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Wir sind damit nach langer Analyse zu der urspriinglichen Gleichung der Darlehensnachfrage zuriickgekehrt, mit dem Unterschied, daB die Darlehensnachfragen seitens der beiden Markte, die in (6) zusammengefaBt waren, in (11) voneinander getrennt sind. Im Sinne unserer obigen Darlegungen bedeutet der erste Teil des zweiten Gliedes von (11) den Geldbedarf des Gutermarktes, und der zweite Teil des zweiten Gliedes jenen des Wertpapiermarktes in dem betrachteten Zeitraum; der dritte Teil bedeutet jenen Teil des Bedarfes, der von Umlaufsmitteln, welche unabhangig von Darlehensoperationen verfugbar sind, befriedigt wird; im ganzen bezeichnet also die Gleichung die Gesamtnachfrage nach Gelddarlehen, die den Gleichgewichtspreisen Pp der Giiter und Pt der Wertpapiere sowie alien Schwankungen um diese Preise herum entspricht, denen die Marktpreise beider infolge voriibergehender Abweichungen des Diskontsatzes vom Zinssatze voriibergehend unterliegen konnen. 1 1 Es mag scheinen, daB diese Art, die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes zu bestimmen, mit der vorher aufgestellten Formel unvertraglich sei und zu zahlenmaBig verschiedenen Ergebnissen iuhre. Dem ist jedoch nicht so. Weiter oben haben wir folgenden Grundsatz ausgesprochen: daB die Darlehensnachfrage des Wertpapiermarktes gleich ist der Menge der fluktuierenden Wertpapiere multipliziert mit ihrem Preis (siehe § 11 dieses Kapitels). Es ist leicht zu beweisen, daB die eben angewendete Formel zu dem gleichen Ergebnis fuhrt. Greifen wir zu diesem Zweck zu einem zahlenmaBigen Beispiel und stellen wir uns den einfachsten Fall vor: Kaufe und Verkaufe von Wertpapieren, die anstatt zu
Beitrage zur Geldtheorie.
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15. Die derart gefundene und dargestellte Gesamtnachfrage nach Darlehen besitzt gewisse Eigenschaften, auf welche aufmerksam gemacht •werden soil. Da sie aus den beiden oben untersuchten Gruppen zusammengesetzt ist, gehort sie zu jenem Nachfragetypus, den die Nationalokonomen Terminen taglich liquidiert werden. Betrachten wir also einen bestimmten Markt wahrend eines Zeitraumes von 60 Tagen. Nehmen wir an, daB wahrend dieser Zeit 30 Millionen Stuck Effekten umgesetzt werden und daB ihr Durchschnittspreis 100 Lire sei. Das Produkt T . Pt unserer Gleichung wird sein: 30 Millionen 100 = 3 Milliarden Lire. Und nun nehmen wir an, daB von den 30 Millionen umgesetzten Stiicken 1 Million wirkliche Stiicke verkauft wurden von Sparern, die sie tatsachlich besaBen, von neuen Gesellschaften, die sie zum erstenmal ausgaben, und von Spekulanten, die sie vorher mit Bankkredit gekauft hatten und sich nun durch den Verkauf von ihrer Schuld gegentiber der Bank befreien wollen. Die iibrigen umgesetzten 29 Millionen Stuck stellen dann nichts anderes dar als ein sukzessives Hin- und Herwandern dieser 1 Million Stiicke. Von dieser 1 Million wurden nun 500000 Stuck, die auf dem Markte erschienen, von wirklichen Sparern erworben und seien daher nicht dazu bestimmt, wenigstens im Laufe der nachsten zwei Monate wieder aul dem Markte aulzutauchen. Die mit eigenem Gelde kaufenden Sparer sind im Besitze jenes Teiles der Umlaufsmittel, die den Borsen unabhangig von Bankkrediten zuflieBen. Die Summe, welche sie fiir diesen Zweck bestimmen, betragt 50 Millionen Lire (500000 x 100) und y'
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stellt in unserer Gleichung die Teilquote — von (M) und von [Te Pt + T<j Pf] dar, die der Borse zuflieBt und in dem betrachteten Zeitabschnitt, da sie nur zu einem einzigen Besitzwechsel von Effekten gedient hat, zumindest hinsichtlich des Wertpapiermarktes eine Umlaufsgeschwindigkeit von Eins hat. Es bleiben noch die anderen 500000 Stuck zu betrachten, die von Spekulanten gekauft wurden und daher den eigentlichen Verkaufern nur durch Zuhilfenahme eines Bankkredits bezahlt worden sein konnten. Da aber der Gesamtwert der Abschliisse 3 Milliarden betragt, von denen die Kaufe der Sparer nur 50 Millionen bilden, so bleiben die iibrigen 2 Milliarden und 950 Millionen auf den sukzessiven Austausch der anderen 500000 Stuck angewiesen, die demnach in den zwei Monaten durchschnittlich 59mal Besitz gewechselt haben miissen. Aber jeder Besitzubergang wird begleitet von einem umgekehrten Ubergang des zur Zahlung verwendeten Umlaufsmittels vom Kaufer zum Verkaufer. In den beiden Monaten werden daher die von den Banken mittels Darlehen an die Spekulanten beigestellten Umlaufsmittel 59 Besitziibergange mitgemacht haben, das heiBt sie werden eine Umlaufsgeschwindigkeit von 59 gehabt haben. Wenn wir nun von (11) den Teil abtrennen, der die Darlehensnachfrage seitens des Wertpapiermarktes bedeutet, um ihn allein zu betrachten, und dabei die algebraischen Symbole durch die obigen Daten ersetzen, so erhalten wir: 30000000 (T) x 100 (P Wa -f- Va, dann muB Za negativ sein, d. h. die Einfuhr muB die Ausfuhr ubersteigen. All dies vorausgesetzt, trachten wir jetzt die Faktoren, welche die verschiedenen Posten der Zahlungsbilanz bestimmen, festzustellen. Aus dem Bisherigen wissen wir, daB die Differenz Za die Tendenz hat, bei denjenigen Preisniveaus der Produkte, welche wir vereinbarungsgemaB als gleiche bezeichneten (s. § 12 dieses Kapitels), Null zu werden. Damit also eine positive (UberschuB der Ausfuhr von A) oder eine negative (UberschuB der Einfuhr von A) Differenz entstehe, muB das Preisniveau der Produkte in den beiden Landern in dem angegebenen Sinne verschieden sein; und zwar soil es im ersten Falle im Lande B hoher als im Lande A, und im zweiten in A hoher als in B sein. Diese positive oder negative Differenz zeigt die Neigung, im angegebenen Sinne um so groBer zu werden, je groBer die Differenz zwischen den Preisniveaus der Produkte in den beiden Landern ist. Sie kann daher als eine Funktion dieser letzteren Differenz aufgefaBt werden. Wenn wir, um das Problem sogleich fiir samtliche moglichen Falle (stabile und vorubergehende Gleichgewichtszustande) aufzustellen, wie in den Gleichungen (13)und (14) mit Ppa<pa (sa, ia, ta) die Preise der Produkte von A, und mit P^cpt, (s&, h> h) J e n e v o n ^ bezeichnen, so konnen wir schreiben: Z
a = Fa [Pvb h)
— Ptb
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Aus dem Bisherigen lassen sich die folgenden wesentlichen Eigenschaften der internationalen monetaren Gleichgewichtspositionen ableiten: 1. daB in ihnen der AbfluB neuer kurzfristiger auslandischer Anleihen gleich ist dem ZufluB von Ruckzahlungen friiherer; 2. daB infolgedessen unter Gleichgewichtsverhaltnissen die kurzfristigen internationalen Anleihen nicht als Aktiv- oder Pmsivsaldi in der Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander aufscheinen, wahrend sie dies hingegen sofort tun, wenn das Gleichgewicht gestort wird: daB sie also bloji bei Storwngen des internationalen monetaren Gleichgewichts eine Rolle spielen; 3. daB bei bestehendem internationalem monetarem Gleichgewicht die Diskontraten in den beiden Landern die Tendenz haben, voneinander und von der internationalen Diskontrate verschieden zu bleiben, und
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daB daher die Gleichgewichtslage verkehrsverbundener Markte mit dem Bestehen voneinander dauernd abweichender Diskontraten vereinbar ist. 1 18. Aber wenn auch bei Verhaltnissen des internationalen monetaren Gleichgewichts der NettozufluB von neuen kurzfristigen Anleihen gleich Null ist, so darf man doch nicht annehmen, daB ihr Volumen gleich Null sei. Sobald zwei Lander mit verschiedenen ZinsfiiBen zum erstenmal miteinander in Verkehr treten, bilden sioh zwischen ihnen zwei Anleibestrome heraus: einer auf langfristige und einer auf kurzfristige Anleihen. Diesem letzteren steht aber anfangs ein entgegengesetzter Strom von Ruckzahlungen nicht gegeniiber. Infolgedessen treten diese anfangs als Aktiv- und Passivsaldi (reine Aktiv- und Passivposten, partite attive e passive nette) in den Zahlungsbilanzen der beteiligten Lander auf; und wie die klassische Theorie lehrt, werden sie zum Teil in Gold und zum Teil (zum groBten Teil) in Produkten transferiert. 2 Infolge dieses Stromes neuer Anleihen vergroBert sich allmahlich das Volumen der kurzfristigen Anleihen (um nur diese zu betrachten), und zwar vergroBert es sich so lange, bis die Ruckzahlungen beginnen, also wahrend eines Zeitraumes, welcher der Laufzeit der Anleihen entspricht. I n dem Augenblick, in welchem die Riickzahlungen beginnen, ist also jenes Volumen gleich dem taglichen durchschnittlichen Zustrom von ihnen multipliziert mit ihrer durchschnittlichen Laufzeit (ausgedriickt in Anzahl der Tage); und es besteht in Wirklichkeit aus einer Menge verschiedenartiger Produkte, welche das Anleihe gebende Land nach und nach in das Anleihe nehmende Land ubertragen hat und deren Geldwert es dem andern fur die ganze Laufzeit der Anleihe zur Verfugung laBt. Der ZufluB der Riickzahlungen kann aber gleich groB, groBer oder kleiner als der AbfluB neuer Anleihen sein. Es ist klar, daB dort, wo er gleich groB ist, das Anleihevolumen nach Erreichung der angegebenen Ausdehnung konstant bleibt; wo er groBer ist, verringert es sich; wo er kleiner ist, vergroBert es sich. Nun ist der ZufluB der Riickzahlungen und der AbfluB neuer Anleihen bei Gleichgewichtsverhaltnissen gleich groB und bei Gleichgewichtsstorungen verschieden groB. Man kann daher abschlieBend sagen, daB bei internationalen monetaren Gleichgewichtsverhaltnissen das Volumen auslandischer kurzfristiger Anleihen 1 Dieses Ergebnis wird durch die Tatsachen des taglichen Lebens bestatigt, aus welchen sich klar ergibt, daB sich trotz der engen monetaren Verbindungen zwischen den verschiedenen Landerh und trotz der Verknilpftheit der betreffenden Markte der Diskont dauernd auf verschiedener Hone halt. 2 Der Mechanismus, mittels dessen die Ubertragung der Anleihen zwischen den Landern erfolgt, wurde zum erstenmal in klarer Weise von J. ST. MILL dargestellt (Principles of Political Economy, London 1921, III. Buch, Kap. X X I , § 4, S. 627/628). Die von TAUSSIG (International Trade, New York, 1927, Kap. 17) wiederaufgenommene und ausgebaute These von MILL, welche von ihm auch unter die Kontrolle der Tatsachen gestellt wurde, findet ihre voile Bekraftigung durch einige monographische Arbeiten liber die Zahlungsbilanz verschiedener Lander, wenngleich infolge der jiingsten Veranderungen der Banktechnik heutzutage der Vorgang der Dbertragung der Anleihen nicht in alien seinen Phasen genau in der von MILL angegebenen Weise vor sich geht. Ich erwahne von diesen Arbeiten insbesondere: WILLIAMS, Argentine International Trade under inconvertible paper money, 1920; VINER, Canada's Balance of international indebtedness 1900—1913, Cambridge 1924; BRESCIANI-TURRONI, Alcuni effetti economici dei prestiti esteri in Germania, in: Giornale degli Economist!, Dez. 1929, S. 994 u. ff. Beziiglich der verschiedenen aufeinanderfolgenden Abschnitte der heutigen Ubertragungen von Anleihen siehe: VINER, a. a. O., S. 182 u. ff.
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konstant bleibt, daB es hingegen bei gestortem Gleichgewicht zu Veranderungen neigt, tmd zwar zu Steigerungen, wenn es in der Natur der betreffenden Gleichgewichtsstorung liegt, die Spannung zwischen den Diskontraten der beiden Lander zu vergroBern, und zu Verringerungen im umgekehrten Falle. Hiebei ist das Volumen der auslandischen kurzfristigen Anleihen, wie wir sahen, nichts anderes wie der Geldgegenwert einer Giitermenge, welche das Anleihe gebende Land seinerzeit an das Anleihe nehmende iibertragen hat und welches das erstere dem andern fur die ganze Laufzeit der Anleihe zur Verfiigung stellt. Wahrend nun das Anleihe nehmende Land mit seinen Ruckzahlungen dem Anleihe gebenden den Geldgegenwert dieser Giitermenge ruckzuubertragen bestrebt ist, ist dieses bestrebt, durch Gewahrung neuer Anleihen dem ersteren den Geldgegenwert einer entsprechenden Giitermenge zu iibertragen. I n Wirklichkeit kommt es also zu diesen Ubertragungen und Riickubertragungen nur insoweit die Ruckzahlungen die neuen Anleihen iibersteigen. Das Volumen dieser Anleihen besteht daher, in ihrer Substanz betrachtet, in einer Giitermenge, welche das Anleihe gebende Land gelegentlich der ersten Anleihen an das aufnehmende Land iibertragt; und obwohl diese Giitermenge urspriinglich nur als kurzfristige Anleihe iibertragen worden war, bleibt sie in Wirklichkeit dauernd als sein Geld-Gegenwert zur Verfiigung dieses letzteren Landes, wenn es auch in seinem Betrage standig wechselt. 19. Behalten wir all dies im Auge und betrachten wir nunmehr, auf welche Weise das innere und internationale monetare Gleichgewicht bei Landern mit verschiedenen ZinsfuBen wiederhergestellt wird, wenn es gestbrt ist. Wir gehen wie oben von zwei Landern A und B mit ZinsfuBen von 3 % bzw. 7% aus und nehmen an, daB zwischen ihnen ein monetarer Gleichgewichtszustand besteht, plotzlich in einem von ihnen eine Geldanspannung eintritt und sich dort die Diskontrate erhoht. Es sind zwei Falle moglich: daB dies in A oder in B, das heiBt in dem Land mit dem niedrigen oder mit dem hohen ZinsfuB geschieht. Wir werden diese zwei Falle getrennt behandeln, weil sie zu zwei verschiedenen Losungen fuhren. Tritt die Erhohung in B ein, so wird sich die Spannung zwischen den Diskontraten der beiden Lander vergroBern, der ZufluB neuer kurzfristiger Anleihen wird den AbfluB an Riickzahlungen bald iibersteigen, die Zahlungsbilanz wird sich zugunsten von B verschieben und die Differenz zwischen den neuen Anleihen und den Ruckzahlungen wird wenigstens teilweise in Gold beglichen, das demgemaB als Anleihe von A nach B iibertragen werden wird. Der hohe Diskontsatz in B wird aber zunachst die Preise der Wertpapiere, und dann jene der Giiter herunterdriicken. Die Senkung der Effektenpreise wird eine Ausfuhr dieser Effekten, das heiBt eine VergroBerung der normalen Kapitalsiibertragungen von A nach B zur Folge haben. Die Senkung der Giiterpreise wird im Sinne einer Verbesserung der Handelsbilanz von B wirken. Und B wird durch die vergrQBerte Effektenausfuhr und die Veranderung der Handelsbilanz den UberschuB an den zuvor eingegangenen und in
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Gold erhaltenen kurzfristigen Anleihen begleichen. Das Gleichgewicht wird also auf dem Wege einer Neuverteilung des Goldes, der Effekten und der Produkte zwischen A und B wiederhergestellt werden: diese Neuverteilung beginnt beim Gold unter dem Titel eines kurzfristigen Kredits, wird aber sodann durch eine entgegengesetzte Ubertragung von Produkten und Effekten zu einer endgiiltigen. Tritt hingegen die Erhohung der Diskontrate in A ein, so wird sich die Spannung zwischen den Diskontraten der beiden Lander verringern; es wird sich daher der AbfluB neuer Anleihen von A nach B verringern, so daB dieser unter den ZufluB der Riickzahlungen sinken wird. Die Zahlungsbilanz von A wird sich verbessern und die Differenz wird wenigstens zum Teil wie im vorigen Ealle mittels Ubertragungen von Gold von B nach A beglichen werden; jedoch mit dem Unterschied, daB die internationale Goldwanderung, welche im vorhergehenden Palle zunachst unter dem Titel eines Darlehens vor sich geht, hier von Anfang an (da der Diskont in A niedriger ist als in B) eine Zahlung ist, also Gold endgiiltig abgetreten wird. Nur wenn der Diskont im Lande A hoher als auf 7% steigt, kann sich der Strom der kurzfristigen Anleihen voriibergehend umkehren und die Ubertragung von Geld von B nach A kann wenigstens anfanglich zum Teil als Anleihe vor sich gehen. Diese Erwagungen versetzen uns in die Lage, ohneweiters eine fur die Kredittheorie und -praxis grundlegende Frage zu beantworten: namlich, ob Lander mit niedrigem ZinsfuB, also prinzipiell Anleihegeber, oder Lander mit hohem ZinsfuB, also prinzipiell Anleihenehmer, rascher und leichter imstande sind, Geldanspannungen zu iiberwinden. Die Anleihe nehmenden Lander benotigen, um durch Erhohung ihrer Diskontrate rasch eine Geldanspannung iiberwinden zu konnen, von den anderen Landern die Gewahrung neuer Anleihen oder die Verlangerung der alten; dies gelingt ihnen nur, soweit sie hohen Kredit genieBen, ferner soweit sie nicht schon vorher die Hochstgrenze der Verschuldung erreicht haben, und die anderen Lander keine Schwierigkeiten machen. Die Anleihe gebenden Lander hingegen verringern durch die Hinaufsetzung ihrer Diskontrate die Gewahrung neuer Anleihen; und da dies von ihrem Belieben abhangt, steht ihnen dieses Mittel immer offen. I n der Wirklichkeit wird ihnen die Sache noch dadurch erleichtert, daB die von den Landern mit niedrigem ZinsfuB den anderen Landern gewahrten kurzfristigen Anleihen nicht auf kurze Frist, sondern auf jederzeitigen Abruf riickzahlbar sind und daher in jedem beliebigen Augenblick zuriickberufen werden konnen; iiberdies ist ein Land mit niedrigem ZinsfuB gewohnlich Anleihegeber und daher Glaubiger nicht nur eines einzigen, sondern vieler Lander und es sind daher aller Wahrscheinlichkeit nach Lander mit den verschiedensten ZinsfuBen darunter. Daraus folgt, daB diejenigen von ihnen, welche beim urspriinglichen internationalen ZinsfuB Grenzlander oder fast Grenzlander sind, sofort keine kurzfristigen Anleihen mehr verlangen, wenn sich der Diskont in dem Anleihe gebenden Land und infolgedessen der internationale ZinsfuB erhoht; ja, sie zahlen sogar die vordem aufgenommenen Anleihen verfruht zuriick, um schlieB-
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lich vielleicht ihrerseits dem anderen Lande Anleihen zu gewahren. Und was fiir die urspriinglichen Grenzlander gilt, gilt fur alle, weil durch das allmahliche Steigen der Diskontrate in dem ersten Lande und durch das damit verbundene Steigen des internationalen ZinsfuBes allmahlich alle Lander zu Grenzlandern werden. Infolgedessen wird der ZufluB neuer Anleihen, die von dem Anleihe gebenden Land gewahrter werden immer geringfugiger, wahrend die Riickzahlungen progressiv anwachsen, so daB sich seine Zahlungsbilanz auBerordentlich rasch verbessert. Es geniigen daher schon kleine Diskonterhohungen in diesem Lande, um eine betrachtliche Goldmenge zuriickzuberufen. Von den beiden Landergruppen ist also die Gruppe der Lander mit niedrigem ZinsfuB normalerweise in der Lage, Geldanspannungen rascher als die andere zu iiberwinden. 20. An diesem Punkte angelangt, konnten wir auf Grund der gewonnenen Ergebnisse ebenso wie fiir die Lander mit gleichem ZinsfuB die Storungen, welchen ihr inneres und internationales monetares Gleichgewicht ausgesetzt ist, und die entstehenden Wirkungen eine nach der andern untersuchen. Wir wollen dies aber aus Raumgriinden nicht tun und iiberlassen diese Aufgabe dem Leser, falls er dafiir Interesse hat. Er wird sie ohne Schwierigkeit losen konnen. Er muB, wenn er die einzelnen Falle betrachtet, nur bei den Ausgangspositionen der Geldmarkte der verschiedenen Lander sowie bei den Endpositionen, denen sie infolge der betreffenden Storungen zustreben, die Verhaltnisse des dort untersuchten monetaren Gleichgewichts durch die eben untersuchten ersetzen. — Wir haben bisher der Einfachheit halber nur den Fall betrachtet, daB zwei Lander miteinander in Verkehr stehen, wahrend in Wirklichkeit viele Lander miteinander in wirtschaftlichem Verkehr stehen. Die Art und Weise, in welcher das monetare Gleichgewicht zwischen mehreren Landern, wenn es gestort ist, wieder hergestellt wird, ist aber genau die gleiche wie diejenige, in welcher es zwischen nur zwei Landern wiederhergestellt wird. Daher gelten die verschiedenen Ergebnisse, zu denen wir gelangten, ebenso fiir die komplexen Falle mehrerer in Verkehr stehender Lander, mit dem einzigen Unterschied, daB die Starke der Auswirkungen jeder Stoning um so geringer wird, je groBer das Gebiet des monetaren Gleichgewichts wird. Wir wollen dieses Kapitel mit der Aufstellung des allgemeinen Gesetzes der internationalen Verteilung der Edelmetalle abschliefien, das sich aus den bisherigen Untersuchungen ergibt und das, da hiebei alle Umstande beriicksichtigt wurden, als den komplexen Verhaltnissen des wirklichen Wirtschaftslebens entsprechend angesehen werden kann. Wir konnen es folgendermaBen ausdriicken: Handelt es sich um mehrere Lander mit verschiedenen Zinsfufien, so zeigen die Edelmetalle die Tendenz, eine Verteilung unter die verschiedenen Lander zu erreichen, bei welcher die betreffenden inner en Geldmdrkte in Gleichgewicht sind und bei welcher ihre Dishontraten sowie ihre Outer- und Effektenpreise so weit auseinanderliegen, dafi der Strom neuer kurzfristiger Anleihen von Land zu Land mit ihren Miickzahlungen genau ubereinstimme, und dafi sich die Zahlungsbilanz
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jedes Landes genau ausgleiche. Dieser Verteilung entspricht ein internationales monetares Gleichgewicht, das stabil ist, wenn der Diskontsatz in jedem Lande gleich dem betreffenden ZinsfuB ist; und das voriibergehend ist, wenn der Diskontsatz vom ZinsfuB abweicht.
Fiinftes
Kapitel.
Der Diskontsatz als Faktor des internationalen monetaren Gleichgewichtes.
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1. Jede monetare Gleichgewichtsstorung wird, wie wir sahen, durch eine Veranderung der internationalen Verteilung der Giiter, der Wertpapiere und des Geldes behoben. Die Ubertragung von Geld, welche eine Veranderung der Metallvorrate der beteiligten Lander mit sich bringt, ruft aber meistens eine Reaktion seitens ihrer Banken hervor; diese erfolgt im allgemeinen in Gestalt einer Veranderung des Diskontsatzes. Die Diskontpolitik ist demnach fur das internationale monetare Gleichgewicht von grundlegender Bedeutung. Betrachten wir nun, welches die eigentliche Funktion des Diskontsatzes ist und in welcher Weise er sie ausiibt. Bei der Behandlung der verschiedenen Storungen, welchen das monetare Gleichgewicht ausgesetzt sein kann, setzten wir die Reaktionen der Diskontrate so ein, als ob sie automatisch kraft einer strengen Verkettung zwischen den verschiedenen Faktoren des monetaren Gleichgewichts erfolgten, und als ob die Diskontrate in jedem einzelnen Lande einheitlich ware. In Wirklichkeit ist aber die Verkettung weniger streng als es nach den vorhergehenden Seiten scheinen konnte; der Geldmarkt stellt zwischen seinen verschiedenen Organen keinen vollkommenen Zusammenhang her und in jedem Lande bestehen, wie wir wissen, zumindest zwei Diskontraten: die offizielle, von den Emissionsbanken festgesetzte Rate, und die von den gewohnlichen Banken festgesetzte freie oder Marktrate. Die erste wechselt von Zeit zu Zeit ruckartig, die zweite wechselt standig entsprechend den veranderlichen Verhaltnissen des Marktes. Die beiden Raten stimmen also fast nie miteinander iiberein; und in den Gleichgewichtspositionen tendieren sie danach, sich bei derjenigen Grenze festzusetzen und in derjenigen Entfernung voneinander zu bleiben, bei der — im Hinblick auf die technischen Verschiedenheiten der Darlehen der beiden Bankengruppen — die einen das innere und die anderen das internationale monetare Gleichgewicht erzielen und bei der jede Bankengruppe die Kreditausdehnung erreiche, welche wir die normale nannten. Wir wollen den Abstand zwischen den beiden Diskontsatzen, der diesen Verhaltnissen entspricht, den normalen Abstand nennen. Tritt eine monetare Gleichgewichtsstorung ein, welche die Metallvorrate in Gefahr bringt, so erhohen die Emissionsbanken, welche davon unmittelbar betroffen werden, den offiziellen Diskontsatz. Damit aber diese Erhohung eine Wirkung habe, muB ihr die ErhOhung des freien
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Diskontsatzes nachfolgen, weil nur unter dieser Bedingung das Kreditvolumen ohne Verzug eingeschrankt und das internationale monetare Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann. Es handelt sich also darum zu sehen, auf welche Weise ungeachtet des Bestehens von zweierlei Diskontsatzen und trotz des unvollstandigen Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Organen des Geldmarktes immerhin die erforderliche Einheit der Diskontpolitik erreicht wird. Wenn in dem Augenblick, in welchem — um uns an die im 3. Kapitel, § 6, angefiihrten Falle zu erinnern — die Gefahrdung der Reserven der Emissionsbanken beginnt, die verfiigbaren Mittel der Depositenbanken nahe am Ausgehen sind, so wird es wahrscheinlich der Marktdiskontsatz sein, der sich als erster in Bewegung setzt und eine voriibergehende Verringerung des Abstandes zwischen den beiden Satzen herbeifuhrt. Und die Erhohung der Diskontrate, welche wiederum die Emissionsbanken zu Verteidigungszwecken vornehmen miissen, ist im wesentlichen nichts anderes als eine Angleichung an den Markt, wodurch der normale Abstand zwischen den beiden Raten wiederhergestellt und die erforderliche Krediteinschrankung ohne Schwierigkeit herbeigefuhrt wird. Wenn hingegen in dem Augenblick, in welchem die Metallvorrate in Gefahr zu geraten beginnen, die Depositenbanken nochreichlich Mittel verfugbarhaben und sich der Marktdiskontsatz nicht von selbst hebt, so sind in diesem Falle die Emissionsbanken gezwungen (um mit dem offiziellen Satz, den sie hinaufsetzen miissen, durchzugreifen), Effekten zu verkaufen, um die verfiigbaren Gelder des Marktes aufzusaugen. Und je nachdem, ob sie dies vor der Erhohung oder nach der unwirksam gebliebenen Erhohung des offiziellen Satzes tun, wird sich der freie Satz vor oder nach dem offiziellen erhohen; im ersten Falle wird dadurch eine voriibergehende Verminderung, im zweiten eine voriibergehende VergroBerung der Spannung zwischen den beiden eintreten; schliefilich wird sich jedoch auch hier eine allgemeine Krediteinschrankung einstellen. Sobald sich diese einstellt und der freie Diskontsatz zum Fallen tendiert, wird der Abstand zwischen den zwei Satzen wieder groBer. Sobald aber die Emissionsbanken die Gefahr der Ausfuhr von Metallvorraten fur iiberwunden ansehen, zogern auch sie nicht den Diskont herabzusetzen, sich also der Marktlage anzupassen und jedenfalls den normalen Abstand zwischen den beiden Satzen wiederherzustellen. Und wenn schliefilich ebenfalls infolge einer internationalen, aber umgekehrten monetaren Gleichgewichtsstorung Geld ins Land einstromt und sich die Metallvorrate vergroBern, dann sind es meistens die Emissionsbanken, welche den Diskont zuerst herabsetzen; daraufhin sind die anderen Banken nach und nach gezwungen, den Marktdiskontsatz herabzusetzen und eben den durch die Herabsetzung des offiziellen Satzes voriibergehend veranderten normalen Abstand wiederherzustellen. Aus alldem geht hervor, daB dort, wo es sich darum handelt, daB sich die Metallvorrate vermindern oder vergroBern, der offizielle Satz dem Marktsatz befiehlt; wahrend dort, wo diese Reserven keinen fuhlbaren Veranderungen unterworfen sind, der Marktsatz dem offiziellen befiehlt. I n dem Augenblick, in dem die
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Vorherrschaft von dem einen auf den anderen iibergeht, verandert sich der Abstand zwischen den beiden in bedeutendem MaBe. 1st aber der tjbergang geschehen, so kehrt er wieder zum Normalen zuriick. 1 Nun haben die Metallvorrate die Tendenz, bei internationalen monetaren Gleichgewichtsverhaltnissen konstant zu bleiben, sich hingegen bei Gleichgewichtsstbrungen zu verandern. Der Marktdiskontsatz ist daher im ersten Falle der ausschlaggebende und im zweiten der beherrschte. Die Veranderung, welche der Abstand zwischen den beiden in dem zweiten Falle mitmacht, ist die Folge des unvollstandigen Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Organen des Geldmarktes. Die Raschheit, mit der aber der Marktsatz sich sodann nach und nach in der gleichen Richtung wie der offizielle zu verandern strebt, zeigt an, ob der offizielle Satz wieder das Ubergewicht erlangt hat. Und die Moglichkeit, dieses Ubergewicht wieder an sich zu ziehen, bewirkt es, daB sich die beiden Satze trotz des unvollstandigen Zusammenhanges zwischen den verschiedenen Organen des Geldmarktes schlieBlich in einheitlicher Richtung je nach den Forderungen des internationalen monetaren Gleichgewichts verandern. Die Funktion der Diskontpolitik der Emissionsbanken ist also folgende: dort, wo es notig ist, mittels einer Veranderung der offiziellen Diskontrate diejenigen Veranderungen der Marktrate, welche sich von selbst nicht eingestellt hatten, welche aber zwecks Wiederherstellung des internationalen Gleichgewichts unentbehrlich sind, zu beschleunigen; damit erreicht sie eine friihere Wiederherstellung dieses Gleichgewichts. Der Diskontpolitik der Emissionsbanken liegt demnach ein Gleichgewichtsproblem zugrunde; sie sollen ein solches jedesmal rasch Ibsen und Ibsen es praktisch durch eine Reihe von Versuchen, indem sie eben den Diskontsatz so lange nach und nach hinauf- oder nach und nach herabsetzen, bis die Bewegung der Metallvorrate vollstandig aufgehbrt hat. Die Emissionsbanken sind also bei der Regelung ihres Darlehensangebotes an die uns bekannten Bedingungen 2 und bei der Regelung des Diskontsatzes an die Bedingungen des internationalen monetaren Gleichgewichts gebunden. 3 Ihre Selbstbestimmung bezuglich der Festsetzung des Diskontsatzes ist eine reine Illusion. 2. All dies vorausgesetzt, betrachten wir nunmehr, auf welchen 1 Dieses Verhalten der beiden Diskontraten, in normalen Zeiten Aufrechterhaltung eines verhaltnismaBig wenig veranderlichen Abstandes, und in Zeiten der Anspannung bzw. des Darniederliegens des Geldmarktes vorubergehende VergroBerungo der Verringerung des Abstandes, trat vor dem Kriege in England und Deutschland mit RegelmaBigkeit in Erscheinung. (Bezuglich Englands siehe: SPICER, The money market, London 1924, S. 125; PALGRAVE, Bank rate and the money market, London 1903, S. 209 u. ff.; bezuglich Deutschlands siehe: SNYCKERS, La Reichsbank et la Banque de France, Paris 1908, S. 193/194 und 201; FANNO, Le Banche e il mercato monetario, Rom 1912, S. 137/138.) Neue statistische Untersuchungen haben gezeigt, daB dies fur England trotz der Veranderungen des Geldsystems und der Bankverfassung auch heute noch gilt. (Siehe D E PIANTE, Sui movimenti del saggio ufficiale e del saggio privato dello sconto, in: Rivista Italiana di Statistica, April 1930.) 2 Siehe oben: 3. Kapitel, § 1. 8 Ein Hinweis auf diese Abhangigkeit der Diskontpolitik von den Gesetzen des allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewichts findet sich bei PARETO, Manuel usw., Kap. V I I I , § 48, S. 458. Beitrage zur Geldtheorie. 7
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Wegen es die Diskontveranderungen in Wirklichkeit vermogen, das internationale monetare Gleichgewicht, sowie es gestort ist, wiederherzustellen. Eine monetare Gleichgewichtsstorung, welche den AbfluB von Metallvorraten aus einem Lande hervorruft, ist ein Anzeichen dafiir, da6 sich in den verschiedenen Landern Werte derart gegeniiberstehen, daB das Geld zum bevorzugten Ausfuhrgut des einen Landes wird. Der GeldabfluB ruft aber in diesem Lande die Erhohung des Diskonts hervor; und seine Erhohung verandert dort den Wert des zukiinftigen Geldes, der Wertpapiere und der Produkte, verandert die komparativen Werte der einzelnen Guter in den verschiedenen Landern und schafft gunstige Bedingungen fur eine Anderung in der internationalen Verteilung dieser Guter. Das zukiinftige Geld, die Wertpapiere und die Produkte, welche vor der Diskonterhohung nicht exportfahig oder nur in einem gewissen AusmaB exportfahig waren, konnen nun in groBerem MaB ausgefiihrt werden, wahrend das gegenwartige Geld aufhort ausfuhrfahig zu sein, ja einfuhrfahig wird. Und der Austausch von zukunftigem Geld, von Wertpapieren und Gutern gegen gegenwartiges Geld, welcher zwischen dem Lande, das seinen Diskont hinaufgesetzt hat, und den anderen zustande kommt, wirkt eben dahin, die anfangliche monetare Gleichgewichtsstorung auszuschalten. Freilich bezahlt das Land, welches seinen Diskontsatz erhoht und damit seine Ausfuhr an Gutern, Wertpapieren und zukunftigem Geld steigern kann, wenigstens fiir den Augenblick mit diesen Gutern, Wertpapieren und zukunftigem Geld seine auslandischen Schulden, die es andernfalls mittels Ausfuhr von gegenwartigem Geld hatte bezahlen miissen. Das zukiinftige Geld, die Wertpapiere und die Guter fungieren also als internationales Zahlungsmittel. Ihre Fahigkeit, diese Funktion zu erfiillen, ist deshalb verschieden je nach dem Grade, in dem sich ihr Wert senken wird. Die Entwertung des zukiinftigen Geldes ist bereits in der Erhohung des Diskontsatzes inbegriffen und geht deshalb selbsttiitig und unverziiglich vor sich.1 Das kiinftige Geld fungiert also mit groBer Geschmeidigkeit (prontezza) als internationales Zahlungsmittel. Aber kunftiges Geld ausfuhren bedeutet fiir ein Land: eine kurzfristige Schuld aufnehmen, die in der Folge zuriickgezahlt werden muB; und ihre Ruckzahlung, welche seinerzeit eine umgekehrte Ubertragung von gegenwartigem Geld oder von anderem gleichwertigem Gut von einem Land in das andere verlangt, zerstort das monetare Gleichgewicht, welches die Ausfuhr des kiinftigen Geldes geschaffen hatte. Daher ist die Ausfuhr von kiinftigem Geld, trotz der Geschmeidigkeit, mit welcher sie durchzufuhren ist, ein unvollkommenes, weil provisorisches Mittel fiir internationale Zahlungen. Die Entwertung der Guter und Wertpapiere ist nicht schon in der Erhohung des Diskontsatzes inbegriffen, sie tritt vielmehr im Verlauf 1 Steigt der Diskont z. B. von 4 auf 7%, so verandert sich der kompartive Wert des gegenwartigen und des kiinftigen Geldes; 100 gegenwartige Einheiten werden nicht mehr gegen 104, sondern gegen 107 kiinftige Einheiten getauscht; und das bedeutet eine Entwertung dieser letzteren gegenuber den ersteren.
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ernes Anpassungsvorganges auf und erfolgt daher nicht mit derselben Schnelligkeit wie die Entwertung des kiinftigen Geldes. Dafiir ist aber die ausgleichende Wirkung der Ausfuhr von Giitern wie von Wertpapieren keine vorlaufige, sondern eine endgiiltige. DaB dies fur die Giiter richtig ist, leuchtet ein. Gewisse Zweifel konnten hingegen beziiglich der Wertpapiere auftauchen. Aber die Effekten, welche ein Land in einem gegebenen Zeitpunkt ausfiihrt, konnen doch vor allem Effekten des Landes sein, in welches sie eingefuhrt werden, und fiir die daher keine Veranlassung besteht, wieder in das ausfiihrende Land zuriickzukehren. Wenn es aber in zweiter Linie auch Effekten des ausfiihrenden Landes sind, die es eines Tages wieder auslosen wird, so handelt es sich meistens urn Schuldverschreibungen mit langer Laufzeit, die viele Jahre lang in anderen Landern weiterzirkulieren konnen. Wenn daher ein Land Wertpapiere zu einem gewissen Zeitpunkt gegen Geld oder anstatt Geld ein- oder ausfiihrt, um das internationale monetare Gleichgewicht wiederherzustellen, so bringt dies infolge der besonderen Eigensehaften der Effekten selbst wenigstens auf kurze Sicht nicht die Notwendigkeit eines umgekehrten Austausches, welcher monetare Gleichgewichtsstflrungen verursacht, mit sich. 1 Man kann daher, insbesondere wenn man kurze Zeitabschnitte betrachtet, annehmen, daB Wertpapiere ebenso wie Goiter nicht nur ein zeitweise wirkendes, sondern ein endgiiltiges Zahlungsmittel und daher fiir das internationale monetare Gleichgewicht von Bedeutung sind. Die Schnelligkeit, mit welcher eine Entwertung bei Wertpapieren und bei Giitern eintritt, ist jedoch verschieden, und daher ist auch die Geschwindigkeit, mit der sie die obige Funktion erfiillen, verschieden. Wir wissen namlich, daB sich die Wertpapiere infolge der groBen Empfindlichkeit des Wertpapiermarktes im Falle einer Geldanspannung, welche auf dauernde Storungen zuriickzufiihren ist, rascher entwerten werden als die Giiter, und daB sie sich im Falle einer Geldanspannung, welche auf voriibergehende Storungen zuriickzufiihren ist, sogar viel starker entwerten werden als die Giiter. Die Wertpapiere erfiillen daher ihre Aufgabe als Mittel des internationalen Zahlungsausgleiehs besser als die Giiter. Stufen wir also diese verschiedenen Mittel des Zahlungsausgleiehs in bezug auf ihre Geschmeidigkeit ab, so erhalten wir folgende Stufenleiter: An erster Stelle kommt die Ausfuhr von kunftigem Geld, das heiBt die Aufnahme einer kurzfristigen Anleihe. An zweiter Stelle kommt die Ausfuhr von Effekten; und an dritter Stelle in weitem Abstand die Ausfuhr von Giitern. 2 3. Die verschiedene Fahigkeit dieser drei Giitergruppen als Mittel des internationalen Zahlungsausgleiehs zu fungieren, hat zur Folge, daB jede 1 Eine Ausnahme bildet die tjbertragung von Effekten von einem Lande ins andere bei Report-Operationen. 2 Diese Stulenleiter erfahrt keine Veranderung, wenn man die Transportkosten der verschiedenen Giitergruppen mit in Betracht zieht. Bei EinschluB dieser Kosten miiBte die reine Theorie der auslandischen Wechselkurse dargestellt werden. Wir mlissen dies aber aus Raumgriinden unterlassen und verweisen den Leser beziiglich der Ausiuhrung dieses Punktes auf unsere Arbeit: Le Banche e il Mercato Monetario, S. 341 u. ff.
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von ihnen eine andere Erhohung der Diskontrate verlangt urn wirksam zu werden und zu einem bestimmten Ergebnis zu fuhren. Eine leichte Erhohung der Diskontrate bringt das kiinftige Geld in Bewegung, eine etwas groBere bringt die Wertpapiere in Bewegung, wahrend sehlieB lich eine betrachtliche Erhohung notwendig ist, damit auch die Produkte in Bewegung geraten. Es hangt daher von dem AusmaB der Diskontsteigerung oder, was dasselbe ist, von der GroBe der monetaren Storung ab, ob zu ihrer Ausschaltung nur eines der angefuhrten Giiter eingreift, oder ob zwei von ihnen oder schlieBlich alle drei zusammen eingreifen. Da aber zur Ausmerzung einer bestimmten monetaren Gleichgewichtsstorung die Ubertragung einer Giitermenge mit einem bestimmten Werte erforderlich ist, darf, je mehr dabei von einer bestimmten Gutergruppe iibertragen wird, um so weniger von der anderen Gruppe oder den anderen Gruppen iibertragen werden. Naturlich greifen diejenigen Giiter starker ein, welche rascher und in groBerem AusmaB ausgefuhrt werden, d. h. das kiinftige Geld und die Wertpapiere. Das rasche Eingreifen dieser beiden Gruppen befreit also die Produkte davon, in betrachtlichen Proportionen teilzunehmen, d. h. es verhindert das Notwendigwerden einer starken Diskontsteigerung, welche andernfalls unentbehrlich ware, um eine starkere Ausfuhr von Produkten zu erreichen. Die kurzfristigen Anleihen sind zwar ein geschmeidiges und wirksames, aber unvollkommenes Mittel des internationalen Zahlungsausgleichs, weil seine Wirkungen nur zeitweilige sind. Wenn man dies alles erwagt, bilden daher die Wertpapiere das vollkommenste und wichtigste Mittel des Zahlungsausgleichs. 4. Wir haben somit klargestellt, auf welche Weise durch die Handhabung des Diskontsatzes das internationale monetare Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann. Die Steigerung oder die Senkung des Diskontsatzes verandert in den verschiedenen Landern die Preise der verschiedenen Giitergruppen und damit die komparativen Werte des ktinftigen Geldes, der Wertpapiere und der Produkte im Verhaltnis zum gegenwartigen Geld; da sie infolgedessen die Richtung, die Zusammensetzung und das Volumen der Umsatze der verschiedenen Giiter zwisehen den verschiedenen Landern verandern, bewirken sie die Wiederherstellung des internationalen monetaren Gleichgewichtes. Und obzwar dieses Gleichgewicht mittels der Handhabung des Diskontsatzes wiederhergestellt wird, folgt es dabei den klassischen Grundsatzen des internationalen Handels. Der Diskontsatz ist daher nichts anderes, als das Mittel, durch welches die klassischen Gesetze des AuBenhandels zur Geltung kommen, so oft dies notwendig ist, um das monetare Gleichgewicht des Geldmarktes wieder herzustellen. Nun sind die Wirtschaften der verschiedenen Lander, wie wir sahen, trendhaften, saisonmaBigen, zyklischen und zufalligen Storungen ausgesetzt. Aber diese verschiedenen Storungen, welche wir in dem vorhergehenden Kapitel getrennt untersuchten, so als ob sie einzeln und getrennt auftraten, treten vielmehr in Wirklichkeit fortwahrend miteinander verbunden auf. Wahrend sich die Wirtschaften der verschiedenen Lander
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ihrer Tendenz nach in der von den trendhaften Storungen vorgeschriebenen Entwicklungslinie bewegen, sind sie zyklischen Storungen unterworfen; und mit diesen vermischen und verflechten sich wieder saisonmaBige und zufallige Storungen. Die Linie, in der sie sich in Wirklichkeit bewegen, ist daher die Resultierende des Wirkens aller dieser Storungen zusammen. Infolge dessen ist das innere monetare Gleichgewicht der verschiedenen Lander ununterbrochen gestort. Es ist aber nicht in alien Landern in der gleichen Richtung und in der gleichen Starke gestort. Die Zahlungsbilanz der verschiedenen Lander wird also standig erschiittert und ebenso das internationale monetare Gleichgewicht. Una dieses, sobald es gestSrt ist, wieder herzustellen, wird der Diskontsatz gehandhabt. Die fortwahrenden Veranderungen, welche dieser in Wirklichkeit erleidet, uben daher folgende grundlegende Funktion aus: auf die Wiederherstellung des internationalen monetaren Gleichgewichts hinzuwirken, so oft dieses von den Storungen, denen die Wirtschaften der verschiedenen Lander standig ausgesetzt sind, gestort ist.
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Die Struktur des internationalen Geldmarktes.
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1. Unter dem Gesichtspunkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung konnen die verschiedenen Lander eingeteilt werden in: 1. Agrarlander, 2. Industrielander, 3. Lander, welche im Begriffe stehen, aus Agrar- zu Industrielandern zu werden. Die ersten haben gewohnlich einen hohen Zinssatz, die zweiten einen niedrigen, und die dritten einen solchen zwischen den beiden anderen. Aus diesen Spannungen zwischen den Zinssatzen entsteht zwischen den Landern Angebot und Nachfrage fur langfristige Anleihen. Dieses Angebot und diese Nachfrage bilden zusammen den internationalen Kapitalmarkt. Der ZinsfuB, zu welchem Anleihen gewahrt werden, liegt zwischen den hochsten und den niedrigsten Satzen der kontrahierenden Lander und kann der ZinsfuB des internationalen Marktes genannt werden. Die Lander mit hoherem ZinsfuB nehmen auf diesem Markt die Stellung von Kapitalimporteuren ein, die Lander mit niedrigerem ZinsfuB diejenige von Kapitalexporteuren. Es sind also gewohnlich die Agrarlander, welche Kapital einfuhren, und die Industrielander, welche es ausfuhren, wahrend die in Umbildung begriffenen Lander es je nach der Sachlage einmal ein- und einmal ausfuhren. Jede internationale Kapitalsubertragung wird meistens von einer tJbertragung von Wertpapieren in entgegengesetzter Richtung begleitet. Die Agrarlander fiihren daher, da sie Kapital einfuhren, Wertpapiere aus und haben den groBten Teil ihrer Schuldverschreibungen im Ausland i1 die Industrielander fiihren, da sie Kapital ausfuhren, Wertpapiere ein und besitzen 1 Vor dem Kriege war dies die Stellung RuBlands, Argentiniens, der Balkanstaaten, der britischen Dominions usw.
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daher auBer den eigenen fremde Wertpapiere -,1 die in Umbildung begriffenen Lander fuhren Kapital weder systematisch ein noch aus, so daB sie Wertpapiere systematisch weder ein- noch ausfiihren; so oft es aber die inneren und internationalen ZinsfuBe zulassen, fuhren sie ihre eigenen Schuldverschreibungen, welche sie wahrend der Periode des hohen ZinsfuBes ausgestellt und ausgefxihrt haben, wieder ein, und sorgen so fur der en allmahliche Einlosung. Diesen Spannungen zwischen den ZinsfiiBen entsprechen analoge Spannungen zwischen den Diskontraten der drei Gruppen von Landern. Also auch vom monetaren Gesichtspunkte lassen sich die Lander in drei Gruppen teilen: 1. in Agrarlander mit einem hohen Normaldiskont; 2. in Industrielander mit einem niedrigen Normaldiskont; 3. in Lander, welche in Umbildung begriffen sind und deren Diskont zwischen den beiden anderen liegt. Durch diese Spannungen zwischen den normalen Diskontsatzen entstehen standige Strome kurzfristiger Anleihen zwischen den einzelnen Landern. Den Kreuzungspunkt ihres Angebots und ihrer Nachfrage bildet der intemationale Geldmarkt. Sein Diskontsatz bildet sich auf einer mittleren Hohe zwischen denjenigen der kontrahierenden Lander. Die Lander mit einem niedrigeren als dem internationalen Diskontsatz, d. h. die Industrielander, nehmen in ihm normalerweise die Stellung von Anleihegebern ein; diejenigen mit dem hoheren Diskontsatz, d. h. die Agrar- und ofters auch die in Umbildung begriffenen Lander die Stellung von Darlehensnehmern. 2. Die verschiedene Stellung, welche die drei Gruppen von Landern auf dem internationalen Geldmarkt einnehmen, fiihrt zu wesentlichen Verschiedenheiten in der Struktur und in der Wirksamkeit der betreffenden inneren Markte und daher auch in der Art und Weise, in der sie die Anspannung ihrer Geldmarkte zu uberwinden trachten. Die offentlichen Schuldverschreibungen sind ein hervorragendes internationales Zahlungsmittel. Zu diesem Zwecke eignen sich aber nur solche, welche nicht im Besitze von Sparern sind, sondern fluktuieren, weil nur die fluktuierenden Effekten auf dem Markte verfugbar und, mit Krediten finanziert, stets zur Ausfuhr bereit sind. 2 Nun zeigen aber die Effekten, eben weil sie mit Krediten finanziert sind, die Neigung, in diejenigen Lander zusammenzustromen, in denen ihre Finanzierung am billigsten ist, und das sind normalerweise die Industrielander. Und daher sind es diese Lander, welche den groBten Besitz an eigenen und auslandischen Effekten haben, in welche auch die fluktuierenden Effekten vorwiegend zusammenstromen und deren Markte die Weltborsen bestimmend beeinflussen. Ist hingegen ein Industrieland, das normalerweise einen niedrigen ZinsfuB hat, genotigt, zu gewissen Zeiten den 1 Vor dem Kriege waren die wichtigsten Kapitalaustuhr- und Effekteneinluhrlander England und Frankreich sowie in zweiter Linie Deutschland. Der Krieg hat diesen Stand verandert. England ist im Begritfe seine beherrschende Stellung zu verlieren, Frankreich ist im Begriffe sie wiederzuerwerben, die Vereinigten Staaten sind zu einem Kapitalausfuhrland geworden, wahrend Deutschland, obwohl Industrieland, infolge der ungeheuren Verwustungen der Kriegs- und Inflationszeit Kapital eintuhrt. 2 WHITAKER, The Ricardian Theory of Gold movements, in: Quarterly Journal of Economics, Febr. 1904, S. 225.
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Diskont hinaufzusetzen, so verliert es voriibergehend seine Eignung fxir die Finanzierung fluktuierender Wertpapiere. Diese beginnen dann sehr bald aus dem betreffenden Lande abzuflieBen, was nichts anderes bedeutet als eine Folge der Neigung der fluktuierenden Wertpapiere, sich in der Richtung derjenigen Lander zu bewegen, welche ihnen gerade die giinstigsten Finanzierungsbedingungen bieten. 3. Analoges gilt fur die Guter. Vor allem halt deren Verbrauch nicht immer mit ihrer Erzeugung Schritt. Bei gewissen Giiterkategorien ist die Erzeugung stetig, wahrend ihr Verbrauch unstetig ist. Bei anderen ist der Verbrauch stetig, wahrend ihre Erzeugung unstetig ist (Agrarerzeugnisse). Infolge der mangelnden zeitlichen Koinzidenz von Erzeugung und Verbrauch, und um dem Handel im GroBen und Kleinen einen geregelten Verlauf zu sichern, werden in der Welt standig betrachtliche Vorrate aller Giiterarten geschaffen und erhalten. Diese Vorrate, welche sich in den Handen von Handlern und Spekulanten befinden, miissen, wie wir sahen, wenigstens zum Teil mit Krediten finanziert werden. 1 Soweit es also die Transportspesen zulassen, werden sie demnach moglichst in solchen Landern angelegt werden, in denen die Diskontrate am niedrigsten ist, d. h. in den Industrielandern. Und so werden diese Lander, welche bereits einen ausgedehnten eigenen AuBenhandel besitzen, 2 auch zu den Handelszentren der Welt, zu Markten zwischen den erzeugenden und verbrauchenden Landern und damit zu den Mittelpunkten des Spekulationshandels der Welt, und haben die Aufgabe, durch ihre wechselnden Preisnotierungen das Gleichgewicht zwischen Weltproduktion und Weltverbrauch der verschiedenen Lander zu sichern. 3 Infolge dieser Tendenz der Guter und der fluktuierenden Wertpapiere: sich in den Industrielandern zu konzentrieren, sind im allgemeinen die Effektenvorrate und die Warenvorrate in den iibrigen Landern gering. Wahrend also Guter und Wertpapiere in der Gleichung des Geldmarktes der Industrielander in betrachtlichen Proportionen auftreten, erscheinen sie in jenen der Ubergangslander in geringeren Siehe 2. Kapitel, § 6. Uber die Ursachen des ausgedehnten Aufienhandels der Industrielander siehe: FANNO, L'espansione commerciale e coloniale degli stati moderni, Turin 1907, S. 291-—299. 3 Das Land, welches aus den im Texte angefuhrten Grunden wahrend des XIX. Jahrhunderts die Stellung des Welthandelszentrums eingenommen und die Funktion des regelnden Mittelpunktes der Weltpreise ausgeilbt hat, war Bngland. Tatsachlich kontrollierte der Londoner Markt den Kaffeepreis starker und besser als jener von Rio de Janeiro, den Getreidepreis starker als jene von Buenos Aires, Winnipeg und Odessa. Der Preis der australischen Schafwolle wurde alljahrlich auf den Londoner Auktionen festgesetzt und die Notierungen dieses Marktes wurden zur Norm fur die anderen Lander (COGHLAN, The wealth and progress o! New South Wales, Sydney 1900, S. 693). Auch dem Kautschukhandel schrieb der Londoner Markt seine Gesetze vor, wahrend Liverpool der Weltmarkt fur Baumwolle war. Und wenn es nach und nach, insbesondere in der Nachkriegszeit, den Markten von New York und Chicago gelungen ist, jenen von London und von Liverpool die Kontrolle iiber den Handel und die Preise vieler Waren abzunehmen, so ist dies auf die Tatsache zuruckzufuhren, daB die Vereinigten Staaten nach und nach ihre Umbildung in Industriestaaten vollendet hatten und so nach und nach in die bevorzugte Lage des Knglands des XIX. Jahrhunderts kamen; da sie betrachtliche fliissige Geldmengen zu verhaltnismaBig niedrigen ZinsfiiBen zur Verftigung haben, konnen sie ein gut Teil ihrer Produktion solange im Lande behalten, bis sie sie direkt in die Verbraucherlander ausfilhren, womit sie die Moglichkeit haben, einen Druck auf die Notierungen des Welthandels auszuilben.
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und in jenen der Agrarlander in noch geringeren Proportionen. Daraus folgt wieder, daB die MaBnahmen, welche alle drei Gruppen von Landern zur Uberwindung der monetaren Spannungen ergreifen, sich in verschiedener Art auswirken. Fluktuierender Wertpapiere ganz oder fast ganz entbloBt und auch mit geringen Giitervorraten ausgestattet, besitzen die Agrarlander kein anderes Mittel dafiir als jenes, einen Teil ihrer wenigen verfiigbaren Giiter auszufiihren, urn dagegen Geld einzufiihren; sie verfiigen also nur iiber das weniger vollkommene Mittel internationalen Zahlungsausgleichs. 1 Sie konnen freilicb durcb Erhohung ihres Diskontsatzes den Zustrom auslandischer Anleihen vergrofiern und sofort Gold von den anderen Landern beziehen, dessen Einfuhr sie nachher durch Ausfuhr von Giitern begleichen konnen. Dazu sind sie jedoch, wie wir sahen, nur in der Lage, wenn sie: 1. hohen Kredit genieBen; und 2. noch nicht die hochste Verschuldensgrenze erreicht haben. Die Hinaufsetzung des Diskonts geniigt daher in diesen Landern nicht immer, um sofort Gold aus dem Ausland beziehen zu konnen und es ist ihnen nicht immer moglich, leicht und rasch die monetaren Spannungen zu iiberwinden. Die in Ubergang befindlichen Lander, welche iiber fluktuierende Wertpapiere und iiber eine groBere Giitermenge verfiigen, befinden sich diesbeziiglich in besseren Verhaltnissen. Da sie uberdies normalerweise einen ZinsfuB und einen Diskontsatz haben, die zwischen jenen der beiden anderen Landergruppen liegen und daher von dem Diskontsatz des internationalen Marktes nur wenig abweichen, haben sie normalerweise nicht viele kurzfristige Schulden an andere Lander. Im Palle einer Geldanspannung konnen sie daher schon mit einer bescheidenen Diskonterhohung, wenn sie Kredit genieBen, unter dem Titel von Anleihen Gold aus dem Ausland beziehen; diese Anleihen werden sie spater mittels Ausfuhr von Schuldverschreibungen und Giitern begleichen. So erfolgt der Geldzu- und -abfluB dieser Lander, wenn er auch insgesamt nicht betrachtlich ist, normalerweise mit groBerer Geschmeidigkeit als bei den Agrar landern. Was die Industrielander betrifft, so sind normalerweise sie es, welche Anleihen, und zwar auch auf kurze Frist, gewahren, sie haben also ihre Zahlungsbilanz so eingerichtet, daB bei ihnen ein standiger Zu- und AbfluB neuer Anleihen moglich ist; infolgedessen ist bei ihnen zu jedem Augenblick eine sehr groBe Menge kurzfristiger auslandischer Kredite vorhanden, welche fallig werden und daher zuriickberufen werden konnen. tJberdies verfiigen sie iiber zahlreiche in- und auslandische Effekten. Im Falle einer Geldanspannung geniigt es daher, daB sie nur ein wenig den Diskont hinaufsetzen, um: 1. die Gewahrung neuer Anleihen einzuschranken; 2. die Riickzahlungen friiherer Anleihen zu vergrofiern; 3. eine betrachtliche Abwanderung von Effekten herbeizufiihren; und aus 1 Kanada ist bekanntlich ein Agrarland; und VINER schreibt dariiber diesbeziiglich: ,.Security transactions in Canada are predominantly of an investment character, and the market for floating securities in Canada is too narrow to be much of the factor in settling trade balances." (VINER, Canada's balance of international indebtedness 1900—1913, Cambridge 1924, S. 183.)
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all diesen Griinden daher 4. ihre Zahlungsbilanz sehr rasch in der Richtung einer starken Edelmetalleinfuhr zu verandern. So sind die Industrielander infolge der besonderen Struktur Hirer Wirtschaft normalerweise in der Lage, monetare Anspannungen rascher und leichter zu iiberwinden als die anderen Lander. 4. Wegen dieser ihrer bevorzugten Lage nehmen sie in dem ProzeB des internationalen Geldumlaufs eine beherrschende Stellung ein. Sobald eine Geldknappheit in den Agrar- oder in den Ubergangslandem eintritt, erhohen diese ihre Nachfrage nach kurzfristigen Anleihen bei den Industrielandern. Die Gewahrung dieser groBeren Anleihen ruft nun auch bei ihnen eine Geldanspannung hervor. Die Diskonterhohung, welche darauf bei ihnen eintritt, hat aber zur Folge, daB sofort die Edelmetalle aus den iibrigen Landern auf den eben gezeichneten Wegen eingezogen werden. Und zwar gelingt es ihnen natiirlich, die Edelmetalle von denjenigen Landern einzuziehen, deren Geldmarkte sich in dem betreffenden Augenblick nicht in einem Zustand der Anspannung befinden, das heiBt, in denen die Edelmetalle weniger gesucht sind. Die Industrielander ziehen daher durch Erhohung ihrer Diskontrate auf den normalen Wegen des AuBenhandels die Edelmetallvorrate aus Landern, in denen sie verhaltnismaBig reiehlich vorhanden sind, an sich, um sie solchen Landern zu leihen, welche daran Mangel leiden. Der ProzeB des internationalen Geldumlaufs wickelt sich also meistens durch Vermittlung der Industrielander ab. Durch ihre Vermittlung wickelt sich aber auch der VerteilungsprozeB neu produzierter Edelmetalle ab. Fur die Lander, welche Gold und Silber produzieren, stellen Gold und Silber Exportwaren dar, welche sie auf Grund des Gesetzes der komparativen Kosten im Austausch gegen andere Produkte ausfuhren. Ein Land muB also imstande sein, eine grofie Giitermenge auszufuhren, d. h. mit Landern, welche Edelmetall produzieren, in unmittelbaren bestandigen Handelsbeziehungen stehen, um von ihnen eine groBe Menge Edelmetalle einfuhren zu konnen. 1 Als Produzenten von Manufakturwaren fuhren vor allem die Industrielander eigene Produkte aus, welche meistens von den Edelmetall produzierenden Landern nachgefragt werden. Da sie ferner die groBen Welthandelszentren sind, sind sie in der Lage, ihnen eine unendliche Reihe anderer Erzeugnisse zu liefern. Sie haben also die Moglichkeit, mit den Edelmetall produzierenden Landern dauernde Handelsbeziehungen aufrechtzuhalten. Und vor allem aus diesem Grunde werden sie dann zum Welteinfuhrund damit Weltverteilungszentrum der Edelmetalle. 2 Es spielen hiefiir aber auch andere Grunde mit. Ehe Gold und Silber industriellen oder monetaren Zwecken zugefuhrt werden, sind sie Waren wie andere auch. Es ist also natiirlich, daB sich ihre verfiigbaren Reserven, ebenso wie dies bei jeder beliebigen anderen Ware der Fall ist, in denjenigen Landern 1 FANNO, La moneta, le correnti monetarie e il riordinamento della circolazione nei paesi a finanze dissestate, Turin 1908, S. 114. 2 LORIA, II valore della moneta, in: Biblioteca degli Economists, Reihe IV, Bd. V I , S. 35.
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konzentrieren, in denen ihre Finanzierung am billigsten ist, also in den Industrielandern. Und so werden diese Lander, die bereits die Welthandelszentren fur andere Waren sind, auch zu den Zentren des Welthandels in Edelmetallen. 1 Sobald die Edelmetalle in die Industrielander kommen, flieBen sie dem freien Gold- und Silbermarkt zu und ihr Preis sinkt. Ihre Preissenkung regt aber das Publikum an, Metall zur Miinze2 und zu den Emissionsbanken zu tragen, um dafiir Geld und Noten einzutauschen, und gleichzeitig regt sie die Emissionsbanken an, Metalle zu kaufen, um ihre Reserven zu starken. So tritt ein Teil des eingefuhrten Goldes unmittelbar oder mit seinem Gegenwert in die Zirkulation ein und vergroBert den Faktor M unserer Gleichungen. Die Erhohung von M ruft aber in den Industrielandern eine Senkung des Diskontsatzes hervor; und da diese Senkung des Diskontsatzes die normalen Spannungen zwischen dem Diskontsatz dieser und der iibrigen Lander vergroBert, vergroBert sie den Strom kurzfristiger Anleihen von jenen zu diesen und verursacht dadurch eine Goldabwanderung aus den Industrielandern. Gleichzeitig ruft aber die Senkung des Diskonts in den Industrielandern, die dort die Preise in die H6he treibt, eine Vergrofierung ihrer Giiter- und Effekteneinfuhr hervor. Damit bezahlen die anderen Lander ihre Goldeinfuhr aus den Industrielandern. So wird der Goldausgang aus den Industrielandern, der anfanglich auf Grund von Anleihen nur fur kurze Frist erfolgte, auf Grund von Handelstransaktionen, welohe den Anleihen folgen, zu einem endgiiltigen. Und diese Anwanderung setzt sich so lange fort, bis die neuen Metalle unter die verschiedenen Lander nach dem angegebenen Gesetze verteilt sind und das — durch ihr Zustromen in die Industrielander gestorte •— Internationale monetare Gleichgewicht wiederhergestellt ist. 5. Aus dem Vorhergehenden ergeben sieh aber noch weitere wichtige Folgerungen. Die Agrarlander und die in Ubergang befindlichen Lander suchen bei den Industrielandern nicht nur gelegentlich von Geldanspannungen um Anleihen an, sondern auch dann, wenn sie sich die umlaufenden Kapitalien, deren sie bediirfen, zu verschaffen wiinschen. Alle diese Bediirfnisse befriedigen die Industrielander zunachst, wie wir sahen, dadurch, daB sie den Anleihe nehmenden Landern zum groBten Teil Giiter uberweisen. Diese Giiter, deren Geldgegenwert die Anleihe gebenden Lander den Anleihe nehmenden fur die ganze Laufzeit des Kredits uberlassen, stellen eben die zirkulierenden Kapitalien dar, welche sich die letzteren mittels der Anleihe verschaffen. 1 Da die Industrielander im allgemeinen einen niedrigen ZinsfuB haben, ergibt sich aus den Erwagungen des Textes folgender Grundsatz: daB die Edelmetalle zwar die Tendenz zeigen, voriibergehend denjenigen Landern zuzuflieBen, welche ihre Diskontrate erhoht haben, daB sie aber normalerweise die Tendenz zeigen, sich mit Vorliebe in denjenigen Landern zu sammeln, welche einen niedrigen ZlnstuB und daher eine niedrige Diskontrate haben. (Eine Andeutung dieses Grundsatzes findet sich bei: DEL, VECCHIO, Teoria dell' esportazione dei capitali, in: Giornale degli Economisti, Aug. 1910, und neuestens in seinen Grundlinien der Geldtheorie, Tubingen 1930, S. 151.) 2 Dies gilt tiir Lander mit Goldstandard. Heutzutage aber, da die Golddevisenwahrungen vorherrschen und die Munzpragung dem Publikum verschlossen ist, tragen die neu eingefuhrten Edelmetalle nur insoweit zur VergrbBerung von M bei, als sie die Vorrate der Emissionsbanken verstarken.
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Da in den Industrielandern von alien Teilen der Welt nach Anleihen nachgefragt wird, ist es bei ihnen anderseits auch leichter als anderswo, fliissiges Geld anzubringen. Daher pflegen Banken, welche vorubergehend Gelder flussig haben, anstatt sie unverwendet bei sioh liegen zu lassen, sie oft an die Banken der Industrielander zu iiberweisen. Diese bedienen sich der Gelder, um damit den anderen Landern neue kurzfristige Anleihen zu gewahren. Auf diese Weise iiben sie ihre Funktion als Weltbankiers aus. Durch die voriibergehende Uberweisung der gerade verfiigbaren Gelder an die Banken der Industrielander schaffen aber die Banken der ubrigen Lander die Bedingungen, welche fur ein Zustromen von Giitern aus den letzteren in die Industrielander guns tig sind. Und die Banken der Industrielander lenken durch Verleihung dieser Betrage an andere Lander den Guterstrom nach diesen Landern um. 1 Demnach stellen die Industrielander kraft ihrer Funktion als Weltbankiers den Landern, welche danach Bedarf haben, vorubergehend nicht nur einen Teil ihrer eigenen Produktion, sondern auch einen Teil der Produktion anderer Lander zur Verfiigung. Diese Funktion schafft jedoch, wie wichtig und grundlegend sie auch sei, fur die Lander, welche sie ausuben, eine heikle Lage. Infolge dieser Funktion sind namlich die Industrielander normalerweise auBer mit einer betrachtlichen Masse kurzfristiger Kxedite, auch mit einer betrachtlichen Masse kurzfristiger Schulden an das Ausland gebunden; ihre Zahlungsbilanz ist daher standig unvorhergesehenen starken Veranderungen ausgesetzt. Aber infolge der besonderen Struktur ihrer Wirtschaft sind sie, wie wir sahen, gewohnlich in der Lage, dariiber verhaltnismaBig leicht hinwegzukommen, und zwar insbesondere infolge der gegenseitigen Kompensation auslandischer Schulden und Anleihen, welche automatisch eintritt, wenn ein Teil der Anleihen plotzlich zuriickberufen wird. Und so verfugen die Industrielander, welche durch eine Haufung giinstiger Umstande dazu bestimmt sind, als Weltbankiers zu fungieren, gewohnlich iiber die Mittel, um gegen alle Zwischenfalle, die aus dieser ihrer Funktion entstehen mogen, rasch und wirksam vorkehren zu konnen. 6. Damit sind die Struktur des internationalen Geldmarktes und seine grundlegenden Funktionen umschrieben. Der internationale Geldmarkt besteht in der Zusammenfassung der Geldmarkte der einzelnen Lander; seinen Mittelpunkt hat er in den Markten der Industrielander. Und infolge dieser seiner zusammengesetzten Struktur wird ein betrachtlicher Teil seiner Tatigkeit durch diese einzelnen Lander und iiber sie ausgeiibt. Die Lander, welche Mangel an zirkulierenden Kapitalien haben, verschaffen sie sich, wie wir sahen, durch kurzfristige Anleihen bei den Industrielandern. Auf diese Weise entsteht eine Masse kurzfristiger 1 Bezilglich des genaueren Mechanismus, mittels welchen bei dem heutigen Aufbau der Banksysteme die Uberweisungen verfilgbarer Gelder von den Banken eines Landes an jene eines anderen Landes die Bedingungen vorbereiten, miter denen sich der Zustrom von Giitern aus jenem Lande in dieses giinstig entwickeln kann, siehe: VINER, a. a. O., S. 182 u. ft.
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Kredite zwischen Land und Land, die zwar in ihrem Betrag schwankt, aber immer vorhanden ist. Mittels dieser Kredite werden die zirkulierenden Kapitalien, welche in einigen Landern in UberfluB vorhanden sind, anderen Landern iiberwiesen und bleiben so lange zu deren Verfugung, bis die Kredite zuriickberufen werden. Werden sie aber aus bestimmten Landern zuriickberufen, so werden sie sodann oft anderen iiberwiesen, wobei sicb die Betrage nicht immer decken miissen. Das Volumen der internationalen kurzfristigen Kredite schwankt daher nicht bloB standig, sondern es wird auch standig zwischen den einzelnen Landern neu verteilt. Bei jeder Veranderung ihres Volumens und ihrer Verteilung verandern sich Volumen und Verteilung der zwischen den verschiedenen Landern zirkulierenden Kapitalien. Daher erfiillt der internationale Geldmarkt vor allem folgende Funktion: fur die Verteilung und standige Umverteilung der verfiigbaren, zwischen den verschiedenen Landern zirkulierenden Kapitalien im Verhaltnis zu dem jeweiligen Bedarf eines jeden zu sorgen. Er erfiillt aber auch noch eine andere Funktion. Die verschiedenen Lander wenden sich, wie wir sahen, um Anleihen an den internationalen Geldmarkt, so oft bei ihnen aus irgendwelchen Griinden eine Geldknappheit entsteht, welche eine internationale Neuverteilung der Edelmetalle notig macht. Die kurzfristigen Anleihen, welche sie bei derartigen Gelegenheiten aufnehmen, stellen sofort diese Neuverteilung her. Da diese aber eben mittels Anleihen hergestellt wird, hat sie zunachst den Charakter des Voriibergehenden. Anderseits hat jede nach einer bestimmten Richtung vorgenommene Geldubertragung, die einer wirklichen Gleichgewichtsstbrung entspringt, eine in umgekehrter Richtung gehende Ubertragung von Giitern und Effekten im Gefolge. Und mit dieser Ausfuhr begleichen die Schuldnerlander ihre Schulden. Daher wird die internationale Verteilung der Edelmetalle, die mit Hilfe des Geldmarktes erfolgt und zunachst voriibergehenden Charakter hat, schlieBlich zu einer endgiiltigen. J e schleuniger anfangs die Geldubertragung vor sich geht, um so schleuniger geht die darauffolgende Giiter- und Effekteniibertragung in umgekehrter Richtung vor sich. Da also der internationale Geldmarkt die unverziignche Ubertragung von Geld von Land zu Land herbeifiihrt, beschleunigt er die Giiter- und Effekteniibertragungen in umgekehrter Richtung und beschleunigt damit die Riickkehr zum internationalen monetaren Gleichgewicht. Auf Grund alles dessen iibt der internationale Geldmarkt ferner folgende zweite Funktion aus: Beim Auftauchen monetdrer Gleichgewichtsstorungen unverzuglich durch lcurzfristige Anleihen, also provisorisch, eine den neuen Gleichgewichtsbedingungen entsprechende internationale Verteilung des Goldes herbeifiihrt, bis in der Folge umgekehrte Ubertragungen von Giitern und Wertpapieren stattfinden und die neue Verteilung des Goldes dadurch endgultig und ein endgultiges und vollstdndiges neues Gleichgewicht hergestellt wird. Mit einem Wort, er ist der regelnde Mechanismus, dank welchem die sich immer erneuernden internationalen monetaren Gleichgewichtsstorungen ohne Verzug beseitigt werden und das von uns angegebene Gesetz der Ver-
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teilung der Edelmetalle ohne Verzug verwirklicht wird. Und da die Industrielander die Hauptorgane des internationalen Geldmarktes sind, so sind im wesentlichen sie es, welche in der Weltwirtschaft die beiden angefiihrten Funktionen ausiiben. 7. Unter alien Industrielandern war es wahrend des X I X . Jahrhunderts und bis zum Ausbruch des Weltkrieges England, welches die Funktion des Weltbankiers ausgeubt hat. Deutschland war in einem raschen und bewundernswerten industriellen Aufschwung begriffen, welcher es zu ungeheuren Immobilisierungen zwang, und bewegte sich in fast ununterbrochener Geldanspannung, die es ihm verbot, seinen Geldmarkt den anderen Landern zur Verfiigung zu stellen. 1 Frankreich mit seinem wenig entwiekelten Handel und der Tendenz seines Sparkapitals, langfristige Anlagen aufzusuchen, wies seinen Metallvorraten den Charakter eines stagnierenden und nicht den eines beweglichen Fonds an und es verteidigte seine eifersiichtig bewachten Metallvorrate mit einer Goldpramienpolitik, welche es auBerhalb der groBen Geldbewegungen der Erde stellte; 2 hingegen war England mit einer mehr als ein Jahrhundert alten Industrie ausgeriistet, verfugte iiber den ausgedehntesten Handel, iiber eine erstaunliche Akkumulationsfahigkeit, welche es ihm erlaubte, immer ungeheure Kapitalien fliissig zu haben, iiber eine betrachtliche Masse fluktuierender und leicht verkauflicher Effekten und einen vollkommenen Bankapparat, und besaB daher mehr als andere Lander die notwendigen Voraussetzungen, um als Geld- und Bankmittelpunkt der Erde und als Sammel- und Verteilungsmittelpunkt der Edelmetalle zu fungieren. Es iibte denn auch diese Funktion unbestritten durch mehr als ein Jahrhundert aus. DaB es die angegebenen Umstande waren, welchen England diese bevorzugte Stellung verdankte, wird durch die Tatsache erwiesen, daB auch seine Geld- und Bankposition ersehuttert zu werden begann, sobald diese Umstande allmahlich wegfielen. Da sich zuerst Deutschland, spater Japan, die Vereinigten Staaten und andere Lander aus Agrar- in Industrielander verwandelt hatten, ging Englands Industriemonopol nach und nach verloren. Und die kritische Lage seiner Industrien, welche bereits vor dem Kriege latent war, wurde seit dem Kriege zu einem dauernden Zustand. 3 Als seine industrielle Vorherrschaft vorbei war, biiBte es auch seine vorherrschende Position im Welthandel ein, und da es nicht mehr das einzige Land ist, welches fahig ist, aktive Handelsbeziehungen zu den Gold produzierenden Landern aufrechtzuerhalten, begegnet es ungeheueren Schwierigkeiten bei der Erhaltung seiner Position als Sammel- und Ver1 German Finance and Banking, in: The Economist (London), 30. Nov. 1907, S. 2077; RUPPKL, Kleine Reichsbanknoten, Leipzig 1908, S. 89/90; RAFFALOVICH, La Banque Allemande et la crise, in: Economiste Francais, 6. Sept. 1902, S.317; PRATO, Le screpulature del granito tedesco, in: La Riforma Sociale, 1914, S. 900 u. 11.; WITHERS, The meaning of money, London, S. 86. 2 RAYNAUD, La balance du commerce en 1905, Revue politique et Parlamentaire, 10. Juni 1906, S. 537/538; SNYCKERS, La Reichsbank et la Banque de Fiance, Paris 1908, S. 99. 3 CLARK, Statistical studies of the present economic position of Great Britain, in: The Economic Journal, Sept. 1931, S. 344.
