfach nach oben. Das sollte sogar mit bloßen Händen gehen. Wenn nicht, schalten Sie einfach Ihr Handfunkgerät ein. Wir können vielleicht unter der Oberfläche nichts hören, aber durch das gestohlene Funkgerät wissen wir, daß wir wenigstens die Trägerwelle empfangen, dann peilen wir Sie an und holen Sie heraus. Nur, wenn etwas schiefgeht.« Kappeljuschnikow beugte sich vor und legte die Hand auf den Mund des Biochemikers. »Lieber Jim«, sagte er, »bitte uns nicht mehr aufmuntern,
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sonst wir alle aufhören. Machen wir es, nicht mehr reden.«
Wie vorauszusehen, wollte Harriet mit dem Vorhaben nichts zu tun haben und bestand darauf, daß mindestens zwei Männer zurückblieben. »Für den Fall, daß wir euch Helden ausgraben müssen.« Aber Sparky Cerbo erbot sich freiwillig, mit hineinzu steigen, und Alicia Dair behauptete, sie könnte den Bagger besser bedienen als sonst irgend jemand im Lager. So hatten sie ein halbes Dutzend in Overalls, mit Stirnlampen, Schutzbrillen und Handschuhen, bereit, hineinzuspringen, sobald Morrissey das Signal gab. Er hatte recht gehabt, was den Schlamm anging; es gab keinen, außer unmittelbar um die Hauptwege des Lagers, wo sie die oberste Bodenschicht zertreten hatten. Aber der Humus durchtränkt, und der Schaufelbagger warf ebensoviel Nässe wie Humus herauf. Nach weniger als einer Minute war er durchge stoßen. Morrissey schluckte, bekreuzigte sich und sprang in das Loch. Alex Woodring folgte, dann kamen Danny, Kappeljuschnikow, di Paolo und Sparky Cerbo. Der Plan sah vor, daß sie sich paarweise zusammentaten und je einem Tunnel folgten. Der Haken an dem Plan war, daß er mehr als zwei Richtungen unterstellte. Die gab es nicht. Die Grube, in die sie sprangen, war nicht breiter als einen Meter. Es roch feucht und – und schlecht, dachte Danny; wie ein lange nicht saubergemachter Mäusekäfig; und es war nicht mehr als ein Tunnel. Di Paolo sprang auf Dannys Knöchel hinunter, und Sparky Cerbo, die nächste, prallte ihm genau auf den Rücken. Sie waren alle ineinander verschlungen, fluchend und schimp fend, und wenn es im Umkreis von einem Kilometer einen Wühler gab, der nicht wußte, daß sie kamen, dann muß dieser Wühler tot sein, dachte Danny. »Hör auf mit dem Quatsch!« schrie Morrissey. »Dalehouse! Sparky! Ihr kommt mit mir!« Dalehouse drehte sich rechtzeitig
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herum, um Morrisseys Hüften und Knie im Lichtschein seiner Stirnlampe als Umrisse zu erkennen, zu sehen, wie sie sich entfernten. Der Querschnitt des Tunnels war eher oval als rund, flacher als breit; sie konnten sich nicht richtig auf Händen und Knien vorwärts bewegen, aber auf Schenkeln und Ellenbogen ganz gut kriechen. »Sehen Sie was?« rief er nach vorn. »Nein. Mund halten. Lauschen.« Morrisseys Stimme klang gedämpft, aber Dalehouse konnte sie gut hören. Hinter und nach ihr glaubte er noch etwas anderes zu hören. Was? Es war leise und schwer zu erkennen: eichhörnchenartiges Quietschen und Rascheln vielleicht, und aus größerer Entfernung stärkere, tiefere Geräusche. Sein eigener Atem, das Scharren seiner Ausrüstung, die Geräusche der anderen vereinigten sich, um es zu übertönen. Aber da war etwas. Ein greller Lichtschein ließ ihn blinzeln. Er tat seinen Augen weh. Er kam von Morrisseys Lampe. Alles, was Dalehouse davon auffing, war, was zurücktröpfelte, fast ohne Spiegelung wegen der rauhen Tunnelwände. In der anderen Richtung mußte es kraß gewesen sein. Nun war er sicher, daß er die EichhörnchenLaute hörte, und sie klangen gequält. Was auch naheliegt, dachte Danny im Mitgefühl für die Wühler. Was konnte Licht für sie jemals anderes bedeutet haben, als daß irgendein Raubtier eindrang und Tod und Verheerung folgten? Er stieß gegen Morrisseys Füße und hielt an. Ober seine Schulter fauchte Morrissey zurück: »Die Scheißkerle! Sie haben ihn blockiert!« »Den Tunnel?« »Mensch, ja, den Tunnel! Er ist ganz fest verschlossen! Wie, im Teufel, ging das nur so schnell?« Dalehouse empfand einen Augenblick lang Urangst. Blockiert! Und in der anderen Richtung? Er drehte sich auf die Seite, knipste seine Lampe aus und blickte zwischen seinen Füssen den Tunnel hinunter. Vorbei an Sparkys geduckter Gestalt konnte er
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das beruhigende, trübe rote Leuchten des Klung-Himmels sehen, war sicher, daß er es sehen konnte. Trotzdem spürte er, wie die Muskeln an seinem Nacken sich schmerzhaft anspannten, aus der uralten menschlichen Furcht, lebendig begraben zu sein, und er erinnerte sich plötzlich, daß die Richtung, die sie eingeschla gen hatten, unter den Bagger zurückführte. Wie, wenn die Last durch die Decke stürzte und sie begrub? »Äh, Jim«, rief er, »was meinen Sie? Sollten wir umkehren?« Pause. Dann, in zornigem Ton: »Können wir ebensogut tun, hier erreichen wir nichts. Vielleicht hatten die auf der anderen Seite mehr Glück.« Aber Cappy und die anderen waren schon draußen und halfen ihnen heraus. Sie waren nur acht oder neun Meter weit in ihrem Tunnel vorgedrungen, bevor er blockiert wurde; Dalehouses Gruppe war mehr als doppelt so weit gekommen. Am Ende lief es auf dasselbe hinaus, dachte Dalehouse. Unglaublich, daß sie so blitzschnell reagieren konnten. Ohne Zweifel waren sie im Verlauf zahlloser Jahrtausende auf Klung darin geübt worden. Wie immer der Grund, es würde nicht leicht werden, ein Exemplar zu fangen, geschweige denn, einen Kontaktversuch zu unternehmen. Danny dachte sehnsüchtig an seine fliegenden Freunde; wieviel schöner war es, zu fliegen, um Kontakt aufzunehmen, als wie eine Schlange durch den Schlamm zu kriechen! Kappeljuschnikow bürstete ihn ab und wiederholte dasselbe etwas ausführlicher bei Sparky Cerbo. »Liebstes Mädchen«, sagte er, »Sie sind abscheulich schmut zig. Gehen wir alle schwimmen in See, denken nicht an Schwierigkeit.« Das Mädchen löste sich gutmütig von ihm. »Vielleicht sollten wir zuerst nachsehen, was Harriet möchte«, schlug sie vor. Und tatsächlich stand Harriet am Eingang des Hauptzeltes, hundert Meter entfernt, und wartete offenkundig darauf, daß sie zu ihr kamen.
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Als sie sie einzeln erreichten, sah sie alle angewidert von oben bis unten an. »Ein totaler Mißerfolg, wie ich sehe«, sagte sie nickend. »Das war natürlich zu erwarten.« »Harriet«, begann Morrissey drohend. Sie hob die Hand. »Es spielt keine Rolle. Vielleicht interessiert euch, was gesche hen ist, während ihr weggewesen seid.« »Harriet, wir sind nur zwanzig oder dreißig Minuten fortgewe sen!« platzte Morrissey heraus. »Trotzdem. Zuerst kam ein Tachtrans-Signal. Wir bekommen Verstärkung, und die Vaus auch. Zweitens – « Sie trat zur Seite, um sie ins Zelt zu lassen. Im Inneren standen die anderen, die zurückgeblieben waren, beieinander und wirkten, wie es Dalehouse schien, sonderbar selbstzufrieden. »Ich glaube, ihr wolltet ein Exemplar von diesen unterirdischen Wesen? Wir haben eines gefunden, das sich an unseren Vorräten gütlich tun wollte. Es wäre natürlich einfacher gewesen, wenn nicht so viele von euch ihre Zeit mit Dummheiten vergeudet hätten, so daß ihr behilflich hättet sein können, als wir euch brauchten – « »Gasha!« brüllte Kappeljuschnikow. »Kommen zur Sache, ja! Sie haben Exemplar für uns gefangen?« »Natürlich«, sagte sie. »Wir haben es in einen von Morrisseys Käfigen gesteckt. Ich bin dabei stark zerkratzt worden, aber damit muß man wohl rechnen, wenn – « Sie ließen sie nicht ausreden; sie drängten alle hinein und rissen die Augen auf. Der muffige Mäusekäfiggeruch war tausendmal stärker, so daß Danny Dalehouse beinahe nach Luft rang, aber da war es. Fast zwei Meter lang; winzige Augen eng beieinanderstehend über der Schnauze, vor Qual fest zusammengepreßt. Es quiekte leise vor sich hin – beinahe herzzerreißend, hätte Danny fast gesagt. Es nagte an den Metallstangen des Käfigs und scharrte
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gleichzeitig mit Klauen, deren Hinterzehen nach vorn gerichtet waren, am Plastikboden. Es war bedeckt mit einer Art graubrau nen Flaumes oder kurzen Pelzes; es schien Mindestens sechs Paar Gliedmaßen zu besitzen, alle stummelig, alle mit Klauen ausgestattet, alle ungeheuer kräftig. Woraus seine Zähne auch bestehen mochten, sie waren hart. Eine der Gitterstangen war schon fast durchgenagt, und die Schmerzlaute hörten nie auf.
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IX
Der Schwarm bestand jetzt zur Hälfte aus flügge gewordenen Wesen, winzigen Kleinballons, die eben erst ihre FallschirmSeidenleinen abgeworfen hatten und sich nun tapfer abmühten, mit den großen Fünfmeter-Erwachsenen Schritt zu halten. Im ständigen Chor des Schwarms waren die Stimmen der Jungen so winzig wie ihre Gassäcke. Ihr Gepiepe nutzte nur die ge ringstmögliche Menge Wasserstoff, um den wichtigen Auf triebsausgleich gegen die wenigen Tropfen in ihren Ballastblasen aufrechtzuerhalten. Charlie patrouillierte majestätisch durch den Schwarm, trieb seinen mächtigen Körper mahnend gegen eine Traube von Kinder-Ballons, die gegen die Schwarmmelodie ansangen, drehte die Augenflecken, um den Himmel nach Ha’aye’i abzusuchen, lauschte dem Gegenlied von Lob und Beschwerde anderer Erwachsener des Schwarms und führte immer, immer den Gesang an. Es gab viel Lob und viele Beschwerden. Das Lob war ihm selbstverständlich. Um die Beschwerden kümmerte er sich sorgfältiger, bereit, gutzumachen oder zu rügen. Drei Weibchen sangen verzweifelnd von Kleinen, die ihre Flugschwänze zu früh abgeworfen hatten oder ihren Wasserstoff nicht halten konnten und hilflos auf die gefräßige Welt unter ihnen hinabsanken. Eine andere sang ein Trauerlied von Zorn und Leid und lastete die mißgestalteten Jungen den Personen der Mittelsonne an. Das war gerecht, und Charlie führte den Schwarm in einen zustimmenden Gesang von Mitgefühl und Ratschlag an: »Niemals – « (Niemals, niemals, niemals, sang der Chor) – »niemals mehr dürfen wir in der Nähe der Neuen Sonnen uns vermehren.« Die Frauen sangen Zustimmung, doch einige der Männer hielten dagegen: »Aber wie können wir wissen, was wahre Himmelsgefahr ist, und was nicht? Und wo sollen wir uns dann vermehren? Die Obersonnen der Drei Sonnen sind überall unter uns.«
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Charlies Antwortgesang war ruhig-heiter: »Ich werde meinen Freund von der Mittelsonne fragen. Er wird es wissen.« (Er wird es wissen, er wird es wissen, sang der Schwarm im Chor.) Aber ein Mann sang eine düstere Frage: »Und werden wir uns erinnern, wenn uns der Schwarmtaumel erfaßt?« »Ja«, sang Charlie. »Wir werden uns erinnern, weil wir müssen.« (Wir müssen, wir müssen.) Damit hätte es sein Bewenden haben müssen. Und trotzdem war der Gesang des Schwarms nicht friedlich. Untertöne summten in Dissonanzen gegen die dominierenden Themen an. Selbst Charlies eigenes Lied stockte ab und zu und wiederholte sich, wenn es sich triumphierend zu neuen Themen hätte erheben sollen. Unter der Oberfläche seines Denkens regten sich Strömungen. Sie erreichten das Bewußtsein nicht; wenn das doch der Fall gewesen wäre, hätte keine Macht ihn davon abhalten können, sie im Gesang auszudrücken. Aber sie waren da. Sorgen. Zweifel. Rätsel. Wer waren diese Personen der Drei Sonnen? Woher waren sie gekommen? Sie schienen gleichartig zu sein, wie irgendein Schwarm von Ballon-Wesen. Und trotzdem hatte Charlies Freund Danny Dalehouse erklärt, daß sie nicht gleich waren. Zuerst waren die Personen der Kleinen Sonne erschienen. Sie hatten anfangs den Eindruck gemacht, nicht mehr zu sein als eine andere Gattung gieriger Erd-Gefahr-Wesen, obwohl sie beinahe auf der Stelle eine winzige Sonne erschaffen hatten. Aber ihr Lager befand sich fast am äußersten Rand von Charlies Reichweite, und der Schwarm hatte sich um diese Personen nicht gekümmert. Dann kam die Gruppe von Charlies Freund, und fast gleichzeitig die dritte Gruppe, die Personen der Großen Sonne. Sie waren lästig. Ihre Sonne schien stets grell, heller als die HimmelsGefahr im hellsten Zustand. Da es fast der tiefste von Charlies Instinkten war, auf helles Licht zuzustreben, bereitete es förmlich Qualen, sich abzuwenden und von der Großen Sonne davonzuschwimmen. Sie waren beinahe in die Falle getappt, als
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die Personen erstmals erschienen – als alle drei Gruppen von Personen der Sonnen erschienen –, weil jede von ihnen auf einer Sonnenflammensäule durch die Luft herabgefaucht kam, aber keine war nah genug gewesen, um sie zum Schwärmen zu veranlassen. Bis man in die Nähe kam, waren die Flammen erloschen und die Lichter ausgegangen. Dann hatten die Personen der Großen Sonne eine von ihnen in dem riesengroßen, seltsamen Ding hinaufgeschickt, das flatterte und rasselte; es war härter als die Ha’aye’i-Himmelsgefahr und noch tödlicher. Irgend etwas daran sog Ballon-Wesen in seine wirbelnden Klauen, und mehr als ein Dutzend von Charlies Schwarm waren aufgerissen worden und hinabgeflattert, hilflos, verzweifelnd und stumm. Nun mieden sie es in Angst und Trauer. Zwei von drei der Gruppen Neuer Personen, und beide zu meiden! Die eine, weil sie tötete, und die andere, weil sie überhaupt nicht flog, waren nicht mehr als irgendeine andere Boden-Gefahr, wären überhaupt nicht für Personen gehalten worden. Wenn ‘Anny ‘Alehouse nicht gewesen wäre… Charlie sang von seinem Freund, der mit seiner ganzen Rasse versöhnte. ‘Anny ‘Alehouse und sein zeitweiliger Begleiter ‘Appy: Sie waren Personen! Sie flogen, wie Personen flogen, mit der Majestät und der Anmut der Luft selbst. Es war traurig, daß selbst ihre Mittelsonne aufgeflammt war wie eine echte Himmels-Gefahr, und veranlaßte den Schwarm, sich nur dürftig fortzupflanzen. Aber es kam Charlie nicht in den Sinn, Morrisseys Leuchtkugel Dalehouse oder Kappeljuschnikow anzulasten; es kam ihm nicht in den Sinn, überhaupt nach Schuld zu suchen. Wenn Kung aufflammte, vermehrten sich die Ballon-Wesen. Sie konnten nichts dagegen tun. Sie versuchten es auch gar nicht. Sie hatten nie eine Abwehr gegen ein falsches Aufleuchten entwickelt, dem die aktinische Strahlung fehlte, die dazu beitrug, daß sie ihren Wasserstoff erzeugten, und die ihre Fruchtbarkeit auslöste. Sie hatten sie nie gebraucht – nicht bis jetzt. Und sie kannten keinen Weg, eine Abwehr zu lernen. Der Schwarm trieb auf eine quellende Kumuluswolke zu; Charlie blähte seinen Singsack und dröhnte: »Schließt euch
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zusammen, meine Brüder!« (Schließt euch zusammen, schließt euch zusammen, antwortete der Chor.) »Schließt euch zusammen, Schwestern und Gefährten! Schließt euch zusam men, jung und alt! Achtet in den feuchten Schatten auf Ha’aye’i! Zieht die Kleinen eng heran!« Alle Angehörigen des Schwarms sangen jetzt aus vollen Kehlen, als die ganze Schar sich zusammendrängte und in die rötlich-rosigen Watteränder der Wolke hineinschwamm. Sie konnten einander nur als Geister sehen, bis auf die größten und ältesten Männer, deren Leuchtmarkierung ihre Sichtbarkeit erhöhte. Aber sie konnten den Gesang hören, und Charlie und die anderen Senioren flogen den Umkreis des Schwarms ab. Wenn Ha’aye’i da waren, konnten die Männer den Schwarm nicht verteidigen – nicht einmal sich selbst. Aber sie konnten eine Warnung hinaussingen, und der Schwarm würde sich in alle Richtungen zerstreuen, so daß nur die Langsamsten und Schwächsten eingeholt wurden. Aber diesmal hatten sie Glück. In der Wolke befanden sich keine Mörder-Ballons, und der Schwarm schwebte intakt hinaus. Charlie trompetete ein Dankeslied, als die Schar wieder in klare Luft schwebte. Alle fielen ein. Kumuluswolken bildeten sich über Aufwinden warmer Luft, und die Ha’aye’i suchten sie oft auf, um ihren vergleichsweise schwachen Auftrieb zu verstärken. Ein Preis mußte stets entrichtet werden; was die Ha’aye’i an Schnelligkeit und Genauigkeit gewannen, von Klauen und Kiefern zu schweigen, bezahlten sie mit kleineren Auftriebssäcken, so daß es sie stets Mühe kostete, sich in der Luft zu halten. Die Ha’aye’i waren Lufthaie. Sie schliefen nie, standen nie still, und sie hatten immer Hunger. Der Schwarm trieb auf den Hitzepol zu. Charlie ließ seine Augenflecken rotieren, um Hinweise auf die Bewegung der Luft zu suchen. Er kannte stets die Richtung, in welcher der Wind in jeder Schicht blies; das lehrten die Bewegung kleiner Wölkchen, das Flattern von abgeworfener Seide der Jungen, vor allem aber lebenslange Erfahrung, so daß er nicht zu überlegen brauchte, wie er einen günstigen Wind einfing; er wußte es, so gewiß, wie
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irgendein New Yorker, der die Fifth Avenue entlangeilt, die Nummer der nächsten Querstraße weiß. Er wollte nicht zu weit von seinem Freund der Mittelsonne entfernt sein, den er einige Zeit nicht gesehen hatte. Er trompetete dem Schwarm zu, hundert Meter zu steigen. Die anderen Männer nahmen seinen Gesang auf, und aus allen Gassäcken, groß und klein, fielen Ballasttropfen. Für die Erwachsenen, die natürlich und automa tisch den winzigen Taubelag beim Durchstreifen der Wolke auffingen und schluckten, war es keine Mühe, ihn zu ersetzen, aber für die Kleineren war es das. Sie ließen jedoch tapfer geschlucktes Gas in ihre Säcke ab, und die Frauen schoben die Kleinsten wachsam ein Stück höher. Der Schwarm blieb auf der neuen Höhe beieinander, als die Strömung in Richtung des Lagers der Mittelsonne zurückführte. Kein Ha’aye’i zu sehen. Genug Wasser auf ihrer Haut, um es abzulecken und zu schlucken, teilweise als Ballast, teilweise zur Auflösung in den Sauerstoff, den sie im Körper aufnahmen, und den Wasserstoff, der ihnen Auftrieb verlieh. Charlie war sehr zufrieden. Es war gut, ein Ballon-Geschöpf zu sein. Er kehrte zum Lied des Dankes zurück. Sie näherten sich dem Rand ihres Gebietes, und hoch über ihnen schwebte ein anderer Schwarm, einige Kilometer entfernt. Charlie beobachtete ihn ohne Sorge. Es gab keine Rivalität zwischen Schwärmen. Manchmal schwebten zwei lange Zeit nebeneinanderher oder verschmolzen sogar miteinander. Manchmal, wenn zwei Schwärme sich zusammenschlossen, wechselten einzelne von einer Schar zur anderen über. Niemand dachte sich etwas dabei. Von diesem Augenblick an waren sie vollgültige Mitglieder ihres neuen Schwarms und stimmten in seine Gesänge ein. Aber es war häufiger der Fall, daß jeder in seinem eigenen, nicht markierten, aber bekannten Luftraum blieb. Sie weideten auf den Blumenstaubfeldern ihrer Heimatluft, ohne jene ihrer Nachbarn zu begehren. Obwohl es nach einem halben Dutzend Fortpflanzungen vom ursprünglichen Schwarm keinen mehr geben mochte, der noch am Leben war, würde der Schwarm selbst weiterhin friedlich über denselben zehntausend
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Quadratkilometern Boden schweben. Ein Ort war beinahe wie der andere. Über jedem dieser Quadratkilometer umgab sie die lebenerhaltende Luft. Die Blütenstaubwolken verbreiteten sich überall. Immerhin, einige Stellen ihres Bereichs waren attraktiver als andere. Das Hochland, auf dem die Personen der Großen Sonne ihre schimmernden Schalen gebaut und ihre gleißenden Lampen aufgestellt hatten, war eines ihrer Lieblingsgebiete gewesen, wo der Blutenstaub in erfreulichem Strom von den Bergen herabkam und es nur wenige Ha’aye’i gab. Charlie sang traurig von seinem Bedauern, als er daran dachte, denn jetzt mußten sie es für immer meiden. Die Bucht des Ozean-Sees war dagegen schon aus Gewohnheit zu meiden. Das aus der See verdunstende Wasser bedeutete Säulen aufstrebender Wolken, und in der Hälfte davon schwebten gewiß Mörder-Ballons. Wenn irgendein Angehöriger des Schwarms sich vorgenommen hätte, Charlies Entschluß, dorthin zurückzukehren, anzugreifen, wäre das, vom Praktischen her gesehen, durchaus vernünftig gewesen. Aber was das Leben der Ballon-Geschöpfe anging, so war das völlig unmöglich. Ihre Gruppenentscheidungen wurden niemals in Frage gestellt. Wenn ein älterer Erwachsener sang ›Tu das‹, dann wurde es getan. Charlie war der maßgebende Erwachsene, und so setzte sich sein Gesang zumeist durch. Nicht immer. Ab und zu sang ein anderer Erwachsener zehn Minuten später ein Gegenlied, aber wenn Charlie noch einmal zehn Minuten danach zu dem seinen zurückkehrte, gab es keinen Widerspruch. Jeder der anderen Erwachsenen nahm loyal seinen Gesang auf, und der Schwarm hielt sich daran. Dazu kam die Überlegung, daß Charlie zu seinem Schwarm den Freund der Mittelsonne gebracht hatte, mit seinen erstaunlichen und faszinierenden neuen Lauten. Das war eine Person! Verwirrend, ja. Aber nicht wie diese am Boden festsitzenden Grabenden der Kleinen Sonne, oder die sonderbaren Wesen der Großen Sonne, die nur mit Hilfe von mörderischen Maschinen flogen. Als der Schwarm sich dem Lager der Mittelsonne näherte, drehten sich alle Erwachsenen, so daß ihre winzigen
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Gesichter, vollgesaugten Zecken ähnlich, nach unten blickten, bemüht, ‘Anny oder ‘Appy zu entdecken. Selbst die Kleinballons wurden vom freudigen Suchfieber erfaßt, und als die ersten des Schwarms Danny entdeckten, der zu ihnen hinaufstieg, schwoll der Gesang der Schar triumphierend an. Wie seltsam ‘Anny ‘Alehouse diesmal aussah! Sein Auftriebs sack war stets unerfreulich bucklig und ohne anständige Färbung gewesen, aber jetzt war er ungeheuer angeschwollen und noch buckliger als je vorher. Charlie hätte ihn vielleicht gar nicht erkannt, wenn es in der ganzen Welt mehr als einen von ihm gegeben hätte, mit dem er zu verwechseln gewesen wäre. Aber es war dennoch ‘Anny. Der Schwarm schluckte Wasserstoff und sank zu ihm herab, das Willkommenslied anstimmend, das Charlie für seinen Freund sich hatte einfallen lassen.
Dalehouse wurde von der Wiedersehensfreude beinahe ebenso überwältigt wie der Schwarm. Es war eine lange Zeit gewesen! Nach dem Unwetter hatte man aufräumen müssen, und bevor sie fertig waren, hatte das zweite Raumschiff den TachyonZustand verlassen, um ihnen neue Menschen und eine Unmenge neuen Materials zu bringen. Das war sehr gut, aber sie willkommen zu heißen und das Neue ins Alte einzufügen, hatte Zeit in Anspruch genommen. Mehr als Zeit. Manches von dem, was sie mitgebracht hatten, waren Geschenke für die BallonGeschöpfe gewesen, und um die Geschenke zu befördern, war größerer Auftrieb erforderlich gewesen, also eine viel größere Ballontraube; man mußte neue herstellen und füllen und das Ballastsystem umbauen. Danny war durchaus nicht überzeugt davon, daß das lohnenswert war. Aber von der Universität war auch ein halbes Kilogramm Mikrofiche-Karten gekommen, und sie waren sehr viel wert gewesen. Professor D. Dalehouse war nun ein Name, mit dem man bei Xenobiologen Furore machen konnte. In allen Abhand lungen kam sein Name vor, wurden seine Berichte zitiert. Und die Abhandlungen selbst hatten viel Stoff zum Nachdenken
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geliefert. Unter den Beteiligten war es zu einem heftigen Streit gekommen. Wo blieb Darwin in der Evolution der Ballon-Wesen? Wenn ein Weibchen ihre Fadeneier in die Luft von Klung verspritzte, als platze eine Wolfsmilchkapsel, und alle Männchen gleichzeitig Sperma ausstießen, wo war die Auswahl, das Überleben des Tauglichsten? Was für eine Aufwertung an Kraft, Behendigkeit, Intelligenz oder sexueller Anziehungskraft würde jede Generation auf irgendeine Weise um winzigste Stufen ›tauglicher‹ machen als jene zuvor, in einer Ontogenese, wo alle Männchen ihre sämtlichen Gene in eine Wolke gemischten weiblichen Genmaterials spritzten, der Wind als Rührgerät wirkte, während blinder Zufall entschied wer was mit wem erzeugte? Die Ballon-Geschöpfe führten keine Leporellolisten. Nun, jeder von ihnen mochte mille e tre gezeugt haben, aber er wußte nichts davon. Charlie hätte, wäre er gefragt worden, die Frage entscheiden können. Alle Ballon-Wesen waren geschlechtlich reif, sobald sie ihre Spinnseide-Fallschirmfäden abwerfen und frei schweben konnten. Aber alle Ballon-Wesen waren nicht gleich groß. Je älter, desto größer. Je größer, desto mehr Sperma oder Eier steuerten sie zur Gesamtmenge bei. Im Gegensatz dazu hören menschliche Wesen auf, in der Evolution eine Rolle zu spielen, bevor die Hälfte ihres Lebens vorbei ist. Bis es einen bedeutsa men Unterschied zwischen einem da Vinci und einem Tölpel gibt, sind die Tage der Fortpflanzung vorbei. Die Selektion spielt keine weitere Rolle mehr. Auch nicht im Widerstand gegen die degenerativen Erkrankungen der Alten, was der Grund ist, warum die Menschheit in zwei Millionen Jahren nicht gegen Krebs, Arthritis oder Arteriosklerose immun geworden ist. Muntere junge Zellen sind durch die Belastungen von fünfzigtau send Generationen diszipliniert worden. Aber nach dem Fortpflanzungsalter geht der Zelle die Programmierung aus. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Sie zerfällt. Bei den Ballon-Geschöpfen war es anders. Die Charlie-großen Riesen unter ihnen sprühten einen halben Liter Sperma-Nebel in jede empfangsbereite Wolke von Eiern, während die winzigen
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Erstschwarm-Ballönchen männlichen Geschlechts kaum einen Tropfen herausquetschten. Die Charlies hatten ihre Tauglichkeit, zu überleben, durch den schlüssigsten aller Beweise erbracht: Sie hatten überlebt. Dalehouse war begierig darauf, Fragen wie diese zu klären, als er Charlie rief und ihm entgegenschwebte; noch begieriger war er darauf, die neuen Sprachelemente auszuprobieren, die von den Großcomputern auf der Erde für ihn entwickelt worden waren. Was seine Aufmerksamkeit jedoch am meisten bean spruchte, war sein Geschenk von der Erde. Wie der Willkom mensgesang des Schwarms war es ein Beispiel für das, was seine Gesellschaft am besten beherrschte. Es war eine Waffe. Es ist nicht ganz ein kostenloses Geschenk, dachte Dalehouse, aber es gibt schließlich nichts, was nicht seinen Preis hatte. Charlies Lied kostete ihn einen Teil seiner Reserve an Auftriebs gas, wie die Gesänge, die ihr Leben waren, den Schwarm stets etwas kosteten. Wenn sie sangen, ließen sie Gas ab. Wenn sie Gas abgaben, verloren sie an Auftrieb. Wenn sie an Auftrieb verloren, sanken sie früher oder später hilflos zu den gierigen Mäulern an der Oberfläche hinab, um verschlungen zu werden, oder, was fast ebenso schlimm war, um dort weiterzuleben, ohne Hoffnung, ohne Stimme, bis sie genug Wassermoleküle ansammeln und spalten konnten – rasch, wenn Kung gütig genug war, für sie aufzuflammen, sonst qualvoll langsam. Es war ein Preis, den sie gern bezahlten. Leben war Singen; stumm zu sein, war ohnehin der Tod. Aber das war am Ende für die meisten von ihnen der Preis für ihr Leben. Der Preis des Geschenks, das Danny Dalehouse mitbrachte, war das Leben der fünf Ballon-Wesen, die in der Rückkehrkapsel zur Erde zurückgeschickt worden waren. Die Konstrukteure in Fort Detrick hatten die Proben gut genutzt. Die beiden, die bei der Ankunft tot waren, wurden sofort seziert. Das waren die Glücklicheren. Die anderen drei wurden in vivo studiert. Die Größten und Kräftigsten von ihnen hielten zwei Wochen aus.
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Die Experimentatoren von Fort Detrick hatten auch einen Preis entrichten müssen, weil acht von ihnen den Klung-Ausschlag bekamen und einer davon das harsche Mißgeschick hatte, daß sich sein Schädel mit Antigen-Flüssigkeit füllte, so daß er nie mehr in seinem Leben ein Versuchsobjekt peinigen konnte oder auch nur allein eine Gabel zu halten vermochte. Aber die BallonWesen, die seine Objekte gewesen waren, hätten diesen Preis wohl nicht für ungerecht gehalten.
Danny Dalehouse nahm den Leicht-Karabiner von der Schulter und übte das Zielen. Der Kolben war aus hohlem Metall, noch dazu aus gesintertem; die Waffe wog kaum ein Kilogramm, aber die Hälfte dieses Gewichts stammte von Geschossen mit besonders hoher Mündungsgeschwindigkeit. Die Konstruktion war schwach. Er war überzeugt, daß der Rückstoß ihn durch den halben Himmel schleudern würde, wenn er feuerte, und wozu sollten Geschosse mit hoher Mündungsgeschwindigkeit überhaupt gut sein? Was für ein Ziel gab es in der Luft Klungs, das eine solche Aufprallwucht benötigte? Aber die Verstärkung von der Erde, die als Friedenskomitee der UNO bezeichnet wurde, hatte von der Erde die Nachricht mitgebracht, daß er es mitnehmen mußte. Also hatte er es dabei. Er hängte es sich wieder um und nahm etwas unbehaglich das Geschenk für Charlie von der anderen Schulter. Das war schon eher etwas. Irgendwo hatte irgend jemand begriffen, was Charlies Genossen tun konnten, und was sie brauchten, um sich gegen Räuber zu schützen. Es wog noch weniger als der Karabiner und enthielt überhaupt keine Treibsätze. Die winzige Winde konnte von den Klauen eines Charlie bedient werden, um eine lang haltende Elastikschnur zu spannen. Der Abzug war von einer Größe, daß er für ein Ballon-Wesen paßte, und was er abfeuerte, war eine Anzahl winziger Nadeln oder, je nach Wahl, eine Kapsel mit irgendeiner Flüssigkeit. Die Nadeln waren für fliegende Raubtiere gedacht. Die Flüssigkeit, so hatte man es Danny jedenfalls erklärt, sollte gegen Wesen wie die Krebs
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Ratten dienen, wenn ein Ballon-Geschöpf notlanden und sich verteidigen mußte; und sie würde sie nur kampfunfähig machen, ohne zu töten. Es würde Dalehouses ganze Sprachkenntnisse beanspruchen, Charlie davon auch nur einen Teil begreiflich zu machen, aber das ließ sich nur tun, indem man damit anfing. Er hielt die Armbrust hoch und sang, sich sorgfältig an die Töne haltend, die er von den Computern an der Texas A & M gelernt hatte: »Ich habe dir ein Geschenk gebracht.« Charlie antwortete mit einem freudigen Gesang. Dalehouse verstand nicht mehr als einzelne Ausdrücke, aber es war unverkennbar eine Botschaft der Dankbarkeit und höflichen Anfrage; und außerdem nahm das kleine Tonbandgerät an seinem Gürtel alles für das spätere Studium auf. Danny kam zum nächsten Satz, den man ihm beigebracht hatte: »Du mußt mitkommen, um einen Ha’aye’i zu finden.« Das war schwer zu singen; im Englischen gibt es keine Kehlkopfverschlußlaute, und Danny war heiser, weil er sie eine Stunde lang geübt hatte. Aber Charlie schien ihn zu verstehen, denn aus dem Dankeslied wurde eine dünne Melodie der Sorge. Danny lachte. »Keine Angst«, sang er, »ich werde für die Ha’aye’i ein Ha’aye’i sein. Wir werden sie mit diesem Geschenk vernichten, und der Schwarm wird nichts mehr zu fürchten haben.« Ein Gesang der Verwirrung, die Worte ›der Schwarm‹ unauf hörlich wiederholt, nicht nur von Charlie, sondern von seiner ganzen Schar. Das Schwerste kam erst noch: »Du mußt den Schwarm verlassen«, sang Dalehouse. »Er ist nicht in Gefahr. Wir werden zurückkommen. Aber jetzt müssen du und ich fliegen, um einen Ha’aye’i zu suchen.« Es nahm Zeit in Anspruch, doch die Botschaft schien endlich anzukommen. Es war ein Beweis für das Vertrauen des BallonWesens zu seinem Freund von der Erde, daß es bereit war, sich mit ihm auf ein so schreckliches Abenteuer einzulassen. Die
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Angehörigen des Schwarms verließen ihn freiwillig niemals. Über eine Stunde lang, nachdem sie in eine tiefere Schicht hinabge sunken waren und den Schwarm hinter sich gelassen hatten, klang Charlies Gesang fragend und traurig. Und kein Ha’aye’i tauchte auf. Sie ließen das Lager des Nahrungs-Blocks weit hinter sich, trieben an der Küste des Ozean-Sees entlang, dann über eine Landenge hinüber in die Nähe des armseligen Lagers der Vaus. Dalehouse fragte sich schon seit geraumer Zeit, ob die Computer in Texas ihm wirklich die richtigen Worte zu singen gegeben hatten. Aber dann verriet Charlies Gesang konkrete Furcht. Sie tauchten tief unter eine Wolkenschicht, WarmwetterKumulus, die aussahen wie auf dem Kopf stehende weibliche Ballon-Wesen, und aus einer von ihnen stieß eines der Raubwesen hervor. Danny hatte gute Lust, das erste mit seinem Karabiner zu erlegen. Es war furchterregend, den Ha’aye’i auf sie herabstoßen zu sehen. Aber er wollte Charlie sein Geschenk vorführen. »Paß auf!« rief er und umfaßte ungeschickt den Griff, der für die Klauen von Ballon-Geschöpfen gedacht war. Er spürte die leise Vibration von Charlies gemurmeltem Entsetzensgesang. Auf zwanzig Meter drückte er ab. Ein Dutzend winzige Metallsplitter fegte dem Ha’aye’i entgegen und dehnte sich aus wie der Feuerkegel einer Schrotpatrone. Einer genügte. Der Luftsack des Hais wurde aufgerissen, und die Feuchtigkeit entwich als Wolke. Das Geschöpf schrie vor Schmerz und Überraschung einmal auf, dann besaß es keinen Atem mehr, mit dem es hätte schreien können. Es stürzte an ihnen vorbei, das grauenhafte kleine Gesicht war verzerrt, die Klauen griffen nutzlos nach ihnen. Ein hoher Triller des Erstaunens von Charlie, dann ein dröh nender Triumphgesang. »Das ist ein großes, gutes Ding, ‘Anny ‘Alehouse! Wirst du alle Ha’aye’i für uns töten?« »Nein, ich nicht, Charlie. Du wirst es selbst tun.« Und in der
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Luft hängend, zeigte Danny ihm die praktische kleine Winde für die elastische Schnur, den einfachen Verschluß, in den man die Nadeln hineinwarf. Für ein Wesen, das nie zuvor Gerätschaften gebraucht hatte, begriff Charlie außerordentlich schnell, wie man damit umgehen mußte. Dalehouse ließ ihn übungshalber auf eine Wolke schießen und sah dann geduldig zu, während das BallonWesen die Winde mühsam selbst betätigte und nachlud. Sie waren nicht mehr ganz allein. Unaufgefordert war der Schwarm ihnen nachgekommen und schwebte einen halben Kilometer entfernt; alle Augenflecken waren auf sie gerichtet; ihr ferner Gesang klang süß und klagend, wie das einsame Flehen eines Hündchens, das eingelassen werden möchte. Und unten war das Lager der Vaus in der Nähe, und Dalehouse konnte ein, zwei nach oben gewandte Gesichter neugierig heraufstarren sehen. Sollen sie, dachte er zufrieden; sollen sie sehen, wie die Nahrungsmittel exportierenden Mächte den eingeborenen Rassen von Klung helfen, wenn sie mit ihrer Zeit so wenig anzufangen wußten. Von der ursprünglichen Expedition war nur eine Handvoll übriggeblieben, und ihre Verstärkung, mit der so geprahlt worden war, ließ sich bislang nicht blicken. Verstärkung. Dalehouse nahm das Stichwort auf und begann mit dem Rest seiner Botschaft an Charlie. »Dieses Geschenk ist für euch«, sang er. »Aber wir möchten auch von euch eines erbitten.« »Welches Geschenk?« sang Charlie höflich. »Ich weiß die Worte nicht«, sang Danny, »aber ich werde es dir bald zeigen. Meine Schwarmgenossen bitten euch, kleine Dinge an andere Orte zu bringen. Manche laßt ihr auf den Boden fallen, andere bringt ihr zurück.« Charlie beizubringen, wie die Kameras und Tonaufzeichnungsgeräte betätigt werden mußten, wird eine Ewigkeit dauern, dachte Dalehouse dumpf; und wie wollten sie Charlie je erklären, wo er die Wolfsfallen-Sensoren und seismischen Mikrofone abwerfen sollte? Was auf der Erde so simpel erschien, war auf Klung etwas völlig anderes.
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»Hütet euch, hütet euch!« Stimmen des Schwarms.
sangen
die
fernen,
erregten
Verspätet schaute Danny sich um. Der Überfall des Ha’aye’i überraschte sie. Er kam von hinten unten, wo Dalehouse hinabzublicken versäumt hatte. Und Charlie, der sein neues Spielzeug betrachtete und sich bemühte, zu begreifen, was Dalehouse von ihm wollte, war nachlässig gewesen. Ohne das ferne Geschrei des Schwarms hätte das Wesen sie vielleicht beide erwischt. Aber Charlie fuhr schneller herum als Danny, und bevor Danny seinen Karabiner von der Schulter reißen konnte, bewies das Ballon-Geschöpf, wie gut es seine Lektion gelernt hatte, indem es den Räuber tötete. Alle beide hätten sie hingreifen und die langen, gefährlichen Klauen des Ha’aye’i berühren können, als er an ihnen vorbeistürzte; so knapp war das. »Gut gemacht!« schrie Dalehouse, und Charlie antwortete verzückt: »Gut, gut gemacht! Was für ein herrliches Geschenk!« Sie schwebten hinauf, um sich dem Schwarm wieder anzuschlie ßen. Goldene Feuerlanzen griffen schwach vom Lager der Vaus zum Schwarm hinauf. »Mein Gott!« schrie Danny. »Die Narren machen Feuerwerk!« Die Raketen explodierten in Funkenregen, und im ganzen Schwarm zerplatzten Ballon-Wesen mit hellodernden Wasser stoffflammen.
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X
Wenn Dulla wach war, was nicht oft geschah, nahm er nur undeutlich wahr, was vorging. Zuerst hatte es ein wiederkehren des Whack-Whack gegeben, das er nicht identifizieren konnte, und irgendeine Person, die ihm undeutlich bekannt vorkam, zerrte ihn in das Ding, das die Geräusche erzeugte. Dann Schmerzen. Ungeheure Schmerzen. Dann lange Perioden, in denen Leute mit ihm oder vor ihm redeten. Aber er verspürt keinen Drang, zu antworten. In den kurzen Zeiten des Bewußt seins entdeckte er nach und nach, daß er keine Schmerzen mehr hatte. Die Behandlung durch die Öler war unangenehm gewesen, aber sie schien gewirkt zu haben. Er war am Leben. Der Wassermangel war behoben. Die Schwellungen waren zurückge gangen. Er war nicht mehr blind. Er war nur noch sehr schwach. Als er erwachte und begriff, daß er nicht nur bei sich war, sondern sogar fähig zu sein schien, seine Augen eine Weile offenzuhalten, stand Feng Hua-tse an seinem Feldbett. Der Chinese wirkt ausgezehrt, dachte Dulla ein wenig verächtlich; er sah noch schlechter aus, als Dulla sich fühlte. »Fühlen Sie sich besser?« fragte Feng traurig. Dulla dachte nach. »Ja, ich glaube schon. Was ist geschehen?« »Ich bin froh, daß Sie sich besser fühlen. Die Langnasen haben Sie vom Ort Ihrer Käfer-Freunde hergebracht. Sie sagten, Sie würden am Leben bleiben, aber ich habe nicht daran geglaubt. Es war eine lange Zeit. Wollen Sie etwas essen?« »Ja – nein«, verbesserte sich Dulla. »Ich will, aber nicht jetzt. Zuerst möchte ich auf das W.C.« »Soll ich Ihnen helfen?« »Nein, das kann ich allein.« »Darüber bin ich auch froh«, sagte Feng, der während der ganzen Zeit, seit Achmed Dulla sich erholte, für die Entleerung
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der Bettschüssel zuständig gewesen war. Der Pakistani erhob sich mühsam von dem aufblasbaren Feldbett und ging langsam zur Latrine. Er schaute sich im Lager mißbilligend um. Eines der Geräusche, das er gehört hatte, ein klatschendes, rasselndes, machte seinen Ursprung deutlich, der sich als das Wasserrad erwies. Es mußte also wenigstens Strom geben. Aber wo waren die versprochenen Scheinwerfer, das blühende Korn, die Bequemlichkeiten? Wo waren alle Leute? Feng war ihm gefolgt und stand leidvoll dabei, als Dulla seine Notdurft verrichtete. »Warum stehen Sie hier?« fauchte Dulla und schnürte mühsam seine Schlafanzughose zu. »Was ist passiert? Warum ist so wenig getan worden?« Der Leiter breitete die Hände aus. »Was kann ich sagen? Wir waren zehn. Einer starb bei Ihnen, bei dem Unternehmen, das Ihnen so notwendig erschien. Ein anderer starb hier. Zwei waren so krank, daß sie zur Erde zurückgebracht werden mußten – freundlicherweise von den Ölern. Wir hatten niemanden, der gesund genug gewesen wäre, die Rückkehrkapsel zu fliegen. Der Italiener schläft, und die beiden Frauen sammeln Brennstoff.« »Sammeln Brennstoff! Sind wir wieder zu Bauern geworden, Feng?« Der Anführer seufzte. »Ich habe mein Bestes getan«, sagte er; es war ein Satz, den er sich schon seit langer Zeit immer wieder vorsagte. »Hilfe kommt. Erbe Maos hat sie selbst angefordert, zwei große Schiffe, Material und Personen, bald – « »Bald! Und bis dahin, was? Wir tun nichts?« »Legen Sie sich ins Bett«, sagte Feng müde. »Sie überanstren gen mich, Dulla. Essen Sie, wenn Sie wollen. Es gibt Nahrung. Die Fetten haben sie uns gegeben, sonst wäre nichts da.«
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»Und jetzt sind wir Bettler«, höhnte Dulla. Er schwankte und hielt sich an Fengs Schulter fest. »Dafür habe ich studiert und all diese Lichtjahre zurückgelegt! Dafür wäre ich beinahe gestorben! Wie töricht werden wir alle aussehen, wenn wir in Schande zur Erde zurückkehren!« Feng schüttelte schwerfällig den Kopf. Er löste die Hand des Pakistani von seiner Schulter und trat hinter ihn – der Mann war übelriechend ungewaschen. Er brauchte sich das alles nicht anzuhören. Er wußte es selbst. Er hatte die Wohltätigkeit der Fetten angenommen, weil sie ohne die Nahrung alle gestorben wären; die der Öler, damit sie Dulla retteten und die Kranken zur Erde zurückbrachten – und ohne Zweifel würden diese jetzt ihren Befragern erklären, wie schlecht Feng Hua-tse die Expedition geführt hatte, die ihm anvertraut worden war. In K’ushui würden schon jetzt Anschläge mit großen Lettern erscheinen. Sie würden ihn stark kritisieren. Wenn sie zur Erde zurückkamen – falls sie zurückkamen –, konnte er bestenfalls hoffen, wieder ein BarfußBiochemiker an den Ufern des Gelben Flußes zu werden. Wenn man ihn jedoch barmherzigerweise verschonte, bis die beiden großen Schiffe eintrafen – Ah, dann! Er hatte die Tachtrans-Mitteilungen und Bilder sehnsüchtig studiert. Das zweite Schiff würde nicht zehn, nicht fünfzehn, sondern majestätische vierunddreißig neue Personen bringen. Einen Agronomen! Jemanden, der Fengs armselige Anfänge weiterführen konnte, die Pilze, die er gesät hatte, die Weizenkeimlinge, die er mit Mühe zum Sprießen gebracht hatte – das Tauglichste davon würde überleben, und die Tauglichsten ihrer Nachkommen würden gedeihen. Weitere zwei Dolmetscher würden kommen, beide mit Hirndurchtrennung, einer davon auch ein erfahrener Fischzuchtexperte. Das Große Wasser mochte noch Nahrung liefern, die sie essen konnten. Ein Arzt – nein, verbesserte sich Feng, ein voll aus gebildeter Chirurg mit weltweitem Ruf für die Behandlung von Unfallverletzungen. Gewiß, er war, dem Photo nach, fast zwei Meter groß und schwarz wie das Haar eines kleinen Jungen. Aber trotzdem. Drei von den Neuen hatten Süßwasserkunde-Schnellkurse hinter sich,
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und einer von ihnen, früher Offizier bei den Roten Garden, hatte überdies drei Jahre Erfahrung als Kundschafter in der Wüste Gobi und später im Himalaya. Und die weltlichen Güter, die das andere Schiff befördern würde! Sperrschicht-Photo-Generatoren, fähig, 230 Volt Wechselstrom in wirklich bedeutsamen Mengen zu erzeugen. Plastik in Mengen. Pionierwerkzeug – Äxte und Macheten und ein paar Gewehre für das Sammeln von Versuchsexemplaren ebenso wie für das Schießen von ›Wild‹. Faltboote. Fahrräder mit Magnesiumrahmen. Einen Computer mit doppelter Selbstprüfung und nicht weniger als sechs Fernzugriff-Terminals. Funkanlagen. Lasergeräte. Nahrung. Noch mehr Nahrung; Nahrung für sie alle, für viele Monate… Ein Traum! Aber was kein Traum war, und Feng wußte es genau, war, daß sich unter diesen vierunddreißig Personen eine befinden würde, von der er sicher war, daß sie zu ihm kam und leise sagte: »Feng Hua-tse? Erbe Maos hat mich angewiesen, Ihren Bericht darüber entgegenzunehmen, weshalb Ihre Aufsicht über dieses Projekt den Erwartungen nicht entsprochen hat.« Und dann würde die Zeit des Schwitzens kommen. Ausreden würde man nicht akzeptieren. Der Mann würde sich nicht für die Pilze interessieren, die nicht wachsen wollten, und nicht für die Versuchsexemplare, die Feng selbst so mühsam am Leben erhalten hatte. Er würde nur wissen wollen, warum drei gestorben und zwei heimgeschickt worden waren, und warum zehn so wenig erreicht hatten. All das beherrschte Feng Hua-tses Denken, aber alles, was er sagte, war: »Schlafen Sie, Dulla. Ich habe keine Geduld mehr mit Ihnen.«
Dulla schlief nicht. Der Zorn hatte ihm Stärke verliehen. Was er tat, war, den Italiener aufzuwecken.
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»Ach, Sie sind wieder lebendig?« Spadetti gähnte und rieb die blauschwarzen Stoppeln an seinem Kinn. »Wir dachten, Sie sterben«, sagte er heiter. »Ich hätte beinahe eine Tagesration darauf verwettet. Ich wäre sehr wütend gewesen, wenn ich verloren hätte.« »Ich habe mit Feng gesprochen, mit diesem Pfuscher!« »Uazzi kann nicht allein etwas dafür, Dulla. Wir waren die ersten. Wir haben die Fehler gemacht, die unumgänglich sind, damit andere daraus lernen können.« »Ich wollte nicht der Lehrer für die Fetten und die Öler sein. Ich wollte sie überhaupt nicht hierhaben. Das kann unser Planet sein, zu gestalten nach unseren Wünschen.« »Ja«, gab Spadetti zu. »Das war auch mein Gedanke. Aber, chi sä, was kann man machen? Zu seiner Zeit schien jeder Schritt richtig zu sein. Selbst der Ihre, sich mit den Eingeborenen anzufreunden – « »Diese Bestien! Niemand kann sich mit ihnen anfreunden!« »Ach, das ist nicht wahr, Dulla. Unseren Rivalen ist es gelun gen. Die Fetten haben Ballon-Wesen, die ihre Kameras auf dem ganzen Planeten herumtragen, das behaupten sie jedenfalls über Tachtrans. Die Öler bringen ihren Maulwürfen und Regenwür mern bei, unter unser Lager Gänge zu graben und abzuhören, was wir sagen. Vielleicht lauschen sie jetzt gerade.« »Unsinn! Wie dumm sind Sie eigentlich?« »Vielleicht dumm, aber nein, das ist nicht unbedingt Unsinn«, sagte der Italiener lächelnd, ohne beleidigt zu sein. »Vielleicht habe ich einen kleinen Witz gemacht, aber ich bin nicht sicher. Und was haben wir geleistet? Ich will genauer sein, Dulla. Was haben Sie selbst geleistet, außer, daß eine Person ums Leben gekommen ist, als Sie unsere Frutti-del-mare Freunde aufsuch ten? Wir sind gescheitert. So einfach ist das.« Er gähnte und kratzte sich. »Und jetzt, perfavore, Dulla, lassen Sie mich allein für mich wachwerden, ja? Ich bin über diese Wirklichkeit
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ringsum nicht so glücklich, daß ich so rauh aus meinen Träumen gerissen werden möchte.« »Dann trinken Sie Ihren Wein und träumen Sie«, sagte Dulla kalt. »Ach, Dulla! Das wäre keine schlechte Idee. Wenn man nur einen guten Wein hätte, statt diesem Dreck.« »Schwein!« sagte Dulla, aber so leise, daß Spadetti nicht zuzugeben brauchte, es gehört zu haben. Er kehrte zu seinem Feldbett zurück, ließ sich schwerfällig darauf nieder, ohne Spadettis leise Flüche zu beachten, als dieser den Fusel trank, den er selbst gemacht hatte. Vielleicht starb er daran. Warum nicht? Der Geruch verdarb Dulla den Appetit, obwohl er wußte, daß er essen sollte; er schätzte, daß er mindestens zehn Kilogramm Gewicht verloren hatte, seitdem er auf Kungs Sohn gelandet war, und viel mehr konnte er nicht entbehren. Er blieb schweratmend sitzen und sog mit einem Strohhalm abgestande nes, destilliertes Wasser aus einer Flasche. Nach und nach bemerkte er, daß ein Plastikbeutel unter seinem Bett lag. Er kippte ihn und bedeckte das Bett mit einer Flut winziger weißer Fiche-Karten. »Ich sehe, Sie haben Ihre Liebesbriefe gefunden«, rief der Italiener herüber. »Leider kann ich Ihre Sprache nicht lesen. Aber sie ist ein hübsches Ding.« Dulla beachtete ihn nicht. Er sammelte die Karten auf und trug sie in das Funkzelt, wo das einzige funktionierende Lesegerät stand. Spadetti hatte recht gehabt; sie stammten fast alle von der Bulgarin, und überall stand so ziemlich dasselbe. Er fehlte ihr. Sie dachte an ihn. Sie tröstete ihre Einsamkeit mit der Erinnerung an ihre gemeinsamen Tage in Sofia. Aber auf den Photographien sah man Ana in Paris, Ana in London, Ana in Kairo, Ana in New York. Sie schien ohne ihn ein interessantes Leben zu führen. Reiche Länder! Waren sie im Grunde nicht alle gleich, ob nun der Reichtum aus Erdöl oder Nahrungsmitteln bestand?
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Reichtum war Reichtum! Von den fetten Bulgaren trennte ihn mehr als von – sogar von den Krinpits, dachte er und begriff beinahe augenblicklich, daß er ungerecht war. Nan war nicht so. Aber sie hatte auch den Vorteil gehabt, einen großen Teil ihrer Kindheit in Haiderabad verbracht zu haben. Als er den Geruch des von Spadetti selbstgemachten Weines nicht mehr wahrnahm, begriff er, daß er Hunger hatte. Er fand geschrotetes Korn und aß es langsam, während er Anas Briefe schnell und die Zusammenfassungen von der Erde langsamer durchging. Vieles war geschehen, während er ausgefallen war. Die Fetten hatten Verstärkung von der Erde erhalten – sie nannte sich eine Friedenstruppe von der UNO, aber das täuschte nur die Naivsten. Die Öler hatten einen Satelliten mit einem astronomischen Observatorium in eine Umlaufbahn gebracht und maßen Unterschiede in der Strahlung Kungs. Es gab Probleme mit dem Satelliten, und die Resultate waren unklar. Trotzdem studierte Dulla die Berichte fasziniert und neidisch. Das hätte sein eigenes Projekt werden sollen. Was für eine sinnlose Vergeudung diese ganze Expedition war! Er blickte angewidert auf die klaffenden Risse in den Zeltwänden, auf die Instrumente, die verrosteten, weil es niemanden gab, der sie benützte. So viel zu tun. So viel, daß er nicht wußte, wo er anfangen sollte, und also nichts tun konnte. Draußen entstand Lärm. Dulla hob den Kopf und zog die Brauen zusammen. Feng und der Italiener stritten sich, und hinter dem Geschrei hörte man das ferne Quäken einer Herde von Ballon-Wesen. Wenn Erbe Maos ein wenig freigebiger gewesen wäre und Feng weniger töricht, dann hätten sie vielleicht einen Hubschrauber gehabt, wie die Öler, oder den Einfall, Ballons herzustellen, wie die Fetten, und auch er hätte vielleicht Gelegenheit bekommen, mit den Schwärmen zu fliegen. Diese Chance war dahin. Selbst die Krinpits, mit denen er, Achmed Dulla, Kontakt aufzunehmen entschlossen gewesen war, blieben ihm so fremd wie vorher. Es war nicht gerecht. Er war das Risiko eingegangen. Er erinnerte sich gut, wie ihm zumute gewesen war, als er hilflos unter den neugierigen,
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stoßenden und schiebenden Massen krebsartiger Wesen gelegen hatte. Wenn sie nicht zuerst versucht hätten, den anderen Mann zu fressen, wäre er eine Mahlzeit geworden, das wußte er. Und für nichts. Der eine Krinpit, mit dem sich zu verständigen und ihn als Versuchsexemplar zu behalten, sie Gelegenheit gehabt hatten, war von den Ölern gestohlen worden, und Feng hatte es zugelassen. Plötzlich drangen von draußen neue Geräusche herein, lautes Zischen und Fauchen, so daß Dulla aufstand und zum Zelt hinausschaute. Er sah Flammen zum Himmel greifen und Feng mit dem Italiener ringen, während eine der Frauen aus Jamaika beide wütend beschimpfte. »Was geht hier vor?« fragte Dulla scharf. Der Italiener stieß Feng weg und wandte sich Dulla mit reumütiger Miene zu. »Uazzi wollte unsere Freunde begrüßen«, sagte er und schaute zum Himmel hinauf. Die Raketen waren in den dunkelroten Dunst hinaufgestiegen und explodiert, und ringsum gab es kleinere Explosionen: Ballon-Wesen hatten im Funkenregen Feuer gefangen. »Ich habe ihm beim Zielen geholfen, aber vielleicht – vielleicht nicht so gut gezielt«, sagte er. »Ihr Narren!« schrie Dulla, vor Wut beinahe hüpfend. »Seht ihr, was ihr getan habt?« »Ich habe ein paar Gassäcke verbrannt, warum nicht?« murrte Spadetti. »Nicht nur Gassäcke! Reiben Sie sich den Wein aus den Augen und schauen Sie hin! Ist das ein Gassack? Sehen Sie nicht, daß da ein Mensch hängt und sich fragt, warum wir versucht haben, ihn umzubringen? Er wird bestrebt sein, zu seinem Stützpunkt bei den Fetten oder Ölern zurückzukommen und zu melden, daß die Volksrepubliken den Krieg erklärt haben. Wieder ein grober Mißgriff! Und diesmal einer, den wir vielleicht nicht überleben.«
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»Friede, Dulla«, keuchte Feng. »Es spielt keine Rolle mehr, ob die Fetten und die Öler jetzt böse auf uns sind. Hilfe ist unterwegs.« »Sie sind so dumm wie er. Feuerwerk abzuschießen wie irgendeine Landwirtschaftsbrigade, welche die Übererfüllung ihres Kohlkopf-Solls feiert!« »Ich wünsche mir eigentlich, daß man Sie nicht gerettet hätte, Dulla«, sagte Feng. »Es gab hier weniger Unruhe, als Sie bei den Krinpits waren.« »Und ich wünsche mir, daß der Krinpit, der versucht hat, mich umzubringen, hier an Ihrer Stelle Anführer wäre«, sagte Dulla. »Es war weniger häßlich und weniger stupide.«
Dieser Krinpit war viele Kilometer weit entfernt und in diesem Augenblick beinahe so zornig wie Dulla. Er war von den überaus ärgerlichen Versuchen der Gift-Geister des Erdöl-Lagers, mit ihm zu sprechen, vom Hunger und vor allem vom unaufhörlichen blendenden Lärm im Lager fast zum Wahnsinn getrieben worden. In der überlauten, grellen Welt der Krinpits gab es nie einen Augenblick der Stille. Aber mit dem Lärm konnte man immer zurechtkommen: die meiste Zeit höchstens sechzig, siebzig Dezibel, bis auf den gelegentlichen Donnerschlag eines Gewitters. Über fünfundsiebzig ging er fast nie hinaus. Für Sharn-igon war das Lager des Erdöl-Blocks eine Marter. Manchmal war es ruhig und trüb, manchmal blendend laut. Die Krinpits besaßen keine Verbrennungsmotoren, die ihre Hörnerven peinigen konnten. Die Öler hatten Dutzende davon. Sharn-igon hatte keine Vorstellungen davon, wie sie funktionier ten oder wozu sie dienten, aber er konnte jeden von ihnen erkennen, wenn er lief: ein hohes Rattern der Bohrmaschine, das gummiweiche Brüllen des Hubschraubers, Rasseln und Heulen der Motorsäge, das gleichmäßige Knattern der Wasserpumpe. Er war nahezu blind im Lager eingetroffen, denn die Nähe des
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Hubschrauber-Turbojets hatte sein Gehör beeinträchtigt, wie der Blick in die unverhüllte Sonne das menschliche Auge schädigt; das Nachbild hatte tagelang angehalten und verzerrte seine Wahrnehmung noch immer aufs stärkste. Er war sofort nach seiner Ankunft hinter Stahlgitter gebracht worden. So fest er auch nagte und sägte, die Gitterstäbe des Käfigs gaben nicht nach. Sobald er an einem eine kleine Kratzspur hinterließ, wurde dieser ersetzt. Die Giftgeister behelligten ihn unaufhörlich und wiederholten seinen Namen und seine Laute auf unheimliche, erschreckende Weise. Sharn-igon wußte nichts von Tonbandauf zeichnungen, und seine eigenen Laute vorgespielt zu bekom men, war für ihn ein ebenso zermürbendes Erlebnis wie für einen Menschen, vor dem seine eigene Gestalt aufgetaucht wäre. Er hatte begriffen, daß die Gift-Geister sich mit ihm verständigen wollten, und einen winzigen Teil dessen verstanden, was sie ihm mitteilen wollten. Aber er antwortete selten. Er hatte ihnen nichts zu sagen. Und er war am Verhungern. Er überlebte mit Mühe durch das wenige, was er von dem ihm Vorgesetzten aß – zumeist Vegetation, von dem er das meiste ablehnte, wie ein Mensch Disteln und Gras zurückgewiesen hätte. Sein Hunger wurde quälend gesteigert, weil er die schmackhafte Nähe von Geistern Darunter, die in seiner Nähe eingesperrt waren, und ab und zu sogar eines Geistes Darüber riechen konnte. Aber die GiftGeister brachten ihm von diesen nie etwas zu essen. Und unaufhörlich das blendende Lärmen und die ebenso unangeneh me Stille, wenn das Lager schlief und nur das schwache Echo von Zelten und weichen Leibern ihm Gesellschaft leistete. Menschliche Wesen, in einer Einzelzelle bei Brot und Wasser, während grelles Licht sie am Schlafen hindert, werden wahnsin nig. Sharn-igon war nicht weit davon entfernt. Aber er klammerte sich an die Vernunft, weil er ein Ziel hatte. Die Gift-Geister hatten Cheepruitt getötet. Er hatte nicht rechtzeitig gelernt, sie voneinander zu unter scheiden, um zu wissen, wer der Schuldige war, aber dieses Problem ließ sich leicht lösen. Sie waren alle schuldig. Selbst in
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seinem Wahnsinn war ihm klar, daß es ihm zustand, sehr viele von ihnen zu töten, um die Schuld auszugleichen; es war ihm aber noch nicht deutlich geworden, wie. Das Chitin von Schere und Schalenschwert war plattgewetzt und wund von den Gitterstangen, und diese hielten immer noch. Wenn alle Geräusche verstummten, preßte er sich sehnsüchtig an das Gitter und plauderte mit dem Geist Darüber. »Ich möchte dich essen«, sagte er. Wären die Gitterstäbe nicht gewesen, der Geist Darüber hätte eine leichte Beute dargestellt. Er hatte fast sein ganzes Gas verloren und kroch am Boden eines Käfigs, ähnlich dem seinen, herum. Sein Gesang war nicht mehr als ein armseliges Flüstern. »Du kannst nicht an mich heran«, betonte er, »wenn du dich nicht schälst, und dann würde ich dich essen.« Jeder gebrauchte seine eigene Sprache, aber über Tausende von Generationen hinweg hatten alle Rassen auf Klung von den anderen Sprachen etwas gelernt. Bei den Geistern Darüber konnte man nicht umhin, ihrem Gesang unaufhörlich ausgesetzt zu sein, und selbst die Geister Darunter konnte man in ihren Tunnels schnattern und pfeifen hören. »Ich habe mehrere von euch Hartschaligen gegessen«, ächzte der Geist Darüber schwach. »Vor allem mag ich die Jungen und die erste Schälung.« Das Wesen prahlte, aber Sharn-igon hielt die Geschichte durchaus für glaubhaft. Die Ballon-Geschöpfe nährten sich meist von in der Luft schwebenden Stoffen, aber um ihre Jungen gesundzuerhalten, brauchten sie ab und zu kräftigere Proteinträ ger. Wenn die Fortpflanzungszeit kam, sanken die Weibchen wie Heuschrecken auf den Boden hinab, um ihn von allem, was sie fanden, kahlzufressen. Erwachsene Krinpits in ihren Schalen waren zu gefährlich, aber die in der Schälung befindlichen wurden ihre Beute. Am allerbesten war eine Brut von Geistern Darunter – für die Krinpits ebenso wie für die Ballon-Wesen. Bei dem Gedanken daran begannen Sharn-igons Speicheldrüsen zu arbeiten. »Hartschale«, flüsterte der Geist Darüber, »ich glaube, ich
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sterbe. Du kannst mich essen, wenn du willst.« Sharn-igon mußte in aller Ehrlichkeit zugeben: »Du wirst mich vielleicht vorher essen.« Aber dann nahm er wahr, daß etwas Seltsames geschah. Der Geist Darüber befand sich nicht mehr in seinem Käfig. Er schleppte sich langsam dahin. »Wie bist du entkommen?« fragte er scharf. »Vielleicht, weil ich dem Tod so nahe bin«, sang der Geist Darüber schwach. »Die Tötenden haben ein Loch in meinen Sack gemacht, um mein Leben herauszulassen, und es dann mit etwas verschlossen, das klebte und haftete und brannte. Aber es hat sich abgelöst, und fast mein ganzes Leben ist ausgeronnen, so daß ich zwischen den Gitterstäben hindurchkonnte.« »Ich möchte mich auch hindurchzwängen können.« »Warum öffnest du den Käfig nicht? Du hast harte Dinge. Die Tötenden schieben etwas Hartes in eine Stelle im Käfig, wenn sie wollen, und er geht auf.« »Wovon sprichst du? Ich habe meine Schale abgeschliffen.« »Nein«, seufzte das Ballon-Wesen. »Nicht wie deine Schale. Warte, dort an der Tür ist eines, ich zeige es dir.« Sharn-igons Vorstellung von Schlüsseln und Schlössern war der menschlichen völlig unähnlich, aber auch die Krinpits besaßen Methoden, vorübergehend ein Ding am anderen zu befestigen. Er klapperte und kratzte in fieberhafter Ungeduld, während der sterbende Gassack sich langsam auf ihn zuschleppte, mit etwas Hellem und Hartem in seinem schattenhaften Mund. »Könntest du das Ding in die Stelle an meinem Käfig schie ben?« lockte er. Der Geist Darüber sang einen Augenblick schwach vor sich hin, dann meinte er: »Du wirst mich essen.« »Ja, das werde ich. Aber du bist dem Tod ohnehin sehr nahe«, erklärte Sharn-igon und fügte hinzu: »Du singst schon sehr schwach.«
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Das Ballon-Wesen zischte traurig, ohne Worte zu bilden. Es war wahr. »Wenn du das harte Ding in die Stelle an meinem Käfig schiebst, damit ich freikomme«, sagte Sharn-igon, »werde ich für dich ein paar von den Gift-Geistern töten.« Er fügte aufrichtig hinzu: »Das habe ich auf jeden Fall vor, weil sie meine Er-Frau getötet haben.« »Wie viele?« flüsterte das Ballon-Wesen zweifelnd. »So viele, wie ich kann«, sagte Sharn-igon. »Mindestens einen. Nein. Zwei. Zwei für dich, und so viele, wie ich kann, für mich.« »Drei für mich. Jene drei, die hierherkommen und mir Qualen verursachen.« »Also gut, ja, drei«, rief Sharn-igon, »alles, was du willst! Aber tu es schnell, wenn du es tust, bevor die Gift-Geister zurück kommen!« Stunden später schleppte sich Sharn-igon beinahe mit letzter Kraft in ein Krinpit-Dorf. Es war nicht das seine. Er hatte seine Geräusche schon lange am Horizont gesehen, war aber so schwach und gepeinigt, daß er länger als das winzigste Junge gebraucht hatte, um die Strecke dahinzukriechen. »Sharn-igon, Sharn-igon, Sharn-igon«, rief er, als er sich den fremden Krinpits näherte. »Ich bin nicht von eurem Ort. Sharn igon, Sharn-igon!« Ein trächtiges Weibchen huschte an ihm vorbei. Sie bewegte sich langsam, weil sie nah an ihrer Zeit war, aber sie beachtete ihn nicht. Das überraschte Sharn-igon nicht. Es entsprach seinen Erwartungen. Tatsächlich war ein wankender Schritt in das fremde Dorf für ihn schwerer als der letzte, und er war von Beruf Einfühler. »Sharn-igon«, rief er tapfer. »Ich möchte mit einem von euch sprechen, obschon ich nicht von seinem Ort bin!«
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Natürlich kam keine Antwort. Es würde nicht leicht sein, Kontakt herzustellen. Jeder Ort war kulturell wie geographisch von jedem anderen isoliert. Sie kämpften nicht miteinander, aber es gab auch keine wechselseitigen Beziehungen. Wenn eine Gruppe Krinpits von einem Ort zufällig auf ein Individuum oder eine Gruppe von einem anderen stieß, betrachteten sie einander nicht als Personen. Ein Krinpit mochte einen von einem anderen Dorf aus dem Weg schieben. Zwei einander fremde Krinpits mochten jeder nach einem Vielstamm-Baum greifen, der ihren gemeinsamen Weg versperrte. Beide würden anheben. Keiner würde den anderen ansprechen. Genetisch waren die Dörfer nicht isoliert. Die Sämlinge fielen vom Rücken ihrer Väter, sobald sie reif waren, wo immer sie sich auch befinden mochten. Wenn sie sich dabei zufällig in der Nähe eines fremden Dorfes befanden – und wenn sie das Glück hatten, es zu erreichen, ohne Nahrung für einen Geist Darunter oder irgendeinen anderen Räuber zu werden –, nahm man sie dort so bereitwillig auf wie irgendeinen Autochthonen. Aber Erwachsene taten so etwas nie. Andererseits sahen Erwachsene sich auch nie in Sharn-igons Lage, bis jetzt. »Sharn-igon, Sharn-igon«, rief er immer wieder, und endlich kroch eine Er-Mutter auf ihn zu. Sie sprach ihn nicht direkt an, zog sich aber auch nicht zurück. Unterwegs nannte sie leise ihren Namen: Tsharr-p’fleng. »Hast du einen guten Ringgruß gehabt, fremder Bruder?« fragte Sharn-igon höflich. Keine Antwort, außer, daß der Laut des fremden Namens ein wenig lauter und sicherer wurde. »Ich bin nicht von diesem Ort«, sagte Sharn-igon. »Es ist überaus unangenehm für mich, hier zu sein, und mir ist klar, daß es für dich ebenso unliebsam sein muß. Aber ich muß mit dir sprechen.« Erregt starrte und klopfte der andere Krinpit kurz seinen
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Namen und vermochte dann zu sprechen. »Warum bist du hier, Sharn-igon?« Er brach in die Knie seiner Vorderbeine. »Ich brauche Nahrung«, sagte er. Das Ballon-Wesen war so schrecklich dünn und schwach gewesen, daß er nur eine halbe Mahlzeit geboten hatte, und Sharn-igon hatte natürlich besonders darauf geachtet, nichts von den Gift-Geistern zu essen. Er war nicht sicher, ob es ihm gelungen war, alle drei zu töten, aber mindestens zwei waren gewiß tot, und der andere würde lange brauchen, um wieder gesund zu werden. Damit war die Rechnung für das Ballon-Wesen beglichen. Aber nicht für Cheepruitt. Wäre Sharn-igon kein Berufs-Einfühler gewesen, hätte er die Barriere zwischen den Orten nicht durchbrechen können. Selbst so erforderte es viel Zeit und seine ganze Überredungskunst, aber am Ende half Tsharr-p’fleng ihm zu einem Wohn-Pferch und sorgte für seine Bedürfnisse. Sharn-igon verschlang die Krebs-Ratte, die man ihm brachte, während Tsharr-p’fleng sich erregt mit anderen Dorfbewohnern vor der Pferchwand unterhielt. Dann kamen sie herein und reihten sich um Sharn-igon auf, um ihm beim Essen zuzuhören. Er ignorierte ihre höflichen Scharrlaute der Neugier und Sorge, bis der letzte Bissen verzehrt war. Dann schob er die aufgebro chene Schale weg und begann zu sprechen. »Die Gift-Geister haben meine Er-Frau getötet und nicht gegessen.« Ein aufflackernder Laut des Ekels. »Sie haben mich gefangen und an einem Ort ohne Türen festgehalten. Sie haben meine Jungen entfernt und mitgenom men. Ich glaube nicht, daß sie gegessen wurden, aber ich habe sie seitdem nicht mehr gehört.« Grellere Laute, Ekel, vermischt mit Mitgefühl und Zorn.
