Invasion aus dem Dunkel von HORST HOFFMANN Die Hauptpersonen des Romans: Christine Skip, Christopher Reed und Harry Van...
21 downloads
919 Views
401KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Invasion aus dem Dunkel von HORST HOFFMANN Die Hauptpersonen des Romans: Christine Skip, Christopher Reed und Harry Vanderbuilt — Vier Terraner suchen ihren unsterblichen Freund. Tharevo Kholk — Ein freundliches Spinnenwesen. Ysp, Vieela, Weld und Scarb — Wirte der vier Menschenbewußtseine. „Schöpfer“ — Ein Monstrum, das alles Leben versklaven will.
Prolog: Milliarden von Jahren waren vergangen, seitdem die Brücke zwischen den Universen versiegelt worden war. Die Urschöpfung hatte sich gespalten, und nach langem Kampf war es der positiven Evolution gelungen, ihr negatives Gegenstück in einen jenseitigen Kosmos zu verbannen und mit der Zerstörung der Brücke zu isolieren. Während sich das Universum mit Leben füllte und der Ursprung in Vergessenheit geriet, überzog die negative Macht die Welten des parallelen Kosmos mit dem dunklen Schleier des Grauens und der Versklavung des dortigen Lebens. Im Gegensatz zur positiven Urmacht veränderte sie sich nicht, sondern wartete auf die Gelegenheit zur Rückkehr und zur Rache an dem, was aus der positiven Macht hervorgegangen war. Die Rassen und Intelligenzen des Universums wußten von alledem nichts mehr. Nur vage Urerinnerungen, die dann und wann hervorbrachen, steckten in den Gehirnen der Wesen. Eine dieser Erinnerungen führte eine bis zum Höhepunkt der körperlichen Entwicklung vorangeschrittene Rasse zu jener Welt, die der Schneidepunkt der Universen gewesen war, bevor die Brücke vernichtet worden war. Die Wesen erkannten einige Zusammenhänge, aber sie waren unfähig, die richtigen Schlüsse zu ziehen. So kam es zu der fatalen Fehleinschätzung, die dem lauernden Monstrum den Weg zurück ins Universum öffnete. Und es gab niemanden, der auch nur ahnen konnte, was sich anschickte, seinen schwarzen Schatten über das blühende Leben auf vielen tausend Welten zu legen, denn die Ursprünge waren vergessen...
1. Es ist aus! Das war der einzige Gedanke, zu dem Skip noch fähig war. Er versuchte, etwas in dem grellen Chaos zu erkennen. Überall flimmerte die Luft in der riesigen Halle. Purpurrote Lichtmuster breiteten sich sternförmig unter der Decke aus, wenn eine der eindringenden Energiekugeln mit einem lauten Knall platzte. Irgendwo in dieser Hölle steckten seine Gefährten. Skip glaubte, Vanderbuilts Flüche zu hören, aber das Singen der erhitzten Luft und das Krachen der berstenden Kugeln übertönten alles. Er sah nichts mehr, weil seine Augen von der Helligkeit und den Blitzen geblendet waren. In was, um alles in der Welt, waren sie hineingeraten? Das war nicht die Station der Loorden, in der sie sich vor zwanzig Jahren von dem Alten getrennt hatten, um das rettende Serum zur Erde zu bringen. Hier tobten unfaßbare Gewalten, und von dem Alten war nichts zu sehen. Irgend etwas Grauenhaftes und Unvorstellbares mußte sich ereignet haben. Skip hörte einen heiseren Ruf direkt hinter seinem Rücken, dann erhielt er einen so heftigen
Stoß, daß er vornüber taumelte und auf den glatten Boden krachte. Einen Moment später explodierte eine der Leuchtkugeln über ihm und überschüttete die unwirkliche Szene mit der bekannten roten Lichtflut. Das Ende! durchfuhr es den Terraner. Irgendwo schrie Reed unverständliche Worte, dann spürte Skip, wie jemand seinen Arm packte und ihn wegzerrte. Er sah die glühenden Schemen vor seinen Augen tanzen, hörte das Krachen der Entladungen, das von den Wänden der Halle in teuflischen Echos zurückgeworfen wurde, und fühlte die Schmerzen in jeder Faser seines Körpers. Dann wurde es schwarz um ihn herum. * Als er zu sich kam, lag er in einem kalten Gang, dessen ovale Wände mattweißes Licht verbreiteten. Unwillkürlich erwartete er den Ansturm weiterer Entladungen, aber sie blieben aus. „Er kommt zu sich“, hörte er eine vertraute Stimme. Dann erkannte er Christines Gesicht über sich. Sie versuchte zu lächeln und strich ihm mit einem weißen Tuch über die Stirn. „Wo sind wir?“ fragte er benommen und versuchte, den Kopf zu drehen. Er lag auf dem Rücken und konnte außer Christine und der Decke nichts erkennen. „Bleibe liegen“, sagte sie. „Wir haben vorläufig Ruhe.“ Skip wußte, daß sie ihn trösten wollte. Irgendwo hörte er das Fauchen von Strahlschüssen. „Chris und Harry sind am Ende des Ganges und passen auf, daß keine der Blasen hereinkommen kann.“ Skip schloß die Augen. Er zwang sich zur Ruhe. Viele Fragen drangen auf ihn ein. „Wo stecken wir?“ wiederholte er die Frage. „Wir konnten uns durchschlagen und fanden einen Korridor, der auf diesen Gang abzweigte. Kein Teil der Station, den wir kennen.“ „Wo steckt der Alte? Chris? Immer noch keine Spur von ihm?“ Sie schüttelte nur stumm den Kopf. Die Haare klebten ihr auf der Stirn und fielen strähnig auf die Schultern. Trotzdem hatte Christine nichts von ihrer Schönheit verloren, im Gegenteil. Ein leichtes Unbehagen beschlich Skip, wenn er daran dachte, daß sie die einzige von ihnen war, die seit ihrer Landung auf Caalis nicht gealtert war. Das Verformungsvirus hatte in ihr das gleiche bewirkt wie in den Körpern der immunen Loorden. „Irgend etwas ist hier passiert, Chris. Sonst hätten wir den Alten längst gefunden. Er sagte, daß wir ihn wiedersehen würden. Ich gehe jede Wette ein, daß er in einer furchtbaren Klemme steckt.“ „Wir müssen erst zusehen, daß wir selbst mit heiler Haut davonkommen, Skip. Dann können wir weitersehen.“ „Und wenn das da draußen für sein Verschwinden verantwortlich ist?“ „Die Kugeln?“ „Du weißt ebenso wie ich, daß die Dinger eine Art Polizeitruppe der Station sind. Ich rede von dem...“ Er fand nicht die richtigen Worte. Schließlich stieß er hervor: „Hast du nicht auch gespürt, daß da etwas anderes ist? Wir können es nicht sehen oder greifen, aber etwas Drohendes liegt in der Luft, überall!“ „Dann gilt der Angriff der Kugeln gar nicht uns?“ „Ich vermute es. Wir müssen den Alten finden. Es geht nicht mehr um die Schiffe, vielleicht ist er hilflos... Was ist da los?“ Er achtete nicht auf Christines Proteste und die Schmerzen und richtete sich auf. Etwa zehn Meter weiter, an der Gangmündung, hockten Reed und Vanderbuilt und feuerten auf etwas, das Skip nicht erkennen konnte. Aber immer öfter blitzte es jetzt draußen auf. Wieso konnten die Kugeln plötzlich durch Laserbeschuß zur Explosion gebracht werden? Skip wußte, daß sie damals, als sie zum erstenmal auf sie trafen, keine Reaktion bei Treffern gezeigt hatten.
„Wir müssen weg hier, weiter in den Gang!“ schrie Reed von seinem Posten aus. „Es sind zu viele!“ Zusammen mit Vanderbuilt kam er auf sie zugerannt. Sie packten Skip und halfen ihm auf die Beine. Dann rannten die vier weiter in den unbekannten Korridor hinein. Sie hatten diesen Teil der unterirdischen Station nie zuvor betreten und wußten nicht, was sie am Ende erwartete. Hinter ihnen drangen die ersten Kugeln in den Gang ein und verbreiteten ihr irisierendes Licht. „Rennt weiter!“ rief Vanderbuilt und baute sich im Gang auf, als wollte er die eindringenden Leuchtblasen allein mit seinem wuchtigen Körper abblocken. Dann fuhren die ersten Strahlen seiner Waffe auf die Kugeln zu. Rote Lichtfinger breiteten sich aus, als die erste platzte. „Ich helfe dir!“ Red machte Anstalten, ebenfalls zu schießen. „Halt die Klappe und sieh zu, daß die Küken in Sicherheit gebracht werden. Den Helden kannst du wieder auf der Erde spielen!“ Wieder eine Explosion, dann noch eine. Die Luft im Gang begann sich schnell zu erhitzen. Als die vierte Kugel explodierte, fiel die Wandbeleuchtung aus. Nur die weißglühenden Leuchtblasen und die roten Lichtfladen erhellten jetzt den Korridor. Vanderbuilt schoß noch einmal, dann drehte er sich um und rannte den anderen nach. Er hatte sie gerade erreicht, als ohne Schußeinwirkung gleich ein halbes Dutzend der Kugeln platzte und den Gang in einen blutroten Schein tauchte. Eine Druckwelle erfaßte die Fliehenden und warf sie vornüber. Heiße Luft fuhr über ihre Körper hinweg und staute sich im Korridor. Die Männer waren hilflos. Jede Bewegung verursachte furchtbare Schmerzen. Auf dem Boden liegend, sahen sie, wie sich Christine ein paar Meter vor ihnen auf die Knie aufrichtete und weiterkroch. Und dann entdeckten sie alle im roten Lichtschein das Schott vor ihnen. Das Ende des Ganges! Wenn es gelang, das Schott zu öffnen und dahinterzugelangen, hatten sie die Verfolger abgehängt. Christine richtete sich weiter auf, erreichte das Schott und tastete mit viel zu langsam wirkenden Bewegungen nach einem Öffnungsmechanismus. Das Schott fuhr zischend zur Seite, und wohltuendes Licht drang in den Gang. Gleichzeitig geschah etwas, das keiner der Fliehenden erwartet hatte. Die Kugeln zogen sich zurück und rasten schlingernd davon. In den Köpfen der Menschen stand plötzlich helle Panik, aber es war nicht ihre Angst. Irgend etwas geriet in heillose Verwirrung und strahlte die Panik nach allen Seiten hin aus. „Los schon“, flüsterte Reed und rannte geduckt auf das Schott zu. Skip und Vanderbuilt folgten. Dann waren sie aus dem Gang. Auf einen Tastendruck hin fuhr das Schott wieder zu. „Geschafft!“ sagte der Kleiderschrank namens Harry Vanderbuilt, der auch mit über sechzig Jahren noch der gleiche grobe Klotz war wie vor zwanzig Jahren. Erst als er keine Antwort bekam, sah er auf. Er folgte den Blicken der anderen und sah den goldleuchtenden Torbogen in der Mitte des kugelförmigen Raumes. Es war, als schlüge der Hauch einer anderen Welt aus dem Gebilde zu ihnen herüber. * „Nun setze dich endlich hin“, sagte Reed ungeduldig und warf Vanderbuilt ärgerliche Blicke zu. „Du machst uns noch alle verrückt mit deinem Getue.“ Vanderbuilt wanderte seit Stunden unruhig vor den Monitor- und Konsolengalerien hin und her und brummte unverständliches Zeug in seinen Schnauzbart, den er sich erst Vor kurzem hatte wachsen lassen und der ihm ein noch drohenderes Äußeres verlieh. Jetzt blieb der Hüne stehen und musterte den alten Freund, mit dem er bereits zusammen in der US-Luftwaffe gedient hatte.
„Ich kann mir nicht denken, was an euch noch verrückt zu machen wäre“, sagte er dann und sah hinüber zu Skip und Christine, die sich an den Apparaturen auf der anderen Seite des geheimnisvollen Bogens zu schaffen machten. „Sieh sie dir an: Skip ist wie besessen von seiner fixen Idee, und Christine hat nichts Besseres zu tun, als ihn tatkräftig in seinem Fimmel zu unterstützen!“ „Wir sind hier vorerst sicher vor den Kugeln. Warum sollten sie nicht versuchen, sich Klarheit zu verschaffen? Wir haben einen Auftrag, und dazu müssen wir den Alten finden.“ „Auftrag! Du glaubst doch nicht an Märchen, Chris. Wenn der Bursche noch hier steckte, hätte er sich gemeldet. Ich sage dir, er hat sich aus dem Staub gemacht. Und genau das sollten auch wir tun, bevor es zu spät ist.“ Christopher Reed grinste. „Harry Vanderbuilt, der Held des Kosmos und Retter der Erde, hat Angst! Oh, was gäbe ich dafür, wenn gewisse Damen das hier sehen könnten.“ „Angst? Ich? Angst vor drei Verrückten, das kann schon sein. Du glaubst doch nicht, daß ich mich vor dem Spuk dort draußen fürchte. Bevor ich noch länger mit ansehen muß, wie ihr hier die Helden spielt, betrinke ich mich und gehe mit dem Kugeln 3-D-Billard spielen.“ „Weißt du eigentlich, was für einen Unsinn du redest?“ „Besser Unsinn als Wahnsinn! Was bildet ihr euch eigentlich ein? Wenn es hier etwas gibt, mit dem der Alte nicht fertig wurde, dann haben wir schon gar nichts zu bestellen. Aber es gibt ja nichts, das euch hoch genug sein kann. Wenn ich da an die guten alten Zeiten zurückdenke...“ Christopher Reed gab es auf. Er wandte sich Skip und Christine zu. Die beiden hatten sich am meisten verändert. Damals, als sie entführt worden waren, war Skip ein einfacher Fischerjunge aus einem kleinen Mexikanerdorf an der Westküste gewesen. Heute war er ein Mann und führte die kleine Gruppe an. Und nicht nur hier hatte er Reeds früheren Platz eingenommen; aus dem kleinen Bruder war ein Mann geworden, der eines Tages Christine nehmen würde, so wie Reed es vor Jahren getan hatte. Es war bitter, aber er hatte sich bereits damit abgefunden. Skip war ein schlaksiger junger Mann, aber das Äußere täuschte. Er war sensibel und beschäftigte sich mehr mit dem, was sie zusammen erlebt hatten, als er zugeben wollte. Christine wurde nur schwer fertig mit ihrer Rolle. Als einzige hatte sie durch die Infektion mit dem Virus zu altern aufgehört, und sie war zum Außenseiter geworden. Eines Tages würden alle ihre Freunde tot sein, eines Tages würde Christine der einsamste Mensch der Welt sein. Dies und vieles mehr ging ihr durch den Kopf. Christine und Skip glichen sich in vielem. Sie ließen sich von den neuen Entwicklungen tragen und vollzogen sie mit. Reed und Vanderbuilt waren bereits zu alt, um die Euphorie der beiden nachfühlen zu können. Noch einmal liefen die Geschehnisse wie ein Film vor Reeds geistigem Auge ab: das Auftauchen der UFOs über der Erde, ihre Entführung, der seltsame Alte. Totenschiffe, Tausende von ihnen, die die Erde auf ihrer Bahn streiften, als sie von ihrer Mission zurückkehrten nach Loord, der Heimatwelt jener Wesen, die sie ins All geschickt hatten, um das Leben nach ihrem Bild zu formen. Auch die Menschen waren in ihrer Entwicklung entscheidend von den genetischen Eingriffen der automatischen Programme beeinflußt worden. Aber Loord war eine Ruinenwelt gewesen, nur noch bevölkert von rivalisierenden Gruppen perfekter Androiden, die sich für die Nachkommen der Loorden hielten. Loord war ausgestorben, denn die Verformungsseuche, die fast auch die Erde leergefegt hätte, hatte mit Ausnahme einiger weniger Immuner die Loorden hinweggerafft. Die Immunen wurden unsterblich und wollten auf Caalis den letzten Schritt ihrer Evolution vollziehen, nachdem sie die Grenzen ihrer körperlichen Entwicklung erreicht hatten. Aber es kam nicht dazu. Ein Fehler im Versorgungssystem der Tiefschlafkammer, der durch die Rebellion der abtrünnigen Androiden ausgelöst worden war, trieb die Unsterblichen in den Wahnsinn. Selbst die Flucht
nach Caalis hatte nichts geholfen. Der letzte Überlebende dieser Gruppe hätte um ein Haar das Schicksal der infizierten Terraner, die die Spur nach Caalis verfolgt hatten, besiegelt, wäre er nicht von dem vermeintlichen alten Trottel, der sich als immuner Überlebender der Saatschiffbesatzungen herausgestellte hatte, in einem Psychoduell besiegt worden. All das war Vergangenheit. Die Gegenwart sah anders aus. Die Monitoren zeigten, daß immer noch heftige Entladungen in den anderen Teilen der Station stattfanden. Christine kam herüber- und setzte sich in eine schwenkbare Sitzschale. „Nichts“, sagte sie nur. Reed verstand. Sie waren zurückgekommen, um auf Caalis den Alten um Hilfe zu bitten. Das Raumschiff, mit dem sie zur Erde gelangt waren, als dort die Seuche tobte, hatte eine Revolution ausgelöst. Die Wissenschaftler aller Länder hatten sich zusammengetan und neue Schiffe gebaut. Nach und nach waren die Planeten erforscht und teilweise besiedelt worden. Aber man scheiterte an dem Geheimnis des Überlichtantriebs. Er mußte auf einer Basis arbeiten, die das Fassungsvermögen der Menschen überstieg. Deshalb waren sie hier. Sie brauchten Schiffe, um über das Sonnensystem hinaus vorzustoßen, wo sie andere Rassen zu finden hofften, die aus der Saat der Loorden hervorgegangen waren, Brüder im All. Aber jetzt spielte dies eine untergeordnete Rolle. Etwas Wichtiges schien sich hier abzuspielen. Etwas, für das sie keine Erklärung fanden. Von dort, wo Skip stand, kam ein unterdrückter Ausruf. Reed sah hinüber, aber noch während er den Kopf drehte, erlosch das Licht der Wände. Nur noch der etwa drei Meter hohe, runde Torbogen in der Mitte des kugelförmigen, überall mit Instrumenten gespickten Raumes leuchtete golden. Dann erlosch auch er. Skip kam herübergeeilt und flüsterte Christine etwas ins Ohr, dann entstand die Projektion in der Mitte des Raumes. Den Menschen stockte der Atem. Keiner von ihnen hatte je das Gesicht vergessen, daß sich aus der Ballung von Formen und Farben herausschälte. Ich wußte, daß ihr wiederkommen würdet. Die Stimme warf Echos von den Wänden der Kugel. Keiner sagte ein Wort, sogar Vanderbuilt hielt den Mund und verzichtete auf einen Kommentar. Ihr werdet mich nicht mehr finden, eure Suche ist zwecklos. Ich habe jenen Schritt getan, der meinen Rassegefährten versägt blieb. Sie starben, bevor sie die Erfüllung finden konnten. Ich gehe an ihrer Stelle. Die vier Menschen starrten bestürzt auf die Projektion, die dreidimensional im Raum stand. Es konnte nur eine Projektion sein. Trotzdem waren die Augen des alten Loorden auf die Zuhörer gerichtet und schienen jede ihrer Reaktionen zu beobachten. Skip stand wie versteinert neben Christine und starrte auf das von innen leuchtende „Bild“. Er hatte den engen Kontakt zu dem Alten gehabt, und für ihn war ihre Mission auf Caalis mehr gewesen als der Auftrag, Schiffe für die Erde zu besorgen. Er spürte, daß sein Schicksal mit dem des Loorden untrennbar verbunden war. Was er insgeheim vermutet hatte, hatte sich bestätigt. Aber wo, in welchem Raum, in welcher Dimension befand sich der Unsterbliche? Eure Rückkehr war vorauszusehen, auch der Grund ist bekannt. Sie zeigt, daß ihr den Weg eingeschlagen habt, der euch zum Ursprung eurer Rasse zurückführen wird. Ich selbst kann euch nicht mehr helfen, aber das, was von der Kultur meines Volkes geblieben ist, steht euch offen. Ich habe nicht zu befürchten, daß Menschen eurer Rasse diese Macht mißbrauchen werden. Sie würden es nicht überleben. Skip spürte, wie er am ganzen Leib zu zittern begann. Eine Hand griff nach seinem Arm. Er nahm es nicht wahr. Zum letzten Mal ertönte die Stimme. Ich weiß nicht, was mich am Ende des Schrittes erwartet, den ich nun tun werde, aber ich muß hinüber. Euch wünsche ich alles Glück, das ihr brauchen werdet. Eines fernen Tages werdet ihr meinen Weg gehen. Die Projektion löste sich auf, gleichzeitig kam das Licht der Wandbeleuchtung zurück. „Also doch“, flüsterte Christine. „Er ist bestimmt schon lange weg und weiß nicht, was hier
vor sich geht. Ob es mit seinem Schritt zu tun hat?“ „Verdammt!“ fluchte Vanderbuilt und fuhr unbeherrscht mit den Armen durch die Luft. „Als ob uns das jetzt helfen würde. Wir sollten Schiffe zur Erde bringen, das ist unser Auftrag. Bitteschön! Ihr habt’s gehört: Wir können uns bedienen. Fliegen wir nach Loord. Dort gibt es so viele noch intakte Schiffe, daß wir Jahre brauchen, um sie zur Erde zu schaffen.“ „So einfach ist das?“ fragte Skip. Eine Spur von Verachtung lag in seinem Blick. „Ja, so einfach!“ antwortete der Kleiderschrank trotzig. „Skip, ich brauche dich nur anzusehen, um zu wissen, was du vorhast. Er sagte, wir würden ihn nicht mehr zu sehen bekommen; wenn du schon nicht auf einen... erfahrenen Mann wie mich hören willst, dann höre auf ihn.“ „Wahrscheinlich hast du recht“, sagte Skip. Es fiel ihm schwer, eine Entscheidung zu treffen. Er wußte genau, daß etwas nicht stimmte. Irgend etwas, das der Alte nicht bedacht hatte. Aber was? Und was konnten sie dagegen ausrichten. Skip war nahe daran, nachzugeben. Aber dann fiel ihm etwas auf. „Was ist jetzt wieder?“ stöhnte Vanderbuilt, als er den Blick des jungen Raumfahrers sah. „Der Bogen. Seht genau hin, er flimmert plötzlich.“ „Unsinn!“ „Er hat recht“, mischte sich Reed jetzt ein und trat näher an den mit Stufen besetzten Sockel heran, auf dem der Bogen stand. Die Säulen leuchteten wieder golden, aber stärker als vorher. Und in der Mitte des Bogenfeldes flimmerte die Luft, als würde sie plötzlich stark erhitzt. „Machen wir, daß wir wegkommen“, drängte Vanderbuilt und packte Reed am Arm. Der drehte sich nur um und schüttelte die Pranke ab. „Merkst du nicht, daß du uns auf die Nerven gehst?“ Von da an schwieg Vanderbuilt und zog sich beleidigt in eine Ecke zurück. Skip und Christine waren inzwischen bis an die untersten Stufen des Sockels herangetreten und sahen das Flimmern stärker werden. Das Licht der Wände begann wieder zu flackern, ähnlich wie bei der Projektion, aber kontrolliert. Dann war es mit einem Schlag vorbei. Aus dem Flimmern unter dem Bogen wurde ein wirres Durcheinander von Farben und Formen, die bizarre Muster bildeten. Zugleich erfüllte ein helles Singen die Luft. „Skip“, flüsterte Christine und drängte sich schutzsuchend an ihn. „Der Bogen wird aktiviert.“ „Ihr beide habt euch lange ausgeschwiegen“, meinte Reed. „Ihr wißt doch etwas?“ Skip nickte. „Durch dieses Ding vor uns ist der Alte verschwunden, wenn wir die Informationen richtig verstanden haben.“ In dem Kugelraum war es jetzt ganz dunkel, nur die Farben unter dem goldschimmernden Torbogen warfen huschende Reflexe auf die mit Instrumenten gespickten Wände. Ein greller Blitz fuhr aus dem Bogen, das Singen wurde lauter und höher. Irgend etwas geschah. Keiner sagte mehr ein Wort, als sich Konturen zubauen begannen. Aber bevor sich ein Bild ergab, flossen sie wieder auseinander. Sie fühlten es deutlich: Irgend etwas oder irgend jemand versuchte, innerhalb des Bogens zu erscheinen. Wieder zogen sich die Energien zusammen, und wieder wurde das Singen um eine Nuance höher. Jetzt kam so etwas wie eine Melodie hinein. Aber auch beim zweiten Ablauf klappte es nicht. Dennoch hatte Skip geglaubt, etwas erkennen zu können. Er zwang sich zur Ruhe. Das, was er gesehen haben wollte, konnte nicht wahr sein. Aus der Melodie wurde ein schwingendes Summen, das, immer lauter werdend, in den Ohren schmerzte. Außerdem erzeugte es eine Spannung, der sich keiner entziehen konnte. Etwas stand unmittelbar bevor, und dieses Etwas unternahm einen dritten Versuch, sich zu projizieren. Und diesmal erkannten sie es alle. Niemand von ihnen hatte dieses Gesicht je gesehen. Die
