Xpert.press
Die Reihe Xpert.press vermittelt Professionals in den Bereichen Softwareentwicklung, Internettechnologie und IT-Management aktuell und kompetent relevantes Fachwissen über Technologien und Produkte zur Entwicklung und Anwendung moderner Informationstechnologien.
Lothar Dietrich Wolfgang Schirra (Herausgeber)
Innovationen durch IT Erfolgsbeispiele aus der Praxis Produkte – Prozesse – Geschäftsmodelle Mit 184 Abbildungen
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Dr. Lothar Dietrich Auf der Aue 73 40882 Ratingen
[email protected] Dr. Wolfgang Schirra Booz Allen Hamilton Zollhof 8 40225 Düsseldorf schirra
[email protected] Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISSN 1439-5428 ISBN-10 3-540-29161-X Springer Berlin Heidelberg New York ISBN-13 978-3-540-29161-9 Springer Berlin Heidelberg New York Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Text und Abbildungen wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Verlag und Autor können jedoch für eventuell verbliebene fehlerhafte Angaben und deren Folgen weder eine juristische Verantwortung noch irgendeine Haftung übernehmen. Satz: Redaktionsbüro für IT- und Wirtschaftstexte, Hamburg Herstellung: LE-TEX, Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, Leipzig Umschlaggestaltung: KünkelLopka Werbeagentur, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 33/3142 YL – 5 4 3 2 1 0
Inhaltsverzeichnis
Einleitung .........................................................................................................1 Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development Executive IBM Deutschland Dr. Wolfgang Schirra, Senior Partner Booz Allen Hamilton
Von der Innovationsstrategie zur Umsetzung Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien.............................................11 Richard Hauser, Partner Booz Allen Hamilton Dr. Thomas Goldbrunner, Principal Booz Allen Hamilton
Impulse durch neue Technologietrends........................................................21 Dr. Johannes Bussmann, Partner Booz Allen Hamilton Dr. Michael Fritsch, Principal Booz Allen Hamilton Christopher Schmitz, Principal Booz Allen Hamilton Jens Niebuhr, Principal Booz Allen Hamilton Dr. André Scholz, Senior Associate Booz Allen Hamilton
Innovationsstrategie im Wandel der Zeit .....................................................37 Dr. Eckhard Geulen, Senior Executive Vice President Deutsche Telekom/T-Com
Treibstoff der Wirtschaft ...............................................................................57 Dr. Thomas Ganswindt, Zentralvorstand Siemens AG
Von der betrieblichen Marktforschung zum Wissens-Management: das Marktforschungsportal von T-Systems ..................................................65 Heiko Wieandt, Koordinator Bereich Business Information Services T-Systems Dr. Helmut Giger, Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enterprises und Branchen T-Systems Business Services
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Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Produkt Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz von IT..............................................................................................................85 Dr. Jürgen Sturm, CIO BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH
IT als Parameter bei der Entwicklung neuer Projekte und Geschäftsmodelle bei RTL interactive..........................................................................99 Dr. Constantin Lange, Geschäftsführer RTL interactive GmbH
Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit ....................................................119 Johannes Keusekotten, Leiter Informationstechnik Bundesverwaltungsamt
Innovative IT und innere Sicherheit ...........................................................143 Martin Schallbruch, IT-Direktor Bundesministerium des Innern
Simulation und virtuelle Welten – IT-Technologien der Zukunft ............159 Heinz Dresia, Mitglied des Bereichsvorstands Rheinmetall AG, Unternehmensbereich Defence Frank Bildstein, Leiter Datenbasengenerierung Fahr-/Flugsimulation Rheinmetall Defence Electronics GmbH
Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Prozess Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen IT-Managements ..........................................................................................173 Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG
Virtuelle Absicherung im Produktprozess eines PremiumAutomobilherstellers....................................................................................189 Klaus Straub, CIO Audi AG Dr. Oliver Riedel, Leiter Prozessintegration und Informations-Management Audi AG
IT zur Absicherung der Produktionsqualität ..............................................207 Dr. Michael Gorriz, Vice President CIO Mercedes Car Group und Business Systems DaimlerChrysler AG Dr. Mario Kuduz, IT-System-Manager DaimlerChrysler AG
Innovative IT-Anwendungen zur integrierten Unterstützung des Beschaffungsprozesses im weltweiten Konzernverbund ..........................221 Dr. Andreas Resch, Vorsitzender Geschäftsführung Bayer Business Services GmbH
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Eine neue Informationsrevolution durch RFID verändert Geschäftsprozesse – ein innovatives Anwendungsbeispiel aus dem Pharmabereich...........................................................................................................237 Dr. Hans Christoph Dönges, Leiter Competence Center IT-Lösungen in der Logistik Dematic GmbH Ulrich Otto, Principal Booz Allen Hamilton
eService-Plattform Salzgitter ......................................................................257 Günter König, CIO Salzgitter Gruppe
IP-Telefonie als IT-Service .........................................................................275 Gerhard Otterbach, Leiter Enterprise Solutions and Services Siemens Communications Thomas Zimmermann, Leiter Enterprise Systems Siemens Communications
Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers ............................................................................................................293 Dr. Olaf Röper, Leiter Bereich Information Systems Uhde GmbH/CIO
Flexible Servicemodelle – die atmende IT durch adaptives Outsourcing ..................................................................................................313 Dr. Thomas Schmidt-Melchiors, CIO Reemtsma Deutschland Sven Schmidt, geschäftsführender Gesellschafter S2 Management Consulting
Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr Kundenzufriedenheit....................................................................................331 Christof Wahl, Chief Operating Officer Kabel Deutschland GmbH André Wehner, Chief Information Officer Kabel Deutschland GmbH
Innovatives Reporting im Konzern Deutsche Post World Net .................347 Peter Mißler, Zentralbereichsleiter Rechnungswesen und Reporting Deutsche Post World Net Christoph op de Hipt, Abteilungsleiter Deutsche Post World Net
Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Geschäftsmodell Die elektronische Signatur als Rationalisierungs- und Vertriebsinstrument für Banken ....................................................................................................369 Anno Lederer, Vorstandsvorsitzender GAD eG Dr. Reinhold Pieper, Leiter Produktfeld Karten- und Sicherheitssysteme GAD eG
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Effiziente Vertriebsunterstützung auf Basis einer serviceorientierten IT-Architektur ..............................................................................................381 Franz-Theo Brockhoff, stellvertretender Vorsitzender Geschäftsführung Sparkassen Informatik
IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik ......................397 Stefanie Berk, Direktorin Neckermann Fernreisen Thomas Cook AG Reinhard Eschbach, CIO Thomas Cook AG
Skalierbare IT-Geschäftsmodelle................................................................411 Dr. Sven Lorenz, Leiter Informationssysteme Porsche AG
Innovative IT-Steuerung und -Management Aktivitätenbasiertes IT-Controlling als Führungsinstrument....................425 Uwe Herold, CIO Brose Fahrzeugtechnik GmbH & Co. KG
Innovative IT-Steuerung..............................................................................435 Chittur Ramakrishnan, CIO RWE-Konzern Michael Semrau, Abteilungsleiter IT Strategy & IT Controlling RWE AG
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance .................................451 Klaus Rausch, Sprecher Geschäftsführung HVB Systems GmbH Dr. Andreas Rothe, Geschäftsführer Dr. Rothe Management-Beratung
Zusammenfassung und Ausblick Zusammenfassung und Ausblick ................................................................473 Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development Executive IBM Deutschland
Autorenverzeichnis ......................................................................................489 Booz Allen Hamilton-Buchkernteam .........................................................513 Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam ..............................................515
Einleitung
Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development Executive IBM Deutschland Dr. Wolfgang Schirra, Senior Vice President Booz Allen Hamilton Der Begriff Innovation hat seit einiger Zeit wieder Konjunktur in Deutschland. Getrieben von der Erkenntnis, dass mit Sparen allein der Wettbewerb im Zeitalter der Globalisierung nicht gewonnen werden kann, werden insbesondere Politiker und Wirtschaftsvertreter nicht müde, die Bedeutung von Innovation für die Zukunftssicherung unserer Volkswirtschaft hervorzuheben. Der Begriff Innovation wird vielfältig verwendet, etwa für eine wissenschaftliche Neuentdeckung bis hin zu neuen Redewendungen, die gelegentlich als sprachliche Innovationen bezeichnet werden. Im Rahmen dieses Buchs verstehen wir unter Innovation eine Neuerung, etwa technischer, organisatorischer oder strategischer Art oder eine Kombination dieser Elemente, die durch ihre Anwendung einen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Nutzen schafft und dadurch ihren Markt findet. Also im einfachen Fall ein neuer Rohstoff, dessen Weiterverwendung in gewissen Endprodukten diese verbessert oder erst ermöglicht und damit den Markt für die Produkte vergrößert oder erst schafft. Wir schauen uns in diesem Buch einen besonderen Rohstoff an – die Informationstechnologie (IT). Aufgrund ihrer Vielseitigkeit und ihrer eigenen hohen Innovationsrate hat sie das Potenzial, durch ihre Anwendung praktisch überall zu Innovation beizutragen • in Produkten • in Geschäftsprozessen • in neuen Geschäftsmodellen ... und dies in praktisch allen Branchen und im öffentlichen Bereich. Die Anwendungen dieses universellen Innovationstreibers sind bei Weitem zu vielfältig, um sie erschöpfend abzudecken. Und da Innovation immer auch etwas mit Kreativität und Ideenreichtum zu tun hat, gibt es auch kein Patentrezept, um „Innovation zu machen“.
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Ein solches Patentrezept zu liefern kann also auch nicht der Anspruch dieses Buchs sein. Aber man kann sich Anregungen und Inspiration holen von Innovatoren, die bereits spannende Neuerungen in die Tat umgesetzt haben, und daraus für sein eigenes Unternehmen oder seine eigene Behörde neue Ideen gewinnen. Und man kann lernen, wie es diese erfolgreichen Pioniere schaffen, Innovationen zu entwickeln und praktisch umzusetzen – kurz, wie sie Innovations-Management betreiben. Dazu einen Beitrag zu leisten ist das Ziel dieses Buchs.
IT im Produkt In einem erweiterten Verständnis, das wir in diesem Buch zugrunde legen wollen, lässt sich das Thema „IT im Produkt“ in drei Kategorien unterteilen • IT im Produkt selbst • IT und produktbegleitende Informationen • IT und Services um das Produkt herum IT ist bereits heute aus vielen Produkten des täglichen Lebens nicht mehr wegzudenken. So steuert sie beispielsweise in vielen Autos im Verborgenen den Motor, etwa um die Leistung zu optimieren. Erfahrbarer wird sie schon, wenn sie in einem Fahrzeug als „Autopilot“ die Geschwindigkeit automatisch konstant hält. In Produkten zahlreicher weiterer Branchen, zum Beispiel Anlagen- und Maschinenbau oder Hausgerätehersteller, findet IT als Steuerungselement (auch als „Embedded Software“ bezeichnet) bereits heute ihre Anwendung. In der Praxis Zukunftsmusik, wenn auch bereits technisch realisierbar, ist das Haus der Zukunft, welches zu einer bestimmten Uhrzeit die Bewohner weckt, Kaffee kocht, die Jalousien öffnet etc. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass die Grenzen der oben dargestellten drei Kategorien nicht hart, sondern überlappend sind. Denn einerseits kann man sagen, dass die IT Bestandteil im Produkt „Haus“ ist, man kann aber auch interpretieren, dass die „Hausautomatisierung“ ein Service um das Produkt „Haus“ herum ist. In der Praxis noch schwerer zu unterscheiden sind diese Kategorien, wenn es um Produkte geht, die im Kern aus Informationen bestehen und daher fast vollständig innerhalb der IT-Welt existieren können. Beispiels-
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weise trifft dies auf viele Produkte der Medienbranche, der Finanzdienstleistungen oder auch der öffentlichen Verwaltung zu. Da hier darüber hinaus auch die Geschäftsprozesse zum Beispiel zur Erstellung oder Verteilung des Produkts zu großen Teilen innerhalb der IT liegen, wird bei solchen Produkten sogar die Unterscheidung zwischen „IT im Produkt“ und „IT im Geschäftsprozess“ unscharf. Nichtsdestotrotz erweisen sich diese Kategorien in der Praxis als sehr hilfreich, wenn es darum geht, einen systematischen Ideenfindungsprozess für mögliche weitere Innovationen durch IT im Bereich „Produkte“ zu unterstützen. Ebenfalls ein weites Feld sind die produktbegleitenden Informationen. Aus dem täglichen Leben sind sie zum Beispiel durch Aufdrucke auf Lebensmittelverpackungen oder als Beipackzettel zu Medikamenten bekannt. Ebenfalls in diese Kategorie fallen Gebrauchsanweisungen für vielerlei Geräte des täglichen Gebrauchs. Dies alles dient der Verbraucherinformation. Aber es gibt weitere Kategorien der produktbegleitenden Informationen, etwa die Dokumentation der Konstruktion oder der Produktion oder die Chargenverfolgung in der Pharmaindustrie. Diese sind etwa erforderlich, um gesetzlichen oder regulatorischen Anforderungen zu genügen. Eher konventionell gesehen kann IT hier vielfältig helfen, beispielsweise bei der Erstellung und Verarbeitung dieser Information. Neue Technologien wie etwa RFID können eine neue Qualität dieser Informationen etwa hinsichtlich Aktualität oder Fälschungssicherheit ermöglichen. Es sind aber auch ganz neue Anwendungsfälle vorstellbar. Beispielsweise könnte mithilfe von RFID ein Tourist auf seinen Wunsch hin erkannt werden, der eine bestimmte Sehenswürdigkeit besucht. Er könnte so direkt über sein Handy die neuesten Informationen über diese Sehenswürdigkeit erhalten – quasi als begleitende Information zum Produkt „Reise“. Services um Produkte herum sind nichts grundsätzlich Neues. Viele technische Produkte, speziell höherwertige und solche mit hohen Anforderungen an die Betriebssicherheit wie Aufzüge, Autos oder Flugzeuge bedürfen der vorbeugenden Instandhaltung (Inspektion) und der Reparatur. Unter dem Aspekt „IT im Produkt“ kann IT bereits hier unterstützen, zum Beispiel durch Diagnosesysteme. Auch der Aufzug, der bei Erreichen des Wartungsintervalls oder im Fehlerfall automatisch den Servicetechniker ruft, fällt in diese Kategorie. Zusätzliche Kategorien von Services sind weniger eng an das eigentliche Produkt gekoppelt. So ist beispielsweise die Funktion mancher Navigationssysteme in Autos, dynamisch Verkehrsmeldungen zu empfangen
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und bei Staus alternative Fahrstrecken vorzuschlagen, ein Service um das Produkt „Mobilität“ herum. Sie hat aber wenig mit den Produkteigenschaften des Autos im engeren Sinne zu tun. Moderne Mautsysteme mit hohem IT-Anteil wie etwa Toll Collect in Deutschland fallen ebenfalls in die Kategorie der Mobilitätsservices. Verfügbarkeit eines Service unabhängig von den üblichen Öffnungszeiten des anbietenden Unternehmens ist eine weitere Dimension. Als bekanntes Beispiel ist hier die Kundenselbstbedienung bei Geldautomaten und Kontoauszugsdruckern von Banken zu nennen. Andere Produkte, die die Abgabe einer rechtsverbindlichen Unterschrift des Kunden voraussetzen, wie der Abschluss von Versicherungs- oder Kreditverträgen, waren bisher der Selbstbedienung nicht ohne Weiteres zugänglich. Dies ändert sich jetzt durch die sichere digitale Signatur. Um sie einzuführen, reichte der alleinige Einsatz von IT nicht aus. Vielmehr war hier auch der Staat gefordert, um einerseits entsprechende Sicherheitsstandards vorzugeben und andererseits die Gesetzgebung anzupassen.
IT im Geschäftsprozess Geschäftsprozesse sind in ihrer Ausprägung in der Praxis so unterschiedlich wie die verschiedenen Branchen, und teilweise sind sie sogar unternehmensspezifisch als ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie. In der Fertigungsindustrie beispielsweise kann man auf hohem Abstraktionsgrad vier Prozesse beziehungsweise Prozessgruppen unterscheiden • der Ende-zu-Ende-Kundenprozess, der mit der Entstehung des Kaufbedürfnisses des Kunden beginnt und mit der Bezahlung des erhaltenen Produkts endet. Der Serviceprozess, der sich mit Wartung und Reparatur beschäftigt, wird dabei als eine Variante dieses Kundenprozesses verstanden • der Produktprozess, oft auch Produktentstehungsprozess genannt, der mit der Produktidee beziehungsweise mit dem Produktkonzept beginnt und mit der Einführung in die Produktion endet; • der Produktionsprozess, der mit dem Produktionsauftrag beginnt und mit der Ablieferung des fertigen Produkts endet; • die Steuerungs- und Unterstützungsprozesse, zum Beispiel Finanz- und Controlling- sowie Personalwesenprozesse Je nach Geschäftsmodell des zu betrachtenden Unternehmens können diese Prozesse mehr oder weniger eng verknüpft sein. In der Großserien-
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fertigung etwa sind die erstgenannten drei Prozesse weitestgehend entkoppelt, während sie bei einem kundenspezifischen Einzelfertiger nahezu vollständig verwoben sein können. Dementsprechend vielgestaltig ist in der Praxis auch die IT-Unterstützung in diesen Geschäftsprozessen. Der gemeinsame Nenner ist es, dass mithilfe von IT diese Geschäftsprozesse gleichzeitig qualitativ besser, schneller und kostengünstiger gestaltet werden können. Zudem besteht die Möglichkeit, simultan dazu eine höhere Komplexität zu bewältigen, zum Beispiel hinsichtlich Produktvielfalt oder was die Anzahl und geografische Verteilung von Unternehmenseinheiten und externen Partnern angeht.
IT in neuen Geschäftsmodellen Unter einem Geschäftsmodell verstehen wir die ganzheitliche Beschreibung des „Was“ und „Wie“ einer Strategie. Das heißt, es wird dargelegt, welche Produkt-/Marktstrategie verfolgt wird, insbesondere welches Produktangebot zu welchem Preis an welches Kundensegment gerichtet wird. Ferner wird beschrieben, wie dies geschehen soll, insbesondere wie die Geschäftsprozesse gestaltet werden und welche Prozessschritte das Unternehmen selbst durchführt und wo es sich Dritter bedient, etwa Lieferanten oder Händlern. Unter dem Druck des Wettbewerbs unterliegen Strategien in beiden Dimensionen einem zunehmenden Wandel. So werden sowohl die Produkte als auch die Prozesse von Unternehmen ständig weiterentwickelt, um Marktanteile und/oder Profitabilität zu steigern. Solche schrittweisen Weiterentwicklungen stellen aber noch kein neues Geschäftsmodell dar. Von einem neuen Geschäftsmodell wollen wir sprechen, wenn es in mindestens einem Element des Geschäftsmodells eine fundamentale Neuerung gibt. Hier liegt natürlich wiederum eine Grauzone, denn selbst in der gleichen Branche kann dem einen Unternehmen eine Neuerung leicht von der Hand gehen und wird somit als schrittweise Änderung empfunden, während diese in einem anderen Unternehmen als fundamental angesehen wird. Billigfluglinien, elektronische Marktplätze, Internettelefonie, Telekommunikationsunternehmen ohne eigenes Netz sind jedenfalls Schlagworte, die beispielhaft das Aufkommen neuer Geschäftsmodelle illustrieren – mal wie beim Beispiel Billigfluglinien mit weniger, meist aber mit starker Beteiligung der IT.
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Sehr spannend wird es bei den besonders IT-intensiven Branchen wie Medien, Finanzdienstleistungen und Telekommunikation, wo Produkt und Geschäftsprozesse weitgehend in der IT leben können, sowie in Logistik und Tourismus. Nachdem sich die IT über das Internet auch der Telekommunikation bemächtigt hat und somit auch die Welt der Bilder digital und interaktiv wird, und nachdem mit RFID das „Internet der Dinge“ vor der Tür steht, sind hier neuen Geschäftsideen und Geschäftsmodellen kaum Grenzen gesetzt.
Innovations-Management Innovations-Management ist ein herausforderndes Thema, denn es gilt insbesondere • die Kreativität und das „Spielerische“ der Ideenfindung in Einklang mit dem Realismus der Business-Planung zu bringen • den Enthusiasmus der Innovatoren in Einklang zu bringen mit den Beharrungskräften des etablierten Managements, die mit den Erfolgen von gestern groß geworden sind • die unterschiedlichen Disziplinen im Unternehmen zusammenzubringen, insbesondere Forschung und Entwicklung, IT, Marketing, Prozessund Unternehmensstrategie und nicht zuletzt Finanzen und Controlling • die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter zu wecken • zu experimentieren und zu akzeptieren, dass mehr Innovationen misslingen als gelingen Wie dies geschehen kann und soll, dafür gibt es kein Patentrezept. Geht es beispielsweise darum, gravierende Neuerungen im Kerngeschäft eines Unternehmens umzusetzen, ist beherzte Führung von oben gefragt. Geht es um den Aufbau eines neuen Geschäftsmodells mit wenigen Verbindungen zum Kerngeschäft, kann es sich anbieten, dies in einer eigens dafür zu schaffenden Tochtergesellschaft anzusiedeln. Neben der Abwägung solcher grundsätzlichen Fragen ist es sehr wichtig, einen geeigneten Innovations-Management-Prozess aufzubauen, der die oben genannten Herausforderungen in einer strukturierten, systematischen Art und Weise zu bewältigen hilft.
* * * * * * „Innovationen durch IT“ ist ein weites und spannendes Feld mit großem Erfolgspotenzial für letztlich alle Unternehmen und öffentlichen Institutionen.
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Dieses Potenzial zu erforschen und in die Tat umzusetzen ist eine Reise, an deren Anfang Offenheit für Neues stehen muss, ohne den Blick für die Praxis zu verlieren. Bei dieser Gratwanderung möchte dieses Buch Anregungen geben durch Betrachtung erfolgreicher Innovationen aus der Praxis. Die Reihenfolge der Beiträge ist so gestaltet, dass sie die Stationen dieser Reise markieren, die hier in der Einleitung nur angerissen werden konnten. Abschließend möchten wir unseren herzlichen Dank sagen an alle, die zu diesem Buch beigetragen haben. Allen voran danken wir den Autoren Stefanie Berk, Frank Bildstein, Franz-Theo Brockhoff, Dr. Johannes Bussmann, Dr. Hans Christoph Dönges, Heinz Dresia, Reinhard Eschbach, Dr. Michael Fritsch, Dr. Thomas Ganswindt, Dr. Eckhard Geulen, Dr. Helmut Giger, Dr. Thomas Goldbrunner, Dr.-Ing. Michael Gorriz, Richard Hauser, Uwe Herold, Ralf Kachel, Johannes Keusekotten, Günter König, Dr. Mario Kuduz, Dr. Constantin Lange, Anno Lederer, Dr. Sven Lorenz, Jürgen Lutz, Peter Mißler, Klaus Hardy Mühleck, Jens Niebuhr, Christoph op de Hipt, Gerhard Otterbach, Ulrich Otto, Dr. Reinhold Pieper, Chittur Ramakrishnan, Klaus Rausch, Dr. Andreas Resch, Dr. Oliver Riedel, Dr. Olaf Röper, Dr. Andreas Rothe, Martin Schallbruch, Sven Schmidt, Dr. Thomas SchmidtMelchiors, Christopher Schmitz, Dr. André Scholz, Michael Semrau, Klaus Straub, Dr. Jürgen Sturm, Christof Wahl, André Wehner, Heiko Wieandt, Thomas Zimmermann. Sie alle haben sich trotz hoher beruflicher Belastung die Zeit genommen, spannende, erkenntnisreiche und qualitativ sehr wertvolle Beiträge zu leisten. Herrn Johannes Klostermeier und Frau Esther Bloch danken wir für ihr hervorragendes Lektorat. Mit dem nötigen Fingerspitzengefühl haben sie einen großen Beitrag zur Qualität des Gesamtwerks geleistet. Das Buchkernteam Dr. Johannes Bussmann, Dr. Elmar Pritsch, Dr. Bernhard Rieder und Stefan Stroh aus der Geschäftsleitung von Booz Allen Hamilton Deutschland hat den Herausgebern mit Rat und Tat allzeit unterstützend zur Seite gestanden. Last, not least bedanken wir uns bei dem Autorenbetreuerteam von Booz Allen Hamilton, Dietmar Ahlemann, Holger Brohm, Andreas Deckert, Stephan Dresel, Tim Habermann, Carsten Heina, Volkmar Koch, Oliver Maier, Andreas Masuhr, Dr. Bernhard Rieder, Dr. Germar Schröder, Andreas Späne, Niko Steinkrauß, Dr. Raphael Volz, Dr. Andrea Weierich, das durch sein Engagement den Autoren durch Zeitengpässe und über das Feedback der Herausgeber hinweggeholfen hat.
Von der Innovationsstrategie zur Umsetzung
Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien
Richard Hauser, Partner Booz Allen Hamilton Dr. Thomas Goldbrunner, Principal Booz Allen Hamilton
Hohe F&E-Ausgaben sind kein Garant für Unternehmenserfolg In vielen Unternehmen ist die Budgetplanung für Forschung und Entwicklung (F&E) ein eher intuitiver Prozess. Das Credo: Man erhöhe die Ausgaben für Forschung und Entwicklung, und der Erfolg stellt sich von allein ein. Die Ergebnisse einer Untersuchung von 1000 Unternehmen, die weltweit die höchsten Summen für F&E ausgeben, lassen dieses Weltbild zusammenbrechen. Es ist nämlich keine eindeutige Beziehung zwischen der Höhe der F&E-Ausgaben und den primären Messgrößen des Unternehmenserfolgs erkennbar. Vielmehr hat die Qualität des Innovationsprozesses maßgeblichen Einfluss auf Wachstum und Profitabilität. Der Schlüssel zum Erfolg ist die Konzentration auf wenige Projekte mit hohem Potenzial. Zu den wesentlichen Erkenntnissen der Untersuchung gehört auch, dass es offenbar ein Maximum an Innovationen gibt, das Unternehmen in einem bestimmten Zeitfenster erfolgreich kommerzialisieren können.
Mehr hilft mehr? Nein! Seit Jahrzehnten wird der Mythos „mehr hilft mehr“ weltweit aufwendig gepflegt: Länder möchten dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts mit steigenden F&E-Ausgaben einen Impuls geben, Unternehmen wollen mehr investieren, um im Wettbewerb die Nase vorn zu behalten. Wo Marktanteile an Konkurrenten verloren werden, mit sinkenden Umsätzen und Gewinnspannen gekämpft oder über die hohen Folgekosten der Globalisierung gestöhnt wird, greifen Unternehmen zur Erhöhung der F&EAusgaben wie zu einem Allheilmittel. Gelder fließen in eine Blackbox mit
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Richard Hauser, Dr. Thomas Goldbrunner
der Aufschrift „Innovation“ und sollen rechenbare Ergebnisse bringen, ohne dass im Unternehmen wirklich jemand versteht, wie. Neue Produkte und Dienstleistungen werden das Ruder schon herumreißen, so die vage Hoffnung. Ernüchterung bringt in diesem Zusammenhang das Ergebnis einer aktuellen Innovationsstudie der internationalen Strategie- und Technologieberatung Booz Allen Hamilton: Es gibt keinen nachweisbaren direkten Zusammenhang zwischen hohen F&E-Ausgaben und dem Unternehmenserfolg. Unternehmen mit einem großen F&E-Budget weisen im Branchenvergleich keine überdurchschnittlich hohen Gewinne aus. Allerdings ist es auch so, dass die Firmen mit den geringsten Ausgaben für F&E auch am wenigsten erfolgreich sind. Daher ist eine differenzierte Betrachtung der Erfolgsfaktoren erforderlich. Nicht-monetäre Faktoren besitzen den größten Einfluss auf den Return on Investment – aber welche? Umsatzwachstum % 140% 120%
y = 0,0116x + 0,0832 R2 = 0,0079
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Indexiertes Verhältnis von F&E zum Umsatz
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Abb. 1. Die Performance-Lücke
Neuer Kontext für Innovationen Effizientes Innovations-Management spielt eine elementare Rolle. In einer Welt, in der Produkte kaum komplex, Prozesse weniger ausgereift und der Wettbewerb allenfalls national waren, konnten Unternehmen weitgehend
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sicher sein, für ihre neuen Produkte auch einen Markt zu finden. Die für F&E, Fertigung und Marketing verantwortlichen Mitarbeiter mussten ihre Arbeit häufig nicht mal mit den anderen Abteilungen abstimmen. Diese Welt gibt es heute nicht mehr. Kürzere Produktlebenszyklen halten Kunden angesichts immer neuer Angebote in Atem, während gleichzeitig der Wunsch nach differenzierten, individualisierten Produkten eine nie gekannte Komplexität in der Produktplanung und -entwicklung hervorbringt. In dieser Situation haben die Geschwindigkeit und Effizienz der „Innovationsmaschine“ im Unternehmen wettbewerbsentscheidenden Charakter erlangt. Doch die Erfahrung aus unserer langjährigen Arbeit mit Klienten zeigt, dass gerade das Innovations-Management mit der geringsten Konsistenz und Disziplin geführt wird.
Beunruhigende Erkenntnisse Dabei geht es hier um immense Summen. Die F&E-Investitionen der 1000 ausgabefreudigsten Unternehmen summierten sich im Jahr 2004 weltweit auf insgesamt 384 Milliarden US-Dollar. Seit 1999 stiegen die Budgets durchschnittlich um 6,5 Prozent pro Jahr, zwischen 2002 und 2004 sogar um 11 Prozent. Doch ganz gleich, ob die Ausgaben in absoluten DollarBeträgen oder als Wachstumstrends, als wichtiger oder zu vernachlässigender Indikator, über eine Zeitachse oder ohne betrachtet wurden – das Ergebnis blieb das gleiche: Die Höhe der F&E-Ausgaben nahm keinen offensichtlichen Einfluss auf Umsatzwachstum, Bruttogewinn, Betriebsgewinn, Konzerngewinn, Marktkapitalisierung oder Kursgewinn. Zudem zeigte es sich, dass die Performance der Top Ten keine statistisch signifikanten Unterschiede zum Mittelfeld ausweist, das viel weniger für F&E aufwendet. Größe hat einen Einfluss: Große Unternehmen tun sich leichter darin, mit ihren Ausgaben für F&E einen Effekt zu erzielen. Die Untersuchung zeigte, dass kleinere und mittlere Unternehmen einen viel größeren Umsatzanteil für F&E aufwenden müssen als die großen Konzerne, um einen vergleichbaren Innovationseffekt zu erzielen.
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Abb. 2. Skaleneffekte (Verhältnis F&E zum Umsatz)
Der optimale Weg ist individuell Es gibt keinen Königsweg zu nachhaltigem Erfolg für die Ausgaben in F&E. Selbst die Top Ten müssen ihr ideales Ausgabenniveau mühevoll finden. Wichtiger Anhaltspunkt ist, dass der „Return on Innovation Investment“ davon abhängt, wie ein Unternehmen Innovationen kreiert: wie es neue Ideen findet, auswählt, entwickelt und kommerzialisiert. Toyotas Effektivität gilt hier als Maßstab schlechthin für seine Wettbewerber, dabei steht der Automobilhersteller erst an dritter Stelle weltweit, was die Höhe seiner F&E-Ausgaben betrifft. Die kompromisslose Ausrichtung auf Produkt- und Prozessexzellenz hat dem Unternehmen den kürzesten Entwicklungszyklus in der Industrie, die führende Position im Gebiet der HybridTechnologie und einen Marktwert beschert, der – gemessen an der Marktkapitalisierung – höher ist als der der drei nächstgrößeren Automobilhersteller zusammen. Die Verbesserung welcher Prozesse mündet in den besten Resultaten? Die Antwort auf diese Kernfrage ist individuell. Im Falle Apples im Jahr 1996 lautet sie: Portfolio-Management. Nachdem Steve Jobs wieder als CEO angetreten war, stoppte er eine Reihe von Projekten radikal und konzentrierte alle Entwicklungsressourcen ausschließlich auf die wenigen Vorhaben, die das größte Potenzial besaßen. Mit dieser Strategie schrieb Apple eine neue Erfolgsstory: Steve Jobs hatte eine industrieweit einmalige Innovationsmaschinerie in Gang gesetzt, aus der iMac, iBook, iPod und iTunes mit spektakulärem Markterfolg hervorgingen. Dabei liegt der Anteil der F&E-Ausgaben am Umsatz bei Apple mit 5,9 Prozent unter dem Bran-
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chendurchschnitt von 7,6 Prozent. Die insgesamt 489 Millionen USDollar, die Apple für F&E ausgibt, machen nicht einmal ein Zehntel dessen aus, was die großen Wettbewerber aufwenden.
Von den Besten lernen Generell ist ein hohes Maß an Kooperation und Integration zwischen F&E, Marketing, Vertrieb, Service und Fertigung erforderlich, um Ideen zum Erfolg zu bringen. Verschiedene Untersuchungen und Projekterfahrungen lassen folgende Schlüsse zu 1. Innovationsstrategie: Unternehmen mit einem erfolgreichen Innovations-Management bringen die Innovationsstrategie mit der Unternehmensstrategie in Übereinstimmung. Sie verstehen es, zukünftige Trends aus unterschiedlichsten Quellen zu kondensieren, um die Strategieformulierung zu unterstützen. Schließlich wird die Strategie klar ausformuliert und breit im Unternehmen kommuniziert. 2. Organisation: Eine schlanke, aber schlagkräftige Einheit ist notwendig, um den Innovationsprozess besonders in frühen Phasen über die verschiedenen Funktionen hinweg zu orchestrieren. Des Weiteren ist es bei Unternehmen mit mehreren Geschäftsfeldern wichtig, die richtige Balance und Verzahnung zwischen zentraler und dezentraler F&E zu finden. 3. Kundenverständnis: Innovative Unternehmen entwickeln ein tiefes Verständnis ihrer Kunden über die offensichtlichen Einsichten hinaus, und zwar nicht nur im Marketing sondern über Funktionen hinweg. Ein weiterer Schritt ist die direkte Beteiligung des Kunden am Innovationsprozess. 4. Globales Innovationsnetzwerk: Relevantes Wissen muss heutzutage auf globaler Basis aufgespürt werden. Standorte in anderen Regionen oder externe Partner helfen, dieses Wissen in den Innovationsprozess einzuspeisen, wobei die Integration der Standorte und Partner in ein Netzwerk erforderlich ist. 5. Projektdurchführung: Klare und strukturierte Prozesse sind eine wichtige Voraussetzung für eine effiziente Projektdurchführung. Noch wichtiger sind jedoch eine starke Projektleitung mit Verantwortung für Budget und Termine sowie funktionsübergreifende Teams. 6. Innovationskultur: Die Basis für die oben genannten Faktoren ist eine gelebte Innovationskultur. Dabei kommt dem Vorbild und dem Einsatz der oberen und mittleren Führungskräfte eine entscheidende Rolle zu. Es gibt Anreize und Strukturen für Mitarbeiter, ihr Wissen und
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ihre Ideen auch über Abteilungsgrenzen und Unternehmensstandorte hinweg weiterzugeben, sodass gerade große Unternehmen ihr weltweites, umfangreiches, jedoch dezentral vorhandenes Wissen möglichst optimal nutzen.
Deutschland ist bei den Investoren vorn dabei Ein gutes Beispiel aus Deutschland für den effizienten Umgang mit F&EGeldern ist BMW. Das Unternehmen übertrifft bei Wachstum und Ertrag die meisten Wettbewerber deutlich, liegt aber trotz einer groß angelegten Modelloffensive bei seinen anteiligen F&E-Ausgaben nur knapp über dem Branchendurchschnitt. Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation in Deutschland muss Innovations-Management und der effiziente Umgang mit F&EBudgets ein Thema mit höchster Priorität sein. Tatsächlich ist das Land bei der Höhe der F&E-Ausgaben in der Spitzengruppe überproportional vertreten. Unter den Top Ten der Großinvestoren in F&E finden sich DaimlerChrysler (Listenplatz 4) und Siemens (7). Unter den Top 100 weltweit tauchen weitere neun deutsche Konzerne auf: Volkswagen (13), BMW (33), Bayer (40), Infineon (57), BASF (58), SAP (65), Schering (69), Deutsche Telekom (71) und ThyssenKrupp (97). Wenn nun höhere Ausgaben nicht zwangsläufig mehr bringen, sollte dann nicht einfach der Rotstift bei den F&E-Budgets angesetzt werden? Jene zehn Prozent der untersuchten Unternehmen, die am wenigsten für Forschung und Entwicklung ausgeben, bleiben jedoch bei Gewinn und Kapitalrendite deutlich hinter ihren Wettbewerbern zurück. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass bei den Top 100 der 1000 Unternehmen zu unreflektiert investiert wird. Folglich gilt es zu vermeiden, dauerhaft sowohl zu den oberen zehn Prozent als auch zu den unteren zehn Prozent der Ranking-Liste zu gehören.
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3,0 2,4
Indexierte Performance
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1,0 0,5 0,0 Index der Bruttogewinnspanne
Index des Bruttogewinnwachstums
Index des operativenGewinnwachstums
Regional variabler Shareholder Return Index
Verhältnis F&E zum Umsatz: Untere 10%
Mittlere 80%
Top 10%
Abb. 3. Performance-Nachteil der unteren 10 Prozent
Open Innovation Eine Lösung, die sich bietet, ist die Bildung von Partnerschaften, die sich die Investitionskosten und Risiken teilen. Open Innovation – also die Entwicklung und Nutzung von Innovationsnetzwerken, die weltweit oder auch nur innerhalb des Konzerns arbeiten – versetzt Firmen in die Lage, auf geschäftskritische Innovationspotenziale außerhalb des Unternehmens zuzugreifen und Ressourcen vereint zur Verfügung zu stellen, um einen virtuellen Skaleneffekt zu erzielen. Das ist ökonomisch sinnvolles Verhalten, denn viele Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, dass Unternehmen mit großer F&E-Tradition oft nicht in den Genuss des kommerziellen Erfolgs kamen. Anscheinend kann ein Unternehmen nur ein gewisses Maß an Forschungsergebnissen für sich erfolgreich vermarkten – der Rest ist ein Dienst an der Öffentlichkeit.
Die Öffentlichkeit profitiert So hat zum Beispiel das Palo Alto Research Center at Xerox (Xerox PARC) mit seinen bahnbrechenden Innovationen Geschichte geschrieben, doch haben die Aktionäre in der Regel nichts davon gehabt. Die wohl berühmteste Entwicklung war die grafische Benutzeroberfläche. Sie wurde
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zunächst von Apple und später von Microsoft zu Geld gemacht. Die Erfindung des Ethernet-Protokolls für die Kommunikation zwischen Computern erwies sich ebenfalls als Segen – für 3Com. Ähnlich war es im Fall der renommierten Bell Labs, die Anfang der 80er-Jahre zwei Milliarden USDollar im Jahr in F&E investierten. In der achtzigjährigen Geschichte der Forschungseinrichtung haben die dortigen Wissenschaftler nichts Geringeres als den Transistor, den Kommunikationssatelliten, den Laser und das offene Betriebssystem Unix entwickelt. Doch zogen ganz andere Unternehmen den wirtschaftlichen Nutzen aus diesen wertvollen Erfindungen. Diese Erkenntnisse helfen auch zu erklären, warum in einer weiteren Untersuchung kein Zusammenhang zwischen der Anzahl der Patente eines Unternehmens und seinem geschäftlichen Erfolg festgestellt werden konnte.
Abb. 4. Portale stehen in keinem Zusammenhang mit der Performance
Ergebnisse aus Booz Allen Hamilton-Studien
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Fazit Die Top-Performer der untersuchten Unternehmen haben erkannt, dass viel zu viel auf dem Spiel steht, um Ergebnisse dem Zufall zu überlassen. Ausgaben für F&E können das Image polieren oder andere Vorteile bringen – elementar ist der Nutzen, den die Anteilseigner daraus ziehen. Entscheider müssen sich die Frage stellen: Wenn F&E kein Garant für Wettbewerbsfähigkeit ist, welche Parameter führen dann zum Erfolg? Wichtig ist ein Mix aus Frühindikatoren und Kennzahlen, die den Erfolg ex post messen. Die Güte des Projektportfolios in frühen Innovationsphasen lässt sich über eine transparente Bewertung der Projekte mittels Scorecards ermitteln. Ex post sind die wichtigsten Kennzahlen der Anteil des Umsatzes an Neuprodukten und der „Return on Innovation Investment“, der auf Projektbasis bestimmt wird. Zur Untersuchungsmethode: Für die Studie identifizierte die Beratungsgesellschaft die globalen Top 1000 der globalen Unternehmen, die ihre F&E-Ausgaben veröffentlichen. In einem zweiten Schritt analysierte die Studie für die vergangenen sechs Jahre die wichtigsten Finanz-, Umsatz-, Ertrags-, Kosten- und Profitabilitätskennzahlen und brachte diese in Zusammenhang mit den historischen Ausgaben für F&E.
Impulse durch neue Technologietrends
Dr. Johannes Bussmann, Partner Booz Allen Hamilton Dr. Michael Fritsch, Principal Booz Allen Hamilton Christopher Schmitz, Principal Booz Allen Hamilton Jens Niebuhr, Principal Booz Allen Hamilton Dr. André Scholz, Senior Associate Booz Allen Hamilton
Einleitung In vielen Industrien hat in den vergangenen Jahren die Informationstechnologie (IT) zu wesentlichen Transformationen und Innovationen geführt. Im Finanzdienstleistungssektor hat sich die IT zu einer wesentlichen Kernkompetenz entwickelt, in anderen Branchen hat die IT durch digitale Multimedia neue Produktwelten rund um Video und Audio geschaffen. In Verbindung mit dem Internet hat die IT auf einfache Weise neue Kommunikationsmöglichkeiten mit globaler Dimension geschaffen, mit der gerade im Retail-Bereich ortsungebundene Geschäftsmodelle realisiert werden konnten. Mit zunehmender Verbreitung und Präsenz der IT sind in vielen Unternehmen die damit verbundenen Kosten gestiegen. Die ITBudgets kamen vor allem vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Stagnation mehrfach auf den Prüfstand. Die Frage, die immer wieder in den Mittelpunkt der Diskussionen rückt, ist die nach dem Geschäftswert innovativer IT-Lösungen. Die neue Rolle der IT als Kernkompetenz und Schlüssel für Innovationen ist, insbesondere in Serviceindustrien, zukünftig intensiver auf die Unterstützung der Innovationskraft der Unternehmen ausgerichtet. Das bedeutet, dass die Entwicklung der IT-Kosten nicht mehr als alleiniges Maß zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit der IT herangezogen wird. Bei der Positionierung der IT als wichtige Kompetenz für den Unternehmenserfolg spielt die wirtschaftliche Nutzung erkennbarer Technologietrends und ITInnovationen eine entscheidende Rolle. Nie zuvor haben so viele verschiedene Technologien Einfluss auf die Unternehmensentwicklung genommen. Waren die vergangenen 15 Jahre von der explosionsartigen weltweiten
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Verbreitung des Internet mit den Schlüsselanwendungen World Wide Web und E-Mail gekennzeichnet, hat die wachsende Leistungsfähigkeit der Mobilfunktechnologie nun für den mobilen Zugang zum Internet gesorgt. Die weitere Konvergenz von Technologiewelten, die Kombination von offener Internetwelt mit uneingeschränkter Mobilität wird zu einer starken Integration, Flexibilisierung und Beschleunigung bei der Entwicklung neuer Lösungen für die Wirtschaft und den privaten Bereich führen. Daraus leiten sich auch die wesentlichen Anforderungen der nächsten Jahre an Anwendungen, IT-Architekturen und Infrastruktur ab, die wir in diesem Kapitel beschreiben und anhand praxisnaher Beispiele veranschaulichen.
Technologietrends im Anwendungsumfeld Auf der Ebene der IT-Anwendungen sind zwei grundsätzliche Bereiche zu unterscheiden: zum einen Anwendungen für den Dialog mit dem Geschäftspartnern und insbesondere den Endkunden, zum anderen Anwendungen zur Steuerung von internen Prozessen ohne direkte Kundeninteraktion. In beiden Bereichen setzen neue Technologien Akzente, die zu innovativen Diensten und Leistungen führen. Neue Servicesanwendungen durch innovative Technologien Die Weiterentwicklung der Mobilfunk- und Festnetze hat ein kreatives Potenzial für neue Serviceanwendungen für Endkunden geschaffen. Aktuell sind dies die neuen technischen Lösungen wie UMTS und WLAN, die als leistungsfähige Breitbandzugänge den mobilen Einstieg ins Internet ermöglichen. Die nächste Entwicklungsstufe ist das sich immer stärker verbreitende Internet Protocol (IP), das die Bandbreiten und Infrastruktur effizient und kostengünstig nutzt und damit die herkömmlichen Verfahren der Datenübertragung zurückdrängen wird. Durch gleichzeitige Fortschritte bei der Leistungsfähigkeit mobiler Endgeräte verbrauchen Chips und Displays deutlich weniger Strom als zuvor, was zu völlig neuen Einsatzmöglichkeiten führt. Zusammengenommen geben alle diese Entwicklungen den Anstoß zu neuen oder erweiterten Dienstleistungen an der Schnittstelle zum Kunden. Insbesondere konnten die Rahmenbedingungen für das Angebot und für Lösungen des mobilen Zahlungsverkehr (Mobile Payment) entscheidend verbessert werden. Das Beispiel von Paybox in Österreich zeigt sehr anschaulich, wie das Zusammenspiel moderner Technologien in diesem Umfeld neue Geschäftsmodelle hervorbringt. Für deren Erfolg reicht Technik
Impulse durch neue Technologietrends
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allein allerdings nicht aus: Kunden müssen über Nutzenargumente gezielt an die innovativen Services herangeführt werden. Die Einfachheit der Lösungen und die nachweisliche Sicherheit spielen für die Akzeptanz bei privaten Endkunden eine entscheidende Rolle. Paybox Austria befindet sich im Besitz von Mobilkom Austria und ONE und ist mit 180 000 Kunden und 4000 akzeptierten Händlern Österreichs führender Anbieter für Mobile Payment. Über eine sichere, multifunktionale Plattform für das mobile Bezahlen wird den Kunden eine Vielzahl von Services für eine geringe Jahresgebühr angeboten. So lassen sich mit M-Parking, M-Ticketing und M-Betting zum Beispiel Parkgebühren oder Kinokarten mit dem Handy bezahlen oder Fußballwetten mobil abschließen. Zur Finanzierung des neuen Zahlungsservice verlangt Paybox ein Disagio von den angeschlossenen Vertragspartnern. Um das Mobile-Payment-Angebot nutzen zu können, muss der Kunde Teilnehmer eines österreichischen Mobilfunknetzes und bei Paybox Austria registriert sein sowie über ein österreichisches Bankkonto verfügen. In Abbildung 1 wird die Funktionsweise der Transaktion im Mobile Payment erläutert. Die Dauer einer einzelnen Transaktion beträgt rund 30 Sekunden und ist vergleichsweise sicherer als alternative Lösungen, da die Zahlung ohne die Übertragung von Bankkonteninformationen oder Kreditkartennummern möglich ist. Transaktion im Mobile Payment Kunde: autorisiert Transaktion durch Bestätigung via Paybox-PIN-Code
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1 Kunde: Mobilfunknummer wird übermittelt
PostFinance CHF 23.25 3.5.2005
Kunde
M-Payment-System: Paybox übermittelt Betrag und Händlerinformation an das Handy des Kunden
Händler
3
Mobilfunknetzbetreiber
2 Händler: Mobilfunknummer wird am Point of Sale erkannt, Information und Betrag werden an Paybox übermittelt
5 M-Payment-System: Transaktion wird via SMS oder E-Mail bestätigt
Paybox 6 M-Payment-Plattform/Bank: Transaktionsinformation geht bei der Bank ein, Betrag wird vom Kundenkonto an den Händler überwiesen Bank
Abb. 1. Funktionsweise einer Mobile-Payment-Transaktion im Handel
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Paybox kooperiert mit führenden österreichischen Firmen wie OMV, Österreichische Bundesbahnen, Österreichische Lotterien, Casino Austria, Bet and Win und Cineplexx und verfügt über ein großes Wachstumspotenzial, da bisher erst zwischen zwei und drei Prozent der österreichischen Mobilfunknutzer Paybox-Services anwenden. Die Anzahl der Transaktionen stieg allein 2004 im Vergleich zum Vorjahr bereits um 90 Prozent. Entscheidend für den Durchbruch neuer technologiegetriebener Services im Massenkundenbereich ist – wie auch das Beispiel Payment-Services zeigt –, dass die Geschäftsmodelle für den Endkunden ohne für ihn erkennbare Zusatzkosten höhere Sicherheit und höhere Convenience bringen. Für den Aufbau weit verzweigter Netzwerke und neuer Technologielösungen ist dies ein Skalen- oder wie häufig ein „Henne-Ei“-Problem. Digitale Signatur bei VR-Banken
Auch auf anderen Gebieten mündet die Nutzung neuer Technologien in dem Aufbau innovativer Dienstleister: Derzeit gründen die deutschen Genossenschaftsbanken ein Dienstleistungsunternehmen, das über einen digitalen Ausweis eine rechtsverbindliche, elektronische Unterschrift über die Bankkarte ermöglicht. Der neue Zertifizierungsdienstanbieter (ZDA) wird diesen digitalen Ausweis ab 2007 Volks- und Raiffeisenbanken (VRBanken) und ihren Kunden anbieten. Für diese ist das Prozedere einfach und überschaubar: Er muss sich in einer der VR-Bankfilialen lediglich einmal gegenüber einem Registrierungsbeauftragten ausweisen. Das qualifizierte Zertifikat kann der Kunden selbsttätig mittels Kartenleser über einen beliebigen PC mit Internetzugang vom Web-Server auf die Bankkarte laden; es steht sofort zur Nutzung bereit. Die VR-Bankfilialen dienen mit ihrem flächendeckenden Netz als Zertifizierungsstellen. Die so ausgestattete Bankkarte lässt sich dann nicht nur für normale Zahlungsverkehrsfunktionen, sondern auch für die rechtsverbindliche Erteilung von Bankaufträgen, die sichere Kommunikation über das Internet oder auch als eindeutige Identifikation für E-Government-Anwendungen einsetzen. Ausschlaggebend für die erfolgreiche Etablierung der elektronischen Signatur ist die Bereitstellung von entsprechenden Anwendungen in Verbindung mit Bankverfahren. Damit können Bankkunden zusätzliche Prozesse nutzen, die bisher einer persönlichen Unterschrift bedurften: zum Beispiel die Eröffnung eines Zweitkontos oder die Beantragung einer Kreditkarte. Zusätzlich erhöht sich durch den Einsatz der elektronischen Signaturen der Sicherheitsstandard beim Online-Banking deutlich. Durch die Bereitstellung und die Nutzung dieser Technologie können die VR-Banken
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den Service für die Kunden verbessern, die Sicherheit erhöhen und Bankprozesse effizienter gestalten. Google führt Technologien zusammen
Ein weiteres Beispiel für eine attraktive, neuartige Anwendung sind die ortsabhängigen Services, die der Suchmaschinenbetreiber Google durch die Kombination innovativer Technologien anbietet. Google sammelt systematisch Daten über Verbraucher und ihre Gewohnheiten und wertet sie aus. Mit diesem Online-Service hat das Unternehmen die weltweite Marktführung erlangt und baut diese Stellung mit ergänzenden Dienstleistungen weiter aus. So lassen sich beispielsweise mit Google Earth/Google Maps die Landkarten und die Umgebung der momentanen Position eines Mobilfunknutzers auf dem Endgerät darstellen. Google reichert die Darstellung mit der Suchmaschinenfunktion von Google Local an, das Auskünfte über die lokalen Produkt- und Dienstleistungsangebote bietet. So kann ein Besucher in einer fremden Stadt zum Beispiel schnell die nächstgelegene Apotheke oder ein nahes Restaurant finden. Schließlich hat er die Möglichkeit, über E-Mail, SMS, Voice over IP oder klassische Telefonie Informationen etwa zu einem Medikament zu erhalten oder einen Tisch zu reservieren. Die Funktionsweise von Google Local ist in der nachfolgenden Abbildung illustriert. Mehrwertlösungen im Internet – Beispiel Google Google Local Ortsabhängige Services auf Basis von Google Maps & Google Earth
Nutzung von Googles „Google Local Search Engine“Funktionalität
Telefonie mit Google Talk – Googles Voiceover-IP-Service
Abb. 2. Funktionsweise von Google Local
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Die von Google angebotenen Dienste sind vollständig werbefinanziert. Hierzu hat der Anbieter das Online-Geschäftsmodell weiter verfeinert und bietet eine Reihe dedizierter Services für die Online-Werbung an. Durch die intelligente Verlinkung der Informationen und die hohe Genauigkeit bei der Zuordnung von Suchanfragen mit Zielkundenprofilen steigert Google den Zusatznutzen für die Beteiligten des Online-Geschäftsmodells erheblich.
Zwei Wege zur Modernisierung der Anwendungen im Bereich Operations und Administration Der zweite große Bereich für innovative Lösungen auf der Anwendungsebene sind die produktionsnahen Anwendungen, die ohne direkte Kundeninteraktion die internen Prozesse, die Operations und die Administration unterstützen und steuern. Gerade in Industrien wie dem Finanzdienstleistungsbereich, der Massenkunden mit modernsten Dienstleistungen bedient, sind die Erwartungen an die Leistungsfähigkeit und Sicherheit der Applikationen besonders hoch. Um im Wettbewerb mithalten zu können, wünschen die einzelnen Geschäftsbereiche der Banken als interne Kunden der Anwendungsentwicklung, dass ihre Anforderungen möglichst zeitnah realisiert werden. Gleichzeitig verkürzen sich die Zyklen, in denen neue Funktionen in vorhandene Systeme integriert werden müssen. Viele moderne Anwendungsbausteine gehören heute bereits zum Standard in großen Unternehmen und Banken. Dazu gehören ein ganzheitliches Kunden-Management (Customer Relationship Management, CRM) und umfassende Lifecycle-Konzepte. Um den einzelnen Geschäftsbereichen zum Beispiel ein leistungsfähiges CRM-System zur Verfügung stellen zu können, müssen Daten aus verschiedensten Quellen unter einer einheitlichen Business-Logik vernetzt werden. Doch nicht nur die Anforderungen der internen, sondern auch die der externen Kunden an die produktionsnahen Applikationen steigen kontinuierlich. Denn es wird immer einfacher, über unterschiedliche Kanäle wie Telefon, Fax oder Internet auf die Bank zuzugreifen. Dabei möchten Kunden stets den gleichen Komfort und vollständige Servicebereitschaft vorfinden. Finanzdienstleister wissen, wie wichtig die Harmonisierung der Kundenschnittstelle zur Verbesserung der Kundenbindung und ihrer Beratungsleistung ist. Die produktionsnahen, operativen Anwendungskernsysteme halten mit diesem kontinuierlichen Anstieg der Anforderungen in der Regel nicht im gleichen Maße mit. So werden zum Beispiel in der Finanzdienstleistungs-
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branche noch immer viele Applikationen auf Altanlagen eingesetzt. Computer mit einer bis zu dreistelligen Anzahl von Schnittstellen zu vor- und nachgelagerten Systemen sind keine Seltenheit. Müssen diese dann auch noch in Echtzeit oder beinahe Echtzeit bedient werden, wächst die Komplexität der fachlichen und technischen Architektur exponentiell an. Nun haben sich viele Banken im Bereich der dispositiven Systeme schon seit langer Zeit für Standard-Software entschieden, um den Vorteil der einfacheren und kosteneffizienteren Pflege und Weiterentwicklung zu nutzen. So sind für Rechnungswesen/Buchhaltung, Controlling, Einkauf, Human Resources am Markt verfügbare Applikationen im Einsatz. Doch muss bei den operativen Systemen auf diesen Vorteil aufgrund der immer noch wachsenden Komplexität verzichtet werden. Für das erforderliche grundlegende Re-Design und den Ersatz von Kernsystemen sind zwei Wege möglich • schrittweise Entkernung, Erneuerung und Modularisierung von Anwendungen sowie Konsolidierung der funktionalen Anforderungen auf der Business-Seite (zum Beispiel durch Reduzierung der Produktanzahl ) • Austausch von Kernsystemen durch vollständig neue, selbst entwickelte Applikationen oder durch den Einsatz von Standard-Software Beispiele für beide Varianten der Systemerneuerung finden sich ebenfalls im Finanzdienstleistungssektor. So hat die Postbank in Zusammenarbeit mit SAP eine umfassende Lösung für Banken im Privatkundengeschäft entwickelt und gegen ihr operatives Kernbanksystem ausgetauscht. Damit hat sich gezeigt, dass der radikale Weg des Vollaustauschs ebenso gangbar ist wie eine evolutionäre Weiterentwicklung bei gleichzeitiger Komplexitätsreduzierung. Als Beispiele hierfür seien die Entwicklung der Gesamtbanksysteme „One System Plus“ der Sparkassen Informatik sowie „VR Agree“ und „bank21“ der genossenschaftlichen IT-Dienstleister genannt. Der Lösungsansatz liegt hier in der Renovierung, der funktionalen Modernisierung und der Erweiterung der fachlichen Architektur der Business-Funktionalitäten auf der Basis bestehender Applikationen. Das Ziel dabei ist es, die Möglichkeiten heutiger Technologien im vollen Umfang zu nutzen und eine Architektur zu schaffen, mit der neue technologische Entwicklungen künftig wirtschaftlich und schnell eingesetzt werden können. Dazu wurden die veraltete IT-Architektur durch eine modulare, komponentenbasierte ersetzt und offene Schnittstellenkonzepte realisiert.
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Technologietrends im Bereich IT-Architektur Ein weiterer Bereich, in dem die Umsetzung von Technologietrends neue Wertschöpfungspotenziale erschließen kann, ist die IT-Architektur. Sie beschreibt den konzeptionellen Aufbau der Informations- und Kommunikationssysteme. Unternehmen mit einer hohen Durchdringung mit ITSystemen oder mit großen und starren Altanwendungen leiden bereits heute unter Wettbewerbsnachteilen, wenn eine unflexible IT-Architektur die Realisierung von Kostensenkungspotenzialen und eine schnelle Reaktion auf neue Geschäftsanforderungen behindert. Gerade hier wirkt sich der Druck, der von den Anforderungen des Business auf die IT ausgeht, besonders stark aus. Da Veränderungen starrer IT-Umgebungen umfangreiche Vorbereitungen erfordern und sich nicht im Handumdrehen umsetzen lassen, sollten CIOs (Chief Information Officers) die Zukunftssicherheit ihrer IT-Architektur intensiv kennen und unter Beachtung wirtschaftlicher Aspekte systematisch weiterentwickeln. Die IT-Architektur gehört neben der ITGovernance und den Steuerungsmodellen zu den wesentlichen Elementen einer IT-Strategie. Unter IT-Governance werden die Beziehungen und Prozesse zusammengefasst, die durch Informationstechnik umgesetzt werden und die darauf ausgerichtet sind, die Ziele des Unternehmens zu erreichen. Die IT-Architektur muss dazu die schnelle und flexible Weiterentwicklung des Geschäftsmodells und der damit verbundenen Anforderungen ermöglichen. Andernfalls kann es nicht nur zu massiven Wettbewerbsnachteilen, sondern sogar zu existentiellen Bedrohungen kommen, wie das Beispiel des Flughafens Denver zeigte: Eine unzureichende IT-Architektur war einer von mehreren Gründen, die den gesamten Abfertigungsprozess für 16 Monate zum Erliegen brachte und so einen Schaden von rund zwei Milliarden Dollar verursachte. Hohe Anforderungen an die Flexibilität Das Ziel einer Business-orientierten IT-Architektur ist es, das Kerngeschäft des Unternehmens und wesentliche Funktionen wirksam und flexibel zu unterstützen und dabei die Kosteneffizienz der IT zu wahren. Weil Unternehmensstrukturen heute durch Reorganisationen, Outsourcing oder Akquisitionen kaum länger als sechs Monate unverändert bleiben, sind die Anforderungen an die Flexibilität der IT-Architektur besonders hoch. Lang laufende IT-Transformationsprojekte sind bei organisatorischen und prozessualen Änderungen nicht mehr akzeptabel, und eine kurze Time to
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Market ist zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor für neue Informationsund Kommunikationstechnologien geworden. Darüber hinaus sind IT-Komponenten immer stärker Bestandteil der Endkundenprodukte, zum Beispiel bei IP-basierter Telefonie (Internettelefonie) oder beim Online-Banking. Daher muss eine leistungsfähige ITArchitektur die Produkt-IT optimal in die Gesamtarchitektur einbetten, die Zeit bis zur Marktreife verkürzen und gleichzeitig zur Senkung der Kosten beitragen. Nicht mehr ohne integrative Konzepte Kein renommierter Standard-Software-Anbieter gestaltet seine Produkte heute ohne Middleware-Technologien. Middleware ist eine vereinheitlichende Software-Schicht, die zwischen den Anwendungen und dem Betriebssystem vermittelt. Sie bewirkt auch, dass für den Anwender die Komplexität der zugrunde liegenden Infrastruktur und Applikationen gemanagt wird, ohne dass er diese kennen und verstehen muss. Sollen vorhandene Systeme neu organisiert werden, sind durch den Einsatz von geeigneter Middleware keine tief greifenden Umstrukturierungen erforderlich, was Zeit und Kosten spart. Selbst das hochintegrierte SAP R/3 greift mit Erfolg auf Middleware zurück.
Steuerungslogik
Anwendung A
Anwendung B
Interface
Interface
Middleware
Interface Anwendung C
Externe Partner
Abb. 3. Wirkungsweise einer Middleware
Alle diese Konzepte werden derzeit durch die Hersteller unter dem nicht normierten Label „serviceorientierte Architekturen“ (SOA) vermarktet. Die verfügbaren Technologien sind jedoch in ihrer Leistungsfähigkeit nicht gleichwertig, sie arbeiten unterschiedlich gut mit einzelnen Systemplattformen zusammen. Eine „One size fits all“-Lösung für die gesamte
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Unternehmens-IT ist nicht in Sicht. Gezielt eingesetzte Middleware kann jedoch in vielen Architekturbereichen zu hohen Kosteneinsparungen führen. Das trifft besonders in einem heterogenen, aber stark vernetzten Anwendungsumfeld zu, wie es beispielsweise für den Betrieb von Telekommunikationsnetzen erforderlich ist. Hier lassen sich Betriebsfunktionen wie die Überwachung der Plattform, die Bearbeitung von Fehlermeldungen (Trouble Ticketing), das Management von mit Kunden vereinbarten Serviceniveaus (Service Level Management) miteinander verbinden. Starre Schnittstellen, die bei Prozessanpassungen hohe Kosten nach sich ziehen, entfallen durch Middleware. Die kontinuierliche Justierung der bestehenden IT-Architektur ist für den Erfolg eines Unternehmens wichtig, häufig ist sie jedoch mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden: • hohe Kosten für die Anpassung speziell ausgeprägter, unternehmenskritischer Altanwendungen • Überlappung von Funktionalitäten zwischen den einzelnen Systemplattformen, zum Beispiel bei heutigen „Customer Relationship Management“(CRM)-Systemen und „Enterprise Resource Planning“(ERP)Systemen • ungesicherte Tragfähigkeit moderner Middleware-Technologien, insbesondere für die Übertragung größerer Datenmengen • effektives Management der Veränderungsprozesse innerhalb eines Unternehmens Auch wenn die Erneuerung der IT-Architektur mit vielen technischen Fragestellungen verbunden ist, so muss sie letztlich von der Business-Seite initiiert werden. Angesichts der Größe der Aufgabe und der hohen Investitionen sind daher starke Sponsoren und ein systematisches Vorgehen zwingend erforderlich. Viele dringend notwendige Veränderungen scheitern aber genau daran.
IT-Architektur systematisch aufbauen Ein Ansatz zur Modernisierung der IT-Architektur geht von den relevanten Business-Anforderungen aus und schließt mit einer realistischen Planung für die Überführung in die neue IT-Umgebung – der Migration. Dabei müssen zuerst die für das Unternehmen wesentlichen Markt- und Geschäftsentwicklungen strukturiert werden.
Impulse durch neue Technologietrends
Erhebung BusinessAnforderungen
Aufbau Zielarchitektur und Verifizierung
Ableitung IT-Implikationen
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Entwicklung Migrationsplanung und Business Case
Abb. 4. Vorgehensweise zum Aufbau einer effektiven IT-Architektur
Hier geht es darum zu verstehen, welche Prozesse und Produkte zukünftig durch die IT unterstützt werden müssen. Davon sind die funktionalen, zeitlichen und sonstigen Implikationen auf die Architektur abzuleiten. Dabei kann es sich zum Beispiel um die Berücksichtigung von PartneringSchnittstellen oder den Aufbau von Mandantenkonzepten handeln. Anschließend wird die Zielarchitektur auf Basis eines systemneutralen, funktionalen Modells gestaltet. Hier sollte möglichst auf industriespezifische Standardmodelle zurückgegriffen werden, zum Beispiel eTOM/ITIL im Telekommunikationsbereich (siehe Abbildung 5). Ein solches Modell berücksichtigt alle durch die IT abzudeckenden Funktionen auf den unterschiedlichen Funktionsebenen entlang der Geschäftsprozesse. Der Weg zur Zielarchitektur sollte über eine quantifizierbare Planung von Maßnahmen mit konkreten Meilensteinen und Zwischenergebnissen aufgezeigt werden. Dabei sind Instrumente zur Architekturmigration stets im gesamten Projektportfolio erforderlich, um Synergiepotenziale zu heben. Erfahrungsgemäß lässt sich nur so eine erfolgreiche Architekturerneuerung erreichen. Geschäftsprozess Vertrieb
Produktion
Betrieb und Service
Kunden-/ Vertriebspartner-Management
Funktionale Schichten
KundenManagement
Marketing
VertragsManagement
Ressourcen- und SystemManagement
Bestellabwicklung
Problem Handling
Servicekonfiguration
Service Quality Management (SLA)
Service Problem Management
Service Management (ITIL)
Fault Management
SystemElementManagement
Invoicing/ Collections
Finanzen & Controlling
Knowledge Management Serviceplanung und -entwicklung
Technische Hochrechnung
Strategie & Planung
Kunden QoSManagement/ Reporting
AccountPlanung
Serviceentwicklung
Querschnittsprozesse
KonfigurationsManagement
Techn. OrderManagement
Backbone Provisioning
Guiding/ Rating
HR-Management
Prozess-/ QualitätsManagement Service Activation
Mediation
Produkt- und InnovationsManagement
Service- & Netzwerk-Inventory Capacity Management
Vertrags-Management
Backbone System Management/ Network System Management Backbone Operations
Billing Management
Abb. 5. Funktionsmodell einer IT-Architektur am Beispiel der Telekommunikationsindustrie
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Technologietrends bei Infrastruktur Neben den Anwendungen und der IT-Architektur hat auch die Infrastruktur großen Einfluss auf die Innovationskraft eines Unternehmens. Mobile und drahtgebundene Kommunikationsnetze und -systeme bestimmen maßgeblich, wie Unternehmen durch neue Technologien wachsen und die effiziente Nutzung von Unternehmensressourcen weiter vorantreiben können. Mobile Datendienste und Kommunikationslösungen sind heute mit großer Anwendungsvielfalt und Leistungsfähigkeit von einem Gerät oder Nutzer zum anderen durchgängig möglich. Durch diese Ende-zu-EndeMobilität sowie integrierte Anwendungen lassen sich zum Beispiel die Effektivität von Außendienstvertrieben oder dezentralen Serviceorganisationen deutlich erhöhen. Das Spektrum der Möglichkeiten reicht von simplen mobilen Messaging-Diensten über das mittlerweile fast allgegenwärtige Smartphone Blackberry bis hin zu tief in CRM- oder ERP-Systeme integrierte, mobile Datenlösungen. Dabei sind die allgemeinen Anwendungen zur Produktivitätssteigerung weitgehend standardisiert, sie lassen sich deswegen ohne großen Konfigurationsaufwand einsetzen. Die Herausforderungen bei der Spezifikation und Implementieung von Anwendungen wachsen mit zunehmender Integrationstiefe, sodass oft spezialisierte IT-Provider an derartigen Einführungen beteiligt werden. Zudem steigen die Sicherheitsanforderungen bei tief integrierten Lösungen, da auf unternehmenskritische Anwendungen und Daten zugegriffen wird. Dies ist umso wichtiger, je stärker offene Zugangskanäle wie zum Beispiel WLAN genutzt werden. Die Art und Weise, wie in Unternehmen kommuniziert wird, ändert sich schließlich auch durch die Verschmelzung der klassischen Telekommunikation mit der Datenwelt. Durch Internettelefonie (Voice over IP, VoIP) ergeben sich vielfältige neue Möglichkeiten von der „simplen“ Videokonferenz mit integrierter Datenpräsentation bis hin zu integrierter Daten- und Sprachkommunikation für Callcenter und Websites. Allerdings verlaufen die Akzeptanz und Verbreitung dieser Anwendungen zurzeit noch langsamer als erwartet. Erst rund zehn Prozent der Unternehmen in Europa nutzen VoIP für die externe Kommunikation. Fast die Hälfte der befragten Firmen hat heute noch keine konkreten Absichten, VoIP einzusetzen. Die Gründe hierfür sind der hohe Investitionsaufwand für eine Umstellung sowie die fallenden Preise für Telefonie. Der starke Wettbewerb im nationalen und internationalen Telefonverkehr hat zu einer drastischen Kostensenkung in den letzten Jahren geführt. Im internationalen Verkehr hat die Regulierungsbehörde die Deutsche Telekom daher bereits aus der Tarifregulierung entlassen. Dennoch ist der Trend zu einer stärkeren Penetration
Impulse durch neue Technologietrends
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von VoIP in Europa eindeutig zu erkennen, wie nachfolgende Abbildung zeigt. VoIP-Durchdringung bei Geschäftskunden 20% Großbritannien Spanien Italien Frankreich Deutschland Schweden
% Geschäftskunden
18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% 2006
2007
2008
2009
Frankreich
Deutschland
Italien
Spanien
Schweden
Großbritannien
Abb. 6. Prognose VoIP-Penetration 1
Der aus dem Festnetz bekannte Preisverfall hat die mobilen Netze noch nicht erreicht, sodass Unternehmen in der internen Kommunikation zwar integrierte Sprach- und Datennetze einsetzen, aber für drahtlose VoIPVerbindungen vorrangig WLAN nutzen. Allerdings erwarten die Experten auch für die mobilen Kommunikationsnetze in den nächsten Jahren einen starken Preisrückgang. Sinkende Preise und Standards wie UMTS und HSDPA, die hohe mobile Bandbreiten bieten, erweitern die Möglichkeiten der mobilen Kommunikation und Anbindung an die Unternehmens-IT deutlich. Die Verbindung dieser Technologien und das Zusammenwachsen der Infrastrukturen wird sich unmittelbar auf die Entwicklung von Anwendungen und Services auswirken, die – zunehmend unabhängig von der Infrastruktur – als „Plug and Play“-Services realisiert werden.
1
Quelle: Analysys, Booz-Allen-Hamilton-Analyse
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Data
CPE
SONET Frame
Directory Guide
ATM
CPE
Video
OperatorServices
Video
Sprache
Entertainment Applications
„Plug and Play“Services Internet Access
Morgen
Infrastrukturabhängige Services
Voice
Heute
Guides/Directories
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CPE Sprachdienste
Internet Protocol (IP) Content Netz
Broadband Connection Content/Event/Flat Billing
Netz
Netz Integrated Customer Care
Abb. 7. Zukünftige Bedeutung der Infrastruktur
Das Skype-WLAN-Mobiltelefon ermöglicht kostenlose Telefongespräche über das Internet überall dort, wo sich der Kunde über einen WLAN-Zugang einwählen kann. Es macht deutlich, wie die unterschiedlichen Zugangstechnologien in einen Wettbewerb zueinander treten und das Spektrum der möglichen Anwendungen erweitern. Erste kommerzielle Einsätze von WiMax (Worldwide Interoperability for Microwave Access), das den sehr begrenzten Radius von WLAN-Netzen deutlich vergrößert, werden die Anwendung von kostengünstigen, breitbandigen integrierten Datendiensten weiter fördern.
Ausblick Die in diesem Kapitel vorgestellten Technologietrends in den Bereichen Anwendungen, IT-Architekturen und Infrastruktur haben eines gemeinsam: Sie unterstützen die zunehmende Integration von Geschäftsprozessen und IT. Gleichzeitig werden die wachsenden Kundenanforderungen und der zunehmende Druck in Richtung kurzer Vermarktungszeiten und hoher Flexibilität die Komplexität der IT-Lösungen weiter vorantreiben. Dabei sind starke Auswirkungen auf etablierte Geschäftsmodelle abzusehen. Insbesondere die Anbieter von Nicht-Standardanwendungen und -Architekturen sowie die Betreiber proprietärer Infrastrukturen müssen sich deswegen strategisch neu ausrichten. Stellt heute bei den meisten Unternehmen die Integration mobiler und/oder IP-basierter Technologien in bestehende IT-Lösungen aktuell ei-
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ne Herausforderung dar, so wird zukünftig die Frage der Beherrschbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Betriebs von integrierten Lösungen verschiedenster Informations- und Kommunikationstechnologien über den Geschäftserfolg entscheiden. In diesem Zusammenhang stehen der komplexen, historisch gewachsenen und deswegen oftmals veralteten ITArchitektur vieler Unternehmen große Veränderungen bevor. Diese werden mit hohen Investitionen in die Erneuerung verbunden sein. Die Zukunft wird zeigen, ob sich kreative und dynamische Unternehmen ohne nennenswerte Altsysteme in ihren Märkten etablieren und im Wettbewerb gegen die bereits etablierten Mitspieler Marktanteile gewinnen können.
Innovationsstrategie im Wandel der Zeit
Dr. Eckhard Geulen, Senior Executive Vice President Deutsche Telekom/T-Com Wettbewerb, Wachstum und Beschäftigung werden in den nächsten Jahren verstärkt auf Innovation basieren. Dies gilt im Zeitalter der Globalisierung für Unternehmen und Volkswirtschaften gleichermaßen. Der Wohlstand in den 80ger- und 90ger-Jahren beruhte weitgehend auf der Abschöpfung der Innovationsrenten vergangener Jahre, die sich heute in vielen Märkten verbraucht haben. Unternehmen sehen sich daher heute einer wachsenden Innovationsnachfrage gegenüber. Gleichzeitig sind die dafür nötigen Investitionen in einer angespannten wirtschaftlichen Gesamtsituation aber zunehmend schwer finanzierbar. Ein weiterer Effekt hat die Innovationslandschaft in den letzten Jahren grundlegend verändert. Heute wird durch Erfindungen der Veränderungsprozess des Markts so beschleunigt, dass die Evolution und das Heute nahezu verschmelzen. Die wichtigste Waffe im Wettbewerb ist die Zeit, und Innovationsstrategie bedeutet Realisierung eines Zeitvorsprungs. Je kürzer die Time to Market ist, desto größer ist der Wettbewerbsvorteil, der sich in hohem Marktanteil und ausgeprägter Markenpräferenz manifestiert. Das Nachfrageverhalten stellt hohe Anforderungen an eine Innovationsstrategie. In der Multi-Optionsgesellschaft werden langfristige Entwicklungen seltener, stattdessen werden neue Strömungen mit abrupten Sprüngen eingeleitet. Flexibilität wird damit zur zweitwichtigsten Waffe im Wettbewerbskampf. Schnelle Entscheidungen in sich wandelnden Umwelten und eine ausgeprägte Risikokultur sind wesentliche Faktoren für eine Führungsposition bei der aktiven Gestaltung des Wandels. Die Individualisierung der Gesellschaft führt zu einer Fragmentierung der Märkte, in der Produkte und Dienste zunehmend auf Individuen zugeschnitten werden. Innovationen erreichen nicht mehr Massenmärkte, sondern lediglich Nischenmärkte. Dies führt zu kleineren Mengen und geringeren Rentabilitäten. Gescheiterte Innovationen sind schon heute mehrheitlich auf zu geringe Nachfrage zurückzuführen. Andererseits bietet die Fragmentierung der Märkte und die Kultur der Selbstentfaltung durch die Vielfalt der Optionen eine große Chance für Unternehmen.
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Der Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungsgesellschaft wird durch die Informationsgesellschaft forciert. Bequemer Zugriff auf Informationen und Dienstleistungen von überall und zu jeder Zeit ist in der Mobilitätsgesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Informationsmedien wie das Internet zeigen den Menschen, wie groß die Lücke zwischen Wissen und Nicht-Wissen ist, und genau dort setzen viele Innovatoren wie zum Beispiel Ebay oder Google an. Such- und Entscheidungshilfen sind für die überinformierte Informationsgesellschaft symptomatisch. Die zunehmende elektronische Vernetzung verändert die Marktstrukturen erheblich. So hängen Akzeptanz und Nutzungsintensität von Innovationen in der Informationsgesellschaft stark von der Preisgestaltung und den verfügbaren Inhalten ab, wobei das Inhaltsangebot und die Preisstellung sich wiederum an der Nutzungsintensität orientieren. Diese KritischeMasse-Phänomene werden dann noch entscheidender, wenn für die Nutzung von Diensten spezielle Endgeräte wie zum Beispiel Set-Top-Boxen notwendig sind.
Abb. 1. Rahmenbedingungen für die Innovationsstrategie
Die veränderten Marktbedingungen resultieren in kürzeren Produktzyklen und steigendem Wettbewerb mit entsprechendem Margendruck und der Notwendigkeit von Kostensenkungen. Sie führen dazu, dass heute kein Marktteilnehmer sich dem Thema Innovationen mehr verschließen kann. Ein proaktiv gesteuerter Innovationsprozess ist notwendig, und es müssen
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in möglichst regelmäßigen Zeitabständen marktgängige Innovationen hervorgebracht werden.
Innovationsfelder und Ziele Die Innovationsstrategie ist der Katalysator für eine kontinuierliche Steigerung der Innovationsleistung. Hierbei stellt eine klare Definition der Innovationsziele die Basis für weitere Aktivitäten dar. Innovationsziele müssen sich verstärkt auf die Marktanforderungen ausrichten, Mehrwert für den Kunden realisieren, Produkte verbessern, Wettbewerbsvorteile erzielen, Unternehmens-Performance steigern, Produktionskosten senken, Prozesse beschleunigen und die Qualität steigern. Die Literatur zu Innovationsstrategien unterscheidet verschiedene Kategorien: Innovationsstrategien, die auf den Markt und die Bedürfnisbefriedigung des Kunden ausgerichtet sind und langfristig Umsatz und Erträge sichern • Produkt- und Dienstleistungsinnovationen • Prozessinnovationen mit Kundenfokus (Bestellprozesse, Beschwerdeprozesse) Innovationsstrategien, die auf das Unternehmen ausgerichtet sind und zu langfristigen Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen führen • Prozessinnovationen/Verfahrensinnovationen (Produktions- und Fertigungsinnovationen) Soziale Innovationsstrategien, die die Wechselwirkung zwischen Mensch und Innovation und die effizienten Arbeitsprozesse in Unternehmen zum Gegenstand haben • Organisationsinnovationen • Führungsinnovationen • Unternehmenskulturinnovationen Es wird suggeriert, dass sich Innovationen in einzelnen Themenfeldern isoliert durchführen lassen. Tatsächlich aber erfordert eine erfolgreiche Innovationsstrategie das Zusammenwirken der einzelnen Innovationsfelder. Im Markt sichtbar werden zumeist nur Produkt- und Dienstleistungs- oder Prozessinnovationen. Diese werden aber flankiert durch neue Prozesse, ITK1-Innovationen sowie Änderungen im Organisationsgefüge und der
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Informationstechnik und Telekommunikation
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Unternehmenskultur. Interne Unternehmensinnovationen wirken somit als Katalysator und Enabler für die Innovationen, die im Markt wirksam werden, und sind entscheidend für den Erfolg.
Innovationsstrategie und Rahmenbedingungen Die fokussierte Ausformulierung der Innovationsstrategie auf Basis der Innovationsziele ist von wesentlicher Bedeutung für die Generierung von Innovationen. Die konzeptionelle Erfassung aller strategischen Elemente über die Entwicklung von neuen Produkten und Verfahren sowie die Erschließung neuer Zielgruppen und Märkte mithilfe von Innovationen wird durch die Innovationsstrategie abgedeckt. Innovationen beinhalten in mindestens einer Dimension eine Neuerung, sei es in der neuartigen Zusammensetzung existierender Komponenten, sei es in der Nutzung, der Herstellung, der Vermarktung, der Bündelung oder einer der vielen sonstigen Produkt- und Fertigungsdimensionen. Damit enthält der Innovationsprozess zwingend ein kreatives Element und somit schöpferische Freiheitsgrade – Innovation ist eben nicht herleitbar oder ableitbar, sondern muss konzeptionell geschaffen werden. Die effektive Nutzung dieser Freiheitsgrade und die systematische Anforderung an ein repetitives unternehmerisches Innovationsgeschehen rechtfertigen nun ihrerseits überhaupt erst die Konzeption einer Innovationsstrategie. Die Innovationsstrategie kann die Weiterentwicklung bestehender sowie gänzlich neuer Produkte und Verfahren umfassen. Die Weiterentwicklung existierender Produkte ist notwendig, deckt aber den anfallenden Innovationsbedarf nicht ab. Unternehmen versuchen mitunter bei Produkten, die den Zenit des Lebenszyklus bereits überschritten haben, durch so genannte inkrementelle Innovationen, also solche, die lediglich Existierendes verbessern, aber nicht in sich Neues hervorbringen, letzte Deckungsbeiträge herauszupressen. Durch diese Fixierung auf das Bestandsgeschäft statt auf zukunftsträchtige Innovation werden langfristige Wachstumsgewinne vernichtet. Es werden vielmehr gänzlich neue und neuartige Produkte gebraucht. Die Erweiterung ganzer Geschäftsmodelle ist ebenfalls eine Anforderung an solche Unternehmen, die langfristige Wachstumsperspektiven aufbauen oder erhalten wollen. Es wird also eine integrierte Innovationsstrategie, ein Mix aus inkrementeller Innovation am bestehenden Produkt und Durchbruchsinnovation über neue Geschäftsmodelle, Produkte und Verfahren, benötigt.
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Die Umsetzung der Innovationsstrategie über die Initiierung von Innovationsprojekten beziehungsweise die Umsetzung konkreter Innovationen wird durch das Innovations-Management und den Innovationsprozess gestaltet. Der Aufbau der Innovationsstrategie erfordert den konsequenten Einsatz von Key-Performance-Indikatoren genauso wie Markt- und Wettbewerbsanalysen. Die Innovationsstrategie muss in jedem Unternehmen regelmäßig an sich verändernde interne und externe Rahmenbedingungen angepasst werden. Die Formulierung der Innovationsstrategie wird in hohem Maß durch das verfügbare Know-how, die Ressourcen im Unternehmen, die Wettbewerbssituation sowie durch technologische und rechtliche Rahmenbedingungen beeinflusst. Rechtliche Rahmenbedingungen wie zum Beispiel Patentschutz, Wettbewerbsrecht und Regulierungssituation sind entscheidende Faktoren für die Innovationsstrategie. Investitionen in Innovationen lohnen sich für Unternehmen nur dann, wenn hiermit auch ein Schutz garantiert wird. In regulierten Märkten wie dem Telekommunikationsmarkt ist ein Innovationsschutz oftmals nicht gegeben. Hier muss den Wettbewerbern in vielen Bereichen die Innovationsinfrastruktur zur Verfügung gestellt werden, die Entgelte, die für die Nutzung erhoben werden dürfen, decken jedoch nicht einmal die inkrementellen Kosten. Die Innovationsstrategie ist integraler Bestandteil der strategischen Planung und muss hinsichtlich der Umsetzung in die Planungsinstrumente, Vorleistungsplanung, Ressourcenplanung, aber auch Marketing-Planung eingepasst werden. Die beste Innovationsstrategie ist nichts wert, wenn die daraus resultierenden Innovationsideen nicht umgesetzt werden können, weil die personelle Ausstattung, die Investitionsmittel und die MarketingBudgets nicht entsprechend aufgeteilt sind.
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Wettbewerbssituation
Innovationsziele
Strategieadaption
Innovationsprozesse
Innovationsumsetzung
InnovationsMonitoring
Technologische Entwicklungen
Rechtliche Rahmenbedingungen
Innovationsstrategie
Know-how/Ressourcen im Unternehmen Abb. 2. Innovationsprozess und Rahmenbedingungen
Treiber der Innovationsstrategie Zwei wesentliche Dimensionen der Innovationsstrategie sind die Treiber • Market-Pull-Strategie: Die Anregungen für Innovationen kommen vom Markt, der nach einer Befriedigung seiner Bedürfnisse verlangt. So sind Mobilfunkanwendungen die Folge der steigenden Mobilität in der Gesellschaft und dem einhergehenden Bedürfnis nach ortsunabhängigen Kommunikationsmöglichkeiten. Internationale Analysen von Nachfragetrends und strategische Früherkennung sowie Kundengespräche und -Feedbacks sind Verfahren zur Ableitung der Pull-Strategie. • Technology-Push-Strategie: Die Innovationen werden in den F&EAbteilungen der Unternehmen entwickelt, die den Markt hierfür erst gestalten müssen. So wurde für die Innovation „DSL-Anschlüsse“ der Markt von den Kommunikationsanbietern geschaffen. Die Analyse technologischer Trends bei vorgelagerten und nachgelagerten Märkten sowie Basisforschung in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten liefern hier wesentlichen Input für die Strategie.
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Dabei ist in einem ersten Schritt zu hinterfragen, welche Neuerungen die Treiber der Innovation sind. Hier kommen im Bereich der Produktinnovationen auf hoher Abstraktionsebene technische Neuerungen und veränderte Kundenanforderungen in Betracht. Bei den Prozessinnovationen sind es hingegen in den überwiegenden Fällen Kostensenkung und Qualitäts-/Leistungsverbesserung. Schon auf dieser Detaillierungsebene lassen sich einige grundsätzliche Gestaltungsmerkmale einer Innovationsstrategie erörtern, denn hier ist eine klare Lagerbildung bei den Innovationsverantwortlichen zu erkennen: Behaupten die einen, dass jegliche Innovation vom Kunden ausgehen muss, so gibt es andere, die kategorisch behaupten, dass Innovationen ihren Ursprung stets in der technischen Weiterentwicklung haben. Untersucht man eine signifikante Anzahl tatsächlicher Innovationen, so stellt man fest, dass beide Extrempositionen nicht haltbar sind, und es in der unternehmerischen Innovationsrealität eine Parallelität der treibenden Faktoren gibt. Sinnvoll in Produkte umgesetzte technische Neuerungen können ein geändertes Nutzerverhalten und damit neue Kundenanforderungen hervorrufen. Umgekehrt ist es vielfach bewiesen, dass ein (neues) Kundenbedürfnis die technische Entwicklung hin zu echten Innovationen beflügeln kann. Es liegt also eine fruchtbare Wechselbeziehung zwischen den wesentlichen Treibern der Innovation vor, was impliziert, dass man beide Komplexe verstehen und beobachten muss, um die maximale Bandbreite möglicher Innovationstreiber zu erfassen. Innovationsstrategie aus Kundensicht Das Verständnis über die Bedürfnisse externer und interner Kunden ist in zweierlei Hinsicht von besonderem Interesse für Innovationsstrategie und Innovationsgeschehen: Im induktiven Sinne lassen sich aus einem tiefen Kundenverständnis Produkt- und Prozessinnovationen direkt ableiten. Entsteht beispielsweise in einem Unternehmen zunehmend der offensichtliche Wunsch nach zeitnahen Informationen über den Geschäftsverlauf, so lässt sich daraus die Anforderung für ein Management-Informations-System ableiten. Dieser Wunsch kann in sich wieder extern induziert sein (beispielsweise durch Berichtspflichten, Wettbewerbsdruck), entscheidend für die Innovationsperspektive ist es, dass er neuartig im Sinne der vorhandenen Produkte/Prozesse ist. Der deduktive Zweig des Kundenverständnisses hilft bei der Abschätzung von Akzeptanzwahrscheinlichkeiten für Innovationsvorhaben, die nicht direkt aus der Kundenforschung stammen. Im einfachsten Falle können hier Untersuchungen einer zu erwartenden Zahlungsbereitschaft, in
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komplexeren Konstellationen beispielsweise Einsichten über die soziokulturelle Akzeptanz von Produktnutzungen entstehen. Unabhängig von der grundsätzlichen Ausrichtung der Kundenforschung ist die Notwendigkeit einer zielführenden Kundensegmentierung. Prozessinnovationen haben typischerweise einen vergleichsweise kleinen Nutzerkreis, während Produktinnovationen in der Regel von Tausenden von Kunden genutzt werden (sollen). Trotzdem ist es für beide Typen von Innovationen unerlässlich, die Zielgruppe in handhabbare Segmente mit ähnlichen Merkmalsausprägungen zu unterteilen. Systematische Kundensegmentierungen zur Steuerung der Rentabilität von Innovationen werden nur selten durchgeführt. Bei der Kundensegmentierung zielen viele Unternehmen intuitiv auf das Segment der Innovatoren. Segmenterweiterungen werden dann sukzessive in das Geschäftsmodell eingerechnet, um eine höhere Rentabilität zu erzielen. Diese Methodik kann für Zufallsinnovationen sinnvoll sein, für einen gesteuerten Innovationsprozess muss eine zielorientierte Segmentierung erfolgen, denn die optimale Verteilung knapper Innovations-, Marketing- und Vertriebsbudgets auf Kundensegmente ist der Schlüssel zu wirtschaftlichem Erfolg. Relevant für die Segmentierungsmethode ist die Zielsetzung der Innovation: Sollen lukrative Kunden an das Unternehmen gebunden, strategische Kunden gehalten, neue Zielgruppen erschlossen oder gänzlich neue Märkte aufgebaut werden? Multidimensionale Segmentierungsmethoden, die verschiedene Faktoren kombinieren, sind zu bevorzugen • Marktfaktoren (Anzahl der Kunden im Segment, Marktanteil, Segmentumsatz, Umsatzwachstum) • Soziodemografische Faktoren (Alter, Geschlecht, soziale Stellung, Region) • Verhaltensmerkmale (Nutzungshäufigkeit , Nutzungsanlässe, Einstellungen, Empfänglichkeit für Marketing-Instrumente, Loyalitätsgrad, Akzeptanzbereitschaft) • Ökonomische Kundensegmentswertigkeitskriterien (Kundendeckungsbeiträge für Bestandskunden oder aber Gesamtumsatzpotenzial eines Kunden während seiner Produktnutzungsdauer (der so genannte Customer Lifetime Value) für neue und junge Zielgruppen) Tabellarisch kann in einem Scoring-Portfolio die Werthaltigkeit der einzelnen Segmente gegenübergestellt werden, um die Zuweisung von beispielsweise Entwicklungs- und Marketing-Aufwendungen zu optimieren. So können kleinere Kundensegmente mit hoher Nutzungsintensität und Zahlungsbereitschaft, geringer Wettbewerbsaffinität, ausgeprägter Loyalität sowie starker Akzeptanz und hoher Verbreitungsgeschwindigkeit für
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Innovationen („Diffusionsgeschwindigkeit“) unter Umständen eine bessere Innovationsrentabilität erzielen als größere Kundensegmente. Die Segmentierung im Innovationsumfeld ist schwieriger als für die Ressourcenallokation im Marketing- und Vertriebsbereich. Vorhersagen zur Akzeptanz einer Innovation, die Diffusionsgeschwindigkeit und Nutzungsintensität sowie zu den Wettbewerbsreaktionen enthalten einen hohen Grad an Unsicherheit und subjektiver Wertung. Zudem sind die Segmentierungskriterien in hohem Maße voneinander abhängig. So wird die Diffusionsgeschwindigkeit entscheidend vom Preis und den Marketingund Vertriebsmaßnahmen bestimmt. In der Marketing-Forschung wurden jedoch viele Verfahren zur Prognose von Diffusionsgeschwindigkeiten und Adoption entwickelt, die von Unternehmen erfolgreich zur Unterstützung von Innovationsentscheidungen eingesetzt werden. Innovationsstrategie aus Techniksicht Technische Neuerungen sind umso innovationsnützlicher, je signifikanter der abgebildete technische Fortschritt ist. Ein neuer Suchalgorithmus, der Antwortzeiten vom Datenbanksystem auf die Hälfte reduziert, wird problemlos zu verschiedenen Innovationen am Markt führen, die weitere Miniaturisierung von Mobiltelefonen ist hingegen fast nicht mehr gefragt2. Neben der Signifikanz des technischen Fortschritts spielt die Kompatibilität zu einer existierenden Umgebung (beispielsweise „Upward Compatibility“) eine entscheidende Rolle. Es stellt sich die Frage, welche technische Implementierung die kritische Verbreitungsmasse erreichen wird, um die daraus abgeleiteten Innovationen langfristig am Markt positionieren zu können, und welche Innovationen „verträglich“ für ein bestehendes ITSystem, Eco-System oder Nutzerproduktportfolio sind. Dieser Umstand macht es den „disruptiven“ Innovationen tendenziell schwer, sich durchzusetzen. Sie erlangen ihre Daseinsberechtigung und besondere Innovationswirkung typischerweise dadurch, dass sie wahrhafte Quantensprünge in einer spezifischen Dimension wie Nutzbarkeit, Kosteneffizienz, Merkmalsausbeute oder Geschäftsmodell mit sich bringen.
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Im Bereich Mobiltelefone wäre eine signifikante technische Neuerung beispielsweise die Implementierung einer voll funktionsfähigen Freisprechererkennung im Endgerät.
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Marktinnovationsstrategien Die Innovationsstrategie ist der Schlüssel zum zukünftigen Unternehmenserfolg und zur langfristigen Sicherung der Wettbewerbsposition und Beschäftigung im Unternehmen. Daher ist die Wahl der für das Unternehmen optimalen Innovationsstrategie von höchster Relevanz. Mit Innovationen sind nicht nur Perspektiven auf hohe Gewinne, sondern auch Risiken verbunden. Dies gilt insbesondere für Branchen, bei denen Innovationen mit hohem Kapitalbedarf und langer Entwicklungszeit verbunden sind wie zum Beispiel in der Pharmaindustrie. Den Unternehmen stehen verschiedene Strategiealternativen zur Verfügung • Pionierstrategie: Unternehmen, die diese Strategie verfolgen, wollen im Markt die Innovationsführerrolle ausüben, also Neuentwicklungen und neue Geschäftsmodelle als Erster im Markt platzieren. Sie erzielen damit einen First Mover Advantage, müssen aber in der Regel den Markt erst entwickeln und Aufwendungen zur Kommunikation der Vorteile neuer Produkte oder Dienstleistungen allein tragen. Angesichts der Tatsache, dass auch Innovationen im Markt miteinander konkurrieren, ist die Pionierstrategie oft mit hohem Kapitalbedarf verbunden. • Imitationsstrategie: Es besteht auch die Möglichkeit, das Innovationsgeschehen im Markt genau zu beobachten und Erfolg versprechende Innovationen zu imitieren. Dabei kann das Unternehmen die Rolle des Fast Follower, also die frühzeitige Einführung der Innovation, oder die Rolle des Late Follower, der erst dann Innovationen imitiert, wenn deren Erfolg sich schon am Markt eingestellt hat, einnehmen. Mit der Verfolgung dieser Strategie ist die Gefahr verbunden, dass das eigene Unternehmen niemals Pioniergewinne einfahren kann, sondern lediglich Produktivitäts- oder Effizienzführer werden kann. Zudem kann es passieren, dass Märkte oder Produktkategorien in den Köpfen der Kunden bereits mit dem Image der Pioniere besetzt sind, und das imitierende Unternehmen sich aufgrund einer undifferenzierten Innovationsbotschaft am Markt nicht durchsetzen können. • Nischenstrategie: Unternehmen, die diese Strategie verfolgen, platzieren ihre Innovationen in kleinen Marktnischen mit homogenen Zielgruppen, die eher wettbewerbsresistent sind. Sie erfüllen damit die Bedürfnisse des Nischenmarkts, erzielen aber keine Größenvorteile, die für die Rentabilität entscheidend sein können. Durch die Informationstechnologie wird es zunehmend einfacher, Nischenmärkte kostengünstig zu erreichen. Innovationen können aus Nischenmärkten auch zum Massenmarktangebot werden. Dies wird insbe-
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sondere durch nicht-klassische Marketing-Methoden wie die Mund-zuMund-Propaganda und Community-Effekte erzielt (es gilt für die Mitglieder einer bestimmten Gruppe auf einmal als besonders schick, Produkt x zu besitzen)3. Die Strategiealternativen werden also zunehmend aufgeweicht. Mehrproduktunternehmen verfolgen in der Regel bei der Strategieauswahl ohnehin eine Mischung der Alternativen in Abhängigkeit der jeweiligen Marktsituation und Ressourcenverfügbarkeit. Sie können nicht in allen Bereichen Innovationsführer sein und nutzen Imitationsprodukte zur Abrundung des Portfolios. Innovationsführerschaft fokussiert sich in erfolgreichen Unternehmen auf das Kerngeschäft und die Kernkompetenzen. Bei Lösungsangeboten ist oftmals der Differenzierungsvorteil einer Komponente für den Kauf entscheidend. Die Innovationsführerschaft in einer Produktkategorie reicht oft aus, um das Unternehmen ins Licht des Innovators zu stellen. Durch den Mix der Strategiealternativen lässt sich eine Optimierung von Gewinnpotenzial und Risiko erzielen. Die Verfolgung der Strategiealternativen lässt auch im Hinblick auf die Realisierung vielfältige Möglichkeiten offen. So können Unternehmen Innovationen eigenständig realisieren oder innovative Unternehmen im Markt übernehmen beziehungsweise zu innovativen Produkten oder Verfahren Lizenzen erwerben. Vertikale oder horizontale Kooperationen und Partnerschaften mit Anbietern entlang der Wertschöpfungskette können zur Effizienzsteigerung und Risikoverteilung beitragen. Auch Innovationsnetzwerke aus Wirtschaft, Wissenschaft und staatlichen Institutionen üben einen positiven Einfluss auf die Innovationsfähigkeit von Unternehmen aus. Sie ermöglichen eine größere Bandbreite an Innovationsprojekten, binden vielschichtigeres Know-how ein, können Marktchancen besser bewerten, verfügen über höhere Kenntnis der Kundenbedürfnisse und steigern die Umsetzungswahrscheinlichkeit. Prozessinnovationsstrategien Prozessinnovationen können die gesamten Abläufe in einem Unternehmen von Einkauf, Konstruktion über die Fertigung, Montage und Logistik/Distribution, Service beziehungsweise Entsorgung/Recycling bis hin zu Marketing und Controlling umfassen. Letztendlich sind Prozessinnovationen immer auf die effiziente Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen ausgerichtet. Daher ist eine permanente Synchronisation und Orchestrierung von Prozess- und Produktinnovation erforderlich. Prozess3
Mund-zu-Mund-Propaganda und Community-Effekte werde in Anlehnung an die Verbreitung von Viren als „virales Marketing“ bezeichnet.
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innovationen unterstützen sowohl die Fähigkeit von Unternehmen, mit neuen Produkten Märkte zu erschließen, als auch Effizienzsteigerungsund Kostensenkungspotenziale in Unternehmen zu realisieren. Prozessinnovationen auf der Basis von Simultaneous Engineering oder Computer Aided Design können die Entwicklungszeiten von Produkt- und Dienstleistungsinnovationen erheblich verkürzen und damit über verbessertes Time to Market Wettbewerbsvorteile sichern. Prozessverbesserungen in Unternehmen führen außerdem dazu, dass Kundenkontakte optimiert werden können, Zeiten für Bestellvorgänge verkürzt, Reklamationsraten reduziert sowie eine effiziente Beschwerdebearbeitung vorgenommen werden kann und damit die Kundenzufriedenheit nachhaltig gesteigert wird. Bei der Prozessinnovation sind die Investitionskosten abzuwägen mit den Kundenzufriedenheitseffekten, die von der Wahrnehmung der Prozessinnovation durch den Kunden und der Bewertung der Wichtigkeit für ihn abhängen. Oftmals investieren Unternehmen in Prozessverbesserungen, zum Beispiel um Lieferzeiten zu verkürzen, obwohl der Kunde dies nicht honoriert oder erst gar nicht wahrnimmt. Prozessinnovationen können aber auch auf die Qualitätssteigerung ausgerichtet sein. So kann ein Fehlerkontrollsystem bei Fertigung und Montage nicht nur die Kundenzufriedenheit und das Qualitätsimage eines Anbieters, sondern auch die Prozesskosten, die durch die Fehlerbeseitigung zum Beispiel bei Rückrufaktionen in der Automobilindustrie entstehen, erheblich mindern. Prozessinnovationen lohnen sich insbesondere dann, wenn hierdurch die Kosten im Unternehmen mittelfristig beträchtlich gesenkt werden und Ergebnispotenziale gesichert oder gar gesteigert werden können. Prozessinnovationen mit Kosteneffekten bergen meist ein geringeres Risiko als Produktinnovationen, weil die Effekte leichter abzuschätzen und zu quantifizieren sind. Trotzdem können sich Entwicklungszeiten verschieben und Investitionskosten erhöhen. Dennoch ist die Ausschöpfung von Kostensenkungspotenzialen über Prozessinnovationen ein Muss zur Positionierung im Wettbewerb. Die Notwendigkeit zur Kosteneinsparung im globalen Wettbewerb führt dazu, dass viele Unternehmen über Offshoring-Modelle nachdenken oder diese bereits in ihr Wertschöpfungsportfolio integriert haben. Offshoring wird durch Prozessinnovation ermöglicht und erlaubt die globale Verteilung von standardisierten Prozessen zur Erstellung von Produkten und Dienstleistungen auf verschiedenste Standorte in der Welt. Hierdurch können Unternehmen Standortvorteile in Bezug auf Effizienz, Qualität und Kostenstruktur nutzen. Durch Prozessinnovationen vor allem im ITKBereich können direkte persönliche Kontakte zwischen Anbietern und
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Nachfragern durch virtuelle Kontakte ersetzt werden. SoftwareEntwicklung, komplexe Forschungs- und Entwicklungsaufgaben, Callcenter-Dienstleistungen und Rechnungsstellung („Billing“) sind prominente Offshoring-Dienstleistungen, die vor allem in Indien und China, aber auch zunehmend in Osteuropa erbracht werden. ITK-Innovationsstrategie Eine Untergruppe der Prozessinnovationen bilden die ITK-Innovationen. Erst durch das Zusammenwachsen von IT-Technologie und Kommunikationstechnologie werden viele Prozessinnovationen ermöglicht. Ein prominentes Beispiel ist Grid Computing, bei dem nicht genutzte Rechnerleistungen von verteilten und über Kommunikationstechnologie vernetzten Computern gebündelt werden und zur Nutzung für komplexe Rechneranwendungen, die selbst ein Supercomputer nicht leisten könnte, der Forschung und Industrie zur Verfügung gestellt werden. In jedem Prozess bilden ITK-Funktionalitäten einen wesentlichen Bestandteil. Gerade sie sind in entscheidendem Maße die Voraussetzung dafür, dass Prozessinnovationen überhaupt stattfinden können. Sie sind damit aber auch verantwortlich für Wachstum und Kostensenkung. Primäres Ziel ist heute nicht mehr die Informations- und Kommunikationstechnologie an sich, sondern die Integration durch intelligente Vernetzung von ITK entlang von Wertschöpfungsketten und Prozessen. Wesentlich ist es, dass Wissen und Informationen beliebig oft und von allen berechtigten Nutzern jederzeit abgerufen und durch Verknüpfung von Kundenschnittstellen zu Distribution, Marketing, Produktion und Forschung in eigene Abläufe integriert werden können. Innovationen in die ITK-Infrastruktur bilden die Basis für neue Applikationen. Hierbei geht es vor allem darum, den Anwendern und Endkunden Sicherheit und die permanente Verfügbarkeit der ITK-Infrastruktur zu ermöglichen und die Funktionsfähigkeit von Geschäftsprozessen zu gewährleisten. Die Einrichtung eines Netzwerk-Managements, in dem aktive Komponenten fortwährend überwacht, Probleme sofort erkannt und automatisch behoben werden können, ist von hoher Bedeutung, wie beispielsweise der Stillstand des Auktionsbetriebs von Ebay im August 2004 gezeigt hat. ITK-Innovationen haben durch Fortschritt bei Rechnerleistungen und Software sowohl kundenrelevante als auch rein interne Prozesse revolutioniert und damit neue Applikationen ermöglicht. Unter dem Schlagwort Electronic Loop kann der Kaufprozess ohne menschliche Beteiligung von der Anbahnung eines Kaufs bis zur Zahlungsabwicklung heute vollständig
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über das Web abgewickelt werden, dank technologischer Entwicklungen im Mobilfunk und WLAN überall und jederzeit mit vielen Endgeräten. ITK-Innovationen ermöglichen es zudem, Antworten auf Markttrends zu geben. Der Individualisierungstrend wird durch personalisierte Applikationen befriedigt. Interessensgebiete, Profile und Kaufverhalten der Kunden werden erfasst und in Produktangebote integriert. So wird die Werbung in Portalen an individuelle Vorlieben angepasst, häufig genutzte Dienste und Themen werden priorisiert. Customer-Loyalty-Programme nutzen die Informationen der Kunden, um ihre Produktangebote zu optimieren und einen erlebbaren Zusatznutzen zu kreieren. Basis für derartige Entwicklungen bilden modulare Informationssysteme und die Bildung temporärer Netzwerkstrukturen.
Enabling Business der IT-Innovationen Wachstum
Effizienzsteigerung
Infrastrukturinnovationen
Applikationsinnovationen
IT-Innovationsstrategie Prozessinnovationen
SecurityInnovationen
Abb. 3. Fehler der IT-Innovationsstrategie
Das Beispiel des Pervasive Computing belegt, dass heute ITKInnovationen teilweise in Produktinnovationen hineinmigrieren können: RFID(Radiofrequenz Identifikation)-Chips in Kleidung, auf Verpackungen und an Gebäuden ermöglichen die Übertragung von Informationen über kurze Strecken per Funk. Dies können etwa touristische Informationen zu Sehenswürdigkeiten sein oder Informationen zu Produkten. RFID eröffnet Unternehmen die Möglichkeit, Effizienzsteigerungspotenziale in der Fertigung, im Transport, in der Warenlogistik, im Einkauf über einen optimierten Datenaustausch zwischen den Beteiligten bei
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der Warenverfolgung zu realisieren. Die Funktechnik ermöglicht es vielen Unternehmen wie der Metro Group, Wal-Mart, H&M sowie DaimlerChrysler, Prozesse zu steuern und Produkte über die ganze Lieferkette hinweg zu verfolgen und einen permanenten, schnellen Zugriff auf Daten zu sichern. RFID-Reader „lesen“ berührungslos Informationen zu Preis, Hersteller, Zusammensetzung beziehungsweise Status der Ware aus und leiten diese dorthin, wo sie benötigt werden: zum Einkauf, zum Warenwirtschaftssystem, zur Logistik an die Kasse oder zum Endgerät im Einkaufswagen des Verbrauchers. Hersteller können die Zulieferung, Produktion sowie Auslieferung über RFID-Technologie optimieren und die Güter mit Informationen wie Herkunft, Produktionsdatum, Haltbarkeit und Zieladresse versehen. Spediteure und Transporteure wie Schmitz Cargobull können Transporteinheiten beim Be- und Entladen automatisch inventarisieren sowie die Trailer überwachen und durchgängig orten. Für Händler ist eine optimierte Einlagerung, Regalauffüllung und Nachbestellung von Vorteil. Verbrauchern ermöglicht die RFID-Technologie die Qualität der Waren besser einzuschätzen, da Herkunft, Zusammensetzung, Haltbarkeitsdaten und sachgerechte Behandlung – zum Beispiel die lückenlose Kühlkette – der Waren transparent werden. Außerdem steigt die Verfügbarkeit frischer Artikel durch Optimierung der Logistik und Bestellprozesse. ITK-Innovationen beschäftigen sich auch in hohem Maße mit dem Problem der Sicherheit. Unter Stichworten wie Authentisierung und Autorisierung werden Prozesse entwickelt, die den Nutzer verifizieren beziehungsweise seine Berechtigung für die Nutzung bestimmter Dienste prüfen. Biometrische Merkmale wie der Fingerabdruck oder die Stimmerkennung sichern den Zugang zu datenschutzwürdigen Informationen oder gar die Bezahlung von Waren, wie ein Versuchsprojekt von Edeka zeigt. Zur Qualitätssteigerung und Kostensenkung werden IT-Innovationen auch in unternehmensinternen Prozessen eingesetzt. Unter Schlagworten wie zum Beispiel PLM Product Lifecycle Management, CAD Viewing und Knowledge Management werden ständig wiederkehrende Arbeitsabläufe effizienter gestaltet, automatisiert und in ein systematisches WissensManagement überführt. Hierdurch werden Arbeitsabläufe orchestriert und vereinfacht, Doppelarbeiten vermieden und Collaboration, die vernetzte Zusammenarbeit über weite geografische Entfernung, ermöglicht. Letztendlich dienen unternehmensinterne IT-Innovationen dazu, Kosten zu senken. Durch performante Systeme ohne Medienbrüche mit kurzen Zugriffs-, Transport- und Suchzeiten werden zudem Prozesslaufzeiten verkürzt.
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Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Prozessinnovationen auch mit Datenschutzaspekten verbunden sind, da Kunden und Mitarbeiter in Unternehmen mit ihren persönlichen Daten und Nutzungsgewohnheiten integraler Teil der Prozessinnovation sind. Auch der Innovationsprozess selbst wird durch ITK-Innovationen fortwährend optimiert. Systematisches Knowledge Management, die Erfassung von Wissen, Marktdaten und Reports sowie von Forschungsergebnissen und Patenten, sorgt für eine hohe Wissenstransparenz und für einen stetigen Informationsfluss. Es steigert die Innovationseffizienz und unterstützt die frühzeitige Sicherung von geistigem Eigentum („Intellectual Property Rights“).
Sozialinnovationen zur Unterstützung des Innovationsprozesses Vielfach werden Sozialinnovationen in Unternehmen vernachlässigt, obwohl sie einen großen Einfluss auf die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens haben. Innovationen finden in einem organisatorischen System statt, das für bestehende Prozesse, Produkte und Dienstleistungen optimiert ist. Innovation bedeutet aber stets auch Veränderung und bringt damit die Organisationssysteme aus dem Gleichgewicht. Neue Qualifikationsanforderungen an Mitarbeiter und Prozesse werden gestellt, alte Betätigungsfelder durch neue abgelöst und ganze Organisationseinheiten oder Organisationen infrage gestellt. Innovation stellt kein Bedürfnis des Organisationssystems an sich dar, zumal die Mitarbeiter am Unternehmenserfolg im Hier und Jetzt gemessen werden. Daher bedarf es effizienter Steuerungsinstrumente, die sicherstellen, dass Innovationen nicht blockiert werden beziehungsweise scheitern. Da es im Vordergrund nicht um die Realisierung einzelner Innovationen, sondern um die Effizienz sich wiederholender Abläufe von der Ideenentwicklung hin bis zur Markteinführung geht, werden standardisierte Innovationsprozesse etabliert. Hierzu gehört abseits der Linienorganisation eine interdisziplinäre, dem operativen Geschäft überlagerte Organisation, die sich frei von Tagesgeschäft und hierarchischen Strukturen um Innovationen kümmert. Die Projektorganisation unterliegt anderen Führungsmechanismen und einer besonderen Innovationskultur mit einem Motivationsumfeld zur Ausschöpfung von Kreativitätspotenzialen. Mitgliedern der Projektorganisation werden spezielle Fortbildungsprogramme angeboten, die sich mit dem Innovationsthema oder Projekt-Management-Themen befassen und daher
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zu einer effizienten Umsetzung der Innovationsidee beitragen können. Permanente Team-Meetings unterstützen die Integration der Projektmitglieder in die neue virtuelle Organisation und verfestigen die Verfolgung des Projektauftrags. Wenn die Innovationen so weit entwickelt sind, dass sie sich in das Tagesgeschäft der Linienorganisation einpassen, werden sie dieser zur Umsetzung übergeben. Hierbei ist ein integrierter Knowledge-ManagementProzess von herausragender Bedeutung, da das Wissen an die Linienorganisation übergeben werden muss. Die Einarbeitung der Linienorganisation durch die Projektmitarbeiter sowie auch der Prozess des „Loslassens“ stellt häufig ein Motivationsproblem dar, das durch geeignete Incentive-Systeme gelöst werden kann. Hierzu gehört, dass der Innovationsbeitrag Teil der Performance-Bewertung der Mitarbeiter ist beziehungsweise Relevanz für die Zielvereinbarung der Mitarbeiter oder die Gratifikation hat.
Key-Performance-Indikatoren für Innovationen Es entsteht mitunter der Eindruck, dass in einigen Unternehmen die Innovationsfähigkeit über die Anzahl der Powerpoint-Präsentationen zu innovativen Themen bewertet wird. Dabei lässt sich eine Vielzahl von innovativen Themen auflisten, mit denen man sich in den letzten Jahren beschäftigt hat. Die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens bemisst sich aber an der erfolgreichen Kommerzialisierung von Innovationen im Markt und an der Erreichung der Innovationsziele und nicht an der Zahl von behandelten Innovationsthemen oder Ideen. Die Messung der Innovationsfähigkeit über scharf definierte Key Performance Indicators (KPIs) ist daher unabdingbar. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Methoden zur Messung des Erfolgs der übergeordneten Innovationsziele und zur Messung des Erfolgs einzelner Innovationsprojekte, wobei die Zusammenfassung einzelner Projekte auch für den übergeordneten Zielerreichungsgrad verwandt werden kann. Innovationsziele des Unternehmens werden häufig in der Balanced Scorecard oder in speziellen Innovations-Scorecards festgehalten und in die Zielvereinbarungen der Mitarbeiter integriert. Häufigste Kriterien sind • Umsatzanteil am Gesamtumsatz mit neuen Produkten, die weniger als drei Jahre im Markt sind, • F&E-Ausgaben im Vergleich zum Gesamtbudget • Umsatzanteil/EBIT mit Neuprodukten
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Solche übergeordneten Kriterien bieten einen hohen Freiraum an Interpretationen, zumal der Begriff Innovation in vielen Unternehmen gar nicht geklärt ist. Neue Tarifmodelle in der Telekommunikation oder unbedeutende Leistungsmerkmale sind somit in hohem Maße geeignet, die Innovations-Performance in ungerechtfertigter Weise zu steigern. Key-Performance-Indikatoren Time to Market Projektdauer von Forschung bis zum Launch Projektdauer im Soll-IstVergleich/Benchmark Time to Profit im Soll-IstVergleich/Benchmark Zeitvorsprung vor Wettbewerbern
Marktakzeptanz Marktdurchdringung Marktanteil/Benchmark Kundenzufriedenheitssteigerung
Qualitätsparameter Ausfallzeiten Reklamationen Kündigungsquote
Finanzziele Umsatz der Innovation im Soll-Ist-Vergleich Umsatzzielbeitrag am Gesamtumsatzvolumen der Neuprodukte EBITDA der Innovation im Soll-Ist-Vergleich EBITDA-Beitrag am Gesamt-EBITDA mit neuen Produkten Kosteneffizienz Vergleich Plan-Ist-Budget F&E-Ausgaben im Verhältnis zum Umsatz F&E-Ausgaben im Verhältnis zum EBITDA
Qualitätsparameter Ausfallzeiten Reklamationen
Abb. 4. Parameter zu Messung des Erfolgs von Innovationsprojekten
Es ist daher von größter Bedeutung, die Bemessungsgrundlagen und Kategorisierungen der Datenbasis für KPIs sehr genau zu definieren. Gleiches gilt für das Auffinden von Benchmarks, die von Unternehmen verwendet werden, um das Maß der notwendigen Innovationsleistung des eigenen Unternehmens festzulegen. Da die Definition der unternehmensspezifischen Innovations-KPIs so detailliert sein muss, ist es im Allgemeinen extrem schwierig, wirklich vergleichbare Benchmark-Daten zu finden.
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Daher bietet es sich häufig an, einzelne Innovationen zu bewerten und die Ergebnisse zusammenzufassen. Dabei sind nicht nur harte Finanzzahlen, sondern auch qualitative Bewertungen einzubeziehen. Im Vordergrund steht der Beitrag den das einzelne Innovationsprojekt zur Gesamtzielerreichung beiträgt. Wesentlich ist eine unabhängige Bewertung des Innovationsprojekts. Diese darf also nicht von Projektmitgliedern durchgeführt werden, um ein hohes Maß an Objektivität zu sichern. In die Bewertung sind nicht nur Projekte einzubeziehen, die erfolgreich im Markt platziert wurden, sondern auch Projekte, die vorher abgebrochen wurden. Hierbei ist der Grund für den Projektabbruch zu dokumentieren. Dominierende Gründe sind etwa, dass die zu erwartenden Umsätze oder Gewinne geringer ausfallen als ursprünglich vermutet, dass sie vom Unternehmen gesetzte Schwellenwerte unterschreiten oder dass die Innovationskosten angesichts der zu erwartenden Risiken zu hoch sind. Analog ist für die Zusammenfassung der Key-Performance-Kennzahlen die Einbeziehung nicht erfolgreicher Projekte notwendig. Kennzahlen wie Anzahl erfolgreicher Projekte zur Gesamtzahl aller Innovationsprojekte geben in sich Aufschluss über das Innovationsverständnis eines Unternehmens und die Risikobereitschaft, Innovation zu betreiben. Mit einer gewissen Streuung über verschiedene Branchen ist mit Erfolgsquoten von 1:3 bis 1:10 für das Verhältnis erfolgreicher Innovationsprojekte zu der Anzahl aller innovativen Vorhaben zu rechnen. Die unmittelbare oder gar unreflektierte Ableitung von Aussagen aus Erfolgsquoten verhindert jedoch die parallel hineinspielende, oft extrem variierende Prozessqualität im Innovationsbereich. Vielfach sind die Projektteams mit der Themenstellung überfordert und haben keinen Support durch operative Einheiten oder Innovationsnetzwerke. Auch die falsche Einschätzung von Markttrends und Parametern senkt die Erfolgsquote. Aber selbst im Falle eines optimalen Innovationsprozesses ist es nicht möglich, die Erfolgsquote auf 1:1 zu erhöhen, da Innovation in sich nicht deterministisch, sondern stochastisch ist. Und manchmal ist der Innovator eben auch einfach seiner Zeit voraus.
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Thomas Ganswindt, Zentralvorstand Siemens AG Innovation – Modewort, Hoffnungsträger oder doch nur so etwas wie alter Wein in neuen Schläuchen? Die Karriere des Begriffs in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends ist imposant, seine Verwendung inflationär. Was aber genau ist eigentlich eine Innovation? Wie kommen Innovationen in ein Unternehmen? Und vor allem, wie finden sie auch wieder heraus – auf den Markt? Wenn der inhaltliche Unterschied nicht so groß wäre, man könnte es als verträumte Sprachspielerei abtun. Aber Innovation ist eben nicht einfach nur ein als Synonym verwendetes Fremdwort für den deutschen Begriff Erfindung. Denn Innovationen sind weit mehr als Erfindungen. Dabei ist eine Erfindung schon viel, nämlich eine schöpferische Leistung, die etwas Neues zum Ergebnis hat. Doch erst der Nachweis, dass eine Erfindung einen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Nutzen hat, macht sie zu einer Innovation. Erfindungen als Wegbereiter von Innovationen.
Von Telegrafen, Telefonen und der UNO Ein kurzer Blick zurück in die Wissenschaftsgeschichte. Der Erfinder Johann Philipp Reis entwickelte 1861 ein Gerät, welches akustische Signale in elektrische Schwingungen umwandelt. Eine bahnbrechende Innovation? Zunächst nicht, denn Reis übersah den vollen Nutzen seiner Erfindung. Erst Graham Bell erkannte 14 Jahre später das tatsächliche Potenzial. Er dachte darüber nach, wie sich das amerikanische Telegrafennetz auch von Menschen nutzen ließe, die nicht schreiben konnten oder kein Englisch sprachen und somit schlicht nicht in der Lage waren, ein Telegramm aufzugeben. Ergebnis seiner auf der Erfindung von Reis gründenden Überlegungen – das Telefon. Mit dieser Innovation gelang es Bell, ein beeindruckendes Monopol aufzubauen, aus dem die Bell Companies und später der Konzern AT&T entstanden.
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Es ist jedoch zu kurz gedacht, allein den wirtschaftlichen Nutzen einer Innovation als Maßstab anzusetzen. Auch die Gründung von Organisationen wie die UNO oder die Europäische Union war – und ist es immer noch – für die Gestaltung der Weltpolitik und für das Zusammenleben unserer Gesellschaften nützlich und damit innovativ.
Von neuen Märkten und einem Dilemma Es gehört für alle Akteure in Unternehmen zum alltäglichen Erfahrungsschatz, dass es auf dieser Welt kaum ein Produkt gibt, das nicht irgendjemand irgendwo ein bisschen schlechter machen und etwas billiger verkaufen könnte. Auch wenn das ein bisschen plakativ formuliert ist, lässt es für die heutige globale Unternehmenslandschaft nur den Rückschluss zu, dass ein reiner Preiswettkampf mit Unternehmen aus aufstrebenden Volkswirtschaften wegen der dort meist niedrigeren Lohnverhältnisse und eines ungeheuren Heeres an Produktionskräften nahezu aussichtslos ist. Die alleinige Chance liegt vielmehr in dem Erkennen, dass diese Volkswirtschaften natürlich auch Absatzmärkte für neue Produkte darstellen. Produkte, die als Ergebnis einer Konzentration auf die eigene Innovationsleistung entwickelt wurden. Die eigene Innovationskraft wird damit zum Unique Selling Point und zum schonungslosen Spiegel der Wachstumschancen eines Unternehmens. Produktfolgestrategie und der Zeitpunkt sind entscheidende Faktoren für den Geschäftserfolg neuer Technologien
Technologiewechsel *)
Produktleistung
Magnetic Storage Systeme für Personal Digital Assistants (auf PCMCIA-Basis) (1.8-inch Laufwerke)
Notebook PCs (2.5-inch Laufwerke)
doch disruptive Technologien sind Pflicht für Trendsetter
Desktop PCs (3,5-inch Laufwerke)
Zeitfenste r
disruptive Technologien bergen Risiko der Kannibalisierung von bestehenden Lösungen
Zeitfenste r
Lösung: intelligente Produktfolgestrategie und nachhaltiges Portfolio Management
Zeit oder Entwicklungsaufwand *) Quelle: C.M.Christensen The Innovator‘s Dilemma - When New Technologies Cause Great Firms to Fail
Abb. 1. Das Dilemma der Innovatoren
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Große, bereits im Markt etablierte Unternehmen stehen dabei häufig vor einem doppelten Konflikt. Zum einen müssen sie die bereits getätigten Investitionen ihrer bestehenden Kunden schützen und zugleich so genannte disruptive Innovationen im Markt einführen. Das sind Lösungen, die nicht nur eine Weiterentwicklung von etwas Bestehendem bedeuten, sondern tatsächlich radikale Neuerungen bringen – wie zum Beispiel in der Telekommunikationsbranche die Kommunikation über das Internet Protocol (IP). Zum anderen stehen sie damit zudem vor der brenzligen Entscheidung, eigene bestehende Produktreihen zugunsten disruptiver Technologien aufzugeben. Folge dieses klassischen „Innovator’s Dilemma“ ist es, dass Unternehmen, die heute noch in einer Technologie führend sind, den Übergang in die Nachfolgetechnologie oft nicht mehr an der Spitze stehend schaffen. Denn das Vorantreiben solcher disruptiven Technologien erfordert neben dem unternehmerischen Weitblick sowie dem technischen und kreativen Know-how auch ein gehöriges Maß an Risikobereitschaft. Schließlich kann ein solches Vorgehen bis dato bewährte Geschäftsmodelle infrage stellen und sogar zu einer Art Kannibalisierung bereits im Markt existierender Lösungen führen. Für Siemens Communications wird dieser Konflikt am Beispiel der Peer-to-Peer(P2P)-Technologie deutlich. Peer-to-Peer ist IP-Kommunikation ohne Zentrale und damit ein Angriff auf das bestehende Geschäft mit Vermittlungstechnik. Das Entscheidende in dieser Situation ist es, nach dem Entdeckungsprozess umgehend in eine Phase der sorgfältigen Nutzen-Risiko-Analyse einzutreten. In einem geschützten Raum muss das Bedrohungspotenzial gegen die Marktchancen der neuen Lösung abgewogen werden – und zwar bevor die Wettbewerber auf den Zug aufspringen. Kurz: Werden disruptive Technologien als Chance begriffen, können sie ein probates Mittel sein, um sich erfolgreich den Herausforderungen des globalen Wettbewerbs zu stellen. Dabei müssen Unternehmen ständig den Nutzen ihrer Produkte und Leistungen erhöhen und zugleich das Preis-Leistungs-Verhältnis verbessern.
Von Kunden und dem Henne-Ei-Problem In der Vergangenheit neigten viele Unternehmen gerade in der Informations- und Telekommunikationsbranche dazu, ihre Produkte mit technischen Details zu überfrachten. Diese reine Technologieorientierung ist obsolet geworden. „L’art pour l’art“ ist ohne Frage ein schöner Gedanke, der aber den Nutzen einer Sache außen vor lässt – er gehört in die Kunst, Unternehmen können ihn sich nicht mehr leisten. Heute ist der Markt erste Ori-
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entierungsgrundlage. Denn der Wert von Innovationen misst sich allein am Mehrwert für den Kunden. Unumstößlich gilt: Nur wenn sich neue Lösungen und Services für Kunden auszahlen oder ihren Alltag angenehmer gestalten, lassen sie sich tatsächlich in einen Wettbewerbsvorteil ummünzen. Ziel muss also sein, die systematische Suche nach neuen Lösungen immer weiter voranzutreiben, das technisch Machbare und das wirtschaftlich Sinnvolle schnell zu erkennen und vor allem auch umzusetzen. Doch wo anfangen? Was Unternehmen benötigen, ist nicht weniger als ein neues Denken und ein neues Verständnis für den veränderten Markt. In diesem globalen Markt sind Innovationen, die neue Geschäftsfelder erschließen, ein knappes Gut, dessen Preis steigt. Unternehmen, deren Wirtschaftskraft sich heute und in Zukunft fast ausschließlich nur noch aus ihrer Innovationskraft ergibt, müssen deshalb Sorge tragen, dass ihnen die dafür entscheidenden Rohstoffe nicht ausgehen – nämlich Wissen, Intelligenz und Kreativität. Unternehmen, die diese Erkenntnis systematisch umsetzen wollen, werden entdecken, dass diese Rohstoffe in der Regel bereits ergiebig vorhanden sind, und zwar in den Köpfen der eigenen Mitarbeiter. Das Problem ist nur, dass diese Ressourcen oft unter starren Strukturen nicht ausreichend freigelegt werden oder in vorgegebenen Arbeitsprozessen ihre Durchsetzungskraft nicht entfalten können und versanden. Ein Unternehmen der Wissensgesellschaft muss sich deshalb so organisieren, dass die Ressource Wissen zu einer steten Quelle eines Ideenstroms wird – egal, von welchem Ort der Welt aus der Mitarbeiter tätig ist. Es ist ein Muss, bei den Mitarbeitern Begeisterung für neue Ideen zu wecken, das Vertrauen in die eigene Kreativität zu fördern und ihnen dann Raum zu lassen, das Neue auch umzusetzen und ihr Wissen zu teilen. Diese Schlussfolgerung klingt wie eine Binsenweisheit. Und doch zeigt der unternehmerische Alltag allzu oft, wie komplex die Einlösung dieses Anspruchs und die dahinter liegenden notwendigen Change-ManagementProzesse zum Abbau von Denkbarrieren tatsächlich sind. Eine wichtige Voraussetzung, damit innovative Ideen überhaupt aufkommen, ist es, dass wir Einflüsse aus unterschiedlichen Quellen aufnehmen, uns vom Silodenken befreien, uns gerade auch außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen inspirieren lassen. Denn isoliert im Elfenbeinturm kann ein Unternehmen Innovationen nicht erdenken und vor allem ihren Niederschlag im Markt nicht abschätzen. Es ist auf verlässliche PublicPrivate-Partnership-Programme, also auf Partner aus Politik, Forschung und Gesellschaft, angewiesen, die Ergebnisse kritisch hinterfragen. Und es braucht den vertrauensvollen Dialog mit ausgewählten Kunden, um eine Innovation wirklich nachhaltig zu machen.
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Diese Einbeziehung der Kunden ist dabei ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor. Die Auseinandersetzung mit ihnen muss ständig neue Antworten liefern auf die Fragen, was ihnen bei derzeitigen Produkten und Lösungen fehlt oder welche neuen Anforderungen sie haben. Diese Anstrengungen gleichen nur auf den ersten Blick dem bekannten HenneEi-Problem, frei nach dem Motto: „Wie soll der Kunde neue Bedürfnisse äußern, wenn er sie noch gar nicht kennt, weil es ja gerade noch kein Produkt gibt, das seine Anforderungen erfüllt?“ Genau hier beginnt der Auftrag eines innovativen Unternehmens. Es muss in einem intensiven Dialog mit dem Kunden ein Gespür für dessen Situation entwickeln und sich durch das systematische Zusammenspiel von Innovationsleistung, KundenFeedback und Wissenstransfer quasi unentbehrlich machen.