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»Überdies haben sie auch Geister Darüber und Geister Darunter eingefangen, und viele von den niedrigeren lebenden Wesen, und keines davon gegessen. Ich habe deshalb drei von den Gift-Geistern getötet. Ich habe vor, noch mehr zu töten. Seid ihr Rückengenossen der Gift-Geister?« Die Er-Mutter raschelte und sagte verächtlich: »Nicht mit diesen! Ihre Rückengenossen sind die Geister Darunter.« Ein anderer sagte: »Aber die Gift-Geister haben Methoden, zu töten. Sie haben in unserer Sprache zu uns gesprochen und uns gesagt, wir sollen uns vor ihnen hüten, sonst töten sie uns.« »Hüten wovor? Was haben sie euch gesagt?« »Nur, daß wir uns hüten sollen, einem von ihnen etwas zu tun, denn dann werden sie unser ganzes Dorf vernichten.« Sharn-igon sagte: »Die Gift-Geister sprechen nicht die Wahrheit. Hört zu! Sie sagen, sie kommen von einer anderen Welt, wie die Sterne am Himmel. Was sind diese Sterne?« »Sie sagen, sie sind wie die Wärme vom Himmel«, murmelte ein anderer. »Ich habe die Wärme vom Himmel gespürt. Ich habe keine Wärme von diesen anderen Sternen gespürt. Ich höre nichts von ihnen. Gleichgültig, wie laut ich rufe, ich höre von keinem ein Echo.« »Wir haben diese Dinge selbst ausgesprochen«, sagte Tsharrp’fleng langsam. »Aber wir fürchten die Gift-Geister. Sie werden uns töten, ohne zu essen.« »Das werden sie, es ist wahr«, sagte Sharn-igon. Er schwieg kurze Zeit, dann fuhr er fort: »Es sei denn, wir töten sie zuerst. Es sei denn, alle unsere Dörfer überfallen sie gemeinsam und töten sie, ohne zu essen.«
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XI
Margie Menningers Haare waren nicht mehr blond. In ihrem Paß stand nicht mehr der Name Margie Menninger. Ihrem Marschbefehl zufolge war sie jetzt Major, unterwegs zu einem neuen Posten; und obwohl der Befehl einen Zwischenaufenthalt genehmigte, sprach wenig dafür, daß der General, von dem er unterzeichnet worden war, sich vorgestellt hatte, der Aufenthalt würde in Paris verbracht werden. In ihrem kleinen Hotelzimmer beschäftigte sie sich unruhig mit dem sogenannten Croissant und dem angeblichen Orangensaft und rief zur Concierge hinunter, um zu erfahren, ob die Nachricht, die sie erwartete, schon eingetroffen sei. »Isch bedaure, Mihs Bernardi, aber da ischt nischts«, seufzte die Concierge. Margie biß noch einmal in das Brötchen und gab es auf. Frankreich war nominell Mitglied des Nahrungs-Blocks – mit Mühe und Not und der Umetikettierung von algerischem Wein für den Export –, aber am Frühstück, das man hier bekam, konnte man es nicht erkennen. Sie hatte dieses Zimmer mit dem nachhaltigen Geruch von Kif und sexueller Athletik der früheren Bewohner satt. Sie wollte unterwegs sein und konnte nicht. Und während sie in diesem Raum verzweifelte, standen die Raumschiffe der Vaus vor dem Start, hinkte die Ausbildung von Ersatz-Besatzungen für die nächste Mission des Nahrungs-Blocks ohne sie dahin, und nur der liebe Gott wußte, was für Katastrophen sich in Washington und bei der UNO ereigneten. Sie ließ ihr Frühstück stehen und zog sich rasch an. Als sie hinunterkam, lag natürlich auf dem Concierge-Pult eine Nachricht auf einem dünnen Blatt Papier: ›Miss Hester Bernardi wird zu ihrer Verabredung um 15.00 abgeholt.‹
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Das lag offenbar schon die ganze Zeit hier. Margie machte sich nicht die Mühe, die Concierge zu rügen; wenn es ums Trinkgeld ging, würde die es schon merken. Sie trat hinaus auf die Rue Caumartin und überlegte sich, was sie nun tun sollte. Sechs Stunden! Und sie wußte beim besten Willen nicht, wie sie die Zeit nutzen sollte. Es war ein warmer, aber trüber Tag. Der Benzingestank verpestete die Luft über der Place de l’Opera. Nahrungs-Block oder nicht, Frankreich pflegte zu den Arabern ebenso gute Beziehungen wie zu den Vaus. Das ist ein weiterer Grund, warum man den Franzmännern nicht trauen kann, dachte Margie düster. Einer ihrer Großväter war im Wehrmachtsgrau in diese Stadt einmarschiert, der andere einige Jahre später im amerikanischen Olivtuch von der anderen Richtung her, und beide hatten ihre Gefühle für die Franzosen an sie weitergege ben. Letztere waren unbeständige Verbündete und unzuverlässi ge Leute, und die wenigen, die eine Empfindung nationalen Sinns zu besitzen schienen, wurden regelmäßig von den anderen ihrer Köpfe beraubt oder mit glattrasierten Köpfen bedacht. Nach Margies Meinung waren die Franzosen um nichts besser als die Engländer, die Spanier, die Italiener, die Portugiesen, die Asiaten, die Afrikaner, die Lateinamerikaner und, wenn man es genau nahm, ungefähr neunzig Prozent der Amerikaner auch. Aber das unmittelbare Problem war nicht, was mit der Mensch heit nicht stimmte, sondern was sie mit diesem Tag anfangen konnte. Es gab nur eine Antwort: Sie konnte das tun, wozu die meisten Amerikanerinnen nach Paris kamen – sie konnte einkaufen. Sie konnte nicht nur einkaufen, sie mußte, das war die beste Methode, nicht aufzufallen. Es war eines von Margies bestgehüteten Geheimnissen, daß sie von Zeit zu Zeit von Einkaufswut befallen wurde, aus dem einen Laden hinaus-, in den anderen hineinstürzte. In ihrer kleinen Wohnung in Houston gab es zwei begehbare Kleiderschränke und die Hälfte eines als Gästezimmers vorgesehenen Raumes,
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die vollgestopft war mit ihren Einkäufen. Diese waren wild durcheinander in Fächer geworfen, in Einkaufstüten unter das Bett geschoben; Pullover, die sie nie tragen würde, Stoff, halb zu Vorhängen genäht, die nie angebracht werden würden. Ihr Wohnzimmer war spartanisch eingerichtet, ihr Schlafzimmer stets makellos, weil man nie wußte, wer vorbeikommen mochte. Aber die geheimen Räume waren Teil der verborgenen Persönlichkeit Margie Menningers. Nichts, was sie kaufte, war sonderlich teuer, weil sie sparsam war. Ihr standen Gelder zur Verfügung, die nie nachgewiesen werden mußten, und die Preise hätten keine Rolle gespielt, aber ihr Geschmack ging mehr auf Menge als auf Qualität. Hin und wieder führte sie Krieg gegen die überquellenden Quantitäten, und dann lebten Wohlfahrts einrichtungen und die Heilsarmee geraume Zeit von ihren Spenden. Eine Woche später waren die Vorräte wieder aufgefüllt. Bis das Taxi sie pünktlich um drei Uhr am Hotel abholte, war ihre gute Laune wiederhergestellt. Sie lehnte sich an die harte Plastik-Rückenlehne, bereit für alles, was kommen mochte. Der Fahrer hielt an der Place Vendome so lange, daß noch ein Fahrgast hereinspringen konnte. Hinter seiner TouristenSonnenbrille verbarg sich das Gesicht ihres Vaters, was Margie nicht überraschte. »Bonjour, Schatz«, sagte er. »Ich habe dir dein Spielzeug mitgebracht.« Sie griff nach der Kamera, die er ihr hinhielt, und wog sie prüfend. Sie war schwerer, als sie aussah; sie würde darauf achten müssen, daß niemand anderer sie in die Hand nahm. »Versuch keine Aufnahmen damit zu machen«, sagte er, »denn das ginge nicht. Häng sie dir einfach um den Hals. Wenn du dort bist, wo du hingehst« – er drückte auf den Auslöser, und das Gehäuse öffnete sich und gab den Blick auf ein mattmetallenes Objekt darin frei – »gibst du das deinem Kontaktmann. Zusam men mit hunderttausend Petrodollar. Sie sind im Etui.« »Danke, Papa.«
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Er drehte sich herum und sah sie an. »Du wirst deiner Mutter nicht erzählen, daß ich dich das habe machen lassen, nicht?« »Um Gottes willen, nein. Sie bekäme Durchfall.« »Und laß dich nicht erwischen«, fügte er hinzu. »Dein Kon taktmann war einer von Tarn Gulsmits besten Leuten, und er wird außer sich sein, wenn er dahinterkommt, daß wir ihn umgedreht haben. Wie geht es in Fort Detrick?« »Alles bestens, Papa. Du verschaffst mir das Transportmittel, ich schicke gute Leute.« Er nickte. »Wir hatten ein bißchen Glück«, berichtete er. »Die Vaus haben auf einen von uns geschossen. Kein Schaden, aber ein schöner Zwischenfall.« »Hat er denn nicht zurückgeschossen, verflixt noch mal?« »Der nicht! Es war dein alter Haftgenosse, der aus Bulgarien. Soviel ich erkennen kann, hält er nichts von Gewaltanwendung. Jedenfalls hat er genau das getan, was auch ich ihm aufgetragen hätte. Er machte, daß er wegkam, erstattete der Friedenstruppe der UNO Bericht, und er hatte Tonbänder und Aufnahmen als Beweise.« Er schaute zum Fenster hinaus. Sie hatten die Seine überquert. Nun krochen sie im dichten Verkehr durch eine Arbeitergegend. »Hier steige ich aus. Wir sehen uns in Washington, Liebes. Und paß gut auf dich auf.« Früh am nächsten Morgen war Margie in Triest. Sie war nicht mehr Hester Bernardi, aber auch nicht wieder Margie Menninger. Sie war eine schläfrige schweizerisch-italienische Hausfrau in einem verschwitzten Hosenanzug, in einem gemieteten Elektroauto von Fiat unterwegs zur jugoslawischen Grenze, zusammen mit einer Menge anderer sonntäglicher Einkäufer, die billiges Gemüse und günstiges jugoslawisches Geschirr erstehen wollten. Im Gegensatz zu ihnen fuhr sie durch nach Zagreb, stellte den Wagen ab und reiste mit dem Omnibus in die
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Hauptstadt. Als sie Belgrad erreichte, lag der Gegenstand, den ihr Vater ihr gegeben hatte, am Boden einer Plastik-Einkaufstüte; darüber befanden sich ein alter Pullover und eine abgeschabte Handta sche. Und sie hatte sehr wenig geschlafen. Margie hätte im Haus von Godfrey Menninger nicht aufwachsen können, ohne den einfachen Dialog der Spionage zu erlernen. Auf der ganzen Welt war sie die einzige Person, zu der ihr Vater stets offen gewesen war. Zuerst, weil sie zu klein war, um zu begreifen, und er in ihrer Gegenwart offen reden konnte; dann, weil sie begreifen mußte. Als die PLO sie entführte, war sie über den Punkt hinaus verängstigt worden, den eine Vierjährige überstehen kann, und die geduldigen Erklärungen ihres Vaters waren das einzige gewesen, das ihr den Terror hatte verständlich machen können. Und schließlich, weil er darauf vertraute, daß sie den Sinn begriff, den die grotesken und tödlichen Dinge, die er tat, stets hatten. Er stellte nie in Frage, daß sie seine Meinung teilte. So war sie in einer Atmosphäre von toten Briefkästen und Liquidationen und Kurieren und Doppelagenten aufgewachsen, im Mittelpunkt eines Netzes, das die ganze Welt umspannte. Aber nun war sie nicht im Mittelpunkt des Netzes, sie war draußen, wo die Risiken ungeheuer groß und die Strafen drastisch waren. Sie ging rasch durch die überfüllten Straßen und vermied es, die Leute anzusehen. Die schrankgroßen Geschäfte hatten die Türen geöffnet, und verwirrende Gerüche drangen heraus: ein scharfes Aroma von gebratenem Fleisch aus einer Schneiderei (wann hatte sie zuletzt gegessen?), der Geruch ungewaschener Achselhöhlen aus einem Laden, der Mode schmuck zu verkaufen schien. Sie überquerte die Straße, einer Tram ausweichend, und sah das Büro, das sie suchte. Auf dem Schild stand: ›Elektrotek Munschen‹, und es hing über einem Fabrikraum, in dem dicke, große Männer in Unterhemden an riemengetriebenen Nähmaschinen arbeiteten. Sie schaute auf die Uhr. Es dauerte noch über eine Stunde, bis der Kontakt möglich war. Der Mann, den sie treffen mußte, war
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ein kleiner, schlanker Italiener, der einen Fußball-Blazer mit dem Namen der Mannschaft von Skopje tragen würde. Natürlich war so jemand noch nicht zu sehen – selbst wenn er zum ersten Treffen erschien, was nach der Ankündigung ihres Vaters außerordentlich unwahrscheinlich war. An der Straße gab es eine Ansammlung von überdachten Schuppen um ein zweistöckiges Giebelgebäude, das wie der aufgegebene Bahnhof irgendeiner amerikanischen Kleinstadt aussah. Ein Bauernmarkt? So etwas schien es zu sein. Margie zwängte sich durch eine Menge von Frauen mit Kopftüchern und Frauen in Miniröcken, Männern in blauen Kitteln, die Kisten rosiger neuer Kartoffeln auf den Schultern trugen, und Männern mit Kindern an beiden Händen, die Theken voll Schokolade und Gummibonbons betrachteten. Es war ein angenehmes Gedränge. Hier fiel sie nicht auf. Aber sie hatte Hunger. Es schien Erdbeerzeit zu sein. Margie kaufte ein halbes Kilo und eine Flasche Pepsi, fand einen Platz auf einer Steinbrüstung neben einem offenen Koffer voll Schraubenzieher und Steck schlüssel aus Aluminium. Was Margie am meisten ersehnte, war ein Hamburger, aber niemand schien dergleichen zu verkaufen. Andere Leute aßen aber ebenfalls Erdbeeren, und Margie war zuversichtlich, daß sie sich von ihnen nicht abhob, oder, wenn sie ihnen schon nicht ganz ähnelte, wie eine Hausfrau wirkte, die auf dem Weg zu einem ganz gewöhnlichen Ziel haltgemacht hatte, um sich zu erfrischen. Punkt zwei Uhr stand sie wieder vor ›Elektrotek Munschen‹ und studierte, wie vereinbart, einen Omnibus-Fahrplan von Belgrad. Kein kleiner, schlanker Italiener tauchte auf. Zweimal fing sie englische Wortfetzen auf, aber als sie von ihrem Fahrplan aufsah und beiläufig in diese Richtung blickte, konnte sie nicht erkennen, wer von den Passanten gesprochen hatte. Sie warf den Bus-Fahrplan in einen Abfallkorb und ging zornig davon. Das zweite Treffen sollte erst um zehn Uhr vor einem der großen, alten Hotels stattfinden, und was sollte sie, um Himmels willen,
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bis dahin treiben? Sie mußte auf den Beinen bleiben. Es war sehr mühsam, über sieben Stunden lang herumzulaufen, gleichgültig, wie viele Campari-Soda man trinken mochte. Zum Glück fand sie etwas, das sich in kyrillischen Buchstaben ›Expres-Restoran‹ nannte, und als sie begriff, daß es eine Cafeteria war, erwies sich wenigstens ein Problem als gelöst. Sie deutet auf etwas, das nach einem Brathuhn aussah und es vermutlich auch war, und mit dem Kartoffelbrei und Brot dazu war sie wenigstens gesättigt voll. Voll von Zeit. Sie entleerte davon, soviel sie konnte: ein Spaziergang durch den Botanischen Garten, ein langer Schaufensterbummel am Boulevard Marschall Tito. Und dann begann es zu regnen. Sie zog sich in ein ›Bioskop‹ zurück und sah sich bis neun Uhr eine tschechische Komödie mit serbokroa tischen Untertiteln an. Das einzige Problem war, wachzubleiben, aber als sie das Hotel erreichte, wurde es erst problematisch. Ghelizzi tauchte auch dort nicht auf. Inzwischen war sie vor Erschöpfung fast schwindlig, ihre Kleidung war verschwitzt und regenfeucht, und sie war überzeugt davon, daß sie zu stinken begann. Papa hat diese Vereinbarungen nicht wirklich durchdacht, sagte sie sich mit einiger Bitterkeit. Er hätte sich denken sollen, daß die Kellner in der Hotelbar nicht versäumen würden, eine verschwitzte, schmutzige Ausländerin zwischen ihren Marmorsäulen und Streichtrios zu bemerken. Wenn sie ein Mann gewesen wäre, hätte es keine Rolle gespielt. Ein Mann hätte die Absicht haben können, sich die Hotelhuren anzusehen, die magere Blondine mit schwarzen Haarwurzeln, die am Kamin Patiencen legte, die dicke mit den grellroten Hären, die das Lokal innerhalb einer Stunde zweimal mit verschiedenen Männern verlassen hatte und wieder da war, um auf den nächsten zu warten. Margie verzichtete auf einen weiteren Campari und bestellte beim Kellner türkischen Kaffee. Das nächste Treffen war erst für den folgenden Nachmittag vorgesehen, und wo sollte sie schlafen? Die Huren hatten Zimmer. Wenn sie eine von ihnen gewesen wäre…
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Der Gedanke störte Margie nicht im Moralischen, aber sie brauchte nur eine Sekunde, um ihn als unpraktisch zu verwer fen. Selbst wenn sie ein Zimmer hätte, würden die Kellner sie gewiß hinauswerfen, um das vorhandene Monopol zu schützen, sobald sie den ersten Blick auf einen der einzelnen Männer werfen würde. Sie betrachteten sie bereits mit Interesse und begannen von einigen der Tische am anderen Ende des Saales die Decken abzunehmen. Margie griff nach ihrer Tasse und ging zu dem Tisch der dunkelgestreiften Blondine. Sie sprach englisch mit ihr, überzeugt davon, daß in einem Touristenhotel die Mädchen die notwendigen Worte in allen Hauptsprachen beherrschten. »Wieviel für die ganze Nacht?« fragte sie. Die Blondine sah sie entrüstet an. »Für Sie selbst? Wie abscheulich! Mit einer Frau könnte ich so etwas keinesfalls machen.« »Fünfzig Dinar?« »Hundert.« »Also gut, hundert. Aber ich habe ganz besondere Wünsche, und Sie müssen genau das tun, was ich verlange.« Die Blondine sah sie skeptisch an, dann zuckte sie die Achseln und winkte dem Kellner. »Zuerst müssen Sie mir einen echten Scotch-Whisky kaufen, während Sie mir erklären, was das für Wünsche sind. Dann werden wir sehen.«
Am Morgen erwachte Margie erfrischt. Sie duschte sich in der winzigen Dusche, zog sich hastig an und bezahlte die Frau mit einem Lächeln. »Darf ich Sie etwas fragen?« meinte die Hure, während sie nachzählte.
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»Ich kann Sie nicht hindern, zu fragen.« »Was ich tun mußte, jedesmal, wenn Sie aufgewacht sind, nämlich einfach Ihren Nacken zu reiben, bis Sie wieder eingeschlafen sind, befriedigt Sie das wirklich?« »Sie würden nicht glauben, wie sehr«, sagte Margie lächelnd. Sie schlenderte hochmütig zum Hotel hinaus, nickte den Polizisten in ihren ausgebeulten grauen Uniformen mit offenen Kragen höflich zu. Ein paar Straßen weiter fand sie das Cafe ›London‹, und dort saß an einem der Tische vor einem Glas Bier der schlanke, kleine Italiener mit einer Mütze vom Fußballklub Skopje. Sie setzte sich und bestellte Kaffee, dann ging sie auf die Toilette. Als sie zurückkam, war der Italiener fort. Die Tasche, die sie auf dem Stuhl hatte liegen lassen, schien nicht berührt worden zu sein, aber die Kamera war verschwunden, ersetzt durch eine Broschüre über die Luftkissenfahrt zur Eisenschlucht. Sie fuhr auf dieselbe Weise über die Grenze zurück. Bis sie wieder in Triest war und wieder in die Rolle der amerikanischen Touristin Hester Bernard schlüpfen konnte, war sie völlig erholt. Im Muscheljet nach Paris sperrte sie sich in die Toilette ein und studierte den Inhalt der Reisebroschüre. Wie Ghelizzi zu einer vertrauenswürdigen Person in Sir Tams Armee von Spionen hatte werden können, begriff sie nicht; er hatte sie nicht als ein Mann beeindruckt, dem man Vertrauen schenken konnte. Aber diesmal hatte er seinen Auftrag ausgeführt. Das kleine Gerät war unterwegs, und sie hatte in Mikrofiche-Form die kompletten geheimen TachtransMitteilungen zwischen der Erde und dem Lager des Erdöl-Blocks auf Klung in den Händen. Ihr Vater würde sehr stolz auf sie sein.
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XII
Was Ana Dimitrowa von den Vereinigten Staaten gesehen hatte, war das, was sie sonst auf der ganzen Welt auch sah: Flughäfen, Hotelzimmer, Sitzungssäle, Großstadtstraßen. Sie sah sich zunächst mit lebhaftem Interesse um, als der Elektro-Bus auf einer achtspurigen Autobahn dem Ziel entgegenheulte, wo sie sich zu melden hatte. So viel Raum, und der Boden nicht einmal bestellt! Und im Gegensatz dazu so viele Einrichtungen hintereinander, als sie durch Ortschaften fuhr: zum Essen, zum Schlafen, zum Trinken, zum Einkauf von Benzin; was für wundersame Verbraucher mußten diese Amerikaner sein, wenn das alles florierte. Über die Hälfte der Insassen im Bus waren Amerikaner, und sie oblagen auch dem Verbrauch; mehrere rauchten unter grober Mißachtung der Schilder, ein paar malmten Kaugummi, drei auf dem Rücksitz ließen eine Flasche in einer Papiertüte herumge hen. Der Army-Sergeant, der ihr ein Stück Schokolade angeboten hatte, offerierte der kanadischen Agronomin jetzt runde, harte Bonbons mit Löchern darin. Man strengte sich an, die anderen zu mögen, weil sie in der Ausbildung gewiß viel mit ihnen Zusammensein würde. Es war nicht leicht. Der Reihe nach versuchten die amerikanischen Männer es mit freundlicher Annäherung, aus der binnen Sekunden eine sexuelle wurde. Selbst der vietnamesische Oberst, so winzig und zierlich, daß sie sich zunächst zu ihm gesetzt hatte, in der Meinung, er sei eine Frau, hatte in seinem schönen, hochtönenden Englisch angefangen, persönliche Bemerkungen zu machen. Sie hatte bis jetzt sechsmal den Platz gewechselt und starrte nun entschlos sen zum Fenster hinaus, obwohl sie längst nichts mehr sah; derart zwanghafte Verbraucher schienen sich verpflichtet zu fühlen, auch sie zu verbrauchen.
Am nächsten Tag war sie erschöpft. Ausgabe neuer Kleidung: »Sie werden diesen Drillich ständig tragen, außer Ihre Instrukto
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ren befehlen etwas anderes.« Zuteilung der Unterkunft: »Sie werden stets für Sauberkeit sorgen. Alle persönlichen Dinge sind in den Feldkisten aufzubewahren.« Erste Besprechung: »Sie werden um sechs Uhr zum Frühstück erscheinen. Von sieben bis elf Uhr werden Sie an Ihren jeweiligen Auffrischungskursen zur Anwendung Ihrer besonderen Fähigkeiten auf Klung teilnehmen. Von zwölf Uhr bis sechzehn Uhr dreißig werden Sie Ihren Überlebenskurs absolvieren, damit Sie in der Umwelt von Klung überleben können. Von achtzehn Uhr bis ›Licht aus‹ um zweiundzwanzig Uhr werden Sie sich Ihren persönlichen Angelegenheiten widmen, es sei denn, Sie haben an zusätzlichen Kursen teilzunehmen. Wochenende? Wo ist der Mann, der das wissen wollte? Ach, Sie. Nun, hier gibt es kein Wochenende.« Bis das alles überstanden war, wurde es Mitternacht, dann schleppte Ana ihren Koffer in das winzige, nackte Zimmer, das ihr zugeteilt worden war, um festzustellen, daß ihr Zimmergenosse der vietnamesische Oberst war. Selbst hier hatte der Rang seine Vorrechte. Ana wollte aber nichts davon wissen, also zurück zum Quartiermeister und zu anhaltender Diskussion, und bis sie in einem anderen Zimmer mit einem weiblichen Zimmergenossen einschlafen konnte, war es fast zwei Uhr. Das Frühstück war entmutigend groß, Eier und Wurst und Frühstücksflocken und Brot mit Marmeladen und Erdnußbutter in offenen Literdosen auf jedem Tisch. Zum Nachtisch verbrachten sie eine Stunde damit, sich impfen zu lassen. Das war nicht schmerzhaft, aber am Grinsen und den Witzen der Ärzte erkannte Ana, daß sich das ändern würde. Und dann stellte sie sich in einem feuchten, kalten Wind mit den anderen zwei Dutzend ihrer Abteilung auf, und sie marschierten zu ihren verschiedenen Auffrischungskursen in der Anwendung ihrer besonderen Fähigkeiten. Anas kleine Gruppe umfaßte die Kanadierin und zwei ihr unbekannte Männer, und sie liefen durch die Straßen des Lagers, vorbei an einem Baseball-Platz und einer Bowlinghalle, zwischen Baracken und anonymen Gebäuden, vor denen bewaffnete Posten auf und ab gingen, hinaus auf ein freies Feld von einem halben Quadratkilometer Größe. In der Mitte befand sich eine Art Fesselballon in Wurstform, fünfzig
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Meter lang, mit Wachtposten rund um das Feld und dreien von ihnen vor dem Eingang. Ein Zaun umgab das Ganze, am Tor standen weitere Posten, und bevor sie hineindurften, mußten sie sich wieder einmal ausweisen. Als sie endlich durch das Tor und an den Wachen vorbeikam, fand sie sich in einem langen, offenen Schuppen, der ein undurchsichtiges weißes Kuppeldach aus Kunststoff besaß. Es war feucht und schwül, die Gerüche waren fremdartig, und die Beleuchtung war von düsterem Rot. Zuerst konnte sie nur wenig sehen, aber sie nahm wahr, daß zwischen Reihen offenbar kleinerer, durchsichtiger Kuppeln Leute unterwegs waren. Die Beleuchtung stammte von einer Anzahl Gas-Leuchtröhren, die alle rot waren. »Alles in Ordnung?« fragte sie der Mann, der sie hergebracht hatte. »Ja, ich glaube schon. Warum nicht?« »Manchmal halten die Leute den Geruch nicht aus.« Sie schnupperte vorsichtig: Pfeffer und Gewürz und Dschungel fäulnis. »Nein, es geht.« »Alles klingt so seltsam«, sagte die Kanadierin. »In der Außenhülle ist Überdruck. Wahrscheinlich sind Ihnen die Ohren aufgegangen. Das dient dazu, daß, wenn Luft entweicht, das nach innen, nicht nach außen, geschieht, und die Luft hier wird natürlich bei fünfzehnhundert Grad entzündet, wenn sie hinausgepumpt wird – vielleicht haben Sie den Kamin gesehen?« »Man hat Geschichten von gefährlichen Krankheiten gehört«, sagte Nan zögernd. »Nein. Es gibt keine. Oh, sicher«, fuhr der Mann düster fort, »man kann hier umkommen. Aber das sind Allergien, keine Seuche, und Sie sind alle dagegen geimpft. Dimitrowa, Sie gehören zu Linguistik. Sie kommen mit, die anderen warten hier,
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bis ich zurückkomme.« Er führte sie durch den treibhausartigen Raum, vorbei an den Reihen von Plastikkuppeln. Als ihre Augen sich an die Düsternis gewöhnt hatten, konnte sie sehen, daß jede Kuppel irgendein Versuchsexemplar enthielt, zumeist Pflanzen, und manche davon waren riesenhaft. Eines ragte zehn Meter empor, fast bis zum Dach hinauf. Es sah aus wie eine Riesenfarntraube, und Ana staunte darüber, was es gekostet haben mußte, diese immense Masse über die Lichtjahre hinweg zu befördern. Abgesehen vom Brausen der Verbrennungsanlage draußen, dem Geräusch der Pumpen und dem Lärm, den die Menschen hier machten, gab es Laute, die sie nicht identifizieren konnte; eine Art schwachen, klagenden, schrillen Gesangs und stöhnende, klappernde Laute. Sie kamen von dort, wohin sie gingen. »Willkommen in unserem Zoo«, sagte ihr Führer. Und dann sah sie das Ballon-Wesen. Sie erkannte es sofort; es konnte im ganzen Universum kein zweites so fremdartiges Geschöpf geben. Aber es sah – beschädigt aus. Es war in einem Käfig angeseilt. Der große Gassack pulsierte, war aber fast schlaff und hing auf den Boden herab. Sie starrte fasziniert hinein und sah, daß eine biegsame Plastikkupplung auf ein Loch im Sack geklebt worden war und der Plastikschlauch zu einem Gaszylinder führte. Eine Frau mit einem Tonbandgerät kauerte neben dem Zylinder und drehte am Gasventil, während sie dem klagenden Lied des Ballon-Wesens lauschte. Kein Wunder, daß die Stimme so schwach klang. Es mußte sich mit einem Bruchteil des normalen Drucks begnügen, viel zu wenig, als daß es fliegen konnte, nur genug, um eine Art schluchzenden Gesangs hervorzustoßen. Die Frau hob den Kopf und sagte: »Sie sind Dimitrowa? Ich bin Julia Arden, und das« – sie wies auf das Ballon-Wesen – »ist Shirley. Sie singt gerade ihre Kindheit.« Ana gab der anderen Frau höflich die Hand und starrte das
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traurige, verrunzelte kleine Wesen an. Diese Laute hörten sich nicht wie Sprache an. Sie konnte sich nicht vorstellen, sie zu verstehen, geschweige denn, sie übersetzen zu können, gleichgültig, wie oft man ihr Hirn durchtrennte. Sie sagte zweifelnd: »Ich werde mein Bestes tun, Miss Arden, aber glauben Sie wirklich, Sie können mir beibringen, mit dem da zu reden?« »Ich? Vielleicht nicht. Ich werde mithelfen, und die Computer auch, aber wer es Ihnen beibringen wird, ist Shirley selbst. Sie singt liebend gern für uns. Das arme Ding. Sonst kann sie mit ihrer Zeit nicht viel anfangen, oder?« Nan betrachtete das Wesen einen Augenblick und platzte dann heraus: »Nein, aber was für eine Schande! Können Sie nicht sehen, daß sie leidet?« Die andere Frau zuckte die Achseln. »Was soll ich machen?« Es klang weniger feindselig als defensiv. »Ich glaube nicht, daß Shirley sich dafür freiwillig gemeldet hat, aber ich schließlich auch nicht. Ihre Aufgabe ist es, ihre Sprache zu lernen, Dimitrowa, und damit wollen wir anfangen.« »Aber sehen zu müssen, wie ein Geschöpf leidet – « Julie Arden lachte und schüttelte den Kopf. »Sie sind gestern abend erst angekommen, Kleines«, meinte sie. »Warten Sie noch ein, zwei Tage, dann können Sie mir etwas von Leiden erzählen.«
Von 07.00 bis 11.00 Uhr strengte Ana Dimitrowa ihre geistigen Muskeln an, bis sie glaubte, daran zugrunde zu gehen, und von 12.00 bis 16.30 Uhr glich sie das damit aus, daß sie dasselbe mit ihrem Körper machte. Julie Arden hatte recht gehabt. Binnen achtundvierzig Stunden war Ana Expertin für Leiden. Sie erwachte jeden Morgen mit einem grellen Dunst im Gemüt, den sie als Ankündigung von Migräne kannte. Sie ging jeden Abend
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mit so vielen Schmerzen, blauen Flecken und pulsierenden Stellen zu Bett, daß sie ihren ganzen Willen brauchte, um die Tabletten nicht zu nehmen, die man ihr gegeben hatte. Sie konnte sich Tabletten nicht leisten; ihr Gehirn mußte wach sein, selbst während sie schlief, denn Schlafen war für Ana nur eine Fortsetzung des Lernens, da die ganze Nacht hindurch die auf Band genommenen Rufe der Ballon-Wesen unter ihrem Kissen murmelten. Und jeden Nachmittag, ob sie sich gut fühlte oder schlecht, war sie draußen auf dem Übungsplatz. Liegestütze und Fünfhundertmeter-Läufe, Hinderniskurse und Klettern an Seilen. Ihre Hände waren wund, dann mit Blasen übersät, dann schwielig. Selbst durch den Overall hindurch wurden ihre Knie blutig geschürft. Überall an Armen und Beinen, wo es keine Pickel oder Blasen gab, befanden sich blaue Flecken. Man schloß an einem solchen Ort schnell Freundschaft. Sie lernte, den Oberst ›Guy‹ zu nennen und seinen quicken Geist und Humor zu achten. Sie lernte auch, zu vermeiden, mit ihm oder mit dem Sergeanten Sweggert, oder überhaupt mit irgendeinem der Männer allein zu sein, die alle über besondere Kraftreserven zu verfügen schienen, sobald sie mit einer anziehenden Frau zusammenkamen. Oder auch mit einer nicht anziehenden. Ihre Zimmergenossin, Corporal Elena Kristianides, war gewiß nicht hübsch – aber mehr als einmal fand Nan die Tür versperrt vor und hörte im Inneren leises Stöhnen und Kichern. Wenn sie dann schließlich eingelassen wurde, sagte sie stets nachsichtig: »Bitte, es ist schon gut, Kris, sprechen wir nicht darüber.« Aber es war nicht gut. Sie brauchte ihren Schlaf. Warum brauchten ihn die anderen nicht auch? Als aus Tagen Wochen wurden, ließ die Erschöpfung nach, die Wunden heilten, die Reaktionen auf die Anti-Allergenstoffe wurden geringer. Die Kopfschmerzen blieben zwar, aber Nan war an sie gewöhnt, und sie lernte, am freundschaftlichen Geplauder in der Kantine teilzunehmen. Was man da für Geschichten hörte! Sie sollten ohne Rückkehrmöglichkeit nach Kungs Sohn fliegen, sich dort fortpflanzen und eine neue Rasse von Menschen
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gründen. Sie würden überhaupt nicht nach Kungs Sohn gehen, sondern zu einem neuen, noch nicht bekanntgegebenen oder auch nur benannten Planeten. Sie sollten mit Fallschirmen an der schottischen Küste abspringen, um die Ölraffinerien zu besetzen. Sie sollten in die Antarktis kommen, die eine neue Kolonie des Nahrungs-Blocks werden sollte, weil man ein Verfahren, die Eiskappe abzuschmelzen, entwickelt hatte. Zuerst wurde Ana von solchen Geschichten erschreckt, dann war sie belustigt, schließlich gelangweilt; sie begann selbst Geschichten zu erfinden und erlebte, daß diese so schnell die Runde machten wie alle anderen. Aber manche Geschichten schienen wahr zu sein. Selbst ganz schreckliche: ein ungeklärter Unfall im Weltraum, der die Versorgungsschiffe der Vaus zerstört hatte, sogar ihren Tachtrans-Satelliten. Sie ging eines Abends später zum Essen, um die Abendnachrichten zu hören; tatsächlich wurde das offiziell bestätigt. Wie entsetzlich! Was würde das für Achmed bedeuten? Aber dann hieß es, die Expeditionen der Erdöl- und Nahrungsblöcke hätten der Expedition der Volksrepu bliken Hilfe angeboten, und Ana eilte mit übervollem Herzen in den Speisesaal, beanspruchte Aufmerksamkeit und schlug vor, daß sie alle einen Brief mit Grüßen und besten Wünschen an ihre Kollegen vom Vau-Block unterschreiben sollten. Alle Gesichter drehten sich ihr zu, dann flüsterte man miteinander, halb verlegen, aber schließlich ließ man sie den Brief schreiben, und alle unterzeichneten. Am nächsten Nachmittag ließ ihre Ausbildungsleiterin sie sogar früher gehen, damit sie das Dokument ins Büro des Lagerchefs bringen konnte. Er hörte sie verständnislos an, las das Dokument dreimal durch und versprach dann, es auf dem Dienstweg weiterzuleiten. Beim Abendessen meldete sie strahlend, was geschehen war, aber ihre Nachricht ging in anderen unter. Es gab drei neue Geschich ten. Erstens sollten sie am nächsten Tag starken Nachschub an neu Auszubildenden erhalten. Zweitens sei ein Datum für ihren Flug zu Kungs Sohn festgesetzt worden; keine drei Wochen später. Und drittens sollte, ganz im Gegensatz dazu, das gesamte Projekt eingestellt werden. Was für Geschichten! Nan stand zornig auf, schlug mit der
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Gabel an ihre dicke Porzellantasse und sagte scharf: »Wie könnt ihr diesen ganzen Unsinn glauben? Wie kann das alles gleichzei tig wahr sein?« Aber nicht viele von den anderen hörten zu, und sie spürte, daß jemand sie am Ärmel zupfte. Es war der Oberst. »Süße, schöne Ana«, sagte er, »blamieren Sie sich nicht. Ich weiß etwas von den Geschichten, und sie sind alle wahr.«
Daß eine davon wahr war, erwies sich am nächsten Morgen. Weitere fünfundsechzig Personen trafen im Stützpunkt ein, und Ana kannte eine davon. Es war die blonde Frau, Godfrey Menningers Tochter. Natürlich wurde alles auf den Kopf gestellt. Alle Unterkünfte wurden neu verteilt, um Platz für die Neuankömmlinge zu schaffen – nein, nicht allein aus diesem Grund, begriff Ana, denn die meisten, und eine ganze Reihe von den alten, wurden in einer Baracke, einen halben Kilometer entfernt, untergebracht. Nan verlor ihren weiblichen Korporal und fürchtete sofort, sie werde wieder Oberst Guy bekommen. Aber dazu kam es nicht. Er kam in die andere Baracke, und Nan wurde bei der Kanadierin untergebracht, deren Spezialfach es zu sein schien, Feldfrüchte unter außergewöhnlichen Umständen zu züchten. Margie Menninger entdeckte Nan in der Menge und winkte ihr zu. Aber sie hatten keine Gelegenheit, miteinander zu reden – nicht, daß Ana irgendeinen besonderen Grund gehabt hätte, mit der Amerikanerin zu sprechen –, und in dem ganzen Durcheinander kam sie fast eine Stunde später zu ihrer Vormittagssitzung mit dem Ballon-Wesen. Das Geschöpf war für Ana kein Versuchsexemplar mehr. Sie war eine Freundin. Die Gesänge des Ballon-Wesens strömten in den erkennenden Teil ihres Gehirns. Am ersten Tag lernte sie, ein paar einfache Ausdrücke zu verstehen, nach einer Woche abstrakte Gedanken; nun war sie fast in der Lage, alles fließend zu verstehen. Ana hatte nie von sich geglaubt, daß sie eine
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Singstimme besaß, aber das Ballon-Geschöpf war nicht kritisch. Sie sangen stundenlang miteinander, und Shirleys Gesänge wurden immer trauriger und verzweifelter und manchmal sogar unzusammenhängend. Sie sei, so berichtete sie Ana, die letzte Überlebende eines Dutzends ihrer Gattung, das von Kungs Sohn fortgerissen und an diesen ungastlichen Ort geschleudert worden sei. Sie rechnete nicht damit, noch lange zu leben. Sie sang Ana vor von der Süße warmen Blutenstaubes in einer feuchten Wolke, von der heißen, sengenden Traurigkeit des EiVersprühens, von der gemeinschaftlichen Freude des Schwarms im Gesang. Sie teilte Ana mit, daß sie nie mehr im Schwarm singen werde. Sie hatte recht. Sie hatte keine Aussicht, nach Kungs Sohn zurückgebracht zu werden. Sie wußte, daß der Tod nahe war, und zwei Tage später war sie tot. Ana kam in den Zoo und fand ihren Käfig leer, während Julia Arden die Sterilisierung der Anlagen überwachte. »Stellen Sie sich nicht an«, sagte Julia barsch. »Sie haben alles gelernt, was Sie lernen konnten.« »Ich weine nicht wegen der Dinge, die ich lernen konnte. Ich weine, weil ich jemanden verloren habe, an dem ich hing.« »Menschenskind! Verschwinden Sie, Dimitrowa! Wie ist man nur dazu gekommen, jemanden wie Sie überhaupt zuzulassen? Wegen einem toten Furzsack zu weinen und Liebesbriefe an die Vaus zu schicken – Sie sind wirklich das Letzte!« Ana marschierte zur Baracke zurück, warf sich auf ihr Feldbett und weinte, wie sie es seit Monaten nicht mehr getan hatte – um Shirley, um Achmed, um die ganze Welt und um sich selbst. Wie hatte alles nur so grauenhaft und komplex werden können? Dieser Nachmittag auf dem Übungsplatz war eine Mühsal. Die körperliche Belastung war im Grunde kein Problem mehr, aber seit einigen Tagen hatten die ›Übungen‹ einen neuen Weg eingeschlagen. Sie alle, ihre ursprüngliche Abteilung ebenso wie die Neuankömmlinge, hatten weniger daran gearbeitet, ihre Muskeln und Reflexe zu stärken, als daran, den Umgang mit fremdartiger Ausrüstung zu erlernen – fremdartig zumindest für
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Ana; sie bemerkte, daß alle neuen Personen und ein Teil der alten offenbar schon Erfahrung damit hatten. Was für Ausrüs tung! Schwere Schläuche wie Wasserwerfer; auf dem Rücken zu tragende Tanks und Düsen wie Flammenwerfer; Laser; sogar Granatwerfer. Zu welchem grotesken Zweck sollte das alles dienen? Mit zusammengepreßten Lippen tat Ana, was ihr befohlen wurde. Wiederholt sah sie sich in Schwierigkeiten und mußte von jemand anderem herausgeholt werden. Der Oberst rettete sie davor, sich mit einem Flammenwerfer selbst zu verbrennen, und Sergeant Sweggert mußte ihr zu Hilfe kommen, als der Rückstoß ihres Wasserwerfers sie umriß. »Bitte, machen Sie sich keine Sorgen«, ächzte sie wütend, raffte sich auf und griff wieder nach dem Schlauch. »Ich komme durchaus zurecht.« »Den Teufel tun Sie«, sagte er freundlich. »Strengen Sie sich mehr an, Kleine, ja? Dazu braucht man keine Muskeln, sondern nur ein bißchen Grips.« »Ich bin anderer Meinung.« Er schüttelte den Kopf. »Warum verkrampfen Sie sich so, Annie?« »Ich will nicht an Waffen ausgebildet werden.« »Was für Waffen?« Er grinste sie an. »Wissen Sie nicht, daß das alles nur gegen Ungeziefer eingesetzt wird? Oberst Menninger hat uns das alles erklärt. Wir wollen keine intelligen ten Wesen töten, das wäre gegen das Gesetz, und außerdem ginge es uns dann schlecht. Aber alle die intelligenten Wesen haben kleine Vettern, Krebs-Ratten und Lufthaie und Dinger, die im Boden graben und herauskommen und einem den Hintern abnagen. Das sind die, bei denen wir das Zeug benützen.« »Jedenfalls brauche ich keine Hilfe von Ihnen, Sergeant«, sagte Ana. »Selbst wenn ich Ihnen oder Ihrem Oberst Menninger glauben würde, was ich aber nicht tue.« Sweggert sah an ihr vorbei und schob die Lippen vor.
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»Hallo, Colonel«, sagte er. »Wir sprechen gerade von Ihnen.« »Das ist mir aufgefallen«, sagte Margie Menninger. Ana drehte sich langsam um, und da war sie. Sie sieht ziemlich schlecht aus, dachte Ana ohne Bedauern. Die Impfungen übten ihre Wirkung aus, und ihr Gesicht war übersät mit kirschroten Flecken, die Augen waren rotgerändert und tränten, und ihr Haar hatte dunkle Wurzeln. »Weitermachen, Sergeant«, sagte sie. »Dimitrowa, kommen Sie nach dem Essen in mein Zimmer.« Sie wandte sich ab und erhob ihre Stimme. »Also, alle miteinander«, schrie sie, »runter mit dem Hintern! Zeigt, wie ihr kriechen könnt!« Ana warf sich rebellierend auf den Boden und übte, über ein freies Feld zu robben, wie sie es am Vortag gelernt hatte. Infanterietaktik! Was für ein Unsinn, bei einer wissenschaftlichen Expedition! Sie konservierte sorgsam ihren Zorn, und dieser hielt auch den Nachmittag über an, beim Essen und bis zu dem Augenblick, als sie in der anderen Baracke halb auf der anderen Seite des Stützpunkts an Menningers Tür klopfte. »Herein.« Oberstleutnant Menninger saß in einem weißen, flauschigen Morgenmantel an einem Schreibtisch, hatte eine randlose Brille auf der Nase, schob ein zur Hälfte leergegessenes Tablett zur Seite. Sie sagte: »Setzen Sie sich, Ana. Rauchen Sie? Möchten Sie etwas trinken?« Das zornige Lodern in Ana wurde zu einem Schwelen, aber es konnte jederzeit neu aufflammen. »Nein, danke«, sagte sie dumpf. Margie stand auf und goß sich einen kleinen Schluck Whisky ein. Sie hätte Marihuana vorgezogen, wollte aber nicht zusammen mit der Bulgarin einen Joint rauchen. Sie trank und sagte: »Persönliche Frage: Was haben Sie gegen Sweggert?« »Ich habe nichts gegen Sergeant Sweggert. Ich will einfach nicht mit ihm ins Bett gehen.« »Was sind Sie, Dimitrowa? Eine Super-Emanze? Sie brauchen
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nicht mit ihm auf dem Exerzierplatz zu bumsen. Lassen Sie sich nur helfen, wenn er will.« »Colonel Menninger«, sagte Ana knapp, »befehlen Sie mir, seine sexuellen Avancen zu ermutigen, damit ich den Hindernis kurs leichter bewältige?« »Ich befehle Ihnen überhaupt nichts, Dimitrowa. Was ist los mit Ihnen? Sweggert geht auf alles los, was ein Loch hat. Das ist seine zweite Natur. Er versucht es bei mir auch. Ich könnte dafür den Halunken nach Leavenworth bringen, aber ich mache das nicht, weil er ein guter Sol – weil er im Grunde ein ordentlicher Mensch ist. Er hilft Ihnen, wenn Sie das zulassen. Sie können ihm später immer noch sagen, er soll abhauen.« »Das betrachte ich als unmoralisch, Colonel Menninger.« Margie leerte ihr Glas und goß noch einmal ein. »Sie sind hier nicht sehr glücklich, Ana?« »Das ist richtig. Ich habe nicht um diesen Einsatz nachge sucht.« »Aber ich.« »Ja, ohne Zweifel haben Sie das, doch ich – « »Nein, das meine ich nicht. Ich habe den Antrag für mich gestellt, aber auch für Sie. Ich habe Sie ausdrücklich angefor dert, Ana, und es war verdammt schwierig, Sie bei den Bulgaren loszueisen. Ich will diesen Start durchsetzen. Ich will die Grundlagen für eine Weltgesellschaft legen, die Planung und Erhaltung und Kooperation versteht. Wissen Sie, wieviel wir hier einsetzen? Vier Schiffe. Fast neunzig Leute. Fünfunddreißig Tonnen Material. Die Invasion in Europa hat weniger gekostet als dieser eine Start, und glauben Sie mir, alles schreit. Es kostet zuviel. Die Vaus regen sich auf. Die Öler werden ihre Preise erhöhen. Wir brauchen die Hilfsmittel, mit denen die Probleme der Großstädte behoben werden sollen. Die Hälfte des Kongres ses würde das Ganze am liebsten morgen abblasen – « »Man hat Gerüchte gehört, daß der Start abgesagt werden
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soll«, sagte Ana vorsichtig. Margie zögerte, und ein Schatten huschte über ihr Gesicht. »Nein«, sagte sie. »Das wird nicht geschehen, weil es zu wichtig ist. Aber das ist der Grund, warum ich Sie angefordert habe, Ana. Wenn wir neunzig Leute hinschicken können, dann müssen es die besten neunzig sein, die es gibt. Und Sie sind die beste Dolmetscherin, die ich finden konnte.« Sie streckte die Hand aus und berührte Anas Ärmel. »Verstehen Sie?« Ana wich zurück, so weit sie konnte, ohne beleidigend zu wirken, innerlich verwirrt. »J-ja«, sagte sie widerstrebend, dann fuhr sie fort: »Aber auf der anderen Seite – nein. Was Sie sagen, klingt sehr überzeu gend, aber was hat es mit dem Gebrauch von Flammenwerfern und anderen Waffen zu tun? Sollen wir diese schöne, einheitliche Welt bauen, indem wir alles andere zerstören?« »Natürlich nicht, Ana!« rief Margie, mit so viel Entsetzen und Abscheu in der Stimme, wie sie zustande brachte. »Ich gebe Ihnen mein Wort!« Es blieb einige Zeit still. »Verstehe«, sagte Ana schließlich. »Sie geben mir Ihr Wort.« »Was soll ich sonst noch tun?« Ana sagte nachdenklich: »Man hat hier so wenig Verbindung mit dem Rest der Welt. Ich hätte sehr gern die Gelegenheit, das mit anderen zu besprechen. Vielleicht mit meiner eigenen Delegation bei der UNO?« »Warum nicht?« antwortete Margie. Sie wirkte einen Augen blick nachdenklich, dann nickte sie. »Passen Sie auf. Sobald die Ausbildung beendet ist, bekommen wir alle drei Tage frei. Ich fahre selbst nach New York. Kommen Sie mit. Wir essen etwas Anständiges und besuchen ein paar Parties. Und Sie können reden, mit wem Sie wollen. Einverstanden?« Ana zögerte. Schließlich sagte sie widerstrebend: »Also gut,
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Miss Menninger. Das hört sich positiv an.« Das war aus vielen Gründen nicht der Fall, aber als gerechter Mensch mußte Ana zugeben, daß es wenigstens gut klang. »Fein, Kleines. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ich brauche jetzt dringend ein heißes, langes Bad.« Margie sperrte die Tür hinter der Bulgarin ab und ließ nach denklich die Wanne vollaufen. Schließlich traf sie eine Entschei dung, griff nach dem Telefon und rief in der Schreibstube an. »Hier Colonel Menninger«, sagte sie. »Teilen Sie dem Ausbil dungsoffizier mit, daß ich morgen nicht da bin, und stellen Sie für acht Uhr ein Fahrzeug bereit. Ich muß nach New York.« »Ja, Sir«, sagte der diensthabende Offizier. Er wunderte sich nicht. Alle Mitglieder des Projekts waren auf den Stützpunkt beschränkt, und den Befehlen zufolge gab es keine Ausnahme. Aber er wußte, wer die Befehle verfaßt hatte.
Margie saß ungeduldig im Publikumsbereich vor dem Sitzungs saal des Sicherheitsrates und wartete darauf, gerufen zu werden. Die Delegation aus Peru erläuterte ihre Stimmabgabe überaus ausführlich, während die anderen neun Mitglieder des Rates in unterschiedlicher Wut darauf warteten, die ihre erläutern zu können. Die Frage schien mit den Gebietsgrenzen für Fischereiflotten zusammenzuhängen. Normalerweise hätte Margie aufmerksam zugehört, aber ihre Gedanken waren viele Lichtjahre entfernt, auf Klung. Als die junge Negerin erschien, um sie zu holen, vergaß sie Peru, bevor sie das Auditorium verlassen hatte. Die Frau führte sie zu einem unauffälligen Raum mit dem Schild ›Zutritt nur für Befugte‹ und hielt ihr die Tür auf, ohne hineinzugehen oder zu schauen. »Hallo, Papa«, sagte Margie, als die Tür sich schloß, und hielt die Wange hin, um sich küssen zu lassen. Ihr Vater küßte sie nicht.
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»Du siehst furchtbar aus«, sagte er tonlos und ohne Freund lichkeit. »Was, zum Teufel, hast du deinen ›Kolonisten‹ beigebracht?« Margie war überrascht; das war keine der Fragen, die sie von ihm erwartet hatte, und gewiß nicht das, wozu sie hergekommen war. Aber sie antwortete sofort: »Ich habe ihnen Überlebensme thoden beigebracht. Genau, was ich gesagt habe.« »Schau dir das an«, sagte er und breitete eine Reihe von HoloAufnahmen aus. »Kunstgegenstände aus Erbe Maos Privatsamm lung. Hat mich allerhand gekostet, sie zu bekommen.« Margie griff nach einem Foto und bewegte es ein wenig, um die dreidimensionale Wirkung zu erzielen. »Da sehe ich dick aus«, sagte sie kritisch. »Sie stammen aus der Tasche eines Kuriers in Ottawa. Du erkennst sie, nehme ich an. Da wirft einer deiner Leute eine Handgranate. Und eine hübsche Aufnahme von einer Flammenwerfer-Übung. Und noch eine von einem Mädchen, ich will nicht sagen, von welchem, die mit etwas, das ganz nach einem Säbel aussieht, etwas niedersticht, das ganz nach einem Krinpit aussieht.« »Ach, verdammt, Papa, das ist kein Säbel. Das ist nur ein scharfes Messer. Ich kam auf die Idee, als ich in der Grand Central-Muschelbar den Chefkoch Austern öffnen sah. Und der Krinpit ist nur eine Puppe.« »Verdammter Mist, Margie! Das ist Kampfeinsatz-Technik!« »Überleben, mein Lieber«, verbesserte sie. »Was glaubst du? Die größten und ärgsten Gefahren, denen unsere Jungen und Mädchen sich gegenübersehen werden, sind die Krinpits und die Wühler und die Ballon-Wesen, und, o ja, nicht zu vergessen, die Öler und die Vaus. Ich setze mich nicht fürs Töten ein, Papa. Ich bringen ihnen nur bei, wie sie sich verhalten müssen, wenn es ans Töten gehen sollte.« Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Trotzdem wüßte ich zu gern, wer die Bilder gemacht hat.«
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»Das denke ich mir«, sagte er grimmig. »Aber es spielt keine Rolle. Das sind nur Abzüge. Die Vaus haben die Originale, und Tarn Gulsmit hat inzwischen vermutlich selbst welche, und die Vaus und Öler auf Klung werden spätestens nächste Woche davon erfahren, und mit der Freundschaft zwischen den Expeditionen ist es vorbei. Hast du dir die Debatte im Rat angehört?« »Was? Ja sicher – ein bißchen.« »Du hättest mehr zuhören sollen. Peru hat seine Meeresgren zen gerade um tausend Kilometer ausgedehnt.« Margie starrte ihn verwirrt an. »Was hat das mit möglichen Kämpfen auf Klung zu tun?« »Peru würde das nicht tun, ohne starke Unterstützung von irgendwoher zu haben. Sie gehören nominell zum NahrungsBlock, gewiß, wegen der Sardinenfänge. Aber sie haben keinen Topf, um hineinzupissen, wenn die Fische tief hinuntergehen, deshalb versuchen sie, sich mit den anderen Blöcken gutzustel len.« »Mit welchem?« Ihr Vater zog mit den Fingern die Augenwinkel hoch. Er tat es nicht, weil die Gefahr bestand, daß dieser unaufhörlich überprüfte Raum abgehört wurde; es war nur ein Reflex, um den Namen von Erbe Maos nicht unnötig aussprechen zu müssen. Margie schwieg einen Augenblick, während der Kartensortierer in ihrem Gehirn die Rangfolge der wichtigen Fragen neu ordnete. Sie kehrte zu Nummer Eins zurück. »Papa«, sagte sie, »Peru kann sich seine Sardinen irgendwohin stecken, und ich werde keinen Schlaf bei der Überlegung verlieren, wer von meinen Leuten ein Verräter ist. Wenn es einen kleinen Skandal um die Kampfausbildung gibt, überstehen wir das. In zwei oder drei Wochen wird das alles keine Rolle mehr spielen, weil wir dann da sind, und deshalb bin ich zu dir gekommen. GUS Lenz will aussteigen. Ich brauche Hilfe, Papa.