Falten und Runzeln, die unergründlichen alten Augen. „Nein“, stieß Christine heiser aus. Einen Sekundenbruchteil lang sahen sie den alten Loorden unter den Bogensäulen erscheinen, den Mann, den sie gesucht und der ihnen die Botschaft hinterlassen hatte. Das Gesicht des Alten war verzerrt und von grenzenlosem Entsetzen. Irgend etwas unfaßbar Grauenhaftes mußte nach ihm greifen, denn er versuchte sich mit wild rudernden Armen nach vorn zu werfen, als wollte er aus dem Bogen springen. Das war keine Projektion mehr! Hier versuchte ein gejagtes Wesen in höchster Not, einem unerbittlichen Verfolger zu entkommen. Was, um alles in der Welt, war in der Lage, dem nahezu unverwundbaren Unsterblichen solches Entsetzen einzujagen? Aus der Melodie wurden abgehackte Wortfetzen, als der Alte den Mund aufriß. Aber es waren unverständliche Fragmente. Skip zitterte am ganzen Körper. Niemals würde er diese Augen vergessen! Er brauchte die Worte des alten Freundes nicht zu verstehen, um zu wissen, was sie bedeuteten: Es war der verzweifelte Hilferuf eines Wesens in höchster Panik. Das Gesicht löste sich auf, die Farben zerflossen, und wieder schössen wilde Blitze in den Raum. Dann war der Spuk vorbei. Die Wandbeleuchtung setzte wieder ein. Skip spürte, wie ihm der Schweiß von der Stirn lief. Er konnte jetzt nicht sprechen. Immer wieder versuchte er, sein Zittern unter Kontrolle zu bringen. Als die anderen bereits heftig diskutierten, stand er immer noch vor dem erloschenen Bogen und starrte ins Leere. Aber in diesen Minuten reifte in ihm der Entschluß heran, dem Alten zu helfen. Er würde ihm folgen, es mußte möglich sein. Wahrscheinlich würde er dabei sterben, aber daran dachte er jetzt nicht. Er würde gehen, er mußte es tun. Etwas in ihm zwang ihn dazu, etwas, das er vielleicht später einmal verstehen würde. Vielleicht gingen die anderen mit. Seltsamerweise zweifelte er keine Sekunde lang daran, daß Christine sich beteiligen würde. In diesen Minuten hatte sich das zukünftige Schicksal jener kleinen Gruppe von Menschen entschieden, die bereits lange nicht mehr zu den „normalen“ Menschen gehörten, jenen, die auf der Erde und den besiedelten Planeten lebten. Was vor zwanzig Jahren eingeleitet worden war, brach nun durch. Skip glaubte, eine leise Stimme zu hören. Sie gehörte keinem der Gefährten. Am Ende werdet ihr keine Menschen mehr sein! Skip spürte, daß sie am Anfang von Ereignissen standen, die alles, was sie auf ihrer Odyssee erlebt hatten, übertreffen würden. Keine Menschen mehr! Er riß sich los von den Gedanken und erklärte den anderen seine Absicht. Vanderbuilt wurde abwechselnd weiß und rot im Gesicht, dann hantierte er an einer Seitentasche seiner kompakten Kombination herum und brachte eine flache Flasche mit Alkohol zum Vorschein. Er trank sie mit einem Zug leer. * Reed und Vanderbuilt hatten es geschafft, sich zur Abstrahlplatte durchzuschlagen, die die unterirdische Station mit der Oberfläche des Planeten Caalis verband. Sie befanden sich auf dem Weg durch die Mutationszone rings um die Station zu ihrem Schiff, das in einer sicheren Felsmulde gelandet war. Während Skip zusammen mit Christine nach den Aktivierungselementen für den Bogen suchte (Christine kannte sich am besten in der Technik der alten Loorden aus), würden sie das Schiff versiegeln, so daß es während ihrer Abwesenheit nicht in falsche Hände fallen konnte. Vorher wollte Reed noch einen knappen Bericht auf Band sprechen, für den Fall, daß sie nicht mehr zurückkehrten und eine spätere terranische Expedition Caalis fand. Bevor sie das Schiff erreichten, erwartete die beiden Raumfahrer noch eine böse
Überraschung. Als sich der aus allen möglichen phantastischen Pflanzenformen bestehende mutierte Wald vor ihnen teilte und sie auf das Felsgebiet hinabsehen konnten, auf dem der Diskus stand, glaubten sie, ihren Augen nicht trauen zu können. Hunderte von affenähnlichen Tieren, wie sie sie bereits ein paarmal in den Wäldern gesehen hatten, huschten um die Landestützen herum und versuchten, daran emporzuklettern. Aber das war nicht alles: Die Hauptschleuse, die sich mehr als zehn Meter über dem Boden befand, stand offen. Und in ihr verschwanden immer mehr der Halbaffen. Was war das nun wieder? „Die sind wohl verrückt“, sagte Vanderbuilt und zog den Strahler aus dem Gürtel. „Nicht! Das sind doch nur Tiere, Harry!“ „Und wieso ist die Schleuse offen?“ Er gab ein paar gefächerte Schüsse in die Luft ab, die über die Horde hinwegzischten. Die Tiere hielten in , ihrem Treiben inne und sahen die Männer. Dann kletterten sie weiter an den Landestützen hoch, als sei der Teufel hinter ihnen her. Im Schiff mußten bereits Hunderte von ihnen sein. „Verdammt!“ Jetzt griff auch Reed nach der Waffe. „Als ob sie genau wüßten, was sie tun.“ Vanderbuilt bündelte den Strahl und schoß tiefer, dicht über die kletternden Affen weg. Sie zuckten kurz zusammen, aber statt zu fliehen, kletterten sie noch schneller. Gleichzeitig trennten sich einige von der Gruppe und kamen auf die beiden Männer zugerannt. „Sie greifen uns an! Sieh dir die Augen an, Chris. Sie sind nicht normal!“ Reed nickte. Täuschte er sich, oder fühlte er wieder diese Eindrücke, die sich in sein Gehirn schleichen wollten? Jene Impulse, die sie auch schon wahrgenommen hatten, als sie vor den Energiekugeln flohen? Ohne lange zu überlegen, schössen sie. Ein gutes Dutzend Affen kam herangestürmt, aber bevor sie die Männer erreichten, wurden sie von der Strahlwand aus zwei leicht gefächerten Pistolen erfaßt und vergingen kreischend in den entfesselten Energien. Das schien ein Signal für die anderen zu sein. Sie sprangen von den, Stützen auf den harten Boden und suchten kreischend das Weite. Aus der offenen Schleuse quollen ganze Scharen der etwa einen Meter großen Tiere und sprangen wie in Panik direkt auf den Fels. Einige brachen sich das Genick, die anderen verschwanden im Wald. Minuten später waren Reed und Vanderbuilt im Schiff. Wie erwartet, fanden sie heilloses Durcheinander vor. Konsolen waren umgeworfen, Sessel aus der stabilen Verankerung gerissen und Bildschirme eingeschlagen. Es stank bestialisch. Ein toter Halbaffe lag quer über einer Schaltbank in der Zentrale. Die Augen waren weit aufgerissen. „Hast du die Augen von denen da draußen gesehen?“ fragte Reed. Der Stämmige nickte. Er hatte sie gesehen und das, was aus ihnen gesprochen hatte. „Vielleicht ist es doch besser, wenn wir uns...“ „Nichts werden wir“, fuhr Reed dazwischen. „Nicht nur, daß wir die beiden nicht allein gehen lassen können. Irgend etwas hat sich hier breitgemacht, und wer sagt, daß es nicht auch eines Tages auf der Erde erscheint? Ich habe das Gefühl, daß das Geheimnis mit dem Alten und mit jener Welt zu tun hat, in der er steckt.“ Vanderbuilt sagte nichts mehr und nutzte die Zeit, in der Reed das Band der Bordaufzeichnung besprach, um unbeobachtet in seiner Kabine ein paar Gläser seines Whiskyvorrats zu leeren. Danach fühlte er sich besser. Sie versiegelten das Schiff mit einem energetischen Schirm und kehrten zurück in die Station. Skip und Christine hatten Erfolg gehabt und die Aktivierungsphase des Bogens vorbereitet. Einer nach dem anderen traten sie in das Auflösungsfeld, das sie ins absolut Unbekannte warf. Jeder versuchte, einen gelassenen Eindruck zu machen. Aber sie hatten Angst vor dem, was sie erwartete. Furchtbare Angst.
* Irgendwo weit zurückgezogen in einem entfernten Winkel betrachtete der ALTE die Vorgänge an der Weltenschleuse. Er wußte, wer das materialisiert war, aber er konnte ihnen nicht helfen. Er war auf der Flucht vor den Klauen des Monstrums, das diesen Kosmos beherrschte. Immer wieder spürten sie ihn auf. Sie waren überall. Und der UNSTERBLICHE mußte hilflos zusehen, wie die schwarzen Fladen in den Trichter eindrangen. Sie würden in irgendeiner grauenhaften Form über CAALIS im Universum materialisieren und von dort aus das Universum überziehen. Er ahnte nicht, daß das Monstrum bereits auf CAALIS Fuß gefaßt hatte, als er den SCHRITT tat. Ohne es zu wollen, hatte er dem Verderben das Tor zu unzähligen blühenden Welten geöffnet. Er konnte seine Freunde nicht einmal warnen. Sie trieben direkt in ihren Untergang. Die Ausläufer des Monstrums tauchten schwarz vor ihm auf. Er mußte weiter fliehen.
2. Die schlimmsten Minuten waren jene unmittelbar nach dem Wiedererlangen des Bewußtseins. Es war das Gefühl, langsam begreifen zu müssen, daß man existierte, irgendwie und irgendwo. Alles um Skip herum befand sich in stetigem Fluß. Er drehte sich in einer zähen, dunkelviolett schimmernde Flüssigkeit. Dann und wann entstanden Risse in dem Violett, und hellgrüne Adern breiteten sich aus, die jedoch wieder zerflossen. Eine transparent wirkende Kugel geriet in sein Sichtfeld, noch eine, dann waren es drei. Skip wußte plötzlich, daß er seine Gefährten sah. Die Erinnerung war da. Irgend etwas Dunkles, Drohendes glitt auf sie zu und fuhr an ihnen vorbei in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Skip achtete nicht weiter darauf, als es vorbei war. Wichtiger schien ihm eine andere Frage: Wo waren ihre Körper? War dieses unfaßbare Universum jene Erfüllung, die sich die Loorden ersehnt hatten? Ein Schritt nach oben in der Evolution? Für Skip war es nur unsagbar fremd und feindlich, überall schien die Drohung zu lauern. Panik griff nach seinem Bewußtsein. Er fühlte sich nackt. Sein Körper! Er hatte nie geglaubt, daß er sich einmal so nach dem Selbstverständlichen sehnen würde. Ein Riß entstand in der violetten Masse, die sich zeitweise zu einer cremeartigen Substanz zu verdichten schien. Der Riß wurde breiter und breiter. Skip hatte das Gefühl, als teilte sich die Welt vor seinen Augen. Er sah eine riesige Kugel, um die sich weitere Kugeln drehten. Zusammen mit seinen Begleitern glitt er darauf zu. Die Kugel kam näher und füllte den gesamten Wahrnehmungsbereich aus. Immer noch wurde sie größer. Jetzt erkannte Skip erste Einzelheiten auf ihrer Oberfläche. Die Kugel war ein Planet oder ein ähnlicher Körper. Die vier Blasen schwebten langsam auf die Welt hinab. Die Oberfläche war hellgrün, wie jene feinen Adern, die das Violett um sie herum durchzogen hatten. Der Planet schien von innen heraus zu leuchten wie eine blasse Sonne. Irgend etwas an der Oberfläche mußte für die Erscheinung verantwortlich sein. Jetzt konnte Skip einzelne Flächen ausmachen, die verschieden stark leuchteten. Meere? Meere aus reinem Licht? Skip begriff, daß diese Welt nicht viel gemein hatte mit Weltenkörpern, die er kannte. Was war das hier? Eine fremde Dimension, ein fremdes Universum? Welche Verbindung bestand zwischen diesem Kosmos und dem, aus dem die Menschen gekommen waren?
Plötzlich fiel Skip der Alte ein. Seinetwegen waren sie in das Ungewisse vorgedrungen. Wo war er? Die Blasen schwebten tiefer, durchquerten das, was man normalerweise als Luftschichten bezeichnet hätte, und berührten den Boden der Kugel. Sie hefteten sich daran fest und begannen sich an der Unterseite aufzulösen. Und dann vereinigten sie sich mit der riesigen Kugel. Ysp saß im beginnenden Morgenlicht und ließ den warmen Lichtschauer eines sich bildenden roten Feldes über sich ergehen. Es war ein herrliches Gefühl und gab Kraft für den neuen Tag. Ysp verstand nicht, daß die anderen sich diese Wohltat einfach entgehen lassen konnten. Sie alle hatten gestern abend gesehen, wie sich das rote Feld vorbereitet und angekündigt hatte. Nach einer Weile erschien Vieela und gesellte sich zu ihm. Das Licht des roten Feldes war nur noch schwach, aber dafür erhellten sich jetzt nach und nach die gelben Leuchtfelder. Ysp begrüßte Vieela mit Freude. Von allen anderen war sie ihm die liebste Gefährtin. „Ich habe schlecht geträumt“, erklärte Vieela. „Ich hatte mich auf das rote Feld gefreut, aber es scheint, daß ich zu spät kam.“ Ysp musterte sie aus seinen drei vorstehenden Augen. Vieelas glatte Haut reflektierte die gelben Lichter der umgebenden Felder. Die fünf tentakelförmigen, aber festen Beine waren weit vom eigentlichen runden Körper weggestreckt, so daß sie flach auf dem weichen Boden lag. Auch Ysp hatte in der vergangenen Nacht seltsame Gedanken gehabt. „Es ist eigenartig“, philosophierte Ysp. „Mir ging es ebenso. Irgend etwas machte mich unruhig, und ich schlief gar nicht erst ein.“ Vieela machte eine Geste. „Die Strömungen werden stärker, weil sich die Gesetze verschieben. Wahrscheinlich kommt es daher.“ „So wird es sein“, stimmte Ysp zu. Er schob seinen muschelförmigen Körper auf seinen fünf Beinen ein wenig weiter an das erlöschende rote Feld heran und nahm noch einmal den warmen Schauer der Lichter in sich auf. Ysp fühlte sich frisch und hatte die schlaflose Nacht vergessen. Ein leiser Lufthauch fuhr um Ysp herum. Die Gezeiten wechselten wirklich bald. Das bedeutete, daß die Schöpfer kommen würden, um wieder einige von ihnen zu holen, die nie mehr wiederkehrten. Ysp haßte die Schöpfer. Die restlichen drei Angehörigen ihrer Gruppe kamen aus den Höhlen und gesellten sich zu ihnen. Auch Weld und Scarb berichteten von bösen Träumen, nur Gool hatte ruhig und traumlos geschlafen. Es kam nicht oft vor, daß ein Lyr träumte, meistens stand dann die Ankunft der Schöpfer bevor. „Bald wird es wieder soweit sein“, dachte Ysp laut. „Laßt uns hinausgehen auf die Felder“, schlug Gool vor. „Nach einem roten Feld ist die Luft voll von Nahrung und Stärke. Vielleicht stoßen wir auf andere Gruppen, die angelockt wurden.“ Gool hatte recht. Es kam nicht alle Tage vor, daß ein rotes Feld sich auftat. Andere würden es ebenso bemerkt haben. Die kleine Gruppe setzte sich in Bewegung. Mittlerweile war es hell geworden. Das frische Licht des Tages wärmte die Haut der Lyr. Kleine grüne Felder Warfen ihre gefährlichen Lichtspeere senkrecht in den dunkelvioletten Himmel über Lyr. Ysp erschrak, als er sah, wie dunkel heute der Himmel über ihnen war. Sollte sich ein Unheil zusammenbrauen, an einem solch herrlichen Tag? Ysp schüttelte sich. Die Mächte des Himmels waren unberechenbar. „Ich hasse sie!“ murmelte er leise vor sich hin. Vieele hörte es, gab aber keine Antwort. Man durfte nicht über die Schöpfer fluchen. Ysp wunderte sich selbst über die Gedanken, die er hatte. Er mußte sich zusammenreißen. Die Gruppe erreichte das rote Feld, das nur noch leicht schimmerte, und wälzte sich in dem fahlen Licht. Es tat gut und entschädigte sie für die lange lichtlose Zeit der letzten Tage und Wochen. Nur einmal hatten sie ein noch größeres
rotes Feld beobachten können, weit weg von ihren Höhlen. Es hieß, daß die Schöpfer im Himmel zornig waren, wenn das rote Licht kam. Eine Schar kleiner Leuchtwesen näherte sich und umschwirrte sie einige Minuten lang. Auch sie schienen aufgeregt zu sein. Und dann sahen sie die anderen Lyr. Es war Purs Gruppe, die aus sechs Lyr bestand. „Es tut gut, sich im Licht zu begegnen“, sprach Pur die übliche Begrüßungsformel. Ysp grüßte als Führer seiner Gruppe zurück. Sie unterhielten sich ausführlich über, die verschiedensten Dinge und Ereignisse der letzten Wochen. Dabei kam die Sprache auf die Träume der letzten Nacht. „Seltsam“, meinte Pur und machte eine verwunderte Geste. „Mir ist nichts bekannt von Träumen bei meinen Lyr. Ich habe lange nicht geträumt.“ Sie redeten noch miteinander, wobei Pur Ysp das Angebot machte, Vieela gegen eine weibliche Lyr aus seiner Gruppe zu tauschen. Normalerweise galt es als Selbstverständlichkeit, auf einen solchen Vorschlag einzugehen - es war ein Gebot der Höflichkeit. Aber Ysp lehnte spontan und entschieden ab. Pur schien verwundert und verabschiedete sich mit seinen Lyr. „Es war ein Fehler“, meinte Scarb, als Pur außer Hörweite war. „Er wird es dir übelnehmen.“ Ysp antwortete nicht. Er wußte selbst nicht, was ihn zur Ablehnung veranlaßt hatte. Was war mit ihm los? Zuerst ertappte er sich bei einem bisher nicht gekannten Haß auf die Schöpfer, und nun weigerte er sich, Vieela einzutauschen. Und dann der Traum. Ysp erschrak über sich selbst. Irgend etwas stimmte nicht mit ihm. Aber seltsamerweise schämte er sich nicht. Im Gegenteil. Vieela kam an seine Seite und sah ihn lange aus ihren drei Knopf äugen an. „Danke, Ysp“, sagte sie leise, „ich bin froh, daß ich bei dir bleiben kann.“ Jetzt erschrak Ysp wirklich. Das war gegen alle Gewohnheiten und Gebräuche. Nicht nur er benahm sich seltsam, auch Vieela! Ysp dachte einmal mehr an den Traum. Wenn er sich nur erinnern könnte, was es gewesen war...
3. Auf Caalis nahm unterdessen das Unheil seinen Lauf. Während der kurzen Öffnung der Weltenschleuse durch die vier Menschen waren weitere Teile jener monströsen Macht eingedrungen, die den parallelen Kosmos beherrschte. Vor langer Zeit hatte sie ihren unheilvollen Einfluß auch in diesem Universum ausgebreitet, bevor sie verbannt worden war. Seit dieser Zeit hatte sie auf den Zeitpunkt der Rückkehr gewartet. Jetzt war es soweit. Der eingedrungene Teil des Monstrums vereinigte sich mit der kleinen Vorhut, die bereits während der ersten Schleusenöffnung herüber ins alte Universum gelangt war. Mühelos wurde der letzte Widerstand der Kräfte gebrochen, die bis dahin im Kampf gegen die Vorhut gelegen hatten. Sämtliche Energiekugeln der Station wurden mit einem Schlag vernichtet. Der Weg war frei. Die Fühler des Monstrums drangen nach außen und legten sich wie schwarze Schleier auf den Planeten. Sie drangen in jede lebende Faser, in jede Zelle ein. Nur wenige Gebiete leisteten Widerstand, vor allem die Natur, die unter dem Strahlungseinfluß der Station mutiert war. Ungewollt hatten Skip und seine Begleiter dem Verderben das Tor ins Universum geöffnet. Caalis schickte sich an, die Bedeutung zurückzuerlangen, die es bereits einmal in der Geschichte des Kosmos eingenommen hatte. Der Planet war die einzige Welt im bekannten
Universum, deren hyperphysikalische Besonderheiten einen Durchstieg zu anderen Universen ermöglichte. Die Loorden hatten das gewußt und deshalb hier versucht, den Schritt in eine höhere Ebene des Lebens zu vollziehen. Aber sie hatten sich geirrt. Dieser Schritt war nicht mit technischen Mitteln möglich, er kam zu gegebener Zeit von innen heraus: Es war ein Akt der Schöpfung, der ewigen Evolution, wenn die Zeit dafür reif war. Dort, wo das Ende des wiedererschaffenen Weltentunnels mündete, lag keine Dimension, die man als „höher“ oder „niedriger“ einordnen konnte. Es war ein jenseitiger Kosmos, der am Ende des Urkampfes versiegelt worden war. Doch davon hatten auch die Loorden nichts ahnen können. Was sich am Beginn allen Lebens, das jetzt das Universum überzog, getan hatte, war vergessen. Die ersten Völker waren aus dem Bewußtsein der Rassen verschwunden. Und mit ihnen die Legende von Caalis. Im Kosmos, aus dem die Invasoren kamen, war nichts vergessen. Denn das Monstrum, das dort alles Leben auf grauenhafte Weise beherrschte und wie ein Schatten auf den Welten lag, war nichts anderes als die negative Urmacht, die nach der Niederlage aus dem Universum verbannt worden war. Das Fremde machte sich auf Caalis breit und wartete. Es hatte“ Zeit. Irgendwann würde ein Schiff kommen und landen.
