Anne Käfer Inkarnation und Schöpfung
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Anne Käfer Inkarnation und Schöpfung
Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von O. Bayer · W. Härle · F. Nüssel
Band 151
De Gruyter
Anne Käfer
Inkarnation und Schöpfung Schöpfungstheologische Voraussetzungen und Implikationen der Christologie bei Luther, Schleiermacher und Karl Barth
De Gruyter
ISBN 978-3-11-022633-1 e-ISBN 978-3-11-022634-8 ISSN 0563-4288 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
” 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Für Alexandra und Lukas
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Februar 2009 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität als Habilitationsschrift angenommen. Für die Drucklegung wurden Anregungen der Gutachter eingearbeitet. Herrn Prof. Dr. Eilert Herms und Herrn Prof. Dr. Friedrich Hermanni danke ich für ihre Gutachten. Herrn Professor Herms danke ich vor allem für seine langjährige Treue in der Förderung meiner theologischen Interessen und Begabungen und ganz besonders dafür, daß er in mir den Mut zum Selberdenken weckte. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Doktoranden- und Habilitandenkolloquien von Herrn Prof. Dr. Herms danke ich für neugieriges Zuhören und anregende Kritik. Gefördert wurde die vorliegende Arbeit mit der Finanzierung einer Eigenen Stelle durch die DFG, die auch die Druckkosten übernommen hat. Dafür danke ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft sehr. Frau Prof. Dr. Friederike Nüssel, Herrn Prof. Dr. Oswald Bayer und Herrn Prof. Dr. Wilfried Härle danke ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe „Theologische Bibliothek Töpelmann“. Bei Herrn Dr. Albrecht Döhnert und Frau Dr. Sabine Krämer vom Verlag Walter de Gruyter bedanke ich mich für hilfsbereites und freundliches Entgegenkommen. Frau Sabina Dabrowski danke ich für die gute Zusammenarbeit bei der Herstellung des Buches. Meinem Ausbildungspfarrer Olaf Creß danke ich dafür, daß er den letzten Abschnitt des Habilitationsverfahrens höchst ermutigend begleitet hat. Meiner Mutter und meinem Vater danke ich dafür, daß sie mich auf den Weg der Theologie gebracht und mein Studieren und Forschen stets wertgeschätzt haben. Bei meinen Schwestern Lotte und Margret Käfer bedanke ich mich für unnachgiebiges Nachfragen in theologischen Dingen und für die Erinnerung an den lebenspraktischen Bezug der Wissenschaft. Für scharfsichtiges Korrekturlesen danke ich Herrn Lukas Lorbeer. Ihm und Frau Dr. Alexandra Wörn ist dieses Buch gewidmet. Bad Cannstatt, 8. September 2009
Anne Käfer
Inhalt Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther . . . . . . . 0. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anthropologische und schöpfungstheologische Grundeinsichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1. Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2. Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.3. Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Schöpfertätigkeit des dreieinigen Gottes . . . . . . . . . . . III. Die Inkarnation des Gottessohnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1. Wahrer Gott und wahrer Mensch . . . . . . . . . . . . . III.2. Größter Sünder und einziger Erlöser . . . . . . . . . . . IV. Inkarnation und Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.1. Die Inkarnation des Schöpfungswortes . . . . . . . . . . IV.1.1. Die Inkarnation des Schöpfungswortes . . . IV.1.2. Die Inkarnation des Schöpfungswortes . . . IV.2. Schrift und Sakramente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2.1. Scriptura et res . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2.2. Vom Abendmahl – Raumgabe . . . . . . . . . IV.2.3. Von der Taufe – Zeitgabe . . . . . . . . . . . . . IV.2.3.1. Neuschöpfung . . . . . . . . . . . . . . IV.2.3.2. Das Sakrament der Taufe . . . . . . IV.3. Von der Jungfrauengeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.4. Die Kirche als Leib Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Vollendung der Schöpfung durch Inkarnation . . . . . . . . . . V.1. Wirken Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V.2. Wirken des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
10 10 12 16 20 21 26 33 34 40 44 46 48 49 51 51 56 66 66 68 73 75 77 77 80 82
Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher 85 0. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 0.1. Die Funktionen des menschlichen Geistes . . . . . . . 85
X
Inhalt
0.2.
I.
II.
III.
Die beiden höchsten Gegensätze und der transzendente Grund allen Seins . . . . . . . . . . . . . . . 0.3. Identisches und individuelles Symbolisieren . . . . . . 0.4. Die Symbolisation des transzendenten Grundes . . . 0.5. Der christliche Glaubensgegenstand . . . . . . . . . . . . Anthropologische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1. Die Möglichkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . I.2. Die Wirklichkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . I.2.1. Ursprüngliche Vollkommenheit bei natürlicher Unvollkommenheit . . . . . . . . . I.2.2. Die Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.3. Die Wirklichkeit von Sünde und Übel . . . I.2.4. Die Unverbrüchlichkeit des göttlichen Heilswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2.5. Sündenerkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schöpfer und Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1. Übernatürlichkeit und Übervernünftigkeit . . . . . . II.2. Der Schöpfer – sein Wesen und seine Eigenschaften II.3. Die Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.1. Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2. Erhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inkarnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1. Der Inkarnierte – Schleiermachers „Zwei-Naturen-Lehre“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.1. Die Gottheit des Erlösers oder sein Leben unter der Gegensatzlosigkeit . . . . . . . . . . . III.1.2. Die Menschheit des Erlösers oder sein Leben unter dem Gegensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . III.1.3. Urbild Gottes und Urbild des Menschen . . III.1.4. Die Vereinigung von Gottheit und Menschheit im Erlöser . . . . . . . . . . . . . . . III.1.5. Das Vereintsein von Gottheit und Menschheit im Erlöser . . . . . . . . . . . . . . . III.1.6. Communicatio idiomatum . . . . . . . . . . . . III.1.7. Konsequenzen von Schleiermachers „Zwei-Naturen-Verständnis“ für seine „Trinitätslehre“ – Der Dreieinige . . . . . . . III.2. Die Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.1. Die Erlösung, die der Erlöser wirkt . . . . . . III.2.2. Die Amtstätigkeiten des Erlösers . . . . . . . .
87 90 92 97 99 99 100 100 102 105 109 113 116 116 120 126 126 129 132 132 133 138 141 143 149 151 156 159 159 161
Inhalt
XI
III.2.2.1. Das prophetische Amt des Erlösers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.2.2. Das hohepriesterliche Amt des Erlösers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.2.3. Das königliche Amt des Erlösers . Der Heilige Geist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vom Dienst am göttlichen Wort . . . . . . . . . . . . . . Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .........................................
162 188 190 193 199 202 204
Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth . . . . . . . . 0. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anthropologische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1. Der wirkliche Mensch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.2. Der Mensch der Sünde – der „unmögliche“ Mensch II. Die Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.1. Hochmut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.2. Trägheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1.3. Lüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.1. Gott und Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2.2. Gott und das Nichtige . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.1. Mensch und Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3.2. Der Mensch und das Nichtige . . . . . . . . . . III. Gottes Wirklichkeit und seine Eigenschaften . . . . . . . . . . . III.1.1. Gott als der in Freiheit Liebende . . . . . . . . III.1.2. Gottes Ewigkeit und Allmacht . . . . . . . . . III.1.3. Gottes Allgegenwart und Weisheit . . . . . . III.2.1. Das Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III.2.2. Das Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.1. Schöpfung und Bund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.2. Bund und Sünde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV.3. „creatio ex nihilo“ – „creatio contra nihilum“ . . . . IV.4. Erhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schöpfung und Versöhnung, Schöpfer und Versöhner . . . VI. Inkarnation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.1. „Fleischwerdung“ des Sohnes Gottes . . . . . . . . . . . VI.1.1. Unio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.1.2. Communio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
210 210 216 218 224 227 227 229 230 234 235 236 239 244 248 251 254 257 261 262 263 270 272 277 280 286 291 295 296
IV.
III.3. III.4. III.5. III.6. Fazit
161
XII
Inhalt
VI.1.3. Communicatio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.1.3.1. Communicatio idiomatum . . . . VI.1.3.2. Communicatio gratiarum . . . . . VI.1.3.3. Communicatio operationum . . . VI.2. Die Geburt Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI.3. Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi . VII. Neuschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII.1. Rechtfertigung und Heiligung . . . . . . . . . . . . . . . . VII.2. Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Ämter Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Das Wirken des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.1. Dienst am Wort Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.2. Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX.3. Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Die Kirche, Gemeinschaft der Glaubenden . . . . . . . . . . . . XI. Erlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
299 299 301 304 306 308 310 310 314 318 321 321 323 324 328 330 332
Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.1. „vere Deus et vere homo“ – die zwei Naturen . . . . I.2. vera libertas – Erlösung und Versöhnung . . . . . . . . I.3. Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.4. Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.5. Dienst am Wort Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.6. Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schöpfungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.1. Der Schöpfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.2. Die Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II.3. Das Geschöpf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Neuschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. „alius, alius, alius“ – die Trinität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
337 338 338 341 344 345 346 348 350 350 351 352 355 359 362
Kapitel V: Die Liebeswelten der Dreieinigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Inkarnation und Schöpfung als Werke des dreieinigen Gottes. Gottes Wesen und die Möglichkeiten Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365
Inhalt
XIII
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 I. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 II. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
Abkürzungsverzeichnis Alle Abkðrzungen, die im Abkðrzungsverzeichnis nicht gesondert aufgeschlðsselt sind, werden verwendet gemß Theologische Realenzyklopdie, Abkðrzungsverzeichnis, zusammengestellt von Siegfried Schwertner, Berlin/New York 21994: AbChr M. Luther, WA 26, Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis ÄLe F. Schleiermacher, Ästhetik, hg. u. eingel. v. Thomas Lehnerer BhlL M. Luther, WA 2, Ein Sermon von der Betrachtung des heiligen Leidens Christi CA Confessio Augustana capBabyl M. Luther, WA 6, De captivitate Baylonica ecclesiae DialO F. Schleiermacher, Dialektik nach R. Odebrecht DiHu M. Luther, WA 39/II, Die Disputation de divinitate et humanitate Christi Disp.hom. M. Luther, WA 39/I, Disputatio de homine DN. F. Schleiermacher, KGA II, 10, Vorlesungen über die Dialektik EG Evangelisches Gesangbuch FC Konkordienformel FrChr M. Luther, WA 7, Von der Freiheit eines Christenmenschen GalKomm I M. Luther, WA 2, In epistolam S. Pauli ad Galatas commentarius, 1519 GalKomm II M. Luther, WA 40/I, In epistolam Paulis ad Galatas Commentarius, 1535 GenKomm M. Luther, WA 42, Kommentar zur Genesis GenDecl M. Luther, WA 24, In Genesin Mosi librum sanctissimum Declamationes GL F. Schleiermacher, Glaubenslehre (Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt) GrKat M. Luther, WA 30/I, Großer Katechismus JohAusl I M. Luther, WA 46, Auslegung des ersten und zweiten Kapitels Johannis
XVI JohAusl II
Abkürzungsverzeichnis
M. Luther, WA 47, Auslegung des dritten und vierten Kapitels Johannis KpV I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft KrV I. Kant, Kritik der reinen Vernunft KU I. Kant, Kritik der Urteilskraft KuK M. Luther, WA 50, Von den Konziliis und Kirchen L-HB Luther Handbuch NSG F. Schleiermacher, KGA I, 11, Über den Unterschied zwischen Naturgesetz und Sittengesetz PsyB F. Schleiermacher, SW III, 6, Psychologie, Beilage B PsyN F. Schleiermacher, SW III, 6, Psychologie, Nachschrift SD Solida Declaratio ServArb M. Luther, WA 18, De servo arbitrio ULE F. Schleiermacher, KGA I, 10, Über die Lehre von der Erwählung UT F. Schleiermacher, KGA I, 11, Über die wissenschaftliche Behandlung des Tugendbegriffes WA M. Luther, D. M. Luthers Werke. Sonderedition der Kritischen Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe), WA.Br M. Luther, Briefe in WA WA.Tr M. Luther, Tischreden in WA Z = Zusatz (Zur Zitierweise vgl. im einzelnen die Angaben im Literaturverzeichnis.)
Einleitung Inkarnation und Schöpfung, zu denen sich der christliche Glaube im ersten und zweiten Artikel des Apostolikums bekennt, sind nicht nur durch den Gegensatz von Schöpfer und Geschöpf, Gott und Mensch, sondern auch durch den Gegensatz von Glaube und Sünde untrennbar aufeinanderbezogen. Wie diese Verbundenheit und damit auch die Relation der größten Gegensätze christlich-adäquat zu denken ist, wird in der vorliegenden Arbeit anhand der christologischen und schöpfungstheologischen Darstellungen dreier für die evangelische Theologie maßgeblicher Theologen – Martin Luther, Friedrich Schleiermacher und Karl Barth – aufgezeigt. Dabei muß sowohl auf den Inkarnierten und seine Inkarnation, auf den Schöpfer und seine Schöpfung wie auch prinzipiell auf die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis von Inkarnation und Schöpfung eingegangen werden. Die biblischen Aussagen über den Inkarnierten, die prägnant im Johannesprolog und im Christushymnus des Philipperbriefes festgehalten sind, führen zu Interpretationsstreitigkeiten, denen vor allem auf dem Konzil von Chalcedon1 entscheidende Formulierungen entgegengesetzt worden sind. Die für die Christologie maßgeblichen, im Dogma von Chalcedon formulierten Einsichten, welche in die Bekenntnisschriften der reformatorischen Kirchen übernommen wurden, sind der vorliegenden Interpretation als Anhaltspunkte zugrundegelegt. Im Anschluß an die chalcedonensische Wendung „he¹m !kgh_r ja· %mhqypom !kgh_r“2 halten die lutherischen wie die reformierten Bekenntnisschriften für den Inkarnierten das „vere Deus et vere homo“, „wahr Gott und wahr Mensch“ fest.3 Für die Relation zwischen wahrem Gott und wahrem 1
2 3
Zur Bedeutung des Konzils und des Dogmas von Chalcedon s. Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1, 751. S. auch Adolf Martin Ritter, Dogma und Lehre in der Alten Kirche, 269: Das Konzil habe „vieles ungeklärt gelassen“, so daß gerade im Verständnis der christologischen Aussagen noch verschiedene Deutungsmöglichkeiten offen zu sein scheinen. S. Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1, 754. Auf lutherischer Seite s. CA III (BSLK, 54,7/8); s. dazu BSLK, 1105,1.16.30/31. Auf reformierter Seite s. Heidelberger Katechismus (1563), II. Lectio, 15. und 18. (BSRK, 686,16/17; 687,1 – 6).
2
Einleitung
Menschen setzen sie die negative Verhältnisbestimmung von Chalcedon voraus: In der einen Person des Inkarnierten seien göttliche und menschliche Natur „!sucw¼tyr, !tq´ptyr, !diaiq´tyr, !wyq¸styr“, „unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert“ vereinigt.4 Luther, Schleiermacher und Barth, deren theologische Entwürfe als kirchliche Positionen verstanden sein wollen, beziehen sich alle drei in ihren Ausführungen zur Christologie auf die genannten kirchlichen Bekenntnisse. Jedoch zeigt die Untersuchung ihrer entsprechenden Texte, daß und in welcher Weise sich ihre Positionen voneinander unterscheiden. Vor allem zwei Punkte sind dabei von Bedeutung: Zum einen das Verständnis der menschlichen Natur Christi, die nach dem Chalcedonense durch „eine vernünftige Seele und einen echt menschlichen Leib“5 ausgezeichnet ist. Von Bedeutung ist zweitens die positive Bestimmung der Relation zwischen den beiden Naturen, die in der einen Person des Inkarnierten vereinigt sind; von dieser Person ist im Athanasianischen Glaubensbekenntnis ausgesagt, daß sie die zweite Person der dreieinigen Gottheit ist.6 Im Blick auf die Bestimmung von Chalcedon: „[…] %mhqypom !kgh_r t¹m aqt¹m 1j xuw/r kocij/r ja· s¾lator“7 müssen die Ausführungen zur Gott-Mensch-Relation im Inkarnierten, die eben dieses Verhältnis mit der Leib-Seele-Verbundenheit eines jeden Menschen vergleichen, besonders aufmerksam gelesen werden.8 Der Vergleich des Gott-MenschVerhältnisses im Inkarnierten mit der unvermischten Verbundenheit von Seele und Leib, die jeden Menschen ausmacht, ist dann problematisch, wenn die Gottheit Christi der Seele des Menschgewordenen zugeordnet und damit das Menschsein Christi vernachlässigt wird.9 4 5 6 7 8
9
S. BSLK, 1105,6/7 und im folgenden. S. dazu CA III (BSLK, 54,6/7) und Consensus Bremensis (1595) II.1.,4. (BSRK, 742,26/27). Alois Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche, Bd. 1, 760. S. BSLK, 28.29. BSLK, 1105,1/2. Zum Leib-Seele-Vergleich s. SD VIII, 18/19 (BSLK, 1023,3 – 15); s. dazu Symbolum Athanasii, 35 (BSLK, 30,10 – 12): „Nam sicut anima rationabilis et caro unus est homo, ita Deus et homo unus est Christus.“ S. dazu auch Johannes Calvin, Institutio, II,14,1. Dieses Problem besteht, wie in den anschließenden Kapiteln gezeigt werden wird, bei den Christologien Schleiermachers und Barths. Denn nach Ansicht dieser beiden Autoren ist das wahre Gottsein des Menschgewordenen damit gegeben, daß dessen Seele auf rezeptive oder passive Weise vollkommen von Gott her eingenommen ist.
Einleitung
3
Gebunden an ihre unterschiedlichen Auffassungen vom Personsein Christi variieren auch Luthers, Schleiermachers und Karl Barths Ausführungen über das Wirken des Inkarnierten. Einig sind sie sich allerdings darin, daß – in Anlehnung an 2Kor 4,6 – der Mensch gewordene Gottessohn durch die Überwindung der Sünde Gott den Schöpfer und dessen Schöpfung zu erkennen gibt. Dabei machen die drei Autoren für die Verhältnisbestimmung von Schöpfer und Inkarniertem sowie von Inkarnation und Schöpfung eine jeweils bestimmte Relation von Sünde und Glaube, Gottlosigkeit und Heilsgewißheit geltend. Zwei Alternativen sind grundsätzlich möglich: Zum einen könnte die Verbundenheit von Inkarnation und Schöpfung deshalb bestehen, weil die Sünde des Menschen einen so gearteten Schaden an der Schöpfung Gottes bedeutet, daß der dreieinige Gott angesichts der Faktizität der Sünde die Erneuerung seiner Schöpfung bezweckte und dazu die Mensch- und Fleischwerdung des Gottessohnes für die einzig hilfreiche Lösung hielt. Zum anderen könnte die Inkarnation mit der Schöpfung zusammen von Ewigkeit her zu dem einen und ewigen Heilsplan Gottes gehören, welcher in der Christusoffenbarung seine vorherbestimmte Pointe erreicht, die aus der Sünde zur Heilsgewißheit und zur Verwirklichung des Reiches Gottes führt. Die Angemessenheit der einen oder anderen Alternative soll in der vorliegenden Arbeit unter Bezugnahme auf das jeweils zugrundeliegende Verhältnis von Inkarnation und Schöpfung untersucht werden. Dabei steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit den drei genannten Autoren nicht die Orientierung an der „anselmischen“ Frage nach dem Warum der Menschwerdung Gottes. Vielmehr geht es um die Frage, ob die Offenbarung Gottes im menschgewordenen Gottessohn Einheit und Einzigkeit von Welt und Weltgeschehen verbürgt oder ob ein gleichursprüngliches Nebeneinander unterschiedlicher Wirklichkeiten und ihrer jeweiligen Ontologie anzunehmen ist; die zweite Möglichkeit korreliert mit der Vorstellung einer sündlosen Schöpfung, die mit einer durch die Sünde verderbten Welt konkurriert. Im Fokus des Interesses steht nicht das Warum der Menschwerdung Gottes, sondern das (mit dieser Frage verbundene) Wie ihrer Realisation im Rahmen der Schçpfung, das ausschlaggebend an die Relation zwischen der Freiheit und der Liebe Gottes gebunden ist. Die Bestimmtheit der schöpferischen Freiheit Gottes durch seine Liebe, insbesondere durch seine Liebe zum Menschen, entscheidet maßgeblich darüber, wie die Beziehung zwischen Inkarnation und Schöpfung beschrieben werden muß. Um die nach christlichem Verständnis einzig angemessene Beziehung zwischen Menschwerdung und Schöpfung Gottes ausfindig zu machen, ist
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Einleitung
es nicht nur nötig, die christlichen Aussagen über das Wesen des dreieinigen Gottes ernst zu nehmen. Grundsätzlich ist zu klären, wie und inwieweit überhaupt Einsicht in Gottes Wesen, Wollen und Wirken und also Erkenntnis über den christlichen Glaubensgegenstand erlangt werden kann. Es soll deshalb in der vorliegenden Arbeit auf das fundamentale Problem der Glaubenserkenntnis und möglichen Gewißheit des Willens Gottes, wie es die Theologie der drei genannten Autoren betrifft, eingegangen werden. Dieses Eingehen auf das erkenntnistheoretische Fundament, durch das die ontologischen Voraussetzungen der drei Positionen bedingt sind, gewährleistet erst deren prinzipielle Vergleichbarkeit und macht die Differenzen ihrer materialdogmatischen Ausführungen von Grund auf deutlich. Mit der Klärung des erkennenden Zugangs, den die Autoren für ihre Theologie und insbesondere für das christologischschöpfungstheologische Thema in Anspruch nehmen, ist nicht nur die Einordnung einzelner Ergebnisse in den Zusammenhang ihrer gesamten materialdogmatischen Abhandlungen, sondern auch die vergleichende Auswertung der drei Positionen ermöglicht. Vor allem die christologischen und die trinitätstheologischen Überzeugungen der drei Autoren können umfassend erst auf dem Boden ihrer erkenntnistheoretischen Voraussetzungen eingesehen werden. Denn auf die erkenntnistheoretischen Grundlagen ist sowohl das Verhältnis zwischen Gott und Mensch, wie es im Inkarnierten vorgefunden wird, als auch die Relation zwischen Gott dem Schöpfer, dem Inkarnierten und dem Heiligen Geist bezogen.10 Wie die Interpretationen der Inkarnations- und Schöpfungstheologie Luthers, Schleiermachers und Karl Barths sowie der Vergleich ihrer Entwürfe zeigen, können ihre jeweiligen erkenntnistheoretischen Überzeugungen als Basis gravierender Unterschiede ausgemacht werden. Trotz des abschließenden Vergleichs sollen die drei Positionen in der vorliegenden Arbeit nicht in einen Wettstreit treten. Vielmehr soll unter Berücksichtigung des jeweiligen Anliegens und der jeweiligen Prämissen der Autoren das weitgefächerte christliche Denken, aber auch die Vertretbarkeit der verschiedenen Ansichten herausgearbeitet werden. Die Frage nach dem jeweiligen erkenntnistheoretischen Fundament der ontologischen Leitannahmen wird zu Beginn eines jeden der drei folgenden Kapitel gestellt. Ob die erkenntnistheoretischen und ontologischen Prämissen durchgängig in einheitlicher Weise berücksichtigt sind und zu kohärenten Resultaten führen, wird am Ende der Kapitel ausgewertet. Damit die unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Überzeu10 S. dazu u. Kapitel IV, V.
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gungen und die christlich motivierten Anliegen der Autoren in einem umfassenderen Kontext verstanden werden können, sollen vorab die geschichtlichen Situationen, in denen sie ausgebildet worden sind, in den Blick gefaßt werden. Die Tatsache, daß es geschieht, daß der Gegenstand christlichen Glaubens in gewisser Weise erkannt und geglaubt wird, wird von allen drei Autoren dem Wirken Gottes zugeschrieben. Doch die Frage, ob, wie und inwieweit damit Gewißheit über Gott und sein Wirken gegeben ist, stellen und beantworten sie, bedingt durch die jeweiligen Zeitumstände, unterschiedlich. Anders als zu Lebzeiten Barths und Schleiermachers stehen Zeit und Umfeld Luthers noch „im Zeichen abgewogener Einheit von Kirche und Öffentlichkeit, Glaube und Denken“.11 Von den kirchlichen Amtsträgern aber, die öffentlich anerkannte Autorität genossen, wurde Glaubensgehorsam gegenüber den lehramtlichen Verlautbarungen gefordert und die Frage nach Gewißheit über Gott und sein Wirken nicht zugelassen. Luther, der von Anfechtungen gegenüber dem kirchlich vermittelten Gottesbild getrieben wurde,12 kam jedoch zu der Überzeugung, daß nicht die Autorität der Kirche, sondern Gott selbst seine Wahrheit verbürgt, weil er allein Gewißheit über seinen Heilswillen stiftet. Indem Luther mit seinem theologischen und kirchenpolitischen Vorgehen die Abkehr von der durch die Autorität der Kirche verfügten Glaubenshaltung anstößt, verursacht er zugleich (in ganz unbeabsichtigter Weise) das Aufkommen einer Gewißheitssuche, die in den der Reformation folgenden Jahrhunderten letztlich zum Zweifel am Dasein Gottes und sogar zu dessen gänzlicher Bestreitung führte.13 Zu der Einsicht, daß es allein die Autorität Gottes ist, die die Wahrheit des Evangeliums zu erkennen gibt und Gewißheit stiftet,14 ist Luther in seinem ganz persönlichen Ringen um Heilsgewißheit gelangt.15 Demgemäß bringt er seine Aussagen über Inkarnation und Schöpfung als Gewißheiten seines Glaubens unter Berufung auf den durch Jesus Christus im Heiligen Geist geoffenbarten und in der Heiligen Schrift bezeugten Gotteswillen zum Ausdruck. Er entwickelt sie nicht im Rahmen einer umfassenden Dogmatik, sondern anläßlich konkreter Situationen, in de11 12 13 14 15
S. Gerhard Ebeling, Gewißheit und Zweifel, 143. S. a.a.O., 153. S. dazu a.a.O., 143.151/152.156. Vgl. dazu a.a.O., 152 f. Luthers Lehre hat deshalb mindestens „eine autobiographische Note“; so Gerhard Ebeling, Gewißheit und Zweifel, 149.
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nen er sich herausgefordert findet, sich mit anderen theologischen Positionen auseinandersetzen und seine Gewißheit in bestimmter Hinsicht formulieren zu müssen. Anders als für Luther ist für Schleiermacher und Barth die Gewißheitsfrage eine Frage, die sich nicht allein im Ausgang ihres persönlichen Glaubenslebens stellt, sondern die vielmehr in ihrem zeitgenössischen Umfeld mehr oder weniger explizit verhandelt wird. Im Unterschied zu Luther setzt sich Schleiermacher nicht vornehmlich mit kirchlichen Lehrmeinungen, sondern mit philosophischer Christentumskritik auseinander. Der mit der Kantschen Philosophie verbreiteten Leugnung nicht nur der Erkennbarkeit Gottes, sondern damit auch der Gewißheit vom Dasein Gottes überhaupt,16 stellt Schleiermacher seine anthropologischen und theologischen Einsichten entgegen.17 Jeglichem Gotteszweifel und Gottespostulat begegnet er mit dem Verweis darauf, daß die menschlichen Geschöpfe zur Gemeinschaft mit Gott und zur Erkenntnis des göttlichen Heilswillens von Gott dem Schöpfer geschaffen sind. Die Zeit Karl Barths ist geprägt von der mittlerweile auf große Teile der Öffentlichkeit einflußnehmenden philosophischen, psychologischen und naturwissenschaftlichen Kritik an der Erkennbarkeit und dem Dasein Gottes. Vor allem aber entsteht seine Kirchliche Dogmatik angesichts der 16 Nach Kant wird „das Dasein einer von der Natur unterschiedenen Ursache der gesamten Natur, welche den Grund […] der genauen Übereinstimmung der Glückseligkeit mit der Sittlichkeit[] enthalte, postuliert“ (Immanuel Kant, KpV 225). Nach Kant wird die Ursache der Natur und der Grund für die Verwirklichung des Reiches Gottes bloß postuliert. Die Postulate der praktischen Vernunft können nach Kant nicht für gewiß gehalten werden, müssen jedoch geglaubt werden. „Gewißheit“ nennt Kant nämlich die objektive Zulänglichkeit in Hinsicht auf das „Wissen“. „Wissen“ heiße „das sowohl subjektiv als objektiv zureichende Fürwahrhalten“, das dem „Glauben“ nicht zukomme. Dieser bezeichne vielmehr das Fürwahrhalten, das zugleich für subjektiv zureichend und für objektiv unzureichend gehalten werde (KrV 850). „Glaube“ sei „ein freies Fürwahrhalten, […] dessen, was wir, zum Behuf einer Absicht nach Gesetzen der Freiheit, annehmen; aber doch nicht, wie etwa eine Meinung, ohne hinreichenden Grund, sondern als in der Vernunft (obwohl nur in Ansehung ihres praktischen Gebrauchs), für die Absicht derselben hinreichend, gegründet“ (KU 463/464). „Es ist also der beharrliche Grundsatz des Gemüts, das, was zur Möglichkeit des höchsten moralischen Endzwecks als Bedingung vorauszusetzen notwendig ist, wegen der Verbindlichkeit zu demselben als wahr anzunehmen; ob zwar die Möglichkeit desselben, aber eben so wohl auch die Unmöglichkeit, von uns nicht eingesehen werden kann.“ (a.a.O., 462/463). S. auch Anne Kfer, Kant, Schleiermacher und die Welt als Kunstwerk Gottes, 24 Anm. 47. 17 S. zu Schleiermachers Kantkritik DialO 281/282.
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nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die ihre Autorität über die Autorität Gottes erheben und anstelle Gottes über Tod und Leben verfügen will.18 In Abgrenzung dazu schreibt Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik einzig der Autorität des Wortes Gottes das Vermögen zu, – unter Einsatz höherer Gewalt19 – in zugleich schöpferischer wie heilbringender Weise am Menschen wirksam zu werden. Jedoch schließt Barth im Unterschied zu Luther und Schleiermacher aus, daß das Wirken Gottes dem Glaubenden Heilsgewißheit vermittele. Angesichts des Weltgeschehens, das trotz des Christusereignisses immer noch auch unter der Macht des Nichtigen stehe, könne durch Gottes Wirken zwar Hoffnung auf ewiges Heil, nicht aber Heilsgewißheit gewährt sein. Daß in der vorliegenden Arbeit die Positionen Luthers, Schleiermachers und Karl Barths verglichen werden, liegt nicht nur daran, daß die Ausführungen des Reformators und der beiden reformierten Theologen für die protestantische Theologie von weitreichender Bedeutung sind. Maßgeblich ist auch, daß sich die beiden späteren Autoren mit ihren Vorgängern ausdrücklich auseinandersetzen. Vor allem Karl Barths Kirchliche Dogmatik sucht unablässig die Konfrontation mit den theologischen Entwürfen Luthers und Schleiermachers.20 Zum Dritten ist diese 18 S. dazu Gerhard Ebeling, Über die Reformation hinaus?, 288: Nach Ebeling hat sich Barth ebenso wie Luther in einer Situation der Anfechtungen befunden. Allerdings seien es für Barth Anfechtungen gewesen, die „nicht das Bestehen vor Gott betrafen, sondern das Einstehen für Gott“. Das Einstehen für Gott, zu dem sich Barth herausgefordert sah, führte ihn zu einer Wort-Gottes-Theologie, die Luthers Glaubensverständnis für bloß „subjektiv“ und damit für haltlos gegenüber den Anfechtungen der unchristlichen Welt hält. „Durch Luthers Auffassung von der Sache der Theologie und durch die hervorgehobene Stellung, die bei ihm dem Glauben zukommt, sah Barth die Theologie von Anthropologie überwuchert, das Objektive vom Subjektiven, das Ontische vom Noetischen.“ (a.a.O., 289) 19 S. dazu Barth-Kapitel, v. a. die Einführung. 20 S. dazu Gerhard Ebeling, Karl Barths Ringen mit Luther, 531. Ebeling hält für seine Untersuchung fest: „Das Verhältnis zu keinem anderen Theologen – in Einverständnis oder Kritik – berührt so sehr das Ganze der Barth’schen Theologie wie dasjenige zu Luther. Eine analoge Untersuchung über die für Barth zweifellos sehr wichtige Beziehung zu Calvin würde dies deutlich erkennen lassen. Entsprechendes gilt von Schleiermacher, dessen Bedeutung für Barths Theologie man sogar noch am ehesten zu Luther in Konkurrenz sehen könnte“. S. zu Barths eigener Charakteristik seines Verhältnisses zu Luther und Schleiermacher: Karl Barth, Nachwort, 290 – 312. Von Luthers Weimarer Ausgabe schreibt Barth als „dieser großen Büchse der Pandora“ (a.a.O., 302). Schleiermacher bezeichnet er mit den Worten: „mein alter Freund-Feind Schleiermacher!“ (a.a.O., 300). Was Schleiermacher betrifft, kommt Barth abschließend zu dem Ergebnis: „Ich bin in
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Auswahl an Autoren getroffen, weil der Vergleich der Christologien Barths und Schleiermachers auf dem Hintergrund der lutherischen Position besonders ergiebig ist. Er läßt erkennen, daß diese beiden Theologen, obwohl sie von geradezu gegensätzlichen erkenntnistheoretischen Prämissen ausgehen, sich doch in ihrer Beschreibung von Inkarnation und Inkarniertem nahestehen. Ausgehend von ihren christologischen Gemeinsamkeiten wird schließlich die Fassung menschlicher wie göttlicher Freiheit als eminent weitreichendes Unterscheidungsmerkmal reformierter und lutherischer Theologie deutlich. Die vorliegende, an Inkarnation und Schöpfung und dem Verhältnis zwischen beiden orientierte Interpretation der Positionen Luthers, Schleiermachers und Karl Barths bezieht sich auf Barths Ausführungen in der Kirchlichen Dogmatik sowie auf Schleiermachers Glaubenslehre (2. Aufl.) und andere seiner für das Thema relevanten Schriften. Aus Luthers Opus, zu dem keine Dogmatik zählt, sind die entsprechenden Vorlesungen, Disputationen, Predigten und Streitschriften gewählt. Um der besseren Vergleichbarkeit willen sind die Kapitel in nahezu gleicher Weise gegliedert: Nachdem die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der drei Autoren aufgewiesen sind, werden – in Übereinstimmung mit der Reihenfolge des Apostolischen Glaubensbekenntnisses – zuerst die schöpfungstheologischen und dann die christologischen Einsichten herausgearbeitet. Diese werden schließlich für die Interpretation der jeweiligen Predigt- und Sakramentenlehre wie auch für das Verständnis der Ausführungen zur Dreieinigkeit Gottes fruchtbar gemacht. Dabei erweist sich durchgängig die Frage nach dem Verständnis von Raum und Zeit im Blick auf Mensch wie Gott als gewinnbringend für die Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung.21 Raum und Zeit geben den Rahmen des der Tat bis auf diesen Tag nicht einfach fertig mit ihm. Auch nicht im Blick auf seine Sache. So wie ich ihn bis jetzt verstanden habe, meinte und meine ich einen ganz anderen Weg antreten und gehen zu müssen als den seinigen. Meines Weges und meiner Sache bin ich gewiß. Ich bin aber meiner Sache nicht ebenso gewiß, sofern mein Ja ein Nein der Sache Schleiermachers gegenüber impliziert. Denn: habe ich ihn richtig verstanden? Könnte er nicht vielleicht anders verstanden werden, so daß ich seine Theologie nicht ablehnen müßte, sondern mir freudig bewußt sein dürfte, im Grunde mit ihm einig zu gehen?“ (a.a.O., 307) – Der in der vorliegenden Arbeit dargestellte Vergleich wird Unterschiede, aber auch maßgebliche Einigkeiten in der Theologie der beiden reformierten Theologen aufzeigen. 21 S. dazu Thomas F. Torrance, Space, Time and Incarnation, 55: „Now when […] we inquire into the Incarnation and take up […] Origen’s question as to the le-
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geschaffenen menschlichen Lebens vor und sollen zugleich die ewige Gemeinschaft der menschlichen Geschöpfe mit Gott, dem Schöpfer, Erlöser und Vollender, möglich machen oder kurz: ein ewig-seliges Leben.
gitimacy of using terms with spatial and temporal ingredients to speak of God who in His own essence does not exist in a spatial or temporal relation to the creaturely world, we find that any meaningful answer must bring together the doctrines of the Incarnation and Creation.“
Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther „Der Vater gibt sich uns mit hymel und erden sampt allen creaturen, das sie dienen und nütze sein müssen. Aber solche gabe ist durch Adams fal verfinstert und unnütze worden, Darumb hat darnach der son sich selbs auch uns gegeben, alle sein werck, leiden, weisheit und gerechtickeit geschenckt und uns dem Vater versunet, damit wir widder lebendig und gerecht, auch den Vater mit seinen gaben erkennen und haben möchten. Weil aber solche gnade niemand nütze were, wo sie so heymlich verborgen bliebe, und zu uns nicht komen kündte, So kompt der heilige geist und gibt sich auch uns gantz und gar, der leret uns solche wolthat Christi, uns erzeigt, erkennen, hilfft sie empfahen und behalten, nützlich brauchen und austeilen, mehren und foddern, Und thut dasselbige beide, ynnerlich und eusserlich“1.
0. Einführung Um Luthers Verständnis von Inkarnation und Schöpfung im Horizont seiner Theologie zu interpretieren, ist es vorab nötig, Luthers erkenntnistheoretische Voraussetzungen aufzuzeigen. Denn die Frage nach der Erkenntnis des göttlichen Willens hat nicht nur Luthers eigenen Lebensvollzug stark belastet und sein theologisches Denken maßgeblich vorangetrieben.2 Ihre Beantwortung entscheidet grundlegend über das Verhältnis von Schöpfer und Geschöpf oder mehr noch über das Verhältnis von Gott und sündigem Geschöpf, welchem doch die Inkarnation zugute kommen soll.3 Luther geht aus vom Menschen als einem von Gott zum Heil geschaffenen Geschöpf, das als solches zur Erkenntnis des göttlichen Heilswillens mit Körper und Seele ausgestattet sei und dem durch Gottes Geist Einsicht in Gottes Wahrheit und damit Heilsgewißheit gewährt werde. 1 2 3
WA 26, AbChr, 505,39 – 506,8. Vgl. dazu WA 8, De votis monasticis, 573/574 und WA 1, 557,33 – 558,15 (s. dazu Gerhard Ebeling, Gewißheit und Zweifel, 153); s. dazu Erik H. Erikson, Der junge Mann Luther, 98 ff. Das Thema der Theologie ist nach Luther das Verhältnis von „homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator“ (WA 40/II, 328,1 f.).
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Die Erkenntnis des göttlichen Willens gehöre selbst zu dem Heilsgeschehen, das Gott der Schöpfer den menschlichen Geschöpfen vorherbestimmt habe. Entsprechend werde sie von Gott selbst gewirkt, nämlich von Gott dem Schöpfer in Jesus Christus durch den Heiligen Geist; „er [d.i. Gott der Schöpfer] hat uns eben da zu geschaffen, das er uns erlösete und heiligte; und uber das er uns alles geben und eingethan hatte, was yhm hymel und auff erden ist, hat er uns auch seinen Son und Heiligen geist geben, durch welche er uns zu sich brechte.“4 Durch das Wirken Gottes im Heiligen Geist wird nach Luther die Erkenntnis des christlichen Glaubensgegenstandes dem mit Erkenntnisfähigkeit ausgestatteten Menschen vermittelt. Der christliche Glaubensgegenstand sei der dreieinige Gott selbst oder genauer das in Jesus Christus durch den Heiligen Geist offenbarte Wesen, Wollen und Wirken des ewigen Schöpfers.5 Dieses sei auf das Heil der Schöpfung ausgerichtet und, indem es, vermittelt durch den Geist, den Glauben an die in menschlicher Gestalt vergegenwärtigte göttliche Heilsabsicht wirke, begründe es selbst den Glauben an den christlichen Glaubensgegenstand. Die Erkenntnis des Glaubensgegenstandes, der nach Luther mit dem Grund des Glaubens identisch ist,6 setzt im Unterschied zur Erkenntnis des geschaffenen Seins ein besonderes Wirken des göttlichen Geistes voraus, welches letztlich auch eine besondere Einsicht in die Schöpfung gewährt oder genauer deren vollkommene Offenbarung bedeutet.7 Besonders muß dies offenbarende Wirken des Heiligen Geistes sein, weil es nach Luther mit dem christlichen Glaubensgegenstand nicht einen der geschaffenen Gegenstände, sondern vielmehr den ewigen und transzendenten Grund respektive den Schöpfer allen Seins offenbart. Einen Zugang zu Gott, dem Schöpfer allen Seins, der in Jesus Christus durch den Heiligen Geist zugleich Grund und Gegenstand christlichen Glaubens ist, gibt es nach Luther nur über den Mensch gewordenen Gottessohn, den der Heilige Geist als das zum Heil der Menschen inkarnierte Schöpfungswort Gottes erkennen lasse. Ausschließlich durch die Inkarnation des Gottessohnes werde der Wille Gottes des Vaters und des Schöpfers offenbar und als der Heilswille deutlich, mit dem der dreieinige
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WA 30/I, GrKat, 191,36 – 192,3. Zur Wendung „wesen, willen und werck“ Gottes s. WA 30/I, GrKat, 191,28. S. WA 30/I, GrKat, 191,28 – 192,8 und dazu Eilert Herms, Das fundamentum fidei, 85. S. Eilert Herms, Wahrheit – Offenbarung – Vernunft, 108 – 112.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Gott die Schöpfung geschaffen habe, erhalte und auf ihre Vollendung hin regiere. Im folgenden sollen Luthers Verständnis von Inkarnation und Schöpfung sowie deren Verhältnis zueinander anhand seiner diesbezüglich relevanten materialdogmatischen Abhandlungen dargestellt und schließlich auf Kohärenz und Einheitlichkeit geprüft werden. Dabei ist die Interpretation geleitet von der Annahme, daß Luther – ebenso wie Schleiermacher und Barth – die Schöpfung des allmächtigen Gottes als das durch Raum und Zeit bestimmte Werk Gottes betrachtet, das in Hinsicht auf die Inkarnation Gottes eine bestimmte Beziehung zwischen ewigem, allgegenwärtigem Gott und raum-zeitlich beschränktem Menschsein verlangt. Nachdem die anthropologischen und schöpfungstheologischen Grundeinsichten Luthers aufgezeigt sind (I.), soll Luthers Beschreibung des Schöpfers, seiner Schöpfertätigkeit und seines Schöpfungswerkes dargestellt werden (II.). Im Anschluß daran wird Luthers Verständnis der chalcedonensischen Zwei-Naturen-Lehre interpretiert (III.). Auf dieser Grundlage kann dann das Verhältnis von Inkarnation und Schöpfung bestimmt und unter anderem für Luthers Sakraments- und Kirchenverständnis fruchtbar gemacht werden (IV.).
I. Anthropologische und schöpfungstheologische Grundeinsichten Nach Luther ist der Mensch „creatura Dei, carne et anima spirante constans, ab initio ad imaginem dei facta, sine peccato, ut generaret et rebus dominaretur, nec unquam moreretur“.8 Menschliches Leben stehe dauerhaft unter der Bedingung, körperhaft-fleischlich und geistig-seelisch verfaßt zu sein, und mit dieser Natur ausgestattet sei es dazu geschaffen, in Zeit und Raum gemäß der göttlichen Bestimmung zu Heil und ewigem Leben zu prozedieren. Mit „caro“ oder „corpus“, Körper oder Fleisch benennt Luther die körperlich-sinnliche Beschaffenheit. Mit „anima“ bezeichnet er das zwischen „caro“ oder „corpus“ und „spiritus“ vermittelnde Vermögen des Menschen, das sensus und ratio in sich faßt.9 Es gilt ihm als das Personzentrum des Menschen, das, geprägt durch die Bestimmtheit des spiritus oder 8 9
WA 39/I, Disp.hom., 21. These, 176. S. auch WA 42, GenKomm, 66,18 f. S. Wilfried Joest, Ontologie, 164 ff. S. dazu Eilert Herms, L-HB, Mensch, 397/ 398.
I. Anthropologische und schöpfungstheologische Grundeinsichten
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Geistes10, grundlegend mit einer der Prägung entsprechenden Gewißheit ausgestattet sei, welche zum einen durch körperlich-sinnliche Rezeption aktiviert werde und zum anderen durch das Vermögen des corpus in bestimmten Handlungen zum Ausdruck komme. Als anima spirans bezeichnet Luther die Seele des Menschen, weil diese gar nicht anders als immer schon von einer handlungsleitenden Überzeugung und Gewißheit bestimmt in Raum und Zeit gegeben sei. Mit seiner anima spirans sei der Mensch über sein Empfindungsvermögen (sensus) und seinen Intellekt (ratio), der ihn vor allen anderen Lebewesen auszeichne,11 zu erkennendem und wollendem Handeln als leibhafte Person in Übereinstimmung mit seinem Gewissen befähigt.12 Was die Kçrperlichkeit des Menschen anbelangt, hält Luther fest, daß der Mensch als Frau oder Mann und zur Fortpflanzung geschaffen sei.13 „Also ists auch ynn des menschen natur eingepflantzt, das er mus fruchtbar sein, es sey menlin odder frewlin.“14 Und es sei „nicht allein Adam befohlen […] kinder zu zeugen, sondern auch bey Gott für gut angesehen“.15 Desgleichen sei es nach dem Willen des Schöpfers, daß sich der Mensch von den Gütern der Erde ernähre, von „allerley getreyde“16 und ebenso von „wein trauben […], daraus man nicht allein speise, sondern auch getrencke machet.“17 Nach Luther hat Gott der Schöpfer den Menschen ab initio dazu geschaffen, daß er esse, trinke und sich fortpflanze. „Nam Adam non erat sine cibo, potu et generatione victurus.“18 10 Der Geist ist nach Luther – im Blick auf den Christen-Menschen – „kurtzlich das hausz, da der glawbe und gottis wort innen wonet“ (WA 7, Magnificat, 550,30 f.). 11 S. WA 39/I, Disp.hom., 6. These, 175 in bezug auf die ratio des Menschen: „Ut hinc merito ipsa vocari debeat differentia essentialis, qua constituatur homo differre ab animalibus et rebus aliis.“ S. dazu Gerhard Ebeling, Lutherstudien 2, 2, 185 – 187. 12 S. dazu Wilfried Joest, Ontologie, 175 ff. S. dazu Eilert Herms, L-HB, Mensch, 398/399. – Nach Luther gilt „für alle Menschen“, daß sie „das Ganze ihres eigenen Könnens […] nur vermöge ihrer schlechthin vorgängigen Erschlossenheit, Präsenz für sie selbst besitzen, also auch nur auf dem Boden des durch diese Selbsterschlossenheit jeweils begründeten Gefühls bzw. Geschmacks (sapientia) für das Ganze ihres Daseins, das ihnen unmittelbar präsent ist als der Inbegriff aller eigenen Möglichkeiten, über die sie verfügen.“ (Eilert Herms, L-HB, Mensch, 393). 13 S. WA 42, GenKomm, 52,12 – 15. 14 WA 24, GenDecl, 53,21 f. 15 WA 24, GenDecl, 59,18 f. 16 WA 24, GenDecl, 58,10. 17 WA 24, GenDecl, 58,17 f. 18 WA 42, GenKomm, 42,25.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Das dem Schöpferwillen gemäße Leben des Menschen als eines Wesens mit Körper und Geist verlange allerdings grundlegend, daß sämtliche Tätigkeiten des Körpers nicht ohne Geist und möglichst in christlichem Glauben vollzogen werden.19 Nur das Wirken des Körpers, das durch die von Gott geschaffene und auf ihn bezogene anima spirans geleitet und dominiert wird, bringt nach Luther die Gottebenbildlichkeit des Menschen zum Ausdruck. Diese sei dann gegeben, wenn der Mensch „non solum Deum cognovit et credidit eum esse bonum, sed quod etiam vitam vixerit plane divinam, hoc est, quod fuerit sine pavore mortis et omnium periculorum, contentus gratia Dei.“20 Als leibhaftes, körperlich-geistiges Wesen ist nach Luther der Mensch ab initio als Ebenbild Gottes sehr gut geschaffen.21 Für den status integritatis, den Luther als den von Gott ursprünglich zur Verwirklichung intendierten Mçglichkeitshorizont des Menschen erachtet, nimmt er an, daß in ihm der Mensch tatsächlich sehr gut beschaffen sei, weil er auf Grund seiner funktionstüchtigen anima spirans seinen Schöpfer vollkommen erkenne und ihm allein anhänge, weil er „vol Gottes“22 sei und das Wort Gottes geradezu „per se“ einsehe.23 In Folge seiner sehr guten Beschaffenheit lebe der Mensch als Ebenbild Gottes in vollkommenem Gottvertrauen und führe ein furchtloses Leben in Liebe zu Gott und dem Nächsten gleich wie Adam im Garten Eden24 : „Fuit enim in Adam ratio illuminata, vera noticia Dei et voluntas rectissima ad diligendum Deum et proximum“.25 Mit der anima spirans ist nach Luther dem Menschen ab initio die spezifisch menschliche Disposition zur Erkenntnis von Grund, Verfaßtheit und ewiger Bestimmung des je eigenen Seins gegeben.26 Diese Erkenntnis wiederum bedinge ein Leben in Gottvertrauen und Nächstenliebe und gewähre somit die Aktualisierung der menschlichen Gottebenbildlichkeit. Als Ebenbild Gottes erweist sich nach Luther derjenige Mensch, der in christlichem Glauben an der Güte Gottes sowie an der Liebenswürdigkeit 19 S. dazu WA 24, GenDecl, 58,8 – 16; 59,16 – 21: Das rechte Verständnis sowohl für das Zusammenleben von Frau und Mann wie auch für die Nahrungsgüter sei nur dem Glaubenden gegeben, nur er erkenne das menschliche Gegenüber, Speisen und Getränke als Gaben Gottes. 20 WA 42, GenKomm, 47,9 – 11. 21 WA 42, GenKomm, 55,31. 22 WA 24, GenDecl, 51,16. 23 WA 42, GenKomm, 50,9 – 11. 24 S. WA 42, GenKomm, 47,8 – 11. 25 WA 42, GenKomm, 47,33 f. 26 S. dazu Wilfried Joest, Ontologie, 192.
I. Anthropologische und schöpfungstheologische Grundeinsichten
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der Schöpfung festhält. Daß die besondere Zierde der Gottebenbildlichkeit an einem Menschen sichtbar wird, ist nach Luther dem Geist Gottes verdankt, der den Menschen aus dem Zustand der Sündhaftigkeit zum Glauben führe. Von Sünde werde das menschliche Geschöpf solange nicht frei, als nicht durch den Heiligen Geist der Glaube an den inkarnierten Schöpfergott gegeben sei. Der geistgewirkte Glaube, welcher dem Menschen von Gott dem Schöpfer ursprünglich zugedacht sei, mache den Menschen zu einem vor allen anderen Kreaturen ausgezeichneten Geschöpf; „magnifice ornat et ab omnibus aliis creaturis separat Spiritus sanctus humanam naturam.“27 Die zur Realisation der ab initio geschaffenen Gottebenbildlichkeit des Menschen notwendige Geistgabe wird nach Luther dem Menschen nur in Verbindung mit dem Wort Gottes, mit dem Lesen oder vor allem dem Hören des Evangeliums, sowie den Sakramenten, die das Evangelium feiern, vermittelt und vergegenwärtigt.28 Das Evangelium Gottes aber ist das Christusgeschehen zum Heil des Sünders.29 Erst die Inkarnation des Gottessohnes, sein Leiden, sein Sterben und sein Auferstehen stellen nach Luther dem sündigen Geschöpf den Heilswillen des Schöpfergottes in Raum und Zeit und in leibhafter Verfaßtheit vor Augen. Die Gewißheit davon, daß Gott selbst in Raum und Zeit Mensch geworden ist, bringe die Einsicht mit sich, daß Gottes schöpferischer und offenbarender Geist nicht nur Raum und Zeit gewollt und gewirkt, sondern auch den Menschen dazu bestimmt hat, dies Wollen und Wirken als Heilszuwendung Gottes zu erkennen und anzuerkennen.30 Der Heilige Geist, durch den der Schöpfer die ganze Welt geschaffen hat, schafft nach Luther durch die Predigt des Inkarnierten – und damit auf diejenige Weise, die der Leiblichkeit des Menschen einzig gerecht wird,31 – Gewißheit über Wesen, Wollen und 27 28 29 30
WA 42, GenKomm, 42,36 f. S. WA 42, GenKomm, 48,24 – 31. S. dazu u. III.2. S. dazu WA.Tr 6, 6530: „Gott kann man nicht begreifen und man fühlet ihn doch, denn er lässet sich allenthalben sehen und merken, und erzeiget sich als ein gütiger Schöpfer, der uns alles Guts thut und gibet, welches die Sonn und Monden, Himmel und Erden und alle Früchte, so aus der Erden wachsen, zeugen. Aber der Mangel, daß wir Gott in solchen seinen Werken und unzähligen Wolthaten nicht erkennen, ist am Schöpfer nicht, daß er wollte, daß solchs fur unsern Augen sollt verborgen sein. Nein, der Feil ist an ihm nicht, sondern an uns; denn die menschliche Natur ist durch die Erbsünde also verderbet und vergiftet, daß wirs nicht achten, noch erkennen und verstehen konnen.“ 31 S. dazu u. IV.2.1.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Wirken des Schöpfers, und zwar „ubi et quando visum est Deo“32. Denn er wirkt die Erkenntnis des Inkarnierten als des Schöpfungswortes, das den Heilswillen des Schöpfers durch sein Leben und Sterben zur Darstellung und zur Erfüllung bringt. Das Wirken des Geistes gewähre das Miterleben des Lebens Christi. Es bringe den je eigenen Lebensvollzug in conformitas mit dem Lebensvollzug des Inkarnierten und gebe den je eigenen Lebensweg als den Weg zum ewigen Heil, als den „transitus ad patrem“33 zu erkennen, der er auch wahrhaft sei. Der Lebensvollzug, der in Übereinstimmung mit dem Lebensvollzug des menschgewordenen Gottessohnes geschieht, ist nach Luther in der Gemeinschaft der Heiligen und insbesondere durch den Genuß der Sakramente möglich. Das Leben in der Kirche als dem Leib Christi ist nach Luther ein christliches oder besser „christusgemäßes“ Leben, weil durch die Taufe und in der Feier des Abendmahls der einzelne nicht nur mit allen anderen Glaubenden zum Leib Christi verbunden ist,34 sondern gerade auch als einzelner in Gemeinschaft mit dem Inkarnierten existiert, auf dessen Namen er getauft ist und dessen Leib und Blut er selbst genießt. I.1. Sünde Um der Sünde willen ist nach Luther der ab initio sehr gut geschaffene menschliche Körper zwar keineswegs zerstört, jedoch verdorben.35 Desgleichen gehe weder die ratio36 noch die anima spirans jemals verloren.37 Als konstante, dauernde Bedingung menschlichen Personseins kann nach 32 S. CA V, BSLK 58,7/8. 33 S. dazu u. IV.2.3.2. 34 Zur Kirche als Leib Christi s.u. IV.2.; v. a. zu WA 26, AbChr, 506,30 – 33: „Dem nach gleube ich, das eine heilige Christliche kirche sey auff erden, das ist die gemeyne und zal odder versamlunge aller Christen ynn aller welt, die einige braud Christi und sein geistlicher leib, des er auch das einige heubt ist“. 35 Vgl. WA 42, GenKomm, 46,16 – 27. 36 S. WA 39/I, Disp.hom., 24. These, 176,15: „est ratio post peccatum, relicta“, allerdings „sub potestate diaboli“. Laut Joest soll nach Luther „unter ’Vernunft’ das Vermögen des Menschen verstanden sein, aus einer ihm eigenen und verfügbaren Erkenntnispotenz Erkenntnisse zu erwerben und zugleich: aus einer ihm eigenen Willenspotenz Entscheidungen für sein Verhalten zu treffen, die diesen Erkenntnissen entsprechen“ (Wilfried Joest, Ontologie, 204). 37 „Manet quidem natura, sed multis modis corrupta“ (WA 42, GenKomm, 125,27 f.).
I. Anthropologische und schöpfungstheologische Grundeinsichten
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Luther die anima spirans nie verlorengehen. Mit ihr bleibe die natürliche Disposition zur Erkenntnis Gottes beständig bestehen. Allerdings jedoch sei ihre Funktionstüchtigkeit der Sünde wegen entscheidend eingeschränkt. Die natürliche Disposition sei es, „qua homo aptus est rapi spiritu et imbui gratia Dei […]; hanc enim vim, hoc est, aptitudinem, seu ut Sophistae loquuntur dispositivam qualitatem et passivam aptitudinem et nos confitemur, quam non arboribus neque bestiis inditam esse, quis est qui nesciat? neque enim pro anseribus (ut dicitur) coelum creavit.“38 Diese trotz Sünde vorhandene natürliche, passive Disposition des Menschen ist nach Luther zwar nicht mehr zur Gotteserkenntnis „per se“ befähigt, doch entspreche sie dem Willen des Schöpfers, der gerade den Menschen dazu geschaffen habe, daß er ihn erlöse und heilige.39 Luther geht davon aus, daß sich der irdisch-existierende Mensch von einem jeden Tier und von allen anderen Kreaturen dadurch unterscheide, daß er Gott zwar keineswegs in dem Ausmaß erkenne, wie es ihm im status integritatis möglich wäre, daß er jedoch trotz der Sünde mit einer natürlichen Anlage zur Gotteserkenntnis ausgestattet sei.40 Entsprechend eigne dem Menschen ein geringes natürliches und damit unmittelbares Wissen von seinem Ursprung und Schöpfer, das ihn als Menschen vor allen Kreaturen auszeichne. „Animalia autem caetera omnino hac cognitione carent, nesciunt creatorem, originem et finem suum, unde et cur creata sint.“41 Um der Sünde willen ist nach Luther nicht nur die körperliche Beschaffenheit des Menschen verdorben und die menschliche Disposition zur Gotteserkenntnis eingeschränkt. Auch die ratio des Menschen, das besondere menschliche Erkenntnisvermögen für geschaffene Gegenstände, sei deutlich begrenzt, und zwar weil die Bezogenheit auf den Schöpfer des geschaffenen Seins mangelhaft sei.42 38 WA 18, ServArb, 636,17 – 22. 39 WA 10/III, 7. Invokavitpredigt, 55,27 – 56,17. S. dazu Eilert Herms, Auslegung des Dritten Artikels, 20, Anm. 13. 40 WA 42, GenKomm, 50,12 – 15. S. dazu WA 42, GenKomm, 65,11 – 20: „Nam si animalem vitam, de qua hic Moses loquitur, respicias, nulla differentia est inter hominem et asinum. Habet enim animalis vita opus cibo et potu, habet opus somno et quiete. […] Haec cum consideramus, nulla inter hominem et bestiam est differentia. Et tamen hominis vitam Moses ornat hoc modo, quod de eo solo dicit: Esse eum factum in animam viventem, non simpliciter, sicut alias bestias, sed in animam excellenter viventem, propterea quod ad imaginem Dei est conditus“. 41 WA 42, GenKomm, 50,13 f. 42 S. WA 42, GenKomm, 46,28 – 47,7 und zum Zusammenhang zwischen der Erkenntnis der Schöpfung und der Erkenntnis des Schöpfers s. im folgenden.
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Die Beschränktheit der Gotteserkenntnis wird von Luther zum einen als Folge der durch Adam vollzogenen Sündentat beschrieben.43 Zugleich macht Luther deutlich, daß gerade ein Mangel an Gotteserkenntnis die Tat der Sünde bedingt. Weil allein Gott in seiner Zuwendung zum Menschen seinen menschlichen Geschöpfen Gotteserkenntnis gewähre, muß konsequenterweise auch schon die Sðnde Adams dadurch bedingt sein, daß Gott, der Schöpfer, sich seinem Geschöpf nicht (länger) zugewandt hat. Nach Luther hat sich der Schöpfer vor seinem Geschöpf zwar nicht verborgen, aber er habe dieses sich selbst überlassen und in Blindheit belassen.44 Der Schöpfer habe so das sündige Handeln Adams ermöglicht. Doch habe nicht Gott die böse Tat gewirkt, sondern Adam habe seine Tat selbst vollzogen und trage deshalb Schuld an ihr.45 Mit der Sündentat Adams ist nach Luther die Erkenntnis Gottes „per se“ verloren oder vielmehr als nicht vorhandene deutlich geworden: Adams Sðnden-Tat macht deutlich, daß die sehr gute Beschaffenheit des Menschen, die Gott für seine Geschöpfe vorherbestimmt und vorhergesehen hat, auf Erden noch nicht vollstndig realisiert ist, weshalb Adam als erstes Exemplar der Gattung Mensch gleich wie alle Menschen sðndigte. 46 Die Unfähigkeit zu vollkommener Gotteserkenntnis betrifft nach Luther alle Menschen. Erst die geistgewirkte Offenbarung des Inkarnierten, in dem der Schöpfer seinen Heilswillen zu erkennen gibt, führe zur Überwindung der Sünde und zur Verwirklichung des status integritatis im Reich Gottes.47 Zwar ist nach Luther vollkommene Gotteserkenntnis erst für die Zukunft des Gottesreiches zu erwarten. Doch die passive Disposition oder auch ein gewisses unmittelbares Bewußtsein von Gott als demjenigen, 43 S. WA 42, GenKomm, 58,37 – 40. 44 WA 18, ServArb, 708,22/23: „Sed mox sequitur tertio capite, quomodo sit homo factus malus, desertus a Deo ac sibi relictus.“ 45 S. WA 18, ServArb, 711,2/3: „In nobis, id est, per nos Deum operari mala, non culpa Dei, sed vitio nostro“. 46 Der Bezug auf Adams grundlegende Sündentat und den mit ihr gegebenen Mangel an Gotteserkenntnis bei gleichzeitiger Betonung der Tatsache, daß Adam gleich wie alle Exemplare der Gattung Mensch mit prinzipiell unfreiem Willen seine Sündentat begangen hat, bedeutet keine zirkuläre Bestimmung der Sündengenese. Der für Adam festgehaltene Verlust seiner Gotteserkenntnis kann im Kontext der lutherischen Theologie nur als nachträgliche Feststellung davon verstanden werden, daß die Sünde stets in der noch nicht gewährten Gotteserkenntnis des Menschen begründet liegt. Diese Beschreibung berücksichtigt sowohl die Allmacht Gottes, die – als Verweigerung oder Gewährung von Gotteserkenntnis – auch Macht über die Sünde ist, als auch die Sündenschuld des Menschen, der zwar auf Grund seiner Blindheit, jedoch selbsttätig seine Sündigkeit in Taten umsetzt. 47 S. dazu WA 39/I, Disp.hom., 35.–40. These,177.
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demgegenüber alles irdische Sein sich in vollkommener Abhängigkeit befindet, sei einem jeden Menschen eigen. Auch die „Heidenvölker“ nehmen zumindest ein von Schicksal oder Notwendigkeit unausweichlich vorherbestimmtes und festgesetztes Weltgeschehen an.48 Nach Luther ist „nye kein volck so rauchlos gewesen, das nicht einen Gottes dienst auffgerichtet und gehalten habe.“49 Doch sei Gott nie wahrhaft als treuer und gütiger Schöpfer der ganzen Welt und damit seinem wahren Wesen nach erkannt und anerkannt worden.50 Entsprechend hingen die „Heiden“, damals wie heute, ihr Herz entweder an Götzen, denen sie huldigten, damit diese den Erfolg ihrer eigennützigen Absichten sicherten. Oder sie versuchten, indem sie von sich selbst ein göttliches Vermögen behaupteten, mit besonderen Werken und Eigenleistungen Heil zu erzwingen.51 In beiden Fällen bleibe ungesehen, daß allein der in Christus durch den Heiligen Geist offenbarte Schöpfer die Welt geschaffen hat und das Heil seiner Schöpfung wirkt. Es werde nicht Ernst damit gemacht, „das Gott (wie gnug gesagt) alleine der ist, von dem man alles guts empfehet und alles unglücks los wird.“52 Beide Weisen der Verfehlung gegenüber dem Schöpfer sind nach Luther Ausdruck von Unglauben.53 Sie entstammten dem amor mundi und dem amor sui und seien durch „böse lüst und lieb“54 bewirkt.55 Der Unglaube selbst oder genauer die Beziehungslosigkeit im Gegenüber zu Gott, die für den Menschen auf Grund von dominanter Selbst- und Weltbezogenheit besteht, macht nach Luther die Sünde aus.56 Sie sei durch mangelnde Zuwendung Gottes bewirkt und äußere sich in entsprechenden sündigen Taten, in schlechten Werken, welche der sündige Mensch in
48 Es lehre beispielsweise Virgil „in vulgo non minus relictam esse scientiam praedestinationis et praescientiae Dei, quam ipsa notitiam divinitatis“ (WA 18, ServArb, 618,13 – 15). S. dazu Eilert Herms, Gewißheit in Luthers „De servo arbitrio“, 63/64. 49 WA 30/I, GrKat, 134,35/36. 50 S. dazu Eilert Herms, Gewißheit in Luthers „De servo arbitrio“, 65/66. 51 S. dazu WA 30/I, GrKat, 133,7/8 und 135,17 ff. 52 WA 30/I, GrKat, 135,33/34. 53 „Der unglaub aber ist, das man nicht verstehet was Gottes werck sind.“ (WA 24, GenDecl, 57,18 f.) 54 WA 24, GenDecl, 89,18. 55 S. dazu Eilert Herms, L-HB, Leben, 430. 56 S. Bernhard Lohse, Luthers Theologie, 267: „[D]as Wesen der Sünde ist letztlich der Unglaube, das mangelnde Vertrauen zu Gott, die fehlende Liebe zu Gott.“
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seinem Fühlen, Denken und Wirken selbsttätig begehe.57 Die Verfehlungen aus Unglauben werden nach Luther nur dann und erst dann als solche eingesehen, wenn dem Menschen das gute Wesen des Schöpfers offenbar ist und er vom amor Dei erfüllt wird.58 I.2. Tod Solange die anima spirans der menschlichen Geschöpfe auf Götzen und weltliche Dinge ausgerichtet sei, existierten und handelten jene nicht in Übereinstimmung mit dem Schöpferwillen und fürchteten den Tod als das Ende ihres Daseins.59 Ein unmittelbarer Übergang von der vita corporalis oder animalis, die Essen, Trinken und Vermehrung in sich fasse, zu einer ewigen vita immortalis sei ihnen nicht gewährt.60 Vielmehr müßten sie mit dem irdischen Tod rechnen, den Luther auch als Strafe und Folge der Sünde beschreibt.61 Der Tod ist jedoch nur insoweit die gefðrchtete Folge oder Strafe der Sünde, als der Mensch unter der Sünde die zeitliche wie räumliche Begrenztheit seines endlichen irdischen Lebens nicht als mit dem ewigen Heilswillen des Schöpfers in Übereinstimmung erkennt und anerkennt.62 57 S. dazu WA 30/I, GrKat, 182,18 – 29: Nur im Glauben können nach Luther die Zehn Gebote wahrhaft befolgt und erfüllt werden. Jedes Werk, das im Unglauben oder ohne Glauben geschieht, ist hingegen ein selbsttätig vollzogenes Werk der Sünde. – S. auch Eilert Herms, Gewißheit in Luthers „De servo arbitrio“, 72/73. 58 S. dazu WA 1, 146,1 – 4 und a.a.O., Luthers Brief an Staupitz, 30. Mai 1518, 525 – 527. 59 S. WA 42, GenKomm, 83,37: „mors per peccatum venit.“ Der Erbsünde wegen ist nach Luther der Tod auf alle Menschen gekommen. „Vides igitur hic iterum magnitudinem peccati originalis nobiscum nati et nobis per peccatum primorum Parentum implantati.“ (a.a.O., 128,5 f.) 60 S. dazu WA 42, GenKomm, 147,23 – 25: „Spe igitur retinemus et vitam et iusticiam, res ab oculis et sensu nostro absconditas, sed quae suo tempore manifestabuntur.“ S. auch WA 42, GenKomm, 42,21 – 25 und WA 42, GenKomm, 43,7 f.: „Habuit igitur Adam duplicem vitam: animalem et immortalem, sed nondum revelatam plane sed in spe.“ 61 S. dazu WA 36, Predigt vom 20. 10. 1532, 557,10 – 22, v. a. 17 – 19: „Uns aber leret die Schrifft also, das unser tod und sterben nicht natürlicher weise her komet, sondern eine frucht und straffe ist der sunde unsers Vaters Adam“. 62 S. dazu WA 39/I, Disp.hom., 17. These, 175: Nach Luther muß der Mensch die Quelle seines Lebens und sich als aus ihr entspringend erkannt haben, anders habe er keine Einsicht in seine eigene Verfaßtheit und Bestimmung. S. auch 22. These,176,10/11: „Post lapsum vero Adae subiecta potestati diaboli, peccato et morti,
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I.3. Gesetz Daß die zeitliche und räumliche Begrenztheit menschlichen Lebens dem ewigen Schöpferwillen nicht widerspricht, erkennt nach Luther nur der Glaubende, dem es möglich ist, das Gesetz Gottes zu erfüllen. Das göttliche Gesetz, das es zu erkennen und anzunehmen gilt, ist nach Luther das „Naturgesetz“, das allen Menschen ins Herz geschrieben sei. Die lex naturalis sei – der in Gott begründeten Ordnung des Weltgeschehens (Schöpfungsordnung) entsprechend – das unumstößliche Gesetz vom Dasein des Menschen als eines geschaffenen und sozialen Wesens, als eines Geschöpfes, das in der geschaffenen Welt mit seinesgleichen und anderen Kreaturen Gottes lebt; „una est lex, quae transit per omnia secula, omnibus nota hominibus, scripta in omnium cordibus, nec excusabilem relinquit ullum ab initio usque in finem“.63 Das eine „Naturgesetz“ ist nach Luther wesentlich ausgedrückt in dem Gebot „’diliges proximum tuum sicut teipsum’“,64 und insbesondere in den Zehn Geboten65, die ein Handeln aus Einsicht in die Geschöpflichkeit und Sozialität menschlichen Seins verlangen, sei es konkretisiert. Seine wahrhafte Erfüllung erfordere die „vertrauensvolle Ganzhingabe des Geschöpfes an den ewigen Versöhnungswillen des Schöpfers.“66 Der Schöpfer selbst solle von ganzem Herzen geliebt werden (amor Dei);67 allein in solcher Herzenshaltung werde dem Willen Gottes Gehorsam geleistet, weil Gottes Gesetz dann nicht nur in rein körperlicher oder gar
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utroque malo suis viribus insuperabili et aeterno.“ – Der gefallene Mensch, der keine Gewißheit über seinen Schöpfer und seine geschöpfliche Bestimmung hat, fürchtet sich vor dem Tod. „Nunquam sumus securi in Deo, terror et pavor etiam in somnis nos exercent.“ (WA 42, GenKomm, 47,21) WA 2, GalKomm I, 580,18 – 20. WA 2, GalKomm I, 580,14 f. Das Gebot der Nächstenliebe stimmt nach Luther überein mit dem eigentlichen „Naturgesetz“ „’Quae vultis ut faciant vobis homines (hoc enim est seipsum diligere), eadem facite vos illis (hoc certe est, sicut seipsum ita diligere et alios, ut claret)’“ (WA 2, GalKomm I, 580,14 – 17); vgl. auch WA 1, 502,20 ff. Das „Naturgesetz“ ist nach Luther exemplarisch in den Zehn Geboten zusammengefaßt, s. Eilert Herms, L-HB, Leben, 429. Nach Luther beinhalten die Zehn Gebote „alles was Gott von uns wil gethan und gelassen haben.“ (WA 30/I, GrKat, 182,18 f.) Eilert Herms, Die Bedeutung des Gesetzes, 9. S. dazu WA 30/I, GrKat, 133,3: Nach Luther soll der Mensch seinem Schöpfer „von hertzen trawen und gleuben“.
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mechanischer, sondern in ganzheitlicher Weise, mit Herz, Geist und Sinnen, erfüllt werde.68 Das „Naturgesetz“ verlangt nach Luther ein Handeln des Menschen, das der Schöpfungsordnung Rechnung trägt als der „Zumutung des Daseins“69, die der Schöpfer seinen Geschöpfen aufbürdet. Dieser Anforderung kann jedoch nur im Glauben Genüge geleistet werden.70 Weil die Erfüllung des „Naturgesetzes“ den Glauben voraussetzt, der durch die Erkenntnis des Schöpfers bedingt ist, diese Erkenntnis jedoch vom Menschen „per se“ nicht erlangt werden kann, macht nach Luther die Gesetzesforderung das Unvermögen des Menschen deutlich. „Das ist die Lere des Gesetzes […]: ’Du solt Gott lieben von gantzem hertzen’ […], Im Paradis hastu den schatz gehabt und warest also geschaffen, das du kondtest Gott von gantzem hertzen lieben, Das hastu nu verloren, Nu aber mustu wider also werden, Sonst wirstu jnn Gottes Reich nicht komen“.71 Solange das Gesetz ausschließlich dem Buchstaben nach verstanden werde (lex literae),72 sei seine wahre Bedeutung, sein eigentlicher Sachgehalt und damit die lex spiritus noch nicht erkannt, die allein Gott selbst zu sehen gebe.73 „Lex spiritus est, quae nullis prorsus scribitur literis, nulli profertur verbis, nullis cogitatur cogitationibus: sed est ipsa viva voluntas vitaque experimentalis, res quoque ipsa quae scribitur digito solo dei in 68 S. WA 2, GalKomm I, 552,10 – 13: „Cum autem nullum opus sine charitate bene fiat, claret, omnem legem, quae opus bonum praecipit, bonum opus, id est charitatis, significare et requirere ideoque spiritualem esse.“ S. dazu WA 6, Von den guten Werken, 209,6 – 11 und WA 7, FrChr, 26,27 – 31. 69 Eilert Herms, L-HB, Leben, 430. S. dazu Ders., Gesetz und Evangelium, 385. 70 S. dazu Eilert Herms, L-HB, Leben, 431. 71 WA 45, Predigt vom 30. 9. 1537, 146,25 – 31; s. dazu 147,12/13: Um ins Himmelreich zu gelangen, sei es erforderlich, „das du die Gebot haltest und jnn der Liebe seiest gegen Gott und dem Nehesten“. Nach Eilert Herms, Gesetz und Evangelium, 387 „steht der für Luther wichtige usus elenchticus unter einer Voraussetzung, die keineswegs für alle die Menschen erfüllt ist, die noch nicht in den Horizont der christlichen Gewißheit hineingezogen sind: Er steht unter der Voraussetzung, daß ihnen bereits der eigentliche Sinn der Zumutung aufgegangen ist – nämlich: […] die Zumutung einer Herzenshaltung“. 72 Die „[l]ex literae“ umfasse die Gebote Gottes den bloßen Worten nach. Sie wird von Luther auch als die „lex mortis“ bezeichnet, die einen jeden töte, „eoque magos, quo fuerit spiritualior, sicut est illa ’Non concupisces’/und zwar um so mehr, je geistlicher sie ist, so wie es bei jenem Gebot ’Du sollst nicht begehren’ der Fall ist“ (WA 2, GalKomm I, 499,34.37.38 f.). 73 „Lex literae et lex spiritus differunt, sicut signum et signatum, sicut verbum et res.“ (WA 2, GalKomm I, 500,6 f.)