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Laß nicht zu, daß er uns die Luft abschneidet.« Ihr Vater lehnte sich im Sessel zurück. Margie war es nicht gewöhnt, Godfrey Menninger alt und müde zu sehen, aber so sah er jetzt aus. »Schätzchen«, sagte er schwerfällig, »hast du eine Ahnung davon, in welchen Schwierigkeiten wir stecken?« »Natürlich, Papa, aber – « »Nein, hör zu. Ich glaube nicht, daß du es weißt. Heute ist an Catalina Island ein Tanker auf Grund gelaufen, mit sechshun derttausend Tonnen Öl, die nicht nach Long Beach gelangen werden. Normalerweise würde das keine Rolle spielen. SüdKalifornien hat genug Reserven. Aber die werden für dein Projekt gebraucht. Also sind sie jetzt niedrig. Wenn der Tanker nicht innerhalb von achtundvierzig Stunden flottgemacht wird, hat Los Angeles das Wochenende über mit Stromsperren zu rechnen. Was glaubst du, wie die Öffentlichkeit darauf reagieren wird?« »Na ja, sicher, es wird natürlich allerhand Ärger – « Er hob die Hand. »Und du hast es heute früh in den Zeitungen gelesen. Die Vaus wissen, daß ihr Tachtrans-Satellit absichtlich zerstört worden ist.« »Nein! Das war ein Versehen. Die Bombe sollte nur das Versorgungsschiff zerstören!« »Ein Unfall im Verlauf einer Straftat wird selbst zur Straftat, Margie.« »Aber sie können nicht beweisen – ich meine, auf der ganzen Welt kann mir das niemand in die Schuhe schieben, es sei denn –« Sie sah ihren Vater an. Er schüttelte den Kopf. »Der Italiener wird ihnen nichts erzählen. Er ist schon aus dem Weg geräumt worden.«
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Der arme Guido würde seine hunderttausend Petrodollar also nicht ausgeben können. »Er hat das Seine geleistet«, sagte sie. »Sieh dir an, was dir seine Mikrofiches geliefert haben. Du hast den Beweis, daß die Öler ihren Stützpunkt eben deshalb an der bewußten Stelle errichtet haben, weil die seismischen Untersuchungen dort Erdöl anzeigten. Das verstößt gegen die Verträge.« »Sei nicht kindisch, Margie. Was hat ›Beweis‹ damit zu tun? Sir Tarn und die Schlitzaugen können nicht beweisen, daß du Ghelizzi die Bombe übergeben hast, aber sie brauchen nicht zu beweisen, sie brauchen nur zu wissen, und das tun sie. Peru beweist es. Von ein paar anderen kleinen Meldungen, die du vielleicht noch nicht gehört hast, ganz zu schwiegen, etwa der, daß die amerikanische Botschaft in Buenos Aires heute früh mit Brandbomben angesteckt worden ist. Das ist eine kleine Mitteilung von Sir Tarn oder Erbe Maos, möchte ich annehmen. Was glaubst du, wie die nächste Botschaft aussehen wird?« Margie begriff, daß sie an ihren Hautblasen gekratzt hatte, und zwang sich, die Hand wegzunehmen. »Papa«, sagte sie, »du weißt, daß niemand etwas wirklich Ernstes tun kann. Das Machtgleichgewicht verhindert es.« »Falsch! Das Machtgleichgewicht bricht zusammen, sobald jemand einen Fehler macht. Die Vaus haben einen gemacht, als sie Raketen auf unsere Gassäcke auf Klung abschossen. Ich habe einen gemacht, als ich dich diese Bombe nach Belgrad bringen ließ. Es ist an der Zeit, die Zünder zu ziehen, Schatz.« Zum erstenmal in ihrem Leben als Erwachsene spürte Margie Menninger echte Angst. »Papa! Soll das heißen, daß du mir bei Lenz nicht hilfst?« »Ich sage noch mehr, Margie. Ich bin seiner Meinung. Ich bin morgen beim Präsidenten, und ich werde ihn bitten, den Start abzusagen.« »Papa!«
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Er zögerte. »Kind, vielleicht später. Wenn sich die Erregung gelegt hat – « »Später nützt nichts! Glaubst du, die Vaus werden nicht verstärken, sobald sie einen neuen Satelliten hinaufschießen können! Und die Öler? Und – « »Der Fall ist erledigt, Margie.« Sie sah ihn entsetzt an. Das war der Menninger, den sein ganzes Amt kannte, und den sie selten erlebt hatte. Es war nicht ihr Vater, den sie vor sich hatte. Es war ein menschliches Wesen, so unbeirrbar und entschlossen, wie sie selbst es nur je gewesen war, und mit der gewohnten Unterstützung von sehr viel Macht hinter seinen Entscheidungen. »Ich kann es dir nicht ausreden«, sagte sie. Es war keine Frage, und er antwortete nicht darauf. »Nun«, sagte sie, »dann gibt es keinen Grund mehr für mich, noch hierzubleiben, nicht? Leb wohl, Papa. Paß gut auf dich auf. Wir sehen uns ein andermal.« Sie sah ihn nicht wieder an, als sie aufstand, nach ihrer Offizierstasche und der Mütze griff und das Zimmer verließ. Wenn ihr Vater so entschlossen war wie sie, sah die andere Seite der Medaille so aus, daß sie ebenso entschlossen war wie er. Sie betrat in der Besucherhalle eine Telephonzelle und wählte eine Ortsrufnummer. Die Frau am anderen Ende der Leitung war ein auffallend schönes, menschliches Wesen, kein Sexsymbol, sondern ein Kunstwerk. »Aber, Marjorie«, sagte sie, »ich dachte, du treibst Spionage für deinen Vater oder so etwas – Marjorie! Was ist mit deinem Gesicht?« Margie betastete ihr fleckiges Kinn. »Ach, das. Nur eine Reaktion auf Impfungen. Kann ich zu dir kommen?«
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»Natürlich, Liebes. Sofort?« »Auf der Stelle, Mama.« Margie hängte ein und eilte zu den Aufzügen, aber bevor sie einen bestieg, prüfte sie auf einer Damentoilette ihr Make-up.
Marge Menningers Mutter lebte, unter anderem, im Wohnturm bereich eines der höchsten und teuersten Wolken-kratzer von New York City. Es war ein altmodisches Gebäude, erbaut, als Energie billig gewesen war, so daß es wirtschaftlich Sinn ergeben hatte, damals bei der Isolierung zu sparen und sich den ganzen Winter lang auf starkes Heizen und den ganzen Sommer lang auf den ständigen Betrieb von Klimaanlagen zu stützen. Es war eines der wenigen, die nicht wenigstens teilweise umgebaut worden waren, als der Ölpreis $ 300 das Faß erreicht hatte, und es wäre für die meisten Bewohner untragbar kostspielig gewesen. Selbst für die meisten wohlhabenden. Der Butler begrüßte Margie. »Wie schön, Sie zu sehen, Miss Menninger! Beziehen Sie diesmal Ihr Zimmer?« »Leider nicht, Harvey. Ich will nur mit Mama sprechen.« »Ja, Miss Margie. Sie erwartet Sie.« Als Alicia Howe aufstand, um sich küssen zu lassen, nahm sie eine schnelle, alles sehende Bestandsaufnahme bei ihrer Tochter vor, ohne daß ihr etwas entging. Diese schrecklichen Flecken an ihrem Teint! Die Kleidung war halbwegs annehmbar, soweit man das von Uniformen erwarten konnte, und zum Glück war das Kind mit dem guten Aussehen und Lächeln ihres Vaters geboren worden. »Du könntest ein paar Kilo entbehren, Kind«, sagte sie. »Das mache ich. Versprochen, Mama. Ich möchte, daß du mir einen Gefallen tust.« »Natürlich, Liebes.«
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»Papa macht mir kleine Schwierigkeiten, und ich muß an die Öffentlichkeit. Ich möchte eine Pressekonferenz abhalten.« Alicia Howes Ehemann besaß Fernsehstationen: drei große Sender in allen maßgeblichen Großstädten und eine Beteiligung an einem Dutzend Satelliten-Gesellschaften. »Ich bin sicher, daß von Harolds Leuten dir jemand behilflich sein kann«, sagte sie langsam. »Soll ich fragen, worum es geht?« »Mama, du sollst nicht einmal wissen, daß es überhaupt um etwas geht.« Ihre Mutter seufzte. Sie hatte gelernt, mit God Menningers Existenz abseits der Öffentlichkeit zu leben, solange sie verheiratet gewesen waren, aber seit der Scheidung hatte sie gehofft, davon frei zu sein. Sie sprach nie mit ihrem früheren Mann. Es war nicht so, daß sie ihn nicht mochte – in ihrem Inneren hielt sie ihn immer noch für den interessantesten und bei weitem den begehrenswertesten ihrer Männer. Aber sie konnte sich nicht mit dem Wissen abfinden, daß ein falscher Zungenschlag von ihm bei ihr und von ihr bei jemand anderem für die Welt katastrophale Folgen bringen mochte. »Liebes, ich muß Harold irgend etwas sagen.« »Ja, sicher, Mama. Aber nichts von einem Problem. Worüber ich sprechen möchte, das ist KI-Jem. Der Planet Jem. Ich fliege hin, Mama.« »Ja, gewiß, das hast du mir gesagt. In ein, zwei Jahren, vielleicht, wenn sich alles beruhigt hat – « »Ich möchte, daß sie sich beruhigen, Mama. Ich möchte, daß die Vereinigten Staaten so viel Macht hinaufschicken, daß man dort leben kann. Daß du eines Tages einen Besuch dort machen kannst, wenn du willst. Und ich will es jetzt tun. Ich soll in achtzehn Tagen fliegen.« »Margie! Also, wirklich, Margie!« »Reg dich nicht auf, ja? Ich will das.«
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Alicia Howe hatte seit über einem Dutzend Jahren gegen dieses Argument nicht mehr aufkommen können. Sie hatte keine Chance, jetzt dagegen aufzukommen. Der Gedanke, daß ihre Tochter sich durch den Weltraum zu einem schrecklichen Ort verfügen wollte, wo Menschen auf scheußliche Weise umkamen, entsetzte sie. Aber Margie hatte ihre Fähigkeit bewiesen, für sich selbst zu sorgen. »Nun ja«, meinte sie, »ich kann dich wohl nicht auf dein Zimmer schicken. Also gut. Du hast mir nicht gesagt, was ich tun soll.« »Harold soll mich in seiner großen Sendung für Schlagzeilen bringen. Er wird sich besser auskennen als ich. Sie zucken vor meinem Planeten zurück, Mama, stellen die Finanzierung ein, beklagen sich über die Probleme. Ich möchte der Öffentlichkeit klarmachen, wie wichtig das ist, und ich möchte es selbst sein, die das ausspricht.« Sie fügte überlegt hinzu: »Papa stand zuerst ganz hinter mir, aber jetzt hat er es sich anders überlegt. Er will das Ganze abblasen.« »Du meinst, du willst deinen eigenen Vater unter Druck setzen?« »Genau.« Alicia Howe lächelte. Das würde ihrem jetzigen Ehemann gewiß behagen. Sie breitete resigniert die Hände aus und ging zum Telephon. »Ich werde Harold sagen, was du willst«, erklärte sie.
Ana Dimitrowa saß mit geschlossenen Augen in einem großen, niedrigen Raum, die Ellenbogen auf einem ringförmigen Tisch, den Kopf auf die Hände gestützt, einen Kopfhörer auf den Ohren. Ihre Lippen bewegten sich. Ihr Kopf zuckte ein wenig hin und her, als sie versuchte, sich dem Rhythmus des aufgezeichneten Ballon-Wesen-Gesangs anzupassen, den sie hörte. Es war sehr schwer, zum großen Teil deshalb, weil es nicht die Stimme eines
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Ballon-Geschöpfes war, das die Laute hervorbrachte. Es war die eines Krinpits. Das Tonband war vor einigen Wochen aufgenom men worden, als der letzte überlebende Krinpit von Fort Derrick keinen anderen Gesprächspartner mehr gehabt hatte als Shirley, das eine überlebende Ballon-Wesen. Aber ihr Name war nicht Shirley gewesen. Ihr sehr schöner Name war Mo’ahi’i ba’alu’i gewesen, was etwa soviel bedeutete wie Süße Goldene Wolken-Trägerin. Krinpit-Scharren und Trommeln vermochten die Ballon-Wesen-Laute nur mühsam nachzuformen. Aber Shirley hatte ihn verstanden – nein, verbesserte sich Ana, Mo’ahi’i ba’alu’i hatte ihn verstanden. Ana war entschlossen, es ihr nachzutun, und so spielte sie Teile des Tonbandes immer wieder ab: Ma’iya’a hi’i – diese Wesen, die so anders sind als wir – hu’u ha’aye’i – sind bösartige Bestien. Und die Antwort von Wolken-Trägerin: Ni’u’a mali’i na’a hu’iha. Sie haben meinen Gesang getötet. Ana nahm den Kopfhörer ab und rieb sich die Augen. Die Kopfschmerzen waren an diesem Abend besonders heftig. Sie bewiesen, daß sie zu müde war, um heute noch weiterarbeiten zu können, also schaltete sie das Gerät ab, hängte den Kopfhörer an seinen Haken und stand auf. Sie wollte den wenigen anderen fleißigen Leuten, die ihren Wunsch teilten, Überstunden am Tonaufzeichnungs-Ring zu machen, höflich eine gute Nacht wünschen. Aber da war niemand. Sie waren alle gegangen, während sie sich konzentriert hatte. Es war fast 11.00 Uhr! In sechs Stunden würde sie aufstehen müssen! Ana eilte durch die leere Straße zu ihrem Zimmer, blieb auf halbem Weg stehen, änderte die Richtung und betrat den Aufenthaltsraum. Die Kopfschmerzen waren kaum zu ertragen. Aber im Aufenthaltsraum gab es einen Automaten, und manchmal verengte eine der amerikanischen Limonaden, die Coffein enthielten, die Blutgefäße und dämpften das pochende,
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unaufhörliche Pulsieren so lange, daß sie einschlafen konnte. Aber als sie einen Dollar in die Maschine steckte und wartete, bis der Becher sich füllte, kam es ihr doch so vor, als wäre es ein Fehler gewesen, hierherzukommen. Was für ein unfaßbarer Lärm! Ein Dutzend Paare tanzte an einem Ende des Raumes wild zu Stereomusik. Am anderen hatte ein junger Orientale eine Gitarre in den Händen, und eine Gruppe sang zusammen mit ihm, ganz im Widerstreit zu der Musik aus der Stereo-Anlage. Ohne sie zu beachten. Und noch mehr Lärm drang aus der Fernseh-Nische: ein Gewirr von erregten Stimmen, Gelächter. Was sahen sich die Leute da nur an? Sie ging hinüber, um einen Blick auf den Bildschirm zu werfen. Jemand zog einen Kissenbe zug aus einer Schall-Waschmaschine und äußerte sich verzückt über den herrlichen Glanz. Erregten sich die Leute über eine Werbesendung? »O Nan!« rief ihre Zimmergenossin und zwängte sich zu ihr durch. »Sie haben es verpaßt! Sie war wundervoll!« »Was? Was habe ich verpaßt? Wer war wundervoll?« »Oberstleutnant Menninger. Es war einmalig. Wissen Sie«, sagte die Frau vertraulich, »ich habe sie eigentlich nie gemocht. Aber heute abend war sie einfach hinreißend. Sie erschien in den Sechs-Uhr-Nachrichten. Es war nur ein kleines Interview, wie im Nachgang zu einer Sendung über Jem. Ich weiß nicht, warum man sich sie ausgesucht hat. Aber ich bin froh darüber. Sie hat so wunderbare Dinge gesagt. Sie sagte, Jem gebe allen unglücklichen Menschen auf der Welt neue Hoffnung. Sie sagte, es sei ein Planet, wo all der alte Haß vergessen werden könnte. Ein Ort, wo – wie hat sie sich ausgedrückt? – ja, ein Ort, wo jedes Kind sich für eine sittliche Gesinnung und eine Idee entscheiden und den Raum und die Freiheit besitzen kann, danach sein Leben zu führen.« Ana hustete Coca-Cola in feinem Sprühregen in ihre hohle Hand. »Das hat Colonel Menninger gesagt?« keuchte sie.
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»Ja, ja, Nan, und sie hat es hinreißend gesagt. Wir waren alle tief gerührt. Sogar Leute wie der geile Sweggert und Nguyen, der Beharrliche, waren bewegt. Ich meine, sie haben sogar die Hände ruhig gehalten. Und der Sprecher sagte etwas von Truppen, die nach Jem geschickt werden sollten, und Colonel Menninger sagte: ›Ich bin selbst Soldat. Jedes Land hat Soldaten wie mich, und jeder von uns betet darum, daß wir nie eingesetzt werden müssen. Aber auf Jem können wir etwas Nützliches leisten. Etwas für den Frieden, nicht für die Zerstörung. Bitte, laßt es uns tun.‹ – Was?« Nan hatte staunend auf bulgarisch vor sich hin gemurmelt. »Nein, nein, bitte weiter«, sagte sie. »Na. Und jetzt haben sie gerade Teile davon in der Spätsen dung wiederholt, und es heißt, die Reaktion der Öffentlichkeit sei unglaublich. Telegramme, Anrufe im Weißen Haus und bei der UNO, bei den Sendern – ich weiß nicht, wo noch überall.« Ana vergaß ihre Kopfschmerzen. »Vielleicht habe ich Colonel Menninger unrecht getan. Ich bin wirklich völlig verblüfft.« »Und ich erst! Aber sie hat mir wirklich ein gutes Gefühl bei dem vermittelt, was wir tun, und alle reden davon!« Und so war es. Nicht nur im Aufenthaltsraum. Die Telefone bei Senator Lenz schrillten, und es waren seine Wähler, die ihn drängten, dafür zu sorgen, daß die Helden auf Jem Unterstüt zung erhielten. Redaktionsräume im ganzen Land verfolgten die elektronische Zählung von Anrufen aus der Öffentlichkeit: Jem, Jem! Meinungsforscher meldeten gewaltige und zunehmende öffentliche Sorge. God Menningers Telefon läutete nur einmal, aber am anderen Ende der Leitung war der Präsident der Vereinigten Staaten. Als er auflegte, war Menningers Gesicht angespannt und streng, aber dann wurde es weich, und er lächelte. »Schatz«, sagte er in die Leere hinein, »deine schwarze Seele
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soll der Teufel holen, du machst mich stolz.«
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XIII
Zwanzig Kilometer weit versuchten Charlie und sein Schwarm dem kleinen Doppeldecker zu folgen, als er durch den Himmel von Jem ratterte und hüpfte. Nutzlos. Die Ballon-Geschöpfe stiegen hinauf, sanken hinab, fanden Winde, die sie zum Hitzepol trugen, aber nie schnell genug, um Schritt zu halten. Charlie sang in sein Funkgerät ein trauriges Abschiedslied, als sie umkehrten, und es übertönte sogar das Rattern des kleinen Motors im Flugzeug. »Zuviel Lärm«, schrie Kappeljuschnikow Danny Dalehouse fröhlich ins Ohr. »Abschalten, bitte.« »Zuerst will ich mich verabschieden.« Dalehouse sang in das kleine Funkgerät, dann schaltete er ab. Weit hinter ihnen, einen halben Kilometer höher, bestätigte der Schwarm die Antwort mit einem Wippen. Dalehouse verrenkte den Hals, um nach vorne zu blicken, aber das Lager der Öler war natürlich noch nirgends zu sehen. Sie flogen fast direkt auf den Hitzepol zu – ›südöstlich‹, wenn man die Rotationspole im Norden und Süden berücksich tigte, ohne auf Kompaß und Sextant zu achten –, und es ging fast ständig bergauf. Wie töricht von den Ölern, ihr Lager im ungastlichsten Teil des Planeten zu errichten! Aber wer konnte schon begreifen, warum die Öler dies oder jenes taten? Kappeljuschnikow beugte sich hinüber und schlug ihm auf die Schulter. »Sie wollen kotzen?« rief er aufmunternd und deutete zum Cockpit hinaus. Dalehouse schüttelte den Kopf. »Ist in Ordnung, wissen Sie«, fuhr Cappy fort. »Ist bißchen rauh, ja. Wir kämpfen gegen Wind, nicht sie lieben wie in Ballon. Aber Sie haben wahrhaft hervorragende Luftfahrttechniker an Steuer.« »Ich beklage mich nicht.« Und dazu hatte er auch keinen Grund. Der Doppeldecker war auf Klung – auf Jem, verbesserte er sich, wie sie den Planeten jetzt nennen sollten – ein technologisches Wunder. Wenigstens flogen sie. Das Lager der Öler war auf jedem anderen Weg schwer zu erreichen. Auf Jem
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gab es keine Fahrzeuge, weil keine Straßen. Nur ein Raupen fahrzeug kam weit, und selbst die Öler hatten sie nicht im Überfluß. Da die Öler auf ihre störrische Art ihren Stützpunkt zehn Kilometer vom nächsten Wasser entfernt aufgebaut hat ten, kamen Boote nicht in Frage. Man konnte zu diesem halben Gipfeltreffen, das alle Leute auf dem Jem wieder zu Freunden machen sollte, fliegen. Oder man konnte zu Fuß gehen. Und Dalehouse erübrigte einen mitfühlenden Gedanken für die armen, stolzen Gehsportler von Vaus, die ohne Zweifel genau das irgendwo unter ihnen taten. Zu fliegen war also allein schon ein Triumph, obwohl er sich wünschte, daß Cappy das Thema Luftkrankheit nicht zur Sprache gebracht hätte. Es war nicht so sehr die Bewegung, die ihn störte, als das, was sie gegessen hatten. Da jetzt noch zweiundzwanzig Esser mehr satt werden mußten, waren die wahllos stattfindenden Mahlzeiten nicht mehr möglich. Leider hatten die Neuen ihren Appetit mitgebracht, aber vergessen, einen Koch beizupacken, der ihn befriedigen konnte. Das Essen war ungenießbar. Niemand wagte sich aber zu beschweren. Wer nörgelte, war der nächste Koch. Immerhin, die Gemeinschaft wuchs. Das dritte Versorgungs schiff hatte sehr viel mitgebracht. Dieses knatternde kleine Doppeldecker-Flugzeug, zusammengeklappt und lächerlich aussehend, aber nachweisbar funktionierend, weil es funktionier te. Die kleinen plutoniumbetriebenen Maschinen und Instrumen te, die Morrissey Sensoren verschafft hatten, mit denen er die Wühler in ihren Tunnels unter dem Boden studieren konnte, und Dalehouse Funkgeräte, die er an Charlie weitergeben konnte. Ein neuer Argus-Satellit, um Wolken zu fotografieren und Wetter vorhersagen zu ermöglichen. Oder es wenigstens etwas genauer zu erraten. Er hatte ihnen sogar bei ihren Versuchen geholfen, Kontakt mit intelligenten Wesen herzustellen. Sozusagen. Charlie war hocherfreut über seine Armbrust und sein Funkgerät. Jim Morrissey hatte einen anderen Weg eingeschlagen. Er hatte den neuen Bohrer dazu benützt, entlang einem Wühlergang drei weit
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auseinanderliegende Löcher zu graben. Die Löcher am Ende enthielten schwache Sprengladungen, das in der Mitte war mit einem Schlauch versehen, angeschlossen an den Auspuff vom kleinen Benzinmotor des Bohrers. Als Morrissey die Ladungen zündete, verschloß er dadurch beide Enden dieses Tunnelgangs, und mit dem Kohlenmonoxyd erwischten sie vier Wühler, bevor sie sich vergraben konnten. Inzwischen waren sie für Dalehouses Zwecke natürlich nicht mehr zu verwenden, aber Morrissey bereiteten sie Freude. Es waren sogar weitere Wunder im Anflug. Das dritte Versor gungsschiff hatte acht Kubiktonnen Ausrüstung gebracht, aber der Tachtrans-Mitteilung zufolge würde das nächste fast fünfzig bringen, dazu hundert weitere Personen. Es würde eine ganze Stadt entstehen! Der Aufruf zu dem Treffen im Erdöl-Lager war nicht nur eine willkommene Besichtigung von Jem, sondern auch eine Erholung von der Mühsal, Zelte für die Verstärkungen zu errichten. Was die Tachtrans-Botschaft nicht erwähnte, war, wozu die Verstärkung dienen sollte. Sie brauchten ganz gewiß jede Anzahl an Spezialisten, die sie noch nicht hatten. Einen Koch. Einen Zahnarzt. Frauen, die besser aussahen. Eine bessere Dolmet scherin – Dalehouse drehte sich bei diesem Gedanken um und schaute nach, wie es Harriet hinter ihm ging. Die Dolmetscherin war höchst unbequem auf nicht mehr als einem Quadratmeter zusammengepfercht, der noch dazu von Bolzen und Hebeln strotzte, die Harriets Rippen und Hüften unauslöschlich zeichnen mußten. Wenn sie irgend jemand anderer gewesen wäre, hätte Dalehouse sich eine freundliche, mitfühlende Bemerkung einfallen lassen. Für Harriet konnte er keine finden. Ihre Augen waren geschlossen. Ihre Miene verriet Resignation angesichts der greifbaren Ungerechtigkeit, daß sie die Kleinste von den dreien war und sich somit in den winzigen Raum zwängen mußte. »Kommen näher«, plärrte Kappeljuschnikow ihm ins Ohr. Dalehouse beugte sich vor und wischte an der Glasscheibe, so,
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als wäre der Dunst von Jem innen, statt überall ringsumher. Es gab nichts als dunkelrote Wolken. Dann glitzerte durch eine Lücke der grelle, weiße Rand des Hitzepols. Und noch etwas anderes. Die Wolken selbst waren unverkennbar hell. Als der Doppeldecker aus dem letzten Wolkenturm hinausflog, sah Dalehouse die Ursache vor sich. »Menschenskind!« rief Kappeljuschnikow. »Die schämen sich nicht?« Das Licht war das Öler-Lager. Es prangte am Horizont wie ein Freudenfeuer, durchdrang Jems Düsternis mit Lichtstrahlen, beleuchteten Fenstern und – mein Gott! staunte Dalehouse – sogar mit Straßenlampen. Es war kein Expeditionslager mehr. Es sah aus wie eine Kleinstadt. Der senkrechte Lichtstrahl kippte und glitt über den Doppelde cker, um ihre Annäherung zu bestätigen – dann höflich davon, um sie nicht zu blenden. Kappeljuschnikow murmelte unhörbar in sein Funkmikrofon, lauschte kurz und begann dann zu kreisen. »Was ist los?« fragte Dalehouse scharf. »Ist nichts los, nur wir nicht mehr eilig«, sagte der Pilot. »Vaus werden aufgehalten eine Stunde, also wir wollen uns ansehen die Wunder, bevor wir darauf landen.« Ein Wunder war es nahezu. Im Lager der Öler gab es nur ungefähr vierzig Leute, aber sie schienen fast ebenso viele Gebäude zu haben. Gebäude. Nicht Zelte oder Plastikunterkünf te. Und was für Gebäude! Manche waren Baracken, andere schienen Einzelbungalows zu sein. Eines hatte mehr Ähnlichkeit mit einer ums Zehnfache verkleinerten Nachbildung des Eiffelturms als mit einem Bauwerk, in dem man wohnen oder arbeiten konnte. Ein zweites war gute fünfundzwanzig Meter lang. Und – was war dieser seltsame, sonderbar flache, runde, blumenblattartige Kegel auf der anderen Seite des Lagers? Er schien aus gebogenen Streifen von schimmerndem Metall zu bestehen, die um einen schwarzen Zylinder in der Mitte angeordnet waren. Konnte das ein Sonnengenerator sein? Wenn
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ja, dann war er beinahe von Megawatt-Größe! Und – dieser kurze Turm mit dem horizontal rotierenden Ventilator? War das nicht der Auslaß einer Klimaanlage? Harriet hatte sich aufgerafft und schaute über Dalehouses Schulter. Ihr Atem sirrte ärgerlich an seinem Ohr, als sie streng sagte: »Das ist eine – obszöne Verschwendung!« »O ja, liebe Gasha!« rief der Pilot. »Wie herrlich es wäre, wenn wir uns auch könnten eine leisten!«
Über dem Gerassel und Stöhnen seines Krinpit-Begleiters hörte Achmed Dulla in der Ferne ein Knattern. »Setz mich ab. Warte. Versuch still zu sein«, rief er ärgerlich in dem Gemisch von Urdu und ihrer eigenen Sprache, das eine Verständigung zwischen ihnen ermöglichte. Oder wenigstens manchmal. Er stieg aus der Sänfte, in der sie ihn getragen hatten, kletterte auf das Knie eines Viel-Baums, um die rosarot leuchtenden Blätter wegzuschieben und zum Himmel hinaufzu starren. Ein winziger Doppeldecker ratterte unter den Wolken dahin. »So«, sagte er, »ein weiteres Wunder der Technologie erscheint.« Jorrn-ftett, der Krinpit, bäumte sich auf, um ihn schärfer zu betrachten, während er mit den Stummelscheren gestikulierte. »Dein Sinn ist nicht laut«, rasselte er. »Egal. Gehen wir weiter.« Dulla war nicht in der Stimmung zu einer kleinen Plauderei mit maßlos groß geratenen Käfern, so nützlich sie ihm auch sein mochten. »Geht, tragt die Sänfte und meine Tasche, ich laufe zu Fuß«, sagte er. »Zum Reiten ist es hier zu steil.« Sie stiegen jetzt aus dem flachen Flußtal hinauf, durch die letzten der bewaldeten Hänge zum trockenen Hochland empor. Die Vegetation begann sich von Viel-Bäumen und Farn zu Fettpflanzen zu verändern, stummelartigen Fässern mit leuchtend-grellroten Knospen. Dulla betrachtete alles mit
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Widerwillen. Die Pflanzen studieren, neue Produkte finden, auf diese Weise sind meine Väter von den Maschinen der Außenwelt unabhängig geworden. Das hatte Feng Hua-tse betont, bevor er sich auf den Weg gemacht hatte; aber Dulla war Astrophysiker, kein Kräuterheilkundiger, und er hatte nicht die Absicht, den Anweisungen dieses Narren zu folgen. Es gab jetzt keinen Überhang mehr zwischen ihm und dem Himmel, und er konnte den kleinen Doppeldecker weit drüben vor der grellen, weißen Linie des Hitzepols kreisen sehen. Die Öler hatten ihren Hubschrauber, die Fetten jetzt ein Flugzeug, und was besaß der Vertreter der Volksrepubliken, um zu dem Treffen zu gelangen? Eine Sänfte, getragen von Wesen, die aussahen wie zerquetschte Schalentiere. Dulla kochte innerlich. Wenn Feng auf ihn gehört hätte, wären sie dabei geblieben, daß das Dreiertreffen in ihrem eigenen Lager stattfand. Dann wäre ihnen die Demütigung erspart geblieben, auf einem Plastikrah men anzukommen, geschleppt von Wesen aus einer Kinderfabel – wenn auch nicht die Demütigung, den Fetten und den Ölern die Armseligkeit ihres Stützpunkts zu offenbaren. Was für eine Katastrophe! Und alles Fengs Schuld. Oder die von Erbe Maos; die Expedition hätte von vornherein richtig versorgt und verstärkt werden müssen, aber es sah den Chinesen ähnlich, kleinlich zu sparen und damit das Projekt zu ruinieren. Die Krinpits blieben plötzlich stehen, und Dulla stolperte in seiner Versunkenheit beinahe über sie. »Was, was?« schimpfte er. »Warum steht ihr hier?« »Etwas sehr Lautes bewegt sich schnell«, rasselte Jorrn-ftett »Ich höre nichts.« Aber nun, da er aus seinen Gedanken gerissen war, sah er etwas, eine Staubwolke hinter den Hügeln. Als er hinüberblickte, fuhr eine Maschine über die Anhöhe und kam auf ihn zu. Sie war noch einen Kilometer entfernt aber es schien sich um ein Halbkettenfahrzeug zu handeln. »Wieder ein Triumph krasser Verschwendung«, höhnte Dulla. »Wie können sie es wagen, mich zu holen, so, als könnte ich den Weg nicht allein bewältigen?« Der Krinpit rasselte fragend, und
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er fügte hinzu: »Schon gut. Laßt die Trage herunter, ich trage meinen Rucksack jetzt selbst. Versteckt euch. Ich will nicht, daß die Öler euch sehen.« Aber die Worte sagten den Krinpits nichts. Ein Krinpit konnte sich vor einem zweiten nie verbergen, solange sie einander nah genug waren, um sich zu hören. Dulla bemühte sich, es zu erklären: »Geht zurück zu dem Ort hinter dem Hügel. Die Fetten werden euch dort nicht hören. Ich werde in dem Abstand zurückkommen, den wir vom Fluß hierher gebraucht haben.« Er war nicht sicher, ob sie das verstanden. Die Krinpits hatten ein deutliches Zeitgefühl, aber der Wortschatz von Ausdrücken für ihre Einheiten ließ sich von einer auf einen Tag-Nacht-Zyklus gestützten Sprache nicht leicht in eine andere übertragen, die auf einem Planeten ohne leicht erkennbare zeitliche Bezugspunk te entwickelt worden war. Aber sie wankten gehorsam davon, und Dulla ging dem Halbkettenfahrzeug mit gleichmäßigen Schritten entgegen. Der Fahrer war ein Kuwaiti, offenbar ein Dolmetscher, weil er Dulla in fehlerlosem Urdu begrüßte. »Möchten Sie mitfahren?« rief er. »Springen Sie auf.« »Sie sind sehr höflich«, sagte Dulla lächelnd. »Für einen Spaziergang ist es heute tatsächlich ein bißchen warm.« Aber es war durchaus keine Höflichkeit, wütete er innerlich, es war nur wieder ihre abscheuliche Arroganz! Achmed Dulla war ganz sicher, die einzige Person auf Jem zu sein, deren Muttersprache Urdu war, und die Öler hatten dafür gesorgt, jemanden unter sich zu haben, der mit ihm sprechen konnte! So, als beherrsche er nicht selbst vier weitere Sprachen! Die Zeit würde kommen, schwor er sich, in der er ihnen ihre Protzerei heimzahlen konnte. Er fuhr also über die von tief eingeschnittenen Rinnen durchzogenen Hügel zum Öler-Lager, unterhielt sich freundschaftlich mit dem Kuwaiti, Dachte höfliche Bemerkungen über den guten Eindruck ihres Lagers, äußerlich lächelnd, innerlich vor Wut dem Platzen nah.
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Der offizielle Gastgeber für das Treffen hieß Chesley Pontrefact, geboren in London, aber dort von nicht weit zurückreichender Abstammung. Seine Haut war violettschwarz, sein Haar weiße Wolle. Verschlüsselte Tachtrans-Mitteilungen hatten Dulla nähere Informationen über jeden Angehörigen der Öler-Expeditionen ebenso wie die der Fetten übermittelt, und er wußte, daß Pontrefact Vize-Luftmarschall und nominell Kommandeur der Öler-Expedition war. Aber er wußte auch, daß die eigentliche Macht einem der Zivilisten aus Saudi-Arabien gehörte. Pontrefact eilte um den langen Konferenztisch (Holz! Von der Erde hierhergeschafft!) und bot Getränke und Tabakwaren an. »Ist Ihnen Brandy recht, Doktor Dalehouse?« fragte er fürsorglich. »Und vielleicht ein Coca-Cola für Sie, Sir? Ich fürchte, wir haben keinen Orangensaft, aber wenigstens Eis.« »Nichts, bitte«, sagte Dulla, vor innerlicher Empörung kochend. Eis! »Ich schlage vor, daß wir mit der Sitzung beginnen, wenn es genehm ist.« »Gewiß, Doktor Dulla.« Pontrefact ließ sich schwerfällig oben am Tisch nieder und schaute sich fragend um. »Stört es Sie, wenn ich den Vorsitz übernehme, rein der Form halber?« Dulla schaute sich um, ob einer von den Fetten Einwände erheben wollte, und sagte Sekundenbruchteile vor den anderen: »Durchaus nicht, Marschall Pontrefact. Wir sind Ihre Gäste.« Aber Gästen hatte man Höflichkeit zu bezeugen, und was war diese Sitzordnung anderes als eine bewußte Beleidigung? Pontrefact an der Kopfseite, zwei von seinen Mitarbeitern am Fuß, dazwischen der Kuwaiti-Dolmetscher und eine Frau, die keine andere sein konnte als die Saudi-Zivilistin, die bei den Ölern die Entscheidungen traf. Auf einer Seite des Tisches saßen alle drei Fetten: Dalehouse, ihr russischer Pilot und ihre eigene Dolmetscherin; und auf der anderen – er allein. Hätten sie noch deutlicher ausdrücken können, daß er allein und bedeutungslos war? Er fügte bescheiden hinzu: »Da wir alle Englisch verstehen, wie ich glaube, können wir auf die Dolmetscher vielleicht verzichten. In meinem Land gibt es einen alten Spruch, wonach
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der Erfolg einer Konferenz in umgekehrtem Verhältnis zum Quadrat der Zahl der Beteiligten steht.« »Ich bleibe«, sagte die Dolmetscherin der Fetten sofort. Pontrefact zog seine weißen, raupenartigen Brauen hoch, sagte aber nichts; Dulla zuckte höflich die Achseln und blickte auf den Vorsitzenden, um auf den Beginn der Verhandlungen zu warten. Die Saudi flüsterte längere Zeit mit dem Dolmetscher. Auf der anderen Seite zögerte Dalehouse, dann stand er auf und beugte sich über den Tisch, die Hand ausgestreckt. »Ich freue mich, daß Sie gut aussehen, Achmed«, sagte er. Dulla berührte kurz seine Hand. »Danke.« Und widerwillig fügte er hinzu: »Vielen Dank für Ihre Unterstützung bei meiner Rückverbringung in mein eigenes Lager. Ich hatte seither noch keine Gelegenheit, meinen Dank auszudrücken.« »Gern geschehen. Es ist ohnehin schön, jemanden von Ihrer Expedition zu sehen – man bekommt Sie nicht oft zu Gesicht, wissen Sie.« Dulla funkelte böse, dann sagte er steif: »Ich habe einen weiten Weg hinter mir. Können wir nicht anfangen?« »Ach, verdammt«, sagte Pontrefact oben am Tisch. »Also, hören Sie, Freunde. Der ganze Grund für dieses Treffen ist der, den Versuch zu besserer Zusammenarbeit zu unternehmen. Wir wissen, was unsere Oberen zu Hause alles verpfuscht haben. Wollen wir nicht sehen, ob wir es hier ein wenig besser können?« »Bitte beschränken Sie Ihre Bemerkungen auf Ihre eigene Seite«, sagte Dulla sofort. Es war, wie er vermutet hatte: Die Öler wollten alle beleidigen, außer sich selbst. Mochte dieser Westinder, dessen Großvater in der U-Bahn von London noch Billetts geknipst hatte, sich blamieren, so gut er konnte. Nicht die Volksrepubliken. »Aber ich meine es todernst, Doktor Dulla. Wir haben Sie eingeladen, weil unübersehbar ist, daß wir ungewollt gegenein
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ander arbeiten. Ihr eigenes Lager ist in ernsthaften Schwierigkei ten, und wir wissen es alle. Die Nahrungs-Leute und wir selbst sind ein wenig besser dran, ja. Aber Sie haben keinen richtigen Arzt, Doktor Dalehouse, nicht wahr? Von anderen Dingen ganz zu schweigen. Und man kann von uns nicht erwarten – das heißt, wir verfügen auch nicht über unbegrenzte Mittel. Nach der Entschließung der Vereinten Nationen sollen wir eigentlich alle zusammenarbeiten und uns in die Verantwortung teilen. Vor allem, was das Wissenschaftliche betrifft. Wir haben uns auf das Geologische beschränkt, und Sie können nicht behaupten, daß wir hier nicht unseren Teil geleistet hätten. Wir haben sehr viel erreicht.« »Allerdings«, warf Kappeljuschnikow liebenswürdig ein. »Ist reiner Zufall, daß meistens ist in unmittelbarer Umgebung und vor allem spaltbare Material und Salzdoma betrifft.« »Das heißt, Petroleum«, bestätigte Dulla. »Ja, ich glaube, dessen sind wir uns alle bewußt, Marschall Pontrefact.« Wie entgegenkommend von den Fetten und Ölern, so schnell miteinander in Streit zu geraten! »Sei’s, wie’s will«, fuhr der Vorsitzende beharrlich fort, »es gibt hier ungeheuer viel zu tun, und wir können nicht alles alleine machen. Astronomie, zum Beispiel. Wir haben zwar einen Observatoriums-Satelliten in eine Umlaufbahn gebracht, aber wie Sie sicher wissen, gab es – Schwierigkeiten. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Er stand auf und ging zu einem LikrisSchirm an der Wand. Als er eine Weile daran herumgefummelt hatte, flammten die Kristalle bunt auf und zeigten eine Art Diagramm. »Sie haben unseren Sonnengenerator gesehen. Das hier zeigt die Solareingabe für unsere Energieanlage. Wie Sie sehen, weist die Kurve Spitzen auf. Das mag Ihnen nicht als bedeutsam erscheinen, aber unser Generator ist ein Präzisions instrument. Er kann seine Arbeit nicht korrekt verrichten, wenn die Solarkonstante nicht, nun, nicht konstant ist.« Dulla starrte in dumpfem Neid auf das Diagramm. Dazu war er eigentlich hier, weil er Spezialist für Stellarstudien war! Er
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bemerkte es kaum, als Dalehouse einwarf: »Wenn Kung Ausbrüche hat, könnte das für uns mehr bedeuten als ein paar Spitzenausschläge in Ihrem Energiesystem.« Pontrefact nickte. »Natürlich. Wir haben das mit einer Kopie der Aufzeichnung nach Herstmonceux-Greenwich gegeben. Man ist dort sehr beunruhigt. Kung könnte ein variabler Stern sein.« »Wohl kaum«, sagte Dulla höhnisch. »Es ist bekannt, daß ein paar Protuberanzen möglich sind.« »Aber man weiß nicht, wie viele, oder wie große, und genau das müssen wir wissen. Was wir, wenn ich so sagen darf, zuversichtlich von den astronomischen Forschungen erwartet haben, die von Ihrer Expedition durchgeführt werden sollten, Doktor Dulla.« »Das ist zuviel!« brach es aus Dulla heraus. »Wie kann man Astrophysik betreiben, wenn man hungert? Und wer trägt die Schuld daran?« »Gewiß nicht wir, mein lieber Freund«, sagte Pontrefact entrüstet. »Aber jemand hat unsere Schiffe zerstört, lieber Freund. Jemand hat vierunddreißig Bürger der Volksrepubliken getötet, lieber Freund!« »Aber das war – « Pontrefact verstummte mitten im Satz. Er mühte sich erkennbar, seine Beherrschung zu bewahren. »Sei’s, wie’s will«, wiederholte er, »es ist ganz einfach so, daß die Arbeit getan werden muß und irgend jemand sie tun muß. Sie haben die Instrumente, nicht wir, jedenfalls nicht, bis geeignete Teleskope von der Erde eintreffen. Wir haben das Personal, und Sie offenkundig nicht.« »Ich bitte um Vergebung. Gestatten Sie, daß ich Sie über meine akademische Qualifikation informiere. Ich bin Direktor des Planetologischen Instituts an der Zulfikar Ali Bhutto-Universität und habe Doktorate in Astrophysik von – «
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»Aber niemand bezweifelt Ihre Doktorate, mein lieber Mann, nur Ihre Einsatzfähigkeit. Gestatten Sie, daß wir unseren Astronomen hinüberschicken. Besser noch, lassen Sie von Boyne Ihre Anlagen hierhertransportieren, wo die Sicht besser ist – « »Auf keinen Fall! Weder das eine noch das andere!« »Ich glaube wirklich nicht, daß das fair ist. Wir haben bei spielsweise unsere Bereitschaft, Nahrungsmittel zu liefern – « »Was für Nahrung! Für Ihre Leute, nicht für uns: nichts als Mehl, kaum Reis.« »Wir besorgen Reis für Sie, wenn Sie das wollen«, sagte Dalehouse beschwichtigend. »Wie liebenswürdig von Ihnen!« höhnte Dulla. »Warten Sie mal, Dulla. Wir haben unser Bestes für Sie getan – und wenn Sie es wissen wollen, haben wir selbst auch ein paar Beschwerden. Etwa, daß Sie auf mich geschossen haben!« Dulla schnitt eine Grimasse. »Das war nur Hua-tses Ungeschick mit dem Feuerwerk. Die Volksrepubliken haben ihr Bedauern bereits ausgedrückt.« »Wem? Den toten Ballon-Wesen?« »Ja«, spottete Dulla mit übertriebener Demut. »Selbst verständlich entschuldigen wir uns bei Ihren engen Freunden, den komischen Gassäcken. Und auch bei den Ihren, Sir, dem Ungeziefer, das in der Erde gräbt, und das Sie so nützlich finden.« »Wenn Sie die Wühler meinen«, sagte Pontrefact, dessen Geduld überfordert zu werden schien, »wir verwenden sie wenigstens nicht als Sänftenträger.« »Nein! Sie benützen sie, um die Mineralvorkommen auszubeu ten! Trifft es nicht zu, daß bei Ihnen Strahlungs-krankheit aufgetreten ist?« »Nein. Jedenfalls nicht hier. Wir haben ein paar dazu verwen
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det, in anderen Gebieten Proben für uns zu schürfen, und ja, sie sind auf etwas Strahlung gestoßen, aber ich muß sagen, daß ich die Unterstellung mißbillige, wir beuteten die Einge-borenen aus.« »Ah, ich bin sicher, daß Sie das nicht tun würden, Marschall Pontrefact, zumal ja Ihre eigenen Vorfahren das sozusagen in hohem Maße passiv erlitten haben müssen.« »Also, hören Sie mal, Dulla!« Aber Pontrefact wurde von der Saudi unterbrochen, die sagte: »Ich glaube, wir sollten die Mittagspause einlegen. Wir haben viel zu diskutieren, und einander anzuschreien, bringt nichts ein. Nehmen wir uns vor, es am Nachmittag besser zu machen.«
Aber die Nachmittagssitzung, obwohl ruhiger, erschien Danny Dalehouse nicht sehr produktiv. »Wenigstens haben wir dabei eine anständige Mahlzeit herausgeholt«, sagte er zu Kappeljuschnikow vor dem Langhaus, in dem sie getagt hatten. »Ist wie Asche in meine Mund«, knurrte der Russe. »Oh, wieviel schöne Dinge sie hier haben. Nicht nur Essen.« Das ließ sich nicht bestreiten. Dem Tagungsgebäude gegenüber entstand ein neuer Bau. Ein Raupenkipper ließ eine Ladung Erde in einen Trichter fallen; der Mann, der ihn steuerte, schob einen Hebel nach vorn, ein schrilles Heulen wurde hörbar, Augenblicke später klappten die Seitenwände herunter, und der Mann hob eine fertige Ziegeltafel heraus. Der Trick bestand darin, etwas zur gepreßten Erde zu geben, das sie härtete. »Und haben Sie gesehen, was auf dem Hügel oben ist?« fragte Harriet in eifersüchtigem Ton. An den Hängen über der Kolonie sah man abgestufte Reihen grüner Schößlinge. Grün! Die Öler benützten Batterien von Glühlampen, um terrestrische Nahrung zu züchten! »Komme mir vor, wie ich siebzehn Jahre war«, sagte Kappel
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juschnikow. »Junger Segelflieger, Sieger Höhen- und Dauerflug von ganze Region, frisch aus Nischni Tagil, erstemal in Leben Kalinin-Prospekt hinuntergegangen, und wie über-wältigend ist Moskau gewesen! Straßenbahnen, Wolkenkratzer, Buchhandlun gen, Restaurants.« Er deutete auf die Plasmasäule des Sonnengenerators, der von seiner Reflektorenrosette umgeben war. »Ist entmutigend, liebe Freunde. Kein Wunder, daß Öler uns haben hergerufen, um auszugeben Tagesbefehl, sie haben Muskel dafür, zu zwingen!« Er zuckte die Achseln, dann grinste er, als sie um die letzten Baracken herumgingen und das kleine Flugfeld sahen. »Hoi! Boyne!« schrie er. »Komm Lebwohl sagen zu armes Verwandte von Land!« Der irische Pilot zögerte, dann kam er auf sie zu. »Hallo«, sagte er sachlich. »Ich habe unseren Freund Dulla gerade mit einem Jeep heimgeschickt.« »Er schien nicht sehr guter Stimmung zu sein«, meinte Dalehouse. Der Pilot grinste. »Seine Gefühle waren verletzt, würde ich sagen. Er wollte nicht zeigen, daß er sich von Krinpits transportieren ließ, um hierherzukommen. Das haben Sie nicht gewußt? Sie kamen mit dem Boot den Fluß herauf, dann trugen ihn die Krips acht oder zehn Kilometer hinauf, bis wir ihn abholten.« »Er wäre vielleicht besserer Stimmung gewesen, wenn Sie sich nicht angestrengt hätten, ihn zu beleidigen, Dalehouse«, sagte Harriet gehässig. »Ich? Wieso?« »Er dachte, Sie machen einen Witz darüber, daß von den Vaus so wenige überlebt haben. Sein Gesicht hat sich völlig ver krampft.« »So habe ich das doch gar nicht gemeint«, wandte Dalehouse ein. »Er ist furchtbar empfindlich.« »Vergessen«, riet Kappeljuschnikow. »Er ist so enge Freund
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von Kakerlak, sollen sie sich zerbrechen Kopf über seine Gefühle.« »Das verstehe ich übrigens auch nicht, Cappy. Die Krinpits hätten ihn beinahe umgebracht.« »Wie ist dann möglich, daß sie werden eingeborene Träger für Pakistani-Sahib, wenn er kühn marschiert durch Dschungel?« »Das kann ich erklären«, sagte Boyne düster. »Wenn ich auch nicht behaupten kann, daß es mir gefällt. Der erste Krinpit, den Sie und ich hierhergebracht haben, Dalehouse, der sich Sharn igon nennt? Er ist wütend auf alle Menschen. Anscheinend ist seine Freundin, oder es war eher ein Freund, glaube ich, durch den ersten Kontakt mit den Vaus gestorben, und er will sich rächen. Nur scheint seine Methode, sich zu rächen, darin zu bestehen, daß er möglichst viel Ärger für möglichst viele Menschen macht. Er hat bei den Krips hier in der Nähe einen Riesenaufstand gemacht, wir können überhaupt keinen Kontakt zu ihnen herstellen. Er denkt wohl, die Vaus seien ziemlich verkorkst, und deshalb ist er bereit, ihnen zu helfen, damit sie für uns auch alles verderben. Sieht für die Zukunft sehr düster aus, wenn Sie mich fragen.« Er begleitete sie zum Landeplatz, wirkte aber reserviert; er sah keinen von den anderen an, und was er von sich gab, war eher ein Monolog als ein Gespräch. Kappeljuschnikow sagte versöhnlich: »He, Boyne, Sie sind sauer?« »Ich? Warum sollte ich?« Aber er sah ihn trotzdem nicht an. Kappeljuschnikow warf einen Blick auf die anderen, dann wandte er sich wieder an den Piloten. »He, Boyne«, sagte er schmeichelnd. »Wir beide sind Mitglie der von große instellare Bruderschaft der Piloten, sollten nicht böse aufeinander sein.« »Hören Sie, es geht nicht um Sie persönlich«, gab Boyne zornig zurück. »Man hat mich fertiggemacht, weil ich euch den Bagger geliehen habe, gar nicht davon zu reden, daß ich ein
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bißchen zu offen gewesen bin, was das betrifft, was wir hier machen.« »Aber wir sitzen doch alle in einem Boot«, warf Dalehouse ein. »Pontrefact hat es bei der Sitzung selbst gesagt. Wir sollen Informationen austauschen.« »Ach, Ponty hat schon die richtige Vorstellung, aber das soll auch umgekehrt gelten. Sie haben es auch nicht für nötig gehalten, ein paar von Ihren kleinen Einfallen zu erwähnen, nicht? Wie die Bewaffnung der Ballon-Wesen gegen die Krinpits?« »Das stimmt doch gar nicht! Ich meine, das ist ja schließlich mein eigenes Gebiet, Boyne. Wir haben ihnen ein paar einfache Waffen gegeben, damit sie sich gegen die Ha’aye’i verteidigen können, das ist alles.« »Sie haben sie aber gegen alles eingesetzt, das sie erwischen können. Ganz zu schweigen von der Sache mit dem Versor gungsschiff der Vaus.« »Das war ein Unfall«, sagte Dalehouse. »Na klar. Es ist sicher auch Zufall, daß Ihr Flugzeug – « Er zögerte, dann preßte er die Lippen zusammen. »Los, Boyne, was wollten Sie sagen?« drängte Dalehouse. »Nichts. Vergessen Sie’s.« Boyne schaute sich nach dem Lager um, dann sagte er schnell: »Hören Sie, die Friedenskonferenz war eine Pleite, nicht? Gelöst worden ist gar nichts. Und so, wie die Dinge laufen – na, ich habe ein schlechtes Gefühl. Die hiesigen Krips vergasen unsere Wühler ab und zu in ihren Gängen – das kommt wohl von den Vaus. Das Vau-Schiff explodiert; Sie sagen, es wäre ein Unfall gewesen, aber was man hört, ist ›CIA‹. Sie geben den Gassäcken Waffen. Und Ihr Flugzeug – Mensch, Scheiße, Mann«, sagte er und funkelte Kappeljuschnikow an. »Ich habe Augen im Kopf. Zur Zeit bin ich also nicht wild auf vertrauliche Unterhaltungen, ja? Vielleicht ein andermal. Bis dann, also, und schönen Heimflug.« Er nickte kurz
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und kehrte um. Kappeljuschnikow sah ihm düster nach. »Ich habe auch schlechte Gefühl«, sagte er. »Auch über liebe Freund und Pilotenkamerad Boyne. Fragen ich möchte stellen, aber das ist nicht gute Zeit.« »Ich möchte mehr darüber wissen, wozu sie die Wühler einsetzen«, bestätigte Dalehouse. »Und offen gesagt, das Gerede, wir wären für den Unfall der Vaus verantwortlich, geht mir langsam unter die Haut. Halten Sie es für möglich, daß das stimmen könnte?« Cappy betrachtete ihn nachdenklich. »Sie sind sehr liebe Mensch, Danny«, sagte er traurig. »Viel leicht Sie fragen sich nicht genug. Wie: Fragen Sie sich, warum Öler haben Landeplatz, wenn Helikopter können überall landen?« »Darauf bin ich noch gar nicht gekommen«, gestand Dalehou se. »Aber ich«, sagte der Russe. »So, wie Boyne sich fragen, warum seltsames kleine Luke, wo liebe Gasha sitzt, in unsere Flugzeug ist. Sie und Gasha sehen an. Sie sagen: ›Oh, wie unpraktisch. Kann Zweck nicht verstehen.‹ Aber wenn Pilot das ansehen, Boyne oder ich, wir sagen sofort: ›Oh, wie seltsam, daß Flugzeug gebaut für friedliche Forschung hat eingebaute Bombenschacht.‹«
Dreißig Meter unterhalb das Flugplatzes erwachte Mutter dr’Shee mit dem Geruch von Zyankali in ihrer gespreizten Nase, zu schwach, um gefährlich zu sein, zu stark, um unbeachtet zu bleiben. Die Schalenteufel trieben es schon wieder. Sie kläffte herrisch nach dem Brut-Mitglied im Dienst. Es war t’Weechr, der Kleinste der Brut, dem die anderen die unange nehmsten Arbeiten übertrugen – auch die Aufgabe, sich um die Wünsche der Mutter zu kümmern, wenn sie aufwachte. Es waren
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nur sieben in ihrer jetzigen Brut, alle männlich, und keiner von der Größe, der Kraft oder dem Witz ihres Vaters. Es war eine lockere und beunruhigende Zeit, und das wirkte sich auf ihre Laune aus. »Essen!« befahl sie scharf. »Und zu trinken! Und jemand, der mich pflegt, während ich warte.« t’Weechr sagte demütig: »Außer mir ist keiner da, Brut-Mutter. Ich werde schnell sein mit dem Essen und dich pflegen, während du ißt.« »Und weshalb ist keiner da?« »Die Neuen Teufel unterrichten, Brut-Mutter. Alle müssen anwesend sein.« »Tschiii.« Wäre dr’Shee ein Mensch gewesen, hätte der Laut sich als mürrisches Knurren dargestellt, der Bequemlichkeit halber ›Hmpf‹ geschrieben. Aber sie war nicht wirklich erbost nur unruhig, und als t’Weechr zurückkam, brachte er nicht nur Knollen und eine Muschel voll Wasser, sondern sogar frisches Laub und Früchte von Oben. »Genommen oder gegeben?« fragte sie und schnupperte argwöhnisch daran. »Das waren Geschenke der Neuen entschuldigte sich der Junge.