Von Institutionen, Prozessen und einer Pipeline Um diese Handlungsmaxime nicht nur theoretisch zu beschreiben, sondern im Geschäftsablauf systematisch zu verankern, haben wir bei Siemens Communications einen sehr gezielten, disziplinierten und mehrstufigen Innovationsprozess entwickelt und diesen unter anderem im so genannten Innovation Board institutionalisiert. Neben den Chefs für Strategie und der Entwicklungsabteilungen der Geschäftsgebiete besteht das Innovation Board aus dem Bereichsvorstand, um durch sein Mandat die strategische Bedeutung des Themas zu dokumentieren und intern zu positionieren. Das Hauptaugenmerk des Innovation Board liegt auf bereichsübergreifenden Themen – wie zum Beispiel der disruptiven Peer-to-PeerTechnologie –, die unter Umständen vorerst noch nicht einmal einem bestehenden Geschäftsgebiet eindeutig zuzuordnen sind. Unter der Maxime, dass nur attraktiv ist, was den Kunden gefällt, konzentriert sich die Suche nach neuen Lösungen dabei nicht nur auf das technisch Machbare, sondern auch auf das Aufspüren neuer Märkte und Kundengruppen. Auf diesem Weg ist bei Siemens Communications das Thema Service Provisioning – also nicht nur die Bereitstellung einer Lösung, sondern auch das Betreiben – zu einem Angebotsschwerpunkt geworden. Jeder einzelne Mitarbeiter bei Siemens Communications hat über den Weg des direkt an das Innovation Board angeschlossene Innovation Board Office zum einen die Möglichkeit, ganz unkompliziert und unbürokratisch seine Vorschläge einzubringen. Zum anderen arbeiten weltweit Forscher und Entwickler in einer Vielzahl von Innovationsabteilungen an Neuentwicklungen. Diese kleinen Teams sind nicht in die täglichen Geschäftsabläufe eingebunden, sondern konzentrieren sich ausschließlich auf das Auf-
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spüren und Entwickeln neuer Technologien, die für die Unternehmensbereiche relevant sein müssen, denen die Teams zugeordnet sind. In diesen „Think Tanks“ finden Mitarbeiter verschiedener Disziplinen zusammen, denken laut und quer, entwickeln neue Ideen und Geschäftsmodelle und setzen sie gegebenenfalls zügig in Prototypen oder Pilotprojekten um. Com Innovation Prozess Ideenfindung
Evaluation
Spezifikation
Ideenfindung
Auswahl
Coaching
Einführung
Com Innovation Board
Monitoring
„Innovation Board Office“(IBO)-Prozess
Ideenfindung
Testphase/ Anwendung
Marktpositionierung Co-Innovation mit Kunden/ Pilotprozess
Einbeziehung des Top-Managements
Beschleunigter Innovationsprozess Unabhängigkeit vom laufenden Geschäft
Frühe und enge Einbeziehung von Kunden
Abb. 2. Entscheidende Erfolgsfaktoren für Innovationen
Im Innovation Board Office laufen schließlich alle diese Fäden zusammen. Dort werden neue Ideen aus dem Netzwerk eines global agierenden Unternehmens systematisch gesammelt, bewertet und zur Entscheidung durch das Innovation Board vorbereitet. Auf mehrfach jährlich und weltweit stattfindenden „Innovation Summits“ sowie im Rahmen von „Country Innovation Push“-Programmen greifen die Innovations-Manager wie ein Radar die neuesten Ideen auf, um sie in den Innovationsprozess einzuspeisen und ihre Marktfähigkeit auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei sorgen die professionellen Innovatoren und Innovations-Manager dieses Gremiums nicht nur dafür, dass die Innovation-Pipeline gut gefüllt, sondern dass auch ihre Durchlassfähigkeit für den Treibstoff Innovation stets gewährleistet ist. Grundvoraussetzung dafür ist es, dass der Innovationsprozess eigenständig gesteuert wird und nicht mitlaufender Teil einer Stabsstelle oder anderer Einheiten ist. Er benötigt Schutz- und Freiraum zugleich, der sich zum Beispiel auch in einem von den Entwicklungsabteilungen der einzelnen Geschäftsgebiete unabhängigen Budget ausdrückt.
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Com-Innovationsrahmen Ideenfindung
Evaluation
Spezifikation
Ideenfindung
Auswahl
Coaching
Innovationsfelder & Strategie Innovationsradar Innovationsgipfel Innovationsoffensive in den Ländern
Auswahlkriterien – x-divisional – disruptiv – keine HeimBusiness Unit Evaluationsspinne Risikoanalyse Finanzierungsgrundsätze Business Case
Unterstützung bei Vorbereitung von Innovationsvorschlägen Interdisziplinäres Netzwerk Generierung von Business Cases Definition der Strategie zur Markteinführung
Innovation Board (IB)
Einführung
Monitoring Moderation der Treffen des Innovation Board Agenda Nachverfolgung vereinbarter Aktionen
Business Administration Vertriebs-strategie & Vertriebserfolge Unterstützung bei etwaigen Hürden Innovation Award in den Ländern
„Innovation Board Office“(IBO)-Prozess
Abb. 3. Com Innovation Board Office steuert Innovationsprozess
Durchläuft eine Idee den harten internen Ausleseprozess erfolgreich, erfolgt die erste Prüfung der Durchsetzungskraft mithilfe von externen Partnern wie Leitkunden, Universitäten, Forschungseinrichtungen oder Venture-Capital-Analysten. Diese enge Verzahnung mit Katalysatoren außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen verhindert, dass der Innovationsprozess zu einer wenig aussagekräftigen Trockenübung verkommt. So sind begleitende Go-to-Market-Studien von Beginn an Teil des Prozesses und dokumentieren die Praxistauglichkeit einer neuen Lösung. Ist auch hier die Beurteilung positiv, kommt es nach einer ausführlichen Präsentation im Innovation Board zur endgültigen Entscheidung über eine mögliche Markteinführung.
Einsichten, Aussichten und ein Fazit Ein derart institutionalisiertes Vorgehen, wie wir es bei Siemens Communications verankert haben, macht deutlich, dass hinter jeder Innovationsleistung ein Prozess steht, der wie jeder andere beurteilt und sensibel gesteuert werden muss. Diese Einsicht untermauert einmal mehr die Bedeutung eines durchgängigen und effektiven Innovations-Managements für Unternehmen. Allein in der bedingungslosen und ausdauernden Konzentration auf diese Aufgabe liegt die Chance, die eigene Innovationskraft zu sichern und zu fördern. Entscheidend wird dabei sein, die Kunden auf diesem fordernden, aber zielführenden Weg mitzunehmen – und das besonders auch vor dem Hintergrund, sie womöglich mit disruptiven Innova-
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tionen zu konfrontieren. Die konsequente Ausrichtung unternehmerischen Handelns auf die kontinuierliche Entwicklung und Platzierung marktgerechter Innovationen scheint damit das Mittel der ersten Wahl, um im Wettbewerb mit den derzeit noch produktionslastigen Unternehmen aufstrebender Volkswirtschaften wie China nicht nur zu bestehen, sondern die führende Position zu halten. An der Schwelle zur Wissensgesellschaft sind Innovationen für unsere Gesellschaften die Versicherung für die Zukunft, ja Lebenselixier.
Von der betrieblichen Marktforschung zum Wissens-Management: das Marktforschungsportal von T-Systems
Heiko Wieandt, Koordinator Bereich Business Information Services T-Systems Dr. Helmut Giger, Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enterprises und Branchen T-Systems Business Services
Zusammenfassung T-Systems ist einer der führenden Dienstleister für Informations- und Kommunikationstechnik (englisch: ICT) in Europa. Im Konzern Deutsche Telekom betreut das Unternehmen seit 1. Januar 2005 das Segment der Geschäftskunden. Weltweit arbeiten rund 51 000 Mitarbeiter in mehr als 20 Ländern für T-Systems. Für das Geschäftsjahr 2004 beläuft sich der Umsatz auf knapp 13 Milliarden Euro. Das Unternehmen optimiert für seine Kunden die Prozesse, senkt die Kosten und gibt seinen Kunden so zusätzliche Flexibilität in ihrem Kerngeschäft. Dabei setzt es gezielt Branchen-Know-how und modernste Technologie ein. Die Leistungen von T-Systems umfassen die komplette Wertschöpfungstiefe der Informations- und Kommunikationstechnik – von ICT-Infrastruktur über ICT-Lösungen bis hin zur Übernahme ganzer Geschäftsprozesse (Business Process Management). Vor diesem Hintergrund ist es für den Unternehmenserfolg von T-Systems wichtig, dass Informationen über Kunden und Märkte weltweit und jederzeit online für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügbar sind. Unternehmen geben jährlich beträchtliche Summen für IT-bezogene Marktforschung aus. Allein ein Unternehmen in der Größe von T-Systems investiert einen Betrag in Millionenhöhe. Das Potenzial der wertvollen und teuren Information nutzen Firmen nicht ausreichend. In vielen Unternehmen verschwinden die kostenintensiven Studien schnell in der Schublade oder sind nur einem sehr begrenzten
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Personenkreis zugänglich. Manchmal geben Unternehmen sogar die gleiche Studie mehrfach in Auftrag. Um dem entgegenzuwirken, entwickelte T-Systems eine Portallösung, die Marktforschungsergebnisse (MaFoErgebnisse) allen interessierten Mitarbeitern zugänglich macht. So kann das Unternehmen Informationen als kollektiven Wissensvorsprung im Wettbewerb nutzen. Das MaFo-Portal ist eine interne Anwendung im T-Systems-Intranet. Dort sind alle für T-Systems relevanten Marktforschungsinformationen verfügbar. Diese stellt die Portallösung zentral bereit. Eine umfangreiche Datenbank versorgt alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt mit mehreren Tausend Studien. Das Portal bietet darüber hinaus Marktzahlen aus der ganzen Welt, tagesaktuelle Nachrichten und Wettbewerberanalysen. Der Zusatznutzen: In der breiten Auswahl (Cafeteria-Prinzip) finden die Angestellten neben den gesuchten Informationen auch ein umfassendes Zusatzangebot. So bietet das MaFo-Portal beispielsweise einen monatlichen Newsletter.
Das Informationschaos beherrschbar machen Wenn die Unternehmen nur wüssten, welches Wissen bereits vorhanden ist Der Umgang und der zielgerichtete Einsatz von Wissen werden zunehmend zu Wettbewerbsfaktoren und damit zu einer Erfolg bestimmenden Größe. Leider wissen viele Unternehmen häufig gar nicht, welches Know-how schon vorhanden ist – sei es das Wissen der Mitarbeiter, aber auch häufig die sehr teuer eingekauften Informationen, etwa in Form von Fachzeitschriften, Marktforschungsstudien und Kongressunterlagen. Strategische Grundlage für das Wissens-Management ist die so genannte Knowledge-based View. Diese sieht Information als betriebliche Ressource beziehungsweise als Produktionsfaktor, die allen Mitarbeitern zugänglich sein muss. Wissen tritt damit gleichrangig neben die bisherigen Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Boden. Für seine Aufgabenstellung benötigt jeder Mitarbeiter ein anderes, spezielles Wissen. Dieses ändert sich permanent. Eine Informationsverteilung nach dem Gießkannenprinzip wäre der falsche Ansatz und würde alle Mitarbeiter überfordern. Die Herausforderung besteht stattdessen darin, intelligente Systeme für das Wissens-Management zu entwickeln. Diese müssen den Mitarbeitern die Möglichkeit bieten, aktuell benötigtes Wissen
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abzurufen oder herauszufiltern. IT-Systeme leisten hier einen wertvollen Beitrag, indem sie Mitarbeiter vernetzen sowie Informationen speichern und katalogisieren. Chancen durch Neuorganisation Die Marktforschung bei T-Systems bietet seinen internen Kunden drei Dienste • Self Service, „Hilfe zur Selbsthilfe“ für die Mitarbeiter • Premium Service, erweiterte Recherchemöglichkeiten über MaFoAnsprechpartner • Research on Demand gegen interne Kostenverrechnung Im Mittelpunkt steht ein System für das Wissens-Management, das den Mitarbeitern Überblick und Zugang zu allen im Unternehmen verfügbaren Marktforschungsdaten verschafft. Um dieses so genannte MaFo-Portal gruppieren sich die einzelnen Dienstleistungen. Transparenz schaffen und Eigenverantwortung stärken Laut Forrester Research geben Unternehmen weltweit jährlich rund 2,5 Milliarden US-Dollar allein für IT-bezogene Marktforschung aus. Über alle Themengebiete hinweg dürfte ein hoher zweistelliger Milliardenbetrag in Marktforschungsstudien investiert werden. Die teuer eingekauften Studien verschwinden jedoch bei vielen Unternehmen in Schubladen oder sind nur einem sehr begrenzten Personenkreis zugänglich. Manchmal beschaffen Firmen sogar die gleiche Studie mehrfach. Das Potenzial dieser wertvollen Informationen können sie somit nicht ausreichend nutzen. Dabei ist es grundsätzlich wichtig, Ergebnisse aus der Marktforschung allen interessierten Mitarbeitern des Unternehmens zugänglich zu machen. Nur so lassen sich Marktinformationen als kollektiver Wissensvorsprung im Wettbewerb nutzen. Allerdings darf der Sicherheitsaspekt dabei nicht unbeachtet bleiben. Schließlich dürfen beispielsweise vertrauliche Analysen aus Primärstudien nicht jedem Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Über E-Mail oder USBStick könnten diese Informationen leicht in falsche Hände geraten. Darum muss es Spielregeln für den Umgang mit Marktforschungsergebnissen geben. Übrigens auch noch aus einem anderen Grund: Schließlich könnten Laien Studien falsch interpretieren oder – bei mangelnder Repräsentativität – überbewerten.
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Auf der anderen Seite entwickeln die Mitarbeiter von T-Systems beispielsweise neue Produkte und Services oder realisieren anspruchsvolle, internationale Projekte. Daher spricht auch nichts dagegen, wenn sie im Unternehmen die notwendigen Informationen selbstständig beschaffen. Aus dieser grundsätzlichen Sicht lassen sich wichtige Werkzeuge der Marktforschung ableiten, um effektiv und effizient selbstständig nach Informationen recherchieren zu können. Ein Internetzugang und eine Suchmaschine sind für die Mitarbeiter nützlich, helfen aber bei schwierigen Fragestellungen nicht hundertprozentig weiter. Spätestens hier wird deutlich, dass es bei fast allen Recherchen nicht nur um Informationen, sondern um Wissen und dessen Anwendungen und Auswirkungen geht.
Strategische und organisatorische Erfolgsfaktoren entwickeln Prozessoptimierung durch Bedarfsanalyse und Best Practice Das Projekt „Marktforschungsportal T-Systems“ startete bereits 2002 mit zwei Teilprojekten. Zum einen wurde eine Benchmark-Analyse über Marktforschungsportale in Unternehmen durchgeführt, zum anderen wurde der interne Bedarf analysiert. Auf Basis dieser Ergebnisse war es möglich, die richtige Hard- und Software auszuwählen und neue IT-Anwendungen effektiv und effizient einzusetzen. Die Benchmark-Aanalyse über Marktforschungsportale untersuchte 24 verschiedene Unternehmen aus den Branchen Consulting, Banken/Versicherungen, Hightech-Produktion sowie Diskrete und Prozessorientierte Fertigung. Besonders wichtig waren dabei die folgenden Kriterien • • • • • • • • • •
die technische Plattform, rund um die Uhr und international im Einsatz ein zentraler Zugang (Single Point of Entry) eine Beschaffungsplattform für Studien und Reports Angebot kostenpflichtiger Services Bekanntmachung neuer Studien Zugang zu Informationsdienstleistern und Studien persönliche Agenten Redaktionell betreute Inhalte Stichwort- und Volltextsuche direkte Anbindung externer Informationsquellen
Die Untersuchung ergab, dass drei Unternehmen keine beziehungsweise nur eine unzureichende technische Infrastruktur besaßen. Acht Unter-
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nehmen verfügen über eine gut funktionierende IT-Infrastruktur und ein breites Angebot an MaFo-Inhalten. Sechs Unternehmen bieten Tools an, um Hilfe zur Selbsthilfe zu ermöglichen. Allerdings werten nur zwei dieser sechs Unternehmen diese Tools auch systematisch aus, um das bestehende MaFo-Portal beziehungsweise das Wissens-Management-System weiterzuentwickeln und damit dem internen Informationsbedarf gerecht zu werden. Das zweite Teilprojekt untersuchte die spezifischen Anforderungen des eigenen Unternehmens an ein Marktforschungsportal. Dabei standen die Geschäftsprozesse im Fokus. Das Ergebnis: In allen Geschäftsprozessen spielt ein Marktforschungsportal und Wissens-Management eine wichtige Rolle. Der größte Bedarf besteht in den folgenden Bereichen • • • • •
Strategie und Planung Marketing Portfolio-Management Sales und Customer Relationship Management Process und Quality Management
Konzeption und Organisation im Wissens-Management Shared Services
Die Marktforschung bei T-Systems bietet die Informationsdienstleistungen, die so genannten Shared Services, in drei Stufen an • Self Services: Im ersten Schritt recherchieren die Mitarbeiter weitestgehend selbstständig über das MaFo-Portal. In dieser Intranetlösung steht ein reiches Angebot an Studien und Analysen weltweit rund um die Uhr bereit, auch an Wochenenden. Alle Daten beschafft T-Systems nur einmal und hält sie auf zentralen Servern vor, um Geld und Speicherplatz zu sparen. Diese Vorgehensweise entlastet außerdem die Netze: Anstelle von umfangreichen Dateien verschickt der Server beispielsweise lediglich die zu den Informationen führenden Links. • Premium Services: Benötigt der Mitarbeiter Hilfe oder reichen die im MaFo-Portal verfügbaren Informationen nicht aus, kann er sich an einen Ansprechpartner für die Marktforschung wenden. Diese dienen in ihrer jeweiligen Geschäftseinheit als erste Anlaufstelle und können als Informationsquelle so genannte Premium Services nutzen. Beispielsweise sprechen sie direkt mit externen Industrieanalysten. Zusammen mit den anderen Ansprechpartnern für die Marktforschung bilden die MaFo-
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Ansprechpartner eine so genannte Community of Practice. Zu ihren wesentlichen Aufgaben gehört der gemeinsame Wissensaustausch. Daneben stimmen sich die Mitglieder darüber ab, wie sie das MaFoPortal und andere damit verbundene Dienste weiterentwickeln wollen. • Research on Demand: Die einzelnen Mitarbeiter oder Organisationseinheiten des Unternehmens können auch kostenpflichtige Recherchen beauftragen (Auftragsmarktforschung). Dieser Weg ist günstiger als ein externes Marktforschungsinstitut direkt zu beauftragen, unter anderem, weil die Marktforschungsabteilung über einen umfangreichen Infopool verfügt. Zudem sind es die Mitarbeiter hier gewohnt, spezielle Fragestellungen des Managements aufzubereiten. Community of Practice im Research
Eine Fachabteilung, die mit ausgewählten Partnern aus allen Business Units zusammenarbeitet, bildet den Kern der Community of Practice. Die rund 30 MaFo-Ansprechpartner in der Community beantworten Fragen der Mitarbeiter und stehen im direkten Dialog mit Analysten. Die MaFo-Experten tauschen untereinander Informationen aus und stimmen sich über die weitere Entwicklung des Portals und der anderen Services ab. Daneben haben auch die einzelnen Geschäftseinheiten die Möglichkeit, Vorstellungen und Verbesserungsvorschläge einzubringen. Die Kernabteilung kann die Community of Practice auf diese Weise als Lobbyist und Multiplikator für eigene Ideen und Neuerungen nutzen. Darüber hinaus sind zu den regelmäßigen Treffen häufig Gäste eingeladen, die ebenfalls Informationen ins Unternehmen tragen. Know-how-Schutz
Das MaFo-Portal im Intranet ist unter anderem durch Firewalls und AntiVirenprogramme vor fremdem Zugriff geschützt. Aber auch die eigenen Mitarbeiter dürfen nicht alle Studien und Berichte einblicken. Einerseits regeln Lizenzverträge mit den Industrieanalysten (Informationslieferanten) die Anzahl der Nutzer in der Firma. Andererseits sind insbesondere kostspielige Primäruntersuchungen besonders zu schützen und nur dem internen Auftraggeber, seinen Beauftragten beziehungsweise einem besonderem Nutzerkreis zugänglich zu machen. Eine interne Sicherheitslösung besteht darin, Dokumente in den Datenbanken mit einem Passwort zu versehen. Die Personen, die dieses besitzen, müssen dann einem größeren Personenkreis als Ansprechpartner bekannt sein und Mitarbeitern mit einem berechtigten Informationsinteresse den Zugang ermöglichen.
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Prozesse Funktionen im Marktforschungsportal Das MaFo-Portal hält alle für T-Systems relevanten Marktforschungsinformationen bereit. Dazu gehört eine Datenbank mit mehr als 4000 Studien. Außerdem stehen Zahlen über weltweit relevante Märkte, tagesaktuelle Wirtschaftsinformationen und Wettbewerberanalysen bereit. Zusätzlich ist das MaFo-Portal Ausgangs- und Bestellpunkt für alle weitergehenden Services, wie zum Beispiel einem monatlichen Informationsdienst. Das System bietet eine Vielzahl von Recherchemöglichkeiten und mit der Einführung der Suchmaschine „Single View“ wurde das MaFo-Portal zu einem effizienten MaFo-Wissens-Management-System weiterentwickelt. Single View bietet allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit nur einer Suchanfrage Zugriff auf den gesamten Wissensfundus. Dabei werden, je nach Berechtigung der Nutzer, nicht nur interne Quellen und Datenbanken der T-Systems, sondern auch externe Analysten berücksichtigt. Die neu integrierte Suchmaschine erlaubt es, parallel in bis zu elf verschiedenen Datenquellen zu suchen. Dabei handelt es sich um interne Quellen wie der Studien- und der Wettbewerberdatenbank, den Infodienst und sieben verschiedene externe Quellen. Diese stammen unter anderem von Forrester Research, PAC, Ovum, oder TechConsult. Die Volltextsuche unterstützt rund 200 gängige Dokumentformate. Die Ergebnisse stehen in kürzester Zeit zur Verfügung. Der Mitarbeiter kann seine Suche auf bestimmte Quellen konzentrieren. Er braucht sich dabei nicht bei jedem Informationsanbieter einzeln anzumelden. Ein Passwort für den zentralen Zugang zum MaFo-Portal genügt (Single Sign-on), dadurch erhöht sich die Effizienz und Effektivität der Recherchearbeit – das mühsame Einloggen und die Passworteingabe bei verschiedenen Analysten entfällt. Wie weit eine Recherche in den einzelnen Quellen gehen darf, entscheiden lediglich die unterschiedlichen Rechte für den Self-Service- oder den Premium-Service-Zugang. Die dem Mitarbeiter zugänglichen Informationen sieht er in seiner persönlichen Suchmaske. Eine Fokussierung der Suche auf bestimmte Quellen ist möglich. Diese können skalierbar in die Suchanfrage einbezogen werden. Darüber hinaus kann neben einer gewöhnlichen Suchfunktion – vergleichbar Google – eine erweiterte Suchfunktion genutzt werden. In diesem Fall kann zwischen unscharfer Suche (passende Ergebnisse auch bei Schreibfehlern), natürlichsprachlicher Suche (Fremdwörter können wie gesprochen eingegeben werden) oder intuitiver Suche (es werden Ergeb-
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nisse mit ähnlichen Einträgen geliefert) ausgewählt werden. Die Suchergebnisse werden in einer übersichtlichen Tabelle dargestellt, die sich nach verschiedenen auswählbaren Kriterien, wie zum Beispiel Relevanz, Datum, Ähnlichkeit, konfigurieren lässt. Dies erleichtert die Übersichtlichkeit über die gewonnen Informationen und steigert die Akzeptanz des Gesamtsystems. Die in der Ergebnisliste aufgeführten Studien können im nächsten Schritt entweder in der Originalfassung direkt geöffnet oder heruntergeladen werden. Ebenso können die gefundenen Studien in einem speziellen Textmodus geöffnet werden. Dabei sind die vorher eingegebenen Suchbegriffe farblich markiert, um gerade bei umfangreichen Ausarbeitungen oder ganz speziellen Suchbegriffen die gewünschten Textpassagen schnell und einfach zu finden. Protokollfunktionen liefern die Historie aller durchgeführten Suchanfragen pro Sitzung und unterstützen so den Anwender auf unterschiedliche Art und Weise. So hat er die Möglichkeit, einmal durchgeführte Suchanfragen mit allen eingestellten Optionen zu speichern und jederzeit zu wiederholen, um zielgerichtet regelmäßig Recherchen zu bestimmten Themenbereichen durchzuführen. Alle Suchläufe einer Sitzung werden automatisch protokolliert und können im Verlauf einer Recherche jederzeit eingesehen oder wiederholt ausgeführt werden. Damit wird die regelmäßige Beobachtung und Analyse einzelner Themengebiete vereinfacht. Des Weiteren kann der Administrator in einem definierten Zeitraum mit einer Reporting-Funktion statistische Auswertungen, Reports über Kanalzugriffe, Nutzerzugriffe und Suchanfragen erzeugen. Zudem erhält das Management wertvolle Informationen über die tatsächliche Akzeptanz und Nutzung der einzelnen internen und insbesondere der externen Informationsquellen. Dies ist wichtig, um bei Vertragsverhandlungen mit den Researchern (Sekundärmarktforschung) die richtigen Schwerpunkte zu setzen. Das MaFo-Portal enthält • Researcher-Zugänge zu den wichtigsten Industrieanalysten, um selbstständig nach Informationen zu suchen • eine Studiendatenbank mit über 4000 aktuellen Studien • eine Wettbewerberdatenbank • Kontaktadressen der MaFo-Ansprechpartner • eine Suchmaschine, die an interne und externe Portale und Datenbanken angeschlossen ist • einen monatlicher Newsletter rund um die IT- und TK-Märkte • Marktzahlen als Basisinformationen für die Mitarbeiter • Publikationen der Researcher über die eigene Firma • Wirtschaftinformationsdienste zu Firmenprofilen • eine Linksammlung zu externen und internen Quellen
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eine Präsentationsdatenbank MaFo-Events MaFo-Grundlagen: Wie lassen sich Märkte quantifizieren etc. FAQ, Glossar, Sitemap
Redaktion des MaFo-Portals
Damit das MaFo-Portal „lebt“ und dem Nutzer einen Mehrwert bietet, halten Redakteure den Datenbestand stets aktuell und bereiten ihn zielgruppenadäquat auf. Dafür sind entsprechende Ressourcen-, Budget- und Personalplanungen nötig. Die Angebote des MaFo-Portals unterscheiden zwischen Top-Themen im MaFo-Portal, den Datenbanken (Studien-, Wettbewerber-DB) und den täglichen, so genannten Nachrichten in Schlagzeilen. Die Redakteure aktualisieren diese Teilbereiche nach vorgegebenen Routinen. Da eine Vielzahl von Mitarbeitern regelmäßig die wöchentlich neu erscheinenden TopThemen liest, muss der Themenverantwortliche – beispielsweise der Teamleiter – diese freigeben. Erst dann können die Redakteure die Nachricht im Intranet veröffentlichen. Aktuelle Publikationen der wichtigsten Researcher erhalten die verantwortlichen Mitarbeiter von T-Systems regelmäßig per E-Mail. Die Redakteure prüfen die Eingänge täglich und stellen die Informationen nach „erkennungsdienstlicher Behandlung“ in die Datenbanken ein, beispielsweise nach Themenschwerpunkt, Produkt, Branche, Region und Zielgruppe geordnet. Bei Newslettern von Researchern entscheiden T-Systems-Mitarbeiter im Team, welche aktuellen Studien und Berichte sie herunterladen und in das MaFo-Portal einstellen. Kollegen, beispielsweise aus der Community of Practice, helfen ihnen dabei, sich für ein Informationsangebot zu entscheiden oder es abzulehnen. Daneben entfernen die Redakteure regelmäßig Datenbestände, die nicht mehr aktuell sind. Benutzerfreundlichkeit
Wie oft Mitarbeiter das MaFo-Portal nutzen, zeigt, wie zufrieden sie mit dem Angebot sind. Die Zahlen sprechen für sich: 2000 Abonnenten des regelmäßigen Newsletters und die Verdopplung der Besucher nach Einführung von Single View auf 9000 bis 10 000 im Monat dokumentieren die Nutzungsintensität des MaFo-Portals. Um die Informationen übersichtlich und das Portal damit benutzerfreundlich zu halten, strukturieren die verantwortlichen Mitarbeiter die externen Infodienste und Kongressunterlagen in einer für den Nutzer leicht
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auffindbaren Form. Auch Anwender mit unterschiedlichen Suchstrategien sollen interne und externe Informationen rasch finden. Falls nicht, können sie sich an Kollegen in einem User Help Desk (UHD) wenden.
Die Realisierung des MaFo-Portals Ohne Plan geht es nicht Nach einigen Vorstudien und einer Mitarbeiterbefragung begann der Aufbau des Portals mit der Erstellung eines Lastenhefts. Dieses enthält alle grundlegenden technischen und fachlichen Anforderungen. Daneben definierte ein schriftlicher Projektauftrag, wie die fertige Lösung aussehen soll und welche Abteilung oder welcher Mitarbeiter für welche Aufgaben verantwortlich ist. Außerdem enthält der Vertrag die folgenden Punkte: • • • • • • •
Projektbeginn Projektende Projektleiter Projektmitglieder Budget Ziele des Projekts Aufgaben für spätere Schritte des Projekts, zum Beispiel Frequently Asked Questions (FAQs)
Die Vorgaben aus dem Projektauftrag und dem Lastenheft fassten die Projektleiter im Pflichtenheft detailliert zusammen. Dabei legten sie Wert auf möglichst exakte und nachvollziehbare Beschreibungen, beispielsweise zu den Punkten Zieldefinition, Produkteinsatz, -funktion, -leistung, Qualitätsanforderungen, Benutzeroberfläche und technische Produktumgebung. Auf das Pflichtenheft folgte der Projektplan, eingeteilt in die einzelnen Arbeitsschritte. Beides, Pflichtenheft und Projektplan, bilden die Basis für das Projektabnahmeprotokoll. Das erfreuliche Resultat: Die verantwortlichen Mitarbeiter hielten den Projektplan weitestgehend ein. Die im Pflichtenheft festgelegten Definitionen waren außerdem so exakt, dass das MaFo-Portal ohne große Kinderkrankheiten startete.
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Projekt-Management Um umfangreiche Projekte erfolgreich abzuwickeln, ist ein ProjektManagement-System notwendig. Das für die Organisation zuständige Team bestand aus dem Projektleiter, sechs Mitarbeitern und einem Projektpaten aus dem oberen Management. Dieser informierte die Geschäftsleitung über den jeweils aktuellen Status des Projekts. Der Betriebsrat überzeugte sich außerdem davon, dass das Portal keine Daten enthält, die eventuell zur Leistungskontrolle von Mitarbeitern oder anderen mitbestimmungspflichtigen Funktionen dienen. Mitarbeiter aus dem Marketing unterstützten das Projekt von Anfang an durch interne Kommunikation.
Technische Umsetzung Das MaFo-Portal ist eine Eigenentwicklung. Trotz umfangreicher Anforderungen an das Portal – Suchmaschine, Abfragemodule, verschiedene Datenbankapplikationen – konnte T-Systems das Projekt auf Basis bestehender Standardentwicklungen realisieren und in das Intranet integrieren. Das Besondere am Portal besteht in der intelligenten Kombination bestehender Anwendungen. Der mit den Richtlinien zur Unternehmensdarstellung (Corporate Identity/Corporate Design) konforme Auftritt wurde von Anfang an modular konzipiert. Einzelne Applikationen lassen sich jederzeit austauschen oder neue Applikationen hinzufügen, ohne die Stabilität des Systems zu gefährden. Die plattformunabhängige Systemumgebung (Java) ermöglichte es, unterschiedliche Applikationen miteinander zu verknüpfen. Das Content-Management-System stellt die Benutzerschnittstelle bereit. Um dem Anwender die Suche nach Informationen und Studien zu erleichtern, wurden zwei Datenbankapplikationen aufgesetzt: eine Studiendatenbank mit mehr als 4000 aktuellen Studien und eine Wettbewerberdatenbank. Der Zugriff auf die beiden Datenbanken erfolgt über ein Abfragemodul. Der Anwender kann gezielt nach Produkten, Herausgebern, Branchen und Ländern suchen und verschiedene Merkmale miteinander kombinieren. Für themenorientierte Abfragen steht eine Volltextsuchmaschine bereit.
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SystemsNet
Indiziert
Verity Search
Suchanfrage/ Ergebnisliste
MaFo-Portal
Oracle CMS-Inhalte Suchmaschinendaten
CoreMedia URL-Verlinkung Suchanfrage/ Ergebnisliste
Suchanfrage/ Ergebnisliste
Applikation Studie-DB (JBoss)
Applikation Wettbewerber-DB (JBoss)
My SQL
Oracle
Suchanfrage/ Ergebnisliste
Metadaten
Metadaten FileSystem
Suchmaschine (Fulcrum + Hummingbird SearchServer/ KM/Portal)
Indiziert
FileSystem
Dokumente
Dokumente
Indiziert Indiziert Indiziert
My SQL Suchmaschinendaten
Externe-Researcher-Datenquellen (Forrester, Gartner, Meta Group u. a.)
Applikation
XML, ODBC, JDBC, HTTP
Applikation Applikation DB DB DB
Abb. 1. Die technische Umsetzung des MaFo-Portals
Weltweit können die Mitarbeiter jederzeit auf das Netzwerk zugreifen. Sie wählen sich über die unterschiedlichsten Kanäle ins Intranet ein: über das analoge Fernsprechnetz oder das Mobiltelefon genauso wie über LAN (Local Area Network), ISDN, GPRS, DSL oder über einen sicheren VPNTunnel (VPN = Virtual Private Network). Jede Unternehmenseinheit hat auf ihre Intranetseiten redaktionellen Zugriff und kann neue Informationen rasch einstellen. Außerdem können
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sie sich weiterer Werkzeuge bedienen. Dazu gehören Systeme, um Newsletter zu erstellen genauso wie beispielsweise E-Mail-Funktionen, Verteilung von animierten Inhalten (Streaming), Voice over IP, Foren und Chats. Für größere Projekte und Anpassungen der Benutzeroberfläche stehen Kolleginnen und Kollegen in konzerneigenen Online-Redaktionen bereit. Moderation der Bereichsinteressen Entscheidend zum Erfolg des MaFo-Portals hat die Community of Practice beigetragen. Sie liefert wertvolle Anregungen, um die Lösung benutzerfreundlich und brauchbar zu machen. Darüber hinaus hat sich die Community als Multiplikator bewährt, damit viele Anwender das MaFo-Portal nutzen und den Entwicklern ihre Erfahrungen aus der Praxis mitteilen. Ein großer Mitarbeiterkreis fühlt sich auf diese Weise persönlich eingebunden und für die Anwendung verantwortlich. Zukunftssicherheit des Projekts Keep it smart and simple. Unter diesem Motto wurde das Projekt erfolgreich eingeführt. Dabei standen die folgenden Erfolgsfaktoren im Vordergrund • Skalierbarkeit: Die erweiterte Standardentwicklung ist hoch skalierbar und erlaubt den Zugriff aller Beschäftigten. Die Stabilität des Systems ist gewährleistet. • Modularität: Das MaFo-Portal wurde als modulares System konzipiert. Dies ermöglicht es, Applikationen problemlos auszutauschen und neue Anwendungen zu integrieren. Um die Systeme zu personalisieren, ist dies eine wichtige Voraussetzung. • Offenheit: Das MaFo-Portal ist ein offenes System. Es lässt sich für weitere Anwendungen ausbauen. Beispielsweise sind jederzeit JavaVerknüpfungen möglich. • Standardisierung: Das MaFo-Portal orientiert sich konsequent an den unternehmensspezifischen Standards. Proprietäre, also nicht standardkonforme Komponenten wurden bewusst nicht verwendet. • Günstige Kosten durch Einbindung der Fachabteilungen in die inhaltliche Pflege: T-Systems betreibt, wartet und pflegt die technische Lösung. Die inhaltliche Arbeit allerdings übernehmen die Fachabteilungen selbst. Unter anderem erstellen und katalogisieren sie neue Studien, stellen Meldungen ein, passen Grafiken an und löschen Inhalte bei Bedarf wieder.
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• Benutzerfreundlichkeit: Die Anwender greifen mit einem einzigen Passwort auf sämtliche internen und externen Datenbanken zu, mit denen das Intranet arbeitet (Single Sign-on). Die Bedienung des MaFoPortals ist relativ einfach, sodass Schulungen nicht erforderlich sind. • Fachliche Weiterentwicklung: Die internen Fachleute erkennen das MaFo-Portal auch deshalb an, weil es die fachlichen Know-how-Träger aus den einzelnen Geschäftsbereichen im In- und Ausland einbindet. Außerdem sind die Fachleute dadurch selbst daran interessiert, die Lösung weiterzuentwickeln. Schließlich trägt der ständige Dialog mit den Nutzern dazu bei, das System zukunftssicher zu gestalten. • Robustheit gegenüber organisatorischen Veränderungen: Die Community of Practice erleichtert bei der Durchführung von Neuorganisationen die Zusammenarbeit und federt die internen organisatorischen Veränderungen im Unternehmen ab. Auf diese Weise brauchen die Entwickler das Portal nicht ständig an Reorganisationen anzupassen.
Nutzen und Erfahrungen Ökonomie im Wissens-Management Wissens-Management-Systeme ermöglichen es den Mitarbeitern, zeit- und ortsunabhängig auf die benötigten Informationen zuzugreifen. Diese sind einfach und schnell abrufbar. Das spart Zeit und Geld. Darüber hinaus wirken sich Wissens-Management-Systeme insgesamt positiv auf die Kommunikationskultur im Unternehmen aus. T-Systems hat mit dem MaFo-Portal genau diese Situation erreicht. Aber nicht nur die effizienten Recherchemöglichkeiten, die hohe Motivation der Mitarbeiter und die enorme Zeitersparnis haben die Kosten sinken lassen. Denn zusätzlich sorgt das Portal dafür, dass die Einkaufsabteilungen Kapazitäten bündeln können und somit Mehrfacheinkäufe vermeiden. Kosten
Wie bei jedem Projekt stellt sich natürlich auch beim Aufbau eines Wissens-Management-Systems die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis. Um diese zu beantworten, muss man sich verdeutlichen, welchen Wert ein umfangreicher Wissenspool besitzt. Schließlich wenden viele Unternehmen fünf Prozent und mehr ihrer Marketing-Ausgaben für die Informationsbeschaffung auf.
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Wie das MaFo-Portal zeigt, lässt sich ein Wissens-Management-System, das alle Mitarbeiter effizient nutzen können, zu einem – verglichen mit dem Wert der Inhalte – geringen Preis aufbauen. Durch eine straffe Projektorganisation mit drei unabhängigen Teilprojekten ließ sich das Portal zudem innerhalb von sechs Monaten verwirklichen. Auch die Betriebskosten fallen eher gering aus. Zu diesen gehören unter anderem der laufende finanzielle Aufwand für die Redaktion und die Weiterentwicklung des Systems. Kostenersparnis durch gebündelte Einkaufsmacht
Dank des MaFo-Portals schließen heute nicht die einzelnen Fachabteilungen Verträge beispielsweise mit Researchern. Stattdessen erwirbt T-Systems beispielsweise Studien zentral von den Marktforschungsinstituten. Dadurch entsteht für die Geschäftskundentochter der Deutschen Telekom eine völlig andere Verhandlungsposition gegenüber den Inhaltelieferanten. T-Systems kann nun bessere Vertragskonditionen aushandeln. Aber auch die Marktforschungsinstitute können nun den Verbleib ihrer Studien besser nachvollziehen. Damit wächst letztendlich das gegenseitige Vertrauen. Kostenersparnis durch höhere Effizienz
Vor Einführung des MaFo-Portals mussten die Mitarbeiter eine Studie an mehreren Stellen im Unternehmen suchen. Sie mussten außerdem eine Erlaubnis einholen, damit sie das Werk nutzen können und es als Ausdruck oder per E-Mail zugeschickt bekommen. Heute steht den Mitarbeitern über das MaFo-Portal der gesamte Marktforschungs-Wissenspool des Unternehmens rund um die Uhr online sofort zur Verfügung, einschließlich sämtlicher verfügbarer Marktinformationen, Branchennachrichten, Berichte und Länderstudien. Informationsvorsprung bedeutet gleichzeitig ein enormes Sparpotenzial: Gut informierte Mitarbeiter beraten ihre Kunden besser und gewinnen so im Wettbewerb. Kostenersparnis durch technologische Weiterentwicklung
Auch neue Technologie bedeutet Kosteneinsparungen, da sie effizienteres Arbeiten ermöglicht. Die Suchmaschine des Portals beispielsweise erlaubt es, mit nur einer einzigen Anfrage bei allen internen und externen Informationsquellen gleichzeitig zu recherchieren. Der Anwender verfügt somit sehr schnell über ein umfassendes Ergebnis.
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Monatlich nutzen zwischen 9000 und 10 000 Mitarbeiter die Infolösung. Sucht jeder von ihnen heute nur zehn Minuten weniger als früher, spart TSystems insgesamt mehr als 500 000 Euro pro Jahr. Lessons learned Gerade bei spartenübergreifenden Anwendungen wie dem MaFo-Portal empfiehlt es sich, eine Community of Practice aus möglichst vielen unterschiedlichen Unternehmenseinheiten einzurichten. Die Community sollte aber nur so groß sein, dass sich die Teilnehmer persönlich kennen und regelmäßig treffen können. Die CommunityMitglieder entwickeln die Anwendung zum einen benutzerorientiert weiter. Zum anderen wirken sie als Multiplikatoren und Lobbyisten für die Anwendung (und der dahinter stehenden Fachabteilung) in ihrer Unternehmenseinheit. Sinnvoll ist auch der Dialog mit dem Anwender, um ihn über die Lösung und ihren Nutzen zu informieren sowie um ein Feedback zu erhalten. Für Letzteres eignen sich beispielsweise Panel-Erhebungen. T-Systems nutzt darüber hinaus Veranstaltungen wie die „Portal Days“ für den Dialog mit dem Anwender. Die bislang größte Anerkennung: Die Fachzeitschrift „Computerwoche“ und das renommierte Marktforschungsunternehmen Gartner zeichneten das MaFo-Portal in einem gemeinschaftlich durchgeführten Wettbewerb als eine der besten IT-Anwendungen des Jahres 2003 aus. Fazit: Das MaFo-Portal bietet eine benutzerfreundliche Informationsaufbereitung und -bereitstellung an zentraler Stelle. Das ist sein Grundnutzen. Dem Cafeteria-Prinzip folgend, finden die Beschäftigten zusätzlich nicht nur die gesuchten Informationen, sondern auch ein umfassendes Angebot an weiterführenden oder ergänzenden Informationen. Entscheidend für den Erfolg 1. ein technisch innovatives und zuverlässiges System 2. neue Organisationsformen zur Stärkung von Eigenverantwortung 3. eine benutzerfreundliche und kostengünstige Lösung
Next Steps: Datenanalyse durch Datamining Um weiter Kosten zu senken und gleichzeitig die Effizienz des Portals zu steigern, entwickelt T-Systems das Portal ständig weiter. Nach der Integration der Meta-Suchmaschine liegt der Schwerpunkt nun auf der Analy-
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se der über die Recherchen gewonnenen Information. Das Resultat ist häufig eine Datenflut in Form von Studien, Berichten oder Tabellen. Aus diesen Dokumenten die wirklich relevanten Informationen herauszuziehen beziehungsweise Ideen oder Trends zu extrahieren ist zeitintensiv. Eine einfache Suche nach Begriffen reicht hier nicht mehr aus. Stattdessen ist ein System notwendig, das Dokumente automatisch analysiert und Zusammenhänge ermittelt. T-Systems plant deshalb, so genannte Data- oder Text-Mining-Systeme einzusetzen. Diese werten Datenbestände automatisch aus, unter anderem mithilfe von neuronalen Netzwerken und statistischen Verfahren wie zum Beispiel Fuzzy Clustering oder genetischen Algorithmen. Sie untersuchen Daten nach Regelmäßigkeiten, Mustern und Strukturen, Abweichungen sowie jeglicher Art von Beziehungen und gegenseitigen Beeinflussungen. Die relevanten Informationen lassen sich somit aus verschiedenen Datenquellen extrahieren, klassifizieren und weiterverarbeiten. Der große Vorteil: Die Data-Mining-Systeme stellen die gesuchten Informationen benutzerfreundlich dar, und dies selbst aus einer großen Zahl unstrukturierter Textdokumente. Allein die Studiendatenbank enthält beispielsweise mehr als 4000 Dokumente, Researcher-Informationen nicht einbezogen. Aus den Data-Mining-Tools lässt sich in Kombination mit den im MaFo-Portal vorhandenen Informationen ein Expertensystem entwickeln. Dieses könnte das zuvor modellierte Wissen – etwa in Form aufbereiteter Studien – diagnostisch verarbeiten und dazu dienen, Wissen zu repräsentieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Analyseergebnisse erleichtern dann erfolgskritische Unternehmensentscheidungen. Konkrete Anwendungsbeispiele sind Analysen quartalsbezogener Umsatz- und Prognosezahlen aus den unterschiedlichsten Dokumenten und Zusammenhängen verschiedener Researcher. Diese dienen als Vorlage für unternehmensrelevante Entscheidungen.
Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Produkt
Innovation in Produkten und Prozessen durch fortschrittlichen Einsatz von IT
Dr. Jürgen Sturm, CIO BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH
Ausgangssituation Die BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH (im Folgenden BSH genannt) hat sich zum weltweit drittgrößten Hersteller von Hausgeräten mit Marktführerschaft in Deutschland und Westeuropa entwickelt. Zur Konzerngruppe, die 1967 aus einem Joint Venture der Robert Bosch GmbH und der Siemens AG hervorgegangen ist, gehören 44 Fabriken in Europa, Lateinamerika, Asien und USA (siehe Abbildung 1). Die so genannte „Weiße Ware“-Industrie ist seit vielen Jahren durch ein extrem wettbewerbsintensives Umfeld sowohl beim Handel als auch beim Endverbraucher geprägt. Für BSH waren von Anbeginn die Innovation und Qualität der Produkte und Prozesse des Unternehmens ein wesentlicher Erfolgsfaktor für ein beständiges und nachhaltig profitables Wachstum. Um im Markt langfristig zu bestehen, ist – neben der unverzichtbaren Grundvoraussetzung der Kostenexzellenz im Unternehmen – insbesondere die Gestaltung von Innovationen zum Erhalt und Ausbau von Wettbewerbspositionen maßgeblich. Das Grundverständnis ist: Jede Neu- und Weiterentwicklung schafft einen Mehrwert für den Kunden und sichert dem Konzern einen Wettbewerbsvorteil. Um die notwendige Innovationsfähigkeit fest in der Kultur des Unternehmens zu verankern, sind Programme zur Förderung von Innovationen durch Ideen-Management und zur Verbreitung von Best Practices im Unternehmen implementiert. Die Umsetzung zahlreicher Innovationen wurde durch verschiedene externe Auszeichnungen, unter anderem mit dem Umweltpreis 2004 des Bundesverbandes der Deutschen Industrie e. V. (BDI) sowie Preisverleihungen beim Wettbewerb „Best Innovator“ der Unter-
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nehmensberatung AT Kearney und der „Wirtschaftswoche“ für zukunftsträchtiges Innovations-Management anerkannt.
Grundverständnis IT und Innovation Die BSH verfolgt die Vision „Wir wollen Benchmark der Branche sein“. Der daraus abgeleitete für alle Mitarbeiter verbindliche Wertekanon ist in der Mission des Unternehmens „Die BSH ist ein weltweit führender Hersteller von Hausgeräten, der für seine Kunden und Gesellschafter einen Mehrwert schafft“ formuliert und mündet in Handlungsmaximen, die in einem verbindlich kommunizierten Leitbild verankert sind. Das Themenfeld Innovation ist hierbei mit dem Anspruch verknüpft „Als Innovationsführer gehen wir unserer Branche voraus“. Diese generelle Formulierung schließt zunächst nichts aus, sondern bezieht alle denkbaren Inhalte von Innovationen, zum Beispiel im Hinblick auf Kundenorientierung, Produkt- und Prozessinnovation, Exzellenz der Unternehmensführung, Mitarbeiterorientierung, Verantwortung für Umwelt und Gesellschaft, Energieeffizienz und Klimaschutz mit ein.
Abb. 1. Die Entwicklung der BSH
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Die Informationstechnologie an sich nimmt hierbei bezüglich der Innovation keine Sonderrolle im Unternehmen ein, sondern ist vielmehr integraler Bestandteil des auf Wertsteigerung ausgerichteten unternehmerischen Handelns aller Funktionen. Im Vordergrund steht dabei stets das Produkt, die Dienstleistung beziehungsweise der Prozess. Die Rolle der Informationstechnologie ist Mittel zum Zweck für die Produkte, Dienstleistungen und Unternehmensprozesse im Sinne einer grundlegenden Befähigungstechnologie. Natürlich sind sehr viele Produkt- und Prozessinnovationen der vergangenen Jahre durch den fortschrittlichen Einsatz von IT-Technologien getragen. Die in diesem Zusammenhang zuweilen in Fachkreisen diskutierte Frage, ob der Treiber für Innovation primär in den Fachfunktionen oder in den IT-Funktionen angesiedelt sein müsse, wird erfreulicherweise bei der BSH nicht diskutiert, sondern schlicht der jeweiligen unternehmerischen Prozessverantwortung ganzheitlich zugeordnet. Im Folgenden werden ausgewählte Themenfelder der Produkt- und Prozessinnovation dargestellt.
Wachsende Bedeutung der IT im Produkt Zur Schaffung von Wettbewerbsvorteilen mittels innovativer Produkte werden bei der BSH Basisinnovationen permanent daraufhin bewertet, inwiefern sich aus ihnen konkreter Nutzen generieren lässt, der einen wirklichen Mehrwert für den Kunden schafft. Dies kann sich zum Beispiel in einer verbesserten Nutzungs- und Bedienerfreundlichkeit, verbesserter Leistungs-Performance, Zeit oder Energieersparnis, Geräuscharmut oder verbessertem Design ausdrücken. Dabei muss der Nutzen der Innovationen für den Endkunden direkt ersichtlich sein, wie etwa „Nie wieder Herd reinigen durch spezifische Hightech-Oberflächen im Innenraum des Backofens“, „Nie wieder Hemden bügeln durch automatischen Hemdenbügler“, „Bestes Spül- und Waschergebnis durch Aquasensorik in Geschirrspülgeräten und Waschmaschinen, die den Verschmutzungsgrad des Wassers überwachen und daraufhin das Waschprogramm anpassen“, „Selbsttätiger Reinigungsroboter, der das Staubsaugen in meiner Abwesenheit erledigen kann“ etc. In aller Regel sind die dargestellten Innovationen nur aus einer Kombination unterschiedlichster Technologieelemente generierbar. Das perfekte Zusammenspiel von Sensorik, Aktorik und intelligenten Steuerungen ist dabei nur in einer integrierten Gesamtlösung erfolgreich. Die Informationstechnologie ist das Bindeglied in den integrierten intelligenten Steuerungen, die vorwiegend auf Mikroprozessorbasis und mikroelektronischen
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Schaltungen basieren und die Sensor- und Aktorsysteme im Produkt verbinden. Zusätzlich ist in den Informationssystemen der Produkte auch ein Verschmelzen von allgemeinen Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Multimedia erkennbar. Verdeutlicht wird dies in der Vision des intelligenten Hauses. Durch standardisierte, intelligente Bussysteme sind die einzelnen Elemente des Hauses in einem Gesamtsystem verbunden. Bisher isolierte Einzelelemente wie Hausgeräte, Klima- und Heizungsanlage, Lichtsysteme, Beschattungssysteme, Bewegungsmelder, Sicherheitstechnik, Kommunikationstechnik, Internet, Computer, Fernsehen und Multimedia werden zu einem System vernetzt (siehe Abbildung 2).
Abb. 2. Elemente der „Serve@Home“-Architektur
Die Steuerung der Funktion beziehungsweise die Statusabfrage einzelner Geräte kann zentral und von überall durch verschiedene Elemente wie PDA, Mobiltelefon oder Tablet-PC geschehen. Die vielen Personen nach dem Verlassen des Hauses vertraute Frage „Ist der Herd vielleicht noch an?“ kann so problemlos auch von unterwegs mit dem Mobiltelefon durch Abfrage des Betriebszustands der Geräte beantwortet werden. Falls wirklich einmal vergessen wurde, das Gerät auszuschalten, kann es auf diese Weise aus der Ferne nachgeholt werden. Umgekehrt kann man auf Wunsch rechtzeitig vor dem Nachhausekommen ein Klimagerät im Wohnoder Schlafbereich aktivieren oder ein Tiefkühlgerät auf Schnellgefrierstufe stellen (siehe Abbildung 3).
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Abb. 3. Hausgerätevernetzung über Powerline und integriertes Info-Modul
Weitere innovative Lösungen erschließen sich durch intelligente Selbstdiagnosesysteme zur Wartung und Instandhaltung in den Produkten, die – sofern gewünscht – auch dem Vertragskundendienst automatisch eine Nachricht schicken können. Durch die Gerätekennung und definierte Fehlercodes ist sichergestellt, dass der Kundendiensttechniker die richtigen Ersatzteile mitbringt. Die Konvergenz bisher getrennter Technologien wie Steuerungstechnik, Kommunikationstechnik, Computer, Internet und Multimedia eröffnet so neue Möglichkeiten, die unter anderem durch die erweiterten Steuerungsund Überwachungsmöglichkeiten einen wirklichen zusätzlichen Kundennutzen mit sich bringen. Der Trend, die Küche als Lebensraum sowie als hochwertigen und ansprechenden Hightech-Bereich des Hauses zu gestalten, ist stark ausgeprägt. Kühlgeräte mit Multimedia-Bildschirm erlauben es etwa neben Fernsehen und DVD im Küchenbereich auch interaktive Kochkurse durchzuführen und Kochrezepturen zu verwalten. Temperatur-/ Zeitgeführte Back- oder Bratprogramme mit parallel geregelter Feuchtigkeit im Bratraum bringen Profikochtechniken in den Haushaltsbereich. Auch die Ideen der Zukunft sind stark an der Entwicklung des Marktes orientiert: So ist der intelligente Kühlschrank mit einer automatisierten Bevorratungsüberwachung, Überwachung der Lebensmittelhaltbarkeitsdaten sowie automatisierten Replenishment-Funktionen auf Basis der technologischen Möglichkeiten prinzipiell denkbar und auch realisierbar. Wie im oben geschilderten Fall des intelligenten Hauses kann der durchgreifende Nutzen jedoch nur aus integrierten Gesamtsystemen abgeleitet werden, die in diesem Falle die Lebensmittelkette und deren automatisierte Identifika-
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tion, etwa mit RFID-Tags, einschließen müssen. Vor dem Hintergrund, dass sich auch der Handel zunehmend mit derartigen Ansätzen auseinander setzt, werden wir den Verlauf der noch bevorstehenden Innovationen in den nächsten Jahren gespannt beobachten. Die mit dem Schlagwort „das Internet der Dinge“ verbundenen vielfältigen Entwicklungschancen weisen in diese Richtung. Die tatsächliche Akzeptanz im Markt hat hierbei größeren Einfluss als die rein technische Machbarkeit, die grundsätzlich gegeben ist. Die zunehmend integrierte technologische Basis für Innovationen zeigt sich mit steigender Verwendung allgemeiner Standards auch in den Produkttechnologien. Elemente von Linux, Java- und Webtechnologien werden zunehmend auch in den Steuergeräten der Hausgeräteindustrie verwendet und gewährleisten so die Interoperabilität mit anderen Steuergeräten im Haus sowie allgemeinen Informations- und Kommunikationstechniken (siehe Abbildung 4).
Abb. 4. IuK-Standards in der Produktplattform – Bereitstellung von Bedienoberflächen und Schnittstellen für Partner, Service-Provider, Integratoren
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Prozessinnovation durch integrierte Produkt- und Prozessentwicklung Im gleichen Maße wie Innovation in den Produkttechnologien durch fortschrittlichen Einsatz von IT-Technologien getragen wird, ist die Innovation auch in der Produktentstehung und in nahezu allen weiteren Unternehmensprozessen maßgeblich durch die Informationstechnologie beeinflusst. Die Produktentwicklung auf Basis von 3-D-CAD ist heute in weiten Teilen der Unternehmen eine Selbstverständlichkeit. Im Zuge eines Konsolidierungsprozesses unterschiedlicher Entwicklungswerkzeuge ist hierfür bei der BSH in den vergangenen Jahren eine weltweit einheitliche Engineering-Plattform verwirklicht worden. Dies ist eine unumgängliche Voraussetzung für die Durchgängigkeit des Produktentstehungsprozesses in den weltweit verteilten Entwicklungszentren. Die konsequente Nutzung der 3-D-Technologie und der digitale Zusammenbau ermöglichen hier die effiziente Zusammenarbeit und das ganzheitliche Management der Produktdaten in Entwicklung, Produktion, Industrial Engineering, Einkauf, Vertrieb und Kundendienst. Die Bereitstellung der benötigten Informationen durch ein ProduktdatenManagement-System ist dabei eine Schlüsseltechnologie bei unternehmensweit verteilten Prozessen und Ressourcen. Auch der Kundendienst nutzt die 3-D-Produktdaten der Entwicklung durchgängig als Basis in all seinen Abläufen. Hierbei geht es um eine Vielzahl von Dokumenten, wie etwa Illustrationen zum Zerlegen und Zusammenbauen von Geräten und Baugruppen durch die Feldtechniker des Kundendienstes. Die isometrische Explosionsdarstellung der Ersatzteile und Baugruppen jedes einzelnen Produkts bis hin zu Trainingsdokumentationen und Animationen für die Kundendiensttechniker werden direkt in einem Concurrent-Engineering-Ansatz von den Entwicklungsdaten abgeleitet (siehe Abbildung 5). Vor einigen Jahren waren die Kundendienstaktivitäten der eigentlichen Produktentwicklung nachgelagert, dadurch kam es zu Wartezeiten, bis die Kollegen in der Konstruktion Zeit hatten, die benötigten Informationen aufzubereiten.
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Abb. 5. Automatisierte Erstellung von ISODraw-Ersatzteil-Katalogen aus den integrierten 3-D-Produktdaten
Integrierte Produktdaten-Management(PDM)-Systeme mit ihren Rollen und Rechtekonzepten erlauben nun die Umkehrung und Effizienzsteigerung im Prozess. Der technische Redakteur oder Illustrator kann nun selbstständig sofort nach Freigabe der Daten auf alle Informationen weltweit zugreifen, ohne den Eigentümer (Konstruktion) zu bemühen. Basis ist hier die PDM-Stückliste, die alle Varianten der Teile und deren Konfigurationsinformationen enthalten. Auf dieser Basis kann der Redakteur im Kundendienst sich im CAD-System die Datenstrukturen selbst aufbereiten und danach in seine Systemwelten importieren. Hierdurch wird nicht nur die Time to Market verkürzt, sondern die Eigenständigkeit der zur Konstruktion nachgelagerten Fachbereiche gestärkt, und übergreifende Abhängigkeiten werden eliminiert. Durch das integrierte Teile-Management in weltweit durchgängigen Produktdaten-Management-Systemen können zudem weitere Basisinnovationen erschlossen werden, was im Folgenden kurz aufgezeigt werden soll. Herausforderung Gleichteile-Management: „Google“ für die geometriebasierte Gleich- und Ähnlichteilsuche In einer globalisierten Produktentwicklung ist ein effizientes und effektives Gleichteile-Management eine große Herausforderung. Der klassische Ansatz hierfür ist die Entwicklung komplexer Klassifizierungssysteme mit in Sachmerkmalsleisten niedergelegten Ordnungskriterien und die Ausrichtung an den primär auf alphanumerischen Informationsstämmen ausgerichteten Möglichkeiten von Datenbanken und ERP-Systemen. Es wird
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hierbei durch Namenskonventionen und Benennungen von Teilen und Baugruppen versucht, die Ähnlichteile in Gruppen zusammenzufassen und zu standardisieren. In einem weltweiten Verbund stößt dies zum Beispiel schon auf sprachliche Probleme und erfordert die Festlegung einer konzernweiten Sprache zur Dokumentation von Produktdaten. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass in einer Welt des verteilten Arbeitens mit unterschiedlichsten Kulturen, Sprachen und Know-how, die Materialklassen und die damit angestrebte hohe Wiederverwendung von Gleichteilen schwer durchzusetzen sind. Ein vollkommen neuer Lösungsansatz wird mit neuen Technologien verfolgt, die nicht auf Basis von textuellen Eigenschaften und komplexen Materialklassensystemen ähnliche oder gleiche Teile finden, sondern diese direkt auf Basis der spezifischen Teilegeometriedaten identifizieren. Im Rahmen eines Pilotversuchs wird bei BSH die Suchmaschine „Geolus SHAPE“ eingesetzt. Die einheitliche 3-D-CAD-Datenbasis für das gesamte Produktspektrum ist eine gute Voraussetzung. Hierbei wird von jedem/jeder dreidimensional in CAD erstellten Bauteil/Baugruppe über ein neutrales Datenformat – zum Beispiel „Jupiter Tesselation“(JT)-Format ein extrem kleiner Datensatz abgeleitet und in einer zentralen Datenbank gespeichert. Die Größe jedes Datensatzes beträgt hierbei nur rund ein KByte. Über einen Web-Browser (Internet Explorer) kann nun jeder Mitarbeiter im Unternehmen, der Zugriff auf die Datenbank erhält, auf Basis eines Referenzteils alle bezüglich Form und/oder Größe ähnlichen Teile im gesamten Konzern finden. Das System ist in der Lage, das Referenzteil mit rund 100 000 Teilen pro Sekunde zu vergleichen. Als Suchkriterium reichen Materialnummer oder Benennung eines Referenzteils aus, entscheidend ist jedoch der direkt auf Geometriemerkmale gestützte Suchalgorithmus. Dem Konstrukteur stehen darüber hinaus weitere Funktionen zur Verfügung. Er kann in seiner CAD-Umgebung eine Skizze erstellen, diese exportieren und mit dem Unternehmensdatenbestand vergleichen. Er erhält somit auf Basis einer Idee oder Skizze eine direkte Rückkopplung, ob ähnliche Teile bereits im Unternehmen existieren und auf diese Weise zusätzliche Teile und zusätzliche Werkzeugkosten, Teilestämme, Lagerhaltungskosten etc. vermieden werden können. Zusätzlich sind noch weitere Szenarien und Nutzungspotenziale denkbar. Zum Beispiel kann der Einkäufer sich zu einem zu beschaffenden Teil sämtliche ähnlichen Teile über die Suchmaschine heranholen und die Teilepreise ähnlicher Teile weltweit ermitteln, um sich auf Einkaufsverhandlungen vorzubereiten.
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Suchergebnis
Quelle: Handskizze des Entwicklers
Abb. 6. Geometriemerkmalsbasierte Suchmaschine zum Gleichteile-Management und Ähnlichteilsuche („Google“ für Geometrie; Werkbild BSH in Zusammenarbeit mit sd&m)
Der Einsatz des Systems rechnet sich bereits, wenn es gelingt, durch Gleichteileverwendung ein komplexes Werkzeug pro Jahr zu vermeiden, weil man auf einfache Art, in kürzester Zeit und umfassend ähnliche Teile gefunden hat. Die Herausforderung für Unternehmen, die Bedarf an dieser Art Technologie haben, ist die Neuausrichtung im Bereich Klassifizierung und Vereinfachung von Lösungen und Prozessen. „Geolus SHAPE“ ist sicher nicht in allen Fällen ein Ersatz für eine Klassifizierung, kann aber zur Vereinfachung derselbigen beitragen und auch als unterstützendes Werkzeug zur richtigen Befüllung des Klassensystems genutzt werden. Es hat somit das Potenzial zum Schweizer Offiziersmesser für Stammdatenpfleger, Stücklistenersteller, Konstrukteure etc. Auch für eine Bestandsaufnahme des Teilestamms ist der gewählte Ansatz hilfreich. Das einmalige Scannen und die Auswertung des gesamten Teile- und Baugruppenspektrums ermöglicht es durch die Bildung von Ähnlichkeitsgruppen, die Chancen für die Einführung eines GleichteileManagement-Prozesses zu überprüfen.
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Abb. 7. Automatisierte Auswertemöglichkeiten der Ähnlichteilsuche mit Geolus (Quelle: Fa. sd&m)
Die Ideen für weitere Innovationen auf Basis dieser Technologien sind vielfältig, wir stehen erst am Anfang der Möglichkeiten. Zum Beispiel könnte ein PDM-System alle pro Tag neu erstellten oder geänderten CADTeile und -Baugruppen mit der bereits klassifizierten Teiledatenbank über Nacht abgleichen und den betroffenen Konstrukteuren eine elektronische Nachricht zukommen lassen, die auf ähnliche Teile hinweist und dabei Teilenummer etc. zur Verfügung stellt, um den Konstrukteur im Entwicklungsprozess zu unterstützen. Damit ist diese Technologie ein Wissensspeicher, die – bei geringster Komplexität – als implizites WissensManagement-System genutzt werden kann. Für die erfolgreiche Nutzung der Innovationspotenziale ist die vollständige Integration des Such- und Ähnlichteilfindewerkzeugs Geolus in die PDM- und ERP-Welt entscheidend. Die einfache Nutzung der Standardfunktionen einer Suchmaschine für Formen in der gewohnten EngineeringUmgebung des Unternehmens sowie die vollständige Darstellung und Erfassung aller Teile in einem weltweit integrierten ProduktdatenManagement-System ist erfolgsentscheidend für die Akzeptanz bei den Entwicklern.
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Framework von IT-Produkten zur Unterstützung wettbewerbsfähiger Unternehmensprozesse Vergleichbar mit den Plattformstrategien in Produkten und Prozessen ist bei der BSH auch das Lösungsspektrum der IT als Dienstleister im Unternehmen positioniert. Ausgehend von der Business-Architektur der BSH wurde mit allen Fachbereichen eine unternehmensweite Prozesslandkarte erarbeitet. Mit der Prozesslandkarte ist die Verantwortung für die Prozessgestaltung in Form der unternehmensweiten Fach-Governance eindeutig geregelt. Sofern Prozesse interdisziplinär durch verschiedene Unternehmensfunktionen gestaltet und ausgeübt werden, wird dies über ein so genanntes Business-Process-Team als verantwortliches Gremium organisiert. Derzeit existieren sechs Business-Process-Teams für die Kernprozesse zur Unternehmenssteuerung, Produktentwicklung, Produktion, Vertrieb, Supply Chain sowie für die Kundendienstprozesse. Analog zu den Plattformstrategien in Produkten und Prozessen ist ein Framework von IT-Produkten definiert und implementiert, um die Prozesse durchgängig zu unterstützen (siehe Abbildung 8). Hierbei wird insbesondere die Interoperabilität der einzelnen IT-Produkte zu einem gemeinsamen Lösungsportfolio innerhalb einer gemeinsamen Rahmenarchitektur verfolgt. Ziel ist es, für die zum Teil unterschiedlichen Anforderungen einzelner Tochtergesellschaften der BSH ein geeignetes skalierbares Lösungsportfolio auf der Basis von standardisierten und unternehmensweit wieder verwendbaren IT-Standardkomponenten bereitzustellen.
Abb. 8. Plattformstrategie für IT-Produkte zur unternehmensweiten Prozessunterstützung
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Die einzelnen IT-Produkte sind in einem IT-Produktkatalog verankert, der mit den einzelnen Produktelementen als wesentliches Strukturkriterium eine kundenorientierte Leistungserbringung und verursachungsgerechte Leistungsverrechnung in Form von Business-Services ermöglicht. Auf Basis dieses Leistungskatalogs wird zugleich das Service Level Management definiert und durchgeführt. IT-Produkte sind damit in sich geschlossene Dienstleistungseinheiten aus dem IT-Lösungsportfolio, die der Kunde der IT im Rahmen der Wirtschaftsplanung für das Folgejahr gezielt abrufen kann. Sämtliche dem Produkt zurechenbare Kosten, die zum Beispiel in Form von Software-Lizenzen, Hardware-Investitionen, dem IT-Betrieb und der -Wartung anfallen, werden dem Grunde nach auf die jeweiligen IT-Produkte zugeordnet und spiegeln sich im Produktpreis wider. So werden auf Basis von IT-Produkten für den IT-Betrieb oder auf Basis von Projekten über 90 Prozent der IT-Kosten verursachungsgerecht verrechnet. Der Vorteil des gewählten Ansatzes in puncto Prozessinnovation liegt in der sofortigen Verfügbarkeit von Prozessverbesserungen für die gesamte Plattform. Gehen zum Beispiel Prozessverbesserungen, die in einem Produktionswerk erarbeitet wurden, in die Plattform der diesen zugrunde liegenden IT-Produkte ein, können sie nahezu gleichzeitig in allen anderen Produktionswerken eingeführt werden, die das gleiche, BSH-spezifische IT-Produkt einsetzen.
Zusammenfassung und Ausblick In nahezu allen Produktbereichen werden Innovation und Wettbewerb durch den Einsatz fortschrittlicher Informations- und Kommunikationstechnologien getragen. Dies wirkt sich zum einen direkt in verbesserten Produkten mit erweiterten und zum Teil gänzlich neuen Funktionen und gesteigerter Qualität aus. Zum anderen trägt Innovation auch innerhalb der Prozesse eines Unternehmens erheblich zur Wettbewerbsfähigkeit bei. Mit dem vorliegenden Beitrag wird anhand von ausgewählten Beispielen der Wertbeitrag zeitgemäßer IuK-Technologien in den Produkten und Prozessen eines Herstellers technischer Gebrauchsgüter beschrieben. Moderne Hausgeräte vernetzen sich zunehmend mit weiteren Steuerungs-, Kommunikations- und Bedienelementen im Bereich Wohnen und Leben zu Hause und unterwegs zu ganzheitlichen intelligenten Systemen. Allgemeine Kommunikations- und Technologiestandards der IuK-Technologien stellen hierfür die Grundlagen bereit. Des Weiteren erfassen die erweiterten Möglichkeiten moderner Informationstechnik nahezu alle Unternehmensprozesse und verändern durch
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gänzlich neue Funktionen die Arbeitswelt. Als Beispiel werden die integrierte Produkt- und Prozessentwicklung und die Möglichkeiten der auf einem neuen IT-Verfahren beruhenden geometriemerkmalsbasierten Gleichteilsuche im integrierten Entwicklungsprozess erläutert. Schließlich wird in Analogie zu Plattformstrategien von Produkten eine Prozessstrategie zur unternehmensweiten Unterstützung von erprobten Best-Practice-Ansätzen auf Basis unternehmensweit harmonisierter IT-Produkte dargestellt, die eine schnelle Durchsetzung von Prozessinnovationen im Unternehmen ermöglicht.
IT als Parameter bei der Entwicklung neuer Projekte und Geschäftsmodelle bei RTL interactive
Dr. Constantin Lange, Geschäftsführer RTL interactive GmbH
Einleitung Seit der Erfindung und Einführung des Fernsehens müssen die Betreiber von Free-TV-Sendern mit dem Handicap leben, dass sie ihre Zuschauer nicht persönlich kennen und nicht direkt ansprechen können. Das Geschäftsmodell des Free-TV-Senders ist daher heute im Wesentlichen Business-to-Business-orientiert und basiert auf dem Verkauf von „Eyeballs“, das heißt Zuschauern an Werbekunden. Eine direkte Kundenbeziehung zum Zuschauer besteht nicht. Es ist die Aufgabe von RTL interactive (RTLi) als hundertprozentige Tochtergesellschaft der RTL Television, neue Erlösmodelle zu entwickeln, die von dem Geschäft der klassischen Werbefinanzierung losgelöst sind beziehungsweise die die Vermarktungskette der angebotenen Inhalte des Fernsehsenders verlängern. Ziel ist es, die Abhängigkeit von RTL von Werbeerlösen zu reduzieren. Die Einführung von Anwendungen, die auf neuen interaktiven Technologien beruhen, ist ein wesentlicher Aspekt der Arbeit von RTL interactive. Diese Dienste ermöglichen es, auch direkt mit den Zuschauern in Verbindung zu treten und direkte Geschäftsmodelle mit ihnen zu entwickeln. Der folgende Beitrag soll zeigen, wie neue Technologien in der Informationsverarbeitung und Telekommunikation mit Relevanz für den Mediensektor unmittelbar nach oder sogar noch vor ihrer Durchsetzung als Massenanwendungen aufgegriffen und für die Realisierung von neuartigen Angeboten und Etablierung von neuen Geschäftsmodellen kombiniert werden. In diesem Beitrag werden dafür zunächst die wesentlichen Voraussetzungen aus Informationsverarbeitung und Telekommunikation dargestellt
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– die Entwicklung im Fernsehen, im Internet und im Mobilfunk. Im Anschluss daran wird anhand konkreter Fallbeispiele aus dem Portfolio von RTL interactive gezeigt, wie diese neuen Technologien bei der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen eingesetzt werden. Abschließend wird das Spielfeld der Zukunft und die daraus resultierenden Herausforderungen für den Einsatz von Informationstechnologie „im Produkt“ von Medienanbietern skizziert. Technologie Der allumfassende Trend der Digitalisierung hat den Mediensektor in den letzten Jahren grundsätzlich verändert. Nicht nur die Produktion klassischer Medieninhalte in Print, Radio und Fernsehen wurde dadurch kostengünstiger, schneller und einfacher, sondern auch die Form der Medieninhalte hat sich gewandelt. Für den Kunden am sichtbarsten sind drei große Trends: • Fernsehen wird digital ausgestrahlt und vervielfacht das Angebot an Fernsehkanälen und -inhalten. Beim interaktiven Fernsehen wird der Zuschauer unmittelbar ins Geschehen einbezogen. • Das Internet in seiner Form als World Wide Web etabliert sich als neues Massenmedium – mit dem ganz neue Dienste möglich sind (E-Mail, Online-Auktionen), aber auch die Möglichkeiten traditioneller Medienangebote erweitert werden. • Mobiltelefonie wird zu einem Massenkommunikationsmittel und wandelt sich zunehmend zu einer Plattform, auf der Kommunikation und Mediennutzung verschmelzen. Die TV-Evolution 1935 wurde der erste regelmäßige Programmdienst in Deutschland aufgenommen. Bis weit in die Sechzigerjahre blieb das Fernsehen ein exklusives Medium für wenige wohlhabende Haushalte oder wurde öffentlich in Gaststätten bestaunt. Erst in den Achtzigerjahren war das Fernsehen in fast allen deutschen Haushalten zu finden. Seit den Anfängen hat sich die technologische Entwicklung des Fernsehens sowie das „Pflichtenheft TV“ ständig weiter entwickelt. Diese Entwicklung kann in drei Dimensionen zusammengefasst werden:
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• Verbesserung der Qualität (Bild & Ton) • Erschließung neuer Distributionsplattformen • Digitalisierung und Interaktivität/Datendienste Qualität
Seit 1967 wird in Deutschland mittels PAL (in 625 Zeilen und 50 Halbbildern pro Sekunde) auch bunt und in Farbe gesendet – den Durchbruch markierte die Fußball-WM in Deutschland 1974. Dieses analoge Fernsehsignal wurde ursprünglich „oberflächennah“ (terrestrisch) per Funk übertragen und bietet pro Sendekanal nur ein Programm. In Japan bemühte man sich direkt nach Einführung des Farbfernsehens um eine Verbesserung der Bildqualität und hat „Hi-Vision“ entwickelt, welches 1125 Bildzeilen bei 60 Halbbildern pro Sekunde übertragen kann. Die ersten weltumspannenden Hi-Vision-Übertragungen wurden 1988 per Satellit anlässlich der Olympischen Spiele in Seoul übertragen und boten spektakuläre Sportaufnahmen. Seit 1. Dezember 2003 ist Hi-Vision in japanischen Großstädten entsprechend der mittlerweile entwickelten „High Definition Television“(HDTV)-Norm im Regelbetrieb zu empfangen, in diesen Städten nutzen mittlerweile mehr als zehn Prozent der Haushalte die sieben HDTV-Programme. HDTV bietet etwa fünfmal mehr Bildpunkte als das in Deutschland benutzte PAL-Fernsehformat. In den USA ist HDTV ebenfalls seit einigen Jahren in Betrieb. In Europa sendet seit 2004 das belgische Alfacam ein HDTV-Programm namens HD1. In Deutschland will der Pay-TV-Sender Premiere drei HDTV-Kanäle anbieten – und setzt wieder auf Fußball als „Trigger-Event“: die WM 2006 im eigenen Land. Die öffentlich-rechtlichen Sender haben einen längerfristigen Zeitplan für die HDTV-Einführung. Distributionsplattformen
Der Platz für die Übertragung von analogem Fernsehen per Funk ist knapp und erlaubt die Übertragung von nur wenigen parallelen Programmen. Daher wurde 1984 die Übertragung per Kabel pilotiert und in den folgenden Jahren deutschlandweit verfügbar gemacht. Wenige Jahre später wurde die Übertragung von TV-Programmen über Satelliten auch in Deutschland verfügbar. Der erste Satellit der bekannten „Astra“-Familie von Satelliten (Astra 1 A) wurde am 1. Februar 1989 eingeschaltet und ab Dezember 1989 von den Privatsendern RTL, Sat.1 und ProSieben genutzt. Dem Hunger nach weiteren Kanälen wurde durch Erweiterung der Übertragungskapazitäten begegnet – das Kabelnetz wurde ausgebaut und weitere TVSatelliten wurden in ihre Umlaufbahn gesetzt. In Folge wurde die analoge
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terrestrische Übertragung in Deutschland in 2002 auf magere sechs Prozent marginalisiert. Die Distributionslandschaft im TV wird jetzt durch die Konvergenz der Fernseh- mit Kommunikationssystemen ergänzt und erweitert: Mit (Breitband-)Internet und Mobilfunk – beide „Revolutionen“ werden später noch einmal separat betrachtet – werden sich ergänzende, teilweise sogar substituierende Plattformen für die Verteilung von Fernsehbildern etablieren. Was für Deutschland heute noch futuristisch klingt, ist in weiter entwickelten Kommunikationsmärkten wie beispielsweise Südkorea schon Realität: In einem Land, in dem 80 Prozent der Haushalte über breitbandige Internetanschlüsse verfügen und technische Neuerungen begierig aufgenommen werden, bezahlen die Nutzer in großer Zahl für den PC-Download von Fernsehserien. 2500 Mobilfunkkunden melden sich pro Tag für einen Dienst an, der für 13 Dollar im Monat den Empfang von „ganz normalen“ Live-Fernsehbildern auf dem HandyDisplay ermöglicht. Digitalisierung und Datendienste/Interaktivität
Die Digitalisierung der Fernsehübertragung begegnet in erster Linie den Kapazitätsengpässen der analogen Übertragung und erlaubt die sprunghafte Erweiterung des Inhalteangebots. 1990 hat General Instruments mit „Digital Television“ ein komplett digitales Fernsehsystem vorgestellt, welches neben einer verbreiterten Programmauswahl auch eine verbesserte Ton- und Bildqualität mit sich bringt und Zusatzinformationen zum Programm mit übertragen kann. Im Mai 1991 initiierten deutsche Medienexperten das europäische „Digital Video Broadcasting“(DVB)-Projekt, welches einen einheitlichen digitalen Fernsehübertragungsstandard definiert hat. DVB ist unabhängig vom Übertragungsweg und kennt Varianten zur terrestrischen Übertragung (DVB-T), Übertragung via Satellit (DVB-S) und Kabel (DVB-C) sowie zur Übertragung auf mobile Endgeräte wie Mobiltelefone (DVB-H). DVB kodiert mehrere (komprimierte) Programme auf einen Übertragungskanal, dadurch können pro DVB-T Kanal beispielsweise vier Programme übertragen werden. Die DVB-H Variante für mobile Endgeräte erlaubt die Übertragung von 30 bis 40 Programmen auf einem Kanal und kann durch Datendienste ergänzt werden, die jeweils eine Datenübertragungsrate von 400 Kilobit pro Sekunde bieten. Die Datendienste in DVB gehen weit über den bekannten Videotext – der auch Teil der DVB-Spezifikation (DVB-TXT) ist – hinaus. Videotext wird klassisch in der Austastlücke des analogen Fernsehens mit Nachrichten, Texten und bildhaften Darstellungen in Form von Seiten übertragen.
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Der Zuschauer wählt mittels der Eingabe von Seitennummern einzelne Angebote aus. Inhalt der Datendienste sind meist Zusatzinformationen zum Fernsehprogramm, sie werden vor allem bei Privatsendern für weitere innovative Angebote genutzt. Beim digitalen Fernsehen sind insbesondere durch den DVB-Standard grafisch und inhaltlich anspruchsvollere Inhalte möglich als beim technisch veralteten Teletext. DVB-RC standardisiert direkte Rückkanäle zur Interaktion mit Zuschauern über verschiedene Kommunikationsmittel wie ISDN und GSM sowie Protokolle für die Datenübertragung (DVB-IPI: Internet Protocol; DVB-NPI: Network Protocol Independent). Damit wird Fernsehen interaktiv, das heißt, der Zuschauer kann selbst unmittelbar auf das Geschehen auf dem Schirm reagieren beziehungsweise darauf Einfluss nehmen. Bezüglich der technischen Reichweite von Digital- und interaktivem Fernsehen bleibt Deutschland aber weiter Entwicklungsland. Der Rückstand bei breitbandigen interaktiven Infrastrukturen – ob TVoder internetbasiert – ist beträchtlich. In England beispielsweise hat der Bezahlanbieter Sky eine Plattform im Markt etabliert, die vollkommen unabhängig von der PC-Welt E-Mail, Spiele, Wetten, Televoting- und Informationsdienste sowie Dienstleistungen wie Bankgeschäfte über den Fernsehbildschirm anbietet. Neue Dienste und Geschäftsmodelle in Deutschland zu etablieren erfordert daher zunächst weiterhin, Plattformen außerhalb des Kern-TVUmfelds einzubeziehen. Mit den Internet- und Telefonie-Mehrwertdiensten stehen zwei Alternativen für die direkte Interaktion mit dem Zuschauer zur Verfügung, die auch in Deutschland schon vergleichsweise weit entwickelt sind.
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Haushaltsdurchdringung 2004 in ausgewählten europäischen Ländern Digital-TV 60% 50%
21%
40% 5%
30% 28%
16%
20%
3%
19% 10% %
8% 4%
5%
Deutschland
Frankreich
10% Großbritannien
15%
1% 1%
13%
13%
Schweden
Schweiz
5% Italien
Niederlande
4% 3% Österreich
Breitband-Internet 60% 50% 40% 30% 20%
15%
2%
13%
2% 7%
10% %
15% Deutschland
DSL
20% 12% Frankreich
Großbritannien
Kabel
4% 5%
18%
18%
16%
Italien
Niederlande
Schweden
Sonstige
Quelle: Forrester, Infroma, eMarketer, Booz-Allen-Hamilton-Analyse
Abb. 1. Digital-TV und Breitband-Internet in Europa
10% 21% 10% Schweiz
Österreich
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Die Internetrevolution Die Geschichte des Webs ist die eines nie da gewesenen Booms. Kein anderes Massenmedium hat in so kurzer Zeit ein so großes Publikum erreicht. Erst in den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden die technischen Grundlagen für die Kommunikationsinfrastruktur entwickelt und ab 1983 in Form des Internets als globales Netz der Datennetze fest etabliert. Der steile Anstieg der Nutzerzahlen war zunächst getrieben von E-Mail als „Killer-Applikation“, später auch von Anwendungen wie HomeBanking und der zunehmenden Nutzung der Datennetze als Informationspool. Diese Anwendung fand mit der Schaffung des World Wide Web durch Tim Berners-Lee in 1989 das entscheidende Moment, welches letztlich die Internettechnologie und das Web als Internetanwendung zur universellen Plattform für Datenkommunikation gemacht hat. Das Internet wurde somit für Endkunden verfügbar und verzeichnete noch schneller wachsende Nutzerzahlen. Ab 1995 kann man das Web als Massenmedium bezeichnen, geschätzte 16 Millionen Menschen „surften“ damals auf einer ebenso stetig wachsenden Flut von Informationen. Zehn Jahre später nutzen heute geschätzte eine Milliarde Menschen das Internet und haben Zugriff auf mehr als 3000 Milliarden Webseiten. Der Einfluss des Web auf Medien ist drastisch und hat die Grundmuster der Massenkommunikation grundlegend verändert – jedermann kann zum Journalisten werden und große Massen erreichen. Der Lewinsky-Skandal, der den damaligen US-Präsidenten betraf, fand 1998 mit dem Drudge Report, publiziert auf einer persönlichen Webseite, ihren Anfang. Bilder des asiatischen Tsunami im Dezember 2004 waren bereits auf persönlichen Webseiten verfügbar, während die klassischen Medien noch Flüge für ihre Korrespondenten buchten. Die erfolgreichsten Anbieter kombinieren Technologie, unmittelbaren Kundenmehrwert und das passende Geschäftsmodell und bauen quasi über Nacht Weltunternehmen auf (Ebay, Yahoo, Google). Mit zunehmenden Bandbreiten, die Endnutzern heute flächendeckend angeboten werden, können jetzt auch umfangreiche Musik- und Videodaten in kurzer Zeit übertragen werden. Die Auswirkungen der „digitalen Distribution“ auf die Musikindustrie sind real und messbar – ehe die etablierten Player mit einem tragfähigen Geschäftsmodell reagieren konnten, waren Tauschbörsen à la Napster, KaZaA und Varianten bereits zu Massenanwendungen geworden. Auch der traditionell territoriale Vertrieb von Fernsehserien und Filmen kommt durch die Tauschbörsen ins Wanken. Wenige Stunden nach Ausstrahlung in einem Land finden sich die entsprechenden Dateien in elektronischer Form bereit zum Download auf der ganzen Welt. Mit größerer Bandbreite wird das Internet damit zu einer
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vollwertigen Distributionsplattform für Videoinhalte – ob als Raubkopie eines Spielfilms, in legalen Video-on-Demand-Angeboten, oder über IPTV (das heißt Distribution von TV-Signalen über die IP-Plattform) als Verbreitungsmedium für Live-Fernsehen. RTL ist mit seinen Internetangeboten rund um die „RTL World“ schon seit langem Teil der InternetEconomy, erweitert damit das Diensteangebot um die eigene Marke und tritt in den direkten Dialog mit den Zuschauern. Gezielt wurden dabei die Möglichkeiten dieses interaktiven Mediums genutzt, um das Kernangebot (Free-TV) zu flankieren und zu erweitern – beispielsweise mit • TV-Programmübersicht/Elektronische Programmführer (EPG) mit Trailer-Vorschau für einzelne Sendungen • Programmbegleitende Spiele und Quizze („Wer wird Millionär“) • Programmbegleitende, themenbezogene Nutzwertinformationen (Wohnen/Dekorieren, Kochen, Erziehen etc.) Mit IPTV ist das Internet nun endgültig im Kerngeschäft von RTL Television angekommen. Das Multimedia-Handy Mit der Digitalisierung der Mobiltelefonie in den 90er-Jahren wurden kleine und kompakte Mobiltelefone ermöglicht und auch für die große Masse der Endnutzter erschwinglich. Wie auch beim Fernsehen kam man schnell auf die Idee, ungenutzte technische Kanäle für die Übertragung von Informationen zu nutzen – das Telefonsignalprotokoll SS7, primär für den Gesprächsaufbau konzipiert, wird als Trägerprotokoll des Short Message Service (SMS) genutzt. SMS entwickelte sich rasch vom ursprünglich kostenlos angebotenen „Abfallprodukt“ zu einem Hauptertragsbringer der Mobilkommunikationsanbieter. Diesem – ungeplanten – Hit stehen allerdings auch zahlreiche Flops gegenüber. Ist schon das textbasierte mobile Internet auf Basis des WAP-Protokolls bei Kunden durchgefallen, sind auch die bisherigen Erfahrungen mit den mobilen Medienportalen (Vodafone Live, T-Zone) bestenfalls durchwachsen. Logos und Klingeltöne sind hingegen der Renner – in Europa übersteigt mittlerweile der Umsatz mit Klingeltönen den Umsatz mit Musik-Singles. Die Weiterentwicklung des Erfolgsprodukts SMS über den Enhanced Message Service (EMS) zum Multimedia Messaging Service (MMS), mit dem auch multimediale Nachrichten (Fotos, Töne, Videos) zu anderen mobilen Endgeräten übertragen werden können, hatte bisher keinen vergleichbaren Erfolg wie SMS.
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Entwicklung Mobilfunknutzer Deutschland Ø SMS /Monat
70
Nutzer insg. 40
Nutzer mob. Daten
60
Mio. Nutzer
50
50 40
20
22
24
25
30 24 20
30 20
10
13 10
SMS pro Nutzer und Monat
80
4 0
0 1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
Quelle: RegTP
Abb. 2. Mobilfunknutzer und SMS-/Datennutzung in Deutschland
Einer der nächsten Schritte könnte die Entwicklung des Handys zum persönlichen, mobilen „Media Device“ sein, das zum Aufnehmen, Herunterladen und Abspielen von Musik, Fotos und Videos dient. LiveFernsehen auf dem Handy ist in Deutschland im Versuchsstadium und durch einen noch unentschiedenen Standardwettbewerb behindert: Welche der verfügbaren Plattformen letztlich das Rennen macht – DVB-H, die Schwestertechnik des DVB-T auf Basis des Internet-Protokolls (IP), DMB (mit mehreren Zehntausend Endgeräten zum Beispiel in Südkorea schon im operativen Betrieb) oder ein ganz anderer Standard – wird erst in den nächsten ein bis zwei Jahren entschieden. In diesem Umfeld bewegt sich die RTL Group als größter europäischer Fernsehsender, der wie alle Free-TV-Anbieter bestrebt ist, das Geschäftsmodell auf eine breitere Basis zu stellen und Erlöse jenseits des traditionellen Werbeverkaufs zu erschließen. RTL interactive als Diversifikationseinheit von RTL Television in Deutschland sieht den Schlüssel in der intelligenten Kombination von Kundenbedürfnissen und technischen Plattformen, die mit IT nach dem letzten technischen Standard verknüpft sind.
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Kombination heranwachsender Technologien zu neuartigen Geschäftsmodellen bei RTL interactive Kombination von Massentechnologie und Verhaltenstrend
Für die Erschließung neuer Erlösquellen beobachtet RTLi systematisch die Entwicklung medienrelevanter Technologien sowie Veränderungen in Verhaltenstrends der deutschen Bevölkerung. Die Beobachtungsergebnisse sind die Basis für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, bei denen neue Technologien wie zum Beispiel digitales Fernsehen, Internet und Telefonie/SMS verknüpft und auf inhaltliche Trends adaptiert werden. RTLi wird somit zu einem Impulsgeber für die Nutzung neuer Technologien. Die nachfolgend beschriebenen Praxisbeispiele zeigen, wie innovative Geschäftsmodelle durch die Kombination der in der Massentechnologie verwendeten Medien und der sich verändernden Verhaltenstrends in der Bevölkerung entstehen. Hierbei stehen exemplarisch zwei Themen im Vordergrund – die bis dato fehlende Interaktivität im Fernsehen und der Trend zur virtuellen Partnerwahl. • In Deutschland gibt es bis heute de facto keine Fernsehgeräte mit Rückkanal. Diese Interaktivitätslücke lässt sich flächendeckend aktuell nur durch die Verbindung des TV-Programms mit dem Rückkanal Telefon oder SMS überbrücken. Längerfristig ist davon auszugehen, dass das Fernsehen in Deutschland durch rückkanalfähige Set-Top-Boxen aufgerüstet wird. Anbieter, die an diesen zukünftigen Interaktionsmöglichkeiten partizipieren wollen, positionieren sich schon heute auch in Übergangstechnologien, um sich eine gute Ausgangsbasis zu sichern. • Eine zu beobachtende wesentliche Veränderung in Deutschland ist der Trend zum Single-Sein. So ist insbesondere die Zahl der Singles in den vergangenen Jahren stark angewachsen – von 11,9 Millionen (1990) auf 14,6 Millionen (2004). Das Bevölkerungswachstum ist insgesamt rückläufig, Ehescheidungen nehmen zu, die Geburtenrate sinkt, und InternetDating-Börsen verzeichnen mehrere Millionen Teilnehmer. Die nachfolgenden Praxisbeispiele zeigen, wie der Wandel des Kennenlern- und Dating-Verhaltens zum Inhalt einer Geschäftsidee werden kann. Praxisbeispiel: Teletext – SMS-Dienste Teletext ist aufgrund seiner einfachen Erscheinungsform (Beschränkung auf wenige Farben und alphanumerische Zeichen) eine oft vernachlässigte mediale Plattform. Dabei erreichen die Teletext-Angebote der deutschen TV-Sender pro Monat teilweise bis zu rund 28 Millionen unterschiedliche
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Nutzer (zum Vergleich: das Printmagazin „Focus“ erreicht zum Beispiel lediglich zwölf Millionen Nutzer pro Monat). Teletext ist primär eine Werbeplattform, die sich vom Fernsehen dadurch abhebt, dass Werbebotschaften längerfristig sichtbar sind und im Gegensatz zu Printobjekten eine schnelle Anpassung und kurzfristige Reaktion auf Kundenverhalten ermöglichen. Der Teletext von RTL eignet sich daher auch ideal als Testplattform für neue Angebotsformen, die bei Erfolg auf das echte Fernsehen übertragen werden können. Bei den SMS-Diensten handelt es sich um eine Konvergenztechnik, bei der die SMS-Nachrichten von Handy-Besitzern mit der Plattform Teletext verknüpft werden. (i) SMS-Info- und Abodienst
Im Zuge der wachsenden Popularität von SMS in Deutschland hat RTLi im Jahr 2001 begonnen, SMS-Informationsdienste zu den Themen Wetterund Sportinformationen, Fußball, Formel 1 und Skispringen im RTLTeletext anzubieten.
Abb. 3. RTL-Teletext mit SMS-Infodienst
Der Zuschauer kann eine SMS unter Nennung eines vorgegebenen Keyword an eine bestimmte Kurzwahlnummer senden und den Service entweder einmalig abrufen („mobile originated“ für 49 Cent pro SMS) oder abonnieren („mobile terminated“ für 29 Cent pro SMS). RTL arbeitet
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bei den SMS-Diensten generell mit einem Dienstleister zusammen, der die technische Abwicklung übernimmt. Das heißt zunächst erfolgt die Kundenerkennung beim Mobilnetzbetreiber und anschließend die Abspeicherung der Mobilnummer in einer Datenbank. Durch das vom User eingegebene Keyword wird in dieser Datenbank die gewünschte Information ermittelt. Der Datenbank-Server ist dabei so konfiguriert, dass an die gespeicherte Mobilnummer der Versand einer SMS an das Handy des Users ausgelöst wird. Die Inhalte der unterschiedlichen Informationsdienste werden wiederum in den einzelnen RTL-Redaktionen vorbereitet und dem Dienstleister in einer entsprechend formatierten Textform zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise ist die Aktualisierung der Datenbank gewährleistet. (ii) Download-Services: Faxabruf, SMS-to-Mail
Mit dem Faxabruf und der SMS-to-Mail verbindet das RTL-Angebot die Medien Fax, E-Mail und Mobiltelefon. Durch Anruf einer vorgegebenen Premium-Rate-Faxabrufnummer (1,24 Euro pro Minute im Festnetz, Stand Januar 2006) oder durch den Versand einer SMS unter Angabe einer EMail-Adresse (0,99 Euro bis 1,99 Euro pro SMS, Stand Januar 2006) kann der interessierte Zuschauer die gewünschte Information abrufen.
Abb. 4. RTL-Teletext-Angebot mit Faxabruf
Hinter dem Faxabruf verbirgt sich bei dem Dienstleister ein Fax-Server, der anhand der Durchwahlnummer die angeforderte Information ermitteln
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kann und den Versand des Faxes durch die Rufnummernerkennung des Handys auslöst. Hinter der Variante SMS-to-Mail verbirgt sich wiederum ein Datenbank-Server, der ähnlich konfiguriert ist wie bei den Info- und Abodiensten. Nur hier löst der Server den Versand der gewünschten Information an die mitgeteilte E-Mail-Adresse aus. Am erfolgreichsten sind die verbraucherrelevanten und gesundheitsorientierten Themen, zusammengefasst unter der Rubrik „Ratgeber“. Dieser Service richtet sich vornehmlich an Haushalte, die über keinen Internetzugang verfügen. So wird auf unkomplizierte Weise der Abruf von Informationen ermöglicht. (iii) RTL-Teletext-SMS-Chat
Bei dieser Anwendung fungiert der Teletext nicht mehr als Werbemedium, sondern als Kommunikationsplattform. Durch die Angabe der Zeichen „RTL“, der gewünschten Teletext-Seite (thematisch unterteilt, Nummern 672 bis 685) und einem ausgedachten Chat-Namen bei der Übermittlung einer SMS (29 Cent pro SMS, Stand 2006) an eine vorgegebene Rufnummer1 ist man eingeloggt (Beispiel: „RTL 672 Rita“). Jede folgende SMS an diese Rufnummer erscheint nun im Teletext hinter dem gewählten ChatNamen auf der ausgewählten Teletext-Seite. Somit können Nutzer, die sich an räumlich getrennten Standorten befinden, in einem Forum anonym miteinander kommunizieren. Technisch muss die versandte SMS bis zur sichtbaren Abbildung im Teletext zwei Prüfinstanzen durchlaufen. In Zusammenarbeit mit einem Dienstleister erfolgt die Kundenerkennung anhand der Mobilnummer beim Netzbetreiber mit der gleichzeitigen Einarbeitung der SMS in eine vorbereitete Teletext-Seite. Diese wird an einen weiteren Dienstleister geleitet, der eine inhaltliche Überprüfung des Textes vornimmt (Censoring). Es erfolgt die Einspeisung der fertigen Seite in das Teletext-System des RTLSendezentrums, wo sie ein fixiertes Hintergrundbild überlagert. Das Hintergrundbild enthält das Senderlogo und die vorbereiteten Werbestreifen. Die systemfertige Seite wird mithilfe von Teletext-Generatoren an den Sender RTL übermittelt. Neben klassischen SMS bietet RTLi den Nutzern inzwischen auch die Möglichkeit, Fotos als MMS zu hinterlegen. Im Teletext-SMS-Chat ist der Chat-Name der Nutzer, die eine MMS abgelegt haben, farblich besonders gekennzeichnet. Der Dienstleister speichert das hinterlegte Foto zusammen mit dem Chat-Namen und der Mobilnummer in einer Datenbank ab. Andere Nutzer können diese MMS dann unter Angabe des Chat-Namens, den 1
Siehe RTL-Teletxt S. 670 ff.
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sie im Teletext andersfarbig sehen (zum Beispiel: „Foto Rita“), bestellen. Der Datenbank-Server löst den entsprechenden Versand der MMS aus. Der Teletext-SMS-Chat verzeichnet seit seiner Einführung in 2001 einen großen Publikumserfolg. RTL war auf diesem Gebiet der Pionier als Anbieter des ersten SMS-Chats, der mit allen vier Netzbetreibern (D1, Vodafone D2, E-Plus und O2/gestartet als VIAG Interkom) kooperierte. Den Chattern standen verschiedene Teletext-Seiten mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten zur Verfügung. Die Erwartungen wurden mit mehr als 150 000 SMS/Tag bereits in den Anfängen rasch übertroffen, sodass inzwischen 14 Textseiten mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten zur Verfügung stehen. Thematisch konzentrieren sich die Teletext-Chatter heute fast ausschließlich auf Flirt und Dating. Diese Erkenntnis hat RTLi bewogen, im nächsten Schritt das Flirtangebot auszuweiten und einen eigenen digitalen TV-Sender zu gründen, der sich inhaltlich auf das Thema Dating konzentriert.
Abb. 5. RTL-Teletext mit SMS-Chat
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Praxisbeispiel – Traumpartner TV Voraussetzungen für den Start des Kennenlernsenders Traumpartner TV waren zum einen der gesamtdeutsche Trend hin zum Single-Sein und Dating, was durch die Erfolge und Themen des RTL-Teletextes belegt wurde, zum anderen aber auch die Existenz der Technologien SMS, Internet und digitales Satellitenfernsehen, die es bis vor wenigen Jahren in Deutschland so noch nicht gab. Die Kombination der einzelnen bei Traumpartner TV eingesetzten Technologien bildet die eigentliche technische Innovation des Projekts.
Abb. 6. Traumpartner.tv-Logo
Traumpartner TV ist der erste interaktive Flirtsender der RTL Group im digitalen Fernsehen. Gesendet wird seit dem 1. Dezember 2004 unverschlüsselt täglich von 6 bis 22 Uhr über den Satelliten „Astra digital“. Verantwortet und produziert wird Traumpartner TV von der in Köln ansässigen Traumpartner TV GmbH, einer Tochterfirma von RTL interactive. Unter dem Motto „Wir sehen uns im Fernsehen!“ stehen die Zuschauer selbst im interaktiven Mittelpunkt des Programms. Der digitale Spartenkanal2 richtet sich dabei primär an circa 14 Millionen Singles, die in Deutschland leben. Die Verbreitung von digitalen Satelliten-Receivern in Deutschland (Ende 2005 zirka 5,7 Millionen) ist die Voraussetzung für den Betrieb kostengünstiger Spartensender, da die Übertragungskosten signifikant niedriger ausfallen als bei herkömmlichen analogen Kanälen, die über Satellit verbreitet werden. Die Erhöhung der technischen Reichweite des Senders geht einher mit der Marktdurchdringung an digitalen TV-Haushalten und ist eine der Hauptherausforderungen von Traumpartner TV. Basis für die Kommunikation über den Sender ist wie im Teletext-Chat die SMS-Technologie. Mittels der Versendung von SMS (49 Cent pro 2
Für Singles, die keinen digitalen Satellitenreceiver besitzen, steht das digital ausgestrahlte Fernsehprogramm als Live-Stream ebenfalls im Internet zur Verfügung. Der Zugang wird den Usern nach einer kostenlosen Online-Registrierung ermöglicht.
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SMS, Stand 2006), auf Wunsch auch mit Foto via MMS (99 Cent pro MMS, Stand 2006), können Zuschauer im Fernsehen live miteinander flirten, Meinungen zu aktuellen Themen des Programms austauschen und das Wichtigste – nette Menschen kennen lernen. SMS werden auch für spezielle Premiumdienste wie zum Beispiel „E-Küsschen“ eingesetzt (99 Cent pro Dienst, Stand 2006). Ergänzt wird das TV-Programm um eine Online-Plattform. Unter www.traumpartner.tv können interessierte Singles unter anderem ihre persönlichen Daten und Fotos hinterlegen, die dann im Fernsehen gesendet werden. Das Flirt- und Dating-Angebot wird letztlich auch durch den Traumpartner-Teletext abgerundet, in dem das Chatten eine zusätzliche Alternative bietet. Auch rein optisch unterscheidet sich das TV-Programm ganz wesentlich von anderen. Die Grafikoberfläche wurde hierfür eigens programmiert und ist in Deutschland einmalig im Einsatz. Der Bildschirm ist in drei aktive Fenster aufgeteilt. • Eines stellt die SMS-Texte der Zuschauer dar, die auf Wunsch auch mit Foto eingeblendet werden können, die dann im unteren Bildbereich zu sehen sind. • Das zweite Fenster zeigt die Moderatoren in Aktion, die live zugeschaltet sind und – ähnlich wie in einer Talkshow – unmittelbar auf die TVChatter eingehen und auch direkt angesprochen werden können. • Das dritte Fenster unten rechts wird multifunktional genutzt. Hier werden unter anderen zugesandte Single-Profile mit Foto, Postleitzahl und Sternzeichen dargestellt. Gefällt einem Zuschauer ein dargestellter Single, so stellt Traumpartner TV den Kontakt (One-to-One-ResponseSMS) her – natürlich ohne die Herausgabe von persönlichen Daten wie Handy-Nummer oder Adresse. Das bleibt den Singles dann selbst überlassen. Dieses dritte Fenster dient darüber hinaus als Promotion-Fenster oder zeigt mit einer zweiten Kamera Ausschnitte aus der Live-Sendung in einem näheren Winkel. Der technische Ablauf im Hintergrund erfolgt zunächst über einen Proxy-Server, der sämtliche Daten von außen annimmt (SMS, MMS, hinterlegte Profile aus dem Internet) und im zweiten Schritt an einen Applikations-Server weiterleitet, der die Daten den einzelnen Fenstern zusteuert. Dieser Server greift gleichzeitig auf eine Playlist zu, in der eine Datenbank mit den Bildern für das Promotion-Fenster hinterlegt ist. Die letzte Instanz stellt ein Grafiksystem dar, was die einzelnen Fenster inklusive der SMSAbbildung erzeugt.
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Abb. 7. Traumpartner.tv-Nutzerbildschirm
Der Sender Traumpartner TV wird kontinuierlich sowohl in inhaltlicher als auch in technischer Hinsicht weiterentwickelt. Die Begleitung der Chats erfordert völlig neue Formen der Moderation, da es die Hauptaufgabe des Moderators ist, die Zuschauer zum Chatten untereinander zu animieren und er daher von der klassischen egozentrischeren Perspektive der TV-Moderatoren abrücken muss. Technisch bieten sich vielfältige Möglichkeiten, neue Dienste zum Thema Dating anzubieten, die auf der bestehenden Plattform aufsetzen. So wurde im September 2005 zum Beispiel im Teletext von Traumpartner TV ein Kontaktanzeigenmarkt eingerichtet, über den Nutzer auch über längere Zeiträume konkret ihre DatingBedürfnisse darstellen können.
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Ausblick Mit der zunehmenden Verschmelzung von Medien und Telekommunikation, wie sie auch in den Fallbeispielen illustriert wurde, wird die erfolgskritische Rolle von IT bei der Umsetzung neuer Geschäftsmodelle deutlich. Diese Entwicklung lässt sich auch an der Dynamik in der Wettbewerbslandschaft beobachten. Das Spiel wird nicht mehr nur zwischen Inhabern von Inhalten, Distributionsplattformen und Endgeräteherstellern ausgetragen – zunehmend drängen auch Anbieter aus der IT-Welt (Hardund Software) in die Marktarena. Die Entwicklung der Heimunterhaltungsplattform „VIIV“ von Intel in Kooperation mit Microsoft oder Apples iPod-Plattform, die jetzt auch in den TV- und Videomarkt übertragen werden sollen, illustrieren dies besonders deutlich. Weil Medien in Zukunft anders verkauft, geliefert und konsumiert werden, müssen sich auch die Marktteilnehmer in den nächsten Jahren auf ein neues Umfeld und neue Regeln einstellen. Das „Battle for the Home“ hat begonnen: Derzeit haben zwischen 15 Prozent und 20 Prozent der Haushalte in Deutschland einen Breitband-Internetzugang. Die Zehn-MillionenMarke wird aber bereits zwischen 2006 und 2007 erreicht. Wenn im Jahr 2010 dann ebenso viele Haushalte auch über ein privates Heimnetzwerk verfügen (wie rund 2,5 Millionen heute), wird ein Großteil der klassischen Unterhaltungsmedien (Bilder, Videos und Musik) Bestandteil der vernetzten digitalen Heimbibliothek sein. Das Wachstumspotenzial in dieser Welt des Networked Home Entertainment entspringt zwei wesentlichen Quellen: Zum einen hebt die digitale Mediendistribution die Kapazitätsgrenzen der analogen Welt auf und führt damit effektiv zu einer Vergrößerung der Medienmärkte. Dies zeigen US-amerikanische Spezialisten der digitalen Distribution wie Amazon (CDs), Netflix (DVD) und Rhapsody (Musik), die bis zu 50 Prozent ihres Umsatzes mit Material erwirtschaften, das im typischen „Real World“-Geschäft nicht erhältlich ist. Zum anderen verschwimmen im digital vernetzten Wohnzimmer die Grenzen zwischen der eigenen Medienbibliothek und dem Bezahlangebot „draußen“. Der iTunes Music Store von Apple in Verbindung mit dem iPod hat Standards gesetzt und gezeigt, wie auch industriefremde Anbieter die Marktstruktur verändern und schnell erfolgreiche Geschäftsmodelle etablieren können. Die Verbindung von Heimnetz und weltweitem Netz eröffnet dabei noch weitere Möglichkeiten, die aktuellen Nutzungssituationen gezielt anzusprechen. Radiosender, die über Internet verbreitet werden, können die Option „Laden Sie den gerade gehörten Song in Ihre Bibliothek“ anbieten. Das intelligente Home Media Portal, über das gerade eine „Star Wars“-DVD abgespielt wird, kann gleich die anderen fünf Episoden anbieten oder sogar
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das Spiel zum Film. Zukunftsmusik? Tivo, 1999 in den USA gestartet, hat ein neues Mediengeschäftsmodell geschaffen: Es basiert auf der Verbindung eines Endgeräts (des Personal Video Recorders) mit dazugehörigen Diensten. Diese umfassen nicht mehr nur reine Such- und Aufnahmefunktionalität für Fernsehsendungen, sondern auch das Management und das Abspielen anderer Medien wie Digitalfotos und Musik – die Verbindung von Inhalten, IT und Netzwerken direkt an der Kundenschnittstelle. Damit setzt Tivo aktuell mit mehr als drei Millionen Kunden über 170 Millionen Euro jährlich um und gewinnt über eine halbe Million neue Kunden pro Quartal. Umfragen zufolge würden 40 Prozent der Tivo-Kunden eher auf ihr Handy verzichten als auf ihren Tivo-Entertainment-Dienst! Zunächst allerdings werden in Deutschland zwei wesentliche technologische Trends die mittelfristige Agenda von RTL interactive bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle prägen. Diese sind Triple Play – das heißt die stärkere Integration der Kommunikations- und Mediendienste TV, Internet und Telefonie – und Mobile-TV. Triple Play bietet dabei die unmittelbare Chance, Interaktivität ohne Medienbrüche zu realisieren. Mobile TV erschließt eine ganze Welt neuer Nutzungssituationen und ermöglicht einen direkten Dialog mit dem Endnutzer. Auch in Zukunft sieht RTLi die eigene Hauptaufgabe darin, als Early Mover frühzeitig neue medienrelevante technologische sowie inhaltliche Trends kommerziell zu erschließen. Die spezifischen Stärken sind dabei die starken Marken von RTL, die Werbekraft der TV-Sender der Gruppe und die Erfahrungen mit bestehenden interaktiven Angeboten. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass sich die Investitionen in überschaubaren Größenordnungen bewegen und die Geschäftsmodelle auch mit interaktiven Übergangslösungen tragfähig sind.
Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit
Johannes Keusekotten, Leiter Informationstechnik Bundesverwaltungsamt
Einführung Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Präsentation von interaktiven Informationen durch IT-Systeme von den Fesseln unzulänglicher Hardund Software-technischer Mittel befreit wurde. Schnelle PCs, leistungsfähige Grafikkarten und hochauflösende Monitore gepaart mit leistungsfähigen Präsentationstechnologien haben den Charakter der im Internet verfügbaren Informationen grundlegend verändert. Heutige Internetauftritte haben nichts mehr mit den optisch reduzierten Hypertext-Seiten aus der Anfangszeit des World Wide Web gemeinsam. Grafikdesigner und Medienfachleute haben dieses Medium für sich erobert. Obwohl der Erfolg des Internets ohne dieses optische Tuning undenkbar wäre, schließt diese Entwicklung gleichzeitig viele Nutzer aus, denn sie baut für viele – über ein schlecht oder nicht zu bedienendes Benutzer-Interface – unüberwindliche Barrieren auf. Innovativ ist heute, wer diese Barriere unter geschickter Nutzung der Technologie überwindet. Gerade für Menschen mit Behinderungen bietet das Internet neue Möglichkeiten zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und zur Integration in die Arbeitswelt. Erst durch das Internet werden Kommunikation und Informationsaustausch mit Selbsthilfegruppen und Behörden vereinfacht oder erst ermöglicht. Barrierefreie elektronische Medien unterstützen behinderte Menschen bei der Teilhabe am sozialen, beruflichen und kulturellen Leben. Barrierefreie Informationstechnologie nützt nicht nur Minderheiten, sondern breiten Bevölkerungsschichten. Neben dem Imagegewinn erschließen sich Unternehmen und Organisationen neue, wachsende Zielgruppen, gerade im Hinblick auf die sich verändernde Altersstruktur und die Finanzkraft, die ältere Menschen zu einer attraktiven Zielgruppe für die Wirtschaft macht. Für die öffentliche Hand gilt die besondere soziale Ver-
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pflichtung zur Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Das Bundesverwaltungsamt mit seiner Vorreiterrolle und als zentraler Dienstleister für die Bundesverwaltung hat sich diesem Anspruch im Besonderen zu stellen. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Aspekte barrierefreier Informationstechnologie im Einzelnen betrachtet: Die Anforderungen der verschiedenen Nutzergruppen an die Barrierefreiheit, deren Umsetzung durch Mittel der Informationstechnik sowie die Implikationen von Barrierefreiheit auf Planung, Budgetierung und Zertifizierung von IT-Vorhaben. Ein barrierefreier Web-Auftritt verlangt nicht nach einem Sonderweg, sondern nach der innovativen und kompetenten integrativen Nutzung vorhandener Technologien und Erkenntnisse. Neben allgemeinen Beispielen wird speziell auf das durch das Bundesverwaltungsamt in Zusammenarbeit mit der sd&m AG und der Medienkonzepte GbR konzipierte und realisierte zentrale Dienstleistungsportal des Bundes, www.bund.de, eingegangen. Das Bundesverwaltungsamt Das Bundesverwaltungsamt (BVA) in Köln ist der zentrale Dienstleister des Bundes. Das Aufgabenspektrum reicht von Fachaufgaben wie Ausländerzentralregister, Visaverfahren, Aussiedleraufnahmeverfahren, Auslandsschulwesen oder Sport- und Kulturförderung über zentralisierte Querschnittsaufgaben, wie zum Beispiel Zeit-Management und ReiseManagement, bis zu Modernisierungshilfen für andere öffentliche Organisationen. Damit hat das BVA nicht nur quantitativ, sondern auch strukturell eine beachtliche Vielfalt zu bewältigen. Heute nimmt das BVA mit seinen 2200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mehr als 100 verschiedene Aufgaben für alle Bundesministerien, das Bundespräsidialamt, das Bundeskanzleramt sowie den Deutschen Bundestag wahr und ist gleichzeitig Partner einer Vielzahl anderer Behörden auf der Bundes-, Landes und der kommunalen Ebene, von Nichtregierungsorganisationen, Wirtschaftsunternehmen und von Millionen Bürgerinnen und Bürger. Ein Schwerpunkt der Arbeit des BVA ist die Informationstechnik mit Planung, Realisierung und dem Betrieb von (Fach-)Verfahren. Mit seinem Management- und IT-Potenzial sieht sich das BVA als innovativer Pionier rund um das Thema E-Government. Durch den Aufbau der Bundesstelle für Informationstechnik (BIT) mit ressortübergreifenden Aufgaben, die mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in mehreren Stufen unter dem Dach des BVA errichtet wird, wird diese Rolle deutlich unterstrichen.
Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit
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Im Juli 2003 wurde dem BVA die Projektleitung für das Dienstleistungsportal www.bund.de übertragen. In einem ersten Schritt wurde mit der Umstellung auf das Content-Management-System Government Site Builder (GSB) die technische Basis modernisiert. Der GSB ist eine ebenfalls vom BVA entwickelte Basiskomponente der E-Government-Initiative BundOnline. In einem zweiten Schritt wurde die Benutzeroberfläche klarer und offener gestaltet. Die zentralen Funktionen des Portals sind nun für die Nutzer leicht zu identifizieren, die Ergonomie ist getestet und optimiert. Die Informationsstruktur ist an die Bedürfnisse der unterschiedlichen Benutzergruppen angepasst. „Bürgerinnen & Bürger“, „Wirtschaft & Wissenschaft“ sowie „Verwaltung & Institutionen“ haben jetzt einen individuellen, auf die konkreten Bedürfnisse abgestimmten Einstieg. Eine barrierefreie Gestaltung nach der Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV) war dabei für das BVA eine Selbstverständlichkeit und Herausforderung zugleich.
Abb. 1. Die Startseite von www.bund.de „Bürgerinnen & Bürger“
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Johannes Keusekotten
Geistige Behinderung Lernbehinderung Sprachbehinderung Seelische Erkrankung Anfallsleiden/Epilepsie Schäd. d. Muskulatur Schäd. d. Skelettsyst. Schädigung d. ZNS Allergie und Asthma Gehörschädigung Chron. Krankheiten Sehschädigung 0%
20%
40%
60%
80%
100%
Kenne mich gut aus Schon ausprobiert Noch nie im Internet
Abb. 2. Der Anteil der Internetnutzung differiert stark je nach Behinderung1
Behinderungen und Barrierefreiheit Das statistische Bundesamt weist für das Jahr 2003 eine Zahl von 6,7 Millionen schwerbehinderter Menschen aus. Dies entspricht einem Anteil von acht Prozent der Bevölkerung. In dieser Statistik werden nur die Personen erfasst, bei denen ein Grad der Behinderung von 50 Prozent oder mehr vorliegt. Nicht erfasst sind Menschen, bei denen eine Behinderung, aber keine Schwerbehinderung vorliegt sowie Menschen, bei denen eine Einschränkung, aber keine Behinderung vorliegt. Nach einer im Jahr 2001 EU-weit durchgeführten Studie sind rund 15 Prozent der europäischen Bevölkerung behindert. Infolge der demografischen Entwicklung und der Verbesserung der Gesundheitsversorgung nimmt die Anzahl von Menschen mit Einschränkungen und Behinderungen in der EU derzeit zu und wird auch weiterhin zunehmen. Eine Vielzahl von unterschiedlichen Behinderungen bedingt umfangreiche Voraussetzungen und Ansprüche, die unter dem Begriff Barrierefreiheit zusammengefasst werden. Während mehr als 50 Prozent der Blinden 1
Quelle: Kampagne „Internet für alle“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie, 12/2001
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und Sehbehinderten sich selbst als Internetkenner einschätzen, waren fast 70 Prozent der Menschen mit kognitiven Behinderungen noch nie im Internet. Das ergab eine Umfrage der Aktion „Internet ohne Barrieren“, die das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) im Rahmen der Kampagne „Internet für alle“ durchgeführt hat. Die für die Betrachtung der Barrierefreiheit relevanten Behinderungen und Einschränkungen lassen sich einteilen in • • • •
Sinnesbehinderungen Sehschädigung (Blindheit und Sehbehinderung) Hörschädigung (Gehörlosigkeit und Schwerhörigkeit) Körperliche Behinderung (Einschränkung in der Motorik, fehlende Gliedmaßen) • Kognitive Behinderung • Sonstige Behinderungen Damit das Internet trotzdem genutzt werden kann, setzen Menschen mit Behinderungen so genannte adaptive oder assistive Technologien ein. Dies sind Werkzeuge, die existierende Hardware oder Software modifizieren, sodass sie von behinderten Menschen, insbesondere Blinden und Sehbehinderten, genutzt werden können. Barrieren für Menschen mit Behinderungen Da Behinderungen, insbesondere Mehrfachbehinderungen, Menschen sehr unterschiedlich einschränken, müssen die Barrieren, die im Umgang mit Informationstechnik entstehen, sehr differenziert betrachtet werden. Einschränkungen Blindheit
Barrieren
• Informationen liegen nur in visueller, aber nicht in textlicher Form vor
• HTML-Code ist nicht sauber programmiert und für Screenreader nicht lesbar
Sehbehinderung/ Farbenblindheit
• Farbkontraste fehlen • Schriften sind zu klein und können nicht vergrößert werden
• Informationen werden nur mit Farbe dargestellt Einschränkung der Motorik • Buttons/Menüs sind nur mit der Maus bedienbar von Armen/Händen • Navigation über die Tastatur ist nicht oder nur eingeschränkt möglich
Gehörlosigkeit/ Höreinschränkungen
• kleine Schaltflächen • Audio- und Videodateien werden nicht verstanden • Texte werden schwer oder fast gar nicht erfasst
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Einschränkungen Lernbehinderung
Barrieren
• Texte sind zu lang, unverständlich und komplex • Informationen sind nicht strukturiert, die Navigation ist zu kompliziert
Kognitive Behinderungen
• komplexe, dichte Darstellung von Informationen
Tabelle 1. Einschränkungen und Barrieren
Blinde und sehbehinderte Menschen In der öffentlichen Wahrnehmung geht es beim Thema Barrierefreiheit im Internet fast ausschließlich um blinde Internetnutzer. Dies spiegeln sowohl die Web Content Accessibility Guidelines 1.0 (WCAG) aus den USA als auch die – von den WCAG abgeleitete – BITV wider. Nach Angaben des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands e. V. gibt es in Deutschland 155 000 blinde und rund 500 000 hochgradig sehbehinderte Menschen (Personen mit einem Sehvermögen von unter 10 Prozent). Für diese Gruppe von fast 650 000 Nutzern bestehen die größten technischen Barrieren. Blinde und sehbehinderte Menschen können sich den Bildschirminhalt nicht auf einen Blick erschließen, sondern sind auf spezielle Hilfsmittel angewiesen. Wichtig für blinde Internetnutzer ist primär die Berücksichtigung von assistiven Techniken wie Vorleseprogrammen (so genannte Screenreader) oder Braille-Ausgabegeräte und -tastaturen. Daraus leitet sich der Anspruch ab, dass jede visuelle Information (Grafiken, Diagramme oder Fotos) auch als Text zur Verfügung stehen muss. Mit Screenreadern 2 werden die Inhalte einer Webseite mittels einer TextToSpeech(TTS)-Engine in gesprochene Sprache umgewandelt. Der blinde Nutzer hört nun die Texte der Webseite und erhält über eine Veränderung der Klangfarbe zusätzliche Informationen wie die Verfügbarkeit von Sprungmarken (Links), die Struktur von Listen oder die qualitative Aufwertung von Überschriften. Screenreader sind so hoch entwickelt, dass sie teilweise unterschiedliche Stimmen und begrenzte Sound-Effekte nutzen, um Webseiten zu interpretieren. Für stark sehbehinderte Menschen, die noch über ein Restsehvermögen verfügen, ist ein Bildschirmvergrößerungsprogramm das am weitesten verbreitete Computerhilfsmittel. Großbildsysteme ermöglichen eine bis zu 48fache Vergrößerung des Computerbilds. 2
Der erste Screenreader ist 1989 unter dem Namen „OutSpoken“ für Macintosh erschienen.
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Abb. 3. PC-Arbeitsplatz mit Braille-Ausgabezeile3
Erweiterte Darstellung von visuellen Elementen
Grafiken, Diagramme, Farben und andere visuelle Elemente sind sehbehinderten Menschen nicht unmittelbar zugänglich. Sie können diese Inhalte nicht sehen und können daher nicht von den so transportierten Informationen profitieren. Screenreader können keine Grafiken interpretieren, sie können ausschließlich zusätzlich angebotene Texte (über spezielle Attribute im HTML-Code der Seite) vorlesen – sofern diese vorhanden sind und vom erstellenden Redakteur mit sinnvollen Inhalten gefüllt wurden. Die fälschliche Annahme, dass sich Barrierefreiheit ausschließlich auf blinde Nutzer bezieht und mit einem Verzicht auf alle visuellen Informationsträger jegliche Barriere aus dem Weg geräumt würde, führt zu den ausgesprochen unbefriedigenden „Nur Text“ Versionen einer Website. Das Problem dieser „Nur Text“-Varianten ist, dass sie andere Arten von Behinderungen ignorieren und nur neue Barrieren für andere Gruppen aufbauen. Eine alternative Textversion ist eine Sonderlösung, die nicht der Definition von Gleichstellung im Sinne des Gleichstellungsgesetzes entspricht.
3
Quelle: AUDIODATA GmbH
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Farbfehlsichtigkeiten
Eine weit verbreitete Form der visuellen Behinderung ist die Farbfehlsichtigkeit (Farbblindheit). Rund zehn Prozent aller Männer haben eine RotGrün-Sehschwäche. Informationen, die allein über Farben vermittelt werden, stehen blinden und farbfehlsichtigen Nutzern nicht oder nur in vermindertem Umfang zur Verfügung. Beim Design der Website muss daher dafür gesorgt werden, dass Farbkombinationen, die zu Problemen führen können, ausgeschlossen werden. Fehlende Farb- sowie Hell-DunkelKontraste können die Lesbarkeit von Text – auch für normalsichtige Nutzer – massiv beeinträchtigen. Der gewichtigste Kontrast ist der zwischen Text und Hintergrund. Der Hintergrund sollte einfarbig und nicht gemustert sein. Dunkler Text auf einem hellen Hintergrund ist als ideal anzusehen, pastellartige Farben sind problematischer als Farben, die sich klar voneinander absetzen. Es muss berücksichtigt werden, dass die Wiedergabe der Hintergrundfarbe aus technischen Gründen beim Nutzer völlig anders sein kann, als auf dem Bildschirm des Entwicklers. Der Farbkontrast darf nicht zu gering sein, da hierdurch wesentliche Informationen verloren gehen können. Ist der Farbkontrast zu hoch – ein typisches Beispiel ist rote Schrift auf blauem Hintergrund –, kommt es zu einem Überstrahlen, wieder leidet die Lesbarkeit. Bei der Gestaltung von Internetseiten muss berücksichtigt werden, dass einige Einstellungen durch den Benutzer verändert werden können: Schrift in Größe und Laufweite, Vorder- und Hintergrundfarbe, Anzeige mit oder ohne Grafiken, Seitenbreite. Beispiel: visuelle Merkmale bei www.bund.de
Die folgenden Abbildungen zeigen Teile des barrierefrei realisierten Portals www.bund.de. Das Farbschema berücksichtigt die Bedürfnisse von farbfehlsichtigen Menschen. Alle grafischen Elemente sind auf die Nutzung durch sehbehinderte Menschen abgestimmt. Die Darstellung der gesamten Seiten, inklusive der Texte und Grafiken, kann über die BrowserFunktionalität vergrößert und verkleinert werden. Durch die optimierte Strukturierung des Quelltexts der Seiten ist ein Screenreader in der Lage, die Navigationsmöglichkeiten in einer sinnvollen Reihenfolge wiederzugeben. Dies hilft auch Menschen, die keine Maus bedienen können und auf die ausschließliche Benutzung der Navigationselemente über die Tastatur angewiesen sind.
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Abb. 4. Barrierefreies Farbschema bei www.bund.de
Die unterschiedliche Farbgebung für die Bereiche „Bürgerinnen & Bürger“, „Wirtschaft & Wissenschaft“ sowie „Verwaltung & Institutionen“ erleichtert das Zurechtfinden und ermöglicht eine intuitive Bedienung. Dies kommt allen Nutzergruppen zugute. Layout, Farbigkeit und andere visuelle Gestaltungselemente ermöglichen die Orientierung, eine gute Usability und eine einfache Bedienung für alle Nutzer, unabhängig von Behinderungen oder Einschränkungen. Damit Screenreader diese zusätzlichen Informationen interpretieren und hörbar machen können, ist ein korrekter und semantisch richtiger Gebrauch von Strukturierungselementen eine wichtige Voraussetzung. Kognitiv eingeschränkte Menschen Kognitiv behinderte Menschen haben die größten Probleme im Umgang mit dem Internet. Für sie stellen lange Sätze, verschachtelte Informationen sowie eine komplizierte Wortwahl eine unüberwindbare Barriere dar. Zu den von einer Behinderung betroffenen kognitiven Fähigkeiten zählen • Lernfähigkeit • Aufmerksamkeit und Wahrnehmungsfähigkeit
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• Erkenntnis- und Urteilsfähigkeit • Abstraktionsvermögen Personen mit eingeschränktem Konzentrationsvermögen oder kognitiven Störungen bedürfen einer logisch aufgebauten und klar strukturierten Navigation – diese kommt auch allen anderen Nutzern einer Webseite zugute. Benutzer mit einer Schreib-Lese-Schwäche haben häufig eine geringe Lesegeschwindigkeit und benötigen daher überdurchschnittlich lange Zeit, um große Textmengen zu lesen. Laut Nielsen4 haben Studien ergeben, dass man am Computerbildschirm etwa 25 Prozent langsamer liest als auf Papier. Deshalb sollte der Text nicht mehr als 50 Prozent des Textes einer gedruckten Publikation enthalten. Die Texte sollten speziell für das Internet aufbereitet werden und keine Kopie der gedruckten Vorlage sein. Das Lesen von Internetinhalten unterscheidet sich wesentlich vom Erfassen gedruckter Texte. „Mehr als 70 Prozent der Besucher/innen einer Website lesen die angebotenen Informationen nicht, sondern scannen sie“ (Jakob Nielsen).
Abb. 5. „Rivers of white space“-Effekte bei Irlen Syndrom5
Verwendung von leichter Sprache
Ein weiterer Ansatz, um Barrieren für Menschen mit einer kognitiven Behinderung abzubauen, ist das Konzept der „leichten Sprache“ (oder „einfache Sprache“, „easy to read“ – Bedingung 14.1 der BITV). Leichte Sprache, also kurze Sätze, geläufige Begriffe, eine gute Gliederung und eine einfache Syntax, fördert grundsätzlich das Erfassen der dargebotenen Informationen. Für Menschen mit einer kognitiven Behinderung 4 5
Jakob Nielsen, Designing Web Usability, S. 101 TechDis, The Higher Education Academy, Innovation Way, York Science Park, York, YO10 5BR.
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ist die leichte Sprache eine Grundvoraussetzung für einen barrierefreien Zugang. Anregende Zusätze wie Beispiele, Illustrationen, Analogien, die persönliche Anrede des Lesers etc. können die Verständlichkeit eines Textes verbessern, wenn sie wohlüberlegt eingesetzt werden. Ein oft zitiertes Beispiel und intensiv bearbeitetes Verbesserungsobjekt für eine umständliche Sprache ist die Behördenfachsprache. In verschiedenen Projekten engagierter Städte, aber auch des Bundesverwaltungsamtes wird versucht, diese Fachsprache in eine bürgerfreundlichere Sprache zu überführen. „Bei einigen Formularen bleiben die früher typischen Nachfragen von Bürgern nun aus. Das spart jedes Mal fünf bis zehn Minuten Arbeitszeit“, so ein Pressesprecher aus der Stadtverwaltung Winsen im Landkreis Harburg. Gehörlose und hörgeschädigte Menschen Nach Angaben des Deutschen Gehörlosenbundes gibt es in Deutschland etwa 80 000 Gehörlose. Als Gehörlos gelten Menschen, wenn sie eine gravierende Hörschädigung aufweisen und nicht in der Lage sind, Sprache über das Gehör – auch nicht mit technischen Hörhilfen – aufzunehmen und zu interpretieren. Fälschlicherweise wird davon ausgegangen, dass Hörgeschädigte und Gehörlose auf wenige Barrieren im Internet stoßen. Gehörlose weisen oft eine allgemeine Beeinträchtigung der Sprache auf, insbesondere wenn sie die Lautsprache auf normale Art und Weise nicht erlernen konnten. Auch nach optimaler Förderung und Beschulung haben Gehörlose im Deutschen meist einen eingeschränkten Wortschatz und erhebliche Unsicherheiten im Bereich der Grammatik, was zu großen Schwierigkeiten und Missverständnissen beim Entschlüsseln komplexer schriftlicher Informationen führt. Basissprache der Gehörlosen ist eine visuelle Sprache, die Deutsche Gebärdensprache (DGS), die zwar ein linguistisch vollwertiges Sprachsystem darstellt, aber keine eigene Gebrauchsschrift kennt. Das Behindertengleichstellungsgesetz erkennt in § 6 BGG die Deutsche Gebärdensprache als eigenständige Sprache an und gewährt Hörbehinderten ausdrücklich das Recht auf Verwendung der Gebärdensprache. Auch akustische Inhalte können von gehörlosen Menschen nicht aufgenommen werden. Sie sollten deswegen durch visuell wahrnehmbare Inhalte ersetzt oder von ihnen begleitet werden. Für Gehörlose genügt es nicht, Texte zu vereinfachen, um beispielsweise Frühertaubten, die Probleme mit der Schriftsprache haben, das Verständnis zu erleichtern. Die Gebärdensprache ist hier das Hauptkommunikationsmittel, nicht nur ein optionales Hilfsmittel.