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cordibus.“74 Solange das Gesetz nur dem Buchstaben nach verstanden werde, fordere es geradezu zur Sünde auf. Denn es verlange Werke und führe zur Annahme, daß diese vom Menschen freiwillig und „per se“ vollbracht werden könnten und Heil bedeuteten. Die Mißachtung des Willens Gottes, die die Übertretung des „Naturgesetzes“ und die Verfehlung gegenüber der Schöpfungsordnung75 bedeutet, wird nach Luther dem Menschen erst dann als Sünde bewußt, wenn ihm – durch das Wirken des Geistes (spiritus) – Einsicht in die Allmacht, Ewigkeit und Güte des dreieinigen Gottes gewährt und damit zugleich die res des Gesetzes bekannt geworden ist. Allein insofern, als die res des Gesetzes offenbar sei, erfülle das Gesetz seine eigentliche Funktion und wirke als Zeichen auf Christus hin,76 der dazu befähige, Schöpfer und Schöpfung in ihrer Güte zu erkennen und also das Gesetz zu erfüllen. Der eigentliche Sinn des Gesetzes besteht nach Luther darin, die Sündhaftigkeit des Menschen und dessen schlechthinnige Abhängigkeit und Angewiesenheit Gott und seiner Liebe gegenüber aufzuzeigen.77 Diese Funktion erfülle das Gesetz nur dann, wenn angesichts des Menschgewordenen, der die Heilszuwendung Gottes verkörpere und Kreuzestod und Leiden der Sünde wegen auf sich nehme, Einsicht in die res des Gesetzes gewährt sei. Dann nämlich werde dem Menschen seine Hilfsund Heilsbedürftigkeit bewußt; er werde empfänglich für das befreiende wie fürsorgliche Handeln Gottes und folglich auch zum Tun des Gesetzes fähig, das jetzt selbst als heilsstiftend eingesehen werde.78 74 WA 2, GalKomm I, 499,20 – 23. 75 S. dazu Eilert Herms, Die Lehre von der Schöpfungsordnung, 448: „Durch die Schöpfungsordnung sind die individuellen Personen nicht nur dazu bestimmt sich irgendwie selbst zu bestimmen, sondern genau: sich zu bestimmen durch Interaktion mit ihresgleichen in der gemeinsamen Welt. Und zwar nicht irgendwozu, sondern genau zur Hingabe an den Willen Gottes“. 76 „Ideo qui lege aliter utuntur quam signo, quo ad Christum diriguntur, quo cognoscat suam miseriam et quo gratiam quaerant, pessime abutuntur, ut qui suis viribus freti, mox lege audita, in opera eius accinguntur, rem legis in seipsis invenisse se videant.“ (WA 2, GalKomm I, 500,12 – 16) 77 S. dazu auch Wilfried Joest, Ontologie, 273/274. 78 S. dazu WA 45, Predigt vom 30. 9. 1537, 150,13 – 18: „Denn das Gesetz wird nicht also auffgehaben durch die Gnade, das auch die Warheit solt nach bleiben, das man nicht solte Gott lieben usw. Sondern durch jn wird uns geschencket, das wir dem Gesetz nicht gnug thun (und doch thun solten) jnn dem reich der Vergebung oder der Gnade, Aber da zu wird uns auch gegeben der heilige Geist, welcher jnn uns ein newe flamme und feur anzundet, nemlich liebe und lust zu Gottes Geboten“. Und a.a.O., 151,18 f.: „Das sind die zwo leren [die Lehre vom Gesetz und die Lehre von der Gnade Gottes], die man bey ein ander behalten sol, als die zusamen oder jnn
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Angesichts des Mensch gewordenen Gottessohnes und seines Leidens und Sterbens um der Sünde des Menschen willen werden nach Luther die Sünde des Menschen sowie das Wesen des allmächtigen und ewigen Schöpfers vollkommen offenbar.79 Denn in seiner vollkommenen Liebe gegenüber dem Schöpfer sei der Inkarnierte dem Willen Gottes gemäß selbst zum größten Sünder geworden und habe den Tod des Sünders zum Heil der Menschen erlitten.80 Der Menschgewordene habe damit sowohl die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen als auch seinen uneingeschränkten Gehorsam Gott gegenüber erwiesen, welchen ein jedes menschliche Geschöpf Gott schuldig sei.81 Nur angesichts der in Christus offenbarten Liebe Gottes könne der Mensch sein Zurückbleiben hinter den Forderungen des dreieinigen Gottes erkennen. Abgesehen von der Erlösung durch Jesus Christus, in dem durch den Heiligen Geist vermittelt der Schöpfer seine Liebe offenbart, kann nach Luther die Daseinszumutung ihrem Wesen nach nicht eingesehen und nicht bewältigt werden. Die Erlösung des Menschen zum Glauben, zur Hoffnung auf das Reich Gottes und damit zur Erfüllung des Gesetzes aus Liebe betrifft nach Luther den ganzen Menschen und geschieht auf Grund der durch den Heiligen einander gehoeren“ (Hervorhebung A.K.). S. dazu auch a.a.O., WA 24, GenDecl, 94 – 100 und besonders 106,21 – 23: „Weil er [d.i. Adam] sündiget, ist er nicht verzagt, aber hernach wenn das gewissen trifft und Gott kömpt zu laden, werden die augen auffgethan, da wird er erst gewar, wie greuliche grosse sunde er gethan hat.“ – Zu Luthers Gesetzesverständnis s. Eilert Herms, Luthers Auslegung des Dritten Artikels, 89. – S. zu Luthers Verständnis von Evangelium und Gesetz auch u. III.2. 79 S. WA 2, BhlL, 137,22 ff. S. dazu Eilert Herms, Luther und Freud, 114: Die Betrachtung des Leidens Christi ist nach Luther heilsam, wenn „der Geist Gottes das Evangelium vom Selbstopfer des Sohnes Gottes um der Sünde aller Menschen willen hinsichtlich seines Sinnes erschließt und das Wahrsein dieses recht verstandenen Evangeliums einer Person evident macht“. 80 Weil der Inkarnierte mit seinem Tod zum einen die Sünde offenbare und zum anderen die Erlösung bringe, hält Luther fest: „Also ist Christus zugleich Gesetz und Freiheit“ (WA.Tr 6, 6609). 81 S. dazu WA.Br 1, 329,50 ff.: „Ideo repeto iterumque monebo: quicunque velit salubriter de Deo cogitare aut speculari, prorsus omnia postponat praeter humanitatem Christi. Hanc autem vel sugentem vel patientem sibi praefigat, donec dulcescat eius benignitas. Tunc ibi non sistat, Sed penetret ac cogitet: Ecce non sua, Sed Dei patris voluntate haec & haec facit. Ibi incipiet placere suavissima voluntas patris, quam in humanitate Christi ostendit […]. Hac voluntate Deus pater secure potest apprehendi & cum fiducia. Ista via neglecta non restat aliud nisi praecipitium in aeternum Barathrum. Nam alia via non vult adiri, cognosci, amari, sicut dicit: ’Ego sum via, veritas & vita, Nemo venit ad patrem, nisi per me’.“
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Geist vermittelten Begegnung mit dem Gottessohn, der in Raum und Zeit selbst als Mensch existiert hat. Wiederum nur in Raum und Zeit könne diese Begegnung dem einzelnen Menschen widerfahren. Die räumliche und zeitliche Begrenztheit des leiblichen und endlichen menschlichen Lebens, die der Sünder als Unfreiheit und mit Todesfurcht empfinde, ist nach Luther zugleich die Möglichkeitsbedingung dafür, Gottes ewiges und befreiendes Heilshandeln in Jesus Christus zu erfahren. Denn eben dadurch, daß die unverbrüchliche Schöpfungsordnung, das „Naturgesetz“ oder auch das Gesetz Gottes die dem Menschen eigene Begrenztheit aufweist, kann sich der Mensch seiner Angewiesenheit auf Gottes befreiendes Heilshandeln bewußt sein. Allein aber durch das Wirken Jesu Christi wird nach Luther der Mensch von Furcht und Leid und ewigem Tod befreit und erlöst, weil er nun im Glauben die Schöpfungsordnung als gut, nämlich als ausgerichtet auf die Realisation des ewigen Gottesreiches erkennt.82 Durch den Inkarnierten sind nach Luther Gott der Schöpfer als der ewige Grund der raum-zeitlich verfaßten Schöpfung und die ewige Gemeinschaft mit ihm als das Ziel seiner Schöpfung offenbar. Durch ihn werden Zeit und Raum als diejenigen Größen der guten Schöpfung Gottes zu erkennen gegeben, im Rahmen derer der Schöpfer durch die Offenbarung des Inkarnierten im Heiligen Geist das menschliche Leben mit sich vereinigen und zum ewigen Leben überführen will. Daß der dreieinige Gott seine Schöpfung von Ewigkeit vorherbestimmt und insofern sehr gut geschaffen hat, als er durch sie das ewige Gottesreich verwirklichen will, das macht die Interpretation von Luthers Verständnis der Schöpfertätigkeit Gottes deutlich.
82 S. dazu WA 6, Von den guten Werken, 208,34 – 36: „Uber das alles ist des glaubens der hochste grad, wan got nit mit zeitlichem leiden, sondern mit dem todt, hell und sund das gewissenn strafft unnd gleich gnad unnd barmhertzickeit absaget“. Im Glauben nämlich ist bewußt, daß das eigentliche Ziel des Wirkens Gottes das ewige Leben ist, „da nicht mehr vergebung wird sein sondern gantz und gar rein und heilige menschen voller fromkeit und gerechtickeit, entnomen und ledig von sund, tod und allem unglueck ynn einem newen unsterblichen und verklerten leib.“ (WA 30/I, GrKat, 191,5 – 8)
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II. Die Schöpfertätigkeit des dreieinigen Gottes Luther geht davon aus, daß der allmächtige83 und ewige dreieinige84 Gott die Welt „ex nihilo“ durch sein Wort geschaffen hat.85 Die Überzeugung, daß es der dreieinige Gott gewesen sei, findet er in der biblischen Aussage, daß „Elohim“ (nicht Jahwe) die Welt geschaffen habe, bestätigt. „Im Anfang schuf Elohim“,86 könne nicht anders verstanden werden, denn als Zeugnis davon, „quod in natura divina extra creaturam sit personarum pluralitas“, nämlich die Person des Vaters, die des Sohnes und die des Heiligen Geistes.87 Daß das Schöpfungshandeln im Anfang der Welt ein Handeln des dreieinigen Gottes ist, werde jedoch erst auf Grund der Inkarnation des Gottessohnes und durch das Wirken des Heiligen Geistes offenbar. Der Heilige Geist gebe zu erkennen, daß das schöpferische Wort Gottes des Schöpfers mit dem inkarnierten Gottessohn identisch ist. Der Prolog des Johannesevangeliums verkünde dementsprechend dieses Schöpferwort, durch welches Gott seine Schöpfung auf Grund seiner ewigen Liebe ins Leben ruft,88 als den dreieinigen Gott in der Person des Sohnes89 :
83 S. dazu WA 18, ServArb, 719,24/25: „Primo Deum esse omnipotentem, non solum potentia, sed etiam actione (ut dixi), alioqui ridiculus foret Deus.“ 84 Nach Luther sind „im Göttlichen Wesen […] Gott Vater, Son, heiliger Geist, drey person inn einigem ewigen, unbegreifflichen wesen.“ (WA 53, Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi (1543), 608,3 f.) 85 WA 42, GenKomm, 8,24 f. 86 S. Gen 1,1. 87 S. dazu WA 42, GenKomm, 10,31 f. 88 S. dazu WA 30/I, GrKat, 185,24 – 26. 89 Vgl. WA 42, GenKomm, 13,34 – 14,13. S. dazu WA 46, JohAusl I, 599,27 – 600,1: „Wir sollen aber acht haben auff des Euangelisten wort, droben hat er gesaget: ’Alle dieng sind durch das Wort gemacht’, dabey lesset er es nicht bleiben, sondern widerholet mit vleis und wohlbedachtem rat eben dasselbige wort wider und spricht: ’Das Liecht war in der Welt, und die welt ist durch dasselbige gemacht.’ Denn damit wil er fest gründen und gewis machen den Artickel, darauff all unser Glaube stehet, das Jhesus Christus von art und natur beide, wahrhafftiger, Natürlicher Gott und Mensch sey, als wolt er sagen: eben dasselbige Kindlin, das in der krippen liget und der Mutter Maria brüste seuget und jr hernach unterthan ist, das ist das Leben und Liecht der Menschen, ja, Gott schöpffer aller dieng, denn die Welt ist durch jn gemacht. Dieses ist unser (die wir von Christo unsern namen haben) Heubtartickel, und das ist unser rechter, warhafftiger, Christlicher Glaube, und ist sonst kein ander glaube, nemlich, das Christus warer Gott und mensch sey, und der glaube macht auch allein selig.“
II. Die Schöpfertätigkeit des dreieinigen Gottes
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„Wie nu ein Mensch ein wort, gesprech oder gedancken mit sich selber hat, er redet on unterlas mit sich selber, ist voller wort und ratschlege, was er thun oder lassen wolle“, so „hat Gott auch in ewigkeit in seiner Maiestet und Göttlichem wesen ein wort, rede, gespreche oder gedancken in seinem Göttlichen Hertzen mit sich selber, […] das heisst sein wort, das von ewigkeit in seinem Veterlichen Hertzen inwendig gewest, dadurch GOTT geschlossen hat Himel und Erden zu schaffen. Aber von solchem willen GOTTES hat nie kein Mensch gewust, bis so lange dasselbige Wort fleisch wird, und verkündiget uns“.90
Mit seinem ewigen Wort habe der allmächtige Gott den Anfang der Schöpfung sowie ihre räumliche Ausdehnung (Himmel und Erde) gesetzt und also Raum und Zeit geschaffen. Nach Luther sind durch Gott den Schöpfer in Wesenseinheit mit dem präexistenten Gottessohn91 und dem schöpferischen Geist die Zeit und der weltliche Raum in der göttlichen Ewigkeit und Unbegreifbarkeit entstanden und aus ihr hervorgegangen.92 Weil Gott Zeit und Raum durch sein ewiges Wort geschaffen hat, müssen diese derart verfaßt sein, daß er selbst auf sie und in ihnen wirken und mit ihnen und in ihnen sein Denken und Wollen zur Geltung bringen kann. Über das, was vor der Schöpfung gewesen sein mag, kann nach Luther der Mensch eigentlich nichts wissen.93 Es gehöre der aller Zeit vorausliegenden Ewigkeit und der Unbegreifbarkeit des „nudus Deus“94 an. Soviel aber nimmt Luther an, daß „extra tempus ante mundum“95 der dreieinige Gott mit sich selbst im Gespräch gewesen sei und – zumindest in Folge seiner Überlegungen – seine Weltschöpfung beabsichtigt habe. Insofern diese Absicht aus Gott selbst hervorgeht, außer dem vor aller Zeit nichts besteht, muß sie Gottes Wesen vollkommen entsprechen. Es muß nach Luther angenommen werden, daß Gott von Ewigkeit her darauf aus 90 WA 46, JohAusl I, 543,34 – 36 und 544,3 – 9. 91 S. dazu WA 42, GenKomm, 14,6 f.: „Ergo in principio et ante omnem creaturam est verbum, et est tam potens verbum, quod ex nihilo facit omnia.“ 92 S. WA 42, GenKomm, 14,29 – 31: „Is autem quia est incomprehensibilis, illud etiam incomprehensibile est, quod fuit ante mundum, quia nihil est nisi Deus.“ S. dazu WA 26, AbChr, 336,10 – 15. – Das, was „extra tempus ante mundum“ gewesen sei, könne der Mensch weder begreifen noch verstehen, weshalb er sich an das in der Zeit Mensch gewordene Schöpfungswort und die Schöpfungswerke Gottes halten solle (WA 42, GenKomm, 9,32 – 34). S. dazu ausführlicher u. III.1. 93 S. dazu WA 42, GenKomm, 10,3 – 6: „Et insania est disputare multa de Deo extra et ante tempus, quia id est velle comprehendere nudam divinitatem, seu nudam essentiam divinam. Hoc quia impossibile est, ideo involvit se Deus in opera et certas species, sicut hodie se involvit in Baptismum, in Absolutionem etc.“ 94 WA 42, GenKomm, 14,29. 95 WA 42, GenKomm, 9,34.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
ist, seinem Wesen gemäß Welt und Menschen zu schaffen, und daß er also den menschlichen Geschöpfen – in Übereinstimmung mit seinem dreieinigen Wesen – durch das ewige Gotteswort im Heiligen Geist begegnen will. Davon geht Luther deshalb aus, weil das inkarnierte Gotteswort in Zeit und Raum diese ewige Heilsabsicht Gottes offenbart hat; „fanaticum est, sine verbo et involucro aliquo de Deo et divina natura disputare, sicut solent omnes Haeretici“.96 Das inkarnierte Gotteswort habe in Raum und Zeit das Wesen des Schöpfers, sein Denken, Wissen und Wollen und damit auch die Beschaffenheit seines Werkes zu erkennen gegeben. Demjenigen Menschen, der an den Inkarnierten glaube, zeige sich die Schöpfung in ihrer wahren Beschaffenheit, nämlich als das Werk der treuen Liebe des ewig gnädigen Gottes, zu dem sich der Glaubende bekennt: „Das meine und gleube ich, das ich Gottes geschepffe bin, das ist, das er mir geben hat und on unterlas erhelt leib, seele und leben […]. Und solchs alles aus lauter liebe und güte durch uns unverdienet, als ein freundlicher vater“.97 Nach Luther gibt der Inkarnierte Gottes „eitel liebe“98 als Gottes Wesen und also als das Wesen des allmächtigen Schöpfers und damit als das Prinzip der gesamten Schöpfertätigkeit zu erkennen. „Gott ist selbs die Liebe, und sein wesen ist eitel lauter liebe“, weshalb auch sein gesamtes Schaffen nur der Liebe entstammen kann;99 „die Liebe thut und ubet eben die selben werck, die Gott selbs thut, Was thut aber Gott? Er gibt erstlich der gantzen wellt das leben, einem jglichen seinen leib und alle gliedmas, gesundheit, liecht, lufft, wasser, feur, essen, trincken und alle notdurfft, das einem jglichen himel und erden dienen mus“.100 Weil der dreieinige Gott in ewiger Liebe die Welt erschaffen hat, läßt er nach Luther von seiner Schöpfung nicht ab, und in seiner fortwährenden schöpferischen Tätigkeit erhält er die Welt seinem ewigen Heilswillen und Vorherwissen101 gemäß durch sein Wort, mit dem er alles Sein ex nihilo 96 WA 42, GenKomm, 11,19/20. 97 WA 30/I, GrKat, 183,32/33 und 184,30/31. 98 S. WA 36, Predigt vom 9. 6. 1532, 423,10. S. auch a.a.O., 423,29 – 31: „Wer jnn der liebe bleibet, der bleibt jnn Gott und hat Gott selbs, Wer aber Gott hat, der hat es alles“; s. dazu 426,26 f.; 427,28 f.: „auch sein zornige werck doch mussen eitel liebe heissen.“ – S. dagegen Oswald Bayer, Martin Luthers Theologie, 188: „Lässt sich diese Liebe prinzipialisieren? Luther verneint dies.“ S. dazu Thomas Reinhuber, Kämpfender Glaube, 231 ff. 99 WA 36, Predigt vom 9. 6. 1532, 424,16/17. 100 WA 36, Predigt vom 9. 6. 1532, 425,8 – 12. 101 S. dazu WA 18, ServArb, 715 f.
II. Die Schöpfertätigkeit des dreieinigen Gottes
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geschaffen hat102 ; „er regiert und erhelt für und für, was er im anfange gemacht hat.“103 Es ist nach Luther „dis das furnemeste stücke der Schöpffung, das wir wissen und gleuben, das Gott feste gehalten an dem, das er geschaffen hat.“104 Gottes Schöpfung, vor allem auch die Schöpfung des Menschen,105 hat nach Luther am „siebten Tag“ der biblischen Schöpfungserzählung zur Zufriedenheit und Freude Gottes in ihrer Vollkommenheit bestanden und sei damit abgeschlossen gewesen.106 Seitdem regiere und erhalte der Schöpfer seine Kreaturen „virtute verbi sui“;107 das mit dem ewigen Schöpfer wesenseine Schöpfungswort sei „Anfang, Mittel und ende aller Creaturn“.108 Obwohl auf der Erde fortwährend neue Lebensgestalten entstehen, dürfe nicht angenommen werden, Gott erschaffe immer wieder neue Kreaturen. Denn bei der Schöpfungstat, die der allmächtige Gott im Anfang durch sein Wort vollzogen habe, habe er bereits die Entstehung und Geburt eines jeden Geschöpfes vorhergedacht und mitgeschaffen. Der einzelne Mensch, gleich zu welcher Zeit er ins Leben komme, sei „coram Deo“ bereits „in principio mundi“ gezeugt worden.109 102 S. WA 46, JohAusl I, 560,28 – 34: „Also ist Himel und Erden aus dem, das unsichtbar und nichts war, durch jn herfuer bracht und sichtbar gemacht worden, und ist also der Herr Christus, da alle ding geschaffen worden sind, dabey gewesen, nicht als ein Zuseher, sondern ist gleicher Schoepffer und Mitwircker gewesen, und wird alles durch jn noch regieret und erhalten bis zum ende der welt, denn er ist aller Creaturn anfang, mittel und ende.“ 103 WA 46, JohAusl I, 561,18 f. Gott erhalte die Welt nicht wie ein „Werckmeister, der sterblich ist“ (a.a.O., 24). Der Sohn Gottes sei nicht ein solcher „Wircker, der wie ein Bawmeister, wenn er das werck vollendet hat, davon gehet“ (a.a.O., 17/ 18). 104 WA 46, JohAusl I, 560,40 – 561,2. 105 S. dazu WA 42, GenKomm, 51,15 – 26. 106 WA 42, GenKomm, 56,35 – 57,5. 107 WA 42, GenKomm, 57,19. S. dazu Oswald Bayer, Schöpfung als Anrede, 101: In Luthers Schöpfungsverständnis lassen sich nach Bayer „’Schöpfung’ (creatio) und ’Erhaltung’ (conservatio) nicht unterscheiden“. Gegen Schleiermacher merkt Bayer, a.a.O., 127, Anm. 46 an, es dürfe allerdings nicht behauptet werden, „daß ’die Lehre von der Schöpfung ganz in der von der Erhaltung aufgeht’“. Zur Interpretation dieses Schleiermacher-Zitates s. Schleiermacher-Kapitel, II.3.2. 108 WA 45, Predigt vom 21. 11. 1537, 294,16. 109 WA 42, GenKomm, 57,36, s. v. a. a.a.O., 57,37 – 58,2: „Quidquid enim Deus voluit condere, hoc tum, cum diceret, condidit. Non subito nostris oculis apparuerunt omnia. Sicut enim sagitta, aut globus, qui ex bombarda mittitur (nam in hoc maior celeritas est), uno quasi momento ad metam dirigitur et tamen per certum intervallum mittitur: Ita Deus per verbum suum currit ab initio usque ad
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
In Übereinstimmung mit Gottes allmächtigem Vorherwissen geschehen nach Luther Schöpfung und Erhaltung mit Notwendigkeit.110 Was der dreieinige Gott ewig vorhergewußt und vorherbestimmt habe, wirke und realisiere er auch.111 „De praescientia Dei disputamus; huic nisi dederis necessarium effectum praesciti, fidem et timorem Dei abstulisti, promissiones et minas divinas omnes labefecisti atque adeo ipsam divinitatem negasti.“112 Denn, was Gott vorherwisse, das sei identisch mit seinem Wollen. „Vult enim Deus eadem, quae praescit.“113 Weil immer und immer nur geschehe, was Gott wolle und vorherbestimme, wisse er stets voraus, was geschehen werde. Wiederum geschehe immer und immer nur das, was Gott bereits vorherwisse, weil er das stets wolle, was in seinem Vorherwissen sei. Und weil Gottes Wesen ewig und unveränderlich ist, ändert nach Luther der Allmächtige sein Wollen und Wissen nicht;114 was er nach seinem Wesen gewollt und geschaffen hat, eben dieses wird er auch erhalten wollen und erhalten: „Si volens praescit, aeterna est et immobilis (quia natura) voluntas, si praesciens vult, aeterna est et immobilis (quia natura) scientia.“115 Wie nach Luther die Offenbarung des Inkarnierten durch den Heiligen Geist deutlich macht, ist der Inhalt des göttlichen Vorherwissens die Realisation des Reiches Gottes.116 Diesen Heilsplan des Schöpfers zerstöre
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finem mundi. Non enim apud Deum sunt prius et posterius, citius aut tardius, sed omnia sunt eius oculis praesentia. Est enim simpliciter extra temporis rationem.“ Vgl. dazu Paul Gerhardt, EG 37,2: „Da ich noch nicht geboren war, / da bist Du mir geboren / und hast mich Dir zu eigen gar / eh ich Dich kannt, erkoren.“ WA 18, ServArb, 719,20 – 24. „Atque ipsamet ratio naturalis, quae necessitate illa offenditur et tanta molitur ad eam tollendam, cogitur eam concaedere, proprio suo iudicio convicta, etiam si nulla esset scriptura. Omnes enim homines inveniunt hanc sententiam in cordibus suis scriptam et agnoscunt eam ac probant (licet inviti), cum audiunt eam tractari.“ – S. dazu WA 18, ServArb, 747,2 – 7: „Imo ideo maxime operandum est, quia incerta nobis sunt omnia futura […]. Nobis inquam sunt incerta cognitione, sed necessaria eventu. Necessitas nobis timorem Dei incutit, ne praesumamus et securi simus. Incertitudo vero fiduciam parit, ne desperemus.“ S. WA 18, ServArb, 786,3 – 7. WA 18, ServArb, 716,13 – 15. WA 18, ServArb, 716,18/19. S. WA 18, ServArb, 615,21 – 23. WA 18, ServArb, 615,29/30. S. dazu WA 18, ServArb, 719,24 – 26: „Primo Deum esse omnipotentem, non solum potentia, sed etiam actione (ut dixi), alioqui ridiculus foret Deus. Deinde ipsum omnia nosse et praescire, neque errare neque falli posse.“ S. dazu WA 18, ServArb, 785,17 – 19 und WA 42, GenKomm, 54,15 f..
II. Die Schöpfertätigkeit des dreieinigen Gottes
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auch die Sünde des Menschen nicht. Zwar habe die Sünde eine Veränderung der geschaffenen Welt bewirkt; „post peccatum omnia sunt mutata in deterius“.117 Die vollkommene Beschaffenheit, die vom Schöpfer ab initio sämtlichen Kreaturen gegeben war, hat nach Luther auf Grund der Sünde des Menschen Schaden erlitten.118 Doch habe Gott infolge der Sünde keineswegs von neuem Erde, Meer und Kreaturen erschaffen – weil durch die Sünde die Schöpfung zwar verdorben, nicht aber zerstört worden sei, ist nach Luther keine neue Schöpfung nötig.119 Was den Menschen anbelange, sei mit dem Eintreten der Sünde zwar seine uranfängliche oder vielmehr seine originale und ursprüngliche120 Vollkommenheit und damit die Erkenntnis Gottes, die er in initio „per se“ besaß,121 verlorengegangen. Der Sünde wegen sei den menschlichen Geschöpfen die ursprüngliche Erkenntnis Gottes verwehrt, nicht jedoch sei ihnen die geschaffene Befähigung genommen, die ihnen der dreieinige Gott zu seiner Erkenntnis gegeben habe.122 Also ist es nach Luther auch nicht nötig, daß Gott den Sünder mit einer neuen Natur versieht, um ihn zu erlösen. Nach Luther ist es mit Gottes erhaltender Tätigkeit sogar unvereinbar, daß der dreieinige Gott den Menschen zur Befreiung aus der Sünde mit einer neuen, ganz und gar anderen Natur oder personalen Struktur ausstattet. Der Fall der Sünde kann nach Luther die Person-Struktur der menschlichen Natur nicht vollkommen zerstört und vernichtet haben, so daß es eines erneuten Schaffens Gottes bedürfte. Denn damit wäre zum einen die erhaltende Macht Gottes in Frage gestellt und zum anderen die sehr gute Beschaffenheit seiner Schöpfung. Diese ist zwar als solche verloren, jedoch besteht nach Luther für den Menschen trotz der Sünde die passive Disposition, derentwegen sich der Schöpfer seinen Geschöpfen in Übereinstimmung mit seiner Schöpfung offenbaren und zu erkennen geben kann. Nach Luther ist der Mensch, der – ebenso wie Adam – von Anbeginn seines irdischen Daseins an sündigt, weder als Sünder geschaffen und gar als Geschçpf im Gegensatz zu seinem Schöpfer sündig verfaßt noch ist auf Grund einer ersten Sünde die menschliche Natur derart verändert, 117 WA 42, GenKomm, 59,30. 118 WA 42, GenKomm, 59,6 – 8.: „Nunc, cum alius sit homo propter peccatum, etiam mundus cepit esse alius, hoc est, ad lapsum hominis secuta est corruptio et maledictio creaturae.“ 119 S. WA 42, GenKomm, 59,2/3.33/34. 120 S. WA 42, GenKomm, 59,1/2. 121 WA 42, GenKomm, 50,9 – 11. 122 S. dazu WA 42, GenKomm, 60,35 – 61,13.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
daß der Mensch jegliche Disposition zur Gotteserkenntnis verloren hätte. Sündersein ist nach Luther weder „das ontologische Korrelat des Alleingut-seins Gottes“123, das Gott als dauernde Bedingung oder „Eigenschaft“124 des Menschseins geschaffen hätte, noch geht das menschliche Geschöpf in Folge seiner selbsttätigen Sündentat seiner Bestimmung verlustig, zur Gemeinschaft mit dem Schöpfer geschaffen und darum auch dazu befähigt zu sein.125 Nach Luther ist der Mensch vielmehr als ein von Gott ursprünglich vollkommen geschaffenes Geschöpf in seinem arbitrium schlechthin abhängig von den Gnadenzuwendungen Gottes, so daß sowohl seine Sünde als auch die Realisation seiner ursprünglichen Vollkommenheit durch Gottes ewig vorhergewußtes Heilshandeln schlechthin bedingt sind.126 Das menschliche Geschöpf ist nach Luther ganz und gar auf den ewigen Heilsplan Gottes angewiesen, der die sündige Existenzweise als zu überwindenden Zustand menschlichen Lebens zwar miteinschließt, dessen ursprüngliches und ewiges Ziel es jedoch ist, daß der Mensch vollkommen und in allem Gott erkenne.127 123 Wilfried Joest, Ontologie, 272. Mit Joest wird man nach Luther „eine ontologische Notwendigkeit der Sünde ad maiorem Dei gloriam […] entschieden verneinen müssen. Ein solcher Gedanke, der ja einschließen würde, daß Gott den Menschen als Sünder geschaffen hat, der den Sündenfall als Fall aufheben und in eine mit wesenhafter Notwendigkeit eintretende Manifestation der Kreatürlichkeit des Menschen verwandeln würde, kann für den Bibeltheologen Luther schon a priori ausgeschlossen werden. Er konnte ihm gar nicht kommen.“ (a.a.O., 272/273) 124 Zu Luthers Verständnis von „Eigenschaften“ s.u. III.1. 125 S. dazu Wilfried Joest, Ontologie, 303 – 310. Allerdings kann gegen Joest festgehalten werden, daß Luther auf die Frage, ob „Gott selbst […] dem Menschen das Sünder-werden angetan [hat], indem er aufhörte, ihn zu tragen“ (a.a.O., 309) in De servo arbitrio insofern eine Antwort gegeben hat, als er im Blick auf Gen 3 interpretiert: „Sed mox sequitur tertio capite, quomodo sit homo factus malus, desertus a Deo ac sibi relictus“ (WA 18, ServArb, 708,22/23; s. o. Anm. 44). 126 S. WA 18, ServArb, 717,9 – 11: „Non est in manu nostra eius voluntatem mutare, multo minus resistere, quae nos vult induratos, qua voluntate cogimur esse indurati, velimus nolimus.“ 127 Nach Luther will Gott stets vom Menschen als Gott erkannt sein „tam hic quam in futuro, et in omnibus rebus, casibus, temporibus et operibus“ (WA 18, ServArb, 726,12/13). S. dazu auch WA 18, ServArb, 615,20 – 22: Weil sich Wesen, Willen, Wirken und Wissen des Schöpfers nie änderten, so sei der gerechte und milde Schöpfer auch in Ewigkeit voller Güte und Barmherzigkeit, „iustus et clemens“. Demnach ist, was geschieht, stets durch den gerechten und milden Gott vorherbestimmt und vorhergewußt, so daß alles, was geschieht, seinem gütigen Wesen und seinem Heilswillen entsprechen muß. – Daß nach Luther durch Gottes
III. Die Inkarnation des Gottessohnes
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Daß es zum Heilswillen des Schöpfers gehört, seinen Heilswillen dem Menschen zu offenbaren und zu erkennen zu geben, dies erweist nach Luther die Inkarnation des Gottessohnes. Gerade die Inkarnation des Gottessohnes manifestiert die Zuwendung Gottes insbesondere zu seinen menschlichen Geschöpfen. Durch die Menschwerdung Christi wird das schöpferische Handeln des dreieinigen Gottes, nämlich seine Gewährung von ursprünglich vollkommenem Leben in Zeit und Raum, den erwählten Menschen128 vergegenwärtigt. Denn Gott selbst präsentiert sich in Jesus Christus durch das Wirken des Geistes als der, der sich in unüberbietbarer Weise zu seiner Schöpfung bekennt, deren ursprüngliche Vollkommenheit er noch verwirklichen wird.129
III. Die Inkarnation des Gottessohnes Im menschgewordenen Gottessohn sind nach Luther – gemäß der chalcedonensischen Formel „vere Deus et vere homo“ – Menschheit und Gottheit Jesu Christi vereint.130 Jesus Christus ist nach Luther wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich in einer Person, und zwar uneingeschränkt in allen seinen Handlungsvollzügen.131 Wesen, Wollen und Wirken des Gottessohnes seien stets zugleich von göttlichen und
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Wirken die Sünde graduell-evolutiv überwunden wird, belegt u. a. WA 30/I, GrKat, 200,20: Nach Luther beten diejenigen, die das Reich Gottes (in dem die vollkommene Gotteserkenntnis gegeben ist) bereits „angenomen haben“, die zweite Bitte des Vaterunsers, auf daß sie „dabey bleiben und teglich zunemen“. S. dazu WA 18, ServArb, 689,32 – 690,2: „Huius itidem Dei incarnati est flere, deplorare, gemere super perditione impiorum, cum voluntas maiestatis ex proposito aliquos relinquat et reprobet, ut pereant. Nec nobis quaerendum, cur ita faciat, sed reverendus Deus, qui talia et possit et velit.“ S. dazu Eilert Herms, Art. Zeit, in: TRE, Bd. 36, 540: An das schöpferische Handeln Gottes im Uranfang, an „die uranfängliche Gewährung unserer Lebensgegenwart“ muß das menschliche Geschöpf erinnert werden. Dies ist bereits geschehen und geschieht durch die Vergegenwärtigung dieser Gewährung „in der die Lebensgegenwart des Glaubens begründenden Offenbarung des gekreuzigten Jesus als der Inkarnation des logos tou theou, also als Inkarnation von Gottes Gemeinschafts-, Versöhnungs- und Vollendungswillen, der eben das schöpferische Wirken seiner Entschlossenheit ist, uns an seiner Gegenwart Anteil zu gewähren.“ WA 39/II, DiHu, 1. These, 93,2/3. S. WA 26, AbChr, 333: „Nein geselle, wo du mir Gott hinsetzest, da mustu mir die menscheit mit hin setzen, Sie lassen sich nicht sondern und von einander trennen“.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
menschlichen Eigenschaften bestimmt (communicatio idiomatum).132 Entsprechend werden von Luther Schöpferhandeln und Kreuzestod weder einerseits ausschließlich der Gottheit Christi noch andererseits allein seiner Menschheit zugeschrieben. Vielmehr hält er dafür: „Christus ist Gott und mensch in einer Person, darumb, was von im gered wird als menschen, das mus man von Gott auch reden, Nemlich, Christus ist gestorben, Und Christus ist Gott, drumb ist Gott gestorben, Nicht der abgesonderte Gott, sondern der vereinigte Gott mit der Menscheit“.133 „Widerumb was man von Gott redet, mus auch dem menschen zugemessen werden, Nemlich, Gott hat die welt geschaffen und ist allmechtig, Der mensch Christus ist Gott, darumb hat der mensch Christus die welt geschaffen und ist allmechtig.“134
III.1. Wahrer Gott und wahrer Mensch Nach Luther eignet dem Inkarnierten Allmacht, und doch erleide er zugleich in ohnmächtiger Weise den Tod am Kreuz, weil in ihm Eigenschaften des Schöpfers mit denen des menschlichen Geschöpfes vereinigt seien, vermittelt und ausgetauscht würden. Was diese communicatio von „Eigenschaften“135 anbelangt, ist es für Luther von Bedeutung, daß sie nur den menschgewordenen Gottessohn als solchen betrifft, der als wahrer Mensch und wahrer Gott in untrennbarer, unvermischter, unteilbarer und unverwandelter Verbundenheit der göttlichen und der menschlichen Natur existiert. Damit diese Besonderheit deutlich wird, unterscheidet er zwischen einer konkreten und einer abstrakten Weise, in welcher göttliche und menschliche Eigenschaften Gott und Mensch zukommen sollen. Dem Inkarnierten können nach Luther göttliche und menschliche Eigenschaften nur in concreto zu eigen sein, weil es sich bei ihm um die eine und einmalige Vereinigung des Gottessohnes und eines bestimmten Menschen in der einen Person Jesus Christus handele. Abstrahiert von dieser Vereinigung hätten menschliche und göttliche Eigenschaften eine andere Bedeutung. 132 S. dazu WA 50, KuK 587,31 ff. und WA 45, Predigt vom 22. 11. 1537, 300,14 ff. S. auch WA 39/II, DiHu, 2. These, 93. 133 WA 50, KuK, 589,22 – 26. S. auch WA 39/II, DiHu, 4. These, 93; vgl. dazu WA 39/II, 98,15 – 21; WA 50, 591,28 – 592,15; WA 26, 321,20 – 28. 134 WA 50, KuK, 589,33 – 590,1. Zu Luthers Verständnis der communicatio idiomatum s. Reinhard Schwarz, Gott ist Mensch, 309 – 311. 135 Zu Luthers Verständnis von „Eigenschaften“ s. WA 50, KuK, 587,32/33: „Idioma heisst, was einer natur anhangt oder jr eigenschafft ist“.
III. Die Inkarnation des Gottessohnes
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Nach Luther darf dem menschgewordenen Gottessohn nicht zugeschrieben werden, was auf ein menschliches Geschöpf in abstrakter Weise zutrifft. „Nam creatura veteris linguae usu et in aliis rebus significat rem a divinitate separatam infinitis modis.“136 Der Ausdruck „creatura“ oder „Geschöpf“ bezeichnet nach Luther in abstrakter Weise die unendliche Verschiedenheit der geschaffenen menschlichen Natur von der allmächtigen schöpferischen Gottheit. Abgesehen von der Vereinigung der menschlichen mit der göttlichen Natur, wie sie in Jesus Christus bestehe, befinde sich die menschliche Natur in unaufhebbarer Abhängigkeit und Ohnmacht gegenüber Gott. In Jesus Christus ist nach Luther – im Unterschied zu einer jeden menschlichen Kreatur – auf untrennbare Weise gerade das schlechthin Entgegengesetzte miteinander vereint; „wiewol es wahr ist, das es zwej unterschiedliche dieng sein, der Schopffer und die Creatur, und so weitt von einander sein, als Nichts und etwas odder alles oder als Himmel und erden, dennochs so sind sie alhier vereiniget.“137 Deshalb bedeute die Bezeichnung Christi als Mensch oder noch mehr als „Kreatur“138 anderes als dieselbe Bezeichnung im Blick auf jeden sonstigen Menschen.139 Der Mensch gewordene Gottessohn ist nach Luther insofern „Kreatur“, als er als wahrer Mensch ebenso wie alle Menschen eine endlich und leiblich geschaffene Natur besitzt. Kreatur aber kann er nicht in dem Sinne sein, daß ihm die abstrakte „Menschheit“ zu eigen wäre. Vielmehr ist in ihm als dem bestimmten einen Menschen die Gottheit gegenwärtig geworden für die Menschheit.140 136 WA 39/II, DiHu, 21. These, 94,19/20. 137 WA 47, JohAusl II, 86,13 – 16; s. auch WA 45, Predigt vom 22. 11. 1537, 306,28 – 32: „Wer etwas davon verstehen wil, was es für eine grosse, uberschwenckliche Vereinigung sey, das Gott und Mensch vereiniget sind in eine unzertrenliche Person, der halte gegeneinander die zwo Naturn, Gottheit und Menschheit, und bedencke, wie weit Gott und Mensch voneinander sey, Freilich weiter denn Himel und Erden.“ 138 S. dazu WA 54, 60,1 – 5: „Gleich dem ist zu reden von der Menschheit Christi, die ist an sich selbs eine rechte Creatur, geschaffen zu gleich vom Vater, Son und Heiligem geist, Und ist nicht zu leiden im glauben, das der Vater allein, oder der Son allein, oder der Heilige geist allein diese Creatur oder Menscheit geschaffen habe, Sondern ist ein Opus indivisum trinitatis“. 139 S. WA 39/II, DiHu, 20., 22. und 23. These, 94. S. dazu Reinhard Schwarz, Gott ist Mensch, 337. 140 S. WA 39/II, DiHu, 7. These, 93,13/14: „Unde et illa damnatur: Chistus est humanitas, etiamsi dicatur: Christus est divinitas.“ S. dazu Notger Slenczka, LHB, Christus, 388: „humanitas ist der Begriff für die Natur ohne Rekurs auf ein
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Aber nicht nur die Menschheit Christi auch seine Gottheit müsse stets konkret gefaßt werden. Der „abgesonderte Gott“ könne weder leiden noch sterben, denn die Gottheit selbst ist ewig.141 Leidend und sterbend sei nur die konkrete Gottheit Christi, die in dem einen Menschen Jesus von Nazareth Fleisch geworden sei. „Ja, die [abstrakte] Gottheit kan nicht leiden noch sterben […], Aber dennoch, weil Gottheit und menscheit ynn Christo eine person ist, so gibt die schrifft umb solcher personlicher einickeit willen auch der Gottheit alles, was der menscheit widderferet und widderumb, Und ist auch also ynn der warheit.“142 Damit, daß Luther zum einen annimmt, im Inkarnierten seien Gott und Mensch nicht in abstracto, sondern in konkreter Weise miteinander vereint, sucht er einerseits dem chalcedonensischen „unvermischt“ und „unverwandelt“ gerecht zu werden. Gottheit und Menschheit können im Inkarnierten darum nicht vermischt und verwandelt sein, weil sie eigentlich und in ihrer Abstraktheit unvereinbare Gegensätze sind. Zum anderen macht Luther Ernst mit der „ungeteilten“ und „ungetrennten“ kommunikativen Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur im Inkarnierten, die deshalb bestehe, weil im Inkarnierten zwar nicht der abstrakte dreieinige Gott, aber sehr wohl der Gottessohn mit einem bestimmten Menschen vereinigt sei.143 Zwar ist nach Luther in Jesus Christus gerade nicht die abgesonderte Gottheit mit der Menschheit vereint. Dennoch offenbare der Inkarnierte die Gottheit des dreieinigen Gottes, weil dieser in seiner Wesenseinheit die Menschheit Christi hervorgebracht habe, mit welcher allerdings allein die zweite Person der Trinität verbunden sei.144 Luther hält fest, daß „die gantze Dreifaltigkeit als ein Einiger Schepffer hie ist, und das Einige Werck, die Menscheit, geschaffen und gemacht hat, und doch die Person des Sons allein damit vereiniget und Mensch worden, nicht der Vater noch Heiliger geist. Und kanst von diesem Menschen nicht sagen, das ist Gott der
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konkretes Exemplar und damit auch ohne Rekurs auf die Einheit von Gott und Mensch in Christus, homo hingegen die Bezugnahme auf die Natur in ihrer Konkretion und entsprechend – christologisch – die Bezugnahme auf die mit Gott verbundene Menschheit Christi.“ S. WA 26, AbChr, 321,20: „die Gottheit kan nicht leiden noch sterben“. Vgl. dazu Notger Slenczka, L-HB, Christus, 386 – 389. S. dazu auch Ders., Neubestimmte Wirklichkeit, 87 – 91. WA 26, AbChr, 321,20 – 24. S. dazu Notger Slenczka, L-HB, Christus, 390. S. WA 54, Von den letzten Worten Davids, 60,1 – 3: Nach Luther „ist zu reden von der Menschheit Christi, die ist an sich selbs eine rechte Creatur, geschaffen zu gleich vom Vater, Son und Heiligem geist“.
III. Die Inkarnation des Gottessohnes
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Vater, oder das ist Gott der Heilige geist, Sondern must sagen, das ist Gott der Son, Ob wol Gott der Vater, Son und Heiliger geist ein Einiger Gott ist, Das du gantz recht sagest von dem Menschen, das ist Gott und ist kein ander Gott mehr“.145
Durch den Inkarnierten wird also der Heilswille des dreieinigen Gottes deshalb vergegenwärtigt, weil Gott der Schöpfer ebenso wie Gott der Geist in Wesenseinheit mit dem Sohn dessen Vereinigung und Kommunikation mit der menschlichen Natur zum Heil des Menschen bewirken.146 Nach Luther verdeutlicht die in seinem Sinne verstandene communicatio idiomatum des inkarnierten Gottessohnes die Tatsache, daß durch die Inkarnation Gott selbst sich zum Heil des Menschen in menschlicher Weise offenbart hat. Zugleich jedoch verwendet Luther die Figur der communicatio idiomatum, um aufzuzeigen, daß sich nicht der abstrakte dreieinige Gott, sondern nur Gott der Sohn in konkreter Weise mit einem konkreten Menschen vereinigt hat. So hat also Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, durch den Inkarnierten seinen Heilswillen manifestiert. Er habe durch ihn offenbart, daß seine ewige Allmacht und Freiheit147 dem Heil der Schöpfung dienen. Aber er habe sich als der absolut Allmächtige und ewig Freie dem Menschen nicht derart zugewandt, daß er diesem verfügbar wäre. Entsprechend verweist Luthers Unterscheidung der konkreten und der abstrakten Gottheit insofern auf seine Unterscheidung zwischen deus revelatus oder praedicatus und deus absconditus,148 als Luther eben davon ausgeht, daß der verborgene oder abstrakte Gott sich als solcher nicht konkretisiert und „nicht definiert“ habe.149 Es darf jedoch keinesfalls angenommen werden, Luther differenziere zwischen einem Wesen Gottes, das der deus revelatus offenbare, und einem Wesen Gottes, das dem des Inkarnierten widersprechend wäre.150 Auch wenn für Luther gilt: „Re145 WA 54, Von den letzten Worten Davids, 60,12 – 20. 146 S. dazu WA 54, Von den letzten Worten Davids, 59: „opera trinitatis ad extra sunt indivisa“. 147 S. WA 18, ServArb, 685,23/24. 148 S. Notger Slenczka, L-HB, Christus, 391. Zu Luthers Unterscheidung von deus revelatus/praedicatus und deus absconditus s. WA 18, ServArb, 685,1 – 24. 149 Eberhard Jðngel, Quae supra nos, nihil ad nos, 230. 150 „Deum se ipsum negare non posse.“ (WA.Tr 5, Nr. 5658a, 295,25) – S. dazu Eberhard Jðngel, Quae supra nos, nihil ad nos, 222: „Der Unterscheidung zwischen gepredigtem und verborgenem Gott korrespondiert […] die Unterscheidung zwischen ’Wort Gottes’ und ’Gott selbst’. Diese Distinktion ist beschwerlich, insofern Luther ja den deus praedicatus ausdrücklich definiert als deus, ’quatenus indutus et proditus est verbo suo, quo nobis sese obtulit’ [WA 18,
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
linquendus est […] Deus in maiestate et natura sua“151, heißt das für ihn nicht, es wäre kein Verlaß darauf, daß das göttliche Wesen, das der deus revelatus offenbart, nicht übereinstimme mit dem Wesen des deus absconditus. In Übereinstimmung mit Luther kann konsequenterweise festgehalten werden, daß das ewige göttliche Wort, das im deus praedicatus offenbar geworden ist, doch gerade der ewigen Majestät Gottes selbst entstammt oder vielmehr dem göttlichen Wesen, das eitel Liebe ist.152 Nur insofern ist dieses Wesen (noch) verborgen und unerforschbar, als der durch den deus praedicatus zum Glauben Geführte (noch) nicht vermag, diesem Wesen als dem Prinzip allen Seins smtliche Widerfahrnisse in der Welt grundsätzlich und mit Notwendigkeit zuzuordnen. Der Glaubende kann nach Luther auf Erden (noch) nicht erkennen, warum und wozu Gott, der Allmächtige, Tod und Leiden gesetzt hat. Zwar veranschauliche der Inkarnierte, der deus praedicatus, in Person und Werk die heilvolle Vereinigung von Schöpfer und Geschöpf als die ewige Heilsabsicht des dreieinigen Gottes, die dessen ewiger Liebe entspricht und mit Notwendigkeit zur Ausführung kommt. Deren konkrete Verwirklichung aber ist in der uneinsehbaren Freiheit und Allmacht der abstrakten Gottheit noch verborgen.153 Der Inkarnierte macht nach Luther deutlich, daß sich der dreieinige Gott in konkreter Weise dem Menschen zuwendet. Doch erst im Reich Gottes könne eingesehen werden, nicht nur daß, sondern auch wie die noch abstrakte, verborgene Gottheit mit ihrer konkreten Offenbarung übereinstimmt. Zwar ist es nach Luther dem Glaubenden auf Erden keineswegs möglich, alle seine in Gottes Wirken begründeten Welterfahrungen mit dem offenbarten Wesen Gottes zusammenzubringen. Er könne aber auf Grund der Offenbarung Gottes im Inkarnierten gewiß sein, daß der allServArb, 685,16]. Der deus proditus verbo suo kann also auf keinen Fall dem deus ipse so entgegengesetzt werden, daß es zu einem Widerspruch im Wesen Gottes kommt. Das würde zu der absurden Konsequenz führen, daß wir es bei dem Gott, mit dem wir nichts zu tun haben, mit einem anderen Gott zu tun hätten als mit dem deus revelatus.“ 151 WA 18, ServArb, 685,14. 152 S. dazu o. II. 153 S. dazu WA 18, ServArb, 685,23/24. Vgl. dazu David Lçfgren, Die Theologie der Schöpfung bei Luther, 239: Nach Löfgren kann „die Verborgenheit erst dann enden […], wenn der Mensch ganz fertig geschaffen ist, d. h. wenn er in seinem eigenen Tod die Vollendung des Lebens erfährt. Erst dann ist die Menschwerdung vollendet.“
III. Die Inkarnation des Gottessohnes
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mächtige Gott nur wirkt, was er will, und daß er will, was er in seiner ewigen Liebe vorherweiß und was seinem ewigen Heilswillen entspricht.154 „Quia ipse sic vult, ideo debet rectum esse, quod fit.“155 „[…] lasz uns weitter fragenn, wan es yhn ubel gaht an leyp, gut, ehr, freund odder was sie habenn, ob sie dan auch glaubenn, das sie got noch wolgefallen und ehr yhr leiden und widderwertickeit, sie sein klein odder grosz, gnediglich uber sie ordene. Hie ist kunst, zu got, der sich tzornig stellet noch allen unsern syn und vorstandt, gut zuvorsicht haben und bessers sich bey ym vorsehn, dan sichs empfindet. Hie ist er vorborgen, gleich wie die braut sagt in Canticis ’Sich, er steht hinder der wandt und sicht durch die fenster’, das ist szo vil, unter dem leidenn, die uns gleich von ym scheyden wollen wie eine wand, ja eine maurenn, steht er vorborgen unnd sicht doch auff mich und lesset mich nit.“156
Nicht nur die Gewißheit davon, daß alles Wirken Gottes aus Liebe geschieht, sondern auch das Wissen um die unbegrenzte Angewiesenheit des Menschen auf Gottes (noch) uneinsehbares, aber heilvolles Wirken wird nach Luther durch den Inkarnierten vermittelt. Denn insofern er in seiner Person Gott und Mensch in concreto untrennbar vereint und als solcher den Menschen von der Sünde befreit, zeigt er auf, daß die Verbundenheit zwischen Gott und Mensch diejenige zwischen „homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator“ ist.157 Er zeigt auf, daß der Mensch um seiner Sündigkeit willen beständig angewiesen bleibt auf die Gemeinschaft mit Gott, in der er von der Sünde frei und für die Güte des gesamten Handelns Gottes empfänglich ist.
154 S. dazu WA 18, ServArb, 731,9 – 13: „Nam quomodo hoc iustum sit, ut indignos coronet, incomprehensibile est modo, videbimus autem, cum illuc venerimus, ubi iam non credetur, sed revelata facie videbitur. Ita quomodo hoc iustum sit, ut immeritos damnet, incomprehensibile est modo, creditur tamen, donec revelabitur filius hominis.“ 155 WA 18, ServArb, 712,36/37. S. dazu a.a.O., 708,8/9: „Sed fides et spiritus aliter iudicant, qui Deum bonum credunt, etiamsi omnes homines perderet.“ 156 WA 6, Von den guten Werken, 208,7 – 16. 157 S. dazu WA 40/II, 328,1 f.: „proprie sit subiectum Theologiae homo reus et perditus et deus iustificans vel salvator.“ Um das Verhältnis zwischen Mensch und Gott adäquat zu bestimmen, ist es grundsätzlich nötig darüber Klarheit zu gewinnen, „was wir können und was Gott kann“; s. dazu Eilert Herms, Luther und Freud, 111: „in dieser Frage geht es um den inhaltlichen Kern der christlichen Glaubensgewißheit schlechthin“; s. auch Ders., Auslegung des Dritten Artikels, 17. S. auch Gerhard Ebeling, Cognitio Dei et hominis, 221 ff.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
III.2. Größter Sünder und einziger Erlöser Weil der Inkarnierte immer zugleich Gott und Mensch in concreto ist, ist nach Luther sein gesamter Lebensvollzug sündlos zu nennen. Die Sündlosigkeit der Person Jesus Christus oder vielmehr seine vollkommene Gesetzestreue zeige sich darin, daß er, weil er als Mensch in beständiger Verbundenheit und personaler Einheit mit Gott handele, dem Gebot Gottes entspreche und demgemäß in Liebe zu Gott und den Mitmenschen lebe, leide und sterbe.158 Zugleich sei der Gottessohn „der allergrößte Sünder“, allerdings in metaphorischer Bedeutung.159 Sünder ist nach Luther der Menschgewordene nicht etwa deshalb, weil mit der communicatio idiomatum seiner göttlichen Natur menschliche Eigenschaften mitgeteilt sind. Wie bereits gezeigt, rechnet Luther die Sünde nämlich gar nicht zu den von Gott geschaffenen Eigenschaften des Menschen, sondern beschreibt sie als Ausdruck eines zur Überwindung bestimmten menschlichen Defizits.160 158 S. dazu WA 26, AbChr, 501,28: Für Christus gibt Luther an, „das er on sunde allein von der Jungfrawen durch den heiligen geist komen ist“. Luther hält fest, daß der Menschgewordene „one Sünde ist gewesen, […] das da kein unterscheid gewesen unter IM und andern Menschen, alleine, das er GOTT mit war und keine Sünde gehabet“ (WA 46, JohAusl I, 598,37 – 39). 159 WA.Tr 6, 6607. S. dazu WA 40/I, GalKomm II, 433,20 f.: Christus wird zum größten Sünder; „gessit personam peccatoris et latronis, non unius, sed omnium peccatorum et latronum“ und a.a.O., 433,32.33; 434,12: Christus sei der Sünder, „qui habet et portat omnia omnium peccata in corpore suo. Non quod ipse commiserit ea, sed quod ea a nobis commissa susceperit in corpus suum, pro illis sanguine proprio satisfacturus.“ „Christus non solum crucifixus est et mortuus, sed et per divinam charitatem ei impositum est peccatum.“ (a.a.O., 436,17/18). „Hoc facto totus mundus purgatus et expiatus est ab omnibus peccatis, Ergo etiam liberatus a morte et omnibus malis.“ (a.a.O., 438,13 – 15) Christus werde nicht nur zum größten Sünder, sondern „zur Sünde“ selbst, und zwar in metaphorischer Bedeutung; s. WA 8, Rationis Latomianae confutatio, 86,31 – 34: „Et ut ad institutum veniamus, Christus dum offerretur pro nobis, factus est peccatum metaphorice, cum peccatori ita fuerit per omnia similis, damnatus, derelictus, confusus, ut nulla re differret a vero peccatore, quam quod reatum et peccatum, quod tulit, ipse non fecerat.“ S. dazu Gerhard Ebeling, „Christus … factus est peccatum metaphorice“, v. a. 607. 160 S.o. II., Seiten 32/33. S. dazu Anna Vind, „Christus factus est peccatum metaphorice“, 119. Für die Erlösung des sündigen Menschen durch Christus, der alle Sünde der Welt auf sich genommen hat, hält Vind fest: „Es geht ja darum, dass Christus als der Gottmensch […] an die Stelle des Menschen getreten ist […] und den Austausch der Sünde und Gerechtigkeit zwischen sich selbst und dem Menschen […], der zum Austausch der Wesenseigenschaften in seiner Person […]
III. Die Inkarnation des Gottessohnes
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„Sintemal wir wissen, das alle Creatur Gottes gut sind, Gene. 1., und Gott seine Creatur nicht verdampt, Nach solcher weise ist freylich Christus fleisch und blut von Maria fleisch und blut komen, Weil aber fleisch und blut Johann. 3 verdampt wird, als das nicht kan das reich Gottes erkennen, so mus es fur war nicht die Creatur Gottes heissen, als da ist fleisch, bein, haut und har, Denn solchs ist alles Gottes gute Creatur.“161
Indem der Gottessohn Fleisch geworden ist, hat er nach Luther die ursprünglich vollkommen geschaffene, sündlose Natur des Menschen als des Ebenbildes Gottes angenommen. Entsprechend gilt er als „das Wesentliche Ebenbilde Gottes, Das ist solch Ebenbilde, das die Gottheit oder Goettlich Wesen in sich und an sich hat.“162 Als solches ist der Menschgewordene eben auf Grund seiner engen Verbundenheit mit Gott gerade der eine bestimmte Mensch, dem zu sündigen gar nicht möglich ist. Gleichwohl habe der Inkarnierte in seinem vollkommenen, sündlosen Gehorsam gegen Gott und in seiner Liebe gegenüber den Menschen die Sünden der Menschen aller Zeiten auf sich genommen. Ihretwegen und stellvertretend für sie sei er am Kreuz gestorben,163 wozu er allerdings gerade auf Grund seiner menschlichen Natur in der Lage gewesen sei. „Also haben wir beide stuck der hulffe Christi, Das eine, das er uns mus gegen Gott vertretten und unser schanddeckel sein (uns, sage ich, ein schanddeckel, als der unser sunde und schand auff sich nimpt), aber fur Gott ein Gnaden thron, an dem kein sunde noch schande, sondern eitel tugent und ehre ist“164. Das Kreuzesleiden Christi im Gehorsam gegen Gott um der Sünde des Menschen willen zeigt nach Luther das ganze Ausmaß der Sündhaftigkeit
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analog ist, bewirkt hat.“ Inwiefern die angegebenen Verhältnisse analog sind, führt Vind nicht aus. Grundlegend geht sie davon aus, die „Predigt der Sünde als Metapher für Christus“ schaffe die Tilgung der „Sünden des Menschen, der es hört.“ (a.a.O., 118) S. zu diesem Verständnis der Aussage Luthers: „Christus […] factus est peccatum metaphorice“ (s. Anm. 159) und dem Zusammenhang dieser Rede mit Luthers Abendmahlsverständnis ausführlich u. Anm. 244. WA 26, AbChr, 351,30 – 36. S. dazu WA 10,I,1, Kirchenpostille 1522, 235,18/ 19.: Unter „Fleisch“ ist nach Luther „die gantz menscheyt, leyb unnd seel, nach der schrifft gewonheyt“ zu verstehen. WA 45, Predigt vom 21. 11. 1537, 277,35/36. S. auch WA 46, JohAusl I, 547,30/ 31: „der Son Gottes, der da ist das ebenbild des unsichtbaren Gottes“. „Christus in sese recepit omnia peccata nostra et pro illis in cruce mortuus est.“ (WA 40/I, GalKomm II, 433,23/24). S. auch a.a.O., 437,18 – 437,27.438,12/13. S. dazu Dietrich Korsch, L-HB, Glaube und Rechtfertigung, 376/377. WA 45,153,33 – 37. S. auch WA 40/I, GalKomm II, 428,12 – 14: „Itaque cum credimus, tum simpliciter propter Christum vivimus, qui est sine peccato, qui denique est nostrum operculum propitiatorium et remissio peccatorum.“
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
des Menschen an.165 Indem es die Sünde aufdeckt und ein Zurückbleiben hinter den von Gott geforderten Handlungsvollzügen deutlich macht, wirkt es geradezu als Gesetz. Es gibt nach Luther zu verstehen, daß „alle deyn leben und werck nichts seyn fur gott“.166 Zugleich bewirke der Gehorsam Christi, den er durch sein Leiden und Sterben dem Menschen zugute kommen lasse, daß – im Glauben an den inkarnierten Gekreuzigten – „alle deyne sund vorgeben, alle deyn vorterben uberwunden seyn, und du gerecht, wahrhafftig, befridet, frum und alle gebott erfullet seyn, von allen dingen frey sein.“167 Das Kreuzesleiden des Inkarnierten, dem dessen Auferstehung untrennbar verbunden ist, ist also zugleich und umfassend als das Evangelium Gottes zu verstehen.168 Durch das Kreuzesleiden des Inkarnierten wird nach Luther der Heilswille oder auch das Wesen Gottes offenbar. Der Gekreuzigte beweist nicht nur seinen Gehorsam gegenüber Gott und den Menschen, sondern weist als wahrer Gott zugleich die treue Liebe des dreieinigen Gottes seinen menschlichen Geschöpfen gegenüber auf; „steyg durch Christus hertz zu gottis hertz und sehe, das Christus die liebe dir nit hette mocht erzeigen, wan es gott nit hett gewolt yn ewiger liebe haben, dem Christus mit seyner lieb gegen dir gehorsam ist.“169 Weil Gottes Liebe und Gnade „niemand nuetze were, wo sie so heymlich verborgen bliebe, und zu uns nicht komen kuendte“170, gebe sich der dreieinige Gott den menschlichen Geschöpfen in Jesus Christus durch den Heiligen Geist „gantz und gar […] mit allem, das er ist und hat.“171 Auf diese Weise gebe er zu erkennen, daß seine Schöpfung insgesamt seinem 165 166 167 168
S. WA 2, BhlL, 138,15 ff. WA 7, FrChr, 22,25.27. WA 7, FrChr, 23,1 – 3. S. dazu WA 45, 148,38 – 41; 149,11 – 14. Beide Offenbarungen Gottes, die von der Schuldigkeit des Menschen wie die von der entschuldigenden Liebe Gottes, sind im „Evangelium“ Christi verbunden, weshalb bezogen auf den Menschgewordenen der Mensch sich zugleich der Rechtfertigung schuldig und als Schuldiger schon gerechtfertigt wissen darf. S. dazu Eilert Herms, Gesetz und Evangelium, 387: Bei Luther liegt also ein Evangeliumsverständnis vor, „das so komprehensiv ist, daß mit ihm nur ein Gesetzesverständnis kompatibel ist, welches sich innerhalb dieses Evangeliumsverständnisses bewegt.“ 169 WA 2, BhlL, 140,36 – 38 (Hervorhebung A. K.). S. auch a.a.O., 141,3 – 5: „Das heist dann got recht erkennet, wan man yhn nit bey der gewalt ader weysheit (die erschrecklich seynd), sundernn bey der gute und liebe ergreifft“. Das Wesen des dreieinigen Gottes ist nach Luther eitel Liebe, s. WA 30/I, GrKat, 191,28 – 35. 170 WA 26,506,3/4. 171 WA 26,505,39.
III. Die Inkarnation des Gottessohnes
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ewigen Heilswillen entstammt. Dem Glaubenden, dem nach Luther Gottes Liebe im Inkarnierten durch den Heiligen Geist gegenwärtig ist, ist dementsprechend offenbar, daß die Gesetzmäßigkeit in der Schöpfung wie auch die Notwendigkeit, mit der diese erschaffen und erhalten wird, von Gottes ewiger Liebe zum Heil der Geschöpfe qualifiziert ist.172 Die Erkenntnis der ewigen Liebe Gottes macht nach Luther die Gesetze Gottes nicht obsolet, vielmehr befähigt sie den Menschen zu ihrer Erfüllung. „Denn durch diese erkentnis kriegen wir lust und liebe zu allen gepoten Gottes“.173 Die Erkenntnis der ewigen Liebe Gottes ist nach Luther die Gewißheit, daß der Schöpfer seinen Sohn und seinen Geist gegeben hat, um den Menschen von der Sünde zu erlösen und sich mit ihm in Ewigkeit zu vereinigen und mit ihm in Gemeinschaft zu treten.174 Weil diese Erkenntnis die von Gewißheit getragene Hoffnung auf die Realisation des Reiches Gottes mit sich bringe, werde das menschliche Geschöpf im Glauben an seinen Schöpfer und in Liebe gegenüber dessen Schöpfung freiwillig am Vollendungswerk des dreieinigen Gottes mitarbeiten.175 Die Glaubenden sind nach Luther gerade dazu von Gott erlöst, „ut operaretur in nobis et nos ei cooperaremur. Sic per nos praedicat, miseretur pauperibus, consolatur afflictos.“176 Das ewige Leben im Reich Gottes, zu dem der Mensch von Gott bestimmt sei, dürfe er im Glauben an die Erlösung durch den menschgewordenen Gottessohn erhoffen und erwarten. Zwar erlangt er nach Luther seine geistliche Unsterblichkeit nicht, ohne den Tod des irdischen 172 173 174 175
S. dazu WA 26,505,39 – 41. S. auch Eilert Herms, L-HB, Mensch, 400. WA 30/I, GrKat, 192,25 f. S.o. Anm. 4. S. dazu Eilert Herms, Auslegung des Dritten Artikels, 89: „die Ausrichtung des Evangeliums durch das Heiligungswirken des Geistes ersetzt für die Heiligen nicht das Gesetz; wohl aber läßt es diese einen usus des Gesetzes erfahren, der neu ist: nicht den usus elenchticus, sondern – wie man in Anlehnung an Luthers eigenen Sprachgebrauch sagen müßte – den usus adhortativus.“ 176 WA 18, ServArb, 754,15 f. – Zur cooperatio s. auch u. V.2. Nach Luther ist der Kooperatorstatus des Menschen in initio, also schon vor dem Fall, von Gott geschaffen und gehe durch den Fall auch nicht verloren. „Der Fall betrifft […] nicht das geschaffene Frei- und Mächtigsein und damit auch nicht den Kooperaturstatus des Menschen, sondern lediglich die Weise, in der nun davon Gebrauch gemacht wird und Gebrauch gemacht werden kann, die Weise der Kooperation.“ (Eilert Herms, Gewißheit in Luthers „De servo arbitrio“, 69). – Zum Zusammenhang von Glaube, Hoffnung, Liebe s. WA 6, Von den guten Werken, 210, 7 – 9: „ich mocht gotte nit trawen [Glaube], wen ich nit gedecht, er wolle mir gunstig und holt sein [Hoffnung], dadurch ich yhm widder holt und bewegt werd, ym hertzlich zutrawen und alles guttis zu ym vorsehen [Liebe].“
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Lebens zu erleiden. Doch durch Sünde und Tod hindurch werde er im Glauben zur Vollendung seines Lebens neugeboren. Er gehe als leibhaftes Wesen von Gott erfüllt in die Ewigkeit Gottes ein, und es werde ihm damit seine in initio geschaffene vollkommene Gottebenbildlichkeit zuteil. Er werde dann selbst in Gottes Ewigkeit aufgenommen sein und seine zeitliche wie räumliche Gebundenheit in Gottes Güte aufgehoben wissen, so daß ihn weder Tod noch Sünde länger binden.177
IV. Inkarnation und Schöpfung Für die Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung ist es nach Luther zum einen von Bedeutung, daß Gott der Schöpfer die Schöpfung des Menschen von Ewigkeit her als eine sehr gute Schöpfung vorhergewußt und ausgeführt hat. Zum anderen ist entscheidend, daß der ewige Gottessohn Mensch geworden ist, um den Menschen zur ewigen Gemeinschaft mit Gott von aller Sünde zu erlösen. Dabei hat nach Luther der dreieinige Gott die Inkarnation des Gottessohnes ebenso ewig vorhergewußt und vorherbestimmt178 wie die Erschaffung des Menschen und auch dessen Vollzug der Sünde.179 Weil nun nach Luther, wie gezeigt, die ewig vorhergewußte Schöpfung gemäß dem Heilswillen des allmächtigen Schöpfers mit Notwendigkeit geschaffen ist und sie in Übereinstimmung mit dem „Naturgesetz“ von Gott selbst erhalten wird, muß gleich wie die in der Schöpfung 177 S. dazu im folgenden und WA 42, GenKomm, 42,32 – 35 und 48,12 – 16. S. dazu Wilfried Joest, Ontologie, 348: „zum Bilde Gottes geschaffen sein heißt auf unvergängliches und unverbrüchliches Leben mit Gott gezielt sein.“ 178 Nach Luther ist Gottes Vorherwissen allumfassend, und alles, was Gott wisse, werde von ihm verwirklicht: „Est itaque et hoc imprimis necessarium et salutare Christiano, nosse, quod Deus nihil praescit contingenter, sed quod omnia incommutabili et aeterna infallibilique voluntate et praevidet et proponit et facit.“ (WA 18, ServArb, 615,12 – 14; s. auch 786,3 – 5). Die Aussage vom umfassenden Vorherwissen und Vorherbestimmen Gottes rahmt und begründet in Luthers „De servo arbitrio“ die Einsicht, daß der Wille des Menschen in Heilsdingen nichts vermag. S. dazu WA 18, ServArb, 712,29 – 37. 179 S. WA 42, GenKomm, 59,34 – 37: „Quod autem virgo Maria peperit filium Dei, manifestum est, eius quoque beneficii causam fuisse calamitatem nostram, in quam per peccatum incidimus. Sic autem Deus illud mirabile et ingens opus fecit, ut prius id per verbum suum se ostenderet facturum esse. Sicut etiam alia miracula per verbum Deus significavit futura esse. Haec iam est prima questio de eo, quod consummaverit Deus coelum et terram, et nihil novi fecerit.“ S. dazu auch o. II.
IV. Inkarnation und Schöpfung
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vollzogene Sündentat des Menschen auch die Erlösung durch den in Raum und Zeit inkarnierten Gottessohn von Ewigkeit her im Heils- und Schöpfungsplan des dreieinigen Gottes inbegriffen sein. Entsprechend kann die Erlösung, die zur Erfüllung und Vollendung des Heilsplans führen soll, nur in Übereinstimmung mit der raum-zeitlich strukturierten Schöpfungsordnung und keineswegs vorbei an der geschöpflichen Verfaßtheit des Menschen geschehen. Daß Gott seinen Heilsplan nicht ohne seine menschlichen Geschöpfe vollenden will, das zeigt nach Luther gerade die Menschwerdung des Gottessohnes.180 Als menschgewordenes Schçpfungswort wiederum mache der Inkarnierte deutlich, daß der ewige, allmächtige und dreieinige Gott das Heil der Schöpfung wirkt, die seinem Vorherwissen gemäß mit Notwendigkeit besteht. Als wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich stellt der Inkarnierte dar, daß der ewig treue Gott von Ewigkeit her die Gemeinschaft mit dem sündigen Menschen sucht, die im fleischgewordenen Schöpfungswort als vollkommen realisierte offenbar ist. Die vollkommene Vereinigung des Menschen mit Gott verlangt nach Luther die Erfüllung des Gesetzes und damit die Überwindung des Verhängniszusammenhanges von Sünde und Tod, die der inkarnierte Gottessohn zum Heil des Menschen an Stelle des Menschen vollbringe. Die stellvertretende Gesetzeserfüllung sei dem Inkarnierten möglich, weil er Fleisch geworden und als solches sündlos gewesen sei. Als sündloses Ebenbild Gottes hat nach Luther das menschgewordene Schöpfungswort des Schöpfers durch sein Leben und Leiden das Gesetz des Schöpfers erfüllt und damit den ewigen Heilswillen Gottes abgebildet; „von solchem willen GOTTES hat nie kein Mensch gewust, bis so lange dasselbige Wort fleisch wird, und verkündiget uns“.181 Die Realisation des ewigen Heilswillens Gottes verlangt nach Luther die Erfüllung des Gesetzes oder auch die Annahme der von Gott dem 180 S. WA 42, GenKomm, 66,20 – 26. S. dazu WA 46, JohAusl I, 626,25 – 38. S. auch a.a.O., 561,12 – 15: „Alle andere unvernuenfftige Creaturen, die nicht gefallen sind noch gesuendiget haben, lesst er faren, leufft und bleibt allein auff der Menschlichen natur, umb welcher willen es alles zuthun ist, auch alles andere geschaffen und gemacht ist“. Und s. WA 42, GenKomm, 51,27 – 32 zu Gen 1,27: „Sine dubio autem, sicut tum Deus oblectatus est in isto consilio et opere hominis creati, Ita hodie quoque delectatur in restituendo hoc suo opere per Filium suum et nostrum liberatorem Christum. Haec utile est cogitare, quod scilicet Deus optima de nobis cogitat et delectatur in ista cogitatione et consilio suo de restitutione in spiritualem vitam per resurrectionem mortuorum, qui crediderunt in Christum.“ 181 S.o. II.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Schöpfer geschaffenen Daseinszumutung durch den Menschen. Daß der dreieinige Gott seine Forderung niemals einstellt oder gar angesichts des gefallenen Menschen die Notwendigkeit unterbricht, mit der er seinen Willen verwirklicht, ist nach Luther in Gottes ewiger Treue und Liebe begründet. Der dreieinige Gott halte gerade deshalb an seiner gesetzmäßigen und von Notwendigkeit getragenen Schöpfungsordnung fest, weil er sie bereits ab initio zum Heil der Schöpfung geschaffen habe und seinem ewig treuen Wesen gemäß von seinem Heilswillen nicht abweiche. Weil Gott nicht aufhöre, von seinen menschlichen Geschöpfen zu verlangen, daß sie in das geschaffene „Naturgesetz“ einstimmen und in Übereinstimmung mit ihm leben, kann nach Luther nur ein Exemplar der Gattung Mensch, nur ein Nachkomme des ersten Menschenpaares zum Heil der Menschen das „Naturgesetz“ vollkommen erfüllen. Es ist nach Luther das Mensch gewordene Schöpfungswort selbst, das das Gesetz, welches ab initio zum Heil des Menschen gegeben ist, zum Heil des Menschen erfüllt, indem es die Sünde des Menschen auf sich nimmt, zum größten Sünder wird und dem Gesetz entsprechend der Sünde wegen den Tod erleidet. So zeigt es die uneingeschränkte Geltung des „Naturgesetzes“ und macht die Größe der Sünde deutlich. Zugleich befreie der Inkarnierte durch seine Gesetzeserfüllung den Menschen von der Unerfüllbarkeit des Gesetzes zum Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes, weil es den Willen Gottes als ewigen Heilswillen erkennen lasse, der zum ewigen Leben führt.182 IV.1. Die Inkarnation des Schöpfungswortes Die Menschwerdung des Gottessohnes erweist nach Luther nicht nur Gottes ewige Treue seinem ewigen Vorherwissen und seiner Schöpfungsordnung gegenüber. Vor allem offenbare sie gegenüber „uns armen Madensecken“ Gottes „unaussprechliche gnade und barmhertzigkeit“, Gottes unablässige Liebe und seinen Gemeinschaftswillen.183 Nach Luther hat Gott seine „grosse unaussprechliche Liebe“ gegenüber seiner Schöpfung darin gezeigt, „das er seinen eingebornen Son vom Himel herunter geschickt hat und ins fleisch geworffen, auff das er uns errettete und erlösete von Sünde, Tod, Teufel und Helle[.] Ist das nicht eine grosse unermessene Liebe, das der selbige Son 182 S. dazu WA 47, JohAusl II, 52,22 – 32. 183 WA 46, JohAusl I, 625,7 – 9.
