1. 2. 3. 4.
Gasförmiger Ableger Phantom-Babys Unzerstörbarer Außenpanzer Tentakelarm, bei Bedarf ausfahrbar Laufrad au...
56 downloads
785 Views
757KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
1. 2. 3. 4.
Gasförmiger Ableger Phantom-Babys Unzerstörbarer Außenpanzer Tentakelarm, bei Bedarf ausfahrbar Laufrad aus Metall
5. Gastank mit dem Phantom-Baby-Ableger 6. Versorgungseinrichtungen für den Gastank 7. Antriebs- und Energieaggregate
Band 56 der Fernseh-Serie Raumpatrouille Horst Hoffmann
Invasion aus dem Meer
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Als der einzige Überlebende des Handelsraumschiffs TIMUR LENG im Zustand geistiger Umnachtung zur Erde zurückkehrte, veranlaßte das Oberkommando der T.R.A.V. eine Routineüberprüfung. Aber der Raumkreuzer, der auf dem Planeten der roten Zwergsonne landete, blieb verschollen. Wieder einmal mußte die ORION-Crew her, um ein Rätsel zu lösen, das für die unter der Herrschaft von Orcuna und Fluidum Pax verweichlichten Menschen ein Buch mit sieben Siegeln war. Doch die Crew, die siegesbewußt auf Dusty landete, geriet, genau wie ihre Vorgänger, in den Bann des geheimnisvollen Lockrufs. Sie wurde in den Transmitterkreis einer untergegangenen Zivilisation gelockt, der vom Rudraja manipuliert worden war und seither unzählige Neugierige verschlungen hatte. Er war ein Teufelskreis der sich steigernden Schrecken geworden. Die Raumfahrer der ORION sahen sich, sobald sie dem Untergang einer Welt entronnen waren, noch schlimmeren Gefahren gegenüber und waren nahe daran, den Verstand und ihr Leben zu verlieren. Aber wieder einmal erwies es sich, daß die ORIONCrew durch ihre Erlebnisse in einer früheren geschichtlichen Epoche der Menschheit und vor allem am Kreuzweg der Dimensionen sozusagen für die Aufgabe konditioniert worden war, die Gefahren der erstarkten Erben des Kosmischen Infernos zu überwinden. Indem die Raumfahrer erkannten, daß sie in der Apokalypse eines Weltuntergangs entgegen dem Selbsterhaltungstrieb ausharren mußten, zerbrachen sie den Kreis des Grauens. Doch als sie zur Erde zurückkehren, erwarten sie die Schrecken der INVASION AUS DEM MEER ...
Die Hauptpersonen des Romans: Han Tsu-Gol – Der Regierungschef der Erde wird mit einer unheimlichen Invasion konfrontiert. Cliff McLane – Der Commander setzt die ORION als U-Boot ein. Hasso, Atan, Helga und Mario – Sie sind bereit, für die Menschheit ihr Leben zu opfern. Arlene N'Mayogaa – Ein fremder Wille treibt sie voran. Norma Russell – Tunaka Katsuros »Aufpasserin« für die ORION-Crew.
1. »Es besteht Hoffnung, Admiralin«, wiederholte der Chefarzt leicht gereizt. »Mehr kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Sehen Sie sich die Leute an. Wenn sie überhaupt jemals wieder völlig gesund werden, kann das Jahre dauern.« Leandra de Ruyter, ihres Zeichens Chefin der Terrestrischen Raumaufklärungsverbände, preßte die Lippen aufeinander und versuchte, den irren Blicken der Raumfahrer auszuweichen, die sie von ihren Betten her anstarrten. Manche lallten sinnloses Zeug und kicherten albern. Wenige Meter hinter der Admiralin standen die Mitglieder der ORION-Crew dicht beieinander, als böte ihnen die Gemeinschaft Schutz gegen das Grauen, das ihnen von beiden Seiten des Ganges entgegenschlug. Überall huschten Medoroboter um die ehemaligen Besatzungsmitglieder der TIMUR LENG und der LYNX umher, verabreichten Injektionen und maßen die Gehirnströme. Cliff McLane und seine Mannschaft hätten dem Arzt Auskunft geben können. Sie hatten die Hölle,
die die Menschen im Hospital zu Wracks gemacht hatte, am eigenen Leibe erlebt. »Gehen wir«, flüsterte Atan Shubashi. »Wir können hier nichts tun.« Helga, Arlene, Mario und Hasso folgten ihm in den Aufenthaltsraum der Klinik. Nur Cliff blieb bei den Kranken. Die Raumfahrer versuchten, das zu vergessen, was sie eben gesehen hatten. Dutzende Frauen und Männer, die in den Schrecken der Transmitterhölle wahnsinnig geworden waren. Und um ein Haar hätte ihnen das gleiche grausame Schicksal gedroht. Nur eine in unzähligen Einsätzen entwickelte Willensstärke hatte sie vor dem Verderben bewahrt. »Wären wir nur nie auf die Idee gekommen, das Sternenschiff zu benutzen«, fluchte Atan. »Dann hätten wir unsere Ruhe.« »Und würden ahnungslos im Weltraum umherfliegen – zwischen den schlummernden Erben der beiden Mächte«, ergänzte Helga sarkastisch. Atan schwieg. Helga hatte ebenso recht wie Arlene. Seit der Rückkehr ins reale Universum wurde die ORION-Crew, und mit ihr die gesamte Menschheit, mit den Hinterlassenschaften des Kosmischen Infernos, des erbitterten Kampfes zwischen dem Varunja und dem Rudraja, konfrontiert. Das Universum schien aus einem tiefen Schlaf erwacht zu sein. Überall lauerten die Relikte des Krieges der Urmächte. Einige hatten unschädlich gemacht werden können, aber niemand wußte, wie viele es noch im Weltraum und auf der Erde gab. Immer noch verschwanden Schiffe und Flugzeuge im Bermuda-Dreieck. Die Tür zur Krankenstation fuhr zur Seite, und Le-
andra de Ruyter trat heraus. Cliff McLane folgte ihr. »Die unerschrockene ORION-Crew«, spottete sie, als sie die unbehaglichen Gesichter der Mannschaft sah. »Verdrückt sich wie ein Haufen Kaninchen vor der Schlange.« »Jetzt fängt sie auch schon damit an«, flüsterte Mario der neben ihm sitzenden Helga zu und spielte damit auf die blumige Redeweise des Regierungschefs Han Tsu-Gol an. Die Admiralin überhörte die Bemerkung. »Sie müssen das verstehen«, sagte Hasso. »Das ist nichts für uns. Bringen Sie uns den Teufel, der die Leute auf dem Gewissen hat, und Sie werden sehen, was die Kaninchen mit der Schlange machen. Aber das dort drinnen ...« »Sie wissen sehr gut, daß das nicht möglich ist, aber seien sie beruhigt. Mir steckt der Anblick genauso in den Knochen wie Ihnen.« Auf dem Gang zum Hauptlift wurde es plötzlich laut. Dann erschien ein Mann in der Uniform des GSD im Eingang des großen Besucherraums. Ohne sich um die beiden Ärzte zu kümmern, die lautstark gegen sein Eindringen protestierten, trat er ein und grüßte knapp. Er reichte Leandra de Ruyter einen Umschlag. Mario stöhnte und verdrehte die Augen. Auch die anderen ahnten, daß es Arbeit gab. Die Admiralin zog ein beschriebenes Blatt aus dem Umschlag und las. »Es ist gut«, verabschiedete sie den GSDAssistenten. Dann drehte sie sich um und musterte Cliff McLane, der bisher geschwiegen hatte. »Glauben Sie, daß Ihre ... Kaninchen wieder fit sind, Oberst?« Cliff hielt sich ernst.
»Sie wären kaum zu bremsen, wenn sie wüßten, worum es geht.« »Katsuro will Sie sehen«, sagte sie ungerührt. »Und dazu braucht er Ihre Einwilligung«, stellte Cliff fest. Die Admiralin schien einen Augenblick lang in Gedanken versunken zu sein. Plötzlich lächelte sie. »Wissen Sie, McLane, das ist einer jener Augenblicke, in denen man tatsächlich das Gefühl hat, Ihnen vorgesetzt zu sein. Eine Entscheidung zu treffen, ohne Angst haben zu müssen, daß Sie und Ihre Kumpane sich grinsend an die Stirn tippen und sich den Teufel darum scheren, was man ihnen befiehlt.« »Das würden wir nie tun!« sagte Mario in gespielter Entrüstung. »Na schön, verschwinden Sie, aber wenn Sie einen Einsatz verpaßt bekommen, dann denken Sie daran, daß auch mir einmal der Geduldsfaden reißen könnte. Ich kann mir etwas Besseres vorstellen, als laufend bei Han Ihre gute Fee zu spielen.« »Selbstverständlich«, versicherte Cliff im Brustton der Überzeugung. Er nickte der Admiralin zu und gab der Mannschaft einen Wink. * Cliff McLane war nicht sonderlich überrascht, im Konferenzraum neben Tunaka Katsuro, dem Chef des GSD, auch Han Tsu-Gol zu finden. Die beiden kahlköpfigen Männer wiesen den Raumfahrern ihre Plätze zu. Außer ihnen waren nur einige GSDAssistenten im Raum, die der ORION-Crew bisher unbekannt waren.
Sie befanden sich im Hauptquartier der Raumflotte unterhalb des Carpentaria-Golfs. Der Konferenzraum war nicht sonderlich groß. Der große runde Tisch, über dem sich ein großer Projektionswürfel befand, bot Platz für höchstens zehn Personen. Überall in den Wänden waren Monitoren und Ausgabeelemente angebracht. Irgendwo ratterte ein Rechner. Sowohl Tunaka Katsuro als auch Han Tsu-Gol wirkten ungewöhnlich ernst. Es sah so aus, als wollte keiner von ihnen den Anfang machen. »Ich nehme an, Sie haben uns nicht hierherkommen lassen, um uns dieses Prachtstück zu zeigen«, begann Cliff und machte eine umfassende Geste. »Ihr Scharfsinn überrascht mich immer wieder, McLane«, knurrte der GSD-Direktor. »Es geht ums Bermuda-Dreieck.« »Neuigkeiten?« Cliff warf einen Blick auf die GSDMänner an den Instrumenten. »Haben Sie dafür das alles hier arrangiert?« »Wenn ich nicht wüßte, daß Sie nicht anders können ...« brummte Katsuro, aber er beließ es bei der Andeutung. Obwohl er nach außen hin den gestrengen GSD-Chef herauskehren mußte, sympathisierte er mit der ORION-Mannschaft. »Wir kommen einfach nicht dahinter, was die neuen Fälle der verschwundenen Seeschiffe und Flugzeuge in diesem verdammten Gebiet verursacht. Nur eines ist so gut wie sicher: Die Ursachen sind andere als früher.« »Haben sie TECOM befragt?« erkundigte sich Cliff. Katsuro nickte. »Im Gegensatz zu den damaligen Fällen können keine fünfdimensionalen Doppelimpulse mehr an-
gemessen werden. Das Wenige, was uns die automatischen Meßschiffe und Robotsonden übermitteln, sofern sie nicht selbst verschwinden, macht die ganze Sache eher noch rätselhafter. Elektromagnetische Phänomene und Zeitverschiebungen. Wir ...« »Zeitverschiebungen«, hakte McLane ein. »Ich erinnere mich. Wir selbst haben diese Unregelmäßigkeiten miterlebt, als wir über dem Dreieck kreuzten.« Cliff fing sich einen grimmigen Blick des Regierungschefs ein. »Gibt es hier neue Beobachtungen?« »›Unregelmäßigkeiten‹ ist gut!« stöhnte Katsuro. Er schob ein paar Folien über die glatte Tischplatte. »Sehen Sie selbst. Ein Spruch von einer unserer Robotsonden, gestern vormittag um 9.42 Uhr abgegeben. Er kam um 9.46 Uhr auf Bimini an, keine zweihundert Meilen entfernt!« Cliff studierte die Folie und reichte sie an die Mannschaft weiter. »Natürlich fragen wir uns, was in den fehlenden vier Minuten mit dem Spruch geschah. Eines unserer robotgesteuerten Meßschiffe geriet vor ein paar Tagen ganz plötzlich einfach aus der Ortungserfassung. Wir befürchteten, daß es ebenfalls abgeschrieben werden konnte. Dann war es wieder auf den Schirmen, und hinterher stellte sich heraus, daß sein Bordchronometer genau die Minuten weniger anzeigte, die es verschwunden war. Können Sie sich darauf einen Reim machen, McLane? Sie wissen doch sonst immer alles.« »Fast alles«, korrigierte der Oberst. »Wir haben einen riesigen Untersuchungsstab auf Bimini«, sagte Katsuro. »Aber auch die Leute dort kommen nicht weiter.«
Mario meldete sich: »Und was erwartet man von uns?« »Die Kastanien aus dem Feuer zu holen«, erwiderte Cliff. »Aber das ist wiederum eine heikle Angelegenheit, weil man befürchten muß, daß wir wieder einmal auf eigene Faust handeln, wenn die Borniertheit der Bonzen wie Scheuklappen den Blick ...« »McLane!« fuhr der sonst so beherrschte Han TsuGol auf. »Wir wollten Ihnen nicht zu nahe treten, Han«, lächelte Cliff. »Jeder von uns weiß, daß Sie im Grunde genommen ein ganz patenter Kerl sind, aber nur nicht immer so können, wie Sie wollen.« »Das reicht, Cliff«, fuhr Katsuro dazwischen, aber Han Tsu-Gol winkte ab. Er stützte sich auf die Tischplatte und sah Cliff aus zusammengekniffenen Augen an. »Was tut das Kaninchen, wenn es vor der Schlange steht?« fragte er. Cliff ließ sich nicht irritieren. »Es läuft weg, wenn es schlau ist, Han.« Der Asiate nickte zufrieden, als hätte er keine andere Antwort erwartet. »Aber wenn es ganz schlau ist«, ergänzte McLane, »hat es sich ein paar Kaninchenfreunde mitgebracht, die die Schlange von hinten packen und in den Schwanz beißen.« Hans Lächeln wurde noch breiter. »Sehen Sie, Cliff. Das ist der Unterschied. Es gibt Tausende von Kaninchen, die weglaufen, weil keiner sicher ist, daß seine Kaninchenfreunde auch zur Stelle sind, bevor die Schlange zupackt. Das sind unsere Leute auf den Biminis und in unseren Schiffen. Dann
gibt es da sechs Verrückte, die anscheinend schon zusammen aus dem Ei gekrochen sind und so aufeinander eingespielt sind, daß sie ...« Cliff unterbrach Han mit einer raschen Handbewegung. »Ich höre nicht recht, Meister der Fabeln. Soll das heißen, daß Sie die ORION-Crew bitten, einen Risikoeinsatz im Sperrgebiet Bermuda-Dreieck zu übernehmen? Die Verrückten, die Sie noch vor kurzem auf ein Forschungsschiff strafversetzen wollten?« Han winkte barsch ab. »Man muß vergessen können, Cliff. Außerdem würde ich Ihnen nie einfach den Befehl geben, sich einzuschalten, da Sie mit ziemlicher Sicherheit ins Sperrgebiet eindringen müßten. Und was dann passieren kann, können Sie sich ausmalen. Die Verantwortung ist einfach ...« »Wir sollen uns also freiwillig melden«, stellte Cliff fest. Katsuro lächelte nun auch. »Wenn Sie das so sehen ...« Cliff drehte sich zu seiner Crew um und grinste breit. »Stellt euch vor: Die bösen Buben von der ORION melden sich freiwillig, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Man braucht uns, um aufgrund unserer Erfahrungen Dampf unter den lahmen ...« »McLane!« »... Polstern der Leute auf Bimini zu machen. Ein Einsatz mit nicht vorhersehbarem Ausgang, und das mit höchster Billigung!« »Da macht's schon fast keinen Spaß mehr«, frotzelte Atan.
»Also, Han«, sagte Cliff mit gespieltem Ernst. »Quälen Sie sich nicht länger, wir melden uns freiwillig. Bekommen wir einen Aufpasser mit an Bord?« »Einen Kaninchenzüchter«, kommentierte Mario. »Können Sie Ihre geistreichen Witze einmal für ein paar Minuten vergessen?« fragte Katsuro, jetzt verärgert. »Sehen Sie zu, daß Sie auf Bimini etwas erreichen, dann höre ich sie mir gerne an.« »Sie haben recht«, sagte Mario trocken. »Die Kaninchenwitze sind seit über tausend Jahren nicht mehr aktuell.« Cliff gab Mario ein Zeichen, und der Kybernetiker hielt den Mund. »Ich verlange vollkommene Handlungsvollmacht, Han. Wir werden sehen, was wir auf Bimini erreichen können. Aber fallen Sie uns nicht in den Rücken, wenn wir ins Dreieck müssen.« »Sie haben die Vollmacht, Cliff«, erklärte Han TsuGol. »Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen diesen Freibrief gerne gebe, aber ich habe diesmal keine andere Wahl.« Der Regierungschef und ehemalige Orcast erhob sich und zeigte damit an, daß die Konferenz beendet war. »Sie erhalten alle Informationen, die Sie brauchen, bevor Sie abfliegen. Ich wünsche Ihnen alles Gute. Und machen Sie keinen Unsinn.« »Das tun wir nie, wenn's sich vermeiden läßt«, sagte Cliff.
2. Die ORION IX war auf einem Flughafen für Stratoliner gelandet, der größtenteils für den Zivilverkehr gesperrt war. Schon während des Anflugs hatten die Raumfahrer einen ersten Eindruck des hektischen Betriebs bekommen, der seit der Sperrung und der Errichtung des Untersuchungsstabs Bermuda-Dreieck auf Bimini herrschte. Kaum hatten sie ihr Schiff verlassen, als auch schon ein Gleiter auftauchte und dicht vor ihnen hielt. Eine Frau in einer phantasievollen Kombination stieg aus und stellte sich als GSD-Assistentin Norma Russell vor. Sie war schätzungsweise 30 Jahre alt und machte einen überaus attraktiven Eindruck. Im Gegensatz zu den anderen Menschen dieser Zeit war sie kaum geschminkt. »Wenn das kein Empfang ist«, scherzte Mario de Monti. »Man scheint hier gut über unsere kleinen Schwächen informiert zu sein.« »Bilden Sie sich bloß nichts ein«, konterte die Schöne. »Wo ist hier der Chef, dieser McLane?« Hasso schluckte. »Was, Sie kennen Cliff McLane nicht?« stieß er ungläubig hervor. »Muß ich das?« Cliff grinste und klärte die GSD-Assistentin auf. Nebeneinander marschierten die beiden auf den Robotgleiter zu, wobei Norma Russell McLane erste Informationen gab. »Die macht mir Spaß«, flüsterte Mario den anderen zu. »Könnte glatt zu uns passen, ist auch nicht auf den Mund gefallen.«
Sie bestiegen den Gleiter. Die Maschine stieg auf und flog über das abgesperrte Flughafengelände auf die Stadt hinaus, die aus einem halben Dutzend kleinerer Ortschaften zusammengewachsen war und nun die größte Ansiedlung auf der Hauptinsel der BiminiGruppe bildete. Nach wenigen Minuten erreichten sie ein riesiges, supermodernes Hotel, in dem das Hauptquartier des Untersuchungsstabs eingerichtet worden war. Das Bauwerk spiegelte die zeitgenössische terranische Architektur wider. Mindestens zweihundert ziegelförmige Wohneinheiten waren ineinander versetzt und durch Verstrebungen miteinander verbunden. Zwischen einem großen Gleiterlandeplatz und zwei großen Straßen breitete sich ein gepflegter Park um das Hotel herum aus. »Kommen Sie«, forderte die hochgewachsene Frau die Raumfahrer auf. »Nur keine Angst vor den Fachsimplern da drinnen.« Sie traten durch den breiten Eingang, der sich automatisch hinter ihnen wieder schloß. Jetzt verstanden sie den Sinn von Normas Bemerkung. Die riesige Vorhalle des Hotels war mit Männern und Frauen vollgepfropft, und Volksgemurmel schlug ihnen entgegen. »Das kann ja heiter werden«, brummte Cliff. Er packte Norma am Arm. »Ich nehme an, Sie sollen uns helfen, uns hier erst einmal durchzufinden, schönes Kind?« »So lautet meine Anweisung vom GSD, schöner Mann«, gab sie zurück. »Das gibt Schwierigkeiten«, prophezeite Atan düster. »Die werden nicht so ohne weiteres die Leitung an uns abgeben.«
»Ich bezweifle, daß es eine solche wirklich gibt«, sagte McLane. »Norma, zeigen Sie uns die Leute, die hier zu sagen haben. Noch besser: Holen Sie sie her. Wir warten hier.« Die GSD-Assistentin ging auf eine Traube heftig diskutierender Wissenschaftler zu. Zwei Männer sahen auf und musterten die Crew. Unwillig, wie es schien, setzten sie sich in Bewegung. Norma wanderte zielstrebig quer durch die Halle und kam schließlich mit drei weiteren Männern und zwei Frauen zurück. Die drei Männer waren Offiziere der Raumflotte. »Gehen wir irgendwohin, wo wir unsere Ruhe haben«, schlug Cliff nach einer knappen Begrüßung vor. Die Offiziere und Wissenschaftler wirkten verschlossen. Ein Lift trug sie zwei Etagen höher, wo Norma sie in ein kleines Konferenzzimmer führte. »Sagen Sie, welche Funktion haben Sie eigentlich, außer, daß Sie den Fremdenführer für uns spielen?« erkundigte sich Cliff. »Ich vertrete den GSD.« Die Männer und Frauen setzten sich. »Also«, begann McLane ohne Umschweife. »Ich nehme an, Sie sind darüber informiert, daß wir hier sind, um die Leitung des Untersuchungsstabs zu übernehmen. Und ich nehme weiter an, daß es eine Menge Leute hier gibt, denen das nicht paßt, oder irre ich mich?« »Sagen Sie's nicht so schroff«, meldete sich eine der Wissenschaftlerinnen. »Nur ... na, man kennt halt Ihre Art, ›Untersuchungen‹ zu führen. Und wir sehen nicht ein, daß unsere Arbeit plötzlich umsonst gewe-
sen sein soll, weil Sie daherkommen und alles umstürzen.« »Ist das die Meinung aller?« fragte McLane. Alle Wissenschaftler und Offiziere nickten. Nur Norma Russell hielt sich zurück. »Die Ergebnisse Ihrer Arbeit«, meinte Cliff. »Ist es Ihnen schon in den Sinn gekommen, daß man uns nicht geschickt hätte, wenn es solche Ergebnisse gäbe?« Ein älterer Wissenschaftler mit grün geschminkter Glatze und funkelnden Ohrringen, der sich als Manor Birglas vorgestellt hatte, sah auf. »Alles braucht seine Zeit, McLane. Unsere Maßnahmen müssen erst sorgfältig mit Hilfe von Rechnern geplant und koordiniert werden. Außerdem haben wir Rücksichten zu nehmen. Wir dürfen keine Menschenleben in Gefahr bringen, indem wir etwas überstürzen. Lassen Sie uns in Ruhe arbeiten, dann werden wir eines Tages wissen, womit wir es dort draußen zu tun haben.« »Und inzwischen verschwinden Schiffe und Flugzeuge, und wer weiß, was noch alles darauf wartet, gegen uns aktiv zu werden!« schrie Cliff McLane. »Sagen Sie mir konkret, was Sie bisher erreicht haben, Manor.« Der Wissenschaftler zuckte heftig zusammen. Wie alle mit Fluidum Pax großgewordenen Terraner hatte er sich noch längst nicht an den barschen Umgangston gewöhnt, den die Menschen aus einer anderen Zeit mitgebracht hatten. Dann berichtete er. Als er nach einer halben Stunde fertig war, schüttelte McLane den Kopf. »Also nichts Neues, wir sind genauso schlau wie vorher.«
»Na los, Cliff!« flüsterte Mario de Monti, der neben dem Oberst lässig in seinem Sessel hing. »Von allein bringen die hier nichts auf die Beine.« Cliff nickte. »Da es unwahrscheinlich ist, hier den Vorgängen in der See auf die Schliche zu kommen«, sagte er so beherrscht wie möglich, »schlage ich vor, eine Mannschaft aus qualifizierten Freiwilligen zusammenzustellen, die systematisch den Meeresgrund im Bermuda-Dreieck erforschen. Wir müssen Gewißheit haben. Wahrscheinlich liegen irgendwo auf dem Meeresgrund noch Anlagen aus der Zeit des Kosmischen Krieges, über den Sie im Rahmen unserer bisherigen Erkenntnisse alle informiert sein müßten. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit haben wir diesen Anlagen die rätselhaften Vorgänge im Bermuda-Dreieck zu verdanken. Zumindest sollte es möglich sein, den optischen Phänomenen auf die Spur zu kommen, die bereits beobachtet wurden. Von hier aus ist das unmöglich.« »Das ist Wahnsinn!« fuhr einer der Offiziere auf. »Man hat uns vor Ihnen gewarnt, McLane, und die Leute hätten recht! Sie sind nicht mehr zu retten.« »Das besorgen wir sowieso meistens selbst«, entgegnete Hasso. Cliff sah sich unter seinen Mannschaftskameraden um. »Wie steht's mit euch?« »Freiwillig!« verkündete Mario. Arlene, die sich die ganze Zeit über im Hintergrund gehalten hatte, nickte. Nacheinander flogen die Finger der Mannschaftsmitglieder in die Höhe. »Also«, wandte Cliff sich wieder an die entrüsteten
Mitglieder des Untersuchungsstabs. »Ich hoffe, ich brauche Ihnen nicht meine Vollmachten zu zeigen. Ich erwarte von Ihnen, daß Sie meine Anordnungen an Ihre Leute weitergeben. Morgen früh sehen wir uns dann wieder. Ich bin gespannt, wie viele Freiwillige wir zusammenbekommen werden.« Cliff sah auf sein Chronometer. »Es ist schon spät. Wenn Sie nichts mehr zu fragen haben, ziehen meine Freunde und ich uns jetzt zurück. Norma, wären Sie so nett?« Die Frau stand auf. Kurz vor dem Ausgang blieb Cliff noch einmal stehen. »Von Ihnen hat niemand den Wunsch, sich freiwillig zu melden?« fragte er mit unverhohlenem Sarkasmus. »Sie brauchen Zeit, Cliff«, flachste Atan. »Solch eine Entscheidung will erst sorgfältig geplant sein, wenn möglich mit Hilfe von Rechnern.« »Verscherzt euch nicht die letzten Sympathien«, sagte Arlene gedämpft zu ihren Kameraden. Mario grinste und trat neben die GSD-Assistentin. »Und Sie, Teuerste, was ist mit Ihnen?« Sie sah ihn von oben bis unten an. »Wofür halten Sie mich eigentlich, Sie Casanovaverschnitt?« »Oh«, erwiderte der Kybernetiker ungerührt. »Wollen Sie das wirklich wissen?« »Das meine ich nicht. Wer sagt Ihnen denn, daß ich nicht eine Aufpasserin vom GSD bin? Soviel ich weiß, haben Sie doch Ihre Erfahrungen?« »Sie meint die gute alte Tamara«, prustete Atan los. »Woher wissen Sie ...?« »Mein Großvater war ein leidenschaftlicher
Sammler der Bücher, in denen man Ihre Abenteuer verfolgen konnte.« »Sie müssen nicht alles glauben, was da über uns drinsteht«, winkte Helga ab. »Vor allem Mario ist im Grunde ein ganz lieber und solider ...« »Das steht nicht zur Debatte«, fuhr der Kybernetiker dazwischen. »Also los«, sagte Norma. »Ab in die Betten. Wir müssen morgen fit sein.« »Soll das heißen ...?« »Genau das. Natürlich bin ich bei der Unterwasserexpedition dabei.« Sprach's und verschwand hinter einer Biegung des Ganges. »Halt!« brüllte Atan ihr hinterher. »Sie müssen uns noch unsere Zimmer zeigen!« »Ist mir zu gefährlich«, kam es aus dem Gang zurück. »Westblock, vierter Stock, suchen Sie sich welche aus!« * Mitten in der Nacht wurde Cliff McLane aus dem Schlaf gerissen. Durch das große Glasplastikfenster fiel fahles Licht in den Schlafraum. Schnell gewöhnten seine Augen sich an das Halbdunkel. Arlene hockte neben ihm in dem breiten, weichen Bett und lauschte. »Was ist das für ein Mordskrach?« fragte Cliff mürrisch. »Müssen die Burschen vom Untersuchungsstab ihren Ärger über unser Auftauchen mit Alkohol herunterspülen?« »Da stimmt was nicht, Liebling«, behauptete Arle-
ne. »Der Krach kommt von den Straßen ...« Cliff streifte die Decke zur Seite und trat ans Fenster. »Verdammt!« preßte er hervor. »Was ist denn los?« Arlene stand ebenfalls auf und trat an die Seite ihres Gefährten. Nun sah sie es auch. Unten vor dem Hotel und in den Straßen, die durch die Parks führten, bewegten sich wahre Menschenmassen. Sie schrien und gestikulierten, aber die hermetisch verschlossenen Fenster verhinderten, daß Cliff und Arlene etwas verstehen konnten. »Sie rennen alle in eine Richtung«, stellte Cliff fest. »Sie sehen aus, als ob sie Hals über Kopf vor etwas flüchten!« »Es gibt Ärger, Cliff. Ich spüre es!« Der Commander legte einen Arm um Arlene und zog sie fest an sich. Der Türsummer ertönte. Cliff stieß einen heftigen Fluch aus und betätigte den Öffner. »Im Hotel ist der Teufel los, Cliff!« schrie Mario noch in der Tür. Atan, Helga und Hasso waren bei ihm. »Die Burschen rennen durcheinander wie Ameisen. Meinst du, jemand hält es für nötig, uns in ...« Ein schriller Rufton erklang vom Videophon im Gemeinschaftsraum des Appartements. Cliff spurtete los und nahm ab. Auf dem Monitor erschien Norma Russells Gesicht. »Das wird Zeit!« fluchte McLane. »Wären Sie so nett, uns mitzuteilen, was ...« »Halten Sie keine Volksreden und sehen Sie zu, daß Sie alle so schnell wie möglich aus dem Hotel kommen! Ich warte am Ausgang auf Sie!« »Ich will wissen, was los ist!« beharrte Cliff, aber die GSD-Assistentin hatte bereits abgeschaltet.