4. Der Tag war vergangen, ohne daß sich etwas Besonderes ereignet hätte. Warum auch? Ysp wußte es selbst nicht, aber er fühlte, daß er auf irgend etwas wartete. Sie hatten zwei weitere Lyr-Gruppen getroffen, die von dem roten Feld herbeigelockt worden waren. Eine von ihnen hatte erzählt, daß hinter dem großen gelben Lichtfluß auf der anderen Seite der Höhlen eine Lichtsäule entstanden sei und wohl noch für einen Tag leuchten würde. Lyr aus allen Teilen der näheren Umgebung würden in dieser Nacht dort sein, um das Schauspiel zu genießen und sich mit frischer Nahrung zu füllen. Auch Weld, Scarb und Gool waren gegangen. Nur Ysp und Vieela Waren zurückgeblieben. Niemals verließen alle Lyr einer Gruppe über Nacht ihre Höhlen. Einer oder zwei blieben immer zur Wache zurück. Ysp saß im fahlen Licht der einsetzenden Dämmerung und starrte auf den weichen Boden, aus dem dann und wann kleine Lichtblasen stiegen. An anderen Tagen machte es großen Spaß, sie platzen zu lassen, aber heute hatte Ysp selbst dazu keine Lust. Ysp glaubte, daß er krank war. Irgendwie mußte sein Zustand mit dem Traum zusammenhängen. Wenn er nur wüßte, was er geträumt hatte. Vieela kam aus der Höhle. „Du denkst über den Traum nach?“ „Und über andere Dinge“, sagte Ysp. Er dachte wieder daran, daß auch Vieela und die anderen geträumt hatten. Alle, außer Gool. Eigentlich paßte Gool gar nicht in die Gruppe! Sie würden gut daran tun, Gool gegen einen anderen Lyr zu tauschen, besser noch gegen eine weibliche Lyr. Dann kümmerten sich Weld und vor allem Scarb weniger um Vieela. Ysp erkannte, daß er absoluten Unsinn dachte. Er stöhnte laut auf. Vieela kam näher heran und rieb ihre rechten Tentakelbeine an seiner linken Seite, als ob sie seine Hilflosigkeit ahnte und ihm Trost spenden wollte. Ein vollkommen unbekanntes Gefühl durchfuhr Ysp, und er begann zu zittern. „Vieela... hör auf damit“, stöhnte er und sah sie gequält an. Erschrocken stellte er fest, daß auch sie zu zittern begann. Der Strom der plötzlichen Zuneigung wurde noch stärker, und Ysp hatte Angst, die Kontrolle zu verlieren.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, als sich männliche und weibliche Lyr vereinigt und Nachkommen gezeugt hatten. Aber das war lange her. Wieso mußte er ausgerechnet jetzt daran denken? Seit vielen Grünetappen war kein junger Lyr mehr gezeugt worden. Die Schöpfer bestraften jeden, der es wagte, sich mit einer weiblichen Lyr zu vereinigen, mit dem Tod. Überhaupt war es nicht üblich, daß ein Lyr Gefühle, die über das Gruppenzusammengehörigkeitsgefühl hinausgingen, für andere Lyr hatte. Und das war gut so: Jederzeit konnten die Schöpfer kommen und einige aus der Gruppe zu sich holen, und dann mußte schnell und ohne Hemmungen Ersatz beschafft werden. Für festere Bindungen war kein Platz. Ysp würde nicht zulassen, daß sie Vieela wegholten! Er würde kämpfen! „Ysp... komm zu dir!“ Der Lyr blickte erschrocken aus den kleinen Augen. Erst jetzt merkte er, daß er lange Zeit wie benommen dagelegen hatte. Vieela war direkt über ihm und sah ihn besorgt an. Einen Moment lang glaubte er, ein anderes Gesicht zu sehen: zwei große Augen in einer seltsam geformten, mit Öffnungen versehenen braunen Fläche, silbern schimmernde Haare... Haare? Ysp kannte den Begriff nicht einmal, er wußte nicht im mindesten, was das war. Es mußte mit dem Traum zusammenhängen. „Ich habe fremde Gesichter gesehen, Vieela“, sagte er und beobachtete ihre Reaktion. „Runde Gesichter mit zwei Augen und...“ Er zögerte, „... und Haaren...“ „Ja, Ysp, so war es, jetzt erinnere ich mich auch daran.“ Ysp richtete sich abrupt auf und rannte mit seinen fünf Beinen den kleinen Aussichtshügel hinab und in die Höhle. Er mußte sich beruhigen. Und er wollte allein sein, um nachzudenken. „Ja“, murmelte Vieela und sah ihm nach. Auch sie spürte die Erregung. Vor allem, als sie versuchte, sich an weitere Einzelheiten des Traumes zu erinnern. Haare, ja, die fremden Gesichter tauchten verschwommen auf. Es waren drei, und sie kamen aus irgendeinem Schatten herangeschwebt. Genau auf sie zu. Am Anfang waren es vier Gesichter gewesen. Eines davon hatte silberne Haare, wie Ysp gesagt hatte. Dieses Gesicht war genau auf Vieela zugeglitten, bis es fast mit ihr zusammengestoßen war. Dann war es weg. Übriggeblieben waren die drei anderen. Vieela überlegte, ob sie hinabgehen sollte zu Ysp, um ihm zu erzählen, woran sie sich erinnert hatte. Aber dann ließ sie es bleiben. Ysp mußte sich beruhigen. Sie würde auf Weld und Scarb warten und mit ihnen reden. Seltsamerweise dachte sie keinen Augenblick lang an Gool. * Tatsächlich waren es dann auch nur Weld und Scarb, die früher als erwartet zurückkamen. Gool war bei der Lichtsäule geblieben, deren fahlen Schein Vieela selbst von hier aus sehen konnte. „Wir haben schlechte Nachricht“, rief Scarb bereits von weitem. „Wo ist Ysp? Wir müssen mit ihm reden.“ „Er ist unten“, erklärte Vieela. „Ysp geht es nicht gut, er hat sich aufgeregt.“ „Er wird sich noch mehr aufregen!“ prophezeite Weld und krabbelte ein wenig unbeholfen hinab zu den Höhlen. Wenig später war er mit Ysp, der wesentlich erholt schien, wieder da. Zu viert saßen sie auf dem kleinen Hügel, und Scarb und Weld berichteten von dem großen Treffen. „Wir haben von den anderen Gruppen gehört, daß die Schöpfer viele Lyr geholt haben. Gestern waren sie bei Löhr und haben ihm gleich drei seiner sechs Begleiter Weggeholt!“ Ysp begann wieder zu zittern. „Sie werden keinen von uns holen!“ sagte er bestimmt. „Höchstens Gool!“
„Bist du verrückt geworden?“ Scarb sah ihn ungläubig an. „Überlegt es euch bis morgen früh“, beharrte Ysp. „Wenn die Felder erwachen, verlassen wir die Höhlen und diese Gegend. Sie werden weder Vieela noch mich holen, und ihr tut gut daran, uns zu folgen.“ Scarb und Weld sahen sich an und zögerten. Weld sagte nach einer Weile: „Es ist verrückt, Ysp. Aber ich glaube, du hast recht. Ich weiß nicht, wieso, aber sie dürfen uns nicht erwischen.“ „Und wohin sollen wir fliehen? Wir haben keine Möglichkeit, etwas gegen sie auszurichten.“ „Wir haben es nie versucht, Scarb.“ „Ysp!“ entrüstete sich der- Lyr. Es war nicht einfach für sie, alle Gewohnheiten plötzlich über Bord zu werfen. „Wenn wir früh aufbrechen, sind wir am Mittag in den dunklen Zonen.“ Ohne einen Protest abzuwarten, verschwand Ysp in seiner Höhle. Er hatte nachzudenken. „Die dunklen Zonen!“ stöhnte Scarb. „Nur das nicht.“ „Das Reich der Verbannten“, flüsterte Weld ebenso erschreckt. „Wie können wir ohne Licht leben?“ „Sie werden uns helfen“, versicherte Vieela und folgte Ysp. * Die gelben Felder waren noch nicht warm, als sich die Lyr vor den Höhlen versammelten. Ysp war als erster wach gewesen. Diese Nacht hatte er tief geschlafen und wieder geträumt. Ysp hatte Leute mit Haaren gesehen. Große, schlanke Wesen, die auf zwei Beinen gingen. Sie waren allein und verloren und irrten irgendwo in einem Niemandsland herum. Ysp hätte gern gewußt, wer sie waren, obwohl es nur ein Traum war. Das Wesen mit den langen, silbernen Haaren. Es war verrückt, aber Ysp hatte es gern. Fast so gern wie Vieela. Wieso konnte er überhaupt zweimal das gleiche träumen? Ihm waren Bruchstücke des ersten Traumes eingefallen. Wer waren diese Wesen, für die er sofort Sympathie empfunden hatte? Vieela kam aus ihrer Höhle. Auch sie hatte geträumt. „Gehen sie mit uns?“ fragte Ysp die Gefährtin. „Ja, Ysp. Sie werden gleich hier sein.“ Scarb und Weld erschienen. Dann tauchte Gool auf. „Gool?“ „Ich bleibe“, sagte der Lyr. „Ich wußte schon gestern, daß sich unsere Wege trennen würden. Ich gehöre hierher, wo unsere Lichter sind.“ Er deutete mit einem Bein über die langsam heller werdenden gelben Flächen, die die Welt mit Licht versorgten und bis in den dunklen Himmel reichten. Ysp wunderte sich über Gools Worte. Aber bevor er eine Frage stellen konnte, sagte Gool: „Nachdem Scarb und Weld gestern gegangen waren, kam noch eine Gruppe von weit hinter den fließenden Farben und berichtete von beunruhigenden Dingen. So heißt es, daß die Schöpfer jeden zweiten Lyr zu sich holen. Es heißt weiter, daß fremde Wesen in unsere Welt eingedrungen seien und dabei den Weltentunnel für kurze Zeit geöffnet hätten.“ Ysp spürte, wie sich etwas in ihm verkrampfte. Er dachte an seinen Traum. Auch Vieela, Scarb und Weld wurden unruhig. „Der Weltentunnel?“ Ysp erinnerte sich an die uralten Legenden aus jener Zeit, wo die Schöpfer aus einer anderen Welt zu ihnen herübergekommen waren. Die alten Völker hatten vieles von dem festgehalten und übermittelt, was damals geschehen war. „Ja, Ysp. Sie berichteten weiter, daß ein Teil der Schöpfer hinübergelangen konnte ins alte Universum. Alles ist in Aufruhr, und auch hier wird es bald losgehen. Irgend etwas geht in den Himmeln vor.“ „Diese Fremden“, fragte Ysp zaghaft. „Was ist mit ihnen?“ „Sie kamen aus dem Tunnel und
sind verschwunden. Die Schöpfer waren zu überrascht von der Öffnung des Tores, um sich um sie zu kümmern. Jetzt suchen sie alle unsere Welten nach ihnen ab.“ „Wir müssen gehen“, sagte Ysp und setzte sich in Bewegung. „Lebe wohl, Gool!“ „Viel Glück und helle Lichter!“ wünschte Gool zum Abschied und sah ihnen lange nach. Ysp und Vieela benahmen sich seltsam, aber auch Scarb und Weld hatten sich verändert. Gool dachte an den Bericht der von weither gekommenen Lyr-Gruppe. Vier waren es gewesen. Vier Fremde. Gool würde sie nicht verraten, denn es hatte auch geheißen, daß sie die waren, von denen die alten Prophezeiungen sprachen. Vielleicht hatte das Joch der Schöpfer schon bald ein Ende. Gool hoffte es. Und damit hatte er eine wichtige Voraussetzung geschaffen. * Etwa die Hälfte der Zeit bis Mittag war vergangen, als sie das von früheren Ausflügen her bekannte Land verließen. Es war faszinierend, an roten Lichtbächen vorbeizukommen und große grüne Leuchtfelder zu überqueren. Die vier Lyr wichen anderen Gruppen, die hier ihre Höhlen errichtet hatten, aus, so gut es ging. Niemand brauchte zu wissen, daß sie flohen. Die Schöpfer hatten ihre Ohren überall. Am Mittag, als die Lichtfelder den Höhepunkt ihrer Intensität erreicht hatten, sahen sie einen dunklen Streifen vor sich. „Die dunklen Zonen“, murmelte Scarb leise. „Kein Lyr kam je von dort zurück.“ „Wir haben nicht die Absicht, zurückzukehren“, erinnerte Ysp. Zum erstenmal meldete sich Weld: „Das, was Gool erzählte... diese Fremden... ob sie groß und lang waren und... Haare hatten?“ „Vielleicht“, wich Vieela aus. „Was mochten sie gewollt haben, daß sie ihre Welt verließen?“ „Ich weiß nicht, Weld.“ „Vielleicht suchten sie etwas. Vielleicht einen Freund...“ Ysp blieb ruckartig stehen. „Was sagst du?“ „Einen Freund, jemand, der ihre Hilfe braucht...“ sagte Weld irritiert und unsicher, als bereute er seine Gedanken. „Der Traum!“. rief Ysp erregt aus. „Der erste Traum!“ Plötzlich erinnerte er sich. „Die vier Fremden... sie kamen allein, aber da war noch ein Wesen wie sie, lange vorher!“ Vieela stand vollkommen still da. Sie zitterte wieder, und Ysp kroch zu ihr heran, um sie zu beruhigen. „Vier Wesen“, stammelte sie. Dann sah sie sich um, jeden ihrer Begleiter musterte die Lyr lange und eindringlich. „Wir sind vier!“ Ysp sah sie mit aufgerissenen Augen an, und plötzlich wurde aus ihrem muschelförmigen, fünfbeinigen Körper ein schlankes Wesen mit brauner Haut, einem ovalen Gesicht mit zwei Augen und silbernen Haaren. Das war der Moment, wo Ysp die Besinnung verlor. Neben ihm brachen die drei anderen zusammen. Von dort, wo sie gekommen waren, näherten sich die Fühler der Schöpfer, und noch hatten sie die zweifelhafte Sicherheit der Dunkelzone nicht erreicht. Als sie erwachten, hieß Ysp Skip, Vieela Christine, Scarb Christopher und Weld Harry. * Die schwarze Wolke näherte sich immer schneller. Skip (oder das, was Skips Bewußtsein in einem fremden Körper ausmachte) trieb die
Gefährten nach vorne, weiter auf die dunkle Fläche zu, die jetzt plastisch vor ihnen auftauchte. Skip wußte, daß es das, was er erlebte, gar nicht geben durfte. Aber er hatte sich längst abgewöhnt, nach Erklärungen in unbegreiflichen Situationen zu suchen. Vielleicht war es ein Teil des durch die Erfahrungen im Kosmos erweiterten und gewachsenen Bewußtseins. Skip hatte gelernt, Situationen als gegeben hinzunehmen und zu versuchen, das Beste daraus zu machen. Gedanken konnte er sich später machen. Trotzdem: Wenn er geahnt hätte, was in diesen Tagen von ihnen abhing, hätte er wahrscheinlich doch die Nerven verloren. So aber benutzte Skip das, was ihm zur Verfügung stand und sah zu, daß sie dorthin gelangten, wo er sich und seine Gefährten vorerst in Sicherheit wußte. Ebenso sicher, wie er die Gliedmaßen des fremden Körpers, in dem er sich befand, bewegte, wußte er, wohin er sich zu wenden hatte. Es schien, als habe die Zeit, in der er in dem Wesen namens Ysp geschlummert hatte, ihm das Wissen des Muschelförmigen zum großen Teil vermittelt. Es war wie ein Speicher, auf den er wie selbstverständlich zurückgreifen konnte. Ysp war nicht zu spüren, aber er lebte noch, irgendwo zurückgezogen in seinem Körper. Die Wolke kam weiter näher. Wie ein Rußschleier legte sie sich auf die farbigen Lichtfelder und verdunkelte die Oberfläche Lyrs. „Schneller! Wir haben es geschafft!“ schrie er mit den Stimmembranen Ysps. Skip wußte nicht, was stark genug sein sollte, die Wolke aufzuhalten, aber er vertraute den Informationen der Lyr. Auch sie konnten keine Erklärungen geben - keiner von ihnen wußte, was es mit der dunklen Zone auf sich hatte. Irgendein unheimliches Leben, aber Sicherheit vor denen, die sich die Schöpfer nennen ließen. Fast gleichzeitig mit der verfolgenden schwarzen Wolke erreichten sie alle vier das Ende der Leuchtfelder. Wie mit einer Linie gezogen, hörte alles Licht auf, und sie befanden sich übergangslos in einem fahlen, nur leidlich noch erleuchteten Feld. Gleichzeitig legte sich eine eisige Kälte auf ihre Körper. Die vier Gefährten rannten auf allen fünf Beinen in das Dunkel hinein, bis sie sich sicher fühlten. Als Skip sich umdrehte, erschrak er dennoch, als er sah, wie sich die schwarze Wolke in wilden Zuckungen aufbäumte und sich wie verzweifelt gegen ein unsichtbares Hindernis warf. Erst nach vielen Versuchen gab sie auf und zog sich zurück. Skip glaubte, die Drohung förmlich ertasten zu können, die von der Wolke ausging. War das ein Teil jener Schöpfer, von denen die Lyr redeten? Skip erinnerte sich daran, daß bei ihrem Eindringen in dieses Universum in der Form schillernder Blasen etwas an ihnen vorbeigeglitten war. Es war ihnen entgegengekommen! Er durfte nicht daran denken, was das bedeuten konnte. Was hatte Gool berichtet? Ein Teil der Schöpfer war in das andere Universum gelangt, als die vier Fremden auftauchten? Skip unterrichtete die anderen von seinen Gedanken. Sie wußten, daß sie sich in einem Kosmos befanden, den sie kaum begreifen, geschweige denn bestimmen oder lokalisieren konnten. Irgendwie hatte eine Verbindung zum Heimatuniversum bestanden. Durch den fatalen Fehler der Loorden, die glaubten, mittels ihrer Technik und der hyperphysikalischen Gegebenheiten des Planeten Caalis sich selbst in eine höhere Stufe der Evolution katapultieren zu können, war das Tor zwischen den Universen aufgerissen worden. Wenn sie alle Informationen kombinierten, mußten sie zu dem Schluß kommen, daß ein Teil der Macht, die diesen unbegreiflichen Kosmos beherrschte, durch den Trichter nach Caalis gelangt war. Alles, was sie über diese Macht bisher wußten, ließ ihnen das Blut (oder das, was statt Blut in den Körpern der Wesen zirkulierte) in den Kopf steigen. Dem Heimatuniversum, Caalis, der Erde und all den bewohnten Planeten drohte eine ungeheure Gefahr. Vielleicht war es bereits zu spät für jede Rettung. Wenn es aber eine gab, dann konnte sie nur von ihnen kommen. Es war nicht zu erwarten, daß irgend jemand daheim etwas von dem ahnte, das sie bedrohte - in welcher Form auch immer
es materialisiert sein mochte. Und so kam es, daß sie die Suche nach dem Alten zurückstellten hinter dem Ziel, eine Möglichkeit zur Rückkehr zu finden. Sie waren hilflos, und allein der Gedanke an eine Rückkehr war verrückt. Aber in diesem Augenblick, wo sie das ganze Ausmaß der Gefahr erkannten, wurde ein Gedanke geboren, ein Team, ein Begriff, der einmal zum Mythos der raumfahrenden Rassen des Universums werden sollte: Die Wächter von Caalis! Vorerst jedoch gab es Dringenderes für die vier Verschollenen. Von dort, wo das Dunkel seinen Ursprung zu nehmen schien, näherten sich die Bewohner dieser Zone. Tharevo Kholk glich auf den ersten Blick einer riesigen Spinne, die in einem durchsichtigen Behälter in einer schwach fluoreszierenden Flüssigkeit lag und die feinen Gliedmaßen von den kleinen Wellen, die er mit anderen Gliedern erzeugte, umspülen ließ. Eine Größe wiederzugeben oder schätzen zu wollen, wäre sinnlos, denn feste Größenbegriffe gab es in diesem Kosmos nicht. Alles hier war relativ. Ungefähr konnte man sagen, daß Kholk dreimal so groß war wie die Lyr, die in sein Territorium eingedrungen waren. Kholk war der Tharevo dieser Dunkelzone, die nur eine von vielen auf Lyr war, der Herrscher über die Geschöpfe dieser Gegend. Es waren nicht alle wie er. Die dunklen Zonen waren ein Sammelbecken all jener, die sich der Herrschaft der Schöpfer widersetzten, ein Exil, dunkel und farblos, grausam und quälend für die Wesen, die einst die Lichter ihrer Welten genossen hatten. Aber für sie war es immer noch besser als der Terror der Herrscher. Bei näherem Hinsehen bestand der eigentliche Körper Kholks aus einer abgeflachten Kugel, auf deren Vorderseite sich zwei große Augen befanden. Sieben Beine bewegten diesen Körper. Es waren grazile und empfindliche Gliedmaßen. Für Kholks Rassegefährten war der Tharevo eine Schönheit. Kholk verließ den Behälter und kletterte hinab zu den beiden Boten, die die Nachricht von den Eindringlingen gebracht hatten. „Wir haben zu oft erlebt, daß man uns auf diese Art eine Falle stellen wollte“, sagte Kholk nach einigem Nachdenken. „Wir dürfen kein Risiko eingehen. Keiner der Lyr würde freiwillig zu uns kommen, weil er weiß, daß es kein Zurück gibt.“ „Das Erdloch, Tharevo?“ fragte einer der beiden Boten. Kholk nickte. „Werft sie in das Erdloch. Sie werden schnell sterben und keine Schmerzen haben.“ Die beiden verabschiedeten sich, und Kholk schritt auf seinen sieben Beinen in seinem Prunkbau auf und ab. Manchmal konnte man verzweifeln: Wie gerne hätte er einmal wieder Kontakt zu anderen Wesen, Wesen von draußen, aus der Welt des Lichtes. Alles in ihm widersetzte sich dem Urteil, aber es mußte sein. Es war nur ein winziger Teil des Überlebenskampfes. Würde es den Schöpfern, dieser einzigen großen Bestie, erst einmal gelungen sein, in dieser Zone Fuß zu fassen, wäre es schnell vorbei mit dem Schutz. Die Herrscher wußten nicht, auf welche Weise das Feld zustande gebracht wurde, das ihnen den Zugang zu dieser Zone verwehrte. Deshalb schickten sie ihre Spione und Helfershelfer. Irgendwann würden sie Erfolg haben und auch diese letzten Inseln des Widerstands zerschlagen, wie sie es überall getan hatten. Aber noch war es nicht soweit, und Kholk würde für seine Leute kämpfen - bis zuletzt. Auch Kholk hatte von den Vorgängen in den Himmeln gehört. Aber er kam nicht auf den Gedanken, die vier aufgetauchten Fremden, die als Feinde der Schöpfer, als ihre Verbündete anzusehen waren, mit den vier aufgegriffenen Lyr in Verbindung zu bringen. Wesen, die mächtig genug waren, durch die seit Urzeiten zusammengebrochenen Weltenschleuse zu
kommen, hatten es nicht nötig, sich in den Körpern von Lyr zu verstecken. Tharevo Kholk überschätzte die Eindringlinge. Nicht nur er. Überall sah Kholk die Bewohner dieser Dunkelzone aufgeregt hin und her laufen. In ihnen allen war neue Hoffnung entstanden. Der Widerstand gegen die Schöpfer war im Laufe der Jahrtausende geschmolzen und zerschlagen worden. Aber je kleiner er geworden war, desto potenter. Nur die Besten hatten die Listen und den Terror jener Macht überstanden, die sich vor langer Zeit wie ein Todesschleier über Kholks Universum gelegt hatte. Aber trotzdem waren sie allein zu schwach. Was sie brauchten, war ein Anstoß, die Hilfe von außen. Wenn es Kholk gelingen könnte, Kontakt zu den Fremden zu erhalten. Er ahnte ja nicht, daß die, auf die sich seine Hoffnungen gründeten, in diesem Moment am Rande des Erdlochs standen, in dessen Schlund das todbringende Gas lauerte... * Das Monstrum, das sich „die Schöpfer“ nennen ließ, befand sich in Aufruhr. Es war gelungen, Teile seiner Substanz ins alte Universum hinüberzuschleusen. Die Öffnung des Weltentunnels war zu unverhofft gekommen. In aller Eile waren die Ausläufer hineingeschickt worden. Dabei war der Fehler gemacht worden, die eingedrungenen vier Wesen untertauchen zu lassen. Das, was diesen Kosmos ausfüllte, wußte, daß sie sich, auf einer der Welten nahe der Schleuse befanden. Es hatte seine Sucher ausgeschickt, aber als diese die Fremden aufgespürt hatten, war es bereits zu spät gewesen. Die Wesen hatten sich in die immer noch unerreichbaren Dunkelzonen geflüchtet. Aber wenn sie zu dem Wesen gehörten, das vor kurzer Zeit ebenfalls vom Weltentrichter ausgeworfen worden war und sich jetzt auf der Flucht befand, würden sie bald versuchen müssen, andere Welten zu erreichen. Und dann würde das Monstrum zuschlagen. Es brauchte nur zu warten. Es lag nicht körperlich über der Welt, aber seine Fühler durchzogen millionenfach wie ein endloses, grauenhaftes schwarzes Netz den Kosmos. * Die Verständigung mit den Sprechwerkzeugen der Lyr war kein Problem; die Gedanken wurden artikuliert, in die Sprache der Lyr übersetzt und als Worte formuliert. Nur was im Begriffsschatz der Lyr kein Pendant hatte, blieb undeutliches Gestammel. „Hör endlich auf mit deinem Gebrabbel“, sagte Scarb, in dessen Körperschale Reed steckte, und sah Weld verärgert an. „Erstens versteht dich kein Mensch, und zweitens bist du nicht zu Hause.“ Der Vanderbuilt-Lyr stellte das Fluchen ein und beruhigte sich langsam. Es paßte ihm nicht, wie sie behandelt wurden. Auch Skip fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er hatte von Anfang an versucht, einen Sinn in die Handlungen der Spinnenartigen zu bringen, die sie vor sich her trieben. Zusammen mit den seltsamen Stachelkugeln, die ein paar Meter hoch über ihnen schwebten, hatten die Spinnen, mindestens doppelt so groß wie die Lyr, sie am Rand der dunklen Zone in Empfang genommen und durch die dunkle Einöde der kahlen Landschaft zu einer Anhäufung von Wohnbauten geführt. Sie waren nichts weiter als primitive Lehmhütten. Nur in der Mitte der Siedlung erhob sich ein größerer Bau, mit allerlei eingeritzten Zeichen verziert. Nur der violette Himmel warf ein karges Licht auf die Szene. Die Bewohner der Dunkelzone wirkten darin wie Spukgestalten aus einem Alptraum.