IV. Inkarnation und Schöpfung
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dem Vater zu wolgefallen sein Leib und Blut unserthalben dahingegeben hat? Ist das nicht eine grosse uberschwengliche Liebe, da uns Gott solchen schatz in seinem worte, durch die predigt verkündigen und austeilen lest und uns allen den sieg und triumph seines Sones unsers Herrn Jesu Christi wider die Sünde, Tod, Teufel und Helle schencket, so das ich mich des sieges und triumphs rhümen kan als hette ichs selbs gethan?“184
Die Liebe Gottes wird nach Luther dem einzelnen Menschen offenbar durch das Wirken des Geistes in der Verkündigung des Lebens und Leidens Christi, das im Gehorsam gegen Gott den Schöpfer geschehen ist. Grundgelegt ist diese Offenbarung der Liebe Gottes in der Inkarnation des Gottessohnes, in der Tatsache, daß Gott der Vater seinen Sohn „ins fleisch geworffen“ hat. Zum einen nämlich ist die Inkarnation der Ermöglichungsgrund dafür, daß Gott in seiner Liebe zum Menschen für den Menschen Sünde und Tod auf sich nehmen und das Gesetz erfüllen konnte. Zum zweiten manifestiert schon die Menschwerdung des Gottessohnes das ewige Streben Gottes nach Vereinigung mit dem Menschen. Dabei gibt sie zu erkennen, daß der dreieinige Gott seinen menschlichen Geschöpfen von jeher und für alle Zeit in Liebe treu ist, weil er nicht an ihrer geschöpflichen Verfaßtheit oder an der Beschaffenheit seiner Schöpfung vorbei mit ihnen kommunizieren und Gemeinschaft haben will. Seine Liebe, die sich in seinem Gemeinschaftsstreben ausdrückt, ist darauf aus, seine menschlichen Geschöpfe zum Glauben und gleichfalls zur Liebe zu bewegen. Keinerlei Zwang, vielmehr Gottes „unaussprechliche Liebe, die kein Menschlich hertz fassen kann, sol uns bewegen, widerumb unsern Nehsten auch zu lieben“.185 Damit dem einzelnen die Liebe Gottes begegnen kann, ist es nach Luther nötig, daß der Inkarnierte und sein Werk durch die Predigt der Kirche verkündigt sowie in der Feier der Sakramente vergegenwärtigt werden. Um darzustellen, welche Bedeutung Luther diesen notae ecclesiae zumißt, sollen im folgenden sein Schrift-, Sakraments- und Kirchenverständnis aufgezeigt werden. Dabei soll darauf geachtet werden, inwieweit Luther nicht nur für die Inkarnation des Schöpfungswortes, sondern auch für Predigt und Sakrament eine Vergegenwärtigung des Wortes Gottes in Raum und Zeit gemäß der von Gott gegebenen Schöpfungsordnung annimmt. Es soll untersucht werden, inwieweit Luthers Sakraments- und 184 WA 10/III, 7. Invokavitpredigt, 55,27 – 32. 56,14 – 17. S. auch a.a.O., 56,2/3: „got ist ein glüender backofen foller liebe, der da reichet von der erden biß an den hymmel.“ 185 WA 10/III, 7. Invokavitpredigt, 56,21/22.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Kirchenverständnis damit Ernst macht, daß das inkarnierte Wort Gottes den Heilswillen des Schöpfers und damit die Güte der Schöpfung offenbart. IV.1.1. Die Inkarnation des Schçpfungswortes Nach Luther ist das Wort, das der Schöpfer im Anfang, „in principio“,186 sprach und mit dem er die Welt erschuf, in Jesus Christus Mensch geworden. Dies Wort aber sei mit Gott identisch 187 und niemals „ein abgesonderter Gott“ gewesen.188 Entsprechend sei auch das menschgewordene schöpferische Gotteswort „warer, rechter, natürlicher GOTT und Schöpffer“.189 Mit seinem Schöpfungswort äußert nach Luther der Schöpfer, „was er inwendig im Hertzen hat“.190 Sein ganzes Wesen, seine „unaussprechliche Liebe“ bringt er durch sein Wort unmittelbar191 zum Ausdruck. Als Schöpfer hat der dreieinige Gott sein Wesen durch sein Wort in der Schöpfung manifestiert. Vermittelt durch sein Wort hat er seine ewige Liebe zur Welt insgesamt wie insbesondere zu seinen menschlichen Geschöpfen in deren Schöpfung dargestellt. Wie die Schöpfung ist nach Luther auch die Inkarnation des Schöpferwortes Darstellung des Wesens Gottes,192 und zwar für den Menschen, damit dieser den Schöpfer und dessen Schöpfung, welche eben jenem Wort entsprechen, wahrhaft erkenne.193 Denn erst in seinem Menschsein ist das Wort dem Menschen zugänglich und erkennbar, erst die Inkarnation 186 S. dazu WA 42, GenKomm, 14,6 f.: „Ergo in principio et ante omnem creaturam est verbum, et est tam potens verbum, quod ex nihilo facit omnia.“ 187 WA 46, JohAusl I, 546,24.26 – 30; 547,39 u. ö. 188 WA 46, JohAusl I, 549,31. 189 WA 46, JohAusl I, 553,25 f. 190 WA 46, JohAusl I, 547,1 f. 191 S. WA 42, GenKomm, 15,22 – 24: Nach Luther hat Gottes inneres Reden (s. dazu o. II.) sofort das Licht und alle anderen Kreaturen hervorgebracht; „sic ut Pater intus diceret, et foris fieret statim atque exsisteret Lux. Hoc modo etiam alia creata sunt postea.“ 192 „Ideo Deus quoque se non manifestat nisi in operibus et verbo, quia haec aliquo modo capiuntur“ (WA 42, GenKomm, 9,32 f.). S. auch a.a.O., 12,38 – 13,7: „Talia [opera Dei] sunt, quod condidit coelum et terram, quod misit Filium, quod per Filium loquitur, quod baptisat, quod per verbum a peccatis absolvit. Haec qui non apprehendit, is Deum nunquam apprehendet.“ 193 S. dazu WA 42, GenKomm, 14,17 – 20 und WA 46, JohAusl I, 560,18 – 21. S. dazu auch WA 46, JohAusl I, 546,4/5: Das Wort, „das Gott bey sich selber in seinem Goettlichem wesen, in dem Schrein seines Hertzens hat“, ist nach Luther eigentlich unaussprechlich.
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des Gotteswortes erschließt dem Menschen das Wesen des Schöpfers und der Schöpfung. Daß die gesamte Schöpfung Manifestation des Wesens Gottes ist, sieht nach Luther der Glaubende, der in der Inkarnation das uneingeschränkte Bekenntnis Gottes zu seiner Schöpfung erkennt: Indem der Gottessohn Mensch geworden ist, hat sich der dreieinige Gott ganz und gar auf die geschaffene Welt eingelassen. Zugleich hat er deutlich gemacht, daß ihm der Mensch als der höchste und wohlgefälligste Zweck seiner Schöpfung gilt. Daß die Inkarnation als Bekenntnis des liebenden Gottes zu seiner Schöpfung und seinen menschlichen Geschöpfen zu verstehen ist, wird nach Luther auch durch die Einmaligkeit der Inkarnation des Schöpferwortes offenbar. Die Einmaligkeit der Offenbarung Gottes in einem konkreten Menschen macht deutlich, daß alles Geschaffene durch Gottes eines Wort geschaffen ist, durch es erhalten und seinem einen ewigen Willen gemäß zum ewigen Heil geführt wird.194 Daß das Schöpfungswort ein bestimmter Mensch geworden ist, zeigt an, daß die eine Schöpfung, die Gott durch sein eines Wort erschuf, gleich wie sein Gotteswort seinem ewig einen und also unveränderlichen Wesen entspricht. IV.1.2. Die Inkarnation des Schöpfungswortes Gottes Schöpfungswort ist nach Luther ein wahrer Mensch mit Leib und Seele in Raum und Zeit geworden. Sein irdisches, leibhaftes Dasein als Mensch beginnt mit einem bestimmten zeitlichen Anfang195 und hat ebenso ein zeitlich bestimmtes Ende. Leibhaftig in Raum und Zeit ist nach Luther der dreieinige Gott in unüberbietbarer Weise seinen Geschöpfen als einer von ihresgleichen nahegekommen. Als Mensch habe er vor den Augen und Ohren der Menschen das Gesetz Gottes erfüllt. Durch sein Leben und Sterben sei Gottes Wesen, Wollen und Wirken auf „be194 S. dazu WA 46, JohAusl I, 558,35 – 38. 195 S. WA 47, JohAusl II, 52,15 – 17: Christus ist „wahrhafftiger Gott von ewigkeit mit gott dem vater und dem Heiligem Geist und zeittlich mensch geborn worden“. S. dazu WA 40/I, GalKomm II, 427,14 – 20: „Sic Christus secundum divinitatem et substantia vel natura divina et aeterna sine principio, Humanitas vero est natura in tempore creata. Hae duae naturae in Christo sunt inconfusae et impermixtae et utriusque proprium est distincte intelligendum. Humanitatis est incepisse in tempore, Divinitatis est esse aeternum sine principio; Et tamen conveniunt haec duo et incorporatur divinitas sine principio in humanitatem cum principio.“ S. auch a.a.O., 568,1 f.: „Ibi quid Christus? imaginare sic: persona humana et divina, natum ex deo eternaliter et virgine temporaliter“.
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greiffliche“196 Weise manifest geworden. Abgesehen von Gottes Erscheinen in Raum und Zeit auf begreifbare, sichtbare und überhaupt körperlich vermittelte Weise ist nach Luther eine heilsame Begegnung und Erkenntnis Gottes für den Menschen gar nicht möglich. Ausschließlich auf be-greif-bare Weise trägt der Schöpfer der Gesetzmäßigkeit seiner Schöpfung wie der Erkenntnisfähigkeit des menschlichen Geschöpfes Rechnung197: „solten wir in [d.i. der dreieinige Gott] also erkennen, muste ers warlich uns leren und sich gegen uns offenbaren und erscheinen, Von uns selber würden wir nicht in Himel steigen, und finden, was Gott sey, oder wie sein Göttlich wesen gethan ist. Nu hie zu braucht er sichtbarlichen seiner Creatur, wie die Schrifft uns leret, auff das wirs ergreiffen mügen, Denn unsichtbar Creatur bewegen unser sinnen nicht.“198
Seit dem Kreuzestod des Inkarnierten, der sich nach Luther als wahrer Mensch in seiner freien (sündlosen) Gemeinschaft mit Gott vollkommen kooperativ bei der Verkündigung des Reiches Gottes und des göttlichen Gemeinschaftswillens erwiesen hat, ist es nötig, daß der begreifbar vergegenwärtigte Gottessohn durch Predigt und Sakrament von der christlichen Gemeinde verkündigt und vergegenwärtig wird. Den Erfolg dieses kirchlichen Handelns gewährleiste jedoch allein der Heilige Geist, der die Feier der Sakramente wie die Wortverkündigung als Erkenntnis-Mittel gebraucht: „So kompt der heilige geist und gibt sich auch uns gantz und gar, der leret uns solche wolthat Christi, uns erzeigt, erkennen, hilfft sie empfahen und behalten, nützlich brauchen und austeilen, mehren und foddern, Und thut dasselbige beide, ynnerlich und eusserlich: Ynnerlich durch den glauben und ander geistlich gaben. Eusserlich aber durchs Euangelion, durch die tauffe und sacrament des altars, durch welche er als durch drey mittel odder weise er zu uns kompt und das leiden Christi ynn uns ubet uns zu nutz bringet der seligkeit.“199
Nach Luther wirkt erst der Heilige Geist, daß Predigt und Sakrament der christlichen Kirche tatsächlich und effektiv zur Glaubensvermittlung dienen. Er gebe beim Hören der Predigt und in der Feier der Sakramente das in Raum und Zeit begreifbar gewordene Schöpfungswort und dessen 196 WA 26, AbChr, 335,30. 197 „Nos sumus natura filii irae, filii perditionis, oportet nos autem habere salvatorem, qui sit nobis accommodatus et consanguinitate propinquus, ut apprehendere eum possimus.“ (WA 47, Predigt vom 25. 3. 1539, 706,31 f.) S. auch a.a.O., 707,24 f.: „Deinde eundem oportet esse Deum, alias homo nos liberare non potest.“ 198 WA 54, Von den letzten Worten Davids, 61,21 – 26. 199 WA 26, AbChr, 506,4 – 12.
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Heilsoffenbarung zu erkennen. Der Heilige Geist wirkt also nach Luther nicht nur Zeugung und Menschwerdung des Gottessohnes200, sondern auch die Einwohnung des Gotteswortes in den Glaubenden.201 Damit bewirkt er die Konformität der Glaubenden mit dem Inkarnierten selbst202 sowie die Vereinigung aller Glaubenden zum „Leib Christi“203. Doch geschehe das Heilshandeln des Geistes keineswegs ohne menschliche Kooperation. Nach Luther wirkt der dreieinige Gott Heil und Glauben nur vermittelst der verkündigenden Mitarbeit der Glaubenden.204 Unter Inanspruchnahme von Predigt und Sakramenten errichte der dreieinige Gott sein ewiges Reich, das bereits auf Erden im Glauben gegenwärtig sei.205 IV.2. Schrift und Sakramente IV.2.1. Scriptura et res Nach Luther setzt die Erlösung des sündigen Menschen voraus, daß diesem in Raum und Zeit auf körperlich-geistige Weise Gott selbst begegnet. Weil die leibhafte Gegenwart des inkarnierten Gotteswortes nicht mehr gegeben ist, bedürfe es seit dessen Kreuzestod der predigenden Bezeugung des in der Heiligen Schrift bezeugten Heilshandelns Gottes. Es ist nach Luther Gottes Wille, daß das göttliche Wort durch Menschen an Men200 Zur Jungfrauengeburt s.u. IV.3. 201 S. Eilert Herms, Auslegung des Dritten Artikels, 52: „Im Werk des Sohnes ist tatsächlich schon das Werk des Geistes wesentlich miteingeschlossen; nicht nur, indem die Menschwerdung des Sohnes durch den Geist bewirkt wird, sondern auch die Wirkung des Menschgewordenen“. 202 Zur Konformitas der Glaubenden mit Christus s.u. V.2. 203 Zum Kirchenverständnis Luthers s.u. IV.4. 204 Als Menschgewordener habe der Gottessohn selbst gegenüber seinen Jünger auf ganz und gar menschliche Weise den Heilswillen Gottes und das Ziel seines Heilsplans verkündet und gepredigt. Obwohl die Jünger vor Ostern die ReichGottes-Gleichnisse Christi nicht haben einsehen können, so hat nach Luther der Menschgewordene dennoch seine Liebe zu ihnen in seiner väterlichen Gleichnisrede zum Ausdruck gebracht: „Loquitur autem Christus cum discipulis suis, quasi cum infantibus suis pater. […] Summa, oportet in istis et similibus factis Christi cum discipulis cogitare, Christum esse quendam dulcem patrem, qui cum suis dulcibus infantibus serio et cum voluptate iocetur“ (WA 38, Annotationes in aliquot capita Matthaei, 1538, 570,8 – 26). 205 S. dazu WA 12, Predigt vom 19. 4. 1523, 530,20 – 23: „Von dem reych haben wyr gesagt, das es also geordnet sey, das wyr alle von tag zu tag zunemen und reyner mussen werden und das es nicht regirt wirt mit eyniger gewalt, sondern durch die mundliche predig, das ist durchs Euangelion.“
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schen gepredigt und weitergegeben wird (ministerium verbi): „Sic placitum est Deo, ut non sine verbo, sed per verbum tribuat spiritum, ut nos habeat suos cooperatores, dum foris sonamus, quod intus ipse solus spirat, ubi ubi voluerit, quae tamen absque verbo facere posset, sed non vult.“206 Gott vermittele sein Evangelium oder vielmehr die res der Heiligen Schrift nicht ohne menschliche Mitarbeit, weil er „seuberlich, freundlich regieren“ wolle; er wolle „bey suo populo sein“ und kommuniziere deshalb nur über menschliche Kooperatoren und „durch unser ministerium“ mit seinen menschlichen Geschöpfen.207 Wie die Inkarnation selbst schon zeigt, ist es Gottes Absicht, in eben der Weise mit seinen Geschöpfen in Gemeinschaft zu treten, die mit ihrer geschaffenen Rezeptionsfähigkeit übereinstimmt und ihrem geschaffenen Erkenntnisvermögen adäquat ist. Daher läßt er seinen Heilswillen durch Menschenwort verkünden und vermitteln.208 206 WA 18, ServArb, 695,28 – 31. Zwar hätte Gott die Macht, auch ohne menschliche Mitarbeit seinen Geist zu geben. „Sed non vult.“ (WA 49, Predigt vom 22. 8. 1540, 168,6) 207 WA 49, Predigt vom 22. 8. 1540, 168,34.36. S. dazu WA 43, GenKomm, 68,20 – 24. S. dazu auch Eberhard Jðngel, Quae supra nos, nihil ad nos, 233: „Die Ehre Gottes manifestiert sich in der Ehrung des Geschöpfes, die darin besteht, Gottes Mitarbeiter zu werden“. 208 Nach Luther gewährt der dreieinige Gott seinen menschlichen Geschöpfen die Gewißheit seines Heilswillens, indem er sie als Gewißheitswesen ernstnimmt und ihrem Erkenntnisvermögen gemäß seinen Willen kundgibt. Allerdings sei die Antwort auf die Frage danach, warum Gott einige Menschen verwirft, dem Glaubenden auf Erden noch nicht gegeben. Denn Gottes Wirken geschehe nach seiner Gerechtigkeit, die im lumen gratiae noch nicht vollständig einzusehen ist. Erst im lumen gloriae werde Gottes Handeln umfassend als gerecht und dann als mit seinem in Jesus Christus offenbarten Wesen übereinstimmend eingesehen werden. Auf Erden werde das lumen gloriae dem Menschen nicht leuchten, die Majestät Gottes sowie Gottes Reich in seiner Vollkommenheit könne der Mensch deshalb nur glauben, nicht aber „mit den fünff sinnen fassen“. Auch sei es bereits gegenwärtig, „ob wirs wol nicht sehen, sondern das widder spiel fülen“, und zwar solange, bis „das stündlin kompt, da Christus wird des ein ende machen und sich offentlich dar stellen jnn seiner maiestet und herrschafft, da du wirst sehen und fülen, was du jtzt gleubest“ (WA 36, Predigt vom 27. 10. 1532, 570,22 – 29). S. dazu WA 18, ServArb, 785,35 – 38: „At lumen gloriae aliud dictat, et Deum, cuius modo est iudicium incomprehensibilis iustitiae, tunc ostendet esse iustissimae et manifestissimae iustitiae“. Die Offenbarung im Menschgewordenen ist nach Luther die unumstößliche Zusage dafür, daß das lumen gloriae das gesamte Handeln Gottes begreifbar machen wird, und dann wird der in Jesus Christus manifestierte Heilswille, der aus Gottes Liebe und Güte entstammt, vom Menschen vollkommen eingesehen sein.
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Was die Möglichkeit verständlicher Verkündigung anbelangt, unterscheidet Luther im Blick auf die Heilige Schrift zwischen einer Klarheit, die dem Buchstaben, Wortlaut und Satzbau nach besteht, und einer Klarheit, die die in Worte gefaßte res betrifft. „Duplex e[s]t claritas scripturae, sicut et duplex obscuritas, Una externa in verbi ministerio posita, altera in cordis cognitione sita, Si de interna claritate dixeris, nullus homo unum iota in scripturis videt, nisi qui spiritum Dei habet“209. Nur die erste Klarheit kann nach Luther auch von der menschlichen Predigt verlangt werden; die zweite Klarheit aber garantiere allein der Heilige Geist. Sachbezogene Einsicht in den Wortlaut der Heiligen Schrift, welcher in der Predigt verkündigt werde, gewönnen diejenigen, denen beim Hören der Evangeliumspredigt die Gabe des Heiligen Geistes zuteil werde. „Nos non literae doctores ut Moses, sed spiritus i. e. praedicamus de gab spiritus sancti, qui datur per sanctum Euangelium, cum praedicatur, et audiunt“.210 Wem die Schrift durch den Heiligen Geist offenbar gemacht worden sei, der erkenne, daß das mit den Buchstaben der Schrift geforderte Gesetz von Christus zum Heil für den Menschen schon erfüllt ist. „Litera ist das lauter gewesch und das gesetz auffs papir geschrieben. […] Spiritus ist, wenn ich predige, das der mann Christus kommen sey und hab vor mich gethan, was ich solt gethan haben, habe durch in vorgebung der sunde, ewiges leben.“211 Als die res der Heiligen Schrift nennt Luther den inkarnierten, gekreuzigten und auferstandenen Gottessohn oder vielmehr das Christusgeschehen, das für den Glaubenden die Erlösung von Sünde und Tod 209 WA 18, ServArb, 609,4 – 7. 210 WA 41, Predigt vom 10. 9. 1535, 426,16 – 18. 211 WA 48, 339,9/10.13 – 15; s. dazu WA 22, 220,1 – 14. – Luthers Hermeneutik beruht auf der Unterscheidung von Buchstabe und Geist, von res und Schrift. Er geht davon aus, daß das in Bibel und Predigt bezeugte Heilsgeschehen nur dann wahrhaft eingesehen wird, wenn die verwendeten Worte und Buchstaben durch Gottes Geist auf ihren Sachgehalt hin für das Herz des Rezipienten erschlossen werden. Die Einsicht des Herzens in den Wortlaut der Heiligen Schrift bedeutet nach Luther die Erkenntnis Christi und seines Erlösungshandelns. Durch den Geist vermittelt sei der wahre Sinn des Gesetzes Gottes deutlich und zugleich klar, daß dieses durch Christus selbst für den Menschen erfüllt worden ist. S. dazu WA 22, 220,15 – 32: Luther identifiziert den Buchstaben mit dem Gesetz und den Geist mit dem Evangelium. Die Predigt des Buchstabens wird erst dann zur Evangeliumspredigt, wenn durch den Geist offenbar gemacht wird, daß in Jesus Christus das Gesetz für den Menschen bereits erfüllt ist. – Zu Luthers Unterscheidung von Buchstabe und Geist, Gesetz und Evangelium s. Albrecht Beutel, L-HB, Theologie als Unterscheidungslehre, 451.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
bedeutet.212 Die Gewißheit davon, daß der Sohn Gottes zum Heil der Menschen selbst Mensch geworden ist und die Sünde des Menschen auf sich genommen hat, werde durch den Heiligen Geist gewirkt.213 Durch das Wirken des Geistes wird nach Luther beim Lesen oder Hören des Evangeliums die Einsicht gewährt, daß der Sohn Gottes als Menschgewordener den menschlichen Geschöpfen begegnet, um ihnen ihre gottgewollte Vollkommenheit vor Augen zu stellen. Entsprechend erfährt der Glaubende sein leibhaftes Dasein nicht mehr als durch das „Naturgesetz“ und als durch Raum und Zeit unüberwindbar und unannehmbar begrenzt. Vielmehr ist er gewiß, daß die Begrenztheit irdischer Lebenszeit sowie die Beschränktheiten leibhaften Daseins in der Liebe Gottes begründet sind, daß das irdische endliche Leben als solches die Möglichkeit zur Vollendung bietet und den Übergang zum ewigen seligen Leben darstellt. In dieser Gewißheit und Freiheit von aller Sündenangst kann nach Luther der einzelne Mensch in der Nachfolge Christi in den Heilswillen Gottes befreit und frei miteinstimmen. Für das Verhältnis von scriptura und res macht Luther deutlich, daß mit der Schrift nicht schon zugleich auch die in ihr ausgedrückte res sichtbar und ihren Lesern bewußt sei.214 Nur insofern werde Gottes Wort, wie es in der Heiligen Schrift und in der schriftgemäßen Predigt verkündigt werde, in Übereinstimmung mit seiner res erkannt, als das Wirken des Heiligen Geistes diese res offenbare. Erst und nur wenn Gottes Geist die Einsicht wirke, sei für den Menschen die res der Schrift gleich wie das Schöpfungswort im Menschgewordenen gegenwärtig. Anders nämlich als Gott und Mensch im Inkarnierten sind nach Luther res und scriptura gerade nicht immer schon untrennbar miteinander verbunden. Untrennbar miteinander verbunden sind nach Luther hingegen res und signum der beiden Sakramente Taufe und Abendmahl. Ebenso wie der 212 „Tolle Christum e scripturis, quid amplius in illis invenies?“ (WA 18, ServArb, 606,29). S. dazu a.a.O., 638,24 – 639,1: „Nam et nos nihil nisi Ihesum crucifixum docemus.“ 213 S. dazu Eilert Herms, Auslegung des Dritten Artikels, 55: Der Geist offenbart „das Versöhnungswerk des Sohnes als dasjenige, in welchem sich das Herz des Vaters spiegelt, der der Schöpfer Himmels und der Erden, also der gesamten leibhaften Welt ist“. Zum Crucifixus als Spiegel des Schöpfers s. a.a.O., 104. S. dazu auch WA 18, ServArb, 607,4: „Christus enim aperuit nobis sensum, ut intelligamus scripturas.“ 214 Luther unterscheidet die „scriptura Dei“ von Gott selbst wie den Schöpfer von seinen Geschöpfen („creatura Dei“) (WA 18, ServArb, 606,11 f.).
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Menschgewordene mit dem Gottessohn identisch ist,215 so ist nach Luther – zumindest nach seiner späteren Sakramentenlehre, auf die sich die folgende Interpretation bezieht,216 – in Brot und Wein die leibhafte Präsenz Christi wirklich gegeben. Desgleichen gilt ihm das Taufgeschehen als der tatsächliche Beginn des ewigen Lebens im Mitvollzug des Lebens Christi. Im Gebrauch der Sakramente ist nach Luther also wirklich, was durch das Zeugnis der Schrift als wahr bezeugt und durch das Wirken des Heiligen Geistes als wahr eingesehen ist. Die Sakramente präsentieren dem Glaubenden in körperlich-geistiger Weise die raum-zeitliche Präsenz des Menschgewordenen, die Gerechtigkeit schafft und zum ewigen Leben befreit. Sie binden den Glauben an das einmalige Heilsereignis in Raum und Zeit zurück, welches der Geist vermittels von Predigt und Schrift vergegenwärtigt. Sie manifestieren die ein für allemal geschehene Zuwendung des Schöpfers zu seinen menschlichen Geschöpfen, die im Genuß der Schöpfergaben Wein, Brot und Wasser immer wieder gegenwärtig ist. Gottes Heilswille gegenüber seinen menschlichen Geschöpfen ist nach Luther auf geistige und körperliche Weise im menschgewordenen Gottessohn geoffenbart und wird auf eben diese Weise auch in den Sakramenten manifest.217 Inwieweit Luther davon ausgeht, daß Gottes Sohn nicht nur Mensch geworden, sondern auch in den Elementen des Abendmahls tatsächlich gegenwärtig ist und diese also ihn und auch sein Werk real präsentieren, soll im folgenden aufgewiesen werden. Weil im Vollzug des Abendmahls das Leiden und Sterben des Inkarnierten präsent wird, das die Neugeburt des sündigen Menschen begründet, soll dieses Sakrament, das auch nach biblischem Zeugnis nach Ostern von den Jüngern Jesu als erstes der beiden Sakramente gefeiert wurde,218 vor dem Sakrament der Taufe behandelt werden. 215 S. dazu WA 54, Von den letzten Worten Davids, 62,37 – 63,7: Nach Luther können alle Kreaturen in zwei Hinsichten erkannt werden, in ihrer Funktion als Zeichen (signum) oder in ihrer jeweiligen Eigenart (res). Der menschgewordene Gottessohn hingegen dürfe niemals als bloßes Zeichen verstanden werden. Denn Menschheit und Gottheit seien in Jesus Christus ewig in einer Person vereint; in Jesus Christus fallen nach Luther signum und res zusammen. 216 S. zur Unterscheidung einer früheren und einer späteren Periode im Sakramentsverständnis Luthers: Wilfried Joest, Ontologie, 399 – 414.414 – 436. 217 S. dazu WA.Tr 5, 296,8 – 11: „habes hoc [Dei auxilio] spiritualibus et corporalibus argumentis ostensum in Filii incarnatione, in sacramentis, quae omnia a Deo clara sunt, ut in carnales oculos incurrant, ut in externis ceremoniis administrentur, sub quibus externis notis Deus se nobis patefecit et sua in nobis beneficia distribuit.“ 218 S. Apg 2,42.
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IV.2.2. Vom Abendmahl – Raumgabe Was das Abendmahl Christi oder auch das „newe testament“219 Gottes anbelangt, hält Luther fest, daß die Austeilungsworte „Das ist mein Leib“ die „Sacramentliche Einickeit“ von Brot und Leib, die auch zwischen Blut und Abendmahlswein gegeben sei, zum Ausdruck bringen.220 Die sakramentale Einigkeit von Brot und Leib (signum und res) unterscheidet Luther von der personalen Einheit der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus, die Gott und Mensch untrennbar vereint.221 Doch bezeichnet Luther beiderlei Einigkeit als synekdochisch. Synekdochisch nennt Luther die sakramentale wie die personale Einheit, weil jeweils „zwey unterschiedliche wesen“ (Brot und Leib, Mensch und Gott) zu einem seiner Bedeutung nach neuen Wesen mit einem neuen Namen vereinigt seien (Abendmahlsbrot, Jesus Christus), bei beiden Einheiten aber zugleich die Unterschiedenheit der zwei Wesen gewahrt bleibe.222 Luther setzt die sakramentale Einigkeit der Abendmahlselemente in Beziehung zur personalen Einigkeit des Inkarnierten, indem er beide Einigkeiten von biblischen Wendungen unterscheidet, die er mit dem Begriff der „Metapher“ bezeichnet. Nach Luther dürfen die Abendmahlsworte keineswegs metaphorisch und damit als bloße Redewendung (Tropus) verstanden werden: „Gottes wort ’Das ist mein leib’ [sind] dürre und helle, gemeine, gewisse wort, die nie kein tropus gewesen sind“.223 Anders als eine Synekdoche fasse eine Metapher zwei Dinge, Namen oder Sachverhalte unter der Bezeichnung des einen der beiden Dinge zusammen. Dadurch erhalte diese Bezeichnung eine neue Bedeutung.224 219 S. WA 6, Eyn sermon von dem newen Testament, das ist von der heyligen Messe, 353 – 378. 220 WA 26, AbChr, 442,24. 221 WA 26, AbChr, 441,26 f.; s. auch 440,34 – 40. Zur Untrennbarkeit der personalen Einigkeit Christi s. a.a.O., 333,11 – 13: „Die [Christi] menscheit ist neher vereiniget mit Gott, denn unser haut mit unserm fleische, ia neher denn leib und seele“. 222 WA 26, AbChr, 439,30; 442,4 f. „Solche weise zu reden von unterschiedlichen wesen als von einerley, heissen die grammatici Synecdochen“ (WA 26, AbChr, 444,1 f.). Bei der synekdochischen Vereinigung zweier Wesen sei es „nicht von noeten […], der zweyer eins untergehen und zu nicht werden“ (a.a.O., 445,7/8). 223 WA 26, AbChr, 440,4 f. 224 S. WA 26, AbChr, 273,22 – 27. Ein Metapher sei gegeben, wenn ausgesagt werde: „’Christus ist der rechte weinstock’“. Der Ausdruck „Weinstock“ sei hier als ein „new wort“ gebraucht, nämlich als bestimmt durch seine Bezogenheit auf Christus (a.a.O, 275,32; s. dazu auch 439,9 f.). „Vom wesen redet man ynn solchen sprüchen, was einer sey und nicht, was er bedeute, und macht uber seinem newen
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Wenn es heiße: „’Der same ist Gottes wort’“, werde der Ausdruck „Same“ als ein neues Wort „nach der Metaphora“ verwendet; die Bezeichnung „Same“ weise nicht auf einen realen Weizensamen hin, sondern sei allein dazu verwendet die fruchtbare Wirkung des Wortes Gottes aufzuzeigen. „Also heist Same hie nicht korn noch weitzen, sondern Gottes wort“.225 Anders als bei der Synekdoche handelt es sich nach Luther bei einer Metapher folglich auch nicht um die Verbundenheit von zwei Dingen zu einem Wesen mit einem neuen Namen, in der die beiden Dinge gleichermaßen gegenwärtig sind.226 Die Metapher „Achill ist ein Löwe“ impliziert nicht, daß Achill und ein Löwe gleichzeitig miteinander existieren, so daß der Hinweis auf Achill dem Hinweis auf einen Löwen identisch wäre. Dies aber ist nach Luther im Blick auf das Abendmahlswort der Fall. Wird dieses unter Hinweis auf ein Stück Brot gesprochen, ist mit diesem Brot zugleich der Leib Christi präsent; res und signum sind hier zu einer untrennbaren res-signum-Einheit verbunden. Bei der Synekdoche sind nach Luther zwei Dinge, obwohl sie so voneinander verschieden sind wie Brot und Leib, zu einem neuen Wesen derart verbunden, daß zum einen dieses Wesen gleichermaßen aus beiden Dingen zusammengesetzt ist, und daß zum anderen bei dieser Vereinigung keines von beiden Einzeldingen seiner eigentlichen Bedeutung nach „untergehen und zu nicht werden“ muß.227 wesen auch ein new wort“ (WA 26, AbChr, 274, 23 – 25). S. dazu Eberhard Jðngel, Metaphorische Wahrheit, 103 Anm. 85: „Faßt man Luthers Ausführungen [zur Metapher] unter hermeneutischem Gesichtspunkt zusammen, so besagen sie, daß die metaphorische Redeweise ontologische Relevanz hat, insofern durch sie ein neuer Seinszusammenhang aufgedeckt wird, der in einem Sprachgewinn begründet ist. Der neue (metaphorische) Gebrauch eines Wortes gibt diesem Wort eine neue Bedeutung und bringt mit dieser neuen Bedeutung neues Sein zur Sprache. […] Dabei setzt Luther voraus, daß die alte Bedeutung (die proprie-Bedeutung) des als Metapher verwendeten Wortes zu einem gewissen Grad destruiert wird.“ 225 WA 26, AbChr, 277,20/21.23 – 25. 226 Nach Luther heißt es „tropus odder Metaphora ynn der grammatica, wenn man zweyerley dingen einerley namen gibt, umb des willen, das ein gleichnis ynn beiden ist.“ (WA 26, AbChr, 273,22 – 24) Vgl. auch a.a.O., 277,20 – 24. 227 S. WA 26, AbChr, 445,2 – 8: „ob gleich leib und brod zwo unterschiedliche naturn sind ein igliche fur sich selbs, und wo sie von einander gescheiden sind, freylich keine die ander ist, Doch wo sie zu samen komen und ein new, gantz wesen werden, da verlieren sie yhren unterscheid, so fern solch new einig wesen betrifft, und wie sie ein ding werden und sind, also heisst und spricht man sie denn auch fur ein ding, das nicht von nöten ist, der zweyer eins untergehen und zu nicht werden, sondern beide brod und leib bleibe“.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Luthers Einsicht in die synekdochisch-personale Einheit Jesu Christi wird an seinen Ausführungen zur Bezeichnung des Menschgewordenen als „Kreatur“ deutlich. Nach Luther ist der Inkarnierte gerade in seiner vollkommenen Einheit mit Gott selbst Kreatur.228 Wenn Christus als Geschöpf bezeichnet werde, heiße dies, daß ihm zwar als Mensch gewordenem Gottessohn auch eine menschliche und insofern kreatürliche Natur eigne, daß ihm diese aber nur in ihrer untrennbaren Verbundenheit mit seiner Gottheit (in concreto) zu eigen sei und sein persönliches Wesen darum nicht an sich mit dem kreatürlichen Wesen eines jeden anderen Menschen identisch ist. Ebenso wie die Aussage: „Das sind hundert guelden“ unter Verweis auf den (undurchsichtigen) Beutel, der diese hundert Gulden enthält, um ihrer Wahrheit willen die unvermischte Einheit von Beutel und Gulden voraussetzt, so setzt nach Luther auch die Bezeichnung Christi als Kreatur unabdingbar dessen untrennbare personale Einheit von menschlicher Natur und Gottheit voraus;229 allerdings unter Wahrung von deren jeweiliger Eigenart, sofern sie nicht das neue eine Wesen betrifft.230 „Ich zeige auff den menschen Christum und spreche: ’Das ist Gottes son’ odder ’dieser mensch ist Gottes son’, hie ist nicht von noeten, das die menscheit vergehe odder werde zu nicht, damit das woertlin ’das’ auff Gott deute und nicht auff den menschen, wie die Sophisten ym sacrament vom brod tichten, sondern die menscheit mus bleiben […] Wer macht hie, das zwo so unterschiedliche natur ein wesen werden und eine die ander gesprochen wird? On zweifel nicht die wesentliche einickeit der naturn […], sondern die personliche einickeit, Denn obs gleich nicht einerley wesen ist nach den naturn, so ists doch einerley wesen nach der person“.231
Die synekdochisch-sakramentale Einigkeit von Brot und Leib, Wein und Blut, die mit der Vereinigung der unterschiedlichen Naturen deren Eigenart wahrt und – in Parallele zum Geld-Beutel – „leibsbrod“ und „Blutswein“ ergibt,232 betont Luther gegenüber einem bloß gleichnishaften, metaphorischen Verständnis des Brotes wie des Weines, weil er von der realen Präsenz des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl überzeugt 228 S. dazu o. III.1. 229 Es kann von den hundert Gulden nur deshalb in Wahrheit die Rede sein, weil sie in Einigkeit mit dem Beutel vorhanden sind; ebenso kann von Christus als Kreatur nur deshalb in Wahrheit die Rede sein, weil sein Menschsein in Einigkeit mit seinem Gottsein gegeben ist. 230 S. dazu WA 26, AbChr, 444,4 und insgesamt 444,1 – 7. 231 WA 26, AbChr, 440,34 – 441,2. 232 S. WA 26, AbChr, 445,11.14.
IV. Inkarnation und Schöpfung
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ist.233 Weil nach Luther Leib und Blut Christi im Abendmahl real präsent sind, könnten sie auch von Ungläubigen verzehrt werden, welche um ihres Unglaubens willen die Abendmahlselemente zu ihrem eigenen Gericht empfingen.234 Die Glaubenden genössen sowohl Brot und Wein als auch Leib und Blut Christi zum Heil, weil sie Jesus Christus als wahren Menschen und wahren Gott zugleich erkennten.235 Sie haben nach Luther durch das Wirken des Heiligen Geistes Einsicht in die res der Heiligen Schrift erlangt, die im Sakrament des Abendmahls selbst präsent ist.236 Zum einen ist festzuhalten, daß nach Luther zwar der Ungläubige Brot und Wein sich selbst zum Gericht ißt, weil in diesen Leib und Blut Christi real präsent sind. Zum anderen jedoch empfängt der Glaubende nur deshalb Wein und Brot zu seinem Heil, weil er an die Realpräsenz des Inkarnierten in den Abendmahlselementen glaubt.237 Nach Luther kann die Realpräsenz Christi als die notwendige Bedingung des Heilsempfangs festgehalten werden; zusammen mit dem Glauben bildet sie dessen hinreichende Bedingung.238 233 Die personale Einigkeit im Christus Jesus lehre, „das nicht widder die schrifft sey die predicatio identica, odder das zwey unterschiedliche wesen ein wesen gesprochen werden“ (WA 26, AbChr, 441,10 f.). 234 WA 26, AbChr, 353,27 – 29. S. auch WA 30/I, GrKat, 224,16 – 18. 235 Der Glaubende erkennt nach Luther: „Darumb ists aller ding recht gered, das so man auffs brod zeiget und spricht ’Das ist Christus leib’, Und wer das brod sihet, der sihet den leib Christi […], Also fort an ists recht gered: Wer dis brod angreiffet, der greiffet Christus leib an, Und wer dis brod isset, der isset Christus leib, wer dis brod mit zenen odder zungen zu drückt, der zu drückt mit zenen odder zungen den leib Christi, Und bleibt doch allwege war, das niemand Christus leib sihet, greifft, isset odder zubeisset, wie man sichtbarlich ander fleisch sihet und zubeisset, Denn was man dem brod thut, wird recht und wol dem leibe Christi zu geeigent umb der sacramentlichen einickeit willen.“ (WA 26, AbChr, 442,29 – 38). 236 S. dazu Wilfried Joest, Ontologie, 415. 237 S. auch Dorothea Wendebourg, L-HB, Taufe und Abendmahl, 422. 238 Die Heilsbedeutung und Heilswirkung der Sakramente Abendmahl und Taufe wird nach Luther nur vom Glaubenden erfahren. Die Worte „Das ist mein Leib“ „mus man […] mit dem glauben fassen“ (WA 26, AbChr, 440,6 f.); s. auch WA 10/ III, 6. Invokavitpredigt, 49,18 f.: „[…] der Glaub muss verhanden sein und die eusserliche empfahung geschickt machen“. Zur Relevanz des Glaubens bei der Taufe s. WA 6, capBabyl, 533,32 – 34. S. dazu WA 30/I, GrKat, 226,30: nur im Glauben würden die Sakramente als heilsam genossen. – Im Blick darauf, daß sich nach Luther der Glaube auf die in den Sakramenten gegenwärtige Heils-Wirklichkeit richten und sie vermittelt durch das Wirken des Heiligen Geistes annehmen soll, muß geleugnet werden, „daß die Sprache des Glaubens sich vom Wirklichen nicht diktieren läßt, was dem Menschen im Blick auf das Wirkliche zu sagen ist.“ (Eberhard Jðngel, Metaphorische Wahrheit, 118)
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Das Sakrament des Abendmahls zeichnet sich nach Luther im Unterschied zur Heiligen Schrift nicht dadurch aus, daß hier die res zwar sinnlich-körperlich vermittelt ist, das Heilswirken Gottes den Menschen aber im wesentlichen nur geistig angeht. Vielmehr sei der Inkarnierte beim Abendmahl ganz und gar leibhaft in Raum und Zeit gegenwärtig. Die promissio Gottes, die zur Einsetzung des Abendmahls oder neuen Testaments gesprochen wird, hat nach Luther die Bedeutung und Wirkmacht des Schçpfungswortes Gottes, durch das in unmittelbarer Weise wird, was Gott will.239 Entsprechend der Worte: „Das ist mein leib“ sei im Abendmahl der Inkarnierte in seiner Leiblichkeit, und das heißt als wahrer Mensch mit Geist und Fleisch präsent. Die Einsetzungsworte, mit denen Gott respektive Christus selbst sein Testament oder vielmehr die Gabe ewigen Lebens durch den Inkarnierten als Testator in Geltung setzt, bilden nach Luther das Fundament des Abendmahls: „Die wort sind das erste, Denn on die wort were der becher und brod nichts, Weiter, on brod und becher were der leib und blut Christi nicht da, On leib und blut Christi were das newe testament nicht da. On das newe testament were vergebung der sunden nicht da, On vergebung der sunden were das leben und seligkeit nicht da, So fassen die wort erstlich das brod und den becher zum sacrament, Brod und becher fassen den leib und blut Christi, Leib und blut Christi fassen das newe testament, Das newe testament fasset vergebung der sunden, Vergebung der sunden fasset das ewige leben und seligkeit. Sihe, das alles reichen und geben uns die wort des abendmals, und wir fassens mit dem glauben.“240
Die Testatorworte gelten Luther als Grund des Abendmahls, das sie zugleich als eine Einheit von Brot und Wein, Leib und Blut, Tod und ewigem seligem Leben umfassen: Das grundlegende Wort Gottes sei manifest in den sinnlich-faßbaren Elementen Brot und Wein, die als ein Siegel äußerlich sichtbar das Testament versiegeln. Der versiegelte, dem bloßen Auge unsichtbare Inhalt des göttlichen Testaments sind nach Luther Leib und Blut Christi, die recht eigentlich das neue Testament in sich fassen, weil sie den Tod des Testators erweisen. Und dieser Tod bedeute den Tod der Sünde und damit zugleich die Auferstehung zur ewigen Seligkeit. Dieses Gut, das der Testator seinen Erben vermache, hat nach Luther für diese allerdings nur dann Gültigkeit, wenn sie es im Glauben annehmen, wenn 239 S. WA 23, Daß diese Worte „Das ist mein leib“ noch fest stehen, 233,1 – 9. S. auch WA 30/I, GrKat, 223,28 – 32 und WA 26, AbChr, 283,4/5: „So ist sein wort […] ein machtwort, das da schaffet, was es lautet.“ 240 WA 26, AbChr, 478,38 – 479,8.
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sie glauben, daß das Wort des Testators wahr ist, weil dieser nicht lügt noch trügt.241 Anders als in seiner früher verfaßten Abendmahlsschrift „Eyn sermon von dem newen Testament, das ist von der heyligen Messe“242 hält Luther in obigem Zitat fest, daß das Wort Gottes nicht allein identisch ist mit dem Einsetzungswort des Testamentes oder genauer: mit dem „testament an ym selbs, das sein die wort Christi, da er sagt ’das ist meyn leyb, der fur euch geben wirt, das ist mein bluet, das fur euch vorgossen wirt, ein new, ewiges testament usw.’“.243 Vielmehr fasse das Wort Gottes das gesamte Abendmahl in sich; „die wort des abendmals“ „reichen und geben“ nach Luther dem Glaubenden Brot und Wein und Leib und Blut Christi zum ewigen seligen Leben. Das Wort Gottes ist von Luther nicht bloß als das biblisch bezeugte Wort Christi verstanden, sondern als das göttliche Einsetzungswort in untrennbarer Verbundenheit mit Brot und Wein, Leib und Blut und den verheißenen Lebensgütern. Damit aber ist das Wort Gottes nicht nur vor allem bloß zeichenhaften oder bloß geistlichen Verständnis gefeit. Vielmehr vergegenwärtigt das mit dem Wort Gottes identifizierte Abendmahl eben dieses Wort, nämlich das inkarnierte Gotteswort selbst, das seinen Leib und sein Blut gegeben hat zur Erlösung des Menschen von der Sünde. Im Abendmahl als dem Wort Gottes ist seit Christi Tod und Auferstehung das Wort Gottes oder genauer der inkarnierte Gottessohn selbst präsent und dem Glauben des leibhaften Menschen gegenübergestellt. Weil das Abendmahl Christi insgesamt dem Wort Gottes als dem menschgewordenen Gottessohn, der nach Luther als solcher die Sünde der Welt auf sich und mit ans Kreuz genommen hat, entspricht, ist es von Bedeutung, nicht nur das Verhältnisse zwischen Christus und seinem Abendmahl, sondern auch das Verhältnis zwischen Christus und der Sünde klar zu bestimmen. Wie bereits aufgezeigt, geht Luther davon aus, Christus sei – in metaphorischer Weise – der „allergrößte Sünder“ und sogar die Sünde selbst, „Christum […] factus est peccatum metaphorice“.244 Grundsätzlich ist festzuhalten, daß Luther explizit die Metapher als eine tropische Redefigur von der synekdochisch-sakramentalen Einigkeit, die 241 S. dazu WA 1,306,15: „veritas est Deus“. S. dazu und zu weiteren Belegstellen Eilert Herms, Gewißheit in Luthers „De servo arbitrio“, 59/60 und ebd., Anm. 6. 242 S.o. Anm. 219. 243 WA 6, Ein Sermon von dem neuen Testament, 359,16 – 18. 244 S.o. III.2. S. zum folgenden auch die oben Anm. 160 genannten Zitate von Anna Vind.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
für die Abendmahlselemente gelte, unterscheidet. Die „tropische Redeweise […] setzt Luther ausdrücklich mit Metaphora gleich“245, und die Abendmahlsworte „’Das ist mein leib’ [sind] dürre und helle, gemeine, gewisse wort, die nie kein tropus gewesen sind“.246 Folglich kann nach Luther das inkarnierte Gotteswort nicht in der Weise mit der Sünde identifiziert werden, wie das bei Brot und Wein der Fall ist. Ohnehin kann bezogen auf die Sünde keine synekdochische Einigkeit bestehen, weil Christus als synekdochisch-personale Einigkeit von Gott und Mensch die von Ewigkeit vorherbestimmte Gemeinschaft von Gottheit und Menschheit in concreto verkörpert. Diese Gemeinschaft aber ermöglicht auf Grund der vollkommenen Gottesbeziehung des Menschen Jesus Christus, daß dieser die Sünde der Welt auf sich nimmt und für sie stirbt. Sie läßt hingegen nicht zu, daß Christus mit ihr ebenso eine Einheit bildet wie mit den Schöpfergaben Brot und Wein oder mit Gott selbst. Das „Sündesein“ Christi ist vielmehr Metapher für das Liebeshandeln Gottes am Menschen, das selbst die Übernahme der Sünde nicht scheut und das im synekdochalen Einheitsgeschehen des Abendmahls real gegenwärtig ist.247 Die aufgewiesene Unterscheidung Luthers zwischen Metapher und synekdochischer Einigkeit macht deutlich, daß nach Luther alle (tropische) Rede von Gott nur der Offenbarung des Wortes Gottes folgen kann. Nur das Wort Gottes, der inkarnierte Gottessohn wie das Abendmahl Christi, präsentiert nach Luther den Heilswillen Gottes selbst und offenbart dem Glaubenden, daß das Wort Gottes ebenso wie die Schöpfung der Welt auch die Vollendung derselben und darum und als solches die Überwindung der 245 Joachim Ringleben, Luther zur Metapher, 356. 246 S.o. Anm. 223. 247 Nach Luther darf der Glaubende in Analogie zu den Aussagen über die communicatio idiomatum sich selbst die Gerechtigkeit des Inkarnierten und diesem die Übernahme seiner Sünde zuschreiben. Eine synekdochisch-personale Einigkeit des Glaubenden mit Christus ist beim „fröhlichen Wechsel“ von Sünde und Gerechtigkeit jedoch nicht gegeben; der Glaubende wird mit Christus nur „quasi una persona“; s. dazu Notger Slenczka, Neubestimmte Wirklichkeit, 94. – Das Verhältnis zwischen Mensch und Christus ist nach Luther ebenso wie das zwischen Sünde und Gnade und dasjenige zwischen Gesetz und Evangelium ein anderes, wenn die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus dem Menschen vor Augen steht. Wie sich der Glaubende in Christus erlöst weiß, so ist bezogen auf Christus auch das Evangelium als solches präsent, das die Forderungen des Gesetzes zum Heil des Menschen erfüllen läßt. S. dazu WA 8, Rationis Latomianae confutatio, 126,23 – 25: „Nam qui de peccato et gratia, de lege et Euangelio, de Christo et homine volet Christianiter disserere, oportet ferme non aliter quam de deo et homine in Christo disserere.“
IV. Inkarnation und Schöpfung
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Sünde will und schafft. Christus als das inkarnierte und im Abendmahl präsente Wort Gottes ist der leibhaft-personal gegenwärtige Gottessohn selbst, der durch das Wirken des Geistes im Glauben als Heilszuwendung Gottes des Schöpfers erkannt wird. Daß die Präsenz des Inkarnierten in Brot und Wein real gegeben ist, ist nach Luther deshalb möglich, weil für Gott ein anderes Raumverständnis gelte als für sämtliche Geschöpfe.248 Diese könnten ausschließlich „localiter oder circumscriptive“ gegenwärtig sein.249 Gottes räumliche Gegenwart hingegen bezeichnet Luther als „Repletive, übernatuerlich“. Repletive sei die Gegenwart von etwas, wenn dieses „zu gleich gantz und gar an allen oertern ist und alle oerte fullet und doch von keinem ort abgemessen und begriffen wird nach dem Raum des orts, da es ist. Diese weise wird allein Gotte zu geeigent“.250 Eine weitere Gegenwart ist nach Luther die „diffinitive“ oder unbegreifliche Gegenwart, die auf den Inkarnierten anwendbar sei. Die diffinitive Gegenwart Christi zeichne sich dadurch aus, daß er zwar an einem bestimmten Ort gegenwärtig sei, jedoch weder von diesem Ort umfaßt wird noch an diesem Ort greifbar sei.251 So sei er „ym sacrament zu gleich, da brod und wein ist, und doch brod und wein fur sich selbs bleiben unverwandelt und unverendert.“252 Auf Grund der bleibenden Eigenheit und Verschiedenheit der beiden untrennbar miteinander vereinigten Dinge, Brot und Wein, wird nach Luther mit dem Abendmahlsbrot zwar Christi Leib gegessen; „wer dis brod mit zenen odder zungen zu drueckt, der zu drueckt mit zenen odder zungen den leib Christi, Und bleibt doch allwege war, das niemand Christus leib sihet, greifft, isset odder zubeisset, wie man sichtbarlich ander fleisch sihet und zubeisset“.253 Darin, daß die räumliche Präsenz des Inkarnierten unbegreifbar (oder auch: übervernünftig) sein kann, ist nach Luther nicht nur die communicatio idiomatum zwischen göttlicher und menschlicher Natur und damit die ungetrennte und nicht verwandelte Vereinigung der allmächtigen und ewigen göttlichen mit der begrenzten und leidenden menschlichen Natur begründet. Auch die reale Präsenz des Inkarnierten in den Elementen des Abendmahls beruht auf dessen diffinitiver Gegenwart. Konsequenterweise 248 Zu Luthers Raumverständnis insbesondere im Blick auf das Abendmahl Christi s. Thomas F. Torrance, Space, Time and Incarnation, 34 f. 249 WA 26, AbChr, 327,23. 250 WA 26, AbChr, 329,28 – 30. 251 WA 26, AbChr, 327,33 ff. 252 WA 26, AbChr, 329,24 – 26. 253 WA 26, AbChr, 442,34 – 37.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
steht nach Luther dem Glaubenden, der die personale Einigkeit des Inkarnierten einsieht, auch die sakramentale Einigkeit von Brot und Leib, Wein und Blut vor Augen. Weil diese sakramentale Einigkeit nicht die Verwandlung von Brot in Leib und Wein in Blut bedeutet, ist sie nach Luther zum einen nicht schöpfungswidrig. Weil sie jedoch Person und Werk des Inkarnierten in Übereinstimmung mit dem allmächtigen Schöpferwort verkörpert, kann nach Luther der schriftgemäße Genuß von Brot und Wein nicht bloß symbolisch gedeutet werden. Auf Grund der personalen Einigkeit von Gottheit und menschlicher Natur im Inkarnierten ist es nach Luther in Hinsicht auf das Abendmahl folgerichtig, daß der Menschgewordene auf Grund seiner Allmacht und repletiven Gegenwart, die ihm als wahrem Gott zu eigen ist, nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt auch in den Elementen des Abendmahls real präsent sein kann. Es kann nach Luther davon ausgegangen werden, „das Christus leib ym hymel und ym abendmal sey“254, weil die communicatio idiomatum des Inkarnierten diesem die allgegenwärtige Präsenz seines menschlichen Leibes gewährt. Weil die personale Einigkeit des Inkarnierten nicht trennbar sei,255 müsse angenommen werden, daß mit den Elementen des Abendmahls Christi nicht nur Gottes Gegenwart gegeben ist, sondern in ihnen auch Leib und Blut Christi diffinitive gegenwärtig sind. Diese Gegenwart in den Elementen führt Luther darauf zurück, daß Christus „ein unzertrennete person mit Gotte [ist], Wo Gott ist, da mus er auch sein, odder unser glaube ist falsch, Wer wil aber sagen odder dencken, wie solchs zu gehe? […] Weil es denn uns unbekand und doch war ist, so sollen wir seine wort nicht ehe leucken, wir wissen denn zubeweisen gewis, das Christus leib aller dinge nicht muege sein, wo Gott ist“.256 So wie Gott selbst dem Inkarnierten einwohne und dieser in Brot und Wein Raum einnehme, so werde der menschgewordene Gottessohn beim Genuß von Abendmahlsbrot und -wein einem Menschen einverleibt. Das „Wort Gottes“ oder genauer Gottes ewiges Schöpfungswort wird nach Luther im Abendmahl Christi sinnlich-faßbar und auf geistliche Weise aufgenommen. „Wenn man das Sacrament isset, leiben wir Christum ynn 254 WA 26, AbChr, 314,23/24. 255 S. WA 26, AbChr, 333,6 – 10: „wo du mir Gott hinsetzest, da mustu mir die menscheit mit hin setzen, Sie lassen sich nicht sondern und von einander trennen, Es ist eine person worden und scheidet die menscheit nicht so von sich, wie meister Hans seinen rock aus zeucht und von sich legt, wenn er schlaffen gehet.“ 256 WA 26, AbChr, 336,18 – 25.
IV. Inkarnation und Schöpfung
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uns und er sich ynn uns.“257 Durch diese Einverleibung kommt nach Luther die leibhafte Gemeinschaft des Glaubenden mit Christus zustande, die den einzelnen Glaubenden mit der Gemeinschaft der Glaubenden verbindet, welche sich wiederum zeichenhaft durch die Feier des Abendmahls ausweise. „Significatio eius est, quod in Christianitate sit unitas, lieb und gemeinschafft.“258 Die Gemeinschaft der Glaubenden, die die Feier des Abendmahls begeht, befindet sich nach Luther in der „gemeinschafft des leibs Christi“;259 Mit dieser paulinischen Rede ist nach Luther eindeutig angezeigt, „was das ding sey, darynnen die gemeinschafft stehet, nemlich der leib Christi“.260 In der Gemeinschaft der Glaubenden wird nach Luther der Leib Christi heilbringend genossen, weil der Verzehr der Abendmahlselemente oder vielmehr die Verinnerlichung des menschgewordenen Gottessohnes im Glauben geschieht, weil der Leib Christi also leibhaft, nämlich sinnlich und geistlich empfangen wird. Dem Glaubenden gereiche der Verzehr des Leibes und Blutes Christi in körperlich-geistiger, in ganzheitlicher Weise261 zum Heil.262 Die ganzheitliche Einwohnung Christi in den Glaubenden, die der Heilige Geist vermittelt, indem er die res des im Abendmahl gefeierten Evangeliums erschließt und christlichen Glauben weckt, ist nach Luther die Inkarnation des Menschgewordenen in seinen menschlichen Geschöpfen, die diese mit der Gewißheit vom Heilswillen des inkarnierten Schöpfers erfüllt. In dieser Gewißheit, die ihnen angesichts des Leidens und Sterbens Christi gegeben ist, erkennen sie ihr eigenes irdisches Sterben als von Gott selbst getragenen Übergang zum ewigen Leben. Sie erkennen, daß der menschgewordene Gottessohn nicht nur selbst Raum eingenommen hat, um seinen Geschöpfen nahe zu sein, sondern vor allem auch, um selbst als Mensch für die Menschen durch seinen Tod am Kreuz die 257 WA 30/I, Katechismuspredigten, 27,6/7. 258 WA 30/I, Katechismuspredigten, 26,24/25. S. dazu Dorothea Wendebourg, LHB, Taufe und Abendmahl, 422 f. 259 WA 26, AbChr, 490,39/40. 260 WA 26, AbChr, 495,27/28. 261 S. dazu auch WA 23, Daß diese Wort Christi „Das ist mein leib“ noch fest stehen, 193,31 – 33: Nach Luther kann „der geist bey uns nicht sein […] anders denn ynn leiblichen dingen als ym wort, wasser und Christus leib und ynn seinen heiligen auff erden.“ S. dazu Dorothea Wendebourg, L-HB, Taufe und Abendmahl, v. a. 414/415. 262 „Luther wollte […] theologisch sicherstellen, daß Gott in seiner Offenbarung sich leiblich hingibt und damit für den Menschen faßbar wird.“ ( Joachim Staedtke, Art. Abendmahl III/3. Reformationszeit, 1. Protestantismus, 1.2. Luther, 113)
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
durch die Sünde bedingte (Erfahrung der) Beschränktheit des Raumes wie der Zeit zu überwinden. Er hat nach Luther das Gesetz Gottes, das die Annahme des geschaffenen Lebensraumes in Liebe zum Schöpfer verlangt, in leibhaftem Gehorsam bis hin zum Kreuzestod erfüllt. Für den Glaubenden bedeute diese stellvertretende Gesetzeserfüllung, an die sich Auferstehung und Himmelfahrt des Inkarnierten anschließen, Freiheit von Sünde und Tod. Denn sie lasse ihn die räumlich und zeitlich bedingte Schöpfung als sehr gute Schöpfung erkennen, welche von ihrem Schöpfer auf ihre raumgreifende Vollendung im ewigen Reich Gottes hin ausgerichtet ist. Das Essen des Leibes und Trinken des Blutes Christi, das der Glaubende vollzieht, geschieht also „zum Zeugnis dessen, daß Christus den in Leib und Seele ganzen Menschen mit sich durch den Tod ins ewige Leben bringen wird. Und nicht nur zum Zeugnis dessen […], sondern zugleich zum Vollzug dessen, daß Christus in unserem sündigen und sterblichen Dasein auf das neue und ewige Leben hin wirkt.“263 Den Übergang zum neuen und ewigen Leben hin eröffnet nach Luther die Taufe. Sie gilt ihm als das Sakrament, das die „Neuschöpfung“264 des sündigen Menschen manifestiert, der der Sünde wegen eigentlich dem Tod verfallen ist. Die Neuschöpfung des Menschen führt diesen aus dem Sünden-Tod, aus der Verfallenheit an die lebensverneinende und lebenverhindernde Kraft der Sünde, heraus zu neuem ewigem und seligem Leben, das über das irdische Dasein hinausreicht. IV.2.3. Von der Taufe – Zeitgabe IV.2.3.1. Neuschöpfung Unter „Neuschöpfung“ versteht Luther keine zweite Schöpfung und auch nicht eine Änderung der geschöpflichen Struktur und Verfaßtheit, sondern die „Wiederherstellung“, die Rekreation des Ur-Menschen in seiner Vollkommenheit.265 Diese Rekreation impliziert allerdings eine besondere Vertiefung der Gotteserkenntnis des Menschen, stellt also eine
263 Wilfried Joest, Ontologie, 432. 264 Zur Neuschöpfung s. v. a. WA 18, ServArb, 754,1 – 17. 265 WA 7, FrChr, 31,29 f.: Der Mensch werde durch die Rekreation „widderumb ynß paradiß gesetzt und [das heißt] von newen geschaffen“, „per fidem suam denuo repositus est in paradisum et de novo recreatus“ (WA 7, De libertate christiana, 61,12 f. [Hervorhebung A.K.]).
IV. Inkarnation und Schöpfung
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Überbietung des Urzustandes dar und bedeutet darum die Vollendung des Menschen. Wie bereits gezeigt, hat nach Luther die Sünde des Menschen nicht die Macht, die geschaffene Struktur des Menschen und insbesondere die Verfaßtheit seines Erkenntnisvermögens zu zerstören, weshalb zur Wiederherstellung der ursprünglichen Erkenntnisfähigkeit keine neue Schöpfung des Erkenntnisvermögens nötig ist. Die (Wieder-)Herstellung der von Ewigkeit her von Gott dem Schöpfer vorherbestimmten Vollkommenheit verlangt nach Luther die Überwindung der Sünde und den Durchgang durch den Tod, den der sündige Mensch als Strafe für seine Sünde erleidet. Aus dem Sündentod heraus errettet nach Luther allein der Glaube an den Inkarnierten, der selbst durch den Tod hindurchgegangen und auferstanden ist. Das Zustandekommen christlichen Glaubens aber setze keineswegs eine zweite Menschenschöpfung, sondern vielmehr das zu einem Leben in der Nachfolge Christi erweckende Wirken des Heiligen Geistes voraus. Weil dieses „neue“ Leben aus dem „alten“, todverfallenen sündigen Dasein eines Menschen hervorgeht und dieses ablöst, kommt nach vorliegender Interpretation dem erlösten Menschen nicht nur die Neuschöpfung durch den Geist Gottes zugute, sondern auch die schöpferische Macht Gottes zu Bewußtsein. Weil mit der Neuschöpfung, die auf der Überwindung von Sünde und Tod beruht, dem sündigen Menschen am eigenen Leib die schöpferische Macht und der ewige Heilswille Gottes des Schöpfers und Erhalters zu Bewußtsein kommt, führt diese nicht nur zu einer Wiederherstellung des Urzustandes, sondern zur „Vollendung“ des Menschen. Der vollendete Mensch erkennt nämlich nicht nur seinen Schöpfer vollkommen, vielmehr führt ihn seine Erlösung aus Sünde und Tod auch zu einer vertieften Erkenntnis des dreieinigen Gottes, der nun am geschaffenen und erkenntnisfähigen Menschen selbst die Macht bewiesen hat, aus dem Tod zum Leben zu erretten. Ebenso wie die Schöpfung des Menschen hat nach Luther Gott, der Dreieinige, der von Ewigkeit her alles, was ist und geschieht, vorhergewußt und gewollt hat, auch dessen Neuschöpfung vorherbestimmt. Für die menschlichen Geschöpfe werde sie im Glauben wirklich, wobei nach Luther dem Glaubenden die bevorstehende Vollendung bereits gewiß ist, diese jedoch erst im zukünftigen ewigen Leben tatsächlich vollendet sein werde.266 Solange der Glaubende auf Erden existiere, erreiche er den 266 S. dazu Eilert Herms, Das fundamentum fidei, 89. S. auch Wilfried Joest, Ontologie, 346/347: „Die vita futura wird kommen, weil Gottes Wille im
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Vollendungszustand nicht; er sei und bleibe immerfort zugleich iustus et peccator. Zwar sei ihm seine Vollendung gewiß, jedoch besteht seine Vollendungsgewißheit auf Erden stets nur, insofern ihm auch seine Erlösungsbedürftigkeit bewußt ist.267 IV.2.3.2. Das Sakrament der Taufe Das Sakrament der Taufe „bedeutet“268 nach Luther die Neuschöpfung, Regeneration oder Neugeburt des Menschen: „Significat […] baptismus duo, mortem et resurrectionem, hoc est, plenariam consumatamque iustificationem. Quod enim minister puerum immergit in aquam, mortem significat, quod autem rursum educit, vitam significat. Ita Paulus Ro. vi. exponit: Consepulti enim sumus Christo per baptismum in mortem, ut, quemadmodum Christus resurrexit ex mortuis per gloriam patris, ita et nos in novitate vitae ambulemus. Hanc mortem et resurrectionem appellamus novam creaturam, regenerationem et spiritualem nativitatem“.269
Die Neugeburt, die in der Taufe sinnlich-geistig erfahren wird, bedeutet nach Luther den Anfang eines neuen Lebens, das bereits während des Erdenlebens beginnt und über das Ende des irdischen Daseins hinausreicht. Keineswegs bedeute die Neugeburt das Ende des irdisch-körperlichen Daseins oder auch des Lebens „in carne“. Doch das Leben nach dem Fleisch, als welches Luther das Leben ohne christlichen Glauben bezeichnet, werde beendet.270 Denn in der Taufe sterbe der Sünder und auferstehe der Glaubende zum ewigen Leben, welches im Anschluß an das irdische Leben und die dem leiblichen Tod folgende Auferstehung seine Vollendung finden werde.271 „Da [d.i. im Leben nach dem irdischen Leben] wirt aller erst volnbracht, das die tauffhebung bedeut, da werden wir vom todt, vonn
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Menschen ganz erfüllt werden muß, in reiner, durch keinen Gegenwillen mehr gebrochener Spontaneität.“ S. dazu auch die Belegstellen a.a.O., 347 Anm. 62. S. dazu Lubomir Zˇak, Die Ontologie der menschlichen Person im Denken Martin Luthers, 323 – 327. S. Wilfried Joest, Ontologie, 344. WA 6, capBabyl, 534,3 – 9. S. dazu WA 26, AbChr, 310,25 f.: „’Im fleisch’ und ’nach dem fleisch’ ist weit von einander, Paulus Gal. 2. lebt ym fleisch, aber doch nicht nach dem fleisch, sondern ym glauben Christi“. Nach Luther ist es wahr, „das zu weilen die Schrifft redet von geistlicher aufferstehung, wenn sie heisset von sunden jnn ein new, geistlich leben tretten, welchs geschicht durch den glauben und Tauffe noch jnn diesem leben“. Zugleich handele sie davon, „wie wir nach diesem leben, wenn wir tod sind, aufferstehen werden“ (WA 36, Predigt vom 1. 12. 1532, 629,21 – 25). S. dazu WA 36, Predigt vom 3. 11. 1532, 580/581; s. ebenso a.a.O., 583,13 – 34.
IV. Inkarnation und Schöpfung
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sunden, von allem ubell auff stehen, reyn an leib und seel, und dan ewiglich leben“.272 In der Gewißheit des ewigen Lebens nach dem Tod, das mit der Taufe beginne, erkennt nach Luther der Glaubende das gegenwärtige Leben als den bloßen „corporalis […] transitus ex hoc mundo ad patrem“273. Dem Glaubenden sei deutlich, „haec vita [… est] nihil nisi praecursus aut initium potius futurae vitae.“274 Gleich wie das Leben der ersten Christenmenschen mit der Auferstehung des Inkarnierten begann, weil erst von Ostern an Einsicht in die Person des Erlösers gegeben war,275 beginnt nach Luther ein jedes Christenleben mit der Auferstehung zum ewigen Leben, die in der Taufe dargestellt wird. Daß in der Taufe diese Auferstehung dargestellt wird, geschieht nach Luther in Entsprechung dazu, daß das Wirken Christi mit dessen Taufe begann.276 Auch das Leben eines jeden Christenmenschen, zu dem dieser aufersteht und das er in der Nachfolge Christi führt, fängt nach Luther mit der Taufe an. Diese stellt also grundlegend den einzelnen in den Nachvollzug des sündlosen Lebens Christi. Im Akt der Taufe verbinde sich Gott selbst als der Urheber des Taufsakraments mit dem Täufling und eröffne ihm dadurch ein sündloses Leben in Gottesgemeinschaft. Dadurch sei noch nicht unmittelbar das Ende des sündigen Lebens gegeben, doch sei der Anfang zu einem sündlosen Leben gemacht. Denn mit dem Zeitpunkt der Taufe hebe Gott selber an, „dich new zu machen, geust dyr eyn seyn gnad und heyligen geyst, der anfahet die natur und sund zu todten und zu bereyten tzum sterben und auffersteen am jungsten tag.“277 Der Bund, den der dreieinige Gott in der Taufe mit einem Menschen schließe, ist nach Luther Gottes verbindliche Zusage an den Täufling, ihm seine Sünden zu vergeben und ihn mehr und mehr zu einem sündlosen, ewig-seligen Leben zu führen. Diese Zusage, die der dreieinige Gott einem Täufling erteile, müsse diesem unabhängig von seinem Glauben durch die christliche Gemeinschaft mit dem Vollzug des Taufsakramentes gewährt werden. Nach Luther kann der Glaube nicht der Grund sein, auf den hin der Täufling von der christlichen Gemeinschaft getauft wird; „wer die 272 WA 2, Ein Sermon von dem Sakrament der Taufe, 728,33 – 35. S. dazu auch WA 42, GenKomm, 60: „dum vivimus, in media morte sumus.“ S. dazu EG 518: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.“ 273 WA 6, capBabyl, 534,38 f. 274 WA 18, ServArb, 785,19. 275 S. Eilert Herms, Das fundamentum fidei, 91/92. 276 S. dazu WA 46, JohAusl I, 686,11 – 27. 277 WA 2, Ein Sermon von dem Sakrament der Taufe, 730,27 – 29.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
tauffe will grunden auff den glawben der taufflinge, der mus nymer mehr kein mensch teuffen.“278 Gewißheit über das Vorhandensein von Glauben kann es nämlich weder von seiten des Täuflings noch von seiten der Taufenden geben. Gewiß sei aber, daß der Schöpfer die Taufe gebiete. „Hie stehet unser gewisser grund und feste, Nemlich, das wir uns teuffen lassen nicht darumb, das ich des glawbens gewis sey, Sondern das Gott geboten hat und haben wil.“279 Die Taufe ist nach Luther „ein werck Gottes“, für dessen Ausführung er die cooperatio der christlichen Gemeinschaft gebietet, das er jedoch rein aus Gnade dem Täufling zuwendet.280 Gottes Gebot zur Taufe und seine zuvorkommende Heilszusage in der Taufe, nicht aber der Glaube des Täuflings eröffnen diesem ein Leben in Gottesgemeinschaft und damit ein Leben in der christlichen Gemeinschaft; beide Gemeinschaften werden in der Feier des Abendmahls bekräftigt, welches allerdings nur im Glauben zum Heil empfangen werde. Der Glaube, der die Gaben des Abendmahls als Heilszuwendungen Gottes erkennen läßt, kann sich nach Luther auch erst Jahre nach dem Taufakt bei einem Täufling einstellen. Erst mit ihm aber ist nach Luther der Taufe Genüge getan.281 Die Taufe setze zwar keineswegs den Glauben des Täuflings voraus, jedoch bestätige dieser von seiten des Menschen die von Gott her eröffnete Gemeinschaft und macht also erst die Taufe für ihn nützlich, weil er nun eben der Heilszusage Gottes gewiß ist; „der glaube macht die person allein wirdig, das heylsame Goettliche wasser nuetzlich zu empfahen. […] On glauben ist es nichts nuetz, ob es gleich an yhm selbs ein Goettlicher uberschwenglicher schatz ist.“282 Wie das Sakrament des Abendmahls ist nach Luther auch die Taufe selbst „Gottes wort“, das unumstößlich den menschlichen Geschöpfen Gottes Heilswillen verkünde.283 Damit jedoch die Sakramente zum Heil gereichen, müssen sich die Sakramentsempfänger im Glauben auf dieses Wort, auf Gottes Wort verlassen.284 Erst dem Glaubenden ist nach Luther die eigene Taufe als Akt der Neuschöpfung oder Neugeburt bewußt, die 278 279 280 281
WA 26, Von der Wiedertaufe, 154,22/23. WA 26, Von der Wiedertaufe, 164,32 – 34. WA 26, Von der Wiedertaufe, 153,18. „Wenn nu der glawbe kompt, so hat die tauffe das yhr“ (WA 26, Von der Wiedertaufe, 160,5). 282 WA 30/I, GrKat, 216,10 – 15. S. dazu WA 26, Von der Wiedertaufe, 164,39/40: „War ists, das man glewben sol zur tauffe, Aber auff den glawben sol man sich nicht teuffen lassen.“ 283 WA 26, Von der Wiedertaufe, 172,35. 284 S. WA 26, Von der Wiedertaufe, 172/173.