»Sie kommen aus Richtung Seehafen!« rief Arlene, die noch immer am Fenster stand und die Straßen beobachtete. »Sie sind halb wahnsinnig vor Angst!« »Worauf warten wir noch?« fragte Helga. »Zieht euch an, und dann nichts wie 'runter!« Erst jetzt merkte Cliff, daß er, ebenso wie Arlene, nackt war. In weniger als einer Minute waren beide angekleidet und folgten den anderen in den Gang. Weitere zwei Minuten später standen sie in der Halle. Sie war leer. »Na, kommt schon!« rief eine weibliche Stimme vom Portal her. »Können wir endlich erfahren, was hier los ist?« fragte Cliff McLane, als sie neben Norma Russell standen. Überall drängten sich jetzt die Menschen an ihnen vorbei. Es schienen immer mehr zu werden, und sie wurden immer hysterischer. »Ich weiß es selbst nicht«, gestand die GSDAssistentin ein. »Irgend etwas passiert dort hinten«, sie deutete in die Richtung des Seehafens. »Hören Sie sich die Schreie an. Eben brüllte jemand herüber, daß irgendwelche Ungeheuer aus dem Meer kämen.« »Seeungeheuer?« Cliff versuchte, diese Vorstellung in einen Einklang mit den bisherigen Erscheinungen in diesem Gebiet zu bringen. »Wo sind die Leute vom Untersuchungsstab?« »Geflüchtet. Sie haben keine Ahnung, was geschieht, aber die Panik hat sich in Sekundenschnelle ausgebreitet. Wahrscheinlich haben sie die ganze Zeit über auf etwas Derartiges gewartet, und nun sehen sie den Weltuntergang kommen. Sie sind wohl in eine Nebenstelle auf der anderen Seite der Insel geflüchtet.«
»Feine Helden«, kommentierte Arlene. »Und wir?« fragte Helga im Hintergrund. »Sie müßten nicht die ORION-Crew sein, wenn Sie nicht schnellstens zur Küste rennen würden«, sagte Norma ironisch. »Genau das werden wir tun, Mädchen«, versicherte Cliff. Dann, zu den Mitgliedern der Crew gewandt: »Einverstanden?« »Worauf warten wir noch?« fragte Hasso. »Also los!« »Ich komme mit!« verkündete Norma. Gemeinsam stürmten sie los und stürzten sich in die aufgebrachte Menge, die keine Notiz von ihnen nahm. Sie drängten in Richtung Hafen, aber kamen zeitweise kaum vorwärts. Hasso prallte frontal mit einem der Flüchtenden zusammen. »Was ist los?« fragte Hasso den halbbenommenen Mann. »Was ist am Hafen? Wovor lauft ihr weg?« »Sie kommen!« stammelte der Mann mit irren Augen. »Meine Frau ... die Kinder ...« Er krampfte seine Finger in Hassos Kombination. Dann begann er hemmungslos zu schluchzen. »Sie sind alle tot. Sie haben sie ... einfach ...« Der Mann verlor das Bewußtsein und fiel schlaff in sich zusammen. Hasso schleifte ihn zur Seite, damit er nicht von den Flüchtenden überrannt wurde. »Weiter!« befahl Cliff, und sie rannten los, nachdem der Bewußtlose in Sicherheit gebracht war. Sicherheit! Er war sicher vor den Fliehenden, aber was war mit dem, das allem Anschein nach urplötzlich aus dem Meer gestiegen war und die Leute tötete, ohne ihnen die geringste Chance zu lassen?
»Es sieht so aus, als ob der Gegner sich nicht länger auf das Verschwindenlassen von Flugzeugen und Schiffen beschränken würde«, rief Cliff im Laufen. »Du meinst, daß es sich um eine neue erwachte Hinterlassenschaft des Rudraja handelt?« »Oder des Varunja«, korrigierte Cliff. Arlene stellte keine Fragen mehr. In ihrer Phantasie spielten sich die wildesten Spekulationen ab. Die Menschheit mußte jede Stunde damit rechnen, daß die Erben der feindlichen Mächte endgültig auf sie aufmerksam wurden. Sie hatten einige Kostproben ihrer Macht bereits bekommen. Was verbarg sich hinter den »Seeungeheuern«? Nach 15 Minuten lichtete sich der Menschenstrom. Die Raumfahrer hatten jetzt schätzungsweise fünf Kilometer zwischen sich und das Hotel gebracht. Die Leute von der ORION und Norma Russell standen auf einem großen Platz, der direkt an den Seehafen anschloß. Nur noch wenige Menschen stoben aus ihren Häusern und rannten Hals über Kopf davon. An dreißig Meter hohen Masten angebrachte Scheinwerfer erhellten den Platz. Die Ankömmlinge blieben stehen und erstarrten, als sie sahen, was sich vom Hafen her landeinwärts, genau auf sie zu, wälzte. * Castor Herlet, Swomi Panaheera und Elke Schulitz bewohnten ein kleines, halbverfallenes Lagerhaus am Hafen. Sie hatten sich einige Räume so hergerichtet, daß man einigermaßen darin leben konnte. Zum Luxus fehlte ihnen das Geld. Herlet, Panaheera und Schulitz lebten abseits von der »normalen« Gesell-
schaft. Hier, auf Bimini, hatten sie sich zurückgezogen und lebten davon, daß sie alle möglichen Schmuckgegenstände herstellten und an Fremde verkauften. In letzter Zeit hatte ihr »Geschäft« eine ziemliche Flaute erlebt, denn seitdem Bimini zum großen Teil zum Sperrgebiet erklärt worden war, trauten sich kaum noch Touristen hierher. Das hatte sich schlagartig geändert, als die Wissenschaftler und Militärs aufgetaucht waren. Seitdem konnten die drei Schmuckfabrikanten sich kaum noch vor Käufern retten. Heute war ein besonders erfolgreicher Tag für sie gewesen, und die drei hatten beschlossen, den geschäftlichen Erfolg mit ein paar guten Flaschen Wein zu feiern. Sie waren so guter Laune gewesen, daß es an diesem Abend nicht einmal zu den üblichen Reibereien zwischen den beiden Männern gekommen war, die ständig um Elkes Gunst buhlten. Als das Spektakel draußen auf dem freien Hafengelände begann, waren sie bereits so benebelt vom Wein, daß sie an ein spontanes Fest glaubten, wie es manchmal in heißen Nächten stattfand. »Wir sollten 'rausgehen und mitmachen«, schlug Herlet vor. »Ach was«, entgegnete Elke Schulitz. »Die saufen uns nur unseren guten Wein aus. Nassauer sind das, alle miteinander. Kommt, wir haben's uns redlich verdient. Swomi, trink!« Swomi Panaheera richtete sich mit gläsernen Augen von seiner staubigen Liege auf, als er seinen Namen hörte. »N ... naß-sauer«, lallte er. »Jawoll! Naß-sauer sind sie alle!«
Dann kippte er um und begann zu schnarchen. »Der ist hin«, stellte Herlet fest. »Elke, setz dich zu mir her! Dann können wir uns besser miteinander ...« Irgend jemand klopfte heftig gegen die Tür des Schuppens und schrie etwas, das sie nicht verstanden. »Die werden langsam aufdringlich«, brummte Herlet. »Elkelein, also ... was ist jetzt mit uns ...« Herlet mußte heftig rülpsen, »... mit uns beiden?« »Halte die Klappe«, zischte die Frau. »Die feiern nicht. Da ist was anderes im Gange.« Elke Schulitz trat zur Tür. Sie öffnete sie einen Spaltbreit und spähte hinaus. Kreidebleich kam sie zurück. »Herlet ... da sind ...« »Was ist?« fragte Herlet. »Da sind ... Tonnen«, brachte sie stockend hervor. »Riesige Dinger, die aus dem Meer kommen.« »Du hast Halluzinationen.« »Quatsch!« flüsterte sie, als stünde jemand hinter der Tür, der sie hören konnte. »Da draußen ist kein Mensch mehr. Sie sind alle weg!« »Du spinnst!« »Sieh selbst nach«, forderte sie ihn auf. »Das ist das, worauf sie alle gewartet haben. Das ist das Ende, Herlet!« »Werde nicht hysterisch. Sieh zu, daß du Swomi wachbekommst!« Herlet ging zu Tür und sah ebenfalls hinaus. Nun wurde auch er aschfahl im Gesicht. »Halluzinationen?« fragte Elke aggressiv. »Wir müssen machen, daß wir hier wegkommen! Komm, wir packen uns Swomi!« Gemeinsam luden sie sich den hoffnungslos Be-
trunkenen über und warteten einen günstigen Moment zum Ausbruch ab. »Die Dinger sind schon auf dem Platz«, fluchte Herlet. »Mein Gott! Da bewegt sich etwas. Die Dinger leben!« »Wir müssen 'raus, Herlet!« Der Mann wartete, dann gab er das Zeichen. Durch die von Herlet aufgerissene Tür stürmten sie hinaus ins Freie. Herlet hatte den bewußtlosen Swomi an den Schultern gepackt, während Elke Schulitz ihn an den Füßen hielt. Schon wenige Meter von ihrem Schuppen entfernt wußten sie, daß sie nicht den Hauch einer Chance hatten. Die Frau stieß einen heiseren Schrei aus und ließ Swomis Füße los, als eines der Monstren genau auf ihren Schuppen zuhielt. Sekunden später brach es durch die Mauern und walzte sich förmlich durch das Haus. Wände stürzten krachend ein, dann brach das tonnenförmige Monstrum durch die hintere Wand und setzte seinen Weg fort. »Wie Roboter!« stöhnte Elke. »Riesige Tanks! Um Himmels willen, was ist das, Herlet?« Sie erhielt keine Antwort. »Herlet?« Erst jetzt brachte sie es fertig, den Blick von ihrem zerstörten Schuppen und dem weiterfahrenden Monstrum zu lösen. Überall um sie herum tobte das Chaos. Sie drehte sich um. Die Frau sah gerade noch, wie etwas Blinkendes auf sie zuschnellte, dann erhielt sie einen Schlag ins Genick und verlor augenblicklich das Bewußtsein. *
»Ich habe es geahnt«, flüsterte Arlene mit bebender Stimme. »Jetzt geht's erst richtig los.« Keiner erwiderte etwas. Die Raumfahrer und die GSD-Assistentin standen wie angewurzelt auf dem freien Platz und starrten auf das, was sich wie eine alles vernichtende Mauer aus dem Meer schob. Es waren Monstren aus Metall, die sich auf sechs mindestens zwei Meter durchmessenden Speichenrädern über den Platz schoben. Der Rumpf war ein einziger Zylinder. Soweit die Raumfahrer das jetzt schon erkennen konnten, war er mindestens sieben Meter lang und an die vier Meter im Durchmesser. Aufbauten oder Einbuchtungen waren nicht zu erkennen. Die Räder, deren Lauffläche stark profiliert wirkte und schätzungsweise einen halben Meter breit war, schienen mit ihren Achsen an manschettenförmigen, beweglichen Wülsten an der Außenfläche der Tanks aufgehängt zu sein. Die Tanks glitzerten naß im Licht der Scheinwerfer. An einigen Stellen hingen Stränge von Seetang von den Zylindern und Manschetten herauf. Cliff sah sich schnell um. Links von ihnen stand eine Gruppe von stabil wirkenden, modernen Bauten. Die ersten Tanks waren bis auf fünfzig Meter heran. Cliff riß die HM 4 aus dem Gürtel. Die anderen folgten seinem Beispiel. »Dorthin!« rief McLane seinen Freunden zu und zeigte auf die Lagerhäuser. Instinktiv warteten die Raumfahrer darauf, daß die unaufhaltsam weiterrollenden Ungetüme das Feuer auf sie eröffneten, aber nichts dergleichen geschah. Sie würden sie einfach umwälzen! Die Frauen und Männer begannen zu laufen. Cliff
schoß ein paar Salven auf den erstbesten Tank ab, aber die Strahlen wurden von der Zylinderhülle einfach reflektiert und fuhren quer über den Platz. »Verdammt«, knurrte der Commander. Sie erreichten die Deckung und beobachteten. Jetzt konnten sie weitere Einzelheiten ausmachen. Überall lagen Tote. Einer der Tanks schob sich auf ein Haus zu und walzte einfach die Mauern nieder. »Norma«, sagte Cliff. »Laufen Sie zurück zum Hotel, so schnell Sie können. Treiben Sie die Mitglieder des Untersuchungsstabs auf. Sie müssen zurückkehren. Das Hauptquartier muß besetzt sein. Wahrscheinlich brauchen wir schnellstens eine Verbindung mit Katsuro. Halten Sie ihn auf dem laufenden, bis wir zurück sind!« »Ich lasse Sie nicht allein«, sträubte sich die GSDAssistentin. »Kaufen Sie uns einen schönen Kranz, Mädchen, aber sehen Sie jetzt zu, daß Sie diese Idioten wieder ins Hotel bugsieren.« Ohne einen weiteren Protest verschwand Norma Russell in Richtung Innenstadt. »Ich werde erfahren, wer die Flucht aus dem Hotel angeordnet hat«, versicherte Cliff grimmig. »Und dann geht's rund.« »Es werden immer mehr, Cliff«, sagte Helga. »Sie kommen tatsächlich direkt aus dem Meer.« »Wir müßten näher heran«, überlegte Hasso laut. »Vielleicht könnten wir uns zwischen ihnen durcharbeiten, wenn wir eine Lücke finden. Bisher haben sie noch nicht geschossen oder sonst was angestellt. Sie marschieren nur stur geradeaus, als ob sie einer starren Programmierung folgten.«
»Du denkst an Roboter?« »Keine Ahnung, Cliff, aber sie machen ganz den Eindruck.« »Also gut, wir versuchen es. Wir bleiben im Schutz der Lagerhäuser am Rand des Platzes, verstanden? Kein unnötiges Risiko.« Mittlerweile waren die ersten Tanks an ihnen vorbei und wälzten sich weiter landeinwärts. Dabei verursachten sie einen Krach, daß die Crew ihre eigenen Worte kaum verstand. Sie mußten schreien, um sich zu verständigen. Sie hielten sich dicht im Schatten der Blocks. Tatsächlich rollten die Tanks in kaum mehr als zwanzig Metern Abstand an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten. Cliff, der an der Spitze lief, blieb plötzlich stehen. Er streckte den rechten Arm aus und hielt Arlene, die direkt hinter ihm war, zurück. »Da vorne! Da bewegt sich was!« Er deutete auf einen alten Schuppen am Rand des Platzes, der fast schon am Rand des Seehafens lag. Eine Tür hatte sich geöffnet, aus der fahles Licht fiel. Zwei menschliche Gestalten kamen herausgelaufen. Sie schleppten einen dritten mit, der offensichtlich bewußtlos war. Bevor Cliff ihnen zurufen konnte, zu ihnen zu kommen, geschah etwas, das die Vorstellung der Crew über die Gefährlichkeit der Tanks vollkommen widerlegte. Vom Meer her schob sich eines der Ungetüme direkt in den Schuppen hinein, aus dem die drei geflohen waren. Das Material barst, und aus der offenen Tür stoben dichte Staubwolken.
Die letzte der beiden Gestalten, offensichtlich eine Frau, ließ den Bewußtlosen los und schrie hysterisch auf. Sie starrte auf den Tank, der am anderen Ende des Schuppens wieder durch die Mauer brach. Ihr Begleiter wollte sie mit sich wegziehen, als einer der Tanks neben ihm auftauchte. Plötzlich bildete sich eine runde Öffnung in dem Monstrum, und ein riesiger Tentakel schnellte auf den Mann zu. Noch bevor er reagieren konnte, wurde er gepackt und mit vehementer Gewalt fortgerissen. Der Tentakel zog den wild um sich schlagenden Mann am Hals durch die sich schnell vergrößernde Öffnung in den Tank hinein! Eine zweite Öffnung bildete sich. Jetzt drehte die Frau sich herum. Noch bevor sie begriff, was geschah, legte ein zweiter Tentakel sich um ihren Hals und riß sie ebenfalls vom Boden. Hasso legte die HM 4 an und zielte. »Vorsicht!« schrie Cliff. »Das hat keinen Zweck!« »Wir können sie doch nicht so einfach von den Dingern fressen lassen!« Hasso drückte ab. Der feine Energiestrahl fuhr nur Zentimeter neben der Öffnung im Zylinder gegen die reflektierende Hülle und wurde nach links abgelenkt. Der reflektierte Strahl fuhr genau in den schlaffen Leib der Frau. So schnell, daß die Blicke der Crew ihm nicht folgen konnten, zog sich der Tentakel mit der Frau in den Leib des Ungetüms zurück. Die Öffnung verschwand ebenso übergangslos wieder, wie sie sich gebildet hatte. »Mein Gott!« stieß Hasso hervor. »Es war nicht deine Schuld«, sagte Arlene schnell. »Du hast es gut gemeint.«
»Das Ding fährt weiter«, stellte Mario fest. »Da liegt noch einer!« Tatsächlich kümmerte der Tank sich nicht um den Bewußtlosen, den die beiden Flüchtenden fallen gelassen hatten. Cliff sah sich um. Die Ungetüme kamen ihnen teilweise gefährlich nahe. Noch wußten sie nicht, wie groß die Reichweite der Tentakel war. »Mario, wir beide versuchen, ihn da wegzuholen«, brüllte Cliff, um das Rattern der Tanks zu übertönen. »Ihr anderen schlagt euch schon zum Hotel durch. Ohne andere Waffen können wir hier sowieso nichts ausrichten. Wenn die Dinger ihr Tempo beibehalten, sind wir dort für einige Zeit sicher.« »In ein paar Stunden werden sie auch dort sein«, befürchtete Atan. »Das werden wir sehen, Komm, Mario!« Die beiden Männer kümmerten sich nicht weiter um die Freunde. Sie rannten von einer Deckung zur anderen, aber es wurde immer schwieriger, eine Lükke zwischen den Tanks zu erwischen. Es wurden immer mehr. »Achtung, Cliff!« schrie Mario und riß McLane zur Seite. Im nächsten Moment brach eines der Metallungetüme durch die Wand des Hauses, vor dem die beiden Männer eben noch Schutz gesucht hatten. Cliff und Mario rannten instinktiv noch einige Schritte von dem Lagerhaus weg. Plötzlich blieb einer der vorbeiziehenden Tanks stehen. Mit einer Behendigkeit, die ihm nach den bisherigen Beobachtungen niemand zugetraut hätte, schwenkte er herum und beschleunigte. Er raste jetzt genau auf die Raumfahrer zu.