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Abb. 6. Gebärdenvideos als Hilfe: der DGS-Avatar von www.hamburg.de
Die Gebärdensprache besteht aus kombinierten Zeichen (Gebärden), die vor allem mit den Händen in Verbindung mit Mimik und Mundbild und zudem im Kontext mit der Körperhaltung gebildet werden. Die Komplexität der DGS hat bis heute ein System für die automatische Übertragung von Text in die Gebärdensprache verhindert. Ansätze wie beispielsweise der Gebärden-Avatar der Website hamburg.de können nur vorproduzierte Inhalte zeigen und diese in der Regel nicht auf dem Niveau von individuell durch einen Gebärdensprachdolmetscher umgesetzten Texten. Es wird noch viele Jahre dauern, bis die Entwicklung so ausgereift ist, dass man Avatare anstelle von Gebärdensprachfilmen einsetzen kann. Motorisch eingeschränkte Menschen Laut statistischem Bundesamt litten Ende 2002 in Deutschland 1,1 Millionen Menschen unter dem Verlust, Teilverlust oder der Funktionseinschränkungen von Gliedmaßen. Hinzu kommen rund 16 000 querschnittsgelähmte Menschen. Behinderte Menschen mit eingeschränkter Motorik der Arme und Hände können den Cursor meist nur mit speziellen Tastaturen bewegen, die sich nicht so präzise wie eine Maus navigieren lassen. Die Navigation der Webseite muss also so einfach sein, dass eine leichte Orientierung und Handhabung möglich ist. Ein großes Problem für viele Behinderte sind die handelsüblichen Tastaturen. Menschen mit schweren motorischen Störungen brauchen Großfeldtastaturen. Contergan-Geschädigte und Einhänder etwa sind auf spezielle Kleintastaturen angewiesen.
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Gesetzliche Grundlagen Im Jahr 1994 wurde das Grundgesetz in Artikel 3 Absatz 3 um den Satz ergänzt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Erst mit dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) von Mai 2002 wurde ein gesetzlicher Rahmen für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben geschaffen. Für den Bereich Informationstechnik ist dieser Rahmen im Juli 2002 in der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung – BITV) präzisiert worden. Die Verordnung wendet sich aufgrund ihrer Gesetzesgrundlage an die Bundesverwaltung und verpflichtet alle Behörden des Bundes dazu, ihre Internetangebote bis spätestens 31. Dezember 2005 barrierefrei zu gestalten. Viele Bundesländer und Kommunen haben mittlerweile mit entsprechenden Gesetzen und Verordnungen nachgezogen (Landesgleichstellungsgesetze) und vergleichbare Regelungen auf Landes- und kommunaler Ebene geschaffen. Mit der Wirtschaft wurden entsprechende Zielvereinbarungen getroffen. Primäres Ziel ist es, behinderten Menschen im Sinne des § 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes den Zugang zu Angeboten der Informationstechnik zu eröffnen: „Barrierefrei sind [...] Systeme der Informationsverarbeitung [...], wenn sie für behinderte Menschen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind“ (§ 4 BGG).
Umsetzung von Barrierefreiheit Barrierefreiheit ist keine Frage der Einhaltung formaler Regeln. Barrierefreiheit ist kein zusätzliches Feature, was in eine Website integriert wird. Die Einhaltung der Barrierefreiheit ist eine grundlegende Entscheidung für die Einhaltung definierter Regeln und Standards. Mit der Entscheidung für einen BITV-konformen Auftritt werden grundlegende Weichen gestellt. Einem großen Teil der Anforderungen an einen barrierefreien Webauftritt kann durch die eingesetzte Technik oder die sensible Berücksichtigung gängiger Standards und Richtlinien Genüge getan werden. Weitere Anforderungen werden auf konzeptioneller Ebene und durch die grafische Gestaltung des Webauftritts abgedeckt. Das Beispiel leichte Sprache jedoch zeigt, dass wesentliche Forderungen an einen barrierefreien Webauftritt nur durch redaktionelle Arbeiten erfüllt werden können.
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Vorgehen in der Praxis Die Erstellung einer barrierefreien Website im Rahmen einer Neuentwicklung oder eines Re-Designs erfordert einen strukturierten Entwicklungsprozess. Wesentlich für den Erfolg sind insbesondere die frühen Phasen: Anforderungsdefinition, Spezifikation und Design. In diesen muss der Auftraggeber die BITV-Vorgaben als unumgängliche Vorbedingung aller Entscheidungen berücksichtigen. Die für die Erfüllung der BITVVorgaben notwendigen Maßnahmen betreffen alle beteiligten Rollen und Prozessschritte. Webseiten barrierefrei zu gestalten bedeutet einzuplanen, dass Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Voraussetzungen, unterschiedlicher Hard- und Software und auch unterschiedlichen BrowserEinstellungen auf Internetseiten zugreifen. Gerade die Vielfalt an Ein- und Ausgabemöglichkeiten am Computer bringen sehr unterschiedliche technische Anforderungen an die Barrierefreiheit mit sich. Auch ist die Erstellung barrierefreier Seiten keine einmalige Aktion, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der insbesondere durch die Redakteure zu tragen ist. Entscheidungsträger in den Behörden sollten vor allem in der Anfangsphase darauf achten, dass Barrierefreiheit als Konzept verstanden wird und nicht lediglich über einzelne Programmierungen gesprochen wird. Die BITV-Anforderungen an die Barrierefreiheit müssen während des ganzen Projektablaufs mit einbezogen werden. Beratung
Interessenkonflikte zwischen Design, Technik und BITV-Anforderungen bei der Ausgestaltung des Online-Angebots sind unvermeidbar. Grafikdesigner haben in erster Linie den Auftrag, das Corporate Design des Auftraggebers und die Imagekampagnen der Marketing-Abteilung umsetzen. Dies führt oft zu einer deutlichen Abkehr von dem ursprünglichen Gedanken hinter dem Internet als reinem Hypertext-Medium. Das Design muss funktionalen Ansprüchen wie der Nutzerfreundlichkeit (Usability) und der Barrierefreiheit mindestens den Raum geben, der dem Marketing für die Erarbeitung eines attraktiven, häufig an Printmedien orientierten Designs eingeräumt wird. Der Auftraggeber sollte auf Kompromisse bei Design und technischen Anforderungen vorbereitet werden. Sein unbedingtes Bekenntnis zur Erfüllung der BITV ist eine notwendige Voraussetzung für den Projekterfolg. Eine Beratung zu Beginn des Projekts mit klaren Informationen zur Tragweite der Entscheidung für die Einhaltung der BITV und zu möglichen Lösungsansätzen für kritische Anforderungen ist sehr empfehlenswert. Ein
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qualifizierter, externer Ansprechpartner kann über die Projektlaufzeit zu Best Practices Auskunft geben und die oft unscharfen Abgrenzung erläutern. Eine BITV-Checkliste hilft dabei, zukünftige Entwicklungen einfach zu überprüfen. BITV-Beauftragter für die Qualitätssicherung
Hilfreich ist die Bestimmung eines BITV-Beauftragten als Qualitätssicherungs-Instanz (QS-Instanz) für die Projektlaufzeit und darüber hinaus. Diese Rolle sollte bereits bei Anforderungsworkshops, bei der Erstellung des Lastenhefts und bei der Erstellung des Designs mit einem interessierten Mitarbeiter (bevorzugt aus der späteren Redaktion) besetzt werden. Dieser Mitarbeiter kann nach einer angemessenen Schulung das Entwicklerteam und die Redaktion während des Projekts begleiten und kreative Impulse bei auftauchenden Problemen einbringen. Der BITV-Beauftragte sollte auch zum Review der Designvorlagen herangezogen werden. Spezifikation des Designs
Bei der Erstellung des Website-Designs (Styleguide) und der darin enthaltenen Elemente sind kontinuierlich BITV-Anforderungen im Detail zu beachten. Hier ist geschultes und durchsetzungsstarkes Personal gefragt. Der alte Leitsatz „form follows function“ ist im beschriebenen Zusammenhang mehr als nur ein schöner Spruch. Ganz sicher muss eine barrierefreie Umsetzung nicht weniger attraktiv sein oder Marketing-Aspekte ungenügend berücksichtigen. Das Gegenteil ist der Fall. Eine barrierefreie Umsetzung kann mit dem Begriff „mediengerecht“ umschrieben werden. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine effektive, nutzbare und sinnvolle Lösung, die alle Beteiligten in höchstem Maße zufrieden stellen wird. Realisierung
Der wichtigste Schritt bei der Konstruktion des Internetauftritts ist eine vollständige Bereitstellung verbindlich einzusetzender HTML-Vorlagen und CSS-Stylesheets auf Basis des BITV-konformen Designs. Diese werden nach umfangreicher Qualitätsprüfung zur Erstellung der eigentlichen Webseiten genutzt. Schon bei der Erstellung und Verarbeitung der Vorlagen sollte eine Qualitätssicherung in Hinblick auf die Barrierefreiheit stattfinden – entwicklungsbegleitend und mit entsprechenden Prüfwerkzeugen. Bei komplexen Projekten sind Prototypen sehr hilfreich. Die vorgeschriebene Trennung von Layout und Inhalt durch die moderne Stylesheet-Technologie (CSS) bringt große Vorteile für jeden Website-
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Betreiber mit sich. Das Layout lässt sich einfach überarbeiten, ohne die Texte neu erfassen zu müssen. Außerdem können Inhalte – losgelöst vom Webdesign – unkompliziert in andere Wiedergabeformate und -geräte exportiert werden. Bei der Verwendung eines Content-Management-Systems (CMS) sind zusätzliche Mechanismen zur Eingabe von BITV-relevanten Informationen anzubieten (zum Beispiel Kennzeichnung von Sprachwechseln), sofern das CMS diese nicht schon von sich aus enthält. Eventuell können automatische Prüfungen erzeugter Webseiten im Redaktionsprozess verankert werden. Test
Durch automatisierte Verfahren, spezielle Tools sowie Tests mit assistiven Technologien lässt sich die Barrierefreiheit des Auftritts überprüfen. Automatische Verfahren dienen der Überprüfung der technischen Barrierefreiheit. Sie können jedoch nicht prüfen, ob Texte verständlich formuliert sind, die Navigation nachvollziehbar ist und die Strukturierung der Seite Sinn ergibt. Neben den Tests der erzeugten Webseiten mit offiziellen Prüfwerkzeugen ist ein paralleler Test durch behinderte Nutzer sehr sinnvoll. Diese können wertvolle Verbesserungshinweise liefern. Ein detaillierter Test der Website durch einen unabhängigen und qualifizierten Dritten – zum Beispiel durch das Angebot der Prüfstelle BIK – Barrierefrei Informieren und Kommunizieren – ist sehr zu empfehlen. Content-Erstellung und -Pflege
Mit dem Launch der neuen Website beginnt der redaktionelle Alltag. Die Pflege von Inhalten wird im Allgemeinen durch ein unterstützendes Redaktionssystem erleichtert, welches die Inhalte BITV-konform in die Webseiten bringt. Die Verantwortung der Redaktion ist es nun, weiterhin sensibel mit BITV-Anforderungen umzugehen, und – wenn möglich – Inhalte in leichter Sprache zu formulieren. Außerdem müssen Alternativtexte für visuelle Elemente inhaltsbezogen („Ein Diagramm mit unseren Verkaufszahlen in 2005“) und nicht mit Standardplattitüden („Grafik“) verfasst werden. Was auf den ersten Blick sehr einfach aussieht, verlangt in der Praxis viel Nachdenken. So sind zum Beispiel die Inhalte des Alternativtexts immer im Zusammenhang mit dem textlichen Inhalt der Seite zu sehen. Insgesamt sollten Alternativtexte kurz und prägnant sein, weitschweifige Formulierungen wie „Dies ist ein Bild mit ... das zeigt ... unser Vorstand ... vor unserem ...“ gehören nicht in den Alternativtext. Fotos benöti-
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gen kurze Angaben etwa zum dargestellten Gegenstand, den Namen einer dargestellten Person oder Merkmale einer dargestellten Szenerie. Die BITV-Checklisten und der BITV-Beauftragte müssen einer schleichenden Erosion der Qualität entgegenstehen. Regelmäßige Wiederholungen der Tests auf Barrierefreiheit sollten durchgeführt werden. Vermieden werden muss auf jeden Fall, dass eine nach dem Start der neuen Website nachlassende Motivation die Qualität von nachträglich erfassten Inhalten negativ beeinflusst. Der definierte und erstrebenswerte Standard muss durch qualitätssichernde Maßnahmen unterstützt werden. Dies gilt ganz besonders für die Arbeit der Webredaktion. Content-Management-Systeme und Barrierefreiheit Content-Management-Systeme (CMS) stellen Inhalte für verschiedene Ausgabemedien aktuell und zielgruppenspezifisch zur Verfügung. Sie sind Voraussetzung dafür, umfangreiche Informationsangebote im Internet sowie Intranet effizient bereitzustellen und zu pflegen. Ein Kernprinzip von Content-Management-Systemen ist die Trennung von Layout und Inhalt, die Speicherung der Inhalte erfolgt unabhängig von Ausgabeformat und Design. Vorlagen (Templates) definieren die Anordnung und Darstellung der Inhaltselemente. Durch das CMS werden bei der Generierung einer Webseite die Vorlagen automatisch mit den Inhalten gefüllt. Durch die Verwendung von Templates ist die konsequente Einhaltung des Layouts garantiert. Content-Management-Systeme können für die Produktion von barrierefreien Internetseiten eine große Hilfe darstellen. Vor dem Hintergrund, dass viele Websites/Inhalte heutzutage nicht mehr ausschließlich von Experten erstellt werden, sondern vielmehr Redakteure für die Pflege der redaktionellen Inhalte verantwortlich sind, ist ein CMS erforderlich. Dies ist insbesondere unverzichtbar, wenn mehrere Redakteure Beiträge für die Rubriken erstellen und die Seiten bearbeiten sollen. Ein CMS erzeugt Webseiten anhand redaktionell erstellter Daten und definierter Vorlageseiten. Die Redakteure nutzen zur Eingabe der redaktionellen Inhalte das Redaktionssystem des CMS und sind dabei an die hinterlegten Workflows und Konsistenzprüfungen gebunden. Ein entsprechend konzipiertes und aufgebautes CMS kann automatisch die Erzeugung von BITV-konformen Webseiten erfüllen beziehungsweise unterstützen. Derzeit bringen jedoch nur wenige, ausreichend flexible CMS von Haus aus alle benötigten Mechanismen mit. Hier sind Erweiterungen im Rahmen eines Software-Entwicklungsprojekts – auch bei sorgfältiger Auswahl eines CMS-Produkts – unvermeidbar.
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Die Leistungsfähigkeit eines Content-Management-Systems hängt heutzutage davon ab, inwieweit es den Redakteur bei der Produktion von barrierefreien Seiten unterstützt, zum Beispiel durch die Bereitstellung entsprechender Schaltflächen für die BITV-Auszeichnung sowie durch definierte Pflichteingabefelder. Im Bereich der Bundesverwaltung wird die Nutzung des CMS-Systems „Government Site Builder“ (GSB) durch Kabinettsbeschluss verbindlich vorgeschrieben. Dieses System enthält bereits seit der Version 2.0 eine so genannte Standardlösung, welche alle BITV-relevanten Eigenschaften anbietet. Viele BITV-Bedingungen werden vom GSB bereits automatisch erfüllt • • • • • • •
Trennung von Content und Layout Verzicht auf Frames und bewegte Elemente Barrierefreie Farbschemata Verwendung öffentlich zugänglicher Technologien Bereitstellung von Metainformationen Durchgängiger Präsentationsstil Geräteunabhängige Bedienung von Elementen
Die vorkonfigurierten Ausgabe-Templates der Standardlösung stellen variable Schriftgrößen, eine schlüssige Reihenfolge von Hyperlinks, nachvollziehbare Navigationsmechanismen sowie eine korrekte Verwendung der Markup-Sprachen sicher. Nicht alle BITV-Bedingungen können von einem CMS automatisch erfüllt werden. Den Redakteuren kommt somit die wichtigste Aufgabe im Prozess bei der Produktion von barrierefreien Inhalten zu. Durch viele zusätzliche Funktionalitäten unterstützt der GSB die redaktionelle Tätigkeit • integrierte Schaltflächen für die Auszeichnung von Abkürzungen und Akronymen • Bereitstellung der HTML-Strukturelemente für Überschriften, Listen und Zitate • Vorbelegung der verwendeten Sprache; Schaltflächen für die Kennzeichnung von Sprachwechseln • Verwaltung zentraler CSS (zum Beispiel je einem für die Seitendarstellung, die Druckdarstellung, alternative Darstellungen für PDAs etc.) und somit definierte Farbgebung, Schriftarten, Schriftgrößen etc. entsprechend des Styleguide • Einfordern von verpflichtenden Angaben (zum Beispiel alternative Beschreibung für nichttextliche Elemente) des Redakteurs, bevor eine Information publiziert werden kann • Überwachung der Link-Gültigkeit
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Insbesondere das Anlegen von Datentabellen und das Auszeichnen der Tabellenattribute werden für den Redakteur durch zusätzliche Menüs vereinfacht. Technik Einer der Grundsätze bei der Erstellung barrierefreier Websites ist ihr geräteunabhängiger Aufbau. Die gängigste Interpretation von „geräteunabhängig“ bedeutet: sicherzustellen, dass allen Nutzern die Bedienung per Tastatur ermöglicht wird – sowohl denen, die eine Tastatur benutzen müssen, als auch denen, die statt der Maus lieber die Tastatur als primäres Eingabewerkzeug verwenden. Darüber hinaus arbeiten viele assistive Werkzeuge für Menschen mit motorischen Behinderungen direkt mit der Tastatur oder durch die Emulation von Tastaturfunktionalitäten. Die Nutzung der Website ausschließlich über die Tastatur und ein qualitativ hochwertiger Ausdruck der Inhalte sind daher Minimalanforderungen für den geräteunabhängigen Aufbau einer Website. Die Entwicklung von BITV-konformen Online-Angeboten wird durch zahlreiche technische Hilfsmittel unterstützt. Diese Hilfsmittel können bei der Entwicklung und Abnahme des CMS und auch bei der individuellen Webseitenentwicklung eingesetzt werden. Bei Bedarf lassen sich die Werkzeuge auch in die CMS-Software integrieren, um eine automatisierte Qualitätssicherung oder ein Reporting zu ermöglichen. Eine leicht anwendbare Browser-Erweiterung mit vielfältigen Prüf- und Simulationswerkzeugen (zum Beispiel farblose Darstellung, Darstellung ohne CSS) ist die Web Accessability Toolbar6 für die gängigen Browser. Validatoren sind eine wesentliche Hilfe bei der manuellen oder automatischen Überprüfung von Webseiten auf Verstöße gegen offizielle Standards. Die Standardisierung im Bereich Internet wird durch das World Wide Web Consortium (W3C) vorangetrieben, das unter www.w3.org zahlreiche Validatoren online anbietet7. Screenreader (mit Sprachausgabe und/oder Braille-Zeile) sind das wichtigste Hilfsmittel für blinde Internetnutzer. Eine komfortable Nutzung von Screenreadern ist aber nur auf BITV-konformen Webseiten möglich. Die
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Z. B. für Internet Explorer www.webforall.info/html/deutsch/aistoolbar.php W3C-HTML Validierungsservice: http://validator.w3.org, W3C CSS Validierungsservice: http://jigsaw.w3.org/css-validator/validator-text.html, W3C Linkcheckservice: http://validator.w3.org/checklink, TIDY HTML-Prüfung: http:// tidy.sourceforge.net
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wichtigsten deutschsprachigen Screenreader sind JAWS, Home Page Reader, Virgo, Blindows und Window-Eyes. Für sehende Entwickler nützliche QS-Werkzeuge sind Text-Browser wie zum Beispiel Lynx, die unter Auslassung von Bildern und anderen Medien den in Webseiten enthaltenen Text darstellen. Eine Webseite, die mit einem Text-Browser nicht bedienbar ist, kann auch mittels Screenreader nicht bedient werden. Realisierungsaufwand Wie hoch die Kosten für die Realisierung eines barrierefreien Internetauftritts letztendlich sind, lässt sich nicht definieren, dies hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, wie zum Beispiel der Größe des Webauftritts und der Struktur der vorhandenen Daten. Die Realisierung einer barrierefreien Website ist jedoch nicht zwangsläufig teuer. Webseiten nachträglich barrierefrei zu machen ist auf jeden Fall sehr kostspielig. „Es kostet Zeit und Geld, eine schlecht erstellte Webseite nachträglich in eine allgemein zugängliche Seite zu verwandeln.“8 Dagegen muss man nach Joe Clark nur zusätzlich zwei Prozent der Gesamtkosten aufwenden, eine Website von Anfang an allgemein zugänglich zu erstellen. Konzeptioneller Mehraufwand kann dann auftreten, wenn der Entwicklungsprozess noch nicht durchgängig an die spezifischen Erfordernisse der Barrierefreiheit angepasst ist. Bereits beim Design müssen Anforderung hinsichtlich Farbschema und Vermassungen berücksichtigt werden. Deutlich höherer Testaufwand tritt erfahrungsgemäß bei neuen Technologien auf, die noch nicht von allen Werkzeugen hundertprozentig unterstützt werden, und die häufig für eine barrierefreie Anwendung eingesetzt werden. Die verschiedenen Browser verhalten sich unterschiedlich, was in separaten Tests geprüft werden muss. Darüber hinaus müssen nicht selten Browser-spezifische Funktionalitäten programmiert werden. Der Entwicklungsprozess beim Re-Design von www.bund.de berücksichtigte von Anfang an die spezifischen Erfordernisse einer barrierefreien Gestaltung. Der erhöhte Testaufwand für das barrierefreie XHTML-Layout erhöhte den Projektaufwand lediglich um etwa vier Prozent. Eine barrierefreie Umsetzung bringt auch Einschränkungen mit sich. Aktive Inhalte (JavaScript, Flash etc.) sind in der Regel nicht barrierefrei. Entweder hat weder der Screenreader noch die Tastatur Zugriff auf die so verpackten Inhalte (Flash), oder es werden dynamische Änderungen am 8
Hollmann, Andreas: Zugänglichkeits-Mythen In: www.andreas-hollmann.de/ netztips/zugaenglichkeit.html
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Inhalt vorgenommen, die von den assistiven Technologien nicht erfasst werden können (JavaScript). Das Portal www.bund.de wurde daher konsequent ohne aktive Inhalte umgesetzt.
Zertifizierung von Barrierefreiheit Der Versuch einer objektiven Überprüfung der Barrierefreiheit einer Website wird in der Regel auf der Basis der WCAG 1997–99 durchgeführt. Dieses Dokument und die davon unter Verlust wichtiger Präzisierungen abgeleitete BITV beschränken sich auf technische Aussagen zum Einsatz von HTML die immerhin acht Jahre alt sind. Für die Dynamik hinter den technischen Entwicklungen rund um das Internet ist dies eine sehr lange Zeit. Die WCAG 1997–99 ist im Jahr 2005 nur in sehr eingeschränkten Umfang geeignet, Barrierefreiheit im technischen Sinne sicherzustellen. Problematisch wird dieses Ansinnen, wenn dieser unzureichende Ansatz in die Form eines statischen Zertifikats gegossen wird. Dies betrifft aktuell die Bestrebungen der renommierten Gesellschaft für Konformitätsbewertung DIN-Certco GmbH. Hier wird mit dem hohen Stellenwert den die Bezeichnung DIN in Deutschland hat, die Qualität eines Zertifikats versprochen, dem weder das Zertifikat noch die zertifizierenden Stellen wirklich gerecht werden können. Letztendlich geht es nicht darum, ob ein Angebot zertifiziert ist, sondern ob es wirklich barrierefrei ist – ohne gleichzeitig Innovationen in anderen Bereichen zu blockieren. Das DIN-Zertifikat wird voraussichtlich eine ähnliche Relevanz für einen barrierefreien Webauftritt haben, wie die DIN EN ISO 9241 für den Bereich Usability. Diese Norm wird in der Internetpraxis de facto nicht berücksichtigt, ohne dass dies Rückschlüsse auf die tatsächliche Qualität der Websites zulässt. Gerade die öffentliche Verwaltung möchte die Gewissheit haben, dass das eigene Internetangebot wirklich barrierefrei ist – dieses Begehren ist nachvollziehbar und richtig. Eine relativ hohe Gewissheit kann eine einmalige Überprüfung durch unabhängige Fachleute geben, der eine fortlaufende Überprüfung aller neuen und geänderten Inhalte folgt. Die Prüfung muss die aktuellen Entwicklungen einbeziehen und lässt sich nicht an einem festen Kriterienkatalog ausrichten. Auch rechtlich ist die Zertifizierung auf der beschriebenen Grundlage sehr problematisch.
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Zusammenfassung und Ausblick Gerade für behinderte Menschen stellt das Internet eine Möglichkeit dar, unabhängig von Dritten am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, ohne auf die Fürsorge der Gesellschaft angewiesen zu sein. Die Verwirklichung dieses Ziels hängt in der heutigen Informationsgesellschaft zunehmend davon ab, inwieweit die Menschen die neuen Informations- und Kommunikationsmedien nutzen können. Gerade die öffentliche Verwaltung hat eine Vorbildfunktion und dadurch auch die besondere soziale Verpflichtung, Informationen für alle zugänglich zu machen. Barrierefreiheit hilft nicht nur blinden Nutzern des Internets, die auf Vorleseprogramme angewiesen sind, sondern auch sehbehinderten, farbenschwachen, gehörlosen Menschen, Menschen mit kognitiven und motorischen Behinderungen sowie Menschen mit anderen Funktionseinschränkungen. Zudem sind die Übergänge gerade im Alter fließend, sodass Barrierefreiheit die Nutzung des Internets einem Großteil der Bevölkerung spürbar erleichtert. Eine Studie von Forrester Research Inc. und Microsoft9 stellt fest, dass rund 60 Prozent aller Computernutzer von barrierefrei zugänglicher Informationstechnik profitieren. Wer mit geschickter Nutzung der vorhandenen Technologie Barrieren vermeidet, hat einen Innovationsvorsprung. Der Mehraufwand ist bei entsprechender Planung beherrschbar. Das Bundesverwaltungsamt hat mit seinem Portal www.bund.de eine Vorbildfunktion bei der Umsetzung der BITV (Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung) übernommen, an der sich andere Behörden, aber auch die Privatwirtschaft orientieren können. Einige Unternehmen wie zum Beispiel die Postbank oder der „Stern“ werben bereits heute mit ihren barrierefreien Internetauftritten. Wie so oft bei Innovationen entsteht ein Innovationsdruck: Wer nicht handelt, bleibt zurück.
Literaturverzeichnis Joe Clark (2003) Building Accessible Websites New Riders Publishing, Indianapolis USA, ISBN 073571150X Jan Eric Hellbusch (2004) Barrierefreies Webdesign Dpunkt Verlag, ISBN: 3898642607 9
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Mehr Bürgernähe durch Barrierefreiheit Steve Krug (2. Auflage 2005) Don’t Make Me Think! New Riders Publishing, ISBN: 0321344758 Gordon McComb (1999) Cascading Style Sheets Specification, Level 2: W3C Recommendation 12-May-1998, Rec-Css2-19980512 Excel Inc, ISBN: 1583482539 Jakob Nielsen (1999) Designing Web Usability New Riders Publishing, ISBN: 156205810X Web Content Accessibility Guidelines 1.0 Herausgegeben vom World Wide Web Consortium (W3C)
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Innovative IT und innere Sicherheit
Martin Schallbruch, IT-Direktor Bundesministerium des Innern
Einleitung Zur Gewährleistung der inneren Sicherheit stützt sich der Staat auf innovative Informationstechnik. Komplexe Kriminalitätsformen erfordern eine intensive Fortentwicklung und Nutzung IT-basierter Hilfsmittel – für kriminalpräventive Zwecke ebenso wie für die Strafverfolgung und eine zeitgemäße Arbeit der Sicherheitsbehörden. Auf der anderen Seite bedienen sich Kriminelle unterschiedlichster Zielrichtungen der Möglichkeiten moderner Informationstechnik zur Begehung ihrer Straftaten. Manche Kriminalitätsformen sind überhaupt erst entstanden durch die Weiterentwicklung von IT und Internet, so zum Beispiel das verbreitete Phänomen des „Phishing“, des Erschleichens von Zugangsdaten für Online-Banking, mit deren Hilfe Konten geplündert werden sollen. Moderne Sicherheitspolitik berücksichtigt diese Dualität innovativer Entwicklungen der Informationstechnik. Auf der einen Seite macht sie sich technische Innovationen zunutze, um die Kriminalitätsbekämpfung zu optimieren. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung des elektronischen Reisepasses, der das bisherige Papierdokument auf ein elektronisch abgesichertes Niveau der Fälschungssicherheit bringt. Auf der anderen Seite werden IT-Innovationen mit Innovationen der IT-Sicherheitstechnik verbunden, um Risiken für die innere Sicherheit zu vermeiden, die entstünden, wenn Innovation „ungesichert“ abliefe. Ein Beispiel hierfür sind technische Systeme für eine vertrauenswürdige und verlässliche Kommunikation über Telekommunikations- und Datennetze. Der vorliegende Beitrag beleuchtet die Wechselbeziehung zwischen ITInnovation und innerer Sicherheit an vier Beispielen: der Virtuellen Poststelle des Bundes, der SINA-Lösung zur sicheren Übertragung vertraulicher Informationen über unsichere Netze, dem elektronischen Reisepass („ePass“) und dem digitalen Personalausweis.
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Sichere Kommunikation in Netzen Die globale Vernetzung von Informations-, Kommunikations-, Finanz- und Logistiksystemen hat enorme Möglichkeiten eröffnet: Räumliche Grenzen sind für wirtschaftliche Akteure vernachlässigbar geworden. Verwaltungsund Geschäftsabläufe finden in zunehmendem Maße im Internet oder anderen digitalen Netzen statt. Mit diesen neuen Strukturen entsteht aber eine nie da gewesene Form der Verwundbarkeit. Die komplexen Abhängigkeiten sämtlicher traditioneller Infrastrukturen von vernetzten IT-Systemen machen die Bedrohungsszenarien immer schwerer kalkulierbar. Zunehmende Berichte über Hacker, Viren, Würmer und andere Übergriffe auf Unternehmen oder Privatpersonen zeigen, dass die Bedrohungen nicht nur theoretischer Natur sind. IT-Sicherheit ist wesentlicher Baustein der Politik für die innere Sicherheit. Im Mittelpunkt steht dabei die Prävention, die Etablierung wirksamer Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der IT-Systeme und der elektronischen Kommunikation. Verfügbarkeit und Verlässlichkeit der Informations- und Kommunikationssysteme sind hier ebenso von Bedeutung wie die Vertraulichkeit und Verlässlichkeit der Informationsübermittlung. Gerade bei Nutzung des Internets sind die Informationen besonderen Bedrohungen ausgesetzt und damit Vertraulichkeit, Integrität und Authentizität (letztlich die Verbindlichkeit) elektronischer Transaktionen gefährdet. Schlüssel für mehr Sicherheit in der Kommunikation über elektronische Netze ist die Sicherung der Identität von Absender und Empfänger und die kryptografische Sicherung der Inhalte der Kommunikationsbeziehung. Wie kann die Identität der Akteure in digitalen Netzen zuverlässig nachgewiesen werden? Eine mit der Offline-Welt vergleichbare, sichere und allseits etablierte Form der Identifizierung existiert bis heute nicht. Virtuelle Poststellen, elektronische Signatur und später einmal der „Personalausweis fürs Internet“ werden diese Aufgabe zu übernehmen haben. Virtuelle Poststelle des Bundes Vertrauenswürdige Kommunikation über elektronische Netze, also die Wahrung von Verlässlichkeit und Vertraulichkeit der übermittelten Informationen, lässt sich am besten mit Ende-zu-Ende-Sicherheit erreichen. Produkte für eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung oder die Aufbringung und Prüfung elektronischer Signaturen sind bereits seit vielen Jahren auf dem Markt. Ihr flächendeckender Einsatz hat mit dem hohen, auch finanziellen Aufwand zum Aufbau einer solchen Sicherheitsinfrastruktur zu
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kämpfen, aber auch mit Kompatibilitätsproblemen an den ArbeitsplatzPCs. Im Rahmen der Initiative BundOnline 2005 hat der Bund nach einer Lösung gesucht, die es allen Bundesbehörden erlaubt, ihren Kommunikationspartnern die Absicherung der Kommunikation mit elektronischer Signatur und Verschlüsselung anzubieten. Unter der Überschrift „E-Government-Basiskomponente Datensicherheit“ entwickelte der Bund gemeinsam mit privaten Partnern eine Virtuelle Poststelle (VPS). Die VPS verfolgt das Ziel, die einer Verbreitung von Verschlüsselung und Signatur entgegenstehenden Hemmnisse dadurch zu beseitigen, dass – ergänzend zur Ende-zuEnde-Sicherheit – die kryptografischen Funktionen auch Server-basiert und einheitlich für alle Kommunikationskanäle und Backend-Anwendungen innerhalb der Behörde zur Verfügung gestellt werden. Hierdurch können sowohl Behördenmitarbeiter als auch „Kunden“ der E-Government-Angebote der Behörden profitieren. Die Sicherheitsfunktionen umfassen • das Ver- und Entschlüsseln von Daten, • das Erstellen und Prüfen von Signaturen, bei qualifizierten Signaturen unter Zuhilfenahme externer Dienste, • das Erstellen und Prüfen von Zeitstempeln, bei qualifizierten Zeitstempeln unter Zuhilfenahme externer Dienste, • die Authentisierung von Browser-Benutzern auf Basis von Zertifikaten und gegebenenfalls Smartcards und • das Ausstellen und Versenden von elektronischen Eingangs- und Ausgangsquittungen. Zusätzlich stehen mit der VPS Schnittstellen zu weiteren Funktionalitäten und externen Systemen zur Verfügung, beispielsweise zu VirenScannern oder Posteingangs- und Postausgangsbüchern. Damit stellt die VPS eine Sicherheitskomponente dar, die Behördenmitarbeiter von komplexen kryptografischen Abläufen entlastet und die einheitliche Nutzung kryptografischer Mechanismen in unterschiedlichen Systemen ermöglicht. Der Aufwand an Installations- und Administrationsvorgängen kann verringert werden. Die Anwendungsbreite der Virtuellen Poststelle wird wesentlich dadurch erzielt, dass mit ihrer Hilfe unterschiedliche Systeme über offene Schnittstellen eingebunden werden. Beispielweise können Smartcards und Verzeichnisdienste aller wesentlichen Anbieter ohne Interoperabilitätsprobleme genutzt werden. Verschiedene weitere Anwendungen mit unterschiedlichen Anforderungen können unterstützt werden, wobei der breiten Skalierbarkeit der Sicherheitsfunktionalitäten, insbesondere der Signaturmechanismen bis hin zur qualifizierten Signatur, eine besondere Bedeu-
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tung zukommt. Integriert in den normalen Datenfluss soll die VPS weitgehend automatisch als zentrales Gateway fungieren und die kryptografischen Operationen gebündelt bereitstellen. Als Input- beziehungsweise Output-Daten der VPS werden sowohl E-Mails und elektronische Dokumente (zum Beispiel in Form von E-Mail-Attachments) als auch Datenstrukturen aus Web-Anwendungen angesehen. Daneben können über offene Schnittstellen auch Archivsysteme, Workflow- oder DokumentenManagement-Systeme sowie Backend-Systeme diverser Fachverfahren angebunden werden. Dabei sind die Modularität der Architektur und die Unabhängigkeit von bestimmten Plattformen (sowohl Windows- als auch Linux/Unix-basierte) entscheidend. Mit der VPS steht nun allen Bundesbehörden eine technische Lösung zur Verfügung, die eine Vielzahl von Sicherheitsfunktionen enthält und die breite Einführung internetbasierter Geschäftsabläufe auf höchstem Sicherheitsniveau erlaubt. Derzeit nutzen bereits sieben Bundesbehörden die Virtuelle Poststelle, weitere 15 führen sie ein. Mithilfe der VPS wird beispielsweise das Elektronische Gerichtspostfach beim Bundesgerichtshof organisiert oder der Handel mit Emissionsrechten beim Umweltbundesamt. Weitere Anwendungsbeispiele finden sich bei der Deutschen Rentenversicherung, zum Beispiel die Online-Beantragung der Altersrente. Vorteile der Virtuellen Poststelle im Überblick Einfaches Schlüsselmanagement innerhalb der Verwaltung. Reduzierter Administrations- und Bedienaufwand durch zentrale Installation und zentralen Einsatz der Programme zur Entschlüsselung und Signaturprüfung. Durch die Einrichtung von Vertreterregelungen können vertrauliche Inhalte auch in Abwesenheit des eigentlichen Empfängers von berechtigten Behördenmitarbeitern bearbeitet werden. Interne Organisationsfragen (Vertretungsregelungen) der Verwaltung haben für den Kunden keine Bedeutung mehr, da er sein Anliegen direkt an den Zuständigen bzw. die Organisation richten kann. Die VPS unterstützt hierdurch ein einheitliches Auftreten der Verwaltung gegenüber dem Kunden. Möglichkeit der zentralen Prüfung des ein- und ausgehenden Datenverkehrs einer Organisationseinheit auf Schadinhalte (Viren etc.). ?
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Abb. 1. Virtuelle Poststelle des Bundes
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SINA Das Bundesministerium des Innern hat bereits unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September die gesamten IT-Infrastrukturen einer sorgfältigen Prüfung unterzogen und dazu zahlreiche intensive Gespräche mit Vertretern der Wirtschaft geführt. Die Förderung der IT-Sicherheit liegt im gemeinsamen Interesse und der beiderseitigen Verantwortung von Staat und Wirtschaft. Die Bundesregierung benötigt für ihre Strategie starke Partner in der Wirtschaft, die IT-Sicherheit in ihren Produkten und Strategien realisieren. Mit einigen leistungsstarken Unternehmen bestehen enge Kooperationen. Deutschland verfügt nach den Erfahrungen des Bundesinnenministeriums gerade auf wichtigen Technologiefeldern über leistungsfähige Partner aus der Industrie. Dies gilt sowohl für Produkte und Dienstleistungen als auch für Prüfleistungen und Gütesiegel aus Deutschland. So sind beispielsweise „Security Made in Germany“ und „Security Approved in Germany“ Qualitätsaussagen deutscher Prüfstellen zu IT-Sicherheitsprodukten, die auch international ein hohes Ansehen genießen.
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Abb. 2. Funktionsweise von SINA
Bei den Basiskomponenten der E-Government-Initiative BundOnline wie bei anderen sicherheitsrelevanten IT-Projekten setzt das Bundesministerium des Innern daher auf eine intensive Zusammenarbeit mit der deutschen IT-Sicherheitswirtschaft, um die Entwicklung und Nutzung innovativer und sicherer Lösungen für E-Government und E-Business zu fördern. Ein erfolgreiches Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist das Produkt SINA (Sichere Inter-Netzwerk-Architektur), das gemeinsam vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und der Firma Secunet entwickelt wurde. Zentraler Bestandteil dieser Lösung ist die so genannte SINA-Box, mit deren Hilfe ein Datentunnel erzeugt wird, durch den die Informationen verschlüsselt übertragen werden. SINA gewährt dabei Interoperabilität und Zukunftssicherheit, da keine spezielle Technik vonnöten ist, sondern aus-
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schließlich Standard-Hardware verwendet werden kann. Durch die Nutzung des Internets ist SINA zudem eine kostengünstige Kommunikationslösung. SINA ist eines von mehreren national wie international erfolgreichen Hochsicherheitsprodukten des BSI. Durch die Kombination von Thin Client/Server-Verarbeitung und Virtual-Private-Network (VPN)-Technologie sowie den weitgehenden Einsatz von Open-Source-Software, können mit SINA flexible, hochsichere Systemlösungen realisiert werden.
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Abb. 3. SINA Virtual Workstation
SINA umfasst eine wachsende Familie von modularen Komponenten zur Absicherung verschiedenster Anwendungsszenarien, deren Funktionalität stetig erweitert wird. Neben den bereits seit längerem verfügbaren Bestandteilen SINA-Box und SINA Thin Client gewinnt die SINA Virtual Workstation (VW) vor allem in mobilen Szenarien zunehmend an Bedeutung. Bei der SINA Virtual Workstation handelt es sich um eine Komponente der SINA-Architektur, bei der eine lokale Verarbeitung und Speicherung staatlicher Verschlusssachen (VS) möglich ist. Zusätzlich ist eine IPsec verschlüsselte Datenkommunikation über beliebige Netze (zum Bei-
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spiel GPRS, UMTS, WLAN oder DSL) möglich. Auch Voice over IP, also das Telefonieren in SINA-Netzen wird künftig unterstützt. In Ergänzung zur SINA Virtual Workstation, die vorrangig für den hohen Schutzbedarf konzipiert wurde, steht in Kürze als neue Variante der SINA Virtual Desktop für den mittleren Schutzbedarf zur Verfügung. Im Gegensatz zur Virtual Workstation nutzt der Virtual Desktop ein kommerzielles Betriebssystem als Host-System für virtuelle Maschinen. Eine virtuelle Maschine wird hierbei als vertrauenswürdige Umgebung zur Verarbeitung eingestufter Daten genutzt, eine weitere stellt eine SINAkompatible IPsec-Komponente und ein kryptografisches File-System zur verschlüsselten Datenspeicherung zur Verfügung. Dabei ergeben sich folgende Vorteile: Bei der Verarbeitung offener Daten kann das HostBetriebssystem nativ, ohne die Einschränkungen, die sich durch eine Virtualisierung ergeben, genutzt werden. Hierbei ist zum Beispiel ein direkter Zugriff auf die physikalische Hardware möglich. Zudem werden für die Verarbeitung eingestufter Daten Applikationen und kryptografische Funktionen in abgesicherten virtuellen Umgebungen bereitgestellt. Durch das Prinzip der Virtualisierung und den damit verbundenen unterschiedlichen logischen Adressräumen für Host- und Gastbetriebssystem, kann in Verbindung mit den üblichen Absicherungsmaßnahmen für kommerzielle Betriebssysteme ein für die adressierten Einsatzfälle angemessener Schutz erreicht werden. Da das BSI im Auftrag des BMI derartige Sicherheitslösungen für die gesamte Bundesregierung anbietet, werden diese und andere innovative Sicherheitstechnologien bei vielen Regierungsstellen im In- und Ausland mit Erfolg eingesetzt. Ein Großteil der deutschen Botschaften nutzt diese Technologie bereits, um geheime und vertrauliche Informationen weltweit auszutauschen. Selbst staatliche Verschlusssachen können so sicher über das weltweite Netz versandt werden. Elektronischer Reisepass (ePass) Seit November 2005 werden deutsche Reisepässe mit einem Chip ausgestattet, in dem die bislang nur eingedruckten Daten der Passkarte und – als so genanntes biometrisches Merkmal – das Passfoto des Dokumenteninhabers gespeichert sind. Moderne Chiptechnologie und innovative biometrische Verfahren werden erstmals bei staatlichen Hochsicherheitsdokumenten verwendet. Der ePass ist eine erste Massenanwendung der Biometrie im Sicherheitsbereich.
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Abb. 4. Muster des ePasses
Der Einsatz der Biometrie für Sicherheitsanwendungen erhielt seinen wesentlichen Impuls durch die Terroranschläge des 11. September 2001. Die erfolgreiche Bekämpfung des internationalen Terrorismus setzt voraus, dass der internationale Reiseverkehr so sicher wie irgend möglich gestaltet wird. Keinem Terroristen soll es gelingen, mit gefälschten Papieren oder mit echten Dokumenten einer anderen Person zu reisen. Biometrische Verfahren, die anhand körperlicher Merkmale den maschinellen Abgleich von Dokument und kontrollierter Person erlauben, wurden nach dem 11. September in vielen Staaten der Welt als Hilfsmittel zur Erreichung dieses Ziels in den Blick genommen: im Zusammenhang mit Pässen, Aufenthaltstiteln und Visa ebenso wie bei polizeilichen Informationssystemen oder Grenzkontrollen. All diesen Plänen war eine Zielstellung gemeinsam: ein Sicherheitsgewinn im internationalen Reiseverkehr durch technische Innovation bei der Identifikation von Personen beziehungsweise der Verifikation ihrer Identität. In Deutschland beschloss der Deutsche Bundestag bereits im Rahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom Januar 2002, biometrische Merkmale in Personaldokumenten grundsätzlich zuzulassen. Im Juni 2003 folgte eine richtungsgleiche Einigung der Staats- und Regierungschefs der EU, die sich für den Einsatz von Biometrie in Pässen, Visa und Aufenthaltstiteln aussprachen. Motivation für diese Anwendungsbreite war die europäische Vision, dass langfristig jede Person – gleich ob als EU-
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Bürger, internationaler Tourist oder Asylsuchender – beim Übertritt der Schengengrenzen biometrisch erfasst beziehungsweise kontrolliert werden soll. Auf Basis dieser politischen Grundsatzentscheidungen wurde die internationale Standardisierung vorangetrieben. Die internationale Zivilluftfahrtbehörde ICAO diskutierte die Auswahl geeigneter biometrischer Merkmale und einigte sich auf das Lichtbild als Minimalforderung und die optionale Ergänzung um Fingerabdrücke und Irisbilder. Als Speichermedium wurde ein kontaktloser Chip festgelegt. Deutschland engagierte sich frühzeitig bei der Erprobung und Standardisierung von Biometrie-Anwendungen. Parallel zur politischen Entscheidungsfindung wurden durch nationale Sicherheitsbehörden – das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik – technische Studien wie BioFace, BioFinger, Bio-P I und Bio-P II durchgeführt, um empirisches Material zu erhalten und die Eignung der am Markt angebotenen Biometrie-Systeme in unterschiedlichen Anwendungsszenarien zu prüfen. Unbeschadet der bei solchen Szenarienvergleichen üblichen Performance-Schwankungen und den Qualitätsunterschieden der Produkte verschiedener Anbieter wurde eine grundsätzliche Eignung der Biometrie-Technologie aus der Perspektive der Dokumentensicherheit (BKA) und der IT-Sicherheit (BSI) bestätigt. Die im Januar 2005 in Kraft getretene „EG-Verordnung über Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten“ legte die Art der zu erfassenden biometrischen Merkmale fest und definierte zwei Zeitkorridore, in denen alle Mitgliedstaaten die Umsetzung auf nationaler Ebene anhand der einheitlichen technischen Vorgaben begonnen haben sollten: 18 Monate für das Gesichtsbild und 36 Monate für die Fingerabdrücke. Deutschland gehörte mit Norwegen und Schweden zu den ersten EU-Ländern, die mit der Ausgabe der neuartigen Pässe starteten; Österreich wird im Sommer 2006 mit der Ausgabe der Dokumente beginnen. Bei der Auswahl der biometrischen Merkmale und der Speichertechnologie waren aus deutscher Sicht vor allem zwei Nutzenaspekte der neuen Passgeneration bedeutsam: 1. Die höhere Fälschungssicherheit der Dokumente: durch den neuen Chip im Pass als zusätzliche Fälschungshürde und durch die europaweite gemeinsame Formulierung von Mindestanforderungen. Deutsche Pässe wiesen bereits vor dem 1. November 2005 zahlreiche zuverlässige Sicherheitsmerkmale auf (beispielsweise das holografische Porträt und die Laser-Beschriftung), andere europäische Länder verwendeten dagegen nur wenige oder keine vergleichbaren Techniken. Dieses Sicherheitsgefälle bei europäischen Reisepässen sollte durch
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Mindestanforderungen ausgeglichen werden. Vor dem Hintergrund der Reisefreiheit im Schengenraum und den nachweislichen Fällen ge-/verfälschter Pässe im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität und terroristischen Netzwerken konnte ein europaweites Mindestsicherheitsniveau hergestellt werden. 2. Der Schutz vor Dokumentenmissbrauch: Die im Chip gespeicherten biometrischen Daten sind als Grundlage für die spätere maschinell unterstützte Grenzkontrolle vorgesehen, um durch einen Abgleich der im Chip gespeicherten mit den aktuell erhobenen biometrischen Daten den Missbrauch echter Pässe durch fremde Personen zu verhindern. Die Innovationstechnologie Biometrie brachte mit Blick auf die Passproduktion und die Verwaltungsabläufe rechtliche, technische und organisatorische Veränderungen mit sich • Auf Grundlage der rechtsverbindlichen EG-Verordnung wurden die passrechtlichen Vorschriften, insbesondere die Vorgaben zu Mustern und Gebühren, angepasst. • Für die Passerstellung, die Passbeantragung und -ausgabe wurden Umstellungsszenarien definiert. Angesichts von über 6000 Passbehörden im Bundesgebiet und zirka 500 Ausgabestellen im Ausland erwies sich die heterogene IT-Infrastruktur als quantitative wie qualitative Herausforderung: Nicht nur verschiedene kommunale IT-Konzepte und Einwohnermeldeverfahren waren zu berücksichtigen, sondern auch das Nebeneinander von papierbasierten und digitalen Antragsverfahren, das zumindest in der ersten ePass-Einführungsstufe erhalten bleiben sollte, um einzelne Kommunen nicht zu überfordern. Mit Stand vom 31. Oktober 2005 arbeiteten immerhin über 5000 aller deutschen Passbehörden auf Basis einer elektronischen Antragsdatenübermittlung zum Passproduzenten. • Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, das bei der Entwicklung der Sicherheitsmechanismen Basic Access Control und Extended Access Control 1 im europäischen Rahmen maßgeblich mitwirkte, erstellte für die nationale Verwendung eine technische Richtlinie zur Passdatenübermittlung. • Die begleitenden Informationsmaßnahmen zur ePass-Einführung waren insbesondere durch die Zielgruppe der Passbehörden geprägt: In Abstimmung mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden wurden deutschlandweite Schulungsveranstaltungen durchgeführt und der flä1
Näheres auf der Website des Bundesamtes für Sicherheit in Informationstechnik unter www.bsi.de
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chendeckende Versand von Qualitätssicherungs-Tools für biometrietaugliche Frontalfotos (Fotomustertafel, Passbildschablone) und Informationsmaterial sichergestellt. Neben zirka 30 000 Empfängern in Passbehörden erhielten auch die deutschen Fotografen und Passbildautomatenhersteller diese Unterlagen. • Die üblichen Kanäle der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (Publikumsund Fachmedien, Messen etc.) wurden in den Monaten vor dem 1. November 2005 besonders intensiv bedient. Flyer, Plakate, ein Kurzfilm und der Internetauftritt www.ePass.de waren auf die Informationsbedürfnisse von Bürgerinnen und Bürgern zugeschnitten. Eine BürgerHotline des BSI zu technischen Fragen rund um den ePass war seit dem 1. Juni 2005 im E-Mail- und Telefonkanal geschaltet. Die Bundesregierung ist mit der Entscheidung zur Einführung des ePasses im November 2005 als Vorreiter für die Biometrie in Europa aufgetreten – trotz der hohen Komplexität des Projekts und trotz der begleitenden öffentlichen Diskussion. Die Vorreiterrolle hat Deutschland die intensive Beteiligung an der Diskussion um internationale Standards bei Biometrie und Reisepass gesichert – beispielsweise zugunsten anspruchsvoller Maßgaben in den Bereichen Datenschutz und Datensicherheit. Die von den europäischen Datenschutzbeauftragten geforderten Kriterien wurden im Vorfeld der Passeinführung in internationaler Gremienarbeit von Deutschland maßgeblich mitgeprägt. Der ePass erfüllt alle Kriterien. Wenn im Jahre 2007 als zweite Stufe des Vorhabens neben dem Gesichtsbild auch Fingerabdrücke im Pass gespeichert werden, so werden sie mit einer in Deutschland entwickelten so genannten Extended Access Control derart verschlüsselt sein, dass sie nicht von Unbefugten ausgelesen werden können. Neben den politischen Erwägungen sollte von einem frühzeitigen Starttermin auch ein positiver Impuls für Deutschland als Standort innovativer Sicherheitstechnologien ausgehen. Nach Aussagen des IT-Branchenverbandes BITKOM ist auf dem relevanten Markt tatsächlich ein positives Klima zugunsten der Biometrie-Technik und begleitender IT-(Sicher heits-)Technik zu verzeichnen. Schätzungen der Marktforscher von Soreon-Research zufolge setzte der deutsche Biometrie-Markt im Jahr 2005 insgesamt rund 21 Millionen Euro um. Die Studie prognostiziert, dass der Umsatz von rund 37 Millionen im Jahr 2006 auf 144 Millionen Euro im Jahr 2007 steigen wird. Unternehmen können biometrische Verfahren leichter am Markt platzieren, seit durch den ePass in der Öffentlichkeit eine Vertrauensbasis für die neue Technologie geschaffen wurde. BITKOM sieht daher den Staat auch 2006 als entscheidenden „Innovationsmotor“ im Biometrie-Sektor. Den
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bislang noch vereinzelten Biometrie-Anwendungen im Bereich der Zugangskontrollen oder Consumer Electronics (zum Beispiel USB-Sticks mit Fingerabdruckfunktion) könnten dann zukünftig viele weitere folgen. Biometrie-Technologie ist im Übrigen selbst ein Katalysator für weitere Investitionen. Nach BITKOM-Schätzungen bestehen 95 Prozent des Umsatzes eines typischen Biometrie-Projekts aus üblicher IT-Hardware und -Software, wie beispielsweise PCs, Servern und Betriebssystemen sowie IT-Dienstleistungen. Nur fünf Prozent entfallen auf Geräte und Programme, die direkt der Biometrie zuzuordnen sind, etwa Scanner für Fingerabdrücke oder spezielle Verschlüsselungs-Software. Die Einführung des ePasses zieht auch technologische Entwicklungen im Bereich der öffentlichen Verwaltungen nach sich: Mit der Einführung der Fingerabdrücke im Reisepass ab 2007 werden die Passdaten ausschließlich elektronisch (nicht mehr in Papierform) übertragen, was mittelfristig einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung des gesamten Meldewesens verspricht: Einmal definierte Standards und Schnittstellen können dann für unterschiedliche Aufgaben in den Bürgerämtern genutzt werden. Digitaler Personalausweis Mit der Ergänzung des herkömmlichen Reisepasses durch elektronische Zusatzfunktionen stellt sich die gleiche Frage auch für den Personalausweis. Wenn auch im Wesentlichen auf die europäischen Länder begrenzt – auch der Personalausweis ist ein Reisedokument, dessen angemessene Sicherheit in regelmäßigen Abständen neu überprüft werden muss. Der Ausweis könnte neben der herkömmlichen Funktion als Sichtausweis zukünftig durch Biometrie im Chip einen vergleichbaren Sicherheitsgewinn wie der ePass erzielen: höhere Fälschungssicherheit und Schutz vor Dokumentenmissbrauch.
Abb. 5. Module eines digitalen Personalausweises
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Abb. 6. Biometrie im Personalausweis
Beim Personalausweis stellen sich aber auch weitergehende Fragen. Ein Reisepass wird in der Regel selten und lediglich an ausgewählten Kontrollpunkten (bei Grenzübertritt) herangezogen, während der Personalausweis bei zahlreichen Anlässen im Inland, bei Behörden wie im privatwirtschaftlichen Bereich zur Identifizierung von Personen Verwendung findet. Je mehr Behördengänge, Einkäufe und sonstige geschäftliche Vorgänge im Internet erledigt werden, desto mehr stellt sich die Frage nach sicherer Identifizierung im Netz. Vor diesem Hintergrund werden in Deutschland und Europa – neben der Biometrie – zwei weitere Funktionen des digitalen Personalausweises diskutiert: die Speicherung von Daten zur elektronischen Authentisierung und (zumindest optional) die qualifizierte Signatur. Andere Länder wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Estland oder Belgien machen bereits vor, dass der Personalausweis eine Plattform für elektronische Identifizierungsmöglichkeiten sein kann. EU-Empfehlungen legen den Mitgliedsstaaten schon heute nahe, das Sicherheitsniveau und die biometrischen Daten vom Pass in die nationalem Recht unterliegenden Ausweise zu übernehmen. Im Entwurf des bislang nicht ratifizierten EU-Verfassungsvertrags ist sogar die Kompetenzverlagerung für Ausweise auf die EU-Ebene vorgesehen. Die laufenden Gespräche zur Standardisierung europäischer ID-Karten haben daher große Bedeutung und werden von der Bundesregierung aktiv begleitet. Wie bereits bei den Pässen ist auch bei den Ausweisen die ICAO in Vorleistung gegangen und hat ein Format für künftige Ausweiskarten vorgeschlagen: ID-1, ein so genanntes Scheckkartenformat, das – wie zahlrei-
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che am Markt heute verfügbare Smartcards zeigen – in der Öffentlichkeit gut akzeptiert wird. Doch während für Karten dieser Größe in der Regel kontaktbehaftete Chips, etwa bei Bank- oder Krankenkassenkarten, genutzt werden, ist für den digitalen Personalausweis eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Für das Modul Biometrie bietet sich ein kontaktloses Interface an. Dann wäre die Kompatibilität zum elektronischen Reisepass gewährleistet und ein praktischer Vorsprung errungen: Die im Zuge der ePass-Einführung auf EU-Ebene abgestimmten Konzepte zu Datenschutz und Datensicherheit (Basic Access Control und Extended Access Control) könnten als Grundlage der technischen Richtlinien für die neuen Ausweise dienen. Für die Funktionen Authentisierung und qualifizierte Signatur sind die Argumente für ein Kontakt-Interface versus kontaktloses Interface sorgsam abzuwägen. Unabhängig von der Frage, welche technischen Spezifika letztendlich beschlossen werden, ließe die Verwendung von Funkchips viele Optionen für spätere Entwicklungsschritte offen, beispielsweise für die Ausweisverwendung in Kombination mit Web-Handys. Mit der Ergänzung durch biometrische Sicherheitsmerkmale und neue elektronische Funktionalitäten wie die Authentisierungsfunktion oder eine elektronische Signatur wird der Personalausweis von einem Stück Papier zu einer Schlüsseltechnologie, die weitere innovative Anregungen nach sich zieht. Ein Internet-Personalausweis für alle in Deutschland lebenden Menschen kann Sicherheitsprobleme lösen helfen, etwa die zahlreichen Betrügereien im Internet, die heute noch unter der Vorspiegelung falscher Identitäten möglich sind. Die Nutzung der Authentisierungsfunktion des Personalausweises beim Online-Handel oder Online-Banking wäre eine erhebliche Verbesserung des Sicherheitsniveaus im Internet. Ein neuer, digitaler Personalausweis darf aber nicht gleichzeitig neue Sicherheitsprobleme schaffen. Die Sicherheit der im Chip gespeicherten Daten, eine vertrauenswürdige kryptografische Realisierung der Authentisierungsfunktion und die für die elektronische Signatur nötigen organisatorischen und technischen Vorkehrungen müssen gewährleistet sein. Die Vorbereitungen für die Ausgabe eines neuen Personalausweises werden daher ungleich aufwendiger sein als die Vorbereitungen des ePasses. Fazit Die vorgestellten Beispiele zeigen, dass innovative IT-Lösungen schon heute eine wesentliche Rolle bei der Fortentwicklung sicherheitspolitischer Konzepte spielen. Damit neue IT-Systeme aber nicht ihrerseits neue Si-
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cherheitsprobleme aufwerfen, ist angemessene IT-Sicherheit eine Anforderung an das Design dieser Systeme. Innovationsförderung ist heute Bestandteil der Sicherheitspolitik. Dabei ist die enge Kooperation zwischen Forschungseinrichtungen, Technologieunternehmen und Staat Schlüssel zum Erfolg. Sicherheitsforschung Made in Germany und Sicherheitsprodukte Made in Germany sind international konkurrenzfähig. Überzeugende Referenzprojekte können helfen, dass das so bleibt.
Simulation und virtuelle Welten – IT-Technologien der Zukunft
Heinz Dresia, Geschäftsführer Rheinmetall Defence Electronics GmbH Frank Bildstein, Leiter Datenbasengenerierung Fahr-/Flugsimulation Rheinmetall Defence Electronics GmbH Der Einsatz ist so überraschend wie alltäglich: Messerstecherei unter Alkoholeinfluss. Der Täter flüchtet mit einem blauen Wagen durch die belebte Innenstadt. „Sofort die Verfolgung aufnehmen. Sonderrechte sind hiermit erteilt“, so der Funkspruch aus der Polizeileitstelle. Blaulicht und Martinshorn. Der junge Polizeibeamte schwitzt. Er hat schon einige Einsatzfahrten hinter sich, aber noch nie saß er dabei selbst hinter dem Steuer. Trotz Berufsverkehrs fährt er mit hoher Geschwindigkeit durch die Stadt. Und das bei einsetzendem Nebel. An der Straßeneinmündung springt die Ampel auf rot. Kaum Möglichkeit für die anderen Autos, eine Gasse zu bilden. Was tun? Links vorbei über die Gegenspur? Der Beamte gibt Gas. Vollbremsung. Die Fußgänger haben ja grün, und einige haben mit diesem Manöver wohl nicht gerechnet. Noch einmal ist alles gut gegangen. Die nächste Straßenkreuzung. Von rechts nähert sich ein Bus mit hoher Geschwindigkeit. Der junge Polizist zögert, der Busfahrer ebenfalls. Gut, also wieder Vollgas. Nur aus den Augenwinkeln nimmt der Fahrer noch einen weiteren Schatten neben dem Bus wahr – da ist es auch schon passiert. Trotz Vollbremsung reicht es nicht mehr. Der Einsatzwagen prallt in die linke Stoßstange des anderen Wagens. Mit ihm hatte er nicht gerechnet. Der junge Polizeibeamte ist fix und fertig. Doch zum Glück braucht er sich keine Sorgen zu machen. Er steuerte sein Fahrzeug durch eine virtuelle Welt – mit einem Simulator für Einsatzfahrten der Polizei. Zukunftsmusik? Nein, denn die bayerische Bereitschaftspolizei trainiert bereits seit 2002 auf einem solchen Simulator der Firma Rheinmetall Defence Electronics die Bewältigung des Problemfelds „Polizeiliche Einsatzfahrt“ unter Einbeziehung modernster Simulationstechnik.
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Abb. 1. Mit Blaulicht und Sirene zu fahren will gelernt sein: In einer Originalfahrzeugkabine von BMW mit Polizeiausstattung trainiert die bayerische Bereitschaftspolizei das Fahren unter dem Stress simulierter Einsätze
Der junge Polizeibeamte übt seine ersten Einsatzfahrten in einem Netzwerk aus realen und fiktiven Streckenabschnitten, das unter didaktischen Aspekten zusammen mit Fahrlehrern und Ausbildern konzipiert und modelliert wurde. Automobilhersteller testen neue Fahrzeuge und Komponenten ebenfalls im Simulator und bilden hierzu synthetische Teststrecken virtuell nach. Es gibt aber auch Anwendungen in der Fahrsimulation, die eine möglichst realistische Nachbildung von Originalschauplätzen erfordern. Zum Beispiel könnte der junge Polizeibeamte nach der Basisausbildung bereits im Simulator auf seinen zukünftigen, realen Einsatzort vorbereitet werden. Rettungskräfte könnten im Simulator in einem real nachgebildeten Stadtteil mit einer möglichen Katastrophe konfrontiert werden. Sicherheitskräfte könnten im Simulator üben, wie sich real existierende Objekte am besten schützen lassen, und lernen einzuschätzen, an welchen Stellen mögliche Gefahren lauern. Dies darzustellen ist ohne innovative ITTechnologie nicht denkbar. Fahrsimulation besteht aus verschiedenen Komponenten von Virtual Reality, unterstützt durch Projektions- und Bewegungssysteme sowie realen Nachbildungen von Cockpit- und Fahrsystemen. Damit Szenarien und Aufgaben erfolgreich durchgeführt werden können, müssen möglichst realistische Simulationen oder besonders naturgetreue virtuelle Welten entwi-
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ckelt werden, in denen man alle denkbaren Szenarien ausprobieren kann. Wesentlicher Grundbaustein ist dabei die Datenbasis. Der Fortschritt der IT in den letzten Jahren sowohl bei der Hardware als auch bei der Software ermöglicht die realitätsgetreue Nachbildung komplexer Szenarien.
Abb. 2. Die realistische Nachbildung des Fahrzeugs ist nicht ausreichend für den Ausbildungserfolg. Die Simulation muss eine beherrschbare und steuerbare Umwelt zur Verfügung stellen, ohne dass der Realitätseindruck verloren geht
Grundbaustein eines Simulators: die Datenbasis In der Sichtsimulation ist die Datenbasis der Datenbestand, der zur Visualisierung eines Übungsbereichs erforderlich ist. Die Erstellung einer solchen Datenbasis nennt man Modellierung. Je nach Einsatzbereich variieren die Anforderungen an die Simulatoren und damit auch an die Datenbasen. Ebenso verändert sich die Größe der virtuellen Umgebung, die in der Datenbasis dargestellt ist, je nach Anwendung. So kann eine Datenbasis bei Nautik-Simulatoren und in der Flugsimulation viele Tausend Quadratkilometer umfassen. Im Bereich ziviler Fahrsimulation dagegen werden Datenbasisgrößen überwiegend in Streckenkilometern gemessen. Typischerweise beträgt die Streckenlänge solcher Datenbasen zwischen 30 und 100 Kilometer. Daneben setzt der Anwendungsbereich auch die Schwerpunkte bei der Modellierung. Eine Straßendarstellung bei Fahrsimulatoren muss bedeutend detaillierter sein als in der Flugsimulation. Präzises Terrain ist relevant für Geländefahrsimulatoren, wogegen geospezifische Bilddaten eine wichtige Rolle in der Flugsimulation spielen.
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Abb. 3. Die zahlreichen verschiedenen Teildatenbasen werden in der MasterDatenbasis zusammengefasst, die unter anderem ein problemloses Umschalten zwischen den Außenansichten ermöglicht
Abhängig vom Ausbildungsziel und den simulierten Fahrzeugen müssen außerdem verschiedene Datenbasen für unterschiedliche Tageszeiten, Jahreszeiten und Witterungsbedingungen realisiert werden. So berücksichtigt eine Winterdatenbasis für Fahrsimulatoren unter anderem Schnee, Schneeverwehung, veränderte Reibungswerte des Untergrunds sowie reduzierte Sichtweiten. Damit die visuellen Datenbasen übereinstimmen, werden sie aus einer Master-Datenbasis abgeleitet. Diese gewährleistet, dass beim Umschalten zwischen verschiedenen Sichten (zum Beispiel von Tagsicht nach Infrarotsicht) keine Abweichungen in den Szeneninhalten auftreten. Unabhängig vom Einsatzbereich gliedern sich Datenbasen in sichtbare und nicht sichtbare Bestandteile. Sichtbare Bestandteile der Datenbasis sind zum Beispiel das statische Grundgelände, statische, fest auf dem Grundgelände platzierte Features (Bäume, Häuser etc.), schaltbare Features (etwa Ampeln, Lampen), dynamische 3-D-Modelle (Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe, Personen), Effekte (Feuer, Rauch). Die nicht sichtbaren Bestandteile dienen der Steuerung des Simulators. Man spricht auch von den Simulatorbasisdaten. Diese werden an den Steuerrechner des Ausbildungssimulators übergeben, der alle Module des Simulators ansteuert. Beispiele dafür sind Steuerdaten für die schaltbaren Anteile der Datenbasis (zum Beispiel Ampeln: Ort und Typ), für die Fremdfahrzeuge (zum Beispiel Fahrspuren, Höhendaten, Hindernisse) und Daten für weitere Simulatormodule (etwa Bewegung, Akustik, Kartendarstellung).
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Wichtig für einen einwandfreien Betrieb des Ausbildungssimulators ist es, dass die sichtbaren Anteile mit den unsichtbaren Steuerdaten korrelieren, das heißt exakt übereinstimmen. Andernfalls fährt zum Beispiel ein Schüler im Simulator an einem nicht dargestellten Verkehrszeichen vorbei und erhält von der Übungsauswertung eine für ihn nicht nachvollziehbare Fehlermeldung, da in den Steuerdaten das Verkehrszeichen enthalten ist. Deshalb werden die sichtbaren und nicht sichtbaren Anteile ebenfalls aus der gemeinsamen Master-Datenbasis abgeleitet. Außerdem werden die unsichtbaren Steuerdaten mit speziellen Tools zusammen mit den sichtbaren Anteilen visualisiert, um beispielsweise Fahrspuren und Hindernisdateien optisch überprüfen zu können.
Erstellung einer Datenbasis Bei der Erstellung der Datenbasis wird zunächst das Übungsgelände definiert. Dabei kann es sich um einen realen Geländeausschnitt handeln, einen veränderten realen Geländeausschnitt oder ein real nicht existierendes Gelände, das aus Skizzen zusammengestellt oder aus realen Anteilen komponiert wird. Als Quelldaten dienen dazu Foto- und Videoaufnahmen von Geländemerkmalen, Luft- und Satellitenbilder oder maßstabgerechte Pläne und digitale Höhendaten. Heute werden Sichtdatenbasen überwiegend unter Mithilfe von Polygon-Generatoren erstellt, die auf Basis von meist digitalen Quelldaten Geometrien erzeugen. Nur kleinere 3-D-Elemente werden per Hand modelliert. Terrains und Straßen, also im weiteren Sinne alle algorithmisch erfassbaren Elemente, werden (semi-)automatisch erzeugt oder abgeleitet. Die Eingabe der 3-D-Modelle erfolgt an einer Eingabestation, die vergleichbar ist mit dem Arbeitsplatz eines CAD-Konstrukteurs. Am Bildschirm wird mithilfe eines 3-D-Koordinatensystems die Geometrie des darzustellenden Modells eingegeben. Anders als bei der CADKonstruktion muss der Modellierer das Modell möglichst einfach, das heißt flächensparend beschreiben, um später möglichst wenig Ressourcen des Sichtsystems dafür in Anspruch zu nehmen. Anhand von Skizzen oder technischen Zeichnungen wird die Geometrie des gewünschten Modells eingegeben. Der Modellierer muss dabei berücksichtigen, bis zu welchem Detaillierungsgrad das Modell nachgebildet werden muss, das heißt, wie nah der Betrachter an das Modell herankommt und welche Elemente des Modells ausbildungsrelevant sind.
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Abb. 4. Sichtdatenbasen werden überwiegend unter Mithilfe von PolygonGeneratoren erstellt, die ihr realitätsnahes Aussehen im Anschluss durch die Fototextur erhalten
Zur realistischen Nachbildung wird das Modell texturiert. Hierzu lassen sich auf die Flächen Fototexturen auflegen. Die Fototextur (etwa ein eingescanntes Foto) kann entweder auf die gesamte Fläche aufgespannt oder mehrfach unter- oder nebeneinander auf die Fläche gelegt werden. Durch das wiederholte Aufbringen von Texturen lässt sich beispielsweise eine großflächige Hausfassade mithilfe eines geeigneten Bildausschnittes mit nur einem einzelnen Fenster darstellen, um möglichst wenig Bildspeicher zu belegen. Durch die Datenstruktur wird dann der logische Aufbau des Modells beschrieben. Damit das Modell korrekt auf dem Sichtsystem dargestellt werden kann, muss es nach bestimmten Richtlinien aufgebaut sein. In der untersten Hierarchiestufe besteht ein Modell aus einer Menge der vorher gestalteten Fläche, den Polygonen. Da komplexe Modelle aus bis zu mehreren Hundert Polygonen bestehen können, werden zusammengehörende Flächen zu Objekten zusammengefasst, also etwa alle Polygone des linken Vorderrads eines Autos zum Objekt „Vorderrad_links“. Mehrere Objekte können wiederum zu einem neuen, übergeordneten Objekt zusammengefasst werden (etwa ein übergeordnetes Objekt „Vorderachse“ mit den Objekten „Vorderrad_links“ und „Vorderrad_rechts“). Dies kann beliebig oft wiederholt werden, sodass das gesamte Modell letztendlich durch eine baumartige Struktur von Objekten und Polygonen beschrieben wird. Um animierte Objekte darzustellen, werden alle untergeordneten Objekte zyklisch nacheinander dargestellt. Zum Beispiel eine Animation „Ampel_Licht“ mit den untergeordneten Objekten „rot“, „rot_gelb“, „grün“ und „gelb“. Die untergeordneten Objekte werden nacheinander vom Sicht-
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system dargestellt – nach Abarbeitung des letzten Objekts beginnt die Animation entweder von vorn, oder sie hält an. Die Darstellungsdauer wird vom Modellierer fest vorgegeben. Die Ampel würde also immer gleich schnell schalten, und alle Zustände würden gleich lang dargestellt.
Abb. 5. Animierte Objekte werden nacheinander vom Sichtsystem dargestellt
Schaltbare Objekte bezeichnet man als Switches. Sie bestehen aus mehreren untergeordneten Objekten (Schaltzuständen), von denen jeweils eines auf dem Sichtsystem dargestellt wird. Der Steuerrechner teilt dem Sichtsystem dazu mit, welcher Zustand aktiviert werden soll. Hierzu übergibt er dem Sichtsystem eine eindeutige Kennung des schaltbaren Objekts und die Nummer des gewünschten Schaltzustands. Würde man die zuvor beschriebene Ampel als Switch modellieren, könnte der Steuerrechner nach Belieben frei zwischen den einzelnen Zuständen umschalten. Um Objekte in der Entfernung richtig darzustellen, wird eine besondere Form des schaltbaren Objekts verwendet, deren untergeordnete Zustände entfernungsabhängig vom Sichtsystem eigenständig aktiviert werden. Diese Zustände zeigen das Objekt in mehreren Varianten mit jeweils unterschiedlichen Detaillierungsgraden. Je weiter das Modell vom Betrachter (Augenpunkt) entfernt ist, desto weniger Details sind für den Betrachter sichtbar. Um die Sichtsystemkapazität optimal auszulasten, wird die Darstellung des Modells mit zunehmender Entfernung stufenweise vereinfacht. Für jede Variante wird vom Modellierer eine Distanz angegeben, ab der dieser Zustand aktiviert werden soll. Die Distanz sollte so gewählt werden, dass der Betrachter den Übergang zwischen zwei Detailstufen möglichst nicht wahrnimmt. Detailstufen können sowohl für das gesamte Modell als auch für einzelne Objekte des Modells definiert werden. Als Faustregel gilt, dass sich die Anzahl der Flächen von einer Detailstufe zur nächsten etwa halbieren sollte.
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Geländemodellierung In den meisten Fällen wird das Grundgelände in Form eines Gitters aus Polygonen aufgebaut. Im einfachsten Fall verwendet man ein regelmäßiges Gitter, das heißt, die Stützpunkte haben in vertikaler und horizontaler Richtung immer den gleichen Abstand. Dieser Abstand der Stützpunkte bestimmt die Auflösung (= Genauigkeit) des Grundgeländes. Das Höhenprofil des Geländes wird umso genauer dargestellt, je dichter die Stützpunkte zusammenliegen. Die Verwendung eines gleichmäßigen Gitters hat den Nachteil, dass das Gelände flächendeckend die gleiche Auflösung hat – Steigungsbereiche werden genauso behandelt wie flache Geländeabschnitte. Eine bessere Anpassung an die Geländeeigenschaften erzielt man durch die Verwendung von unregelmäßigen Gittern, bei denen die Stützstellen unterschiedliche Abstände haben. Auch bei der Geländemodellierung verwendet man Detailstufen. Hierzu wird das Gitter in mehrere Teilgitter zerlegt, die als Kacheln bezeichnet werden. Für jede dieser Kacheln werden unterschiedliche Auflösungen generiert. Entfernungsabhängig werden die Kacheln dann vom Sichtsystem in der jeweils geeigneten Auflösung dargestellt. Die Geländegenerierung erfolgt meist durch die Verwendung entsprechender Tools, die digitale DGM-Höhendaten (DGM = digitales Geländemodell) einlesen, die Geländestruktur analysieren und dann geeignete Gitterstrukturen berechnen und generieren. Vor der Geländegenerierung legt der Modellierer mithilfe einer Parameterdatei die wesentlichen Eigenschaften des Geländes fest, zum Beispiel die Definition des nachzubildenden Geländeausschnitts, die Größe der einzelnen Kacheln, die maximale Auflösung des Geländes und die Anzahl der Detailstufen.
Abb. 6. Bei der Geländemodellierung werden die einzelnen Kacheln unterschiedlich generiert – den wesentlichen Eigenschaften des Geländes entsprechend
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Abb. 7. TINs sind eine weitere Möglichkeit der Geländemodellierung: Sie erlauben die Erzeugung unregelmäßiger Geländestrukturen
Auf dem generierten Gelände werden anschließend die 3-D-FeatureModelle platziert. Hierzu wird das Grundgelände in einem Vektor-Editor als 2-D-Ansicht auf dem Bildschirm dargestellt. Der Modellierer kann dann auf dem Grundgelände Punkt-Features (Häuser, freistehende Bäume), Linien-Features (Straßen, Schienen) und Flächen-Features (Wälder, Seen) eingeben. Eine weitere Methode der Geländegenerierung bilden TINs (Triangulated Irregular Networks). Basierend auf digitalen DGM-Höhendaten werden hierbei mithilfe spezieller Algorithmen unregelmäßige Geländestrukturen erzeugt. Anders als bei den gitterförmigen Geländestrukturen wird das Netzwerk dabei im Wesentlichen durch die Beschaffenheit des Geländes bestimmt, das heißt, die Position der Stützpunkte ist frei wählbar. Das generierte Gelände passt sich den realen Gegebenheiten dadurch besser an und umfasst in der Regel weniger Flächen als eine Gitterstruktur. Um sowohl die Vorteile der gitterförmigen Geländestrukturen (Gliederung in Kacheln, dadurch einfaches Detailstufen-Management) als auch die Vorteile der TINs (bessere Anpassung an das reale Gelände, weniger Polygone) zu nutzen, wird oftmals eine Mischform gewählt. Hierbei zerlegt man das Grundgelände zunächst grob in gitterförmige Kacheln, die dann jeweils als einzelne TINs generiert werden. Für den Bereich der Fahrsimulation ist der Einsatz einer gitterförmigen Geländestruktur weniger gut geeignet, da sie der netzförmigen Struktur von Straßennetzwerken nicht gerecht wird. Hier wurde deshalb ein spezielles Tool entwickelt, mit dem sich Straßennetzwerke eingeben und generieren lassen. Die Eingabe erfolgt anhand von maßstabsgerechten Karten, die im Eingabe-Editor als Modelliervorlage grafisch hinterlegt werden.
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Abb. 8. Für die Modellierung und Darstellung von Straßennetzwerken entwickelte Rheinmetall Defence Electronics das START-Tool
Mithilfe dieses Tools werden die Straßen als Vektoren eingegeben. Die Vektoren bestehen aus zwei oder mehr Stützpunkten, die zum einen den Verlauf der Straße beschreiben, andererseits aber auch das Profil der Straße (Anzahl und Breite der Fahrspuren, Fahrbahnbelag etc.) definieren. Kreuzungen, an denen diese Vektoren aufeinander treffen, werden vom Tool automatisch anhand der Straßenprofile erzeugt. Gehwege, Schienen, Häuserfassaden werden ebenfalls als Vektoren eingegeben. Sonstige 3-DFeatures (Bäume, Verkehrszeichen etc.) stehen in Form einer Bibliothek zur Verfügung und können frei auf dem Gelände platziert werden. Das Tool generiert aus den Eingaben dann automatisch das texturierte Grundgelände und platziert darauf Objekte – beispielsweise Gebäude, Bäume, Strommasten oder Verkehrszeichen – aus umfangreichen firmeninternen Modell- und Texturbibliotheken. Abschließend sind nun noch die Simulatorbasisdaten zu generieren. Typische Daten hierfür sind Steuerdaten für dynamische und schaltbare Datenbasisanteile, Höhendaten, Daten zur Kollisionserkennung (Kollisionsboxen um dynamische und Feature-Modelle), Fahrbahnen, Schienen-
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verläufe, Fußwege, Haltepunkte, Positionen und Typen von Ereignissen, Vektor-Daten zur Generierung topografischer Karten sowie Untergrundund Materialeigenschaften. Die Simulatorbasisdaten werden durch den Einsatz entsprechender Tools weitgehend automatisch aus der Geometrie der modellierten Datenbasis abgeleitet. Beispielsweise lassen sich die Höhendaten gut aus dem triangulierten Gelände erzeugen. Nur solche Steuerdaten, die nicht aus der Datenbasisgeometrie extrahiert werden können, werden zusätzlich manuell bei der Modellierung mit eingegeben. Dies gilt etwa für Verkehrsampeln: Ort und Typ der Ampel werden automatisch aus der Datenbasis abgeleitet; die Zuordnung der Ampel zu den Fahrspuren muss vom Modellierer jedoch manuell eingegeben werden, da sie sich aus der Geometrie allein nicht ableiten lässt. Die generierten Steuerdateien werden anschließend visuell am Sichtsystem beziehungsweise an der Modellierstation überprüft. Dies wird durch entsprechende Visualisierungs-Tools unterstützt. Damit entsteht eine virtuelle Welt, die den jungen Polizeibeamten schnell vergessen lässt, dass er sich nicht auf einer realen Einsatzfahrt befindet. Jedoch ist die Nachbildung von Originalschauplätzen bislang ein sehr zeit- und kostenintensiver Prozess.
Abb. 9. Berlin virtuell: In solch einer Umgebung kann das Fahrverhalten für den Ernstfall risikolos trainiert werden
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Um die Nachbildung realer Schauplätze zu erleichtern, arbeitet Rheinmetall Defence Electronics gemeinsam mit europäischen Forschungsinstituten und Katasterbehörden an einem flächendeckenden Standard zum Erstellen und zum Austausch von 3-D-Stadtmodellen. Moderne Erfassungsmethoden wie fotogrammetrische Luftbildauswertung und Laserscanning-Verfahren werden eingesetzt, um großflächige Stadtgebiete originalgetreu nachzubilden. Durch die Definition eines gemeinsamen Standards lassen sich die Stadtmodelle zukünftig für eine Vielzahl verschiedenster Anwendungen nutzen, zum Beispiel zur Stadtplanung, Wirtschaftsförderung, für touristische Zwecke – und natürlich zur Ausbildung im Simulator. Durch die Kompatibilität der Modelle lassen sich diese leicht austauschen. Auf Knopfdruck begibt sich der Einsatzwagen des jungen Polizisten dann von der Düsseldorfer Kö zum Kölner Dom – natürlich nur virtuell. Der Fortschritt der IT ermöglicht nicht nur die Simulation in zunehmend komplexeren Szenarien. Die heute verfügbaren Netzwerktechnologien erlauben vernetzte Simulationen im Verbund, und Methoden der künstlichen Intelligenz sorgen dafür, dass die computersimulierten Akteure zunehmend realistisch im Szenario agieren. Moderne Sensoren liefern immer genauere, digitale Abbilder der realen Welt. Architekten stellen mithilfe der computergestützten Konstruktion exakte Beschreibungen von Gebäuden einschließlich deren Innenräume zur Verfügung. Der Entertainment-Bereich treibt die Entwicklung beeindruckend realistischer Effekte und Animationssequenzen voran. Das Zusammenwachsen diverser IT-Anwendungsfelder und die logische Verknüpfung der oftmals noch verteilt gehaltenen, anwendungsspezifischen Datenbestände eröffnet der virtuellen Simulation zukünftig immer neue Anwendungsfelder. Rheinmetall Defence Electronics wird diese ITSynergieeffekte weiterhin nutzen, um auch in der virtuellen Welt immer einen Schritt voraus zu sein.
Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Prozess
Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen IT-Managements
Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG
IT in der Automobilindustrie – Spannungsfeld externer und interner Faktoren Die Automobilindustrie im Umbruch Die Automobilbranche besitzt seit Ihren Anfängen eine besondere Rolle im Wirtschaftsgefüge. Sie war und ist Ursprung von Innovationen und Treiber nicht nur des technologischen Fortschritts. Neue Fertigungsverfahren, Werkstoffe oder auch moderne Formen der Arbeitsorganisation finden ihren Ursprung in der Automobilindustrie. Dabei vollziehen sich die Entwicklungsprozesse oftmals nicht gleichmäßig, wie an der aktuellen Umbruchphase zu erkennen ist. Als Unternehmen dieser Industrie sieht sich Volkswagen einer Reihe branchenspezifischer Herausforderungen gegenübergestellt. Die Automobilindustrie befindet sich insgesamt in einem Verdrängungswettbewerb. Die klassischen Automärkte in Westeuropa, Nordamerika oder Japan sind größtenteils gesättigt. Wachstumsimpulse gehen zurzeit eher von dynamischen Volkswirtschaften aus, insbesondere im asiatischen Raum. Wesentliches Merkmal dieses Verdrängungswettbewerbs sind die weltweit bestehenden Überkapazitäten. Expertenschätzungen gehen von circa 20 Millionen Einheiten aus (Mercer-Studie aus dem Jahr 2000). Diese Situation wird dadurch verschärft, dass dennoch in einigen Regionen neue Kapazitäten aufgebaut werden. Beispiele hierfür sind der Aufbau von Fabriken in Osteuropa. Zusätzlicher Kostendruck auf die traditionellen Automobilstandorte erwächst dadurch, dass diese Fertigungskapazitäten bevorzugt in Niedriglohnländern entstehen. Trotz aller Konsolidierungstrends – die Zahl selbstständiger Automobilhersteller sank in den vergangenen 40 Jahren um rund 75 Prozent – treten
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neue Wettbewerber auf den Markt. Insbesondere koreanische und chinesische Unternehmen sind als Beispiel zu nennen. Beschränkten letztere ihre Aktivitäten bislang nur auf den Heimatmarkt, sorgte die Einführung eines chinesischen Geländewagens auf dem europäischen Markt im Sommer 2005 für Aufsehen. Weitere Markteinführungen werden folgen. Die Spielregeln des Wettbewerbs werden auch durch veränderte rechtliche Rahmenbedingungen beeinflusst. Die im Jahr 2003 geänderte Gruppenfreistellungsverordnung führt zu einem intensiveren Wettbewerb in den Vertriebskanälen der EU-Mitgliedsstaaten. Als weiteres Beispiel mag die Diskussion um eine Modifikation der Besteuerungsgrundlage der Kraftfahrzeugsteuer dienen, die im Zusammenspiel mit den nachhaltig gestiegenen Kraftstoffpreisen Veränderungen im Kaufverhalten der Kunden auslöst, was in einer verstärkten Nachfrage nach verbrauchsarmen Fahrzeugen mündet. Über die vergangenen Jahre hinweg war zudem ein Wandel der Kundenbedürfnisse nach individuellen Fahrzeugen zu beobachten. Die Automobilhersteller reagieren hierauf durch eine deutliche Ausweitung der Modellpaletten. Damit steigt die Komplexität der Produkte selbst. ABS, ESP oder Innovationen wie die automatische Distanzregelung, schlüssellose Startsysteme, Kurvenfahrtlicht etc. haben zu einer deutlichen Erhöhung des Anteils der Elektronik im Fahrzeug geführt. Eigenart von Entwicklungen dieser Art ist, dass sie sich durch das komplette Unternehmen ziehen. Forschung und Entwicklung (F&E), Produktion und in zunehmendem Maß der Kundendienst müssen die neue Komplexität handhaben. Da sich die Automobilproduzenten auf allen Wertschöpfungsstufen verstärkt kompetenter Partner bedienen, handelt es sich um eine Entwicklung, die sich durch das gesamte Wertschöpfungssystem zieht. Die Rahmenbedingungen für die IT im Volkswagen-Konzern Trotz der im vorangehenden Abschnitt beschriebenen Situation, in der sich die Automobilindustrie gegenwärtig befindet, setzte der VolkswagenKonzern 2005 insgesamt mehr als 5,24 Millionen Fahrzeuge ab, 3,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Wenn man sich die Umstände verdeutlicht, unter denen diese Leistung vollbracht wird, treten die Herausforderungen für die IT zutage. Jährlich über fünf Millionen Fahrzeuge werden in 47 Fertigungsstätten (siehe Abbildung 1) produziert. Rund zehn bis fünfzehn Fahrzeuganläufe sind pro Jahr durchzuführen. Täglich werden mehr als 21 000 Kundenbestellungen und Auslieferungen in insgesamt 150 Märkten bewältigt. Ferner gibt es eine Vielzahl fahrzeugbezogener Dienstleistungen – wie Kundendienst und Originalteile sowie kundenbezogene Dienstleis-
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tungen wie Finanzierung, Leasing, Vermietung und Versicherungen – deren Erstellung ohne den Einsatz von IT überhaupt nicht mehr vorstellbar ist. Die IT unterstützt sämtliche Aktivitäten, indem die geeigneten Anwendungen zur Verfügung gestellt werden, um einen reibungslosen Geschäftsbetrieb sicherzustellen. Dazu müssen mehr als 340 000 Mitarbeiter mit Informationen und Daten versorgt und über 30 Rechenzentren weltweit betrieben werden.
Abb. 1. Produktions- und Montagestandorte im Volkswagen-Konzern
Aufgaben und Umsetzung der ITP&O (Integration Technology, Processes & Organization) im VolkswagenKonzern Positionierung und Aufgaben der IT im Volkswagen-Konzern Die vorangehenden Darstellungen zeigen, dass sich die IT heute in einem Spannungsfeld bewegt. Auf der einen Seite steht eine zunehmende Komplexität der Aufgaben, die in neuen Anforderungen an die IT-Lösungen zum Ausdruck kommt. Auf der anderen Seite ist ein signifikanter Kostendruck zu spüren, der direkt auf IT-Budgets weitergegeben wird. Der Erklärungsdruck bezüglich der Notwendigkeit der Investitionen lastet dabei nicht nur auf den beauftragenden Fachbereichen, sondern ebenfalls auf der IT.
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Dieser skizzierte Wandel der Rahmenbedingungen, unter denen ITLeistungen erbracht werden, führt zwangsläufig zu einem geänderten Selbstverständnis der IT. Die reine Bereitstellung und Entwicklung von Applikationen und Services der IT genügt nicht mehr, um deren Existenz im Unternehmen zukünftig zu sichern. Bei Volkswagen nehmen wir die Herausforderung in der Form an, dass wir erstens konsequent nach dem Wertbeitrag der IT fragen und zweitens die Voraussetzungen schaffen, um diesen Wertbeitrag auch nachhaltig erbringen zu können. Der Einsatz von technologischen Innovationen allein reicht nicht mehr aus. Prozessorientierte und organisatorische Innovationen sind in den Fokus der IT-Verantwortlichen gerückt.. Aus einer strategischen Perspektive besteht die Zielsetzung der IT darin, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Unternehmensstrategie zu schaffen. Die Strategie des Unternehmens und die Möglichkeiten der modernen Informationstechnologien bilden die Faktoren, in deren Rahmen die IT-Strategie zur Entfaltung kommt. Versteht man IT als Ressource, die den Unternehmensaktivitäten zugrunde liegt, führt die Orientierung am Wertbeitrag der IT zur Trennung in einen strategischen und einen operativen Teil der IT.
Abb. 2. Angebotsportfolio der heutigen IT
Auf der operativen Ebene steht die Versorgung des Unternehmens mit kostengünstiger Informationstechnologie im Vordergrund. Für einen Automobilhersteller umfasst die operative IT die Bereitstellung der Infrastruktur sowie Entwicklung und Betrieb aller Services und Applikationen, die nicht zwingend unternehmensspezifisch sind. Auf dieser Ebene können
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keine Wettbewerbsvorteile erzielt werden. Strategische Bedeutung erlangt die IT hingegen dann, wenn sich durch den Einsatz von Informationstechnologien Unternehmen im Wettbewerb differenzieren können. Das heißt, wenn IT-Potenziale auf intelligente Weise genutzt werden, um die Geschäftsprozesse weiterzuentwickeln und Organisationsstrukturen zu vernetzen. Vor dem hier skizzierten Hintergrund ist die Anpassung der Aufgaben der IT an die neuen Rahmenbedingungen unausweichlich. Im Wesentlichen handelt es sich um eine Ausweitung des Angebotsportfolios mit dem Ziel, den Wertbeitrag für das Unternehmen nachhaltig zu erhöhen. Das heißt, entlang der Wertschöpfungskette ist eine maximale Ausschöpfung der Ertragspotenziale zu erzielen. Der Mitteleinsatz der IT wird gezielt auf deren langfristige Ertragswirksamkeit ausgerichtet. Dazu gehören beispielsweise Maßnahmen zur Verkürzung der Produktanlaufphasen (Time to Market). Das IT-Angebotsportfolio des Volkswagen-Konzerns (siehe Abbildung 2) konzentriert sich auf folgende Bereiche • Effektivitäts- und Wachstumssteigerung durch Kundenorientierung und Gestaltung innovativer Produkte, Vernetzung von Organisationseinheiten und externen Partnern sowie Integration von Prozessen und IT entlang der Wertschöpfungskette (Einsatz von Customer Relationship Management) • Effizienzsteigerung durch die Vereinheitlichung der Geschäftsprozesse in Marken und Ländergesellschaften sowie der Bereitstellung von integrativen und kosteneffizienten IT-Systemen (Einsatz von Portalen) • Effizienzsteigerung durch Bündelung von Ressourcen und Standardisierung von IT-Systemen sowie flexible Ressourcensteuerung (Steuerung der weltweiten Ressourcen durch IT-Governance) Der steigenden Bedeutung der IT als strategischer Unternehmensressource wird zunehmend dadurch Rechnung getragen, dass die ITVerantwortlichen auf den Top-Entscheidungsebenen der Unternehmen angesiedelt sind. So ist beispielsweise im Volkswagen-Konzern der CIO (Chief Information Officer) Mitglied der Konzernleitung. Dem beschriebenen Aufgabenwandel der IT wird ferner durch einen erweiterten Verantwortungsbereich Rechnung getragen. Der CIO trägt gleichermaßen die Verantwortung für die Informationstechnologie sowie für die Prozess- und Organisationsgestaltung. Dem Volkswagen-Konzern-CIO sind damit die Bereiche Integration Technology, Processes und Organization (ITP&O) unterstellt.
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Prozessorientierung im Konzern War die IT-Organisation bei Volkswagen bislang ein Spiegelbild der Unternehmensorganisation und daher funktional ausgerichtet, stellen nach einem umfassenden Transformationsprozess nun die Kerngeschäftsprozesse den Ankerpunkt der ITP&O-Organisation (siehe Abbildung 3) dar. Bei diesen handelt es sich um • Produktprozess (PP) als Prozess der Produktentwicklung und -entstehung • Kundenauftragsprozess (KAP), in dem ein Fahrzeug im Kundenauftrag gefertigt wird • Serviceprozess vor Kunde (SPK) mit den verschiedensten Schnittstellen zum Kunden im Vertrieb und so genannten After-Sales-Geschäft • strategische Steuerungsprozesse und unterstützende Prozesse (SUP) Die Perspektive auf die Kerngeschäftsprozesse erschließt für Volkswagen als Automobilhersteller neue Optimierungspotenziale. Gerade durch eine Prozessperspektive wird die integrative Wirkung von Daten deutlich, durch die eine auf eine einzelne Funktion gerichtete Optimierung vermieden wird.
Abb. 3. ITP&O-Matrixorganisation im Volkswagen-Konzern (vereinfachte Darstellung)
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Die Geschäftstätigkeit im Volkswagen-Konzern ist nach Markengruppen gegliedert. Mit dieser Gliederung werden Marketing-strategische Überlegungen sowie die Eigenarten verschiedener Geschäftsmodelle der Bereiche Automotive und Finanzdienstleistung berücksichtigt. In jeder Markengruppe findet sich eine eigenständige ITP&O-Organisation, um so den dezentralen Erfordernissen bei der Erbringung von IT-Leistungen Rechnung tragen zu können. Die klare Prozessausrichtung der ITP&O-Organisation wird durch die Einrichtung von Process Integration Officers (PIO) für die jeweiligen Kerngeschäftsprozesse deutlich. Die PIOs verantworten in den Kerngeschäftsprozessen sowohl die Prozesslandschaften als auch die IT-Systemportfolios. Die PIO-Struktur basiert auf insgesamt 21 Fachkompetenzfeldern. Im PIO-Bereich Produktprozess gibt es beispielsweise die Fachkompetenzfelder CAD/CAM, virtuelle Techniken zur Fahrzeugentwicklung und Stücklisten-Management. Im Bereich Kundenauftragsprozess sind das unter anderem die Stücklistenauflösung und die Fabriksteuerung. Während die PIOs die Fachkompetenzfelder verantworten, ist der Chief Technology Officer (CTO) für die übergreifenden IT-Kompetenzfelder zuständig. Dazu zählen beispielsweise die Felder Business Intelligence oder serviceorientierte Architekturen (SOA). Der CTO bündelt das IT-Know-how und legt Technologiestandards fest. Darüber hinaus bringen seine Mitarbeiter ihre Technologiekompetenz in die Projekte der PIOOrganisationen ein. Im Bereich IT-Services sind all jene Aufgaben gebündelt, die dem Betrieb der IT vom Host über Server bis hin zu Desktops oder mobilen Technologien dienen. Die Professionalisierung der ITSteuerung steht im Mittelpunkt der IT-Governance, die durch die entsprechende Methodenkompetenz, die Planungs- und Kontrollprozesse insbesondere auf der strategischen Ebene unterstützt. Um in möglichst hohem Maße Synergien im Konzern sicherzustellen, wurden die beschriebenen Funktionen auch auf Konzernebene eingerichtet. Diese Konzernfunktionen verfügen über entsprechende Richtlinienkompetenz. Auf dieser Basis werden auf Prozessebene und im Technologiebereich Konzernstandards festgelegt. Gegenstand des nachfolgenden Kapitels ist die Darstellung der verschiedenen Bausteine der ITP&O-Organisation. Neben der Beschreibung ihrer Aufgaben liegt ein besonderes Augenmerk auf der Beschreibung ihres jeweiligen Beitrags zur Steigerung des Unternehmenswerts.
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Generierung von Unternehmenswerten durch die Bausteine der ITP&O-Organisation Professionalisierung der Steuerungsaufgaben durch die ITGovernance Voraussetzung für die erfolgreiche Erfüllung der IT ist eine klare Beschreibung der IT-Strategie, der Ziele sowie des Leistungsportfolios. Die IT-Governance stellt die Methoden und Instrumente zur Verfügung, damit die ITP&O-Organisation ein von allen getragenes Bild entwickeln kann. Sie steuert unter anderem den gesamten Strategieentwicklungsprozess sowie das Programmportfolio (siehe Abbildung 4). Das Kosten- und Nutzenpotenzial der IT kann nur dann vollständig erschlossen werden, wenn die IT die Bedürfnisse und Ziele der Fachbereiche kennt und proaktiv Ansätze zu deren Umsetzung macht. Dies setzt eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen der IT und den Fachbereichen voraus.
Abb. 4. Aufgaben der IT Governance im Überblick
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Wie bereits angedeutet, stellt die IT-Governance die „Straßenverkehrsordnung der IT“ zur Verfügung. Dieser Prozess beginnt auf der Fachbereichsseite, auch Demand-Seite genannt, die Owner der Geschäftsprozesse sind. Er reicht bis zur Supply-Seite der operativen IT, die für die Leistungserbringung wie Rechenzentrumsbetrieb oder Software-Entwicklung verantwortlich ist. Die IT-Governance integriert beide Sichten und stimmt sie optimal aufeinander ab. Die Festlegung der ITP&O-Strategie erfolgt im Rahmen eines Strategieprozesses, bei dem eine Synchronisation der unternehmerischen Ziele und Strategien mit den IT-Zielen und Strategien vorgenommen wird (siehe Abbildung 5). Im Rahmen der ITP&O-Strategie wird das Budget über den Strategieund den Portfolioprozess konzernweit im Hinblick auf Investitionsentscheidungen, Projektpriorisierung und die Verteilung der Ressourcen gesteuert. Zur Sicherstellung dieses Prozesses wurden entsprechende Gremien auf unterschiedlichen Ebenen geschaffen, die sowohl die Strategien und Ziele als auch die Projektrealisierung verfolgen. Das PortfolioManagement erfolgt in mehreren Schritten • Bewertung der IT-Projekte mittels Business Case • Priorisierung der IT-Projekte anhand des Business Case • Erstellung eines Umsetzungsplans, der den strategischen ITBebauungsplan sowie die Roadmap, quasi eine Wegbeschreibung, umfasst
Abb. 5. Abstimmungsprozess zwischen Fachbereichen und ITP&O-Organisation
Die Erstellung eines Business Case erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen der IT und den Fachbereichen. Die Kostenseite, das heißt die
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einmalige Investition und die laufenden Kosten, ist in der Regel schnell ermittelt. Das Kostensenkungspotenzial aus der Effizienzsteigerung der Geschäftsprozesse (zum Beispiel Kosteneinsparungen in der Logistik durch geringere Bestände aufgrund schnellerer Durchlaufzeiten) sowie das Umsatzpotenzial durch vertriebsorientierte Technologien wie CRM können nur gemeinsam mit den Fachbereichen ermittelt werden. Der Wertbeitrag der IT-Governance tritt deutlich in Strategie- und Portfolioprozess zutage. Der Einsatz der Ressource IT und der an ihr arbeitenden Mitarbeiter wird durch die ITP&O-Strategie gezielt gesteuert. Eine klare strategische Vorgabe im Bereich der Technologiestandards hilft beispielsweise dabei, den Aufbau und die Weiterentwicklung der Mitarbeiter vorzunehmen, um somit eine maximale Gestaltungskraft zu entwickeln. Der Portfolioprozess stellt anschließend sicher, dass im Rahmen der Strategievorgaben die knappen monetären Ressourcen tatsächlich der besten Verwendung zugeführt werden, um so den Unternehmenswert zu maximieren. IT-Architektur und -Standards – technologische Leitplanken der Unternehmensentwicklung Entscheidungen für eine Technologie oder ein bestimmtes Tool haben in der IT häufig eine langfristig bindende Wirkung. Von ihnen hängen Lieferbeziehungen und Qualifizierungsbedarfe genauso wie Potenziale zur Weiterentwicklung dieser Technologie und somit die Flexibilität des Unternehmens zur Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen ab. Fehlentscheidungen können die oftmals hohen Investitionsaufwendungen des ITEinsatzes infrage stellen und einen Technologiewechsel erfordern. Der Einsatz eines Chief Technology Officers im Volkswagen-Konzern hat zum einen die Aufgabe, technologische Grundsatzentscheidungen zu steuern und das Risiko von Fehlinvestitionen zu reduzieren. Zum anderen liegt seine Aufgabe in der Setzung von Konzernstandards, um auf diese Weise Synergiepotenziale zu erschließen. Zwar werden damit dezentrale Entscheidungsfreiräume eingeengt, allerdings wird auch der in der Vergangenheit oftmals entstandene Wildwuchs der IT-Lösungen bereinigt und für die Zukunft vermieden. Technologiekomponenten werden zu sinnvollen Architekturen zusammengefügt (siehe Abbildung 6) und stehen als Baukasten für die Projektarbeit zur Verfügung. Wo es möglich ist, wird nur ein Standard angeboten, und wo es sinnvoll ist, stehen begrenzte Alternativen für verschiedene Anforderungen zur Verfügung.
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Abb. 6. Architekturbaukasten
In der Bündelung der Technologiekompetenzen unter der Verantwortung des CTOs liegt ein weiterer Vorteil. War das Know-how zu einer spezifischen Technologie in der Vergangenheit teilweise über verschiedene Teilbereiche der IT verteilt, steht heute dieses Wissen zentral zur Verfügung. In der Projektarbeit wird dann auf dieses Wissen zurückgegriffen, ohne dass es mehrfach aufgebaut werden muss. Die CTO-Organisation hat folglich nicht nur die Architekturkonformität von Lösungskonzepten zu bestätigen, sie trägt auch die Verantwortung für die Einbringung ihres technischen Sachverstands in Projekten. Beispiele aus den Kerngeschäftsprozessen Strategische Steuerungs- und unterstützende Prozesse (SUP)
Die strategischen Steuerungs- und unterstützenden Prozesse umfassen Konzernbereiche wie Unternehmenssteuerung, Personal, Finanzwesen/ Rechnungswesen/Controlling, Qualitäts-Management und allgemeine Dienstleistungen. Zentrale Aufgaben der IT in strategischen Steuerungsund unterstützenden Prozessen sind • durchgängige finanzielle Unternehmenssteuerung des gesamten Konzerns über die Gesellschaften und Teilkonzerne (zum Beispiel durch Be-
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reitstellung integrierter Kennzahlensysteme entlang der Kerngeschäftsprozesse) • Effizienzsteigerung des Controlling & Reporting durch die Nutzung einheitlicher Instrumente (Implementierung der nachfolgend beschriebenen „Global Treasury Platform“) • Effizienzsteigerung der Fachbereiche und IT durch die Nutzung wiederverwendbarer und durchgängiger IT-Tools wie Portaltechnologien, Dokumenten-Management, Workflow-Management Ein Beispiel für einen innovativen Geschäftsprozess im SUP stellt die konzernweite Harmonisierung und Konsolidierung im Zahlungsverkehr durch die Etablierung einer Global Treasury Platform dar. In der Ausgangssituation organisierten die verschiedenen Konzerngesellschaften ihren Zahlungsverkehr eigenständig. Auf diese Weise wurden Best-PracticeLösungen nicht durchgängig im Konzern genutzt. Zum anderen fielen im Zahlungsverkehr oftmals vermeidbare Gebührenzahlungen an. Die Lösung dieses Problems stellt die so genannte Global Treasury Platform dar. Über ein standardisiertes Template werden künftig das Cash-, Credit- und RiskManagement abgewickelt. Die Verfügbarkeit eines Konzern-Templates für diese Treasury-Lösung erlaubt ein effizientes weltweites Rollout, bei dem bis 2007 über 80 Konzerngesellschaften angebunden werden. Der Wertbeitrag dieser neuen Lösung ist aufseiten des Fachbereichs insbesondere in einer optimierten Finanzdisposition, in einer Reduktion des Working Capital, der Vermeidung von Gebühren und in der Vermeidung unnötigen manuellen Aufwands zu sehen. Aus Sicht der IT werden vor allem der Aufwand für Betrieb und Pflege sowie Lizenzkosten reduziert. Produktprozess
Der Produktprozess umfasst den gesamten Lebenszyklus eines Produkts, vom Beginn der Produktplanung und -definition über die Produktentstehungsphase bis zur Serienbetreuungsphase. Die Aufgaben im Produktprozess sind unter anderem • die Verkürzung des Produktprozesses im Konzern (Time to Market) und die Sicherstellung einer hohen Produktvielfalt • die Integration von finanzspezifischen Anforderungen im Produktprozess • der Ausbau des Produkt- und Projekt-Managements zur transparenten Steuerung von Fahrzeugprojekten • der Ausbau der digitalen Fabrik • die Integration des Elektronikprozesses in allen Kernprozessen
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• die Unterstützung des Ausbaus von Produktprozesskompetenz in allen Standorten An dieser Stelle verweisen wir auf den Beitrag von Klaus Straub (Audi AG) in diesem Buch. Kundenauftragsprozess (KAP)
Der Kundenauftragsprozess umfasst die gesamte Auftragsverfolgung vom Produktprozess über den Planungsprozess, die Auftragseinplanung, die Fertigungssteuerung sowie die Distribution bis zur Fahrzeugübergabe. Aufgaben im Kundenauftragsprozess sind unter anderem • die Komplexitätsreduzierung, ein markenübergreifendes Kundenauftragsprozess-Controlling, der Austausch von Best-Practice-Lösungen über alle Marken • die Lieferantenauswahl und das Bedarfs- und Kapazitäts-Management • die marktkonforme Programmplanung, die Steigerung der Änderungsflexibilität • die Distributionsbeschleunigung sowie die Verkürzung der Kundenauftragsdurchlaufzeiten (Time to Market) Serviceprozess vor Kunde (SPK)
Der Serviceprozess vor Kunde umfasst das gesamte KundenbeziehungsManagement der Bereiche Originalteile, Werkstattservice, Gebrauchtwagen sowie Finanzdienstleistungen inklusive Leasing und Vermietung. Aufgaben im Kundenauftragsprozess sind unter anderem • die Erhöhung der Kundenzufriedenheit, -loyalität und -bindung (Investments in CRM-Maßnahmen) • die Komplexitätsreduzierung (wie ein auf Ressourcen fokussierter Einsatz) • das weltweite Re-Design Wholesale (wie Standardisierung und Modularisierung von flexiblen Wholesale-Prozessen und -Systemen) • die Steigerung der Verkaufs- und Handlungskompetenz (wie der Aufbau von weltweiten Trainings- und Personalaustauschprogrammen) Im Serviceprozess vor Kunde steht in den kommenden Jahren weniger ein einzelnes System im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit als vielmehr das Programm GPS 2010 (Global Process and System Strategy 2010). Ziel dieses Programms ist die konzernweite Harmonisierung und Standardisierung der Prozesse und Systeme im Vertriebskanal. Hierdurch werden auf der einen Seite weltweit standardisierte und optimierte Prozesse erreicht,
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Klaus Hardy Mühleck, CIO Volkswagen AG
wodurch auch die Steuerung der Vertriebskanäle verbessert werden soll. Auf der anderen Seite werden durch Synergieeffekte auch Kosteneinsparungen ermöglicht. Im Rahmen von GPS 2010 werden verschiedene Teilprozesse erfasst. Neben dem Customer Relationship Management sind dies die Auftragsabwicklung für Neufahrzeuge, der Originalteilevertrieb, die Gewährleistungsabwicklung sowie das Finanz-Management und das Controlling. Durch die Festlegung einer Konzernlösung für das Dealer Management System deckt GPS 2010 sämtliche Prozesse auf der Ebene des Einzelhandels ab. IT-Services – Effizienz im Betrieb der Anwendungen
Die IT-Services umfassen die laufende Verfügbarkeit von Software sowie die Bereitstellung der Hardware im Konzern. Wie bereits eingangs erwähnt, bestehen im Bereich IT-Services keine Chancen auf die Erlangung von Differenzierungspotenzialen. Aus diesem Grund steht gerade dieser Teilbereich der ITP&O unter einem besonderen Konsolidierungsdruck. Gleichwohl kommt dem IT-Servicesbereich eine wesentliche Rolle im Unternehmen – nämlich der Sicherstellung des Geschäftsbetriebs – zu. Die Spaltung von der strategischen und operativen IT wird in diesem Bereich besonders deutlich. Auch wenn die IT-Services fast vollständig der operativen IT zuzuordnen sind, sind auch auf diesem Gebiet strategische Aufgaben insbesondere zur Ausschöpfung der Kostenreduzierungspotenziale unumgänglich. Hierzu zählen unter anderem • die Implementierung eines konzernweiten vereinheitlichen Dienstleistungsportfolios mit standardisierten und harmonisierten Leistungen sowie eine proaktive Unterstützung des Geschäftserfolgs • die Sicherstellung von Kernkompetenzen sowohl durch qualifiziertes Personal als auch durch einen optimalen Sourcing-Mix mit dem Ziel der Konzentration auf die Kerngeschäftsprozesse • die Senkung der Servicekosten durch stetige Optimierung bei gleichzeitiger Erhöhung der Servicequalität • der Aufbau und die Umsetzung der Business Continuity und von ITSecurity-Konzepten An der Ausnutzung der Kostenreduzierungspotenziale setzt das Projekt Global Client & Client Design an. Unterschiedliche Beschaffungszyklen der Hardware und nicht präzise formulierte Vorgaben im Bereich der Standards haben dazu geführt, dass eine große Bandbreite verschiedener Desktops und Notebooks verschiedenster Hersteller im Einsatz war. Auf diesen Geräten liefen dann zwar das Betriebssystem und die Office-Suite eines Herstellers, allerdings in unterschiedlichen Versionsständen. In der
Innovative Geschäftsprozesse – Wertbeitrag eines modernen...
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Folge waren erhöhte Support-Kosten zu verzeichnen. Zielsetzung des Projekts Global Client & Client Design ist daher die durchgängige Vereinheitlichung im Desktop-Bereich. Regional kann diese Software gemäß den jeweiligen Ansprüchen differenziert werden. Zukünftig wird weltweit ein Hardware-Hersteller den Volkswagen-Konzern beliefern.
Unternehmen durch Menschen entwickeln Veränderungen im Unternehmen zu antizipieren und mitzugestalten – das sind unter anderem die zukünftigen Aufgaben der IT. Die strategischen Aufgaben der IT, wie die der Prozess- und Organisationsoptimierung und eine weltweite Steuerung, nehmen weiter zu. Prozesspotenziale zu nutzen heißt, Wettbewerbsvorteile zu generieren und sich vom Markt zu differenzieren. Die IT ist damit Mittler zwischen Prozessen und Technologien. Die Bewältigung der neuen Herausforderung war in den historisch gewachsenen Strukturen nicht möglich, da diese nicht auf die Prozesse ausgerichtet waren. Daher wurde eine Transformation durchgeführt und die Mitarbeiter wurden anhand der neuen Aufgaben qualifiziert. Das vorangehend beschriebene Bild der Aufgaben und Bausteine eines modernen IT-Managements ist bei Volkswagen umgesetzt. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die gelungene Umsetzung dieser Transformation ist die Einbindung der Mitarbeiter. Diese sollen den Wandel der IT mittragen, mitgestalten und engagiert umsetzen. Daher reicht die Sicht auf das Managen von Projektteams und Organisieren von Aufgaben nicht mehr aus. Es gilt, die Wahrnehmung und Signale der Mitarbeiter zum Veränderungsprozess zu berücksichtigen und mit diesen zusätzlichen Informationen den Wandel gezielt voranzutreiben. Die interne Veränderungsbereitschaft ist der Schlüssel zum Erfolg und muss während des gesamten Veränderungsprojekts berücksichtigt werden. Der Nutzen aus Veränderungsprojekten maximiert sich, wenn die Mitarbeiter einerseits das Gefühl haben, dass das Management seiner Führungsaufgabe gerecht wird, und sie andererseits an den Veränderungen teilhaben. Die Verbindung dieser Top-down- und Bottom-up-Prozesse helfen, die unternehmerische und persönliche Veränderungsbereitschaft zu synchronisieren. Aus diesem Grund haben wir unsere Mitarbeiter von Anfang an in den Transformationsprozess eingebunden. In einem eintägigen Kick-offMeeting wurden 850 Führungskräften und Mitarbeitern die wesentlichen Strategien und Prinzipien der Neuausrichtung der Organisation vorgestellt und die anstehenden Veränderungen aufgezeigt. Am Ende dieser Veran-
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staltung konnten die Teilnehmer anonym ihre Meinung zu den anstehenden Veränderungen mitteilen. Der gesamte Veränderungsprozess wurde durch elektronische Befragungen der Mitarbeiter, Barometerabfragen und die Durchführung von Fokusgruppen (Foren zu ausgewählten Prozessen und Themen) in Verbindung mit Intranetinformationen und Newslettern begleitet. Es gilt nun, auf den Ergebnissen dieses Transformationsprozesses aufzubauen und die geschaffenen Strukturen permanent weiterzuentwickeln. Das Handeln muss hinsichtlich der Steigerung des Unternehmenswerts verstärkt hinterfragt werden. Wenn das gelingt, wird auch in Zukunft die IT als eine wesentliche Kompetenz des Unternehmens gesehen werden.
Virtuelle Absicherung im Produktprozess eines Premium-Automobilherstellers
Klaus Straub, CIO Audi AG Dr. Oliver Riedel, Leiter Prozessintegration und InformationsManagement Audi AG Die Markenstrategien der Automobilindustrie mit der kontinuierlichen Einführung von Produktinnovationen, einer Vielzahl von Derivaten sowie einem wachsenden Portfolio von Nischenprodukten stellen eine massive Herausforderung an den Produktprozess eines jeden Herstellers dar. Abbildung 1 zeigt beispielhaft die Expansion der Audi-Fahrzeugpalette über die Zeit. Neue Wege in der Produktentwicklung und Produktionsplanung sind notwendig, um unter diesen Rahmenbedingungen speziell die hohen Qualitätsstandards eines Premiumherstellers wie der Audi AG zu gewährleisten.
Audi 80 Audi 100 Aido Coupé
1980
Audi 80 Audi 100 Audi 100 Avant Audi Cabrio Aido Coupé
1990
Abb. 1. Expansion der Audi-Fahrzeugpalette
A2 A3 2t / 4t TT Coupé TT Roadster A4 A4 Avant A6 A6 Avant A8
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Hier spielt die so genannte Absicherung eine entscheidende Rolle im Qualitäts-Management: Absicherung im klassischen Sinne bedeutete für einen Automobilhersteller bislang, dass er zur Kontrolle der Produkteigenschaften (zum Beispiel Geometrie, Baubarkeit und Funktion des zukünftigen Fahrzeugs) in unterschiedlichsten Varianten mehrere physische Modelle erstellen musste. Um dieses Instrument zur frühzeitigen Sicherstellung der Produktqualität weiter zu verfeinern, gleichzeitig aber auch kostenmäßig beherrschbar zu bleiben, wenn nicht mehr jede Produktvariante physisch abgesichert werden kann, wurde die Virtuelle Absicherung Ende der 90er-Jahre eingeführt und wird seitdem stetig weiter entwickelt. Parallel eröffnen neue innovative Technologien der Informationstechnik die Möglichkeit, in bislang nicht gekanntem Ausmaß physische Modelle durch Simulationen am Computer zu ersetzen. Bei neuen Fahrzeugderivaten sowie Baukasten- und Modularisierungsstrategien hat die Computersimulation schon jetzt eine starke und schnell wachsende Durchdringung bei allen Automobilherstellern. Insofern stellt die Virtuelle Absicherung sowohl eine Konsequenz innovativen Handelns (Qualitätssicherung in der Entwicklung innovativer Fahrzeugprodukte) als auch eine Innovation in sich selbst dar (Nutzung neuer innovativer Informationstechnik zur virtuellen Abbildung physischer Modelle am Computer). Neben den technologischen Vorteilen ist auch der Zeit- und Kostenfaktor entscheidend: Audi erhofft sich durch diese Ansätze Einsparungen von bis zu 10 Prozent der Entwicklungszeit und 20 Prozent der Entwicklungskosten pro Derivat.
Abb. 2. Aktuelles Einsatzspektrum für Virtuelle Absicherung im Produktprozess
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Vom Sequentiellen zum Parallelen: Neugestaltung des Produktprozesses Die breite Unterstützung der Produktentwicklung und der Produktionsplanung durch virtuelle Methoden bietet einen entscheidenden Vorteil gegenüber bisherigen Prozessen: Digitale Prototypen des zukünftigen Fahrzeugs stehen zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt zur Verfügung, als die aus den digitalen Daten generierten physischen Prototypen. Hierdurch ist eine Parallelisierung von Prozessabschnitten möglich, die bisher sequenziell ablaufen: Kann beispielsweise die Produktionsplanung früher in den Prozess einsteigen, da digitale Modelle mit produktionsrelevanten Informationen zur Verfügung stehen, ergeben sich mannigfaltige Möglichkeiten der Produktbeeinflussung in der so genannten frühen Phase. Die Virtualisierung der Prototypen ermöglicht außerdem auf bisher nicht gekannte Weise eine gemeinsame Nutzung von Wissen und Kompetenzen über Fahrzeugmodell- und Ländergrenzen innerhalb eines Unternehmens hinweg. Da der Zugriff auf digitale Modelle nicht von deren physischer Präsenz abhängt und die Modelle somit beliebig duplizierbar sind, können Entwickler und Planer parallel und an verteilten Standorten daran arbeiten. Verteilte Entwicklungen bis hin zur kompletten Auslagerung an Zulieferer markieren die Speerspitze der neuen Möglichkeiten. Die entscheidenden Vorteile einer Parallelisierung im Produktprozess sind intuitiv greifbar: Durch die parallele Abarbeitung von Prozessschritten lassen sich die Entwicklungszeiten verkürzen und ein besserer Reifegrad der Entscheidungen erreichen. Die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit physischer Bau- und Testteile ist auf den Zugriff auf die digitale Information reduziert. Parallele Prozesse erfordern allerdings eine wesentlich höhere Koordination der Prozessbeteiligten und eine strukturierte und zeitnahe Verfügbarkeit von digitalen Informationen, also eine durchgängige Datenkette zwischen allen Prozessbeteiligten. Daraus ergeben sich auch neue Anforderungen an das Profil und die Qualifikation der im Entwicklungsprozess beteiligten Mitarbeiter. Wo bisher nur die technischen Zeichnungen und Modelle am Computer entworfen wurden, ist zukünftig die Digitalisierung weiterer Teile der Produktionskette notwendig. Mitarbeiter, die im traditionellen Prozess zum Beispiel im Prototypen- oder Versuchsbau Hand anlegten, müssen jetzt den Umgang mit einem digitalen Modell beherrschen. Neben den notwendigen technischen Kenntnissen steigt die Anforderung an die Soft Skills der Beteiligten, da Kommunikation und Kooperation wesentlich mehr in den Vordergrund rücken als bisher.
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Rolle der Absicherung im Produktprozess Die hauptsächlichen Einsatzmöglichkeiten für die Virtuelle Absicherung liegen in den Bereichen Geometrie, Simulation und Prototypenerstellung. Hinzu kommt die Möglichkeit, externe Parteien wie zum Beispiel strategische Lieferanten ohne geografische und zeitliche Grenzen in den Absicherungsprozess mit einzubeziehen. Am geometrischen Modell lassen sich bereits viele Anforderungen, etwa an Funktionen oder Spaltmaße, recht einfach untersuchen. Ein solches statisches Modell lässt sich oft aus vorhandenen CAD-Daten der Konstruktion erstellen. Komplexer werden die Anforderungen bei der Simulation, dazu werden neben der geometrischen Information weitere Daten wie beispielsweise Materialeigenschaften benötigt. Neben den produktspezifischen Daten besteht auch die Option, die hochgradig dynamische und schwer vorhersagbare Umwelt in die Simulation mit einzubeziehen und somit verlässliche Vorhersagen über das Produktverhalten in dieser Umwelt treffen zu können (siehe Abbildung 3).
Abb. 3. Strömungsverlauf am virtuellen Karosseriemodell
Die Daten und Strukturen eines so genannten „Digital MockUp“(DMU)-Modells können auch an vielen anderen Stellen im Produktprozess verwendet werden, die nicht direkt der klassischen Entwicklung
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zuzuordnen sind. Im Gegensatz zu einem geometrischen Modell verfügt das DMU-Modell über eine reduzierte Geometrie, die „nur“ so aussieht, wie die Originalgeometrie. Digitale Modelle dienen letztendlich auch als Vorbereitung zum Aufbau von physischen Modellen, sowohl für Prototypen als auch für die Serienproduktion, jedoch mit dem Ziel, durch eine Vorabbeurteilung im Virtuellen die Anzahl der physischen Modelle zu reduzieren. Auch im Bereich After-Sales-Services (zum Beispiel Kundendienst) bietet die frühe Verfügbarkeit von Produktinformationen einen entscheidenden Vorteil für die Beschleunigung der Prozesse bei der Erstellung der servicerelevanten Dokumentation. Für diese Dokumentationen über ein Fahrzeug mussten bisher physikalisch vorhandene Modelle verfügbar sein, um diese fotografisch zu erfassen. Das virtuelle Modell bietet hingegen nicht nur eine früher verfügbare Modellansicht, sondern auch ein beliebig zu vervielfältigendes und universell verwendbares Abbild der zukünftigen Realität. Diese Art der Dokumentation kann zum Beispiel bei der Anfertigung von Bordliteratur, Reparaturleitfäden, Bildtafeln für Ersatzteile oder Informationen für Betriebseinrichtungen und Spezialwerkzeuge verwendet werden. Zukünftige Einsatzszenarien sind darüber hinaus in Schulung und Training des Servicepersonals oder zur Vorplanung von Servicearbeitszeiten angedacht.
Voraussetzungen für erfolgreiche Virtuelle Absicherung: durchgängiges Daten-Management Die Voraussetzung für eine erfolgreiche Virtuelle Absicherung eines Fahrzeugprojekts ist eine durchgängige und konsistente Verwaltung der geometrischen und technischen Informationen. Alle Daten müssen über den gesamten Entwicklungszeitraum und -prozess aktuell und bedarfsgerecht gesammelt und zur Verfügung gestellt werden. Die Umsetzung dieser Anforderung führt zu der Herausforderung, auf der einen Seite eine möglichst ganzheitliche Produktstruktur – im klassischen Sinne ist damit die Stückliste gemeint – aufzubauen und auf der anderen Seite bedarfsgerechte Strukturen daraus abzuleiten. Die komplexen Anforderungen in der Fahrzeugentwicklung konnten bisher nicht mit kommerziellen IT-Lösungen in einem ganzheitlichen Ansatz realisiert werden. Daher entstanden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten eine Vielzahl von spezialisierten und individuellen Lösungen, die hochgradig miteinander vernetzt sind. Um diese gewachsene Komplexität in Zukunft zu beherrschen, ist ein Paradigmenwechsel erforderlich, der sowohl die Technologien des Produkt-
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Daten-Managements (PDM) als auch die Prozesse und Methoden konsolidiert und für die virtuelle Produktentwicklung neu ausrichtet. Zu den Herausforderungen gehören der Aufbau einer frühen virtuellen Produktbeschreibung zur Steuerung der Virtuellen Absicherung und deren Integration mit der realen Produktbeschreibung, die über den gesamten Lifecycle (PLM) gepflegt wird. Die klassische Stückliste (Bill-of-Material, kurz BOM) stellt bereits eine einfache aber verbindliche Produktbeschreibung dar und wird initial als Modell für die Steuerung der Fahrzeugproduktion genutzt. Für ein modernes und variantenreiches Fahrzeug kann eine solche Serienstückliste zwischen 20 000 und 50 000 Positionen enthalten. Die Varianz der Produktkonfigurationen eines modernen Premiumfahrzeugs inklusive Farboptionen übersteigt leicht die Millionengrenze. In der frühen Phase der Konzeptentwicklung sind dagegen nur wenige hundert bis tausend Teile entwicklungsrelevant, jedoch müssen mehrere konkurrierende Entwicklungskonzepte parallel gepflegt werden. Für ein Frontloading, das heißt für die Verlagerung der Entwicklungsaktivitäten in die frühe Phase zur Beschleunigung des Entwicklungsprozesses ist eine unverbindliche, aber aktuelle Produktbeschreibung zur Steuerung der Virtuellen Absicherung erforderlich. Damit die Stückliste beziehungsweise die Produktstruktur des PDM dieser Anforderung gerecht wird, ist eine Verknüpfung der geometrischen Produktbeschreibung mit der strukturierten Produktdefinition hin zu einem umfangreichen digitalen Modell erforderlich. Weiterhin muss die Methodik und Technologie zum Aufbau der Produktstruktur (Stückliste) erweitert werden, damit ihr Aufbau von Hunderten von Konzeptteilen bis zu Tausenden von Serienteilen begleitend zum Entwicklungsprozess zu verbindlichen virtuellen Meilensteinen unterstützt wird. Mit den aktuellen CAD-Technologien findet der Aufbau von assoziativen und parametrischen Konstruktionen eine immer breitere Anwendung. Damit steigt die Komplexität der Produktmodellierung um einen weiteren Grad. Während die Entwickler bisher bereits eine hohe Vernetzung von Übernahmeteilen (so genannten Carry-Over-Parts), die in unterschiedlichen Produktreihen verwendet werden, organisieren mussten, erhöht die Verwaltung von geometrischen und technologischen Zusammenhängen in der Konstruktion zusätzlich die Komplexität. Aus diesem Grund ist der Einsatz von CAD-nahen Verwaltungswerkzeugen, den „Team Data Management“(TDM)-Systemen erforderlich. Diese Systeme sind in die Systemumgebung der IT-Werkzeuge eingebettet und ermöglichen eine integrierte Verwaltung der Komponenten und Zusammenhänge einer Konstruktion. Diese Methoden und Technologien müssen an einen führenden Prozess und an ein führendes Verwaltungssystem angebunden sein, um
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damit eine anwendungs- und prozessübergreifende Synchronisation der Entwicklungsaktivitäten sicherzustellen. In der PDM/PLM-Systemarchitektur setzt sich ein vierstufiges Konzept aus einem Verbund von Anwendungen, TDM-, PDM- und PLM-Komponenten durch (siehe Abbildung 4). TDM-/PDM-/PLM-Definition
Topologie Technologie Parametrik Assoziativität
Konvertierung Freigabe
PDM Konfiguration Product Data Revisionierung Management Archivierung PLM Product Lifecycle Management
Stückliste Varianten Gültigkeiten Änderungen Steuerungen
TDM A
Anwendung B B 1
Anwendungsspezifische Funktionsmodellierung
B 2
TDM B
Teil
Collaboration Rechte/Rollen
TDM Klassifikation Team Data Versionierung Management Context (DiC)
A 2
Klassifikation Versionierung Context
PDM
Freigabe Konfiguration Revisionierung Archvierung
PLM
Produkt
Anwendung
A 1
Modell
Anwendung A Geometrie Topologie Technologie Parametrik Assoziativität
Anwendungsspezifische Datenverwaltung, Collaborative Engineering
Anwendungsübergreifende Datenverwaltung, Produktmodellierung
Prozessübergreifende Datenverwaltung, Produktsteuerung
PLM
Abb. 4. Schematische Darstellung der Synchronisation von Entwicklungsaktivitäten
Nicht nur der konstruktionsnahe Digital Mock-Up (DMU), der für die geometrische Absicherung verwendet wird, sondern auch die Prozesspartner wie die Berechnung und Simulation, das Design, der Prototypenbau, die Fertigungsplanung, der Modellbau, das Marketing und der Kundendienst sind auf die digitalen Daten der geometrischen Produktbeschreibung möglichst früh angewiesen. Diese Prozesspartner haben unterschiedliche Sichten auf die Produktbeschreibung und liefern wiederum spezielle Ergänzungen zu der geometrischen Beschreibung. Daher ist es erforderlich, dass eine Selektion und Bereitstellung von anwendungsspezifischen Umfängen schnell und nachvollziehbar möglich ist. Besonders die Dokumentation der extrahierten Bearbeitungsumfänge, die entweder in dem zentralen PDM-System oder in den lokalen TDM-Systemen erfolgen kann, ist für die Synchronisation der Entwicklungsaktivitäten von hoher Bedeutung. In der Vergangenheit lag der Fokus von PDM- und PLM-Lösungen im Verwalten und Strukturieren von mechanischen Informationen. Jedoch wurde der rasant ansteigende Umfang und die Bedeutung der Elektrik-/ Elektronikkomponenten und speziell die Software-Umfänge nicht genügend berücksichtigt. Die Integration der elektrischen und elektronischen Fahrzeugkomponenten sowie die Steuerung und Verwaltung von Fahr-
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zeug-Software gehören aktuell zu den Schwerpunktaufgaben, die im Rahmen von PDM- und PLM-Projekten bearbeitet werden. Das Ziel ist eine integrierte Steuerung der mechanischen, elektrischen und elektronischen Fahrzeugkomponenten inklusive Fahrzeug-Software über den gesamten Lebenszyklus. Speziell im Zusammenhang mit der Integration von elektrischen und elektronischen Fahrzeugkomponenten in ein ganzheitlich steuerndes PLM-Konzept bekommt die Pflege der Produktbeschreibung über den Lebenszyklus eine neue Bedeutung. Nicht nur die gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch die technischen Zwänge im Zusammenspiel zwischen Fahrzeug-Hardware und -Software machen eine kontinuierliche Fortschreibung der einzelnen Produktkonfigurationen bis EOP (End of Production, nicht gleichzusetzen mit dem Ende des Lebenszyklus) erforderlich.