IV. Inkarnation und Schöpfung
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Gott, der Dreieinige, ebenso als Schöpfer durch sein Schöpfungs-Wort und durch seinen Schöpfergeist wirkt wie die leibliche Existenz eines jeden Geschöpfs.285 Allerdings setzt die Neuschöpfung des Menschen, die ihn die Überwindung seiner „alten“ Existenz unter der Sünde leibhaft erfahren läßt, zum einen seine leibhafte, sinnlich-geistige Existenz voraus. Zum anderen beruht sie darauf, daß das Schöpfungswort Gottes in Raum und Zeit Mensch geworden ist und daß seit dessen Tod und Auferstehung der Heilige Geist den Glauben an den inkarnierten Logos weckt. Entsprechend führt nach Luther das Gedenken an die eigene Taufe nicht nur zum Bewußtsein der eigenen Geschöpflichkeit und Abhängigkeit von Gott dem Schöpfer. Vielmehr diene es der Erinnerung an die gnadenhafte und zuvorkommende Tauf-Zusage Gottes, die sich im inkarnierten Wort Gottes leibhaft manifestiert hat und die dem Glaubenden Heil und ewiges seliges Leben nicht nur bedeutet, sondern die ihm im Glauben auch wirklich heilsam ist. Damit Gottes Zusage beständig wirksam bleibe, verlangt Luther mit dem täglichen Vollzug der Buße einen täglichen reditus ad baptismum286, eine tägliche Rückbesinnung auf das in der Taufe bedingungslos zugesprochene Heil. „Denn was heisset busse anders denn den alten menschen mit ernst angreiffen und yn ein newes leben tretten? Daruemb wenn du ynn der busse lebst, so gehestu ynn der Tauffe, welche solch newes leben nicht allein deutet sondern auch wirckt, anhebt und treibt“.287 Wie für das Abendmahl betont Luther auch für die Taufe die leibhafte Begegnung mit dem Wort Gottes, die hier durch das „Goetlich, hymlisch, heilig und selig wasser“ geschehe;288 „wir werden nicht allein getaufft nach der seelen, sondern der leib wird auch getaufft“.289 Nach Luther vollzieht der dreieinige Gott sein Heilswirken nicht allein durch ein unsichtbares, unfaßbares Wirken auf Seele und Herz des Menschen. Vielmehr wolle er vermittelt durch menschliches Handeln auch auf den Körper der menschlichen Geschöpfe glaubenweckend und heilsam einwirken. 285 286 287 288 289
S. dazu WA 18, ServArb, 754,1 – 17. S. WA 6, capBabyl, 572,17. WA 30/I, GrKat, 221,14 – 18. WA 30/I, GrKat, 214,11. WA 36, Predigt vom 1. 2. 1533, 666,35/36; s. dazu a.a.O., 666,36 – 667,2: „So wird auch uns das Euangelium gepredigt, und wir dadurch gesegnet, nicht allein nach der seelen, sondern umb des gantzen menschen willen, auch nach dem leibe, Item, so empfehet nicht allein die seele, sondern auch der leib das Sacrament des leibs und bluts Christi, Also das er mit der seele durch die Tauffe und Sacrament gehet und bleiben sol, wo die seel bleibet am juengsten tag.“
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
„Summa was Gott ynn uns thuet und wircket, wil er durch solch eusserliche ordnung wircken.“290 Daß es tatsächlich Gottes Absicht ist, den menschlichen Geschöpfen seinen Heilswillen oder vielmehr sein Wort, das Wort Gottes oder auch das Schöpfungswort über Leib und Seele zu vermitteln, ist nach Luther auf Grund der Menschwerdung des Schöpfungswortes offenbar. Entsprechend gäben die vom Inkarnierten selbst zu seiner Vergegenwärtigung eingesetzten Sakramente, die nach Luther ebenfalls „Wort Gottes“ sind, das Wort Gottes auch ebenfalls auf leibhafte Weise in der Gestalt von Taufe und Abendmahl kund. Als „Wort Gottes“ gewährten sie in realer Weise Anteil am Leib und Blut des Gekreuzigten wie am Leben des auferstandenen Inkarnierten. Dabei dient nach Luther das Abendmahl vor allem dazu, dem Glaubenden, der sich mit Brot und Wein Leib und Blut des Inkarnierten einverleibt, die räumliche Präsenz des Inkarnierten und die durch diesen bewirkte Freiheit von der Sünde zu Gott hin zu vermitteln. Dadurch, daß die räumliche Präsenz des Gottessohnes im Abendmahl für den Menschen eingeräumt wird, dadurch, daß der Inkarnierte einwohnt im Genießenden, wird diesem im Glauben die Güte des geschaffenen Raumes und insbesondere die Güte seiner eigenen Körperlichkeit verdeutlicht. Weil er also am eigenen Leib Gottes Werk als gut erkennen und anerkennen kann, wird ihm zugleich Raum in Beziehung zu Gott, seinem Schöpfer, gegeben. Die Taufe hingegen vergegenwärtigt mit der Bewegung des Wasserritus (vom Untertauchen zum Auftauchen) den zeitlichbestimmten Weg des Inkarnierten, in den der Täufling hineingenommen wird. Inkorporiert in den Lebensvollzug des inkarnierten Wortes Gottes lebt der glaubende Getaufte sein Leben in der Nachfolge Christi oder vielmehr in der zeitlichen Gegenwart des Inkarnierten, die ihn durch die Taufe hindurch zum ewigen Leben und – in Übereinstimmung damit – durch den irdischen Tod hindurch endgültig ins Reich Gottes hinüberführt.291 Auf Grund seiner Taufe erlebt nach Luther der Glaubende die durch den Tod begrenzte Zeit seines irdischen Daseins als bloße Übergangszeit zu ewigem Heil. Denn mit der Taufe wird ihm die Gabe ewigen Lebens zuteil.292 290 WA 30/I, GrKat, 215,36/37. 291 Vgl. hierzu Werner Elert, Morphologie, Bd. 1, 446. 292 S. dazu WA 47, JohAusl II, 81,4 – 14: „Henge dich nur an den Sohn durch den glauben, der den tod uberwunden und dem Teuffel den Bauch zu rissen hatt, […] so wirstu durch den Tod und Teuffel reissen […]. Halts fur die warheit, das wunderwerck, das Gott die welt geliebet hat, und sage: Ich gleube an den Sohn Gottes und Marien, der ans Creutz geschlagen ist und erhohet worden. Do wirstu
IV. Inkarnation und Schöpfung
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Nicht nur bei den beiden Sakramenten Taufe und Abendmahl geht Luther von einer „Selbstvergegenwärtigung“ Gottes für den Menschen aus.293 Auch für Luthers Kirchenverständnis sowie in Hinsicht auf seine Aussagen zur „Jungfrauengeburt“ kann die Annahme einer Präsenz Gottes auf Erden ausgemacht werden, die sich allerdings von der Gegenwart des Inkarnierten bei der Feier der Sakramente maßgeblich unterscheidet. IV.3. Von der Jungfrauengeburt Die Jungfrauengeburt versteht Luther als ein Gemeinschaftswerk des Geistes Gottes und der Jungfrau Maria, die vom Heiligen Geist erfüllt ist.294 Der Inkarnierte sei „Empfangen vom Heiligen geist und von der Jungfrawen geborn […], ein rechter natürlicher mensch von fleisch und blut, mit allen gliedmassen, krefften und synnen der seelen, so ich und du und ein jglicher mensch von Adam hat, Wie ers aber worden sey, und wie es der Heilig geist gemacht habe, das hat er mir nicht gesagt noch gezeigt, Darumb las ichs jm befohlen sein und bleibe schlecht bey dem wort, das er gesagt und geschrieben hat.“295 Während Luther immer wieder betont, das Menschsein des Inkarnierten zeichne sich dadurch aus, daß dieser wie ein jeder Mensch mit Leib und Seele geboren sei,296 hält er zugleich an der Entstehung des Menschgewordenen durch das Zusammenwirken des Geistes Gottes mit der Jungfrau Maria fest. Daß der Inkarnierte nicht von einem menschlichen Vater gezeugt ist,297 er vielmehr durch den Heiligen Geist in Verbundenheit mit der Jungfrau Maria „gemacht“ ist, das gilt für Luther unleugbar: „spiritus sanctus cooperavit und hat sie [Maria] fruchtbar in illa hora, qua
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erfharen, das du widergeborn bist, den der Tod und Sunde werden dich nicht mehr verklagen und keinen schaden noch leidt oder wehe thun, den wer an den Sohn gleubet, der wird das ewige leben haben.“ S. dazu Reinhard Schwarz, Selbstvergegenwärtigung Christi, 19: „Unter dem Begriff ’Selbstvergegenwärtigung Christi’ geht es mir um den Kerngedanken, der Luthers Abendmahlslehre auch in der Kontroverse mit Zwingli zusammengehalten hat.“ WA 17/II, Festpostille 1527, 403,25 – 31. WA 37, Predigt vom 16./17.4.(?) 1533, 54,26 – 31. S. dazu WA 26, AbChr, 501,24 – 27. S. dazu WA 26, AbChr, 501,20.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
dixit: ’Ecce ancilla.’ Nos etiam ridere possumus, sed bleibt dabey. Sic annunciatum a mundi principio.“298 Für die cooperatio zwischen Heiligem Geist und Jungfrau Maria hält Luther eine außergewöhnliche Handlungsweise Gottes fest; „mein ordnung der creatur wil ich [d.i. Gott] hie nicht halten, tamen schier die helfft, ut virgo filium. […] Secundum rationem ists nerrisch“. Doch, „qui dedit rationem, der wird etwas mher wissen, qui rationem creavit, kan etwas bessers wissen quam ego“.299 Im Unterschied zu seinem sonstigen Festhalten an der naturgesetzlichen Schöpfungsordnung, die auf Notwendigkeit gegründet und nicht zu ändern sei, geht Luther hier, im Blick auf die von Ewigkeit her vorherbestimmte und von Anbeginn der Welt an angekündigte Geburt Christi davon aus, Gott selbst weiche von seiner notwendigen Ordnung ab. In Hinsicht auf die Jungfrauengeburt genügt ein Verweis auf Gottes repletive und diffinitive Raumerfüllung nicht. Vielmehr bringt nach Luther die Präsenz und Kraft des Heiligen Geistes in der Jungfrau Maria ohne die Mitwirkung eines Mannes sogar deren Schwangerschaft und damit die leibliche Präsenz des Inkarnierten in ihr hervor. Zwar nimmt Luther, was die Jungfrauengeburt anbelangt, eine von Gott selbst gewirkte Abweichung von der Schöpfungsordnung an, die er selbst nicht erklären könne. Diese Abweichung dient ihm gleichwohl als Bild für den Vorgang der Glaubenskonstitution. Er hält fest, daß das Zustandekommen von Gewißheit über den in Jesus Christus offenbarten Heilswillen des Schöpfers in Parallele zur geistgewirkten Inkarnation des Gottessohnes geschieht. Zum einen nämlich gelange ein Mensch nur über eine durch einen menschlichen Kooperator (oder eine menschliche Kooperatorin) vermittelte körperlich-sinnliche Begegnung mit dem Wort Gottes zum Glauben. Diese Kooperatorrolle übernimmt nach Luther bei der Geburt Christi die Jungfrau Maria, die als erster Mensch die Begegnung mit dem Inkarnierten vermittelt. Zum anderen würden alle diejenigen selbst „muter Christi“, „in denen Got wonet durch Christum Got und menschen“, die also ebenso wie Maria das Wort Gottes durch die Vermittlung des Heiligen Geistes im Glauben aufgenommen haben.300 In ihrer anima spirans, 298 WA 36, Predigt vom 24. 3. 1532, 142,19 – 143,2. 299 WA 36, Predigt vom 24. 3. 1532, 141,1 – 6. S. dazu Erlanger Ausgabe2, Bd. 6, 339: „Gott will hie seine Ordnung der Creatur nicht halten, sondern ein neues machen.“ S. dazu KD I,2, §15, 195. 300 WA 17/II, Festpostille 1527, 408,21.22. Zum Glauben der Maria s. a.a.O., 401,9 – 11.
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ihrem Herzen oder Gewissen wohnt Gott durch seinen Geist vermittelt selber ein, ist Christus selbst geboren und wirkt auf diese Weise ihre Neugeburt, die ein Leben in der Nachfolge des Inkarnierten und die christliche cooperatio mit Gott eröffnet.301 Die Abweichung von der Schöpfungsordnung, die von Luther für die Jungfrauengeburt in Kauf genommen wird, bedeutet allerdings nicht nur eine Infragestellung der Unverbrüchlichkeit des „Naturgesetzes“, vor allem problematisiert sie das wahre Menschsein Christi. Denn dieses setzt die Zeugung des Inkarnierten durch einen menschlichen Vater voraus. Gerade die Annahme, daß der Inkarnierte durch einen menschlichen Vater gezeugt ist, würde auch ernstnehmen, daß nicht nur die anima spirans des Menschen, sondern ebenso die menschliche caro oder eben das ganze menschliche Geschöpf zum Empfang des Heilswillens Gottes bestimmt ist. Und eben dies soll doch nach Luther die Inkarnation des Gottessohnes erweisen. Sie soll zeigen, wie sehr dem Schöpfer an der Gemeinschaft mit seinen menschlichen Geschöpfen gelegen ist. „Iam wie hoch geadelt natura humana, quod sie zu solchen ehren komen ist, der madensack ist so herrlich gezirt usw. quia filius iste hats selber an yhn genomen, quid iam kan unfletig sein in homine?“302 Die gezierte caro,303 die der Inkarnierte in Zeit und Raum präsentiert, offenbart nach Luther den Heilswillen des dreieinigen Gottes, der auch die Körperlichkeit des Menschen miteinschließt und sowohl die Einwohnung Christi in den ganzen Menschen als auch die Inkorporation des ganzen Menschen in den Lebensvollzug Christi bezweckt. IV.4. Die Kirche als Leib Christi Die leibhafte Gegenwart des vom Heiligen Geist in cooperatio mit Maria gezeugten und geborenen Inkarnierten, die in den Sakramenten gegeben und durch das Predigtwort verkündigt ist, konstituiert nach Luther die communio sanctorum, die Kirche als den Leib Christi. 304 Die Feier der Sakramente und die Verkündigung des Evangeliums führe einzelne zum 301 Die Erfüllung des göttlichen Gesetzes ist nach Luther nur demjenigen möglich, in dem Christus selbst einwohnt; s. dazu WA 1, Disputatio contra scholasticam theologiam, 73. These, 227,29/30: „Lex est exactor voluntatis, qui non superatur nisi per ’parvulum, qui natus est nobis’“. 302 WA 29, Predigt vom 25. 12. 1529, 654,8 – 10. 303 S. dazu o. I. 304 S. dazu Eilert Herms, Auslegung des Dritten Artikels, 107 f.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Glauben und vereinige sie in der Gemeinschaft der Christenmenschen. Diese wiederum erhalte und stärke die Gemeinschaft mit Gott und unter den Glaubenden durch Predigt und Sakrament. Entsprechend nennt Luther die christliche Kirche in Parallele zur Jungfrau Maria auch die „Mutter“ der Gläubigen.305 Sie gilt als der „schos“306 der Glaubenden, weil sie durch Predigt und Sakrament mitbeteiligt ist, den Gemeinschaftswillen des Schöpfers zu verwirklichen. Nicht jedoch ist nach Luther die Kirche die Mutter des Wortes Gottes in der Hinsicht, daß sie dieses durch sich selbst hervorbrächte. – „Ecclesia enim est filia, nata ex verbo, non est mater verbi.“307 Vielmehr ist und bleibt sie auf Gottes Wort, von dem sie herstammt, angewiesen und ihm untertan. „Dem nach gleube ich, das eine heilige Christliche kirche sey auff erden, das ist die gemeyne und zal odder versamlunge aller Christen ynn aller welt, die einige braud Christi und sein geistlicher leib, des er auch das einige heubt308 ist“.309 Die Kirche ist nach Luther der geistliche Leib Christi, weil in ihr diejenigen versammelt sind, die im Glauben an den Inkarnierten mit diesem und durch ihn untereinander verbunden sind. Die kirchliche Gemeinschaft zeichnet sich als geistlicher Leib Christi insbesondere dadurch aus, daß in ihr das Abendmahl gefeiert und dabei in Brot und Wein der Inkarnierte leibhaft genossen wird. Denn somit haben die Glieder der christlichen Gemeinschaft leibhaft Anteil am Leib des Inkarnierten, der ihnen einwohnt und den sie darum seit seiner Auferstehung und Himmelfahrt auf Erden als christliche Gemeinschaft darstellen. Diese Gemeinschaft ist jedoch Christi geistlicher Leib, insofern sie die Gemeinschaft der Getauften ist, die im glaubenden Nachvollzug der irdischen Existenz des Inkarnierten leben und als solche Taufe, Buße und Abendmahl vollziehen. Nach Luther hat der Heilige Geist beim Hören des Predigtwortes, das die in Taufe und Abendmahl gegenwärtige res, das Evangelium vom inkarnierten, gestorbenen und auferstandenen Gottessohn und Schöpfungswort verkündigt, ihren Glauben gewirkt.310 Im Glauben an den Inkarnierten und damit auch in der Hoffnung auf das ewige 305 S. WA 30/I, Katechismuspredigten, 91,19 f.: „Christiana ecclesia est mater tua, illa zeugt dich per verbum et tregt dich.“ 306 S. WA 30/I, GrKat, 188,4. 307 WA 42,334,12. 308 WA 6, Von dem Papstthum zu Rom, 298,23 f.: Nach Luther ist es „clar, das auff erden kein ander heubt ist der geistlichen Christenheit dan allein Christus.“ 309 WA 26, AbChr, 506,30 – 33. S. dazu auch WA 50, KuK, 624,15 – 18. 310 S. dazu Eilert Herms, Auslegung des Dritten Artikels, 99 f.110.
V. Vollendung der Schöpfung durch Inkarnation
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Reich Gottes sowie in der Liebe gegenüber Gott und dem Nächsten sind also die Christenmenschen zum geistlichen Leib Christi vereint. Anders als für Taufe und Abendmahl nimmt Luther für die Kirche nicht an, daß sie selbst die Gegenwart des Inkarnierten verkörpert. Vielmehr vermittelt sie, wie die Interpretation zeigt, als räumliche Größe im Verlauf der Zeit die Präsenz des Inkarnierten, indem sie Taufe und Abendmahl feiert und sich ebenso wie die Jungfrau Maria für das Wort Gottes empfänglich zeigt. Dadurch, daß sie dieses aufnimmt, ist sie nach Luther – gleich wie der einzelne Christenmensch durch das Evangelium neugeschaffen wird – „creatura verbi divini“, eine Kreatur des inkarnierten Schöpfungswortes, und insofern sein Leib, nicht aber dieses Wort Gottes selbst, das vielmehr das Haupt des Leibes bildet.311
V. Vollendung der Schöpfung durch Inkarnation V.1. Wirken Gottes Die Neuschöpfung des Menschen, seine Hineinnahme in den Lebensprozeß des Menschgewordenen, der in vollkommenem Gehorsam das irdische Leben als den transitus ad patrem lebte, öffnet nach Luther die Augen für die Gottgewolltheit der gesamten Schöpfung und eröffnet ein Leben in Liebe zu Gott und dem Nächsten. Es ist nach Luther gerade die Inkarnation des Menschgewordenen, die dem Menschen die Gewißheit vermittelt als Mensch nicht bloß ein Madensack312, sondern ein ganz und gar von Gott seit Ewigkeit vorherbestimmtes und gewolltes Geschöpf zu sein, das der ewigen Liebe Gottes teilhaftig werden soll.313 In dieser Gewißheit erkennt der Glaubende die gesamte Schöpfung zum Heil und insbesondere auch zu seinem eigenen Wohl geschaffen314 und damit als ein Werk der Liebe Gottes. „So sihestu, was da heisset: Gott ist die Liebe, das es ein jglicher sehen und greiffen mus, wenn er nur die augen auffthut, Denn da stehen teglich alle seine güter fur augen, wo du nur hin sihest, Sonn und 311 S. dazu WA 2, Resolutiones Lutherianae, 430,6 f.: „Ecclesia enim creatura est Euangelii“. 312 S. dazu o. IV.3. 313 S. dazu WA 36, Predigt vom 9. 6. 1532, 426,33 – 427,12 (s. o. Anm. 98). 314 S. dazu WA 42, GenKomm, 49,18 – 22; s. auch 54,25 – 27: Nach Luther hat das erste Menschenpaar die geschaffenen Dinge nicht so sehr zum eigenen Unterhalt gebraucht, vielmehr seien sie ihm Anreiz zur Bewunderung Gottes gewesen. S. auch WA 46, JohAusl I, 618,18 – 21.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Mond und der gantze himel voll liecht, die erden vol laub, gras, korn und allerley gewechs, dir zur narung bereit und gegeben, Item vater und muter, haus, hoff, fride, schutz und sicherheit, durch weltlicher Oberkeit regiment usw.“315 Wie die Interpretation zeigt, erkennt der Glaubende nach Luther auf Grund der Inkarnation des Gottessohnes, daß die Schöpfung Gottes sehr gut und zum Nutzen des Menschen geschaffen ist. Zudem ist er gewiß, daß Gottes Zuwendung zu seiner Schöpfung mit dem irdischen Tod nicht enden wird, daß vielmehr das irdische Leben als transitus ad patrem, als Übergang zu unsterblicher Gottesgemeinschaft gesehen und gelebt werden darf.316 Denn der Menschgewordene befreit durch seinen eigenen Tod zur Unsterblichkeit.317 Er befreit aus der durch den irdischen Tod beschränkten Zeit und dem von Sünde umklammerten Raum, weil er im Gehorsam gegen Gott an Stelle des Menschen und für ihn die beengenden Grenzen von Raum und Zeit überwindet. Er offenbart sie in ihrer gottgewollten Beschaffenheit, nämlich als heilsfunktionale Rahmengrößen, innerhalb deren der Schöpfer mit seinen Geschöpfen in ewige Gemeinschaft treten will.318 Das ewige Leben, das nach Luther für den Glaubenden auf Erden in Raum und Zeit beginnt, geht nach dem irdischen Tod in das ewige Leben über, in dem auch Raum und Zeit in die unbegreifbare Ewigkeit Gottes
315 WA 36, Predigt vom 9. 6. 1532, 429,13 – 18; s. auch 425,10 – 12 (s. o. Anm. 100): Aus Liebe gibt nach Luther Gott „der gantzen wellt das leben, einem jglichen seinen leib und alle gliedmas, gesundheit, liecht, lufft, wasser, feur, essen, trincken und alle notdurfft, das einem jglichen himel und erden dienen mus“. 316 Zur immortalitas und Gottebenbildlichkeit s. v. a. WA 39/I, Disp.hom., Thesen 35 – 37. S. auch WA 42, GenKomm, 66,15 – 19. – Die im Glauben gegebene Hoffnung auf das ewige Leben ist nach Luther begründet in der Erkenntnis Gottes als des allmächtigen Schöpfers des Himmels und der Erde, der aus dem Nichts seine Schöpfung hervorgehen ließ, wie er seinen gekreuzigten Sohn von den Toten erweckte. „Und das ist auch die Warheit, Wenn dis Principium, das ist: Grund und Heubtstück stehet, Das Gott Allmechtiger Schepffer ist aller Creaturn, so bringet die folge unwidersprechlich und unleugbar, das Gott alle ding müglich seien. […] Und ist der Artickel von der Aufferstehung aus dem Artickel von der Schepffung starck und gewaltig geschlossen.“ (WA 49, Predigt vom 11. 5. 1544, 400,19 – 27) – Mit Christi Auferstehung ist „das fürnemeste Stück an der Aufferstehung schon geschehen“ (WA 45,316,15). 317 S. dazu WA 40/I, GalKomm II, 443,26 – 34. 318 Zur Bedeutung von Luthers Raum-Zeit-Verständnis s. Erik H. Erikson, Der junge Mann Luther, v. a. 238 – 240.
V. Vollendung der Schöpfung durch Inkarnation
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aufgehoben sind. Die Geschöpfe werden im ewigen Reich Gottes319 in vollkommener Gemeinschaft mit Gott und in vollendeter Gottebenbildlichkeit existieren. Denn ihnen wird ein neuer Körper eignen, der weder irdischer Nahrung bedarf noch geschlechtliche Befriedigung sucht, der menschliche Geist aber wird von Gott erfüllt sein;320 die Glaubenden werden „alles an Gotte selbs haben, welcher wird alles jnn allen sein“,321 und ihr Leib wird auf einmal322 „selig und vol himlischer, ewiger freuden jnn Gott“ sein – ja weil Gott aus Erde „ein schönen menschen […] gemacht hat mit leib und seele, so wird er zum andern mal den selben gar viel
319 S. dazu WA 30/I, GrKat, Auslegung der zweiten Bitte des Vaterunsers, 200,5 – 16.25 – 27: „Was heisset nu Gottes reich? Antwort: Nichts anders, denn […], das Gott seinen son Christum unsern HERRN ynn die welt geschickt, das er uns erloesete und frey machete von der gewalt des Teuffels und zu sich brechte und regirete als ein koenig der gerechtickeit, des lebens und selickeit widder sunde, tod und boese gewissen, dazu er auch seinen Heiligen geist geben hat, der uns solchs heymbrechte durch sein heiliges wort und durch seine krafft ym glauben erleuchtete und sterckte.“ Daß Gottes Reich zu uns, den Menschen kommt und also für uns wirklich wird, indem Gott unser raum-zeitliches Dasein in seine Ewigkeit aufnimmt, das geschieht nach Luther auf zwei Weisen: „Ein mal hie zeitlich durch das wort und den glauben, Zum andern ewig durch die offenbarung [d.i. bei der Wiederkunft Christi].“ Auf beide Weisen erhalte der Mensch Anteil an Gottes Ewigkeit. „In der Idee des Reiches Christi sind Zeit und Ewigkeit miteinander verbunden, wie es nirgends schlichter und glaubensvoller ausgesprochen ist als von Luther bei der zweiten Bitte des Vaterunsers im Großen Katechismus.“ (Werner Elert, Morphologie, Bd. 1, 446) 320 S. WA 36, Predigt vom 8. 12. 1532, 633,34 – 634,12: „so sol es zu gehen, was ein mensch geschaffen ist, das sol ein mensch bleiben, beide, man odder weib, Denn also hat sie Gott geschaffen (spricht die Schrifft) ein menlin und freulin, und wil sein geschepff nicht endern, Darumb mus eben der selbe leib eines jglichen menschen bleiben, wie er geschaffen ist, Aber also sol er nicht essen, trincken und was nach solchem folget, noch kinder zeugen, haus halten, regiren usw.“ Auch werde kein Platzmangel bestehen (s. a.a.O., 632,17 – 37.). S. auch a.a.O., 636,13 f.16 f.: Nach Luther ist die Individualität der Menschen nach dem irdischen Leben nicht nivelliert; es werde „jglicher sein werck mit bringen, dadurch er wird leuchten und Gott preisen“ – „Alles sol es gleich sein fur Gott jm glauben und gnaden und himlischen wesen, Aber jnn den wercken und jrer ehre unterschieden“. 321 WA 36, Predigt vom 8. 12. 1532, 635,16 f. 322 S. dazu WA 36, Predigt vom 20. 10. 1532, 568,19 – 23: „Summa, es sol ein ende sein aller dinge auff erden, und das angehen, des wir mit allen heiligen von anfang der welt begeren und warten, das Gott wird selbs und allein Herr sein und allein jnn uns, seinen kindern regiren, und desselben kein ende wird sein“. – S. auch WA 36, Predigt vom 1. 2. 1532, 667,23 f.: „es sol auff ein mal gar ein new wesen werden, nicht allein jnn uns menschen, sondern mit allen Creaturn“.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
herrlicher und schöner machen“.323 Nach Luther werden „dort in jenem leben, am jüngsten tage, […] Leib und Seel nicht anders thun, denn was der Geist wil, das ist: ich werde Gott uber alle ding, von gantzem hertzen, von gantzer Seelen und aus allen krefften lieben.“324 In seiner Allmacht werde Gott der Schöpfer jedoch nicht nur die Auferstehung und Vollendung des Menschen wirken, die mit einem Leben gemäß der in initio geschaffenen Beschaffenheit der Schöpfung Gottes gegeben ist. Vielmehr werde im Reich Gottes auch die gesamte Schöpfung von Gott dem Schöpfer in ihrer ewigen vorherbestimmten Vollkommenheit vollendet sein.325 V.2. Wirken des Menschen Die Hoffnung auf die Vollendung der Schöpfung bestimmt nach Luther das gegenwärtige Leben des Glaubenden.326 Die Hoffnung auf die Vollendung des Schöpfungsprozesses327 treibe den Glaubenden zur Mitwirkung an der Realisation des Reiches Gottes. Weil er auf Grund der Inkarnation des Gottessohnes und vermittelt durch das Wirken des Heiligen Geistes Gottes Schöpfung in ihrer Wahrheit einzusehen beginne und anfange, Gottes Schöpfungsgaben als Gottes Güter zum Heil des Menschen
323 WA 36, Predigt vom 1. 2. 1532, 668,31 – 33. 324 WA 46, JohAusl I, 691,23 – 26. 325 WA 39/I, Disp.hom., 36. These, 177,5 f. S. dazu auch WA 36, Predigt vom 1. 2. 1532, 667,22 – 24. S. dazu David Lçfgren, Die Theologie der Schöpfung bei Luther, 252: „Die Offenbarung in Christus bedeutet […] für Luther […] die Botschaft davon, daß Gott die Welt niemals verlassen hat, daß er dablieb, um durch Christus seine Schöpfung zu befreien und sie aktiv einzuspannen in sein Befreiungswerk.“ 326 „Der Glaube, der wesentlich Hoffnung – Aussein auf Zukunft – ist, versteht sich gegenwärtig und kontrafaktisch aus dieser Zukunft und ist so einerseits bei ihr, hat sie andererseits darin gegenwärtig. Wie der Christ im Glauben zugleich in sich und außerhalb seiner selbst in Christus ist und auf genau diese Weise selbst der Ort der Gegenwart Christi ist, so ist er in der Hoffnung zugleich in der Gegenwart und in der Zukunft und ist dabei selbst der Ort der Gegenwart der Zukunft.“ (Notger Slenczka, L-HB, Christliche Hoffnung, 440) 327 S. WA 42, GenKomm, 56,9 – 11: „Si autem haec [die Güter der ursprünglichen Schöpfung] non exsuscitant nos ad spem et expectationem venturi diei et futurae vitae, nihil est, quod nos possit excitare.“ – S. auch Eilert Herms, Die eschatologische Existenz des neuen Menschen, 464 – 483.
V. Vollendung der Schöpfung durch Inkarnation
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zu erkennen, gebrauche er diese auch in verantwortlicher Weise als Gaben Gottes zum Dienst am Nächsten.328 Hineingenommen in den Lebensvollzug des Menschgewordenen, strebe der Hoffende danach, in conformitas mit Christus329 und in christlicher „frumkeyt“330 in cooperatio mit dem Schöpfer die Schöpfung zu ihrem Ziel zu bringen. Dem Glaubenden gelte der Liebesdienst Christi als ein „exempell“ für sein eigenes Handeln. Keineswegs jedoch darf der Menschgewordene abgesehen von seinem Gottsein als „exemplum […] imitandum“ angesehen werden.331 Dann nämlich wird außer acht gelassen, daß nur und erst der Inkarnierte den Menschen zur Liebe befreit.332 Nach Luther führt die in Glaubensgewißheit gegründete Hoffnung des Menschen zu einem Liebesdienst, den Luther mit der Inkarnation Gottes des Schöpfers vergleicht. Luther nennt das Liebeshandeln des Glaubenden eine „pulchra incarnatio“.333 Der Glaube nehme Fleisch an, wenn er sich in Werken der Liebe zeige, „incarnatur et fit homo, hoc est, non est et manet otiosa vel sine charitate.“334 Wie Gott sich seiner Schöpfung in der Inkarnation des Gottessohnes annehme, so wende sich auch der Glaubende der Schöpfung in Liebe zu, weil er im Inkarnierten die Liebeszuwendung Gottes des Schöpfers erkenne. Er vollbringe mit „Lust und Liebe“ gute
328 S. WA 40/I, GalKomm II, 440,31 – 35 und s. dazu WA 7, FrChr, 28,11/12. 329 S. dazu Eilert Herms, Auslegung des Dritten Artikels, 97: „Damit aber zeigt sich: daß das heiligmachende Wirken des Geistes letztlich in nichts anderem besteht als darin, die von ihm ergriffenen Christen Christus gleichförmig zu machen.“ 330 WA 7, FrChr, 25,35; s. dazu WA 40/I, GalKomm II, 439,18: „Iustitia [Christi] est aeterna, immortalis et invicta.“ – WA 7, FrChr, 35,14 – 19: Der inkarnierte Gottessohn, „ob er wol voll gottlicher form ware und fur sich selb gnug hatte, und yhm sein leben, wircken und leydenn nicht nott ware, das er da mit frum odder seligk wurd, Dennoch hatt er sich des alles geeußert, und geperdet wie ein knecht, allerley gethan und gelidenn, nichts angesehen, denn unßer beßtis, und alßo ob er wol frey ware, doch umb unßer willenn ein knecht wordenn. Szum xxvij. Also soll ein Christen mensch, wie Christus, seyn heubt, voll und satt, yhm auch benugen lassen an seynem glaubenn, den selben ymer mehrenn, wilcher seyn leben, frumkeit und seligkeyt ist, der yhm gibt allis was Christus und gott hat […] Und ob er nu gantz frey ist, sich widderumb williglich eynen diener machen seynem nehsten zu helffenn, mit yhm faren und handeln, wie gott mit yhm durch Christum handlet hatt“. 331 WA 40/I, GalKomm II, 434,24. 332 S. dazu Wilfried Joest, Ontologie, 382 ff. 333 WA 40/I, GalKomm II, 426, 32. 334 WA 40/I, GalKomm II, 427,13 f.
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
Werke.335 Durch diese erweise er sich als wahrer Mensch, als gottebenbildliches Geschöpf. In demjenigen Menschen, der sich, durch den inkarnierten Gottessohn von Sünde und Tod befreit, im geschaffenen Raum und in der geschaffenen Zeit von Gott erfüllt und getragen weiß, ist nach Luther nicht nur Gott selbst geboren und Mensch geworden, sondern sein Lebensvollzug kann eben auch als „pulchra incarnatio“ beschrieben werden. Er bewegt sich auf dem Weg zur Vollendung der Schöpfung im Reich Gottes.336 Diese wird dann erreicht sein, wenn das ewige Schöpfungswort Gottes durch das Wirken des Heiligen Geistes diejenige vollkommene Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch in den einzelnen Menschen schafft, welche es in Raum und Zeit als den Heilswillen Gottes geoffenbart hat.
VI. Fazit Die Inkarnation des göttlichen Schöpfungswortes offenbart nach Luther die Heilszielstrebigkeit des Schöpfungsprozesses. Dem Glaubenden stellt sie die Güte der von Gott geschaffenen Natur vor Augen. Der Glaubende erkennt die gesamte Schöpfung als Werk der ewigen Liebe Gottes, als Erweis der Gnade des Schöpfers. Auf Grund seiner Einsicht in den Heilswillen des ewigen Schöpfers wirkt er in der von Glaubensgewißheit getragenen Hoffnung auf die Vollendung der Schöpfung mit Liebe mit an der Vervollkommnung der geschaffenen Welt, die nach dem irdischen Leben erreicht werden wird. Der inkarnierte Gottessohn offenbart – vermittelt durch das Wirken des Heiligen Geistes – in Übereinstimmung mit der geschaffenen Erkenntnisfähigkeit des Menschen diesem das Wesen Gottes des Schöpfers und damit den Heilswillen, der von Ewigkeit her der Schöpfung Gottes gilt. Nur durch den Mensch gewordenen Gottessohn kann Einsicht in Wesen und Handeln Gottes erlangt werden. Nach Luther ist es der Wille Gottes, daß der Mensch nur über den Mensch gewordenen Gottessohn und ausschließlich auf ganz und gar „menschliche“ und der Schöpfungs335 Es wird von ihm das „Gesetz des Daseins als Ausdruck des göttlichen Liebeswillens und als Implikation der Heilszielstrebigkeit des geschaffenen Lebens“ verstanden, so daß er es mit „Lust und Liebe“ erfüllt (Eilert Herms, L-HB, Leben, 431). 336 Er ist von Gott als „pura materia Dei ad futurae formae suae vitam“ geschaffen (WA 39/I, Disp.hom., These 35, 177,3 f.). S. auch WA 39/I, Disp.hom., Thesen 37 und 38, 177,7 – 9.
VI. Fazit
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ordnung gemäße Weise zur Gewißheit des göttlichen Heilswillens geführt wird.337 Dazu gehört, daß seit Tod und Auferstehung Christi die von diesem selbst eingesetzten Sakramente das Wort Gottes vergegenwärtigen, wie er es selbst als Menschgewordener zu seinen Lebzeiten auf Erden getan hat. Die Sakramente Taufe und Abendmahl bezeichnet Luther ebenso wie den inkarnierten Gottessohn als Gottes Wort oder vielmehr als Gottes Schöpfungswort. Sie vergegenwärtigen den Inkarnierten, der in Raum und Zeit Mensch geworden ist, wobei das Abendmahl Christi vornehmlich die räumliche Präsenz, die Taufe hingegen den zeitlich bedingten Lebensvollzug des Inkarnierten präsentiert. Beide Sakramente geben dem Glaubenden leibhaft Anteil am Inkarnierten. Denn sie vermitteln über die lebenspendenden Schöpfergaben Wein, Brot und Wasser das Heilswirken Christi, der die Sünde der Welt auf sich genommen und ihretwegen am Kreuz gestorben ist, und gewähren die Auferstehung des Glaubenden zu einem Leben in der Nachfolge Christi. Damit ein Mensch die Sakramente zu seinem Heil genießen kann, bedarf es nach Luther der die res des Evangeliums erschließenden Geistoffenbarung, die, wenn sie in Freiheit angenommen wird, zum „Werk“ des Glaubens führt.338 Die Erkenntnis und Glaubensgewißheit des Heilswillens Gottes wird dem Menschen im Rahmen von Raum und Zeit und im Blick auf seine Sünde gewährt. Nur im Rahmen des eigenen menschlichen Lebensvollzugs kann nach Luther erkannt werden, daß die Schöpfung insgesamt, die durch das Ende des irdischen Lebens und die eigene Leiblichkeit beschränkt zu sein scheint, zum ewigen Heil geschaffen ist. Der Glaubende sieht nach Luther ein, daß das unwandelbare „Naturgesetz“ oder vielmehr die Schöpfungsordnung Gottes, die dem Menschen zumutet, sein leibhaftes Dasein in Raum und Zeit mitsamt allen Gaben und Kreaturen Gottes liebend anzunehmen, geradezu als Evangelium, als heilsame Notwendigkeit auf dem Weg zum ewigen Leben angenommen werden darf.339 Angesichts der eigenen Sündhaftigkeit und Todverfallenheit wird dem Glaubenden die Allmacht und Liebe des dreieinigen Gottes bewußt, der als Schöpfer von Ewigkeit her seine Schöpfung zur Verwirklichung seiner Gemeinschaft mit den Menschen vorherbestimmt 337 S. dazu WA.Tr 5, 294,32 f.: „Ita se tibi revelat, ut eum non solum cogitatione, sed etiam oculis videas atque tangas“. 338 S. dazu WA 6, Von den guten Werken, 210,10 – 19. 339 Die Offenbarung des Evangeliums zeigt das „Naturgesetz“, die lex naturae „in ihrer Unverbrüchlichkeit als Ausdruck der Gnade und Wahrheit Gottes in allen seinen Werken“ (Eilert Herms, Kosmologische Aspekte des Gesetzesbegriffs, 430).
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Kapitel I: Inkarnation und Schöpfung nach Martin Luther
hat und dazu das „neue“ Leben in der Nachfolge Christi oder vielmehr die Einwohnung seines inkarnierten Schöpfungswortes im Glaubenden sowie die „pulchra incarnatio“ des Glaubenden schafft. Der Vollzug der „Neuschöpfung“ geschieht nach Luther in vollkommener Übereinstimmung mit seinem Verständnis der Schöpfung als des nach Gottes ewigem Heilswillen geordneten Werkes Gottes. Inkohärent kann Luthers Theologie nur im Blick auf seine Auffassung von der Jungfrauengeburt bezeichnet werden, für die er annimmt, daß ihretwegen Gottes Schöpfungsordnung außer Kraft gesetzt sei. Dem Wiedergeborenen ist nach Luther die Verbundenheit von Tod und Leben, irdischer Beschränktheit und ewiger Freiheit offenbar. Denn ihm steht die Einheit des größten Gegensatzes, die Einheit von Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf angesichts der Inkarnation des Gottessohnes vor Augen. Die Erkenntnis des Schöpfers im Inkarnierten sowie das Miterleben seines Übergehens vom Tod zum ewigen Leben gewährt die Zuversicht, daß im künftigen Leben auch das noch unbegreifliche Wirken des allmächtigen Schöpfergottes als Ausdruck seiner ewigen Liebe eingesehen werden darf. Diese Einheitlichkeit des Schöpferwillens und Heilswirkens Gottes ist Luthers feste Glaubensüberzeugung.
Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher „Ich hätte gewünscht, es so einzurichten, daß den Lesern möglichst auf jedem Punkt hätte deutlich werden müssen, daß der Spruch Joh. 1, 14. der Grundtext der ganzen Dogmatik ist, so wie er dasselbe für die ganze Amtsführung des Geistlichen seyn soll.“1
0. Einführung Zunächst sollen die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen der Theologie Schleiermachers aufgezeigt werden; es soll aufgewiesen werden, was nach Schleiermacher Gegenstand des christlichen Glaubens ist und in welcher Weise der christliche Glaubensgegenstand für den Menschen gegeben ist. Anhand der Interpretation der für die Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung bedeutsamen materialdogmatischen Loci sollen im Anschluß Kohärenz und Einheitlichkeit der Schleiermacherschen Ausführungen untersucht werden. 0.1. Die Funktionen des menschlichen Geistes Erkenntnisfähigkeit ist nach Schleiermacher dem Menschen als zugleich organisch und intellektuell verfaßtem sowie denkend, wollend und fühlend tätigem Wesen auf Grund seines unmittelbaren Selbstbewußtseins gegeben. Auf dem Boden des unmittelbaren Selbstbewußtseins ist nach Schleiermacher dem Menschen die Unterscheidung und Erkenntnis von Selbst, Welt und Gott sowie ein Handeln in Raum und Zeit ermöglicht, das dieser Erkenntnis entspricht. Die Faktizität dieser Erkenntnis und das ihr entsprechende Handeln seien durch die Entwicklung des Selbstbewußtseins bedingt, die mit dem Sprechen des Menschen beginne.2 Ihre Reife erreiche diese Entwicklung infolge von Erfahrungen, die im Zusam1 2
F.D.E. Schleiermacher, Zweites Sendschreiben an Lücke, 343. S. GL 5,1,31/32.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
menleben mit anderen Gattungswesen3 und der Umwelt insgesamt gesammelt werden, sowie durch speziell religiöse Erfahrungen, welche dem Menschen im Prozeß seines Lebens nach und nach zuteil werden.4 Das unmittelbare Selbstbewußtsein gilt Schleiermacher als der Ermöglichungsgrund für Wollen, Denken und Fühlen respektive Empfinden,5 d. h. für identisches und individuelles Organisieren (Realisieren) sowie für identisches und individuelles Symbolisieren (Idealisieren).6 Symbolisieren oder Erkennen und Organisieren oder wirksames Handeln unterscheiden sich durch den relativen Gegensatz von überwiegend aufnehmender und durch das symbolisierende Individuum selbst gewirkter idealisierender Bewußtseinstätigkeit (Symbolisation) einerseits, gegenüber andererseits der vornehmlich auf anderes – als das Individuum – wie auch auf den Organismus des organisierenden Individuums selbst einwirkenden Tätigkeit, welche auf die Realisation des Idealen ziele (Organisation).7 Sowohl das vermehrt aufnehmende, rezeptive wie das überwiegend spontane und organisierende Tätigsein des Menschen wird nach Schleiermacher durch das untrennbare Zusammenwirken von menschlichem Intellekt (oder Bewußtsein) und menschlichem Organismus (d.i. die körperlich-sinnliche Beschaffenheit oder genauer das rezeptive Vermögen des Menschen) ausgeführt. Wollen und Denken sind nach Schleiermacher – im Gegensatz zu Kant8 – zwar geistige Funktionen des Menschen, funktionieren jedoch nur in Verbundenheit mit dem 3
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S. dazu GL 4,4,30: Nach Schleiermacher ist dem Menschen mit der „ihm anhaftenden schlechthinnigen Abhängigkeit auch das zum Gottesbewußtsein werdende unmittelbare Selbstbewußtsein derselben“ gleich „einer ursprünglichen Offenbarung Gottes an den Menschen oder in dem Menschen“ gegeben, die allerdings durch eine Äußerung anderer Gattungswesen erst geweckt werden müsse (s. GL 6,2,42/43). Zum Problem der Vermittlung von Gottesbewußtsein (Offenbarung) bei Schleiermacher s. ausführlich u. III.4. S. dazu auch PsyN 182 – 216. S. dazu DialO 126/127. S. dazu ausführlich Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 192 – 194; s. auch ÄLe 9. S. dazu DialO 275: Es besteht „ein Gegensatz zwischen solchen Momenten, worin das Bewußtsein […] mehr ein Leidendes und solchen, worin es mehr ein Tätiges ist. Die ersten Bewegungen sind solche, die wir das Denken nennen; die letzten, wo das Tätige überwiegt, kennzeichnen das Wollen und sind die vom Bewußtsein ausgehenden Veränderungen“. S. auch DialO 288: „Im Denken ist das Sein der Dinge in uns gesetzt auf unsere Weise, im Wollen ist unser Sein in die Dinge gesetzt auf unsere Weise.“ S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 262 f.
0. Einführung
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menschlichen Organismus.9 Demgegenüber sei das Empfinden keineswegs als bloßes Resultat einer Reizung der fünf Sinne zu verstehen, sondern als geistige Tätigkeit, die zwar – wie das Denken auch – durch Sinnenreizung veranlaßt ist, sich jedoch auf sämtliche menschliche „Gefühlslagen“ in geistiger und erkennender Weise bezieht.10 0.2. Die beiden höchsten Gegensätze und der transzendente Grund allen Seins Erkennen, verstanden als identisches oder individuelles Symbolisieren von Selbst, Gott, Welt und allem einzelnen Sein in ihr geschieht nach Schleiermacher in der Weise des Denkens oder Wissens sowie im Empfinden. Der Gegenstand des Denkens wie des Empfindens sei das Sein oder das Reale,11 das im Prozeß der Symbolisation erkannt oder vielmehr idealisiert werde.12 Das Verhältnis und Wechselwirken zwischen Realem und Idealem, zwischen Sein und Symbolisieren beschreibt Schleiermacher als den höchsten Gegensatz auf intellektueller Seite.13 Für die organische Funktion14 9 S. dazu beispielsweise DialO 144: „Wollen wir die organische Funktion ganz vernichten, so haben wir auch kein Denken mehr. Umgekehrt werden wir nicht eher ein Denken haben, bevor wir nicht organisch affiziert werden […]. So sind organische und intellektuelle Seite des Denkens unzertrennlich“. S. dazu auch DN.22,485. – Unter Organismus versteht Schleiermacher „das Geöffnetsein des menschlichen Seins für das andere Sein“ im Unterschied zur Vernunft. S. DialO 140: „Alle Denkenden haben als Gegenstand des Denkens dieselben Gegenstände. Nun gibt es im Menschen ein Vermögen, diese Gegenstände zu seinem Gedachten zu machen, und das Geöffnetsein des menschlichen Seins für das andere Sein ist hierbei der Organismus. Die Vernunft aber ist dasjenige, wodurch das Denken bei allen möglichen Gegenständen immer dasselbe bleibt.“ 10 S. dazu DialO 126 und GL 5,1,32: Unter dem Ausdruck Gefühl/Empfindung – verstanden als geistige Ttigkeit – faßt Schleiermacher gesellige, sittliche und selbstische Empfindungen. Schleiermacher hat allerdings einen ungenauen Wortgebrauch; s. dazu auch DialO 287: „subjektive Passivität“ wird hier mit „Empfindung“ gleichgesetzt. 11 Zum Gegenstand des Denkens s. DialO 135: „das Denken bezieht sich auf ein Sein, und das Seiende ist überall der Gegenstand des Denkens, und so wird uns erst darin das Gedachte ein Seiendes.“ 12 S. dazu DialO 177. 13 S. DialO 174 – 178. 14 DN.22,487: Die organische Funktion ziele auf die „unbestimmte Mannichfaltigkeit der Impressionen“.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
unterscheidet er Raum und Zeit, wobei er die Zeit mit dem Idealen als dem Prozeß der Symbolisation, den Raum hingegen mit dem Realen als dem Objekt der Symbolisation in Beziehung setzt.15 Das Wechselwirken zwischen Idealem und Realem in Raum und Zeit sei grundlegend und stetig ermöglicht im unmittelbaren Selbstbewußtsein, das den Übergang zwischen Idealem und Realem gewähre, weil es die raum- und zeitlose Identität beider sei.16 Nur im unmittelbaren Selbstbewußtsein sei raumund zeitlose Identität von Realem und Idealem gegeben und damit der Übergang zwischen beidem in Raum und Zeit gewährt.17 Die Identität von Realem und Idealem, die nicht nur die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Denken und Sein bedeutet, sondern auch die zwischen Denken und Wollen18 als der beiden geistigen Funktionen, von denen die erste auf das Ideale, die zweite auf das Reale zielt, kann nach Schleiermacher nur in Bezogenheit auf den transzendenten Grund bewußt sein; diese Identität und Aufhebung könnte „nicht unser Bewußtsein sein, wenn wir uns selbst darin nicht ein Bedingtes und Bestimmtes wären und würden. Aber nicht bedingt und bestimmt durch etwas selbst im Gegensatz Begriffenes; sondern durch dasjenige, worin allein das Denkend-wollende und das Wollend-denkende mit seiner Beziehung auf alles übrige Eins sein kann, also durch den transzendenten Grund selbst.“19 Das religiçse Gefðhl steht nach Schleiermacher für dieses Bewußtsein von der Aufhebung des 15 „Das eine repräsentirt mehr das Sein (die Raumerfüllung), das andre mehr das Denken (die Zeiterfüllung). […] In der Zeit ist […] die Auffassung, im Raum das Aufgefaßte gesetzt. Durch Auffassung aber wird nur das Aufgefaßte zum Denken. Raum ist nichts anders als die organische Weise, das Reale zu setzen auf der Seite der intellectuellen Function, und Zeit ist = dem Idealen.“ (DN.22,488/489) „Nun aber ist die Auffassung in die Zeit gesetzt und das Aufgefaßte in den Raum. Also entspricht die Zeit dem Akt der Auffassung, also dem Denken; denn die Auffassung ist dasjenige, wodurch die organische Impression übergeht ins Denken. Der Raum repräsentiert das Gedachte.“ (DialO 182) 16 S. DialO 286: „Die Identität liegt eben in diesem Übergange; Übergang aus einem zum andern und Identität sind eigentlich dasselbe und nur durch die Zeitform geschieden. […] In dem Übergang ist die Zeitform gesetzt, in der Identität ist sie negiert.“ S. DN.22,567: „Die Function des Gefühls ist eine alle andern [das sind: Denken und Wollen] begleitende, denn der Übergang von der einen zur andern ist ein beharrlicher.“ S. dazu DialO 287: „Der Übergang beider Funktionen ineinander muß das Mitgesetztsein des anderen einschließen, d. h. als reines unmittelbares Selbstbewußtsein gesetzt sein.“ S. zum „Übergang“ auch u. II.3.1. 17 S. dazu DN.22,565/566. 18 S. DialO 280.288. 19 DialO 289.
0. Einführung
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Gegensatzes im transzendenten Grund, und als solches reprsentiert es diesen Grund. Mit dem Bewußtsein des transzendenten Grundes als des Grundes allen Seins ist nach Schleiermacher auch das Bewußtsein davon gegeben, daß nicht nur der Gegensatz zwischen Idealem und Realem, sondern überhaupt „aller Gegensatz zwischen einem einzelnen und einem anderen aufgehoben ist“.20 Im religiösen Gefühl sei der transzendente Grund „oder das höchste Wesen selbst repräsentiert“21, demgegenüber alles einzelne Sein gleichermaßen schlechthin abhängig ist.22 In bezug auf den transzendenten Grund könne es einen Unterschied der Abhängigkeit zwischen dem einzelnen Sein nicht geben, weil gerade für den transzendenten Grund alles durch ihn Bedingte von ihm selbst als dem schlechthin Bedingenden gleichermaßen abhängig ist.23 Auch der weltbestimmende Gegensatz von Zeit und Raum, der nach Schleiermacher mit dem Gegensatz von Idealem und Realem verknüpft ist, kann für den transzendenten Grund selbst nicht bestehen.24 Entsprechend hält Schleiermacher fest, daß der transzendente Grund im religiösen Bewußtsein oder vielmehr das religiöse Gefühl selbst, welches den transzendenten Grund in allgemeinmenschlicher Weise repräsentiere,25 auf zeitlose Weise Denken und Wollen begleite.26 Und weil dieses Gefühl die Repräsentation des transzendenten Grundes ist, müssen mit ihm außer der Identität von Idealem und Realem auch Raum- und Zeitlosigkeit des transzendenten Grundes bewußt sein. Weil nach Schleiermacher das religiöse Selbstbewußtsein allerdings stets auf die sinnliche Seite des unmittelbaren Selbstbewußtseins bezogen ist, wird es in dieser Verbundenheit selber zeitlich und kommt in Raum und Zeit zur Erscheinung.27 Indem es die Aufhebung der Gegensätze ideal-real sowie Raum-Zeit in sich faßt, ist nach Schleiermacher das unmittelbare Selbstbewußtsein, das 20 21 22 23 24
GL 5,1,32. DialO 290. S. dazu DialO 290. S. dazu auch u. Anm. 211 und III.2.2.2.3. S. dazu DialO 307 und u. II.2. – Zu Schleiermachers Ausführungen über Raum und Zeit vgl. Eilert Herms, „Beseelung der Natur durch die Vernunft“, 100, der festhält, Schleiermacher habe die „ursprðngliche Einheit von Raum und Zeit“ nicht genügend berücksichtigt. 25 S. DialO 291. 26 S. DialO 291. S. dazu auch GL 52,2,271. 27 In einem Moment der Freude kommt das höhere Selbstbewußtsein zur Erscheinung in Raum und Zeit, s. GL 5,4,38.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
in sich eine religiöse und eine sinnliche Seite unterscheidet, zum einen Grund und zum anderen bergang aller geistigen Tätigkeit eines jeden Menschen. Es ist als Repräsentation des transzendenten Grundes die Möglichkeitsbedingung dafür, daß der Mensch als er selbst überhaupt wollend, denkend und empfindend tätig sein kann. Zugleich gewährt es den Übergang zwischen den Tätigkeiten und zudem auch die Verbundenheit von Zeitlosigkeit und Zeit (Raumlosigkeit und Raum), die durch das Aufeinanderbezogensein der sinnlichen und der religiösen Seite gegeben ist.28 0.3. Identisches und individuelles Symbolisieren Das Ziel des Denkens und Wissens29 oder auch des angemessenen identischen Symbolisierens wird nach Schleiermacher mit der Adäquanz von Realem und Idealem erreicht30 und durch eine sprachliche Äußerung verständlich mitgeteilt, derentwegen das Denken überhaupt erst vollkommen sei.31 Was das adäquate individuelle Symbolisieren anbelangt, ist hierbei der reale Gegenstand der Symbolisation das symbolisierende Selbst selbst, das im Umgang mit demjenigen anderen realen Sein, durch das es zur Symbolisation veranlaßt wird,32 seine individuellen „Gefühle“ und „Empfindungen“ ausbildet.33 Das Empfinden befindet sich zwar immer in Übereinstimmung mit dem Empfundenen.34 Die Empfindungen können jedoch nur durch Bilder oder Poesie oder ähnliche Äußerungen zum Ausdruck gebracht werden.35 Deshalb werde das Empfundene niemals in einer einheitlichen Weise Ausdruck finden. Wie jede Empfindung im Umgang mit Realem entsteht, so sind nach Schleiermacher auch die Empfindung oder besser das unmittelbare Gefühl des eigenen Selbst und damit verbunden das unmittelbare Gefühl von 28 29 30 31 32
S. dazu im folgenden. Zum Verhältnis von Wissen und Denken s. DialO 128. S. DialO 217. (Unterscheide Adäquanz und Identität!) S. DialO 126. S. dazu GL 5,1,32: In den „als sinnlichen bezeichneten Gefühlen“ respektive Empfindungen ist nach Schleiermacher „das darin Mitgesetzte und Mitbestimmende dasjenige, worauf wir das jedesmalige Sosein zurückschieben“, und das ist stets einzelnes endliches Sein. 33 S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 192/193.195 – 197. Resultate des individuellen Symbolisierens sind „Gefühle“, s. E 52,259. 34 S. DialO 127: „Das Empfinden ist dasselbe wie das Empfundene“. 35 S. DialO 126/127.
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relativer Freiheit oder Abhängigkeit gegenüber anderem geschaffenen Sein als Erkenntnisse oder Symbolisationen einer bestimmten Beziehung des symbolisierenden Selbst gegenüber Realem zu verstehen. Allerdings zeichneten sich diese Gefühle durch ihre Unmittelbarkeit aus. Das SelbstBewußtsein resultiere aus der unmittelbaren Bezogenheit des Selbst auf sich selbst, die als solche gegenwärtig ist, wenn sich das Selbst des eigenen Selbsts im Unterschied zu anderem Sein bewußt ist.36 Das unmittelbare Bewußtsein von relativer Freiheit und Abhängigkeit gegenüber diesem anderen Sein sei, „sofern wir das gesamte Außeruns als Eines, ja auch weil ja andere Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit, zu welcher wir auch Verhältnis haben, darin gesetzt ist, mit uns selbst zusammen als Eines, das heißt als Welt setzen“, als Welt-Bewußtsein zu verstehen.37 Das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit gegenüber dem transzendenten Grund allen Seins sei ein Gefühl, mit dem für das Selbst in seiner Bezogenheit auf Gott als dem realen transzendenten Gegenüber von Welt und Selbst das höchste Wesen idealisiert respektive symbolisiert oder auch unmittelbar reflektiert 38 gegeben sei (Gottes-Bewußtsein).39 Selbst-, Welt- und Gottesverhältnis, welche nach Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein gegeben sind, sind als unmittelbar bewußte Beziehungen präsent, und als solche sind sie die Ermöglichungsbedingung für jegliches adäquate Empfinden und Denken alles einzelnen endlichen Seins; der transzendente Grund, durch den das unmittelbare Selbstbewußtsein selbst gesetzt ist, ist freilich allein der schlechthinnige Konstitutionsgrund dafür, daß in der Welt im Umgang mit einzelnem endlichen Sein überhaupt Empfindungen wie Gedanken entstehen und sich bilden können. Entsprechend unterscheidet Schleiermacher das unmittelbare Selbstbewußtsein ausdrücklich als „Gefühl“ von sämtlichen „Empfindungen“, die im Umgang mit einzelnem Sein der Welt auf dem Boden des unmittelbaren Selbstbewußtseins entstehen.40 Nur auf dem Boden des unmittelbaren Selbstbewußtseins, in welchem sich das Selbst des eigenen Begründetseins durch den transzendenten Grund bewußt ist, wird nach Schleiermacher eben unter Berücksichtigung der schlechthinnigen Ab36 37 38 39
S. dazu GL 4,1,24. GL 4,2,26. S. GL 4,4,30. S. GL 4,3/4,28 – 30. Das unmittelbare Selbstbewußtsein insgesamt, in welchem Selbst, Welt- und Gottesbewußtsein vereint seien, bezeichnet Schleiermacher auch als ursprðngliches Symbol. S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 198. 40 S. dazu DialO 287.
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hängigkeit allen Seins41 das Empfinden des Realen wie auch das Denken des Realen in adäquater Weise, d. h. in Übereinstimmung mit der – das Sein des Realen begründenden – Intention des transzendenten Grundes vollzogen.42 Daß Empfindungen oder Gefühle an Bedeutung nicht hinter dem Gefðhl zurückstehen, zeigt Schleiermacher auf, indem er die Gebundenheit umfassender Selbst-, Welt- und Gotteserkenntnis an das sinnliche Selbstbewußtsein deutlich macht. 0.4. Die Symbolisation des transzendenten Grundes Weil der transzendente Grund im unmittelbaren religiösen Selbstbewußtsein als Grund allen Seins präsent ist, kann er nach Schleiermacher unabhängig von dem in ihm begründeten Sein weder erkannt noch dargestellt werden. Der transzendente Grund sei dem Menschen im unmittelbaren oder vielmehr im religiösen Selbstbewußtsein gegeben. Das religiöse Selbstbewußtsein sei eine Seite des unmittelbaren Selbstbewußtseins, welche von dessen „sinnlicher“ Seite, die die Empfindungen des Realen vermittele, unterschieden sei.43 Nur aber in Verbundenheit mit dieser sinnlichen Seite sei die religiöse Seite bewußt, und entsprechend gebe es ein Bewußtsein und eine Symbolisation des transzendenten Grundes immer nur in Bezogenheit auf eine Empfindung, die im Umgang mit einzelnem, im transzendenten Grund begründeten Sein entsteht.44 In der Bezogenheit der religiösen und der sinnlichen Seite, des höheren und des niederen Selbstbewußtseins aufeinander ist nach Schleiermacher das unmittelbare und auch das mittelbare Erkennen und Symbolisieren des transzendenten Grundes gewährt. Allerdings werde der transzendente Grund solange in unreiner Weise dargestellt, als das Gottesbewußtsein an Empfindungen gebunden sei, die als solche schon unaussprechlich oder genauer: nicht allgemeinverständlich auszudrücken seien. So werde die 41 S. DialO 289/290 und GL 5,1,32. 42 Nach Schleiermacher gibt es „kein Bestreben nach dem Wissen, dem nicht die Idee der Einheit des transcendentalen Grundes zur Basis diente, und jeder muß hierauf zurückkommen, um das Wissen zu gestalten.“ (DN.22,585) S. dazu DialO 91. Es ist nötig, „daß man das ganze Wissen basiere auf das dem Menschen innewohnende religiçse Bewußtsein von einem Absoluten und Hçchsten.“ – S. dazu Eilert Herms, Die Ethik des Wissens beim späten Schleiermacher, 46. 43 S. DialO 293. 44 S. GL 5,3,35.
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reflektierte Darstellung des an bestimmte, individuelle Empfindungen gebundenen Gottesbewußtseins „in der Form der Glaubenslehre“ dargeboten; in ihr trete zwar die jeweilige individuelle Empfindung hinter allgemeinere Glaubenssätze, nämlich hinter dogmatische Sätze zurück. Jedoch bleibe der Ausdruck immer noch bildlich, poetisch und damit kunstvoll und sei eben nicht rein von Individuellem.45 Die eigentlich identische Symbolisation des transzendenten Grundes oder höchsten Wesens wird nach Schleiermacher im unmittelbaren Denken des Transzendenten versucht, das jedoch immer unvollstndig sei.46 Denn das Denken allein, das doch selbst durch den transzendenten Grund bedingt ist, kann die Bedingung seines eigenen Seins nicht denken, ohne daß diese ihm bereits in seinem zweiseitigen unmittelbaren Selbstbewußtsein unmittelbar bewußt ist.47 Die im Denken gesuchte Adäquanz des transzendenten Grundes und des menschlichen Denkens setzt nach Schleiermacher als „Finalvoraussetzung“48 die im transzendenten Grund begründete Identität des Realen und des Idealen und prinzipiell das unmittelbare Bewußtsein dieser Identität bereits voraus; anders könnte sie gar nicht gedacht und erkannt werden. Indem das reine Denken diese Gegebenheiten außer acht lasse, gelange es nur zu Formeln über den transzendenten Grund, welche zwar allgemeinverständlich seien, weil sie von individuellen Empfindungen, von den Bestimmtheiten des sinnlichen Selbstbewußtseins absehen. Dabei bringen sie jedoch den transzendenten Grund nicht angemessen zum Ausdruck. Es zeichnet den transzendenten 45 DialO 296. S. dazu GL 16,Z,110; s. dazu DialO 297: „Von allem, was vom höchsten Wesen ausgesagt werden kann, paßt nichts recht, sondern alles bleibt bildlich, wenn es auch noch so absolut erscheint, weil alle Prädikate verknüpft sind mit dem Endlichen, das dem Selbstbewußtsein unzertrennlich innewohnt.“ 46 S. DialO 297. S. dazu DN.22,576: „Zu dieser Unvollständigkeit, des transcendentalen Grundes inne zu werden durch das Denken, kommt, daß wir den transcendentalen Grund in uns haben durch das unmittelbare Selbstbewußtsein. Hiermit haben wir das Complement zu jener Unvollständigkeit.“ 47 S. dazu DialO 270: „Der Grund des Mißlingens unserer Unternehmung liegt also darin, daß wir uns das Transzendente denken wollen. So kommen wir aus dem Gegensatz nicht heraus und gelangen zu einer Vielheit statt zur Einheit. Wir müssen also von der Identität des Seins und Denkens in uns ausgehen, um zu jenem transzendenten Grunde alles Seins aufzusteigen.“ (DialO 270; s. dazu im folgenden). – „Betrachten wir nun das Maß, in welchem, und die Ursache, warum uns nicht gelungen ist, die Aufgabe zu lösen, so ist die Ursache ohnstreitig die, daß Denken und Wollen beides noch im Gegensatz stehende Funktionen sind und wir in ihnen nicht das ergreifen können, was über allen Gegensatz hinausliegt.“ (DialO 284). 48 DialO 222.
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Grund als den Urheber allen Seins eben wesentlich aus, daß er annähernd adäquat nur gedacht werden kann, wenn er sich selbst vergegenwärtigt hat, und das geschieht im menschlichen Gefühl. Entsprechend müsse „das rein wissenschaftliche Bestreben, welches die Anschauung49 des Seins zur Aufgabe hat, wenn es nicht in Nichts zerrinnen soll, ebenfalls mit dem höchsten Wesen entweder anfangen oder enden“.50 Schleiermacher verlangt angesichts der Tatsache, daß sowohl die Darstellung des transzendenten Grundes in der Glaubenslehre wie auch diejenige in philosophisch-wissenschaftlicher Form notwendig defizitär ist, die Verbindung beider Darstellungsweisen. Im „Aufeinanderbeziehen“ beider Weisen der Symbolisation könne das höchste Wesen annähernd adäquat erkannt und zur Sprache gebracht werden.51 Nach Schleiermacher führt das Zusammenwirken von Theologie und reiner „Denkfunktion“ dazu, daß der transzendente Grund zum einen in seiner individuellen und unmittelbaren Präsenz ernstgenommen und zugleich seine bloß individuelle, bildliche und poetische Gegebenheit in den Aussagen des reflektierten Selbstbewußtseins durch die reine Denktätigkeit52 dahingehend beeinflußt wird, daß die Darstellung der religiösen Erkenntnis formal kommunizierbar ist.53 „Wenn aber die Umbildung der ursprünglichen Ausdrücke [des unmittelbaren Selbstbewußtseins] zu dogmatischen Sätzen dem logischen oder dialektischen Interesse zugeschrieben wird; so ist dieses nur von der Form zu verstehen.“54 49 50 51 52 53
S. dazu DialO 159.273. GL 16,Z,111. DialO 297. S. dazu DialO 6/7. S. DialO 296/297; s. dazu GL 17,2,114 f.: Die hier vorgenommene Unterscheidung zwischen „kirchlich“ und „wissenschaftlich“ gleicht der in der Dialektik gebotenen Differenzierung zwischen der theologischen und der rein „denkenden“ Darstellung des transzendenten Grundes. 54 GL 16,Z,111. – Schleiermacher hält fest, daß sich die Form dogmatischer Sätze nur dann weiterentwickele, wenn „in der frommen Gemeinschaft selbst Freunde des Wissens vorhanden sind und Einfluß haben, so daß die dialektische [d.i. rein denkende] Funktion sich auf die Äußerungen des frommen Selbstbewußtseins richtet, und diese Ausprägung derselben leitet.“ (GL 16,3,110). S. dazu HansJoachim Birkner, Theologie und Philosophie, 189: „Die[] Unabhängigkeit der Dogmatik von der Philosophie wird im übrigen von Schleiermacher nur in materialer Hinsicht geltend gemacht. In formaler Hinsicht hingegen wird die Dogmatik um des ’dialektischen Charakters’ ihrer Sprache, um der Klarheit ihrer Begriffe willen ausdrücklich an die Philosophie gewiesen.“ S. dazu allerdings GL 172,1,470: Hier schreibt Schleiermacher von Untreue gegenüber der christlichen
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Den dogmatischen Glaubenssätzen kommt nach Schleiermacher dadurch Verständlichkeit und Allgemeingültigkeit zu, daß sie unmittelbare Aussagen des Gottesbewußtseins unter Anwendung reiner Denktätigkeit reflektieren. Allerdings betreffe die denkende Verallgemeinerung allein die Form, nicht den Inhalt der Äußerungen und Ausdrücke.55 Ein spekulativer Satz der Philosophie, „wie ähnlich er auch klinge“, habe seinem Inhalt nach nichts mit einem Satz der Theologie gemein.56 Schleiermachers dementsprechendes Eintreten für eine Trennung der spekulativen und der dogmatischen Tätigkeit, das er in seiner Glaubenslehre formuliert, kann nur insofern nicht als Widerspruch zu den Aussagen seiner Dialektik verstanden werden, als tatsächlich zwar eine formale Kompatibilität, gleichwohl aber eine entscheidende inhaltliche Differenz zwischen philosophischen und theologischen Sätzen auszumachen ist. Zwar beruht nach Schleiermacher die Theologie gleich wie jede Philosophie auf bestimmter Erfahrung. Doch versteht nur die christliche Theologie die basalen menschlichen Erfahrungen – wie gezeigt werden wird – im Horizont der Christusoffenbarung und also nach Schleiermacher in der einzig adäquaten Weise.57 Die Aussagen der Philosophie gingen ebenso wie die der Theologie auf eine „innere Erfahrung“ zurück, „nämlich daß sie auf einem Gegebenen beruhen“.58 Auch die Ausübung jeglicher Philosophie und Spekulation muß nach Schleiermacher bei einem ersten Gegebenen, nämlich bei dem unmittelbaren Selbstbewußtsein des Philosophen, ihren Ausgang nehmen und also als Wissenschaft auf dem Erfahrungsfundament gründen, das jedoch allein die Wissenschaft der
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Dogmatik, wenn zur Beschreibung des Seins Gottes Formeln „aus dem spekulativen Gebiet“ genommen werden. S. dazu auch Eilert Herms, Äußere und innere Klarheit des Wortes Gottes bei Paulus, Luther und Schleiermacher, 44: Nach Schleiermacher besitze die dialektische Reflexion oder „Vernunftreflexion […] völlige Identität für alle möglichen innergeschichtlichen Positionen nur hinsichtlich der Form ihrer Vollzüge, ist aber im Blick auf alle ihre möglichen Gehalte geschichtlich bedingt […] und steht also im Falle Schleiermachers selbst unter den Bedingungen des christlichen Lebens.“ GL 16,Z,112. In seiner Glaubenslehre hält es Schleiermacher deshalb für mangelhaft, „die Erzeugnisse der spekulativen Tätigkeit und die Ergebnisse der Betrachtung frommer Gemütszustände in ein Ganzes zu verarbeiten.“ (ebd.) Vgl. dazu Volker Weymann, Glaube als Lebensvollzug und der Lebensbezug des Denkens, 245. GL 13,Z,93.
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Theologie in Bezogenheit auf den transzendenten Grund alles Gegebenen reflektiert.59 Was Schleiermachers Verhältnisbestimmung von Dogmatik und Denktätigkeit, von Theologie und Philosophie anbelangt, kann grundsätzlich festgehalten werden, daß er beide im unmittelbaren Selbst-, Weltund Gottesbewußtsein begründet sieht.60 Für gewöhnlich jedoch scheint nach Schleiermacher „in der Form der Glaubenslehre“ die bloß bildliche und kunstvolle Darstellung des religiösen Gefühls stattzufinden, die von einer Anthropomorphisierung Gottes nicht frei ist.61 Im Bereich der Philosophie hingegen begnüge sich die denkende Annäherung an den transzendenten Grund, den durch die Denkfunktion allein unerreichbaren transzendenten Grund in mangelhaften Formeln darzustellen. Für seine eigene Theologie und Glaubenslehre beansprucht Schleiermacher, die Denkfunktion auf die Form seiner dogmatischen Reflexion des unmittelbaren Selbstbewußtseins anzuwenden.62 Denn er verwendet sein Wissen um den inhaltlich bedingten Unterschied zwischen Theologie und (nicht christlicher) Philosophie darauf, das Zustandekommen christlicher Glaubensgewißheit im Horizont von Wissen überhaupt zu beschreiben und so das Zustandekommen in formaler Hinsicht und allgemeinverständlicher Weise auszudrücken. Seine Ausführungen über das ZumGlauben-Kommen durch das Wirken des Heiligen Geistes63 zeigen sein Bemühen, sogar das Zustandekommen des christlichen Glaubens auf eine Weise darzustellen, in der dieses auch der nicht-christlichen philosophischen Wissenschaft verständlich ist, weil es nämlich auch „vernunftmäßig“ ist.64 59 S. zu der inneren Erfahrung, auf der die vernünftigen und übervernünftigen Sätze der Theologie wie der Philosophie beruhen u. II.1. 60 S. dazu F.D.E. Schleiermacher, Brief an Friedrich Heinrich Jacobi, vom 30. März 1818, in: Schleiermacher als Mensch, (272 – 276) 274: „Meine Philosophie also und meine Dogmatik sind sehr entschlossen sich nicht zu widersprechen“. 61 Zur gewissen Notwendigkeit der vermenschlichenden Rede von Gott s. GL 5,Z,41. 62 S. GL 16,Z,111. 63 S. dazu u. III.3. und III.4. 64 GL 13,Z,93: „die Behauptung aber, es könne nicht verlangt werden, dasjenige vernunftmäßig darzustellen, was über die Vernunft hinausgehe, erscheint nur als eine Ausflucht“. – S. dazu Eilert Herms, Philosophie und Theologie, 425: „Als Wissen über den Inhalt der christlichen Gewißheit darf sich die Theologie nicht darauf beschränken, nur deren materialen Inhalt zu entfalten, sondern sie muß auch Wissen über die formale Seite dieses Gewißheitsinhaltes werden. […] Es ist eine der
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0.5. Der christliche Glaubensgegenstand In Hinsicht auf den Gegenstand christlichen Glaubens, angesichts dessen der christliche Glaube und seine einzelnen Glaubensaussagen zustande kommen, ist nach Schleiermacher entscheidend, daß dieser im Inkarnierten durch den Heiligen Geist geoffenbart wird. Schleiermacher versteht „die Offenbarung Gottes in Christo und dem Heiligen Geist“ als den „eigentlichen Schlüssel“ zum Glauben an Gott den Schöpfer, Erlöser und Vollender und damit als den Schlüssel zur Gewißheit des transzendenten Grundes.65 Der christliche Glaube wird von Schleiermacher wesentlich als „Gewißheit“ des Heilswirkens Gottes beschrieben, und zwar als „keine geringere […] als diejenige, welche das objektive Bewußtsein begleitet.“66 Denn auf Grund der Offenbarung des Erlösers sei mit dem christlichen Glauben die von Gewißheit getragene Erkenntnis des unveränderlichen Wesens Gottes gegeben. Die Erkenntnis der Werke oder genauer des Schöpfungswerkes Gottes ist hingegen mit dem Glauben zwar eröffnet, steht jedoch umfassend und en detail noch aus. In der Nachfolge des Inkarnierten, der sein In-der-Welt-Sein in steter Bezogenheit auf Gott den Schöpfer lebe, wird nach Schleiermacher auch der Christenmensch letztendlich alles einzelne Sein der Welt in Wahrheit und damit das Reale in adäquater Idealität erkennen.67 Was grundsätzlich das Verhältnis von Gott als dem Grund allen endlichen Seins und Welt als dem Inbegriff allen einzelnen endlichen Seins anbelangt,68 kann nach Schleiermacher der transzendente Grund prinzipiell und stets nur in Bezogenheit auf das Reale in Raum und Zeit und auf
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interessantesten Fragen der Schleiermacherinterpretation, ob Schleiermacher auch diese Aufgabenstellung in das Erkenntnisprogramm seiner Glaubenslehre aufgenommen hat, und ob bzw. wie weit er ihr gerecht geworden ist.“ GL 168,2,454. GL 14,1,95. Zum objektiven Bewußtsein s. PsyN 70.209; PsyB 503. „Gewißheit“ stellt sich nach Schleiermacher sowohl beim identischen Symbolisieren als auch beim individuellen Symbolisieren ein, wenn die symbolisierte Sache adäquat erkannt wird. S. zur Gewißheit, die das identische Erkennen oder auch das objektive Bewußtsein betrifft, DialO 423. S. dazu u. III.2.2.2.4. S. dazu auch Schleiermachers Zitat aus Anselms Proslogion auf dem Deckblatt seiner Glaubenslehre. Das „credo ut intelligam“ muß nach Schleiermacher dahingehend verstanden werden, daß der Glaube an den in Christus durch den Heiligen Geist geoffenbarten Schöpfer die Erkenntnis seiner Schöpfung erschließt. S. dazu DialO 314.