»Vorsicht!« rief Cliff und sprang zur Seite. Sie sahen, wie sich zwei Öffnungen im Rumpf des Angreifers bildeten. Die Männer waren gewarnt. Mit einigen schnellen Sätzen brachten sie sich außer Reichweite der herausschleudernden Tentakel. Der Tank reagierte völlig unerwartet. Er zog die Auswüchse zurück und drehte ab. Dafür blieben drei andere in unmittelbarer Nähe stehen. Die Raumfahrer warteten gar nicht erst darauf, daß die Kolosse nach ihnen umschwenkten. Sie rannten auf den Bewußtlosen zu. Mario riß ihn hoch und lud ihn sich über die stämmigen Schultern. Die drei Tanks rollten schnell auf sie zu. »Dorthin, Mario!« rief Cliff. »Zwischen die Häuser!« Sie fanden eine kleine Gasse, von der sie nicht wußten, ob sie am anderen Ende ins Freie mündete oder eine Sackgasse war. Einer der drei Tanks drang hinter ihnen in die Gasse ein, während die beiden anderen zu beiden Seiten einfach durch die Häuser brachen. »Verdammt, Cliff, sie kommen näher! Die brechen fast schneller durch die Häuser, als wir laufen können.« »Die Gasse ist zu Ende!« fluchte McLane. Vor ihnen ragte eine etwa zwei Meter hohe Mauer auf. »Wir müssen 'rüber!« Cliff stieß sich ab und zog sich an der Mauer hoch. »Dahinter ist freies Gelände, keine Tanks! Reich mir den Kerl hoch, Mario!« Der Kybernetiker zögerte keine Sekunde. Cliff
nahm den Bewußtlosen entgegen und zog ihn über die Mauer. Mario sah sich schnell um. Das erste der Ungetüme war kaum noch zwanzig Meter hinter ihm. Und jetzt bildeten sich Öffnungen in der Zylinderhülle. Gleichzeitig brachen die beiden anderen Tanks aus den Häusern am Ende der Gasse. Mario hechtete mehr über die Mauer, als daß er sich daran hochzog. Die HM 4 war jetzt wertlos, sie konnte sogar für den Schützen selbst gefährlich werden, wenn die Strahlen frontal auf die Monstren auftrafen und zurückgeworfen wurden. »Und jetzt renn, als ob der Teufel hinter dir her wäre!« empfahl Cliff McLane. »Schaffst du's mit dem Burschen?« »Keine Sorge, Cliff. Der gute alte Mario hat schon ganz andere Sachen auf Händen getragen.« Sie rannten über freies Gelände. »Sie bleiben zurück, Cliff!« rief Mario plötzlich. »Die Dinger drehen ab und fahren zurück zu den anderen!« Sie blieben stehen. McLane dachte einen Augenblick lang nach. Sie befanden sich jetzt hinter der Reihe von Schuppen und Lagerhäusern, die den großen Platz am Hafen einrahmten. Dort schien so etwas wie eine Schneise zu sein, durch die die Tanks sich über die Insel ergossen. Von hier aus waren es wenige hundert Meter bis zum Hafenwall. »Lauf schon zum Hotel, ich sehe mir die Sache noch an.« »Ich komme mit, Cliff!« »Anhänglich wie eine Klette«, meinte McLane, wi-
dersprach aber nicht, weil er wußte, daß es keinen Zweck gehabt hätte. Drei Minuten später standen sie auf einer kleinen Plattform, von der aus sie den Hafen überblicken konnten. Was sie sahen, hätte aus einem Horrorfilm stammen können. Um die beiden Raumfahrer herum war es jetzt dunkel. Das Licht der Hochscheinwerfer vom Platz reichte nicht bis hierher. Dafür war der Hafen von unzählbaren kleinen Lichtquellen erhellt, und das ganze Ausmaß des unheimlichen Geschehens wurde deutlich. »Das sind Tausende!« entfuhr es Mario. »Und es werden immer mehr.« Der ganze Hafen wimmelte von den Ungetümen, die sich auf das Land wälzten. Sie kamen über Rampen und Treppen aus dem Meer und schlossen sofort zu den schon an Land befindlichen auf. Die Tanks bewegten sich schätzungsweise mit weniger als fünf Stundenkilometern. Aber Cliff und Mario hatten am eigenen Leibe erfahren, daß sie zu weitaus größeren Geschwindigkeiten fähig waren. Glücklicherweise änderten die Tanks immer wieder ihre Richtung und rückten im Zickzack vor. Sonst hätten sie innerhalb einer Stunde die Innenstadt erreicht. Cliff hatte genug gesehen. Auf einen Wink hin liefen die Männer zurück. Auf ihrem Weg zurück in die Stadt überholten sie die Vorhut der Tanks. Sie hielten sich vorsichtshalber weit abseits der Ungetüme und erreichten in einer halben Stunde das Hotel. Norma stand am Eingang und erwartete sie.
3. Die Raumfahrer kamen gar nicht erst zum Verschnaufen. Im Hotel wimmelte es von den Mitgliedern des Untersuchungsstabs und einigen Zivilisten, die sich anscheinend für das Wohl und die Sicherheit der Bevölkerung verantwortlich fühlten. Atan und Hasso, die wie der Rest der Crew in der Halle waren, nahmen Mario den Bewußtlosen ab. »Hat der eine Fahne«, beschwerte sich Hasso. »Er stinkt wie eine halbe Schnapsfabrik.« »Das brauchst du mir nicht zu sagen«, schimpfte Mario. »Den Gestank bekomme ich tagelang nicht aus der Nase.« Cliff McLane achtete nicht auf sie. Er ließ sich von Norma in eine Ecke der Halle führen, wo drei Tische zusammengestellt worden waren und heftig diskutiert wurde. Der Commander erkannte einige der Männer und Frauen sofort wieder. Einer der drei Militärs, die am Abend mit der Crew im Konferenzraum gesessen hatten, führte das große Wort. Er verstummte, als er McLane kommen sah. Auch die anderen blickten auf. Zwei Männer standen auf und machten Platz für Cliff und Norma. »Der Generalstab tagt, wie ich sehe«, sagte McLane voller Ironie. »Bevor mir einer von Ihnen Bericht erstattet, möchte ich wissen, wer für die Räumung des Hotels nach Ausbruch der Panik verantwortlich ist.« Die Leute sahen sich gegenseitig unsicher an. Insgesamt mochten knapp fünfzehn Wissenschaftler und Offiziere am Tisch sitzen. Einige GSD-Assistenten hielten sich zurück. Cliff fiel auf, daß sie sich ziemlich
gleichmäßig zwischen den anderen verteilt hatten. Katsuro wird mir ein paar Fragen zu beantworten haben! nahm er sich vor. »Also, ich höre!« »Warum sagen Sie nichts, Birglas?« fragte Norma Russell voller Spott. Der Wissenschaftler sah auf. Er schwitzte dermaßen, daß die Schminke auf der Glatze zu verlaufen begonnen hatte. »Es geschah mit der Einwilligung der Offiziere«, sagte Birglas störrisch. »Außerdem durften wir die Sicherheit der Leute nicht aufs Spiel setzen.« Cliff McLane holte tief Luft. Dann sagte er so leise und beherrscht wie möglich: »Ich will annehmen, daß Sie dabei die Sicherheit sechs besonders lieber Gäste lediglich vergessen haben, Birglas. Ansonsten warne ich Sie. Erlauben Sie sich noch ein einziges Mal eine solche idiotische Kompetenzanmaßung, dann lernen Sie mich kennen. Das Hotel stand leer, als meine Leute und ich herunterkamen.« Er deutete auf die neben ihm sitzende GSD-Assistentin. »Ich weiß nicht, wie sie es geschafft hat, Sie zurückzuholen, aber dieses Mädchen verdient einen Orden. Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was sich hier ankündigt?« »Das sehen Sie doch«, warf einer der Offiziere ein. »Eine Invasion aus dem Meer!« »Eine Invasion aus dem Meer«, wiederholte McLane mit zusammengekniffenen Augen. »Das reicht Ihnen! Können Sie sich vorstellen, daß Han Tsu-Gol sich dafür interessiert, oder Tunaka Katsuro, oder geht das über Ihren Horizont?« Die Namen der beiden hochgestellten Persönlich-
keiten hatten eine unvorhergesehene Wirkung auf die am Tisch Sitzenden. Sie wirkten plötzlich wie ertappte Sünder. »Also, ich nehme an, daß es wenigstens ein paar Menschen hier gibt, die sich für die Außenwelt interessieren. Was ist los? Haben Sie Meldungen von draußen?« Norma ergriff ohne Zögern das Wort. »Wir haben keinerlei Verbindungen zu den Robotsonden und Flugzeugen. Die automatischen Meßschiffe melden sich nicht. Es sieht so aus, als wären wir isoliert, Cliff. Auch die Nebenstellen auf den anderen Bahama-Inseln antworten nicht auf Anrufe.« Sie holte tief Luft und sah Cliff direkt an. »Dafür kommen laufend Meldungen von den verschiedensten Stellen Biminis, die von aus dem Meer kommenden Ungetümen berichten, die sich erbarmungslos an Land wälzen und Tod und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiten.« »Das ist alles«, vermutete Cliff. »Alles.« »Was schlagen Sie vor, Norma?« »Wir müssen die angegriffenen Ortschaften evakuieren lassen.« »Ganz meine Meinung«, sagte Arlene N'Mayogaa, die sich hinter Cliff auf die Lehne seines Sessels gestützt hatte. Die restlichen Mitglieder der ORIONCrew diskutierten entweder mit Wissenschaftlern und Zivilisten oder kümmerten sich um den immer noch Bewußtlosen. Vielleicht konnte er wertvolle Hinweise über das erste Auftauchen der Invasoren geben. »Also gut. Norma, übernehmen Sie das? Ich werde
mich um eine Verbindung mit Katsuro und Han TsuGol bemühen. Und Sie«, er sah die Wissenschaftler und Offiziere an, die sich ganz offensichtlich überflüssig fühlten, »können der jungen Dame bei der Evakuierung helfen.« Er stand auf. Bevor er mit Arlene die Tische verließ, beugte er sich über die GSD-Assistentin und drückte ihr einen Kuß auf die Wange. »Mario hat recht«, sagte er mit spitzbübischem Lächeln. »Sie sind ein großartiges Mädchen, Norma. Nur schade, daß er schon in festen Händen ist.« * Cliff McLane und Helga Legrelle befanden sich allein in einem großen Raum im Erdgeschoß des Hotels, wo die provisorische Funkstation eingerichtet worden war. Die ORION-Crew hatte sich kurz besprochen. Cliff wollte mit Han Tsu-Gol und Katsuro sprechen, während die anderen versuchten, soweit wie möglich dafür zu sorgen, Ordnung in das heillose Durcheinander unter den Mitgliedern des Untersuchungsstabs zu bringen. Außerdem begannen die Zivilisten unruhig zu werden. Nach letzten Meldungen waren die vom Seehafen kommenden Tanks jetzt bis auf zwei Kilometer heran. Man wußte inzwischen, daß sie sich mit einer konstanten Geschwindigkeit von etwa drei Stundenkilometern bewegten. Immer häufiger wurde von Gleitern, die die Bewegungen der Invasionsarmee aus der Luft verfolgten, beobachtet, daß einzelne Tanks blitzschnell aus dem Gesamtverband ausbrachen und sich auf hilflose Opfer stürzten.
»Die Verbindung steht, Cliff«, sagte Helga. Der Oberst verscheuchte die aufgekommenen Gedanken und dirigierte vom Tisch aus den auf einem dicken Teleskoparm sitzenden Monitor zu sich heran. Ein Symbol erschien und verschwand gleich wieder. Dafür stand jetzt Tunaka Katsuros breites Gesicht auf dem Schirm. Seine Stirn war in Falten gelegt. »Cliff, ich versuche seit einer Stunde, einen von Ihnen zu erreichen, aber die Leitungen sind entweder tot oder blockiert. Was ist bei euch los?« »Wieweit sind Sie informiert, Katsuro-san?« erkundigte sich Cliff. »Wir wissen nur, daß bei euch die Hölle los ist. Wir haben den Notruf eines Funkamateurs aufgefangen, dann war alles still. Er sagte etwas von Ungeheuern, die aus dem Meer kommen. Sagen Sie die Wahrheit, McLane, was sind das für ›Ungeheuer‹?« Normalerweise hätte Cliff eine passende Entgegnung gehabt, aber ihm war nicht zum Scherzen zumute. »Der Mann war nicht verrückt«, sagte der Commander. Dann berichtete er alles, was er wußte. »Ich fresse einen Besen, wenn Han Tsu-Gol nicht bei Ihnen ist, Katsuro-san«, sagte Cliff schließlich, nachdem der GSD-Direktor eine halbe Minute lang geschwiegen hatte. Er stand ganz offensichtlich unter einem schweren Schock. Das Bermuda-Dreieck und die verschwundenen Objekte waren in den letzten Wochen zum Alptraum der Eingeweihten geworden. Bisher hatte es sich eher »passiv« verhalten. Nun schien es, als ob die Macht hinter all den ungeklärten Phänomenen zum Angriff übergegangen sei. Katsuros Schädel verschwand vom Bildschirm.
Statt dessen schob sich der ebenfalls kahle Kopf Han Tsu-Gols ins Bildfeld. »Ich habe es geahnt, Cliff«, sagte der Regierungschef anstelle einer Begrüßung. »Wenn man Sie und Ihre Leute auf die Menschheit losläßt, gibt's Scherben.« »Sie sollten froh sein, daß es hier jemanden gibt, der daran interessiert ist, die Scherben aufzusammeln, Han«, gab McLane zurück. »Han, wir kommen hier allein nicht weiter. Wir brauchen Raumsoldaten, wenn möglich mit Kampfrobotern. Unsere HM 4Waffen richten nichts gegen die Tanks aus. Ich frage mich sogar, ob man ihnen mit normalen Schiffsgeschützen beikommen kann. Schicken Sie uns eine Raumlandebrigade mit der bestmöglichen Ausrüstung, Han. Hier brennt's lichterloh.« Han Tsu-Gol musterte Cliff McLane eindringlich. Er merkte, daß der Oberst es ernst meinte. »Also schön, Cliff. Sie bekommen sie so schnell wie möglich.« »Es eilt, Han! In zwei Stunden spätestens sind die Dinger hier! Und noch eins: Die Soldaten müssen dem Befehl der ORION-Crew unterstellt werden.« »Ich hoffe nur, daß Sie wissen, was Sie tun, Cliff. Also gut. Ich veranlasse alles sofort.« »Ehrlich gesagt, weiß ich noch gar nichts. Wir sind dabei, die gefährdeten Ortschaften zu evakuieren, notfalls muß das ganze Gebiet evakuiert werden. Wir müssen einen Weg finden, die Invasoren zu stoppen, sonst gnade uns Gott.« »Sie haben die Vollmachten, Cliff. Aber benachrichtigen Sie mich, wenn Sie auf eigene Faust handeln. Ich vertraue Ihnen dieses Mal – da kann ich doch diese kleine Gegenleistung verlangen?«
»Wir sind ja gar nicht so«, meinte Cliff. »Ach, Han, seien Sie so nett und geben mir Katsuro noch einmal vor die Linse.« Han Tsu-Gol lächelte hintergründig und verschwand zur Seite. Der GSD-Direktor nahm seinen Platz ein. »Und, Cliff?« »Diese Frau, Norma Russell«, sagte Cliff mit einem eigentümlichen Lächeln. »Das war doch Ihre Idee, oder?« »Sie haben es erraten.« »Und die übrigen GSD-Assistenten? Sie halten sich allesamt zurück, aber sie scheinen genau instruiert worden zu sein. Sie haben sich abgesichert. Oder sehe ich das falsch?« »Warten Sie's ab, McLane. Und jetzt sehen Sie zu, daß Sie zu Ihren Leuten kommen.« Die beiden Männer verabschiedeten sich knapp. »Das ging noch mal glimpflich ab«, meinte Cliff McLane zu Helga. »Aber ich fürchte, daß sich das schon bald ändern wird.« »Du hast etwas vor, großer Meister?« »Wenn ich recht behalte«, überlegte Cliff, »haben wir zwei Möglichkeiten. Entweder müssen wir zu schwereren Waffen greifen, um die Invasoren zu vernichten, oder aber wir packen das Übel bei der Wurzel an.« * Als Cliff und Helga wieder in die Halle traten, hatte sich das Bild verändert. Das Durcheinander hatte sich gelichtet und einer arbeitsamen Atmosphäre Platz
gemacht. Kleine Arbeitsgruppen hatten sich gebildet und gingen die Probleme an. Cliff brauchte bloß in die grinsenden Gesichter seiner Freunde zu sehen, um zu wissen, wer den Umschwung zustande gebracht hatte. Arlene löste sich aus einer Gruppe von Offizieren. »Wir sind dabei, Auffanglager für die Flüchtlinge zu organisieren«, erklärte sie. »Aber es ist fraglich, wie lange das einen Sinn haben wird, wenn die Tanks immer weiter vorrücken. Wir müssen einen Weg finden, sie zu stoppen, Cliff. Sonst ist die Evakuierung nur ein Aufschub.« »Sie sind in die Innenstadt eingedrungen!« rief ein Offizier an den Beobachtungsgeräten mit lauter Stimme. »Eine Gruppe von Zivilisten hat sich ihnen in den Weg gestellt und versucht, sie aufzuhalten!« Cliff stieß einen bösen Fluch aus. »Sie haben keine Chance. Sie werden sie einfach zermalmen oder mit den Tentakeln töten.« »Wir haben ein Bild!« rief der Offizier. McLane und Arlene standen im nächsten Moment vor einer kleinen, provisorisch errichteten Monitorgalerie. Einer der Schirme zeigte eine Luftaufnahme aus einem der Robotgleiter, die den Schauplatz des Kampfes überflogen. »Wir müssen ihnen beistehen«, sagte Mario de Monti, der hinzugekommen war. »Cliff, laß uns mit der ORION starten und einen Angriff fliegen. Irgendwie muß den Brüdern doch beizukommen sein.« McLane schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, daß unsere Geschütze etwas ausrichten können, wenn unsere HM 4 versagen. Außerdem können wir nicht an allen Orten zugleich sein,
wo die Tanks auftauchen. Die einzige Chance wäre am Ende, die Overkill-Projektoren einzusetzen. Willst du die Verantwortung übernehmen?« Mario schwieg betreten. »Wir müssen abwarten, bis die Raumsoldaten hier sind«, preßte Cliff hervor. Auch ihn hielt es kaum noch im Hotel. Aber er sah ein, daß sie im Augenblick nicht helfen konnten. Außerdem hatte Cliff seine Zweifel am Durchhaltevermögen des Untersuchungsstabs, wenn er und die Crew das HQ verlassen würden. Er winkte Norma zu sich heran. »Heraus mit der Sprache, Norma. Zu welchem Zweck hat Katsuro Sie hergeschickt?« »Ich soll mit Hilfe der anderen Assistenten dafür sorgen, daß es keine Schwierigkeiten gibt, wenn Sie die Leitung hier übernommen haben«, antwortete sie jetzt bereitwillig. »Also eine Art Mittler zwischen uns und den Fachheinis?« Die GSD-Assistentin lächelte und nickte. »Können wir uns auf Sie verlassen, wenn wir hier plötzlich verschwinden müssen?« »Ich hoffe es«, antwortete Norma Russell. »Was haben Sie vor?« Cliff winkte ab. Mario grinste im Hintergrund. Plötzlich hob eine Wissenschaftlerin an den Schirmen den Arm und stieß einen überraschten Ruf aus. Im nächsten Augenblick sahen die Raumfahrer, was sie aufgeschreckt hatte. Eine Gruppe von Zivilisten hatte einen der Tanks umringt und besprühte das Ungetüm mit irgend etwas, das sich auf den ersten Blick kaum erkennen
ließ. Immer noch war es dunkel, und die Infrarotaufnahmen ließen in ihrer Qualität zu wünschen übrig. Fünf Öffnungen bildeten sich zur gleichen Zeit im Tank. Tentakel schnellten heraus und erwischten einen Unglücklichen, der die Gefahr nicht schnell genug erkannt hatte. Die anderen zogen sich schnell zurück und bewiesen, daß sie auch mittlerweile ihre Erfahrungen mit den Tentakeln gemacht hatten. Jetzt kam das Ungetüm zum Stillstand. Im Hotel herrschte plötzlich gespenstische Stille. Das Bild war auf sämtliche Bildschirme geschaltet, die nicht durch Datenflüsse blockiert waren. Jedermann in der Halle hatte das Gefühl, daß jetzt irgend etwas passieren mußte. Eine neue, bisher unbekannte Tücke der Invasoren. Aber genau das Gegenteil war der Fall. »Das Ding kann sich nicht mehr bewegen!« erkannte einer der Wissenschaftler als erster. »Sie haben es aufgehalten ... gelähmt!« »Immer langsam«, wehrte Arlene den übereifrigen Mann ab. »Noch haben wir nicht einmal eine Ahnung, was in den Panzern steckt. Wer sagt Ihnen, daß das Lebewesen in unserem Sinn sind, die man ›lähmen‹ kann?« »Das ist Plastik«, sagte Hasso, als die Aufnahme klarer wurde. Der Gleiter war tiefer gegangen. »Sie versprühen Plastikschaum auf die Tanks. Überall!« Der Bildausschnitt vergrößerte sich wieder, als ob die Optik auf die Worte der Beobachter reagierte. Tatsächlich kamen jetzt überall Männer und Frauen mit Plastiksprühgeräten aus ihren Häusern gelaufen. Am Ende der Straße befand sich eine große Baustelle. Von dort kam laufend Nachschub an Geräten.
Immer mehr der Tanks mußten halten und versuchten, sich die plötzlich aufgetauchten Angreifer mit Hilfe der Tentakel vom Leibe zu halten. Aber eines der Ungetüme nach dem andern blieb in dem schnell erstarrenden Kokon aus Plastik stecken. »Beobachten Sie weiter«, rief Cliff McLane und bahnte sich einen Weg durch die Menschentraube vor den Geräten. »Helga, eine Verbindung zu Han, schnell!« Die Funkerin der ORION war bereits auf dem Weg. Als Cliff die Funkkabine betrat, verschwand gerade das Symbol des GSD von einem Bildschirm. »Katsuro«, rief Cliff noch vom Türrahmen aus, als das Bild des GSD-Direktors erschien. »Ist Han noch bei Ihnen?« »Er ist gerade dabei ...« »Sagen Sie ihm«, unterbrach Cliff ihn hastig, »daß er die Raumlandetruppen mit Plastiksprühgeräten ausrüsten soll. Organisieren Sie so viele von den Dingern, wie Sie können. Sie sind die bisher einzige Waffe gegen die Invasoren.« »Ich verstehe nicht, Cliff ...« »Das verlangt auch niemand. Also beschaffen Sie die Geräte und packen Sie die Schiffe voll davon. Und beeilen Sie sich!« Auf ein Zeichen McLanes hin schaltete Helga Legrelle die Verbindung ab. Wieder in der Halle, bot sich das gleiche Bild wie eben. Allerdings hatte Cliff das Gefühl, daß sich eine gewisse Euphorie auszubreiten begann. Ein Blick auf einen Monitor zeigte ihm, daß dazu kein Grund bestand. Die Zivilisten erzielten unerwartete Erfolge. An ei-
nigen Stellen kam der Vormarsch der Tanks vorübergehend zum Stehen. Aber es gab viele Tote und Verwundete unter den Menschen, und für jeden lahmgelegten Tank kamen fünf neue. Der mysteriöse Gegner schien über endlose Nachschubkapazitäten zu verfügen. Arlene trat an die Seite des Gefährten. »Ich habe Angst«, flüsterte sie. »Was, um alles in der Welt, steckt in den Dingern drin? Und wer hat diese Monstren in Gang gesetzt?« Cliff zog sie zu sich heran und machte ein finsteres Gesicht. »Ich wollte, ich könnte dir eine Antwort geben, Liebling. Ehrlich gesagt, warte ich nur darauf, daß sich einer der Tanks öffnet und jemand oder irgend etwas heraussteigt.« »Warum unternehmen wir nichts, Cliff?« »Wir werden handeln, das verspreche ich dir. Sobald die Raumlandetruppen hier sind, steigen wir in die ORION, und dann sehen wir weiter.« »Du willst ins Meer«, vermutete Arlene N'Mayogaa. »Wenn wir ihnen anders nicht beikommen – ja.« Cliff sagte nicht, daß er einen ganz bestimmten Verdacht hegte. Wenn dieser Verdacht zutraf, blieb der Menschheit nur eine Möglichkeit. Und mit aller Wahrscheinlichkeit war diese Möglichkeit identisch mit dem Tod der ORION-Crew. Wenige Minuten später kam die Nachricht, auf die Cliff McLane die ganze Zeit über insgeheim gewartet hatte. Sie war wie ein Schicksalsspruch. Auf zwei weiteren Bahama-Inseln, die sich plötzlich wieder meldeten, waren ebenfalls die ersten Tanks aus dem Meer aufgetaucht.
4. Im frühen Morgengrauen traf die erste Raumlandebrigade auf Bimini ein. Während Norma Russell und die ihr unterstellten GSD-Assistenten dafür sorgten, daß nicht wieder ein heilloses Durcheinander im Hotel ausbrach, ließen sich die Mitglieder der ORION-Crew von einem Robotgleiter zum Flughafen bringen, wo sie die Soldaten persönlich empfangen und instruieren wollten. Vor dem Verlassen des Hotels hatte Cliff sich einen letzten Überblick verschafft. Durch das mutige Eingreifen der Zivilbevölkerung war der Vormarsch der Tanks zwar nicht gestoppt, aber zumindest verlangsamt worden. Der als Landeplatz für die Raumschiffe benutzte Flughafen befand sich noch in sicherer Entfernung. Die an den anderen Stellen Biminis aus dem Meer strömenden Monstren stellten noch keine unmittelbare Gefahr dar. Es galt vorerst, alle erdenklichen Kräfte gegen die Angreifer aus dem Seehafen einzusetzen. Wenn dies nicht gelang, würde bald die ganze Insel von den Invasoren überschwemmt sein. Der Robotgleiter landete auf dem Flugplatz, unmittelbar neben dem gelandeten Leichten Kreuzer. Die Soldaten strömten aus dem Landelift. Cliff McLane und seine Leute unterrichteten die Offiziere und wiesen sie an, die erschöpften Zivilisten an der Seehafenfront abzulösen. Da diese erste Brigade noch keine Plastiksprühgeräte bei sich hatte, sollte sie sich auf den dortigen Kampfplatz konzentrieren. Die nächsten Schiffe würden sich dann zu den anderen Inseln begeben.