Skip hatte sofort Verdacht geschöpft, als die beiden Spinnenwesen, die sich von ihrer Eskorte gelöst und den großen Bau betreten hatten, wortlos zurückgekommen waren und sie mit barschen Bewegungen aus dem Dorf weg in eine neue Richtung getrieben hatten. Ihre Ablehnung schwebte wie Rauch in der Dunkelheit. Außerdem hatten sie jetzt die Speere, die bisher in ihren Gürteln gesteckt hatten, die sie ein paarmal um den Körper gewickelt trugen, in den Vordergliedmaßen. „Sie treiben uns ab wie Schlachtvieh“, murmelte Christine. „Ihr Chef hat wohl kein großes Interesse an uns“, vermutete Skip. „Ich frage mich, wohin sie uns bringen.“ „Sollten wir nicht einfach dazwischenfahren und uns den Häuptling vorknöpfen?“ fragte Weld. „Wir müssen abwarten, Harry. Vielleicht täuschen wir uns.“ Skip machte ein paar Sprünge nach vorne und landete neben dem Führer der Gruppe. Weit vorn am Horizont konnte er jetzt ein schwaches Leuchten im endlosen Dunkel sehen. „Du verstehst die Sprache der Lyr?“ fragte er und achtete nicht auf die beiden Spinnen, die schnell heran waren und ihre Speere auf seine Muschelschale richteten. „Wir sind keine Lyr“, fuhr Skip fort. Er mußte es riskieren, um wenigstens das Interesse der Spinnen und ihres Häuptlings (oder wie sich ihr Anführer im großen Bau sonst nennen ließ) zu erregen. „Ich weiß“, antwortete jetzt ihr Führer. „Ihr seid Spione der Schöpfer und werdet bekommen, was Spione verdienen.“ Skip zuckte zusammen. Sein Verdacht verstärkte sich. Unwillkürlich schielte er mit einem seiner drei Augen auf den fahlen Lichtschein, der schnell näher kam. Dann erkannte er einen kleinen Krater! „Ihr irrt euch!“ Skip kämpfte um seine Beherrschung. „Wir sind auf der Flucht vor den... Schöpfern, ihr habt es selbst gesehen. Wir brauchen Hilfe, um zurück in unsere Welt zu kommen.“ „Alle Spione reden so. Sie sind listig, aber nicht schlau genug für uns.“ Das Wesen schien kein allzu großes Interesse an einem Gespräch zu haben. Der Krater wurde größer. Vielleicht noch zweihundert Meter. Schon jetzt roch Skip die ätzenden Dämpfe. Es war klar, was man mit ihnen vorhatte. Wie können wir uns wehren, Ysp? Skip versuchte, Kontakt mit seinem Wirt aufzunehmen. Sie waren hilflos. Aber vielleicht gab es in den Körpern der Lyr Verteidigungseinrichtungen, die sie nicht kannten. Vanderbuilt kam in Form Welds an Skips Seite und drängte ihn weg. „Hör zu, Monstrula: Wir sind furchtbar mächtige Wesen, die mit Raumschiffen durch den Weltraum fliegen. Und in unserem Schiff haben wir eine Dose mit Spray für Konsorten wie dich. Wenn du nicht willst, daß wir es holen gehen und dir eine Portion verpassen, dann bringe uns zu deinem Meister. Wir haben ihm nämlich ein paar nette Dinge zu flüstern!“ Zwei Spinnen waren sofort bei Vanderbuilt und packten ihn unter den beiden Vorderbeinen. Dann wirbelten sie ihn hoch, daß er in die Luft flog und nach einem vollendeten Salto wieder auf die Beine kam. Als er begann, unverständliche Laute auszustoßen, hinter denen sein ganzes Repertoire an Flüchen steckte, bekam er einen Schlag mit der flachen Seite eines Speeres auf den Rücken, und eine der Stachelkugeln senkte sich drohend auf ihn herab. „Spart euch das“, zischte ihr Führer. „Der Tharevo hat entschieden.“ „Der Tharevo? Euer Anführer?“ Skip bekam keine Antwort mehr. Sie erreichten den Rand des Kraters. Aus dem Erdloch strömten giftige Dämpfe. Eine Waffe, Ysp! Ysp war zu schwach, um eine klare Antwort denken zu können. Aber kurz hatte Skip die Vision einer Verteidigungseinrichtung. Doch was war es? Mit ihren fünf Gliedern konnten sie unmöglich etwas gegen die bewaffneten Spinnen erreichen.
„An den Rand des Erdlochs!“ kommandierte ihr Führer und zog sich zu den anderen Wächtern zurück. Sie hielten einen sicheren Abstand vom Krater. Und dann bemerkten die Menschen, wie die Stachelkugeln sich aufbliesen und heranschwebten. Sofort spürten sie die Hitze, die von diesen Kugeln ausging. Auf diese Weise wurden die Opfer also in das Loch getrieben. Was ist es, Ysp? Wir halten es nicht mehr aus! Skip hatte Angst, und er sah, wie auch die Gefährten sich unter der stärker werdenden Hitze zu winden begannen. Ysp! Aus der Angst wurde Panik, die die Muschelkörper erzittern ließ. Und das war ihre Rettung. Irgend etwas in ihnen wurde durch das Gefühl der Panik aktiviert und baute sich schnell auf. Noch wußte Skip nicht, was es war. Sie mußten Zeit gewinnen. „Ihr macht einen Fehler. Wir müssen zum Tharevo!“ Die Spinnen zeigten keine Reaktion, aber die Stachler sanken tiefer. Das war das Signal. Ohne Skips Dazutun schoß aus einer düsenartigen Öffnung in der Muschelschale ein Strahl einer gelben Flüssigkeit hinauf zum nächsten Stachelwesen. Wie ein Speer fraß sich die Säure in die Haut der Kugel und brachte sie zum Platzen. Überall flogen die Fetzen durch die Luft. Skip sah aus den Knopfaugen, daß auch Vieela und Scarb Sekrete abschössen. Nacheinander platzten die Kugeln über ihnen. Die Spinnen standen starr vor Schreck. Sie schienen nicht fassen zu können, was sie sahen. Dabei mußten sie schon oft Eindringlinge, die sie für Spione hielten, in das Loch getrieben haben. Hatten die Opfer sich nicht gewehrt? Ein halbes Dutzend der Wesen huschten auf ihren sieben Beinen auf die Lyr zu, aber als die ersten Spritzer aus den Körperdrüsen sie trafen, stoben sie auseinander und suchten das Weite. Auch die restlichen Spinnen machten sich aus dem Staub. Diese Fremden waren ihnen unheimlich. Wahrscheinlich vermuteten sie, daß die gefürchteten Schöpfer leibhaftig in ihnen steckten. Weld war während des Kampfes abseits geblieben. Jetzt hatte er sich von dem Schock erholt. Als nur noch der Führer der Spinnenwesen übrig war, schlich er sich leise hinter ihn. Skip erkannte Vanderbuilts Absicht und richtete drohend die Düsenöffnung auf die Spinne. Fast wäre es schiefgegangen, denn Skip konnte den Strahl nicht kontrollieren. Gott sei Dank fuhr er knapp über das Wesen, ohne es zu treffen. Die Spinne wirbelte auf ihren langen Beinen herum und wollte ebenfalls fliehen, aber das war genau das, worauf Vanderbuilt gewartet hatte. Er hatte sich geduckt hinter dem Wesen postiert, so daß es unwillkürlich im Drehen seinen Körper auf Weld schob. Der Lyr, in dem Vanderbuilt steckte, stemmte ruckartig den Körper in die Höhe und katapultierte die wild um sich tretende Spinne in die Luft, wobei er eines der Beine mit den eigenen Gliedmaßen festhielt. Der Spinnenkörper drehte sich im Flug und schlug auf den Rücken. Die Spinne versuchte, auf die Beine zu kommen, aber vergeblich. Bange rote Augen sahen Skip an, als er sich heranschob. „Und jetzt, Tarantula, führst du uns zum Tha... Tha... also zu dem Burschen, der bei euch das Luxusappartement bewohnt!“ Welds Stimme verriet Vanderbuilts Genugtuung über die Tilgung der vorhin erlittenen Schmach. „Oder willst du hier liegenbleiben, bis dich die Schöpfer holen?“ * Nur nach außen hin wirkte Kholk sicher. Nicht, daß er von den Lyr etwas zu befürchten hätte. Um seinen Thron herum hatte er genügend seiner Untertanen postiert, um mit einer ganzen Armee von plötzlich aggressiv gewordenen Lyr fertig zu werden. Die Wesen in seiner Residenz hatten andere Möglichkeiten zur Verfügung als die Spinnenartigen. Keiner der Lyr würde dazu kommen, einen Strahl abzugeben. Nein, Angst hatte er keine. Es war etwas anderes. Kholk war schockiert von der Reaktion der
Lyr am Erdloch. So hatten sich noch nie Spione verhalten. Sollte doch mehr hinter ihnen stecken? Der Tharevo hörte, wie sie sich seinem Bau näherten. Er wußte, daß sich hinter ihnen dichte Netze spinnen und um sie zusammenziehen würden, gegen die auch ihre Säure nichts ausrichten konnte. Ein Entkommen war unmöglich. Kholk warf einen kurzen Blick auf einen Teil der Wand seiner Residenz. Nur er wußte, daß sie an dieser Stelle von einem Flächenwesen überzogen war, das telepathisch veranlagt war. Es würde sich färben, wenn die Lyr zu ihm sprachen. Je nach Farbe wußte Kholk, ob sie logen oder die Wahrheit sagten. Zwei Posten traten ein und meldeten die Ankunft der Lyr. Kholk spürte seine Erregung, als sie nun nacheinander eintraten. Äußerlich unterschieden sie sich nicht von normalen Lyr. „Ihr wolltet mit mir reden“, begann er ohne Umschweife. „Sagt also, was ihr zu sagen habt.“ Einer der vier brummte laufend unverständliches Zeug vor sich hin, das Kholk nicht verstand. Dann trat ein anderer vor. „Wir sind keine Spione der Schöpfer“, sagte er ruhig. Wie auch die anderen, schien er wenig beeindruckt von den Leibwächtern zu sein, die den Thron umstanden. „Im Gegenteil, wir sind auf der Flucht vor ihnen. Wir kommen aus einer anderen Welt, weil wir einen Freund suchen, der in Not ist. Wir wissen, daß unserer Welt von den Schöpfern Gefahr droht und müssen einen Weg zurück finden. Wir sind hier, um dich um Hilfe zu bitten.“ Kholk fuhr zusammen und hatte Mühe, seine Gliedmaßen unter Kontrolle zu bringen. Er achtete nicht auf das Raunen seiner Wächter. Seit dem letzten Lichterwachen an den Grenzen der Dunkelzone hatten sich die Meldungen überschlagen. Laufend kamen Kuriere und berichteten von den Vorgängen hinter der Grenze, wo die Hölle los war. Das Monstrum, das die Wesen der dunklen Zonen haßten wie nichts anderes auf der Welt, war in Aufruhr geraten. Es war hinter den vier Fremden her, die vom Weltentrichter ausgespien worden waren. Kholk spürte, wie sein Körper an einigen Stellen pulsierte. War es möglich, daß die alten Prophezeiungen sich erfüllten? Und wenn diese Lyr vor ihm wirklich diese vier Fremden waren... Wieso mußten aber Wesen, die mächtig genug waren, das Weltentor zu öffnen, vor den Schöpfern fliehen? Kholk schielte hinüber zu der Wand, wo er das Flächenwesen wußte. Noch keine Reaktion. „Wenn ihr die seid, die die Schleuse öffneten, warum braucht ihr dann Hilfe? Ihr müßtet den Schöpfern trotzen können!“ Kholks Stimme bebte vor Zweifel und versteckter Hoffnung. „In unserer Welt haben wir die Macht, aber nicht hier. Wir brauchen unsere Körper, um zu kämpfen. Unsere Welten sind zu verschieden.“ Der Tharevo hatte das Gefühl, daß der Fremde die Wahrheit sprach. Aber er mußte wachsam sein. Die Schöpfer waren voller List. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sie die Netze vor dem Eingang spannten. Hunderte von seinen Untergebenen waren draußen und warteten nur auf ein Zeichen. Noch immer zeigte die Wand keine Reaktion. Es mußte schwer sein, in die Gedanken der Lyr zu dringen. Kholk fragte sie weiter aus, um Zeit zu gewinnen. Seltsamerweise wuchs in dieser kurzen Zeit Sympathie für die vier in ihm. Nur jener, der laufend diese mysteriösen Wortfetzen fabrizierte, war ihm unheimlich. Und dann nahm die Wand Farbe an.
5. Das, was aus dem Bogen gekommen War, hatte Caalis fest in seinem Würgegriff. Nur dort, wo sich unter der Strahlung der Station unnatürliches Leben gebildet hatte, gab es
Widerstand. Die Station der Loorden unter der Oberfläche glich einem Tollhaus. Tausende der Halbaffen rannten durch die Gänge. Ihre Schritte waren gelenkt. Alles, was sie taten, folgte einem Plan. Das Ziel der schwarzen, kugelförmigen Ballung in der großen Kontrollhalle der Station war die Öffnung des Weltentunnels. Transporte von einem Universum ins andere konnten nur erfolgen, wenn der Bogen von hier aus aktiviert wurde. Das war zweimal geschehen. Jedesmal war es nur von kurzer Dauer gewesen. Diesmal sollte es für immer sein. Die Kugelballung schwebte in der großen Halle, als einer der Affen kam, um über den Fortgang der Arbeiten zu berichten. Ich sehe, daß ihr keinen Erfolg habt. Der Affe zuckte zusammen. Dann neigte er den Kopf. Mit der von dem Wesen, das ihn beherrschte, verliehenen teuflischen Intelligenz war die Fähigkeit zur Sprache gekommen. „Wir arbeiten, so gut wir können. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir den Mechanismus finden.“ Ihr habt eine letzte Frist. Ich werde dich wieder rufen, und wenn bis dahin die Verbindung nicht steht, sterben deine Freunde. Stez, wie sich der Affe nannte, nickte demütig und wandte sich zum Gehen. Das gilt auch für alle, die an dem Raumschiff arbeiten! Stez bestätigte nochmals seine Unterwürfigkeit und verschwand in einem Gang. Überall begegneten ihm andere, die hektisch an verschiedenen Apparaten hantierten. Alle waren besessen von der fremden Macht, die sie erfüllte. Stez erschrak. Manchmal glaubte er, daß er nicht richtig handelte. Das waren die Augenblicke, wo irgend etwas in ihm das Fremde verdrängte. Sie würden früher oder später den Auftrag erfüllen und den großen goldenen Bogen im runden Raum zum Leben erwecken. Irgend etwas Schreckliches würde geschehen, das spürte der Affe. Ebenso fühlte er, daß seine Freunde, die an dem Schiff auf den Felsen darauf warteten, daß sich die unsichtbare Wand auflöste, einen Fehler machten. Stez erschrak vor seinen Freunden. Sie waren besessen von etwas Furchtbarem. Aber dann verschwanden die Zweifel wieder, so schnell sie gekommen waren. Stez hatte wieder seine Aufgabe vor sich und sonst nichts. Der Bogen mußte geöffnet werden, damit weitere Teile seines Herrn herüberkommen konnten. Der Führer der Affenwesen marschierte auf den Bogenraum zu wie eine Marionette, und seine Augen leuchteten irr. Der Planet Coalis glich einer Bombe, die das Universum aus seinem Gefüge sprengen würde, wenn der Funke zur Zündung kam. Und Caafis reagierte auf seine Art auf das, was von ihm Besitz ergriffen hatte. Erdbeben und heftige Vulkanausbrüche waren die ersten Antworten auf die hyperphysikalischen Kräfte, die auf ihm kämpften und wirksam wurden. Zwei Tage nach dem Eindringen des zweiten Schubes aus dem Parallelkosmos hatte sich der jungfräuliche Planet in eine tobende Hölle verwandelt.
6. In den Dunkelzonen gab es keinen Wechsel von Tag und Nacht, und die hier lebenden Wesen hatten sich mit, ihrem Lebensrhythmus darauf eingestellt. In unregelmäßigen Abständen fielen sie plötzlich um oder gingen in ihre Höhlen, um zu schlafen. Dann wachten sie nach Stunden wieder auf und begannen ihr Tagwerk, das aus scheinbar sinnlosen Beschäftigungen bestand. Immer wieder gab es kurze Augenblicke, wo Skip voll begriff, wie vollkommen fremd das hier alles war. Manchmal fragte er sich ernsthaft, ob er überhaupt noch lebte.
Irgendwann würde all das, was er jetzt unter dem Zwang zum Handeln verdrängte, hervorbrechen. Wie viele solcher jenseitiger Welten mochte es geben? Hunderte? Tausende? Oder war ihre Zahl gar nicht mit den Mitteln menschlicher Vorstellungskraft zu erfassen? „Berichte mir von eurer Welt“, forderte Skip Kholk auf. Beide hockten am Rand der Siedlung und betrachteten den Himmel, der immer wieder von hellgrünen Adern zerrissen wurde. Ein Zeichen der Aktivität der Schöpfer, wie Kholk versichert hatte. „Ihr habt nur einen winzigen Teil kennengelernt“, erklärte der Tharevo. „Unser Universum ist ein riesiges, zusammenhängendes Ganzes. Alle Welten stehen in Verbindung miteinander. Feine Adern durchziehen die Himmel und spannen sich von Lebenskugel zu Lebenskugel. Wir werden solche Adern benutzen müssen, wenn wir zur Welt der Geistesformer gelangen wollen. Aber es ist nicht ungefährlich: Sie werden von den Schöpfern kontrolliert, und die werden nur darauf warten, daß wir unsere Zone verlassen.“ „Wir?“ Kholk machte eine bestätigende Geste. „Ich werde mit euch gehen.“ Skip zeigte seine Freude offen. Kholk würde eine große Hilfe sein. „Diese... Geistesformer sind also in der Lage, Körper für uns zu schaffen?“ „Sie schaffen Materie mit den Kräften ihres Geistes. Sie werden euch geben, was ihr, braucht, denn sie sind ebenso erbitterte Feinde der Schöpfer wie wir. Aber es werden nicht eure eigenen Körper sein.“ „Wo sind unsere Körper?“ „Das weiß niemand“, sagte Kholk. „Ihr habt sie beim Schleusendurchgang verloren.“ „Sie müssen irgendwo hier in diesem Kosmos sein.“ „Dieser Kosmos, wie ihr unsere Welten nennt, ist unendlich. Überall gibt es Inseln, wo der Widerstand gegen die Schöpfer noch lebt. Immer wieder haben Rassen versucht, das Ende unserer Welten zu finden, aber überall ist ein neuer Anfang. Und überall steckt diese Bestie!“ Skip hatte sein Stichwort. „Diese Schöpfer... haben sie wirklich eure Welten geschaffen?“ „Im Gegenteil.“ Kholk scharrte unruhig im schwarzen Boden. „Bevor sie kamen, war unsere Welt voller Licht und Glück. Die Legenden sagen, daß die Himmel hell waren und leuchteten. Überall entstand neues Leben.“ Skip dachte an das, was er bereits erfahren hatte. „Die Weltenschleuse stand also weit offen zwischen unseren Universen, bevor sie versiegelt wurde. Was ist aus der Macht geworden, die das Monstrum hierher verbannte?“ „Darüber wissen wir hier nichts. Wir hatten keinen Kontakt mehr zu euren Welten.“ Skip verstand. Wenn jemand Auskunft geben konnte, dann nur in seinem eigenen Universum. Aber da schien alles vergessen zu sein, was mit der Vergangenheit zu tun hatte. Sonst hätten die Loorden nicht den Fehler machen können, das Weltentor zu öffnen. Wieso wußten sie überhaupt davon? „Und jetzt ist diese Macht“, Skip zeigte hinauf in den unruhigen Himmel, „dabei, unsere Welten zurückzuerobern. Das darf nicht geschehen, Kholk!“ „Wir werden euch helfen, Freund.“ „Berichten die Legenden etwas von weiteren Universen?“ fragte Skip, dem ein Gedanke gekommen war, Wenn es eine Verbindung zwischen seinem und Kholks Welt gegeben hatte, wieso sollten dann nicht auch andere Universen offengestanden haben? „Es gibt auch darüber Legenden“, meinte Kholk. „Aber wir sollten zusehen, daß wir uns beeilen, zu den Geistesformern zu gelangen.“ Kholk hatte recht. Aber noch eine letzte Frage brannte Skip auf der Zunge. „Die Weltenschleuse... wo befand sie sich, Kholk?“ „Es ist schwer, die Begriffe der alten Rassen, die die Legenden weitergaben, in Worte umzuformen, die ihr verstehen könntet“, sagte der Spinnenartige. „Aber sie nannten diese Welt, die die Schleuse trug, Caalis...“ Skip zuckte heftig zusammen. Er hatte befürchtet, diese Antwort zu bekommen. Daß der goldene Torbogen in der Station mit einem Pol der Schleuse identisch war, hatte
nahegelegen. Aber die Zeit, zu der die Schleuse existierte, war so lange her, daß kein lebendes Wesen im bekannten Universum sich daran erinnern konnte. Wieso aber hatten die Loorden ihre ausgewählte Welt dann Caalis genannt? Milliarden Jahre nach der Schließung des Tunnels? Eines aber wußte Skip: Durch den verhängnisvollen Fehler der Loorden war die vor langer Zeit von Wesen, die man sich nicht einmal vorstellen konnte, besiegte Gefahr wieder mit einem Schlag akut geworden. „Es wird Zeit, Freund“, mahnte Kholk. Skip hatte keine Ahnung, wie es ihnen gelingen sollte, zu den anderen Welten zu gelangen, ohne von dem Monstrum, das überall seine Klauen hatte, aufgegriffen zu werden. Aber er vertraute Kholk. * Nach stundenlangem Marsch durch die dunkle Einöde sahen sie endlich ein Gebilde vor sich, daß sie an eine große, gläserne Kuppel erinnerte, in der sich in vielen Prismen das Licht brach. Nur gab es hier kein Licht. Das runde Gebilde strahlte von innen heraus. Als Fremdkörper stand es in der ewigen Leere der dunklen Zone. „Bald wird sich eine neue Brücke aufbauen“, kündigte Kholk an. „Du sagtest, die Herrscher würden die Verbindungen zwischen euren Welten kontrollieren“, erinnerte Skip. „Es gibt Zeiten, in denen gewisse Faktoren wirksam werden, die auch sie zur Untätigkeit zwingen. Denkt an unsere Dunkelzonen. Niemand weiß, wieso, aber sie sind für sie unangreifbar.“ Skip gab sich zufrieden. Während sie warteten, kam ihm zu Bewußtsein, worauf sie sich eingelassen hatten. Aber was blieb ihnen übrig? Sie mußten um jeden Preis zurück ins Universum, koste es, was es wolle. Die gläserne Kuppel schien sich aufzublähen und wieder zusammenzufallen. Jetzt erst fiel Skip auf, daß sie lebte. Plötzlich stand ein regenbogenähnliches Flimmern über dem Gebilde. Es reichte bis weit hinauf in den Himmel, wo es sich allen Blicken entzog. Dann wurde ein Schlauch daraus, der intensiv strahlte. Kholk deutete auf einen Einstieg in der Kuppel. „Dort hinein.“ Skip war alles andere als wohl zumute. Reed fragte: „Werden wir auch diese Körper verlieren?“ „Wir müssen schnell machen“, drängte Kholk. „Wenn wir warten, fallen wir den Schöpfern in die Hände.“ Nacheinander traten sie in die Kuppel. Dann wurden sie durchsichtig und vereinten sich mit dem Medium, das sie langsam aufnahm und wegtrug von Lyr. Sie befanden sich zwischen den Welten dieses unfaßbaren Universums, das nicht einmal einen Namen hatte Und überall lauerten die Ausläufer des alles beherrschenden Ungeheuers. Es gab kein Zurück mehr. Und als sie die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, wußten sie, daß sie zu lange gezögert hatten. * Zwischenspiel: Der Alte hatte im Moment Ruhe vor den Herrschern dieses Kosmos. Er hatte sich verändert. Durch den Kontakt mit unzähligen Völkern, die ihn während seiner Flucht beherbergt hatten, hatte er alles über diese Welt erfahren, was die alten Legenden hergaben. Er wußte, daß er etwas eingeleitet hatte, das seiner Heimat den Untergang bringen würde,
wenn nicht ein Wunder geschah. Er hatte viele Rassen kennengelernt, die im dunkeln gegen die sogenannten Schöpfer kämpften, aber die Macht des Monstrums war nicht zu brechen. Es war zum Verzweifeln. Untätig mußte er zusehen, wie die vier, die es geschafft hatten, sich den Fühlern der Bestie zu entziehen, am Ende ihres Weges waren. Sie hatten es nicht fertiggebracht, die schutzbietende Welt zu verlassen. Der Alte ahnte, was sie vorhatten. Nur durch sie konnte das Unheil abgewendet werden. Er bewunderte diese Menschen. Aber es waren keine Menschen mehr wie die, unter denen er so lange gelebt hatte. Sie waren bereits anders, und auf ihre Weise den Loorden weit voraus. Wenn es ihm gelingen würde, die Aufmerksamkeit der Macht, die sich vor Urzeiten von der Urzelle allen Lebens abgespalten hatte, für kurze Zeit abzulenken, konnten sie vielleicht doch noch entkommen. Er wußte mittlerweile, daß es möglich war, auch von hier aus die Weltenschleuse zu öffnen, und die Wesen, die die Macht dazu besaßen, waren das Ziel seiner Freunde gewesen. Sie mußten sie um jeden Preis erreichen. Um sie zu retten, faßte der alte Loorde einen verzweifelten Entschluß. * Vanderbuilt hatte von vornherein gewußt, daß es schiefgehen würde. Sie hatten schon zuviel Glück gehabt. Mag sein, dachte er manchmal, daß er nicht alles so schnell begriff wie Skip und Christine, aber dafür hatte er einen Blick für die Realität behalten. Daran, daß Christopher und die beiden anderen übergeschnappt waren, zweifelte er jetzt weniger denn je. Während des Marsches durch die Dunkelzone hatte er sich zurückgehalten. Er glaubte, daß dieser Kholk etwas gegen ihn hatte. Wortlos war er den anderen in die Kuppel gefolgt. Er hatte gesehen, wie sie transparent geworden waren und nur noch als Schemen in den Lichtschlauch glitten. Wieder folgte er als letzter. Zuerst hatten seine Augen geschmerzt, was ihm bewiesen hatte, daß sie doch noch über Körper verfügten, auch wenn sie jetzt unsichtbar waren. Dann waren die Farben um ihn, flössen auf ihn zu, teilten sich und vereinigten sich wieder, wenn er durch war. An der Art, wie sie flössen, konnte er die Position seiner Begleiter erkennen. Er wußte nicht, wie lange sie durch diesen psychedelischen Strom getrieben waren, als sich genau vor ihnen ein kleiner, schwarzer Punkt in dem Farbenbündel bildete, das auf sie zuschoß. Der Punkt teilte sich, dann wurde ein Loch daraus, das sich schnell vergrößerte. Vanderbuilt spürte einen Kloß im Hals. Ruhig bleiben, Harry! versuchte er sich einzureden. Jetzt spürte er auch die Unruhe, die in seine Begleiter gefahren war. Er konnte sie wie Gedanken empfangen. Vor allem Kholk war nahe dabei, die Fassung zu verlieren. Er war in helle Panik geraten. Bleib ruhig, Harry. Du träumst nur! Aber das Grauen griff mit eisernen Krallen nach seinem Verstand. Vanderbuilt verlor die anderen aus den Augen und sah nur noch das gähnende schwarze Loch vor ihm, aus dem ihn tausend Augen anzustarren schienen. Das, was nach ihnen griff, hatten sie bislang nur indirekt erlebt. Vanderbuilt war kein Kind von Furcht, aber plötzlich hatte er grenzenlose Angst, ihm zu begegnen. Seine Gedanken vollführten einen wilden Tanz, und immer wieder sah er das schwarze Etwas, das jetzt alle Farben verdrängt hatte und das Wahrnehmungsfeld ausfüllte. Und dann spürte er, wie er direkt in den schwarzen Schlund hineinfiel, und was danach kam, würde er nie in seinem Leben vergessen. Es war, als griffe etwas nach der Wurzel all dessen, was für ihn sein Leben ausmachte. Vanderbuilt wehrte sich dagegen und versuchte, Widerstand zu leisten, aber etwas schnürte