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die Welt insgesamt bewußt sein, und andererseits kann die Welt nur in Bezogenheit auf ihren Schöpfer angemessen erkannt werden.69 Weil also – nach Schleiermacher wie nach Luther – Gott auf Erden nicht derart erkannt wird, „wie er an und für sich ist“, sondern nur „in seinem Verhältnis zu uns“,70 und die Welt nur im Verhältnis zu ihm wahrhaft erkannt werde, seien dementsprechend alle Aussagen über Gott wie Welt perspektivische Aussagen eines jeweiligen Selbst.71 Diesem seien im unmittelbaren Selbstbewußtsein Gott und Welt als voneinander untrennbar bewußt.72 Keinesfalls jedoch seien Gott und Welt identisch. „Das Entgegensezen von Gott und Welt ist also so ungehörig als das Identificiren“73. Wie die voranstehende Interpretation der Schleiermacherschen Erkenntnistheorie zeigt, setzt nach Schleiermacher alles menschliche Erkennen das unmittelbare Selbstbewußtsein voraus. Dabei entscheidet die Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins darüber, ob das auf dem Boden der eigenen inneren Erfahrung symbolisierte Erkenntnisobjekt in adäquater Weise gesehen wird. Erst die Bezogenheit auf den transzendenten Grund allen Seins gewährt angemessene Erkenntnis. Aussagen über das Sein in der Welt wie auch über den transzendenten Grund und über das Verhältnis zwischen Gott und Welt können nach Schleiermacher in unterschiedlicher Weise formuliert werden, gründen 69 „Der transzendente Grund muß das Wirkliche, wie dieses in Raum und Zeit gesetzt ist, auf eine zeitlose Weise begleiten“ (DialO 307). 70 GL 10,Z,74. 71 S. dazu Eilert Herms, Äußere und innere Klarheit des Wortes Gottes bei Paulus, Luther und Schleiermacher, 44: Die Aussagen der Schöpfungslehre können nach Schleiermacher „nur auf dem konkreten Boden des geschichtlichen Bestimmtseins des Gemüts durch das christliche Leben entwickelt werden als dasjenige, was unter dieser Bedingung und aus seiner Perspektive vorausgesetzt werden muß als gültig für alle möglichen geschaffenen Personen.“ 72 Das unmittelbare Selbstbewußtsein ist also nicht nur die Identität von Denken und Wollen, sondern repräsentiert auch die Einheit von Gott und Welt, weil es den transzendenten Grund immer in seiner Bezogenheit auf Weltaffektionen zu Bewußtsein bringt. – S. dazu DN.22,574: „Im unmittelbaren Selbstbewußtsein spiegelt er [der transzendente Grund] sich ab“. S. dazu DialO 301: „Wir haben kein anderes Interesse am transzendenten Grunde als immer in Beziehung auf die Idee der Welt; und auch in unserem unmittelbaren Selbstbewußtsein ist er uns nie anders als in Verknüpfung mit demselben gegeben.“ 73 DN.31,769. S. dazu DN.22,577 – 579; s. auch DN.22,586: „Nur solche Darstellungen [Gottes] erkennen wir an, die auf ihrem eignen Gebiete keiner weitern Correction bedürfen, und nicht gegen das Verhältniß von Gott und Welt verstoßen, die nothwendig zusammengehören, so daß die eine Null wird, wenn man die andre aufhebt.“
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jedoch stets in einer Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins, die durch Gott selbst gewirkt ist.74 Daß sämtliche Aussagen des christlichen Glaubens wie auch der Glaubenslehre Schleiermachers auf einer Offenbarung Gottes beruhen und also in einer Bekanntmachung des Menschen mit Gott und seinem Willen durch Gott selbst begründet sind, machen vor allem Schleiermachers Ausführungen zum Dienst am Wort Gottes deutlich. Es scheint sogar als fungiere die menschliche Kommunikation von Glaubensüberzeugungen und Glaubensaussagen bloß als organisches Mittel zur Mitteilung des göttlichen Heilswillens.75
I. Anthropologische Voraussetzungen I.1. Die Möglichkeit des Menschen Wie Luther geht auch Schleiermacher davon aus, daß Gott der Schöpfer den Menschen mit Körper und Seele ursprünglich dazu geschaffen habe, daß dieser sein Wesen, Wollen und Wirken erkenne. Jedem Menschen eigne entsprechend die „passive Disposition“ zur Erkenntnis des Schöpfers, welche die Vollendung des Menschen, die Realisation seiner ursprðnglichen und damit zeitlos und idealiter gegebenen Vollkommenheit bedeute.76 Die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen verwirklicht sich nach Schleiermacher insbesondere mit dessen Rezeption der durch andere Gattungswesen77 vermittelten Gottesoffenbarung sowie durch dessen spontane Äußerung des eigenen Gottesbewußtseins.78 Zu beidem sei der ursprünglich vollkommene Mensch befähigt. Dabei sei vor allem sein 74 S. dazu Schleiermachers Überschrift über den ersten Abschnitt des ersten Teils seiner Glaubenslehre, d.i. der Abschnitt zu Schöpfung und Erhaltung, in dem das Verhältnis zwischen Gott, dem Schöpfer, und der Welt reflektiert wird: „Beschreibung unseres frommen Selbstbewußtseins, sofern sich darin das Verhältnis zwischen der Welt und Gott ausdrückt“. Diese Überschrift ist im Sinne Schleiermachers nur so zu verstehen, daß dem frommen Selbstbewußtsein durch Gott selbst das adäquate Verhältnis zwischen Gott und Welt offenbar geworden ist und es deshalb zur Beschreibung dieses Verhältnisses befähigt ist. 75 S. dazu u. III.4. 76 S. GL 57,1,308. 77 Als „Gattung“ bezeichnet Schleiermacher „[d]ie Gesammtheit der einzelnen […] sofern die Natur in allen dieselbe ist und als dieselbe sich immer wieder erneuert“ (PsyB 498). 78 S. GL 60, Leitsatz, 321; s. v. a. GL 60,2,323.
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Gattungsbewußtsein, das im unmittelbaren Selbstbewußtsein ebenfalls mitenthalten sei,79 von entscheidender Bedeutung.80 I.2. Die Wirklichkeit des Menschen I.2.1. Ursprüngliche Vollkommenheit bei natürlicher Unvollkommenheit Schleiermacher verneint, daß die „mosaische Erzählung“ über die Schöpfung der Welt und auch die Verfehlung des Menschen, die „von den Reformatoren für eine eigentliche Geschichtserzählung genommen“ worden sei, tatsächlich eine solche sei.81 Die biblische Erzählung vom Entstehen der Sünde in Raum und Zeit sei nicht wörtlich zu verstehen. Denn es könne für die ersten Menschen keine andere Menschennatur angenommen werden als für alle späteren. Die Natur des Menschen müsse vielmehr von Anbeginn der Schöpfung sündhaft und sterblich gewesen sein. Die Rede von der ursprünglichen, „aller zeitlichen Entwicklung vorangehenden“82 Vollkommenheit des Menschen wie auch der Welt83 impliziere nicht einen geschichtlichen Zustand der Sündlosigkeit und Vollkommenheit, sondern bezeichne den Mçglichkeitshorizont von Mensch und Welt, dessen vollständige Realisation im Reich Gottes von Ewigkeit her im Heilsplan des Schöpfers beschlossen sei.84 Die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt besteht nach Schleiermacher zum einen darin, daß durch die Welt das sinnliche Selbstbewußtsein des Menschen in Raum und Zeit zu frommen Zuständen gereizt werden könne. Zweitens erweise sie ihre Vollkommenheit dadurch, daß sie sich zur Darstellung und zum Empfang der spontanen Äußerungen des 79 S. GL 60,2,323. 80 Das Gattungsbewußtsein verlange nicht nur das „Heraustreten aus den Schranken der eigenen Persönlichkeit“, sondern auch das „Aufnehmen der Tatsachen anderer Persönlichkeiten in die eigene“ (GL 6,2,42). 81 GL 40,2,196 f. und GL 72,2,382 ff. Bei Schleiermachers Kritik an Luthers Verständnis des status integritatis muß allerdings beachtet werden, daß auch Luther die menschliche Natur als „ab initio“ zur Sünde vorherbestimmt erachtet; s. dazu Luther-Kapitel, IV.; zur Vorherbestimmtheit der Sünde nach Schleiermacher s.u. I.2.3. 82 GL 57,1,308. 83 S. dazu GL 57 – 60; s. dazu Anne Kfer, Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 199. 84 S. dazu u. III.2.2.2.3.
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durch sie gewährten Gottesbewußtseins befähigt zeige.85 Sie gewähre die an Raum und Zeit gebundene Vermittlung des Gottesbewußtseins. Was die menschliche Natur anbelangt, muß nach Schleiermacher immer schon „etwas Sündliches“ vorausgesetzt werden.86 Allerdings müsse diese reale Sündhaftigkeit und angeborene Unvollkommenheit des Menschen („Erbsünde“) mit der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen und der Welt vereinbar gedacht werden.87 Grundlegend gilt deshalb für Schleiermacher, daß die Sünde des Menschen keineswegs den „Naturmechanismus“ der Welt und auch nicht „den von Gott ursprünglich geordneten Verlauf [des Naturzusammenhanges]“ beeinträchtige.88 Für Mensch und Welt bedeutet dies, daß der Sünde wegen die Beschaffenheit der Welt dem Sünder allein „anders erscheint“.89 Dabei seien allerdings Krankheit und Schmerz sowie die Unausweichlichkeit des Todes natðrliche Unvollkommenheiten, die jedoch ebenfalls nur unter der Sünde als Übel erschienen.90 Schleiermacher be85 S. GL 59,1.2,313 – 315. 86 GL 72,3,387. Auch Luther kann gemäß seinen eigenen Überlegungen die natürliche Sündhaftigkeit des Menschen nicht leugnen. Auch Luther nimmt nämlich an, Gott habe die Sünde nicht nur vorhergewußt, sondern auch vorherbestimmt (s. dazu GL 59,Z,320). 87 S. dazu GL 72,5,394 ff. und im folgenden. – Schleiermacher hebt sein reformatorisches Verständnis der Erbsünde deutlich ab vom „flacianischen Irrtum“. S. dazu FC 1, Von der Erbsünde, BSLK 770,1.: „Wir glauben, lehren und bekennen, daß ein Unterschied sei zwischen der Natur des Menschen, nicht allein wie er anfangs von Gott rein und heilig ohne Sünde erschaffen, sonder auch wie wir sie jtzunder nach dem Fall haben, nämblich zwischen der Natur, so auch nach dem Fall noch ein Creatur Gottes ist und bleibt, und der Erbsünde, und daß solcher Unterschied so groß als der Unterschied zwischen Gottes und des Teufels Werk sei.“ Gegen die flacianische Erbsündenlehre wird entsprechend festgehalten (a.a.O., 774,9.): „Wir verwerfen und verdammen auch als ein manichäischen Irrtumb, wann gelehrt wird, daß die Erbsünde sei eigentlich und ohne allen Unterschied des vorderbten Menschen Substanz, Natur und Wesen selbst“; s. auch a.a.O. 843 ff. S. dazu Walter Sparn, Substanz oder Subjekt?, 119/120: „’Manichäisch’ muß die flacianische Erbsündenlehre insofern heißen, als sie den Sündenfall zu einem Schöpfungsakt erhebt. […] Der Vorwurf meint nicht, daß eine zweite, fremde Substanz eingeführt würde […], sondern moniert, daß die Erbsünde als die ’selbständige Substanz’, die sie ist, wenn die Erbsünde die menschliche Natur selbst geworden ist […], den Teufel zum Urheber hat.“ – In Konsequenz des flacianischen Verständnisses bedürfte es zur Erlösung einer absolut neuen Schöpfung. 88 GL 47,1,236. 89 GL 75,1,412 (Hervorhebung A.K.). 90 GL 76,2,416. S. dazu GL 59,Z,320: Nach Schleiermacher „bleibt wohl keine Ursache übrig zu zweifeln, daß die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt in
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schreibt Tod und Schmerz als natürliche Unvollkommenheiten wie die Sündhaftigkeit des Menschen und hält sie doch für Elemente der ursprünglich vollkommenen Welt. Denn Tod und Schmerz besäßen ein besonders hohes Potential für die Entwicklung der Frömmigkeit.91 Tod, Krankheit und Schmerz seien „Reizmittel für die Entfaltung des Geistes“.92 Anders als das natürliche sei das gesellige bel durch sündhafte Taten des Menschen bedingt; es sei „in der Sünde unmittelbar gegründet“.93 Allerdings sei auch das gesellige Übel nicht als solches als ein Übel anzusehen. Obwohl es auf Grund der sündhaften Intention handelnder Menschen gewirkt werde, erscheine es doch als Übel nur dem Menschen unter der Sünde.94 I.2.2. Die Sünde Raum und Zeit gelten für Schleiermacher als grundlegende Möglichkeitsbedingungen von Sünde. Es hingen an der „zeitlichen Gestalt und räumlichen Vereinzelung des Daseins […] alle Anfänge der Sünde“.95 Die Sünde ist nach Schleiermacher für den Menschen unüberwindbar in der raum-zeitlichbedingten Schöpfungsordnung Gottes selbst angelegt. Keineswegs unterbreche oder ändere sie den Naturzusammenhang. Vielmehr gehöre sie zu diesem ebenso dazu wie dessen raum-zeitliche Ausrichtung, durch welche die Sünde ermöglicht und gar verursacht werde. Zwar ist nach Schleiermacher die Sünde keineswegs unmittelbares Produkt des Schöpferhandelns Gottes, doch stehe sie in mittelbarer Beziehung zu Gottes Schöpfung. Sie ist bedingt durch die Vorgegebenheiten, die das
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Beziehung auf den Menschen schon anfänglich keine andere als die hier beschriebene gewesen sei“, nämlich eine solche, die die Sterblichkeit des Menschen und seine Kränklichkeit umfaßt. S. GL 59,Z,320. GL 76,2,416. Noch dazu nimmt Schleiermacher an, daß im ewigen Leben die endliche Natur des Menschen (sein endlicher Leib) wohl fortbesteht; s. dazu u. III.2.2.2.3. Daß Schleiermacher, auch wenn er das Übel, das der Einzelne empfindet, in dessen Sünde begründet, doch sehr wohl leibliche Leiden und Schmerzen als solche ernst nimmt, zeigt sein Verweis auf den Gekreuzigten. Bezogen auf diesen betont er, „auch Christus [hat] Schmerzen gehabt und gelitten“ (s. dazu u. III.2.2.2. und GL 101,2,98). GL 76,2,416. S. GL 75,1,413 und 2,413. – Bei Schleiermachers Beschreibung des geselligen wie des natürlichen Übels ist es von Bedeutung, daß nach Schleiermacher „ohne die Sünde in dieser Welt nichts sein würde, was mit Recht für ein Übel gehalten werden könnte“ (GL 75,3,414). GL 76,2,417.
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Leben des Individuums unabdingbar betreffen. Dessen Gesetztsein in einen bestimmten Raum zu einer bestimmten Zeit ist nach Schleiermacher entscheidend für dessen gesamten Lebensvollzug.96 Solange das Leben des Einzelnen, das nach Schleiermacher mit der Entwicklung des sinnlichen Selbstbewußtseins oder Weltbewußtseins beginnt,97 (noch) nicht von der Dominanz des Gottesbewußtseins geprägt ist, könne dieser das Reale nicht adäquat, nicht in seiner gottgewollten Idealität erkennen. Deshalb erlebe er unter der Herrschaft seines sinnlichen Selbstbewußtseins die räumliche und zeitliche Bedingtheit seines eigenen wie alles anderen Seins in der Welt als unannehmbare Beschränkung. Seine Abhängigkeit von der Gattung und ihrer Generationenfolge98 erfahre er als Begrenzung seiner Individualität. Die mit der eigenen Existenz tatsächlich vorhandene Gebundenheit an Raum und Zeit bedingt nach Schleiermacher die nur allmähliche, zeitgebundene Entwicklung und Ausbildung des befreienden Gottesbewußtseins, das dem Menschen allerdings nicht von Anbeginn seines Lebens an gegeben sei.99 Der angeborene Mangel an Gottesbewußtsein oder die Kräftigkeit des sinnlichen Selbstbewußtseins, die Schleiermacher als „ursprüngliche Sündhaftigkeit“ bezeichnet,100 vermittele die Erfahrung von Unfreiheit. Ursprðnglich ist die menschliche Sündhaftigkeit allerdings nicht in demselben Sinne, wie es die Vollkommenheit des Menschen ist. Denn diese ist die zeitlose Bestimmung des menschlichen Geschöpfes. Unter der Ursprünglichkeit der Sündhaftigkeit des Menschen ist vielmehr die Ausgangslage der menschlichen Bewußtseinsentwicklung in Raum und Zeit zu verstehen. Für die Sündhaftigkeit des Individuums hält Schleiermacher fest, daß sie prinzipiell in unüberwindbaren Vorgegebenheiten gründe. Jedoch habe die Sünde als die Ausübung der vorgegebenen Sündhaftigkeit, die als angeborene Möglichkeit zur Sünde zu verstehen ist, ihren Grund im sündigen Individuum selbst. Denn indem dieses, das immer schon handelnd (symbolisierend wie organisierend) tätig sei, in seiner sündhaften Bezogenheit auf Raum und Zeit und in Abhängigkeit von der Gattung 96 97 98 99
S. dazu GL 69,1,366. S. dazu GL 69,3,367; 72,5,394 ff. und s. insbesondere GL 5. S. GL 71,2,377. S. GL 5,1,31 – 33; s. auch GL 69,1,366. – Überhaupt ist nach Schleiermacher zur Weckung und Förderung des Gottesbewußtseins die Selbstdarstellung erlöster Menschen notwendig, welche auf Erden jedoch immer nur unvollkommen sei (s. dazu u. III.4.). 100 S. GL 72,5,395.
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handele, wandele es selbst seine angeborene Sündhaftigkeit unausweichlich in wirkliche Sünde und mache sich also schuldig.101 Die Unausweichlichkeit der Realisation von Sünde, welche mit der Sündhaftigkeit dem Menschen vorgegeben sei, schließt nach Schleiermacher gerade nicht die Schuldigkeit des Menschen an der Sündenwirklichkeit aus.102 Die Sündhaftigkeit,103 die nach Schleiermacher immer schon Sünde ist, weil der Mensch es nicht vermeiden könne unter der Dominanz des sinnlichen Selbstbewußtseins zu handeln, könne auf Erden nie vollständig überwunden werden. Fortwährend werde die „Gesamttat“ und die „Gesamtschuld“, derentwegen die gesamte Gattung immer schon zu einem umfassenden Sündenzusammenhang vereint sei,104 durch den Einzelnen, der als Erbe der vorangegangenen Geschlechter und in Abhängigkeit von der Gattung existiert, selbsttätig fortgesetzt.105 Die „Erbsünde“, die also im Gattungszusammenhang vermittelt wird, werde im Tätigsein des Einzelnen als dessen eigene Sünde wirklich, so daß die Erb-SündenFolge unaufhörlich bestehen bleibe.106 101 S. GL 69,2,367. Nach Schleiermacher begeht der Mensch unausweichlich, aber selbsttätig die Sünde. Im Unterschied dazu komme er unausweichlich ohne selbsttätige Zustimmung zum Glauben; s. dazu u. III.2.2.2. Die Möglichkeit des Menschen zur Sünde besteht nach Schleiermacher solange, als am Menschen die Neuschöpfung noch nicht vollzogen und seine Vollendung noch nicht verwirklicht ist. 102 S. GL 69,2,367: „Inwiefern […] jeder Moment, sei er nun durch Vorstellung oder Handlung im engeren Sinne erfüllt, doch immer nur durch Selbsttätigkeit zustande kommt […]: so ist die Sünde eines jeden auf gleiche Weise ihrer Wirklichkeit nach auch in ihm selbst begründet.“ S. dazu auch 71,1,374 ff. und Christine AxtPiscalar, Ohnmächtige Freiheit, 265: Axt-Piscalar hält fest, daß nach Schleiermacher „die Sünde von einem jeden getan wurde und wird […]; und daß sie, indem sie selbsttätig vollzogen wurde, dem einzelnen auch als Schuld zurechenbar ist.“ – Die Sünde selbst gilt Schleiermacher entsprechend als Kraft und als Werk „einer Zeit, in welcher die Richtung auf das Gottesbewußtsein noch nicht in uns hervorgetreten war“ (GL 67, Leitsatz, 358). S. dazu Christine Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 254 ff. 103 Die ursprüngliche Sündhaftigkeit des menschlichen Individuums bedeute sein Geborensein als ein Exemplar der Gattung Mensch, dessen Entwicklung mit der Dominanz des sinnlichen Selbstbewußtseins beginnt, oder: „die alle wirklichen Sünden jedes Einzelnen mitbedingende und vor aller Tat hergehende Beschaffenheit des handelnden Subjektes“ (GL 69,Z,368/369). 104 S. GL 72,6,398. 105 S. dazu Eilert Herms, Das Böse, v. a. 359. 106 S. dazu GL 73,1,399. – „Aus der Erbsünde geht in allen Menschen immer die wirkliche Sünde hervor.“ (GL 73, Leitsatz, 398).
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Ebenso wie nach Schleiermacher die Vermittlung von Gottesbewußtsein insbesondere durch das menschliche Gattungsbewußtsein bedingt ist, ist auch die Weitergabe der Erbsünde durch den Gattungszusammenhang verursacht. Die Gattung Mensch vermag ihre ursprüngliche Vollkommenheit und Bestimmtheit zur Mitteilung des Heilswillens Gottes nicht zu erfüllen, weil die einzelnen Gattungswesen in ihrer ursprünglichen Sündhaftigkeit sich gegen die Sünde nicht verwahren können. Folglich stellt jede Generation die nächste in denjenigen sündvollen Lebenszusammenhang, der die Ausübung der Sünde wieder nicht vermeiden läßt. I.2.3. Die Wirklichkeit von Sünde und Übel Nach Schleiermacher steht die natürliche Unvollkommenheit von Mensch und Welt nicht in einem ausschließenden Widerspruch zur ursprünglichen Vollkommenheit der Schöpfung Gottes.107 Denn zum einen stimmt die Unvollkommenheit der Natur insofern mit ihrer ursprünglichen Vollkommenheit überein, als sie ein hilfreiches Reizmittel zur Förderung der Frömmigkeit ist; die Frömmigkeit des Frommen muß sich an ihr bewähren. Zudem gilt Schleiermacher gerade die Sündhaftigkeit des Menschen als das Reizmittel der frommen Gemeinschaft zur Verbreitung der Erlösung. Das die Erlösten dominierende Gottesbewußtsein, das die Sünde als Sünde erkennen lasse, sei nämlich ohnehin der „Impuls“ zur Förderung des Reiches Gottes und damit der Antrieb zur Überwindung aller Sündhaftigkeit und zur Realisation der ursprünglichen Vollkommenheit von Welt und Mensch.108 Weil also die Unvollkommenheiten von Welt und Mensch und grundlegend die menschliche Sündhaftigkeit gerade auf die Verwirklichung der ursprünglichen Vollkommenheit hin geordnet sind, kann Schleiermacher Gott selbst als den „Urheber der Sünde“109 respektive als den Urheber der Sündenmçglichkeit bezeichnen, ohne daß dadurch dessen Schöpfungsplan, der das Heil der Schöpfung bezwecke, beeinträchtigt würde; vielmehr scheint dieser eben in der Überwindung der Sünde zu bestehen. Nach Schleiermacher ist Gott selbst insofern als „Urheber der Sünde“ zu bezeichnen, als er das Gottesbewußtsein nicht von Anbeginn des menschlichen Lebens an zur Dominanz bestimmt. Jedoch wirke er im Vollzug des menschlichen Lebens die Kräftigkeit des Gottesbewußt107 S. GL 72,5,394. 108 GL 9,1,61. 109 GL 79, Leitsatz, 424.
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seins,110 die nicht nur das Gute (oder vielmehr das höchste Gute) 111, sondern rückblickend auch die Sünde als Sünde und zugleich die natürliche Unvollkommenheit des Menschen als von Ewigkeit her zur Überwindung bestimmt erkennen lasse. Weil Gott nicht nur das erlösende Gottesbewußtsein, sondern damit zugleich auch das Sündenbewußtsein vermittele, welches die Sünde erst als Sünde erkennbar mache, ist er nach Schleiermacher auch aus diesem Grund „Urheber der Sünde“ zu nennen.112 Nach Schleiermacher ist also ebenso wie der Glaube als die Gewißheit des göttlichen Heilswillens auch die Sünde von Gott hervorgebracht und geordnet.113 Allerdings werde sie zum einen erst dadurch verwirklicht, daß der Mensch seine göttliche und ursprüngliche Bestimmung selbsttätig verfehle, und zum anderen sei ihre Verwirklichung nur zu dem Zweck ihrer Überwindung gedacht. Nach Schleiermacher ist die Sünde auf die Verwirklichung ewigen Heils hin geordnet. Sünde besteht nach Schleiermacher nur als „Sünde in bezug auf die Erlösung“;114 „sofern die Anerkennung des gebietenden Willens in uns von Gott bewirkt wird, wird auch von ihm bewirkt, daß die Unwirksamkeit des Gottesbewußtseins Sünde wird, und zwar wird dies bewirkt in bezug auf die Erlösung“.115 Weil nach Schleiermacher die Sünde in bezug auf die Erlösung und damit „das Sein der Sünde mit und neben der Gnade von Gott geordnet 110 S. dazu u. III.2.2.2.1. 111 S. dazu GL 72,5,396/397: Nach Schleiermacher gehört zum Guten „auch die für die Entwicklung des Menschen unentbehrliche Erkenntnis des Gegensatzes zwischen Gut und Böse“. Vor der – allerersten – Sünde sei diese Erkenntnis nicht vorhanden gewesen; „und leicht läßt sich dies dahin ergänzen, daß der Mensch auch nur, sofern dieser Mangel fortdauerte, ohne Sünde bleiben konnte.“ 112 S. GL 68,2,363: Schleiermacher hält fest, „daß Sünde […] nur ist, sofern auch ein Bewußtsein derselben ist“. S. dazu Christine Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 286/287: „Indem die Sünde als Sünde durch das Gottesbewußtsein gesetzt und darin zugleich als aufzuheben bestimmt wird, das Gottesbewußtsein wiederum auf eine göttliche Mitteilung zurückgeht, ist Gott der Urheber des Sündenbewußtseins“ und damit der Urheber der Sünde (a.a.O., 287). 113 Ein „Zustand der schlechthinnigen Verstockung“ gegen das göttliche Wirken muß nach Schleiermacher ausgeschlossen werden (GL 81,3,439); s. dazu GL 74,2.3,403 – 409. 114 GL 81,3,439. S. dazu GL 89,1,24: Würde nicht die Hinordnung der Erlösung auf die – ebenfalls von Gott geordnete – Sünde hin angenommen, müßte davon ausgegangen werden, „daß der Ausdruck Erlösung sich nicht auf dieselbe Weise dazu eignet, den göttlichen Ratschluß zu bezeichnen, wie er die Wirkung desselben bezeichnet, weil der Allmächtige nicht etwas ordnen kann um eines andern willen, welches er nicht geordnet hat.“ 115 GL 81,3,438. S. dazu: F.D.E. Schleiermacher, ULE, 156 ff.
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ist“116, beides also „in bezug aufeinander geordnet ist“117, muß die Sünde auch Sðnde fðr Gott sein. Gott stiftet den Gesamtzusammenhang, in dem eben die Taten der Sünde möglich und – keineswegs nur zugelassen,118 sondern sogar – unumgänglich sind, solange Gottes Gnadenwirken noch nicht vollendet ist.119 Schleiermacher hält fest, „daß die Sünde, sofern sie nicht könne in göttlicher Ursächlichkeit gegründet sein, insofern auch für Gott nicht sei, sofern aber das Bewußtsein der Sðnde zur Wahrheit unseres Daseins gehçre, also auch die Sünde wirklich sei, sie auch als das die Erlösung notwendig Machende von Gott geordnet sei.“120 Daß die Sünde „für Gott nicht sei“,121 könne nur insofern gesagt werden, als Gott nicht die einzelnen sündhaften Taten des Menschen wirke und auch – anders als bei seinem Gnadenwirken – durch keine „besondere Mitteilung“ den Menschen zur Sünde veranlasse.122 Wäre die Sünde des Menschen jedoch für Gott überhaupt nicht wirklich, so wäre Gottes Erlösungshandeln unverständlich; konsequenterweise macht die durch Gott gewirkte Befreiung von der Sünde nur Sinn, wenn angenommen wird, daß die Sünde auch für Gott real ist. Ebenso wie die Erlösung des Menschen in Gottes heilvollem Schöpfungshandeln von Ewigkeit her inbegriffen ist, ist nach Schleiermacher auch die Sünde für Gott wirklich und immer schon von ihm vorherbestimmt. Es muß „die Sünde von Gott geordnet [sein], weil sonst auch die Erlösung nicht könnte von ihm geordnet sein“;123 und dabei sei die Sünde immer schon auf ihre eigene Überwindung hin geordnet. Nach Schleiermacher „sagt eben dieses, daß der Erlöser erschien, als die Zeit erfüllt war, schon deutlich, daß von Anfang an alles auf seine
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GL 80, Leitsatz, 426. GL 80,2,428. S. dazu GL 81,4,440. S. dazu GL 81,2,436: Nach Schleiermacher muß „übriggelassen werden, daß die an der mit Ohnmacht behafteten Freiheit begründete Sünde auch als solche von Gott geordnet sei, wenn nicht schlechthin angenommen werden soll, daß die göttliche Wirksamkeit durch etwas nicht von der göttlichen Ursächlichkeit Abhängiges könne begrenzt werden.“ S. auch GL 81,3,436 – 439, v. a. 439: „wenngleich für keine einzelne sündliche Handlung auf eine ihr angehörige göttliche Ursächlichkeit zurückgegangen werden kann, [ist] doch die Sünde von Gott geordnet, weil sonst auch die Erlösung nicht könnte von ihm geordnet sein“. GL 81,3,437 (Hervorhebung A.K.). GL 81,3,437. GL 80,1,426 (Hervorhebung A.K.). GL 81,3,439.
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Erscheinung bezogen worden war.“124 Von Anfang an habe Gott „die Sünde nur um der Erlösung willen geordnet“.125 Mit der Sünde ist nach Schleiermacher konsequenterweise auch das bel als die unselige Folge oder Strafe126 der Sünde von Gott geordnet und seine Überwindung vorherbestimmt.127 Demgemäß ist nicht nur die Sünde, sondern auch das Übel für Gott wirklich. Das muß grundlegend schon deshalb der Fall sein, weil Sünde und Übel – wie auch die Erlösung – das menschliche Selbst-Bewußtsein betreffen, welches als Teil der Welt wie die Welt insgesamt im transzendenten Grund begründet und Produkt der Schöpfertätigkeit Gottes ist. Gott ist der Grund dafür, daß dem Menschen etwas als Übel erscheint, denn er ist Urheber sowohl des Bewußtseins der Sünde als auch des Bewußtseins von Übel. Seinem Schöpfungshandeln entstammt das Bewußtsein des Menschen, und als der Urheber der Sünde bedingt er zudem die Dominanz des sinnlichen Selbstbewußtseins, derentwegen das Übel als Übel bewußt wird.128 In Übereinstimmung mit diesem Wirklichkeitsverständnis nimmt Schleiermacher für den menschgewordenen Gott an, daß diesen das „Mitgefühl der Unseligkeit“ 124 125 126 127
GL 80,2,428. GL 81,4,440. S. dazu GL 76, Leitsatz, 414. „Von Gott geordnet ist aber, daß die natürlichen Unvollkommenheiten von uns in dem Maß, als das Gottesbewußtsein noch nicht in uns herrschend ist, als Übel aufgefaßt werden, so wie daß die Sünde, in dem Maß als sie herrscht, sich zum geselligen Übel ausbildet, eben wie auch beides in der Freiheit gegründet ist.“ (GL 82,2,443). 128 S. dazu GL 48,2,245/246: „Ohne ein sehr weitgreifendes Mißverständnis kann also niemand Schwierigkeit darin finden, auch das, was ihm als ein Übel erscheint, […] als in Folge der schlechthinnigen Abhängigkeit vorhanden, mithin als von Gott geordnet zu setzen“. – S. dagegen die ausführliche Kritik von Christine AxtPiscalar, Ohnmächtige Freiheit, 291 – 293 in Anlehnung v. a. an Karl Barth. AxtPiscalar interpretiert Schleiermachers Ausführungen über Sünde, Übel und Strafe so, als würden Sünde, Übel und Strafe von Schleiermacher als bloße Bewußtseinsinhalte des Menschen verstanden, denen Gott gegenüber keine Wirklichkeit eigne. Sie übersieht also das Geschaffen- und Bestimmtsein des menschlichen Bewußtseins durch Gott den Schöpfer und die Tatsache, daß infolge dieses Faktums der Bewußtseinsinhalt für ihn ebensolche Realität besitzt wie die Körperlichkeit des Menschen und der Welt insgesamt. Auch wird bei ihrer Kritik nicht deutlich, wie die Sünde im Zusammenhang mit dem Übel außer dem Bewußtsein bestehen und beschaffen sein soll, wenn doch mit der allmchtigen Liebe Gottes, die das Böse total ausschließt, Ernst gemacht werden muß. Drittens ist nach Schleiermacher das Übel nicht eigentlich bloß „ein Schein“ (a.a.O., 291), sondern vielmehr erscheint es dem Menschen als solches im Bewußtsein und ist darum für diesen ebenso wirklich wie für den Schöpfer selbst.
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erfüllt und er das Leid, das den an Sünde und Übel leidenden Menschen betrifft, wirklich kennt und anscheinend nicht scheut.129 I.2.4. Die Unverbrüchlichkeit des göttlichen Heilswillens Obwohl sie als „Störung der Natur“130 der Realisation der ursprünglichen Vollkommenheit und damit der Verwirklichung des Gottesreiches unmittelbar im Wege steht, hat Gott die Sünde seiner ewigen Vorherbestimmung gemäß zum einen möglich gemacht und sie zugleich auf seine Gnade hin geordnet.131 Durch ihre Überwindung nämlich, die Gott von Ewigkeit her vorherversehen habe, werde in einem Prozeß der Frömmigkeitsentwicklung das Reich Gottes erreicht. Weil Gott der Schöpfer von Ewigkeit her die Absicht habe, die Sünde in Übereinstimmung mit seinem unverbrüchlichen, ewig-treuen Heilswillen132 zu überwinden, habe er die Möglichkeit ihrer Überwindung auch für den Menschen geschaffen; er habe die Menschennatur derart geschaffen, daß sie zwar von Anfang an der Sünde zugeneigt, zugleich aber auch zu deren Überwindung bestimmt ist. Es bestehe demnach kein Widerspruch zwischen der Sünde als der Ausübung der natürlichen Unvollkommenheit und der ursprünglichen Vollkommenheit von Mensch und Welt, vielmehr sind beide durch den einen Willen Gottes derart aufeinander hin geordnet, daß die Sünde durch die Realisation des menschlichen Frömmigkeitspotentials überwunden wird. Nach Schleiermacher steht die natürliche Unvollkommenheit von Welt und Mensch nicht nur deshalb nicht im Widerspruch zur ursprünglichen Vollkommenheit der Schöpfung, weil sie als Reizmittel der Frömmigkeit und zur Überwindung bestimmt ist, sondern auch deshalb nicht, weil die passive Disposition zum Empfang der Erlösung nicht von ihr betroffen ist. Zum Empfang der Erlösung, um derentwillen die Sünde geordnet sei, ist nach Schleiermacher uneingeschränkt jedes menschliche
129 GL 101,4,102; s. dazu u. Anm. 310. 130 GL 68, Leitsatz, 360/361. S. dazu auch u. Anm. 254. 131 S. dazu GL 164,3,444: „Daß aber in die göttliche Vorherversehung auch die Sünde mit eingeschlossen ist, wiewohl sie eigentlich der Idee des Reiches Gottes widerspricht, hat die Schrift selbst keine Scheu zu bekennen, sondern rechnet sie zu den vorbereitenden und einleitenden Elementen der göttlichen Weltregierung“. 132 S. dazu u. II.1.
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Geschöpf grundsätzlich mit seinem unmittelbaren zweiseitigen Selbstbewußtsein befähigt.133 Weil die Sünde das Mißverhältnis zwischen sinnlichem und höherem Selbstbewußtsein betrifft, ist nach Schleiermacher zum einen der Wille des ursprünglich sündhaften Menschen seiner Struktur nach kein anderer als der des ursprünglich vollkommenen Menschen. Stets funktioniere das menschliche Wollen auf dem Boden des unmittelbaren Selbstbewußtseins und in Übereinstimmung mit dessen Bestimmtheit; „eine strukturelle Verkehrung des [menschlichen] Willens“ muß folglich ausgeschlossen werden.134 Nicht die Struktur des menschlichen Willens ist der Sünde wegen verkehrt. Vielmehr ist der Ermöglichungsgrund des Wollens wie des Denkens, eben das unmittelbare Selbstbewußtsein, in der natürlichen Entwicklung des Menschen zumindest anfangs ausschließlich von zeitund raumgebundenen sinnlichen Bestimmtheiten dominiert, so daß der Wille nicht nach der Erfüllung des noch unbekannten Gotteswillens streben kann. Weil dem Menschen aber mit der religiösen Seite des Selbstbewußtseins die spezielle Disposition für ein stetig kräftiges und dominierendes Gottesbewußtsein gegeben ist, wird bereits in Raum und Zeit durch die das Gottesbewußtsein fördernde Erlösung135 eine Bestimmung des Willens hin zur Reich-Gottes-Arbeit wirklich.136 133 Nach Schleiermacher „darf man […] die mitgebrachte Sündhaftigkeit nicht auch so weit ausdehnen, daß sogar die Fähigkeit, die Erlösung in sich aufzunehmen, dem Menschen müßte abgesprochen werden, denn diese ist das wenigste, was noch in der zur ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen gehörigen Richtung auf das Gottesbewußtsein gesetzt sein kann.“ (GL 70,2,371). S. dazu Christine AxtPiscalar, Ohnmächtige Freiheit, 224: „Die Lehre eines Verlustes des status integritatis widerspricht nach Schleiermacher ferner dem Gedanken der Einheit der gesamten Weltordnung und damit dem Gedanken der göttlichen Allmacht“. S. auch a.a.O., 225: „Die Erbsündenlehre darf nicht dazu führen, daß mit dem Sündenfall der Verlust auch noch der rezeptiven Empfänglichkeit des Menschen für die Gnade verbunden wird.“ 134 S. dagegen Christine Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 271: „Die Problematik seines [Schleiermachers] Entwurfs besteht in der Frage danach, wie die angeborene Sündhaftigkeit zu verstehen ist. Soll sie als angemessene Aufnahme des mit der traditionellen Erbsündenlehre verbundenen systematischen Interesses gelten können, dann muß sie als eine strukturelle Verkehrung des Willens im Vollzug endlicher Freiheit begriffen werden. Schleiermacher ist hinter dieser Problemanzeige und seiner Lösung faktisch zurückgeblieben, vor allen Dingen da, wo er die Sündhaftigkeit vorwiegend durch quantitierende Vorstellungen und den Entwicklungsgedanken zu erfassen sucht.“ (Hervorhebung A.K.) 135 S. dazu insbesondere GL 70,2,372: Wenn eine „Umschaffung“ des strukturell verkehrten Menschen nötig wäre, „könnte ja dann gleich auf das Ganze gerichtet,
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Zum anderen ist nach Schleiermacher der sündhafte Mensch keinesfalls zu Taten befähigt, welche gegenüber dem „Gang der Heilsökonomie“ Gottes im wirkmächtigen Widerspruch stehen; dies verlangte die Annahme einer gottgleichen oder immerhin gottähnlichen Macht des Menschen.137 Weil aber alles, was ist, von Gott selbst schlechthin abhängig und seinem Wesen entsprechend138 zum Heil der Geschöpfe geordnet ist, kann es nichts geben, was dem Schöpfer „Widerstand entgegensetzen und also in ihn und sein Werk eingreifen könnte“.139 In Übereinstimmung mit seinem Verständnis der Sünde als der unausweichlichen Realisation der natürlichen Unvollkommenheit des Menschen in Raum und Zeit gemäß der Vorherbestimmung Gottes hält Schleiermacher fest, daß „die jetzt angeborene Sündhaftigkeit auch für die ersten Menschen etwas Ursprüngliches gewesen sei.“140 Hätten die ersten Menschen sich freien Willens für oder gegen die Sünde zu entscheiden vermocht, bliebe die Frage unbeantwortet, warum sie gegen Gottes Weisung handelten. Denn wären sie vollkommen von Gottesbewußtsein erfüllt gewesen, hätte in ihnen keine „sündliche Begierde“ entstehen können. Unter der Annahme beschränkten Gottesbewußtseins muß hingegen eine Verführung von außen vorausgesetzt werden, die je nach Anfälligkeit des Ur-Menschen,141 der noch nicht im großen Zusammenhang der Gattung und der Geschlechter gelebt habe, mehr oder weniger mächtig gewesen sein müßte. Das Postulat einer „äußeren“ Macht, welche fähig gewesen sein soll, das Geschöpf gegen seinen Schöpfer derart aufzubringen, daß dadurch die Natur nicht bloß gestört, sondern vielmehr zerstört worden wäre, setzt nach Schleiermacher einen „Teufel“ nach manichäischer Manier voraus.142 Grundsätzlich muß nach Schleiermacher eine allgemeinmenschliche Anfälligkeit für die Sünde festgehalten werden, weil nur dann kein we-
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und auf dieselbe Weise die vollkommne Heiligung des Menschen bewirkt werden, wodurch denn die Erlösung überflüssig würde.“ S. GL 67,2,359/360. S. dazu Christine Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 293: „Schleiermacher vermag es nicht, die Wirklichkeit der Sünde für Gott als ein(!) im Gang der Heilsökonomie zu überwindender realer Gegensatz zu seiner Schöpfungsabsicht auszusagen.“ S. dazu auch Karl Barth, KD III/3,50,377.378. S. dazu u. II.2. GL 47,1,235. GL 72,5,394. Nach Schleiermacher müßte der verführbare Ur-Mensch eine „Hinneigung zur Sünde“ besessen haben (s. GL 72,2,384). S. dazu GL 72,3,388.
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sentlicher Unterschied zwischen den ersten Menschen und ihren Nachkommen bestehe und nur so die Identität der menschlichen Gattung sowie die Kontinuität des Naturzusammenhanges und die Unverbrüchlichkeit des ewig-treuen Heilswillens Gottes gewährleistet sei.143 Mit Luther144 stimmt Schleiermacher darin überein, daß der ewige Heilswille Gottes die Schöpfung ursprünglich vollkommen gewollt und geschaffen hat und darum ihre Änderung oder Zerstörung durch die Sünde nicht zuläßt. Vielmehr habe er die Erlösung um der ebenfalls ewig vorhergewußten Sünde willen ewig schon vorherbestimmt. Konsequenterweise setzen beide Theologen voraus, daß die Natur des Menschen von Anfang an mit dem servum arbitrium gegenüber dem Heilshandeln Gottes geschaffen ist. Eine Zeit, in der das menschliche Geschöpf mit einem liberum arbitrium existiert und damit die Möglichkeit zur Vermeidung der Sünde besessen, auf Grund der Sünde diese aber verloren haben soll, leugnen beide. Das servum arbitrium Gott gegenüber, das dem Menschen im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit gegenwärtig ist, gehört nach Luther und Schleiermacher zur unzerstörbaren Natur des Menschen. Dementsprechend ist der Mensch sowohl in seinem sündigen wie in seinem frommen Tun von Gott selbst als dem Ermöglichungsgrund der Sünde wie der Erlösung abhängig. Weil die Sünde zur Welt-Ordnung Gottes von Ewigkeit her dazugehört, erschafft dieser – nach Schleiermacher wie nach Luther – der „ersten“ Sünde wegen keine neue, andere, zweite Natur und Welt. Folglich kann auch die Sterblichkeit als solche nicht als Konsequenz und Strafe der ersten Sünde aufgefaßt werden, wie manches Verständnis biblischer Texte nahezulegen scheint.145 Überhaupt würde die Annahme der Unsterblichkeit des ersten Menschen dessen Identität mit der menschlichen Gattung, die insgesamt sterblich ist, bestreiten. Sogar im Reich Gottes 143 GL 72,3,387: Nach Schleiermacher „kann man nicht sagen, daß durch die erste Sünde die Natur sei verändert worden, sondern von dieser Behauptung der symbolischen Bücher werden wir abweichen müssen. Denn es kann niemandem zugemutet werden, vorzustellen, daß in einem einzelnen Wesen die Natur seiner Gattung könne verändert werden und es doch dasselbe bleiben, da die Ausdrücke Einzelwesen und Gattung ihre Bedeutung verlieren, wenn nicht ebensogut alles, was nacheinander, als was zugleich in dem Einzelwesen zu finden ist, aus dem Wesen der Gattung erklärt und begriffen werden kann.“ 144 In seiner Kritik an Luther (s. o. Anm. 81) berücksichtigt Schleiermacher nicht, daß dieser ebenfalls die allmächtige und allwissende Vorherbestimmung Gottes voraussetzt, die auch die Wirklichkeit von Sünde, Tod und Leid umfaßt. 145 S. GL 59,Z,320.
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werden nach Schleiermacher die menschlichen Geschöpfe mit ihrer endlichen Natur noch fortbestehen.146 I.2.5. Sündenerkenntnis Als Sünde erkennt nach Schleiermacher wie nach Luther nur der Glaubende die Sünde. Nach Schleiermacher kommt das Sündenbewußtsein „freilich aus dem Gesetz“, das Gott der Schöpfer aufgestellt hat.147 Vollkommen aber werde die Sünde „nur in der völligen Unsündlichkeit und der absoluten Geisteskräftigkeit des Erlösers“ erkannt.148 Im Vergleich mit den Gesetzesvorgaben könne der Handelnde zwar seine Taten als gesetzmäßig oder gesetzlos feststellen. Daß Übertretungen des Gesetzes jedoch als Sünde und als Schuld gegen den Schöpfer bewußt seien und ihretwegen erlittenes Übel als Strafe empfunden werde,149 das setze die vollkommene Einsicht in das Wesen Gottes voraus, das der Erlöser manifestiere.150 Wie nach Luther, so ist es auch nach Schleiermacher das Evangelium Christi, welches die Dominanz des Gottesbewußtseins wirkt und rückblickend die Sünde als Sünde zu Bewußtsein bringt.151 146 S. dazu u. III.2.2.2.3. 147 GL 68,3,365. Der „Naturzusammenhang“ oder auch die „Weltordnung“ (GL 84,2,452) ist nach Schleiermacher die von Gott gegebene Seinsordnung, deren Annahme die Einstimmung in den Willen des Schçpfers und die Erfüllung des Naturgesetzes bedeutet, das in der Form des Sittengesetzes den Menschen als Vernunft- und Geistwesen betrifft. – „Die göttliche Gesetzgebung und Verteilung aber ist die ursprüngliche und schöpferische, aus welcher die Wesen selbst mit ihren Verhältnissen zugleich hervorgehen, die an nichts anzuknüpfen hat, und deren Vollkommenheit daher auch nicht als Gerechtigkeit beschrieben werden kann, sondern vielmehr als Weisheit würde zu bezeichnen sein“ (GL 84,1,450). S. dazu F.D.E. Schleiermacher, NSG, 451: Nach Schleiermacher entwickelt sich das Sittengesetz „durch eine Steigerung als das höchste individuelle Naturgesetz aus den niederen. Die Seinsbestimmung in demselben ist also von derselben Art, und das Sollen ist auch von derselben Art, nur mit dem einzigen Unterschiede, daß erst mit dem Eintreten der Begeistung das Einzelwesen ein freies wird, und nur das begeistete Leben ein Wollendes ist, also auch nur auf diesem Gebiet das Sollen sich an den Willen richtet.“ – Zu Schleiermachers Gesetzesverständnis s. Christine Axt-Piscalar, Ohnmächtige Freiheit, 253 f. 148 GL 68,3,365. S. dazu GL 100,2,92: Erst durch die Anschauung der unsündlichen Vollkommenheit des Erlösers könne das Sündenbewußtsein des Menschen „zur vollen Klarheit“ gelangen. 149 GL 76, 414 – 417. 150 S. dazu 68,3,365. Vgl. dazu Luther-Kapitel, Anm. 168. 151 S. dazu GL 67,2,359.
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Die Bedingtheit des Sündenbewußtseins durch die Dominanz des Gottesbewußtseins152 macht deutlich, daß die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen und der Welt der Sünde nicht nur vorausgesetzt sein muß. Zudem kann ihre Realisation weder durch die natürliche Unvollkommenheit des Menschen noch durch seine Sünde aufgehoben werden. Denn zum einen ist die Dominanz des Gottesbewußtseins und damit auch das Bewußtsein der Sünde durch die ursprüngliche Vollkommenheit bedingt, zum anderen wird diese Vollkommenheit gerade dadurch verwirklicht, daß das Gottesbewußtsein im Prozeß der Überwindung der Sünde mehr und mehr das Empfinden, Denken und Wollen des Menschen bestimmt. Natürliche Unvollkommenheit gibt es nach Schleiermacher also nur im Rahmen der ursprünglichen Vollkommenheit, welche die unaufhebbare „Einheit unserer Entwicklung“ ausmache.153 Während der irdischen Entwicklung der menschlichen Geschöpfe bleibt nach Schleiermacher die Dominanz des Gottesbewußtsein stets von Sünde bedroht („Gottvergessenheit“) 154. Weil das Gottesbewußtsein eine stetige Krftigkeit auf Erden nicht erlange, gebe es „in dem ganzen Gebiet der sündigen Menschheit keine einzige ganz vollkommen gute, d. h. rein die Kraft des Gottesbewußtseins darstellende Handlung, und keinen ganz reinen Moment […], in welchem nicht doch noch irgend etwas in einem geheimen Widerspruch mit dem Gottesbewußtsein stände.“155 Unter der Dominanz des Gottesbewußtseins oder vielmehr im Glauben werden nach Schleiermacher wie nach Luther die räumlichen und zeitlichen Schranken des irdischen Daseins als zugehörig zu dem von Gott gewirkten heilszielstrebigen Schöpfungsprozeß erlebt.156 Dabei 152 S. dazu schon oben I.2.3. 153 GL 68,2,364. 154 S. dazu GL 11,2,77. Schleiermacher zieht den Ausdruck „Gottvergessenheit“ dem der „Gottlosigkeit“ vor, weil er von der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen ausgeht, die gerade keine gänzliche Bezugslosigkeit gegenüber Gott, impliziert; s. ebd.: „eine gänzliche Unmöglichkeit der Belebung des Gottesbewußtseins“, derentwegen für die Erlösung des Menschen eine ganz neue Menschenschöpfung nötig wäre, sei ausgeschlossen. 155 GL 73,1,399; s. dazu GL 67,2,360: „Wir finden uns aber immer in einer ungleichmäßigen Entwicklung“. 156 Vgl. dazu Michael Trowitzsch, Zeit zur Ewigkeit, 137/138: „Durchaus also in der zeitlichen Gestalt des Daseins […], wir können sagen: in dieser Geschichtlichkeit des Daseins, liegt die Möglichkeit der Sünde begründet. Umso(!) bestimmter aber muß hervorgehoben werden, daß nicht schon diese zeitliche Gestalt, die Geschichtlichkeit, an sich den Abfall von Gott bildet. Das wäre ein Mißver-
I. Anthropologische Voraussetzungen
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werde deutlich, daß der Versuch, der zeitlichen und räumlichen Beschränktheit der je eigenen Existenz durch schöpfungswidrige, sündige Taten zu entgehen oder auch zu widerstehen, nicht nur undurchführbar ist, sondern sogar in noch größere Unfreiheit führt. Wenn auf Grund des Gottesbewußtseins Einsicht in die Ursprünglichkeit und Idealität der Schöpfung oder vielmehr die Erkenntnis ihrer Gottgewolltheit gegeben sei, würden Raum und Zeit als die Rahmen- und Möglichkeitsbedingungen des die Sünde überwindenden Heilswirkens Gottes erkannt. Im Medium von Raum und Zeit macht nach Schleiermacher der Schöpfer deutlich, daß alles geschaffene Sein, alles Reale in seinem Heilswillen begründet und von ihm schlechthin abhängig ist; gerade in der durch Raum und Zeit begrenzten Schöpfung ist er dabei, seine Heilsabsicht zu verwirklichen. Wie die Interpretation der Anthropologie Schleiermachers zeigt, sind für ihn drei Punkte von ausschlaggebender Bedeutung: Zum einen ist der Mensch zur Erkenntnis Gottes und also zum Heil bestimmt, weshalb ihn Gott der Schöpfer ursprünglich vollkommen geschaffen hat. Zum zweiten ist der Mensch zwar ursprünglich vollkommen geschaffen, doch in der durch Raum und Zeit bedingten Schöpfungswirklichkeit beginnt er sein irdisches Dasein unter der Dominanz des sinnlichen Selbstbewußtseins und unter dem Einfluß der sündhaften menschlichen Gattung. Infolgedessen begeht er Sündentaten. Zum dritten gehört gerade auch die Sünde des Menschen in den von Gott dem Schöpfer gewirkten heilszielstrebigen Schöpfungsprozeß, in dem sie überwunden und durch den die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen realisiert werden soll.
ständnis, sagt Schleiermacher in seinem ersten Sendschreiben an Lücke.“ S. dazu F.D.E. Schleiermacher, Erstes Sendschreiben an Lücke, 324: „als ob ich das zeitliche Daseyn an und für sich für den Abfall erklärte, da ich doch diesen immer nur darin finde, wenn das Gottesbewußtseyn ausgeschlossen wird.“ – Allerdings geht Trowitzsch nicht darauf ein, daß nicht nur die zeitliche, sondern auch die räumliche Verfaßtheit, die das menschliche „Daseyn“ charakterisiert, Bedingung der Möglichkeit zur Sünde ist, welche bei überwiegendem sinnlichen Selbstbewußtsein wirklich wird.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
II. Schöpfer und Schöpfung II.1. Übernatürlichkeit und Übervernünftigkeit Was die adäquate Beschreibung des Verhältnisses zwischen Schöpfer und Schöpfung anbelangt, kann diese nach Schleiermacher nur im Ausgang des christlich-frommen Selbstbewußtseins und unter Berücksichtigung der Ergebnisse menschlicher Denktätigkeit gefunden werden. Grundlegend gilt für ihn, daß „jede Vorstellung von dem Entstehen der Welt [unangemessen ist], durch welche irgend etwas von dem Entstandensein durch Gott ausgeschlossen, oder Gott selbst unter die erst in der Welt und durch die Welt entstandenen Bestimmungen und Gegensätze gestellt wird.“157 Alles einzelne Sein und die Welt insgesamt müßten, in Übereinstimmung mit der Erkenntnis Gottes als des transzendenten Grundes, als von Gott schlechthin abhängig beschrieben werden. Dabei sei die Welt von Gott weder notwendig noch willkürlich hervorgebracht.158 „Nun versteht sich zwar von selbst, daß derjenige schlechthin frei ist, von welchem alles schlechthin abhängig ist.“ Allerdings müsse darauf geachtet werden, daß Gottes Freiheit nicht „im Gegensatz mit Notwendigkeit“ vorgestellt werde.159 Denn dann wäre Gott der Schöpfer nicht als der eine Grund allen Seins bedacht, welcher selbst nicht durch anderes außer ihm selbst begründet ist. Bei der Rede von Gottes freiem Schaffen muß der mögliche Einwand berücksichtigt werden, daß Gott in seiner Freiheit „die Welt auch nicht [hätte] schaffen können.“160 Die Frage, warum Gott überhaupt oder auch wozu er die Welt geschaffen hat, darf um der Freiheit, um der schlechthinnigen Unabhängigkeit Gottes willen nicht in irgendeiner seiner Freiheit komplementären Notwendigkeit ihre Antwort finden. Nach Schleiermacher ist es deshalb am angemessensten, die Schöpfung insgesamt als Manifestation des Heilswillens Gottes zu beschreiben und sie auf Gottes Liebe161 zurückzuführen: „Alles in unserer Welt nämlich, zunächst die menschliche Natur und dann alles andere um desto gewisser, je inniger es mit ihr zusammenhängt, würde anders sein eingerichtet gewesen, und so auch der ganze Verlauf der menschlichen 157 158 159 160 161
GL 40, Leitsatz, 195. S. dazu DialO 264. S. dazu GL 41,Z,204 und DialO 298. DialO 298. S. zu Gottes Liebe ausführlicher u. II.2.
II. Schöpfer und Schöpfung
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Begebenheiten und der natürlichen Ereignisse ein anderer, wenn nicht die Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur in der Person Christi, und infolge dieser auch die mit der Gemeinschaft der Gläubigen durch den Heiligen Geist, der göttliche Ratschluß gewesen wäre.“162
Schleiermacher ist bestrebt, die Schöpfung Gottes, die durch Gottes Ratschluß bestimmt und in seiner vereinigungswilligen Liebe begründet sei,163 derart zu beschreiben, daß „die Wissenschaft“, die menschliche Denktätigkeit im allgemeinen, ebenso wie auch die Naturwissenschaft nicht zum Widerspruch herausgefordert ist. Vor allem bei seiner Darstellung von Gottes Schöpfung, Erhaltung und Wundern sowie bei seinen Ausführungen zur Erscheinung des menschgewordenen Erlösers in Raum und Zeit will Schleiermacher in einer für das vernünftige Denken mitvollziehbaren Weise vorgehen.164 Für die Aussagen des christlich-frommen Selbstbewußtseins setzt Schleiermacher einerseits das allgemeinmenschliche Vermögen zu organisch-intellektueller rezeptiver wie spontaner Tätigkeit voraus. Andererseits geht er davon aus, daß das religiöse Gefühl des christlich-frommen Menschen eine inhaltliche Bestimmtheit besitze,165 die weder unmittelbar
162 GL 164,2,442/443. 163 S. GL 165, Leitsatz, 444: „Die göttliche Ursächlichkeit stellt sich uns in der Weltregierung dar als Liebe und als Weisheit.“ S. dazu a.a.O., 1,445: „Denn Liebe ist doch die Richtung, sich mit anderem vereinigen und in anderem sein zu wollen; ist daher der Angelpunkt der Weltregierung, die Erlösung und die Stiftung des Reiches Gottes, wobei es auf Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur ankommt“. Zu Schleiermachers Unterscheidung von Liebe und Weisheit s. GL 165,1,445 und u. II.2. sowie Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 215/216. 164 „Wie ich fest davon überzeugt bin: so glaubte ich es auch darstellen zu müssen nach bestem Vermögen, daß jedes Dogma, welches wirklich ein Element unseres christlichen Bewußtseyns repräsentirt, auch so gefaßt werden kann, daß es uns unverwickelt läßt mit der Wissenschaft. Dies war nun auch besonders meine Aufgabe bei Bearbeitung der Lehren von der Schöpfung und Erhaltung, auf welche letztere sich hernach gerade in dieser Hinsicht meine Darstellung der Wunder bezieht und so auch des Wunders aller Wunder, nämlich der Erscheinung des Erlösers. Selbst diese hoffe ich, und zwar ohne Nachtheil des Glaubens, so gestellt zu haben, daß die Wissenschaft uns nicht den Krieg zu erklären braucht.“ So äußert sich Schleiermacher in: Zweites Sendschreiben an Lücke, 351. Hier gibt er den „Standpunct [s]einer Glaubenslehre“ kund (ebd.). 165 S. dazu GL 33,1,175: Nach Schleiermacher ist – abgesehen von seiner jeweiligen inhaltlichen Bestimmtheit – „das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl an und für sich auch in allen dasselbe“.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
gegeben noch durch reines Denken zu erwerben sei.166 Weil dieser besondere Inhalt wie auch sein Zustandekommen nicht nur natürlich und vernünftig, sondern auch übernatürlich und übervernünftig sei, seien auch die christlichen Stze über den Gegenstand und Grund christlichen Glaubens – sowohl ihrem Inhalt als auch ihrem Zustandekommen nach – übervernünftig. „Das Wahre von der Sache ist daher dieses, daß alle christlichen Sätze in einer Beziehung übervernünftig sind, in einer andern aber auch alle vernünftig; übervernünftig aber sind sie in derselben Beziehung, in der auch alles Erfahrungsmäßige übervernünftig ist, wie es denn auch eine innere Erfahrung ist, auf welche sie alle zurückgehen, nämlich daß sie auf einem Gegebenen beruhen“167.
Die das christlich-fromme Selbstbewußtsein begründende Erfahrung kann nach Schleiermacher ebenso wie jede andere Erfahrung auch nicht durch Vernunft hervorgebracht werden. Vielmehr vermittele sie etwas aller Erfahrung und aller vernünftigen Denktätigkeit Vorgegebenes. Wenn die besondere Erfahrung des christlich-frommen Selbstbewußtseins allerdings nicht „vernunftmäßig“ dargestellt werden könnte, müßte sie für widervernünftig gehalten werden.168 Was das Zustandekommen und den Inhalt christlichen Glaubens anbelangt, hält Schleiermacher die Inkarnation Gottes oder die Offenbarung 169 des Schöpfers und seines Schöpferhandelns durch den Inkarnierten für grundlegend.170 Weil die Erscheinung des Erlösers „das ganze menschliche Geschlecht“ betreffe und nicht „auf bestimmte Zeiten und Räume beschränkt“ sei, wird sie als übernatürlich bezeichnet.171 Andererseits jedoch 166 S. dazu GL 13,Z,92; „wie das christliche Selbstbewußtsein, ist auch die ganze Natur übervernünftig“ (ebd.). S. dazu Eilert Herms, Äußere und innere Klarheit des Wortes Gottes bei Paulus, Luther und Schleiermacher, 51. 167 GL 13,Z,93. 168 S. GL 13,Z,93/94. – Vor allem die christlich-dogmatischen Sätze sollen nach Schleiermacher in Übereinstimmung mit dem christlich-frommen Selbstbewußtsein formuliert werden und dabei die Ergebnisse „der nach allen Seiten freigelassenen, unabhängig für sich arbeitenden wissenschaftlichen Forschung“ nicht außer acht lassen (F.D.E. Schleiermacher, Zweites Sendschreiben an Lücke, 351). 169 S. dazu auch v. a. u. III.2.2.1. 170 „Ich hätte gewünscht, es so einzurichten, daß den Lesern möglichst auf jedem Punkt hätte deutlich werden müssen, daß der Spruch Joh. 1,14. der Grundtext der ganzen Dogmatik ist“ (F.D.E. Schleiermacher, Zweites Sendschreiben an Lücke, 343). 171 GL 13,1,89.
II. Schöpfer und Schöpfung
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sei sie „etwas Natürliches“, weil nämlich der menschgewordene Erlöser ebenso wie alle Menschen seiner Natur nach mit unmittelbarem Selbstbewußtsein ausgestattet sei und dieses ihm die Aufnahme des Göttlichen in Raum und Zeit ermögliche.172 Als solche, als übernatürlich-natürliche Erscheinung sei die Erscheinung des Erlösers auch übervernünftig. Daß das Wesen Gottes des Schöpfers und Erhalters im inkarnierten Erlöser in Raum und Zeit erscheine,173 ist nach Schleiermacher mit der angeborenen Vernunft allein nicht zu fassen.174 Die Erlösung des Erlösers sei der menschlichen Vernunft erst dann erkennbar, wenn sie auf Grund der Erlösung mit dem göttlichen Geist selbst „eins“ geworden und der Mensch damit seiner Bestimmung, der vollkommenen Gemeinschaft und Vereinigung mit Gott, angenähert sei.175 Zwar sei die menschliche Vernunft gegeben als das Reale, an dem vorbei die Erlösung des Menschen nicht geschehe, jedoch müsse mit ihr das höchste Ideale, nämlich der göttliche Geist selbst, vereinigt werden. Erst dann könne der Mensch den Menschgewordenen als inkarnierten Schöpferlogos und folglich die gesamte Schöpfung in Wahrheit erkennen.176 Nach Schleiermacher kann ebenso wie die Inkarnation auch die durch sie erkennbare Schçpfung Gottes weder als schlechthin übernatürlich noch als schlechthin übervernünftig verstanden werden. Denn zum einen sei sie zwar durch Gott den Schöpfer begründet. Dieser aber habe sie als einen raum-zeitlich bestimmten Naturzusammenhang verwirklicht, in dem es dem Menschen möglich sei, die Welt als das Werk des ewigen und allmächtigen Gottes zu erkennen.177 Weil das übernatürlich-natürliche, übervernünftig-vernünftige Geschehen der Inkarnation und der Schöpfung Gottes den menschlichen 172 GL 13,1,89: Schleiermacher wendet sich gegen die Annahme, „als ob die menschliche Natur irgend unfähig sei, das wiederherstellende Göttliche in sich aufzunehmen, und das Vermögen hiezu erst müsse in sie hineingeschaffen werden.“ (ebd.) 173 S. GL 55,1,290.291. 174 S. dazu GL 13,2,90 und 55,1,291. 175 GL 13,2,91; s. dazu Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 189/190. 176 S. dazu u. III.2.2.2.4. 177 F.D.E. Schleiermacher, Zweites Sendschreiben an Lücke, 393: „Wo […] übernatürliches bei mir vorkommt, da ist es immer ein erstes, es wird aber hernach ein natürliches als zweites. So ist die Schöpfung übernatürlich, aber sie wird hernach Naturzusammenhang; so ist Christus übernatürlich seinem Anfang nach, aber er wird natürlich als rein menschliche Person, und eben so ist es mit dem heiligen Geist und der christlichen Kirche.“
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
Geschöpfen nur in „relativ“ übervernünftigen Sätzen denkbar und verständlich sei, sollen nach Schleiermacher die christlich-dogmatischen Sätze eben die christlichen Einsichten zu Inkarnation und Schöpfung dementsprechend darstellen. Sie sollen in formaler Hinsicht auf vernunftmäßige Weise darstellen, „was [der Sache nach] über die Vernunft hinausgehe“.178 Schleiermacher unterscheidet ebenso wie Luther bei christlichen Aussagen eine „äußere“ von einer „inneren“ Klarheit. Vernunftmäßig sind nach Schleiermacher christliche Sätze, die der Sprache und Grammatik nach verständlich sind. Übervernünftig seien diese Sätze, weil die ausgesagte Sache nicht unmittelbar eingesehen werden könne. Dies gilt nach Schleiermacher auch für das Geschehen der Inkarnation und der Schöpfung selbst. Das Gesetztsein der Welt ist nach Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein unmittelbar bewußt. Grund und Qualität der Welt oder eben das Wesen der Schöpfung seien jedoch nur bei innerer Klarheit erkennbar. Der Mensch Jesus Christus begegne auf Erden als gottverbundener Mensch. Als Mensch gewordener Schöpferlogos, als „Urbild“ aber zeige er sich nur dem christlich-frommen Selbstbewußtsein. Anders als Inkarnation und Schöpfung, die Schleiermacher auch als „relativ“ übernatürliche Vollzüge beschreibt, gibt er für das Verständnis und die Vermittlung christlicher Sätze kein explizit übernatürliches Geschehen an. Das scheint mit seinem Verständnis von Gott dem Heiligen Geist zusammenzuhängen.179 II.2. Der Schöpfer – sein Wesen und seine Eigenschaften Dafür, daß das göttliche Wirken in übernatürlich-natürlicher sowie in übervernünftig-vernünftiger Weise geschehen kann, setzt Schleiermacher für Gott den Schöpfer bestimmte Eigenschaften voraus. Mit den Eigenschaften Allgegenwart und Ewigkeit könne die relative Übernatürlichkeit des göttlichen Wirkens, mit den Eigenschaften Allwissenheit und Allmacht die relative Übervernünftigkeit begründet werden. Die vier „Eigenschaften“ Gottes: Allgegenwart, Ewigkeit, Allwissenheit und Allmacht, dienen nach Schleiermacher zur formalen Beschreibung der schlechthinnigen Ursächlichkeit des transzendenten Grundes, die im
178 GL 13,Z,93. 179 S. dazu u. III.3.
II. Schöpfer und Schöpfung
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Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit bewußt sei.180 Die Qualität der Ursächlichkeit bestimmt Schleiermacher als Liebe in Gebundenheit an Weisheit 181, wobei einzig die Liebe dem transzendenten Grund wesenhaft sei und als solche die Anwendung der göttlichen Eigenschaften bestimme.182 Die Liebe sei als „Gesinnung“ oder „Wille“ Gottes „die Richtung, sich mit anderem vereinigen und in anderem sein zu wollen; ist daher der Angelpunkt der Weltregierung[] die Erlösung und die Stiftung des Reiches Gottes, wobei es auf Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur ankommt, so kann die dabei zum Grunde liegende Gesinnung nur als Liebe vorgestellt werden.“183 Gott als die Liebe selbst strebt nach Schleiermacher nach vollendeter und heilvoller Gemeinschaft mit seinen menschlichen Geschöpfen. Gottes Wille, der die Welt regiere, sei ausgerichtet auf das Heil der Menschen, welches er in seiner Weisheit durch die einmalige Inkarnation in Jesus Christus und die damit gewährte Erlösung aller Menschen realisiere.184 Damit die menschlichen Geschöpfe von Anbeginn der Welt zur Gemeinschaft mit ihm befähigt seien, habe Gott seinem ewigen Heilsplan gemäß die Welt insgesamt und auch die Menschen selbst als Produkte seiner allmächtigen, allgegenwärtigen, ewigen Liebe und Weisheit ursprünglich vollkommen geschaffen. Die gesamte Schöpfung des endlichen Seins ist nach Schleiermacher ein Werk der göttlichen Liebe und Weisheit zur Darstellung des Wesens Gottes oder vielmehr die Selbstmanifestation
180 Es stehe „der Begriff der Ursächlichkeit mit dem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl selbst im genauesten Zusammenhange“ (GL 50,3,259), und „alles endliche Sein, sofern es unser Selbstbewußtsein mitbestimmt, sei zurückführbar auf die ewige allmächtige Ursächlichkeit“ (GL 57,1,308). S. auch GL 51. Und es liegt nach Schleiermacher „in dem Glauben an die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt zugleich dieses, daß die göttliche Allmacht in der ganzen Lebendigkeit als die ewige, allgegenwärtige und allwissende sich überall in der Welt vermittelst des schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls offenbart“ (GL 57,1,309). 181 Zum Verhältnis zwischen Weisheit und Allwissenheit s. GL 55,1,292 f. und 168,1,452.454: Nach Schleiermacher gilt, „daß beide, die Weisheit und die Allwissenheit Gottes, gleich sind unter sich und mit der göttlichen Hervorbringung“. 182 S. GL 167,2,450. 183 GL 165,1,445 (s. o. Anm. 163). 184 Die Weisheit sei „die Kunst, gleichsam die göttliche Liebe vollkommen zu realisieren.“ (GL 165,1,445) Entsprechend sei mit der Liebe immer schon die Realisation ihres Zweckbegriffs gegeben. „Das eigentliche Werk der Weisheit Gottes ist […] ganz eigentlich die Verbreitung der Erlösung“ (GL 168,2,455).
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
des Schöpfers, die als solche „das schlechthin zusammenstimmende göttliche Kunstwerk“ sei.185 Als Manifestation der ewigen, schöpferischen Liebe Gottes kann die Schöpfung konsequenterweise zum einen nicht derart verfaßt sein, daß sie den menschlichen Geschöpfen die gemeinschaftsstiftende Erkenntnis ihres Schöpfers nicht gewährte. Zum anderen kann der kunstvoll geschaffene Naturzusammenhang, weil er sich der allmächtigen Liebe Gottes verdankt, nicht aus (menschlichen) Elementen bestehen, die derart verfaßt sind, daß sie das Produkt des allmächtigen Künstlers zerstören. Die Vorstellung von der Sünde als einer wirksamen Macht des Menschen gegen den Schöpfer und seine Schöpfung stimmt folglich nicht überein mit der Erkenntnis der Welt als der Manifestation der allmächtigen Liebe Gottes. Allmacht und Allwissenheit Gottes reichen nach Schleiermacher ihrer Wirkung nach soweit, wie der gesamte geschaffene Naturzusammenhang186 als das Gebiet aller endlichen und natürlichen Ursächlichkeit187, als der Bereich der gesamten relativen Freiheit188 und Abhängigkeit sich erstreckt. Allmacht und Allwissenheit Gottes bedingen nach Schleiermacher das Ideale, das als Welt und in der Welt realisiert ist. Ewigkeit und Allgegenwart Gottes hingegen seien der endlichen und natürlichen Ursächlichkeit der Art nach entgegengesetzt.189 Denn im Rahmen des Naturzusammenhanges sei das Abhängigkeits- und Freiheitsgefühl des Menschen räumlich und zeitlich bedingt, und daraus folge, „daß die Ursächlichkeit, welche jenes in uns hervorruft, nicht kann zeitlich und räumlich sein.“190 Der Schöpfer von Raum und Zeit kann nach Schleiermacher nicht selbst – räumlich oder zeitlich – begrenzt sein, sondern muß zeit- 191 und raumlos 192, und das heißt ewig und allgegenwärtig sein. Allerdings dürfe Gottes Ewigkeit nicht mit unendlicher Zeit und seine Allgegenwart nicht mit einer bloß schrankenlosen, unermeßlichen Raum185 GL 168,1,452; s. dazu a.a.O., 453. S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 216. 186 S. dazu GL 46,1,225: „für alles und jedes sollen wir ebensosehr die schlechthinnige Abhängigkeit von Gott fühlen und mitfühlen, wie wir uns alles und jedes als vollkommen bedingt durch den Naturzusammenhang denken.“ 187 Zum Begriff der „Ursächlichkeit“ s. GL 50,3,259. 188 S. dazu GL 55,3,300/301. 189 Zur Bestimmung von Allmacht und Allwissenheit sowie von Ewigkeit und Allgegenwart s. GL 51,2,265 f. 190 GL 53,Z,278. 191 S. GL 52,1,268. 192 S. GL 53,1,273.