»Sie sieht uns so traurig an«, sagte Atan, als die Soldaten mit den ausgeschleusten Kampfmaschinen in Richtung Stadtrand aufgebrochen waren. »Wer?« fragte Cliff, der nicht gleich begriff. »Unsere gute ORION IX, wer sonst«, beantwortete Mario die Frage. »Das kann man ändern«, grinste Cliff. »Heißt das, daß wir nicht zu den lahmen Heinis im Hotel zurückkehren, sondern selbst nach dem Rechten sehen?« »Genau das. Schließlich haben wir nicht alle Tage Hans Vollmachten. Also kommt, Kaninchen, ab in den Bau!« »Er wird mir wieder richtig sympathisch, unser Commander«, verkündete Hasso Sigbjörnson. Wenige Minuten später befanden die sechs Raumfahrer sich in der Zentrale ihres Schiffes. »Wir sehen uns die Lage aus der Luft an«, sagte McLane. »Helga, zaubere mir doch eine Verbindung zum Hotel. Norma soll ans Videophon kommen. Wir leiten die Aktionen von nun an von der ORION aus.« Die Funkerin machte sich wortlos an die Arbeit. Cliff hatte den Eindruck, daß sie als einzige bisher ahnte, was ihnen möglicherweise bevorstand. Trotzdem ließ sie sich nichts anmerken. Alles kam darauf an, ob mit den Raumlandetruppen, den Robotern und den Schiffswaffen die Invasion der Tanks gestoppt werden konnte. Gelang das nicht, dann würden schnell die Rufe nach schwereren Waffen laut werden. Dies aber bedeutete eine Gefährdung unabsehbaren Ausmaßes für die Menschen in den Krisengebieten und möglicherweise für die ganze Erde.
Cliff war entschlossen, mit der ORION auf eigene Faust zu handeln, wenn man ihn dazu zwang. Und da er die Mentalität der Verantwortlichen in der Flottenverwaltung kannte, machte er sich nicht allzu viele Illusionen. Cliff McLane sprach kurz mit der GSD-Assistentin. Zum Schluß bat er sie, dafür zu sorgen, daß das ganze Gebiet zwischen den vom Seehafen her anrückenden Tanks und dem Stadtbezirk, in dem sich das Hauptquartier befand, evakuiert würde. »Wir verschaffen uns einen Überblick über die Lage auf den anderen Inseln, Norma. Danach werden wir versuchen, die Schiffsgeschütze gegen die Tanks einzusetzen. Veranlassen Sie, daß kein Mensch mehr in dem Gebiet ist und wir freie Schußbahn haben. Mit den Soldaten rede ich selbst noch.« »Sie sind nicht mehr weit«, sagte Norma Russell. »Wenn nicht bald etwas geschieht, müssen wir das Hotel räumen.« »Halten Sie durch, Norma.« Das Mädchen nickte tapfer. Helga schaltete ab. »Sie macht sich Sorgen um uns«, sagte Arlene mit weiblichem Gespür. »Auch wenn Sie's nicht zugeben will.« Cliff fing einen Blick der Gefährtin auf und schmunzelte. »Warum wohl? Wieso sollte sie ein besonderes Interesse an uns haben?« »Nun«, sagte Arlene gedehnt. »Sie ist eine Frau, und da ...« »Du meinst, sie hat sich verknallt? In einen von uns?« »In wen wohl?« kam es über das Videophon von
Hasso Sigbjörnson, der sich im Maschinenleitstand befand. Er blinzelte Arlene zu. Mario de Monti, der sich verdächtig intensiv mit seinen Instrumenten befaßt hatte, fuhr herum, wie von der Tarantel gestochen. »In wen wohl?« äffte er Hasso nach. »Glaubt Ihr, daß ich nicht weiß, wer gemeint ist?« »Er weiß es«, rief Atan Shubashi. »Hört, hört!« Mario winkte ab. »Etwas anderes habt ihr nicht im Kopf, wie? Von wirklich reiner Liebe habt ihr noch nie gehört, woher auch. Wenn ich daran denke, daß ich vor nicht allzu langer Zeit genauso albern war wie ihr, läuft's mir kalt den Rücken 'runter.« Bevor die Flachserei noch schlimmere Formen annahm, fuhr Cliff dazwischen. »Seht euch das an!« Alle außer Hasso traten an die Projektionsscheibe in der Mitte der Schiffszentrale und starrten auf das, was sich einige hundert Meter unter ihnen abspielte. »So ein Wahnsinn«, stöhnte Arlene. Die ORION überflog einen Küstenstreifen auf dem anderen Ende der Insel. Überall schoben sich die Tanks an Land. Es mußten Tausende sein. Und der Strom riß nicht ab. An vielen Stellen hatten Zivilisten einen Teil der Invasoren außer Gefecht setzen können. Die Wirksamkeit der Plastiksprühgeräte hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen. Die ORION überflog ein paar weitere, kleinere Inseln. Hier war teilweise alle Hilfe für die Bewohner zu spät gekommen. Die Tanks füllten das ganze Land aus. Trümmer und Ruinen kennzeichneten den Weg, den sie genommen hatten. Gleiter mit Evakuierungsmannschaften versuchten
vergeblich, Überlebende zu finden. Auf anderen Inseln war die Evakuierung noch in vollem Gang. »Wir fliegen zurück«, ordnete Cliff an. »Jetzt werden wir sehen, ob sie den Strahlensalven aus unseren Geschützen standhalten.« »Endlich!« kam es von Hasso. »Das wurde Zeit, Cliff.« »Wieso probieren wir unsere Waffen nicht hier, auf einer der kleinen Inseln aus?« fragte Atan dazwischen. »Wir haben viel zuviel Zeit verloren«, brummte der Commander. »Außerdem müssen wir unsere Maßnahmen mit den Raumlandetruppen koordinieren, wenn wir Erfolg haben wollen.« Die ORION IX nahm Fahrt auf. Keiner sagte mehr ein Wort. Die Crew hatte begriffen, daß es jetzt ernst wurde. * »Also schön«, sagte Cliff. »Feuer frei!« Die ORION IX stand über dem evakuierten Gebiet der Hauptinsel, wo die Tanks die äußeren Stadtbezirke mittlerweile in ein Ruinenfeld verwandelt hatten. Auf Anweisung von der ORION hatten sich Zivilisten und Soldaten bis in die Innenbezirke zurückgezogen. Aus mehreren Bordgeschützen fuhren die Strahlbahnen gleichzeitig in die Reihen der Ungetüme. Die Lichtkanonen entfachten ein Chaos an der verwüsteten Oberfläche. Wo die Laser auf die anrückenden Monstren stießen, wurden die Strahlen reflektiert wie vorher schon bei den HM 4.
»Beschuß einstellen!« rief Cliff. Die Laser hatten die Umgebung in eine glutflüssige Hölle verwandelt. Als die Dampfschwaden sich verzogen hatten, kam die Ernüchterung. »Verdammt, die sind durch nichts zu knacken«, fluchte Atan. »Sie kriechen weiter. Was sind das für Ungetüme?« »Kannst du dir vorstellen, daß diese ›Ungetüme‹ sich über ganze Kontinente ergießen, Atan?« fragte McLane zurück. »Was immer an Bedrohungen sich uns in letzter Zeit offenbart hat, es hat sich nicht mit ein paar kleinen Inselchen zufriedengegeben.« »Cliff, einige von ihnen bleiben stecken«, rief Arlene dazwischen. Helga Legrelle machte sich an der Steuerung der Aufnahmeoptiken zu schaffen. Einzelne Tanks wurden sichtbar, die in dem glutflüssigen und langsam erkaltenden Boden stehenblieben. Sie hingen in der abkühlenden Schmelze fest. »Das bringt uns nicht viel weiter«, stellte Cliff fest. »Zehn neue Tanks für jeden außer Gefecht gesetzten.« Arlene runzelte die Stirn. »Mit anderen Worten ...« »... haben wir nur eine Chance, sie aufzuhalten, wenn wir schwere Waffen einsetzen. Overkill oder AM-Bomben. Genau das werden sich gewisse Bonzen auch denken, Arlene. Und dann gnade uns Gott.« »Und dein Vorschlag?« »Das Übel an der Wurzel packen«, sagte Helga Legrelle mit wissendem Lächeln. »Hatte ich recht oder nicht, Cliff McLane?« »Hat jemand einen besseren Vorschlag? Wir müs-
sen herausbekommen, wer uns diese Teufelsdinger schickt. Bisher weiß kein Mensch, was da wirklich aus dem Meer auf uns zukommt. Unser besoffener Freund, den Mario ins Hotel schleppte, weiß auch nicht mehr, als daß plötzlich ein gräßlicher Krawall auf dem Platz war. Wir haben keine Ahnung, womit wir es zu tun haben.« »Ich bin dabei, Cliff«, meldete sich Hasso über Videophon. »Und wie sollen wir das Han beibringen?« fragte Arlene. »Ob du's glaubst oder nicht«, sagte Cliff trocken. »Aber das ist mir im Augenblick ziemlich egal.« * Die ORION IX landete nicht wieder auf dem Flughafen auf der Hauptinsel der Biminis. Sie beobachtete das Vorrücken der Tanks von der Luft aus. Wo sich eine Chance bot, verwandelten die Schiffsgeschütze einen breiten Landstrich vor der anrückenden Invasionsarmee in glutflüssige Masse, in denen die Hälfte der Tanks steckenblieb. Aber andere drängten nach. Helga Legrelle hatte eine neue Verbindung zum Hauptquartier hergestellt. Wieder sah ihnen Norma Russells Gesicht von der großen Bildscheibe entgegen. »Es sieht so aus, als erhielten wir eine zusätzliche Frist«, sagte sie nüchtern. »Aber dafür erhalten wir Meldungen von den Bahama-Inseln, die vom Auftauchen der Tanks berichten. Vor einigen Minuten erreichten uns Nachrichten von der Ostküste Floridas und einigen Stellen Nordamerikas. Sie dringen über-
all vor, Cliff. Die Leute sind in heller Panik. Ganze Küstenstriche werden bereits evakuiert.« »Zwölf Kreuzer im Anflug«, meldete Arlene. »Sie sollen sich formieren und die Vormarschschneisen der Tanks mit ihren Lichtkanonen bestreichen«, sagte McLane. »Aber sie sollen darauf achten, daß die Gebiete geräumt sind.« »Auch das wird sie nicht lange aufhalten.« »Ich weiß«, sagte Cliff. »Und deshalb werde ich jetzt ein Gespräch mit Han führen.« Der Oberst wandte sich wieder an die GSD-Assistentin. »Norma. Sorgen Sie bitte dafür, daß die Evakuierung zügig fortschreitet, und koordinieren Sie mit Ihren Leuten den Einsatz der Flottenschiffe. Bleiben Sie in ständiger Verbindung mit Katsuro. Sie müssen jetzt ohne uns auskommen. Trauen Sie sich das zu?« »Es soll mir eine Ehre sein«, versuchte das Mädchen zu scherzen. Plötzlich wurde sie jedoch ernst. »Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, Cliff, aber ich wünsche Ihnen alles Glück. Und sagen Sie diesem Casanovaverschnitt, daß er eigentlich ein ganz feiner Kerl ist.« Damit verblaßte die Bildplatte. Mario de Monti lief rot an, und sein Adamsapfel wanderte ein paarmal auf und ab. »Ich weiß nicht, was sie will«, preßte er dann ärgerlich hervor und verschwand hinter seinen Konsolen. »Ich dachte, das waren eben Scherze?« flüsterte Arlene Cliff zu, als sie allein waren. Der Commander grinste über das ganze Gesicht. »Mario de Monti, der Schreck aller Raumbasen mit weiblichem Personal, ist in eine Vorthanierin namens
Erethreja verliebt, und jetzt fliegen plötzlich die Weiber auf ihn, noch dazu so ein Prachtstück wie Norma. Der ist ganz schön sauer.« »Han Tsu-Gol auch«, meldete Helga. »Er läßt bitten, Herr Kommandant!« * Wo eben noch Norma Russells attraktives Gesicht abgebildet worden war, stand nun die harte Miene des Regierungschefs. Han Tsu-Gol wirkte übernächtigt. »Ich bin vom Hauptquartier des Untersuchungsstabs aus über die Lage informiert, Cliff«, begann Han ohne Umschweife. »Also, was gedenken Sie zu tun?« »Wir haben nur zwei Möglichkeiten, Han«, erwiderte McLane ernst. »Mit unseren leichten Waffen richten wir nichts gegen die Invasoren aus. Wir können sie auf Dauer nicht aufhalten, außerdem können wir nicht ganze Landstriche in glutflüssige Höllen verwandeln. Die erste Alternative ist der Einsatz schwerer Waffen. Overkill oder Antimateriebomben. Was das bedeutet, wissen Sie.« »Und die zweite Möglichkeit?« »Wir nehmen die ORION und sehen unter Wasser nach dem Rechten.« »Das werde ich nicht zulassen, McLane!« »Wir haben Vollmacht, vergessen Sie das nicht, Meister der Versprechungen.« »Das galt für die Leitung des Untersuchungsstabs, Cliff. Wir haben hier eine akute Notstandssituation!« »Was Sie nicht sagen, Han.« »Lassen Sie Ihre Sprüche, Cliff. Es ist ernst. Ich er-
wäge in der Tat den Einsatz von leichten Antimateriebomben in den betroffenen Gebieten. Das heißt, daß die Bevölkerung in allerschnellster Zeit evakuiert werden muß. Ich habe bereits alles Nötige veranlaßt.« »Das ist Wahnsinn, Han!« fuhr Cliff auf. »Glatter Mord an vielen tausend Menschen. Sie können sie gar nicht so schnell evakuieren, die Invasoren tauchen an immer mehr Stellen auf. Und wir haben keine Ahnung, mit wem wir es zu tun haben. Wir müssen die Ursachen bekämpfen, Han!« »Ohne den Einsatz der schweren Waffen überschwemmen die Tanks unsere Kontinente«, widersprach Han Tsu-Gol, der sichtlich erregt war, sich aber meisterhaft beherrschte. »Und ich möchte nicht wissen, was uns dann blüht! Ich habe langsam genug, verstehen Sie? Genug von Mordrobotern, verschwundenen Flugzeugen, rätselhaften Stationen aus der Vergangenheit und Raumfahrern, die mit jeder abgewendeten Gefahr eine neue heraufbeschwören!« »Das Kaninchen läuft weg«, nahm der Oberst einen nicht lange zurückliegenden Vergleich Hans auf. »Die Schlange triumphiert. Han, Sie wissen ebenso gut wie wir, was wir mit dem Einsatz von schweren Waffen auf der Erde bewirken. Wir würden nicht nur alle Menschen in den gefährdeten Gebieten töten, sondern auch riskieren, daß uns die ganze Gegend in die Luft fliegt. Die ganze Erde kann dabei zerstört werden, Han!« »Wir können nicht warten, ich ...« Der Regierungschef sah zur Seite, dann nahm er eine Folie entgegen, die er gereicht bekam. Er las die Notiz und schlug die Augenlider nieder. »Schlechte Nachrichten?« vermutete Cliff McLane.
»Ich erhalte gerade die Meldung, daß Tausende von Tanks New York angreifen. Die Menschen sind verrückt vor Angst. Der ganze Verkehr droht zusammenzubrechen. Überall tauchen die Ungetüme auf.« »Und nun, Han? Wollen Sie New York und seine Millionen Einwohner mit AM-Bomben belegen lassen?« Cliff gab Helga Legrelle mit den Augen ein Zeichen. Die Funkerin verstand augenblicklich. »Wir sehen uns unter Wasser um, Han«, erklärte Cliff. »Danach können Sie uns einen Kranz stiften oder wieder vor Gericht bringen. Tun Sie mir nur einen Gefallen, und unternehmen Sie nichts, bis Sie von uns hören. Die Kaninchen holen sich die Schlange.« Cliff gab das Zeichen. Noch während Han TsuGols Entgegnung unterbrach Helga den Kontakt. »Auf eine Funkstörung können wir uns diesmal nicht herausreden«, meinte Arlene. »Und wenn schon«, winkte Cliff ab. Die ORION IX nahm Kurs auf die Große BahamaBank, von wo aus die Beobachtungsstationen bisher die stärksten energetischen Aktivitäten innerhalb des Bermuda-Dreiecks anmaßen. * Innerhalb weniger Stunden war das Chaos über weite Teile der amerikanischen Ostküste hereingebrochen. Überall schoben sich die Tanks aus dem Meer, durchbrachen in aller Eile aufgebaute Verteidigungslinien und wälzten ganze Ortschaften einfach nieder. In den Städten brach Panik aus, und die Menschen-
massen suchten in heilloser Verwirrung die Flucht, wobei sie sich gegenseitig behinderten. Die BahamaInseln wurden evakuiert. Das Hauptquartier des Untersuchungsstabs Bermuda-Dreieck mußte geräumt werden. Die Evakuierung ging nur langsam vonstatten und verlangte genaueste Koordination. Der Himmel über den betroffenen Gebieten wimmelte von den Schiffen der Flotte. Die abgesetzten Bodentruppen hatten alle Hände voll zu tun, die Ordnung auch nur einigermaßen aufrechtzuerhalten. Und überall schoben sich die Tanks ununterbrochen aus dem Meer. Es waren bereits einige Hunderttausende, wenn nicht Millionen, die sich über das Land ergossen. In der Vergangenheit hatten die Menschen vielen Gefahren getrotzt, die aus dem Weltall auf sie zugekommen waren, angefangen mit der Invasion der Frogs. Jetzt nützte all die Erfahrung aus diesen Krisen nichts, denn der Gegner schien direkt aus dem Innern der Erde zu kommen. Er kam vollkommen geräuschlos, es gab keine Möglichkeit, einen Kontakt zu den Invasoren herzustellen. Und immer wieder die bange Frage: Waren die roboterhaft wirkenden Tanks letztlich nur Werkzeuge einer noch viel grausameren, überlegeneren Macht? Das war die Situation auf der Erde, als die ORION IX in den Wassermassen über dem nördlichen Teil der Großen Bahama-Bank verschwand.
5. »Die Große Bahama-Bank«, überlegte Helga Legrelle. »Ich entsinne mich, daß schon lange vor unserer Zeit die wildesten Spekulationen um dieses Plateau angestellt wurden. Damals galt dieses Gebiet als einer der letzten ›weißen Flecken‹ auf unserem Planeten, als eines der wenigen ungelösten Rätsel der Erde.« »Manchmal habe ich das Gefühl, daß das gar nicht mehr ›unsere‹ Erde ist«, sagte Atan. »Ich erinnere mich auch«, sagte Cliff. »Damals wurden die wildesten Spekulationen angestellt. Unsere Vorfahren verlachten sie. Man entdeckte von Flugzeugen aus an vielen Stellen eine Fülle von großen Quadraten, Rechtecken, Kreuzen, langen parallellaufenden Linien und anderen geometrischen Figuren. Taucher fanden darüber hinaus an mehreren Stellen Reste von Steinbauten, die offensichtlich von Menschenhand stammten.« »Und was schlossen sie daraus?« fragte Atan. Cliff zuckte die Schultern. »Wie gesagt: Man nahm die Spekulationen nicht ernst. Und vielleicht war das sogar das Beste für die damaligen Menschen. Stellt euch vor, sie hätten damals hier unten im Meer herumexperimentiert und dabei ungewollt die schlummernden Anlagen des Rudraja oder des Varunja zum Leben erweckt.« »Du vermutest also, daß wir es mit einem weiteren Relikt aus der Zeit des Kosmischen Krieges zu tun haben?« fragte Arlene. »Du nicht?« Die dunkelhäutige Schönheit zuckte die Schultern.
Einige Erlebnisse der jüngsten Vergangenheit hatten sie vorsichtig werden lassen. Nicht zuletzt das Auftauchen der Vorthanier, die immer noch in ihrer riesigen Raumstation den Mars umkreisten, hatte gezeigt, daß viele ehemaligen Hilfskräfte der beiden Urmächte sich mittlerweile verselbständigt hatten und nicht in ein einfaches Schema zu pressen waren. »Hast du was auf den Schirmen?« fragte Cliff zu Helga Legrelle hinüber, die von Mario de Monti jetzt unterstützt wurde. »Einige Massenbewegungen vor uns«, teilte die Funkerin mit. »Wir werden sie bald erreicht haben. Allerdings kommen die Energieemissionen nicht direkt von der Großen Bahama-Bank vor uns, sondern aus westlicher Richtung, von der Florida-Straße. Von dort scheinen auch die Objekte zu kommen.« Cliff McLane machte ein mürrisches Gesicht. »Wir sehen uns zuerst hier um«, entschied er. Die ORION tauchte in seichtem Wasser. Im Licht der Scheinwerfer bot sich der Crew das paradiesische Bild einer maritimen Zauberwelt. Exotische Fische, große Krabben und riesige Wasserschildkröten tauchten zwischen der prächtigen Kulisse großer Korallenbänke auf und machten Platz für das metallene Ungetüm, das die ORION für sie darstellte. Es war ein Bild des Friedens, aber die Crew wußte, daß der Eindruck täuschte. Irgendwo steckte ein Gegner, der erbarmungslos zuschlug. Atan sprach das aus, was alle dachten: »Wenn wir wenigstens eine Ahnung hätten, wer oder was in den verdammten Tanks steckt!« »Die Frage kann dir kein Mensch beantworten«,
sagte Arlene N'Mayogaa. »Bisher waren alle Versuche, so ein Ding aufzubrechen, erfolglos.« »Vielleicht sind es wirklich nur Roboter«, vermutete Atan. »Das würde ihre sture Vorgehensweise erklären. Aber dann gibt es einen Drahtzieher.« »Die Schlangenmutter«, warf Mario von seinem Platz aus ein. »Und die Tentakel?« fragte Arlene. »Wie passen die in dein Bild? Außerdem haben wir genügend spontane Reaktionen der Monstren beobachtet.« »Das kann man wohl sagen«, knurrte Cliff, der sich nur höchst ungern an die Flucht vor den anrückenden Tanks am Hafenplatz erinnerte. »Manchmal glaube ich, daß etwas in den Biestern steckt, das sich gar nicht in eine unserer Standardkategorien einordnen läßt.« »Also doch Lebewesen?« McLane zuckte die Schultern. »Das, meine Lieben, wird wieder einmal unsere Aufgabe sein. Hans Elitetruppe kann wieder die Kastanien aus dem Feuer holen und sich hinterher einen Rüffel einfangen.« »Sie sind jetzt direkt vor uns«, meldete Mario. »Gleich müßten wir sie sehen. Cliff, es müssen Tausende sein!« Und dann sahen die Raumfahrer die Invasionsarmee vor sich, wie sie sich langsam, aber unaufhaltsam über den Meeresboden schob. »Sie kommen tatsächlich aus dem tieferen Wasser«, stellte Helga fest. »Aus der Florida-Straße!« »Um nach Florida zu gelangen, brauchten sie sich nicht auf der Bahama-Bank zu sammeln«, sagte Arlene.