Unsichtbares sichtbar machen: Visualisierung als Basistechnik für die Virtuelle Absicherung Die Visualisierung spielt eine bedeutende Rolle bei der Verwendung der Virtuellen Absicherung: Sie stellt die Schnittstelle zwischen den Bits und Bytes auf der einen Seite und dem Benutzer auf der anderen Seite dar. Die für die Virtuelle Absicherung verwendete Visualisierung unterscheidet sich in einigen Punkten von der gewohnten Darstellung auf dem Bildschirm eines Arbeitsplatzes; Stichworte hierfür sind Immersion und Interaktion. Diese Art der Visualisierungstechnik wird auch unter dem Begriff Virtual Reality (VR) zusammengefasst. Die Immersion bezieht sich auf die Darstellung des Modells, je nach Anwendungsfall kann eine monoskopische Darstellung der Information ausreichend sein, oder es ist notwendig, dreidimensionale Eindrücke mit einer stereoskopischen Darstellung zu transportieren. Auch die Wahl des Geräts für die Darstellung der visuellen Information spielt eine Rolle, je nach Bedarf eignen sich zum Beispiel großformatige Plasmabildschirme, Projektoren oder auch so genannte Head Mounted Displays (HMD) dafür. Nicht zuletzt hat auch die Frage, ob man eine Darstellung in Echtzeit benötigt, einen erheblichen Einfluss auf den notwendigen Hardware-Aufwand. Für den Begriff Echtzeit hat die Interaktion eine entscheidende Rolle für die Kopplung zwischen Abläufen in der realen Welt und im digitalen Modell. Hier unterscheidet man, ob es sich um ein statisches Modell ohne Funktionen handelt, oder ob die Objekte im dynamischen Modell beweglich sind. In letzterem Fall wird die Visualisierung zusätzlich komplex, wenn der Nutzer Teil des Szenarios ist, seine Position erfasst und er in der
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Szene dargestellt wird. Letztendlich ist es sogar möglich, dass die Bewegungen von geometrischen Objekten nicht durch vorberechnete Simulationen, sondern durch den Nutzer selbst gesteuert werden. Die im Produktprozess verwendeten Visualisierungstechniken müssen in Abhängigkeit von der untersuchten Fragestellung eine breite Palette unterschiedlicher Ausprägungen abdecken; entsprechend sind zahlreiche unterschiedliche Software-Lösungen und teilweise auch entsprechende spezielle Hardware im Einsatz. Die einfachste Ausprägung ist die Visualisierung von zweidimensionalen Zeichnungsdaten auf Papier oder dem Bildschirm. Mit diesem Ansatz ist es auf einfache Weise und mit geringen Kosten für Software- und Hardware-Ausstattung möglich, Informationen aus beliebigen Quellsystemen und mitunter sogar noch digitalisierte Papierzeichnungen zu betrachten. Die Grenzen dieser Variante liegen in der Rasterisierung der Daten: Die Auflösung der Zeichnung ist dadurch begrenzt, Funktionalität wie beispielsweise Messen steht nur rudimentär und mit begrenzter Genauigkeit zur Verfügung; darüber hinaus sind die Daten definitionsgemäß eben nur zweidimensional. Für die Visualisierung von dreidimensionalen Produktdaten wurde bereits die Methode des Digital Mock-Up angesprochen. Innerhalb der DMU-Software werden dreidimensionale Konstruktionsdaten aus unterschiedlichen Quellsystemen zusammengespielt und lagerichtig positioniert. Typische Fragestellungen, die hier untersucht werden, sind Kollisions- und Freigängigkeitsuntersuchungen; genutzt werden vor allem Messund Schnittfunktionalitäten. Die Fragestellungen sind bis dato also hauptsächlich technischer Natur; auf eine realitätsnahe Visualisierungsqualität kann hier meist verzichtet werden. Zwei typische Darstellungsformen sind in Abbildung 5 wiedergegeben.
Abb. 5. Technisch orientierte Darstellung für DMU (links) und realistische Darstellung mit Materialinformation (rechts)
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Die für die Einzelteile verwendeten unterschiedlichen Einfärbungen haben hier den Zweck, zwischen den einzelnen Teilen unterscheiden zu können und nicht, diese auch nur annähernd wirklichkeitsnah anzuzeigen. Mit den ständig wachsenden Möglichkeiten der eingesetzten Software-Produkte, mit wenig Aufwand auch wirklichkeitsnahe Materialdarstellungen zu erreichen, geht in einigen Bereichen der Trend jedoch auch zu einer erhöhten Visualisierungsqualität. Bei komplexen Vorgängen wie zum Beispiel Strömungssimulationen (siehe Abbildung 6) wird es für Nicht-Spezialisten sehr schnell schwierig, in einer zweidimensionalen Abbildung den Überblick zu behalten. Hier ist es dann häufig hilfreich, auf eine dreidimensionale Darstellung zu wechseln. Die dreidimensionale Darstellung findet auch Anwendung bei technisch beziehungsweise funktional orientierten Fragestellungen, bei denen es auf ein hohes Maß von Interaktivität ankommt. Ein Beispiel hierfür sind Ergonomie-Untersuchungen im Fahrzeuginnenraum (Erreichbarkeit von Bedienelementen, Sichtbarkeit von Instrumenten, Außensicht, Spiegelsicht etc.), bei denen der Betrachter frei und in Echtzeit Blickposition und Blickrichtung bestimmen möchte oder auch Änderungen an der Fahrzeuggeometrie vornehmen möchte.
Abb. 6. Ergebnisdarstellung einer Störungssimulation mittels Isolinien
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Von technischer Seite werden die Anforderungen durch „Virtual Reality“(VR)-Systeme abgedeckt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie • auch große Datenmengen in Echtzeit darstellen • 3-D-Ausgabegeräte (zum Beispiel Head Mounted Display, Cave) nutzen können • spezielle Eingabegeräte (zum Beispiel Datenhandschuh, Messsysteme zur Erfassung der Betrachterposition) unterstützen
Abb. 7. Ergonomiesimulation im Fahrzeuginnenraum
Für die hochqualitative Visualisierung von Datenbeständen gibt es je nach Aufgabenstellung unterschiedliche Wege. Eine nahezu fotorealistische Qualität wird mit Offline Renderings erreicht, Das heißt, die Bilder werden vorab berechnet. Das Ergebnis einer oft mehrstündigen Berechnung ist ein einzelnes statisches zweidimensionales Bild. Im Gegensatz dazu sind gängige Virtual-Reality-Systeme echtzeitfähig, was allerdings leichte Kompromisse an die Darstellungsqualität erfordert (etwa vereinfachte Beleuchtungsmodelle). Die Zukunft gehört den Echtzeit-Raytracing-Systemen. Diese versprechen eine schnellere Verarbeitung komplexer Szenen und erlauben somit zum Beispiel auch realistische Ausleuchtungen (siehe Abbildung 8).
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Abb. 8. Darstellung von Produktdaten mittels Echtzeit-Raytracing
Beispiel 1: Produktdokumentation für den Kundendienst Die heutige Arbeitsweise bei der Erstellung von visuellen Informationsträgern für den Kundendienst basiert zum großen Teil auf Fotos und komplett neu erstellten Grafiken. Sowohl die Fotos als auch die Zeichnungen geben die darzustellende Information abstrahiert wieder und werden mit einem erheblichen manuellen Mehraufwand erstellt. Auch die Einführung der Digitalfotografie hat hier nur eine kleine Verbesserung gebracht, die die Grundprobleme leider nicht löst. • Das notwendige Fahrzeug für die Dokumentation ist zu spät und/oder zeitlich nicht ausreichend verfügbar. • Zeitaufwendige und kostenintensive Nachbearbeitung der Fotos oder grafische Neuerstellung ist notwendig. • Bilderserien statt interaktive Medien erfordern Erarbeitung mehrsprachiger Handlungsanweisungen. Die Reduktion von Kosten und Zeit zwingen daher auch den Kundendienst, die Verwendung von virtuellen Prototypen voranzutreiben. Motiviert aus den Erfahrungen der Digital-Mock-Up-Nutzung in der Fahrzeugentwicklung wurden Aufgabengebiete identifiziert, in denen virtuelle Pro-
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totypen zur Erstellung der Dokumentation eingesetzt werden sollten (siehe auch Abbildung 9). • Erstellung von Bordliteratur, Reparaturleitfaden und Bildtafeln für Ersatzteile • Erarbeitung von Katalogen für Betriebseinrichtungen und Spezialwerkzeuge • Durchführen von Schulung und Training des Servicepersonals • Ermittlung von Servicearbeitszeit.
Abb. 9. Reparaturdokumentation auf Basis eines virtuellen Modells
Neben dem Ziel, mittels Digital Mock-Up flexibler und schneller das Bildmaterial zu erstellen, ist auch die Systemintegration der neuen Technik in die Prozesskette des Kundendienstes notwendig. Dies umfasst beispielsweise die Anbindung an vorhandene Redaktionssysteme und die Wiederverwendbarkeit der Basisdaten für alternative Aufgaben. Dadurch soll erreicht werden, dass nach der Markteinführung eine geringfügige Überarbeitung auf Basis des dann aktuelleren Datenstands möglich ist. Eine wesentliche Erleichterung in der Dokumentation ergibt sich auch
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durch die Nutzung von einfach verfügbaren Videosequenzen, die dann zum Beispiel auch für Trainingsprogramme im Selbststudium genutzt werden können. Basis für den effektiven Einsatz ist die Verfügbarkeit von aktuellen Daten in definierter Ausprägung sowie die nahtlose Integration der generierten Bilder beziehungsweise Untersuchungsergebnisse in die bestehende Systemlandschaft. Neben der Verfügbarkeit verschiedener Detaillierungsgrade pro Bauteil ist es auch notwendig, alle Verbindungselemente mit darzustellen. Liegen diese Daten vor, kann man problemlos aus jeder Perspektive und in nahezu jedem Detaillierungsgrad Bauteile, Baugruppen oder ausgewählte Bauräume visualisieren. Die virtuelle Technik erlaubt es ohne großen Zeit- und Materialaufwand, Objekte freizuschneiden, transparent oder eingefärbt erscheinen zu lassen oder bisher nur sehr aufwendig zu erstellende Explosionszeichnungen zu generieren. Der visionäre Part in diesem Vorhaben ist die Untersuchung der Nutzung von digitalen Menschmodellen im Rahmen des Aufgabenspektrums. Langfristiges Ziel in der Nutzung so genannter Human Workbenches ist die Berücksichtigung ergonomischer Kriterien bei der Ein-/Ausbauuntersuchung von Bauteilen und der Durchführung von Reparaturen. Beispiel 2: Produktionsplanung mit der Digitalen Fabrik Auch wenn die Begriffe „digital“ und „virtuell“ inzwischen allgemein bekannt sind, bedarf es sicherlich noch einer Klärung des Begriffs „Digitale Fabrik“: Die Digitale Fabrik unterstützt mit ihren virtuellen Planungsmethoden die Umsetzung der Produkteigenschaften durch Gestaltung und Optimierung der Fertigungs- und Logistikprozesse. Ziel ist es, bereits vor dem Aufbau eines Produktionssystems oder eines ganzen Fabrikmoduls ein realistisches Abbild der zukünftigen Fabrik zu schaffen. Dieses Abbild umfasst alle Aspekte der realen Fabrik, das heißt die Architektur, die Produktionssysteme und die Prozesse. Neben der reinen geometrischen Darstellung kommt es vor allem darauf an, logische und funktionale Abhängigkeiten darzustellen und zu überprüfen. Das in der Planungsphase aufgebaute Modell dient in der Fertigung der weiteren Optimierung und Steuerung der Anlagen und Prozesse. In den vergangenen Jahren hat Audi im Rahmen des Projekts „Digitale Fabrik“ Teilprojekte in den Gewerken Presswerk, Karosseriebau, Lack, Montage, im Werkzeugbau, in der Fabrikplanung und in der Logistik gestartet, die die Einführung der Methoden und Werkzeuge vorantreiben (siehe Abbildung 10). Die Strategie bei Audi lautet: ohne Software-Absicherung keine Hardware. Will heißen: Erst wenn eine Produktionsstätte am Rechner alle
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Simulations-, Planungs- und Integrationsschritte erfolgreich durchlaufen hat, erfolgt die Freigabe. Gleichzeitig laufen bei Audi die Aktivitäten zum virtuellen Produkt. Auf die DMU-Fahrzeugdaten setzt die Digitale Fabrik bereits in der Konzeptphase eines neuen Modells auf. Beide Themen müssen nicht nur parallel entstehen, sie müssen auch miteinander verzahnt sein. Gründe, warum dieses Thema bei Audi mit großem Engagement vorangetrieben wird, sind – wie schon oben beschrieben – die ständige Zunahme der Modellvarianten und die Zunahme der Komplexität bei den Entwicklungsumfängen mit einer gleichzeitigen Verkürzung der Entwicklungszeiten. Ein neues Modell soll möglichst schnell und gleich zu Beginn mit möglichst hohen Stückzahlen unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Markt eingeführt werden. Mit dem Einsatz der Methoden der Digitalen Fabrik verfolgt Audi folgende Ziele: • Produktabsicherung durch frühzeitige Einflussnahme auf die Produktentwicklung • Durchgängige Absicherung des Fertigungsprozesses durch frühzeitige Simulation • Schaffung einer integrierten Planungsumgebung mit Simulationswerkzeugen • Intensivierung des Planungsprozesses • Senkung der Anlagen-, Fertigungs- und Änderungskosten
Abb. 10. Überprüfung der Fertigungsabläufe im Karosserierohbau auf Taktung und Kollisionsfreiheit
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• Unterstützung und Verkürzung der Inbetriebnahmezeit • Die dafür notwendige Abstimmung der Prozesse, die Einführung und Weiterentwicklung von Standards und die Vernetzung der Daten sind notwendige Bausteine. Die Digitale Fabrik ist deshalb in erster Linie ein Prozessthema und erst in zweiter Linie eine Frage der richtigen Software-Lösung. Prozesse und Systeme müssen integriert und standardisiert, eine Kultur des Vertrauens und der Transparenz geschaffen werden. Wichtiger Aspekt dabei: Auch die Anlagenlieferanten werden bei Audi frühzeitig und intensiv in den Planungsprozess mit eingebunden. Das bedeutet auch ein Umdenken und Verhaltensänderungen bei den Mitarbeitern in der täglichen Arbeit. Auch die Integration der Anlagen- und Technologielieferanten spielt eine Rolle und soll im Rahmen der Projekte durch so genannte Portale unterstützt werden. Mit diesen Portalen haben auch externe Firmen Zugriff auf die Planungsstände. Über die geometrischen Planungsprozesse hinaus, wie die Prüfung auf Kollisionsfreiheit, bieten digitale Modelle hier außerdem die Möglichkeit, nichtgeometrische Informationen zu gewinnen. Beantworten lassen sich beispielsweise Fragen, wie der jeweilige Arbeitsplatz aussehen muss oder wie die Taktzeiten der Produktion geplant werden können.
Grenzen und Zukunft der Virtuellen Absicherung Die Zukunftsvision der Virtuellen Absicherung liegt sicherlich in der vollständigen Parametrisierung des digitalen Modells, das heißt der individuellen Anpassung an alle möglichen Produkt- und Systemzustände im statischen wie im dynamischen Modell. In einem solchen Szenario können Entwicklungsmannschaften über den ganzen Globus verstreut in virtuellen Teams zusammenarbeiten. Die Produktentwicklung gewinnt deutlich an Dynamik, zum Beispiel kann sich die Zeit für einen Entwicklungszyklus deutlich verkürzen. Bisher nur in der Informationstechnik angewandte Methoden, wie das Extreme Systems Engineering mit sehr schnellen Schritten zwischen einzelnen Produktversionen, werden nun auch im Fahrzeugbau möglich. Dazu kommt zusätzlich, dass Tests am umfassenden digitalen Modell beliebig oft in verschiedenen Systemnuancen durchgeführt werden können – unerlässlich für das Ziel „Zero defect“, das heißt für den Produktanlauf mit möglichst wenigen Änderungen und Nachbesserungen. Durch die Virtualisierung wird der heute schon beschrittene Weg, tief greifende Partnerschaften mit Zulieferern bei der Entwicklung einzugehen, weiter an Bedeutung gewinnen. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den
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Lieferanten ist es möglich, dediziert für jeden einzelnen Prozessschritt zu entscheiden, ob dieser besser beziehungsweise kostengünstiger In-House oder bei einem Partner vollzogen wird. Von Vorteil ist außerdem, dass der Zulieferer nicht unbedingt Zugriff auf die gesamten Konstruktionsdaten benötigt, sondern anforderungsspezifisch Daten vom digitalen Modell abgeleitet werden können. Doch selbst wenn IT-seitig der Zusammenarbeit prinzipiell nichts im Wege steht, stellen methodische wie prozessbezogene Unterschiede noch immer eine erhebliche Hürde für die reibungsfreie Zusammenarbeit in der Virtualität dar. Auf der anderen Seite wird nicht nur der Entwicklungsprozess tangiert, sondern auch das Produkt an sich. Befreit von der Notwendigkeit, das Portfolio der Produktvarianten zum Zwecke einer notwendigen physischen Absicherung überschaubar zu halten, werden Plattformstrategien durch individuelle Baukastensysteme ersetzbar sein. Der Weg hin zu einer Maßkonfektion der Produkte für die Kunden ist eröffnet, ohne dabei Qualitätskompromisse eingehen zu müssen – offen bleibt aber noch die Kostenfrage bei einem solchen Vorgehen. Jedoch sind auch viele der zukünftigen Grenzen der Virtuellen Absicherung heute schon absehbar. Die Komplexität digitaler Modelle steigt mit dem Detailgrad in der Regel quadratisch bis exponentiell, das heißt, dem exakten Abbild der physischen Welt werden immer technische Grenzen gesetzt sein. Außerdem ist das letztendliche Produkt nun einmal physisch, entsprechend ist ab einer gewissen Phase im Entwicklungsprozess der Übergang in die reale Welt zwingend notwendig. Es geht nur darum, diese heute schon vorhandene Grenze im Prozess zeitlich weiter in Richtung des SOP (Start der Produktion) zu schieben. Darüber hinaus überlagert die Störanfälligkeit der IT pragmatisch gesehen die theoretischen Möglichkeiten, alle physischen Fehler durch die Virtuelle Absicherung auszuschließen.
IT zur Absicherung der Produktionsqualität
Dr. Michael Gorriz, Vice President CIO Mercedes Car Group und Business Systems DaimlerChrysler AG Dr. Mario Kuduz, IT-System-Manager DaimlerChrysler AG Qualität ist ein wichtiger Differenzierungsfaktor in der heutigen globalen Produktionsstruktur. Gerade teure Standorte wie Deutschland können sich nur positiv vom Weltmarkt abheben, wenn die produzierte Qualität höher als der globale Durchschnitt ist. Deshalb ist es unumgänglich, auch die Innovationen, die die IT bietet, zur Erreichung dieses Ziels einzusetzen. Der Standort Deutschland gilt im Allgemeinen als ein teuerer Produktionsstandort. Verglichen mit den europäischen Nachbarländern sind die Produktionskosten die höchsten in Europa. Dennoch ist Deutschland ein sehr attraktiver Produktionsstandort, weil die Qualität der gefertigten Produkte insbesondere in der Automobilindustrie internationale Maßstäbe setzt. Dieser Umstand ist unter anderem der Innovation des Unternehmens DaimlerChrysler zu verdanken, das allein in Deutschland 16 Produktionswerke betreibt. Der vorliegende Beitrag beschreibt anhand praktischer Beispiele im Falle von DaimlerChrysler, wie moderne Technologien zur Stützung der Produktqualität eingesetzt werden. Bei den vorgestellten Technologien handelt es sich nicht um völlig neue Dinge. Es ist vielmehr so, dass die intelligente Verknüpfung der Daten und Technologien die Innovation darstellt, die sich am Ende in einer gestiegenen Qualität manifestiert und ein fokussiertes Vorgehen bei der Qualitätssicherung ermöglicht. Zur Entstehung und zum Erhalt von Qualität bedarf es vieler Instanzen, die auf vielen Ebenen zusammenspielen. Dabei nimmt der IT-Bereich eine sehr signifikante Rolle ein. IT-Anwendungen unterstützen bereits während der Entwicklung und der Produktionsplanung die Fachleute bei der Umsetzung ihrer Konzepte. Dadurch können viele Prozesse kostengünstig simuliert werden, bevor sie am realen Produkt getestet werden. Das gilt sowohl für die Entwicklung der Fahrzeuge selbst als auch für ihre Fertigung. Ein anderer wichtiger Aspekt des Einsatzes von IT-Systemen ist die laufende Produktion selbst. Während der Produktion müssen Fehler erfasst und beseitigt werden. Darüber hinaus können hiermit Fehlerquellen identifiziert
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und eliminiert werden. In den Fahrzeugaufbauwerken von DaimlerChrysler wird der Qualitätssicherungsprozess mit Inline Quality Management (IQM) bezeichnet. Er deckt den gesamten Produktionsvorgang ab, der beim Rohbau beginnt und mit der Auslieferung des Fahrzeugs an den Endkunden endet.
Konzeption des Inline Quality Management (IQM) Der Prozess des IQM beginnt bereits nach der Einplanungsphase. Jedes Fahrzeug definiert einen festen Auftrag, der in die Produktion eingeplant wird. Nachdem die einzelnen Karosserieteile aus dem Presswerk in den Rohbau geliefert sind, beginnt auch die Aktivität der IT-basierten Qualitätsabsicherung. Die einzelnen Karosserien werden im Rohbau aus den gelieferten Karosserieteilen gefertigt. In einem nächsten Schritt erhalten die Rohkarosserien in der Lackierungsstraße ihre Oberflächenversiegelung und ihre Farbe. Im Anschluss daran erfolgt die Endmontage der Fahrzeuge, wobei einzelne Komponenten, wie beispielsweise Cockpit, Himmel oder Motor, aus anderen Vormontagelinien zugeliefert werden. In allen genannten Produktionsbereichen kommt das IQM zum Einsatz. Die Abbildung 1 veranschaulicht die Gesamtstruktur des IQM-Prozesses. Ziele Der Einsatz des IQM soll in erster Linie eine signifikante Verbesserung der Qualität und daraus resultierend eine Verringerung der Produktionskosten zur Folge haben. Um dies zu erreichen, müssen mehrere Teilaspekte betrachtet werden • Verbesserung der Qualität des Produkts sowohl in der Planungs- als auch in der Produktionsphase • Einsatz von Qualitätskontrollkreisen über den gesamten Produktionsprozess hinweg • Verringerung von Nacharbeitsaufkommen und daraus resultierende Verringerung von Kulanzaufkommen • Nachvollziehbare Qualitätsaussagen zu jedem Fahrzeug • Durchgängiger Informationsfluss in den IT-Systemen, Vereinheitlichung bei der Erfassung und klare Berichtsstrukturen
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Aufbau des IQM Das IQM teilt sich im Wesentlichen in zwei Teilbereiche. Der erste Teilbereich ist die Erfassung. Hier werden die einzelnen Mängel erfasst, dabei mit einem definierten Fehlerort und einer definierten Fehlerart gekennzeichnet sowie einem Verursacher zugeordnet. Die in der Nacharbeit ausgeführte Beseitigung des Fehlers erfasst eine Ursache für den Mangel sowie die ausgeführte Nacharbeit. Diese auf der Erfassungsseite generierten Daten werden zur zweiten Stufe des IQM, der Auswertung, weitergeleitet. Separat nach einzelnen Werken, Produktionshallen, Abteilung oder definierbaren Zeiträumen werden die Ergebnisse entsprechend des gefragten Umfangs auf allen Führungsebenen berichtet.
Abb. 1. Der IQM-Prozess im Überblick
Regelkreise Um den gesamten IQM-Prozess und die dafür notwendigen Kontrollmechanismen umzusetzen, werden zwei Regelkreise eingesetzt, die auf unterschiedlichen Ebenen in der Produktion den Prozess überwachen. Der Regelkreis 1 steuert den Prozess direkt an der Produktionslinie und sensibilisiert so das Qualitätsempfinden des Mitarbeiters in der Linie. Dabei verwendet man den so genannten Q-Alarm (Qualitätsalarm). Fällt einem Mitarbeiter ein Mangel am Fahrzeug auf, wird dieser Alarm ausgelöst. Als Folge dieses Alarms wird ein Unterstützer angefordert, mit dessen Hilfe der Fehler nach Möglichkeit sofort nachgearbeitet wird. Der Mangel wird
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als Fehler erfasst und in das System mit zugeordnetem Verursacher eingegeben. Der Regelkreis 2 geht eine Stufe weiter. Hier kommen so genannte Null-Fehler-Tore zum Einsatz. An diesen Null-Fehler-Toren werden alle Fahrzeuge systematisch überprüft. Dabei werden neben äußeren Elementen wie Lack- und Oberflächenbeschaffenheit auch die Funktionalität der eingebauten Elektronikeinheiten und die Qualität von sicherheitsrelevanten Verschraubungen geprüft. Entdeckte Fehler werden erfasst und dem entsprechenden Verursacher zugeordnet. Die Nacharbeit der Mängel findet entweder direkt am Null-Fehler-Tor oder später an den Nacharbeitsstationen statt. Null-Fehler-Tore sind an definierten Punkten in der Produktion eingerichtet. Jedes Null-Fehler-Tor prüft die Umfänge am Fahrzeug, die in den vorgelagerten Stellen verbaut wurden. Aufgetretene Mängel werden erfasst und dem entsprechenden Verursacher zugeordnet. Am Ende der Produktion steht die Werksschlussabnahme, die ebenfalls einen Teil des Regelkreises 2 darstellt. Hier wird das Fahrzeug nochmals komplett überprüft. Wenn eine Prüfung ein positives Ergebnis liefert, wird der Vertriebssteuerbeleg erstellt. Damit kann das Fahrzeug dem Vertrieb übergeben und somit an den Endkunden ausgeliefert werden.
Anwendungen des IQM In den Werken, in denen das Inline Quality Management zum Einsatz kommt, wird die Produktion über hochverfügbare Server gesteuert. Relationale Datenbanken verwalten dabei sowohl eine Vielzahl von stationären Daten als auch Bewegungsdaten.
Abb. 2. Einsatz der Komponenten PLUS und PLUS+ im IQM
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Das IQM wird bei DaimlerChrysler mittels einer eigenen Software, dem „PLUS-Produktionsbaukasten“, realisiert. PLUS steht dabei für Produktionsleit- und Steuerungssystem. Der PLUS-Baukasten besteht aus einer Vielzahl von Software-Bausteinen, die jeweils spezifische Aufgaben übernehmen und untereinander kommunizieren. Somit wird jeder Auftrag von einem einheitlich aufeinander abgestimmten System während der gesamten Dauer der Produktion hinweg überwacht. PLUS wird auf PCs eingesetzt und basiert auf einer Smalltalk-Umgebung. Die gesamten Systeme für die Datenerfassung werden von PLUS abgedeckt. Für die Auswertung kommt PLUS+, eine Weiterentwicklung von PLUS, zum Einsatz. PLUS+ basiert im Gegensatz zu PLUS auf einer J2EEUmgebung, einer Plattform, auf der unter Java entwickelte Komponenten integriert und objektorientiert verarbeitet werden können. Unter PLUS+ sind alle benötigten Auswertealgorithmen realisiert. Abbildung 2 zeigt eine Übersicht der verwendeten Bausteine, die für das IQM zum Einsatz kommen. Diese Bausteine sollen im Folgenden detaillierter betrachtet werden. Anwendungen zur Datenerfassung INQA (Integrierte Qualitätsabsicherung)
In INQA werden Fehler erfasst und nach erfolgter Nacharbeit mit Ursache und Nacharbeit belegt.
Abb. 3. Fehlererfassung mit INQA
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Dabei gehört zu jeder Fehlererfassung die Erfassung des Fehlerorts, der Fehlerart und des zugeordneten Verursachers. Dadurch kann an die betroffene Abteilung beziehungsweise Meisterei weitergegeben werden, welche Fehler in welcher Häufigkeit auftreten. Innerhalb der betroffenen Meistereien können dann entsprechende Gegenmaßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden. Die Fehler können sowohl text- als auch bildbasiert eingegeben werden. Das in Abbildung 3 gezeigte Beispiel der Fehlererfassung mit INQA zeigt eine bildbasierte Fehlererfassung im Lackfinish in der Baureihe C-Klasse. MAP (Management-Arbeitsprozesse)
MAP kann als frei konfigurierbare Checkliste betrachtet werden. Insbesondere an Null-Fehler-Toren kommt MAP zum Einsatz. Ein Prüfumfang wird so definiert, dass das Fahrzeug in Abhängigkeit von seiner Aufbauvariante und seinem Ausstattungsumfang geprüft werden kann. Dazu bedient man sich so genannter Tätigkeitsmuster, die dafür sorgen, dass bestimmte Punkte in einer Checkliste nicht auftauchen. So ist es möglich, dass ein Fahrzeug mit Glasschiebedach mit dem gleichen Prüfprozess geprüft wird wie ein Fahrzeug ohne.
Abb. 4. Checkliste in MAP
Nur bei dem Fahrzeug mit Glasschiebedach taucht der Punkt „Glasschiebedach“ in der Prüfliste auf, während bei dem anderen Fahrzeug dieser Punkt im Prüfumfang nicht angezeigt wird. Wenn während einer MAP-
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Prüfung Mängel festgestellt werden, kann der Fehler direkt in INQA erfasst werden. MAP gehört zu den Anwendungen, die in den meisten Fällen auf mobilen PDAs zum Einsatz kommen. So kann sich der Mitarbeiter am Band frei um das Fahrzeug herum bewegen und alle erforderlichen Prüfschritte vornehmen, ohne nach jeder einzelnen Prüfung wieder einen stationären PC aufzusuchen. Die Prüfung von Fahrverhalten und Fahrgeräuschen auf der Einfahrstrecke erfolgt ebenfalls mit MAP und INQA auf mobilen PDAs. PQD (Prozess-Qualitäts-Daten)
Prozess-Qualitäts-Daten spielen eine wichtige Rolle bei der Absicherung von Prozessabläufen. Mittels PQD wird eine Vielzahl an qualitätsund sicherheitsrelevanten Daten erfasst und weiterverarbeitet. Zu den Prozess-Qualitäts-Daten gehören unter anderem • • • • • •
Schraubdaten Spaltmaße Fahrwerksmessdaten Bremsdaten Verschweißung von Bolzen Befüllvorgänge
Abb. 5. Der PQD-Erfassungsprozess im Überblick
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PQD repräsentiert, vereinfacht betrachtet, die automatisierte Form der manuellen Fehlererfassung, wie sie in INQA umgesetzt ist. Man unterscheidet beim PQD-Prozess zwei aufeinander folgende Prozessschritte. Der erste Schritt ist die Datenerfassung. Über den am Fahrzeug angebrachten mobilen Datenspeicher (MDS) werden die Produktionsnummer und das zugehörige Tätigkeitsmuster (TMU) für diesen Vorgang ausgelesen und an die entsprechende Steuerung übertragen. Die Steuerung beliefert das ausführende System (Schweißgerät, Schrauber, Spaltmessdetektor etc.) mit den Daten, die für den Prozess notwendig sind. Nach Abschluss des Arbeitsvorgangs werden die Ist-Daten, die Soll-Daten und die zugehörigen oberen und unteren Toleranzgrenzen mit resultierendem Gesamtergebnis –„In Ordnung“ (IO) oder „Nicht in Ordnung“ (NIO) – an den Leitrechner weitergegeben. Auf Basis dieser Daten werden die Parameter, die außerhalb der Toleranzen liegen und damit als NIO-Ergebnis klassifiziert sind, als fehlerhaft verbucht. Darüber hinaus wird eine Vollständigkeitsprüfung durchgeführt, bei der die Datensätze, die fehlen, als nicht definiert und damit auch als NIO verbucht werden.
Abb. 6. PQD für Spaltmaße bei einer Rohkarosserie für die S-Klasse
Innovativ an diesem Vorgehen ist die Verwendung von Prozessdaten zur direkten Qualitätskontrolle, die von der Steuerung der Werkzeuge und Roboter zur Verfügung gestellt werden. So werden zum Beispiel Höhe und Verlauf des Schweißstroms zur Gütemessung der Bolzenschweißung herangezogen. Dies ist wesentlich genauer als die manuelle Kontrolle, die bei
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circa 300 Bolzen pro Fahrzeug ohnehin nur Stichprobencharakter haben kann. Im zweiten Schritt erfolgen die Kontrolle und nachfolgend die notwendige Nacharbeit. Das Fahrzeug fährt in eine Kontrollstation. Dort wird es wieder über seine Produktionsnummer identifiziert. Nach Anfrage der Steuerung an den Leitrechner erhält ein Visualisierungssystem die Daten des zu visualisierenden Vorgangs und gibt den Zustand auf dem Visualisierungssystem wieder. Dabei werden sowohl die Einzeldaten als auch das Gesamtergebnis (IO oder NIO) dargestellt. Die Abbildungen 6, 7 und 8 zeigen Beispiele für PQD-Visualisierungen. Der zuständige Mitarbeiter kann im nächsten Schritt anhand der Information durch die Visualisierung die Nacharbeit durchführen. Die Durchführung der Nacharbeit muss vom Mitarbeiter entsprechend quittiert werden. Jeder Mitarbeiter identifiziert sich dabei über seine eindeutige Kennung.
Abb. 7. PQD für Schraubdaten bei der Bodengruppe der E-Klasse
Die Abbildungen 6 bis 8 zeigen Beispielanwendungen für PQD. In Abbildung 6 erkennt man eine Rohkarosserie der S-Klasse mit angegebenen Spaltmaßen. Die grüne Farbgebung signalisiert Spaltmaße, die innerhalb der vorgegebenen Tolleranzen liegen. Abbildung 7 zeigt eine Aggregateplattform der E-Klasse nach der Verschraubung mit der Karosserie. Alle grünen Punkte markieren Schraubstellen mit fehlerfreiem Ergebnis. Im Falle einer fehlerhaften Verschraubung wird die betroffene Schraubstelle mit einem roten Punkt gekennzeichnet. Außerdem ist die Produktionsnummer (oben links) im Fehlerfall nicht grün, sondern rot unterlegt. Ein
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fehlerhafter Bolzen in einem Rohkarosserieteil ist bei der in Abbildung 8 gezeigten Visualisierung zu sehen. Anhand dieser Information kann die entsprechende Position nachgearbeitet werden. Mittels PQD wird eine kontinuierliche Überwachung von qualitätsrelevanten Parametern gewährleistet und damit eine Sicherstellung eines dauerhaft hohen Qualitätsstandards sichergestellt.
Abb. 8. PQD für Bolzenverschweißung im Rohbau mit fehlerhaftem Bolzen
FAMOS (Fahrzeug-Monitoring-System)
An diversen Stationen ist das weitere Vorgehen bei der Produktion eines Fahrzeugs abhängig von seinem Zustand. Hat ein Fahrzeug keinerlei Beanstandungen, wird es zur nächsten Station weitergefahren. Sollten jedoch Mängel gemeldet worden sein, werden diese an bestimmten Nacharbeitsstationen nachgearbeitet. Eine Zielesteuerung leitet ein Fahrzeug zu einer Nacharbeitsstation. FAMOS ist eine Anwendung, die auf andere Anwendungen zurückgreift, und so eine Fahrzeugprüfung durchführt. Je nach Konfiguration der Station wird auf offene Fehler in INQA, fehlerhafte Verschraubungen oder unplausible variable Produktdaten geprüft. In Abhängigkeit des Prüfergebnisses kann automatisiert oder manuell ein Ziel zugewiesen werden, zu welchem das Fahrzeug als Nächstes gesteuert werden soll.
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Abb. 9. Zielesteuerung mit FAMOS
Durch FAMOS kann außerdem der so genannte Geradeauslauf gezählt werden. Dabei wird an bis zu fünf Stationen in einer Produktionslinie gezählt, wie viele Fahrzeuge fehlerfrei sind und daher „geradeaus“ laufen, und wie viele Mängel haben und daher „abgefahren“ werden müssen. Basierend auf diesen Daten kann später der Geradeauslauf berechnet werden. So erhält man eine Aussage darüber, wie viele Fahrzeuge die Produktion fehlerfrei durchlaufen. Abbildung 9 zeigt die Anwendung FAMOS bei der Zielesteuerung. Das jeweilige Fahrzeug, das durch seine Produktionsnummer (oben links) identifiziert wird, hat keinerlei Beanstandungen, folglich ist der Hintergrund grün gehalten. Im Falle von anstehenden Beanstandungen wäre der Hintergrund rot und die offenen Punkte würden im Hauptfenster mit der Möglichkeit angezeigt, diese durch andere Anwendungen des PLUS-Systems zu bearbeiten. Die Drop-down-Liste zeigt die zur Verfügung stehenden Ziele, die in dem hier gezeigten Fall manuell vergeben werden. Anwendungen zur Auswertung Nachdem alle notwendigen Daten durch Anwendung des PLUSBaukastens in der Produktion gewonnen wurden, erfolgt in einem nächsten Schritt die Auswertung. Diese ist die Basis des Berichtswesens über alle Führungsebenen.
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Abb. 10. Fehlerbericht im MRS
Die Auswertung erfolgt durch das MRS (Manufacturing Reporting System), das in der PLUS+-Umgebung implementiert ist. Die jeweiligen Auswertungen können basierend auf den erfassten Daten frei konfiguriert werden. Die Berichte im MRS umfassen neben dem Fehleraufkommen unter anderem auch Kennzahlen zum Wirkungsgrad der Null-Fehler-Tore, Auswertungen zum Geradeauslauf sowie die Produktionshistorie von jedem Fahrzeug. Das System ist sehr flexibel ausgelegt, sodass neue Auswertealgorithmen in kurzer Zeit umgesetzt werden können. Außerdem sind grafische Visualisierungen möglich.
Zusammenfassung und Ausblick Das IQM ist im Jahr 2001 eingeführt worden und seit 2004 in vollem Umfang in den Produktionswerken der Mercedes Car Group im Einsatz. Das System ist jedoch in seiner Entwicklung nie abgeschlossen. Es wird stetig mit den sich verändernden Anforderung aus der Produktion modifiziert und erweitert. Durch wechselnde Baureihen, Modifikationen bei den Fahrzeugen innerhalb einer Baureihe, Veränderungen in der Logistik oder technologischen Fortschritten bei den Produktionsmethoden ergeben sich stets neue Anforderungen bei der Überwachung der Qualität. Die Entwicklung des IQM muss immer an die jeweiligen Bedingungen angepasst und
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optimiert werden. Dadurch wird die Philosophie des Kaizen, also der stetigen Verbesserung der Qualität durch Perfektionierung und Optimierung des bewährten Prozesses, systematisch verfolgt und umgesetzt. So konnte die Effizienz bei der Fahrzeugproduktion innerhalb der letzten Jahre massiv gesteigert werden. Durch den Einsatz von IT-Lösungen in der Fahrzeugproduktion in Form des Inline Quality Managements können systematisch Fehler und Fehlerquellen erkannt und eliminiert werden. Außerdem können Produktionsabläufe für künftige Prozesse hinsichtlich Fehleranfälligkeit und Effizienz optimiert werden. Die Folge sind eine Verringerung der Nacharbeitsaufkommen und daraus resultierend die Reduktion des Kulanzbedarfs beim Endkunden. Eine entsprechende Reduzierung der Produktionskosten ist die Folge. Beim Anlauf neuer Baureihen werden die Anlaufzeiten unter anderem durch den Einsatz des IQM signifikant verringert. IT-Systeme sind im IQM grundsätzlich einheitlich strukturiert. Es wird eine möglichst weit umfassende Standardisierung angestrebt. Die beschriebenen Systeme werden derzeit in allen Produktionswerken der Mercedes Car Group eingesetzt. Der unternehmensweite Einsatz derartiger Lösungen ermöglicht eine schnellere Umsetzung von Änderungen. Wenn ein Prozess in einem Werk verbessert wird und sich diese Verbesserung auch für andere Werke als sinnvoll erweist, kann die Umsetzung der Verbesserung in relativ kurzer Zeit erreicht werden. Auch der Austausch der Mitarbeiter über die Werke gestaltet sich als unkompliziert, da die vorhandenen IT-Systeme identisch sind. IT-Lösungen müssen immer derart konzipiert sein, dass sie den gewünschten Prozess effizienter machen. Dazu sind möglichst einfache und nachvollziehbare Lösungen notwendig. Im Fall des IQM bedeutet Effizienzsteigerung die Reduzierung des Fehler- und Nacharbeitsaufkommens. Die bereitgestellten IT-Lösungen liefern zwar nicht unmittelbar den gewünschten Effekt, sind aber die Basis, um das gewünschte Ziel zu erreichen.
Innovative IT-Anwendungen zur integrierten Unterstützung des Beschaffungsprozesses im weltweiten Konzernverbund
Dr. Andreas Resch, Vorsitzender Geschäftsführung Bayer Business Services GmbH
Konzerne im Wandel Viele Konzerne haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Die Globalisierung der Märkte bringt die Notwendigkeit mit sich, sich als internationale Netzwerkorganisation zu verstehen und mit Konzerngesellschaften im In- und Ausland viel stärker zusammenzuarbeiten als in der Vergangenheit. Gleichzeitig sind zahlreiche Konzerne den Weg gegangen, sich in mehrere Gesellschaften aufzuteilen, die sich jeweils auf einen abgegrenzten Markt konzentrieren. Bei diesen fokussierten Gesellschaften ist es häufig das Ziel, eine Spitzenposition im jeweiligen Marktsegment zu erreichen, was neben dem „organischen“ Wachstum durch Akquisitionen geschieht. Somit spielt das Portfolio-Management mit dem Kauf oder Verkauf von Unternehmensteilen eine zunehmend stärkere Rolle, sodass die Organisation der Unternehmen einer entsprechenden Dynamik unterworfen ist. Insbesondere im Pharmasektor waren in den vergangenen Jahren zahlreiche Veränderungen zu beobachten. Mit der neuen Konzernstruktur, dem Herauslösen der ChemieAktivitäten im unabhängigen Unternehmen LANXESS, den vollzogenen Integrationen von Aventis CropScience und des Geschäfts mit verschreibungsfreien Arzneimitteln von Roche, steht der Bayer-Konzern prototypisch für eine ganze Reihe von Unternehmen in ähnlicher Situation.
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Abb. 1. Struktur des Bayer-Konzerns
Angesichts dieser Herausforderungen muss ein Großkonzern sicherstellen, dass die Synergien auf der Beschaffungsseite erhalten bleiben. Für typische Shared-Service-Funktionen wie Rechnungswesen und Beschaffung ergeben sich damit große Herausforderungen, auf derartige Veränderungen schnell und flexibel reagieren zu können, worauf im Folgenden näher eingegangen wird. Aufgaben und Herausforderungen einer globalen Beschaffungsorganisation Die klassische Aufgabenstellung der Beschaffung, die Versorgung zum richtigen Zeitpunkt zu den bestmöglichen Konditionen sicherzustellen, ist vom Grundsatz her stets die gleiche geblieben. Der Wandel der vergangenen Jahre bringt allerdings zusätzliche Komplexität ein, die es zu reduzieren oder zu beherrschen gilt. Die Rolle der Beschaffung als Konzernfunktion besteht auch in • der Schaffung einer Organisation, die den rechtlichen Rahmenbedingungen Rechnung trägt (zum Beispiel steuerrechtliche Aspekte) • der Sicherstellung des Synergie-Managements über Gesellschafts- und Landesgrenzen hinweg • der Schaffung eines Systems, das sowohl das Herauslösen als auch das Integrieren von Unternehmensteilen erlaubt Die geeignete Organisation kann verschiedenste Ausprägungen haben. Zahlreiche Unternehmen haben sich für einen dezentralen Ansatz ent-
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schieden und übertragen einer Gesellschaft die Verantwortung für ein bestimmtes Sortiment. Dieses „Lead Buyer“-Konzept sichert einerseits die Nähe zum Verbraucher und andererseits die Akzeptanz der verteilten Organisation. Den dezentralen Organisationsansatz hat auch Bayer umgesetzt – die Beschaffung ist ein „geführtes Netzwerk“. Zu den Kernelementen dieser Organisation gehört die klare Beschreibung von Aufgaben und deren Zuordnung zu verantwortlichen Stellen. Für die Akzeptanz ist es von großer Bedeutung hierbei eine Ausgewogenheit zwischen zentralen und dezentralen Funktionen zu schaffen. Dieser Ansatz wurde im Jahr 2002 mit dem Innovationspreis des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME) ausgezeichnet. So agieren die Lead Buyer im Rahmen definierter Sourcing-Richtlinien, die für den ganzen Konzern gelten, und identifizieren Synergiepotenziale, überwachen strategische Kontrakte und wickeln sowohl lokale als auch internationale Beschaffungsprojekte ab. Diese Entwicklung von einer monolithischen Zentralorganisation hin zu einer verteilten Netzwerkorganisation stellt auch wesentlich erhöhte Anforderungen an die IT-Unterstützung für die Procurement-Funktion. Neben den rein operativen Funktionen, die hochgradig automatisiert abgewickelt werden sollen, rückt der strategische Aspekt stärker in den Vordergrund. Basierend auf einem globalen Stammdaten-Management sind Funktionalitäten für Ausschreibungen, die Erstellung und internationale Nutzung von Einkaufskontrakten, das Lieferanten-Management sowie detaillierte Ausgabenanalysen (Spend Analysis) notwendig. Mit erfolgreicher Implementierung dieser Funktionalitäten kann der Lead Buyer den maximalen Nutzen aus der Einkaufsmacht erzielen. Um diesen Aufgaben gerecht zu werden, war eine ähnlich dramatische Veränderung der IT-Landschaft erforderlich wie bei der Organisation. Aus dem Blickwinkel der DV-Systeme war die Ausgangslage der 80erund 90er-Jahre bei den Konzernen in der Regel eine In-House erstellte Software, die auf einem Großrechner lief und in der Regel für ein Land, höchstens für eine Region Anwendung fand. Diese sind heute weitgehend abgelöst durch Client-Server-Systeme, in der Mehrzahl durch SAP R/3Lösungen. Auf Client-Server-Basis konnten dann für einzelne Gesellschaften oder Gruppen innerhalb des Konzerns mehr oder weniger speziell zugeschnittene Lösungen implementiert werden. Die wesentliche Anforderung an die Systeme ist es, die Erstellung des Konzernabschlusses angemessen zu unterstützen.
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Abb. 2. Typische Systemlandschaft eines globalen Unternehmens
Die weitgehende Unabhängigkeit der Systeme erlaubt damit auch, auf Portfolioveränderungen relativ flexibel zu reagieren. Es ist nicht zwingend erforderlich, dass die Systeme einen einheitlichen Versionsstand haben. Entsprechend heterogen stellt sich vielfach die Systemlandschaft dar. In solch einer heterogenen Systemlandschaft werden in vielen Systemen Beschaffungsvorgänge abgewickelt und Rechnungen gebucht. Die Beschaffung im Konzern ist gefordert, die „Leitplanken“ hierfür zu setzen. Nur mit diesen Leitplanken ist die notwendige Einheitlichkeit in Prozessen und Systemen zu erreichen. In unterschiedlich starkem Maße gilt dies für Stammdaten und sowohl für die strategische als auch für die operative Beschaffung. Hierbei sollen die einzelnen Gesellschaften so wenig wie möglich eingeengt werden, und trotzdem soll das Synergie-Management erfolgreich sein. Es gilt also, für eine Landschaft mit teilweise heterogenen Daten einen Überbau zu schaffen, der die Beschaffung im Konzern unterstützt und die Lead Buyer mit dem Handwerkszeug ausstattet, das ihnen die effiziente Bearbeitung ihrer Sortimente ermöglicht. Die Prozesslandschaft wird kontinuierlich um weitere Prozesse ergänzt. Neben den Abläufen für die strategische und operative Beschaffung gibt es auch einen Prozess zur Zusammenarbeit zwischen Lead Buyern und den Partnern innerhalb des Konzerns. Zunehmend in den Vordergrund rückt auch die Leistungsmessung des Einkaufs durch den Nachweis von Einsparungen.
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Abb. 3. Die vier Säulen der Einkaufsorganisation
Die heterogene Landschaft der ERP-Systeme und die Anforderungen aus den Prozessen, die über die klassische Unternehmensfunktion „Einkauf“ hinausgehen, bilden den Ausgangspunkt zu Überlegungen, die DVLandschaft zu ergänzen. Stammdaten bilden das Fundament Dass „aufgeräumte“ Stammdaten das Fundament für eine effiziente Nutzung der Einkaufsmacht bilden, ist eine schlichte, allgemein anerkannte Tatsache. Von dieser Erkenntnis bis zu einer stabilen Stammdatenbasis liegt allerdings ein langer Weg. Die Maximalforderung, „alle Stammdaten im Konzern sind einheitlich“, lässt sich in der Praxis kaum realisieren, da hierzu aufwendige Prozesse notwendig sind. Die wichtigsten Stammdatenobjekte für die Beschaffung sind hier die Lieferanten, die Materialien und die Warengruppen, jeweils mit der übergeordneten Hierarchie. Bereits im Jahr 2000 hat der Bayer-Konzern sich klar zur Wichtigkeit der Stammdaten bekannt und ein zentrales System für die Stammdatenpflege etabliert. Unter dem plakativen Titel „Golden Box“ steht das führende System für Stammdaten bereit, das alle anderen relevanten Systeme mit eben diesen Stammdaten versorgt.
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Bei der Durchsetzung des Konzepts war es neben guten Argumenten hilfreich, den Anwendern die Berechtigung für die Stammdatenpflege auf den dezentralen Systemen zu entziehen. Somit sind sowohl globale als auch lokale Stammdaten führend in einem System. Den verschiedenen Stammdaten kommt für die Umsetzung des Synergie-Managements unterschiedlich starke Bedeutungen zu. Die eindeutige Klassifizierung von Lieferanten, entweder durch ein eigenes Verschlüsselungssystem oder durch die Zuhilfenahme eines Providers (zum Beispiel Dun & Bradstreet) beziehungsweise der Kombination von beidem, hat einen sehr hohen Stellenwert. Ergänzt durch einen Warengruppenschlüssel ergibt sich die Grundlage für eine aussagekräftige Information über die Beschaffungsvolumina. Je nach Art der Materialien ergibt sich eine unterschiedliche Notwendigkeit der Harmonisierung. Für viele Rohstoffe gibt es einen transparenten weltweiten Markt, sodass mit einer globalen, überschneidungsfreien Kodierung Vorteile realisiert werden können. Bei technischen Artikeln spielen vielfach nationale oder regionale Normierungen eine Rolle, sodass eine globale Normierung nur bedingt möglich ist. Um die auf diesen Stammdaten basierenden Bewegungsdaten auswerten zu können, sind zusätzliche Ordnungsmerkmale erforderlich, die die Organisationsstrukturen im Konzern abbilden. Die Realisierung erfolgt zum einen durch die Festlegung von Pflegeprozessen, zum anderen durch die Bereitstellung eines entsprechenden DVSystems beziehungsweise einer Systemlandschaft. Der Bayer-Konzern hat frühzeitig auf ein Konzept „StammdatenServer“ gesetzt, mit dem die Pflegeprozesse unterstützt werden. Der aus mehreren Systemen bestehende Stammdaten-Server ist in der Lage, Daten in verschiedene Systeme im gesamten Konzern innerhalb von zwei Stunden zu verteilen. Basierend auf der Technik von SAP, Daten über Systemgrenzen hinweg auszutauschen (ALE), werden hierbei sowohl SAPSysteme als auch noch vorhandene Großrechnersysteme versorgt. Über diese Stammdaten kommt man aus Einkaufssicht sehr schnell zu Einkaufskontrakten, die in gleicher Weise verfügbar sein müssen. Daher ist der Kontrakt-Server als zentrales System in ähnlicher Weise aufgebaut. Das System unterstützt von der Kontraktanfrage über die Erstellung und die Ausgabe auch das Performance Monitoring der Kontrakte. Somit ist der gesamte Lebenszyklus des Kontrakts abgedeckt. Das System beherbergt auf einer Plattform sowohl die lokalen als auch die internationalen Kontrakte.
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Abb. 4. Stammdaten und Kontraktverteilung
Konsequenterweise bilden der Stammdaten-Server und der KontraktServer eine logische Einheit, die bei Bayer auch technisch in einer Instanz abgebildet wurde. Im Gegensatz zur Einbahnstraße der Stammdatenverteilung gibt es bei den Einkaufskontrakten auch eine Gegenfahrbahn – die Bestellungen, die sich auf Kontrakte beziehen, werden an den Kontrakt-Server zurückgemeldet, sodass man stets die Nutzung der Kontrakte überprüfen kann. Die Integration von akquirierten Unternehmen zeigte die Grenzen des Anspruchs auf harmonisierte Stammdaten auf. Es hat sich als wirtschaftlich unsinnig erwiesen, alle Stammdaten zu harmonisieren. Der Blumenladen um die Ecke gilt als Paradebeispiel. Ein ausreichendes Regelwerk, das die Informationsökonomie berücksichtigt, war nicht vorhanden. Sourcing mit System Das Sourcing wurde lange als ein strategischer Prozess wahrgenommen, der keiner signifikanten DV-Unterstützung bedarf. Oft war es auch so, dass Sourcing stark mit der Kreativität des jeweiligen Einkäufers verknüpft war und verschiedene Ausprägungen hatte. Diese Individualität ist unproblematisch, solange man sich in den Grenzen der eigenen Gesellschaft und im eigenen Kulturkreis bewegt. Bei der Arbeit in multinationalen und heterogenen Teams wird sie allerdings zunehmend als Hürde wahrgenommen.
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Abb. 5. Der „5 Step Sourcing Process“
Die „Bayer Procurement Community“, das heißt die Gemeinschaft des Einkaufs über die Gesellschaften hinweg, hat sich daher entschieden, den Ablauf des Sourcing in einem grundsätzlich definierten Prozess zu regeln und eine entsprechende Systemunterstützung zu etablieren. In einem „5 Step Sourcing Process“, der für alle Gesellschaften verbindlich ist, ist die generische Abfolge der Aktivitäten beim Sourcing beschrieben. Der Sourcing-Prozess verlangt deutlich mehr an Systemunterstützung als ein normales ERP-System leisten kann. Neben aktuellen Information zum Beschaffungsvolumen (Spend Analysis) sind auch Funktionen zum Projekt-Management, der Anfrageerstellung und Ausschreibung sowie der Kontrakterstellung und Abstimmung gefordert. Die Bayer Business Services GmbH hat die Anforderungen der Procurement Community des Bayer-Konzerns mit dem Aufbau und der Integration eines „Sourcing Cockpits“ gelöst. Bei diesem Sourcing Cockpit handelt es sich um die Kombination einer marktgängigen „Sourcing Software“, die in die Bayer-Systemlandschaft an wenigen, zentralen Schnittstellen integriert ist. Die innovative Kombination der sonst üblicherweise „stand alone“ betriebenen Software zur Unterstützung des strategischen Einkaufs mit der Einbindung der operativen Systeme bringt einen weiteren wichtigen Schritt zur Realisierung der Einsparziele. In diesem System sind Unterstützungsfunktionen für alle im SourcingProzess relevanten Aktivitäten abgebildet. Der Kerngedanke des Systems ist die Verwendung von Templates, also von Vorlagen für die jeweils abzubildende Aufgabe wie zum Beispiel Projekte oder Anfragen.
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Abb. 6. Module des Sourcing-Cockpits
Der „5 Step Sourcing Process“ ist konsequenterweise als zentrale Vorlage für das Projekt-Management-Modul im System vordefiniert und hinterlegt. Natürlich kann das System auch sehr viele verschiedene Templates vorhalten, der Nutzen ist allerdings am größten, wenn sich die Anwender der einheitlichen Vorlage bedienen. Dieses Standard-Template kann sehr zügig in ein neues Projekt übernommen werden und mit weiteren Informationen wie etwa Anhängen versehen werden. Die einzelnen Aufgaben können Mitarbeitern oder Mitarbeitergruppen zugewiesen, terminiert und letztlich überwacht werden. Wenn wir den Prozess weiter durchlaufen, brauchen wir zunächst eine verlässliche Zahlenbasis – die Spend Analysis aus der Procurement Community. Diese ist Bestandteil eines komplexen Data Warehouse, das aus verschiedenen Quellsystemen in aller Welt Daten aggregiert, die sowohl Informationen über das operative Einkaufsgeschäft als auch über den strategischen Einkauf abbildet. Die Spend Analysis liefert die Daten für die Bedarfsprognose, die für die Ausschreibung verwendet werden soll.
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Abb. 7. Vorlage für ein Sourcing-Projekt
Im Modul für Ausschreibungen und Auktionen ist die internetbasierte Interaktion mit (potenziellen) Lieferanten möglich. Vom Grundsatz her kann in mehreren Runden von der Informationsanfrage – Request for Information (RfI) – bis zur Auktion alles durchgeführt werden. Insbesondere komplexe Vorhaben wie Engineering-Projekte profitieren von der Möglichkeit, den Input der Anbieter zu integrieren und weiter zu verwenden. Auch hier kommen Templates zum Einsatz, sodass neben der Wiederverwendbarkeit von Informationen auch bei den Lieferanten ein Wiedererkennungs- und Lerneffekt einsetzt.
Abb. 8. Fragebogen für eine Informationsanfrage
Das Modul bietet alle Möglichkeiten „normaler“ Auktionsplattformen, schafft es aber, die Funktionalität in den gesamten Sourcing-Prozess einzubetten. Nach Abschluss der DV-technisch unterstützten Vergabe kann das System die Erstellung des Kontrakts unterstützen.
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Abb. 9. Zusammenfassung einer Ausschreibung
Basierend auf Vorlagen kann der Text mit konzerninternen und -externen Stellen in mehreren Iterationen überarbeitet und weiterentwickelt werden (Redlining). Diese Aktivitäten sind insbesondere in den Vereinigten Staaten sehr aufwendig und erfahren durch die Systemunterstützung eine erhebliche Erleichterung. Die auf diesem Wege entwickelten strategischen Kontrakte werden einem Freigabe-Workflow unterworfen und danach übermittelt. Trotz erheblicher Fortschritte bei digitalen Signaturen wird bei dieser Übermittlung klassischer Vertragsdokumente die Übermittlung per Post oder Fax weiterhin wichtig sein. Der auf diese Weise entwickelte strategische Kontrakt wird auf den Kontrakt-Server übertragen und bildet dort den übergeordneten Vertrag zu operativen Kontrakten. Dem weltweit gültigen Kontrakt mit einem Hardware-Hersteller werden in der Regel bei der Implementierung operative Kontrakte folgen, die die Lieferung in einem bestimmten Land von einer bestimmten Niederlassung regeln. Diese operativen Kontrakte werden dann wie bereits beschrieben auf die dezentralen ERP-Systeme übertragen. Das folgende Kontrakt-Management stellt zum einen die Überwachung von Kündigungsfristen durch rechtzeitiges Versenden von WorkflowAktionen sicher. Zum anderen wird über das Data Warehouse die Inanspruchnahme des Kontrakts überwacht. Mit dieser Messung der Kontraktnutzung wird es der Bayer Procurement Community gelingen, zunehmend die Rückkopplung der eigenen Kunden zu berücksichtigen und damit den Anteil des Beschaffungsvolumens, der über Kontrakte gedeckt ist, signifikant zu erhöhen. Neben den transaktionalen Informationen kommt den Soft Facts immer mehr Bedeutung zu. Es gehört zu den Aufgaben des Sourcing, diese im Unternehmen zu sammeln und Maßnahmen mit dem Lieferanten einzuleiten, sodass dieser sich weiterentwickeln kann.
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Abb. 10. Business Warehouse der Procurement Community
Für das Lieferanten-Management hat die Bayer Business Services GmbH das Produkt SUPREME entwickelt. Im SUPREME sind Module zur Lieferantenauswahl, -bewertung, -analyse und -optimierung integriert. • Auswahl der Lieferanten: Die Komponente Lieferantenauswahl und -segmentierung unterstützt den Einkäufer dabei, Lieferanten zu identifizieren, die aufgrund von strategischer Bedeutung, Materialgruppe oder langen Prüfungsintervallen erneut bewertet werden müssen. Die Auswahl erfolgt mithilfe verschiedener Indikatoren, die auf Daten der operativen Vorsysteme beruhen. • Bewertung der Lieferanten: Die Bewertung wird von Mitarbeitern durchgeführt, die bereits Kontakt zum Lieferanten pflegen. Die einheitliche Struktur der Formulare und eine Bewertung nach dem Punktesystem garantieren Vergleichbarkeit und Aussagekraft der Daten. • Analyse der Lieferantenbeziehungen: Die Bewertungen werden mithilfe eines Spezial-Tools analysiert. Dabei ermöglichen es die Parameter Lieferant, Materialklasse und Empfänger, die Lieferantenbeziehungen unter verschiedenen Aspekten zu betrachten. Die durchgängige Transparenz der Supplier Relations erleichtert es dem Mitarbeiter, gezielte Strategien festzulegen. Außerdem bietet sie Entscheidungshilfe bei der Frage, ob und wie eine Geschäftsbeziehung verbessert, ergänzt oder beendet werden sollte.
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Abb. 11. Kriterien im Bayer-Lieferanten-Management
• Optimieren der Lieferantenbeziehungen: Mit der Optimierungskomponente lassen sich Verbesserungsmaßnahmen und -ziele definieren und entsprechende Verantwortliche bestimmen. Transparenz und Kontrolle sind dabei zu jedem Zeitpunkt gewährleistet. Am Ende wird der Erfolg der einzelnen Maßnahmen bewertet. Mit diesem Lieferanten-Management wird die DV-Unterstützung für die Sourcing-Funktion abgerundet.
Abb. 12. Phasenmodell des Lieferanten-Managements
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Der operative Einkauf – nicht strategisch und immer zu teuer Operative Einkaufsabwicklung ist nicht „sexy“ und trägt nur selten zum Ansehen einer Einkaufsorganisation bei. Gerade deswegen muss diese mit minimalem Aufwand geschehen. Neben organisatorischen Ansätzen wie zum Beispiel die Verlagerung operativer Tätigkeiten in Niedriglohnländer bleiben Automatisierungsbestrebungen durch den gezielten Einsatz von IT-Lösungen im Fokus, die sich auch in eine heterogene Landschaft integrieren lassen. Diese IT-Lösungen sollen zum einen dazu dienen, dass der Anwender im Konzern in die Lage versetzt wird, die verhandelten Kontrakte ohne weitere Bearbeitung durch die Einkaufsfunktion selbst zu nutzen, zum anderen soll die Erfassung von Belegen in der gesamten Prozesskette mit dem Lieferanten minimiert werden. Die Bayer Business Services betreiben für Kunden innerhalb und außerhalb des Bayer-Konzerns auf Internettechnik basierende Systeme, die dem End-User verhandelte Verträge und elektronische Kataloge auf einfache Weise nutzbar macht, sodass die Einkaufsfunktion sich darauf konzentriert, eben diese Kataloge und Verträge bereitzustellen. Auch hier greift das Lead-Buyer-Konzept mit seiner dezentralen Verantwortung. Mit diesen IT-Systemen ist es gelungen, den Anteil von Bestellungen, die ohne Eingriff des Einkaufs abgewickelt werden, in Kernsortimenten auf über 90 Prozent zu erhöhen. Zusätzlich setzen die BBS und ihre Kunden innerhalb und außerhalb des Bayer-Konzerns auf den innovativen CAPO, den Calculator for Advertising Printing Objects, der mit wenigen Klicks die Preise mehrerer Anbieter nahezu beliebiger Drucksachen vergleicht und die Bestellung veranlasst.
Abb. 13. CAPO – Calculator for Advertising Printing Objects
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Mit den Kernlieferanten werden die Bestellungen, der Lieferavis und die Abrechnungsinformationen auf dem Weg des elektronischen Datentransfers (EDI) ausgetauscht. Der Aufwand im Wareneingang ist dadurch drastisch reduziert worden. Per elektronischem Lieferavis erhält der zentrale Wareneingang alle Positionen, die in einem Fahrzeug vorhanden sein werden. Beim Wareneingang wird lediglich die Identifikation des Fahrzeugs erfasst und alle zugehörigen Wareneingänge gebucht. Stichprobenweise wird geprüft, ob in der physischen Lieferung auch enthalten ist, was auf elektronischem Wege avisiert worden ist. Basierend auf den Bestell- und Wareneingangsdaten wird nun eine automatische Gutschrift erzeugt, die wiederum per EDI-Nachricht in die Systeme des Lieferanten eingelesen wird. Die Kernsortimente „Labor“ und „Bürobedarf“ werden auf diesem Wege hochautomatisiert abgewickelt, was für mehr als 100 000 Bestellpositionen jährlich erheblich weniger Aufwand bedeutet.
Der Schlüssel zum Erfolg Der Wandel der Märkte und der Wandel des Bayer-Konzerns haben die Arbeit der Procurement Community in den vergangenen Jahren stark beeinflusst und maßgeblich zu einem Veränderungsprozess beigetragen. Die Unterstützung strategischer und operativer Beschaffungsprozesse durch eine moderne und passende DV-Landschaft ist ein Baustein für den Erfolg der Einkaufsfunktion. Dieser Erfolg hat in den vergangenen Jahren bemerkenswerte Einsparungen sowohl bei den Einstandskosten als auch bei den Prozesskosten gebracht. Bei den Einstandskosten sind Einsparungen in dreistelliger Millionenhöhe durch die Einkaufsorganisation realisiert worden. Ein Indiz für die Optimierung der operativen Beschaffung ist neben der bereits erwähnten Automatisierung durch Kontrakte und Kataloge die Verkürzung der Durchlaufzeiten von Vorgängen im Einkauf. Diese konnte im Rahmen der Implementierung halbiert werden. Die Entwicklung und die Implementierung einer erfolgreichen Systemlösung basiert auf einer interdisziplinären Teamarbeit, die die maßgeschneiderte Lösung mit und für die Organisation findet. Eine adäquate Lösung „von der Stange“ gibt es bis dato nicht, sodass die Herausforderung darin liegt, die richtigen Bausteine auf dem Markt zu sammeln, durch eigene zu ergänzen und in der richtigen Anordnung zusammenzufügen. Der Erfolg des Teams liegt in der Tatsache, dass Experten aus der Prozessmodellierung, der Organisation, der IT-Umsetzung und letztendlich
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dem Business zusammengearbeitet haben, um eine nahtlose Lösung zu schaffen. Die Organisation der Bayer Business Services GmbH, die neben reinen IT-Services auch Servicefunktionen zum Beispiel in der Beschaffung, dem Accounting und im Business Consulting bietet, verfügt für derartig komplexe Aufgaben über die notwendigen Experten. In Zukunft ein System für die Beschaffung als Drehscheibe? Unternehmensfunktionen neigen dazu, sich in das Zentrum zu stellen – wenn schon nicht in das Zentrum eines Weltbilds, dann zumindest in das Bild eines Unternehmens. Das „einkaufszentrierte“ Bild eines Unternehmens hat sich allerdings außerhalb von Einkaufsleiterrunden nicht durchsetzen können. In den marktgängigen ERP-Systemen ist der operative Einkauf in die logistischen Funktionen der Supply Chain eingebettet und der strategische Einkauf in der Regel entkoppelt. Der Bayer-Konzern ist einen wichtigen Schritt gegangen, in dem die Komponenten ergänzt und verbunden wurden – das Gesamtziel ist damit aber noch nicht erreicht. Einige Großunternehmen in Deutschland haben diesen Weg mittlerweile auch beschritten oder beschreiten ihn gerade. Das mittelfristige Ziel ist es, die Funktionen aus den Komponenten in ein zentrales System zu überführen, das mit den Supply-Chain-Systemen kommuniziert. Die damit verbundene Produktivitätssteigerung im Einkauf und die Komplexitätsreduzierung im Systembetrieb ist für die Bayer Procurement Community ein wichtiges Ziel, das wir in den nächsten drei Jahren erreichen wollen.
Eine neue Informationsrevolution durch RFID verändert Geschäftsprozesse – ein innovatives Anwendungsbeispiel aus dem Pharmabereich
Dr. Hans Christoph Dönges, Leiter Competence Center IT-Lösungen in der Logistik Dematic GmbH Ulrich Otto, Principal Booz Allen Hamilton Eine Vielzahl von „Radio Frequency Identification“(RFID)-Anwendungen gibt es bereits. Im Fokus steht immer ein Mehrwert der durch verbesserte Informationen in den Geschäftsprozessen oder für Entscheidungen generiert wird, zum Beispiel Kundeninformation, Real-Time-Information über den Aufenthaltsort von Waren oder Produktionsinformation. RFID ist dabei der technische Enabler. Hierbei wird ein Chip mit Funksender auf einem Gegenstand angebracht. Der Chip enthält eine Information, die er dann an ein Lesegerät berührungslos über einen begrenzten Entfernungsradius senden kann. Von hier an wird die Information in Geschäftsprozessen genutzt für verschiedenste Anwendungen. Neben den technischen Herausforderungen des Einsatzes der Funktechnologie in bestimmten Situationen steht die Sicherstellung, dass für den Investor den Implementierungskosten auch ein quantifizierbarer Nutzen gegenübersteht. In der Pharmaindustrie scheint hier ein Durchbruch bevorzustehen. Pharmaunternehmen rechnen sich aus, durch den Einsatz von RFID ihre Blockbuster-Medikamente vor Fälschungen und damit ihre Gewinne zu schützen. Durch die gleiche Anwendung, aber mit anderem Informationsfluss erhoffen sich Behörden, Patienten vor gesundheitlichem Schaden zu bewahren. Ist die Implementierung erst einmal geschafft und Medikamente haben einen RFID-Tag, dann lassen sich allerdings noch ganz andere Szenarien der Nutzung von RFID vorstellen.
Heutige Einsatzszenarien für RFID Die Komplexität der Lieferketten in Handel und Konsumgüterindustrie nimmt ständig zu. Im Zeitalter der Globalisierung werden Produktions-
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schritte ins Ausland verlagert, Rohmaterial und Halbfertigware weltweit beschafft. Insbesondere in Europa werden häufig an einem Fertigungsstandort Produkte für viele unterschiedliche Zielmärkte – mit anderen Sprachen, anderen Maßsystemen, anderen Konsumgewohnheiten – erzeugt. Dabei werden Geschwindigkeit und Qualität der Lieferketten zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Getrieben durch die vielfältigen Informationsmöglichkeiten, die sich dem Konsumenten heute auftun, ist die Anspruchshaltung der Verbraucher stark gestiegen. Um diesem Trend zu entsprechen und sich im Wettbewerb zu behaupten, gestalten Markenartikelhersteller ihre Produkte immer zielgruppengerechter. Das führt zu einer Zunahme von Produktvarianten bei gleichzeitiger Abnahme der Losgrößen in der Fertigung. In der Automobilindustrie ist die „Losgröße 1“ bereits erreicht. Jeder Kunde kann die Ausstattung seines zukünftigen Fahrzeugs individuell festlegen. Viele Produkte zeigen starke Saisonabhängigkeit. Der Zeitpunkt des Markteintritts ist heute mehr denn je entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. Ideal für die Fertigungsplanung einerseits, aber auch für die regionale Bewerbung neuer Produkte ist die zeitnahe Kenntnis des Produktabsatzes. Dem Kundenwunsch kann nur entsprochen werden, wenn die Verweilzeit der Produkte in der Lieferkette zwischen Hersteller und Konsument möglichst kurz ist und der Nachschub zwischen den einzelnen beteiligten Stufen effizient funktioniert. Handelsunternehmen sind darauf angewiesen, die stark steigende Zahl von Produktvarianten in den Regalen zu präsentieren. Da die Verkaufsfläche nicht im gleichen Maße wie die Produktvielfalt anwächst, ist das nur mit jeweils kleineren Stückzahlen in den Regalen erreichbar. Dadurch steigt jedoch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kunde sein gewünschtes Produkt gerade nicht vorfindet. Umsatzverluste durch „Out of Stock“Situationen zu vermeiden und somit die Kundenzufriedenheit und Kundenbindung zu erhöhen ist vordringliches Ziel im Handel. Neben diesen vom Markt und den Konsumenten vorgegebenen Treibern stehen gesetzliche Anforderungen über die Rückverfolgbarkeit von Ware, über Prozessqualität etc.
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RFID
automatisch
Barcode halbautomatisch
Stimme
manuell
Datenerfassungskosten
Digitale Welt
Physikalische Welt Abb. 1. Verbindung der digitalen (Informations-) mit der physikalischen Welt
So vielfältig diese Herausforderungen auch sind, die Lösungen dazu haben eines gemeinsam. Zunächst muss Transparenz über Material- und Warenströme geschaffen werden. Dazu ist es notwendig, Information über den Fluss logistischer Einheiten, wie Container, Paletten, Kartons oder gar einzelner Warenstücke, an möglichst vielen Stellen zu erfassen. Durch die dazu notwendige Datenerfassung entstehen jedoch Kosten, die entsprechend ihres Personalaufwands steigen. Moderne Systeme wie Barcode-Scanning oder direkte Spracheingabe sollen diese Kosten begrenzen. Hier setzt die RFID-Technologie an. Durch eine automatische Identifikation direkt durch das IT-System können Bedienereingriffe vollständig eliminiert werden. Dadurch wird nicht nur der Erfassungsprozess effizienter, sondern auch die Basis für eine durch zeitnahe und möglichst lückenlose Datenerhebung transparente Supply Chain gelegt. Unternehmen erhalten ein Instrument, mit dem sie die Herausforderungen durch die wachsende Komplexität der Supply Chains bewältigen können. Die Potenziale, die sich ergeben, unterscheiden sich je nach Anwendung in den industriellen Sektoren. So wird erwartet, dass im Bereich Handel/Konsumgüter die effizienteren operativen Logistikprozesse, wie etwa Wareneingang oder Warenausgang, und die sich dadurch reduzierenden laufenden Kosten im Vordergrund stehen. Der Handelskonzern Metro gibt an, dass sich durch die Einführung von RFID die Zeiten zur Vereinnahmung einzelner Paletten um 20 Prozent, die Zeiten für die Entladung eines gesamten Lkw inklusive der notwendigen Büroarbeiten um bis zu 80 Prozent reduzieren.
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Die Transparenz der Warenströme erlaubt auch eine bessere Nachschubsteuerung und verspricht niedrigere Sicherheitsbestände und damit geringere Lagerflächen, was das gebundene Kapital reduziert. Effizienterer Nachschub wirkt sich bis in die Einzelhandelsfiliale aus. Wal-Mart, das größte Handelsunternehmen der Welt, hat die Nachschubversorgung seiner mit RFID ausgestatteten Filialen um den Faktor drei gegenüber den mit konventionellem Barcode ausgestatteten Filialen verbessert und eine Reduzierung seiner Out-of-Stock-Quote um 16 Prozent nachgewiesen. Das wirkt sich nicht nur positiv auf die Kundenzufriedenheit aus, sondern führt unmittelbar zu höherem Umsatz. Die erzielte Verbesserung in der Nachschubversorgung wurde in einer Studie der Universität von Arkansas bestätigt. Die Studie stellt fest, dass die mit RFID-Lesern ausgestatteten WalMart-Filialen hinsichtlich ihrer Warenverfügbarkeit von ihren Kunden deutlich besser bewertet werden. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Verfolgung und das Management von hochwertigen Produktionsmitteln. Der Vorteil von RFID-Etiketten liegt hier vor allem darin, dass sie sich besser als ein Barcode an Objekten befestigen lassen. Sie können beispielsweise in Plastikbehälter eingeschweißt werden. Damit sind sie wesentlich besser geschützt und überstehen auch mehrfache Reinigungsvorgänge problemlos. Für Spezialladungsträger und Mehrweggebinde – wie Rollcontainer, Getränkefässer und Kunststoffbehälter – hilft eine automatische und detaillierte Bestandsführung, Versorgungsengpässe rechtzeitig zu erkennen und zu verhindern. Auch logistische Zusatzinformation über den Inhalt, das Ziel und sogar einzelne Handlungsanweisungen lassen sich auf dem RFID-Tag hinterlegen. So können zum Beispiel verbotene Prozessschritte – wie die Befüllung eines nicht gereinigten Fasses – automatisch verriegelt werden, um eine fehlertolerantere Bearbeitung und eine höhere Prozesssicherheit zu erreichen. Ein drittes Einsatzgebiet findet man in der Steuerung von geschlossenen Fertigungs- oder Logistikprozessen. Besonders in der Automobilindustrie werden seit mittlerweile mehr als 20 Jahren RFID-Tags auf Werkstückträgern angebracht, die den Fertigungsplan aufnehmen können. An den Arbeitsstationen bekommt der Mitarbeiter die nächsten Arbeitsschritte direkt vom Werkstück mitgeteilt. Bearbeitungsfortschritt und Qualitätsdaten werden direkt am Objekt gespeichert. Dadurch reduziert sich in erster Linie der Kommunikationsaufwand zwischen den einzelnen Systemen. Da die Daten direkt mit dem Objekt transportiert werden, sind zur Gewährleistung reibungsloser Abläufe keine aufwendigen IT-Netze und SoftwareServices zur Kommunikation erforderlich. Das ermöglicht eine Verschlankung und Vereinfachung der IT-Systeme, was sich nicht nur in niedrigeren
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Investitionskosten niederschlägt, sondern auch in reduzierten Folgekosten für Service und Erweiterungen. Da weniger Systeme vorhanden sind, die ausfallen können, erhöht sich die Verfügbarkeit der Gesamtlösung. Ein weiteres wichtiges Einsatzszenario von RFID ist der Schutz vor Fälschungen durch Merkmale zur Authentifizierung von Ausweisen, hochwertigen Markenartikeln und auch von Medikamenten. Es wird befürchtet, dass durch RFID-Tags an Gegenständen, die jeder bei sich trägt, personenbezogene Daten über Verbrauchsgewohnheiten, den aktuellen Aufenthalt bis hin zum Inhalt der Brieftasche in kriminelle Hände gelangen können. Datenschützer haben sich zusammengeschlossen, um möglichen Missbrauch aufzudecken und zu bekämpfen. So wurden bereits einige RFIDPiloten im Handel gestoppt, die den Technologieeinsatz ohne ausreichendes In-Kenntnis-Setzen des Verbrauchers zur Folge gehabt hätten. Die bekanntesten Beispiele sind der Einsatz von Kameras an Verkaufsregalen für Gillette-Produkte in einigen Tesco-Supermärkten, RFID-Tags in Produkten des Textilherstellers Benetton und der Einsatz von RFID-Tags auf Metro-Kundenkarten. Die Diskussion verläuft in der Öffentlichkeit sehr emotional. Dabei wird oftmals die tatsächliche Leistungsfähigkeit der Technologie überschätzt. Diese Gefahr ist ernst zu nehmen und muss bei allen Einsatzfällen sorgfältig ausgeschlossen werden. Verschiedene Interessengruppen, wie etwa das Informationsforum RFID, werden ins Leben gerufen, um die Unsicherheit in der Öffentlichkeit und insbesondere beim Verbraucher zu beseitigen. Bei angemessener und sorgfältiger Anwendung wird dem Verbraucher ein Nutzen daraus entstehen, dass der Hersteller eines teuer erworbenen Produkts die Echtheit garantieren kann. Das gilt insbesondere für Arzneimittel, wo ein gefälschtes Produkt unter Umständen lebensbedrohende Auswirkungen haben kann. In den USA hat der Gesetzgeber bereits die Initiative ergriffen und durch Vorgaben der Food and Drug Administration (FDA) und durch Regelungen in einzelnen Bundesstaaten dafür gesorgt, dass die für Fälschungen anfällige Supply Chain für pharmazeutische Produkte geschützt wird. Diese Ausgangslage wird im vorliegenden Beitrag zum Anlass genommen, die Anwendung der RFID-Technologie speziell in der Lieferkette für Medikamente zu untersuchen.
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Die Nutzung von Informationen in Geschäftsprozessen bringt den Mehrwert – RFID macht es möglich Obwohl gerade die Schwachstellen der Supply Chain und der Verknüpfung von Waren- und Geldfluss zwischen mehreren Unternehmen durch eine RFID-Lösung behoben werden können, setzen sich Anwendungen, die mehr als ein Unternehmen betreffen, noch sehr selten durch. Das Haupthindernis in der Entwicklung von Lösungen auf Basis von RFID ist dabei immer noch die ungünstige Kosten-Nutzen-Relation. Auf der Kostenseite ist RFID sicherlich noch um einen zweistelligen Faktor teurer als die heutige Barcode-Technologie. Allerdings relativiert sich diese Betrachtung, wenn gleiche Anforderungen auf Informationsumfang und Datenerhebung gestellt werden. Signifikanter sind aber erforderliche Umstellungen der Geschäftsprozesse und der IT-Landschaft in einem Unternehmen. Beides muss schrittweise auf Echtzeit-Informationsnutzung ausgerichtet werden und erfordert neue Abläufe, um den Mehrweit der verpackungsbezogenen Echtzeit-Information entlang der Supply Chain zu nutzen. Auf der Nutzenseite erlauben die zahlreichen Anwendungsfälle messbare Kostenreduzierungen durch Einsparungen, Reduzierung von Lagerhaltung, aber auch positive Umsatzeffekte durch Verringerung von Out-ofStock-Situationen oder Fälschungen, die die eigenen Umsatzmöglichkeiten beschneiden. Allerdings steigt der Nutzen mit dem Wert der Ware selbst. Der Traum von „Alles wird getagged“ ist damit eher ein Relikt der E-Business-Zeit. Die Grenze ist individuell zu setzen. Joghurtbecher, Milchpackungen etc., die in großen Mengen schnell innerhalb der Kühlkette transportiert werden müssen, können von effizienz- und transparenzsteigernden Lösungen mit RFID weniger profitieren. Dagegen bieten hochpreisige Produkte wie Medikamente, Schmuck, Drogerieartikel, Autoersatzteile und bestimmte Kategorien von Spielzeug, aber auch Bücher ein Potenzial. Stimmt die Relation von Kosten und Nutzen, lässt sich der Geschäftswertbeitrag schnell realisieren. Durch vom Gesetzgeber vorgeschriebene Randbedingungen weist speziell die Supply Chain von Medikamenten und das Produkt selbst Charakteristika auf, die eine Implementierung von Lösungen auf Basis von RFID sinnvoll machen.
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Wer hat den Nutzen, und wer zahlt den Preis? In der Supply Chain für Konsumgüter liegen die Vorteile von RFID zurzeit eindeutig beim Handel. Er profitiert von den Effizienzsteigerungen und der Transparenz seiner Warenflüsse unmittelbar. Die großen Handelsunternehmen können aufgrund ihrer beherrschenden Marktposition durchsetzen, dass in allen aktuellen Anwendungen der Preis für die RFID-Tags von den Lieferanten der Konsumgüter bezahlt wird, ohne diese Kosten an den Handel weiterzureichen. Da die Ausrüstung mit RFID auch im Handel erst im Hochlauf begriffen ist, reagieren viele Konsumgüterhersteller daher zurzeit mit der Minimaltaktik, die durch RFID verursachten Zusatzkosten möglichst zu minimieren. Sie setzen RFID nicht zur Optimierung ihrer eigenen internen Logistikprozesse ein, sondern bringen die RFID-Tags erst kurz vor dem Versand zum Handelsunternehmen an der Ware an, um ihre Handelspartner anforderungsgerecht zu beliefern. In der Pharmabranche liegen die Dinge anders. Zwar können auch hier Großhändler und Distributoren von Effizienzsteigerungen und der Beschleunigung der Supply Chain profitieren. Viel stärker als bei Konsumgütern zwingt jedoch der Druck durch Produktfälschungen und Produktpiraterie auf grauen Märkten die Hersteller von Medikamenten dazu, geeignete Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die Amortisierung der durch RFID verursachten Kosten steht also auf einer vollständig anderen Grundlage und kann in der pharmazeutischen Supply Chain vom Hersteller selbst erzielt werden. Das gilt bei den aktuellen Preisen für RFID-Tags sicher nicht für jegliche Medikamente, aber die besonders hochwertigen und schutzwürdigen Präparate rechtfertigen den Einsatz. Aufgrund der überproportional hohen Margen, die bei Lifestyle-Medikamenten mit Patentschutz erzielt werden, ist die Investitionsbereitschaft entsprechend hoch. Allen voran bemüht sich Pfizer um den Schutz seines Blockbusters Viagra und setzt bereits seit dem 15. Dezember 2005 RFID und zweidimensionale Barcodes auf Verpackungen ein.
E-Pedigree – elektronischer Herkunftsnachweis für Medikamente Eine Lösung zur Vorbeugung gegen Produktfälschungen und Produktpiraterie besteht im Kern aus zwei Komponenten. Einerseits soll sie es im Idealfall dem Patienten ermöglichen, die Echtheit seines Medikaments zu erkennen. Andererseits soll der Weg dieses Medikaments durch die Lieferkette nachvollziehbar und seine Legalität überprüfbar sein.
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Grundlage für die Verfolgung durch die Lieferkette ist die Identifizierbarkeit jedes einzelnen Medikaments möglichst auf Ebene der an den Patienten abgegebenen Dosierung. Dazu kann zum Beispiel eine eindeutige mit einer Seriennummer vergleichbare Identnummer für jedes Medikament dienen. An Messpunkten entlang des Wegs, also zum Beispiel beim Warenausgang des Herstellers, beim Wareneingang des Distributors und so weiter, können dem Medikament dadurch eindeutig Aufenthaltsorte und Zeiten zugeordnet werden. Die Spur, die das Medikament auf diese Weise in den Datenbanken der einzelnen Unternehmen hinterlässt, wird mit EPedigree bezeichnet und lässt sich am besten mit „elektronischem Herkunftsnachweis“ übersetzen. Ist die Spur vom Hersteller bis zum Patienten durchgängig, erscheinen die Verweilzeiten an den einzelnen Positionen der Supply Chain plausibel, wurde die Identifikation tatsächlich vom Hersteller vergeben und taucht kein zweites Medikament mit der gleichen Identifikation auf, so kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Echtheit des Medikaments ausgehen. Der Vorteil eines solchen Verfahrens liegt darin, dass bereits eine einfache zusätzliche Identifikation an der Medikamentenschachtel ausreicht, um diese Spur zu hinterlassen. Der wesentliche Nachteil ist jedoch, dass dieses System nur funktioniert, wenn alle Beteiligten diese Daten auch sammeln und zur Verfügung stellen. Um diesen Nachteil auszugleichen, setzt die pharmazeutische Industrie auch auf Produktmerkmale, die es gestatten, die Echtheit unmittelbar nachzuweisen. Hierfür werden die unterschiedlichsten Sicherheitsmerkmale verwendet wie etwa Hologramme. Günstiger ist jedoch ein Sicherheitsmerkmal, das durch eine OnlineAnfrage beim Hersteller die Authentizität bestätigt. Wie beim E-Pedigree kann eine eindeutige Nummer zur Identifikation ein solches Merkmal sein. Voraussetzung ist es, dass die Vergabe dieser Nummer keinem regelmäßigen Schema unterliegt, sondern – unter Vermeidung von Dubletten – aus einer großen Anzahl von Nummern zufällig erfolgt. Dann ist bereits die Bestätigung des Herstellers, dass der Code vergeben wurde, ausreichend sicher. Bereits zweidimensionale Barcodes bieten die Möglichkeit, hinreichend große Zahlen zu speichern. Barcodes lassen sich jedoch relativ leicht fälschen. Hier bieten RFID-Tags weitere Vorteile. Zunächst ist es rein technisch schwieriger, sie zu fälschen. Jeder RFID-Tag enthält eine bereits vom Hersteller vergebene eindeutige Nummer, die so genannte Unique-ID, deren Verknüpfung mit der Identifikation des Medikaments die Sicherheit wesentlich erhöht. Da auch diese Unique-IDs potenziell gefälscht werden können, ist es bei Verwendung von RFID-Tags zusätzlich möglich, ver-
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schlüsselte Informationen zu hinterlegen, die erst mit privaten Schlüsseln des Herstellers oder des Patienten entschlüsselt werden können. Bereits die Übertragung der Daten zwischen Tag und Reader kann verschlüsselt erfolgen, sodass auch das Abhören erschwert wird. Natürlich lässt sich auch durch den Einsatz von RFID nicht ausschließen, dass Fälschungen in Umlauf kommen. Verglichen mit der heutigen Situation, liegen die Barrieren allerdings wesentlich höher. Dem Fälscher wird es erheblich erschwert, illegale Medikamente in Umlauf zu bringen, und durch die Möglichkeit der Online-Abfrage wird außerdem das Auftauchen einer Fälschung wesentlich schneller offenbar. Dabei nehmen die Kosten für die RFID-Tags mit dem angestrebten Sicherheitsniveau zu. So kann je Medikament das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis abgewogen werden. Auch die Aufnahme der Daten für den E-Pedigree kann durch Einsatz von RFID effizienter erfolgen als mit Barcode. RFID-Tags sind über Distanzen von mehreren Metern hinweg einfach und zuverlässig lesbar. Im Gegensatz zum Abtasten von Barcodes mittels Laserpistole ist ein exaktes Ausrichten auf ein sichtbares Etikett nicht nötig. Sie müssen nicht wie Barcodes einzeln erfasst werden. Innerhalb einer Sekunde können 50 RFID-Tags in einem Karton gleichzeitig identifiziert werden (Pulklesung). Für den E-Pedigree bedeutet das, dass die Identnummern automatisch – für alle Packungen in einem Karton gleichzeitig sogar durch das Verpackungsmaterial hindurch – aufgezeichnet werden können. Erst durch diese Möglichkeiten der RFID-Technologie wird der Erfassungsaufwand so stark reduziert, dass eine Identifikation auf Ebene der einzelnen Medikamentenverpackung wirtschaftlich sinnvoll wird. Vorteilhaft ist es, dass die Identnummer zur eindeutigen Identifikation des Medikaments sowohl für den E-Pedigree als auch für die Authentifizierung durch den Hersteller genutzt werden kann. Wesentliche Voraussetzung ist, dass der RFID-Tag wirtschaftlich angebracht werden kann. Das erfolgt am günstigsten bereits durch die Verpackungsmaschine während des Verpackungsvorgangs des Medikaments in eine Flasche, Faltschachtel etc. Auch mit RFID-Tags vorbereitete Verpackungsmaterialien bieten hier günstige Möglichkeiten. Hier bietet es sich insbesondere an, den RFID-Tag so in die Verpackung zu integrieren, dass er bei einem Öffnen der Packung beschädigt wird. So kann man unmittelbar erkennen, ob auf dem Weg durch die Supply Chain unberechtigte Modifikationen am Medikament vorgenommen wurden. Aus einer Kooperation zwischen dem Schweizer Verpackungshersteller Zeiler und der Siemens AG sind Anfang 2005 erstmalig solche integrierten Lösungen hervorgegangen.
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Abb. 2. Anwendung des elektronischen Produktcodes (EPC)
Weiterer wichtiger Bestandteil der Gesamtlösung ist eine für die gesamte pharmazeutische Industrie vereinheitlichte Identifikationsmethodik. Es bietet sich die Übernahme des durch EPC Global für Konsumgüter bereits standardisierten Nummerierungsschemas an. EPC steht für den elektronischen Produktcode. Er besteht im Wesentlichen aus der Identifikation des Herstellers, des Produkts und je Produkt einer Seriennummer, die vom Hersteller vergeben wird. EPC Global ist eine Standardisierungsorganisation, die derartige Nummernkreise an die Hersteller vergibt. Der EPCCode kann zur Identifizierung einzelner Medikamente genauso verwendet werden wie für die Identifikation von sekundären Gebinden und Ladungsträgern. Die Übernahme des für Konsumgüter bereits festgelegten Standards in die pharmazeutische Supply Chain ist insbesondere für Handelsunternehmen wie Wal-Mart, Albertsons etc. interessant, die Konsumgüter und Medikamente über die gleichen Wege in ihre Filialen verteilen. Eine wesentliche Einschränkung für die Nutzung von RFID bieten jedoch die Materialeigenschaften der Medikamente. Insbesondere wässrige Flüssigkeiten und Metall wirken sich unter Umständen negativ auf die Lesegeschwindigkeit, -qualität und -reichweite aus. Da die Frequenz von 13,56 MHz die besten Lesefähigkeiten für Flüssigkeiten besitzt, ist es günstig, für die Identifikation der einzelnen Verpackungen auf diese Frequenz zurückzugreifen. Da ihre Reichweite jedoch auf maximal einen Meter begrenzt ist, müssen die Sekundärverpackungen und größere logistische
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Einheiten mit RFID-Tags aus dem Bereich der UHF-Frequenzen (868 MHz bis 950 MHz) ausgestattet werden, was eine komplexere Infrastruktur von RFID-Lesern bedingt. In einer Gesamtlösung ist davon auszugehen, dass die Ware entweder auf Paletten oder direkt in einzelnen Kartons geliefert wird. Die Identifikation erfolgt über das UHF-RFID-Tag auf der Palette oder auf dem Karton. Der Wareneingang wird gegen ein elektronisches Avis überprüft, das der Ware vorauseilend von dem vorigen Eigner gesendet wurde. Dieses Avis enthält auch die einzelnen EPC-Codes der Medikamentenverpackungen in den Kartons. Unter der Annahme, dass die Kartons oder Paletten nicht manipuliert wurden, ist dadurch die Führung des E-Pedigree bereits gewährleistet. Eine hundertprozentige Kontrolle ergibt sich durch Überprüfung des Kartoninhalts in einem 13,56-MHz-RFID-TunnelLesegerät. Da in der Regel ab dem Großhändler mit einzelnen Kartons gearbeitet wird, ist die dafür gegebenenfalls notwendige Vereinzelung der angelieferten Palette nicht mit einem besonderen zusätzlichen Aufwand verbunden. Die Kommissionierung einzelner Medikamente kann durch 13,56-MHzTechnologie sicher verfolgt werden, da die Lesereichweite ausreicht, um die Handgriffe eines Menschen zu verfolgen. Zum Abschluss kann der Versandkarton erneut einen Tunnelreader passieren, um den Inhalt zweifelsfrei zu dokumentieren und das Lieferavis für die nächste Stufe der Supply Chain vorzubereiten. Die weltweiten Umsatzverluste der Pharmahersteller durch Produktpiraterie werden weltweit auf circa 30 bis 40 Milliarden Euro geschätzt. Das sind mehr als sieben bis zehn Prozent des Weltmarkts. Allein im Jahr 2004 wurden in den USA mehr als 30 Fälle von Fälschungen und nochmals 30 Fälle von illegal eingeführten Originalpräparaten entdeckt. Auch in Großbritannien (14 Fälschungen, zwei illegal eingeführt) und Deutschland (sechs bis sieben Fälschungen pro Jahr) werden solche Fälle beobachtet. Mit einer hohen Dunkelziffer muss gerechnet werden. Besonders betroffene Produktgruppen sind Lifestyle-Medikamente, Psychopharmaka, die als Drogen missbraucht werden können, hochpreisige Präparate wie Hormone, Krebs- und Aidsmedikamente sowie speziell in der Dritten Welt verbreitete Arzneimittel. Diese Produktfälschungen lösen immer wieder Rückrufaktionen aus. Die Rückrufe selbst, aber auch mit den Fälschungen verbundene Gerichtsprozesse verursachen nicht nur Kosten, sondern auch Imageverluste und führten zuletzt auch zu signifikanten Abschlägen auf den Börsenwert des Pharmaherstellers.
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Angebot: Netzwerk zur OnlineAuthentifizierung
Object Name Service (ONS) „Trust Center“
Webbasiertes zentrales IT-Auskunftssystem
EPC Collector (Pharmahersteller)
EPC Collector (Großhandel) Avis mit EPC-Nr.
Angebot: Herkunftsnachweis
EPC Collector (Einzelhandel)
Avis mit EPC-Nr.
Verknüpft Produktdaten Übergibt EPC-Nr.
Übergibt EPC-Nr./ verknüpft Daten
Zeitstempel/ speichern
Liest EPC-Nr. Zeitstempel/ speichern
Übergibt EPC-Nr./ verknüpft Daten
Zeitstempel/ speichern
Liest EPC-Nr. Zeitstempel/ speichern
Angebot: RFID (Barcode)
Artikel Behälter- und auszeichnen Paletten auszeichnen
(Palette) Lesen
Pharmahersteller
Pharmazeutikaproduktion
Pharmazeutika verpacken
(Paket) Lesen
Behälter- und Palettenauszeichnen
Großhändler (1 zu n)
Kommissionieren/ Versenden
Wareneingang
Kommissionieren/ Versenden
(Paket) Lesen
(Paket) Lesen
Einzelhandel (Apotheken, Krankenhäuser etc.)
Wareneingang
Verkauf
Abb. 3. Gesamtlösung für Medikamentenverfolgung
Gründe für diese hohe Zahl von Fälschungen und Grauimporten liegen in den hohen Margen der illegalen Geschäfte und nicht in der Verletzbarkeit der komplexen Supply Chain der pharmazeutischen Industrie. Insbesondere in den USA werden Medikamente auf dem Weg vom Hersteller zum Patienten sehr häufig zwischengehandelt, und jeder Warenübergang erhöht die Gefahr, dass illegale Produkte eingeschleust werden. Preise für Medikamente sind in den USA vergleichsweise hoch, eine Abdeckung durch Versicherungsleistungen wie in Europa ist dort oft nicht gegeben. Daher kaufen US-Patienten sehr kostenbewusst ein. Pharmahersteller, die – etwa durch die oben beschriebene RFID-Lösung mit OnlineAuthentifizierung im Krankenhaus oder in der Apotheke – in der Lage sind, für ihre Produkte ein Echtheitszertifikat zu gewährleisten, werden daraus einen Wettbewerbsvorteil gewinnen und Patienten an sich binden können.
Vorreiter USA und Pharmahersteller mit LifestyleProdukten US-Behörden und die Gesetzgeber einzelner US-Bundesstaaten, allen voran Florida und Kalifornien, gehen noch weiter. Zum Schutz der einzelnen
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Patienten vor – im schlimmsten Fall lebensgefährlichen – Fälschungen fordern sie die Transparenz der Supply Chain. Die erste Implementierungsstufe ist in Florida bereits im Juli 2006 verpflichtend. Damit ist nicht nur ein probates Mittel vorhanden, die Gesundheit des Patienten, den Wert der Marke und des Pharmaunternehmens zu schützen, sondern es werden auch Handelsbarrieren aufgebaut, die schwarze Schafe der Branche nur schwer überwinden können. Transparenz deckt allerdings auch potenziell unnötige Handelsstufen auf und erlaubt Kostensenkungen oder eine Verschiebung der mit dem Zwischenhandel verbundenen Margen auf andere Teilnehmer in der Supply Chain. Solche sehr umstrittenen Vorstöße wurden in Deutschland zuletzt von Pfizer unternommen. Während die Ausprägung der technischen Lösung von den Bundesstaaten offen gelassen wird, so bemüht sich die Food and Drug Administration (FDA) um einen technologischen Standard. Durch verschiedene Studien ist die FDA zu dem Entschluss gekommen, dass die Technologie RFID den höchsten Grad von Vorteilen erreicht. Somit empfiehlt die FDA RFID als die bevorzugte Technologie, schreibt sie allerdings nicht verbindlich vor. Sie überlässt es im Moment den Industrievertretern in Abstimmung mit der FDA zu einem Standard zu kommen. Die europäischen Behörden sind dagegen noch sehr abwartend und werden vermutlich die Taktik des Fast Follower anwenden. Ihr Handlungsdruck ist zumindest auf dem Papier geringer, da weniger Fälschungen entdeckt wurden. Der Handel zwischen hoch- und niedrigpreisigen EU-Ländern ist allerdings rege und von den Pharmaherstellern sicherlich nicht gewollt. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, dass sich Behörden und Industrie mit der Transparenz des Handels auseinander setzen müssen.
Die erste Anwendung öffnet einen neuen Lösungsraum Zwar stehen der Produkt- und Markenschutz beim RFID-Einsatz eindeutig im Vordergrund, die Bedeutung einer E-Pedigree-Lösung ist aber sehr hoch für die Verbreitung von RFID-basierten Lösungen generell. Ist der RFID-Tag erst einmal auf der Verpackung und RFID-Lesestellen etabliert, haben alle darauf aufbauenden Anwendungen eine viel bessere KostenNutzen-Relation. Kosten zur Erweiterung der RFID-Infrastruktur werden signifikant sinken. Neben der reinen Dokumentation des E-Pedigree entsteht durch die Identifikation auf der Ebene von einzelnen Packungen auf jeder Stufe der Supply Chain eine Reihe von weiteren Vorteilen. Insbesondere operative
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Verbesserungen in der Lagerabwicklung sind durch Piloten in der Supply Chain für Konsumgüter nachgewiesen und lassen sich auf die logistischen Anwendungen in der pharmazeutischen Industrie übertragen. Die Verarbeitung von Informationen in Echtzeit und die Änderung der Geschäftsabläufe wird dann zur Mammutaufgabe der Industrie. Das beginnt bei der Wareneingangserfassung. Pro Karton ist es möglich, das angelieferte Produkt und auch die angelieferte Stückzahl automatisch zu ermitteln. Stichproben und Zählprozesse durch Bedienpersonal entfallen. Der Bestellabgleich und zukünftig auch der Anstoß des Bezahlvorgangs mit dem IT-System des Lieferanten können automatisch erfolgen. Der Kommissionierer kann direkt im Prozess darauf hingewiesen werden, wenn er dem Lager ein falsches Produkt oder eine falsche Stückzahl für einen Auftrag entnommen hat. Dadurch erhöht sich die Kommissionierqualität, gleichzeitig sinkt der Aufwand für Kontrollen und Nachbearbeitung. Hinzu kommen Diebstahlschutz, verbesserte Retourenbearbeitung und die Möglichkeit zur Inventur in Echtzeit. An Ideen für weitere Anwendungen mangelt es nicht, zum Beispiel auch über die Supply Chain hinaus • Ermöglichen einer neuen Kundenbindung an den Pharmahersteller, wenn der Kunde mit dem Handy selbst den RFID auf dem Medikament ausliest und mit der Datenbank des Pharmaherstellers in Kontakt tritt, um beispielsweise den Beipackzettel elektronisch abzufragen • Schaffen einer neuen Qualität von Kundeninformation, da der Weg einer einzelnen Medikamentenverpackung nachvollziehbar wird • Verbesserung der Kostenkontrolle im Gesundheitswesen, in Italien gibt es mit dem Bolino einen Barcode mit einer eineindeutigen Nummer für jede Medikamentenschachtel, die Mehrfachabrechnungen von Medikamenten unterbinden soll • Sicherstellen einer patientengerechten Medikamentierung in Krankenhäusern
Die Intelligenz kommt aus der Software Der vielschichtige Nutzen RFID-basierter Lösungen kann nicht nur durch die Technologie selbst geliefert werden. Wesentlicher Bestandteil ist die Verarbeitung der verpackungsbezogenen Information. Gleichzeitig müssen Geschäftsprozesse an die Nutzung der neuen Information angepasst werden, um sicherzustellen, dass Informationen auch einen Mehrwert für das Unternehmen liefern. Dieser Dreiklang aus Geschäftsprozessveränderung,
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Informationsverarbeitung und Technologie bildet die Lösung, die einen signifikanten Geschäftswert zum Unternehmen beitragen kann. Für die E-Pedigree-Lösung in der Pharma-Supply-Chain müssen etliche Randbedingungen erfüllt werden, die sich auf die einzusetzende ITArchitektur auswirken. Im Vordergrund steht bei den Pharma- und Logistikunternehmen der Wunsch nach einer flexiblen und skalierbaren Software, die zunächst genau die Anforderungen der Behörden erfüllt. Eine tiefe Integration in die Unternehmens-IT ist anfangs nicht erwünscht, um sich vor Risiken und Kosten zu schützen, die mit steigender Komplexität einhergehen. Die Software soll aber das Potenzial bieten, zu einem späteren Zeitpunkt sehr einfach in die vorhandene Unternehmens-IT integrierbar zu sein, um auch einen operativen Nutzen zu erzielen. Der Durchsatz der Verpackungsmaschinen und der lokalen Logistikprozesse darf nicht beeinträchtigt werden. Daher muss die Funktionalität in den Fertigungsstätten oder Lägern vorhanden sein und in Echtzeit zur Verfügung stehen. Ein zentrales Rechenzentrum als lokaler Service-Provider kann dies ermöglichen. Die lokalen Daten in Warenhäusern und Distributionszentren müssen vor Missbrauch geschützt werden. Es liegt im Interesse der Distributoren, ihre Vertriebswege und -strategien, sofern legal, zu schützen, um ihre Margen zu sichern. Daher dürfen nur autorisierte Nachfrager auf die EPedigree-Daten zugreifen, zum Beispiel relevante Behörden bei gezielter Nachfrage oder Patienten, die eine Online-Autorisierung durchführen. Die Speicherung der Daten muss ökonomisch erfolgen, damit keine unüberschaubaren Investitionen in Datenbanken und dafür notwendige ServerRechner notwendig werden. Es bedarf adaptiver Filtermechanismen und eines sinnvollen Archivierungsschemas, das den Dateninhalt sinnvoll reduziert. Bei Nutzung der EPC-Global-Standards soll außerdem eine Integration in die EPC-Global-IT-Architektur und die Object Naming Services (ONS) möglich sein, um von den von EPC Global zur Verfügung gestellten Services zur Produktverfolgung über die gesamte Supply Chain zu profitieren. Für die Hardware müssen lokale und zentrale Administrationsfunktionen zur Versions- und Konfigurationspflege zur Verfügung gestellt werden. In einem Netzwerk aus mehreren Standorten sind zentrale Abfragemöglichkeiten auf Unternehmensebene und ein zentrales Management der Zugriffsrechte erforderlich. Für den Datenaustausch sind neueste Methoden zu berücksichtigen. Ein Unternehmen ist nur dann in der Lage, lokal automatisch einschätzen zu können, ob die angelieferte Ware legal angenommen werden kann, wenn der Zugang von einer vertrauenswürdigen Quelle bestätigt wird. Ein eta-
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bliertes Verfahren in der Supply Chain für Konsumgüter ist das Warenavis. Die effizienteste Methode für automatischen elektronischen Datenaustausch bietet EDI per Internet. Diese Funktionalität wird häufig von ERP-Systemen zur Verfügung gestellt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass nicht in allen Stufen der pharmazeutischen Supply Chain ERP-Systeme mit derartigen Verfahren bereits etabliert sind. Zusätzlich stellt eine Warenankündigung auf Ebene einzelner Packungen die meisten ERP-Systeme heute vor eine sehr große Herausforderung. Um der Anwenderforderung nach einfacher, möglichst sparsamer Integration zu entsprechen, ist es daher vorteilhaft, wenn die E-Pedigree-Software selbstständig dazu in der Lage ist, die abgehende Ware der nächsten Stufe in der Supply Chain genau zu avisieren. Letztendlich muss die Software auch darauf ausgelegt sein, andere Ereignisse als Warenzugänge und -abgänge zu registrieren, also etwa Kommissioniervorgänge oder interne Umlagerungen, um Transparenz und Effizienz in der innerbetrieblichen Logistik zu schaffen. Unabhängig davon, ob die Identifikation der Objekte mit RFIDTechnologie oder mit Barcodes erfolgt, ist eine solche Software der Kern eines Auskunftsservices mit kurzer Reaktionszeit und hoher Effizienz für die US-Behörden oder den Patienten. FDA/staatliche Behörden/Vorschriften
ONS Object Name Service
Webbasiertes, zentrales IT-Auskunftssystem
Stellt Bereich von Seriennummern zur Verfügung Bearbeitung von Authentifizierungsanfragen
Anfragen zur Herkunft (e-Pedigree) Trust-Center-Funktionalität
Option: zentraler Zugriff
AuthorisierungsManagement
AuthorisierungsManagement
AuthorisierungsManagement
Lokales Track &Trace
Lokales Track &Trace
Lokales Track &Trace
Seriennr.-Erzeugung Herstellungsdaten Markierung „verkauft“
Avis auf Artikelebene
Wareneingangsdaten Versanddaten (Ereignisdatenbank)
Avis auf Artikelebene
Authentifizierung beim Hersteller
GeräteManager
GeräteManager
GeräteManager
RFID-Geräte
RFID-Geräte
RFID-Geräte
Hersteller
Großhandel
Apotheken/Kliniken
Abb. 4. Webbasierte Vernetzung über Object Name Services
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Nichts, was nicht schon heute realisiert werden könnte Die Basisprodukte für eine E-Pedigree-Lösung sind heute bereits verfügbar. Speziell die notwendige RFID-Hardware ist durch die treibende Rolle der Anwender in der Supply Chain für Konsumgüter zur Einsatzreife gelangt. Auch wenn das Problem, wie Kartons auf einer Palette gelesen werden, noch nicht gelöst und man von der Pulkerfassung einzelner Waren noch entfernt ist, so bietet doch die Kombination die notwendige Prozesssicherheit. Hier werden zunächst alle Einzelstücke in einem Karton etwa durch einen Tunnelreader erfasst, um dann alle Kartons auf der Palette zu erfassen. Diese Verfahren lassen sich durch automatisierte Palettenbildung unterstützen und weiter verbessern. Grundsätzlich stehen auch die erforderlichen Software-Architekturen für die oben beschriebene Lösung bereits zur Verfügung. Internettechnologie und serviceorientierte Architekturen gehören heute zum Standard. Datenbanken werden stets mächtiger und bringen immer mehr vorinstallierte Funktionen zur Filterung und raschen Bearbeitung von Massendaten mit. Die für die Implementierung der Datensicherheit notwendigen Funktionen findet man heute bei Kreditkartenanwendungen, beim Homebanking etc. Woran es derzeit fehlt, ist ein Standard für den Datenaustausch zwischen Unternehmen der pharmazeutischen Supply Chain. Das beginnt bei der Festlegung des Inhalts und der Struktur der EPC-Nummer selbst, bei den Datenstrukturen des Warenavis und endet bei einer offenen Schnittstelle für autorisierte Abfragen des lokalen Datenbestands durch Behörden, Patienten und andere Anwender. Vor sechs Jahren haben Handelsunternehmen, ihre Lieferanten und Technologieanbieter das Auto-ID-Center gegründet, um RFID-Technologie in ihren Prozessen nutzbar zu machen. Die Pilotprojekte der dort organisierten Anwender haben zu erheblichen Innovationen auf dem Technologiesektor geführt, die schließlich im EPC-Global-Standard für den Inhalt der RFID-Tags und der Schnittstelle zwischen den Tags und den Readern mündete. Durch dem Druck der FDA, der US-Bundesstaaten, der Hersteller und Distributoren der pharmazeutischen Industrie, durch Pilotprojekte wie Jumpstart in den USA oder Initiativen von Pharmaherstellern für einzelne Blockbuster ist auch in dieser Branche damit zu rechnen, dass sehr schnell technologische Fortschritte erreicht werden und dass sich zügig Standards etablieren. Die intensive Beteiligung der Anwender in dieser Phase sorgt dann automatisch dafür, dass, sobald die Standards gefunden sind, sich unmittelbar auch die Lösungen am Markt etablieren, die nicht nur die
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RFID als Technologie, sondern auch die dahinter liegende Informationsverarbeitung und neu gestaltete Geschäftsprozesse umfassen.
Eine Gesamtlösung ist gefragt Von den Anwendern wird oft bemängelt, dass es nur wenige Unternehmen gibt, die eine Komplettlösung anbieten können. Obwohl die Verfügbarkeit aller notwendigen Komponenten für eine Lösung gegeben ist, erfordert die Zusammensetzung zu einer Gesamtlösung und ihre physikalische Implementierung eine Vielzahl von zum Teil konkurrierenden Unternehmen. Noch müssen sich investitionswillige Unternehmen mit einer Vielzahl von Schnittstellen und Standardisierungsfragen selbst befassen. Speziell vor diesem Hintergrund wird von den Anwendern daher gewünscht, einen Komplettanbieter für die gesamte E-Pedigree-Anwendung zu finden, der die sich etablierenden Standards in seine Lösung aufnimmt und dem Anwender das Management vieler beteiligter Partner erspart. Dieser Anbieter sollte in der Lage sein, die Lösung einheitlich über die Fertigungs- und Logistikstandorte von zum Teil weltweiten Unternehmen auszurollen. Beispiele dafür sind Dematic und Siemens, die seit dem vergangenen Jahr ein integriertes Leistungsangebot zur Verfügung stellen. Basierend auf Technologiekompetenz und langjähriger Erfahrung in der Pharmabranche wurde eine Komplettlösung entwickelt, die alle notwendigen Hardware-Komponenten, ihre Integration in die physikalischen Logistikprozesse und eine Software umfasst, um den in diesem Artikel beschriebenen E-Pedigree-Anforderungen und den Wünschen zur OnlineAutentifizierung von Medikamenten zu entsprechen. Sowohl Hardwareals auch Software-Produkte sind an den Schnittstellen aufeinander abgestimmt. Die Software ist ein eigenständiges Produkt, das als Baustein einer durchgängigen Logistiksuite konzipiert wurde. Es bringt daher die notwendigen Schnittstellen zur Integration in die Logistik-Software mit. Durch die von Siemens und Dematic verfolgte Plattformstrategie für die Systeme zur Fertigungs- und Logistiksteuerung kann die Lösung sowohl in Logistk- als auch in Fertigungssysteme integriert werden. Auf dem Weg, den Teufelskreis der Hemmnisse zu durchbrechen, ist es ein wichtiger Schritt, eine solche funktionsfähige Lösung zu erzeugen. Best Practice übt eine Richtwirkung auf die Branche aus, einen Industriestandard zu schaffen, der dann den langen Weg durch die Standardisierungsgremien nimmt und dort ständig verfeinert wird.
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Von der Pharmaindustrie lernen Die Pharmaindustrie bereitet sich auf eine Welt mit neuen Maßstäben für Logistikvernetzung, Echtzeit-Betrieb und Prozesse sowie Verknüpfung von Warenstrom und Geldfluss vor. Die Konsumgüterindustrie kann dazu bereits erste Implementierungserfahrungen beisteuern. Die Möglichkeiten von neuen Anwendungen wie die Erschließung neuer Informationskanäle zum Kunden oder die Nutzung neuer Informationen zum Verbleib von Medikamenten, sind allerdings auch von diesen Industrien noch wenig erforscht. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Industrien, die ein großes Interesse an den Erfahrungen speziell der Pharmaindustrie haben müssen, da sie ähnliche Charakteristika aufweisen: hohe Preise pro Verpackung, relativ geringe Kundenbindung an den Hersteller, hohe Fälschungsanfälligkeit und gleichzeitig hohe Attraktivität für Fälscher. Hierzu zählen sicherlich • Die Automobilindustrie mit ihren Ersatzteilen mit hohen Margen und einer Fülle von Fälschern sowie einer sehr fragmentierten und damit intransparenten Werkstattebene, die auch einen Kanal für gefälschte Ersatzteile darstellt. Gleichzeitig ist auch in dieser Industrie Verfügbarkeit ein entscheidendes Kaufargument und damit Transparenz über die Supply Chain ein signifikanter Geschäftswertbeitrag • Die Zigarettenindustrie, die in hochpreisigen Ländern sehr gut verdient und die mit dem Zoll eine gemeinsame Interessenlage gegenüber Grauoder Schwarzimporten haben sollte • Die Parfumerzeuger, die nur wenige Schutzmechanismen einsetzen und deren hochpreisige Flacons deshalb oft auf dem Graumarkt auftauchen Der Weg in eine vernetztere Welt der Waren- und Geldströme ist noch lang. Eine Beschleunigung dieser Evolution ist möglich. Lösungsanbieter sollten den anwendenden Industrien gesamtheitliche Ansätze anbieten und nicht ein Puzzle aus Prozessveränderung, IT und RFID. Diese Industrien müssen beginnen, die erforderlichen Veränderungen bei den Geschäftsprozessen umzusetzen, damit der Nutzen von neuen RFID-basierten Lösungen gehoben wird. Beide müssen sich schnell auf Standards einigen, um Pionierinvestitionen zu minimieren. Dann werden in der nahen Zukunft Hersteller, Logistiker sowie heute schon der Kunde die individuelle Verpackung schätzen.
eService-Plattform Salzgitter
Günter König, CIO Salzgitter Gruppe Die Auftragsabwicklung in der Stahlbranche ist geprägt durch komplexe und abstimmungsintensive Prozesse. Die Produktstruktur der Stahlbranche bedingt in der Regel eine Kundeneinzelfertigung, die 300 Merkmale und mehr – wie Qualität, Abmessung, Normen etc. – zur Spezifikation einer Auftragsposition erfordert. Hieraus resultiert unter anderem die Notwendigkeit, die an den Geschäftsprozessen beteiligten Personen in ihrer Zusammenarbeit und Interaktion durch IT-gestützte Verfahren zu unterstützen. Mit der „eService-Plattform“ hat der Salzgitter Konzern eine Integration der Auftragsprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg geschaffen. Hierdurch wird die Transparenz und Effizienz für alle Beteiligten gesteigert.
Abb. 1. eService-Plattform: Prozessintegration für Geschäftspartner
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Günter König
Die eService-Plattform ist ein Dienstleistungsangebot zur integrierten Auftragsabwicklung für die Stahlbranche, ist seit Januar 2003 im produktiven Betrieb und wird derzeit von mehr als 1400 Anwendern bei Geschäftspartnern beziehungsweise aus den eigenen Vertriebsbereichen genutzt.
Salzgitter Konzern und GESIS Zur Orientierung werden hier zunächst unsere Geschäftsfelder und unser unternehmerisches Umfeld vorgestellt. Der Salzgitter Konzern ist ein weltweit agierender Stahl- und Technologiekonzern. Mit einer Rohstahlproduktion von rund 8,7 Millionen Tonnen im Jahr 2004 gehört der Konzern zu den 25 weltweit führenden Stahlproduzenten und zu den fünf größten Europas. Die Unternehmensbereiche Stahl, Röhren, Handel und Dienstleistungen decken die Kernkompetenzen in der Produktion, im Handel und in der Verarbeitung von Stahl ab, wie etwa Automobilzulieferung und -Engineering, Bauteile für Hoch-/Tiefbau oder Pipelines.
Abb. 2. Salzgitter Konzern: Stahl und Technologie
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Die Gesellschaft für Informationssysteme GmbH (GESIS), ein Unternehmen des Salzgitter Konzerns, ist eines der deutschlandweit führenden Unternehmen für IT-Lösungen im Bereich der Stahl- und Röhrenindustrie sowie des Stahlhandels. Mit mehr als 150 Mitarbeitern bietet GESIS den Kunden Organisationsberatung, Analyse, Realisierung und den Betrieb von IT-Systemen sowie den vollen Service eines Großrechenzentrums. Die Segmente des Leistungsspektrums gliedern sich in IT-gestützte Prozesslösungen der Bereiche E-Business, Enterprise Resource Planning (ERP), Supply Chain Management (SCM), Customer Relationship Management (CRM), Content-Management-Systeme, Knowledge-ManagementSysteme, Data Warehouse, Bürokommunikation, Internet/Intranet, Applikation Service Provider und Rechenzentrumsleistungen sowie Infrastrukturdiensten wie Netzwerk und Security. Ausgangssituation Im Jahr 2001 hat GESIS die Vertriebsabwicklungsprozesse einer umfassenden Analyse unterzogen. Ein Ergebnis dieser Untersuchung war es, dass neben den Hauptakteuren, Einkäufer auf der Kundenseite und Verkäufer auf der Lieferantenseite, weitere Geschäftspartner in die Vertriebsabwicklung eingebunden sind. Lagerhalter, Servicecenter, Zertifizierungsgesellschaften, Transportgesellschaften und andere haben im Prozessverlauf Informationsbedarf. Diese mussten aus Systemen gedeckt werden, die nicht oder nur unzureichend synchronisiert waren. So kamen die Geschäftspartner bei identischer Fragestellung zwangsläufig zu unterschiedlichen Antworten. Heterogene Kommunikationswege und somit Medienbrüche haben den Informationsaustausch zusätzlich erschwert. Das Resultat waren Missverständnisse, Reibungs- und Zeitverluste in der gesamten Prozesskette der Vertriebsabwicklung sowie Doppelarbeiten und manuelle Erfassungsvorgänge.
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Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Geschäftsprozess und der IT-Umsetzung
Heterogenität und nicht vollständige Implementierung verringern die Effizienz der Prozesse Abb. 3. Geschäftsprozesse waren häufig Medienbrüchen unterworfen
Zielsetzung Mit den Ergebnissen dieser Analyse des Vertriebsabwicklungsprozesses lagen die Zielsetzungen auf der Hand. Die beschriebene Ausgangssituation musste durch Schaffung einer gemeinsamen Datenbasis für alle an der Vertriebsabwicklung beteiligten Geschäftspartner deutlich verbessert werden. Eine gemeinsame Informationsund Kommunikationsplattform, die allen Anwendern bei Geschäftspartnern und im eigenen Haus gleichzeitig, ortsunabhängig und gleichartig strukturiert zur Verfügung steht, war das primäre Ziel. Jeder sollte ohne den Zwang, seinen „üblichen“ Ansprechpartner auf althergebrachten Kommunikationswegen (wie Telefon, Fax) zu erreichen, agieren können. Zum einen erfordert dies die Informationsbereitstellung ohne Medienbrüche. Zum anderen sollten Dialoge für Geschäftspartner bereitgestellt werden, um die jeweils nächsten Prozessschritte initiieren zu können. So sollte ein Kunde zum Beispiel einen Wiederholauftrag oder einen Versandanstoß jederzeit selbst auf dieser Kommunikationsplattform auslösen und den Bearbeitungsfortschritt verfolgen können. Die Integration der Datenströme, und somit der durchgängige Geschäftsprozess ohne Medien-
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bruch, in die ERP-Systeme des Salzgitter Konzerns war eine weitere Zielsetzung. Diese Ziele waren Herausforderung und Auftrag zur Realisierung der eService-Plattform Salzgitter.
Abb. 4. Enterprise Service Architecture
Leistungsportfolio Das Dienstleistungsangebot der eService-Plattform umfasst folgende modulare Bausteine, die grundsätzlich allen am Geschäftsprozess Beteiligten zur Verfügung stehen: • Ein leistungsfähiges Berichtssystem integriert alle auftragsrelevanten Daten und dient als verlässliche Auswertungsbasis für Vertrieb, Beschaffung und Management. • Das Dokumenten- und Content-Management-System bietet zum Beispiel die Möglichkeit der Führung einer elektronischen Auftragsakte, in die auftragsbezogen alle relevanten Dokumente und Informationen zusammengefasst sind. Es ist eng mit dem Berichtssystem verzahnt; so kann aus einer Auswertung direkt in die Auftragsakte verzweigt werden.
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Abb. 5. Eine Kommunikationsdrehscheibe
• Mithilfe vorgefertigter Standardprozessmodule können Geschäftspartner sicher und zuverlässig in den gesamten Geschäftsprozess integriert werden. Dies erleichtert die Auftragsadministration und erhöht die Datenqualität. • Das Projektsystem bietet unternehmensübergreifend allen Beteiligten für den Verlauf eines Projekts eine gemeinsame Kommunikationsdrehscheibe. So wird gewährleistet, dass sämtliche relevanten Informationen allen Beteiligten zu jedem Zeitpunkt in gleicher Qualität zur Verfügung stehen. Im Detail unterstützen diese Module die Geschäftsprozesse folgendermaßen:
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Das Navigations- und Berechtigungssystem ist auf Basis SAP NetWeaver Portal realisiert.
Der Zugang der Anwender zu den Applikationen ist in dieser Schicht geregelt. Nach Authentifizierung1 erhält der Anwender gemäß der ihm zugeordneten Rolle die Navigationsstruktur, die seiner Aufgabenstellung entspricht. So sieht der Anwender eines Geschäftspartners in der Rolle „Besteller“ eine andere Navigationsstruktur als ein Warenempfänger oder Regulierer beziehungsweise als ein Mitarbeiter des eigenen Hauses. Die jeweiligen Detailsichten, zum Beispiel Layout-Anordnungen von PortaliViews 2, sind darüber hinaus von jedem Anwender personalisierbar. Die Portalschicht bietet durch das Single-Sign-on-Verfahren3 einen hohen Komfort in der Handhabung und erlaubt es dem Anwender, sich auf seinen Handlungsbedarf und seine Aufgabenstellung zu konzentrieren. Aus Sicht des Anwenders findet kein Wechsel der Applikationen und Systeme, keine erneute Authentifizierung sowie keine Behinderung durch wechselnde Zugangs-Software statt – alle Funktionalitäten sind „aus einem Guss“. Des Weiteren leistet diese Schicht die Darstellung des Corporate Design. Die Darstellung von Logo, Farben, Schriften und Ähnlichem sind hier definiert und erleichtern dem Anwender durch gleichartige Darstel1
2
3
Authentifizierung bedeutet die Anmeldung des Anwenders, z. B. durch Name und Kennwort. Unter einem iView ist ein „Teilfenster“ auf einer Bildschirmseite des Portals zu verstehen. Nach der erstmaligen Anmeldung am Portal ist durch den Anwender keine weitere Anmeldung an die untergeordneten Applikationen erforderlich.
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lung und Struktur der Applikationen die Orientierung und somit die Handhabung. Auch der Sicherheitsaspekt sei hier kurz erläutert. Der zentrale Anwenderzugang, insbesondere über das Internet, wird vom Portal im Zusammenspiel mit Firewall und Reverse-Proxy 4 mittels SSL5-Verschlüsselung des gesamten Datenverkehrs zum Anwender und allen beteiligten Applikations- und Datenbank-Servern sichergestellt. Das Berichtssystem ist ein auf Basis SAP NetWeaver Business Intelligence (BI) realisiertes Data Warehouse.
In der Top-Level-Navigation des Portals findet der Anwender den Menüpunkt „Berichte“. Dieser gliedert sich in der Second-Level-Navigation in die dem Auftragsbearbeitungsprozess folgenden Berichtsgruppen. Zu jeder Berichtsgruppe gibt es Reports unterschiedlicher Aggregation. So ist neben Überblicksberichten auf Jahres- und Quartalsebene der Drill Down bis zur „atomaren“ Berichtsebene wie der Auftragsposition oder dem einzelnen Materialstück möglich. Die ganzheitliche Prozesssicht der eService-Plattform zeigt sich unter anderem dadurch, dass von jeder atomaren Berichtsebene ein Absprung zum Dokumenten-Management möglich ist, der alle zum Auftrag gehörenden Dokumente zur Ansicht bringt. Doch davon später mehr. 4
5
Firewall und Reverse-Proxy sind IT-Dienste, die der Kontrolle des Datenverkehrs zum und vom Internet zur Vermeidung z. B. von unerlaubten Zugriffen dienen. Die Abkürzung SSL steht für Secure Socket Layer, womit ein weltweit standardisiertes Datenverschlüsselungsverfahren gemeint ist.
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Die Berichtsgruppe „Produktionsstatus“ sei hier als Beispiel für die Offenheit genannt, die die Geschäftsbeziehungen zwischen Kunde und Lieferant weiter vertieft hat. Hier kann der Kunde bis auf die Auftragspositionsebene die Details der laufenden Produktion einsehen; das heißt, er erhält Einblick in den Status seiner Bestellung je Fertigungsaggregat, wobei dies je nach Produkt diverse Aggregate sein können. Die Transparenz wird hierbei durch den Bericht „Fertigstellungsprognose“ abgerundet, der dem Kunden die Fertigstellungstermine zu seinen Positionen zeigt. Die hohe Flexibilität der eService-Plattform zeigt sich den Anwendern unter anderem dadurch, dass jeder Anwender je nach Informationsbedarf zum Beispiel Spalten ein- beziehungsweise ausblenden, Umsortierungen vornehmen oder Filterkriterien definieren kann. Die hohe Akzeptanz der eService-Plattform wurde unter anderem aber auch durch die dauerhafte Personalisierbarkeit dieser Berichte nochmals gesteigert. Denn jeder Anwender kann diese geschilderten Berichtsanpassungen unter einem von ihm selbst gewählten Namen speichern und jederzeit wieder abrufen. So wurde mit dieser Methodik unter anderem ein Höchstmaß an Ergonomie erreicht, statt mit einer Vielzahl von Berichtsvarianten (zum Beispiel wieder ein „neuer“ Bericht aufgrund einer geänderten Sortierung) eine kaum durchschaubare Navigationsstruktur zu erzeugen. Auf weitere „Nebenfunktionalitäten“, wie Druck, Mail-Versand oder Excel-Download zur Offline-Verwendung der Berichte, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Der Download von Berichten im CSV(Colon Separated Values)-Format sei nur kurz erwähnt. Hiermit ist unmittelbar der spontane Datenaustausch über das Internet zur maschinellen Weiterverarbeitung beim Geschäftspartner möglich, wobei sich bei dauerhaftem Bedarf aber natürlich die Einrichtung eines vollständig maschinell ablaufenden Datenaustauschs via SAP Exchange Infrastructure (XI) anbietet. Aber auch dies zeigt die hohe Flexibilität und schnelle (Re-)Aktionsmöglichkeit mit der eService-Plattform, da auch diese Funktionalität zur Beschleunigung von Geschäftsprozessen „embedded“, das heißt als integraler Bestandteil der Software, zur Verfügung steht. Das Dokumenten- und Content-Management-System ist auf Basis SAP cFolders realisiert.