II. Schöpfer und Schöpfung
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erfüllung verwechselt werden.193 In Gottes Allgegenwart und Ewigkeit seien vielmehr Raum und Zeit und damit auch der Gegensatz zwischen ihnen aufgehoben.194 Entsprechend lehnt Schleiermacher, was die Raumerfüllung Gottes anbelangt, im Unterschied zu Luther eine repletive Präsenz Gottes ab.195 Deren Annahme berge einen „pantheistischen Schein“.196 Weil Schleiermacher die schlechthin übernatürliche, repletive Präsenz Gottes bestreitet, kann davon ausgegangen werden, daß er ebenfalls eine schlechthin unbegreifliche, übervernünftige diffinitive Raumerfüllung des Inkarnierten leugnet. (Diese Vermutung findet Bestätigung in Schleiermachers Ausführungen zu seiner Ablehnung der communicatio idiomatum.) 197 Überhaupt sei für Gottes Gegenwart einzig angemessen „die Formel, daß Gott in sich selbst sei, der aber freilich die zur Seite stehen muß, daß die Wirkungen seines ursächlichen Insichselbstseins überall seien.“198 Nach Schleiermacher ist also die göttliche Ursächlichkeit, die in Gottes schöpferischer Liebe gründet und durch Gottes Weisheit zum Ausdruck kommt, mit dem Bereich der endlichen Ursächlichkeit gleichen Umfangs, weil dieser Bereich als das ursprünglich vollkommene Resultat der Allmacht und Allwissenheit Gottes zu gelten hat. Der Art nach ist sie diesem jedoch entgegengesetzt. Denn die räumlich und zeitlich begrenzte Schöpfung ist eben durch das ewige und allgegenwärtige Wesen Gottes verursacht. Weil nach Schleiermacher das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit, in welchem die göttliche Ursächlichkeit bewußt ist, stets an das sinnliche Selbstbewußtsein gebunden ist, wird der Schöpfer auch nur insofern als ewig und allgegenwärtig, als allmächtig und allwissend bewußt, als das gesamte einzelne und endliche Sein auf ihn bezogen wird.199 Zum einen werde dann bewußt, daß eben die zeitliche und räumliche Bedingtheit allen Seins einen ewigen und allgegenwärtigen Seinsgrund voraussetzt, der allein Zeit und Raum erschaffen kann. Zum zweiten werde bewußt, daß Allmacht und Allwissenheit Gottes „in der Gesamtheit des endlichen Seins 193 194 195 196 197 198 199
S. dazu GL 52,2,269 und GL 53,Z,277. S. dazu GL 53,Z,277. S. dazu Luther-Kapitel, IV.2.2. GL 53,2,274. S. dazu u. III.1.5. GL 53,2,275. S. dazu GL 37,1,188: Von Gottes „Allherrschaft“ dürfe „kein Raumpunkt und kein Zeitpunkt“ ausgenommen sein.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
vollkommen dargestellt [werden]“.200 Denn die göttliche Allmacht bringe als die realisierende Kraft Gottes genau dasjenige Sein hervor, das der allmächtige Schöpfer in seiner Allwissenheit und Weisheit denke und das ihm also das Ideale sei. Gottes Denken, Wollen und Wirken, sein Idealisieren und Realisieren sind nach Schleiermacher nicht zu unterscheiden, weil Gottes gesamte Tätigkeit weder räumlich noch zeitlich bedingt ist.201 „Und da […] zwischen dem Beschließen und dem Ausführen des Beschlossenen ein solcher Unterschied, vermöge dessen uns die Zweckbegriffe ganz oder teilweise nur ideal bleiben, nicht stattfinden kann, indem sonst die göttliche Allmacht sich im endlichen Sein nicht vollkommen darstellen würde, ebensowenig aber zu dem göttlichen Denken, damit sein Gegenstand wirklich werde, weder irgend andere den leiblichen mehr analoge Tätigkeiten, noch ein Stoff irgendwie hinzukommen darf, so ist das göttliche Denken ganz dasselbe mit dem göttlichen Wollen, und Allmacht und Allwissenheit einerlei.“202
Weil das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit außer Gott, dem einen und ewigen Schöpfungsgrund, nichts annehmen läßt, auf das Gott sein schöpferisches Denken und Wollen richten könnte, kann nach Schleiermacher die Schöpfung nur als Ausdruck des Sich-selbst-Denkens und -Wollens Gottes als des Schöpfers verstanden werden. Im Ausgang des Bewußtseins schlechthinniger Abhängigkeit von Gott dem Schöpfer muß nach Schleiermacher für diesen gelten, „will er sich selbst, so will er sich auch als Schöpfer und Erhalter, so daß in dem Sich-selbst-Wollen schon das Wollen der Welt eingeschlossen ist.“203 200 GL 54, Leitsatz, 279. 201 Für den Schöpfer gibt es kein zeitliches Nacheinander von Idealem und Realem noch eine Räumlichkeit des Realen, die seinem Wollen und Denken vorgegeben wäre. S. dazu GL 55,2,294: „Wenn wir nun sagen, wie wir schon öfter durch Zusammenfassen der Gegensätze uns das göttliche über den Gegensatz Gestelltsein haben darzustellen versucht, das vollkommene Wissen um das Für-sich-Sein eines Dinges sei dasselbe mit dem Wissen um das innere Gesetz seiner Entwicklung, und das vollkommene Wissen um den Ort eines Dinges im Gebiet der allgemeinen Wechselwirkung sei einerlei mit dem Wissen von dem Einfluß aller anderen Dinge auf dieses, beides vollkommene Wissen aber sei in Gott ein und dasselbe unzeitliche das Sein des Gegenstandes bestimmende Wissen, bei uns aber werde beides, weil unvollkommen, daher auch ein verschiedenes zeitliches, weil unser Wissen nicht das Sein der Dinge bestimmt, sondern durch dasselbe bestimmt wird: so haben wir eine Andeutung wenigstens, um jene zu große Vermenschlichung des göttlichen Wissens nach Möglichkeit zu vermeiden.“ 202 GL 55,1,291. 203 S. dazu GL 54,4,286/287 sowie 55,3,300; vgl. auch 55,2,297 und 168,1,452/453.
II. Schöpfer und Schöpfung
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Indem der Schöpfer seine Schöpfung als Ausdruck seines Sich-selbstWollens wirke, realisiere er sie seinem Wesen und Wollen gemäß wie ein vollkommener Künstler.204 So wie der Schöpfer seine Schöpfung denke und wolle, so verwirkliche er sie auch. Die Annahme einer Nichtübereinstimmung des göttlichen Willens mit der Realität der Welt bedeutet nach Schleiermacher ein falsches Verständnis der Allmacht wie der Allwissenheit Gottes. Würde nämlich zum einen die geschaffene Realität die Gedanken Gottes der Zahl und Beschaffenheit nach übersteigen, müßte Gottes Allwissenheit als begrenzt und neben Gott eine zweite schöpferische Macht vorgestellt werden.205 Gäbe es hingegen göttliche Gedanken oder überhaupt Möglichkeiten, die in Gottes Schöpfung nicht verwirklicht wären, müßte entweder gefolgert werden, daß Gottes Realisationsvermögen eingeschränkt sei oder daß nicht alle seine Gedanken seinem Anspruch an das zu Verwirklichende genügten. Folgerichtig erkennt das fromme Selbstbewußtsein, das nach Schleiermacher das einzelne endliche Sein in Bezogenheit auf Gott den allmächtigen und allwissenden Schöpfer betrachtet, das von Gott geschaffene Reale in Übereinstimmung mit Gottes Wollen und Denken. Weil es selbst von göttlichem Geist erfüllt ist, erkennt es, daß das in Raum und Zeit Gegebene der schöpferischen Absicht des ewigen Gottes adquat ist. Damit zugleich muß ihm bewußt sein, daß für den Schöpfer selbst zwischen Realem (dem ursprünglich vollkommen Geschaffenen) und Idealem (dem von ihm Gedachten) Identitt besteht, welche dem Glaubenden jedoch erst mit der vollständigen Realisation der ursprünglichen Vollkommenheit deutlich sein wird. Mit seiner Beschreibung des Schöpferwirkens Gottes schließt Schleiermacher aus, daß für diesen zwischen Gedachtem und Realisiertem oder vielmehr zwischen Möglichem und Wirklichem ein Unterschied besteht.206 Damit leugnet er eine Wahlfreiheit Gottes bei der Realisation von Möglichkeiten. Nach Schleiermacher wählt der Schöpfer aus seinen Möglichkeiten nicht einzelne bestimmte aus, um nur diese zu verwirkli204 S. GL 55,2,297. S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 219. 205 S. GL 54,1,279: Nach Schleiermacher „gibt es nirgend und niemals etwas, was ein Gegenstand für die göttliche Ursächlichkeit erst würde, vorher aber schon – mithin irgendwie unabhängig von Gott und ihm gegenübergestellt – gewesen wäre.“ S. auch GL 55,1,290/291. Entsprechend gehöre gerade auch die Möglichkeit der Sünde zu den geschaffenen Dingen Gottes, die dieser selbst verwirklicht hat, s. GL 80,2,428. 206 S. GL 54,2,280 und a.a.O., 3,282.
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chen.207 Vielmehr realisiere er – wie gezeigt – sämtliche Möglichkeiten, weil sie sämtlich seinem Wesen entsprechen. Daß Gott alle seine gedachten Möglichkeiten verwirkliche, begründet Schleiermacher damit, daß Gott immer nur sich selbst und damit zugleich die Gemeinschaft mit seinen Geschöpfen denke und wolle. Dadurch, daß Gott sich selbst weiß, will und manifestiert, äußert sich nach Schleiermacher Gottes ewige Liebe, weil eben Gottes Denken, Wollen und Wirken die Gemeinschaft Gottes mit dem Gedachten, Gewollten und Geschaffenen gewährt. Dafür, daß er wesentlich Liebe sei, hat sich nach Schleiermacher der Schöpfer niemals erst in absoluter Freiheit entschieden. Allerdings aber habe er auch die Gestalt, in der er seine Liebe äußern wollte, niemals wählen können.208 II.3. Die Schöpfung II.3.1. Schöpfung Weil für den Schöpfer selbst sowohl der Gegensatz von Möglichem und Wirklichem, von Idealem und Realem als auch der Gegensatz zwischen Raum und Zeit keine Geltung besitzt, die Schöpfung Gottes aber samt den menschlichen Geschöpfen durch diese beiden höchsten Gegensätze definiert ist, muß nach Schleiermacher das Schöpfungshandeln Gottes als ein bergang zwischen Schöpfer und Schöpfung beschrieben werden, der insbesondere den Zusammenhang der ursprünglichen Vollkommenheit und der natürlichen Unvollkommenheit von Mensch und Welt berücksichtigt. Es ist nach Schleiermacher zwar der Heilswille des allwissenden und allmächtigen Schöpfers in Ewigkeit auf seine Schöpfung gerichtet, so daß diese von Ewigkeit her in ursprünglicher, aller zeitlichen Entwicklung vorangehender209 Vollkommenheit von ihm gedacht und gewollt und gesetzt ist. Jedoch wird die Wirklichkeit der Schöpfung, die sich unter den Gegensätzen Raum-Zeit und ideal-real entwickelt, von den menschlichen Geschöpfen nicht unmittelbar in Übereinstimmung mit dem Ideal des 207 Nach Schleiermacher hat „die Vorstellung von einem Möglichen außerhalb der Gesamtheit des Wirklichen, […] nicht einmal für uns Wahrheit, weil […] wir alsdann eine Selbstbeschränkung der göttlichen Allmacht annehmen müßten, die uns niemals gegeben werden kann“ (GL 54,2,281/282). S. dazu GL 55,2,297: Es erschienen „in der göttlichen Allwissenheit selbst die Werke der göttlichen Allmacht als ein unendlich Kleines im Vergleich mit dem, was sie nicht zur Wirklichkeit bringt“. 208 S. dazu das V. Kapitel der vorliegenden Untersuchung. 209 S. dazu o. Anm. 76.
II. Schöpfer und Schöpfung
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Schöpfers gefunden. Die natürlichen Unvollkommenheiten, Schmerzen, Tod und Sünde, zeigen sich nicht unmittelbar als dem göttlichen Heilsplan zugehörig, so daß das Werk der Schöpfung nicht unmittelbar auf seinen Schöpfer verweist. Vielmehr erleben die menschlichen Geschöpfe das Sein in der Welt – zunächst – als durch Raum und Zeit beschränkt und als ein Sein unter dem unvereinbaren Gegensatz von ideal und real, kurz: als ein Sein in der Unwahrheit.210 Nur aber und gerade in Raum und Zeit sowie im Bewußtsein um den Gegensatz von real und ideal wird nach Schleiermacher die ursprüngliche Vollkommenheit der Schöpfung gegenwärtig. Denn durch die an Zeit und Raum gebundene Entwicklung des Gottesbewußtseins, welches allerdings erst durch die zeit- und raumgebundene Inkarnation und Offenbarung Jesu Christi inhaltlich bestimmt und gefördert werde, erkenne der Mensch mehr und mehr die schlechthinnige Abhängigkeit allen Seins vom Heilswillen des Schöpfers. Dieser zielt darauf, das Reich Gottes als den in Liebe erstrebten Zustand der vollkommenen Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott und der dadurch gewährten vollkommenen Gotteserkenntnis tatsächlich zu realisieren.211 Die an Zeit und Raum gebundene Entwicklung des Gottesbewußtseins, die letztlich dazu führt, daß den menschlichen Geschöpfen die Identität des Realen und Idealen und damit auch die Gottgewolltheit von Raum und Zeit beständig gegenwärtig ist, ist nach Schleiermacher in der zweiseitigen Verfaßtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins angelegt. Dieses soll in seiner frommen Bestimmtheit selbst Übergang zwischen Zeitlosigkeit und Zeit (Raumlosigkeit und Raum) wie zwischen Idealem und Realem sein. Als solches kann es den Übergang zwischen den zeit- wie raumlosen Gedanken des Schöpfers und der zeitlich wie räumlich bestimmten Wirklichkeit des Geschaffenen zu erkennen geben. Was den Begriff des „Übergangs“212 sowohl im Blick auf Gottes Schöpfung wie in Hinsicht auf das fromme Selbstbewußtsein anbelangt, wird er von Schleiermacher grundsätzlich dazu verwendet, die Differenz zwischen Zeitlosigkeit und Zeit (Raumlosigkeit und Raum) sowie zwischen Möglichem und Realem als überbrückbar deutlich zu machen. Der Übergang, der mit der Schöpfung Gottes vollzogen werde, kann allerdings nur dem frommen Selbstbewußtsein, und zwar in Analogie zu seiner ei210 S. dazu o. I.2.5. 211 S. dazu GL 164,3,443 und 168,1,453. S. auch u. III.2.2.2.3. 212 S. dazu Marlin E. Miller, Der Übergang. Schleiermachers Theologie des Reiches Gottes im Zusammenhang seines Gesamtdenkens.
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genen Übergangsfunktion, bewußt werden. Dabei kann für das fromme Selbstbewußtsein der schöpferische Übergang Gottes anders als für Gott den Schöpfer nur im Rückschluß vom Wirklichen auf ein Mögliches bestehen. Und erst durch die Inkarnation Gottes in Jesus Christus werden ihm nach Schleiermacher die Gedanken und Absichten hinter den geschaffenen Realitäten adäquat bewußt. Denn der Inkarnierte offenbare in seiner Person das wahre Verhältnis und Zusammenwirken zwischen Schöpfer und Schöpfung und insbesondere zwischen Schöpfer und Geschöpf. Grundsätzlich problematisch ist an Schleiermachers Verständnis der Schöpfung als „Übergang“, daß das gesamte raum-zeitlich bedingte Werk des ewigen und allgegenwärtigen Schöpfers als pures Produkt seiner Selbstmanifestation angesehen werden soll. Die Interpretation von Schleiermachers Christologie wird zeigen, daß ebenso wie die Schöpfung auch die Menschwerdung Gottes im wesentlichen in der Manifestation des ewigen Wesens Gottes besteht. Seine Liebe stellt der allmächtige und ewige Gott nach Schleiermacher gerade dadurch dar, daß er die raum-zeitlich bedingte Welt verfaßt und in ihr selbst Raum und Zeit einnimmt, um mit dem Menschen ewige Gemeinschaft zu haben. Schon dadurch aber, daß die raum-zeitlich begrenzte Welt im Sinne Schleiermachers als WesensManifestation des ewigen Gottes verstanden wird, scheint das durch besondere (irdische) Eigenschaften ausgezeichnete Geschaffene in seiner Eigenbedeutung zurückgesetzt zu sein. Das schöpferische „Übergangsgeschehen“ ist bei Schleiermacher auf die Wesens-Mitteilung Gottes fokussiert und vernachlässigt das Geschaffene als eigenständiges Gegenüber Gottes; es scheint nur Mittel des Liebeshandelns Gottes, nicht aber als Selbstzweck in Betracht zu sein. Die Selbstmanifestation des Schöpfers in seiner Schöpfung muß nach Schleiermacher als „Übergang aus dem Wollen [des Schöpfers] in die Wirksamkeit“213 vorgestellt werden, „aber nicht so, daß die göttliche Tätigkeit selbst eine zeitliche würde.“214 Weil nach Schleiermacher „die göttliche Allmacht nur ewig und allgegenwärtig gedacht werden kann, so ist [… es] unstatthaft, daß zu irgendeiner Zeit etwas durch dieselbe erst werden soll, sondern durch sie ist immer alles schon gesetzt, was durch die endliche Ursächlichkeit freilich in Zeit und Raum erst werden soll.“215 Was insbesondere den „Anfang“ der Welt anbelangt, ist es nach Schlei213 GL 41,2,203. 214 GL 41, Leitsatz, 198. 215 GL 54,1,279/280.
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ermacher gleichgültig, ob angenommen wird, die zeitlich verfaßte Welt sei „im Anfang der Zeit hervorgetreten“ oder „anfangslos und endlos“ zu denken. Denn jeweils wäre doch die unaufgebbare Ewigkeit oder Zeitlosigkeit Gottes und ihr Gegensatz zur Zeitlichkeit des Geschaffenen gewahrt, weil dieser Gegensatz „auch durch die unendliche Länge der Zeit nicht im mindesten verringert wird“;216 Anfangs- und Endlosigkeit der zeitlich verfaßten Schöpfung bedeuten nach Schleiermacher nicht schon deren Zeitlosigkeit, sondern nur die Aufhebung der Schranken ihrer Zeitlichkeit.217 Schleiermacher macht mit seiner Unterscheidung von Anfangslosigkeit und Zeitlosigkeit deutlich, daß die Welt, die von Gott keinesfalls in der Zeit geschaffen worden ist, doch selbst nicht ewig ist. Allerdings läßt er dabei offen, ob oder inwiefern die selbst nicht ewige Schöpfung außer der ewigen Liebe Gottes noch eine freie Entscheidung des Schöpfers zum Akt der Schöpfung voraussetzt und wodurch diese veranlaßt sein könnte.218 Die Zeitlosigkeit (und Raumlosigkeit) des Schöpfers und seines Schaffens endet nach Schleiermacher nicht mit Gottes zeitlich verfaßter Selbstmanifestation, vielmehr bleibt er ihr als ihr Schöpfer ewig entgegengesetzt. Sie aber bestehe gerade insofern als seine Selbstmanifestation, als sie seine ursächliche ewige und allgegenwärtige Liebe, eben seinen ursprünglichen Heilswillen gegenüber den Geschöpfen zum Ausdruck bringe.219 Für Gott selbst ist die Zeit- und Raumwerdung seiner ewigen Gedanken und Absichten die Weise, sein Wesen auszuüben und seine Liebe im Umgang mit etwas außer ihm – nämlich mit seinen geschaffenen Ebenbildern – auch zu verwirklichen. II.3.2. Erhaltung Nach Schleiermacher ist der schöpferische Übergang ebenso wie die Vollendung der Schöpfung im ewigen Ratschluß und Heilsplan Gottes begründet und gesetzt,220 seine irdische Realisierung aber geschehe in der 216 GL 52,1,269. 217 S. GL 52,2,270. 218 S. dazu GL 41,2,203 und a.a.O., Z,204: Hier bleibt Schleiermacher eine Antwort schuldig; es sei auch „an und für sich gleichgültig“, wie der Streit „über eine zeitliche und ewige Schöpfung der Welt“ entschieden wird (a.a.O., 2,202). 219 S. dazu u. III.1.1. 220 Zu den Begriffen „Ratschluß“, „Weltregierung“, für die hier auch der Ausdruck „Heilsplan“ verwendet wird, s. v. a. GL 164,2,442/443 und 164,1,441.
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Zeit.221 Diese Realisierung in der Zeit werde durch die erhaltende Tätigkeit Gottes garantiert. Allerdings kann nach Schleiermacher nur insoweit eine „erhaltende“ von einer „schöpferischen“ Tätigkeit Gottes unterschieden werden, als mit der erhaltenden Tätigkeit mehr das „sukzessive Entstehen“ einzelner Dinge im Weltprozeß und damit das „Fortbestehen bildender Kräfte“ ausgesagt wird. Die Rede von der schöpferischen Tätigkeit Gottes betone hingegen das Entstehen von relativ Neuem sowohl im Schöpfungsprozeß als auch an seinem Anfang.222 Ein Unterschied zwischen Gottes schöpferischer und erhaltender Tätigkeit besteht nach Schleiermacher also nur bezogen auf das Erscheinen der ursprünglich geschaffenen Dinge in Raum und Zeit. Eine Differenz sei gegeben, weil die geschaffenen Dinge dem Menschen als mehr oder weniger „neu“ erscheinen. Entsprechend hält Schleiermacher zum einen fest, daß „die Lehre von der Schöpfung ganz in der von der Erhaltung aufgeht“223, und zum anderen könne das, „was wir gewöhnlich als Gegenstand der göttlichen Erhaltung ansehen, auch unter den Begriff der Schöpfung“ subsumiert werden.224 Wie die Interpretation zeigt, besteht nach Schleiermacher gerade für den ewigen und allmächtigen Schöpfer, der unablässig wirkt, was er denkt und will, und darum in Ewigkeit nicht davon abkommen wird, seinen ursprünglich gesetzten Heilsplan zu verwirklichen, kein Gegensatz zwischen Schöpfung und Erhaltung. Die Ausdrücke „Schöpfung“ und „Erhaltung“ bezeichnen nach Schleiermacher beide die zeitliche Realisation dessen, was der Schöpfer zeitlos gedacht, gewollt und gesetzt hat. Sie bezeichnen also beide den Übergang, der durch den Schöpfer vom Idealen zum Irdisch-Realen, und das heißt vom schlechthin Übervernünftigen und Übernatürlichen zum Natürlichen und Vernünftigen hin beständig vollzogen werde. Allerdings bestehe ein Unterschied zwischen den die Welt betreffenden Möglichkeiten, die für den Schöpfer von Ewigkeit her in ursprünglicher Vollkommenheit und damit in idealer Weise wirklich sind, und der irdischen Wirklichkeit, wie sie sich dem Menschen als natürlichvernünftigem Wesen zeigt. Denn – wie bereits aufgewiesen – ist die irdische Wirklichkeit mit natürlichen Unvollkommenheiten behaftet, die 221 Schleiermacher begreift „die göttliche Ursächlichkeit nur als Ratschluß in ihrer Ewigkeit“, dessen Erfüllung aber könne „nur zeitlich“ vorgestellt werden (GL 172,3,473). S. dazu Eilert Herms, Schleiermachers Umgang mit der Trinitätslehre, 141.152. 222 GL 38,1,191. 223 GL 38,1,191. 224 GL 38,1,191/192.
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zwar die gottgewollte Vollkommenheit nicht zerstören, mit dieser jedoch auch nicht identisch sind. Vor allem insofern Schleiermacher annimmt, daß der Mensch die Sünde selbsttätig ausführt, kann die Sünde als natürliche Unvollkommenheit nicht – zumindest nicht unmittelbar – zur gottgewollten Vollkommenheit der Schöpfung zählen. Diese Differenz zwischen ursprünglich vollkommener Wirklichkeit und irdisch-defizitärer Realität225 macht es nach Schleiermacher keineswegs nötig, zwischen Schöpfung und Erhaltung zu trennen. Vielmehr beinhalte der Heilsplan Gottes, des Schöpfers, von Ewigkeit her die Überwindung der Sünde; diese ist nicht als besonderer Aspekt erst der erhaltenden Tätigkeit Gottes angesichts der Realität der Sünde zu verstehen. Doch muß nach Schleiermacher das Ergebnis des schöpferischen Übergangs, nämlich die irdische Realisation des göttlichen Heilsplans, von der ewigen Wirklichkeit der ursprünglich vollkommenen Schöpfung im Urbild 226 (d.i. im ewigen Denken und Wollen) des Künstler-Gottes unterschieden werden.227 Was die irdische Wirklichkeit anbelangt, ist es nach Schleiermacher nicht möglich, „in einzelnen Ereignissen einzelne Abzweckungen derselben auf das Reich Gottes zu finden“.228 Daß die Schöpfung insgesamt von Ewigkeit her auf ihre Vollendung hin geschaffen ist und zur Verwirklichung des Reiches Gottes vom Schöpfer selbst erhalten wird, kann nach Schleiermacher weder durch einzelne reale Ereignisse in ihr belegt noch durch das Vorhandensein natürlicher Unvollkommenheiten widerlegt werden. Allein durch die Inkarnation in Jesus Christus als dem göttlichen Urbild werde die göttliche Weltordnung als Ausdruck des göttlichen Heilsplans und zugleich als Mittel und Weg zur Realisation desselben erkennbar. Aus der Interpretation der Schöpfungslehre Schleiermachers resultieren drei für die Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung maßgebliche Punkte: Zum einen versteht Schleiermacher die Schöpfung Gottes als dessen Selbstmanifestation. Sie ist Ausdruck der göttlichen Liebe und dient als solche der Verwirklichung ewiger Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Zum zweiten hat der Schöpfer von Ewigkeit her vorherbestimmt, daß sowohl die Ausübung von Sünde wie auch deren Überwindung den raum-zeitlich bedingten Schöpfungsprozeß charak225 S. dazu auch ÄLe 33. 226 S. dazu im folgenden. 227 Die Aufhebung dieses Unterschiedes bringt die Bewußtseinsentwicklung des Menschen, s. dazu u. IV. 228 GL 168,2,454.
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terisieren. Entsprechend wird drittens von Gott selbst die Schöpfung erhalten und in den Zustand der realen ursprünglichen Vollkommenheit des göttlichen Kunstwerks überführt, in dem die ewige Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen wirklich ist. Die Liebe Gottes des Schöpfers schafft ein einziges ihr selbst entsprechendes Kunstwerk, um die Gemeinschaft zu erlangen, nach der sie strebt. Diese Schöpfung unterscheidet sich von Gott, ihrem Schöpfer, durch ihre raum-zeitliche Bedingtheit und vor allem durch ihre prozessuale Verfaßtheit. Damit ist deutlich, daß der Schöpfer seinen Gemeinschaftswillen in der Weise verwirklichen will, in der eine entwickelte und gereifte Partnerschaft entstehen kann. Weil jedoch seine Schöpfung eben seine eine und einzige Selbstmanifestation sein soll, stellt sich die Frage, ob die angestrebte und vorherbestimmte Gemeinschaft nicht geradezu notwendig eintreten muß. Sofern das göttliche Kunstwerk Gottes Gemeinschaftsabsicht nicht nur darstellen, sondern ihr auch genügen soll,229 können die Schöpfung und insbesondere die menschlichen Ebenbilder Gottes eigentlich nur für zweckmäßige, bloß organische Gestalten und Formen der Liebe Gottes gehalten werden, an denen sich die Liebe Gottes beweist.230
III. Inkarnation III.1. Der Inkarnierte – Schleiermachers „Zwei-Naturen-Lehre“ Die Inkarnation Gottes im Menschen ist nach Schleiermacher – wie gezeigt231 – bereits mit der von Gott geschaffenen natürlichen und geistigen Verfaßtheit des Menschen ermöglicht. Denn mit dieser Verfaßtheit sei dem Menschen die Möglichkeit zu stetig kräftigem Gottesbewußtsein gegeben. Nur der menschgewordene Erlöser aber, der sämtlichen Menschen 229 Andernfalls wäre Gottes Selbstmanifestation nicht nur in rezeptionsästhetischer Hinsicht minderwertig. 230 Diese Vermutung findet Bestätigung darin, daß Schleiermacher zwischen conservatio, concursus und cooperatio nicht deutlich unterscheidet (s. GL 46,Z,231/ 232). Schleiermacher geht davon aus, Gottes erhaltendes Wirken bedinge derart das Wirken Gottes und der Menschen, daß die cooperatio des Menschen mit Gott nicht gesondert aufgeführt werden müsse. Daß Schleiermacher die cooperatio des Menschen mit Gott zu Unrecht vernachlässigt, zeigt vor allem die Interpretation seiner Ausführungen zum Dienst am Wort Gottes und zur Feier der Sakramente (s.u. III.4.; III.5.; III.6.). 231 S. dazu o. Anm. 172.
III. Inkarnation
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„vermöge der Selbigkeit der menschlichen Natur“ gleich sei, zeichne sich dadurch aus, daß er tatsächlich sein Leben unter der stetigen Dominanz uneingeschränkt kräftigen Gottesbewußtseins führe.232 Eben dieses Gottesbewußtsein zeichne ihn als den inkarnierten Erlöser aus und unterscheide ihn uneinholbar von allen anderen Menschen, mit denen er in dem einen geschaffenen Naturzusammenhang zusammenlebt. Der Inkarnierte existiert nach Schleiermacher ebenso wie alle Menschen auch als ein geschichtliches Wesen unter dem Gegensatz von Raum und Zeit. Doch lebe er als „Urbild“ beständig unter der Dominanz des vollkommenen Gottesbewußtseins, und entsprechend sei ihm die Idealität des Realen bewußt.233 Er kenne den unverbrüchlichen Heilswillen Gottes und erkenne darum die ursprüngliche Vollkommenheit der zeit- und raumgebundenen Schöpfung, welche er als Menschgewordener den Menschen offenbare. III.1.1. Die Gottheit des Erlösers oder sein Leben unter der Gegensatzlosigkeit Der Erlöser ist nach Schleiermacher insofern das geschichtlich gewordene Urbild, als er in Raum und Zeit beständig unter der Dominanz seines Gottesbewußtseins lebt. Die „stetige Kräftigkeit seines Gottesbewußtseins“ in seinem Selbstbewußtsein, die „ausschließlich jeden Moment bestimmend“ sei, ist nach Schleiermacher zu verstehen als „ein eigentliches Sein Gottes in ihm“ und (folglich) diese „vollkommne Einwohnung des höchsten Wesens234 als sein eigentümliches Wesen und sein innerstes Selbst“.235 Die Menschwerdung Gottes bezieht sich nach Schleiermacher auf das Bewußtsein, auf das unmittelbare Selbstbewußtsein des Erlösers: Weil das unmittelbare Selbst-bewußtsein des Erlösers vollkommen durch sein Gottes-bewußtsein dominiert werde, ist es in Konsequenz zu Schleiermachers Beschreibung als identisch mit dem Gottes-bewußtsein anzunehmen. Das Selbst, dessen sich der Erlöser bewußt ist, kann kein anderes als das göttliche Wesen selbst sein. Weil nach Schleiermacher Gott allein uneingeschränkt und unmittelbar das Selbst des Erlösers bestimmt, ist folglich das Sein oder Wesen Gottes auch das Wesen des Erlösers: Der Erlöser ist seinem Wesen nach und in Wahrheit Gott selbst. 232 233 234 235
GL 94, Leitsatz, 43. S. GL 93, Leitsatz, 34. S. dazu auch GL 99,1,82. GL 94, Leitsatz, 43 und 94,2,46.
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Weil das Gottesbewußtsein des Erlösers den transzendenten Grund nicht nur repräsentiert, sondern vielmehr Gott selbst dem Inkarnierten einwohnt, ist diesem auch die Übereinstimmung zwischen Gott und seiner ursprünglich vollkommenen Selbstmanifestation, zwischen Schöpfer und Schöpfung vollkommen bewußt; für ihn besteht kein Gegensatz zwischen dem höchsten Idealen und dem Realen. Entsprechend vermag der inkarnierte Erlöser den menschlichen Geschöpfen, den Zusammenhang zwischen der irdischen Wirklichkeit und der göttlichen Heilsabsicht aufzuzeigen, den sie auf dem Boden der Verbundenheit ihres sinnlichen und ihres höheren Selbstbewußtseins einsehen können.236 Weil der inkarnierte Erlöser das Wort Gottes, das ewige Schöpferwort Gottes selber ist, realisiert er zugleich Gottes ewige Schöpferabsicht in Raum und Zeit, die er eben als Gottes Heilswillen offenbart. Unter „Wort Gottes“ begreift Schleiermacher die bereits oben genannte Identität des Denkens, Wollens und Wirkens Gottes. Das „Wort Gottes“ steht für den Sachverhalt, daß der Schöpfer in seinem allmächtigen Handeln stets ausführt, was er in seiner Allwissenheit bezweckt. Nach Schleiermacher ist „das göttliche Denken ganz dasselbe mit dem göttlichen Wollen, und Allmacht und Allwissenheit einerlei. Eben dieses wird auch, da in Gott kein Zwiespalt zwischen Wort und Gedanken stattfindet, ja der Ausdruck Wort selbst nur die Wirksamkeit des Gedanken(!) nach außen hin bedeuten kann, in allen Formeln ausgesagt, welche das göttliche Wort als das schaffende und erhaltende darstellen; und es ist vollkommen richtig, was auch vielfältig ist gesagt worden, daß alles ist dadurch, daß Gott es spricht oder denkt.“237
In Gottes Wort ist nach Schleiermacher das Denken und Wollen Gottes als eines gegeben, und zwar zugleich mit dessen schöpferischer Manifestation. Insofern Gott grundlegend sich selbst will und denkt,238 und zwar als wesentlich Liebe, welche auf Gemeinschaft ausist, ist das Wort Gottes zum einen das Denken und Wollen der Liebe und als solches mit der Liebe selbst identisch.239 Zum anderen manifestiert es diese schöpferische Liebe und wirkt die Selbstmanifestation Gottes, die deshalb ist, weil Gott seine Liebe 236 237 238 239
S. GL 94,2,46. GL 55,1,291. S.o. II.2. Weil Gott sich selbst will und sein Wollen nur Vollzug seines Wesens sein kann, muß das Wort Gottes, das den Willen Gottes zu sich selbst in sich faßt, selbst mit dem Wesen Gottes identisch sein. Gott zeichnet sich gerade dadurch aus, daß er in seinem Denken und Wollen er selbst ist.
III. Inkarnation
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will und denkt und mit seinem Wort seinen Gemeinschaftswillen ausspricht. Das Wort Gottes, das Schleiermacher auch als „die Tätigkeit Gottes in der Form des Bewußtseins“ bezeichnet,240 habe, indem es „Fleisch“ geworden sei, einen menschlichen Organismus mit Gottes Wesen vereinigt.241 Es sei das Sein Gottes oder vielmehr die schöpferische Liebe die „innerste Grundkraft“ des Erlösers, „von welcher alle Tätigkeit ausgeht, und welche alle Momente zusammenhält; alles Menschliche aber bildet nur den Organismus für diese Grundkraft, und verhält sich zu derselben beides als ihr aufnehmendes und als ihr darstellendes System, so wie in uns alle andere(!) Kräfte sich zur Intelligenz verhalten sollen.“242 Nach Schleiermacher ist die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus auf die den Menschen als Menschen auszeichnende untrennbare Einheit von Intellekt und Organismus übertragen.243 Die Seele, das Bewußtsein oder auch die intellektuelle Seite des Erlösers sei ganz von Gottes Wesen eingenommen. Sein Organismus ist gleichgesetzt mit seinem Menschsein. Als Ergebnis der Interpretation kann deshalb festgehalten werden: Nach Schleiermacher ist der Erlöser mit Leib und Seele Gott und Mensch – in seiner Seele ist er Gott, seinem Organismus, seiner irdischen Gestalt nach ist er Mensch.244 Die rezeptive Tätigkeit und das organische 240 GL 96,3,58. 241 S. GL 96,3,58. „Fleisch“ ist nach Schleiermacher „die allgemeine Bezeichnung des Organischen“ (ebd.). 242 GL 96,3,57. S. dazu GL 96,3,58: „Insofern nun alle menschliche Tätigkeit des Erlösers in ihrem ganzen Zusammenhang von diesem Sein Gottes in ihm abhängt und es darstellt, rechtfertigt sich der Ausdruck, daß in dem Erlöser Gott Mensch geworden ist“. – S. dazu GL 94. Was die ästhetische Theorie Schleiermachers anbelangt, kann festgehalten werden, daß im Gegensatz zu Christus kein Künstler stetig und vollkommen von Gottesbewußtsein erfüllt ist. Aber in der Phase seiner Urbildung findet das Sein Gottes, das in ihm ist, Gestalt, weshalb Schleiermacher sowohl die „Mitteilung“ Gottes in Christus (s. GL 168,1,453) als auch die individuelle Symbolisation eines frommen Menschen – keineswegs den Menschen selbst – ein „Urbild“ nennt. 243 S. dazu o. die Einleitung. 244 Was nach Schleiermacher unter „Organismus“ zu verstehen ist, zeigen o. Anm. 9 sowie Schleiermachers Anmerkung zu seinen zitierten Ausführungen: GL 96,3,57, Anm. 2: „Nam sicut anima rationalis et caro unus est homo, ita [et] Deus et homo unus est Christus.“ Das – eben an dieser Stelle – von Schleiermacher angemerkte Zitat, muß als synonyme Parallele zu Schleiermachers eigener Darstellung verstanden werden, und folglich muß die Gegenüberstellung von Organismus und innerster Grundkraft (Intellekt), welche beiden von Schleiermacher einseitig der Menschheit und der Gottheit des Erlösers zugeordnet werden, der
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Wirken des Menschen Jesus Christus stehen dabei ebenso wie sein Denken und Wollen vollständig unter der Dominanz der Liebe Gottes.245 Gegenüber der zitierten Zuordnung des wahren Gottseins Christi zum Selbst-Bewußtsein des Erlösers und der Annahme, alles Menschliche sei nur der Organismus des Erlösers, muß kritisch eingewendet werden, daß dabei dreierlei nicht berücksichtigt ist: Zum einen ist die untrennbare Einheit von menschlichem Intellekt und Organismus, zum zweiten die Zweiseitigkeit des menschlichen Selbstbewußtseins sowie drittens die Vereinigung von wahrem Gott und wahrem Menschen in Jesus Christus nicht ernstgenommen. Zwar bietet nach Schleiermacher gerade die religiöse Seite des menschlichen Selbstbewußtseins in ihrer Verbundenheit mit dem sinnlichen Selbstbewußtsein die Anknüpfungsmöglichkeit für die Einwohnung Gottes, die eine Vereinigung von wahrem Gott und wahrem Menschen möglich sein läßt. Doch in Konsequenz zu der Annahme Schleiermachers, das gesamte Selbst-Bewußtsein Christi sei von Gottes Wesen erfüllt und von Gottes Liebe beherrscht, müssen wahrhaft menschliche Empfindungen für den Erlöser ausgeschlossen werden. Zwar leugnet Schleiermacher, wie die folgende Darstellung zeigen wird, keineswegs ein sinnliches Selbstbewußtsein des Erlösers. Er nimmt vielmehr für den Erlöser eine diesem allein eigentümliche Entwicklung seines Selbstbewußtseins an. Folglich vernachlässigt er nicht die Eigentümlichkeit und Individualität des Erlösers. Jedoch bleibt das wahre Menschsein Christi unberücksichtigt, weil sämtliche Empfindungen, die den Inkarnierten als wahren Menschen in seinem Selbstbewußtsein betreffen könnten, immer schon Empfindungen des göttlichen Wesens sind, welches der menschlichen Seele des Erlösers einwohnt und sie vollkommen erfüllt. Damit ist ausgeschlossen, daß der Erlöser die Sünde des Menschen und die ihr verbundenen Leiden in menschlicher Weise fühlen und als solche auf sich nehmen könnte. Nach Schleiermachers Beschreibung erleidet der Erlöser die Sünde des Menschen nicht ebenso, wie die Menschen selbst sie erleiden. Insofern die Sünde des Menschen und sein Leiden an ihr nur dann wahrhaft getragen und hinweggenommen werden, Gegenüberstellung von caro und anima entsprechen. Der Organismus ist der „caro“, die innerste Grundkraft der „anima“ zugeordnet. 245 S. dazu GL 96,3,58: Schleiermacher geht davon aus, daß seine Beschreibung der „Zwei-Naturen-Lehre“ schriftgemäß ist. Sei seine Beschreibung auch von der „bisherigen Schulsprache“ weit entfernt, so ruhe sie doch „gleichmäßig auf dem Paulinischen, Gott war in Christo und auf dem Johanneischen, das Wort ward Fleisch, denn Wort ist die Tätigkeit Gottes in der Form des Bewußtseins ausgedrückt, und Fleisch ist die allgemeine Bezeichnung des Organischen.“
III. Inkarnation
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wenn sie von einem wahren Menschen aufgenommen und vor Gott gebracht werden, ist Schleiermachers Christologie in entscheidender Hinsicht defizitär. Die Bezogenheit und Verbundenheit von wahrem Gott und wahrem Menschen, die ein wahrhaft menschliches Sündenleiden und zugleich eine Befreiung des Menschen von dieser Sündenlast impliziert, ist bei Schleiermacher zugunsten der Identität einer menschlichen Seele mit dem Wesen des Schöpfers zurückgestellt. Dadurch soll die Sünde des Menschen ebenso wie die Vereinigung des Menschen mit Gott als von Gott dem Schöpfer geordnete und vorherbestimmte Entwicklungsstufe im Heilsprozeß der Schöpfung deutlich werden.246 246 S. dazu Jçrg Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, 393: Mit Schleiermachers Beschreibung der Person des Erlösers „wird freilich die ’menschliche Natur’ Jesu Christi […] ganz in den Dienst der ’göttlichen’ gestellt – mag dieser Sachverhalt auch noch so sehr anhand des individuellen Lebens Jesu entfaltet sein. Die Bedeutung der ’menschlichen Natur’ besteht nämlich allein darin, die ’göttliche’ darzustellen. Damit geht jedoch die eigentümliche und veränderliche Individualität Jesu ganz in der unveränderlichen Allgemeinheit Gottes auf. Wenngleich Schleiermacher nicht abstrakt die Eigentümlichkeit des Menschlichen in Jesus nivelliert, kommt aber doch in seine Christologie ein doketischer Zug hinein: Gerade das, was die Unterschiedenheit Jesu von allen anderen Menschen ausmacht, nämlich die Darstellung der absoluten Kräftigkeit des Gottesbewußtseins, führt faktisch zu einer Reduktion seiner menschlichen Eigenschaften. Denn sie kommen nicht in ihrem Eigenvollzug zu(!) Geltung, sondern nur als Instrumente des Gottesbewußtseins: Sie sollen ausschließlich seine Bestimmtheit darstellen, und die Internrelation des niederen Selbstbewußtseins Jesu wird tendenziell leer.“ Mit Dierken ist ein „doketischer Zug“ in der Christologie Schleiermachers auszumachen. Es ist festzuhalten, daß dem niederen oder sinnlichen Selbstbewußtsein des Erlösers neben dessen Gottesbewußtsein keine eigenständige menschliche Bedeutung zukommt (a.a.O., 394). Jedoch ist zum einen einzuwenden, daß die Individualität Jesu eben auch davon bestimmt ist, daß dieser in einem bestimmten Menschen Gott selber ist. Zum anderen sind durch Schleiermachers Beschreibung nicht die „Eigenschaften“ dieses Menschen in Frage gestellt; der Mensch Jesus besitzt einen körperlichen Organismus, ist gezeugt und geboren wie jeder andere Mensch auch und ist zudem sterblich. Zudem ist – um der Sündlosigkeit des Erlösers willen – dessen sinnliches Selbstbewußtsein durch die absolute Dominanz seines Gottesbewußtseins nicht außer Kraft gesetzt oder gar mit diesem Gottesbewußtsein identisch, was nach Schleiermacher eigentlich eine Unvollkommenheit menschlichen Daseins bedeutet; s. dazu a.a.O., 394/395. Doch ist das sinnliche Selbstbewußtsein des Erlösers nicht das sinnliche Selbstbewußtsein eines menschlichen Selbst, sondern ein sinnliches Gottes-Bewußtsein. – S. im Gegensatz zu den Interpretationen von Dierken und von mir die Deutung Barths in: Karl Barth, Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert, § 11, Schleiermacher, (379 – 424) 419: Nach Barth hat Schleiermacher „auf eine rein spekulative Christologie verzichtet, mußte aber eben damit unter der
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III.1.2. Die Menschheit des Erlösers oder sein Leben unter dem Gegensatz Weil das Urbild geschichtlich geworden ist, steht es nach Schleiermacher unter dem Gegensatz von Zeit und Raum.247 Als Menschgewordener habe der Erlöser einem bestimmten Volk und einer bestimmten Generation zugehört, und unter dem Einfluß seiner Volkszugehörigkeit hätten sich im Laufe der Zeit sein Denken und Wollen und überhaupt sein Bewußtsein wie sein Organismus entwickelt und ausgeprägt.248 Im Unterschied zu Luther beginnt nach Schleiermacher die Entwicklung des Erlösers, wie die eines jeden menschlichen Geschöpfes, mit Empfängnis und Erzeugung durch eine menschliche Mutter und einen menschlichen Vater. Das wahre Menschsein des Erlösers249 sowie die Ewigkeit des Schöpferwillens verlangten die Leugnung einer Jungfrauengeburt, weil diese der Schöpfungsordnung widerspreche. Auch bedeute die Rede davon, daß Jesus der „Sohn des Heiligen Geistes“ (und der Jungfrau Maria) sei, ohnehin eine terminologische Ungenauigkeit. Denn nach Schleiermacher ist diese Rede vom Heiligen Geist vor der Geburt Christi „unzeitig“.250 Zur Zeit der Geburt Christi sei die neutestamentliche, christliche Bedeutung des Heiligen Geistes noch gar nicht bekannt gewesen. Schleiermacher übergeht mit dieser Behauptung die Tatsache, daß die neutestamentlichen Schriften erst nach Ostern und Pfingsten verfaßt worden sind, so daß rückblickend das ewige und besondere Geistwirken Gottes von den Verfassern der neutestamentlichen Schriften in ihre Texte hätte eingetragen werden können. Allerdings aber nimmt Schleiermacher ohnehin ein Wirken des Heiligen Geistes erst und ausschließlich in der Kommunikation der christlichen Gemeinde an.251
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Voraussetzung seines Religionsbegriffs auf die Gottheit Christi verzichten“. S. auch u. Anm. 547. Mit dem „wirklichen Lebensanfang des Erlösers“ habe der Schöpfer seine ewige Heilsabsicht, seinen ewigen idealen „Ratschluß“ „wie in einem Punkte des Raumes, so auch in einem Moment der Zeit“ realisiert (GL 97,2,62/63). S. dazu GL 93,3,39. Nach Schleiermacher zeichnet es eben die von Gott geschaffene menschliche Gattung aus, daß sie sich durch den Geschlechtsakt fortpflanzt und erhält. Und deshalb dürfe auch die Befriedigung des Geschlechtstriebs nicht für „etwas Sündliches und Sünde Hervorbringendes“ gelten (GL 97,2,68). Nach Luther hat Gott der Schöpfer ebenfalls ab initio den Menschen als Menschen dazu geschaffen, daß er esse, trinke und sich fortpflanze. „Nam Adam non erat sine cibo, potu et generatione victurus.“ (WA 42, GenKomm, 42,25). Dennoch schließt Luther für Jesus Christus einen menschlichen Erzeuger aus, s. dazu o. Luther-Kapitel, IV.3. GL 97,2,69. Zu den Problemen von Schleiermachers Geist-Verständnis s.u. III.3.
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Obwohl Schleiermacher die „Jungfrauengeburt“ bestreitet und demgegenüber annimmt, der Erlöser sei – gleich einem jeden Menschen – durch die geschlechtliche Verbindung einer Frau und eines Mannes252 erzeugt worden, verneint er doch keineswegs dessen Sðndlosigkeit. Das Menschsein Christi sei dadurch nicht in Frage gestellt, daß er, der auf wahrhaft menschliche Weise Mensch geworden sei, doch von der Sündhaftigkeit nicht betroffen sei, die alle anderen Menschen als „Erbsünde“ von ihrer Erzeugung an belaste.253 „Daß der Erlöser von aller Sündhaftigkeit gänzlich frei gedacht wird, hindert keinesweges die vollständige Identität der menschlichen Natur, da schon festgestellt worden ist, die Sünde gehöre so wenig zum Wesen des Menschen, daß wir sie immer nur als eine Störung der Natur ansehen können“; „die Möglichkeit einer unsündlichen Entwicklung [ist] mit dem Begriff der menschlichen Natur an und für sich nicht unverträglich“.254
Jedoch seien alle menschlichen Geschöpfe, der „Urmensch“ ebenso wie alle folgenden, zumindest zu Beginn ihrer Entwicklung durch die Dominanz ihres sinnlichen Selbstbewußtseins bestimmt, die sie nicht aus eigener Kraft zu überwinden vermöchten. Weil der Erlöser von Anbeginn seines Lebens an – in Übereinstimmung mit der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen und seiner Möglichkeit zu einer unsündlichen Entwicklung – ein schlechthin kräftiges Gottesbewußtsein besessen habe, sei er nicht sündhaft gewesen. Auch habe ihn auf Grund seines Gottesbewußtseins seine Gebundenheit an den raum-zeitlich bedingten Naturzusammenhang sowie seine Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung keineswegs zur Verwirklichung der Sünde verleiten können. Gegenüber allen anderen Menschen zeichnet sich nach Schleiermacher der Erlöser dadurch aus, daß ihn als einen Menschen in Raum und Zeit 252 S. dazu GL 97,2,67. 253 Weil die Vereinigung von Gottheit und Menschheit in Jesus Christus einen besonderen schöpferischen Akt verlange, wird nach Schleiermacher für gewöhnlich eine Geistzeugung und Jungfrauengeburt angenommen; es „postuliert jeder, der in dem Erlöser eine natürliche Unsündlichkeit und eine neue Schöpfung durch Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen annimmt, auch eine übernatürliche Erzeugung.“ Doch nach Schleiermacher beruht alles „auf der höheren Einwirkung, welche als eine schöpferische göttliche Tätigkeit auch, wenn die Erzeugung vollkommen natürlich war, doch ebenso den väterlichen Einfluß wie den mütterlichen dahin abändern konnte, daß keine Sündhaftigkeit begründet ward“ (GL 97,2,67). 254 GL 94,1,43.
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das Sein Gottes erfülle. Ihm sei eine „von jedem nachteiligen Einfluß der natürlichen Abstammung losgerissene geistige Ursprünglichkeit“ zu eigen.255 Allen anderen Menschen sei zwar die Möglichkeit zur Ausbildung eines stetig kräftigen Gottesbewußtseins gegeben, denn mit der religiösen Seite ihres unmittelbaren Selbstbewußtseins seien sie eben dazu geschaffen, daß sie unter der Dominanz des Gottesbewußtseins lebten. Doch sind sie darauf angewiesen, daß eine erste ungenügende „Mitteilung des Geistes an die menschliche Natur“, die bei Erschaffung des ersten Adam der menschlichen Natur widerfahren sei, zur Herrschaft über die Sinnlichkeit gehoben werde.256 Es müsse zur Überwindung der Sünde die menschliche Vernunft mit dem göttlichen Geist erst noch „gänzlich eins“ werden.257 Nach Schleiermacher bilden die Erschaffung des ersten Adam, bei welcher die menschliche Natur mit einer schwachen Geistigkeit, aber einem funktionstüchtigen Organismus ausgestattet worden sei, sowie die Erscheinung des zweiten Adam, der das Urbild im Glauben oder genauer das Urbild des geistigen Lebens sei, nur zwei Momente des einen Schöpferwillens. Weil das Leben des Menschgewordenen ebenso wie dasjenige aller Menschen unter dem Gegensatz von Raum und Zeit erlebt werde, sei der Inkarnierte als Nachfolger des ersten Menschen zu bezeichnen, mit welchem er das von Raum und Zeit begrenzte physische Sein teile. Was das geistige Leben anbelangt, sei der Erlöser der Ursprung der neuen geistigen Entwicklung der menschlichen Gattung, die zur Vollendung des menschlichen Geistes führen soll. Er sei dies sowohl in seiner eigenen Person als auch auf Grund seiner erlösenden schçpferischen Ttigkeit 258. Nach Schleiermacher verkörpert und bewirkt der Erlöser die Realisation des ewigen Heilswillens Gottes auf Grund seines vollkommenen Gottesbewußtseins und seiner Liebe, und zwar gerade in dem einen von Gott geschaffenen räumlich und zeitlich begrenzten Naturzusammenhang.259 Es stehen beide, der erste wie der zweite Adam, in dem einen 255 GL 94,3,48. – Die Geistigkeit Adams wie des Erlösers kann nicht den Wirkungen des christlichen Geistes verdankt sein. Denn diese Wirkungen konnten nach Schleiermacher erst „nach der Entfernung Christi von der Erde vollständig mitgeteilt und aufgenommen werden.“ (GL 122, Leitsatz, 254) 256 GL 94,3,48. 257 S. dazu o. Anm. 175. 258 S. dazu u. III.2.2.2. 259 GL 94,3,47/48: „Die Erscheinung des ersten Menschen konstituiert zugleich das physische Leben des menschlichen Geschlechts; die Erscheinung des zweiten Adam konstituiert für dieselbe Natur das neue geistige Leben, welches sich durch geistige Befruchtung mitteilt und fortentwickelt.“
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geschaffenen Naturzusammenhang, und sie selbst bilden auch „nur einen und denselben wenn auch uns unerreichbaren260 Naturzusammenhang.“261 Bei der Entwicklung des Menschen, die nach Schleiermacher erst mit der stetigen Dominanz des christlichen Gottesbewußtseins verwirklicht ist, bildet – in Übereinstimung mit dem einen ewigen Heilswillen des Schöpfers – der erste Adam den Anfang, und in Zuwendung zu diesem und in Anknüpfung an seine natürliche Verfaßtheit vollende der zweite Adam die Menschwerdung des Menschen. III.1.3. Urbild Gottes und Urbild des Menschen Die Interpretation von Schleiermachers Ausführungen zu Jesus Christus als einerseits dem inkarnierten Schöpferlogos und andererseits dem zweiten Adam führen zur Einsicht in einen dreifachen Gebrauch des „Urbild“Begriffes in Schleiermachers Christologie: Der Erlöser, der in seiner Person das Sein Gottes und die Natur des Menschen vereint, ist als solcher „die vollendete Schöpfung der menschlichen Natur“,262 als welche er die Idealität der Schöpfung insgesamt erkennt. 263 Indem der Erlöser während seiner irdischen Wirksamkeit einerseits diese seine vollkommene Erkenntnis und damit andererseits sich selbst als den einzigen, der zu vollkommener Erkenntnis befähigt ist, darstellt, zeigt er sich selbst als von der Liebe und auch der Weisheit des Schöpfers, denen sich die Vollkommenheit der Schöpfung wie die Vollkommenheit seiner Erkenntnis verdankt, vollkommen erfüllt. Er erweist sich damit zum einen als das Wort Gottes, das eben die Liebe des Schöpfers in sich birgt, welche dadurch, daß sie als Wort Gottes ausgesprochen wird, in der Schöpfung manifest wird. Zum zweiten ist er derjenige Mensch, der in uneinholbarer Weise von Gottesbewußtsein oder vielmehr von Gottes schöpferischer Liebe ganz erfüllt ist und der, indem er sein Gottesbewußtsein zum Ausdruck bringt, ebenfalls schöpferisch tätig ist. Diesmal jedoch wirkt er im Rahmen der durch das Wort Gottes geschaffenen Schöpfung, und zwar an den geschaffenen Menschen, um sie zum Glauben und damit zur Gemeinschaft mit Gott und mitein260 Unerreichbar ist den Menschen der Naturzusammenhang, weil die Erlösung auf Erden nicht zur vollständigen Erkenntnis des Schöpferwillens führt. 261 GL 94,3,48. 262 GL 94,3,47. 263 Das ist die Erkenntnis der „vollkommnen Darstellung der allmächtigen Liebe Gottes“ im göttlichen Kunstwerk (GL 168,1,453).
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ander zu erlösen.264 Zum einen kann er also – in Konsequenz einer stringenten Interpretation – auch als das „Urbild Gottes“, zum anderen als das „Urbild des Menschen“ bezeichnet werden. Das Wort Gottes und damit auch das Urbild Gottes (gen subj.) ist der Erlöser, weil in ihm von Ewigkeit her das Wesen Gottes verkörpert ist, welches Gott einem vollkommenen Künstler gleich mit seiner Schöpfung ausbildet. Er ist, wie die Interpretation zeigt, das Urbild von Gott, dem Künstler,265 für dessen ursprünglich vollkommenes Kunstwerk; er ist das Urbild Gottes für die Schöpfung, und als solches bildet er den Übergang zwischen Schöpfer und Schöpfung.266 Zugleich ist er nach Schleiermacher das Urbild des Menschen (gen. obj.), als welches er auf schöpferische Weise zwischen den menschlichen Geschöpfen und ihrem Schöpfer vermittelt. Durch seine schöpferische Wirksamkeit nämlich vermittelt er das schöpferische Gottesbewußtsein, das nicht nur die Vollkommenheit des göttlichen Kunstwerkes wie auch das ihm selbst eigene Gottesbewußtsein und damit seine Vollkommenheit erkennen lasse; es befähige zudem zur Verkündigung seiner Vollkommenheit und der Vollkommenheit der Welt.267 Weil jeder Mensch, der durch das Wirken des Erlösers zum Glauben gekommen ist, eben auch das stetig kräftige Gottesbewußtsein des Menschgewordenen erkennt, ist der Erlöser für ihn nicht nur das Urbild Gottes für die Schöpfung, sondern auch das geschichtlich gewordene Urbild im Glauben, das zu glaubenschaffender Wirksamkeit befähigt ist.268 Als solches ist er drittens auch das Urbild des Menschen (gen. subj.), weil er die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen, die von Schleiermacher als ein stetig kräftiges Gottesbewußtsein definiert und deren Realisation von Gott selbst ewig vorherbestimmt ist, in seiner Person verkörpert. Er stellt den menschlichen Geschöpfen den gottgewollten vollendeten und vollkommenen Menschen in seiner Person als Ziel der christlichen Hoffnung vor Augen, die mit der Realisation des Reiches Gottes rechnet. Weil das Gottesbewußtsein des Erlösers mit der Liebe Gottes identisch ist, ist er als das menschgewordene Wort Gottes sowohl Urbild der Liebe als 264 S. dazu GL 100,2,91. 265 Eben dieses Urbild ist in Übereinstimmung mit Schleiermachers Ausführungen in der Ästhetik „die Tätigkeit Gottes in der Form des Bewußtseins“, s. dazu o. Anm. 138 und ÄLe 32/33. 266 Zum Urbildbegriff in Schleiermachers Ästhetik s. Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 218/219. 267 S. dazu u. III.2.2.1. 268 S. GL 93,2,35.
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auch Urbild im Glauben und Urbild für die Hoffnung. Er ist in Wahrheit die Liebe, über die er als Menschgewordener Gewißheit hat und die er als solcher wirksam weitergibt, indem er zuversichtliche Hoffnung auf das Reich Gottes vermittelt. Er ist Urbild Gottes und Urbild für den ChristenMenschen in Person und Werk. Gerade dieses Verständnis des Erlösers als Urbild in dreifacher Hinsicht, das sich jeweils der Göttlichkeit Christi verdankt, reduziert allerdings in unangemessener Weise das wahre Menschsein des Erlösers auf die rein organische Gestalt eines Menschen. III.1.4. Die Vereinigung von Gottheit und Menschheit im Erlöser Die vollkommene Einwohnung Gottes in Jesus Christus oder auch die Fleischwerdung des Wortes Gottes in Raum und Zeit kommt nach Schleiermacher auf wunderbare Weise im „Akt der Vereinigung“ des Göttlichen mit dem Menschlichen zustande,269 welcher von dem „Zustand des Vereintseins“ zu unterscheiden sei.270 – Zum Aufweis der Wunderhaftigkeit seiner Erscheinung oder genauer der relativen Übernatürlichkeit von Erzeugung und Geburt des Erlösers kann und darf nach Schleiermacher die Annahme von reiner Geistzeugung und Jungfrauengeburt nicht dienen. Als Wunder bezeichnet Schleiermacher „Erscheinungen im Gebiete der leiblichen Natur, welche aber nicht auf natürliche Weise sollen bewirkt worden sein“.271 Wunder seien Erscheinungen, deren Erscheinungsweise mit den räumlichen und zeitlichen Bedingtheiten des Naturzusammenhangs in Übereinstimmung stehe und die mit dem Vernunftvermögen des Menschen erkennbar seien. Allerdings sei der Grund für das Erscheinen der Erscheinungen außer dem Naturzusammenhang zu finden; es sei nämlich der übervernünftige und übernatürliche transzendente Grund selbst, der wunderbare Erscheinungen in seiner Schöpfung wirke. Weil sich nach Schleiermacher der Naturzusammenhang dem ewigen Willen und der weisen Allmacht Gottes des Schöpfers verdankt, kann das wunderbare Wirken Gottes nicht schöpfungswidrig und nicht von der Art sein, daß er damit seinem eigenen ewigen, allmächtigen Willen widerspräche.272 Ebensowenig wie der Schöpfer mit seiner Selbstmanifestation 269 270 271 272
S. dazu GL 13,2,91 und oben unter „übervernünftig“. GL 97,1,59. GL 14,Z,99. S. GL 47,1,235. Vor allem sei „schwer zu begreifen, wie sich die Allmacht größer zeigen sollte in den Unterbrechungen des Naturzusammenhanges als in dem der
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menschliche Geschöpfe intendiert haben kann, die dazu fähig sind, diese Selbstmanifestation zu zerstören,273 kann der ewige Wille des Schöpfers sich irgendwann einmal über die in Zeit und Raum prozedierende Manifestation seiner ewigen Liebe hinwegsetzen. Und ebenso wie es nach Schleiermacher dem Willen und der Macht des Schöpfers nicht entspricht, wenn die in ihm begründete Natürlichkeit der Welt durch ein absolut übernatürliches Wunder übergangen würde, ist auch anzunehmen, daß die Vereinigung des göttlichen Geistes mit dem menschlichen Bewußtsein (d.i. das Zum-Glauben-Kommen des Menschen) nicht an der Vernunft des Menschen vorbei, nicht auf schlechthin übervernünftige Weise geschieht.274 Was das eine Wunder der Erscheinung des Erlösers oder die Menschwerdung des Wortes Gottes anbelangt,275 geht Schleiermacher davon aus, daß dieses Wunder als einmaliges Organischwerden des Seins Gottes in einem Menschen zu verstehen sei. Dabei nehme dieser Mensch Gottes Sein in sich auf, indem er selbst von Gott in die Vereinigung mit ihm aufgenommen werde.276 Diese gemeinschaftliche Vereinigung von Gottheit und Menschheit geschehe, der Schçpfung vergleichbar,277 als bergang aus dem ewigen Wollen Gottes in seine Wirksamkeit, ohne daß dabei die göttliche Tätigkeit eine zeitliche würde.278 Im Unterschied zur Schöpfung setzt dieser Übergang bereits das Geschaffensein von Raum und Zeit und das Geschaffensein der menschlichen Natur voraus. Die menschliche Natur überhaupt und so auch die des Erlösers zeichne sich durch „lebendige menschliche Empfänglichkeit“ für die Gottheit aus.279 Die Gottheit des Erlösers hingegen erweise sich bei dem Vereinigungsvorgang von Gottheit und Menschheit im Erlöser, also bei der Aufnahme der menschlichen Natur in die Vereinigung mit dem Göttli-
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ursprünglichen aber ja auch göttlichen Anordnung gemäßen unabänderlichen Verlauf desselben“. S. dazu o. I.2.4. S. dazu ausführlich u. III.4. Einen glaubenwirkenden Einfluß von Wundern gibt es nach Schleiermacher – gemäß biblischem Zeugnis – allerdings nicht, s. GL 14,Z,99 und 103,4,116. S. GL 47,1,236. S. GL 97,2,61. Die Schöpfung ist jedoch kein Wunder, denn ihr ist noch keine „leibliche Natur“ vorausgesetzt, in der sie erscheinen könnte. S. dazu o. Anm. 213. GL 88,4,23. Nach Schleiermacher ist der menschlichen Natur die Möglichkeit zur Vereinigung mit der Gottheit „miterschaffen“ (GL 97,2,61; s. dazu GL 13,1,89).
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chen, als schlechthin spontan und schöpferisch.280 „Fassen wir nun dies alles zusammen, so setzen wir hier […] auf der einen Seite eine anfangende göttliche Tätigkeit als etwas Übernatürliches, zugleich aber eine lebendige menschliche Empfänglichkeit, vermöge deren erst jenes Übernatürliche ein geschichtlich Natürliches werden kann.“281 Dieses Werden des Übernatürlichen zu einem Natürlichen bildet nach Schleiermacher den Übergang von Gottes Sein in seiner Transzendenz hin zum Werden des Übernatürlichen innerhalb des durch Gott gewordenen Natürlichen. Ebenso wie die Schöpfung in Gottes Denken und Wollen von Ewigkeit her ursprünglich vollkommen bestehe und sich nach ihrem Übergang in ihrer irdischen Wirklichkeit unter den geschaffenen Bedingungen fortentwickle, so entwickle sich auch das ewige Sein Gottes in Raum und Zeit in einem Menschen, der ebenso wie die gesamte Schöpfung von Ewigkeit her in ursprünglicher Vollkommenheit von Gott beschlossen sei. Nach Schleiermacher ist der Mensch Jesus Christus wie alle Menschen von Ewigkeit her in Gottes ewigem „Ratschluß der Schöpfung des Menschen“ beschlossen. Allerdings ist in dem Ratschluß der Schöpfung dieses Menschen auch schon die Vereinigung Gottes mit ihm von Ewigkeit her mitenthalten.282 Irdisch-wirklich geworden sei dieser spezielle Ratschluß „in einem Punkte des Raumes“ und „in einem Moment der Zeit“;283 „die uns als Tätigkeit zugekehrte Seite dieses Ratschlusses oder die Erscheinung desselben“ ist nach Schleiermacher wie die Realisation des Schöpfungsplanes auch zeitlich und räumlich verfaßt.284 Für Gott ist demnach die Menschwerdung seines Wesens oder vielmehr – seinem schöpferischen Vereinigungshandeln gemäß – die Gottwerdung des einen (und infolge davon auch: aller) Menschen schon ewig als vorherbestimmte wirklich. Für den Menschen hingegen wird sie erst in einem bestimmten 280 S. dazu GL 97,2,64: Schleiermacher hält fest, daß „bei der Entstehung der Person Christi eine übernatürliche Einwirkung stattgefunden hat“. – „Ist […] die Rede von dem Entstehen der eigentümlichen Persönlichkeit Christi, das heißt von der Hineinpflanzung des Göttlichen in die menschliche Natur: so war hiebei die letztere nur aufnehmend und konnte sich nur leidentlich verhalten […]. Sofern aber Christus doch auch eine vollkommen menschliche Person war: so muß auch die Bildung dieser ein Akt der menschlichen Natur, das Ganze also ein gemeinschaftlicher gewesen sein.“ (GL 97,2,61). 281 GL 88,4,22/23. 282 S. GL 97,2,62. 283 Die „göttliche Einwirkung auf die menschliche Natur“ ist nach Schleiermacher „das Menschwerden Gottes im Bewußtsein und das Gebildetwerden der menschlichen Natur zur Persönlichkeit Christi“ (GL 97,2,64). 284 GL 97,2,62/63. S. dazu GL 54,1,280.
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Moment und an einem bestimmten Ort in der Schöpfung wirklich. An einem bestimmten Ort und zu bestimmter Zeit wird der von Ewigkeit her zur Vereinigung mit Gott geschaffene Mensch in der bereits geschaffenen Welt für die geschaffenen menschlichen Geschöpfe zu dem Empfänger des Seins Gottes, der er für Gott schon ewig ist. Mit dieser Beziehung des ewigen Ratschlusses Gottes auf die zeitlich verfaßte Wirklichkeit, in der den menschlichen Geschöpfen das inkarnierte Gotteswort begegnet, will Schleiermacher der Geschichtlichkeit und der Urbildlichkeit (respektive dem ewigen Gottsein) des Inkarnierten gleichermaßen gerecht werden. Den Übergang zwischen Ewigkeit und Zeitlichkeit, den Übergang aus Gottes ewigem, allgegenwärtigem Ratschluß in den zeitlich und räumlich begrenzten Bereich menschlicher Existenz beschreibt Schleiermacher als ein Wunder. Denn die Erscheinung des Erlösers ist – wie gezeigt – einerseits im übernatürlichen und übervernünftigen Schöpferwillen Gottes präsent, andererseits von einer bestimmten Zeit an auf vernünftige und natürliche Weise für den irdisch-existenten Menschen gegenwärtig; ihre Erkenntnis als übernatürlich-natürliche und übervernünftig-vernünftige Erscheinung oder eben als Wunder ist jedoch nur dem Glaubenden möglich. Die zeitliche Bestimmtheit der wunderbaren irdischen Existenz des Erlösers bedeutet nach Schleiermacher keinen Nachteil für diejenigen Menschen, die zeitlich vor dem Erlöser auf Erden lebten. Denn die Liebe des Schöpfers habe für alle Menschen die Erlösung zum ewigen, seligen Leben, die nach Christi Weggang von der Erde durch die Gemeinschaft der Erlösten weitervermittelt werde,285 ewig vorherversehen und vorherbestimmt.286 Und gleich zu welcher Zeit die Erlösung dem einzelnen Menschen tatsächlich widerfahre,287 sei diesem damit stets das „neue“ ewige Leben eröffnet, demgegenüber alles vorangegangene zeitliche Dasein einen vernachlässigbar kleinen Anteil an der Gesamtexistenz des Menschen ausmache und selbst eigentlich gar keinen Anteil am ewigen Leben des Erlösten habe.288 Nach Schleiermacher ist das neue Leben des Erlösten „in sich selbst ewig und erlangt keinen Zuwachs durch die Länge der Zeit.“289 285 S. dazu u. III.4. 286 S. dazu GL 118,1,227 und 163, Anhang, 439. 287 Nach Schleiermacher muß auch nach dem irdischen Leben die Erlösung eines Menschen noch möglich sein und vollzogen werden. 288 Das ist sehr tröstlich. Allerdings darf mit der Hochschätzung des erlösten Lebens nicht das leidenvolle Leben vor der Erlösung geringgeschätzt werden. 289 GL 118,1,226.
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Mit dem wunderbaren Erscheinen des Erlösers als der vollendeten Schöpfung der menschlichen Natur ist die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen offenbar, deren Verwirklichung bei jedem Menschen auf bestimmte Weise zu vorherbestimmter Zeit beginne und ihm sein neues ewiges Leben gewähre. Daß der Erlöser die ursprüngliche Vollkommenheit aller Menschen verkörpert, wird nach Schleiermacher deutlich an seiner sündlosen Entwicklung in Raum und Zeit. Dem inkarnierten Erlöser würden Raum und Zeit, obwohl er in seiner Entwicklung unweigerlich an sie gebunden und in organischer Hinsicht durch sie begrenzt sei, nicht zu Ursachen der Sünde.290 Sein sinnliches Selbstbewußtsein, in dem ihm die Beschränktheit durch Raum und Zeit bewußt sein könnte, soll nach Schleiermacher derart von seinem Gottesbewußtsein dominiert sein, daß nicht nur seine Seligkeit niemals angefochten werde, sondern auch bezweifelt werden kann, daß ihm in seiner Seele menschliche Empfindungen überhaupt möglich sind. Die tatsächliche Vollkommenheit oder Sündlosigkeit des Erlösers kann nach Schleiermacher nicht dem „Gesamtleben der Sündhaftigkeit“291 entstammen,292 sondern müsse in dem besonderen schöpferischen Wirken Gottes an diesem Menschen begründet sein. Gerade aber weil der Erlöser nicht aus dem sðndhaften Gesamtleben herstammt, habe er in dieses einzutreten vermocht, um den Menschen von seiner Sündhaftigkeit zu befreien oder vielmehr um die natürliche Sündhaftigkeit in ewige Vollkommenheit zu überführen.293 Als Mensch in Raum und Zeit habe sich der Erlöser bereits von seiner Erzeugung an in Übereinstimmung mit dem Naturzusammenhang auf natürlich-menschliche Weise entwickelt und zur Person gebildet.294 Weil diese Bildung von Anfang an und fortwährend unter der Dominanz des stetig kräftigen Gottesbewußtseins gestanden habe, sei sie zwar die Ent290 291 292 293
S. dazu o. III.1.2. GL 93,3,38. S. dazu GL 97,2,63/64. S. dazu GL 93,2,38; zu dem besonderen Wirken Gottes s. auch Anm. 294. Die Vereinigung von Gottheit und Menschheit resultiert nach Schleiermacher in einer wunderbaren Erscheinung im „Gesamtleben der Sündhaftigkeit“, dem er jedoch nicht entstammt. Denn was den Erlöser anbelangt, kann sein „eigentümlicher geistiger Gehalt […] nicht aus dem Gehalt des menschlichen Lebenskreises, dem er angehörte, erklärt werden, sondern nur aus der allgemeinen Quelle des geistigen Lebens durch einen schöpferischen göttlichen Akt, in welchem sich als einem absolut größten der Begriff des Menschen als Subjekt des Gottesbewußtseins vollendet.“ (ebd.) 294 S. GL 97,2,61.