»Was hast du da gesagt?« fragte Cliff schnell. »Sammeln?« »Ist mir so herausgerutscht.« »Laß nur, Liebling. Das hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Sie kommen aus dem Florida-Graben, um sich hier zu sammeln. Wir müssen näher heran. Das ist ihr System und erklärt, weshalb sie erst viel später an der Ostküste des Kontinents auftauchten als auf Bimini und den Bahamas. Wenn wir recht haben, müssen wir gleich ein riesiges Arsenal von Tanks finden.« »Aber es kommen immer noch neue von Westen her, Cliff! Das hört scheinbar nie mehr auf.« Der Oberst nickte mit finsterer Miene. Helga hielt es jetzt nicht mehr aus. »Will der große Meister uns vielleicht endlich sagen, was sich in seinen grauen Zellen tut?« Cliff McLane richtete sich auf und sah ein Mitglied der Crew nach dem anderen an. »Er will nicht, Helga-Mädchen, aber ich fürchte, er muß.« Cliff stützte sich schwer auf die große Bildplatte, die auf Außenübertragung geschaltet war und das stählerne Heer der Tanks zeigte. »Seht euch die Dinger an. Sie wirken ebenso plump wie die Panzer des 20. Jahrhunderts! Aber es gibt kein Mittel, um sie aufzuhalten, wenn wir uns nicht selbst umbringen wollen, bevor sie das womöglich besorgen. Wir haben nur eine Chance. Wir müssen in den FloridaGraben vorstoßen und die Stelle ausmachen, an der sie ausgespuckt werden. Dort senden wir ein Peilsignal an Han, der veranlaßt, daß ein Schiff der Raumflotte eine leichte Antimateriebombe abwirft. Aus.«
Die Mannschaft schwieg betreten. Nur Helga Legrelle atmete tief durch. Sie hatte etwas Ähnliches geahnt. »Wieso ›ausgespuckt‹?« fragte Atan schließlich. »Du gehst also davon aus, daß man uns die Tanks durch einen Transmitter schickt?« »Wie sonst? Diese Massen von Ungetümen können nie und nimmer bisher verborgen auf dem Meeresgrund gelegen haben. Außerdem schienen unsere beiden Urmächte und ihre Hilfsvölker ja geradezu einen Narren an der Transmittertechnik gefressen zu haben.« »Das wär's dann also«, sagte Mario leise. Cliff brachte keine Antwort zustande. Er wußte, ebenso wie die anderen, wie es jetzt in dem Kybernetiker aussah. In Gedanken war Mario bei Erethreja. Hasso Sigbjörnson meldete sich über Videophon. Er hatte von seinem Platz bei den Maschinen aus das Gespräch verfolgt. »Es ist vielleicht besser, wenn einer von uns mit einer LANCET aussteigt und zur Oberfläche zurückkehrt. Damit es wenigstens einen gibt, der denen da oben auf die Finger sieht und aufpaßt, daß Han ...« »Danke, Hasso«, unterbrach Mario den Freund. Dann zwang er sich zu dem altbekannten Grinsen. »Es ist gut, Freunde. Macht euch um euren alten Mario keine Sorgen, der steckt euch noch alle in die Tasche, und die Schlange auch. Also, worauf warten wir?« »Es zwingt dich wirklich niemand, Mario«, sagte Cliff. »Das gilt ebenso für die anderen.« »Halte keine Volksreden, Cliff McLane, sonst kommen mir die Tränen!« brüllte Mario. »Ich denke,
wir haben etwas zu erledigen. Also los, sonst entziehen wir dir das Kommando über das Schiff und machen es allein!« Cliff ließ sich »überzeugen«. Und doch kamen ihm die Befehle, mit denen er das Himmelfahrtskommando einleitete, nur schwer über die Lippen. Wenn alles nach Plan verlief, steckten irgendwo in der Florida-Straße die letzten »Kastanien«, die die ORION-Crew jemals aus dem Feuer holen sollte. * Bevor die ORION IX Kurs auf den als »FloridaStraße« bekannten Meeresgraben zwischen der Großen Bahama-Bank und der Ostküste Floridas nahm, tauchte sie noch einige Kilometer weiter über die Bahama-Bank. Sie folgte dem Strom der Tanks, die eine kilometerbreite Bresche in die unterseeische Flora gewalzt hatten, bis sie die Sammelstelle erreicht hatten. Es waren Zehntausende von den stählernen Ungetümen, die den Meeresboden bedeckten. Aus einigen der Tanks, über die das Raumschiff hinwegglitt, schnellten Tentakel nach oben, um nach dem Schiff zu greifen, aber sie stellten keine Gefahr für die ORION dar. Soweit das Auge reichte, stand die Invasionsarmee bereit, um sich über die Kontinente der Erde zu ergießen. Die Crew konnte bald deutlich erkennen, daß sie sich von hier aus fast sternförmig in verschiedene Richtungen zerstreute. Riesige Kolonnen stießen ohne Unterbrechung nach allen Seiten vor. »Ich brauche noch einmal eine Verbindung zu Han«,
bat Cliff McLane die Funkerin. »Sei nett zu ihm, Helgalein, vielleicht sieht er uns zum letztenmal.« Dann drehte das zum Unterseeboot umfunktionierte Raumschiff ab und nahm Kurs auf die FloridaStraße. Die ORION folgte dem Strom der anrückenden Tanks in entgegengesetzter Richtung und tauchte allmählich in tieferes Wasser. * »Ich nehme an, Ihre Funkanlage war wieder einmal defekt, McLane«, waren Han Tsu-Gols erste Worte. Wenn die Raumfahrer ein Donnerwetter erwartet hatten, so sahen sie sich jetzt getäuscht. Han lächelte über das ganze Gesicht. »Irrtum, Han«, erwiderte Cliff mit ebenso freundlichem Lächeln. »Wir haben einfach abgeschaltet.« »Ich schätze ehrliche Leute, Cliff. Und auch ich muß ehrlich sein: Sie hatten recht.« »Das habe ich meistens«, sagte Cliff trocken. »Aber was treibt Sie zu dieser umwerfenden Erkenntnis, Meister der Rätsel?« »Die Tanks überschwemmen unsere Kontinente. Sie sind überall an der nord-, zentral- und südamerikanischen Küste aufgetaucht. Die Westindischen Inseln werden eiligst evakuiert. Sie können sich nicht vorstellen, was da los ist, Cliff. Der Einsatz schwerster Waffen ist nicht mehr vorstellbar. Unsere Raumschiffe versuchen, die Tanks wenigstens dort aufzuhalten, wo die Evakuierung noch im Gange ist. Schon jetzt sind ganze Landstriche so zugerichtet, daß sie auf Jahrhunderte hinaus nicht mehr bewohnbar sind.« »Und nun sind wir wieder an der Reihe, Han?«
Der Regierungschef breitete die Arme in einer verzweifelten Geste aus. Es war ihm deutlich anzusehen, daß er mit seinem Latein am Ende war. »Ich weiß nicht weiter, Cliff. Falls es Ihnen etwas bedeutet: Ich gebe meinen Widerstand auf und billige Ihr eigenmächtiges Vorgehen im Nachhinein.« »Also kein weiterer Auftritt vor dem Flottengericht?« erkundigte McLane sich sarkastisch. »Können Sie nicht einmal nur für ein paar Minuten ernst bleiben, Cliff?« »Wenn Sie wüßten, wie ernst ich sein kann, Han.« »Wie meinen Sie das? Sagen Sie mir, was Sie vorhaben.« »Deshalb riefen wir Sie, Han. Holen Sie schon einmal tief Luft, Sie werden ihre Puste zum Protestieren brauchen, aber unser Entschluß steht fest.« »Ich höre«, sagte der Asiate mit gewölbten Augenbrauen. Cliff erklärte in knappen Sätzen, was die ORION über der Großen Bahama-Bank hatte beobachten können, und daß die Quelle des Unheils im Westen, mitten in der Florida-Straße liegen mußte. Dann teilte er ihm seinen Plan mit. »Wir werden dem Strom der Tanks folgen, bis wir an der Quelle angelangt sind. Dann schicken wir Ihnen ein Peilsignal. Sorgen Sie dafür, Han, daß ein Raumschiff der Flotte zur Stelle ist und eine leichte AM-Bombe abwirft. Dagegen dürfte selbst unser geheimnisvoller Gegner machtlos sein. Wenn kein Nachschub mehr kommt, dürfte es nicht allzu lange dauern, bis Sie die Invasoren unter Kontrolle haben.« Han Tsu-Gol verlor sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
»Das ist die größte Wahnsinnsidee, die Ihnen jemals gekommen ist, Cliff! Das werde ich nie im Leben zulassen! Es ist Selbstmord, das wissen Sie ganz genau. Ich werde nicht veranlassen, daß Sie sich in den Tod stürzen. Kein Raumschiff wird eine Bombe über Ihnen abwerfen!« »Han«, sagte Cliff betont sachte. »Wir sind doch erwachsene Menschen. Und ob wir jetzt ins Gras beißen oder in ein paar Wochen durch die Tanks, sollte doch Sache der Crew sein. Also protestieren Sie nicht lange, oder sollen wir wieder abschalten?« »Es muß eine andere Möglichkeit geben, Cliff, nehmen Sie doch Vernunft an! Tauchen Sie meinetwegen weiter, aber ich werde nie im Leben ein Schiff veranlassen, die AM-Bombe abzuwerfen.« »Dazu kann Sie niemand zwingen, Han. Dann nehmen wir unsere Overkill-Projektoren.« Han atmete tief durch. Er sah Cliff lange in die Augen. »Sie sind also fest entschlossen?« »Fest, Han. Und Sie wissen ebenso, daß das die einzige Chance für die Erde ist. Ihnen bleibt gar keine andere Möglichkeit.« »Es fällt mir nicht leicht, Cliff.« »Verdammt noch mal!« fuhr der Commander auf. »Glauben Sie, uns macht es Spaß, die Helden zu spielen? Wir haben keine Wahl, Han! Sehen Sie sich Mario an, der heult sich fast die Augen aus, weil er zwei wunderbare Frauen zurücklassen ...« »Also das ist doch die Höhe!« schrie der Kybernetiker aus dem Hintergrund. »Glauben Sie ihm kein Wort, Han!« »Ich sehe, auch angesichts des Todes bleiben Sie noch die Alten«, stöhnte Han.
»Oh, wir sind schon oft gestorben – fast ...« warf Cliff ein. »Also schön, Sie haben meinen Segen, ich kann Sie ja doch nicht zurückhalten. Wissen Sie, wie mir zumute ist?« »Wie einer Kaninchenmutter, die ihre Prachtkinder in die Höhle der Schlange laufen sieht«, meinte Cliff. Im nächsten Augenblick war die Bildplatte leer. Han Tsu-Gol hatte abgeschaltet. »Das war überflüssig, Cliff«, sagte Arlene vorwurfsvoll. »Stundenlange Abschiedsszenen mit Tränen sind nicht mein Fall«, sagte der Oberst nur. * Knapp eine Stunde später waren sie am Ziel. Bisher war die Kolonne der Tanks stur über den Meeresgrund gerollt. Die Monstren schienen sich überhaupt nicht um die ORION zu kümmern. Dann plötzlich begannen die Tanks zu schweben. Einen Moment lang herrschte Verwirrung an Bord der ORION. Dann erfaßten die Frontscheinwerfer die Felswand. Sofort wurde das Bremsmanöver eingeleitet. Die ORION IX schwebte vor einer schroff aufragenden unterseeischen Felswand, die zahlreiche große Löcher aufwies. Aus diesen Löchern tauchten die Tanks auf und schwebten einige hundert Meter frei im Wasser, bis sie in spitzem Winkel auf dem Grund aufsetzten und von dort ihren scheinbar endlosen Marsch begannen. »Sieht wie eine Festung aus«, kommentierte Hasso Sigbjörnson den Anblick.
»Eine Festung muß man knacken«, rief Mario mit Galgenhumor. »Dort vorne ist ein Loch, das groß genug für uns sein müßte«, meldete sich Arlene. »Die Tanks kommen in Schüben heraus. Wenn wir einen abwarten und sofort einfliegen, müßten wir hineinkommen.« Cliff nickte. »Obwohl wir keine Ahnung haben, wie es drinnen aussieht. Noch ist es Zeit, Freunde. Wenn jemand doch noch mit einer LANCET ...« »Merkst du nicht, daß du uns auf die Nerven gehst, Mister McLane?« fragte Atan und verdrehte die Augen. »Also los!« Die ORION wartete den nächsten Schub von Tanks ab, dann nahm sie Fahrt auf. Lautlos glitt sie in den Stollen. »Ein regelrechter Tunnel«, stellte Cliff fest. »Sieht ganz so aus, als ob ihn jemand in die Wand hineingetrieben hätte. Wenn man dem ersten Eindruck glauben darf, dann ist das eine Ewigkeit her.« »Hast du etwas anderes erwartet?« fragte Arlene mit gerunzelter Stirn. »Unsere modernen Künstler toben sich vorwiegend an der Oberfläche aus.« Die Scheinwerfer erfaßten die Wände. Jeden Augenblick konnte ein neuer Trupp der geheimnisvollen Tanks vor dem Raumschiff auftauchen, und dann gab es keine Ausweichmöglichkeit. Die Raumfahrer atmeten auf, als sich der Stollen vor ihnen plötzlich verbreitete und in eine riesige Halle mündete. Aber die Erleichterung dauerte nicht lange. Mitten in der Halle, dicht unter der Decke, schwebte ein gewaltiger, grellweiß strahlender Kristall. Und dar-
unter befand sich ein etwa hundert Meter durchmessender, in bläulichem Licht leuchtender und pulsierender Ring. Bei jeder Pulsation entstand in der Mitte des Ringes eine Gruppe der bekannten Tanks, die sich ohne Zögern in Bewegung setzten. * »Ein Transmitter!« stieß Cliff hervor. »Also doch!« »Mich würde interessieren, wie es am anderen Ende aussieht«, erklärte Mario. »Mich auch, aber wir haben dafür zu sorgen, daß der Spuk hier ein Ende nimmt. Helga, die Peilsignale!« Helga Legrelle war sich vollkommen darüber im klaren, daß der lächerliche Tastendruck das Todesurteil für sie alle bedeutete. Dennoch zögerte sie keine Sekunde. Ein Pulk von Tanks nach dem anderen erschien im Transmitterfeld. Der Vorgang mußte sich nun schon über Tage hinwegziehen, und es war kein Ende abzusehen. Erst jetzt wurde die Crew sich wirklich vollends klar darüber, in welcher Gefahr die Erde tatsächlich schwebte. Der Anblick räumte auch die letzten noch vorhandenen Bedenken beiseite. Die ORION zog sich in eine große Nische in der Wand der Felsenhalle zurück und wartete auf eine Bestätigung, daß der Peilimpuls empfangen wurde. Die Mannschaft rechnete damit, daß sie noch eine Nachricht bekamen, bevor man oben die Bombe abwarf. Aber nichts geschah. Nach einer Stunde wurde Cliff ungeduldig und verlangte eine Verbindung zum Flottenhauptquartier.
Aber die Empfänger blieben stumm. »Versuche, Katsuro zu erreichen«, bat Cliff die Funkerin. Alles in ihm sträubte sich dagegen, noch einmal mit Han Tsu-Gol zu sprechen. Helga hantierte an ihren Apparaturen, dann schüttelte sie den Kopf. »Keine Verbindung, Cliff. Wir kommen nicht durch. Auch Hyperfunksignale werden blockiert. Wir sind abgeschnitten.« »Wenn es hier etwas gibt, das nicht einmal Hyperfunk durchläßt«, überlegte der Commander, »kommen auch unsere Peilsignale nicht durch. Wir stehen also wieder am Anfang.« »Wir müssen auf eigene Faust handeln«, sagte Arlene ruhig. »Und da wir keine AM-Bomben an Bord haben, bleibt nur der Overkill.« »Probleme? Beschwerden? Depressionen? Die ›Selbstmord GmbH‹ weiß immer Rat! Rufen Sie noch heute an!« unkte Atan. »Hast du einen besseren Vorschlag?« fragte Arlene. »Nein.« »Dann los!« sagte Cliff. »Moment noch«, mischte sich Mario de Monti ein. »Und?« »Ich will noch etwas sagen, bevor wir ... ich meine, bevor es vorbei ist. Es war eine schöne Zeit mit euch und der ORION. Ich finde nicht die Worte, um euch jetzt ...« »Dann halte die Klappe!« preßte Atan hervor. Der kleine Astrogator rieb sich mit der Rechten über die feucht gewordenen Augen. »Mein Gott, Cliff, bringen wir's endlich hinter uns!« McLane wechselte einen Blick mit Arlene N'Mayo-
gaa, aber in diesem einzigen Blick lagen ganze Welten – Welten des Glücks und der Liebe. »Fertig, Hasso?« fragte Cliff mit zusammengepreßten Zähnen. »Fertig.« »Feuer!« Die Raumfahrer schlossen die Augen in Erwartung des alles vernichtenden Blitzes, aber wieder geschah nichts. Es dauerte fast eine Minute, bis sie begriffen, daß auch die Overkill-Projektoren der ORION IX ausgefallen waren. Die plötzliche Erkenntnis wirkte wie ein Schock. Sie lebten. Atan Shubashi faßte sich als erster. »Wenn wir uns jetzt noch umbringen wollen, müssen wir uns schon die HM 4 an den Kopf setzen.« »Dann bleibt uns nur eine Möglichkeit«, sagte Cliff, der sich augenblicklich auf die neue Situation eingestellt hatte. »Wir müssen aussteigen und den Kristall mit unseren Handwaffen beschießen.« »Wieso jagen wir nicht einfach eine Salve aus den Lichtkanonen auf ihn los?« fragte Mario. Cliff sah den Freund ironisch an. »In dieser Höhle? Wenn wir schon nicht die Märtyrer spielen dürfen, dann wollen wir mit heiler Haut auch wieder hier 'rauskommen. Wenn wir tatsächlich mit Energiewaffen etwas ausrichten können, was ich bezweifle, dann genügen die HM 4.« Die Raumfahrer machten sich bereit zum Verlassen des Schiffes. *
In halbkreisförmiger Formation schwammen die sechs Mitglieder der ORION-Crew auf den Riesenkristall zu. Jeder von ihnen hatte seine HM 4 in der Hand. Die ausgespuckten Tanks rollten weit unter ihnen auf die Stollenmündung zu, von ihnen drohte jetzt keine Gefahr. Auf ein Zeichen Cliffs eröffneten die Menschen den Beschuß. Sechs gleißendhelle Energiebahnen fuhren direkt in den Kristall und brachten ihn zum Flackern. Einige Augenblicke lang sah es so aus, als ob das strahlende Gebilde verlöschen würde, dann leuchtete es so hell wie zuvor. Die Strahlen der Handwaffen wurden regelrecht geschluckt. Und doch hatte sich etwas verändert. Der Transmitterring leuchtete jetzt nicht mehr blau, sondern verblaßte zusehends. Bevor die Raumfahrer in wildes Triumphgeschrei ausbrechen konnten, legte sich ein Bann auf sie, der sämtliche Bewegungen lähmte. Unfähig, auch nur ein Glied zu rühren, aber bei vollem Bewußtsein, trieben sie im Wasser der Felshalle und mußten zusehen, wie sich die Umgebung nochmals veränderte. Anstelle des blauen Leuchtens trat jetzt ein rotes Glühen. Der Transmitterring baute sich wieder auf und erstrahlte in grellem Rot, das von den Wänden der Felshöhle zurückgeworfen wurde. Und noch etwas geschah. Sechs der Tanks, die gerade in einem der Stollen verschwinden wollten, hielten abrupt an und drehten sich. Mit einer Geschwindigkeit, wie Cliff und Mario es schon am Hafenplatz auf Bimini erlebt hatten, schwebten sie auf die gelähmten Raumfahrer zu. Aus schnell gebildeten Öffnungen schossen Tentakel heran und legten sich um die hilflosen Menschen.
Die Tanks schwebten auf die Mitte des Transmitterrings zu und näherten sich dem Boden. Unfähig, sich zu wehren, mußten Cliff und seine Freunde zusehen, wie das rote Feld immer näher kam und sie schließlich umschloß. Überall war nur noch rotes Wabern. Im nächsten Augenblick löste sich die Welt um sie herum auf. Das letzte, was die ORION-Crew wahrnahm, war der stechende Schmerz der Entstofflichung.
6. Auf den ersten Blick hatte sich nicht viel geändert, dann sahen die Terraner, daß sie sich nicht mehr in der unterseeischen Felsenhalle, sondern in einer riesigen Kuppel befanden, die ebenfalls mit Wasser gefüllt war. Außerdem leuchtete der Transmitterring blau. Der sich daraus ergebende Schluß war nicht schwer zu ziehen: Sie befanden sich in der Gegenstation, dort, wo eine bisher unbekannte Macht die Tanks zur Invasion der Erde durch den Transmitter schickte. Unter der Decke schwebte ebenfalls ein großer Kristall, der sich nicht von dem in der Felsenhalle unterschied. Den immer noch gelähmten Raumfahrern blieb nicht viel Zeit, um weitere Spekulationen anzustellen. Plötzlich tauchten wieder sechs Tanks auf und packten sie mit ihren Tentakeln. Sie wurden im Wasser herumgewirbelt und fortgezogen. Cliff McLane und seine Gefährten sahen noch, daß der Boden der Kuppel von unzähligen Tanks bedeckt war, die in Gruppen auf die Entstofflichung warteten. Dann tauchte eine Öffnung in der Kuppelwandung vor ihnen auf. Der dahinterliegende Gang war groß genug, um die Tanks mitsamt den Gefangenen nacheinander hindurchzulassen. Hasso und Arlene, die als letzte in den Gang gezogen wurden, bekamen eben noch mit, wie das blaue Licht in der Kuppelhalle dem schon von der Gegenstation bekannten Rot Platz machte. Im gleichen Augenblick schob sich die erste Kolonne der bereitstehenden Tanks in den Entstofflichungsring.
Die Invasion der Erde ging weiter. Und es gab im Moment nichts, das die Crew dagegen tun konnte. Die Tanks rissen sie hinter sich her durch die jetzt zäh wirkende Flüssigkeit. Die Raumfahrer konnten keinen Finger rühren. Immer weiter ging es in den Gang hinein, der plötzlich von einem düsteren roten Glühen erfüllt wurde. Außerdem wurden die Wände transparent, so daß die hinter ihnen liegenden Anlagen und Räume sichtbar wurden. Sie erreichten eine ebenfalls kuppelförmige Verteilerhalle. Einige bange Sekunden lang befürchteten sie, daß sich die Tanks auf die sechs Gangöffnungen verteilen würden, die sich in der Wandung befanden. Doch sie blieben zusammen und schwebten, einer nach dem anderen, in einen links liegenden Gang. Auch hier war alles in dieses rötliche Leuchten getaucht. Hinter den transparenten Wänden waren Teile einer rätselhaften Maschinerie zu sehen, die offensichtlich zu einer übergeordneten Einheit gehörten. Überall befanden sich durchsichtige Rohre, in denen eine rotglühende Substanz zu fließen schien. Noch einmal erreichte die Kolonne eine Verteilerhalle und drang in einen weiteren Gang ein. Allmählich gewannen die Raumfahrer einen Eindruck von der gewaltigen Größe dieses Komplexes. Dann plötzlich verlangsamte sich das Tempo der Tanks. Sie erreichten einen Raum, der auf den ersten Blick als eine Luftschleuse identifiziert wurde. Hinter ihnen schloß sich der Gang. Eine ebenfalls durchsichtige Mauer entstand wie aus dem Nichts. Cliff McLane und seine Mannschaft konnten sehen, wie die Flüssigkeit langsam abgesogen wurde. Mit ihr verschwand das rote Leuchten. Als die Schleuse
leer war, öffnete sich vor ihnen ein Schott, das ausnahmsweise einmal nicht transparent war. Die Tentakeln strafften sich wieder, und die Tanks beförderten die Menschen in einen großen Raum, der mit Instrumenten unbekannter Art übersät war. Die Tentakel lösten sich von ihnen und zogen sich in die Öffnungen der Tanks zurück, die sich gleich darauf schlossen. Dann drehten die Ungetüme ab und verschwanden in der Schleuse. Das Schott fuhr zu. Die Raumfahrer waren allein. Hilflos lagen sie in dein fremden Raum. * Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis das Gefühl in die Gliedmaßen der Gelähmten zurückkehrte. Zuerst ließen sich die Finger bewegen, dann Arme, Beine und Kopf. Nach weiteren Minuten war die Lähmung vollends abgeklungen. Hasso drehte sich als erster zur Seite und versuchte, sich aufzurichten. Sofort sank er mit einem Stöhnen wieder auf den Boden. Nacheinander machten die anderen die gleiche Erfahrung. »Das ist mindestens zweieinhalbfache Erdschwere«, stöhnte Hasso. Die Raumfahrer drehten sich so, daß sie sich in einem Kreis gegenübersaßen. Sie mußten sich über Helmfunk verständigen. »Genau 2,53 g«, las Mario von seinem in den Raumanzug gearbeiteten Detektor ab. »Und seit dem Einflug in die Transmitterhalle sind nicht mehr als drei Stunden vergangen!« »Die Atmosphäre ist jedenfalls mit der Erdatmo-
sphäre identisch«, stellte Cliff mit einem Blick auf seine Anzeigen fest. »Dann können wir wohl endlich unsere Hüllen fallen lassen«, meinte Atan. »Ehrlich gesagt, ich bin noch ganz schön benommen.« »Lieber nicht. Noch wissen wir nicht, was oder wer uns hier erwartet.« Cliff ging in die Hocke und richtete sich unter Schwierigkeiten auf. Er ging ein paar Schritte, blieb vor einigen Kontrollen stehen und kehrte schwankend zu den Freunden zurück. »Der Herr Kommandant haben Tiefenkoller«, meldete sich Mario wieder. »Oder er ist von unserer Lage so berauscht, daß das ihn schwanken macht.« »Haha!« ächzte McLane. »Mein Brummschädel ist allerdings nicht von schlechten Eltern.« »Das geht uns allen so«, erklärte Hasso. »Aber das Selbstmitleid bringt uns hier nicht weiter. Denkt daran, was in diesen Augenblicken auf der Erde los ist.« »Ich habe die ganze Zeit über daran gedacht. Mir wäre es lieber gewesen, die Burschen hätten auch unsere Gehirnströme für ein paar Stunden gelähmt. Was haltet ihr hiervon?« Cliff hob die Hand und deutete auf die Reihe von unbekannten Instrumenten und Kontrollen, die die Wände des Raumes ausfüllten. In der Mitte standen drei Tischkonsolen mit mehreren Bildschirmen und Tastaturelementen. »Total fremdartig«, stellte Helga fest. »Wir haben keine Vergleichsmöglichkeiten.« »Ich kann mir nicht helfen, aber das macht auf mich den Eindruck eines Kommunikationsraums«, sagte Mario.