ihm die Luft ab. Er empfand alles, was hier geschah, als steckte er in seinem alten Körper. Das Monstrum hatte ihn umschlungen und ließ ihn nicht los. Er wollte schreien, sich mit den Gefährten verständigen, aber er konnte es nicht. Alles war dunkel und leer. Und jetzt versuchte das Fremde, in ihn einzudringen. Vanderbuilt wehrte sich mit aller Energie, die ihm noch geblieben war. Er wußte, daß es das Ende war, wenn das schwarze Etwas einmal von seinem Denken Besitz ergriffen hatte. Seltsamerweise mußte er gerade jetzt an die Halbaffen denken, die auf Caalis ins Schiff eingedrungen waren. Der irre Blick, das, was aus ihren Augen gesprochen hatte. Dies hier war genauso, aber noch zehntausendmal schlimmer! Wenn es auf Caalis Fuß gefaßt hatte... Vielleicht hatte Skip doch recht gehabt. Wenn dieses Monstrum sich im Universum ausbreitete! Wenn es eines Tages die Erde erreichte! Die Seuche hätte die Menschen getötet, das hier würde sie zu willenlosen Sklaven machen. Vanderbuilt schrie all seine Wut und Angst heraus aber sie erreichte niemanden. Es war zwecklos. Sie waren ein Risiko eingegangen und hatten verloren. Die Feste in seinen Villen, all die Luxusdinge, die er sich leisten konnte, nachdem er auf der Erde ein berühmter Mann geworden war, all das war zu Ende. Warum hatte er sich auf diese zweite Expedition eingelassen? Er könnte jetzt bequem in seinem Swimming-Pool in Beverly Hills liegen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Aber irgendwo draußen im Weltraum lauerte das Ungeheuer. Vanderbuilt wußte selbst oft nicht, was er wollte, und in diesen Minuten, die er für die letzten seines Lebens hielt, wurde ihm seine ganze Schizophrenie bewußt. Natürlich hätte er nie im Leben seine Freunde im Stich gelassen. Hatte er nicht das Abenteuergesucht? Dunkelheit. Sie drangen auf ihn ein. Millionen kleiner Adern versuchten, sich in sein Gehirn zu bohren. Mit einer Kraft, die er nie für möglich gehalten hätte, wehrte Vanderbuilt sich dagegen. Kommt her und kämpft wie ein Mann! schrie es in ihm. Zeigt euch, ihr Feiglinge! Die Kraft ließ langsam nach. Bald würde er nicht mehr sich selbst gehören, aber Vanderbuilt schwor sich, sich vorher umzubringen. Irgendwie mußte es schon gehen. Aber bevor es dazu kam, explodierte etwas in ihm. Die Welt flog auseinander, und eine Sekunde lang erkannte er ein Gesicht, das sich vor ihn schob. Es war keiner der Gefährten. Der Alte! Der alte Loorde, der Trottel aus dem Totenschiff! Er lebte also noch! Wieder ballte sich das Schwarze zusammen, und wieder explodierte es in grellem Licht. Von überall schien es Nachschub zu bekommen. Vanderbuilt nahm zwar wahr, was seine Augen (wie konnte ein halbstofflicher Körper Augen haben?) ihm vermittelten, aber er begriff es nicht mehr. Ein Blitz fuhr durch sein Gehirn und traf eine Nervenzentrale. Dann war alles vorbei. Tiefe Bewußtlosigkeit erlöste den Terraner. * Als sie zu sich kamen, fanden sie sich in einer Kuppel wieder. Sie leuchtete von innen heraus, und die Wände waren gläsern. Ein Traum! dachte Skip spontan. Wir haben uns all das nur eingebildet. Wir sind immer noch auf Lyr! Aber Kholks erste Worte belehrten ihn eines Besseren. „Wir müssen weiter. Das ist nur eine Zwischenstation.“ „Dann sind wir nicht mehr auf Lyr?“ fragte Skip fassungslos. „Jetzt ist keine Zeit zu fragen“, erklärte Kholk, aber alle sahen, daß er zitterte. Kholk mußte einen furchtbaren Schock hinter sich haben. Sie verließen die Kuppel und marschierten in eine neue dunkle Wüstenlandschaft hinein. Skip zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie sich auf einem anderen Planeten dieses unglaublichen Weltraums befanden, in einer Dunkelzone. Nach ermüdendem Marsch
erreichten sie eine weitere Glaskuppel. „Nein!“ stieß Christine hervor, die immer noch im Körper Vieelas steckte. „Nicht noch einmal!“ Also doch! dachte Skip. Das, was wir erlebt haben, war kein Alptraum; es war Wirklichkeit. Die Transportader war geplatzt, und sie waren die Opfer der lauernden Bestie geworden. Das Gesicht des Alten. Was war dann geschehen? „Sie sind abgelenkt worden“, sagte Kholk, der sich nur langsam beruhigen konnte. „Es ist etwas geschehen, das sie völlig verwirrte. Wir haben alle Chancen, zur Welt der Geistesformer zu gelangen.“ Vieela kauerte sich neben Skip hin, als sie warteten. Skip fühlte, wie sich eine Verbindung zwischen ihnen aufbaute, aber diese Verbindung hatte diesmal nichts Metaphysisches. Auf der Erde nannte man es Liebe. Und auch Ysp reagierte. Er liebte Vieela, so wie Skip Christine liebte. Der Wunsch, sich zu vereinigen und Nachkommen zu zeugen. „Die Brücke!“ Kholk deutete in die Höhe. Im Violett des Himmels entstand der mittlerweile bekannte Schlauch. * Die Körper waren perfekt. Auf den ersten Blick konnten sie sie nicht von ihren wirklichen unterscheiden. Nur ein Fehler war den Geistesformern unterlaufen: Der Kunstkörper, den die Wagen für Harry Vanderbuilt angefertigt hatten, war der Körper einer etwa sechzigjährigen alten Frau. Skip und seine Begleiter unterhielten sich mit den rätselhaften Wesen, während Vanderbuilt sich in den entferntesten Winkel des Komplexes, der den Geistesformern als Behausung diente, zurückgezogen hatte. Er war todunglücklich und wollte niemanden sehen. Die Rasse, die sich Geistesformer nannte, lebte ebenfalls in einer Dunkelzone. Skip hatte inzwischen herausgefunden, daß es fast auf jeder Welt dieses Kosmos solche Zonen gab, die dem Monstrum unzugänglich waren. Diese Wesen hier waren die ersten, die eine humanoide Körperform aufwiesen. Sie waren etwas schlanker als ein Mensch, und ihre Haut schillerte leicht bläulich. Der Kopf saß auf einem langen, dürren Hals. Durch die stellenweise durchsichtige Haut waren Organe zu erkennen, und die Wesen wirkten wie aus Glas. Ihre Siedlung war alles andere als plump. Flache, runde Plattformen schwebten in der Luft und waren durch eine Vielzahl von dünnen Stangen verbunden, so daß sie nicht auseinandertrieben. Dazwischen befanden sich Hunderte von kleinen Lichtspendern, die das Ganze in einen visionären Schein tauchten. Eine überirdische Schönheit strahlte von dem Komplex aus. Aus den Gesprächen ging hervor, daß die Geistesformer eine sehr alte Rasse waren und im Widerstand gegen die Schöpfer eine zentrale Funktion ausübten. Was das genau war, erfuhren die Besucher nicht. Die Wesen waren schweigsam. „Diese Körper werdet ihr nicht verlieren, wenn ihr durch die Schleuse geht“, verkündete ein Sprecher der Gläsernen. „Sie besitzen ein Feld, das die Auflösungskräfte des Tores neutralisiert.“ „Wir werden also zurückkehren können?“ fragte Christine erregt. „Zurück in unsere Welt? Wann?“ Der Sprecher nickte absolut. menschlich. „Wir schleusen euch hinüber, wenn die Strömung günstig ist. Habt noch etwas Geduld. Erzählt uns von dem alten Universum.“ Christine tat ihm den Gefallen. Skip beobachtete die Geistesformer, die in einem Halbkreis um sie herum saßen. Sie verbargen eine ganze Menge. Waren sie am Ende noch eines dieser alten Völker, von denen Kholk erzählt hatte? Wußten sie mehr über die Zeit, in der das Tor zwischen den Universen offenstand? Und vor allem: Hatten sie eine Ahnung, was mit jener
Macht geschehen war, die das Monstrum hierher verbannt hatte? Wenn sie die Möglichkeit besaßen, sie wieder zurück nach Caalis zu bringen, was konnten sie dann noch alles? Überall gärte der Widerstand in diesem Kosmos. Warum hatten die Völker sich noch nicht zusammengetan und ihre Peiniger besiegt? Er erinnerte sich daran, daß Kholk einmal von einem Anstoß gesprochen hatte, der von außen kommen mußte. Skip dachte den Gedanken lieber nicht zu Ende. Er wäre gerne länger auf der Welt dieser rätselhaften Wesen geblieben, aber die Zeit drängte. Außerdem sagte ihm irgend etwas, daß er eines Tages wieder hier sitzen würde, wenn es gelang, die Gefahr für das eigene Universum zu bannen. „Ich glaube, ich sehe besser mal nach Harry“, sagte Reed und stand aus dem Kreis auf. „Er ist imstande und macht eine Dummheit.“ Und jetzt mußte Skip wirklich grinsen. Er war dazu in der Lage, denn er hatte ja wieder einen menschlichen Körper. * „Nein, Chris, verlange von mir, was du willst, aber nicht das!“ Harry Vanderbuilt hatte den Kopf in die Arme gelegt und hockte trotzig auf einem großen Stein. „Ein altes Weib! Pah!“ Er stieß eine Reihe ansehnlicher Flüche aus, dann richtete er seinen Oberkörper auf, sah Reed lange an und platzte dann heraus: „Wieso gerade ich? Was habe ich denen getan, eh? Chris, ihr helft mir doch, oder? Ihr laßt doch nicht zu, daß ich in diesem... diesem Aufzug nach Hause komme. Lieber verhungere ich hier, bevor ich so zurückkehre!“ „Aber Harry. Versuche, die Sache erst einmal von allen Seiten zu betrachten. Immerhin haben wir wieder Körper, und...“ „Ja, ihr schon!“ fuhr die alte Dame dazwischen. „Ihr schon, aber ich nicht!“ „Ist das vielleicht nichts? Hast du schon mal einen Blick in den Spiegel geworfen? Harry, du siehst wirklich nicht schlecht aus, ich meine, der Körper steht dir gut. Er ist bestimmt attraktiv, ich meine sogar...“ „Und ich meine, daß ich dir jetzt gleich eins in dein Kalbsgesicht ballere! Wenn du glaubst, du kannst dich über mich lustig machen, dann bist du schief gewickelt! Auch wenn ich wie ein Weibsbild aussehe, drinnen bin ich noch lange keins.“ Reed verbarg ein Schmunzeln. Für eine kurze Weile war die Last von ihnen abgefallen. Eine kurze Pause, die Ruhe vor dem Sturm! „Das behauptet auch keiner, Harry!“ „Würde ich auch niemandem raten!“ „Aber diese armen Teufel hier können dir wirklich keinen anderen Körper geben, wir müssen schon warten, bis wir eines Tages unsere eigenen wiederfinden.“ „Aber wieso gerade ich? Skip hat seinen Körper fast als Kopie wiederbekommen, Christine ebenfalls. Bei dir war sowieso nicht viel falsch zu machen, wieso ausgerechnet ich? Sieh dir Kholk an: Er hat auch einen Mannskörper erhalten, weil er mit uns nach Caalis will.“ „Wir werden sehen, Harry... oder ist dir Harriette lieber?“ Reed sprang zu spät auf. Zum erstenmal in seinem Leben bezog er eine Tracht Prügel von einer Frau.
7. Caalis hatte sich in eine feuerspeiende Hölle verwandelt. Vom Weltraum aus war der Planet
nicht mehr die grüne Kugel, die schimmernd ihre Bahn um ihre Sonne zog, sondern ein von gelbgrauen Schwaden umhüllter Weltenkörper. Die Atmosphäre war an vielen Stellen bereits nicht mehr atembar, giftige Schwefeldämpfe hatten sich über die Oberfläche gelegt. Die Natur war aufgebracht, vor allem dort, wo Teile von ihr immer noch gegen die Übernahme durch den Invasor kämpften. Nur innerhalb der Station war es noch ruhig und sicher. Sie lag eingebettet in schützende Feldschirme. Die einzige Verbindung zur Oberfläche bestand in dem Transmitter. Solange die schwarze Platte unversehrt war, funktionierte sie ungeachtet der überall herrschenden Zustände. Stez beobachtete die fieberhafte Arbeit seiner Artgenossen. Ihre Finger huschten zielbewußt und flink über die Kontrollbänke im Torbogenraum. Unter normalen Umständen hätte Stez sich gefragt, wie lange sie diese künstliche Hochzüchtung ihrer Tiergehirne aushalten mochten. Die plötzliche Pseudointelligenz war nichts, das ohne materiellen Leiter in ihnen steckte. Die Nervenzentren, die sie trugen, liefen heiß und würden früher oder später den Geist aufgeben. Und tatsächlich kippten immer wieder Affen um. Die teuflische Macht in ihnen trieb sie dazu, wieder aufzustehen und sich an die Arbeit zu begeben. Dann standen sie ein paar Minuten lang vor ihren Kontrollen und starrten aus leeren Augen vor sich hin, bis sie tot zusammenbrachen. Neue traten an ihren Platz und übernahmen ihre Aufgabe. Aber Stez war nicht normal. Es saß in ihm und trieb ihn vorwärts. Jetzt spürte er den Ruf, der wie ein dumpfer Gong in ihm ertönte. Er trieb seine Arbeiter noch einmal an und machte sich angsterfüllt auf den Weg. Noch immer hatten sie nicht den Schlüssel zu dem Bogen gefunden. Er spürte, daß sie kurz vor der Lösung standen. Wenn sie noch eine Frist bekamen... Stez durchquerte ovale Korridore und erreichte die große Halle. Die schwarze Ballung hing drohend unter der Decke. Stez verkrampfte sich bei dem Anblick. Nur zögernd trat er näher an das schwarze Gebilde heran. Ich sehe, daß ihr versagt habt. Stez schrak zusammen. Er kniff die Augen zusammen. Die Kugel tat ihm weh, wenn er direkt in sie hineinsah. „Es ist nicht unsere Schuld, wir...“ Habt ihr das Torgeöffnet? „Nein, Meister. Wir...“ Schweig! strahlte es aus dem Gebilde. Stez fühlte einen stechenden Schmerz, der von der Schädeldecke bis hinab in die Zehen fuhr. Ihr hattet eure Frist. Sie ist verstrichen. „Wir stehen kurz davor, Meister. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber gib uns noch etwas Zeit!“ Wieder der Schmerz. Diesmal glaubte Stez, sein Kopf würde explodieren. Er riß die Arme hoch und preßte die Hände gegen die Schläfen. Mitten hinein in den Schmerz dröhnte die lautlose Stimme: Hole deine Arbeiter! Stez fühlte die Panik sein Rückgrat hochkriechen. Etwas Grauenvolles stand bevor, aber er konnte nicht widersprechen. Seine Zunge gehorchte ihm nicht mehr. Unter Qualen befolgte der Affe den Befehl. Wenig später war er mit seiner Arbeitsgruppe zurück. Die langen Schwänze der Wesen peitschten wild durch die Luft und zeigten so ihre Erregung. Sie schienen allesamt zu wissen, was ihnen bevorstand. Sie waren von Todesangst gepackt, zu keinem Widerstand fähig. Die schwarze Kugel hatte sie vollkommen unter Kontrolle. „Die Öffnung des Bogens steht unmittelbar bevor, Meister!“ rief Stez in einem Anflug von Verzweiflung. „Noch eine winzige Frist!“ Im nächsten Moment taumelte er rückwärts, bis er an eine Wand stieß und in die Knie ging, und während er zusehen mußte, wie einer seiner Rassegenossen nach dem anderen wehrlos unter unsäglichen Qualen niedersank, erkannte er das ganze Ausmaß des Grauens. Seine Gefährten starben, und Stez sah, wie im Tod der Wahnsinn aus ihren Augen wich und dem grenzenlosen Entsetzen Platz machte. Er spürte, wie sich die Fühler der Ballung nun auf
ihn richteten. Er starb ohne Hoffnung. Wenn das Gebilde sich weiter ausbreitete, waren die Sonnentage seiner Welt gezählt. Stez konnte sich nicht vorstellen, daß jemand in der Lage sein könnte, es aufzuhalten. Noch bevor Stez tot war, kamen aus einem anderen Gang neue Affenhorden in die Halle geströmt. Die Ballung übernahm ihre Gehirne und schickte sie in den Kugelraum mit dem Bogen. Es wurde Zelt, daß das Tor geöffnet wurde. Eine andere Gruppe der Primaten versuchte unterdessen immer noch, die Energieglocke um das Schiff, das in den Felsen stand, aufzubrechen. Auch sie würden bald durch neue Kräfte ersetzt werden müssen. Plötzlich spürte die Ballung Unruhe. Sie kam von dem Bogenraum. Dann strömten die ersten Affen in die Halle. „Der Bogen, Meister! Er flimmert. Irgend etwas passiert mit ihm!“ Alarm! Aus einem halben Dutzend von Eingängen strömten die Helfer in die große Halle. Sie trugen zum Teil die Strahlwaffen, die sie in den Arsenalen der Station gefunden hatten. Zum Bogen, schnell! Die Affen gehorchten und setzten sich hastig in Bewegung. Aber während die ersten von ihnen in den Gang hineinliefen, der zum Bogenraum führte, krachten am anderen Ende energetische Entladungen in das Gekreische der Primaten. Dann ertönte das Zischen von Strahlern. * Für die Affen, die sich gerade in dem Kugelraum aufhielten, schien unter der Krümmung des Bogens die Hölle loszubrechen. Die Beleuchtung der Wände erlosch schlagartig, und die Säulen des Bogens begannen grell zu leuchten. Dann flimmerte die Luft in dem Feld auf dem Sockel. Unter der Krümmung schössen Blitze in den Raum und drohten ihn zu sprengen. Die Affen wurden von der plötzlichen Lichtflut geblendet und sahen nicht, was weiter vor sich ging. Einige waren vorher aus dem Raum gerannt, um den Meister zu informieren. So waren vielleicht noch zehn von ihnen übrig. In ihrer Panik rissen sie die erbeuteten Waffen aus den Gürteln. Durch das in ihnen steckende Fremde wußten sie, wie man mit ihnen umzugehen hatte. Immer noch schössen die Blitze aus dem Bogen hervor, als sich fünf Schemen aus dem Inferno herausschälten. Sie nahmen feste Formen an und schnellten sich nach vorne, stürmten die Treppen des Sockels hinunter und schlugen den ersten der verwirrten Affenwesen die Waffen aus der Hand. Alles wirkte so, als handelten die fünf nach einem genauen Plan, obwohl sie nicht wissen konnten, was sie hier erwarten würde. Schüsse aus den Waffen der Primaten fuhren blind abgefeuert in den Raum, trafen die Wände und brachten sie an den Einschlagstellen zum Glühen. Die fünf Gestalten wirbelten förmlich durch den Raum. Als jeder von ihnen eine Waffe erobert hatte, stürmten sie in den erstbesten Gang. Es war der, der in die eigentliche Station führte. Ihr Ziel war die Abstrahlplatte, die sie an die Oberfläche befördern würde. Die Schritte hallten durch den Gang, dann sahen sie den Ausgang. Aber dort schob sich eine kreischende Masse blindwütiger Affen in den Korridor. „Schießt!“ rief Skip seinen Gefährten zu. Mit gefächertem Strahl brannte er eine Bresche in die Angreifer hinein. Ein Blick in die irren Augen hatte genügt, um festzustellen, daß diese Tiere nicht sich selbst gehörten. Die Menschen und Kholk rannten weiter, bis sie fast mit den Affen zusammenstießen. Eine regelrechte Feuerwand tobte vor ihnen und erhitzte die Luft. Jetzt wichen die Tiere zurück. Skip wußte sofort, wo er war - in der großen Halle, in der sie gegen die platzenden Energiekugeln gekämpft hatten. Jetzt schwebte nur noch dieses schwarze Ding in der Mitte der Halle, und die Drohung war sofort spürbar. Die Menschen wußten schlagartig, mit wem
sie es zu tun hatten. Kholk brach zusammen, als er die andringenden Impulse empfing. Als sie fühlten, wie eine ungeheure Kraft nach ihren Gehirnen greifen wollte, handelten sie instinktiv. Skip und Christine feuerten auf die schwarze Ballung, die nun mindestens zwei Meter Durchmesser hatte, während Vanderbuilt Kholk stützte. Sie rannten hinüber zu dem Gang, der über einen Verteiler zur Abstrahlplatte führte. Nur Reed blieb zurück. Er scherte aus und nahm einen anderen Gang, Sein Ziel lag woanders. Die Affenwesen rappelten sich zu einem neuen Angriff auf, aber die Flüchtlinge waren bereits nicht mehr einzuholen. Sie stürzten sich auf die schwarze Platte am Ende ihres Weges und wurden ohne Zeitverlust vom Transmitter direkt an die Oberfläche befördert - in die Hölle der entfesselten Naturgewalten. * Reed sah sich um, als sei der Teufel hinter ihm her. Die Selbstvernichtungsanlage! Er mußte sie erreichen, bevor die Affen ihn erwischten. Sie waren hinter ihm und schössen blind durch die Gänge. Immer wieder verfehlten Reed die scharf gebündelten Schüsse nur um Zentimeter. Die Tiere wußten zwar wie die Waffen zu bedienen waren, aber ihnen fehlte die Übung. Und das Zielen konnte ihnen auch das in ihnen sitzende Monstrum nicht beibringen. Wir hatten also recht, dachte Reed, während er die Augen offenhielt, um nicht die richtige Abzweigung zu verfehlen. Es hat sich hier eingenistet und Hilfstruppen beschafft. Er sah die Öffnung, bog links in einen kurzen Korridor ein und schoß noch einmal in die verfolgende Menge. Reed brauchte eine Verschnaufpause. Er sprang aus dem Verbindungstrakt, der auf einen weiteren Gang führte und zerschmolz die Decke hinter sich. Innerhalb von Sekunden tropfte glutflüssiges Material in den Gang. Auch die Wände lösten sich auf und flössen zusammen. Die Affen blieben stehen. Reed rannte weiter. Der Vorsprung sollte reichen. Bis die Tiere über das Hindernis waren, mußte er seine Arbeit erledigt haben. Ei * gelangte in den Raum, in dem sich die Bedienungselemente der Selbstvernichtungsanlage befanden. Mit ein paar schnellen Handgriffen entfernte er die transparente Abdeckplatte, hinter der sich, in die Wand eingelassen, die Instrumente befanden. Es zischte bereits wieder hinter ihm, als er einen Hebel nach dem anderen in Alarmstellung kippte. Genau wußte der ehemalige Luftwaffenpilot nicht über die Funktionsweise der Selbstvernichtungsvorrichtung Bescheid, aber er wußte, daß ihm jetzt noch zwei Minuten Zeit zur Flucht blieben. Als er sich abwandte und auf den Gang hinaus wollte, sah er die Affen. Christopher Reed war trotz der phantastischen Erlebnisse Realist genug geblieben, um zu wissen, daß sein Weg zu Ende war. Selbst wenn es ihm gelang, noch einmal durch die Masse der Angreifer zu brechen, würde er nicht rechtzeitig an der Platte sein. Er hoffte, nicht umsonst zu sterben. * Sie hatten geglaubt, das Schlimmste hinter sich zu haben. Das Bild, in das sie hineingeraten waren, überzeugte sie jedoch vom Gegenteil. Dicke, übelriechende Rauchschwaden hingen in der Luft und überzogen den Himmel. Die
mutierten Gewächse spielten verrückt, und der Boden bebte unter ihren Füßen. Nicht weit von der Platte entfernt, hatte sich ein Spalt aufgetan, aus dem giftige Dämpfe stiegen. Blitze warfen gespenstische Schatten über die Landschaft, gefolgt von rollendem Donner. „Mein Gott!“ entfuhr es Christine. „Wir müssen weg von hier“, sagte Skip und sah sich um. „In wenigen Minuten fliegt alles in die Luft.“ „Und was ist mit Christopher?“ Christine starrte Skip ungläubig an. „Willst du ihn zurücklassen?“ „Wenn er es schafft, findet er den Weg. Wir haben ausgemacht, uns beim Schiff zu treffen. Helfen können wir ihm jetzt nicht.“ „Du bist verrückt, Skip! Ich lasse ihn nicht im Stich.“ „Du meine Güte!“ kam es von hinten, wo Vanderbuilt mit Kholk stand. „Es geht hier nicht um uns! Ihr redet doch dauernd von höheren Zielen und anderem Unsinn. Also los, gerade du müßtest begreifen, was davon abhängt, heil zum Schiff zu kommen“, rief Vanderbuilt. Christine kämpfte mit sich. Dann rannte sie los. Die anderen folgten ihr. Auch Kholk hatte sich einigermaßen von dem Schock in der Halle erholt. „Die Affen, Skip“, rief Vanderbuilt von hinten. „Sie werden das Schiff bewachen und auf uns warten.“ „Das werden wir sehen.“ Vor ihnen zischte es, und ein faustdicker Strahl einer gelblichen Flüssigkeit spritzte aus einer Öffnung im Boden hoch in den schwefeldurchzogenen Himmel. Sie machten einen großen Bogen und rannten weiter. „Schneller!“ rief Skip. Der Gedanke an die Affen beschäftigte ihn mehr, als er sich anmerken ließ. Wenn sie den Schirm ums Schiff lange genug konzentrisch beschossen, so daß er überlastet wurde, konnten sie ihn sprengen. Was das bedeutete, war klar. Die neuen Körper leisteten Großartiges. In schnellen Sprüngen hechteten die vier Gestalten vorwärts, von dem Gelände weg, unter dem die Station lag. Sie durchquerten eine große Fläche, die von dickem, blauem Gras bedeckt war, das ihnen bis zu den Hüften reichte. Sie ließen das Gras hinter sich zurück und, kamen an einen Wald, der die Station ringförmig umschloß. „Ich habe Angst“, sagte Christine plötzlich und blieb stehen. „Weiter!“ Skip versuchte, sie voranzutreiben. Dann merkte er es auch. „Wir sollten nicht durch dieses Gebiet“, meinte nun auch Vanderbuilt. Skip sah zurück zu dem blauen Gras. Es bewegte sich in Wellen und schien immer wieder von diesem Wald wegzustreben. Kholk blickte mit weit aufgerissenen Augen auf die elastisch wirkenden Bäume mit den roten Stämmen und den gelben und blauen Blättern. Die Wipfel verschwanden in den Schwefelwolken, die ein heftiger Wind über sie hinwegtrieb. In der Ferne war das Grollen eines Vulkans zu hören. Wieder bebte die Erde. „Nein!“ schrie Kholk und preßte beide Hände gegen den Kopf. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Was ist?“ fragte Skip, den eine unerklärliche Unruhe beschlichen hatte. Auch er spürte Gefahr. Alle vier waren inzwischen stehengeblieben. „Es ist hier“, stöhnte Kholk. Er redete wie in Trance. „Ich... ich spüre es, es steckt in den Bäumen, im Boden... es hat alles unter Kontrolle...“ Er schüttelte den Kopf. Skip packte ihn unter den Armen und stützte ihn. „Nein“, sagte Kholk, „nicht alles... einige Pflanzen wehren sich, sie liegen im Kampf... es wird eine Katastrophe geben, wie sie...“ Dann brach er zusammen. Vanderbuilt war schnell herbeigestürzt und legte sich den schlaffen Körper über die Schulter. Seltsamerweise verfügte sein Körper immer noch über die größten Kräfte. „Wir müssen zum Schiff, Skip!“ Christine hatte recht. Aber plötzlich war es Skip, als drehte sich alles um ihn.