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teilungsmittelpunkt des gelben Metalls. 1 Infolge der chronischen Krise seiner Industrie und seines Handels ist seine Sparfahigkeit bedeutend verringert und seine Zahlungsbilanz laBt fur Investitionen im Ausland nur mehr einen kleinen Spielraum, 2 so daB die in den letzten Jahren in London ausgegebenen in- und auslandischen Wertpapiere, wie maBgebende Fachleute behaupten, zu gutem Teil mit auslandischen, auf Sicht riickziebbaren Bankeinlagen finanziert wurden; 3 dies hat eine heikle und gefahrliche Lage firr den englisehen Wertpapier- und Geldmarkt geschaffen und erschwert immer mehr die Aufgabe der Bank von England, ihre Reserven und die Wertbestandigkeit des Pfund Sterling zu verteidigen. 4 Aus all diesen Griinden ist England trotz des bewundernswerten technischen Apparates seines Banksystems im Begriffe, auch als monetarer Mittelpunkt der Welt an Boden zu verlieren. Und wenn auch die MaBnahmen des 21. September 1931 (zeitweise Aufhebung des gold bullion standard) ohne Zweifel auf die auBergewohnlichen Umstande des Augenblicks (Deutschlands Moratorium und Einfrieren der englisehen Bankkredite an die deutschen Banken) zuriickzufuhren waren, so stellen sie doch nichts anderes dar als die akute Phase eines vieljahrigen Entwicklungsganges, welcher dahin geht, die Grundlagen der englisehen Vorherrschaft zu unterwuhlen und zugleich mit der politischen, maritimen und wirtschaftlichen Vorherrschaft die monetare Vorherrschaft der Welt auf andere Lander zu ubertragen. 5 8. Die Ergebnisse, zu welchen wir beziigiich der Wirkungsweise und der Funktionen des internationalen Geldmarktes gelangten, gelten naturlich nur in bezug auf die von uns vorausgesetzten Bedingungen und finden daher in der Wirklichkeit nur insoweit ihre Bestatigung, als diese den wirklichen Bedingungen entsprechen. Die von uns vorausgesetzten Bedingungen, welche der Leser leicht selbst herausgefunden haben wird, sind, um nur die wichtigsten hervorzuheben, die folgenden: 1. daB die zusammen den internationalen Geldmarkt bildenden Lander hohen Kredit genieBen, alle eine stabile Wahrung besitzen und daher ohne Schwierigkeit wann immer es notwendig ist lang- und kurzfristige Anleihen aufnehmen konnen; 2. daB die Anleihe nehmenden Lander die 1 EINZIG, Recent changes in the London gold market, in: The Economic Journal, Marz 1931, S. 61—67. 2 KINDEHSLEY, A new study of British foreign investments, in: The Economic Journal, Marz 1929, S. 23. 3 K E Y N E S , The British Balance of Trade, Economic Journal, Dez. 1927, S. 557. * Um ihre Reserven verteidigen zu konnen, ist die Bank von England genbtigt, ihren Diskontsatz holier zu halten als andere Lander; dadurch schadigt sie aber ihre Industrien und gefahrdet Englands Stellung als monetaren Mittelpunkt der Welt. (EINZIG, a. a. O., S. 66.) 5 DaB sich als unvermeidliche Folge der Evolution der Weltwirtschaft die Industrien in den einzelnen Landern entwickeln und ausbreiten miissen, daB die Weltwirtschaft dazu bestimmt sei, sich in ein System teilweiser geschlossener Wirtschaften zu verwandeln, und daB infolge aller dieser Umstande die wirtschaftliche Stellung Englands tief erschtittert werden musse, wurde von uns in unmiBverstandlicher Weise bereits 1906 behauptet. (Siehe: FANNO, L'espansione commerciale e coloniale degli Stati Moderni, Turin 1906, Teil I, Kap. VII, S. 85, und Teil III, Kap. X, S. 451—496.) Und daB England als Folge des Verlustes der industriellen Vorherrschaft steigenden Schwierigkeiten bei der Erhaltung seiner Position als Sammel- und Verteilungsmittelpunkt der Welt fiir Edelmetalle begegnen musse, haben wir ebenfalls bereits 1908 behauptet. (FANNO, La moneta usw., Turin 1908, S. 128.)
Die reine Theorie des Geldmarktes.
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von den anderen erhaltenen kurzfristigen Anleihen fur leicht realisierbare Investitionen (als zirkulierendes Kapital) verwenden, um sie ohne Schwierigkeit im angemessenen Augenblick zuriickzahlen zu konnen; 3. daB die inlandischen und auslandischen Wertpapiere von den verschiedenen Landern auBer als Mittel fiir Kapitalsanlagen als internationales Zahlungsmittel (strumento di saldo internationale) verwendet werden; 4. daB das Gold, die Giiter, und die Wertpapiere von den verschiedenen Landern frei ein- und ausgefiihrt werden diirfen; und 5. daB die Emissionsbanken der versohiedenen Lander ihre Reserven voll ausniitzen, also keine Politik der Goldthesaurierung und -sterilisierung treiben und daB daher jede Veranderung der Reserven von einer proportionalen Veranderung des Notenumlaufs gefolgt werde. Es ist klar, daB bei Fehlen einer oder einiger oder aller dieser Bedingungen der internationale Geldmarkt nicht mehr in der angegebenen Weise ablauft und seine Funktionen nicht mehr erfiillt. Wenn vor allem tatsachlich einigen Landern wegen Unbestandigkeit ihrer Wahrung oder aus anderen Griinden bei der Ge wahrung kurzfristiger auslandischer Anleihen Schwierigkeiten bereitet werden, so wird ihnen in diesem Ealle das geschmeidigste Mittel internationalen Zahlungsausgleichs fehlen; und sie werden einen Teil des etwaigen Ausfalls in ihrer Zahlungsbilanz dadurch wett machen miissen, daB sie sofort mehr Gold ausfuhren als dies sonst notwendig gewesen ware. Und wenn dann zu gleicher Zeit infolge des MiBtrauens des Publikums in sie auch ihre Wertpapiere nicht in ausreichendem Mafie als internationales Zahlungsmittel verwendet werden konnen, wird ihre Goldausfuhr noch groBer sein miissen, weil dann nur mehr Giiter als endgiiltiges Zahlungsmittel auftreten konnen und ein betrachtlicher monetarer Druck. notwendig ist, auf daB sich ihre Ausfuhr entsprechend vergroBere. Und wenn schlieBlich infolge des Bestehens oder der Neuaufrichtung stark protektionistischer Zollschranken auch dem internationalen Giiterumlauf Hindernisse entgegengestellt werden, und daher Giiter nur dann im gebotenen AusmaBe ausgefiihrt werden konnen, wenn sie stark im Preise fallen, so muB in diesem Falle ein etwaiger Ausfall in der Zahlungsbilanz zum groBen Teile durch Goldausfuhr wettgemacht werden. Das Gold ist nicht mehr subsididres internationales Zahlungsmittel, sondern es wird zum Jiauptsachlichen internatioTialen Zahlungsmittel. Die Lage kann dann leicht kritisch werden. Das MiBtrauen des Publikums zu den Wertpapieren, welche deren Verwendbarkeit in der internationalen Verrechnung beschrankt, beschrankt namlich meistens auch deren Verwendbarkeit als Mittel fiir die internationale Anlage der Ersparnisse. Die Lander, welche normalerweise Kapital ausfuhren und deren Zahlungsbilanz noch auf diese Ausfuhr zugeschnitten ist, werden dann, da sie sie nicht durch Einfuhr von Wertpapieren ausgleichen konnen, eine gewisse Zeit hindurch Gold einfuhren miissen; und um das Gold aufbewahren zu konnen, werden sie es thesaurieren miissen; dies hat zur Folge, daB die Metallvorrate der iibrigen Lander geschwacht werden und daB sich die normale internationale Ver-
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teilung dieses Metalls von Grund auf verandert. 1 Das Gold, das zum hauptsachlichen internationalen Zahlungsmittel geworden ist, wird dann auch zum Investitionsmittel fiir Ersparnisse und somit zum Mittel fur Internationale Kajritalsiibertragung. Und diese seine neue Funktion kann wesentlich zur Verscharfung der Lage beitragen. Denn wenn aus fiskalischen oder anderen Grunden, aber ohne Zusammenhang mit den internationalen Kapitalsbewegungen, unvorhergesehene Kapitalstibertragungen vorkommen, auf welche die Zahlungsbilanz der betreffenden Lander nicht vorbereitet war oder auf welche sie sich nicht sofort einstellen kann, dann muB auch. fiir diese zufalligen Kapitalsubertragungen mit Gold aufgekommen werden; und die Goldbewegung von einem Lande zum anderen kann derartige Ausdehnungen und eine derartige Geschwindigkeit annehmen, daB sie eine andauernde Gefahr fiir die Geldstabilitat der Welt wird. Solange die internationalen Goldverschiebungen selten sind und sich in bescheidenen Grenzen bewegen, kann das Gold freilich gleichzeitig und ohne Schwierigkeit die beiden Funktionen: inlandische Kreditunterlage, und internationales Zahlungsmittel, erfullen. Sobald aber infolge des Zusammenwirkens der oben angegebenen Umstande die internationalen Goldverschiebungen bedeutend werden und ohne Ordnung vor sich gehen, sind die beiden Funktionen nicht mehr miteinander vertraglich und vereinbar, weil nicht ein und dasselbe Gold standig von einem Lande ins andere iibertragen werden und gleichzeitig die solide Kredit- und Zirkulationsgrundlage eines bestimmten Landes bilden kann. Diese zweite Funktion muB friiher oder spater den gebieterischen Notwendigkeiten der ersten geopfert werden. Die inlandische Zirkulation vieler Lander kann sich also unversehens in die Notwendigkeit versetzt sehen, sich vom Golde zu trennen. Und zwar kann dies sogar den Industrielandern geschehen, die normalerweise mit den notigen Mitteln zur Verteidigung ihrer Reserven versehen sind, wenn namlich die von ihnen gewahrten kurzfristigen Anleihen von den Anleihe nehmenden Landern nicht fiir leicht losbare Zwecke verwendet, sondern 1 Die Thesaurierung, welche auf eine Sterilisierung des Goldes hinauslauft, fuhrt zu den im Texte angegebenen Folgen, weil sie einen Teil der ausgleichenden Krafte unwirksam macht. Das Gold sterilisieren bedeutet fiir die Emissionsbanken wachsende Reserven anzuhaufen, ohne das Zirkulations- und Kreditvolumen im gleichen Verhaltnis zu steigern. Die Riickwirkungen der Erhohung der Reserven auf die Preise und die Zahlungsbilanz, welche dahingehen, die uberflussigen Reserven zur Abwanderung zu bringen, bleiben also aus. Die thesaurierenden Lander konnen daher in der Anhaufung des Goldes unbegrenzt fortfahren. Das Gesetz der internationalen Verteilung der Edelmetalle in bezug auf das internationale monetare Gleichgewicht gilt nicht mehr, und es sind die ungleichmaBigsten Verteilungen des Goldes auf die verschiedenen Lander moglich. Eine Politik der teilweisen Sterilisierung des Goldes wurde von den Vereinigten Staaten von Amerika seit 1915 und von Frankreich seit 1926 verfolgt und das Ergebnis bestand darin, daC zwei Fiinftel des Weltgoldes in diesen beiden Landern angehauft wurden. AFTALION hat vor kurzem geleugnet, daB die Vereinigten Staaten und Frankreich das von ihnen eingefiihrte Gold thesauriert hatten (AFTALION, L'or et sa distribution mondiale, Paris 1932); seine Auffassung wird aber durch die Tatsachen widerlegt; denn (abgesehen von den anderen Einwendungen, welche man gegen seine Darlegungen leicht finden kann) wurde das Vorhandensein von mehr als einer Milliarde Dollar sterilisierten Goldes bei den Federal Reserve Banken der Vereinigten Staaten in den auBerordentlichen MaBnahmen, welche 1931 vom Prasidenten HOOVER vorgeschlagen und vom KongreB angenommen wurden, offiziell zugegeben; und diese gingen eben darauf aus, die Schaden der Wirtschaftskrise durch Nutzbarmachung der sterilisierten Dollars zu Kreditzwecken zu mildern.
Die reine Theorie des Geldmarktes.
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immobilisiert wurden; denn da in diesem Falle die Geldmarkte dieser Lander aufhoren, als Ausgleichsinstanz zu wirken, was auf der automatischen ELompensation von Auslandsschulden gegen Auslandsforderungen beruhte, konnen sie sich, da sie unaufhorlichen Goldriickziehungen ausgesetzt sind, unversehens vor der Unmoglichkeit sehen diesen nachzukommen und daher in Zahlungsstockungen geraten. 1 Und ihre Zahlungsstockung kann sich auf den Welt-Geldmarkt ausbreiten. So oft sich also einige oder alle Bedingungen, welche wir unserer Theorie voraussetzungsweise zugrunde gelegt hatten, nicht erfiillen, hort der internationale Geldmarkt, wie wir sehen, auf, in der von uns angegebenen Weise zu wirken und seine grundlegenden Funktionen auszutiben. Die unserer Theorie zugrunde gelegten Verhaltnisse sind ungefahr die in der Weltwirtschaft vor dem Weltkrieg vorherrschenden und sie werden sich hoffentlich in einer nicht zu fernen Zukunft wieder einstellen. Die soeben betrachteten Verhaltnisse sind hingegen, wie dem Leser sicherlich bekannt ist, diejenigen, welche sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit herausbildeten und gegenwartig noch andauern. Da also die gegenwartige Geldsituation der Welt zeigt, welches die Folgen der Geldunordnung, des mangelnden Funktionierens einiger der allerwesentlichsten internationalen Zahlungsmittel und der teilweisen Lahmung des WeltGeldmarktes sind, spricht sie nicht gegen, sondern vollauf fur unsere Theorie.
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1 Der Leser hat zweifellos erraten, da£S wir im Texte auf die Lage anspielen, welche in England im Sonimer 1931 infolge Deutschlands Unfahigkeit entstand, seine kurzfristigen Schulden den englischen Banken zuriickzuzahlen, weil Deutschland die Betrage anstatt zur Wiederherstellung seines zirkulierenden Kapitals zur Vervollstiindigung und VergroBerung seiner industriellen Anlagen verwendet hatte.
Beitrage zur Geldtheorie.
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Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. Von M. W. HOLTROP, Ijmuiden (Holland). (Aus d e m Hollandischen u b e r s e t z t v o n D r . E R I C H SCHIIT?, Wien.)
Inhaltsubersicht.
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E r s t e s H a u p t s t i i c k . Problemstellung 118 I. Das Wesen des Geldes. Die wesentliche Punktion des Geldes u n d der Geldbegriff (118). D a s Geld ist als eine Anweisung (118) u n d nicM als ein wirtschaftliches Gut (119) aufzufassen. II. DieKaufkraft desGeldes. DasPreisniveaualsKechengrofle (119). D a s Problem der Kaufkraftund der Kaufkraftveranderungen (120). Anwendung der Grenznutzenlebre auf das Geld durch MISES (120) und GEEIDANUS (120). Unanwendbarkeit der Grenznutzenlebre (121). Wesen der Quantitatstbeorie (122). Anwendung der Quantitatstbeorie durcb P I G O U (122), P I S H E E (123) u n d SCHUMPETEE (123).
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III.
SchluBfolgerung (124). Die Kaufkraft des Geldes bestimmt durcb das quantitative Verhaltnis zwischen Geld- u n d Guterstrom (125). Das Problem der Umlaufsgeschwindigkeit. Die Zusammensetzung des Geldstroms (126). VeranderungenindemUmfangdesGeldstroms, welcbe nicbt die Polge von Veranderungen in der Geldmenge sind, werden als Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit bezeicbnet (127). Definition des Begriffes Umlaufsgeschwindigkeit (128). Der Differenzierungskoeffizient (129). Die Effektivitat des Geldes (130) und ibre Beziehung zur Umlaufsgeschwindigkeit (131). Das Problem der Kassenbaltung (131). Der statiscbe u n d der dynamiscbe Kassenvorrat (132).
Z w e i t e s H a u p t s t i i c k . Die Intensitat der Vermogensausnutzung als bestimmender Faktor der Umlaulsgeschwindigkeit 133 I. Die Kassenhaliungsfrage als Finamierungsproblem. Der Kassenvorrat als unverwendetes Vermogen u n d unverwendetes Einkommen (133). Begriff der Pinanzierung (134) u n d des Vermogens (135). D a s sogenannte ,,Bediirfnis" nach einem Kassenvorrat (135). Der Kassenvorrat eine Polge der Unmoglicbkeit die Vermogensversorgung genau den Scbwankungen des Vermogensbedarfes anzupassen (136). II. Die Ursachen des scJiwankenden Vermogensbedarfes. Der Umlauf der Guter durcb die Produktionswirtschaft bindurch (138). H I E F E E DINGS Formel (138). Die fiinf Ursachen von Scbwankungen im Ge8*
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samtbetrag der Aktiva (139): 1. Die diskontinuierliohe Veranlagung bei kontinuierlichem Freiwerden der Mittel (140); 2. Die kontinuierliche Veranlagung bei diskontinuierlichem Freiwerden (141); 3. Die Saisonerzeugung (143); 4. Der Saisonverbraueh (143); 5. Die Veranderungen in dem Betriebsumfang (144). Die Ausgleichung der Schwankungen innerhalb desBetriebes (144). EinfluB vonDifferenzierung (144) u n d Integrierung (145). Wechselseitiger Zusammenhang zwischen den Schwankungen bei den verschiedenen Wirtschaften (145): Gegenlaufige Schwankungen (146) u n d mitlaufige Schwankungen (146), Moglichkeit einer ubrigbleibenden gesellschaftlichen Schwankung (147). Bedeutung der nicht zu den produzierten Gutern gehorigen Aktiva (147). Art und Form des Angebotes von Mitteln auf dem KreditmarM. Die angebotenen Mittel entspringen entweder dem Sparen (148) oder der Geldschopfung (148). Horten (148) u n d ,,erzwungenes Sparen" (149). Die Formen des Kreditangebots (149). Zusammensetzung von Kreditnaehfrage (150) u n d -angebot (151). TV. Die Bedeutung der verschiedenen Kreditformen fur die Anpassung des Vermogens an den weehselnden Bedarf. Das eigene Vermogen (151), das langfriatige Fremdvermogen (152). Der kurzfristige Kredit: die drei Formen des Lieferantenkredits (152), namlich der fixe Zahlungsaufschub(153), die Lieferung auf Rechnung(155) u n d d e r Abzahlungskredit (156). Der Abnehmerkredit (157). Die Geldmarktkredite (158). Der Bankkredit (158). Die Wirkung des Bankkredits, wenn die Bank nur als kreditvermittelnde (159) und wenn sie auch als geldschopfende Instanz auftritt (160). Die genaue Abgrenzung des Geldbegriffes (161). SchluBfolgerung: die optimale Intensitat der Vermogensausnutzung nicht erreichbar (163). V. Sonstige Faktoren, die die Anpassung des Vermogens an den weehselnden Bedarf beeinflussen. Die voriibergehende (163) und die dauernde (163) Anwendung zeitweiliger Vermogensubersehtisse im eigenen Betrieb. EinfluB des Zinsfufles (164) und der Erwartungen hinsichtlich des Preisverlaufs (164) auf die Intensitat der Vermogensausnutzung. Die Losung des Kassenhaltungsproblems (166).
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D r i t t e s H a u p t s t i i c k . Die Ursachen der Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und ihre Folgen 166 I. Die Folgen des Entstehens und Aufhorens von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva. Das Aufhoren von Schwankungen im Gresamtbetrag der Aktiva (167) muB im Zusammenhang betrachtet werden mit den mitlaufenden oder gegenlaufigen Schwankungen (168). E s fiihrt zu einem standigen Freiwerden von Vermogen (169), dem entweder von einer Verminderung der Geldmenge (169) oder eine Vermehrung von Aufwendungen (169) folgt, was beides eine Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit bedeutet. Das Entstehen von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva (170) gibt zu entgegengesetzten Erscheinungen AnlaB (171). II. Die Folgen einer Verdnderung des Ausmafies, in dem von kurzfristigem Kredit Gebraueh gemacht wird. Die Folgen eines Ubergangs zur Finanzierung mit kurzem Kredit (171). Moglichkeit einer Wechsel-
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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beziehung zwischen Geldmenge und Umlaufsgeschwindigkeit (172). Eine zeitweilige VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit moglich, ohne daB Vermogen permanent frei wird (173). III. Die Folgen einer Verdnderung des Ausmafies, in welchem Vermogensiiberschusse tm eigenen Betrieb verwendet werden. Die Folgen einer vorubergehenden (174) u n d einer dauernden Verwendung (174) zeitweilig verftigbarer Mittel. IV. Der angebliche Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Giiter. Die Auffassung, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes u n d die der Guter sich dauernd gegenseitig beeinflussen, ist falscb. (176); beide hangen nur durch den Differenzierungskoeffizienten zusammen (177). Die Ansicbt BUDGES (178). Ebensowenig besteht ein Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit u n d der Intensivitat der Ausnutzung des sozialen Kapitals (178), wie SCHULTZE-GAEVEENITZ (179) und F E I L E N (179) meinen.
Die Grofie der Umlaufsgeschwindigkeit und
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Viertes Hauptstiick. ihre Veranderungen
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V. Die Bedeutung der Verdnderungen in der Umlaufsgeschwindiglceit des Geldes fur das Preisniveau. Das AusmaB der preiserhohenden Wirkung einer Kaufkraftvermehrung (180) wird von der Intensitat der Vermogensausnutzung bei denjenigen Wirtschaften bestimmt, bei denen der Gesamtbetrag der Aktiva steigt und die freigewordene Geldmenge absorbiert wird (180).
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I. Die gegenwdrtige Grofie der Umlaufsgeschwindiglceit. Schwierigkeit der Feststellung (182). Umlaufsgeschwindigkeit u n d Effektivit a t (183). Statistische Daten beziiglich der Vereinigten Staaten (184), England (187), Danemark (187), Frankreich (188). Faktoren, welche heutzutage die GroBe des Kassenvorrates bestimmen (189). Die absolute GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit nicht von statischer (190), doch wohl von dynamischer Bedeutung (190). II. Die Sehwankung in der Effektivitdt des Geldes wdhrend des Saisonverlaufs. Die Saisonschwankung der Umlaufsgeschwindigkeit kein Fingerzeig fur Veranderung der Effektivitat (191). Letztere steht vielmehr im Zusammenhang mit der Geldschopfung an den Zahlungsterminen (192) und mit der regelmaBigen Saisonverknappung des Geldmarktes (192). III.
Die Sehwankung in der Effektivitdt des Geldes wdhrend des Konjunkturverlaufes. Die Daten D E S E S S A E S ' (194), B U R G E S S ' (194) u n d SNYDERS (195) bezuglich der Umlaufsgeschwindigkeit. Die Effektivitat wahrscheinlich nicht im selben AusmaB geandert (197). Die Ursachen der konjunkturellen Sehwankung der Effektivitat (198). Wesentliche Bedeutung dieser Sehwankung (201). TV. Die Effektivitdt des Geldes bei Inflation und Deflation. Die Zunahme der Effektivitat bei der Inflation in Deutschland (202) und Frankreich (203). Meinungsverschiedenheiten liber den Kausalverband der Erscheinungen (203). Die Auffassungen von VON BORTKIEWICZ u n d AFTALION (203). Die Ursachen der Veranderungen der Effektivitat bei Inflation und Deflation (204).
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V. Die sdkuldren Verdnderungen in der EffeMivitdt des Geldes. Das Pehlen statistischer Daten (205). Die Effektivitat hat nicht zugenommen, ist aber wahrscheinlich geringer geworden (206). Ursachen der Verringerung der Effektivitat (207). Die Entwicklung des Kreditwesens (208). Erstes
Hauptstiick.
Problemstellung. I. Das Wesen des Geldes.
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Von den verschiedenen Funktionen, die das Geld ausiiben kann, ist nur die Tausehmittelfunktion, oder, um einen Ausdruck zu gebrauchen, der firr die heutige Organisationsform der Wirtschaft die gemeinte Funktion besser charakterisiert, die Kaufmittelfunktion wesentlich. Wir betrachten daher als Geld die Gegenstande, die im Marktverkehr allgemein als Kaufmittel verwendet werden und dadurch ihrem Besitzer die Verfiigungsmacht iiber die auf dem Markte angebotenen Nutzleistungen verleihen. Als Geld sind auf Grund dieser Definition in erster Linie alle gesetzlichen Zahlungsmittel, in zweiter Linie alle Objekte zu betrachten, die, obwohl nicht gesetzliche Zahlungsmittel, doch allgemein angenommen werden, so die Noten der Umlaufsmittelbanken und schlieBlich, in den Landern, wo Zahlung durch Uberweisung gebrauchlich ist, alle Bankguthaben, auf welche Schecks gezogen werden konnen. Hinsichtlich dieser letzteren ist im Auge zu behalten, da6 solche Guthaben nicht notwendig in Gestalt von Kreditsaldi in den Biichern der Banken vorkommen miissen, sondern auch in einer von der Bank dem Kunden eingeraumten Dispositionsbefugnis, 1 die von ihm noch nicht ausgeniitzt wurde, bestehen konnen. Obwohl diese noch ausniitzbaren Kredite statistisch nicht zu erfassen sind, bilden sie, wenn und soweit die Verfiigung dariiber keiner einschrankenden Bestimmung unterliegt, einen ebenso wesentlichen Teil des Geldumlaufs wie die Depositen. 2 Als Wesen des Geldes betrachten wir im AnschluB an B B N D I X E N 3 und SCHUMPETER 4 seinen Charakter als Anweisung, und zwar nicht nur, wie B E N D I X E N es ausdruckt, als ein „durch Vorleistungen erworbenes Anrecht an der verkaufsreifen konsumtiblen Produktion.. . " , 5 sondern als eine Anweisung auf die am Markte angebotenen Waren und Dienstleistungen im allgemeinen. Die Versuche, dem Gelde seinem Wesen nach den Charakter eines 1
Siehe auch J . M. KEYNES, A Treatise on Money, London 1930, Vol. I, S. 41 ff. Siehe unten S. 161. F . BENDIXEN, Wesen des Geldes, III. Aufl., Milnchen 1922, S.27ff.; DERS., Geld und Kapital, III. Aufl., Jena 1922, S. 30. 4 J . SCHUMPETER, Das Sozialprodukt und die RechenpJennige, Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpol., 44. Bd., 1917/1918, S. 636. Siehe auch E. C. VAN DORP, Openbare les, Haarlem 1919, S. 24f., und die Buchbesprechungen Economist 1920, S. 577, und Economic Journal 1921, S. 243 H. 5 BENDIXEN, Wesen des Geldes, S. 30. 2 3
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wirtschaftlichen Gutes im Sinne MENGEBS 1 und BOHM-BAWERKS 2 zuzusprechen, d. h. eines Gegenstandes, dem die Wirtschaftssubjekte die Kraft zuerkennen, ihre Bediirfnisse zu befriedigen, halten wir fiix miBgliickt, da es sich einerseits zeigt, daB, insoweit das Geld tatsachlich ,,an sich" ein Bediirfnis befriedigt, etwa z. B. im Sinne eines Mittels zur Uberwindung der Unbequemlichkeiten des direkten Tausches, 3 dieses Bediirfnis durch das Vorhandensein der Institution „Geld" schon in vollem MaBe befriedigt wird, so daB es keine Grenze gibt, bei der die Bedurfnisbefriedigung in dieser Hinsicht abgebrochen wird und es daber aucb keinen Ankniipfungspunkt fiir eine Bewertung des Geldes auf Grund dieser Nutzleistung gibt, wahrend andererseits derNutzen des Geldes stets mit dem Nutzen der Giiter gleichgesetzt wird, die man fiir das Geld bekommen kann, 4 in welchem Falle aber von einer unabhangigen Bewertung des Geldes auf Grund seines eigenen Nutzens keine Rede mehr ist. Einiges ist von Bedeutung im Zusammenhang mit der Frage, worauf die Kaufkraft des Geldes beruht. Ware das Geld ein wirtschaftliches Gut, das von den Marktparteien als Mittel zur Befriedigung ihrer Bediirfnisse gewertet wird, dann konnte der Wert des Geldes aus den subjektiven Wertschatzungen erklart werden. Dies ist aber nicht der Pall. Die Grundlage der Kaufkraft des Geldes ist nur in seinem Charakter als Anweisung auf die am Markt angebotenen Nutzleistungen zu finden. DaB somit die Kaufkraft auf einer Eigenschaft beruht, die das Geld erst durch seine allgemeine Anwendbarkeit erhalt, die aber ihrerseits auf der Kaufkraft beruht, bedeutet nur scheinbar einen Widerspruch. Historisch h a t das Geld zweifelsohne seine Kaufkraft zuerst von seiner Eigenschaft als allgemein geschatztes Gut erhalten. Durch diese Eigenschaft wurde es auch allgemeines Kaufmittel und bekam als solches den Charakter einer Anweisung auf die Giiter. Sobald das Geld aufhorte selbst ein Gut zu sein, wurde aber der Anweisungscharakter die einzige Grundlage fiir seine Kaufkraft. Obwohl historisch eine sekundare Erscheinung, ist der Anweisungscharakter heute logisch primar.
II. Die Kaufkraft des Geldes.
Unter Kaufkraft oder Wert des Geldes verstehen wir die allgemeine objektive Geltung des Geldes auf dem Markt, wie sie im Preisniveau, d. h. im gewogenen Durchschnitt der zu einem bestimmten Preissystem gehorigen Preise, zum Ausdruck kommt. So definiert, ist der Begriff Preisniveau nur als eine FvechengroBe, eine Zahl aufzufassen. Ein derartiger gewogener Durchschnitt kann auf verschiedene Arten, welche zu verschiedenen Resultaten fuhren konnen, 1 2 3
K. MENGER, Grundsatze der Volkswirtschaftslehre, I I . Aufl., Wien 1923, S. 10 ff. EUGEN VON BOHM-BAWERK, Rechte und Verhaltnisse, Innsbruck 1881, S. 15ff. K. HELFFERICH, Das Geld, V. Aufl., 1921, S. 537; G. M. VERRIJN STUART, Inleiding
tot de leer der waardevastheid van het geld, 's Gravenhage 1919, S. 7. 4 K. HELFFERICH, 1. c. S. 544; L. MISES, Theorie des Geldes und der Umlaufmittel, Milnchen und Leipzig 1924, S. 87 u. tt.; G. M. VERRIJN STUART, De waarde van het geld, Haarlem 1922, S. 1611.
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berechnet warden, 1 ohne daB einer dieser Berechnungsmethoden ein absoluter Vorzug gegeben werden kann. Es ist namlich nicht richtig, zu meinen, daB es ein absolutes Preisniveau gibt, das auf andere Weise denn als eine Zahl zu definieren ware, und das durch die berechneten Preisniveaus nur mit groBerer oder geringerer Genauigkeit annahernd angegeben werden kann. Mit dem Begriff Preisniveau ist keine andere Vorstellung als die einer RechengroBe zu verbinden. Die Frage nach der GroBe der Kaufkraft des Geldes und nacb ihren Veranderungen bildet das Kernproblem der Geldtheorie. Die Versuche, diese Erage zu losen, gehen in zweierlei Bichtung, namlich die der Anwendung der Grenznutzenlehre auf das Geld und die der Anwendung der sogenannten Quantitatstheorie. Die Versuche, den Wert und die Wertveranderungen des Geldes mit Hilfe der Grenznutzentheorie zu erklaren, mussen, wie uns scheint, ohne Ausnahme als miBlungen betrachtet werden, und zwar auf Grund derselben Erwagungen, derentwegen wir dem Gelde die Eigenschaft eines wirtschaftlichen Gutes absprechen muBten. Auch MISES, einer der nachdriicklichsten Verfechter einer Anwendung der Grenznutzenlehre auf das Geld, kann nicht umhin, zu dem SchluB zu kommen, daB der absolute Wert des Geldes, anders als der der iibrigen Giiter, nur historisch zu erklaren ist. 2 Zur Erklarung der Wertveranderungen des Geldes geht er von einem Gleichgewichtszustand zwischen Geldvorrat und Geldbedarf aus, unter welch letzterem die Summe der Kassenhaltungsbedurfnisse der Wirtschaftssubjekte zu verstehen ist. 3 Wurde dieser Gleichgewichtszustand durchbrochen, dann miiBte eine Anderung des Grenznutzens des Geldes eintreten, die die Veranlassung zu einer Anderung des Preisniveaus ware. 4 Diese Denkfigur einer Verschiebung des Grenznutzens des Geldes gegeniiber demjenigen der Giiter ist aber gerade in M I S E S ' eigenem Gedankengang, wonach der Wert des Geldes ausschlieBlich auf seinem Charakter als Tauschmittel beruht, vollstandig ungereimt und in volligem Widerspruch zu seiner an anderer Stelle ausgesprochenen Ansicht, daB der Nutzen des Geldes mit dem Nutzen der fur das Geld zu beschaffenden Giiter identisch ist. 5 Diese letztere Auffassung ist unzweifelhaft richtig, aber damit ist dann auch ein Vergleich des Grenznutzens des Geldes mit dem der Waren ausgeschlossen. Diese beiden fallen notwendig zusammen. Auch den in neuester Zeit von dem Hollander GEEIDANUS unternommenen Versuch, den Wert und die Wertveranderungen des Geldes doch aus der subjektiven Wertschatzung einer besonderen Nutzleistung des Geldes zu erklaren — mit welchem Versuch wir uns noch einen Augenblick befassen wollen, weil er in so prinzipiellem Gegensatz zu dem von uns noch zu entwickelnden Gedankengang steht — halten wir trotz seiner Originalitat fur verfehlt. GREIDANUS meint, daB die Wirt1
Siehe IRVING FISHER, The purchasing power ot money, New York 1922, S. 418ff.
2
MISES, MISES, MISES, MISES,
3 4 6
1. 1. 1. 1.
c. c. c. c.
S. 86 ff. S. 112. S. 120. S. 75.
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schaftssubjekte ihrem Kassenvorrat einen besonderen Wert auf Grund der Tatsache beilegen, daB dessen Besitz sie instand setzt, die Giiter, die sie brauchen, gerade im giinstigsten Augenblick zu erwerben. Infolgedessen genieBen sie durch die Verfiigung iiber einen Kassenbestand als Produzenten ein Mehreinkommen und als Konsumenten eine GenuBvermehrung, welche die Grundlage fiir die Bewertung dieses Kasseniiberschusses darstellt. 1 Selbst wenn man die Bichtigkeit von GBEIDANTJS' Arbeitshypotbese anerkennen wiirde, ware zu bemerken, daB seine Erklarung einen wesentlich dynamischen Charakter hat und den Wert des Geldes in einem statischen Gleichgewichtssystem unerklart laBt. Denn nur fiir die Dynamik konnte die Bebauptung aufgestellt werden, daB die Erwerbswirtschaften durch den Besitz eines Geldvorrates imstande sein sollen, giinstige Gelegenheiten zum Ankaufe von Giitern auszuniitzen, was nichts anderes bedeuten kann als durch Ankauf unter dem Gleichgewichtspreis ein Extraeinkommen zu erzielen.2 I n der Statik kommen solche giinstige Gelegenheiten nicht vor. Zwar wird auch da eine Preisspanne zwischen den von den Produktionswirtsehaften gekauften und verkauften Giitern — d. h. zwischen den Giitern hoherer und niederer Ordnung — bestehen, aber nach der allgemein in Geltung stehenden Zinstheorie besteht diese Preisspanne ausschlieBlich aus dem Kapitalzins und es ist keinesfalls einzusehen, wie ein Teil dieser Preisspanne als Belohnung fiir die Haltung eines Kassemiberschusses abgesondert werden und dadurch als Grundlage fiir eine Erklarung des Geldwertes dienen konnte. Jedoch muB auch gerade die Bichtigkeit von GREIDANUS' Grundannahme, daB namlich der Besitz eines Geldvorrates notig sei, um die erwahnten giinstigen Gelegenheiten zum Giiterkauf auszuniitzen, bestritten werden. Notig ist dazu nur entweder der Besitz eigener liquider Mittel, z. B. der Besitz sofort falliger Geldforderungen, oder die Moglichkeit zur sofortigen Kreditbeschaffung, z. B. durch Verfiigung iiber belehnbare Werte. Der Besitz eines baren Geldvorrates ist aber ganz iiberfliissig und es kann also aus diesem Grunde auch kein AnlaB zu einer abgesonderten Bewertung desselben bestehen. Es liegt hier offensichtlich eine Verwechslung zwischen der Bewertung des Kapitaldienstes und der Bewertung des Geldes vor. Unsere SchluBfolgerung kann abschlieBend nur sein, daB die Grenznutzentheorie auf das Geld nicht anwendbar ist, und zwar deshalb, weil es nicht auBer der subjektiven Bewertung der Giiter auch noch eine davon abgeloste subjektive Bewertung des Geldes gibt. 3 Wir werden daher in unseren nachfolgenden Betrachtungen iiber die Frage der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes von der Betrachtungsweise der Quantitatstheorie ausgehen. Der Kern dieser Theofie liegt darin, daB ihrzufolge die Kaufkraft des Geldes durch das quantitative Verhaltnis zwischen GroBen bestimmt wird, die wir vorlaufig Geldangebot 1
GREIDANUS, The Value of Money, London 1932, S. 237 ff.
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GREIDANUS, 1. c. S.
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235.
Siehe auch SCHUMPETER, 1. c. S. 646.
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und Geldnachfrage nennen wollen. Bei oberflachlicher Betrachtung konnte man vielleicht meinen, daB damit kein besonderes Kennzeiehen der Wertbestimmung des Geldes gegeben ist, da doch schlieBlich auch der Wert der Waren durch das quantitative Verhaltnis zwischen Nachfrage und Angebot bestimmt wird. Das ist aber nicht richtig. B.ei den Waren kann man nicht sagen, daB ihr Wert durch das quantitative Verhaltnis von Nachfrage und Angebot bestimmt wird, da Nachfrage und Angebot keine von auBen gegebenen GrbBen darstellen, sondern selbst Funktionen des Wertes sind. Beim Geld ist das gerade nicht der Fall. Da das Geld an sich kein Gegenstand subjektiver Wertschatzungen ist, sind Geldnachfrage und Geldangebot keine Funktionen des Wertes, d. i. der Kaufkraft, sondern sie werden von auBen her durch andere Faktoren bestimmt. Das Angebot, das heiBt die in Umlauf gebrachte Geldmenge (z. B. durch die Willkiir der geldschaffenden Obrigkeit oder durch die Spannung zwischen Geldzins und naturlichem Zins, die zur Geldschopfung AnlaB gibt), und die Nachfrage, welche in dem Sinn von Gesamt,,bedarf" nach Kassenvorrat aufgefaBt werden kann, werden durch Faktoren bestimmt, welche wir noch naher kennenlernen werden. Das Wesen der Quantitatstheorie liegt also darin, daB ihrzufolge die Kaufkraft des Geldes durch quantitative Verhaltnisse bestimmt wird, die ihrerseits nicht wieder Funktionen der Kaufkraft sind. Bei den in der jiingeren geldtheoretischen Literatur vertretenen Ansichten uber die Quantitatstheorie treten zwei sehr verschiedene Typen derselben in den Vordergrund, wovon die eine mehr auf Erklarung der Kaufkraft des Geldes, die andere mehr auf Erklarung der Kaufkraftveranderungen ausgeht. Den erstgenannten Typus finden wir am klarsten bei PIGOTT, der die gesamte Geldmenge als in einem gegebenen Augenblick in den Kassen der Wirtschaftssubjekte ruhend betrachtet und sich fragt, was diese dazu bewegt, das Geld in der Kasse zu halten. 1 Hierauf gibt PIGOTT zur Antwort, daB das Publikum, sowohl fur seine eigene Bequemlichkeit, wie auch um gegen unerwartete Vorfalle gesichert zu sein, eine gewisse Menge wirklicher Kaufkraft in Geldform zur Verfugung zu haben wiinscht. Driickt man diese reale Kaufkraft als Wert von Getreide aus, dann kann eine Nachfragekurve nach Geld konstruiert werden und der Wert der Geldeinheit stent dann in umgekehrtem Verhaltnis zur Anzahl der Geldeinheiten, aus denen die gesamte Geldmenge besteht. Fur das Problem der GroBe der Kaufkraft des Geldes gibt die Formulierung PIGOUS eine sehr befriedigende Losung. Hinsichtlich des Problems der Kaufkraftveranderungen ist aber die Betrachtungsweise PIGOTJS weniger befriedigend, und zwar deshalb, weil es sich hier, zum Unterschied von dem statischen Problem der absoluten Kaufkraft um eine rein dynamische Frage handelt. Die Theorie der Kaufkraftveranderungen kann und darf sich nicht der Aufgabe entziehen, 1 A. C. PIGOU, The value of money. Quarterly Journal of Economics. Vol. X X X I I , Nov. 1917, Cambridge 1918, S. 41.
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den Mechanismus dieser Veranderungen deutlich zu machen. Daher mu8 sie notwendig einen Zeitverlauf in Betracht ziehen. Das t u t PIGOU jedoch nicht. Seine Formel hat nur auf einen bestimmten Augenblick Bezug und ist daher firr die Behandlung des Problems der Kaufkraftveranderungen nicht zweckmaBig. Dazu eignet sich besser der zweite Typus der Quantitatstheorie, von welchem wir die Formulierungen IRVING FISHERS und SCHTTMPETERS einen Augenblick naher betrachten wollen, bei welchen nicht der Zustand eines Moments, sondern das Geschehen wahrend einer bestimmten Zeitspanne ins Auge gefaBt wird. Bekanntlich sind nach der Formulierung IRVING FISHERS die Veranderungen in der Hohe des Preisniveaus von funf Faktoren abhangig: Der in Umlauf befindlichen Geldmenge (M), der Menge von Bankdepositen, auf welche Schecks gezogen werden konnen (M'), deren respektiver Umlaufsgeschwindigkeit (V und V) und der Gesamtmenge der umgesetzten Giiter (T).1 Die Formel MY + M'V = PT besagt, daB in einem gegebenen Zeitraum Gleichheit zwischen der gesamten ausgegebenen Geldmenge und der Gesamtheit der Preise der umgesetzten Giiter besteht. 2 FISHER meint, daB zwischen diesen Faktoren ein ursachlicher Zusammenhang besteht, und zwar derart, daB M, M', V, V und T als bestimmende Faktoren betrachtet werden konnen, die mit Ausnahme von M und M' auf die Dauer unabhangig voneinander sind, wogegen P niemals selbst Veranderungen hervorbringen kann, sondern sich stets den Veranderungen der anderen vier anpassen muB. Der wesentlichste Einwand gegen FISHERS Formulierungsweise ist wohl, daB er das Problem der Wertveranderungen zu Unrecht als eine statische Frage behandelt und uns nur eine Erklarung der sakularen Preisanderungen darbietet, obwohl seine Formel gerade die Gelegenheit zu einer dynamischen Behandlung gibt. Das Geldwertproblem ist aber ganz besonders ein Konjunkturproblem; gerade der Verlauf des Preisniveaus wahrend des Konjunkturzyklus muB erklart werden und dariiber sagt F I S H E R nichts. Infolgedessen schenkt er auch dem Mechanismus der Preisanderungen wenig Beachtung; nirgends in seinem Werk wird einigermaBen ausfuhrlich bei der Frage verweilt, wie diese zustande kommen. Die Beweisfuhrung ist immer aprioristisch, mechanisch, sie folgt nicht der Wirklichkeit, sondern beschaftigt sich nur mit algebraischen GroBen. Von einer anderen Betrachtungsweise geht SCHTJMPETER aus. Gegeniiber der von F I S H E R gebrachten Antithetik der gesamten ausgegebenen Geldmenge und dem gesamten Giiterumsatz bevorzugt dieser die Gegenuberstellung von Geldeinkommen und Sozialprodukt, d. i. Gesamtheit aller Verbrauchsgiiter, die wahrend eines bestimmten Zeitverlaufs fiir die Konsumtion verfiigbar werden. 3 Diese beiden GroBen werden in einer Tauschgleichung einander gegenubergestellt, wobei die Einkommenssumme (E) als der fiir Verbrauchs1 2 3
FISHER, 1. c. S. 14. FISHER, 1. c. S. 48. SCHUMPETER, 1. C. S . 6 3 2 .
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giiter ausgegebene Geldbetrag definiert wird und das Sozialprodukt als die Summe der Produkte aus Menge und Preis der verkauften Gebrauchsgiiter (Hp^-j).1 Da nun die Einkommenssumme auch als ein Geldstrom, als das Produkt aus Geldmenge (M) und Umlaufsgeschwindigkeit (U) aufgefaBt werden kann, laBt sich die folgende Tauschgleichung aufstellen: E = M .U = p1m1 + p 2 m 2 . . . +
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M c h t alles Geld ist aber fur den Geldwert von Bedeutung. Das Geld, das sich in der Sphare der Schatz- und Reservenbildung befindet, wie z. B. gehortetes Geld, eiserne Kassenvorrate u. dgl., wie auch das Geld in der Kapitalsphare, d. i. das Geld, das auf dem Grundstucks-, Hypotheken- und Effektenmarkt zirkuliert, muB von der Geldmenge abgezogen werden. Nur fur die begrenzte, statistisch nicht bestimmbare Geldmenge in der Zirkulationssphare gilt die Quantitatstheorie. 2 Die Theorie SCHUMPETERS ist nicht, wie die FISHERS, eine mechanische Quantitatstheorie. SCHUMPETER lenkt ganz dezidiert die Aufmerksamkeit auf die groBe Bedeutung der dynamischen Faktoren und vor allem auf den stimulierenden EinfluB auf die Produktion, der von einer VergroBerung der Geldmenge ausgeht und stets zu dauernden Veranderungen fiihren wird. Auch der Mechanismus der Preisveranderungen erhalt gebuhrende Wiirdigung. Doch gilt auch hier, und in noch starkerem MaBe als bei F I S H E R , der Einwand gegen den wesentlich statischen Ausgangspunkt. Wenn SCHXTMPETER auch die Bedeutung der dynamischen Einwirkungen erkennt, so bleibt seine Gegeniiberstellung von Geldeinkommen und Sozialprodukt im Wesen statisch, und sobald er das wirkliche Geldeinkommen als Grundlage seiner Tauschgleichung fallen lassen muB und es durch den fur Verbrauchsguter ausgegebenen Geldbetrag ersetzt, wird seine Formel zu einer nichtssagenden Tautologie, wie K A E L E L S T E R in seiner formell vollkommen richtigen und doch materiell so unbilligen Kritik deuthch darlegt. 3 Als Grundlage einer dynamischen Behandlung der Geldprobleme muB denn auch die FiSHERsche Betrachtungsweise, welche alle Preise und Guterumsatze mitberechnet, bei weitem vorgezogen werden. Wenn wir nunmehr versuchen, zu einem SchluB hinsichtlich der Quantitatstheorie zu gelangen, muB vor allem auf die Erkenntnis zuriickgegriffen werden, daB das Wesen der Theorie darin liegt, daB ihrzufolge die Kaufkraft des Geldes durch quantitative Nachfrage- und Angebotsverhaltnisse bestimmt wird, die nicht selbst Funktion der Kaufkraft sind. Aus den beiden besprochenen Typen der Quantitatstheorie geht hervor, daB dieses quantitative Verhaltnis in zweifacher Weise angegeben werden kann. Man kann namlich mit P I G O U als Geldanbot bloB die Geldmenge annehmen und als Geldnachfrage die gesamte reale Kaufkraft, die 1 2
SCHUMPETER, 1. c. S. 635 und SCHUMPETER, 1. c. S. 667.
675.
3 KARL BLSTER, Die ,,Grundgleichung der Geldtheorie", Jahrb. f. Natlonalokonomie und Statistik, 115, 1920, S. 16.
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man in Gestalt von Kassenuberschiissen zu halten wiinscht, man kann aber auch mit F I S H E R und SCHUMPETEK als Geldangebot einen in bestimmtem Zeitraum auf den Markt gelangenden Geldstrom, der als ein Produkt aus Geldmenge und Umlaufsgesohwindigkeit zu denken ist, auffassen und als Geldnachfrage den in derselben Zeit auf den Markt kommenden Guterstrom. Beide Auffassungen haben Daseinsberechtigung und fiihren schlieBlich zum selben Ergebnis; da aber die letztere Betrachtungsweise sich zur Behandlung dynamischer Probleme besser eignet, werden wir sie in unseren weiteren Betrachtungen beniitzen. Wir gelangen somit dazu, die Quantitatstheorie dahin zu formulieren, daB die Kaufkraft des Geldes durch das quantitative Verhaltnis zwischen dem in einem gewissen Zeitraum auf den Markt kommenden Geld- und Guterstrom bestimmt wird. 1 Unter Geldstrom wollen wir nicht, wie SCHUMPETEK, nur die Einkommensverwendung verstehen, sondern die in einem bestimmten Zeitraum erfolgte gesamte Einkommensverwendung der Privathaushalte und Vermogensverwendung der Produktionswirtschaften; unter Guterstrom die Gesamtheit der Giiter und Dienstleistungen, welche in dieser selben Zeit auf dem Markt verkauft werden. Hierunter wollen wir die umgesetzten „Rechte u n ( j Verhaltnisse", wie Effekten- und andere Vermogenstitres, nicht einbeziehen. Deren Umsatze stellen keinen Teil des regelmaBigen Zirkulationsprozesse der Giiter dar und die dabei zustande kommenden Preise konnen bei der Berechnung des Preisniveaus nicht in Anschlag gebracht werden, da sie von ganz anderer Art sind als die Warenpreise. Diese Umsatze mussen als gleichartig wie die Geldiibertragungen betrachtet werden, die bei Kreditgewahrung, Schenkung usw. vor sich gehen. Soil von einem quantitativen Verhaltnis zwischen den beiden genannten Stromen die Rede sein, so mussen sie in derselben Einheit, und zwar der Geldeinheit, ausgedriickt werden. Was den Guterstrom anbelangt, ist dies nur moglich, wenn man den Begriff der Gutermenge in einen korrelativen Zusammenhang mit dem Begriff Preisniveau bringt. 2 Wir haben schon gesehen, daB dieses letztere nur als eine Zahl, als ein gewogener Durchschnitt der unterschiedlichen Preise definiert werden kann. I n derselben Weise ist die Gutermenge als der gewogene Durchschnitt der einzelnen Giitermengen zu definieren, wobei die Wagung entsprechend derjenigen vorgenommen werden muB, welche fur die Berechnung des 1 Absichtlich sprechen wir hier von einem Geld- und Guterstrom und nicht von einer Menge, da durch das "Wort Strom deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daB hier nicht von einer Menge in einem bestimmten Augenblick die Rede ist, sondern von einer Reihe aufeinanderfolgender Mengen, die ein organisches Ganzes bilden und die in einem bestimmten Zeitraum zu Markte kommen. Siehe auch AMONN, Cassels System der theoretischen Nationaliikonomie, Arch. f. Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, 51. Bd., 1924, S. 333, wo der Verfasser darlegt, daB es vielleicht am zweckmaBigsten ist, den Begriff der Geldmenge so zu definieren, daB er Geldmenge, Umlaufsgeschwindigkeit und Kreditzahlungsmittel umfafit. Ein in diese Richtung gehender Versuch ftihrt notwendig zur Vorstellung eines Geldstromes. 2 Siehe FISHER, 1. c. S. 385ff.
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Preisniveaus verwendet wird. 1 Dasselbe gilt auch fur die Bestimmung von Veranderungen in der Menge der geleisteten Dienste. Die Vorstellung eines quantitativen Verhaltnisses zwischen dem Umfang des Geldstromes und dem Strom der Giiter und Dienstleistungen — welchen wir im folgenden kurz den Giiterstrom nennen werden — kann jetzt keine Schwierigkeiten mehr bereiten. Ein Anschwellen des Geldstromes, d. h. Vermehrung des gesamten Geldumsatzes, bezeichnet notwendig auch eine Vermehrung des nominalen Giiterumsatzes, welche, gemaB der gegebenen Definition, in einer Erhohung des Preisniveaus oder in einer Zunahme des Guterstromes bestehen kann. 1st dieser letztere gleich geblieben, dann muB somit das Preisniveau gestiegen sein. Mit Absicht sagen wir hier „gestiegen sein" und nicht ,,steigen", denn in der hier gegebenen Formulierung fehlt der Kausalzusammenhang. Wenn man die Gleichung aufstellt: Geldstrom = Preisniveau X Giiterstrom, so ist das eine Tautologie, die keinen ursachlichen Zusammenhang zum Ausdruek bringen kann. Wenn der Geldumsatz zunimmt, so bewirkt das nicht, sondern bedeutet, da6 auch entweder das Preisniveau oder der Giiterumsatz gestiegen ist. Der ursachliche Zusammenhang geht auf Erscheinungen zuriick, die hinter dieser Formulierung liegen und deren Wirkung durch die in der Pormel gegebenen Zahlen zum Ausdruek gebracht wird. Die Vermehrung der nominalen Kaufkraft ist es, die zu groBerem Umsatz und hoherem Preisniveau fiihrt, die grbBere Giiterproduktion ist es, die den Giiterstrom zum Wachsen bringt. Die in einer Tauschgleichung zusammengestellten Faktoren sind nichts anderes als die Symptome, welche anzeigen, in welchem MaBe die tiefer gelegenen XJrsachen der stattgehabten Veranderungen wirksam gewesen sind. Eben diese XJrsachen sind von der Geldtheorie zu untersuchen.
III. Das Problem der Umlaufsgeschwindigkeit.
Die Faktoren, die auf die Hohe des Preisniveaus EinfluB ausiiben, konnen sich nur dann geltend machen, wenn sie das quantitative Verhaltnis zwischen dem Umfang des Geld- und des Guterstromes mitbestimmen, oder — wenn wir das Problem der Veranderungen der Kaufkraft des Geldes stellen — eine Veranderung dieses quantitativen Verhaltnisses hervorrufen. J e nachdem dabei der Umfang des Geldstromes oder der des Guterstromes beeinfluBt wird, konnen wir zwischen Faktoren unterscheiden, die von der Geldseite her, und solchen, die von der Giiterseite her auf das Preisniveau einwirken. I n den hier folgenden Ausfiihrungen werden wir uns ausschlieBlich mit den monetaren Faktoren beschaftigen. Wenn wir nunmehr den Ursachen nachzugehen versuchen, durch welche eine Veranderung im Umfang des Geldstromes hervorgerufen werden kann, beriihren wir damit das Problem der Veranderungen in der Kaufkraft des Geldes, nicht das der GroBe dieser Kaufkraft selbst. 1
Siehe auch FISHER, 1. c. S. 421.
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Wir diirfen daher bei einer Untersuchung dieser Ursachen von einem Gleichgewichtszustand ausgehen, worin nicht nur die Organisation und die Technik der Produktion, sondern auch ein bestimmtes Preisniveau und damit ein bestimmter Geld- und Giiterstrom gegeben ist. Dieser Geldstrom besteht aus dem Gesamtbetrag der Verwendungen aller Wirtschaften und umfaBt sowohl die Einkommensverwendung der Konsumwirtschaften als auch die Vermogensverwendung der Produktionswirtschaften, welch letztere aus der sich stets wiederholenden Reihe von Anschaffungen von Giitern hoherer Ordnung — Bezahlung der benutzten Dienste, Auffiillung der im ProduktionsprozeB aufgegangenen Vorrate und Ersatz der abgenutzten Produktionsmittel — bestehen, deren Umfang durch die gegebene Organisation und die Technik des Produktionsprozesses bestimmt ist. Wie, fragen wir uns, kann dieser Geldstrom in seinem Umfang zunehmen; woher nriissen die Wirtschaften die Kaufkraftvermehrung schopfen, die dafur notwendig erscheint ? DaB dies durch Vermehrung der Geldmenge geschehen kann ist ohneweiters klar. Es ist z. B. moglich, daB der Staat durch Geldschopfung seine Kaufkraft vergroBert, in welchem Falle die Wirkung sich zuerst bei den Preisen der besonderen Giiter, welche der Staat benotigt und in den Preisen der Dienstleistungen, von denen der Staat Gebrauch macht, fuhlbar machen wird. Moglich ist auch, daB eine Unternehmung von der geldschaffenden Stelle einen Kredit erhalt und diesen zur Ausdehnung ihrer Produktionstatigkeit verwendet, was dann zuerst auf die Preise der Giiter hoherer Ordnung, die Dienstleistungen dabei inbegriffen, stimulierend wirken wird. Es konnen aber ebensosehr Veranderungen im Umfange des Geldstromes eintreten, die nicht mit einer Veranderung der Geldmenge Hand in Hand gehen. So ist es z. B. denkbar, daB aus dem einen oder anderen Grund eine Konsumwirtschaft beschliefit, ihr Einkommen zu horten. Die Folge davon wird sein, daB der Strom der Verwendungen unterbrochen wird und daB sich beim Verbraucher eine Geldmenge ansammelt. Die gesamte Geldmenge bleibt dieselbe, aber der Geldstrom nimmt an Umfang ab. Anfanglich wird dadurch ein Teil der Giitervorrate unverkauft bleiben, doch spater wird notwendig eine Preissenkung eintreten miissen. TJmgekehrt ist es auch denkbar, daB einige Produktionswirtschaften noch im Besitz von Kassenreserven sind, die sie in fruheren Zeiten benotigten, die aber, wie sich jetzt herausstellt, durch die im Gleichgewichtszustand sich immer wiederholende Abwicklung desselben Haushaltsplans uberflussig sind. Gehen sie zur Verwendung dieser Gelder iiber, dann wird das anfangs vielleicht auch den Giiterstrom vergroBern, dann aber jedenfalls eine Steigerung des Preisniveaus zur Folge haben. Diese Veranderungen im Umfange des Geldstromes, die nicht mit einer Veranderung der Geldmenge Hand in Hand gehen, sind es, die allgemein als Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bezeichnet werden, da bei ihrem Eintreten die Bewegung des Geldes beschleunigt wird. Namentlich in der alteren Geldtheorie hat man der Bewegung der
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Geldstiicke von Kasse zu Kasse insbesondere Aufmerksamkeit gesohenkt und im Zusammenhang damit die Umlaufsgeschwindigkeit definiert als die durchschnittliehe Zahl der in einer bestimmten Periode vorkommenden Geldbewegungen von Hand zu Hand, welche Definition als die klassische Definition des Begriffes der Umlaufsgeschwindigkeit betrachtet werden kann. Wie wir anderweitig darzulegen versucht haben, wird aber durch diese bewegungstheoretische Definition das Augenmerk unwillkurlich. in eine falsche, zu sehr mechanische Richtung gelenkt, 1 und wir wollen daher lieber eine Anschauungsweise durchfiihren, die mehr der Kassenhaltungstheorie zugehort und die unter anderem in der Definition zum Ausdruck kommt, die IRVING F I S H E R gibt. 2 Im AnschluB an ihn definieren wir die Umlaufsgeschwindigkeit als den Quotienten, der durch Division der Gesamtheit der Umsdtze, cms denen der Geldstrom zusammengesetzt ist, durch die gesamte Geldmenge erhalten wird.3 Es ist klar, da8 die Umlaufsgeschwindigkeit, wenn sie so definiert wird, nicht als ein Faktor betrachtet werden kann, der mit der Geldmenge den Umfang des Geldstromes bestimmt, oder auf dessen Veranderung als Erklarung fur ein Zu- oder Abnehmen dieses Geldstromes hingewiesen werden konnte. Mit Unrecht werden denn auch von den meisten Anhangern der Quantitatstheorie die Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit neben denen der Geldmenge als Ursache von Verschiebungen im Preisniveau genannt. Soweit diese Schriftsteller der von uns angenommenen Definition folgen, vergessen sie, da8 die Umlaufsgeschwindigkeit viel mehr durch den Umfang des Geldstromes bestimmt wird als umgekehrt; und soweit sie die Umlaufsgeschwindigkeit als die Anzahl der Geldbewegungen von Hand zu Hand definieren, erwagen sie meistens nicht gentigend, ob dieser Erscheinung wohl eine so primare Bedeutung zuerkannt werden darf, daB sie als bestimmender Faktor angefiihrt werden kann, und ob nicht vielmehr diese Bewegungsgeschwindigkeit selbst durch okonomisch wichtigere Faktoren beherrscht wird. So hat es in dem oben gegebenen Beispiel nicht den geringsten Sinn, zu sagen, daB die veranderte Bewegungsgeschwindigkeit AnlaB zur Abnahme bzw. Zunahme des Geldstromes gegeben hat, da ja doch diese Geschwindigkeit selbst nur die Resultante der Wirksamkeit der wirklich bestimmenden Faktoren ist, namlich im ersten Fall der Tatsache, daB eine Konsumwirtschaf t dazu iibergegangen ist, Einkommen unverwendet zu lassen und im anderen Fall der Tat1 M. W. HOLTROP, De Omloopssnelheid van het geld, Amsterdam 1928, S. 28ff.; DERS., Theories of the velocity ol circulation of money in earlier economic literature, Economic Journal Econ. History supplement, Jan. 1929, p. 522. 2
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FISHER, 1. c. S. 17.
Obwohl unsere Definition sich derjenigen FISHERS eng anschliefit, ist doch unsere ..Umlaufsgeschwindigkeit" nicht mit der FiSHERSchen ..Velocity of circulation" identisch. Die Gesamtheit der Umsatze, welche FISHER zur Berechnung der Umlaufsgeschwindigkeit durch die Geldmenge dividiert, umfaBt „The total money payments for goods", wobei ,.goods" zu verstehen ist im Sinne von ,.wealth, property and benefits" (FISHER, I. c. S. 6), d. h. also inklusive aller „Rechte und Verhaltnisse". Dagegen verstehen wir unter ,,Die Gesamtheit der Umsatze aus denen der Geldstrom zusammengesetzt ist" nur die Umsatze von Gutern und Dienstleistungen, exklusive der „Rechte und Verhaltnisse" (siehe oben S. 25).
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sache, daB eine Produktionswirtschaft Vermogen verwendet, das bisher brachgelegen war. Die geanderte Umlaufsgeschwindigkeit ist nichts anderes als das Symptom der Wirksamkeit gewisser, den Umfang des Geldstromes bestimmender Faktoren, deren Wesen wir noch naher untersuchen werden. Bevor wir aber unsere Untersuchung in dieser Bichtung anfangen, miissen wir darauf hinweisen, daB Veranderungen im Umfang des Geldstromes vorkommen konnen, die fiir unser Problem von keiner Bedeutung sind, da sie automatisch mit entsprechenden Veranderungen des Giiterstromes Hand in Hand gehen und daher keinen EinfluB auf das Preisniveau ausuben konnen. Diese Veranderungen hangen zusammen mit einem Wechsel im AusmaBe der Differenzierung des Produktionsprozesses. Unter Differenzierung ist die Trennung der aufeinanderf olgenden Stuf en des Produktionsprozesses — dieser letztere im weitesten Sinn genommen und daher die Tatigkeit des Handels mit umfassend — in verschiedene Produktionswirtschaften zu verstehen, womit notwendig ein wiederholter Handewechsel der Giiter verbunden ist. Wird ein Erzeugungsvorgang, der bisher in einer Unternehmung vollendet wurde, in zwei Teile gespalten, oder wird die Anzahl der Zwischenhandler vermehrt, z. B. zwischen Fabrikant und Detaillist ein Grossist eingeschaltet, so miissen die betreffenden Giiter vom ersten Bearbeiter bzw. vom Fabrikanten durch den Giitermarkt hindurch an den zweiten Bearbeiter bzw. den Grossisten ubertragen werden, was einen Zuwachs des auf den Markt gelangenden Giiterstromes bedeutet. Umgekehrt wird der zweite Bearbeiter bzw. der Grossist einen Teil der Gelder, die er vom Abnehmer der Ware empfangt, an den ersten Bearbeiter bzw. den Fabrikanten zur Bezahlung der gelieferten Ware ubertragen miissen. Dies bedeutet eine ebensogroBe Vermehrung des Geldstromes. Diese Veranderungen beinhalten weder eine Zunahme der Kaufkraft noch eine Zunahme der Giiterproduktion und sind daher fiir die Hohe des Preisniveaus ohne Bedeutung. Genau dasselbe geschieht, wenn in Zeiten von Haussespekulation die Giiter mehr als sonst ihren Eigentiimer wechseln. Wir konnen in diesen Fallen von einer Veranderung des Differenzierungskoeffizienten sprechen, womit die durchschnittliche Anzahl der Ubertragungen ausgedriickt wird, welche die Giiter auf ihrem Weg von der Produktion zum Verbrauch mitmachen. 1 Soweit also die Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit eine Anderung in diesen Koeffizienten 1 Da es unmoglich ist, diese Anzahl der Handewechsel, welche die Giiter mitmachen, auf direktem Wege, namlich dadurch, daB man die Giiter in ihrem Lauf durch den Produktionsprozefi verfolgt, zu messen, so kann der Differenzierungskoeffizient nur indirekt bestimmt werden, und zwar als das Verhaltnis zwischen der Gesamtheit der Guterumsatze •— die Umsatze der Dienstleistungen dabei also nicht inbegriflen — und dem Wert des Sozialproduktes. Da iiberdies auch die Gesamtheit der Guterumsatze wohl niemals leststellbar ist, man sich vielmehr hochstens ein Bild von der Gesamtheit der Geldumsiitze machen kann —• also einschlieBlich der Ellektenumsatze, der Zahlungen auf Grund von Kredittransaktionen usw. —-, bleibt die Moglichkeit, den Differenzierungskoeffizienten nach seinem richtigen Wert statistisch festzustellen, auBerst gering, und man wird sich praklisch auf die sehr rohe Anniiherung beschranken miissen, welche in der Division des gesamten Geldumsatzes durch das nationale Einkommen liegt.
Beitrage zur Geldtheorie.
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bezeichnen, haben sie fur das Problem der Kaufkraft des Geldes keine Bedeutung. 1 Es ist daher, vor allem in Hinblick auf die statistische Feststellung der Anderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, zweckmaBig, neben dieser letzteren einen Faktor zu unterscheiden, in dem ausschlieBlich diejenigen Veranderungen im Umfang des Geldstromes zum Ausdruok kommen, die nicht von einer Veranderung desDifferenzierungskoeffizienten bedingt sind und ebensowenig durch eine Anderung der Geldmenge zustande kamen. Im allgemeinen wird als ein solcher Faktor das Verhaltnis zwischen der Summe der Preise aller Dienstleistungen in einer gegebenen Periode, d. h. dem Geldeinkommen, und der Geldmenge verwendet werden konnen; wir werden dieses Verhaltnis als die Effektivitat des Geldes bezeichnen, da dadurch das AusmaB wiedergegeben wird, in dem die Geldmenge auf das Preisniveau wirkt. Das Einkommen ist ja sowohl ein Ausdruck fiir die Menge der geleisteten Dienste wie fiir den Wert der erzeugten Guter. Da nun im allgemeinen die Gesamtheit der Giiterumsatze gleichgesetzt werden kann der Menge der erzeugten Guter, multipliziert mit der Zahl der Bewegungen von Hand zu Hand, d. h. mit dem Differenzierungskoeffizienten,2 so ist der Gesamtumsatz der Guter und Dienstleistungen gleich (Differenzierungskoeffizient + 1) X Gesamtgeldeinkommen 3 und es ist daher auch
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Umlaufsgeschwindigkeit = (Differenzierungskoeffizient -4-1) X Effektivitat.
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1 ARTHUR W. MARGETS Beitrag iiber diesen Gegenstand im Journal of Political Economy vom August 1932 macht mich darauf aufmerksam, daB diese These zu MiBverstandnissen AnlaB geben konnte. Es sei deshalb folgendes bemerkt: Es ist hiemit nicht gesagt, daB eine Anderung im AusmaB der Differenzierung nicht indirekt einen sehr wesentlichen EinfluG aul die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ausiiben kann. Im Gegenteil werden wir spater sehen (siehe S. 144 ff.), daB ein solcher EinfluB tatsachlich besteht. Es ist nur gemeint, daB eine Anderung im AusmaB der Differenzierung notwendig eine parallele Zunahme Oder Abnahme von Guter- und Geldumsatzen bedingt, welche rechneriseh in einer parallelen VergroBerung Oder Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeitszahlen und des Differenzierungskoeffizienten zum Ausdruck kommen, und daB diese Veranderung der Umlaufsgeschwindigkeit vollkommen unwesentlich ist. Wenn daneben die Anderung im AusmaB der Differenzierung einen EinfluB auf die H6he der Kassenvorrate ausilbt, ist das eine Erscheinung fiir sich, welche auch wieder auf die Umlaufsgeschwindigkeit riickwirkt, jetzt aber ohne parallele Anderung des Differenzierungskoeffizienten. Diese Riickwirkung ist fiir die in Frage stehenden Probleme wohl von Bedeutung. MARGET irrt also, wenn er meint, daB ich der Meinung bin, daB eine Anderung im AusmaB der Differenzierung nur zu einer aquivalenten und kompensierenden Anderung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes filhren kann. (ARTHUR W. MARGET, The Relation between the Velocity of Circulation of Money and the „Velocity of Circulation of Goods" I I , Journal of Political Economy, Vol XL, No. 4, August 1932, S. 492 ff.) Auch in meiner vorigen Arbeit habe ich auf die Bedeutung des Differenzierungsgrades fiir die Hfihe der Umiaufsgeschwindigkeit — und der Effektivitat — des Geldes hingewiesen (Omloopssnelheid, S. 129 u. 206 ff.). 2 Im allgemeinen, nicht unter alien Umstanden. Wenn z. B. die Produktion im Umfang abnimmt, wird anfiinglich der Teil der friiheren Produktion, der noch nicht zum Verbraucher gelangt ist, weiterflieBen und der gesamte Giiterumsatz wird daher noch einige Zeit groBer sein als durch den neuen Produktionsumfang gerechtfertigt ist. 3 Wenn Einkommen = Gilterproduktion, und Giiterumsatz = Gilterproduktion x x Differenzierungskoeffizient, so ist auch Giiterumsatz = Einkommen > Differenzierungskoeffizient und es ist daher auch der Gesamtumsatz an Waren und Dienstleistungen gleich Einkommen x Differenzierungskoeffizient + Einkommen, was soviel ist wie Einkommen x (Differenzierungskoeffizient + 1).