»Besonders komfortabel scheinen unsere unbekannten Gastgeber nicht zu wohnen«, kommentierte Atan. Mario winkte ab, was bei den herrschenden Schwerkraftverhältnissen plump aussah. »Das meine ich nicht. Der Kommunikationsraum eines Großcomputers. Das könnte es sein. Immerhin haben sie uns sicher nicht ohne Grund hierhergeschleppt.« »Und wozu?« fragte Cliff. »Vielleicht soll der Computer uns verhören. Bisher sind wir keinem lebenden Wesen über den Weg gelaufen, weshalb sollte man uns dann nicht von einem Rechner ausquetschen lassen? Anscheinend ist man an uns interessiert, sonst hätten sie uns längst getötet. Wer sagt denn, daß das nicht überhaupt eine einzige Robotstation ist? Ein Überbleibsel aus der Zeit des Rudraja und Varunja, das erwacht ist.« Arlene hatte sich bisher ungewöhnlich still verhalten. Jetzt sagte sie: »Ich kann es nicht erklären, aber mein Gefühl spielt da nicht mit. Hier ist etwas anderes. Ich kann es ... spüren.« »Madame hat Gefühle«, stöhnte Mario. »Die solltest du dir für Cliff aufheben, wenn wir hier jemals wieder heil herauskommen.« Arlene hörte ihm gar nicht zu. Sie schien gar nicht richtig anwesend zu sein. Cliff sah sie forschend an. »Wie kommt es dann«, fragte er schließlich, »daß die Geräte schweigen? Keine Funktionsanzeigen, dunkle Kontrollen, nicht mal Skalen, die ausschlagen. Wenn hier jemand ist, der uns verhören will, dann läßt er sich Zeit.«
»Vielleicht werden wir beobachtet?« beharrte der Kybernetiker. »Vielleicht warten sie darauf, daß wir etwas tun, damit sie unser Verhalten erkunden können.« »Ich bezweifle den Sinn einer solchen Maßnahme«, sagte Cliff. »Durch uns können sie Aufschlüsse erhalten, die ihnen bei der Invasion nützen!« »Absolut unlogisch, auch wenn wir davon ausgehen müssen, hier einer völlig fremdartigen Mentalität gegenüberzustehen. Niemand würde so vorgehen. Wenn jemand eine Invasion plant, erkundet er vorher das fremde Territorium, in unserem Fall die Erde. Und daß die Invasion nach einem exakten Plan abläuft, wird wohl niemand bezweifeln. Nein, Mario, das Ganze hier sieht mir eher so aus, als ob unsere Freunde, wer immer sie sind, auch ihre kleinen Probleme haben.« »Also kein Verhör?« fragte Hasso. »Was denn?« »Die Möglichkeit, daß wir verhört werden sollen, schließe ich nicht aus, Hasso. Nur Marios Beobachtungstheorie kommt mir spanisch vor. Gehen wir also davon aus, daß man hier einiges aus uns herausbringen will, wenn auch nicht in direktem Zusammenhang mit der Invasion, denn die läuft bereits. Dann frage ich mich, wieso sich hier nichts tut. Die ganze Anlage in diesem Raum erscheint mir irgendwie ... verrostet! Im Gegensatz zu den Anlagen hinter den transparenten Gangwänden. Dort war alles im Fluß.« »Du meinst, daß der Computer defekt ist? Tot?« Cliff nickte. »Es wäre eine Möglichkeit, wenn auch eine unter vielen, aber vielleicht die wahrscheinlichste. Dann
aber weiß der geheimnisvolle Drahtzieher im Hintergrund nichts davon, daß sein Rechner ausgefallen ist.« »Wir befinden uns also quasi an einem blinden Fleck. Das kann eine Chance sein«, spekulierte Mario. »Es ist unsere einzige«, sagte Cliff. »Wir haben keine Zeit zu verlieren. Jeden Augenblick befördert der Transmitter weitere Tanks zur Erde. Ich schlage daher vor, wir sehen uns hier etwas um.« »Bravo!« freute sich der Kybernetiker. »Das ist eines Raumhelden würdig. Unsere Waffen sind weg, vielleicht finden wir hier etwas, mit dem wir den Kristall vernichten können.« »Er hat etwas ganz anderes vor«, erriet Helga, als sie McLanes Miene sah. »Der Herr Kommandant denkt in größeren Bahnen.« »Du sagst es, Helga-Mädchen. Ich will wissen, mit wem wir es zu tun haben. Also vergessen wir erst einmal den Kristall und den Transmitter. Die Tanks hätten uns im Griff, ehe wir überhaupt bis zur Kuppelhalle gelangten. Wir sehen uns in der anderen Richtung um, im Herzen der Anlage.« »Schließlich sind wir das unserem Ruf als Herzensbrecher schuldig«, meinte Mario grinsend. Die Raumfahrer erhoben sich schwerfällig und machten Bewegungsübungen. Sie hatten im Lauf ihres Lebens mehr als einmal mit den Tücken erhöhter Schwerkraft auf Extremplaneten zu kämpfen gehabt, daher wußten sie, daß sie von nun an nicht nur gegen die Zeit und unbekannte Gegner, sondern auch gegen die schnell einsetzende körperliche Erschöpfung zu kämpfen hatten. »Auf geht's«, keuchte Cliff, nachdem sie sich so
weit an die zweieinhalbfache Erdschwere gewöhnt hatten, um sich einigermaßen »normal« bewegen zu können. »Wir müssen irgendwie das Schott zur Luftschleuse öffnen.« »Aussichtslos«, befürchtete Atan. Mario de Monti grinste und winkte ab. Dann trat er an eine der drei Tischkonsolen und riß eine außen an der Säule entlangführende Leitung aus der Verankerung. Das Rohr war gut einen Meter lang und aus Hartmetall. »Platz für den Meister!« rief er ins Helmmikrophon des Raumanzugs und stellte sich vor dem Schott auf. Atan schaffte es, die Hand zum Helm zu heben und sich mit dem Finger gegen die Stelle zu tippen, wo die Schläfe war. Hasso und Helga beobachteten gespannt, was Mario zu tun gedachte, nur Cliff sah besorgt zu Arlene hinüber, die sich auf eine Konsolenbank gelehnt hatte und in die Ferne starrte. Was war mit seiner Lebensgefährtin los, seitdem sie hierhergebracht worden waren? * Das, was niemand so richtig geglaubt hatte, geschah. Nach weniger als fünf Minuten hatte Mario das Schott geöffnet. Lässig warf er das als Hebel verwendete Rohr zur Seite. »Der Weg zu ihrem Herzen ist frei!« »Großer Gott«, murmelte Cliff und trat an dem Kybernetiker vorbei in die Luftschleuse. Zu ihrem Glück hatte sie sich noch nicht wieder mit Wasser gefüllt. Die Raumanzüge schützten die Menschen zwar, aber
es hätte nur zu unnötigen Komplikationen geführt. Die Schleusenkammer hatte eine viereckige Grundfläche. Alle vier Wänden waren Schotte, die in verschiedene Sektionen der Gigantanlage führten. Transparent war nur diejenige, durch die sie beim ersten »Betreten« gekommen waren. Cliff entschied sich rein gefühlsmäßig, das heißt: er ließ entscheiden. Arlene N'Mayogaa, die als letzte die Schleuse betreten hatte, stellte sich wortlos vor eine der beiden seitlichen Wände und schien hindurchzublicken. Cliff winkte ab, als Mario zu einer Bemerkung ansetzen wollte. Langsam wurde ihm die Gefährtin unheimlich. »Schön, aber wie sieht der Mechanismus aus, der das Schott öffnet? Welche Atmosphäre erwartet uns?« Hasso sah ihn verständnislos an. Dann verstand er. »Du meinst, daß die Erdatmosphäre künstlich war? Und das Wasser war nur in der Halle und den Gängen, um die gleichen Bedingungen wie auf der Gegenstation zu simulieren?« »Ich halte es für wahrscheinlich. Denke an das rote Etwas, das in den Röhren pulsierte.« Arlene beendete die Diskussion auf ihre Weise. Sie trat einen Schritt vor und legte die rechte Hand auf das glatte Material der Schleusenwand. Im nächsten Augenblick verschwand die Wand. Bevor die Raumfahrer richtig begriffen, was geschah, strömte eine heiße, dichte Luftmasse in die Schleuse und in den vermeintlichen Computerraum, der durch kein Schott mehr isoliert wurde. Mario hatte ganze Arbeit geleistet. »Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Gemisch«, las
Atan von seinem Detektor ab, als sich die erste Panik gelegt hatte. »Was ist das für eine verrückte Station?« »Sie muß eine ungeheure Ausdehnung haben, nach allen Seiten«, überlegte Cliff, der die Situation ebenso schnell erfaßt hatte und bereits gedanklich zu verarbeiten begann. »Ich frage mich allen Ernstes, ob sie sich überhaupt an der Oberfläche eines Planeten befindet oder tief unter dem Boden.« »Finden wir es heraus«, sagte Mario. Die Raumfahrer setzten sich in Bewegung. Die dichte Methan-Atmosphäre bildete Schwaden und behinderte die Sicht, so daß der Blick immer nur ein knappes Dutzend Meter weit reichte. Sie befanden sich wieder in einem nach oben hin abgerundeten, etwa fünf Meter breiten Gang. Damit war zumindest ausgeschlossen, daß sie hier eine Begegnung mit den Tanks zu befürchten hatten, denn diese Ungetüme paßten nicht in den Gang. Dennoch gaben sich die Menschen keinen Illusionen hin. Wer wußte, was hier auf sie lauerte? Mit jedem Schritt stieg die Anspannung. Das, was diese Anlage kontrollierte, mußte unvorstellbar fremdartig sein. Vielleicht so fremdartig, daß wir es nicht einmal erkennen, wenn wir ihm gegenüberstehen! durchfuhr es Cliff McLane. Er dachte plötzlich an die rotglühende Substanz, die hinter den transparenten Gangwänden durch die Röhren geflossen war. Sie erreichten einen vollkommen kugelförmigen Raum, in den außer ihrem zwei weitere Gänge der gleichen Größe mündeten. Die Hohlkugel mochte einen Durchmesser von etwa fünfzehn Metern haben und war von Schwaden der dichten Atmosphäre er-
füllt. Das Auftauchen der Raumfahrer verursachte einige Turbulenzen, die für Augenblicke bizarre »Muster« in den Gaswolken schufen. Der Gang mündete genau in der Mitte der Kugelhülle. Vor den Füßen der ORION-Crew fiel die Innenwand fast im rechten Winkel ab und ging in den bauchigen Boden des Verteilerraums über. »Und nun, Freunde?« fragte Cliff ratlos. »Mit Flugaggregaten hätten wir keine Probleme, aber wie kommen wir weiter?« »Hört ihr das auch?« fragte Atan plötzlich. »Da ist ein Pfeifen im Außenmikrophon. Jetzt wird es stärker.« »Du hast recht, Atan«, sagte Hasso und lauschte. »Es kommt von unten!« Wie zur Bestätigung wich in diesem Augenblick der Nebel aus Atmosphäreschwaden zur Seite, so daß die Raumfahrer, die nebeneinander in der Gangmündung standen, die fünf etwa einen halben Meter durchmessenden Löcher sehen konnten, die sich im Boden der Kugel befanden. Sie waren so angeordnet, daß sie die Eckpunkte eines gleichschenkligen Fünfecks bildeten. Aus einem der Löcher stieg ein Schwall komprimierter Luft, der in einigen Metern Höhe kondensierte und wie die Fontäne eines Geysirs wirkte. In kurzen Abständen stieß das Loch weitere Fontänen aus, was jedesmal mit einem schrillen Pfeifen begann. Dann war der Spuk zu Ende. »Ein Abflußsystem«, überlegte Mario laut. »Vermutlich wird die Kugel von Zeit zu Zeit mit einer Flüssigkeit vollgepumpt, die dann durch die Löcher ablaufen kann. Auf mich wirkt das hier wie ein großes Sieb.«
Bevor jemand etwas entgegnen konnte, geschah das, was Cliff die ganze Zeit über insgeheim befürchtet hatte. Das, was in Arlene steckte, ergriff die Initiative. Cliffs Lebensgefährtin ließ sich über den Rand des Ganges fallen und machte eine Rutschpartie über die glatte Innenwand, bis sie unten ankam. Die anderen hielten den Atem an. Durch die Atmosphäreschwaden konnten sie Arlene nur undeutlich erkennen. Die Frau rutschte knapp an einem der fünf Löcher vorbei und kam benommen auf die Beine. Die Schwerkraft hatte sie mit zweieinhalbfacher Wucht heruntergerissen, obwohl die nach innen gewölbte Wand den Sturz aufgefangen und gemildert hatte. »Arlene!« brülle Cliff. »Komm zurück!« Er war viel zu aufgeregt, um sich über die Unsinnigkeit seiner Worte klarzuwerden. Von dort unten, gut sechs Meter unterhalb der Gangmündung, war es bei den herrschenden Schwereverhältnissen unmöglich, ohne Hilfsmittel zurückzugelangen. Aber das schien Arlene auch nicht vorzuhaben. Immer noch benommen, stand sie ein paar Minuten genau zwischen den fünf Öffnungen im Boden und machte den Eindruck, als lausche sie auf irgend etwas. »Los, schon!« rief Cliff seinen Freunden zu. »Wir müssen hinunter zu ihr, bevor sie ...« »Zwecklos, Cliff«, sagte Helga und deutete nach unten. Arlene N'Mayogaa ging vor einem der Löcher in die Hocke. Immer noch wirkte sie unschlüssig. Plötzlich hob sie ruckartig den Kopf und sah zu ihren Gefährten hoch, die ihr Gesicht hinter der Helmscheibe
allerdings wegen der Schwaden nicht erkennen konnten. Dann stützte Arlene sich mit beiden Händen am Rand der Öffnung auf und schob die Beine hinein. Sekunden später glitt sie in das Loch und verschwand darin vollkommen. Cliff McLane starrte ungläubig hinab. Er brachte keine Silbe über die Lippen. Mit einem Fluch ließ er sich über den Rand des Ganges gleiten. Er brauchte sich nicht erst umzusehen, um zu wissen, daß ihm die anderen folgten. Noch während des Rutschens bemerkte Cliff, daß sich eine der Öffnungen langsam schloß. Seine Verzweiflung drohte ihm die Sinne zu rauben. Alles in ihm war in diesem Augenblick darauf ausgerichtet, Arlene zu folgen. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, daß sie sie niemals wiederfinden würden, wenn sie jetzt getrennt würden. Cliff kam zum Stillstand und richtete sich mit größten Schwierigkeiten auf. Die Schwerkraft forderte ihren Tribut. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß eine weitere Öffnung sich schloß. Ohne zu überlegen, glitt er in das Bodenloch, in dem Arlene verschwunden war. Es war gerade weit genug, um einen ausgewachsenen Mann aufnehmen zu können. Dann rutschte er in die Tiefe, ohne zu wissen, ob die anderen ihm noch hatten folgen können. Und ebensowenig wußte er, wo er herauskommen würde. * Unendlich langsam tauchten die ersten Schimmer des Bewußtseins an die Oberfläche des Wesens, das menschlichen
Sinnen unbegreiflich war. Das Bewußtsein war noch verwirrt, nur allmählich klärte es sich. Aber es war noch unfähig, aktiv auf die einfallenden Impulse zu reagieren, die es aus der Starre gerissen hatten. Die Ströme, die von ihm ausgingen, unterlagen nicht der Kontrolle seines Willens. Aber die Quelle der Impulse kam schnell näher und wurde stärker. Es waren vage Gedanken und Gefühle, und sie waren auf eine seltsame Art vertraut. Während das unbegreifliche Etwas versuchte, die Eindrücke zu klären und die Benommenheit abzuschütteln, die es noch zur Passivität zwang, drangen die im Unterbewußtsein projizierten Ströme weiter nach außen und fanden ihr Ziel in der Impulsquelle. Sie rissen sie unaufhaltsam vorwärts, auf sich zu ... * Cliff landete in einem riesigen Raum, in dem absolute Schwerelosigkeit herrschte. Mehr noch: Sein Sturz, der nach seiner Schätzung mehrere Dutzend Meter in die Tiefe geführt hatte, wurde dicht über dem Boden abgebremst. Der Oberst schwebte in einer Höhe von einem halben Meter über der mit Kabelsträngen, Leuchtanzeigen und Kästen übersäten Fläche. Er wirbelte im Vakuum herum, stieß an Gegenstände und drehte sich so lange, bis er nicht mehr wußte, wo oben und unten war. Der Zwischenraum zwischen »Boden« und »Decke« betrug höchstens drei Meter. Dafür erstreckte sich der Raum nach allen Seiten hin mindestens einige hundert Meter weit. Cliff hatte das Gefühl, zwischen zwei riesigen Platten eingesperrt zu
sein, die durch einen unbekannten Mechanismus zusammengehalten wurden. Als wieder ein Kabelstrang in Sicht kam, griff McLane instinktiv danach. Nach kurzer Zeit hatte er seinen Körper unter Kontrolle. Cliff versuchte, ein Ende der flachen Halle zu erkennen, ohne Erfolg. Auch die Suche nach der Öffnung, durch die er hierhergelangt war und durch die er die Decke als solche identifizieren konnte, blieb erfolglos. Arlene war weit und breit nicht zu sehen. Cliff wurde klar, daß er und mit Sicherheit auch die Gefährten abgeschnitten waren. Aber irgendwo mußte Arlene geblieben sein! Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Etwa dreißig Meter von seinem »Standort« entfernt sah er ein halbes Dutzend der großen, transparenten Röhren, die die rotglühende, zähe Flüssigkeit transportierten. Der Strom kam aus der Fläche, an die er sich klammerte, und verschwand wieder in der anderen. Cliff schätzte, daß zwischen den Röhren Platz genug war, um einen Menschen aufzunehmen. Er fingerte sich an dem Kabelstrang entlang, bis er das Ende erreicht hatte. Dann holte er Schwung und ließ los. Er erreichte gerade noch eine Metallröhre, die um dreißig Zentimeter aus der »Decke« ragte. Auf diese Weise arbeitete Cliff sich vor, bis er die transparenten Röhren erreicht hatte. Es waren tatsächlich sechs, und zwischen ihnen befand sich ein etwa einen Meter durchmessender Zwischenraum. Cliff streckte vorsichtig die Hand nach einer der Röhren aus. Wider Erwarten waren sie kalt. »Na schön«, brummte der Raumfahrer und
zwängte sich zwischen zweien hindurch. Dann schob er sich an den Röhren entlang in der Flußrichtung der roten Masse. Er erreichte die Platte und stieg weiter. Allmählich setzte die Schwerkraft wieder ein. Als er nach zwei Metern am anderen Ende der Deckenplatte herauskam, herrschte wieder die mittlerweile vertraute Schwerkraft von 2,53 g. Cliff kletterte aus der Öffnung und richtete sich auf. Im gleichen Augenblick kippte er zur Seite und stürzte. Cliff wälzte sich ächzend auf den Rücken und sah, daß über ihm mattrotleuchtende Lampen hinwegglitten. Ein weiterer Blick zur Seite zeigte ihm, daß er sich auf einem breiten Transportband befand, das sich zwischen Metallkugeln und undefinierbaren Geräten hindurchschob. McLane wollte sich aufrichten, um irgendwo abzuspringen, aber ihm fehlte die Kraft. Vor ihm tauchte ein rötlich flimmernder Bogen auf. Das Transportband beförderte ihn mit unglaublicher Geschwindigkeit darauf zu. Cliff wußte sofort, um was es sich bei dem Flimmern handelte. Aber er hatte keine Kraft in seinen Gliedern, um sich wenigstens rechtzeitig zur Seite zu rollen. Der Bogen wurde größer und schob sich über Cliff. Der Commander bäumte sich unter dem Schmerz der Entstofflichung auf, dann fand er sich abermals in einer völlig neuen Umgebung wieder. Er lag auf ruhigem, glatten Boden und sah sich um. Jede Bewegung des Kopfes bereitete Schmerzen. Cliff befand sich auf einem riesigen Rundkorridor, der in weitem Bogen um eine transparente Kuppel
führte, deren gigantische Ausmaße er nicht einmal zu schätzen versuchte. Innerhalb der Kuppel war ein blaßrotes Etwas, das wie ein Gebilde aus stark komprimiertem Gas wirkte. Die Oberfläche veränderte sich ständig, kleine Protuberanzen lösten sich davon und senkten sich wieder in das Gebilde. Von den Wänden der Kuppel ragten dünne, silbrig schimmernde und schwach vibrierende elastische Stäbe in das Etwas, die ihre Fortsetzung im Ringkorridor fanden. Alles paßte plötzlich zusammen. Das rote Etwas in der Transparentkuppel, die Wasserstoff-MethanAmmoniak-Atmophäre, die so sehr der Atmosphäre des Jupiter glich. Cliff wußte plötzlich, was er da vor sich sah, und die Erkenntnis durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag.
7. Ähnlich wie Cliff McLane wurden Mario, Hasso, Helga und Atan von einem Feld aufgefangen, das die kinetische Energie des Sturzes neutralisierte. Nur Sekundenbruchteile lang schwebten und wirbelten sie in schwerelosem Zustand durch eine riesige Röhre, dann griff eine unbekannte Kraft nach ihnen und zog sie langsam, aber sicher tiefer in die Röhre hinein. Auch sie hatten sämtliche Orientierung verloren. Sie wußten nicht, ob sie in horizontaler oder vertikaler Richtung davonglitten. Zumindest waren sie für den Moment von der höllischen Schwerkraft befreit. Aber das war keinem von ihnen ein Trost. Nach Arlene hatten sie nun auch Cliff verloren. Außerdem hatten sie keine Ahnung, wohin es sie trieb. Was erwartete sie? Nachdem sich dicht hinter Cliff die Bodenöffnung in der Kugel geschlossen hatte, war ihnen nur noch ein einziges Loch geblieben. Sie hatten nicht lange gezögert und sich hineingleiten lassen. Nun riß es sie auf ein unbekanntes Ziel zu. Sie waren in eine Maschinerie geraten, in der sie Fremdkörper waren. Atan sprach das aus, was sie alle dachten: »Wir sollten uns darauf gefaßt machen, auf der Mülldeponie zu landen, oder im nächsten Konverter. In dieser Gigantanlage wird es bestimmt Einrichtungen geben, die unerwünschte Fremdstoffe kurz und schmerzlos verschwinden lassen.« Seine Stimme drang nur schwach an die Ohren der anderen, weil plötzlich ein starkes Rauschen in den
Helmfunkempfängern war. Irgendeine Störquelle wirkte auf den Empfang ein. Auch alle Versuche, mittels Helmfunk die verschollenen Freunde zu erreichen, waren bisher erfolglos geblieben. »Dort vorne!« rief Helga so laut, daß ihre Stimme in den Ohren der Gefährten klirrte. Sie brauchten nicht lange zu fragen, was sie so erschreckt hatte. Direkt vor ihnen flimmerte die Luft rötlich. Und sie rasten genau auf das Kraftfeld zu. Mario wurde als erster hineingerissen. Vor den Augen der anderen löste sich sein Körper auf. Sie alle ahnten nicht, daß Cliff etwa zur gleichen Zeit durch einen ähnlichen Kleintransmitter geglitten war. Die Wucht der sofort nach der Rematerialisation wieder einsetzenden Schwerkraft traf sie wie ein Hammer. Aber das war nicht das Schlimmste. Sie waren in einer großen Halle herausgekommen, die von diffusem, rotem Licht erfüllt war. Und überall standen Tanks. Helga schrie hysterisch auf, als die ersten Tentakel nach ihnen griffen und sich um ihre Gelenke legten. Ihre Augen waren weit aufgerissen und starrten die Tanks an. Die metallenen Ungetüme waren offen. * Arlene N'Mayogaa bewegte sich schlafwandlerisch durch das Gewimmel von Röhren und Kabeln. Dann und wann folgte sie einem der zahlreichen Gänge oder vertraute sich einem Transportband an. Dann wieder bog sie ab und suchte sich ihren Weg zwi-
schen ineinander verschachtelten Elementen der Anlage, wenn das sie näher an ihr Ziel brachte. Arlene nahm das alles nicht bewußt wahr. Seitdem die Beeinflussung durch das Unbekannte begonnen hatte, schwebte sie wie in einer anderen Welt. Anfangs hatte sie noch lichte Momente gehabt, in denen sie ihre Lage und die der Gefährten begriffen hatte. Allerdings hatten diese Augenblicke nie so lange gedauert, daß sie den anderen erklären konnte, was mit ihr vorging. Arlene stand jetzt vollkommen unter dem Einfluß des Fremden. Sie spürte, daß sie ihm näherkam, und mit jedem Hindernis, das sie hinter sich brachte, wurde es stärker. Die Frau verspürte nur noch den einen Wunsch, so schnell wie möglich zum Mittelpunkt dieser neuen, phantastischen Welt zu gelangen, die sich in ihr ausgebreitet hatte. Sie empfand sich als ein Teil dieser Welt, und es war die höchste Erfüllung, sich mit dem Zentrum zu vereinen. Immer wieder verschwand die reale Umgebung vor Arlenes Augen und machte der Vision des Zieles Platz, die sich in ihrem Gehirn ausbreitete. Arlene sah eine gläserne Schleuse, hinter der das Herz des unfaßlichen und großartigen Universums lag, das bereit war, sie aufzunehmen. Die Visionen waren nur von kurzer Dauer, aber sie wurden immer intensiver. Arlene wanderte in Trance weiter. Sie war fast am Ziel, das spürte sie in jeder Faser ihres schlummernden Bewußtseins. Selbst wenn ihr klar gewesen wäre, daß hinter der gläsernen Pforte zu ihrem vermeintlichen Paradies der Tod auf sie wartete, hätte sie nicht anders handeln können.