Teufel,
Brut-Mutter«,
»Tschiii.« Sie schmeckten jedoch, und sie hatte Hunger. Sie entleerte danach den Darm säuberlich in die Muschel, und t’Weechr klappte sie zusammen. »Gibt es noch irgendeinen anderen Dienst, Brut-Mutter?« fragte er, während er die letzte Stelle an ihrem Pelz zurechtleck te. »Nein. Fort mit dir!« Er berührte ihre Nase mit der seinen und robbte davon, um die Ausscheidung in die Faulräume zu bringen. Die nächste Brut würde sie mit dem Pflanzschlamm vermischen und bei der Vorbereitung der nächsten Ernte in die Decken der Farm kleben. Bis dahin würde sie gut gealtert sein und von hohem Wert für das Wachstum der Knollen. Der Kleinste oder
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nicht, t’Weechr war ein gutes Kind. Sie würde ihn vermissen, wenn die Brut heranreifte und sich zerstreute. Und bis dahin würde es nicht mehr lange dauern. Bei jedem Erwachen waren ihre Zitzen kleiner und härter geworden. Die Brut-Männchen wußten es, und jedesmal, wenn sie ihr Nest verließ, krochen sie nah heran, um sie zu berühren, Nase-Anus, um zu prüfen, wie bald man um sie werben konnte. Erst gestern hatte das Männchen mit dem narbigen Bein halb im Spaß gesagt: »Was möchtest du das nächstemal, dr’Shee? Krinpit-Schalen? Einen lebenden Fliegenden Teufel? Den Kopf eines Neuen Teufels?« »Deinen eigenen Kopf«, hatte sie erwidert, halb gereizt, halb kokett. Er hatte lachend durch die gespreizten Nasenfalten geschnaubt und war davongekrochen, aber er würde wieder kommen. Es war kein unerfreulicher Gedanke. dr’Shees BrutSchwester hatte zwei Würfe zuvor sich mit diesem gepaart. Eine schöne Brut, drei Weibchen! Und die Schwester hatte gesagt, er sei bei der Paarung unermüdlich. Nun. Korrekte Werbung war korrekte Werbung, aber sie konnte nicht umhin, zu hoffen, daß er sich als der Mann erweisen werde, der ihr das schönste Geschenk darbringen würde. Schwache und ferne Vibrationen im Boden ließen ihre Schnurr haare erzittern. Das waren auch die Neuen Teufel, früher hatte solches Beben nur einen besonders heftigen Gewittersturm Darüber bedeutet, oder vielleicht den Sturz eines Viel-Baums. Jetzt karrten und scharrten die Neuen Teufel kleine Hügel und große Steine nach Belieben herum, und der Boden war für ihre Sinne nicht mehr angenehm. Während sie sich durch ihre Höhle bewegte, schnuppernd und berührend, um sich zu vergewissern, daß alles an seinem Platz war, wurde sie in erster Linie von Tastsinn, Geruch und Geschmack geleitet. Manchmal hatten ihre Männer Stücke von Schwämmen und Vegetation in die Wände geklebt, zusammen mit den Sekreten, die ihre Tunnelwände hart und wasserdicht machten, und die Pflanzenfäulnis rief ein schwaches Leuchten hervor. dr’Shee schätzte das Licht, brauchte es aber nicht. Für ihre Rasse waren Augen fast ein Nachteil, vor allem bei ihren unregelmäßigen Ausflügen an die Oberfläche,
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wenn nur dichteste Wolken und ärgste Gewitter Kungs Strahlung so dämpften, daß sie sie ertragen konnten. »Gruß, dr’Shee.« Sie schnupperte erstaunt, dann erkannte sie das weibliche Wesen am Eingang ihrer Kammer. »Wie geht es, qr’Tshew? Komm rein, komm rein.« Die andere kam herein, und dr’Shee sagte sofort: »Ich werde Essen kommen lassen.« »Ich habe gegessen«, sagte qr’Tshew höflich. »Was für herrliche Werbungsgeschenke!« Sie strich über dr’Shees Sammlung. Sechs Paarungen, sechs schöne Geschenke: ein hartes Ding, gestohlen von den Neuen Teufeln, das niemand verstand, das Bein einer Krebs-Ratte – das war ihr erstes Geschenk gewesen, und das am wenigsten wertvolle, aber in mancher Beziehung für sie das Befriedigendste von allen. Sogar die Klauen eines Ballon-Geschöpfes. Alles war von der Oberflä che selbst gestohlen, unter großer Gefahr, und ihr zu einem hohen Preis gebracht. Nur wenige Männchen überlebten mehr als zwei oder drei wilde, halbblinde Ausflüge an die Oberfläche, um Paarungsgeschenke zu holen. Die Feinde waren überall. Als der Konvention Genüge getan war, kam qr’Tshew zur Sache. »Der Vater meiner letzten Brut ist an einer schlechten Einat mung gestorben«, sagte sie. »Ebenso drei Junge anderer Mütter.« »Wie schade«, sagte dr’Shee. Sie bezog sich natürlich nicht auf das Männchen; sobald ein Männchen Fortpflanzung erzielt hatte, war er für dieses Weibchen erledigt. Aber daß die Jungen an dem Giftgas gestorben waren! »Ich fürchte für unsere Lebensweise«, sagte qr’Tshew steif. »Seit die Neuen Teufel gekommen sind, ist es mit unserer Brut nicht mehr wie früher.« »Ich hatte denselben Gedanken«, gab dr’Shee zu. »Ich habe
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mit meinen Schwestern darüber gesprochen.« »Und ich mit meinen, und ich und meine Schwestern haben uns etwas überlegt, das wir mitteilen wollen. Unsere Jungen werden von den Neuen Teufeln unterrichtet. dr’Shee, sollten wir Mütter nicht auch lernen, was die Brut lernt?« »Aber sie lernen Methoden, Tod zu bringen! Du und ich, wir sind Mütter, qr’Tshew!« dr’Shee war entsetzt. »Die Krinpits bringen uns den Tod, nicht wahr? Die BrutAngehörigen in den oberen Galerien haben die Tunnels blockiert, wo die schlechte Luft herkam, aber ist es nicht gewiß, daß die Schalenteufel nicht wieder durchbrechen werden und erneut schlechte Luft kommt?« »Ich kann keinen Tod bringen, außer natürlich für Nahrung.« »Dann wollen wir sie essen, samt den Schalen«, sagte qr’Tshew grimmig. »Komm nah heran, dr’Shee. Es gibt eine Geschichte – « Sie zögerte. »Ich weiß nicht, wie wahr sie ist. Sie kam von einem Krinpit und hätte ebensogut von einem Fliegenden Teufel kommen können.« Das war ein alter Spruch, um Zweifel anzudeuten, aber in diesem Fall war es sogar zutreffend, wie dr’Shee erkannte. »Dieser Schalenteufel verhöhnte einen aus der Brut meiner Schwester, indem er sagte, die Neuen Teufel hätten eine ganze Stadt unserer Rasse zerstört. Er sagte, die Neuen Teufel betrachteten uns als Ungeziefer und würden nicht ruhen, bis sie uns alle vernichtet hätten. Deshalb haben sie den Krinpits die schlechte Luft gegeben.« »Aber die Neuen Teufel bringen unseren Brüten bei, wie man Krinpits vernichtet.« »Der nächste Teil der Geschichte ist verwirrend, aber ich glaube, dem ist so. Die Schalenteufel sagen, es gäbe drei Arten von Neuen Teufeln. Eine Art hat die Stadt zerstört. Eine andere gab ihnen die schlechte Luft, mit der sie uns hier schädigen. Und die Art, die unsere Brüten unterrichtet, ist eine dritte. Sie haben Fliegende Teufel und Krinpits ebenso getötet wie Personen von den beiden anderen Arten ihrer eigenen Rasse. Aber sie
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vernichten nicht uns.« dr’Shee wand ihren langen, biegsamen Körper vor Erregung. »Aber das ist nicht wahr!« rief sie. »Sie haben mehrere Brüten von ihren Klassen anderswohin gebracht, und nur wenige sind wiedergekommen, und die wenigen sind schwach und schlaff gewesen und sprechen davon, daß ihre Brut-Genossen sterben!« »Meine Schwestern und ich haben das auch gehört«, bestätigte qr’Tshew. »Tschiii!« Die Rosettenfalten von dr’Shees Nase zuckten heftig. »Es sieht so aus«, sagte sie schließlich, »als sei das Lehren des Tötens nichts Schlechtes. Wenn wir den Krinpits den Tod bringen, werden sie nicht mehr in der Lage sein, uns schlechte Luft zu bringen. Wenn wir unseren Neuen Teufeln helfen, den anderen den Tod zu bringen, werden sie nicht mehr in der Lage sein, den Krinpits oder den Fliegenden Teufeln gegen uns zu helfen.« »Ich habe dasselbe gedacht, dr’Shee.« »Ich habe einen weiteren Gedanken, qr’Tshew. Sobald wir diesen anderen den Tod gebracht haben, können wir vielleicht unseren eigenen Neuen Teufeln den Tod bringen.« »Und dann werden unsere Brüten wieder uns gehören.« »Und unsere Gänge werden sicher und dunkel sein. Ja! Geh nicht fort, qr’Tshew. Ich hole t’Weechr, und er wird uns diese Dinge lehren.« FEHLT und rechts Befehle zu erteilen! Dalehouse ließ die anderen vorbei und ging angriffslustig zu der Gruppe um Santangelo und den Piloten. Jemand sagte gerade: » – wußte nicht, daß es in den Feuchten Tälern Krinpits gibt.« »Wenn Sie in Beverly Hills wären, wüßten Sie auch nicht, daß es in Kalifornien Klapperschlangen gibt, aber wenn Sie in Hollywood Hills herumlaufen, beißen sie Sie in den Arsch. Genug geredet«, sagte der Major. »Wer seinen Abwehrposten zugeteilt bekommen hat, los! In den nächsten zwanzig Stunden kommen
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vier Schiffe. Das wäre genau der Augenblick für einen Überra schungsangriff, und wir lassen uns nicht erwischen. Marsch!« Dalehouse, der keinen Abwehrposten übertragen bekommen hatte, war nicht begierig darauf, einen zu erhalten. Er entfernte sich rasch mit den anderen, als die Gruppe sich auflöste, und machte einen Umweg, um zum Funkraum zu gehen. Im Inneren beobachtete das diensthabende KommunikationsTeam eine ständig wechselnde Anzeige laufender Symbole auf einem grünen Koordinatennetz: die vier Versorgungsschiffe, schon in einer Umlaufbahn um Jem, nahmen ihre abschließenden Kurskorrekturen vor, bevor sie zur Oberfläche herabsanken. Dalehouse hatte erwartet, daß Kappeljuschnikow hier auftauchen würde, und das tat er auch, wenige Augenblicke nach Dalehouse selbst. »Ah, Danny«, sagte er dumpf, »Sie haben gute Geschmack zu finden gute Platz, sich abzusetzen. Warten Sie, ich will sehen, ob Arschloch-Lotse hat Schiffe zufällig richtig in Umlaufbahn.« Er starrte auf den Schirm, wechselte ein paar Worte mit den Technikern, zuckte die Achseln und kam zu Dalehouse zurück. »Ist auf Kurs«, berichtete er. »Nun ist Frage, ob Kurs richtig? Wir stellen fest. Arme Gasha!« »Sind Sie sicher, daß sie tot ist?« »Habe nicht Corpus delicti gesehen, nein. Aber war viel Blut, Danny, mindestens zwei Liter.« »Aber die Leichen haben Sie nicht gesehen?« »Nein, Danny. Sah Blut. Sah Zelte dünn zerhackt, überall Kleider, Essen, Funkgerät zerstört, überall kleine Scharrspuren. Keine Leichen. Ich dann geschrien, gehorcht, in Gebüsch gestochert. Und heimgeflogen. Arme Gasha, nicht zu reden von arme Alexei und arme Gregor.« Danny schüttelte betroffen den Kopf. »Die Krinpits sind verdammt laut. Ich begreife nicht, wie sie das Lager überraschen konnten, und wenn sie nicht überrascht
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worden sind, hätten sie sich verteidigen können. Santangelo hat sie gezwungen, Waffen zu tragen.« »Sie wollen, ich Sie fliege hin, und Sie sich sehen Tatort selbst an«, meinte Kappeljuschnikow achselzuckend. »Aber jetzt entschuldigen. Erste Schiff wird gleich kommen aus Umlaufbahn, und ich muß halten Lotse auf meine hohe Stand von Genauig keit.«
Die Hälfte der Leute im ersten Schiff waren eine Kampfgruppe – eine Tatsache, die Dalehouse früher einen starken Schock versetzt hätte, was nun nicht mehr in diesem Maß der Fall war. Noch in der Umlaufbahn war der vietnamesische Oberst, der sie befehligte, unterrichtet worden, und die Abteilung trat nach dem Aussteigen an und trabte los, um die Wachen an der Lagergren ze zu verstärken. Unter den Leuten des zweiten Schiffes befand sich ein Gesicht, das Dalehouse erkannte. Er brauchte einen Augenblick, um den Zusammenhang herzustellen, aber dann war es klar: das bulgarische Mädchen, das sich in Sofia für ihn und Margie Menninger eingesetzt hatte. Er rief ihr zu und winkte; sie reagierte überrascht, dann lächelte sie, sehr anziehend, wie er fand, und rief ihm auch einen Gruß zu. Weiter ging es zunächst nicht. Inzwischen hatte der neue Oberst mit Major Santangelo gesprochen, und das ganze Lager wurde mobilisiert. Der Vietnamese – er hieß Tree – machte sich Kappeljuschnikow und das Flugzeug zunutze, und sie blieben über zwei Stunden aus und umflogen das Lager in immer größeren Kreisen, zuerst in großer Höhe, dann beinahe die Baumspitzen streifend. Alle Zelte mußten abgebrochen werden. Bis das dritte Schiff landete, standen die Zelte wieder, jetzt jeweils sechs in einer Reihe, vier Reihen nebeneinander, militärisch ausgerichtet. An jeder Ecke des Lagers wurden Gruben ausgehoben, und aus dem dritten Schiff kamen Maschinengewehre und Flammenwerfer dort hinein, während die wenigen Nicht-Spezialisten ohne Rang, die man nicht zum Ausladen, Zeltaufbau oder Grubenausheben brauchte, zehn Meter außerhalb der Lagergrenze Stahlpfosten in
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den Boden rammen mußten. Zur Fracht des dritten Schiffes gehörten zwei riesengroße Rollen Stacheldraht, und bis das letzte Schiff herabsank, war er zwischen den Pfosten gezogen worden.
Zur Abwechslung war der Himmel Jems einmal fast klar, als das vierte Schiff hoch über dem fernen Horizont des Ozean-Sees auftauchte. Zuerst kam der breite, grelle, meteoritenhafte Lichtguß, als die Abschmelz-Wiedereintritts-Schilde das Übermaß an Energie aufsaugten und in schillernden Splittern fortstießen. Dann war das Raumschiff selbst mit bloßem Auge zu erkennen, einen kleinen Augenblick im freien Fall. Ein kurzer blauweißer Düsenstrahl führte eine Kurskorrektur herbei. Dann schnellte der erste Fallschirm heraus und zog die drei großen hinter sich nach. Das Schiff schien fast ohne Bewegung in der rotschimmernden Luft zu hängen, aber langsam, ganz langsam wurde es größer, bis es fast genau über dem Lager hing, zweihundert Meter hoch. Die Fallschirme wurden abgeworfen, und das Schiff senkte sich auf seinen blendend-grellen, trommelfellzermürbenden Raketenstrahlen zum Strand herab. Dalehouse hatte, wie er jetzt nachzählte, fünf solcher Landun gen gesehen, nicht gerechnet jene, bei der er selbst dabeigewe sen war. Es kam einem Wunder nah, sie zu beobachten. Und sie waren alle verschieden. Die Schiffe selbst waren verschieden. Von den vier neuen war nur eines von der hohen, silbernen Form seines eigenen Raumschiffes. Die drei anderen waren gedrunge ne Doppelkegel, von der runden Spitze bis zum runden Boden zehn Meter hoch, auf ihren Landestützen kauernd, an der breitesten Stelle fast zwanzig Meter breit. Die erste Person, die aus dem Schiff trat, war Margie Mennin ger. Es war keine Überraschung. Das Überraschende war, daß sie nicht schon früher eingetroffen war. Dalehouse begriff, daß er sie fast bei jedem Schiff, das landete, halb erwartet hatte. Sie
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wirkte müde, zerzaust und gehetzt, und offenkundig hatte sie während der ganzen Transit-Zeit-Woche in ihrem olivdunklen Drillichanzug geschlafen. Aber für Dalehouse sah sie sehr gut aus. Die weiblichen Mitglieder der Nahrungs-Block-Gruppe waren nicht nach ihrem sexuellen Reiz ausgesucht worden. Abgesehen von einem seltenen Zusammenkommen mit jemandem, den er nicht übermäßig gern mochte – manchmal dazu gedrängt, wenn er eines der Ballon-Wesen dazu brachte, ein paar Spritzer von dem Freuden-Saft abzugeben, manchmal nur von Langeweile getrieben –, war Dalehouses Sexualleben karg, freudlos und trist gewesen. Margie erinnerte ihn an bessere Zeiten. Margie war auch seit Sofia vorangekommen; an ihren Kragen spiegeln trug sie nicht mehr Captainspangen, sondern die Adler eines Obersts, und als sie zur Seite trat, um den Rest der Truppen aussteigen zu lassen, begannen Colonel Tree und Major Santangelo bereits Bericht zu erstatten. Sie lauschte aufmerk sam, während ihre Augen das Lager, den Verteidigungs-Umkreis und die Fortschritte des Ausladens beobachteten. Dann begann sie in kurzen, knappen Sätzen zu sprechen. Dalehouse war nicht nah genug, um die Worte verstehen zu können, aber es gab keinen Zweifel daran, daß es sich um Befehle handelte. Tree schien zu widersprechen. Margie legte gutmütig den Arm um seine Schultern, während sie antwortete, dann tätschelte sie sein Gesäß, als er sich entfernte, um mit finsterer Miene auszuführen, was ihm aufgetragen worden war. Sie und Santangelo gingen zum Kommandostand hinauf und unterhielten sich, während Dalehouse seine Vorstellungen darüber revidierte, was er von dem Wiedersehen mit Margie Menninger zu erwarten haben würde. Aber als sie auf ihn zukamen, entdeckte sie ihn und streckte die Arme aus. »He, Dan! Herrlich, dich wiederzusehen!« Sie küßte ihn begeistert. »Du siehst wirklich prima aus, weißt du das? Oder so gut, wie das bei diesem Licht überhaupt geht.« »Du auch«, sagte er. »Und herzlichen Glückwunsch.«
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»Daß ich da bin? Ach, du meinst die Beförderung. Na, die mußte man mir geben, damit ich mit Guy Tree fertig werde. Dimitrowa müßte irgendwo hier sein, hast du sie gesehen? Wenn wir jetzt nur noch den Paki dazu bringen, daß er uns besucht, können wir uns alle über die guten alten Zeiten im bulgarischen Knast unterhalten.« »Colonel Menninger – « »Schon gut, Major, ich komme. Schön lockerbleiben, Dan. Wir haben was nachzuholen.« Er starrte ihr nach. In den alten Reserveübungszeiten auf dem College, bevor er ausgestiegen war, weil sich herausstellte daß niemand je wieder Kriege würde führen müssen, waren ihm Oberste ganz anders vorgekommen. Es lag nicht nur daran, daß sie eine Frau war. Und hübsch; und jung. Colonels schienen mehr im Kopf gehabt zu haben als Margie Menninger – vor allem solche, die in eine Situation gerieten, in der vor so kurzer Zeit erst der Panik-Knopf gedrückt worden war. Ein stämmiger Mann in der Uniform eines Sergeanten sprach ihn an. »Sind Sie Doktor Dalehouse? Für Sie ist Post in der Bücherei.« »Ah, gut. Danke.« Dalehouse registrierte, daß die Miene des Sergeanten zugleich ein wenig überrascht und belustigt wirkte, aber er verstand beides. »Nettes Ding, der Oberst«, sagte er wohlwollend. Er wartete nicht auf eine Antwort. Der Großteil der ›Post‹ war von den Universitäten, aber einer der Briefe brachte eine Überraschung. Er kam von Polly! So lange her, so weit entfernt, Dalehouse hatte beinahe vergessen gehabt, daß er eine Ehefrau hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, warum sie ihm schrieb. Aus den beiden ersten Gruppen hatte fast jeder Post erhalten, und die Reihen der Wartenden an den Lesegeräten waren entmutigend. Dalehouse steckte das Paket Fiches in die Tasche und ging zu Kappel juschnikows privater Schatzkammer im Wasserstoff-Schuppen. Der Pilot hatte sich längst alles besorgt, was ihm für ein
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angenehmes Leben auf Jem nötig erschien, und dazu gehörte sein eigenes Mikrofiche-Lesegerät. Mit beträchtlicher Neugier schob Dalehouse den Brief seiner gewesenen Ehefrau in das Gerät. ›Lieber Daniel, ich weiß nicht, ob du gewußt hast, daß Großvater Medway vorigen Sommer gestorben ist. Als sein Tes tament verlesen wurde, stellte sich heraus, daß er das Haus in Grand Haven uns hinterlassen hat. Er ist wohl einfach nicht dazu gekommen, das Testament nach unserer Scheidung zu ändern. Sehr viel ist es nicht wert, aber doch immerhin etwas – der Anwalt sagt, der Schätzwert liege bei ungefähr 5 43 500. Mich bringt das ein wenig in Verlegenheit. Ich habe das deutliche Gefühl, daß du sagen wirst, du verzichtest auf deinen Anteil. Also, wenn du das wirk lich tun willst, wäre ich dir dankbar, wenn du eine Erklärung für mich unterschreiben und sie notariell beglaubigen lassen würdest – ist dort jemand, der Notar ist? Würdest du mir sonst mitteilen, was du tun möchtest? Es geht uns allen gut, Daniel, trotz allem. Detroit hatte vorige Woche wieder einen totalen Stromausfall, und die Unruhen und Plünderungen waren schlimm. Die neuen Notsteuern werden auch schwer zu verkraf ten sein. Nicht zu reden von den Tagen ohne Heizung und den Fernsehsperren untertags und den beängsti genden Nachrichten aus der internationalen Politik. Die meisten Leute scheinen zu glauben, das liege an dem, was bei euch da oben vorgeht – aber das ist nicht deine Schuld, nicht wahr? Ich erinnere mich sehr gern an dich, Daniel, und hoffe dasselbe von dir. Pauline‹ Dalehouse saß auf Kappeljuschnikows Feldbett und ließ das
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Lesegerät nachdenklich sinken. Das Haus in Grand Haven. Es war eigentlich nur ein Bungalow, mindestens fünfzig Jahre alt und nur teilweise modernisiert. Aber er und Polly hatten ihre Flitterwochen dort verbracht, in einem verschneiten Januar bei einem Sturmwind, der Tag um Tag vom Michigan-See herüber heulte. Natürlich konnte sie das Haus haben. Irgend jemand im Lager konnte vermutlich eine Verzichterklärung notariell beglaubigen, so daß ein Nachlaßgericht das anerkennen würde. Er streckte sich auf dem Bett aus und dachte über seine ExFrau und ihren Brief nach. Die Nachrichten von der Erde waren entweder nicht sehr interessant oder nicht sehr relevant erschienen, und Dalehouse hatte mehr Zeit damit zugebracht über die Ballon-Wesen und die Komplikationen des Lebens auf Jem nachzudenken, als über die kurzen Absätze in der Wandzeitung des Lagers. Aber Pollys Worte riefen ihm den Ernst der Dinge in Erinnerung. Unruhen, Plünderung, Stromausfälle, Tage ohne Heizung! Er entschied, daß er mit einigen von den neuen Leuten würde sprechen müssen, sobald sie sich eingerich tet hatten. Zum Beispiel mit dieser Bulgarin. Sie konnte ihm berichten, wie es zu Hause wirklich aussah, und außerdem war sie sehr nett. Er blieb schläfrig liegen und versuchte zu entscheiden, ob es besser war, das gleich zu tun, oder den Privatraum für seine eigenen Gedanken zu nutzen. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen. »Hallo, Doktor Dalehouse«, ertönte Ana Dimitrowas Stimme. »Mr. Kappeljuschnikow sagte, Sie wären hier. Aber ich muß gestehen, daß ich nicht sicher war, ob er es ernst meinte.« Dalehouse öffnete die Augen und setzte sich auf, als Cappy und das Mädchen sich bückten, um einzutreten. Der Ausdruck des Piloten machte deutlich, daß er, was immer er dem Mädchen erzählt haben mochte, gehofft hatte, es würde niemand da sein, aber er faßte sich und sagte: »Ah, Anjuschka, Sie müssen lernen, mir zu vertrauen. Hier ist alte Freundin für Sie, Danny.« Dalehouse erwiderte ihren förmlichen Händedruck. Sie hat ein hübsches Lächeln, stellte er fest. Wenn sie es nicht vorgezogen
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hätte, ihre Haare streng nach hinten zu binden und Schminke zu meiden, hätte sie sehr attraktiv sein können. »Ich habe schon gehofft, Gelegenheit zu bekommen, mit Ihnen zu sprechen, Miss Dimitrowa.« »Guter Gott, Ana, bitte. Alte Zellengenossen dürfen miteinan der nicht so förmlich sein.« »Aber auch nicht lieben Danny belästigen«, sagte der Pilot, »der ohne Zweifel hat Hunger und muß sofort in Kantine, sonst in Gefahr, daß er versäumt ausgezeichnete HundefleischMahlzeit mit Schleim.« »Hübscher Versuch, Cappy«, meinte Dalehouse. »Nein, ich habe keinen Hunger. Wie steht’s auf der Erde, Ana? Ich habe gerade ein paar schlimme Geschichten erfahren.« Ihr Gesicht verfinsterte sich. »Wenn die Geschichten, die Sie vernommen haben, von Gewalttaten und Katastrophen sprechen, ja, so steht es. Kurz bevor wir abflogen, wurde im Fernsehen von Kriegsrecht in Los Angeles und in mehreren Städten in Europa gesprochen. Und vor der Küste von Peru ist ein australisches Schiff versenkt worden.« »Guter Gott!« »Oh, da kommt noch viel mehr, Doktor Dalehouse – Dan. Aber wir haben viele neue Zeitungen und Aufzeichnungen von Fernsehprogrammen mitgebracht – die Bücherei ist sehr umfangreich, glaube ich. Es sind, auf Colonel Menningers ausdrückliche Anordnung, über zwanzigtausend Bände, soviel ich weiß.« »Zwanzigtausend Bücher?« Dalehouse schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, für eine Leserin habe ich sie nie gehalten.« Ana lächelte und ließ sich im Schneidersitz auf den Boden nieder. »Machen wir es uns doch bequem, bitte. Ich wundere mich manchmal auch über Colonel Menninger.« Sie zögerte, dann
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sagte sie: »Man kann sich aber nicht immer auf sie verlassen. Ich hatte mit etwas Zeit gerechnet, um mit meiner Regierung sprechen zu können, bevor ich hierherflog, auf ihr Versprechen hin. Aber dazu kam es nicht. Keiner von uns durfte das Lager verlassen, bis wir zum Startplatz geflogen wurden. Vielleicht lag es daran, daß sie uns den labilen Umständen nicht aussetzen wollte, auf die wir vielleicht gestoßen wären.« »So schlimm ist es?« »Noch schlimmer«, knurrte Kappeljuschnikow. »Sehen Sie, Danny? Wir sollten sein froh, auf sicherem TropenparadiesPlaneten wie Jem zu sein, wo nur hier und da einzelne Gruppe wird umgebracht von Riesen-Kakerlaken.« »Das ist auch noch etwas«, sagte Danny. »Margie Menninger scheint sich keine großen Sorgen zu machen, nach dem Aufruhr gestern.« »Kein Grund zur Sorge, lieber Danny. Ich und kleine VietnamOberst haben von zehn K in alle Richtung jede Zentimeter abgesucht, mit Magnetometer, IR-Abtaster und gute Pilotenau ge. Ist keine Metallding größer als Brotkorb irgendwo in Nähe, das verspreche ich, und nicht mehr als drei, vielleicht sechs Wesen größer als Krebs-Ratte. Sie schlafen sicher heute nacht, Danny. In eigene Bett«, fügte er mit Betonung hinzu und brauchte nicht zu ergänzen: bald. Ana war schneller als er. »Ein guter Rat, Cappy«, sagte sie, als sie aufstand. »Ich glaube, ich befolge ihn auch.« »Ich begleiten Sie«, knurrte Kappeljuschnikow. »Nein, nicht bemühen, Danny, ich kann sehen, Sie ganz müde.« Ana seufzte. »Gospodin Kappeljuschnikow«, rügte sie, »abgesehen von der Tatsache, daß ich müde und von all den neuen Erfahrungen ganz verwirrt bin, haben wir beide uns kaum erst kennengelernt. Ich hoffe sehr, daß wir Freunde sein werden. Bitte, erschweren Sie
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das nicht, indem Sie sich wie ein Kosak bei einer Bauernmagd benehmen.« Cappy wirkte zuerst betroffen, dann zornig. Schließlich grinste er. »Anjuschka, Sie sind prima Slawenmädchen. Ja, wir werden sein sofort Freunde. Später vielleicht mehr – aber«, fügte er hastig hinzu, »nur in angebrachte sowjetische Stil, kein vorzeitige Berührung, ja? Und nun schlendern wir alle durch angenehme Jem-Nebel zu Ihrem Zelt.« Ana lachte und schlug ihm auf die Schulter. »Russischer Bär! Also, kommen Sie.« Sie ging hinaus und blieb einen Augenblick stehen, um sich im ruhiger werdenden Lager umzusehen. Die Scheinwerfer, die den offiziellen ›Tag‹ markierten, waren abgeschaltet, aber Kung stand klar und rot am Himmel. »Ich weiß nicht, ob ich mich an eine Welt gewöhnen kann, wo es nie Nacht wird«, klagte sie. »Ist schwere Nachteil für bestimmte Zwecke, ja«, bestätigte Kappeljuschnikow. Sie stiegen den Hügel hinauf und gingen auf ihm entlang dorthin, wo die Zelte für die Frauen standen. An der Kante des Steilufers stand ein Zelt, das größer war als die anderen. Auf einen flachen Stein davor war geschrieben: ›Col. M. Menninger, Befehlsh.‹ »Margie richtet sich nicht schlecht ein«, meinte Dalehouse. »Ist Vorrecht von Rang«, sagte Kappeljuschnikow, aber er starrte zum Strand hinunter, auf die vier neuen Schiffe – eines hoch und schlank, drei gedrungen – auf ihren Landestützen. »Das ist seltsam, nicht?« sagte Dalehouse. »Die drei sind ganz anders als die übrigen.« Cappy warf ihm einen Blick zu. »Sie merken wirklich alles, Danny.« Aber seine Stimme klang merkwürdig. »Also gut, Cappy. Was steckt dahinter?«
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»Dahinter? Einfache Pilot erfährt nie, was steckt dahinter. Aber ich habe Augen und kann ziehen Schlüsse.« »Los, Cappy, Sie erzählen es uns früher oder später ja doch, warum also nicht gleich?« »Zwei Schlüsse«, sagte Kappeljuschnikow. »Betrachten Sie erst Form von drei neue Raumschiffe. Stellen sie sich vor, zweigeteilt, bilden jeder zwei kleine Kegel. Dann stellen Sie sich vor, alle sechs Kegel rund um Lager aufgestellt und lange, schmale Öffnungen, so unnötig für Navigation in Weltraum, entfernt. Was haben wir dann?« »Auf den Kopf gestellte Kegel mit langen, schmalen Öffnun gen«, riet Dalehouse. »Ja, genau. Nur wenn sie sind aufgestellt an Grenze, wir haben andere Namen für sie. Wir nennen sie ›Maschinengewehr stellungen‹.« Er seufzte. »Ich glaube, ist Triumph von Doppel konstruktion, nicht Zufall.« »Aber das kann man kaum glauben«, wandte Ana ein. »Das ist doch schließlich eine friedliche Forschungsgruppe, keine Invasionsarmee!« »Ja, auch richtig. Ist nur Zufall, daß so viele Mitglieder von friedliche Forschungsgruppe sind Soldaten.« Dalehouse und das Mädchen schwiegen und starrten die gelandeten Raumschiffe an. »Ich möchte Ihnen nicht glauben«, sagte Ana schließlich, »aber vielleicht – « »Augenblick mal«, unterbrach sie Dalehouse. »Diese drei Schiffe – sie haben überhaupt keine Rückkehrstufe. Deshalb sind sie so kurz.« Kappeljuschnikow nickte. »Und das ist zweite Vermutung«, fügte er schwerfällig hinzu. »Nur ist eigentlich nicht Vermutung. Bücherei von zwanzigtau send Bände ist nicht leichte Lektüre für Wochenende. Raum schiff, das sich zerlegt und wird Fort, ist nicht für Rückflug. Fahrzeug ohne Rückkehrmöglichkeit kein Zufall. Summe ist klar.
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Für viele von uns ist nicht bestimmt, daß wir zurückkehren zu gute alte Planet Erde.«
Am nächsten Tag wieder in den Himmel Jems aufzusteigen war ein Sieg für Dalehouse, und er wußte nicht, wie viele solcher Siege er noch erringen würde. Der Tag hatte wenigversprechend begonnen. Sobald die ›Morgen‹-Lichter brannten, hatte Dalehouse auf der Bank an seiner Zelttür innen eine Mini-Notiz gefunden, die ihm mitteilte, daß er sich von 08.00 Uhr dieses Tages an als unter militärischer Disziplin stehend zu betrachten habe, und zwar im vergleichenden Rang eines Captains. Auf dem Weg zum Frühstück kam er an einer Ordonnanz vorbei, die zwei zugedeckte Tabletts in Margies Zelt trug. Eine Ordonnanz! Nicht einmal die verstorbene Harriet Santori war so weit gegangen. Und auf dem Rückweg am Zelt vorbei war der vietnamesische Oberst herausgekommen. Wen Margie Menninger in ihr Bett mitnahm, ging ihn nichts an, und der ganze andere militärische Unfug blieb für seine Aufgabe auf Jem bedeutungslos. Trotzdem genoß Dalehouse an diesem Tag seinen Flug nicht wie gewohnt. Zum einen waren Charlie und sein Schwarm nirgends zu sehen – zum Teil deshalb, weil Major Santangelo verlangt hatte, daß sie andere Gebiete von Jem überflogen, um Erkenntnisse mitzubringen, in erster Linie aber deshalb, weil Dalehouse sie ungern hier hatte, während so viele Lufthaie in den Wolken auf sie lauerten. Er hatte wenigstens darauf bestanden, daß sie sich volle zwei Kilometer vom Lager der Öler fernhielten; vielleicht war das genug für ihre Sicherheit. Inzwischen hatte Dalehouse seinen Leicht-Karabiner dabei, und er hoffte, wenigstens ein paar Lufthaie abschießen zu können, bevor Charlie zurückkam. Als eine Art Rekonvaleszent und Haustier zugleich befand sich bereits ein Ballon-Wesen im Lager, das darauf wartete, daß sein von einem Lufthai zerfetzter Gassack heilte, damit es wieder fliegen konnte. Dalehouse wünschte nicht, daß Charlie ihm Gesellschaft leisten mußte.
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Er versuchte appetitanregend auszusehen, als er unter eine Kumuluswolke flog. Es war genau eine jener Stellen, wo die Lufthaie sich zu verstecken pflegten. Aber wenn sich einer in dieser Wolke befand, schien er gerade keinen Hunger zu haben. Dalehouse ließ Gas ab und sank von der Wolke fort, als der Aufwind ihn von dort anzusaugen begann; wenn dort Ha’aye’i waren, wollte er ihnen in klarer Luft begegnen, nicht dort, wo sie ihn überfallen konnten, bevor er zu schießen vermochte. Eine Gegenströmung trug ihn zum Lager zurück, und er blickte aus einem halben Kilometer Höhe auf eine geschäftige Szene hinab. Ungefähr zwanzig Leute entluden noch immer die neuen Schiffe. Andere rodeten Gebüsch und Wald, um die Grenze um das Lager zu erweitern, und oben hinter dem Lager, auf die Berge zu, pflügte ein winziger Traktor in einer natürlichen Matte von dornigen Bodenranken Furchen. Das war neu! Der Traktor mußte aus einem der Schiffe gekommen sein, und die Furchen sahen genauso aus, als wolle dort jemand das Land bestellen. Das war vernünftig genug und sogar zu begrüßen – sie konnten frisches Gemüse gewiß gebrauchen, und wenn die Öler sie zu züchten vermochten, würden die Fetten es auch können. Aber irgend etwas daran beunruhigte Dalehouse. Er konnte es nicht festnageln; es hatte damit zu tun, daß man Soldaten zur Landbestellung einsetzte. Zwangsarbeit auf den Feldern? Er schob den Gedanken beiseite; er sank zu tief hinab. Er ließ etwas Ballast ab, und das Wasser spritzte auf das frischgepflügte Land hinunter wie ein Regenschauer in Spiel zeugformat. Was ihn innerlich beunruhigte, begann ärgerlich zu werden. Aus irgendeinem Grund erinnerte es ihn an seinen Anthropologieprofessor in den ersten Semestern, einen sanften und anspruchslosen Mann ganz von Alex Woodrings Art. Wie Alex Woodring, der jetzt tot war. Zusammen mit Gasha und dem bulgarischen Korporal, den er nie richtig kennengelernt hatte. Er hatte nichts als bedrückende Gedanken. Seine Reserven an
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Wasserstoff und Ballast nahmen ab, und die Lufthaie hatten offenbar gelernt, zwischen einem Ballon-Wesen und einem Menschen zu unterscheiden, der an einer Netz-Ballontraube hing. An diesem Tag schienen sie sich nicht überlisten wollen zu lassen. Widerstrebend flog er zum Strand zurück, ließ Gas ab und landete auf dem körnigen Sand. Bis er die erschlafften Ballons aufgehoben und verstaut hatte, näherte sich Margie Menninger, zusammen mit dem weiblichen Sergeanten, der ihre Ordonnanz war. »Schön geflogen, Danny«, sagte sie. »Sieht aus, als mache das Spaß. Nimmst du mich einmal mit hinauf?« Er betrachtete sie einen Augenblick. Sie sah wirklich sehr hübsch aus, selbst im düsteren Licht Kungs, das ihre Lippen verdunkelte und das Gold ihrer Haare verbarg. Ihr Drillichanzug war neu und scharf gebügelt, ihre kurze Frisur wippte erfraulich bei ihren Schritten. »Wann du willst, Margie. Oder heißt es ›Colonel‹?« Sie lachte. »Ihr brandneuen Offiziere seid alle gleich, denkt nur an die Rangunterschiede. Wir sind außer Dienst, Danny, also heißt es Margie. Du lernst es schon.« »Ich bin nicht sicher, daß ich lernen will, Soldat zu sein.« »Ach, das kommt noch«, versprach sie. »Tinka, los. Gehen wir spazieren.« Die Sergeantin lief voraus zum Stacheldraht. Die Soldaten in der Grube hoben den Draht an, damit sie zu dritt hindurchkonn ten; der Sergeant dort grüßte, und Margie nickte freundlich. »Wenn jemand in diesem Wasser schwimmen gehen würde, müßte er dann befürchten, aufgefressen zu werden?« fragte sie. »Bis jetzt ist das nicht vorgekommen. Wir machen das die ganze Zeit.« »Sieht sehr verlockend aus. Willst du mitmachen?«
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Dalehouse schüttelte den Kopf, nicht verneinend, sondern vor Staunen. »Margie, du bist eine. Ich dachte, Colonels müssen sich dauernd beschäftigen, vor allem, wenn sie glauben, daß ihre Truppen bewaffnete Wachtposten und Tag und Nacht Stachel drahtzäune brauchen.« »Lieber Danny«, sagte sie gutmütig, »ich bin noch nicht sehr lange Oberst, aber ich habe in West Point zweitausend Kadetten in der Theorie unterrichtet. Ich glaube, ich habe die Grundsätze ziemlich gut erfaßt. Ein Oberst braucht nicht viel zu tun, er muß nur dafür sorgen, daß alle anderen alles machen. Ich habe heute früh schon vier Stunden angestrengt gearbeitet.« »Ja, ich hab’ Colonel Tree aus deinem Zelt kommen sehen.« Sie sah ihn prüfend an. Sie ging nicht darauf ein, sondern fuhr fort: »Was den anderen Punkt anbelangt, so ist die Grenzwache von jetzt an eine ständige Einrichtung, aber es gibt Streifen im Wald und jede Stunde Luftaufklärung, und außerdem ist Tinka Expertin für alle Handfeuerwaffen. Ich glaube, es kann dir nichts passieren.« »Ich habe mir nicht um meine persönliche Sicherheit Sorgen gemacht.« »Nein. Du hast dir um die Truppen Sorgen gemacht, die unter meinem Befehl stehen, und in ihrem Namen danke ich dir für deine Mühe.« Sie grinste und tätschelte seinen Arm. »Warte mal.« Sie zog ein Zigarettenetui heraus, duckte sich hinter ihm, um sich vor dem Wind zu schützen, und zündete sich einen Joint an. Sie sog den Rauch tief ein und hielt ihm die Haschzigarette hin. Als sie ausatmete, rief sie: »Tinka!« »Ja ‘M.« »Beim nächstenmal heben wir die Samen auf. Vielleicht können wir die Kerle hier züchten.« »Ja ‘M.« Danny nahm einen tiefen Zug und begann sich zu entspannen.
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Mit Margie Menninger zusammenzusein, war wenigstens nie langweilig. Als er langsam ausatmete, sah er sie bewundernd an. Sie hatte sich sofort an die Hitze, die verwirrend niedrige Schwerkraft, die dicke Luft gewöhnt, womit sie allesamt wochenlang Schwierigkeiten gehabt hatten. Sie war eine ganz besondere Frau. Bis sie sich den Joint mehrmals bis zum Ende hin- und hergereicht hatten, waren sie von der Postenstellung aus nicht mehr zu sehen. Der Strand wurde hier unter einem hohen, nackten Felsen breiter. Margie blieb stehen und schaute sich um. »Hier geht es so gut wie anderswo«, sagte sie. »Tinka, auf den Posten.« »Ja ‘M.« Die Sergeantin kletterte am Steilufer hinauf, und Margie zog ihre Arbeitsuniform aus. Sie trug nichts darunter. »Wenn du kommst, dann komm. Wenn nicht, dann bleib und hilf Tinka, aufzupassen.« Und sie stürzte sich hinein ins Wasser. Das Hasch, die Gesellschaft, oder was auch immer, Dalehouse fühlte sich besser als den ganzen Tag vorher. Er lachte laut auf, zog sich schnell aus und schwamm ihr nach.
Zehn Minuten später lagen sie beide, nicht sehr bequem, am Strand auf ihrer Kleidung und ließen sich trocknen. »Autsch«, sagte Margie. »Wenn ich jemals Leute für Straf dienst bekomme, will ich sehen, ob sie hier die Steine nicht aus dem Sand puhlen können.« »Man gewöhnt sich daran.« »Nur wenn ich muß, Danny. Ich mache ein schönes Lager aus diesem hier, wenn ich kann – angenehmer Dienst. Weißt du, zum Beispiel, was es heute abend gibt?« Er drehte den Kopf und sah sie an. »Was denn?«
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»Den ersten offiziellen Lager-Tanzabend des Nahrungs-Blocks auf Jem.« »Einen Tanzabend?« Sie grinste. »Siehst du? Diese Esel, die hier verantwortlich waren, sind auf so etwas gar nicht gekommen. Aber es ist nichts dabei: ein paar Platten auf den Boden, ein paar Tonbänder in die Geräte, und fertig. Großer Samstag-Abend. Für die Moral das Beste, was es gibt.« »Du bist vermutlich der beste Oberst in der US-Army, der sich zu amüsieren versteht«, sagte Dalehouse. »Und in jeder anderen Beziehung bin ich auch Oberst, Danny, vergiß das nicht.« »Bestimmt nicht, Margie. Ich glaube es. Nur fällt es unter den, äh, gegenwärtigen Umständen schwer, sich das zu merken.« »Gut, ich ziehe mich wieder an, wenn dir das hilft, dich zu konzentrieren. Hier geht es nicht nur um Spiel und Spaß. Ich wollte mit dir reden.« »Worüber?« »Über alles, was du mir erzählen willst. Wie du glaubst, daß die Dinge laufen. Was nicht getan wird und getan werden sollte. Was du hier gelernt hast, wovon ich noch nichts weiß.« Er schob sich auf einen Ellenbogen, um sie anzusehen. Sie erwiderte ruhig seinen Blick und kratzte sich am nackten Bauch über den Schamhaaren. »Tja«, sagte er, »ich nehme an, du hast alle Berichte über den Kontakt mit den intelligenten Wesen gesehen.« »Sie auswendig gelernt, Danny. Ich habe in Fort Detrick sogar solche Wesen gesehen, aber sie waren nicht in sehr guter Verfassung. Vor allem die Wühler.« »Wir haben nicht sehr viel Glück mit ihnen gehabt.«
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»Fast gar keines.« »Hm – ja, das ist richtig. Aber wir haben ungefähr zehn Exemplare gefunden, zwei davon lebendig. Und Morrissey hat einen ganzen Bericht über sie, der noch nicht weitergegeben worden ist. Er sagt, sie sind Farmer – von unten her, was eigentlich eine interessante Vorstellung ist. Sie pflanzen in die Decken ihrer Tunnels Knollengewächse. Er wollte mit der Expertin reden, die du mitbringen solltest – ich weiß ihren Namen nicht.« »Sondra Leckler? Sie ist nicht dabei, Danny. Ich habe sie streichen lassen.« »Warum?« »Politische Gründe. Sie ist Kanadierin.« Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Sagt dir das etwas?« »Nicht das geringste.« »Das dachte ich mir. Kanada hat für Perus Tausendkilometer grenze gestimmt vor der UNO. Das ist Einschmeicheln bei den Vaus. Und jeder weiß, daß Kanada wild auf die Öler ist, wegen des gottverdammten Teersands von Athabasca. Die Kanadier sind zur Zeit politisch unzuverlässig, Danny. Es waren vier Kanadier für diesen Flug vorgesehen, und ich habe sie alle gestrichen.« »Das klingt aber reichlich wahnhaft«, meinte er. »Nein, es ist realistisch. Ich habe keine Zeit, dir die Fakten des Lebens beizubringen, Danny. Was noch? Ich meine nicht die Wühler.« Er sah sie versonnen an. Sie lag auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf, behaglich in ihrer Nackheit, während sie mit zusammengekniffenen Augen zum schwelenden, roten Kung hinaufsah. Für ein etwas molliges Mädchen wölbte sich ihre Taille wunderbar zu den Hüften hinaus, und ihre Brüste blieben rund, obwohl sie flach auf dem Rücken lag. Aber unter diesem blonden Haar befand sich ein Gehirn, das Dalehouse nicht ganz verstehen
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konnte. Er ließ sich zurücksinken und sagte: »Nun, da sind die BallonWesen. Ich weiß über sie das meiste. Unser hiesiger Schwarm ist zum Hitzepol geflogen, aber draußen über dem Wasser ist ein anderer. Sie bleiben gewöhnlich in einem bestimmten Gebiet, doch – « »Du bist vor einiger Zeit im Öl-Lager gewesen, nicht?« »Ja. Als wir uns noch besuchten. Ist es das, worüber du etwas hören willst?« »Unter anderem.« »Gut. Sie haben verdammt viel, was wir nicht haben, Margie.« Er beschrieb die Maschine, die Bauplatten herstellte, den Plasma-Generator, die Farm, die Klimaanlagen, das Eis. »Klingt sehr hübsch«, gab sie zu. »Wir werden das alles auch bekommen, das verspreche ich dir, Danny. Hast du ein Flugzeug und vier Segler gesehen?« »Nein. Es gab einen Flugplatz – Cappy äußerte sich darüber. Es ergab keinen Sinn, nur mit einem Hubschrauber. Doch damals hatten sie noch kein Flugzeug.« »Aber jetzt. Ich dachte mir schon, daß sie Nachschub einge schleust haben, von dem ihr nichts wißt. Hast du von dem Stützpunkt auf der Rückseite gehört?« »Auf der Rückseite? Du meinst die dunkle Hälfte von Jem? Was, zum Teufel, sollte jemand dort wollen?« »Das muß ich herausbekommen. Aber sie haben ihn. Warum, glaubst du, bin ich vier zusätzliche Umläufe oben geblieben, bevor ich herunterkam? Ich habe dafür gesorgt, daß ich alles, was ich konnte, mit Luftaufnahmen und Radar erfaßt habe; ich kenne jeden Satelliten um Jem, ich weiß jede Stelle auf der Oberfläche, die Energie verbraucht, und mir gefällt nicht alles, was ich weiß. Der Stützpunkt auf der Rückseite war ein echter Schock. Hast du im Öler-Lager Kinder gesehen?«
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»Kinder? Ach was! Weshalb sollten – « »Nun, ich glaube, sie bringen ganze Familien, Danny, was anzudeuten scheint, daß sie mehr im Sinn haben als eine Forschungsexpedition.« »Wie hast du aus dem Weltraum erkennen können, ob sie Kinder haben?« »Gar nicht, Danny. Ich habe nicht gesagt, daß Orbital aufklärung der einzige Weg war, wie ich erfuhr, was bei den Ölern vorgeht. Noch etwas. Nein, zwei Dinge. Haben sie einen Baseball-Platz?« »Baseball?« Er hatte sich aufgesetzt und starrte sie an. »Was, zum Teufel, sollten sie mit einem Baseballplatz machen? Kricket, vielleicht, und zweifellos Fußball, aber – « »Wenigstens etwas«, sagte sie, ohne eine Erklärung zu gehen. »Letzte Frage: Bist du zufällig auf einen gewissen Tamil gestoßen?« »Ich glaube nicht.« Dalehouse dachte angestrengt nach. »Warte mal. Kleiner Kerl mit rasiertem Schädel? Schachspieler?« »Ich weiß es nicht. Er ist Indonesier.« »Tja, ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es gab einen Petrochemiker mit einem solchen Namen. Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich glaube nicht, daß er englisch sprach.« »Schade.« Margie grübelte einen Augenblick, dann setzte sie sich auf und legte die Hand über die Augen. »Sind das dort draußen deine Ballon-Wesen?« Als Dalehouse sich umdrehte, um hinauszuschauen, war Margie aufgestanden und hatte ein paar Schritte zum Wasser hin getan, und was er betrachtete, war nicht der Himmel, sondern sie. Der Maler Hogarth hatte einmal gesagt, die schönste Linie in der Natur sei die Wölbung eines Frauenrückens, und Margie, als Silhouette vor dem roten Himmel, war eine schöne Frauenge stalt. Halb belustigt bemerkte Dalehouse durch die Regungen in seiner unteren Hälfte, daß er Interesse zu bekunden begann.
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Aber nur begann. Der Anreiz war dieses herrliche und in der Erinnerung bewahrte Gesäß; das Dämpfungsmittel waren die Dinge, die sie gesagt hatte. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis er dahinterkam, was er für Margie Menninger eigentlich empfand. Dann ging sein Blick an ihr vorbei, und die Regungen waren vergessen. »Da draußen sind Ha’aye’i!« sagte er wütend. »Wie bitte?« »Es sind Raubtiere. Das ist nicht unser hiesiger Schwärm; die sind nur herangetrieben, vermutlich wegen dem Licht. Und diese Wolken sind voller Lufthaie!« Der Schwarm war jetzt nah genug, daß man ihn laut singen hören konnte, nur wenige hundert Meter entfernt. Und weit dahinter und darüber stießen drei schlankere Umrisse auf sie hinab. »Das ist ein Wie-nennst-du-das? Mensch! Schau dir das an!« rief Margie, als der erste Lufthai geschickt den Gassack eines riesigen Weibchens aufriß, vorbeiglitt, wendete und zehn Meter tiefer zurückkam, um das erschlaffte Ballon-Wesen, das sein Todeslied sang, aufzufangen. »Das ist ein gottverdammter Immelmann, den das Ding gerade vollführt hat. Seit dem Ersten Weltkrieg hat das keiner mehr gemacht!« »Das ist keine Vorführung, Herrgott noch mal! Sie sterben!« Zwei weitere Haie hatten zugestoßen, und zwei Ballon-Wesen wurden gepackt, etwas weiter entfernt. Aber wenigstens war es nicht Charlies Schwarm. Keines der Opfer war ein Freund oder eine Freundin. »Siehst du, was aus dem Weibchen heraus kommt?« fragte er. »Das sind ihre Eier. Ganz lang und spinnenseidedünn. Sie schweben ewig, aber sie werden nicht befruchtet, weil keines der Männchen – « »Zum Teufel mit ihren Eiern, Freundchen, ich halte zu den Haien! Was für eine Killermaschine! Scheiße, Danny, ich kann verstehen, warum hier alles so schlecht läuft. Ihr habt euch die falschen Verbündeten ausgesucht. Wir sollten uns mit den Haien
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zusammentun.« Dalehouse war entsetzt. »Sie sind Tiere! Sie sind nicht einmal intelligent!« »Zeig mir einen Professor«, erwiderte sie, »und ich zeige dir ein Furzhirn. Wie intelligent muß man sein, um kämpfen zu können?« »Mensch, die Ballon-Wesen sind unsere Freunde. Sie betreiben Luftaufklärung für uns. Die Haie würden das nie tun. Und du willst, daß wir uns mit ihren natürlichen Feinden zusammentun?« »Na ja, ich sehe schon, daß es da Probleme geben könnte.« Sie starrte sehnsüchtig auf den Ha’aye’i, der den nicht eßbaren Sack weggerissen hatte und sich jetzt von den weichen Teilen seiner noch lebenden Beute nährte. »Schade«, sagte sie resigniert. Sie ging zu Danny zurück, ohne das Schauspiel aus den Augen zu lassen, und griff nach seiner Hand. »Du bist dir da wirklich sicher? Es besteht keine Möglichkeit, unsere Wesen zu überreden, daß sie mit den Haien zusammenarbeiten?« »Überhaupt keine! Selbst wenn du die Ha’aye’i auf irgendeine Weise erreichen könntest, um ihnen zu erklären, was du willst. Sie singen nicht einmal. Das aber ist für die Ballon-Wesen der ganze Sinn des Lebens. Sie könnten sich nie mit Geschöpfen einlassen, die nicht singen.« »So?« Margie sah ihn nachdenklich an. Dann ließ sie seine Hand los, setzte sich auf den Boden, ließ sich auf die Arme zurücksinken und sah zu ihm auf. »Sag mal, Danny, möchtest du mich zum Singen bringen?« Er starrte sie an. Sie war doch tatsächlich sexuell erregt, weil sie das Gemetzel beobachtet hatte! Er schaute hinauf zum Steilufer, wo der Hinterkopf der Wächterin regungslos sichtbar war. »Vielleicht gehen wir lieber zurück«, meinte er. »Was ist los, Süßer? Magst du keine Zuschauer? Tinka stört
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uns nicht.« »Sie ist mir egal.« »Was dann?« fragte sie heiter. »Halt, ich wette, ich weiß es. Du ärgerst dich über den Colonel.« »Tree? Er geht mich nichts an.« »Ach, hör doch auf, Süßer.« Sie tippte auf den Boden. Nach kurzem Zögern setzte er sich, nicht sehr nah. »Du glaubst, ich hab’s mit Nguyen, dem Beharrlichen, gemacht?« »Nein. Ich glaube es nicht, ich weiß es.« »Und wenn?« »Deine Sache«, sagte er sofort. »Ich sage nichts anderes. Vielleicht habe ich altmodische Vorstellungen – « »Kein vielleicht. Das ist wirklich so, Dannyboy.« Sie lächelte jetzt ohne Wärme. Er zuckte die Achseln. »Gehen wir zurück, Colonel.« »Bleiben wir hier. Und ich bin ranghöher«, fuhr sie fort, »und wenn ein Colonel zu einem Captain sagt ›los‹, dann heißt das ›tu’s‹.« In Dalehouse regte sich nichts mehr; er war zornig und zugleich belustigt über seinen Zorn. »Das wollen wir klarstellen. Befiehlst du mir, dich zu bumsen?« sagte er. »Nein. Nicht im Augenblick, mein Lieber.« Sie grinste. »Ich befehle Offizieren ganz selten, mich zu bumsen. Nur einfachen Soldaten, und auch das nur ganz selten, weil das schlecht ist für die Disziplin.« »Soll das heißen, der Colonel hat dir befohlen, mit ihm zu bumsen?« »Danny, Liebling«, sagte sie geduldig, »erstens könnte er das
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gar nicht – ich bin soviel wie er. Zweitens müßte er das überhaupt nicht. Ich würde mit Guy jederzeit bumsen. Aus jedem beliebigen Grund. Weil er theoretisch mein Vorgesetzter ist und ich nicht darauf herumreiten will, daß ich kommandiere. Weil dann alles glatter laufen würde. Weil es interessant ist, es mit jemanden zu machen, der nur halb so groß ist wie ich. Ich würde mit einem Krinpit bumsen, wenn das für den Krieg gut wäre, nur weiß ich nicht, wie wir die Kinder aufziehen sollten. Aber ein Mädchen hat auch Anspruch auf ein gewisses Maß an nicht zielorientierter Erholung, und ich habe vom vergangenen Jahr aus Bulgarien wirklich die angenehmsten Erinnerungen an dich, Danny.« Völlig entspannt kramte sie in ihrer Kleidung und zog noch einen Joint heraus. Dalehouse sah ihr zu, als sie ihn anzündete. Ihr Körper war nahtlos braun; keine Bikini-Spuren, und viel schöner als das Fischbauchweiß, das sich nach einiger Zeit auf Jem einstellte. Sie kratzte sich in der Falte, die ihren Nabel und ihr blondes Schamhaar verbarg, atmete friedlich aus und gab ihm den Joint. Die Sache ist die, gestand sich Dalehouse ein, daß auch er die angenehmsten Erinnerungen an das vergangene Jahr mit ihr in Bulgarien hatte, und es schien keine Rolle zu spielen, daß er auch unangenehme Erinnerungen hatte. »Weißt du, was mich an dir so fesselt?« sagte er. »Du bringst mich auf hunderterlei Arten zum Lachen. Beug dich herüber, ja?« Als sie einander aufgebraucht hatten, ruhten sie sich kurze Zeit aus. Dann sprang Margie auf und lief wieder ins Wasser. Dalehouse folgte ihr; sie spritzten und brüllten, und als sie herauskamen, war er erstaunt von der Entdeckung, daß er sich gar nicht mehr verbraucht vorkam. Aber Margie rief zum Steilufer hinauf: »Tinka! Zeitvergleich!« »Dreizehn zwanzig, Ma’am!« Margie schlüpfte rasch in ihren Anzug und beugte sich vor, um Dalehouse zu küssen, während er ein Bein in der Hose hatte.
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»Es wird Zeit, umzukehren. Ich habe vor dem Tanz einen anstrengenden Nachmittag vor mir, und ich wäre dir dankbar, wenn du für mich etwas tun würdest, Danny.« »Nämlich?« »Tinka heute nachmittag beizubringen, wie man mit den Ballons fliegt.« »Warum?« »Ich möchte, daß sie für mich etwas erledigt. Es ist wichtig.« Er überlegte. »Ich kann jedenfalls anfangen. Aber ich weiß nicht, ob sie in ein paar Stunden alles lernen kann.« »Sie lernt schnell, ich verspreche es. Komm – wir laufen um die Wette!« Sie rannten die hundert Meter. Margie hatte einen Vorsprung, aber bis der Vorposten auftauchte, hatte Dalehouse sie eingeholt. Als er vorbeilief, streckte sie die Hand aus, ergriff die seine und hielt ihn zurück. Sie gingen normal weiter. »Danke für den Sport«, keuchte sie. »Welchen – Schwimmen, Laufen oder Bumsen?« »Alle drei, lieber Danny.« Sie atmete schwer, und kurz bevor sie in Hörweite des Postens waren, hielt sie ihn fest. »Eines sollte ich noch erwähnen«, sagte sie. »Was?« »Ich will nur etwas klarstellen. Mit Nguyen Tree bumse ich. Mit dir habe ich Liebe gemacht.«
Zwölf auf Postendienst, zwei im Lazarett, drei im Kom-Raum und acht andere bei Tätigkeiten, die rund um die Uhr ausgeführt werden mußten; damit blieben im Nahrungs-Lager über hundertzwanzig Leute, und fast alle kamen zum Tanz. Margie
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beglückwünschte sich, während sie die Beine warf. Als der Tanz zu Ende war und die Musik zu einem südamerikanischen Rhythmus wechselte, wehrte sie die drei Männer ab, die auf sie zukamen. »Ich muß diesmal Pause machen und Atem holen«, sagte sie. »Nach der nächsten Nummer halte ich meine kleine Rede. Dann seid ihr alle dran.« Sie zog sich hinter das kleine Podium zurück, setzte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden und atmete tief. Margie Menningers Eltern hatten sie mit guten Genen versorgt, und sie hatte ihre Ausrüstung gut gepflegt; nach einem langen Tag und einer vollen Stunde Tanzen war sie nicht müde und hatte alle ihre Gedanken beisammen. Und der Tag war nicht nur lang, sondern auch gut gewesen. Sie hatte dem Lager über den Schrecken, drei Leute verloren zu haben, hinweggeholfen, indem sie den Vorfall so behandelte, als sei er nicht bedeutsam. Sie hatte alle zum Tanz zusammengeführt. Sie hatte das Fundament für Tinkas kleinen Auftrag gelegt, einen funktionierenden Postendienst eingerichtet, hatte das Ausladen und Verstauen der Fracht beinahe abgeschlossen und sechs andere ebenso wichtige Aufgaben begonnen. Und sie hatte mit Dan Dalehouse geschla fen, zu ihren Bedingungen, die er aber zu akzeptieren schien. Das war eine persönliche Angelegenheit, aber nicht unwichtig. Margie achtete darauf, langfristige Möglichkeiten im Auge zu behalten. Und als möglicher ständiger Partner in der Zukunft, wenn paarweiser Zusammenschluß auf Dauer Teil der Entwick lung sein sollte, war Dalehouse bei weitem das Beste, was sie bisher gefunden hatte. Es war Margie Menningers erst kürzlich erworbene, aber feste Überzeugung, daß diese Aufgabe hier genau jene war, für die sie geboren worden sein mußte. Das Wichtige war, es richtig anzupacken, also auf ihre Weise, genau geplant vom ersten Tag an. Keine falschen Startversuche. Ein glückliches Lager – viel Arbeit, um die Leute zu beschäftigen, und viel Zeit, sich zu amüsieren. Und ein produktives Lager. Jem gehörte ihr und den Ihren, und jetzt hatten sie ihn.
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Während sie auf das Ende des Cha-chas wartete, dachte sie an den nächsten Tag. Das Schiff würde leer sein, und eine Mannschaft konnte beginnen, die beiden Hälften zu trennen und an der Lagerumgrenzung aufzustellen. Dalehouse oder Kappel juschnikow – wer? Der Russe, entschied sie. Kappeljuschnikow konnte über Tinkas Auftrag informiert werden, oder jedenfalls soweit, daß er sie einen Teil des Weges zum Öler-Lager begleiten konnte. Eine Arbeitsgruppe konnte gebildet werden, um Stangen für den landwirtschaftlichen Grund aufzustellen. Sie würde mindestens sechs der Vorausmannschaft kennenlernen und sich näher mit ihnen befassen; in zwei Wochen sollte sie alles über jeden im Lager wissen, was sie wissen mußte. Es würden Anweisungen ergehen, die Guy Tree als ihren G 1 und Santange lo als G 2 einsetzten; bei den anderen wollte sie warten, es mochte Leute geben, die sie noch nicht kannte, und die für diese Posten geeigneter waren. Und wenn alles während der drei Stunden, die sie sich als Mittagspause zubilligte, gutging, würde sie einen Spaziergang im Wald unternehmen. Wenn man dazu Wald sagen konnte. Darum mußte man sich auch kümmern: eine Reihe von diesen Farnstämmen fällen, Teiche anlegen, um den Sumpf trockenzulegen. Das würde gehen – man brauchte nur zwei Bulldozer. Dabei fiel ihr ein, daß sie zumindest einen ersten Entwurf für eine Anforderungsliste zur nächsten Lieferung von der Erde aufstellen mußte. Das duldete keinen Aufschub. Bei dem ganzen Theater, das die Zivilisten aufführten, war Margie Menninger sich nicht sicher, wie viele Lieferungen es noch geben würde. Sie wußte bereits eine beachtliche Anzahl an schönen Dingen, die sie haben wollte, aber den Veteranen hier würde vermutlich mehr einfallen. Sie mußte also mit diesen Leuten reden. Morrissey, Kriwitin, Kappeljuschnikow – die übrigen kamen später. Der Haschduft von der anderen Seite her war ihr angenehm. Sie überlegte, ob sie sich noch einen Joint anzünden sollte, bevor sie aufstand, um ihre Rede zu halten – das war auch eine Art, ihren persönlichen Stil zu zeigen. Aber seit dem letzten war noch keine halbe Stunde vergangen, und Margie wußte genau, wieviel sie vertrug; sie wäre dann benebelt.
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Der Cha-cha ging zu Ende, und das Mädchen am Tonbandgerät sah zu ihr herüber, bevor sie abschaltete. Marge nickte und stieg auf das Podium. Gelächter und Stimmengewirr verklangen, als die über hundert Menschen sich ihr zuwandten. Sie lächelte sie einen Augenblick an und wartete, bis es still wurde. Sie sahen genauso aus, wie die Kadetten in West Point ausgesehen hatten, genauso wie das Publikum im Senats-Sitzungssaal, wie jedes Publikum, vor das Margie je hingetreten war. Sie konnte mit ihren Zuhörern umgehen; sie konnte sie immer dazu bringen, daß man sie mochte, und aus diesem Grund mochte sie die Menschen. Sie sagte: »Willkommen beim ersten wöchentlichen SamstagabendTanz der Nahrungs-Block-Expedition. Ich bin Colonel Marjorie Menninger, US-Army, und Ihre Lagerkommandantin. Einige von uns kennen einander inzwischen schon recht gut. Die anderen werden einander sehr gut, sehr bald kennenlernen, weil uns, wenn man es ganz genau nimmt, nicht viel anderes übrigbleibt, nicht? Ich mache mir da keine Sorgen und hoffe, daß Sie es auch nicht tun. Wir sind ein ziemlich exklusiver Verein.« Sie ließ den Blick an den Zuhörern vorbei zum Rand des beleuchteten Platzes gleiten, wo zwei von ihren Soldaten einen dritten festhielten, der sich erbrach, und fügte hinzu: » – auch wenn man das auf Anhieb nicht meinen möchte.« Ein kleiner Lacher, aber ehrlich. »Also, fangen wir an, uns miteinander bekannt zu machen. Guy? Saint? Wo seid ihr?« Sie stellte Tree und Santangelo vor, als sie hinaustraten. »Jetzt Vince Cudahy – sind Sie da? Vince ist Mathematiker, aber auch unser Geistlicher. Er hat früher in Fordham gelehrt, hat sich aber bereit erklärt, zugunsten dieser Mission kein bestimmtes Bekenntnis zu vertreten. Wenn also irgend jemand von Ihnen heiraten möchte, Vince hat die Vollmacht, Sie zu trauen.« Kleines Lachen. »Er ist ein bißchen altmodisch, also zieht er es vor, wenn Sie von verschiedenem Geschlecht sind.« Ein etwas stärkeres Lachen, aber mit einem fragenden Unterton. »Und wenn das so ist«, fuhr sie fort, »oder selbst wenn nicht, sollten Sie Chiche Arkaschwili kennenlernen. Tschitsch? Da ist sie, unsere Stabsärztin. Versuchen Sie, während der nächsten vierundzwanzig Stunden nicht krank zu
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werden, weil sie noch dabei ist, sich einzurichten. Aber dann wird sie einsatzbereit sein, und zu Hause in Ordschonikidse war ihr Spezialfach Geburtshilfe.« Diesmal lachte niemand. Sie hatte auch nicht damit gerechnet. Sie ließ ihnen einen Augenblick Zeit, die logische Schlußfolgerung zu ziehen, dann setzte sie nach. »Wie Sie sehen können, planen wir einen permanenten Stützpunkt, und ich habe vor, das für Sie zum besten Einsatz zu machen, den Sie je hatten, so daß viele von Ihnen sich neu verpflichten und hierbleiben wollen. Und wenn Sie es tun – und wenn irgend jemand von Ihnen ernst nimmt, was ich gerade gesagt habe, und sich entschließt, hierzubleiben und auf Jem eine Familie zu gründen, offeriere ich einen besonderen Preis: tausend Petrodollar für das erste Baby, das in unserem Lager geboren wird – vorausgesetzt, Sie nennen es nach mir, Marjorie.« Sie machte eine winzige Pause und fügte hinzu: »Zweitausend, wenn es ein Junge ist.« Sie bekam den Lacher, den sie wollte, und schloß mit den Worten: »Und jetzt weiter mit dem Tanz.« Als die Musik einsetzte, sprang sie herunter, packte den ersten Mann in der Nähe und brachte alle in Schwung.
Während der nächsten halben Stunde spielte Margie Menninger die Gastgeberin, was sie sehr gut konnte. Sie tanzte mit Männern, die nicht viel tanzten, sorgte dafür, daß die Musik weiterging, achtete darauf, daß es genug zu trinken gab. Was sie wollte, war, daß alle sich amüsierten. Am nächsten Tag würden sie Zeit genug haben, über Kolonien von Dauer nachzudenken und sich zu überlegen, wie groß ihre Wahl sein würde, ob sie länger bleiben wollten. Wenn der Zufall es erlaubte, sprach sie kurz mit den Leuten, die gewußt hatten, was sie sagen würde, um sie zu fragen, welchen Eindruck sie hatten. Alles schien gut zu laufen. Das tat ihr gut, und sie stellte fest, daß ihre Rolle ihr wirklich Spaß machte. Sie trank mit den Trinkern, rauchte mit den Haschern und tanzte mit allen. Jetzt konnte nichts passieren. Wenn es Zeit wurde, den Tanzabend zu beenden, würde Tinka ihr Bescheid geben, und inzwischen würde Tinka ein Auge auf ihren Colonel haben.