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Das Dokumenten-Management-System enthält alle wesentlichen zum Kundenauftrag gehörenden Dokumente aus dem ERP-System, wie Auftragsbestätigung, Lieferscheine, Fakturen und Zeugnisse. Wie bereits geschildert, sind das Berichts- und Dokumenten-Management-System eng miteinander verzahnt, sodass aus einem Bericht in die elektronische Auftragsakte verzweigt werden kann. Darüber hinaus bietet das Dokumenten-Management-System Suchfunktionen basierend auf Indexkriterien, die für den Ladeprozess eines Dokuments maschinell generiert wurden. Hierbei sind im Interesse der optimalen Servicebereitstellung auch Indexkriterien berücksichtigt, die im Dokument selbst gar nicht enthalten sind. So kann der Anwender zum Beispiel alle Lieferscheine eines Quartals zu einem Regulierer finden, obwohl im Lieferschein diese Information nicht enthalten ist. Die Versionierung von Dokumenten erleichtert den Anwendern die Auffindung „historischer Zwischenstände“. Die Subskription von Ordnern oder ganzen Dokumententypen entlastet den Anwender vom, gegebenenfalls vergeblichen, manuellen Recherchieren nach neuen Dokumenten. So kann zum Beispiel für einen Kundenanwender eine Regel hinterlegt werden, dass er nach dem Laden eines neuen Dokuments aktiv von der eService-Plattform eine Mail mit einem Link auf dieses Dokument erhält. Die Vorteile des papierlosen Dokumentzugriffs sind in der Literatur hinlänglich beschrieben. Hier sei aber der Aspekt der Integration in die Gesamtprozesslandschaft mit dem Berichtssystem und den „Unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen“ (siehe unten) herausgestellt. Nicht der reine elektronische Dokumentzugriff, sondern der Kontextbezug
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zu den Geschäftsprozessen bietet in der eService-Plattform eine neue Qualität. Die Unternehmensübergreifenden Geschäftsprozesse sind auf Basis von SAP Customer Relationship Management (CRM) und SAP Internet Sales (ISA) realisiert.
Neben der Geschäftsprozessunterstützung durch die oben erläuterten Informationskomponenten Berichtssystem und Dokumenten-ManagementSystem bietet die eService-Plattform mit dem Modul „Unternehmensübergreifende Geschäftsprozesse“ den Kundenanwendern die Möglichkeit, über das Internet aktiv weitere Prozessschritte zu initiieren. Im Leistungsportfolio sind beispielsweise enthalten:
Abb. 6. Beispiele für Prozesse auf der eService-Plattform
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Im Berichtssystem sind aus der Vergangenheit der Kundenaufträge Details – insbesondere zum Beispiel zu Materialspezifikationen oder zu aktuellen Fertigbeständen – gespeichert, die im Rahmen der Auftragsabwicklung von Kundeneinzelfertigungsprozessen auch als kundenspezifische Warenkataloge interpretiert werden können. Unter anderem haben wir uns diesen Ansatz für die eService-Plattform zunutze gemacht, um den Prozess Wiederholauftrag schlanker zu gestalten. Ein Wiederholauftrag charakterisiert sich dadurch, dass eine Materialspezifikation, die der Kunde bereits in der Vergangenheit bestellt hatte, erneut in Auftrag gegeben wird. Ohne Unterstützung dieses Prozesses durch die eService-Plattform stellt sich das Kommunikationsschema wie folgt dar: Kunde Kunde ruft Vertrieb wegen Bestellung an
Kunde stimmt Ergänzungen/Änderungen ab
Lieferwerk Vertrieb sucht zugehörige Auftragsakte
Vertrieb gleicht Auftragsdaten mit Kunden ab
Kunde stimmt Termin grob mit Vertrieb ab
Vertrieb stimmt Auftrag mit Produktion ab
Vertrieb terminiert Lieferung grob
Kunde erfragt Auftragsstatus
Vertrieb versendet Auftragsbestätigung
Abb. 7. Kommunikation im Prozess ohne eService-Plattform
Es ist unschwer zu erkennen, dass diese Kommunikation zwischen Kunde und Lieferwerk, gegebenenfalls auch innerhalb der jeweiligen Unternehmen, von Medienbrüchen gekennzeichnet ist. Der Informationsaustausch per Telefon birgt die Risiken der Nicht-Erreichbarkeit des jeweiligen Partners, Inkonsistenzen der Informationsstände und somit Missverständnisse. Zeit und Nerven der „menschlichen Integratoren“ werden durch aufwendige Abstimmprozesse belastet. Die Bearbeitung des Vorgangs in zwei oder mehr ERP-Systemen ist ein großer Nachteil. Der Kunde erfasst die Bestellung in seinem Beschaffungssystem und das Lieferwerk denselben Vorgang nochmals in seinem Auftrags- und Planungssystem. Die Systeme werden in der Regel keinen oder gegebenenfalls einen über EDI-Verbindungen eingeschränkten Datenaustausch durchführen. Bei obiger schematischer Darstellung ist die Einbeziehung weiterer Partner, wie Lagerhalter oder Spediteure, noch nicht einmal berücksichtigt.
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Abb. 8. Kommunikation im Prozess mit eService-Plattform
Die Themen zur Verschlankung des Prozesses sind somit identifiziert: Medienbrüche und eine gemeinsame Datenbasis. Mit Unterstützung der eService-Plattform gestaltet sich das Kommunikationsschema deutlich schlanker. Wie leicht nachvollziehbar ist, kennt das Lieferwerk aus dem Produktionsprozess deutlich mehr Details zu einer Materialspezifikation, als der Kunde selbst in seiner Bestellung angibt beziehungsweise angeben kann. Folgerichtig wird dem Kunden mit der Recherche bereits gefertigter Aufträge sein spezifischer Warenkatalog auf der eService-Plattform angeboten. Hier wählt er die gewünschten Positionen für seinen Wiederholauftrag aus, ergänzt Daten wie Wunschliefertermin und Menge und speichert den neuen Vorgang. Das hört sich einfach an – ist es auch. Der Auftrag wird im nächsten Schritt maschinell via XI-Komponente der eService-Plattform in das ERP-System der Salzgitter-Gesellschaft zur maschinellen Generierung des Kundenauftrags übertragen. Da aus Prozesssicht ein Auftrag aus Lieferantensicht dasselbe Objekt wie die Bestellung aus Kundensicht ist, kann die XI-Komponente diesen Datensatz parallel zum ERP-System des Kunden, gegebenenfalls umgeschlüsselt, übertragen. Ein weiteres Beispiel zur hohen Integration der Komponenten der eService-Plattform sei hier noch kurz angerissen. So hat der Anwender während der Recherche eines Auftrags aus der Vergangenheit die Verbindung zum Dokumenten-Management und kann so unter anderem die gesamte Historie von der Auftragsbuchung (Auftragsbestätigung) bis hin zur Faktu-
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rierung und Zeugnisschreibung nachvollziehen, bevor er sich für diese Referenz für seinen Wiederholauftrag entscheidet. Die gemeinsame und verlässliche Datenbasis hat diese Geschäftsprozesse optimiert. Einkäufer und Verkäufer können asynchron und strukturiert kommunizieren. Keine Information geht verloren oder „versteckt“ sich in interpretationsfähigen Texten. Die Struktur der Daten stellt umgekehrt aber auch sicher, dass alle erforderlichen Daten im jeweiligen Prozessschritt bearbeitet wurden. Das Projektsystem ist auf Basis SAP NetWeaver Portal/KnowledgeManagement realisiert.
Die virtuellen Projekträume unterstützen unternehmensübergreifend die Kollaboration durch Bereitstellung von • Dokumentablagen – Eine gemeinsame Dokumentablage mit Versionierung und Subskriptionsfunktion vermeidet Duplikate von Dokumenten, die zum Beispiel per Mail verteilt wurden und nach Bearbeitung aus mehreren Quellen wieder mühsam zusammengeführt werden müssten. Nicht zu unterschätzen ist auch die Stütze, die eine gemeinsame Struktur der Ablage gibt. Darüber hinaus werden vom Anwender TRex-Dokumente mittels der Suchmaschine auch unabhängig von der Ablagestruktur gefunden. • Aufgabenverwaltung – Aufgaben können strukturiert in der Aufgabenverwaltung „Bearbeitern“ zugeordnet und der Bearbeitungsstand kann beobachtet werden.
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• Kalenderintegration – Die Integration von Kalendern (zum Beispiel Outlook) ist möglich und erleichtert die Planung. • Sitzungshistorie – Sitzungshistorien entstehen aus der Terminplanung, den eingeladenen und teilnehmenden Personen und können mit weiteren Dokumenten, wie Protokollen und Präsentationsunterlagen, themengerecht ergänzt werden. • Diskussionsforen – Bedarf ein Thema einer längeren Diskussion, insbesondere von Diskussionsteilnehmern, die räumlich weiter entfernt sind, dienen Diskussionsforen als quasi asynchrone Chat-Räume. Die chronologische Reihenfolge der Beiträge und der Entstehungsprozess einer Lösung bleiben dauerhaft nachvollziehbar. Die Vorteile, auch für Projektarbeiten eine gemeinsame Datenbasis zu haben, liegen auf der Hand. Durch den Zugang über das Internet ist die Ortsunabhängigkeit, insbesondere bei räumlich verteilten Projektmitgliedern, von größtem Vorteil. Stets mit den gegebenenfalls auf einem anderen Kontinent befindlichen Kollegen auf demselben Informationsstand zu sein schafft eine neue Qualität der Community. Die Technische Integrationsplattform ist auf Basis von SAP NetWeaver Exchange Infrastructure (XI) realisiert. Diese Schicht ist für den Anwender „unsichtbar“. Sie ist aber wesentlicher Bestandteil der Gesamtlösung. Die XI-Schicht regelt unter anderem den Datenverkehr zwischen den Komponenten der eService-Plattform. Zum Beispiel werden Anwenderdaten, Rollen und Berechtigungen nach der Erfassung in einem zentralen Portaldialog auf Basis von in der XI-Schicht hinterlegten Regeln an die beteiligten Applikationen verteilt. Diese Regeln umfassen ihrerseits wieder mehrere Schichten. So werden hier die Kommunikationspfade und -verfahren der Server und Applikationen hinterlegt, aber auch gegebenenfalls erforderliche Umsetzungen von Datenstrukturen und Umschlüsselungsregeln für Dateninhalte. Abstrakt gesehen leistet die XI-Schicht also die Funktionalitäten einer „Datenautobahn“ (Datenbus) auf Ebene der Server und Applikationen. Neben der Steuerung der Datenströme zwischen den Komponenten der eService-Plattform übernimmt die XI-Schicht weiterhin die Kommunikationssteuerung zu Servern und Applikationen der hauseigenen ERP-Systeme und auch zu Systemen von Geschäftspartnern über das Internet (zum Beispiel für einen Bestelldatenaustausch).
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Die Vorteile dieser Architektur sind unter anderem die zentrale Steuerung der Datenströme, die sich auch bei der Verlagerung und Anpassung von Systemen und Applikationen positiv auswirkt. Bei herkömmlicher direkter Schnittstellenkopplung von Servern und Applikationen müssen in so einem Fall alle Partnersysteme zeitpunktgenau angepasst werden. Die Komplexität und das Risiko solcher Maßnahmen sind jedem in der ITWelt leidvoll bekannt. Durch die Bus-orientierte XI-Schicht erfolgt die Anpassung nur hier; die Partnersysteme sind von einer solchen Umstellung nicht betroffen. Hierdurch werden Zeitdauer, Kosten und Risiko deutlich gemindert. Ein weiterer Vorteil dieser Architektur liegt in dem Schnittstellenmonitor. Statt schnittstellenindividueller Überwachungsmechanismen, die oft genug auch personenindividuell sind, bietet der XI-Monitor ein standardisiertes Werkzeug zur Schnittstellenüberwachung. Bei Nicht-Erreichbarkeit eines Partnersystems werden die Datenströme gepuffert und nach Wiederherstellung der Verbindung die Nachrichten in korrekter Reihenfolge maschinell übertragen; diese Art der Integration ist ein Queue-Verfahren. Auch dies war ein wichtiger Punkt für die eServicePlattform, da diese vollständig autark lauffähig sein muss, auch wenn Partnersysteme gegebenenfalls nicht erreichbar sind.
Abb. 9. Die eService-Plattform ist ein Informations- und Prozess-Hub
eService-Plattform Salzgitter
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Nutzenbetrachtung Als Fazit der obigen Ausführungen lässt sich der Nutzen in drei Kategorien ausdrücken. Die Aufwandsreduzierung in vielen Prozessschritten ergibt sich zum Beispiel durch • Reduzierung des Abstimmungsaufwands • Reduzierung manueller beziehungsweise redundanter Tätigkeiten beim Kunden und auf Lieferantenseite • Verkürzung der Prozesslaufzeiten Die Qualitätsverbesserungen liegen im Wesentlichen in der Erhöhung der Transparenz und Informationssicherheit durch • Vermeidung von (redundanten) Erfassungs- oder Übermittlungsfehlern • Bereitstellung einer gemeinsamen Datenbasis • einheitlichen, gleichzeitigen und ortsunabhängigen Informationsstand Die Erhöhung der Kunden- und Lieferantenzufriedenheit aus obigen Prozessverbesserungen wirkt sich nachhaltig auf die personenbezogenen Beziehungen aus durch • Etablierung einer zentralen Kommunikationsebene • Transparenz dank Online-Zusammenarbeit • Vereinfachung der Zusammenarbeit aufgrund definierten Informationsund Prozesszugangs
Ausblick Das Produkt eService-Plattform ist, wie geschildert, heute eine etablierte Kommunikationsdrehscheibe in der Auftragsabwicklung des Salzgitter Konzerns. Da sich Geschäftsfelder, und damit Geschäftsprozesse, kontinuierlich ändern, wird die eService-Plattform funktional und technologisch ebenfalls permanent weiterentwickelt. Ein weiterer Aspekt in diesem permanenten Wandel ist die gleichzeitige Aufrechterhaltung der Stabilität der Anwendungen. Die Vielzahl von Geschäftspartnern zieht ein hohes Maß an Geschäftsprozessänderungen nach sich. Um die eService-Plattform trotz äußeren Änderungsdrucks stabil betreiben zu können und den Änderungsanforderungen nachzukommen, sind Systeme mit einer serviceorientierten Architektur erforderlich. Mit der technologischen Basis NetWeaver und CRM ist die eService-Plattform zukunftsweisend aufgestellt.
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Günter König
Wer wie GESIS eine solche Lösung mit der eService-Plattform realisiert und etabliert hat, kann Trends in der IT-Unterstützung von Geschäftsprozessen setzen. Standardisierung von Architektur, Design und Modulbauweise aus der Vogelschau des Geschäftsprozesses – nicht aus der Basissicht der Technologie – gewährleisten den dauerhaften Erfolg. Diese Philosophie bietet auch weitere Synergieeffekte durch Wiederverwendbarkeit von Modulen und Lösungen, zum Beispiel im ERPUmfeld. So hat der Salzgitter Konzern ein Projekt „Mitarbeiterportal“ unter anderem mit Intranet- und Dokumenten-Management-Funktionen sowie zur Konsolidierung von Prozesslösungen gestartet, das ebenfalls auf den NetWeaver-Komponenten basiert. Auch in CRM-Projekten im Sinne des „klassischen“ Kundenkontakt-Managements lassen sich Synergien durch Wiederverwendung von zum Beispiel BI-Bausteinen heben. GESIS ist aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre überzeugt, auch in Zukunft im Umfeld der sich immer rascher ändernden Geschäftsprozesse unserer Kunden effizient, nachhaltig und vorausschauend agieren zu können.
IP-Telefonie als IT-Service
Gerhard Otterbach, Leiter Enterprise Solutions and Services Siemens Communications Thomas Zimmermann, Leiter Enterprise Systems Siemens Communications Die Weiterentwicklung traditioneller Telekommunikationssysteme in Richtung „Telefonie über das Internet Protocol“ (Voice over IP) brachte den Unternehmen bislang vor allem Vorteile bei den Betriebs- und Gesprächskosten: Das Management der Systeme konnte zentralisiert und bestehende Datenverbindungen für die Sprachübermittlung mitgenutzt werden. Doch zunehmend wächst die Erkenntnis, dass es bei der IPKommunikation um mehr als eine reine Kostenreduzierung geht. Sie schafft vielmehr zusätzlichen Mehrwert durch Integration neuer, innovativer Anwendungen in die Geschäftsprozesse. Der nächste Quantensprung entsteht durch die Integration der IPSoftswitch-Technologie in eine IT-Umgebung, die völlig neue Konzepte zur Bereitstellung von Kommunikationsdiensten ermöglicht. Eine Software-Lösung anstelle eines traditionellen Vermittlungsrechners für die Telefonie (Softswitch) erfordert keine proprietäre, also keine herstellerspezifische Hardware mehr. Ein Softswitch lässt sich auf Standard-Servern installieren und gliedert sich damit nahtlos in bestehende ServerInfrastrukturen ein. Das erleichtert zum einen die Integration der Echtzeitkommunikation in vorhandene Anwendungen entscheidend – mit allen positiven, produktivitätssteigernden Auswirkungen auf die Abläufe in den Unternehmen. Zum anderen wird Echtzeitkommunikation so zu einem Dienst der IT, der sowohl durch das unternehmenseigene Rechenzentrum als auch durch einen externen Dienstleister zentral und global flexibel erbracht werden kann. Und anstatt die Geräteausstattung aus dem eigenen Betriebsvermögen selbst zu finanzieren, zahlen Unternehmen beim Dienstleister nur noch für die individuell benötigten Leistungen pro Arbeitsplatz.
276 Gerhard Otterbach, Thomas Zimmermann
Abb. 1. Architekturmodelle für große Kommunikationslösungen
Wer allerdings die Sprache schlicht als eine weitere Anwendung auf dem Datennetz betrachtet, denkt zu kurz. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Technisch gesehen sind Daten bloß die einfachste Form der Sprachübertragung. Echtzeitkommunikation über IP-Netze ist alles andere als trivial und wird zu einem wichtigen Treiber für die Weiterentwicklung der Netzwerke. Denn die Einführung von Echtzeitanwendungen verlangt hohe Standards bei der Verfügbarkeit, der Sicherheit und der Servicequalität und -priorisierung (Quality of Service) der Netze.
Sprache aus dem Rechenzentrum Viele, die von Voice over IP (VoIP) hören, denken dabei zunächst an das Telefonieren über das Internet. Wird in diesem Zusammenhang von Kostensenkung gesprochen, entsteht sofort das Bild vom Anruf bei der Tante in Amerika über das Internet. Dank Flatrate sozusagen zum Nulltarif. Spricht man von VoIP für Unternehmen, kommen dagegen wesentlich komplexere Modelle ins Spiel: Vernetzen von mehreren Standorten, Anbinden von Teleworkern über DSL-Anschlüsse, Nutzung des firmeneigenen LAN für Telefongespräche, zentralisiertes Management und vieles mehr. Das Internet als Transportnetz spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle. Ein Beispiel dafür ist das finnische Arbeitsministerium mit Amtssitz in der Hauptstadt Helsinki und rund 260 Niederlassungen im gesamten Land.
IP-Telefonie als IT-Service
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Es leitet mittlerweile den gesamten internen Sprach- und Faxverkehr über das entsprechend ausgebaute Datennetzwerk. Interne Gespräche im gesamten Ministerium und auch Ferngespräche innerhalb des Netzes sind nun völlig gebührenfrei, auch für Telefonate in jede beliebige finnische Stadt fällt nur noch der Ortstarif an. Ein erster Vergleich der Telefonrechnungen vor und nach der Umstellung hat ein jährliches Kostensenkungspotenzial bei den Gesprächsgebühren von etwa 1,8 Millionen Euro erbracht – ungefähr ein Drittel der bisherigen Ausgaben können eingespart werden. Ohne Abstriche bei Sprachqualität, Funktionsumfang und Verfügbarkeit reduzieren Unternehmen mithilfe der IP-Kommunikation Infrastrukturkosten und Telefongebühren. Aber Sprache ist damit noch kein echter ITService geworden, auch wenn Sprache und Daten nun gemeinsam ein Netz nutzen. Denn derartige Lösungen basieren nach wie vor auf proprietärer Hardware, proprietären Protokollen und Hardware-orientierten Preismodellen. Was muss also passieren, damit Sprache in Zukunft wirklich aus dem Rechenzentrum kommen kann? Hierzu ist der Übergang zur Softswitch-Technologie erforderlich. Erst ein hochskalierbarer Softswitch stellt eine einheitliche Plattform für Anwendungen und Dienste zur Verfügung. Für ein großes, möglicherweise sogar global verteiltes Unternehmensnetz bietet sich damit die Möglichkeit, das IP-Kommunikationssystem zentral fürs gesamte Unternehmen einzurichten. Für den Anwender – egal, wo er sich befindet – steht dadurch eine nahtlose Kommunikationsumgebung mit einheitlicher Benutzeroberfläche und identischen Leistungsmerkmalen sowie Applikationen für das gesamte Unternehmen zur Verfügung. Auf diese Weise können Firmen ihre Kommunikationsanwendungen durchgängig für alle Mitarbeiter bereitstellen und eine einheitliche technische Infrastruktur verwirklichen – egal, ob es sich dabei um Büro-, Heimoder Mobilstandorte handelt. Ganz gleich, an welcher Stelle sich der Mitarbeiter im Local Aera Network (LAN) anmeldet, er ist immer unter derselben Nummer erreichbar. Seinerseits ändern sich für den Mitarbeiter die persönlichen Einstellungen nicht. So bleibt zum Beispiel die Belegung von Funktionstasten immer erhalten. Außerdem kann er über sein Endgerät auf alle seine Nachrichten zugreifen – gleich ob Sprachnachricht, E-Mail, SMS, Fax oder Instant Message. Auch kleinere und verstreut liegende Filialen werden einfach, kostengünstig und mit hoher Ausfallsicherheit zentral angebunden, verwaltet und auf dem neuesten Stand gehalten. Selbst anspruchsvolle Funktionen wie Präsenz-Management oder Multimediaanwendungen lassen sich auf diese Weise sicher und mit geringem Aufwand standortunabhängig realisieren.
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Abb. 2. Kommunikationsfunktionen direkt aus dem Rechenzentrum mit einer Softswitch-Lösung
Der Softswitch ermöglicht optimale Investitionssicherheit, da neue Funktionalitäten mit einem Software-Update eingespielt und am jeweiligen Arbeitsplatz bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden können. Ein weiterer Vorteil ist die flexible Skalierbarkeit einer solchen reinen IPLösung: Konfigurationen von mehreren 100 bis zu mehreren 10 000 Nutzern sind damit wirtschaftlich sinnvoll möglich. Das System kann den individuellen Unternehmensstrukturen exakt angepasst werden. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die Abkehr von proprietären, herstellerspezifischen Kommunikationsprotokollen. Mit Voice over IP wird in der Telekommunikation das fortgeführt, was in den 90er-Jahren bei den PCs begonnen wurde: die Öffnung der Systeme und damit eine rasante Entwicklung von neuen Anwendungen. Einzige Voraussetzung war und ist das Schaffen und Einhalten von Standards. In der IP-Kommunikation ist es das Session Initiation Protocol (SIP), das sich als Standard durchsetzt. Das Protokoll orientiert sich an der Architektur gängiger Internetanwendungen und unterstützt beliebige Sessions (Sitzungen oder Verbindungen) mit einem oder mehreren Teilnehmern. Dabei wurde von Beginn an auf leichte Implementierbarkeit, Skalierbarkeit, Erweiterbarkeit und Flexibilität geachtet. Dabei ist SIP nicht auf die Internettelefonie beschränkt, sondern unterstützt auch multimediale Anwendungen oder Audio- und Videokonferenzen. Der Charme einer reinen SIP-Umgebung besteht vor allem darin, dass es damit möglich ist, im bestehenden Netz Systeme unterschiedlicher
IP-Telefonie als IT-Service
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Hersteller zu betreiben. Die einzige Voraussetzung für dieses einheitliche Netz ist nur, dass alle Systeme den SIP-Standard beherrschen. Monolithische Infrastrukturen, in denen die Systeme eines Herstellers nur mit sich selbst kompatibel sind, gehören damit der Vergangenheit an. Ein weiterer Aspekt hinsichtlich der Offenheit ist das Betriebssystem: Mit Linux nutzt beispielsweise Siemens für den Softswitch HiPath 8000 ein offenes, unabhängiges und damit nicht proprietäres Betriebssystem, das sich als sehr zuverlässig und robust herausgestellt hat. Viele führende IT-Firmen wie etwa IBM haben deshalb ihre Strategie darauf ausgerichtet. Der Softswitch ist kompatibel zur Standard-x345-Hardware von IBM und zu SuSE-Linux-Betriebs-Software-Applikationen. Sämtliche SIP-fähigen Endgeräte werden genauso unterstützt wie Q.SIG-Standard-Telefonanlagen und Gateways von Anbietern mit standardkonformen Schnittstellen. Durch die Kombination der Zuverlässigkeit einer Carrier-Lösung mit den spezifischen Leistungsmerkmalen und Funktionalitäten eines Enterprise-Kommunikationssystems kann Siemens damit eine Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit von 99,999 Prozent garantieren. So wird sichergestellt, dass alle Funktionen immer und uneingeschränkt bereitstehen. Telefonieren geht also immer, vorausgesetzt, das LAN steht gleichfalls zur Verfügung. Durch die Mehrmandantenfähigkeit des IP-Softswitch können ServiceProvider – wie etwa ausgelagerte IT-GmbHs großer Konzerne, die auch am freien Markt aktiv sind – ihren verschiedenen Kunden jeweils individuelle Nummernpläne zur Verfügung stellen, auch wenn sie nur eine einzige Plattform einsetzen. Die Verrechnung der jeweiligen Kosten ist ebenso wenig ein Problem wie die Bereitstellung maßgeschneiderter Leistungsmerkmale für die unterschiedlichen Mandanten. Bisher erfolgte die Abrechnung meist über das Port-Preismodell, bei dem die Miete der Hard- und Software sowie der gewünschte Service zu einem festen Monatspreis pro Arbeitsplatz abgerechnet werden. In Zukunft wird sich jedoch auch für die Sprachkommunikation immer mehr das in der Software-Branche übliche Lizenzmodell durchsetzen. Möglich werden damit aber auch neue Formen des Betriebs. So stellt der IP-Softswitch zum Beispiel die Möglichkeit zur Verfügung, die Basistelefonfunktionen über einen SIP-Carrier einzukaufen und darüber hinaus die anspruchsvolleren Anwendungen wie etwa Präsenzinfo, Kontaktcenterlösungen, Integration in SAP und weitere selbst zu betreiben.
280 Gerhard Otterbach, Thomas Zimmermann Zusammenarbeit von virtuellen Teams erfordert Hilfe der IuK-Technologie
Abb. 3. Sprache ist nicht nur ein weiteres Datenpaket (VoIP)
Vor allem für sehr kleine Unternehmen ist das Outsourcing mittels IPHosting – also ein Managed-Services-Vertrag mit einem IP-Provider für Unternehmenskommunikation – oft sinnvoll. Ähnlich wie beim Handy heute hat das Unternehmen dann nur noch das Endgerät im Haus und die Standarddienste kommen per Leitung „aus dem Internet“. Für das große Segment der mittelständischen Unternehmen, die heute schon eine eigene IT-Abteilung unterhalten, gibt es dagegen gute Gründe, ein eigenes System zu betreiben. Über eine enge Verzahnung der Kommunikation mit den Geschäftsprozessen können erhebliche Produktivitätsvorteile erschlossen werden. Managed-Services-Anbieter können hier bei entsprechender Flexibilität bestimmte Aufgaben übernehmen und so auch für den Mittelstand einen deutlichen Mehrwert generieren.
Ein Softswitch zahlt sich schnell aus Im Vergleich zur Beibehaltung der bisherigen, proprietären Kommunikationsplattform ist eine Lösung auf Basis eines IP-Softswich über fünf Jahre betrachtet eindeutig die kostengünstigere Variante. Das hat eine Studie des Beratungsunternehmens InfoTech zur Ermittlung der Total Costs of Ownership (TCO) ergeben. Danach ist „nichts tun“ die teuerste Strategie für große Unternehmen. Bei einem LAN-basierten, verteilten IPSystem wird eine relativ große Zahl von Servern benötigt, was die Ge-
IP-Telefonie als IT-Service
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samtbetriebskosten deutlich erhöht. Da die Softswitch-Lösung von Siemens nur wenige Server erfordert, ist sie die wirtschaftlichste Alternative. Drei Systemkonfigurationen wurden in der Studie betrachtet: ein mittleres Unternehmen mit 15 000 Teilnehmern, ein großes mit 50 000 Teilnehmern und ein global aufgestelltes Unternehmen mit 100 000 Teilnehmern (siehe Tabelle 1).
Nutzer Firmenzentrale(n)
Mittleres Unternehmen Großes Unternehmen 15 000 50 000 1 1
Globales Unternehmen 100 000 2
Niederlassungen Verfügbarkeit
50 100 Prozent
400 100 Prozent
150 100 Prozent
Tabelle 1. Unternehmensprofile nach dem „Managed Services Deployment“-Modell der IBM
Die Kosten für Client-Geräte wurden dabei nicht berücksichtigt, die Ausgaben für Software-Nutzerlizenzen jedoch eingerechnet. Da beide Voice-over-IP-Modelle – also das LAN-basierte verteilte und das Softswitch-basierte – bestimmte Anforderungen an das Datennetz stellen, die in etwa gleich sind, wurde dieser Aspekt beim Vergleich vernachlässigt. Weitere Annahmen bei der TCO-Berechnung: 25 Prozent der Mitarbeiter arbeiten am Hauptsitz, 75 Prozent der Mitarbeiter sind an abgesetzten Standorten beschäftigt. 90 Prozent der Mitarbeiter arbeiten mit Unified Messaging als Option, 10 Prozent nutzen Telekonferenzen. Mit Unified Messaging werden eingehende Nachrichten wie zum Beispiel SMS, Fax und Sprachnachrichten unter einer Oberfläche gebündelt. Der Empfänger kann auf diese Nachrichten von verschiedenen Endgeräten wie PC, Handy oder Bürotelefon zugreifen oder wird an seinem bevorzugten Endgerät über den Erhalt einer neuen Nachricht informiert. In der TCO-Studie wurden die Investitionsausgaben (CapEx) und die Betriebskosten (OpEx) für jede der drei Szenarien der Einführung eines Managed-Voice-Services für Unternehmen berechnet. Die Gesamtbetriebskosten für fünf Jahre enthalten dabei Hard- und Software, Installation, Gewährleistung und Wartung. Die Schätzung für eine vierjährige Wartung nach dem Garantiezeitraum von einem Jahr erfolgte mit Kapitalwertsberechnungen unter Annahme eines Zinssatzes von drei Prozent.
282 Gerhard Otterbach, Thomas Zimmermann
Abb. 4. Vergleich gehosteter Softswitch gegenüber LAN-Telephonie
Die Hosted/Managed-Deployment-Lösung mit einem IP-Softswitch stellt laut der Studie aus folgenden Gründen die beste Option dar
• wirtschaftlichste TCO • Rationalisierung des täglichen Betriebs und Managements • Maximierung der Produktivität von Endnutzern und Geschäftsprozessen Sie bietet zudem den flexibelsten Migrationspfad mit einer Möglichkeit zur Einführung einzelner Teilnehmer zu einem frei wählbaren Zeitpunkt, einem linearen und vorhersagbaren Modell pro Nutzer und einer leistungsabhängigen Preisgestaltung. Das TCO-Vergleichsmodell in der Studie von InfoTech berücksichtigt auch noch zahlreiche Optionen, die über den reinen Vergleich der Gesamtbetriebskosten einer HiPath-8000-Lösung gegenüber einem LAN-basierten verteilten IP-System oder der Beibehaltung des bisherigen Kommunikationssystems hinausgehen. Untersucht wurde auch das Hochrüsten einer bestehenden Telekommunikationsanlage auf eine konvergente Architektur der ersten Generation zur Unterstützung von IP-Networking, die Installation einer reinen IP-Kommunikationsanlage im Netz auf dem Desktop oder ein von einem Diensteanbieter betriebenes Managed-IP-Kommunikationssystem. Ein Vergleich mit so genanntem IP Centrex oder mit der Einführung eines neuen hybriden Systems fand ebenfalls statt. Ein großes Unternehmen, dessen 25 000 Mitarbeiter über die gesamten USA verteilt sind und das aufgrund seines Wachstums pro Jahr vier Prozent mehr Telefonleitungen über einen Zeitraum von fünf Jahren benötigt, bildete die Grundlage der Berechnung. Außerdem wurden Faktoren wie die Eignung der vorhandenen Datennetze für die Sprachkommunikation,
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Anwendungen wie Callcenter-Arbeitsplätze für fünf Prozent der Belegschaft und ein Zehn-Prozent-Anteil an Unified Messaging sowie eine Verfügbarkeit von acht Stunden an fünf Tagen zugrunde gelegt. Das Ergebnis auch hier: Die monatlichen Kosten pro Teilnehmer sind beim Einsatz einer IP-Softswitch-Lösung um bis zu 21 Prozent geringer als bei anderen Optionen. Die Kapitalausgaben liegen um 38 Prozent unter denen bei anderen Varianten. Die betrieblichen Aufwendungen für Personal, Moves Adds Changes (MAC) und Wartung liegen zum Teil um die Hälfte niedriger. Die HiPath-8000-Lösung weist der Studie zufolge zudem um 20 Prozent niedrigere Betriebskosten als eine IP-Nebenstellenanlage auf und verursacht im Vergleich zu den anderen Optionen im besten Fall bis zu 86 Prozent niedrigere Einrichtungskosten. Eine im Jahr 2005 von Forrester Consulting durchgeführte Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Danach können Unternehmen durch den Einsatz eines IP-Softswitch unter anderem folgende Vorteile erwarten • 50 bis 62 Prozent Reduzierung der Wartungskosten im Sprachbereich • 50 bis 70 Prozent geringere Administrationskosten • 40 bis 50 Prozent Kosteneinsparung bei der Hardware durch ServerKonsolidierung • 66 bis 75 Prozent Kostenreduzierung bei Moves Adds Changes (MAC) • 45 bis 50 Prozent Einsparung bei der Verkabelung durch eine einzige Leitung zum Schreibtisch • 10 bis 30 Prozent Reduzierung der Gebühren für internationale Ferngespräche • 7 bis 10 Prozent Produktivitätsgewinn durch die Integration von Echtzeitanwendungen in die Geschäftsprozesse
Basis für neue Geschäftsmodelle Sowohl für Unternehmen als auch für IT-Dienstleister ermöglicht der Einsatz eines IP-Softswitch die Realisierung neuer Geschäftsmodelle. Ein Service-Provider, der sich bislang auf das Bereitstellen von Internetzugängen oder IT-Diensten beschränkt hat, kann zum Beispiel mit einer solchen mandantenfähigen Lösung zusätzlich auch diverse Kommunikationsservices flexibel anbieten. Ein Beispiel für diese Strategie ist die Fiducia IT AG, der größte IT-Dienstleister für die deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. Das Unternehmen realisiert auf der Basis von HiPath 8000 ein neues innovatives Geschäftsmodell im Telefoniebereich: Seine über 120 000 Kunden können dabei Sprachapplikationen und -dienste wie Callcenter-
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Funktionen, Unified Massaging oder PC-unterstütztes Telefonieren (CTI = Computer Telephony Integration) als Serviceangebot abrufen und damit Aufwendungen für die Anschaffung und den Betrieb eigener Systeme einsparen. Fiducia bietet diese Leistungen als Service über das Wide Area Network (WAN) – neben den bisher schon üblichen IT-Services – als zentraler Dienstleister kostengünstig und immer auf dem aktuellen Stand an. Abgerechnet wird nach einem Port-Preismodell: Der Endkunde – also die Volks- und Raiffeisenbank – nutzt und bezahlt die Kommunikationsapplikationen, die er aktuell benötigt und nur für die Zahl der Anschlüsse, die er anfordert. Das eigene Betreiben und Aktualisieren einer Telefonanlage entfällt somit. Auf diese Weise wollen sich die genossenschaftlichen Geldinstitute ein geschätztes Einsparungspotenzial von rund 15 bis 25 Prozent bezogen auf die gesamten Telefonkosten erschließen. Die technische Realisierung der neuen Kommunikationsarchitektur basiert auf dem Hosting-Prinzip. Das Real-Time-IP-System ist die zentrale Vermittlungsinstanz im Netz der Fiducia und fungiert als Host in einem Overlay-Netzwerk. Die an der Lösung teilnehmenden Kommunikationsendgeräte der Fiducia und ihrer Kunden werden dabei über dieses Kommunikationssystem verwaltet. Managed Services gewährleisten dabei, dass das neue Geschäftsmodell sicher und zuverlässig verwirklicht werden kann. Sie enthalten unter anderem die Überwachung aller Systeme und Komponenten 24 Stunden rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr. Entsprechend der vereinbarten Service-Levels erfolgt die Beseitigung von Störungen entweder per Fernwartung oder durch den Vor-Ort-Einsatz von Servicetechnikern innerhalb genau festgelegter Fristen. Die Entscheidung für die IP-Lösung fiel unter anderem deshalb, weil diese das Geschäftsmodell eines Application Service Providers und das geplante On Demand Business umfassend unterstützt. Außerdem ist die volle Integration in die existierende IP-Infrastruktur und die Fiducia-Software-Basis möglich. Dieses Beispiel zeigt sehr gut, welche Vorteile ein IP-Softswitch Managed Services Providern (MSP) und Netzbetreibern bietet. Wegen ihrer Architektur benötigt diese mandantenfähige Lösung weniger Ressourcen für das Management und die Wartung. Mit einem einzigen System können unterschiedliche Firmenkunden mit jeweils eigener Abrechnung, Rufnummernplan und speziellen Applikationen aus einer Hand bedient werden. Dabei ist die End-to-End-Sicherheit jederzeit gewährleistet. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Frost & Sullivan sollen die Umsätze für gehostete IP-Telefondienstleistungen in Europa von 435,8 Millionen Euro im Jahr 2003 auf 1,23 Milliarden Euro im Jahr 2008 anwachsen. Die Anwendung von offenen Standards, wirksames Netzwerk-
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Management und Servicebeständigkeit – so die Analysten – sind dabei die entscheidenden Meilensteine für das enorme Wachstum in diesem Marktsegment. Der Vergleich zur Elektrizitätswirtschaft liegt dabei nahe. Ein Stromkunde weiß in der Regel ebenfalls nicht, ob sein Energieversorger den Strom aus Kernkraft, Wasser oder Sonnenenergie herstellt. Wichtig ist für ihn nur, dass der Stromanschluss funktioniert. Mit den neuen ManagedServices-Angeboten, die neben der technischen Ausstattung mit Endgeräten und Sprachanwendungen zusätzlich die dafür nötigen Konfigurationsund Wartungsservices enthalten, lassen sich in Zukunft auch die Telefonleistungen für Unternehmen – je nach aktuellem Bedarf – ebenfalls komplett „aus dem Internet“ beziehen.
Mehrwert mit Managed Services In einem nach wie vor sehr dynamischen Markt wie der Informations- und Kommunikationstechnologie fällt es zunehmend schwerer, mit aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten und die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen – etwa in Fragen der Netzwerksicherheit, der mobilen Kommunikation oder der Integration von Sprach- und Datennetzen. Ein konkretes Beispiel für diese Überlegungen wird später am Beispiel des österreichischen Fahrzeugherstellers Magna Steyr in Kapitel „Fallbeispiel Magna Steyr“ beschrieben. Um technologische Potenziale voll ausschöpfen zu können, sind viele Unternehmen dazu übergegangen, ihre Informations- und Kommunikationsinfrastruktur teilweise oder ganz an externe Provider auszulagern. Insbesondere wird deren Wissen dazu genutzt, Netzwerke und Anwendungen auf dem aktuellen Stand zu halten und gemäß den Anforderungen der Unternehmen weiterzuentwickeln. Unternehmen sind heute oft nicht mehr bereit, ganze Geschäftsbereiche bei einem externen Dienstleister abzubilden, sondern setzen zunehmend auf Managed Services. Der Begriff „Managed Services“ betont den Dienstleistungscharakter – den Unternehmen wird dabei nicht nur Technologie bereitgestellt, sondern durch qualitativ hochwertige Leistungen ein klarer Mehrwert geboten.
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Abb. 5. IP-Kommunikation als Managed Service
So sorgt der Outsourcing-Partner beispielsweise durch permanente Modernisierung mit innovativer Technologie dafür, dass das Netz immer hochverfügbar ist. Ein weiterer Mehrwert kann aber auch die Bereitstellung von besonderen Funktionen für Projektteams oder Ähnliches sein. Anstatt derartige Applikationen dauerhaft anzuschaffen, werden die notwendigen Funktionalitäten den entsprechenden Mitarbeitern über das Netz zur Verfügung gestellt und nur bei Nutzung bezahlt. Bei den Managed Services als Form des selektiven Outsourcing übernimmt der externe Partner jedoch nicht die Ausführung der kompletten Geschäftsprozesse, sondern stellt „nur“ die Infrastruktur beziehungsweise Funktionalität zur Verfügung und betreibt sie. Die Gesamtverantwortung und die strategische Ausrichtung verbleiben nach wie vor beim Auftraggeber. Vom Outsourcing-Partner werden lediglich die benötigten Funktionen mit garantierten Service-Levels gemietet. Die nötigen Systeme und Geräte bleiben in der Regel im Besitz des Vertragspartners. Es gibt aber auch den Fall, dass der Dienstleister das Equipment zurückkauft und für den Kunden betreibt. Gerade die Bereiche Telekommunikation und Informationstechnik sind für den Einsatz von Managed Services prädestiniert. In den meisten Unternehmen ist diese Infrastruktur zwar kritisch, ihr Betrieb gehört aber in den seltensten Fällen zur Kernkompetenz eines Unternehmens. Hinzu kommt die erhebliche Komplexität der eingesetzten Technologien, die zudem ei-
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nem schnellen Wandel unterworfen sind. Hier ist ein spezialisierter Dienstleister eher in der Lage, einen wirtschaftlichen Einsatz zu gewährleisten. Um den Erfolg eines Managed-Services-Projekts sicherzustellen, ist eine sehr enge Partnerschaft zwischen den Beteiligten notwendig. Nur so kann überhaupt gewährleistet sein, dass die Infrastruktur und die Funktionen stets die aktuellen Geschäftsprozesse unterstützen. Zudem sollten beide Partner eine realistische Erwartungshaltung in das Projekt einbringen, das dem Unternehmen schließlich langfristig Kosten- und Planungssicherheit gewähren muss. Für den Anbieter von Managed Services bedeutet der Trend zu selektiverem Outsourcing oder Outtasking vor allem die Notwendigkeit eines modularen Angebots und die Konzentration auf seine wirklichen Kernkompetenzen. Siemens Communications bietet diese Form des Auslagerns deshalb vor allem in Bereichen an, in denen das Unternehmen selbst Lösungen entwickelt und produziert: Kommunikationsinfrastrukturen und -lösungen, multimediale Contact Center sowie Security-Infrastrukturen. Auf deren Basis können dann auch kundenspezifische Betreibermodelle realisiert werden. Die Technik- und Servicekompetenz umfasst dabei heute alles, was im IT-Netz mit Kommunikation zu tun hat: vom Fax über SMS, E-Mail, Sprache und Video bis hin zur Netzwerksicherheit. Das Einrichten und Managen eines Netzwerks – gleich ob Sprach- oder Datennetz – ist die Basis dafür. Global verteilte Network Operation Center (NOC) mit qualifizierten ITK-Experten stellen den reibungslosen Betrieb sicher. Sie überwachen permanent den Datenstrom und suchen dabei nach winzigen Anomalien – etwa einem fehlgeschlagenen Anmeldeversuch, einer unterdurchschnittlich langsamen Leitung oder einem defekten Router. Auf diese Weise können beispielsweise Hacker- und Virenangriffe schnell erkannt und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Auch SpamAttacken mit elektronischem Werbemüll lassen sich auf diese Weise bereits im Vorfeld erkennen und stoppen. Um Fehler automatisch entdecken und je nach Schwere in unterschiedlichen Prioritätsklassen signalisieren zu können, erhebt das Siemens Information Network Management System (siNMs) an den vielen tausend Komponenten eines Kundennetzes unterschiedliche Werte. Dank einheitlicher Schnittstellen ist es dabei egal, von welchem Hersteller die eine oder andere Komponente stammt. Zu den abgefragten Informationen gehören etwa die Temperatur von Bauteilen, die Datenlast auf einzelnen Netzstrecken oder die Fehlerrate, mit der die Bits und Bytes übermittelt werden.
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Dieses Monitoring der Bit-Error-Rate ermöglicht es zum Beispiel den Experten, schon tätig zu werden, bevor eine Komponente komplett ausfällt. Bei der Datenübermittlung werden dazu Prüfsummen gebildet und zusammen mit den Nutzdaten übertragen. Stimmt die Prüfsumme einer Komponente nicht mit der Summe überein, die die nächste Komponente ermittelt, werden die dazugehörigen Daten noch einmal geschickt. Typischerweise steigt diese Fehlerrate allmählich an – etwa dadurch, dass sich im Laufe der Zeit Staub absetzt und die Elemente nicht mehr richtig gekühlt werden können. Erreicht die Fehlerrate einen bestimmten Schwellenwert, wird das Gerät ausgetauscht oder der Datenverkehr über eine andere Verbindung im IP-Netz geleitet. Noch bevor also auf Kundenseite Bestandsmeldungen nicht mehr weitergeleitet werden können, ein OnlineBestellportal nicht mehr zu finden ist oder Telefonapparate einfach tot bleiben, kann der Fehler so schon behoben werden. Im Sinne der Produktivität eines Unternehmens ist solch ein präventives Vorgehen optimal. Allerdings setzt es auch hier ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zwischen den beteiligten Partnern voraus. Dies beginnt schon bei der Vertrags- und Prozessgestaltung. Die Serviceexperten orientieren sich an den Best-Practice-Empfehlungen nach ITIL (IT Infrastructure Library). Die einzelnen Leistungen sind hier klar definiert. Das macht die Vertragsgestaltung einfacher, und der Kunde weiß von Anfang an, was er erwarten kann. Darüber hinaus werden die einzelnen Aktivitäten akribisch in ausführlichen Reportings dokumentiert, in denen alle Störungen und die Bearbeitungszeiten festgehalten werden. In den vereinbarten Service Level Agreements (SLAs) wird der Grad der Verfügbarkeit von IT- und TK-Infrastruktur vereinbart, und für jede denkbare Störung werden Eskalationspläne ausgearbeitet. Beides gibt den Managed-Services-Kunden die Sicherheit, dass nichts übersehen wird und ihr Geschäft reibungslos läuft. Bei einem Managed-Services-Vertrag übernimmt das Network Operation Center die Betriebsverantwortung für die gesamte ITK-Infrastruktur sowie die IT-Prozesse beim Kunden. Zu den Themen aktive Überwachung, Wartung (Patches aufspielen, Updates fahren etc.) und Vor-Ort-Service (Reparatur) gehört auch die komplette Teilnehmeradministration. Darüber hinaus ist für viele Kunden jedoch die Rolle des NOCs und des Service-Level-Managers als übergreifender Service-Integrator entscheidend. Für die Unternehmen heißt das, dass sie nicht mehr eine Vielzahl von Verhandlungspartnern koordinieren müssen, bei denen sie nicht wissen, wen sie bei einem Fehler zuerst anrufen sollen. Das NOC fungiert als der zentrale Ansprechpartner (Single Point of Contact) und koordiniert die diversen Service-Provider fürs öf-
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fentliche Netz oder Internet sowie für die beteiligten Hardware- und Software-Hersteller. Aber auch die schnelle Integration in die bestehenden Unternehmensprozesse und das Update-Management sind wichtige Argumente für Managed Services. Dies gilt insbesondere für den Bereich der IT-Sicherheit. Denn die Installation einer Firewall oder eines Virenscanners nützt nichts, wenn diese dynamischen Systeme nicht regelmäßig gepflegt und ihre Logfiles ausgewertet werden. Studien zeigen, dass mehr als 80 Prozent der aktuellen Sicherheitsprobleme in Unternehmen nicht wegen eines mangelhaften Designs oder schlechter Implementierung bestehen, sondern aufgrund unzureichender Konfiguration, fehlender Patches und unregelmäßiger Wartung. Die Auslagerung dieser kontinuierlichen Tätigkeiten an darauf spezialisierte Experten ist nicht nur kostengünstiger als der Eigenbetrieb, sie sorgt vor allem auch für ein gleich bleibend hohes Sicherheitsniveau.
Fallbeispiel Magna Steyr Im Rahmen eines Managed-Services-Konzepts hat Siemens Österreich den kompletten Betrieb der Telekommunikation bei Magna Steyr übernommen und die bisher getrennten Netze – Festnetz, DECT und GSM – in eine homogene Umgebung integriert. Mit einer Jahresproduktion von über 220 000 Fahrzeugen ist das Grazer Unternehmen mit rund 9000 Mitarbeitern der weltweit größte Auftragshersteller von Automobilen. Das starke und schnelle Wachstum stellt große Herausforderungen an die Infrastruktur des Unternehmens. Dies gilt insbesondere für den Bereich der IT und der Telekommunikation, deren Strukturen nicht nur mit dem Unternehmen wachsen, sondern auch noch dem schnellen technologischen Wandel gerecht werden müssen. Die zunehmende Internationalisierung und die wachsende Mobilität der Mitarbeiter führen zu immer neuen Anforderungen. Die Marktliberalisierung im Telekommunikationsbereich hat nicht nur zu Kostensenkungen, sondern auch zu einer erheblichen Intransparenz geführt. Schließlich waren es die drastisch steigenden Kosten für die Mobiltelefonie, die bei Magna Steyr den Anstoß für ein völlig neues Konzept in der Telekommunikation gaben. Mit dem Festnetz, einer ausgedehnten DECT(Digital Enhanced Cordless Telephony)-Infrastruktur und der schnell wachsenden Zahl von GSM-Mobiltelefonen hatte das Unternehmen drei völlig autonome Welten mit unterschiedlichen Providern, Services und Kostenmodellen. Dabei baute sich im Laufe der Jahre ein „erheblicher Leidensdruck“ auf, und ein Managed Service war für die Ver-
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antwortlichen die einzige Alternative zu einer kompletten Neuinstallation der gesamten Infrastruktur, die bei einem siebenstelligen Investitionsvolumen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden konnte. Das Unternehmen entschied sich, die Telefonie im Festnetz und in den Mobilnetzen zu integrieren und im Rahmen eines Betreibermodells an nur einen Provider zu übertragen. Ziel war es, in Zukunft nur noch Services einzukaufen, statt Hard- und Software installieren, warten und betreiben zu müssen. Dieses Konzept ist nunmehr Realität, und Siemens betreibt für den Automobilhersteller die komplette Telekommunikationsinfrastruktur. Im Jahr 2002 betrieb Magna Steyr etwa 1400 Festnetzanschlüsse und 3500 DECT-Telefone. Innerhalb von nur drei Jahren wuchs das Schnurlosnetz auf etwa 5000 Teilnehmer an, und die Zahl der GSM-Handys stieg trotz aller Zurückhaltung auf 1100. Die Mobiltelefonie machte schließlich etwa 60 Prozent der gesamten Verbindungsgebühren aus, drei Viertel davon entstanden durch Roaming. Gleichzeitig war das DECT-Netz am Rande seiner Leistungsfähigkeit angelangt. So konnte die komplette Funkabdeckung des Werksgeländes nur noch über die Installation zusätzlicher Anlagen gewährleistet werden, und auch beim Roaming gab es Probleme. Das wesentliche Problem war jedoch die Tatsache, dass drei unterschiedliche Netze mit ihren eigenen Rufnummer-Schemata, Gebührenstrukturen und Providern, die in keiner Form miteinander verbunden waren, verwaltet werden mussten. Innovative Anwendungen wie etwa Präsenzinformationen oder Unified Messaging waren daher in der bestehenden Struktur gar nicht oder nur sehr schwer zu realisieren. Hinzu kam das übliche Problem, dass niemand verantwortlich sein wollte, wenn die Kommunikation zwischen den einzelnen Netzen einmal nicht klappte. Aus den vielfältigen Problemstellungen heraus entstand bei Magna Steyr ein umfassendes und komplexes Pflichtenheft. Die wichtigsten Punkte: die Integration der Infrastruktur mit Rufnummernportabilität und unter Einbeziehung externer Partnerfirmen, die Übernahme des kompletten Provider-Managements bis hin zu Vertragsverhandlungen, die Planung und Durchführung des weiteren Ausbaus der Struktur sowie alle Fragen rund um die Verrechnung und die Unterstützung der Endanwender. Auch die betriebswirtschaftliche Vorgabe war anspruchsvoll: Im ersten Jahr nach erfolgter Übergabe an den Dienstleister sollten die gesamten Kommunikationskosten bei vergleichbaren Nutzerzahlen und vergleichbarem Gesprächsvolumen um zehn Prozent unter denen des Jahres 2002 liegen. Dabei sollte der Dienstleister die bestehende Infrastruktur komplett in seine Bücher übernehmen. Als Generalunternehmer ist Siemens seit April 2004 vollumfänglich für die Telekommunikationsinfrastruktur bei Magna Steyr verantwortlich. Seit
IP-Telefonie als IT-Service
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diesem Zeitpunkt kauft das Unternehmen ausschließlich Funktionalität und Services mit detailliert festgelegten Service-Levels. Dabei bleibt es dem Managed-Services-Partner überlassen, über welche Technologien und Produkte diese zur Verfügung gestellt werden. Investitionen in Systeme und Geräte sowie deren Betrieb und Wartung gehören für den Automobilhersteller seitdem der Vergangenheit an. Auf Basis der bestehenden Infrastruktur implementierte Siemens ein integriertes Netzwerk für die stationäre und die mobile Telefonie, das sowohl das DECT-Netz als auch ein virtuelles GSM-Netzwerk enthält. Damit sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit über einheitliche Rufnummern erreichbar; auch die Mobiltelefone können unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort mit der internen Durchwahl angewählt werden. Schließlich wurde auch ein umfassendes Alarmsystem für die ITgesteuerten Produktionsanlagen integriert, sodass Probleme in der Fertigung zu einer automatischen Alarmierung des zuständigen Technikers sowie des IT-Personals führen. Mit den beiden Carriern UTA und T-Mobile wurde ein Vertragsmodell ausgehandelt, das es Magna Steyr ermöglicht, interne Gespräche auch zwischen den einzelnen Netzen grundsätzlich zum Nulltarif zu führen. Auch für externe Telefonate gibt es ein Flatrate-Modell mit nur zwei Preisen für das Festnetz und die mobile Telefonie. Nebenstellen werden pauschal über einen monatlichen Preis pro Teilnehmer verrechnet. Auch diese nichttechnischen Innovationen trugen entscheidend dazu bei, dass die angestrebten Kosteneinsparungen auch tatsächlich realisiert werden konnten. Mit etwa 20 Prozent Einsparung bei vergleichbaren Voraussetzungen wurde das ursprünglich gesteckte Ziel sogar deutlich übertroffen. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass interne Telefonate, die knapp drei Viertel aller Gespräche ausmachen, nun selbst über GSM kostenlos sind. Zudem bietet dieses Verrechnungsmodell nun ein hohes Maß an Planungssicherheit, und der Automobilhersteller kann Tendenzen bei der Kostenentwicklung sehr früh erkennen. Den laufenden Betrieb sowie ein effizientes Change Management stellt ein eigenes Serviceteam auf dem Werksgelände von Magna Steyr sicher. Als primärer Ansprechpartner steht dem Unternehmen ein eigens abgestellter Serviceleiter zur Seite. Die Endanwender können sich mit Fragen oder Problemen an ein Helpdesk wenden. Die weitere Entwicklung sowie die Anforderungen an neue Dienste werden in einem vierteljährlich tagenden Lenkungskreis besprochen, dem neben den Projektverantwortlichen bei Magna Steyr und Siemens auch Mitarbeiter der Carrier T-Mobile und UTA angehören. Grundlage für diese Planungsgespräche sind die laufenden Reports, aus denen sich aktuelle
292 Gerhard Otterbach, Thomas Zimmermann
Entwicklungen sowie längerfristige Trends ergeben und die ein schnelles Gegensteuern oder Verstärken ermöglichen. Der Übergang vom Eigenbetrieb in das Managed-Services-Modell war mit einem relativ geringen Migrationsaufwand verbunden, zumal Siemens ja die bestehende Infrastruktur von Magna Steyr komplett übernahm. Für die Anwender verlief der Wechsel völlig transparent. Bei dem österreichischen Automobilhersteller ziehen die Verantwortlichen eine positive Bilanz: Alle wesentlichen Ziele wie Kosteneinsparung und Kostentransparenz, Integration der Netze und eine zukunftsfähige Infrastruktur wurden erreicht. Dadurch kann sich das Unternehmen noch stärker auf seine Kernkompetenzen konzentrieren, die Entwicklung und den Bau von Automobilen. Das gilt auch für die Zukunft. So ist die Infrastruktur bereits jetzt für neue Technologien und Anwendungen vorbereitet, und weitere Innovationen fallen den Verantwortlichen erheblich leichter als früher, da sie keine Investitionsentscheidungen mehr fällen müssen. Neue Technologien wie Voice over IP und UMTS werden nun zusammen mit Siemens im Rahmen von Pilotprojekten evaluiert und auf Wirtschaftlichkeit geprüft, bevor der Partner die Infrastruktur entsprechend ausbaut und die neuen Dienste zur Verfügung stellt. Ein gemeinsamer Lenkungskreis beobachtet zudem kontinuierlich den Markt, um relevante Technologien zu identifizieren und im Hinblick auf ihre Einsatzmöglichkeiten zu bewerten. Derzeit stehen für Magna Steyr dabei vor allem Dienstmerkmale auf Basis von Präsenzinformationen, Lösungen für das Unified Messaging sowie die Integration von Microsoft Outlook in die Telefonie im Vordergrund.
Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers
Dr. Olaf Röper, Leiter Bereich Information Systems Uhde GmbH/CIO
Chemieanlagenbau in einem internationalen Umfeld Unternehmenshintergrund der Uhde GmbH
Mit mehr als 2000 gebauten Anlagen zählt Uhde zu den weltweit führenden Ingenieurunternehmen im Bau von Chemie- und Industrieanlagen. Die Uhde GmbH ist ein Unternehmen von ThyssenKrupp Technologies und hat ihren Hauptsitz in Dortmund und Bad Soden (Taunus). Tochterund Beteiligungsgesellschaften befinden sich auf allen Kontinenten. Dieser Weltverbund mit insgesamt 3900 Mitarbeitern engagiert sich auf vielfältigen Arbeitsfeldern: Anlagen für Düngemittel, organische Zwischenprodukte und Polymere, Elektrolyseanlagen, Gastechnik, Anlagen zur Öl-, Kohle- und Rückstandsvergasung, Raffinerietechnik, Kokereitechnik und Pharma. Das Leistungsangebot reicht von einer ersten Projektstudie über die Finanzierung bis hin zur Erstellung schlüsselfertiger Anlagen sowie der Übernahme vielfältiger Service- und Maintenance-Leistungen (siehe Abbildung 1). Uhde bedient einen internationalen Markt, was zum Beispiel daran deutlich wird, dass im Geschäftsjahr 2003/2004 mehr als 80 Prozent des Auftragseingangs von außereuropäischen Kunden stammt (siehe Abbildung 2). International heißt nicht nur, dass Uhde-Anlagen überall in der Welt anzutreffen sind, auch alle Tätigkeiten zur Anlagenerrichtung einschließlich der Auftragssteuerung finden in einem internationalen Umfeld statt.
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Dr. Olaf Röper
Von der Idee bis zum Betrieb einer Chemieanlage 1. Forschungsphase Ideenentwicklung und -bewertung Durchführung von F&E-Vorhaben Erwerb von Technologien/Firmen
2. Angebotsphase Projektentwicklung/Marktstudie Wirtschaftlichkeitsstudie Projektfinanzierung
3. Realisierungsphase
Lizenzvergabe, -beschaffung Basic/Detail Engineering Einkauf/Inspektion/Versand Auftragsabwicklung Bau und Montage Inbetriebnahme
Training von Betriebspersonal Instandhaltung und Betrieb der Anlage Material-Management/Ersatzteile Modernisierung und Anlagenoptimierung
4. Betriebs- und Servicephase
Abb. 1. Das Leistungsangebot der Uhde GmbH
Hinsichtlich der globalen Aufstellung der Uhde GmbH ist es erwähnenswert, dass die Uhde-Gesellschaften in Indien, Südafrika, Russland, Mexiko, Australien, Spanien und Italien sowohl bezüglich der Abwicklungs- und Ingenieurexpertise als auch der technischen Ausstattung befähigt sind, eigene Aufträge ohne unmittelbare Beteiligung des Stammhauses abzuwickeln. Darüber hinaus übernehmen sie Aufgaben (zum Beispiel Teile des Engineering) für Aufträge, die unter der Leitung des Stammhauses oder einer anderen Gesellschaft der Uhde-Gruppe stehen.
Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers
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1.421,0 Mio. 8,7%
1,8% 1,7%
19,5%
Übriges Afrika Amerika
5,3%
Südostasien, pazifischer Raum & Australien Westeuropa Osteuropa & Mittelasien
63,0%
2003/04
Mittlerer Osten & Nordafrika
Geschäftsjahr: 1.10. bis 30.9.
Abb. 2. Auftragseingang Uhde 2003/2004
Engineering, Procurement, Construction: die Geschäftsprozesse
Uhde ist ein so genannter „EPC(+ C) Contractor“, der alle Phasen eines Anlagenprojekts, also Engineering, Procurement, Construction (+ Commissioning) komplett übernehmen kann (siehe Abbildung 3). Engineering umfasst dabei nahezu die gesamte Breite ingenieurtechnischer Aktivitäten. • Procurement enthält alle Einkaufs-, Inspektions- und Versandaktivitäten weltweit. • Construction umfasst alle Bau- und Montagearbeiten. • Commissioning beschreibt die technisch sinnvolle, schrittweise Inbetriebnahme und Übergabe der Anlage.
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Dr. Olaf Röper
Basic Engineering
Detail Engineering
E
Anlagenübergabe
P
Engineering Verfahrenstechnik Anlagenplanung Vertrag
Montage u. Inbetriebnahme
Beschaffung
Ausrüstungsplanung
Beschaffung Einkauf Terminverfolgung
C+C
Bau, Montage & Inbetriebnahme
Inspektion
Rohrleitungsplanung
Versand
Elektrotechnik
Ersatzteile
BaustellenManagement
Übergabe der Anlage
Mess- u. Regeltechn. Bau-/Montageplanung
Kostenkontrolle
Terminüberwachung
Dokumenten-Management
Abb. 3. Phasen der Auftragsbearbeitung
Die Darstellung der Phasen in Abbildung 3 zeigt die prinzipielle Abwicklungsstruktur, bezogen auf die praktische Umsetzung gilt jedoch Folgendes: • Tatsächlich erfolgt die Bearbeitung in den verschiedenen EngineeringFeldern aus terminlichen und fachlichen Gründen parallel. • Für Komponenten mit langer Lieferzeit muss der Beschaffungsprozess bereits zu einem Zeitpunkt angestoßen werden, wenn das Engineering damit verknüpfter Komponenten noch nicht abgeschlossen ist. • Bau- und Montageaktivitäten beginnen ebenfalls bereits, wenn Engineering und Beschaffung noch nicht abgeschlossen sind. Die hohe Bearbeitungsparallelität ist ein typisches Merkmal des Anlagenbaus und beeinflusst in besonderem Umfang die Ausprägung der einzusetzenden Tools. Es gilt, diese Parallelität sicher zu beherrschen. Das Foto einer gebauten Anlage (siehe Abbildung 4) zeigt sehr eindrucksvoll, wie exakt die verschiedenen Fachgewerke (Rohrleitungen, Equipment, Stahlbau etc.) technisch und räumlich zum Funktionieren der Anlage aufeinander abgestimmt sein müssen. Das Bild lässt auch erahnen, welche Bedeutung der terminlichen Abstimmung auf der Baustelle zwischen den Lieferungen einerseits (Hardware und Dokumentation) und dem Erbringen von Bau- und Montageleistungen andererseits zur Einhaltung des zugesagten Endtermins zukommt: Eine Abstimmung, die bereits im Engineering beginnen muss, um erfolgreich zu sein.
Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers
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Abb. 4. Foto einer Chemieanlage
Die Übergabetermine an den Kunden sind in der Regel mit einer Vertragsstrafe versehen (pönalisiert), sodass Verzögerungen zu erheblichen Verlusten aufseiten des Contractors führen können. Hohe Varianz durch projektspezifischen „Split of Work“
Eine effektive IT-Unterstützung setzt die Berücksichtigung weiterer branchentypischer Rahmenbedingungen voraus: • Uhde bietet eine große Flexibilität in der Vertragsgestaltung, die sich auf den Leistungsumfang, die Vertragsform und die Auftragsabwicklungsstrukturen bezieht; weitere Einzelheiten sind der Abbildung 5 zu entnehmen. Diese breite Varianz hat unmittelbaren Einfluss auf die Ausgestaltung der Geschäftsprozesse, deren Synchronisation untereinander und auf die benötigten Tools. • Unsere Kunden fordern die Einbeziehung bestimmter (lokaler) Partner und/oder Lieferanten mit gravierenden Auswirkungen auf das Kommunikations- und Datenverarbeitungskonzept. • Kunden fordern zunehmend, IT-Tools bestimmter Anbieter (etwa im CAD-Bereich) einzusetzen, um Kompatibilität mit eigenen Planungsund Management-Systemen sicherzustellen. Diese Forderungen beeinflussen unmittelbar die IT-Basisstrukturen und die qualitätsgesicherten Bearbeitungsabläufe sowie die erforderliche Personalkompetenz und die Support-Strukturen.
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Dr. Olaf Röper
• Der Kunde ist üblicherweise während der gesamten Auftragsphase eng in alle Aktivitäten eingebunden, seine Präsenz oder die Präsenz von ihm beauftragter Berater ist an den unterschiedlichen Bearbeitungsstandorten einschließlich der Baustelle auch IT-technisch sicherzustellen. • Das spezifische IT-Konzept für einen Auftrag hängt zudem ganz entscheidend von den geografischen, politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten der Baustelle ab. Für jeden Auftrag ergibt sich somit ein spezifischer Split of Work, in den typischerweise mehrere Partner und der Kunde eingebunden sind. Es handelt sich dabei in der Regel nicht um langfristige statisch optimierte Zusammenarbeitsszenarien zwischen wenigen, bekannten Partnern – wie in anderen Industrien –, sondern überwiegend um temporäre, anfänglich nicht eingespielte Zusammenarbeitsformen. Mit der Verteilung der Aktivitäten auf unterschiedliche (internationale) Standorte ergeben sich allerdings nicht nur Anforderungen an die Kommunikationsinfrastruktur und die Tools selbst. Vielmehr sind darüber hinausgehende Notwendigkeiten zur effizienten Gestaltung der fachlich-inhaltlichen Zusammenarbeit zu erfüllen, die neben der effektiven Tool-Auswahl gerade auch die Planung und Umsetzung einer adäquaten IT-Architektur erfordern. Festpreis
oder Kostenerstattung plus Aufschlag oder Kostenerstattung mit Bonus oder Kostenerstattung mit Preisgleitung
Barzahlung
oder Finanzierung
Schlüsselfertig
oder Einzelleistung - Lizenz - Engineering - Lieferung - Projekt-Management - Beratung, Training, Studie - Instandhaltung - Technologieentwicklung
Hauptkontraktor
oder Konsortium, Joint Venture oder mit Tochtergesellschaften oder Partnern
Eigene Technologie
oder Lizenz von Dritten
Abb. 5. Flexibilität bei der Vertragsgestaltung
Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers
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IT-Innovationen nutzbringend einsetzen Investoren und Betreiber von Chemieanlagen machen Investitionsentscheidungen von einer günstigen ROI-Analyse für das geplante Projekt abhängig. IT-Unterstützung ist dann nutzbringend, wenn die wesentlichen ROIbestimmenden Faktoren positiv beeinflusst werden können: • geringe Investitionskosten (Kapitalkosten) durch optimierte Konstruktion, effizienten Ressourceneinsatz und intelligentes Procurement • geringe Betriebskosten durch Prozessoptimierung hinsichtlich Rohstoffund Energieverbrauch und durch ein wartungsfreundliches Engineering • hervorragende Produktqualität und optimierter Anlagenbetrieb zur Steigerung des Verkaufserlöses Der EPC-Contractor selbst ist darauf angewiesen, die globale Zusammenarbeit sicher zu beherrschen, um technische und finanzielle Risiken sicher auszuschließen. Alle genannten Faktoren werden prinzipiell durch innovativen ITEinsatz oder innovative IT-Produkte günstig beeinflusst. Hierzu einige Beispiele: • Eine stabile, sichere und erschwingliche Kommunikationsinfrastruktur ist offensichtlich eine kritische Ressource für die Projektbearbeitung. Es müssen der Kunde, Partner, Zulieferer, eigene Organisationseinheiten und die Baustelle eingebunden werden. Die zunehmende Breite der Kommunikationsmöglichkeiten, die verbesserte Leistungsfähigkeit, weltweite Verfügbarkeit und Stabilität der Verbindungen bei allgemein zurückgehenden Kosten eröffnen neue und immer intelligentere Möglichkeiten des Datenaustauschs. Höhere Datenaktualität führt unmittelbar zu mehr Effizienz, höherer Qualität und Minimierung von Risiken. • Ständige und stetige Verbesserungen der unterstützenden IT-Tools einschließlich der Betriebssystemkomponenten hinsichtlich Funktionalität, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit sind unverzichtbar. Nur mit diesen fortlaufenden Innovationen sind die steigenden Erwartungen der Kunden hinsichtlich geringerer Anlageninvestitionskosten, kürzerer Projektlaufzeiten und optimaler Anlagen- und Produktqualität zu erfüllen. Ausgereifte Tools ermöglichen effizienteres Arbeiten, helfen bei der Kostensenkung und fördern somit die Wettbewerbsfähigkeit (Simulations-Tools, direkte Verknüpfung zu den Prozessleitsystemen der Anlage, CAD, regelbasierte Auslegungs-Tools etc.). • Die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern heißt auch, Mehrwert für den Kunden (wie oben dargestellt) schaffen zu können, zum Beispiel
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Dr. Olaf Röper
bereits während der Planungsphase niedrige Betriebskosten durch geeignete konstruktive Maßnahmen zu erzwingen. Innovative, teilweise neue IT-Tools unterstützten dabei die zielgerichtete Bereitstellung und Anwendung der beim Anlagenbauer vorhandenen Kompetenz (Knowledge Management Systeme, gezielte Aufbereitung von Zulieferinformationen, Standardisierung etc.) Grundsätzlich könnte für alle Elemente der EPC-Kette (EPC = Engineering, Procurement, Construction) eine große Anzahl innovativer Lösungen beschrieben werden. Diese umfängliche Darstellung müsste allerdings den Rahmen dieser Darstellung sprengen. Die anstehenden Fragen und verfügbaren Lösungen sollen im Folgenden beispielhaft für das Element Engineering erläutert werden. Viele Prinzipien und Ideen werden aber auch entsprechend für die anderen Bearbeitungsphasen angewendet. Innovative IT-Tools verbessern die Zusammenarbeit Collaborative Engineering
Als Collaboration wird die Zusammenarbeit zwischen Partnern verstanden, deren Geschäftsprozesse eng miteinander verzahnt sind. Im Rahmen des Collaborative Engineering arbeiten mehrere Ingenieurstandorte (oder -gesellschaften) an einem gemeinsamen Projekt, wozu in geeigneter Weise Wissen und Daten Tool-gestützt zur Verfügung gestellt und ausgetauscht werden müssen. Die hier zum Einsatz kommenden Tools sind sehr vielgestaltig und reichen von gemeinsamen Kalendern und MailSystemen bis zur gemeinsamen Datenspeicherung und Workflow-Unterstützung. Mit dem Collaborative Engineering sind konkrete, wirtschaftlich relevante Erwartungen verbunden: niedrigere Kosten, kürzere Bearbeitungszeiten, Einhaltung der vereinbarten Qualität im Rahmen der Abwicklung von Aufträgen sowie Erhöhung der Reaktions- und Innovationsfähigkeit, stärkere Kundenorientierung und -bindung als wichtige Beiträge zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit des Gesamtunternehmens (siehe Abbildung 6). Funktionierendes Collaborative Engineering setzt im Kern die konsequente Definition und Umsetzung einer Auftraggeber-/Auftragnehmerrolle zwischen den beteiligten Partnern voraus.
Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers
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Abb. 6. Collaborative Engineering: Ziele und Partner
Der Erfolg des Collaborative Engineering ist von der Effektivität der oben angesprochenen Verteilung, also der gezielten Auslagerung von Teilaufgaben im Rahmen der Supply Chain abhängig. Die einzelnen Teilaufgaben müssen dabei sicher überwacht werden und die jeweils erbrachten Leistungen und deren Ergebnisse wieder zusammengefügt werden, um die vertraglich garantierte Gesamtleistung zu erreichen. Dabei sind zwei Hauptaufgaben zu bewältigen: • Konsolidierung der fachlich-inhaltlichen Details (Ingenieurtechnik), eine besondere Herausforderung für IT-Tools und -Architektur • Zusammenführung der Kosteninformationen, der Terminplanungen und der Überwachungsaktivitäten (vertragliche Konsolidierung) Webbasierte Lösungen für mehr Aktualität und Flexibilität
Webbasierte Lösungen (oft auch als die Collaboration Tools bezeichnet) beruhen darauf, dass Information oder Anwendungen zur gemeinsamen Verwendung im Rahmen der jeweiligen Zusammenarbeit auf einer gemeinsamen Internetplattform abgelegt werden, die entweder von einem der Partner aufgebaut oder von einem Dienstleister betrieben und zur Verfügung gestellt wird. Der Zugriff auf diese gemeinsame Plattform ist zwischen den Beteiligten zu koordinieren. Es werden Dokumente, Spreadsheets oder komplexere Anwendungen zum Beispiel zur Datenerfassung oder technischen Auslegung genutzt. Zusätzlich enthalten diese Plattformen typische Collaboration-Hilfsmittel, wie etwa Projektkalender oder Workflow-unterstützende Funktionalitäten.
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Dr. Olaf Röper
Diese webbasierten Lösungen eröffnen dem Contractor neue Möglichkeiten der Flexibilität und erhöhen die Aktualität, was in kürzeren Bearbeitungszeiten, besserer Transparenz, höherer Qualität und Kostenbegrenzung resultiert. Einige Beispiele: • Dem Auftraggeber ermöglicht diese Technik, die eigene Planungstiefe zu verringern und die spezifische Expertise des Zulieferers unmittelbar zu nutzen: Für einen gegebenen Anwendungsfall kann die technisch und wirtschaftlich optimale Variante ausgewählt werden. Eine typische Anwendung ist die Auslegung eines Apparats als iterativer Prozess zwischen Auftraggeber und Lieferant über den Austausch von Datensätzen oder Excel-Spreadsheets. • Auch für schwierige Aufgaben sind diese Lösungen anwendbar, beispielsweise für das Engineering von Maschinen und Apparaten, mit denen wesentliche Schritte des verfahrenstechnischen Prozesses realisiert werden, die also für das Funktionieren der Gesamtanlage durchaus kritisch sind und eine enge technische Begleitung durch den Auftraggeber erfordern. Die in der Regel bidirektional zu übertragenden Datenmengen können schon einen deutlichen Umfang annehmen. Sowohl die räumliche Positionierung des Equipments als auch die technischen Details unterliegen gegebenenfalls noch weiteren Optimierungen, woraus sich zwangsläufig zahlreiche Iterationsschritte ergeben. Gerade in diesem Umfeld ist das Mehr an Transparenz und Aktualität sehr willkommen und vermeidet durch mangelnde Qualität induzierte Zusatzaufwendungen. Auch eine Ausweitung auf Großaggregate oder verfahrenstechnische Teilanlagen ist möglich und wird praktiziert. • Neben den Verbesserungen mit eher fachlich inhaltlichem Bezug, bieten sich auch neue Formen der Fortschrittskontrolle über das Publizieren abgestimmter Dokumente zu vereinbarten Zeitpunkten an. Für lang laufende Projekte oder den Austausch besonders vertraulicher (geschäftskritischer) Daten ist zumindest die Einrichtung einer unternehmenseigenen Lösung überlegenswert, wozu umfassende „Werkzeugkästen“ angeboten werden. Stets sind Konzepte zur Zugriffssicherheit zu erarbeiten (mehrstufige Firewall, verschlüsselte Übertragung, aufwendige Anmelde- und Identifikationsverfahren etc.), um ungewollte Effekte zu vermeiden. Über Dokumenten-Management die globale Zusammenarbeit steuern
Dokumenten-Management (auch DMS oder Dokumentenverwaltung) ist auf den ersten Blick noch keine wirklich innovative Lösung. Tools zur Verschlagwortung, Versionierung und Ablage von Dokumenten gibt es be-
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reits seit langer Zeit, und auch ohne spezielle Anforderungen im Engineering-Umfeld waren Tools dieser Kategorie sinnvoll. Dokumenten kommt im Rahmen der Projektbearbeitung eine wesentliche Bedeutung zu. Sie sind Träger unterschiedlicher Informationen, die zur Abstimmung zwischen den Fachdisziplinen, zu dem Kunden, zu Partnern, für den Beschaffungs- und Versandprozess, die Montage, die Inbetriebnahme etc. benötigt werden. Darüber hinaus sind in ihnen vertrags-, kosten- und terminrelevante Informationen enthalten. DMS-Systeme unterstützen die globale Zusammenarbeit im Wesentlichen durch zwei Eigenschaften, die erst in den letzten Jahren in den Vordergrund rückten: • Moderne Systeme ermöglichen eine gemeinsame Ablage für Dokumente, auf die wirtschaftlich von allen beteiligten Standorten zugegriffen werden kann. Es ist zu beachten, dass insbesondere technische Dokumente oftmals sehr umfangreiche grafische Elemente enthalten, deren Größe einer beliebigen weltweiten Verteilung entgegenstehen. DMSSysteme können heute die weltweite Kooperation unterstützen, indem sie dieser Dualität der Datenverfügbarkeit Rechnung tragen. Dies wird erreicht (siehe Abbildung 7): SAP-Betrieb
Uhde Dortmund
Andere Standorte
DVS Knowledge Provider ContentServer
ContentServer Cache Cache
Abb. 7. Internationale Aufstellung eines DMS (Beispiel SAP)
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Dr. Olaf Röper
– durch lokale Content-Server, die die ortsnahe Ablage erstellter Dokumente ermöglichen und damit den Bandbreitenbedarf teurer internationaler Datenverbindungen erheblich reduzieren – durch so genannte Caching-Funktionalität, die bei Zugriff auf Dokumente entfernter Content-Server durch intelligentes Abspeichern sicherstellt, dass nicht geänderte Dokumente nur einmal übertragen werden müssen Internettechnologien sind die technische Basis für den flexiblen Zugriff auf lokale und entfernte Content- und Cache-Server; sie stellen den einfachen Zugriff auch von Lokationen außerhalb des Unternehmensnetzwerks sicher. • Zusammenarbeitsorientierte Systeme unterstützen heute eine aktive Workflow-bezogene Verfolgung der Dokumente, sodass die Einbindung von Einzeldokumenten in eine detaillierte Terminkontrolle möglich ist: Die Kontrolle der Übergabe von Dokumenten zwischen Partnern/Kunden/Lieferanten während der Auftragsabwicklung hat zentrale Bedeutung bei einem weit gefächerten Split of Work. – Wer hat wann welches Dokument mit welchem Status bekommen? – Wird eine Genehmigung, Bearbeitung oder nur Kenntnisnahme erwartet? – Ist eine Rückmeldung/Genehmigung eingegangen? – etc. Diese Workflow-orientierte Verfolgung der Dokumente ist von sehr hohem Nutzen, wenn man sich vor Augen führt, dass der Fertigstellungsgrad von Einzeldokumenten zusätzlich auch den Bearbeitungsstatus der gesamten Anlagenplanung widerspiegelt: Diese Fortschrittskontrolle ist möglich, ohne den Inhalt der Dokumente beurteilen zu müssen! Teilkonsolidierung durch verteilte Bearbeitung eines 3D-CADModells
3D-CAD-Systeme sind klassische Konsolidierungsmittel. Digitale Modelle sind Nachfolger der früher mit großem Aufwand erstellten Modelle aus Plastik, die begleitend zum Engineering (an einem Ort in unmittelbarer Nähe des Engineering-Teams) meist im Maßstab 1:33 1/3 erstellt wurden. Damit wurden und werden folgende Ziele verfolgt: • Feststellen von Planungsfehlern (geometrische Unverträglichkeiten, Störkanten, Bedienbarkeit etc.) • Darstellung des aktuellen Planungsstands
Flexible Unterstützung der Geschäftsprozesse eines Chemieanlagenbauers
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• Analysen im Zusammenhang mit vorgesehenen Änderungen • Festlegung der Bau- und Montage- sowie der Inbetriebnahmereihenfolge Das physische Modell wurde zur Baustelle transportiert und war dort Koordinationszentrum für alle Aktivitäten. Nach Übergabe der Anlage diente es zu Schulungszwecken aufseiten des Betreibers. Digitale Modelle erfordern demgegenüber deutlich geringeren Erstellungsaufwand. Die 3D-CAD-Software ist Engineering-Werkzeug, das Modell entsteht also praktisch als Nebenprodukt, es enthält aber bezogen auf das Plastikmodell sehr viel mehr direkt abgreifbare Informationen, zum Beispiel so genannte Rohrleitungsisometrien, die für die Montage und Materialentnahme auf der Baustelle benötigt werden, und Bestellinformationen, die mit Informatikmitteln extrahiert und weitergegeben werden können. Die Funktionalität dieser Systeme hat einen hohen Grad erreicht, neben effizienten, teils regelbasierte Möglichkeiten hat sich die grafische Repräsentation durch verbesserte Hard- und Software nahezu perfektioniert (siehe Abbildung 8), Spezial-Software ermöglicht die Präsentation zum Beispiel für den Kunden in einer scheinbar realen Umwelt, das Anlagenmodell kann quasi begangen werden.
Abb. 8. Digitales 3D-Modell
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Dr. Olaf Röper
Neueste Entwicklungen auf diesem Gebiet begegnen nun zwei wichtigen Nachteilen des digitalen Modells: Erstens liegt die Datenbank an einer Lokation vor. Bezogen auf eine parallele Bearbeitung und globale Verteilung ist der Online-Zugriff über internationale WAN-Verbindungen auf dieses gemeinsame 3D-Modell wegen hoher Datenvolumina und der Notwendigkeit zum schnellen Aufbau der Grafik kein probates Mittel. Einige Software-Ersteller bieten nunmehr so genannte „Global“-Versionen an, die über komplexe, ausgefeilte Replikationsmechanismen eine tatsächliche globale Verteilung ermöglichen. • Zum einen kann die Gesamtanlage/das Gesamtmodell in eindeutig definierte Teilanlagen unterteilt werden. Diese Teilanlagen sind durch den Split of Work bestimmt und können dem jeweiligen Projektteilnehmer zur exklusiven Bearbeitung lokal zur Verfügung gestellt werden. • Zum anderen kann jeder der Projektteilnehmer regelmäßig mit den aktuellen Gesamtdaten des Projekts versorgt werden. Die zweite Unvollkommenheit des 3D-Modells liegt darin begründet, dass für den Zugriff auf ein Modell stets die zugehörige, anbieterspezifische Software benötigt wird. Theoretisch ist zwar der Zugriff von jedem Arbeitsplatz möglich, die hierfür erforderlichen Lizenzen der jeweiligen CAD-Suite sind jedoch recht teuer, sodass ihr Einsatz auf die eigentlichen Konstrukteure beschränkt bleibt. Die zentrale Koordinations- und Kommunikationsrolle des Plastikmodells kann damit nicht erreicht werden. Neue, preiswerte „Viewer only“-Software ist in der Lage, nahezu jedes am Markt verwendete Datenformat anzuzeigen. Diese einfache Idee ermöglicht einen schnellen Zugriff auf aktuelle Daten, insbesondere für Führungskräfte im Engineering, im Procurement, in der Auftragsleitung und für Fachingenieure anderer Disziplinen. Diese einfache Verbesserung ist ein wichtiger Schritt, das digitale 3DModell auch in die Richtung eines zentralen Koordinationspunkts zu entwickeln. Früh erkannte Inkonsistenzen können hohe Zusatzaufwendungen für die spätere Fehlerbehebung verhindern. Profitable Innovationen sind nicht zwangsläufig spektakulär. Konsolidierung erfordert eine anpassungsfähige IT Architektur Intelligente Datenbankorientierung statt einfacher Grafik
Bereits an dem Beispiel des globalen 3D-CAD konnte gezeigt werden, dass moderne IT-Tools nicht nur eine besonders ausgefeilte Funktionalität
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bieten, sondern zusätzlich einen Beitrag zur Technikkonsolidierung im Rahmen des Collaborative Engineering leisten. Mit der Einplanung in ein gemeinsames 3D-CAD-Modell kann diese Konsolidierung allerdings nicht vollständig erfüllt werden, da • der Einplanung in ein 3D-Modell parallele ingenieurtechnische Auslegungen mit anderen IT-Hilfsmitteln vorausgehen. Die Fehlerfreiheit der Datenübernahme aus diesen vorgelagerten Modulen ist nicht in allen Fällen optisch prüfbar (zum Beispiel Nichterfüllung vereinbarter Funktionalitäten, Nichteinhaltung vorgesehener Standards, Werkstoffunverträglichkeiten etc.) • nicht alle zu beschaffenden Komponenten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit oder Praktikabilität in dieses Modell eingeplant werden (Kabel, kleinnennweitige Rohre, Schaltkästen, Einzelheiten von Bau und Stahlbau etc.) Die Zusammenführung zu einer fehlerfreien Gesamtlösung (Konsolidierung) muss von einer intelligenten IT-Architektur insgesamt unterstützt werden. Für einen international tätigen Anlagenbauer spielt die Flexibilität und Offenheit der IT-Architektur eine zentrale Rolle. Voraussetzung auf der Tool-Seite ist es, dass alle Informationen, insbesondere die in Grafiken, in Datenbanken erfasst werden und auswertbar sind. Änderungen müssen durch die Bearbeiter unverzüglich datenbankrelevant eingebracht werden (keine händischen Roteintragungen in Papierdokumenten). Alle namhaften Anbieter von CAD-Systemen investieren zurzeit erhebliche Mittel, um ihren Produkten durch eine Datenbankorientierung die erforderliche Intelligenz zu verleihen. Anlagenstruktur
Datenkonsolidierung ist nicht nur aus technischen Gründen zwingend, vielmehr sind nachgeordnete Phasen zu unterstützen: • Beschaffung und Logistik (zum Beispiel SAP) • Fertigung (spielt nicht bei allen EPC-Contractoren eine Rolle) • Übergabe an den Kunden (Dokumentation, Maintenance etc.) Hierzu ist zusätzlich zu den eher fachdisziplinorientierten Tools eine weitere (logische) Komponente erforderlich, die den konsolidierten Datenbestand für die genannten Zwecke zur Verfügung stellt.
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Dr. Olaf Röper
E
EAI-Architektur
Engineering
Ausrüstungsplanung Rohrleitungsplanung Elektrotechnik Mess- u. Regeltechn. Bau-/Montageplanung
Beschaffung Konsolidierte Daten
Anlagenplanung
Module (Best of Breed etc.)
Verfahrenstechnik
Fertigungsplanung
Maintenance
Parallele und verteilte Bearbeitung (Collaborative Engineering)
Abb. 9. Anpassungsfähige IT-Architektur
Diese Aufgabe erfordert eine Struktur (so genannte Anlagenstruktur), in die konsolidierte Elemente eingefügt werden und somit am Ende der Planungsphase die komplette Anlage repräsentieren. Der Standardisierungsgrad dieser Struktur entscheidet darüber, in welchem Umfang und mit welcher Relevanz diese Informationen als Basis für Angebotskalkulationen zukünftiger Projekte Verwendung finden können. EAI – Konzepte und Produktauswahl
Innovative Konzepte wie Enterprise Application Integration (EAI) konnten in den letzten Jahren der Lösung dieser Themenstellung wichtige Impulse verleihen. EAI-Konzepte (siehe Abbildung 9) führen Einzelmodule über Middleware-Komponenten zusammen, bieten Datentransfer und -replikationsstrategien an und ermöglichen • den Einsatz optimierter Tools für die einzelnen Fachdisziplinen („Best of Breed“-Ansatz) beziehungsweise • die Beibehaltung einer vorhandenen und eingespielten Tool-Landschaft • die notwendige Einbeziehung der vom Kunden vertraglich vorgegebenen Einzel-Tools • die Berücksichtigung der jeweiligen lokalen Gegebenheiten bei den Partnern/Gesellschaften (Software-Verfügbarkeit, lokale Support-Struk-
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turen, Ausbildungsstand der Anwender, Qualitätssicherungsmaßnahmen etc.) Diese Konzepte eröffnen die geforderte Anpassungsfähigkeit der ITArchitektur. Einzelmodule können im Rahmen dieser Konzepte beispielsweise je nach Erfordernis ersetzt oder zugefügt werden. Die Lösungsanbieter lassen sich den folgenden Gruppen zuordnen: • generalisierte EAI-Anbieter, die ihren Schwerpunkt in der Integrationsberatung sehen • Anbieter von ingenieurfachlichen Anwendungssystemen (zum Beispiel aus dem CAD- oder Spezifikationsbereich), die eigene oder zugekaufte Anwendungen über zusätzliche Integrationskomponenten miteinander verknüpfen möchten. Der Anspruch besteht in der Zurverfügungstellung kompletter Suiten (Integrationsrichtung also aus dem Engineering in Richtung Beschaffung) • ERP-, PDM-, PLM-Anbieter, die ingenieurtechnische Anwendungen einbinden wollen (Integrationsrichtung aus der Beschaffung „rückwärts“ in Richtung Engineering) Es sind folgende Auswahlkriterien zu beachten: • Flexibilität und erforderlicher Aufwand bezüglich der Gestaltung der Schnittstellen zwischen den Systemen • angebotene Funktionalität zur Steuerung der zahlreichen, voneinander abhängigen Konsolidierungsschritte • TCO-Reduzierung Kritische Erfolgsfaktoren und Zusammenfassung In den vorangegangenen Kapiteln konnte an einigen Beispielen – schwerpunktmäßig im Umfeld des Collaborative Engineering, jedoch nicht darauf beschränkt – erläutert werden, welcher ROI-relevante Nutzen durch ITInnovationen unterstützt beziehungsweise ermöglicht wird. Es muss allerdings daran erinnert werden, dass sich Erfolge nicht automatisch einstellen. Tools interagieren immer sehr eng mit den zugehörigen Abläufen und entfalten unterschiedliche Wirkung bezogen etwa auf die jeweiligen Szenarien der Zusammenarbeit.
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Dr. Olaf Röper
Ebenen der Zusammenarbeit
Kooperation
Gemeinsame Datenbanken Gemeinsame Anwendungen Gemeinsame Dokumenten-
verwaltung CAx mit Redlining
Koordination
Kommunikation
Abstimmungsbedarf zwischen Partnern
Typische Tools
Prozesse
Tools
Für bestimmte Tätigkeitsfelder harmonisiert oder gleich
Für bestimmte Tätigkeitsfelder harmonisiert oder gleich
Punktuell aufeinander abgestimmt
Von Interesse, aber wenig abgestimmt oder harmonisiert
Von Interesse, aber wenig abgestimmt oder harmonisiert
Von Interesse, aber wenig abgestimmt oder harmonisiert
Viewing Common Calender Internetanwendungen (ASP) Portale Shared Files
File-Transfer E-Mail Telefon
Abb. 10. Voraussetzungen für den Tooleinsatz
Beispielhaft für das Collaborative Engineering zeigt Abbildung 10 die Wirkung unterschiedlicher Collaborative Tools auf die Zusammenarbeit von Partnern. Während für die Aufgabe „Kommunikation“ keine Abstimmung der Prozesse zwischen den Partnern erforderlich ist, ist für die Ebene der „Kooperation“ eine Abstimmung der Prozesse unverzichtbar. Erfolgreiches Collaborative Engineering setzt also bereits bei der Festlegung des auftragsspezifischen Split of Work folgerichtig die vollständige Beherrschung und gegenseitige Abstimmung der Prozesse und Arbeitsschritte voraus. Diese Zusammenhänge zeigen sehr deutlich, dass Unternehmen zur erfolgreichen Adaption IT-induzierter Innovationen wirksame Mechanismen und Institutionen implementieren müssen, die dieser hohen gegenseitigen Abhängigkeit zwischen IT und Prozess Rechnung tragen. Kurz: Business Alignment der IT ist aktiv zu organisieren. Zusammengefasst ist festzuhalten, dass EPC-Contractoren in besonderem Umfang von IT-Innovationen profitieren. Erhalt und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch: • interne Effizienzverbesserung, Kostenreduzierung und kürzere Abwicklungszeiten • größere Transparenz während des gesamten Ablaufs und damit Risikobegrenzung in einem internationalen Umfeld • Verbesserung der Datenbasis zur Angebotskalkulation
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Schaffen von direktem Mehrwert für den Kunden durch: • Termintreue bezüglich der Anlagenübergabe • höheren Durchsatz durch optimierten Anlagenfahrbetrieb • eine umfassende Datenbasis für die Wartung durch intelligente Verknüpfung mit dem EPC-Prozess IT-Innovationen betreffen folgende Komponenten beziehungsweise Ebenen der gesamten IT-Lösung: • Basisinfrastruktur, insbesondere die Kommunikation • ständige Ertüchtigung der Tools bezüglich Funktionalität, Datenbankorientierung und Benutzerschnittstelle • flexible, offene Architekturansätze und Replikationsverfahren
Flexible Servicemodelle – die atmende IT durch adaptives Outsourcing
Dr. Thomas Schmidt-Melchiors, CIO Reemtsma Deutschland Sven Schmidt, geschäftsführender Gesellschafter S2 Management Consulting
IT-Outsourcing heute Mit Outsourcing wird die zeitlich begrenzte Übertragung einer (Dienst-) Leistungserbringung auf andere Unternehmen bezeichnet. Dauer und Gegenstand der zu erbringenden Leistung werden in Form von Service Level Agreements (SLAs) vertraglich fixiert. Primäre Ziele dieser Auslagerung sind Wirtschaftlichkeit (Kosteneinsparung), Flexibilisierung des Unternehmens und Fokussierung auf das Kerngeschäft. Während Outsourcing in der Fertigungsindustrie mit der Auslagerung der Produktion an Auftragsfertiger unter dem Begriff „Verringerung der Wertschöpfungstiefe“ ein gängiges und bewährtes Konzept ist, trifft man im Bereich des IT-Outsourcing mittlerweile auf eine zunehmende Skepsis. Obwohl das durchschnittliche Marktwachstum des IT-Outsourcing Studien1 zufolge bis 2008 etwa zehn bis zwölf Prozent beträgt und der Trend zum Outsourcing somit noch nicht an seinem Höhepunkt angekommen ist, lässt sich vereinzelt schon wieder eine Abkehr von diesem Vorgehen beobachten. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die betroffenen Unternehmen stellen fest, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit oft erhebliche Diskrepanzen liegen. So lassen sich durch den Abschluss des Outsourcing-Vertrags zwar oftmals unmittelbar Kosten sparen, aber mittel- bis langfristig sinken die IT-Ausgaben nicht. Zum einen wird der Aufwand für die Steuerung des Dienstleisters unterschätzt, zum anderen muss so mancher Kunde für Dienste extra zahlen, die er ursprünglich als Bestandteil des Vertrags an1
Quelle: DB research
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sah. Ein weiterer, entscheidender Punkt ist die Qualität der ausgelagerten Leistungen. Die Qualität wird zwar meist zu Beginn des Vertragsverhältnisses in einem SLA definiert, aber mangels Erfahrung im Umgang mit ITDienstleistern doch nicht hinreichend gut festgelegt und kann dann nur noch indirekt beeinflusst werden. Manche Kunden müssen erkennen, dass der Vertragspartner auch nicht zwingend über die notwendigen Kapazitäten an eigenen Fachleuten verfügt, um das versprochene Qualitäts- und Preisniveau zu liefern. Die gewünschte Flexibilität der Auslagerung bedeutet häufig nur eine Zunahme an Leistungen, eine Veränderung oder gar Reduzierung ist oft vertraglich nicht vorgesehen oder führt zu deutlich höheren Kosten. Ein Beispiel aus den USA zeigt, dass sich manche Unternehmen aufgrund der mangelnden Flexibilität ihrer IT-Outsourcing-Verträge sogar in ihrer Geschäftstätigkeit behindert sehen. So beendete gerade ein US-amerikanischer Handelskonzern nach nur knapp einem Jahr die ursprünglich auf zehn Jahre angelegte Zusammenarbeit mit seinem IT-Dienstleister, weil ein Unternehmenszusammenschluss anstand. Nun streiten sich beide Parteien vor Gericht über die Gründe der Kündigung: Liegt eine Pflichtverletzung durch den Dienstleister vor, oder wurde der Vertrag „lediglich“ aufgrund der Veränderung des Geschäftsumfelds gekündigt? Die Tatsache, dass der Kunde den Vertrag bei Änderung des Geschäftsumfelds kündigen muss, lässt vermuten, dass dieser keine ausreichenden Mechanismen für derartige Veränderungen vorsieht. Oftmals werden also die Ziele des Outsourcing nicht erreicht beziehungsweise die Erwartungen nicht erfüllt. Inflexible, starre Auslagerungsverträge können Unternehmen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit behindern, wenn Änderungen in der Anwendungslandschaft oder in der IT-Infrastruktur über langwierige Genehmigungsverfahren laufen müssen. Potenzielle Kunden, die sich in der Entscheidungsphase zum IT-Outsourcing befinden, werden durch zunehmende Meldungen über problematische Deals verunsichert. Dennoch, die Aussichten für den IT-Outsourcing-Markt bleiben insgesamt gut. Unternehmen haben aus früheren Outsourcing-Vereinbarungen gelernt, Verträge werden nicht mehr nur zu den Bedingungen des potenziellen Dienstleisters abgeschlossen. Die Kunden verhandeln intensiver, bringen ihre eigenen Wünsche in die Verhandlungen mit ein und verhandeln zunehmend preissensitiv. Risiken werden auf den Dienstleister verlagert und gute Konditionen durchgesetzt.
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Unternehmen im Wandel Nichts ist beständiger als der Wandel. Diese Maxime gilt in der heutigen Wirtschaftswelt mehr denn je. Mergers and Acquisitions, Unternehmensteilverkäufe und -ausgliederungen, strategische Kooperationen, Neufokussierung und damit einhergehende Verringerung der Spartenzahl, Verlagerung von Produktionsstätten und Änderung der Fertigungstiefe: All das sind Vorgänge, die in der Regel die betriebswirtschaftlichen ITUnterstützungssysteme, meist aber auch die gesamte IT vor dramatische Herausforderungen stellen. Auch die wirtschaftlichen Aktivitäten des Unternehmens Reemtsma unterliegen – besonders seit der Übernahme durch die Imperial Tobacco Group im Mai 2002 – einem erheblichen Wandel. Geschäftsziele wurden neu definiert, Strategien verändert. Konzentrationsprozesse auf der Produktions- und Logistikseite, Gesetzgebung und sich änderndes Käuferverhalten, aber auch die schnelle Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie haben neue Rahmenbedingungen geschaffen. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für diverse Teilbereiche des Unternehmens stellen eine Herausforderung für den Bereich IT dar. Ohne die Unterstützung durch die IT wäre ein Management der sich extrem schnell wandelnden Strukturen kaum möglich.
Resultierende Anforderungen an die IT – die atmende IT Basierend auf unterschiedlichen Ausgangssituationen in der IT hinsichtlich der Architektur, der Art der Leistungserbringung und auch der Führungsmodelle stand am Anfang der Integration der Unternehmen Imperial Tobacco Group und Reemtsma die Entwicklung einer gemeinsamen ITStrategie. Im Ergebnis wurde eine gemeinsame, in großen Teilen auf SAP und ergänzende Lösungen für den Bereich CRM und Manufacturing basierende Zielarchitektur definiert, die zur Unterstützung der sich wandelnden Geschäftsanforderungen möglichst rasch implementiert werden sollte. Gleichzeitig war es ein vorrangiges Ziel, den Umbau der Systeme aus Einsparungen des laufenden Betriebs, ohne Erhöhung des IT-Budgets, zu finanzieren. Weiterhin sollten Teile der ausgelagerten Dienstleistungen zukünftig wieder intern erbracht werden.
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Projekte Laufende IT-Kosten
Anwendungen
Infrastruktur
Zeit
Abb. 1. Mittelfristige Entwicklung der IT-Kosten
Diese Herausforderungen an die IT stellen auch hohe Anforderungen an den (zukünftigen) Outsourcing-Dienstleister. Dieser muss die Kontinuität des Betriebs der Altsysteme sicherstellen und bereit sein, Kosteneinsparungspotenziale des laufenden Betriebs durch den Einsatz neuer Technologien (und einer damit einhergehenden System- und Server-Konsolidierung) an den Kunden weiterzureichen. Die Spielregeln des adaptiven Outsourcing sehen eine nahezu beliebige Veränderbarkeit der bezogenen Services während der Vertragslaufzeit vor. Der Dienstleister muss bereit und in der Lage sein, ein sehr flexibles Vertragswerk anzubieten, dass sich den verändernden Unternehmensbedingungen des Kunden anpasst, ohne dabei laufend geändert werden zu müssen. Diese Spielregeln dürfen dabei jedoch keine einseitige, zu Lasten des Anbieters gehende Risikoübernahme sein. Der Dienstleister muss vielmehr die Gewähr haben, für einen definierten Zeitraum ein Mindestmaß an Leistungsabnahme, Umsatz und auch Gewinn zu erzielen. Sofern die tatsächlich abgenommene Leistung unter der vertraglich vereinbarten Leistung liegt, stehen dem Dienstleister sowohl Investitionsschutz als auch die Absicherung seines entgangenen Gewinns zu.
Grundsätzlicher Aufbau von Outsourcing-Verträgen Für den Aufbau und die Vertragshierarchie eines Outsourcing-Vertrags gibt es keine verbindlichen Regelungen. In der heutigen Zeit ist ein ITOutsourcing ohne in SLAs vereinbarten, quantitativen und qualitativen Zielen nicht mehr denkbar. Ein wesentlicher Faktor von SLAs ist, neben der Auswahl der geeigneten Kennzahlen zur möglichst exakten Definition
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der geschuldeten Leistung, das Messverfahren zur Überprüfung der Einhaltung der Ziele. Dabei sind die Frequenz der Messungen und ihre Darstellung im SLA-Reporting (Verdichtungen, Aufriss nach Kategorien etc.) zu vereinbaren. Je nach betroffenem Bereich erfolgt dabei das Reporting typischerweise auf Wochen-, Monats- und Jahresebene. Dazu kommt noch das einzelfallgetriebene Event-Reporting. Sinnvoll ist darüber hinaus die Definition und Einführung der Rollen „Service Delivery Manager“ aufseiten des Dienstleisters und „Service (Provision) Manager“ auf Kundenseite. Hier wird die Verantwortung verankert, in vereinbarten Intervallen die Servicequalität und besondere Events zu überprüfen und Maßnahmen zur Anpassung zu vereinbaren. Im Idealfall sind für notwendige Anpassungen die Spielregeln bereits vertraglich definiert. Schließlich gibt es häufig noch Vertragsklauseln, die Bonus- und MalusRegelungen für den Fall einer signifikanten Servicequalitätsunterschreitung beziehungsweise -übererfüllung festlegen. In der Praxis hat sich eine Kombination aus Rahmenvertrag und modular aufgebauten Einzelverträgen bewährt. Der Rahmenvertrag regelt Dinge wie Verzug, Haftung, Gewährleistung beziehungsweise Verjährung von Mängelansprüchen, Gerichtsstand und gegebenenfalls Schlichtungsverfahren sowie organisatorische Maßnahmen wie Lenkungssausschuss und Änderungsverfahren. In ihm werden die Vertragsregelungen zusammengefasst, die für eine Mehrzahl von Einzelverträgen gelten. Diese werden in der Regel nur nachrangig angewandt, sofern in den jeweiligen Einzelverträgen keine speziellen Vereinbarungen getroffen wurden. Der Rahmenvertrag muss daher nicht auf spezielle Einzelleistungen abgestimmt sein. Besonderheiten werden in den Einzelverträgen behandelt. Die Einzelverträge lassen sich in folgende, nicht normierte Kategorien einteilen: • Übernahmeverträge • Leistungsverträge • Sonstige Verträge Outsourcing-Leistungen, die sich mit der Übernahme von Vermögenswerten (Hard- und Software), vertraglichen Verpflichtungen oder Personal beschäftigen, werden in Übernahmeverträgen dokumentiert. Ergänzend wird entsprechend der festgelegten Vertragshierarchie auf den Rahmenvertrag Bezug genommen.
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Abb. 2. Struktur von Outsourcing-Verträgen
In den Leistungsverträgen werden die zu erbringenden IT-Leistungen beschrieben. Hierbei kann es sich sowohl um Projektleistungen handeln als auch um den laufenden Betrieb von Anwendungen. Die Struktur von Leistungsverträgen gestaltet sich in der Praxis im Wesentlichen immer gleich: • • • • • •
Leistungsbeschreibung Leistungsübergabepunkte Prämissen und Ausschlüsse Mitwirkungspflichten Service Level Agreements (inklusive des Messverfahrens) Juristische Rahmenbedingungen (inklusive Verweis auf Rahmenvertrag)
In die Kategorie der sonstigen Verträge gehören beispielsweise Infrastrukturverträge, in denen der Kunde dem Dienstleister seine Räumlichkeiten und Infrastruktur zur Verfügung stellt, oder auch ein Datenschutzkonzept, das individuell auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten sein muss.
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Spielregeln des adaptiven Outsourcing – ein flexibles Servicemodell Wie bereits dargestellt, erweisen sich die klassischen OutsourcingVerträge im Falle schnell wandelnder Unternehmensanforderungen als nicht ausreichend oder gar behindernd. Abhilfe schafft hier das adaptive Outsourcing. Die prinzipiellen Ideen und vertraglichen Grundlagen werden wir im Folgenden veranschaulichen. Basis ist ein modulares Vertragswerk als Plattform, die den Vertragsparteien erlaubt, sich während der Vertragslaufzeit immer wieder auf neue Leistungsanforderungen und Veränderungen des Vertragspartners einzustellen zu können. Egal ob ein Einzelvertrag gekündigt wird oder der Kunde sich dafür entscheidet, weitere Leistungen beim Anbieter nachzufragen, das modulare Vertragswerk muss nur in einem Einzelvertrag geändert werden. Es ist formell so gestaltet, dass sich einzelne Bereiche austauschen lassen, ohne dass dies gravierende Auswirkungen auf andere Bereiche hat. • Doch die formelle Gestaltung eines Outsourcing-Vertrags allein schafft noch nicht die gewünschte Flexibilität hinsichtlich der möglichst beliebigen Veränderbarkeit der bezogenen Services. Sie stellt gewissermaßen eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für adaptives Outsourcing dar. • Der Kern des adaptiven Outsourcing ist das grundsätzliche Recht des Kunden, beliebige Services während der Vertragslaufzeit jederzeit zu kündigen. Im Gegenzug erhält der Anbieter die Gewährleistung, dass der Kunde die für die Vertragslaufzeit anfallenden Fixkosten und den zu erwartenden Gewinn, unabhängig von der tatsächlichen Leistungsabnahme, voll bezahlt. Der Anbieter verpflichtet sich wiederum, die durch die vorzeitige Kündigung hervorgerufene Kosteneinsparung in vollem Umfang an den Kunden weiterzureichen. Die Spielregeln des adaptiven Outsourcing sehen also vor, den Dienstleister in jedem Falle so zu stellen, als hätte er die vereinbarten Leistungen vollständig erbracht, den Kunden so, dass jeder ersparte Euro zu seinen Gunsten geht. • Schließen die Vertragsparteien beispielsweise einen Fünf-JahresVertrag über IT-Dienstleistungen mit einem jährlichen Volumen von einer Million Euro, bei einer kalkulierten Gewinnmarge von 10 Prozent und einem angenommen Fixkostenkostenanteil von 50 Prozent, so verpflichtet sich der Kunde bei Kündigung aller Leistungen des Vertrags nach einem Jahr zu einer Zahlung des entgangenen Gewinns von 400 000 Euro sowie zur Übernahme aller dem Anbieter verbleibenden Fixkosten in Höhe von zwei Millionen Euro. Die durch den Wegfall der
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Leistungspflicht ersparten 1,6 Millionen Euro kommen jedoch in vollem Umfang dem Kunden zugute. • Die Hauptschwierigkeit dieser im Grundsatz einfachen Spielregeln liegt in der konkreten Zuordnung bestimmter Kosten zu den Kategorien „fix“ oder „variabel“. Beispielsweise sind jährliche Wartungsgebühren für Software mit hoher Wahrscheinlichkeit als variable Kosten einzustufen, die Abschreibungen auf im Zusammenhang mit dem OutsourcingVertrag getätigte Investitionen dagegen eher als Fixkosten. • Als Lösungsansatz haben wir hier ein einfaches Deckungsbeitragsschema entwickelt, anhand dessen sich die Vergütung für die Leistungen wie folgt ergibt: Vergütung(alt) = (Leistungsbezogene) Einzelkosten + Deckungsbeitrag Wobei für den Deckungsbeitrag gilt: Deckungsbeitrag = Gemeinkosten + Unternehmensgewinn Leistungsbezogene Einzelkosten sind Kosten, die unmittelbar einem einzelnen Dienstleistungsvertrag zugeordnet werden können, beispielsweise der Personalaufwand für die Basisbetreuung eines SAP-R/3-Systems. Der Deckungsbeitrag setzt sich zusammen aus Gemeinkostenzuschlägen und dem Unternehmensgewinn. Die zur Leistungserbringung anfallenden Einzel- und die Gemeinkosten werden nach folgenden Klassen unterschieden: • Personalkosten • Bezogene Leistungen • Abschreibungen auf Anlagevermögen Die Reduzierung der Vergütung bei vorzeitiger Kündigung eines Einzelvertrags hängt von den erzielten Einsparungen bei den Einzel- und Gemeinkosten ab. Für jede der genannten Klassen wird zunächst bestimmt, wie hoch das grundsätzliche Einsparpotenzial ist. Folgende Tabelle zeigt die Annahmen: Klasse Personalkosten Bezogene Leistungen Abschreibungen auf Anlagevermögen
Einzelkosten 100 %, aber zeitlich verzögert 100 %, aber zeitlich verzögert 0 %, aber ggf. anderweitig verwendbar
Tabelle 1. Einsparpotenziale bei Einzel- und Gemeinkosten
Gemeinkosten Grundsätzlich keine direkten Einsparungen, aber ggf. Reduzierung des Overhead möglich
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Grundsätzlich wird also davon ausgegangen, dass sich die Einzelkosten bei der Kündigung eines Servicevertrags reduzieren, Einsparungen im Gemeinkostenbereich aber nur bei umfangreicher Reduzierung der Leistungsabnahme erzielt werden. Der kalkulierte Unternehmensgewinn wird der dem Vertrag zugrunde liegenden Kalkulation entnommen und für die Restlaufzeit vergütet. Somit ergibt sich die verbleibende, geschuldete Vergütung für gekündigte Leistungen als: Vergütung(neu) = Nicht reduzierbare Einzelkosten + Deckungsbeitrag – Einsparungen bei Gemeinkosten Den Spielregeln für Einsparungen im Personalkostenbereich liegt folgende Annahme zugrunde: Grundsätzlich sind Personalkosten als fixe Kosten anzusehen, ein wesentlicher Grund für Outsourcing ist jedoch – wie bereits erwähnt – die Flexibilisierung des Unternehmens und die Verlagerung von Risiken auf den Anbieter. Nimmt der Kunde eine vertraglich vereinbarte Leistung nicht mehr in Anspruch, so hat der Dienstleister mit hoher Wahrscheinlichkeit ersparte Aufwendungen im Personalbereich. Die frei werdenden Kapazitäten führen zwar nicht unmittelbar zu reduzierten Kosten, aber der Dienstleister hat die Möglichkeit, das Personal anderweitig einzusetzen oder bei entsprechend schlechter Auftragslage auch mit angemessener Kündigungsfrist zu entlassen. Nach den Spielregeln des adaptiven Outsourcing soll der Anbieter durch vorzeitige Kündigung von Leistungen nicht schlechter (aber auch nicht besser) gestellt werden als im Falle der vertragsgemäßen Leistungsabnahme. Werden also aufgrund von vorzeitigen Reduzierungen der Leistungsabnahme beim Anbieter Kündigungen im Personalbereich notwendig, so muss der Kunde grundsätzlich für die dafür entstehenden Kosten aufkommen. Werden die frei werdenden Personalkapazitäten unmittelbar in anderen Projekten eingesetzt, so ist der Kunde von den Personalkosten zu entlasten. Da sich im Einzelfall nicht mit vertretbarem Aufwand nachvollziehen lässt, welcher Mitarbeiter aufgrund welcher Vertragslage wo arbeitet, sehen die Spielregeln des adaptiven Outsourcing eine Pauschalierung der zu vergütenden Personalkosten im Falle einer vorzeitigen Vertragskündigung vor. Diese richtet sich lediglich nach der Vorlaufzeit, mit der die reduzierte Leistungsabnahme angekündigt wird, nicht nach den Auswirkungen beim Anbieter. Für eine sofortige Reduzierung ohne Vorankündigung kann beispielsweise die Zahlung von neun (durchschnittlichen) Monatsgehältern vereinbart werden, für eine Kündigung mit sechs Monaten Vorlaufzeit jedoch nur drei Monatsgehälter.
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Bezogenen Leistungen des Dienstleisters liegt üblicherweise ein Vertragsverhältnis mit Dritten zugrunde. Für die Dauer eines solchen Vertragsverhältnisses sind die zugrunde liegenden Kosten als fix anzusehen. Nach den Spielregeln des adaptiven Outsourcing ist der Dienstleister jedoch verpflichtet, aufgrund von vorzeitig gekündigten Leistungen durch den Kunden, nicht mehr benötigte Vertragsverhältnisse mit Dritten so bald wie möglich zu kündigen, um den Kunden von diesen Kosten zu entlasten. Die Abschreibungen auf das Anlagevermögen (des Dienstleisters) sind grundsätzlich fixe Kosten und müssen vom Kunden für die Restlaufzeit des vorzeitig gekündigten Vertrags getragen werden. Allerdings sieht das adaptive Outsourcing auch vor, dass die Zahlungsverpflichtung für nicht genutzte Hardware mit dem Ende der Abschreibungen ebenfalls entfällt. Die bisher beschriebenen Spielregeln des adaptiven Outsourcing beschreiben lediglich die Möglichkeit der Reduzierung der Leistungsabnahme durch vorzeitige Kündigung von Einzelverträgen. Im Extremfall lässt das adaptive Outsourcing also auch eine vollständige Reduzierung aller bezogenen Leistungen zu, ohne dass das Vertragsverhältnis beendet wird. Einer Ausweitung der Services über das ursprünglich vereinbarte Maß hinaus wird sich kein Dienstleister entgegenstellen, sodass für diesen Fall zunächst keine besonderen Spielregeln notwendig sind. Der Fall, dass ein Kunde lediglich Leistungseinschränkungen während der Vertragslaufzeit vornimmt, wird in der Praxis relativ selten vorkommen beziehungsweise auf das Ende der Vertragsbeziehung zum vertraglich vereinbarten Termin hinauslaufen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass Unternehmen, wie zum Beispiel Reemtsma, die sich einem raschen Wandel ihres geschäftlichen Umfelds ausgesetzt sehen, ihre bezogenen Leistungen während der Laufzeit des Outsourcing-Vertrags (fast) beliebig verändern wollen und müssen. Es reicht also nicht, lediglich Spielregeln für die vorzeitige Kündigung von Leistungen zu definieren, vielmehr müssen auch Regeln für die Veränderung der Leistungsabnahme aufgestellt werden. Eine Veränderung kann definiert werden als Kündigung einer Einzelleistung mit anschließender Vereinbarung einer neuen Leistungsabnahme. Betrachtet man die bisher erwähnten Regelungen, wäre adaptives Outsourcing in der Praxis lediglich für den Anbieter interessant, da er für nicht mehr zu erbringende Leistungen Investitionsschutz und Gewinnabsicherung geniest, neue Leistungen aber marktüblich kalkulieren kann. Hier sichern die Spielregeln des adaptiven Outsourcing dem Kunden Schutz zu. Dem ursprünglich vereinbarten Vertragsvolumen liegt eine Kalkulation des Anbieters zugrunde, die ihm für einen definierten Zeitraum ein Mindestmaß an Deckungsbeitrag und Unternehmensgewinn gewährleistet.
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Dieser Deckungsbeitrag und insbesondere der Gewinn dürfen durch vorzeitige Verringerung der Leistungsabnahme nicht verringert werden, andererseits sollen sie auch aufgrund von in Anspruch genommener Flexibilität nicht zwingend erhöht werden. Kündigt also der Kunde beispielsweise einen Einzelvertrag über eine WAN-Verbindung von Hamburg nach Kiew vorzeitig und schließt während der Vertragslaufzeit einen neuen Vertrag über eine WAN-Verbindung von Hamburg nach Singapur (jeweils einschließlich der Nutzung von Netzwerkkomponenten und -Management), so sehen die Spielregeln des adaptiven Outsourcing eine Wiederverwendbarkeit von Deckungsbeiträgen und Unternehmensgewinn vor, wo möglich, auch von nicht reduzierbaren Einzelkosten. Die Verpflichtung zur Fortzahlung der (verminderten) Vergütung besteht trotz vorzeitiger Kündigung des Einzelvertrags weiter. Der wesentliche Unterschied zwischen beiden Einzelverträgen liegt in diesem Beispiel in der geografischen Lage des Kundenstandorts und der damit verbundenen Höhe der reinen Leitungskosten. Der Anbieter ist verpflichtet, in einem neuen Einzelvertrag alle wiederverwendbaren Leistungsbestandteile für den Kunden ausgabenneutral erneut einzusetzen.
Abb. 3. Wiederverwendung gekündigter Leistungen
In unserem Beispiel stellt die nicht mehr benötigte WAN-Leitung eine bezogene Leistung des Dienstleisters dar. Es handelt sich um nicht redu-
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zierbare Einzelkosten eines Einzelvertrags, die für die Restdauer des Vertragsverhältnisses mit dem externen Dritten vom Kunden bezahlt werden muss. Andererseits ist der Dienstleister verpflichtet, das nicht mehr benötigte Vertragsverhältnis schnellstmöglich zu beenden. Kommt er dieser Verpflichtung schuldhaft nicht nach, entfällt die Zahlungspflicht des Kunden. Da davon auszugehen ist, dass die Nutzung der Netzkomponenten und das Netz-Management weitestgehend unabhängig vom Kundenstandort sind, gelten diese Einzelkosten in unserem Beispiel als wieder verwendbar. Diese Kosten werden zwar in der Kalkulation für den neuen Einzelvertrag berücksichtigt, aber in gleicher Höhe als nun reduzierbare Einzelkosten im gekündigten Einzelvertrag berücksichtigt. Gemeinkosten und Gewinnanteile gelten grundsätzlich als wieder verwendbar. Im Ergebnis zahlt der Kunde nach diesem Wechsel nun die Vergütung des neuen Einzelvertrags sowie die Kosten der nicht mehr benötigten WAN-Leitung für den gekündigten Einzelvertrag. Kündigt der Kunde jedoch beispielsweise einen Einzelvertrag über WAN-Leistungen und schließt einen neuen Vertrag über PC-SupportLeistungen ab, so ist davon auszugehen, dass die Einzelkosten als nicht reduzierbar anzusehen sind. Die Qualifikation der Mitarbeiter und die benötigte Infrastruktur sind in diesem Fall zu verschieden. Führt die Flexibilität des adaptiven Outsourcing zu einer Vertragssituation, die dem Dienstleister mehr Umsatz, Deckungsbeitrag und Gewinn beschert als ursprünglich vereinbart, so gelten die Bestandsschutzklauseln für die das ursprüngliche Volumen überschreitenden Zahlungen nicht. Wurde also beispielsweise ursprünglich ein Fünf-Jahres-Vertrag mit einem Gesamtvolumen von zehn Millionen Euro geschlossen, und es ergibt sich nach zwei Jahren durch Änderungen ein voraussichtliches Gesamtvolumen von elf Millionen Euro, so darf der Kunde Leistungen in Höhe von einer Million Euro kündigen, ohne Deckungsbeiträge und entgangene Gewinne absichern zu müssen. Nicht reduzierbare Einzelkosten müssen jedoch in jedem Fall getragen werden. Ein besonderes „Schmankerl“ des adaptiven Outsourcing in unserer Definition ist die Einleitung eines Wettbewerbs zwischen Kunde und Dienstleister um die Identifizierung und Umsetzung von Einsparungspotenzialen in der (Dienst-) Leistungserbringung. Hiermit soll sichergestellt werden, dass effizientere Lösungen, die sich aus dem technischen Fortschritt ergeben, auch zum Kundennutzen eingesetzt werden. Die Spielregel hierfür lautet, dass der Kunde das gesamte Einsparungspotenzial vergütungsmindernd einbringen darf, wenn der Vorschlag von ihm kommt. Der Dienstleister hingegen behält einen bestimmten, zuvor im Rahmenvertrag
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vereinbarten Prozentsatz der Einsparungen während der Laufzeit, wenn er das Potenzial selbst aufzeigt. Bei der Vereinbarung dieses Anteilsatzes ist zu bedenken, dass das üblicherweise zur Realisierung der Einsparungen anstehende Projekt durch den Dienstleister erbracht wird, der damit wiederum Einnahmen und Gewinne generieren kann. Eine Variation dieses Themas ist es, das Optimierungsprojekt zeitversetzt über die Nichtverminderung der Vergütung zu finanzieren. Eine weitere Flexibilitätsdimension ist der Erwerb und die Nutzung der vom Dienstleister genutzten Hard- und Software. Auch hier kann man Regeln vereinbaren, was wann unter welchen Bedingungen vom Kunden erwerbbar ist und wie dies den Preis für die Leistungserbringung gegebenenfalls reduziert.
Erfahrungen in der Transition zum adaptiven Outsourcing Obwohl das adaptive Outsourcing Vorteile für beide Vertragsparteien mit sich bringt, finden sich nach dem heutigen Stand nur wenige Anbieter, die sich mit diesem Thema intensiv beschäftigt haben. Oftmals findet sich die gewünschte Flexibilität nur unter dem Begriff „on Demand“, und diese Flexibilität bezieht sich, wie zu Beginn beschrieben, meistens nur auf eine für den Dienstleister vorteilhafte Richtung. Die Grundprinzipien des adaptiven Outsourcing sind relativ einfach und für beide Seiten fair. Nach bisherigen Erfahrungen finden sowohl Dienstleister als auch potenzielle Kunden, denen man die Prinzipien erläutert, das Modell sehr interessant. Auf Kundenseite wird jedoch relativ häufig bezweifelt, dass es Anbieter des adaptiven Outsourcing gibt. So einfach das Prinzip ist, so schwierig ist es, das Gedankengut so in einen juristischen Rahmen zu bringen, dass es formell korrekt und dennoch auch für juristische Laien verständlich ist. Die Abgrenzung reduzierbarer zu nicht reduzierbaren Einzelkosten mag noch relativ einfach sein. Die Bestimmung, ob nicht reduzierbare Einzelkosten in einem konkreten Fall wieder verwendbar sind oder nicht, lässt sich jedoch in kein Vertragswerk gießen. So lautet auch eine wichtige, ungeschriebene Regel des adaptiven Outsourcing „I know where you live“. Sie besagt, dass sich beide Parteien in gewissen Punkten auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit während der Vertragslaufzeit verlassen, ohne alle Eventualitäten und Details vertraglich zu fixieren, was ohnehin nicht möglich wäre. Die Vertragsverhandlungen mit dem Dienstleister haben sich – nicht zuletzt aufgrund des Gesagten – langwierig gestaltet. Die Spielregeln des
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adaptiven Outsourcing sind auch für erfahrene IT-Anwälte ungewohnt, und ungeschriebene Regeln sind ihnen von Berufs wegen ein Gräuel. Beinahe unmittelbar nach Abschluss der Verhandlungen kam von Reemtsma der Wunsch nach vorzeitiger Kündigung eines ersten Einzelvertrags. Unter Anwendung der vereinbarten Spielregeln lief diese Kündigung reibungslos, die verminderte Vergütung wurde vereinbart, und die ersten Ressourcen waren bereit für die Wiederverwendung. Nahezu gleichzeitig wurde ein neuer Einzelvertrag über den Betrieb einer BlackberryAnwendung geschlossen. Gemeinsam wurden die wieder verwendbaren Ressourcen und die damit verbundenen Kostenbestandteile bestimmt. Im Zuge der Erarbeitung dieses neuen Einzelvertrags wurden die neuen, für das adaptive Outsourcing notwendigen Prozesse zwischen Dienstleister und Kunden etabliert. Es versteht sich beinahe von selbst, dass das adaptive Outsourcing nur auf Basis einer offenen Kalkulation funktionieren kann, sodass beispielsweise schon der Angebotsprozess für die Erbringung neuer Leistungen verändert werden musste. Weiterhin musste geklärt werden, wie die zur Wiederverwendung bereitstehenden Ressourcen erfasst und dokumentiert werden, insbesondere die Höhe der „ungenutzten“ Deckungsbeiträge und Gewinne. Nach knapp einem Jahr gab es zirka zehn weitere Kündigungen, denen ungefähr die gleiche Anzahl neuer Einzelverträge gegenübersteht. Als gelungenes Beispiel für die Umsetzung einer sich aus dem technischen Fortschritt ergebenden effizienteren Lösung lässt sich die Migration von 43 SAP-Servern auf zwei HP-Superdomes mit signifikanter Kostenreduktion nennen. Zwar reduziert sich mittelfristig der Umsatz des Dienstleisters für den laufenden Betrieb der SAP-Systeme deutlich. Im Gegenzug sichert ihm aber der Auftrag für die Migration der SAP-Systeme einen gewissen Projektumsatz zu. Im Ergebnis ergeben sich keine signifikanten Änderungen an der ursprünglich vereinbarten Höhe von Umsatz und Gewinn, aber der Kunde erhält deutliche Einsparungen im laufenden Betrieb seiner Systeme. Als nächster Schritt wird gerade das Projekt SAP-Applikationskonsolidierung, also die Reduzierung der Anzahl der SAP-Systeme, durchgeführt, aus dem ebenfalls deutliche Einsparungen erwartet werden können. Des Weiteren wird das Thema WINTEL-Server-Konsolidierung verhandelt und nach erfolgreichem Abschluss der SAP-Konsolidierung in naher Zukunft in Angriff genommen, wobei das flexible, adaptive Outsourcing die Nutzung weiterer Einsparpotenziale ermöglicht. Im Gegenzug denkt Reemtsma über die Verlagerung weiterer Server und Applikationen in das Rechenzentrum des Dienstleisters nach, um die durch die Konsolidierung frei gewordenen Ressourcen optimal nutzen zu können.