„Das Gras!“ schrie Christine. Und dann hörten sie es alle: Das blaue Gras hatte aufgehört, sich zu bewegen und begann zu singen... „Es nimmt Abschied“, flüsterte Kholk, der immer noch halb bewußtlos über Vanderbuilts Schulter hing. „Das Gras ist noch nicht von dem Schatten der Schöpfer unter Kontrolle gebracht. Es wehrt sich nicht mehr, weil es weiß, daß es unterliegt... Es singt sich in den Tod, ich spüre es...“ Sie sahen ihn an wie einen Geist. Daß Kholk eine besondere Antenne für das Fremde besaß, das ja aus seinem Universum kam, war nicht verwunderlich. Aber dies jetzt... Was war beim Übergang hierher mit Kholk geschehen? Und das Gras summte lauter. Eine Melodie. Das Singen ergriff Besitz von den Menschen. Ohne daß sie es bemerkten, füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie sanken auf den Moosboden, der nun klebrig und naß war. „Das Schiff!“ murmelte Christine, aber sie nahm es nicht einmal wahr. Vor ihnen starb ein Teil der Natur dieser Welt, und sie erlebten es, als wäre es ein Stück von ihnen. Und genau in dem Augenblick, wo sie reglos ins Gras sanken, brach der Energieschirm um das Schiff unter dem Beschuß der Halbaffen zusammen. Von nun an war es eine Frage der Zeit, wann sie die Funktionsweise des Antriebs begriffen hatten. Denn jetzt saß die geballte Intelligenz eines fremden Dämons in ihnen. Wenn der Diskus mit den Affen an Bord erst einmal gestartet war, würde er andere Welten finden und dort landen, um das Verderben auszuspeien. Denn in den Tieren saß das Grauen, das sich unaufhörlich teilte und neue Substanz gewann. * Das Tor hatte sich geöffnet! Wieder war der Weltentunnel aufgebrochen und hatte für kurze Zeit die beiden Universen verbunden. Wo blieben die Fühler? Der Teil der Urmacht, die nach Jahrmilliarden ins alte Universum zurückgekehrt war, begriff, daß drüben im fließenden Kosmos etwas Unvorhergesehenes geschehen war. Die fünf Eindringlinge! Wie hatten sie es fertiggebracht, ohne diesseitige Einwirkung das Tor zu öffnen? Die Weltenschleuse mußte von drüben geöffnet worden sein! Aber das war unmöglich. Wo blieben die Fühler? Der nächste Schub hatte am anderen Ende des Tunnels auf der Lauer liegen müssen. Was war passiert, daß nichts herübergekommen war? Die fünf eingedrungenen Wesen konnten keine wirkliche Gefahr für die Vorhut darstellen. Zwar war die Zentralballung in der Station gefährdet, aber sie stellte nur einen kleinen Teil der eingedrungenen Macht dar, die in fast jeder lebenden Zelle dieses Planeten steckte. Wichtiger war, daß durch die Selbstzerstörung der Station, die von dem einzelnen Eindringling eingeleitet worden war, auch der Torbogen für immer vernichtet werden konnte. Dann war der Weg zwischen den Ebenen wieder für ewige Zeiten versperrt. Das durfte unter keinen Umständen geschehen. Die Zentralballung schickte dringende Impulse in alle Richtungen. Sofort begann der Rückfluß. Elemente von der Planetenoberfläche wurden abgezogen und vereinigten sich mit der Ballung. Innerhalb von Sekunden vervielfachte sich ihre Energie. Die Sprengung des Weltentunnels mußte verhindert werden! Was mit der restlichen Anlage und den primitiven Hilfswesen geschah, war unwichtig. Sie wurden im Moment nicht gebraucht und waren daher überflüssig. Ein gewaltiges Kraftfeld baute sich auf. Immer noch strömten die Elemente des Gebildes zurück und vereinigten sich mit der Ballung, um das Feld zu verstärken. Dadurch wurde der Einfluß auf die Natur des Planeten kurzzeitig vermindert. Und das genügte den Menschen und Kholk.
* Wie von unsichtbarer Hand weggewischt, fiel der Druck von den Gehirnen der Menschen, und auch Kholk kam zu sich. Sie sahen sich verstört an, als wüßten sie nicht, wie sie hierher und in diese Lage gekommen waren. Auf ihren Gesichtern stand Schweiß. Das Gras war still. Es bewegte sich nicht mehr. „Es ist schwächer geworden!“ stammelte Kholk. „Irgend etwas ist geschehen... Wir sollten zusehen, daß wir...“ „Du hast recht“, rief Skip. „Machen wir, daß wir durchkommen!“ Einer nach dem anderen sprangen sie auf und rannten in den Wald hinein. Sie wußten, daß dahinter das Mutationsgebiet zu Ende war und sie den Diskus sehen konnten. Hoffentlich! dachte Skip. Sie durchquerten den Wald so schnell, daß sie kaum Zeit hatten, sich um die veränderte Umgebung zu kümmern. Jeden Augenblick konnte wieder Leben in die Pflanzen kommen, die jetzt wie abgestorben wirkten. Licht zwischen den Reihen der elastischen Stämme. Der Himmel war schmutziggelb, in der Ferne grollten die Vulkane. Es war die Frage, wie lange der Planet die Belastung aushielt. Niemand konnte wissen, wie weit die Verknüpfung von physikalischen und hyperphysikalischen Prozessen reichte. Skip stockte fast der Atem, als er, daran dachte, daß vielleicht nicht nur Caalis davon betroffen war. Was war, wenn die hyperphysikalischen Stoßwellen durch das Universum rasten und die Sonnen zu Novae, die Planeten zu bebenden Höllen machten? Das Ende des Waldes. Sie standen im Freien und sahen das Schiff. Und um den flachen Diskus herum tanzten ganze Scharen der Affen. Wie beim erstenmal hatten sie sich Zugang ins Innere verschafft. Der Schirm stand nicht mehr. „Verdammt!“ Vanderbuilt hatte als erster die Waffe in der Hand. „Diese verrückten Viecher sind selbst schuld an ihrem Elend.“ Er schoß über eine Gruppe der Tiere hinweg, aber wie schon einmal beobachtet, ließen sie sich nicht beeindrucken. Skip zögerte. Führte der Weg der Menschen wirklich immer nur über Tod und Zerstörung? Die Detonation in ihrem Rücken nahm ihnen die Entscheidung ab. Die Selbstvernichtungsanlage! Die Station flog in die Luft. * Wie vom Schlag getroffen, erstarrten die Affen mitten in ihren Bewegungen. Irgend etwas mußte sie heillos verwirrt haben. Dann fingen sie mörderisch zu kreischen an und sprangen aus der Schleuse. Wie vom Teufel gejagt, stoben sie in alle Richtungen auseinander und verschwanden im Wald oder zwischen den Felsen. Was das bedeutete, lag auf der Hand. „Nicht mehr schießen“, sagte Skip. „Sie sind jetzt harmlos.“ Sie ließen den Lift ausfahren und waren kurz darauf in der Zentrale. Alles war verwüstet, aber es waren keine wesentlichen Elemente zerstört. Zwischen aus der Verankerung gerissenen Kabeln, umgeworfenen Geräten und einigen toten Affen arbeiteten die vier sich zu ihren Sitzen vor. Nur Kholk saß tatenlos herum, während Skip, Christine und Vanderbuilt den Start einleiteten. Schotte fuhren zu und isolierten den Innenraum von der Außenwelt. Der Boden bebte, als der Diskus abhob. Als sie eine Höhe von mehreren hundert Metern erreicht hatten, sahen sie durch Lücken in den Schwefelschwaden, was über der Station der Loorden vorging.
Skip programmierte den Steuercomputer, der sie in einen stabilen Orbit führen würde. Dort unten fand ein kleiner Weltuntergang statt. Und mitten in diesem Chaos steckte ihr Freund. * Christopher Reed wich zurück. Dann stand er mit dem Rücken an der Wand. Die Affenartigen quollen in kreischenden Scharen in den Raum und richteten ihre Waffen auf ihn. Sie können nichts dafür, dachte Reed. Aus ihren irren Augen sprach die ganze Tragik der Situation. Sie waren gezwungen, auf jene zu schießen, die versuchten, das Verhängnis abzuwenden und damit auch den Dämon aus den Tieren zu vertreiben, der diese innerhalb kurzer Zeit zu willenlosen Wracks machte. Reed war mit seinen Gedanken bei den Kameraden. Wenn sie sich nicht früh genug in Sicherheit bringen konnten, war alles umsonst gewesen. Die ersten Schüsse schlugen in der Wand hinter ihm ein und ließen das Material schmelzen. Dann traf der erste Strahl. Er fuhr mitten durch Reeds Brust. Er schloß die Augen, aber der erwartete Schmerz blieb aus. Außerdem konnte er noch denken. Er lebte! Fassungslos riß er die Augen auf und blickte an sich herunter. Er sah das fingerdicke Einschußloch. Der Schuß mußte mitten durchs Herz gegangen sein. Wieder zischte es aus den Waffen der Angreifer. Reed beobachtete, wie sich ein Lichtfinger in seine Hüfte fraß, aber er spürte nichts davon. Plötzlich wurde ihm schwindlig. Er lehnte sich gegen die Wand und sank langsam in die Knie. Die Affen spielten verrückt, weil er immer noch lebte. Dumpfes Dröhnen raste durch seinen Kopf. Dann zitterte der Boden unser seinen Füßen. Die Wände schwankten. Alles drehte sich, und Reed hatte das Gefühl, von einer unsichtbaren Faust ergriffen und emporgehievt zu werden. Er fuhr direkt in die Decke des kleinen Raumes. Er begriff nicht mehr, was vorging. Als der Kampf übergelagerter Energien begann, schwebte sein Bewußtsein in einer anderen Ebene. Sein Körper war an der Wand zu- sammengesunken. Wenig später wurde er zusammen mit den Affen von der Explosion zerfetzt. * Der Impuls zur Aktivierung erreichte zum vorausbestimmten Zeitpunkt die Selbstvernichtungsanlage der Station. Die Zündung der überall verborgenen Batterien erfolgte. Aber nur Teile der Anlage detonierten: Ein Gegenpol hatte sich aufgebaut, der die eingeleiteten Prozesse im Elementarbereich stoppte und neutralisierte. Der Gegenpol, das war die konzentrierte Mentalkraft der verstärkten Ballung. Die direkte Umgebung des Bogenraums wurde isoliert und unter ein schützendes Feld gelegt. Ebenso wichtige Teile der Station wie das Abstrahlfeld zur Oberfläche und die große Halle. Alles andere fiel der Gewalt der entfesselten Energien zum Opfer. Kräfte wurden frei und drangen nach außen, wo sie die Kruste des Planeten an einigen Stellen aufbrechen ließen. Aber der Block um das Weltentor hielt stand. Die freigesetzten Kräfte tobten weiter. Ein Ende ließ sich noch nicht absehen. Noch stand das Tor und damit die Gefahr der weiteren Invasion von DRÜBEN. Es schien, daß Reed sein Ziel nicht erreicht hatte.
8. Die neuen Körper waren in jeder Hinsicht perfekt, aber auch sie forderten den Tribut der Strapazen. Die Vernunft siegte über das Gefühl, und die drei Menschen und der Tharevo beschlossen, sich erst einmal auszuruhen. Unten auf Caalis war die Hölle los, aber sie hätten im Moment nichts ausrichten können. Die Anstrengungen der letzten Stunden und Tage machten sich jetzt bemerkbar. Nachdem sie zum erstenmal seit langer Zeit wieder in der gewohnten Umgebung des Schiffes waren. Skip hatte eine fünfstündige Ruhepause angeordnet. Sollte etwas Unvorhergesehenes eintreten, so würde eine Automatik sie wecken. Skip lag zusammen mit Christine auf der Liege seiner Kabine. Vieles, das ihnen in den letzten Tagen unverständlich geblieben war, kam jetzt zum Ausdruck. Bisher hatten sie kaum Zeit gehabt, sich Gedanken zu machen, aber nun drang alles um so heftiger auf sie ein. „Was sind wir eigentlich, Chris?“ fragte Skip. Sie lagen nebeneinander und starrten ins Halbdunkel. Vielleicht wartete jeder von ihnen auf ein Zeichen des anderen, aber beide waren gehemmt. Der Schatten Reeds hing noch immer über ihnen in Form eines schlechten Gewissens. Sie zuckte die Schultern. „Manchmal komme ich mir vor wie ein besserer Robot“, fuhr der Mann fort. „Wir geraten in eine Situation, die einfach nicht wahr sein kann, allem widerspricht, das wir bisher für logisch und möglich hielten, und akzeptieren sie. Mehr noch: Wir meistern sie. Was macht uns dazu fähig?“ „Ich weiß nicht“, sagte sie wahrheitsgemäß. „Wir handeln, als ob wir...“ Er fand nicht die entsprechenden Worte. „... Wir haben keine richtigen Gefühle mehr, Chris!“ „Nein, Skip?“ fragte sie. Im Halbdunkeln sah er ihr fast verspieltes Lächeln. Es irritierte ihn. Sollte er sie jetzt in die Arme nehmen? Skip war unsicher. Er dachte an Reed, der lange Zeit mit ihr zusammengewesen und jetzt vielleicht tot war. Wie ein Film lief die Vergangenheit vor ihm ab: aufgewachsen als Sohn armer Leute in einem mexikanischen Dorf an der Westküste Amerikas, ein einfacher Fischerjunge bis die UFOs kamen und ihn verschleppten, zusammen mit Christine, Reed und Vanderbuilt. Und mit dem Alten. Die Odyssee durch den Weltraum in einem der Totenschiffe, die von ihrer Mission zurückkehrten. Loord, der Weg nach Caalis. Es war Verrückt! Sie waren zurückgekehrt und hatten den Alten, den letzten Unsterblichen von Loord nicht mehr gefunden. Sein Hilferuf, der Weg hinüber, die Rückkehr - und jetzt die Hölle unter ihnen. Sollten sie niemals zur Ruhe kommen? Oder fing es jetzt erst richtig an? Skip fühlte wieder die ungeheure Verantwortung auf seinen Schultern. Wächter! Sie waren zu Wächtern der Schleuse geworden, die in den anderen Kosmos führte, wo das Grauen lauerte und zum Sprung bereit war. „Skip!“ flüsterte Christine, die ihn beobachtete. „Mach dich nicht verrückt, damit hilfst du keinem, und dir am wenigsten.“ „Eigentlich hast du ja recht, aber...“ „Kein Aber, Skip. Wir werden früh genug wieder hinunter müssen.“ Der Raumfahrer brachte ein Lächeln zustande. Er betrachtete die Frau, die einmal so etwas wie eine große Schwester für ihn gewesen war. „Er steht dir gut“, sagte er, um sich abzulenken. „Was denn?“ Sie stutzte, dann lachte sie. „Der Körper?“ „Fast perfekt“, meinte Skip. „Ziemlich“, antwortete sie spitzbübisch. Skip verstand die unterschwellige Aufforderung. Wenn er doch nur Reed vergessen konnte. Aber da war noch das andere: Sie war unsterblich; er, Skip, würde eines Tages altern, ebenso wie Reed. Er merkte plötzlich, wie lächerlich er sich benahm. Skip streckte die linke Hand aus und griff
in ihr Haar. Dann zog er sie zu sich heran. Er hatte sie noch etwas fragen wollen. Ihre Andeutung auf der Welt der Gläsernen, bevor sie aufgebrochen waren... Aber sie würde schon von sich aus darauf zurückkommen. „Zwanzig Jahre“, flüsterte Skip. „Zwanzig Jahre habe ich darauf gewartet.“ „Psst!“ Christine hielt ihren Zeigefinger auf seinen Mund. „Sei still jetzt...“ Irgendwann, so dachte Skip, werden wir unsere eigenen Körper wiederfinden, und dann... Zwanzig Minuten hatten sie Zeit, die Welt und alle Probleme zu vergessen. Dann krachte und polterte es an ihrer Tür. * Harry Vanderbuilt glich einem Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. Er versuchte, sich zu beherrschen. Kholks Blicke einfach zu ignorieren. Aber das war verdammt schwer für den Mann, der im Körper einer alten Frau steckte. Und Kholk hatte nichts anderes zu tun, als ihn anzuglotzen wie ein seltenes Tier. Vanderbuilt bewahrte Haltung, aber er spürte; daß er bald aus der Haut fahren würde. Harry Vanderbuilt, kampferprobter Luftwaffenpilot, Major - ein altes Weib! Beide saßen sie in der Kommandozentrale des Schiffes in bequemen Schwenksesseln und versuchten, sich zu entspannen. Vanderbuilt schloß die Augen und tat so, als sei er schläfrig. Nach fünf Minuten blinzelte er vorsichtig zu Kholk hinüber. Der starrte ihn immer noch an. Da platzte es aus dem Haudegen heraus: „Verdammt noch mal, hast du nichts Besseres zu tun, als mich anzustarren? Hast du noch nie einen Raumfahrer...äh... eine Dome gesehen? Was?“ Kholk schrak zusammen. Einen Moment lang schien er verwirrt, dann fragte er unschuldig: „Was ist das, eine ,Dame’?“ Vanderbuilt stöhnte und hielt sich die rechte Hand vor die Augen. Er hatte das Gefühl, mit einem Bantuneger zu reden, der zwar immer nickte, wenn man ihm etwas sagte, aber nichts verstand. „Da!“ sagte Harry und deutete auf einen mittelgroßen Monitor, der den Weltraum zeigte. „Schau hin! Willst du dich nicht informieren, wo wir sind? Wie’s hier bei uns aussieht? Da, die schönen Sterne, so was habt ihr bei euch nicht. Warum siehst du dir nicht den Weltraum an? Der ist interessanter als meine Nase!“ Aber Kholk nickte nur und lächelte. Er betrachtete weiterhin sein Gegenüber mit größtem Interesse. Ein furchtbarer Verdacht regte sich in Vanderbuilt. Er hatte sich im Spiegel gesehen. Er wirkte zwar resolut, aber nicht gerade unattraktiv als Frau. War es möglich, daß sich Kholk in ihn verliebt hatte? „Nein!“ stöhnte Vanderbuilt. „Christopher... wäre ich doch nur mit dir in der Station geblieben, dann hätte mir das Schicksal diesen Alptraum erspart. Womit habe ausgerechnet ich das verdient?“ Er erstarrte plötzlich und schwieg. Was war das gewesen, jetzt gerade? „Hast du das gehört, Kholk?“ fragte Vanderbuilt leise. Der Tharevo aus dem anderen Kosmos zuckte die Schultern. Er hatte sich vollkommen an die menschliche Mimik und Ausdrucksform gewöhnt. „Was denn?“ „Es war, als ob...“ Er winkte ab. „Vergessen wir’s, es war nichts!“ Dennoch war er unruhig geworden. Er sagte Kholk, daß er sich ein wenig in seiner Kabine hinlegen wollte und verschwand aus der Zentrale. Und da war es wieder! Es rief nach ihm! „Christopher!“ schrie Vanderbuilt in heller Panik. „Wo steckst du, Chris, antworte doch!“
Er sah sich um und spürte, wie ihm der Schweiß von der Stirn rann. Es war Reed gewesen, kein Zweifel! Aber Christopher Reed konnte sich nicht im Schiff befinden. Er war in der Station und wahrscheinlich dort umgekommen. Wieder war die Stimme in seinem Gehirn, und jetzt wußte Vanderbuilt, daß der Rufer in Not war. Verzweifelt torkelte er auf die Kabinen zu. Er spürte, wie seine Kräfte ihn verließen. Bis zu seiner Tür schaffte er es nicht mehr, aber rechts sah er Skips Kabine. Er warf sich mit aller Wucht gegen die Wand und hämmerte gegen die Tür. * „Wer konnte es schon anders sein“, stöhnte Skip, als Vanderbuilt fast in die Tür stürzte, nachdem er den automatischen Öffner betätigt hatte. „Unser lieber Harry. Guten Abend, Madame Vanderbuilt!“ Das Scherzen verging ihm, als Christine das Licht einschaltete, und er Vanderbuilts Gesicht sah. Er packte den Taumelnden und führte ihn zu einer Sitzgelegenheit. Fast hilfesuchend blickte Skip hinüber zu Christine, die die Tür schloß. Er ging zum Getränkeautomaten und zapfte einen starken Kaffee. Vanderbuilt nahm den Becher schweigend entgegen und trank. Erst nach fast drei Minuten stöhnte Harry auf und holte tief Atem. „Reed ist im Schiff“, sagte er unvermittelt. „Chris hat es irgendwie geschafft.“ „Christopher?“ Skip sah Christine ungläubig an. „Das ist unmöglich, Harry! Wir sind allein hier. Wie sollte er an Bord gekommen sein?“ „Verdammt noch mal! Als ob ich das wüßte! Wenn ich dir aber sage, er ist im Schiff, dann ist er es auch, kannst du das nicht begreifen?“ Es war unmöglich! Reed konnte nicht hier sein! „Irgendwann wirst du ihn hören, Skip“, fuhr Vanderbuilt ruhiger fort. „Dann sprechen wir uns wieder. Was tun wir jetzt?“ Skip zapfte auch für sich einen Becher Kaffee. Christine zeigte keine besonderen Spuren von Erschöpfung. Ihre Kräfte regenerierten sich schneller als die der anderen. „Gehen wir in die Zentrale“, schlug Skip vor. „Kholk soll dabei sein, wenn wir beraten. Außerdem müssen wir wissen, wie es unten aussieht.“ Wenig später saßen sie in der Kontrollzentrale um einen runden, mit kleinen Monitoren und Folien bedeckten Tisch und versuchten, ihre Situation zu analysieren. „Wir sind auf uns gestellt“, erklärte Skip. „Wir können von nirgendwo Hilfe erwarten; erstens weiß niemand, was sich hier tut, zweitens kennen wir keine raumfahrenden Rassen in der Nähe. Es ist vor allem wichtig, daß nicht zufällig doch ein Schiff einer solchen, uns noch unbekannten Rasse hier auftaucht und auf Caalis landet. Der Planet muß vollkommen isoliert bleiben, denn das Etwas dort unten kann sich anscheinend nicht im Vakuum fortbewegen. Um weiter in unser Universum vorzudringen; benötigt, es ein Medium - ein Schiff zum Beispiel. Wir müssen also dafür sorgen, daß nicht irgendein Zufall diesen Kontakt schafft. Weiterhin müssen wir versuchen, die Station mit dem Dimensionstunnel auszuschalten. Der Tunnel muß entweder nur von uns kontrolliert werden können, oder aber wir müssen ihn vernichten. Reed scheint es nicht geschafft zu haben, sonst hätten wir die hyperenergetischen Auswirkungen zu spüren bekommen. Es besteht also immer noch die Gefahr, daß dieses Etwas weitere Teile seiner Substanz herüberholt, wenn es ihm gelingt, den Tunnel zu öffnen.“ „Außerdem werden sie sich drüben nun verstärkt darauf konzentrieren, von dort aus die Schleuse zu öffnen, nachdem sie wissen, daß es doch möglich ist.“ Christine sprach die Ereignisse vor ihrer Rückkehr an. Sie wußte eigentlich selbst nicht, wie sie zurückgekommen waren, denn sie hatten den Vorgang nicht bei vollem Bewußtsein erlebt. Die Gläsernen hatten sie auf den Weg gebracht und mußten das Tor geöffnet haben. Gleichzeitig mußten sie die