Arlene betrat ein Transportband, das durch einen rotglühenden Transmitterbogen führte. Als sie in einer Verteilerhalle wieder stofflich wurde, spürte sie die überschwappenden Impulse. Sie taumelte und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Der Ansturm der Gefühle war fast übermächtig. Freude, Locken, Verheißung, vor allen Dingen aber Neugier explodierten in ihrem Gehirn. Arlene schritt weiter. Sie wußte genau, welchen Weg sie zu nehmen hatte. In wenigen Minuten würde sie vor dem heiß ersehnten Ziel stehen. * Cliff McLane wollte immer noch nicht glauben, was er sah. Er war unfähig, den Blick von dem blaßroten Etwas zu nehmen. Die Raumfahrer von der ORION hatten es nie wirklich gesehen, der Kontakt hatte sich auf psionischem Wege abgespielt. Aber es gab keinen Zweifel mehr: Das, was Cliff als blaßrote, ungeheuer dicht komprimierte Gasmasse konfrontierte, war nichts anderes als Phantom-Baby, der »Ableger« Gwendolyns, des Großen Roten Flecks des Jupiter! Das aber bedeutete, daß der Transmitter die ORION-Crew über 600 Lichtjahre hinweg ins Doppelsternsystem Omicron 1 befördert hatte, genauer gesagt ins Innere des Kunstplaneten, den die Crew bei ihrem ersten Besuch aufgrund der widersprechenden Eindrücke mit dem Namen »Phantom« versehen hatte. Cliff erinnerte sich an die Abenteuer beim ersten Kontakt mit Phantom-Baby. Nachdem die parapsychisch
begabten Vorthanier von ihrer Station aus die Quelle der Antwortimpulse auf Gwendolyns ins All gestrahlten Rufe angepeilt hatten, wurde die ORION-Mannschaft nach Omicron 1 geschickt, um dort nach dem Rechten zu sehen. Sie hatten den Planeten entdeckt, der den blauen Zwergstern des Systems umkreiste. Der Zwerg wiederum umlief den hellorangefarbenen Riesen, der den Hauptstern des Systems bildete. Nachdem eine mysteriöse Kraft die ORION auf den Planeten hinabgezogen hatte, mußten die Raumfahrer sich einem Test unterziehen, der ihrem verborgenen Gegenüber Klarheit darüber verschaffen sollte, ob es sich bei ihnen lediglich um »Schatten« oder um reale Figuren handelte. Noch während der Prüfung war den Menschen klargeworden, daß sie es mit Gwendolyns oder Wendys Baby zu tun hatten. Aus der Art und Weise, wie es sich ihnen mitteilte, und aus den vage erkennbaren Denkbahnen des Wesens hatten sie geschlossen, daß Phantom-Baby im Innern des Planeten eingesperrt sein mußte und nichts kannte als die künstliche Welt, in der es sich befand. Als es schließlich gelungen war, Wendys Ableger davon zu überzeugen, daß man »real« war, und die erstarrten Vorthanier an Bord der ORION endlich Kontakt zu ihm erhielten, brach Phantom-Baby unter dem Schock der Erkenntnis, sich dermaßen gravierend in der Beurteilung der Außenwelt geirrt zu haben, zusammen und verfiel in eine scheintotähnliche Starre. Vegetation und Atmosphäre des Planeten lösten sich schlagartig auf. Und jetzt stand Cliff McLane vor dem rätselhaften Gebilde, dessen Natur für einen Menschen nicht faßbar war.
Von hier aus mußten die Steuerimpulse zur Invasion gegeben werden. Aber selbst, wenn das JupiterBaby nicht paralysiert wäre und somit handlungsunfähig, hätte es keinen Grund gehabt, so zu handeln. Es wußte aus der Botschaft der Vorthanier, daß die Menschen der Erde Freunde seiner Mutter waren und somit auch seine Freunde. Es gab nur eine Erklärung: Durch den Schock und die daraufhin erfolgte Selbstparalyse hatte PhantomBaby die Kontrolle über seinen gigantischen Apparat verloren. Die Invasion ging nicht von dem schlummernden Organismus aus, jedenfalls nicht bewußt. Ein neuer Hoffnungsschimmer entstand in Cliffs Gedanken: Konnte die Invasion der Tanks gestoppt werden, wenn es gelang, Phantom-Baby aus seiner Starre zu wecken? McLanes Blick fiel auf die Kontrollen seines Raumanzugs. Erschreckt stellte er fest, daß der Sauerstoffvorrat schnell zur Neige ging. Die Luft reichte noch für höchstens eine halbe Stunde. Es blieb also nicht viel Zeit. Wie aber sollte ihm in dieser kurzen Zeitspanne eine Verständigung mit dem betäubten Wesen gelingen? Wie sollte er es fertigbringen, es aus der Todesstarre aufzuwecken? Vielleicht hätten sie mit den Vorthaniern eine Chance gehabt. Die plötzliche Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz, und noch einmal keimte verzweifelte Hoffnung auf. Arlene! Wer sonst als das Baby konnte die Veränderung in ihr bewirkt haben. Arlene mußte auf irgendeine Weise mit ihm in Verbindung stehen. Das aber bedeutete, daß zumindest ein Teil von Phantom-Baby wach war. Wenn dieser Teil in der Lage war, Arlenes Gedanken
zu erfassen und richtig zu deuten ... Cliff machte einen verzweifelten Versuch. Er schloß die Augen und konzentrierte sich voll und ganz auf das Etwas, das nur durch die Transparentkuppel von ihm getrennt war. Er versuchte, seine Gedankenwelt offenzulegen, so daß das Baby in ihnen lesen konnte, wenn es seine psionischen Fühler nach ihm ausstreckte. Nach einigen Minuten gab er es auf. Sein Blick ging wieder zur Sauerstoffanzeige. »Wenn wir das überstehen, trinke ich mit Han Brüderschaft«, murmelte der Oberst und fuhr auf dem Absatz herum. Jetzt gab es nur noch die Suche nach Arlene. Wenn sie eine Chance hatten, dann lag sie in der Gefährtin. Nur kurz dachte er an Mario und die anderen. Sie steckten irgendwo in diesem endlosen Labyrinth. Er konnte ihnen nicht helfen. Das lag einzig und allein in Arlenes Hand, auch wenn sie aller Wahrscheinlichkeit nach nichts davon ahnte. Cliff war davon überzeugt, daß sie früher oder später hier im Zentrum erscheinen würde, aber die Suche nach ihr konnte Stunden dauern. Die Kuppel, die sich schützend über Phantom-Baby wölbte, durchmaß, soweit Cliff das beurteilen konnte, mehrere Kilometer. Der Sauerstoff reichte schätzungsweise noch für zwanzig Minuten. Cliff sah sich um. Er suchte eines der überall vorhandenen Transmitterfelder. Nur so hatte er eine Chance, in kürzester Zeit möglichst viele Stellen zu kontrollieren, auch auf die Gefahr hin, daß er wieder weiter draußen materialisierte.
Nach vier wertvollen Minuten fand er einen der rotflimmernden Bögen. Ohne zu zögern, warf er sich hinein. Der Raumfahrer stieß eine Verwünschung aus. Von der Kuppel mit Phantom-Baby war weit und breit nichts zu sehen. Dafür sah er direkt auf eine Reihe von kleinen Bildschirmen. Diesmal waren die Anlagen aktiviert. Cliff ging die Galerie entlang. Auf jedem Monitor waren verlassene Teile der Gigantanlage zu sehen. Nur ein Schirm zeigte die Kuppel mit dem wabernden Organismus, auf drei weiteren sah McLane, wie sich immer noch endlose Kolonnen der Invasionstanks in das große Abstrahlfeld der Kuppel wälzten, in der seine Gefährten und er herausgekommen waren. Cliff verließ den Instrumentenraum und gelangte über einen schmalen Gang in eine weitere Halle, die ebenfalls mit einer Unzahl fremdartiger Kontrollinstrumente bestückt war. »Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, das Baby über eine technische Anlage zu erreichen«, murmelte er in Gedanken. »Wer immer früher Kontakt zu ihm hatte, mußte auf diese Weise zu ihm gesprochen haben.« Er verwarf den Gedanken. Solch ein Gerät wäre kaum für ihn zu identifizieren gewesen, schon gar nicht in der zur Verfügung stehenden Zeit. Er mußte Arlene finden! McLane rannte in den nächsten Gang. Plötzlich baute sich unmittelbar vor ihm ein Transmitter auf. Cliff lief hindurch. Er kam erst zum Stehen, als er schon ein paar Meter in die Halle eingedrungen war, in der sich der Gegenpol befand. Und da war es bereits zu spät.
»Vorsicht, Cliff! Verschwinde!« hörte er Hassos bekannte Stimme im Helmmikrophon, dann waren die Tentakel heran und schlossen sich um ihn. Cliff wurde in die Höhe gerissen und sah, wie die Gefährten, von Tentakeln umwickelt, zwischen den Tanks hingen, die hier offenbar zusammenmontiert und mit der »Besatzung« versehen wurden. Der Schock blieb McLane erspart, denn er hatte etwas Ähnliches erwartet. Offensichtlich von Kraftfeldprojektoren gesteuert, senkten sich blaßrote Gebilde aus dichtem Gas in die Tonnen. Cliff wußte, daß sie diesmal keine Chance hatten, ebensowenig wie die Erde. Es sei denn, Arlene vollbrachte das Wunder ... * Mit jedem Meter, den die Impulsquelle näher kam, wurden die Ströme stärker und deutlicher. Das, was die Menschen »Phantom-Baby« getauft hatten, wurde von einer Woge aus Gefühlen und Gedanken überschwemmt. Immer noch war das Wesen zur Passivität verurteilt. Der Schock darüber, daß es fast die Gesandten seines Mutterorganismus umgebracht hatte, saß noch zu tief. Noch ahnte Phantom-Baby nicht, daß es in diesen Augenblicken – wenn auch unbewußt – dabei war, eben diesen Fehler noch einmal zu machen. Es bedurfte eines weiteren Schocks, um das Wesen aus der Starre zu reißen. Dieser Schock kam in dem Moment, als die einströmenden Gedanken ein Bild ergaben. Eine Weile herrschte Ratlosigkeit und Bestürzung in der Rie-
senamöbe vor. Einige schreckliche Minuten lang war das Wesen nahe daran, sich endgültig aufzugeben. Dann hatte es sich stabilisiert. Das Bewußtsein wurde mit einem Schlag an die Oberfläche gespült. Phantom-Baby erwachte. Parapsychische Ströme flossen gezielt auf die immer schneller näher kommende Impulsquelle zu und fanden den Weg in ihre Gedanken. Bestürzt erkannte das Wesen, woher ihm die Ströme vertraut erschienen waren. Es handelte sich bei der Quelle um nichts anderes als um einen jener Menschen, die es damals fast umgebracht hatte. Schon vorher hatte Phantom-Baby Impulse aufgefangen, die mit dem Mutterorganismus zusammenhingen. Das hatte es aus der Starre gerissen. Jetzt erkannte es die ganze Tragweite der Situation. Und es erfuhr noch mehr. Die Gedankenbilder verrieten ihm, daß während seiner Paralyse entartete Teile seines Organismus die Kontrolle über Teile der Anlage übernommen und die Invasion der Erde eingeleitet hatten. Die Heimat der Menschheit, die mit seiner Mutter eng verbunden war, stand durch seine Schuld vor der Vernichtung. Vielleicht war es bereits zu spät für jede Hilfe. Während Phantom-Baby fieberhaft nach einem Ausweg suchte, wobei es immer wieder von heftigen Wellen aufkeimender Gefühle übermannt wurde, griff sein Unterbewußtsein weiter nach der Fremden. Die Impulsquelle kam noch näher. Sie mußte unermeßliche Schätze in ihren Erinnerungen beherbergen: Informationen über den Mutterorganismus. Phantom-Baby ahnte noch nicht, daß es sie direkt in den Tod riß, wenn es die Beeinflussung nicht un-
terbrach. Denn beim ersten Kontakt mit seiner komprimierten heißen Gasmasse würde sie trotz ihres Raumanzugs auf der Stelle sterben. Phantom-Baby war viel zu verwirrt, um diese Gefahr zu erkennen. Es konzentrierte sich auf seine Ableger. Wieder drohten Gefühlswogen ihm die Sinne zu rauben, als es an die Entarteten dachte. Schon seit vielen tausend Jahren hatte es gespürt, daß es Teile in ihm gab, die versuchten, aus dem Organismus auszubrechen. Phantom-Baby hatte es immer wieder zu verhindern gewußt. Mit der Zeit war die Wucherung andersgearteter Ströme stärker und die Kontrolle immer schwieriger geworden. Plötzlich war dem Wesen klar, daß die entarteten Teile seine Schwäche genutzt hatten, um auszubrechen. Im Gegensatz zu Phantom-Baby waren sie nicht mehr an die Mutter gebunden und so vom Schock verschont geblieben. Während der Kernorganismus in die todesähnliche Starre verfiel, blieben sie wach und lösten sich. Die Folge der jahrtausendelangen Unterdrückung war eine unkontrollierte Haßreaktion, in der die Ableger versuchten, alle dem Mutterorganismus vertrauten Werte zu zerstören. Phantom-Baby war sicher, daß sie längst versucht hätten, es selbst umzubringen, hätten sie die Möglichkeiten dazu gehabt. Und so hatten sie die Invasion der Erde eingeleitet. Da sie über sämtliche Erinnerungen des verlassenen Gesamtorganismus verfügten, wußten sie, daß aus der Zeit des Kosmischen Krieges eine Transmitterverbindung zur Welt der Menschen bestand. Eine neue Welle unkontrollierbarer Gefühle verne-
belte für kurze Zeit das Denkvermögen PhantomBabys, dann stand die Situation klar in seinem Bewußtsein. Die entarteten Ableger mußten gestoppt und vernichtet werden. Phantom-Baby sandte Impulse aus und aktivierte die gigantische subplanetarische Anlage. Gleichzeitig konzentrierte es sich auf die Ableger. Aber immer noch flossen die Ströme aus seinem Unterbewußtsein hinüber zu dem Menschen, der sich ihm bis auf wenige hundert Meter genähert hatte. Er kam jetzt langsamer voran, da sein Körper der immensen Belastung nicht mehr standhalten konnte. Die Impulse peitschten jedoch die Fremde vorwärts, auf die Schleuse zu.
8. Cliff hatte den anderen in knappen Worten erklärt, was er herausgefunden hatte. Daran, daß nicht einmal Mario einen Kommentar von sich gab, erkannte er, daß auch die Gefährten Arlene bereits abgeschrieben hatten. Zu oft war das Glück den Raumfahrern in der sprichwörtlichen letzten Minute zu Hilfe gekommen. Einmal war Schluß damit, und es sah ganz so aus, als ob dies jetzt der Fall wäre. Der Sauerstoffvorrat ihrer Raumanzüge war so gut wie erschöpft. Natürlich würde er bei dem einen oder anderen etwas länger reichen, je nach der Konstitution und der vorangegangenen Belastung, aber das waren minimale Unterschiede. Zehn Minuten! dachte Cliff. Dann ist es aus. »Eigentlich«, sagte Helga mit schwacher Stimme, »können wir jetzt nur noch hoffen, daß man nicht auf unser Peilsignal gewartet und den Florida-Graben bereits bombardiert hat. Das ist die einzige Chance für die Erde. Irgendwann werden so viele dieser Tanks unsere Welt überschwemmt haben, daß die Kapazität der Ableger ausreicht, um ein neues Kollektiv zu bilden und vollends die Kontrolle zu übernehmen.« Ohne zu wissen, was es mit den Gasmassen auf sich hatte, die in die Tanks versenkt wurden, die wenig später den Weg zum Großtransmitter antraten, waren die Raumfahrer zu dem Schluß gekommen, daß es abgespaltene Teile des Phantom-Babys sein mußten, die aus irgendeinem Grund vollkommen den Interessen des schlummernden Riesenorganis-
mus konträr handelten. Ihr Ziel war die Eroberung der Erde, daran gab es keinen Zweifel. Und mit jedem Tank verstärkte sich die Kapazität der Invasionsarmee. Die Menschen der Erde kämpften verbittert gegen die Tanks, ohne zu ahnen, was da tatsächlich auf sie zukam. »Du meinst, daß sich auf der Erde ein weiterer Ableger des GRF bilden wird?« fragte Cliff. Das Sprechen fiel ihm schwer, denn die Tentakel nahmen ihm die Luft – trotzdem schienen sie aus irgendeinem Grund davor zurückzuschrecken, die Menschen zu töten. »Und Jupiter?« warf Hasso ein. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Wendy da mitspielt.« »Das ist alles andere als eine Hoffnung für uns«, preßte Cliff hervor. »Wenn es zu einem Kampf der beiden Kräfte auf parapsychischem Wege kommt, kann das ganze Sonnensystem auseinanderfliegen.« »Na, dann Prost!« erklang Marios Stimme in den Helmempfängern. Es war deutlich zu hören, daß er kaum noch Luft hatte. Wahrscheinlich würde ihm als erstem der Sauerstoff ausgehen, da er sehr viel Kraft aufgebracht hatte, um das Schott hinter dem Computerraum zu sprengen. Cliff mußte grinsen. Gerade jetzt, im Angesicht des Todes, zeigte sich, daß die Crew eine zusammengewachsene Einheit bildete. Und sie würden sterben, wie sie gelebt hatten: Sechs Menschen, an denen sich der Teufel in der Hölle die Zähne ausbeißen würde. »Ich habe mir geschworen, mit Han Brüderschaft zu trinken, falls die unendliche Güte der kosmischen Glücksgöttin uns noch einmal zuteil werden sollte.« »Fällt dir bestimmt nicht schwer, Kommandant«, keuchte Helga. »Seine Sprache sprichst du ja schon.«
»Noch einen Schluck«, flüsterte Mario. »Einen Tropfen Archer's tears, und dann können sie mich alle ...« »Das darf nicht wahr sein!« schrie Atan mit letzter Kraft. »Hast du etwas gegen das Gesöff?« fragte Hasso, der anscheinend noch die wenigsten Schwierigkeiten hatte. »Rede keinen Unsinn!« Atan war außer Fassung. »Die Tanks, seht sie euch an!« Es gelang den Raumfahrern unter großen Schwierigkeiten, die Köpfe zu heben. Und dann sahen sie das Wunder. Die roten Gasmassen, die aus vielen Öffnungen der Hallendecke zusammenströmten, durch Kraftfelder geteilt und auf die Tanks verteilt wurden, veränderten sich. Sie schienen regelrecht zusammenzuschrumpfen, bis sie eine Größe von etwa zehn Zentimetern erreicht hatten. Gleichzeitig veränderte sich ihre Farbe, bis sie schließlich in einem dunklen Violett strahlten, dessen Intensität schnell abnahm. Sie hingen wie dunkle Schlackeklumpen in der Luft oder über den für sie bestimmten, offenen Tanks. Dann verloren sie ihren Halt und klatschten rings um die Gefesselten herum auf den Boden der Halle, wo sie schnell zerliefen. »Sie sterben!« schrie Helga mit letzter Kraft. »Cliff, sie sind tot!« In Cliffs Gehirn jagten sich die Gedanken und Spekulationen. Plötzlich lockerten sich die Tentakel um seine Glieder. Ein schneller Blick zeigte ihm, daß auch die anderen ihre Bewegungsfreiheit zurückerlangten.
Mit letzter Kraft befreite sich der Commander von den Tentakeln und kam auf die Beine. »Schnell!« brüllte er. Sofort spürte er den aufkommenden Schwindel. Halbbenommen krächzte er: »Weg hier, wir müssen ...« Weiter kam er nicht, denn in diesem Augenblick drohte eine Stimme durch die Halle, die sie alle kannten. * Überall in der Gigantanlage erstarrten die Tanks in ihren Bewegungen. Die Kolonnen, die in der Kuppel zum Durchgang durch den Großtransmitter bereitstanden, rollten nicht weiter. In den Tanks bildeten sich Öffnungen, und Tausende von Tentakeln fuhren heraus. Sie peitschten ziellos durch das Wasser, schlugen gegen die Tanks und verknoteten sich ineinander. Einige Minuten lang stand die Invasionsarmee auf der Stelle, dann schlossen sich die Öffnungen wieder. Die Ungetüme vollführten eine Drehung um 180 Grad und schwebten zu den Stollen zurück, aus denen sie gekommen waren. Riesige Gangsysteme öffneten sich. Sie führten ohne Unterbrechung direkt zur Oberfläche des Kunstplaneten. Viele tausend Tanks schwebten in ihnen nach oben. Aus unzähligen Öffnungen strömten weitere Kolonnen hinzu und schlossen sich dem Strom an. Als die ersten der Invasionsfahrzeuge unter der dünnen künstlichen Planetenkruste ankamen, entstand eine mehrere hundert Meter durchmessende
Öffnung. Die in den Schächten befindliche Restatmosphäre entwich innerhalb weniger Sekunden in das Vakuum des Weltalls. Wie ein Schwarm von aufgescheuchten Insekten ergossen sich die Tanks über die kahle Oberfläche Phantoms. Diejenigen, die auf der Nachtseite des Planeten herauskamen, blieben nach wenigen Minuten reglos stehen. Die Ableger aus komprimiertem Gas in ihrem Innern starben an Unterkühlung. Andere Tankkolonnen drangen aus dem Innern Phantoms auf der Tagseite an die Oberfläche. Sie würden ihren Artgenossen in den Tod folgen, wenn der Planet sich gedreht hatte und die eisige Kälte des Weltalls nach ihnen griff. In wenigen Stunden würde es keinen einzigen Tank mehr innerhalb der Kunstwelt geben – und mit ihnen keine entarteten Ableger Phantom-Babys. Die Teile des Organismus, die noch nicht in die Invasionsfahrzeuge versenkt worden waren, starben durch die Impulse aus der Zentralkuppel. Sie waren viel zu schwach, um Widerstand zu leisten. Phantom-Baby hatte die Lage innerhalb der Anlage unter Kontrolle. Die in qualvoller Überwindung unterdrückten Ströme wurden nun vollends an die Oberfläche des Bewußtseins gespült. Phantom-Baby drang wieder in die Gedanken der Fremden ein, diesmal tiefer. Was es darin las, löste wildes Entsetzen aus. Der Metabolismus des Wesens war so beschaffen, daß es sterben würde, wenn es durch die Glasschleuse zu ihm gelangte. Noch einmal tobte ein Konflikt in dem Baby des GRF. Einerseits wußte es, daß dieses Wesen, das sich
»Arlene« nannte, ihm noch unendlich viel zu sagen hatte. Mehr noch: Es war das Symbol für die Bindung zur Mutter. Andererseits aber durfte Phantom-Baby nicht zulassen, daß es durch seine Schuld den Tod fand. Die parapsychischen Fühler esperten eine weitere Information: Der Sauerstoffvorrat im Schutzanzug der Fremden war erschöpft. Auch wenn sie nicht zu ihm gelangte, würde sie in allerkürzester Zeit sterben müssen. Phantom-Baby suchte krampfhaft nach einer Möglichkeit, sich dieses unendlich wertvolle Wesen zu erhalten. Gleichzeitig war es gezwungen, sich um die anderen Menschen zu kümmern, die es in seiner Nähe spürte, denn auch ihnen mußte der Sauerstoff ausgehen. Endlich fand es eine Lösung, die ihm unter den gegebenen Umständen als optimal erschien. Mehr noch, es war die einzig mögliche. Phantom-Baby zögerte keine Sekunde mehr. Arlene befand sich unmittelbar vor der Schleuse. In der riesigen Transparentkuppel begann die Veränderung. Allerdings hatte Phantom-Baby in der Hektik seiner Gefühle und Überlegungen einen wichtigen Punkt vergessen. Und so nahm das Verhängnis seinen Lauf. * Arlene schleppte sich über den glatten Boden des Ringkorridors auf die gläserne Schleuse zu. Immer öfter mußte sie liegenbleiben, um Luft zu bekommen. Die Strapazen des langen und schwierigen Weges hatten ihren Körper zermürbt.