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Kritische Erfolgsfaktoren des Outsourcing im Allgemeinen und des adaptiven Outsourcing im Speziellen Wie eingangs erwähnt, sind die primären Ziele der Auslagerung von ITLeistungen Wirtschaftlichkeit, Fokussierung auf das Kerngeschäft und die Flexibilisierung des Unternehmens. Entscheidend für den Erfolg einer solchen Auslagerung ist neben dem Erreichen der genannten Ziele auch die Qualität der ausgelagerten Leistung. Damit zwischen Wunsch und Wirklichkeit möglichst geringe Diskrepanzen liegen, ist es notwendig, dass der Kunde seine eigene IT sehr gut kennt, beziehungsweise zunächst gründlich analysiert. Eine tief greifende Kenntnis des eigenen Portfolios ist zwingende Voraussetzung für den Erfolg des IT-Outsourcing. Dabei ist es in erster Linie nicht wichtig, welche physischen IT-Bereiche beziehungsweise Assets betroffen sind, sondern welche Anwendungen ausgelagert werden sollen. Neben der Auswahl der für eine Auslagerung infrage kommenden Anwendungen ist auch eine klare Abgrenzung der Aufgaben notwendig. Welche Aufgaben verbleiben im Unternehmen, welche erbringt der zukünftige Dienstleister, wie sehen die Schnittstellen aus? Eine möglichst detaillierte Leistungsbeschreibung und Verantwortungsmatrix für die ausgelagerten Anwendungen bilden die Basis eines erfolgreichen Outsourcing. So lassen sich spätere Meinungsverschiedenheiten zwischen Anbieter und Kunde und unliebsame Überraschungen in Form von gesonderten Vergütungen vermeiden. Auch die Festlegung der gewünschten Qualitätskriterien in Form von Service-Levels für die ausgelagerten Leistungen ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Dabei sollte sich die Servicequalität primär an den Erfordernissen des Unternehmens ausrichten. Was passiert, wenn das zentrale SAP-System einen Tag ausfällt? Wie lange kommt die Auftragsbearbeitung im Notfall ohne System aus? Nach welcher Zeitspanne bricht die Logistikkette zusammen, wenn keine Frachtdokumente erstellt werden können? Zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit einer Auslagerung ist es erforderlich, die eigenen Kosten des Betriebs der IT-Systeme zu kennen. Kunden wissen oftmals nicht, was sie der Betrieb ihres Mail-Systems kostet oder welche Kosten ein Vertriebsinformationssystem verursacht. Ein zumindest rudimentäres IT-Controlling sollte implementiert sein, bevor man über die Auslagerung von IT-Leistungen nachdenkt. Zur Steuerung des späteren Dienstleisters wird es ohnehin benötigt. Die Klärung der genannten Punkte
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Anwendungsportfolio, Leistungsumfang, Qualität und Kosten sollte bereits im Detail erfolgt sein, bevor man die Provider auswählt. Sind aus der Fülle der potenziellen Anbieter der- oder diejenigen Anbieter identifiziert, mit denen man Verhandlungen aufnimmt, sollte man die Dauer der Vertragsverhandlungen nicht unterschätzen. Selbst bei optimalem Verlauf sollten hierfür einige Monate einkalkuliert werden. Wichtig ist es, frühzeitig rechtliche Beratung mit fundiertem IT-Wissen, gegebenenfalls spezielles Outsourcing-Consulting, einzubinden. Das zur gewünschten Flexibilisierung des Unternehmens notwendige adaptive Outsourcing stellt neben den geschilderten Erfolgsfaktoren noch einige weitere Anforderungen an eine erfolgreiche Auslagerung. Es ist sorgsam, darauf zu achten, dass der potenzielle Dienstleister das Modell verstanden hat, es leben will und auch kann. Ohne Vereinbarung einer zumindest teilweisen „Open Book Policy“ kann und wird das Modell nicht funktionieren. Auf beiden Seiten wird ein kommerziell und rechtlich beschlagenes Steuerungsteam mit größtmöglicher Bandbreite an IT-Wissen und Kreativität benötigt. Das Erfassen, Abstimmen und Dokumentieren der freien Ressourcen, der Höhe der Deckungsbeiträge und Gewinne bei vorzeitiger Kündigung von Einzelverträgen, deren Einsatz und Verrechnung in und mit neuen Einzelverträgen ist eine komplexe Aufgabe, die großes ITVerständnis und Kreativität auf beiden Seiten erfordert. Weiterhin ist eine enge, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Dienstleister notwendig, da der Kunde teilweise in den Dienstleister hineinsteuert, insbesondere wenn er als Großkunde einen erheblichen Teil zum Umsatz und Gewinn beisteuert.
Fazit und Ausblick Durch diesen neuen Typus eines Outsourcing-Vertrags – der eine Erweiterung der heutzutage üblichen SLAs im Hinblick auf tatsächliche Flexibilität darstellt – ergibt sich ein für beide Parteien fairer Vertrag, der zudem die Schwächen herkömmlicher SLAs überwindet und somit auch für Unternehmen geeignet ist, die aufgrund schlechter Erfahrungen eine Abkehr vom Outsourcing erwägen. Es wird deutlich, dass der Dienstleister grundsätzlich bereit sein muss, seine Leistungen auf Basis einer dem Kunden gegenüber offenen Kalkulation anzubieten. Neben der Möglichkeit, ungenutzte Leistungsbestandteile in veränderter Form für sich selbst zu nutzen, kann bei der zukünftigen Ausgestaltung des
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adaptiven Outsourcing die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass der Kunde das Recht erhält, seine ungenutzten Kapazitäten am IT-Markt an Dritte zu verkaufen. Umgekehrt könnte auch der Dienstleister ungenutzte Kapazitäten eines Kunden mit dessen Zustimmung zu besonders günstigen Konditionen weiterverkaufen. So könnten sich zukünftig Dienstleister im Outsourcing etablieren, die IT-Leistungen am Markt zu besonders günstigen Konditionen anbieten, ohne über eigene Ressourcen zu verfügen.
Mit besserem Prozess-Management und ITInnovationen zu mehr Kundenzufriedenheit
Christof Wahl, Chief Operating Officer Kabel Deutschland GmbH André Wehner, Chief Information Officer Kabel Deutschland GmbH
Vom Infrastrukturanbieter zum Dienstleister Mit der Neugründung von Kabel Deutschland als selbstständiges Unternehmen Anfang 2003 änderte sich auch seine strategische Ausrichtung. Das traditionelle Geschäftsfeld des analogen Kabelfernsehens wurde erheblich erweitert: Digitale Fernseh- und Radioübertragung sowie Breitband-Internet und Telefonie kamen zur Produktpalette hinzu. Kabel Deutschland wurde zum Anbieter kompletter digitaler Programmpakete. In der Praxis bedeutet das kaum weniger als einen Quantensprung in Richtung Medienzukunft: Fernsehen, Radio, Internet und Telefonie kann der Kabelkunde heute mit einem einzigen Anschluss nutzen. Möglich wurde der Wandel von Kabel Deutschland von einem reinen Infrastrukturbetreiber hin zu einem kunden- und serviceorientierten Anbieter multimedialer Produkte erst durch die Digitalisierung und Rückkanalfähigkeit des Kabelnetzes. Konkret: Für die digitalen Programmangebote und die Internetnutzung musste das Kabelnetz so aufgerüstet werden, dass es nicht nur analoge, sondern auch digitale Signale überträgt. Die Interaktivität, notwendig zum Beispiel für Video on Demand, Internetnutzung und Telefonie, setzt wiederum ein rückkanalfähiges Kabelnetz voraus. Der Kunde kann also nicht nur empfangen sondern auch senden. Für die Internetnutzung musste das Kabelnetz so ausgebaut werden, dass digitale Daten nach dem Internet-Protokoll(IP)-Standard transportiert werden können. Auch die Telefonie baut auf dem jetzt verfügbaren Internet-Protokoll des Kabelnetzes auf: Dazu sind die Netzknoten mit modernster Kommunikationstechnik ausgerüstet worden, welche die Übertragung von Sprache mittels des „Voice over IP“(VoIP)-Standards ermöglicht.
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Christof Wahl, André Wehner
Ausbau des Kabelnetzes Dahinter verbirgt sich ein veritabler Kraftakt. Um digitalen Rundfunk, Internet und Telefonie per Kabel überhaupt nutzbar zu machen, sind Investitionen von mehr als 100 Millionen Euro jährlich erforderlich. 809 Kopfstationen, 2220 Hubs (Verteilerstationen), 133 500 Verstärker und 2,2 Millionen Splitter (Abzweiger) müssen Zug um Zug auf den neuesten technischen Stand gebracht werden, damit die 31 400 Kilometer Kabelrohre und die 261 000 Kilometer Kabel parallel zum analogen Signal auch digitale IP-Signale verarbeiten können. Hinzu kommt noch die kommunikationstechnische Ausrüstung, um auch Sprache per Voice over IP zuverlässig über das Kabelnetz zu leiten. Nach ersten Erfahrungen in wichtigen Pilotstädten (Berlin, Bayreuth, Bamberg, Gera, Dresden, Leipzig, München, Saarbrücken und Hamburg) wurde die Region Rheinland-Pfalz/Saarland ausgebaut. Bis Ende September 2005 wurden dort in den mehr als 30 000 Kilometer Kabel etwa 180 benutzerseitige Breibandkabelverteilstellen mit rund 11 000 Verstärkerpunkten umgerüstet und in Betrieb genommen. Neben dem Netzausbau an sich ist vor allem die Anbindung der Netze an die neue Internet- und Telefonieplattform im Berliner Rechenzentrum von Kabel Deutschland ein wesentlicher Bestandteil der technischen Umrüstung. So waren bis Ende September 2005 die Netze Saarbrücken, Trier, Kaiserslautern und Koblenz/Neuwied sowie bis Ende Oktober die Netze in Ludwigshafen, Pirmasens, Landau, Rülzheim, Bad Kreuznach und Bad Neuenahr ausgebaut. Anfang 2006 wurde der Ausbau in Norddeutschland gestartet. Weitere Netze werden im Jahresverlauf folgen. Die Ausweitung der Produktpalette ist also untrennbar verknüpft mit einer rasanten technischen Weiterentwicklung. Ihre Vermarktung indessen geht einher mit einer für Kabel Deutschland in dieser Form neuen Kundenorientierung. Einfach formuliert: Wenn jeder Kunde sich sein individuelles Programmpaket zusammenstellen kann, darf er auch eine auf seine Bedürfnisse zugeschnittene Betreuung durch die Callcenter-Mitarbeiter von Kabel Deutschland erwarten. Das Spektrum reicht von Fragen zu den einzelnen Produkten bis hin zur technischen Betreuung.
Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr...
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52 MasterKopfstationen 757 Kopfstationen 2200 Hubs
31 400 km Kabelröhre
1 333 500 Verstärker
15,3 Mio. anschließbare Haushalte
261 000 km Kabel 2,2 Mio. Splitter/Abzweiger
4,2 Mio. Übergabepunkte
Abb. 1. Das Kabelnetz von Kabel Deutschland
Schlüsselrolle des Customer Care and Billing(CC&B)-Systems Eine Schlüsselstellung unter den serviceorientierten Projekten des Unternehmens nahm die Überführung der bisherigen unterschiedlichen Abrechnungssysteme in ein neues einheitliches Customer Care and Billing(CC&B)-Systems für etwa 600 Mitarbeiter ein. Bis Juni 2005 war mit drei verschiedenen Billing-Systemen gearbeitet worden: eines für die Kunden der Netzebene drei (regionale Signalverteilung), eines für die Netzebene vier (hausinterne Signalverteilung) und eines für die Internetkunden – eine Folge der gewachsenen Strukturen von Kabel Deutschland aus den Vorgängerunternehmen. Jetzt erforderte das komplexere Produktangebot mit analogem und digitalem Fernseh- und Radioprogramm, Internet und Telefonie ein neues System für die Kundenbetreuung und die verbrauchsabhängige Rechnungsstellung. Und das bei einer gleichzeitig ständig steigenden Zahl von Endkunden. Jeder Kunde oder Interessent, egal aus welcher Region er anfragt und um welche Produkte es geht, sollte in Zukunft mit seinem Anruf beim Callcenter-Mitarbeiter unverzüglich die gewünschte Auskunft bekommen oder eine Bestellung aufgeben können.
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Business Process Management als Instrument des Wandels Wie ist Kabel Deutschland diesem Handlungsdruck auf organisatorischer Ebene begegnet? Um interne Abläufe ganzheitlich zu überarbeiten und zu verbessern, hilft das so genannte Business Process Management (BPM), das Kabel Deutschland als Ergänzung zu traditioneller Linienorganisation und Projekt-Management eingeführt hat. Indem es das abteilungsorientierte Denken in den Hintergrund stellt, bietet es Unternehmen die Möglichkeit, ihre Prozesse über Abteilungsgrenzen hinaus zu optimieren. Zugrunde liegt hier vor allem die Erkenntnis, dass ganzheitliches Prozessdenken eher dem natürlichen Lebenszyklus der Geschäftsprozesse entspricht als das traditionelle Abteilungsdenken. Denn wo jede Abteilung nur für einen kleinen Ausschnitt des Ganzen verantwortlich ist, wird leicht übersehen, wenn die einzelnen Prozesse nicht optimal ineinander greifen. Betrachtet man aber Prozesse als Ganzes, können Schwachstellen rasch erkannt und behoben werden. BPM gliedert daher die internen Abläufe in Geschäftsund Hauptprozesse, denen wiederum fachübergreifend Verantwortlichkeiten zugewiesen werden. BPM orientiert sich also an den Tätigkeiten, die im Unternehmen ausgeübt werden, und nicht daran, welcher Mitarbeiter beziehungsweise welche Organisationseinheit dafür zuständig ist. Prozess-Management steigert die organisatorische Effizienz, weil Brüche an entscheidenden Schnittstellen vermieden und Abläufe im Unternehmen transparenter gestaltet werden. Es ermöglicht eine ablaufbezogene und kundenorientierte Steuerung der Unternehmensvorgänge mittels Kennzahlen. Optimierte Prozesse reduzieren außerdem Durchlaufzeiten und senken Kosten, wie es etwa der Business Process Report 2005 von IDS Scheer1 belegt. Am Ende des Tages fördert Prozess-Management auch die Kundennähe und -zufriedenheit, weil das Unternehmen schneller und flexibler auf die wandelnden Kundenbedürfnisse im Markt reagieren kann. Eng verzahnte Unternehmensbereiche BPM greift erst dann richtig, wenn die verschiedenen Unternehmensbereiche eng mit der IT verzahnt sind. Dann ist es möglich, neue Anforderungen frühzeitig zu erkennen, unnötige Investitionen zu vermeiden und daraus den Mehrwert der IT für das Unternehmen zu realisieren. Denn der 1
Business Process Report 2005, Herausgeber IDS Scheer AG Saarbrücken, www.ids-scheer.com/bpr2005
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Mehrwert einer IT-Abteilung wird heute zunehmend an ihrem Beitrag am Geschäftserfolg des Unternehmens gemessen. Integraler Bestandteil des BPM ist daher das Verständnis dafür, dass es nicht mehr reicht, einzelne Abteilungen ihren Job machen zu lassen. Prozessorientiertes Arbeiten verlangt von allen Mitarbeitern ein Umdenken. Hier gilt es, das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass jeder Einzelne Teil eines Gesamtprozesses ist, der viele Abteilungen durchlaufen kann. Zentrale Funktion der IT Dass die Orientierung hin zu ganzheitlichen Geschäftprozessen in besonderem Maße die Ausrichtung und Organisation des Unternehmensbereichs IT betrifft, liegt auf der Hand: Da Mitarbeiter über Abteilungen hinaus zusammenarbeiten, muss das für diesen Prozess notwendige Wissen zwingend über Abteilungen hinaus abrufbar sein. Dazu wird es mit Modellierungswerkzeugen in die IT-Systeme übertragen und steht dann auch anderen Mitarbeitern zur Verfügung. Zudem gibt es die Möglichkeit, die erfassten Prozesse mithilfe von BPM-Software-Plattformen zu automatisieren, um den lückenlosen Prozessablauf über viele Abteilungen hinweg zu sichern und Engpässe in einem frühen Stadium zu erkennen – und zu beheben. Den 140 Mitarbeitern der Unternehmens-IT bei Kabel Deutschland kommt damit eine zentrale Funktion in diesem Wandlungsprozess zu. Sie sind nicht nur verantwortlich für die internen Anwendungen des Unternehmens, darunter das CC&B-System, sondern auch für die Kundenapplikationen. Außerdem entwickelt und betreibt das IT-Team das NetzManagement-System, das die Hardware- und Software-Architektur des Kabelnetzes abbildet. Dessen Betrieb, gewissermaßen die Produktion der Dienstleistungen, erfolgt durch den Unternehmensbereich Technik in enger Zusammenarbeit mit dem IT-Team. Informationstechnische Basis ist ein unternehmenseigenes Rechenzentrum am Standort Berlin mit SunServern unter dem Betriebssystem Solaris. Mit der Etablierung von BPM im Unternehmen schuf Kabel Deutschland gleichsam die Voraussetzung, IT-Innovationen zügig in marktreife Produkte und Dienstleistungen umzuwandeln.
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Konfigurationsplan Regionale Hauptniederlassungen
Rechenzentrum Sun Fire 12 K Server (Region 1, 2, 4) WindowsClient
Max. 60 Business Objects Windows-Clients
Apache Webserver
Serverfarm mit Konfiguration für Full-Client
LAN/ WAN
Broadcast Agent (BCA)
www
Max. 1000 Business Objects Web-Clients
Datenbankprozesse
2 x WebIntelligence (Hochverfügbar)
Callcenter
WebClient
Sun Storedge CCB Reporting DBs
Repository 1 für Business Objects
Sun Fire 12 K Server (Region 3, 7, 9)
Sun Storedge CCB Reporting DBs
Apache Webserver Serverfarm mit Konfiguration für Web-Client
Datenbankprozesse
Repository 2 für Business Objects (Hochverfügbarkeit)
Abb. 2. Konfigurationsplan des Customer Care and Billing(CC&B)-Systems
Einheitliches Billing-System für den direkten Zugang zum Kunden Eine Herausforderung der besonderen Art stellt das Customer Care and Billing(CC&B)-System als Lösung für eine einheitliche Kundenbetreuung dar. Keine einfache Aufgabe für den Unternehmensbereich IT – bei einer Datenmenge von etwa zehn Millionen Kabelkunden und der Komplexität des Kabelnetzes mit den verschiedenen Netzebenen. Zumal die Migration ins Neusystem selbstverständlich im laufenden Betrieb realisiert werden musste. Ausgangslage waren also die drei von den Vorgängerunternehmen übernommenen Billing-Systeme, mit denen eine einheitliche Sicht auf den Kunden nicht möglich war. Seine Anfragen konnten systembedingt nicht mit dem von ihm erwarteten und vom Unternehmen angestrebten Servicegrad beantwortet werden. Hauptziel des Projekts war es deshalb, die drei Systeme auf eine einheitliche Plattform zu bringen, um den Kunden an einer Stelle einheitlich erkennen und adressieren zu können.
Mit besserem Prozess-Management und IT-Innovationen zu mehr...
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Abb. 3. Die vier Netzebenen
Ein weiteres Etappenziel war es, die Netzebenen drei und vier, also die regionale und hausinterne Signalverteilung einschließlich der Abbildung des letzten Abschnitts bis in die Wohnung hinein ins CC&B-System zu integrieren. Erst dann nämlich können Kunden wie auch Servicetechniker vor Ort detaillierte Auskunft darüber erhalten, welche Produkte zu welchen Vertragsbedingungen in einem bestimmten Gebäude verfügbar sind. Außerdem sollte mit Selfcare-Funktionalitäten dem Kunden die Möglichkeit gegeben werden, Aktionen auch selbst durchzuführen, wie zum Beispiel seine Stammdaten über eine sichere Internetverbindung anzusehen und zu ändern. Und schließlich galt es, die volumenabhängige Abrechnung, die für Video on Demand oder Telefonie nötig ist, zu realisieren. Verglichen damit war die monatliche Abrechnung einfacher Kabelanschlüsse trivial. Denn beispielsweise bei der Telefonie müssen die so genannten Call Data Records vom Techniksystem des Kabelnetzes erfasst und dann in das RatingModul übergeben werden, das die Zuordnung zum Kunden, zum Vertrag und zum Preis vornimmt. Das Ergebnis wird dann zur Abrechnung an das Billing-System weitergeleitet. Vom Pflichtenheft und Feinkonzept zur Migration Zum Projektstart wurden zunächst die Funktionen der drei bisherigen Billing-Systeme analysiert. In enger Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen wurden dann die Anforderungen aus heutiger und zukünftiger Sicht aufgenommen. In dieser Prozessphase entstand ein Pflichtenheft, das bis
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Mai 2003 zu einem Fachfeinkonzept weiterentwickelt wurde und das Design für die Software- und Datenbankentwicklung vorgab, die im ersten Quartal 2004 abgeschlossen werden konnte. Im Kern bestand die Lösung aus drei Teilen: Das CC&B-System von Convergys ersetzte im BillingBereich die drei Altsysteme; im Netz-Management-Bereich löste die NetzManagement-Lösung SMILE-BK 2.0 die Vorgängerversion ab. Beide Systeme sind miteinander verknüpft und greifen zudem auf einen gemeinsamen Adressdatenbestand (ADS) zu. Nach umfangreichen Praxistests unter Einbeziehung der CallcenterMitarbeiter erfolgte im September 2004 die erste Migration in der Region 4 (Leipzig); einen Monat später, im Oktober 2004, kam die Region 1 (Hamburg) hinzu. Eine kurze Konsolidierungsphase wurde anschließend dazu genutzt, die Erfahrungen aus diesen beiden Migrationen auszuwerten und in Verbesserungen umzusetzen: Im Echtbetrieb hatte sich gezeigt, dass verschiedene Funktionen noch nicht stabil genug waren, um ein System für zehn Millionen Kunden zu unterstützen. Ab April bis Juni 2005 ging es mit Region 7 (Rheinland-Pfalz/Saarland), 9 (Bayern), 2 (Niedersachsen) und 3 (Berlin) dann zügig voran. Im Verlauf des gesamten Migrationsprozesses wurden insbesondere die Bestandsdaten bereinigt. Je nach Größe der Region und der Menge der Daten dauerte die Migration bis zu einer Woche. In dieser Zeit waren die Callcenter-Mitarbeiter zwar auskunftsfähig, konnten aber keine Änderungen vornehmen: Sie wurden nach Abschluss der Migration zügig abgearbeitet. Anf. Spez Anf. Spez Anf. Spez Fachthema Anf. Spez Fachthema Anf. Spez Fachthema Anf. Spez Fachthema Anf. Spez Fachthema Anf. spez. Fachthema Fachthema 12 Fachthema 22 22 2 9 Analyse der bisherigen Funktionen
Aufnahme der Anforderungen
Pflichtenheft
Anwendung (ungetestet)
Design
Fachkonzept
Abb. 4. Die Projektphasen
Entwicklung
Anwendung installiert
Test und Abnahme
Abgenommene Anwendung
Implementierung
Wirkbetrieb
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Geforderte Callcenter-Mitarbeiter Die Umstellungsphase hat die Callcenter-Mitarbeiter in besonderer Weise gefordert. Ziel war es, die Kabel-Kunden auch während der Systemumstellung so gering wie möglich zu belasten. Flächendeckende Schulungen der Callcenter-Mitarbeiter haben hier geholfen, den Kundenservice auch während der Migrationen von September 2004 bis Juni 2005 in gewohntem Umfang sicherzustellen. In diesem knappen Jahr haben die Mitarbeiter mehrgleisig gearbeitet: teilweise bereits mit dem Neusystem, aber auch mit dem Altsystem für diejenigen Regionen, die noch nicht umgestellt waren. Je nach dem, aus welcher Region ein Anruf kam, mussten die CallcenterMitarbeiter vom einen ins andere System wechseln. Verfügbarkeitsprüfung als Service Ergänzend hat Kabel Deutschland auf seinem Internetportal eine Verfügbarkeitsprüfung eingerichtet. Hier können bestehende Kunden und Interessenten, aber auch regionale Anbieter und Servicetechniker feststellen, welche Produkte (SMILE-BK) unter welchen Adressen (ADS) technisch und zu welchen Vertragsmodalitäten (CCB) verfügbar sind (siehe Abbildung 5). Hinter der nach außen einfachen und benutzerfreundlichen Internetabfrage steckt eine technisch aufwendige und komplexe Auswertung aller Kunden- und Technikinformationen, die das neue Billing-System in den Datenbanken von Kabel Deutschland bereithält. Die Verfügbarkeitsprüfung ist ein vergleichsweise kleines, aber wichtiges Instrument für die Vermarktung des Angebots. Nur damit ist es möglich, einem Interessenten für eine bestimmte Wohnung die Verfügbarkeit von Produkten zuzusagen. Neben dem Abrechnungssystem und den neuen Produkten ist dieses Instrument ein weiteres Beispiel, wie die Unternehmens-IT mit innovativen Lösungen Geschäftsprozesse unterstützt und auf Kundenbedürfnisse eingeht.
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Abb. 5. Entstehung einer Verfügbarkeitsauskunft
Marktoffensive mit einheitlicher Kundensicht Die erfolgreiche Einführung eines CC&B-Systems zur integrierten Kundenbetreuung und -abrechnung beschreibt für Kabel Deutschland den Wandel vom Infrastrukturbetreiber zum kunden- und serviceorientierten Multimediaanbieter. Nach zwei Jahren Projektlaufzeit verfügte das Unternehmen ab Juni 2005 nach innen über ein leistungsfähiges und flexibles System, das die drei unterschiedlichen Bereiche Rechnungslegung, Reporting und Netz-Management-System integriert. Und nach außen tragen die Callcenter-Mitarbeiter mit der vollständigen und einheitlichen Kundensicht zur Erhöhung der Kundenzufriedenheit bei, weil jeder Anrufer schnell und umfassend Antworten auf seine Fragen bekommt. Denn die Kunden und ihre Verträge sind jetzt mit ihrer vollständigen, oft viele Jahre langen Vorgeschichte erfasst. Sämtliche Produkte, die sie beziehen, und die Zahlungsweise sind abgebildet. Die CallcenterMitarbeiter können alle Vertragsänderungen, immerhin mehrere Tausend pro Tag, schnell und umkompliziert durchführen. Außerdem werden alle Vertriebskanäle unterstützt. So kann sich ein Interessent oder Kunde beispielsweise mittels Internet über das Angebot informieren und gegebenenfalls gleich bestellen. Auch interaktive Dienstleistungen wie zum Beispiel Pay per View, wo der Zuschauer nur für tatsächlich gesehene Sendungen
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zahlt, die zum angegebenen oder gewünschten Termin freigeschaltet werden, lassen sich mit dem neuen Billing-System verwalten und abrechnen. Das CC&B ist so flexibel, dass es die weiter wachsende Komplexität künftiger Produkte und Prozesse auffangen und integrieren kann. Dank optimierter und beschleunigter Projektabläufe durch BPM konnte Kabel Deutschland schon im April 2004 sein neues digitales Programmangebot vorstellen. Kabel Digital bietet allen Kabelkunden TV- und Radioprogramme mit Bildern und Ton ähnlich wie in DVD- beziehungsweise CD-Qualität. Bis Ende 2005 nutzten bereits über 400 000 Kabelkunden den neuen Service. Mit dem neuen flexiblen Abrechnungssystem ist die Produktpalette zum Triple Play mit Internet (Kabel Highspeed) und Telefonie (Kabel Phone) erweitert worden. Bis Ende 2006 sollen mehr als 7,5 Millionen Haushalte in der Lage sein, diesen Service zu nutzen. Wenn man sich vor Augen führt, dass in den USA der TV-Kabelanschluss für knapp 60 Prozent der amerikanischen Internetnutzer bereits heute der führende BreitbandInternetzugang ist, in Deutschland aber erst zwei Prozent diesen Weg wählen, wird das enorme Wachstumspotenzial auf diesem Markt deutlich. Schon seit April 2005 können Mieter in Leipzig, die als erste an das modernisierte Kabelnetz von Kabel Deutschland angeschlossen wurden, auch mit Kabel Phone über das Kabel telefonieren. Dieser Service kann inzwischen in allen Städten angeboten werden, wo auch Kabel Highspeed verfügbar ist. Die Kunden nutzen dabei weiterhin ihre bisherigen Telefonnummern und analogen Telefone, die an einen Telefonadapter angeschlossen sind.
Abb. 6. Marktoffensive mit Triple Play – alles mit einem Anschluss
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Neue Rolle der IT Den Wandel von Kabel Deutschland vom reinen Infrastrukturbetreiber zu einem kunden- und serviceorientierten Anbieter multimedialer Produkte hat die Unternehmens-IT aktiv begleitet. Die IT steht heute vor der Herausforderung, dass die Ansprüche an sie steigen, die Budgets dagegen stagnieren oder sogar sinken, und dass kurzfristige Einsparungen oft stärker wiegen als ein wirtschaftlicher Vorteil, der sich erst mittel- oder langfristig zeigt. Trotzdem muss die IT die Geschäftsprozesse von Jahr zu Jahr effizienter unterstützen. Das Unternehmen möchte schließlich schneller, flexibler und kostengünstiger agieren. Daten müssen detailliert und zeitnah zur Verfügung gestellt, technische Veränderungen ausgestaltet werden. Maßstab bei alledem bleiben die Bedürfnisse des Kunden. Es gilt die schlichte Maxime, den IT-Fortschritt in tatsächlichen Kundennutzen umzuwandeln. Damit ändert sich in Zukunft die Rolle der IT-Mitarbeiter. Der Chief Information Officer (CIO) wird zum Business-Manager, der über solide Prozesskenntnisse und technisches Wissen verfügt und eigene Geschäftsverantwortung trägt. Das bestätigen unter anderen die Analysten von Gartner. Sie gehen davon aus, dass IT-Profis neben technischem Fachwissen zukünftig verstärkt betriebswirtschaftliches Know-how sowie Kenntnisse über Unternehmensprozesse und Personalführung aufweisen müssen. Auch eine Analyse des Beratungsunternehmens Butler Group geht davon aus, dass die größte Herausorderung an die IT der Zukunft die Integration prozessgetriebener Lösungen in bestehende Systeme sein wird. Kurz: Die Unternehmens-IT muss durch Innovationen helfen, bestehende Prozesse zu optimieren oder neue zu entwickeln und so dazu beitragen, das Unternehmen im Markt besser zu positionieren.
Gut gerüstet für den boomenden Kabelmarkt Und dieser Markt ist riesig und wächst weiter. Über 20 Millionen deutsche Fernsehhaushalte – also mehr als 56 Prozent – beziehen ihr Rundfunksignal für Fernsehen und Radio über Kabel. Rein technisch können schon heute mehr als 70 Prozent aller Rundfunkhaushalte in Deutschland Programme über das Kabel beziehen. Die Kabelnetzbetreiber haben also die Möglichkeit, ihre Kundenbasis langfristig um etwa ein Viertel zu erhöhen, ohne in einen zusätzlichen Infrastrukturausbau investieren zu müssen. Für Kabel Deutschland, das derzeit rund zehn Millionen TV-Haushalte in 13 Bundesländern versorgt und damit der größte Kabelnetzbetreiber in
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Deutschland ist, liegt das Potenzial sogar noch höher. Insgesamt gibt es in den Regionen, in denen das Unternehmen tätig ist, rund 15 Millionen anschließbare Haushalte. Die neuen Geschäftsfelder Breitband-Internet und Telefondienste via Kabel beinhalten weiteres Wachstumspotenzial, da Deutschland beim Breitband-Internetzugang im internationalen Vergleich zurückliegt. Ende 2004 verfügten in Deutschland lediglich 17,5 Prozent der Privathaushalte über einen schnellen Internetzugang, während es in den Niederlanden zum gleichen Zeitpunkt 44,7 Prozent waren. Nach Schätzungen der OECD wird die Breitband-Technologie bis zum Jahr 2011 mit einem Drittel zum Produktivitätszuwachs in den Industrieländern beitragen, woraus sich auch für das Wachstum der deutschen Wirtschaft und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit weit reichende Konsequenzen ergeben. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll deshalb bis 2010 mindestens die Hälfte der deutschen Haushalte mit Breitbandanschlüssen ausgestattet sein. Es ist zu erwarten, dass der BreitbandInternetzugang via Kabel in den nächsten Jahren einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hat und den Qualitäts- und Preiswettbewerb zwischen den verschiedenen Infrastrukturalternativen kräftig ankurbeln wird. Gleiches gilt auch für den Bereich der Festnetztelefonie in Deutschland, der trotz Deregulierung selbst heute noch von der Deutschen Telekom beherrscht wird. Breitbandpenetration (% aller Haushalte) 52% 41% 33% 25% 19% 13%
BB-Kunden (m)
2003
2004
2005
4,3
6,9
9,5
2006
12,5
2007
2008
15,5
19,6
Abb. 7. Breitbandpenetration in Deutschland 2
2
Quelle: J.P. Morgan, Kepler Equities Research 4/2005
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Bandbreite/ Leistung
HDTV
Real VoD
Interaktives Fernsehen
Push Video on Demand Digitales Pay-TV
Digitales Free-TV mit mehr Sendern
EPG & PVR1)
HighspeedInternet Analoges Free-TV Gestern
Telefonie über Kabel Heute
Morgen
1) EPG = Elektronischer Programmführer PVR = Persönlicher Videorekorder (Festplattenrekorder)
Interaktivität
Abb. 8. Strategischer Produktausblick
Zusammenfassung Die richtige Unternehmensstrategie und ihre effiziente operative Umsetzung sind entscheidend, um erfolgreich am Markt agieren zu können. Mehr denn je spielt die IT dabei eine bedeutende Rolle. Um den Kunden schneller, flexibler und innovativer bedienen zu können, ist es notwendig, die Mitarbeiter des Unternehmens mit den entsprechenden Systemen, Kommunikationsmöglichkeiten und Daten auszustatten. Der Mehrwert einer IT wird heute zunehmend an ihrem Beitrag am Geschäftserfolg gemessen. IT-Innovationen müssen letztendlich dazu führen, die Service- und Reaktionsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern, die Unternehmensprozesse zu optimieren und die Kosten zu senken. Dies ist teilweise und temporär über normale, schrittweise Verbesserungen erreichbar: Aber nur über neue, innovative Ansätze, die oft technologischen Ursprung haben, kann man dieser Herausforderung begegnen. Dabei darf der Kunde nie aus den Augen verloren werden: Es gilt, den IT-Fortschritt in tatsächlichen Kundennutzen umzuwandeln. In diesem Sinne arbeitet Kabel Deutschland daran, mehr Interaktivität und Leistung in das Kabelnetz einzubringen.
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Als Ergebnis dieser unternehmenskritischen Anforderungen muss die IT sich heute sehr viel stärker an den auf den Kunden gerichteten Geschäftsprozessen orientieren. War es in den vergangenen zwei Jahrzehnten noch Usus, dass die IT wie ein eigenes Königreich im Unternehmen regierte – der Unternehmensbereich musste zunächst die IT-Sprache erlernen und detailliert Anforderungen und deren Notwendigkeit erläutern, um die entsprechende IT-Unterstützung zu erhalten –, so hat sich die Welt gedreht: Die IT muss heute als Daseinsberechtigung im Unternehmen aktiv das Geschäft mit vorantreiben und die daraus resultierenden Anforderungen verstehen: die IT als Dienstleister für interne Kunden. Nur wenn dieses Verständnis gegeben ist, kann die IT durch Innovationen helfen, die Unternehmensprozesse zu optimieren und hilft damit letztendlich den Kundenservice zu erhöhen.
Innovatives Reporting im Konzern Deutsche Post World Net
Peter Mißler, Zentralbereichsleiter Rechnungswesen und Reporting Deutsche Post World Net Christoph op de Hipt, Abteilungsleiter Deutsche Post World Net
Zusammenfassung Mithilfe eines hochmodernen, konzernweit eingesetzten Konsolidierungs-, Informations- und Planungssystems können die „Kapitäne“ der Deutschen Post World Net den Konzern auf dem Weg zu seinen globalen Zielen auf Kurs halten. CREST – das Common Reporting System – wurde im August 2004 als Forecast- und Planungssystem eingeführt und wird seit Januar 2005 für das Berichtswesen im gesamten Konzern eingesetzt. Durch die Bündelung von Finanzinformationen mit anderen Key Performance Indicators (KPIs) können Führungskräfte wie ein Kapitän auf der Kommandobrücke CREST als Navigations- und Informationsinstrument nutzen, um das Schiff Deutsche Post World Net mit der richtigen Geschwindigkeit in die richtige Richtung zu bewegen. CREST ermöglicht ihnen zwar keinen detaillierten Einblick in die Prozesse im „Maschinenraum“, aber sie erhalten die wichtigsten Informationen, die sie brauchen, um das „Schiff“ sicher auf Kurs zu halten. Mehr als 2000 geschulte Anwender haben weltweit direkten Zugriff auf CREST, um Daten in das System einzuspeisen oder zu analysieren.
Ausgangslage Mit der gebündelten Kompetenz ihrer Marken Deutsche Post, DHL und Postbank bietet die Deutsche Post World Net-Gruppe integrierte Dienstleistungen und maßgeschneiderte, kundenbezogene Lösungen für das Ma-
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Peter Mißler, Christoph op de Hipt
nagement und den Transport von Waren, Informationen und Zahlungsströmen durch ihr multinationales und multilokales Know-how und Netzwerk. Deutsche Post World Net ist zugleich führender Anbieter für DialogMarketing sowie für effiziente Outsourcing- und Systemlösungen für das Briefgeschäft. In 2004 erwirtschafteten 380 000 Mitarbeiter in über 220 Ländern und Territorien einen Umsatz von rund 43 Milliarden Euro. Das EBITA (Ergebnis vor Zinsen, Ertragssteuern und Goodwill-Abschreibungen) erreichte 3,4 Milliarden Euro. Der Konzern ist in die Segmente Mail, Express, Logistik und Finanzdienstleistungen unterteilt. Diese Segmente setzten sich insgesamt aus rund 700 legalen Gesellschaften mit etwa 1400 zu konsolidierenden Einheiten zusammen.
Abb. 1. Übersicht Deutsche Post World Net
Deutsche Post World Net ist in den vergangenen Jahren durch mehr als 100 Akquisitionen erheblich gewachsen. Die Herausforderung der Post Merger Integration bestand/besteht darin, die Zukäufe, wie Danzas, DHL, Airborne etc. neben der Integration der Marken und Netzwerke – also des operativen Geschäfts – auch in die internen Dienstleistungsprozesse der Muttergesellschaft zu integrieren. Für den Bereich des Finanz- und Rechnungswesen waren hiervon insbesondere der monatliche/quartalsweise Reporting-Prozess aber auch der konzernweite Planungs- und Forecast-Prozess bis hin zur Harmonisierung
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der transaktionalen Buchhaltung, der Treasury-/Cash-ManagementProzesse etc. betroffen. Darüber hinaus mussten im Rechnungswesen neue Anforderungen aus den Bereichen IFRS1 (zum Beispiel Trennung verzinsliche/unverzinsliche Vermögensgegenstände, Trennung in kurzfristige und langfristige Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten; Fälligkeiten) und Bilanzrechts/Bilanzkontrollgesetz (durchgängige Transparenz) erfüllt werden. Vom Kapitalmarkt werden immer weitere Transparenzanforderungen gestellt, die mit qualitativ hochwertigen und zeitnahen Informationen erfüllt werden müssen (zum Beispiel vor dem Hintergrund der SOX2 Diskussionen). Im Geschäftsbericht werden unter anderem die Umsatzerlöse nach Regionen/Subregionen dargestellt sowie weitere Kennzahlen wie Return on Equity, Working Capital oder Nettoverschuldung. Um all diesen Herausforderungen im Finanz- und Rechnungswesen gerecht zu werden, wurden verschiedene Projekte und Maßnahmen ins Leben gerufen, die aufeinander abgestimmt die Neuausrichtung des Finanzbereichs ermöglichten. Parallel zum Umbau der Finanzorganisation des Konzerns wurde die in den folgenden Kapiteln vorgestellte Systemimplementierung eines einheitlichen Reporting- und Planungssystems CREST als Transformationsprojekt initiiert.
Das Common-Reporting-System
Prozess und Funktionalität Im Rahmen des CREST-Projekts hat das Projektteam in enger Abstimmung mit den fachverantwortlichen Controlling-Bereichen eine einheitliche Konzeption für die Planung und das Berichtswesen erarbeitet, die eine Durchgängigkeit vom Konzern bis auf Landesebene sicherstellt. Neben einer Abbildung des Ist-Reportings im Rahmen der Monats-, Quartals- und Jahresabschlüsse sieht die Lösung ferner eine Unterstützung der jährlichen Budgetplanung sowie der rollierenden Forecasts vor. 1
2
IFRS: International Financial Reporting Standards, IAS: International Accounting Standards Der Sarbanes-Oxley Act (SOX) nimmt die Unternehmensleitung stärker für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Angaben bei der quartalsweisen und jährlichen Berichterstattung in die Pflicht.
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Peter Mißler, Christoph op de Hipt
Abb. 2. Management-Dimensionen in CREST
Funktional deckt die Anwendung CREST sowohl die extern relevante Konzernkonsolidierung, die primäre und sekundäre (das heißt geografische) Segmentberichterstattung, eine interne, für Management-Zwecke relevante Konsolidierung als auch vom Kapitalmarkt erwartete Zusatzinformationen sowie entsprechende Reporting-Funktionalitäten ab. Hierzu bildet CREST die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV), die Bilanz, die statistischen Daten und Key-Performance-Indikatoren sowie eine CashflowRechnung ab. Der Kontenrahmen enthält mehr als 450 Gewinn- und Verlustrechnungskonten, 350 Bilanzkonten, 500 statistische Positionen und ist für alle Konzerngesellschaften verbindlich. Im Bereich der statistischen Positionen werden sowohl konzernweite Kennzahlen als auch divisionsspezifische Informationen abgefragt, sodass eine meldende Einheit deutlich weniger als die etwa 500 Positionen erfüllen muss. Darüber hinaus wird eine Vielzahl von Steuerungsgrößen automatisch auf Basis der Meldedaten berechnet. Ergänzend zum Kontenrahmen bildet die Lösung verschiedene weitere Dimensionen ab, die aus Management-Sicht relevant sind, zum Beispiel Produkte, Funktionen oder Kunden. Diese Dimensionen bilden eine multidimensionale Datenbasis; das heißt, sie spannen einen mehrdimensionalen Datenraum auf. Diese Management-relevanten Dimensionen werden nicht konsolidiert, die Daten liegen ausschließlich in aggregierter Form vor und
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beziehen sich im Wesentlichen auf die Gewinn- und Verlustrechnung sowie auf statistische Positionen. Produkte werden durch die einzelnen Divisionen definiert, während die Elemente in der Funktionsdimension gemeinschaftlich durch Konzernzentrale und Divisionen bestimmt werden. Die Kundendimension wird verwendet, um Transparenz über Schlüsselkunden zu erhalten. Technologie und IT-Architektur Die gewählte technische Lösung basiert auf der „SAP Strategic Enterprise Management“(SEM)-Plattform. Sie baut auf einer bereits zuvor für das externe Konzern-Reporting bestehenden Applikation auf. Eine aufwendige Software-Auswahl konnte somit entfallen. Die Applikation besteht im Kern aus der SAP SEM Suite, das heißt aus den Modulen BPS (Business Planning & Simulation), BCS (Business Consolidation System) und BW (Business Warehouse) als Data-WarehouseKomponente. Hinzu kommen BEx Explorer und BEx Analyser 3als Datenansichtsund Datenauswertungswerkzeuge, die aufgrund der bekannten MicrosoftExcel-Oberfläche für den Standardnutzer eher leicht zu bedienen sind. TM1 bietet als Zusatzwerkzeug eine benutzerfreundliche Oberfläche für Analysen auf einer komprimierten Datenbasis mit verkürzten ReportLaufzeiten und einer deutlich reduzierten Komplexität in der Reporterstellung. Meldedaten (insbesondere Ist-Daten) werden über eine konzernweit einheitlich definierte Schnittstelle in die Applikation geladen. Hierzu wurde ein „Extraction Transformation Load“(ETL)-Werkzeug entwickelt, das neben einer Prüfung des korrekten Schnittstellenformats auch fundamentale Datenqualitätsprüfungen vornimmt. Werden die im ETL-Werkzeug definierten Mindestanforderungen nicht erfüllt, wird der Upload – oder zumindest Teile davon – nicht zugelassen. Zu diesen Prüfungen zählen zum Beispiel eine Validierung der verwendeten Stammdaten sowie die Prüfung, ob ausschließlich zulässige Daten(sätze) geliefert wurden, da bestimmte Einheiten nur spezifische Felder füllen dürfen, zum Beispiel gemäß ihrer Divisionszugehörigkeit (so genannte Semantik Checks).
3
BEx Explorer und BEx Analyser sind Werkzeuge des SAP-Systems.
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Abb. 3. IT-Architektur
Die Applikation ist webfähig und vollständig in das bestehende Intranet integriert. Dadurch bedarf es nahezu keiner dezentralen Installation. Jeder Nutzer benötigt lediglich einen Intranetzugang sowie einen WindowsTerminal-Klienten, der von einer Intranetseite heruntergeladen werden kann. Alle Systemkomponenten werden zentral betrieben, was die lokalen Systemanforderungen und den Administrationsaufwand minimiert. Organisation Aufgrund der Konzernhistorie sind in der Vergangenheit verschiedene, sehr heterogene Systemplattformen für Planung und Reporting genutzt worden. Viele Abteilungen/Organisationseinheiten waren involviert und mussten teilweise sehr aufwendige manuelle Abstimmungsprozesse unterstützen. Im Ergebnis waren eine große Anzahl von Mitarbeitern in verschiedensten Lokationen und Organisationseinheiten mit der Betreuung der Anwendungen für Reporting sowie Planung/Forecast befasst. Zu den Altbereichen gehörten Abteilungen in Basel, Brüssel, Rotterdam und Bonn. Auf Basis der neuen Lösung erfolgte eine konzernweite Zusammenfassung der für die Betreuung zuständigen Organisationseinheiten in eine zentrale Abteilung. Durch die Plattformkonsolidierung und die dadurch erzielte, deutlich erhöhte Effizienz sank der Personalbedarf für die Applikationsbetreuung insgesamt signifikant. Da es sich um eine inhaltlich fachliche Applikationsbetreuung mit hoher Wichtigkeit für das externe Reporting eines börsennotierten Großkonzerns handelt, wurde die neu geschaffene Abteilung dem Zentralbereich Rechnungswesen und Reporting im Vorstandsressort Finanzen zugeordnet.
Innovatives Reporting im Konzern Deutsche Post World Net
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Innovation im Reporting- und Planungsprozess CREST ist eine der wenigen global und konzernweit eingesetzten Applikationen. Aufgrund dieser Eigenschaft hatte die Einführung von CREST signifikante Auswirkungen auf die Finanzorganisation sowie die entsprechenden Reporting- und Planungsprozesse. Im Folgenden eine kurze Darstellung der wesentlichen Prozessinnovationen. Neue Steuerungsstruktur im Bereich Finanzen Die Einführung der Anwendung CREST schaffte die Voraussetzung für die Umsetzung einer neuen Führungsstruktur im Finanzbereich des Konzerns. Diese zeichnet sich vor allem durch eine klare Zuordnung der Finanzfunktionen unter dem Verantwortungsbereich des Finanzvorstandsressorts aus. Das heißt, es gibt eine direkte, führende Berichtslinie von den Finanzressorts in den Ländern in den Finanzbereich der Zentrale. Ferner hat der Konzern eine klare Aufgabenabgrenzung von Controlling und Rechnungswesen vorgenommen, das heißt, das Rechnungswesen fungiert unter anderem als interner Dienstleister für das Controlling, indem alle relevanten Daten, die die Grundlagen für die Analysen des ControllingBereichs bilden zur Verfügung gestellt werden. Die Anwendung CREST fungierte in diesem Zusammenhang als Katalysator für den Veränderungsprozess, da CREST folgende Punkte ermöglichte • Vollständige Transparenz für die Konzernzentrale durch direkte Anbindung der Finanzbuchhaltungs- und Kostenrechnungssysteme aller relevanten Management-Einheiten • Einheitliche Datenstruktur als Voraussetzung für eine Kommunikation zwischen Konzernzentrale und Länderorganisationen • Vereinheitlichung von Methoden, zum Beispiel Overhead-Allokation, die ebenfalls die Transparenz erhöhen und Voraussetzung für die Kommunikation zwischen Konzernzentrale und Länderorganisationen sind Integration von internem Reporting, externer Berichterstattung und Konzernplanung bis auf Länderebene Erstmalig erreichte der Konzern eine Integration des internen Management-Reportings mit den Anforderungen der externen Berichterstattung und eine gleichzeitige Einbettung der Konzernplanung bis auf Länderebene.
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Peter Mißler, Christoph op de Hipt
Voraussetzung war eine konzernweite Ablösung von nicht integrierten Insellösungen mit zum Teil erheblichen manuellen Prozessen, die sowohl im Bereich des internen und externen Reportings als auch in den Planungsund Forecast-Prozessen 4 anzutreffen waren. Basis für die Bereitstellung einer integrierten konzernweiten Applikation CREST, die sowohl internes Management-Reporting, externes Berichtswesen als auch Planung und Forecast gleichermaßen unterstützt, ist eine Vereinheitlichung der für diese Prozesse genutzten Datenstrukturen. Das heißt, dass Planung und Forecast-Prozesse dieselbe Datenstruktur nutzen wie die Ist-Reporting-Prozesse. Dabei wird im Planungs- oder Forecast-Prozess jedoch nicht jedes Datenelement gefüllt. Abhängig vom Anlass planen die Reporting-Einheiten lediglich bestimmte Blöcke von Datenelementen per Konvention. Auf diese Weise lassen sich wiederum Planung/ Forecast- und Ist-Daten (ab einer selbst definierten Aggregationsebene) ohne Weiteres miteinander vergleichen. Gleichzeitig aber ist das System so konfiguriert, dass es für die Planung durchaus möglich ist, eine zukünftige Struktur (zum Beispiel eine künftige Konzernstruktur) abzubilden und somit die Belange der Planung besser zu unterstützen. Ablösung der Vorkonsolidierung von Teilkonzernen und Umsetzung des Fast Close Im Zuge der CREST-Einführung wurde die in der Vergangenheit vorhandene Teilkonzernkonsolidierung abgelöst. Diese Teilkonzernkonsolidierung führten die einzelnen Unternehmensteile/Teilkonzerne auf verschiedenen Systemen mit zum Teil unterschiedlichen Methoden durch. Jetzt erfolgt nur noch eine Konsolidierung unter Einbeziehung aller Einzelabschlüsse. Dies führte neben einer erhöhten Transparenz auf Konzernebene auch zu einem Zeitgewinn im monatlichen Abschluss- und ReportingProzess. In diesem Zusammenhang bestand die Herausforderung für die Konzernberichterstattung in der zeitlichen Harmonisierung der Monatsabschlüsse über den gesamten Konzern. Hierzu gab es projektflankierend weitere Initiativen, die einen monatlichen Fast Close in den Buchhaltungssystemen sicherzustellen hatten. Durch das inhaltliche und zeitlich abge4
Der Prozess umfasst die Mittelfristplanung mit einem Horizont von drei Jahren sowie die Budgetplanung des Folgejahres. Der Forecast- (Hochrechnungs-) Prozess bildet mehrmals pro Jahr eine Einschätzung auf das Ergebnis des Jahresendes ab.
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stimmte Zusammenfassen der einzelnen Abschlüsse sämtlicher relevanter Berichtseinheiten konnten auch erstmalig zentrale Prozesse divisionsübergreifend durchgeführt werden. Hierzu gehörte unter anderem eine divisionsübergreifende Overhead-Verteilung. Ferner erfolgt nun eine Abfrage und Konsolidierung des gesamten Reporting-Pakets, das heißt, es gibt nun keine Unterschiede mehr hinsichtlich der Detailtiefe der Monats-, Quartals- oder Jahresabschlüsse einzelner Einheiten. Erfolgreiche Balance zwischen Konzernharmonisierung und Flexibilität für die Geschäftsbereiche Die für CREST erstellten Fachkonzepte sahen von vornherein vor, ein aus Konzernsicht notwendiges Maß an Harmonisierung zu erzielen, gleichzeitig aber auch den Divisionen und Business Units die erforderliche Flexibilität bereitzustellen. Hierzu gibt es eine Vielzahl von Beispielen, von denen hier nur einige ausgewählte Punkte genannt seien. • Flexibler Kontenrahmen: Bei der Entwicklung des konzerneinheitlichen Kontenplans wurde ein so genannter „Green Field“-Ansatz gewählt. Ausgehend von einem leeren Blatt Papier, hat das CREST-Projektteam auf Basis von IAS/IFRS-Anforderungen stufenweise einen neuen Kontenplan erarbeitet. Neben den Minimalanforderungen der Konzernzentrale wurden ferner Divisionsspezifika und im nächsten Schritt regionale Mindestanforderungen eingearbeitet. Die einzelnen Konten des Konzernkontenplans haben eine zehnstellige Kontonummer. Der Konzernkontenplan gibt dabei die ersten sechs Stellen verbindlich vor. Die verbleibenden vier Stellen geben den nötigen Spielraum für lokale Anforderungen, die zum Beispiel durch Landesrecht zu erfüllen sind. Durch diese gewählte Vorgehensweise erarbeitete das Projektteam einen Konzernkontenplan, der einen sehr guten Kompromiss hinsichtlich größtmöglicher Harmonisierung bei gleichzeitiger lokaler Flexibilität ermöglicht. Von daher ist dieser Konzernkontenplan als Vorgabe in sämtlichen bestehenden Buchhaltungssystemen durch die lokale/regionale Finanzorganisation innerhalb eines sehr engen Zeitraums verbindlich umzusetzen. Der erhebliche Vorteil nach einer vollständigen Umsetzung in den ERP-Systemen im Konzern ist eine deutliche Verringerung von manuell zu pflegenden Mappings (Zuordnungen von lokalen Konten der Buchhaltung auf die vorgegebenen Konzernkonten) sowie eine deutlich gesteigerte Transparenz über alle Unternehmensteile, da neben einer einheitlichen Kontonummer auch eine einheitliche Definition weltweit gegeben ist. So ist zum Beispiel das Konto „Zinsaufwendungen von Dar-
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lehen von fremden Kreditinstituten“ künftig in allen Buchhaltungssystemen eindeutig und zwar sowohl von der Kontonummer als aber auch vom gebuchten Inhalt. • Alternative Hierarchien innerhalb der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV): Da sich die Steuerungslogiken der einzelnen Geschäftseinheiten/Geschäftsfelder fundamental unterschieden, erlaubte die Konzernzentrale den Einheiten alternative Aggregationshierarchien auf Basis der von allen verwendeten GuV-Konten zu definieren. Dieses Vorgehen stellte eine einheitliche Sprache im Konzern (eine verbindliche GuVStruktur für die Konzernkommunikation, eine Menge von für alle verbindlichen GuV-Detailkonten Datenerfassungsebene) sicher, aber auch die erforderliche Flexibilität in der GuV-Struktur (= Steuerungslogik) der Divisionen und Geschäftseinheiten/Geschäftsfeldern. • Harmonisierung der „Indirekten Funktionen“: Konzeptionell teilt sich die Funktionsdimension in zwei Bereiche. – Direkte Funktionen: Diese werden eigenständig von den Geschäftseinheiten/Geschäftsfeldern definiert, da sie ausschließlich von dem jeweiligen Geschäftsmodell abhängig sind. – Indirekte Funktionen (zum Beispiel Personal-Management, Rechnungswesen, Controlling, Einkauf, Flotten-Management): Für die indirekten Funktionen definierte das Projektteam für den Konzern einen Mindeststandard, das heißt eine fest definierte Struktur, in die sich eine weitere divisionsspezifische Detaillierung dieser Funktionen N:1 einfügen muss. Dadurch ist sichergestellt, dass auf Konzernebene eine Mindesttransparenz für indirekte Funktionen über alle Divisionen und Konzerneinheiten hinweg gegeben ist. Beispielsweise können hierdurch die Konzerngesamtkosten der Funktion Rechnungswesen durch einen Konzern-Controller in CREST ermittelt werden. Ähnliches ist für die Dimensionen Produkt und insbesondere Kunde denkbar. Die Ausprägungen der Dimensionen Produkt und Kunde sind im Gegensatz zur Funktionsdimension vollständig divisionsspezifisch. • Konzerneinheitliche und Divisions-/Business-Unit-spezifische KPIs 5: Ähnlich dem Ansatz für die Funktionsdimension sieht CREST neben den konzernweit vereinheitlichten KPIs (Minimumset) die Definition weiterer divisions-/geschäftseinheitenspezifischer KPIs vor. Um eine KPI-Doppelung zu verhindern und ein Ausufern der Anzahl an KPIs zu vermeiden, müssen die Divisionen und Geschäftseinheiten ihre Ände5
Key Performance Indicator (KPI): bezeichnet Kennzahlen anhand derer man den Fortschritt oder den Erfüllungsgrad hinsichtlich wichtiger Zielsetzungen oder kritischer Erfolgsfaktoren innerhalb einer Organisation messen und/oder ermitteln kann
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rungsanforderungen jedoch im Rahmen eines konzernweiten ChangeRequest-Prozesses einbringen und zur Diskussion stellen. • Flexibler Planungsprozess: Der Planungsprozess wurde erstmalig über alle Divisionen harmonisiert. Er bietet dennoch ausreichend Flexibilität für die einzelnen Geschäftsbereiche. Aus Konzernsicht definierte das Projektteam in Zusammenarbeit mit den verantwortlichen ControllingAbteilungen eine Reihe von Standardplanungsanlässen sowie die für diese Planungsanlässe erforderliche minimale Planungstiefe. Alle von der Planung betroffenen Organisationseinheiten müssen diese Mindestanforderungen erfüllen. Darüber hinaus steht es jedoch den Einheiten frei, weitere Planungsanlässe vorzusehen, von den planenden Einheiten weitere Details einzufordern oder zusätzliche Vorgaben hinsichtlich der Abstimmprozesse auf Zwischenebenen zu machen. CREST selbst erlaubt einen monatlich rollierenden Forecast, der theoretisch bis auf das Detail eines Ist-Reportings gehen kann. Das System unterstützt weiter einen technischen Forecast, sowohl einen Top-down- als auch Bottomup-Planungsprozess, verschiedene Datenlieferstatus, die eine Abstimmung auf Zwischenebenen unterstützen (zum Beispiel Regionen, Business Units, Divisionen), eine Abbildung verschiedener Planversionen für einen Planungsanlass sowie stufenweise Sperrmechanismen. Dieses kaskadierte Vorgehen unterstützt in der Planung eine Abstimmung auf organisatorischen Zwischenebenen. Jede Division ist hierbei bezüglich des individuellen Planungskalenders im Rahmen der Konzernvorgaben frei. Gleichzeitig ist es aber jeder Einheit – auch nach einer Sperrung beziehungsweise dem „Einfrieren“ einer Planversion – weiterhin möglich, in einem anderen, hierzu bereitgestellten Bereich im System weiterhin Eingaben vorzunehmen, ohne die explizit abgeschlossenen Daten zu verändern. • Berücksichtigung von Abhängigkeiten: Die integrierte Systemplattform stellt die Berücksichtigung von betriebswirtschaftlichen Abhängigkeiten sicher, die zuvor in einer verteilten Systemlandschaft nicht erkannt und auch nicht abgebildet werden konnten. Beispielsweise zählt hierzu die Aggregation von divisionsspezifischen Ergebnissen unter Berücksichtigung interner Leistungsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Konzernteilen. Konzernweit einheitliche Stammdatenverwaltung Für das Projektteam bestand eine Herausforderung neben der durchgängigen Entwicklung eines einheitlichen Datenmodells im Aufzeigen und dem Zusammenführen der Verständnisunterschiede der einzelnen Unter-
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nehmensbereiche. Dieses unterschiedliche Verständnis resultierte zum einen aus teilweise sehr verschiedenen Unternehmenskulturen – durch den Zukauf von vielen neuen Einheiten im Konzern begründet – zum anderen aber auch durch regionale Unterschiede. Das im Rahmen der Fachkonzeption von den Projektbeteiligten erarbeitete Datenmodell bildet die Grundlage für das Reporting- und Planungssystem. Zur weiteren Konsistenzsicherung dieses zentralen Herzstücks der Anwendung CREST implementierte das Projektteam eine einheitliche Plattform für die Stammdatenverwaltung in Form einer relationalen Datenbank mit Web Frontend. Neben der automatisierten „Betankung“ des Systems CREST mit allen relevanten Stammdaten dient dieses Master Data Repository auch der Kommunikation des gesamten Datenmodells an alle Anwender des Systems, sowohl für die Datenlieferanten, so genannte Data Provider, als auch für die Reporting-Anwender. Gleichzeitig bildet dieses Datenmodell den Rahmen beziehungsweise die Vorgabe für die operativen Buchungs- und Kostenrechnungssysteme im Konzern. Das Datenmodell wird inhaltlich von einem zentralen Team gepflegt, das sich aus Vertretern aller divisionalen Controlling-Bereiche und der zentralen Bereiche des Konzernrechnungswesens und des KonzernControllings zusammensetzt. Neben dieser operativen Instanz des so genannten „Reporting Blueprint Development“-Teams wurde ein CRESTRelease-Board geschaffen, das über sämtliche Änderungen inhaltlicher und funktionaler Art entscheidet. Zu den inhaltlichen Anforderungen gehören die Pflege des einheitlichen Konzernkontenplans einschließlich der Notes und statistischer Positionen auch die Pflege der so genannten Unterkontierungstypen (Subitems), wie beispielsweise Bewegungsarten oder Anlageklassen und auch die relevanten Konsolidierungshierarchien (legale Hierarchie, ManagementHierarchie, Länderhierarchie). Des Weiteren werden die divisionsspezifischen Anforderungen wie zum Beispiel Produkte, Funktionen oder Kunden ebenfalls an zentraler Stelle gepflegt. Falls im Release Board keine Entscheidung getroffen werden kann, wurde als nächste und aber auch als letzte Entscheidungsinstanz das Finance Board definiert. Es ist das höchste Entscheidungsgremium unter Vorsitz des Finanzvorstands – neben dem Gesamtvorstand – und zuständig für sämtliche Finanzfragen im Konzern. Die Schaffung dieser Gremien stellt für den zentralen Pflegeprozess des Datenmodells sicher, dass sowohl Anforderungen der Konzernzentrale als auch divisionale Anforderungen gleichgewichtig Eingang finden. Ein weiterer Nutzen ist es, dass erstmalig eine vollständige Transparenz über die
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Steuerungsinhalte durchgängig über den Konzern gegeben ist. Durch diesen stringenten Prozess lassen sich sehr schnell Dopplungen und gegensätzliche Anforderungen vor Implementierung aufdecken und beseitigen. Durch nur eine Eskalationsstufe hin zum höchsten Entscheidungsgremium für Finanzfragen im Konzern ist darüber hinaus ein effizienter Prozess implementiert worden, der unnötige und ressourcenintensive Abstimmungsrunden weitestgehend vermeidet. Diese Vorgehensweise ist ein guter Kompromiss zwischen Schnelligkeit in der Umsetzung von Anforderungen einerseits und Konsistenzsicherung andererseits. Multidimensionale Auswertungsmöglichkeiten Basierend auf einem mächtigen und vor allem durchgängigen mehrdimensionalen Datenmodell ist es mit dem System CREST möglich, jede denkbare – sinnvolle – Kombination entlang der Dimensionsachsen auszuwerten.
Abb. 4. Multidimensionalität
So ist es zum Beispiel möglich, über die konsolidierte Gewinn- und Verlustrechnung des Konzerns sich auf die konsolidierten Umsätze der Divisionen zu navigieren, diese auf die aggregierten Werte überzuleiten und anschließend nach Regionen oder den einzelnen Umsätzen nach Produkten aufzureißen. Ebenso ist es möglich, den konsolidierten Aufwand durchgängig auf den nicht konsolidierten Aufwand überzuleiten und anschließend nach einer
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funktionalen Aufwandssicht, die einer Kostenstellensicht entspricht, die entsprechenden Organisationseinheiten zu analysieren. Neben der Definition von Standardberichten über alle Unternehmensebenen hinweg bietet diese OLAP6-Technik ein starkes Instrument für Adhoc-Analysen und Ausnahmeberichte.
Abb. 5. Potenzielle Analysepfade
Quantifizierung der Komplexitätskosten im Reporting Nichts ist umsonst! Auch Informationen bekommt man nicht geschenkt. Häufig wird bei Änderungsanforderungen bezüglich des Datenmodells die Frage gestellt: „Was kostet die Anpassung im zentralen Reporting- und Planungssystem?“ Diese Frage ist in der Regel schnell und mit einer recht genauen Aufwandsschätzung beantwortet. In den meisten Fällen kann eine solche Änderungsanforderung – sofern es sich um reine Stammdatenerweiterungen handelt – auch mit recht überschaubarem Aufwand umgesetzt werden. Bei dieser Betrachtung handelt es sich aber nur um den kleinsten Teil des anfallenden Aufwands. Wenn der Kontenplan um ein neues Konto erweitert wird, muss das Basissystem entsprechend angepasst werden. Für jedes Basissystem, in diesem Fall die Buchhaltung, ist der hier entstehende Aufwand ebenfalls durchaus überschaubar. Betrachtet man aber die gesamte hierzu nötige Prozesskette einschließlich der zu einer solchen Anpassung notwendigen zusätzlichen Aktivitäten, wird man in einem 6
OLAP: Online Analytical Processing wird unter anderem zu den analytischen Informationssystemen gezählt.
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Konzern mit vielen anzupassenden Basissystemen überrascht sein, wie hoch der gesamte Anpassungsaufwand tatsächlich ist. So muss neben der physischen Einrichtung eines solchen Kontos in den Buchhaltungssystemen unter anderem die Kontierungsrichtlinie angepasst werden, die Buchhalter über die Änderung instruiert werden und ab und zu sogar Belege oder Formulare angepasst werden. Für den Fall, dass beispielsweise ein bestehendes Konto in zwei neue aufgeteilt wird, ist unter Umständen ein Umbuchen der „Altwerte“ erforderlich. Oder aber der Konzern fordert eine erweiterte funktionale Sicht im Reporting-Datenmodell. Diese führt zu einer Anpassung der Kostenstellenstrukturen im Konzern. Auch hier fallen eine Vielzahl von Zusatzaktivitäten an, die neben der beschriebenen Anpassung des eigentlichen ERPSystems zum Teil sogar Anpassungen in vorgelagerten Prozessen und Systemen erfordert, zum Beispiel in den Rechnungsstellungs- oder Personalsystemen. Für ein ganzheitliches Verständnis von Komplexität reicht eine isolierte Betrachtungsweise von Anpassungen im Konzern-Reporting allein nicht aus. Denn in der Regel gilt, dass die operationalen Kosten/Aufwendungen ab einem bestimmten Punkt in Abhängigkeit von der Anzahl der Änderungen beziehungsweise die für das monatliche Reporting zu liefernden Datenpunkte überproportional ansteigen.
Abb. 6. Komplexitätskosten im Reporting
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Auf der anderen Seite sollte das Rechnungswesen den entstehenden Zusatznutzen jedes weiteren Datums kritisch hinterfragen. Was bringt es an zusätzlicher Transparenz, wenn bei zum Beispiel 1000 vorhandenen Konten noch ein weiteres Konto eingerichtet wird? Durch die Implementierung einer einheitlichen Plattform CREST sowie der zentralen Zusammenfassung und Vereinheitlichung der Pflegeprozesse ist es nun erstmalig möglich, über diese entstehenden „Änderungskosten“ eine gewisse Transparenz bis in die Vorsysteme hinein zu erhalten. Wir haben eine solche Komplexitätskostenstudie durchgeführt und sind für die verschiedenen Kategorien von Systemanpassungen auf erstaunliche Gesamtaufwendungen gestoßen, die wir nun in den Diskussionen von Änderungsanforderungen (Change Requests) berücksichtigen. Nutzen der Anwendung CREST Der grundsätzliche Nutzen der Anwendung CREST als einheitliches und zentrales Informations-, Konsolidierungs- und Planungssystem liegt darin, dass eine sehr hohe Transparenz über das wirtschaftliche Geschehen im Konzern geschaffen wird. Diese Transparenz liegt zum einen in der horizontalen Durchgängigkeit der Daten über die zum Teil sehr heterogenen Geschäftsmodelle der einzelnen Divisionen und zum anderen in der vertikalen Durchgängigkeit und „Drill Down“-Möglichkeit innerhalb der einzelnen Divisionen. Ein weiterer erheblicher Nutzen liegt in der Vereinheitlichung der im Konzern verwendeten Begriffsdefinitionen – wie zum Beispiel Earning before Interest and Tax (EBIT) oder Days Sales Outstanding (DSO) etc. – und Bewertungsvorschriften. Durch diese Vereinheitlichung der Kommunikation ist der Konzern einen weiteren Schritt in der Umsetzung der Strategie einer schlanken Führungsverantwortung vorangekommen.
Erfahrungen
Integrierte Teams Die Einführung des Systems CREST war im eigentlichen Sinne kein ITProjekt sondern ein Change-Management-Projekt. Die Erarbeitung der Fach- und Steuerungskonzepte erfolgte im ersten Schritt völlig losgelöst
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von systemtechnischen Restriktionen. Sehr wohl waren aber von Beginn an gemischte Teams an der Entwicklung der Fachkonzeption beteiligt, die von Anfang an eine sehr enge Verzahnung von den klassischen Fach- und IT-Funktionen gewährleistete. Die hierbei gebildeten Teams verstanden sich dabei als virtuelle Organisationseinheiten, die die jeweiligen Spezialisten für die anstehenden Aufgaben zusammenfassten. Dabei war es völlig egal, ob ein Teammitglied der einen oder anderen Linienorganisationseinheit zugeordnet war. Die einzelnen Teams hatten jeweils das gemeinsame Ziel, ein durchgängiges Ergebnis zu erarbeiten. Parallel zu der Erarbeitung der Steuerungskonzepte war es notwendig, sämtliche mit dem monatlichen Ist-Reporting sowie die für die Konzernplanung relevanten Prozesse über den gesamten Konzern zu harmonisieren. Komplexitäts-Management Ein zentrales Komplexitäts-Management und eine übergreifende Konsistenzsicherung sind unerlässlich. Die Komplexität des Systems muss aktiv gesteuert werden, um exponentiell wachsende Kosten zu verhindern. Gleichfalls muss das CRESTRelease-Board übergreifend sicherstellen, dass die erreichte Harmonisierung der Steuerungskonzepte nicht verloren geht und das Gesamtsystem, bestehend aus Konzept und technischer Abbildung, beherrschbar bleibt. Ein globales Projekt erfordert Mittler auf regionaler/lokaler Ebene, um einerseits zentrale Vorgaben bei der lokalen Umsetzung zu unterstützen und aber andererseits Ideen/Rückkopplungen aus den dezentralen und räumlich stark verteilten Organisationseinheiten sicherstellen zu können. Hierzu hat das Projekt CREST einen so genannten Satellitenansatz gewählt. Hierunter wurde die Implementierung einer regionalen Projektorganisation verstanden. Das zentrale Projektteam stellte den Regionalorganisationen qualifizierte Ressourcen zur Verfügung, die genau die Lücke zwischen dem zentralen Projektteam und den lokalen Linienverantwortlichen schloss und dabei eine bidirektionale Kommunikation koordinierte. Nur dieses Vorgehen stellte den globalen Roll-out des Systems einschließlich des Change-Managements in der vorgegebenen Zeit weltweit sicher.
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Qualitätssicherung Mit dem Going live des Systems baute der Rechnungswesenbereich projektbegleitend ein globales Qualitätssicherungsteam auf, welches inhaltliche Qualitätsmängel in den Datenlieferungen der dezentralen Einheiten gemäß den Fachvorgaben sehr eng überwacht, durch geeignete Maßnahmen umgehend beseitigt und eine Lernkurve der Fläche sicherstellt (Implementierung von qualifizierten Feedback-Prozessen). Mit dem Übergang von der Projektphase in die Linienverantwortung wurden die Aufgaben und Prozesse des QS-Teams weiter verfeinert. Bei sämtlichen Reporting-Anlässen – Monatsabschlüsse, Forecast- und Planungsanlässe – sind diese qualitätssichernden Maßnahmen dem Rechnungswesen zur selbstverständlichen Regelaufgabe geworden. Return on Investment Die Frage, ob eine Wirtschaftlichkeitsrechnung für die Implementierung eines solchen Systems sich anhand einer Investitionsrechnung bewerten lässt, kann kontrovers diskutiert werden. Auf der einen Seite brachte die Einführung von CREST sehr wohl Kosteneinsparungen (Abschaltung der bisher verwendeten vielfältigen Reporting-Systeme im Konzern) und Funktionalitätserweiterungen gegenüber der bisherigen Systemlandschaft. Anderseits wird dieser Effekt durch vergleichsweise hohe Investitionen zum einen sowie einer höheren Komplexität zum anderen teilweise wieder aufgezehrt. Neben der rein wirtschaftlichen Bewertung sind aber Aspekte wie Transparenz, Zuverlässigkeit, Durchgängigkeit, verbesserte Prozesse, Schnelligkeit etc. zu betrachten. Durch die Einführung eines geänderten und einheitlichen Steuerungskonzepts werden auch andere Arbeitsabläufe positiv unterstützt, die bei einer vollständigen Betrachtung nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Neben einer verbesserten Kommunikation – und hierdurch erreichten Steuerungseffizienz – sind auch ganz alltägliche Arbeitsprozesse betroffen. Vor der weltweiten Einführung von CREST waren jeden Monat sehr viele Controller im gesamten Konzern über sämtliche Ebenen hinweg nur mit der Aufgabe des Datenabgleichs beschäftigt – was steht in System A, und wie finde ich diese Zahl in System B wieder. Nach der Systemeinführung von CREST beschäftigt sich dieselbe Anwendergruppe mit den Inhalten der dargestellten Steuerungskonzepte anstatt mit dem permanenten Abgleich von Zahlen in unterschiedlichen Systemen.
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Ausblick Nach einer eineinhalbjährigen erfolgreichen Einführung des CommonReporting-Systems bietet es enorme Möglichkeiten, die nun vom Konzern genutzt werden müssen. Hierzu sind weitere Aktivitäten in verschiedenen Bereichen notwendig • • • • •
Vertiefen der Systemkenntnisse bei der Linienorganisation Trainings Laufende Aktualisierung des Systems Weiter gehende Harmonisierung von Methoden und Prozessen Einfache Abbildung von Zu- und Abgängen von Konzerngesellschaften
Unverzichtbares Element der erfolgreichen Systemeinführung und eines daraufhin folgenden Systembetriebs ist die volle Akzeptanz des CommonReporting-Systems und die weiter gehende Unterstützung der Linienorganisation in den Bereichen Rechnungswesen und Controlling. Hierzu muss das Rechnungswesen den Nutzen vom CREST weiterhin fortlaufend und auf allen organisatorischen Ebenen klar und einleuchtend vermitteln. Dieses Nutzenpotenzial wurde den Mitarbeitern durch intensive Trainings vermittelt. Bisher wurden aus dem Projekt heraus sowie der daraus entstandenen Linienorganisation mehr als 2500 Mitarbeiter geschult. Wiederholt haben wir festgestellt, dass bereits trainierte Mitarbeiter nicht nur deutlich effizienter mit dem System arbeiteten, sondern darüber hinaus auch deutlich zufriedener damit waren als nicht trainierte Mitarbeiter. Kritisch ist ferner die laufende Aktualisierung des Systems. Die Notwendigkeit zur Begrenzung der Komplexität haben wir bereits diskutiert. So besteht sicherlich die Notwendigkeit, Anforderungen kritisch zu prüfen („auch mal Nein sagen“). Wichtig ist jedoch auch, dass durch das sich ständig verändernde Unternehmensumfeld sehr hohe Flexibilitätsanforderungen nicht nur an das System, sondern auch an den Betreiber ergeben. Das System steht niemals still, sondern entwickelt sich mit einer Geschwindigkeit weiter wie kaum eine andere Anwendung im Konzern. Dies liegt vor allem daran, dass sich jegliche organisatorische Veränderung unmittelbar auf das Konzern-Reporting- und Konzernkonsolidierungssystem auswirkt. Dieser ständige Veränderungsprozess muss professionell gesteuert werden. Dazu gehören ein strikter Change-Management-Prozess, eine professionelle Stammdatenverwaltung, äußerst flexible Betriebsprozesse, die die laufenden Veränderungen nicht nur der Stammdaten, sondern auch der Funktionalität berücksichtigen sowie geschäftsbereichsübergreifende Gremien, die Veränderungen beschließen und zur Umsetzung an den Betreiber geben.
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Aufgrund der konzernweit erzielten Transparenz werden immer wieder Harmonierungsbedarfe identifiziert, beispielsweise Anpassungen der Allokationsmechanismen oder der internen Leistungsverrechnung von Services. Wir sind überzeugt, dass dieser Bereich mittelfristig weiterhin ein Schwerpunkt der Aktivitäten im CREST-Umfeld bleiben wird. Schließlich sehen wir aus aktuellem Anlass eine wichtige Aufgabe in einer möglichst einfachen, schnellen und unkomplizierten Abbildung von Zu- und Abgängen von Konzerngesellschaften. Angesichts der Wachstumsbestrebungen der Deutschen Post World Net und wahrscheinlicher weiterer Akquisitionen in verschiedenen Märkten wird dies – neben der fortlaufenden Aktualisierung des Systems – eine der Kernherausforderungen darstellen.
Praxisbeispiele: Innovation durch IT im Geschäftsmodell
Die elektronische Signatur als Rationalisierungsund Vertriebsinstrument für Banken
Anno Lederer, Vorstandsvorsitzender GAD eG Dr. Reinhold Pieper, Leiter Produktfeld Karten- und Sicherheitssysteme GAD eG
Neuer Sicherheitsstandard für Banken Die GAD eG ist das IT-Kompetenzcenter für rund 490 Volks- und Raiffeisenbanken im Norden und Westen Deutschlands, für die Zentralinstitute und weitere Unternehmen im genossenschaftlichen Finanzverbund sowie für Retail-Bankanwendungen (Bankanwendungen für das Privatkundengeschäft) im deutschsprachigen Raum. Seit über 40 Jahren entwickelt GAD zukunftsfähige bankenspezifische IT-Lösungen – von der Analyse über die strategische Beratung bis zur technischen Umsetzung. Mit „bank21“ bietet die GAD eG ein umfassendes Bankenverfahren für alle Themen im Retail-Geschäft sowie für die Betreuung von Firmenkunden. Mit bank21 wird eine vollständige Abdeckung der Bankprozesse durch IT-Anwendungen sichergestellt. Dadurch werden Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit der betreuten Banken erhöht und zukünftige Marktanforderungen bereits heute adressiert. Darüber hinaus entwickelt GAD zukunftsweisende Selbstbedienungsanwendungen für Bankkunden. Als Rechenzentrum und IT-Dienstleister ist die GAD eG Outsourcing-Partner für hochwertige und sichere Services und hat dabei mit innovativen Lösungen zusätzlichen Nutzen für die Banken und deren Kunden geschaffen, zum Beispiel • Bei der Anwendung „Cash & Go“ können Bankkunden ihre PrepaidHandys an Geldautomaten oder über das Internet-Banking der Volksbanken und Raiffeisenbanken aufladen. • Mit „Check online“ hat der Bankkunde über das Online-Banking jederzeit einen vollständigen Überblick über seine getätigten Kreditkartenumsätze.
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Anno Lederer, Dr. Reinhold Pieper
bank 21 Vertrieb
BB3 Kontoführung
Portal
Rating
Basis 21
Analysen DWH aCRM
Information Software Drucken ZV-Transfer
Kundeninformation Kreditberatung Bausparvertrag Depotanalyse SB-Manager
Geschäftsführung Marktbereich Betriebsbereich Grundfunktionen
Intranet Extranet Internet Mail, Kalender
Bilanzen Rating-Ergebnis …
Integration durch das Portal Zentraler Einstieg Eine Benutzeranmeldung Persönliche Konfiguration Eine Navigation Eine Benutzeroberfläche …
Abb. 1. Bankprozesse und Abdeckung durch bank21
Um den Erfolg der GAD eG und ihrer Mitglieder auch in Zukunft zu sichern, setzt das Unternehmen in seiner Strategie auf Kontinuität und Innovation. Alle Lösungen müssen den Banken und deren Kunden einen erkennbaren Nutzen bringen. Der Sicherheit der eingesetzten IT-Lösungen kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, wobei sich dies aber längst nicht nur auf die Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen beschränkt. Essenziell für den Geschäftserfolg der Banken ist das Vertrauen, das der Kunde in seine Bank hat. Durch die Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen, die einen nachweisbaren, dem jeweils aktuellen Stand der Technik genügenden Sicherheitsstandard erfüllen kann dieses Vertrauen nicht nur gefestigt, sondern konsequent ausgebaut werden. Hierbei zeichnet sich ein Trend deutlich ab: Die elektronische Signatur wird zukünftig der Sicherheitsstandard im Privat- und Firmenkundengeschäft der Volks- und Raiffeisenbanken sein. Dabei werden nicht nur die klassischen bankeigenen Geschäftsprozesse auf diese Technologie umgestellt, sondern es eröffnet sich für die Banken eine Vielzahl neuartiger Geschäftsfelder, die die Attraktivität der Bank weiter stärken.
Grundlagen Mit der elektronischen Signatur werden die Eigenschaften einer eigenhändigen Unterschrift auch für elektronische Dokumente abgebildet. Dies geschieht technisch mit Public-Key-Verfahren, mathematisch-kryptografi-
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schen Verfahren aus der Klasse der so genannten asymmetrischen Verfahren, bei denen zur Unterschriftsbildung beziehungsweise -verifikation ein Schlüsselpaar – bestehend aus einem privatem Schlüssel (Private Key) und einem dazugehörigen öffentlichen Schlüssel (Public Key) – verwendet wird. Der private Schlüssel darf nur dem Besitzer bekannt sein, der öffentliche Schlüssel muss dagegen für jedermann zugänglich sein. Darüber hinaus sind auch so genannte Zertifizierungsstellen notwendig. Diese sollen gewährleisten, dass jede digitale Signatur nur einem Teilnehmer zugeteilt wird, Echtheit und Urheberschaft der Signatur jederzeit überprüfbar und die Unverfälschtheit der Daten feststellbar ist. Aus diesem Grund ist es dringend erforderlich, dass diese Instanzen absolut zuverlässig arbeiten und die notwendigen Sicherheitsanforderungen erfüllen. Generell werden je nach Sicherheitsstufe drei Arten von Signaturen unterschieden • die einfache Signatur • die fortgeschrittene Signatur • die qualifizierte Signatur Die qualifizierte elektronische Signatur bietet die höchste Sicherheit und ist die einzige, die der eigenen Unterschrift gleichgesetzt werden kann. Zur Beweissicherung wird die qualifizierte Signatur mit einem Zeitstempel versehen. Die technischen und gesetzlichen Grundlagen elektronischer Signaturen sind mittlerweile so weit ausgereift, dass ein Einsatz in Bankprozessen möglich ist. Die Gleichstellung und Gleichwertigkeit von (qualifizierter) elektronischer Signatur und manueller Unterschrift ist im Signaturgesetz und weiteren Vorschriften geregelt. Mit dem ersten Änderungsgesetz vom 4. Januar 2005 wurde dieses an die Belange der Banken angepasst. Dadurch ist es jetzt möglich, für die seitens des Gesetzgebers zwingend notwendige Registrierung von Bankkunden (Zertifikatsinhabern) auf bereits in den Banksystemen erfasste Kundendaten zurückzugreifen. Dies schafft die Voraussetzung, dass der Prozess der Kundenregistrierung als sinnvolle Ergänzung zu den bestehenden Bankprozessen Kundenanlage, Kontenanlage, Kartenbestellung etc. abgebildet und eine Doppelerfassung von Kundendaten vermieden werden kann. Durch das flächendeckende Filialnetz der Volks- und Raiffeisenbanken verfügt der Finanzverbund daher über eine ideale Ausgangsposition für eine breitflächige Ausbringung von qualifizierten Zertifikaten.
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HBCI 2.0.1 (Diskette) EC-PIN PIN/TAN (Bögen) EC-Cash offl.
Typ 0 (seit 1996) VR BankCard, WK, HK
Geldkarte SECCOS 4.0 (Typ 1) VR BankCard, WK, HK
STARCOS VR NetworldCard
HBCI 2.1 (Chipkarte)
HBCI 2.2 (Chipkarte)
SECCOS 5.0 alle Kartenprodukte
EMV Debit Sm@rtTAN
HBCI 3.0 (VRNWC) EMV Credit
Browser-Plugin für Cipkarte
Sm@rtTAN plus
Qualifizierte Signatur
SECCOS 6.0 alle Kartenprodukte
1999
2001
HBCI 4.0 EC EMV
2004
2008
Abb. 2. Entwicklungspfad der elektronischen Signatur
Mehr als das klassische Bankgeschäft Die Volks- und Raiffeisenbanken bieten seit Kurzem Services, die weit über das klassische Bankgeschäft hinausgehen. Dieser Schritt ist aus strategischer Sicht sehr wichtig. Zum einen wird die Konkurrenz der Nearund Nonbanks stetig größer. Zum anderen drängt der Handel verstärkt in Bereiche, die bislang klassisch der Kreditwirtschaft vorbehalten waren. Angesichts dieser Marktveränderungen ist eines sehr deutlich: So wie bisher werden die Banken sich nicht mehr erfolgreich positionieren können. In Teilbereichen des Bankgeschäfts wird es fundamentale Änderungen der Geschäftsmodelle geben, das steht heute bereits fest. Zukunftsforscher prognostizieren sogar, dass Banken sich zu Life Companions, so genannten Lebensbegleitern, entwickeln werden. Und da decken Leistungen wie die Kreditvergabe, die Anlageberatung oder die bloße Abwicklung des Zahlungsverkehrs nur noch einen Bruchteil des gesamten Leistungsspektrums ab. Wollen sich Banken also zukünftig am Markt behaupten, werden sie völlig neue Wege gehen müssen. Ein erster Schritt ist es, den Kunden mit einem attraktiven Mehrwert zu gewinnen und zu binden. Für neue Ideen bieten sich Volks- und Raiffeisenbanken geradezu an, denn:
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• Mit mehr als 14 000 Bankstellen verfügen sie über das zweitgrößte Vertriebsnetz in ganz Deutschland. • Allein im Geschäftsbereich der GAD sind 15 000 SB-Geräte wie Kontoauszugsdrucker und Geldautomaten in Betrieb. • Annähernd jede vierte Bankkarte in Deutschland wird von einer Volksund Raiffeisenbank ausgegeben, das sind allein im Geschäftsgebiet der GAD über elf Millionen „VR BankCards“ (EC-Karten) und circa 750 000 Kreditkarten, die überwiegend mit Chip ausgestattet sind. • Circa 22 Prozent der Kunden von Volks- und Raiffeisenbanken nehmen am Online-Banking teil. Wesentliche Zielsetzung der GAD ist die Verbesserung der Effizienz in den Bankprozessen durch gezielten Einsatz von IT-Anwendungen sowie die Bereitstellung innovativer Services als Differenzierungsmerkmal für die angeschlossenen Banken. Neben den oben genannten Mehrwerten werden zurzeit weitere Anwendungen pilotiert beziehungsweise stehen kurz vor der Produkteinführung. • Bei „TicketService“ wählt der Kunde am Geldautomaten oder im Internet eine Veranstaltung inklusive Platzauswahl, Vergünstigung und dergleichen aus und bezahlt sie auch hier. Das Ticket bezieht er über einen Kontoauszugsdrucker. • Mit dem „eTresor“ ermöglichen genossenschaftliche Banken ihren Kunden, deren wichtigste digitalisierte Dokumente und Dateien im gesicherten Banking-Umfeld zu hinterlegen. In dieses Bild passt dann auch sehr gut die Vorstellung von der Bank als Anbieter von innovativen Sicherheitslösungen für diejenigen Kunden, die verstärkt elektronische Medien nutzen, um nicht nur ihre Bankgeschäfte, sondern über das Internet ihren gesamten elektronischen Geschäftsverkehr abzuwickeln – seien es virtuelle Behördengänge, Vertragsabschlüsse über das Internet, Kaufvorgänge, elektronischer Rechnungsversand, die Teilnahme an Ausschreibungsverfahren oder E-Mail-Kommunikation. Die Bank kann sich so gegenüber ihren Kunden als Kompetenzcenter für Sicherheitstechniken und -lösungen darstellen. Dies passt zum Image der Bank und wertet diese sogar noch auf. Mit der elektronischen Signatur kann die GAD eine umfassende Lösung zum Thema Sicherheit für die Banken anbieten. Der oben genannte Mehrwert erfährt durch den Einsatz elektronischer Signaturen einen deutlichen Sicherheitsgewinn. Darüber hinaus sind aber auch weitere Geschäftsvorfälle denkbar, die heute noch der Schriftform genügen oder bei denen die Sicherstellung der Rechtsverbindlichkeit eine Grundvoraussetzung darstellt.
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Eine sinnvolle Ergänzung des eTresor könnte in der Kombination mit einem von der Bank angebotenen Zeitstempeldienst gemäß Signaturgesetz bestehen. Hierbei würde die Bank die Echtheit eines vorliegenden Dokuments (zum Beispiel eine eingescannte Urkunde oder einen Vertrag) zu einem bestimmten Zeitpunkt mittels einer elektronischen Signatur bestätigen. Das mit dem Zeitstempel versehene, elektronisch signierte Dokument könnte anschließend im eTresor archiviert werden. In Analogie zum TicketService wäre beispielsweise auch folgende Anwendung denkbar: Man stelle sich vor, ein Kunde entschließt sich spontan zu einem Kurzurlaub ins benachbarte Ausland und benötigt hierfür einen Auslandskrankenschein. Die nächste Dienststelle der Krankenkasse ist nicht erreichbar oder ist geschlossen. Im Internet oder innerhalb der SBZone seiner Bank könnte er den Krankenschein mit seiner elektronischen Signatur versehen und rechtsverbindlich bestellen. Der Ausdruck des Krankenscheins könnte dann am Kontoauszugsdrucker erfolgen. Alternativ wäre aber auch ein Download auf eine elektronische Gesundheitskarte (eGK) denkbar. Ähnliche Szenarien für die Abwicklung von rechtsverbindlichen Geschäftsvorfällen, wie zum Beispiel der Abschluss einer Reiseversicherung oder anderer Rechtsgeschäfte, sind ebenfalls denkbar. Finanzverbund
VR-SIGNA als eigenständiges Unternehmen mit den Gesellschaftern
Kundengruppen
Qualifizierte Zertifikate
Leistungsangebot
VR-Banken – Ausgabe qualifizierter Zertifikate an Kunden – Angebot Bankleistungen auf Basis digitaler Signaturen
Genossenschaftlicher Finanzverbund – R+V Versicherung – Union Invest
Drittkunden
– Noris Bank – etc.
Weitere Produkte
Kunden der VR-Banken – Nutzung Zertifikate für Bankgeschäfte – Nutzung von Zertifikaten für weitere Transaktionen auch möglich
Weitere Genossenschaften – Waren- und Handelsgenossenschaften
Kooperationspartner
– etc.
Abb. 3. Zertifizierungsdiensteanbieter (ZDA) im genossenschaftlichen Finanzverbund
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Prinzipiell sind der Kreativität einer Bank für neue Produkte oder Dienstleistungen keine Grenzen gesetzt. Dasselbe gilt für die Branchen (zum Beispiel Krankenkassen oder Versicherungen), mit denen eine Bank sinnvolle Kooperationen eingehen kann. Wichtig ist und bleibt es, dass sie zum Image der Bank passen. Glücksspiele gehören eindeutig nicht dazu. Aber Vertrauen und Sicherheit wären beispielsweise wichtige Faktoren, das heißt, alles, was mit Rechungen oder anderen vertraulichen Transaktionen zu tun hat. Die Banken profitieren hiervon in mehrfacher Hinsicht. In erster Linie können sie bei vielen Projekten finanziell durch die Provisionen profitieren. Außerdem können sie mit einem hohen Imagegewinn rechnen, und besucht der Kunde wieder öfter seine Bank. Dieser letzte Punkt ist strategisch besonders wichtig. Denn dadurch bekommt die Bank die Chance, mit dem Kunden persönliche Gespräche zu führen und ihn für weitere Dienstleistungen zu interessieren. Genau hier vollzieht sich derzeit ein Strategiewandel. In den vergangenen Jahren hat sich die Kreditwirtschaft zunehmend aus dem Filialgeschäft zurückgezogen. Für die Volks- und Raiffeisenbanken mit ihrem Multikanalansatz ist und bleibt die Filiale jedoch weiterhin eine der wichtigsten Vertriebswege. Kunden mit attraktiven Angeboten in die Bank zu holen ist ein wichtiger Aspekt für die Kundengewinnung und Kundenbindung. Die Kooperationspartner haben den Vorteil, dass sie eine gut ausgebaute Vertriebsstruktur nutzen können und mit rund 30 Millionen Bankkunden in Deutschland eine sehr große Zielgruppe haben. Außerdem bedienen sie sich eines sehr stabilen, sicheren und vom Kunden akzeptierten Systems. Ein wichtiges Argument ist auch die Zahlungssicherheit, die die Kooperation mit Volks- und Raiffeisenbanken attraktiv macht. Das Lastschriftverfahren ist unsicher, weil Kunden die Lastschrift zurückgeben können. Kreditkartenzahlungen gegenüber haben Kunden nach wie vor Vorbehalte. Dagegen können sie am Geldautomaten Leistungen wie gewohnt mit der EC-Karte bezahlen. Und der Anbieter kann sicher sein, dass er sein Geld bekommt. Die Kunden schließlich profitieren von einem umfassenden Dienstleistungsangebot, aber auch durch das dichte Filialnetz der Volks- und Raiffeisenbanken und damit von der Nähe. Die Zustellung von Belegen wie zum Beispiel Krankenscheine, Urkunden oder Tickets auf dem Postweg ist nicht mehr notwendig, weil sie etwa in der SB-Zone der Bank ausgedruckt werden. Es lohnt sich also für den Kunden, zur Bank zu gehen, weil sie ihm weitere Dienstleistungen mit Mehrwert bietet. Weitere Potenziale der elektronischen Signatur außerhalb der Kreditwirtschaft sind:
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• E-Government (Jobcard, elektronische Steuererklärung (Elster), Meldewesen etc.) • Gesundheitskarte mit Signatur • Ausschreibungsverfahren • elektronisches Mahnwesen • elektronische Klageschrift • Kommunikation im Internet • Signieren von elektronischer Post (E-Mail) • elektronische Rechnungen (E-Bills)
Elektronische Signaturen in den bankeigenen Geschäftsprozessen Mit dem Thema elektronische Signaturen wird aktuell ein neues Feld für Innovationen in Banken entwickelt. Dabei werden Bankprozesse gezielt für den Einsatz elektronischer Signaturen vorbereitet. Durch den Verzicht auf manuelle Unterschriften wird eine leichtere Verarbeitung und Archivierung elektronischer Dokumente ermöglicht. Gleichzeitig wird die erforderliche Sicherheit und Verbindlichkeit des elektronischen Verkehrs zwischen Bank und Kunden erreicht. Im genossenschaftlichen Finanzverbund werden zukünftig alle Kartenprodukte (EC-Karten, VR BankCard, VR NetWorldCard etc.) für den Einsatz digitaler Signaturen vorbereitet. Alle Partner des Finanzverbunds haben beschlossen, diese Innovation ab 2008 sukzessive für alle Banken und deren Kunden einzuführen. Gleichzeitig werden die Anwendungen im Kernbankensystem sukzessive für die Verarbeitung von elektronischen Signaturen vorbereitet. Die erhöhte Nachfrage nach Direktkanälen, insbesondere im Online-Banking und zugleich erhöhtes Sicherheitsbewusstsein, schafft hierbei die Basis für Kundenakzeptanz. Besonders vor dem Hintergrund der in jüngster Zeit vermehrt auftretenden Angriffe auf das Online-Banking mittels Phishing kommt der elektronischen Signatur eine wachsende Bedeutung zu. Weil die Autorisierung der Online-Banking-Transaktionen hierbei nicht mehr durch TAN-Nummern – die ausgespäht werden können – geschieht, sondern durch die individuelle elektronische Signatur des Karteninhabers, haben die aktuell diskutierten Phishing-Attacken bei dieser Variante des Online-Banking keine Chance mehr. Die Vorbereitungen zur breitflächigen Einführung von Signaturkarten sind schon im vollen Gange. Am 1. Oktober 2005 startete die GAD mit rund 100 000 VR-BankCards einen Praxistest für die Einführung der elek-
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tronischen Signatur auf den EC-Karten der Volksbanken und Raiffeisenbanken. An dieser Pilotierung beteiligen sich die Volksbanken und Raiffeisenbanken Koblenz-Mittelrhein, Dortmund, Goch-Kevelaer, Gütersloh und Steyerberg. Im Rahmen des regulären Kartenaustausches wurden alle VR-BankCards dieser Banken mit einer individuellen elektronischen Signatur der Karteninhaber versehen. Mit der neuen VR-BankCard ist damit einfaches und sicheres OnlineBanking nach dem Online-Banking-Standard FinTS 3.0 (Financial Transaction Services) der deutschen Kreditwirtschaft möglich. FinTS 3.0 ist ein Sicherheitsstandard, den der Zentrale Kreditausschuss – der Zusammenschluss der Spitzenverbände der Kreditwirtschaft aus allen Sektoren – verabschiedet hat. FinTS unterstützt eine Vielzahl elektronischer Bankdienstleistungen wie Überweisungen, Kontoauszüge, Termingeschäfte, Geldanlagen, Daueraufträge und den gesamten Bereich Onlinebrokerage, die von den Kunden bequem und einfach online erledigt werden können. GAD ist eines der ersten Rechenzentren in Deutschland, die FinTS 3.0 in Verbindung mit einer Signaturkarte unterstützen. Im Rahmen einer FinTSTransaktion signieren die Kunden ihren Auftrag (zum Beispiel Überweisung) mit der individuellen elektronischen Signatur auf ihrer VRBankCard. Eine separate Chipkarte ist nicht mehr erforderlich. Die Verfügbarkeit der elektronischen Signatur mit qualifizierten Zertifikaten gemäß Signaturgesetz ermöglicht die Weiterentwicklung der bestehenden Prozesse, insbesondere das Online-Banking mittels des kartenbasierten Standards HBCI und die Bereitstellung neuer Prozesse, die bisher nicht für Direktkanäle zugelassen waren. Damit können dabei auch Dienstleistungen und Produkte über diese elektronischen Kanäle angeboten werden, die heute noch die Schriftform benötigen. Beispiel hierfür ist das Einrichten und Ändern eines Freistellungsauftrags oder von Vollmachten. Damit einhergehend ist eine deutliche Verringerung der Durchlaufzeiten gegenüber den heutigen Prozessen. Aber auch bei Vorgängen am Bankschalter in der Filiale kann es sinnvoll sein, die handschriftliche Unterschrift des Kunden beziehungsweise des Mitarbeiters durch die elektronische Signatur vollständig zu ersetzen. In der heutigen Geschäftspraxis ist es üblich, dass elektronische Formulare durch den Bankmitarbeiter am Bildschirm seines Arbeitsplatzes erfasst und ausgefüllt werden und anschließend ausgedruckt und vom Kunden manuell unterzeichnet werden. Vielfach wird danach das unterschriebene Dokument wieder gescannt, um es in einem elektronischen Archiv abzulegen. Elektronische Signaturen ermöglichen die Unterbindung von Medienbrüchen und bieten außerdem Optimierungspotenzial in verschiedenen Systemen. Durch Verkürzung der Geschäftsprozesse und Einsparungen
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(zum Beispiel papierlose Archivierung von Geschäftsbelegen) entstehen so Rationalisierungsvorteile für die Bank. Für den Einsatz der elektronischen Signaturen in den Prozessen kommen spezielle Kartenleser zum Einsatz; diese sind bereits heute bei kartenbasierten Verfahren wie HBCI im Einsatz. 2
Bankverfahren übermittelt Kundendaten an Zertifikatsverwaltung
VR-SIGNA
Zertifizierungsstelle
Zertifikatsverwaltung/ DownloadServer
Sperrservice (Internet und Hotline)
4 Karteninhaber lädt Zertifikat von DownloadServer auf Karte
3 Zertifikat wird in Zertifizierungsstelle generiert und auf Download-Server bereitgestellt
Bank
Kundenumgebung
Bankverfahren (bank21 und agree)
Onlinebanking, Partnerunternehmen etc. 1 Karteninhaber registriert sich bei Bank
5 Karteninhaber verwendet Signatur für Bankgeschäfte und sonstige Dienste
Abb. 4. Zusammenspiel Zertifizierungsdiensteanbieter und Bankverfahren
Weitere Geschäftsfelder, insbesondere in den Bereichen SB, Firmenkunden und Bezahlverfahren sind auf Basis dieser Infrastruktur in einem zweiten Schritt realisierbar. Die Einführung erfolgt schrittweise und zunächst parallel beziehungsweise in Ergänzung zu bestehenden Verfahren (etwa HBCI, PIN/TAN), später gegebenenfalls als Ersatz dieser Verfahren – Banken und deren Kunden bestimmen somit das Tempo der Einführung. Der Multikanalansatz setzt sich dabei durch, da einerseits die Banken die direkten Vertriebswege vor allem unter Rationalisierungsgesichtspunkten weiter ausbauen, andererseits die Kunden das Angebot und die Verfügbarkeit aller möglichen Vertriebswege immer mehr als Selbstverständlichkeit voraussetzen. Elektronische Signaturen unterstützen und verstärken sogar den Multikanalansatz der Banken: • Zusätzliche Geschäftsprozesse, die bisher der Schriftform bedurften, können nun auch im Online-Banking angeboten werden (Freistellungsauftrag, Vollmachten, Zweitkonten etc.). • In den Bankfilialen kann die elektronische Signatur eingesetzt werden und damit die Archivierung von Papierdokumenten deutlich reduzieren. • Im Schalter-/Kasse-Bereich können zusätzliche Mehrwertprodukte angeboten werden.
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• Verwaltung/Sperrung der Signaturen über das Internet, in der Bankfiliale oder telefonisch
Bereitstellung Infrastruktur Um den Banken und deren Kunden einen kompletten Service rund um die elektronischen Signaturen bieten zu können, wird gemeinsam mit weiteren Partnern im Finanzverbund auch die Bereitstellung elektronischer Signaturen für die Bankkunden vorbereitet. Hierzu werden schrittweise alle Bankkarten für eine elektronische Signatur vorbereitet und sämtliche Geschäftsvorfälle in den Bankensystemen auf die Verarbeitung von elektronischen Signaturen umgestellt. Die Bereitstellung der erforderlichen qualifizierten Zertifikate erfolgt durch ein Gemeinschaftsunternehmen im Finanzverbund. Die VR-Banken übernehmen in diesem Zusammenhang die Registrierung der Zertifikatsinhaber gemäß den Vorgaben des Signaturgesetzes. Durch die regionale Nähe sowie die persönliche und sehr vertrauliche Beziehung zum Kunden sind die VR-Banken geradezu prädestiniert hierfür. Diese Stärken können sie bei solchen neuen Services mit Mehrwert sehr gut einbringen. Das ist im Wettbewerb ein enormer Vorteil.
Fazit Die Informationstechnologie ist mehr denn je ein strategischer Faktor im Bankgeschäft. Deshalb beschäftigt sich GAD intensiv mit technischen und zukunftsweisenden Innovationen. Dabei steht immer der Kundennutzen und nicht die technologische Möglichkeit im Mittelpunkt der Betrachtung. Aus diesem Grund werden konkrete Projekte wie zum Beispiel die Einführung von elektronischen Signaturen immer in enger Abstimmung mit den Kunden, den Volks- und Raiffeisenbanken, umgesetzt. Mit dem Einsatz elektronischer Signaturen in Bankprozessen werden spürbare Vorteile für die Banken und die Kunden realisiert, insbesondere: • Banken: Realisierung von Effizienzvorteilen durch Verlagerung zusätzlicher Geschäftsprozesse auf Direktkanäle, Reduzierung der Papierarchive und Erhöhung der Sicherheit im Online-Banking • Bankkunden: Die freie Wahl des Kanals macht die Anwendung der elektronischen Signatur bequemer, sie wird deswegen öfter auch für
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weitere Anwendungen (zum Beispiel E-Government) genutzt, Erhöhung der Sicherheit im Online-Banking Aus technischer Sicht bietet die moderne Anwendungsarchitektur von bank21 (Prozessorientierung, Kapselung einzelner Module im Sinne von Modularisierung (SOA), konsequente Trennung Frontend von Verarbeitungslogik/Backend durch eine multikanalfähige Middleware etc.) eine hervorragende Grundlage für die Einführung der elektronischen Signaturen. Damit kann praktisch jede Internetanwendung für eine TouchscreenOberfläche und für ein SB-Gerät aufbereitet werden. Die multikanalfähige Architektur ermöglicht den Einsatz von Internetanwendungen als Touchscreen-Oberfläche für Selbstbedienungsgeräte und somit den Einsatz in den Bankfilialen und möglichen weiteren Einsatzfeldern. Durch die zentrale Software-Verteilung können auch dezentrale Selbstbedienungsgeräte schnell und kostengünstig mit der jeweils aktuellen Anwendung versorgt werden. bank21 als technologische Basis der GAD ist somit Grundlage für die Einführung innovativer Technologien und ermöglicht eine schnelle Umsetzung neuer Ideen. Das Angebot der elektronischen Signatur steht somit in der Tradition der Innovationen der GAD, die jeweils Mehrwert für die angeschlossenen Banken und deren Kunden schaffen und dabei die eingesetzte Basistechnologie bank21 effizient nutzen.
Effiziente Vertriebsunterstützung auf Basis einer serviceorientierten IT-Architektur
Franz-Theo Brockhoff, stellvertretender Vorsitzender Geschäftsführung Sparkassen Informatik
Einleitung Die Finanzdienstleistungsbranche befindet sich in einer Umbruchphase. Harter Wettbewerb, hoher Kostendruck, umfangreiche aufsichtsrechtliche Regelungen und die kundenfreundliche Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen verlangen hohe Beweglichkeit. Geschäftsprozesse und -szenarien formieren sich Richtung schnellere, schlankere und effizientere Abwicklung. Gleichzeitig richtet sich der Blick auf den Vertrieb. Der Schlüssel liegt insbesondere in einer kunden(wert)orientierten Vertriebsstrategie. Dabei gewinnen Online-Medien als effiziente Abwicklungsplattformen weiter an Bedeutung. Unterdessen aber bekommt auch die persönliche Beratung wieder mehr Gewicht – in erster Linie für den Vertrieb margenstarker und möglichst standardisierter Produkte. Zur Steigerung ihrer Vertriebskraft suchen Finanzinstitute daher nach der idealen Verbindung aus Tradition und Moderne. Der persönliche Dialog mit dem Kunden ist dabei Basis einer bilateralen Vertrauensbildung, die überall dort gefragt bleibt, wo hoher Beratungsbedarf besteht oder auch neu entsteht. So gewinnt beispielsweise die langfristige Finanzplanung und der wachsende Vorsorgebedarf fürs Alter immer mehr an Bedeutung. Beide Geschäftsfelder sind typisch für eine durchgängige Betreuung im Sinne eines „one face to the customer“. Gleichzeitig haben Konjunkturschwäche beziehungsweise geringeres Wachstum und sinkende Realeinkommen zu steigender Preissensibilität in allen Bevölkerungsgruppen geführt. Unter Druck stehen dabei insbesondere homogene Finanzprodukte wie Tagesgeld, Anschaffungsdarlehen oder Pkw-Finanzierungen. Hier wird der Wettbewerb vor allem über den Preis ausgetragen. Zumal TV- und Printwerbung sowie der breite, zeitnahe Zu-
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gang zum Internet mit Online-Informationen und -Angeboten für hohe Markttransparenz sorgen. Dies erschließt dem Kunden zusätzliche Freiheitsgrade bei der Angebotsauswahl und Unabhängigkeit gegenüber seiner Hausbank. Sinkende Margen und steigender Wettbewerbsdruck stellen Finanzinstitute somit vor die Aufgabe, ihre Abwicklungsprozesse und Kosten durch intelligente Arbeitsteilung weiter zu optimieren. Dies führt im Ergebnis zu einer Neudefinition des Kerngeschäfts. Es konzentriert sich mehr und mehr auf vertriebsnahe Tätigkeiten, während die kundenferne Abwicklung von Bankgeschäften nach Möglichkeit gebündelt und an externe Dienstleister ausgelagert wird. Im Zentrum der neuen Wertschöpfungskette stehen Standardisierung, Automatisierung und das Erschließen von Skaleneffekten durch Mengenbündelung. Die effiziente Lenkung von Ressourcen verlangt durchgängige Informationen. Dies gilt für alle bankbetrieblichen Geschäftsfelder – auch und gerade im Vertrieb. Wer sein gesamtes Kundenpotenzial ausschöpfen will, muss den Interaktionsprozess mit dem Kunden optimieren. Neben der Präsenz in der Fläche gehören dazu allen voran die medialen Vertriebswege Internet- und Telefon-Banking. Eine derartige Multikanalstrategie ist ohne entsprechende IT-Lösungen von hoher Durchgängigkeit und Integrationstiefe nicht realisierbar.
Abb. 1. Übersicht Vertriebsprozess
Im Spannungsfeld zwischen Mehrwert für den Kunden und notwendiger Kostenreduzierung stoßen bisherige IT-Plattformen deutlich und schnell an ihre Grenzen. Bei der Digitalisierung von Geschäftsstrategien in ITgestützte Geschäftsprozesse erweisen sich die meisten der derzeit vorhandenen IT-Systeme als untauglich. Vor allem mangelnde Offenheit, Flexibi-
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lität und Skalierbarkeit sorgen dafür, dass die Applikationen häufig die Geschäftsabläufe eher behindern als unterstützen. Trotzdem haben viele Finanzinstitute mit der Umsetzung neuer ITPlattformen noch nicht begonnen. Nach aktuellen Marktstudien arbeiten die meisten europäischen Institute mit IT-Systemen, die 25 Jahre oder noch älter sind. Um die überalterte Software mit ihren monolithischen (all in one) Anwendungen auf den neuesten Stand zu bringen, sind nach Schätzung der Unternehmensberatung Forrester Research rund 50 Milliarden Euro notwendig. Als veraltet gelten vor allem jene schwer zu durchschauenden, historisch unstrukturiert gewachsenen IT-Architekturen, die eine Vielzahl heterogener Teilsysteme mit vielen komplexen Schnittstellen bündeln. Durch vielfältige Erweiterungen sind im Laufe der Jahre in sich verwobene Funktionsblöcke entstanden. Entsprechend zeitaufwendig und teuer sind die Anpassungen solcher Altsysteme, die vielfach auf proprietären, das heißt eigenständigen und nicht standardisierten Rechner- und Netzlösungen basieren. Da diese Systeme zudem spartenorientiert („Anwendungssilos“) arbeiten, steht das Produkt mit einzelnen Arbeitsschritten im Mittelpunkt der Architektur und nicht – wie heute erforderlich – der Kunde mit zugehöriger WorkflowKette. Eine durchgängige Bearbeitung von Prozessen ist somit kaum realisierbar.
Fokus Retail-Banking Blick zurück nach vorn: Finanzinstitute entdecken das Retail-Geschäft neu. Nicht nur in Deutschland wird es wieder als eine tragende Säule im Gesamtbankgeschäft gesehen – Seite an Seite mit Großkundengeschäft und Investment-Banking. Die Folge ist ein massiver Verdrängungswettbewerb im Retail-Banking. Für zusätzliche Dynamik sorgt der entschlossene Markteintritt zahlreicher neuer Wettbewerber. Dazu gehören allen voran Direktbanken, Autobanken und Absatzfinanzierer. Der Erfolg von Instituten wird künftig davon abhängen, wie gut es gelingt, die zunehmend individueller werdenden Wünsche und Präferenzen ihrer Kunden rechtzeitig zu erkennen, sie zielorientiert und bedarfsgerecht auf den unterschiedlichen Vertriebskanälen aktiv anzusprechen und für sich zu gewinnen – dies alles mit hoher Geschwindigkeit. Denn zum Mehrwert von Anbietern trägt auch die Fähigkeit bei, auf spontane Kundenwünsche unmittelbar reagieren zu können. Eine solche „just in time
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response“ verlangt IT-Strukturen, mit denen bankfachliche Anwendungen quasi in Echtzeit bereitgestellt werden. Genereller Trend dabei: standardisierte, preissensible Dienstleistungen wandern ins Internet, beratungsintensive Produkte oder auch das CrossSelling verlangen nach persönlicher Kompetenz in einer Filiale vor Ort. Entsprechend differenzieren sich die Vertriebskanäle. Eckpfeiler ist der freie Zugangsweg zum kundenindividuell präferierten Vertriebskanal, egal ob klassische Filiale, mobile Beratung, Telefon-Banking über Callcenter oder Online-Banking über das Internet. Zwar werden die elektronischen Vertriebswege weiter expandieren, gleichzeitig besteht paradoxerweise auch weiterhin Bedarf an einer intensiven persönlichen Beratung. Somit ist die Bereitstellung unterschiedlicher Kanäle für alle Institute unverzichtbare Voraussetzung, den Markt systematisch, abgestuft und effizient zu bearbeiten. Eine effiziente Steuerung im Multikanalvertrieb stellt allerdings völlig neue Anforderungen. Gilt es doch, die notwendigen Informationen zu identifizieren, zusammenzuführen und auszuwerten. Letztendlich geht es darum, das richtige Angebot zum richtigen Zeitpunkt über den richtigen Kanal zu präsentieren. Ein derart zielgerichtetes und bedarfsorientiertes Vorgehen verlangt möglichst vollständige, schnell verfügbare Informationen. Ohne aktuelle, durchgängige Daten keine Optimierung von Produkt-, Preis- und Vertriebsstrategien. Die Veredlung dieser Informationen liefert ein Gesamtbild der Kundenanforderungen und damit den Schlüssel zur Umsetzung von Marktpotenzialen in Vertriebserfolge. Somit entscheidet die Qualität der Informationsverarbeitung und -bereitstellung in zunehmendem Maße darüber, inwieweit Finanzinstitute ihre Marktposition behaupten und ausbauen können. Unverzichtbar dabei sind entsprechend durchgängige ITArchitekturen.
Anforderungen an eine moderne IT-Architektur Kreditinstitute standen früh vor der Aufgabe der Massenverarbeitung von Daten. Daher gehört die Branche zu den ersten Anwendern großer EDVSysteme. Seither erstrecken sich die IT-Investitionen über mehrere Perioden mit ganz unterschiedlichen Technologiewellen. Das Ergebnis: In vielen Instituten dominieren heterogene, unflexible, eher zufällig gewachsene Architekturen. Wartung, Pflege und Entwicklung der Altsysteme und deren Schnittstellen reißen tiefe Löcher in die IT-Budgets der Finanzinstitute. Die mangelnde Integrationsfähigkeit steht zudem den aktuellen Herausforderungen
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der Branche diametral entgegen, nämlich einer ganzheitlichen und effizienten Unterstützung von Prozessen mit dem Ziel, Durchlaufzeiten zu verkürzen sowie die Servicequalität zu verbessern. Dabei ist es zu berücksichtigen, dass sich heute Strukturen, etwa durch Reorganisationen, Fusionen und Auslagerungen von Aufgaben, ständig verändern. Dementsprechend hoch sind die Anforderungen an die Flexibilität der IT. Langwierige Transformationsprojekte sind bei diesen organisatorischen und prozessualen Änderungen nicht mehr akzeptabel – sie müssen vielmehr in Echtzeit vorgenommen werden. Gleichzeitig muss die IT unter Wettbewerbsgesichtspunkten sicherstellen, dass neue Produkte und Services zügiger als bisher in die Gesamtarchitektur eingebettet und damit schnell marktfähig gemacht werden können. Die Voraussetzungen dafür schaffen serviceorientierte Architekturen (SOA). SOA ist keine neue Technologie, sondern vielmehr ein Management-Konzept beziehungsweise ein breit angelegtes Rahmenwerk für den Aufbau einer flexiblen IT-Architektur, das es ermöglicht, sich eng an reale Geschäftsprozesse anzulehnen und diese besser widerzuspiegeln als die monolithischen Modelle der Vergangenheit. Im Mittelpunkt stehen gekapselte und wieder verwendbare Anwendungskomponenten (Services), die nach Art eines Baukastens miteinander gekoppelt werden können und so die Möglichkeit einer flexiblen, durchgängigen und unternehmensübergreifenden Prozessunterstützung bieten. Weil solche Services mehrfach verwendet, das heißt von vielen Applikationen gemeinsam genutzt werden können (beispielweise Services zur Modellberechnung oder zum Scoring (Verfahren zur Kreditbewertung), verspricht die Umsetzung neben der deutlich gesteigerten Prozesseffizienz zudem auch Kostenvorteile. Ein entsprechendes Rahmenwerk muss dabei nachfolgende Merkmale aufweisen • Offenheit, um auf der Basis von Standardtechnologien eine Integrationsplattform zu bieten, das heißt Marktmodule und -produkte sowie Verbundpartner integrieren zu können. • Flexibilität, um auf veränderte Geschäftsprozesse und Organisationsmodelle (intern oder übergreifend) schnell reagieren zu können. Ein flexibles Produkt- und Kunden-Management muss dabei neben einer umfassenden Datenbasis über Kunden und Kundenstruktur die Möglichkeit bieten, mit einem Höchstmaß an Flexibilität Produkte zu generieren. • Unterstützung verschiedener Vertriebswege im Sinne einer Multikanalfähigkeit und standardisierte, vertriebswegeneutrale Verarbeitung der Daten, sodass neue Vertriebskanäle schnell implementiert werden können.
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• Real-Time-Buchungssystem für ständig aktuelle dispositive Datenbestände. • Skalierbarkeit der IT-Infrastruktur, um das System an größere Volumina anpassen und diese mit gleich bleibender Performance abdecken zu können. Voraussetzung dafür ist es, dass alle zugrunde liegenden Komponenten jeweils skalierbar, das heißt aufrüstbar sind. • Mandantenfähigkeit, das bedeutet, dass die eingesetzte Software in einer Systemumgebung bei einer Vielzahl von Finanzinstituten streng getrennt eingesetzt werden kann. • Sichere, kosteneffiziente und hochverfügbare (365 Tage, 24 Stunden) Produktion, das heißt, die Kosten-Nutzen-Relation für eine hohe Performance, hohe Sicherheit und Verfügbarkeit möglichst zu optimieren.
Die Gesamtbanklösung OSPlus Auf dem Weg zu modernen IT-Architekturen ist die SparkassenFinanzgruppe bereits heute einen Schritt voraus. Nachdem im Herbst 2005 eines der größten IT-Projekte ihrer Geschichte abgeschlossen werden konnte, arbeiten heute schon etwa 125 000 Mitarbeiter in 9000 Geschäftsstellen mit dem einheitlichen und modernen IT-System OSPlus (One System Plus) der Sparkassen Informatik. Damit repräsentiert OSPlus aktuell bereits mehr als 50 Prozent der deutschen Sparkassen und bedient annähernd ein Viertel des deutschen Retail-Markts.
Abb. 2. Marktanteil Kernbanksysteme
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OSPlus ist eine Gesamtbanklösung, die als Komplettangebot die Grundlage für die durchgängige Prozessunterstützung des gesamten Spektrums des Retail-Geschäfts – vom Vertrieb über die Abwicklung bis hin zur Steuerung – bildet. Das gilt für kleine, mittlere und große Institute. Die bankfachliche Architektur von OSPlus ist – entsprechend den geschäftspolitischen Anforderungen der Sparkassen – durch eine ausgeprägte Vertriebsorientierung gekennzeichnet (siehe dazu Kapitel „OSPlus – das Plus im Vertrieb“). Das Komplettangebot enthält neben den reinen ITAnwendungen auch ergänzende Serviceleistungen im Umfeld, wie beispielsweise Callcenter- oder Printservices. OSPlus ist heute so gut positioniert, weil die Sparkassen Informatik beziehungsweise deren Vorgängerunternehmen den grundsätzlichen Erneuerungsbedarf bereits Ende der 90er-Jahre erkannt und im Rahmen einer Entwicklungskooperation die weitgehende Neuentwicklung aufgesetzt haben. Bis heute wurden mehr als 500 Millionen Euro in OSPlus und dessen Ausbau investiert. Bei der Konzeption spielten die Architekturaspekte eine besondere Bedeutung. Denn sie bestimmen nachhaltig die Tragfähigkeit des Systems im Hinblick auf Offenheit gegenüber neuen Standards und Produkten, eine schnelle Einbindung neuer Komponenten von Marktpartnern sowie die Abdeckung neuer Vertriebskanäle. Der Erfolg von OSPlus beruht dabei auf der konsequenten und abgestimmten Umsetzung auf drei Architekturebenen. Sie bilden den Rahmen für die schnelle und wirtschaftliche Bereitstellung von Lösungen für die Sparkassen. Generell sind bankfachliche, Anwendungs-Software- sowie systemtechnische Elemente zu unterscheiden. Die bankfachliche Architektur beschreibt, was zu realisieren ist, also den bankfachlichen Bauplan. Das heißt, sie legt den Grad der ITUnterstützung für die Geschäftsprozesse fest. Die Anwendungsarchitektur definiert die Struktur von Anwendungssystemen und deren Einbettung in die technische Infrastruktur. Sie liefert den Bauplan für die Umsetzung einer fachlichen Anwendung auf der Basis der Infrastruktur, die in der Systemarchitektur definiert ist. Die Anwendungsarchitektur ist somit das strukturelle Bindeglied zwischen den Inhalten der bankfachlichen Architektur und der Systemarchitektur. Sie beschreibt Inhalt und Aufbau der technischen Infrastruktur, auf deren Basis die Anwendungssysteme konstruiert werden und damit den systemtechnischen Bauplan für die Projektvorhaben der Sparkassen Informatik. Die moderne, serviceorientierte Anwendungsarchitektur von OSPlus basiert auf einem Drei-Schichten-Modell.
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Abb. 3. Schichtenarchitektur OSPlus
Es arbeitet mit festgelegten Fach- und Datenmodellen, die über Schnittstellen kooperieren. Jeder Schicht sind bestimmte Aufgaben zugeordnet. So ist beispielsweise in der Funktionsschicht die gesamte bankfachliche Verarbeitungslogik hinterlegt. Vorteil dabei: Bereits heute stehen rund 350 bankfachliche Funktionen und Dienste als gekapselte Services zur Verfügung, die einmal entwickelt worden und nun wieder verwendbar sind. Ein entscheidender Pluspunkt auch für den Multikanalansatz. Denn die vertriebswegeneutral entwickelten bankfachlichen Funktionen sind nur noch einmal zu implementieren, während die Oberflächen kanalspezifisch zur Verfügung gestellt werden. Damit ist die Unterstützung unterschiedlicher Vertriebswege effizient realisierbar. Über eine Backend-Anbindung an den Host („Dynamische Schnittstelle“) erfolgt der Zugriff auf die Datenschicht des Kernbanksystems, in der die Daten gespeichert sind. Das moderne, spartenneutrale Kernbanksystem ist das Herz von OSPlus. Es umfasst einen modularen Produktbaukasten, mit dem Sparkassen ganz individuelle Produkte konzipieren können, ohne selbst aufwendige Programmierarbeiten ausführen zu müssen. Darüber hinaus enthält es ein Real-Time-Buchungssystem (Online-Buchung für Aufträge aller Sachgebiete mit juristischer Dokumentation auf Kontoauszügen) sowie automatisierte und integrierte Verarbeitungsabläufe. Alle Konto-, Vertrags- und Kundendaten können online abgerufen werden. Das Kernbanksystem ist so konzipiert, dass Spitzenbelastungen mit großen Transaktionszahlen sicher und störungsfrei verarbeitet werden können.
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Abb. 4. Integration von Verbundpartnern in OSPlus
Das Schichtenmodell mit seinen standardisierten Schnittstellen als Voraussetzung und das Kernbanksystem als Herzstück sind die Basis der serviceorientierten Architektur für OSPlus. Als zentrale Integrationsplattform fungiert dabei die Dynamische Schnittstelle. Darüber haben eigene Entwickler und Marktpartner Real-Time-Zugriff auf die bankfachlichen OSPlus-Funktionen und können diese flexibel in ihre Anwendungen einpassen. Am Sparkassen-Frontend ist zudem die Integration externer Komponenten möglich. So können auch komplette Geschäftsprozesse externer Partner, etwa von Landesbausparkassen, Leasing-Gesellschaften oder Versicherungen dynamisch mit dem Frontend verknüpft werden. Insgesamt sind heute mehr als 30 Verbund- und Marktpartner an das System angebunden. Auf diesem Weg wird im Vertrieb eine Gleichstellung von eigenen und Verbundprodukten ohne Medienbruch über die gesamte Prozesskette erreicht. Produkte können zu umfassenden Problemlösungen für den Kunden gebündelt werden – etwa bei der Altersvorsorge. Hier liefert der Zugriff auf ganz unterschiedliche Vorsorgekomponenten wie Rentenansprüche, Fondssparpläne, betriebliche Altersvorsorge oder Bausparen eine aussagekräftige Gesamtsicht auf die kundenindividuellen Gestaltungsmöglichkeiten.
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Abb. 5. Kundengesamtsicht am Beispiel Altersvorsorge
Die Umstellung der Oberflächenentwicklung auf die Webtechnologie (OSPlus-Portal) stellt eine Fortschreibung der Anwendungsarchitektur von OSPlus dar. Das Angebot, bankfachliche Funktionen als gekapselte, unabhängige, benutzerfreundliche Webservices bereitzustellen, eröffnet neue zeitliche Dimensionen bei der Entwicklung und Integration von SoftwareBausteinen. Bereits seit 2002 hat die Sparkassen Informatik bankfachliche Funktionen als Webservices bereitgestellt, die sich flexibel in eigene Anwendungen und Partnerapplikationen integrieren lassen. Seit Anfang 2005 ist die Frontend-Entwicklung vollständig auf die webbasierte Entwicklung umgestellt worden. Neben der zusätzlich gewonnenen Flexibilität zeigt es sich, dass die Nutzung von Webservices deutliche Kostenvorteile erschließt. So verringert sich in den Sparkassen beispielsweise der Administrationsaufwand, der IT-Dienstleister wird unabhängiger von Großrechnertechnologie, nutzt Open-Source-Komponenten und senkt durch konsequente Wiederverwendung von Komponenten seine Entwicklungskosten.
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Abb. 6. Webservices sorgen für Flexibilität und deutliche Kostenvorteile
„It might be time to change your core-banking system“, so forderte die Gartner Group in einer Branchenuntersuchung im Jahr 2004. Mit der Auflösung von Anwendungssilos hin zu einer serviceorientierten Architektur hat die Sparkassen Informatik diesen Schritt bereits vollzogen und verfügt damit heute über einen deutlichen Technologievorsprung gegenüber vielen anderen Anbietern von Software für das Retail-Geschäft. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass ein solcher grundsätzlicher Erneuerungsprozess einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren in Anspruch nimmt und anfangs beachtliche Investitionen erfordert. Der Return on Investment für die OSPlus-nutzenden Sparkassen ist dabei schon heute nachhaltig realisiert worden. Der Mehrwert für den Nutzer zeigt sich nicht nur an der deutlich gestiegenen Funktionalität und Flexibilität. Auch die Kostenentwicklung belegt, dass der eingeschlagene Weg richtig war. Bis heute konnten gegenüber den vier regionalen Vorgängersystemen Synergien von mehr als 500 Millionen Euro erschlossen werden; jährlich kommen weitere rund 250 Millionen Euro hinzu. Die Einsparungen sind einerseits auf den Verzicht von Mehrfachentwicklungen zurückzuführen. Andererseits zeigt sich aber auch, dass auf der Basis einer serviceorientierten Architektur eine kostengünstige Entwicklung von Anwendungen erreicht werden kann. Gleichzeitig hat die Sparkassen Informatik auch eine Betriebsgröße erreicht, mit der sie weltweit zu den größten Rechenzentren gehört. Damit werden beachtliche Skaleneffekte erzielt. So wickeln die Systeme der Sparkassen Informatik beispielsweise jährlich rund 30 Milliarden Transaktionen ab.
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Abb. 7. Prozessoptimierung unter OSPlus
OSPlus – das Plus im Vertrieb Kein Business ohne Informationstechnologie. Doch die Erfahrung zeigt: Allein der Einsatz von IT generiert noch kein erfolgreiches Geschäftsmodell. Erst im Zusammenspiel mit einem motivierten und engagierten Vertriebsmitarbeiter entfaltet der Einsatz von IT seine Stärken. Im Kern geht es darum, das richtige Angebot zur richtigen Zeit über den richtigen Vertriebskanal zu präsentieren. Die Architektur von OSPlus-Vertrieb ist darauf ausgerichtet. Im Fokus steht die durchgängige Unterstützung des Retail-Geschäfts von der Geschäftsanbahnung bis zum Vertriebs-Controlling – ohne Medienbrüche und über alle Vertriebskanäle hinweg. Erklärtes Ziel dabei ist die Optimierung der Interaktion mit dem Kunden im Rahmen eines Multikanalansatzes. Dreh- und Angelpunkt im Vertrieb von Finanzprodukten ist es, den Kunden überall dort zu erreichen, wo er seine Geldgeschäfte tätigt. Schlüssel ist der seit Jahren praktizierte Multikanalvertrieb. Die Speerspitze dabei ist unverändert die klassische Filiale. Sie bildet für 80 Prozent aller Kunden den mit Abstand wichtigsten Vertriebskanal einer Bank, wie aus einer europäischen Bankenstudie der Management-Beratung Booz Allen Hamilton hervorgeht. Allerdings zeigten sich drei Viertel aller Kunden unzufrie-
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den mit der Leistung in der Filiale. Vermisst werden vor allem eine aktive Kundenansprache sowie eine spezifisch an der Lebenssituation ausgerichtete Beratung. Beratungsqualität und Vertriebserfolg leben vom Wissen über den Kunden, seine Verhältnisse und Bedürfnisse. Ein Informationspool mit Kundenhistorie und Gesamtengagement sorgt für Transparenz und damit für bedarfsgerechte Leistungsangebote – egal ob beim spontanen Beratungsdialog in der Filiale oder bei der aktiven Kundenansprache im OnlineKanal. Daher stellen innovative Vertriebslösungen wie OSPlus ein strategisches Kunden-Management in ihren Mittelpunkt – von der Marktsegmentierung und Geschäftsanbahnung über Beratung und Produktverkauf bis zum Verkaufs-Controlling ohne Medienbrüche unter einer einheitlichen grafischen Oberfläche. Zur direkten Kundenansprache ist ein besonderer Schwerpunkt der Lösung auf die Identifizierung vorhandener Verkaufs- und Cross-SellingPotenziale gelegt worden. So identifizieren intelligente Analyse-Tools automatisch Verkaufsanlässe, generieren einen Musterkundenabgleich und nehmen Anlagechecks nach spezifischen Kundenpräferenzen vor. Unter Zugriff auf den zentralen Datenbestand eines Instituts fließen am Arbeitsplatz des Beraters alle Kundeninformationen zusammen. Der individuelle Finanzstatus ist das Fundament für eine detaillierte Beratung und liefert – unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensphase – zielgenaue Ansätze für ein Cross-Selling. Denn Zug um Zug integriert OSPlus die breite Palette von Verbundanwendungen und -produkten der SparkassenFinanzgruppe. Dadurch können Produkte zu umfassenden Problemlösungen für den Kunden gebündelt werden, etwa beim Abschluss von Versicherungen oder in der Altersvorsorge. Hier liefert der Zugriff auf ganz unterschiedliche Vorsorgekomponenten wie Rentenansprüche, Fondssparpläne, betriebliche Altersvorsorge oder Bausparen eine aussagekräftige Gesamtsicht auf die kundenindividuellen Gestaltungsmöglichkeiten. Der persönliche Dialog in der Filiale ist nur ein Teil im Multikanal. Internet, Telefon und SB-Geräte ermöglichen heute die weitgehend automatisierte Abwicklung vieler Geldgeschäfte. Die Folge: Der persönliche Kontakt des Beraters zu seinem Kunden hat deutlich abgenommen. Gerade deshalb aber wird die Gesamtsicht auf den Kunden über alle Vertriebskanäle immer wichtiger. Gleichfalls gilt es, die aktive Kundenansprache weiter zu intensivieren. Ziel ist es, den Kunden dort zu erreichen, wo er seine Geldgeschäfte tätigt. OSPlus gelingt dies durch ein vertriebswegeneutrales Kampagnen-Management mit direkten Response-Möglichkeiten. In eine Kampagne sind neben stationären Kontakten auch SB-Geräte, Callcenter oder das Internet-Banking durchgängig integriert.