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Als Margie von der ganz neuen Latrine zurückkam, blieb sie stehen, um den Anblick zu genießen, wie ihre Leute sich vergnügten. Alles würde klappen. Sie waren wirklich ein prima Haufen, handverlesen, gesund, gut ausgebildet. Was immer sie zu irgend jemand anderem gesagt haben mochte, in einem geheimen, inneren Teil ihres Herzens hatte Margie eine kleine, aber beunruhigende Angst gespürt, ihr wirklich erstes unabhän giges Kommando möge Eigenschaften erfordern, von denen sie nicht gewußt hatte, daß sie sie brauchte. Bis jetzt war das aber nicht der Fall. Bis jetzt lief alles genau nach ihrem Plan, den Prioritäten zufolge, die sie sich zurechtgelegt hatte: Priorität 1, den Zusammenhalt der Einheit sichern. Und gesichert war er; sie konnte die Grenzposten auf ihren regelmäßigen Streifengängen sehen, ein wenig verärgert, weil sie den Tanz verpaßten, aber die Anweisungen exakt ausführend. Priorität 2, den erteilten Auftrag ausführen. Und das war gut in die Wege geleitet. Priorität 3, abhängig von 1 und 2, ein stark beschäftigtes und glückliches Lager schaffen. Und auch das sah vielversprechend aus. Sie ging um die Tanzfläche herum, nickend und lächelnd, noch nicht ganz bereit, wieder mitzutanzen. Tinka tauchte neben ihr auf, eine Hand auf ihrer Kuriertasche, und sah sie fragend an. Margie schüttelte den Kopf. Sie brauchte jetzt noch keinen Joint. Sie fühlte sich glücklich und entspannt, aber ein klein wenig überdreht. Zum Teil lag es an der schwülen Hitze und der sonderbaren Empfindung, nur drei Viertel dessen zu wiegen, woran sie zehn Jahre gewöhnt gewesen war. Aber sie war auch ein bißchen nervös, und als sie die Daten innerlich durchging, glaubte sie zu wissen, woran es lag. Als sie in die Nähe der Ärztin kam, sagte sie ihr ins Ohr: »Haben Sie Ihre Kühlanlagen für die Sperma- und Ovum-Bank schon in Betrieb, Doc? Ich glaube, ich bin bald soweit, daß ich eine Spende geben kann.« »Morgen mittag sind wir fertig«, versprach Chiche Arkaschwili. »Aber ich weiß gar nicht, ob wir sie brauchen, so, wie die Jungen und Mädchen hier im Gebüsch verschwinden.« »Besser, es zu haben und nicht zu brauchen, als umgekehrt.
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Wenn ich könnte, würde ich – « Sie verstummte. »Was würden Sie tun, Colonel?« »Lassen Sie nur. Ich will Sie nicht aufhalten«, sagte Margie freundlich und sah der Ärztin nach, als diese zur Latrine ging. Wenn ich könnte, dachte sie, würde ich einen ganzen Vorrat an tiefgekühltem Sperma und Ova von der Erde schicken lassen, denn je größer der Gen-Pool, mit dem man anfing, desto größer die Aussichten, in zwei oder drei Generationen eine gesunde, stabile Bevölkerung zu haben. Aber sie war noch nicht ganz bereit, diesen Wunsch auf ihren nächsten Brief an den Weih nachtsmann zu setzen. Sie würde genug Schwierigkeiten mit den Dingen haben, die sie jetzt schon anfordern wollte, und aus einer Entfernung von so vielen Lichtjahren waren ihre Einflußmöglich keiten begrenzt. Ein paar Meter entfernt war die Bulgarin in eine Auseinander setzung mit Sweggert, dem Sergeanten, geraten, den Margie in das erste ihrer Schiffe gebracht hatte. Normalerweise hätte sie sich nicht eingemischt, aber sie wollte von Dimitrowa etwas. »Tinka«, sagte sie leise über die Schulter. »Ja ‘M.« »Dabeibleiben.« Margie ging auf das streitende Paar zu, das verstummte, als sie herankam. »Tut mir leid, daß ich störe«, sagte sie. Dimitrowa funkelte sie an. Eingebildetes kleines Ding; Margie kam der Gedanke, daß ihre ersten Impulse bezüglich Ana Dimitrowa richtig gewesen sein mochten, aber das nützte jetzt nichts mehr. »Es gibt nichts zu stören, Colonel«, sagte das Mädchen. »Der Sergeant wollte mir etwas zeigen, das ich nicht sehen möchte.« »Das kann ich mir vorstellen, Schatz.« Margie lächelte. »Würden Sie uns einen Augenblick entschuldigen, Sergeant?« Und als er außer Hörweite war, fragte sie: »Wie geht es Ihrem Indonesisch, Dimitrowa?«
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»Indonesisch? Das gehört zu meinen weniger guten Sprachen, aber ich glaube, ich könnte ein Dokument angemessen über setzen.« »Ich will kein Dokument übersetzt haben. Ich möchte wissen, wie man sagt: ›Guten Morgen. Wo ist der Baseballplatz?‹« »Was?« »Los, los! Erklären Sie uns nur, wie das heißt.« Ana zögerte, dann sagte sie hochmütig: »Selamat pagi, di mana lapangan baseball?« »Hm.« Marge übte das kurz, dann sah sie Tinka an. Die Ordonnanz hob die Schultern. »Na, schreiben Sie es für mich auf. Wie sagt man: ›Haben Sie eine Landkarte?‹« »Saudara punja peta?« »Verstanden?« sagte Margie zu der Ordonnanz. »Nicht ganz sicher? Gut, Dimitrowa, bringen Sie Tinka in mein Büro und schreiben Sie das für sie auf. Achten Sie darauf, daß sie es kapiert.« Einen Augenblick lang glaubte sie, die Bulgarin könnte widersprechen, aber dann nickte diese, und die beiden Frauen entfernten sich. Sergeant Sweggert stand immer noch in der Nähe und beobachtete sie ruhig. Margie lachte. »Was machen Sie, Sergeant, wollen Sie mich zum Tanzen auffordern? Oder wollen Sie mir das kleine Ding zeigen, das Sie unbedingt für Dimitrowa herausholen wollten?« »Mensch, Colonel, Sie verstehen mich ganz falsch.« »Das wette ich. Sweggert«, sagte sie freundlich, »Sie sind kein schlechter Kerl, aber es ist gegen meine Methoden, mit Untergebenen zu, äh, fraternisieren. Es sei denn, in einem Notfall, versteht sich. Und was Sie zu zeigen haben, ist schon weithin gesehen worden, das garantiere ich Ihnen.« »Ah, nein, Colonel! Es war lehrreich. Sie haben hier einen zahmen Gassack, und das ist wirklich interessant.«
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»Ja?« Sie sah ihn genauer an, und an der Art, wie er dastand, wie der Kopf zwischen seinen Schultern hing, erkannte sie, daß er von irgend etwas ziemlich voll sein mußte. Aber ob sie die jetzige Zeit Tag oder Nacht nannten, Kung sorgte dafür, daß praktisch helles Tageslicht herrschte. »Das sehe ich mir an«, entschied sie. Sie folgte ihm hinter das Küchenzelt, und da war eines der Ballon-Wesen, das sich an ein Seil klammerte und leise und klagend vor sich hin sang. Es war viel größer als das Weibchen, das sie in Fort Derrick gesehen hatte, aber offenkundig in irgendwelchen Schwierigkeiten. »Was sagt er?« fragte sie scharf. Der Sergeant erwiderte mit unbewegter Miene: »Das weiß ich wirklich nicht, Ma’am. Wollen Sie ihn mal kurz halten? Sie brauchen nur am Seil zu ziehen.« Margie sah ihn einen Augenblick prüfend an, aber er hatte recht, es war wirklich interessant. Sie zog am Seil. »Das verdammte Ding ist stark«, beschwerte sie sich. »He, Sweggert, was machen Sie da?« Er hatte sich gebückt und unter einer Zeltbahn etwas heraus gezogen. »Nur eine Strobe-Lampe, Ma’am.« »Und was machen Sie damit?« »Nun«, sagte er listig, »ich habe das noch nie beobachtet, aber die Leute sagen, wenn man so ein Ding anleuchtet, passiert etwas ganz Interessantes.« Sie blickte von ihm zu dem traurigen, runzligen Gesicht des Ballon-Wesens und wieder zurück. »Sergeant«, sagte sie grimmig, »das sollte es gefälligst sein, sonst fress’ ich Sie auf Toast. Leuchten Sie mit dem verdammten Licht.« »Ist das ein Befehl, Ma’am?«
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»Sie sollen leuchten!« fauchte sie. »Oder – « Und er tat es.
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XV
Nach vier Tagen anstrengender Bemühungen erhielt Ana endlich die Erlaubnis, das Funkgerät zu einem Anruf im Lager der Vaus zu benützen. Als der Techniker ihr ein Zeichen gab, beugte sie sich vor und sagte in Urdu ins Mikrofon: »Hier spricht Ana Dimitrowa vom Lager des Nahrungsexport-Blocks. Ich möchte, bitte, mit Achmed Dulla sprechen.« Der Techniker schaltete das Mikro ab und sagte: »Jetzt müssen Sie warten. Es dauert gewöhnlich zehn Minuten, bis eine Antwort kommt.« »Antwort? Kann ich nicht direkt mit Doktor Dulla sprechen?« »Nicht bei den Vaus, Schatz. Wir senden eine Botschaft, sie senden eine Antwort. Wenn sie wollen.« »Wie merkwürdig. Nun, vielen Dank, ich warte draußen.« Als sie hinausging, sagte sie: »Bitte, rufen Sie mich, wenn die Antwort kommt.« »Verlassen Sie sich drauf, mein Engel.« Wie ärgerlich, dachte sie gereizt, als sie im Schneidersitz in der warmen Heizsonnenglut von Kung saß. Immerhin – zehn Minuten! Sie hatte viel länger als zehn Minuten gewartet, um Achmeds Stimme zu hören. Und seine Lage konnte nicht mehr so schlimm sein, wie sie anfangs befürchtet hatte. Im Lager hieß es, daß die Volksrepubliken durch übermenschliche Anstren gungen, wie man sie sich kaum vorstellen konnte, die Verbin dung mit ihrem Vorposten auf Jem wieder hatten aufnehmen können. Ein Schiff war gelandet. Ein kleines, gewiß, aber wenigstens war man dort nicht mehr von den anderen Kolonien abhängig, um auch nur überleben zu können. Wie mußte Dulla das aufgebracht haben! Ringsumher herrschte im Lager große Geschäftigkeit. Fast ein Hektar Boden war an den Hängen über ihnen gerodet und bepflanzt worden, und die Masten für die Lampen, die das Wachstum gewährleisten sollten, standen schon. Strom war das
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nächste, und damit befaßte man sich bereits. Der NahrungsBlock hatte endlich seine eigene Sonnenenergie-Anlage im Bau, und inzwischen gab es bereits ein kleines Atomkraftwerk, teuer, winzig, aber zuverlässig. Ana war von den drei Dolmetschern im Lager die beste, und seit dem Verschwinden von Harriet Santori die einzige, die in der Lage zu sein schien, die komplizierte Struktur einer nur teilweise verstandenen Sprache zu erfassen. Ihr Krinpit war sehr unvollkommen, und es schien wenig Gelegenheit zu geben, sich zu üben. Für die Wühler hatte sie viel Zeit bei diesem James Morrissey verbracht, der sie als persönlichen Daseinsgrund zu betrachten schien, aber viel war dabei nicht herausgekommen. Die Mikrofone, die er so verstohlen in die Tunnels einführte, fingen manchmal Quietschen, Sirren und stark gedämpfte andere Laute auf, aber offenbar entdeckten die Wühler die Geräte sofort und mieden sie. Wenn sie sie nicht stahlen. Mehr als einmal hatte Morrissey eine Sonde herausgezogen und festgestellt, daß der Aufnahmekopf sorgfältig abgeschraubt worden war. Aber bei den Ballon-Wesen beherrschte sie die Sprache beinahe fließend. Sie hatte eng mit Professor Dalehouse zusammengearbeitet – bisher nur über Funk; die lockende, jedoch auch erschreckende Aussicht, mit ihm unter einer Traube von Wasserstoffhüllen dahinzuschweben, war für eine unbe stimmte Zeit in der Zukunft vorgesehen. Dann war der russische Pilot, Kappeljuschnikow, mit Colonel Menningers Ordonnanz und einer Traube von Wasserstoffbehältern zu irgendeinem unsinnigen, geheimen Unternehmen fortgeflogen, und sie hatte bis auf weiteres nicht mehr ans Funkgerät gedurft. Statt dessen mußte sie Schreibarbeiten in dem kleinen Krankenhaus machen, wo es praktisch keine gab, weil man noch keine richtigen Patienten hatte. Aber egal. Gleichgültig, welche kleinen Ärgernisse und Enttäu schungen es gab, war sie nicht auf Jem, nur drei, vier Dutzend Kilometer von Achmed entfernt? Ganz zu schweigen von der schwindelnden Erregung, überhaupt auf Jem zu sein. Ein anderer
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Planet! Um einen anderen Stern kreisend! So weit von zu Hause entfernt, daß am roten Himmel von Jem nicht einmal die Sonne selbst zu entdecken war! Sie hatte noch nicht gewagt, in den Dschungel hinauszugehen (wenngleich andere es getan hatten und sicher und aufgeregt zurückgekehrt waren, staunend über die Wunder, die sie gesehen hatten). Sie hatte noch nicht einmal in dem großen See oder Meer zu schwimmen gewagt, das so verlockend nah lag; sie hatte keinen Badeanzug mitgebracht und dachte nicht daran, wie die anderen nackt am Strand herumzu springen. Auch jetzt konnte sie eine ganze Gruppe dort herumspritzen sehen und schreien hören. Sie sollten an den Wasserflugzeugen arbeiten, die dort zusammengebaut wurden, aber ihre Gedanken waren wohl weniger auf die Arbeit als auf die animalischen Freuden am Strand gerichtet. Nicht, daß das etwas Schlechtes wäre, dachte sie gerechter weise. Warum sollten sie das nicht tun? Es war nicht Anas Sorge, wenn andere Leute unterschiedliche moralische Maßstäbe hatten, solange sie nicht versuchten, sie ihr aufzuzwingen. Und in dieser schwülen Hitze wäre es wirklich schön gewesen, im Wasser zu planschen. »Dimitrowa!« Sie sprang auf und lief ins Zelt, um sich ihre Antwort zu holen, aber es hieß nur: »Achmed Dulla ist zur Zeit nicht anwesend. Ihre Nachricht wird an ihn weitergegeben.« Auf englisch. Und noch dazu mit sehr starkem Akzent; wen immer Erbe Maos auch geschickt haben mochte, ein guter Dolmetscher war das nicht. Sie bedankte sich bei dem Techniker, ihre Enttäuschung verbergend, und ging zur Grenze des Lagers. Dienstfrei, keine Essenszeit, zu früh zum Schlafen; was sollte sie tun, da sie nicht tun konnte, was ihr das Liebste gewesen wäre? Es war wirklich eine Enttäuschung. Wo konnte er sein? Sie stellte verärgert fest, daß sie wieder Kopfschmerzen bekam. Wie schrecklich! Aus irgendeinem Grund hatte sie in den ersten Tagen auf Jem nicht sehr oft Schmerzen gehabt – vielleicht, weil alles so ungeheuer aufregend war, daß sie keine Zeit hatte, an Kopfschmerzen zu denken. Sie wollte auch jetzt
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keine haben. Ana war von Natur aus ein fleißiger Mensch, und sie kam auf den Gedanken, daß Nichtstun die Kopfschmerzen wohl nicht verhindern, sondern sie nur verschlimmern würde. Was tun? Wenn sie nur einen Badeanzug gehabt hätte. Oder den Hang hinaufsteigen und beim Pflanzen helfen – aber nein, im Augenblick wurde nur gepflügt, und den Traktor konnte sie nicht steuern. Die Stromanlage. Sie verstand natürlich nichts davon, aber sie hatte Kraft und war bereit, ihre Muskeln einzusetzen, warum also nicht? Als sie herankam, entdeckte sie jedoch, daß zu den Leuten, die dort arbeiteten, leider auch Sergeant Sweggert gehörte. Sie schlug eine andere Richtung ein und entfernte sich mit raschen Schritten. Sie hatte Sweggert seit jenem Abend, als sie mit der Ordoru nanz von Colonel Menninger zurückgekommen war und die beiden im Freien, von allen zu beobachten, beim wilden Koitus gefunden hatte, nicht mehr gesehen. Natürlich hatte außer ihnen es niemand beobachtet. Nan hatte sich sofort abgewandt vor Verlegenheit schwitzend, und sonst war niemand dort gewesen, sonst hätte das ganze Lager davon erfahren. Tinka würde nichts sagen, Sweggert wohl nicht wagen, den Mund aufzutun, und Colonel Menninger – nun, Ana bildete sich nicht ein, sie zu verstehen. Aber Colonel Margie Menninger war eine Person, der sie nicht ausweichen konnte, und die Frau hatte von dem Vorfall nichts erwähnt, hatte überhaupt nicht erkennen lassen, daß er je stattgefunden hatte. Diese blondgefärbte Amerikanerin, mit einem Mann kopulierend, dessen Namen sie vielleicht nicht einmal kannte! Nein, das war ungerecht; sie kannten sich. Aber gewiß nicht gesellschaftlich. O ja, gewiß, sie würde es auf die anregende Wirkung des – des Nebels, drückte sie es für sich aus, schieben, den das verletzte Ballon-Geschöpf von sich gab. Man hatte inzwischen alles darüber gehört. Und trotzdem, wie unfaßbar obszön! Ana erreichte einen Posten am Zaun, und nun wußte sie plötzlich auch, was sie tun wollte.
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»Ich mache einen Spaziergang«, sagte sie zu dem Korporal, der das Kommando führte. Er zuckte die Achseln und sah ihr nach, als sie sich zwischen dem Stacheldraht hindurchzwängte. Nach wenigen Schritten war sie außer Sichtweite des Lagers.
Wenn sie schon Achmed nicht sehen konnte, so doch wenigs tens Jem. Sie zwängte sich durch die violett-öligen Gewächse, die hier alle mit blaugrünen Lichtern flackerten, und blieb stehen, um zu lauschen. Winzige huschende Geräusche im Unterholz, das Rascheln der Pflanzen im Wind. Hier gab es kein Leben, das sie angreifen würde, hatte man ihr versichert. Wegen der Nähe des Lagers gab es hier nur sehr wenige Tiere. Manche waren abgeschreckt worden, andere hatte man vergiftet; wo die Mülltrupps die Abfälle eines Tages in den Wald geschleppt und vergraben hatten, konnte man den Farn verwelken, das Fingergras austrocknen sehen. Die irdische Biochemie war für diejenige von Jem ebenso feindselig wie umgekehrt, doch die Bewohner von Jem hatten ein Camp Detrick besessen, um Salben und Impfstoffe zu entwickeln. Aber was blieb, wie faszinierend und fremdartig war das! Pflanzenwälder wie Farn, aber mit Früchten und holzartigen Stengeln. Fettpflanzen, die beinahe wie Bambus aussahen; die hohlen Stengel würden gutes Baumaterial abgeben, und Anas sparsame Natur trug ihr auf, Colonel Menninger klarzumachen, daß man kein kostbares Eisen mehr für Zeltpflöcke vergeuden sollte. Weinrankenähnliches, mit harten Samenkörnern, ohne Zweifel dazu gedacht, in den Exkrementen kleiner Tiere verbreitet zu werden. (Falls in diesem Teil des Waldes noch welche lebten.) Und die mangrovenartigen Riesen, ›Viel-Bäume‹ genannt, ein Dutzend Stämme und mehr, an der Krone zusammenwachsend, ein Dach, unter dem sie weiterging. Sie blieb stehen und schaute sich um. Verirren kann ich mich nicht, versicherte sie sich, solange sie das rotschimmernde Wasser auf ihrer linken Seite sah. Sie brauchte dort nur
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hinunterzuklettern und am Strand entlang zurückzugehen. Und müde wurde man hier auch nicht, wenn man so mühelos über umgestürzte Stämme und Steinblöcke steigen konnte. Es ist eine wunderbare Zeit, einen Spaziergang durch die Natur zu machen, dachte sie, als sie sich zwischen den Stämmen eines Viel-Baumes hindurchzwängte, der an vielen Stellen leuchtend blaugrün schimmerte. Wenn nur ihr Kopf nicht so stark geschmerzt hätte. Vor ihr war ein großer Klumpen Schwamm, grau-rosa und ohne eigenes Leuchten. Es sieht ganz aus wie ein Gehirn, dachte sie. Sogar ganz ähnlich wie ihr eigenes. Da die Hirndurchtrennung unter örtlicher Betäubung durchgeführt worden war, hatte sie alles mitverfolgen können, zum Teil in dem Spiegel darüber, zum Teil auf dem Bildschirm. So war ihr Gehirn ihr vorgekommen, ganz fern und gefühllos. Selbst als die scharfe, gekrümmte Klinge es mit einer einzigen, raschen Bewegung durchtrennt hatte, war es schwergefallen, den Anblick mit dem anhaltenden, zerrenden Druck in Verbindung zu bringen, der alles gewesen war, was sie gespürt hatte… Später, als man einige der unentbehrlichen Nerven wieder zusammenschloß, war ihr die Wirklichkeit plötzlich klargeworden. Ohne die mütterliche Verachtung der Chirurgin wäre ihr schlecht geworden. »Ein großes, kräftiges Mädchen wie Sie!« Sie hatte gelacht. »Nein. Unsinn. Sie werden sich nicht übergeben.« Und Nan hatte es nicht getan… Was war das für ein Geräusch? Es klang wie ferne Stöcke, die an hohle Stämme klopften, und dazu Stöhnen. Solche Geräusche hatte sie schon gehört, auf Tonbändern in Fort Derrick. Die Schalentiere, ja. Aber vielleicht nicht die sozial organisierte Rasse. Vielleicht diese wilden und gewiß gefährlichen Wesen, von denen nur Gerüchte gegangen waren. Die menschliche Stimme hinter ihr klang streng. »Ist es vernünftig von dir, allein hier zu sein, Ana?«
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Auf Urdu! Mit dem strengen Mitgefühl, das sie so oft vernom men hatte. Bevor sie sich umdrehte, wußte sie, daß es Achmed war.
Eine Stunde später, einen Kilometer entfernt, lag sie in seinen Armen und wagte sich nicht zu bewegen, um ihn nicht zu wecken. Die Laute des Krinpits waren immer zu hören, manchmal in der Nähe, manchmal etwas weiter entfernt; sie lächelte vor sich hin, als sie dachte, daß das Wesen gewiß in der Nähe gewesen war, als sie sich geliebt hatten. Gleichgültig. Es war kein Grund zur Schande, was sie überall offen erklärt hätte. Es war ganz und gar nicht wie bei der gefärbten blondgebleich ten Amerikanerin, denn – nun, denn es war mit Achmed geschehen. Er zuckte, schnaubte und wurde wach. »Ah, Ana! Dann habe ich das nicht geträumt!« »Nein, Achmed.« Sie zögerte, dann sagte sie leise: »Aber ich habe den Traum oft gehabt… Nein! Nicht so schnell schon wieder, bitte, lieber Achmed – oder, ja, wann du willst, aber laß dich zuerst ansehen.« Sie schüttelte den Kopf. »Du bist so dünn!« sagte sie vorwurfsvoll. »Bist du krank gewesen?« Die schwarzen Augen waren unergründlich. »Krank? Ja, manchmal. Und manchmal habe ich auch gehun gert.« »Gehungert? Wie schrecklich! Aber – aber – « »Aber warum hungern? Das ist leicht zu beantworten. Weil deine Leute unsere Schiffe abgeschossen haben.« »Aber das ist doch ganz unmöglich!« »Es ist nicht unmöglich«, widersprach er, »weil es geschehen ist. Nahrung für viele Tage, wissenschaftliche Instrumente, zwei Schiffe – und vierunddreißig Menschen, Ana.«
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»Es muß ein Unfall gewesen sein.« »Du bist naiv.« Er stand zornig auf und ordnete seine Kleidung. »Ich gebe nicht dir die Schuld, aber diese Verbrechen stehen fest, und ich muß die Schuld irgendwo suchen.« Er verschwand hinter einem Viel-Baum, dann konnte sie ein Plätschern hören. Und noch ein Geräusch: das Rasseln und Stöhnen des Krinpits, das wieder näher kam. Wenn sie nur mehr Zeit für die Tonbän der in Derrick gehabt hätte! Aber selbst so konnte sie etwas erkennen, das sich ständig wiederholte. Sssshhharrn – Und dann zwei schnelle Laute: igon. Sie rief leise: »Achmed?« Und hörte ihn lachen. »Ah, Ana, erschreckt dich mein Freund? Er tut uns nichts. Wir sind keine gute Nahrung für ihn.« »Ich wußte nicht, daß du solche Freunde hast.« »Nun, vielleicht habe ich sie auch nicht. Nein. Wir sind keine Freunde. Aber da ich ein Feind seiner Feinde bin, sind wir wenigstens Verbündete. Komm, Sharn-igon«, sagte er, wie ein Mann, der einen Hund spazierenführt, und tauchte wieder auf. Neben ihm lief schräg ein alptraumhaftes, riesengroßes Wesen her, rasselnd und stöhnend. Ana war einem erwachsenen, lebenden Krinpit noch nie so nah gewesen, hatte ihre Größe und die Lautstärke ihrer Geräusche nie ganz erkannt. Das Wesen besaß keine Krebsscheren. Es hatte Gelenk-Gliedmaßen, die über ihm wedelten, zwei, die zu gewölbten Spitzen zuliefen, wie Katzenkrallen, zwei, die in faustähnlichen Schalenmassen endeten. Es blieb stehen und schien Nan zu betrachten, obwohl sie keine Augen sehen konnte. Und unter den Lauten erkannte sie Worte in Urdu! Silbe für Silbe scharrte und krächzte das Wesen einen Satz: »Soll diese sterben?« »Nein, nein!« sagte Achmed schnell. »Sie ist – « Er zögerte, dann gab er Laute in der Krinpit-Sprache von sich. Vielleicht lag
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es an seiner Aussprache, aber Ana konnte kein Wort verstehen. »Ich habe ihm gesagt, daß du meine Er-Frau bist«, erklärte er. »Er-Frau?« »Sie haben ein sehr reiches Sexualleben«, sagte er. »Bitte, Achmed. Ich bin nicht in der Stimmung für Witze. Der Krinpit hat gesagt ›sterben‹, und was bedeutet das?« »Naive Ana«, sagte er noch einmal und sah sie nachdenklich an. Dann zuckte er die Achseln. Er gab ihr keine Antwort, wickelte aber einen Gegenstand aus einem flachen, rotbraunen Blatt. Es war eine flache Metallklinge, am Ende breiter werdend; rasiermesserscharfe Schneide. Der Griff paßte in die Hand eines Mannes, und das ganze Ding war einen halben Meter lang. »Achmed! Ist das ein Säbel?« »Eine Machete. Aber du hast recht, jetzt ist es auch ein Säbel.« »Achmed«, sagte sie, und das Pochen ihres Herzens war lauter als das in ihren Schläfen, »vor einigen Tagen sind drei Leute aus dem Nahrungs-Stützpunkt getötet worden. Ich habe geglaubt, es sei ein Unfall gewesen, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Soll ich dich fragen, ob du etwas davon weißt?« »Frag, was du willst, Frau.« »Sag es mir!« Er stieß die Machete in den weichen Boden. »Also gut, wenn du es so willst, sage ich es dir. Nein. Ich habe diese Fetten nicht umgebracht. Aber ja, ich weiß von ihrem Tod, ich betrauere sie nicht, ich hoffe, daß noch viele sterben. Und wenn es für mich notwendig ist, ein paar zu töten, werde ich davor nicht zurückschrecken!« »Aber – aber – Achmed«, stieß sie hervor, »lieber, sanfter Achmed, das ist Mord! Schlimmer noch als Mord, es ist Krieg! Wenn der Nahrungs-Block Vergeltung übt? Angenommen, unsere Heimatländer nehmen das nicht einfach als eine bloße Auseinan dersetzung in weiter Ferne hin, sondern üben gegenseitig
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Vergeltung? Angenommen – « »Hör auf damit!« schrie er. »Was können sie tun, um Vergel tung zu üben? Pakistan bombardieren? Sollen sie! Sollen sie Haiderabad und Multan vernichten, Karatschi bombardieren, alle Städte auslöschen und die ganze Küste verbrennen. Du bist dort gewesen, Ana, wieviel von Pakistan können sie zerstören? Welche Bomben können Berge durchdringen? Die Menschen werden überleben. Die Blutsauger, die in die Städte kommen, um zu betteln, die Parasiten der Regierung – ja, die Intellektuel len, die stolzen Blutsauger wie du und ich –, was kümmert es mich, wenn sie alle sterben? Die Leute in den Tälern werden leben!« Sie war stumm, verängstigt, suchte nach Worten, die ihn umstimmen mochten, und fand sie nicht. »Ah«, sagte er angeekelt, »was hat das alles für einen Sinn? Aber sei du nicht zornig auf mich.« »Zornig? Das ist nicht das, was ich empfinde«, sagte sie tonlos. »Was dann? Haß? Furcht? Ana, was sollen wir tun? Uns von ihnen aushungern lassen? Wir haben ein kleines Schiff, das uns retten soll, und was haben die Fetten und die Öler? Flotten! Und wenn der Kampf sich ausbreitet – « Er zögerte, dann brach es aus ihm heraus: »Soll er! Sollen alle die Reichen einander töten, was stört es uns? Vergiß nicht, sechs von zehn Menschen auf der Erde gehören zu uns. Wenn es auf der Erde Krieg gibt – wenn nur eine Million überlebt, dann werden sechshunderttausend davon Bürger der Volksrepubliken sein. Und hier – « Sie schüttelte den Kopf, den Tränen nahe. »Und hier? Auch sechzig Prozent?« »Nein. Mehr. Wenn auf Kungs Sohn irgend jemand überlebt – dann hundert Prozent von uns.«
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XVI
Der Regen war überall, Sturmwolken auf sie zufegend, Sturmwolken schon vorbei, hinauf zum Hitzepol, wo der Regen, der aus ihnen troff, ein, zwei Kilometer hinabfiel und dann verdunstete, ohne den heißen Salzboden zu erreichen. Der Schwarm verteilte sich auf einen Kilometer Himmel und murrte in dissonanten Akkorden. »Habt Geduld«, rügte Charlie. »Wir müssen bleiben, müssen bleiben.« Und sie wiederholten: »Wir müssen bleiben«, aber es war dürftig gesungen. Unwichtig. Charlie hatte seinem zweibeinigen Freund versprochen, daß sie auf dem Posten bleiben würden, wartend, um gewisse sonderbare und unbegreifliche Vorgänge zu beobachten, und der Schwarm würde tun, was er geschworen hatte. Trotzdem war es unbehaglich für ihn (wie ein Jucken oder Sonnenbrand für einen Menschen), den Schwarm in solcher Unordnung zu wissen. Der Ort, den zu beobachten er verspro chen hatte, lag auf der Windseite des Lagers der Großen Sonne. Es war nicht ratsam, sich zu nah heranzuwagen. Viele von seinem Schwarm, und noch mehr von anderen Schwärmen, waren von den weitreichenden Geschossen dieses Lagers durchbohrt oder verbrannt worden, und so mußte er versuchen, den Schwarm davor zu bewahren, daß er darauf zutrieb. Jede Gegenströmung mußte er erkunden und so weit wie möglich den Regenböen ausweichen. Dalehouse hatte ihm gesagt, es würde schwierig sein. Aber er hatte auch gesagt, daß es wichtig war. Charlie ließ seine Augenflecken über den ganzen Horizont kreisen. Keine Spur von dem Flugzeug, mit dem er rechnen sollte. Aber dafür sah er Distelwolle und Spinnenfäden unten über die Berge jagen. Eine Querströmung! Er sang seinen Schwarm zusammen und ließ Gas ab. Der Schwarm folgte, zu einer Schicht hinabsinkend, wo der Wind sie vom Regen wegführte, zu einer Stelle, die Aufwind
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versprach. Sie folgten gut, wenn man alles recht bedachte. Geschickt führte er sie unter Schönwetter-Kumulus, und sie stiegen mit der Strömung hinauf. Der Gesang des Schwarms wurde friedlich. Er befand sich auf diesen unsichtbaren Säulen aufstrebender Luft, wo die beste Nahrung zu finden war: Blutenstaub und Falter-Samenkapseln; die kleinen, weichen Wesen, dieselbe ökologische Nische ausfüllend, wie auf der Erde Insekten; getrocknete Salzkörnchen von den Wellen landumschlossener Meere; und noch Winzigeres. Ein Schwarm beim Weiden sah seltsam aus, alle Flossen und Krausen waren gespreizt, um einzufangen, was sie auch berührten. Er schwebte auch in Gefahr oder hatte es früher getan. Es war eine bevorzugte Zeit für die Ha’aye’i zuzustoßen, jeden Sack aufzureißen, an dem sie vorbeikamen, und die Opfer vor den Augen ihrer hilflosen Schwarmgenossen zu zerfetzen. Nicht länger hilflos! Charlie sang ein ruhmrednerisches Lied von seinem großen Freund Danny Dalehouse, der ihnen weittragende Waffen gegeben hatte, um die Ha’aye’i hundert Wolken weit zu verjagen. Wenigstens manchmal. Jedes männliche Wesen und einige weibliche in seinem eigenen Schwarm besaßen jetzt die Waffen, und die Ha’aye’i hatten gelernt, Charlies Schwarm zu erkennen und ihn zu meiden. Allerdings war er in aller Ehrlichkeit für die Raubtiere nicht mehr so verlockend wie früher. So wenige waren übriggeblieben! Einst waren es Hunderte gewesen, nun weniger als zwanzig. Am Horizont zeigte sich noch immer kein Flugzeug, auf dem Hochland vor dem Lager der Großen Sonne rührte sich nichts. Charlie beruhigte sich, nährte sich mit seinem Schwarm und wurde dabei milder. Er führte den Schwarm in sanften Liedern von Kindheit und Freude an. Es hatte eine Zeit gegeben, in der Charlie eine winzige, apfelkerngroße Kapsel gewesen war, mächtig pumpend, um die Falten aus seinem kleinen Gassack zu straffen, aber noch mit dem zerfaserten Ende seines Segel-Streifens verbunden und den Winden ausgeliefert, die ihn hintrugen, wohin sie wollten. Böen
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fegten. Ringsum zuckten Blitze durch die Luft. Da er seine Höhe nicht wirklich beeinflussen konnte, wurde er manchmal durch hochragende Konvektionswolken hinaufgeschleudert, die stumpf rote Sonne brannte heiß auf seinen winzigen Ballon, am dunstigen Himmel zeigten sich Sterne, manchmal flog er so tief, daß er Hügelkuppen und Farn-Bäume streifte und Schalen- oder Pelztiere nach ihm griffen, wenn er vorbeigewirbelt wurde. Achtzig von hundert seiner Brutgenossen waren dabei auf die eine oder andere Weise umgekommen. Zehn weitere starben beinahe augenblicklich, als ihre Flugbänder abfielen und sie schmackhafte Vorspeisen für die Ha’aye’i oder manchmal sogar für die proteinhungrigen Erwachsenen eines anderen, zufällig auftauchenden Schwarms wurden. Oder gar des eigenen. Nur einige wenige von jeweils hundert überlebten, um sich zu vermehren. Und dann blieben immer noch die Ha’aye’i. Und die Stürme. Und die zupackenden Bestien ganz unten. Aber trotzdem – ein Ballon-Geschöpf zu sein! Zu schweben und zu singen! Vor allem, am Chor der Schwarm-Überlieferung teilzuhaben, der sie alle vereinigte, und von der winzigsten Kapsel bis zu den lecken, alten, trägen Riesen, die sogar von den Ha’aye’i verschmäht wurden. Charlies Gesang erhob sich triumphierend, und der ganze Schwarm um ihn unterbrach sein gieriges Schlingen, um in die Harmonie einzufallen. Nach wie vor drehten seine Augenflecken sich wachsam zum Hochland; aber noch immer war nichts von dem Flugzeug oder dem Neuen Freund zu sehen, der, wie man ihm erklärt hatte, dort emporsteigen würde. Und sie trieben mit der Wolke vom Lager der Großen Sonne davon. Viele im Schwarm waren jetzt gesättigt und sangen leise ihre privaten Höflichkeits-Dankgesänge. Ein guter Schwarm, dachte Charlie, wenngleich ein kleiner. Er sang ihnen zu: »Hört auf zu essen, hört auf! Wir müssen fort!« »Wohin, wohin?« murrte ein Chor der Langsameren und Hungrigeren, und ein Einzelgesang erhob sich über dem Chor:
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»Ich muß mehr essen«, klang es schwach. »Ich sterbe.« Das war die alte Blau-Rosenglüh. Ihr Ballon war furchtbar versengt worden, als der halbe Schwarm in Flammen geraten war. »Nicht jetzt, nicht jetzt«, sang Charlie befehlend. »Folgt!« Und er sang das neue Lied, das Lied der Pflicht, das er von seinem Freund Dalehouse gelernt hatte. Es genügte nicht mehr, zu schweben und zu singen und Wasserstoff aufzufüllen und sich zu vermehren. Nicht länger. Man mußte auf dem Posten sein und das Hochland beobachten. Und das Lager der Großen Sonne mußte gemieden, der Schwarm zusammengehalten und gegen die Ha’aye’i verteidigt werden; so viele Gebote, die neuen und die alten! Und so führte er sie durch ihren langsamen, schwan kenden Tanz im Zickzack durch den Wind. Lange Zeit führte er sie, unaufhörlich beobachtend, wie er es versprochen hatte. Trotzdem war er es, der es als erster sah. Weit hinter ihm sang die alte Blau-Rosenglüh: »Eine neue Himmels-Gefahr.« »Komm nach, komm nach!« befahl er. »Du singst schwach.« Es war nicht unfreundlich gesungen, nur, weil es der Wahrheit entsprach. »Ich lecke«, entschuldigte sie sich. »Trotzdem ist sie da, fast in Reichweite der Erd-Gefahren, weit entfernt.« Er drehte die Augenflecken und stieg zu einer anderen Luft strömung hinauf. Da war es. »Ich sehe die Himmels-Gefahr«, sang er, und der Rest des Schwarms bestätigte es. Es war kein Ha’aye’i. Es war das harte mechanische Ding aus dem Lager der Mittelsonne, wie man es ihm gesagt hatte. Darin saß, wie er wußte, der andere Freund, der manchmal mit Danny Dalehouse hinaufgeschwebt war, und auch der Neue Freund, den er noch nie gesehen hatte. Es war alles so, wie Danny Dalehouse es gesagt hatte. Der Doppeldecker schlich in Baumwipfelhöhe heran und landete auf der trockenen Hochebene, ein Dutzend Kilometer vor dem ÖlerLager. Während der Schwarm zusah, stiegen Kappeljuschnikow
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und eine weibliche Person aus und begannen ein Netz von Ballons aus winzigen Tanks zu füllen. Als die Traube der Neuen Freundin sich zu blähen begann und sie sich vom Boden erhob, stieg das Flugzeug wieder auf, wendete rasch und glitt den Hang hinunter zum fernen OzeanSee. Die Neue Freundin erhob sich in dem vorherrschenden Wind zum Pol und trieb direkt auf das Lager der Großen Sonne zu. Charlie wagte nicht näher heranzukommen, aber er sah sie Gas ablassen, als sie sich dem Lager näherte. Sie kippte irgendwo in der Nähe in das Dickicht, und alles war, wie es vorausgesagt worden war. »Es ist geschehen«, tönte Charlie triumphierend. »Und was nun?« fragte der Schwarm, ihn umdrängend, die Blicke auf die Neue Freundin gerichtet, als sie landete. »Ich werde die Luft fragen«, sang er. Seine kleinen Insekten beine tasteten nach dem Schalter des harten, schimmernden Sprechers-zur-Luft, den Danny Dalehouse ihm gegeben hatte. Er sang für seinen Freund einen fragenden Gruß. Er versuchte es zweimal und lauschte dazwischen, wie Dalehouse es ihm beigebracht hatte. Es kam keine Antwort, nur ein unangenehmer, zischender Gesang von Störungen und fernen Stürmen. »Wir müssen zum Lager der Mittelsonne«, erklärte er. »Der Sprecher-zur-Luft kann nicht so weit singen.« Seine erfahrenen Augen lasen die Zeichen der Wolken und der Farnwipfel tief darunter und suchten die Strömungen, die er wollte. Es war sehr schade, daß Dalehouse in der letzten Zeit nur noch so selten mit dem Schwarm fliegen konnte, der verhaßten Ha’aye’i seiner eigenen Art wegen, aber Charlie wußte, daß der Sprecher-zurLuft seinen Gesang wieder bringen würde, sobald sie in Sichtweite des Lagers waren. »Folgt!« sang er. Er sammelte den Schwarm um sich. Sie sanken alle vierzehn durch eine schnell dahinjagende Schicht
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von Stratuswolken in die Rückströmung in der Nähe der Oberfläche. Als sie herauskamen, war die alte Blau-Rosenglüh fort, die Lecks in ihrem Ballon waren schließlich zu groß, als daß sie weiter hätte fliegen können. Und es fehlte die junge SchrillSchrei, nirgends war sie zu sehen, selbst ihr Gesang war nirgends mehr zu hören. Bis sie sich dem Lager der Mittelsonne näherten und Charlie durch das Funkgerät für Dalehouse zu singen begann, waren vom Schwarm nur noch zwölf geblieben. Margie Menninger hob den Kopf, als Kappeljuschnikow in die Schreibstube kam und die Klappe ihres Privatbüros hinter sich schloß. »Etwas Neues?« fragte sie. »Danny hat Funknachricht von Gassack, ja. Ihre Freundin ist bei den Ölern niedergegangen.« »Wie lange ist das her?« »Wer kann bei Gassack sagen? Vielleicht ein paar Stunden. Nicht lange, nachdem ich Spion abgesetzt.« »Gut, danke.« Als er gegangen war, wollte Margie im Funk raum anrufen, entschied sich aber dagegen. Wenn die Öler über Funk mitteilten, daß sie die hilflos vom Kurs abgetriebene Tinka gerettet hatten, würde der Funker ihr das sofort mitteilen. Und er hatte es nicht getan. Die Öler machten es also listig und heimlich, und womit hatte Tinka es in ihrem Lager zu tun? Waren sie dahintergekommen, daß sie nicht wirklich zufällig hingeraten war? Konnte sie –? War das nicht –? Die Fragen multiplizierten sich endlos in Margies Gehirn, und es gab keine direkte Weise, die Antworten darauf zu finden. In diesem Sumpf von Ungewißheiten und Konjunktiven konnte man sich verirren. Das war nicht die Art, wie Margie Menninger ihr Leben einrich tete. Sie traf eine Entscheidung. In genau einer Stunde würde sie über Funk bei den Ölern anfragen lassen.
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Inzwischen war in fünfzig Minuten Essenszeit, und wie sollte diese Zeit genutzt werden? Die fünfzehn Notizen, die sie sich an diesem Morgen gemacht hatte, waren alle abgehakt. Sämtliche laufenden Projekte liefen nach Plan oder fast nach Plan. Jedem waren Aufgaben zugeteilt worden. Der erste Hektar Weizen war im Boden, sechzehn verschiedene Sorten im Wettstreit, wer am besten gedeihen würde. Die Grenzbefestigungen waren in Ordnung. Drei Türme lagen immer noch am Strand, um dort aufgestellt zu werden, wo sie es für nötig hielt, wenn sie den Grenzkreis erweitern oder einen neuen Posten einrichten wollte. Sie betrachtete die Landkarte 1:1000, zwei Meter lang und einen Meter hoch, die fast eine ganze Wand ihres Büros bedeckte. Das war etwas! Die Karte zeigte jede Einzelheit innerhalb eines Kilometers um ihren Platz – sieben Bäche oder Flüsse, ein Dutzend Hügel, zwei Kaps, mehrere Buchten. Gitterbezeichnungen genügten nicht, sie brauchten Namen. Welche Methode war besser als die, sie von einzelnen Leuten im Lager aussuchen zu lassen? Sie würde eine Lotterie einrichten; jeder Gewinner würde einen Namen finden dürfen, dann hatten sie etwas zu tun. Sie rief ihre ErsatzOrdonnanz herein und diktierte eine kurze Mitteilung für das Schwarze Brett. »Sprechen Sie das mit der Kommunikationsabteilung ab«, sagte sie abschließend. »Achten Sie darauf, daß wir alles aufführen, was zu benennen sich lohnt.« »Ja ‘M. Colonel, Sergeant Sweggert möchte Sie sprechen. Es sei aber nicht dringend.« Margie schrieb ›Sweggert‹ auf ihren Terminkalender. »Ich gebe Bescheid.« Dann verdrängte sie auch Sweggert aus ihren Gedanken. Sie hatte noch nicht entschieden, was sie mit Sweggert tun wollte. Sie hatte eine umfassende Skala von Möglichkeiten, von einem lachenden Darüberhinwegsehen bis zum Kriegsgericht wegen Notzucht. Was sie tun würde, hing stark davon ab, wie Sweggert sich verhielt. Bis jetzt war er schlau genug gewesen, sich bedeckt zu halten.
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Auf der anderen Seite hing ihre Vollmacht, irgend jemanden für irgend etwas vor ein Kriegsgericht zu stellen, von der militäri schen Befehlskette ab, die von ihr über die TachtransVerbindung zu höheren Leuten auf der Erde reichte. Und wer wollte sagen, wie lange die Erde noch Wert darauf legte, sie zu stützen? Oder ob die Kolonie lebte oder starb? Die Nachrichten von zu Hause waren schlecht, so schlecht, daß sie nicht alles an das Lager weitergegeben hatte. Die Tachtrans-Mitteilung, die ihre Anforderungsliste bestätigte, hatte betont, daß es auf der Kippe stehe, ob sie alles erhalten würde, was sie verlangt hatte. Und Anträge auf weitere Lieferungen nach dieser würden, Zitat, nach den jeweiligen Umständen zum Zeitpunkt des Erhalts des Antrags beurteilt werden, Ende des Zitats. Es war das, was sie erwartet hatte. Aber es war ernüchternd. Auf ihren Block für den Nachmittag schrieb sie: ›Arzt – Bank okay!‹ ›Nahrung – Schätzung für 6 Mon. zutreffend? M. Rationierung 1 Jahr!‹ Es war verdammt ärgerlich, daß alle Agronomen Kanadier zu sein schienen. Margie brauchte kluge und private Unterstützung – klug, weil die Art, wie sie mit den Bodenfrüchten zurechtka men, über Tod und Leben für die Kolonie entscheiden mochte, privat, weil sie nicht wollte, daß die Kolonie das jetzt schon erfuhr. Wenn sie alles bekam, was auf ihrer Anforderungsliste stand, würde sie genug Saatgut haben. Aber wer wußte, ob sie jene Sorten hatten, die am besten gediehen? Auch diesen Gedanken schob sie weg. Noch vierzig Minuten. Sie sperrte die Privatschublade ihres Schreibtisches auf und zündete sich einen Joint an. Angenommen, es wird alles geliefert. Darin ist genug für einen ziemlich großen Spielraum gegenüber den meisten möglichen Katastrophen enthalten, dachte sie, und es hatte keinen Sinn, sich Sorgen zu machen,
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bevor das sein mußte. Die Anforderungsliste enthielt einen nicht unbeachtlichen Teil an persönlichen Dingen für Margie selbst: Kleidung, Kosmetika, Mikrofiche-Nähmuster. Mit den Mustern würde es an Modischem genug Abwechslung für alle im Lager geben, und das auf lange Zeit, vorausgesetzt, sie fanden einen Weg, Stoffe herzustellen, um die Muster dafür zu verwenden. Es wäre angenehm, ein paar hübsche Sachen tragen zu können. Das Fehlen von Sakowitz und Marks & Sparks, Sears und Two Guys machte sich bei ihr bereits bemerkbar. Eines Tages, vielleicht, dachte sie, den Rauch tief einsaugend. Nicht Sakowitz, nein. Aber vielleicht ein paar Boutiquen. Vielleicht hatten einige Leute im Lager Fähigkeiten im Nähen oder Schneidern, und vielleicht wurde es Zeit, daß sie damit anfing, sie zu finden. Sie blätterte im Kalender weiter und machte sich auf einer leeren Seite eine Notiz. Diese Bulgarin war der Typ, der vielleicht gern nähte, möglicherweise sogar so gut wie Margie selbst; sie war nach ihrem langen Spaziergang durch die Landschaft ziemlich verdrossen gewesen, aber sie tat ihre Arbeit und mochte etwas brauchen, das sie beschäftigte. Sie schien zu diesem Zweck keinen Mann zu brauchen, jedenfalls hatte sie Guy Tree ebenso entschieden abgewiesen wie Cappy und Sweggert. Sweggert. »Jack, schicken Sie den Sergeant rein!« rief sie. »Ja ‘M. Er ist weggegangen, aber ich hole ihn.« Als sie sich zurücklehnte und über Sweggert nachdachte, summte das Telefon. Es war der Funker. »Colonel, ich habe eben mit den Ölern über Korporal Pellatinka gesprochen.« »Ich habe Sie nicht angewiesen, dort nachzufragen.« »Nein, aber ich habe auf ihrer Frequenz weiter gesendet, wie Sie es wollten, und der dortige Funker schaltete sich ein, um zu fragen, ob wir sie vermißten. Ich sagte, sie antworte nicht. Und
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er sagte, man werde eine Suchmannschaft hinausschicken.« Margie lehnte sich wieder zurück und sog nachdenklich an der Zigarette. Den Ballon-Wesen zufolge konnten die Öler sie keinesfalls gesehen haben, wie sie herunterkam. Also logen sie jetzt ganz offenkundig.
Sergeant Sweggert hatte eine Reihe von Eigenschaften mit Margie Menninger gemeinsam. Dazu gehörte, daß er bereit war, sich viel Mühe zu machen, um alles ins richtige Lot zu bringen, und wenn er eine Gelegenheit sah, etwas zu verbessern, tat er alles, um das zu erreichen. Als er erkannte, daß das Schußfeld verbessert werden würde, wenn er die MG-Stellung 3 zwei Meter zum See vorschob, dann schob er sie vor. Oder seine Leute taten es. Die Tatsache, daß das fünf Stunden zermürbender Arbeit kostete, beeinflußte seine Entscheidung nicht. Er half mit, das SMG auf das Dreibein zu stellen, und drehte es, um das Schußfeld zu begutachten. »Beschissen«, sagte er zu den Leuten, »aber vorerst lassen wir es. Holt die Munition.« Er kauerte hinter der Waffe und schwenkte sie herum. Das machte ihm Vergnügen. Bis zum Seeufer ganz links und dem Rand des Farnwaldes rechts konnte kein Wesen von einiger Größe sich nähern, ohne ein klares Ziel für den Schützen zu sein. Die Minen und Rauchbomben waren angebracht und geschärft, und sein Fernsteuer-Funkgerät war auf jede einzelne davon eingestellt. Die Suchscheinwerfer waren mit vierfacher Redundanz montiert. In jedem einzelnen Augenblick war nur ein Viertel von ihnen eingeschaltet und suchte das gesamte Gebiet um die Vorpostenlinie ab. Nach einer Stunde wurde dieses Viertel ab- und das nächste eingeschaltet, so daß ausgebrannte Birnen oder Schäden in der Verkabelung sich gleichmäßig verteilten und in der Zeit der Abschaltung behoben werden konnten. Im eigentlichen Gefecht würden sie natürlich alle brennen. Die meisten würden zerschossen werden, aber nicht so
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rechtzeitig, daß jemand die Linie überschreiten konnte. Nicht lebend. Allerdings waren die Aussichten, daß jemand einen direkten Frontalangriff versuchen würde, sehr gering, räumte er vor sich selbst ein, als er aus der Kuppel stieg. Vielleicht ein Luftangriff. Vielleicht weitreichende Raketen. Vielleicht gar nichts. Die ganze beschissene Kriegsspielerei war verrückt, wenn man Sergeant Sweggert fragte. Was, zum Teufel, gab es in diesem Scheißloch hier ohne eine Bar oder eine Stadt oder auch nur einen anständigen Baum oder ein Feld zu kämpfen? Wenn man ihn gefragt hätte, wäre das seine völlig aufrichtige Meinung gewesen, aber das hätte ihn nicht gehindert, dafür zu kämpfen. Die Ballon-Wesen trieben sich immer noch herum. Sweggert schaute weder direkt hinauf noch änderte sich seine Miene; es ging seinen Zug nichts an, was er dachte. Aber innerlich fluchte er. Colonel Menninger hätte ihn vor einer Woche noch nicht so warten lassen. Wenn sie ihn fertigmachen wollte, worauf wartete sie dann? »Sarge.« Er hob den Kopf. »Sie werden von der Schreibstube gerufen.« Er drehte sich beiläufig herum und sah den Korporal winken. »Äggie, übernehmen Sie!« befahl er. »Wenn ich zurückkomme und die Munition ist nicht an ihrem Platz, könnt ihr was erleben.« Er schlenderte zurück zum Stabszelt und trat ein. Margie Menninger aß aus einem Eßgeschirr und las von einem KleinLesegerät ab. Sie hob ihren Kopf nicht. »Die Postenlinie sieht gut aus«, sagte sie. »Haben Sie das MG wieder aufgebaut?« »Ja. Colonel, ein Haufen von den Gassäcken ist da, und der, den wir verwendet haben, ist ziemlich ausgelaugt. Wir werden in ein paar Minuten abgelöst. Können wir uns bei den neuen bedienen?« Sie legte den Löffel hin und sah ihn an. Nach einer kurzen
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Pause sagte sie: »Wen meinen Sie denn eigentlich mit ›wir‹, Soldat?« »O nein, Ma’am!« Du lieber Himmel, war die empfindlich! Er wußte, daß er gleich mit Schwierigkeiten rechnen mußte. »Ich meine gar nichts, Ma’am, nur, daß die Truppe hart gearbeitet hat und Erholung braucht. Wir – in einer Stunde ist das wieder vorbei, und die Ablösung ist ja ohnehin da.« Sie betrachtete ihn kurz. »Okay, Sweggert, aber nur die halbe Mannschaft. Die anderen bleiben nüchtern.« »Klar, Colonel. Danke, Colonel.« Er sah zu, daß er wegkam. Scheiße, er hätte vorsichtig sein sollen, so, wie ihr zumute war. Nicht, daß sie ganz unrecht hatte. Wenn er nicht betrunken gewesen wäre, hätte er das nicht gemacht. Aber, Mann! Es hatte sich gelohnt. Als er sich daran erinnerte, wie sie gewesen war, voll vom Seim des Ballon-Wesens, spürte er eine Schwere zwischen den Beinen. Als er zu seinen Leuten zurückkam, betrachtete er sie mit einiger Mißbilligung. Korporal Kristianides war dürr und hatte Haare herunter bis zum Kinn, aber sie war das Beste, was er sich hatte aussuchen können. »Aggie, nehmen Sie Peterson und noch vier Mann, ihr habt Dienst, bis die Ablösung kommt. Kris, Sie und die anderen kommen mit mir. Wir machen eine Erholungspause. Wer nicht mitkommen will, tauscht mit einem, der nicht hierbleiben will. Los!« Die Ballon-Wesen waren jetzt draußen über dem Ozean-See, einen halben Kilometer entfernt und tief. Sweggert marschierte mit seinem Dutzend durch das Lager zu den leeren Zelten am Ende der Straße; er würde es im Freien tun, wenn er mußte, aber der Teufel sollte ihn holen, wenn er für sich sein konnte und das nicht nutzte. Die angeseilten Ballon-Geschöpfe, von einer Gesundung weiter denn je entfernt, waren vor Tagen dorthin gebracht worden, zusammen mit der Strobe-Lampe.
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Sweggert blieb stehen und fluchte. Ana Dimitrowa und Dalehouse unterhielten sich mit dem Ballon-Wesen, und nur ein paar Meter entfernt beklagte sich Kappeljuschnikow über irgend etwas bei Colonel Tree. Von wegen für sich sein! Aber das spielte keine Rolle; er hatte Colonel Menningers Genehmigung, und sie war diejenige, welche zählte. Er holte das Strobe-Licht und richtete es auf den schwebenden Schwarm. Dalehouse mischte sich natürlich ein. »Was glauben Sie eigentlich, daß Sie hier machen, Sweggert?« Sweggert ließ sich Zeit, die Lampe zu zielen und blinken zu lassen, um die Ballon-Wesen anzulocken, bevor er antwortete. »Wir amüsieren uns ein bißchen. Colonel Menninger sagt, es sei okay.« »Den Teufel hat sie! Außerdem – « »Warum fragen Sie sie nicht, wenn Sie mir nicht glauben?« unterbrach ihn Sweggert. »Würden Sie ein bißchen auf die Seite treten, Sir? Sie stehen zwischen ihnen und dem Licht.« Ana Dimitrowa legte die Hand auf Dalehouses Arm, um ihn an einer Antwort zu hindern. »Das ist für die Ballon-Wesen nicht angenehm, Sergeant Sweggert. Den sexuellen Höhepunkt zu empfinden, ist sehr schmerzhaft und schwächend. Wie Sie sehen können, ist das Wesen hier stark betroffen. Es stirbt vielleicht.« »Was für ein schöner Tod, Ana, wie?« Sweggert grinste. »Wendet euch an Colonel Menninger – he, Dalehouse! Was machen Sie da?« Dalehouse hatte sein Funksprechgerät eingeschaltet und sang leise hinein. Colonel Tree, der auf sie aufmerksam wurde, ging auf sie zu, und Sweggert wandte sich an ihn. »Colonel! Wir haben Colonel Menningers Erlaubnis, die Vögel reinzuholen, um uns anzuregen, und der Kerl sagt, sie sollen verschwinden.«
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Tree blieb stehen, die Hände hinter dem Rücken, und nickte ernsthaft. »Ein Dilemma«, sagte er mit seiner sanften Kinderstimme. »Es wird ganz interessant sein, zu sehen, was sie tun.« Was sie taten, war, sich über den ganzen Himmel zu verstreu en, ein Teil tiefer sinkend, um den anlandigen Wind zu nutzen, andere zögernd. Sie sangen laut und unharmonisch, und die Laute tönten von fern aus dem Himmel und blechern aus Dalehouses Funkgerät. Sweggert stand wie angewurzelt und kämpfte gegen die Wut an, die in ihm aufstieg. Wenn man die Erlaubnis vom Kommandierenden hatte, brauchte man doch sonst nichts mehr. Warum stützte Tree ihn nicht? »Geben Sie her«, knurrte er und griff nach Dalehouses Funkgerät. Aber Dalehouses Miene hatte sich verändert. »Halt!« sagte er scharf und sang rasch etwas ins Gerät. Die Antwort kam als Flut musikalischer Phrasen zurück; Dalehouse wirkte überrascht, und Ana Dimitrowa hielt den Atem an, die Hand an den Lippen. »Tree«, sagte er, »laut Charlie sind unten am Strand Krinpits und fressen zwei Leute.« »Aber Krinpits fressen keine Menschen«, wandte Colonel Tree ein, und Sweggert sagte: »Da unten ist niemand. Den ganzen Tag ist niemand durch die Linie gekommen.« Dalehouse wiederholte seine Frage ins Funkgerät und zuckte die Achseln. »Das sagt er aber. Er könnte sich täuschen, was das Fressen angeht, nehme ich an – er hat keine sehr klare Vorstellung vom Töten, außer zum Fressen.« Sweggert legte die Lampe weg. »Wir geben lieber Colonel Menninger Bescheid«, sagte er. »Richtig«, sagte Colonel Tree. »Tun Sie das, Dalehouse. Sergeant, in dreißig Sekunden sind Sie mit Ihrem Zug am
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Strand, volle Kampfausrüstung. Wir werden feststellen, was da vorgeht.«
Eine halbe Stunde später stieß Margie Menninger an der Spitze von dreißig Soldaten auf die erste Gruppe, die vom Strand zurückkam. Es gab keine Verluste, jedenfalls keine vom Nahrungs-Block, aber sie trugen zwei Leute. Die eine Gestalt lag in einer Art Trage aus zwei zusammengeknoteten Jacken, die andere auf Sergeant Sweggerts Schulter. Sie waren beide tot. Als Sweggert sich seiner Last entledigte, wurde deutlich, warum sie leicht zu tragen gewesen war. Beide Beine fehlten, ebenso ein Teil des Kopfes. Die andere Leiche war weniger verstümmelt, so daß Margie Menninger sie sofort erkannte. Es war Tinka. Margie stand betäubt vor Sweggert, als er Meldung erstattete. Kein Krinpit zu sehen; sie waren verschwunden, so weit fort, daß man sie nicht einmal mehr hören konnte. Beide Personen waren tot gewesen, als sie ankamen, aber noch nicht lange; sie waren noch warm. Sogar jetzt noch. Und der Mann hatte in seinem Hemd ein Päckchen in wasserdichter Verpackung. Margie griff danach und riß es auf. Mikrofiche-Karten – Dutzende davon. Der Ausweis des Mannes, der bewies, daß er der Indonesier war, mit dem Verbindung aufzunehmen Tinka sich angeschickt hatte. Eine Brille in Kindergröße – Fensterglas, nicht geschliffen; warum? Und wie? Waren sie als Spione gefaßt worden und dann entkommen? Und wie hatten sie den weiten Weg vom Öler-Lager bis zum Strand zurückgelegt, wo sie gestorben waren? Bis sie zum Stützpunkt zurückkamen, hatte sie eine Antwort zumindest auf einen Teil der Frage, weil Dalehouse berichtete, daß die Ballon-Wesen weiter unten am Strand etwas entdeckt hatten, das nach den Überresten eines Schlauchbootes ohne Luft aussah. Sie ließ die kleine Brille an ihrem Elastikband baumeln, während sie zuhörte und nickte, alles als Information aufnahm,
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die es zu verarbeiten galt, noch nicht ganz fähig, die Nachricht von Tinkas Tod als etwas aufzunehmen, was weh tat. Sie sah auf die Brille hinunter. Die Gläser waren jetzt fast undurchsichtig. »Das ist interessant«, sagte sie mit einer Stimme, die fast normal klang. »Es muß fototropes Glas sein. Wie eine Sonnen brille.« Sie blickte zur schwelenden Glut von Kung hinauf. »Nur: Was, um alles in der Welt, sollte jemand damit auf Jem anfangen?«
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XVII
Sechs Kilometer uferabwärts von der Stelle, wo er die GiftGeister niedergemacht hatte, blieb Sharn-igon auf seiner Flucht stehen, um eine flache Grube unter einer Klippe zu schaufeln. Er mußte sich verstecken, weil er rasten mußte. Graben war für einen Krinpit wegen der Geister Darunter stets gefährlich. Aber hier sprach nicht viel dafür, daß sie in der Nähe sein würden. Zu nah am Wasser; sie liefen nicht gern Gefahr, daß ihre Tunnels überflutet wurden. Und der Viel-Baum über ihm auf der Klippe war ein gutes Zeichen. Die Wurzeln des VielBaums schmeckten ihnen nicht. Als er sich einrichtete, fragte Sharn-igon sich kurz, was aus seinem Mitkämpfer, dem Gift-Geist Dulla geworden war. Er empfand keine Sorge, wie das bei einem gleichartigen Wesen der Fall gewesen wäre. Er betrachtete Dulla nicht als solches. Dulla war eine Waffe, ein Werkzeug, ohne ›Wesen‹-haftigkeit. Nachdem sie die Gift-Geister getötet hatten, die Dulla ›Öler‹ nannte, waren sie beide geflüchtet, Dulla natürlich schneller und weiter. Sharn-igon betrachtete das nicht als Verrat. Wenn er der Behende gewesen wäre und Dulla der Langsame, hätte er es ganz gewiß genauso gemacht. Dullas Nützlichkeit als Werkzeug lag in seiner Schnelligkeit, und in der Art, wie er mit anderen Gift-Geistern sprechen konnte, so daß sie zögerten, unsicher waren, während Sharn-igon Zeit hatte, sie zu überfallen und zu töten. Es war so leicht, Gift-Geister zu töten! Ein paar Hiebe, ein Schlag mit der Faustklaue, mehr brauchte es nicht. Manchmal hatten sie Waffen, und Sharn-igon hatte gelernt, einige dieser Waffen zu respektieren. Aber die beiden am Strand hatten so wenige gehabt, eine grell-klingende Knallwaffe, deren kleine Geschosse von seiner Schale abprallten, etwas, das einen üblen, ätzenden Geruch auf ihn spritzte, so daß er sich für Augenblicke sonderbar und unbehaglich vorkam; aber das behinderte ihn nicht beim Töten. Solche wie diese konnte er mit oder ohne sein Werkzeug, den Gift-Geist Dulla, töten. Er schob seinen Panzer hin und her, um sich tiefer in die Grube
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zu zwängen, und ruhte sich aus, seine Hörrezeptoren wachsam zum Wasser gerichtet, die Fühler tief in den Boden gebohrt, um die Vibration von Geistern Darunter wahrzunehmen, die sich nähern mochten. Sie waren es, die er fürchtete weit mehr als jede Gefahr vom Wasser oder vom Strand. Unter normalen Bedingungen war ein erwachsener Krinpit in seinem Panzer natürlich einem Dutzend der Geister Darunter ebenbürtig – solange er an der Oberfläche bleiben konnte. Oder jedenfalls in ihrer Hörweite. Im Freien wirkten Geister Darunter taub und liefen beinahe ziellos herum. Aber dies waren keine normalen Bedingungen. Sharn-igon war nicht nur müde, er fühlte sich krank. Er fühlte sich gereizt, angespannt, aufgebläht – bereit, so hätte er zu seiner Er-Frau gesagt (aber Cheepruitt war seit Monaten tot, sein Panzer trocken), zu stridulieren und aus seiner Schale zu springen. Aber das war nicht die richtige Zeit dafür. Er war noch viele Monate nicht fällig, also konnte das nicht die normale Verkrampfung vor der Schälung sein. Plötzlich lockerte sich sein Ringmuskel. Er spie alles, was er gegessen hatte, in einer großen Flut heraus, Fleisch von Taubwurm, Chitinsplitter von Krebs-Ratte, halb verdaute Früchte und Schwämme und Laub. Nach dem Erbrechen war er schwach, aber ruhig. Nachdem er sich kurz ausgeruht hatte, scharrte er das Zeug zu und begann dann methodisch seine Schale zu säubern. Ohne Zweifel rächten sich die Gift-Geister dafür, am Strand getötet worden zu sein. Es mußten ihre noch in Sharn-igon hängengebliebenen Fleischfet zen sein, die ihn krank machten. Das – und die innere Krankheit, die ihn erfaßt hatte, als die Gift-Geister das erstemal in seine Stadt gekommen waren und die unerbittliche Kette von Umständen ausgelöst hatten, die ihm seine ganze Freude am Leben nehmen sollten. Krinpits weinten nicht. Sie hatten keine Tränengänge; sie hatten keine Augen, die Tränengänge besitzen konnten. Aber sie kannten das Gefühl des Leides und keine kulturbestimmten Tabus dagegen, es auf ihre eigene Weise auszudrücken. Diese
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Weise war Stille. Ein stiller Krinpit – oder so still, wie ein Krinpit sein konnte – war ein weinender Krinpit. Über eine Stunde lang, als er das letzte getrocknete Krümchen fremden Blutes von seinem Trommelfell entfernt hatte, war Sharn-igon nahezu stumm: ein Reiben von Klaue an Panzer, gelegentlich ein Stöhnen beim Atmen, mehr nicht. Ungewollt hallten Geräusche aus glücklicheren Zeiten in ihm wider. Er hörte noch einmal Cheepruitt und das kleine Weibchen – wie hatte sie geheißen? –, das sie geschwängert hatten, damit es ihre Jungen zur Welt brachte. Sie war ein melodisches Wesen gewesen. Sie hatte beinahe eine eigene Persönlichkeit besessen, zusammen mit der bittersüßen Verlockung jedes befruchteten Weibchens, während die Jungen in ihr wuchsen und sich durchfraßen, bis zuviel zerstört war und sie starb und die Brut ihren Panzer glattpolierte und in die laute, erregende Welt auf dem Rücken ihres Frauen-Vaters hinausgelangten. Aber nun war alles verändert. Alles die Schuld der Gift-Geister! Seitdem der erste von ihnen erschienen war und Cheepruitt, der liebe, tote Cheepruitt, so unklug gewesen war, ihn essen zu wollen, hatte Sharn-igons Welt ihren Zusammenbruch erlebt. Nicht nur Cheepruitt, alles. Die Krinpits, die er gegen die Gift-Geister mobilisiert hatte, die Dulla Öler nannte, waren streng bestraft worden. Seine eigenen Dorfgenossen waren zur Vergeltung aus der Luft angegriffen worden, und es hatte viele Tote gegeben. Und wie viele hatte er dafür töten können? Nur ein paar. Sie fielen kaum ins Gewicht. Die beiden am Strand, die Handvoll, die Dulla und er am Vorposten überrascht hatten – nicht genug! Und Dullas ganze Pläne hatten wenig eingebracht. Das den Fetten nächstgelegene Krinpit-Dorf hatte geschwankt und gezögert, versprochen, bei einem Angriff mitzuwirken, und das Versprechen wieder zurückgezogen; und inzwischen konnten Dulla und er nichts anderes tun, als umherzukriechen wie Krebs-Ratten, nach Versprengten zu suchen, ohne welche zu finden. Vom Wasser klang ein Geräusch herüber.