dort herrschende Macht abgelenkt haben, sonst wären Teile von ihr mit herübergelangt. „Wenn wir den Tunnel vernichten, kommen wir nie mehr ‘rüber!“ protestierte Vanderbuilt. „Wie sollen wir je unsere Körper zurückbekommen? Und der Alte? Was wird mit ihm?“ „Du hast recht, Harry. Ich schlage folgendes Vorgehen vor: Wir müssen versuchen, die Station, beziehungsweise das, was von ihr noch übrig ist, in den Griff zu bekommen. Dazu aber müssen wir mit dem Schiff herunter, können also unsere Aufpasserfunktion hier oben nicht ausfüllen. Wir müssen ein Risiko eingehen.“ „Wir haben nur das eine Schiff“, murmelte Christine. An ihrem Blick sah Skip, daß sie das gleiche dachte wie er. „Wie lange, Chris?“ Sie zuckte die Schultern. „In zwei Tagen müßte ich wieder hier sein.“ „Zwei Tage“, meinte Skip. „Die Wahrscheinlichkeit, daß gerade dann hier jemand unerwünschterweise auftaucht, ist fast gleich Null. Wir sollten es versuchen.“ „Kann mir freundlicherweise jemand erklären, wovon ihr redet?“ fragte die alte Dame am Tisch. „Ich schlage vor, wir landen in der Nähe der Station. Du, Kholk und ich steigen aus und versuchen, uns zur Station durchzuschlagen, während Christine wieder startet, nach Loord fliegt, wo massenweise, flugfähige, intakte Schiffe verlassen herumstehen, einige Schiffe programmiert, so daß sie automatisch hierherfliegen, und schnellstens wieder zurückkommt. Christine kennt sich in der loordschen Technik am besten von uns allen aus. Wenn es einer schafft, dann sie.“ „Du weißt, Freund, daß unter uns die Hölle los ist“, erinnerte Kholk. „Die Brücke nach drüben steht noch, das kann ich selbst hier oben spüren, aber die Schirme zeigen Verwüstungen schlimmsten Ausmaßes um die Station herum.“ „Weißt du etwas Besseres?“ fragte Skip. „Nein, Freund.“ Kholk lächelte. „Und du, Harry?“ „Hol mich der Teufel!“ brummte Vanderbuilt. „Aber die Idee könnte von mir stammen. Selbstverständlich machen wir’s so!“ „Ich glaube, daß Kholk uns eine große Hilfe sein wird“, schloß Skip die Beratung ab. „Er wird die Gefahr eher spüren als wir.“ „Noch etwas“, warf Vanderbuilt ein. „Wenn Christopher sich wieder meldet...“ „Wir können nichts tun als abwarten, Harry. Wir machen uns die gleichen Sorgen wie du, das müßtest du mittlerweile wissen. Wenn er an Bord ist, werden wir ihn finden... oder er uns.“ Vanderbuilt nickte schwer. Skip hatte Mitleid mit dem Mann. Unter der harten Schale steckte ein sehr weicher Kern. Und der mußte erst einmal mit dem fast sicheren Verlust seines besten Freundes fertig werden. „Sagen wir - in dreißig Minuten, einverstanden?“ „Ja, Sir!“ brummte Vanderbuilt und stand auf. Als er weg war, fragte Skip Christine sprachlos: „Was war das?“ Sie zuckte nur die Schultern. * Als sie den Diskus in der stickiggelben Luft verschwinden sahen, wußten sie, daß sie von nun an auf sich selbst gestellt waren. Alles, was sie an technischen Hilfswerten besaßen, trugen sie bei sich. Die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände waren dabei ohne Zweifel die Raumanzüge mit den Antigravaggregaten, die ihnen einen Marsch durch die teilweise aufgebrochene Oberfläche von Caalis ersparen würde. Weiterhin trugen sie Atemmasken, denn die Luft war nicht mehr zu atmen. Es war etwas Geheimnisvolles um ihre Kunstkörper; einerseits hielten sie viel größeren Belastungen stand als die eigenen, die sie irgendwo in der anderen Dimension verloren hatten,
andererseits aber waren sie auf Atmung und ähnliche für den Stoffwechsel wichtige Dinge (wie Essen und Trinken) angewiesen. Hätten sie geahnt, was vor nicht allzu langer Zeit mit Reed geschehen war, dann hätten sie sich weit mehr Gedanken gemacht. So aber konzentrierten sie sich auf ihre Aufgabe. Reed hatte sich nicht wieder gemeldet, und auch Vanderbuilt glaubte inzwischen, daß er Halluzinationen gehabt hatte. Sie befanden sich an jenem Platz, wo das Schiff nach der ersten Landung verankert worden war. Dichte Rauchschwaden trieben vor ihnen her, und nur undeutlich erkannten sie den Rand des mutierten Waldes vor sich. Sie erschraken bei dem Anblick. Die Bäume, die sich noch bei ihrer Flucht gebogen und wie unter wilden Impulsen zitternd bewegt hatten, waren still geworden. Mehr noch: Sie wirkten leblos... tot! Die Pflanzen der Mutationszone waren keine Pflanzen im eigentlichen Sinn. Sie schienen eine Art Bewußtsein, ein Kollektivwesen entwickelt zu haben, das hatten die Menschen schon damals erkennen müssen, als sie mit dem Alten die Station gesucht hatten, denn um ein Haar wären sie dem fast hypnotischen Bann dieser phantastischen Welt zum Opfer gefallen. Was hatte Kholk noch gesagt, als sie das Gras durchquert hatten? Es singt sich in den Tod! Die drei Männer aktivierten die Rückenaggregate und stießen sich leicht ab. Das genügte, um sie in die Luft zu tragen. Skip setzte sich an die Spitze und nahm Kurs auf die Station. „Kannst du etwas feststellen, Kholk?“ Über den Empfänger im Helm kam zögernd die Antwort. „Ich weiß nicht genau, Vanderbuilt stört mich...“ „Was tue ich?“ schaltete sich die dritte Stimme in das Gespräch ein, während sie über die ersten schlaffen Bäume flogen.. „Ich kann es nicht erklären“, sagte Kholk. Er schien verwirrt, und die Situation war ihm offenbar peinlich. „Es ist sonderbar, Freund Harry... irgendwie bist du zwei...“ „Ich bin... zwei? Wovon redet er, Skip?“ „Vielleicht spielt er auf deine Figur an.“ „Wenn ich die Augen schließe, spüre ich euch“, versuchte Kholk eine Erklärung zu geben. „Harry ist dann zweimal.“ „Kholk... was kannst du eigentlich?“ fragte Skip. „Bist du in der Lage, von unten Impulse zu empfangen? Ich meine... spürst du den eingedrungenen Teil der Schöpfer?“ „Sie sind überall. Sie haben sich auf die ganze Welt verteilt, aber sie ballen sich vor uns zusammen, dort, wo die Station war.“ „Und es sind nicht mehr geworden?“ „Sie teilen und vermehren sich, aber es sind keine neuen von drüben gekommen.“ Skip atmete auf. Vor ihnen tauchten Baumwipfel auf, und sie stiegen höher. Die Sicht betrug immer nur wenige dutzend Meter. Dann und wann zuckten Blitze durch die Atmosphäre. Sie überflogen die Waldzone und erreichten jene Stelle, an der sich das blaue Gras ausgebreitet hatte. Erschreckt erkannten sie die breiten Risse, die das Laub des Waldes bisher vor ihren Augen verborgen hatte. Täuschten sie sich, oder schimmerte es rötlich aus den Rissen? Nach wenigen Sekunden hatten sie Gewißheit. Überall war die Kruste des Planeten aufgebrochen, und das glutflüssige Innere drang nach oben. Wie sollten sie in diesem Chaos den Eingang zur Station finden? Was würden sie überhaupt noch finden? Nach Kholks Angaben existierte der Tunnel noch, und auch das Fremde mußte sich noch unter der Oberfläche befinden. Aber wenn Reed einen Teil in die Luft gesprengt hatte? Dichte Wolken stiegen aus dem Boden unter ihnen hoch und nahmen ihnen die Sicht. Zu allem Überfluß begann es nun auch noch zu regnen. Dicke, gelbe Tropfen klatschten auf die Sichtscheiben ihrer Helme. Ein greller Blitz zerschnitt für einen Sekundenbruchteil die Luft
und blendete die Männer, die sich gegen plötzlich aufgekommene Sturmböen zur Wehr setzen mußten. „Es hat keinen Sinn, wir müssen ‘runter!“ schrie Skip in sein Helmmikrophon, während er versuchte, etwas zu erkennen. „Bist du verrückt?“ schrie Vanderbuilt zurück. „Da kommen wir nie durch!“ „Wir müssen ‘runter, Harry. Kholk, wo bist du... hörst du mich?“ In dieser gelbbraunen Suppe war jeder Sichtkontakt untereinander unmöglich geworden. „Kholk? Kholk, melde dich!“ „Was ist los, Skip“, fragte Vanderbuilt. „Ist er weg?“ „Keine Ahnung. Kholk! Melde dich doch!“ Aber das Wesen antwortete nicht. Diesmal war es Skip, der fluchte. In den Wolken war nichts zu erkennen. „Runter, Harry!“ Skip wartete nicht ab, ob Vanderbuilt folgte, sondern ließ sich hinabsinken, auf die tobende Oberfläche des Planeten zu. Kholk! Wenn er nur antworten würde! Er allein konnte ihnen den Weg zu den Invasoren weisen. Aber Kholk schwieg. * Kholk war von einer plötzlichen Bö abgetrieben worden und gegen einen vereinzelt aufragenden Baumstamm geprallt. Sein Hilferuf war ohne Antwort geblieben. Kholk schloß daraus, daß irgend etwas an seinem Funkgerät defekt sein mußte. Er war also allein und konnte in diesem Chaos keine Hilfe erwarten. Tharero Kholk ließ sich langsam auf den Boden sinken. Glücklicherweise landete er in einer stabilen Zone, aber er hatte keine Sicht. Es war erstaunlich, wie gut das Wesen mit diesem Körper, der ihm absolut fremd gewesen war, zurechtkam. Nicht nur das; auch die Apparaturen, die Handhabung dieses Anzugs machten ihm keine Schwierigkeiten. Kholk blieb stehen und stemmte sich gegen den stärker werdenden Wind. Er versuchte, Impulse zu empfangen. Seltsamerweise war der „Empfang“ jetzt besser als vorhin in der Luft. Dieser Freund, der Harry hieß, er war zweimal! Kholk hatte sich nicht getäuscht! Aus der Richtung, in die sie geflogen waren, kamen Impulse. Kholk hätte am liebsten abgeschaltet, wenn er seine Sinne hätte kontrollieren können, so widerlich war ihm das, was er empfing. Die Ausstrahlung der Schöpfer! Kholk setzte sich in Bewegung. Sie hatten sich an einer Stelle gesammelt. Ohne Zweifel steckten sie immer noch in jeder lebenden Zelle auf dieser Welt. Aber in der Nähe der Station hätten sie sich zusammengezogen. Weshalb? fragte sich das Wesen. Irgendeinen Zweck müßten sie schließlich damit verfolgen. Natürlich hatten sie versucht, den Weltentunnel gegen die Zerstörung abzuschirmen, aber inzwischen mußte diese Gefahr gebannt sein. Die Folgerung war klar: Sie arbeiteten daran, die Schleuse zu öffnen für weitere Teile des Monstrums, das vor langer Zeit Kholks Welt versklavt hatte. Kholk spürte die Wut. Deshalb war er mit den vier Wesen aus diesem ihm fremden Universum gegangen. Sein Ziel war die Zerstörung des Monstrums. Aber jetzt, allein im Sturm und umgeben von Blitzen und Donner, war die Zuversicht geschwunden. Wo sollte er anfangen? Kholk begann, den Eingang zu suchen. Er wußte noch, daß er eine schwarze Platte finden mußte. Aber wo, wenn kein Stein mehr auf dem anderen stand? Vielleicht war sie bereits in einer Erdspalte versunken? Er mußte suchen? Kholk hatte sich gegenüber eine Pflicht zu erfüllen. Das Monstrum durfte
nicht von diesem Universum Besitz ergreifen, denn nur von hier konnte einmal die Erlösung für Kholks eigenen Kosmos kommen. Dazu aber brauchte er das Weltentor. Kholk zerbrach fast unter der Last, die er trug. Wie sollte er die eingedrungenen Fühler der Schöpfer unschädlich machen, ohne die Weltenschleuse zu zerstören? Vielleicht konnte man sie zwingen, zurückzugehen? Kholk schüttelte verzweifelt den Kopf. Nach einer Viertelstunde fand er die schwarze Platte. * Die Ballung spürte, wie sie sich wieder näherten. Sie kamen zurück, und dieses Mal würde sie sie nicht erst zum Zug kommen lassen. Diese Wesen waren gefährlich. Ein Teil der Energie der Ballung stabilisierte weiterhin den Raum um die Weltenschleuse, während andere energetische Fühler sich nach außen vortasteten. Diesmal war die Ballung vorbereitet. Sie schirmte einen Teil ihrer Impulse ab und wartete. * Vanderbuilt hatte Skip kurz als flüchtigen Schemen in den dichten Wolken vorbeiziehen sehen, dann war er wieder entschwunden. Harry Vanderbuilt spürte, wie er den Boden berührte. Im gleichen Moment stieß er sich wieder ab. Irgend etwas hatte sich unter ihm bewegt! Er trieb ein Stück weiter und versuchte es noch einmal. Diesmal hatte er mehr Glück und blieb stehen. „Skip!“ brüllte er in sein Helmmikro. „Alles klar?“ „Ja“, kam es deutlich zurück. „Wo steckst du?“ Vanderbuilt blickte sich um, konnte aber außer der gelben Grütze und dem dampfenden, braunen Boden zu seinen Füßen nichts erkennen. „Keine Ahnung“, gab er zurück. „Paß auf, ich gebe ein Signal!“ Er zog den erbeuteten Strahler aus dem Gürtel und gab einen Schuß in die Luft ab. „Ich habe die Richtung“, kam Skips Stimme aus dem Empfänger. „Warte auf mich!“ Vanderbuilt brummte eine Zustimmung. Er versuchte, etwas von der Umgebung zu erkennen. Es war zwecklos. Nur wenn ein Windstoß in die Schwaden hineinfuhr, konnte er für einen kurzen Augenblick etwas sehen. Teile von entwurzelten Sträuchern. Solche Pflanzen waren in der Nähe der Platte gewesen. Der Einstieg mußte also ganz in der Nähe sein. Während er wartete, dachte Vanderbuilt über Kholks merkwürdige Worte nach. Wieso war er zwei? Was sollte diese Erklärung? Zwei? „Schieß noch einmal in die Luft, du doppelte Portion!“, hörte er Skips Stimme. Er gab den Schuß ab, nicht ohne einen kommentierenden. Fluch. Wenig später stand die schlanke Figur des jungen Mannes vor ihm. „Auf geht’s!“ sagte Skip und richtete den Strahl einer Stablampe auf den Boden. Dann begannen sie mit der Suche nach einer schwarzen Platte, von der sie nicht einmal wußten, ob sie überhaupt noch da war. Kholk betrat sie gerade in diesem Augenblick.
9. Kholk wußte, daß der Schritt auf die Platte ihn ins Ungewisse führte, wahrscheinlich sogar in den Tod. Es gab kein Zurück mehr. Dennoch trat er vor und entmaterialisierte. Als er wieder etwas wahrnehmen konnte, stellte er fest, daß er in eine Falle gegangen war. Der Raum war noch der gleiche, von dem aus sie die Station verlassen hatten. Kholk konnte auf den ersten Blick eine Veränderung erkennen, die auf Zerstörungen oder die Auswirkungen von Detonationen in anderen Teilen des Komplexes zurückzuführen waren. Aber er sah etwas anderes: Über die weißschimmernden runden Wände zogen sich dicke Adern wie das Netz einer Riesenspinne. Die Adern waren flächig und schwarz und wirkten wie aus der Wand gewachsen. Das Monstrum hatte tatsächlich einen großen Teil seiner Kapazität hier zusammengezogen. Es hatte auf ihn und seine Freunde gewartet. Kholk wußte, daß jetzt der Augenblick gekommen war, in dem er das freigeben mußte, was er in sich trug. Er war gefangen und konnte hier nicht mehr heraus. Aber das hatte der Tharevo auch nicht vor. Er hatte bereits oben gewußt, was ihn hier erwartete. Trauer beschlich das Gemüt des Wesens. Es war unsagbar fremd hier. Kholk stammte von drüben, und trotz aller Schrecken und Grauen war dort seine Heimat. Er hatte sich schnell an die neue Umgebung hier gewöhnt und seine Freunde liebgewonnen. Es war die Ausstrahlung einer neuen Welt, einer drüben lang vergessenen Freiheit, die aus ihnen sprach. Der fremde Körper, nach ihrem Vorbild geschaffen, war nur ein ungewohnter Behälter für Kholks Bewußtsein, so wie auch die Freunde ihre richtigen Körper verloren hatten. Aber Kholk hätte gerne in diesem Körper mehr von dieser Welt gesehen, andere Planeten, und vor allem jene Welt namens Erde, von der seine Freunde stammten. Sie hatten oft davon geredet. Die Erde mußte herrlich sein.‘ Es war schwer für Kholk, die Entscheidung zu treffen. Nie mehr würde er sie wiedersehen. Aber gerade die Sorge um sie und diese Erde und viele Welten, die wie sie waren, gab letztlich den Ausschlag. Wenn die Ausläufer der Schöpfer nicht hier und jetzt unschädlich gemacht wurden, würde das Leben auf vielen blühenden Welten bald finster und versklavt sein. Er konnte nicht mehr warten. Mit Skip und Harry hätte er eine Chance gehabt, die Weltenschleuse zu schonen, so aber würde sie das, was nun kam, nicht überstehen. Eine Träne stand in seinem Auge, als er den Impuls zur Öffnung gab. Keiner, nicht einmal Skip, wußte, was Kholk von drüben mit herübergebracht hatte, tief in seinem Innern ruhend. Es war eine Waffe, die in seinem Kosmos nichts gegen die ungeheure Macht der Schöpfer hätte ausrichten können. Hier aber sollte sie stark genug sein, es mit der Vorhut des Monstrums aufzunehmen. Kholk sank in der Mitte der Rematerialisationsfläche zusammen, als er mit der gespeicherten Energie, die nichts anderes war als das geistige Potential eines Volkes der Dunkelzone auf Lyr, das den Menschen verborgen geblieben war, auch seine Lebenskraft aus sich strömen fühlte. Die schwarzen Adern in den Wänden begannen sich vor seinen Augen aufzulösen. * „Was ist?“ fragte Vanderbuilt und blickte hinüber zu Skip. „Was soll sein?“ meinte der. „Ich habe nichts gesagt.“ „Aber ich habe... schon gut, eine Täuschung, man wird ja ganz verrückt in dieser Suppe!“ Skip fragte nicht weiter, aber er machte sich seine Gedanken. Harry benahm sich seltsam. Fast eine Viertelstunde lang hatte er geschwiegen. Für ihn eine halbe Ewigkeit. Er macht sich Sorgen wegen Kholks Bemerkung! dachte Skip.
Plötzlich bebte die Erde unter ihren Füßen, und Skip fiel vornüber in feuchten Schlamm. Vanderbuilt war sofort bei ihm und half ihm auf. Die Helmscheibe war verschmiert und mußte erst abgewaschen werden, bevor sie sich in die Augen sehen konnten. Beide wirkten erschöpft. „Wenn wir die Platte nicht bald finden, ist es zu spät. Ich frage mich überhaupt, wie wir es hier aushalten sollen, bis Christine mit den Schiffen da ist. Wir werden sie nicht einmal sehen können!“ „Wenn wir in der Station sind, dürften wir sicher sein“, beruhigte Skip ihn. „Wenn es überhaupt noch eine Station gibt. Von alleine ist das hier nicht entfesselt worden. Christopher muß einen großen Teil in die Luft gejagt haben.“ „Der Tunnel existiert noch. Ich vermute, daß die Station aus mehreren autonomen Einzelsektionen besteht. Die Vernichtung einiger Teile muß also nicht heißen, daß die anderen nicht mehr existieren. Wahrscheinlich haben sie alle ihre eigenen Schutzsysteme, Schirme und dergleichen.“ „Dein Wort in Gottes Ohr“, murmelte Vanderbuilt. Dann hielt er abrupt an. „Hier! Komm noch mal mit der Lampe!“ Skip blieb stehen und folgte mit dem Lichtkegel des Scheinwerfers Vanderbuilts ausgestreckter Hand. „Die Platte! Fast wären wir zwei Trottel vorübergerannt.“ Sie traten auf den schwarzen Kreis zu. Die Platte war unversehrt. Und dann sahen sie die Spuren, die in die hauchdünne Schmutzschicht rings um die Abstrahlplatte getreten waren. „Kholk!“ stieß Skip aus. „Er war vor uns hier. Und er ist mit Sicherheit bereits unten...“ Sie waren die Essenz einer Rasse, die mit vielen anderen Arten ein Leben in der Dunkelheit gewählt hatte statt einem in der Knechtschaft. Als das Böse von dem anderen Universum herüber in ihren Kosmos kam, tauchte sie in den dunklen Zonen unter. Die Legenden berichten davon, daß sie sich in sich selbst zurückzogen und eine Art positiver Energie aufgebaut hatte, die einen Gegenpol darstellte zu der Kraft der Schöpfer. Sie hatte die Hoffnung niemals aufgegeben, eines Tages ihre Kraft gegen die Schöpfer einzusetzen, aber sie war noch zu schwach. Es gab viele Rassen, die zusammen gegen die Herrscher ihrer Welten arbeiteten, aber es reichte nicht, um die Macht zu brechen, die ihren Kosmos versklavte. Kholk hatte gewußt, was er tat, als er die Wesen bat, sich ihm anzuvertrauen. Sie hatten ihre Energie in ihn überfließen lassen, und er hatte sie mitgenommen durch das Tor zwischen den Welten. Wenn es hier gelang, die Fühler der Schöpfer zu besiegen, dann bestand die Chance, daß eines nicht zu fernen Tages die Fremden zurückkommen würden und den Bann von ihnen nahmen. Kholk glaubte fest daran. Und er glaubte daran, daß sie stärker sein würden. Die Entwicklung hatte bereits begonnen, aber sie hatten es noch nicht gemerkt. Kholk bekam nur vage mit, wie der unheimliche Kampf um ihn herum entbrannte. Selbst die Impulse, die ihn erreichten, waren schwach geworden. Die gesamte Energie, die Kholk freigesetzt hatte, prallte auf die schnell reagierende Ballung des Monstrums, das die Gefahr erkannt hatte. Die beiden Energien fuhren ineinander und tauchten die Räume der Station in ein gleißendes Inferno. Das war alles, was menschliche Sinne wahrnehmen konnten. Was sich wirklich zwischen den beiden Polen abspielte, entzog sich dem Fassungsvermögen eines Normalsterblichen. Kholk spürte noch, wie die Schwingungen des Monstrums in Panik gerieten. Wir schaffen es! Ein letzter Triumph durchfuhr ihn und ließ den Kunstkörper zittern. Aber auch Enttäuschung mischte sich hinein. Kholk ahnte, daß die Weltenschleuse bis jetzt nur durch stabilisierende Energien des Monstrums aufrechterhalten worden war. Das Monstrum würde unterliegen. Aber damit war auch ein für allemal der Weg hinüber abgeschnitten.