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Die Effektivitat wird daher denselben Einfliissen unterworfen sein wie die Umlaufsgeschwindigkeit, auBer soweit dieselben einer Veranderung des Differenzierungs&oe/fizienten entspringen; die Anderungen in der Effektivitat werden also auch ausschlieBlich diejenigen Anderungen im Umfang des Geldstromes wiedergeben, die fin* unser Problem von Bedeutung sind. 1 Um die Frage zu beantworten, welches die Erscheinungen sind, die diese Anderungen hervorbringen und wann sie ihren EinfluB ausiiben, haben wir mit einer Untersuchung der Faktoren anzufangen, die die GroBe der Kassenhaltungen bestimmen. Die Veranderungen im Umfang des Geldstromes bringen ja stets eine Veranderung in der GroBe der Kassenhaltung bei den Konsum- und Produktionswirtschaften, wo sie ihren Ursprung haben, mit sich. Der Geldstrom wird wachsen, wenn Geld in Bewegung gesetzt wird, das bisher in den Kassen liegen geblieben war; er wird abnehmen, wenn Geld in der Kasse gehalten wird, das bisher ausgegeben wurde. Die Veranderungen des Geldstromes beruhen also auf Veranderungen im Verhalten der Wirtschaften hinsichtlioh ihrer Kasse, wofiir naturlich Motive vorhanden sein miissen. Bevor wir beurteilen konnen, unter welchen Umstanden es zu einer vermehrten oder verringerten Ausniitzung der Kaufkraft kommen kann und wird, miissen wir also diese Motive kennenlernen. Nicht nur fiir die Losung des Problems der Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, sondern auch fiir die Bestimmung der Umlaufsgeschwindigkeit selbst ist das Studium des Problems der Kassenhaltung notwendig. Die gesamte in Umlauf gebrachte Geldmenge, zu der en Umfang die Umlaufsgeschwindigkeit bei gegebenem Preisniveau und gegebener Guterproduktion verkehrt proportional ist, ist ja nichts anderes als die Summe der Kasseniiberschiisse aller Haushaltungen. Die Faktoren, die den Umfang dieser Kasseniiberschiisse beherrschen, sind daher zugleich bestimmend fiir die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit. Die einzige Theorie der Umlaufsgeschwindigkeit, bei der das Problem der Kassenhaltung im Mittelpunkt der Betrachtung steht, ist die der Schule von Cambridge. Wie wir schon vorher gesehen haben, meint z. B. PIGOTJ, daB die GroBe des Kassenvorrats durch den Willen der Wirtschaftssubjekte bestimmt wird, die, um ihre laufenden Zahlungen leisten zu konnen und fiir alle Ereignisse geriistet zu sein, eine bestimmte Geldmenge in Vorrat zu haben wiinschen. Verandert sich ihre Schatzung hinsichtlioh des Kassenbedarfs, dann gehen sie zu einer VergroBerung oder Verringerung des Kassenvorrats iiber, was zu einer Zunahme oder Abnahme des Geldstromes fiihren wird. Diese Betrachtungsweise ist aber, gerade fiir den statischen Zustand, 1 Im Zusammenhang mit dem in der vorigen FuBnote Bemerkten ist es klar, daB die Effektivitat des Geldes die gemeinten Veranderungen im Umfang des Geldstromes nicht immer rein wiedergeben wird. Da aber die Zahl der Ubertragungen, die mit bestimmten Giltern in einer bestimmten Periode vorgenommen werden, doch niemals direkt gemessen werden kann, bleibt die Effektivitat nichtsdestoweniger in all den Fallen, wo durch Veranderung des Diff erenzierungskoeff izienten die Umlaufsgeschwindigkeit als MaBstab unbrauchbar geworden ist, der einzige Fingerzeig fiir die Wirkung der von uns gesuchten preisniveaubestimmenden Faktoren. 9*
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fur den sie PIGOTJ entwickelt, nicht sehr zutreffend. I n einem solchen Zustand, in dem keine unerwarteten Ereignisse eintreten, ist die eigentliche Kassenreserve, deren GroBe tatsachlich in gewissem MaBe durch den Willen der Wirtschaftssubjekte bestimmt wird, vollkommen iiberfliissig. Die Kasseniiberschusse, die dann vorkommen, und die wir als statische Kasseniiberschusse bezeichnen wollen, dienen nicht als Reserve, sondern haben ausschlieBlich die Bestimmung, zu einem bestimmten zukiinftigen Zeitpunkt fiir einen bestimmten Zweek verausgabt zu werden. Ihr Umfang ist keineswegs von dem bloBen Willen der Wirtschaftssubjekte abhangig, sondern von der Organisation und Technik des Produktionsprozesses, durch welche die Zusammensetzung des Stromes der Einnahmen und Ausgaben bestimmt wird. Im statischen Zustand wird man keinen permanenten, sondern nur zeitweilige, d. h. fluktuierende Kasseniiberschusse finden. Fiir den Umfang dieser letzteren gibt PIGOTJS Formulierung aber keine befriedigende Losung. Neben diesen statischen Kassenubersehiissen, oder richtiger, neben diesem statischen Bestandteil des Kassenvorrats gibt es einen dynamischen Bestandteil, der seinen Existenzgrund in der XJnsicherheit hinsichtlich der Zukunft hat oder auch infolge einer Durchbrechung des normalen Ganges des Umlaufsprozesses entsteht. Hiezu gehort in erster Linie die eigentliche Kassenreserve, die manchmal eigens gehalten wird, um in unvorhergesehenen Umstanden, die nur selten eintreten, geriistet zu sein, die aber meistens auch automatisch dadurch entsteht, daB der Voranschlag der Einnahmen und Ausgaben stets vorsichtig geschieht, d. h. daB die Einnahmen etwas zu niedrig, die Ausgaben etwas zu hoch veranschlagt werden. Praktisch bilden diese Kassenreserven einen ziemlich toten Fonds, der in keiner einzigen Hinsicht am Umlauf teilnimmt, und sie werden denn auch von vielen Schriftstellern als nicht zur umlaufenden Geldmenge gehorig angesehen. 1 Obwohl uns letzteres nicht zweckmaBig erscheint, wollen wir doch darauf hinweisen, daB der EinfluB, den eventuelle Veranderungen im Umfang dieser standigen Kasseniiberschusse auf das Preisniveau ausiiben, kaum ein Problem genannt werden kann. Es ist klar, daB eine VergroBerung oder Verringerung dieser Reserven im Wesen mit einer Verringerung oder VergroBerung der Geldmenge gleich ist und auch dieselben Folgen haben wird. Fiir das eigentliche Problem, vor das uns die Frage der Umlaufsgeschwindigkeit stellt, sind diese standigen Kasseniiberschusse ohne Bedeutung. I n zweiter Linie miissen wir zu den dynamischen Kassenvorraten die zeitweiligen Uberschiisse rechnen, welche dadurch entstehen, daB Anschaffungen, die im normalen statischen Verlauf des Zirkulationsprozesses in einem bestimmten Augenblick stattgefunden hatten, hinausgeschoben werden. Ein solcher Aufschub, der also eine Durchbrechung des normalen Laufs des Zirkulationsprozesses bedeutet, wird z. B. stattfinden, wenn niedrigere Preise oder eine ungiinstige Konjunktur er1 So z. B. SCHUMPETER, der den Geldbetrag, welcher sich im Bereiche der „Horte und Reserven" befindet, von der umlaufenden Geldmenge abzieht; 1. c. S. 666.
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wartet werden. Wir kommen auf diese Erscheinung, die das Gegenstiiok der verfriihten Verwendung zeitweiliger Kasseniiberschusse auf Grand erwarteter Preissteigerungen bedeutet, spater noch ausfiihrlich zuriick. Das Wesen des Umlaufsgeschwindigkeitsproblems liegt in den Bestimmungsgriinden des Umfanges dieser fluktuierenden Kasseniiberschiisse, in denen wir also nunmehr ein statisches und ein dynamisches Element zu unterscheiden haben. Dabei sind zwei Fragen zu beantworten. In erster Linie mufi klargemacht werden, durch welche Faktoren die GroBe dieser Kassenuberschusse und damit die GroBe der Umlaufsgesohwindigkeit bestimmt wird. Und in zweiter Linie muB erklart werden, ob, und wenn ja, in welcher Weise Veranderungen im Umfang dieser fluktuierenden Uberschusse und damit auch der Umlaufsgesohwindigkeit, notwendig mit zeitweiligen oder dauernden Veranderungen des Preisniveaus Hand in Hand gehen. Der Beantwortung dieser beiden Fragen, deren Behandlung nicht immer der Platz eingeraumt worden ist, der ihnen zukommt, wollen wir jetzt unser Augenmerk zuwenden. Hauptstuck.
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Die Intensitat der Vermogensausnutzung als bestimmender Faktor der Umlaufsgeschwindigkeit. I. Die Kassenhaltungsfrage als Finanzierungsproblem.
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Der Kassenvorrat — worunter wir die gesamte Geldmenge verstehen wollen, die sich im Besitze einer Wirtschaft befindet und zu der somit in Ubereinstimmung mit unserer Gelddefinition nicht nur das Bargeld im engeren Sinne gerechnet werden muB, sondern auch die Bankguthaben, iiber die durch Scheck oder Uberweisung verfugt werden kann •— kommt im Verkehr in zweierlei Form vor, namlich in der von unverwendetem Vermogen bei der Produktionswirtschaft und in der von unverwendetem Einkommen in der Konsumwirtschaft. Wir werden dieser Unterscheidung in unserer Darlegung einen moglichst geringen Platz einraumen. Die gesamte Geldmenge, die sich im Umlauf befindet, ist so sehr ein unteilbares Ganzes, in dem diejenigen Betrage, welche sich in der Einkommenssphare, und diejenigen, welche sich in der Vermogenssphare befinden, aufs engste miteinander zusammenhangen, daB es schon darum unzweckmaBig ware, die Uberschusse bei den Produktions- und bei den Konsumwirtschaften prinzipiell voneinander zu scheiden. Uberdies aber sind die Faktoren, die die GroBe des Kassenvorrats in den Produktionsund in den Verbrauchswirtschaften bestimmen, im Wesen von vollig gleicher Art, so daB es in der Tat nur auf terminologische und keineswegs auf wesentliche Schwierigkeiten stoBt, diese beiden Formen der Kassenvorrate unter einem Gesichtspunkte zu behandeln. Diesen Weg wollen wir denn auch einschlagen, und um unsere Ter-
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minologie so einfach wie moglich zu halten, wollen wir in diesem Hauptstiick auch die Konsumwirtschaft als Produktionswirtschaf t betrachten, und zwar als Produzent desjenigen produktiven Beitrags, fur den sie ihr Einkommen empfangt, sei es die Arbeit oder der Kapitaldienst oder sonstiges. So oft wir also im folgenden vom Kassenvorrat der Produktionswirtschaften sprechen, werden wir darunter zugleich — es sei denn, da8 sieh klar das Gegenteil ergibt — die der Verbrauchswirtschaften mitverstehen, und wo wir von unverwendetem Vermogen sprechen, wird darunter zugleich das noch nicht verwendete Einkommen zu verstehen sein. Das Problem der GroBe des Kassenvorrats bildet bei den Unternehmungen einen Unterabschnitt des Finanzierungsproblems. Unter Finanzieren ist die Beschaffung der Mittel zu verstehen, welche die Produktionswirtschaft benotigt, um die in ihrem Betrieb notigen Aufwendungen leisten zu konnen. 1 Den Gesamtbetrag dieser Aufwendungen in jedem bestimmten Augenblick, der sich in der Summe der Aktiva ausdriickt — unter welch letzteren wir alle Giiter und Rechte verstehen, die sich im Besitz einer Unternehmung befinden, ausgenommen das Geld —, diirfen wir als gegeben betrachten. Dies ware nicht gestattet, wenn wir das Finanzierungsproblem in seinem ganzen Umfang behandelten, da ja die Moglichkeiten und Schwierigkeiten der Beschaffung des Betriebsverraogens auch Faktoren sind, die neben den technischen und wirtschaftlichen Erfordernissen des Produktionsprozesses ihr Gewicht bei Bestimmung der BetriebsgrSBe in die Wagschale werfen. Fur den besonderen Unterabschnitt des Finanzierungsproblems, mit welchem wir uns beschaftigen, ist diese Riickwirkung gleichwohl von keiner Bedeutung; sowohl der
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1 Bei der als Unternehmung aufgefaSten Konsumwirtschaft wird dieser Bedarf an Mitteln subjektiv meist nicht als solcher empfunden, obwohl darin, vor allem durch den zunehmenden Gebrauch dauerhafter Gebrauchsgiiter und durch Entwicklung des Abzahlungswesens, mehr und mehr Wandel eintritt und die Okonomik der Haushaltswirtschaft auch mehr und mehr als ein nationalokonomisches Problem erkannt wird. Dabei ist dieser Vermogensbedarf der Konsumwirtschatt sehr real; er besteht vornehmlich aus zwel Teilen, namlich in erster Linie dem Vermogensbedarf, der eine Folge der Anschattung dauerhafter Gebrauchsguter ist, ilber welche jede Konsumwirtschaft in grofierem oder geringerem MaBe verfiigt, und in zweiter Linie dem Vermogensbedarf als Folge der Tatsache, daB beinahe jede Haushaltswirtschaft in ihrer Funktion als Erzeuger eines produktiven Beitrages dem Kaufer desselben Kredit gewahren muB. Beide Arten von Vermogensbedarf geben AnlaB zu wesentlichen Finanzierungsproblemen. Hinsichtlich der Anschaffung dauerhafter Verbrauchsgiiter ist dies ohne weiteres klar. Versorgung durch eigenes Vermogen, beschafft durch vorhergegangenes Sparen, oder auch durch fremdes Vermogen, beschafft durch Lieferantenkredit auf Abzahlung, sind hier die bekannten Alternativen. Aber auch der Kredit, den die Konsumwirtschaft selbst gewahren muB, stellt sie vor ein Finanzierungsproblem. Der Arbeiter z. B., der standig und taglich seine Arbeit verrichtet, erhalt meist erst am Ende der Woche Zahlung und muB daher wahrend dieser Zeit seinem Arbeitgeber Lieferantenkredit gewahren. Da er in der Zwischenzeit leben muB und daher allerlei notwendige Auslagen hat, wird er sich die notigen Mittel fur diese Kreditgewahrung auf die eine oder andere Weise verschaffen mussen, und zwar entweder aus eigenen, in fruheren Wirtschaftsperioden ersparten Mitteln oder auch durch Borgen, z. B. gleichfalls in Form von Lieferantenkredit, den er bei den Lieferanten seiner taglichen Lebensbedurfnisse aufnimmt.
Es geht daraus aufs deutlichste hervor, daB die Finanzierungsprobleme, die in der Konsumwirtschaft auftreten, einen vollkommen gleichen Anblick bieten, wie die der Unternehmung, und mit diesen auch eng zusammenhangen. Es ist denn auch vollkommen gerechtfertigt, obwohl bisher nicht gebrauchlich, hinsichtlich der Verbrauchswirtschaften gleichfalls das Bestehen eines Finanzierungsproblems anzuerkennen.
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Umfang der Produktion wie audi die Gesamtheit der Aktiva sind daher fur uns feststehende Faktoren. Im allgemeinen wird das Streben jeder Produktionswirtschaft darauf gerichtet sein, ihr Vermogen — worunter wir die Gesamtheit ihrer Mittel verstehen, d. h. also die Summe ihrer eigenen Mittel (Eigenvermogen) und der ihr von Dritten auf langere oder kiirzere Frist zur Verfugung gestellten Mittel (fremde Mittel oder Fremdvermogen) — so genau wie moglich dem erforderten Gesamtumfang ihrer Aktiva anzupassen. 1 Sie wird trachten, eine moglichst intensive Ausnutzung ihres Vermogens zu erzielen. Eine Differenz zwischen Mitteln und Aufwendungen, die nur in einem UberschuB der Mittel bestehen kann, fiihrt zur Entstehung eines Kasseniiberschusses, was grundsatzlich unerwiinscht ist, da es einen Verlust an Zinsen oder eine GewinneinbuBe bedeutet, wogegen kein einziger Vorteil besteht. Der Kassenvorrat hat ja an sich gar Jceinen 'positiven Nutzen. Unsere Auffassung weicht bier wesentlich von der der meisten anderen Schriftsteller ab, die sich mit dem Kassenhaltungsproblem beschaftigt haben. 2 Stets findet man bei ihnen den Gedanken ausgesprochen, daB die Wirtschaftssubjekte den JLasseniiberschufi positiv werten, daB sie ,,Bedurfnis" nach einem Kassenvorrat empfinden. Dies ist aber in Widerstreit mit der Wirklichkeit, was besonders deutlich wird, wenn man einen statischen Zustand ins Auge faBt. Ein Bedurfnis nach Mitteln besteht erst in dem Augenblick, wo eine Aufwendung notwendig ist, nicht schon vorher, und jede Unternehmung wiirde gerne davon absehen, einen Kassenvorrat zu halten, wenn sie nur Vorsorge treffen konnte, daB die benotigten Mittel gerade im gegebenen Augenblick zur Verfugung stiinden. Die Schwierigkeit ist aber, daB ihr das nicht gelingen kann, und zwar infolge des fortwahrenden Schwankens im Gesamtbetrag der Aktiva und der Unmoglichkeit, die Vermogensversorgung diesen Schwankungen genau anzupassen. Das, wonach die Unternehmung tatsachlich Bedurfnis empfindet, ist nicht der KasseniiberschuB, sondern das Geldkapital, d. h. Vermogen in Gestalt von Geld, um sich damit die benotigten Sachguter verschaffen zu konnen. Aber nur allzu oft wird dieser Bedarf nach Geldkapital mit dem nach Geld als solchem zusammengeworfen. 1 Der Vermogensbegriff umfaBt also die Gesamtpassivseite der Bilanz. Wir vermeiden es hier, den Begriff Kapital zu verwenden, der hier leicht zu MiBverstandnissen AnlaB geben konnte. Unter Kapital werden wir eine Gesamtheit von Kapitalgiltern verstehen. Der Kapitalbegriff bezieht sich also auf die Aktivseite der Bilanz. (Anm. des tlbers.:) Daher wird auch im folgenden haufig der Ausdruck „Vermogensbedarf" statt des im Deutschen sonst gebrauchlichen Terminus ,,Kapitalbedarf" verwendet. 2 Verwandt mit unserer Auffassung ist die von Dr. H. NEISSER, Der Kreislauf des Geldes, Weltwirtschaftl. Arch., 39. Bd., 1931/1, S. 365. Ein Beispiel fiir die andere Auffassung findet man u. a. bei KEYNES, der meint, daB die GroBe des Kasseniiberschusses durch individuelle Willensentschliisse bestimmt wird, wobei die Bequemliehkeit des Besitzes eines gewissen Kasseniiberschusses (,,degree of convenience") an den Opfern gemessen wird, die dieser Besitz mit sich bringt („degree of sacrifice"). (KEYNES, A treatise on money, Vol. I, S. 227, und Vol. II, S. 44.) Bei dieser Betrachtungsweise wird meist unwillkilrlich dem ,,durchschnittlichen" KassentlberschuB eine Bedeutung als Gegenstand wirtschaftlicher Disposition zugeschrieben, die er gar nicht besitzt.
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Ware der Gesamtbetrag der Aktiva konstant, so ware es fur die Unternehmungen ein leichtes, das Entstehen eines Kassenuberschusses hintanzuhalten, da sie sich ja dann ein fur allemal mit derjenigen Menge von Mitteln versehen konnten, die sie brauchten. Die aus den Betriebserlosen einflieBenden Betrage miiBten in diesem Falle wieder unmittelbar verausgabt werden — andernfalls wiirde der Gesamtbetrag der Aktiva ja abnehmen — und das Geld wiirde nur so kurze Zeit in den Kassen verbleiben, daB der durchschnittliche KasseniiberschuB auf eine GroBe sinken wiirde, die vernachlassigt werden kann. Durch eine Anzahl von Ursachen aber, die wir spater noch kennenlernen werden, ist der Gesamtbetrag der benotigten Aktiva — und damit auch der Vermogensbedarf — einem fortwahrenden Wechsel ausgesetzt. Mufiten nun die Produktionswirtschaften ihren Vermogensbedarf ganz aus eigenen Mitteln oder durch Langkredit dechen, so ware es notig, daji die Mittel fiir den Zeitpunkt des Maximalbedarfs ausreichen, wodurch dann in alien ubrigen Zeitpunkten ein Teil des Vermogens brachliegen wiirde. Jede Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva wiirde also zur Bildung eines vorubergehenden Kassenuberschusses Anlafi geben. DaB dies in Wirklichkeit nicht geschieht, ist eine Folge der Tatsache, daB die Unternehmungen durch. den kurzfristigen Kredit auch einen vorubergehenden Vermogensbedarf decken und so ihre Mittel mit dem wechselnden Bedarf in Ubereinstimmung bringen konnen. Wie sich spater noch zeigen wird, ist dies nur in gewissem MaBe und nicht zur Ganze moglich. Entsteht nun dadurch ein UberschuB an Mitteln, so wird die Unternehmung trachten, denselben rentabel anzulegen, sei es auBerhalb ihres eigentlichen Betriebs, sei es durch eine an sich nicht notwendige Anwendung innerhalb desselben. Nur wenn auch dies nicht moglich ist — z. B. weil es nicht feststeht, durch welche Zeit hindurch der UberschuB zur Verfiigung stehen wird, oder auch, weil diese Zeit zu kurz ist —, werden sich die Unternehmungen mit dem Vorhandensein eines Kassenuberschusses abfinden und sich darein fiigen, daB ein Teil ihres Vermogens brachliegt. Wir miissen dabei im Auge behalten, daB nicht nur die Schwankungen, die wirklich eintreten, sondern auch die, welche als moglich gedacht werden, ihren EinfluB ausuben. Es ist in der dynamischen Volkswirtschaft nicht moglich, alle Ereignisse genau vorherzusehen. Die Leitung einer Unternehmung wird nicht mit absoluter Sicherheit feststellen konnen, welche Zahlungen in Zukunft stattfinden miissen und wie groB diese sein werden. Auch wird sie haufig nicht sicher wissen, welche Mittel verfiigbar werden werden. Sie wird bei ihrer Schatzung stets vorsichtig sein miissen, was nichts anderes sagen will, als daB sie die Aufwendungen stets etwas hoher, die Mittel stets etwas niedriger veranschlagen wird, als sie sich in Wirklichkeit ergeben werden. Auch dies wird zu einem UberschuB an Barmitteln, einem Kassenvorrat fiihren, und zwar zu einem standigen, im Unterschied von dem aus der vorhergenannten Ursache entstehenden zeitweiligen KasseniiberschuB. I m Wesen entsteht dieser KasseniiberschuB in diesen beiden Fallen aus derselben Ursache, nur muB zur Erklarung des standigen Kassenvorrats
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das Unsicherheitselement mitberiicksichtigt werden. I n einer statischen Volkswirtschaft, in der keine Veranderungen vorkommen und in der somit hinsichtlich der Zukunft keine Unsicherheit besteht, ist von einem solchen standigen KassenuberschuB keine Rede. I n der Praxis sehen wir das Kassenhaltungsproblem ganz in der hier beschriebenen Weise in Erscheinung treten. Bei der periodischen Aufstellung der Kassenposition legt sich die Unternehmungsleitung die Frage vor, welche Ausgaben in der bevorstehenden Arbeitsperiode, z. B. einer Woche oder einem Monat, geleistet werden miissen, sowohl fur Lohne wie fur Betriebsauslagen, fallige Akzepte usw. Diesen werden die erwarteten Einnahmen gegemibergesetzt und festgestellt, ob ein Abgang oder ein tJberschuB bleiben wird, so daB dementsprechend MaBregeln getroffen werden konnen. Im Falle eines Uberschusses wird es von der Zeit, wahrend welcher dieser wahrscheinlich verfiigbar sein wird, abhangen, ob ein Teil der beschafften Mittel getilgt werden kann. Gewohnlich wird man aber nach einer voriibergehenden Veranlagung auBerhalb des Betriebes Umschau halten, z. B. auf Depositenkonto oder Report, mitunter wird auch eine nicht unbedingt notige Verwendung im eigenen Betrieb moglich sein, z. B. durch spekulativen Ankauf von Rohstoffen 1 und endlich kann es auch sein, daB im Hinblick auf die Unsicherheit des Zeitpunktes der Wiederaufwendung oder im Hinblick auf den geringen erzielbaren Zins, beschlossen wird, den UberschuB in der Kasse zu halten, wodurch dann ein Kassenvorrat entsteht. Wir werden nunmehr in den folgenden Paragraphen die Ursachen, die zur Bildung eines Kasseniiberschusses fiihren, systematisch untersuchen. I n erster Linie werden wir iiberlegen, wie es kommt, daB der Gesamtbetrag der Aktiva fortwahrenden Schwankungen unterworfen ist und daher fortdauernd eine Tendenz zur Bildung von Kassenuberschussen besteht. Sodann werden wir untersuchen, inwieweit die verschiedenen Kreditformen sich dazu eignen, die Mittel diesen Schwankungen anzupassen, sei es direkt, sei es indirekt, indem sie eine voriibergehende Verwendung von Uberschiissen auBerhalb des Betriebes ermoglichen. SchlieBlich werden wir noch sehen, ob auch die Verwendung im eigenen Betrieb als Mittel zur Vermeidung des Brachliegens von Vermogen belangreich ist. 2 Sobald wir uns auf diese Weise von der Bedeutung der Faktoren, die die GroBe des Kasseniiberschusses bestimmen, eine Vorstellung gemacht haben, werden wir im folgenden Hauptstiick untersuchen, wann und auf welche Weise diese Faktoren eine Veranderung im relativen Umfang der Kassenuberschiisse, d. h. also in der Intensitat der Vermogensausnutzung und dadurch auch in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zustande bringen werden. 1
Vgl. Harvard Business Reports, Vol. L, Case 133, Chicago & New York, 1925. Es sei hiebei bemerkt, dafi wir uns im folgenden nicht auf die Erscheinungen beschranken werden, die fur den gegenwdrtigen Stand des Problems von Bedeutung sind, sondern dap wir das Problem so erortern werden, wie es sich in seiner Allgemeinheit darstellt. Auch die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit in friiheren Zeiten, wo beispielsweise die Gewiihrung von kurzfristigem Kredit noch selten vorkam, wollen wir klarstellen. Die zu bringenden Beispiele werden daher nicht immer auf die Gegenwart anwendbar sein. 2
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II. Die Ursachen des schwankenden Vermogensbedarfes.
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Wenn wir nunmehr zu einer Untersuchung der Ursachen der Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva bei den verschiedenen Produktionswirtschaften iibergehen, wollen wir uns anfangs auf die Aktiva beschranken, die zur Kategorie der produzierten Giiter gehoren. Diejenigen Aktiva, die durch Kreditgewahrung zustande kommen, durch den Ankauf von Aktien, von Grand und Boden oder von besonderen Rechten, kurzum alle, welche zu den ,,Rechten und Verhaltnissen" gezahlt werden miissen, werden wir vorlaufig auBer Betracht lassen. Die Ursache der Variabilitat der erstgenannten Gruppe von Aktiva liegt in der Eigenart des Giiterumlaufsprozesses. Dieser letztere, der durch den Ausdruck ,,Umlauf" eigentlich nicht sehr richtig charakterisiert wird, da von einem Zuriickkehren der umlaufenden Bestandteile zum Ausgangspunkt keine Rede ist, besteht in der Bewegung der Giiter durch die Volkswirtschaft hindurch, wobei sie wiederholt von Hand zu Hand gehen; dies letztere ist durch die Verteilung der Produktionstatigkeit iiber verschiedene Unternehmungen erfordert. Dieser Umlauf nimmt seinen Ursprung in einer nahezu kontinuierlichen, d. h. gleichmaBig und ununterbrochen fortgehenden Leistung produktiver Dienste und wird beendet durch einen ebenfalls fast gleichmaBigen Konsum. Der hohe Grad von Kontinuitat im Entstehen und Vergehen der Giiter, welcher zur Folge hat, daB im allgemeinen •— wir werden spater einige Ausnahmen von dieser Regel kennenlernen —• die gesamte im Umlauf befindliche Menge konstant ist, fehlt der Bewegung der Giiter innerhalb der einzelnen Wirtschaften, welche einen Bruchteil des sozialen Umlaufes bildet. Der Umlauf der Giiter durch die Produktionswirtschaft beginnt mit der Verwendung des Vermogens zur Beschaffung der fur den ProduktionsprozeB benotigten Rohstoffe, Produktionsmittel und Arbeitsleistungen und wird durch den Verkauf der erzeugten Giiter beendigt, wobei die festgelegten Mittel wieder frei werden. 1 Die Eigenart dieses Umlaufs kann am besten an Hand der Formel klargemacht werden, die H I L F E K DING im AnschluB an MARX fur den Kreislauf des Kapitals gibt. 2 Diese Formel, die die Reihe der Formveranderungen wiedergibt, welche das Kapital bei seinem Kreislauf durch die Produktionswirtschaft mitmacht, lautet wie folgt: /Pm Q—W( ... P . . . W'—G' Sie besagt, daB das Geld ((?) in Waren (W) umgesetzt wird, welche entweder Produktionsmittel (Pm) oder Arbeit (.4) darstellen, daB darauf der ProduktionsprozeB P folgt, woraus eine neue Ware (W) entsteht und daB diese wieder in Geld ((?') umgesetzt wird. Die verschiedenen Phasen des Guterumlaufs werden in dieser Formel durch den Abschnitt 1 Da wir vorlaufig Kreditgewahrung und Kreditnahme auCer Betracht lassen, lallen niimlich Lieferung und Bezahlung immer zusammen. 2 R. HILFEBDING, Das Finanzkapital, Wien 1910, S. 58f.
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wiedergegeben, der zwischen den Ausdriicken G und G' liegt. Die Zeit, welche die Giiter brauehen, um diese Phasen zu durchlaufen, wird die Umlaufszeit genannt. Diese ist fur die verschiedenen Giiter, die sich durch die Wirtschaft hindurchbewegen, sehr verschieden; man denke nur an den Unterschied zwischen den dauerhaften Produktionsmitteln, die erst im Verlauf von Jahren im Endprodukt aufgehen, und den Rohstoffen, die meist nur kurze Zeit hindurch bearbeitet werden. Der Gesamtbetrag der Aktiva, dessen Schwankungen den Gegenstand unserer Untersuohung bilden, besteht aus der Gesamtheit der Giiter, die sich in einem bestimmten Augenblick durch die Unternehmung hindurchbewegen. Es ist klar, daB diese Gesamtmenge nur dann konstant bleiben kann, wenn die Giitermenge, die in die Unternehmung einstromt, andauernd derjenigen gleich ist, die sie verlaBt, d. h. wenn die beiden Phasen G — W und W — G' voilkommen parallel verlaufen. Dies wird nun im allgemeinen nicht der Fall sein und daher wird der Gesamtbetrag der Aktiva Schwankungen unterliegen. Es sind namlich verschiedene Ursachen wirksam, die aus der Technik des Produktionsprozesses entspringen und die es mit sich bringen, daB Augenblicke, in denen sich die Ausgaben haufen, von Augenblicken abgelost werden, in denen diese ganz oder fast ganz ausbleiben, ohne daB auch die Einnahmen gleiche Schwankungen erleiden, wobei aber auch das Umgekehrte vorkommt, daB namlich die Einnahmen sich periodisch haufen, ohne daB mit den Ausgaben dasselbe geschieht. Sowohl bei der Aufwendung der Mittel (Phase G — W) wie auch bei ihrem Wiederfreiwerden (Phase W — G') fehlt also in vielen Fallen nicht nur die Kontinuitat, sondern auch die Parallelitat zu der gegenlaufigen Phase, was ein wechselndes Anwachsen und Abnehmen der Giitermenge, die durch die Produktionswirtschaft hindurchstromt, und dadurch zugleich des Gesamtbetrages der Aktiva, zur Folge hat. Die Ursachen, die zu diesen Schwankungen fuhren, konnen wie folgt in fiinf Gruppen zusammengefaBt werden: I. Der Gesamtbetrag der Aktiva nimmt plotzlich zu, um dann wieder allmahlich abzunehmen, indem die im ProduktionsprozeB benotigten Giiter in Gestalt eines Vorrates, dessen einzelne Teile sukzessiv in der Produktion aufgehen, angeschafft werden —• so daB die angelegten Mittel bei regelmaBigem Absatz allmahlich aus dem Ertrag des Produktionsprozesses frei werden — und erst ersetzt werden, wenn der Vorrat erschopft ist. I I . Der Gesamtbetrag der Aktiva nimmt allmahlich zu, um sodann plotzlich wieder abzunehmen, indem der ProduktionsprozeB eine kontinuierliche Aufeinanderfolge von Aufwendungen erfordert, wahrend die angelegten Mittel auf einmal aus dem Bruttoerlos frei werden, da das Endprodukt als Vorrat oder als groBere Einheit abgesetzt wird. I I I . Der Gesamtbetrag der Aktiva bleibt lange Zeit auf einem niedrigen Niveau, indem der Ersatz der Produktionsmittel trotz Erschopfung des Vorrates nicht stattfindet, da die Saison dafiir noch nicht gekommen ist.
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IV. Der Gesamtbetrag der Aktiva bleibt lange Zeit auf einem hohen Niveau, indem die angelegten Mittel trotz Fertigstellung des Endproduktes nicht frei werden, da die Saison dafiir noch nicht gekommen ist. V. Der Gesamtbetrag der Aktiva versehiebt sich, weil die BetriebsgroBe zeitweilig oder dauernd verandert wird. Die ersten vier Falle bilden paarweise Gegenstiicke; trotzdem ist die Trennungslinie nicht immer deutlioh. Es besteht ein allmahlicher Ubergang zwischen den Fallen I und I I und ebenso zwischen I I I und IV. Stellen wir zunachst die Extreme gegeniiber, so sehen wir sub I einen vollkommen kontinuierlichen Strom von Ertragen mit periodischen Veranlagungen, sub I I einen vollkommen kontinuierlichen Strom von Veranlagungen mit periodischen Ertragen. Zwischen diesen Extremen liegen alle die Falle, in denen sowohl Ausgaben wie Einnahmen diskontinuierlich vonstatten gehen; diese Falle werden wir danach einordnen miissen, ob der Strom der Einnahmen oder der der Ausgaben relativ der kontinuierlichste ist. So wird ein Fall, wo jahrliche Ausgaben mit monatlichen Einkunften gepaart sind, unter I klassifiziert werden miissen, ein Fall wochentlicher Einkiinfte und taglicher Ausgaben unter I I . Die Mitte zwischen den Fallen I I I und IV halten die Industrien, in denen sowohl die Produktion wie der Absatz Saisoncharakter haben. SchlieBlich muB noch bemerkt werden, daB die unter I und I I beschriebenen Schwankungen vorkommen werden, ohne daB von irgendwelchen Fluktuationen in Produktion oder Absatz die Rede ist. Im Falle I I I und IV sind die Veranderungen zusammengefaBt, die in Saisonbetrieben wahrgenommen werden konnen, wahrend im Falle V die Folgen der Konjunkturschwankungen zum Ausdruck kommen. Nur der letzte Fall ist daher auf eine dynamische Volkswirtschaft beschrankt; die iibrigen werden auch in einem statischen Zustand vorkommen. Geben wir nunmehr eine Ubersicht uber die groBe Menge der Erscheinungen, die sich in diese funf Gruppen von Ursachen einordnen lassen und die — es sei noch einmal wiederholt — alle die Tendenz haben, Kasseniiberschusse ins Leben zu rufen und damit verzogernd auf die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu wirken. 1. Der wichtigste und am haufigsten vorkommende Fall ist zweifellos der erste, derjenige der diskontinuierlichen Veranlagung bei kontinuierlichem Freiwerden der Mittel. Das einfachste Beispiel hiefiir ist die Beschaffung von Rohstoffen oder Warenvorraten in groBen Partien und die allmahliche Verwendung oder VerauBerung derselben. Ein Fabrikant wird z. B. einen Rohstoff per Waggonladung beziehen, ein Detaillist wird monatlich einmal seinen Vorrat auffullen. Die Griinde fiir diese periodischen Anschaffungen konnen von verschiedener Art sein. In erster Linie ist es moglich, daB dadurch, daB eine groBe Menge auf einmal gekauft wird, von einem niedrigeren Preis Nutzen gezogen werden kann, sei es, weil der Verkaufer bei verschiedener GroBe der abgenommenen Menge verschiedene Preise berechnet, sei es, daB durch Ankauf im groBen eine Zwischenperson iibergangen werden kann. Ferner
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kann es sein, daB die Transportkosten wesentlich geringer ausfallen, wenn die Beschaffung in einer Einheit geschieht, fiir die ein niedriger Beforderungstarif bedungen werden kann, z. B. eine Waggonladung. Dann besteht noeh die Moglichkeit, daB das anzuschaffende Gut ein Saisonartikel ist, wie z. B. die Ernteprodukte, wovon notwendig irgendwo ein allmahlich abnehmender Vorrat gehalten werden muB. Endlich kommt es auch vor, daB das Gut nur auf periodisch abgehaltenen Markten zu bekommen ist, was in friiheren Zeiten von groBer Bedeutung war. Diese periodische Beschaffung, die bei den Rohstoffen haufig stattfindet, bildet die Regel bei den dauerhaften Produktionsmitteln, wie Maschinen und Gebauden. Diese zeigen groBe Ahnlichkeit mit den Vorraten, da auch sie allmahlich im Laufe des Produktionsprozesses verbraucht und erst nachher wieder ersetzt werden. Tatsachlich konnen sie denn auch ruhig als ein Vorrat von Dienstleistungen betrachtet werden, der sich von den ubrigen Vorraten nur darin unterscheidet, daB er technisch ein unteilbares Ganzes bildet, weshalb die Unternehmungen genotigt sind, sich diesen Vorrat periodisch anzuschaffen. Die Schwankungen in den Aktiva, die durch deren Anwesenheit verursacht werden, erstrecken sich, wenn es sich um Produktionsmittel mit langer Umschlagszeit handelt, oft iiber eine Reihe von Jahren. I n der Konsumwirtschaft finden wir ein Beispiel fiir diese Gruppe von Erscheinungen in der Beschaffung und im Verbrauch aller mehr oder weniger dauerhaften Verbrauchsgiiter, wie Kleidung, Hausrat, Automobile usw. SchlieBlich ware auch die periodische Entlohnung der Dienste, die wochentliche und monatliche Auszahlung von Lohnen und Gehaltern, die vierteljahrliche, halbjahrliche und jahrliche Zahlung von Kapitalzins, Pacht, Gewinn und Tantiemen als Beispiel fiir diese Gruppe von Ursachen zu rechnen. Durch ihre allgemeine Verbreitung sind diese Arten der periodischen Auslagen von der allergroBten Bedeutung und der Zusammenhang mit der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wird schon von den ersten Schriftstellern, die diesen Gegenstand behandelt haben, hervorgehoben. Doch sind diese Falle nicht mit den zuvor genannten gleich, und zwar deshalb, weil hier die eigentliche Lieferung wohl kontinuierlich geschieht und nur die Bezahlung periodisch erfolgt. Es entsteht ein Kreditverhaltnis, welches bedeutet, daB die Unternehmung sich von den Anbietern der Dienstleistungen Mittel beschafft. Da wir nun die Folgen von Kreditgewahrungen vorlaufig auBer Betracht lassen wollten, nriissen wir eine nahere Besprechung dieser Falle auf spater verschieben. I n alien gegebenen Beispielen gewahren wir dieselbe Bewegung der Aktiva. Durch Anschaffung eines bestimmten Gutes wird ein Maximum erreicht, darauf folgt eine allmahliche Senkung bis zu einem Minimum vor dem Augenblick der Ersetzung, worauf dann wieder auf einmal das Maximum erreicht wird. 2. Die in der zweiten Gruppe zusammengefaBten Ursachen von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva sind in denjenigen Produktionswirtschaften wirksam, wo das Wiederfreiwerden der Mittel nicht kontinuierlich, sondern ungleichmaBig erfolgt.
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Dies ist iiberall der Fall, wo Synchronisierung der Produktion innerhalb der Unternehmung unmoglich ist, sei es aus technischen Griinden, sei es, weil die Produktionseinheit, d. i. die Einheit des Endprodukts, die fur den Absatz in Betracht kommt — mag dies ein Pfund Zucker, eine Tonne Zement oder ein Ozeandampfer sein —, im Verhaltnis zum Gesamtumfang der Produktion zu groB ist. Unter Synchronisierung haben wir zu verstehen, daB eine groBe Anzahl unregelmaBiger Vorgange so kombiniert wird, daB ihre Resultante eine Konstante bildet. I n den Unternehmungen kommt es zu dieser Synchronisierung dadurch, daB die Arbeit derart organisiert wird, daB an dem ProduktionsprozeB in alien seinen aufeinanderfolgenden Stadien zu gleicher Zeit gearbeitet wird, was zur Folge hat, daB das Endprodukt den Betrieb als ein kontinuierlicher Strom verlaBt. Diese Synchronisierung kann aber wegen technischer Umstande undurchfuhrbar sein, und zwar wenn der Lauf des Produktionsprozesses durch die Natur vorgeschrieben ist, wie z. B. in der Landwirtschaft. Jedes Stadium des Produktionsvorganges und auch seine Beendigung ist an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden, und da das Endprodukt dann meist auf einmal realisiert wird, so werden die sukzessiv investierten Mittel auf einmal frei. Dasselbe ist der Fall, wenn die Produktionseinheit sehr groB ist, wie z. B. beim Bau von Schiffen, Hausern und im allgemeinen bei der Ausfuhrung groBer Arbeiten, wobei die gesamte Produktionskapazitat durch die Erzeugung einer oder nur einzelner Einheiten in Anspruch genommen wird. Es ist ja ohneweiters klar, daB, um einen kontinuierlichen wochentlichen Strom von Endprodukten zu erhalten, der gesamte Jahresumsatz schon mindestens 50mal so groB sein muB wie die abzuliefernde Einheit, fur eine tagliche Kontinuitat sogar 300 mal. Nur sehr groBe Betriebskorper konnen daher bei Ausfuhrung umfangreicher Arbeiten mehr oder weniger zur Synchronisierung gelangen; bei weniger groBen ist das nicht moglich und findet infolgedessen eine allmahliche Verausgabung bei plotzlichem Wiedereinstromen der Mittel statt. Aber nicht nur durch die Technik der Produktion, sondern auch durch die des Absatzes werden die Mittel ungleichmaBig frei. I n der dynamischen Volkswirtschaft gibt es ja nirgends einen vollkommen kontinuierlichen Absatz; man braucht nur die verfiigbaren Monatsziffern einzusehen, um bemerken zu konnen, daB die Wirklichkeit sehr stark von dem statischen Idealzustand abweicht, wo alle Elemente des Umlaufsprozesses ihren Weg mit der groBten RegelmaBigkeit zuriicklegen. Sind auch die Schwankungen, absolut gesehen, nicht so groB, relativ haben sie betrachtliche Bedeutung durch ihre allgemeine Verbreitung und durch das Unsicherheitselement, das sie in alle Schatzungen bringen. Im allgemeinen werden diese Schwankungen desto wesentlicher sein, je groBer die abgesetzte Einheit im Verhaltnis zum Jahresumsatz ist, und zwar infolge des Gesetzes der groBen Zahl. So wird z. B. der Absatz eines Gewurzhandlers unzweifelhaft groBere GleichmaBigkeit aufweisen als der einer Klavierniederlage. SchlieBlich muB noch bemerkt werden, daB beziiglich der Konsum-
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wirtschaft die Einkommensgestaltung und -verwendung als Beispiel einer allmahlichen Investierung und eines periodischen Freiwerdens von Mitteln betrachtet werden konnte. Aus den soeben genannten Griinden wollen wir aber diesen Fall, der ja das Gegenstiick zur periodischen Bezahlung der Dienstleistungen darstellt, nooh nicht in unsere Betrachtungen einbeziehen. Diese zweite Gruppe von Ursachen einer Schwankung in der GroBe der Aktiva fiihrt klarerweise genau umgekehrt wie die erste zu einem allmahlichen Anwachsen der Aktiva von einem Minimum zu einem Maximum, welches im Augenblick vor dem Freiwerden der Mittel erreicht wird, worauf sie plotzlich wieder auf ein Minimum sinken. 3. Die Falle 3 und 4 betreffen die Saisonindustrien, worunter wir lediglich die Betriebe verstehen wollen, die einen mit der Saison wechselnden Umfang der produktiven Tatigkeit kennen — gemessen an der Menge der geleisteten Arbeiten — oder deren Produkt einem mit der Saison wechselnden Verbrauch zugefiihrt wird. I n diesem Sinne sind also landwirtschaftliche Betriebe noch nicht notwendig Saisonbetriebe; man kann sich sehr wohl vorstellen — obwohl das meist nicht der Fall sein wird —, daB die Aufwendung der Arbeit gleichmaBig iiber den ganzen Verlauf des Jahres verteilt wird, was dann spater auch mit dem Verbrauch der Fall sein kann. Fall 3 betrifft die Industrien mit Saisonerzeugung, welche sowohl mit gleichmaBigem wie auch mit saisonmaBigem Absatz Hand in Hand gehen kann. Es ist fast uberfliissig, bier Beispiele aufzuzahlen; man denke nur an die Landwirtschaft in der Erntezeit, an die Zuckerindustrie und eine Reihe anderer Branchen, deren Rohstoffe aus nicht aufbewahrbaren Ernteprodukten bestehen, an das Baugewerbe, das von der Witterung abhangig ist u. a., welche alle eine Zeit haben, in der der Umfang der Investitionen besonders groB ist. Es ist vollkommen klar, daB die danach wieder freiwerdenden Mittel nicht eher wieder verwendet werden konnen, als bis die Saison dafur gekommen ist, weshalb der Gesamtbetrag der Aktiva geraume Zeit hindurch auf einem niedrigen Niveau bleiben wird. In den Konsumwirtschaften finden wir hingegen gerade ein Beispiel dieser Gruppe von Erscheinungen im Saisonverbrauch, der zu einem plotzlichen starkeren Vermogensbedarf wahrend einer kurzen Zeitspanne AnlaB gibt, welcher Bedarf sodann allmahlich wieder abnimmt, weil ein Teil der verfugbar werdenden Mittel bis zur folgenden Verbrauchssaison aufbewahrt werden muB. 4. Dagegen sind in der Gruppe 4 alle Industrien zusammengefaBt, deren Erzeugnis einem saisonmaBigen Verbrauch unterliegt und die demzufolge einen saisonmaBigen Absatz haben. Dies wird haufig auch eine saisonmaBige Produktion verursachen, doch ist das keineswegs notwendig. Denken wir nur an den Absatz von Dungemitteln, Steinkohlen, Fahrradern, Spielwaren usw. Alle diese Artikel werden schon lange Zeit im voraus auf Vorrat erzeugt, was eine betrachtliche Festlegung von Geldmitteln erforderlich macht, von Mitteln, die in der Verkaufssaison
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plotzlich oder wenigstens in kurzer Zeit frei werden, um danach sukzessive wieder Verwendung zu finden. I n der Konsumwirtschaft dagegen miissen wir in diesem Zusammenhang an die Saisonarbeit denken, die ja dasselbe bedeutet wie ein an die Saison gebundener Absatz des Produkts dieser Wirtsohaft, namlich der Arbeitsleistung. 5. Die Schwankungen, die durch Ausbreitung und Schrumpfung des Produktionsumfanges wahrend des Konjunkturverlaufs entstehen, konnen mit den hier oben genannten nicht in eine Linie gestellt werden, da sie von rein dynamischer Art sind und daher in der statischen Volkswirtschaft nicht vorkommen. Daher konnen sie nur in einem Ubergangszustand einigen EinfluB auf die GroBe der Kassenuberschiisse ausiiben. Ihr Vorkommen ist zu evident, als daB dafiir noch Beispiele gegeben werden muBten. Die Erscheinungen, die wir in diesen fiinf Gruppen zusammengefaBt haben, schlieBen einander nicht im mindesten aus, im Gegenteil werden wir meist in einer einzelnen Unternehmung hinsichtlich der verschiedenen Gruppen von Produktionsmitteln sowohl Beispiele fur Fall 1 wie Fall 2 finden. Auch konnen diese sehr wohl mit Saison- und Konjunkturschwankungen Hand in Hand gehen. Wahrend bei einigen Produktionsmitteln, wie z. B. solchen mit einer sehr langen Umlaufszeit stets die periodische Investition vorherrschen wird, kann hinsichtlich anderer Aktiva das periodische Freiwerden der Mittel die Oberhand haben. Hiedurch kann es innerhalb der Unternehmung zu einer weitgehenden Ausgleichung der einzelnen Schwankungen kommen, was von groBer Bedeutung ist, da das Vermogen sich nur der per Saldo verbleibenden Fluktuation anzupassen braucht. Eine solche Ausgleichung findet vor allem haufig innerhalb einer Gruppe von gleichen Produktionsmitteln statt. Wenn z. B. eine bestimmte Maschine alle zehn Jahre ersetzt werden muB, so ist die dadurch entstehende Fluktuation der Aktiva iiber zehn Jahre verteilt. Wenn aber zehn solche Maschinen in Betrieb sind, alle von verschiedenem Alter, konnen sie nacheinander ersetzt werden, jedes Jahr eine. Die Schwankung ist dann auf ein Zehntel ihrer GroBe herabgedriickt und zugleich auf ein Zehntel ihrer Wellenlange, worunter wir die Zeitdifferenz zwischen zwei aufeinanderfolgenden Hohepunkten der Schwankung zu verstehen haben. Es hat eine Synchronisierung stattgefunden. J e groBer der Umfang der Unternehmung, desto groBer diese Moglichkeit der Nivellierung. J e mehr sich hingegen die Unternehmung auf die Bearbeitung eines einzelnen Produktes beschrankt — je mehr also die Differenzierung der Produktion durchgefuhrt ist •—• oder je mehr sie sich auf die Production von Endprodukten geringer Mannigfaltigkeit verlegt —, d. h. je mehr die Produktion spezialisiert ist — desto geringer ist die Aussicht auf Ausgleichung der verschiedenen Schwankungen. Namentlich die Differenzierung der Produktion wird zu einem Wachsen der relativen Bedeutung der Fluktuationen fuhren, da ja jede Differenzierung einen neuen Bruch in der Giiterzirkulation bedeutet,
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welcher durch eine neue Giiteriibertragung iiberbriickt werden muB. Niemals wird diese tjbertragung so kontinuierlich vor sich gehen, daB die vollige Anpassung wieder erreicht wird, die bestand, als die geteilte Arbeit noch in einem Betrieb geleistet wurde. Eine Zunahme der Differenzierung wird also aus diesem Grund auf die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes verzogernd wirken. DaB im allgemeinen die Integration — d. i. das Gegenteil der Differenzierung, also die Zusammenziehung aufeinander folgender Stadien des Produktionsprozesses in einen Betrieb — zu einer Verminderung der Schwankungen fuhren muB, wird auch klar, wenn wir bedenken, daB sie eine Annaherung an jenen denkbaren Zustand vollkommener Einheit bedeutet, in dem die gesamte Volkswirtschaft eine einzige Unternehmung darstellt. I n diesem Zustand sind alle Fluktuationen notwendig verschwunden. Der Gesamtvorrat an produzierten Giitern ist ja konstant, da Erzeugung und Verbrauch, wodurch die Giiter hergestellt bzw. vernichtet werden, vorbehaltlich einzelner noch anzufuhrender Ausnahmen, die bier von keiner Bedeutung sind, kontinuierlich. vor sich gehen. Fur eine Schwankung im Gesamtbetrag der Mittel, die in den Bestandteilen jenes Vorrates festgelegt sind, ist daher kein Kaum. Daraus kann ein sehr wichtiger SchluB gezogen werden. Wenn eine Schwankung im ganzen nicht vorkommt, konnen ja Schwankungen in den Teilen des Ganzen nur entstehen, wenn und soweit sie einander aufheben. Wenn derjenige Teil des gesellschaftlichen Giitervorrats, der sich in Handen einer Unternehmung befindet, sich vermehrt, muB sich notwendig der Anteil einer anderen vermindern. Es besteht also ein inniger Zusammenhang zwischen den Fluktuationen der Aktiva der verschiedenen Produktionswirtschaften. Jede Vermehrung von Investitionen, und also im Zusammenhang damit von Bedarf an Mitteln, bei der einen Unternehmung geht notwendig Hand in Hand mit einer gleichgroBen Verminderung bei einer oder mehreren anderen, und es ist daher moglich, alle zeitweiligen Bediirfnisse nach Mitteln aus einem standigen Fonds zu decken, aus welchem die Produktionswirtschaften hintereinander, wenn die Reihe an ihnen ist, schopfen konnen, um zeitweilig den Betrag ihrer Investitionen zu erhohen. Der wechselseitige Zusammenhang zwischen den Fluktuationen der Aktiva bei den verschiedenen Unternehmungen ist haufig leicht zu bemerken. Denken wir nur an den Umlauf der Ernteerzeugnisse. Die allmahliche Festlegung von Mitteln in der Landwirtschaft, die von einem plotzlichen Freiwerden derselben abgelost wird, findet ihr Gegenstuck in der plotzlichen Verausgabung und dem allmahlichen Freiwerden beim GetreidegroBhandel und eventuell bei anderen Unternehmungen, die den Getreidevorrat ubernehmen und bei welchen sich dieser langsam durch den Verbrauch vermindert. Dasselbe ist bei der periodischen Bezahlung der Arbeitsleistungen der Fall. Der allmahlichen Abnahme des Kassenbestandes bei den Einkommensbeziehern, die eine Folge der kontinuierlichen Auslagen im Verein mit einem periodischen Einstromen des Einkommens ist, steht die regelmaBige Zunahme des Kasseniiberschusses Beitrage zur Geldtheorie.
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bei den Produktionswirtsohaften gegeniiber, deren Absatz kontinuierlich erfolgt, bei denen aber die Auszahlung der Lohne und Gehalter wochentlich oder monatlich stattfindet: In diesen Fallen hat die Schwankung der Aktiva eine gegenldufige Schwankung in einer anderen Produktionswirtschaft, welche ihr in der Aufeinanderfolge differenzierter Betriebszweige vorangeht oder nachfolgt. Es ist aber auch noch eine andere Ausgleichung moglich. Wir werden z. B. vergebens nach der gegenlaufigen SchwankungderjenigenPluktuation der Aktiva suchen, welche durch den Gebrauch einer Dampfmaschine entsteht, die in 20 Jahren abgeschrieben werden muB. Nirgends werden wir eine iiber 20 Jahre verteilte sukzessive Veranlagung von Mitteln finden, die mit einem Freiwerden derselben am Ende dieser langen Periode endet. Diese Schwankung wird dadurch ausgeglichen, daB es Hunderte von anderen Unternehmungen gibt, die alle eine solche Dampfmaschine verwenden. Alle diese Maschinen sind verschieden alt und jedesmal muB wieder eine andere ersetzt werden. Es entsteht daher eine standige Nachfrage nach Dampfmaschinen, welche durch ein standiges Angebot befriedigt werden kann. Die Nivellierung tritt ein, indem die Spitzen der Schwankungen nicht in einem Moment, sondern nacheinander erreicht werden, so daB es zu einer Synchronisierung kommt. Der Gesamtbetrag der Investitionen in Dampfmaschinen aller dieser Unternehmungen zusammen ist eine Konstante. Gegeniiber dem vorigen Fall konnen wir hier von einer mitlaufigen Schwankung sprechen. Diese findet stets in einer Produktionswirtschaft statt, die sich in der Aufeinanderfolge differenzierter Betriebszweige auf einer gleichen Stufe befindet. In demselben Sinne, in welchem man von vertikaler und horizontaler Kombinierung in der Industrie spricht, konnen wir sagen, daB gegenlaufige Schwankungen stets in vertikaler, mitlaufige Schwankungen stets in horizontaler Richtung im Aufbau der Wirtschaft stattfinden. Ein zweites Beispiel von mitlaufiger Schwankung sehen wir in dem Falle, daB eine groBe Zahl von Detaillisten einmal im Monat ihren Vorrat bei demselben Grossisten eindeckt. Bei jedem der Detaillisten kommt es dann zu einer Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva. Aber diese wird nicht durch eine entgegengerichtete Schwankung beim GroBhandler aufgehoben, obwohl das grundsatzlich moglich ware, sondern durch synchronisierte mitlaufige Schwankungen bei den ubrigen Detaillisten. Wir diirfen ja annehmen, daB die Bestellungen an beliebigen Tagen geschehen, so daB der GroBhandler taglich, einmal an diesen, dann wieder an jenen Detaillisten liefern kann und die Guter seinen Betrieb in einem kontinuierlichen Strom verlassen. Der gesamte Vorrat in den Handen der Detaillisten und somit auch der Gesamtbetrag ihrer festgelegten Mittel ist dann konstant. Es werden aber nicht alle Schwankungen ausgeglichen. Die Behauptung, daB der soziale Gutervorrat konstant sei, ist, wie schon bemerkt wurde, nicht ganz richtig. Es ist eine Fluktuation moglich als Folge einer Diskrepanz zwischen Erzeugung und Verbrauch. I n der
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statischen Volkswirtschaft kann eine solche in Gestalt von Saisonschwankungen vorkommen, und zwar, wenn Erzeugung und Verbrauch sich im Laufe des Jahres regelmaBig gegeneinander verschieben, wodurch dann eine Produktions- und eine Verbrauchssaison entsteht. Wahrend der ersten wird der soziale Giitervorrat und damit dann auch der Gesamtbetrag der Aktiva aller Unternehmungen an Umfang zunehmen, wahrend der letzten werden sich diese wieder vermindern. Infolgedessen wird auch der Gesamtbedarf an Mitteln einer gleichen Schwankung unterliegen. AuBer diesen Saisonwellen gibt es dann xiberdies noch die dauernde dynamische Veranderung im Gesamtvorrat der produzierten Guter, welche aufs engste mit dem Konjunkturzyklus zusammenhangt. Sie zeigt sich innerhalb der Unternehmungen nicht in einer zeitweiligen, sondern in einer dauernden Vermehrung der Aktiva, die eine VergroBerung des Umfangs der Produktion bedeutet. An unserer SchluBfolgerung hinsichtlich des gegenseitigen Zusammenhanges zwischen den Schwankungen der Aktiva wird durch die Moglichkeit dieser Fluktuationen im Gesamtgiitervorrat nur eine kleine Anderung notwendig. Es stellt sich nur heraus, daB in den Fallen, in denen eine Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva Saison- oder Konjunkturcharakter hat, die Moglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daB weder eine gegenlaufige Schwankung noch eine mitlaufige Schwankung besteht, sondern diese Schwankung mit einer Fluktuation des gesellschaftlichen Gutervorrates ubereinstimmt. Zum SchluB mussen wir noch untersuchen, welcher EinfluB auf die Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva durch den Besitz derjenigen Aktiva ausgeiibt wird, die keinen Teil des gesamten Giitervorrats ausmachen. Auch diese stellen ja, insoweit sie fluktuieren, die Produktionswirtschaft vor das Problem, mit den Mitteln so vorteilhaft wie moglich zu disponieren, um die Entstehung eines Kassenvorrats zu verhindern. Wir konnen sie in zwei Kategorien teilen: Einerseits die Kreditgewahrungen und anderseits die Aufwendungen in Grund und Boden, Effekten, Patenten, sonstigen Monopolrechten usw. Der EinfluB, der durch die notwendig zu gewahrenden Kredite auf die Schwankungen der Aktiva ausgeiibt wird und der oft sehr wesentlich ist, wie uns hinsichtlich der Kreditgewahrung, die der periodischen Bezahlung der Arbeitsleistungen zugrunde liegt, schon klar wurde, laBt sich bequemer im folgenden Paragraphen besprechen; beschranken wir uns also auf die letztgenannte Kategorie. Die in Grund und Boden, Effekten, Monopolrechten usw. angelegten Betrage unterliegen im allgemeinen keinen regelmaBigen Schwankungen, da bei diesen Aktiva meist von einem allmahlichen Verbrauch und einem darauffolgenden Ersatz keine Rede ist. Doch durfen sie nicht ganz vernachlassigt werden, da ja, soweit diese Objekte durch den Betriebsverlauf im Wert sinken und daher abgeschrieben werden mussen — man denke z. B. an Bergwerke und Patente — eine Verminderung des Gesamtbetrages der Aktiva Platz greift. Wir mussen diese Gruppe von Aktiva jedoch stets abgesondert 10*
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betrachten, da fur sie nicht die Pvegeln iiber den Zusammenhang zwischen den Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva bei den verschiedenen Unternehmungen gelten, welche wir fiir die produzierten Sachgiiter aufstellten. Wahrend diese letzteren einen konstanten Betrag darstellen, der sich bei gegebenem Preisniveau nur verandern kann, wenn Erzeugung und Verbrauch sich. gegeneinander verschieben, sind die ersteren willkurlich vermehrbar, da sie nur das kapitalisierte Recht auf einen Teil des kunftigen gesellschaftlichen Einkommens vergegenwartigen. III. Art und Form des Angebotes von Mitteln auf den Kreditmarkt.
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Die Urquelle, woraus beinahe alle Mittel entspringen, welche durch die Unternehmungen im ProduktionsprozeB angelegt werden, ist das Sparen. Die Spartatigkeit, worunter zu verstehen ist, daB weniger verbraucht als produziert wird, geht im allgemeinen so vor sich, daB ein Teil des Einkommens nicht zum Verzehr verwendet, sondern unmittelbar oder mittelbar den Unternehmungen zur Verfugung gestellt wird. Bleibt diese Verwendung des gesparten Betrages aus, dann muB von Horten gesprochen werden. Die Spartatigkeit kann in zeitweilige und dauernde eingeteilt werden. Die zeitweilige geschieht im Hinblick auf einen bestimmten kunftigen Bedarf. Es besteht dabei die Absicht, das Gesparte in einer nicht allzu fernen Zukunft wieder zu verzehren, und die so verfugbar werdenden Mittel konnen daher den Unternehmungen nur vorubergehend iiberlassen werden. Das Dauersparen ist endgiiltiger Verzicht auf Konsum und setzt den Sparer instand, seine Mittel lange Zeit oder sogar standig an die Produktionswirtschaften zu ubertragen. AuBer durch Spartatigkeit konnen die Unternehmungen auch noch durch Geldschopfung Mittel erhalten. Vom Standpunkt des Unternehmers sind die aus dieser Quelle empfangenen Mittel ebenso verwendbar wie die, welche aus der Spartatigkeit entstehen, da sie ihn ja durchaus in die Lage versetzen, sich mehr Giiter zu verschaffen. Sozial gesehen ist es aber klar, daB der Giiterbesitz der samtlichen Unternehmungen durch Geldschopfung, die nicht mit einer verhaltnismaBigen Minderung des Verbrauchs Hand in Hand geht, nicht vergroBert werden kann. Die Zunahme an Kaufkraft wird zu einer Preissteigerung fuhren und die begiinstigte Unternehmung wird sich ein Mehr an Giitern nur sichern konnen, indem sie andere vom Markte verdrangt. Nur in zwei besonderen Fallen wird die Geldschopfung die Unternehmungen instand setzen, ihren gesamten Giiterbesitz zu erweitern, und zwar wenn gleichzeitig gehortet wird oder wenn „erzwungenes Sparen" auf sie folgt. Das Horten bedeutet an sich eine Nachfrageminderung, die zu einer Preissenkung fuhren wird. Diese wird eine Zunahme des Verbrauches der iibrigen Wirtschaftssubjekte zur Folge haben, wodurch das Resultat der vollzogenen Ersparung zunichte gemacht werden wird. Wird nun aber durch Geldschopfung den Produktionswirtschaften ein Kredit in
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der Hohe des gehorteten Betrages gegeben, so wird die Wirkung ganz dieselbe sein, als ob die Sparer selbst ihre Verfugungsmacht den Produzenten iiberlassen hatten. Und diese letzteren werden daher ihren gesamten Giiterbesitz wirklich erweitern konnen. Die durch Geldschopfung ins Leben gerufene Kaufkraft tritt bier an Stelle der dem Verkebr durch Hortung entzogenen. Von praktischer Bedeutung wird diese Erscheinung sein konnen, wenn das voriibergehende Sparen, welches im Hinblick auf den Bedarf der Verbrauchssaison stattfindet, in der Form des Hortens gescbieht, wie haufig der Fall sein wird, weil es den Konsumenten an Gelegenheit mangelt, ihre Ersparnisse fur kurze Zeit dem Produzenten zur Verfugung zu stellen. Die Erscheinung des „erzwungenen Sparens" kann als Folge einer Geldschopfung eintreten. Wenn durch diese letztere der Preis der Giiter und Dienstleistungen nach und nach steigt, entsteht dadurch eine Verschiebung der realen Kaufkraft zugunsten derer, deren Einkommen oder Vermogen friiher oder starker steigt als die Warenpreise und zum Nachteil derjenigen, bei denen das Umgekehrte gescbieht. Soweit diese letzteren Dienste leisten und somit Einkommen erwerben, ist ihr produktiver Beitrag im ProduktionsprozeB groBer als das Realeinkommen, das sie dafiir erhalten. Sie bringen mehr hervor, als sie verzehren und sparen daher, wenn auch nicht freiwillig, so doch notgedrungen. Diese Ersparnisse kommen denen zugute, die zur ersten Gruppe gehoren, bierunter in erster Linie den Unternehmern, welche die Kredite erhalten und dann in der Lage sind, ihren gesamten Giiterbesitz wirklich zu erweitern, ohne daB sie die Giiter anderen Unternehmern wegnehmen miiBten. Die Verfugbarstellung von Mitteln an die Produktionswirtschaften geschieht entweder in Form von Dauerbeteiligung oder in Form von Kreditgewahrung. Im ersten Falle bilden die Mittel das ,,eigene", im zweiten das „fremde" Vermogen der Unternehmungen. Die Kreditgewahrung geschieht stets fur eine begrenzte Zeit und je nach der Lange derselben wird von Langkredit oder Kurzkredit gesprochen, wobei die Dauer eines Jahres als Trennungslinie angenommen werden kann. Die wichtigsten Arten der Gewahrung von Langkredit sind die Obligationenanleihe und die Geldleihe gegen Hypothek oder Schiffshypothek. Die wichtigsten Formen von Kurzkredit sind der Lieferantenund Abnebmerkredit, die Geldmarktkredite •— das sind Diskont-, Eeportund Lombardkredit — und der Bankkredit. Dieser letztere, obwohl formell stets Kurzkredit darstellend, muB tatsachlich oft als langfristiger Kredit betrachtet werden. Diese Formen der Kreditgewahrung unterscheiden sich voneinander auBer durch die Zeit, fur welche die Mittel abgetreten werden, auch noch durch das verschiedene MaB von Sicherheit, das fur die Bezahlung von Kapital und Zinsen seitens der Kreditnehmer gegeben werden muB, ferner durch das verschiedene AusmaB, in welchem fur ihr Zustandekommen die Dienste von Mittelspersonen notig sind, und endlich, als Folge der schon genannten Umstande, durch den Unterschied der Kosten, die sie verursachen.
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Im allgemeinen wird unter sonst gleichen Umstanden eine Tendenz zu niedrigerem ZinsfuB bestehen, wenn die Kreditgewahrung fur einen kurzeren Zeitraum erfolgt. DaB dies infolge von Rentabilitats- und Liquiditatserwagungen eine notwendige Folge der Beschaffenheit der Kreditnachfrage und des Kreditangebotes ist, wird von DE JONGH klar gezeigt. 1 Ebenso wird der Zins niedriger sein, wenn die von den Unternehmungen gegebene Sicherheit groBer ist. Der Bedarf nach den Diensten von Mittelspersonen laBt eine Marge zwischen dem von den Kreditnehmern bezahlten und dem vom letzten Kreditgeber empfangenen Zins entstehen. J e starker dieser Bedarf, desto hoher wird der bezahlte und desto niedriger der empfangene Zins sein. Da dieser Bedarf nun im allgemeinen bei kurzfristiger Kreditgewahrung groBer ist als bei langfristiger, wird der erstere fur die Kreditnehmer verhaltnismaBig teurer als der letztere, wodurch der Vorteil des niedrigeren ZinsfuBes beim Kurzkredit mehr oder minder aufgehoben wird. Infolge der gesamten Wirkung aller dieser Faktoren gibt es eine bestimmte normale Relation zwischen den Kosten der verschiedenen Kreditarten. Der wohlfeilste ist der kurze Geldmarkt- und der lange Hypothekarkredit, die aber beide fiir viele Unternehmungen nicht oder nur in geringem Umfang zu erhalten sind, da diese den hohen Anforderungen an Sicherstellung nicht Geniige leisten konnen. Der teuerste ist dagegen der Bankkredit, dessen Gewahrung nicht nur durch eine Mittelsperson erfolgt — wenigstens soweit wir von der Geldschopfung absehen —, sondern bei welchem auBerdem die zu stellende Sicherheit geringer ist. Es ist auf Grund dieser Kostenverhaltnisse klar, auf welche Weise die Unternehmungen trachten werden, fiir ihren Vermogensbedarf vorzusorgen. Der Bedarf nach Dauervermogen oder Langvermogen — d. h. also Vermogen, welches standig oder fiir lange Zeit verfiigbar bleibt •— wird, soweit die eigenen Mittel dazu nicht ausreichen, durch langfristigen, eventuell hypothekarisch gesicherten Kredit gedeckt werden. Haufig wird sich dies aber als unmoglich herausstellen. Urn diese Kreditformen in Anspruch nehmen zu konnen, wird die Unternehmung ja bestimmten Anforderungen hinsichtlich ihrer GroBe und Stabilitat geniigen miissen.2 Kann sie das nicht, dann wird der langfristige Bedarf durch Kurzkredit gedeckt werden miissen, der dann jedesmal verlangert werden muB. Der voriibergehende Vermogensbedarf wird vorzugsweise durch Kurzkredit gedeckt werden, was aber ziemlich teuer sein wird, wenn Bankkredit beniitzt werden muB. Haufig so teuer, daB es vorteilhaft sein kann, einen Teil des Bedarfs durch Langkredit zu deeken, obwohl dadurch wahrend einer gewissen Zeit ein UberschuB an Mitteln entsteht. Inwieweit dies vorteilhafter sein wird, hangt von der Marge zwischen dem Zins fiir langfristigen und kurzfristigen Kredit, von der Zeit, wahrend der der voriibergehende Bedarf besteht und von dem Erlos ab, der entsteht, wenn der zeitweilige UberschuB an andere ausgeliehen wird. 3 1 B. H. DE JONGH, Beschouwingen over eenige effecten- en credietvofmen in hun beteekenis voor de financiering der onderneming, 's Gravenhage 1922, S. 110. 2
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Siehe DE JONGH, 1. c. S. 48.
POLAK spricht hier von einem ,,Kapitaloptimum", d. i. ,,der Teil des voriiber-
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Das Angebot an Mitteln wiirde aber einer derartig zusammengesetzten Nachfrage nicht entsprechen konnen, wenn nur die voriibergehenden Ersparnisse fiir kurze Frist, die Dauerersparnisse ausschlieBlich fur lange Frist und die aus der GeldschQpfung erhaltenen Mittel fiir einen Termin angeboten wurden, der vom Willen des Geldschopfers abhangig ist. Derm, wenn auch die Gesamtheit der Dauerersparnisse wohl ungefahr mit dem gesamten konstanten Vermogensbedarf alter Produktionswirtschaften ubereinstimmen wird, so haben wir schon vorher gesehen, daB dieser letztere teilweise aus aufeinanderfolgenden, zeitweiligen Vermogensbediirfnissen der einzelnen Produktionswirtschaften bestehen wird. Ein Teil des konstanten Vermogens der Volkswirtschaft wird also auf dem Markt fiir kurzfristige Kredite angeboten werden miissen. Das wird auch in der Tat geschehen, und zwar in erster Linie seitens der soeben genannten Unternehmungen, die ihren voriibergehenden Vermogensbedarf zum Teil durch Langkredit decken und den UberschuB auf dem Kreditmarkt anbieten. In zweiter Linie durch einen Teil der Sparer, die sich noch nicht entschieden haben, auf welche Weise sie ihre Ersparnisse standig verwenden wollen und die, solange ihre Entscheidung noch in der Schwebe ist, dieselben kurzfristig abtreten. Und endlich seitens der Banken, die das Gleichgewicht auf dem Kreditmarkt dadurch aufrechterhalten werden, daB sie, je nachdem die Umstande dies erfordern, einen Teil des ihnen abgetretenen Dauervermogens kurzfristig ausleihen oder auch umgekehrt die ihnen vorubergehend uberlassenen Mittel fiir formell kurze, aber tatsachlich lange Frist an die Unternehmungen weitergeben.
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IV. Die Bedeutung der verschiedenen Kreditformen fur die Anpassung des Vermogens an den wechselnden Bedarf. Wenn wir jetzt untersuchen, welche Bedeutung die verschiedenen Kreditformen fiir die Bestrebung der Produktionswirtschaften haben, ihr Vermogen den fortwahrenden Schwankungen im Gesamtbetrag ihrer Aktiva anzupassen, miissen wir drei Fragen unterscheiden: Die wichtigste, die unser Hauptproblem darstellt, ist die, in welchem AusmaB die verschiedenen Kreditformen sich zu einer direkten Anpassung der Mittel an diese Schwankungen eignen. Sodann miissen wir uns fragen, inwieweit die Schwankungen der Aktiva selbst durch die Kreditgewahrung beeinfluBt werden, welche einen Teil der notwendigen Vermogensverwendungen bilden, und schlieBlich muB untersucht werden, inwieweit es moglich sein wird, eventuelle zeitweilige Uberschiisse auBerhalb des Betriebs rentabel anzulegen. Soweit die Finanzierung mit eigenem Vermogen bewerkstelligt wird, kann von einer direkten Anpassung an die Schwankungen der Aktiva keine Rede sein. Die erhaltenen Mittel bleiben fiir die ganze Lebensdauer der Unternehmung zu ihrer Verfiigung. Wird ausschlieBlich mit eigenem gehenden Betriebskapitalsbedarfs, dessen Deckung durch kurzfristigen Kredit schatzungsweise teurer sein wird als durch langfristigen Kredit". (Siehe POLAK, 1. c. S. 116.)