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Sharn-igon erstarrte. Es war ihm nicht möglich, ganz lautlos zu sein, solange er atmete, aber er gab sich Mühe. Er lauschte und hörte ein kleines, fast unmerkliches, undeutli ches Echo vom Wasser. Ein Boot. Und darin schien ein Gift-Geist zu sein. Wieder einer, den er töten konnte? Er näherte sich. Sharn-igon schob sich aus der Höhle und bäumte sich auf, um sich zu verteidigen; und dann hörte er seinen Namen über den Strand hallen: »Sharn-igon!« Und dann die barbarischen Laute für den Namen seines beargwöhnten Verbündeten oder verbündeten Feindes: »OCH-med duh-LA.« Er huschte über den Strand, halb, um Dulla zu begrüßen halb immer noch zum Töten entschlossen, während Dulla schrie und flehte: »Schnell! Die Fetten werden die ganze Küste absuchen, wir müssen weg von hier!«
Mit Sharn-igon an Bord lag das Boot sehr tief im Wasser. Es ging nicht leicht unter, dafür enthielt die Zellhülle zuviel Luft, aber es konnte vollaufen. Beim Überqueren von Breitwasser geschah das oft, und die beiden spritzten dann und schöpften und hielten wachsam Ausschau nach Geistern Darüber, bis sie wieder weiterfahren konnten. Das kleine Segel half, wenn der Wind gleichmäßig blies, aber es gab keinen Kiel. Wenn der Wind umsprang, mußten sie das Segel herunterlassen und paddeln. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, Sharn-igon fühlte sich zunehmend krank, und mit jedem Schlag oder Spritzer hielten die grimmigen Vorwürfe an: »Ohne dich wäre meine Er-Frau noch am Leben.« »Das ist Unsinn, Sharn-igon. Er hat versucht, uns umzubrin gen, wir können nichts dafür, daß er daran gestorben ist.« »Und mein Dorf wurde überfallen und ein anderes Dorf völlig zerstört, und ich selbst bin krank.«
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»Sprich von etwas anderem, Sharn-igon. Sprich von den Versprechungen, die deine Krinpits gemacht haben, daß sie sich dem Angriff auf die Fetten anschließen wollen, und wie sie sie gebrochen haben.« »Ich werde von meinem Leid und meinem Zorn sprechen, Achmed Dulla.« »Dann sprich auch von meinem. Wir haben auch im Kampf mit dir gegen den gemeinsamen Feind gelitten.« »Gelitten?« »Ja, gelitten! Bevor mein Funkgerät zerstört wurde – durch dich, Sharn-igon, durch deine Ungeschicklichkeit! – konnte ich von meinem Lager keine Stimme hören. Sie könnten tot sein, alle!« »Wie viele, Achmed Dulla?« »Ein Dutzend oder mehr!« »Dann sind ein Dutzend oder mehr von euch gestorben. Wieviele von uns? An Personen zweihundert. An Weibchen vierzig. An Jungen – « Aber erst als sie das Breite Wasser überquert hatten und Sharn-igon die Stille seiner Stadt wahrnahm, erkannte er das Ausmaß der Tragödie. Es gab keine ursprünglichen Laute! Es gab nur Echos, und welche Echos! Stets zuvor hatte die Stadt, wenn man das Breite Wasser überquerte, einen wunderschönen, geschäftigen Laut hervorge bracht. Diesmal nicht. Er hörte nichts. Nichts! Kein Murmeln unreifer Männchen am Wasser, die den Fischfang zerteilten. Keine Lieder der Schimmelesser am Großen Weißen Weg. Kein Hämmern von Pfosten, um neue Palisaden an dem gewonnenen Land des Kaps zu errichten. Er hörte das Echo seiner eigenen Laute schwach zurückkehren und erkannte die schattenhaften Umrisse der Ankerfelsen, von einigen Schuppen, von einem oder zwei Booten, von halbzerstörten Gebäuden, von einem Gewirr leerer Panzer. Nichts sonst.
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Die Stadt war tot. Dulla, der Gift-Geist, schnatterte sorgenvoll, und Sharn-igon erkannte die Worte: »Ein neuer Angriff. Alles ist leer. Die Öler müssen zurückgekommen sein, um die Zerstörung zu vollen den.« Er konnte nicht antworten. Stille überkam ihn, ein gewaltiges, trauerndes Schweigen, das so tief war, daß sogar der Gift-Geist sich ihm erstaunt zuwandte. »Bist du krank? Was ist mit dir?« Mit großer Mühe scharrte Sharn-igon die Worte auf seinem Trommelfell. »Ihr habt meine getötet.«
Stadt und alle meine Rückengenossen
»Wir? Gewiß nicht! Die Volksrepubliken können es nicht gewesen sein, wir haben die Kraft nicht mehr dazu. Es müssen die Öler gewesen sein.« »Gegen die uns zu beschützen du geschworen hast!« brüllte Sharn-igon. Er erhob sich auf den Hinterbeinen über Dulla, und der Gift-Geist kauerte sich furchtsam zusammen. Aber Sharn igon stürzte sich nicht auf ihn. Er warf sich nach vorn, aus dem Boot, mit einem gewaltigen Klatschen, daß die Wellen tanzten. Das Wasser war hier seicht. Sharn-igon konnte mit einigen seiner Hinterbeine den schlammigen Boden berühren, und es blieben genug von seinen Atemporen über der Oberfläche, so daß er nicht ertrank. Er hetzte am Ufer entlang und zerteilte das Wasser, in dem vieles schwamm, in einem Schaum-V. Die Tragödie ließ ihn wieder verstummen, bei jedem Schritt und jedem neuen Echo. Tot! Alle tot! Die Straßen leer, bis auf leere Panzer, schon vertrocknet. Die Läden unbesetzt. Die Wohnungen verlassen. Kein lebender Mann, kein Weibchen, nicht einmal dahinflirrende, sirrende Junge. Dulla watete durch den Gestank der toten und schwimmenden Meerestiere, zog das Boot hinter sich her und glotzte.
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»Wie entsetzlich!« rief er. »Jetzt sind wir mehr denn je Brüder, Sharn-igon!« »Alle meine Brüder sind tot.« »Was? Nun, ja. Aber wir müssen wie Brüder sein, um Rache zu nehmen. Wir müssen uns gegen die Öler und die Fetten verbünden.« Sharn-igon bäumte sich auf und preßte ihn an die Wand eines zerstörten Schuppens. »Ich brauche jetzt neue Verbündete, Achmed Dulla«, stieß er hervor und stürzte sich auf ihn. Im letzten Augenblick erkannte Dulla, was geschehen würde, und versuchte zu entkommen. Aber es war zu spät; seine Schnelligkeit genügte nicht, als er sich den zugreifenden Klauen entwand, nur um von der vollen Wucht der mörderischen Chitinfaust getroffen zu werden, die seinen Schädel zertrümmerte. Als Sharn-igon ganz sicher war, daß Dulla nicht mehr lebte, wankte er davon, taumelte durch die vertrockneten Schalen, die einst Freunde gewesen waren, um knarrend an der Wand eines Ladens zu rasten, den er einmal gekannt hatte. Der Tod eines Gift-Geistes mehr befriedigte ihn kaum. Er trauerte nicht einmal mehr um den Tod seiner Stadt. Ein unmittelbarerer Schmerz ergriff ihn. Seine Gelenke peinigten ihn, sein Körper kam ihm aufgedunsen vor, sein Panzer schien an den Fugen platzen zu wollen. Es war nicht seine Zeit, aber es gab keinen Zweifel daran. Allein in dem offenen Grabmal, das einst seine Heimat war, mit keinem, der sich um ihn kümmern konnte, während er hilflos war, begann er sich zu schälen.
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XVIII
Halb zwei Uhr. Major Santangelo, zusammen mit dem PilotIngenieur, der das dritte Schiff zur Landung gebracht hatte. »Gute Nachrichten, Margie. In den Schlechten Bergen, zwei Kilometer hoch, gibt es eine Kohlenader. Dazu können wir Holz und Biomasse verbrennen, und Richy hier sagt, wir können mit den Platten von einem der Landefahrzeuge einen Dampfkessel bauen. Wenn Ihre Turbine kommt, heißt das, daß wir den Generator auf volle Leistung bringen können, fünfzig Kilowatt, ohne unsere Brennstoffreserven anzugreifen.« »Wann?« Santangelo sah den Ingenieur an. »Zehn Tage? Sagen wir, zwei Wochen.« »Sagen wir eine Woche«, knurrte Margie. »Was ist mit Alkohol?« »Nun, Morrissey hat eine Art Hefe – jedenfalls etwas Ähnliches – und kann Gärung erzeugen. Morgen sollte die erste Menge durch den Solar-Destillierapparat kommen. Vermutlich riechen Sie es.« »Saint, ich schmecke es. Ich brauche den Alkohol, um den Flugzeugtreibstoff zu strecken.« »Ich treibe ihn an«, versprach Santangelo. »Tun Sie das«, sagte Margie. Als sie fort waren, griff sie nach dem Telefon und rief im Funkraum an. »Schon eine vermutliche Landezeit?« »Nein, Ma’am. Sie sind noch in der Umlaufbahn und errechnen eine Landung bei minimalem Energieverbrauch.« Sie legte auf. Wenigstens war das Versorgungsschiff in einer Umlaufbahn um Jem, nicht Lichtjahre entfernt. Aber dieser letzte kleine Schritt war ungeheuer anspruchsvoll. Der Kapitän hatte gemeldet, daß seine Manövrierreserve knapp sei und er auf den
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günstigsten Anflug warte. Das konnte Tage dauern! Schlimmer noch. Wenn das Cape sie ohne großzügige Reserven gestartet hatte, hieß das, daß dort ernsthaft etwas nicht stimmte. Noch weniger, als die verschlüsselten Tachtrans-Mitteilungen von der Erde angedeutet hatten, und diese waren schlimm genug gewesen. Sie schaute auf die Uhr. 1.45 Uhr. »Schicken Sie Doktor Arkaschwili herein«, rief sie, und die Ärztin erschien aufs Stichwort, eine Tasse dampfend-heißen schwarzen Kaffee in der Hand. »Medizin, Margie. Aber etwas mehr Schlaf wäre besser für Sie.« Margie schnupperte verzückt an der Aluminiumtasse und trank einen brühend-heißen Schluck. »Wenn sie nur landen würden«, sagte sie nervös. Unter den guten Sachen auf ihrer Liste waren Kaffeebohnen oder Schößlinge oder was man eben brauchte, um Kaffee selbst zu ziehen. Sonst mochten zumindest die nächsten zwei Jahre koffeinfrei sein. Die Öler hatten inzwischen bestimmt schon welchen auf den Feldern, um das scheußliche Zeug zu brauen, das sie in den kleinen Messingtöpfen ausgaben, aber sie würden kaum etwas hergeben. Sie gaben jetzt überhaupt nichts mehr, nicht einmal Informationen über Funk; und die Vaus meldeten sich gar nicht. Wenigstens war dem Bericht der Ärztin zufolge das Lager erfreulich gesund. Die Anti-Allergenstoffe behielten ihre Wirkung bei, und in der Umwelt von Jem gab es sonst nichts, was einen Menschen krank machen konnte. Ein paar mit Kopfschmerzen, vermutlich vom Klima und von der Umstellung auf einen Vierundzwanzigstunden-Tag; Zahnbehandlung; ein Blinddarm, der überwacht werden mußte; ein Antrag auf Samenstrang durchtrennung. »Nein«, sagte Margie scharf, »nehmen Sie keine Vasektomien vor! Und auch keine Bauchspiegelungen!«
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Die Ärztin wirkte nachdenklich. »Sie werden Schwangerschaften bekommen.« »Damit werden Sie ja fertig, nicht? Geben Sie ihnen die Pille, Spiralen, Kondome – alles, was zeitweilig und wieder umkehrbar ist. Ich komme mit einer Spirale gut aus und kann sie mir jederzeit herausnehmen lassen, wenn ich ein Baby will.« »Was Sie vielleicht möchten?« »Was alle Frauen hier vielleicht werden tun müssen, Cheech. Das ist ein Befehl: Jeder, der fähig ist, sich fortzupflanzen, muß fortpflanzungsfähig bleiben. Was macht die Baby-Bank?« »Macht sich gut. Ich habe achtundzwanzig Ova in Tiefkühlung und ungefähr hundert Spermaproben.« »Gut, Cheech, aber nicht gut genug. Ich will, daß man sich hundertprozentig daran hält. Wenn irgend jemandem etwas zustößt, dürfen seine oder ihre Gene nicht verlorengehen. Sie nehmen doch nicht viel Platz weg, oder? Dann will ich, sagen wir, vier Proben von jedem, und – was grinsen Sie?« »Nun, es hat sich nur herausgestellt, daß ein paar von den Ova befruchtet sind. Es geht ihnen gut«, sagte die Ärztin. »Sie halten sich in der Tiefkühlung ewig, aber sobald Sie wünschen, daß sie eingepflanzt werden, brauchen wir uns keine Mühe zu machen, sie erst anzuregen.« »Hm.« Margie kratzte sich versonnen. »Es tut mir fast leid, daß Sie die Probe genommen haben; wir könnten jetzt jederzeit anfangen, Kinder zu bekommen. Wer waren sie? Los, Cheech, nichts da von ärztlicher Schweigepflicht, ich bin Ihre Vorgesetz te.« »Nun, eine war Ana Dimitrowa.« »Donnerwetter! Wessen Kind?« »Sie können sie fragen, wenn Sie wollen. Ich habe es nicht getan.« Margie schüttelte staunend den Kopf.
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»Auf sie wäre ich zuletzt gekommen. Und die andere? – Na, jetzt warten Sie aber mal! Ich kann es doch nicht sein! Die Spirale – « »Die Spirale verhindert nicht, daß ein Ei befruchtet wird. Sie verhindert nur, daß es sich festsetzt und sich entwickelt.« Margie lehnte sich zurück und starrte die Ärztin an. »Hole mich der Teufel«, sagte sie.
Nguyen Dao Tree verspätete sich zu seinem Termin 02.10 Uhr und erschien schläfrig und gereizt. »Ihr Vierundzwanzigstunden-Tag ist nicht angenehm, Margie«, klagte er. »Sie haben keinen Grund, sich aufzuregen, Guy. Ich habe die Schicht von Mitternacht bis acht Uhr übernommen. Wenn Sie während Ihrer Schlafenszeit schlafen würden, statt sich mit allen Frauen im Lager herumzutreiben – « »Was das angeht, Marjorie«, sagte er, »habe ich es vorgezo gen, als Sie und ich noch dieselbe Schicht hatten.« »Ja. Nun. Vielleicht müssen wir da etwas tun, Guy, aber im Augenblick sind wir zu spät dran für die Inspektion.« Sie trank den letzten Schluck Kaffee, der schon kalt war, jedoch immer noch köstlich, und ging voran. Im Grunde funktionierte der Dreischichtentag sehr gut. Auf der positiven Seite war der Umkreis gut bewacht, der bestellte Boden nahm jeden Tag um fast zweitausend Quadratmeter zu, das Ausbildungsprogramm ›Jeder-mit-jedem‹, das Santangelo eingerichtet hatte, damit die Fähigkeiten in der Gemeinschaft sich auf mehrere Personen verteilten (Was war, wenn Chiche Arkaschwili starb? Oder ihre einzige Agronomin?), war angelaufen. Auf der negativen zeigte die Luftaufklärung große Mengen von Krinpits, die durch die Wälder streiften, Kaffee war nicht das einzige Genußmittel, das knapp wurde, und das Versorgungsschiff konnte noch immer keinen festen Landetermin nennen.
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Margie nahm sich jeden Tag eine Stunde Zeit zur Inspektion und nützte jede Minute davon. Kein Quatsch mit weißen Handschuhen. Die Inspektion war rauh und schmutzig; wenn jeder seine Aufgabe erfüllte und alles den Anforderungen entsprach, mußte das so sein. Ihr Großvater in Bastogne hatte nicht darauf geachtet, ob die Soldaten rasiert waren, nur darauf, daß sie kämpfen konnten. Und Margie hatte gelernt, was eine belagerte Festung leisten mußte. Das waren sie. Niemand hatte die Postenlinie angegriffen, nicht einmal ein umherwandernder Krinpit, aber sie waren isoliert in einer Welt von Feinden. Durch Spionsatelliten und Ballon-Wesen, durch das Entschlüsseln von Codes und durch das wenige, das den seltenen Funkkontakten zu entnehmen war, vor allem aber durch den Inhalt der Tasche des Indonesiers hatte Margie sich ein ziemlich klares Bild davon machen können, was die Öler vorhatten. Oder bis vor einigen Wochen vorgehabt hatten. Sie hatten das Lager der Vaus besetzt, sie hatten Personal und Ausrüstung in einer Menge und Vielfältigkeit angefordert, daß sie vor Neid erblaßt war. Selbst ihr Brief an den Weihnachtsmann (der nun in einer Umlaufbahn sein mochte oder nicht, um in ihren Kamin hineinzufahren) war nicht so habgierig gewesen. Sie hatten die örtlichen Autochthonen unterdrückt, offenbar, indem fast alle Krinpits in der Umgebung getötet worden waren und man alle Ballon-Wesen abschoß, die sich in der Nähe blicken ließen. Ihre Wühler schienen sie gezähmt zu haben, und sie setzten sie für Mineralerkundung ein, da es den Anschein hatte, daß die Öler sich auf einem Kuwait von Erdöl und einem Scranton von anderen fossilen Brennstoffen niedergelassen hatten. Sie hatten ein Enzym oder vielleicht ein Hormon entwickelt – die Information war unklar gewesen –, das Krinpits außer Gefecht setzte, indem es sie veranlaßte, sich zu schälen. Sie hatten von ihren Wühlern etwas übernommen, wodurch sie Baustoffe aus Erde herstellen konnten, so wie die Wühler selbst die Innenflächen ihrer Tunnels gehärtet hatten. Sie hatten – guter Gott, was hatten sie nicht getan! Wenn ihr Vater nur auf sie gehört und ihr die Unterstützung gegeben hätte, die sie brauchte, wie gern und wirksam hätte sie dasselbe getan!
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Nicht, daß es schlecht stand, aber für Margie Menninger gab es keinen zweiten Sieger, und die Öler beherrschten in diesem Augenblick den ganzen Planeten. Abgesehen von dem Dutzend Hektar, auf dem ihre Kolonie saß, gehörte alles ihnen. Ihre Flugzeuge tummelten sich nach Lust und Laune, wie die Spionsatelliten erkennen ließen. Sie hatten jetzt drei verschiede ne Kolonien, jene mitgezählt, die früher den vermutlich nicht mehr existierenden Vaus gehört hatte. Und abgesehen von den seltenen Gelegenheiten, bei denen sie es wagte, Kappeljuschni kow auf einen schnellen Erkundungsflug zu schicken (was sollte sie tun, wenn ihr eines, einziges Flugzeug einen ›Unfall‹ erlitt?), war sie blind, bis auf das, was die Satelliten und die wenigen überlebenden Ballon-Wesen mitteilen konnten. Sie hatte sogar Danny Dalehouse Startverbot erteilt. Nicht nur wegen der Gefahr für ihn – aber das war ein Grund für sich, räumte sie im stillen ein; sie wollte nicht, daß er umkam –, sondern auch, weil der Strom, mit dem sein Wasserstoff hergestellt wurde, besser dazu verwendet wurde, die Scheinwerfer zu betreiben, das Lager zu schützen und die Feldfrüchte zum Wachstum zu bringen. Außerdem hatte sie ihn der Agronomin zugeteilt, zusammen mit Morrissey und der Bulgarin – warte mal, dachte sie; Dalehouse und Dimitrowa? Vielleicht. Vermutlich doch nicht. Sie verstanden sich gut, doch nicht so gut. Aber wer dann? Wer ist übrigens der Vater meines eigenen, nun, ja, Kindes? fragte sie sich, während sie Guy Tree ansah, als er von Vorsichtsmaßnahmen für den Fall eines großen Krinpit-Angriffs sprach. Dalehouse? Tree? Dieser Saukerl Sweggert, mit seinen raffinierten kleinen Tricks? Sie waren die wahrscheinlichsten Kandidaten, aber welcher? Zu einer anderen Zeit hätte ein Teil von Margie Menninger mit zynischer Belustigung jenen anderen Teil von Margie Menninger betrachtet, der es wirklich, verdammt noch mal wissen wollte. Im Augenblick hatte sie aber keinen Platz für eine solche Belustigung in ihrem Gehirn. Der Gedanke Nguyen Tree gegenüber zu erwähnen, daß sie beide im Begriff stehen mochten, verzögert Eltern zu werden, tauchte kurz auf wurde
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aber gleich wieder verworfen. Er versprach Komik, aber auch Komplikationen, mit denen sie sich nicht befassen wollte. Alles der Reihe nach. »Gibt es Bogenschützen im Lager?« fragte sie. Tree verstummte mitten im Wort, als er von der Bewaffnung einiger Kanus sprach. »Was?« »Leute, die mit Pfeil und Bogen umgehen können, verdammt. Wir brauchen welche. Ich möchte einen Wettbewerb veranstal ten, als Teil des Sportprogramms.« »Sehr wahrscheinlich, Marjorie. Ich glaube aber nicht, daß es Pfeile und Bogen gibt.« »Wenn sie damit schießen können, wissen sie auch, wie man sie herstellt, nicht? Oder das steht in den Mikrofiches. Kümmern Sie sich darum, bitte, Guy. Wir verteilen Preise. Kaffee, Zigaretten. Ich spendiere eine Flasche Scotch.« Der Gedanke, der ihr gekommen war, als er davon gesprochen hatte, ein leichtes Maschinengewehr in einem Kanu zu montieren, war der, daß die Munitionsvorräte auch nicht ewig reichen würden, aber sie war nicht bereit, das auch nur ihrem Stellvertreter zu sagen. Tree machte ein verwirrtes Gesicht, blieb jedoch stehen, um sich eine Notiz zu machen. »Es wäre eine nützliche Fähigkeit für die Jagd, nehme ich an.« Margie nickte, ohne zu antworten. Was jagen? Alle Tiere, die sie auf der Oberfläche des Planeten gesehen hatten, waren so gut gepanzert, daß sie über jeden selbstgeschnitzten Pfeil nur lachen konnten – ein auffälliger Fehlgriff auf selten der Evolution hier, davon war sie überzeugt. Aber sie ging nicht weiter darauf ein. Als sie das Kraftwerk besichtigten, trabte eine Botin vom Funkzelt heran. »Das Schiff ist auf dem Weg hierher, Colonel«, keuchte sie.
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»Man ist schon beim Umkehrschub. In ein paar Minuten sollten wir es sehen.« »Gott sei Dank«, sagte Margie. »Geben Sie’s über die Laut sprecheranlage durch. Guy, holen Sie zwanzig Leute zum Ausladen. Major Arkaschwili soll sich bereithalten, falls es eine harte Landung gibt.« Es gab keine harte Landung. Aber auch keine richtige. Mit ausgelöstem Bremsfallschirm kam das Raumfahrzeug an den drei Hauptfallschirmen herabgeschwungen, sie wurden zum richtigen Zeitpunkt abgeworfen und die Bremsraketen einge schaltet. Aber das Schiff erreichte den Strand nicht, wo die anderen gelandet waren. Es kam fast einen Kilometer zu früh herunter, sank in den Dschungel und verschwand.
Das Gute dabei war, daß niemand verletzt wurde. Die fünfzehn Personen an Bord erreichten alle aus eigener Kraft das Lager, und zwölf davon waren sowohl jung als auch Frauen: Gott hatte Margies Gebete wenigstens in diesem Punkt erhört. Das Schlimme war, daß man alles aus dem Schiff über achthundert Meter schlechtes Terrain, Dschungel und mehr als ein halbes Dutzend Hohlwege schleppen mußte. Egal, sie waren da. Und als Margie die Frachtliste überflog, atmete sie auf. Alles war da, was sie verlangt hatte, und mehr dazu. Saatgut und Werkzeug, Waffen und Ausbildungs-Handbücher. Es war nicht genug, es konnte nie genug sein. Aber es war alles, was sie sich erhofft hatte. Das Wichtigste war, alles Transportable ins Lager zu schaffen. Das hieß, Arbeitstrupps zu bilden und bewaffnete Begleiter mitzuschicken. In der Nähe der Landestelle war kein Krinpit gesichtet worden, aber die Wälder waren voll von ihnen. Erst als die ersten Trupps, beladen mit Nahrungsmitteln und Mikrofiches, Klapprädern und elektronischen Bauteilen hereinwankten, beruhigte Margie sich soweit, daß sie die Neuankömmlinge begrüßen konnte. Sie drückte jede Hand, nannte jeden Namen
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und überließ sie Santangelo zur Unterbringung. Ein kleiner, farbiger Major blieb zurück. »Ich habe etwas für Sie, Colonel«, sagte er, auf eine Kurierta sche klopfend. »Unter vier Augen, wenn es Ihnen recht ist, Ma’am.« »Kommen Sie mit. Vandemeer, nicht wahr?« Er nickte höflich und folgte ihr ins Büro, wo er seine Tasche auf ihren Schreibtisch legte. »Das ist es, Ma’am«, sagte er und öffnete den Koffer. Es war keine Kuriertasche. Als er die Verschlüsse geöffnet hatte, klappten die Seiten herunter und gaben einen Mikropro zessor mit Flüssigkristall-Anzeige frei. Er berührte eine der Tasten, und sie leuchtete auf und zeigte eine Reihe von dicht aneinanderstehenden Symbolen. »Da ist Ihr Leitsystem, Ma’am. Zwölf Satellitenkiller sind in Umlaufbahnen, und das ist die Steuerung.« Margie berührte das Gerät. Ein Gefühl der Wärme entstand in ihrer Magengrube und breitete sich aus, eine beinahe sexuelle Erregung. »Sie kennen sich aus damit, Vandemeer? Können Sie die Satelliten der Öler finden?« »Ja, Ma’am. Wir haben vier schon geortet und angepeilt, eingeschlossen ihren Haupt-Tachtrans-Empfänger. Auch die Vaus; sie haben zwei, aber sie scheinen nicht in Betrieb zu sein.« Er tippte eine Kombination in den Prozessor ein, und die Farben der Symbole veränderten sich. »Die Grünen sind unsere. Rot sind die Vaus, gelb die Öler. Die noch weißen Zeilen sind Ersatz. Wenn auf zwei Millionen K etwas anderes herankommt, verfolgt und identifiziert es das Leitsystem, und einer der Ersatzvögel peilt sich ein.« Die Wärme breitete sich weiter aus. Das war der wichtigste und größte Wunsch auf Margies Weihnachtsliste gewesen, derjenige, von dessen Erfüllung sie am wenigsten überzeugt gewesen war.
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Jetzt lebten diese Schweinehunde von ihren Gnaden! »Danke, Major«, sagte sie. »Ich möchte, daß Sie mir zeigen, wie man mit dem Ding umgeht, und von da an muß es stets in Ihrem oder meinem Besitz sein, bei jedem zwölf Stunden täglich, bis ich weitere Anweisungen gebe.« »Ja, Ma’am«, sagte er tonlos. »Und ich habe etwas, das Ihnen persönlich zu übergeben Ihr Vater mich gebeten hat.« Es war ein Brief. Kein Mikrofiche. Ein Brief aus Papier, in einem Umschlag, auf dem ihr Name stand, in Godfrey Menningers eigener Handschrift. »Danke, Major«, sagte sie noch einmal. »Beziehen Sie Ihr Quartier und nehmen Sie das Steuergerät mit.« Als er sich abwandte, fügte sie hinzu: »Major? Steht es zu Hause sehr schlecht?« Er sah sie an. »Sehr schlecht«, sagte er. »Ja, das könnte man sagen, Colonel. Sehr schlecht.« Margie hielt den Brief einen Augenblick in der Hand, dann schob sie ihn in die Tasche und ging hinaus, um nachzusehen, wie es mit dem Ausladen voranging, weil sie noch nicht ganz darauf gefaßt war, unzensiert zu hören, was ›sehr schlecht‹ bedeutete. Das Wegstecken trug nicht dazu bei, daß sie sein Vorhanden sein hätte vergessen können. Während sie Sergeant Sweggert einen Anpfiff verpaßte, weil er mit zwei von den neuen Mädchen quatschte, statt Fracht zu holen, betastete sie den Brief. Als sie einen Streit darüber schlichtete, was aus einer Kiste Stablampen geworden sei – »Mensch, Colonel, ich hab’ sie nur einen Augenblick abgestellt, ich dachte, einer von den anderen hätte sie mitgenommen!« – kehrte ihre Hand wieder in die Tasche zurück. Als das Kantinenzelt zur Frühstückspause rief, hielt sie es nicht mehr aus, trug ihr Tablett und den Brief zurück in ihr Büro und las beim Essen.
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›Margie, Liebstes, du hast alles bekommen, alles, was auf der Liste stand. Aber von nun an kommt nichts mehr. Die Öler haben gefordert, daß wir unsere Bohrplattformen aus dem Mittel-Atlantik zurückziehen. Das ist ein Bluff. Wir gehen nicht darauf ein. Aber jeder Tropfen Schubtreib stoff ist jetzt für Raketen beschlagnahmt, bis sie nach geben, und dann ist da noch Peru. Die Vaus haben eine unechte ›Wahl‹ inszeniert, und wir nehmen das nicht hin. Wir werden also auf Monate hinaus, wenn nicht länger, im höchsten militärischen Alarmzustand leben. Ihr seid auf euch allein gestellt, Schatz. Rechne mindestens mit einem Jahr. Und es könnte mehr werden, weil der Präsident mit einem Impeach ment bedroht wird, vielleicht mit Schlimmerem – es hat vorige Woche einen Attentatsversuch mit zwei Panzern der Nationalgarde gegeben. Ich habe ihm gesagt, was er tun soll. Das Kriegsrecht verhängen. Den Kongreß nach Hause schicken. Überall hart zupa cken. Doch er ist Politiker. Er glaubt, er kann das ü berstehen. Aber wenn er es tut, heißt das, daß er für den Rest seiner Amtszeit versuchen wird, sich beim Wähler einzuschmeicheln, und das schließt ein, daß viele wichtige Programme gekürzt werden müssen. Und dazu könntet auch ihr gehören, Schatz. Ich würde dir das nicht sagen, wenn ich nicht der Meinung wäre, daß du es schaffen kannst. Aber es sieht so aus, als würde dir nichts anderes übrigblei ben.‹ Das war alles, nicht einmal eine Unterschrift. Margie saß da, den Brief in der Hand, und Minuten später bemerkte sie, daß sie vergessen hatte, zu Ende zu frühstücken. Sie wollte es nicht mehr. Aber sie gedachte auch nichts zu
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vergeuden. Vor allem jetzt nicht. Sie zwang sich, alles aufzues sen, und erst als sie den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte, wurde ihr klar, daß sich draußen im Lager etwas verändert hatte. Irgend etwas stimmte nicht. Während Sergeant Sweggert aß, hörte er zwei Geräusche, nicht sehr nah und nicht sehr laut. Sie klangen wie Schüsse. Niemand sonst im Kantinenzelt schien etwas bemerkt zu haben. Er schabte den Rest Büchsenschinken und Trockenei vom Teller, griff nach dem großen Stück Brot und schlenderte kauend zum Ausgang. Ein dritter Schuß fiel. Diesmal gab es keinen Zweifel mehr. Irgendein Vollidiot spielte mit seiner Knarre herum. Man konnte es ihm nicht verdenken. Wenn Sweggert einen Krinpit im Visier gehabt hätte, er wäre auch verlockt worden, ihn abzuschießen. Aber drei Schüsse, das hieß Munition vergeuden. Er lief schneller auf die Postenlinie zu. Als er um das Küchenzelt herumkam, sah er ein Dutzend Leute, die alle durcheinanderredeten. Die Schüsse waren oben im Wald gefallen. »Wer ist da draußen?« fragte er scharf und packte Korporal Kristianides an der Schulter. »Aggie und zwei Leute. Sie wollten noch eine Ladung hereinho len, bevor sie sich ums Essen anstellten. Leutnant Macklin ist gerade mit einem Trupp hinterhergegangen.« »Dann setzt euch hin und seid still, bis sie zurückkommen!« befahl Sweggert, aber er selbst gedachte nicht, sich an diese Anweisung zu halten. Es war nicht Aggies Art, im Dschungel herumzuballern. Die Menschenmenge wurde größer; Colonel Tree kam herangetrabt, wie eine kleine Porzellanpuppe, dann ein halbes Dutzend Leute aus dem Kantinenzelt, schließlich Colonel Menninger selbst. Zehn Leute quatschten gleichzeitig, bis Colonel Menninger fauchte: »Ruhe! Da kommt Macklin, mal sehen, was er zu sagen hat.«
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Aber Macklin brauchte kein Wort zu sagen. Er kam den ausgetretenen Weg herunter, den Karabiner im Anschlag, blickte nach links und rechts in den Dschungel, und als er näher kam, sahen sie, daß die beiden Männer hinter ihm etwas trugen. Der letzte Soldat sicherte den Trupp. Was sie brachten, war eine Leiche. Es war eine Frau, und das war alles, was man sagen konnte. Das Gesicht war unkenntlich. Als man sie fallen ließ, zeigte sich, daß man nicht nur über das Gesicht hergefallen war. Ein Arm war bis zur Schulter zerfetzt, zwischen den Brüsten sah man ein Einschußloch. »Krinpits«, zischte Major Santangelo. »Krinpits haben keine Schußwaffen«, sagte Colonel Menninger mit schmalen Lippen. »Vielleicht Krinpits, aber in Gesellschaft. Tree! Zaun prüfen! Ich wünsche, daß alle Waffen besetzt sind und an jedem Punkt Reserven stehen. Santangelo, alle Dienstfreien sammeln lassen. Geben Sie Sweggert und mir zweihundert Meter Vorsprung, dann folgen Sie uns. Sweggert, nehmen Sie drei Leute, Sie und ich sichern.« »Ja ‘M.« Er fuhr herum, nahm Korporal Kristianides ihre gasbetriebene, rückstoßfreie Waffe ab, suchte sich drei Leute aus, und Colonel Menninger hörte sich Leutnant Macklins Bericht an. Er war nur halb den Weg hinaufgekommen, als er die Tote und zwei umgeworfene und geplünderte Kisten gefunden hatte. Wo die beiden anderen Leute waren, wußte er nicht. Er war zurückgekommen, um Verstärkung zu holen. Mehr brauchte Margie Menninger nicht zu hören. Sie überließ ihn Major Santangelo und winkte Sweggert. In Abständen von zwanzig Sekunden stürmten sie über das freie Feld und sammelten sich unter dem Dach eines Viel-Baums. Als Sweggert auf die anderen wartete, konnte er das Rasseln und Stöhnen von Schalenwesen hören, aber nicht in der Nähe. Der nächste Mann, der eintraf, hörte es auch, sah Sweggert an und formte mit dem Mund: Krinpit? Sweggert nickte heftig und legte den Finger an die Lippen. Als Colonel Menninger durch das Schußfeld lief, trabte sie zehn Meter an ihnen vorbei, ließ sich
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auf ein Knie sinken und schaute sich wachsam um, bevor sie eine Hand hob und ihnen das Zeichen gab, vorzurücken. Verdammt haarig, dachte Sweggert. Typisch von dem Weibs bild, ihn für so etwas auszusuchen. Sie hatte etwas gegen ihn, seitdem er sie gebumst hatte. Er winkte die anderen weiter, einen nach dem anderen, zwei auf einer Seite des Weges, den anderen mit ihm auf der anderen, bei Colonel Menninger, und als sie losgestürmt waren, wartete er zehn Sekunden, spurtete und warf sich neben ihr nieder. »Da haben sie sie erwischt«, flüsterte er und deutete auf den Weg, wo Leuchtröhren aus einer Kiste zerbrochen und zertreten herumlagen. »Das sehe ich, Sergeant. Weiter, ich will nicht, daß Santangelo mir in den Arsch rennt.« »Ja ‘M.« Geduckt stürmte er durch das Unterholz und warf sich zu Boden. Das ferne Krinpit-Rasseln war immer noch hörbar, aber nicht nähergerückt. Der Trupp stürmte in Abständen durch den Dschungel, bis das Versorgungsschiff vor ihnen aufragte, davor die zertrampelte Lichtung. Er winkte, um Colonel Menningers Aufmerksamkeit zu erregen, dann deutete er auf die Spitze eines Viel-Baums. Sie nickte, und als er wieder an der Reihe war, hetzte er zum ersten der Stämme, hängte sein Schnellfeuergewehr über die Schulter und kletterte hinauf. Es hatte nicht viel Ähnlichkeit mit dem Ersteigen eines Baumes; es war viel leichter. Die flachen, gewölbten Äste glichen Stufen, und die Stalaktitengewächse dazwischen boten Halt genug. Der einzige Nachteil war, daß man nicht viel sehen konnte. Sweggert mußte zweimal den Platz wechseln, bevor er die Rakete deutlich ausmachen konnte. Was er sah, war der Sockel des Raumschiffs, und unmittelbar davor lagen die Leichen der beiden anderen Soldaten. Sie waren grauenhaft verstümmelt worden. Von einem Krinpit war nichts zu sehen, und die Geräusche, die er gehört hatte, entfernten sich.
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Sergeant Sweggert begann sich ein wenig wohler zu fühlen. Warum, zum Teufel, sollte er sich Sorgen um die Krinpits machen? Sie waren laute Kerle, keiner konnte auf zwanzig Meter an ihn heran, ohne daß er ihn hörte. Und das Schnellfeuer gewehr würde kurzen Prozeß mit ihm machen. Sie mochten allerdings nicht allein sein, dachte er. Vielleicht waren ein paar Öler dabei. Aber was spielte das für eine Rolle? Öler war Öler; Südländer, Araber oder Engländer, und der Tag mußte erst kommen, an dem er sich fürchtete, einem von denen im Wald zu begegnen. Er schob die Mütze zurück und machte es sich bequem. Wenn in der Lichtung etwas auftauchte, würde er es niederballern, und inzwischen genoß er den unterhaltenden Anblick, Margie Menninger lautlos dahinrobben zu sehen, fast genau unter ihm. Auf der anderen Seite der Fährte bewegte sich auch etwas, ebenso lautlos; er richtete seine Waffe darauf und zielte, aber als die Gestalt zwischen zwei Büschen auftauchte, sah er, daß es jemand von seinen Leuten war. Er drehte den Lauf herum und richtete ihn langsam auf Margie Menninger, das Fadenkreuz von ihrem Hinterkopf bis zu den Hüften herabgleiten lassend. Wäre das nicht hübsch, dachte er, wenn er ihr eins verpassen würde, genau in ihren – Ein kaum wahrnehmbarer Laut hinter ihm ließ ihn erstarren. Ein wenig zu spät begriff er einen Fehler in seinem Denken. Krinpits und Menschen waren nicht die einzigen Wesen auf Jem. Als er sich umdrehte, sah er ein mageres, langgestrecktes Geschöpf, länger, als er groß war, mit mindestens einem halben Dutzend Beinen zu ihm heraufklettern, während andere etwas hielten, das wie eine Schußwaffe wirkte. Das verdammte Ding sieht aus, als trüge es eine Sonnenbrille, dachte er erstaunt, während er seine Waffe herumreißen wollte. Er war zu langsam. Er hörte den Schuß nicht, der ihn im Schädel traf. Margie Menninger war als erste wieder im Lager. Sie wartete nicht auf den Abschluß der Säuberungsaktion; als sie wußten, wonach sie suchten, kämmten die vierzig Soldaten die ganze Umgebung durch. Alles, was sie erwischten, waren drei von den Wühlern, aber einer davon war derjenige, welcher Sergeant
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Sweggert getötet hatte. Du bist immer ein Glückspilz gewesen, dachte sie; jetzt brauchst du dir wegen einer Kriegsgerichtsver handlung keine Sorgen mehr zu machen. Sie hielt einen Mann auf, der gerade vorbeikam, und schickte ihn zum Funkzelt, und bevor sie in ihrem Büro war, hörte sie die Durchsage aus der Lautsprecheranlage: »Major Vandemeer! Sofort zum Colonel!« Sie empfing ihn an der Tür. Guter Mann, er kam halb angezo gen daher, aber den Koffer hatte er dabei. »Machen Sie ihn auf«, fauchte sie. »Sie bewaffnen die Wühler gegen uns, mit Schußwaffen und Brillen. Das hat Tinka mir zu sagen versucht. Los, Mann!« »Ja ‘M.« Aber sogar der nicht leicht zu erschütternde Major Vandemeer hatte unsichere Finger, als er den Koffer aufklappte. »Bereit, Ma’am«, sagte er, die Finger über der Tastatur. Die rotlodernde Wut in ihr wurde ausgeglichen von der Wärme in ihrem Unterbauch. Sie kratzte sich heftig und sagte scharf: »Knallen Sie sie ab!« »Wen, Ma’am?« »Die Öler! Sprengen Sie alle ihre Vögel, ohne Ausnahme!« Sie beobachtete das komplizierte Ritual, dann runzelte sie die Stirn. »Und wenn Sie schon dabei sind, gleich auch weg mit den VauSatelliten!«
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XIX
Godfrey Menninger erwachte und fragte sich, wer an seinem Bett wackelte. Niemand tat es. Er war allein in seinem Zimmer, das genauso aussah wie hunderttausend Holiday Inn- oder Howard Johnson’s Motor Lodge-Zimmer auf der ganzen Welt. Auf einem Nachttisch am Bett ein Telefon, der Fernsehapparat glotzte ihn von dem langen Schreibtisch-plus-Kommode-plus-Gepäckstand grau an. Das Telefon war fast das einzige Element, das anders wirkte, denn es war ein Tastengerät, auf dem Lichter hin und her flackerten. Die anderen Elemente des Sonderbaren waren schwerer zu erkennen. Die Vorhänge an einer Wand bedeckten einen riesigen Bildschirm, kein Fenster. Es hatte keinen Sinn, ein Fenster zu haben. Er befand sich zweihundert Meter unter der Erde. Es war 06.22 Uhr. Menninger hatte Anweisung gegeben, um 07.00 Uhr geweckt zu werden. Deshalb war es kein Anruf, der ihn geweckt hatte, und darum gab es nur zwei andere Möglichkeiten: beide nicht erfreulich. God Menninger überlegte, ob er den Hörer abnehmen oder das Fernsehgerät einschalten und die Vorhänge vom LikrisLageschirm zurückziehen sollte, was ihm alles sofort gezeigt hätte, worum es ging. Er entschied sich dagegen. Wenn es sich um eine unmittelbare Drohung gehandelt hätte, wäre er sofort verständigt worden. Margies disziplinierte und abgestufte Methode, Probleme zu lösen, war nicht in West Point gelehrt worden, sondern auf dem Knie ihres Vaters. Wenn sie gut darin war, unerwünschte Gedanken beiseite zu schieben, war er überlegen darin. Er zog seinen Morgenmantel an, ging ins Badezimmer und machte sich mit Wasser aus dem Hahn eine Tasse Pulverkaffee. God Menningers Minuten des Erwachens waren ihm wertvoll. Er war der Meinung, daß seine zwei Ehen gescheitert waren, weil er beiden Frauen nicht hatte klarmachen können, daß man ihn
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unter keinen Umständen in der ersten halben Stunde nach dem Aufwachen ansprechen durfte. Das war Kaffeezeit und Zeit, die Kräfte zu sammeln, und Zeit, sich an das zu erinnern, was er zu tun hatte. Gespräche zerstörten das. Eine Schwäche von Godfrey Menningers Charakter war es, daß er dazu neigte, jeden zu zerstören, der dagegen verstieß. Der Kaffee hatte genau die richtige Temperatur, und er trank ihn wie Medizin, Schluck für Schluck, bis die Tasse leer war. Dann zog er den Morgenmantel aus, ließ sich im Halb-LotusSitz auf dem Bett nieder, entspannte seinen Körper und begann, sein Mantra herzusagen. Godfrey Menninger hatte eigentlich nie begriffen, was mit seinen Neuronen und Synapsen geschah, wenn er transzenden tale Meditation betrieb, und er hatte es auch nie ernsthaft versucht. Es schien in keiner Beziehung zu schaden, außer, daß es ihn alle vierundzwanzig Stunden zweitausend-vierhundert Sekunden kostete. Er sprach selten mit irgendeinem Menschen darüber und brauchte sich also nicht zu verteidigen. Und es schien zu wirken. Wie zu wirken? Was zu wirken? Er hätte es nicht genau sagen können. Wenn er es tat, fühlte er sich zuversichtlicher und in seiner Zuversicht entspannter. Das war kein schlechter Ertrag für eine Investition von weniger als drei Prozent seiner Zeit. Während er dasaß und sein Körper sich von ihm zurückzog, das wiederholte ta-lenn-ta-lenn des Mantra zu einer Art Lauthülle wurde, die ihn umgab, ohne greifbar zu sein, entwickelte sich sein ganzes Gehirn zu einem Rezeptor. Es steuerte nichts bei. Es nahm nur wahr. An der Innenseite seiner Lider sah er Gesichter und Formen, die ineinander übergingen. Manche waren schön, andere Fratzen. Manche waren scharf, wie mit Kaltnadel gestochen. Andere schienen aus Gold gehämmert zu sein. Sie bargen für ihn keinen Gefühlsgehalt. Die Dämonen fratzen schreckten nicht. Das Wunderschöne lockte nicht. Sie waren nur da. Flüchtige Wortketten zogen an seinem Bewußtsein vorbei, wie Gesprächsfetzen vom Nebentisch in einem Restau rant. Sie sprachen von Ultimaten und Megatonnen und einer erinnerten Zärtlichkeit und der Notwendigkeit eines Haarschnitts,
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aber nirgends gab es ein Gebot. Die zirkulierende Erinnerung, die sie an ihm vorbeipumpte, saugte sie ohne Rest wieder auf. Mehr als zweitausend Kilometer entfernt, einen halben Kilometer tief, in einem U-Boot, das zum Erdöl-Block gehörte, löste ein Vizeadmiral der libyschen Marine den Angriff auf Menninger aus. Dieser selbst wußte es nicht. Seine Gedanken entschwebten in allen Richtungen frei in die Unendlichkeit, aber alle Richtungen lagen im inneren Raum seines Ichs. Er hätte, auch wenn er es gewußt hätte, nichts Nützliches dagegen unternehmen können.
Das Bett bewegte sich wieder. Es war kein Erdbeben. In West Virginia gibt es keine Erdbeben, dachte er, als er sich aus der Versunkenheit riß und dabei war, die Augen zu öffnen. Es war härter, als ein Erdbeben gewesen wäre, schneller und trivialer als das langsame Hämmern eines Abrutschens in der Erdkruste. Es war nicht besonders heftig, und wenn er noch geschlafen hätte, wäre er davon vielleicht nicht einmal aufgewacht. Aber es war etwas. Und dann flackerte das Licht. Zweihundert Meter tief in einem Berg in West Virginia sollten die Lichter nicht flackern. Ein 3*9 Pu-Megawatt-Kraftwerk, durch eine Rohrleitung von einem Kilometer mit der anderen Seite des Berges verbunden, war den meisten äußeren Einflüssen gegenüber immun. Blitze schlugen nicht in Transformatoren unter der Erde ein. Winde konnten keine Leitungen niederreißen, weil es keine Freileitungen gab. Und dann erloschen langsam die flackernden Farben am Telefon. Ein einziges rotes Lämpchen leuchtete auf, und der Summer tönte. Er nahm den Hörer ab und sagte: »Menninger.« »Drei Raketen sind angekommen, Sir, Beinahe-Treffer. Keine strukturellen Schäden. Ursprung vermutlich in der Nähe der Provinz Sinkiang. Die Stadt Wheeling ist ausgelöscht.« »Ich komme gleich«, sagte er. Er tauchte noch immer erst aus
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seiner Meditation auf und blickte deshalb nicht auf seinen eigenen Lageschirm, aber er ließ sich auch nicht Zeit zum Duschen oder Rasieren. Er rieb Deodorant in die Achselhöhlen, französischer Hurenduft, aber gut genug, fuhr mit der Bürste über die Haare, zog Overall und Schuhe an und ging mit schnellen Schritten durch den ruhigen, beige ausgelegten Korridor zu seinem Befehlsraum. Der Lageschirm war von einem Ende bis zum anderen hell beleuchtet. »Hier ist Ihr Kaffee«, sagte General Weinenstat. Das war alles, was sie sagte. Sie kannte ihn. Er griff nach der Tasse, ohne sie anzusehen, weil sein Blick auf dem Schirm haftete. Er zeigte eine Mercator-Projektion der Erde. Darin waren rote Sterne Ziele, die vernichtet waren. Grellblaue Sterne waren auch vernichtete Ziele, aber auf der falschen Seite: Das waren Washington und Chikago und Leningrad und Buenos Aires und Hanoi und San Francisco. Durchbrochene rote Profile in den Meeresbereichen der Karte waren vernichtete feindliche Raketenschiffe. Es waren über hundert. Aber es gab auch fast sechzig demolierte blaue. Pulsierende Ziele, rot und blau, waren Zentren, die noch nicht zerstört waren. Es blieben vergleichsweise wenige. Die Zahl verringerte sich, während er zuschaute. Kansas City, Tientsin, Kairo und der ganze Metropolitankomplex von Frankfurt hörten auf zu existieren. Die zweite Tasse Kaffee war nicht Medizin, sondern Wohltat. Er trank einen Schluck und fragte: »Wie ist ihre verbleibende Zweitschlag-Fähigkeit?« »Gering, Godfrey. Vielleicht einhundert Raketen innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden einsatzbereit, aber wir verringern das unaufhörlich. Wir haben fast achtzig. Und nur zwei von unseren harten Anlagen sind angetastet.« »Örtliche Schäden?« »Nun – es gibt viele Opfer. Sonst ist es nicht so schlimm. Die Oberflächenverseuchung liegt innerhalb erträglicher Grenzen,
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jedenfalls in abgeschirmten Fahrzeugen.« Sie winkte einer Ordonnanz, die Tasse nachzufüllen, und fügte hinzu: »Zu früh, um über langlebige Isotopenstrahlung zu sprechen, aber der Weizengürtel scheint soweit in Ordnung zu sein. Ebenso Mexiko und der pazifische Nordwesten. Wir haben das Imperial Valley verloren.« »Wir stehen vorerst also nicht schlecht.« »Das würde ich auch sagen, ja, God.« »Für die nächsten vierundzwanzig Stunden. Dann können sie anfangen, umzustellen.« Sie nickte. Es war bekannt, daß jedes größere Land Raketen und Teile dafür versteckt hatte. Sie waren nicht innerhalb von zehn Minuten einsatzbereit, wie die in den Silos und auf den U-Booten. Sie konnten nicht gestartet werden, indem man auf einen Knopf drückte. Aber man konnte sie auch aus der Ferne nicht vernichten, weil man nicht wußte, wo sie versteckt waren. »Und wir können sie nicht suchen«, fügte er hinzu, »weil die Satellitenkiller uns halb geblendet haben.« »Wir haben sie ganz geblendet, Godfrey. Sie haben kein Auge in einer Umlaufbahn.« »Ja, ja, ich verstehe«, sagte er gereizt. »Wir haben den Austausch gewonnen. Die verdammten Narren. Also, gehen wir an die Arbeit.« Menningers ›Arbeit‹ hing nicht direkt mit dem Austausch von Raketen zusammen, der die Oberfläche der Erde zu größerer Ähnlichkeit mit der Hölle umformte. Das war nicht seine Verantwortung. Sie würde in diesem Stadium weder seinen Rat noch seine Hilfe brauchen, ebensowenig wie die Stabschefs seinen Rat brauchten, solange der eigentliche Kampf noch stattfand. Sein Einsatz würde unmittelbar danach entscheidend sein. Inzwischen hatte einer der verdammten Narren die Program mierung abgeschlossen, und er versuchte nun, genug Leute für einen Start zusammenzubekommen. Das war nicht leicht. Die Neutronenbombe hatte genau das bewirkt, was sie bewirken
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sollte, nämlich die kärglichen Meter Wasser und das Stahlgehäu se seines Unterseebootes zu durchdringen und den Großteil der Besatzung zu töten. Der libysche Vizeadmiral selbst hatte fast fünftausend Rad abbekommen. Er wußte, daß er nur noch Stunden zu leben hatte, aber mit etwas Glück würde seinem Ziel noch weniger Zeit bleiben.
Drei Stunden Schlaf waren nicht genug. Menninger wußte, daß er gereizt und ein wenig benebelt war, aber er hatte seine Leute darin unterwiesen, auch das zu berücksichtigen, und sie taten es. In Abständen von fünf Minuten verschwand die Karte, und der Likris-Schirm zeigte eine Reihe von zehn Sekunden dauernden Anzeigen: Kurven von Industriekapazitäten, die zerstört und noch vorhanden waren, Kurven von Opfern, Staffelbilder von Einschätzungen der Kampffähigkeit. Im Operationsraum neben God Menningers Kommandostand arbeiteten mehr als fünfzig Personen fieberhaft daran, diese Zahlen zu korrigieren und auf den neuesten Stand zu bringen. Menninger beachtete sie kaum. Seine Sorge galt den politischen und organisatorischen Fragen. Rose Weinenstat sprach alle paar Minuten über den Zerhacker mit den Vereinigten Stabschefs, um sie ständig darauf aufmerksam zu machen, daß die mächtigste inoffizielle Person der Regierung sie ständig im Auge behielt. Ihre drei leitenden zivilen Verbindungsleute hielten Kontakt mit Regierungsstellen von Bundesstaaten und Behörden, und Menninger selbst sprach nacheinander mit Ministern, wichtigen Senatoren und einigen Gouverneuren – . wenn man sie finden konnte. »Er ist mit mir nicht zufrieden«, erklärte General Weinenstat. »Vielleicht sollten Sie ihm eine Minute opfern, Godfrey.« »Scheiße.« Menninger legte seinen Stift genau an die Stelle des Remobilisierungsbefehls, wo er aufgehört hatte zu lesen, und nickte ihr zu, damit sie durchstellte.
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Das Gesicht auf seinem Telefon-Bildschirm gehörte dem Marschall Bressarion von der Roten Armee, aber die Stimme war die seiner Dolmetscherin. »Der Marschall stellt nicht in Frage«, sagte ihre Stimme, die blechern aus dem Zerhacker tönte, »daß Sie und die Vereinigten Stabschefs auf Anordnung des Präsidenten handeln, aber er möchte gerne wissen, wer eigentlich der Präsident ist. Wir sind uns im klaren darüber, daß Washington nicht mehr existiert, und daß Tresor Eins und Tresor Zwei geknackt sind.« »Der derzeitige Präsident«, sagte Menninger, geduldig seine Gereiztheit bezwingend, »ist Henry Moncas, der Sprecher des Repräsentantenhauses war. Die Nachfolge entspricht unserer Verfassung.« »Ja, gewiß«, sagte die Dolmetscherin, nachdem Bressarion zugehört und auf russisch etwas gebellt hatte, »aber der Marschall war nicht in der Lage, ihn zu erreichen, um sich das bestätigen zu lassen.« »Es hat Kommunikationsprobleme gegeben«, gab Menninger zu. Er sah am Telefon vorbei, wo Rose Weinenstat mit den Lippen die Worte ›unterwegs‹ formte. »Außerdem wird mir mitgeteilt«, fuhr er fort, »daß der Präsident dabei ist, zu einem sicheren Ort zu gelangen. Wie der Marschall einsehen wird, erfordert das eine Nachrichtensperre.« Der Marschall hörte ungeduldig zu und sprach dann einige Sekunden mit großer Schnelligkeit russisch. Die Stimme der Dolmetscherin klang beträchtlich gepreßter, als sie sagte: »Das verstehen wir durchaus, aber die Kette der Vollmachten ist etwas unklar, und der Marschall wäre sehr dankbar, wenn er direkt von ihm hören könnte…?« Das Bild verblaßte. General Weinenstat sagte erklärend: »Ich hielt es für angebracht, Leitungsschwierigkeiten auftreten zu lassen.« – »Gut gemacht. Wo ist der Kerl überhaupt?« »Henry? Ach, dem fehlt nichts, Godfrey. Seit einer guten
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Stunde verlangt er, daß Sie sich bei ihm melden.« »Hm.« Menninger dachte kurz nach. »Passen Sie auf, schicken Sie einen strahlungssicheren Trupp, der ihn herbringt, damit ich Bericht erstatten kann. Lassen Sie sich nicht abweisen. Sagen Sie ihm, hier sei er sicherer als in seinem eigenen Loch.« Er griff nach dem Bleistift und kratzte sich am Bauch. Der Magen rebellierte. Er wollte Orangensaft, um seinen Blutzucker aufzubauen, einen Stapel Pfannkuchen als Unterlage für die nächste Tasse Kaffee und diese Tasse Kaffee. Er wollte sein Frühstück und wußte, daß er mürrisch war, weil er Hunger hatte. »Dann werden wir sehen, wer Präsident ist«, sagte er vor sich hin. Am Rande von Bahia de Campeche hatte der libysche Admiral seine Leute zusammengeholt und sein U-Boot auf zweihundert Meter hinaufgebracht, wo es geradeaus und ruhig lief. Keiner von ihnen war auf dem Damm, die meisten litten unter Prodromal-Durchfall und so häufigem Erbrechen, daß das ganze Schiff wie eine Latrine roch. Aber sie konnten ihre Aufgaben durchführen. Zumindest für einige Zeit. Sie taten es. Libyens Marinedoktrin verlangte eine ganz große Rakete, statt ein paar Dutzend kleiner. Als diese eine große im Golf aus dem Wasser schoß, wurde sie augenblicklich von einem Dutzend Radaranla gen erfaßt. Die erschreckten, aber noch ungerührten Touristen auf ihren Balkonen in Merida sahen grelle, schlimme Lichter draußen im Westen über dem Wasser, als ein kubanischer Kreuzer sich einpeilte und ABMs abfeuerte. Keine davon erwischte sie. Es war ein Marschflugkörper, nicht ballistisch, leicht zu identifizieren, aber schwer zu berechnen, als er nach Nordnordwest auf Florida zuflog. Ein dutzendmal griffen Abwehrwaffen danach, als die Rakete die Küste überquerte, dann war sie verschwunden. Es gab genug Anlagen unterwegs, die den Auftrag hatten, eben solche Eindringlinge zu entdecken und zu vernichten, aber keine mehr, die funktionierten.