Kholks Freunde hätten es schaffen können, aber sie waren nicht hier. Sie kannten sich aus hier unten und wußten, was technisch möglich war. Wenn diese Loorden die Schleuse errichtet hatten, konnten sie sie auch schützen und die Verwüstungen durch die Detonationen beheben, soweit sie den Tunnel betrafen. Kholk gab sich einen Ruck und wälzte sich herum. Immer noch lag er auf der Rematerialisationsplatte und konnte sich nicht wegbewegen. Seine Augen waren geblendet von den Entladungen um ihn herum, aber das nahm er nicht wahr. Es war dunkel für Kholk. Trotzdem glaubte er, zwei Schemen zu sehen. Kholk atmete noch einmal ein. Irgend etwas berührte seinen Körper und beugte sich über ihn. Noch einmal klärte sich das Dunkel, und Kholk sah zwei Gesichter über sich. Gleichzeitig fühlte er die Impulse der Freunde. Das waren aber drei! Er hörte ihre aufgeregten Stimmen, aber Kholk brachte keine Antwort mehr zustande. Eine Welle von Hoffnung und Sympathie überschwemmte ihn. Jetzt war noch nicht alles verloren. Ein Lächeln stand auf Kholks Gesicht, als er die Lichter seiner Welt über sich zu sehen glaubte. Dann war das Wesen aus dem anderen Kosmos tot. Der Tharevo hatte seine Heimat verlassen, um sie zu retten. Was aus dieser Hoffnung wurde, lag nun nicht mehr bei ihm. * Sie fanden sich im vollkommenen Chaos wieder. Skip und Vanderbuilt materialisierten in einer Hölle von Energien, die so fremd und überlegen waren, daß sie ihnen nicht einmal schaden konnten. Es war paradox: Dadurch, daß die tobenden Kräfte weit über den Dimensionen der Menschen standen, fehlte jeglicher Leiter zu ihnen. Das, was um sie herum vorging, berührte die beiden Männer nicht direkt. Auch ohne zu wissen, was hier eigentlich konkret vorging, ahnten sie, daß eine Entscheidung fiel. Das einzige, was sie unmittelbar traf, war, daß sie einige Augenblicke lang geblendet waren. Als sie wieder etwas erkennen konnten, sahen sie Kholk reglos am Boden liegen. „Da ist er!“ rief Skip und kniete neben dem Freund nieder. Er versuchte, ihn zu bewegen, aber Kholk regte sich nicht. „Ist er tot?“ fragte Vanderbuilt. „Nein, aber er kann sich nicht bewegen. Er...“ Skip stockte, als Kholk die Augen aufschlug. Es war nur ein kurzer Blick, aber er ging den beiden Männern bis in den letzten Nerv. Es war, als nehme jemand Abschied für immer. Kholk regte sich nicht, aber er lächelte. Dann ging ein Ruck durch den Körper. „Aus“, stellte Skip mit trockener Stimme fest. Plötzlich war eine Stimme in den Köpfen beider Männer. Der Tunnel! Ihr müßt ihn abschirmen! Wenn dieser Kampf zu Ende ist, bricht er zusammen! „Chris!“ brüllte Vanderbuilt schrill. „Das ist er! Christopher, er lebt!“ „Ja“, sagte Skip und sah sich um. Er versuchte, in diesem Chaos einen klaren Kopf zu behalten. Er versuchte, den Weg zu rekonstruieren, der zu den Kontrollen führte, die den Bogen stabilisierten. „Christine müßte hier sein. Sie weiß besser als wir, wie wir...“ „Wir müssen es versuchen. Los, Skip, da hinein!“ Vanderbuilt zeigte in den entsprechenden Gang. Sie konnten nur hoffen, daß in diesem Durcheinander, das sie nicht mehr verstanden, der Weg zu den Segmenten um den Kugelraum noch vorhanden war. Beeilt euch! Wir brauchen den Tunnel! Sie rannten los. *
Es konnte nicht sein! Es konnte keine Macht geben, die stärker war als sie selbst! Auch nicht im alten Universum! Und doch war es so. Die Fühler der Macht spürten, daß sie schwächer wurden. Sie würden verblassen. Einer der Eindringlinge hatte etwas eingeschleppt, das stärker war. Schmerz! Schmerz und Schwäche rüttelten am Kern der Ballung. Das andere war stärker. Aber was war es? Es konnte nicht aus diesem Universum stammen. Aber dann mußte es... Der Schock war stärker als alle Schmerzen. Die Bestürzung und die plötzliche Unsicherheit ließen die Konzentration für jenen winzigen Moment nachlassen, die dem Gegner genügte...
10. Christine stand hochaufgerichtet vor der Vielzahl der Schirme in der Zentrale ihres Schiffes. Zwanzig unverändert blauleuchtende Anzeigen bestätigten, daß alle zwanzig Schiffe synchron mit ihr flogen. Ihre Bordsteuersysteme folgten der genauen Programmierung, ein Ausfall wäre allerhöchstens auf Alterserscheinungen der Diskusse zurückzuführen gewesen. Aber sie hielten durch. Nacheinander tauchten die leuchtenden Scheiben aus dem Hyperraum auf und formierten sich in einer langgezogenen Schlange über Caalis. Ein erleichtertes Lächeln erschien auf dem Gesicht der Frau. Es war eine harte Arbeit gewesen, die Schiffe zu programmieren, was überhaupt nur unter dem Schutz eines unmittelbar nach ihrer Landung auf dem Raumhafen auf Loord errichten gigantischen Schutzschirms möglich gewesen war, denn immer noch streunten die Rebellen - jene Androiden, die glaubten, echte Loorden zu sein - auf dem Gelände des Hafens und der dahintergelegenen Stadt herum und machten die Gegend unsicher. Caalis hatte sich verändert. Die grünen und blauen Flächen waren verschwunden und hatten schmutziggrauen und gelben Wolkenfeldern Platz gemacht. Auch von Christines Orbit aus war die Aktivität der Vulkane zu beobachten. Sie mußte landen. Sie hatte sich beeilt, aber trotzdem konnte es bereits zu spät für ihre Gefährten sein. Christine speiste die schnell errechneten und die Landung steuernden Daten in den Computer ein und setzte sich in einen Schwenksessel. Auf ein Körpersignal hin glitt die Lehne nach hinten, und der Sessel verwandelte sich in eine Liege. Christine konnte die Schirme beobachten. Caalis drehte sich noch weiter, bis der Orbit beendet war und der Landeanflug begann. Der Computer war mit den Steuergehirnen der anderen Schiffe gekoppelt und ließ sie das Manöver synchron mitvollziehen. Wie eine langgezogene Perlenkette hingen sie im Raum. Christine spürte die Erschöpfung. Körperlich war sie seit der Seuche nicht mehr gealtert und regenerierte verbrauchte Kräfte viel schneller als andere Menschen. Aber der Mensch, auch ein scheinbar unsterblich gewordener, bestand nicht nur aus dem Körper. Und die Psyche war auch bei ihr nur bis zu einem gewissen Maß belastbar. Christine spürte, daß sie diese Grenze fast erreicht hatte, aber noch konnte sie nicht ausruhen. Eine kurze Pause, bis das Schiff in die Atmosphäre hinabtauchte, während die anderen im Orbit bleiben würden, das war alles. Und auch diese kurze Rastperiode ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Während Caalis langsam größer wurde, strömten die Gedanken auf sie ein. So viele Fragen hatten sich aufgeworfen. Wie würde ihre Zukunft aussehen, wenn sie dieses Abenteuer auf Caalis wirklich überstanden? Was war aus Christopher geworden, der zurückgeblieben war, um die Station in die Luft zu sprengen und dadurch ein weiteres Eindringen des Fremden zu verhindern? Das Fremde! Diese Schwaden grauenhaften Lebens! Christine erkannte, daß sie gegen ein Phantom kämpften, von dem sie nur wußten, daß es auf keinen Fall in Kontakt mit ihrem
Universum kommen durfte. Noch hatten sie eine gewisse Kontrolle über dieses Monstrum. Sie wußten, daß es aus dem jenseitigen Kosmos stammte, in den es die Menschen verschlagen hatte, und daß es vor langer, langer Zeit einmal hier einem stärkeren Gegner unterlegen sein mußte, der es zur Flucht hinüber zwang, wo es das Leben versklavte. Der Raum in diesem anderen Kosmos war ihrem Weltall nicht vergleichbar. Dort drüben schien alles auf phantastische Art und Weise miteinander verbunden zu sein. Was für ein Wesen war dies? Alles, was sie bisher wahrgenommen hatten, waren schwarze Gebilde gewesen, Schatten und die kugelförmige Ballung in der Halle der Station. Kholk sagte, es steckte in jeder lebenden Zelle auf Caalis! Der Alte! Was war aus ihm geworden? Lebte er noch, oder war er ein Opfer dieser Macht geworden? Was war mit ihren Körpern? Christine blickte unwillkürlich an sich hinab. Die Nachbildung war wirklich großartig gelungen, nur Kleinigkeiten stimmten nicht überein. Sie fragte sich, woher die Gläsernen die Informationen besaßen, um die Kopie zu erstellen? Hatten sie sich aus ihren Gedanken ein „Muster“ geholt oder... Ein phantastischer Gedanke: Wußten diese Wesen etwas über den Verbleib ihrer Originalkörper, das sie den Menschen verschwiegen hatten? Hatten sie Vanderbuilt einen Frauenkörper verpaßt, weil er in ihrer Siedlung recht wenig Rücksicht auf ihre Riten genommen hatte? Sie hatte versucht, es zu verdrängen, aber wie mit Hammerschlägen drang es in ihr Denken ein. Das, was sie Skip auf der Welt der Gläsernen hatte sagen wollen. Danach war sie zu feige dazu gewesen. Vielleicht hatte sie auch nur darauf gewartet, eine Täuschung bestätigt zu finden. Aber das war nicht geschehen. Was passierte mit ihnen? Waren sie noch Menschen? War ihre Heimat noch die Erde oder der Weltraum? Oder Caalis? Der Gedanke ließ Christine erschauern, aber alles deutete darauf hin, daß sie mit dieser Welt auf eine Art und Weise verbunden waren, die sich nicht rational erklären ließ, wie so vieles von dem, was sie während der letzten Tage und Wochen erlebt hatten. Alles widersprach dem, was die Menschen bislang als rational und naturgesetzlich verankert angesehen hatten. Gab es eine andere Logik, andere Gesetze? Oder gab es einen Kosmos, der nicht nach Regeln ablief, der sich nicht durch Gesetzmäßigkeiten erfassen ließ? Christine ahnte, daß sie erst am Anfang einer Entwicklung standen, deren weiteren Verlauf sie sich nicht einmal vorstellen konnten. Im Augenblick aber gab es eine klar umrissene Aufgabe: Dort unten lauerte immer noch das, was das Monstrum durch den Weltentunnel geschickt hatte, und es war darauf aus, sich in diesem, ihrem Universum auszubreiten und es mit dem gleichen Dunkel zu überziehen, wie es mit dem jenseitigen Kosmos geschehen war. Wer hatte den Ausdruck geprägt? Oder hatte er nur in ihrer Phantasie gestanden? Wächter. Ja, dachte Christine bitter. Wir werden keine Ruhe finden, bis wir wissen, was sich hinter den Legenden verbirgt, die sich um diese Welt dort unten einmal rankten. Wir werden nicht von hier verschwinden, ohne eine Antwort auf unsere Fragen bekommen zu haben, auch wenn wir sie am Ende nicht verstehen werden. Sie waren einsam, denn niemand konnte ihnen helfen, am wenigsten die Menschen von der Erde, von denen sie sich ungewollt entfernt hatten. Sie waren die Wächter von Caalis. Und da so lange, bis die Gefahr, die mit dieser Welt die Ewigkeiten überdauert hatte und irgendwo schlummerte, erkannt und gebannt war. Sie, Christine, hatte alle Zeit des Universums. Aber was war mit den anderen? Und vor allem - was wurde aus ihr und Skip und... Sie schwor sich, es Skip in dem ersten unbeobachteten Moment zu sagen. Ein Summton riß sie aus der Grübelei. Das Schiff hatte die Atmosphäre erreicht.
* „Es ist... es ist... tot!“ stieß Vanderbuilt hervor, der mit schußbereitem Strahler zusammen mit Skip in die große Halle eingedrungen war. „Vorsicht“, warnte Skip. Mit kleinen Schritten näherten sie sich dem dunkelgrauen Häufchen, das wie Asche aussah. Es lag genau an der Stelle, wo sich vorhin die schwarze Kugelballung befunden hatte. Auch die Adern an den Wänden waren abgebröckelt. Über allem lastete eine unheimliche Stille, die nur durch das Summen der Generatoren unterbrochen wurde. Sie hatten es tatsächlich noch geschafft, den Torbogen zu stabilisieren, als die Anzeigen bereits zu flackern begonnen hatten. Der Bogen mußte nach der Detonation von Reeds Sprengsätzen nur noch durch eine von dem Monstrum ausgehende Energie stabilisiert gewesen sein. Jetzt, wo es tot war, war auch diese Energie versiegt. Im letzten Augenblick hatten die beiden Männer zusätzliche Stabilisatoren und Felder um den betreffenden Komplex mit dem Kugelraum gelegt. Außerdem war es ihnen gelungen, einen Schirm aufzubauen, der für jeden Eindringling von drüben ein sicheres Gefängnis darstellen sollte. Es sei denn, der Eindringling verfügte über höhergestaffelte energetische Kräfte als der Schirm. Daran allerdings wollten Skip und Harry lieber nicht denken. „Machen wir, daß wir ‘rauskommen!“ Vanderbuilt eilte Skip nach. Auch er hätte es nicht länger als nötig hier ausgehalten. Alles wirkte wie nach einer Schlacht. „Wenn jemand auf die Idee käme, über unsere Erlebnisse zu berichten“, meinte Vanderbuilt auf dem Weg zur Abstrahlplatte nach oben, „würde man ihn in die erstbeste Klapsmühle sperren.“ „Wahrscheinlich“, stimmte Skip im Laufen zu. „Aber man sollte annehmen, daß selbst die Borniertesten unter unseren Rassegenossen auf der Erde langsam begreifen, daß es mehr gibt als Bilanzen, Norm-Berichte und ihren ,gesunden Menschenverstand’ aus den Schulbüchern. Sie sind kritischer und offener dem Neuen gegenüber geworden!“ „Dank uns!“ sagte Vanderbuilt. „Unsere Rückkehr damals mit dem Schiff und dem Serum war eine halbe Revolution.“ Sie erreichten die Platte, auf der immer noch Kholks toter Körper lag. Sie luden ihn auf Skips Schulter, und Sekunden später standen sie auf der Oberfläche. Täuschten sie sich, oder hatte sich die aufgebrachte Natur beruhigt? Sie hoben ab und flogen in die Richtung, wo sie gelandet waren. Dort würde auch Christine erscheinen, wenn sie es geschafft hatte. Diesmal waren sie vorbereitet und hatten Zeit. Nach einer guten Stunde war die Mulde erreicht. Die Erde hatte sich beruhigt, und sie begannen zu warten. Nach knapp zwei Caalis-Tagen erschien der Diskus am niedrig hängenden Himmel.
11. Kholks Körper trieb, in ein helles Laken eingewickelt, durch die geöffnete Schleuse hinaus in den sternenübersäten Raum. Die drei Menschen standen vor den Monitoren und sahen zu, bis der helle Punkt im Dunkel des Alls verschwunden war. Christine und Vanderbuilt hatten Tränen in den Augen. Ein Knopfdruck sorgte dafür, daß das Schott an der Peripherie des Schiffes wieder zufuhr. „Ohne ihn hätten wir es nie geschafft“, sagte Skip in die Stille hinein. „Ohne ihn?“ fragte Christine. „Ich kann mir nicht denken, daß er allein es war, der das Monstrum besiegte.“ „Du meinst...“
„Es hat keinen Sinn, jetzt Vermutungen anzustellen, Skip. Aber wir werden eines Tages die Antwort wissen. Wir werden wieder hinübergehen, denn wir brauchen unsere Körper. Außerdem müssen wir erfahren, was mit dem Alten geschehen ist. Und irgendwie habe ich das Gefühl, daß wir es Kholk schuldig sind.“ Skip nickte. „Er hoffte auf uns. Aber ich bezweifle, daß wir ihnen drüben helfen können.“ „Das werden wir sehen!“ kam es von Vanderbuilt. „Auf jeden Fall brauche ich meinen Körper wieder. Ich habe keine Lust, mein Leben lang als altes Weib angegafft zu werden!“ „Du siehst wirklich nicht schlecht aus, Harry“, stellte Christine mit einem Zwinkern zu Skip fest. Vanderbuilt brummte etwas vor sich hin und verzog sich in seine Kabine. Jetzt hatten sie wirklich Zeit, sich auszuruhen und den versäumten Schlaf nachzuholen. „Skip“, sagte Christine leise, als sie allein waren. „Ich muß dir etwas sagen, Skip...“ Er ging zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. Dann küßte er sie. „Na, los schon“, forderte er sie auf. Er ahnte, daß das, was sie ihm mitzuteilen hatte, ihr nicht leichtfiel. „Du erinnerst dich an alles... drüben“, begann sie zögernd. „An alles, Liebling.“ Er wußte nicht, wieso, aber plötzlich hatte er alle Hemmungen abgelegt. „Als wir Lyr verließen und über diese anderen Welten zu den Gläsernen kamen... Ich hatte nur einen Wunsch, Skip.“ „Den hatte ich auch, und das schon viel länger.“ Sie sah ihn schnell an. „Kannst du dich an das erinnern, was wir dachten und fühlten, als wir in den Körpern der Lyr steckten?“ „Flüchtig, Chris. Es war wie ein Traum, bis wir sie übernahmen.“ „Ich hatte den Wunsch, mit dir zusammenzusein und...“ „Du meinst, wir wollten uns fortpflanzen?“ Christine war nun sehr aufgeregt. Sie zitterte leicht. „Genau das, Skip! Wir wußten, daß die Lyr das nicht durften, seit langer Zeit schon nicht mehr, trotzdem...“ Skip ließ sie los. Es war, als hätte er plötzlich begriffen. „Ich hatte den gleichen Wunsch, als wir in diesem Strom nach der Welt der Gläsernen reisten, Skip. Ich weiß nicht, wie es möglich ist, aber ich...“ „Moment!“ Skip sah sich um und fand eine Sitzgelegenheit. Er warf sich in den Sessel und holte tief Luft. „Es ist verrückt, was ich mir vorstelle, Liebes, aber wenn es das ist, an das ich denke, dann sag’s jetzt...“ „Ja, Skip. Ich bekomme ein Kind von dir...“ * Komm ‘raus, Chris! Ich weiß, daß du hier irgendwo steckst!“ Vanderbuilt hockte mit einem Becher Whisky auf dem Rand seiner Liege und starrte die Wände in seiner Kabine an, als wartete er darauf, daß ein Geist herausträte. „Mann, Chris... Mr. Reed, mach keine Geschichten! Wenn ich zwei bin, dann bist du einer von uns!“ Er nahm einen weiteren Schluck. „Christopher Reed, der Weiberheld! Ha! Versteckt sich hinter der Schürze einer alten...“ Er schluckte. Hinter einem alten Weib, Harry? „Aha! Ich wußte es, Chris! Ich wußte es schon lange, also ‘raus damit: Wo steckst du?“ In einer bezaubernden alten Dame, einem Prachtstück von einer... „Halte den Mund! Erkläre mir lieber, wie du dazu kommst, so einfach mir nichts dir nichts hier als... Geist herumzuspuken!“ Das weiß ich selbst nicht, Harry. Irgendwann merkte ich, daß ich die Explosionen überlebt hatte und in dir steckte. Christine wäre mir zwar lieber gewesen, aber...
„Rede ruhig weiter, glaube ja nicht, daß du mich in Wut bringen kannst!“ Vanderbuilt kippte sich den dritten Becher Whisky ein. „Chris?“ Aber die Stimme war weg und kam nicht wieder. Harry Vanderbuilt streckte sich auf der Liege aus und dachte nach. Die Gefahr war fürs erste gebannt. Das Monstrum (oder jedenfalls jener Teil davon, der hier herübergelangt war) war tot. Sondenmessungen und -beobachtungen überall auf der Oberfläche von Caalis hatten gezeigt, daß nach dem Ausfall der Ballung in der Station, für die sie immer noch keine rechte Erklärung hatten, außer, daß Kholk irgendeinen Trumpf im Ärmel gehabt haben mußte, von dem sie nichts wußten, auch die weiteren Ausläufer und Elemente der fremden Macht abgestorben waren. Aber damit war das Problem nicht aus der Welt. Irgendwo drüben lauerte diese Macht weiter darauf, einen Weg zurück in das Universum zu finden, das sie als das alte Universum bezeichnete. Irgendwo warteten ihre Körper auf sie, irgendwo steckte der Alte, der vielleicht ohne ihre Hilfe verloren war. Und überall in jenem Kosmos hofften Milliarden von intelligenten Wesen darauf, von der grauenhaften Herrschaft des Monstrums befreit zu werden, das sie Schöpfer nannten. Vanderbuilt spürte mit untrüglicher Sicherheit, daß weitere Abenteuer auf sie warteten - auf ihn, auf Skip, den Jungen, der längst zum Mann herangewachsen war, auf Christine... und auf Reed, der irgendwo hier steckte. Vanderbuilt ahnte nichts davon, daß sie bald über einen weiteren Verbündeten verfügen würden, einen, der vielleicht noch viel weiter vom „Normalmenschen“ entfernt war als sie alle. Vorerst schlief er erst einmal lange und tief, und er träumte von den kommenden Abenteuern... * Der Alte spürte, wie das Bewußtsein sich für einen kurzen Augenblick an die Oberfläche kämpfte. Der schwarze Film, der über ihm lag, schob sich zur Seite. Der Loorde wußte, daß es nur eine kurz Verschnaufpause war, bis die Qualen von neuem begannen. Unter der Macht, die sich Schöpfer nennen ließ, hatte sich Unruhe ausgebreitet. Die Dunkelheit ließ ihn nicht erkennen, was um ihn herum vorging, aber er hoffte, daß es seinen Freunden gelungen war, in ihr Universum zurückzukehren. Und vielleicht brachten sie es dann fertig, die Bedrohung durch dieses vielarmige, unendliche Ungeheuer abzuwenden, in dessen Gewalt er sich befand. Der Alte hatte sich geopfert, um seinen Freunden die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Trotz seiner aussichtslosen Lage hatte er neue Hoffnung. Er bewunderte diese Menschen. Nie hatte er für möglich gehalten, daß aus der Aussaat der Loorden solch eine Rasse hervorgehen würde. Sie mußten vieles von dem besitzen, was jene alten Völker ausgezeichnet hatte, die aus der Urschöpfung hervorgegangen waren. Auch der Alte, der Millionen von Jahren gelebt hatte, ohne sich seiner wirklichen Identität bewußt zu sein, hatte erst hier im parallelen Kosmos von den Völkern, mit denen er Kontakt hatte, Bruchstücke jener Ereignisse erfahren, die einst zur Versiegelung der Weltenschleuse geführt hatten. Die Legenden berichteten von der Auseinandersetzung der Urmächte. In dem Universum des Alten war das alles vergessen. Trotzdem ließ ihn die Frage nicht los, wieso die Loorden ausgerechnet Caalis entdeckt und für ihre Zwecke benutzt hatten. Welcher Zusammenhang bestand da noch, von dem er nichts ahnen konnte? Die Kruste über ihm zog sich wieder zusammen. Die Gedanken wurden träge, dann hatte das Dunkel ihn erneut überzogen. Aber die Hoffnung war da. Eines Tages würden seine alten Freunde zurückkehren. Und
vielleicht würde er sie dann wiedersehen, wenn dieser Kosmos und seine Geschöpfe wieder atmen und das Licht sehen konnten.
ENDE