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Vermogen finanziert, dann wird die Bereitstellung von Vermogen dem maximalen Bedarf angepaBt sein miissen, so daB in alien anderen Zeitpunkten ein UberschuB wird entstehen miissen, der als Kassenvorrat verfugbar ist, es sei denn, daB eine besondere Verwendung dafiir ausfindig gemacht wird. Von den Formen, in denen das langfristige Fremdvermogen verschafft wird, sind die Hypothek und die Schiffshypothek naturgemaB am besten geeignet zur Finanzierung von unbeweglichen Giitern und Schiffen. Ein gewisses MaB von Anpassung an das allmahliche Freiwerden der in diesen Objekten festgelegten Mittel ist durch eine allmahliche Tilgung sehr wohl zu erreichen. In noch weiterem MaBe ist dies der Fall bei der Begebung von Obligationen, die ganz besonders das Finanzierungsmittel fur groBe Komplexe dauerhafter Produktionsmittel bildet, da es leicht ist, die Bedingungen fur die Tilgung so zu regeln, daB diese letztere mit dem Verbrauch der beschafften Kapitalguter parallel lauft. Auf diese Weise kann ein langdauerndes Brachliegen von Vermogen vermieden werden. Da aber die Tilgung der Obligationen hochstens ein- oder zweimal im Jahr stattfinden kann, wa.hrend die Mittel meistens mehr kontinuierlich frei werden, wird innerhalb der Jahresperiode ein langsames Anschwellen uberflussiger Mittel bis zum Augenblick der Tilgung stets fuhlbar sein. In Europa wird dieser Zusammenhang zwischen Tilgung und Wertverminderung sehr oft hergestellt. Wenn aber wie in Amerika 1 die Gepflogenheit besteht, die ausgegebenen Obligationen auf einmal zu tilgen, ist jede Anpassung des Langkredits an den fluktuierenden Bedarf unmoglich. In diesem Falle wird meist zur Errichtung eines ,,sinking fund" ubergegangen werden, wodurch die Anlage uberflussiger Mittel auBerhalb des Betriebes notwendig gemacht wird. Ein wichtigeres Mittel, um tJbereinstimmung zwischen dem Gesamtbetrag der Aktiva und dem der Mittel herzustellen, ist der kurzfristige Kredit. Wir sahen schon im § 2, daB die meisten Schwankungen sich innerhalb der Periode eines Jahres abspielen, so daB der daraus hervorgehende voriibergehende Vermogensbedarf auch nur durch Kurzkredit gedeckt werden kann. Untersuchen wir zuerst, welche Bedeutung in dieser Hinsicht der Lieferanten- und Abnehmerkredit haben. Unter dem Erstgenannten ist zu verstehen, daB einer Unternehmung durch ihren Lieferanten Mittel in der Form beigestellt werden, daB er ihr Aufschub fur Bezahlung der gelieferten Waren gewahrt. Der Abnehmerkredit ist die Beistellung von Mitteln durch die Abnehmer in Gestalt von Vorauszahlung auf die zu liefernden Giiter. Der Lieferantenlcr edit wird auf verschiedene Weisen gewahrt, die in Hinsicht auf unser Problem verschiedene Bedeutung haben. Die einfachste Form ist die, bei der die Barzahlung durch eine Zahlung ersetzt wird, die einige Zeit nach der Lieferung erfolgt. I n diesem Falle bleibt die Einheit der Lieferung und die der Bezahlung gleich groB. Dem ist nicht so, wenn auf Rechnung geliefert wird. Der Abnehmer wird dann 1
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fur die aufeinanderfolgenden Warenlieferungen belastet und die Rechnung wird von ihm periodisch bezahlt, so da8 die Bezahlungseinheit groBer ist als die Lieferungseinheit. Man denke z. B. an den Kredit, den Detailhandler ihren Kunden gewahren. SchlieBlich miissen wir noch eine dritte Form unterscheiden, bei der die Lieferungseinheit groBer ist als die Zahlungseinheit, namlich den Abzahlungskredit. Richten wir unsere Aufmerksamkeit zunachst auf die erstgenannte Form. Im allgemeinen ist diese mehr ein Mittel, um einen standigen Vermogensbedarf zu decken, als einen zeitweiligen. Denn soweit eineUnternehmung von einem Gut, welches sie benotigt, einen Minimalvorrat besitzt, was sehr haufig der Fall sein wird, kann sie die Last der Finanzierung dieses Vorrates mehr oder weniger auf den Lieferanten abwalzen, wenn sie Kredit fur eine Frist bekommt, die mindestens ebenso lang ist wie der Zeitverlauf zwisehen zwei aufeinanderfolgenden Bestellungen. I n diesem Falle wird ja stets ein Teil ihres Vorrates unbezahlt sein und je nachdem die Kreditfrist kiirzer, gleich lang oder langer ist als die durchschnittliche Vorratsdauer der betreffenden Giiter, erhalt sie standig einen Teil, das Ganze oder selbst mehr als das Ganze der Mittel, die sie fur die Finanzierung dieses Vorrates braucht. Von einer Versorgung vorubergehenden Vermogensbedarfes kann hochstens insoweit die Rede sein, als der Vorrat selbst Schwankungen unterworfen ist. Aber selbst dann wird, wie wir sehen werden, der Lieferantenkredit nur ausnahmsweise zu einer besseren Angleichung von Aufwendungen und Mitteln fiihren. Die Schwankung des Vorrates kann dreierlei Ursachen haben. Es ist moglich, daB der Absatz auf eine bestimmte Periode konzentriert ist, wahrend die Beschaffung kontinuierlich geschieht, oder daB ein kontinuierlicher Absatz mit einer periodischen Beschaffung Hand in Hand geht, oder endlich, daB sowohl der eine wie die andere periodisch erfolgt. Im ersten Fall kann der Lieferantenkredit nie etwas anderes bedeuten als eine einfache standige Beschaffung von fremden Mitteln. Die Fluktuation im Vermogensbedarf wird ja durch das ungleichmaBige Freiwerden der Mittel verursacht und hieran wird durch den Kredit nichts geandert. Aber auch die Reihe der Aufwendungen geht wie gewohnlich weiter, nur betrifft jede Zahlung jetzt nicht das letzte gelieferte Giiterquantum, sondern eine fruhere Lieferung. Das Ergebnis ist nur, daB der Kreditnehmer dem Kreditgeber einen festen Betrag schuldig bleibt in der Hohe seiner Ankaufe wahrend der Kreditfrist. Im zweiten Fall wird etwas anderes eintreten. Hier sind es die Anschaffungen, die die Schwankung verursachen, der Absatz geschieht kontinuierlich. Infolgedessen wird durch einen Lieferantenkredit von drei Monaten die Spitze des Vermogensbedarfs um drei Monate verschoben werden. Die Fluktuation der Aufwendungen kommt ja jetzt drei Monate nach der des Vorrates. Betrachten wir also diesen Fall an und fiir sich, so wird auch hier keine bessere Anpassung erzielt. Wenn aber infolge anderer Ursachen auch schon im Augenblick des Vorratsmaximums ein besonders groBer Vermogensbedarf besteht, was z. B. bei Saisonindustrien
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sehr wohl moglich ist, dann wird durch diese Verschiebung eine Haufung voriibergehenden Bedarfes hintangehalten und eine Finanzierung des Vorrates mit Mitteln, die inzwischen aus anderen Investitionen frei wurden, ermoglicht. I n diesem Fall kann also doch eine bessere Anpassung erreicbt werden. Ein gewisser Vorteil ist zu erzielen, wenn sowohl Einkauf wie Verkauf unregelmaBig vonstatten gehen. Es ist klar, daB dann die Haufung der Einkaufe derjenigen der Verkaufe vorangehen muB, was zu einer soharfen Spitze im Vermogensbedarf fiihren kann. Durch den Lieferantenkredit kann jetzt erreicht werden, daB der Aufwendung das Freiwerden der Mittel unmittelbar nachfolgt. Der voriibergehende Vermogensbedarf kann dadurch stark verringert werden. 1 Namentlich wird es in diesen Fallen haufig vorkommen, daB Lieferantenkredit ausschlieBlich aus Griinden der Finanzierung zustande kommt, wie dies bei zahlreichen Saisonindustrien beobachtet werden kann. 2 Wir diirfen aber nicht vergessen, zu untersuchen, welchen EinfluB der Lieferantenkredit auf den Kreditgeber haben wird. Es ist ja nicht unmoglich, daB bei ihm die Finanzierungsverhaltnisse ungiinstiger statt giinstiger werden und daB auf diese Weise ein eventueller Vorteil zunichte gemacht wird. Diese Frage fallt zusammen mit derjenigen nach der Bedeutung, welche die im regelmaBigen Betriebsgang notwendig zu gewahrenden Kredite fiir die Fluktuationen der Aktiva haben. Es ist nach dem Vorhergehenden nicht schwer, in dieser Hinsicht, soweit die in Rede stehende Form des Lieferantenkredits in Frage kommt, zu den folgenden SchluBfolgerungen zu gelangen. Der gegebene Kredit hat stets zur Folge, daB die Mittel eine bestimmte Zeit spiiter frei werden als sonst der Fall gewesen ware. Wenn nun beim Kreditgeber die Verkaufe kontinuierlich vor sich gehen, bedeutet der Kredit fiir ihn stets eine standige Weitergabe von Mitteln an seine Abnehmer, sowohl wenn seine eigenen Anschaffungen regelmaBig wie auch wenn sie unregelmaBig stattfinden, d. h. sowohl wenn sein Vorrat konstant ist wie auch wenn er schwankt. Wenn beim Kreditgeber die Verkaufe diskontinuierlich stattfinden, miissen wir unterscheiden, ob diese mit regelmaBigen oder unregelmaBigen Einkaufen Hand in Hand gehen. Im ersten Fall bedeutet der gegebene Kredit nicht nur eine Vermehrung des standigen Vermogensbedarf es, sondern auch eine Verschiebung der Spitze des zeitweiligen Bedarfes, da ja das Freiwerden der Mittel sich auf eine spatere Saison konzentriert. Im letzten Fall wird die Gewahrung von Lieferantenkredit die Gelegenheit bieten, die Fluktuation des Vermogensbedarfs stark zu verringern, da 1 Es ist klar, daB die hier gewahlten Beispiele als Typen betrachtet werden miissen. Praktisch kommt weder ein kontinuierlicher Aufwand noch ein kontinuierliches Freiwerden vor und mehr oder weniger werden alle Falle der Praxis die Kennzeichen des dritten Beispiels aulweisen. Nimmt man aber eine langere Periode zur Grundlage seiner Betrachtung, so treten haufig die Merkmale von Beispiel 1 und 2 mehr in den Vordergrund. So wird z. B. eine monatliche Aufiiillung eines Vorrates in bezug aul Monatsschwankungen als ein unregelmaCiger, in bezug auf Jahresschwankungen als ein regelmaBiger Aufwand angesehen werden konnen. 2
Siehe POLAK, 1. c. S. 145.
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die freiwerdenden Mittel, die zur Auffiillung des Vorrates noch nicht notig sind und daher sonst brach liegen bleiben wiirden, jetzt vorlaufig in Verwendung bleiben konnen. Unsere SchluBfolgerung kann also sein, da8 die Gewahrung von Lieferantenkredit in der in Rede stehenden Form im allgemeinen keinen ungunstigen EinfluB auf das Verhaltnis zwischen Aufwendungen und Mitteln haben wird, sondern im Gegenteil oft einen giinstigen. 1 Geht dies letztere Hand in Hand mit einer gleichfalls giinstigen Wirkung bei den Abnehmern, dann wird, wie sich von selbst versteht, die Tendenz zur Entstehung dieser Kreditform noch verstarkt werden. Wir sind im vorhergehenden stillschweigend von der Hypothese ausgegangen, daB der Lieferantenkredit entweder gar nieht oder f ortwahrend gewabrt wird, nicbt aber fallweise. Ware dies letztere der Fall, dann wiirde doch eine bessere Anpassung erreicht werden konnen, indem nur dann vom Kredit Gebrauch gemacht wiirde, wenn der voriibergehende Vermogensbedarf dazu drangte. Diese Moglichkeit brauchen wir aber im allgemeinen nicht in Rechnung zu stellen; der Lieferant wird meist nicht geneigt sein, seinem Abnehmer einmal Kredit zu gewahren und dann wieder nicht, wahrend andererseits der Abnehmer nicht leicht die Gelegenheit voriibergehen lassen wird, durch diesen billigen Kredit fur einen Teil seines standigen Vermogensbedarfs vorzusorgen. Die zweite Form des Lieferantenkredits, die Lieferung auf Rechnung, ist fur die Anpassung der Mittel an den Gesamtbetrag der Aktiva im allgemeinen nicht f orderlich, da sie die UnregelmaBigkeit in der Aufwendung und dem Freiwerden der Mittel groBer macht, als sie auf Grund der Giiterbewegung selbst ware. Wenn z. B. eine Fabrik mit kontinuierlichem Absatz einen taglichen Rohstoffeingang hat, der aber nur monatlich bezahlt wird, so hat dies auf die Finanzierung denselben EinfluB, als ob der Vorrat wirklich nur monatlich aufgefullt wiirde und somit im Laufe des Monats allmahlich von einem Maximum zu einem Minimum fluktuierte. Die Folge wiirde ein voriibergehendes Brachliegen von Mitteln sein, das bei Barzahlung nicht vorgekommen ware. I n vielen Fallen sehen wir aber, daB die periodische Bezahlung gerade an eine schon bestehende Periodizitat von Einnahmen und Ausgaben anschlieBt. Das ist z. B. der Fall, wenn Detaillisten einmal wochentlich oder einmal monatlich mit ihren Abnehmern abrechnen; diese letzteren konnen dann die gekauften Waren auf einmal aus ihrem periodisch eingeflossenen Einkommen bezahien. Augenscheinlich sichert in diesem Fall der Lieferantenkredit eine bessere Anpassung; es wird iiberfliissig, einen Teil des Einkommens unverwendet in der Kasse liegen zu lassen. 1 Es ist nicht tunlich, alle Moglichkeiten auszuarbeiten. Ein ungunstiger EinfluB ist z. B. denkbar, wenn die Verlagerung der Spitze diese gerade auf einen Zeitpunkt riickt, wo auch infolge anderer Ursachen ein zeitweiliger Vermogensbedarf besteht, oder, im letztgenannten Falle, wenn der Kredit fur eine lange Zeit gegeben wird, so daB der Augenblick des Freiwerdens der Mittel wieder hinter dem des Aufwandes zu liegen kommt. Praktisch werden diese Falle sich wohl nicht ereignen, da ja dann die Lieferanten an der Gewahrung dieses Kredits kein Interesse haben.
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meint denn auch, daB „Buchkredit" die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes vergroBert. Tatsachlich wird aber liier gar kein Vorteil erzielt; anstatt beim Abnehmer wird das Geld beim Lieferanten oder sonstwo brachliegen. Die Ursache ist, daB die verschiedenen periodischen Zahlungen nielit synchronisiert werden, sondern alle fast im selben Augenblick stattfinden, wodurch das Freiwerden der Mittel bei den Lieferanten nicht kontinuierlich, sondern diskontinuierlich stattfinden wird. Soil doch eine bessere Anpassung bei den Verbrauchern erreicht werden, so werden diese ihre Rechnungen unmittelbar nach Empfangnahme ihrer Einkommen bezahlen miissen. Da aber die Auszahlungstage der Einkommen durch Gewohnheit auf den letzten der Woche und des Monats festgelegt sind, ist das fur alle derselbe Zeitpunkt und die Rechnungen der Detailhandler werden nicht mehr allmahlich, sondern stoBweise bezahlt werden. Dies wird, vorbehaltlich zufalliger Umstande, zur Folge haben, daB bei ihnen der Vermogensbedarf ungleichmaBiger wird und das Brachliegen von Geld zunimmt. Nur wenn die Auszahlung der Einkommen nicht auf bestimmte Tage festgelegt ware und jeden Tag ein gleich holier Betrag an Einkommen einstromte, wiirde die Lage sich andern. Dann wiirde auch im Fall der Lieferung auf Rechnung der Strom der Einkimfte beim Detaillisten kontinuierlich verlaufen, da jeder seine Rechnung an einem anderen Tag bezahlen wiirde. Die Kreditgewahrung hatte hinsichtlich seines voriibergehenden Vermogensbedarfes nichts verandert und die bessere Anpassung von Aufwendungen und Mitteln beim Verbraucher wiirde nicht durch eine geringere Anpassung an anderer Stelle aufgehoben werden. Wir sehen also, daB auch durch diese Form von Lieferantenkredit ein solches Resultat im Prinzip wohl erzielt werden kann; haufig wird dies jedoch nicht vorkommen. Dagegen geht von ihm in einem hochst wichtigen Fall geradezu eine sehr ungiinstige Wirkung aus, und zwar bei der periodischen Bezahlung der Dienstleistungen, welche ein typisches Beispiel dieser Kreditform ist. Der Verkaufer der Dienste leistet diese kontinuierlich, erhalt aber Zahlung erst nach Verlauf einer bestimmten Zeit. Es ist klar genug, in welch grofiem MaBe durch diese Tatsache eine kiinsthche Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva zustande gebracht wird, die nicht im Giiterumlauf ihre Ursache hat. Hierin liegt sogar eine der hauptsachlichsten XJrsachen, die iiberall zur Bildung von Kasseniiberschussen AnlaB gibt. Diese Form von Lieferantenkredit fuhrt also eher zu einer groBeren Abweichung als zu einer vermehrten Ubereinstimmung zwischen der Summe der Aktiva und dem Gesamtbetrag der Mittel und hat somit eine ungiinstige Wirkung auf die Umlaufsgeschwindigkeit. Untersuchen wir zum SchluB die Bedeutung des Abzahlungskredits, der sich in den letzten Jahren so stark verbreitet hat. Dieser Kredit wird vor allem Konsumenten und nicht kapitalstarken Produzenten zum Ankauf dauerhafter Gebrauchsgiiter oder von Produktionsmitteln gewahrt.
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F I S H E R , 1. c. S. 81.
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Es ist klar, da8 hier fur den Kreditnehmer eine betrachtliche Ausgleichung seines voriibergehenden Vermogensbedarfes eintritt und wir konnen sogar sagen, da6 diese besondere Form von Lieferantenkredit ihr Entstehen dem Streben verdankt, die Schwierigkeit der Finanzierung einer scharfen Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva zu beseitigen. Grundsatzlich findet ja bei der Anschaffung dauerhafter Produktionsmittel oder Verbrauchsgiiter dasselbe statt wie im letztbesprochenen Beispiel des normalen Lieferantenkredits, namlich eine Haufung von Aufwendungen, der ein allmahlieh.es Wiederfreiwerden der Mittel folgt. Kann nun die Bezahlung bis zum volligen oder teilweisen Ereiwerden aufgeschoben werden, so wird die Spitze des Vermogensbedarfes eingedriickt werden. Eine Folge davon ist, daB z. B. der Anschaffung dauerhafter Gebrauchsguter nicht mehr eine Anhaufung zweckgebundener Ersparnisse vorauszugehen braucht. Auf der anderen Seite wird beim Kreditgeber nur eine permanente und keine voriibergehende Steigerung des Vermogensbedarfes eintreten, da dieser Kredit so vielen Personen hintereinander verliehen wird, daB der Gesamtbetrag der ausstehenden Eorderungen eine Konstante werden wird. Der Abzahlungskredit wird also die Anpassung von Aufwendungen und Mitteln und dadurch auch die Umlaufsgeschwindigkeit in groBem MaBstabe befordern. Weit mehr als der Lieferantenkredit ist der Abnehmerkredit ein Mittel zur ausschlieBlichen Einanzierung eines voriibergehenden Vermogensbedarfes. Diese Kreditform kommt namlich aus zwei Ursachen vor, in erster Linie aus dem Uberwiegen des Strebens der Kaufer, sich ihre Rohstoffe zu sichern, iiber dasjenige der Verkaufer, ihren Absatz anzuregen, und in zweiter Linie aus der Moglichkeit, giinstige Finanzierungsverhaltnisse herzustellen. Da dies letztere nur der Eall sein kann, so weit von Vorsorge fur voriibergehenden Vermogensbedarf die Rede ist und die erste Ursache ausschlieBlich im Eall der Ernteprodukte wirksam ist, bei denen der Zeitverlauf zwischen zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen gewohnlich ein Jahr betragt und daher zu lang ist, um durch die Kreditfrist uberbriickt zu werden, wird beim Abnehmerkredit von der Entstehung einer standigen Kreditgewahrung wohl nie die Rede sein konnen. Aus welcher Ursache er auch entspringt, stets wird der Abnehmerkredit die Anpassung der Mittel an den fluktuierenden Bedarf fdrdern. I n der Landwirtschaft z. B. finden wir einen fortwahrend steigenden Vermogensbedarf bis zum Augenblick, wo die Ernte abgesetzt wird, umgekehrt sowohl in der Verarbeitungsindustrie wie im Handel einen Vermogensbedarf, der mit der Ubernahme der Ernte sein Maximum erreicht, um sodann allmahlich abzunehmen. Der Maximalbedarf des Verkaufers fallt zusammen mit dem Minimalbedarf des Abnehmers und nichts liegt naher, als daB diese Spitzen durch eine Kreditgewahrung des Abnehmers an seinen Lieferanten in Form einer Vorausbezahlung der zu liefernden Waren eingeebnet werden. Ein Vorgang, der denn auch allgemein vorkommt.
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Es gibt aber auch noch andere Falle, in denen auf dieselbe Weise ein maximaler Vermogensbedarf beim Lieferanten mit einem VermogensuberschuB beim Abnehmer zusammenfallt. Und zwar bei der Ausfuhrung groBer Arbeiten, wie beim Bau von Schiffen und Hausern. Wenn der Betrieb des Lieferanten nicht so groB ist, daB er verschiedene Bestellungen synchronisieren kann — und das wird selten der Pall sein •—•, wiirde bei Barzahlung der Bedarf an Mitteln bei der Ausfiihrung der Arbeit fortdauernd steigen, bis zu einem Maximum im Augenblick der Ablieferung. Da nun in vielen Fallen der Abnehmer schon iriiher die Mittel, die er in einiger Zeit wird aufwenden miissen, ganz oder zum Teil verfiigbar liaben wird, so wird auch hier der Abnehmerkredit in groBem MaBe zur Vorsorge fur voriibergehenden Vermogensbedarf und zur Verwendung zeitweiliger Vermogensiiberschiisse dienen konnen. 1 Wie weit die ubrigen Kreditf ormen Gelegenheit bieten, einen voriibergehenden Bedarf an Mitteln zu befriedigen und daher also beschleunigend auf die Umlaufsgesehwindigkeit zu wirken, ist unschwer zu uberblicken. Die Geldmarktkredite stehen jederzeit den Unternehmungen zur Verfiigung, die im Besitz belehnungsfahiger Waren oder Effekten oder diskontfahiger Wechsel sind. Hinsichtlich der Belehnung und zum Teil auch hinsichtlich des Reports besteht dabei die Schwierigkeit, daB sie nur fiir ganze Monate vorgenommen werden konnen und daher nicht fiir die Pinanzierung von Fluktuationen verwendbar sind, die innerhalb der Zeit eines Monates stattfinden. Fiir Unternehmungen, die einen sehr unregelmaBigen Vermogensbedarf haben — und haufig besitzen gerade diese belehnbare Waren, man denke an den GroBhandel —, ist dies sehr hinderlich, was zur Folge hat, daB diese Belehnungstransaktionen meist in der Form von laufenden Krediten mit besonderer pfandmaBiger Deckung abgeschlossen werden. 2 Der Diskont von Wechseln gibt insbesondere die Gelegenheit, die Last des gewiihrten Lieferantenkredits auf den Geldmarkt abzuwalzen. Dabei ist es ein besonderer Vorteil, daB eine Anpassung an einen voriibergehend geringeren Vermogensbedarf leicht dadurch erhalten werden kann, daB die Wechsel ganz oder zum Teil im eigenen Portefeuille gehalten werden. Fiir die Nutzbarmachung voriibergehender Uberschiisse kommt vor allem die Anlage von Geld auf Report in Betracht, wobei aber wieder die Schwierigkeit besteht, daB dies nur fiir ganze Monate geschehen kann. Eine so gut wie vollkommene Anpassung der Vorsorge mit Mitteln an den wechselnden Bedarf ist durch den Bankkredit erreichbar, wenigstens soweit sich noch kein Giroverkehr entwickelt hat und die Bankguthaben somit noch nicht selbst den Charakter von Kaufmitteln, d. h. von Geld, erhalten haben. Durch den Bankkredit in seiner wichtigsten Form, den Kontokorrentkredit, werden die Unternehmungen instand gesetzt, sich gerade die Menge von Mitteln zu beschaffen, die sie in jedem Augenblick in ihrem Betrieb notig haben. Der Kontokorrentschuldner, 1 2
Siehe POLAK, 1. c. S. 119f. Siehe POLAK, 1. c. S. 148.
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dem von der Bank eine bestimmte Dispositionsbefugnis eingeraumt wurde, wird gemaB der auf dem Kontinent angewendeten Buchungsmethode nur fur den Betrag belastet, der von ihm in Anspruch genommen wird, so daB er Zins nur zu bezahlen braucht, soweit er von dem eingeraumten Kredit Gebrauch macht. Wenn also eine Unternehmung ihren ganzen variablen Vermogensbedarf durch Bankkredit deckt, wird sie nie einen Zinsenverlust durch einen UberschuB an Barmitteln erleiden und in dieser Hinsicht tatsachlich das Optimum erreicht haben. tjberdies verschafft die Bank den Unternehmungen die Moglichkeit, jeden UberschuB an Barmitteln, fur wie kurze Zeit dieser auch verfugbar sein mag, mehr oder weniger rentabel anzulegen, sei es in der Form der Einlage, sei es in der des Saldos in laufender Rechnung. Aus diesen letzteren erhalt zufolge der klassischen Lehre 1 die Depositenbank die Verfugungsmacht, die sie in Gestalt kurzfristiger Kredite wieder anderen abtritt. Sie tritt als Vermittler auf zwischen denjenigen, die voriibergehend einen UberschuB, und denjenigen, die voriibergehend einen Mangel an Mitteln haben, und ihre Kreditgewahrung hat genau dieselbe Bedeutung wie die, welehe zwischen Parteien direkt oder durch Vermittlung des Geldmarkts zustande kommt. I n einer Hinsicht vermag die Bank aber mehr, als ohne ihre Vermittlung geleistet werden kann. Auf dem Geldmarkt konnen nur diejenigen Uberschusse anderen Personen iibertragen werden, die fiir eine geraume Zeit, z. B. mindestens fiir einen Monat, verfugbar sind. Die Bank dagegen erhalt auch Gelder als Einlage, die taglich wieder abgerufen werden konnen, und auch von diesen wird sie einen Teil zur Kreditgewahrung verwenden konnen, da sie aus Erfahrung weiB, daB der Abruf tatsachlich nur in geringem MaBe eintreten wird, und sie ihm vollstandig wird entsprechen konnen, wenn sie einen Teil der abgetretenen Gelder fiir diesen Zweck in Reserve halt. Wird dieses Depositensystem, bei welchem also von Bezahlung durch Uberweisung noch keine Rede ist, voll angewendet, so kann dadurch eine nahezu vollstandige Angleichung der Mittel an die Schwankungen in der Summe der Aktiva erzielt werden. Der durchschnittliche KasseniiberschuB wird zu einer GroBe sinken konnen, die vernachlassigt werden kann und die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes daher zu einem Maximum ansteigen konnen, das seine Grenze nur in der Technik des Zahlungsverkehrs findet. 2 Wenn jede Produktionswirtschaft jeglichen Geldbetrag, den sie erhalt, sogleich bei der Bank deponiert und umgekehrt jeden von ihr zu bezahlenden Betrag erst unmittelbar vor der Bezahlung aus der Bank herausnimmt, wird die Riickforderung von Einlagen nie den Betrag der an einem Tag zu entrichtenden Zahlungen uberschreiten. Wenn einige Unternehmungen einen Teil ihrer Bezahlungen noch mit Geldern leisten, 1 2
Siehe SCHULZE-GAEVERNITZ, Die deutsche Kreditbank, Tubingen 1922, S. 46ff. HANS NEISSER, Der Kreislauf des Geldes, WeltwirtschaJtl. Arch. 33 (1931, I), S. 367, spricht in diesem Zusammenhang von der ,,technischen Dauer eines okonomischen Umsatzes" als einem der die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bestimmenden Faktoren.
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die sie an demselben Tag erhalten haben, wird der Gesamtbetrag der zuriickgezogenen Einlagen sogar kleiner sein konnen als der Gesamtbetrag der Zahlungen an diesem Tag. Umgekehrt wird er groBer sein, wenn Geld iiber groBere Entfernungen verschickt und daher die Einlage schon einige Tage vor dem Zahlungstag der Bank entnommen werden muB. Die Geldreserve, die von den Banken gehalten werden muB, wird nur gerade so groB sein rmissen, daB die Bank dem Maximum der taglichen Geldriickforderungen genugen kann. Die Gelder, die des Morgens von denjenigen, die Zahlungen zu leisten haben, aus der Bank entnommen wurden, werden mittags aus der Hand derer, die Bezahlungen erhielten, wieder zu ihr zuriickkehren. Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wird dann durch das Verhaltnis zwischen dem gesamten Umsatz und der Bankreserve gemessen, welch letztere die gesamte Geldmenge darstellt. Das Bankwesen hat sich aber in ganz anderer Bichtung entwickelt. Infolge der Entstehung des Giroverkehrs ist es nicht mehr notig, daB fur die Leistung von Zahlungen Geld aus den Banken genommen wird, es konnen vielmehr die Bankguthaben selbst direkt als Zahlungsmittel gebraucht werden. Die Kontokorrentsaldi und die Einlagen, auf welche Schecks gezogen werden konnen, haben vollig den Charakter von Geld angenommen. Sie sind zu allgemein angewendeten Kaufmitteln geworden. Durch diese Neuerung hat auch das Wesen der Banken eine Veranderung erfahren. Waren diese bisher nur geldiibertragende Institute, die dazu beitrugen, die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes soviel wie moglich zu vergroBern, so werden sie jetzt zu geldschaffenden Anstalten, was am deutlichsten zutage tritt, wenn wir das neue System bis zu seiner auBersten Konsequenz angewendet denken. In diesem Falle werden alle Zahlungen durch Uberweisung geleistet, das Bargeld ist aus dem Verkehr verschwunden und damit ist auch die Reserve der Banken iiberflussig geworden, da ja Ruckforderungen von Depositen, d. h. Umwechslung von giralem in bares Geld nicht mehr vorkommen kann. Die Kreditkapazitat der Banken, wenn wir diese als eine homogen handelnde Gruppe betrachten, wird dann nicht mehr durch die Menge der Einlagen beschrankt, die bei ihr eingezahlt wurden, sondern ist vollkommen unbegrenzt. Nicht die Einlage, sondern der Kredit ist primar und das Bankguthaben kommt erst durch Kreditgewahrung zustande. 1 Die Wirklichkeit halt aber noch nicht bei dieser auBersten Konsequenz und im Bankwesen der Gegenwart finden wir die beiden beschriebenen Systeme gleichsam vermengt. 2 Die Kreditkapazitat der Banken ist, obwohl sehr elastisch, nicht unbegrenzt. Die Banken benotigen ganz bestimmt eine Reserve und eine Erweiterung der Kreditgewahrung wird nach Verlauf einiger Zeit noch immer zu einer groBeren Riickforderung 1 Siehe HAHN, Theorie des Bankkredits, S. 29ff., und auch SCHUMPETER, Sozialprodukt, S. 705. 2 HAHN, Theorie des Geldmarktes, S. 294.
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von Depositen fiihren. Dessenungeachtet kann jedoch am Geldcharakter der Kontokorrentsaldi und der Scheckdepositen nicht mehr gezweifelt werden. Es besteht sogar, wie wir schon friiher bemerkten, aller AnlaB, nicht allein diese letzteren, sondern auch den unausgeniitzten Teil der gewahrten Kredite als Geld zu betrachten. Es kann ja schwer bezweifelt werden, daB die eigentliche geldschopfende Handlung in der Gewahrung von Kredit durch die Bank liegt und nicht in der allmahlichen Ausniitzung desselben durch die TJnternehmung. Durch den Kreditvertrag sichert diese letztere sich Mittel, die sie nach Wahl ausniitzen oder nicht ausniitzen kann. Das Wesen des Verhaltnisses, das hier zustande kommt, wird viel besser durch die angloamerikanische Buchungsweise ausgedriickt, bei der der Klient fur den vollen Betrag des gewahrten Kredits belastet und zugleich auf Scheckkonto erkannt wird — wobei also deutlich zutage tritt, welcher Teil der erhaltenen Mittel unausgeniitzt bleibt —, als durch die Buchungspraxis, die in unserem Lande befolgt wird, bei der der Kreditnehmer nicht fiir den eingeraumten, sondern fiir den in Anspruch genommenen Kredit belastet wird. 1 Das wesentlichste Bedenken gegen eine solche Erweiterung des Begriffes der Geldmenge ist wohl, daB diese dadurch statistisch vollkommen unbestimmbar wird; die Marge zwischen der Gesamtsumme der eingeraumten und der in Anspruch genommenen Kredite ist ja unbekannt. SchlieBlich ist aber fiir die Begriffsbestimmung das Wesen der Verhaltnisse von groBerer Bedeutung als die statistische Bestimmbarkeit und wir werden denn auch in den hier folgenden Ausfuhrungen unter der Geldmenge den Teil der Bankkredite, iiber den noch nicht verfiigt wurde, mitverstehen. 2 1 Wenn man nur den Saldo in laufender Rechnung und nicht den noch disponiblen Kredit als Geld betrachtet, muB man jede Belastung eines Klienten, der schon im Debet ist, als eine Geldschopfung auffassen, jede Belastung eines Klienten, der einen Kreditsaldo hat, als eine gewohnliche Geldiibertragung. TJmgekehrt wiirde eine Zahlung an einen Kontokorrentinhaber als Geldvernichtung betrachtet werden miissen, je nachdem, ob der Betreffende Debitor Oder Kreditor ist. Je nach dem zufalligen Stand eines Kontos wiirde also dieselbe Handlung eine ganz verscbiedene okonomische Bedeutung haben. KARL ELSTER erkennt wegen dieses Widerspruchs den Kontokorrentsaldi den Geldcharakter ab, wahrend er inn den Giroguthaben zuspricht (Seele des Geldes, S. 69fl.). Dadurch entsteht aber nur eine neue Inkonsequenz. 2 Wir befinden uns hier auf einem Grenzgebiet der Deiinitionen, wo es sehr schwierig wird, scharf zwischen dem zu unterscheiden, was noch und was nicht mehr Geld genannt werden kann. Bei der englischen Buchungspraxis, wobei der Klient sofort fiir den Kredithochstbetrag belastet und auf Scheckkonto erkannt wird, ist die Lage vollkommen klar. Der zu bezahlende Debetzins verbiirgt, daB kein groBerer Kredit aufgenommen wird, als tatsachlich auszunutzen beabsichtigt ist, und der offenstehende Kreditsaldo vergegenwartigt in voller H6he unausgeniitzte Verfiigungsmacht, d. i. Geld. Bei der westeuropiiischen Buchungspraxis, bei welcher der Kreditnehmer nur fiir den in Anspruch genommenen Teil des Kredits belastet wird und bei der seitens der Banken oft eine ziemlich scharfe Kontrolle iiber den Verlauf der individuellen Konti gefiihrt wird, muB man tatsachlich von Fall zu Fall beurteilen, inwieweit vom Vorhandensein eines Kasseniiberschusses — das ist also von freier unausgeniitzter Verfiigungsmacht — gesprochen werden muB oder nicht. Die Tatsache aber, daB die Banken nur von dem fliissig gemachten Teil des Kredits Zinsen in Anrechnung bringen, bewirkt, daB die Kreditnehmer ein Interesse daran haben, das Maximum der ihnen eingeraumten Dispositionsbefugnis so hoch wie moglich anzusetzen. In Deutschland wird hier noch eine Grenze gesetzt durch die sogenannte ,,BereitstellungsBeitrage zur Geldtheorie. 11
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Es ist klar, daB die geschilderte Entwicklung des Bankwesens der giinstigen Einwirkung, welche die Bank durch das reine Depositensystem auf die Anpassung der Mittel an die Schwankungen des Vermogensbedarfs und dadurch auch auf die Umlaufsgeschwindigkeit ausxibte, groBenteils ein Ende gemacht hat. Sobald das Bankguthaben den Geldcharakter erhalt, kann es nicht mehr als ein Teil der eigenen Mittel betrachtet werden, der im Wege der Kreditgewahrung voriibergehend anderen ubertragen wird, sondern wird zum unverwendeten brachliegenden Vermogen, zu einer neuen Form des KLasseniiberschusses, der von den Unternehmungen nach eigener Wahl in jedem beliebigen Augenblick fur den Ankauf von Giitern verwendet werden kann. 1 Nur soweit von den Banken kurzfristige Kredite gewahrt werden, wie an Saisonindustrien, und soweit sie Einlagen auf festen Termin erhalten, setzen sie die Unternehmungen nooh instand, die Versorgung mit Mitteln dem wechselnden Vermogensbedarf anzupassen. Wir konnen jetzt auf Grund des Vorangegangenen ein allgemeines Urteil iiber die Moglichkeit aussprechen, die die Unternehmungen haben, um das Brachliegen eines Teils ihres Vermogens, d. h. die Bildung eines Kasseniiberschusses, zu verhindern. Soweit der Gesamtbetrag ihrer Aktiva regelmaBigen und somit vorhersehbaren Schwankungen unterliegt, die sich iiber ein Jahr oder eine nooh langere Periode erstreoken, wird es im allgemeinen wohl moglich sein, es dahin zu bringen, daB sich
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provision", eine Provision, welche fiir den Gesamtbetrag des eingeraumten Kredits berechnet wird. In den Niederlanden besteht diese Gewohnheit aber nicht und es wird hier die Provision meist vom hochsten Debetstand oder vom hochsten Umsatz fur Debet- oder Kreditseite berechnet. Eine Folge hievon ist, daB Unternehmungen sich mitunter nur die Dispositionsbefugnis sichern oder auch sich eine groBere Dispositionsbelugnis sichern als sie in normalen Zeiten jemals brauchen, um im Falle der Not ohne viel Formalitaten die Bank in Anspruch nehmen zu konnen. In derartigen Fallen, worin also beide Parteien wissen, daB nicht beabsichtigt ist, von dem gewahrten Kredit — oder wenigstens nicht von dem Kredit in seinem vollen Umfang — normalen Gebrauch zu machen, hat es kaum Sinn, schon bei dem formellen Zustandekommen des Vertrages von einer Geldschopfung zu sprechen. Vielmehr findet die Geldschopfung erst statt, wenn die unerwarteten Umstande tatsachlich eintreten und die Bank es der betreffenden Unternehmung dann erlaubt, von dem gewahrten Kredit wirklich Gebrauch zu machen. Denn bei der iiblichen Kontrolle iiber den Verlaut der einzelnen Konti wird es der Bankleitung sofort auffallen, daB plotzlich von der eingeraumten Dispositionsbelugnis Gebrauch gemacht wird und die Leitung wird in diesem Augenblick von neuem iiberlegen, ob die Kreditgewahrung noch als gerechtfertigt zu betrachten ist. Es sind ja beinahe alle Kontokorrentkredite taglich kiindbar. In derartigen Fallen erscheint es uns daher auch richtiger, den unausgeniitzten Kredit nicht als Geld anzusehen. Ein ahnlicher Fall zeigt sich bei Saisonindustrien, die von der Bank eine bestimmte Dispositionsbefugnis erhalten haben, aber davon nur in der lebhaften und nicht in der stillen Saison Gebrauch zu machen pflegen. Der unausgeniitzte Kredit in der stillen Zeit kann nicht als ein Kassenvorrat betrachtet werden, da die Bank es keineswegs zulassen wiirde, daB daruber ohneweiters verfiigt wird. Das Wesen des Verhaltnisses wird also tatsachlich durch die Einstellung der Banken bestimmt. Der unausgeniitzte Teil eines Kontokorrentkredits — die noch verfiigbare Dispositionsbefugnis — kann nur dann als ein KasseniiberschuB betrachtet werden, wenn und soweit angenommen werden kann, daB die Bank sich gegenuber der Ausniitzung dieser Dispositionsbefugnis passiv verhalten wird. 1 Eine gleiche Veranderung erfuhr fruher die Banknote, die urspriinglich nur ein Hinterlegungsbeweis war, aber sich langsam zu einem allgemein angewendeten Kaufmittel entwickelte.
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ihnen die Mittel ziemlich genau anschlieBen. Ob aber von dieser Moglichkeit immer Gebrauch gemacht werden wird, ist nicht sicher. Dies wird von der Art und Weise abhangen, in der die Finanzierung finanziell am giinstigsten stattfinden kann. Sind die Schwankungen von kiirzerer Dauer als ein Jahr, dann wird die Anpassung in vielen Fallen schon Schwierigkeiten bereiten, vor allem fiir die Unternehmungen, die keinen Zugang zum Geldmarkt haben. Handelt es sich aber um Schwankungen, die innerhalb der Monatsperiode vorfallen oder die unregelmaBig auftreten und daher nicht genau vorhersehbar sind — das Wirtschaftsleben ist von solchen UnregelmaBigkeiten iibervoll —, dann wird es fast immer unmoglich sein, eine Anpassung der Mittel zu erzielen. Das Vermogen wird in diesem Fall groB genug sein mussen, um fiir den maximalen Bedarf Vorsorge zu treffen und in den Augenblicken, wo ein geringerer Bedarf besteht, wird notwendig ein Teil der Mittel brach liegen bleiben mussen, sei es in Gestalt eines Kasseniiberschusses im engeren Sinn oder in der eines Guthabens bei der Bank. Solange also der Gesamtbetrag der Aktiva diesen kurzen unregelmafiigen Schwankungen unterliegt, kann die optimale Intensitat der Vermogensausnutzung nicht erreicht werden und wird auch die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes begrenzt bleiben.
V. Sonstige Faktoren, die die Anpassung des Vermogens an den wechselnden Bedarf beeinflussen.
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Wenn die Produktionswirtschaften einen vonibergehenden VermogensuberschuB haben, durch den es ihnen unmoglich ist, die Versorgung mit Mitteln direkt dem Bedarf anzupassen, und auch nicht dazu iibergehenkonnen oder wollen, die brachliegenden Geldmittel anderen abzutreten, besteht fiir sie noch die Moglichkeit, den UberschuB durch Verwendung im eigenen Betrieb rentabel zu machen. Diese Verwendung muB von den iibrigen, notwendigen Verwendungen auf Grund der Tatsache unterschieden werden, daB sie durch die technisch-okonomischen Erfordernisse des Produktionsprozesses nicht geboten ist, sondern ausschlieBlich erfolgt, um das zeitweilig brachliegende Vermogen nutzbar zu machen. Im allgemeinen wird dies in Form einer vonibergehenden Verwendung geschehen mussen, so daB die festgelegten Mittel beizeiten wieder frei werden. Sehr gut moglich ist z. B. ein Vorkauf von Rohstoffen, sei es, daB diese bei friiherem Ankauf regelmaBig um einen niedrigeren Preis erhalten werden konnen, wie viele Ernteprodukte, oder auch weil erwartet wird, daB sie im Preis steigen werden. Es ist aber auch denkbar, daB die Anlage nicht von voriibergehender, sondern von dauernder Art ist. Allerdings wird die betreffende Unternehmung dann in dem Augenblick, da das brachliegende Kapital sonst normalerweise anders verwendet werden miiBte, ein Manko an Vermogen aufweisen, aber wenn gleichwohl die Absicht bestand, neues Vermogen an sich zu Ziehen, braucht dies keine Schwierigkeiten hervorzurufen. Der Gebrauch der zeitweilig verfiigbaren Mittel zur vorlaufigen Finanziell*
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rung einer BetriebsvergroBerung z. B. setzt sie dann instand, die Beschaffung von neuen Geldmitteln auf einen spateren Zeitpunkt zu verschieben und darauf gleichsam zu antizipieren. Es ist klar, daB das letztere nur bei einer VergroBerung des Betriebs geschehen kann und daher eine im Wesen dynamische Erscheinung ist. Eur die Erzielung einer Anpassung zwischen dem Gesamtbetrag der Aktiva und dem Gesamtbetrag der Mittel ist diese Verwendung von tJberschussen von ganz derselben Bedeutung wie die tJberlassung derselben an andere durch Dazwischentreten des Kreditmarktes. Die Schwankungen im gesamten Umfang der Investitionen, die Anpassungsmbglichkeiten der verschiedenen Kreditformen an diese Schwankungen, die Moglichkeit, voriibergehende Vermogensuberschusse an andere zu iibertragen und die Moglichkeit der Verwendung derselben im eigenen Betrieb sind an sich noch nicht bestimmend fur die Intensitat der Vermogensausnutzung. Sie bilden nur die objektiven Grenzen, innerhalb derer die Wirtschaftssubjekte in ihrem Streben nach moglichst intensiver Ausnutzung beschrankt werden. I n welchem MaBe sie von den gegebenen Moglichkeiten Gebrauch machen werden, wird letzten Endes durch die Bedeutung bestimmt, die diese Moglichkeiten fur das Erwerbsstreben der Unternehmungen haben, welches letztere dahin gehen wird, sich so billig wie moglich mit Geldmitteln zu versehen, wenn auch dadurch das Brachliegen des Kapitals nicht auf ein Minimum beschrankt wird. Der Umstand, der dabei die wichtigste Rolle spielt, ist vor allem der ZinsfuB. Nicht so sehr dessen allgemeines Niveau ist aber von EinfluB, als vielmehr das Verhaltnis zwischen dem Zins der verschiedenen Kreditformen. Dies wird schon deutlich, wenn wir an die Wahl denken, die manchmal zwischen der Finanzierung eines zeitweiligen Vermogensbedarfs durch kurzfristigen oder langfristigen Kredit getroffen werden muB. 1 I m ersten Fall, wobei das Vermogen direkt dem Bedarf angepaBt wird, ist die Moglichkeit des Brachliegens von Vermogensteilen viel geringer als im zweiten Fall, wobei stets ein zeitweiliger VermogensuberschuB entsteht, dessen Verwendungsmoglichkeit nicht gesichert ist. Ob nun die eine oder die andere Finanzierungsart gewahlt werden wird, ist von der Marge zwischen dem Zins fur langfristigen und dem fur kurzfristigen Kredit abhangig; je kleiner diese Marge, desto groBer ist die Aussicht, daB mit Kurzkrediten finanziert und also ein Brachliegen von Vermogen vermieden wird. Wirft das brachliegende Vermogen Zinsen ab — man denke an die Habenzinsen im Kontokorrent und an die Zinsvergiitung fur Giroguthaben —, dann ist iiberdies noch die Marge zwischen diesen Zinsen und jenen fur Langkredit von EinfluB. 2 1
Siehe oben S. 150. 2 An sich scheint die Tatsache, daB brachliegendes Kapital Zinsen abwirft, eine Anomalie zu sein. Indessen ist dies in Wirklichkeit eine logische Folge der gegenseitigen Konkurrenz zwischen den verschiedenen geldschopfenden Instituten, deren gesamte Kreditgewahrungskapazitat — bei einem geschlossenen Giralgeldverkehr — wohl unbegrenzt ist, weil jeder
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I n welchem MaBe von der Moglichkeit Gebrauch gemacht werden wird, zeitweilige Uberschiisse an andere abzutreten, wird von der Marge zwischen dem Zins, den das brachliegende Vermbgen selbst abwirft, und demjenigen abhangen, welcher fur die bestimmte Frist, wahrend derer es abgetreten werden kann, auf dem Geldmarkt ausbedungen werden mag. J e kleiner diese Marge, die auch negativ sein kann, desto geringer die Tendenz zu einer intensiven Vermogensausnutzung. 1st der Zins, den das Geld in Form von Kontokorrent- oder Girosaldo abwirft, gleich Null, dann wird die Angleichung von Mitteln und Aufwendungen um so starker gefordert werden, je hoher der auf dem Geldmarkt erlangbare Zins ist. Da nun, wie wir soeben sahen, die Anpassung durch einen relativ hohen Stand des auf dem Geldmarkt zu bezahlenden Zinses gehemmt wird, folgt daraus, daB es fur die Intensitat der Vermogensausniitzung •— und damit fur die TJmlaufsgeschwindigkeit — forderlich ist, wenn die Marge zwischen dem auf dem Geldmarkt zu bezahlenden und zu fordernden Zins gering ist. AuBer dem Zins gibt es auch noch einige andere Umstande, die eine Rolle spielen. Die Intensitat kann ja auch noch durch Verwendung von Uberschussen im eigenen Betrieb vergroBert werden. In welchem MaBe dies geschehen wird, darauf haben vor allem die Erwartungen hinsichtlich des Preisverlaufs, sei es fur einen bestimmten Artikel, sei es fur alle Giiter, EinfluB. Wird eine Preissteigerung erwartet, dann wird eine moglichst intensive Veranlagung folgen, erwartet man dagegen eine Preissenkung, dann findet das umgekehrte statt. Namentlich im Konjunkturverlauf ist dies von groBer Bedeutung. Ein sehr wichtiges Beispiel hiefiir geben die Preisanderungen, die eine Wertanderung des Geldes ausdriicken. Die Erhohung des Preisniveaus, die in Inflationszeiten Platz greift, spornt das Bestreben nach Ausnutzung jedes Vermogensteiles so stark, daB mit Recht von einer Flucht vor dem Gelde gesprochen werden kann. Umgekehrt wird die Preissenkung in einer Deflation, wenn sie nur stark genug ist, nicht nur bewirken, daB vorubergehende Uberschiisse brach liegen bleiben, sondern sogar die Neigung hervorrufen, auch fur langere Zeit einen Teil des Vermogens unverwendet zu lassen. Durch das Zusammenwirken der in diesem Hauptstuck besprochenen Faktoren wird in einem gegebenen statischen Zustand der Umfang der Kasseniiberschiisse und damit zugleich, bei gegebener GroBe des Geldstromes, 1 die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit vollstandig bestimmt. neugeschalfene Kredit automatisch auch ein neues Depositum bedeutet, deren Kreditgewahrungsfahigkeit im einzelnen aber erst recht vom Umfang der eigenen Depositen abhangig ist, so daB jede fur sich ein Interesse daran hat, soviel Depositen wie moglich an sich zu Ziehen. 1 Wenn wir hier die Gr613e des Geldstromes und somit auch die Hohe des Preisniveaus als gegeben unterstellen, scheinen wir einer Zirkelerklarung zum Opfer zu fallen, derzufolge zuerst das Preisniveau den Geldstrom und damit auch die Umlaufsgeschwindigkeit bestimmen wurde, und dann umgekehrt die Umlaufsgeschwindigkeit —oder besser, die Umstande, die sie regulieren — wieder das Preisniveau. Unter Hinweis auf die von PIGOU gegebene Losung des Geldwertproblems sei aber bemerkt, daB dem in der Tat nicht so ist, da die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit schon ausgedrtickt werden kann, ohne daB die Hohe des Preisniveaus gegeben ist, und zwar indem sowohl die GroBe des Geldstromes wie die
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Drittes
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Die Bewegung des Gesamtbetrages der Aktiva der verschiedenen Produktionswirtschaften ist im statischen Zustand festgelegt, da ja Umfang und Technik der Produktion und ebenso das MaB der Differenzierung des Produktionsprozesses gegeben sind. Da nun auch die Zinsverhaltnisse feststehen, wird fiir jede dieser Produktionswirtsohaften eine bestimmte Finanzierungsart die vorteilhafteste sein, weshalb auch die Hohe des Vermogens als gegeben angesehen werden darf und damit zugleich der in den verschiedenen Augenblicken vorhandene VermogensiiberschuB, d. i. der Kassenvorrat. Die GroBe dieses letzteren wird daher durch lauter objektive Umstande bestimmt; die subjektive Bewertung des Geldes spielt dabei keine Bolle. Das Problem der Umlaufsgeschwindigkeit hat hiemit, soweit es die statische Seite betrifft, seine Losung gefunden. Die Oro/Se der Umlaufsgeschwindigkeit wird reguliert durch das Ausmafi, in dem es den Produktionswirtschaften bei der Finanzierung ihres Betriebes —• bzw. den Konsumwirtschaften bei Finanzierung ihres Haushalts — gelingt, das Brachliegen von Vermogen zu hindern; sie wird somit durch die Intensitdt der Vermogensausnutzung bestimmt.
Hauptstuck.
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Die Ursachen der Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und ihre Folgen.
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I. Die Folgen des Entstehens und Auf horens von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva. Die GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, die durch die Intensitat der Vermogensausnutzung bestimmt wird, kann — soweit wir die Veranderungen, die rein rechnerisch aus einer Anderung in der Differenzierung des Produktionsprozesses 1 entstehen, auBer Betracht lassen — nur dann modifiziert werden, wenn diese Intensitat sich andert. Eine solche Anderung kann — da sie ja eine Folge der Einwirkung eines der im vorigen Hauptstuck besprochenen bestimmenden Faktoren sein muB — nur aus drei Gruppen von Ursachen entstehen, namlich: 1. Aus der Entstehung neuer Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva, 2 —- d. h. also auch im Vermogensbedarf — oder auch aus dem Aufhoren fruher vorgekommener Fluktuationen. der Kasseniiberschusse in Einheiten realer Kautkraft ausgedriickt werden. Der Wert der Geldeinheit, und damit die Hohe des Preisniveaus, kann erst bestimmt werden, wenn die Anzahl der Einheiten, aus denen die gesamte Geldmenge besteht, angegeben wird (siehe oben S. 122). 1 Siehe oben S. 129 K. 2 Es versteht sich von selbst, daB das Entstehen oder Authoren dieser Schwankungen nur dann fur die Intensitat der Vermogensausnutzung von Bedeutung ist, wenn die Kapitalvorsorge den Schwankungen nicht angepaBt war, bzw. werden kann, da diese ja nur in diesem Falle zu einem periodisch wiederkehrenden voriibergehenden Brachliegen von Vermogen fuhren werden.
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2. Aus einer Anderung des AusmaBes, in dem von kurzfristigem Kredit Gebrauch gemacht wird, um zeitweiligen VermQgensbedarf zu finanzieren und zeitweilige Vermogensuberschiisse rentabel anzulegen. 3. Aus einer Anderung des AusmaBes, in dem vortibergehend verfiigbare Mittel im eigenen Betrieb verwendet werden. Wir werden jetzt trachten zu untersuchen, auf welche Weise diese Ursachen zu der genannten Folge fiihren und welche weiteren Erscheinungen dabei eintreten werden. Fassen wir in erster Linie den Fall des Aufhorens von Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva ins Auge. Wir setzen den folgenden Fall: Ein Detaillist fullt seinen Vorrat einmal im Monat auf und verkauft daraus regelmaBig jeden Tag dieselbe Menge. Dann nimmt dieser Vorrat von z. B. 30 T Einheiten auf 1 ab, wahrend gleichzeitig der Kassenvorrat von 1 auf 30 steigt. Um unter diesen Umstanden seine Einkaufe finanzieren zu konnen, hat er ein Vermogen in der HQhe von 31 notig, welches aber im Durchschnitt nur zur Halfte verwendet wird. Nehmen wir nun an, daB es dem Detaillisten z. B. durch Verwendung eines neuen Transportmittels moglich wird, seinen Vorrat taglich zu erganzen, und daB er, nachdem er bisher seine Einkaufe zu Monatsbeginn besorgt hatte, nunmehr in der Mitte des Monats zu einer solchen taglichen Beschaffung iibergeht. 1 In diesem Falle wird unser Detaillist im Besitz eines standigen Vorrats in der Hohe von 15 Einheiten bleiben — bestehend aus dem noch unverkauften Teil der zu Beginn des Monats eingelagerten Giiter — und zugleich eines standigen Kassenvorrats in der Hohe von 15 — bestehend aus dem Erlose der in der ersten Halfte des Monates verkauften Waren —•, wahrend auBerdem noch ein taglich von 1 auf 0 abnehmender Vorrat und ein von 0 auf 1 zunehmender Kassenvorrat entstehen wird. Der durchschnittliche Betrag der Aktiva bleibt unter den neuen Verhaltnissen derselbe wie fruher, aber dadurch, daB diese Aktiva jetzt keinen Schwankungen mehr unterliegen, braucht ihre Finanzierung nicht mehr zu einem Brachliegen von Vermogen zu fiihren. Der standig verfugbare Kassenvorrat kann jetzt in beliebiger anderer Bichtung verwendet werden, wodurch eine groBere Intensitat der Vermogensausnutzung erzielt wird. Dieser Vorgang wird aber nur dann die allgemeine Intensitat der Vermogensausnutzung und damit die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes beeinflussen, wenn nicht anderweitig eine neue Fluktuation entsteht. Wir haben schon fruher bemerkt, daB jede Schwankung entweder eine 1 DaB dies gerade in der Mitte des Monats geschehen wird, scheint eine willkiirliche Unterstellung, welche im Widerstreit steht mit dem, was zu erwarten ware. Es besteht ja lur den Detaillisten gar kein Grund, einen standigen Vorrat zu halten. Er wird dies denn auch bestimmt nicht tun, sondern bis zu Monatsende warten, um erst dann seinen Vorrat aul die neue Weise aufzuiiillen. Dadurch wird der Gesamtbetrag seiner Aktiva abnehmen. DaB dies geschehen kann, hat seinen Grund in der Tatsache, daB intolge der veranderten Umstande mit einem geringeren sozialen Giitervorrat das Auslangen gefunden werden kann. Diese Erscheinung hat ihre eigenen besonderen Folgen, die aber mit unserem Problem keineswegs in Zusammenhang stehen. Um nun eine Verwechslung zwischen den Folgen der einen und jenen der anderen Erscheinung zu verhiiten, nehmen wir an, daB der durchschnittliche Betrag der Aktiva auf gleicher Hohe bleiben wird und befassen uns nicht weiter mit den Folgen der Tatsache, daB das in Wirklichkeit nicht der Fall ist.
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gegenlaufige Schwankung oder eine synchronisierte mitlaufige Schwankung hat. Wenn also irgendwo eine Schwankung aufhort, muB entweder die gegenlaufige bzw. eine mitlaufige Schwankung ebenfalls aufhoren, oder es muB anderwarts eine neue Schwankung dafiir an die Stelle treten. Diese muB dann in auf- oder abwartsgehender Richtung im Wirtschaftsaufbau gesucht werden, in dem oben besprochenen Fall z. B. bei dem Fabrikanten des betreffenden Gutes. Nehmen wir an, daB dieser kontinuierlich produziert, daB aber alle seine Abnehmer, insgesamt 30 an der Zahl, genau wie unser Detaillist, ihren Vorrat nur einmal im Monat auffiillen, und zwar alle an demselben Tag und zu einem gleichen Betrag. Bei ihnen alien wird sich dann dieselbe Fluktuation der Aktiva ergeben, wahrend bei dem Fabrikanten die gegenlaufige Fluktuation zu finden sein wird. Wenn nun unter diesen Umstanden der betreffende Detaillist zu der erwahnten Einkaufsmethode ubergeht, wird auch beim Fabrikanten die Fluktuation zum Teil verschwinden. Auch bei ihm wird ein standiger Vorrat und ein standiger KasseniiberschuB verfiigbar werden und durch die Verwendung dieses Uberschusses wird ein giinstigeres Verhaltnis zwischen Vermogen und Summe der Aktiva erreicht werden konnen. Es sind aber auch Umstande denkbar, wobei das Gegenteil stattfindet und bei dem Fabrikanten nicht eine Schwankung verschwindet, sondern erst eine entsteht. Dies wird der Fall sein, wenn ursprimglich der Schwankung beim Detaillisten nicht eine gegenlaufige Schwankung beim Fabrikanten, sondern eine mitlaufige Schwankung bei dessen iibrigen Abnehmern gegeniiberstand. Eine solche mitlaufige Fluktuation kommt vor, wenn die Schwankungen bei den verschiedenen Detaillisten synchronisiert sind, indem jeder seinen Vorrat an einem anderen Tage auffullt. Der Absatz beim Fabrikanten geschieht dann kontinuierlich und von einem veranderlichen Vorrat wird also bei ihm keine Rede sein. Seine tagliche Produktion von 30 Einheiten wird jeden Tag an einen anderen Abnehmer abgeliefert. Kommt nun unser Detaillist plotzlich mit seinen taglichen Auftragen, dann wird der Fabrikant ihn anfangs nur aus einem eventuellen Reservevorrat beliefern konnen und wenn am Monatsende die fur diesen Detaillisten bestimmten Guter bereit stehen, werden sie nicht wie fruher sogleich abgeliefert werden konnen, sondern nur allmahlich. Die Vorratsschwankung, die bei dem Detaillisten aufhort, beginnt jetzt bei dem Fabrikanten und die Folge davon wird sein, daB die Mattel, die fruher beim ersteren brach liegen blieben, dies nunmehr bei dem letzteren tun werden. Wenn aber in diesem Fall nicht allein dieser eine, sondern alle Detaillisten ihre Einkaufsweise andern, wird bei dem Fabrikanten keine neue Schwankung entstehen. Es wird sich ja dann fur diesen letzteren die Lage nur insoweit andern, daB er anstatt taglich 30 Einheiten immer an einen anderen Abnehmer, an jeden seiner Abnehmer 1 Einheit sendet. Ob also das Aufhoren einer Fluktuation bei einer bestimmten Produktionswirtschaft und die damit Hand in Hand gehende Moglichkeit, eine intensivere Vermogensausnutzung zu erzielen, tatsachlich zu einer
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allgemeinen Intensivierung der Vermogensausnutzung und damit gleichzeitig zu einer groBeren Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes fiihren wird, ist ganzlich von besonderen Umstanden abhangig und wird in jedem Fall besonders untersucht werden miissen. DaB die Produktionswirtschaften in der hier oben beschriebenen Weise instand gesetzt werden, ihr Vermogen intensiver auszunutzen, ist eine Folge der Tatsache, daB ein Betrag an Mitteln, der friiher nur voriibergehend verfiigbar war, jetzt standig verfiigbar wird. So i&t in dem gegebenen Beispiel dank der veranderten Einkaufsmethode der Kassenvorrat, der friiher von 0 bis 31 fluktuierte, in einen standigen Vorrat von 15 verwandelt. Das Vermogen, das friiher nicht ausgenutzt werden konnte, wird jetzt verfiigbar, die Verfugungsmacht, die bisher durch die Schwankungen gebunden war, wird frei. Diese Folge bringt an sich noch keine Veranderung in der Intensitat der Vermogensausnutzung mit sich. Doch ist diese in der Tat zu erwarten, da keine Rede davon sein kann, daB die Produktionswirtschaften einen standigen Kassenvorrat, der iiberflussig ist, unverwendet lassen werden. Es ist eine potentielle VergroBerung der Intensitat und damit der Umlaufsgeschwindigkeit eingetreten, auf welche die tatsachliche VergroBerung folgen wird. Diese kann auf verschiedene Arten eintreten. Die einfachste ist eine Verminderung der Geldmenge im Betrag des freigewordenen Vermbgens, was z. B. geschehen wird, wenn die betreffende Unternehmung einen Teil des Bankkredits, den sie genieBt, riickzahlt. Die vermehrte Intensitat zeigt sich dann in einer Verminderung des Vermogens, gepaart mit einem unveranderten Stand des Gesamtbetrages der Aktiva, und die vergroBerte Umlaufsgeschwindigkeit in einer Verminderung der Geldmenge, die mit einem unveranderten Gesamtbetrag der Giiterumsatze Hand in Hand geht. Es ist aber auch moglich, daB die freigewordenen Mittel zur Erweiterung des Betriebes gebraucht oder daB sie zu diesem Zweck auf dem Kapitalmarkt anderen angeboten werden. Ein solches indirektes oder direktes Angebot auf dem Kapitalmarkt bedeutet nur eine rein nominale Kaufkraftvermehrung ganz derselben Art wie diejenige, die aus einer Vermehrung der Geldmenge entsteht. Das angebotene Geldkapital stammt nicht aus dem Sparen, es steht ihm kein Giiterangebot gegeniiber und seine Verausgabung wird eine Stoning des auf dem Markt herrschenden Gleichgewichtszustandes bewirken. Genau wie im Fall einer Geldschopfung konnen wir bei Beschreibung der Erscheinungen, die infolge dieser Storung eintreten werden, von zwei Annahmen ausgehen. Wir konnen annehmen, daB das Angebot produktiver Dienstleistungen unvermehrbar ist, woraus sich dann die SchluBfolgerung ergibt, daB die nominale Kaufkraftvermehrung aussehlieBlich zu einer Verschiebung der Produktionsverhaltnisse und einer Erhohung des Preisniveaus fiihren wird, auBer soweit durch erzwungenes Sparen eine VergroBerung des gesellschaftlichen Kapitals moglich wird. Wir konnen aber auch annehmen, daB das Angebot an produktiven Diensten vermehrbar ist, z. B. durch Heranziehung von Arbeitslosen, durch Uber-
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stunden, Frauenarbeit usw., in welchem Falle die nominale Kaufkraft. vermehrung tatsachlich teilweise zu einer Zunahme der Produktion fiihren kann. Welche von diesen Hypothesen den Vorzug verdient, wird von der Zeitdauer abhangen, die wir in Betracht nehmen. DaB bei Behandlung des Konjunkturproblems von der letztgenannten Hypothese ausgegangen werden muB, bedarf keines Beweises. Wie aber die Umstande sich auch gestalten werden, stets wird die groBere Intensitat der Vermogensausnutzung sich in einer Zunahme des Gesamtbetrages der Aktiva und die groBere Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes in einer Vermehrung der Guterumsatze zeigen. Wie das Aufhoren der Schwankung im Gesamtbetrag der Aktiva in vielen Fallen eine intensivere Vermogensausnutzung ermoglicht, wird auch umgekehrt die Entstehung einer solchen Fluktuation, wenn es nicht moglich ist, ihr die Vermogensversorgung anzupassen, zu einer weniger intensiven Vermogensausnutzung und damit auch zu einer geringeren Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes AnlaB geben konnen. Dies letztere wird der Fall sein, wenn das Auftreten der Schwankung bei der einen Unternehmung nicht eine Folge des Aufhorens einer solchen an einer anderen Stelle ist, sondern mit dem Entstehen einer gegenlaufigen oder mitlaufigen Schwankung zusammengeht. So konnen wir uns z. B. denken, daB das entgegengesetzte des zuvor besprochenen Falles geschieht, daB namlich ein Detaillist, nachdem er bisher seine Einkaufe taglich besorgt hat, dazu iibergeht, seinen Vorrat monatlich zu beziehen. Soil dies moglich sein, dann wird der Detaillist, der ja plQtzlich einen Vorrat fur einen ganzen Monat einkaufen muB, uber ein groBeres Vermogen verfiigen nriissen, als er bisher brauchte. Er wird einen neuen Betrag an Mitteln in der Hohe von 30 an sich ziehen nriissen, wovon durchschnittlich die Halfte verwendet werden und die andere Halfte brachliegen wird. Dagegen wird sich beim Fabrikanten — von dem wir annehmen, daB er tiber einen gemigenden Reservevorrat verfiigt, um plotzlich eine so groBe Menge liefern zu konnen — der Vermogensbedarf nicht dauernd vermindern, da ja der Maximalbetrag seiner Aktiva ebenso hoch bleibt wie friiher. 1 Wohl aber wird der durchschnittliche Betrag seiner Aktiva um 15 abnehmen, da der friiher bei ihm vorhandene konstante Vorrat von 30 sich in einen gleichmaBig von 0 auf 30 zunehmenden verwandeln wird, wogegen ein allmahlich von 30 auf 0 abnehmender Kassenvorrat vorhanden sein wird. Wahrend also der Gesamtbetrag der Aktiva der gesamten Produktionswirtschaften gleich geblieben ist, hat der gesamte Vermogensbedarf um 30 zugenommen, welcher Betrag aber, zum Teil in der Hand des Fabrikanten und zum Teil in der des Detaillisten, dauernd brachliegen wird. Dieser Vermogensbedarf wird entweder durch eine Einschrankung des Aufwandes der betreffenden Unternehmung, oder durch Beschaffung neuen Vermogens auf dem Kapitalmarkt, oder durch Geldschopfung gedeckt werden konnen. 1 Jeden Monat ist ja im Augenblick der Ablieterung sein Vorrat ebenso groB wie im ursprunglichen Zustand.
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Das letzte ist in seinen Folgen das einfachste. Das neue Vermogen, das bestimmt ist, unverwendet zu bleiben, wird gar keinen EinfluB auf die Preise ausiiben konnen. Die verminderte Intensitat der Vermogensausnutzung wird sich in diesem Fall in einer Zunahme des Vermogens bei unverandertem Stand des Gesamtbetrages der Aktiva zeigen. Fiihrt aber der vermehrte Kapitalbedarf zu einer Verminderung der Aufwendungen oder dazu, daB dem Kapitalmarkt Mittel entzogen werden, so wird das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage durchbrochen. Die Kaufkraft, die friiher zur Verwendung verfiigbar war, wird jetzt gebunden und bleibt unverwendet. Das Angebot iibersteigt die Nachfrage und eine Preissenkung muB eintreten. Diese wird zu dynamischen Erscheinungen derselben Art, aber von umgekehrter Wirkung fiihren, wie die, welche wir friiher erwahnten. An Stelle des erzwungenen Sparens wird ein erzwungenes Aufzehren entstehen — zu Lasten vor allem der Untemehmungen, deren Kaufkraft am ersten verringert wird —, die zu einer Schrumpfung des gesellschaftlichen Kapitals fiihren kann. Auch wird sich. vielleicht das Angebot produktiver Dienstleistungen vermindern, mit der Folge einer Verringerung der Produktion. Die Folgen der Verringerung der Intensitat der Vermogensausnutzung werden somit vollkommen denen gleieh sein, welche eingetreten waren, wenn eine Verminderung der Geldmenge stattgefunden hatte, indem denselben Untemehmungen, in denen jetzt der vermehrte Vermogensbedarf entsteht, ein Bankkredit von gleicher Hohe gekiindigt worden ware.
II. Die Folgen einer Veranderung des Ausmafies, in dem von kurzfristigem Kredit Gebrauch gemacht wird.
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Auf dieselbe Weise, wie zuvor geschildert, wird auch eine Veranderung des Umfanges, in dem von kurzfristigem Kredit Gebrauch gemacht wird, ihren EinfluB auf die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ausiiben. Wenn — um mit einem Beispiel von direkter Kreditgewahrung ohne Vermittlung des Geldmarktes anzufangen — der vorgenannte Detaillist an einem bestimmten Zeitpunkt von seinem Fabrikanten einen Abzahlungskredit bekommt, wird an dem Tag, wo zum ersten Male unter den neuen Bedingungen verkauft wird, der ganze Erlos der Verkaufe des vorigen Monats sich in seiner Kasse befinden. Dieser Betrag wird dauernd zu seiner Verfugung bleiben, da er ja die taglich zu leistenden Zahlungen aus dem Erlos seiner taglichen Verkaufe wird bestreiten konnen. Dieser ganze KassenuberschuB wird also frei und ist zur Verwendung in anderer Richtung verfiigbar, durch welche Verwendung die Intensitat der Vermogensausnutzung betrachtlich vergroBert werden wird. Wie gestaltet sich nun die Lage beim Fabrikanten ? Dies hangt, so wie friiher, davon ab, ob er seine ganze Produktion einmal im Monat verkauft, um darauf die erhaltenen Mittel allmahlich wieder zu investieren —• so daB bei ihm die gegenlaufige Fluktuation zur Schwankung der Aktiva des Detaillisten zu finden ist — oder ob sein Absatz taglich kontinuierlich geschieht.
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1st das erste der Fall, dann wird jetzt auch bei ihm die Intensitat der Vermogensausnutzung vergroBert werden, da ja die Betrage, die er jetzt taglich erhalt, sogleich wieder verwendet werden konnen, so da8 der zuvor bestandene Kassenvorrat verschwindet. Eine Vermehrung seines Vermogensbedarfs wird ungeachtet der Kreditgewahrung nicht eintreten, da diese letztere aus den friiher brachliegenden Mitteln bestritten werden kann. Auch sozial gesehen wird somit die Intensitat der Vermogensausnutzung groBer werden und die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wird daher zunehmen. Wenn aber beim Fabrikanten diese gegenlaufige Fluktuation nicht zu finden ist, wird jetzt durch die Kreditgewahrung nicht nur sein Vermogensbedarf zunehmen, sondern wird iiberdies eine Fluktuation der Aktiva entstehen, so daB per Saldo die Intensitat der Vermogensausnutzung ungeandert bleibt. Auch wenn beim Geben und Nehmen von kurzfristigem Kredit von der Vermittlung des Geldmarktes oder der Banken Gebrauch gemacht wird, so wird die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit, d. h. die Intensivierung der Vermogensausnutzung, meist durch ein dauerndes Freiwerden von Vermogen, das friiher gebunden war, eingeleitet werden. Wenn z. B. eine Gruppe von Produktionswirtschaften, die bisher ihre voriibergehenden Vermogensuberschusse brach liegen lieBen, dazu tibergehen, diese auf dem Geldmarkt anzulegen, kann daraus sowohl ein standiges, wie ein variables Angebot von Geldmitteln entspringen. Das erste wird der Fall sein, wenn die Zeitpunkte, in denen die Uberschusse — von denen wir annehmen wollen, daB sie von gleichem Umfang sind — bei den verschiedenen Unternehmungen verfiigbar werden, nicht zusammenfallen, sondern aufeinanderfolgen, so daB das voriibergehende Angebot der einen Unternehmung durch das der anderen abgelQst wird. 1 Die angebotenen Mittel stehen dann scheinbar fur kurze, in Wahrheit aber fur lange Frist den Kreditnachfragenden zur Verfugung und konnen dazu dienen, einen standigen Vermogensbedarf zu befriedigen. Ein veranderliches Angebot wird auf dem Geldmarkt zustande kommen, wenn die Zeitpunkte, an denen die Vermogensuberschusse verfiigbar werden, ganz oder teilweise zusammenfallen. Dieses Angebot wird nur zur Versorgung des Bedarfes derjenigen Unternehmungen dienen konnen, bei denen in diesem Augenblick gerade ein ebenso groBer voriibergehender Vermogensbedarf besteht und die bisher gewohnt waren, diesen durch eigene Mittel zu decken. Machen diese Unternehmungen nunmehr tatsachlich von dem angebotenen Kredit Gebrauch, so werden sie dieses eigene Vermogen frei und zur anderweitigen Verwendung verfiigbar bekommen. Auch hier wird also wieder ein standiges Freiwerden von Geldmitteln Platz greifen. Es ist aber auch moglich, daB die voriibergehend angebotenen Mittel von den Produktionswirtschaften, deren Bedarf sie decken konnten, 1 Dies wird vor allem dann moglich sein, wenn zwischen den Fluktuationen der Aktiva der verschiedenen Unternehmungen ein solcher Zusammenhang besteht, daB sie zueinander im Verhaltnis von gegenlauiigen oder mitlaufenden Schwankungen stehen.
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nicht aufgenommen werden konnen, indem diese Produktionswirtschaften z. B. den fur Geldmarktkredite gestellten Anforderungen betreffend Pfandsicherung nicht geniigen konnen. 1 Die Frage muB gestellt werden, was, sofern dies der Fall ist, mit diesen zeitweilig verfugbaren Mitteln geschehen wird. Sind sie dazu verurteilt, brach liegen zu bleiben, oder gibt es noch eine andere Moglichkeit ? Das letztere ist in der Tat der Fall. Das UbermaB an Angebot auf dem Geldmarkt wird zu einer Senkung des ZinsfuBes fiihren. Diese wird einerseits zur Folge haben, daB einige Unternehmungen es nicht mehr lohnend finden werden, ihre Vermogensiiberschusse auf dem Geldmarkt zu placieren und daher dazu iibergehen werden, diese in der Kasse zu halten, wodurch das Brachliegen von Vermogen wieder zunehmen wird. Uberdies aber wird sie dazu fiihren, daB viele Kreditnehmer, die ihre Mittel bisher von der Zentralbank bezogen, sich an den offenen Markt wenden, weshalb die in Umlauf gebrachte Geldmenge abnehmen wird. Das voriibergehende Angebot von Mitteln auf dem Geldmarkt wird also zu einer voriibergehenden Verminderung der Geldmenge fiihren, was, da ja die Menge brachliegenden Vermogens geringer wird, ohne daB der Gesamtbetrag der Aktiva irgendeine Veranderung erleidet, eine zeitweilige VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit bedeutet. Kommt die Zeit fur die Wiederverwendung dieser Mittel durch die betreffenden Produktionswirtschaften, dann werden diese ihr Anbot vom Geldmarkt zuriickziehen, die Kreditnachfrage wird sich wieder nach der Zentralbank hin verlegen und der Geldumlauf wird sich wieder ausbreiten. Auf diese Weise ist eine gleichmaBige Wechselwirkung zwischen dem Umfang der Geldmenge und der Geschwindigkeit des Umlauf es moglich, und die durchschnittliche GroBe dieses letzteren wird viel betrachtlicher sein konnen als bei einem unelastischen Geldumlauf moglich ware. Es zeigt sich also zum SchluB, daB ein permanentes Freiwerden des zuvor brachliegenden Vermogens keine absolute Bedingung fur eine VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ist. Eine voriibergehende VergroBerung ist auch moglich, wenn das Vermogen nur zeitweilig verfugbar ist. 2 DaB eine verringerte Verwendung des kurzfristigen Kredits Erscheinungen von entgegengesetzter Tendenz zuwege bringen wird wie die oben beschriebenen, bedarf keiner Darlegung. Auch in diesem Falle wird, wenn nur ein variabler Teil der auf dem Geldmarkt angebotenen Mittel zuriickgezogen wird, die Zentralbank einen Ausweg bieten konnen; diesmal aber durch eine voriibergehende Geldschopfung, wodurch die Mittel, die brachgelegt sind, ersetzt werden. 1 Denken wir nur an den Ackerbau, der mit seinem iiberwiegend wechselnden Kapitalbedarf vor der neueren Entwicklung des Agrarkredits keinen Zutritt zum Markt filr kurzfristige Kredite hatte. 2 Es ist dabei nicht notwendig, daB, wie in dem besprochenen Fall, die VergroBerung durch eine voriibergehende Minderung der Geldmenge zustandekommt. Auch eine Vermehrung der Umsatze ist denkbar, und zwar wenn die Senkung des Zinses zur Entstehung einer Saisonindustrie AnlaB gibt. Je nachdem dann die Produktion durch Inanspruchnahme unverwendeter Produktivkrafte starker oder weniger stark erweitert werden kann, wird das Preisniveau schwacher Oder starker steigen.