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Abb. 8. OSPlus-Kampagnen-Management (Vorbereitung/Ansprache)
Der Online-Dialog mit dem Kunden eröffnet eine neue Qualität in der Kommunikation. Denn überall dort, wo Geldgeschäfte getätigt werden, können auch Informationen und Angebote bereitgestellt werden. Damit stößt beispielsweise das Internet-Banking in eine neue Wertigkeit vor. Der personalisierte Bereich im Internet wird so zur Informations- und Kommunikationsplattform für Kunden und Berater. Und diese persönliche Betreuung der in der Regel eher wechselwilligen und preissensitiven OnlineKunden ist ein strategisches Instrument zur Bindung des Kunden an sein Geldinstitut.
Abb. 9. OSPlus-Kampagnen-Management (Bearbeitung/Ergebnistypen)
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Abb. 10. OSPlus-Kampagnen-Management (Erfolgskontrolle)
Dabei ist es der Sparkassen Informatik über das Finanzportal als einem der ersten IT-Dienstleister gelungen, eine durchgängige und rechtssichere Lösung für den Online-Vertrieb gemäß den Anforderungen nach dem Fernabsatzgesetz zu realisieren. Das Finanzportal ist ein modulares Dienstleistungspaket für den Vertriebskanal Internet – von Produktinformationen über die Weiterleitung von elektronischen Kundenanfragen und Serviceaufträgen an den Kundenberater bis hin zum fallabschließenden OnlineProduktverkauf. Bei der Vernetzung von stationären und multimedialen Kanälen gilt es, innovative Modelle zu finden, die Filiale, Selbstbedienung, Callcenter und Internet effizient miteinander verbinden. Gefragt ist eine aussagekräftige und zeitnahe Vertriebssteuerung. Sie muss beispielsweise Auskunft darüber geben, welcher Kanal für eine konkrete Ansprache den besten Kosten-Nutzen verspricht, wie Aktivitäten der unterschiedlichen Kanäle zu koordinieren sind oder auch darüber, welcher Kunde wann und wo mit welchem Erfolg angesprochen worden ist. Auch hierbei liegt der Schlüssel für eine ertragsorientierte Steuerung über alle Kanäle in einer zentralen Datenhaltung und damit in der ITArchitektur. Sie legt das nutzbare Vertriebspotenzial offen, ermöglicht die Feinsteuerung der Aktivitäten und damit die Steigerung von Volumen und Effizienz.
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Franz-Theo Brockhoff
Ausblick Das Vertriebsgeschehen in Banken und Sparkassen wird an Komplexität zunehmen. Die Nutzung von Kanälen entwickelt sich evolutionär weiter. Technologische Veränderungen und gesellschaftliche Trends verändern Gewohnheiten und Präferenzen der Kunden. Entwicklungen, die zeitnah erkannt und dynamisch umgesetzt werden müssen – in neue Vertriebswege, in neue Serviceprozesse, in neue Steuerungsinstrumente, in neue Geschäftsprozesse und in innovative IT-Lösungen. Angesichts des anhaltend hohen Kostendrucks arbeiten Finanzinstitute weiterhin daran, ihre Prozesse zu optimieren. Zur nachhaltigen Verbesserung der Cost Income Ratio stehen gleichzeitig jene Leistungen auf dem Prüfstand, die selbst nicht effizient zu erbringen sind und die kein strategisches Alleinstellungsmerkmal aufweisen. Dies führt in der Kreditwirtschaft zu weiterer Spezialisierung und zunehmender Industrialisierung im Mengengeschäft. Als Vorbild könnte die Automobilindustrie dienen, die ihre Wertschöpfungskette auf wenige Kernkompetenzen verkleinert, Prozesse standardisiert und Baugruppen vereinheitlicht hat. Die Reduktion von Fertigungstiefen in der Wertschöpfungskette und die Einbindung von IT-Dienstleistern, die gleichgerichtete Aufgaben mehrerer Institute übernehmen, reduziert die Stückkosten und erschließt Skaleneffekte. Im Gegenzug stehen Dienstleister vor der Herausforderung, die angestrebte Arbeitsteilung durch flexible, mandantenfähige Modelle zu unterstützen. Auch sie werden sich im Wettbewerb an Effizienz, Prozessund Servicequalitäten messen lassen müssen. So dürfte sich auch unter ITDienstleistern der Trend zu größeren Einheiten fortsetzen. Erfolgsfaktor ist allen voran eine zukunftsfähige, flexible, offene IT-Plattform. Als bleibende Herausforderung gilt in der Produktion die Vorgabe, möglichst hohe Skaleneffekte durch Volumenbündelung zu erschließen – intelligente Arbeitsteilung zur Stärkung der Wettbewerbsposition.
IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik
Stefanie Berk, Direktorin Neckermann Fernreisen Thomas Cook AG Reinhard Eschbach, CIO Thomas Cook AG
Veränderungen im Touristikmarkt Mit über 24 000 Mitarbeitern und jährlich mehr als 13 Millionen Reisegästen ist die Thomas Cook AG das zweitgrößte Reiseunternehmen in Europa. Thomas Cook, in Deutschland bekannt durch seine Kernmarken Neckermann Reisen, Thomas Cook Reisen, Condor und Bucher, befindet sich in einem Marktumfeld, das durch wesentliche Veränderungen geprägt ist. Auf diese Veränderungen muss sich Thomas Cook einstellen und reagieren, um auch langfristig erfolgreich zu bleiben. Die drei aus unserer Sicht zentralen Entwicklungen im Touristikumfeld sind: die Veränderung des Buchungsverhaltens von Kunden, die Veränderung des Reiseverhaltens und die Veränderung der Wettbewerbssituation durch andere Anbieter. Veränderung des Buchungsverhaltens
Zentraler Treiber der Veränderung des Buchungsverhaltens ist das Internet, welches für die Distribution von Reisedienstleistungen hervorragend geeignet ist. So können sich Kunden auf Basis des Internets mit geringem Aufwand einen sehr guten und breiten Marktüberblick verschaffen und schnell und unmittelbar Reisebausteine und -pakete zu attraktiven Preisen buchen. Die hierdurch gestiegene Markttransparenz hat jedoch auch zur Folge, dass Kunden in der Regel kurzfristiger vor Reiseantritt buchen und zunehmend dort, wo sie besonders viele Zusatzinformationen über das Reiseziel finden. Gerade reiseerfahrene und preissensitive Kunden stellen dabei ihre Urlaubspakete zunehmend selbst und nach individuellen Vorstellungen und Bedürfnissen zusammen.
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Stefanie Berk, Reinhard Eschbach
Wegen der zunehmenden Attraktivität des Internetangebots ist der ECommerce-Anteil im Touristikgeschäft in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen und wird auch in der Zukunft noch weiter erheblich zunehmen. Verändertes Reiseverhalten
Neben einem veränderten Buchungsverhalten ist jedoch auch ein verändertes Reiseverhalten zu beobachten. So ist bei unverändert hoher Reiselust eine deutliche Tendenz zu kürzeren und spontan organisierten Reisen zu erkennen. Inflexible Angebote, wie zum Beispiel feste Reisetage und vorgegebene Aufenthaltszeiten, werden dabei von den Kunden immer weniger akzeptiert. Dies bedeutet aber keineswegs das Ende der veranstalterorganisierten Pauschalreise – im Gegenteil. Die besonderen Merkmale einer veranstalterorganisierten Reise, wie zum Beispiel die umfassende Betreuung im Zielgebiet, die Veranstalterhaftung und die bekannt hohe Qualität der Reisebausteine, werden gerade in Zeiten von Terror und Naturkatastrophen weiterhin oder sogar zunehmend geschätzt. Die Reisepakete haben jedoch den sich immer wieder ändernden Kunden- und Marktanforderungen anzupassen und müssen flexibler werden, um den sich wandelnden Kundenanforderungen gerecht zu werden. Veränderung der Wettbewerbssituation durch andere Anbieter
Letztlich hat sich auch das Marktumfeld in der Touristik deutlich verändert. So sieht sich Thomas Cook einem zunehmenden Wettbewerbsdruck gerade im stark umkämpften E-Commerce-Markt ausgesetzt – und dies von zwei Seiten: Auf der einen Seite führte der Eintritt von OnlineReiseagenturen wie Expedia und Opodo, die unter anderem auch von „White Label“-Veranstaltern organisierte Reisen anbieten, zu einer Verschärfung der Wettbewerbssituation. Auf der anderen Seite sind deutlich stärkere Bemühungen von Reiseanbietern zu erkennen, ihre Reisedienstleistungen direkt an den Endkunden zu vertreiben. Gerade die großen Hotelketten und „Low Cost“-Fluggesellschaften versuchen mit „Bestpreisgarantien“ und umfassenden Internetprodukten zunehmend – unter Umgehung von Reisemittlern und globalen Distributionssystemen – ihre Produkte dem Kunden direkt anzubieten. Dies geschieht mit dem Ziel, die zum Teil erheblichen Distributionskosten zu reduzieren. Letztlich hat auch die erhebliche Zunahme von Flugkapazität zu den europäischen Reisezielen durch die in den Markt drängenden Low Cost Carrier zu einer erheblich volatileren Preisstruktur geführt.
IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik
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Vor dem Hintergrund dieser Marktveränderungen wandelt sich auch das Angebotsspektrum von Thomas Cook. Das Unternehmen muss auch zu einem Broker von Reiseinformationen werden – einem Tor zur gesamten Welt des Reisens. Um diese Rolle ausfüllen zu können und die sich hieraus neu entwickelnden Geschäftsmodelle anbieten zu können, ist Thomas Cook jedoch auf effektive und effiziente IT-Systeme angewiesen.
IT wird Enabler: eine auf die Anforderungen des Business abgestimmte IT-Strategie In diesem Zusammenhang hat Thomas Cook Anfang 2005 beschlossen, eine neue IT-Strategie zu erarbeiten. Die Aufgabe lautete, eine detaillierte Bestandsaufnahme der bestehenden Applikations- und IT-Landschaft sowie der IT-Leistungserbringung durchzuführen, gemeinsam mit den Geschäftverantwortlichen die Anforderungen der Zukunft an die IT zu definieren und hieraus ein konkretes Projektportfolio abzuleiten. Die Bestandsaufnahme der Applikationslandschaft ergab unter anderem, dass Thomas Cook europaweit eine Vielzahl unterschiedlicher Veranstaltersysteme parallel einsetzt, was zu erheblichem Aufwand bei der Pflege und Weiterentwicklung der Systeme führt. Gleichzeitig ergab die Bestandsaufnahme, dass keines dieser Systeme den sich verändernden Marktanforderungen in ausreichender Weise gerecht wird – keines der bisherigen Veranstaltersysteme kann ohne extrem hohen Anpassungsaufwand den Ausgangspunkt für eine Vereinheitlichung der Applikationslandschaft mit den dringend benötigten Funktionalitäten im Veranstaltergeschäft bilden. Parallel zur Bestandsaufnahme wurden die konkreten Anforderungen an die zukünftige Systemunterstützung definiert. Dabei wurde ein szenariobasiertes Vorgehen (Abbildung 1) gewählt, das alle Anforderungen aus den Geschäftsbereichen und der IT in Gleichklang brachte und dem Ziel entsprach, eine stark in den Geschäftsanforderungen verwurzelte und nutzenorientierte IT-Strategie zu erstellen. Im Rahmen der hierzu notwendigen Workshops wurde das strategische Projektportfolio definiert. Hier wurde die Basis für den Aufbau eines innovativen und gemeinsamen, globalen Veranstaltersystems für Thomas Cook gelegt.
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Stefanie Berk, Reinhard Eschbach
1 Ausgangslage
Biz-Anforderungen Integriertes Kapazitäts-Mgmt. Dynamic Packaging Fähigkeiten …
Analyse der Anforderungen
BusinessAnforderungen (Externe Änderungen, Prozessanforderungen...)
2 Szenariodefinition
Szenarioentwicklung (Konsolidierung, neue Systeme …)
3 Szenarioauswahl
Resultate
Auswahl Zielszenarien (Value Add …)
Beschlossene Zielarchitektur Beschlossenes Projektportfolio
IT-Anforderungen IT-Anforderungen Standardisierter Desktop Ablösung Legacy System XYZ …
Auswahl Zielszenarien IT-Anforderungen (Applikationen, Projekte, Zielplattformen …)
IT-ImpactSzenarien
White Spots zur weiteren Analyse
(…Machbarkeit)
(Architektur, IT-Organisation)
Abb. 1. Szenariobasiertes Vorgehen zur Entwicklung der IT-Strategie
Neben der Entwicklung des strategischen Projektportfolios war es im Rahmen der IT-Strategie entscheidend, eine Basis für ein effektives Management der IT zu schaffen. So ergab die Bestandsaufnahme des Status quo, dass die Auftraggeber- (IT-Demand) und Auftragnehmerrolle (ITSupply) unzureichend voneinander getrennt und unscharf definiert sind. Es zeigte sich ebenso, dass die Geschäftsbereiche von Thomas Cook – bedingt durch die Akquisitionshistorie des Unternehmens – stark lokal/regional fokussiert arbeiten und daher europäische Synergien in der IT bislang noch nicht umfassend realisiert werden konnten. Dies spiegelte sich auch in der operativen Zusammenarbeit des übergreifend aufgestellten Projektteams wider – so war beispielsweise das Wissen über die jeweils anderen Regionen nur gering ausgeprägt.
Aufbau von neuen Governance-Strukturen in der IT als Voraussetzung für globalen Erfolg Die durch die Bestandsaufnahme aufgedeckten Unzulänglichkeiten galt es nun zu analysieren, die bestehende IT zu transformieren, dabei IT-Demand und -Supply strikter als bisher zu trennen und eine den Geschäftsgegebenheiten von Thomas Cook angepasste globale IT-Governance zu etablieren. Diese IT-Governance musste einerseits den Märkten und Regionen die nötige Flexibilität lassen, um das lokale Geschäft ausreichend schnell und adäquat IT-seitig unterstützen zu können, andererseits musste sie aber auch globale Transparenz und Synergien ermöglichen. Insbesondere musste sie
IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik
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die Basis schaffen, globale Projekte, wie den Aufbau eines gemeinsamen Veranstaltersystems, erfolgreich bearbeiten zu können. Das zentrale Ziel der neuen IT-Governance war somit die Schaffung von Transparenz und der Aufbau von gemeinsamen Entscheidungsstrukturen, dort, wo sie für globale Projekte und Synergien benötigt wurden. Diese globale Governance basiert auf vier Säulen (siehe Abbildung 2) • • • •
globales Portfolio- und Programm-Management globales Architektur- und Standard-Management globales Service Level Management globales Vendor Management
Demand
Region A IT-Organisation
Region B IT-Organisation
Region C IT-Organisation
Lokales Portfolio-Management
Lokales Portfolio-Management
Lokales Portfolio-Management
Globaler Portfolio- & Programm-Management-Prozess
Solution Design
Solution Design
Anwendungsentwicklung
Anwendungsentwicklung
Betrieb (Applikation)
Globales ArchitekturBoard
Anwendungsentwicklung
Globaler Service-Level-Management-Prozess
Betrieb (Applikation)
ITGovernanceBoard
Solution Design
Globaler Architektur- & Standardprozess
Supply
Globales Entscheidungsgremium
Globales IT-Board
Betrieb (Applikation)
Globaler Infrastrukturbetrieb (Vendor Management)
Globales IT-Board
Abb. 2. Das IT-Governance-Modell von Thomas Cook
Globales Portfolio- und Programm-Management
Das globale Portfolio- und Programm-Management hat vier Kernaufgaben • entlang des typischen Projektlebenszyklus in der ersten Phase eine enge Abstimmung der IT-Projekte und -Budgets mit den Geschäftsbereichen sicherzustellen • die Einhaltung des Thomas-Cook-Architektur-Blueprints in Projekten zu prüfen
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Stefanie Berk, Reinhard Eschbach
• für eine Abstimmung der benötigten Projektressourcen mit den verfügbaren Kapazitäten zu sorgen • ein transparentes Projekt-Controlling bereitzustellen Ausgangspunkt für die Einführung dieser neuen Funktion war zunächst die Notwendigkeit, für globale Budgettransparenz zu sorgen und eine Priorisierung der IT-Projekte entsprechend der Geschäftsanforderungen und der Budgetobergrenzen durchzuführen. Gleichermaßen wichtig war die Einführung eines neuen Projekt-Controllings auf Basis der „Earned Value“-Methodik. Durch diese Methodik, durch die eine wesentlich höhere Transparenz in der Projektarbeit erreicht wird, werden auf einfache Art und Weise die geplanten Kosten für die tatsächlich geleistete Arbeit mit den geplanten Kosten für die terminierte Arbeit (Termineinhaltung) verglichen. Ebenso werden die geplanten Kosten für die tatsächlich geleistete Arbeit mit den tatsächlichen angefallenen Kosten (Budgeteinhaltung) ins Verhältnis gesetzt. Durch diese integrierte Betrachtung wird eine deutlich erhöhte Transparenz im Management des umfangreichen Projektportfolios erreicht. Die notwendigen Entscheidungen im Rahmen des Portfolio- und Programm-Managements werden von einem neu eingerichteten Steuerungsgremium, dem IT-Governance-Board getroffen, welches aus den Vorstandsmitgliedern, den CEOs der Regionen und dem Corporate CIO besteht. Das IT-Governance-Board tritt monatlich zusammen und sorgt so auf höchster Ebene für eine Abstimmung zwischen den Geschäftsbereichen und der IT. Globales Architektur- und Standard-Management
Aufgabe des globalen Architektur- und Standard-Managements ist die Entwicklung und Sicherstellung eines einheitlichen Architektur-Blueprints auf Gesamtunternehmensebene in drei eng miteinander verzahnten Dimensionen • Business-Architektur • logische/funktionale Architektur • technische Architektur Ausgangspunkt für die Einführung des neuen, globalen ArchitekturManagements war die Definition von am Geschäft orientierten Architekturprinzipien beziehungsweise -richtlinien sowie das Erarbeiten eines Regelprozesses für das konsequente Management zur Einhaltung dieser Architekturrichtlinien. Ebenso wurde ein „Globales Architektur-Board“ etabliert, welches die Koordination der drei unterschiedlichen Rollen in der
IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik
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Architekturentwicklung und im Architektur-Management sicherstellt. Diese Rollen sind im Einzelnen 1. der globale Architekt, der für die Entwicklung und die Einhaltung der gemeinsamen Architekturrichtlinien verantwortlich ist 2. der lokale Architekt, der auf lokaler Ebene diese Richtlinien detailliert und umsetzt sowie lokale Architekturentscheidungen trifft 3. der Projektarchitekt, der projektspezifisch für die Ausgestaltung von Architekturen verantwortlich ist Das Architektur-Board, das sich aus den Vertretern dieser Rollen zusammensetzt, trägt dann letztlich als Entscheidungsgremium die Verantwortung für den globalen Architektur-Blueprint. Globales Service Level Management
Die Kernaufgabe des Globalen Service Level Management besteht darin, die Anforderungen des Geschäfts an die Bereitstellung von ITDienstleistungen in Form von Servicevereinbarungen (Service Levels) zu fixieren und diese dann wiederum in Anforderungen und Servicevereinbarungen mit externen Anbietern IT-spezifisch zu übersetzen. Neben der Vereinbarung von Services ist das Service Level Management ebenso für die Berichterstattung und die Kontrolle der Einhaltung dieser Vereinbarungen verantwortlich (SL-Reporting) sowie für die Abstimmung der Vereinbarungen mit den operativen Budgets für die Leistungserstellung. Auch im Rahmen des Service Level Management wurden wiederum globale Rollen – mit Fokus auf die Definition von Standards und Anforderungen – und lokale Rollen klar differenziert. Globales Vendor Management
Die Aufgaben des globalen Vendor Management sind die Definition von gemeinsamen Standards für das Management von Zulieferern, die Identifikation von Potenzialen für eine Thomas-Cook-übergreifende Beschaffung von IT-Dienstleistungen, die Vereinbarung von globalen Zulieferverträgen zusammen mit dem Einkauf sowie die Überwachung und Kontrolle der Leistungserbringung globaler Zulieferer. Sowohl das globale Vendor Management als auch das globale Service Level Management berichten an das „Global IT-Board“, welches sich aus den CIOs der einzelnen Regionen zusammensetzt und die notwendigen Richtungsentscheidungen trifft. Die Vorteile dieses neuen globalen Governance-Models, welches bereits im Rahmen der IT-Strategie definiert und in einem Folgeprojekt weiter ausgeführt wurde, sind vielfältig: Durch die gestiegene Budget- und Pro-
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Stefanie Berk, Reinhard Eschbach
jekttransparenz wird ein strafferes Kosten-Management ermöglicht, damit wird auch die enge Verzahnung von Geschäft und IT dauerhaft etabliert. Gleichzeitig konnten bereits erste Synergien in der IT durch die Definition von gemeinsamen Architekturanforderungen und durch das Aufsetzen europäischer Projekte zur Harmonisierung der IT-Infrastruktur erreicht werden. Aber auch in der täglichen Zusammenarbeit hat sich das Miteinander der unterschiedlichen Regionen deutlich verbessert und zu neuem Vertrauen in die globale Leistungsfähigkeit der IT geführt. Letztlich haben der Aufbau globaler Governance-Strukturen und die Transformation der ITOrganisation den Aufbau eines globalen Veranstaltersystems als zentrales Projekt erst ermöglicht – dies soll im Folgenden näher dargestellt werden.
Aufbau eines globalen Veranstaltersystems – Projekt „Globe“ Im Rahmen der IT-Strategie wurden die Anforderungen an ein neues und globales Veranstaltersystem definiert, welches für Thomas Cook die Grundlage bildet, sich mittel- und langfristig erfolgreich an einem sich rasch und nachhaltig verändernden Markt zu positionieren. Kernziel dieses Projekts ist der Aufbau einer wettbewerbsfähigen und global einheitlichen Plattform für das Veranstaltergeschäft, die eine wesentlich breitere Angebotspalette zulässt und gleichzeitig höhere Flexibilität, Effizienz und Transparenz herstellt. Hierdurch sollen sowohl bestehende Geschäftsmodelle gestärkt und erweitert als auch vollkommen neue Geschäftsmodelle ermöglicht werden. Ein solches neues Geschäftsmodell, welches sich von Produktionsprozessen, die an Katalogen ausgerichtet sind, löst, stellt internet-spezifische Produkte zur Verfügung. In einem solchen Geschäftsmodell wird – im Gegensatz zu den bei der Katalogerstellung heute vorkonfigurierten Reisepaketen – das Paket dynamisch und erst auf Basis der aktuellen Kundenanfrage zusammengestellt und individuell bepreist (Dynamic Packaging/Pricing). Diese dynamisch erstellten Pakete werden wiederum aus eigenen Bausteinbeständen (Flüge, Hotelbetten) wie auch aus externen Bausteinen, die erst unmittelbar im Rahmen des Konfigurationsprozesses von Drittanbietern eingekauft werden (Dynamic Sourcing), zusammengeschnürt. Um dies zu ermöglichen, müssen jedoch die Einschränkungen der heutigen Systeme überwunden und neue Funktionalitäten bereitgestellt werden. Im Folgenden sollen die drei unseres Erachtens wesentlichen Erfolgsfaktoren für den bisher sehr positiven Verlauf des Projekts, welches intern
IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik
405
den Namen Globe trägt (abgeleitet aus den Anfangsbuchstaben von Global Leisure Operations Business Engine), vorgestellt werden – diese sind • ein konsequent veränderungsbewusstes Vorgehen • eine integrierte, übergreifende Projekt-Governance • die Ausrichtung an einer offenen, serviceorientierten Systemarchitektur Vorgehen
Globe ist wegen seiner Komplexität und Tragweite ein ehrgeiziges Projekt. In der Vergangenheit hat sich herausgestellt, dass eine konstante, gleichberechtigte und übergreifende Abstimmung zwischen den Regionen einen zentralen Erfolgsfaktor für europäisch ausgerichtete Projekte darstellt. Wo immer es an dieser Abstimmung mangelte, konnten Projekte ihre Ziele nicht zur Gänze erreichen. Entsprechend musste ein Vorgehensmodell gewählt werden, das diese Komplexität beherrschbar machte und die trotz vieler Gemeinsamkeiten zum Teil sehr großen Unterschiede in den regionalen Geschäftsmodellen ausreichend berücksichtigte. Ausgangspunkt war die Abstimmung der Ziele und der Vorgehensweise auf hoher Management-Ebene. Um die Aufgabe zu vereinfachen, wurde zunächst beschlossen, dass die „Renovierung“ der europäischen Veranstaltersysteme stufenweise erfolgen soll. So soll in der ersten Projektphase zunächst eine Funktionalität geschaffen werden, die für alle Märkte gleichermaßen neu und damit nicht vorbelegt ist; dies sind die notwendigen Buchungs- und Konfigurationsfunktionalitäten, die ein Dynamic Packaging ermöglichen (Phase 1). In der darauf folgenden Phase erfolgt sodann eine Weiterentwicklung dieser Plattform in Richtung einer verstärkten Unterstützung des Bausteingeschäfts sowie eine Integration des europäischen Bausteingeschäfts auf diese Plattform. Erst in der dritten Phase wird das bisher komplexeste Geschäftsmodell der vorkonfigurierten Pauschalreise auf die neue Plattform übernommen. Insgesamt soll dies in einem drei bis fünfjährigen Zeitraum erfolgen. Diese Vorgehensweise wurde in einer vorgeschalteten Machbarkeitsstudie überprüft und bestätigt. Ebenso wurde im Rahmen der Machbarkeitsstudie die Auswahl eines Software-Anbieters für ein neues Kernsystem vorgenommen sowie eine Wirtschaftlichkeitsrechnung vorgenommen. Von zentraler Bedeutung war es hierbei, unter Einbeziehung aller Geschäftsbereichsverantwortlichen in Europa, zunächst eine klare Vision für die neue Plattform zu definieren und auf dieser Basis innovative, funktionale und technische Anforderungen zu definieren. In die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung für die Systemeinführung waren alle Geschäftsbereichsverantwortlichen ebenfalls einbezogen, um eine möglichst hohe wirtschaftliche Trag-
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Stefanie Berk, Reinhard Eschbach
fähigkeit des Projekts sicherzustellen und frühzeitig Veränderungsbereitschaft zu erzeugen. Projekt-Governance
Weiterhin war es erforderlich, eine übergreifende Projekt-Governance zu etablieren, die den besonderen Anforderungen dieses komplexen Großprojekts gerecht wird. Insbesondere musste eine ausreichende geschäfts- und IT-seitige Beteiligung von allen Märkten am Projekt sichergestellt werden. Gleichzeitig galt es Strukturen zu finden, die eine rasche Entscheidungsfindung möglich machen und so einen zügigen Projektfortschritt gewährleisten. Das Projekt war im Top-Management zu verankern, und es musste ein hochkarätiger Projekt-Manager gefunden werden, der sowohl auf Geschäfts- als auch auf IT-Seite von allen Regionen akzeptiert wird. Eine Projekt-Governance, die diesen hybriden Anforderungen genügt, konnte – wie in Abbildung 3 dargestellt – gefunden werden. Projektorganisation IT-Governance-Board
Projektsteuerungskreis Geschäftsbereiche
IT
Direktor Region A Direktor Region B Direktor Region C Leiter Einkauf
CIO Corporate CIO Region A CIO Region B CIO Region C Projekt-Manager
Kernteam
Abb. 3. Projekt-Governance
So berichtet das Projekt monatlich an das im Rahmen der ITTransformation eingerichtete IT-Governance-Board, um eine ausreichende Verankerung auf der Top-Ebene zu erreichen. Um zügige Entscheidungen zu ermöglichen und jederzeit eine ausreichende Abstimmung von Geschäfts- und IT-Anforderungen sicherzustellen, wurde ein Projektsteue-
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rungskreis eingerichtet, mit je einem Direktor als Vertreter der Geschäftsund IT-Seite jeder Region. Dieser Steuerungskreis tritt im wöchentlichen Turnus zusammen, trifft Projektentscheidungen und sichert gleichzeitig die Kommunikation und Koordination mit dem jeweils vertretenen Geschäftsteil. Die operative Tagesarbeit des ebenfalls multiregional zusammengestellten Kernteams wird durch einen Projekt-Manager koordiniert, der auch das Projekt in den beiden anderen Gremien vertritt und die Gesamtverantwortung für den Projektfortschritt trägt. Ergänzt wurde diese Projektorganisation von Mitarbeitern der Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton. Die gelungene Governance und Besetzung des Projekts (Abbildung 4) kann als einer der zentralen Erfolgsfaktoren für den bisherigen Projektverlauf angesehen werden. Verschiedene Vertriebskanäle Distributionskopplungsschicht Tour Operator Engine Produktkonfiguration
Rechnungsstellung/ Regulierung
Kalkulation
Integrationsplattform Inventory-Kopplungsschicht
Internal Inv.
Internal Inv.
Internal Inv.
Bed Banks
Abb. 4. Konzeptionelle Systemarchitektur
Offene, serviceorientierte Systemarchitektur
Der dritte Erfolgsfaktor liegt in der Festlegung auf eine offene, modulare und serviceorientierte Architektur der Gesamtlösung. Wegen der Komplexität des Vorhabens und des damit verbundenen Migrationsaufwands sowie der Unterschiedlichkeit der abzubildenden Geschäftsmodelle schied von Anfang an eine Lösung aus, die die bisherigen Systeme durch ein neues, wiederum monolithisches System ersetzt. Vielmehr wurde von Anfang an vereinbart, dass die funktionalen Anforderungen der Gesamtlösung in einem Zusammenspiel von bestehenden Applikationen, einem neuen
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Stefanie Berk, Reinhard Eschbach
Kernbuchungssystem und weiteren neuen Einzelkomponenten erbracht werden sollen. Um einen solchen „Best of Breed“-Ansatz einer Vielzahl von Neu- und Altkomponenten auf europäischer Ebene zu ermöglichen, wurde der Aufbau einer Integrationsplattform in Form eines „Enterprise Service Bus“ für die Gesamtlösung unerlässlich. Insgesamt können hierdurch mehrere Vorteile erreicht werden • Reduktion des Migrationsrisikos und -aufwands durch Entkopplung der Einzelmigrationen und durch den Erhalt von bestehender Funktionalität in Altanwendungen • Zukunftssicherheit durch die Möglichkeit, vergleichsweise schnell und flexibel Einzelbausteine von Funktionalitäten austauschen zu können • lokale Anpassungsmöglichkeit von Funktionalitäten, zum Beispiel des Preiskalkulationsmoduls • keine Abhängigkeit von einem einzigen Software- beziehungsweise Hardware-Hersteller Sicherlich könnten hier noch weitere Erfolgsfaktoren genannt werden. Wir glauben aber, dass gerade die drei genannten Erfolgsfaktoren für multinationale Unternehmen bei der Unterstützung von neuen Geschäftsmodellen, die durch innovative IT-Lösungen ermöglicht werden, von besonderer Bedeutung sind und reappliziert werden können.
Zusammenfassung und Ausblick In diesem Beitrag wurde dargestellt, wie sich Thomas Cook auf die drastisch verändernden Bedingungen im Touristikmarkt eingestellt hat und welche Maßnahmen ergriffen wurden, um die Wettbewerbsfähigkeit von Thomas Cook langfristig zu sichern. Erste Erfolge können bereits verzeichnet werden: So hat sich die Zusammenarbeit zwischen den Geschäftsbereichen und der IT – aber auch innerhalb der europäischen IT – erheblich verbessert. Transparenz und Abstimmung wurden deutlich erhöht. Ebenso konnten die Weichen gestellt werden, um die erheblichen Herausforderungen im Reisegeschäft in den kommenden Jahren zu meistern. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrags befand sich das Projekt Globe in der Phase der Finalisierung der Anbieterauswahl sowie der abschließenden Erstellung einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zur Freigabe der nicht unerheblichen Investitionsentscheidung durch den Aufsichtsrat. Wenn diese Projekthürden genommen werden können, steht Thomas Cook
IT als Enabler für neue Geschäftsmodelle in der Touristik
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vor einem mehrjährigen Implementierungs- und Veränderungsprojekt. An dessen Ende werden vollkommen neue IT-Fähigkeiten bereitstehen, die neue und innovative Geschäftsmodelle und -prozesse ermöglichen, die den veränderten Marktanforderungen gerecht werden. Die neuen Möglichkeiten erfolgreich zu nutzen bleibt jedoch nach wie vor Aufgabe der Geschäftsbereiche und damit deren Kreativität überlassen. Die Herausforderung dieses Programms wird von uns keineswegs unterschätzt – Thomas Cook steht erst am Anfang einer spannenden Reise in eine neue Zukunft.
Skalierbare IT-Geschäftsmodelle
Dr. Sven Lorenz, Leiter Informationssysteme Porsche AG
Einleitung Die Automobilindustrie als tragende Säule der großen Industrienationen und zunehmend auch der asiatischen Emerging Markets sieht sich aktuell großen Herausforderungen gegenüber • Verdrängungswettbewerb mit Rabattschlachten der Volumenhersteller vor allem in den USA • zunehmender Qualitätsdruck durch steigende Komplexität der Produkte und höhere gesetzliche Anforderungen • neue Marktteilnehmer aus Asien konkurrieren auf ihren aufstrebenden Heimmärkten, zunehmend aber auch auf allen anderen Weltmärkten Die Porsche AG, als Sportwagenhersteller ein Nischenanbieter, hat sich diesem Druck in den letzten Jahren erfolgreich widersetzen können und sich zum deutlich profitabelsten Automobilhersteller der Welt entwickelt. Dies geht einher mit einem konstanten organischen Wachstum: aufbauend auf 911er und Boxster zunächst über die dritte Baureihe Cayenne sowie die kürzlich angekündigte vierte Baureihe Panamera. In Stückzahlen ausgedrückt, ist das Wachstum noch augenfälliger: von circa 19 000 Fahrzeugen im Geschäftsjahr 1995/96 auf mehr als 88 000 im zurückliegenden Geschäftsjahr 2004/05. Ziel der Porsche AG ist es unter anderem, dieses Wachstum mit einem möglichst geringen Fixkostenanstieg zu realisieren. Hierzu ist ein „atmungsfähiges“ Geschäftsmodell notwendig. Ein Beispiel für dieses Modell ist die Produktion des Boxsters, der sowohl im Stammwerk Zuffenhausen als auch beim Auftragsfertiger Valmet in Finnland gebaut wird. Je nach Auslastung des Zuffenhausener Werks können Produktionsvolumina flexibel verlagert werden. Ablesbar sind die Effekte der Strategie zum Beispiel
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Dr. Sven Lorenz
an der Entwicklung der Stückzahl im Vergleich zur Mitarbeiterentwicklung in der Porsche AG (siehe Abbildung 1). Den gleichen Anspruch erhebt Porsche an seine IT. Mit Stückzahlwachstum und neuen Baureihen müssen die existierenden Systeme ausgebaut werden. Die Ausgaben für die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs („Run Rate“) sollen dabei aber nicht oder nur unwesentlich steigen. Daneben erfordern die notwendigen Optimierungen der Kernprozesse zum Freispielen von Kapazitäten für das Wachstum der Porsche AG verstärkt eine Umgestaltung oder Neuentwicklung der prozessunterstützenden ITSysteme. Es müssen mehr Projekte mit höherer Komplexität und steigender Funktionsvielfalt in immer kürzerer Zeit bewältigt werden. Folglich ist der Anteil der Ausgaben für diese Veränderungen („Change Rate“) in den vergangenen Jahren spürbar angestiegen. Wie muss sich nun in dieser Situation eine IT-Organisation aufstellen, um Wachstum abzubilden, ohne einen Fixkostenanstieg durch proportionales oder gar überproportionales eigenes Wachstum auszulösen? Wie muss sie sich aufstellen, um nicht gleichzeitig durch reine Kostenfixiertheit und Auslagerung von Kernkompetenzen ihre Innovationsfähigkeit zu verlieren? 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 95/96
96/97
97/98
98/99
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Mitarbeiter
00/01
01/02
02/03
03/04
04/05
Fahrzeuge
Abb. 1. Absatz- und Mitarbeiterentwicklung 1995 bis 2004 (in Tsd.)
Skalierbare IT-Geschäftsmodelle
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Hierauf versucht der vorliegende Artikel eine Antwort zu geben und anhand der Entwicklung der Porsche-IT zu illustrieren. Insbesondere stellt der Artikel die dazu notwendigen Organisationsformen, Methoden und Werkzeuge vor. Die Kernthesen sind • Wachstum ist nicht gleich Fixkostenanstieg IT • Effizienz und eine „atmende“ IT sind kein Widerspruch: zusätzlicher Overhead durch notwendige Steuerungsfunktionen kann durch Effizienzgewinne aufgrund einer Konzentration auf Kernkompetenzen ausgeglichen werden • eine gut aufgestellte flexible, atmungsfähige IT-Organisation ist innovationsfördernd, nicht -hemmend
Ausgangssituation und Problemstellung Organisation Die Porsche-IT war in den 90er-Jahren klassisch aufgestellt: Die funktionale Aufbauorganisation der Porsche AG mit Entwicklung, Produktion, Vertrieb sowie Finanzen/Controlling/Einkauf und Personal als Querschnittsfunktionen spiegelte sich in einer entsprechenden, nach funktionalen Gesichtspunkten untergliederten IT-Aufbauorganisation. Die Unternehmensprozesse bewegten sich weitgehend innerhalb der funktionalen Bereiche. Entsprechende Strukturen waren in der IT abgebildet • • • •
heterogene Plattformen relativ fein zergliederte Anwendungslandschaft kaum Unterstützung integrierter übergreifender Prozesse organisatorische Trennung von technischer und betriebswirtschaftlicher Datenverarbeitung • wenig übergreifendes IT-/Business-Alignment Die Entwicklung der IT-Organisation sollte der Zielsetzung einer stärkeren Prozessorientierung in der Organisation des Porsche-Konzerns folgen (siehe Abbildung 2): Mit der Einführung von Prozessorganisationseinheiten wie der Baureihenorganisation oder der Kunde-Kunde-Prozessorganisation sollte auch die IT-Organisation entlang der Unternehmensprozesse ausgerichtet werden.
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Dr. Sven Lorenz
Abb. 2. Schematische Darstellung der Ausgangs- und Zielsituation
Systemseitig hat mit diesem Übergang eine Weiterentwicklung in technischer wie organisatorischer Hinsicht zu erfolgen • integrierte Systeme mit breiterer Prozessunterstützung, Beispiel: statt fragmentierter und unterschiedlicher Auftragsabwicklungssysteme über die Handelsstufen hinweg ein durchgängiges Auftrags-ManagementSystem, das den gesamten Kunde-Kunde-Prozess integriert unterstützt • durchgängige Objektmodelle und -services, Beispiel: statt zahlreicher, zum Teil datenredundanter und unterschiedlich strukturierter Kundendatenbanken auf den unterschiedlichen Ebenen der Vertriebsorganisation (Handel/Importeur/Zentrale) ein integriertes „Customer Relationship Management“(CRM)-System, mit einer zentralen Definition des Geschäftsobjekts „Kunde“, einer zentralen Datenbasis aller Kunden und Interessenten sowie standardisierten Servicefunktionen rund um das Objekt „Kunde“, um Kundendaten zentral und einheitlich für andere Prozesse und Anwendungssysteme bereitzustellen • flexible und standardisierte Infrastrukturkomponenten, Beispiel: Konsolidierung der weltweiten Rechenzentren auf wenige Standorte (Zentrale plus Ausfallstandort) mit gleichzeitiger Virtualisierung der Ressourcen (CPUs, Speicher, Bandbreite) • atmungsfähige IT-Organisation, Beispiel: Statt in sich geschlossener „Full Service“-Einheiten mit großer Wertschöpfungstiefe je Einzelfunktion im Unternehmen eine Ausrichtung der IT-Organisation entlang der IT-Wertschöpfungskette „Plan Build Run“ mit standardisierten Prozes-
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sen und definierten Übergängen für die Vergabe von Aufgaben an externe Partner. Partnerstrategie Der Grundsatz der Atmungsfähigkeit, der sich letztlich aus den leidvollen Erfahrungen Anfang der 90er-Jahre ableitet, als Porsche Mitarbeiter abbauen musste, lässt dem Thema „Make or Buy“ und damit der gewählten Partnerstrategie eine zentrale Bedeutung zukommen. Die Partnerstrategie zu Beginn der 90er war geprägt durch hohen Kostensenkungsdruck und die Notwendigkeit des Stellenabbaus. Rechenzentrum und Datennetzbetrieb wurden outgesourct und in ein Joint Venture mit einem Outsourcing-Anbieter eingebracht. Dieser Weg stellte sich wenig später als Sackgasse heraus. Die Kostensenkungsziele wurden zwar erreicht, aber die IT-Infrastruktur überalterte. Notwendige Investitionen wurden nicht getätigt, und Innovation fand nicht statt. Aufkommende Herausforderungen wie die Euro-Einführung und die Sicherstellung der Jahr2000-Fähigkeit, die unter anderem durch einen Wechsel von SAP R/2 auf R/3 gemeistert werden sollten, stellten in dieser Konstellation ein Risiko dar. Die gewählte Outsourcing-Strategie musste überdacht werden. Die Bereitschaft, dafür auch signifikante IT-Investments zu tätigen, war Mitte der 90er-Jahre durch die verbesserte Ertragslage von Porsche gegeben. Als weitere Herausforderung neben der Modernisierung der Infrastruktur stellte sich auch die Sicherung der notwendigen Kapazität und des notwendigen Know-hows für die Migration der Anwendungslandschaft, insbesondere der SAP-Umstellung, dar. Durch die Überhitzung des ITArbeitsmarkts wegen der Euro- und Jahr-2000-Thematik sowie des aufkommenden Internet-Hypes entstand ein Risiko, keine geeigneten Ressourcen für die anstehenden Aufgaben und für den Ausbau der internen IT zu finden. Insbesondere in den strategischen Kernthemen der IT hätte dies zu einer inakzeptablen Abhängigkeit von externen IT-Dienstleistern führen können. Auch hier sollte durch eine geeignete Partnerstrategie eine Lösung gefunden werden. Lösungsansatz Die Zielkoordinaten zur Weiterentwicklung der IT-Organisation in der oben geschilderten Ausgangssituation waren klar gesetzt • Zentral-Dezentral: Dem Grundsatz „So zentral wie möglich, so dezentral wie nötig“ folgend, sollte eine weitere Stärkung der zentralen IT er-
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folgen. Die Kompaktheit der Porsche-Organisation als Ganzes erlaubte dies auch ohne großen Verlust an Kundennähe, aber mit dem Vorteil der ressort- und funktionsübergreifenden Integrationsmöglichkeiten. Als eine der wesentlichen Maßnahmen erfolgte die Zusammenführung der technischen und der betriebswirtschaftlichen IT unter zentraler Führung. Produktdaten-Management ist ein typisches Beispiel für die Integration von technischer und betriebswirtschaftlicher Informationsverarbeitung. Im Rahmen von Simultanous Engineering arbeiten heute Ingenieure und Betriebswirte parallel in gemischten Produktentwicklungsteams. Konstruktion, Kalkulation und Einkauf benötigen die gleichen Produktstrukturen, im einen Fall zum Beispiel zu geometrischen Untersuchung von Zusammenbauten (Kollisionsprüfungen, „Digital Mock-Up“, DMU), im anderen Fall zum Beispiel zur Zielkostenüberwachung dieser Zusammenbauten oder zur Bildung von Vergabeumfängen für Zulieferer. • Make or Buy: Die Vorgabe der Atmungsfähigkeit verbot die Wiedereingliederung der outgesourcten Infrastruktur-Tochtergesellschaft. Ebenso sollten die notwendigen Kapazitäten in Anwendungsentwicklung und Anwendungsbetreuung nicht komplett intern aufgebaut werden. Dies führte letztlich zu den zwei Kernelementen der heutigen flexiblen Porsche-IT-Organisation. – 1996 wurde das Joint Venture zum Betrieb der IT-Infrastruktur aufgelöst, die Gesellschaftsanteile komplett vom JV-Partner zurückgekauft und die heutige PIKS (Porsche-Information-Kommunikation-Services GmbH) als hundertprozentige Tochter der Porsche AG weitergeführt. – Die nahe liegende Idee, auch Anwendungsentwicklung und Application Management in die PIKS zu verlagern, stellte sich als undurchführbar heraus. 1999 erfolgte daher die Beteiligung an dem SAPBeratungshaus MHP (Mieschke, Hofmann & Partner) zunächst mit 49 Prozent, heute ausgebaut auf 74,8 Prozent. Dies sicherte einerseits zusätzlich Kapazitäten und zusätzliches Know-how für die SAP-Migration und stellte andererseits in der Folge die verlängerte Werkbank für die interne IT entlang der gesamten IT-Wertschöpfungskette sicher, von der Prozessberatung über die Anwendungsentwicklung bis zum Application Management. Die interne IT folgte konsequent dieser neuen Ausrichtung. Mit der zunehmenden Vergabe von Software-Entwicklung, Wartung und Support sowie Infrastrukturservices an die beiden IT-Tochtergesellschaften oder weitere Partner erfolgte eine Fokussierung auf Planungs-, Überwachungsund Steuerungsaufgaben. Schematisch lässt sich dieser Wandel im ITGeschäftsmodell von Porsche wie in Abbildung 3 darstellen.
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Diese Umgestaltung des IT-Geschäftsmodells ging mit einer Standardisierung der IT-Prozesse sowohl im Projektgeschäft (Einführung des Porsche-Vorgehensmodells für IT-Projekte in Anlehnung an das V-Modell) als auch im IT-Betrieb (Einführung von IT-Service-Management nach ITIL) einher. Ein wesentliches Element in diesem Umgestaltungsprozess adressiert die Themen „IT-Governance“ und „IT-/Business-Alignment“. 2001 wurde durch Gründung eines mit hochrangigen Fachbereichs- und IT-Vertretern besetzten IT-/Business-Integration-Boards die Voraussetzung für ein verbessertes IT-/Business-Alignment und eine geschäftszielorientierte IT-Governance geschaffen. Grundprinzip ist eine Trennung der IT-Nachfrage- („Fachbereiche“) und IT-Angebotseite („IT-Bereich“). • Das Gremium entscheidet über die Budgetallokation aus Business-Sicht und steuert unterjährig das Portfolio. Die Stimmenmehrheit liegt auf Fachbereichseite. Dadurch ist sichergestellt, dass Business-Ziele und nicht IT-Ziele bei der Budgetallokation im Vordergrund stehen. • Die IT hat im Wesentlichen eine beratende Rolle, zeigt Chancen und Risiken, sowie technische Möglichkeiten und Notwendigkeiten auf. Ferner ist sie umsetzungsverantwortlich und berichtet gegenüber dem Gremium über den Abarbeitungsstatus des Portfolios.
Abb. 3. Übergang der internen IT als Komplettdienstleister mit hoher Wertschöpfungstiefe zum internen IT-Management-DL mit flexibler Vergabe an die eigenen IT-Tochtergesellschaften
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Dadurch dass die Nachfrageseite eigenverantwortlich über Struktur und Schwerpunkte des IT-Portfolios entscheidet – letztlich den Budgeteinsatz kontrolliert –, ist die Einbindung der Fachbereiche in IT-Vorhaben und die Akzeptanz von IT-Vorhaben durch die Fachbereiche signifikant gestiegen. Die Zusammenarbeit zwischen Fachbereich und IT hat sich durch diese Maßnahmen deutlich verbessert.
Beispiele für Effektivität und Effizienz des Lösungsansatzes Mit dem zunehmenden wirtschaftlichen Erfolg und dem Wachstum der Porsche AG stiegen die Herausforderungen an die IT sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Allein zwischen 2000 und 2004 stieg das jährlich durch die IT abzuwickelnde Projektvolumen um fast 300 Prozent. Gleichzeitig wuchs die interne IT-Organisation um gerade einmal 3 Prozent. Dies ließ sich natürlich nur durch massive Ausnutzung des „atmungsfähigen“ Geschäftsmodells, insbesondere der Nutzung von MHP als verlängerte Werkbank der internen IT, umsetzen. Da MHP ein signifikantes Geschäftsvolumen außerhalb des Porsche-Konzerns hat, kann hier eine Kapazitätsnivellierung wesentlich besser dargestellt werden, als das mit einer rein internen IT möglich wäre. Gleichzeitig verbleibt kritisches Know-how im Porsche-Konzern.
300
250
200
150
100
50 2000/01
2001/02
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IT-Ausgaben Projekte
2003/04
2004/05
IT-Mitarbeiter
Abb. 4. Anstieg der Mitarbeiter der zentralen IT und Entwicklung der Ausgaben für IT-Projekte (indexiert, 2000/01 = 100)
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Die erfolgreiche Umsetzung der Vorhaben, die hinter diesem enormen Anstieg der „Change“-Investitionen stehen, beweist auch, dass die Innovationsfähigkeit bei einem atmungsfähigen Geschäftsmodell nicht verloren gehen muss, solange die Strategie, Planung und Steuerung intern wahrgenommen werden und durch ein adäquates IT-/Business-Alignment die Ausrichtung der IT an den Unternehmenszielen sichergestellt wird. Im Falle von Porsche hat es gerade dieses flexible Geschäftsmodell erst erlaubt, in kurzer Zeit IT-Großprojekte in den Bereichen Product Lifecycle Management (PLM), Supply Chain Management (SCM) und Customer Relationship Management (CRM) zu starten und erfolgreich umzusetzen. Beispiele sind die komplett bis zur automatisierten Händlerbevorratung integrierte Supply Chain im Ersatzteilwesen, das integrierte Auftrags- und Ressourcen-Management im Kunde-Kunde-Prozess oder die Integration zahlreicher Kundendaten-Management- und Marketing-Unterstützungssysteme in ein integriertes CRM-System. Natürlich sind die IT-Ausgaben durch die Häufung der Großprojekte absolut gesehen angestiegen. Betrachtet man dagegen allein das Segment „Run“, zeigt sich, dass das Porsche-IT-Geschäftsmodell auch unter Effizienzgesichtspunkten erfolgreich agieren kann. • Leistungsbereinigt sind die internen Verrechnungspreise (zum Beispiel Euro je Host-Transaktion, Euro je CAD-h etc.) für Infrastrukturservices in den vergangenen Jahren im Schnitt um jährlich zehn Prozent gesenkt worden.
Abb. 5. Entwicklung der internen Verrechnungspreise (IVP) für die ITInfrastruktur (2002/03 = 100, leistungsbereinigt)
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• Setzt man die IT-Betriebsausgaben in Relation zur Anzahl der abgesetzten Fahrzeuge, kann man die Effizienzsteigerung sogar noch deutlicher ablesen. Die IT-Betriebsausgaben je Fahrzeug sanken von 2001 bis 2005 um insgesamt 30 Prozent. 200
150
100 2000/01
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2003/04
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Ausgaben IT-Betrieb
Abb. 6. Fahrzeugabsatzentwicklung im Vergleich zur Entwicklung der IT-Betriebsausgaben (indexiert, 2000/01 = 100)
Ein Grund für den effizienten Infrastrukturbetrieb wurde in einer Benchmark-Untersuchung des SAP-Betriebs aus dem Jahr 2004 deutlich. Die PIKS als hundertprozentige Konzerntochter agiert nah am Kerngeschäft, ist in Projekten und im Anwendungsbetrieb eng eingebunden und kann daher wesentlich höhere Auslastungsniveaus der Infrastruktur verkraften, die bei externen Outsourcing-Anbietern aufgrund ihrer standardisierten Prozesse und Regelungen nicht akzeptiert würden und dort zwangsläufig höhere Betriebskosten mit sich bringen. Neben messbaren Verbesserungen hat das Porsche-IT-Geschäftsmodell weitere qualitative Vorteile • Leistungstransparenz: Durch die Beauftragung eigenständiger Tochtergesellschaften entstehen klare Auftragnehmer-Auftraggeber-Beziehungen mit der Folge einer hohen Leistungs- und Kostentransparenz. Die wesentlichen Leistungen sind durch klare Service Level Agreements geregelt, Projekte erfahren eine formale Abnahme, Aufträge auf der Basis von Zeit und Material werden exakt über Tätigkeitsnachweise abgerechnet etc.
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• Preistransparenz: Es bestehen Rahmendienstleistungsverträge mit Benchmark-fähigen Preisen für Basisdienstleistungen. Die Preislisten für Infrastrukturleistungen werden jährlich überarbeitet, um Rationalisierungspotenziale kontinuierlich heben zu können. • Wettbewerb/Vergleichbarkeit: Leistungen von MHP im Bereich Anwendungsentwicklung und -betrieb stehen voll im Wettbewerb. Es gibt keinen Kontrahierungszwang, sodass ein hohes Maß an Vergleichbarkeit gegeben ist. • Geringe Abstimmungsprobleme: Durch die enge Einbindung in den Porsche-Konzern und – in der Folge – die hohe Porsche-spezifische Ausrichtung der beiden externen Hauptdienstleister lassen sich Abstimmungsprobleme vermeiden und die üblichen Reibungsverluste zwischen interner IT und externen Anbietern verringern. Eine Kongruenz der Ziele ist über einen abgestimmten Zielvereinbarungsprozess für die ITLeitung und die Geschäftsführungen der Tochtergesellschaften sichergestellt.
Zusammenfassung Die Aufgabe, ein ohne Fixkostenanstieg skalierbares, aber gleichzeitig effizient und effektiv arbeitendes IT-Geschäftsmodell zu kreieren, das nicht innovationshemmend, sondern -fördernd ist, löste die Porsche AG durch eine duale, selektive Partnerstrategie. • Kernaufgaben des Informations-Managements (IT-Strategie, Portfolioplanung, Projekt-Management, IT- und Prozessberatung der Fachbereiche, IT-Architekturen, Integrations-Management und Service-Management) werden durch die interne IT wahrgenommen. • Die Mehrheitsbeteiligung MHP als führender Prozess- und IT-Berater in der deutschen Automobilindustrie agiert als verlängerte Werkbank der internen IT, insbesondere im Application Management und der Anwendungsentwicklung sowie in der Prozess- und Anwendungsberatung. • Die hundertprozentige Tochter PIKS stellt Infrastrukturservices für den Porsche-Konzern bereit, ist damit auf das Porsche-Kerngeschäft zugeschnitten und gleichzeitig transparent und messbar. Der flexible Zugang zu quasi internen Ressourcen erlaubt eine hohe „Change Rate“ und damit einen hohen Innovationsgrad. Zur Vermeidung einer Versorgungsmentalität durch den Mutterkonzern findet insbesondere zusammen mit der PIKS eine regelmäßige Optimierung des IT-Betriebs statt.
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Die Führung als echtes Profitcenter mit signifikantem Drittgeschäft und ohne Kontrahierungszwang für die Muttergesellschaft – wie im Falle der MHP – sorgt hier bereits von vornherein für Optimierungsdruck, von dem die Porsche AG und MHP gleichermaßen profitieren.
Innovative IT-Steuerung und -Management
Aktivitätenbasiertes IT-Controlling als Führungsinstrument
Uwe Herold, CIO Brose Fahrzeugtechnik GmbH & Co. KG
Die Voraussetzung: weltweite Transparenz der IT-Kosten Der heutige CIO ist vom Gestalter und Betreiber der IT-Infrastruktur zum Business-Partner gereift und sieht sich als Konsequenz im besonderen Maße neuen Herausforderungen der Fachbereichsseite ausgesetzt: Die mittlerweile IT-kundigen internen Kunden fordern zum einen natürlich weiterhin einen hochverfügbaren Betrieb der bestehenden IT-Systeme, zum anderen aber auch eine aktive Mitgestaltung der Geschäftsprozesse. Weiterhin existiert die berechtigte Erwartung, dass die gesamte Leistungserbringung möglichst effizient erfolgt. Das gilt es zu gewährleisten und nachzuweisen. Der Automobilzulieferer Brose fokussiert sich auf wenige Funktionen im Automobil, auf Sitze und Türen. Die Produkte unterscheiden sich von Kunde zu Kunde und von Region zu Region nicht grundsätzlich. Ähnliche Produkte werden weltweit gleichartig produziert und erlauben weltweit vereinheitlichte Abläufe. Die Etablierung von Standardprozessen und standardisierten IT-Systemen bedingen sich wechselseitig. Mittels IT implementierte Geschäftsprozesse lassen sich einfacher durchsetzen und nachhaltiger aufrechterhalten als rein organisatorisch vorgegebene Abläufe. Allerdings bleibt das nur bezahlbar, wenn die Anzahl und Varianz der Geschäftsprozesse und der IT-Systeme überschaubar gehalten werden. Das Ziel lautet Rationalisierung von Geschäftsprozessen. Das Mittel ist Prozessintegration in Standard-Software-Systemen. Die Rahmenbedingungen sind Komplexitäts- und Kostenreduzierung durch eine konsolidierte Prozess- und Systemlandschaft. Daraus ergeben sich die Fragen: Wie kann erreicht werden, dass es weltweit nur IT-Aktivitäten geben kann, die diesem Ziel dienen und die
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diesen Rahmenbedingungen folgen? Wie muss die IT-Organisation in einem internationalen Unternehmen geführt werden, um das durchzusetzen? Eines der dazu wirksam einsetzbaren Führungsinstrumente ist die zielkonforme Budgetsteuerung. Sie erfordert die Transparenz der IT-Kosten, zuerst im Plan, später auch im Ist.
Das Konzept: IT-Aktivität als Berichtseinheit Was sind IT-Aktivitäten? Warum wurde bei Brose dieser Begriff eingeführt? Die IT erbringt Leistungen gegenüber ihrem Kunden. IT-Services sind zum Beispiel die Bereitstellung von PC- oder CAD-Arbeitsplätzen, von Netzwerkdiensten sowie von vielfältigen Software-Anwendungen. Hinzu kommen Schulungs- und Beratungsleistungen. Zur Erbringung, Entwicklung oder Änderung der IT-Services werden Ressourcen benötigt, wird das IT-Budget verbraucht. Üblicherweise erfolgen die Budgetplanung und das Controlling über die Kostenrechnung. Sie gibt zwar allerlei Auskunft, zum Beispiel wo Kosten entstehen – nämlich in Kostenstellen – welche Kosten anfallen und für welche Kostenarten, etwa für Beratung oder Personal, aber nicht, warum sie entstehen. Insbesondere dann, wenn Aktivitäten über rechtliche Einheiten und Ländergrenzen hinweggehen, kann die Kostenrechung die Zusammenhänge nicht mehr aufzeigen. Die Frage, warum Geld eingeplant wird, ist aber die entscheidende Frage. Das Warum beantwortet die IT-Aktivität. Sie ist die Brücke über Portfolio-, Projekt- und Kostenplanung. Ein Beispiel macht es deutlicher: Nehmen wir an, es gilt, eine weltweite Archivierungslösung einzuführen. Dazu soll Mitte nächsten Jahres ein Projekt gestartet werden. Dieses Projekt wird mit unterschiedlichen Ressourcen ausgestattet: Es muss in Europa, in Nordamerika und in Asien in den dortigen Rechenzentren Hardware installiert werden. Es müssen die Mitarbeiter der zentralen Software-Entwicklung Schnittstellen programmieren. Netzwerkverbindungen müssen neu dimensioniert werden und vieles andere mehr. Kurzum, verschiedene Kostenstellen, noch dazu in unterschiedlichen rechtlichen Einheiten, werden für das Projekt Budget bereitstellen müssen. Dazu ist es hilfreich, dieses Budget in diesen Kostenstellen im Rahmen der Kostenstellenplanung einzustellen, es dann aber auch genau für die Aktivität „Archivierungslösung“ verbindlich zu reservieren. Sonst wird der künftige Projektleiter „Archivierungslösung“ Mitte nächsten Jah-
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res verärgert feststellen, dass der Leiter IT Nordamerika sein Budget für ganz andere Dinge verwenden will und deshalb keine Ressourcen für das Projekt bereitstellt. Was unterscheidet nun eine Aktivität von einem Projekt? Ein Projekt sammelt Kosten, prüft diese gegen das Projektbudget und wird zum Beispiel auf Kostenstellen abgerechnet. Für Projekte werden von Planungsperioden abweichende Start- und Endtermine festgelegt, Ziele beschrieben – in Arbeitspaketen zu Meilensteinen, deren Erreichung vorausgedacht wird; es werden Risiken bewertet und Ressourcen zugeordnet. Das erfolgt sinnvollerweise zeitnah zum Projektstart. Projekte dienen dem operativen Management, nicht der periodischen Budgetplanung. Eine Aktivität beschreibt die Absicht, in einer künftigen Planungsperiode einen gewünschten Nutzen oder eine beabsichtigte Wirkung mit einem bestimmten Budget zu erzielen. Eine Aktivität ist ein Projektvorhaben, aber auch die Bündelung und Zuordnung von Leistungsarten zu ITServices. Der zentralen Software-Entwicklung ist es relativ gleichgültig ob sie 200 Manntage der Leistungsart Java-Programmierung für Änderungen an bestehenden Materialwirtschaftsprogrammen einplant oder für das Archivierungsprojekt. Wichtig ist es aber bei der Planungsentscheidung pro oder kontra Archivierungslösung, dass damit ein Mannjahr in der Software-Entwicklungsabteilung gebunden wird. An der Aktivität hängen – wie an Gummibändern – die geplanten Budgets über alle rechtliche Einheiten und Kostenstellen hinweg. Zieht man im Rahmen der Planungsentscheidung eine Aktivität aus dem Portfolio heraus, dann wird sichtbar, welches Budget in welchem Unternehmsteil mitgezogen wird. Im Umkehrschluss kann der CIO in den allerorts beliebten Budgetkürzungsrunden leichter belegen, welche Aktivitäten entfallen müssen, wenn in einem Unternehmensteil Personal, Investitionen oder Sachkosten gestrichen werden. Die Zusammenhänge werden klar. Für Aktivitäten werden die Leistungen, ihre Erbringer und die Investitionsgegenstände sowie deren Aktivierungsort eingeplant. Es gilt festzulegen, aus welcher Kostenstelle wie viel welcher Kostenart (Beratung, Personal etc.) in welchem Jahr pro Aktivität eingeplant werden muss. Zudem ist es für die Priorisierung hilfreich, den erwarteten Nutzen der Aktivität zuzuordnen. Das Ergebnis ist: 1. Das gesamte IT-Budget wird konkreten, beschriebenen Aktivitäten zugeordnet, für die die Nutzenerwartung der Auftraggeber und die Kostenerwartung der Leistungserbringer dokumentiert sind. 2. Die IT-Verantwortlichen stimmen die Leistungen für die Aktivitäten selbstständig ab und dokumentieren das.
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3. Es entsteht Transparenz, welcher Teil der IT-Organisation zu welcher dieser Aktivitäten welche Leistung verbindlich einplant. Bei Brose kann dies jeder IT-Mitarbeiter einsehen. 4. Die Sachkosten-, die Investitions- und Personalplanung leitet sich vollständig und nur aus den abgestimmten Aktivitäten ab. Die Planung erfolgt gegen feste Zielwerte pro Kostenstelle, die im Dialog mit dem CIO im Planungsprozess justiert werden. 5. Die Schritte 1 bis 4 erfolgen rollierend im Plan/Ist-Abgleich mindestens für jede Quartalsvorschau.
Der Planungsprozess: Definition der richtigen Ziele Auf den ersten Blick kann die aktivitätenbasierte Planung als Zusatzaufwand erscheinen. Bei genauer Betrachtung und aus den praktischen Erfahrungen zeigt es sich, dass dieser formale Mehraufwand durch eine systematische Kommunikation bei Weitem überkompensiert wird. Die jährliche Planung ist ein wesentlicher Teil des Zielfindungsprozesses. Top Down entsteht das Portfolio der IT aus der Bündelung von Anforderungen der IT-Kunden sowie aus den Infrastrukturvorhaben. Das Portfolio wird in Aktivitäten aufgebrochen und in die aktivitätenbasierte Planung, bei Brose in das so genannte Business Activity Planning System (BAPS), eingestellt. Das BAPS ist ein auf SAP Netweaver und SAP Business Warehouse gestütztes, weltweit verfügbares Planungs- und Berichtswerkzeug. In diesem ersten Schritt werden alle angeforderten Aktivitäten in einem Planungshorizont von maximal fünf Jahren allen Budgetverantwortlichen sichtbar gemacht. Diese Aktivitäten besitzen bereits eine aus der Portfoliobewertung abgeleiteten Priorisierung und einen Eigner. Das ist bei Brose die IT-Führungskraft, die den zugehörigen IT-Service erbringt. Die Aktivität „SAP-Logistik-Rollout“ für ein Werk in Asien würde zum Beispiel vom Leiter Logistikanwendung eingestellt, weil er später für den laufenden Betrieb dieser Logistikanwendungen verantwortlich sein wird. Im gleichen System wird durch das IT-Controlling des CIOs pro Kostenstelle und pro Kostenartengruppe (Personal, Sachkosten, kalkulatorische Kosten) ein Zielwert vorgegeben, der eine harte Kostengrenze darstellt. In diesem Schritt wird das aus der Unternehmenszielplanung kommende IT-Zielbudget in die IT-Zielplanung pro IT-Organisationseinheit überführt.
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Abb. 1. Aktivitätenbasierter Planungsablauf
Der Eigner der Aktivität plant im nächsten Schritt die wesentlichen Leistungsarten und Investitionspositionen für die Umsetzung seiner Aktivität. Bleiben wir bei dem Beispiel SAP-Logistik-Rollout: Der Leiter Logistikanwendungen ordnet seiner Aktivität zum Beispiel die Leistungsarten Material-Management-Beratung, Produktionsplanungsberatung und SAPProgrammierung mit einer bestimmten Menge an Kapazität zu, aber auch die notwendigen Investitionen, etwa Speichererweiterung im Rechenzentrum, lokale Hardware im asiatischen Werk. Die Leistungsarten findet er im BAPS im Leistungskatalog der Kostenstelle, die die Leistung erbringt. Den Investitionspositionen ordnet er anhand des künftigen Einsatzorts die Kostenstelle zu, in der die Investition später aktiviert wird. Durch diesen Schritt meldet er bei den Kostenstellen, die die Leistungen bereitstellen oder die Investitionen tätigen sollen, seinen Bedarf an. Die jeweiligen Kos-
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tenstellenverantwortlichen sehen in ihrem Bedarfseingang alle auf sie zielenden Anforderungen mit Bezug zur Aktivität. Sie disponieren diese Bedarfspositionen und bestätigen diese damit verbindlich. Mit der Disposition entstehen Plankapazitäten und Plankosten auf ihrer Kostenstelle, die gegen ihr Zielbudget laufen. Dabei handelt es sich um einen iterativen Vorgang; bei Brose ist dies der Hauptabstimmungsprozess zwischen den IT-Verantwortlichen weltweit. Es werden intensiv und nachvollziehbar Vorhaben, Leistungen und technologische Möglichkeiten diskutiert und Zielvorgaben realistisch vereinbart. Das Ergebnis sind Aktivitäten, für die die benötigten Ressourcen verbindlich in der untergelagerten Kostenstellenplanung eingestellt und reserviert sind. Automatisch ableitbar entstehen die Sachkosten- die Investitions- und die Personalkostenbudgets. Das bei Weitem noch wichtigere Ergebnis ist das hohe Maß an Verbindlichkeit einer global agierenden Organisation für gemeinsame und ineinander verzahnte Ziele.
Die Umsetzung: damit aus Planung Realität wird Jeder Segler oder Pilot weiß, dass er ohne aktive Gegensteuerung von der Strömung oder dem Wind abgetrieben wird. Er bestimmt regelmäßig seine Position und korrigiert den Kurs, weil er sonst niemals am Ziel ankommen wird. Damit die Planung weiter die Richtung vorgibt, sollte sie regelmäßig überprüft und angepasst werden. Diese Positionsbestimmung und Kurskorrektur läuft wie folgt ab: Wie bereits erwähnt, sind Aktivitäten noch keine Projekte, sondern für Projekte reservierte Budgets. Bei der Projektbeantragung werden diese Reservierungen abgerufen. Pro Aktivität wird sichtbar, welche Budgetanteile bereits Projekten zugeordnet sind. Projekte können nicht ohne Angabe der zugehörigen Aktivität beantragt werden. Sie können auch nicht mehr Projektbudget erhalten, als für die Aktivität reserviert ist. Für ein ungeplantes Projekt oder für ungeplante IT-Services, zum Beispiel mehr Materialwirtschafts-Support, müssen deshalb entweder erst zusätzlich Aktivitäten angelegt werden, oder das Budget bestehender Aktivitäten muss erhöht werden. Dieser Zwangsablauf führt spätestens bei Budgetabruf durch Projektbeantragungen zur Anpassung der Planung im Business Activity Planning System (BAPS).
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Jedes Quartal werden die Aktivitäten insgesamt überprüft und angepasst. Nach dieser Anpassung wird automatisch eine Vorschau für die Kostenstellenrechnung und Investitionsplanung erstellt und mit der Ursprungsplanung verglichen. Falls erforderlich, werden Zielwerte verändert. Dem nachfolgenden Schaubild (Abbildung 2) kann der Zusammenhang zwischen Portfolio-Management, Business Activity Planning und ProjektManagement entnommen werden.
Abb. 2. Integration von Portfolio-Management, Business Activity Planning und Projekt-Management
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Das Ergebnis: ein wirksames Führungsinstrument für globale Serviceorganisationen Steigerung des Dienstleistungsbewusstseins
Die aktivitätenbasierte Planung basiert auf der quantitativen Zuordnung von Leistungsarten zu Aktivitäten. Bei dem erwähnten SAP-LogistikRollout wurden Material-Management-Beratung und Produktionsplanungsberatung/Customizing sowie Software-Entwicklung geordert. Voraussetzung dafür ist ein Leistungsartenkatalog der anbietenden Kostenstellen. Das führt zwangsläufig zur Frage nach dem Leistungsbeitrag einzelner Organisationseinheiten: „Herr IT-Kostenstellenverantwortlicher, welche Leistungen und Produkte liefern Sie aus? Wie sind diese beschrieben? Welche Kunden haben Sie?“ Diese Fragen schärfen erheblich das Dienstleistungsbewusstsein. Die Antworten, insbesondere die fehlenden, können zur Reorganisation ganzer IT-Bereiche führen, sofern sich herausstellt, dass eine klare Verantwortung für konkrete Produkte und Leistungen in der bestehenden Organisation nicht erreichbar ist. Bedarfsgerechtere, ambitionierte Ressourcenzuordnung
In jeder Organisation stellt sich die Frage, ob die Mitarbeiterkapazitäten richtig zugeordnet sind. Das Problem dabei ist es, dass „richtig“ immer nur für eine zeitlich begrenzte Periode richtig ist. Bei Organisationen mit relativ hohem Anteil am Projektgeschäft, und dieser sollte bei innovativen ITOrganisationen mehr als 30 Prozent betragen, lässt sich die Ressourcenplanung nur bedingt aus der Vergangenheit ableiten. Nutzt man die aktivitätenbasierte Planung, vereinfacht sich die Kapazitätszuordnung erheblich. Die aufkommende Frage an den zuständigen Leiter lautet: Sind Ihre Ressourcen für konkrete Aktivitäten reserviert, oder können Sie Personal abtreten? Dabei geht es vor allem um die Ressourcen, die nicht in Projekten gebunden sind, sondern für den laufenden Betrieb reserviert wurden. Es ist immer wieder erstaunlich, wie für interessante Projekte Ressourcen aus den Support-Bereichen wie Phönix aus der Asche steigen und dahin wieder verschwinden, wenn Projekte uninteressant werden oder auslaufen. Dagegen hilft für die Support-Leistungsarten, die Ressourcen konkret zu planen, zu überwachen und jedes Jahr um einige Prozent relativ zu einer Leistungskennzahl zu reduzieren.
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Erhöhung der Verbindlichkeit
Der zeitintensivste Teil der aktivitätenbasierten Planung ist die Abstimmung der Leistungsbeiträge der jeweiligen Organisationseinheiten. Und das ist gut so. Planung ist die gedankliche Vorwegnahme der Zukunft. Es ist nützlich, dabei zu überprüfen, ob die gewollten Vorhaben mit den zugestandenen Mitteln überhaupt erreichbar sind. Als Konsequenz wird dem Fachbereich, dem Kunden der IT, nicht mehr das Blaue von Himmel versprochen. Die IT wird glaubwürdiger. Die Zielsetzungen und Leistungszusagen innerhalb der IT-Organisation werden sehr konkret, nachvollziehbar und verbindlich. Selbstreinigung durch Transparenz
Bei Brose wird die aktivitätenbasierte Planung als ein wesentliches Kommunikationsinstrument eingesetzt. Jeder IT-Mitarbeiter weltweit kann alle geplanten Aktivitäten mit allen Leistungsbeiträgen jederzeit einsehen. Spätestens bei Steigerung der Zielanspannung entstehen Fragen. Hier natürlich nur ein fiktives Beispiel: Der IT-Gruppenleiter aus Brasilien fragt dann doch den Kollegen aus Detroit, wieso dieser seinen Anwendern vom gemeinsamen IT-Budget so viele Highend-Laptops gönnt. Die Nachfragen wirken selbstreinigend – meist wirkt bereits das Wissen, dass fachkundige Kollegen nachfragen könnten. Ein Führungssystem im Angebot
In den letzten Jahren haben IT-Organisationen nicht zuletzt durch die anhaltende Kostendiskussion ihre Strukturen gestrafft und sich als Serviceerbringer professionalisiert. Die Konsolidierung führte zu regionaler oder globaler Zentralisierungen. Dabei haben CIOs Organisationen zu führen, die global in Echtzeit operativ feinreguliert zusammenarbeiten müssen wie ein Uhrwerk. Die IT wurde mit dieser Herausforderung früher konfrontiert als viele andere Servicefunktionen im Unternehmen und hat deswegen die Mittel entwickelt, um mit dieser Aufgabe erfolgreich fertig zu werden. Die anderen Funktionen folgen, und die IT kann nun erprobte Werkzeuge, Technik, aber vor allem Methoden bereitstellen. Mit dieser zunehmenden Etablierung von „Shared Service“-Centern in Unternehmen wird die Bedarfs- und Leistungsabstimmung immer bedeutsamer. Genau dazu dient die aktivitätenbasierte Planung mit zugehöriger Leistungsdisposition. Aus diesem Grund fiel bei Brose die Entscheidung, dieses in der IT erprobte Planungsverfahren auf alle Dienstleistungsbereiche des Unternehmens schrittweise auszudehnen.
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Uwe Herold
Die IT entwickelt und pilotiert ein Führungssystem für global agierende Shared Service Center – IT-Innovation einmal ganz anders.
Innovative IT-Steuerung
Chittur Ramakrishnan, CIO RWE-Konzern Michael Semrau, Abteilungsleiter IT Strategy & IT Controlling RWE AG
RWE – ein Konzern im Wandel RWE ist ein Unternehmen mit einer langen Historie. Bereits 1898 wurde RWE als Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft gegründet. Der Fokus des Unternehmens lag jahrzehntelang auf der Versorgung seiner Kunden mit Strom. Trotz dieser langen Geschichte ist RWE heute – genau wie 1898 – ein junges Unternehmen, denn innerhalb der letzten fünf Jahre veränderte sich die Struktur von RWE grundlegend. Beginnend mit der Fusion mit VEW im Jahr 2000 über den Einstieg in das internationale Strom- und Wassergeschäft, wuchs RWE zu einem weltweit tätigen Konzern, der 2004 mit 98 000 Mitarbeitern einen Umsatz von 42 Milliarden Euro erwirtschaftete. Heute konzentriert sich RWE auf die Geschäftsfelder Strom und Gas in den Kernmärkten Deutschland, Großbritannien sowie Mittel- und Osteuropa. Zur Strategie von RWE gehört es, in allen relevanten Märkten eine Führungsposition einzunehmen. Die erfolgreiche Geschäftspolitik der letzten Jahre hat dafür gesorgt, dass RWE zu den Schwergewichten im DAX gehört und seinen Aktionären eine hohe Dividendenrendite bieten kann. Natürlich hat diese Entwicklung nicht unerhebliche Anforderungen an die Informationstechnologie des Konzerns mit sich gebracht. Immer neue Akquisitionen mussten integriert und insbesondere in die bestehende Anwendungslandschaft eingebunden werden. Doch nicht nur die Veränderungen der strategischen Geschäftsfelder oder die internationale Ausweitung in diesen Geschäftsbereichen führten zu Veränderungen für die benötigte Informationstechnologie. Im deutschen Markt änderten sich gleichzeitig die Regeln des angestammten Geschäfts mit Strom und Gas grundlegend. Die zur Förderung des Wettbewerbs staatlich vorgegebene neue Aufteilung der bis dato integrierten Wertschöp-
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fungsketten im Strom- und Gasgeschäft in regulierte und nicht regulierte Bereiche führte zu weiteren deutlichen Veränderungen in der Informationstechnologie des Unternehmens. Dies galt jedoch nicht nur für RWE, sondern für alle Unternehmen, die bislang die verschiedenen Liefer- und Leistungsprozesse integriert hatten. Erstmalig in der Geschichte von RWE mussten beispielsweise bislang verschmolzene Unternehmensteile aufgetrennt und in eigenständige juristische Einheiten überführt werden. Diese unterschiedlichen juristischen Einheiten waren auf der Ebene der IT-Systeme sinnvoll zu trennen und die sich aus der Trennung ergebenden neuen Geschäftsprozesse abzubilden. Auf der Ebene des Konzerns wurde für die Neustrukturierung auf Beschluss des Vorstands das Projekt „Akropolis“ aufgesetzt, welches für RWE die neue Organisationsstruktur mit sechs Führungsgesellschaften mit dem Ziel vorgab, die Ertragskraft des RWE-Konzerns weiter zu steigern. In der Folge dieses Projekts startete dann eine Vielzahl von IT-Projekten zur Abbildung dieses tief greifenden Wandels in der Informationstechnologie. Strom 21
Gas
10 70
Wasser1)
Gesamt: 101 Millionen versorgte Einwohner 1) Einschließlich Minderheitsbeteiligungen >= 20% Stand: 31.12.2004
Abb. 1. RWE-Kundenportfolio weltweit 2004
Eine wesentliche Entwicklung in diesem Zeitraum war die Reorganisation der CIO-Funktion im RWE-Konzern. War diese Funktion lange Zeit organisatorisch und personell (inklusive der Person des CIOs selbst)
Innovative IT-Steuerung
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mit dem größten IT-Dienstleister des Konzerns, der RWE Systems, verknüpft, so erfolgte Anfang 2004 die vollständige Trennung der CIO- und der IT-Dienstleistungsfunktion. Die CIO-Funktion wurde als GovernanceFunktion in die Holding des Konzerns, das Group Center, integriert und in der Konzernstruktur durch die IT-Governance-Funktionen in den Führungsgesellschaften („Informations-Management“) komplettiert. Der Konzern-CIO berichtet seitdem direkt an den CEO des Konzerns. Für die neu gebildete CIO-Funktion können damit zusammenfassend vier wesentliche Aufgabenstellungen genannt werden • die neuen Unternehmensstrukturen und die daraus resultierenden neuen Geschäftsprozesse in IT abzubilden • die Internationalisierung IT-technisch umzusetzen • zum Ertrag des Konzerns durch eine gesteigerte Kosteneffizienz in der IT beizutragen • eine effektive und effiziente IT-Steuerung für die IT im Konzern zu etablieren „Closing the Loop“ – Aufbau einer globalen IT-Steuerung Dieses Kapitel beschreibt die wesentlichen Elemente des aufgrund der geschilderten Anforderungen etablierten IT-Steuerungsmodells. Dabei bot die Reorganisation der CIO-Funktion die Chance, die bestehenden Steuerungsprozesse zu überprüfen und gegebenenfalls zu ergänzen oder sogar zu ersetzen. Die im Folgenden vorgestellten Prozesse bilden eine logische Kette von ineinander greifenden Elementen. Nicht verschwiegen werden soll aber an dieser Stelle, dass die einzelnen Steuerungsprozesse nicht in dieser logischen Reihenfolge etabliert wurden, sondern sich die Reihenfolge der Implementierung in den letzten zwei Jahren vor allem durch die Dringlichkeit des jeweiligen Prozesses ergab. So war beispielsweise angesichts der dargestellten Herausforderungen zunächst die notwendige Transparenz in der IT herzustellen. Daraus folgt, dass zunächst der IT-Controlling-Prozess umgesetzt wurde, der zur Realisierung einer detaillierten IT-Planung befähigte. Die Steuerung der IT durch die CIO-Funktion erfolgt entlang der Prozesse • IT-Strategieprozess • IT-Controlling-Prozess • IT-Review-Prozess
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Chittur Ramakrishnan, Michael Semrau
Abb. 2. IT-Steuerungsprozesse im RWE-Konzern
Die Konzeption dieser Prozesse erfolgte unter dem Paradigma Closing the Loop. Dieses Paradigma wird in drei unterschiedlichen Aspekten deutlich. Verzahnung der IT-Steuerungsprozesse
Closing the Loop bedeutet hier, dass die Ergebnisse eines Prozesses gleichzeitig die nachvollziehbaren Eingangsparameter des nächsten Prozesses sind und andererseits jeder Prozess auch eine Rückkopplung an die übergeordnete Prozesshierarchie gibt. Hierzu ein Beispiel: Im Rahmen der IT-Strategieentwicklung werden neben den strategischen IT-Zielen auch konkrete strategische Initiativen festgelegt, welche die Zielerreichung unterstützen (strategische IT-Planung). Diese strategischen Initiativen, mit einem zeitlichen Horizont von etwa ein bis drei Jahren, werden durch konkrete Projekte umgesetzt, die im Rahmen der IT-Budget- und Portfolioplanung (auf Basis der operativen IT-Planung in den Konzerngesellschaften) geplant und genehmigt werden. Die IT-Budget- und Portfolioplanung ist ein Teilprozess des IT-Controlling-Prozesses. Die Ergebnisse der schließlich durchgeführten ITProjekte können so gegen die ursprünglichen strategischen Initiativen gespiegelt werden, sodass festgestellt werden kann, inwieweit deren Umsetzung zur Erreichung der strategischen IT-Ziele beigetragen hat. Verzahnung von Drill Down und Aggregation
Closing the Loop in dieser Ausprägung bedeutet, dass die vorliegenden Informationen – so weit wie notwendig – in Einzelteile aufgespalten werden,
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aber genauso gut auch wieder konsistent zusammengeführt werden können. Für die IT-Budget- und Portfolioplanung hat dies unter anderem folgenden Effekt: Um eine Steuerung des IT-Budgets zu erlauben, können die Aufwendungen für laufende Kosten (im Wesentlichen IT-Services) in Einzelbestandteile, wie zum Beispiel Desktop-Kosten, aufgesplittet werden. Diese Desktop-Kosten wiederum lassen sich weiter zergliedern in einzelne Komponenten (zum Beispiel Hardware). Auf Basis dieser Einzelkomponenten werden dann beispielsweise auch die Service Level Agreements (SLAs) für IT-Dienstleistungen verhandelt und vertraglich geregelt. Verzahnung zwischen den organisatorischen Ebenen im Konzern
Closing the Loop stellt sicher, dass die wichtigen IT-Steuerungsprozesse auf Konzernebene mit den entsprechenden IT- Prozessen auf der nächsten organisatorischen Ebene der Führungsgesellschaften verzahnt sind. Da die sechs Führungsgesellschaften von der Art ihres Geschäfts, ihren Anforderungen an IT und ihren kaufmännischen Management-Prozessen zum Teil sehr unterschiedlich sind, ist eine spezifische Ausprägung von IT-Steuerungsprozessen teilweise notwendig und akzeptabel, solange eine enge Verzahnung zu den Prozessen der Konzernebene gegeben ist. Dies heißt zum Beispiel, dass im Rahmen der IT-Budget- und Portfolioplanung konzernweit einheitliche Definitionen für IT-Kostenarten eingesetzt werden oder die Kalkulation eines Business Case für ein Projekt nach einheitlichen Regeln erfolgt. Der IT-Strategieprozess Der IT-Strategieprozess beschreibt die Entwicklung der IT-Strategien auf den Ebenen des Konzerns und der Führungsgesellschaften. Zielsetzung bei der Konzeption dieses Prozesses war es, getreu dem Motto Closing the Loop einerseits die Vorgaben der Konzerngeschäftsstrategie aufzunehmen und andererseits eine nachvollziehbare Verbindung zwischen der KonzernIT-Strategie und den IT-Strategien der Führungsgesellschaften zu realisieren. In der Vergangenheit wurde aus einer IT-fokussierten Sichtweise die ITStrategie des Konzerns im Zeitabstand von mehreren Jahren nur dann aktualisiert, wenn wesentliche Teile der Festlegungen aus technischer Sicht überarbeitet werden mussten. Die Neugestaltung des IT-Strategieprozesses hebt von dieser IT-fokussierten Sicht ab. Da sowohl für den Konzern als auch für die Führungsgesellschaften jährliche Strategieprozesse auf der
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Geschäftsseite durchgeführt werden, wurde auch für den IT-Strategieprozess ein jährlicher, entsprechend verzahnter Zyklus eingeführt. Wesentliche Elemente der IT-Strategie des Konzerns sind neben den strategischen IT-Zielen vor allem eine ausführliche Würdigung der strategischen Lücke zwischen dem heutigen Ist-Zustand und dem in den Zielen beschriebenen Soll-Zustand sowie die Darstellung der zur Erreichung dieser IT-Ziele aufzusetzenden strategischen IT-Initiativen. Wie aber kann die Verbindung zwischen Geschäftsseite und IT noch stärker in die Strategieentwicklung einfließen? Als eine Antwort darauf wurde die so genannte IT-Reifegradeinschätzung für RWE entwickelt, die insbesondere die Anforderungen und Einschätzungen der Geschäftsseite aufnimmt und in die IT-Strategieentwicklung mit einfließen lässt (diese Methodik wird in Kapitel „Besondere Aspekte der IT-Steuerungsprozesse“ detaillierter beschrieben). Darüber hinaus wird die IT-Strategie des Konzerns nach der gemeinsamen Erarbeitung durch die CIO-Organisation sowie die InformationsManager und IT-Vorstände der Führungsgesellschaften durch das Group Business Committee (GBC) diskutiert und vom Konzernvorstand formal als Konzernrichtlinie beschlossen. Das GBC ist das höchste Gremium nach dem Konzernvorstand, in dem neben den Mitgliedern des Konzernvorstands auch die CEOs der Führungsgesellschaften vertreten sind. Diese Vorgehensweise stellt sicher, dass die IT-Strategie des Konzerns in einer für die Geschäftsverantwortlichen nachvollziehbaren Weise die Ziele und Anforderungen der Geschäftsseite aufgenommen und in IT übersetzt hat. Der IT-Controlling-Prozess Der Begriff IT-Controlling steht bei RWE für die eher kaufmännische Betrachtung der IT. Hierzu gehören neben der IT-Budget- und Portfolioplanung vor allem die unterjährige, quartalsweise Prognose und die Darstellung der aufgelaufenen Ist-Kosten gegenüber dem geplanten ITBudget. Neben der notwendigen Bereitschaft aller, an der Transparenz des ITBudgets mitzuarbeiten, sind wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg dieses Prozesses das konzernweit einheitliche Verständnis der notwendigen Definitionen für IT-Kosten und die einheitliche Berechnung von Business Cases. Obwohl der IT-Budget- und Portfolioplanungsprozess bei RWE bereits dreimal in sehr ähnlicher Form durchgeführt wurde, sind immer noch so genannte Transparenzeffekte zu verzeichnen. Dabei handelt es sich meist um in Fachbereichen versteckt geplante IT-Aufwendungen, die nur nach und nach durch die IT-Community identifiziert werden.
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KonzernStrategieentwicklung
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IT-Ebene Geschäftsebene
Konzern-IT-StrategieRahmenwerk: Überarbeitung/Entwicklung KonzernStrategiekonferenz FGStrategieentwicklung FG-IT-StrategieRahmenwerk: Überarbeitung/Entwicklung FG-Strategiekonferenz FG-Planung in den Führungsgesellschaften Priorisierung/ IT-Planung in der Ausrichtung am Führungsgesell. Konzerngeschäft
KonzernIT-Budgetverabschiedung
Vierteljährliches IT-Review-Gespräch
Abb. 3. Verzahnung von Geschäfts- und IT-Strategieprozess und deren Einfluss auf die IT-Planung
Innerhalb von RWE werden die IT-Budgets aller Gesellschaften, die im Konzernabschluss konsolidiert werden, in einem einheitlichen, intranetbasierten Werkzeug erfasst. Dies erlaubt den schnellen Vergleich zwischen IT-Projekten und die Entdeckung möglicher Synergieeffekte. Ein weiterer Zweck der einheitlichen Konsolidierung des IT-Budgets ist die Priorisierung aller IT-Ausgaben im Konzern. So werden alle Projekte klassifiziert und mit einer entsprechenden Priorität versehen. Damit werden die ITAusgaben auf diejenigen IT-Projekte fokussiert, die für den Konzern den größten Wert haben. Auch Kürzungen des IT-Budgets lassen sich damit so umsetzen, dass aus einer Konzernperspektive eine möglichst geringe Beeinträchtigung entsteht. Jedes Projekt muss einer der Kategorien „Mandatory“, „Business Critical“ oder „Value Producing“ zugeordnet werden. Ein Projekt ist Mandatory, wenn es allein dazu dient, Anforderungen des Gesetzgebers oder eines Regulators umzusetzen. Business-kritische Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass ohne diese Projekte ein bestehender Geschäftsprozess nicht mehr so wie zuvor durch IT unterstützt werden könnte. In diese Kategorie fallen zumeist IT-Projekte, die Anwendungssysteme modernisieren, wenn etwa eine verwendete Software aus der Wartung läuft und die reibungslose Funktion der Anwendung nicht anders sichergestellt werden kann.
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IT-Projekte der Kategorie „Value Producing“ zeichnen sich allein durch einen positiven Business Case aus und tragen so zur Verbesserung des wirtschaftlichen Ergebnisses der betreffenden Gesellschaft bei. Über ein spezifisches Renditemaß werden diese Projekte in ein konzernweites Ranking gebracht und sind somit vergleichbar. Dies setzt die etablierte, einheitliche Berechnung des Business-Effekts voraus. Der IT-Review-Prozess Der IT-Review-Prozess schließlich bildet den logischen Abschluss der ITSteuerungsprozesse aus Konzernsicht. Dieser Prozess stellt die Verbindung zwischen der IT-Planung und dem tatsächlich ausgeführten Projektportfolio her. Darüber hinaus stehen die großen, bedeutenden IT-Projekte grundsätzlich im Fokus dieses Prozesses. Auch die IT-Planung ist, wie jede Planung, Veränderungen unterworfen, da sich die Realität nicht immer präzise genug voraussagen lässt. Daher wurde ein Konzept entwickelt und implementiert, wie diese Veränderungen in Projektportfolios abgebildet werden können und trotzdem die im Rahmen der Planung geltenden Rahmenbedingungen, etwa hinsichtlich der geforderten Rentabilität, eingehalten werden. Damit steht ein jederzeit aktuelles Projektportfolio zur Verfügung, welches sich durch die IT-Community steuern lässt. Nach der Reorganisation der CIO-Funktion im RWE-Konzern wurde zunächst die IT-Planung eingeführt. Doch wie erwartet hat sich recht schnell gezeigt, dass eine allein auf der Planung und den entsprechenden Budgetprognosen abgestützte IT-Steuerung nicht möglich ist. Zu umfangreich waren die Änderungen am geplanten Projektportfolio, sodass der Fokus im zweiten Jahr der CIO-Funktion stark auf der Verfolgung der Veränderungen des Projektportfolios lag. Einmal im Quartal werden nun sowohl die aktuelle Prognose des ITBudgets als auch der Status der großen IT-Projekte und des Gesamtportfolios auf Vorstandsebene mit jeder Führungsgesellschaft in so genannten Quarterly Review Meetings (QRM) diskutiert. Teil des IT-Review-Prozesses sind aber auch Projekt-Reviews für wenige ausgesuchte, große IT-Projekte. Hierbei führen Experten für das IT-Projekt-Management und gegebenenfalls erfahrene IT-Projektleiter Interviews mit den Projektleitern der zu betrachtenden Projekte durch. Diese Reviews haben zwei Ziele: Zum einen sollen drohende Schieflagen von Projekten möglichst frühzeitig erkannt werden, damit der Projektleiter, der Auftraggeber des Projekts oder, falls notwendig, sogar der CIO eingreifen kann.
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Vor allem aber sollen die Projektleiter durch ihre Kollegen darin unterstützt werden, ihr eigenes Projekt-Management selbst zu verbessern. Damit soll eine Hilfestellung zur Sicherstellung des Projekterfolgs gegeben werden. Weitere Details zu den Projekt-Reviews werden im Abschnitt „Top-IT-Projekt-Reviews“ ausgeführt. Auf der Basis gegenseitigen Vertrauens konnten in den letzten Jahren besondere Maßnahmen zur IT-Steuerung eingeführt werden, welche die gemeinschaftliche Entwicklung der IT im RWE-Konzern unterstützen. Diese neuen Aspekte sind im folgenden Kapitel beschrieben.
Besondere Aspekte der IT-Steuerungsprozesse In die Konzeption der geschilderten Prozesse sind einige besondere Aspekte eingeflossen, die im Folgenden detaillierter dargestellt werden sollen. Dabei handelt es sich um • die IT-Reifegradeinschätzung zur Verknüpfung von Business und IT („Business/IT-Alignment“) sowie dem Abgleich der jeweiligen Sichtweisen von Business- und IT-Verantwortlichen zum Stand der Informationstechnologie heute und zum gewünschten Zustand in etwa zwei bis drei Jahren • die Verknüpfung von IT-Strategie und IT-Planung zur Sicherstellung der IT-Strategieumsetzung und zur Fortschritts- beziehungsweise Erfolgskontrolle • die Top-IT-Projekt-Peviews zur Etablierung von Best Practices im Projekt-Management, zur frühzeitigen Diskussion möglicher Projektrisiken sowie als Frühwarnsystem für die Projektauftraggeber Die IT-Reifegradeinschätzung Von der Positionsbestimmung (Wo steht unsere Informationstechnologie heute?) über die Zielbestimmung (Welche Erwartungen haben wir an die IT in den nächsten Jahren? ) bis hin zur Erfolgskontrolle (Haben wir in der IT erreicht, was wir uns vorgenommen haben?) reicht die Bandbreite der Fragen, die im Rahmen der IT-Strategieentwicklung und Umsetzung beantwortet werden müssen. Ohne nachvollziehbare und akzeptierte Antworten auf diese Fragen besteht eine nachhaltige Angreifbarkeit der gesamten IT-Strategie. Darüber hinaus könnten vielfach konkret ausgesprochene Anforderungen der Geschäftsseite im Rahmen der IT-Strategieentwicklung verloren gehen.
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Hohe Geschäftsunterstützung
Grad der IT-Optimierung
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Grad der IT-Konsolidierung Geringe Kosteneffizienz
Hohe Kosteneffizienz
Heutiger Reifegrad (inkl. Kennzahlen) Zukünftiger Reifegrad (exkl. Kennzahlen) Heutiger Reifegrad (exkl. Kennzahlen)
Abb. 4. Überblicksdarstellung der Reifegradeinschätzungs-Ergebnisse (illustrativ)
Innerhalb des RWE-Konzerns werden die geschilderten Probleme durch die IT-Reifegradeinschätzung gemeinschaftlich von Business und IT verhindert. Bei dieser Methodik handelt es sich um ein auf Experteninterviews mit Managern der Geschäftsseite und der IT sowie IT-Kennzahlen (Key Performance Indicators, KPIs) gestütztes Verfahren, welches die Situationsbestimmung und die Erhebung von Erwartungen durchführt. Im Rahmen dieser Methodik werden zentrale Themenstellungen bezogen auf die strategischen IT-Ziele so abgefragt beziehungsweise durch Kennzahlen bewertet, dass eine Einordnung der IT bezüglich ihrer (Kosten-)Effizienz („IT Consolidation“) oder des Grads der Geschäftsunterstützung (Effektivität, „IT Optimization“) möglich wird. Dabei werden zwei Zeitpunkte betrachtet: die Einschätzung der Ist-Situation sowie die erwartete Entwicklung der IT in zwei bis drei Jahren. Abbildung 4 zeigt als konsolidierte Zusammenfassung der Ergebnisse einer IT-Reifegradeinschätzung für eine Führungsgesellschaft, die Ein-
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schätzung bezüglich der gegenwärtigen Situation (Current Maturity) sowie die Erwartung bezüglich der zukünftigen Situation (Future Maturity). In der Regel bestätigten die verwendeten Key Performance Indicators (Current Situation inklusive KPIs) die Einschätzung der befragten Experten sehr gut. Nur in Ausnahmefällen ergaben sich deutlichere Abweichungen. Diese Darstellung dient jedoch nur zur Diskussion der Ergebnisse auf Management-Ebene. Zur Verwendung im Rahmen der IT-Strategieentwicklung werden die Ergebnisse detaillierter aufgebrochen. Die folgende Abbildung 5 zeigt die nächste Schicht des möglichen Drill Down. Hier werden am Beispiel der IT-Kosteneffizienz („IT Consolidation“) die Ergebnisse der IT-Reifegradeinschätzung in der nächsten Ebene auf konkrete Themen, wie zum Beispiel „Consolidation of IT operations“, heruntergerochen. Ein Drill Down kann dabei nach unterschiedlichen Schnitten erfolgen, zum Beispiel: Vergleich Business/IT, Vergleich heutige Situation/zukünftige Situation oder Darstellung der unterschiedlichen Bewertungen in den Führungsgesellschaften (minimale, maximale und durchschnittliche Merkmalsausprägung).
Abb. 5. Einschätzung einzelner Themengebiete aus dem Bereich IT-Konsolidierung (illustrativ)
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Für eine noch detailliertere Diskussion kann ergänzend ein weiterer Drill Down auf der Ebene von Einzelfragestellungen erfolgen. Auf der Basis dieser Auswertungen lassen sich noch konkretere und spezifischere Maßnahmen zur Verbesserung der IT ableiten, entwickeln und umsetzen. Verknüpfung von IT-Strategie und -Planung Die Qualität und die Wirkung einer IT-Strategie zeigt sich nicht nur an deren Inhalten, sondern viel entscheidender daran, ob diese Inhalte auch in reale Umsetzungsprojekte Eingang finden, sodass die formulierten strategischen IT-Ziele tatsächlich erreicht werden können. Eine wesentliche Herausforderung ist hierbei die Übersetzung einer an die Entscheidungserfordernisse des Top-Managements orientierten IT-Strategie in konkrete informationstechnische Maßnahmen. Dazu erfolgt aufbauend auf der IT-Reifegradeinschätzung die ITStrategieentwicklung mit dem wesentlichen Bestandteil der strategischen IT-Planung. Hierbei werden sowohl auf Konzern- als auch auf Gesellschaftsebene strategische IT-Initiativen definiert. Im Übergang zur jährlichen IT-Budget- und Portfolioplanung werden diese, unter Umständen auf mehrere Jahre angelegten Initiativen in konkrete Projekte heruntergebrochen. Im Rahmen des gesamten Planungsprozesses kann dann die Abbildung von strategischen IT-Initiativen zu geeigneten Projekten hinterfragt und nachvollzogen werden. Eine Nachverfolgung der Projekterfolge wiederum erlaubt dann die Darstellung der Zielerreichung und des Umsetzungserfolgs im Sinne der definierten IT-Strategie. Top-IT-Projekt-Reviews Ein weiterer wesentlicher Baustein der IT-Steuerung sind die bereits erwähnten Projekt-Reviews. Die Motivation zu diesen Reviews basiert auf der Annahme, dass gutes Projekt-Management in hohem Maße zum Projekterfolg beiträgt. Für Projekte stellen beispielsweise technische Probleme oder sich ändernde Anforderungen der Auftraggeber immer wieder Herausforderungen dar. Verschiedene Studien der letzten Jahre zum Erfolg von IT-Projekten haben jedoch gezeigt, dass die Qualität des Projekt-Managements in ganz erheblichem Ausmaß den Projekterfolg beeinflusst. Es werden in den Reviews daher nicht nur die direkten Projektergebnisse betrachtet, sondern vielmehr
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die Prozesse und deren Qualität, die zur Erarbeitung der gewünschten Ergebnisse etabliert sind. Für den verantwortlichen CIO eines Konzerns ist es unabdingbar, über sich abzeichnende Schieflagen der Top-IT-Projekte möglichst frühzeitig informiert zu werden. Neben der Regelkommunikation in den entsprechenden Auftraggeber- oder Leitungskreisen leisten hier die ProjektReviews einen wertvollen Beitrag. Dies ist jedoch nicht ihr Hauptzweck, ebenso wenig soll durch von der CIO-Organisation selbst durchgeführte Projekt-Reviews die Revision ersetzt beziehungsweise eine „Nebenrevision“ etabliert werden. Der Hauptzweck liegt vor allem in der Unterstützung des stark belasteten Projekt-Managements vor Ort. Durch fokussierte Interviews mit den Projektverantwortlichen sollen Vorschläge zur Verbesserung des ProjektManagements erarbeitet werden. Die Reviewer sind Experten aus dem Bereich Projekt-Management mit eigener Projekterfahrung, meist im Bereich der Qualitätssicherung. Ob die Verbesserungsvorschläge umgesetzt werden, verbleibt allerdings in der Verantwortung des Projektleiters. Er trägt die Verantwortung und soll nach eigenem Ermessen entscheiden können. Daher werden über die detaillierten Verbesserungsvorschläge weder der Auftraggeber noch der CIO informiert.
Abb. 6. Risiken werden nach Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit klassifiziert (illustrativ)
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Der als Review-Ergebnis gemeinsam vom Projekt-Management und den Reviewern erstellte Bericht besteht daher aus einem öffentlichen Teil für das IT-Management und einem nicht öffentlichen Teil, der im Projekt verbleibt. Neben der Prüfung des Business Case geht es in den Reviews zum einen um die Aufnahme von bestehenden Projektrisiken und möglichen Maßnahmen gegen diese Risiken. Zum anderen werden zwölf typische ProjektManagement-Prozesse auf ihre Qualität hin untersucht. Die zwölf betrachteten Prozesse des Projekt-Managements (siehe Abbildung 7) reichen von der Berechnung des ersten Business Cases (Profitability Analysis) über Projektdurchführung und Qualitäts-Management bis zum Nutzeninkasso (Benefit Tracking). Je nach Projekt und entsprechend festgelegtem Schwerpunkt des Reviews werden im Rahmen des ProjektReviews nicht immer alle zwölf Prozesse gleichermaßen betrachtet.
Abb. 7. Bewertung der Projekt-Management-Prozesse (illustrativ)
Jeder Projekt-Management-Prozess wird dabei im Rahmen des Reviews einem von fünf Reifegraden zugeordnet. Je höher der Reifegrad, desto höher die Qualität des betrachteten Prozesses. Abbildung 7 verdeutlicht die zusammenfassende Darstellung des Review-Ergebnisses. Dabei markiert die schwarze Linie die Mindestanforderungen an das Projekt-Management
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aus Sicht des zuständigen Informations-Managers der entsprechenden Führungsgesellschaft. Die graue Fläche dagegen zeigt den durch das Projekt tatsächlich erreichten Reifegrad. Wichtiger jedoch als diese zusammenfassende Darstellung sind die dahinter liegenden, vom Projekt-Management und den Reviewern erzielten Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Verbesserungsvorschläge. Derzeit werden im RWE-Konzern etwa acht bis zehn Top-IT-ProjektReviews pro Jahr durch die CIO-Organisation durchgeführt. In den letzten Jahren hat sich hierbei gezeigt, dass es nur sehr selten zu abweichenden Einschätzungen eines Projekts zwischen Projektleiter und dem ReviewTeam gekommen ist. Insbesondere Projektleiter, die bereits Erfahrungen mit diesen Reviews haben, nehmen die Verbesserungsvorschläge positiv auf. In anderen Fällen ist im Rahmen des Reviews durchaus eine gewisse Skepsis zu spüren, die sich jedoch spätestens bei der gemeinsamen Erarbeitung des Ergebnisberichts legt.
Closing the Loop – was noch fehlt Ein Aspekt des Closing the Loop – und damit sinnbildlich der ITSteuerung – stellt auch für die IT-Community im RWE-Konzern nach wie vor eine besondere Herausforderung dar: Verzahnung der IT-Projektbenefits mit dem Business
Closing the Loop in diesem Zusammenhang wäre durch den Nachweis gegeben, dass der mit dem Business Case eines Projekts versprochene Nutzen wirklich realisiert werden konnte. Die Beurteilung eines Projekts danach, ob die geforderten Ergebnisse in der versprochenen Zeit, Qualität und zu den geplanten Kosten abgeliefert wurden, stellt heute keine besondere Herausforderung mehr dar. Schon schwieriger, aber mit einem gewissen Aufwand aus unserer Sicht durchaus machbar, gestaltet sich die Nachvollziehbarkeit der in der Realität eintretenden monetären IT-Benefits. Hierbei können diese Benefits bestimmten Servicekosten direkt zugeordnet werden. Auf vergleichbarer Basis sollten die Servicekosten durch die entsprechenden Projekte also im geplanten Rahmen sinken oder, was leider auch häufig vorkommt, in dem geplanten Rahmen steigen. Wesentlich schwieriger ist es dagegen, die Benefits auf der Geschäftsseite nachzuvollziehen, die mit einem IT-Projekt geplant waren. Die kaufmännische Planung mit den verschiedensten, über die Jahre variierenden
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Einflussgrößen lässt es in der Regel nur selten zu, dass der versprochene monetäre Projekterfolg wirklich nachvollzogen werden kann. Hierzu konnte bis heute keine zufrieden stellende Lösung gefunden werden, auch wenn IT-Budgets und die resultierenden Projektbenefits bereits Eingang in die kaufmännischen Steuerungsinstrumente bei RWE, wie etwa die Balanced Scorecard, gefunden haben.
Fazit Zusammenfassend haben die geschilderten IT-Steuerungsmechanismen im RWE-Konzern einen Reifegrad erreicht, der nach unserer Einschätzung für eine ganzheitliche, verantwortliche, aber auch effiziente Steuerung der IT ausreicht. Selbstverständlich werden alle IT-Steuerungsprozesse jährlich auf mögliche Verbesserungspotenziale hin untersucht, doch steht ein weiterer Ausbau oder eine grundlegende Umgestaltung dieser Prozesse nicht mehr im Fokus. Zwei Jahre nach der Reorganisation der CIO-Funktion kann man damit diesen wesentlichen Teil der CIO-Aufgaben als vollständig umgesetzt betrachten.
Innovation erfordert eine geänderte ITGovernance
Klaus Rausch, Sprecher Geschäftsführung HVB Systems GmbH Dr. Andreas Rothe, Geschäftsführer Dr. Rothe Management-Beratung
Einleitung Die deutschen Banken befinden sich in einer Phase des Umbruchs. Sie stehen unter erheblichem Druck, ihre Kosten weiter zu senken. Bei den meisten Banken sind jedoch nach Jahren der Kostensenkungen die Möglichkeiten für „einfache“ Einsparungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Gefordert sind daher Prozessinnovationen, um Kosten weiter senken zu können sowie Produkt- und Serviceinnovationen um bei stagnierenden Zinsmargen das Provisionsgeschäft zu verbessern. Der Druck auf den IT-Bereich, die Kosten durch Innovationen zu senken und gleichzeitig durch Innovationen den Wertbeitrag der IT für das Unternehmen zu verbessern, steigt dadurch erheblich. Nach Erlös- und Kostenprogrammen ist nun die Fähigkeit der IT (wieder) gefragt, sich selbst zu erneuern und gleichzeitig die Innovationsfähigkeit des Unternehmens insgesamt zu verbessern. Governance bedeutet Beherrschung oder Steuerung und kann mit angemessener Unternehmensorganisation zur Optimierung der Unternehmensführung und -kontrolle wiedergegeben werden. Ziel der IT-Governance ist es, die Führungs- und Organisationsstruktur der IT entsprechend ihrer Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens auszurichten, Risiken zu beherrschen und Kontrollinstrumente zur Messung der ITLeistungen einzurichten.1 Zarnekow/Brenner erweitern diese Aufgaben um die Grundsätze der Organisation wie zum Beispiel die strategische Positionierung der IT, die sich daraus ergebende Rollenverteilung sowie Grundsätze für Liefer- und Leistungsbeziehungen, Eskalations- und Schlichtungsprozesse, Budgetierungsverfahren, Preisbildungsmethoden und Leis-
1
vgl. Meyer, Zarnekow, Kolbe (2003), S. 446 f; Zarnekow, Brenner (2003), S. 12
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Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe
tungsverrechnung sowie das Risiko- und Performance-Management.2 Neben diesen Management-Prozessen sind die Prozesse zur Steuerung der Kultur über Leitbilder, Führung und Veränderungs-Management dem ganzheitlichen Governance-Modell, wie er in diesem Beitrag verstanden wird, hinzuzufügen. Bei der Veränderung befinden sich die deutschen Finanzdienstleister in einem Dilemma: auf der einen Seite der weiter bestehende Kostendruck und auf der anderen Seite die Notwendigkeit zur Innovation, die weitaus mehr bedeutet als bloße Investition. Der folgende Beitrag zeigt am Beispiel einer für viele Banken durchaus bekannten Fusionssituation, wie gerade dieser gegenläufige Druck auf die IT als notwendiger Treiber für eine Veränderung der üblichen Wege genutzt werden kann. Es wird gezeigt, wie sich ein Unternehmen im Fusionsprozess durch Innovation gerade in einer solchen Situation wesentliche Vorteile erarbeiten kann, anstatt durch die Beschäftigung mit sich selbst und der Lösung schwieriger und langwieriger Integrationsaufgaben im Hinblick auf mögliche Innovationen und den Wettbewerb auf der Stelle zu treten. Der Beitrag spannt dabei einen Bogen von der Notwendigkeit organisatorischer Anpassungen, über Aspekte der neuen/geänderten Rollen der IT bis hin zu einer fundamental veränderten (strategischen) Planungs- und Budgetkontrolle. Zudem wird gezeigt, wie durch eine Veränderung der Entlohnungssysteme der Schwerpunkt von einem Kostendenken zu einem Prozess(innovations)denken verlagert werden kann. Zudem wird aufgezeigt, wie durch die Messung von Komplexität und die daraus abgeleiteten Maßnahmen zur gezielten Kostenverringerung die IT im Unternehmen auch langfristig in der Lage ist, hinreichend flexibel reagieren zu können.
Basiskonzepte der IT-Governance Mit rund 20 Prozent des Verwaltungsaufwands stellt die IT neben den Personalkosten den größten Kostenblock dar und ist damit automatisch im Fokus der anhaltenden Kostendiskussion. In zahlreichen aktuellen Artikeln werden die Steigerung der Agilität der IT, die Erhöhung ihres Wertbeitrags und die Notwendigkeit von Innovationen gefordert, doch dürfen diese Maßnahmen nichts oder zumindest nicht viel kosten. Häufig wird bei der dabei stattfindenden Kostendiskussion lediglich auf die in der Bilanz erscheinende Position „sonstiger Verwaltungsaufwand“ geschaut. Ist dieser gesunken, hat die IT einen guten Job gemacht. Dabei wird leicht verges2
vgl. Zarnekow, Brenner (2003), S. 12.
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sen, dass die IT auch wesentliche Auswirkungen auf andere Bilanzpositionen hat, die aber nicht so leicht ersichtlich und daher auch schwer darstellbar sind. Ein kurzes Beispiel soll dies verdeutlichen. Im Rahmen einer Fusion sollte für die Kreditsachbearbeitung geprüft werden, ob die bestehende Eigenentwicklung oder eine StandardSoftware-Lösung die bessere Lösung ist. Der erste Vergleich zeigte zunächst ähnliche IT-Kosten, ebenso der Vergleich der Anzahl Mitarbeiter im Marktfolgebereich (Personalkosten). Erst die Anzahl der bearbeiteten Kredite machte deutlich, dass mit der Eigenentwicklung rund sechsmal (!) so viele Darlehenskonten betreut werden konnten als mit der StandardSoftware-Lösung. Dieses Beispiel verdeutlicht die Notwendigkeit, die ITKostendiskussion in Unternehmen anders als bisher gewohnt zu führen. Was wäre in diesem Beispiel passiert, wenn die IT-Kosten für beide Systeme nicht gleich gewesen wären, sondern die Standard-Software jährlich nur ein Viertel der Eigenentwicklung gekostet hätte? Zudem zeigt das Beispiel das Potenzial von Innovationen in der Prozessgestaltung. Gerade in der langfristigen Betrachtung kommt dabei die Frage auf, ob in Kernprozessen die eigene Innovationskraft nicht größer ist als die eines Lieferanten. Innerhalb der Kostendiskussion ist es auf jeden Fall geboten, nicht allein auf die IT-Kosten, sondern auch auf die möglichen Erträge durch Produkt- und/oder Prozessinnovationen zu schauen, da diese die IT-Kosten um ein Vielfaches übersteigen können. Eine besondere Herausforderung an das IT-Management ist es, wenn sich der Finanzdienstleister in einer Fusionssituation befindet. Eine Beinahe-Standardsituation, wenn man die vielen Fusionen in Deutschland betrachtet und der These der Unternehmensberater Glauben schenken darf, dass der Konsolidierungsdruck im deutschen Finanzwesen weiterhin hoch ist. Sich selbst als CIO und ebenso die gesamte IT auf Fusionen und Übernahmen einzustellen gehört auch laut Gartner zu den zehn wichtigsten Empfehlungen für das IT-Management3. Während bereits ein Unternehmen ohne Fusion wenig freie Mittel für Innovationen zur Verfügung hat, gilt dies für fusionierte Unternehmen umso mehr.
3
vgl. Hermann (2006), S. 11
454
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe
Kapazität
„Strategie“ Strategie“
Integrationsaufwand
Gesetzliche Erfordernisse Sicherstellung des laufenden Betriebs Jahr 1
Jahr 2
Jahr 3
Zeit
Abb. 1. IT-Kostenverteilung und Verlauf nach einer Fusion
Abbildung 1 zeigt einen einfachen Zusammenhang des Kostenverlaufs unterteilt nach der Art der Ausgabennotwendigkeit. Im Verlauf der Fusion ist zunächst in beiden IT-Bereichen der laufende Betrieb der IT sicherzustellen. Darüber hinaus müssen in beiden IT-Bereichen zumindest die gesetzlichen Anforderungen in die bestehenden Systeme integriert werden. Ein erheblicher Teil der Mittel wird für die Migration der Daten und für notwendige funktionale Erweiterungen der neuen, integrierten Systemlandschaft gebunden (Integrationsaufwand). Für die fachliche und strategische Weiterentwicklung der Systeme bleibt damit wenig übrig. Dies birgt die Gefahr sinkender Wettbewerbsfähigkeit durch Überalterung der Systeme, da Integrationsaufgaben Neuentwicklungen weitgehend verhindern. Auch im Zeitablauf verändert sich an der Budgetsituation für die fachliche und strategische Weiterentwicklung der IT wenig: Der im Verlauf sinkende Integrationsaufwand und vor allem die erzielten Synergiepotenziale werden in der Regel nicht für strategische Maßnahmen zur Erweiterung der IT frei, sondern als geplante Kostensynergiepotenziale eingefordert. Fusionierte Unternehmen haben dadurch eine doppelte Schwierigkeit – die Beschäftigung mit sich selbst, die sich in der kompletten Ausrichtung aller Ressourcen auf die Integrationsaufgabe widerspiegelt, und die dadurch verlorene Innovationsmöglichkeit der IT, sich an den neuen Anforderungen des Wettbewerbs auszurichten. Insbesondere für solche Institute, die nicht nur eine, sondern mehrere Fusionen hintereinander bewältigen müssen, entsteht so eine große Herausforderung, gleichzeitig die IT-Kosten zu senken und ihrer Unterstützung des Gesamtbankgeschäfts durch Prozessund Produktinnovationen nachzukommen.
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Akzeptiert die IT, dass von ihr trotz der Unveränderlichkeit der bestehenden Kostenklammer mehr Leistung verlangt wird, besteht hierin eine große Chance. Denn nur durch Innovation ist es möglich • interne Prozesse in der IT zu verbessern, um bei geringeren oder zumindest gleichen Kosten eine Leistung in kürzerer Zeit bei höherer Leistung und Qualität zu erbringen • die Prozesse der Bank durch innovative Gestaltung der unterstützten Prozesse zu verbessern • neue Produkte der Bank schnell und flexibel zu unterstützen Die IT-Organisation hat in Zeiten dieser besonderen Anforderungen zwischen Kostendiktat und Markterfordernis die Möglichkeit, in den oben genannten Umgestaltungsprozessen eine führende Rolle zu übernehmen. Der Vorsprung der IT in Sachen Agilität, die strukturierte Denkweise ihrer Mitarbeiter und ihr ganzheitliches und unabhängiges Gesamtprozess- und Gesamtproduktwissen bieten hierbei eine gute Chance, die Rolle der IT in dem Unternehmen von einem Kostenblock zu einem in der Bank gefragten Berater und Dienstleister zu verändern.
Produktlinien-Management4 Die Rahmenbedingungen im Finanzdienstleistungsmarkt zwingen die Verantwortlichen der Finanzdienstleister, nach neuen Lösungsansätzen für die Bereitstellung der erforderlichen IT-Serviceleistungen zu suchen. Um aus Sicht der Fachbereiche die IT gezielt neu auszurichten, muss das Steuerungsinstrumentarium der IT statt aus der technischen aus der fachlichen Ecke kommen. Bisher orientiert sich das Steuerungsinstrumentarium der IT in ihrer Grundkonzeption weitgehend an den Strukturen von Anwendungssystemen und an den klassischen Phasen der Software-Entwicklung: Planung, Entwicklung und Produktion. Durchgängige ManagementProzesse, wie sie im Rahmen der industriellen Produktfertigung existieren, fehlen weitgehend.5 Leistungen und Projekte werden zudem auf Anforderung der Fachabteilungen entwickelt und bereitgestellt. Es ist wenig verwunderlich, dass die IT so als reiner Lieferant von Informationstechnik wahrgenommen wird und nicht als Partner zur gemeinsamen Definition einer effektiven IT-Unterstützung zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Erforderlich ist eine Anpassung der bankbetriebli-
4 5
vgl. Rothe (2004), S. 103 ff. vgl. Zarnekow, Brenner (2003), S. 8
456
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe
chen Produktions- und Management-Strukturen, die alte Denk-, Aufbauorganisations- und Software-Strukturen überwinden. Mit der Ausrichtung der Steuerungskonzeption der IT an für den Fachbereich nachvollziehbaren fachlichen Kosten- und Leistungsstrukturen können die in der technischen Steuerungskonzeption begründeten Kommunikations- und Zusammenarbeitsbarrieren überwunden werden. Die konsequent an Bankprodukten und -prozessen orientierte IT-Produktstruktur ist die Basis für das darauf aufbauende Management-Gesamtkonzept. Das Produktlinienmodell ist eine metastrukturelle Sicht auf die IT des Finanzdienstleisters. Sie ermöglicht es, durch das gemeinsame Bezugssystem „Produktlinie“ Aufgaben und Prozesse eines ganzheitlichen ITGovernance-Modells aufeinander abgestimmt zu entwickeln. So sind alle Aufgabenbereiche eines für die IT-Steuerung erforderlichen IT-Governance-Modells an der in Abbildung 2 dargestellten Struktur auszurichten. Alle in diesem Beitrag dargestellten Konzepte beruhen auf dieser, in der industriellen Fertigung selbstverständlich angewandten Steuerungskonzeption. Auf eine Darstellung des auf diesem Ansatz beruhenden ganzheitlichen IT-Governance-Modells (IT-Management-Ansatz) kann hier verzichtet werden, da nur die wesentlichen Aspekte der Innovationswirkung auf das IT-Governance-Modell dargestellt werden sollen.
Abb. 2. Die IT-Produktlinien eines Finanzdienstleisters
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
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Transparenz6 Eine nachhaltige Verbesserung der Kostenpositionen erfordert Transparenz über Kosten und Leistungen der IT. Der erste Schritt hierzu ist die Strukturierung der IT in klar definierte Leistungseinheiten, in Produktlinien und Produkten. Dies schließt die Ausrichtung der korrespondierenden Leistungsverträge (Service Level Agreements, SLAs) mit ein, da nur eine definierte Leistung sinnvoll in ihrer Werthaltigkeit (zumindest im Sinne des Preises, der dafür bezahlt wird) durch die Fachabteilung beurteilt werden kann. Mit den SLAs kann der Grad ihrer Über- beziehungsweise Untererfüllung dargestellt werden. Fehlen solche Vereinbarungen, kann der Eindruck entstehen, dass der IT-Bereich zu wenig leistet, da dem Preis nur eine subjektive Erwartung gegenübersteht. IT-Leistungen werden so für den Fachbereich transparent und überprüfbar. Je Produkt sollten mit den Fachbereichen Preise für die jeweiligen (Teil)Leistungen vereinbart werden. Um diese bestimmen zu können, müssen alle Kosten auf die Kostenträger-IT-Produkte verrechnet werden. So werden stufenweise über Verrechnungsschlüssel die Leistungen des Rechenzentrums, des IT-Managements und schließlich der Anwendungsentwicklung auf die IT-Produkte verrechnet. Zusätzlich sind die zugeordneten Kosten noch nach der Art der Notwendigkeit der Ausgabe zu klassifizieren (siehe Abbildung 3). Ein Vergleich von Studien zeigt bei den Banken ein homogenes Bild der prozentualen Verteilung der Wertbeitragskategorien. So werden circa 70 Prozent der IT-Aufwendungen für den Betrieb der Anwendungen (Run) ausgegeben. Für Zukunftsinvestitionen steht damit nur ein relativ kleiner Betrag zur Verfügung. Für den CIO ist es gemeinsam mit der Fachabteilung immanent wichtig, die Produktlinien nach der erforderlichen Innovationsdynamik zu bewerten. Dafür ist in dem Dschungel von Informationen ein Steuerungssystem notwendig, das zeigt, wie und in welchem Bereich zum Beispiel durch die Senkung von zu hohen Run-Kosten Mittel für Innovationen frei werden könnten. Um dies zu überprüfen, ist eine ergänzende Information durch den Vergleich der Ausgaben mit anderen Instituten hilfreich.
6
vgl. Rausch, Rothe (2005), S. 541 ff.
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Change II Strategie
10%
Change I „must do“
20%
Run Effizienz der IT-Organisation
Erweiterung der IT-Leistungen zur Optimierung des Bankbetriebs und der Prozesse die durch den Kunden direkt wahrgenommen werden Umsetzung von gesetzlichen und quasi gesetzlichen Maßnahmen
Aufwand zur Aufrechterhaltung des laufenden Betriebs der 50 bis 70% Anwendungen und technischen Plattformen (Erhaltung des Status quo)
Abb. 3. Kostensenkungsstrategie je Ausgabenkategorie
Benchmarking Einen realistischen Überblick über Kostensenkungspotenziale bietet ein Benchmark mit vergleichbaren Partnern. Hierzu dient ein fachlicher ITBenchmark auf Basis der oben eingeführten IT-Produktstruktur und den genannten Ausgabenstrukturen, der zurzeit bei bereits 20 Instituten kontinuierlich durchgeführt wird. Dabei werden in den Häusern gemeinsam mit einem der Autoren alle IT-Kosten den IT-Produkten zugeordnet, um eine einheitliche Zuordnung der Kosten sicherzustellen. Durch den Benchmark stehen dem CIO wichtige zusätzliche Informationen zur Steuerung der IT-Ausgaben zur Verfügung. • Durch den Benchmark wird deutlich, wie viel IT-Ausgaben auf ein Produkt entfallen. Diese Information ist zunächst schon unabhängig vom Vergleich mit anderen Partnern wertvoll, da die Fachabteilung so überprüfen kann, ob die IT-Ausgaben in der genannten Höhe überhaupt fachlich sinnvoll sind. Schon die bloße Darstellung der Ausgaben nach Produktlinien stößt oftmals auf Erstaunen, wenn aufgezeigt wird, wofür im Vergleich zu den Partnern die höchsten IT-Kosten anfallen. Das zum Beispiel die Kosten des Bankbasisarbeitsplatzes die größte Ausgabenposition sind, wird in einer Projektsicht nicht deutlich. Dies ist zum Beispiel hinsichtlich der Frage problematisch, an welchen Stellen durch Ausgabendisziplin vorhandene Potenziale für Innovationen frei werden könnten.
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
459
Run/Change-Anteil je Produktlinie
Million 900 800
1,6%
69,2%
46,0% 700
64,8%
42,2% 57,4% 33,2%
54,0% 31,7%
500
66,1%
68,3% 66,8%
57,0%
400 31,4%
300
100
35,2%
98,4%
33,9%
600
200
30,8%
19,2%
43,1%
68,6%
80,8%
0 04
04
04
04
04
04
04
04
04
04
04
Office Automation
Basisprodukte
GBS
Handel
Vertriebswege
Wertpapiergeschäft
Informationssysteme
Information Store
Asset Management
Innenbetrieb
Gesamt
RTB
CTB
Abb. 4. IT-Ausgaben einer Vergleichsgruppe nach Ausgaben je Produktlinie
• Durch den Vergleich mit den Partnern können IT-Kosten plausibel gemacht werden. Wenn einem Arbeitsplatz nach Zurechnung der im Benchmark definierten Kosten ein Preis von zum Beispiel 5000 Euro und einem Run-Anteil von 80 Prozent herauskommt, kann der CIO nun beurteilen, ob dieser Preis und der Run-Anteil angemessen sind oder ob man damit vielleicht am Ende der Vergleichsgruppe liegt. Durch die kontinuierliche Durchführung des Benchmark können in den jeweiligen Peer Groups Investitionen (zum Beispiel in Standard-Software oder Teil-Outsourcing-Maßnahmen) in ihren Wirkungen verfolgt werden. Hieraus können für die eigene IT-Steuerung wichtige Hinweise gewonnen werden, welche Maßnahmen zum Beispiel den größten Erfolg versprechen.
460
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe Customer Service Interface
LBBW Workplace Messaging
Sparkassen
LRP
3270
Beraterarbeitsplatz ProFIS
RoLV
Front Arena
BOS-Online
Skontro
Communication Center
Fonds-DB
AKT PC Baufi
e-Brokerage Twister
FXtr@der
Visual Immo
S-Fondsconsult
ARGUS
ZuSI-Advisor
Portale
InternetBanking
e-Brokerage
EPOS Transact
Twister
Retailportal
B2BPortal
Selbstbedienung ResearchPortal
LBBW.DE
Kontenmanager
Geldautomat
PC/E
AS
SMS
Fax
Telex
eMail
Instant Messaging
Scan to Mail
Unified Messaging
HBCI
CapitalMarkets
TelefonBanking
Ebil
PDA
Portale Basis
LBS Genesys
Erben & Vererben
Deka BOS-Online
3270
Gebäudebrand
Direkt Banking
Markus CallCenter
Inasys
lpa Toolbox
HICOM
Projektware
RPMS
WPL-Online
Bond Tr@der
BTX
Feri S-Förderberatung
IPP
Lukas-Online
Caesar Sparkassen eMail
Mutlicomm
IVR
SV Online
IMPERIA
ProFIS Server
Notes / Domino
Giro3270
WPL-Online
Collaboration Urlaubsantrag
CE-DMS
(Workflow)
Teamroom
KAG V3
Kontoprodukte
360T.com
Morcom
Quote Maschine Renten
Kobra
Partnerprodukte
fx.ordernet
(eLearning)
ToDos
(Bulletin-Board)
(CollaborativeDB)
Office Solutions Textverarbeitung & Viewer Sparkassen Versicherung
Elektra BTS
ZKR
Winword
Applix
TextCount
FreePDF
(MS Office)
Digitec d3 Devisen
Koala
LBS
Adobe Acrobat Reader
Adobe Acrobat Writer
Ghostscript, Ghostview
MS Proofing Tools
MS Publisher
Texthandbuch Personal
XnView / Cam2PC
Lukas
GFI Dealing 3000
ARS Sortenerkennung
(eLearning)
Flohmarkt
PPPro
Moosmüller Finanzmathem. Fkt.