Nur die unmittelbare Nähe des Zieles und die sie unermüdlich vorwärtspeitschenden Impulse trieben sie noch voran. Arlene verlor die Kraft aus den Armen und sank flach auf den Boden. Die Umgebung begann vor ihren Augen zu verschwinden. Sie sah nur noch ein Flimmern. Weiter! drängte es in ihr. Es ist nicht mehr weit! Du schaffst es! Unendlich langsam kehrte die Kraft zurück. Arlene hob den Kopf und versuchte etwas zu erkennen. Aus dem Flimmern wurde ein Mosaik aus winzigen Punkten, aus dem sich die Konturen der Schleuse herausschälten. Zwanzig Meter! hallte die Stimme. Du schaffst es, du mußt es schaffen! Arlenes Hände preßten sich fest auf den Boden. Sie hatte nicht mehr die Kraft, sich aufzurichten, und schob sich auf dem Boden weiter. Nach wenigen Metern blieb sie endgültig liegen. Sie schnappte nach Luft, aber der Sauerstoffvorrat war erschöpft. Die Panik verlieh ihr noch einmal Riesenkräfte. Arlenes Hände griffen zum Verschluß des Helms. Genau in diesem Augenblick bäumte sich ihr Körper unter einer Flut furchtbarer Impulse auf. Die Panikwelle, die in ihrem Kopf zu explodieren schien, übertraf ihre eigene Todesangst um ein Vielfaches. Plötzlich ließ der Druck der Schwerkraft nach. Nur undeutlich registrierte die Frau, daß überall um sie herum eine Veränderung mit der Atmosphäre vorging. Feiner kristalliner Niederschlag sank auf den Boden herab. Die Panikwelle verlor an Intensität. Irgend etwas
starb in Arlene, aber es war nicht ihr eigener Tod, den sie miterlebte. Ihre Finger fanden den Verschlußmechanismus und lösten ihn. Noch während Arlene den Helm abnahm, wurde ihr klar, daß sie in der MethanAtmosphäre innerhalb weniger Sekunden sterben würde. Aber dann füllten sich ihre Lungen mit frischem Sauerstoff. Erst nach Minuten kam die Fähigkeit des klaren Denkens zurück. Arlene spürte ihren Körper wieder. Sie schlug die Augen auf und versuchte, auf die Beine zu kommen. Das erste, was sie registrierte, war die normale Erdschwerkraft, die jetzt in der Station herrschte. Sie atmete ein paarmal tief durch und stellte fest, daß auch die Atmosphäre jetzt der der Erde entsprach. Noch halb benommen stand sie auf. Erst jetzt kam ihr zu Bewußtsein, daß ein Bann von ihr abgefallen war. Sie erinnerte sich nicht daran, wie sie hierhergekommen war. Erst als sie die Glasschleuse und die Kuppel sah, spürte sie, daß irgendwo tief in ihr ein Erinnerungsfetzen schlummerte. Dort hinter der Schleuse lag der Schlüssel. Die Faszination des Geheimnisses war so groß, daß Arlene unbewußt die Gedanken an die Gefährten verdrängte, die sich irgendwo innerhalb des Riesenkomplexes befinden mußten. Sie wußte wieder, weshalb sie in die Station gekommen waren und was auf der Erde geschehen war. Dennoch bewegte sie sich langsam auf die Schleuse zu. Sie zögerte hindurchzugehen, als ob in der Kup-
pel etwas auf sie wartete, an dem sie zerbrechen würde. Dann trat sie hinein. Eine halbe Minute später stand Arlene in der Kuppel, die so groß war, daß sie das andere Ende kaum erkennen konnte. Im Gegensatz zu Cliff, der beim Anblick des blaßroten Etwas sofort an Phantom-Baby gedacht hatte, wußte Arlene immer noch nicht, was sie vor sich hatte, denn anstelle der rötlichen Gasmasse schwebten Millionen winziger weißer Kristalle in der Kuppel. Noch war alle Erinnerung an das, was seit dem Betreten des Computerraums, in den sie die Tanks verschleppt hatten, mit ihr geschehen war, gelöscht. Aber plötzlich breitete sich wieder die Angst in Arlene aus. Irgend etwas war dabei, mit immenser Wucht an die Oberfläche ihres Bewußtseins zu dringen. Und dann waren die Bilder da. * »Phantom-Baby!« ächzte Cliff. »Es ist genau wie bei unserem ersten Besuch auf Phantom!« Die anderen schwiegen und warteten auf eine weitere Botschaft. Die Stimme hatte die ganze Halle ausgefüllt und die Raumfahrer aufgefordert zu warten. Dann aber war sie schwächer geworden und schließlich ganz verstummt. Die letzten Worte waren nicht mehr zu verstehen gewesen. Ein unheimliches Unbehagen beschlich die fünf Menschen, während sie sich mit Mühe auf den Beinen zu halten versuchten. Mario schnappte laut nach Luft. Hasso und Atan konnten gerade noch rechtzeitig zupacken, bevor der Kybernetiker umkippte.
Plötzlich veränderte sich die Atmosphäre. Gleichzeitig nahm die Schwerkraft ab. Den Raumfahrern blieb keine Zeit, sich noch Gedanken darüber zu machen, was um sie herum vorging. Unmittelbar vor ihnen baute sich aus dem Nichts ein Transmitterbogen auf. »Das war es!« keuchte Helga. »Phantom-Baby hat uns das Ding geschickt, darauf sollten wir warten!« »Du hast recht, Kindchen«, stimmte Cliff zu. »Wir müssen durch.« Hasso und Atan schleppten Mario, der offensichtlich ohne Bewußtsein war, auf das Transmitterfeld zu. Sekunden später waren sie verschwunden. Cliff und Helga folgten ihnen ohne Zögern. Sie rematerialisierten genau vor der gläsernen Schleuse im Ringkorridor, der die riesige Transparentkuppel mit Phantom-Baby umschloß. »Da vorne!« stieß Helga hervor. »Das ist Arlenes Helm!« Cliff und die anderen begriffen sofort. Sie lösten die Verschlüsse ihrer Raumhelme und befreiten auch Mario. Frische Luft strömte in ihre Lungen. »Kümmert euch um Mario«, sagte Cliff. »Ich sehe nach Arlene. Außerdem ...« »Was ist?« erkundigte sich Helga, als sie sah, wie der Commander totenbleich wurde. »Phantom-Baby«, flüsterte er. Dann zeigte er auf die transparente Wandung der Kuppel. Obwohl die anderen das Wesen im Gegensatz zu Cliff noch nie gesehen hatten, begriffen sie sofort, als sie den weißlichen Schimmer aus vielen winzigen Kristallen sahen, der wie feiner Nebel wirkte. »Ist es ... tot?« fragte Hasso tonlos.
Cliff gab keine Antwort. Er ging langsam auf die Schleuse zu. Daß sie offen war (was auf den ersten Blick nicht zu erkennen gewesen war, denn Cliff wußte mittlerweile, daß viele Teile der Gigantanlage, in denen unterschiedliche atmosphärische Verhältnisse herrschten, nicht durch konventionelle Verschlüsse, sondern durch flexible Energiefelder voneinander isoliert waren), gab ihm die letzte Gewißheit. Er hatte es bereits geahnt, als Phantom-Babys »Stimme« in der Montagehalle abgebrochen war. Alles ergab ein plastisches Bild: die veränderte Atmosphäre, die Schwerkraft, der »Nebel« in der Kuppel. Phantom-Baby hatte die Verhältnisse innerhalb d e r Station (zumindest in diesem Teil, in dem sich die Menschen befanden) den normalen Umweltbedingungen auf der Erde angepaßt. Aber warum? Langsam durchschritt Cliff die Schleuse. Dann stand er in der Kuppel. »Das ist Phantom-Baby?« fragte Helga leise, die neben ihn getreten war. »Es war es«, kam es über Cliffs Lippen. »Es ist tot, Helga.« »Aber warum? Weshalb ist es ...?« Cliff winkte ab und lief plötzlich los. Helga sah ihn in dem Gewimmel der Kristalle verschwinden, die sich nur langsam auf den Boden senkten. Als sie ihn wieder entdeckte, kniete er neben Arlene. »Sie lebt!« schrie er. »Hilf mir, sie herauszutragen, Helga!« Die Funkerin packte mit an. Gemeinsam trugen sie die Bewußtlose auf den Korridor hinaus. Mario war bereits auf den Beinen. »Er macht schon wieder Witze«, sagte Atan. »Mario
meinte gerade, er könnte ...« »Danach ist mir nicht zumute«, fuhr Cliff barsch dazwischen. »Tut mir einen großen Gefallen und laßt uns für ein paar Minuten allein.« Die Männer verstanden offenbar nicht, was er meinte. Cliff fuhr auf und stieß eine Reihe saftiger Flüche aus. »Kommt«, sagte Helga und gab ihnen einen Wink. Cliff sah sie dankbar an. Dann kümmerte er sich um seine Lebensgefährtin.
9. Es blieb nicht bei den »paar Minuten«. Arlene stand ganz offensichtlich unter immenser Schockeinwirkung. Sie mußte Furchtbares durchgemacht haben. Phantom-Baby, dachte Cliff. Sie stand unter seinem Einfluß. Hatte sie erlebt, wie es starb? Wieder tauchten die Spekulationen auf. War das Wesen ein Opfer seiner entarteten Ableger geworden, oder hatte es sich selbst umgebracht? Der Gedanke erschien McLane nicht abwegig. Nur zu gut erinnerte er sich daran, wie Phantom-Baby reagiert hatte, als es bei ihrem Aufenthalt auf Phantom seinen Irrtum und die wahre Natur der Besucher erkannt hatte, die es anfangs nur für Schatten gehalten hatte. Arlene wand sich wie unter unsäglichen Schmerzen am Boden. Cliff strich ihr durchs Haar und redete unaufhörlich auf sie ein. Manchmal hatte er das Gefühl, daß sie durch den Klang seiner Stimme für Augenblicke den Bann abschüttelte und zu sich kam. Dann starrte sie ihn aus großen Augen an, als wollte sie ihm etwas sagen. Aber jedesmal sank sie wieder in sich zusammen. Es waren schreckliche Minuten für Cliff, der mehr oder weniger hilflos zusehen mußte, wie Arlene litt. Dann plötzlich bäumte sie sich auf und stieß einen markerschütternden Schrei aus. Cliff riß sie an sich und drückte sie auf den Boden zurück, bis sie sich beruhigt hatte. Arlenes Körper zitterte, ihre Augen waren weit aufgerissen. Und dann war sie ruhig. Einige bange Sekunden fürchtete Cliff das Schlimmste. Seine Erleichterung
war unbeschreiblich, als Arlenes Hand sich auf seinen Arm legte und sie den Kopf hob. Arlene hatte die Krise überwunden. Immer noch redete Cliff beruhigend auf sie ein, und Arlene begann leise zu wimmern. »Es ist gut«, flüsterte sie dann. »Es ist alles vorbei, Cliff.« Der Oberst brachte kein Wort mehr heraus. Er spürte, daß noch etwas auf ihn und die anderen zukam. Etwas, das Arlene soeben überstanden hatte. »Wo sind sie?« fragte sie wie zur Bestätigung. Cliff rief nach den Freunden. Arlene stand auf und lächelte, aber es war ein gezwungenes Lächeln. »Es ist tot«, erklärte sie dann, als Helga mit den anderen bei ihnen waren. »Phantom-Baby hat sich für uns geopfert.« Arlene sah noch einmal zur Transparentkuppel hinüber. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie gab sich keine Mühe, ihre Gefühle zu verbergen. Keiner sagte ein Wort, bis Arlene zu sprechen begann. Sie berichtete, wie sie hierhergekommen und in letzter Sekunde dadurch vor dem Ersticken gerettet wurde, daß Phantom-Baby die Atmosphäre in der Anlage umgewandelt hatte. Sie erinnerte sich jetzt an alles. Nachdem sie geschildert hatte, wie sie durch die offene Schleuse in die Kuppel gelangt war, machte sie eine kurze Pause. »Phantom-Baby muß vollkommen verwirrt gewesen sein«, fuhr sie schließlich fort. »Um mich zu retten und zu sich zu holen, veränderte es die Atmosphäre, wobei es vergaß, daß die Veränderungen umfassend und tödlich für es selbst waren. Als es seinen Fehler erkannte, war es bereits zu spät. Aber es muß
noch Zeit gefunden haben, mir eine Botschaft zu übermitteln, die erst in mir durchbrach, als ich schon in der Kuppel war.« »Außerdem lotste es uns hierher«, sagte Cliff. »Es muß noch im Augenblick des Todes gewesen sein.« Arlene nickte. »Als es erkannte, daß seine entarteten Ableger dabei waren, die Erde mit ihren Tanks zu überschwemmen, brachte es sie unter seine Kontrolle und schickte die Tanks an die Oberfläche Phantoms. Die übrigen Ableger wurden durch parapsychische Ströme vernichtet.« Arlene berichtete, was sie an weiteren Einzelheiten von Phantom-Baby über den Stop der Invasoren erfahren hatte. Das meiste hatten sich die Raumfahrer selbst schon zusammengereimt. »Die Botschaft endete mit einem Blick in die Vergangenheit«, beendete Arlene ihren Bericht. »Was wir bereits vermutet hatten, trifft zu. Phantom-Baby war ein Werkzeug des Rudraja im Kosmischen Krieg. Aus dieser Zeit stammt auch die Transmitterverbindung zwischen Phantom und der Erde. Nach der Entführung wurde Wendys Baby in diesen Kunstplaneten eingesperrt, wo optimale Lebens- und Funktionsbedingungen geschaffen worden waren. Das Rudraja mißbrauchte das Baby zur Informationsspeicherung, nachdem das Varunja die Superelektronengehirne des Rudraja außer Kraft gesetzt hatte. Außerdem wurden von hier aus ganze Raumflotten, Raumstationen und Hilfsvölker gesteuert, die das Rudraja in seine Dienste gezwungen hatte. Im Lauf der Jahrtausende entwickelte Phantom-Baby seine eigenen Vorstellungen von der Beschaffenheit der Welt, die wir ja
alle bereits kennenlernen mußten, auf der Oberfläche von Phantom wo es uns, wie alles, was außerhalb seiner Welt lag, für Schatten hielt.« Die Crew schwieg betreten. Schließlich fragte Hasso: »Und was jetzt?« »Wir müssen zurück zur Erde«, sagte Cliff. »Das heißt, daß wir so schnell wie möglich die Transmitterstation wiederfinden müssen, durch die wir hierhergelangten. Wenn ich daran denke, wie es inzwischen auf der Erde aussehen mag ...« Ohne viel Worte setzten sich die Raumfahrer in Bewegung. Noch einmal sahen sie traurig zur großen Kuppel, dann gaben sie sich einen Ruck. Auf ihrem Weg fanden sie keinen einzigen Tank mehr. Es dauerte fast zehn Stunden, bis sie den Großtransmitter erreichten. Zu ihrer Erleichterung war das Wasser abgepumpt worden. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätten sie vor unüberwindlichen Schwierigkeiten gestanden, denn sie hatten keine Sauerstoffreserven mehr. So mußten sie »nur« die Strecke vom Empfangstransmitter in der unterseeischen Felshöhle bis zur wartenden ORION IX in geschlossenen Raumanzügen mit angehaltener Luft zurücklegen. * Was sie bereits in der unterseeischen Felsenhalle beobachtet hatten, bestätigte sich, als sie aus dem Felsmassiv herauskamen und die Unterseelandschaft des Florida-Grabens mit den Bordscheinwerfern bestrichen. Sämtliche Tanks, die noch nicht den Weg zur
Großen Bahama-Bank und von dort aus zur Oberfläche gefunden hatten, waren mitten in der Bewegung erstarrt und standen reglos auf dem Meeresboden herum. »Es sieht so aus, als hätten wir's geschafft«, sagte Cliff erleichtert. »Die Invasion dürfte zu Ende sein.« »Das wissen wir erst, wenn wir oben sind«, widersprach Atan. »Wer weiß, was sie inzwischen an der Oberfläche angestellt haben.« »Wie ich Han kenne, werden wir das bald erfahren, nicht wahr, Helga-Mädchen?« »Die Stunde der Wahrheit naht«, verkündete Mario de Monti grinsend. »Schlechtes Gewissen, Herr Kommandant?« »Weil wir die Erde gerettet haben? Mach dich nicht lächerlich!« »Ohne Phantom-Babys Opfer hätten wir nichts erreicht, Cliff, vergiß das nicht«, warf Arlene ein. »Jawohl«, dröhnte Mario. »Und außerdem imponiert das Han sowieso langsam nicht mehr. Wir haben schon so oft die Menschheit vor dem Untergang bewahrt, daß du ihm höchstens imponieren könntest, wenn wir einmal nicht als die strahlenden Sieger zurückkämen.« »Strahlende Sieger«, lachte Atan trocken. »Ein schönes Donnerwetter werden wir erleben. Diesmal bist du zu weit gegangen, Cliff. Es gibt nur eine Möglichkeit.« »Da bin ich aber gespannt.« Atan bemühte sich, ernsthaft zu bleiben. »Du mußt dein Versprechen wahrmachen und Brüderschaft mit ihm trinken. Han wird einsehen, daß wir nur aus Sorge um sein gutes Gewissen so gehandelt haben und ...«
»... und außerdem könnten wir bei der Gelegenheit ein paar Wochen Urlaub für uns herausschlagen, vielleicht auf einem wunderschönen Plätzchen auf einem unserer paradiesischen Kolonialplaneten«, spann Mario den Faden weiter. »Han verträgt nicht viel, das haben wir ja unlängst im Starlight-Casino erlebt.« »Han verpaßt uns höchstens ein Wochenendhaus auf den Bahamas«, sagte Hasso vom Maschinenleitstand her sarkastisch. »Damit wir gleich zur Stelle sind, wenn sich im Bermuda-Dreieck wieder etwas tut.« »Hör bloß auf damit!« stöhnte Cliff. »Ich kann das Wort nicht mehr hören. Gott sei Dank dürfte der Spuk jetzt ein für allemal vorbei sein.« »Bist du sicher?« fragte Helga, ohne von ihren Kontrollen aufzusehen. »An eurer Stelle würde ich es jedenfalls einmal versuchen«, meldete sich Mario wieder zu Wort. »Wenn Han beschwipst ist, tut er alles für uns. Außerdem hast du's feierlich gelobt, Cliff.« »Was heißt hier: ›an eurer Stelle‹?« »Nun, ein Mann in meiner Position hat natürlich anderweitige Verpflichtungen. Ich werde mich nach Vortha begeben, um dort nach dem Rechten zu sehen.« »Arme Norma«, bemerkte Atan und zwinkerte Cliff zu. Mario drehte sich beleidigt um und tat so, als müsse er seine Geräte untersuchen. »Ich fange einen Spruch auf«, rief Helga Legrelle dazwischen. »Ich schalte ihn auf die Lautsprecher.« Sekunden später hörte die ORION-Crew die Stimme des Regierungschefs, in der Han Tsu-Gol die ORION
IX darüber informierte, daß die Invasion abrupt eingestellt worden sei und die Tanks keine Gefahr mehr darstellten. Sie würden nach und nach zerstört. Anschließen wurde Cliff McLane aufgefordert, sich »nach ihrer Rückkehr« unverzüglich bei Han zu melden. Der Spruch wiederholte sich, bis Helga abschaltete. »Dieser alte Fuchs!« sagte Cliff grinsend. »Er hat tatsächlich an unsere Rückkehr geglaubt.« »Er kennt uns eben«, bemerkte Mario von seinem Platz aus. Cliff nickte Helga zu. Mittlerweile hatte die ORION den Florida-Graben verlassen und seichteres Gewässer erreicht. In Kürze würde sie aus dem Meer auftauchen. »Also schön, Helga, bring uns den Fuchs vor die Linsen. Wir werden ihm von der Schlange erzählen, besser gesagt von dem Schlangenbaby.« Atan preßte sich die Hand vor die Augen. »Wenn wir noch ein Jahr mit Han zusammengearbeitet haben, werde ich den Dienst bei der Raumflotte quittieren und mich um eine Professur in Zoologie bewerben«, behauptete er. »Vielleicht auf Vortha«, schlug Mario vor. »Die Blumenkinder haben ja keine Ahnung von unserer schönen Tierwelt.« »Vor allem Erethreja möchte sicher zu gerne wissen, was ein ›Mäuschen‹ ist«, kommentierte Atan bissig. »Oder ein ›Schnuckelchen‹ ...« »Neidhammel!« zischte Mario. »Han ist an der Strippe«, meldete Helga. Kurz darauf sah ihnen der Regierungschef von der großen Bildplatte entgegen. »Sagen Sie nichts, Han«, kam Cliff dem Asiaten
zuvor. »Hören Sie sich erst in aller Ruhe unseren Bericht an.« »In aller Ruhe, Cliff«, sagte Han Tsu-Gol mit undefinierbarer Miene. »Ich habe eine ganz besondere Vorliebe für ihre Erzählungen.« Cliff machte ein unglückliches Gesicht und holte tief Luft. Dann berichtete er über das, was sie seit dem letzten Kontakt vor dem Einflug in die Unterseehalle erlebt hatten. Han ließ anschließend einige Zeit verstreichen, bevor er antwortete. Die Crew versuchte, in seiner Miene zu lesen, aber Han beherrschte sich meisterhaft. Endlich begann er zu lächeln. »Eigentlich sollte ich Ihnen allen die Ohren langziehen«, sagte er, woraufhin Mario im Hintergrund irgend etwas von Kaninchen murmelte. »Aber wenn ich Ihre treuen, unschuldigen Augen sehe, gehen alle Vorsätze über Bord. Ich erwarte Sie also zu einem ausführlichen Bericht im Flottenhauptquartier. Wo ist Ihr Kybernetiker?« Mario, der außerhalb der Bilderfassung gestanden hatte, zuckte heftig zusammen. Nichts Gutes ahnend, trat er an die Bildplatte. »Hier bin ich, Han.« Das Lächeln des Regierungschefs wurde zu einem Grinsen. »Ich freue mich, Sie zu sehen, de Monti.« »Ich wußte nicht, daß Ihnen soviel an meiner Person liegt«, sagte Mario, der dem Frieden nicht ganz traute, vorsichtig. »Oh«, winkte Han ab. »Mir nicht, aber es gibt da zwei Personen, die mich mit Fragen bombardieren. Einmal kommt alle paar Stunden ein Anruf von
Vortha, wo Erethreja sich offenbar sehr um Ihr Wohl sorgt, und zum anderen ...« »Zum anderen?« fragte Mario, als Han eine Kunstpause machte. Er versuchte, die grinsenden Gesichter der anderen zu ignorieren. »Es gibt da eine GSD-Assistentin, die mir keine Ruhe läßt. Sie kennen doch Norma Russell?« »Und ob!« rief Hasso über Videophon, bevor Mario etwas sagen konnte. »Ich würde vorschlagen, daß wir bei einem guten Schluck darüber reden«, sagte Cliff schnell, als er merkte, daß Mario eine nicht unbedingt stubenreine Entgegnung auf der Zunge hatte. »Ich hoffe, daß das Rätsel um das Bermuda-Dreieck mit unserer Mission nun endgültig gelöst und aus der Welt geschafft ist.« »Ich muß Sie enttäuschen, Cliff«, sagte Han. Sein Lächeln war augenblicklich verschwunden. »Bis vor wenigen Stunden glaubte ich das auch, dann verschwanden erneut zwei Seeschiffe und fünf Flugzeuge spurlos.« Die Raumfahrer sahen sich betroffen an. Cliff konnte in ihren Gesichtern lesen, was sie von Hans Eröffnung hielten. »Das heißt also, daß die entarteten Ableger Phantom-Babys nichts damit zu tun hatten? Daß ihr Erscheinen zu diesem Zeitpunkt nur ein Zufall war?« »So ist es, Cliff. Machen Sie sich darauf gefaßt, daß es bald wieder Arbeit gibt.« »Aber nicht für uns!« fuhr der Commander auf. »Im Namen der gesamten Crew, Han: Von jetzt an soll der Teufel sich um das Bermuda-Dreieck kümmern, wir haben die Nase voll und machen jetzt erst einmal für ein halbes Jahr Urlaub!«
»Recht so, Cliff!« flüsterte Mario von der Seite. »Gib's ihm!« »Mit anderen Worten ...«, stöhnte Han Tsu-Gol. »... befürchte ich, daß wir jetzt gleich eine Funkstörung haben werden«, vollendete Cliff. Mit der Hand gab er Helga das Zeichen zum Abschalten. Keine zwei Sekunden später war die Bildplatte dunkel. »Ich habe das Gefühl, er hat uns nicht ernst genommen«, sagte Atan. »Das werden wir schon sehen«, behauptete Cliff. In Wirklichkeit war er nicht so sicher. Er hatte ein ungutes Gefühl, wenn er an die nächsten Tage dachte. »Traust du dir zu, die ORION alleine zu steuern und zu landen?« fragte er Mario. »Selbstverständlich, Cliff!« sagte der Kybernetiker entrüstet. »Dann bleibst du nüchtern, du hast sowieso einen klaren Kopf nötig, wenn du deine Affären wieder zurechtbiegen willst. Die anderen kommen mit in meine Kabine!« »Aber Cliff«, empörte sich Mario. »Das kannst du nicht tun!« »Und ob!« Damit verschwanden Cliff und die anderen im Lift. Mario blieb lauthals fluchend in der Zentrale zurück. ENDE