Das letzte Bild von Margie zeigte sie mit einem Fuß auf der
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Schale eines toten Krinpits; sie sah müde und erhitzt und glücklich aus. Es war ein so gutes Bild seiner Tochter, wie God es seit ihrer Zeit auf dem Bärenfell nicht mehr gesehen hatte, und er hatte es für seine Brieftasche zu einem harten Abzug vergrößern lassen. General Weinenstat betrachtete es gründlich und gab es zurück. »Sie macht Ihnen Ehre, God«, sagte sie. Er sah es kurz an und steckte es wieder ein. »Ja. Ich hoffe, sie hat ihr Material bekommen. Können Sie sich ihre Mutter vorstellen? Ich habe ihr erzählt, Margie brauche Stoffmuster, und sie wollte ungefähr tausend Meter Stoff mitgeben.« »Nun, wenn Sie es ihrer Mutter überlassen hätten, sie aufzu ziehen, bekäme sie nicht die Leistungsnoten, die Sie mir gezeigt haben.« »Das wohl nicht.« Die letzte Beurteilung hatte nichts als Lob enthalten, jedenfalls bis zum Bericht des Psychologen: ›Latente Feindseligkeit gegenüber Männern, infolge frühen Ehetraumas und leichten, umgekehrten Ödi puskomplexes. Gut kompensiert. Wirkt sich auf die Erfüllung der Dienstpflichten nicht aus.‹ Ich hoffe, daß dem wirklich so ist, dachte Godfrey Menninger. Rose Weinenstat sah ihn prüfend an. »Sie machen sich doch keine Sorgen um sie, oder? Denn das ist ganz unnötig – Augenblick.« Sie berührte an ihrem Ohr etwas, das wie eine Hörhilfe aussah, aber keine war. Ihre Miene wurde ernst. »Was ist?« Sie schaltete das Gerät ab. »Henry Moncas. Sein Bunker hat einen direkten Treffer abbekommen. Sie versuchen jetzt herauszubekommen, wer
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Präsident ist.« »Scheiße!« Godfrey Menninger starrte auf sein Frühstückstab lett, ohne etwas zu sehen. »Ach, Scheiße«, sagte er noch einmal. »Es sieht schlecht aus, Rosie. Das Schlimmste ist, daß wir nie eine Wahl hatten.« General Weinenstat wollte etwas sagen und überlegte es sich anders. »Was wollten Sie sagen, Rosie?« Sie zuckte die Achseln. »Nachher klüger zu sein, hat keinen Sinn, nicht?« »In welcher Beziehung?« sagte er scharf. »Los, Rosie!« »Nun – vielleicht der Einmarsch in Kanada – « »Ja. Das war tatsächlich ein Fehler. Ich gebe es zu. Aber nicht der unsere! Die Öler wußten, daß wir ihre Truppen in Manitoba nicht dulden konnten. Das war Tarn Gulsmits Fehler! Bei den Vaus dasselbe. Als wir einmal angefangen hatten, mußten wir Lop Nor erledigen – rasch, sauber, mit einem Minimum an Verlusten. Sie hätten es hinnehmen sollen, statt Vergeltung zu – « Aber er konnte Stimmen in sich hören, die es bestritten, die wie Tarn Gulsmit und Erbe Maos sprachen. »Wir riskierten nichts, die Truppen einzusetzen, weil wir wußten, daß Sie sich eine Invasion nicht leisten konnten. Sie hätten Lop Nor nicht bombardieren sollen. Sie hätten wissen müssen, daß wir Vergeltung üben mußten.« Die Stimmen in God Menninger waren die einzigen, die sie noch jemals haben würden. Erbe Maos lag mit hervorquellenden Augen und hinausgetriebener Zunge tot im Tiefbunker unter Peking, und die Atome, die einmal Gulsmits Körper gewesen waren, fielen aus der Feuersäule über Clydeside herab. Die libysche Rakete hatte Atlanta und Asheville und Johnson City passiert und ihr Terrain mit den in seinen Speichern vorhandenen Profilen verglichen. Die Sicherheitsverriegelungen
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am thermonuklearen Sprengkopf klappten der Reihe nach auseinander, als das winzige, paranoide Hirn die Nähe dessen zu erkennen begann, das zu zerstören es ausgeschickt worden war. »Es ist schlimm«, sagte Godfrey Menninger schließlich und stand auf, um an seinen Schreibtisch zurückzukehren. Vielleicht hätte er Margie von ihrer Mutter aufziehen lassen sollen. Dann hätte Margie inzwischen wohl einen Mann und ein paar Kinder. Und vielleicht – vielleicht wäre die Welt ein anderer Ort gewesen. Er fragte sich, ob er jemals wieder etwas von ihr hören würde. »Rosie«, sagte er, »rufen Sie Houston. Stellen Sie fest, ob die Verbindung mit Jem hält. Mit den anderen Kolonien natürlich auch, versteht sich.« »Sofort, Godfrey? Lassen Sie mir zehn Minuten, ein Anruf vom Verteidigungsministerium kommt.« »Gut, in zehn Minuten«, sagte er, aber bevor die zehn Minuten abliefen, war er tot.
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XX
Das Boot tauchte erstmals zwischen Regenschauern auf, weit draußen auf dem Wasser. Im Graben neben Ana Dimitrowa stand Korporal Kristianides – nein, jetzt Leutnant Kristianides, verbesserte sie sich – auf und richtete das Fernglas hinaus. »Krinpit«, sagte sie, »Mistkerl. Zielen Sie darauf, Nan. Aber nicht schießen, bevor ich es sage.« Unnötiger Befehl! Nicht für Welten hätte sie gefeuert. Nicht, bis sie selbst sah, daß nur Krinpits im Boot waren, und nicht Achmed Dulla. Vielleicht selbst nicht einmal dann, denn dieser Wahnsinn mit Waffen und Schießen war selbst im Spiel grauenhaft. Sie hatte noch nicht auf ein lebendes Wesen feuern müssen und war durchaus nicht sicher, daß sie es konnte; hatte das auch gesagt, aber niemand wollte es hören. Das Gute an ihrem Maschinengewehr war nur, daß es ein Zielfernrohr besaß, und mit diesem zielte sie gern. Das Boot verschwand in einer Regenbö, aber nicht bevor sie gesehen hatte, daß kein Mensch darin saß, obwohl es groß genug war für mehrere. Als es wieder auftauchte, war es näher herangekommen, und sie konnte sehen, daß der eine Krinpit fieberhaft arbeitete, Wasser schöpfte, das Dreieckssegel festhielt und paddelte, um direkt ans Lager zu gelangen. Inzwischen hatten alle es gesehen, und mindestens ein Dutzend Waffen war darauf gerichtet. Über die Lautsprecheranlage schrillte Colonel Trees Stimme einen Befehl, nicht zu schießen. Unten am Strand stand Marge Menninger, ein rückstoßfreies Schnellfeuergewehr unter dem Arm, ohne den Regen zu beachten, der sie durchnäßte. Ana wischte sorgfältig die Feuchtigkeit vom Zielfernrohr, wie man es ihr beigebracht hatte, und schaute wieder hindurch. Sie hatte keine Erfahrung darin, einzelne Krinpits zu unterscheiden, aber dieser kam ihr nicht bekannt vor. Die Enttäuschung einer Hoffnung. Aber was für eine unsinnige Hoffnung, rügte sie sich. Wie unwahrscheinlich, daß Achmed
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noch einmal wie durch ein Wunder auftauchen würde. Und selbst wenn, wer war dieser Achmed, der sie genommen und benützt und wieder verlassen hatte? Er war nicht der Mensch von Sofia, dachte sie düster, nahm sich zusammen und versuchte konstruktiver zu denken. Es ging nicht. Es gab so wenig, worüber man konstruktiv nachdenken konnte. Die Welt, die sie verlassen hatte, sprengte sich selbst in die Luft, und die Welt, zu der sie gekommen war, schien entschlossen zu sein, es ihr nachzumachen. Was in den geheimen Besprechungen zwischen Margie Menninger und ihren Kriegshelden im Kommandozelt vorging, wußte sie nicht und wollte es nicht wissen. Aber es mochte durchaus für sie alle den Tod bedeuten. Der Krinpit war jetzt im Seichten. Er stand auf, sprang über Bord, und das Boot schwamm davon, als er an Land wankte. Er schien in schlechter Verfassung zu sein. Er taumelte ans Ufer und stürzte dann krachend zu Boden, während Colonel Menninger und ein halbes Dutzend ihrer Soldaten vorsichtig einen Kreis darum bildeten. Vielleicht töten sie ihn, dachte sie. Nun, mochten sie. Alle anderen standen und starrten hinunter, aber Anas Aufmerksam keit irrte ab, bis einer der Schützen auf sie zugelaufen kam. »Dimitrowa, sofort antreten!« rief er. »Es ist der eine, der Paki spricht! Sie sollen dolmetschen!«
Im Alter von neunzehn Jahren (vorzeitig höheres Semester an der Universität von Sofia, Kandidatin für die Callosektomie, die für immer ihre beiden Gehirnhälften durchtrennen und zu einer hervorragenden Laufbahn als Dolmetscherin führen sollte) hatte sie sich einen Film über das Thema angesehen. Nicht freiwillig. Man nahm ihren Antrag ohne das nicht an. Der erste Teil war ziemlich langweilig, wenn auch lehrreich, indem er die Anatomie jenes gefühl- und wehrlosen Kilogramms rötlichgrauen Puddings beschrieb, der vermittelte und umformte und alle Sinne und
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Abwehrkräfte des Körpers befehligte. Vor ihren Augen nahm ein Chirurg ein menschliches Gehirn in seine Hand und entfernte Gewebe, um die große, talgige Brücke zu zeigen, die beide Hälften miteinander verband, und die zu durchtrennen sie selbst jemanden bitten würde. Es gab eine schwer zu verstehende lange Erklärung darüber, wie Nerven sich kreuzten, so daß die rechte Gehirnhälfte die Verantwortung für die linke Körperhälfte zu übernehmen schien und umgekehrt: seltsame Verschroben heit der Anatomie! Sie sah, wie die Nerven, die Seheindrücke vermittelten, sich am optischen Chiasma kreuzten – aber nicht völlig, so als hätte die launenhafte Evolution genug von diesem Streich gehabt und beschlossen, ihn nicht fortzusetzen. Dieser ganze Teil des Films war schwer zu verstehen und unbehaglich anzusehen. Aber dann gab es ein paar komische Dinge. Jede Hälfte des Gehirns beherrschte ihr eigenes Netz von Empfin dungs- und motorischen Nerven. Die motorischen Nerven wurden bei der Durchtrennung verschont oder später wieder angeschlossen, das war der Grund dafür, warum die Menschen mit durchtrenntem Gehirn gehen konnten, ohne zu stolpern. Die meiste Zeit. Die Empfindungsnerven bleiben getrennt. So konnte jede Gehirnhälfte ihre eigene Information aufnehmen, verarbei ten und speichern, nicht in Gemeinsamkeit mit der anderen: Das war der Grund, weshalb das Übersetzen leicht wurde. Aber. Aber manche Arten von Empfindungseingaben waren nicht wertfrei. Sie riefen Drüsenreaktionen hervor. Sie erzeugten Gefühle. Daraus ergab sich das Komische. Der Film zeigte eine Frau, eine der ersten Freiwilligen für den Eingriff. Sie hatte in einem Ohr einen Hörstöpsel und las einen vorgegebenen Text laut vor. Der Kommentator im Film erklärte, was sie tat: Sie dolmetschte eine Rede bei einem Mathematikerkongreß. Aber während eine Hälfte ihres Gehirns las und übersetzte und sprach, hörte die andere Hälfte die Worte, die aus dem Stöpsel drangen, und diese Worte waren die schmutzigsten Witze, die man sich vorstellen konnte. Die Frau begann zu stammeln und zu stocken, und ihr Gesicht wurde blutrot, obwohl die arbeitende
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Hälfte ihres Gehirns nicht die geringste Ahnung hatte, warum. Rotwerden. Stottern. Kopfschmerzen. Depressionen. Sie waren die Symptome eines Überlaufs zwischen den beiden Hälften. Das Narbengewebe, das den Impulsstrom durch das Corpus Callosum blockierte, ließ jede Hirnhälfte leistungsfähig für sich selbst arbeiten. Aber Gefühle drangen durch. Die ganze Zeit, während Ana Dimitrowa für Colonel Menninger dolmetschte, konnte sie spüren, wie sie auf sie einhämmerten. »Er sagt, daß er, daß die Volksrepubliken keinen Faktor mehr darstellen und er uns gegen den Erdöl-Block helfen möchte.« »Ist ja toll. Was will er tun? Die Leute mit seinen scharfen kleinen Füßen totkratzen?« Und der Kopfschmerz war der ärgste, den sie je gehabt hatte: Übelkeit erregende Sandsackhiebe auf ihren Nacken. Sie fühlte sich schlecht, und der Krinpit linderte da nichts. Sharn-igon war abstoßend krank. Selbst die dumpfe, unaufhörliche Wieder holung seines Namens – Sharn-igon, Sharn-igon – klang fehler haft, wie aus einem kaputten Radio. Seine Schale war von kränklichem Gelb, statt von dem satten Mahagoniton, den sie früher gehabt hatte. Sie hatte Risse und Fugen. An den Rändern, wo die Unterschale an den dicken oberen Panzer heranreichte, paßten Fugen nicht ganz zusammen, und eine dünne, faulige Flüssigkeit quoll heraus. »Er hat sich geschält«, erklärte sie Colonel Menninger, »und er hat das Gefühl, er wird sich wieder schälen. Vielleicht liegt es an den Chemikalien, die von den Erdöl-Leuten gegen sie eingesetzt werden.« »Sie sehen selbst nicht sehr gut aus, Dimitrowa.« »Ich kann durchaus weitermachen, Colonel Menninger.« Trotzdem entfernte sie sich von dem Krinpit. Die Ausdünstungen seiner Schale hatten den Sand rundum dunkel gefärbt, und es roch wie ranziges Fett. Daß sie Abstand hielt, nützte nichts. Der Kopfschmerz und die Qual dahinter nahmen mit jedem
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Augenblick zu. Margie Menninger fuhr mit der Hand durch ihre nassen Haare und zog sie nach hinten, so daß die Ohren freilagen. Sie sah beinahe wie ein kleines Mädchen aus, als sie sagte: »Was meinen Sie, Guy? Haben wir uns einen echten, blutgierigen Tiger eingefangen?« »Einen Verbündeten weist man nicht ab, Margie«, sagte Tree. »Aber die Öler würden diese Kerle fertigmachen.« »Was sagt er also genau, Dimitrowa? Daß er all seinen Freunden sagen wird, sie sollen das Öler-Lager angreifen, wenn wir das wollen?« »So ungefähr, ja. Was er sagt, ist nicht immer leicht zu verstehen, Colonel Menninger«, antwortete sie. »Er spricht ein wenig Urdu, aber nicht viel, und er spricht es sehr schlecht. Außerdem irrt er immer wieder ab. Es ist eine persönliche Sache für ihn, das Töten. Egal, wen. Manchmal sagt er, er möchte mich töten.« Menninger sah den Krinpit abschätzend an. »Ich glaube nicht, daß er in der Verfassung ist, viele zu töten.« »Muß man dazu gesund sein?« fuhr Ana auf. »Ich bin innerlich krank, vom Töten zu reden und vom Töten selbst! Es ist ein bösartiger Wahnsinn, zu töten, wenn nur noch so wenige Leute leben!« »Was das angeht«, sagte Margie ruhig und hob die Hand, um zu verhindern, daß Guy Tree explodierte, »unterhalten wir uns darüber ein andermal. Sie sehen beschissen aus, Dimitrowa. Gehen Sie schlafen.« »Danke, Colonel Menninger«, sagte Ana steif und haßte sie, haßte vielleicht noch mehr den Ausdruck des Mitgefühls in ihren Augen. Wie wagte diese gemeine Schlampe, sie zu bemitleiden! Ana ging zu ihrem Zelt. Es regnete wieder stark, und über dem Wasser zuckten die Blitze. Sie nahm fast nichts wahr. Bei jedem Schritt peinigte das Plusieren in ihrem Kopf sie, und sie wußte,
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daß hinter dem Kopfschmerz etwas Qualvolleres hinauswollte. Mitleid war das Mittel, das den Damm schmelzen und es durchfluten lassen würde, und sie wollte allein sein, wenn das geschah. Sie schlüpfte ins Zelt, ohne ein Wort zu der Frau zu sagen, die es mit ihr teilte, zog nur ihre Schuhe und die Hose aus und vergrub sich unter der Decke. Beinahe augenblicklich begann sie zu weinen. Ana gab keinen Laut von sich, ihr Körper wurde nicht geschüt telt, sie warf sich nicht herum. Es war nur das stockende Ungleichmaß ihres Atmens, das die Farbige auf dem anderen Feldbett veranlaßte, sich auf einen Ellenbogen hochzuschieben und zu ihr hinüberzublicken. Aber Ana sagte nichts, und die andere schlief wieder weiter. Ana schlief nicht. Eine Stunde und länger. Sie weinte lange Zeit lautlos, ohnmächtig, die Qual noch länger einzudämmen. Hoffnungen dahin, Freuden verwehrt, Träume zerflossen. Sie hatte sich dagegen gewehrt, hinzuneh men, was der Krinpit beinahe gleich mit dem ersten Satz gesagt hatte, und jetzt ließ es sich nicht länger ableugnen. Es gab keinen Grund mehr für sie, auf Jem zu sein. Es gab kaum einen Grund, weiterzuleben. Achmed war tot.
Sie erwachte zu den lauten, ungereimten Tönen von Tanzmu sik. Der Sturm lautlosen Weinens hatte ihr Gemüt reingefegt, und der tiefe und traumlose Schlaf danach hatte die Heilung eingeleitet. Ana war ganz gefaßt, als sie am Ende der Zeltreihe kurz duschte, ihre Haare trocken bürstete und sich anzog. Die Musik war natürlich jene andere Absonderlichkeit Margie Menningers, der samstägliche Tanzabend. Wie eigenartig sie war! Aber ihre Seltsamkeit war nicht rundheraus unwillkommen. Eine ihrer Früchte waren die Muster und Stoffe gewesen, die das letzte Schiff gebracht hatte, und so suchte Ana sich eine einfache Bluse nebst Rock aus, nichts Ausgefallenes, aber auch nichts rein Zweckdienliches. Sie war weit davon entfernt, tanzen
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zu wollen, aber sie hatte auch nicht vor, jenen, die Spaß daran hatten, die Freude zu verderben. Sie ging am Generator vorbei, wo der Krinpit hohl vor sich hin murrte, während er in den Haufen brennbarer Vegetation nach Eßbarem suchte, hinter sich einen Bewacher mit Schnellfeuer gewehr. Sie besuchte die Umgebung der Tanzfläche lange genug, um sich vom Büfett etwas zu essen zu holen. (Natürlich, sie hatte zwei Mahlzeiten verschlafen.) Wenn Männer sie zum Tanzen aufforderten, lächelte sie und dankte ihnen kopfschüt telnd. Der Regen hatte aufgehört, und Kung schwelte rot am Himmel. Sie nahm einen Teller mit Käse und Keksen und schlüpfte davon. Nicht, daß sie weit hätte gehen können. Spaziergänge im Wald machte niemand mehr. Man lebte und aß und schlief auf einer Fläche, die man in drei Minuten im Laufschritt durchqueren konnte. Aber alle, die konnten, waren beim Tanz, und unten am Strand gab es nur die Außenposten. Sie setzte sich, lehnte sich mit dem Rücken an einen der MGTürme und aß. Dann stellte sie den Teller neben sich, zog die Knie bis ans Kinn und starrte auf die purpurroten Wellen. Achmed war tot. Es war kein großer Trost, sich zu sagen, ihre Träume wären von Anfang an albern gewesen, Achmed hätte sie nie so ernst genommen wie sie ihn. Nichtsdestoweniger war es so, und Ana Dimitrowa war ein praktisch denkender Mensch. Sie hatte den Trick gelernt, Schmerz in seine Teile zu zerlegen. Daß sie ihn nie wiedersehen, nie mehr seinen kräftigen, biegsamen Körper berühren, nie mehr neben ihm liegen würde, während er schlief – das verursachte unverhüllten Schmerz, gegen den nichts half. Aber daß sie ihn nie heiraten und seine Kinder zur Welt bringen und mit ihm alt werden würde – das war nur ein zerstörtes Hirngespinst. Wirklichkeit war das nie gewesen. Dieser Verlust konnte sie jetzt nicht treffen, weil es um etwas ging, das sie nie besessen hatte, und so wurde ihre Qual um die Hälfte vermin dert. (Aber, oh, wie diese andere Hälfte weh tat!)
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Sie weinte einen Augenblick leise und unverhüllt, dann seufzte sie und rieb sich die Tränen aus den Augen. Was sie verloren hatte, sagte sie sich, hatte sie längst verloren. Von dem Augenblick an, als Achmed nach Jem gekommen, war er ein anderer Mensch gewesen. So oder so, es war vorbei. Sie mußte sich ihr Leben einrichten, und alles, was sie dazu brauchte, gab es in diesem Lager, nirgendwo anders. Du solltest tanzen, rügte sie sich. Du solltest hinaufgehen, wo sie lachen und singen und trinken. Sie wollte ganz einfach nicht. Es lag nicht allein daran, daß sie nicht tanzen wollte, noch nicht. Es lag tiefer und war schwerwie gender. Ana hatte, als sie für den Krinpit dolmetschte, genug von dem gehört, was in Margie Menninger und Nguyen Tree und den anderen Falken vorging, die über das Schicksal des Lagers bestimmten. So viel Wahnsinn in so wenigen Gehirnen! Sie waren entschlossen, einen Krieg fortzuführen, selbst hier, selbst nachdem die Erde sich schon ins Elend bombardiert hatte. Und doch hüpften sie alle auf der Tanzfläche herum und lächelten. Ihr eigenes Gehirn war von einem Chirurgenskalpell durchtrennt worden. Was hatte ihre Hirne durchtrennt, so daß sie am Nachmittag Völkermord planen und am Abend trinken und tanzen und ihre sexuellen Spiele treiben konnten? Wie würde Achmed sie verachten! Aber Achmed war tot. Sie atmete tief ein und beschloß, nicht mehr zu weinen. Sie stand auf und reckte ihre verkrampften Glieder. Der Krinpit kroch langsam zum Wasser hinunter, um zu trinken, nachdem er seine unappetitliche Mahlzeit eingenommen hatte, und der Soldat folgte dem Wesen. Sie wollte nicht unbedingt in seiner Nähe sein, aber sie mußte ihren Teller abwaschen, entweder das oder ihn zum Küchenzelt zurückbringen, das zu nah am Tanzboden stand. Sie hielt Abstand, als sie denselben Weg wie die Kreatur nahm, dann hörte sie, daß jemand ihren Namen rief. Es war der russische Pilot, Kappeljuschnikow, der mit gekreuz ten Beinen an einem Schützengraben saß und sich mit Danny
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Dalehouse unterhielt, der dort Wache schob. Warum nicht? Ana ging auf sie zu und wünschte ihnen einen guten Abend. »Ist wirklich gut, Anjuschka? Aber Danny Dalehouse hat mir vom Tod von Achmed Dulla erzählt. Ich fühle tief mit Ihnen.« Da war es, das erstemal, daß jemand mit ihr darüber sprach. Sie entdeckte, daß es ihr nicht unmöglich war, darauf einzuge hen. »Danke, Wisha«, sagte sie gefaßt. »Was, sind Sie ein Mönch geworden, daß Sie heute nicht tanzen?« »Ist keine, mit der ich möchte tanzen«, sagte er düster. »Außerdem habe hochinteressante Diskussion gehabt mit Danny über Thema Sklaverei.« »Und zu welchen Schlüssen sind Sie gekommen, Danny?« fragte sie lebhafter. »Sind wir alle Sklaven Ihrer Geliebten, der schönen blonden Colonel Menninger?« Er antwortete nicht direkt, sondern versuchte zu beschwich tigen. »Ich weiß, Sie sind verstört, Ana. Mir tut es auch leid.« »Verstört?« Sie nickte und sah in den Graben hinein. »Ja, vielleicht. Ich muß davon ausgehen, daß meine Heimat zerstört ist – wie die Ihre auch. Aber Sie sind tapferer als ich. Ich bin nicht tapfer; ich gerate aus der Fassung. Es verstört mich, daß das, was auf der Erde geschehen ist, jetzt auch hier geschehen soll. Es verstört mich, daß mein – daß mein Freund tot ist. Es verstört mich, daß Colonel Menninger vorhat, noch viele Menschen zu töten. Können Sie sich das vorstellen? Sie will einen Tunnel unter das Erdöl-Lager graben und eine Atombombe zünden, und das verstört mich.« Warum tust du das, fragte sie sich; aber sie wußte, daß sie kein Mitgefühl mehr ertragen konnte, ohne zu weinen, und sie war nicht bereit, vor diesen Männern zu weinen. Wenigstens hatte sie sie abgelenkt. Dalehouse runzelte die Stirn.
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»Wir haben keine Atomwaffen«, wandte er ein. »Naiver Mensch!« sagte sie verächtlich. »Ihre Geliebte hat, was sie haben will. Es würde mich nicht wundern, wenn sie eine Flotte von U-Booten oder eine Panzerdivision hätte. Sie trägt Waffen, wie sie dieses billige Parfüm trägt; sie riecht immer nach ihnen.« »Nein«, sagte er beharrlich und sah zu ihr auf, »Sie irren sich bezüglich der Atomwaffen. Sie könnte die vor uns nicht verbergen. Und sie ist nicht meine Geliebte.« »Bilden Sie sich nicht ein, daß mich das interessiert. Sie kann ihre sexuellen Exzesse betreiben, mit wem sie will, und Sie können es auch tun.« Kappeljuschnikow hustete. »Ich glaube, Tanz ist plötzlich geworden attraktiver«, sagte er. Als er aufstand, legte Ana die Hand auf seinen Arm. »Ich treibe Sie fort, Anjuschka. Sind schwere Zeiten für alle, nichts zu entschuldigen.« Er tätschelte ihre Hand, dann grinste er und küßte sie. »Was mich angeht«, sagte er, »sehe ich schöne blonde Colonel allein umhergehen, und vielleicht will sie tanzen oder sich anders mit neue Person abgeben, wie mich. Außerdem ich nicht schätze billige Parfüm von große Kakerlak. Sie selbst wollen nicht tanzen? Oder anders sich abgeben? Nein? Dann Sie bleiben bei Freund Danny.« Sie sahen ihm nach, als er auf Margie Menninger zuging, an ihren Kontrollstellen vorbei. Sie hörten sie lachen, als Cappy sie ansprach, dann zuckte er die Achseln und ging zur Tanzfläche weiter. Der Krinpit kam auf seinem taumelnden Weg näher heran. Es stimmte – der Gestank seiner Ausdünstungen war stark. Ebenso das seufzende, monotone Geräusch seiner Anwesenheit. Ana lauschte, dann sagte sie düster: »Er murmelt jetzt von seiner Liebe. Sie ist auf irgendeine Weise umgebracht worden, wie, kann ich nicht sagen. Ich glaube, Achmed hatte etwas damit zu
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tun, und deshalb ist das Wesen entschlossen, Menschen zu töten. Aber es war Achmeds Verbündeter geworden! Ist das nicht Wahnsinn, Dan? Es ist so, als wäre das Töten zum Selbstzweck geworden. Es spielt keine Rolle mehr, wer getötet wird oder zu welchem Zweck. Nur das Töten selbst spielt noch eine Rolle.« Dalehouse stand in seinem flachen Schützenloch auf und schaute den Hang hinauf zu den Tanzenden. »Sie kommt hierher«, sagte er. »Hören Sie, bevor sie her kommt. Daß sie meine Geliebte wäre – « »Bitte, Danny. Ich habe unüberlegt gesprochen, und weil ich, ja, verstört bin. Das ist keine Zeit, sich über persönliche Dinge Gedanken zu machen.« Er war offenkundig nicht zufrieden und hätte das Thema weiterverfolgt, aber Margie war schon zu nah herangekommen. Sie blieb stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden, betrachtete den Krinpit und dessen Bewacher. Dann ging sie lächelnd auf Danny und Nan zu. »Ihr versteht euch, wie?« sagte sie freundlich. »Wann haben Sie das letztemal Ihren Kopfhörer aufgesetzt, Danny?« Schuldbewußt preßte Dalehouse den Kopfhörer auf ein Ohr. Er hatte die vergrabenen Mikrofonsonden vernachlässigt, die ihn vor Wühlern warnen sollten. Er hörte nichts. »Tut mir leid, Margie«, sagte er. Sie schüttelte den Kopf. »Wenn Sie im Dienst sind, heißt das ›Colonel‹. Und wenn ich sage ›hopp‹, dann springen Sie. Nachdem das geklärt ist«, fuhr sie mit strahlendem Lächeln fort, »möchte jemand von Ihnen am Joint ziehen, bevor wir etwas Dienstliches besprechen?« »Ich habe nicht die Angewohnheit, Narkotika zu nehmen«, sagte Ana. »Schade. Danny?« Sie sah ihm zu, während Dalehouse den
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Rauch einsog, und als sie den Joint an sich nahm, sagte sie: »Ich möchte, daß Sie Ihren Gassack-Freund einsetzen. In einhundert« – sie schaute auf ihre Uhr – »in einhundertacht Stunden greifen wir das Öler-Lager an, und er wird unsere Luftwaffe sein.« Dalehouse hustete und stammelte: »Er – er kann nicht – « »Lassen Sie sich Zeit, Danny«, meinte sie. »Während Sie Atem holen, hören Sie mal zu. Der Sturm ist vorbei. Es sieht so aus, als sollten wir fünf oder sechs schöne Tage bekommen. Ich nehme fünfzehn fronterfahrene Leute, dazu Sie, Danny. Wir rollen das Lager auf, ohne uns anzustrengen. Nur will ich kein Flugzeug nehmen, und ich will nicht, daß Sie oder Cappy da oben herumschweben, wo man Sie sehen kann, also bleibt Charlie.« »Charlie kann nicht kämpfen!« »Nun, wenn man es so nimmt, halte ich Sie auch nicht für einen großen Killer«, sagte sie sachlich. »Aber ich erwarte das von Ihnen auch nicht. Sie übernehmen die Kommunikation. Charlie beobachtet. Die Öler werden auf einen Gassack mehr oder weniger nicht achten.« »Und ob sie das tun! Sie schießen ständig Ballon-Wesen ab.« »Danny«, sagte sie, »ich frage Sie nicht um Ihren Rat. Ich gebe Ihnen einen Befehl.« Sie sog am Joint, bis zum letzten Zentimeter hinab, dann drückte sie ihn sorgfältig aus und steckte ihn ein, bevor sie ausatmete. »Sehen Sie«, sagte sie, »die Öler werden zu denselben Schlüssen kommen wie ich, nur werden sie etwas länger brauchen. Einer von uns muß das Kommando führen. Das geht nur, indem man den anderen ausschaltet. Charlie braucht nichts zu tun, als mit seinem Funkgerät dort in der Luft zu hängen und uns zu informieren, ob sie ein Flugzeug hinaufschicken oder Leute in den Wald entsenden. Ich bringe die Truppe über Land hin. Aber ohne Deckung aus der Luft sind wir nackt. Wir müssen wissen, wann wir uns zu verbergen haben. Das kann er doch, oder?«
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»Sicher. Aber – Mensch, Margie, er ist fast der letzte Überle bende. Es heißt zuviel verlangen – « »Aber ich verlange nichts, Danny, Sie irren sich. Ich befehle! Wenn er nicht will, wird er eine schöne Flamme abgeben.« Sie kratzte sich unter dem Gürtel und betrachtete ihn leutselig. »Nach dem Tanz unterrichte ich das Lager, und morgen um diese Zeit sind wir unterwegs.« »Um den Erdöl-Block mit Atombomben zu vernichten«, sagte Ana bitter. Margie Menningers Gesicht erstarrte. Nach einer Pause sagte sie. »Ich glaube, das lasse ich unbeachtet, Dimitrowa. Ich habe Ihnen nicht ausdrücklich den Befehl gegeben, den Mund zu halten. Aber ich lasse das nicht noch einmal durchgehen. Was Sie hören, wenn Sie dolmetschen, ist geheim.« »Großer Gott«, sagte Dalehouse, »Sie haben wirklich eine Atombombe?« »Verlassen Sie sich darauf. Ein Stück davon haben Sie in Ihren Bodenmikros.« »Wo? Sie meinen die Plutonium-Batterien? Das nützt nichts, Margie – Colonel, meine ich. Sie sind nicht genug. Und selbst wenn Sie genug hätten, könnten Sie sie nicht zusammenmontie ren und eine Bombe daraus machen.« »Zweimal falsch, Danny. Man braucht ein bißchen mehr als achtzehnhundert Gramm für eine Kernspaltung. Ich habe knapp über sechstausend Gramm, alles säuberlich verwahrt unter ›Brennstoffersatz‹. Das ist alles von langer Hand geplant, und sie werden zusammenpassen, weil ein paar ziemlich raffinierte Waffenspezialisten sie so konstruiert haben, bevor das erste Schiff abflog. Ist natürlich kein Hundert-Megatonnen-Ding. Vielleicht nicht einmal eine Kilotonne, weil ich keine Eindäm mung habe, um die Teile lange zusammenzuhalten. Aber ich will gar keine große. Ich will das Öler-Lager nicht auslöschen, ich will es übernehmen. Ich will nur ihre Munition und ihre Nahrungsmit telvorräte vernichten, und ich weiß genau, wo ich das Baby
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hinlegen muß. Dann können sie betteln.« Sie wirkte ruhig und unschuldig, während sie das sagte, und Dalehouse reagierte mit entsetzter Ungläubigkeit. »Das – das ist unprovozierte Aggression! Ein Dolchstoß in den Rücken!« »Falsch, Dalehouse. Das ist rechtzeitiges Zuschlagen. Die Öler haben auch keine andere Wahl, sie sind nur noch nicht dahintergekommen.« »Quatsch! Das ist genau das, was die Japaner in Pearl Harbor gemacht haben, nichts anderes!« Sie riß die Augen weit auf. »Sicher, warum nicht? An Pearl Harbor war nichts auszusetzen, außer, daß sie es verbockt haben. Wenn sie weitergemacht hätten, um die Trägerflotte auszuschalten, und mit einer Landung nachgestoßen wären, sähe die Geschichte ganz anders aus. Man würde heute ›Pearl Harbor‹ sagen, wie man ›Norman die‹ sagt, nur eben auf japanisch.« Sie schien mit sich sehr zufrieden zu sein, aber dann zögerte sie. Sie suchte sich eine trockene Stelle am Boden und setzte sich, bevor sie fortfuhr: »Aber meiner lieben alten Freundin aus Bulgarien will ich eingestehen, daß ich jetzt Angst habe und müde bin und mit den Dingen, wie sie laufen, nicht wirklich zufrieden bin. Ich – was ist mit dem Ding los?« Der Krinpit wankte näher heran, stöhnend und schrillend. Ana lauschte. »Man kann ihn nur schwer verstehen. Er spricht von GiftGeistern Darüber – das heißt, von uns und den Ballon-Wesen. Er scheint uns durcheinanderzubringen.« »Alle Feinde sehen wohl nach einer Zeit gleich aus. Sagen Sie ihm, er soll Abstand halten, ich vertrage seinen Geruch nicht.« »Ja, Colonel Menninger.«
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Aber bevor Ana die Anweisung auf Krinpit-Urdu geben konnte, fuhr Margie wieder dazwischen. »Augenblick. Was war das?« Über dem Lärm der Tanzmusik war eine Stimme aus den Lautsprechern hörbar geworden. »Ich konnte es nicht verstehen«, sagte Dalehouse, »aber ich höre etwas. Draußen im Wald. Oder in der Luft – « Dann brach die Tanzmusik plötzlich ab, und eine angstvolle Stimme schrie: »Colonel Menninger! An alle! Flugzeuge nähern sich!« Die Geräusche waren jetzt unverkennbar, zwei verschiedene: das wockernde Put-put eines Hubschraubers, und ein höheres, schrilleres Geräusch. Die Tänzer stoben auseinander. Über den Bäumen erschienen zwei Objekte. Sie waren beide nicht sehr schnell, aber sie kamen ohne Warnung: der Hub schrauber des Erdöl-Blocks und ein Senkrechtstarter mit Stummelflügeln, eine Maschine, die sie vorher noch nicht in der Luft gesehen hatten. Sie kamen nicht friedlich. Soldaten, die am Hubschrauber festgeschnallt waren, feuerten Brandraketen, während Maschinengewehre an den Tragflächen des Senkrecht starters das Lager beschossen. Das Flugzeug fegte dröhnend über das Wasser hinaus, kehrte um und setzte wieder zum Sturzflug an. Beim zweiten Anflug feuerten die MGs nicht, aber vier winzige Raketen fetzten unter den Tragflächen heraus, rasten in die Lagerschuppen und steckten eine Zeltreihe in Brand. Die Öler waren doch nicht so langsam gewesen. Hier und dort, rund um das Lager und im Inneren begannen die Außenposten und die Reaktionsschnelleren unter den Tänzern das Feuer zu erwidern. Margie sprang auf und rannte auf den nächsten Raketenwerfer zu, dann fegte ihr die stummelflügelige Maschine beim dritten Anflug entgegen. Beide Maschinen gewehre und ein Flammenwerfer waren in Aktion. Als die
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Geschosse auf sie zuflogen, schlug Margie einen Haken und stürzte zu Boden, fast unmittelbar neben dem Krinpit, und das Wesen bäumte sich hoch über ihr auf. Es warf sich, zweihundert Kilogramm halb geschälten Körpers, auf Margie Menninger. Sharn-igon wußte, daß das seine letzte Schälung sein würde, grauenhaft frühzeitig, qualvoll. Fruchtlos. Er würde nie das befriedigende Jucken seines neuen Panzers spüren, wenn dieser hart wurde und sich über den weichen Innenleib spannte. Als sie Gift-Geister Darüber dem Lager zufegten, wollte er die neuen Verbündeten warnen. Aber sie waren taub für die grellen Laute über den Bäumen, taub für seine Warnungen. Die Qual war zu groß. Es war seine Absicht gewesen, sie dabei zu unterstützen, daß sie einander umbrachten, um die letzten Überlebenden selbst zu töten. Aber vielleicht hatte er alles geleistet, was er zu vollbringen vermochte. Die Pein seiner neuen Schale, die erneut zu platzen begann, folterte sein Denken. Die blendenden Geräusche der Flugzeuge und die Explosionen betäubten ihn. Es gab nur noch einen Gift-Geist, den er töten konnte. Damit mußte er sich begnügen. Er schob sich auf seine jämmerlich weichschaligen Gliedmaßen, beugte sich vor und krachte auf sie nieder, gerade als die weiche, tödliche Zunge des Flammen werfers nach beiden leckte.
Inzwischen feuerte das ganze Lager auf die Maschinen, oder jedenfalls taten das jene, die dazu noch imstande waren. Aber die Flugzeuge waren außer Reichweite. Sie schwebten draußen über dem Wasser, einen Kilometer und mehr entfernt, der Hubschrauber leicht tanzend, der Senkrechtstarter in kleinen Kreisen, und sie griffen nicht erneut an. Der nächste Angriff kam aus einer anderen Richtung. Ein gellender Schrei aus einer der MG-Stellungen, und die
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beiden Soldaten brachen zusammen, in Fetzen gerissen, und aus der Stellung kam ein langer, behender Umriß mit winziger Schutzbrille auf seinem Dutzend Beinen zur nächsten Gruppe von Menschen gehetzt, und hinter ihm noch einer, und noch einer. Den Wühlern gelang es, mehr als zehn der Überlebenden zu töten. Aber das war alles. Selbst mit den Sonnenbrillen waren sie ausgebildeten menschlichen Soldaten auf der Oberfläche des Planeten nicht gewachsen. Wenn die Flugzeuge ihre Angriffe fortgesetzt hätten – aber sie taten es nicht. Die menschlichen Verteidiger sammelten sich rasch, und am Ende lagen fünfzig Wühler ausgestreckt am Boden und tränkten den Sand mit ihrem wäßrig-schwarzen Blut. Danach kamen keine mehr, denn es gab in dem Nest niemanden mehr. Dieser Bau war ausgelöscht. Dan Dalehouse stand da und starrte aufs Meer hinaus, während eine von Dr. Arkaschwilis Gehilfinnen eine tiefe Rißwunde an seinem Arm verband. Die Flugzeuge waren verschwunden. Mitten im größten Aufruhr waren sie die Küste entlanggeflogen und nicht mehr zurückgekehrt. »Und warum haben sie uns nicht gänzlich erledigt?« fragte er. Und es gab keine Antwort.
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Bis man Margie Menninger fand und feststellte, daß sie noch lebte, war der Kampf längst vorbei, und das Lager funktionierte beinahe wieder. Sie hatte über zwei Stunden unter dem toten, stinkenden Krinpit gelegen, betäubt, halb erstickt, unfähig, die schwere Last abzuwerfen, mit schmerzhaft verrenkten Gliedern, aber unverletzt. Wie der Geist in der Flasche hätte sie ihrem Retter zunächst königliche Schätze geboten. Als man schließlich ihre vom Sand fast erstickten Schreie hörte und sie ausgrub, wollte sie töten. Man half ihr ein paar Schritte weit, die Köpfe von ihr wegen ihres Gestanks abgewandt. Sie beschimpfte sie, und als sie versuchten, sie zu stützen, sank sie zusammen und erbrach sich in den Sand. Die Ärztin kam gelaufen, aber was Margie brauchte, war keine Ärztin. Was sie brauchte, war, den Jauchegestank des Krinpits loszuwerden. Sie ließ sich von Cheechee ausziehen und zum Wasser helfen, dann planschte sie herum, bis der Gestank verschwunden war und sie wieder gehen konnte. Hinkend, ja. Aber aus eigener Kraft. In Büstenhalter und Höschen, den Munitionsgürtel über der Schulter, ging sie das Ufer hinauf, bis jemand mit einem Frotteemantel kam. Sie erteilte unterwegs Befehle. Warum hatten sie aufgehört? Das Lager war ihnen ausgeliefert gewesen. Mit größter Präzision hatten sie die schweren Waffen beim ersten Anflug ausgeschaltet. Kein Raketenwerfer, kein Maschinengewehr war unberührt, nur Handfeuerwaffen blieben. Von den hundertund acht Personen im Nahrungs-Lager waren zweiundzwanzig tot, fast fünfzig verwundet oder von Brandwunden gezeichnet. Die Flugzeuge hatten keine Schramme davongetragen. Die Wühler waren völlig niedergemacht worden, aber wenn die Flugzeuge zuerst ihre Arbeit zu Ende geführt hätten, wären die Wühler mit den Überlebenden mühelos fertig geworden. Warum also? Das
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Timing hatte genau gestimmt. Als die Flugzeuge aufhörten zu schießen, waren sofort die Wühler angetreten. Das konnte kein Zufall gewesen sein, und die Brillen, welche die Wesen trugen, bewiesen, daß die Öler sie auf ihre Aufgabe vorbereitet hatten. Aber dann hatten sie nicht nachgesetzt. Warum nicht? Eine Kubiktonne Munition war in die Luft geflogen, aber wegen der Ersatzvorräte im letzten Schiff blieben noch Tonnen übrig. Zelte waren verbrannt, Nahrungsmittel vernichtet. Doch davon gab es mehr. Wenn Cappys Flugzeug durch Maschinengewehr geschosse beschädigt worden war, gab es Ersatzteile, um den Schaden zu beheben. Und das Wichtigste, die sechs Kilogramm 239Fu in den überlegt konstruierten Behältern waren noch intakt. Die Toten waren natürlich unersetzlich. Schlimmer noch waren die Verwundeten, weil manche von ihnen nicht nur einen Verlust, sondern eine Behinderung darstellten. Nguyen Dao Tree, der ein Bein und sehr viel Blut verloren hatte; sechs Personen mit schweren Verbrennungen; zwei andere mit schweren Bauchverletzungen – ein ganzer Schwall an Schäden für Cheechee Arkaschwili, die zu beheben sie versuchen mußte. Zu jedem von den Schwerverletzten kam der Preis einer gesunden Person, die ihn pflegen mußte. Es stand kein Zelt, das groß genug gewesen wäre, sie alle aufzunehmen, so daß Cheechee sie auf Feldbetten legen ließ, die man aus den beschädigten Zelten ins Freie zog; ein Teil der Betten war versengt, und wenn es wieder zu regnen begann, würden sie in Schwierigkeiten geraten. Aber für den Augenblick geht es uns so gut, wie wir es erwarten können, dachte Margie, während sie herumging. Eine Gestalt stand auf, als Margie herankam: Leutnant Kristianides, an einer ganzen Körperseite verbunden, aber einsatzfähig. »Colonel«, sagte sie, »ich mußte das Funkgerät verlassen – « Margie warf einen Blick auf die Ärztin, die den Kopf schüttelte. »Legen Sie sich wieder hin, Kris. Erzählen Sie mir später.«
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»Nein, es geht schon. Als sie auf das Zelt schossen, lief ich hinaus. Aber ich habe das Band laufen lassen. Ich hörte ihr Geschnatter, nur war es in lauter verschiedenen Sprachen.« »Danke. Jetzt wieder ins Bett«, befahl Margie und schaute sich um. »Dalehouse, antreten!« rief sie. » Sehen Sie im Funkzelt nach! Wenn das Tonband noch funktioniert, rufen Sie mich!« Er sieht selbst nicht sehr gut aus, dachte sie, als er das Tablett mit Verbänden abstellte und wortlos den Hang hinaufging, aber das galt für alle. Vor allem für sie selbst. Margies Zelt war eines der total beschädigten, und was sie trug, war ein Drillichanzug von einer Frau, die ihn nie mehr brauchen würde. Sie war eine größere und dickere Frau gewesen als Margie Menninger. Als Dalehouse sie rief, hatte sie die Tonbänder vergessen. Sie ging aber zum Zelt, das nicht in Brand geraten und auch sonst kaum beschädigt war, wenn man von Einschußlöchern absah, und nahm unterwegs Ana Dimitrowa mit. Die Tonbandmaschine wurde durch Sprechen ausgelöst, und Dalehouse hatte den richtigen Anfang schon gefunden. Ana setzte den Kopfhörer auf und begann zu übersetzen. »Zuerst sagt einer der Piloten ›im Ziel‹, und der Stützpunkt bestätigt. Dann gibt es Trägerwellengeräusche, so als wollten sie senden, um es sich dann anders zu überlegen, und schließlich sagt der Stützpunkt: ›Unternehmen sofort einstellen. Nicht angreifen.‹ Und einer der Piloten, ich glaube, es ist der Ägypter, sagt in einem anderen arabischen Dialekt: ›Angriff schon in Gang. Wir haben ihr Waffenlager vernichtet. Ungefähr fünfund zwanzig Tote.‹ Dann gibt es Gemurmel, das ich nicht verstehen kann, so, als sprächen sie mit dem Stützpunkt bei eingeschalte tem Sender, aber nicht nahe genug am Mikro. Und dann sagt der Stützpunkt: ›Dringend. Unternehmen sofort einstellen.‹ Und dann sagt der andere Pilot, der Ire, daß sie vom Wasser aus beobachten und auf Anweisungen warten, und der Stützpunkt befiehlt ihnen, ohne weitere Angriffe zurückzukehren. Das ist alles auf dem Band, bis sie später Landeanweisungen bekom men.«
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»Das ist alles?« fragte Margie. »Wie ich schon sagte, Colonel, ja. Nichts sonst.« »Wie kommen sie nur dazu, daß sie es sich mittendrin anders überlegen?« sagte Margie. Weder Dalehouse noch Dimitrowa wußten eine Antwort. Sie hatten auch mit keiner gerechnet. Es kam nicht darauf an. Die Öler hatten den Krieg erklärt, und wenn sie mittendarin aufhörten, war das ihr Problem, nicht das von Marge. Sie würde nicht aufhören. Für Margie Menninger beantwortete der Angriff auf ihren Stützpunkt – ihren Stützpunkt – alle Fragen. Auf das ›Warum‹ kam es im Grunde nicht an. Die einzige Frage war, wie man den Kampf zu ihnen tragen und ihn gewinnen konnte. »Können Sie mit der Schulter graben?« fragte sie Dalehouse. »Ich denke schon. Es blutet nicht.« »Dann helfen Sie Kappeljuschnikow, Gräber zu schaufeln. Dimitrowa, Sie sind jetzt Funkerin. Keine Sendungen. Nur lauschen. Wenn die Öler etwas sagen, will ich es sofort erfahren.« Sie ging hinaus und machte sich auf den Weg zu der einen noch vorhandenen Latrine. Sie mußte nicht dringend auf die Toilette, sie wollte nur für einen Augenblick allein sein, um klar denken zu können. Sie stellte sich vor alle anderen, die dort warteten, ging hinein, schloß die Tür, rauchte eine Zigarette und starrte ins Leere. Für sie stand außer Frage, daß sie diesen Krieg gewinnen konnte, weil sie über starke Trümpfe verfügte. Das Plutonium war einer davon. Der andere war Major Vandemeers kleiner Koffer. Vier Vögel befanden sich noch in Umlaufbahnen, und einer konnte das Hauptlager der Öler treffen, die anderen ihren Stützpunkt auf der Rückseite des Planeten, sobald sie das befahl, und damit hatte es sich. Der Haken bei der Sache war: Sie wollte die Einrichtungen der Öler nicht zerstören. Sie wollte sie übernehmen. Die Vögel und die Bombe waren Overkill, so, als wolle man ein Moskito mit einem Mörser erlegen. In der ersten Wut nach dem Überfall
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hätte sie, wenn der Knopf in Reichweite gewesen wäre, ihn betätigt; aber bis sie unter dem Krinpit ausgegraben worden war, hatte sie beschlossen, zu warten. Nein. Es mußte eine direkte Operation über Land sein. Viel leicht mit dem Plutonium, wenn das genau an der richtigen Stelle angebracht werden konnte. Nicht die Raketen. Es war schade, daß die Öler ihren Erstschlag ausgeführt hatten, bevor sie noch ganz dazu gekommen war, es selbst zu tun. Aber keine Katastrophe. Das Schlimmste an dem Überfall war, daß ihr Kader von erstklassigen Leuten ernsthaft reduziert worden war. Wie sollte sie ihren Vergeltungsschlag ohne Soldaten führen? Margie Menninger hatte gerade die einzige Entscheidung getroffen, die der Menschheit auf Jem eine Zukunft ermöglichte, obwohl sie es nicht wußte.
»Das einzige Gute bei der ganzen Sache ist«, sagte Dalehouse zu Kappeljuschnikow, »daß die meisten Opfer Soldaten gewesen sind. Wenigstens können wir uns jetzt wieder der eigentlichen Aufgabe der Expedition zuwenden.« Kappeljuschnikow knurrte und schaufelte weiter, bevor er antwortete: »Natürlich ist so.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Nur eine Frage: Was ist eigentliche Aufgabe von Expedition?« »Zu überleben. Und zu bewahren. Weiß der Himmel, was auf der Erde vorgeht. Wir könnten alles sein, was von der Mensch heit übriggeblieben ist, und wenn etwas bleiben soll von, na, vielleicht fünftausend Jahren Wissenschaft und Literatur und Musik und Kunst, dann hier.« »Sehr entmutigende Menge Verantwortung für zwei Totengrä ber«, meinte Kappeljuschnikow. »Sie haben recht, natürlich, Danny. Wir haben eine Spruch in Sowjetunion: Längste Reise beginnt mit eine Schritt. Welchen Schritt wir tun jetzt?« »T ja – «
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»Nein, warten Sie, war rhetorische Frage. Erste Schritt ist klar. Haben Gräber von jetzt abwesende Freunde fertig, Danny, bitte gehen zu Colonel und melden, daß Begräbnisfeier kann beginnen.« Er stieß den Spaten in den Boden, setzte sich hin und wirkte entmutigter, als Dalehouse ihn je gesehen hatte. »Na gut«, sagte Dalehouse. »Wir sind alle ziemlich müde und durcheinander.« Der Pilot schüttelte den Kopf, dann sah er auf und grinste. »Bin nicht nur müde, lieber Danny, bin auch sehr russisch. Schwere Last zu tragen. Wir haben noch andere Spruch in Sowjetunion: In tausend Jahren was spielt es für Rolle? Aber jetzt sage ich Ihnen die Wahrheit, Danny. Alle Sprüche sind Scheißdreck. Ich weiß, was wir tun, Sie und ich und alle. Wir tun Bestes, was wir können. Ist nicht viel, aber ist alles, was gibt.« Dalehouse legte seinen Spaten hin und stapfte den Hang hinauf zum Kommandozelt, während er angestrengt nachdachte. Eine schwere Verantwortung! Wenn man es genau betrachtete, gab es keinen Weg, alles zu bewahren; so viel Unersetzliches würde unausweichlich verlorengehen, war vermutlich schon verloren. Es sprach wenig dafür, daß der Arc de Triomphe und das Britische Museum und der Panthenon überlebt haben, gar nicht zu reden von einigen Milliarden ziemlich unersetzlicher menschlicher Wesen. Es fiel Danny schwer, sich damit abzufin den, daß er nie wieder ein Ballett sehen oder ein Konzert hören würde. Oder in einem Muscheljet fliegen oder in einem Drehrestaurant auf einem Wolkenkratzer einen Cocktail trinken würde. So viel war für immer dahin! Und so viel mehr würde unausweichlich verschwinden, wenn sie versuchten, wieder aufzubauen… Aber ein großer Habenposten war noch nicht zerstört: die Hoffnung. Sie konnten überleben. Sie konnten wieder aufbauen. Sie konnten sogar auf bessere Weise neu aufbauen, aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, auf diesem jungfräulichen Planeten.
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Um das Kommandozelt drängten sich Leute, und Margie Menninger lief mit zwei Adjutanten auf sie zu. Dalehouse beschleunigte seine Schritte. Er hörte Ana sagen: »Diese Nachricht ist eben eingetroffen, Colonel Menninger. Ich spiele das Band für Sie ab.« »Tun Sie’s«, fauchte Margie, außer Atem und erschöpft. Dalehouse trat näher heran. Margie schien einem Zusammen bruch nahe zu sein. Aber als das Tonbandgerät summte und rauschte, nahm sie sich zusammen und lauschte aufmerksam. Danny erkannte die Stimme. Es war der schwarze LuftVizemarschall Pontrefact, und was er sagte, nahm nicht viel Zeit in Anspruch. »Das ist eine offizielle Botschaft im Namen der Erdölexportie renden Mächte an das Nahrungs-Lager. Wir bieten einen sofortigen und dauernden Waffenstillstand an. Wir schlagen vor, daß Sie in einem Bereich von zwanzig Kilometern um Ihr Lager in Richtung des unseren bleiben, und wir werden von uns aus dieselbe Distanz einhalten. Wir erbitten innerhalb einer Stunde Antwort.« Es gab eine Pause, als blättere er in Papieren, dann fuhr der Mann aus Jamaika mit seiner sonoren Stimme fort: »Wie Sie wissen, ist unser Luftangriff auf Ihr Lager durch Ihre Zerstörung unserer Satelliten ausgelöst worden. Er wurde erst nach gründlicher Auslotung aller Alternativen befohlen. Unsere Absicht war es, Ihren Stützpunkt völlig zu vernichten. Wie Sie aber ebenfalls wissen, haben wir den Angriff eingestellt, nachdem wir Ihrem Stützpunkt verhältnismäßig geringe Schäden zugefügt hatten. Der Grund für diese Entscheidung ist auch der Grund für das jetzige Waffenstillstandsangebot. Unser Stern, Kung, ist unbeständig. Er steht im Begriff, aufzuflammen. Wir waren uns seit einiger Zeit darüber im klaren, daß sein Strahlungsspiegel schwankte. Innerhalb der letzten vierund zwanzig Stunden ist das viel krasser geworden. Während der
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Luftangriff im Gange war, erhielten wir von unseren Astrophysi kern die Mitteilung, daß in der nahen Zukunft ein großer Ausbruch stattfinden wird. Einen genauen Zeitpunkt können wir nicht nennen. Nach unseren Erkenntnissen könnte er schon in achtundvierzig Stunden stattfinden, fast mit Sicherheit wird es in den nächsten zwei Wochen sein. Wenn Sie unser Waffenstill standsangebot annehmen, übermitteln wir sofort alle techni schen Daten, und Ihre Leute können ein eigenes Urteil fällen.« Die Stimme zögerte, dann fuhr sie in weniger förmlichem Ton fort: »Wir haben keine Kenntnis von den derzeitigen Zuständen auf der Erde und nehmen an, daß es Ihnen nicht anders geht. Aber es ist klar, daß wir praktisch zu diesem Zeitpunkt auf Jem allein im Universum sind. Wir glauben, wir werden alle Mittel brauchen, die wir besitzen, um unser Lager auf diesen Ausbruch vorzubereiten. Wenn wir weiterkämpfen, werden wir wohl alle sterben. Ich schlage nicht vor, daß wir zusammenarbeiten. Aber ich schlage vor, daß wir den Kampf einstellen, zumindest so lange, bis diese Krise vorbei ist.« Wieder eine Pause, dann sagte er: »Bitte, antworten Sie innerhalb einer Stunde. Gott helfe uns allen.« Margie schloß kurz die Augen, während alle warteten, dann öffnete sie sie wieder und sagte: »Rufen Sie zurück, Dimitrowa. Teilen Sie mit, daß wir das Angebot annehmen, verlangen Sie sofort ihre technischen Daten, und geben Sie durch, daß wir uns wieder melden, sobald wir etwas zu sagen haben. Leute, der Krieg ist vorbei.«
Zehn Minuten später wußte es das ganze Lager. Margie hatte über die Lautsprecheranlage das Band von Marschall Pontrefact abspielen lassen und dadurch die Nachricht von der Katastrophe und dem Waffenstillstand an alle weitergegeben. Sie hatte für drei Uhr eine Versammlung anberaumt, für neunzig Minuten später, und hatte Alexis Harcourt, der einem Astronomen noch am nächsten kam, befohlen, die Daten der Öler durchzugehen und sich vor der Versammlung bei ihr zu melden. Dann wandte
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sie sich an Danny Dalehouse und sagte: »Ich habe kein Bett mehr, aber ich brauche unbedingt ungefähr eine Stunde Schlaf.« »In meinem Zelt steht ein Ersatzbett.« »Ich hatte schon gehofft, daß du das sagst.« Sie schaute hinauf zum düsteren Leuchten in den Wolken, wo Kung sich verbarg, und schüttelte den Kopf. »Das war ein Scheißtag«, sagte sie, als sie zur Zeltreihe gingen. »Und er ist noch nicht vorbei. Weißt du, was ich bei der Versammlung machen werde?« »Soll ich raten?« »Nein, Danny. Du würdest nie darauf kommen. Ich werde den unmittelbar bevorstehenden Austritt von Colonel Marjorie Menninger aus dem aktiven Dienst bekanntgeben.« »Was?« »Heb dein Gebiß auf, Danny, und steh nicht einfach da«, riet sie und zog ihn mit. »Wir richten hier eine Zivilregierung ein, wirksam ab dem Augenblick, in dem der Notstand vorbei ist. Oder vielleicht schon vorher. Mir ist das egal. Vielleicht haben diejenigen von euch, die sich über die Art der Army, mit den Dingen fertig zu werden, aufgeregt haben, recht. Ich muß sagen, daß meine Methode nicht sehr erfolgreich gewesen ist, wenn man alles bedenkt. Ich glaube, wir werden also Wahlen für eine neue Regierung brauchen, und wenn du meinen Rat hören willst, dann stellst du dich zur Wahl.« »Als was? Warum ich? Margie, du bringst mich ganz durchein ander.« »Warum du? Weil du praktisch der einzige von den ersten Siedlern bist, der noch lebt, weißt du das? Nur du und Cappy. Weil niemand dich wirklich haßt. Weil du die einzige Person im Lager mit dem Alter und der Erfahrung bist, welche die Dinge zusammenhalten kann und nicht Soldat ist. Laß dich von mir nicht unter Druck setzen, das ist deine Entscheidung. Aber meine Stimme hast du. Falls irgend etwas, das wir entscheiden, überhaupt noch ins Gewicht fällt«, fügte sie in anderem Ton
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hinzu. Sie waren an seinem Zelt. Margie blieb vor der Klappe stehen und starrte zum Himmel hinauf. »Oh, Scheiße«, sagte sie, »es fängt an zu regnen.« So war es; große Tropfen fielen, die mehr versprachen. »Die Verwundeten!« sagte er. »Ja. Wir müssen sie unterbringen. Und das ist schade, Danny, weil ich dachte, wir könnten uns vor der Versammlung noch ein bißchen vergnügen.« Trotz allem konnte Danny sich nicht helfen, er lachte laut auf. »Marjorie Menninger, du bist nicht zu fassen. Sieh zu, daß du reinkommst und schläfst.« Aber bevor sie sich abwandte, nahm er sie kurz in die Arme. »Das hätte ich nie von dir gedacht«, sagte er. »Was hat dich zu zivilen Werten bekehrt?« »Wer ist bekehrt?« erwiderte sie. »Nun, vielleicht war es dieser beschissene Krinpit. Wenn er nicht gewesen wäre, hättet ihr mich vorhin auch begraben. Ich habe ihm auch nicht getraut, aber er hat sein albernes Leben gegeben, um mich zu retten.«
Da nur noch so wenige von ihnen übriggeblieben waren, brauchten sie die Lautsprecheranlage kaum, um mit den fünfundfünfzig oder sechzig Personen zu reden, aber sie schlossen für die Verwundeten, die so wohlauf waren, daß sie zuhören konnten, in ihren Zelten unten am Hang einen Lautsprecher an. Die anderen saßen oder standen auf den nassen Platten des Tanzbodens, im trägen, stetigen Regen, während Margie Menninger von dem kleinen Podium aus zu ihnen sprach. Sie gab das Wort an Harcourt weiter. Er sagte: »Viele Daten von den Ölern sind nicht Astronomie, sondern Geologie. Sie haben sehr viel gegraben. Sie sagen, es scheine alle zwanzig oder dreißig Jahre Ausbruchsperioden zu geben. Einen feststehenden Ablauf gibt es nicht, aber nach der
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Menge an Asche und Verkohltem vermuten sie, daß der durchschnittliche Ausbruch eine Strahlungszunahme um etwa fünfundsiebzig Prozent für die Dauer von einer Woche oder etwas länger bringt. Das ist genug, um uns zu töten. Zum Teil Hitze. Zumeist ionisierende Strahlung. Und wann soll das geschehen? Sie vermuten, in etwa zehn Tagen – zehn Tage hin oder her.« Es gab ein Gemurmel unter den Zuhörern, und er nickte. »Tut mir leid, aber ich habe nicht die Ausbildung, das genauer zu berechnen als sie, ja, ich muß sie überhaupt bei ihrem Wort nehmen. Das Bild, das ich gewinne, ist eines von langsam zunehmender Hitze im Verlauf von etwa zwei Wochen. Ich glaube, das hatten wir bereits, und das ist vielleicht der Grund, warum das Wetter so schlecht war. Dann der Ausbruch. Die Oberflächentemperatur steigt vielleicht auf dreiundfünfzig Grad. Das ist absolute Temperatur – sagen wir, irgendwo zwischen dem, was wir jetzt haben, und dem Siedepunkt des Wassers. Ich glaube nicht, daß sie darüber hinausgeht, jedenfalls nicht für lange. Aber es gibt Spitzenprotu beranzen, und das ist so, als zünde man ein Streichholz an. Wenn irgend etwas brennen kann, dann brennt es. Wahrscheinlich brennen die Wälder, aber vielleicht nicht sofort – sie müßten vermutlich erst austrocknen. Dann läßt der Ausbruch nach, die Temperatur sinkt, die Luft entläßt Feuchtig keit, und man bekommt Regen, der das Feuer löscht. Vermutlich wahnsinnig viel Regen, über Wochen oder Monate hinweg. Dann ist man wieder beim Normalzustand.« »Nur tot!« rief jemand. Harcourt breitete die Hände aus. »Vielleicht nicht. Wenn man Zuflucht gefunden hat, kann man vielleicht überleben.« Er wollte weitersprechen, blieb aber stumm. Margie trat zu ihm. »Das klingt nicht sehr zuversichtlich.« »Bin ich auch nicht. Die – äh, die geologischen Messungen lassen wenig Zuversicht zu. Die Öler haben Bohrproben von
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mehr als hundert verschiedenen Stellen genommen, und sie zeigen alle dasselbe, immer wieder Verkohlung und normale Bodenschichten abwechselnd, über Jahrtausende zurück.« Dalehouse stand auf. »Alex«, rief er, »warum hat das nicht längst alles auf der Oberfläche von Jem getötet?« »Wollen Sie eine Vermutung hören? Ich glaube, das war der Fall. Zumindest die ganze Vegetation. Sie brennt nieder, dann wächst sie höchstwahrscheinlich aus den Wurzeln nach. Samen würden aber vermutlich überleben. Und die Regenfälle nach jedem Ausbruch würden dem neuen Wachstum einen starken Antrieb in fruchtbarem Boden geben – die verkohlte Schicht ist hervorragender Dünger; der primitive Mensch auf der Erde damals hat gerodet und niedergebrannt, um mit der Landbestel lung zu beginnen. Bei den Tieren weiß ich es nicht. Ich möchte annehmen, daß die Wühler in ihren Tunnels ungefährdet sind, wenn sie nicht verhungern beim Warten auf frisches Wachstum. Vermutlich tun viele es. Vielleicht gilt für die Krinpits dasselbe, weil allerhand nötig wäre, sie auszurotten. Sie brauchen sich keine Sorgen darüber zu machen, durch die Strahlung geblendet zu werden, weil sie gar keine Augen haben. Und diese Panzer sind ein sehr guter Schutz für ihre inneren Organe. Vermutlich kommt es zu vielen Mutationen, aber auf lange Sicht ist das ebenso gut wie schlecht für die Rasse.« »Und Charlie?« »Ich weiß es nicht. Das ist schwerer zu sagen. Ich vermute, daß ein wirklich starker Ausbruch fast alle Erwachsenen töten würde. Aber da laichen sie auch, und der Laich könnte überle ben. Auch ohne jeden Zweifel mit starker Mutation. Ich würde sagen, daß die Evolution hier sehr schnell voranschreitet.« »Also, hören Sie«, warf Margie ein. »Wenn diese Wesen alle überleben können, weshalb dann wir nicht?« Harcourt hob die Schultern.