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wicklung einer „eigentümlichen Persönlichkeit Christi“ gewesen. Doch sei – in Anbetracht seiner menschlichen Natur – auch für den Inkarnierten eine Entwicklung seines Selbstbewußtseins anzunehmen.295 Nach Schleiermacher kann weder ein Hinzukommen des vollkommenen Gottesbewußtseins erst im reiferen Alter des Erlösers angenommen werden; damit müßte nämlich eine der Urbildlichkeit widersprechende Sündhaftigkeit des Erlösers während seiner ersten Lebensjahre und ein schlechthin übernatürliches Geschehen im höheren Alter behauptet werden.296 Noch könne zweitens davon ausgegangen werden, daß das Gottesbewußtsein des Erlösers schon von dessen Lebensanfang an in seiner ganzen Fülle entfaltet ist; es müßte sonst eine übernatürliche Beschaffenheit des Menschgewordenen angenommen werden, die seinem Menschsein widerspräche. Das Gottesbewußtsein des Erlösers habe „sein Ansehn über das sinnliche Selbstbewußtsein nur in dem Maß ausüben [können], als des letzteren verschiedene Funktionen schon hervorgetreten waren, und erschien also […] als ein nur allmählich zu seinem vollen Umfang sich Entfaltendes.“297 Zum dritten habe der Erlöser auch keine „empirische Allwissenheit“298, kein übervernünftiges Wissen besessen, das die Grenzen seiner lokalen, volkstümlichen Gebundenheit überstiegen hätte.299 Was die zitierten Ausführungen zur Entwicklung und Bedeutung des sinnlichen Selbstbewußtseins Christi anbelangt, muß in Konsequenz zu Schleiermachers Darstellung des Erlösers als desjenigen, der mit einem menschlichen Organismus das Sein und Wesen Gottes zum Ausdruck 295 S. GL 97,2,61 und auch 97,3,70. 296 GL 93,3,39. 297 GL 93,3,39. Die vollkommene Entwicklung des Seins Gottes in der Menschheit Christi ist nach Schleiermacher eigentlich erst im reiferen Mannesalter des Erlösers abgeschlossen. 298 GL 93,3,40. Das Wissen des Menschgewordenen ist gebunden an seine Erkenntnis in Zeit und Raum. 299 S. GL 93,3,39/40. – Um der schlechthinnigen Übernatürlichkeit und dem Doketismus sowie der schlechthinnigen Übervernünftigkeit und dem Ebionitismus zu entgehen, müsse davon ausgegangen werden, daß sich das stetig kräftige Gottesbewußtsein des Erlösers ebenso wie das Gottesbewußtsein jedes Menschen, gebunden an Raum und Zeit, in Gemeinschaft mit dem sinnlichen Selbstbewußtsein entwickelt habe. S. dazu GL 93,3,39: Der „Keim“ des Gottesbewußtseins sei in jedem menschlichen Gattungswesen gemäß seiner ursprünglichen Vollkommenheit ursprünglich gegeben. Zur Dominanz über das sinnliche Selbstbewußtsein könne es jedoch immer nur insoweit kommen, als dessen Funktionen bereits entwickelt seien.
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bringt, die Unmenschlichkeit seines sinnlichen Selbstbewußtseins festgehalten werden. Auch wenn dieses als eine Seite des Selbstbewußtseins Christi bestehen soll, ist diese – nach Schleiermachers eigener Beschreibung – doch voll und ganz von Gottesbewußtsein dominiert, so daß das sinnliche Selbstbewußtsein Christi immer schon das sinnliche Gottesbewußtsein des Erlösers und also kein menschliches Selbstbewußtsein ist. III.1.5. Das Vereintsein von Gottheit und Menschheit im Erlöser Nicht nur die gemeinschaftliche Vereinigung von Gottheit und Menschheit geschehe in asymmetrischer Weise, auch für das Vereintsein sei keineswegs „ein absolutes Gleichgewicht“ zwischen den beiden Seiten vorauszusetzen.300 Vielmehr müsse, wie dies für die Vereinigung und in analoger Weise auch für das fromme Selbstbewußtsein gelte, eine aktive Dominanz von Seiten Gottes gegenüber der Natur des Menschen angenommen werden. Die Gottheit des Erlösers dominiere während des irdischen Daseins Christi dessen Person und Tätigkeit, und zwar in der Weise der Erhaltung des Geschaffenen.301 Wie sich im Prozeß der Welt der Wille des Schöpfers fortwährend verwirkliche, so manifestiere der Erlöser während seines gesamten irdischen Daseins fortwährend das Wesen Gottes in Raum und Zeit, um dem Menschen die Erkenntnis des Geschaffenen zu eröffnen. Das Vereintsein ist nach Schleiermacher wie die Vereinigung auch insofern als ein gemeinschaftliches Tätigsein von Gott und Mensch zu bezeichnen, als Gottes schöpferische und spontane „Hineinpflanzung des Göttlichen in die menschliche Natur“302 auf seiten der menschlichen Natur durch eine „lebendige menschliche Empfänglichkeit“303 ergänzt werde. Allerdings nimmt Schleiermacher nicht an, daß diese Empfänglichkeit eine geistige sei, vielmehr gibt er für den „Akt der menschlichen Natur“304, der das Vereintsein wie die Vereinigung unterstütze, eine bloß „physische Tätigkeit“ an. Er geht aus von einer organisch-physischen Tätigkeit der 300 GL 97,3,69. „Die Gemeinschaftlichkeit muß aber in jedem Moment eine solche sein, daß von dem Sein Gottes in Christo die Tätigkeit ausgeht, und die menschliche Natur in die Gemeinschaft derselben nur aufgenommen wird.“ (ebd.) 301 S. dazu GL 100,2,93: Nach Schleiermacher verhalten sich „in Christo die göttliche Tätigkeit im Akt der Vereinigung und im Zustand des Vereintseins […] wie in Gott die erschaffende Tätigkeit und die erhaltende.“ 302 GL 97,2,61. 303 S.o. III.1.4., Anm. 279. 304 GL 97,2,61.
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menschlichen Natur „mit und neben ihrem in bezug auf die göttliche Tätigkeit bloß leidentlichen Verhalten.“305 Das Vereintsein von Gottheit und Menschheit setzt nach Schleiermacher für den Erlöser zwar „eine vollständige menschliche Seele“ voraus, die, wie bei allen Menschen, so auch bei ihm die geschaffene Bedingung zur Gemeinschaft mit dem Schöpfer sei.306 Die Seele des Erlösers oder auch sein unmittelbares Selbstbewußtsein sei jedoch dauerhaft durch die Liebe Gottes in ihm dominiert.307 Das Sein Gottes durchdringe in seiner Zeitlosigkeit und Unveränderlichkeit die Seele Christi derart, daß sich diese während des gesamten Vollzugs seiner sowohl spontanen wie auch rezeptiven Tätigkeiten in Raum und Zeit als vollkommen übereinstimmend mit dem Heilswillen des Schöpfers erwiesen habe. Nicht nur das wirksame Handeln des Erlösers, sondern auch seine rezeptive Tätigkeit als Mensch sei in der Liebe Gottes begründet. Nach Schleiermacher ist die Liebe Gottes die bewegende Kraft im Erlöser; sie begründe dessen Tun und Leiden als Mensch. Sie begründe sein sündloses Handeln und zudem sein gesamtes Leiden, sein Empfinden und Wahrnehmen, welches grundlegend und stetig im „Mitgefühl mit dem Zustand der Menschen“308 bestehe.309 Dieses Mitgefühl wiederum sei der Impuls zur versöhnenden Tätigkeit des Erlösers.310 Das Leiden und Tätigsein im Vereintsein von Gottheit und Menschheit geht nach Schleiermacher prinzipiell vom Sein Gottes aus, nur in seiner zeitlichen und raumgebundenen Ausführung sei es „menschlich“. Nach Schleiermacher ist, „was durch das Sein Gottes in Christo wird, […] alles vollkommen menschlich“;311 ebenso wie das Gottesbewußtsein eines Menschen immer nur in Verbundenheit mit seiner sinnlich-organischen Seite zur Erscheinung komme, so komme durch den Erlöser das Wesen Gottes eben auf menschlich-organische Weise in Raum und Zeit zur Erscheinung. Mit seiner Darstellung des Vereintseins von Gottheit und Menschheit im Erlöser sucht Schleiermacher der chalcedonensischen Verhältnisbe305 306 307 308 309
GL 97,2,62. GL 97,3,71. S. dazu o. III.1.1. GL 97,3,69; s. dazu 101,4,102 und o. Anm. 129. Schleiermacher schreibt im Blick auf das Mitgefühl des Erlösers nur von dessen Wahrnehmungen. Wollte er jedoch ein Empfinden des Erlösers ausschließen, würde er nicht über das Mitgefðhl des Erlösers schreiben. 310 S. GL 97,3,69. 311 GL 97,3,72.
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stimmung zwischen wahrem Gott und wahrem Menschen gerecht zu werden. Daß Gottheit und Menschheit im Erlöser weder vermischt noch verwandelt sind, macht er deutlich, indem er das schöpferische Wirken Gottes an der menschlichen Natur und deren empfängliche Abhängigkeit gegenüber dem Sein Gottes betont. Der unendliche Abstand, der zwischen Gottheit und Menschheit, zwischen Schöpfer und Geschöpf besteht, ist nach Schleiermacher für den Inkarnierten nicht beseitigt,312 weshalb die Annahme einer communicatio idiomatum auszuschließen sei.313 Daß Gottheit und Menschheit weder geteilt noch getrennt sind, hält Schleiermacher fest, indem er die Persönlichkeitsentwicklung des Inkarnierten sowie dessen Tun und Leiden von Anfang an als zum einen in Gottes ewiger Liebe begründet, zum anderen aber als in Raum und Zeit auf menschliche Weise vollzogen beschreibt. Insofern jedoch das Leiden wie das Tun des Erlösers vollkommen durch dessen Selbstbewußtsein bedingt ist, dieses aber vollständig von Gottes ewiger Liebe bestimmt wird, ist es sehr fraglich, ob das Leiden des Inkarnierten an der Sünde der Menschen tatsächlich als ein menschliches Leiden beschrieben werden kann. Es muß wohl vielmehr, ebenso wie das sündlose Handeln Christi auch, eine bloß menschlich-organische Ausführung göttlichen Seins sein. III.1.6. Communicatio idiomatum Der genannte Übergang, der nach Schleiermacher bei der Menschwerdung Gottes oder auch der Gottwerdung des Menschen vollzogen wird, ist zum einen der Übergang, der den unendlichen Gegensatz von Gott und Mensch deutlich macht, der aber zum anderen und zugleich die beseligende Aufhebung dieses Gegensatzes bedeutet. Eben dieser Übergang entspricht nach Schleiermacher dem Wesen des Schöpfers, der die von ihm schlechthin abhängige Schöpfung insgesamt dazu geschaffen habe, mit seinen menschlichen Geschöpfen, als den vor allen anderen Geschöpfen durch Vernunft ausgezeichneten irdischen Realisationen seiner ewigen Gedanken und Absichten, in Gemeinschaft zu treten. Wie die Interpretation zeigt, offenbart nach Schleiermacher der Erlöser diese Gemeinschaftsabsicht des Schöpfers, weil er als der personifizierte Übergang
312 S. dazu GL 105,Z,146: Nach Schleiermacher ist „der Abstand zwischen Gott und jedem endlichen Wesen unendlich“. 313 S. dazu GL 97,5,74 ff. und im folgenden.
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zwischen Gott und Mensch das Wesen des Schöpfers in menschlicher Gestalt verkörpert. Nach Schleiermacher ist das Wesen des Schöpfers im Erlöser verkörpert; keineswegs dürfe angenommen werden, der Erlöser vereine eine menschliche und auch eine „göttliche Natur“. Das Wort „Natur“ wird nach Schleiermacher immer nur gebraucht „von einem beschränkten, im Gegensatz begriffenen Sein, in welchem Tätiges und Leidentliches gebunden ist“; entsprechend kann es nicht für den schlechthinnigen Grund aller Gegensätze verwendet werden.314 Wie für den Schöpfer keine „göttliche Natur“ angenommen werden darf, so muß – vor allem für das Vereintsein von Gottheit und Menschheit im Erlöser – auch berücksichtigt werden, daß die für Gott ermittelten Eigenschaften diesem nicht „wirklich“ zukommen,315 denn sie könnten, „wie vollkommen auch zusammengeschaut und aufeinander bezogen, keinesweges für eine Beschreibung des göttlichen Wesens gelten wollen.“316 Vielmehr seien sie nur in Gebundenheit an die Erkenntnis des göttlichen Wesens (Liebe) von Bedeutung.317 Konsequenterweise können nach Schleiermacher – im Unterschied zur Lehre von der communicatio idiomatum – bei der Vereinigung und im Vereintsein von Gott und Mensch die „Eigenschaften“ Gottes als solche der menschlichen Natur nicht mitgeteilt werden. Die Annahme einer communicatio von göttlichen und menschlichen Eigenschaften würde nicht nur die Unselbständigkeit der göttlichen Eigenschaften ignorieren. Sie würde auch den Naturzusammenhang insgesamt sowie insbesondere die schlechthinnige Abhängigkeit der menschlichen Geschöpfe von ihrem ewigen, allgegenwärtigen, allwissenden und allmächtigen Schöpfer unberücksichtigt lassen.318 Nur dann ist nach Schleiermacher die Vereinigung 314 GL 96,1,52. 315 GL 97,5,76. 316 GL 56,Z,306; s. dazu 97,5,74: Nach Schleiermacher können die einzelnen Eigenschaften Gottes „nur, wenn in eins zusammengeschaut, das göttliche Wesen darstellen“. 317 S. dazu o. II.2. und s. auch GL 167,2,449/450: „Was nun zunächst die in dem ersten Teil unserer Darstellung ermittelten Eigenschaften betrifft: so haben diese schon damals darauf verzichtet, solche Ausdrücke des göttlichen Wesens zu sein, welche an die Stelle des Namens selbst gesetzt werden könnten.“ Dasselbe gelte auch für alle anderen ermittelten Eigenschaften. Wenn sie nicht als in Gottes Wesen, als in seiner Liebe begründet angenommen werden, können sie nicht als Eigenschaften Gottes gelten (a.a.O., 450). 318 S. dazu GL 97,2,62. Wie bereits gezeigt, wäre es nach Schleiermacher schlechthin übernatürlich, wenn sich das Gottesbewußtsein des Erlösers nicht im Laufe seines
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und das Vereintsein von Gott und Mensch dem Schöpferwillen gemäß gedacht, wenn dabei der Naturzusammenhang und die schlechthinnige Abhängigkeit der Schöpfung gegenüber dem ewig treuen Schöpfer gewahrt bleiben.319 Auf Grund der genannten Überlegungen lehnt Schleiermacher das lutherische Verständnis der communicatio idiomatum ebenso wie die entsprechende Lehre der reformierten Gegenposition ab. Beide Positionen träfe der Vorwurf der Zertrennung. Die reformierte Lehre trenne die Menschheit des Erlösers von seiner Gottheit, indem sie die Einheit zweier Naturen mit entgegengesetzten Eigenschaften behaupte.320 Sie treffe „nicht mit Unrecht der Vorwurf, Christum zu zertrennen, weil weder Entgegengesetztes eins sein kann, noch auch die Naturen eins sein, wenn ihre Eigenschaften getrennt gehalten werden.“321 Die Lehre der reformierten Position steht nach Schleiermacher grundsätzlich im Widerspruch zur Liebe des Schöpfers, die sich ursprünglich mit den menschlichen Geschöpfen verbunden habe sowie auf die realisierte universale Gemeinschaft mit ihnen aus sei und diesen Gemeinschaftswillen durch das ungetrennte und unvermischte Vereintsein von Gottheit und Menschheit im Erlöser sowohl zur Darstellung als auch zur Verwirklichung bringe. Die lutherische Position hingegen, die die reale Mitteilung der Eigenschaften vertrete, zertrenne die Gottheit wie die Menschheit selbst; denn in Gottheit wie Menschheit des Erlösers müßten infolge der communicatio idiomatum „zwei [nicht vereinbare] Arten von Tätigkeiten“ angenommen werden.322 Diese Annahme einer angeblich gleichzeitigen Teilung und Verwandlung von Gottheit und Menschheit widerspreche grundsätzlich der ewig-treuen Weisheit Gottes, die die Aufhebung des
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irdischen Daseins im Rahmen einer allgemeinen menschlichen Entwicklung entwickelt hätte, und schlechthin übervernünftig, wenn er von Geburt an mit empirischer Allwissenheit ausgestattet gewesen wäre; die Mitteilung der göttlichen „Eigenschaften“ an seine menschliche Natur sei darum auszuschließen. Es stehe im Widerspruch zur menschlichen Natur, wenn ihr göttliche Allmacht und Allwissenheit mitgeteilt werden könnten; denn es könnte „während dieser Mitteilung nichts Menschliches mehr übrig sein in Christo“ (GL 97,5,75). Eine Vereinigung von Menschheit und Gottheit im Erlöser, die in SD VIII. Von der Person Christi, 1023 mit der Vereinigung von Feuer und Eisen verglichen wird, ist nach Schleiermacher sowohl naturwidrig als auch schlechthin übervernünftig. S. GL 97,5,76. GL 97,5,76. Beispielsweise müßte die menschliche Natur Christi einerseits allwissend und zugleich andererseits mit menschlich beschränktem Wissen ausgestattet sein; s. GL 97,5,76.
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Abhängigkeitsverhältnisses zwischen ewigem Schöpfer und raum-zeitlich bedingter Schöpfung nicht dulde. Nicht werden im Inkarnierten zwischen Gottheit und Menschheit göttliche und menschliche Eigenschaften kommuniziert, vielmehr wohnt das Wesen des Schöpfers, die ewige Liebe Gottes selbst, der Seele des Erlösers ein. Eben dieses Vereintsein von Gottheit und Menschheit im Erlöser bringt nach Schleiermacher das adäquate Verhältnis zwischen dem liebenden Schöpfer und seiner Schöpfung sowie insbesondere seinen menschlichen Geschöpfen zum Ausdruck. Wie die Interpretation zeigt, verkörpert der Erlöser zum einen als das Urbild der göttlichen Liebe die ursprüngliche Übereinstimmung des Idealen und des Realen, des Schöpfers und seiner Selbstmanifestation. Der Erlöser zeigt auf, daß die allmächtige und allwissende Liebe Gottes ganz und gar seiner Schöpfung zugewandt ist. Zum anderen gibt er den menschlichen Geschöpfen, indem er ihnen als das Urbild des Glaubens und der Hoffnung die ewig-schöpferische Liebe Gottes in seinem irdischen Lebensvollzug präsentiert, die raum-zeitliche Begrenztheit des irdischen Lebens als Ausdruck der Liebe Gottes zu erkennen. Gottes Ewigkeit und Allgegenwart macht er zwar als Gegensätze zur raum-zeitlichen Verfaßtheit der Schöpfung deutlich. Doch zeigt er zugleich auf, daß der allmächtige und allwissende Schöpfer den Menschen in seine ewige Gemeinschaft aufnehmen will. So offenbart der Inkarnierte in Person und Werk, daß Gott und Welt auf Grund der schlechthinnigen Abhängigkeit und Begrenztheit des Geschaffenen zwar unaufhebbar voneinander unterschieden, zugleich jedoch in der Liebe des Schöpfers untrennbar verbunden sind und alles einzelne endliche Sein ursprünglich vollkommen ideal geschaffen ist.323 Diese Offenbarung der Schöpfertätigkeit des liebenden Gottes geschieht nach Schleiermacher für den Menschen grundlegend im irdischen Tun und auch im irdischen Leiden des Erlösers. In diesem sei der ewige und unveränderliche324 Schöpfer von Ewigkeit her wesenhaft gegenwärtig. Entsprechend sei die gesamte menschliche Tätigkeit des Erlösers als des Urbilds Gottes nicht nur wie die Tätigkeit eines jeden Menschen in Gottes Schöpferhandeln begründet, sondern befinde sich zudem in stetiger Übereinstimmung mit der Liebe Gottes. Folglich sei auch das menschliche 323 S. dazu Michael Trowitzsch, Zeit zur Ewigkeit, 90/91: „Die ewige Liebe, gedacht als In-sein-Gottes, heißt so: die stndige Anwesenheit Gottes in – der Welt; letztlich aber im menschlichen Selbstbewußtsein: als dem Selbstbewußtsein Christi und als dem christlich frommen Selbstbewußtsein der Glaubenden.“ 324 S. dazu GL 52,Z,271 und 172,3,472.
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Leiden des Erlösers ein Leiden auf Grund und in Übereinstimmung mit der Liebe Gottes. Sofern allerdings die bereits angemerkte Kritik zutrifft, daß das menschliche Leiden Christi nur in einer organisch-körperlichen Beteiligung am Leiden des Inkarnierten besteht, zertrennt Schleiermacher zwar nicht Gottheit und Menschheit des Erlösers und auch nicht den Erlöser selbst in zwei gegensätzliche Naturen. Vielmehr vereinigt er im Erlöser eine göttlichbestimmte Seele und einen menschlichen Organismus, weil er den Erlöser aus dem alten und dem neuen Adam zusammensetzt, indem er den Inhalt der alten, menschlichen Seele durch das Wesen Gottes ersetzt. Damit aber vermischt er im Erlöser das Menschsein mit dem Sein Gottes derart, daß von einer wahrhaft menschlichen Natur keine Rede sein kann. Mit seiner Darstellung der Vereinigung und des Vereintseins von Gottheit und Menschheit des Erlösers sowie mit seiner Leugnung einer communicatio idiomatum zwischen beiden sucht Schleiermacher, dem Problem des rechten Verständnisses von der Personeinheit des Erlösers unter Berücksichtigung der beiden Naturen und des göttlichen Wesens Christi gerecht zu werden. Insofern im Erlöser zwei Naturen in einer Person vereinigt sein sollen und der Erlöser zugleich eine der drei Personen Gottes ist, die in dem einen göttlichen Wesen vereinigt sind, besteht die Schwierigkeit die beiden sogenannten „Naturen“ des Erlösers adäquat zu denken. Schleiermachers Lösungsvorschlag ist eben der, die Vereinigung als Einwohnung des göttlichen Wesens in der Seele eines Menschen anzunehmen und einen Austausch göttlicher und menschlicher Eigenschaften abzulehnen. Damit will er die wesenhafte Göttlichkeit und die Einheit der Person des Erlösers wahren. Allerdings reduziert er dabei die menschliche Natur auf einen bloß menschlichen Organismus. Gerade aber die menschlichen Eigenschaften, insbesondere die Sterblichkeit des Menschen, die auch dem Erlöser eignet, betreffen nicht nur den Organismus, sondern auch die Seele des Menschen, weil – wie Schleiermacher (insbesondere im Blick auf das ewige Leben im Reich Gottes) annimmt – Organismus und Seele auf ewig unabtrennbar miteinander verbunden sind. Folglich muß an Schleiermachers Darstellung kritisiert werden, daß hier die wahrhaft menschliche Natur Christi in ihrer personalen Einheit mit Gott nicht berücksichtigt ist.
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III.1.7. Konsequenzen von Schleiermachers „Zwei-Naturen-Verständnis“ für seine „Trinitätslehre“ – Der Dreieinige Weil dem Erlöser das Sein Gottes einwohnt, und er somit wesenhaft Gott selber ist, ist nach Schleiermacher jede Unterordnung des Erlösers unter den Schöpfer unangemessen. Um ebenso die Vorstellung einer Subordination in Gott wie die von einer Veränderlichkeit Gottes zu vermeiden, solle die Annahme ausgeschlossen werden, der Erlöser sei „gezeugt von Ewigkeit“ durch Gott den „Vater“ als dessen „Sohn“. Denn dieses Zeugungsverhältnis bedeute ein Abhängigkeitsverhältnis des Sohnes vom Vater, das der Einheit des göttlichen Wesens widerspreche, und es setze eine Veränderlichkeit Gottes voraus, die mit seinem ewigen Wesen nicht vereinbar sei.325 Indem Schleiermacher, wie oben gezeigt, die Menschwerdung als die zeitliche Erfüllung des ewigen göttlichen Ratschlusses beschreibt, vermeidet er nicht nur die Unterordnung einer göttlichen Person unter die andere, sondern berücksichtigt neben der Einheit des göttlichen Wesens auch dessen ewige Unveränderlichkeit. Nach Schleiermacher ist der Erlöser als das geschichtlich gewordene dreifache Urbild zu verstehen, das die Liebe des göttlichen Künstlers zu seinem Kunstwerk zum Heil der Glaubenden vermittelt. Dabei ist vorausgesetzt, daß er mit dem Künstler und dessen Schöpfungsplan gleichursprünglich ist. Als das Wort Gottes ist der Erlöser mit dem Willen und Wesen oder vielmehr mit der Liebe Gottes identisch, welche nach vollkommener Gemeinschaft mit den menschlichen Geschöpfen strebt. Die Liebe des Künstler-Gottes wird nach Schleiermacher in der raumzeitlich verfaßten Schöpfung zunächst durch den inkarnierten Erlöser und nach dessen Weggang von der Erde durch den Heiligen Geist326 vergegenwärtigt. Durch Erlöser und Heiligen Geist werde die Liebe Gottes offenbart, die ursprünglich in der Schöpfung, zu vorherbestimmter Zeit im Menschgewordenen und drittens im Gottesbewußtsein eines jeden Glaubenden in bestimmter Weise gegeben sei. Wenn die Liebe Gottes durch den Heiligen Geist vermittelt dem einzelnen Menschen im Inkarnierten begegne, begegne der Heilige Geist oder Gemeingeist selbst als 325 GL 171,2,464. Ebenso sei eine Abhängigkeit des Geistes von Vater und Sohn oder auch vom Vater allein angenommen, wenn der Geist als von jenen ausgehend gedacht werde (s. ebd.). 326 S. dazu u. III.4.
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Liebe Gottes327, und es begegne in der gesamten Schöpfung das Wesen des göttlichen Künstlers. Das Offenbarungsgeschehen Gottes ist demnach ein dreifaches, welches ein Geistwirken zur Erkenntnis des Erlösers und seiner Wirksamkeit sowie der damit wiederum gewährten Erkenntnis des Schöpfers und seiner Schöpfung beinhaltet. Es erschließe dem Glaubenden, daß der göttliche Künstler, so wie er sich in der gesamten Schöpfung manifestiert, so sich auch in einem Element dieser Schöpfung, nämlich in einem menschlichen Geschöpf gezeigt habe und seitdem in der Schöpfung durch christlich-fromme menschliche Geschöpfe vergegenwärtigt werde in dem menschlichen Bewußtsein, das er von Ewigkeit her zum Empfang der göttlichen Offenbarung geschaffen habe.328 Indem Schleiermacher die genannten drei Begegnungs- oder Erscheinungsweisen Gottes feststellt, nimmt er Abstand von der kirchlichen Dreieinigkeitslehre, die angesichts des einen ewigen Gottes von einem göttlichen Wesen ausgehe, das in der Person Gottes des Vaters grundgelegt sei und zu dem sich die beiden anderen Personen, Sohn und Geist, in bestimmter Weise verhielten. Die Schwierigkeit, die die kirchliche Lehre darbiete, bestehe darin, „daß die Bezeichnung der ersten Person als Vater und die Verhältnisse derselben zu den beiden andern eher das Verhältnis der Personen zu der Einheit des Wesens darzustellen, als sich mit der Gleichheit der drei Personen zu vertragen scheinen.“329 Um die „Gleichheit der drei Personen“330 zu wahren, geht Schleiermacher zum einen davon aus, daß wie die Schöpfung auch die Inkarnation des Erlösers und das Wirken des Geistes von Ewigkeit her im Ratschluß Gottes bestehen, und nur dem Menschen erst in der Zeit gegenwärtig werden. So hält er an der Einheit des göttlichen Wesens fest, in dem nicht nur die Schöpfung, sondern auch die Menschwerdung des Erlösers und die Geisterfüllung des Menschen ewig schon real sind.331 Zugleich sind die drei Wirk- und Erscheinungsweisen des göttlichen Wesens, im Heiligen Geist, im Erlöser und in der Schöpfung, ernstgenommen.332 Es ist also weder die Einheit Gottes noch die Dreiheit 327 328 329 330 331 332
S.u. III.3. S. dazu GL 172,1,470. GL 172,3,473. GL 172,3,473. S. dazu Wilhelm Grb, Humanität und Christentumsgeschichte, 154. S. dazu Wilfried Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, 265: Gegen Brandt ist festzuhalten, daß sich nach Schleiermacher der christliche Glaube nicht „zu einer Eigenschaft Gottes, die durch sein Sein bei uns in Christus und dem Heiligen Geist erfahren wird“, bekennt, sondern vielmehr zu Gottes Wesen, zur Liebe Gottes.
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seines Wirkens an seiner Schöpfung außer acht gelassen. Das ist grundlegend deshalb der Fall, weil nach Schleiermacher die gesamte Schöpfung als Manifestation Gottes durch das Wort Gottes – nicht allerdings durch den Heiligen Geist333 – so ursprünglich vollkommen geschaffen ist, daß sie die Inkarnation Gottes und die Erkenntnis derselben und damit die Erkenntnis des göttlichen Gemeinschaftswillens ermöglicht.334 Problematisch ist jedoch an Schleiermachers Trinitätsverständnis die nicht nur für die Menschwerdung des Erlösers, sondern auch für die Geistvermittlung angenommene Vereinigung von göttlichem Wesen und menschlicher Natur. Denn wie gezeigt, soll die menschliche Natur des Inkarnierten nur für die organische Ausführung des Willens Gottes zuständig sein. Ebenso scheint, wie sich zeigen wird, der Heilige Geist den Glaubenden derart mit göttlichem Wesen zu erfüllen, daß dieser als Mensch nur ausführt, was das göttliche Wesen bestimmt. Insofern Schleiermacher nicht nach der Akzeptanzmöglichkeit oder Ablehnungsfähigkeit des Menschen gegenüber dem göttlichen Wirken Gottes, des Erlösers und des Geistes, fragt, minimiert er die Unterschiedenheit zwischen Vater, Sohn und Geist, die sich dadurch (als drei Personen) voneinander unterscheiden, daß sie im Gegenüber zum Menschen (der ebenfalls Person ist) ein je eigenes Verhältnis gestalten. Der Erlöser ist dann nicht als wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich beschrieben, wenn das Vereintsein von Gottheit und Menschheit in ihm auf das Vereintsein von Seele und Organismus übertragen wird, bei welchem der Organismus als bloßes Instrumentarium Gottes dargestellt ist.335 Vielmehr ist das Menschsein des Erlösers nur dann angemessen dargestellt, wenn aufgewiesen wird, daß der Erlöser als wahrer Gott von Ewigkeit her mit einem Menschen, der sich durch ein menschlich-sinnliches Selbstbewußtsein auszeichnet, vereinigt ist. Muß also für die im Ratschluß Gottes ewig schon reale Vereinigung von Gottheit und Menschheit im Erlöser mehr als eine bloße Indienstnahme des menschlichen Organismus durch Gott selbst angenommen werden, dann muß deutlicher, als dies bei Schleiermacher der Fall ist, Gott, der Sohn und Erlöser, von Gott, dem Vater und Schöpfer, unterschieden werden. Die von Schleiermacher vorgeschlagene Identifikation von „’Gott’ als der Bezeichnung des höchsten Wesens und ’Vater unseres Herrn Jesu Christi’“336, die die 333 334 335 336
S. dazu u. III.3. und III.4. S. dazu Eilert Herms, Schleiermachers Umgang mit der Trinitätslehre, 144. S. dazu o. III.1.1. GL 172,3,473.
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Wesenseinheit des Erlösers mit dem Schöpfer garantieren soll, berücksichtigt nicht, daß sich der inkarnierte Sohn Gottes als zweite Person von Gott, dem Vater, gleich wie die Erlösung von der Schöpfung unterscheidet. Zugleich aber, und dies hebt Schleiermacher mit seinem Trinitätsverständnis hervor, ist das Wesen von Gott Vater und Gott Sohn ebenso eines, wie Schöpfung und Erlösung ihrem einen Heilswillen entsprechen. III.2. Die Erlösung Nach Schleiermacher bedeutet der Ausdruck Erlösung „im allgemeinen einen Übergang aus einem schlechten Zustande, der als Gebundensein vorgestellt wird, in einen bessern, und dies ist die passive Seite desselben; dann aber auch die dazu von einem andern geleistete Hülfe, und dies ist die aktive Seite desselben.“337 Die christliche Erlösung oder Befreiung aus dem Zustand der Sündhaftigkeit, in welchem das menschliche Geschöpf in Furcht vor der unausweichlichen Gebundenheit an die räumliche und zeitliche Begrenztheit der Schöpfung insgesamt und seines eigenen Lebens existiert, führt nach Schleiermacher in den seligen Zustand der Gottes-, Selbst und Welterkenntnis. Diesen Übergang wirke der inkarnierte Erlöser, indem er das Gottesbewußtsein des Menschen fördere und stärke. III.2.1. Die Erlösung, die der Erlöser wirkt Die Ermöglichungsbedingung dafür, daß die Schöpfung als Liebes-Manifestation Gottes und damit das adäquate Verhältnis zwischen Gott, dem ewig Allmächtigen, und der Welt in ihrer raum-zeitlich bestimmten schlechthinnigen Abhängigkeit erkannt werde, ist nach Schleiermacher die Erscheinung des Erlösers. Der Erlöser offenbare mit seiner irdischen Wirksamkeit die ursprüngliche Vollkommenheit der Schöpfung, weil er auf Grund seiner Gottesgemeinschaft sein wirksames sowie von Leiden und Schmerzen betroffenes Leben in vollendeter Seligkeit führe. Dem Glaubenden werde angesichts dieses Lebensvollzugs das eben diesem zugrundeliegende Vereintsein von Gott und Mensch oder genauer die vollendete Gemeinschaft zwischen beiden in der Person des Erlösers und damit der Heils- und Gemeinschaftswille des Schöpfers deutlich. Der Inkarnierte zeigt also in seiner Person und durch seine erlösende Wirksamkeit die Schöpfung samt den menschlichen Geschöpfen als Ausdruck 337 GL 11,2,76.
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der göttlichen Liebe und damit die Gnade der Natur oder auch das Reale in Zeit und Raum als ideal. Ebenso wie Gott und Welt sind nach Schleiermacher Erlösung und Schöpfung untrennbar aufeinander bezogen und nur in ihrer gegenseitigen Verbundenheit erkennbar.338 Die Erlösung erschließe – als ein „Schlüssel“339 – die Weisheit der Schöpfung, derentwegen (d.i. die Weisheit der Schöpfung) die Erlösung der Geschöpfe überhaupt nur möglich sei. Sie eröffne die befreiende Einsicht in die Weisheit, durch welche Gott in seiner Liebe die gesamte Schöpfung auf die Erlösung hin geordnet habe.340 Was den Zusammenhang zwischen Schöpfung respektive Erhaltung und Erlösung anbelangt, geht Schleiermacher davon aus, daß dieser im göttlichen Ratschluß von Ewigkeit her unverbrüchlich bestimmt ist. Schleiermacher macht Ernst mit der ewigen Treue Gottes, die dieser seiner Schöpfung gegenüber gerade durch die Erlösung kundgibt. Die Erlösung als Befreiung aus dem Zustand der Sündhaftigkeit des Menschen ist dementsprechend der Schöpfung ebenso zugehörig wie die Sündhaftigkeit; Urheber der Sünde oder genauer der Sündhaftigkeit und der Erlösung ist nach Schleiermacher Gott allein. Allerdings soll nach dem ewigen Heilsplan des Schöpfers die Sündhaftigkeit im Prozeß der Schöpfung durch das erlösende Wirken des Inkarnierten überwunden werden, damit die ursprüngliche Vollkommenheit der Schöpfung wirklich werde. Dabei ist entscheidend, daß Schleiermacher die Sünde des Menschen im Unterschied zu dessen Sündhaftigkeit als eigene Tat des Menschen beschreibt. Demgegenüber scheint der sündige Mensch bei der Erlösung des Erlösers relativ unbeteiligt zu sein. Damit nun die Erlösung nicht als Neuanfang und Ablösung des einen Schöpfungsprozesses erscheint, ist es nach Schleiermacher von Bedeutung, daß die Erlösung des Menschen durch den Menschgewordenen geschieht, der selbst im Prozeß der Schöpfung seine menschliche Bildungsgeschichte erlebt. Die Menschwerdung darf nach Schleiermacher nicht derart als ein 338 Nach Schleiermacher hat Gott mit seiner Weisheit die Welt gerade so geschaffen, daß die Schöpfung insgesamt „auf die erlösende oder neuschaffende Offenbarung Gottes bezogen werden [muß]“ (GL 168,2,454/455). 339 GL 168,2,454. 340 „In dem christlichen Glauben, daß alles zu dem Erlöser geschaffen ist, liegt […], daß schon durch die Schöpfung alles vorbereitend und rückwirkend eingerichtet ist in bezug auf die Offenbarung Gottes im Fleisch und zu der möglich vollständigsten Übertragung derselben auf die ganze menschliche Natur zur Gestaltung des Reiches Gottes.“ (GL 164,1,441). S. dazu auch o. I.2.1. zur ursprünglichen Vollkommenheit der Welt.
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Wunder verstanden werden, daß sie absolut übernatürlich und übervernünftig, ohne Anknüpfung an geschaffene Möglichkeiten geschehe. Vielmehr sei es der Weisheit des Schöpfers zu verdanken, daß in der Schöpfung und in einem menschlichen Geschöpf Gott selbst die Vollendung der Schöpfung wirken kann und wirkt. In Hinsicht auf den folgenden Abschnitt über die Amtstätigkeiten des Erlösers stellt sich jedoch die Frage, inwieweit Schleiermacher berücksichtigt, daß die Erlösung zwar zum Heils- und Schöpfungsplan dazugehört, daß sie aber nicht durch Gott den Schöpfer, sondern durch die Person des Erlösers vollzogen wird und daß sie, weil sie menschlichen Personen gilt, deren freie Zustimmung verlangt. Weil für Schleiermacher die Einheit und treue Unverbrüchlichkeit des göttlichen Wesens und die von Gott selbst vorherbestimmte Unverbrüchlichkeit des Schöpfungsprozesses im Vordergrund steht, scheint es ihm beim Erlöser nur darauf anzukommen, daß dieser eben das göttlich-schöpferische Wesen verkörpert und als solcher die Vollkommenheit der Schöpfung offenbart. Dabei wird jedoch die Eigenart des Erlçsers als derjenigen göttlichen Person, die die besondere Verwirklichung der durch Gott den Schöpfer bereits geschaffenen Heilsmöglichkeiten wirkt, außer acht gelassen. III.2.2. Die Amtstätigkeiten des Erlösers III.2.2.1. Das prophetische Amt des Erlösers Die notwendige Bedingung dafür, daß die menschlichen Geschöpfe für die Erlösung vorbereitet und für ihre erlösende Vereinigung mit Christus empfänglich sind, ist nach Schleiermacher die prophetische Tätigkeit des Erlösers.341 „Dem prophetischen Amt Christi nämlich gehört alles an, was Verkündigung, mithin auch Selbstdarstellung ist, nicht nur durch Worte, sondern auch durch die Tat. Diese wendet sich aber an die Menschen in Beziehung auf ihren Gegensatz gegen Christum, um sie für die Vereinigung mit ihm empfänglich zu machen“.342 Die Verkündigung des Erlösers ist nach Schleiermacher insofern „Selbstdarstellung“, als er nichts anderes verkündigt als die Gemeinschaftsabsicht Gottes gegenüber den Menschen, die er selbst als Vereinigung von Gott und Mensch verkörpert. Die göttliche Liebe oder auch Gott selbst sei der Inhalt seiner Selbst-Verkündigung, den er gegenüber seinen 341 „Das prophetische Amt Christi besteht im Lehren, Weissagen und Wundertun“ (GL 103, Leitsatz, 108); s. dazu GL 103,1 – 4 und v. a. 103,1,108. 342 GL 104,3,123.
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Mitmenschen zum Ausdruck bringe. Denn der Inhalt seiner prophetischen Verkündigung ist nach Schleiermacher identisch mit der Quelle seiner Lehre; „die Kundmachung seiner eigentümlichen Würde“343, welche das Sein Gottes in ihm ist, entstamme der „Offenbarung Gottes in ihm“344. Mit seiner Selbstdarstellung offenbart der Erlöser folglich das Wesen Gottes, das ihn als heilbringendes Urbild hervorgebracht hat und das ihm als wahrem Gott selbst zu eigen ist. Den menschlichen Geschöpfen gibt er damit den Heilsplan des Schöpfers und das Ziel der Schöpfung zu erkennen, welches – entsprechend dem Vereintsein von Gott und Mensch im Erlöser – die Realisation des Reiches Gottes als der vollkommenen Gemeinschaft Gottes und der Menschen ist.345 Weil der Inkarnierte als wahrer Gott selbst nach der vollendeten Gemeinschaft Gottes mit den Menschen strebe, verkündige er die göttliche Liebe. Denn nur die Verkündigung der göttlichen Liebe könne auch tatsächlich „die Menschen wirksam einladen, in die dargebotene Gemeinschaft zu treten.“346 Die Einladung zur Gemeinschaft mit Gott muß nach Schleiermacher durch die Selbstmanifestation des Erlösers, durch dessen „Wort und Werk“ vermittelt werden, „weil Geistiges wie die Stiftung eines Gesamtlebens nur geistig gewirkt sein will, und es keine andere geistige Einwirkung gibt als die Selbstdarstellung in Wort und Werk“347. Christi Selbstdarstellung in Wort und Werk wirke als Darstellung seines Gottes-Bewußtseins in geistiger Weise auf das Gottesbewußtsein der menschlichen Geschöpfe ein. Dadurch würden diese vorbereitet, die durch die hohepriesterliche Tätigkeit Christi bewirkte Erlösung und Versöhnung geistig zu empfangen. III.2.2.2. Das hohepriesterliche Amt des Erlösers Mit seiner prophetischen Tätigkeit verkündigt der Erlöser die Vollkommenheit seines Gottesbewußtseins im Gegensatz zur Sündhaftigkeit aller anderen Menschen und macht damit seine absolut vollkommene Got343 GL 103,2,111. 344 GL 103,2,110. 345 S. GL 103,2,111: Nach Schleiermacher sind „diese drei Stücke als das Wesen seiner Lehre konstituierend nicht voneinander zu trennen, die Lehre von seiner Person, welche zugleich nach außen hin die Lehre von seinem Beruf oder von der Mitteilung des ewigen Lebens in dem Reiche Gottes, und nach innen die Lehre von seinem Verhältnis zu dem ist, der ihn gesendet oder von Gott als seinem sich ihm und durch ihn offenbarenden Vater.“ 346 GL 103,2,111. 347 GL 101,4,104.
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tesbeziehung und Sündlosigkeit offenbar, welche ihn die Idealität der Schöpfung in Übereinstimmung mit dem Heilsplan des Schöpfers erkennen läßt. Indem er den menschlichen Geschöpfen den Heilswillen und die Liebe Gottes aufweise, mache er sie empfänglich für seine Vereinigung mit ihnen. Diese Vereinigung geschehe durch seine hohepriesterliche Tätigkeit.348 Seine hohepriesterliche Tätigkeit „bezieht sich auf seine Vereinigung mit uns, sofern nämlich sein reiner Wille, den göttlichen Willen zu erfüllen, […] auch in uns wirksam ist, und wir also an seiner Vollkommenheit teilhaben, wenn auch nicht in der Ausführung, doch im Antrieb“.349 Der reine Wille des Erlösers werde im Menschen in vereinigender Weise wirksam durch das schöpferische Handeln Christi, das dieser durch seinen ttigen und leidenden Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes ausübe. Die Erhaltung des Vereintseins mit Christus und die fortdauernde Anteilhabe an seiner Vollkommenheit werde durch seine königliche Herrschaft bewirkt.350 Die drei Tätigkeiten des Erlösers setzen nach Schleiermacher die Schöpfung und Erhaltung der Welt voraus. Schöpfung und Erhaltung offenbare der Erlöser als Ausdruck der Liebe Gottes und als den Inhalt des ewigen Heilsplans. Die irdische Realisation der ursprünglichen Vollkommenheit des Menschen wie der Welt (ihre vollendete Schöpfung und Erhaltung) werde jedoch erst durch die Tätigkeiten des Erlösers vollzogen.351 Der ttige Gehorsam des Erlösers ist nach Schleiermacher dessen „vollkommene Erfüllung des gçttlichen Willens.“352 Der Wille Gottes aber ist die göttliche Liebe selbst, die von Ewigkeit her die Gemeinschaft mit den menschlichen Geschöpfen sucht. Entsprechend besteht der tätige Gehorsam Christi darin, den Übergang der menschlichen Geschöpfe aus der sündhaften Lebensgemeinschaft in die Lebensgemeinschaft mit ihm zu vollziehen und damit die Schöpfung des Menschen zu vollenden.353 Diesen 348 349 350 351
S. GL 104,3,123/124. GL 104,3,124. S. dazu u. III.2.2.3. S. dazu GL 100,2,92: „Geht aber alle Tätigkeit des Erlösers von dem Sein Gottes in ihm aus, und war auch bei der Entstehung der Person des Erlösers die schöpferische göttliche Tätigkeit, die sich als das Sein Gottes in ihm befestigte, das einzig Tätige: so läßt sich auch alle Tätigkeit des Erlösers als eine Fortsetzung jener personbildenden göttlichen Einwirkung auf die menschliche Natur ansehen.“ 352 GL 104,3,124. 353 GL 104,3,125.
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Übergang vollziehe er durch seine Vereinigung mit den Menschen, bei welcher deren Wille von seiner Vollkommenheit oder vielmehr von seiner göttlichen Liebe angetrieben werde. Bei der Aufnahme in die Gemeinschaft mit dem Erlöser sowie im Zusammensein mit diesem werden nach Schleiermacher die Menschen von eben dem Prinzip bewegt, das auch den Erlöser antreibt.354 Dementsprechend finde die Vereinigung zum einen die Zustimmung der Menschen, zum anderen führe sie zur Verkündigung des Heilswirkens Christi durch die Erlösten sowie zu deren Vereinigung untereinander allein aus allgemeiner Menschenliebe.355 Seinen tätigen Gehorsam verrichte der Erlöser durch seine erlçsende Tätigkeit, bei welcher er sein schöpferisches Vermögen, das ihm als wahrem Gott in seinem Vereintsein mit Gott selbst zukommt, dazu verwendet, die sündigen Geschöpfe mit sich und also mit Gott zu vereinigen. Entsprechend der Annahme, daß diese schöpferische Vereinigung Christi mit den Menschen zur weltweiten Verkündigung und damit zur weltweit fortgesetzten Vereinigung Gottes mit den Menschen führt, bezeichnet Schleiermacher das Wirken des Erlösers als „personbildend“ und „weltbildend“356 und überhaupt als „die Fortsetzung der schöpferischen göttlichen Tätigkeit, aus welcher auch die Person Christi entstand.“357 In seinem tätigen und erlösenden Gehorsam wirkt der Erlöser gemäß der ihm eigenen schöpferischen Kraft, der er zugleich sein eigenes Dasein verdankt, die Vereinigung Gottes mit dem menschlichen Geist und verwirklicht also Gottes ewigen Heilsratschluß. Er verwirklicht als ein Organ Gottes358 und zugleich als wahrer Gott selbst Gottes ewigen Willen und Plan, welcher dem göttlichen Wesen vollkommen entspricht. Denn dieses ist die Liebe, die nach Gemeinschaft mit den Menschen strebt und dazu die Gemeinschaft der Menschen untereinander mitbezweckt, die durch die an ihnen geschehene Erlösung und ihre dadurch angetriebene Verkündigung des Heilwillens Gottes zustande komme. Im leidenden Gehorsam Christi ist nach Schleiermacher das Erlösungsgeschäft des Erlösers zu seinem „größten Moment“ gekommen.359 Denn der Erlöser sei auch dem größten Leiden nicht ausgewichen, sondern habe den Willen Gottes erfüllt und der Liebe des Schöpfers entsprochen, indem 354 355 356 357 358 359
GL 104,3,125. S. dazu GL 100,2,91/92 und 121,3,253. GL 100,2,92. GL 100,2,93. S. GL 100,2,93. GL 104,4,127.
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er auf Grund seines Mitgefðhls der Sðnde das Leiden und Sterben erlitt, das durch die Sünde des Menschen verursacht ist.360 Auf Grund seines vollkommenen Gottesbewußtseins und seiner vollkommenen Sündlosigkeit sowie seiner damit gegebenen vollkommenen Seligkeit habe er Gleichgültigkeit und Widerstand, welche ihm während seines irdischen Daseins begegneten, seinen Tod verursachten und in ihrer Ausrichtung auf Gott „die Sünde der ganzen Welt“ zum Ausdruck brachten, aus Mitgefühl erlitten, getragen und in seiner beharrlichen Seligkeit überwunden.361 Er habe den „Sieg über die Sünde“ davongetragen, indem er auf Grund seiner Sündlosigkeit die Idealität des Realen erkannte und deshalb in fortwährender Seligkeit in allen Lebenssituationen und auch in seinem durch die Sünde der Welt verursachten Sterben die menschliche Existenz in Zeit und Raum als gottgewollt behaupten konnte.362 Indem er die Gottgewolltheit oder Idealität von Raum und Zeit erkannt und dargestellt habe, habe er damit auch das Übel als nichtig erwiesen, das nur dem Sündhaften als Übel erscheine und von ihm als Strafe empfunden werde.363 Mit seinem Leiden und Sterben unter dem Mitgefühl der Sünde und in unangefochtener Seligkeit habe der Erlöser die uneingeschränkte Vereinigungsabsicht Gottes realisiert und manifestiert. Denn er habe mit seinem Leiden „die sich selbst schlechthin verleugnende Liebe“ Gottes bewiesen, die ihn selbst erfüllt habe und auf Grund deren sein Handeln als Gottes Liebeshandeln an den menschlichen Geschöpfen zu verstehen sei.364 Mit seinem Liebeshandeln habe er offenbart, „wie Gott in ihm war, um die Welt mit sich zu versöhnen“, weshalb weder Tod noch Leiden ihn als wahren Menschen an seiner Gottbezogenheit hindern konnten, vielmehr diese zur Überwindung von Übel und Sünde stark genug war.365 Durch diese Offenbarung seiner alles Leiden überwindenden Gottesbeziehung sollen die Menschen zum Glauben daran gelangen, daß der ewige Heilsplan
360 GL 104,4,126/127; s. auch 104,2,121. 361 GL 104,4,126; s. auch 104,2,121. 362 Zwar habe „auch Christus Schmerzen gehabt und gelitten“, doch „Unseligkeit ist nicht in den Schmerzen und Leiden, weil sie als solche nicht in das innerste Leben eindringen“ (GL 101,2,98). 363 S. dazu GL 104,4,127: Nach Schleiermacher hat Christus „durch seine freie Hingebung in Leiden und Tod der göttlichen Gerechtigkeit, als welche den Zusammenhang zwischen Sünde und Übel geordnet hat, genug getan, und uns dadurch von der Strafe der Sünde befreit“. 364 GL 104,4,127. 365 GL 104,4,128.
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Gottes die Verwirklichung ewiger Gottesgemeinschaft als den Zustand ewiger Seligkeit aller Menschen vorsieht. Der leidende Gehorsam Christi ist nach Schleiermacher die eigentlich versçhnende Tätigkeit des Erlösers,366 durch die der Erlöser die Aufnahme „in die Gemeinschaft seiner ungetrübten Seligkeit“ bewirke und durch welche er dem Einzelnen wie der Gemeinschaft der Glaubenden „ein seliges Gesamtgefühl“ stifte.367 Wie die erlösende Tätigkeit Christi den Erlösten Antrieb gebe zur Verkündigung des Heilswirkens Gottes, so gewähre ihnen seine versöhnende Tätigkeit in ihrem Leiden und Tätigsein diejenige Bezogenheit auf ihren Schöpfer, die ihnen im Leiden und Tätigsein das Gefühl der Seligkeit bereite.368 Um seine erlösende und insbesondere seine versöhnende Tätigkeit auszuführen, wird nach Schleiermacher der Erlöser nicht selbst zum Sðnder. Vielmehr ist nach Schleiermacher der Erlöser gerade deshalb wahrer Mensch, weil er die unverdorbene ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen in realisierter Gestalt präsentiert.369 Und gerade in dieser seiner Sündlosigkeit vermöge er die Sünde zu überwinden. Sie sei keine Macht, deren Überwindung den Tod verlange, welcher doch zu den geschaffenen Bedingungen menschlichen Daseins ursprünglich gehöre. Nicht der Tod des Erlösers ist nach Schleiermacher zur Überwindung der Sünde gefordert, sondern vielmehr ist diese als niedrige Bewußtseinsstufe des Menschen zu verstehen, welche durch die Stärkung des Gottvertrauens angesichts der sündlosen und seligen Hingabe des Erlösers an die Sünde der Welt überstiegen werde. Mit seinem Tod nehme der sündlose Erlöser nicht die Strafe für die Sünde der Welt auf sich, vielmehr zeige er durch sein seliges Leiden und Sterben, daß der Tod an sich kein Übel und deshalb auch nicht als Strafe zu verstehen ist.370 Nach Schleiermacher manifestiert der 366 S. dazu GL 101,4,103: „Dieses aber, daß wir als den Gipfel des Leidens das Mitgefühl der Unseligkeit setzen, schließt schon in sich, daß kein Leiden, welches nicht mit der erlösenden Tätigkeit Christi zusammenhängt, als zur Versöhnung gehörig angesehen werden kann, weil ein solches auch ohne Zusammenhang wäre mit der Richtung des Erlösers gegen die Unseligkeit, mithin auch nur magischerweise zur Versöhnung könnte gerechnet werden.“ 367 GL 101, Leitsatz, 97 und 101,2,99. 368 S. GL 101,2,99. Bei ihrer frommen Tätigkeit ständen die Glaubenden Gott gegenüber in der Nachfolge Christi, ein seliges Gefühl erfülle sie, wenn sie umgekehrt im Erlöser Gott selbst erkennten; s. dazu auch GL 104,4,128. 369 S. dazu o. Anm. 254. 370 S. dazu GL 104,4,127: „so kann man […] auch sagen, daß durch das Leiden Christi die Strafe hinweggenommen sei, weil in der Gemeinschaft seines seligen Lebens
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vom Sein Gottes erfüllte Erlöser, der in vollkommener Seligkeit seinen Tod erleide, daß zum einen nur im vollkommenen Vertrauen auf Gott Freiheit von der Sünde gegeben sei und infolgedessen sogar Leiden und Sterben in Seligkeit erfahren würden. Zum anderen mache er deutlich, daß der Tod, den er als sündloser Mensch erleidet, gerade keine Strafe für die Sünde darstellt noch auch überhaupt als äußerste Raum-Zeitbegrenzung zu fürchten ist, sondern eine dem Schöpferwillen gemäße irdische Beschränkung bedeutet. Der Erlöser stellt also die ursprüngliche Vollkommenheit der Schöpfung dar, indem er das nicht als Übel erleidet, was den sündhaften Menschen als Übel erscheint. Nach Schleiermacher muß die erlösende und versöhnende Tätigkeit des Erlösers menschlich und gçttlich beschaffen sein. Auf der einen Seite müsse die Wirksamkeit Christi, im wesentlichen seine prophetische Selbstdarstellung, unter der „geschichtlichen Naturform“ gedacht werden. Auf der anderen Seite geschehe das Wirken Christi keinesfalls „nur auf gewöhnliche menschliche Weise“, vielmehr sei es auch schöpferisch.371 Umgekehrt zum Schöpferhandeln Gottes, das aus dem Bereich des Übernatürlichen und Übervernünftigen in den des Natürlichen und Vernünftigen übergeht, um die irdische Welt zu schaffen, wirkt nach Schleiermacher der Erlöser zunächst in ganz menschlicher, natürlicher und vernünftiger Weise.372 Und er bewirkt dann mit seiner gçttlichen Schöpferkraft den Übergang in den Zustand dominierenden Gottesbewußtseins, in welchem der leidende Gehorsam des Menschgewordenen als gemeinschaftsstiftend erkannt wird und Seligkeit vermittelt. Das Wirksamwerden der schöpferischen Tätigkeit verlangt jedoch nicht nur die menschliche und göttliche Handlungsweise Christi, sondern auch die „lebendige menschliche Empfänglichkeit“ des Menschen, an der vorbei das Erlösungshandeln Christi für schlechthin übervernünftig und schöpfungswidrig gehalten werden müßte. Ebenso wie die Vereinigung von Gottheit und Menschheit im Erlöser muß nach Schleiermacher auch die Vereinigung des Erlösers mit den Menschen „auf der einen Seite eine anfangende göttliche Tätigkeit als etwas Übernatürliches, zugleich aber eine lebendige menschliche Empfänglichkeit, vermöge deren erst jenes Übernatürliche ein geschichtlich Natürliches werden kann“, voraussetauch das erst im Verschwinden begriffene Übel wenigstens nicht mehr als Strafe aufgenommen wird“. 371 GL 101,4,104. 372 Alle seine Äußerungen des Seins Gottes in ihm seien „durch die Form des menschlichen Lebens bedingt“ (GL 100,2,91).
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zen.373 Allerdings wird nach Schleiermacher die Lebendigkeit der menschlichen Empfänglichkeit durch das schöpferische Handeln des Erlösers selbst bewirkt. Der Erlöser wirke, daß das menschliche Geschöpf den Empfang von Gottesbewußtsein bewillige und ihn also in frommen Taten zur Geltung bringen kann. Es sei „das eigentümliche Geschäft des Erlösers“ ein „Taterzeugen in uns“, nämlich eine durch seine erste und grundlegende Tat hervorgebrachte Befähigung und Veranlassung des Menschen zum Glauben oder auch zur Förderung des „höheren Lebens“.374 Allerdings sei die aus der Erlösung resultierende Förderung des höheren Lebens im menschlichen Selbstbewußtsein eigentlich „die zur eigenen Tat gewordene Tat des Erlösers“.375 Denn die Zustimmung des menschlichen Geistes zur Erlösung geschehe zwar auf Seiten des Menschen, jedoch nur, indem der Erlöser diese Zustimmung unumgänglich bewirke.376 Die Tätigkeit des Erlösers am Menschen sei „ein schöpferisches Hervorbringen des Ihn377-in-sichaufnehmen-Wollens, oder vielmehr – denn es ist nur Empfänglichkeit für seine in der Mitteilung begriffene Tätigkeit – nur der Zustimmung zu der Wirkung von dieser.“378 Nach Schleiermacher besteht demnach für den Menschen, dem sich der Erlöser zeigt, keine Möglichkeit, sich dessen schöpferischem Handeln gegenüber unempfänglich zu zeigen und es in sündiger Weise abzulehnen. Ebenso wie das menschliche Geschöpf sein Erschaffensein nicht ablehnen kann, so ist nach Schleiermacher auch das schöpferische Wirken Gottes am geschaffenen Menschen ein unabweisbares „Hervorbringen […] der Zustimmung“ zum göttlichen Wirken. Zwar bringe die schöpferische Tätigkeit Christi ebenso wie die schöpferische Tätigkeit Gottes des Schöpfers „durchaus Freies“ hervor und wirke auch entsprechend der von Gott dem Schöpfer geschaffenen menschlichen Freiheit auf die menschlichen Geschöpfe.379 Doch befreie das schöpfe373 S.o. Anm. 281. 374 GL 100,1,90. Nach Schleiermacher ist das „höhere Leben“ ein an das Reich Gottes angenäherter Zustand. Die Realisation des Reiches Gottes werde durch die Tätigkeit der Erlösten vorangetrieben. Jede „in der frommen Erregung vorgebildete Handlung [sei] ein werktätiger Beitrag zur Förderung des Reiches Gottes“ (GL 9,1,61). 375 GL 100,1,90. 376 Vgl. dazu Maureen Junker, Das Urbild des Gottesbewußtseins, 188. 377 D.h. den Erlöser. 378 GL 100,2,92. Es ist die von Clemen angegebene Konjektur zitiert. S. dazu GL 14,1,94. – Die menschliche Freiheit steht nach Schleiermacher unter dem Vorherwissen Gottes: GL 55,3,300/301. 379 GL 100,2,91.
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risch-erlösende Handeln Christi den Menschen gerade insofern, als es ihn von der Sünde zur Einwilligung in die Vereinigung mit dem Erlöser und zur Mitarbeit am Reich Gottes befreie. Entsprechend verwendet Schleiermacher, um den Prozeß der Erlösung adäquat zu beschreiben, auch die Ausdrücke „Berufung“ und „Beseelung“. Dabei sei die „freie Annahme“ der Erlösung, die Schleiermacher als „Berufung“ bezeichnet, untrennbar an die Beseelung gebunden. Was die „Beseelung“ anbelangt, bezeichnet sie „den Anteil des Erlösers“ am Zusammenleben der Glaubenden mit ihm, welcher für die Gemeinschaft der Glaubenden wie für den einzelnen Glaubenden darin bestehe, daß Christus ihre Seele sei, der gegenüber sie sein Leib und sein Organismus sind; „wie ja die Kirche sein Leib genannt wird; […] ebenso soll auch in der einzelnen Gemeinschaft Christus die Seele sein, jeder Einzelne aber der Organismus, durch welchen sie wirkt.“ Was die für die Erlösung grundlegende Vereinigung von Gott und Mensch im Erlöser selbst anbelangt, ist durch die schöpferische Tätigkeit Gottes das gesamte Selbstbewußtsein des Erlösers derart von Gottes Sein erfüllt, daß er – auf geradezu doketische Weise – selbst Gott selber ist.380 Ebenso sei auch das Selbstbewußtsein des erlösten Menschen ein anderes als das des Sünders, denn die Seele des Erlösten sei von Christus erfüllt und seine Zustimmung zur Gottesgemeinschaft sei durch Christus in ihm gewirkt.381 Allerdings bleibt nach Schleiermacher dem erlösten Menschen anders als dem Erlöser das menschlich-sinnliche Selbstbewußtsein oder auch das rein menschliche Empfinden mehr oder weniger als solches erhalten; es geht nicht im Sein Christi auf. Dadurch jedoch, daß Schleiermacher die Zustimmung des Menschen zu Gottes erlösendem Handeln als durch dieses Handeln selbst gewirkt versteht, vernachlässigt er den Unterschied zwischen Schöpfung und Erlösung, der nicht bloß in zeitlicher Hinsicht besteht. Er nimmt für den Menschen an, daß dieser als Teil des Kunstwerkes Gottes zu vorherbestimmter Zeit im Verlauf des Schöpfungsprozesses einer Gottesbeziehung zustimmen muß und berücksichtigt nicht die Freiheit des Menschen, die diesem gerade durch das Wirken des Erlösers in der Beziehung zu Gott eröffnet wird. Gleich wie Schleiermacher Gott den Schöpfer und Gott den Erlöser um ihrer Wesenseinheit willen nicht als zwei Personen unterscheidet, unterscheidet er auch die Person des Menschen nicht ausreichend von der Person des schöpferischen Erlösers, um die vorherbestimmte Einheitlichkeit und Heilszielstrebigkeit 380 S. dazu o. III.1.2. 381 S. GL 100,2,92.
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des Schöpfungsprozesses herauszustellen, in dem die Menschen sich befinden. Schleiermacher geht davon aus, daß der Schöpfer in seinem Heilsplan von Ewigkeit her für alle Menschen die Erlösung und die ewige Gemeinschaft mit ihm vorherversehen und vorherbestimmt hat.382 Entsprechend kann es nach Schleiermacher nicht anders sein, als daß die menschlichen Geschöpfe als Elemente der Liebesmanifestation Gottes – irgendwann einmal – das Angebot des Erlösers tatsächlich empfangen. Andernfalls würde die Liebe Gottes sich mit einer reduzierten Gemeinschaft begnügen, was Liebe und Allmacht Gottes in Frage stellen könnte. Schleiermacher nimmt an, daß eine gewisse Freiheit des Menschen gegenüber dem Heilsplan Gottes, die auch die Ablehnung des Heilsangebotes ermöglichte, mit der Liebe Gottes nicht vereinbar ist. Überhaupt würde die Annahme einer solchen Freiheit die Vollkommenheit der einen und einzigen Schöpfung in Frage stellen. Als Selbstmanifestation Gottes muß diese das Wesen Gottes derart zum Ausdruck bringen, daß von der Liebe Gottes schließlich alles Sein geradezu erfüllt sein muß. III.2.2.2.1. Neuschöpfung Wie gezeigt, beschreibt Schleiermacher die Erlösung der menschlichen Geschöpfe als Befreiung oder Übergang aus der Lebensgemeinschaft mit dem ersten Adam zu derjenigen mit dem Erlöser. Dieser Übergang verlangt zum einen die Fortsetzung oder Erhaltung der schöpferischen Tätigkeit Gottes, welche die Existenz des ersten Adam wie auch die des Erlösers begründete.383 Keineswegs darf er deshalb als „Umschaffung“ der menschlichen Natur verstanden werden.384 Zum anderen verdankt er sich der besonderen schçpferischen Ttigkeit nicht Gottes des Schöpfers, sondern Gottes des Erlösers, weshalb durch ihn „das persönliche Selbstbewußtsein ein anderes wird.“385 Nach Schleiermacher kann zum einen die Erlösung nur an den von Ewigkeit her ursprünglich vollkommen geschaffenen menschlichen Geschöpfen geschehen, die der Schöpfer in seiner Treue erhält. Die Erlösung, 382 S. dazu o. II.1.; s. auch GL 163, Anhang, 439. 383 Dabei ist der Übergang selbst notwendig zur Erhaltung der Schöpfung, die von Ewigkeit her auf ihre Vollendung hin angelegt ist. Denn diese kann sie nur durch die Erlösung erreichen. 384 S. GL 11,2,77: Der sündige Mangel an Gottesbewußtsein erfordert nach Schleiermacher keine „Umschaffung“, „diese Vorstellung ist in dem Begriff der Erlösung nicht enthalten.“ S. auch 70,2,372. 385 GL 100,2,92.
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die der Schöpfer selbst durch den menschgewordenen Erlöser seinem eigenen ewigen Heilswillen gemäß vollzieht, kann nicht eine Veränderung des Naturzusammenhangs bedeuten, welche gar die Unverbrüchlichkeit der Personidentität menschlicher Geschöpfe verneinte. Zum anderen wird mit der Erlösung allerdings insofern eine „Neuschöpfung“ vollzogen, als dem Menschen in Übereinstimmung mit seiner geschaffenen und durch die Zeit hindurch erhaltenen – physischen und psychischen – Natur relativ Neues begegne. Zwar bleibe auch nach der Erlösung „der Mensch als psychische Lebenseinheit derselbe“, und das „neue Leben“ werde „nur auf das alte gleichsam gepfropft“.386 Jedoch wirke der Erlöser mit seinem schöpferischen Handeln die „Einpflanzung“ des kräftigen Gottesbewußtseins „als neues Lebensprinzip“, welche mit der „Ertötung der früheren Persönlichkeit“ einhergehe.387 Unter dieser Ertötung der früheren Persönlichkeit versteht Schleiermacher den Übergang von der Dominanz des sinnlichen Selbstbewußtseins zu der des Gottesbewußtseins, welcher durch den Menschen selbst nicht bewirkt werden kann und welcher die Vernichtung der zuvor vollkommen sündhaften Persönlichkeit bedeutet. Schleiermacher beschreibt den Vorgang der Erlösung und Neuschöpfung als Weg durch den Tod der rein sündhaften Persönlichkeit zum ewigen Leben, oder genauer als Übergang von sündhafter Gebundenheit an Raum und Zeit zur Erkenntnis des ewigen treuen Schöpferwillens. Für diesen Übergang könne ein zeitlich bestimmter „Wendepunkt“ ausgemacht werden, der den Anfang des Übergangs oder vielmehr den Beginn eines relativ neuen Lebens markiere.388 Doch sei der neugeschaffene oder wiedergeborene Mensch389 als solcher nicht schon sündlos. Er bleibe vielmehr bis zum Eintritt in das Reich Gottes „eine Mischung von Getrenntsein und Vereinigtsein des Göttlichen und Menschlichen“, der überwundene vollkommen sündhafte Teil seines Lebens aber werde fortwährend als seine Vergangenheit bestehen bleiben.390 386 387 388 389
GL 106,1,148. GL 100,2,93. GL 106,1,148. GL 106,1,148. Mit der „Wiedergeburt“ beginnt nach Schleiermacher das neue Leben im Glauben, das vornehmlich, aber noch nicht beständig unter der Dominanz eines kräftigen Gottesbewußtseins steht. Die „wachsende Stetigkeit“, welche das Gottesbewußtsein im Vollzug des neuen Lebens betreffe, bezeichnet Schleiermacher mit dem Terminus „Heiligung“. 390 GL 123,3,264: Schleiermacher hält fest, daß, „wenn auch einer wirklich dazu gelangte, daß das neue Leben sich über sein ganzes Wesen verbreitet, so gehörte doch immer zu seiner Person auch der vor der Wiedergeburt verflossene Teil seines
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Was also die Neuschöpfung durch den Erlöser anbelangt, kann festgehalten werden, daß nach Schleiermacher einerseits das Selbstbewußtsein durch die Erlösung ein anderes wird, als es vor der Erlösung war. Andererseits bleibe die psychische Lebenseinheit auch nach der Erlösung bestehen. Die Seele des erlösten Individuums soll von Christus erfüllt und eingenommen sein, zugleich aber soll sie die Seele des einzelnen Menschen bleiben. Diese Beschreibung Schleiermachers trifft für den Bestand der menschlichen Individualität insofern zu, als zum einen der überwundene sündhafte Teil des menschlichen Lebens durch die Erlösung gerade nicht getilgt, vielmehr als solcher zu Bewußtsein gebracht wird.391 Zum anderen ist sie insofern treffend, als der Erlöser die Seele des Erlösten auf Erden nicht dauerhaft dominiert, weshalb auch das erlöste Leben von der sündhaften Dominanz des sinnlichen Selbstbewußtseins nicht dauerhaft frei bleibt. Was die Annahme einer Änderung des Selbstbewußtseins, nicht seiner Struktur, jedoch seinem Inhalt nach, anbelangt, entspricht diese dem veränderten Erkenntnisvermögen des Erlösten. Die neuschaffende Einwohnung des Erlösers in der Seele des Erlösten führt dazu, daß diesem die gesamte Schöpfung ebenso wie das eigene Leben in voller „Klarheit“392 offenbar wird. Unter der beginnenden Dominanz seines Gottesbewußtseins sei der Erlöste ein „neuer Mensch“ und könne ein „neues Geschöpf“ genannt werden, weil er nun von seiner Sündhaftigkeit befreit sei und folglich die wachsende Einsicht in die Idealität des Realen erlebe, mit welcher die Erkenntnis von Raum und Zeit als den aus Gottes Liebe hervorgegangenen Strukturbedingungen der ursprünglich vollkommenen Schöpfung einhergehe. Der Erlöste selbst empfindet sich entsprechend als einen neuen, nämlich als einen nicht mehr begrenzten und beschränkten, sondern in Ewigkeit befreiten Menschen. Mit der Neuschöpfung oder Wiedergeburt wird nach Schleiermacher nicht nur die erlösende Befreiung von Sünde vermittelt, sondern zugleich wird auch die versöhnende Wirkung der Tätigkeit Christi in Seligkeit
Lebens.“ Eben deshalb werden sich nach Schleiermacher der urbildliche Erlöser und die Erlösten stets unterscheiden (s. a.a.O., 263/264). – S. zur Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem im erlösten Menschen: GL 106,1,148. 391 Zum „Sündenbewußtsein“ s. GL 100,2,92: Das Sündenbewußtsein gelangt nach Schleiermacher erst auf Grund der Erlösung durch den Erlöser, nämlich „erst durch die Anschauung seiner [d.i. des Erlösers] unsündlichen Vollkommenheit zur vollen Klarheit“. 392 S. dazu GL 100,2,92.
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erlebt; diese Seligkeit werde ebenso wie die Reich-Gottes-Arbeit des Erlösten im Prozeß der Heiligung verstetigt und gefestigt.393 Weil im Erlösten Jesus Christus selbst einwohnt und der Erlöste also analog zum Erlöser infolge der erlösenden Vereinigung (Neuschöpfung), die ihm mit diesem widerfahren ist, Göttliches und Menschliches auch in sich vereint (Heiligung), vermag er nach Schleiermacher die Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus Christus zu erkennen und wiederum in Analogie dazu die erste Schöpfung.394 Die Neuschöpfung oder „zweite Schöpfung“395 des Menschen durch die Vereinigung des Erlösers mit ihm gibt nach Schleiermacher vermittelt über Jesus Christus, das Wort und Organ Gottes des Schöpfers, die erste Schöpfung zu erkennen.396 Die erschaffende und die erhaltende Tätigkeit des Schöpfers wird durch das Wirken des Erlösers offenbar, weil sich beide Tätigkeiten „wie in Christo die göttliche Tätigkeit im Akt der Vereinigung [mit dem Menschen; schöpferisch] und im Zustand des Vereintseins [mit dem Menschen; erhaltend]“ verhalten.397 Dadurch, daß der erlöste und somit zum Glauben gekommene Mensch sich selbst als ein Geschöpf vorfindet, das aus einer Zeit der relativen Gottlosigkeit zu einem ewigen Leben, nämlich zu einem Leben in Gottesgemeinschaft erlöst ist,398 kann er sich und die gesamte Schöpfung als Objekt der Liebe Gottes erkennen; er gelangt zu der Gewißheit, daß der Plan des Schöpfers, der ihm durch Person und Werk des Erlösers offenbart ist, ein ewiger Heilsplan ist. Dem Erlösten ist es nach Schleiermacher nämlich möglich, in Analogie zu dem an der eigenen Person erlebten Übergang aus einem durch Zeit und Raum beschränkten Zustand in den ewigen Freiraum der Gottesgemeinschaft auf einen Schöpfungs- und einen Inkarnations-Übergang zu schließen, welche beide die Liebe Gottes zum Ausdruck bringen. Der Glaubende sieht ein, daß die unter der Sünde 393 S. GL 106,1,148; s. dazu GL 110, Leitsatz, 182. 394 S. dazu GL 106,1,148 und 110,3,187: Schleiermacher stellt für Jesus Christus und die Erlösten die Analogie auf, „daß die Wiedergeburt anzusehen sei wie der göttliche Vereinigungsakt mit der menschlichen Natur [in Jesus Christus], und die Heiligung wie der Zustand jener Vereinigung.“ 395 GL 106,2,149. 396 S. dazu GL 94,2,46: Nach Schleiermacher ist der Erlöser derjenige, der „alles Sein Gottes in der Welt und alle Offenbarung Gottes durch die Welt in Wahrheit vermittelt, insofern er die ganze neue eine Kräftigkeit des Gottesbewußtseins enthaltende und entwickelnde Schöpfung in sich trägt.“ 397 GL 100,2,93. 398 S. dazu u. III.2.2.2.
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erlebte Beschränktheit des irdischen Daseins durch Raum und Zeit dem Willen und Wesen des Schöpfers nicht entspricht. Er erkennt, daß Gott der Schöpfer vielmehr seinen ewigen Gedanken einer ursprünglich vollkommenen Welt verwirklichen will, daß dessen Realisation jedoch den Prozeß der Schöpfung voraussetzt und nur durch ihn geschieht. Weil dem Erlösten die ursprüngliche Vollkommenheit des irdischen Seins klar geworden ist, kann er von der irdischen Realität auf die ewige Schöpfung Gottes zurückschließen, gleich wie er angesichts des Menschgewordenen Gott selbst erkennen kann, und ihm ist deutlich, daß analog dem Verhältnis von Gottheit und Menschheit im Erlöser das Verhältnis von Gott und Welt als ungetrennte, aber auch unvermischte Zusammengehörigkeit beschrieben werden muß.399 Was die Erlösung oder Neuschöpfung des Menschen anbelangt, sind nach Schleiermacher grundlegend die Geburt Christi oder eben die Vereinigung Gottes mit der menschlichen Natur (Inkarnation) sowie in Analogie dazu die Schöpfung der Welt oder eben die Realisation des Wollens und Denkens Gottes des Schöpfers (Schöpfung) von Bedeutung. Weder Tod noch Auferstehung des Erlösers werden von Schleiermacher als heils- und offenbarungsrelevante Ereignisse angesehen. Bereits vor dem Tod des Erlösers sei Jesus Christus durch seine Jünger als menschgewordenes Gotteswort erkannt worden. Denn ebenso wie nach dem Weggang Christi von der Erde sei schon zu seinen Lebzeiten der Heilige Geist tätig gewesen,400 Erlösung samt Versöhnung den Menschen zu vermitteln.401 Seit Christi Geburt geschehe die Erlösung der Menschen auf geistige Weise.402 Es sei die „vollkommne Aufnahme in die Lebensgemeinschaft mit Christo, aus welcher sich Erlösung und Versöhnung vollkommen begreifen lassen, möglich gewesen […] vor dem Leiden und Tode Christi.“403 III.2.2.2.2. Tod und Auferstehung Christi Im Unterschied zu Luther hält Schleiermacher Tod und Auferstehung Christi nicht für den ausschlaggebenden Grund der Erlösung und „Neuschöpfung“. Nach Luther bildet die Auferstehung Christi den Erkennt399 S. dazu Anne Kfer, Geselliger und religiöser Stil, 221. 400 GL 122,1,254/255: Nach Schleiermacher ist, „was auf Christum sich beziehend eine göttliche Offenbarung in der Seele ist, […] auch ein Werk des Geistes“. 401 S. dazu GL 122,1,255; zum Wirken des Heiligen Geistes s. ausführlicher u. III.4. 402 S. dazu GL 122,3,258/259. 403 GL 101,4,102.