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III. Die Folgen einer Veranderung des Ausmafies, in welchem Vermogensuberschusse im eigenen Betrieb verwendet werden.
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Wenn die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit durch eine Verwendung brachliegenden Vermogens im eigenen Betrieb zustande kommt, so wird — sowohl wenn diese Verwendung voriibergehend ist, so daB die Geldmittel beizeiten wieder fur ihre normale Bestimmung verfiigbar werden, wie auch wenn sie fiir langere Zeit geschieht, in welchem Fall das Vermogen auf die Dauer wird vergroBert werden miissen, urn eine normale Fortsetzung des Betriebes sicherzustellen — die groBere Umlaufsgeschwindigkeit gewohnlich nur von voriibergehender Natur sein und ihrem Eintreten wird keine permanente Freisetzung von Mitteln vorangehen. I m erstgenannten Fall wird, wie z. B. beim Vorkauf von Rohstoffen, die voriibergehende Verwendung von Vermogen meist dazu fiihren, daB Vorrate auf Lager genommen werden und die gebrauchten Mittel nunmehr bei einem anderen, gegebenenfalls dem Verkaufer der Rohstoffe, frei werden. LaBt dieser sie unverwendet, dann bleibt der Zustand unverandert, legt er sie auf dem Geldmarkt an, dann wird entweder eine dauernde oder eine voriibergehende VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit auf eine der im vorigen Paragraphen beschriebenen Arten entstehen konnen. Wenn aber die voriibergehende Verwendung in Form einer Erweiterung der Produktion erfolgt, wird hievon direkt ein stimulierender EinfluB auf das Preisniveau ausgehen, der sich in dem Augenblick in sein Gegenteil verkehren wird, wo die Produktion wieder verkleinert wird, um die betreffenden Mittel fiir ihre normale Bestimmung verfiigbar zu erhalten. Diese Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit wird also gewohnlich nur voriibergehenden Charakter haben. Es muB aber wohl im Auge behalten werden, daB, wenn eine groBe Gruppe von Produktionswirtschaften zu dieser Verwendung von Uberschiissen iibergeht, diese voriibergehenden Einflusse einander derart erganzen konnen, daB sie faktisch zu einer dauernden Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit fiihren. Die dauernde Verwendung zeitweilig verfugbarer Mittel kann nur dann vollzogen werden, wenn die Absicht besteht, das Vermogen der Unternehmung vor dem Augenblick der normalen Verwendung dieser Mittel zu vergroBern, da ja sonst in diesem Augenblick Vermogensmangel entstehen wiirde. Diese Erscheinung wird also nur in Zeiten einer Expansion eintreten konnen und ist daher im Wesen dynamisch. Die Folgen werden bis zum Zeitpunkt, da man das neue Vermogen erhalt, ganz dieselben sein, wie wenn dauernd freigesetzte Geldmittel verwendet worden waren; das Preisniveau wird steigen und die reale Erzeugung wird, wenn eine Reserve an Produktivkraft zur Verfiigung steht, vergroBert werden. In jedem Fall wird die Umlaufsgeschwindigkeit zunehmen. Sobald jedoch die VergroBerung des Betriebsvermogens stattfindet, wird die Umlaufsgeschwindigkeit wieder abnehmen. Wird also dieses Vermogen aus Geldschopfung erhalten, dann wird die Geldmenge zu-
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nehmen, ohne da8 dadurch eine neue, preisstimulierende Wirkung entsteht. Das zusatzlich geschaffene Geld nimmt nur die Stelle der fruher brachliegenden Mittel ein und dient somit fur einen Aufwand, der auoh fruher schon stattfand. Das Preisniveau wird sich auf dem gerade erreichten Stand halten und die Zunahme der Geldmenge wird nur eine Senkung der Umlaufsgeschwindigkeit auf ihre urspriingliche GroBe herbeifuhren. Entsteht dagegen das neue VermQgen aus Ersparnissen, dann wird sogar eine Preissenkung eintreten mussen. Das Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage kann sich nur halten, wenn die verringerte Nachfrage der Sparer durch eine vermehrte Nachfrage der Kreditnehmer aufgewogen wird. Tritt nun das neue Betriebsvermogen an Stelle der zuvor in anderer Richtung verwendeten Mittel, dann dient es nur zur Aufrechterhaltung, nicht zur VergroBerung der Nachfrage der betreffenden XJnternehmungen. Durch Abnahme der Nachfrage der Sparer wird eine Senkung der Preise auf das alte Niveau eintreten, was bei unverandert gebliebener Geldmenge eine Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeit bedeutet. I m Gegensatz zu dieser voriibergehenden Verwendung kann die Verwendung auf langere Dauer niemals zu einer tatsachlich andauernden Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit fuhren, und zwar deshalb, weil sie nur in einem dynamischen Entwicklungszustand vorkommen kann, in welchem die Produktionswirtschaften einer projektierten Erweiterung ihres Betriebskapitales vorgreifen. Wenn die Ausbreitungstendenz aufh6rt und die Volkswirtschaft wieder einem statischen Gleichgewicht zuneigt, wird die Umlaufsgeschwindigkeit notwendig wieder sinken mussen.
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IV. Der angebliche Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Guter. Unsere SchluBfolgerung, daB die Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, obwohl durch nichtmonetare Faktoren verursacht, doch in ihrer Wirkung nur monetare Bedeutung haben und daher den Veranderungen der Geldmenge vollkommen gleichgestellt werden konnen, bringt uns in Gegensatz zu zwei in der Literatur vielfach vertretenen und untereinander eng zusammenhangenden Ansichten. Nach der einen steht die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes im engsten Zusammenhang mit der der Waren, nach der anderen fuhrt die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit eine intensivere Ausmitzung der Elemente des gesellschaftlichen Kapitals herbei. Die Auffassung, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und die der Guter eng miteinander zusammenhangen und beide sich nur in gleicher Richtung verandern konnen, wird schon von den merkantilistischen Schriftstellern 1 und von M A R X 2 vertreten und auch in der jiingsten 1 HOLTROP, Theories ot the Velocity ot Circulation, S. 510ff.; HOLTROP, Omloopssnelheid, S. 12 H. 2 HOLTROP, Omloopssnelheid, S. 43ff.
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Literatur tritt sie wohl noch mitunter auf.1 Nichtsdestoweniger beruht diese Auffassung — insoweit dabei an diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit gedacht wird, die fur die Hohe des Preisniveaus von Bedeutung sind und die daher nicht von einem veranderten Differenzierungskoeffizienten bedingt sind — auf einem Irrtum, wahrend sie in dem engeren Sinn, in dem sie richtig ist, eine nichtssagende Tautologie zum Inhalt hat. Unter der Umlaufsgeschwindigkeit der Waren, von der hier die Rede ist, muB die Geschwindigkeit verstanden werden, mit der die Giiter sich durch die Produktionswirtschaften hindurchbewegen; diese Geschwindigkeit wird in der Anzahl der Umsatze des Betriebskapitals wahrend einer bestimmten Periode ausgedriickt. Diese Umlaufsgeschwindigkeit ist aus zwei Faktoren zusammengesetzt: Der Geschwindigkeit, womit die Giiter die Volkswirtschaft durchlaufen, und der Anzahl von Unternehmungen, durch deren Hande sie wahrend dieses Umlaufs gehen. Wenn also z. B. die Giiter im Durchschnitt zwei Jahre brauchen, um den Weg von der Erzeugung zum Verbrauch zuriickzulegen und wahrend dieser Zeit sechsmal von Hand zu Hand gehen, so ist die durchschnittliche Zeit, die die Giiter in den einzelnen Betrieben verbringen, vier Monate, und ihre Umlaufsgeschwindigkeit, das J a h r als Zeiteinheit genommen, gleich drei. Untersuchen wir nunmehr, ob diese beiden Faktoren fur die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes von Bedeutung sind. Die Geschwindigkeit, mit der die Giiter sich durch die Volkswirtschaft bewegen, wird durch die Technik der Produktion, namentlich durch die Lange der eingeschlagenen Produktionsumwege oder, was auf dasselbe herauskommt, durch die relative GroBe des Sozialkapitals bestimmt. Ein dauernder EinfluB der Umlaufsgeschwindigkeit auf diese Produktionstechnik ist undenkbar. Nur wahrend eines Ubergangszustandes kann man sich einen solchen EinfluB in geringem MaBe vorstellen, und zwar soweit die normalen, stets vorhandenen Vorrate, die einen notwendigen Bestandteil des sozialen Kapitals bilden, durch einen kraftigen Hausse-Anreiz — der sowohl mit einer Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit wie mit einer Vermehrung der Geldmenge zusammenhangen kann — einigermaBen zum Schrumpfen gebracht werden, und damit unter ihr normales Niveau kommen. I n diesem Fall ist wahrend einer gewissen Zeit ein schnellerer Umlauf der Giiter moglich, da diese dann durch kurzere Zeit hindurch in der Form von Vorraten eingelagert werden. I n dem neuen Gleichgewichtszustand, der darauf eintritt, werden die Vor1 Siehe FEDERN, Hinauf mit den Bankraten! Eine Entgegnung. Arch. f. Sozialwiss. u. Sozialpol., 42. Bd., 1916/1917, S. 208. Auch bei SCHUMPETER (Sozialprodukt, S. 683 Anm.) findet sich eine Andeutung in dieser Richtung vor, wenn er meint, dafi bei sinkendem Geldwert eine dauernde Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit dennoch unmoglich ist, weil die Produzenten ihre Mittel nicht schneller umlaufen lassen konnen. Siehe auch ARTHUR W. MARGET, The Relation between the Velocity of Circulation of Money and the ,,Velocity of Circulation of Goods", Journal of Political Economy, Vol. XL, June 1932 and August 1932, der noch verschiedene andere Vertreter dieser Auffassung zitiert.
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rate aber wieder auf ihr altes Niveau zuruckkehxen, und, obwohl die Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes endgultig verandert sein kann, wird bei gleichgebliebener Technik die Umlaufsgesohwindigkeit der Giiter keine Veranderung erfahren haben. Statisch gesehen, kann also die VergroBerung der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes nicht zu einer Beschleunigung der Giiterzirkulation fiihren, und ebenso wenig kann, wie ScHXTMPETBR zu meinen scheint, die VergroBerung der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes von der Moglichkeit einer Beschleunigung des Giiterumlaufs abhangig sein. Bei einer Verminderung der Umlaufsgesohwindigkeit ist —• ebenso wie bei einer Verminderung der Geldmenge — dasselbe der Fall. Auf die Dauer kann sie die Umlaufsgesohwindigkeit der Guter nicht beeinflussen, aber wahrend eines Ubergangszustandes ist es moglich, daB sie zu einer Aufhaufung von Vorraten fiihrt, so daB also doch eine Verzogerung des Giiterumlaufs eintritt. Umgekehrt haben die Veranderungen der Schnelligkeit des Giiterumlaufs ebensowenig einen direkten EinfluB auf die Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes. Nur ein mittelbarer EinfluB ist denkbar, insoweit eine Veranderung der Produktionstechnik, und zwar eine Anderung in der Lange der eingeschlagenen Produktionsumwege eine Veranderung in der Intensitat der Vermogensausnutzung, z. B. durch Zu- oder Abnahme von Schwankungen im Vermogensbedarf, herbeifiihren kann. Es ist aber klar, daB dieser EinfluB von den vorgenannten Schriftstellern nicht gemeint ist. Besteht somit im allgemeinen kein Zusammenhang zwischen der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes und der Geschwindigkeit, mit der die Giiter die Volkswirtschaft durchlaufen, so gilt anderes fur den zweiten Faktor, aus dem die Umlaufsgesohwindigkeit der Giiter besteht, namlich der Anzahl von Betrieben, durch deren Hande die Giiter im Durchschnitt gehen. Diese Anzahl wird durch den Grad der Differenzierung des Produktionsprozesses bestimmt und wird somit durch den Differenzierungskoeffizienten ausgedriickt, der, wie wir schon friiher bemerkten, in der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes gleichfalls inbegriffen ist. Die Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes und die der Giiter enthalten daher denselben Eaktor und es ist somit klar, daB eine Veranderung desselben gleichen EinfluB auf diese beiden ausiiben muB. Aber ebensosehr springt es in die Augen, daB der Zusammenhang, der aus diesem Grunde zwischen den genannten Faktoren besteht, von keiner Bedeutung ist. Die Veranderungen der Umlaufsgesohwindigkeit, von denen hier die Rede ist, haben wir schon friiher aus unseren Betrachtungen ausgeschlossen, da sie fur die in Rede stehenden monetaren Probleme vollkommen gegenstandslos sind. Die Anderung des Differenzierungskoeffizienten kann, wie wir schon vorher gesehen haben, 1 noch auf eine andere Weise eine Anderung der Umlaufsgesohwindigkeit des Geldes herbeifiihren, indem sie namlich einen indirekten EinfluB auf die GroBe der Kassenvorrate ausiibt. Nur in diesem » Siehe S. 144 H. Beitrage zur Geldtheorie.
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Sinne konnte wirklich von einem wesentlichen Zusammenhang zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Giiter gesprochen werden, obwohl zu beachten ist, da6 auch hier nicht von der volkswirtschaftlichen Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter die Rede ist, sondern nur von der Geschwindigkeit, mit welcher sie sich durch die Unternehmungen hindurch bewegen. Es ist aber nie d i e s e r Zusammenhang, von welchem bei den obengenannten Autoren die Rede ist. Deren Argumentation geht ubrigens auch in umgekehrter Richtung, denn wahrend man im allgemeinen zu beweisen versucht, daB die Umlaufsgeschwindigkeiten des Geldes und die der Waren sich nur parallel bewegen konnen, sehen wir in diesem Falle eben, daB die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter eine Verringerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes herbeifiihrt. Die Auffassung, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und die der Giiter notwendig zusammenhangen, ist also in dem einzigen Sinn, in dem sie Bedeutung haben kann, nicht richtig. 1 Die Ansicht, daB die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes in einer ihr im besonderen eigentiimlichen Weise zu einer intensiveren Ausnutzung des sozialen Kapitals fiihren wird, steht mit der soeben besprochenen Auffassung im engsten Zusammenhang und ist tatsachlich nur eine andere Formulierungsweise derselben. Wahrend die Schriftsteller, die den Nachdruck auf den Zusammenhang zwischen der Geschwindigkeit des Geldumlaufs und der des Giiterumlaufs legen, zu glauben scheinen, daB eine groBere Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes nur erzielt werden kann, wenn die schon umlaufenden Elemente des sozialen Kapitals ihren Umlauf rascher zu vollfiihren beginnen, legen die Vertreter der anderen Formulierung dar, daB die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes dazu fiihrt, daB Elemente des Sozial1 Die Auffassung, daB unter bestimmten Umstanden eine Wechselwirkung zwischen der Umlaulsgeschwindigkeit der Giiter und jener des Geldes bestehe, finden wir in der jungsten Literatur nochmals verteidigt von BUDGE, der meint, daB eine Zunahme des realen Einkommens, d. h. eine Vermehrung des Angebots von Konsumgiitern, sich so vollzieht, daB diese Giiter in kilrzeren Zeitabstanden als bisher sukzessive aut den Markt kommen, wodurch eine VergroBerung der Umlaulsgeschwindigkeit „erzwungen" werde. Als Beispiel gibt BUDGE eine Volkswirtschaft, worin bisher die Giiter auf 12 Monatsmarkten abgesetzt werden. Bei Verdoppelung der Produktion wird, wie B. meint, der Absatz auf 24 Halbmonatsmarkten geschehen, wodurch die Umlaufsgeschwindigkeit sich automatisch verdoppeln wird. Formell ist dieses Beispiel einer aus einer Veranderung im Gilterumlauf entstehenden VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit vollkommen richtig. Tatsachlich wird eine Verminderung der Diskontinuitat des Giiterumlaufs die Tendenz haben, die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes zu vergroBern, wie wir auch zuvor schon gesehen haben. Unrichtig ist es aber zu meinen, daB dieses Beispiel eine Widerspiegelung dessen darstellt, was in der heutigen Wirklichkeit bei VergroBerung der Giiterproduktion geschieht. Mit anderen Worten, es ist nicht richtig, daB eine VergroBerung der Produktion zu einer verringerten Diskontinuitat des Guterumlaufes fiihren wird. Der Gtiterabsatz und speziell der der Konsumgiiter, an den BUDGE im besonderen denkt, findet nicht auf 12 Monatsmarkten statt, sondern vielmehr auf 360 Tagesmarkten, d. h. nahezu kontinuierlich. Die Giiter konnen also auch nicht in schnellerer Aufeinanderfolge, sondern nur in grofierer Menge auf den Markt kommen und von einer automatischen VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit ist keine Rede. BUDGE irrt denn auch, wenn er aus diesem einfachen, schlecht gewahlten Beispiel schlieBen zu diirfen glaubt, daB die VergroBerung oder Verkleinerung der Umlaufsgeschwindigkeit stets nur eine stabilisierende Wirkung auf das Preisniveau wird ausilben konnen <S. BUDGE, Lehre vom Geld, Jena 1931, S. 250ff.).
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kapitals, welche bis dahin nicht am Umlauf teilnahmen, daher brachlagen, jetzt in den Umlauf hineingezogen werden. Beiden Auffassungen zufolge findet also eine VergroBerung der durchschnittlichen Umlaufsgeschwindigkeit der Giiter statt; die Art und Weise, wie diese zustande kommen soil, ist aber verschieden. DaB durch die VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit brachliegendes Kapital zur Ausnutzung gebracht wird, ist offenbar die Auffassung von SCHULZE-GAEVERNITZ, der die sozialokonomische Bedeutung des Depositensystems darin sieht, daB mittels der „fremden Gelder" — d. s. Depositen und Kontokorrentsaldi — das rasch umlaufende Kapital — bestehend aus Handelsvorraten, Industrieprodukten in Verarbeitung, reifenden Ernten und brachliegenden Goldvorraten — den Banken zur Verfugung gestellt wird. Die Banken bringen durch Kreditgewahrung diese Giiter in die Hande der Unternehmungen, die sie mit Vorteil verwenden konnen. „Es bedeutet dies keine Vermehrung, jedoch intensivste Ausnutzung des vorhandenen Kapitals." 1 Mit anderen Worten, durch die Vermogensiibertragung, die dank dem Depositensystem stattfindet, wiirden die erwahnten Giiter erst in den Besitz der Wirtschaften gelangen, die diese Giiter in ihrem Betrieb verwenden konnen. Dem brachliegenden Vermogen, das durch das Depositensystem zur Verwendung kommt, hatten also auch unverwendete brachliegende Giitervorrate gegeniibergestanden. Diese Auffassung wird buchstablich von F E I L E N verfochten, der folgendes ausfiihrt: „Ist Geld objektivierte Kaufmoglichkeit, so besagt das, daB auf der anderen Seite soviel ,Angebot' auf Abnahme wartet als Geld existiert... " 2 Und: „Es wird jederzeit ein bestimmtes Mehr an Angebot da sein infolge der Existenz des Geldes als effektiv Nachfrage eintreten kann. Denn Geld ist ja nichts anderes als zuriickgehaltene Nachfragemoglichkeit." 3 F E I L E N kommt zu dieser Ansicht auf Grund seiner Behauptung, daB jeder umlaufende Geldbetrag ein Fingerzeig dafiir ist, daB auf eine Leistung zugunsten des Sozialproduktes, d. i. ein Angebot von Giitern, keine Entnahme aus dem Sozialprodukt, d. i. eine Nachfrage nach Giitern folge, weshalb ein Teil des Angebots ohne Absatz geblieben sein muB. Nun ist vor allem schon diese Pramisse unhaltbar, aber iiberdies folgt aus ihr keineswegs die von F E I L E N gezogene SchluBfolgerung, die ja nicht mehr und nicht weniger besagt, als daB eine Verminderung der Nachfrage nicht zu einer Preissenkung, sondern zur Unverkauflichkeit der angebotenen Giiter fuhrt. Dies kann natiirlich nie der Fall sein. Ubersteigt das Angebot die Nachfrage, so tritt eine Preissenkung ein, wodurch beide wieder ins Gleichgewicht kommen, denn keine der anbietenden 1
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SCHULZE-GAEVERNITZ, 1. c. S. 46.
FEILEN, Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes, Berlin-Leipzig 1923, S. 70. FEILEN, 1. c. S. 140. In WAGEMANNS Geldtheorie finden wir denselben Gedanken wieder, wenn der Verfasser eine Bilanz der Volkswirtschaft aulstellt, in welcher die gesamten Kassen- und Giroguthaben einerseits und die fur den Konsum bestimmten Giitervorrate anderseits als gleiche Posten einander gegeniibergestellt werden. Zwar gibt der Verfasser zu, daB diese Gleichheit nur eine Fiktion ist, aber dessenungeachtet wird dem Leser doch suggeriert, daB zwischen diesen beiden Vorraten ein innerer Zusammenhang besteht. (Siehe WAGEMANN, Allgemeine Geldlehre, Bd. 1, 1923, S. 156ff.) 12*
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Produktionswirtschaften kann einen Vorteil davon haben, einen Teil ihres Angebotes aus dem Markte zuriickzuziehen, es sei denn bei vollstandigem oder teilweisem Monopol, mit welchem Ausnahmsfall wir hier nicht zu rechnen brauchen. In einem statisehen Gleichgewichtszustand ist ein Brachliegen von sozialem Kapital, denn so miiBte das von F E I L E N gemeinte Auf-AbsatzWarten bezeichnet werden, unmoglich. Die Vorrate, die sich im Verkehr dauernd vorfinden, bestehen aus Giitern, die sich auf ihrem Weg zum Verbrauch befinden. Sie liegen keineswegs brach, sondern bilden einen notwendigen und normalen Bestandteil des gesellschaftlichen Kapitals. Die Auffassung FEILENS ist also nicht richtig und auch SCHULZEGAEVEKNITZ' Meinung hinsichtlich der Art und Weise, in der das Depositensystem seine giinstige Wirkung fiihlbar macht, kann nicht angenommen werden. Eine Vermehrung der Depositen, soweit diese aus der tJbertragung von vorher brachliegendem Vermogen entsteht, gibt der Bank keine Verfiigung iiber reale Giitervorrate, sondern verschafft ihr nur formale Kaufkraft, der kein Guterangebot gegeniibersteht. Der EinfluB, den das Depositensystem ausiibt, ist rein dynamisch und beschrankt sich, abgesehen von den indirekten und nicht genau nachweisbaren Nachwirkungen, auf eine Ubergangszeit.
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V. Die Bedeutung der Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes fur das Preisniveau. Im vorstehenden hat sich uns gezeigt, daB eine Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit die Folge der Verwendung zeitweilig verfugbarer oder dauernd freigesetzter Mittel ist, die bisher brach liegen blieben, und daB diese Verwendung vollkommen denselben preisstimulierenden EinfluB ausubt wie die Verwendung einer neu geschaffenen Geldmenge. Wie weit dieser EinfluB auf das Preisniveau reicht, haben wir jedoch bisher noch nicht angegeben. Versuchen wir daher jetzt die Frage zu beantworten, wie nach einer Geldschopfung oder einer Intensivierung der Vermogensausnutzung wieder ein Gleichgewichtszustand erreicht wird. Wenn in einem bestimmten Jahr eine Geldmenge in der GroBe von 1000 Einheiten zirkuliert, wahrend der Guterumsatz 20000 betragt und der Index des Preisniveaus mit 1 angesetzt wird, konnen wir fur dieses Jahr die folgende Tauschgleichung aufstellen: 1000 X 20 = 20000 X 1 worm die Zahl 20 die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes wiedergibt. Nehmen wir nun an, daB durch eine der im vorigen Paragraphen genannten Ursachen eine bisher gebundene Geldmenge in der GroBe von 10 dauernd frei wird. Wurde diese Geldmenge dem Verkehr entzogen werden, dann wiirden Guterumsatz und Preisniveau unverandert bleiben, wahrend die Umlaufsgeschwindigkeit im Verhaltnis steigen wiirde. Die Tauschgleichung wurde dann lauten: 990 X 20 20/99 = 20000 X 1
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Wird nun aber das freigesetzte Vermogen verwendet, dann wird das denselben EinfluB haben, als ob in dem Zustand, der durch die zweite Tauschgleichung wiedergegeben wird, eine Geldschopfung in der Hohe von 10 stattgefunden hatte. Die Preissteigerung, die als Folge davon eintreten wird, hangt zunachst von der Zeit ab, iiber welehe die Verausgabung der Mittel verteilt ist. 1st diese Zeit z. B. eine Woche, dann wird der Wochenumsatz, der zirka Y50 von 20000, d. i. 400 betrug, auf 410 zunehmen und — wenn das Giiterangebot nicht vermehrbar ist, wie wir annehmen wollen — werden die Preise der gekauften Giiter so steigen, daB dies einer Steigerung des Preisniveaus, d. h. des gewogenen Durchschnittes aller Preise, um 2 1 / 2 % gleichkommt. Wenn nun auch die Verkaufer der betreffenden Giiter, deren Kaufkraft ja durch den unerwarteterweise vergroBerten Erlos ihrer Produkte um denselben Betrag von 10 zunimmt, diese Geldmittel binnen einer Woche ausgeben und desgleichen auch ihre Lieferanten, dann scheint es, als ob diese Preissteigerung aufrechterhalten bleiben konnte. Tatsachlich ist das aber nicht der Fall. Die Preissteigerung bedeutet fur die betreffenden Unternehmungen eine Zunahme des Gesamtbetrages ihrer Aktiva, die — da es auch hier unmoglich sein wird, das Geldkapital genau den Schwankungen der Aktiva anzupassen — eine VergroBerung Hires durchschnittlichen Kassenvorrats induziert. Ist nun, bei einer Preissteigerung von z. B. 2 x/2%, der Betrag, um welchen alle Produktionswirtschaften zusammen ihren Kassenvorrat vergroBern miissen, groBer als der urspriinglich freigesetzte Betrag, dann wird dieser letztere den Bedarf nicht decken konnen. Die Unternehmungen werden ihre Aufwendungen etwas einschranken miissen und das Preisniveau wird wieder sinken. Ein Gleichgewicht kann erst erzielt werden, wenn die Steigerung des Preisniveaus so groB ist, daB der freigewordene oder eventuell der neu geschaffene Geldbetrag durch die notwendige VergroBerung der Kassenvorrate gerade absorbiert wird. Wann dies der Fall sein wird, ist abhangig von der Intensitat der Vermogensausnutzung bei den Unternehmungen, bei denen die Preissteigerung den Gesamtbetrag der Aktiva zum Wachsen bringt. Ist diese Intensitat derart, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bei den Unternehmungen den Durchschnitt iibertrifft, dann wird in dem neuen Gleichgewichtszustand die Umlaufsgeschwindigkeit grQBer sein als friiher; ist das Umgekehrte der Fall, dann wird sie kleiner sein. Insofern wir nun annehmen diirfen, daB auf die Dauer die Preissteigerung sich iiber die ganze Wirtschaft verteilen wird und somit uberall die Zahlungen in gleichem Verhaltnis zunehmen werden, kann der SchluB gezogen werden, daB die Umlaufsgeschwindigkeit durch die Verwendung der freigesetzten oder eventuell aus Geldschopfung erhaltenen Mittel nicht beeinfluBt wird und die Steigerung des Preisniveaus daher vollkommen dem Verhaltnis zwischen dem Gesamtbetrag dieser Mittel und der zuvor schon vorhandenen Geldmenge entsprechen muB. Wenn aber die Wirkung der Kaufkraftvermehrung sich ganz oder in groBem MaB auf eine bestimmte Gruppe von Betrieben beschrankt, was z. B. in
182
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HOLTROP
Zeiten von Konjunkturhausse der Fall sein wird, wahrend welcher die Industrie viel starker beeinflufit wird als die Landwirtschaft, wird die Umlaufsgeschwindigkeit sich andern und daher die Steigerung des Preisniveaus groBer oder geringer sein konnen als in dem soeben genannten Fall. 1
Viertes
Hauptstuck.
Die Grofie der Umlaufsgeschwindigkeit und ihre Veranderungen. I. Die gegenwartige Grofie der Umlaufsgeschwindigkeit.
sU p
pL
ex
Nachdem wir im vorigen Hauptstuck die Faktoren, durch welche die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bestimmt wird und die Ursachen, durch welche Veranderungen in der Umlaufsgeschwindigkeit zustande kommen, kennengelernt haben, verbleibt uns jetzt noch die Aufgabe, mit Hilfe der verfugbaren statistischen Daten die gegenwartige GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit und die Bedeutung ihrer Veranderungen festzustellen und dabei zu untersuchen, ob die wahrgenommenen Erscheinungen aus dem zuvor Besprochenen erklart werden konnen. Der statistischen Bestimmung der Umlaufsgeschwindigkeit stehen verschiedene Schwierigkeiten im Wege. Nicht nur sind die Daten sehr sparlich, sie konnen iiberdies, soweit sie verfugbar sind, strengen theoretischen Anforderungen nicht gemigen. Die Kenntnis des Umfanges der umlaufenden Geldmenge ist mit einiger Genauigkeit nur fur die Lander zu erhalten, wo, wie in Frankreich vor 1914, die Bezahlung durch Uberweisung von so geringer und zu vernachlassigender Bedeutung ist, daB den Banksaldi der Geldcharakter fehlt, oder fur diejenigen Lander, die wohl das System der Girozahlung kennen, aber dabei die anglo-amerikanische Buchungsmethode fur Kredite und Depositen mit einer umfassenden Bankstatistik verbinden, wie die Vereinigten Staaten. Fur Lander wie Deutschland und die Niederlande kann die Geldmenge nicht bestimmt werden, auch dann nicht, wenn die Banken alle ihre Daten, betreffend Depositen und Kontokorrentsaldi, hiefur zur Verfugung stellen, da dann noch die Kenntnis des Umfanges der eingeraumten Dispositionsbefugnis, von der noch kein Gebrauch gemacht wurde, fehlen wiirde. Aber auch der Gesamtumfang der Umsatze von Gutern und Dienst1 Aus dem Vorstehenden kann noch abgeleitet werden, daB die Folgen einer Vermehrung der Geldmenge um einen bestimmten Betrag und die Folgen der Freisetzung derselben Geldmenge durch intensivere Ausniitzung des Vermogens nicht vollkommen gleichgestellt werden durfen. Der letztere Vorgang hat auf die Dauer einen etwas groBeren EinfluB auf das Preisniveau, da die freigewordene Geldmenge nicht mit der alten Umlaufsgeschwindigkeit zirkulieren wird, sondern mit derjenigen, mit welcher die ubrige Geldmenge nach jener Freisetzung umlauft. In dem oben besprochenen Fall z. B. wird bei Geldschopfung in der Hohe von 10 die Umlaufsgeschwindigkeit des neugeschaffenen Geldes gleich 20 sein und die Vermehrung der Umsatze daher 200 betragen. Bei Freisetzung eines Betrages in der Hohe von 10 wird dagegen die Umlaufsgeschwindigkeit desselben 20 20/89 sein und die Vermehrung der Umsatze daher 202 2 / 99 betragen.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
183
sU p
pL
ex
leistungen ist schwer feststellbar, da man ja dazu die Geldiibertragungen in solche, die aus einem Verkauf von Giitern entstehen und solche, bei denen dies nicht der Fall ist, trennen miiBte, was beinahe unmoglich ist. Die Umlaufsgeschwindigkeitsziffern, iiber die wir verfiigen, beruhen denn auch alle auf dem Verhaltnis zwischen dem Gesamtbetrag der von den Banken vollzogenen tJberweisungen und dem durchschnittlichen Guthaben, mit welchem diese durchgefiihrt sind. Zu diesen tJberweisungen gehoren auch diejenigen, welche aus dem Umsatz von Effekten und Grund und Boden, aus Gelddarlehen, aus Schenkung hervorgehen und auch die, durch welche Betrage von einem Konto auf ein anderes Konto desselben Klienten iibertragen werden. Bedenken wir uberdies noch, wieviele Zahlungen durch Vermittlung verschiedener Zwischenpersonen stattfinden und damit AnlaB zu drei oder vier tJberweisungen geben, dann wird es klar, daB die Ziffern, die fur die Umlaufsgeschwindigkeit gegeben werden, immer zu hoch sind und nur unter Vorbehalt benutzt werden sollten. Dazu kommt dann noch die Schwierigkeit, daB selbst abgesehen von den genannten Bedenken eine geschlossene Reihe dieser Ziffern uns iiber diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die fur unser Problem von wirklicher Bedeutung sind, noch nichts sicheres lehrt, da ja der Differenzierungskoeffizient, der in der Umlaufsgeschwindigkeit inbegriffen ist, eine Veranderung erfahren haben kann. Wir miissen daher fur die Bestimmung der gesuchten Veranderungen einen MaBstab anlegen, in dem dieser Koeffizient nicht enthalten ist. Als solcher kann, wie bereits friiher erwahnt wurde, 1 im allgemeinen das Verhaltnis zwischen dem gesamten Geldeinkommen und der gesamten Geldmenge verwendet werden, welches Verhaltnis wir die Effektivitat des Geldes genannt haben. Fur die Lander, wo die Geldmenge bestimmbar ist, kann diese Effektivitat meist leicht berechnet werden, da wir ja iiber ziemlich genaue Ziffern iiber die Volkseinkommen verfiigen. Da diese sich aber nur selten auf eine Reihe aufeinanderfolgender Jahre beziehen und selbst die besten noch einen wahrscheinlichen Fehler von 5 bis 10% haben, 2 sind sie fur die Bestimmung kleiner Schwankungen der Umlaufsgeschwindigkeit gleichfalls nicht brauchbar. Die Moglichkeit von Veranderungen des Differenzierungskoeffizienten fuhrt nicht nur zu statistischen, sondern auch zu terminologischen Schwierigkeiten. Bisher haben wir, als wir von der Umlaufsgeschwindigkeit und ihren Veranderungen sprachen, den Differenzierungskoeffizienten stets als unveranderlich betrachten konnen, wodurch es uns moglich war, diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die von monetarer Bedeutung sind, von den iibrigen zu unterscheiden. Wenn wir aber im folgenden von den Umlaufsgeschwindigkeitsziffern in der Form Gebrauch machen, in der sie uns zur Verfugung stehen, finden wir auch die Veranderungen der Differenzierung darin ausgedriickt. Da es nun zu weit1 2
Siehe oben S. 130. National Bureau of Economic Research, Income in the United States, New York 1921, S. 65 u. 85.
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ex
schweifig ware, fortwahrend zwischen „Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit im allgemeinen" und „Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die keine Folge einer Veranderung der Differenzierung sind" zu unterscheiden, werden wir im folgenden die letztgenannten als Veranderungen in der Effektivitat bezeichnen, auch wenn diese nicht unter alien Umstanden in dem Verhaltnis zwischen dem Gesamteinkommen und der gesamten Geldmenge zum Ausdruck kommen. 1 Das einzige Land, fiir welches ziemlich genaue Ziffern betreffend die Umlaufsgeschwindigkeit berechnet wurden, sind die Vereinigten Staaten. Die ersten verlaBlichen Daten sind die IRVING FISHERS, der fiir das bare Geld in den Jahren 1909 bis 1912 zu einer Umlaufsgeschwindigkeit von ungefahr 21 und fiir das Giralgeld zu einer solchen von beinahe 52 kommt. 2 Nach den viel umfassenderen Daten von BURGESS ist die letztere Ziffer aber zu hoch und dieser Schriftsteller setzt die Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen auf nicht mehr als 25 bis 35, mit 30 als wahrscheinlichem Maximum. 3 Bemerkenswert ist bei diesen letzteren Ziffern die groBe Marge zwischen den Umlaufsgeschwindigkeiten in verschiedenen Stadten der Vereinigten Staaten. I n der nachstehenden Tabelle z. B. finden wird die Ziffern fiir die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit von Bankdepositen in den Jahren 1919 und 1925. Zahl der Banken
Umlaufsgeschwindigkeit
pL
Stadt
39 3 10 3 6 11 14 6
sU p
New York . . . Albany Buffalo Kochester . . . Syracuse Boston Chicago San Francisco
1919
1925
75,2 35,3 18,0 18,4 10,8 36,6 46,3 40,3
87,7 28,5 26,2 30,3 8,9 38,3 44,0 39,0
Es geht daraus hervor, daB nicht nur die verschiedenen Stadte in demselben J a h r untereinander starke Unterschiede aufweisen, sondern iiberdies auch in ein und derselben Stadt die Umlaufsgeschwindigkeit zwischen 1919 und 1925 zuweilen auf ein vollig anderes Niveau gekommen ist, welche letztere Erscheinung anzeigt, wie vorsichtig man mit Daten sein muB, die sich nur auf ein beschranktes Gebiet beziehen. J e mehr eine Stadt ein finanzielles Zentrum bildet, desto groBer ist die Umlaufsgeschwindigkeit der Depositen. 4 Die Erklarung hiefur ist unzweifelhaft zum groBen Teil in der Tatsache zu finden, daB gerade die Zahlungen, 1
Siehe dariiber S. 131, Anm. 1.
2
FISHER, 1. c. S. 304.
3 BURGESS, Velocity of Bankdeposits, Quaterly Publication of the American Statistical Association, June 1923. 4
BURGESS, Velocity, S. 733.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
185
die bei der Berechnung der Umlaufsgeschwindigkeit tatsachlich auBer Betracht gelassen werden miissen, sich in den finanziellen Zentren mit wichtigen Borsen, vor allem also in New York, konzentrieren. Ein grofier Teil der Saldi dient dort z. B. der Verrechnung der taglichen Effektenumsatze. AuBerdem kann in den Zentren der engere Kontakt mit dem Geldmarkt von Bedeutung sein, infolgedessen es dort leichter ist als in den kleinen Provinzstadten, eventuelle Vermogensuberschusse dem Geldmarkt anzuvertrauen, statt sie als Giralgeld bei den Banken liegen zu lassen. DaB die Stadte im allgemeinen, verglichen mit dem Land als ganzem, eine hohe Umlaufsgeschwindigkeitsziffer aufweisen, geht auch noch aus den folgenden amerikanischen Ziffern hervor. 1 Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen
75,2 74,1 68,3 75,8 79,1 79,6 87,7
77,1
42,3 41,9 38,5 40,5 41,4 40,9 44,2
28,8 27,9 24,7 26,1 25,8 25,5 25,1 27,2 30,3
pL
1919 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 Durchsclin. 1919—1925
ganzes Land
546,8 587,7 484,0 533,9 570,3 600,1 653,4 695,3 766,0
ex
141 Stadte inkl. New York
New York
Ganzes Land Betrag der Betrag der Scheckzahlun- Depositen in gen in Milliar- Milliarden den Dollar Dollar
41,4
18,99 21,08 19,63 20,47 22,11 23,53 25,98 25,57 25,53
26,3
sU p
Die Effektivitat des Geldes ist offenbar viel kleiner, als auf Grund der hohen Ziffern fur die Umlaufsgeschwindigkeit erwartet werden miiBte. In der nachstehenden Tabelle folgt eine Berechnung dieses Faktors und des Differenzierungskoeffizienten in den Vereinigten Staaten fur die Jahre 1909 bis 1912 auf Grund der von F I S H E R gegebenen Ziffern, betreffend Geldmenge und gesamten Guterumsatz, und der Schatzungen des National Bureau of Economic Research betreffend das Volkseinkommen. 2 Es geht daraus hervor, daB die Effektivitat 1912 nur 3,34 betrug, d. h. daB die zirkulierende Geldmenge sich auf ein Drittel des Nationaleinkommens belief. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist selbst diese Ziffer noch zu hoch, da ja die neuesten Daten darauf hindeuten, daB F I S H E R die Depositen zu niedrig und ihre Umlaufsgeschwindigkeit zu hoch geschatzt hat. 1 Zit. von K E Y N E S , 1. c. Bd. II, S. 36. Quelle: New York und 141 Stadte: C. SNYDER, Business Cycles and Measurements, S. 294; ganzes Land: W. C. MITCHELL, Business Cycles, S. 126. Ziffern fur 1927: C. SNYDER, Review of Economic Statistics, Februar 1928. Alle diese Ziffern haben ausschlieBlich auf Depositen mit Geldcharakter Bezug, d. h. auf Depositen, iiber die mittels Schecks verfiigt werden kann. 2 FISHER, 1. c. S. 304; National Bureau of Economic Research, Income in the United States, New York 1921, S. 64.
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Vereinigte 3
2
1
4
Staaten. 5
6
7
8 Effektivitat = = 5:4
3,47 3,52 3,31 3,34
Jahr
cliartales Geld
Depositen
gesamte Geldmenge = = 2+ 3
gesamtes Einkommen
Geldumsatz
Differenzierungskoef. 6—5 5
1909 1910 1911 1912
1,61 1,69 1,64 1,71
6,68 7,23 7,78 8,17
8,29 8,92 9,42 9,88
28,8 31,4 31,2 33,0
387 415 422 474
12,44 12,22 12,53 13,36
in Milliarden Dollar I n diese Richtung weisen auch die Ziffern, die K E Y N E S fur das Jahr 1923 gibt 1 und die wie folgt zusammengefaBt werden konnen:
1923
3,7
Depositen
22,1
gesamtes Einkommen
Nationaleinkommen
ex
chartales Geld
Jahr
25,8
70,0
Effektivitat
2,71
pL
in Milliarden Dollar
sU p
Sehr groB zeigt sich der Diff erenzierungskoeff izient; die Summe der Geldiibertragungen iibersteigt das Gesamteinkommen um mehr als 13mal. Es verdient aber erwahnt zu werden, daB der eigentliche Differenzierungskoeffizient durch diese Berechnung nur angenahert wird. Um ihn zu bestimmen, mussen wir ja ebenso wie bei der Bestimmung der Umlaufsgesehwindigkeit die Summe der Umsatze von Giitern und Dienstleistungen beniitzen und nicht die Summe der Geldiibertrage, was wir oben taten. Die Anzahl der Ubertragungen von Hand zu Hand, welche die Giiter im Durchschnitt mitmachen, ist zweifellos geringer, als durch die genannte Zahl angegeben wird. Fur England und Wales gibt K E Y N E S die folgende Berechnung der Umlaufsgesehwindigkeit der Kontokorrentdepositen :2 (Tab. nebenstehend) Die resultierenden Umlaufsgeschwindigkeitsziffern sind aber zufolge 3 K E Y N E S ZU niedrig, da die Summe der Sohecktransaktionen groBer ist als die der Clearings, in welche ja die internen Uberweisungen zwischen Klienten derselben Bank nicht inbegriffen sind. Uberdies ist die Summe der Depositen vom 31. Dezember ohne Zweifel hoher als der Durchschnitt. Aus diesen Griinden muB die Ziffer der Kolonne 1 um 3 5 % erhoht, die Ziffern der Kolonnen 2 und 3 mussen um 6% verringert werden, wodurch 1 2
3
K E Y N E S , 1. c. Bd. II, K E Y N E S , 1. c. Bd. II,
S. 37. S. 31.
In derselben GroBenordnung liegen ubrigens die Ziffern, die EINAR COHN in National Okonomisk Tidsskrift 1930, H. 4, S. 362, fur die Umlaufsgesehwindigkeit der Kontokorrentsaldi bei den danischen Banken gibt und die wie folgt lauten:
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
187
England und Wales. 1
Jahr
1909 1913 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929
4
2
3
Clearings insgesamt
Gesamte Depositen am 31. Dezember
Kontokorrent in °/0 der Gesamtziffer
Betrag Mill. Plund
Umlaufsgeschwindigkeit
14215 17 336 42151 36717 38958 38429 41414 42302 41453 43261 45878 46495
711 836 2012 2023 1885 1856 1843 1835 1878 1923 1982 1940
52 52 62 56 56 57 56 55 54 54 53 52
370 435 1247 1133 1056 1058 1032 1009 1014 1038 1050 1009
38 40 34 32 37 36 40 42 41 42 44 46
ex
in Millionen Pfund
sU p
pL
die Umlaufsgeschwindigkeitsziffer um 4 3 % hoher wird. Die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit der ,,cash deposits" fur die Jahre 1924 bis 1929 schatzt K E Y N E S daher auf 60. Hiebei muB im Auge behalten werden, daB bei der Berechnung der Hohe der Depositen die „unused overdraft facilities" nicht beriicksiehtigt sind, deren EinfluB er aber als aufgewogen erachtet durch den der feststehenden Minimaleinlagen, die die Banken von ihren Kunden verlangen und die eigentlich nicht zu den „cash deposits" gerechnet werden durfen. Einen Fingerzeig fur die beilaufige GroBe der Effektivitat geben die folgenden, K E Y N E S 1 entnommenen Ziffern. Banknotenumlauf (abzilgl Bankreserven)
250
Einlagen in laufender Rechnung
insgesamt
1075
Volkseinkommen
Effektivitat
4000
3,02
1325
in Millionen Pfund Jahr 1924 1925 1926 1927 1928 1929
Belastungen in laufender Rechnung
Durchschnittliche Kontokorrentsaldi
Umlaufsgeschwindigkeit
7646 6603 5464 5076 5280 5299
173 145 138 128 126 129
44 46 40 40 42 41
Millionen Kroner Der Riickgang der Umsatze und durchschnittlichen Saldi in den Jahren 1924 bis 1926 muB der Einstellung der Tatigkeit zweier Banken zugeschrieben werden. 1
K E Y N E S , 1. c. Bd. 2, S. 28. u.
38.
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Diese Ziffer ist betrachtlich holier als die Schatzung von ROBERTSON, der glaubt, daB die Geldmenge die Halfte des Volkseinkommens betrage und das Geld daher mit einer Effektivitat von 2 umlaufe. 1 Eine ahnliche Berechnung firr Frankreieh fur das Jahr 1912, bei der wir annehmen wollen, daB der Zahlungsverkehr durch Uberweisung dortselbst in diesem J a h r praktisch vollig vernachlassigt werden kann, gibt das folgende Resultat: Frankreieh. Jahr
Gesamtumlauf 3
Volkseinkommen s
Effektivitat
1912
12,55
36,50
2,91
in MiUiarden Frs.
sU p
pL
ex
also eine Effektivitat von 2,91, noch wesentlich geringer als in den Vereinigten Staaten. Diese Ziffer wird durch die Schatzung von L E R O Y BEATJLIEU bestatigt, der, zufolge WICKSELL, die Geldmenge in Frankreieh mit 8 1 / 2 MiUiarden Francs bei einem Volkseinkommen von 25 MiUiarden feststellt, was eine Effektivitat von 2,94 ergibt. 4 Wenn wir die Frage zu beantworten suchen, warum gegenwartig eine so groBe Geldmenge zirkuliert und nicht eine verhaltnismaBig kleine mit einer entsprechend groBen Umlaufsgeschwindigkeit, miissen wir beriicksichtigen, daB die Umlaufsgeschwindigkeit, obwohl sie theoretisch unendlich groB sein kann, praktisch doch durch die Technik des Zahlungsverkehrs begrenzt wird. I m allgemeinen laBt es diese Technik ja nicht zu, daB ein Betrag an ein und demselben Tag fiir zwei Zahlungen gebraucht wird. Nehmen wir an, daB sogar noch ein zweiter Tag verstreichen muB —• was vor allem beim Giralverkehr der FaU sein wird, und zwar insbesondere in groBen Landern wie den Vereinigten Staaten, wo in der T a t die technische Dauer einer Zahlung haufig noch viel langer ist —, dann wiirde eine Geldmenge in der Hohe von y i 8 0 der Summe der jahrUch zu leistenden Zahlungen technisch ausreichen. Ist der letztere Betrag zirka 15mal so groB wie das Gesamteinkommen, dann kann also eine Geldmenge von x / 1 2 dieses Einkommens alle Umsatze vermitteln. Der Rest liegt in den Kassen, nicht auf Grund technischer Notwendigkeiten des Zahlungsverkehrs, 5 sondern ausschlieBlich auf Grund der UnmbgUchkeit, das Vermogen den Schwankungen der Aktiva anzupassen. Beinahe alle vorkommenden Fluktuationen und ganz besonders solche mit verhaltnismaBig kurzer und unregelmaBiger Wellenlange 1
D. H. ROBERTSON, Banking Policy and the Price level, London 1926, S. 58, Anm. Regimes et circulations monetaires d'apres guerre. Secretariat de la Societe des Nations, London 1920. 3 Income in the U. S., S. 85. 2
4
5
WICKSELL, Vorlesungen, S. 80.
Es kann hier vermerkt werden, daB in bezug auf dieses technische Minimum der Gedanke, der Geldbedarf werde durch die physische Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes bestimmt, wohl einigermaBen verwendbar ist.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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pL
ex
werden zu einem Brachliegen von Mitteln fiihren, denn selbst wenn versucht wird, das Geldkapital im allgemeinen dem schwankenden Bedarf anzupassen, gelingt dies doch niemals vollkommen. Wenn z. B. der allmahliche Verbrauch eines groBen Komplexes dauerhafter Produktionsmittel mit periodischer Tilgung aufgenommenen Vermogens, beispielsweise einer Obligationenanleihe, Hand in Hand geht, geschehen diese Tilgungen doch nur ein- oder zweimal im Jahr. Die freiwerdenden Mittel bleiben daher noch geraume Zeit zur Verfiigung der Unternehmung und werden diese Zeit hindurch zu einem groBen Teil brach liegen bleiben. Auch unter anderen Umstanden wird der Gebrauch dauerhafter Produktionsmittel meist zur Bildung eines Kassenvorrats AnlaB geben. Selbst wenn durch den Unterschied im Alter der einzelnen Produktionsmittel innerhalb des Betriebes eine gewisse Synchronisierung der Schwankungen eintritt, wird nichtsdestoweniger ein Kassenvorrat entstehen. Denn da die Synchronisierung nie vollstandig ist, werden in unregelmaBigen Zeitabstanden zum Ersatz oder zur Reparatur der einen oder anderen Maschine recht groBe Aufwendungen stattfinden. Dem kontinuierlichen Strom von Einkunften steht dann ein unregelmaBiger Strom von Ausgaben gegeniiber, zwischen welchen der Kassensaldo gleichsam ein Reservoir bildet, das die Verbindung beider ermoglicht. Daneben werden auch die periodischen Zahlungen fur Dienste — wobei sowohl an Lohne und Gehalte wie auch an die Dividenden und Tantiemen gedacht werden muB — zu einem KasseniiberschuB fiihren. "Uberdies werden aber die unvorhersehbaren UnregelmaBigkeiten sowohl des Absatzes als der Beschaffungen von Belang sein, zu denen wir auch die kleinen, nicht ausgesprochen saisonbedingten Schwankungen rechnen kQnnen. Die Wirklichkeit des Wirtschaftslebens steht weit ab von dem statischen Schema, worin alles Geschehen sich regelmaBig wiederholt. Wenn wir nur einen Blick auf die verfiigbaren Monatsziffern werfen, werden wir aufs starkste frappiert durch die groBen UnregelmaBigkeiten, die in Produktion und Absatz augenscheinlich bestehen. So veroffentlicht z. B. das „United States Department of Commerce" in seinem ,,Survey of current business" Monatsziffern von Produktion und Absatz zahlreicher Industriezweige, wobei eine prozentweise Vergleichung mit dem vorangehenden Monat und mit demselben Monat des Vorjahrs gegeben wird. Die erstere Vergleichung betrifft also auch die Saisonschwankungen, die in Amerika unzweifelhaft viel groBer sind als in Europa, 1 die letztere nur die Konjunkturveranderungen und die unregelmaBigen Schwankungen. Die GroBe der festgestellten Abweichungen ist in der Tat auffallend. Als Beispiel sei erwahnt, daB die durchschnittliche positive und negative Abweichung bei 11 verschiedenen Industriezweigen zwischen der Produktion im Dezember 1926 und November 1926 ± 7 , 7 % und die zwischen Dezember 1926 und Dezember 1925 ± 8 , 1 % betrug. 2 Bedenken wir, daB diese Ziffern ganze Industriezweige betreffen, die selbst wieder aus 1 2
H. FELDMANN, The Regularisation of employment, New York-London 1925, S. 69. Survey of current business, Febr. 1927, Nr. 66, S. 22.
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pL
ex
zahlreichen Unternehnmngen bestehen, deren Ziffern zusammengefaBt sind und einander daher ausgleichen, dann ist es klar, daB bei den einzelnen Unternehmungen die Schwankungen noch groBer gewesen sein mussen. Die Vorratsziffern zeigen ebensogroBe Schwankungen. So finden wir die folgende mittlere Abweichung zwischen den Vorraten aller Giiter, die in die erwahnte Statistik aufgenommen sind: November 1926 gegen Oktober 1926 + 13,2%, November 1926 gegen November 1925 + 4 9 , 2 % . 1 Derartige Schwankungen der Vorrate finden wir auch in K E Y N E S „Memoranda on the Stocks of Staple Commodities" selbst nach Ausschaltung von Saisoneinfliissen.2 Diese Ziffern zeigen wohl deutlich, wie groB die UnregelmaBigkeiten sind. Dazu kommt noch, daB nicht nur die Schwankungen in der Hohe der Verwendungen, die wirklich eintreten, sondern auch die, welche von den Unternehmungen als moglich betrachtet oder erwartet werden, ihren EinfluB auf den Kassenvorrat geltend machen. Wenn mit der Moglichkeit gerechnet werden muB, daB die Verkaufe plotzlich um 10% sinken und daher die Eingange betrachtlich geringer werden, muB die Unternehmung dafiir Vorsorge treffen; sie wird z. B. einen bestimmten Betrag von Mitteln in Reserve halten, um ihn, wenn es notwendig wird, sofort verwenden zu konnen. Auf diese Weise entstehen die sogenannten Kassenreserven, die aber in keiner Beziehung von dem ubrigen Kassenvorrat zu unterscheiden sind. Sie entstehen ja aus vollkommen der gleichen Ursache. Auch sie werden durch die Schwankungen der Aufwendungen erforderlich, von denen jedoch in diesem Fall nicht bekannt ist, wann sie eintreten werden, und die lange Zeit ausbleiben konnen, wodurch es scheint, daB ein standiger Kassenvorrat gehalten wird.
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Die absolute GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit ist fur eine Volkswirtschaft, die sich in statischem Gleichgewichtszustand befindet, von keinerlei Bedeutung. Ebenso wie die GroBe der Geldmenge ist sie, was ihren EinfluB auf andere Erscheinungen betrifft, ein Faktor rein monetarer Art, der auf die Dauer nur fur die nominale Hohe der Preise von Belang ist. DaB die entgegengesetzte Auffassung auf einem MiBverstandnis beruht, ist uns bei der Besprechung des angeblichen Zusammenhanges zwischen der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes und der der Giiter klar geworden. Nur in der Dynamik kommt der absoluten GroBe der Umlaufsgeschwindigkeit oder besser der Effektivitat des Geldes besondere Bedeutung zu. Sie ist ja bestimmend fur den EinfluB, den eventuelle Ausdehnungen oder Zusammenziehungen des Geldumlaufes auf das Preisniveau ausiiben. Wenn die Effektivitat des Geldes grSBer ist. ist das 1
Survey of current business, Janner 1927, Nr. 65, S. 23. 2 K E Y N E S , Memoranda Nr. 16, Februar 1926. Weitere Daten bei SNYDER, A new index oJ the volume ol trade, Journal of the American Statistical Association, Dez. 1923; W. R. BURGESS, Fluctuations in retail and wholesale trade, in: The problems of business forecasting. Edited by Warren M. PERSONS, W. T. FOSTER and A. I. HETTINGER, London 1924, S. 35fL; E. SCHAFER, Amerikanische Einzelhandelsstatistik, Ann. d. Betr.-Wirtschai't, Bd. 1, H. 1, Jan. 1927, S. 125.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Preisniveau fur Veranderungen in der Grofie des Geldumlaufs empfindlicher und daher labiler. Und da wir im allgemeinen annehmen durfen, daB die geldschopfenden Machte, sei es die Obrigkeit oder die Banken, sieh einer zusatzlichen Geldschopfung um so eher enthalten werden, erne je grbBere Preissteigerung diese hervorbringen wird, so ist eine Inflation unter sonst gleichen Umstanden um so weniger zu erwarten, je groBer die Effektivitat des Geldes ist. Denn in diesem MaBe ist sie auch ein weniger taugliches Mittel, um ihren Zweck, namlich die Verschiebung von Kaufkraft vom Publikum auf die geldschopfende Macht oder deren Begiinstigte, zu erreichen. J e groBer die Effektivitat des Geldes, desto geringer ist die Menge der Kaufkraft, die der Geldschbpfer auf Kosten einer bestimmten Erhohung des Preisniveaus ausiiben kann; desto geringer daher auch die Belastung, die der Volkswirtschaft durch eine Inflation auferlegt werden kann. DaB dies z. B. in Zusammenhang mit der Finanzierung von auBergewohnlichen Staatsausgaben (wie Krieg) von der groBten Bedeutung sein kann, fallt in die Augen. Derselbe Umstand ist iibrigens auch von groBer Bedeutung im Zusammenhang mit der Stellung der Banken wahrend einer Konjunkturhausse. J e groBer die Effektivitat, desto weniger ist es fur die Banken moglich, ihre Klienten durch fortlaufende Kreditschopfung in den Besitz einer bestimmten Menge von Produktionsmitteln zu setzen, desto geringer daher auch die Moglichkeit, durch erzwungenes Sparen eine wirkliche Erweiterung des Produktionsapparates zu forcieren.
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II. Die Schwankung in der Effektivitat des Geldes wahrend des Saisonverlaufs. Aus den von BURGESS veroffentlichten Ziffern, betreffend die Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen geht hervor, daB diese recht betrachtlichen Saisonschwankungen unterliegt, die z. B. bei den drei Banken in Albany zwischen dem Monat mit der hochsten und dem mit der geringsten Geschwindigkeit eine Abweichung von 3 1 % des Durchschnitts und in New York mit seinen 39 Banken eine Abweichung von 2 1 % verursachten. 1 Diese Saisonschwankung ist aber keineswegs ein Fingerzeig fur diejenigen Veranderungen der Umlaufsgeschwindigkeit, die fur die Hohe des Preisniveaus von Bedeutung sind; sie bedeutet keine gleich groBe Eluktuation in der Effektivitat des Geldes und ist auch nicht mit einer intensiveren Vermogensausnutzung verbunden. Sie entsteht lediglich daraus, daB die tjbertragung und Bezahlung der Giiter oft in einem kurzen Zeitverlauf konzentriert ist. Man denke z. B. an die Erntebewegung, die in einem einzelnen Monat die Ubertragung einer enormen Gutermenge mit sich bringt, oder an die Zahlungen von Pachten, Coupons u. dgl., die zu einem groBen Teil in bestimmten Monaten wie Mai und November zusammengedrangt sind. DaB an solchen Zeitpunkten der 1
BURGESS, Velocity, S. 736.
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Gesamtbetrag der Geldiibertrage betrachtlich groBer ist als sonst, bedeutet keineswegs eine groBere Effektivitat. Wenn fur diese Zahlungen Gelder verwendet werden, die lange Zeit hindurch brachlagen, zeigt dies nur an, wie derartige in der ganzen Volkswirtschaft gleichzeitig vor sich gehende Begleichungen den Umlauf des Geldes verzbgern, da sie zu Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva fuhren, die auf keinerlei Weise kompensiert oder synchronisiert werden konnen. Die Schwankungen in der Effektivitat, die wahrend der Saisonbewegung wahrgenommen werden konnen, kommen in dem wahrend des Jahresverlaufs regelmaBig wechselnden Umfang der Geldmenge und der damit Hand in Hand gehenden periodischen Versteifung des Geldmarktes zum Ausdruck. Hiebei muB zwisohen derjenigen Vermehrung der Geldmenge, die ausschlieBlich zwecks Vorsorge fiir den Bedarf der Zahlungstermine stattfindet, und derjenigen unterschieden werden, welche zur Erleichterung des periodisch in bestimmten Saisonterminen, z. B. im Herbst, auftretenden Drucks auf den Geldmarkt vor sich geht. Beide stehen mit der Effektivitat in Zusammenhang, jedoch auf verschiedene Weise. Die Geldschopfung an den Zahlungsterminen ermoglicht es, die in der Technik des Zahlungsverkehrs gelegenen Hindernisse einer VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit wenigstens zum Teil zu iiberwinden. Wir haben schon bemerkt, daB diese Technik zur Folge hat, daB das Geldmengen-Minimum mit dem der Verkehr abgewickelt werden kann, mindestens so groB sein muB wie die Summe der an einem Tag zu leistenden Zahlungen. Wenn nun im Verlauf des Jahres einzelne Tage mit einem sehr groBen XJmsatz vorkommen, wird die erforderliche Geldmenge, wie sich von selbst versteht, durch den Tag mit dem maximalen XJmsatz bestimmt. Das Geld, das an diesem Tage mehr gebraucht wird als an irgendwelchen anderen, wird weiter das ganze Jahr lang brach liegen bleiben mussen. Vom Standpunkt der Unternehmung bedeutet die Unmoglichkeit, Einnahmen und Zahlungen eines Tages in Einklang zu bringen, einen zusatzlichen Vermogensbedarf, der nicht im realen Giiterverkehr, sondern in einer mangelhaften Zahlungstechnik seinen Ursprung hat. Wenn nun dieser Bedarf durch Kreditgewahrung auf Grund von Geldschopfung befriedigt werden kann — und dies ist es, was an den groBen Zahlungstagen tatsachlich geschieht —, so wird dadurch eine groBere Effektivitat des Geldes ermoglicht, als bei nicht elastischem Geldumlauf erzielbar gewesen ware. Von etwas anderer Art ist die regelmaBig wiederkehrende Saisonverknappung des Geldmarktes. Diese bedeutet, soweit sie zu einer Geldschopfung fiihrt, stets verminderte Effektivitat und damit geringere Intensitat der Vermogensausnutzung. Dies wird klar, wenn wir untersuchen, wie eine solche Verknappung eintreten kann. Diese muB die Folge einer relativen Verminderung des Angebotes oder einer relativen Zunahme der Nachfrage nach kurzfristigem Kredit sein. Das erste kann vorkommen, wenn ein groBer Betrag von Geldmitteln aus der Hand von Unter-
Die Umlaufsgeschwindigkeit dea Geldes.
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nehmungen, die diese bisher auf dem Geldmarkt anlegten, in die Hande von XJnternehmungen iibergeht, die einen betrachtlichen Teil davon zeitweilig brach liegen lassen. Dies wird z. B. oft der Fall sein, wenn das Geld, nachdem es zunachst in einzelnen Handen konzentriert war, plotzlich Tiber eine groBe Zahl von Produktionswirtschaften verteilt wird; man denke an die Tilgung groBer Darlehen, die Bezahlung groBer Dividenden oder auch an die tJbernalime der Ernte durch den Handel. Das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wird damit durchbrochen und kann nur wiederhergestellt werden, wenn die Steigerung der Geldsatze anderen Produktionswirtschaften einen Anreiz gibt, ihre Vermogensiiberschusse nunmehr auf dem Geldmarkt anzulegen, in welchem Fall die Effektivitat des Geldes sich nicht andern wird, oder auch, wenn das Angebot durch Geldschopfung erganzt wird, in welchem Falle die Effektivitat sich verringert. 1 Ein Beispiel hiefiir bietet die Geldnachfrage vor der Erntebewegung. 2 Der Handel, der, wie wir annehmen diirfen, seine Vermogensiiberschusse auf dem Geldmarkt anlegte, zieht diese zuriick, um den Vorrat an Ernteprodukten zu ubernehmen; die Landwirte bringen die erhaltenen Gelder nicht sogleich wieder auf den Geldmarkt zuriick, sondern halten einen Teil davon, teilweise fur die in kurzer Zeit zu bezahlenden Pachten, in der Kasse. Es entsteht somit ein Druck auf den Geldmarkt. Wie stark und von welcher Dauer dieser Druck ist, hangt von der Organisation des landwirtschaftlichen Kredits und davon ab, in welchem MaBe die Landwirte in Verbindung mit dem Bankwesen stehen. Eine relative Zunahme der Nachfrage nach Kurzkredit kann in der Produktionssaison bemerkt werden, wenn die Unternehmungen voriibergehend Geldmittel brauchen, um die Saisonvorrate zu bilden, die in der Verbrauchssaison abgesetzt werden sollen. Allerdings steht dann der Vermehrung des Vermogensbedarfes das zeitweilige Sparen der Verbraucher gegeniiber, doch da dieses groBenteils in der Form von Hortung geschieht, wird das Angebot auf dem Geldmarkt nicht im gleichen Verhaltnis vermehrt werden. Die Geldsatze werden steigen und die Geldmenge wird wieder zunehmen miissen. Dadurch wird z. B. die Herbstversteifung des Geldmarktes noch verstarkt werden. So nennt KEMMEBEB, in seiner Studie iiber die Saisonvariationen in der Nachfrage nach Geld den EinfluB der kleinen Ersparnisse der Verbraucher, die vor Weihnachten gemacht werden und danach wieder zu den Banken zuriickstromen. 3 Die Saisonschwankungen in der Effektivitat des Geldes sind also eine Folge des Umstandes, daB das Geld, wenn wir die Volkswirtschaft als ein Ganzes betrachten, sich in dem einen Teil des Jahres in den Handen von Unternehmungen oder Haushalten mit geringer Intensitat der Vermogensausnutzung befindet — wo der UberschuB an Mitteln also brachliegen bleibt, so daB eine voriibergehende VergroBerung der Geldmenge 1
Siehe oben S. 172ft. Siehe auch KEMMERER, Seasonal variations. KEMMERER, Seasonal variations, S. 28 ff. Beitrage zur Geldtheorie.
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notwendig wird —, wahrend es sich in anderen Teilen des Jahres vor allem in den Handen von Unternehmungen mit sehr intensiver Vermogensausnutzung befindet, die ihren VermogensuberschuB auf dem Geldmarkt anlegen, so daJ3 die Geldmenge wieder fur eine Zeit einschrumpfen kann. Diese Saisonschwankungen bezeichnen daher eine regelmaBige Wechselwirkung zwischen Geldmenge und Effektivitat, die zur Folge hat, daB der Geldstrom kontinuierlich weiterflieBen kann.
III. Die Schwankung in der Effektivitat des Geldes wahrend des Konjunkturverlaufs.
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Da8 die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes regelmaBigen Veranderungen wahrend des Konjunkturverlaufs unterliegt, wurde zum ersten Male von D E S ESSAKS hinsichtlich der Kontokorrentsaldi bei der Banque de France erwahnt. Die Umlaufsgeschwindigkeit dieser Saldi — er berechnet sie als die halbe Summe der Belastungen und Gutschriften, dividiert durch den durchschnittlichen Saldo — erreicht in den Jahren 1810 bis 1894 fast immer einen Hohepunkt im Jahr der Krise, einen Tiefpunkt im Jahr der Liquidation. So finden wir z. B. folgende Ziffern:
Krisenjahre
124 111 145 165 103 137
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1847 1857 1866 1873 1882 1891
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Umlaufsgeschwindigkeit der Depositen bei der Banque de France: Baissejahre
1848 1858 1868 1877 1886 1892
45 77 70 66 96 115
Obwohl diese Beobachtung durch neuere Untersuchungen bestatigt wird, miissen wir doch bezweifeln, ob diesen Daten groBe Beweiskraft zugeschrieben werden darf. Es ist ja sehr die Frage, ob die Umlaufsgeschwindigkeit dieser Kontokorrentsaldi einen Fingerzeig fur die allgemeine Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes gibt. Die Saldi bei der Umlaufsmittelbank haben, was schon durch ihre enorm hohe Umlaufsgeschwindigkeit bewiesen wird, eine sehr spezielle Funktion; sie dienen als Basis des Verrechnungsverkehrs zwischen einer Anzahl finanzieller Institute und die Zahlungen, die dadurch geleistet werden, haben ihren Ursprung nur selten im Kauf und Verkauf von Giitern. Von viel mehr Belang sind die von BTJKGBSS gesammelten Daten fur die Jahre 1919 bis 1924. Diese enthalten die Umlaufsgeschwindigkeit der jederzeit falligen Bankdepositen bei 800 Banken in den 141 wichtigsten Stadten der Vereinigten Staaten. 1 Es geht daraus hervor — wie aus unten1
BURGESS, Velocity, S. 729.
Die Umlaufsgesclrwindigkeit des Geldes.
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stehendem, S N Y D E R entnommenem Schaubild abgelesen werden kann —, daB in den genannten Jahren diese Umlaufsgeschwindigkeit eine Fluktuation von 10 bis 14% liber dem Durchschnitt der 5 Jahre, bis zu 10% darunter aufwies. 1 Die Differenz zwischen Maximum und Minimum betragt somit 20 bis 24%, wahrlich nicht wenig innerhalb eines Zeitraumes von 2 Jahren. Merkwurdig ist dabei, daB diese Muktuation eine sehr groBe Korrelation, sowohl in Richtung wie in Schwingungsweite, mit den Schwankungen des „volume of trade" aufweist, von welchem letzteren fur dieselben Jahre eine neue sehr grundliche Berechnung gemacht wurde. 2
1919
1920
1921
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—•«—•—-—— Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen. ..Physical volume of trade".
Abb. 1. Umlaufsgeschwindigkeit der jederzeit falligen Depositen bei 800 Banken in den 141 wichtigsten Stadten der Vereinigten Staaten, verglichen mit dem Index des ..Physical Volume of trade". 3 (In Perzentabweichungen vom Normalstand.) Diese Ubereinstimmung ist urn so auffallender, als die Fluktuationen des Preisniveaus recht stark davon abweichen. Wahrend Giiterumsatz sowohl wie Umlaufsgeschwindigkeit schon in der zweiten Halfte 1919 zu sinken begannen, erreichte das Preisniveau seinen Hohepunkt erst 1
SNYDER, Deposits activity, S. 254. Nach SNYDER, Deposits activity, S. 253. SNYDER, A new index of the volume of trade, Journal of the American Statistical Association, Dez. 1923 und Sept. 1925. 2 3
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Mitte 1920.1 Ebenso ging bei den erstgenannten Ziffern die Senkung schon im Jahre 1921 wieder in eine Steigung iiber, wahrend dies beim Preisniveau 1922 der Fall war. Eine regelmafiige Konjunkturwelle der Umlaufsgeschwindigkeit geht auch aus den von S N Y D E R gegebenen Ziffern fur die Jahre 1875 bis 1926 hervor, welche wir gleichfalls untenstehend graphisch wiedergeben. 2 130 120
no
1875 76 77 130
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110 •
sU p
100 \ 96 •
70
85 88 87 83 89 1830 91 32 93 94- 95 96 97 98 1833
lillliii|i
120 •
80
78 73 1880 81 82 83 84
ex
wo
1300 01 02 03 04 05 OS 07 08 09 1310 11 12 13 / 4
15 IS 17 18 13 1920 21 22 23 24 25 26
Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen. „ C l e a r i n g " - I n d e x des allg. Geschaftsganges
Bewegliche D r e i -
:} m o n a t d u r c h s c h n i t t e .
Abb. 2. Umlaufsgeschwindigkeit der Bankdepositen, verglichen mit dem ,,Clearing"-Index des allgemeinen Geschaftsganges. In Perzent des Normalstandes. (Nach SNYDEE.) Diese Ziffern wurden in der Weise zusammengestellt, daB die seit 1875 veroffentlichten Bankclearings als Index des gesamten Guterumsatzes und die Depositen bei den National Banks als Index des Gesamtumf anges 1
S N Y D E R , A n e w i n d e x of business a c t i v i t y , ibid. S. 4 0 , M a r z 1924. 2 S N Y D E R , Business Cycles a n d Business M e a s u r e m e n t s , N e w Y o r k 1927, S. 152 ff. FUr d i e J a h r e 1875 bis 1924 p u b l i z i e r t in S N Y D E R , D e p o s i t s A c t i v i t y as a Measure of Business A c t i v i t y , H a r v a r d R e v i e w of E c o n o m i c S t a t i s t i c s , O k t . 1924, S. 256.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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der Depositen verwendet wurden. Nach Korrektur der Resultate zwecks Eliminierung des „secular trend" blieb eine Kurve iibrig, die fiir die friiheren Konjunkturwellen noch ansehnlichere Schwankungen zeigte als fiir die zwischen 1919 und 1923 beobachteten. Die maximale Differenz in einer Periode finden wir zwischen den Jahren 1881, mit einer Umlaufsgeschwindigkeit von + 3 0 % des Durchschnitts, und 1884 mit — 2 3 % , also eine Abweichung von 5 3 % ! Ein Vergleich dieser Umlaufsgeschwindigkeitskurve mit dem sogenannten ,,clearings index of business activity", welcher aus den mit den Veranderungen des Preisniveaus korrigierten Bankclearings besteht, 1 gibt wieder einen hohen Grad von Korrelation, auf welche aber wegen des weniger verlaBlichen Materials nicht so viel Wert gelegt werden darf wie auf die, welche fiir die Jahre 1919 bis 1924 konstatiert wurde. Es steht somit wohl fest, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Giralgeldes, wie sie durch die veroffentlichten Ziffern wiedergegeben wird, wahrend des Konjunkturverlaufs regelmaBigen Scbwankungen unterliegt. Es muB aber die Frage gestellt werden, ob die Effektivitat des Geldes sicb im selben MaBe verandert. Die Daten, die uns zur Verfugung stehen, enthalten zwei storende Elemente: die Geldiibertragungen, die keine Warenzahlungen sind, und den Differenzierungskoeffizienten. Wenn die hier erwahnten Geldiibertragungen starker zunehmen als der Giiterumsatz, bewirken sie, daB die Umlaufsgeschwindigkeit starker steigt als die Zunahme der Effektivitat. DaB dies unter dem EinfluB der Konjunktur der Fall sein wird, ist wohl wahrscheinlich. Diese Zahlungen enthalten ja unter anderem alle Effektenumsatze, die wahrend des Konjunkturverlaufs unzweifelhaft eine viel starkere Schwankung mitmachen als die sonstigen Zahlungen. Freilich wird auch durch diese Umsatze ein gewisser Geldbetrag gebunden und wird daher auch ihre Steigung eine Absorption von Geld herbeifiihren, aber im Verhaltnis zu der Zunahme der Umsatze wird dies von wenig Bedeutung sein. Bedenken wir dabei, daB diese Umsatze einen betriichtlichen Teil der gesamten Geldiibertragungen ausmachen, 2 dann muB es als nicht unwahrscheinlich betrachtet werden, daB sie die Ziffern der Umlaufsgeschwindigkeit zu starkerer Schwankung veranlassen, als durch die Veranderungen in der Effektivitat gerechtfertigt wird. Denselben EinfluB iibt wahrscheinlich der Differenzierungskoeffizient aus, der in der Hausse etwas groBer ist als in der Baisse, da die Giiter 1 SNYDER, A new clearings index of business activity. ' Beispielsweise geht aus den Ziffern der Eingange an Stempelsteuer hervor, daB in den Niederlanden fiir Rechnung von Privaten an Effekten umgesetzt wurden (in Milliarden Gulden): 1918 zirka 2,29 1921 zirka 1,57 1924 zirka 1,77 1919 „ 3,88 1922 „ 1,21 1925 „ 2,90 1920 „ 4,17 1923 „ 1,50 1926 „ 2,47 Hierin sind also die Umsatze des Berufshandels nicht inbegriffen. Wir sehen hier eine sehr heftige Schwankung; das Jahr 1920 ergab einen mehr als dreimal so groCen Umsatz wie das Jahr 1922. Die Bedeutung dieser Zahlen springt in die Augen, wenn wir bedenken, daB das gesamte Volkseinkommen 1919 zirka 5,35 Milliarden betrug. (Nach BONGER, Vermogen en Inkomen in Nederland, Amsterdam 1923, S. 47.)