ROLV Wechsel
SPAR eMid eMidder
Handel
ContexR3
BOS DAA
Eurex Repo
(Stammdaten)
EBS
Wertpapiergeschäft DIS KIS
(Giro/HK)
Eurex
SIM
CSBDarlehen
HK Restant
Konto3000 Euro MTS
(Information)
Geldwäsche
(Information)
DA
Eurex Bonds eSpeed XEMAC
Broker Tec
(Information)
Search-Engine
Bloomberg Bondtrader
CBF
Deka
Blue.Net
RichtlinienDB
(Information)
FBB Euwax
DWZ
XETRA WM Verlag
(Dokumentenmanagement)
Kalender
Sortenerkennung LZB BOEGA XONTRO ABS Dt. Bundesbank
Domino.DOC
(Dokumentenmanagement)
DIS
TK
ABS Kompakt
Sales Ertrags DB
TP Aktiv
Kalkulation
ORC
Excel
DEKA
(MS Office)
CCP
Skontro
FW Dispo
Grafik & Bildbearbeitung CorelDraw
Zahlungsverkehr Umsatzinformationen für Sparkassen (Ongum) RTP RTGSPlus
Züricher Versicherung
TNV
Picture Easy
ADA
WP Liefersystem
Zins staffel
Abit Recht.net
Target
Fenics
Neue Leben
Zahn Finanzsprache
PONS Translator 98
Nachschlagewerke
Corona
Hoppenstedt Buch-CD Hoppenstedt Firmendatenbank
Kondor+
EBS2000
DSGV
FiTAX
RVS
Hoppenstedt Fondsführer RegioMarkt BW
Hoppenstedt Konzerne Gabler Viewer
StammImpressum CD
Algo Währungsbuchhaltung
Opus
Rechtssoftware
AZV / S-Via S-Interpay Doka B+S Sparkassen Reklamationsdatenbank
LBBW OM-Modul
Euroglot
PONS Translator 2000
Vorsorge AG
ATOS
EFV SteuerLexikon
Merva/EAS/Swift
MIDAS Stuttgart Front Arena
Seas2000
Becksche Vertragshandbuch Fundstellennachweis A
Kontoführende & Kontingentführende Stellen (SI, von Essen KG, LRP, Spk Pforzheim)
Risque
HAPL Abag 2000
FIN Nexus
Kartellrecht
Rechtsformularhandbuch
EFG-HFR Datenbank
CAD/Bauplanung
Autodesk 2000
ORCA
Baurecht
VoloViewer
WEKA
Facility Management
Projektmanagement
Opics
Niederlassungen
SteuerDatenbank
Unternehmenssteuerung
Hase
SB Autorisierungszentralen (SI Fellbach, FinanzIT)
L-Bank
Paint Shop Pro
Windows DrawBase
Wörterbücher / Lexika
David DWERT
IZV / Data2000
DC 220 & 260
Gamma Ray
Ransys
Kartenpool DB
Projekt (Microsoft)
FDB (SAS)
P&L Handel
LEDIS
Verwaltungs DB
Versorgung von Bankkunden SAP-Systemen
Tochtergesellschaften
LBBW Kunstverwaltung
Stiftung/ Förderverwaltung
Eventmanagement
Materialbeschaffung
WinZIP
SanDisk ImageMate
alpha pegasus, beta pegasus, gamma pegasus, LBBW Trust, Austria, Milpitas, Süd Venture Capital, Süd Private Equity, Atlas, Laurus, SI Immobilien Fonds, Deutsches
Gold- und Münz Dauerauftrag
Tools
Industrie- und Handelszentrum in Singapur, Süd-Kapitalbeteiligungsgesellschaft, RN Beteiligungs GmbH, LBBV Beteiligungsverwaltungsgesellschaft, LG Grundstücksanlagengesellschaft, Stuttgarter Aufbau Bau- und Verwaltungsgesellschaft, Britta Grundstücksverwaltungsgesellschaft, Franca Grundstücksverwaltungsgesellschaft, Süddeutsche Allgemeine Finanz- und Wirtschaftsgesellschaft, Remseck Grundstücksverwaltungsgesellschaft, G + R Kühlhaus Betriebsgesellschaft, LBBW Grundstücksverwaltungsgesellschaft, L-Immobilien Gesellschaft, SPI Süd Project, IG Immobilien Gesellschaft, Radon Bad Menzenschwand,Süddeutsche Kommunalinvestitionsgesellschaft, Vereinsbank Heidelberg, HVK Leasingverwaltungsgesellschaft, LBBW Spezialprodukte-Holding, Deborah 2000
Quality Manager
Kred Rev
Vermögensverwaltungsgesellschaft, LBBW Banken-Holding GmbH, SüdImmobilien GmbH, LBBW Immobilien-Holding, BW-Holding GmbH, Susette-Holding GmbH
Konsulats- und Mustervorschriften Hama FlashKarten-SW
Win-Fax-Client
Unternehmenssteuerung
Marktinfodienste
Customer Relationship Management
FDB (SAS)
KIS
Topquote
KIS-2
(für BOS)
Reuters Moneyline Bloomberg
Rechnungswesen
Controlling
IAS Mart SAP FI
Meldewesen
CO Mart IS
ZiBi Pool
(IAS)
Samba
VWD SAP FI
SAP CO
(HGB)
Winkons
Risikomanagement Sira
Medina
Linien datenbank DSGV Standardrating LLS
SIV
RMS
Treasury
BankScope ISIS
Marzipan
KreditMonitor
EDR
Wiederanlage schreiben
Kampagnenm gmnt
Unipost
EWH (SAS)
Unimail
Formulargestaltung
Betriebsanwendungen
ZASt
olling
Interflex
MBTI SAP HR
PTV
Invaris
Vorlagenassistent
Elekt. Vorlagen
QuarkXPress
BlueNet PDFVorlagen
Meldewesen
Cashver
Auskunft Plus Handelsregist erinfo
Smaragd (SAS) Treasury nutzt Handelssysteme !
SchufaOnline
Zeiterfassung MarketingMart KredoMart
GLS
Ban
Personalverwaltung
Landebank Baden-Württemberg IT-Bebaungsplan
Personalcontrolling
art
Materialwirtschaft
Datum der Erstellung
Ersteller
Caesar (SAS) Telefonanlage
KreditrisikoMart
Legende
11/2004 1613 Architekturmanagement
Symbole
Sira
IT-System
Version
ZeUS
Risikomanagement
UPS
AKL / RiskManDat
Finca
UWD
Telefonbuch
8.0
IT-Produktlinie
BW Bank (ab Januar 2005)
Revisionen
Ablage Recht
iBi Pool
Medina NR.
Datum
Datum
NR.
Datum
Datum
NR.
Datum
Datum
NR.
Datum
Datum
NR.
Datum
Datum
Farblich hervorgehobene IT-Systeme Konto3000 BOS Kondor+
Risikomanagement nutzt Handelssysteme !
FDB KIS
Samba CO
Linien datenbank DSGV Standardrating LLS RMS GLS
Kred AKL /
Ca Sm (
F
Kredi
Abb. 5. Vereinfachte Darstellung einer komplexen IT-Anwendungslandschaft, strukturiert nach fachlichen IT-Produktlinien
Architektur-Management Um aus den genannten Informationen Handlungsoptionen erarbeiten zu können, ist es für das IT-Management sinnvoll zu wissen, was sich hinter den IT-Kosten verbirgt. Es ist daher zweckmäßig, auch den IT-Bebauungsplan nach den gleichen Strukturen – das heißt den IT-Produktlinien – zu untergliedern (siehe Abbildung 5). Durch die einheitliche Untergliederung ist es nun aus Sicht des Innovations-Managements möglich, die Kosten und Ausgabenstrukturen mit den dahinter liegenden Architekturen in Verbindung zu bringen. So können zum Beispiel die nach Produktlinien geordneten IT-Systeme mit weiteren Informationen angereichert werden, zum Beispiel mit Angaben zum Alter der IT-Systeme (Lifecycle-Status), einer Bewertung ihrer Erweiterbarkeit, Flexibilität etc. Diese verdichteten Informationen können dann gemeinsam mit der Fachabteilung für das Innovations-Management genutzt werden. In welcher Weise dies geschehen kann, soll im Folgenden an einem Aspekt des Lifecycle Management gezeigt werden.
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
461
Weiterentwicklung
Planung
Erstentwicklung
Produktion (Betrieb, Support, Wartung)
Außerbetriebnahme
Abb. 6. Lebenszyklus einer Anwendung7
Zarnekow stellte in einer Untersuchung der Kosten für die Entwicklung und den Betrieb von Anwendungen fest, dass rund 80 Prozent der Kosten auf den Block „Produktion und Weiterentwicklung“ entfallen. Bei einer längeren Laufzeit als der unterstellten fünf Jahre verschiebt sich dieser Anteil noch einmal nach oben. Die entscheidende Bedeutung der Produktions- und Weiterentwicklungskosten für die Gesamtkosten von IT-Anwendungen und somit für die IT-Kosten wird in der Praxis nicht ausreichend berücksichtigt. Die unternehmerische Entscheidung, zum Beispiel hinsichtlich des betriebswirtschaftlich sinnvollsten Zeitpunkts der Außerbetriebnahme einer IT-Anwendung, kann durch die heutige Kostenrechnung in den meisten Unternehmen nicht mit den dafür notwendigen Informationen unterstützt werden. Deshalb wird diese Entscheidung – wenn überhaupt – heute meist auf der Basis von technischen Überlegungen oder Ad-hoc-Entscheidungen und nicht im Rahmen eines institutionalisierten Management-Prozesses getroffen. Für ein tragfähiges InnovationsManagement ist es jedoch erforderlich, in einem dedizierten Verrechnungsmodell je IT-Anwendungssystem (verdichtet zum IT-Produkt) die verschiedenen Kostenbestandteile über die Jahre zu erfassen und darzustellen. Nur so wird es möglich, dem Management transparent darzustellen, wann es sich betriebswirtschaftlich tatsächlich lohnt, eine bestehende Anwendung im Rahmen des Lifecycle durch eine neue zu ersetzen.
Innovation gezielt ausrichten Eine der stets wiederholten Hauptforderungen der Literatur zur strategischen IT-Planung in den vergangnen 20 Jahren ist und bleibt die Ausrichtung der IT an den Erfordernissen des Unternehmens. Auch die aktuelle Berichterstattung hebt diesen Aspekt besonders hervor. Nach Auffassung der Autoren könnte diese Forderung durch die konsequente Anwendung 7
vgl. Zarnekow, Scheeg, Brenner (2004), S. 182
462
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe
der zum Teil schon 20 Jahre alten Planungsmethoden einfach realisiert werden. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen. Um die Steuerung der IT zu verbessern, sind die im Abschnitt „Transparenz“ eingeführten Begriffe von Run/Change und die im Abschnitt „Architektur-Management“ dargestellten Lifecycle-Kennzahlen um weitere (bekannte) Strategieinstrumente zu ergänzen. Um Strategie, fachliche Anforderungen, bestehende Kosten und geplante Maßnahmen sowie die technischen Möglichkeiten zusammenzubringen, sind auch die strategischen Planungsinstrumente innerhalb der (immer gleichen) Produktlinienstruktur anzuwenden. Die einfache Darstellung von Run/Change innerhalb der Produktlinien kann bereits Hinweise geben, ob die Verteilung der Investitionen über die Produktlinien hinweg richtig ist (siehe Abbildung 7).
Abb. 7. Strategische Planungsmethoden im Kontext der Produktlinien
Werden zum Beispiel in einem Unternehmen ausschließlich Investitionen durch die Betrachtung des ROI bewertet, kann es sein, dass eine bestimmte Produktlinie einen hohen Investitionsanteil (Change II) aufzeigt, obwohl sich aus Produktliniensicht ein ganz anderes Bild ergibt. In einem solchen Fall ermöglich die Darstellung innerhalb der Produktlinien gegebenenfalls dem Management, Korrekturen vorzunehmen und trotz hohem
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
463
ROI Investitionen in eine andere Produktlinie zu verschieben. Um zu entscheiden, in welcher Produktlinie die Investitionen schlussendlich am sinnvollsten sind, müssen zum Beispiel mithilfe der bekannten strategischen Portfoliotechniken weitere Informationen ermittelt werden (Abbildung 7 oben). Auf Grundlage der zusätzlichen, etwa mithilfe der Portfoliotechniken gewonnen Informationen ist dann zu prüfen, ob in einem fachlichen Bereich eher Investieren, Halten oder gar Abbauen die gewünschte Strategie ist. Nur so kann gezielt die Frage etwa nach notwendigen Investitionsverlagerungen sicherer beantwortet werden. Wenn wie hier im Beispiel der Produktlinie Vertriebswege fachlich-strategisch deutlich ausgebaut werden soll, ist zu prüfen, ob nicht die relativ hohen strategischen Investitionen im Bereich Unternehmenssteuerung stärker in den Bereich Vertriebswege verlagert werden sollen. So kann der CIO zusammen mit den Fachbereichskollegen entscheiden, ob durch eine entsprechende Steuerung von Projekten der Strategieanteil (Change II) von der Produktlinie Unternehmenssteuerung auf die Produktlinie Vertriebswege verlagert werden sollte. Denn auch wenn alle Business Cases positiv sein sollten, können mit dieser Unterteilung scheinbar gleich wertvolle Projekte besser priorisiert werden. Die strategischen Steuerungsinformationen in dem Beispiel sollen durch zwei weitere Strategiekonzepte ergänzt werden. Nehmen wir zum Beispiel an, in dem betrachteten Bereich der Vertriebswege ist zwischen einer Strategie zur Qualitätsführerschaft und einer Kostenführerschaft (auch Differenzierungsstrategie genannt) zu wählen. Das Unternehmen entscheidet sich aus marktstrategischen Gründen für die Kostenführerschaft. Würde in der Produktliniendarstellung (siehe Abbildung 8) gleichzeitig der Lifecycle-Status dargestellt werden, so könnte es sein, dass die gewünschte fachliche Strategie verändert werden müsste. Würde sich herausstellen, dass die in diesem Bereich eingesetzten Systeme eher am Ende des Lifecycle stehen, müsste nämlich aus IT-Sicht zunächst massiv in die Erneuerung der Systeme investiert werden. Eine oder wenige Kennzahl(en) aus dem IT-Architektur-Management als zusätzliche Information kann fachlich-strategische Entscheidungen genauso beeinflussen. So deuten zum Beispiel hohe Komplexitätskennzahlen (Anzahl der Systeme in dem Produkt, Anzahl der Schnittstellen) auf die Gefahr hin, gewünschte fachliche Prozess- oder und Produktinnovationen langfristig zu bremsen, da sich dadurch der Entwicklungsaufwand wahrscheinlich erhöht.
464
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe
Abb. 8. Ergänzende Planungsmethoden innerhalb der Produktliniendarstellung
Vermutlich wird jetzt klar, inwieweit bei strategischen Entscheidungen die Produktlinien unterstützend verwendet werden können. Um den Wertbeitrag für das Unternehmen zu erhöhen, müssen alle Investitionen an den fachlichen Strategien des Unternehmens ausgerichtet werden. Dies kann auf Basis von bekannten – in der Regel recht einfachen – Strategieinstrumenten geschehen. Mithilfe der Produktlinien wird die IT fachlich gegliedert und eine fachliche Steuerung dadurch unterstützt. So entsteht Transparenz, auch im Hinblick auf Innovationsentscheidungen. Anstelle von wenig transparenten Planungspositions- und Kostentabellenlisten reichen in der Regel sieben Produktlinien und wenige, aber entscheidende Kennzahlen aus, um Innovationsentscheidungen betriebswirtschaftlich sinnvoll zu treffen und abzusichern.
Innovation in ausgewählten Governance-Prozessen Die bisher gezeigten Instrumente der IT-Governance ermöglichen es dem CIO, auf Basis der transparenten Darstellung der IT und der gewünschten fachlich-strategischen Ausrichtung bestehende Potenziale zu erkennen. Dies ist jedoch nur eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung für die Beseitigung der Innovationslücke. Aus der umfangreichen Literatur zum Innovations-Management lassen sich leistungsfähige Konzepte ableiten, die ebenso wie die oben dargestellten Konzepte seit Jahren bekannt sind, aber ebenso konsequent angewendet werden müssen. Allerdings ist
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
465
es zu beachten, dass die vor allem in den 90er-Jahren entwickelten, zahlreichen Konzepte zu dem damaligen Modethema Innovation heute unter dem Diktat der beschriebenen Kostenklammer betrachtet und gegebenenfalls verändert werden müssen. Waren in den 90er-Jahren und in der darauf folgenden Boomzeit Innovationen fast selbstverständlich mit Investitionen und vor allem im Sinne von Bugetausweitungen zu verstehen, ist heute Innovation in den bestehenden engen Grenzen durchzuführen. Um Innovation in der IT eines Unternehmens zu verbessern, sind die bestehenden Prozesse des Governance-Modells in dieser Hinsicht auf Verbesserungspotenzial zu überprüfen. Um die Prozesse des Governance-Modells auf dieses Verbesserungspotenzial überprüfen zu können, sollen keine neuen Prozesse erfunden, sondern auf die in der Literatur beschriebenen Konzepte zurückgegriffen werden. In der Literatur existieren zahlreiche Vorschläge für IT-GovernanceProzesse, die sich teilweise überschneiden oder ergänzen – wie zum Beispiel ITIL8, International IT Guidelines9 oder COBIT10. COBIT ist im Vergleich zu anderen Standards und Richtlinien in der Breite als der umfangreichste Standard im Rahmen der IT-Governance anzusehen11. Es ist sehr leicht möglich, aus den angegebenen Kontrollzielen die notwendigen Maßnahmen abzuleiten, um den jeweiligen Prozess optimal zu implementieren. Aus Sicht des Innovations-Managements sind diese Ziele um das Ziel der Innovation jeweils in den bestehenden Prozesskontrollzielen zu ergänzen. Im Folgenden sollen ausgewählte COBIT-Prozesse12 in diesem Sinne betrachtet werden.
Strategische und operative Planung Wie bereits in Kapitel „Innovation gezielt ausrichten“ dargestellt, kann durch konsequente Anwendung der bekannten Planungsmethoden die in dem COBIT-Prozess (Define a Strategic IT Plan) geforderte Ausrichtung am Business erreicht werden. Aus Sicht des Top-Managements bieten die in diesem Beitrag bereits eingeführten Instrumente eine gute Basis, um die geforderten Investitionen besser zu steuern oder den Run-Anteil zu senken, um Mittel für Innovationen zu erhalten. Durch die hohe Mittelbindung der Kategorie „Run“ muss hier der Fokus auf stringenter Kostenreduzierung 8
vgl. Rummel, H. (o. J.), S. 1 vgl. Zarnekow, Brenner (2003), S. 7 10 vgl. o.V. (2000), S. 1 ff. 11 vgl. Hochstein, Hunziker (2003), S. 50 12 vgl. o.V. (2000), S. 23 ff., vgl. ausführlich Rothe (2004), S. 103 ff. 9
466
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe
liegen. Die Senkung des Run-Anteils ermöglicht es, bei gleich bleibenden oder sinkenden Budgets mehr Mittel für die strategische Weiterentwicklung der IT-Produkte zu erreichen. So bietet die strukturierte Darstellung des IT-Aufwands nach Run/Change und die weitere Unterteilung in gesetzliche und strategische Maßnahmen die Möglichkeit, den Run-Anteil durch innovative Zielvorgaben langfristig zu senken. Insbesondere der Block „gesetzliche Maßnahmen“ ist für eine Veränderung des Run-Anteils von entscheidender Wirkung, da hier sehr viele Anwendungen verändert und ergänzt werden. Unter diesem Aspekt sollte eine Management-Vorgabe lauten, dass jedes gesetzlich induzierte Projekt klare Vorschläge liefern muss, wie durch insbesondere innovative Ideen und innovative neue Technologien der RunAnteil langfristig gesenkt werden kann. Ähnlich dem Jahr-2000-Projekt können durch zusätzlich ManagementVorgaben umfangreiche Veränderungen der IT-Systemwelt langfristig umgesetzt werden. So wurde in vielen Unternehmen lange vor dem eigentlichen Jahr-2000-Projekt die Management-Vorgabe gemacht, alle Programme die im Rahmen einer Änderung angepasst werden, gleichzeitig Jahr-2000-fähig zu machen. Langfristig können durch solche Vorgaben innovative Ideen durch Änderungsprogramme kostengünstig im Rahmen der normalen Projekte mit nur geringem Zusatzaufwand umgesetzt werden. Vor allem direkte Schnittstellen zwischen Programmen, die zu einer immensen Komplexität führen, können an bestehende „Enterprise Application Integration“-Lösungen angeschlossen werden, um so langfristig die Komplexität zu verringern. Im Gegensatz zu einem schwer realisierbaren Mammutprojekt wie zum Beispiel die Einführung flexibler EnterpriseApplication-Integration-Lösungen mit Anpassung Hunderter Schnittstellen ist die Verringerung der Komplexität im Rahmen des langsamen, aber gesteuerten Veränderungsprozesses durchaus möglich. In der Kategorie „Change the bank“ ist es erforderlich, stringent die Investitionen nach ihrem Wertbeitrag zu beurteilen. Leider keine Selbstverständlichkeit, wenn zahlreiche Unternehmensberater davon ausgehen, dass bis zu 65 Prozent der Projekte einen rein taktischen Charakter haben oder gar nicht mit der Geschäftsstrategie verknüpft sind, keine realistische Aussicht auf erfolgreiche Einführung der Software nachweisen können oder schlicht bei einer Kosten-Nutzen-Analyse einen negativen Wertbeitrag liefern 13. Die im Kapitel „Innovation gezielt ausrichten“ dargestellten strategischen Planungsinstrumente sind aus Sicht des Innovations-Managements durch weitere Informationen zu ergänzen, wie zum Beispiel die fachlich erwartete Veränderungsdynamik (neue fachliche Produkte, verän13
vgl. o. V. (2002), S. 6
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
467
derte Prozesse, Technologiebrüche etc.). Durch diese Information können dann beispielsweise in Korrelation zur bestehenden IT-Architektur (Lifecycle der Systeme, Komplexität von Schnittstellen etc.) wichtige planungsrelevante Informationen erzeugt werden. Maßnahmen in den Produktlinien können so gezielt geplant werden.
Architektur-Management Die COBIT-Prozesse „Define the Information Architecture“ und „Determine Technological Direction“ zeigen deutlich auf, welche Konzepte und Entwicklungsstufen einer Organisation erforderlich sind, um Innovationen in der Organisation zu nutzen und so den Wertbeitrag der IT zu erhöhen. Die in jedem COBIT-Prozess definierten Schlüsselerfolgsfaktoren sind hier aus Sicht des im Rahmen eines hier vorgestellten InnovationsManagements konsequent anzuwenden. So sollte nach einer COBITEmpfehlung die Einheit „Architektur-Management“ nicht nur eine Richtlinien-Kompetenz-Verordnungsabteilung sein, sondern kompetent neue Technologien unter Beachtung der fachlich-strategischen Anforderungen in Form von konkreten Beispielen (Prototypen) in die Praxis umsetzen. „The potential business impact of technological change is reviewed at senior management levels and the decisions to act reflect the contribution of human and technological influences on information solutions. … The entity has a robust technology infrastructure plan that reflects the business requirements, is responsive and can be modified to reflect changes in the business environment. There is a continuous and enforced improvement process in place. Industry best practices are extensively used in determining the technical direction.“ 14
Neben diesen Empfehlungen bietet das COBIT-Modell auch die für die Erfolgsmessung notwendigen Kennzahlen wie zum Beispiel die „durchschnittliche Zeit zwischen der Identifikation von potenziell relevanten neuen Technologien und der Entscheidung, wie diese neue Technologie im Unternehmen zu nutzen sind“. Aus Sicht des Innovations-Managements sollten diese Kennzahlen noch erweitert werden. Wesentlich ist es hierbei, durch konkretes Handeln über messbare Kennzahlen das Verständnis für die Bedeutung von Innovation für das Unternehmen aufzuzeigen und umzusetzen. In einem Unternehmen sollte es eine klare Lieferverpflichtung der IT sein, die Möglichkeiten einer neuen Technologie in einer für die Fachbereiche verständlichen (!) Form darzustellen. Oft hilft hier ein Proto-
14
vgl. o. V. (2000), S. 29
468
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe
typ der fassbar und plastisch die Vorteile von Innovationen zeigt, mehr als eine zwanzigseitige, hervorragend ausgearbeitete Technologiestudie.
Sourcing-Strategie entscheiden und umsetzen Je Produktlinie muss entschieden werden, ob die IT-Dienstleistung selbst, (in Teilen) durch Dritte oder für Dritte bereitgestellt werden soll. Im Rahmen der strategischen Planung ist es zu prüfen, ob die erforderliche Innovationsdynamik durch die eigene organisatorische Fähigkeit (Rollen, Prozesse, Skills) genügend abgedeckt werden kann. Je nach Ergebnis der wiederholt zu prüfenden Ausgangssituation, ist entsprechend der strategischen Anforderungen an die Produktlinie eine Sourcing-Strategie festzuschreiben. Entscheidet sich ein Unternehmen, diese bei einer ITProduktlinie nicht outzusourcen, da sie eine Kernkompetenz des Unternehmens darstellt, müssen dann die entsprechenden Maßnahmen getroffen werden, um das Personal in die Lage zu versetzen, den Herausforderungen gerecht zu werden. Das betrifft neben den notwendigen aufbau- und ablauforganisatorischen Voraussetzungen und notwendigen Schulungsmaßnahmen auch das Innovationsklima in der betroffenen Einheit (siehe Kapitel „Ganzheitliches Innovations-Management“). Schafft ein Unternehmen durch eine vorausschauende Planung und konsequente Durchführung dies nicht umzusetzen, bleibt dem Unternehmen oft nichts anderes übrig, als eine Produktlinie oder einen Geschäftsprozess an einen Dritten auszulagern. So wächst gerade der Markt für diese neue Variante des innovationsmotivierten Outsourcing besonders stark.
Anwendungsentwicklung optimieren Innovation bedeutet im Fall der Entscheidung für eine Eigenentwicklung oder die Integration von Standard-Software die Fähigkeit, neue Technologien rasch für die Steigerung der eigenen Entwicklungs-Performance zu nutzen. Gerade hier gibt es in den letzen Jahren interessante neue Entwicklungen hinsichtlich der Anwendungsentwicklungsmethoden,15 um die Entwicklungs-Performance wesentlich effektiver (bessere Berücksichtigung der Kundenanforderungen) und effizienter zu gestalten (zum Beispiel durch Verringerung der Dokumentation). Zu den interessantesten Ansätzen gehören hier sicherlich die Open-Source-Entwicklungsmethoden, die (ver15
vgl. ausführlich Heilmann, Strahringer (2003), S. 1
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
469
einfacht dargestellt) ohne eine erkennbare Projekt-Management-Instanz zu hervorragenden Produkten führen (etwa Linux). Es ist sicherlich noch nicht abzusehen, welche Auswirkung eine Adaption der Entwicklungsmethoden auf die Entwicklung von Banken-Software hat. Sie verspricht aber interessante neue Konzepte bis hin zu völlig veränderten Modellen der Zusammenarbeit zwischen den Banken. Auch in diesem Prozess kann durch einfache Kennzahlen im Rahmen des Governance-Modells überprüft werden, ob die Organisation innovative Prozesse der Anwendungsentwicklung und der Prozessoptimierung nutzt beziehungsweise in welchem technischen/methodischen Reifegrad sich die Organisation befindet.
Ganzheitliches Innovations-Management Die Veränderung des Selbstverständnisses von einem selbstbestimmten Eigenentwickler zu einem aus einer ganzheitlichen Sicht agierenden Software-Produzenten erfordert ein modifiziertes Leitbild und die Veränderung der Unternehmenskultur. In diesem Veränderungsprozess können die angesprochenen Governance-Modelle durch das in ihnen enthaltende Knowhow und die Unterstützungs- und Vergleichsmöglichkeiten sehr hilfreich sein. Die Umsetzung der Modelle mit den in der Regel nach Reifegrad gegliederten Entwicklungsstufen bedeutet neben technischen Aspekten vor allem auch Know-how-Aufbau der Mitarbeiter, Veränderung der Einstellung zur eigenen Rolle im IT-Leistungsbereitstellungsprozess bis hin zu veränderten Modellen der Zusammenarbeit mit der Fachabteilung. Der Veränderungsprozess erfordert dabei die Unterstützung aller ManagementEbenen. Um den Erfolg des Konzepts der Innovation sicherzustellen, muss aber jeder Mitarbeiter in den Veränderungsprozess durch innere Überzeugung einbezogen werden. Die nachhaltige Veränderung des Denkens eines jeden Mitarbeiters ist der entscheidende Erfolgsfaktor für das Konzept, da nur mit der inneren Überzeugung aller Mitarbeiter wirkliche Veränderungen bewirkt werden können. Wichtig ist es dabei, den Veränderungsprozess in dem Unternehmen ganzheitlich zu betrachten. So ist mit der im Kapitel „Innovation in ausgewählten Governance-Prozessen“ beispielhaft dargestellten Veränderung der IT-internen Governance-Prozesse gleichzeitig auch die interne Kultur des Unternehmens zu verändern. Die Veränderung kann dabei nicht selektiv, sondern nur ganzheitlich durchgeführt werden, da die einzelnen Elemente sich gegenseitig bedingen (siehe Abbildung 9).
470
Klaus Rausch, Dr. Andreas Rothe Ausprägung Leitlinien
Standardisierungsgrad
Keine
Selbstverständnis
Auftragsfertiger
Auftraggeberverhältnis
Kostenfaktor
Entlohnungssystem
Budgeteinhaltung (E)
Fachkonzepte
Traditionell
Planungsstrategie
Technisch
Innovations-Management
Nicht existent
Vorbild/Treiber Konvention
Weitgehend & marktadäquat (SIZ/DIN) Produktanbieter
Partner
Wertbeitrag Prozessoptimierungsgrad (P)
Dialog
Einbeziehung der Nutzer (Open Source)
Interdependenzen
Architektur-Management
Fachlich Vorhanden, aber eher Intuitiv
Integratives Modell
Abb. 9. Elemente eines ganzheitlichen Innovations-Managements (Auswahl)
Die Auswirkungen dieses Veränderungsprozesses sind weit reichend und erfordern neben der Veränderung der Leistungserstellungsprozesse einen langfristigen Veränderungsprozess der Kunden-Lieferanten-Beziehung und des Selbstverständnisses der IT. Die Geschäftsbereiche werden zu Kunden der IT, die auf Basis eines gemeinsamen Verständnisses der Geschäfts- und Marktentwicklung die notwendige, langfristige IT-Leistung planen. Diese Partnerschaft erfordert transparente Liefer- und Leistungsbeziehungen und marktähnliche Mechanismen bei marktgerechten Preisen, orientiert an den geschäftlichen Anforderungen der Bank. Der Kunde der IT-Produkte, die Prozesse und der Markt rücken in den Fokus des IT-Managements statt – wie bisher üblich – Anwendungssysteme, Aufträge und Projekte. Ziel des aktiven, partnerschaftlichen Kunden-Managements ist es, vorausschauend mit den Fachbereichen als Partner die Entwicklung des Markts, der Bankprodukte und Kunden gemeinsam zu analysieren, um so durch innovative Ideen mit IT-Unterstützung den Wertbeitrag für das Unternehmen zu optimieren.
Fazit Es wird deutlich, dass Innovation insbesondere durch den bestehenden Kostensenkungsdruck notwendig ist. Die wenigen Mittel müssen so eingesetzt werden, dass ein optimaler Nutzen für das Gesamtunternehmen entsteht. Innovation kann durch ein ausgefeiltes Governance-Modell auf
Innovation erfordert eine geänderte IT-Governance
471
Grundlage der fachlichen Produktlinien, der konsequenten Anwendung bekannter strategischer Planungsinstrumente und den ergänzenden Informationen aus dem Benchmark optimal initiiert und gesteuert werden. Hierzu sind eine enge Kooperation zwischen der IT und den Fachbereichen und ein verändertes Selbstverständnis der IT erforderlich. Basis hierfür ist eine ganzheitliche Veränderung der Unternehmenskultur und des Leitbilds der IT.
Literaturverzeichnis Heilmann, H./Strahringer, S. (2003) „Neue Konzepte in der SoftwareEntwicklung“ in: Wirtschaftsinformatik, Nr. 231, Heidelberg Hermann, W. (2006) „Was Gartner CIOs für 2006 empfiehlt“, in Computerwoche 2/2006, S. 11 Hochstein, A./Hunziker, A. (2003) „Serviceorientierte Referenzmodelle des ITManagements“ in: Wirtschaftsinformatik, Nr. 232, S. 45–55 Meyer, M., Zarnekow, R., Kolbe, L. (2003) „IT-Governance, Begriff, Status quo und Bedeutung“ in: Wirtschaftsinformatik, Nr. 45, S. 445–448 o. V. (2000) COBIT Management Guidelines, Governance, Control and Audit for Information and Related Technology, 3rd Edition, Rolling Meadows, USA 2000 o. V. (2002) IT als Wettbewerbsfaktor, Studie der Firma Accenture und der Universität St. Gallen, Zürich Rausch, K./Rothe, A. (2005) „Von der Industrie lernen – Steuerung der IT nach industriellen Maßstäben“ in: Wirtschaftsinformatik, E-Economy, E-Government, E-Society, Heidelberg, S. 527–546. Rothe, A. (2004) Systematische Wiederverwendung von Software-Komponenten bei Finanzdienstleistern, Dissertation, Stuttgart opus.uni-stuttgart.de/opus/ volltexte/2004/1657/pdf/Rothe.pdf Rummel, H. (o. J.) IT Infrastructure Library, Einführung basierend auf der ITILFoundation, Vorlesungsbegleiter einer Vorlesung an der Berufsakademie Stuttgart Zarnekow, R./Brenner W. (2003) „Auf dem Weg zu einem produkt- und dienstleistungsorientierten IT-Managment“ in: Wirtschaftsinformatik, Nr. 232, S. 7–16 Zarnekow, R., Scheeg, J., Brenner, W. (2004) „Untersuchung der Lebenszykluskosten von IT-Anwendungen“ in: Wirtschaftsinformatik, Nr. 46, S. 181–187
Zusammenfassung und Ausblick
Dr. Lothar Dietrich, Strategic Business Development Executive IBM Deutschland An dieser Stelle folgt der Abschluss einer Kapitelreise durch erfolgreiche Beispiele aus der Praxis, und dennoch liegt genau hier der Beginn unserer Zukunft. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ergab in 2005, dass Deutschland bei der Innovationsfähigkeit im Vergleich mit 13 Industrienationen den sechsten Platz belegt. Vor Deutschland liegen die USA, Finnland, Schweden, Dänemark und Japan. Ziel sollte daher sein, nicht nachzulassen, damit Deutschland seine Position eher verbessert als verschlechtert. Da mit Sparen allein der Wettbewerb im Zeitalter der Globalisierung nicht gewonnen werden kann, haben die Beispiele dieses Buchs hoffentlich dazu beigetragen, jetzt neue Ideen in Unternehmen für unterschiedliche Märkte umzusetzen. Siemens-Konzernvorstand Thomas Ganswindt stellt in seinem Beitrag fest: „Innovationen sind weit mehr als Erfindungen. Dabei ist eine Erfindung schon viel, nämlich eine schöpferische Leistung, die etwas Neues zum Ergebnis hat. Doch erst der Nachweis, dass eine Erfindung einen gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Nutzen hat, macht sie zu einer Innovation. Erfindungen als Wegbereiter von Innovationen.“ Erfolgsbausteine für Innovation finden sich in den gewählten Innovationsstrategien, der Entscheidung für einen Innovationstypus, der Organisation, den Innovationsprozessen sowie der Kultur des Unternehmens. Einige Elemente ziehen sich durch alle Buchbeiträge immer wieder als Kernpunkte erfolgreicher Innovationen hindurch (siehe Abbildung 1). Innovation als Neuerung technischer, organisatorischer oder strategischer Art hat in allen Beiträgen dieses Buchs eine wichtige Rolle gespielt. Dabei wurden aus unterschiedlichen Branchen Beispiele von Innovationen in Produkten, Geschäftsprozessen und Geschäftsmodellen beschrieben. Wenn es auch kein Patentrezept gibt, um „Innovationen zu machen“ (siehe Einleitungskapitel) soll nachfolgend doch versucht werden, ein Fazit zu ziehen und vielleicht doch einige Eckpunkte aufzuzeigen, auf die es ankommt, um im Unternehmen erfolgreich zu sein.
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Folgende Elemente ziehen sich durch alle Buchbeiträge immer wieder als Kernpunkte von erfolgreichen Innovationen hindurch Ermitteln von Innovations-Potenzialen
Innovationsstrategie
Innovationsstrategie und Unternehmensstrategie in Einklang bringen Art der Innovationsstrategie (Als Pionier, Imitation oder Nischenlösung) Zeitpunkt der Ablösung von Vorgänger-Produkten bestimmen
Innovationstyp
Innovationsbeitrag im Produkt, im Geschäfts-Prozess oder Geschäftsmodell Schlagkräftige Organisation aufbauen für die Ermittlung, Entwicklung und Umsetzung von Innovation
Organisation
Verzahnung von zentraler und dezentraler Forschung und Entwicklung Bilden von Partnerschaften Vernetzen von Organisationseinheiten Ressource „Wissen“ managen“
Innovationsprozesse
Innovationsmanagement Geschwindigkeit und Effizienz Controlling Mehrwert für den Kunden ermitteln Barrieren zwischen Kunden und Lieferanten senken Beteiligung von Kunden am Innovationsprozess Service- und Reaktionszeiten verringern
Kundenorientierung
Collaborative Engineering (parallele Konstruktion und Entwicklung an mehreren Standorten weltweit gleichzeitig) Differenzierung im Wettbewerb Verkürzung des Produktionsprozesses Komplexitätsreduzierung Neue Plattformen der Medien (z. B. interaktives Fernsehen) Einsatz virtueller Methoden Sicherheit in elektronischen Netzen
Sicherheit
Ver- und Entschlüsselung von Daten Fälschungssicherheit
Globalität
Integration von Know-How-Trägern weltweit und intern sowie extern in den Innovationsprozess Vorbildfunktion des oberen und mittleren Managements
Kultur
Fördern von „Community-Denken“ (Durchbrechen starrer Organisationsstrukturen)
Abb. 1. Best Practice der Innovationen
Wenn die gezeigten Beispiele dazu beitragen, dass Führungskräfte und Mitarbeiter in Unternehmen darüber nachdenken, wie Business verändert werden muss, um neue Potenziale für das Unternehmen zu entwickeln, ist ein wichtiges Ziel der Herausgeber und Autoren erreicht.
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Innovationsstrategie und -Management als Kernpunkte des Innovationserfolgs Zunächst wurde in diesem Buch der Bogen gespannt von der Innovationsstrategie bis zur Umsetzung. Die Analyse von Booz Allen Hamilton über verschiedene Branchen und Unternehmen ergab, dass der Innovationsprozess großen Einfluss auf Wachstum und Profitabilität hat. Dass dabei ein effizientes Innovations-Management eine wichtige Rolle spielt, stellt insbesondere Thomas Ganswindt in seinem Beitrag eindrucksvoll dar. Bei der Fahndung nach Innovationen muss dabei sicherlich darauf geachtet werden, dass es sich hierbei zum Beispiel bei neuen Produkten tatsächlich um Neuerungen handelt und nicht allein um Varianten von bisherigen Produkten. Oft laufen Unternehmen in die Falle, dass immer neue Varianten erzeugt werden, was zwangsläufig zu kleineren Losgrößen und dadurch zu steigenden Herstellungs- beziehungsweise Fixkosten mit immer geringeren Margen führt. Das Zauberwort „Teile- und „Baugruppen-Standardisierung“ spielt hierbei eine wichtige Rolle, um Kosten überhaupt akzeptabel zu gestalten. Der kundenorientierte Fokus sollte erst sehr spät im Produktionsprozess erreicht werden, was nur dann möglich ist, wenn man eine klare Produktstrategie entwickelt. Die immer komplexer werdende „Innovationsmaschine“ macht es notwendig, Geschwindigkeit und Effizienz durch ein straffes InnovationsManagement zu erreichen und damit zu einem wettbewerbsentscheidenden Charakter zu verhelfen. Daran hat es in der Vergangenheit in vielen Unternehmen in Deutschland gemangelt, weil es hier keine ausreichend straffe Konzentration auf das Innovations-Management gegeben hat. Erfolgreiche Unternehmen verstehen es, zukünftige Trends aus unterschiedlichen Quellen zu kondensieren und mit einer schlagkräftigen Einheit unter Einbeziehung von zentralen und dezentralen Einheiten zum Erfolg zu führen. Dabei spielen nicht nur die Innovationsstrategie und Organisation eine wichtige Rolle, sondern auch das Kundenverständnis. Daher kann ein wichtiger Erfolgsfaktor sein, von vornherein Kunden in Innovationsprozesse einzubeziehen, denn sie sind es am Ende, die Käufer dieser neuen Produkte sein werden. Sowohl die konkrete Umsetzung im Siemens-Konzern als auch die Analysen in anderen Unternehmen zeigen, dass der Innovationserfolg wesentlich von folgenden drei Phasen abhängt:
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Abb. 2. Phasenverlauf erfolgreicher Innovationen
Verstärkt wird dieses durch eine entsprechende Innovationskultur im Unternehmen, wozu auch die Weitergabe von Ideen durch Mitarbeiter und eine Community-Organisation beitragen. Mit Community ist gemeint, dass auch Querbeziehungen in Unternehmen gefordert sind und dass das Arbeiten nicht nur innerhalb hierarchischer Strukturen erfolgt. Neue Möglichkeiten zum Beispiel unter Nutzung von Intranetlösungen können hierzu wichtige Beiträge leisten. Auch nach außen können Partnerschaften förderlich sein, indem zum Beispiel Kosten und Risiken geteilt werden. Manchmal kann es dann sogar sinnvoll sein, wenn im Wettbewerb stehende Unternehmen in Teilbereichen zusammenarbeiten. Booz Allen Hamilton befasst sich in einem Beitrag mit dem Thema Technologietrends. Hier wird insbesondere der Fortschritt bei der Leistungsfähigkeit von mobilen Endgeräten angesprochen, der zu innovativen Entwicklungen am „Point of Sales“ (dort wo der Kunde etwa Kassen oder Automaten bedient) führt. Dadurch wird insbesondere die Möglichkeit mobiler Zahlungen gefördert. Die elektronische Signatur wird weitere innovative Möglichkeiten schaffen, weil sie Anwendungen insgesamt sicherer macht. Beschrieben werden auch neuartige Kombinationen von Services, die zukünftig etwa Google auf Basis neuer Techniken anbieten wird. In den Beiträgen wird besonders darauf hingewiesen, dass die ITArchitekturen heute in den meisten Fällen nicht darauf ausgelegt sind, die notwendige Flexibilität von Unternehmen zu unterstützen. Es wird ein erheblicher Nachholbedarf prognostiziert, was in die Empfehlung mündet, „CIOs sollten besser heute als morgen die Zukunftssicherheit ihrer ITArchitektur untersuchen“. Die Aussage von Unternehmensverantwortlichen, im Schnitt planten sie, rund 25 Prozent ihrer Mitarbeiter mit mobilen Anwendungen auszustatten, lässt weitere innovative Entwicklungen erwarten. Dass damit auch eine Veränderung von Systemstrukturen einschließlich der Sicherheitsthematik erfolgen muss, braucht sicherlich nicht besonders betont zu werden. Als Beispiele werden angeführt, die Effizienz und Effektivität von Außendienst oder Servicetechnikern durch integrierte mobile Anwendungen signifikant zu erhöhen.
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Außerdem wird die Verschmelzung der klassischen Telefonwelt und der Datenwelt durch VoIP die Inhalte von Lösungen signifikant verändern. Da bisher nur circa zehn Prozent der Unternehmen diese Möglichkeiten nutzen, ist hier ein erheblicher Nachholbedarf des Markts zu erwarten, zumal sich die Möglichkeiten der mobilen Kommunikation und Anbindung an die Unternehmens-IT in Zukunft in Verbindung mit Technologien, die hohe mobile Bandbreiten zur Verfügung stellen (UMTS, HSDPA), deutlich erweitern werden. Die Verbindung der Technologien und das Zusammenwachsen der Infrastrukturen wird unmittelbare Auswirkung auf die Entwicklung von Anwendungen und Services haben. Auswirkungen auf etablierte Geschäftsmodelle sind damit wahrscheinlich. Zukünftig wird die Beherrschbarkeit und Wirtschaftlichkeit des Betriebs von integrierten Lösungen verschiedenster Informations- und Kommunikationstechnologien über den Geschäftserfolg entscheiden. Folgendes Zitat von Eckhard Geulen, Deutschen Telekom, bringt das heutige Problem auf den Punkt: „Der Wohlstand in den 80er- und 90erJahren beruhte weitgehend auf der Abschöpfung der Innovationsrenten vergangener Jahre, die sich heute in vielen Märkten verbraucht haben.“ Er stellt klar, dass es einerseits um technische Neuerungen in Produkten geht, wohingegen Prozessinnovationen eher auf Kostensenkungen und Qualitäts- sowie Leistungsverbesserung zielen. Dabei weist er daraufhin, dass es bei Produktinnovationen einen sehr großen Nutzerkreis gibt, während Prozessinnovationen meistens nur einen kleinen Nutzerkreis etwa in einem einzelnen Unternehmen haben. Innovationsstrategien als Pionier, Imitator oder Nischeninnovator sind von höchster Relevanz für ein Unternehmen und werden begleitet vom Aufbau von Key Performance Indicators (KPIs). Diese KPIs können zum Beispiel als Umsatzanteil am Gesamtumsatz mit neuen Produkten berechnet werden, die weniger als drei Jahre im Markt sind, oder als F&E-Ausgaben im Verhältnis zum Gesamtbudget oder als Umsatzanteil/EBIT mit Neuprodukten. Kennzahlen wie die Anzahl erfolgreicher Projekte zur Gesamtzahl aller Innovationsprojekte geben in sich Aufschluss über das Innovationsverständnis eines Unternehmens und die Risikobereitschaft, Innovation zu betreiben. Primäres Ziel ist heute nicht mehr die Informations- und Kommunikationstechnologie an sich, sondern die Integration durch intelligente Vernetzung entlang von Wertschöpfungsketten und Prozessen. Dabei geht es nicht um die Realisierung von einzelnen Innovationen, sondern um die Effizienz sich wiederholender Abläufe von der Ideenentwicklung bis hin zur Markteinführung. Ein kritischer Faktor ist dabei die Tatsache, eigene bestehende Produktreihen zugunsten disruptiver Technologien aufzugeben.
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Folge dieses „Innovator’s Dilemma“ ist es, dass Unternehmen, die heute noch in einer Technologie führend sind, den Übergang in die Nachfolgetechnologie oft nicht mehr an der Spitze stehend schaffen. Dabei misst sich der Wert von Innovationen ausschließlich am Mehrwert für den Kunden. Die konsequente Ausrichtung unternehmerischen Handelns auf die kontinuierliche Entwicklung und Platzierung marktgerechter Innovationen scheint damit das Mittel der ersten Wahl, um im Wettbewerb mit den derzeit noch produktionslastigen Unternehmen aufstrebender Volkswirtschaften wie China nicht nur zu bestehen, sondern die führende Position zu halten. An einem anderen Beispiel wird gezeigt, wie Unternehmen mittels eines Informationsportals intelligent auf verteiltes Wissen im Unternehmen zugreifen. Damit können Unternehmen Informationen als kollektiven Wissensvorsprung im Wettbewerb nutzen. Wenn Unternehmen das Wissen ihrer Mitarbeiter konzentrierter nutzen könnten, wäre dies ein entscheidender Beitrag für den Unternehmenserfolg. Neue Systeme wie Intranet und Wissens-Management können Innovationen auf eine Erfolgsspur bringen, weil Mitarbeiter in Verbindung mit Datenbanken und Suchmaschinen weltweit den Überblick und den Zugang zu allen im Unternehmen verfügbaren Marktinformationen, Branchennachrichten, Berichte und Länderstudien erhalten.
Erfolgreiche Innovationen im Produkt Unter „Innovationen im Produkt“ sind nicht allein Gegenstände zu verstehen, sondern Produkte können auch neue Services etwa in Form neuer Medien sein. Hierzu zählen innovative Produkte selbst, produktbegleitende Services und Services um das Produkt herum. Beispiele aus diesem Buch zeigen Lösungen zu den Themen Chargenverfolgung in der Pharmaindustrie mit RFID, zum Schutz vor Produktfälschungen und zur Umsetzung von Diagnose- oder Simulationssystemen. Weiterhin werden neue Lösungen aufgezeigt, die erst durch den Einsatz digitaler Signaturen möglich sind – wie der Online-Abschluss von Versicherungs- oder Kreditverträgen. Sehr interessant sind hierbei die Beschreibungen, wie neue Produkte der Medien entstehen. Dabei verschmelzen Fernsehen, Internet und Mobilfunk. Dargestellt werden Beispiele, wie Downloads von Fernsehserien ermöglicht oder Filme auf mobile Endgeräte wie Mobiltelefone übertragen werden können. Durch die Nutzung von Rückkanälen wird zukünftig die Interaktion mit den Zuschauern selbstverständlich, was wieder neue Möglichkeiten eröffnet. In der richtigen Kombination von Technologie, Ge-
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schäftsmodell und unmittelbarem Kundenmehrwert lassen sich heute in kurzer Zeit sogar Weltunternehmen aufbauen (Beispiele sind Google und Ebay). Ein Produkt wie das Handy wird dadurch von einem reinen Telefonapparat zum persönlichen, mobilen „Media Device“ zum Abspielen von Musik, Fotos, Video und Live-Fernsehen. Mittels derartiger, neuer Produkte sind auch völlig neue Fernsehsendungen möglich. Dabei hat die „Schlacht ums Zuhause“ erst begonnen, was eine interessante Zukunft erwarten lässt. Ein weiterer innovativer Weg ist es, Rundfunk, Fernsehen, Internet und das Telefon über das Kabel nutzbar zu machen. Hierdurch entstehen völlig neue Geschäftsmodelle und Services wie Video on Demand oder interaktives Fernsehen. Für derartige Services sind natürlich auch neue Abrechnungssysteme notwendig. In diesem Buch wird gezeigt, wie ein Unternehmen mit entsprechenden Geschäftsprozessen diese Herausforderungen annimmt und effektive Prozesse auch in Richtung ihrer Kunden – etwa in Form von neuen Abrechnungssystemen – aufgebaut hat. In vielen neuen Ansätzen geht es darum, die Reaktionsfähigkeit von Unternehmen zu verbessern, die Kosten zu senken und neue Services oder Produkte für Kunden bereitzustellen. Dabei gibt es meistens gleichzeitig Ansätze in Richtung Innovation im Produkt, im Geschäftsmodell und in den Prozessen. Ein anderer Beitrag befasst sich mit der konkreten Frage, wie Behinderte sich im Internet zurechtfinden können. So wie vor einigen Jahren noch Rollstuhlfahrer vor einer Treppe stehen bleiben mussten, weil es für sie keine behindertengerechten Zugänge gab, bleibt ihnen heute das Internet versperrt. Aber es gibt innovative Lösungen im Internet, mit denen eine barrierefreie Kommunikation auch für Blinde und Gehörlose möglich ist. Die in diesem Buch gezeigten Ansätze zeigen, dass der Begriff „unmöglich“ aus unserem Vokabular gestrichen werden sollte, weil in Innovationen unsere Chance für neue Märkte liegt. Bei der Entwicklung neuer Produkte muss auch an den Sicherheitsaspekt gedacht werden. IT-Innovationen müssen mit Innovationen der ITSicherheitstechnik verbunden werden, um die innere Sicherheit eines Landes zu erhöhen. Es wird gezeigt, wie die Verlässlichkeit und Vertraulichkeit von übermittelten Informationen über elektronische Netze deutlich verbessert werden einschließlich der Möglichkeit zur Ver- und Entschlüsselung von Daten. Mit diesem Ansatz erscheint die breite Einführung internetbasierter Geschäftsabläufe auf höchstem Sicherheitsniveau möglich, was in der heutigen Zeit aufgrund von verstärkt stattfindenden Fälschungen und Angriffen im Internet eine schnelle und gute Lösung erfordert.
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Der Schutz vor Dokumentenmissbrauch wird bei der Einführung neuer Reisepässe mit biometrischen Daten deutlich, die dem gesamten Biometriesektor Auftrieb gibt. Innovative IT-Lösungen spielen schon heute eine wesentliche Rolle bei der Fortentwicklung sicherheitspolitischer Konzepte.
Erfolgreiche Innovationen im Geschäftsprozess Innovationen im Geschäftsprozess werden in der heutigen Zeit unter folgenden Aspekten immer wichtiger: Einerseits geht es um die Beschleunigung des Durchlaufs von Produkten – vom Entwicklungs- und Produktionsprozess über die Auslieferung an den Kunden bis zu nachfolgenden Services –, andererseits um die Entwicklung innovativer Prozessideen, mit denen neue Geschäftsfelder entwickelt werden können. Parallel dazu geht es aber auch um Steuerungs- und Unterstützungsprozesse etwa für den Finanz-, Controlling- und Personalbereich. Durch den Einsatz von Informationstechnologien können sich Unternehmen im Wettbewerb differenzieren, etwa durch die Vernetzung von Organisationseinheiten mit externen Partnern entlang der Wertschöpfungskette. Ziel ist hier zum Beispiel die Sicherstellung von hoher Produktvielfalt bei gleichzeitig niedrigen Kosten und dem Ziel, die „Time to Market“ zu verkürzen. Unternehmen gehen neue Wege im Bereich von Produktentwicklung und Produktionsplanung, mit denen bisherige physische Modelle durch Simulationen am Computer ersetzt werden. Weiterhin wird angestrebt, elektronische Komponenten sowie die jeweilige Software einzubeziehen. Auf diesem Wege sind deutliche Kostensenkungen bei gleichzeitiger Verkürzung der Auslieferungszeiten an die Kunden möglich. Ziel der computergestützten Simulation ist es dabei auch, einen besseren Reifegrad von Entscheidungen zu erreichen. Simulationen sind ein wichtiger Schwerpunkt bei Innovationen. Sie helfen im Automobilbau beim Bau neuer Fabriken und bei der Fahrzeugentwicklung zur Verbesserung der Fertigungsprozesse; ebenso werden sie für innovative Schulungskonzepte eingesetzt. In diese Betrachtungen muss auch der Mensch einbezogen werden, etwa über Ergonomie-Untersuchungen im Fahrzeuginnenraum und die Schulung der späteren Nutzer. Dabei reichen die Einsatzgebiete von der Steuerung eines großen Schiffs bis hin zur Steuerung eines Autos im Straßenverkehr. Bei anderen Herstellern erfolgt die Freigabe bestimmter Prozesse oder Produkte erst, wenn eine Produktionsstätte am Rechner alle Simulations-,
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Planungs- und Integrationsschritte erfolgreich durchlaufen hat. Zur Verkürzung von Durchlaufzeiten tragen auch andere Systeme wie zum Beispiel Portale bei, über die Lieferanten und Kunden gleichermaßen Zugriff auf alle Planungsstände haben. Aus einem der Beiträge geht hervor, wie die Verbesserung der Qualität sowohl in der Planungs- als auch in der Produktionsphase zu erreichen ist. Auch hier spielt das Thema Simulation eine wichtige Rolle, um Produktionsabläufe für künftige Prozesse hinsichtlich Fehleranfälligkeit und Effizienz zu optimieren. Auch auf der Beschaffungsseite sind Innovationen notwendig und möglich: Von der Bereitstellung zentraler einheitlicher Stammdaten, über das effektive Management von Kontrakten (Verträge mit Lieferanten, auf die Mitarbeiter eines Unternehmens zugreifen können) bis hin zum effektiven Controlling werden innovative Wege mittels des Einsatzes von Portalen möglich, die entsprechende Prozesse effektiv machen. Dabei haben Workflows eine sehr wichtige Funktion. Dieses sind Prozesse, die automatisch erzeugt werden, etwa um einen anderen Anwender per Mail aufzufordern, eine Zahlung im Unternehmen freizugeben oder die angestrebte Qualität eines Produkts als erreicht zu bestätigen. Dies erspart viel Papier im Unternehmen und langwierige Postwege. Durch die Verwendung von Software-Lösungen, die Workflows erzeugen, lassen sich Zeit und Geld einsparen. In diesen Prozessen ist auch hinterlegt, wer wann etwas freizugeben hat. Diese innovativen IT-Lösungen sollen zum einen dazu dienen, dass der Anwender im Unternehmen in die Lage versetzt wird, die verhandelten Kontrakte ohne weitere Bearbeitung durch die Einkaufsfunktion selbst zu nutzen, zum anderen soll die Erfassung von Belegen in der gesamten Prozesskette mit dem Lieferanten minimiert werden. Beim Thema RFID werden die Geschwindigkeit und die Qualität der Lieferketten zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Es gibt dadurch auch gute Lösungsansätze, die der Produktpiraterie entgegenwirken können, neue Wege für eine effektivere Logistik und sogar neue Möglichkeiten der Kundenbindung. Mit einer innovativen „eService-Plattform“, die der Kundenseite den Einkauf von Produkten deutlich erleichtert, wird mancherorts eine Integration der Auftragsprozesse über Unternehmensgrenzen hinweg geschaffen. Hierdurch wird die Transparenz und Effizienz für alle Beteiligten gesteigert, etwa für den Einkäufer des Kunden, Lagerhalter, Servicecenter, Zertifizierungsgesellschaften, Transportgesellschaften, Verkäufer auf der Lieferantenseite und andere. Eine derartige Serviceplattform ist damit eine gemeinsame Informations- und Kommunikationsplattform, die allen An-
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wendern bei Geschäftspartnern und im eigenen Haus gleichzeitig, ortsunabhängig und gleichartig strukturiert zur Verfügung steht. Nicht der elektronische Zugriff auf die Dokumente, sondern der Kontextbezug zu den Geschäftsprozessen bietet hier eine neue innovative Qualität. Mit dieser Lösung wird das Problem der Erfassung desselben Vorgangs in zwei verschiedenen Systemen richtig erkannt – nämlich beim Kunden und beim Lieferanten. Der Abstimmaufwand wird mit einer derartigen innovativen Lösung deutlich reduziert; manuelle redundante Tätigkeiten beim Kunden und auf Lieferantenseite werden auf ein Minimum reduziert, was gleichzeitig auch zur Verkürzung von Prozesslaufzeiten führt. Der Zugang über das Internet wirkt sich dabei insbesondere bei räumlich verteilten Projektmitgliedern positiv aus, die auch in verschiedenen Ländern sitzen können. Im Anlagenbau werden die Möglichkeiten des Internet ebenfalls genutzt. Konstruktion und Entwicklung für dieselbe Anlage werden von verschiedenen Partnern gleichzeitig durchgeführt. Dies allein ist schon eine Herausforderung und stellt einen wichtigen innovativen Ansatz dar, der vor allen Dingen auch international umgesetzt werden kann. Die Verlagerung von IT-Themen durch die Zusammenarbeit mit einem Outsoucing-Partner ist ein anderes Beispiel, das zeigt, wie Innovationen gefördert werden können. So wie Unternehmen heute flexibel gegenüber dem Markt und den Kunden reagieren müssen, sind entsprechende adaptive Lösungen für IT-Services innerhalb des Unternehmens in Zusammenarbeit mit einem Outsourcing-Partner sinnvoll und notwendig. Um die Wertschöpfungstiefe des eigenen Unternehmens zu verringern, werden ITAufgaben an externe Partner ausgelagert. Mergers and Acquisitions, Unternehmensteilverkäufe und -ausgliederungen, strategische Kooperationen, Neufokussierung und damit einhergehende Verringerung der Spartenzahl, Verlagerung von Produktionsstätten und Änderung der Fertigungstiefe: All das sind Vorgänge, die in der Regel die betriebswirtschaftlichen ITUnterstützungssysteme, meist aber auch die gesamte IT vor große Herausforderungen stellen. Die Spielregeln des adaptiven Outsourcing in unserem Beispiel sehen eine nahezu beliebige Veränderbarkeit der bezogenen Services während der Vertragslaufzeit vor. Dabei ist ein modulares Vertragswerk als Plattform wichtig. Kern des adaptiven Outsourcing ist das grundsätzliche Recht des Kunden, beliebige Services während der Vertragslaufzeit jederzeit zu kündigen und dabei den entgangenen Gewinn und die Fixkosten dem Vertragspartner zuzusichern. Interessant ist der Aspekt, dass damit ein Wettbewerb zwischen Kunde und Dienstleister um die Identifizierung und Um-
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setzung von Einsparungspotenzialen in der (Dienst-)Leistungserbringung eingeleitet wird. Eine wichtige, ungeschriebene Regel des adaptiven Outsourcing besagt, dass sich beide Parteien in gewissen Punkten auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit während der Vertragslaufzeit verlassen, ohne alle Eventualitäten und Details vertraglich zu fixieren, was ohnehin nicht möglich ist. Eine enge, partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Dienstleister insgesamt ist notwendig, da der Kunde teilweise in das Unternehmen des Dienstleisters hineinregiert. Damit ergibt sich ein für beide Vertragsparteien fairer Vertrag, der zudem die Schwächen herkömmlicher SLAs (Service Level Agreements) überwindet und somit auch für Unternehmen geeignet ist, die wegen schlechter Erfahrungen eine Abkehr vom Outsourcing erwägen. Auch interne IT-Services können als „atmungsfähiges“ Geschäftsmodell entwickelt werden. Eine flexible Anpassung an Veränderungen des Markts und des Unternehmens selbst wird so eher erreicht als mit starren Strukturen und unflexiblen Serviceverträgen. Am Beispiel Voice over IP kann man sehen, wie IT-Innovationen zügig in marktreife Produkte und Dienstleistungen umgewandelt werden können. Die neuen Geschäftsfelder Breitband-Internet- und Telefondienste via Kabel enthalten weiteres Wachstumspotenzial. Die Vernetzung von mehreren Standorten, das Anbinden von „Teleworkern“ über DSL-Anschlüsse oder die Nutzung des firmeneigenen LANs für Telefongespräche bietet neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern unterschiedlicher Unternehmen. Mit Unified Messaging werden eingehende Nachrichten wie zum Beispiel SMS, Fax und Sprachnachrichten unter einer Oberfläche gebündelt. Der Empfänger kann auf diese Nachrichten von verschiedenen Endgeräten wie PC, Handy oder Bürotelefon zugreifen oder wird an seinem bevorzugten Endgerät über den Erhalt einer neuen Nachricht informiert. Interessant ist hier der Ansatz, dass nicht mehr Produkte oder komplette Lösungen verkauft werden, sondern Dienstleistungen in Form von „Managed Services“. Den Unternehmen wird dabei nicht nur Technologie bereitgestellt, sondern durch qualitativ hochwertige Leistungen ein klarer Mehrwert geboten, indem etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jederzeit über einheitliche Rufnummern erreichbar sind.
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Erfolgreiche Innovationen im Geschäftsmodell Unter einem Geschäftsmodell verstehen wir die ganzheitliche Beschreibung des Was und Wie einer Strategie. Das heißt, es wird dargelegt, welche Produkt- und Marktstrategie verfolgt wird und wie – im Zusammenspiel mit externen Partnern zum Beispiel Kunden und Lieferanten – die Geschäftsprozesse aussehen sollen. Welche fundamentalen Änderungen der Geschäftsmodelle wird es in Zukunft geben? Der Bankenbereich beispielsweise könnte sich von einem reinen Kontenverwalter zu einem Lebensbegleiter wandeln. Innovative Ansätze in Form von digitalen Signaturen vermeiden zukünftig die heute bestehenden Medienbrüche und ermöglichen Einsparungen bei der Abwicklung der notwendigen Prozesse. Dabei muss darauf geachtet werden, dass hierbei niemand ausgegrenzt wird, etwa ältere Personen, weil sie sich in einer papierloseren Welt nicht mehr zurechtfinden. Zusätzliche Geschäftsprozesse, die bisher der Schriftform bedürfen, können zukünftig auch online angeboten werden (im Bankenbereich etwa Freistellungsaufträge, Vollmachten, Zweitkonten etc.). Hierdurch sind auch völlig neue Vertriebskanäle möglich, die Unternehmen und Kunden nutzen können. Neue mediale Vertriebswege durch Internet- und Telefon-Banking stehen nicht nur im Spannungsfeld zwischen Mehrwert für den Kunden und notwendiger Kostenreduzierung, auch die IT-Plattformen stoßen hier schnell und deutlich an ihre Grenzen. Vor allem mangelnde Offenheit, Flexibilität und Skalierbarkeit sorgen dafür, dass die Applikationen häufig die Geschäftsabläufe eher behindern als unterstützen. Daher werden neue Lösungen von IT-Technologien wie serviceorientierte Lösungen benötigt. In den zukünftigen Workflows steht dabei stets der Kunde im Mittelpunkt der durchgängigen Geschäftsprozesse. Der Erfolg von Banken, Sparkassen und auch Versicherungen wird davon abhängen, wie gut es den Unternehmen gelingt, die zunehmend individueller werdenden Wünsche und Präferenzen ihrer Kunden rechtzeitig zu erkennen, sie zielorientiert und bedarfsgerecht auf den unterschiedlichen Vertriebskanälen anzusprechen und für sich zu gewinnen. Ebenso wichtig ist es, dass sich Unternehmen darauf einstellen, auf Veränderungen des Markts, etwa Fusionen und Unternehmensteilungen, stets reagieren zu können. Langwierige Transformationsprojekte sind bei diesen organisatorischen und prozessualen Änderungen nicht akzeptabel, was auch neue Herausforderungen für IT-Bereiche bedeutet. Es sind neue Organisationsmodelle notwendig, durch die entsprechend schnell reagiert werden kann. Dreh- und Angelpunkt beim Vertrieb von Finanzprodukten wird es daher im Banken- und Versicherungsbereich sein, den Kunden
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überall dort zu erreichen, wo er seine Geldgeschäfte erledigt. Der personalisierte Bereich im Internet wird so zu einer Informations- und Kommunikationsplattform für Kunden und Berater. Im Tourismussektor bedeutet das zum Beispiel: Es werden individualisierte, dynamisch erstellte Pakete für den Kunden aus Bausteinbeständen (Flüge, Hotelbetten) wie auch aus externen Bausteinen zusammengeschnürt, die erst unmittelbar im Rahmen des Konfigurationsprozesses von Drittanbietern eingekauft werden („Dynamic Sourcing“).
Innovativ: IT-Steuerung und -Management Innovationen zu managen ist ein entscheidender Punkt auf dem Weg zum Erfolg. Diese Erkenntnis zieht sich durch alle Beiträge dieses Buchs. Es geht um den Weg, Ideen zu finden und darum, den Enthusiasmus der Innovatoren in Einklang zu bringen mit den Beharrungskräften des etablierten Managements, die mit den Erfolgen von gestern groß geworden sind. Dabei gilt es, gleichzeitig die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter zu wecken und die unterschiedlichen Disziplinen im Unternehmen zusammenzubringen: insbesondere Forschung und Entwicklung, IT, Marketing, Prozess- und Unternehmensstrategie und nicht zuletzt den Bereichen Finanzen und Controlling.
Abb. 3. Erfolgsbausteine für Innovationen
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Es ist für Innovatoren sehr wichtig, Führungsinstrumente für die Budgetsteuerung und für die Transparenz der Kosten zu besitzen. Dies muss heute mehr als je zuvor über Ländergrenzen hinweg geschehen. Ein wichtiger Ansatz ist es, nicht nur die Kosten transparent zu halten, sondern auch den Nutzen von Lösungen oder Innovationen aufzuzeigen und zu bewerten. Wie kann die Steuerung von Innovationen mit der GovernanceThematik (Strategieentwicklung und Steuerung im Unternehmen) verzahnt werden? Hier spielen die Stufen Strategieprozess, Controlling und Review eine entscheidende Rolle. Durch eine so genannte IT-Reifegradeinschätzung kann jedes Projekt oder jeder innovative Lösungsvorschlag regelmäßig bewertet werden. Hierbei werden sowohl auf Konzern- als auch auf Gesellschaftsebene strategische IT-Initiativen definiert. Im Übergang zur jährlichen IT-Budget- und Portfolioplanung werden diese, unter Umständen auf mehrere Jahre angelegten Initiativen in konkrete Projekte heruntergebrochen. Im Projekt-Management-Prozess werden dabei im Rahmen von Reviews die Projekte verschiedenen Reifegraden zugeordnet. Auch Portfoliotechniken und Benchmarking sind wichtige Methoden zur Messung des Erfolgs von Innovationen. Zum Beispiel kann als Parameter die „durchschnittliche Zeit zwischen der Identifikation von potenziell relevanten neuen Technologien und der Entscheidung, wie diese neue Technologie im Unternehmen zu nutzen sind“ gelten. Mit entsprechenden Kennzahlen kann ein Unternehmen überprüfen, in welchem technischen/methodischen Reifegrad sich die Organisation gerade befindet. Fortschritt ist die Fortsetzung von Ideen. Es geht darum, wichtige Zukunftsfelder in eine langfristige Strategie zu überführen. Ideen für neue Produkte zu entwickeln sollte systematisch betrieben werden. Dabei sollten die Ideen der eigenen Mitarbeiter und der Partner in der ganzen Welt genutzt werden. Es geht aber auch darum, diese Ideen erfolgreich zu managen. Dies bedeutet in der heutige Zeit auch entsprechend schnell marktbeziehungsweise kundengerecht zu handeln, um mit der richtigen Idee zum richtigen Zeitpunkt am Markt zu sein. Die Beiträge dieses Buchs haben gezeigt, dass es sich bei Produkten nicht nur um gegenständliche Produkte, sondern auch um Services als Nutzen für den Kunden handeln kann. Märkte können damit nicht nur erschlossen, sondern mit völlig neuen Ideen auch geschaffen werden. Dabei kommt es darauf an, seine Kräfte zu konzentrieren, weil niemand auf allen Gebieten gleichzeitig arbeiten kann. Die Beiträge dieses Buchs haben diverse Ideen für neue Produkte und Geschäftsmodelle gezeigt. Gleichzeitig wurden Wege deutlich, Innovationen zu managen, den Erfolg durch Controlling zu belegen und dabei die Prozesskosten im Blick zu behalten.
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Ein weiteres Fazit lautet sicherlich auch: Innovationen zu schaffen ist kein Zufall, sondern gestaltete aktive Arbeit mittels klarer und konkreter Prozessschritte. Diese einzuleiten und zum Erfolg zu führen ist damit zunächst vor allem eine strategische Management-Aufgabe. Mit Innovationen erfolgreich zu sein heißt, darüber nachzudenken, wie man sein Business verändern kann. Ob Innovationen für Produkte, Geschäftsmodelle oder Prozesse entwickelt werden oder für eine Kombination daraus, muss jedem Entscheider selbst überlassen sein. Innovationspessimismus ist leider kein neues Phänomen. Das zeigen drei Beispiele aus der Vergangenheit, die die Zeitschrift „Newsweek“ zusammengetragen hat: • Wilbur Wright (Flugpionier), 1901: „In den nächsten 50 Jahren wird kein Mensch fliegen.“ • Kaiser Wilhelm II: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.“ • William Orton, Vorstand von Western Union, als ihm Alexander Graham Bell seine kleine Telefongesellschaft für 100 000 Dollar zum Verkauf anbot: „Welchen Nutzen könnte unsere Firma schon aus einem elektronischen Spielzeug ziehen?“ Wenn das vorliegende Buch dem Leser hingegen Anregungen für Innovationsoptimismus geben konnte, wurde das Ziel der Herausgeber und aller Autoren erreicht.
Autorenverzeichnis
Stefanie Berk Direktorin Neckermann Fernreisen Thomas Cook AG
Stefanie Berk (geboren 1967) leitet seit 1. Februar 2004 das „Profit Center Flug Fern“ von Neckermann Reisen. Sie zeichnet für das Produkt von Neckermann Reisen in der Karibik und Lateinamerika, in Afrika, Asien und Nordamerika verantwortlich. Neben Produkt-Management gehören die Bereiche Hoteleinkauf und Flugsteuerung Fernreisen in ihre Verantwortung. Stefanie Berk berichtet an Dr. Peter Fankhauser, Vorstand der Thomas Cook AG. Ihre berufliche Laufbahn startete die Diplom-Betriebswirtin im Februar 1991 bei der Deutsches Reisebüro GmbH als Trainee. Im selben Jahr kam sie in die Abteilung Marktforschung, die sie von 1992 bis 1994 leitete. Anschließend wechselte sie in das Produkt-Management von Dertour, wo sie als Produktleiterin das Südamerika-Programm aufbaute und im Markt einführte. 1996 übernahm Stefanie Berk bei Dertour die Produktleitung für Lateinamerika und die Karibik und zeichnete ab 1998 darüber hinaus für die Dertour Generalagentur des Club Méditerranée in Deutschland verantwortlich. 1999 wurde sie Produktleiterin für das Nordamerika-Angebot von Dertour und verantwortete darüber hinaus seit Mai 2000 das AmerikaProgramm von ADAC Reisen. Im Februar 2002 wechselte Stefanie Berk als Direktorin Hoteleinkauf zur Thomas Cook AG.
Frank Bildstein Leiter Datenbasengenerierung Fahr-/Flugsimulation Rheinmetall Defence Electronics GmbH
Frank Bildstein ist Leiter der Datenbasengenerierung Fahr-/Flugsimulation bei der Rheinmetall Defence Electronics GmbH in Bremen. Zuvor war er
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Autorenverzeichnis
in Unternehmen als Entwicklungsingenieur im Bereich Datenbasengenerierung tätig. Davor arbeitete er als DV-Organisator bei der Firma Kodak AG, Stuttgart. Bildstein ist Diplom-Informatiker und schloss sein Studium an der Universität Bremen ab.
Franz-Theo Brockhoff Stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung Sparkassen Informatik
Franz-Theo Brockhoff (geboren 1954) studierte Mathematik mit dem Nebenfach Betriebswirtschaftslehre. Nach der ersten beruflichen Station (1980 bis 1995) bei der Nixdorf Computer AG (später: Siemens Nixdorf Informationssysteme AG) in verschiedenen Aufgaben und Leitungsfunktionen in der System- und Anwendungsentwicklung wechselte Brockhoff 1995 in die Sparkassenorganisation. Brockhoff hat als Geschäftsführer die Entwicklung der in 2001 aus der Fusion von drei Unternehmen entstandenen Sparkassen Informatik mitgestaltet. Heute ist er bei dem Sparkassen-IT-Dienstleister für die Bereiche Markt und Vertrieb, Client/Server sowie Finanzen verantwortlich. Seit 2003 ist Brockhoff stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Sparkassen Informatik.
Dr. Johannes Bussmann Partner Booz Allen Hamilton
Dr. Johannes Bussmann ist Partner bei Booz Allen Hamilton und dort verantwortlich für das europäische IT-/Financial-Services-Team. Als Global Leader des Customer, Chanels and Markets Team koordiniert er weltweit die Aktivitäten im Bereich Vertrieb. Er ist seit 18 Jahren Strategieberater mit dem Schwerpunkt Informationstechnologie und hat breite Erfahrungen aus Projekten, in denen innovative Konzepte durch den Einsatz von IT entwickelt und realisiert wurden.
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Dr. Lothar Dietrich Strategic Business Development Executive IBM Deutschland
Dr. Lothar Dietrich (1950) studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der TU Berlin und promovierte in der Fachrichtung Maschinenbau zum Dr.-Ing. Er leitete diverse Großprojekte in der Industrie auf den Gebieten Fertigungstechnik und -organisation. Seit fast 20 Jahren ist Herr Dr. Dietrich in der Beratung für Geschäftsprozesse und Informationstechnologie tätig. Zu seinen Stationen gehörten die Unternehmen Krupp und Krauss-Maffei. Für das Unternehmen Siemens-Nixdorf war er zuständig für strategische Großprojekte in der Fertigungsindustrie. Unter anderem war er auch beteiligt an der Vorbereitung der Fusion beider Unternehmen. Danach übernahm er für neun Jahre bei einem Automobilzulieferer die Verantwortung für die gesamte technische und kommerzielle IT einschließlich der Einführung von neuen Geschäftsprozessen auf Basis von SAP. Als CIO für den Babcock-Borsig-Konzern entwickelte er die IT zu effektiven Standards und führte SAP R/3 in allen wichtigen Gesellschaften von Anlagen- und Maschinenbau einschließlich des Werftbereichs HDW mit konzernweiten Standards ein. Standardisierte Geschäfts- und ITProzesse und die damit verbundenen IT-Systeme sind für Dr. Dietrich die entscheidende Unterstützung für die Effektivität von Unternehmen. Aus seinen Erfahrungen referierte er mehrfach vor Praktikern beziehungsweise Managern der Industrie in Deutschland, in den USA und in Asien. Sein Motto ist, die IT von der Bit- und Byte-Betrachtung zur Prozessorientierung zu führen. Von 2003 bis Ende 2005 war Herr Dr. Dietrich Geschäftsführer des ITBeratungsunternehmens Manß & Partner GmbH. Seit Januar 2006 ist er als Strategic Business Development Executive für die IBM Deutschland verantwortlich.
Dr. Hans Christoph Dönges Leiter Competence Center für IT-Lösungen in der Logistik Dematic GmbH
Dr. Hans Christoph Dönges (Jahrgang 1964) studierte Physik an der Justus Liebig Universität in Gießen und der University of Washington in Seattle, USA. Er leitete bei einem deutschen Software-Haus die Abwicklung großer Software-Projekte im Bereich Materialflusssteuerung, Lagerverwaltung und Supply Chain Management. Zu seinen Kunden gehörten Un-
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ternehmen aus Handel, Logistikdienstleistung und der Konsumgüterindustrie. Seit 2002 ist Dr. Dönges bei der Siemens AG für Logistiklösungen verantwortlich, die RFID-Technologie beinhalten. Er begleitetet mehrere strategische Projekte zum Thema RFID, zum Teil in leitender Position, zuletzt mit dem Schwerpunkt auf Anwendungen in der pharmazeutischen Industrie. Er leitet das Competence Center der Dematic GmbH für IT-Lösungen in der Logistik. In dieser Position ist er weltweit an den RFID- Kundenprojekten beteiligt. In seiner Verantwortung liegt die Weiterentwicklung des RFID-Leistungsangebots der Dematic GmbH. Dr. Dönges ist Sprecher der RFID Boards der Siemens AG.
Heinz Dresia Mitglied des Bereichsvorstands Rheinmetall AG , Unternehmensbereich Defence
Seit 1974 – nach einem Studium an der Universität Köln mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann – bekleidete Heinz Dresia diverse Positionen im Rheinmetall-Konzern, zuletzt als Generalbevollmächtigter und Leiter der Hauptabteilung Controlling und Unternehmensentwicklung. 2000 wurde Dresia Geschäftsführer der EuroMarine Electronics GmbH und der STN ATLAS Marine Electronics GmbH in Hamburg. 2003 hat er den Vorsitz der Geschäftsführung der Rheinmetall Defence Electronics GmbH in Bremen übernommen. Heinz Dresia ist als Mitglied des Bereichsvorstands der Rheinmetall AG, Unternehmensbereichs Defence, verantwortlich für die Geschäftsbereiche Air Defence (Oerlikon Contraves) und Defence Electronics (Rheinmetall Defence Electronics).
Reinhard Eschbach CIO Thomas Cook AG
Reinhard Eschbach (geboren 1958) ist seit Mai 2005 als CIO für die gesamte IT der Thomas Cook AG verantwortlich. Davor war er als CIO für den Geschäftsbereich Corporates & Markets der Bayerischen HypoVereinsbank AG zuständig. Dort implementierte er ein neues GovernanceModell zur Steuerung der ausgelagerten IT-Töchter und der im Geschäftsfeld angesiedelten IT. Eschbach managte zuvor fast sieben Jahre ein langfristiges Outsourcing-Arrangement mit der IBM in dem US-ameri-
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kanischen Konzern Campbell Soup Company, wo er die Verantwortung als IS-Director für Europa inne hatte. 2000 wirkte er maßgeblich bei der größten europäischen Akquisition des Campbell-Soup-Konzerns mit. In den Jahren 1992 bis Ende 1995 war er bei der Kaufring AG, Düsseldorf, tätig, wo er eine Client-Server-Architektur implementierte, ein Multimedia-Kompetenzcenter einrichtete und als RZ-Leiter tätig war. Von 1989 bis Ende 1991 war Eschbach bei der KPMG in der Unternehmensberatung tätig. Wesentliche Beratungsschwerpunkte waren die Konzeptionierung und Realisierung von Decision Support und executive Informationssysteme. Sein Studium als Diplom-Ingenieur für Produktionstechnik absolvierte er in Köln. Während des Studiums startete er seine Karriere als geschäftsführender Gesellschafter seines eigenen Unternehmens, der Apricot Computer GmbH. Während der achtjährigen Bundeswehrzeit machte er bei der Lufthansa AG eine Ausbildung zum Flugzeugmechaniker.
Dr. Michael Fritsch Principal Booz Allen Hamilton
Dr. Michael Fritsch ist Principal im Bereich Telecommunications und IT bei Booz Allen Hamilton. Er berät Telekommunikationsunternehmen in strategischen, technischen und organisatorischen Fragestellungen, von der Entwicklung strategischer Konzepte bis hin zu deren Umsetzung. Dr. Fritsch war zuvor bereits für mehrere internationale Unternehmensberatungen tätig und hat als Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens gearbeitet.
Thomas Ganswindt Mitglied des Zentralvorstands Siemens AG
Thomas Ganswindt (geboren 1960) arbeitete nach Abschluss des Maschinenbaustudiums zwei Jahre beim Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik in Berlin. Seine Laufbahn bei Siemens begann er 1989 im Bereich Automatisierungstechnik in Berlin und Nürnberg. Dort war er verantwortlich für Numerische Steuerungen. 1993 wechselte Ganswindt in den Bereich Verkehrstechnik nach Braunschweig. 1996 wurde ihm die Leitung des Geschäftszweigs Sicherungssysteme für die
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Deutsche Bahn übertragen, ein Jahr später das Geschäftsgebiet Betriebsführungssysteme Nahverkehr. 1999 übernahm Ganswindt die Verantwortung für die Fernverkehrsbetriebssysteme und wurde in den Bereichsvorstand des Siemens-Bereichs Transportation Systems berufen. Ab September 2001 leitete er den Siemens-Geschäftsbereich Information and Communication Networks (ICN). Im Dezember 2002 wurde er zusätzlich zum Mitglied des Vorstands der Siemens AG bestellt. Seit Oktober 2004 gehört Ganswindt dem Zentralvorstand der Siemens AG an und betreut hier die Siemens-IC-Bereiche. Zum September 2005 übernahm Ganswindt zusätzlich zu seiner bisherigen Funktion den Vorsitz im Bereichsvorstand von Siemens Communications.
Dr.-Ing. Eckhard M. Geulen Senior Executive Vice President Deutsche Telekom/T-Com
Dr. Eckhard M. Geulen (Jahrgang 1966) studierte Elektrotechnik an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und promovierte zum Thema „Offene Dienstanbietung in zellularen GSMNetzen“. Seit nunmehr zwölf Jahren ist er in den Bereichen Forschung, Beratung und Innovation im Telekommunikationssektor in leitenden Funktionen tätig. Zwischen 1993 und 1998 bekleidete Dr. Geulen verschiedene Positionen bei der Ericsson Eurolab Deutschland GmbH, unter anderem als Forschungsingenieur, Gruppenleiter und Projektleiter. Die Leitung eines multinationalen Verbundforschungsprojektes und seine Tätigkeit in der Trainingsabteilung führten ihn jeweils zu längeren Auslandsaufenthalten nach Schweden und Kanada. Ende 1996 gründete er die Forschungsgruppe Mobile-Multimedia-Anwendungen, die er bis zu seinem Ausscheiden 1998 leitete. Im Anschluss daran war Dr. Geulen einige Jahre in der Strategie- und Management-Beratung tätig. Eine seiner Stationen war die Telecommunications Practice der Boston Consulting Group, an deren Aufbau er verantwortlich beteiligt war. Danach war er drei Jahre lang Mitglied der Geschäftsführung der deutschen Niederlassung des amerikanischen Technologie- und Management-Beratungsunternehmens Sapient. Als Gesamtbereichsleiter für die Sparten Medien/Technologie/Kommunikation führte er die Bereiche Vertrieb, Strategieberatung und Implementierung (Design und Technik). Seit 2004 ist Dr. Geulen für die Deutsche Telekom AG in Bonn tätig. Nachdem er den Fachbereich Innovationsstrategie für den Gesamtkonzern Deutsche Telekom aufgebaut und geleitet hat, ist er seit 2005 Leiter des
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Bereiches Marketing Vertrieb Mehrwertdienste (MVM) der T-Com. Damit verantwortet er unter anderem die Geschäftsfelder öffentliche Telekommunikation, Datenredaktion, Sprachauskunft, Printmedien, Mehrwertnummern und Audioconferencing.
Dr. Helmut Giger Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enterprises und Branchen T-Systems Business Services
Dr. Helmut Giger (geboren 1959) absolvierte nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Gießen. Seine Studienschwerpunkte waren Marketing, internationales Management und Außenwirtschaftstheorie sowie zusätzlich internationale Wirtschaft. Nach seiner Promotion zum Dr. rer. pol. war Dr. Giger in verschiedenen Industrieunternehmen kaufmännisch tätig. 1993 trat Dr. Giger als Referent in der strategischen Unternehmensplanung in die Zentrale der Deutsche Telekom ein. 1996 baute er dort den Fachbereich Internationalisierungs- und Kooperationsstrategie innerhalb der Konzernstrategie der Deutschen Telekom auf. 1999 übernahm er den Geschäftsbereich Marketing Planung und Steuerung bei der DeTeSystem GmbH Frankfurt. 2001 wurde Dr. Giger Geschäftsbereichsleiter Corporate Marketing der T-Systems International in Frankfurt, 2003 Geschäftsbereichsleiter Marketing Großkunden in der T-Com-Zentrale in Bonn. Seit Januar 2005 ist Dr. Giger Geschäftsbereichsleiter Marketing Large Enterprises und Branchen der T-Systems Business Services in Bonn. Dort ist er verantwortlich für Marketing-Management Large Enterprises, MarketingManagement Enterprise-Services und Branchen, Communications sowie Business Intelligence und TDN.
Dr. Thomas Goldbrunner Principal Booz Allen Hamilton
Dr. Thomas Goldbrunner arbeitet als Principal bei Booz Allen Hamilton in der Operations Practice. Er ist darauf spezialisiert, Klienten der Autmobilund Hightech-Industrie bei der Steigerung ihrer Innovationsleistung und Entwicklungseffizienz zu unterstützen. Im vergangenen Jahr fungierte er als Manager der globalen Innovation-Gruppe von Booz Allen Hamilton.
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Dr. Michael Gorriz Vice President CIO Mercedes Car Group und Business Systems DaimlerChrysler AG
Dr. Michael Gorriz ist CIO Mercedes Car Group & Business Systems bei der DaimlerChrysler AG. Als Mitglied des konzernweiten IT-Managements hat er die Verantwortung über alle Systeme der Marken MercedesBenz, Maybach und Smart (Mercedes Car Group) in den Bereichen Entwicklung, Produktion und Vertriebssteuerung sowie über die Systeme der Konzernfunktionalbereiche Finanzen, Personal und Kommunikation. Davor leitete er den Geschäftsbereich Unternehmenskunden bei der Nortel Dasa in Frankfurt. Dort bekleidete er diverse Positionen innerhalb des Konzerns im In- und Ausland. Dr. Gorriz ist Diplom-Physiker und hat im Fach Ingenieurwissenschaften promoviert. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Richard Hauser Partner Booz Allen Hamilton
Richard Hauser ist Partner und Geschäftsführer bei Booz Allen Hamilton in München. Er ist Mitglied des Global-Transportation-Teams und leitet den Bereich Aerospace im europäischen Raum. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Innovation, Operative Verbesserungen und Change Management für führende europäische Unternehmen der Airlineund Aerospace-Industrie. Hauser ist seit 16 Jahren als Unternehmensberater tätig. Vor dieser Zeit arbeitete er als Projektleiter bei Andersen Consulting und am Institut für Operations Research an der Universität St. Gallen. Im Rahmen seiner Beratungstätigkeiten war er unter anderem für die schweizerische Regierung tätig. Hauser ist Diplom-Mathematiker mit Abschluss der Universität Freiburg sowie Lic. Oec. (Diplom-Kaufmann) der Universität St. Gallen.
Uwe Herold CIO Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG
Uwe Herold verantwortet seit 2002 bei Brose Fahrzeugteile GmbH & Co. KG konzernweit die Informationssysteme und die Organisations-
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entwicklung. Zuvor war er seit 1999 bei Brose für die globale SAPEinführung als Gesamtprojektleiter tätig. Herold ist in der deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe DSAG e. V. Sprecher des Arbeitskreises Automotive, in dem rund 100 deutsche Firmen ihr Brancheninteresse vertreten. Vor seiner Tätigkeit für Brose war Herold mehrere Jahre in verschiedenen Funktionen mit Prozessoptimierung und Projekt-Management im Maschinenbau beschäftigt. Herold ist von Beruf Diplom-Ingenieur, er hat Maschinenbau und Informatik an der Technischen Universität Chemnitz studiert.
Johannes Keusekotten Leiter der Bundesstelle für Informationstechnik (BIT) und zugleich der Informationstechnik des Bundesverwaltungsamts
Die Bundesstelle für Informationstechnik wurde zum 1. Januar 2006 stufenweise für folgende Aufgaben eingerichtet • Betrieb von E-Government-Basiskomponenten, Betrieb zentraler Systeme • IT-Beratungs- und Kompetenzzentren • Projekt-Management und Software-Entwicklung • Unterstützung des IT-Stabs des Bundesinnenministeriums im Rahmen der Standardisierung und Koordinierung • Netzinfrastrukturen der Bundesverwaltung und Zentrale Dienste • IT-Aufgaben in Bezug auf Verwaltungsgemeinschaften (Shared Service Zentrum) Das Bundesverwaltungsamt (BVA) entwickelt und betreibt als moderner Dienstleister der Bundesministerien große IT-Verfahren mit mehr als 60 000 Nutzern und mit weltweiter Kommunikation. Dazu gehören neben den gesetzlichen Aufgaben (etwa Ausländerzentralregistersystem/VISASystem, BAföG-System) auch Anwendungen für das Bundeskanzleramt und seit der CeBIT 2001 der Betrieb des Internetportals der Bundesverwaltung (www.bund.de). Das BVA ist im Rahmen der Kanzlerinitiative BundOnline verantwortlich für die Kompetenzzentren Vorgangsbearbeitung (DMS, Workflow), Prozesse und Organisation (GPO) sowie CMS. Zu den wichtigen E-Government-Basiskomponenten, die das BVA entwickelt hat, gehört auch die Entwicklung, die kundenspezifische Anpassung und der Betrieb eines mandantenfähigen CMS(Government Site Builder)-Produkts, das die Kri-
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terien der Barrierefreiheit unterstützt. Das Bundesverwaltungsamt ist Preisträger des ersten E-Government-Wettbewerbs der Bundes und Landesbehörden. Johannes Keusekotten arbeitet seit 1976 in der IT des BVA, zunächst in der Software-Entwicklung sowie im Projekt-Management, seit 2000 als Leiter der Referatsgruppe IT und als CIO. Er ist 55 Jahre alt.
Günter König CIO Salzgitter Gruppe
Günter König (geboren 1945) absolvierte ein Strudium der Allgemeinen Verfahrenstechnik. Seit 1971 war er zunächst als Dozent für Regelungstechnik und Messtechnik nicht elektronischer Größen tätig. Zugleich war er Leiter des Rechenzentrums. Ende der 70er- bis Anfang der 80er-Jahre vernatwortete er umfangreiche Einführungen von SAP R/2. 1988 wechselte König in den Stahlbereich zu mehreren Firmen bei Krupp und Thyssen. Als Direktor im Bereit IT-Management war er dort zuletzt verantwortlich für die Bereiche Informations-Management, Geschäftsprozessoptimierung und -organisation. Innerhalb dieser Zeit, insbesondere seit 1993, verantwortete er die Einführung von rund 30 SAP-R/3-Systemen, unter anderem im Jahr 1997 die erste Implementierung eines kompletten R/3-Systems einschließlich der Produktionsplanung und Steuerung im Stahlbereich. Seit 2001 ist König CIO der Salzgitter Gruppe und Geschäftsführer der SIT Salzgitter Information und Telekommunikation GmbH sowie der GESIS Gesellschaft für Informationssysteme mbH.
Dr. Mario Kuduz IT-System-Manager DaimlerChrysler AG
Dr. Mario Kuduz ist seit April 2005 bei der DaimlerChrysler AG als ITSystem-Manager tätig. Er ist zuständig für die IT-seitige Unterstützung der Fahrzeugmontage im Werk Sindelfingen. Darüber hinaus betreut er werksübergreifende IT-Projekte für die Marken Mercedes-Benz und Maybach. Dr. Kuduz ist Diplom-Physiker und promovierte im Oktober 2004 am Institut für Materialphysik der Georg-August-Universität in Göttingen.
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Nach Abschluss seiner Promotionsarbeit wechselte er in seine jetzige Funktion bei der DaimlerChrysler AG.
Dr. Constantin Lange Geschäftsführer RTL interactive GmbH
Dr. Constantin Lange (1968) absolvierte nach dem Studium der Betriebswirtschaft und Informatik in Frankreich und Deutschland ein MBAStudium am Massachusetts Institute of Technology. 1993 begann Dr. Lange bei der Bertelsmann AG als Referent in der Zentralen Unternehmensentwicklung in Gütersloh. Es folgten weitere Stationen als Projektleiter bei der UFA in Hamburg und als Leiter des Vorstandsbüros von Rolf Schmidt-Holtz. Anfang 1997 wechselte Dr. Lange zur CLT-UFA nach Luxemburg als Leiter des Bereichs Ongoing Activities Pay TV, Rechtehandel und Produktion, ab Oktober 1997 als Vice President der Unternehmensentwicklung TV International. Im Mai 1999 promovierte Dr. Lange an der Universität Hohenheim. Im März 2000 trat er das Amt des Generalsekretärs an und wurde Mitglied der Geschäftsleitung von RTL Television in Köln. Er verantwortete die Bereiche „Business & Legal Affairs“, „Program Acquisitions & Sales“ sowie „Personal & Organisation“. Im März 2003 übernahm er die Geschäftsführung der RTL interactive GmbH (vormals RTL NEWMEDIA GmbH) in Köln. Zu seinem Verantwortungsbereich gehören auch die Gesellschaften RTL Shop, Universum Film, RTL Enterprises, RTL Media Services.
Anno Lederer Vorstandsvorsitzender GAD eG
Anno Lederer (geboren 1950) hat an der Westfälischen WilhelmsUniversität in Münster Betriebswirtschaftslehre studiert, er trat 1977 nach seinem Abschluss als Diplom-Kaufmann in die Dienste der GAD Gesellschaft für automatische Datenverarbeitung eG in Münster ein. Dort wurde er zunächst Bereichsleiter für den Vertrieb von Online-Systemen, Electronic Banking, Electronic Cash und Chipkarten; 1988 stieg er zum Prokuristen auf, 1994 wurde er zum Generalbevollmächtigten ernannt. Von 1997 bis 2002 war Lederer Vorstand für die Ressorts Entwicklung und Vertrieb; seit 2001 ist er Vorstandssprecher der GAD eG. Im Jahr 2002 wurde er
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Vorstand für die Ressorts Vertrieb, Lösungs-Management und den Stab Vorstandsunterstützung. Seit 2004 ist Lederer Vorstandsvorsitzender der GAD eG.
Dr. Sven Lorenz Leiter Informationssysteme Porsche AG
Dr. Sven Lorenz (geboren 1964) studierte Informatik und Betriebswirtschaftslehre an der Universität Karlsruhe und der University of Oregon in den USA. Als Stipendiat des wissenschaftlichen Zentrums der IBM promovierte er über die wissensbasierte Verarbeitung natürlicher Sprachen am Institut für maschinelle Sprachverarbeitung der Universität Stuttgart. Nach Stationen bei IBM in der Software-Entwicklung und A.T. Kearney in der Unternehmensberatung übernahm Dr. Lorenz Ende der 90er-Jahre die Geschäftsführung einer E-Business-Tochtergesellschaft im Konzern Deutsche Post World Net. Seit 2002 ist Dr. Lorenz als Leiter Informationssysteme der Dr. Ing. h.c.F. Porsche AG für die Prozessorganisation, die Anwendungsentwicklung und den Betrieb der Informationssysteme verantwortlich. Neben zahlreichen IT-Großprojekten – zum Beispiel in den Bereichen SCM, Product Lifecycle Management und CRM – war ein Schwerpunkt seiner Arbeit unter anderem die Einführung standardisierter Prozesse in Anwendungsentwicklung und Anwendungsbetrieb.
Peter Mißler Zentralbereichsleiter Rechnungswesen und Reporting Deutsche Post World Net
Peter Mißler (Jahrgang 1950) ist Diplom-Kaufmann. Nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums hat er mehrjährige Erfahrung in verschiedenen großen internationalen Unternehmen im Finanzbereich gesammelt. Zu seinen Stationen gehörten die Preussag AG (heute TUI AG), Andreas Stihl und Gerresheimer Glas. 1995 hat er als Projektleiter bei der Metro die Einführung von SAP R/3 erfolgreich abgeschlossen, zu dieser Zeit einer der weltweit größten SAPInstallationen. Herr Mißler ist seit 2001 bei der Deutschen Post World Net in Bonn Zentralbereichsleiter Rechnungswesen und Reporting. In dieser Funktion ist er
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verantwortlich für das weltweite Rechnungswesen. Dies umfasst auch die zentrale Verantwortung für das konzernweite Berichtssystem CREST.
Klaus Hardy Mühleck CIO Volkswagen AG
Klaus Hardy Mühleck ist seit Oktober 2004 CIO des VolkswagenKonzerns und Mitglied der Konzernleitung. In seiner CIO-Konzernfunktion für das Ressort Organisation und IT ist er unter anderem für die konzernweite Definition der Prozesse als auch für die Ausnutzung aller erkennbaren Synergien verantwortlich. Nach dem Studium der Prozess- und Automatisierungstechnik begann seine berufliche Laufbahn bei der Siemens AG als Projektleiter für Automatisierungsanlagen in der Automobilindustrie. Anschließend wechselte er zur Daimler Benz AG und verantwortete dort die IT und Organisation verschiedener Unternehmensbereiche. Vor seinem Wechsel an die IT-Spitze des Volkswagen-Konzerns hatte er die Position des Group-CIOs bei Audi, Seat und Lamborghini inne.
Jens Niebuhr Principal Booz Allen Hamilton
Jens Niebuhr (geboren 1969) startete seine berufliche Karriere bei IBM Deutschland und Mummert Consulting. Nach einem MBA-Studium an der London Business School wechselte er zu Booz Allen Hamilton und ist dort heute als Principal und Mitglied der Geschäftsleitung primär im IT- und Telekommunikationsbereich tätig. Weiterhin beschäftigt er sich mit dem Themenkreis Financial and Performance Management.
Christoph op de Hipt Abteilungsleiter Deutsche Post World Net
Christoph op de Hipt (Jahrgang 1966) ist Diplom-Kaufmann und studierte an der Universität Paderborn Wirtschaftswissenschaften mit den Schwerpunkten Produktionswirtschaft, Wirtschaftsinformatik und Statistik.
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Anfang 1993 trat er bei der Deutsche Post World Net in der Zentrale im Zentralbereich Konzern-Controlling ein. Er verantwortete dort mehrere Projekte im Themenumfeld Management Informations- und Planungssysteme sowie die Abteilung Controlling-Systeme. 2001 wechselte er in den Zentralbereich Konzernrechnungswesen und Reporting. Bevor er die Projektleitung der konzernweiten Einführung eines einheitlichen Reporting und Planungssystems CREST (Commen Reporting System) übernahm, war er für die Zentralabteilung Common System verantwortlich.
Gerhard Otterbach Leiter Enterprise Solutions and Services Siemens Communications
Gerhard Otterbach (geboren 1960) studierter Betriebswirt, war zunächst 13 Jahre im öffentlichen Dienst und in einer Organisation der Tourismuswerbung für die Bundesrepublik Deutschland tätig (Schwerpunkte Organisation und EDV-Projekt-Management). Danach arbeitete er zehn Jahre bei der Gesellschaft für Zahlungssysteme; Aufgabenschwerpunkte waren Organisation und EDV-Projekt-Management und anschließend die Leitung des Geschäftsbereichs Abrechnungssysteme. 1999 trat er in die Dresdner Bank als Bereichsleiter des Bereichs Technologie-, Innovations- und Zahlungsverkehrs-Management ein, verantwortlich unter anderem für Commercial-Card-Services, E-Purchasing-Services sowie Business-IT-Services und den Aufbau des Internetunternehmens ALLAGO. Von April 2002 bis März 2003 war Otterbach Leiter Shared-IT-Services und Deputy CIO im Geschäftsbereich ICN der Siemens AG. Von April 2003 bis September 2004 trug er den Titel CIO im Geschäftsbereich ICN; seit Oktober 2004 ist er Geschäftsgebietsleiter Enterprise Services bei Siemens Communications.
Ulrich Otto Principal Booz Allen Hamilton
Ulrich Otto (1969) startete seine Karriere bei der HypoVereinsbank nach einen Wirtschaftsingenieurstudium. 1994 wechselte er zu ThyssenKrupp und verantwortete Planung und Bau von Prozessanlagen in Asien. Nach einem MBA an der London Business School trat er 1999 bei Booz Allen Hamilton ein, wo er seit 2004 Mitglied der Geschäftsleitung ist. Er berät
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Industrie- und Technologieunternehmen in Portfolio- und Wachstumsthemen sowie bei Kostensenkungsmaßnahmen.
Dr. Reinhold Pieper Leiter des Produktfelds Karten- und Sicherheitssysteme GAD eG
Dr. Reinhold Pieper (geboren 1957) absolvierte ein Mathematikstudium an der Universität Dortmund, wo er 1985 als Diplom-Mathematiker abschloss. Im Anschluss promovierte er zum Dr.rer.nat. Das Thema der Dissertation lautete „Kryptoanalytische Untersuchungen rationaler Permutationen von kommutativen unitären Ringen“. Seit 1991 ist Dr. Pieper Mitarbeiter der GAD Gesellschaft für automatische Datenverarbeitung eG in Münster. Von 1999 bis 2002 war er dort Abteilungsleiter Sicherheit, Kryptografie und Key-Management-Systeme. Seit 2002 ist Dr. Pieper Leiter des Produktfelds Karten- und Sicherheitssysteme der GAD.
Chittur S. Ramakrishnan CIO RWE-Konzern
Chittur S. Ramakrishnan (geboren 1951) machte 1971 den Abschluss Bachelor of Commerce in Finance an der University of Bombay und 1974 den Abschluss als Industriekaufmann an der IHK Nürnberg. 1983 absolvierte er den M.B.A von Insead im französischen Fontainebleau. 1971 kam Ramakrishnan als Auszubildender zu Siemens India in Bombay, 1972 wechselte er zu Siemens AG nach Deutschland. 1983 wurde er Leiter für die Strategische Planung des Bereichs Private Kommunikation und Netzwerke bei Siemens in München. Nach verschiedenen Stationen ab 1986 als CFO bei Siemens Tochtergesellschaften in den USA wurde er 1992 Executive Director/Leiter der Unternehmensrevision für die Auslandsgesellschaften bei Siemens in München. 1995 wurde er zum Vorsitzenden der Geschäftsführung der Siemens Business Services GmbH (SBS) München ernannt. 1997 wurde Ramakrishnan Corporate Vice President/Head of Corporate Information and Knowledge Management (CIO), von 2001 bis 2003 war er Corporate Vice President bei Corporate Information and Operations (CIO) der Siemens AG. Seit Januar 2004 ist Ramakrishnan CIO des RWE-Konzerns.
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Klaus Rausch Sprecher der Geschäftsführung HVB Systems GmbH
Klaus Rausch (geboren 1959) absolvierte ein Studium der Elektrotechnik an der RWTH Aachen mit dem Schwerpunkt Nachrichtentechnik/Technische Informatik. 1985 wurde er Entwicklungsingenieur bei IBM Deutschland, 1987 bis 1997 arbeitete er dort als Director Banking & Finance Solutions. 1998 wechselte Rausch als Bereichsleiter Anwendungsentwicklung zur Fiducia AG. Von 2000 bis 2005 war er als Leiter für den Bereich IT/Organisation der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) verantwortlich. Seit Januar 2006 ist Rausch Sprecher der Geschäftsführung der HVB Systems GmbH in München.
Dr. Andreas Resch Vorsitzender der Geschäftsführung Bayer Business Services GmbH
Andreas Resch (geboren 1953) absolvierte ein Studium der Wirtschaftsund Sozialwissenschaften an der Freien Universität Berlin, das er 1976 mit dem Diplom und 1982 mit der Promotion abschloss. Fünf Jahre arbeitete er zudem als Assistent. 1983 trat Dr. Resch mit den Schwerpunkten Organisation und Datenverarbeitung dem kommunalen Dienstleistungsunternehmen BSR (Berliner Stadtreinigung) bei, wo er stellvertretender kaufmännischer Geschäftsführer wurde. Von 1988 bis 1993 übernahm er bei der Francotyp-Postalia Vertrieb und Service AG & Co. KG die Verantwortung für Datenverarbeitung und Organisation. Im Juli 1993 wechselte er als kaufmännischer Leiter der Auslandsgesellschaften zur Herlitz AG, wo er 1997 zum Vorstand Logistik und Informationstechnologie ernannt wurde. Im Juli 2000 wurde Dr. Resch Geschäftsführer des Logistikdienstleisters Fiege Deutschland GmbH. Neben seinen operativen Aufgaben war er als CIO für das Informations-Management der gesamten Fiege-Gruppe verantwortlich. Dr. Resch ist seit Januar 2004 Vorsitzender der Geschäftsführung der Bayer Business Services GmbH.
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Dr. Oliver Riedel Leiter Prozessintegration und Informations-Management Audi AG
Dr. Oliver Riedel (Jahrgang 1965) studierte Technische Kybernetik an der TU Stuttgart und promovierte an der Fakultät der Konstruktions- und Fertigungstechnik zum Dr.-Ing.; für seine Doktorarbeit erhielt er den VMIPreis 1998. Seit über 15 Jahren beschäftigt sich Dr. Riedel mit den Grundlagen und der praktischen Anwendung von Methoden zur virtuellen Unterstützung in der Produktentwicklung. Er leitete in dieser Zeit zahlreiche Projekte für internationale Großunternehmen der Automobilindustrie und in der Energiewirtschaft zur Einführung virtueller Methoden. Nachdem er das Thema „Virtuelle Realität“ am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) ab 1990 als eines der Schwerpunktthemen des Instituts für die angewandte Forschung aufgebaut hat, war er bei der CENIT AG Systemhaus und der SiliconGraphics Inc. im Bereich Professional Services tätig. Seit 2003 ist Dr. Riedel bei der Audi AG für die Prozessintegration und das Informations-Management im Produktprozess verantwortlich. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die prozessorientierte Einführung von virtuellen Methoden im gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs. Neben seiner Lehrtätigkeit an der FH München und der FH Heilbronn ist Dr. Riedel Gutachter der Europäischen Kommission für IT-Projekte.
Dr. Olaf Röper Leiter Bereich Information Systems Uhde GmbH/CIO
Dr. Olaf Röper (1951) studierte Maschinenbau und promovierte 1978 zum Dr.-Ing. Danach leitete er verschiedene IT-Entwicklungs- und -anwendungsprojekte und sammelte unter anderem Erfahrungen als IT-Projektleiter im Rahmen großer Anlagenbauprojekte. Seit 1987 leitet Dr. Röper den Bereich Information Systems der Uhde GmbH. Zu seinen wesentlichen Aufgaben zählt dort die IT-Strategieentwicklung in einem internationalen Umfeld. Neben den klassischen Aufgaben im Bereich der Anwendungssysteme und der IT-Infrastruktur verantwortet er insbesondere die effektive und wirtschaftliche IT-Unterstützung der Kundenaufträge von der Angebotserarbeitung über die technische Bearbeitung, die Auftragssteuerung, Procurement und Logistik bis hin zur IT-technischen Ausrüstung und den Be-
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trieb der Baustellen. Besonders engagiert hat sich Dr. Röper in der praktischen Umsetzung des Business Alignment der IT-Organisationen.
Dr. Andreas Rothe Geschäftsführer der Dr. Rothe Management-Beratung
Andreas Rothe war in der Landesbank Baden-Württemberg als SeniorBerater im Bereich IT-Management tätig. In wechselnden Positionen lag sein Beratungsschwerpunkt auf der Entwicklung von Vorgehens- und Management-Konzepten in den Bereichen Business Process Reengineering, IT-Architektur-Management, IT-Controlling und IT-Strategie. Ein Schwerpunkt war die Entwicklung eines umfassenden wertorientierten ITGovernance-Modells. Dr. Rothe studierte Informatik an der Fachhochschule Furtwangen sowie Betriebswirtschaftslehre an der Universität Stuttgart und promovierte zum Thema „Systematische Wiederverwendung von SoftwareKomponenten bei Finanzdienstleistern“ auf Basis eines ProduktlinienManagements. Seit Anfang 2006 hat sich Dr. Rothe mit dem Thema ITBenchmark auf Basis eines umfassenden IT-Governance-Modells selbstständig gemacht.
Martin Schallbruch IT-Direktor (Chief Information Officer) beim Bundesministerium des Innern
Martin Schallbruch ist verantwortlich für IT-Strategie und IT-Koordinierung der Bundesverwaltung. In dem von ihm geleiteten IT-Stab werden das Projekt-Management für die E-Government-Initiative BundOnline 2005 ebenso gesteuert wie die Koordinierung der nationalen EGovernment-Strategie Deutschland-Online. Seine Verantwortung erstreckt sich auch auf die IT-Sicherheitspolitik, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sowie Pässe, Personalausweise und Meldewesen. Vor der Berufung zum IT-Direktor war Schallbruch bis Ende 2001 persönlicher Referent der Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern. Nach dem Studienabschluss als Diplom-Informatiker an der Technischen Universität Berlin war Schallbruch zunächst wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt-Universität zu Berlin sowie Leiter eines IT-
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Servicezentrums der Universität, bevor er 1998 in den Dienst der Bundesregierung eintrat.
Dr. Wolfgang Schirra Senior Partner Booz Allen Hamilton
Dr. Wolfgang Schirra (1952) studierte Mathematik mit Nebenfach Physik an der Universität Kaiserslautern, wo er auch 1978 in Mathematik promovierte. Danach war er bis Anfang 1981 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundeskriminalamt, Wiesbaden, tätig. 1981 begann er seine Karriere als Berater bei McKinsey und Company, Inc. in Düsseldorf, wo er 1987 zum Partner gewählt wurde. 1994 verließ er McKinsey und wurde Geschäftsführer bei Knight Wendling Consulting in Düsseldorf. 1996 wechselte er als Partner zu Booz Allen Hamilton. Schirra ist Senior Partner in der globalen IT-Beratung und leitet seit Dezember 2005 das europäische Public Sector Geschäft von Booz Allen Hamilton.
Sven Schmidt Geschäftsführender Gesellschafter S2 Management Consulting
Sven Schmidt (Jahrgang 1964) studierte Wirtschaftswissenschaften und Informatik an der Technischen Universität Braunschweig. Während dieser Zeit sammelte er Erfahrungen als Software-Entwickler und selbstständiger Berater. 1994 begann Schmidt seine Karriere bei der SAG AG als Berater in der Informationstechnologie. Seine berufliche Entwicklung setzte er als Management-Berater bei Booz Allen Hamilton fort, bevor er für die Hamburger Systematics-Gruppe das Outsourcing des Kunden Reemtsma verantwortete. Mit dem Verkauf dieses Geschäftsbereichs an den IT-Dienstleister INFO AG übernahm er die Gesamtverantwortung für das GroßkundenManagement und die Gestaltung des Leistungsprogramms der INFO AG. Als Bereichsleiter für das Produkt- und das Großkunden-Management sammelte er über sieben Jahre Erfahrungen rund um das Thema Outsourcing, angefangen bei der SLA-Vertragsgestaltung, über IT-Controlling und Gestaltung der Preispolitik bis hin zum Aufbau eines effizienten ITService-Managements. Seit 2003 arbeitet er in enger Zusammenarbeit mit
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dem Kunden Imperial Tobacco/Reemtsma am Konzept des adaptiven ITOutsourcing. Seit 2005 ist Schmidt Geschäftsführender Gesellschafter der S2 Management Consulting GmbH.
Dr. Thomas Schmidt-Melchiors CIO Reemtsma Deutschland
Dr. Thomas Schmidt-Melchiors leitet seit Oktober 2003 das Centre of Excellence Supply Chain mit weltweiter Verantwortung für die SAP-Systeme der Imperial Tobacco Group und ist gleichzeitig CIO von Reemtsma Deutschland. Neben der IT-Verantwortung für Deutschland, die er seit sieben Jahren trägt, verantwortete er in der Migrationsphase zu Imperial auch die IT-Strategie im gesamten Unternehmen. Zuvor arbeitete er bei Reemtsma in verschiedenen IT-Leitungsfunktionen. Neben zahlreichen SAP-Projekten war er für CRM und DataWarehouse-/Business-Intelligence-Projekte sowie Projekte der Optimierung (Produktion und Absatzplanung) verantwortlich. In den vergangenen Jahren verantwortete er neben der IT-Positionierung in einem großen M&A-Prozess vor allem die Kostenoptimierung im Outsourcing und für die SAP/ERP-Landschaft. Bevor er sich der kommerziellen IT zuwandte, forschte und lehrte er an der heutigen Helmut-Schmidt-Universität als Leiter eines ingenieurwissenschaftlichen Labors. Dr. Schmidt-Melchiors schloss das Studium der Mathematik, Physik, Informatik und BWL mit Diplom in Mathematik an der Universität Hamburg ab. Danach promovierte er zum Dr.-Ing. an der damaligen Universität der Bundeswehr Hamburg.
Christopher Schmitz Principal Booz Allen Hamilton
Christopher Schmitz arbeitet als Principal in der IT- und Financial Services Practice im Frankfurter Büro von Booz Allen Hamilton. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in Strategie- und Transformationsprojekten für Finanzdienstleister mit dem Fokus auf Informationstechnologie und Geschäftsabwicklung. Vor seiner Zeit bei Booz Allen Hamilton arbeitete Schmitz als Business Development Leader bei der IBM Unternehmensbe-
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ratung GmbH sowie im Stab des Bereichsvorstands „Global Technologies und Services“ der Deutschen Bank AG.
Dr.-Ing. André Scholz Senior Associate Booz Allen Hamilton
Dr. André Scholz ist Senior-Projektleiter in der europäischen Strategic Information Technology Group von Booz Allen Hamilton. Er arbeitet im Berliner und Münchener Büro und war in den vergangenen sechs Jahren vorrangig im Finanz- und Telekommunikationssektor im Rahmen von strategischen IT- und Transformationsprojekten tätig. Dr. Scholz studierte und promovierte im Bereich Wirtschaftsinformatik unter anderem an den Hochschulen Stuttgart, Konstanz und Magdeburg. Darüber hinaus studierte er Volkswirtschaftlehre, Philosophie und Rechtswissenschaften an der Fernuniversität Hagen.
Michael Semrau Leiter Abteilung „IT Strategy & IT Controlling“ RWE AG
Michael Semrau (geboren 1971) studierte Informatik an der RWTH Aachen. Seit neun Jahren arbeitet er als Diplom-Informatiker in Unternehmen, die in ihren Branchen zu den innovativen Anwendern moderner Informationstechnologie gehören. Als Experte für IT-Architektur führte er für eine große norddeutsche Bank IT-Projekt-Management-Verfahren ein und leitete Entwicklungsprojekte. Bei der Dresdner Bank AG baute er die Einheit Business Innovation IT auf, die er auch leitete. Die Einheit „Business Innovation IT“ führte in Zusammenarbeit mit den Geschäftsverantwortlichen neuartige IT-Lösungen mit direktem Produktbezug ein. In diese Zeit fallen Produktinnovationen wie Electronic Banking mit Mobiltelefonen und anderen mobilen Endgeräten. Seit 2001 ist Semrau in unterschiedlichen Funktionen für die RWE AG in Essen tätig. Innerhalb der Konzernentwicklung war er zunächst für das Thema IT-Strategie zuständig, später auch für die weltweite Koordination der Online-Aktivitäten im Konzern. Nach einer Umstrukturierung des RWE-Konzerns leitet Semrau seit 2004 im neu geschaffenen CIO-Bereich des Konzerns die Abteilung „IT Strategy & IT Controlling“.
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Klaus Straub CIO Audi AG
Klaus Straub (Jahrgang 1964) studierte von 1984 bis 1990 an der Universität Karlsruhe Allgemeinen Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Produktions- und Fertigungsautomatisierung. Seit seinem Berufstart bei der Daimler Benz AG arbeitete Straub im Umfeld von Prozess-Management, Change Management, Applikationsentwicklung und IT in der Automobilindustrie. Straub arbeitete zwölf Jahre auf der Automobilhersteller- und drei Jahre auf der Automobilzuliefererseite (1st. Tier Supplier) in leitenden internationalen Funktionen. Von 1990 bis 1992 war er bei Mercedes Benz in dem Programm Nachwuchsgruppe Leitende Führungskräfte eingesetzt, im Anschluss daran, bis 1995, in der Organisation Datenverarbeitung Personenwagen (ODP). 1995 wurde er Leiter der Abteilung Marketing Software-Produkte und -Systeme bei der AEG Anlagen- und Automatisierungstechnik. Im August 1996 trat er in die Austauschgruppe Forschung und Technik der Daimler Benz AG/DaimlerChrysler AG ein und übernahm 1998 die Leitung der Abteilung Prozessintegration ODP/PI in der Mercedes Car Group. Als CIO & Corp. Vice President war er bei Siemens VDO Automotive AG von 2002 bis 2004 beschäftigt. Seit Ende 2004 ist er CIO der Markengruppe Audi (Marken Audi, Lamborghini, Seat) im VW-Konzern.
Dr.-Ing. Jürgen Sturm CIO BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH
Dr.-Ing. Jürgen Sturm (geboren 1963) studierte Maschinenbau mit Schwerpunkt Fertigungstechnik und Informatik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Nach dem Studium war er als wissenschaftlicher Assistent mit Aufgaben der angewandten Forschung für die europäische Elektronikindustrie und elektrotechnische Industrie betraut. Nach seiner Promotion zum Dr.-Ing. war er zunächst als Leiter für „Business Process Reengineering“-Projekte, Supply Chain Director und CIO in namhaften deutschen Industriekonzernen tätig. Seit 2003 verantwortet Dr. Sturm als CIO die Informationstechnologie der BSH Bosch und Siemens Hausgeräte GmbH.
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Christof Wahl Chief Operating Officer Kabel Deutschland GmbH
Christof Wahl (40) ist seit Oktober 2003 Mitglied der Geschäftsführung der Kabel Deutschland GmbH. Als Chief Operating Officer ist er für die Ressorts Service, Technik, IT und Prozess-Management verantwortlich. Zudem leitet er die Bereiche „Netzebene 4“ und „Zentrale Technik“. Wahl war zuvor im Bereich Informations- und Kommunikationsnetze der Siemens AG in München für das Geschäft mit Carrier-Netzen verantwortlich. Wahl schloss seinen Diplom-Studiengang an der Technischen Universität München als Ingenieur mit Auszeichnung ab. Darüber hinaus verfügt er über ein Diplom in Betriebswirtschaft.
André Wehner Chief Information Officer Kabel Deutschland GmbH
André Wehner (35) war vor seinem Eintritt bei Kabel Deutschland mehr als zehn Jahre auf nationaler und internationaler Ebene im Alcatel-Konzern tätig. Zuletzt verantwortete er als Vorsitzender der Geschäftsführung des Konzerntochterunternehmens Alcanet International Deutschland GmbH die IT-Aktivitäten und das interne Netzwerk der Alcatel in Deutschland (Alcanet). Gleichzeitig verantwortete er als COO den operativen IT-Betrieb auf europäischer Ebene und wirkte dabei wesentlich am Aufbau einer zentralen IT auf europäischer Ebene mit. Wehner schloss sein BWL-Studium an der Berufsakademie Stuttgart mit Auszeichnung ab. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Seit Januar 2004 ist André Wehner Chief Information Officer von Kabel Deutschland und damit für den gesamten IT-Betrieb und die IT-Applikationsentwicklung verantwortlich.
Heiko Wieandt Koordinator im Bereich Business Information Services T-Systems
Der Diplom-Verwaltungswirt Heiko Wieandt studierte an den Fachhochschulen in Köln und Dieburg. Nach seinem Examen übernahm er 1990 die Leitung einer Kontengruppe im Bereich der Lohn- und Gehaltsabrechnung bei der Post AG.
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Im Rahmen der Postreform wechselte er 1992 in die Zentrale der Telekom AG, um dort als stellvertretender Projektleiter eine neue Lohn- und Gehaltsabrechnung zuerst für die neuen Bundesländer und anschließend für die gesamte Telekom aufzubauen. In dieser Zeit nahm er diverse Lehraufträge an den Fachhochschulen Dieburg und Würzburg wahr und gehörte einer Kommission zur Abnahme von Laufbahnprüfungen an. 1996 wechselte er als Projektleiter zum neu gegründeten Multimediazentrum der Telekom AG in den Bereich Marketing. 1999 übernahm er den Bereich Marktforschung für das Multimediazentrum. Mit der Neugründung der T-Systems aus Einheiten der Deutschen Telekom AG und Debis wurde er für die betriebliche Markt- und Wettbewerbsforschung zuständig. Seit 2004 ist er für die Koordination des Bereichs Business Information Services bei T-Systems verantwortlich.
Thomas Zimmermann Leiter Enterprise Systems Siemens Communications
Thomas Zimmermann (geboren 1968) studierte Wirtschaftsingenieurwesen an der Universität Karlsruhe (TH) sowie an der University of Massachusetts und der Boston University, USA. Im Mai 1994 trat Zimmermann als Berater in die damalige Inhouse Consulting der Siemens AG innerhalb der Zentralen Unternehmensentwicklung ein. Ab 1999 war er Partner bei Siemens Management Consulting (SMC). Als Partner betreute er Projekte in den Bereichen Telekommunikation, Industrie und Verkehrstechnik. Von Juni 2001 bis April 2005 leitet er SMC. Er begleitete in dieser Funktion den Merger der Siemens Geschäftsbereiche Information and Communication Networks (ICN) und Information and Communication Mobile (ICM) zu Siemens Communications. Seit Mai 2005 ist Zimmermann Leiter des Geschäftsgebiets Enterprise Systems bei Siemens Communications
Booz Allen Hamilton-Buchkernteam
Dr. Johannes Bussmann Siehe Autorenverzeichnis
Dr. Elmar Pritsch Dr. Elmar Pritsch ist Principal und Mitglied der Geschäftsleitung bei Booz Allen Hamilton in Düsseldorf. Er ist Experte für Geschäftsmodelle und Organisationsdesign von IT-Dienstleistern und arbeitet in der globalen IT Practice mit dem Industrieschwerpunkt Banken und Versicherungen. Vor seiner Tätigkeit bei Booz Allen Hamilton arbeitete Dr. Pritsch fünf Jahre beim schwedischen Telekommunikationskonzern Ericsson. Dort hat er unter anderem den Bereich Produktinnovation aufgebaut und war als Business Development Manager für E-Services im Marketing und Vertrieb tätig. Von dort wechselte Dr. Pritsch als Geschäftsführer zum Gesundheitsportal Planet Medica. Dr. Pritsch studierte Informatik mit Nebenfach BWL und promovierte an der RWTH Aachen über mobile Zugriffskonzepte für verteilte Informationssysteme. An der Edinburgh Business School in Schottland schloss er parallel seinen MBA ab.
Dr. Bernhard Rieder Dr. Bernhard Rieder ist Vice President bei Booz Allen Hamilton. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt im Prozess- und Systemdesign. Im Laufe seiner über fünfzehnjährigen Beratungserfahrung hat er diverse große Transformationsprojekte mit dem Fokus auf Prozessneugestaltung und ERP-Implementierung geleitet. Die Kunden von Dr. Rieder kommen hauptsächlich aus den Branchen Automobil, Technologie, Chemie und Pharma.
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Booz Allen Hamilton-Buchkernteam
Stefan Stroh Stefan Stroh ist Partner und Geschäftsführer in der IT Group bei Booz Allen Hamilton. Dort arbeitet er seit 1997. Stroh besitzt weitere sieben Jahre Beratungserfahrung. Seine Schwerpunkte sind die Logistik-, die Automobil- und die Telekommunikationsbranche sowie IT-Service-Provider. Sein akademischer Hintergrund: ein Studium des Maschinenbaus.
Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam
Dietmar Ahlemann Siehe Autorenverezeichnis
Holger Brohm Holger Brohm arbeitet als Principal in der IT- und Financial-ServicesBeratung von Booz Allen Hamilton. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf Vertriebsthemen, auf strategischen Neuausrichtungen und Fusionen sowie Firmengründungen. Vor seiner Zeit bei Booz Allen Hamilton arbeitete Brohm bei einer internationalen Beratungsfirma mit dem Schwerpunkt auf Organisation und Programm-Management.
Andreas Deckert Andreas Deckert arbeitet als Senior Consultant im Frankfurter Büro von Booz Allen Hamilton. Seine berufliche Erfahrung deckt sowohl die strategische IT-Beratung als auch operativen IT-Themen ab. Deckert hat bisher Kunden in den Bereichen Telekommunikation, Versicherung und dem öffentlichen Sektor beraten. Vor seiner Tätigkeit für Booz Allen Hamilton arbeitete er während des Studiums in der Strategieabteilung eines Logistikkonzerns und in der Software-Entwicklung eines großen IT-Unternehmens.
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Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam
Stephan Dresel Stephan Dresel (geboren 1976) arbeitet seit vier Jahren bei Booz Allen Hamilton in der IT-Practice. Sein Hauptfokus liegt auf Reorganisationen und Post-Merger-Integrationen bei IT-Service-Providern und Finanzinstituten. Vor seiner Zeit bei Booz Allen Hamilton arbeitete er für verschiedene, international tätige Unternehmen. Sein Schwerpunkt lag in der Implementierung von E-Commerce-Lösungen, im Bereich Software Development und Database Engineering.
Tim Habermann Tim Habermann arbeitet seit 1999 bei Booz Allen Hamilton, er ist Projektleiter in der IT-Gruppe. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in der Entwicklung und Umsetzung von IT- und Technologiestrategien, insbesondere in den Bereichen Bereich Telekommunikation und Logistik. Habermann hat Wirtschaftsingenieur/Elektrotechnik an der Technischen Universität Darmstadt studiert und promoviert zurzeit an der Handelshochschule Leipzig in Betriebswirtschaftslehre.
Carsten Heina Carsten Heina (geboren 1978) hat an der Universität Paderborn Wirtschaftsinformatik studiert und einen Abschluss als Diplom-Wirtschaftsinformatiker. Studienbegleitend sammelte er mehrjährige Erfahrung in der Beratung mittelständischer Unternehmen. Nach dem Ende des Studiums arbeitete Heina zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn, bevor er Anfang 2004 zu Booz Allen Hamilton wechselte. Dort ist er als Senior-Berater in der ITG Practice tätig und arbeitet schwerpunktmäßig an Themen in den Bereichen Strategieentwicklung, strategische Transformation und Finance/ Controlling. Dabei liegt der Fokus auf Industrien, in denen IT eine wesentliche Rolle spielt, wie etwa in der Reise-, Luftfahrt- und Transportindustrie, in Banken sowie in Telekommunikationsunternehmen.
Booz Allen Hamilton-Autorenbetreuerteam
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Volkmar Koch Volkmar Koch (geboren 1971) hat an der European Business School Wirtschaftsinformatik studiert und besitzt einen Abschluss als DiplomKaufmann und einen als Diplom-Informatiker (FH). Zunächst war Koch mehrere Jahre im Finanz- und Controlling-Bereich von Procter & Gamble tätig, 2001 wechselte er zu Booz Allen Hamilton und ist derzeit SeniorProjektleiter der ITG Practice. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Strategieentwicklung, strategische Transformation, Post Merger Integration und Finance/Controlling. In den vergangenen Jahren hat sich Koch zunehmend auf die Beratung von Kunden in der Reise-, Luftfahrtund Transportindustrie spezialisiert.
Oliver Maier Oliver Maier arbeitete bei Andersen als Assistent in der Wirtschaftsprüfung und als Product Manager bei BlueSky International Inc. bevor er 2003 zur Unternehmensberatung Booz Allen Hamilton wechselte. Im Rahmen seiner Beraterkarriere arbeitete Maier für verschiedene Global Player in den Bereichen Financial Services, Utilities und Telecommunications mit dem Hauptfokus auf Fragestellungen der IT-Governance und des Risiko-Managements.
Andreas Masuhr Andreas Masuhr (geboren 1970) arbeitet als Senior Associate in der Information Technology Group von Booz Allen Hamilton und war in den vergangenen sechs Jahren als Team- und Projektleiter in Beratungsprojekten sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Finanzdienstleister, Telekommunikationsunternehmen und Automobilhersteller tätig. Seine Projekterfahrung umfasst das Programm-Management für große E-Government-Initiativen, die Etablierung von IT-Planungs- und Controlling-Prozessen sowie die Prozess- und Systemintegration im Bereich Finance und Controlling. Vor seiner Tätigkeit bei Booz Allen Hamilton arbeitete Masuhr als Manager bei einem internationalen IT-Systemintegrator. Er studierte Physik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und promovierte im Bereich Materials Science am California Institute of Technology.
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Dr. Germar Schröder Dr. Germar Schröder ist Senior-Projektleiter in der globalen IT-Gruppe. Er ist seit 2002 bei Booz Allen Hamilton. Seine Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen IT-Strategie, Compliance, IT-Controlling und ITEffizienz vorwiegend in der Telekommunikations- und Transport- und Logistikbranche. Dr. Schröder studierte Physik in Kiel und Hamburg, er promovierte am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam sowie an der Universität Hamburg mit Schwerpunkt Elementarteilchenphysik und Stringtheorie.
Andreas Späne Andreas Späne (geboren 1972) arbeitet als Principal in der strategischen IT-Gruppe von Booz Allen Hamilton mit Beratungsschwerpunkt auf strategischen Transformations- und Effizienzsteigerungsprogrammen sowie der Erarbeitung von Finanz- und Controllingkonzepten. Bevor er 2001 seine Karriere bei Booz Allen Hamilton begann, arbeitete Späne als Systems Manager bei Procter & Gamble.
Niko Steinkrauß Niko Steinkrauß (geboren 1971) startete 1998 nach Tätigkeiten bei der Siemens AG, einem Studium an der Technischen Universität Berlin und ESCP-EAP Paris 1998 eine Beraterkarriere bei Booz Allen Hamilton. Er arbeitet vorwiegend mit Kunden aus der Medien- und Telekommunikationsindustrie an „Customer Centric“-Wachstumsstrategien. Steinkrauß leitet die Aktivitäten von Booz Allen Hamilton im Bereich BreitbandKonvergenz. Seit 2004 ist er Mitglied der Geschäftsleitung.
Dr. Raphael Volz Innovation in der IT und Medientechnologien sind die Themengebiete, die Dr. Raphael Volz (geboren 1976) seit Langem antreiben. Dr. Volz hat an der Universität Karlsruhe im Bereich Wissens-Management über intelligente Verfahren zur Informationssuche im Internet promoviert, bevor er 2004 seine Karriere bei Booz Allen Hamilton begann, wo er heute innovative Themen in der IT und im Finanzsektor großer Konzerne vorantreibt.
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Dr. Andrea Weierich Dr. Andrea Weierich (geboren 1968) arbeitet als Senior Associate bei Booz Allen Hamilton. Sie ist spezialisiert auf die Optimierung der ITUnterstützung von Geschäftsprozessen und Leistungsangeboten, insbesondere im Finanzdienstleistungssektor und bei Energieversorgern. Ihr zweiter Schwerpunkt liegt auf der Transformation von IT-Einheiten und ITDienstleistern. Vor ihrer Beratungstätigkeit war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin von Peter Mertens im Bereich Wirtschaftsinformatik der Universität Erlangen-Nürnberg.