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»Sie sind angepaßt, wir nicht. Außerdem. Ich habe von überlebenden Rassen gesprochen, nicht von Einzelwesen. Vielleicht überlebt nur ein Prozent. Vielleicht noch weniger.« Er sah die anderen an. »Ein Prozent von uns, wieviel bleibt?« »Ja«, sagte Margie zögernd. »Nun, ich glaube, wir haben uns ein Bild gemacht. Wir müssen unter etwas schlüpfen, das groß genug ist, die Hitze ebenso abzuhalten wie die Strahlung, und das sehr schnell. Haben Sie irgendwelche Vorstellungen darüber, woraus wir ein Dach machen könnten?« Harcourt zögerte. »Überhaupt keine«, gestand er. »Die Zelte genügen gewiß nicht. Ach, und den Wind sollte ich noch erwähnen. Er wird bei dieser starken Sonnenbestrahlung wohl ziemlich heftig werden. Alles, was wir bauen, müßte also Orkanen bis zu zweihundert Stundenkilometern standhalten. Oder mehr. Ich, äh, habe kurz daran gedacht, die Tunnels der Wühler zu benützen, das könnte funktionieren. Jedenfalls für einige von uns. Aber ich bezweifle, daß mehr als zehn Prozent von uns ohne gute Belüftung und gewiß ohne Klimatisierung zwei oder drei Wochen unter dem Boden überleben würden – und die Luft da unten wird heiß werden.« Es blieb still, während alle die Möglichkeiten durchdachten. Dann trat Kappeljuschnikow vor. »Ist eines, was wir tun können«, erklärte er. »Nicht viele von uns. Vielleicht fünfzehn, zwanzig. Können in Rückkehrkapsel steigen und in Umlaufbahn fliegen.« »Da ist es genauso heiß«, wandte Margie Menninger ein. Cappy schüttelte den Kopf. »Ist nur Strahlung. Stahlrumpf reflektiert vielleicht neunund neunzig Prozent. Jedenfalls viel. Einiges Problem – wer entscheidet, welche zwölf Glücklichen kommen hinauf?« Margie Menninger überlegte kurz, dann sagte sie: »Nein, das ist eine letzte Möglichkeit, Cappy. Es gibt da noch ein zweites
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Problem: Was machen diese Glücklichen, wenn sie wieder herunterkommen? Wir sind jetzt schon nicht genug Leute. Ich glaube nicht, daß zwanzig genügen würden, um zu überleben. Wenn wir hinauffliegen – streichen Sie das; ich sage nicht, daß ich dazugehören würde. Wenn irgend jemand hinaufflöge, wäre es ebenso klug, zu versuchen, gleich weiterzufliegen. Versuchen, zur Erde zurückzukommen. Vielleicht zu einer der anderen Kolonien. Die Aussichten wären ebenso gut wie bei einer Rückkehr hierher, wenn der ganze Planet gesotten ist.« Harcourt nickte, verbesserte aber automatisch: »Nicht der ganze Planet.« »Was?« »Nur der halbe. Unsere Hälfte. Die Hälfte, die Kung zugewandt ist. Die Rückseite würde vermutlich nicht einmal bemerken, daß ein Ausbruch stattfindet. Das nützt uns nichts«, fuhr er schnell fort, »weil wir da nicht leben können; wir haben keine Zeit, eine luftdichte, beheizte Kuppel zu bauen und alles hinzuschaffen – Was ist los?« Margie war in Gelächter ausgebrochen. »Verdammter Mist«, sagte sie. »Das zeigt, wie man sich irren kann, wenn man anfängt, den Leuten zu trauen. Diese DrecksÖler haben es nicht ehrlich mit uns gemeint! Sie haben den Kampf nicht eingestellt, weil sie Frieden schließen wollten. Sie haben aufgehört, weil wir ohnehin so gut wie tot sind.« »Aber – aber das sind sie auch – « »Falsch! Weil sie schon einen Stützpunkt auf der Rückseite haben!« Sie schüttelte reumütig den Kopf. »Leute«, sagte sie, »ich wollte eine ganz bombastische Ankündigung machen, daß ich die Zügel einer zivilen Regierung übergebe, aber jetzt glaube ich, daß das noch warten muß. Wir haben zuerst eine militäri sche Aufgabe zu erfüllen. Wenn diese Seite des Planeten zugrunde geht, haben sie ihr behagliches kleines Nest auf der anderen Seite, die ohnehin nie Strahlung von Kung abbekommt, und der es völlig egal sein kann, was auf der unseren passiert.
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Das wird ein angenehmer Aufenthaltsort sein. Und wir werden ihn ihnen wegnehmen.«
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XXII
Das waren die Hochebenen und Schluchten der Hochlandwüste. Danny Dalehouse hatte sie in weniger als einer Stunde überflogen und sie nur als malerische Muster in einem unwichti gen Teppich unter sich gesehen. Über sie zu marschieren, war eine andere Sache. Kappeljuschnikow brachte sie so nah heran, wie er konnte, drei auf einmal, bei einer Gelegenheit vier, wobei der kleine Doppeldecker sich nur höchst mühsam vom Boden erhob. Er unternahm über ein Dutzend Rundflüge und ersparte ihnen hundert Kilometer Weg durch Dschungel. Trotzdem war es ein Marsch von drei Tagen. Und jeder Schritt war harte Arbeit. Nichtsdestoweniger hatte sich Dalehouse seit Wochen nicht so wohl gefühlt. Trotz der völligen Erschöpfung bis in die Knochen. Trotz des Sterns, der jeden Augenblick ausbrechen mochte. Trotz der Tatsache, daß Margie Menningers Einkaufsliste eine Lieferung an Ersatz-Wanderstiefeln nicht enthalten hatte, so daß sein rechter Fuß mit Blasen bedeckt war und er hinkte. Er war nicht der Kaputteste. Drei von den Soldaten hatten überhaupt nicht weitergehen können. »Wir holen euch«, hatte Margie versprochen, aber Dalehouse hatte das Gefühl, daß sie log, und in den Augen der Opfer konnte er sehen, daß sie davon überzeugt waren. Und trotzdem hätte er beim Marschieren gesungen, wenn ihm genug Luft dafür geblieben wäre. Es hatte seit fast vierzig Stunden mit kurzen Unterbrechungen geregnet. Es war ein bösartiger, windgepeitschter Regen, der sie in der dampfenden Hitze durchtränkte, selbst wenn er nachließ, und sie durchkühlte, wenn er sie durchnäßte. Das spielte auch keine Rolle. Es war bedauerlich, weil es bedeutete, daß Charlie und die zwei noch verbliebenen Angehörigen seines Schwarms keine Sichtverbindung mit ihnen halten konnten. Und Dalehouse hatte dem Ballon-Wesen das Funkgerät wegnehmen müssen, bevor sie sich auf den Weg gemacht hatten – der Funkverkehr war für die Öler viel zu leicht abzuhören. Sobald die Wolken
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etwas dünner wurden, suchte Dalehouse den Himmel nach seinem Freund ab. Er sah ihn nie, hörte nie seinen Gesang, aber er wußte, daß er dort oben irgendwo war. Es war nichts Ernstes. Das Wetter, das Charlie davon abhielt, Gefahren für sie zu erkunden, hinderte die Öler daran, sie hervorzubringen. Sie waren noch zwölf Mann, die sich dem Öler-Lager entge genmühten. Sie hatten den Rest der Überlebenden – die höchst kurzlebig Überlebenden, wenn die Expedition nicht erreichte, was sie sich vorgenommen hatte – im Stützpunkt zurückgelassen, mit der Anweisung, den Eindruck zu erwecken, als wären sie doppelt so viele. Margie selbst hatte die letzte Nachricht an die Öler gesandt: »Wir beginnen mit dem Bau von unterirdischen Schutzräumen. Wenn der Ausbruch vorbei ist, können wir über einen dauerhaften Frieden sprechen. Inzwischen schießen wir ohne Anruf, wenn Sie sich blicken lassen.« Dann hatte sie das Funkgerät abgeschaltet und war zum letzten Flug in Cappys Maschine gekrochen. Sie hatten keine zehn Kilometer mehr vor sich – unter guten Bedingungen ein Spaziergang von drei Stunden, aber sie würden einen ganzen Tag brauchen. Es hieß, auf der einen Seite einer Schlucht hinabzuklettern und auf der anderen hinauf, über einen Kamm zu blicken und auf der anderen Seite hinunterzuhasten. Sie waren alle schwer beladen. Nahrung, Wasser, Waffen, Ausrüstung. Alles, was sie brauchen würden, mußten sie mitschleppen. Die roten Zylinder mit der Aufschrift ›Treibstoffelemente – Ersatz‹ waren die schlimmsten. Jeder Zylinder enthielt Hunderte der winzigen umhüllten Nadeln und wog über ein Kilogramm. Zwölf davon stellten eine schwere Last dar. Zuerst wechselten sie sich dabei ab, die Puzzleteile zu tragen, die eine Atombombe bilden würden. Zu den Tricks gehörte, dafür zu sorgen, daß sie nicht vorzeitig aneinandergeführt wurden, und bei jedem Halt überwachte Leutnant Kristianides das Stapeln der Rucksäcke, um sich zu vergewissern, daß keine zwei Bombenlasten näher als auf einen Meter aneinander heranka
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men. Die Aussicht war sehr gering, daß sie wirklich zu einer Anordnung kritischer Masse fallengelassen, gestoßen oder geschoben werden konnten. Das, wenn erwünscht, absichtlich herbeizuführen, war für einige der besten Munitionsexperten auf der Erde eine schwere Aufgabe gewesen; zu diesem Zweck trugen sie noch einmal zwanzig Kilogramm an hoch kompliziertem Gehäuse und Zünder. Ohne sie bestand keine wirkliche Gefahr. So versicherte Margie allen. Aber sie waren trotzdem vorsichtig, weil im Innersten niemand an die Versiche rungen glaubte. Vielleicht nicht einmal Margie selbst. Nach dem Ende der ersten Strecke war Margie herumgegangen und hatte die Lasten überprüft. Als sie zu Ana Dimitrowa kam, die neben Danny Dalehouse saß und die Arme um die Knie geschlungen hatte, sagte sie leise: »Sind Sie steril?« »Was? Also wirklich! Was für eine Frage!« Aber Margie schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie, bin nur müde. Ich hätte daran denken sollen, daß Sie es nicht sind.« Und sie grinste und zwinkerte Dalehouse und Ana zu, aber als sie wieder nach ihren Lasten griffen, bestand Nans Gepäck aus Wasserflaschen, und die hinkende alte Marguerite Moseler trug die Brennstoffstäbchen. Margie sah schrecklich aus und schien bei jedem Halt mehr zu verfallen. Ihre Molligkeit war längst verschwunden. Zum erstenmal seit Jahren trat der Knochenbau ihres Gesichts hervor, und ihre Stimme war ein Schnarren. Mehr noch, ihre Haut sah grauenhaft aus. Als der Krinpit sie für zwei Stunden unter sich begraben hatte, waren die Schälsäfte ihrer Abwehrkräfte Herr geworden. Einen Tag später hatte sie große, dunkelrote Flecken bekommen und eine Hautverfärbung wie Sonnenbrand. Sie sagte, es schmerze nicht; auch das hielt Dalehouse für eine Lüge. Aber er glaubte, daß sie in einer wichtigen Frage die Wahrheit sagte, und vielleicht war das der Grund, warum er ein Gefühl der Fröhlichkeit nicht unterdrücken konnte. Die Bombe, die sie mitschleppten, sollte nicht eingesetzt werden.
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Er war derjenige, welcher es vorgeschlagen hatte, und sie war sofort damit einverstanden gewesen. »Selbstverständlich«, sagte sie. »Ich will ihr Lager nicht zerstören. Ich will es haben, das ganze – nicht nur für uns, sondern für die Zukunft der Menschheit auf Jem. Die beste Anwendung der Bombe besteht in der Drohung damit, und dafür werden wir sie einsetzen.« Er sagte das auch zu Ana, beim letzten Halt, bevor sie in Sichtweite des Öler-Lagers gelangten. »Sie plant für künftige Generationen. Wenigstens hält sie es für lohnend, Ihre Chromosomen intakt zu halten.« »Natürlich«, sagte Ana überrascht. »Diese Zuversicht habe ich auch.« Und Danny Dalehouse hatte sie ebenso. So schlecht die Dinge auch standen, er hatte Hoffnung. Diese erfüllte ihn beim letzten Kriechen, dreihundert Meter weit in strömendem Regen zur verschlammten Höhle, die den Eingang für die Wühler-Tunnels unter dem Öler-Lager bildete. Sie hielt ihn aufrecht, während Major Vandemeer und Kris Kristianides mühsam und mit größter Vorsicht die Teile des Zünders zusammenbauten und die Brennstoffstäbe hineinsteckten. Sie erfüllte ihn, nachdem Margie und Vandemeer und zwei andere sich in die verlassenen Gänge gezwängt hatten und verschwunden waren. Der Teil seines Lebens, von ihnen allen, den sie in diesem Augenblick durch machten, war Elend und Furcht. Vielleicht schlimmer noch, er war Selbstvorwurf; sie taten etwas, das Dalehouse nicht als gerecht oder auch nur vertretbar anerkennen konnte. Es war ein Überfall. Ein bewaffneter Raubüberfall. Nicht besser als ein Verbrechen. Aber es würde vorbei sein. Und eine bessere Zeit würde kommen. Und diese Hoffnung hielt ihn zwei volle Stunden aufrecht, nachdem Margie und die anderen davongekrochen waren. Bis Kris Kristianides, angstvoll und gehetzt wirkend, auf ihre Uhr sah und sagte: »Jetzt ist es soweit. Von jetzt an bleiben alle drinnen. Gesicht zur Wand. Hände auf die Augen. Wenn der Feuerball kommt, nicht hinsehen. Mindestens zehn Minuten
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warten. Ich habe Schutzbrillen. Ich sage euch, wann ihr – « Dann überschrien sie sie, Dalehouse als erster und lautester. »Sie wird es tun! Aber sie hat versprochen – « »Scheiße, Dalehouse, das Versprechen konnte sie nicht halten! Die Öler würden denken, es sei ein Bluff. Sie wird ihre Waffen und ihre Nahrung vernichten, wie wir es geplant hatten, dann rücken wir ein und erledigen sie.« »Was für ein Wahnsinn!« rief Ana. »Da wird nichts mehr sein! Der Fall-out wird uns töten, wenn wir ins Lager gehen.« »Mag sein. Ich habe einen Geigerzähler, wir überprüfen alles. Das Wichtigste sind die Flugzeuge. Wenn wir sie bekommen, können wir zu ihrem Stützpunkt auf der Rückseite fliegen.« Sie zögerte. Sie hatte alles genau einstudieren müssen und trug das Geheimnis nun schon einen Tag mit sich herum. Aber sie hatte sich vor diesem Augenblick gefürchtet. Wären meine Verbren nungen nicht gewesen, dann befände ich mich jetzt mit Colonel Menninger und dem Major in den Tunnels, dachte sie, und ich wäre viel glücklicher als hier. »Außerdem können wir jetzt ohnehin nichts mehr machen«, fuhr sie fort. »Sie wird die Bombe in den nächsten zehn Minuten hochgehen lassen. Gesichter zur Wand!« Und dann war die Hoffnung endlich tot.
Auch für die Brut-Mutter gab es keine Hoffnung mehr. Blind und allein lief sie langsam durch die Tunnels, zu dem einzigen Ort, der für sie noch blieb. Die Dreißigmeter-Sohle war für Junge und Ausgestoßene. Es war ein Ort, um Spiele des Heranwachsens zu treiben, oder, am Ende aller Spiele, ein Ort zum Sterben. Mutter dr’Shee war dort noch nie zuvor gewesen. Sie war als Junges folgsam gewesen, früh zur Verantwortlichkeit erzogen. Als winziges Ding hatte sie es aufregend gefunden, den Geschichten der Halb-Erwachsenen zu lauschen, schaudernd vor Vergnügen, während sie nach der
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Zitze im schützenden Fell ihrer Amme getastet hatte. Aber sie hatte die Abenteuergänge nie für sich selbst erkundet. Nicht ein einziges Mal. Sie hatte gewußt, daß die Zeit früh genug kommen würde, wenn sie am Ende ihres Lebens sich hinabschleppen mochte, um die alten Gänge zu sehen und zu sterben. Darin hatte sie sich zum Teil getäuscht. Es war Zeit, zu sterben, und sie war dort. Aber sie konnte nicht sehen. Mit Würde hob die Brut-Mutter ihren Vorderleib und rief: »Ist jemand in der Nähe?« Es kam keine Antwort. Kein Laut. Sie versuchte es noch einmal, nicht, weil sie Hoffnung gehabt hätte, Antwort zu erhalten, sondern, um methodisch zu sein: »Person oder Junges, kann jemand meine Stimme hören?« Nichts. Wenn es eine Antwort gegeben hätte, dann nur von einem der wilden, jungen Männchen, die durch die oberen Gänge streiften, allein in der Absicht, zu töten. Aber nicht einmal das kam. Ein weiterer ihrer Sinne war also nutzlos für sie geworden. Hören bedeutete nichts, wenn es nichts zu hören gab. Es war schade, daß sie blind war, aber sie empfand keine Feindseligkeit gegen die Zweibeinigen, die ihre Augen mit den Stroboskop-Lampen geblendet hatten. Sie hatte sich ohnehin im vorhinein an einer Anzahl von ihnen gerächt – dafür, daß sie ihre Tunnels vergiftet, ihre Jungen entführt, die Brut zu abscheuli chen, neuen Praktiken verführt hatten. Vor allem dafür, daß sie überhaupt erschienen waren, um ihr Leben zu zerstören. Sie hatte gegen alles gekämpft, gegen die Zweibeinigen und manchmal gegen Angehörige ihrer eigenen Brut, die durch die neuen Methoden der Zweibeinigen gegen sie aufgehetzt worden waren. Und nun waren die Tunnels leer, und sie war blind. Tschiii! Es wäre weniger – weniger endgültig gewesen, hier und allein zu sein, wenn sie wenigstens gelegentlich ein phosphor eszierendes Leuchten von Schwamm oder Fäulnis gesehen hätte. Was war von ihren Sinnen geblieben? Geschmack spielte keine
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Rolle mehr. Es gab wenig zu essen. Geruch blieb unbelohnt, da weder Männchen noch Junge berochen werden konnten. Sie konnte noch den pulverigen Staub des Bodens unter sich spüren, die gewölbte Wand an ihrem Leib. dr’Shee tröstete sich damit, eng umschlossen zu sein, wie sie es in den glücklichsten Zeiten ihres Lebens gewesen war… Das nun vorbei war. Sie reckte sich und seufzte mit einem katzenhaften, schnur renden Laut der Verzweiflung. Sie wurde überaus hungrig. Die Zweibeinigen hatten die meisten der Nahrungsspeicher ruiniert, als sie die Tunnels vergiftet hatten. Aber die Tunnels erstreckten sich zehn Kilometer in alle Richtungen. Irgendwo würde in diesem riesigen, künstlichen Bau, der ihre Welt gewesen war, etwas sein. Sie dachte nicht ernsthaft daran, es zu suchen. Eine Brut-Mutter entwürdigte sich nicht, ein Leben zu verlängern, das vorbei war. – wu-ump – Der Tunnel um sie bewegte sich. Es war kein Beben oder Erzittern, sondern eine starke, beinahe krampfhafte Bewegung. Mutter dr’Shee hatte so etwas noch nie erlebt. Gänge stürzten manchmal ein, Krinpits drangen in ihnen vor, die Regenfälle mochten eine Decke einbrechen lassen. Aber daß die ganze Erde sich bewegte? So etwas konnte nicht vorkommen! Für die Brut-Mutter war ein solches Ereignis so beunruhigend wie für einen Fisch, der versuchen wollte, mit der Schwanzflosse zu schlagen, ohne daß sie sich bewegte, oder für einen Menschen, der spürte, wie die Luft ringsum zu Glas wurde und zerbarst. Und dann hörte sie, dreißig Meter über sich, und fast tausend Kilometer entfernt, das Geräusch, das nachfolgte. Es war mehr als ein Geräusch, es war ein Druck in der Luft, der ihre Ohren peinigte und sie mit einem fernen, mißtönenden Geschnatter – wie das Piepsen einer hungrigen Brut – erfüllte. Aber es gab keine Jungen mehr für sie, die nach ihr schreien konnten; nie
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mehr.
Aus irgendeinem Grund war Margies rechtes Knie nur aufge schürft und wund, das linke dagegen blutig aufgerissen, der Stoff des Overalls zerrieben, die Haut längst weggeschürft. Es fiel ihr immer schwerer, mit den beiden vor ihr Schritt zu halten. Gott hatte nicht gewollt, daß sie stundenlang durch neunzig Zentimeter hohe Tunnels kroch… welchen Gott (God) sie meinte, war nicht ganz klar. Um ihre Knie zu schonen, versuchte sie eine Weile, dreibeinig zu hüpfen, das Gewicht ein wenig auf die linken Zehen verlagert, den Rest auf das rechte Bein und die Hände. Das war nichts. Sie bekam in der Wade den heftigsten Krampf ihres Lebens. Sie mußte anhalten und ihn wegmassieren, während Vandemeer hinter ihr fast aufholte und die beiden vor ihr weiterkrochen. Dann beeilte sie sich und riß das Knie noch mehr auf. Sie hielt an und schaute auf die Uhr. Noch über eine Viertel stunde, bevor die Bombe explodierte. Vorher würden die beiden Handgranaten, die sie an Biegungen in den Tunnels zurückgelas sen hatten, so viel Erde herunterholen, daß die Wucht der Explosion gedämpft wurde, und inzwischen waren sie einen guten Kilometer entfernt. Vermutlich weit genug, um zu überleben, wenn auch nicht mit Behagen. »Zehn Minuten Pause«, keuchte sie. Sie drehte sich herum und ruhte sich aus, die muffige, übelriechende Luft tief einatmend. Seltsam, es war in den Tunnels nicht richtig dunkel. Das hatte sie nicht erwartet. Als ihre Augen sich angepaßt hatten, konnte sie kleine Irrlichter sehen, die so blaß und schwach waren, daß sie kaum Farbe besaßen: Sumpfgas, faulendes Holz; was es auch sein mochte, es war willkommen. Sie hörte ein rasches, leises Scharren im Tunnel hinter sich, dann einen dumpfen Schlag. Und wieder Stille. »Van?« rief sie. »Major Vandemeer?«
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Die Erdwände verschluckten ihre Worte, und es kam keine Antwort. Mühsam drehte sie sich herum und kroch zurück. Der Geruch nach Mäusekot war sehr stark. Sie berührte den Schalter ihrer kleinen Helmlampe und sah, daß der Major tot war. Einer der Wühler war zur Stelle gewesen, und der Pfeil, der aus Vandemeers Gesicht ragte, bewies es. »Scheiße«, flüsterte Margie, dann hob sie verspätet den Kopf und zog ihre Pistole. Das Licht zeigte in dem schiefen, unebenen Tunnel nichts Gewisses. Funkelte da etwas? Der Widerschein eines Auges? Sie feuerte zweimal. Als sie wieder hinsah, war dort nichts. Aber alle paar Meter gab es kleine Nebengänge und Ausbuchtungen, und dort mochte ein Dutzend Wühler darauf warten, daß sie den Kopf abwandte. Sie erhob beinahe die Stimme, um die anderen zurückzurufen, blieb aber still, als sie den Mund schon geöffnet hatte. Wozu? Sie konnten die Leiche des Majors nicht mitschleppen. Zusammen gekrümmt, wie er dalag, blockierte er den Tunnel fast, und vielleicht war das der letzte Dienst, den er der Sache leisten konnte: Verfolger aufzuhalten. Es gab einen besseren Weg. Sie hatte noch zwei Handgrana ten. Sie zog eine aus ihrem Gürtel, stellte sie auf zehn Klicks ein, drehte sich herum und kroch davon, so schnell sie konnte, den anderen nach. Als sie bis hundert gezählt hatte, ließ sie sich hinfallen, verschränkte die Hände im Nacken und wartete auf den fernen, dumpfen Knall, der ihr verriet, daß sie einen Teil des Tunneldachs herabgeholt hatte, um den Major zu begraben. Als die Granate explodiert war, kam ihr der Gedanke, wie merkwürdig es war, daß sie die anderen nicht eingeholt hatte. »Sam! Chotnik! Melden!« schrie sie. Sie antworteten nicht; sie hatten ihren Befehl, eine Pause einzulegen, nicht gehört. Sie ließ die Helmlampe brennen und eilte ihnen nach, ohne den Schmerz im Knie zu beachten. Als die roten Ziffern an ihrer Uhr ihr verrieten, daß es Zeit für die Atomexplosion war, hatte sie immer noch nicht aufgeholt.
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Sie rollte sich auf den Rücken. Bei dieser Explosion kam es nicht darauf an, daß sie ihren Nacken schützte. Sie würde umkommen oder nicht, und der einzige Faktor, auf den es ankam, war, ob genug Erde zwischen ihr und der Explosion war. Es sollte reichen. Wenn die Treibladung die Behälter mit den Plutoniumnadeln aneinandertrieb, würde es eine atomare Explosion geben. Aber keine große. Sie würden nicht länger als einige Mikrosekunden zusammenbleiben. Wenn sie die Bombe richtig angebracht hatte, würde diese ihre Gewalt durch das Tunneldach nach oben richten, das Waffenlager der Öler und nicht viel mehr vernichten. Wenn sie sie richtig angebracht hatte. Sie war davon weit weniger überzeugt, als sie vor Vandemeer und den anderen zugegeben hatte. Die Karten, für deren Beschaffung Tinka und der Indonesier ihr Leben gegeben hatten, waren vollständig und sehr klar. Aber sie im Freien zu lesen, war eine Sache; sich an sie zu halten, wenn man unter dem Boden immer tiefer hinabkroch, eine ganz andere. Sie war nicht einmal sicher, daß sie auf dem Rückweg dieselbe Route genommen hatten wie auf dem Hinweg. Sie hätten eine Schnur hinter sich herziehen oder Lebkuchenstückchen abbrechen sollen, als Fährte für – In diesem Augenblick kam die Explosion. Genau zur festgesetz ten Zeit. Und Margie lebte noch. Es war nicht einmal erschreckend. Es war, dachte sie, wie es für sie im Schoß ihrer Mutter gewesen sein müßte, wenn ihre Mutter hingefallen wäre. Ein äußeres Ereignis hatte stattgefun den. Aber hier im Tunnel bewegte sie sich mit dem Boden, und selbst das Geräusch der Explosion war zu gewaltig und zu träge, um zu erschrecken. Dieser Teil des Planes war also wenigstens gelungen. Wenn Kris nun den Trupp zum Angriff bewegen konnte… Wenn sie an ihre Strahlungs-Ponchos dachten und der Wind nicht zu ungünstig war… Wenn die Öler sich nicht schnell genug faßten, um Widerstand zu leisten…
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Wenn die Bombe wirklich am richtigen Platz gewesen war… Es gab zu viele Wenns. Margies Platz war bei ihrer Truppe, nicht hier. Ein seufzendes, glitschendes Geräusch ein paar Meter hinter ihr erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie richtete die Stirnlampe dorthin und sah, daß ein Teil der Decke in den Tunnel gestürzt war. Ausgelöst von der Explosion? Vielleicht. Wohl aber eher nicht. Man wußte, daß Wühler Gegner in eine Falle zu locken versuch ten, indem sie Tunnels blockierten. Sie war mit der Blutspur von ihrem Knie schrecklich leicht zu finden und zu verfolgen. Es wurde Zeit, von hier wegzukommen. Sie schob die Schmer zen und die Angst, eines von den Wesen krieche langsam hinter ihr heran, resolut beiseite und kroch weiter. Nach zehn Metern stieß sie mit dem Kopf an. Die Wühler hatten beide Enden des Tunnels geschlossen. Sie knipste die Lampe wieder an. Es war frische Erde. Sie fuhr herum. Nichts bewegte sich hinter ihr. Sie war allein. Margie Menninger sagte zur Wand: »Die grundlegendste menschliche Angst ist die, lebendig begraben zu sein.« Sie wartete einen Augenblick, als hoffe sie, jemand werde antwor ten. Dann zog sie mit der einen Hand ihre Pistole heraus und griff mit der anderen nach ihrem Schanzspaten. Er war nicht da. Dann fiel ihr ein, daß sie ihn dort hatte liegen lassen, wo sie die Bombe zusammengebaut hatten. Also die Finger. Sie ließ die Pistole fallen und schaufelte mit bloßen Händen in der Erde. Wild. Dann voll Entsetzen. Und schließlich nur noch, weil nichts anderes für sie blieb.
Von Horizont zu Horizont, so weit Charlie sehen konnte, erstreckte sich unter ihnen eine geschlossene Wolkendecke, und
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höhere Wolken ragten überall herauf. Das Unwetter wurde zum Meer hin schwächer, aber hier, wo irgendwo darunter das ÖlerLager liegen mußte, war es Stunden her, seitdem er den Boden überhaupt gesehen hatte, Tage, seitdem er zum letztenmal den kleinen Trupp seines Freundes ‘Anny hatte sehen können. Und es war unmöglich, auf dem Posten zu bleiben! In allen Schichten bis zu zehntausend Metern Höhe und darüber fegte der Wind mit großer Stärke zum Hitzepol und riß ihn unerbittlich mit. Charlie konnte das Zerfransen der amboßförmigen Wolken an den Oberseiten lesen; es zeigte, daß es dort in fünfzehntausend Meter Höhe eine Rückströmung gab. Aber er und die beiden Weibchen, die von seinem Schwarm überlebt hatten, waren ausgelaugt und müde. Sie hatten viel Auftrieb verloren. Sie brauchten eine Ewigkeit, um diese großen Höhen zu erreichen. Während sie sich hinaufmühten, kam ein neuer Schwarm vom Pol herabgesegelt, und Charlie führte seinen kleinen Rest dorthin, begierig auf neue Zuhörer für seine Gesänge über die neuen Freunde von der Erde, sehnsüchtig nach Gesängen, die er noch nicht gehört hatte. Der neue Schwarm war klein, keine sechzig Erwachsenen, aber es waren Stimmen darin, die er noch nie gehört hatte, und er sang ihm freudig Grüße entgegen. Weißes Licht zuckte zwischen ihnen auf. Der Ausbruch überraschte sie alle. Charlie war einer der Glücklicheren. Er blickte nicht in die Richtung der Explosion und wurde daher nicht sofort geblendet. Er sah die hohen Zirruswol ken scharf abgezeichnet, blauweiß vor dem stumpfblutroten Himmel, sah die Umrisse des neuen Schwarms in grelleren, schärferen Farben hervortreten, als er sie je erlebt hatte. Minuten später hörte er das Geräusch, und hinter und unter ihm quoll eine neue Gewitterwolke aus dem Wolkenteppich. Aus dem Willkommenschor wurde ein Trauerlied von Schmerz und Angst. Charlie konnte nur mit einem erhebenden Gesang erwidern. Die Älteren des neuen Schwarms nahmen ihn auf, und der Schwarm ließ Ballast ab, rülpste verschluckten Wasserstoff in die Ballons und stieg hinauf. Ein paar taten es nicht. Sie waren
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nicht nur blind, sie litten zu große Qualen, um reagieren zu können. Obwohl sie von der Explosion weit entfernt waren, wurde der Schwarm wahllos durch den Himmel geschleudert, als der Wind kam. Charlie hatte noch nie zuvor solche Böen erlebt. Bei anderen Stürmen hatte es immer warnende Anzeichen gegeben, aufquellende Wolken und das tödliche Spiel der Blitze, um ihnen klarzumachen, daß es an der Zeit war, Wasserstoff zu schlucken und sich vom Sturm treiben zu lassen, oder über ihn hinauszu schweben und ihm zu entgehen. Diesmal gab es keine Warnung und kein Entkommen. Charlies Nahrungsklappen und kleinen Schwingen schienen an den Wurzeln ausgerissen zu werden. Ein Gefangener seines riesigen Windsegels, wurde er durch den neuen Schwarm geschleudert, prallte er gegen die Älteren davon, stieß er kleinere Ballons weg. Und dann spürte er ohne Vorankündigung die vertraute prickelnde Anspannung der Oberfläche seines Gassacks und erkannte den süßen, scharfen Geruch der Weibchen. Brunst, Schwarmzeit, Zeit, sich fortzupflanzen! Die Spinndrüsen der Weibchen arbeiteten jetzt heftig, sprühten fadenartige Ova und Pheromone in die Luft. Rings um den Schwarm und in ihm duftete die ganze Luft und forderte Fortpflanzung. Für Charlie und für alle anderen Männchen gab es keine Frage, was nun zu tun war: zusammenrücken, sprühen, durch den sengenden Nebel hin und her fliegen, mit vergrößer ten Zitzen, zuckend, den Samen verspritzend. Die Haut ihrer Luftsäcke verengte sich und verzerrte die Züge ihrer winzigen Gesichter zu Karikaturen. Hinter den Mienen lag Qual. Die Vorspiele für den Sex waren für Charlie keine Freude. Es war, als stecke man in einer Eisernen Jungfrau mit Stacheln, an denen Säure klebte. Nur die Erleichterung, wenn der Samen hinaus spritzte, machte der Qual ein Ende. Aber es war falsch, falsch! Charlie sang seine Frage hinaus, seine Angst, und der neue Schwarm sang mit ihm. Was für eine Fortpflanzung war dies,
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wenn das Aufflammen vom Boden kam, vom feindlichen, und nicht vom Himmel? Was war das für eine Hitze, die sie traf wie eine Faust, auf den Donner und die wilden Stürme folgend? Charlie konnte sehen, daß in der Turbulenz die meisten Ovafäden nicht von der Milch getroffen worden waren. Sie trieben am ganzen Himmel dahin. In seinem eigenen Körper konnte er spüren, daß es falsch war. Wo war das Brodeln des Wasserstoffs, der seinen Sack neu füllte, herausgepreßt aus seinen Körpersäften durch Strahlung? Und was – was war das für eine ungeheure aufquellende Wolke, die so schnell wuchs, daß sie sie alle zu sich heransaugte? Und das war die Frage, die alle anderen beantwortete und für Charlie auf ewig allen Fragen ein Ende machte, als die versengende Hitze des Atompilzes seine Augenflecken wegbrannte, seinen Gassack platzen ließ, den Wasserstoff entzündete, der herausspritzte und seinen Gesängen für immer ein Ende machte.
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XXIII
Für eine Atomexplosion war sie unbeträchtlich. Weniger als eine Kilotonne, wäre sie bei den Multi-Megatonnen-Ausbrüchen, welche die Erdoberfläche verheert hatten, kaum aufgefallen. Als die implodierenden Ladungen die glitzernden Plutoniumnadeln aus ihren Behältern sprengten, kamen sie nur für wenige Mikrosekunden miteinander in Berührung, bevor ihre eigene ungeheure Reaktion sie auseinandersprengte. Aber inzwischen hatte die Explosion bereits stattgefunden. Die Nadeln, das Gehäuse, die Wände des Tunnels um sie herum waren zu heißem Gas verdunstet. Milliarden Atmosphären Druck, unaufhaltsam entschlossen, sich freie Bahn zu schaffen. Sie bekamen sie. Binnen weniger Tausendstelsekunden entstand der Feuerball: fünfzig Meter Durchmesser, hinaufrasend mit fünfhundert Kilometern in der Stunde, greller als Kung, greller als die Sonne der Erde, heller als Hunderte von ihnen zusam mengenommen. Der Feuerball wuchs und dehnte sich aus, zuerst grellrot von der mitgeführten Salpetersäure, dann weiß und an Helligkeit verlierend, als er sich abkühlte. Selbst durch geschlossene Augen war dieses Aufflammen für die in der Höhle kauernden Leute sichtbar, und die Druckwelle, die über sie hinwegfegte, erschütterte die Höhle und ihre Körper. Der Lärm war ungeheuerlich. Danach, über den Echos, schrie Kris Kristianides: »Unten bleiben! Die Augen nicht öffnen! Warten!« Fast zehn Minuten lang hielt sie sie dort fest, dann blickte sie vorsichtig durch halbgeschlossene Lider und die dunkle Brille, bevor sie erklärte, sie könnten aufstehen. Zögernd schoben sie die Köpfe über den Grat. Mit zusammengekniffenen Augen sahen sie, was Margie Menninger getan hatte. Der Atompilz quoll riesig empor durch die Stratusschichten. Er hatte ein eigenes Loch in die Regenwolken gehämmert, aber der Pilz selbst war nicht zu sehen. In der Nähe schien das Öler-Lager kaum berührt worden zu sein: ein umgewehtes Gebäude, ein paar brennende Zelte, Leute, die betäubt herumwankten.
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»Sie – sie hat den Stützpunkt verfehlt!« schrie Kris, und Danny Dalehouse konnte nicht sagen, ob ihre Stimme zornig oder froh klang. Aber was sie sagte, entsprach der Wahrheit. Der Ursprung der Explosion lag einen halben Kilometer vom Lager entfernt, in Richtung des Hitzepols. Margie hatte sich geirrt. Die Hälfte der Explosion, ihres Drucks, war im Sand und bei den Fettpflanzen der Steppe verpufft. Aber das Drittel, das sich in Hitze verwandelt hatte, erreichte mehr. Die im Öler-Lager sich am nächsten befindlichen Personen wankten blind und in Todesqualen umher. Niemand hatte ihnen Schutzbrillen gegeben. Niemand hatte sie davor gewarnt, zur Explosionsstelle zu blicken. »Waffen überprüfen!« befahl Kristianides. Sie hatte die Brille abgenommen, und ihre Augen waren rot. Aber ihre Stimme klang entschlossen. »Zieht eure Umhänge an! Los! Wir rücken ein!«
Dalehouse stand auf und zog wie ein Automat den Plastikpon cho über sich. (Würde er wirklich gegen radioaktive Ausschüt tung schützen?) Er griff nach seinem Schnell-feuergewehr und drückte ein Magazin hinein. (Warum mache ich das?) Er ging mit den anderen in einer Schützenkette hinunter, alle neun, langsam auf den Stützpunkt des Erdöl-Blocks zu. Bei jedem Schritt sagte er sich, daß es falsch sei. Taktisch falsch: Die Atomexplosion hatte nicht mehr als ein paar Unglückliche erfaßt; es sprach viel dafür, daß ihnen die Überlebenden die Rübe wegschießen würden. Strategisch falsch: Sie hätten nie zulassen dürfen, daß sie in diese Lage gerieten. Und vor allem moralisch falsch: Für welche Art von Welt kämpften sie, wenn Menschen ohne Warnung getötet wurden? Dalehouse blickte unsicher nach links und rechts zu den anderen. Alle starrten geradeaus auf das Lager. Fühlte denn keiner von ihnen wie er? Er blieb schlagartig stehen.
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»Kris«, sagte er, »ich will das nicht tun.« Sie drehte sich langsam herum, so daß der Lauf ihrer Waffe auf ihn zielte. »Bewegen Sie Ihren Arsch, Dalehouse!« »Nein, warten Sie, Kris. Wir – « Sie sagte gepreßt: »Damit habe ich von Ihnen gerechnet. Wir rücken da ein. Alle. Colonel Menninger hat das vorbereitet, und ich lasse nicht zu, daß es umsonst war. Los jetzt!« Die anderen waren stehengeblieben, um sie anzustarren. Keiner von ihnen sagte etwas, alle warteten, während Dalehouse sah, wie der Lauf der Waffe sich auf seinen Nasenrücken richtete. Er seufzte tief und sagte: »Nein, Kris.« Und dann stand er da, als ihre Miene sich verwandelte und hart wurde, und er begriff, ja, sie würde abdrücken. »Lassen Sie Ihr Gewehr fallen, Leutnant!« rief Ana. Sie stand hinter Kris, ein wenig abseits, und ihre eigene Waffe zielte auf den Rücken von Leutnant Kristianides. »Ich will nicht töten«, sagte sie, »aber auch ich will dieses Lager nicht angreifen.« Dalehouse wartete nicht, um zu sehen, was geschehen würde. Er trat vor und nahm Kristianides das Gewehr aus der Hand. Er warf es hinter die Kuppe des Hügels, über den sie gekommen waren, und schleuderte das seine hinterher. Einen Augenblick später tat Ana dasselbe, und ebenso machten es, einer nach dem anderen, die übrigen. »Ihr verfluchten Narren!« kreischte Kris. »Sie schießen euch ab wie die Ratten!« Dalehouse antwortete nicht. Er starrte zum Öler-Lager hinüber, wo ein paar Personen aufgetaucht waren, die nicht blind oder verletzt waren. Sie hatten Waffen, und sie verfolgten das Drama auf dem Hügel. Dalehouse hob die Hände über den Kopf und begann mit
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ruhigen Schritten auf sie zuzugehen. Aus dem Augenwinkel sah er Ana seinem Beispiel folgen. Vielleicht hatte Kris recht. Vielleicht würde einer dieser Bewaffneten, die in der Deckung eines schwelenden Zelts knieten, zu schießen beginnen. Aber es lag nicht mehr in seinen Händen. Was es an Schuld noch geben mochte, nichts davon lag mehr auf ihm, und zum erstenmal seit Monaten spürte er Frieden in sich.
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XXIV
Und was kann man also zum Schluß noch von ihnen sagen? Was soll gesagt werden über Marjorie Menninger und Danny Dalehouse und Ana Dimitrowa – und über Charlie und Achmed Dulla, oder über Sharn-igon und Mutter dr’Shee? Sie taten, was sie tun konnten. Öfter taten sie, was sie glaubten, tun zu sollen. Und was man von ihnen sagen kann, ist das, was am Ende von allen Personen, menschlichen und anderen, gesagt werden kann: Sie starben. Manche überlebten den Kampf. Manche überlebten den Ausbruch von Kung. Aber auf Dauer gibt es keine Überle benden. Es gibt nur Ersatz. Und die Zeit vergeht, und Generationen kommen und gehen.
Und was kann man dann von jener schönen und mächtigen Frau sagen, die Bisam-Grünwolke An-Guyen heißt? Man kann sagen, daß sie die Spuren von Margie und Nan und von einigen der anderen trägt. Manches durch die Weitergabe der DNA-Ketten, manches von dem, was sie taten oder wer sie waren. Sie kannte natürlich keinen davon, weil sie alle seit sechs Generationen tot sind; sie ist ein Ersatz. Wie alle von uns ist sie keine Einzelperson. Sie trägt drei Persönlichkeiten, oder sechs, oder hundert, wenn man die subjektiven Erinnerungen und Sterotypen mitzählt, die andere Personen mit sich tragen, mit dem Etikett ›Bisam An-Guyen‹. Für einen früheren Liebhaber ist sie die süß verschwitzte Begleiterin eines Wochenendes am Höllensee. Für ihre Enkel ist sie die Lehrerin, die sie durch die Museen und den Zoo führt. Für den durchschnittlichen eingetragenen Stimmenabgeber des Metropolitan-Gebietes Boyne-Feng ist sie die Auswahl-Richterin, die über den Maschinerien der Regierung wacht. Oder vielmehr der Nicht-Regierung. Bisam – oder wie sie auch genannt wird: Muskie – steht hundertprozentig hinter den Sechs Regeln der Jem-Republiken (und ›Keine starke Zentralregierung‹ ist die
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letzte und vielleicht wichtigste davon). ›Regierung‹ ist für Muskie eine tote Verruchtheit, ausgebrannt bei der Explosion und ausgehungert in der Verzweiflung. Seit eineinhalb Jahrhunderten gibt es sie auf Jem nicht mehr. Niemand will dieses gerissene Schrecknis wiedersehen, am allerwenigsten Muskie. Es ist so überholt wie Armeen und Gleichgültigkeit und Verschwendung. Muskie wird dafür sorgen, daß es so bleibt, und wenn es sie ihren letzten Tropfen Blut kostet wie auch die äußersten Opfer ihrer Miliz-Freiwilligen und Geschenk-Annehmer. Aber um zu sehen, wer Muskie ist, wollen wir die drei Hauptge sichter betrachten, die sie trägt, und der heißen, zufriedenen Welt von Jem zeigt: Das erste davon ist Muskie die Ernährerin. Sie liefert fast ein Zehntel der Nahrung für Boyne-Feng, und fast alles davon kommt aus dem Untergrund. Sie tut das natürlich nicht selbst. Seht sie an, wie sie im Galerietor steht. Die Morgenschicht geht an die Arbeit. Die schlechte, alte Zeit der ›Eigentümer‹ starb zusammen mit der Regierung. Muskie ist keine Eigentümerin. Sie ist nur eine unter Gleichen. Aber sie ist eine Besondere. Man könnte denken, sie sieht aus wie eine Pflanzerin in Virginia, die Sklaven beaufsichtigt, oder vielleicht eine ShensiLandbesitzerin, die von den Kleinpächtern in ihren Reisfeldern Tribut fordert. Das wäre ein Irrtum. Es gibt keine Eigentümer. Es gibt nicht einmal irgendeinen Zwang. Die Marken, die ihr die Krinpit-Arbeiter geben, einer nach dem anderen, während sie zu den Farmen unter dem Boden hinunterhuschen, werden nicht erpreßt. Sie sind Geschenke. Sie werden zwanglos gegeben. Wenn Muskie mit der Gabe irgendeines Krinpits nicht zufrieden ist, rügt sie ihn nicht oder befiehlt ihm nicht, mehr zu geben. Sie verweigert einfach die Annahme. Dann zieht der Krinpit es vor, in sein Dorf zurückzukehren, wo er in Freiheit verhungern darf. Einen Meter oder zwei nach Muskies Platz besprüht der WühlerAufseher die Krinpits mit Anti-Allergen-Lack. Auch hier wird keine Gewalt angewendet. Wenn die Krinpits es vorziehen, den Aufsehern keine Geschenke zu machen, brauchen sie nicht umzukehren. Die Aufseher werden es dann vorziehen, sie nicht
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zu besprühen. Die Krinpits entwickeln dann ein Jucken oder schälen sich oder sterben als Folge des Umgangs mit den von Terra stammenden Feldfrüchten. Es ist das Recht des Krinpits, das zu wählen, was er will. Es besteht überhaupt kein Zwang, zu keiner Zeit, von irgend jemandem gegen irgend jemanden. Das gehört zu den Sechs Regeln. Die Krinpits wissen das und schwelgen in ihrer Freiheit – nicht zu reden vom Schwelgen in den Radios, den fröhlich lärmenden Trommeln und Zithern, den chemischen Rauschmitteln, Perlen und Metallwerkzeugen, die sie hoch schätzen. Dies alles bekommen sie freigebig, wenn sie freigebig ihre Marken hergeben, die Muskie ihnen am Ende jeder freiwilligen Arbeits schicht gegeben hat. Die Wühler wissen auch, daß dem so ist. Sie sind ebenfalls dankbar, vor allem für die Verbesserungen der Zweibeinigen an ihren barbarischen alten Tunnels, und sie unterstützen freigebig die kräftigeren, größeren Krinpit-Arbeiter, indem sie sie anweisen, wo sie die Bodenernten von Pilzen und die Deckenernten von Kartoffeln und Yam-Wurzeln anpflanzen müssen. Auch sie schwelgen jetzt im Besitz von Perlen, Geräten und Rauschmitteln, die ihre groben Vorfahren nie gekannt hatten. Die Ballon-Wesen wissen es – wieviel Freude haben sie mit ihrer auf Tonband aufgezeichneten Musik und ihren häufigen Orgasmen! Und Muskie Grünwolke An-Guyen weiß es natürlich besonders gut. Sie hat alles, was sie will. Das Beste von allem, was sie hat, ist vielleicht das sichere Wissen, daß die Sechs Regeln immer befolgt werden, so daß stets Gerechtigkeit herrscht und jeder auf Jem – und das heißt, wirklich jeder, Krip oder Ballon-Wesen, Fremder oder Sohn – ebenfalls alles hat. Wenngleich in der Regel nicht von allem soviel wie sie.
Dann gibt es Muskie, die freiwillige Verwaltungshelferin. Nicht bloß Diskutierende oder Teilnehmerin, wie alle anderen. Sie ist eine Auswahl. Richterin, die freigebig von ihrer Zeit spendet, um der ganzen Gemeinschaft zu dienen, sogar an Feiertagen. Sie verläßt die Landwirtschaftsgalerien und steigt hinauf an die
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Oberfläche, in die warme, helle Kuppel von Fett-City. Muskie ist noch immer eine kräftige, schöne Frau. Sie ist gebräunt von den Ultraviolettlampen der Schwimmgrotte; eher fest als dick; sie wiegt sechzig Standardkilogramm, aber sie hat eine Taille von fünfzig Zentimetern, und ihre Liebhaber ziehen sie Partnerinnen vor, die halb so alt sind. Blicke folgen ihr, wenn sie lächelnd in die Erinnerungshalle tritt, ihre Hose und den Umhang auszieht, um es sich bequem zu machen, allen den Ringgruß entbietet und sich auf einer Schaumliege niederläßt. »Ich möchte beginnen«, sagt sie sonnig. Die anderen sechs freiwilligen Auswahl-Richter sind sich darin einig, daß auch sie über die Fragen des Tages sprechen möchten. Die meisten Fragen sind Routinedinge, und Übereinstimmung stellt sich sofort ein. (Sie schonen sich alle für die große Frage.) Von seinem Platz unter der Büste von Mutter Kristianides aus – breite Stirn und Gelassenheit, während sie auf sie herabblickt – beschreibt Roanoke t’Schreiber die Fortschritte bei der Säuberung des Höllensees. Alle Abwässer der Stadt werden dort hineingepumpt. Das einheimische Leben im Meer wird zufrieden stellend abgetötet, da Escherichiacoli für die meisten Formen des Lebens auf Jem antibiotisch wirkt. »Noch zwei Millionen Darmbewegungen, und wir haben es funkelnd sauber«, kommentiert er. Sod House Flammgeboren blickt von ihren zehn Zentimeter langen Fingernägeln auf, um zu fragen, ob die Miliz nicht freizügig zusätzliche Marken erhalten sollte, da so viele von ihnen bedauerlicherweise (wenn auch freiwillig) ihr Leben bei der Erforschung zusätzlicher WühlerGänge und der Befreiung ferner Krinpit-Lager gegeben haben. Alle sind sich darin einig, daß das wünschenswert ist. Die Frau im Miliz-Drillich, die an der Tür gestanden hat, entfernt sich mit einem zufriedenen Lächeln. Dann verdüstert sich Muskies Gesicht, und sie erklärt: »Ich habe gehört, daß eine neue Tachtrans-Mitteilung von Alphabasis eingetroffen ist.« Es wird still im Saal. Das ist die Frage, die Unstimmigkeit in
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sich birgt, vielleicht sogar Wandel. Niemand möchte sich wirklich damit befassen. Alle Richter sitzen unbehaglich auf den Liegen unter den Büsten der Vorfahren, jeder wartet darauf, daß ein anderer spricht. Schließlich läßt t’Schreiber eine Meinung hören. »Ich für meine Person glaube, daß es unklug von unseren Vorgängern gewesen ist, den Versuch zu wagen, die Erforschung des Weltraums wiederaufzunehmen. Sie haben freigebig viel gespendet, um neue Tachtrans-Satelliten an den Himmel zu bringen. Was haben wir gewonnen? Leid und Verwirrung.« Er zählt die Kontakte auf: Wirres Zeug, das von der Mars-Kolonie stammen könnte. Jämmerliche Hilferufe von der alten Erde selbst. Ein Dutzend vorlaute Mitteilungen von der Basis bei Alpha Centauri, die einen Versuch zu einem Flug von und nach Jem vorschlägt. Vom Rest des Universums – nichts. Muskie wartet unbehaglich, rutscht herum und kratzt sich unmittelbar über der Plakette ihres Mini-Bikinis. Dann sagt sie: »Ich fragte mich, ob wir Mitteilungen von Alpha-Basis noch beantworten sollten.« Niemand sagt etwas. Daher besteht Zustimmung, und die Richter sprechen nun von der erfreulichen Zunahme der menschlichen Bevölkerung, von hundertachtzig Überlebenden zu achtzehnhundert in der dritten Generation, und nun in der sechsten fast eine Viertelmillion. Es besteht nicht länger die Sorge, die Menschheit könnte nicht überleben. Auf Jem gedeiht der Mensch. Das erinnert Muskie daran, daß ihr neuestes steht, geboren zu werden. Sie spricht leise in dem Krankenhaus. Die Stute ist in diesem Kreißsaal. Aber die Nachricht ist schlecht. totgeboren.
Baby im Begriff ihr Telefon, mit Augenblick im Das Baby ist
»Ich gebe mir selbst die Schuld«, sagt Muskie reuevoll zum Arzt. »Sarah Glühballon – war das ihr Name?«
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»Mary Glühballon«, verbessert der Arzt. »Ja, Mary. Sie war fast sechs Jahre alt. Ich hätte eine jüngere Stute nehmen sollen, zum Ausbrüten meines Babys.« »Lassen Sie sich den Tag davon nicht verderben«, tröstet der Arzt. »Ab und zu muß man mit einem Mißerfolg rechnen. Fast alle Ihre Kinder sind am Leben geblieben, und vergessen Sie nicht, daß Sie noch drei im Ofen haben.« »Sie sind sehr nett.« Muskie legt lächelnd auf. Aber die Nachricht hat sie verstört, und das auch noch zu Weihnachten. »Ich möchte jetzt gehen«, sagt sie zu den anderen Richtern, und sie wünschen natürlich die Besprechung ebenfalls zu beenden und nach Hause zurückzukehren.
Und dann gibt es Bisam, die Mutter, die Geehrte an der Spitze ihrer Familie. Das ist kein kleiner Teil von ihr. Ihre Familie ist riesengroß. Vierundvierzig lebende Kinder, das Dutzend von den ältesten hat sie längst zur vielfachen Großmutter gemacht, die drei Jüngsten liegen noch ungeboren in den geborgten Schößen anderer Frauen. (Sie nimmt sich vor, Sarah oder Mary Glühballon für ihre Güte, ihr zuletzt eingepflanztes Ovum auszutragen, ein freiwilliges Geschenk zu geben. Kein so großes wie sonst, versteht sich, da das Kind schließlich totgeboren wurde.) Zu Weihnachten werden sie alle kommen und ihr den Ringgruß entbieten. Sie freut sich sehr auf diesen Tag. Aber nicht alle Familiendinge sind erfreulich. Als sie durch die schönen Gärten zu der Stelle geht, wo sie schläft und ihre Besitztümer aufbewahrt, schiebt sich ein kleiner, blasser junger Mann durch das Gebüsch auf sie zu. Er ist d’Dalehouse Delphin An-Guyen und einer ihrer Söhne. Er ist gelaufen. Er atmet schwer. Muskie seufzt und sagt: »Wie nett von dir, dich zu beeilen, um mir den Ringgruß zu entbieten, Delph.« Er bleibt stehen und blickt blinzelnd auf den hübschen Weih
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nachts-Viel-Baum in der Mitte des Gartens, mit seinen ringförmi gen Lichtern und dem gelben Stern der Erde an der Spitze. Offenkundig hat er den Feiertag vergessen. Muskie seufzt wieder. »Trotzdem fröhliche Weihnachten, Delph. Ich weiß, du wirst mich wieder rügen. Setz dich und hol zuerst Luft.« Sie sitzen auf einer gepreßten Wühlerstein-Bank unter einer Weinlaube. (Ein paar Beeren hatten den Ausbruch unter einer Koje in einem Vorposten überlebt. Von den sechs keimfähigen Samenkörnern, die man darin fand, war der ganze Wein auf Jem gekommen, und diese Laube.) Muskie sieht ihren Sohn nicht an. Sie weiß, daß er trotz seiner Fehler zu gut erzogen ist, um zu beginnen, bevor sie ihn dazu ermutigt hat, und sie möchte, daß er den Frieden der Umgebung spürt. Überall im Garten stehen die Statuen der Ersten Generation, die achtzehn Mütter in Gold, die zweiundfünfzig Statuen in Kristall, die neunundsiebzig Väter aus den Klippen unter dem Hitzepol gehauenem Granit. (Die einundzwanzig Überlebenden, die nicht einmal durch Klonen Gene beigesteuert haben, besitzen auch Statuen, aber diese stehen außerhalb des Parks; keiner davon war auch nur als Stute eingesetzt.) Es gibt weitere Unterschiede bei den Statuen. Die einundachtzig Überlebenden, die von der Rückseite zurückkamen, tragen ihre Namen in mattiertem Silber. Die zweiunddreißig, die in den Tunnels unter dem Vorposten Nahrung überlebten, als der Ausbruch sie überraschte, bevor die Flüge zur Rückseite abgeschlossen werden konnten, sind in Rubinen verewigt. Und die siebenundsechzig anderen – wenige davon lebensfähig –, die den Ausbruch in Höhlen, unter Maschinen, in Raumkapseln oder irgendwo anders überstanden, wo sie sich vor der Wut des Sterns hatten verbergen können, sind gekennzeichnet in orangerotem Chrysolit, der Farbe der Flamme. Das liegt sechs Generationen zurück. Muskie könnte von 22 von ihnen abstammen, fast einem Drittel, aber tatsächlich sind nur elf ihre wahren Vorfahren, mit beträchtlicher Überschneidung. (Zum Beispiel ist sie jeweils fünffacher Abstammung von Marjorie
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Menninger, Ana Dimitrowa, Nguyen Tree und Erstgeboren McKenzie, dem winzigen phokomelischen Kind der einen Frau, die sowohl die Atombombe im Vorposten Erdöl wie den Ausbruch von Kung überlebte. Sie lebte nur lange genug, um ihr defektes Kind zur Welt zu bringen, aber das Kind war staunenswert fruchtbar.) Als Muskie das Gefühl hat, daß dieser heilige Ort alles für ihren Sohn geleistet hat, was möglich ist, kratzt sie sich unter dem Bund ihrer Hose und sagt: »Also gut, Delph, du kannst es ruhig aussprechen.« Er kann es kaum erwarten, die Worte hervorzustoßen, so ungeduldig ist er. »Also gut, ich sage es! Du hast einen Fehler gemacht, Mutter Muskie. Wir können zu Alpha-Basis nicht nein sagen.« »›Können‹ nicht?« Er ist störrisch. Sogar heftig. »Ja, das sage ich, wir können nicht. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschheit! Jem verrottet vor unseren Augen, Mutter Muskie. Das ist die beste Chance, die wir je hatten, alles wieder in Gang zu bringen. Auf Alpha-Basis haben sie HochenergieTechnologie. Weißt du, was das bedeutet, was sie vorschlagen? Sie sind in der Lage, zehn Standardtonnen in den TachyonLadungszustand zu versetzen – wir könnten das nicht, und wenn es um unser Leben ginge.« »Lieber Delph«, beginnt sie, voll gütiger Vernunft, »wir haben hier auf Jem dringendere Probleme. Weißt du, wie viele wilde Schwärme es noch gibt? Krinpits, die noch in Barbarei leben? Wühler, die wir nicht erreicht haben, die auf alles verzichten müssen? Wir haben eine Pflicht – « »Wir haben eine Pflicht der Menschheit gegenüber!« ruft er. »Ja. Gewiß. Und wir erfüllen sie. Unsere Vorfahren haben ihr Leben gegeben, um uns zu retten, und wir sind den Sechs Regeln treu. Es gibt keine tyrannische Regierung, keinen Zwang,
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keine konkurrierenden Nationalitäten hier. Wir haben Jem nicht vergewaltigt, sondern umworben. Wir leben von Ressourcen, die sich erneuern, während die Alphas wieder bei der Industrie und allem Bösen der Technologie angelangt sind.« »Du lieber Gott!« schreit er. »Ressourcen? Unsere Viertelmilli on fängt nicht einmal an, sie anzukratzen! Weißt du, daß das fossile Öl sich schneller bildet, als wir es verbrauchen?« »Gut. Richtig. Das macht es erneuerbar. Aber sei vernünftig, lieber Delph. Warum das Glück von allen verderben, indem man etwas Unsinniges wünscht? Angenommen, jeder wollte tun, was du sagst. Wer würde dieses fossile Öl schürfen?« »Krinpits. Wühler. Leute. Maschinen. Ist mir egal. Wenn sie es nicht tun wollen, sollte man es ihnen befehlen.« Muskie ist betroffen. »Du hast mir Weihnachten verdorben«, sagt sie traurig und geht. Was für eine Schande! Ein alberner, störrischer Junge und eine untüchtige Stute, und ihr ganzer Feiertag war verdorben, bevor er richtig angefangen hatte. Delph ist ihr Lieblingssohn oder jedenfalls oft. Sie bewundert seinen kleinen, schnellen Körper und seinen klugen Verstand. Aber was für ein Ärger! Wie langweilig! Warum kann er nicht wie alle anderen das Paradies akzeptieren und darin glücklich sein? Delphs Feiertag ist ebenfalls verdorben, und er sitzt so zornig und frustriert auf der Wühlerstein-Bank, daß er nicht einmal hört, wie die Lieder einsetzen: ›A-es’e fi’eles lae’ri ‘riumphan’es.‹ Wenn man es ihr nur begreiflich machen könnte! Die Gewin nung von Jem hatte so viel an Blut und Qual gekostet. Nicht nur in jenem ersten schrecklichen Jahr. Immer und immer wieder, jedesmal wenn Kung in jenen ersten Jahrzehnten aufflammte. Es hatte seit den Tagen der Vorfahren acht Ausbrüche gegeben, und nur die letzten zwei oder drei waren einigermaßen
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schmerzlos gewesen. Warnung genug. Ein wilder Sturm, um die Kuppeln ionendicht zu machen und das Wichtigste an Verderbli chem hineinzuschaffen. Eine Woche Einge-schlossensein, während der Stern wütete, ein Jahr oder etwas mehr an irgendeiner Knappheit, bis der Planet sich wieder erholte. Doch damit blieb ein halbes Dutzend Belagerungen des Elends, die erste am schlimmsten, aber alle katastrophal. Sollte das alles umsonst gewesen sein? ›Veni’e a’oremus ‘Ominum.‹ Ein Wühler-Aufseher hetzt keckernd an ihm vorbei zum VielBaum, gefolgt von vier lärmenden Krinpit-Gärtnern in ihren grellroten und -grünen Ringgruß-Lackierungen. Er nimmt verspätet den Chor wahr. › – erre“e uns alle von Sa’ans Mach’ wenn wir verirr’ uns haben.‹ Schöne Feiertage sind das, denkt er. Feiertage des Selbst mords! Die Zeit, zu entscheiden, daß man an der Ranke verdorrt, während der Rest der Galaxis zu weiß der Himmel welchen Triumphen der Technologie und des Abenteuers fortschreitet! Düsterkeit ringt in ihm mit Weihnachten. Das düstere Gefühl unterliegt langsam. Er erinnert sich, was der Wühler getragen hat – blaß leuchtende UltraviolettStrobelampen –, und beschließt, zum Weihnachts-Viel-Baum hinüberzuschlendern. Die Krinpits schieben Bänke und Picknicktische weg, um Platz zu schaffen, vor sich hin stöhnend und rasselnd; sie werden fertig und eilen davon. Der Wühler stellt seine Strobelampen auf und wartet auf Anweisungen. Am Baum selbst singen sich die angeseilten Ballon-Wesen in Verzückung. ›Schlaf in heiliger Ruh’ schlaf in heiliger Ruh’.‹
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Rings um den Baum ziehen junge Leute wie er ihre Kleidung aus und schlüpfen zwischen die bunt geschmückten Stämme. »Es ist Zeit, anzufangen!« rufen sie, und die Ballon-Wesen beginnen mit dem fröhlichen, flotten: ›Der gute König Wenzes laus‹. Gehorsam zündet der Wühler die Strobelampen. Die Ballon-Wesen stöhnen und singen weiter und beginnen zu sprühen, und unter dem herrlichen Baum tun sich die Paare zusammen zu den traditionellen Ringen. Und Delph hält es nicht länger aus. Die Düsterkeit unterliegt. Weihnachten siegt. Er reißt sich die Kleider herunter und stürzt sich zwischen die Stämme des Viel-Baums. Warum gegen Utopia kämpfen? denkt er. Und in diesem Augenblick vollendet er den Prozeß des Erwachsenwerdens. Und beginnt mit dem Prozeß des Sterbens. Was im Grunde auf eines hinausläuft.
Ende
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