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infolge der Spekulation ofter von Hand zu Hand gehen. Von groBer Bedeutung kann dieser Umstand aber nicht sein, da die betreffenden Umsatze nur einen kleinen Teil des gesamten Giiterumsatzes ausmachen durften. Es darf also wohl angenommen werden, daB die Schwankungen der Effektivitat nicht so betrachtlich waren wie die der Umlaufsgeschwindigkeit. Uber die Grofie dieses Unterschiedes laBt sick wenig sagen; daB er aber belangreich sein sollte, ist nicht wahrscheinlich.
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Wie sind die konjunkturellen Veranderungen in der Effektivitat des Geldes theoretisch zu erklaren? Diese Frage konnen wir an Hand der im vorigen Hauptstiick gegebenen Ubersicht uber die verschiedenen Ursachen einer Veranderung in der Intensitat der Vermogensausnutzung beantworten. Eine VergroBerung der Effektivitat wird wahrend eines Konjunkturaufschwunges eintreten, wenn dieser mit einer Nivellierung der Schwankungen in den Aktiva der verschiedenen Unternehmungen, mit einem intensiveren Nehmen und Geben von kurzfristigem Kredit oder mit einer Verwendung zeitweiliger Vermogensuberschizsse im eigenen Betrieb verbunden ist. Sowohl das eine wie das andere ist zu erwarten. I n der Baisse wird dagegen die Effektivitat geringer werden, insoweit sich dann die umgekehrten Erscheinungen geltend machen. Als Fluktuationen im Gesamtumfang der Verwendungen, die in der Gegenwart noch AnlaB zur Bildung von Kassenuberschiissen geben, haben wir diejenigen kennengelernt, die aus dem allmahlichen Verbrauch der dauerhaften Produktionsmittel, aus der periodischen Bezahlung der Dienstleistungen, aus geringen Saisonschwankungen und aus den zahlreichen allgemeinen UnregelmaBigkeiten im Absatz des Endproduktes und in der Beschaffung der Rohstoffe entstehen. Namentlich von den erstgenannten darf erwartet werden, daB sie die Effektivitat wahrend des Konjunkturverlaufs in betrachtlichem MaBe beeinflussen werden. Eine der wichtigsten Ursachen der Konjunkturbewegung liegt in der Konzentration der Beschaffung der dauerhaften Produktionsmittel. 1 Diese folgt daraus, daB der Ersatz dieser Produktionsmittel in hohem MaBe aufschiebbar ist, so daB er vor allem an den Zeitpunkten vollzogen wird, wo dies am vorteilhaftesten scheint. Daher wird er womoglich nicht bei sinkendem Markt, d. h. in der Baisse geschehen, wo jeder noch tiefere Preise erwartet, sondern gerade bei steigendem Markt, wo jeder furchtet, daB die Preise noch mehr hinaufschnellen werden. Dieser Aufschub wahrend der Baisse bedeutet, daB bei vielen Unternehmungen die Mittel, die aus dem Verbrauch der dauerhaften Kapitalgiiter frei werden, langer in der Kasse gehalten werden, als in einem statischen Zustand geschehen ware, wodurch die Effektivitat des Geldes geringer wird. Sobald aber die Konjunktur umschlagt, gehen alle Unternehmungen zu gleicher Zeit zum Ersatz iiber. Die brachliegenden Mittel werden verwendet, der Gesamtbetrag der Aktiva steigt iiber das normale Niveau und die Effektivitat des Geldes nimmt zu. 1
Siehe J. M. CLARK, Studies in the Economics of Overhead Costs, Chicago 1923, S. 389ff.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Dieser Tendenz zur Verringerung der Effektivitat in der Baisse steht eine solche zur VergroBerung derselben gegeniiber, die aber von geringerer Bedeutung ist. Soweit namlich bei einigen Unternehmungen die Marge zwischen direkten Kosten und Erlosen so sehr verkleinert wird, daB ein Ten* der Abschreibungen nicht mehr gedeckt wird, h a t dies zur Folge, daB die Anhaufung von Mitteln zwecks spateren Ersatzes der dauerhaften Kapitalgiiter geringer wird, als normalerweise der Fall ware. I n der Hausse wird diese Marge dann wieder groBer und der normale Zustand wird wiederhergestellt. Im Zusammenhang mit der periodischen Bezahlung der Dienste ist eine ahnliche Erscheinung zu erwarten. I n der Hausse wird die Marge zwischen Kosten und Erlosen groBer, was eine Vermehrung der Gewinne und eine Verschiebung der Einkommensverteilung zugunsten des Zinseinkommens bedeutet. Sind diese Gewinne dazu besthnmt, in Gestalt von Dividenden ausgeschiittet zu werden, so fuhrt dies, da diese Ausschuttungen nur einmal im Jahre stattfinden, eine relative Vermehrung der brachliegenden Mittel herbei. Werden in einem spateren Stadium der Hausse die Lohne erhoht und tritt somit wieder eine Verschiebung zugunsten des Arbeitseinkommens ein, so wird dies eine Verringerung des Brachliegens zur Folge haben. Was die Saisonschwankungen betrifft, ist wahrend des Konjunkturverlaufs keine Veranderung zu erwarten; wohl aber ist dies der Fall hinsichtlich der allgemeinen UnregelmaBigkeiten des Absatzes. Diese werden im allgemeinen in der Hausse abnehmen und in der Baisse zunehmen, was wiederum eine VergroBerung bzw. eine Verringerung der Effektivitat mit sich bringt. In einer giinstigen Konjunktur kommt ja die Erzeugung vieler Unternehmungen naher an die maximale Kapazitat heran, wodurch die Marge fur Fluktuationen verkleinert wird. Dies gilt naturlich insbesondere fur die Industrie, bei welcher die Produktionsfahigkeit durch die Werkzeuge bestimmt wird. In der Baisse ergibt jede Schwankung der Bestellungen auch eine Schwankung in Produktion und Absatz, da jede Order sofort ausgefuhrt werden kann. I n der Hausse aber, wenn eine bestimmte Produktionskapazitat erreicht ist, die nicht leicht iiberschritten werden kann, miissen viele Bestellungen einige Zeit auf die Ausfuhrung warten. Es entsteht eine Reserve unausgefuhrter Orders, die als ein Reservoir wirkt, durch das Produktion und Absatz auf demselben Niveau erhalten werden konnen. Uberdies werden auch, da nicht mehr mit der Moglichkeit eines plotzlich geringeren Absatzes gerechnet werden muB, die sogenannten Kassenreserven vermindert werden konnen, was abermals eine VergroBerung der Effektivitat bedeutet. Im allgemeinen darf also sicher der SchluB gezogen werden, daB die Schwankungen der Aktiva in der aufsteigenden Konjunktur abnehmen und in der Depression zunehmen werden, wodurch eine VergroBerung bzw. Verminderung der Effektivitat des Geldes zustande kommen wird. Das AusmaB, in dem kurzfristiger Kredit gegeben und genommen wird, ist wahrend des Konjunkturverlaufs ebenfalls Veranderungen unterworfen, und zwar vor allem in dem Sinn, daB in der riickgangigen
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Konjunktur der Geldmarktzins auf einen so niedrigen Stand sinken wird, daB dadurch der Anreiz, voriibergehende Vermogensiiberschusse dritten zu iiberlassen, so ziemlich verschwindet, um so mehr, da man in solchen Zeiten annimmt, daB jede Kreditgewahrung mit Bisken verbunden ist. Andererseits wird in der Hausse die Steigerung des Geldmarktzinses den Anreiz zur voriibergehenden tJberlassung von Uberschiissen erst recht verstarken. Allzu groBe Bedeutung mochten wir aber der letzteren Tendenz nicht zuerkennen. Im spateren Haussestadium spielt eine andere Art der Nutzbarmachung iiberschiissiger Mittel eine viel groBere Rolle. Und zwar ihre Anwendung im eigenen Betrieb. Die allgemeine Preissteigerung, die vor allem in einem spateren Stadium der Hausse eintritt, wenn die Produktion das normale Niveau zu ubersteigen beginnt, macht es fur viele Unternehmungen vorteilhaft, ihre Rohstoffe friiher einzukaufen, als sonst geschehen wiirde. Sie werden einen Sondervorrat davon anlegen, sobald sie die Mittel dazu zur Verfugung haben, was der Fall sein wird, wenn Vermogen frei wird, das nicht sogleich wieder verwendet zu werden braucht. Mittel, die zur Gewinnausschuttung und zum Ersatz von Produktionsmitteln bestimmt sind, Vermogensuberschusse infolge Saisonstille u. dgl. werden — und dies nicht nur hie und da, sondern ziemlich allgemein — zeitweilig in Vorraten angelegt werden, wodurch die Effektivitat des Geldes wesentlich zunehmen wird. Dies wird um so starker der Fall sein, je schneller das Tempo der Preissteigerung ist, was dann zur Folge hat, daB diese noch angeregt wird. Sobald aber die Preissteigerung langsamer geht, oder gar aufhort, werden die Unternehmungen mit ihren Vorkaufen einhalten. Ein Teil der freiwerdenden Mittel wird brach liegen bleiben und die Effektivitat wird wieder auf das alte Niveau sinken, mit einer noch weiteren Verminderung der Nachfrage und einem Druck auf das Preisniveau als Folge. Senkt sich dieses letztere, dann wird sogar eine umgekehrte Wirkung eintreten. Die Unternehmungen werden ihre Anschaffungen auf den letzten Moment verschieben und ihre Rohstoffvorrate aufs auBerste vermindern. I n dieser Richtung konnen sie aber nicht unbeschrankt weitergehen, da der Augenblick notgedrungener Verwendung hier eine absolute Grenze setzt. Nur hinsichtlich der dauerhaften Produktionsmittel ist das anders, wie wir schon besprachen. Neben dieser voriibergehenden wird auch eine dauernde Verwendung von Uberschiissen stattfinden. Teilweise kann dies schon im ersten Stadium der Konjunkturbesserung geschehen, das durch eine VergroBerung der Produktion, insbesondere bei den Produktionsmittel erzeugenden Industrien, gekennzeichnet ist. Diese VergroBerung entspringt nicht einer Erweiterung des Betriebsumfangs, sondern nur einer Annaherung an die normale Erzeugung. Sie erfordert also groBere Aufwendungen nur soweit die direkten Kosten, wie Lohne, Rohstoffe usw. in Frage stehen. Doch ist es moglich, daB selbst dafur die Mittel auf die Dauer fehlen, so daB neues Geldkapital aufgenommen werden muB, was aber in diesem Zeitpunkt nicht so leicht sein wird. Vorlaufig kann durch Verwendung zeitweilig verfiigbar werdender Mittel das Auslangen gefunden werden.
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Die Beschaffung neuen Kapitals kann auf den Augenblick verschoben werden, wo Gewinne ausgeschiittet oder Produktionsmittel ersetzt werden miissen. Noch allgemeiner wird diese Erscheinung eintreten, wenn das Haussestadium erreicht wird, in welchem eine allgemeine Erweiterung des Dmfanges der Betriebe stattfindet. Auch dann wird man so lange wie moglich von eigenen Mitteln Gebrauch machen, bevor man die Bank oder den Kapitalmarkt in Anspruch nimmt. Es ist denn auch bekannt, da6 Dividenden haufig aus dem Erlos von Bankkrediten oder Emissionen gezahlt werden, nicht weil die Gewinne nicht wirklich erzielt wurden, sondern weil sie schon vorher fur die Erweiterung des Betriebes verwendet wurden. In alien diesen Fallen, in denen Mittel, die sonst vorlaufig unverwendet blieben, zur Erweiterung benutzt werden, tritt eine voriibergehende VergroBerung der Effektivitat ein. Sobald die Erweiterung zum Stillstand kommt und das Vermogen durch Heranziehung neuer Mittel vergrSBert worden ist, wird die Effektivitat wieder auf das normale Niveau sinken. Daraus folgt, daB die Verzogerung des Geldumlaufes schon vor dem Ende der Hausse eintreten wird. Denn sobald das Tempo der Expansion sich verlangsamt und mehr alte Investitionen konsolidiert werden als daB neue zustande kommen, wird die Steigerung der TJmlaufsgeschwindigkeit sich ins Gegenteil verkehren. Da dasselbe soeben von der zunehmenden Effektivitat festgestellt wurde, die aus dem vorzeitigen Einkauf von Rohstoffen entsteht und iiberdies in diesem spaten Haussestadium im allgemeinen nicht mehr so genau kalkuliert wird, so daB viele Unternehmungen sich reichlicher mit Mitteln versehen als unbedingt notwendig ist, ist es leicht einzusehen, daB die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes schon sinkt, bevor der Hohepunkt der Konjunkturwelle erreicht ist, wie aus den statistischen Daten fur die Jahre 1919 und 1920 hervorgeht. Die wesentliche Rolle, welche die Veranderung der Effektivitat im Konjunkturverlauf spielt, ist hiedurch nachgewiesen. Sie ist von ganz derselben Art wie die, welche die Ausdehnung und Schrumpfung der Geldmenge spielt, aus der die Wellenbewegung des Wirtschaftslebens zwar nicht ohneweiters erklart werden kann, die aber eine unentbehrliche Vorbedingung fur diese Bewegung ist. Der Veranderung der Effektivitat kommt dabei noch ein besonderer Platz zu, da sie sowohl die Hausse wie die Baisse einleitet. Wenn nach einer langen Depression die Unternehmungen endlich wieder in groBerem MaBe zum Ersatz dauerhafter Produktionsmittel ubergehen, konnen sie dies nur durch Beniitzung der latenten Kaufkraft, die sich bei ihnen angesammelt hat. Eine VergroBerung der Geldmenge durch Kreditgewahrung der Banken ist in diesem Stadium der Konjunktur noch nicht denkbar. Erst spater, wenn die Lage sich schon besser iiberblicken laBt, wird davon die Rede sein konnen. Ebenso wird auch die erste Verminderung der Nachfrage, die der Baisse vorangeht, nicht infolge einer Schrumpfung der Geldmenge entstehen, sondern infolge einer Senkung der Effektivitat auf das normale Niveau. Zwischen diesen
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beiden Zeitpunkten wird die Veranderung der Effektivitat die im Gang befindliche Entwicklung der Konjunkturbewegung noch verscharfen. Die Effektivitat hat dariiber hinaus noch. eine ganz eigene Bedeutung, da ihre Veranderung und der damit Hand in Hand gehende dynamische EinfluB auf die Volkswirtschaft, im Gegensatz zur Veranderung der Geldmenge, nicht von den Banken reguliert wird und sich daher einer mQglichen Kontrolle durch eine zentrale Autoritat entzieht. 1 Diese wird, sofern sie eine aktive Konjunkturpolitik zu befolgen wiinscht, stets nur eingreifen konnen, nachdem die intensivere Ausnutzung des Vermogens ihren EinfluB schon fuhlbar gemaeht hat.
IV. Die Effektivitat des Geldes bei Inflation und Deflation.
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DaB die Effektivitat des Geldes in Zeiten ernsthafter und fortdauernd weitergehender Inflation in starkem MaBe zunimmt, wurde schon von SAY bemerkt und ist in den letzten Jahren durch die Tatsachen bestatigt worden. In den Jahren nach dem Kriege ist durch die andauernde Inflation in verschiedenen Landern das Tempo der Steigerung des Preisniveaus viel rascher gewesen als das der Vermehrung der Menge chartalen Geldes, ohne daB dies einer relativ starkeren Vermehrung des Giralgeldes oder einer Verminderung der Guterumsatze zugeschrieben werden konnte. Dagegen wurde bei Deflation oder Stabilisierung das Umgekehrte beobachtet. In Deutschland ist z. B. zwischen Mai 1921 und Januar 1923 der Notenumlauf auf das 23fache gestiegen, das Preisniveau auf das 251fache, d. i. l l m a l starker. Von August 1914 bis Oktober 1923 stieg der Preisindex 37mal so hoch wie die Geldmenge. 2 Einen rohen Anhaltspunkt geben auch die untenstehenden, H A H N entnommenen Ziffern betreffend den Notenumlauf in Deutschland und seinen Goldwert, gegen den Dollar kurs. 3 Zeitpunkt
Ende ,, „ ,, „
Juli 1914 Dezember 1916 Dezember 1918 Dezember 1921 Dezember 1922 J a n n e r 1923 „ Februar 1923 „ Marz 1923 15. April 1923 30. J u n i 1923 15. November 1923
Notenumlauf
1,89 Mrd. 8,06 „ 22,19 „ 113,64 „ 1280,10 „ 1984,50 „ 3512,79 „ 5517,92 „ 5837,97 „ 17291,06 „ 92,84 Trl.
Goldwert, gegen $ Kurs
1,89 Mrd. 4 6,12 99 11,68 99 2,59 99 0,73 ?J 0,17 99 0,65 9t 1,11 >9 1,16 99 0,47 99 0,155 99
1
Siehe auch F . LAVINGTON, The English Capital Market, London 1921, S. 48.
2
VON BORTKIKWICZ, S.
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256.
A. HAHN, Zur Frage des sogenannten Vertrauens in die Wahrung, Arch. t. Sozialwiss. u. Sozialpol., 52. Bd., 1924, S. 293. 4 Silber und Gold in Umlaut: 3,01 Milliarden.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Aus dem Umstand, daB wahrend der Kriegsjahre der Goldwert des Umlaufs stieg, gelit hervor, da8 die Wertminderung des Geldes nicht im Verhaltnis zur Vermehrung der Geldmenge stand. Nach 1918 aber sehen wir, mit Ausnahme nur einer einzigen Periode, wahrend derer ein Versuch zur Stabilisierung gemacht wurde, den Wert des Umlaufs sinken, ein Hinweis auf die Zunahme der Effektivitat, die nur in der genannten Periode unterbrochen wurde. Fur Frankreich laBt sich dasselbe feststellen. Wahrend der Umlauf im September 1920 ein Maximum von 39,2 Milliarden Francs erreichte, darauf im Marz 1922 auf ein Minimum von 35,5 Milliarden sank, dann wieder stieg bis zu einem Maximum im Dezember 1924 von 40,6 Milliarden, betrug die Indexziffer im April 1920 580, im Februar 1922 306 und im Februar 1924 544. 1 Kann somit iiber die Tatsachen keine Meinungsverschiedenheit bestehen, so ist diese um so groBer in betreff der Frage nach dem ursachlichen Zusammenhang zwischen der VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit -— wir folgen hier, wo ein MiBverstandnis unmoglich ist, der in der Literatur gebrauchlichen Terminologie — und der Steigerung des Preisniveaus. Wahrend einige Schriftsteller wie K E Y N E S und H A H N der An&icht sind, daB das Steigen der Preise mit eine Folge der Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit ist, 2 meinen andere, wie VON BORTKIEWICZ und AETALION, daB ein derartiger Zusammenhang zwischen beiden Erscheinungen nicht bestehen kann. Die Ansicht von v. BOETKIEWICZ entspringt aus der minder richtigen Auffassung, daB eine VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit nur bei einer Veranderung der Zahlungsgewohnheiten moglich sei.3 Die Bedenken AETALIONS sind von anderer Art. Dieser Schriftsteller bestreitet den quantitatstheoretischen Standpunkt im allgemeinen 4 und meint, daB nicht die Vermehrung von Geldmenge und Umlaufsgeschwindigkeit die Ursache der Preissteigerung ist, sondern daB umgekehrt die hohen Preise die Vermehrung von Geldmenge und Umlaufsgeschwindigkeit notwendig machen. 5 Doch wird auch von ihm die Moglichkeit einer Ruckwirkung der Umlaufsgeschwindigkeit auf die Preise, wenn diese einmal gestiegen sind, zugegeben.6 Es wurde uns zu weit fuhren, diese Auffassung in Emzelheiten zu besprechen, da dies ja von neuem zu einer prinzipiellen Betrachtung iiber die Quantitatstheorie fuhren wurde; nur eine einzige Bemerkung sei daher gemacht: Es handelt sich hier um ein Problem, das nur theoretisch gelost werden kann, da Meinungsverschiedenheit nicht iiber die Tatsachen, sondern nur iiber deren Interpretation besteht. Es ist denn auch un1 A. AFTALION, Prix, circulation et change en France de 1920 a 1924, Revue d'Economie politique 1925, Nr. 6, S. 1136. a Siehe auch J. VAN WALRE DE BORDES, The Austrian Crown, London 1924, S. 162if. s L. VON BORTKIEWICZ, Die Ursache einer potenzierten Wirkung des vermehrten Geldumlauts auf das Preisniveau. Schriften des Vereins fur Sozialpolitik, 170. Bd., 1925. 4 A. AFTALION, Les experiences monetaires recentes et la theorie quantitative. Revue d'Economie politique. 3-eme annee 1925, Nr. 3, S. 674. 5 A. AFTALION, Theorie quantitative, S. 681. 6 A. AFTALION, Theorie quantitative, S. 682.
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moglich, die Richtigkeit eines der beiden Standpunkte aus Statistiken zu beweisen, wie das AFTALION ZU tun versucht. Wenn er darlegt, daB in Frankreich den Veranderungen des Preisniveaus in den Jahren 1920 bis 1924 die Veranderungen der Geldmenge nicht vorangegangen, sondern nachgefolgt sind, 1 kann daraus der SchluB, daB somit die erstgenannte Tatsache logisch primar ist, ebensowenig gezogen werden, wie aus dem Umstand, daB die Steigerung der Getreidepreise einer schlechten Ernte voranzugehen pflegt, bewiesen werden kann, daB die GroBe der Ernte durch die Preise beeinfluBt wird. Was daraus wirklich hervorgeht, ist, daB die Umlaufsgeschwindigkeit, die durch die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte mitbestimmt wird, bei der Bestimmung des Preisniveaus die Fiihrung ubernommen hat und daB darauf die Erwartungen, durch welche Ursache immer, verwirklicht wurden. Was insbesondere die Prioritat der Veranderung des Preisniveaus im Verhaltnis zur Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit betrifft, sei bemerkt, daB davon hochstens insofern gesprochen werden kann, als die Steigerung des Preisniveaus einen Anreiz zu einer intensiveren Verwendung des Vermogens bildet, die ihrerseits wieder zu einer neuen Preissteigerung iiihrt. DaB aber eine Preissteigerung der Zunahme der Umlaufsgeschwindigkeit vorangehen sollte, durch welche sie erst erhalten bleiben kann •— in welchem Fall also anfangs eine Verminderung der Guterumsatze eintreten muB —, ist nur in dem Stadium der Inflation moglich, wo jede normale Preisbildung aufgehort hat und die geforderten Preise den taglichen Veranderungen der Wechselkurse nachfolgen. An einem solchen Zeitpunkt muB aber jeder Versuch, die augenblickliche Hohe des Preisniveaus theoretisch zu erklaren, notwendig fehlschlagen, da ja keine einzige der auf die Dauer wirksamen Tendenzen ihren EinfluB in gemigendem MaBe fiihlbar machen kann. Die VergroBerung der Effektivitat wahrend einer fortgesetzten Inflation entsteht auf gleiche Weise wie die, welche wir in der Konjunkturhausse beobachtet haben. Dieselben Erscheinungen treten auch hier ein, doch in verstarktem MaBe. Es wird so stark nach intensiver Vermogensausnutzung gestrebt, daB keine einzelne Fluktuation der Aktiva mehr geduldet wird. Man denke nur an das Beispiel des Moskauer Gemischtwarenhandlers, der unmittelbar nach dem Verkauf eines Pfunds Kase auf den Markt lief, um seinen Vorrat wieder aufzufiillen.2 Auch die in den Zahlungsgewohnheiten liegenden Ursachen eines tragen Geldumlaufes werden wegfallen: Die Zahlungstermine fur Lohne u. dgl. werden verkiirzt werden. In wie groBem MaBe die Produktionswirtschaften bei der Einschrankung ihrer Kassenvorrate Erfolg haben werden, wird in HOPFNBKS vergleichender Studie betreffend die Bilanzen von 1913 und 1922 einer groBen Anzahl deutscher Unternehmungen ausgefiihrt. Es geht daraus hervor, daB Geschafte, die vor dem Kriege einen Kassenvorrat von 1 2
A. AFTALION, Prix, circulation et change, S. 1214. J. M. KEYNES, A Tract on Monetary Retorm, London 1923, S. 46, Anm.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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10000 bis 100000 Mark hatten, 1922 mit Betragen von 10 bis 100 Goldmark auskamen. Zahlreiche Unternehmungen hatten einen Kassenvorrat von weniger als 10 Goldmark, die Papiermarkbetrage mit dem GroBhandelsindex umgerechnet. Der durchschnittliche Kassensaldo von 360 Gesellschaften betrug 1922 V3946 desjenigen von 1923. x Hieraus ergibt sich wohl klar, daB der Druck der Inflation nicht so sehr zu Lasten der Industrie wirkte, die ihre Kassenvorrate so sehr abnehmen lassen konnte, als zu Lasten der Verbraucher, fur die das viel schwieriger gewesen sein muB. 2 Bine Verminderung der Effektivitat wird wahrend der Inflation eintreten, sobald einige Aussicht besteht, daB die Preissteigerung nicht weitergehen wird. Wenn das Vertrauen wieder hergestellt ist, wird die Effektivitat wieder ebenso schnell auf den alten Stand zuriickfallen, wie sie sich friiher davon entfernt hat. Die Menge von Umlaufsmitteln wird dann nicht nur vermehrt werden konnen, ohne daB dies irgendwelchen EinfluB auf das Preisniveau hat, sondern dies wird sogar geschehen miissen, wenn keine scharfe Geldknappheit entstehen soil. Senkt sich das Preisniveau, so wird die Effektivitat die Neigung haben, sich unter ihr normales Niveau zu vermindern, so wie in der Baisse, was die Preissenkung wiederum noch verstarken wiirde. Ganz ebenso wie wahrend der Konjunkturwelle wird also auch bei Inflation und Deflation die Veranderung der Effektivitat die bestehende Tendenz zur Veranderung des Preisniveaus verstarken, so daB man sich stets in einem fehlerhaften Zirkel bewegt. Klarer als je zeigt sich hierbei, wie groB die Marge zwischen der maximalen und der minimalen Effektivitat ist, wie groB daher auch der EinfluB, den dieser Faktor auf das Preisniveau ausuben kann.
V. Die sakularen Veranderungen in der Effektivitat des Geldes. tJber die sakularen Veranderungen der Effektivitat konnen wir statistisch wenig feststellen, da es uns an verlaBlichen Daten betreffend die Jahre vor 1896 gebricht. Es ist nur mbglich, Annahmen zu machen. Lassen wir uns dabei von den in der Literatur allgemein in Geltung stehenden Auffassungen hinsichtlich der die GroBe der Effektivitat bestimmenden Faktoren leiten, welche Auffassungen z. B. in der von 3 F I S H E R gegebenen Zusammenfassung zum Ausdruck kommen, dann konnen wir zu keiner anderen Annahme gelangen, als daB die Effektivitat andauernd und vor allem im 19. Jahrhundert stark zugenommen haben muB. Unzweifelhaft haben die Gewohnheiten der Wirtschaftssubjekte 1 SCHMALENBACH, tJber die Umlaulsgeschwindigkeit des Geldes. Zeitschr. f. handelswissenschaftl. Forschung, Febr. 1924, S. 86. 2 Diese Erscheinung ist auch von Belang fur die Beurteilung der Frage, wie weit das Publikum durch eine Inflation belastet werden kann. Wenn in zwei Landern die Effektivitat des Geldes die gleiche ist, jedoch in dem einen Land die in Umlaut gesetzte Geldmenge sich vor allem in den Handen der Verbraucher, in dem anderen Land in den Handen der Produzenten befindet, wird die tatsachliche Belastungsfahigkeit im ersten Land groBer sein, da dort die Umlaufsgeschwindigkeit weniger schnell auf die Inflation reagieren wird. 3
FISHER, 1. c. S. 79.
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sich in einer Richtung verandert, die fur die Effektivitat des Geldes forderlich gewesen ist. Die Schatzbildung hat abgenommen, der Gebrauch von ,,Book credit" hat sich wahrscheinlich nicht vermindert und der Gebrauch von Schecks hat sicher zugenommen. Auch die Zahlungsgewohnheiten in der Volkswirtschaft sind ohne Zweifel in giinstigem Sinn verandert worden; die Zahlungsperioden wurden in vielen Fallen verkiirzt. Und was schlieBlich die allgemeinen Ursachen betrifft, so hat die Bevolkerungsdichte im 19. Jahrhundert sprunghafte Fortschritte gemacht, wahrend gleichzeitig die Geschwindigkeit des Transports aufs hochste gesteigert wurde. Dieser Eindruck einer Zunahme der Effektivitat wird noch bestarkt durch die wenigen statistischen Daten, die uns zur Verfugung stehen. Die Ziffern der Umlaufsgeschwindigkeit der Kontokorrentsaldi bei der Banque de France zeigen in den Jahren 1810 bis 1893 eine Steigerung von ungefahr 50%. Die durchschnittliche Umlaufsgeschwindigkeit fur die Jahre 1810 bis 1819 betragt ungefahr 65, fur die Jahre 1884 bis 1893 ungefahr 117.1 Und auch FISHERS Ziffern fur die Jahre 1896 bis 1912 lassen eine Steigerung erkennen, und zwar von 20% fur die Umlaufsgeschwindigkeit des chartalen und von 50% fur die des giralen Geldes,2 wobei aber im Auge behalten werden muB, daB 1896 der Tiefpunkt einer Baisse war. Wenn wir uns jedoch von den Ziffern iiber die Umlaufsgeschwindigkeit wegwenden und die GroBe der Effektivitat des Geldes in der Gegenwart mit den in friiheren Zeiten vorgenommenen Schatzungen der benotigten Geldmenge vergleichen, andert sich unser Eindruck mit einem Male. Wir haben schon frtiher gesehen, daB die Effektivitat mit ungefahr 2 bis 3 angesetzt werden muB; die umlaufende Geldmenge betragt also Y 2 bis x / 3 des Sozialeinkommens. Stellen wir dem die Schatzungen von P E T T Y , CANTILLON und SMITH gegemiber, so zeigt sich, daB diese letzteren die Geldmenge auf einen viel geringeren Betrag schatzen. P E T T Y setzt das nationale Geldeinkommen mit 42000000 Pfund an und glaubt, daB eine Geldmenge von 6000000 Pfund fur die Zirkulation ausreichend sei, was eine Effektivitat von 7 bedeuten wurde. CANTHLON meint sogar, daB die Geldmenge nur y 9 des Bodenertrages zu betragen brauche und SMITH gibt an, daB die Schatzungen des benotigten Geldquantums zwischen y 6 und y 3 0 des Nationalprodukts schwanken. Nun diirfen wir freilich diesen Schatzungen keine allzu groBe Bedeutung beilegen, aber sie geben uns doch zu denken. Die Frage erhebt sich, ob es wohl wahrscheinlich ist, daB die Effektivitat in friiheren Zeiten so viel kleiner war als jetzt und ob das 19. Jahrhundert nicht etwa vielmehr eine Entwicklung in sinkender als in steigender Richtung gebracht hat. Diese Fragen konnen nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Aus einer naheren Betrachtung der Faktoren, die die Effektivitat beherrschen, geht aber hervor, daB eine Senkung keineswegs als unmQglich betrachtet werden muB. 1
D E S ESSARS, 1. c. (laut graphischer Darstellung).
2
FISHER, 1. c. S. 304/305.
Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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Was die Fluktuationen der Aktiva betrifft, besteht aller Grund, zu glauben, daB sie in friiheren Zeiten im Verhaltnis zum Gesamtbetrag der Aktiva betrachtlicher gewesen sind als gegenwartig. J e weiter wir in der Geschichte zuriickgehen, desto groBer ist der Teil des sozialen Kapitals, der aus Warenvorraten besteht und desto geringer ist die Bedeutung des Werkzeugs. Und gerade die Fluktuationen dieser Giitervorrate miissen sehr groB gewesen sein, nicht nur weil der wesentlichste Teil davon aus Ernteerzeugnissen bestand, sondern auch weil die mangelhaften Transportverhaltnisse eine standige Auffiillung vollig aussehlossen. Infolge davon miiBte also ein weitgehendes Brachliegen von Vermogen erwartet werden und damit anscheinend auch eine geringe Effektivitat des Geldes. Es muB aber im Auge behalten werden, daB im Verhaltnis zum Gesamteinkommen das Vermogen damals so viel kleiner war als jetzt, daB selbst das Brachliegen eines ansehnlichen Teiles davon sehr wohl mit einem gunstigeren Verhaltnis zwischen dem Gesamteinkommen und dem gesamten brachliegenden Vermogen — d. i. der gesamten Geldmenge — als gegenwartig besteht, vereinigt sein konnte. In der Tat war das wahrscheinlich der Fall. Vor der industriellen Revolution vollzog sich ja ein groBer Teil der Erzeugung ganz kapitallos. M c h t nur wurden keine Werkzeuge gebraucht, der direkte Kontakt zwischen Erzeuger und Verbraucher machte es auch iiberilussig, daB bei zahlreichen Zwischenpersonen Vorrate gehalten wurden, weshalb ein groBer Teil der Schwankungen, die gegenwartig in betrachtlichem MaBe zu einem Brachliegen von Vermogen iiihren, nicht vorkommen konnte. Seit damals hat aber die enorme Zunahme des sozialen Kapitals — und damit auch des Gesamtbetrages der Aktiva aller Unternehmungen — die relative Bedeutung der Schwankungen der Aktiva so sehr vergroBert, daB ohne alien Zweifel die Effektivitat des Geldes nicht einige Male, sondern mehrere lOmal kleiner ware als vor 150 Jahren, wenn nicht durch die Entwicklung des Kreditverkehrs die Anpassung des Vermogens an diese Schwankungen viel leichter geworden ware. Insbesondere ist die vermehrte Differenzierung der Produktion eine Ursache stets neuer UngleichmaBigkeiten im Guterumlauf gewesen. Die Industrieprodukte, die der Verbraucher fruher vom Erzeuger selbst bezog, werden jetzt von zahllosen hintereinander geschalteten Unternehmungen erzeugt und gehen durch die Hande vieler Zwischenpersonen, bevor sie ihre Bestimmung erreichen. Jede Ubertragung, die stattfindet, bedeutet einen neuen Bruch in der Zirkulation der Giiter und dadurch eine Ursache neuer Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva. Die Frage kann gestellt werden, ob auch der Verbreitung des Geldverkehrs, durch welche groBe Mengen von Zirkulationsmitteln absorbiert worden sein miissen, eine Bedeutung fur die sakulare Entwicklung der Effektivitat zugeschrieben werden muB. Wir glauben das nicht, denn diese Verbreitung geht mit einer entsprechenden Vermehrung des gesamten Geldeinkommens Hand in Hand, da ja Elemente der Giiterproduktion, die fruher naturalwirtschaftlich verrechnet wurden, jetzt in
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Geld umgesetzt werden. Von einer Verminderung der Effektivitat ist daher keine Rede, es sei denn, daB diese in den neu vom Geldverkehr eroberten Gebieten im Durchschnitt geringer ist als die zuvor bestehende. Ein Faktor, der im Lauf der Zeiten wahrscheinlich einigen EinfluB ausgeiibt hat, ist die Schatzbildung gewesen, die friiher sehr betrachtlich war, aber spater fortdauernd abgenommen hat. 1 DaB die Entwicklung des Kreditwesens im Lauf der Jahre ein Gegengewicht gegen den ungtinstigen EinfluB der zunehmenden Bedeutung der Schwankungen im Gesamtbetrag der Aktiva gebildet hat, laBt sich keinen Augenblick bezweifeln. I n der fruhkapitalistischen Zeit, ungefahr in der Mitte des 17. Jahrhunderts, fehlte noch fast jede Gelegenheit, sich vorubergehend Geldmittel zu verschaffen oder tJbersohusse voriibergehend nutzbar zu machen. Das Diskontieren von Wechseln war noch nicht moglich, da diese erst zu Ende des 17. Jahrhunderts endossabel wurden. 2 Nur in sehr geringem MaBe wurde von Kaufleuten untereinander gegen Pfandbestellung von Waren Kredit gegeben. 3 Der Lieferantenkredit war zwar von groBerer Bedeutung, 4 doch wir sahen schon friiher, wie selten dieser zu einer intensiveren Vermogensausniitzung fiihren kann. Es ist daher klar, daB in diesen Verhaltnissen jede Schwankung der Aktiva noch in vollem MaB zu einem Brachliegen von Vermogen fiihren muB. Die erste Veranderung dieses Zustandes fand in England statt, wo die Londoner Goldschmiede seit 1640 als Verwahrer von Kostbarkeiten und Geld auftraten, fur welches letztere 6% Zinsen vergiitet wurden. 5 Anfangs verwendeten sie die so erhaltenen Mittel im Metallhandel, aber bald liehen sie sie auch aus in Form von Vorschussen gegen Handpfand und in Form von Wechseldiskontierung. 6 Hiemit war die Moglichkeit sowohl zur Gewahrung wie zum Erhalt von Kurzkredit eroffnet und wir diirfen in diesem Auftreten der Goldschmiede den ersten Schritt zu einer systematischen VergroBerung der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes sehen. 7 DaB diese in der Tat merkbar beeinfluBt wurde, geht wohl daraus hervor, daB schon CANTILLON auf den Unterschied hinweist, der in dieser Hinsicht zwischen Frankreich und England besteht. Doch war es dem Depositenwesen vorlaufig noch nicht bestimmt, zu groBer Blute zu gelangen. Es wurde im 18. Jahrhundert vollstandig durch das Umlaufsmittelbankwesen verdrangt und bis in die erste Halfte des 19. Jahrhunderts wurden die Depositen als von sehr untergeordneter Wichtigkeit betrachtet. 8 Nicht nur die Bank von England, sondern auch Hunderte von Banken und Bankiers in der Provinz hatten ihren Notenumlauf, der ihnen ein viel billigeres Betriebskapital verschaffte als die 1 a
W. BAGEHOT, Lombard Street, London 1922, S. 128. W. SOMBART, Der moderne Kapitalismus, III. Aufl., Mtlnchen 1919, Bd. I, S. 525. W. ROOSEGAARDE BISCHOP, De opkomst der Londonsche Geldmarkt 1640—1826, s'Gravenhage 1896, S. 5. 3 4 5 6
SOMBART, 1. c. Bd. II, S. 530. PiOOSEGAARDE B l S C H O P , 1. C. S . 9 f f . ROOSEGAARDE BISCHOP, 1. c. S. 24/25.
' Das italienische Depositenbankwesen konnen wir in dieser Hinsicht wohl ubergehen, da diesem der kontinuierliche Zusammenhang mit der Entwicklung des modernen Bankwesens lehlt. 8
BAGEHOT, 1. c.
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Die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes.
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kostspieligen Depositen. Durch diese ausgedehnte Geldschopfung wurde nicht nur der Umlauf vergroBert, sondern auch die Umlaufsgeschwindigkeit angeregt. Denn, wenn auch die Gelegenheit fehlte, zeitweilige Vermogensuberschusse rentabel zu machen, die Gelegenheit zur Brlangung von kurzfristigem Kredit nahm zu und vor allem die Verbreitung desselben "iiber das ganze Land war im Verein mit dem Aufbliihen der Industrie von groBer Bedeutung. Eine intensivere Vermogensausnutzung wurde dadurch moglich. Das 19. Jahrhundert sah schlieBlich die Depositenbank zu voller Bliite gelangen, zuerst in England und erst viel spater auf dem Festland. GemaB ihren theoretischen Prinzipien nur ein Institut, das sich zur Aufgabe setzte, das in der Volkswirtschaft braehliegende Kapital zu sammeln und denen, die Bedarf an Kredit hatten, zur Verfugung zu stellen, und als solches ein Instrument, um die Effektivitat des Geldes auf die hochste erreichbare Hohe zu fuhren, wurde sie infolge der Entwicklung des Scheckverkehrs, durch welche die Banksaldi selbst den Charakter von Kaufmitteln und somit von Geld erhielten, zu einer neuen geldschopfenden Anstalt. Dieser Ubergang kann nieht auf einen bestimmten Augenblick verlegt werden. Er ist nicht mit einer besonderen MaBregel verkniipft, sondern aus der Art der Umstande erwachsen. Fur die Entwicklung der Effektivitat ist er, wie sich von selbst versteht, von der groBten Bedeutung, denn seitdem die Depositenbank als ein geldschaffendes Institut betrachtet werden muB, hat sie die Effektivitat des Geldes eher vermindert als vergroBert. Das Guthaben in laufender Rechnung ist zu einem zinstragenden Kassenvorrat geworden und der Anreiz, Uberschusse im Wege des Geldmarktes zeitweilig Dritten zu iiberlassen, ist groBenteils verschwunden. Es besteht aller Grund zu der Annahme, daB die jetzt in giralem Geld gehaltenen Uberschusse groBer sind als die, welche jemals in chartalem Geld gehalten werden konnten. I m allgemeinen konnen wir also den SchluB ziehen, daB die Entwicklung des Bank- und Kreditwesens anfangs stets eine stimulierende Wirkung auf die Effektivitat ausgeubt hat, die ein Gegengewicht gegen die fruher genannten verzogernden Tendenzen bildete. Diese Wirkung hat ihren Hohepunkt im reinen Depositenbankwesen erreicht, dann aber hat die Veranderung im Charakter der Depositenbank eine vollkommene Verschiebung der Lage herbeigefuhrt und eine geringere Effektivitat hervorgebracht, die aber keine dynamische Bedeutung hatte, da sie mit einer Vermehrung der Geldmenge gepaart ging. Uber die relative Bedeutung der beobachteten entgegengesetzten Tendenzen fur die sakulare Bewegung der Effektivitat konnen wir uns schwer ein Urteil bilden. Es erscheint jedoch wahrscheinlich, daB die letztere im Lauf der Zeiten geringer geworden ist. Von einer andauernden Zunahme war jedenfalls keine Rede.
Beitrage zur Geldtheorie.
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Zum Problem des „Neutralen" Geldes. Von JOHAN G. KOOPMANS Haag (Holland). Inhaltsubersicht.
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Vorwort 214 1. Begrenzung des Gegenstandes; Literatur. — 2. Keine Stellungnahme zu den aktuellen Problemen der heutigen Weltwirtschaftskrise. E r s t e r A b s c h n i t t . Zur Problemstellung 216 3. Der Gedanke der Geldwertstabilisierung. — 4. Das (weitere) Programm einer ..Managed Currency" uberhaupt. — 5. Dreifache Begriindung des Stabilisierungsprogrammes: a) Wegen der Wertmesserfunktion des Geldes: Beseitigung der ..Geldillusion". — 6. b) Wegen der Verwirklichung einer ..konjunkturlosen Wirtschaft". — 7. c) Wegen der Beseitigung der selbstandigen Wirkungen des Geldes uberhaupt, zumal mit Bezug auf die einzelnen Preise; die Unterscheidung zwischen ..innerem" und ..auflerem" objektivem Tauschwert des Geldes. — 8. Das Prinzip der Neutralit a t des Geldes; Prioritat gegeniiber dem Stabilitatsbegrif f; das Preisniveau ist nur Symptom. — 9. Die Bedeutung des Neutralitatsprinzips fur die Konjunkturtheorie. — 1 0 . / l l . Zusammenhang mit dem Zinstheorem W I C K S F L L S ; die Divergenz zwischen Marktzins und Gleichgewichtszins als typisch nichtneutrale Erscbeinung. •— 12. Prinzipielle Moglichkeit eines Konfliktes zwischen dem Neutralitats- u n d dem Stabilitatsbegriff. — 13. Problemstellung fur die weiteren Abschnitte. Z w e i t e r A b s c h n i t t . Die Neutralitat des Geldes: Begriffliches und Methodologisches 228 14./15. Definition des ..neutralen" Geldes; der Idealtypus der reinen Tauschwirtschaft. — 16. Das normative Element in dem Neutralitatsbegriffe: Zusammenhang mit der liberalistischen Wirtschaftsauffassung. — 17./18. Grundlagen fur die wirtschaftspolitische ..Wertung" der Erscheinungen u b e r h a u p t ; Prinzip von der Optimalitat der Bedurfnisbefriedigung; Produktions- und Verteilungsoptimum. — 19./21. Methodologisch notwendige Beschrankung des „Laissez-Faire"-Prinzips; wesentlich ist nur die Verwirklichung des Idealtypus. — 22. Zu diesem Zwecke konnen prinzipiell auch aktive wirtschaftspolitische MaBnahmen erforderlich sein. — 23. Die neutrale Geldversorgung als eine Anwendung jenes Prinzips. — 24. Problemstellung fur den nachsten Abschnitt: ..Wieso kann das Geld uberhaupt nichtneutral s e i n ? " ; 14*
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die traditionelle Lehre von der grundsatzlichen Indifferenz des Geldfaktors in. der Wirtschaft. Erlduterungen: 25. a) Die aprioristische Stellung des Neutralitatsprinzips gegenuber der Geldtheorie im engeren Sinne. b) Die methodologischenBeschrankungendes,,Laissez-Faire"-Prinzipssind in diesem P u n k t e nioht von praktischer Bedeutung. — 26. e) Die Bestimmung des naturalwirtschaftlichen Vergleichsobjektes; Beispiel: die Vorrathaltung (,,Hortung") in der Naturalwirtschaft. — 27. d) Die Neutralisierung des Geldes bedeutet im allgemeinen nicht die Beseitigung der ,,dynamischen" Faktoren in der Wirtschaft. — 28. Definition der Begriffe ,,Inflation" u n d ,,Deflation". D r i t t e r A b s c h n i t t . Das nichtneutrale Geld und seine Erscheinungsformen 246 29./30. Definition des Geldbegriffes. Das abstrakte und das konkrete Geld. — 31. Uberschatzung des abstrakten Geldes seitens der Anhanger des Stabilisierungsprogramms; die tibliche Identifizierung der Begriffe ,,Wertbestandigkeit" u n d ,,Neutralitat" des Geldes ist daraus teilweise zu erklaren. 32. Die NicMneutralitat des abstrakten Geldes (,,Geldillusion"): im Grunde ein subjektiv-psychologischer Tatbestand. — 33. Grundsatzliche Unmoglichkeit, die NicMneutralitat in diesem Sinne zu beseitigen. 34./35. Die NicMneutralitat des konkreten Geldes: Durchbrechung der SAYschen iLquivalenz zwischen Gesamtangebot und Gesamtnachfrage; „ h a l b e " Tauschgeschafte. — 36./37. Neugeldschopfung u n d Geldvernichtung als ,,reine Nacbfrage" bzw. ,,reiner NacMrageausfall"; beide sind an u n d firr sich nichtneutral, ungeacbtet ob das ,,Handelsvolumen" sich iindert oder nicht; Ablehnung der sogenannten „Bedarfsgeldlehre". — 38. ExTcurs: Zusammenhange mit der Quantitiitstheorie. — 39. Neues Horten u n d Enthorten als nichtneutrale Momente. — 40. Bedeutung des ,,monetaren Zeitintervalls" ftir den Wirtschaftsablauf tiberhaupt. — 41. Der ,,Nullpunkt" des neuen Hortens und Enthortens ist nicht identisch mit dem Zustande konstanter Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes. — 42./44. Die spezielle Bedeutung des sogenannten ,,Induced (Dis-) Lacking" ( R O B E R T SON). — 45. Verneinung weiterer (selbstandiger) nichtneutraler Momente. — 46./47. Zusammenhang mit dem WiCKSELLschen Theorem der Zinsdivergenz. — 48. Grundsatzliche Identitat von ,,Geldinflation" u n d ,,Kreditinflation". — 49. Zusammenfassung. 50./51. Die ,,technischen" Moglichkeiten einer Verwirklichung des neutralen Geldes; Ablehnung einer „qualitativen" Kreditpolitik; die obere u n d untere Grenze einer ,,Managed Currency" iiberhaupt. — 52. Das Problem der „symptomatischen Messung" der Neutralitat des Geldes. — 53./54. Exkurs: Auseinandersetzung mit den S t a n d p u n k t e n MACHLUPS u n d H A Y E K S . — 55. Darstellung
des Problems m i t Hilfe der quantitatstheoretischen Gleichungen. — 56. Beweisthema fur den nachsten Abschnitt. V i e r t e r A b s c h n i t t . Das angebliche „Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen" und dessen Widerlegung 288 57. Die Lehre von den kumulativen Preisanderungen (Kumulationstheorie). — 58. Die Lehre von den kompensatorischen
Zum Problem des ,,Neutralen" Geldes.
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Preisanderungen (Kompensationstheorie). — 59. Exkurs I: Die Bedeutung der Voraussetzung, daB sich „auf der Geldseite nichts andert". — 60. Exkurs II. Nur die „absoluten" Preise, nicht die Preisrelationen sind fur unser Problem relevant. 61. Die angebotsbedingten Preisanderungen. Bedeutung der Voraussetzungen mit Bezug aui die Elastizitat der Nachfrage naeh den einzelnen Giitern; „Positionswechsel" der beiden Theorien bei Anderung dieser Voraussetzungen. — 62. Bei Elastizitat der Nachfrage gleich eins sind beide Theorien hinfallig. — 63. Bei Elastizitat der NaoMrage ungleich eins sind ebenfalls beide Theorien binfallig. — 64. Dieser letztere Pall impliziert eine veranderliche Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes; die Berechtigung dieser Voraussetzung. -— 65./66. Exkurs: Analyse der gleichen Falle unter Voraussetzung einer konstanten Umlaufsgeschwindigkeit. — 67. Nichtneutrale Natur dieser letzteren Voraussetzung: die Bedeutung des ,,monetarenZeitintervalls" zwischen Kaufkrafterwerb u n d Kauikraftverwendung. — 68. Insoweit die Umlaufsgeschwindigkeit tatsachlich konstant ist, sollte auch in den betreffenden Fallen die Geldmenge sich andern. — 69. „Sollgeldmenge" und Handelsvolumen: keine eindeutige Eelation. — 70. Hinfalligkeit samtlicher bisher vorgeschlagenen symptomatischen Kriterien fiir die Neutralitat des Geldes. — 71./73. Exkurs: Der Eettungsversuch des Stabihsierungsprinzips mittels entsprechender „Manipulierung" der Indexzahlen. (72. Unmoglich bei einfach-gewogenen Formeln; 73. Ebenfalls unmoglich bei Doppelgewichtsmethoden.)
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74. Die nachfragebedingten Preisanderungen. — 75. Auch in diesen Fallen keine notwendige Kompensation der einzelnen Preisanderungen untereinander. — 76. Die „sekundaren" Naohfrageverschiebungen (,,qualitative Keperkussionen"). — 77./78. Bei Beriicksichtigung jenes Momentes sind sowohl kompensatorische wie kumulative Preisanderungen moglich, jedoch nicht notwendig. — 79. Die Aquivalenz der „ p r i m a r e n " und ,,sekundaren" Preis. anderungen fiir die Zwecke der Analyse; „Amorphitat des Preissystems"; alle denkbaren Preisbewegungen sind grundsatzlich auch bei neutralem Gelde moglich. Erlduterungen: 80. Zusammenhang mit der allgemeinen ,,Interdependenztheorie" der Preise. — 81. Spezielle Preiszusammenhange: produktions- und konsumverwandte Giiter. — 82./83. Das ,,Prinzip von der Erhaltung der Kaufkraft"; Zusammenhange mit anderen Problemen der Wirtschaftstheorie. ,,Preiszahlungen" u n d „Zessionszahlungen"; grundsatzliehe Irrelevanz dieser Unterscheidung. Vereinheitlichung der theoretischen Ergebnisse. SchluBbetrachtungen 341 84. Ist die Neutralitat des Geldes schheBlich wirtscJiaftspolitisch erwunscht % — 85. Die „ K o n t i n u i t a t " der Preisentwicklung. — 86. Funktionell verschiedene Bedeutung der monetaren und der nichtmonetaren Preisanderungen; die spezifisch monetare Variante der wirtschaftlichen ,,Dynamik". Gerade das neutrale Geld verwirklicht die konjunkturlose Wirtschaft. — 87. Zusammenhange mit dem Problemkreis der Zinsdivergenz. — 88. „ W e r t u n g " der konjunkturlosen Wirtschaft: der wirtschaftliche ,,Fortschritt" auf Grund des Zwangssparens ist illusorisch; das Prinzip der
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„Okonomisierung der Kapitalverwendung". — 89. Die Grenzen des wirklichen „Fortschrittes"; ist hierbei Rucksicht auf die „unwiderruf lichen" Investierungen notwendig? — 90. Nochmalige Ablehnung der „qualitativen" Methoden der Kreditpolitik; produktive, spekulative und konsumtive Kredite. 91. Die „Lokalisierung" der Neugeldschopfung und der Geldvernichtung. — 92. Das neutrale Geld und die Goldwahrung: a) mit Bezug auf die Stabilitat der intervalutarischen Kurse. — 93. b) Mit Bezug auf die Gefahr einer ,,Goldknappbeit": grwndsdtsliohe Entbehrliehkeit der Goldwahrung. — 94. Das Problem der symptomatischen Messung bleibt zunachst ungelost; die aktuelle Bedeutung dieser Frage fur die kiinftige Konjunkturentwicklung.
Vorwort.
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1. Der vorliegende Beitrag enthalt die Hauptergebnisse einer demnachst in hollandischer Sprache zu veroffentlichenden Untersuchung iiber das Thema: „Geldversorgung und wirtschaftliches Gleichgewicht". Fiir eine nahere Begriindung mancher Thesen, die schon aus Raumriicksichten in diesem Aufsatze nur andeutungsweise hervorgehoben werden konnten, sei somit von vornherein ausdrucklich auf jene spater erscbeinende Arbeit des Verfassers verwiesen. Insbesondere soil scbon an dieser Stelle bemerkt werden, daB zumal die Ausfiihrungen iiber die technischen und organisatorischen MoglichJceiten einer „Managed Currency" — im Gegensatz zu den Fragen nach deren Erwiinschtheit und etwaigen Konsequenzen — in der vorliegenden Arbeit absichtlicb knapp gebalten sind, und daB es demnach unvermeidlich erscheint, daB in diesem Punkte manches, was vielen Lesern zunachst noch problematisch erscbeinen diirfte, obneweiters als erwiesen vorausgesetzt worden ist. Nur auf dieser Weise erschien es moglicb, innerbalb des jedem Mitarbeiter bier zur Verfiigung stehenden Raumes eine irgendwie vollstandige und geschlossene Darstellung zu bieten von einem zweiten —• und zwar, nach den Ansichten des Verfassers, weitaus bedeutungsvoileren —Aspekte des gleichen Problemkreises, namlicb der Frage nacb den Kriterien, nach denen ein nationales oder internationales „Management" der Geldversorgung —• dessen Moglichkeit einmal vorausgesetzt —- vorzugehen babe, wenn ein wirtschaftlich ,,vernunftiges" Resultat erreicht werden soil. Es handelt sich hiebei offenbar in erster Linie um die bekannte Kontroverse fiir und wider die Stabilisierung des sogenannten „allgemeinen Geldwertes", bzw. — falls Ablehnung dieses wirtschaftspoUtischen Programms —• um dessen Alternativen; und zwar beides in erster Linie mit Rucksicht auf deren konjunkturtheoretische, bzw. konj unkturpolitische Konsequenzen. Sogar auf diesem beschrankten Gebiete scheint, ebenfalls aus Raumrucksiehten, eine irgendwie vollstandige Wurdigung der einsohlagigen, bekanntlich sehr umfangreichen Literatur an dieser Stelle vollends ausgeschlossen. Den Arbeiten einzelner Autoren ist daher in diesem Aufsatze
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nur Eecbnung getragen worden, insoweit ihre Ansichten entweder fur irgendeine Lebrmeinung als typiscb gelten konnen, oder aber insoweit sie ftir unsere eigenen Ausfubrungen von besonderer Wiehtigkeit sind. Sowobl mit Eucksicbt auf den weiteren Eabmen, in dem diese Arbeit verSffentlicbt wird, als auch wegen der in mancben Punkten weitgebenden tjbereinstimmung unserer eigenen Ergebnisse mit denen dieses Verfassers, erscbien es jedoob angebraobt, uns in erster Linie eingebend mit den Schriften des Herausgebers des vorliegenden Sammelbandes, Herrn Professor P. A. HAYEK, ZU bescbaftigen und dessen Auffassungen zum Teil als Ausgangspunkt fur unsere Untersucbungen zu wablen. Da wobl angenommen werden darf, daB wenigstens fur den deutsoben Leserkreis eine ausfubrlicbe Wiedergabe jener Auffassungen sicb erubrigt, ist in den weiteren Abscbnitten dieser Abbandlung die Kenntnis der wicbtigsten Tbesen Professor HATEKS vorausgesetzt worden. Neben den Scbriften dieses Verfassers und denen der ubrigen Angeborigen der neueren „ Wiener Sebule"1 sind hauptsaoblicb die Arbeiten der zeitgenossiseben engliscben Autoren (und zwar zumal A. C. PIGOU, J. M. KEYNES 2 , D. H. ROBERTSON und E. G. HAWTRET) in diesem Aufsatze beriicksicbtigt worden. Des weiteren ist — jedoob aucb bier obne irgendweleben Ansprueb auf Vollstandigkeit — dem bollandiseben Scbrifttum etwas mebr Aufmerksamkeit gewidmet worden als dies sonst in den (von unserem Standpunkte) fremdspracbigen Veroffentbcbungen ublicb oder moglicb ist; es scbeint uns namlicb nicbt von vornberein ausgescblossen, daB die dort stattgefundene Entwicklung der Ansiebten in der Nacbkriegsperiode, gerade mit Bezug auf den bier aufgerollten Problemkreis, ein oder zwei eigentumlicbe Zuge aufweisen konnte, die in der Literatur der anderen Lander entweder ganz feblen oder docb jedenfalls weniger scbarf ausgepragt sind.3
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2. Zum Schlusse dieser einleitenden Zeilen sei noch eines hervorgehoben. Man fiihlt sicb. als Wirtschaftstheoretiker in der heutigen Zeit fast genotigt, sicb. zu entschuldigen, wenn man zu irgendeinem Gegenstand aus dem Gebiete der Geld- oder Konjunkturlebre das Wort ergreift, ohne mehr oder weniger direkt auf die gegenwartige Weltwirtschaftskrise Bezug zu nehmen. Es soil somit von vornberein darauf hingewiesen werden, daB in der vorliegenden Arbeit eine derartige direkte Stellungnahme zu den aktuellen Problemen unserer Zeit nicbt enthalten ist. Vielmebr bewegen sicb unsere Ausfubrungen nabezu fortwabrend auf dem Gebiete der abstrakten, manchmal sogar sehr weit von der Wirklichkeit entfernten Tbeorie. Zwar ist das Ergebnis — die Befiir1 Wir verstehen darunter in erster Linie die Gruppe, die von KEYNES (A Treatise on Money, Vol. I, S. 199) als die „Neo-Wicksell-Schule" gekennzeichnet worden ist. Es sind hiezu, auBer Professor HAYEK, U. a. die Autoren G. HABERLER, F. MACHLUP, A. MAHR und O. MORGENSTERN zu rechnen, wahrend als Anhanger einer verwandten Geistesrichtung auCerhalb dem eigentlichen Wiener Kreise zumal W. ROPKE sowie H. NEISSER ZU erwahnen sind. 2 Von einer nur irgendwie vollstandigen Wiirdigung der jiingsten Arbeit K E Y N E S ' (A Treatise on Money, 2 Vols., London 1930) kann im Rahmen dieses Aufsatzes selbstverstandlich nicht die Rede sein; es sei jedoch gleich an dieser Stelle bemerkt, daB die in jenem Werke vertretenen Gedankengange uns im allgemeinen ferner liegen als die Ansichten der Ubrigen oben erwahnten Autoren. s Es gilt dies unseres Erachtens zumal von den Ansichten G. M. VERRIJN STUARTS uber die Relation zwischen dem BegriHe des ,,wertbestandigen" und dem des „neutralen" Geldes (siehe unten S. 221/2), sowie auch mit Rezug auf die Ausfuhrungen M. W. HOLTROPS uber die Zusammenhange zwischen Kassenhaltung (,,Horten") und Umlaufsgeschwindigkeit (siehe unten S. 266 u. 302 if.).
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Abschnitt.
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wortung eines bestimmten Systems der Geld- und Kreditpolitik, namlich des Systems der „neutralen" Geldversorgung — erkenntniskritisch betrachtet, nicht „theoretischer", sondern „praktischer" Natur; jedoch auch dieses Ergebnis bat nicbt etwa praktiscbe Bedeutung in dem Sinne, daB von der Anwendung eines derartigen Systems obneweiters eine Erleicbterung der gegenwartigen Depression erwartet werden diirfte. Irgendeinen fix und fertigen ,,Weg axis der Krise" gibt es ja unseres Erachtens iiberhaupt nicht — jedenfalls nicht auf dem Gebiete monetarer MaBnahmen! DaB diese Auffassung dennoch nicht in Widersprucb steht zu den aueb von uns fur richtig gebaltenen „monetaren" Konjunktur- und Krisentheorien, wird in den nachsten Abscbnitten nocb ausfuhrlicher dargelegt werden; an dieser Stelle sei biezu nur bemerkt, daB dasjenige, was man nach unserer Ansicbt tatsachlich von einer verniinftigen Geld- und Kreditpolitik erwarten darf, nicbt etwa in der Uberwindung einer schon angefangenen Krise, sondern vielmehr in der Vorbeugung der nachsten . . . Hocnkonjunktur bestebt. Diese zunachst wohl etwas paradox anmutende These ist durcbaus ernst gemeint und wird im weiteren Verlaufe dieses Aufsatzes noch ausfuhrlicber begriindet werden. Zunachst sollen aber die schon existierenden Vorschlage fiir eine ,,aktive" Geld- und Kreditpolitik einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
Zur Problemstellung.
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„Die wichtigste Aufgabe der Geldtheorie scheint mir gegenwiirtig ihre Emanzipation von der sie heute fast aussclilieBlich erfullenden Geldwerttheorie zu sein." (F. A. HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Wien 1929, S. 71.)
3. DaB in den beiden letzten Dezennien die Ansichten iiber die Fragen des Geldwesens nicht nur unter den Theoretikern, sondern vorwiegend auch unter den Mannern der Praxis eine betrachtliche Umwandlung erfahren haben, ist eine Tatsache, die an dieser Stelle wohl kaum der Erwahnung bedarf. Wie ungeheuer groB diese Umwandlung gewesen ist, realisiert man z. B., wenn man bedenkt, daB noch im Jahre 1911 die bekannten Vorschlage IRVING FISHERS beziiglicb der Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes 1 sogar in wissenschaftlichen Kreisen uberwiegend als eine durchaus wirklichkeitsfremde „Spielerei" angesehen wurden und unter Praktikern wohl kaum irgendeine Beachtung fanden — wahrend ebenderselbe Autor im Jahre 1928 imstande war, in dem Anhang seiner damaligen popularen Schrift ,,The Money Illusion" 2 auf eine stattI The Purchasing Power of Money, New York 1911, S. 337H.; weiter ausgearbeitet in dem Aufsatz „A compensated Dollar" im Quarterly Journal of Econ., Vol. 27 (1912/13), S. 213 ff. II New York 1928, S. 216ff.
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liche Reihe von AuBerungen fiihrender Theoretiker und Praktiker zugunsten seiner Lehren hinzuweisen. Indessen war sogar tatsachlich schon ein Gesetzesentwurf auf Grundlage derFiSHERschenldeen dem amerikanischen KongreB vorgelegt worden; 1 es gibt eine ,,Stable Money Association", die sich einer wachsenden Zahl Mitglieder erfreut; und, was wohl das Wichtigste ist, die Stabilisierung der Kaufkraft des Geldes ist zu einem durcbaus anerkannten und „respektabeln" Programmpunkte einer Reihe fiihrender Geister auf dem Gebiete der Theorie wie der Praxis 2 geworden. Diese Entwicklung der offentlichen Meinung stellt zweifellos, dem friiheren bequemen Glauben an den sogenannten „Automatismus" der Goldwahrung gegeniiber, einen erheblichen Fortschritt dar. DaB immer weitere Kreise sich daran gewohnen, wenigstens einigermaBen auch „in Waren" anstatt nur ,,in Geld zu denken", oder, um einen beliebten Ausdruck zu verwenden, „den Geldschleier zu liiften", ist als solches gewiB nur zu begriiBen; 3 und vielleicht noch wichtiger diirfte es sein, daB immer mehr die Uberzeugung an Boden gewinnt, die monetaren Ereignisse seien nicht etwas „Naturgegebenes" und fatalistisch Hinzunehmendes, sondern einer bewuBten und vernunftgemaBen menschUchen Regulierung fahig (Prinzip der regulierten Wahrung oder ,,Managed Currency").
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4. Damit soil jedoch keineswegs gesagt sein, daB fur eine solche „aktive" Geld- und Kreditpolitik keine andere verniinftige Zielsetzung denkbar ware als eben nur diese mit soviel Eifer von den verschiedensten Seiten propagierte Stabilisierung des ,,allgemeinen Geldwertes", 4 bzw. des „allgemeinen Preisniveaus". Dennoch ist es eine unleugbare Tatsache, daB unter den zahlreichen Anhangern von dem Prinzip des ,,Managed Currency"—dm Gegensatz zu denjenigen, die sich mit dem traditionellen System der Goldwahrung begniigen, wobei, wenigstens prinzipiell, der Schwerpunkt nur bei der Aufrechterhaltung der intervalutarischen Paritat des nationalen Geldes liegt 5 — von irgendeiner anderen Zielsetzung als eben der obengenannten kaum je die Rede ist; wobei aller1 Die sogenannte ,,Strong Bill"; Einzelheiten hierilber in deutscher Sprache u. a. bei A. MAHR, Die Stabilisierung der Kaufkratt des Dollars, Weltw. Archiv 1929, Bd. 29, S. 26ff. 2 Als die bekanntesten Namen seien hier nur erwahnt G. CASSEL, J. M. KEYNES, R. G. HAWTREY, und von den Bankpraktikern zumal R. MAC KENNA (der Letter der Midland Bank). 8 AUerdings hat dies auch eine bedenkliche Seite, namlich insoweit bestimmte Interessentengruppen sich dieser Erkenntnis zwar in Zeiten sinkenden Geldwertes als durchaus zuganglich erweisen, jedoch in Zeiten steigenden Geldwertes sich ihr verschlieBen, wie dies zumal in jilngster Zeit in gewerkschaftlichen Kreisen vieltach vorkommt. 4 Aut die umfassende Problematik mit Bezug auf den Begrift des ,,Geldwertes" iiberhaupt — ,,Originarwert" Oder ,,Derivativwert" des Geldes, Anwendbarkeit der Grenznutzenlehre auf das Geld usw. — soil hier nicht weiter eingegangen werden; dies ertibrigt sich schon deshalb, weil —• wie aus den folgenden Abschnitten bald hervorgehen wird — der Begriff des Geldwertes in unseren weiteren Ausfiihrungen ohnehin nur eine sekundare Rolle spielen wird. Siehe unten S. 222 und passim. 6 Formal natiirlich zunachst bei der Aufrechterhaltung dessen GoWparitat. Es ist dies jedoch im Grunde der Aufrechterhaltung der intervalutarischen Paritat untergeordnet, weil eben der Wert des Goldes selber letzten Endes wieder von dem Geldwert in den Goldwahrungslandern abhangig ist. — Es konnte also nach dieser Auffassung der Geldwert auch niemals in alien Landern der Welt gleichzeitig unter die Goldparitat herabsinken!
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dings zugegeben werden soil, daB zwischen den verschiedenen Autoren, die sich zu dieser Auffassung bekennen, des ofteren erhebliche Meinungsverschiedenheiten an den Tag kommen, sobald es sich darum handelt, den zu stabilisierenden Gegenstand etwas exakter zu umschreiben. 1 Wie dem aber auch sei, jedenfalls findet sich in dem gesamten Schrifttum iiber diese Fragen kaum irgendein Hinweis auf ein denkbares „tertium" auBerhalb der Alternative: entweder „Managed Currency" — es sei mit oder ohne Beibehaltung der Goldwahrung 2 — mit dem Ziel einer Stabilisierung des Geldwertes, oder aber eine „automatische" Goldwahrung ohne irgend welche bewuBte Regulierung. Zumal in den mehr popularen Arbeiten —• vielleicht mit Ausnahme derjenigen, in denen einem wissenschaftlich iiberhaupt nicht ernst zu nehmenden Inflationismus das Wort geredet wird! •— pflegen die Begriffe „Managed Currency" und „Geldwertstabilisierung" schlechthin identifiziert zu werden. 3 Es diirfte ohneweiters klar sein, daB eine derartige Identifizierung jedenfalls formal-logisch unhaltbar ist. Die theoretische Moglichkeit einer Regulierung der Geldversorgung zu anderen Zwecken als eben der Stabilisierung des allgemeinen Preisniveaus konnte wohl kaum bestritten werden. Eine zweite Frage ist jedoch, ob — und, wenn schon, aus welchen Griinden — eine derartige von der iiblichen abweichende Zielsetzung der Geld- und Kreditpolitik irgendwie als wirtschaftlich verniinftig oder erwunscht angesehen werden konnte. Diese Frage soil in den nachsten Abschnitten weiter untersucht werden; zu diesem Zwecke empfiehlt es sich jedoch, zunachst eine Untersuchung iiber die Griinde anzustellen, die seitens der Anhanger des Stabilisierungsgedankens fiir ihre Ansichten angefiihrt zu werden pflegen.
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5. Die Argumente zugunsten der Stabilisierung des allgemeinen Preisniveaus (bzw. dessen reziproken GroBe, des sogenannten „allgemeinen Geldwertes") lassen sich im groBen und ganzen in drei Kategorien einteilen, wobei allerdings zuzugeben ist, daB die Trennungsstriche zwischen diesen Kategorien sich in den einzelnen Fallen ofters verwischen. AuBerdem werden selbstverstandlich von mehreren Autoren abwechselnd Argumente aus mehr als einer dieser Rubriken hervorgehoben. Dennoch diirfte die Unterscheidung wenigstens zum Zwecke einer vorlaufigen Orientierung von Nutzen sein. Zu der ersten Kategorie rechnen wir samtliche Argumente, in denen 1 2
Vgl. hievon u. a. S. 254ff. Diese letztere Frage ist unseres Krachtens prinzipiell nur von untergeordneter Bedeutung (naheres hiezu unten, §§ 92/3). Von den bisher genannten Autoren befurworten CASSEL und HAWTREY eine Geldwertregulierung unter Beibehaltung der Goldwahrung, wahrend K E Y N E S und Mc. KENNA fiir deren (permanente!) Aufhebung eintreten. Nach I. FISHERS bekanntem Vorschlag des „kompensierten" Dollars sollte die Goldwahrung zwar scheinbar aufrechterhalten werden, jedoch ohne ihr nach unserer Ansicht wichtigstes Merkmal, namlich das teste Wertverhaltnis zwischen der Geldeinheit und einer bestimmten Gewichtsmenge Feingold; es handelt sich hier also im Grunde nur noch um eine ,,Pseudo-Goldwahrung". 3 Sogar diejenigen Autoren, die unter den heutigen Verhaltnissen die Forderung ,,Zuruck zu dem 1929er Preisniveau!" erheben (die sogenannten Reflationisten), betrachten die dazu notwendige Steigerung des Preisniveaus uberwiegend als eine einmalige MaBnahme, wahrend sie fiir die Zukunft fur eine Stabilisierungspolitik eintreten.
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unter Hervorhebung der sogenannten „Wertmesserfunktion" des Geldes 1 der angebliche Widersinn betont wird von einer fortwahrend sich andernden Einhe.it der Wertmessung im Vergleich zu den mit groBter Genauigkeit ein fur allemal festgelegten physischenMaBeinheiten, wie z. B. denen der Lange, des Gewichtes, der Temperatur, der Elektrizitat usw. Es ist in erster Linie IRVING FISHER, der in einer Reihe von Schriften dieses Argument mit groBer Geschicklichkeit und unter Anfuhrung von immer neuen schlagenden Beispielen hervorgehoben hat. Daneben sollen in diesem Zusammenhange u. a. G. CASSBL sowie J. M. K E Y N E S (letzterer zumal in seinen alteren Arbeiten 2 ) erwahnt werden, zu denen sich. eine stattliche Reihe von „Epigonen" gesellt hat. Die angeblichen Nachteile einer schwankenden Einheit der Wertmessung nach diesen Autoren lassen sich hauptsachlich in zwei weitere Rubriken unterverteilen: a) Die — meistens von den betreffenden Wirtschaftssubjekten unvorausgesehenen — Anderungen in dem „Real"wert samtlicher auf eine bestimmte Geldsumme lautender Forderungen undSchulden, so wie in den sonstigen auf langere Zeit kontraktlich, bzw. reglementar festgelegten Verpflichtungen (z. B. Miet- und Pachtzinsen, Lohnen, Gehaltern, offentlichen Abgaben usw.); und b) die „Falschung" samtlicher in der schwankenden Geldeinheit angestellten geschaftlichen Kallculationen, derzufolge in Zeiten sinkenden Geldwertes Gewinne vorgetauscht und Gfters sogar ausgeschiittet werden, die realiter nicht vorhanden sind, wahrend umgekehrt in Zeiten steigenden Geldwertes eine sachlich nicht —- oder doch jedenfalls nur teilweise —• begriindete „Verlustpsychose" geschaffen wird und im allgemeinen eine rechtzeitige Anpassung des Wirtschaftslebens an veranderte Umstande erheblich erschwert wird. 3 Es ist insbesondere diese letztere Wirkung des schwankenden Geldwertes, fur die I. F I S H E R seinen bekannten Ausdruck ,,The Money Illusion" gepragt hat. 6. In die zweite Kategorie gehoren die Argumente jener Autoren, nach denen die Anderungen des durchschnittlichen Preisniveaus als die primare und kausal bestimmende Ursache der Konjunkturschwankungen, hingegen samthche weitere Konjunkturphanomene — wie z. B. die Schwankungen in der Produktionsintensitat, in den Absatzmoglichkeiten, in dem Beschaftigungsgrad der Arbeiter usw. — lediglich als Folgeerscheinungen der durchschnittlichen Preisanderungen zu betrachten sind. Die Konsequenz dieser Auffassung ist offenbar, daB von einer Stabilisierung des Geldwertes nicht mehr oder weniger erwartet wird als die vollstandige Ausmerzung der Konjunkturschwankungen; d. h. also, um ein beliebtes Schlagwort zu verwenden, die Verwirklichung 1 2
Naheres iiber diese und die sonstigen „Funktionen" des Geldes aul S. 247 ff. Insbesondere „A Tract on Monetary Reform", London 1923. Insoweit wird somit, auch schon in diesem Gedankengange, den Geldwertschwankungen eine gewisse Bedeutung als kausales Moment in dem Konjunkturverlauf beigemessen. Im Gegensatz zu den spater zu besprechenden zweiten und dritten Auffassungen handelt es sich jedoch in diesem Zusammenhange nur um eine Nebenerscheinung, die fur die Begrundung des Stabilisierungsprogramms als solchen nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist. 3
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einer „konjunkturlosen Wirtschaft". Als ein typisches Beispiel dieser iibrigens ziemlieh verbreiteten Auffassung sollen hier nur die friiheren Arbeiten R. G. HAWTREYS erwahnt werden, dessen in 1922 geschriebener Satz „The Trade Cycle is a purely Monetary Phenomenon" 1 ja beinahe sprichwortlich geworden ist. Inwieweit die hier skizzierten Gedankengange als richtig betrachtet werden diirfen, soil spater nooh untersucht werden. Es sei jedoch sohon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dafi es jedenfalls nieht zulassig ist, diese Auffassungen, wie es des ofteren gesehieht, ohne weiteres mit dem Begriffe der sogenannten ,,monetaren Konjunkturtheorien" zu identifizieren. Vielmehr bilden sie, wie dies in der HAYEKschen Schrift ,,Geldtheorie und Konjunkturtheorie" ausfuhrlich dargelegt worden ist,2 nur eine (und dazu gewiB nicht die einwandfreieste) Variante dieser Gruppe von Konjunkturtheorien; und zwar hat die einseitige Betonung dieser speziellen Variante viel dazu beigetragen, um •— durchaus zu Unreeht — die ganze Gruppe mehr oder weniger zu diskreditieren. Bei unvoreingenommener Betraehtung diirfte es klar sein, da8 aus der etwaigen Ablehnung der erwahnten speziellen Auffassung jedenfalls nicht ohne weiteres auf die Unriohtigkeit einer jeden ,,monetaren" Erklarung der Konjunkturschwankungen geschlossen werden darf.
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7. Der dritten Gruppe von Argumenten zugunsten der Geldwertstabilisierung liegt der Gedanke zugrunde, daB die Schwankungen des allgemeinen Preisniveaus als der Inbegriff der selbstandigen („autonomen") Einfliisse des Geldes auf den Wirtschaftsablauf zu betrachten sind. Dieser Gedankengang kniipft an die bekannte Tatsache an, da8 eine Geldinflation 3 erfahrungsgemaB nicht nur — wie dies bekanntlich von den allzu simplistischen Abarten der Quantitatstheorie 4 behauptet wird — die absoluten Geldpreise in die Hohe treibt, sondern in weitaus den meisten Fallen gleichzeitig auch die relativen Preise der einzelnen Giiter, und zumal die Relationen zwischen den Giiterpreisen und dem Arbeitslohn, sehr erheblich storend beeinfluBt. Von dieser durch wiederholte Erfahrungen ausreichend bewiesenen und auch theoretisch ohne Schwierigkeit zu begriindenden These 5 bildet die hier naher zu besprechende Auffassung sozusagen die Umkehrung: es wird hier namlich angenommen, da8, insoweit das Geld die absolute (mittlere) Hohe der Preise M?iverandert lafit, es eo ipso auch keinen selbstandigen storenden EinfluB auf die Bildung der relativen Preise und Einkommen haben konne. Mit dem Obigen soil freilich nicht behauptet werden, daB eine derartige „Umkehrung" der Argumentation von samtlichen Vertretern der hier erwahnten Auffassung bewuBt vorgenommen wird, und ebenso1 R. G. HAWTREY, The Genoa Resolutions on Currency, Econ. Journal 1922, Vol. X X X I I , S. 298. 2 F . A. HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie, Wien 1929, S. 53H. 3 tiber die Definition des Inflationsbegriffes siehe S. 245/6. 1 Weiteres iiber die Quantitatstheorie auf S. 262ff und 285 ff. dieses Aufsatzes. 5 Es handelt sich hier offenbar um die bekannte, zumal von L. MISES (Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, 2. Aufl., Munchen u. Leipzig 1924, S. 119ff.) vertretene und heutzutage wohl ziemlieh allgemein anerkannte „dynamische" Theorie der Inflation, nach der die Preissteigerungen immer zunachst nur von einem beschrankten Gebiete ihren Ausgang nehmen und sich erst allmahlich iiber die ganze Wirtschaft verbreiten.
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wenig, daB sie als solohe einwandfrei ware. Es handelt sich hier eben nur um eine gedrangte und typische Darstellung des Ergebnisses. Die Begriindung dieser Auffassung bleibt jedoch bei vielen ihrer Anhanger ziemlich verworren, und es ist sogar keine Ausnahme, daB sie iiberhaupt fehlt und daB somit das Ergebnis einfach als etwas Selbstverstandlicb.es vorausgesetzt wird. 1 Insoweit aber tatsachlich von einer Begriindung die Rede ist, vermischt sich der oben angedeutete Gedankengang ofters mit einem zweiten, der von denAnderungenindenretoive»Preisen ausgeht und darzulegen versucht, daB —- insoweit keine Ursachen „von der Seite des Geldes" hinzutreten — die Steigerung oder Senkung einzelner Warenpreise niemals eine Anderung des allgemeinen Preisniveaus auslosen kann, weil eben die einzelnen Preissteigerungen stets von Preissenkungen anderer Giiter neutralisiert werden und umgekehrt. Dieses sogenannte „Gesetz der kompensatorischen (oder kontraren) Preisanderungen" 2 soil seinerseits wieder seine Begriindung finden in der Uberlegung, daB in einer reinen Tauschwirtschaft, wo es iiberhaupt keine ,,absoluten" Geldpreise gibt, und wo somit die Preise der einzelnen Giiter nur gegenseitig in den Einheiten anderer Giiter ausgedriickt werden konnen, offensichtlich eine Steigerung oder Senkung einzelner Preise immer ipso facto eine ,,kompensatorische" Anderung der iibrigen Preise bedeutet — eben insoweit letztere ihrerseits in den Einheiten der erstgenannten Giiter ausgedriickt werden. 3 Es miindet diese ganze Argumentation schlieBlich aus in die Kontroverse liber die Zulassigkeit der von MENGEB,, 4 MISBS 5 und sonstigen Autoren gemachten Unterscheidung zwischen einem ,,inneren" und einem ,,auBeren" objektiven Tauschwert des Geldes, wobei der letztere angeblich sowohl durch Ursachen „auf der Geldseite" wie „auf der Giiterseite", der erstere jedoch nur durch solche ,,auf der Geldseite" eine Anderung erfahren konne. Als typischer Vertreter der Ansicht, nach der diese Unterscheidung als prinzipiell unhaltbar zu betrachten sei, diirfte vor allem G. M. VERKIJN STUART genannt werden, der in seiner 1919 in hollandischer Sprache veroffentlichten Untersuchung iiber die Wertbestiindigkeit des Geldes6 die Berechtigung dieser Unterscheidung nicht nur ausdrucklich geleugnet, sondern auch explizite deren Widerlegung versucht hat. 7 Das Ergebnis seiner Ausfuhrungen lautet somit, daB Verschiebungen des allgemeinen Preisniveaus ausschlie/Slich durch Ursachen „auf der Geldseite" ausgelost werden konnen. Er geht sogar 1 Vgl. hiezu vor allem HAYEK, a. a. O. S. 55 If.; mit Bezug aul die vermutliche Ursache dieses zunachst ganz merkwilrdig erscheinenden Tatbestandes, sowie der tiblichen Uberschatzung des Geldwertfaktors im allgemeinen slehe S. 251/2. 2 Beziiglich der einschlagigen Literatur siehe S. 288H. 3 Wie wir spiiter noch ausiiihrlicher darlegen werden, betrachten wir diese Argumentation keineswegs als entscheidend. 4 C. MENGER, Art. „Geld" im Handworterb. d. Staatswiss., 3. Aufl., Bd. IV, S. 592 bis 598. 6
L. MISES, a. a. O. S. 104 u. 221/222.
6 „Inleiding tot de Leer der Waardevastheid van het Geld", den Haag 1919. ' Der VorwurJ HAYEKS, daB die Identifizierung der Begriffe ,,wertbestandiges" und ,,neutrales" Geld im allgemeinen ohne irgend welche Begriindung vorgenommen wird, trifft also mit Bezug auf diesen Verfasser nicht zu.
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noch einen Schritt weiter, indem er den Begriff der Wertbestandigkeit des Geldes — d. h. der Wertbestandigkeit schlechthin, denn „innere" und „auBere" Wertbestandigkeit bedeutet ihm ja das gleiche! — definitorisch umschreibt als dessen Eigenschaft, „die natiirliche Bildung der Preise und Einkommen nicht zu storen". Dies und nur dies ist nach ihm das Wesensmerkmal der „Wertbestandigkeit". 1
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8. Ob dieser Auffassung beigestimmt werden soil oder nicht, kann vorlaufig noch dahingestellt bleiben. Was uns an dieser Stelle an den hier skizzierten Lehrmeinungen interessiert, ist zunachst nur der begriffliche Unterschied zwischen dem Gelde, das einen selbstandigen EinfluB auf den Wirtschaftsablauf hat, und einem Gelde — sei es nun das Geld von „innerer" Wertbestandigkeit oder das ,,wertbestandige" Geld schlechthin — bei dem dies angeblich nicht der Fall sein soil. Mit dieser Unterscheidung begegnen wir zum ersten Male dem Begriff des „neutralen" Geldes, der von jetzt an den Hauptgegenstand unserer weiteren Untersuchungen bilden soil. Im nachsten Abschnitt werden wir versuchen, diesen Begriff genauer zu definieren und dessen theoretische und praktische Brauchbarkeit systematisch zu priifen. Auch ohne weitere Analyse diirfte es aber jedenfalls klar sein, daB die Einfuhrung dieses Begriffes in die Diskussion liber die Geldwertstabilisierung, sowohl rein theoretisch wie auch geldpolitisch betrachtet, eine bedeutende ,,Akzentverlegung" darstellt. Denn nicht nur in der VERRIJN STUARTschen, sondern, wenigstens im Prinzip, auch schon in der MENGER-MiSESschen Auffassung ist die „Neutralitdt" des Geldes der theoretisch primdre, die Wertbestandigkeit hingegen nur noch ein abgeleiteter, sekunddrer Begriff. Es steht somit nicht langer der spezifische EinfluB des Geldes auf die Preise, sondern vielmehr der allgemeine EinfluB des Geldes auf den Wirtschaftsablauf schlechthin in dem Mittelpunkte des Interesses. Schon in dieser Akzentverlegung erblicken wir daher den ersten und prinzipiell vielleicht wichtigsten Schritt in die Richtung der insbesondere von H A Y E K in seiner schon eher erwahnten Arbeit — unseres Erachtens durchaus zurecht •—• verfochtenen „Emanzipierung" der Geldtheorie von der Geldwerttheorie. 2 Es soil jedoch zugegeben werden, daB die bedeutendsten praktischen Konsequenzen dieser Auffassung solange kaum hervortreten, als im iibrigen an der Auffassung festgehalten wird, die Neutralitat und die Wertbestandigkeit des Geldes bedeuten, wenn schon nicht begrifflich, dann doch wenigstens faktisch das gleiche. Erst wenn auch dies in Abrede gestellt wird, 3 ge1 A. a. O. S. 123. Es handelt sich hier, wohlbemerkt, um die Definition des Wertiestdndigkeitsiegriffes, wahrend der Begrill der ,.Neutralitat" — allerdings ohne Verwendung dieses Wortes, siehe S. 228 —• als gegeben vorausgesetzt wird; in den meisten Fallen wird bekanntlich die logische Rangordnung dieser beiden Begriffe im umgekehrten Sinne aufgefaCt. 2 F . A. HAYEK, a. a. O. S. 7 1 ; daB diese Ablehnung jedoch nicht die „ Geldwerttheorie" in dem erweiterten Sinne triflt, wie diese u. a. von MISES aufgefaCt wird, wird von HAYEK selbst, a. a. O. S. 62, Anm., ausdriicklich hervorgehoben. 3 Wie sich unten herausstellen wird, gehbren wir selbst mit zu denjenigen Autoren, von denen auch diese ,,faktische" Identitat geleugnet wird.
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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winnt die Frage nach der Prioritat des einen oder des anderen Begriffes eine hervorragende Bedeutung. Auch geldpolitisch betrachtet tritt bei der obigen Auffassung der Stabilisierungsgedanke gegeniiber dem Ideal des „neutralen" Geldes an Bedeutung zuriick. Insoweit namlich die Wertbestandigkeit des Geldes von den betreffenden Autoren iiberhaupt fur erwiinscht gehalten wird — was ja nicht von vornherein notwendig ist und auch tatsachlich nicht immer zutrifft — hat sie nicht mehr, wie in der ersten oder zweiten Auffassung, die Bedeutung eines „Selbstzweckes", sondern sinkt, wenigstens im Prinzip, zu dem Range eines bloBen Mittels herab. Noch konsequenter ware es in diesem Gedankengange vielleicht, den stabilen Geldwert nicht einmal als „Mittel", sondern lediglich als Symptom fur einen neutralen Zustand der Geldversorgung zu betrachten. 1 Das eine wie das andere gilt ubrigens naturlich nur solange, als man wenigstens von der faktischen Identitat des „neutralen" und des ,,wertbestandigen" Geldes uberzeugt bleibt; ob diese Identitat zurecht angenommen wird oder nicht, ist jedoch bisher noch eine offene Frage, mit deren Beantwortung wir uns erst in den spateren Abschnitten dieser Arbeit naher beschaftigen werden und die durch die oben besprochene Akzentverlegung als solche keineswegs entschieden wird.
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9. An dieser Stelle soil zunachst noch darauf hingewiesen werden, daB, obwohl die Konzeption eines „neutralen" Geldes als solche auch ohne direkten Zusammenhang mit dem Konjunkturproblem moglich ist, 2 dennoch die oben angedeutete „Akzentverlegung" in erster Linie fur die Konjunkturtheorie von entscheidender Wichtigkeit sein diirfte. Es ergibt sich hier namlich ganz zwanglos eine bedeutende Erweiterung in dem Gesichtsfelde der sogenannten „monetaren" Konjunkturtheorien, zu denen ja in diesem Gedankengange nicht nur diejenigen Erklarungen der Konjunkturschwankungen gerechnet werden sollen, nach denen die Anderungen des Preisniveaus (oder auch nur die der Einzelpreise) als das kausal wichtigste Moment zu betrachten sind, sondern vielmehr samtliche Theorien, die sich in irgendeiner Weise der nichtneutralen Einwirkung des Geldes auf den Wirtschaftsablauf als Erkldrungsmoment bedienen; letzteres prinzipiell unabhangig da von, ob diese Einwirkung von einer Anderung des sogenannten „allgemeinen Geldwertes" begleitet wird oder nicht. Die Schwankungen des Preisniveaus werden somit auch innerhalb der monetdren Konjunkturtheorien von der zentralen Stelle 1 An anderer Stelle —• „De Zin der Bankpolitiek", de Economist (Haarlem) 1925, S. 811 ff. — haben wir diese letztere Auffassung schon einmal ausfiihrlicher zu begriinden und dessen Konsequenzen, zumal in konjunkturtheoretiseher Beziehung, herauszuarbeiten versucht. Wir stellten uns allerdings damals noch auf den Standpunkt — von dem wir erst spater abgekommen sind —, die oben erwahnte ,,faktische" Identitat sei tatsachlich vorhanden. 2 So ist z. B. in der oben erwahnten VERRIJN STUARTSchen Arbeit von diesem Problem tiberhaupt nicht die Rede; erst in seinen spateren Schriften —• zumal dem Gutachten findie 1929er Tagung der „Vereeniging voor de Staathuishoudkunde en de Statistiek" iiber das Thema „Das Wesen der Preisstabilisierung, ihre Erwunschtheit und ihre Moglichkeit" — hat dieser Verfasser seine Theorie auch nach der konjunkturtheoretischen Seite hin vervollstandigt.
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J . G. KOOPMANS
im Kausalmechanismus verdrangt und sinken in diesem Zusammenhange ebenfalls zu der Bedeutung einer bloBen Nebenerscheinung — bzw. Symptoms — herab. Nach den grundlegenden Erorterungen H A Y E K S 1 ist es wohl iiberfliissig, langer bei diesem Punkte zu verweilen. In einer Beziehung jedoch darf eine weitere Vervollstandigung unserer bisherigen Ausfiihrungen gewiB nicht unterbleiben. Samtliche bisher besprochenen Gedankengange erhalten namlich erst ihre voile Bedeutung und Tragweite, wenn man sie im Zusammenhang mit dem bekannten WiCKSBLLschen2 Theorem bezuglich der Divergenz zwischen der Geld- oder Bankzinsrate einer- und dem ,,naturlichen Kapitalzins" oder „Gleichgewichtszins"3 anderseits, bzw. deren Einflusse auf die Giiterpreise betrachtet.
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10. Bekanntlich ist von WICKSELL in diesem Zusammenhange die Ansicht vertreten worden, daB die durchsehnittliche Hohe der Geldpreise dann, und zwar nur dann, keine Anderung erfahrt, wenn der Geld- oder Bankzins mit dem ,,Gleichgewichtszins" in dem oben angedeuteten Sinne ubereinstimmt. Diese These — deren Eichtigkeit wir spater noch zu priifen haben werden —• ist an und fur sich mit jeder der drei „typischen" Begriindungsweisen des Stabilisierungsgedankens kompatibel. Dennoch ergibt sich hier bei etwas naherer Betrachtung ein erheblicher Unterschied. Sowohl zu der ersten wie zu der zweiten jener Begriindungen stent namlich die WiCKSELLsche These in keinem „imieren" Zusammenhang. Deren Vertretern kann sie somit hochstens von untergeordneter Bedeutung sein; zumal geldpolitisch betrachtet, kann ihnen, auch insoweit sie der WiCKSBLLschen Auffassung als solcher beistimmen sollten, dennoch die Zinspolitik der zentralen und sonstigen Banken nie mehr bedeuten als ein Mittel zum eigentlichen Zwecke —• eben der Stabilisierung des Geldwertes — und zwar ein Mittel, dem etwaige andere Mittel zum gleichen Zwecke prinzipiell gleichwertig sind. Der dritten der oben urnschriebenen Betrachtungsweisen hingegen laBt sich das WiCKSELLsche Theorem zwanglos als ein wesentlicher Bestandteil einordnen: in der Weise namlich, daji man die Divergenz als solche zwischen Geldzins und Gleichgewichtszins — die ja nach WICKSELL und den sonstigen Vertretern dieser Auffassung eben nur infolge der geldlichen Organisation der Wirtschaft entstehen, bzw. fortbestehen kann — als eine unmittelhare Erscheinungsform des nichtneutralen Geldes betrachtet. Es ist dies im Grunde nichts anderes als eben eine spezielle Anwendung der oben (S. 222) besprochenen „Akzentverlegung''; wie dort die Wirkungen des Geldes schlechthin, so werden hier die der — monetar bedingten — 1 2
A. a. O. Kap. I l l , passim. K. WICKSELL, Geldzins und Giiterpreise, Jena 1898, Kap. Vllff. und passim. tJber die Vertreter verwandter Lehrmeinungen in der ersten Halfte des neunzehnten Jahrhunderts (zumal THORNTON und JOPLIN) siehe HAYEK, Preise und Produktion, Wien 1931, S. 12 bis 20. 3 Uber die terminologischen Fragen im Zusammenhang mit WICKSELLS Lehre siehe HAYEK, a. a. O. (Geldtheorie usw.) S. 75, Anm.; der auch nach unserer Ansicht zutreffendste Ausdruck ,,Gleichgewichtszins" stammt, wie dort angegeben wird, ursprunglich von K. SCHLESINGER, Theorie der Geld- und Kreditwirtschaft, Miinchen u. Leipzig 1914, S. 128.
Zum Problem des ,,Neutralen" Geldes.
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Zinsdivergenz n i c h t langer u n t e r d e m speziellen Gesichtswinkel d e r d a r a u s h e r v o r g e h e n d e n G e l d w e r t a n d e r u n g e n , sondern vielmehr v o n d e m allgemeinen S t a n d p u n k t e ihrer Einfliisse auf d e n Wirtschaftsablauf i i b e r h a u p t a u s b e t r a c h t e t . D i e wichtigsten K o n s e q u e n z e n dieser B e t r a c h t u n g s w e i s e liegen a u c h diesmal wieder i n erster Linie auf d e m Gebiete d e r K o n j u n k t u r t h e o r i e ; es ergibt sich hier namlich die Mbglichkeit, o b n e die Grundlage d e r m o n e t a r e n K o n j u n k t u r e r k l a r u n g irgendwie preiszugeben, dennoch zuerst den direhten Einffaft des Zinsfahtors auf d e n Aufbau d e r P r o d u k t i o n sowie auf die V o r r a t h a l t u n g , die Spekulation u s w . zu beriicksichtigen, w o m i t sich zugleich die Moglichkeit einer engeren A n n a h e r u n g zwischen d e n „ m o n e t a r e n " u n d einer G r u p p e d e r gemeinhin als „ n i c h t m o n e t a r " b e t r a c h t e t e n K o n j u n k t u r a u f f a s s u n g e n — z u m a l d e n „ U b e r k a p i t a l i s a t i o n s t h e o r i e n " i m S i n n e S P I E T H O F F S u n d CASSELS —
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eroffnet. 1 — AbschlieBend sei z u diesem P u n k t e n o c h b e m e r k t , daB a u c h geldpolitisch b e t r a c h t e t die Parallele zwischen d e r friiher besprochenen u n d d e r j e t z t vorliegenden A k z e n t v e r l e g u n g k l a r z u t a g e t r i t t : es w i r d hier n a m l i c h die Anpassung des Geldzinses an den Gleichgewichtszins z u m p r i m a r e n Zweck d e r Geld- u n d K r e d i t p o l i t i k , demgegemiber die S t a b i lisierung des Geldwertes h i n f o r t a n n u r n o c h eine u n t e r g e o r d n e t e — zumal symptomatische — Bedeutung haben kann.
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11. E s soil hier selbstverstandlich nicht behauptet werden, daB von samtlichen Autoren, die sich mehr oder weniger deutlich zum Neutralitatsprinzip bekannt haben, 2 die obigen Konsequenzen in voller Scharfe herausgearbeitet worden sind. E s handelt sich hier eben n u r darum, die Tragweite dieses Begriffes idealtypisch darzustellen; in concreto sind wohl viele der betreffenden Autoren zunachst halbwegs in der herkommlichen tJberschatzung der Geldwerterscheinungen stecken geblieben. I m umgekehrten Sinne ware es jedoch, in Anbetracht der engen Verwandtschaft zwischen dem WiCKSELLschen Theorem u n d dem dritten Begriindungstypus des Stabilisierungsgedankens, wohl nicht zuviel gesagt, daB jede halbwegs eingehende Analyse des „Zins-Argumentes" fast zwangslaufig von der ersten u n d zweiten der oben besprochenen Betrachtungsweisen hinweg u n d zugleich zu der dritten hinuberleitet. Deshalb ist es unseres Erachtens auch mehr als eine rein zufallige Koinzidenz, daB gerade der soeben als typischer Vertreter dieser dritten Auffassung erwahnte Verfasser, namlich G. M. V E B E I J N STUART, zugleich einer der ersten unter den zeitgenossischen Autoren war, der sich den WiCKSELLschen Auffassungen (nachdem diesen wahrend voller zwanzig J a h r e n nach ihrer ersten Veroffentlichung k a u m irgendwelche Beachtung gesehenkt worden war) angeschlossen hat. 3 U m so merkwiirdiger diinkt es uns hingegen, daB J . M. K E Y N E S , der sich bekanntlich in seinem jungsten Buch 4 ebenfalls zu den WiCKSELLschen Auffassungen bekennt, es dennoch fertig gebracht h a t , eine in manchen P u n k t e n wesentlich neue Theorie der 1 Vgl. auch hiezu wieder HAYEK, Geldtheorie und Konjunkturtheorie (neben den schon oben erwahnten Stellen zumal auch S. 72/73). 2 Die einschlagige Literaturangabe findet sich auf S. 228 u. 240/1. 3 In der Periode 1898 bis 1918 haben sich unseres Wissens iiberhaupt nur S. F . ALTMANN in seinem Beitrag ,,Zur deutschen Geldlehre des 19. Jahrhundert" in der Festschrift filr GUSTAV SGHMOLLER (1908), S. 45ff., und L. MISES in der ersten Ausgabe seines oben zitierten Werkes (1912, S. 421 ff.) mit den WiCKSELLschen Auffassungen beschaftigt. 4 J . M. K E Y N E S , A Treatise on Money, London 1930, Vol. I, Ch. 13, S. 185 ff.
Beitrage zur Geldtheorie.
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Geldwertstabilisierung1 aufzustellen, die, ungeachtet ilirer iiberwiegend konjunkturtheoretischen Farbung, kaum irgendeinen direkten oder indirekten Hinweis auf das Neutralitatsprinzip enthalt. Nur teilweise diirfte dies nach unserer Ansicht seine Erklarung in der Tatsaohe finden, dafi die Konzeption eines ,,neutralen" Geldes — nicM nur dem Namen nach, sondern auch begrifflich — in dem gesamten englisch-amerikanischen Schrifttum (in auffallendem Gegensatze zu dem kontinentalen) fast vollig unbekannt zu sein scheint;2 wie ubrigens bis auf die Erscheinung des eben erwahnten KETNESschen Buches auch die Ansiehten WICKSELLS bei den englischen Nationalokonomen uberhaupt keine Beachtung gefunden hatten. 12. Die „Akzentverlegung", von der in den vorhergehenden Paragraphen die Rede war, entscheidet, wie wir schon friiher bemerkten, an und fur sich keineswegs iiber die Frage, ob in der Tat — wie dies von der Mehrheit der betreffenden Autoren entweder ausdriicklich oder (haufiger!) stillschweigend angenommen wird — das „neutrale" Geld, wenn schon nicht begrifflich, dann doch wenigstens faktisch mit dem „wertbestandigen" Gelde identifiziert werden darf. Zwar wurde in den obigen Ausfiihrungen stellenweise eine bejahehde Antwort auf diese Frage vorausgesetzt — zumal wo es sich um die etwaige symptomatische Bedeutung des stabilen Geldwertes handelte — doch dies geschah immer nur rein hypothetisch, lediglich zum Zwecke der Darstellung, und unter dem ausdrucklichen Vorbehalt, daB die Zulassigkeit dieser Voraussetzung spater noch uberpriift werden sollte. Es enthalten somit die obigen Erorterungen zwar nichts, was sich der Richtigkeit jener Auffassung, nach der ,,neutrales" und ,,wertbestandiges" Geld faktisch das gleiche bedeutet, widersetzt, jedoch ebensowenig irgend etwas, das die Richtigkeit dieser Auffassung bestdtigen oder auch nur wahrscheinlich machen konnte. Sogar die Anhanger der Geldwertstabilisierung konnen daher unseres Erachtens wohl kaum in Abrede stellen, daB die Begriindung ihres „Programms" mit Hilfe des Neutralitatsgedankens, zumal im Zusammenhang mit dem WiCKSELLschen Theorem der Zinsdivergenz, wenigstens potentiell iiber die Stabilisierung als solche hinauszeigt; das heiBt also, dafS ohne eine weitere Beweisfuhrung die Stabilitat des Preisniveaus nicht einmal als Symptom fiir den neutralen Zustand der Geldversorgung gelten kannl Nach unseren obigen Ausfiihrungen diirfte es weiter auch klar sein, daB eine solche Beweisfuhrung sich im wesentlichen um das angebliche (auf S. 221 schon erwahnte) „Gesetz der kompensatorischen Preisanderungen" drehen wird; mit der Richtigkeit oder Unrichtigkeit 1 DaB K E Y N E S , ungeachtet der betrachtlichen Wandlung in seinen Aulfassungen seit der Erscheinung seiner friiheren Arbeit „A Tract on Monetary Reform" (London 1923), sich auch jetzt noch im wesentlichen zu dem Stabilisierungsprogramm bekennt, ergibt sich an zahlreichen Stellen, zumal in dem zweiten Bande des „Treatise" (vgl. z. B. Book V I I , „The Management ol Money", S. 211H. und insbesondere auch die SchluBbetrachtungen, S. 388 ff.) 2 Eine Ausnahme bildet allerdings die Stelle bei A. C. PIGOU, Industrial Fluctuations, London 1927, Ch. X I I I , Par. 9, wo im Zusammenhang mit der Frage der Geldschopfung durch die Kreditbanken ein Unterschied gemacht wird zwischen dem Falle, wo die Funktion der Bank ,.purely mediatorial" ist und den sonstigen Fallen; jener Ausdruck ware wohl ungefahr mit ,,neutral" zu ilbersetzen. Vgl. auch die spater noch zu erwahnende Stelle in Ch. X I I , Par. 5.
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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dieses „Gesetzes" steht oder fdllt ja zugleich die Identifizierung der beiden Begriffe „neutrales" und „wertbestdndiges" Geld. Fur den Fall, daB dieses Gesetz nicht zutreffen diirfte, bedeutet somit der Gegensatz zwischen dem Neutralitats- und dem Stabilitatsgedanken auch wesentlich mehr als nur eine Frage der Akzentverlegung. Es ergibt sich dann namlich die Moglichkeit eines direkten und praktischen Konfliktes zwischen jenen beiden Prinzipien. Und erst in diesem Falle gewinnt auch die HAYEKsche Forderung einer „Emanzipierung" der Geldtheorie von der Geldwerttheorie ihre voile praktische Bedeutung. Es gilt dann eben, geldpolitisch betrachtet, eine Wahl zu treffen zwischen dem Zustande der Geldversorgung, wobei das Geld zwar „neutral" ist, aber das Preisniveau sich dennoch andert einerseits und dem Zustande, wobei zwar die Stabilitat des Geldwertes verwirklicht ist, jedoch die nichtneutralen Einfliisse des Geldes auf den Wirtschaftsablauf als ganzes nicht zum Verschwinden gebracht sind anderseits. (Zugunsten der letzteren Alternative konnten selbstverstandlich unter diesen Voraussetzungen nur noch die erste und zweite der oben erwahnten Begriindungen des Stabilisierungsgedankens beigebracht werden; die dritte wird offenbar in diesem Falle als Argument zugunsten der Stabilisierung des Geldwertes als solchen hinfallig.)
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13. Zusammenfassend ergeben sich also aus unseren bisherigen Ausfiihrungen zwei ungeloste Fragen: erstens eine rein theoretischer Natur, namlich ob, bzw. unter welchen Voraussetzungen, ein Konflikt zwischen dem Neutralitats- und dem Stabilitatsprinzip iiberhaupt moglich ist; und zweitens eine Frage der WirtschaftspoKfa'ft, namlich zugunsten welches dieser beiden Prinzipien man sich zu entscheiden hat, falls ein derartiger Konflikt tatsachlich moglich sein sollte. Erst die Beantwortung dieser beiden Fragen 1 ermoglicht eine wirtschaftlich vernunftige Pvegulierung der Geldversorgung ( = ,,Managed Currency"); natiirlich vorausgesetzt, daB dazu im iibrigen die technischen und organisatorischen Moglichkeiten gegeben sind. Die weiteren Abschnitte dieser Arbeit sollen in erster Linie der Beantwortung dieser beiden grandlegenden Fragen gewidmet sein, wobei wir freilich deren Rangordnung umkebren und uns zuerst mit dem zweiten Problem beschaftigen werden. Auf den ersten Blick ersebeint dies vielleicht merkwiirdig, weil es ansebeinend wenig Sinn bat, zwischen jenen beiden Prinzipien eine Wahl zu treffen, solange man nicht einmal weiB, ob von einem Konflikte zwischen ihnen iiberhaupt die Rede sein kann. Demgegenuber soil hier nur bemerkt werden, daB jedenfalls auch der Beantwortung der ersten Frage eine genauere Definition des Begriffes der Neutralitat und vorzugsweise wohl auch einige weiteren Bemerkungen liber die methodologische Stellung 1 AUerdings schlieBt sich an diese beiden Fragen noch eine dritte, deren Beantwortung wohl die meisten Schwierigkeiten bietet: namlich die Frage, nach welchen Symptomen die Neutralitat, bzw. Nichtneutralitat des Geldes festgestellt werden kann, insoweit die Stabilitat des Geldwertes zu diesem Zwecke nicht langer in Betracht kommen sollte. Zumal mit dieser dritten Frage werden wir uns im weiteren Verlaufe der vorliegenden Arbeit noch ausliihrlicher zu beschaftigen haben; es sei jedoch schon an dieser Stelle bemerkt, daB eine einwandfreie Losung dieses Problems uns bei dem heutigen Stande der Wissenschaft furs erste noch unmoglich erscheint.
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dieses Begriffes voranzugehen batten. Mit diesen Ausfuhrungen, denen die erste Halfte des nachsten Abschnittes gewidmet ist, bangt jedoob, wie sicb dort von selbst ergeben wird, die Motivierung der Erwiinschtheit eines neutralen Zustandes der Geldversorgung in mebr als einem Punkt so eng zusammen, daB eine sobarfe Trennung zwischen diesen beiden Problemkreisen praktiscb kaum moglich ware. Die Frage nacb den Eelationen zwiscben dem Begriff der Neutrabtat und dem der Geldwertstabilitat laflt sicb bingegen zwanglos in einem spateren und separaten Abscbnitte bebandeln; und weil im iibrigen die beiden Gegenstande als prinzipiell voneinander unabbangig zu betraobten sind, diirfte mit dieser Uberlegung die von uns gewahlte Eangordnung der Bebandlung binreiobend begrtindet sein.
Zweiter
Abschnitt.
Die Neutralitat des Geldes: Begriffliches und Methodologisches.
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14. Neutral 1 ist nacb unserer Terminologie das Geld dann, und zwar nur dann, wenn samtliche Vorgange in der Oeldwirtschaft dem Idealtypus einer reinen Tauschwirtschaft nach den Gesetzen der Gleichgewichtstheorien entsprechen. Die Tragweite dieser Definition ist offenbar in erster Linie davon abhangig, was unter ,,Gleichgewichtstheorien" iiberhaupt verstanden werden soil. Mit diesem Ausdrucke beabsichtigen wir, uns insoweit dem vorherrschenden Sprachgebrauch anschlieBend,2 zunachst nur die
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1 Das Wort ,,neutral" ist in diesem Zusammenhang unseres Wissens zuerst von WICKSELL (a. a. O. S. 93) verwendet worden und von dieser Stelle unmittelbar in die HAYEKsche Arbeit ,,Geldtheorie und Konjunkturtheorie" (S. 59) iibergegangen. Es war indessen der Ausdruck in Deutschland schon eher wieder aufgetaucht bei L. v. BORTKIEWICZ (,,Die Frage der Reform unserer Wahrung usw.", BRAUNS Annalen, Bd. 6, 1919, S. 57 und 59), von welcher Stelle er von W. G. BEHRENS (Das Geldschopfungsproblem, Jena 1928, S. 157, Anm. 1) tibernommen wurde, der ihn in dem ansehlieBenden positiven Teil seiner Untersuchung (S. 228 H.) zum ersten Male ausgiebig verwendet hat und durch dessen Arbeit wir persbnlich den Ausdruck auch zuerst begegneten. Um die Mitte von 1929 — somit etwa um ein Jahr nach der Erscheinung des BEHRENSschen Werkes — diirfte der Ausdruck in den an der Geldtheorie interessierten Kreisen in Holland ziemlich allgemein bekannt gewesen sein, und wurde er u. a. auch von G. M. VERRIJN STUART in seinem damaligen schon oben zitierten Gutachten (a. a. O. S. 96) verwendet; in der sich dabei anschlieBenden miindlichen Debatte (Utrecht, November 1929) wurde er dann von mehreren Diskussionsrednern, darunter auch von uns selbst, als eine schon ziemlich gelaufige Redewendung gebraucht. Wir erwahnen diese Einzelheiten an dieser Stelle nur deshalb, weil den hollandischen Nationalokonomen im allgemeinen und uns personlich im besonderen in der HAYEKschen Schrift „Preise und Produktion" (S. 30, Anm. 1) ein besonderes Verdienst mit Bezug auf die „Wiederbelebung" dieses Ausdruckes zugemutet worden ist, die uns nicht ganz gerechtfertigt scheint; die Prioritat in dieser Beziehung ist ja zweifellos BORTKIEWICZ und BEHRENS zuzuschreiben. Im iibrigen halten wir diese Prioritat nicht filr allzu wichtig, weil es sich dabei doch im Grunde nur um das Wort handelt, und der Begriff sich in diesem Falle — Mephistopheles zum VerdruB! — schon langst ,,eingestellt" hatte, als das Wort noch fehlte. Es war dies sogar schon langere Zeit vor der Erscheinung des oben erwahnten MisEsschen Werkes, das doch im allgemeinen wohl als der Anfang der „neuen Epoche" in der Geldtheorie betrachtet werden darf, der Fall; f iir die diesbeziiglichen Stellen, zumal derjenigen bei HELFFERICH, wo in diesem Zusammenhang —• und zwar mit dem unseres Erachtens richtigen, d. h. normativen, methodologischen Akzent (vgl. unten S. 230ff.) — von der ,,Indifferenz" des Geldes die Rede ist, siehe S. 241, Anm. l . a
Vgl. z. B. H A Y E K , a. a. O. (Geldtheorie usw.) S. 3,
Anm.
Zum Problem des „Neutralen" Geldes.
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Zusammenfassung samtlicher Theorien, die in irgendeiner Weise den Gedanken an einen — wenn auch nur hypothetischen und in der Wirklichkeit niemals vollstandig zu erreichenden — wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand 1 in den Mittelpunkt ihrer Erbrterungen stellen. Es umfaBt dieser Begriff somit, neben den Lehren der „Klassiker", nicht nur samtliche Varianten der Grenznutzenlehre, 2 sondern ebensogut auch. die sogenannten „wertfreien" wirtschaftstheoretischen Systeme (wie etwa diejenigen G. CASSELS oder Pu. LIEEMANNS). Das gemeinsame Merkmal an diesen, so wohl ihrem Ausgangspunkt •wie ihren Ergebnissen nach zum Teil durchaus verschiedenen Theorien ist bekanntlich — neben der Konzeption eines wirtschaftlichen Gleichgewiehtes als solcher — in der Hauptsache dieses, daB sie alle wenigstens zunachst von einem idealtypisch 3 vereinfachten Wirtschaftssysteme ausgehen, als dessen wichtigste Merkmale hier, ohne Anspruch auf Vollstandigkeit, hervorgehoben werden sollen: freie Konsumtionsund Berufswahl, Betriebs- und Konkurrenzfreiheit, Privateigentum an Produktionsmitteln,* Nichtexistenz von Schutzzollen und Monopolen, und zumal direkter Tausch5 ohne Vermittlung irgendeines Tauschmittels, wahrend die Verhaltnisse, die sich bei Nichterfullung einer oder mehrerer dieser Voraussetzungen ergeben, methodologisch als ,,Komplikationen" des idealtypischen Falles betrachtet werden. Zu diesen letzten, bei der Analyse zunachst zu vernachlassigenden Faktoren werden des weiteren von den Vertretern dieser Gruppe von Theorien regelmaBig samtliche sogenannten „Reibungs wider stande" gerechnet, die sich — auch bei vollstandiger Erfiillung der oben erwahnten Voraussetzungen — in der Realitat der Wirksamkeit der dem Gleichgewichte zustrebenden Krafte in den Weg stellen und somit die Tendenz aufweisen, die vollstandige Verwirklichung dieses Gleichgewichtes zu verhindern. 6 1 Es schlieBt dies allerdings die Moglichkeit von „dynamischen" Anderungen in der Wirtschaft keineswegs aus; weiteres hierzu auf S. 244/5. 1 Neben der osterreichischen, durch C. MENGER begriindeten Schule sind hierzu bekanntlich auch die englische (JEVONS, MARSHALL) und die Lausanner Schule (WALRAS) sowie die Fortbildung der letzteren durch PARETO USW. zu rechnen. 3 Vgl. zu diesem, in den nachfolgenden Paragraphen von uns wiederholt zu verwendenden Begriff in erster Lime die Ausfiihrungen MAX WEBERS ,,Gesammelte Aufsatze zur Wissenschaftslehre", Tubingen 1922, S. 190ff., und ,.Wirtschaft und Gesellschaft" (Bd. I l l , 1 d. GrundriB der Sozialbkonomik, 2. Aufl., Tubingen 1925), S. 4. Zu den „idealtypischen Konstruktionen" in diesem Sinn ist in erster Linie der Begriff des wirtschaftlichen Gleichgewichtes als solchen, weiter z. B. der sogenannte ,,Homo oeconomicus" und — auf dem engeren Gebiete der vorliegenden Arbeit — wohl auch der WicKSELLsche Begriff des ,,naturlichen Kapitalzinses" zu rechnen. 4 Es wird allerdings von manchen Vertretern der Gleichgewichtstheorien — ob zu Recht oder zu Unrecht, lassen wir hier dahingestellt — bestritten, daB diese letztere Voraussetzung ftir ihre Ergebnisse wesentlich sei. 6 Der Ausdruck „direkter" Tausch wird hier nur im Gegensatz zu dem ,,geldvermittelten" Tausche verwendet und umfaBt somit auch den naturalwirtschaftlichen Tausch zwischen drei oder mehreren Personen, der in anderem Zusammenhange wohl auch als ,,indirekter Tausch" bezeichnet zu werden pflegt. 6 Es ist hiezu z. B. der Umstand zu rechnen, daB die Menschen tatsachlich nicht oder doch hochstens nur annaherungsweise wie ein ,,Horno oeconomicus" handeln, so daB es in der Wirklichkeit gemeinhin nicht zu einem vollstandigen Ausgleich der Bediirfnisbefriedigung im Sinne des sogenannten zweiten GossENschen Gesetzes (siehe unten S. 232, Anm. 3 ) kommt. Des weiteren sind insbesondere die zeitlichen „Reibungen" (engl. ,.TimeLags") zwischen den in der reinen Theorie als simultan betrachteten Vorgangen zu erwahnen;
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15. Schon aus dieser letzteren Erwagung geht hervor, daB der ,,Idealtypus der reinen Tauschwirtschaft", von dem in unserer obigen Definition die Rede war, keineswegs identisch ist mit dem Zustande, der sich ergeben wiirde, wenn man etwa in der Wirklichkeit einen Versuch anstellen sollte, das Geld abzuschaffen und tatsachlich zum direkten (oder ,,indirekten") Warentausch zuriickzukehren •} denn eben durch ein derartiges Vorgehen wiirden sich offenbar die Reibungswiderstande, denen in der idealtypischen Betrachtungsweise keine Rechnung getragen wird, ins ungemessene steigern. Den Gegenstand der Gleichgewichtstheorien bildet vielmehr — von den ubrigen oben erwahnten Vereinfachungen abgesehen — der hypothetische, in der Realitat wohl iiberhaupt nicht denkbare Zustand, in dem gleichzeitig sowohl die Friktionserscheinungen, die sich mangels eines allgemein anerkannten Tauschmittels dem Zustandekommen eines vollstandigen Gleichgewichtes widersetzen, wie auch die spezifischen Anderungen, die sich infolge der tatsachliehen Einfiihrung eines derartigen Tauschmittels in dem Wirtschaftsablauf ergeben, als nichtexistierend vorausgesetzt werden. 2 Der Sinn und Zweck des ,,neutralen Geldes", unter dessen Herrschaft sich der Wirtschaftsablauf definitionsgemaB diesem hypothetischen Zustande annahern soil, ist ja nicht, die offensichtlichen, bei der heutigen Organisation der Wirtschaft langst uberwundenen Nachteile der Nichtexistenz eines allgemeinen Tauschmittels kunstlich wieder erstehen zu lassen, sondern vielmehr, die von einem jeden anerkannten Vorziige der geldlichen Organisation der Wirtschaft mit der Eliminierung deren anderweitigen Nachteile — zumal der Inflation und der Deflation3 —- zu vereinigen.
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16. Mit diesem letzten Satze soil sogleich angedeutet sein, daB schon die Begriffsbestimmung des neutralen Geldes unseres Erachtens einen unverkennbaren wirtschaftspolitischen, d. h. also normativen Einschlag hat. Es ist eben nur dann zulassig, in diesem Zusammenhange von „Vorzugen", bzw. ,,Nachteilen" der geldlichen Organisation der Wirtschaft zu sprechen, wenn man zuvor auf Grund von anderweitigen Uberlegungen 4 zu der Ansicht gekommen ist, daB der von den Gleichgewichtstheorien in idealtypischer Vereinfachung dargestellte Verlauf der wirtschaftlichen Vorgange zugleich einen optimalen Zustand der Wirtschaft bedeutet, und daB somit eine jede durch die oben erwahnten ,,Komplikationen" bzw. „Reibungserscheinungen" verursachte Abweichung dieses idealtypischen Verlaufes als suboptimal zu betrachten ist. Es ist dies im Grunde im weiteren Verlaufe unserer Untersuchung wird sich ergeben, daB gerade diese ,,Lags" fur das Problem des neutralen bzw. nichtneutralen Geldes von der groflten Bedeutung sind. 1 Mit diesem Ausdrucke ,,zuruckkehren" ist freilich nicht gemeint, daB einer jeden Geldwirtschaft historisch immer ein Zustand naturalwirtschaftlichen Tauschverkehrs vorangegangen sein soil, obwohl dies in den meisten Fallen immerhin hochstwahrscheinlich sein durfte. 2 Fur die praktischen Konsequenzen aus diesen Uberlegungen siehe unten S. 243/4. 3 Fur die Definition dieser beiden Begriffe sei auf den SchluBparagraphen dieses Abschnittes (§ 28) verwiesen. 4 ,,Anderweitig": d. h. (wenigstens teilweise) Uberlegungen TOeWtheoretischer Art; naheres hiezu im nachsten Paragraphen.
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(einzelnen spater darzulegenden Abweichungen vorbehalten) offenbar nicMs anderes als der wohlbekannte Ausgangspunkt der liberalistischen Wirtschaftsauffassung, und es ist somit auch wohl von vornherein einleuchtend, da[3 die Neutralitat des Geldes sich iiberhawpt nur bei grundsdtzlicher Anerkennung des sogenannten ,,Laissez-faire" als das Hauptprinzip der Wirtschaftspolitik vernilnftigerweise begriinden la/St. Fur diejenigen Autoren, die letzteres Prinzip im allgemeinen schon von vornherein ablehnen, kann auch die Neutralitat des Geldes hochstens eine rein theoretische, nicht aber eine normative Bedeutung haben.
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Aus den vorhergehenden Paragraphen dieser Abhandlung diirfte es schon hinreichend klar geworden sein, daB wir uns in alien wesentlichen Punkten zu der ersteren dieser beiden Ansichten bekennen; wobei wir uns freilich, angesichts des in der jiingsten Zeit mehr als je zuvor anschwellenden Wider standes gegen die liberalistische Wirtschaftsauffassung, durchaus bewuBt sind, in weiten Kreisen als ,,unmodern" zu gelten. Eine ausfiihrliche Darlegung der Griinde, die uns dennoch — sei es auch nur unter gewissen, in den folgenden Zeilen noch zu spezifizierenden Vorbehalten — zu dieser Stellungnahme veranlassen, muB hier aus naheliegenden Griinden unterbleiben und diirfte auch (mit Ausnahme eines einzigen Argumentes, von dem im Laufe unserer weiteren Untersuchungen noch von selbst die Eede sein wird),1 fur den engeren Gegenstand, mit dem wir uns hier beschaftigen, nur von sekundarer Bedeutung sein. Zur Not lieBe sich ja unsere Fragestellung auch so einkleiden, wie denn, vorausgesetzt, dafi im ubrigen das Laissez-faire vorJierrsehe, eine verntinftige Geldpolitik auszusehen hatte, wobei dann die Frage, ob jenes als solches erwunscht sei oder nicht, ganz auBer Betrachtung bleiben konnte. Hingegen halten wir es fur durchaus zweckmaBig, uns an dieser Stelle etwas genauer von den Mindestvoraussetzungen Eechenschaft zu geben, die zu einer derartigen wirtschaftspolitischen Stellungnahme iiberhaupt — sei es im allgemeinen oder in einem speziellen Falle — methodologisch notwendig sind, weil sich eben hieraus fur die Bedeutung und Tragweite des Prinzips des neutralen Geldes, und zumal auch fur die genauere Bestimmung seines Inhaltes, mehr als eine wichtige SchluBfolgerung ziehen laBt. 17. Damit wir imstande sind, uns iiber die Erwunschtheit irgend eines — wirtschaftlichen oder sonstigen — Tatbestandes ein verntinftiges Urteil zu bilden, ist bekannthch der Hauptsache nach zweierlei notwendig, und zwar (erstens) das Vorliegen von wenigstens einem2 als solchen auBertheoretisch zu begrimdenden Bewertungsprinzip („Norm"), mangels dessen wir eben iiberhaupt nicht imstande waren, irgendein „Werturteil" auszusprechen, und (zweitens) der Nachweis, daB der jeweils in concreto vorliegende Tatbestand derart beschaffen ist, daB es den in jenem Bewertungsprinzip (bzw. -prinzipien) niedergelegten Bedingungen geniigt. Gilt es, zwischen zwei oder mehreren Tatbestanden eine Wahl zu treffen, dann ist selbstverstandlich der Nachweis erforderlich, daB der vorzuziehende Tatbestand jenen Bedingungen in hoherem Grade geniigt als die alternativen Moglichkeiten. Im ubrigen kann dieser Nachweis (im Gegensatz zu dem Bewertungs1
Siehe unten S. 239. Es konnen selbstverstandlich auch mehrere Bewertungsprinzipien vorliegen, bei deren etwaiger ,,Kollision" dann die Entscheidung immer nach auBertheoretischen Gesichtspunkten vorzunehmen ist. Ob eine derartige Kollision vorliegt Oder nicht, ist hingegen immer eine laktische, bzw. theoretische Frage. 2
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prinzip als solchem) in diesen beiden Fallen durchaus rein theoretisclier 1 N a t u r sein. Was den ersten P u n k t anbetrifft, ist eines der mit Bezug auf wirtschaftspolitische Fragen wohl am meisten hervortretenden Bewertungsprinzipien bekanntlich das der sogenannten „Optimalitat der Bediirfnisbefriedigung", oder, exakter formuliert, der Satz, dafi eine optimale Bediirfnisbefriedigung als solche eiwas Wilnschenswertes sei. ,,Optimal" bedeutet in diesem Zusammenhange: ,,maximal innerhalb der jeweils vorliegenden tatsachlichen Moglichkeiten", u n d ist somit als solcher noch kein normativer Begriff. Der obige Satz ist daher auch keineswegs eine reine Tautologie, 2 sondern dessen Aufstellung bedeutet vielmehr einen jener autonomen Akte der „praktischen Vernunft", ohne welche iiberhaupt keine Werturteile zustande kommen konnten. Inhaltlich k o m m t jener Satz wohl ungefahr auf das gleiohe Mnaus wie die wirtschaftspolitische Forderung, es solle in der Realitat das sogenannte ,,zweite GossENsche Gesetz" 8 weitmoglichst verwirklicht werden; diese letztere Formulierung setzt allerdings schon eine hohere Stufe der theoretischen Analyse voraus. Mit der Anerkennung dieses Satzes — der als solcher in unseren weiteren Erorterungen ausdriicklich vorausgesetzt bleibt — soil iibrigens keineswegs in Abrede gestellt werden, daB sich daneben in der Wirtschaftspolitik auch sonstige Bewertungsprinzipien (wie z. B . diejenigen kultureller, sozialer 4 oder national-politischer Art) gelten lassen konnen, die wir, zwecks Unterscheidung von dem obigen, von jetzt an unter die Generalbenennung ,,auCerwirtschaftliche Gesichtspunkte" zusammenfassen werden.
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18. Auch wenn wir uns zunachst zu dem erstgenannten, spezifischwirtschaftlichen Bewertungsprinzip beschranken, ergibt sich jedoch bei etwas genauerer Betrachtung schon eine erhebliche Schwierigkeit. Die Optimalitiit der Bediirfnisbefriedigung in dem oben erwahnten Sinne ist j a bekanntlich nur solange ein eindeutiger Begriff, als es sich u m die Bedurfnisse
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1 Rein theoretischer . . . oder aber faktischer bzw. empirischer; es kommt hier eben nur auf den Gegensatz zu „normativer" an! 2 Es gent dies schon daraus hervor, daB auch die entgegengesetzte Aulfassung prinzipiell nicht als widersinnig erscheint, z. B. auf der Grundlage einer asketischen Lebensauffassung, oder etwa vora Standpunkte des Bolschewismus heraus, nach dem wenigstens zunachst die „Verelendung" als solche wiinschenswert erscheint, damit die revolutionare Gesinnung lebendig erhalten werde. Allerdings erscheint dem methodologisch nicht gewandten Geiste der im Text formulierte Satz wohl meistens als eine glatte Selbstverstandlichkeit, und wir betrachten es dann auch als einen durchaus verwerflichen erkenntnistheoretischen Pedantismus, wenn von gewissen Seiten die Forderung erhoben wird, es solle dieser Satz jedesmal mit diesen Worten ausgesprochen werden, bevor uberhaupt aus einer v/htschaitstheoretischen Analyse eine wirtschaftspoKHsc/ie Folgerung gezogen werden darf. Vielmehr sollte es nach unserer Ansicht jedesmal ausdriicklich erwahnt werden, wenn jener Satz etwa ausnahmsweise nicht als selbstverstandlich vorauszusetzen ist. Insoweit dies nicht geschieht, laBt sich unseres Erachtens — ungeachtet der formalen Riehtigkeit der gegenteiligen Beteuerungen — die wirtschaftspolitische Tendenz in den Schriften der Grenznutzentheoretiker (wie z. B . in der BoHM-BAWERKschen Zinstheorie) nicht ableugnen; die offensichtliche Angst, mit der zumal die deutschsprechenden Autoren dieser Schule (die Englander sind in dieser Beziehung weit weniger formalistisch) sich davor huten, etwa als „Apologeten" irgendeines wirtschaftspolitischen Systems angesehen zu werden, erscheint uns jedenfalls rein methodologisch nicht genugend begrundet. 3 H. H. GOSSEN, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs usw., 3. Aufl., Berlin 1927, S. 12 (nicht etwa S. 5). 4 Insoweit die „sozialen" Bestrebungen selbst nur die Verwirkliehung einer optimalen Bediirfnisbefriedigung zum Zweck haben, ist allerdings von einem prinzipiellen Gegensatz zu dem ,,wirtschaftlichen" Gesichtspunkte nicht die Rede.
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ernes einzigen Individuums (oder aber diejenigen einer Gemeinwirtschaft) handelt. Hingegen sind die Bediirfnisintensitaten verschiedener Personen nicht nur praktisch — etwa mangels eines dazu geeigneten ,,Apparates" •— gegenseitig unmeBbar, sondern sogar prinzipiell unvergleichbar. E s ist daher eine unumgangliche Notwendigkeit, daB m a n sich in der Praxis bei jedem Versuch zu einer Vergleiohung der Bediirfnisse verschiedener Personen letzten Endes immer zu gewissen Folgeerscheinungen deren Bediirfnisintensitaten, die tatsachlich einem Vergleiche zuganglich sind — u n d zwar in erster Linie zu ihrer Kaufbereitschaft — beschranken muB. Nioht weniger bekannt diirfte es aber sein, daB diese letztere Erscheinung schon deshalb keineswegs als ein idealer MaBstab zu jenem Zwecke gelten kann, weil sie eben nicht nur von den Bediirfnisintensitaten der verschiedenen Personen, sondern daneben auch von deren absoluter u n d relativer Kaufkraft funktionell abhangig ist. E s geht hieraus hervor, daB sich mit dem Begriffe der „optimalen" Bediirfnisbefriedigung, sobald dieser auf mehrere Personen zugleich angewandt werden soil, uberhaupt nur dann ein verniinftiger Sinn verbinden laBt, wenn m a n wenigstens zunachst die Kaufkraftverhdltnisse dieser Personen bewufit als etwas Oegebenes, als solches einer weiteren Beurteilung nicht Zugdngliches, voraussetgt.
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Ebenso selbstverstandlich ist es jedoch, daB dies nicht mehr als eine vorlaufige Stellungnahme bedeutet, wobei m a n ohne weiteres keineswegs stehen bleiben kann, u n d daB sich hier somit neben dem in der obigen Weise eingeschrankten Prinzip der optimalen Bedurfnisbefriedigung jedenfalls die Moglichkeit, wenn schon nicht die Notwendigkeit, eines zweiten — diesmal wohl k a u m als „auBerwirtschaftlich" zu bezeichnenden — Bewertungsprinzips, namlich dessen der optimalen Kaufkraftverteilung1, ergibt. Zusammenfassend finden wir somit erstens schon innerhalb der spezifisch wirtschaftlichen Sphare eine grundsatzliche Dualitat der Bewertungsprinzipien vor, u n d auBerdem selbstverstandlich auch hier wieder die schon oben erwahnte Moglichkeit, daB weitere „auBerwirtschaftliche" Gesichtspunkte sich zu jener doppelten Grundlage der Wirtschaftspolitik gesellen, bzw. deren praktische Ergebnisse mehr oder weniger betrachtlich modifizieren. 19. Die obigen E r w a g u n g e n sind n u n b e k a n n t l i c h in erster Linie fur die Beurteilung des „Laissez-faire" als G r u n d l a g e der Wirtschaftspolitik v o n entscheidender B e d e u t u n g . Dasjenige, w a s v o n d e n A n h a n g e r n der liberalistischen Wirtschaftsauffassung als der angebliche Erfolg des Laissez-faire b e a n s p r u c h t wird, ist e b e n in w e i t a u s d e n meisten Fallen nur die Verwirklichung der o p t i m a l e n Bedurfnisbefriedigung in d e m o b e n e r w a h n t e n b e s c h r a n k t e n Sinne — was wir, u n s d e m iiblichen W o r t g e b r a u c h anschlieBend, h i n f o r t a n als d a s „ P r o d u k t i o n s o p t i m u m " bezeichnen w e r d e n •— hingegen nicht die o p t i m a l e Kaufkraftverteilung 2 u n d a fortiori n i c h t die Verwirklichung irgend welcher auBerwirtschaftlichen Zwecke. E s g e h t d a r a u s u n m i t t e l b a r die E r k e n n t n i s hervor — 1 Ob dies immer mit einer gleichmafSigen Kaufkraftverteilung identisch ist oder nicht, kann hier, als fur unseren Zweck irrelevant, dahingestellt bleiben. 2 Zwar wird des ofteren behauptet, daB auch dies der Fall sei, insoweit namlich, als jedes Wirtschaftssubjekt unter diesem Systeme den Grenzwert seiner wirtschaftlichen Leistungen zugerechnet bekommt; jedoch dieses Argument erstreckt sich bekanntlich hochstens auf die ,,Gerechtigkeit" der sogenannten funktionellen Verteilung des Sozialproduktes, nicht aber auf die grofitenteils von willkurlichen Faktoren (wie etwa Vererbung) abhangigen „interpersonalen" Reichtumsverhaltnisse.
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der sich heutzutage auch die eifrigsten Anhanger des Laissez-faire, wenn es solche iiberhaupt noch gibt, wohl kaum mehr verschlieBen konnen — daB dieses Prinzip niemals ohneweiters iiber die Erwiinschtheit irgend welcher wirtschaftspolitischen MaBnahmen entscheiden kann, sondern hochstens die Bedeutung hat, die Beweislast zuungunsten derjenigen, die eine „kiinstliche" Beeinflussung des „naturlichen" Wirtschaftsablaufes befiirworten, zu fixieren. 1 (Unter Verwendung der juristischen Fachterminologie konnte man in diesem Zusammenhange vielleicht wohl von einer „praesumtio juris", 2 d. h. einer Vermutung, sprechen, gegen die ein Gegenbeweis zulassig bleibt.) Es kann somit bei unvoreingenommener Betraohtung auch seitens derjenigen, die sich (wie der Verfasser dieses Aufsatzes) prinzipiell zu der liberalistischen Wirtschaftsauffassung bekennen, keineswegs bestritten werden, daB es in vielen Fallen erwiinscht und des ofteren sogar notwendig sein kann, die potenzielle Erreichung des ,,Produktions"optimums, obwohl diese an und fur sich zweifellos erwiinscht ware, der Verwirklichung irgendeines anderen Zweckes — einschlieBlich einer etwaigen „Korrekt u r " der Kaufkraftverteilung! — zum Opfer zu bringen. 3 Ob, bzw. inwieweit derartiges geschehen soil, ist eben in letzter Linie eine Frage der Weltanschauung, bei deren Beurteilung die wirtschaftliche Theorie als solche nicht mitzureden hat. Die eigentliche Kontroverse zwischen den Anhangern des Laissez-faire und ihren Gegnern, den ,,Interventionisten", ergibt sich hingegen erst auf der nachsten Stufe der Diskussion, das ist bei der Beurteilung der Frage, ob denn tatsachlich bei einem jeden „kiinstlichen" Eingriff in die Wirtschaftsverhaltnisse von einem Opfer an Bediirfnisbefriedigung gesprochen werden darf, bzw. ob nicht vielmehr in manchen Fallen gerade von einem solchen Eingriff eine gesteigerte Befriedigung der menschlichen Bedurfnisse zu erwarten ist. Und zwar ist das Problem in dieser Fassung nicht mehr normativer Natur, sondern wenigstens prinzipiell einer Losung mit den Mitteln der „reinen" Theorie zuganglich. 20. Wie wir schon friiher bemerkten, beabsichtigen wir keineswegs an dieser Stelle in alien Einzelheiten die Griinde darzulegen, die uns dazu veranlassen, uns im wesentlichen der ersteren dieser beiden Auffassungen anzuschlieBen; vielmehr soil auch hier nur die methodologische Struktur der betreffenden Argumente untersucht werden. Es handelt sich hiebei namlich unseres Erachtens im allgemeinen um zwei Thesen, die jede fur sich zutreffen miissen, damit von einer einwandfreien Begriindung des 1 Vgl. z. B. die nachfolgende AuBerung A. C. PIGOUS, der doch wirklich nicht als ein doktrinarer Anhanger des Laissez-faire betrachtet werden kann: ,,There is still enough life in the old doctrine of .maximum satisfaction' to throw the buiden of proof upon those who would interfere with ,natural tendencies'." (Bssays in Applied Economics, London 1923, S. 97.) 2 Im Gegensatz zu einer ,,praesumtio juris et de jure", wobei der Gegenbeweis bekanntlich nicht zulassig ist. 3 Freilich nur unter der Bedingung, daB der betreffende anderweitige Zweck sich nachweisbai nicht auch in anderer Weise — d. h. also ohne Beeintrachtigung des Produktionsoptimums — verwirklichen HeBe.
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Laissez-faire-Prinzips die Rede sein kann. Und zwar konnen wir im allgemeinen nur der ersteren dieser beiden Thesen ohneweiters beistimmen, wa-hrend die zweite nach unserer Ansicht auch und gerade im Bahmen der liberalistischen Wirtschaftsauffassung schwerwiegenden Bedenken ausgesetzt bleibt, auf Grund deren wir uns denn auch schlieBlich nicht ohne einen ganz wesentlichen Vorbehalt zu dem Prinzip des Laissez-faire bekennen konnen. Die erste jener zwei Thesen geht dahin, daB es zur Verwirklichung einer optimalen Bediirfnisbefriedigung1 notwendig ist, daB der Wirtschaftsablauf in alien essentiellen Punkten dem „Idealtypus einer reinen Tauschwirtschaft" in dem fruher (S. 229/30) umschriebenen Sinne entspricht; die zweite hingegen besagt etwas prinzipiell anderes, im wesentlichen von dem vorhergehenden Unabhangiges, und zwar daB sich diese Ubereinstimmung zwischen der Wirklichkeit und dem Idealtypus in der Praxis am vollstandigsten erreichen laBt, indem man sich buchstablich nach dem Grundsatze ,,Laissez-faire" verhalt, d. h. die obrigkeithchen MaBnahmen der Wirtschaftspolitik auf ein absolutes MindestmaB beschrankt und im ubrigen das sogenannte ,,freie Spiel der wirtschaftlichen Krafte" obwalten laBt. Es ist vielleicht nicht ganz iiberflussig, hier mit allem Nachdruck hervorzuheben, daB diese zwei Erwagungen prinzipiell durchaus voneinander unabhangig sind, und daB somit die Anerkennung des ersteren Satzes keineswegs auch schon die des zweiten in sich schlieBt. Auch an und fur sich ist ubrigens diese zweite These alles weniger als selbstverstandlich; denn es ist zumindestens prinzipiell durchaus moglich, daB sich gerade unter den „freien wirtschaftlichen Kraften" auch solche befinden, denen in dem idealtypischen Schema der Gleichgewichtstheorien nicht Rechnung getragen wird, und die somit in dem oben angedeuteten Sinne als „Komplikationen", bzw. ,,Reibungswiderstande" betrachtet werden sollten; woraus dann, den ersteren der beiden obigen Satze einmal als richtig vorausgesetzt, ohneweiters hervorgehen wiirde, daB diese Krafte die Tendenz haben, die Bediirfnisbefriedigung unter das potentiell erreichbare Optimum herabzudriicken. 21. Es konnte an dieser Stelle vielleicht noch der Einwand erhoben werden, diese Moglichkeit sei zwar in abstracto vorhanden, jedoch konne sie in der Praxis immer durch eine entspreohende Definition des ,.Idealtypus" der reinen Tauschwirtseliaft ausgeschaltet werden. Wenn man namlich bei der Trennung zwischen den ,,Wesensmerkmalen" eines derartigen Wirtsehaftssystems und den ,,unwesentlichen" Komplikationen in der Weise vorgehen wiirde, dafi diejenigen Krafte, die sich bei einer vollstandigen und buehstablichen Befolgung des „Laissez-faire" auswirken wiirden, definitorisch der ersten, samtliche Eolgeerscheinungen von etwaigen ,,kunstlichen" Mafinahmen seitens der Obrigkeit hingegen der zweiten Kategorie zugereohnet wurden, dann wiirde selbstverstandlich auch jede Abweichung zwischen dem Wirtschaftsablauf unter dem „freien Spiel der Krafte" einerseits und dem 1 Die Beschrankung dieses Ausdruckes im Sinne des ,,Produktionsoptlmums" bleibt von hier an stillschweigend vorausgesetzt.
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„idealtypischen" Wirtschaftsablauf anderseits von vornherein zum Verschwinden gebracht sein. Auf diesen Einwand ware unseres Erachtens zu erwidern, daB es zwar durchaus anerkannt werden soil, daB die genauere Bestimmung der idealtypischen reinen Tauschwirtschaft — wie ubrigens die einer jeden idealtypischen Konstruktion u b e r h a u p t ! — tatsachlich inner halb gewisser Grenzen immer eine Sache der „Willkur" bleibt, 1 bzw. daB bei der Trennung zwischen ,,Wesensmerkmalen" u n d „Komplikationen" in der T a t naoh mehr als einem einzigen Auswahlprinzip vorgegangen werden kann; daB aber erstens auf das entscMedenste bestritten werden soil, daB ein Verfahren wie das soeben angedeutete der in dem gesqmten Sehrifttum der Gleichgewichtstheorien iiblichen vereinfacbten Darstellung des Wirtschaftslebens — deren wesentliche Ziige oben auf S. 229 hervorgehoben wurden •— zugrunde liegen durfte; und daB zweitens, insoweit m a n etwa — w a s ja nach dem Obigen theoretisch moglich ware — einen Versuch anstellen sollte, die idealtypische Konstruktion der reinen Tauschwirtschaft tatsachlich auf Grund des oben skizzierten Auswahlprinzips „umzubauen", dadurch zugleich die erste der beiden Thesen, auf denen nach unseren obigen Ausfiihrungen das Prinsip des Laissez-faire beruht (namlich die These von der Optimalitdt des „idealtypischen" Wirtschaftsverlaufes), hinfdllig wiirde. Denn eben diese letztere These gilt selbstverstiindlich nicht mit Bezug auf einen jeden, wie immer konstruierten, Idealtypus der reinen Tauschwirtschaft, sondern wenigstens zunachst n u r mit Bezug auf den speziellen in der oben angedeuteten iiblichen Weise vereinfachten Wirtschaftsablauf!
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Es durfte hiermit sogar nach unserer Ansicht so beschaffen sein, daB eben dasjenige Auswahlprinzip, das jener iiblichen Bestimmung des Idealtypus zugrunde liegt, im wesentliehen normativer Natur ware: das heiBt also, daB hierbei als „Wesensmerkmale" der reinen Tauschwirtschaft, bewuBt oder unbewuBt, gerade diejenigen Elemente des in der Wirklichkeit vorliegenden Tatsachenkomplexes gewdhlt worden sind, die im allgemeinen das „Produktionsoptimum" zu verwirklichen die Tendenz haben, als „ K o m plikationen" hingegen diejenigen Elemente, die der Verwirklichung dieses Optimums im Wege stehen ; 2 und zumal bei dieser Auffassung kann die zweite der obigen Fragen — namlich ob, bzw. inwieweit der in dieser Weise bestimmte „ I d e a l t y p u s " der Tauschwirtschaft identisch sei mit dem Wirtschaftsverlaufe, wie dies sich in Ermangelung samtlicher obrigkeitlichen 1 Der Ausdruck ,,Willkur" ist in diesem Zusammenhang in dem eingeschrankten Sinn zu verstehen, daB die Wahl des betreffenden Idealtypus in jedem einzelnen Falle „zweckgebunden" ist (sogenanntes pragmatisches Prinzip). 2 Nur in dieser Weise laBt sich nach unserer Ansicht die sonst wohl ganz merkwilrdig erscheinende Einmutigkeit erklaren, mit der die idealtypische Vereinlachung der Wirtschaftserscheinungen durch die Vertreter der verschiedenen Gleichgewichtstheorien immer nach ungefahr identischen Auswahlprinzipien vorgenommen wird (siehe oben S. 229). Im ilbrigen liegt dem im Texte skizzierten Verfahren keineswegs — wie sich bei oberflachlicher Betrachtung vielleicht meinen lieBe — eine methodologisch unzulassige Verwischung der Grenzen zwischen „Sein" und ,,Sein-sollen" zugrunde; iiber die Wirklichkeit findet namlich hiebei keine einzige Aussage au( Grund normativer Erwagungen statt. Ebensowenig sinkt unseres Erachtens infolge dieses Verfahrens die These von der optimalen Bediirmisbefriedigung zu dem Rang einer bloBen petitio principii herab. Denn die Beantwortung der ,,materiellen" Frage, welchen konkreten Bedingungen die Wirtschaftsorganisation geniigen soil, damit das Optimum verwirklicht werde, geht eben in diesem Gedankengange der Detinition des Idealtypus voran, und kann somit selbst nicht wieder von der letzteren beeinfluBt werden. Es bleibt mithin zwar einem jeden unbenommen, irgendeine anderweitig definierte idealtypische Konstruktion als Gegenstand der theoretischen Analyse zu wahlen, jedoch lafit sich in diesem FaUe eben nicht nachweisen, dafi ihre vollstandige Verwirklichung zugleich eine optimale Bediirjnisbefriedigung herbeifiihren wiirde!
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MaBnahmen ergeben wiirde — selbstverstandlich nicht schon von vornherein als gelost gelten, sondern ist bierzu nocb eine weitere Analyse notwendig, die — wie wir scbon oben bemerkten — unseres Erachtens keineswegs zu einer ausnahmslosen Bejahung jener Frage zu fiihren braucht. 22. Wir betrachten es mithin als einen wesentlichen Fehler, da8 zumal die alteren Vertreter der liberalistischen Wirtschaftsauffassung sich in der Hauptsache nur um den Nachweis der ersten der beiden oben (S. 235) erwahnten Thesen bemiiht, die zweite hingegen meistens als eine Selbstverstandlichkeit angenommen baben, was ja unvermeidlich zu einer erbeblichen Uberschatzung des Laissez-faire in seiner buchstablichen, rein negativen Bedeutung fiihren muBte. Und zwar ist dieser Fehler fur die weitere Entwicklung der wirtschaftspolitischen Ansicbten von groBter praktischer Bedeutung geworden; denn es laBt sicb wohl kaum bestreiten, daB eben diese iiberspitzte Auffassung des Laissez-faire, die bekanntlieh um die Mitte des neunzebnten Jahrhunderts in dem (auch nacb unserer Meinung zurecht) beriichtigten „Manchestertum" ibren Hohepunkt erreichte, am meisten dazu beigetragen hat, in einer spateren Epoche den Liberalismus uberhaupt in weiten Kreisen mehr oder weniger in Verruf zu bringen. Ebensowenig kann aber unseres Erachtens bestritten werden, daB beutzutage jene rein negative Auffassung des Laissez-faire auch fiir die liberalistisch eingestellten Wirtschaftstheoretiker und Wirtschaftspolitiker wohl iiberwiegend einen langst iiberwundenen Standpunkt darstellt. Zumal der Erkenntnis, daB es sich bei dem Prinzip des Laissez-faire nicht um etwas an und fiir sich Erwunschtes,. sondern vielmehr nur um ein Mattel zum Zwecke handelt, diirften sich bei dem heutigen Stande der Diskussion nur die wenigsten verschlieBen. Und von dieser Erwagung bedarf es nur noch eines einzigen weiteren Schrittes zu der Anerkennung, dap der eigentliche Sinn des „Laissez-faire" wenigstens prinzipiell iiber dessen wortliche Bedeutung Mnausweist; oder mit anderen Worten, daB sich in der Wirklichkeit (und zwar nicht einmal ausnahmsweise) ganz gut Situationen ergeben konnen, wo es zur Verwirklichung des friiher angedeuteten Zweckes — eben der weitmoglichsten Annaherung des tatsachlichen Wirtschaftsverlaufes an das idealtypische Schema der Gleichgewichtstheorien 1 — keineswegs geniigt, eine jede obrigkeitliche Intervention ohneweiters abzulehnen und es im iibrigen bei dem „freien Spiel der wirtschaftlichen Krafte" bewenden zu lassen, sondern wo vielmehr eine aktive und positive Wirtschaftspolitik erforderlich ist, damit die jeweils in der Wirklichkeit vorliegenden Storungsmomente 2 entweder von vornherein eliminiert oder aber deren Wirkungen durch entgegengesetzte MaBnahmen neutralisiert werden konnen. Es bedeutet dies somit, daB nicbt nur —• wie oben (S. 234) angenommen wurde — auf Grund von anderweitigen Zielsetzungen, sondern vielmehr 1 Auch dies ist (nach dem Obigen) selbstverstandlich kein ,,Selbstzweck", sondern vielmehr seinerseits nur wieder ein Mittel zu einem weiterliegenden Zwecke: eben das der optimalen Bedurfnisbefriedigung. a Der Ausdruck „St5rungsmomente" umfaBt in diesem Zusammenhang samtliche Abweichungen des als optimal anerkannten Idealtypus.
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aucJi schon innerhalb einer sich ausschliejUich nach dem „Produktionsoptimum" orientierenden Wirtschaftspolitik dem ,,Laissez-faire" in seiner worth chen Bedeutung hochstens die Stellung einer ,,Prasumtion" beigemessen werden darf, gegen die ein methodologisch und wirtschaftstheoretisch einwandfreier Gegenbeweis immer moglich bleibt. Unter diesem Gesichtswinkel betrachtet, diirfte sogar die zunachst wohl ironisch gemeinte JLuBerung eines witzigen Diskussionsredners auf der 1931 er Tagung des hollandischen Vereines fur Nationalokonomie 1 — demzufolge es sich bei den in einem der damals vorliegenden Gutachten befiirworteten u n d angeblich „planwirtschaftlichen'' MaBnahmen im Grunde tiberbaupt nicht u m eine „Planwirtscbaft", sondern vielmehr nur um ,,die VerwirMichung der Ideale des Laissess-faire mittels Notverordnung" handle — einen tieferen Sinn haben. Vorausgesetzt namlich, daB etwas derartiges tatsaeblicb moglich ware — dasheiBt also, daB irgendeine Behorde imstande ware, durch eine umfassende Eegulierung des Wirtscbaftslebens eben nur die jeweils existierenden Storungsmomente zu beseitigen, ohne zugleich andere hervorzurufen, u n d somit den Wirtschaftsablauf in der T a t mit dem idealtypischen Schema der Gleichgewichtstheorien in Einklang zu bringen —, dann ware dagegen vom wohlverstandenen Standpunkte des wirtschaftlichen Liberalismus betrachtet weit weniger einzuwenden als gegen die meisten interventionistischen MaBnahmen, die in der Praxis vorgenommen zu werden pflegen und die, obwohl meistens weniger umfassender Natur, fast regelmaBig die Tendenz aufweisen, die Kluft zwischen dem wirklichen u n d dem idealtypischen Wirtschaftsablauf zu erweitern.
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23. W e r unsereii Ausfuhrungen bis a n diese Stelle gefolgt ist, m u B z u n a c h s t wohl d e n E i n d r u c k b e k o m m e n h a b e n , daB wir u n s m i t d e n obigen B e t r a c h t u n g e n immer weiter v o n d e m eigentlichen G e g e n s t a n d e unserer U n t e r s u c h u n g , namlich d e m P r o b l e m des n e u t r a l e n Geldes, e n t f e r n t h a b e n . E s trifft dies jedoch n u r scheinbar zu. Denn gerade die ,,Neutralisierung" der Geldversorgung ist nach unserer Ansicht im Gfrunde nichts anderes als eben ein spezieller Fall des in dem vorhergehenden Paragraphen im allgemeinen dargelegten Prinzips: d. h. also der s y s t e m a t i s c h e n Anwend u n g b e s t i m m t e r aktiver wirtschaftspolitischer M a B n a h m e n , d e n e n n u r bei oberflachlicher B e t r a c h t u n g ein interventionistischer Zug a n z u h a f t e n scheint, deren eigentlicher Zweck jedoch keineswegs d a r i n b e s t e h t , d e n idealtypischen „ n a t u r l i c h e n " Wirtschaftsablauf abzulenken, bzw. zu korrigieren, sondern vielmehr nur darin, die Bedingungen zu schaffen, unter denen dieser idealtypische Wirtschaftsablauf sich storungslos verwirklichen kann. A u s diesem G r u n d e h a l t e n wir es d a n n a u c h fur d u r c h a u s unzulassig, ein jedes P r o g r a m m einer ,,Managed C u r r e n c y " , bzw. einer , , K r e d i t k o n t r o l l e " , ohneweiters als eine Spezies des Genus „ P l a n w i r t s c h a f t " zu bezeichnen, wie dies b e k a n n t l i c h u. a. v o n SCHUMPBTBE. nahegelegt w o r d e n ist ;2 insoweit der Zweck einer solohen K r e d i t k o n t r o l l e in der Verwirklichung einer n e u t r a l e n Geldversorgung bestehen soil, 3 1 Vereeniging voor de Staathuishoudkunde en de Statistiek, Rotterdam, 31. Okt07 ber 1931; vgl. S. 127 des Tagungsberichtes. 2 J. SCHUMPETER, ,,Kreditkontrolle", Archiv f. Sozialwiss. 1925, Bd. 54, S. 325ff. 3 Es ist allerdings anzuerkennen, daB diese Bedingung mit Bezug auf K E Y N E S — auf dessen damalige Schriften die obige Bemerkung SCHUMPETERS sich Insbesondere bezog — nicht erliillt gewesen sein diirfte, und daB insoweit diesem Verfasser gegeniiber die Interpretation SCHUMPETERS immerhin zutreffend sein konnte. Es diirien jedoch nach
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handelt es sich ja nach unseren obigen Ausfiihrungen sogar um das gerade Gegenteil des planwirtschaftlichen Gedankens! Auch der scheinbare Widerspruch zwischen dem angeblich „passiven" Grundsatz des Laissez-faire einerseits und der Befiirwortung einer essentiell ahtiven1 Geld- und Kreditpolitik anderseits erscheint auf Grund unserer bisherigen Betrachtungen vollstandig gelost. Wir gehen sogar noch einen Schritt weiter, indem wir behaupten, da8 in diesem Zusammenhang das Prinzip des neutralen Geldes wohl auch von sich aus zu der Verstdrkung der Mberalistischen Wirtschaftsauffassung beisteuem honnte: in dem Sinne namlich, daB die anerkanntermaBen nicht immer glanzenden Erfolge, die die (angebliche) praktische Anwendung des Laissez-faire bisher — zumal in der zweiten Halfte des neunzehnten Jahrhunderts 2 — zu verzeichnen hatte, in erster Linie dem Umstand zuzusehreiben sein diirften, da8 eben ein wirklich neutrales Geld bisher (auch in Zeiten relativ stabilen Geldwertes) kaum je existiert hat! Erst die Neutralisierung der Geldversorgung wiirde also dem —• wohlverstandenen — Laissez-faire seine „fair chance" geben, die er bisher, sogar wahrend der angeblichen ,,Blutezeit" der Mberalistischen Wirtschaftsauffassung, im Grunde noch nie gehabt hat. Nach dieser Ansicht diirfte somit bei konsequenter Anwendung einer vernunftgemaBen aktiven Geldpolitik die scheinbare „Notwendigkeit", den Wirtschaftsablauf durch interventionistische MaBnahmen sonstiger Art zu „korrigieren", von selbst in Wegfall kommen.
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24. Eine unerlaBliche Voraussetzung fur samtliche obigen SchluBfolgerungen ist allerdings, daB der Geldfaktor, insoweit er sich selbst iiberlassen bleibt, tatsachlich die Tendenz hat, den Wirtschaftsablauf in einem von dem idealtypischen Schema der Gleichgewichtstheorien abweichenden Sinn zu beeinflussen; oder mit anderen Worten, daB das Geld eben „seiner Natur nach" — d. h. also in Ermangelung einer speziellen auf die Verwirklichung seiner Neutralitat hinzielenden Geldpolitik — unseren obigen Ausfiihrungen gerade deshalb die KEYNESschen Ansichten auch nicht ohneweiters als reprasentativ fur das Programm des ,,Managed Currency" uberhaupt betrachtet werden. Die meisten Vertreter des Stabilisierungsgedankens betonen ja ausdriicklich, daB nichts ihnen ferner liegt als etwa die Preise der einzelnen Giiter zu regulieren. Vgl. hiezu u. a. den Untertitel des FiSHERschen Buches ..Stabilizing the Dollar" (New York 1920), namlich: „A plan to stabilize the general price-level without fixing individual prices." 1 Den Ausdruck ,,aktiv" mit Bezug auf die Geldpolitik verwenden wir an dieser und an anderen Stellen in doppeltem Sinne als einen Gegensatz, namlich erstens zu der traditionellen Lehre von dem sogenannten ,,Automatismus" der Goldwahrung und zweitens und hauptsachlich zu der (unseres Erachtens grundfalschen) „Bedarfsgeldlehre" •— bekanntlich aus dem sogenannten Banking-Principle hervorgegangen und in deutscher Sprache insbesondere von A D . WAGNER, F. VON WIESER und (mit unwichtigen Modifikationen) von F R . BENDIXEN vertreten —• nach der die ideale Organisation der Geldversorgung darin bestehen soil, sich moglichst passiv den Schwankungen des in einem jeden Augenblick als eine eindeutig bestimmte GroBe betrachteten ,,Geldhedarfs" (bzw. Kreditbedarfs) anzupassen. 8 Wir sprechen in diesem Zusammenhang absichtlich nicht von der Gegenwart und der unmittelbaren Vergangenheit; denn die heutzutage vorliegenden Wirtschaftsverhaltnisse konnen ja offenbar mit gutem Gewissen uberhaupt nicht der ,,Anwendung" des liberalistischen Prinzips zugeschrieben werden, sondern sind vielmehr als das praktische Ergebnis eines schon ziemlich weit fortgeschrittenen Interventionismus zu betrachten.
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nicht neutral ist. Die Berechtigung dieser Voraussetzung wird im weiteren Verlaufe unserer Untersuchungen nocli naher zu begriinden sein. An dieser Stelle sei nur darauf hingewiesen, daB es sich hiebei zwar nach den heutzutage vorherrsehenden Ansichten um eine ziemliche Selbstverstandiichkeit zu handeln scheint, 1 daB aber in der traditionellen Auffassung — wie diese sich aus der Bekampfung des Merkantilismus entwickelt und unter alien Meinungsverschiedenheiten iiber untergeordneten Punkte im wesentlichen bis auf das Ende des neunzehnten Jahrhunderts 2 behauptet hat —• durchwegs der entgegengesetzte Standpunkt eingenommen zu werden pflegte.
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Diese letztere Auffassung, nach der das Dazwischentreten des Geldes an den Tauschverhaltnissen nichts Wesentliches andern konne, und die in der bekannten AuBerung J. STUART MILLS: „There cannot, in short, be intrinsically a more insignificant thing in the economy of society, than money" 3 ihre nahezu klassische Formulierung gefunden hat, diirfte sogar nach unserer Ansicht wohl mehr als irgendein sonstiger geldtheoretischer Irrtum — an denen es ja in der Geschichte der Nationalokonomie nie gefehlt hat! — fur die Entwicklung einer vernunftgemaBen Geld- und Kreditpolitik (und dadurch indirekt auch fur eine richtige Wiirdigung des wirtschaftlichen Liberalismus tiberhaupt) verhangnisvoll gewesen sein. Denn eben der Gedanke, daB das Geld seiner Natur nach schon von selbst neutral ist — oder doch nur unter ganz ahnormalen Umstanden nichtneutral werden kann — ist offenbar mehr als irgend etwas anderes dazu geeignet, den Weg zu der Auffassung zu verschlieBen, daB die Neutralitat des Geldes als solche etwas besonderes Wiinschenswertes sein konnte. Es miifite vielmehr die erstere Auffassung wenigstens im Prinzip uberwunden sein, bevor man iiberhaupt verniinftigerweise daran denken konnte, die Verwirklichung der Neutrahtat des Geldes zu einer Maxime der Geld- und ~Kieditpolitih zu erheben. DaB es bis in die jiingste Zeit4 gedauert hat, ehe ein mehr oder weniger erheblicher Teil der Geldtheoretiker sich zu diesem letzteren Standpunkt hat durchringen konnen, er1 Es ist allerdings fiir den friiheren unbegrundeten Glauben an die Neutralitat des Geldes schlechthin zweierlei an die Stelle getreten, und zwar erstens die weitverbreitete Uberzeugung von der Neutralitat des wertbestandigen Geldes — mit der wir uns im Laufe dieser Arbeit weiter auseinandersetzen werden — und zweitens das u. E . ebenfalls unbegriindete Vertrauen in die Neutralitat einer sich jeweils passiv nach dem angeblichen ,,Geldbedarfe" richtenden Geldversorgung (vgl. hiezu Arnn. x auf der vorhergehenden Seite). 2 Die entscheidende Wendung in dieser Anschauungsweise diirfte sich nach unserer Ansicht vollzogen haben innerhalb der gleichen Periode, in der die ,,moderne" Geldtheorie iiberhaupt ihren Anfang genommen h a t ; d. h. in der Periode von 1898 (WICKSELLS „Geldzins und Giiterpreise") bis 1912 (erste Auflage von MISES' „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel"). Unter dem Einflusse der Kriegs- und Nachkriegsereignisse hat sich dann auch in diesem Punkte die „neue" Auffassung ziemlich rasch durchsetzen konnen. 3 J. STUART MILL, Principles of Political Economy, I I I . Buch, Kap. V I I , Par. 3 (Ausg. ASHLEY, S. 488). (Zitiert nach HAYEK, Preise und Produktion, S. 119, Anm.) 4 Das heiCt etwa bis in die ersten Nachkriegsjahre; in dieser Zeit hat sich dann der Neutralitatsgedanke ziemlich rasch verbreitet. Vgl. z. B. die schon oben zitierten Arbeiten
VERRIJN STUARTS (1918) und BORTKIEWICZ' (1919) sowie die Stelle bei K. ELSTER (Die
Seele des Geldes, Jena 1920, S. 215), wo das Neutralitatsprinzip •— freilich unter einer anderen Benennung — als ein schon ziemlich allgemein anerkannter geldpolitischer Grundsatz erwahnt wird. (Die Tatsache, daB dieser letztere Autor, der bekanntlich als Anhanger des KNAPPschen Nominalismus in vielen Punkten den damals vorherrsehenden geldtheoretischen Ansichten in schroffster Weise entgegentrat, sich dennoch ohne Bedenken zu jenem geldpolitischen Grundprinzip bekannte, ist unseres Erachtens ein typischer Beweis fiir die relative Irrelevanz der dogmatischen Kontroversen iiber das ,,Wesen" des Geldes; siehe S. 246/7.)
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scheint uns aus diesem Grunde dann auoh kaum merkwurdig; viel eher sollte man es unseres Erachtens als etwas Merkwurdiges betrachten, da£ es —• wenn auch nur vereinzelt — innerhalb der Periode, in der die obenerwahnte MiLLsche Auffassung noch ziemlich unbestritten vorherrschte, iiberhaupt schon Autoren gegeben hat, die den Begriff des neutralen Geldes (sei es auch unter einem anderen Namen) mit einem unverkennbar normativen Akzent verwendet haben. 1 Wie dem aber auch sei, immerhin bleibt es im Rahmen der vorliegenden systematischen Untersuchung iiber das neutrale Geld unerlaBlich, unsere von der eben erwahnten traditionellen Lehre durchaus abweichende Meinung etwas ausfiihrlicher zu begriinden: und zwar haben wir dazu nicht nur nachzuweisen, da/5 das Geld iiberhaupt nichtneutral sein kann — bzw. daB es in Ermangelung einer bewuBten ausdrucklich auf Neutralisierung gerichteten Politik in aller Hegel nichtneutral sein wird •— sondern vielmehr in erster Linie auch, wieso es nichtneutral sein kann: d. h. in welchen konkreten Eigenschaften, bzw. Wirkungen des Geldes diese Nichtneutralitat iiberhaupt bestehen kann. Der Beantwortung dieser Fragen wird der nachste Abschnitt gewidmet sein. Vorher sind aber an dieser Stelle noch einige weitere SchluBfolgerungen zu erwahnen, die aus unseren bisherigen Ausfuhrungen unmittelbar hervorgehen, und die zumal fur die Beurteilung der praktischen Tragweite des Prinzips des neutralen Geldes nicht ohne Wichtigkeit sein diirften. Insbesondere die nachfolgenden vier Punkte sind in diesem Zusammenhang noch hervorzuheben:
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25. a) Die Erwagungen, die uns dazu veranlassen, das neutrale Geld als etwas wirtschaftlich Erwiinschtes zu betrachten, gehQren offenbar nicht der Geldtheorie im engeren Sinne an, sondern sind vielmehr zum Teil methodologischer und im iibrigen allgemein-wirtschaftstheoretischer (bzw. wirtschaftspolitischer) Natur. Der eigentlichen Geldtheorie gegenuber erscheint somit das Postulat eines neutralen Geldes als etwas von vornherein Gegebenes, innerhalb ihrer engeren Sphdre weder der Begrundung noch der Widerlegung Zugdngliches, wahrend es umgekehrt zu der Aufstellung, bzw. der Beurteilung dieses Postulates auch keineswegs einer vorherigen Stellungnahme zu den spezifisch geldtheoretischen Fragen —• wie etwa denjenigen des Zusammenhanges zwischen Geld und Kredit, der Bestimmungsgriinde des Geldwertes, der Tragweite der Quantitatstheorien usw. — bedarf; sogar eine genauere Definition des Begriffes,, Geld'' ist hiezu nicht einmal erforderlich. Der Geldtheorie im engeren Sinne 1 Unter diesen „Pionieren" des Neutralitatsgedankens ist u. E. in erster Linie K. HELFFERICH ZU nennen, von dem schon in der ersten Auflage seines Buches „Das Geld" (Leipzig 1903, S. 508 u. 528) der Begriff der „Indifferenz" des Geldes verwendet wurde, der sich fast vollstandig mit demjenigen der Neutralltat in dem obigen Sinne deekt. Das gleiche gilt auch von dem schon erwahnten MENGER-MisEsschen Begriffe der ,,inneren Wertbestandigkeit" des Geldes (siehe oben S. 221); und zwar wurde diese „innere" Wertbestandigkeit von jenen Autoren auch wirtschaftspolitisch der „auBeren" Wertbestandigkeit vorgezogen. Die Identitat zwischen dem ersteren dieser beiden Begriffe und dem der Neutralitat des Geldes ist u. a. von BEHBENS (a. a. O. S. 229) hervorgehoben und von HAYEK (Preise und Produktion, S. 30, Anm. 1) ausdrucklich anerkannt worden; nur die terminologische und analytische Anlehnung an den Begriff des Geldwertes ist hiebei zunachst etwas irrefiihrend.
Beitrage zur Geldtheorie.
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k o m m t in diesem Z u s a m m e n h a n g vielmehr n u r die Aufgabe zu, erstens d e m z u n a c h s t n u r n o c h a b s t r a k t definierten Begriff des n e u t r a l e n Geldes einen k o n k r e t e r e n I n h a l t zu g e b e n ; zweitens die Bedingungen darzulegen, die zur Verwirklichung eines n e u t r a l e n Z u s t a n d e s der Geldversorgung erfiillt w e r d e n miissen; u n d d r i t t e n s die Folgeerscheinungen eines d e r a r t i g e n n e u t r a l e n Z u s t a n d e s , u n d z u m a l a u c h d e r verschiedenen d e n k b a r e n w c t o i e u t r a l e n Z u s t a n d e der Geldversorgung, z u analysieren.
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b) Aus der in den vorhergehenden Paragraphen dieses Abschnittes dargelegten engen Verwandtschaft zwischen dem Prinzip des neutralen Geldes u n d der hberalistischen Wirtscbaftsauffassung geht anderseits ohne weiteres bervor, daB das erste Prinzip grundsatzlich nur unter dem gleichen Vorbehalte, der sich nach unseren obigen Erorterungen mit Bezug auf das Prinzip des Laissez-faire im allgemeinen als notwendig herausgestellt hat, als normative Grundlage der Geld- und Kreditpolitik anerkannt werden darf. Das heiBt also, daB aueb von der Neutralisierung des Geldes im Prinzip nie mehr zu erwarten ist als eben die weitmoglichste Annaherung des tatsachbchen Wirtschaftsverlaufes an das idealtypische Scbema der Gleichgewichtstheorien u n d infolgedessen eine Verwirklicbung des sogenannten ,,Produktions"Optimums; bingegen nicht eine Verbesserung der Kaufkraftverteilung u n d erst recbt nicbt die Verwirklicbung etwaiger auBerwirtscbaftlicben Zwecke! E s diirfte ubrigens in der Praxis gerade auf dem engeren Gebiete der Geldpolitik die Bedeutung dieses in der Tbeorie unentbehrlicben Vorbehaltes erbeblicb geringer sein als mit Bezug auf die Wirtscbaftspolitik im allgemeinen. I m Gegensatz namlich zu den sonstigen Gebieten der Wirtsebafts- u n d zumal der Sozialpolitik, wo es sieb bekanntlieb in zabllosen Fallen (wenn nioht ausdrucklicb dann doob implizite) entweder u m die Korrigierung der Kaufkraftverteilung oder aber u m die Verwirklichung irgendwelcber ,,auBerwirtscbaftlicben" Zwecke bandelt, ist dies unseres Erachtens innerhalb der engeren Sphare der Geldpolitik kaum je der Fall; 1 vielmebr bandelt es sicb bei nabezu samtlichen auf diesem Gebiete in Bet r a c b t kommenden MaBnabmen — sowobl den tatsachlich vorgenommenen wie aucb den von den verscbiedensten Seiten vorgescblagenen — fast ausschlieBlich um ,,rein wirtsckaftlicbe" Gesicbtspunkte, und zwar in dem engeren Sinne der Verwirklicbung einer optimalen Bedurfnisbefriedigung. Und insoweit dies der Fall ist, kann nach unserer Ansicht von einem Vorbehalte mit Bezug auf das Neutralitatsprinzip aucb nicht die Rede sein; denn eben im Rabmen dieser engeren Zielsetzung lassen sicb nach unseren obigen Ausfuhrungen grundsatzlich nur diejenigen wirtscbaftspolitiscben MaBnahmen rechtfertigen, von denen der Nacbweis erbracbt werden kann, daB sie die Tendenz haben, die Ubereinstimmung zwischen dem wirklichen Wirtschaftsablauf und dem idealtypischen Scbema der Gleichgewichtstheorien zu fordern; das heiBt also, mit Bezug auf etwaige geldpolitiscbe MaBnabmen, der Nachweis, dafi diese tatsdchlich dem, Neutralitatsprinzip entsprechen. Man konnte diesen Tatbestand aucb etwa so ausdriicken, daB zwar anerkannt werden soil, das spezielle Postulat des neutralen Geldes sei, ebenso wie der 1 Diejenigen Falle, wo die Inflation zu Hilfe genommen wird, um ein Defizit in den offentlichen Finanzen auszugleichen, konnten auf den ersten Bliek als eine wichtige Ausnahme auf diese Regel betrachtet werden. Jedoch unter solchen Umstanden kann unseres Erachtens vernunftigerweise uberhaupt nicht mehr von einer MaBnahme der ,,Geldpolitik", sondern nur noch von einem notgedrungenen Verzicht auf eine jede Geldpolitik uberhaupt die Rede sein!
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allgemeine Grundsatz des Laissez-faire, prinsipiell der Widerlegung durch einen ,,Gegenbeweis" zuganglich, jedoch in concreto sei es unmoglich — oder doch wenigstens noch nie ernsthaft versucht •—, diesen Gegenbeweis zu erbringen. Die Konsequenz aus alledem ist, daB (solange man sich nicht iiberhaupt auf einen dem Liberalismus prinzipiell entgegengesetzten Standpunkt stellt) in der Praxis die Neutralitat des Geldes wohl vorbehaltlos als das zentrale Prinzip einer vernunftgemaBen Geldpolitik anerkannt werden darf.1
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26. c) Auf Grand unserer vorhergehenden Betrachtungen ergibt sich weiter eine zunachst ganz eindeutige Antwort auf die Frage, nach wtlchen Kriterien man in etwaigen Zweifelsfallen zu entscheiden habe, ob irgendein in der Geldwirtschaft vorliegender Tatbestand dem Neutralitatsprinzip entspricht oder nicht. Die auf den ersten Blick wohl am nachsten liegende Antwort auf diese Frage — namlich, daB man zu jenem Zwecke einen Vergleich mit den Erscheinungen anzustellen habe, die sich unter sonst gleichen Umstanden in einer geldlosen Wirtschaft ergeben wurden — kann nach unseren obigen Ausfuhrungen nicht ohneweiters als richtig anerkannt werden; wenigstens nicht insoweit, als man bei den Worten „geldlose Wirtschaft" etwa eine wirklichkeitsgetreue Vorstellung einer Naturaltauschwirtschaft mit den daran unvermeidlich verbundenen vielfachen Friktionserscheinungen ins Auge fassen wiirde. Die unseres Erachtens richtige Antwort auf die obige Frage geht vielmehr dahin, daB als „Vergleichsobjekt" in diesem Zusammenhang ausschlieBlich die idealtypische Konstruktion einer reinen Tauschwirtsehaft nach dem Schema der Gleichgewichtstheorien in Betracht kommt, und zwar in dem Sinne, daB, wenn in irgendeinem Punkte zwischen zwei oder mehreren Varianten dieser idealtypischen Konstruktion gewahlt werden soil,2 die Entscheidung immer nach normativen Gesichtspunkten vorzunehmen ist: das heiBt also, daB dabei immer diejenige Variante zu wahlen ist, bei deren Verwirklichung sich eine den alternativen Moglichkeiten gegeniiber optimale Bediirfnisbefriedigung ergeben wiirde! — Nach unseren obigen Ausfuhrungen diirfte es hinreichend klar sein, daB bei diesem Verfahren keineswegs eine methodologisch unzulassige Verwischung der Grenzen zwischen theoretischer und normativer Betrachtungsweise vorliegt. 3 Die praktische Bedeutung dieser Erwagungen laBt sich vielleicht am besten mittels eines Beispieles erlautern. Es ist in der geldtheoretischen Literatur der jiingsten Zeit bekanntlich hier und dort4 die Frage erhoben worden, ob nicht in einer Naturalwirtschaft immer die Existenz von wesent1 Es ist diesen Erwagungen noch hinzuzufiigen, daB manche derjenigen MaBnahmen.mit denen tatsachlich die Verwirklichung anderweitiger Zwecke — zumaleine Korrektur derEinkommensverteilung — beabsichtigt wird, jene Aufgabe eben nur unter einem System neutraler Geldversorgung einwandfrei erfiillen konnen. Es gilt dies insbesondere mit Bezug auf solche MaBnahmen wie etwa die progressiven Einkommens- und Vermogenssteuern sowie auch diejenige der Sozialversicherung. 2 Siehe oben S. 235/6. 3 Siehe oben S. 236, Anm. 2 ; ob der Neutralitatsbegriff als solcher dem Gebiete des „Seins" oder dem des ,,Sein-sollens" angehort, erscheint uns allerdings aut Grund unserer bisherigen Betrachtungen als eine ziemlich muBige Frage. 4 Vgl. z. B. A. C. PIGOU, a. a. O. (Industrial Fluctuations) Ch. X I I , Par. 5. 16*
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lich groBeren ,,liquiden" Warenvorraten angenommen werden miiBte als diejenigen, die unter sonst gleichen Umstanden in einer Geldwirtschaft beibehalten werden; u n d zwar in dem Sinne, daB zu der Vorrathaltung aus prodnktions- bzw. distributionstechnischen sowie aus spekulativen Griinden (die es ja in der Geldwirtschaft selbstverstandlich auch gibt) angeblich in der Naturalwirtschaft noch eine weitere Art der Vorrathaltung hinzukommen wiirde, welche die Funktion der sogenannten ..Kassenhaltung" 1 aus der Geldwirtschaft zu ubernehmen h a t t e . Insoweit n u n auf Grund dieser Erwagung die Forderung erhoben wird, man solle bei der Unterscheidung zwischen neutralem u n d nichtneutralem Gelde aueh diesem „wesentlichen" Merkmal der als Vergleichsobjekt fungierenden Naturaltauschwirtschaft Rechnung tragen, liegt unseres Erachtens ein geradezu typischer logiscber Fehler vor. Dennbierbei wird ubersehen, (erstens) daB innerhalb der ublichen idealtypischen Konstruktionen der Gleichgewichtstbeorien zu einer „Kassenh a l t u n g " in diesem Sinne iiberhaupt keine Veranlassungbesteht, und (zweitens) daB bei einer etwaigen Erweiterung jener idealtypiscben Konstruktionen nacb. dieser Richtung bin — was allerdings rein tbeoretiscb moglieb ware — zugleiob die daraus entstebende Variante dem ursprunglicnen Idealtypus gegeniiber notwendig als sub-optimal ersobeinen miifite; denn eben die oben erwannte, nioht produktionstecbniscb usw. bedingte Vorratbaltung bedeutet offenbar, vom allgemein-wirtscbaffclicben Standpunkte der optimalen Bedurfnisbefriedigung aus betracbtet, gewissermaBen eine Guteiverschwendung.2 E s bandelt sicb hier also, bei Tagesliobt beseben, keineswegs u m ein „Wesensm e r k m a l " der reinen Tauscbwirtsobaft, sondern vielmebr — wie sicb aus unseren spateren Ausfiibrungen bezuglicb der Prage des sogenannten ,,Hortens" nocb ausfiihrlicber ergeben wird — u m die gedanklicbe Hypostasierung von einem der typiseb niohtneutralen Ziigen der Geldwirtscbaft!
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27. d) Auf der a n d e r e n Seite sei jedoch ebenso n a c h d r u c k l i c h d a r a u f hingewiesen, daB d e r in u n s e r e n obigen E r o r t e r u n g e n wiederholt verw e n d e t e A u s d r u c k ,,Gleichgewichtstheorien" keineswegs d a h i n interp r e t i e r t w e r d e n darf, daB m i t d e r N e u t r a l i s i e r u n g des Geldes e t w a die Verwirklichung eines „ s t a t i s o h e n " (bzw. , , s t a t i o n a r e n " ) Wirtschaftsz u s t a n d e s beabsichtigt wird. I m Gegenteil ist n a c h unserer Auffassung ein n e u t r a l e r Z u s t a n d d e r Geldversorgung a u c h u n t e r „ d y n a m i s c h e n " Verhaltnissen nicht n u r d u r c h a u s moglich, sondern es sind sogar g e r a d e in diesem F a l l e die K o n s e q u e n z e n einer etwaigen M c h t n e u t r a l i t a t des Geldes v o n besonderer Wichtigkeit. 3 Allerdings soil hierbei d e m U m s t a n d e B e c h n u n g g e t r a g e n werden, daB es in der g e s a m t e n wirtschaftstheo1 Vgl. zu diesem Begrifl unten S. 263 ff. Es sei indessen schon an dieser Stelle bemerkt, daB wir hierunter im allgemeinen samtliche Arten der Kassenhaltung, also auch diejenige in „giraler" Form verstehen. 2 Auch wenn man die unvermeidlichen Kosten der Vorrathaltung (einschlieClich der damit verbundenen Materialverluste und Risiken) iiberhaupt vernachlassigt, bleibt namlich noch immer die Tatsache iibrig, daB die betreffenden Guter jeweils erst in einem spateren Zeitpunkte der Konsumtion zugefuhrt werden konnen, als dies sonst moglich gewesen ware, und daB somit immer ein „Disagio" im BoHMschen Sinne erlitten wird, das nicht durch irgendeinen spezifischen Wertzuwachs wahrend der Lagerzeit aulgewogen wird (insoweit namlich ein derartiger Wertzuwachs tatsachlich stattfinden wiirde —• wie z. B. bei Saisongiitern —•, handelt es sich eben wieder um eine solche Vorrathaltung, die auch in der idealtypischen Naturalwirtschaft vorgenommen worden ware; vgl. auch unten § 90). 3 Es gilt dies speziell fur die Falle einer Anderung des sogenannten ,,Umsatzvolumens"; vgl. hierzu insbesondere S. 309ff.
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retischen Literatur wohl kaum ein vieldeutigeres Begriffspaar gibt als eben das der „Statik" und der „Dynamik", und daB es somit nicht von vornherein unmoglich erscheint, daB diejenigen Falle, die wir als typische Beispiele dynamischer Verhaltnisse betrachten, von anderen Autoren zu einem irgendwie erweiterten Begriff der Statik gerechnet werden. 1 Soviel soil aber jedenfalls gewiB sein, daB mit dem Ausdrueke „Gleichgewichtstheorien" in unseren bisherigen Ausfiihrungen keineswegs gemeint wurde, von dem Begriffe der Neutralitat des Geldes diejenigen Falle auszuschlieBen, in denen infolge sogenannter „exogener" Anderungen in den grundlegenden Daten der Wirtschaft (wie z. B. in der Art der menschlichen Bedurfnisse, in den technischen Bedingungen der Produktion, in den verfiigbaren Mengen der ursprunglichen Produktionsmittel usw.) 2 eine Verschiebung der Gleichgewichtslage stattfindet, und demzufolge eine „dynamische" Anpassung des Wirtschaftslebens an diese veranderten Daten notwendig wird. 3 Hingegen durften nach unserer Ansicht gewisse andere, spater noch genauer zu definierende Erscheinungen der wirtschaftlichen Dynamik — darunter zumal auch ein Teil derjenigen Anderungen, die man ublicherweise als „endogen" bezeichnet — tatsachlich unter einem System neutraler Geldversorgung in Wegfall kommen. 4
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28. Es sei an dieser Stelle schlieBlich noch hervorgehoben, daB sich mit Hilfe des Begriff es des neutralen Geldes auch die beiden vielumstrittenen Begriffe der ^Inflation", bzw. der „Deflation" wenigstens formal eindeutig definieren lassen, und zwar als die beiden JErscheinungsformen des nichtneutralen Geldes. Als „inflatorisch" gilt uns somit nach dieser Definition ein jeder Zustand, wobei die Geldversorgung — zumal die Neugeldschopfung •— iiber das MaB der Neutralitat hinausgeht, als „deflatorisch" hingegen der Zustand, wobei die Geldversorgung geringer ist als unter den jeweils gegebenen Umstanden dem Neutralitatsprinzip entsprechen wurde. Der sogenannte „Nullpunkt" der Inflation und. Deflation ist somit ex definitione mit dem Zustand neutraler Geldversorgung identisch. Es geht bieraus ohne weiteres hervor, daB nach unserer Terminologie den beiden Begriffen ,,Inflation" und ,,Deflation" in genau dem gleichen Sinne eine (diesmal naturlich ,,negative") normative Bedeutung beizulegen 1 Im Rahmen dieser Arbeit ist es selbstverstandlich unmoglich, zu den zahllosen sich hier ergebenden Kontroversen Stellung zu nehmen. Es sei hier nur noch hervorgehoben, daB wir nach dem Obigen zwar bereit sind, die „dynamischen" Erscheinungen in unserer Analyse mit hineinzubeziehen, jedoch uns keineswegs der heutzutage in weiten Kreisen iiblichen Unterschatzung der „statischen" Theorie als solcher anschlieBen. Es bleibt diese vielmehr nach unserer Ansicht, auch fiir die Analyse dynamischer Vorgange, eine durchaus unentbehrliche Grundlage. 2 Auch die etwaigen Anderungen in der sogenannten „interpersonalen" Reichtumsverteilung sind unseres Erachtens zu dieser Gruppe zu rechnen; siehe 331/2, Anm. 4 . 3 Ob es sich hierbei um „Iortschrittliche" oder aber um „rilckschrittliche" Anderungen handelt, ist fur den Begriff der ,,Dynamik" als solcher vollstandig gleichgiiltig. Es ist vielleicht in diesem Zusammenhange nicht ganz uberfliissig, hier mit allem Nachdruck hervorzuheben, daji den Begriffen „statisch", bzw. „dynamisch", nach unserer Ansicht keinerlei normative Bedeutung beizulegen ist. 1 Siehe unten S. 309, Anm. 1 u. S. 344/5.
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ist, als dies naoli unseren obigen Ausfuhrungen mit Bezug auf den Begriff des neutralen Geldes selbst der Fall war. Insoweit konnen wir una denn auch einer der ublichen Definitionen des Inflationsbegriffes, namlich ,,Inflation. ist eine jede ubermaBige Geldschopfung",1 durchaus anschlieBen. Im ubrigen enthalt jedoch unsere obige Definition von vornherein kein einziges der ublichen materiellen Merkmale des Inflations- bzw. Deflationsbegriffes, wie etwa das einer Steigerung bzw. Senkung des allgemeinen Preisniveaus, des Vorliegens eines MiBverhaltnisses zwisehen Geldversorgung und Produktionsumfang, einer Abweiohung von den Goldparitaten usw. Ob und inwieweit ein oder mehrere dieser Merkmale mit jener Definition kompatibel sind, wird sich vielmehr erst auf Grund unserer spateren Untersuchungen uber den konkreten Inhalt des Neutralitatsbegriffes herausstellen konnen. Wenn wir also in den weiteren Absebnitten dieser Arbeit den Ausdruck Inflation bzw. Deflation verwenden, soil damit zunachst nichts anderes als eben nur eine Abweichung von dem neutralen Zustande der Geldversorgung gemeint sein. Dritter
Abschnitt.
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Das nichtneutrale Geld und seine Erscheinungsformen.
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29. I n diesem Abschnitte wird die oben auf S. 241 erhobene Frage, wieso das Geld iiberhaupt nichtneutral sein hann, einer naheren Betraclitung unterzogen werden. Zu diesem Zwecke erweist es sich als notwendig, zuerst kurz darzulegen, was nach unserer Terminologie unter dem Ausdruck „Geld" verstanden werden soil. Es ist indessen nicht unsere Absicht, der ohnehin schon stattlichen Zahl der in der Literatur vertretenen Gelddefinitionen noch eine weitere hinzuzufiigen. Auch auf die zahlreichen dogmatischen Kontroversen iiber das „Wesen" des Geldes soil in dieser Untersuchung iiberhaupt nicht eingegangen werden. Und zwar unterlassen wir dies nicht nur etwa aus Raumriicksichten, sondern vielmehr auf Grund der Uberzeugung, daB die meisten diesem Problemkreise angeh5renden Fragen — zumal diejenigen, die sich auf den Gegensatz zwisehen „Realismus" 2 und „Nominalismus" (oder „Relativismus") beziehen — fiir unseren Zweck vollstandig irrelevant sind. Ob —- um nur einige der bekanntesten Streitfragen dieser Art hier zu erwahnen — das Geld ein ,,Gut" (bzw. „Ware") oder eine „Anweisung" sei, ob die Grenznutzenlehre sich auf das Geld anwenden lasse oder nicht, ob die rechtliche (bzw. staatliche) Natur des Geldes als „Zahlungsmittel" oder aber seine wirtschaftliche Natur als ,,Tauschmittel" primar sei usw. — dies alles ist uns im Rahmen der vorliegenden Untersuchung hochst gleichgiiltig. Mit Bezug auf die uns hier ausschlieBlich interessierenden „materiellen" Probleme des Geldwesens halten wir vielmehr eine sachliche Einigung zwisehen den 1
In diesem Sinne u. a. F R . BENDIXEN, Das Inflationsproblem, Stuttgart 1917, S. 13. Wir verwenden diesen Ausdruck anstatt ,,Metallismus" in Anlehnung an BEHRENS (a. a. O. S. 6), dessen Klassifikation der sich auf diesem Gebiete ergebenden Fragestellungen wir auch sonst im allgemeinen beistimmen. 2
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Anhangern der versohiedensten dogmatischen Lehrmeinungen tiber das ,,Wesen" des Geldes fur durchaus moglich. 1 Nur einer der dieser Kategorie angehorenden Fragen, namlich derjenigen, ob das Geld (sei es als Gut oder als Anweisung, als Tauschmittel oder als Zahlungsmittel) iiberhaupt als etwas Konkretes, d. h. also als ein Gegenstand der Bewertung unci des Tauschverkehrs betraehtet werden kann, oder aber ob das Geld (als ,,Rechnungseinheit", „Generalnenner aller Werte" usw.) nur als ein Abstraktum zu verstehen sei, soil in diesem Zusammenhang etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden; allerdings auoh dies nur in dem Sinne, daB wir uns der unseres Wissens zuerst von SCHTJMPETER2 und AMONN 3 vertretenen Auffassung anschlieBen, nach der diese Frage, "wenigstens in der obigen Formulierung, iiberhaupt keinen verniinftigen Sinn h a t ! Es ist namlich nach dieser Auffassung das Geld nicht eine einheitliche, sondem grundsatzlich eine dualistische Erscheinung: „Tauschmittel", bzw. „Zahlungsmittel", einerseits und „Wertmesser", bzw. „Rechnungseinheit", anderseits sind nicht etwa verschiedene „Funktionen" eines einheitlichen Objektes „Geld", sondern vielmehr zwei grundverschiedene Erkenntnisobjekte* Ob ,,das" Geld eine Ware (bzw. Anweisung) oder aber eine „abstrakte Rechnungseinheit" oder etwas derartiges (z. B. „Wertvorstellungsmittel") oder auch beides zugleich sei, erscheint somit als eine vollstandig gegenstandslose Frage; es gibt eben sowohl ein konkretes (oder ,,reales") wie auch ein abstraktes (oder „ideales") Geld, die zwar der auBeren Erscheinung nach in gewissen Hinsichten zusammenfalien konnen — wie z. B. die Rechnungseinheit „Reichsmark" einerseits und die auf Reichsmark lautenden Munzen, Noten und Giralguthaben anderseits — aber durchaus nicht immer zusammenfallen miissen.
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Letzteres hat sich in der Wahrungsgeschichte bekanntlich wiederholt beobachten lassen; als Beispiel erwahnen wir hier nur die letzte Phase der Nachkriegsinflation in Deutschland, als zwar die entwerteten Markscheine noeh uberwiegend als Tauseb- und Zahlungsmittel fungierten, jedooh fast samtliche Kalkulationen, Preisfestsetzungen und zumal auoh Kreditgeschafte nicht mehr in der entwerteten Mark, sondern in Dollar bzw. in ,,Goldmark" vorgenommen wurden. Etwas ahnliches laBt sich iibrigens — obwohl vereinzelt — auch im Falle des Auslandsreisenden beobachten, der, solange er 1 Allerdings sind die Gefahren einer einseitig-dogmatischen Stellungnahme zu diesen Fragen nicht ganzlich abzuleugnen; es tritt dies z. B. dann zutage, wenn lediglich aul Grund des angeblichen ,,Anweisungs"charakters des Geldes auf die wirtschaftspolitische Notwendigkeit seiner konstanten Kaufkralt geschlossen wird, wobei dann —• unseres Erachtens uuberechtigterweise —• die juristisch-dogmatisehe These unterschoben wird, daB von einer ,,Anweisung" nur mit Bezug auf quantitativ bestimmte Warenmengen die Rede sein kann. 2 J . SCHUMPETER, Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalokonomie, Leipzig 1908, S. 288ff. 3 A. AMONN, Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalokonomie, Wien u. Leipzig 1911, S. 342ff. Von den sonstigen Autoren, die sich zu einer ahnlichen Auffassung bekennen, soil hier nur noch A. SOMMER (Das Geld und die Erscheinungsformen der Werteinheit, Conrads Jahrbilcher 1929, Bd. 130, S. 31 ff.) erwahnt werden; in Holland hat sich insbesondere M. W. HOLTROP (De Omloopssnelheid van het Geld, Amsterdam 1928, S. 78 ff.) dieser Betrachtungsweise angeschlossen. 4 Als ein ausgesprochener Gegner dieser Auffassung in der jungsten Literatur soil hier nur S. BUDGE, „Lehre vom Geld", Bd. 1, „Wesen und Wert des Geldes" Jena 1931, S. 20 ff. und passim, erwahnt werden.
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noch nicht gelernt hat, ,,in der f remden Wahrung zu denken", genotigt ist, jeden einzelnen Preis in seine eigene Geldeinheit umzurechnen; das Heimatsgeld bleibt ihm also „Wertvorstellungsmittel", obwohl er sieh bei seinen Tauschgeschaften selbstverstandlich des konkreten Geldes seines Aufenthaltsortes bedienen muB. 1 Jedoch auch in dem ,,normalen" Falle, wo die Einfieit des Tauschmittels und die Rechnungseinheit tatsachlich zusammenfallen, bleiben das konkrete u n d das abstrakte Geld begrifflieii zwei durchaus verschiedene Sachen, obwohl hier allerdings die Moglichkeit einer gewissen Wechselwirkung zwischen den beiden nicht von vornherein in Abrede gestellt werden kann. Es diirfte fur die geldtbeoretiscbe Diskussion immerhin nicht obne Bedenken sein, daB ftir diese ganzlich verschiedenen Erkenntnisobjekte durchwegs nur ein einziges Wort ,,Geld" verwendet wird; weil aber von den bisweilen vorgeschlagenen alternativen Ausdriicken — wie z. B. ,,Zahlgeld" u n d ,,Zahlgeld" nach VON GOTTL 2 — kein einziger sich bisher geniigend eingebiirgert bat, werden wir uns auch in diesem Aufsatze der herkommlichen Terminologie bedienen und nur in etwaigen Zweifelsf alien dem Worte „ G e l d " das Adjektiv ,,konkret" bzw. „ a b s t r a k t " 3 hinzufugen.
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30. W a s n a c h dieser Terminologie u n t e r a b s t r a k t e m Geld z u vers t e h e n ist, wird n a c h d e n obigen Ausfiihrungen hinreichend k l a r geworden sein. E s bleibt n u r n o c h hinzuzufugen, daB a u c h die F u n k t i o n des Geldes als S c h u l d e n a u s d r u c k s m i t t e l („ S t a n d a r d of deferred p a y m e n t s " n a c h MAKSHALL 4 ) d u r c h a u s dieser S p h a r e a n g e h o r t . 5 — Bei der g e n a u e r e n Be-
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griffsbestimmung des k o n k r e t e n Geldes ergeben sich jedoch z u n a c h s t e t w a s m e h r Schwierigkeiten. I n d e m Z u s a m m e n h a n g dieser U n t e r s u c h u n g empfiehlt es sich unseres E r a c h t e n s schon bei der Definition des C e l d begriffes in erster Linie diejenigen M e r k m a l e h e r v o r z u h e b e n , d u r c h die die Geldwirtschaft sich funhtionell v o n der reinen T a u s c h w i r t s c h a f t u n t e r s c h e i d e t ; d a s ist also die E x i s t e n z einer G r u p p e v o n T a u s c h o b j e k t e n , d e r e n erfahrungsgemaB existierender u n d somit als solcher n i c h t a b zuleugnender 6 objektiver u n d subjektiver Tauschwert sich n i c h t — oder 1 Vgl. hiezu u. m. HOLTROP, a. a. O. S. 79/80; schon aus diesen wenigen Beispielen geht u. E. hervor, daB man zur Darlegung dieses Tatbestandes keineswegs auf die fast legendarische „Makute" der Angola-Neger zuriickzugreilen braucht. 2 F . v. GOTTL, Die wirtschaftliche Dimension, 1923, S. 169 (zitiert nach SOMMER, a. a. O. S. 34). 3 Mit diesem Worte ,,abstrakt" ist freilich nicht gemeint, daB wir uns etwa der extremen Auffassung anschliefien, nach der eine Rechnungseinheit auch unabhangig von irgend welchen konkreten ,,Wertvorstellungen" denkbar ware. Es handelt sich vielmehr nur darum, daB diese Einheit nicht immer der Einheit des gleichzeitig in der betrelfenden Tauschgemeinschaft verwendeten konkreten Geldes zu entsprechen braucht. Eine unseres Erachtens einwandlreie Darstellung der Beziehungen zwischen dem konkreten und dem abstrakten Gelde uberhaupt lindet sich bei SOMMER, a. a. O. S. 39/40 u. 75. 4 A. MARSHALL, Remedies for Fluctuations of General Prices, 1887 (aufgenommen in den Memorials of Alfred Marshall, herausgegeben von PIGOU, London 1925), S. 188. 6 Hingegen ist die Funktion des Geldes als „Wertaufbewahrungsmittel" wieder dem konkreten Gelde zuzurechnen. Eine gewisse Schwierigkeit ergibt sich nur mit Bezug auf die Funktion des Geldes als ,,gesetzliches Zahlungsmittel", weil dieser Ausdruck selbst dualistischer Natur ist und sich, genau betrachtet, eben nur in denjenigen Fallen anwenden laCt, wo die Einheit des konkreten Geldes und die des abstrakten Geldes tatsachlich zusammenfallen. 6 Den diesbeziiglichen Widerlegungsversuch K. ELSTERS in seinem Aufsatze ,,Vom Werte, den das Geld nicht hat", Conrads Jahrb. 1921, Bd. 116, S. 507, betrachten wir, wenigstens mit Bezug auf den Tauschwert des konkreten Geldes, als durchaus mifllungen; es sei denn, daB es sich hierbei — wie dies aus den Betrachtungen des Verfassers auf S. 524
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doch wenigstens nicht vollstandig — aus ihrem vielleicht, aber nicht notwendig, auch vorhandenen subjektiven Gebrauchswert ableiten laBt. Unter Verwendung von einem Stuck KNAPPscher Terminologie — womit wir uns im iibrigen keineswegs zu den Lehrmeinungen dieses Verfassers bekennen! — laBt dieser Tatbestand sich auch etwa so ausdriicken, da8 es in der Geldwirtschaft, im Gegensatz zu der idealtypischen Naturaltauschwirtschaft, 1 eine Gruppe von Objekten gibt, die den wirtschaftenden Menschen nicht (oder doch wenigstens nicht nur) eine direkte oder indirekte „reale" Befriedigung, sondern vielmehr in erster Linie nur eine „zirkulatorische" Befriedigung gewahren. 2 Sdmtliche Objekte, die diesem Kriteriurn entsprechen, werden somit von uns unter dem Namen „Geld" zusammengefaflt.
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Es umfaBt dieser Ausdruck also neben dem Gelde im engeren Sinne •— engl.: „Currency" — (erstens) all dasjenige, was z. B. durch MISES 3 als „Geldsurrogate" bzw. ,,Umlaufsmittel" angedeutet wird, darunter insbesondere das sogenannte Giral- oder tjberweisungsgeld4 — womit wir also implizite, uns der uberwiegenden Melirheit der modernen Geldtheorien anschlieBend, die Moglichkeit der „ Geldsehopfung" durch die Krediterteilung der Privatbanken und nicht nur durch diejenige der Notenbanken anerkennen5 — (zweitens) das sogenannte private Kreditgeld, d. h. Handelswechsel und Promessen, insoweit diese wahrend ihrer Laufzeit ein oder mehrere Male als Zahhmgsmittel „die Hande wechseln", (drittens) samtliche Arten des sogenannten Notgeldes, und schlieBlich auch das falsche Geld. Letztere Behauptung, die zunachst vielleicht etwas paradox anmutet, rechtfertigt sich durch die tJberlegung, daB die inflatorischen Folgen einer Geldfalschung (wenigstens solange die Falsifikate in der Zirkulation verbleiben) denjenigen einer jeden anderen Form der Inflation, zumal der direkten Ausgabe von Staatspapiergeld, funktionell vollstandig identisch sind.6
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31. Aus der oben dargelegten dualistischen Auffassung mit Bezug bis 526 hervorzugehen scheint — tiberhaupt nur um eine terminologische Frage handein dilrfte. Mit Bezug aut das abstrakte Geld stimmen wir hingegen der ELSTERSchen Auffassung in dieser Hinsicht im wesentlichen bei (vgl. auch S. 252, Anm. 4 ). 1 Zwar gibt es bekanntlich auch in einer solchen Wirtschaft Giiter, die fur ihre individuellen Besitzer keinen Gebrauchswert und dennoch Tauschwert haben; jedoch dieser Tauschwert ist dann doch immer auf einen direkten oder indirekten Gebrauchswert dieser Giiter fiir irgendwelche andere Wirtschaftssubjekte zuruckzufuhren. Eben dieses trifft hingegen mit Bezug auf das Geld nicht oder doch wenigstens nicht notwendig zu. Insoweit bekennen wir uns mithin zu einer ,,Derivativwerttheorie" (im Gegensatz zu einer „Originarwerttheorie") des Geldes: vgl. BEHRENS, a. a. O. S. 4ff. 2 G. F . KNAPP, Staatliche Theorie des Geldes, 2. Aufl., Leipzig 1918, Par. 3, S. 37 ff. 3 L. MISES, a. a. O. (2. Aufl.), S. 23ff. u. 264ff. 4 Auch das Giralgeld rechnen wir also zu dem konkreien Gelde; die gegenteilige, insbesondere von R. LIEFMANN (Geld und Gold, Stuttgart u. Berlin 1916, S. 97ff.) vertretene Auffassung fuhrt zu durchaus unklaren Ergebnissen, die sogar leicht dazu Anlafi geben konnen, daB man die unseres Erachtens richtige Bedeutung des abstrakten Geldbegriffes tiberhaupt aus dem Auge verliert. 5 Vgl. hiezu schon HARTLEY WITHERS, The Meaning of Money, 1st. ed. London 1909 (deutsche Ubersetzung von PATZAUER, Geld u. Kredit in England, Jena 1911). In deutscher Sprache wohl zuerst J. SCHUMPETER, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1. Aufl. (1912), S. 202ff., und MISES, a. a. O., 1. Aufl. (ebenfalls 1912), S. 301 ff.; spater zumal A. HAHN, Volkswirtschaftliche Theorie des Bankkredits, 1. Aufl., Tubingen 1920, 3 . — unseres Erachtens wesentlich verbesserte! — Aufl., ebenda 1930. Heutzutage ist diese Theorie bekanntlich fast allgemein anerkannt worden. 6 Fur weitere Ausfiihrungen zu den hier nur gestreiften Fragen und zumal fiir eine griindlichere Klassifikation der Geldarten erlauben wir uns auf unsere eingangs erwahnte hollandische Arbeit zu verweisen.
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auf das Geld iiberhaupt geht nun hervor, daB es wenigstens im Prinzip auch zwei Arten der Nichtneutralitat des Geldes geben kann — eben die des abstrakten und die des konkreten Geldes — und daB diese jede fur sich gesondert zu untersuehen sind. Und zwar gilt dies nicht nur etwa fur die mehr oder weniger abnormalen Falle, wo das konkrete und das abstrakte Geld faktisch nicht zusammenfalien, sondern prinzipiell ebensogut auch fur den gegenteiligen Fall, sei es auch, daB dort eine gewisse Wechselwirkung zwischen den Einfliissen des abstrakten und denen des konkreten Geldes nach unseren obigen Ausfiihrungen nicht von vornherein unmoglich erscheint. In dem gesamten Schrifttum iiber die Probleme der Inflation, bzw. Deflation ist nun aber (mit einigen wenigen Ausnahmen, unter denen wiederum in erster Linie die HAYEKschen Arbeiten zu erwahnen sind) den nichtneutralen Wirkungen des abstrakten Geldes — zumal denjenigen, die unmittelbar aus der Funktion des Geldes als Schuldenausdrucksmittel hervorgehen •— regelmaBig weit mehr Beachtung geschenkt worden als denen des konkreten Geldes. Ganz besonders gilt dies fur die erste der drei auf S. 218ff. erwahnten Gruppen von Anhangern des Stabilisierungsgedankens, von der w i r l . FiSHEBalsdentypischenVertreterhervorhoben. Zwar handelt es sich bei dieser Gruppe uberwiegend um Autoren, die den Begriff des neutralen Geldes als solchen nicht systematisch herausgearbeitet haben, und die sich zum Teil sogar dieses Begriffes iiberhaupt nicht bewuBt geworden sein durften; jedoch dies hindert nicht daran, daB zumal der FiSHEEsche Begriff „The Money Illusion" sich demlnhalte nach weitgehend mit demjenigen deckt, das wir als die nichtneutralen Wirkungen des abstrakten Geldes bezeichnen. Es soil damit zwar keineswegs behauptet werden, daB die betreffenden Autoren sich nicht auch mit den Problemen des konkreten Geldes beschaftigt haben (die Tatsache, daB sie sich uberwiegend zu irgendeiner Variante der Quantitatstheorie bekennen, deren Gegenstand ja in erster Linie die Menge des konkreten Geldes ist, beweist schon geniigend das Gegenteil!), aber die Erscheinungen des konkreten Geldes sind ihnen im Prinzip doch nur wegen ihrer Puuckwirkungen auf das Gebiet des abstrakten Geldes von Interesse. Die Quantitatstheorien, die ja bekanntlich den Zweck haben, die Beziehungen zwischen der — konkreten — Geldmenge und dem —• zunachst ebenfalls auf das konkrete Geld bezogenen —- Geldwert darzulegen, bilden eben, insoweit die Einheit des konkreten Geldes tatsachlich mit der Einheit der Wertmessung, bzw. der Forderungen und Schulden zusammenf allt, zugleich die „Brucke", die von dem Gebiete des konkreten Geldes zu demjenigen des abstrakten Geldes hiniiberleitet. Indem sich nun das Neutralitatsprinzip erst allmahlich aus den fruher skizzierten anderweitigen Gedankengangen beziiglich der Inflation und Deflation zu einem selbstandigen Theorem entwickelt hat, ist es dessen Vertretern anscheinend nur ausnahmsweise gelungen, sich ganzlieh aus dem Banne dieser einseitigen Uberschatzung der abstrakten Natur des Geldes zu befreien. Fur eine unvoreingenommene Stellungnahme zu dem gesamten Problemkreis des neutralen, bzw. nichtneutralen Geldes
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ist diese Betrachtungsweise indessen nicht ohne schwerwiegende Bedenken. Zwar liegt es keineswegs in unserer Absicht, die Existenz jener eben erwahnten Kategorie von nichtneutralen Erscheinungen in Abrede zu stellen oder deren groBe praktische Bedeutung irgendwie herabzusetzen; vielmehr sind wir sogar der Ansicht, daB die Folgen der FiSHERschen „Geldillusion" sich auf ein noch viel weiteres Gebiet als nur dasjenige der in der Geldeinheit ausgedriickten Forderungen und Schulden erstrecken konnen. 1 Was wir jedoch auf das entschiedenste bestreiten, ist der mancbmal implizite, manchmal aber — so z. B. noch jiingstlich in ganz krasser Form in der Besprechtmg der englischen Vortrage Prof. H A Y E K S durch P. SEAEFA 2 — auch ausdrucklich ausgesprochene Gedanke, daB die Nichtneutralitat des Geldes sich in dieser Gruppe von Erscheinungen uberhaupt erschopfe, und daB also mit deren Eliminierung zugleich das ganze Problem der Nichtneutralitat des Geldes aus der Welt geschafft ware. Nach unserer Auffassung tritt vielmehr gerade erst unter dieser Hypothese das eigentliche .,vitium originis" der Inflation, bzw. Deflation rein zutage, wahrend dies sonst nur allzuleicht von zwar praktisch wichtigen, jedoch prinzipiell als sekundar zu betrachtenden Nebenerscheinungen verschleiert wird.
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32. Aus der soeben von uns bestrittenen einseitigen Auffassung iiber die Nichtneutralitat des Geldes laBt sich nun unseres Erachtens in erster Linie wohl auch die — sonst ganzlich unverstandlich erscheinende — Einmutigkeit erklaren, mit der weitaus die meisten Autoren, die in ihrer Analyse den Begriff des neutralen Geldes uberhaupt verwenden, diesen ohneweiters mit dem des „wertbestandigen" Geldes zu identifizieren pflegen. 3 Und zwar kann nach unserer Ansicht diese Identifizierung innerhdlb jener sich einseitig auf die Neutralitdt des abstrakten Geldes beziehenden Problemstellung, wenn auch nicht vollstandig, so doch wenigstens annaherungsweise tatsachlich als richtig anerkannt werden; wahrend auf der 1 Es sind zu der Nichtneutralitat des abstrakten Geldes unseres Erachtens sogar auch gewisse Erscheinungen zu rechnen, die Uberhaupt von der ,,Zeitdimension" unabhangig sind und einzig aus der direkten ,.Suggestion der absoluten Zahl" hervorgehen. Es sei in diesem Zusammenhang nur an die allgemein bekannte Tatsache erinnert, daB die Differenz zwischen einem Preise von Mk 9,85 und einem von Mk 9,95 den meisten Menschen psychologisch weit weniger bedeutend erscheint als diejenige zwischen dem letzteren Preise und einem von Mk 10,05; diese und ahnliche Falle sind uns hauptsachlich deshalb wichtig, weil sie schon von vornherein klar machen, daB die Stabilisierung des Geldwertes — die sich eben nur auf die Erscheinungen in der Zeitdimension erstreckt •— die Nichtneutralitat des abstrakten Geldes niemals vollstandig zum Verschwinden bringen kann. 2 P. SRAFFA, Dr. Hayeks views on Money and Capital, Econ. Journal 1932, Vol. X L I I , S. 42(f. Der von HAYEK in jenen Vortragen wohl zuerst in die englische Sprache eingefuhrte Ausdruck ,,neutral money" war jenem Kritiker offenbar neu und hatte somit von ihm an und fur sich ebensogut nach der Seite des konkreten Geldes hin interpretiert werden konnen, wie dies von HAYEK, seiner ganzen weiteren Argumentation gemaB, zweifelsohne beabsichtigt war. Es konnte unseres Erachtens nur die herkommliche tJberschatzung der Erscheinungen des abstrakten Geldes den Referenten zu der These veranlassen, daB, insoweit man von den in Geld ausgedriickten Forderungen und Schulden sowie von der Starrheit der Geldpreise, bzw. der Geldlohne abstrahiert, das Geld dadurch eo ipso neutral werden muB, gleichgultig oh die Geldmenge sich iindert oder nicht (a. a. O. S. 44). Angesichts derartiger AuBerungen durfte man allerdings wohl beinahe daran verzweifeln, die in jenem Gedankenkreise festgebannten Theoretiker uberhaupt je von der MSglichkeit, bzw. der Bedeutung der nichtneutralen Wirkungen des konkreten Geldes ilberzeugen zu konnen! 3 Vgl. hierzu auch oben, S. 220 ff.
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a n d e r e n Seite eine mehr als n u r a n n a h e r u n g s w e i s e richtige L o s u n g dieses P r o b l e m s der K e u t r a l i t a t des a b s t r a k t e n Geldes — i m Gegensatz z u d e m des k o n k r e t e n Geldes, m i t d e m wir u n s n a c h h e r n o c h ausfiihrlicher beschaftigen w e r d e n — u n s schon d e r N a t u r der Sache nacb. utopisch erscheint.
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Zur Begriindung dieser doppelten These haben wir uns zunachst zu vergegenwartigen, daB die Wirkungen des abstrakten Geldes kraft ihrer N a t u r nur psychologischer Art sein konnen. Es k o m m t hierbei eben im Grunde alles auf die Wertvorstellungeri1 der wirtscbaftenden Individuen an, die sich in der idealtypischen ,,reinen" Tauschwirtschaft unmittelbar auf die von den verschiedenen Giitern zu gewahrende direkte oder indirekte Bediirfnisbefriedigung, in der Geldwirtsckaft bingegen iiberwiegend nur auf die in der Geldeinbeit ausgedriickten Preise dieser Guter bezieben. Und zwar gilt dies im Prinzip sowobl von den Wertvorstellungen mit Bezug auf die jeweilige Gegenwart als aucb von denen, deren Objekt entweder in der Vergangenheit 2 oder in der Zukunft liegt. „Nichtneutralitat des abstrakten Geldes" liegt somit naeb unserer obigen Definition jedesmal dann vor, wenn diese Ablenkung des wirtscbaftlicben Inter esses von dem ,,Kealwert" der Guter auf deren in der Geldeinbeit ausgedriickten „Nominalwert" die Dispositionen der Wirtschaftssubjekte — darunter aucb, jedocb nicbt ausscbbefilicb, solcbe Dispositionen, die ein in der Geldeinbeit ausgedriicktes obbgatoriscbes Verbaltnis begriinden — in einem von dem idealtypischen Verhalten des sogenannten „Homo oeconomicus" abweicJienden Sinne beeinflufit.3
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Aus dieser naheren Begriffsbestimmung gebt nun zunachst klar bervor, daB es sicb bei der Nichtneutralitat des abstrakten Geldes tatsachlich in erster Linie um eine Frage des Geldweries, u n d zwai — auf den ersten Blick merkwiirdigerweise 4 — um den Wert des konkreten Geldes bandelt. Es gilt dies jedocb nur unter dem ganz wesentlicben Vorbebalt, dafJ fur die Dispositionen eines jeden einzelnen Wirtsehaftssubjektes nur dessen Wertvorstellungen mit Bezug auf bestimmte fur ihn personlich relevante Outerkategorien wichtig sind u n d daB also in .diesem Zusammenhang aucb nicbt der sogenannte 1 Der Ausdruck ,,Wertvorste]lungsmittel" (bzw. „Wertausdrucksmittel") erscheint uns deshalb zur Charakterisierung der Funktion des abstrakten Geldes auch am besten geeignet, jedenfalls weit mehr als der vielumstrlttene Ausdruck „Wertmesser". 2 Die sich auf die Vergangenheit beziehenden Wertvorstellungen sind zumal im Zusammenhang mit der vielfach ilblichen — unseres Erachtens prinzipiell verfehlten! — „retrospektiven" Methode der Kostenberechnung von Bedeutung: so z. B. dort, wo in Inflationszeiten ein „Gewinn" kalkuliert wird, wenn irgendeine Ware zu einem hoheren Nominalpreis verkauft wird, als sie eingekauft wurde, obwohl der ,,prospektiv" bemessene Kaufpreis •— d. h. also der Wiederbeschaffungspreis — jenen Verkaufspreis betrachtlich iibersteigt (vgl. z . B . I. FISHER, The Money Illusion, S. 7ff.). Es dilrfte allerdings ungerecht sein, diese Erscheinungen zur Ganze auf das Konto der GeWillusion zu stellen! 3 Es handelt sich hiebei naturlich nicht um diejenigen Falle, in denen mehr oder weniger bewuBt nach auBerwirtschaftlichen Gesichtspunkten disponiert wird, sondern vielmehr um jene, in denen die betreffenden Wirtschaftssubjekte, von der Geldillusion getauscht, in der Meinung verkehren, daB sie rein ,,wirtschaftlich" handeln. 4 Bei genauerer Betrachtung erscheint dies freilich weniger merkwiirdig, und zwar aus dem einfachen Grunde, dafl das abstrakte Geld uierhaupt keinen ,,Wert" hat. Was man z. B. in der Inflationszeit unter dem ,,Wert" einer Goldmark — der damals nur in abstracto existierenden Geldeinheit •— verstand, war ja im Grunde nichts anderes als der Wert derjenigen konkreten Gegenstande (inklusive entwerteter Markscheine), deren in ,,Goldmark" ausgedrilckter Preis jeweils gleich eins war. Das gleiche gilt prinzipiell auch unter geordneten Wahrungsverhaltnissen: allein gibt es dort regelmiiBig einen speziellen Gegenstand, dessen in ,,Reichsmark", ,,Gulden" usw. ausgedruckter Preis immer gleich eins ist: namlich die Einheit des entsprechenden konkreten Geldes (vgl. hierzu auch HOLTROP, a. a. O. S. 79).
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„allgemeine" Geldwert — bzw. dessen reziproke GroBe, das ist der gewogene oder uiigewogene Durchschnitt sdmtlicher Preise — sondern vielmehr nur der subjektive Geldwert fur die einzelnen Wirtschaftssubjekte, bzw. (nach der Terminologie VON W I E S E E S 1 ) ihr ,,personlieber Ausschnitt aus dem Preisstande" ins GewioM fallt. Ftir ein jedes einzelne Wirtschaftssubjekt ist somit die Neutralitat des abstrakten Geldes dann, jedoeh auch nur dann verwirklieht, wenn seine mit bestimmten in Geld ausgedriickten Nennbetragen verbundenen Wertvorstellungen mit dem ,,wirklieben W e r t " der entsprechenden Geldbetrage, gemessen an den Preisen jener ftir inn personlieh relevanten Gtiter in dem entspreehenden Zeitpunkt in Gegenwart, Vergangenbeit oder Zukunft ubereinstimmen.
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33. Eine solebe tTbereinstimmung zwischen Wertvorstellungen und Wirkliebkeit ware nun prinzipiell in zwei Weisen zu verwirklieben, namlich entweder indem man die Wertvorstellungen mit der als gegeben betracbteten Wirklicbkeit, oder aber indem man die Wirkliobkeit mit den als gegeben betracbteten Wertvorstellungen in Einklang zu bringen versucht. Auf die erste dieser beiden Metboden — die offenbar im Grunde nichts anderes bedeuten wiirde als eine Art von ,,Erziehung" samtlicher Wirtschaftssubjekte, damit sie lernen, ,,in Giitern" a n s t a t t ,,in Geld zu d e n k e n " u n d dementspreebend zu handeln — soil bier indessen niebt weiter eingegangen werden, weil diese Metbode in der Praxis wohl k a u m einen erbeblicben Erfolg zu versprecben sobeint; prinzipiell ist es allerdings niebt uninteressant, bier zu bemerken, daB bei etwaiger erfolgreioher Anwendung dieser Metbode tatsacblicb sebon allein dadurcb die Nichtneutralitat des abstrakten Geldes — selbstverstandlich aber niebt diejenige des konkreten Geldes — vollstdndig zum Verscbwinden gebracbt werden konnte. 2 Von groBerer Bedeutung ist uns hingegen die umgekebrte Metbode, also die Annaherung der Wirklicbkeit an die jeweils gegebenen Wertvorstellungen; denn im Grunde ist es n a c b unserer Ansiobt eben dies, was der Mebrbeit der Befurworter einer Geldwertstabilisierung in mebr oder weniger klarer Fassung vor Augen schweben durfte. Allerdings muB bierbei als das feblende Glied der logiscben K e t t e nocb eine weitere Voraussetzung eingescbaltet werden, u n d zwar die, daB den Wertvorstellungen der Wirtschaftssubjekte, insoweit diese sieb auf zukiinftige Geldbetrage erstrecken, durebwegs die mebr oder weniger bewuBte Erwartung unveranderter durchscbnittlicber Preise zugrunde liegt; denn ware dies etwa niebt der Fall, dann wiirde siob auob offenbar infolge einer faktiscben Stabilisierung des ,,allgemeinen Preisniveaus" niebt eine tjbereinstimmung, sondern vielmebr gerade dadurcb eine Divergenz zwiscben der Wirklicbkeit u n d jenen Wertvorstellungen ergeben. I n diesem Z u s a m m e n h a n g t r e t e n n u n a b e r zugleich die prinzipiell schwachen Seiten des Stabilisierungsprogramms k l a r z u t a g e , a u c h w e n n v o n d e n technischen Schwierigkeiten, die sich dessen p r a k t i s c h e r Verwirklichung entgegensetzen durften, z u n a c h s t ganz abgesehen wird. E s ergibt sich n a m l i c h a u s u n s e r e n obigen A u s f u h r u n g e n o h n e weiteres, daB dieses P r o g r a m m erstens n u r denjenigen Erscheinungsformen der Geld1 F R . V. WIESER, „Der Geldwert und seine Veranderungen" und ,,t)ber die Messung der Veranderungen des Geldwertes", Schriften d. Ver. f. Sozialpolitik, Bd. 132, Leipzig 1910, S. 509 u. 546. 2 Vollstandig: denn jene nicht idealtypischen Handlungen, die nachher noeh ilbrig bleiben wilrden, waren ja nicht langer dem Binflusse des Geldes als solchen, sondern ausschlieBlich anderweitigen Friktionsmomenten zuzuschreiben.
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illusion gegeniiber Abhilfe bringen kann, die sich iiberhaupt in der „Zeitdimension" erstrecken; zweitens, daB es seinen Zweck verfehlen muB, insoweit den Wertvorstellungen der betreffenden Wirtschaftssubjekte bewuBt oder unbewuBt eine andere ,,Erwartung" als eben die der Stabilitat des durchselinittlichen Geldwertes zugrundeliegt; und drittens — wohl das Wichtigste — daB selbst, wenn letzteres im allgemeinen nicht der Fall sein diirfte, dennoch eben dieser „durchschnittliclie Geldwert" fur jedes einzelne Wirtschaftssubjekt etwas V erschiedenes bedeutet, weil er von einem jeden auf seinen „personlichen Preisausschnitt" bezogen wird. Die groBte Schwierigkeit des Stabilisierungsprogramms — den dessen Vertreter sich unseres Erachtens nicht immer geniigend vergegenwartigt haben 1 — ist somit diese, daB einerseits eine nur halbwegs vollstandige Eliminierung der „Geldillusion" im Prinzip nicht nur die Stabilisierung irgendeines allgemeinen Preisdurchschnittes, sondern vielmehr — zumindestens! — eine Stabilisierung samtlicher individuellen „Preisausschnitte" erfordern wiirde, wahrend auf der anderen Seite die Durchfiihrung eines jeden derartigen Programms gegen die •— siehe oben S. 238/9, Anm. 3 •— in aller Regel auch von den Vertretern des Stabilisierungsgedankens durchwegs anerkannten Grundsatz verstoBen wiirde, nach dem die Stabilisierung nur eine Regulierung des 6?eZ