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nisgrund für Person und Werk des Erlösers. Der Glaube an den Erlöser werde erst nach seiner Auferstehung durch das Wirken des Heiligen Geistes geweckt und gefördert. Nach Schleiermacher hingegen kommt dem Eintreten des sündlosen Erlösers in die sündhafte Menschengemeinschaft und seiner dortigen Selbstdarstellung sowie seiner Vereinigung mit den Menschen entscheidende Bedeutung zu. Gerade die Inkarnation des Schöpferwortes gewähre dem menschlichen Geschöpf, in dem der Inkarnierte selbst Wohnung genommen habe, ein Leben frei von Sünde und ein Leben in Seligkeit. Sie nämlich begründe die adäquate Erkenntnis von Schöpfer und Schöpfung und deren Verhältnis zueinander, so daß dem Glaubenden die irdische Wirklichkeit als Wegstrecke im Prozeß der Vollendung des göttlichen Heilsplans vor Auge stehe. Die Inkarnation des Schöpferwortes bildet nach Schleiermacher die entscheidende Schlüsselstelle im Heilsplan Gottes. Sie stellt insofern den Höhepunkt in der Beziehung zwischen dem Schöpfer und seinen menschlichen Geschöpfen dar, als nur und erst durch sie die Gemeinschaft der Geschöpfe mit ihrem Schöpfer tatsächlich eröffnet wird. Für die Erlösung und für die Versöhnung Gottes mit den Menschen sind nach Schleiermacher weder Tod noch Auferstehung und keineswegs die organisch-körperlichen Leiden Christi als solche von Bedeutung.404 Vielmehr sei es für die Erlösung bedeutsam, daß der Erlöser sich dem ihm unabwendbaren Leiden405 hingegeben habe, und für die Versöhnung sei es entscheidend, daß seine Seligkeit durch das Leiden nicht beeintrchtigt worden sei.406 Wie die Interpretation zeigt, wird durch die erste Annahme die Vollkommenheit des Erlösers oder genauer die ihm wesenhafte göttliche Liebe bestätigt, welche die Gemeinschaft mit den Menschen erstrebt und deshalb sogar die Leiden auf sich nimmt, die aus dem Widerstreben des Menschen resultieren. Mit seinem seligen Leiden wiederum, das die Menschlichkeit seines Leidens verneint, hat der Erlöser seine unerschütterliche Gewißheit vom Heilswillen Gottes und damit die unablässige Treue des Schöpfers aufgezeigt, der angesichts der Sünde des Menschen an seinem Heilsplan uneingeschränkt festhält.407 Mit seinem hingebungs404 S. GL 101,4,103. 405 Der Erlöser habe seine Selbstdarstellung keineswegs durch Verletzung der Pflicht zur Selbsterhaltung abgebrochen. Vielmehr sei er im Berufseifer für Gottes Willen getötet worden; s. GL 104,4,132/133. 406 S. GL 101,4,102. 407 S. GL 104,4,127/128: „in seinem durch die Beharrlichkeit hervorgerufenen Leiden bis zum Tode erscheint uns die sich selbst schlechthin verleugnende Liebe; und in dieser vergegenwärtigt sich uns in der vollständigsten Anschaulichkeit die
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vollen seligen Leiden und Sterben hat nach Schleiermacher der Erlöser das hohepriesterliche Amt zur Vollendung gebracht.408 Weil Schleiermacher für die Jünger Jesu annimmt, daß sie zu Lebzeiten des Erlösers derselben Erlösung und Versöhnung teilhaftig geworden seien,409 wie diejenigen, die erst nach Leiden und Tod des Erlösers mit dessen Person und Werk bekannt geworden sind,410 muß in der prophetischen Selbstdarstellung des Erlösers auf Erden schon vorkommen, „was zu seinem hohenpriesterlichen und königlichen Amt gehört“.411 Sowohl die Vollkommenheit wie die Seligkeit des Erlösers seien zwar erst mit seinem Leiden und Sterben, also am Ende seiner irdischen Entwicklung, vollständig erschienen. Doch daß er zu diesem seligen und gemeinschaftsstiftenden Leiden sowie zum geistigen Regiment über die Glaubenden bestimmt sei, das habe er gegenüber seinen Jüngern mit seiner Selbstdarstellung zum Ausdruck gebracht. Entsprechend geht Schleiermacher davon aus, „daß der kirchliche Glaube auch der ursprüngliche ist und in den Aussagen Christi von sich selbst gegründet.“412 Nach Schleiermacher müssen Leiden und Sterben des Erlösers als bloße Entwicklungsstufen in dessen gesamtem irdischen Dasein in Raum und Zeit, nicht aber dürfen sie als die „Summe der erlösenden Tätigkeit Christi“ und auch nicht als Verzicht auf die dem Erlöser eigentümliche Seligkeit oder gar als Leiden Gottes verstanden werden.413 Denn die Annahme, daß Gott selbst im menschgewordenen Erlöser Unseligkeit erlitten habe, impliziere – wie die communicatio idiomatum überhaupt – die Leugnung der Gottheit Gottes, welche in Zeit und Raum zwar das selige Leiden des Erlösers aus Liebe wirke, als zeitlose und allmächtige Liebe selbst aber gerade keiner Veränderung und keinem Wechsel unterliege.414 Allein die Liebe des wechsellosen transzendenten Grundes gehe im Übergangsgeschehen der Inkarnation von Gott zum Menschen über.
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Art und Weise, wie Gott in ihm war, um die Welt mit sich zu versöhnen, so wie auch am vollkommensten in seinem Leiden, wie unerschütterlich seine Seligkeit war, mitgefühlt wird.“ Damit sei er „der vollkommenste Vermittler […] für alle Zeiten zwischen Gott und jedem einzelnen Teil des menschlichen Geschlechtes“ (GL 104,6,135). Dies muß allerdings im Blick auf die biblischen Texte bestritten werden ( Jüngerunverständnis!). S. GL 99,1,82, s. dazu GL 99,Z,88. GL 103,2,112. GL 99,Z,88, GL 101,4,102.103; GL 104,4,129. S.o. III.1.6.
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Dahingegen könnten die Eigenschaften Gottes in die begrenzte und endliche Welt keinen Eingang finden. Schleiermacher scheint es zu genügen, daß durch den Erlöser der Blick auf die Liebe des ewigen und allgegenwärtigen Schöpfers gerichtet wird. Weil Schleiermacher vornehmlich an der erlösenden Mitteilung göttlicher Liebe durch den Inkarnierten gelegen ist, beschreibt er weder die Gegenwart des ewigen und allgegenwärtigen Gottes in der Welt noch die Auferstehung des Menschgewordenen als heilsbedeutsam. Es genügt nach Schleiermacher, daß der Inkarnierte durch seine Amtstätigkeit die Liebe Gottes offenbart. Die Liebe Gottes aber sei von Ewigkeit her darauf aus, durch den Erlöser in Raum und Zeit den menschlichen Geschöpfen derart zu begegnen, daß diese ihre zeitliche Begrenztheit und den Tod nicht fürchten, sondern erkennen, daß sie mit ihrem körperlichen Tod in das Reich Gottes als den Zustand vollkommenen Gottesbewußtseins und ungetrübter Seligkeit übergehen werden.415 Weil der Schöpfer von Ewigkeit her die Gemeinschaft mit seinen menschlichen Geschöpfen suche, hat er nach Schleiermacher zum einen den Menschen von Ewigkeit her mit der Möglichkeit zur Aufnahme des Göttlichen ausgestattet. Zum anderen hat er von Ewigkeit her für alle Menschen die Auferstehung aus dem Tode vorhergesehen.416 Deshalb steht nach Schleiermacher die Auferstehung Christi „keinesweges in einem ausschließlichen Zusammenhange mit dem eigentümlichen Sein Gottes in Christo […]. Auch wird sie nie als ein Zeugnis des in Christo wohnenden Göttlichen angeführt, da sie überall nicht ihm selbst, sondern Gott zugeschrieben wird.“417 Weder offenbare die Auferstehung des Erlösers dessen Gottsein noch ist es für Schleiermacher bezogen auf die Erlösung insgesamt von Bedeutung, daß Gott der allmächtige und ewige Schöpfer die Auferstehung des Erlösers
415 S.o. III.2.2.2.4. 416 S. dazu GL 161, Leitsatz, 423. 417 GL 99,1,82/83 (Hervorhebung A.K.). S. zu Schleiermachers Verständnis von Tod und Auferstehung die Zusammenfassung von Martin Weeber, Schleiermachers Eschatologie, 96: „Erstens: Der Tod ist für Schleiermacher ein Naturphänomen und nicht erst durch die Sünde in die Welt gekommen. Zweitens: Unter den Bedingungen der Sünde erscheint der Tod als Übel. Drittens: Der Kreuzestod des Erlösers bestärkt die Glaubenden in dem Bewußtsein, daß der Tod keine Strafe ist. Viertens: Die Auferstehung Jesu bietet keine Gewährleistung für die Auferstehung der Glaubenden.“ Gegen Punkt vier ist einzuwenden, daß nach Schleiermacher gerade der Erlöser, der, in den Naturzusammenhang eingebunden, als wahrer Mensch stirbt und aufersteht, deutlich macht, was jeden Menschen erwartet.
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gewirkt hat, denn dieser wirke eben die Auferstehung aller Menschen in sein ewiges Reich. Die Auferstehung als die Vollendung des erlösenden Übergangs von sündhaftem Sein in das von Sünde freie Reich Gottes muß nach Schleiermacher von Ewigkeit her von Gott dem Schöpfer gedacht und gewollt sein; eben dieses gemeinschaftsstiftende Denken und Wollen entspricht nämlich der im Erlöser dargestellten Liebe Gottes des Schöpfers. Den gesamten Übergang der Erlösung, welcher „mit der Person des Erlösers beginnt und sich mit der Vollendung seines Reiches vollendet“, bezeichnet Schleiermacher als ein „Wunder“.418 Für dieses Wunder der Erlösung muß die Auferstehung aller Menschen konstitutiv gelten. Andernfalls bedürfte das schöpferisch-erlösende und als solches auch auferweckende Wirken des Inkarnierten eines zusätzlichen schöpferischen Wirkens Gottes, durch welches die Auferstehung der Toten erst gewährt würde. Dies aber würde dem einheitlichen Naturzusammenhang ebenso wie der – angeblich bereits vor dessen eigener Auferstehung – schöpferisch-wirksamen Gottheit des Erlösers sowie der treuen Einheit göttlichen Denkens, Wollens und Handelns widersprechen.419 Nach Schleiermacher umfaßt die gesamte Erlösung des Menschen einen einheitlichen Zusammenhang, den der Inkarnierte mit seiner erlösenden Tätigkeit an den einzelnen menschlichen Geschöpfen beginne und den er fortführe bis zur Vollendung und Realisation des Reiches Gottes, das er den Erlösten bereits vor Augen stelle. Wie die Interpretation zeigt, ist es nach Schleiermacher nicht so sehr von Bedeutung, daß Christi Kreuzestod und damit der Sündentod aller Menschen durch Auferweckung und Auferstehung des Erlösers überwunden wurde. Vielmehr ist ihm daran gelegen, daß im Glauben an den Erlöser und in Gemeinschaft mit Gott alles Leiden und auch das Leiden bis zum Tod unter Gottes ewig-treuer Herrschaft steht und dem Prozeß zur Verwirklichung des göttlichen Heilswillens angehört.
418 GL 103,4,116. 419 Wenn die Auferstehung als Wunder und dann auch als heilsnotwendig zu bestimmen wäre, müßte ein weiteres Wunder zur Erkenntnis des Heilswillens Gottes für nötig gehalten und damit die besondere heilstiftende Relevanz der Menschwerdung des Erlösers in Frage gestellt oder zumindest relativiert werden.
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III.2.2.2.3. Die Auferstehung und das Reich Gottes Was die Entstehung und die Form des Lebens der Auferstandenen anbelangt, stehen sich nach Schleiermacher zwei Alternativen gegenüber.420 Für beide gelte, daß letztlich im Reich Gottes alle 421 Menschen „die vollkommenste Fülle des lebendigsten Gottesbewußtseins“ besitzen422 und sich damit „in einem Zustand unveränderlicher und ungetrübter Seligkeit befinden“423. Denn es könne ein Zustand vollendeter Seligkeit nicht bestehen, wenn an ihm nicht alle Menschen Anteil hätten; das Mitleid mit den Unseligen, die von diesem Zustand ausgeschlossen wären, würde eine Minderung jeglicher Seligkeit bedeuten. Überhaupt wäre im seligen Zustand den Seligen bewußt, daß ihre Seligkeit ebensowenig wie die Unseligkeit ihrer Mitmenschen eigener Tätigkeit, sondern vielmehr unbeeinflußbaren „Fügungen“ verdankt ist.424 Gerade im Reich Gottes sei das Bewußtsein der allgemeinen Abhängigkeit allen Seins bewußt. Zugleich sei die Liebe Gottes offenbar, derentwegen diese Abhängigkeit in dankbarer Seligkeit erlebt werden darf. Die Annahme von Allerlösung und Allversöhnung ist nach Schleiermacher angesichts des im und durch den Erlöser offenbarten Liebesratschlusses Gottes konsequent. Das menschgewordene Schöpferwort hat nach Schleiermacher selbst das Reich Gottes als ewige Gemeinschaft mit dem Schöpfer verkündet, und es stiftet durch seine Tätigkeit die Gewißheit der ewigen Liebe Gottes, die der gesamten Schöpfung gilt.425 Die eine Alternative besteht nach Schleiermacher in der Annahme, daß der Übergang vom gegenwärtigen zum künftigen Leben durch eine Unterbrechung, einen „Zwischenzustand“ bestimmt sei, während dessen 420 Zur ausführlichen Darstellung der Eschatologie Schleiermachers s. Martin Weeber, Schleiermachers Eschatologie. Weeber macht durch seinen Vergleich der ersten mit der zweiten Auflage der Glaubenslehre die Eigenarten der Schleiermacherschen Eschatologie besonders deutlich. Vgl. im folgenden v. a. a.a.O., 142 – 150. 421 S. dazu GL 163, Anhang, 439. 422 GL 163,2,436 und 163, Leitsatz, 433; s. dazu allerdings den Einwand 163,2,436/ 437: „Wir können mithin zwar von beiden Punkten ausgehn, sowohl von der Aufgabe, eine unveränderlich sich gleichbleibende Seligkeit, als von der, eine ins Unendliche fortgehende Steigerung vorzubilden; aber da wir keine von beiden wirklich lösen können, so bleiben wir immer ungewiß, wie der Zustand […] erworben und […] besessen wird.“ 423 GL 163, Leitsatz, 433. 424 GL 163, Anhang, 439. 425 S. dazu GL 158, Leitsatz, 410 und 163, Anhang, 439.
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die Toten gesammelt würden,426 so daß die gesamte Kirche ihren Vollendungszustand auf einmal427 tatsächlich erreiche;428 das künftige Leben der Kirche trete „plötzlich“ ein,429 und den Auferstandenen sei ein „plötzlicher, sich immer gleichbleibender Besitz des Höchsten“ gegeben.430 Was die These von einem plötzlichen und damit zusammenhanglosen Übergang sowie das dahinterstehende Interesse an der „Vollendung der Kirche“ anbelangt, nötige dieses Interesse, „die Ähnlichkeit zwischen der künftigen Leiblichkeit und der gegenwärtigen […] zu beschränken“.431 Dabei sei allerdings – im Unterschied zu Luther432 – die mit dieser Beschränkung verbundene Annahme zu verwerfen, „daß der Leib der Auferstehung unsterblich sei und ohne Geschlechtsverrichtung“.433 Nach Schleiermacher kann der Leib nach der Auferstehung nicht in einem Gegensatz zum geschaffenen Naturzusammenhang stehen. Andernfalls wären weder die Identitäten der Personen gewahrt noch wäre die Natürlichkeit und Vernünftigkeit der die Welt und ihre Vollendung umfassenden Selbstmanifestation Gottes beachtet. Anders als die erste berücksichtige die zweite Alternative im Blick auf das „ewige Leben“ dessen Zusammenhang mit dem irdischen Leben und insbesondere die Identität oder „Kontinuität der [vormals sündigen und dann erlösten] Persönlichkeit“.434 Die zweite Alternative gehe aus von einer allmählichen Entwicklung des Reiches Gottes, in welches jeder einzelne „gleich nach seinem Tode“ eingeht.435 Es werde angenommen, daß sich im künftigen Leben die Vollendung der menschlichen Geschöpfe im Zusammensein mit der zunehmenden Zahl an Verstorbenen allmählich entwickelt; es ist „eine ins Unendliche fortgehende Steigerung“436 vorauszusetzen, derentwegen die Vollendung des Vollendungszustandes dem ewigen Wollen Gottes entspricht. Was die Vollendung der Frömmigkeit und Seligkeit aller Einzelnen anbelangt, erfahren diese also eine „all-
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GL 161,2,426. S. dazu Luther-Kapitel, V.1. GL 161,1,425. GL 161,2,428. GL 163,1,434. GL 161,1,425. S. dazu Luther-Kapitel, V.1., Anm. 320. GL 161,1,425. GL 161,2,428; s. dazu a.a.O., 424. GL 161,2,427. GL 163,2,436.
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mähliche Steigerung bis zum Höchsten, welche aber, wie die Entwicklung Christi, gedacht werden müßte ohne Rückschritt und ohne Kampf.“437 Die erste Alternative hat nach Schleiermacher den Vorzug, daß sie das Reich Gottes als definitives und unwandelbares Ziel des Heilsplanes Gottes für seine gesamte Schöpfung ernstnimmt.438 Die andere Alternative hingegen macht Ernst mit der Stetigkeit des Heilswillens Gottes und der Verläßlichkeit seiner Schöpfungsordnung, welche eine plötzliche Unterbrechung und Alteration des ewig Gewollten, Geschaffenen und Erhaltenen nicht duldet. Bei dieser Auferstehungsvorstellung ist in besonderem Maße der Naturzusammenhang gewahrt, weil das Plötzliche, Zusammenhanglose ausgeschlossen und die Auferstehung aller Menschen als ein der menschlichen Entwicklung zugehöriges Übergehen in das Reich Gottes festgehalten ist. In Übereinstimmung damit befindet sich Schleiermachers Überzeugung, daß auch die Auferstehung des Menschgewordenen nicht außer der Schöpfungsordnung geschieht, sondern vielmehr die allgemeinmenschliche Entwicklung durch den Tod hindurch als gottgewollte aufzeigt.439 Weil es Schleiermachers vornehmliches Anliegen ist, bei seiner Reflexion über Mensch und Welt den Naturzusammenhang zu wahren sowie den Erlöser als den Offenbarer des treu-liebenden Schöpfers und seiner ursprünglich vollkommenen Schöpfung zu beschreiben, kann vermutet werden, daß er die zweite Alternative bevorzugt.440 437 GL 163,1,434. 438 Vgl. dazu GL 161,1,424/425: Die Vollendung der Kirche als das Heilsziel des göttlichen Schöpfungsplanes kommt auf jeden Fall nur dann nicht zu kurz, wenn das Reich Gottes der von allen Zuständen der Heilszunahme unterschiedene Zustand des vollkommenen Heils ist. S. dazu auch GL 159,1,417. 439 Daß Schleiermacher die Annahme einer Entwicklung des Menschen im Reich Gottes besonders wichtig ist, zeigt auch die gegenüber der Erstauflage der Glaubenslehre veränderte klimaktische Reihenfolge: „Zuerst werden die Probleme des Stetigkeitsmodus der Seligkeit besprochen und danach erst diejenigen des Steigerungsmodus. Neben dieser Umgliederung fällt noch eine Reihe von Detailänderungen auf.“ Es sei unter anderem „die Beschreibung der irdischen Analogie zum vollendeten Seligkeitszustand ausführlicher formuliert“, was als Beweis für Schleiermachers besondere Berücksichtigung des Naturzusammenhanges dienen kann (zitiert ist Martin Weeber, Schleiermachers Eschatologie, 146). 440 S. dazu J. Christine Janowski, Allerlösung, 590/591 und Wilhelm Grb, Humanität und Christentumsgeschichte, 147: „Die Geschichte läuft nicht auf eine bruchlose Vollendung in einem Zustand irdischer Vollkommenheit zu“. Schleiermacher nimmt für das Reich Gottes allerdings nicht einen Zustand irdischer Vollkommenheit an, jedoch soll eine kontinuierliche Vollendung der Kirche zu
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Diese Vermutung findet ihre Bestätigung darin,441 daß Schleiermacher den „Lebensinhalt“ im Reich Gottes als Selbstdarstellung der Erlösten gemäß dem Vermögen ihrer endlichen Natur bestimmt.442 Denn „wenn das Einzelleben in menschlicher, ja wohl überhaupt in endlicher Natur fortbestehen soll, [wird] unser Gottesbewußtsein immer nur ein vermitteltes bleiben, und wir werden den Unterschied zwischen dem jetzigen und dem künftigen [Leben] nur innerhalb dieses Gebiets zu suchen haben.“443 III.2.2.2.4. Ewiges Leben Im Hinblick auf die Fortexistenz des Menschen im Reich Gottes hält Schleiermacher die Bewahrung der Personidentität und damit auch die Erhaltung des je eigenen endlich-sterblichen Körpers für unabdingbar. Der menschliche Körper müsse unter Berücksichtigung der Kontinuität der Person als fortwährend sterblich und abhängig von Geschlechtsverrichtung gedacht werden. Zugleich geht Schleiermacher von der Unsterblichkeit der Persönlichkeit oder „Seele“ aus und nimmt eine „ewige persönliche Fortdauer“ der menschlichen Geschöpfe an,444 welche wesentlich durch „die Fortdauer der Verbindung der Gläubigen mit dem Erlöser“ bestimmt sein werde.445 Das für das Reich Gottes angenommene Vereintsein von ewigem erlöstem Seelenleben und endlichem Körper ist nach Schleiermacher im unmittelbaren Selbstbewußtsein der Möglichkeit nach angelegt und während des Erdenlebens bei christlich-frommer Dominanz der religiösen über die sinnliche Selbstbewußtseinsseite als Ziel des irdischen Daseins bewußt. Auf Erden begleite der transzendente Grund im religiösen Gefühl, welches den ewigen Grund repräsentiere, das Empfinden, Denken und Wollen des Menschen in Zeit und Raum auf zeitlose Weise.446 Im sinnlichen Selbstbewußtsein hingegen werde durch den Wechsel von Empfindungen, Absichten und Realisationsmöglichkeiten die Endlichkeit des eigenen irdischen Seins bewußt, die jedoch unter der Dominanz
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Zuständen führen, die „genaue Verwandtschaft mit den irdischen Zuständen“ haben (GL 161,2,428). Überhaupt geht Schleiermacher davon aus, „daß der Anfang des Reiches Gottes ein Übernatürliches sei, welches aber, so wie es in die Erscheinung tritt, ein Natürliches werde“ (GL 100,3,95). GL 163,2,435. GL 163,2,436. GL 158,2,415. S. dazu GL 163,2,437. GL 158,3,416. S.o. 0.2.
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des christlich-religiösen Gefühls als Ausdruck des ewigen Willens Gottes erkannt werde.447 Analog zum inkarnierten Erlöser, der die ewige Gottheit, die seine Seele erfülle, mit seinem menschlichen und sterblichen Organismus vereine, vereint also der durch Christus Erlöste bereits auf Erden in sich die Zeitlosigkeit Gottes, die ihm im Gottesbewußtsein gegeben ist,448 mit seinem sinnlichen Selbstbewußtsein,449 in dem ihm die eigene Endlichkeit bewußt wird.450 Weil der Erlöser Gottheit und Menschheit, Zeitlosigkeit und Zeit vollkommen in sich vereine,451 sei er „der Vermittler der Unsterblichkeit“ für alle Menschen.452 Durch seine Erlösung werde den Erlösten bewußt, daß sie nicht nur einen endlichen Leib besitzen, sondern mit diesem eine unsterbliche Seele vereinen. Denn am Erlöser sei deutlich, daß Gott der Schöpfer sich nur deshalb mit dem Menschen vereinigen konnte, weil dieser mit seiner unsterblichen Persönlichkeit zur Aufnahme der ewigen Gottheit befähigt ist. Weil er seine Vereinigung mit dem Menschen schon ewig beschlossen habe, habe andererseits Gott der Schöpfer dementsprechend die menschliche Natur unsterblich geschaffen.453
447 S. dazu GL 52,2,271: Nach Schleiermacher ist auch „das Ich […] beharrlicher Grund aller wechselnden Gemütserscheinungen“. 448 Schleiermacher hält fest, daß „schon immer die menschlichen Einzelwesen dieselbe Unsterblichkeit an sich tragen mußten, deren der Erlöser sich bewußt war“ (GL 158,2,415). 449 „Denn als selbstbewußte Einzelwesen können wir das Gottesbewußtsein, wenn es doch das unsrige sein soll, immer nur haben mit unserm Selbstbewußtsein“ (GL 163,2,436). Eine „Beharrlichkeit des höchsten Selbstbewußtseins“ ist nach Schleiermacher nur möglich, wenn „zugleich mit demselben auch das sinnliche Selbstbewußtsein gesetzt [ist]“ (GL 5,3,35). 450 S. dazu Johann Gottfried Herder, Brief an Moses Mendelssohn, April 1769, (137 – 143) 138: „Eine von Sinnlichkeit befreiete Seele, ist […] eine Mißbildung; […]. Es ist eine aufs disproportionirteste ausgebildete Menschliche Natur, es ist seiner Bestimmung nach, ein Monstrum.“ 451 Zur Unterscheidung des Erlösers von allen Erlösten s. GL 114,2,213. 452 GL 158,2,415. 453 S. dazu GL 158,2,413 und a.a.O., 414: Schleiermacher hält fest, „daß, wenn der menschlichen Natur nicht die persönliche Unsterblichkeit zukäme, alsdann auch eine Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur zu einer solchen Persönlichkeit, wie die des Erlösers nicht möglich gewesen wäre; und umgekehrt, daß, weil Gott beschlossen hatte, durch solche Vereinigung die menschliche Natur zu vollenden und zu erlösen, deshalb auch schon immer die menschlichen Einzelwesen dieselbe Unsterblichkeit an sich tragen mußten, deren der Erlöser sich bewußt war.“
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Die ewige Existenz der menschlichen Seele ist nach Schleiermacher begründet in der Unvernderlichkeit 454 des Heilswillens Gottes, welche durch den Erlöser dem Erlösten geoffenbart sei. Denn die Tätigkeit des Erlösers besteht eben darin, daß er als das Urbild der ewig-treuen Weisheit und Liebe des Schöpfers, welches Gottheit und Menschheit in sich vereint, den ewigen Gemeinschaftswillen Gottes manifestiert und dabei die Menschen in diese ewige Gemeinschaft aufnimmt. Also ist dem Erlösten „die Fortexistenz der menschlichen Persönlichkeit nach dem Tode nur gewiß, weil und sofern er sich selber – eben als Glaubender – in das Sein Gottes in Jesus Christus, also in die hier vollzogene Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur, aufgenommen findet und weil diese Vereinigung als eine von Gott ausgehende und dessen Ratschluß vollendende unveränderlich ist.“455 Darin, daß der Glaube des Erlösten die Gewißheit des unverbrüchlichen Heilsplans Gottes ist, der sein Ziel in der Realisation der ewigen Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen erreicht, hat die Schleiermachersche Christologie ihr Ziel. Entsprechend hebt Schleiermacher die Inkarnation des Erlösers gegenüber dessen Tod und Auferstehung als heilsentscheidend hervor. Denn das Bewußtsein vom Heilsplan Gottes werde gerade mit der Einsicht in die Liebe des Schöpfers gegeben, die in der Vereinigung von Gottheit und Menschheit im Erlöser realisiert sei und durch dessen entsprechende Tätigkeit allen Menschen als sie selbst betreffend offenbar werden soll. Dieses Bewußtsein, in dem der Erlöste bereits in Gottes Gegenwart versetzt sei und in einem neuen Gottesverhältnis lebe, entscheidet nach Schleiermacher über die Seligkeit des Menschen. Daß die Fortexistenz der menschlichen Persönlichkeit das ewige und nicht das unendliche Leben der menschlichen Geschöpfe bedeuten soll, ist insofern angemessen, als nach Schleiermacher die Seele von Ewigkeit her zur Vereinigung mit Gott von Gott gedacht und gewollt ist. Es ist also auf Grund ihrer ewigen (mehr oder weniger bewußten) Bezogenheit auf den ewigen Schöpfer nicht nur kein Ende, sondern auch kein Anfang der Seele auszumachen. Das „Seelenleben“ ist nach Schleiermacher wie Gott selbst eben zeitlos und nicht unendlich.456 Weil von Schleiermacher für das Leben im Reich Gottes neben der unsterblichen Seele auch ein endlicher Organismus angenommen wird, 454 S. dazu GL 158, Leitsatz, 410; s. auch GL 52,Z,271. 455 Eilert Herms, Schleiermachers Eschatologie, 143. 456 Zur Unterscheidung von Ewigkeit und Unendlichkeit s. o. II.2.
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müssen hier weiterhin Zeitlosigkeit und Zeit (Raumlosigkeit und Raum) im menschlichen Bewußtsein ineinander übergehen.457 Allerdings wird nun – auf Grund des vollkommenen Gottesbewußtseins – die Bezogenheit auf das endliche Sein von der Bezogenheit auf das ewige Sein Gottes beherrscht werden.458 Auf Grund der Realisation der ursprünglichen Vollkommenheit und der Sündenfreiheit des Menschen wird also alles Sein in seiner gottgewollten, ursprünglichen und vollkommenen Verfaßtheit gesehen und damit in Wahrheit erkannt werden;459 alles Reale wird in seiner Idealität symbolisiert und dargestellt und so den Mitmenschen zu erkennen gegeben werden.460 Für das Reich Gottes „bleibt nur das übrig, wonach wir hier schon streben, wenngleich mit dem Bewußtsein, es nicht erreichen zu können, daß wir nämlich Gott in allem und mit allem erkennen ohne Hemmung, aber auch, soweit die endliche Natur dies zuläßt, ohne Schwanken alles erkennen, worin und womit Gott sich erkennen läßt, ohne daß jemals ein Streit in uns entstände zwischen diesem Bestreben in uns und irgendeinem andern, und zwischen dem stetigen Gottesbewußtsein und irgendeinem andern. Dieses nun wäre allerdings ein reines und sicheres Schauen, und so wären wir vollkommen heimisch bei Gott“.461
Im Reich Gottes ist nach Schleiermacher den Erlösten, indem sie Gott selbst in allem schauen, die Einsicht in die Identität von Realem und 457 458 459 460 461
S. dazu Eilert Herms, Schleiermachers Eschatologie, 140. Vgl. dazu GL 159,1,417. S. dazu o. II.1. S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 213 – 215. GL 163,2,436. S. auch GL 94,2,46: Nach Schleiermacher ist es grundlegend der Erlöser, der „allein alles Sein Gottes in der Welt und alle Offenbarung Gottes durch die Welt in Wahrheit vermittelt, insofern er die ganze neue eine Kräftigkeit des Gottesbewußtseins enthaltende und entwickelnde Schöpfung in sich trägt.“ – Zum obigen Zitat s. die Interpretation von Jçrg Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, 406. Dierken interpretiert das Zitat im Gegensatz zu der vorgetragenen Interpretation wie folgt: „Das Resultat von Schleiermachers Durchführung der Lehre von der ewigen Seligkeit lautet daher, daß ’vollkommen heimisch bei Gott’ zu sein, nicht nur für Subjekte wie uns unmöglich ist, sondern auch gar nicht wünschenswert“. Daß im ewigen Reich Gottes auf Grund des vollkommenen Gottesbewußtseins und Heimischseins bei Gott die Individualität der einzelnen menschlichen Geschöpfe aufgehoben wäre, bestreitet Schleiermacher. Vielmehr bleibe eben die endliche individuelle Natur samt sinnlichem Selbstbewußtsein bestehen. S. dazu auch GL 121,1,249/250. Für das ewige Leben sieht Schleiermacher eine „unendliche wechselseitige Darstellung des Gemeinsamen in dem Eigentümlichen und des Eigentümlichen in dem Gemeinsamen“ voraus (a.a.O., 250); s. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 211.
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Idealem eröffnet und damit die vollkommene Erkenntnis der Wahrheit gewährt. Ihren Schöpfer und den Schöpfer allen Seins erkennen sie niemals unabhängig vom Geschaffenen, doch angesichts des geschaffenen Seins erkennen sie, daß das im Erlöser und durch ihn offenbarte göttliche Wesen tatsächlich alles einzelne Sein in ursprünglicher Vollkommenheit begründet und erhält. Weil es nach Schleiermacher die Liebe Gottes nicht ohne geliebtes, zur Gemeinschaft geschaffenes Gegenüber geben kann, wird zum einen das Wesen Gottes nur am Geschaffenen offenbar, und umgekehrt ist das Geschaffene nur im Bewußtsein der Liebe Gottes wahrhaft erkennbar. Gleich wie der Erlöser die Liebe Gottes nicht unabhängig vom Geschaffenen, sondern vielmehr in der Vereinigung von Mensch und Gott manifestiert, so ist im Reich Gottes die Liebe Gottes dem erlösten Menschen angesichts des gesamten geschaffenen Kunstwerks Gottes offenbar, das er nun in seiner Vollkommenheit erkennt. Weil der Schöpfer seinen menschlichen Geschöpfen immer nur in Bezogenheit auf die Schöpfung gegenwärtig ist, hält Schleiermacher fest, daß Gott nicht in dem Sinne gewußt werden kann, in dem alles von Gott Abhängige und Geschaffene identisch symbolisiert werden kann.462 Das von Gott geschaffene Reale wird vom Menschen gewußt, wenn es ihm in derjenigen Idealität begegnet, die mit dem Denken, Wollen und Wesen Gottes vollkommen übereinstimmt. Diese Übereinstimmung kann nach Schleiermacher nur dann gegeben sein, wenn das menschliche Geschöpf der Liebe Gottes inne ist. Das Wesen Gottes, das sich im Gefühl des Erkennenden vergegenwärtigt, ermöglicht diesem, das Reale zu wissen. Von Gott weiß er dann zugleich, daß dieser der liebende Schöpfer ist. Das christlich-fromme Gefühl oder auch der christliche Glaube ist nach Schleiermacher die Gewißheit des treu-liebenden Schöpfers, die insofern als Wissen Gottes bezeichnet werden kann, als sie die Übereinstimmung von Realem und Idealem selbst beinhaltet. Denn eben diese Übereinstimmung zwischen der geschaffenen Selbstmanifestation und dem göttlichen Künstler verbürgt Gott allein, und zwar weil er die Übereinstimmung selber ist. Weil er wesentlich Liebe ist, ist er nach Schleiermacher in 462 S. dazu DialO 306/307. S. auch Eilert Herms, Reich Gottes und menschliches Handeln, 115: Der Zustand des ewigen Lebens ist nach Herms „die nunmehr selbst wirkungslose, aber genau darin unveränderliche – also ewige – ’Darstellung’ des Realisierten.“ Das Realisierte sind nach Herms die im ethischen Prozeß realisierten Güter. Allerdings kann bis zur Verwirklichung des ewigen Reiches Gottes noch nicht alles Sein wahrhaft realisiert sein, weil erst im ewigen Reich Gottes die menschlichen Geschöpfe mit dem dazu nötigen vollkommenem Gottesbewußtsein ausgestattet sind.
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allem seinem Tun zum einen auf die Schaffung von Realem und zum anderen auf die Vereinigung des Realen mit dem Idealen ausgerichtet. Dabei gilt ihm – wie seine Menschwerdung deutlich macht – der Mensch als dasjenige Reale, mit dem er insbesondere in Gemeinschaft treten will. Entsprechend hat er ihn zur identischen und zur individuellen Erkenntnis der Identität des Realen und Idealen befähigt. Er eröffnet ihm diese mit der Erlösung, durch die ihm deutlich wird, daß Gott, der sich als wesentlich Liebe selbst denkt und will und, was er denkt und will, auch vollkommen darstellt, die Identität von Idealem und Realem und damit Güte, Wahrheit und Schönheit der Welt garantiert.463 Daß Schleiermacher den Schöpfer mit Wahrheit und Schönheit nirgends ausdrücklich identifiziert, liegt wohl daran, daß Wahrheit und Schönheit von ihm als Implikate und Realisate der Liebe verstanden werden. Schleiermacher beschreibt den Übergang der menschlichen Geschöpfe in das Reich Gottes nicht als Aufhebung der zeitlichen und räumlichen Begrenztheit des Menschen in die Ewigkeit und Allgegenwart des Schöpfers. Vielmehr macht er damit Ernst, daß der Gegensatz zwischen Schöpfer und Schöpfung, den er in der Endlichkeit und der schlechthinnigen Abhängigkeit der Geschöpfe gegeben sieht, in alle Ewigkeit nicht zu leugnen ist. Dabei bleibt allerdings fraglich, mit was für einem endlichen Körper die gestorbenen Geschöpfe im Reich Gottes ihren Tätigkeiten nachkommen können sollen, da ihr irdischer Körper dem naturgesetzlichen Prozeß der Verwesung übergeben ist. Auch stellt sich die Frage, inwieweit Schleiermacher für das Reich Gottes einen körperlichen Alterungsprozeß annimmt und ob eine derartige Annahme nicht den Wert körperlicher Kräftigkeit und Gesundheit mißachten würde. Überhaupt zeigen Schleiermachers Ausführungen über die Fortexistenz des endlichen Organismus im ewigen Leben eine Geringschätzung des menschlichen Körpers. Zwar hält er einerseits an der Gottgewolltheit der gesamten auch körperlichen Schöpfung fest. Doch gesteht er andererseits dem menschlichen Körper nicht ebenso wie dem menschlichen Selbstbewußtsein eine Entwicklung zu eigener Glückseligkeit zu, wohingegen Luther für das Reich Gottes eine „Wiederherstellung“ ursprünglich vollkommener Körperlichkeit annimmt.464 Fraglich ist zudem, ob nach Schleiermacher in das Reich Gottes auch andere als nur menschliche Geschöpfe aufgenommen werden. Gemäß der Ansage, hier werde der Mensch alles Seiende und in allem Seienden Gott 463 S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 220/221. 464 S. dazu Luther-Kapitel, V.1.
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selbst erkennen, müßte alles geschaffene Sein im Reich Gottes vorhanden sein. Andererseits ist fraglich, wie das nach Schleiermacher immer nur sinnlich-endlich und seelenlos verfaßte Dasein aller nichtmenschlichen Geschöpfe jemals ewig sein können soll.465 III.2.2.3. Das königliche Amt des Erlösers Schleiermacher geht nicht nur davon aus, daß die Jünger Jesu schon zu Lebzeiten des Erlösers durch dessen prophetische und hohepriesterliche Amtstätigkeit zum Glauben gekommen seien; dementsprechend kann in Übereinstimmung mit seiner Dogmatik von „Neuschöpfung“ bereits vor Tod und Auferstehung Jesu die Rede sein. Zudem nimmt Schleiermacher an, daß diese damals auf dieselbe Weise wie diejenigen, die erst nach dem Tod des Erlösers mit dessen Person und Werk bekannt wurden, die Erlösung empfingen.466 Dies begründet Schleiermacher damit, daß es „keine einzelnen und zeitlichen göttlichen Akte“ gebe, vielmehr die göttlichschöpferische Tätigkeit des Erlösers stets dieselbe sei,467 sowie damit, daß die Wirksamkeit des Erlösers ausschließlich geistig sei. Nach Schleiermacher war bereits das ursprüngliche Wirken des Erlösers „rein geistig; und nur ebenso durch seine leibliche Erscheinung vermittelt, wie auch jetzt noch seine geistige Gegenwart vermittelt ist durch das geschriebene Wort und das darin niedergelegte Bild seines Wesens und Wirkens, deshalb aber sein leitender Einfluß auch jetzt nicht etwa ein nur mittelbarer und abgeleiteter ist.“468
Nach Schleiermacher übt der Erlöser auch nach seinem Tod, nämlich speziell in seinem kçniglichen Amt, fortgesetzt unmittelbaren Einfluß auf die Glaubenden oder vielmehr auf die Gemeinde der Glaubenden aus.469 Zwar 465 Es scheint so zu sein, daß nach Schleiermacher, auch wenn der Himmel nicht für Gänse gemacht ist, doch sämtliche Geschöpfe in das Reich Gottes eingehen werden (s. dazu WA 18, ServArb, 636,21/22). 466 Wie für das erste Menschenpaar muß nach Schleiermacher auch für die ersten Jünger auf jeden Fall daran festgehalten werden, daß diese Menschen mit allen anderen Gattungswesen die Gattungsidentität teilen. 467 GL 122,3,258. S. dazu a.a.O., 258/259: Nach Schleiermacher „werden wir die Gleichheit zwischen den ersten Jüngern und uns ebensowohl ausdrücken können, wenn wir sagen, sie hätten auch zur Zeit Christi, eben weil sie in seiner Lebensgemeinschaft aufgenommen gewesen, auch das Prinzip des neuen Lebens schon nicht nur als Empfänglichkeit, sondern auch als Selbsttätigkeit gehabt“. 468 GL 105,1,138. 469 S. dazu GL 105,136 – 147, v. a. den Leitsatz: „Das königliche Amt Christi besteht darin, daß alles, was die Gemeinschaft der Gläubigen zu ihrem Wohlsein erfordert,
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seien die Menschen seit dem Tod des Erlösers auf die Vermittlung der Erlösung durch die an die Heilige Schrift gebundene Gemeinschaft der Glaubenden (Kirche) angewiesen. Jedoch stehe das Wirken der christlichen Gemeinde unter der fortdauernden, gleichbleibenden Leitung des Erlösers. Die christliche Gemeinschaft oder auch die Realisation des Gottesreiches470 habe der Erlöser grundgelegt durch die Gabe des Heiligen Geistes oder „Gemeingeistes“ an seine Jünger, welche dadurch bereits zu Lebzeiten des Erlösers zum Glauben gekommen sein sollen.471 Der Fortbestand der christlichen Gemeinschaft sei durch die Weitergabe dieses Geistes gewährleistet, welche „in der Fortsetzung der Tätigkeiten Christi liegt“.472 Nicht nur durch seine prophetische und seine hohepriesterliche Amtstätigkeit realisiert der Erlöser die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen und die ursprüngliche Vollkommenheit der Welt. Auch seine königliche Amtsausübung führt, und zwar bezogen auf die christliche Gemeinschaft und insbesondere nach seinem Weggang von der Erde, zur Einsicht in die Zusammenstimmung der natürlichen Unvollkommenheiten mit der ursprünglichen Vollkommenheit der Schöpfung473 : Nachdem der Mensch durch die schriftliche Vermittlung und gepredigte Verkündigung der Selbstdarstellung Christi zur Förderung christlichen Gottesbewußtseins vorbereitet ist und er durch das Wirken des Geistes in die Gemeinschaft mit dem Erlöser aufgenommen ist, erkennt er die Sündhaftigkeit aller Menschen in ihrer Hinordnung auf die Erlösung und
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immerwährend von ihm ausgeht.“ Für die königliche Gewalt des Erlösers sei von Bedeutung, „daß nicht ein Einzelner als solcher ihr Gegenstand sein kann, sondern nur ein Gemeinwesen, und der Einzelne nur, sofern er diesem angehört. Geben sich also die Einzelnen nun freiwillig unter die Herrschaft Christi: so treten sie damit zugleich in ein Gemeinwesen, dem sie vorher nicht angehörten“ (GL 105,1,137). S. auch insbesondere GL 105,1,138: Nach Schleiermacher hat die königliche Macht Christi keineswegs „erst nach seiner Erhebung über die Erde“ begonnen. Zur Verwirklichung des Reiches Gottes s. GL 113,4,210: „mit dem lebendigen Glauben an Christum zugleich entsteht immer auch der an das wirkliche Vorhandensein des Reiches Gottes in der Gemeinschaft der Gläubigen“ und s. v. a. GL 117, Leitsatz, 220 und auch a.a.O.,1 – 4,220 – 223. S. GL 122,1 – 3,254 – 259. S. dazu Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 379: „Gegen Schleiermacher ist hier zentral geltend zu machen, daß der Vollmachtsanspruch des vorösterlichen Jesus für die Jünger selbst wie auch mehrheitlich für die frühchristliche Theologie wesentlich an der österlichen Beglaubigung durch die vom Geist Gottes gewirkte Auferstehung hängt.“ GL 122,3,257. S. dazu o. I.2.1.
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die natürlichen Unvollkommenheiten als Reizmittel zur Verkündigung der Erlösung. III.3. Der Heilige Geist Die Erlösung des Menschen, die der Erlöser insbesondere durch seine prophetische und hohepriesterliche Amtstätigkeit auf Erden dargestellt habe, ist nach Schleiermacher die grundlegende Bedingung dafür, daß unter der königlichen Herrschaft Christi die Gemeinschaft der Glaubenden das prophetische und hohepriesterliche Handeln Christi verkündet und fortsetzt und für den einzelnen wirksam macht. Denn mit seiner erlösenden Tätigkeit habe der Erlöser für alle Zeit den Heiligen Geist mitgeteilt.474 Der Heilige Geist selbst aber sei „die Vereinigung des göttlichen Wesens mit der menschlichen Natur in der Form des das Gesamtleben der Gläubigen beseelenden Gemeingeistes“.475 Der Heilige Geist ist demnach die alle Erlösten miteinander vereinende Teilhabe an der Inkarnation des Erlösers, die zur Verkündigung und Fortsetzung der erlösenden Tätigkeit Christi befähigt. Weil nach dem Weggang Christi von der Erde dieser zwar immer noch unmittelbar auf geistige Weise die Erlösung wirke, jedoch nicht mehr durch die Einwirkungen seines menschlichen Organismus vermittelt, ist nach Schleiermacher zur Verkündigung des göttlichen Heilswillens die vom Gemeingeist beseelte christliche Gemeinde oder Kirche nötig. Es sei nach dem Weggang Christi dessen „leitender Einfluß auch jetzt nicht etwa ein nur mittelbarer und abgeleiteter“476, jedoch müsse nun „in der christlichen Kirche, nachdem die einzelnen Einwirkungen nicht mehr unmittelbar von Christo ausgehen, ein Göttliches sein“.477 Das Göttliche oder der Gemeingeist der Gemeinde beseelt nach Schleiermacher die Erlösten derart, daß sie das Heilswirken Christi mit erlösender Wirkung zu verkünden vermögen.478 Sie bieten dem göttlichen Wirken des Erlösers den menschlichen Organismus, der mit Worten und Taten, welche dem göttlichen Seeleninhalt entsprechen, die Erlösung weiterverbreitet. Sie wirken also in Verbundenheit mit dem Erlöser oder vielmehr in Ver474 475 476 477 478
S. GL 121,2,252/253 und 122,1,254/255. GL 123, Leitsatz, 259. S.o. III.2.2.3., Anm. 279. GL 116,3,219. S. dazu auch GL 108,5,164 – 168.
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bundenheit mit Gott selbst, der ihrem Handeln in der Form des Gemeingeistes seine Liebe oder genauer seinen Heilswillen „einverleibt“. Der „Heilige Geist“ oder „Gemeingeist“, der das Ganze der christlichen Gemeinschaft erfülle, ist nach Schleiermacher das „Wollen des Reiches Gottes“ oder auch „ein schlechthin kräftiges Gottesbewußtsein, mithin das Sein Gottes in demselben, bedingt aber durch das Sein Gottes in Christo.“479 In Analogie zu Christus ist nach Schleiermacher die christliche Gemeinschaft vom Sein Gottes erfüllt. Der Erlöser wirke durch seine erlösende Vereinigung mit den einzelnen menschlichen Geschöpfen die Kräftigkeit ihres Gottesbewußtseins und das Wirken des immer einen und selben Geistes in ihnen,480 dessentwegen sie sich zur Gemeinschaft der Glaubenden vereinigten, in welcher das Sein Gottes in der Gestalt des Gemeingeistes einwohne. Schleiermacher hält fest, daß das göttliche Wesen, das den Erlöser erfüllte, seit dessen Tod „in keinem Einzelnen mehr persönlich wirksam ist, [sondern] sich in der Gemeinschaft der Gläubigen als deren Gemeingeist wirksam erweist“.481 Der Gemeingeist oder das „Wollen des Reiches Gottes“, das nach Schleiermacher Gottes eigenes Wollen ist, treibe die einzelnen wie die christliche Gemeinschaft an zur Realisation des göttlichen Heilswillens, der ihnen durch Christus offenbar geworden sei. Denn im Zustand des Erlöstseins sei „die Vernunft gänzlich eins mit dem göttlichen Geist“ und also alles Denken und Wollen des Menschen durch Willen und Wesen Gottes und von göttlicher Kraft bestimmt.482 Das Wollen des Reiches Gottes impliziert nach Schleiermacher die Absicht der Vereinigung aller Menschen miteinander und mit Gott, und zwar aus Liebe zur Gattung. Nach Schleiermacher ist die Mitteilung des Heiligen Geistes durch den Erlöser oder auch die Inkarnation des Gemeingeistes im einzelnen „das durch Christum bewirkte Erwachen des reinen Gattungsbewußtseins“ oder mehr noch „die Erweckung und
479 GL 116,3,220. 480 S. dazu GL 121,2,253. 481 GL 124,2,268. Auf Grund von Erlösung und Begeistung ihrer einzelnen Glieder sei die Kirche als die Gemeinschaft aller Glaubenden „in ihrer Reinheit und Vollständigkeit das vollkommne Abbild des Erlösers“ (GL 125, Leitsatz, 270). Der einzelne aber sei nur „ein einseitiges und zerstücktes nach allen Seiten hin der Ergänzung bedürftiges Abbild“ (GL 125,1,271). – S. dazu F.D.E. Schleiermacher, Zweites Sendschreiben an Lücke, 393, s. o. Anm. 177. 482 S. dazu o. Anm. 175.
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Verbreitung der allgemeinen Menschenliebe“.483 Weil die erlösende Vereinigung des Erlösers mit den Menschen oder genauer deren Beseelung mit göttlichem Geist Anteilhabe an der Liebe Gottes gegenüber den menschlichen Geschöpfen bedeutet,484 sind diese selbst von Liebe gegen die eigene Gattung erfüllt.485 Die ihnen allen gemeinsame Liebe gegenüber der Gattung, die nach Schleiermacher dem Gottesbewußtsein unmittelbar verbunden ist,486 schließe sie zusammen zur Gemeinschaft der Glaubenden im Heiligen Geist. Der diese Gemeinschaft aller Glaubenden begründende, vereinende und erhaltende Gemeingeist487 oder eben das von Liebe bestimmte Gattungsbewußtsein, das Schleiermacher mit dem Gemeingeist identifiziert,488 treibe die Glaubenden weiter an zur Förderung des Reiches Gottes.489 „Das Treiben des H. Geistes in uns ist also nie etwas anderes als göttlicher Antrieb zur Gemäßheit mit dem, was Christus vermöge des Seins Gottes in ihm menschlich gewesen ist und gewirkt hat.“490 Die in der christlichen Gemeinschaft vereinigten Erlösten, die nach der Verwirklichung des Reiches Gottes streben, sind nach Schleiermacher in der Nachfolge Christi und in Übereinstimmung mit seinem Wirken durch eigene Selbstmitteilung in Anbindung an die Heilige Schrift sowie durch rechte Sakramentsverwaltung mehr oder eher weniger kooperativ an der Realisation des Gottesreiches beteiligt.
483 GL 121,3,253. S. dazu GL 124,1,265: „jeder, indem er wiedergeboren wird, wird er auch des H. Geistes teilhaftig“. 484 S. GL 104,3,124. 485 Erlösung und Begeistung sind darum nach Schleiermacher, „wie der Sache nach so auch der Zeit nach […] nicht […] zu unterscheiden“ (GL 124,1,265). 486 Zum Gattungsbewußtsein s. o. I.1., GL 6,2,42. 487 S. dazu GL 116,3,219: „Unter dem Ausdruck Heiliger Geist aber wird […] die Lebenseinheit der christlichen Gemeinschaft als einer moralischen Person verstanden“. 488 GL 121,3,253. Es ist nach Schleiermacher „das, was wir durch den Ausdruck Heiliger Geist bezeichnen wollten, vollkommen eins mit dem Gattungsbewußtsein.“ 489 Der dem Glaubenden in der Lebensgemeinschaft mit dem Erlöser vermittelte göttliche Antrieb könne „nicht ein natürliches Prinzip [sein], welches sich aus der menschlichen Natur, wie sie ohne Christum geblieben sein würde, von selbst würde entwickelt haben“ (GL 121,3,254). 490 GL 124,2,267.
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III.4. Vom Dienst am göttlichen Wort Nach Schleiermacher wird die Verwirklichung des Reiches Gottes oder auch die Vollendung der christlichen Gemeinschaft als „Abbild Christi“491 durch die Erweckung und Stärkung des Gottesbewußtseins oder vielmehr durch die Mitteilung des Geistes vorangetrieben. Die Mitteilung des Geistes werde durch die „Selbstmitteilung“ der Erlösten gewirkt. „Selbstmitteilung“ bedeute „eine erregend wirkende Selbstdarstellung, indem die durch Nachbildung aufgenommene Bewegung des sich Darstellenden in dem empfänglich aufgeregten Aufnehmenden eine Kraft wird, welche dieselbe Bewegung hervorruft.“492 Durch die Selbstmitteilung der Erlösten wird nach Schleiermacher deren erlöstes Selbst, das vom Sein Gottes oder genauer vom Gemeingeist erfüllt ist, dargestellt und mitgeteilt. Dabei bewege der Gemeingeist, der „einer in allen“493 sei, die erlösten Christenmenschen nicht nur zu ihrer – dem Wollen des Reiches Gottes entsprechenden – Mitteilung, sondern sei auch die Kraft, die durch die Selbstmitteilung vermittelt die „aufgeregten Aufnehmenden“ ebenfalls erfülle. Indem die Erlösten den Gemeingeist durch ihre Selbstmitteilung vermitteln, übernehmen sie nach Schleiermacher das prophetische Amt Christi, das eben in Selbstmitteilung oder genauer in Verkündigung und Predigt bestehe und als solches „das ganze christliche Leben“ umfasse.494 Die notwendige Bedingung zur angemessenen Ausübung dieses Amtes sei, daß die Erlösten sich „schriftgemäß“ äußerten, wobei die Schrift selbst vom Geist „eingegeben“ sei.495 Die Schriftgemäßheit der Selbstmitteilung garantiere, daß jeder Erlöste tatsächlich „nur Christum und das, was von diesem in ihm lebt“, verkündet und also wahrhaft den allen Christenmenschen gemeinsamen Geist vermittelt.496 491 492 493 494
GL 125,1,271. GL 133,1,309. GL 123,3,263. GL 133,2,310. S. dazu GL 120,2,241: „Nun aber läßt sich alles, was der Einzelne oder auch eine Gemeinschaft durch Wort und Tat zur Verbreitung des Reiches Gottes tun kann, wie es zu der prophetischen Tätigkeit Christi als deren Fortsetzung gehört, unter dem Ausdruck Verkündigung oder Predigt zusammenfassen“. 495 GL 133,1,310. S. dazu auch GL 130, Leitsatz, 291. Allerdings zählen nach Schleiermacher nur die Bücher des Neuen Testamentes, zumindest im engeren Sinne, zu den Büchern, die „unter der Leitung des H. Geistes entstanden [sind].“ 496 GL 133,1,310.
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Zwar sei die Selbstdarstellung Christi, die seit seinem Tod in den Selbstdarstellungen der Erlösten zum Ausdruck komme, auf Grund von deren Schriftgemäßheit „immer wesentlich die seinige [d.i. diejenige Christi]“.497 Doch sei sie eben die Selbstdarstellung der Erlösten und damit die Darstellung von Menschen, die mit dem Gemeingeist beseelt sind.498 Denn der Heilige Geist oder die Inkarnation der göttlichen Liebe könne gar nicht anders vermittelt werden „als mittelst menschlicher Rede und Darstellung, welches ja heißt, insofern er [d.i. der Heilige Geist] in einem andern ist und wirkt.“499 Weil der Gemeinschaft der Glaubenden und Wiedergeborenen das göttliche Wesen in der Form des Gemeingeistes einwohne, seien die Erlösten als Glieder dieser Gemeinschaft zu glaubenswirksamer und geistvermittelnder Selbstdarstellung in Fortsetzung der Tätigkeit Christi befähigt.500 Nach Schleiermacher gibt es „Gnadenwirkungen des Geistes, die von jedem Wiedergeborenen ausgehn“. Diese Gnadenwirkungen des Geistes, die durch menschliche Rede und Darstellung vermittelt werden, würden „mit dazugehören, daß jeder, wenn seine Zeit erfüllt ist, auch wirklich wiedergeboren werde.“501 Zwar ist nach Schleiermacher der Zeitpunkt des Zum-Glauben-Kommens von Gott in Ewigkeit vorherbestimmt,502 doch die Konstitution von Glauben in Raum und Zeit verlange menschliches Wirken, ohne welches der Wille des Schöpfers weder Natur noch Vernunft des Menschen zugänglich sei.503 Nur in der Vereinigung von göttlicher und menschlicher Tätigkeit werde die Einsicht in den Heilswillen Gottes dem Menschen eröffnet, und zwar grundlegend durch den menschgewordenen Erlöser sowie fortwährend durch die Mitteilung des Heiligen Geistes. Von ausschlaggebender Bedeutung ist dabei, daß nach Schleiermacher die Mitteilung des Heiligen Geistes, die durch die Kirche und durch die Selbstmitteilung der Erlösten vermittelt wird, nicht eine Mitteilung ist, die vom Heiligen Geist selbst ausgeht (gen. subj.), sondern vielmehr die Mitteilung oder Vermittlung von diesem durch die Selbstmitteilung der 497 GL 108,5,165. 498 S. GL 124,2,268. 499 GL 123,2,261/262. S. dazu Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 383. 500 S. GL 124,2,268. 501 GL 118,1,226 (Hervorhebung A.K.). 502 S. dazu o. III.1.4., Anm. 286. 503 S. GL 118,1,225/226.
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glaubenden Gemeinschaft bedeutet (gen. obj.).504 Denn der Heilige Geist sei „immer nur in den Gläubigen“ und nicht als einzelne Person der göttlichen Trinität vorzustellen.505 Die Geistmitteilung der glaubenden Gemeinde506 hält Schleiermacher deshalb für möglich, weil „die durch Nachbildung aufgenommene Bewegung des sich Darstellenden in dem empfänglich aufgeregten Aufnehmenden eine Kraft wird, welche dieselbe Bewegung hervorruft.“ Jede Selbstdarstellung eines Menschen, jede „Äußerung des Gefühls“ geht nach Schleiermacher „vermöge des Gattungsbewußtseins über in lebendige Nachbildung“, und so wirke auch die geisterfüllte Darstellung des Gottesbewußtseins vermöge des Gattungsbewußtseins christlichen Glauben.507 Offenläßt Schleiermacher die Frage, inwiefern ein Mensch, dessen Gattungsbewußtsein noch nicht zu allgemeiner Menschenliebe fortgebildet ist, überhaupt dazu befähigt ist, sich der Darstellung eines anderen Gattungswesens zuzuwenden und diese anzunehmen. Auch inwiefern durch menschliche Selbstmitteilung Zustimmung zu den Gnadenwirkungen Gottes bewirkt sein soll, zeigt Schleiermacher nicht auf. Zwar beschreibt er die Mitteilung des Geistes als ein Wunder, weil er bei demjenigen, der zum Glauben kommt, „ein plötzliches Überspringen aus der fragmentarisch erregten Empfänglichkeit in die zusammenhängende gemeinsame Selbsttätigkeit“ der Kirche feststellt.508 Doch weil er Erlösung und Versöhnung jedes einzelnen nur als konsequentes Ergebnis des einen Wunders der Menschwerdung des Erlösers erachtet, das durch die Geistmitteilung der mit Christus vereinigten Christenmenschen weitervermittelt werde, schließt er ein spezielles Geistwirken Gottes zur Offenbarung des Heilswillens aus.509 Zumindest schränkt seine These von der „Nachbil504 S. dazu GL 121,2,251: Die Überschrift „Von der Mitteilung des Heiligen Geistes“ (GL, 2.Bd. S. 248) werde falsch verstanden, wenn „die Vorstellungen, die durch die Stellung des H. Geistes in der Trinitätslehre entstanden sind“, verwechselt würden „mit den Aussagen der neutestamentischen Schriften […], als welche uns den H. Geist immer nur in den Gläubigen darstellen.“ 505 GL 121,2,251. 506 Im Unterschied zu der Selbstdarstellung des Erlösers, welcher bloß vorbereitende, empfänglichmachende Wirkung zugeschrieben wird, soll nach Christi Tod durch die Selbstdarstellung der Wiedergeborenen und Neugeschaffenen, an denen die hohepriesterliche und königliche Tätigkeit des Erlösers bereits zur Wirkung gekommen sei, nicht nur Empfänglichkeit, sondern auch Glauben gewirkt werden. 507 GL 6,2,43. 508 GL 124,3,269. 509 Die Mitteilung des Geistes ist nach Schleiermacher „in keinem Fall ein Wunder, wenn man die allmähliche Verbreitung des Geistes als bewirkt durch die Le-
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dung“, welche die Vermittlung von Gottesbewußtsein abschließend zur Wirksamkeit bringen soll, die Notwendigkeit eines erneuten, speziell zur Glaubenskonstitution nötigen göttlichen Wirkens ein.510 Ein besonderes Geistwirken hält Schleiermacher insofern für überflüssig, als er die Mitteilung des Geistes oder eben die Konstitution des christlichen Glaubens an die menschliche Kommunikation der christlichen Gemeinde bindet. Diese sei derart von Gottes geistiger Schöpferkraft erfüllt, daß im Rahmen ihrer Kommunikation Glauben entstehe. Dabei erachtet Schleiermacher die christliche Gemeinschaft jedoch nicht für eine Kooperatorin mit Gott, sondern – gleich wie den Organismus des Erlösers – nur als ein Medium oder als ein bloßes Organ des schöpferischen Wirkens Gottes. Weder ein spezielles Wirken des Heiligen Geistes noch dezidiert menschliche Mitarbeit geht nach Schleiermacher dem Glauben voraus. Zwar werde die Selbstdarstellung Christi durch diejenigen vermittelt, „welche ihn verkündigen; da aber diese ihm als seine Organe angeeignet sind, mithin die Tätigkeit von ihm ausgeht, so ist sie immer wesentlich die seinige.“511 Die Geistmitteilung, die durch die Selbstdarstellung der Erlösten geschehen soll (damit sie durch menschliche Tätigkeit vermittelt sei), ist also nach Schleiermacher ausschließlich die Darstellung eines Selbst, dessen Seele der Erlöser derart erfüllt, daß es ihm als vermittelndes Organ zur Weitergabe der göttlichen Liebe dient; sowohl eigenständige, gewissermaßen selbstgewählte menschliche cooperatio mit Gott als auch ein Wirken des Heiligen Geistes als der dritten Person der göttlichen Trinität schließt Schleiermacher aus.512 Schleiermachers Beschreibung des Heiligen Geistes als der göttlichen Liebe, die die Gemeinschaft der Glaubenden erfüllt und zu gçttlichem Handeln befähigt, entspricht seinem Verständnis von Neuschöpfung als der Einpflanzung des neuen, göttlichen Lebensprinzips in die Seele der menschlichen Geschöpfe. Im Unterschied zu Luther gilt ihm der Heilige benskraft der Kirche betrachtet, wie sie auch kein Wunder gewesen, als bewirkt durch die Lebenskraft Christi“ (GL 124,3,269). – S. dazu Wilfried Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, 221: Brandt konstatiert für Schleiermachers Beschreibung der Mitteilung des Heiligen Geistes oder Gemeingeistes, daß sie „den Heiligen Geist überflüssig zu machen droht.“ 510 In diesem Sinne gilt, was Hans-Joachim Birkner, „Offenbarung“, 86 festhält: „Die Offenbarung ist […] eine Bestimmtheit des Bewußtseins – Offenbarung Gottes heißt sie deswegen, weil Gott ihr ’Inhalt’, nicht weil Gott ihr Urheber ist.“ 511 GL 108,5,165. 512 Zu Schleiermachers defizitärem Verständnis menschlichen Wirkens bei der Glaubenskonstitution s. v. a. auch den Vergleich mit Luther in Kapitel IV, IV.
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Geist nicht – zumindest nicht im Sinne „unserer kirchlichen Lehre“513 – als dritte Person der Trinität,514 welche die Predigt des Menschen als instrumentum verwendet, um in göttlich-schöpferischer Weise, wo und wann sie will, Glauben zu wirken.515 Auch wenn Schleiermacher zustimmend auf CA V verweist, ist bei ihm das „ubi et quando visum est Deo“, das zum einen schon mit Gottes Erwählung unabweisbar vorherbestimmt sei, zum anderen ausschlaggebend an die Verkündigung des göttlichen Heilswillens durch glaubende Menschen gebunden, weil nur aus diesen der Heilige Geist ausgehe. Die Erlösten sind nach Schleiermacher derart von Gottes Liebe erfüllt, daß sie selbst zu gleichsam schöpferischer Tätigkeit befähigt scheinen. Ihre Selbstmitteilung ist jedoch im wesentlichen das Wirken Gottes im Medium der Kirche, durch das – gemäß der Vorherversehung Gottes – Glaube wirklich werde.516 Weil nach Schleiermacher die Gemeinschaft der Glaubenden von Gottes Liebe erfüllt ist, geschieht die christliche Glaubenkonstitution einerseits im Rahmen des Menschlichen, des Vernünftigen und Natürlichen; sie scheint „vernunftmäßig“ nachvollziehbar zu sein.517 Andererseits, weil durch die göttlich-schöpferische christliche Gemeinschaft Gott selber wirkt, ist das Zum-Glauben-Kommen als Wunder, als übervernünftig und übernatürlich zu verstehen. So kann das Geschehen der Geistmitteilung ebenso wie die Inkarnation des Gottessohnes in gewisser Weise als relativ übervernünftig und relativ übernatürlich festgehalten werden. Jedoch wird von Schleiermacher zum einen die christliche Ge513 GL 116,3,219: „Und so sollte es eigentlich nicht nötig sein, noch ausdrücklich zu versichern, daß wir durch den Ausdruck dasselbe bezeichnen wollen, was auch in der Schrift Heiliger Geist und Geist Gottes und Geist Christi genannt wird und in unserer kirchlichen Lehre auch als die dritte Person der Gottheit aufgeführt wird. Daß wir es jedoch mit diesem letzten hier nicht zu tun haben, versteht sich aus der Anordnung des Ganzen von selbst.“ 514 S. GL 116,3,219. S. dazu GL 172,1 – 3,469 – 473. 515 S. dazu Luther-Kapitel, IV.2.1. 516 S. dazu Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 370 und insbesondere F.D.E. Schleiermacher, ULE, 212 – Schleiermachers Interpretation zu CA V lautet zwar: „Gott verordnet von Ewigkeit diejenigen zur Seligkeit, von denen er vorausgesehn, daß er selbst ihnen den gläubigmachenden heiligen Geist schenken werde“ (a.a.O., 155). Allerdings jedoch wirkt nach CA V der Heilige Geist unmittelbar „in iis qui audiunt evangelium“, und nicht allein in und aus denen, die das Evangelium durch Selbstmitteilung verkünden, so aber nach GL 123,2,261/262. Auf diese entscheidende Differenz zwischen dem reformatorischen Verständnis von Glaubenskonstitution und demjenigen Schleiermachers geht Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 370/371 nicht ein. 517 S. dazu o. Anm. 64.
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meinde bei der Geistvermittlung eben nur als Mittel, nicht aber als Gottes Mitarbeiterin angesehen. Zum anderen leugnet Schleiermacher ein besonderes übernatürliches Eingreifen Gottes in den Dienst der christlichen Gemeinde an seinem Wort. Er geht davon aus, daß der Zeitpunkt des Zum-Glauben-Kommens von Gott, dem Vater und Schöpfer, ohnehin von Ewigkeit her vorherbestimmt ist und dem Glaubenwirken Gottes ohnehin nur Zustimmung entgegengebracht werden kann.518 Gerade darin, daß die Kirche ihre schöpferische Befähigung anwendet und umsetzt, erweist sie sich nach Schleiermacher als „Abbild Christi“. Sie erweist sich als der durch den Erlöser oder genauer durch seine göttliche Liebe beseelte und begeistete Leib Christi, der sich angesichts der Urbildlichkeit Christi in abbildhafter Weise darstellt und tätig zeigt.519 Der christliche Gemeingeist ist nach Schleiermacher die schöpferische Kraft der Wiedergeborenen. Keineswegs aber ist nach Schleiermacher der Gemeingeist oder Heilige Geist die ewige Schöpferkraft selbst, und deshalb habe er auch keinen „Anteil an der Schöpfung der materiellen Welt“ noch sei er an der Menschwerdung Christi beteiligt gewesen.520 Schleiermacher berücksichtigt also nicht, daß der „Geist der Wahrheit“, mit welchem er den Heiligen Geist identifiziert,521 gerade deshalb der Geist der Wahrheit ist, weil er die Manifestationen der ewigen und allmächtigen Liebe, die 518 S. im Unterschied zu den obigen Ausführungen Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 385, die insbesondere die „Übernatürlichkeit“ der Mitteilung des Geistes betont. S. aber auch Hans-Joachim Birkner, „Offenbarung“, 97. Birkner hält für Schleiermachers Ausführungen zum Offenbarungsbegriff in der Glaubenslehre fest: „Geblieben ist […] in der Glaubenslehre das Programm: die übernatürliche Bedeutung des Offenbarungsbegriffs muß sich auf eine natürliche zurückführen lassen.“ S. vor allem Eilert Herms, Äußere und innere Klarheit des Wortes Gottes bei Paulus, Luther und Schleiermacher, 55: „Zwar ist klar, daß Schleiermacher damit nicht die ’Übernatürlichkeit’ des Zustandekommens der Glaubensgewißheit durch die ’Selbstverkündigung’ Christi und die Christusverkündigung der Kirche leugnen will. Er will nicht bestreiten, daß der Urheber der Glaubensgewißheit Gott selbst ist. Aber diese Wirksamkeit Gottes in der Geschichte auf die Herzen der Menschen versteht er als Wirksamkeit in und durch Christus – während Paulus und Luther sie verstehen als Wirksamkeit Gottes in Christus durch den Heiligen Geist.“ – Vgl. zum Verhältnis von „Finden“ und Offenbarung bei Schleiermacher auch: DialO 438 – 440. 519 S. GL 125,1,272: „Auf diese Weise stimmt auch beides sehr wohl zusammen, daß die Kirche der Leib Christi heißt, der von dem Haupte regiert wird, und daß sie, je mehr sie sich nach außen ergänzt und nach innen vervollkommnet, um desto mehr auch das Abbild Christi werden soll.“ 520 GL 123,1,260. 521 GL 123,1,260.
III. Inkarnation
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Schöpfung der Welt, die Inkarnation und auch die Neuschöpfung der menschlichen Geschöpfe, wirkt und erhält.522 Gerade das Wirken des Heiligen Geistes garantiert die ewige Einheit des Heilswillens und Heilshandelns Gottes.523 Ebenso wie die Predigt des Evangeliums ist nach Schleiermacher auch die Taufe Aufgabe der christlichen Gemeinschaft. Sie gilt ebenso wie die Feier des Abendmahls als Bestandteil der hohepriesterlichen Amtsausübung.524 Weil Taufe und Abendmahl für Schleiermacher nicht nur als Aufgaben der christlichen Gemeinschaft gelten, sondern diese auch stärken und erhalten, sollen die Sakramente in der Folge, in der sie für die Gemeinschaft von Bedeutung sind, dargestellt werden: zuerst die Taufe und dann das Abendmahl. III.5. Taufe Anders als bei der prophetischen Amtsausübung ist nach Schleiermacher bei der Taufe der Glaube des Amtausübenden keine Voraussetzung. Die Wirksamkeit der Taufe hänge nicht davon ab, daß die mit der Taufe verbundene Absicht „mit bestimmtem Bewußtsein in demjenigen vorhanden sei, welcher die Taufe verrichtet.“525 Denn der Taufvollzug des 522 Darauf geht Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 376, die die entsprechende Stelle bei Schleiermacher zitiert, nicht ein. 523 S. dazu Eilert Herms, Schleiermachers Lehre vom Kirchenregiment, 339/340 Anm. 83: Auch nach Herms tritt bei Schleiermacher der Heilige Geist „nirgendwo in seiner eigenen Subjekthaftigkeit hervor[], insbesondere nicht als göttlicher Handlungsautor, der selbst bei der Konstitution der christlichen Glaubensgewißheit als Anteilhabe an der Gottesgewißheit Jesu (und seiner dadurch qualifizierten Weltgewißheit) wirksam ist.“ Es wird also „in Schleiermachers Sicht der Konstitution des Glaubens und der Glaubensgemeinschaft eine Differenz zur genuin reformatorischen Sicht manifest“. – S. dazu Wilfried Brandt, Der Heilige Geist und die Kirche bei Schleiermacher, 312: „Indem Schleiermacher die Lehre vom Heiligen Geist als Lehre vom Gemeingeist der Kirche in die Ekklesiologie aufgenommen hat, hat er die Kirche groß, aber den Heiligen Geist klein gemacht. Der christliche Glaube an den Heiligen Geist kommt in seiner Dogmatik zwar zum Tragen wie in keiner vorher; aber eigentlich bekommt er nichts zu tragen, sondern er wird getragen von dem christlichen Gemeinschaftsbewußtsein.“ 524 S. GL 143, Leitsatz, 363: „Die evangelische Kirche gebraucht den Namen Sakrament nur für diese beiden von Christo selbst eingesetzten und seine hohepriesterliche Tätigkeit repräsentierenden Institutionen Taufe und Abendmahl.“ 525 GL 137,1,328.
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Taufenden sei „eine Handlung der Kirche“, welche dem Taufenden in der Meinung, daß die Taufe „die Aufnahme in die Gemeinschaft der Jünger“ bedeute, zur Taufe die Vollmacht erteilt habe.526 Jedoch komme dem Bewußtsein des Täuflings entscheidende Bedeutung zu. Erst das Glaubensbekenntnis des Täuflings, seine Anerkenntnis des göttlichen Wortes, welches zur Einsetzung gesprochen werde,527 mache seine Taufe vollständig und wirksam.528 Solange der Glaube des Täuflings noch nicht erweckt sei, bleibe die Taufe unwirksam. Nach Schleiermacher ist der Glaube des Täuflings gefordert, damit „die [Tauf-]Handlung wirklich das sei, als was sie gemeint wird.“529 Durch das „Werk der Predigt“,530 durch die Selbstmitteilung Wiedergeborener werde der Glaube gewirkt, der die Taufe als die Aufnahme in die Gemeinschaft der Jünger wirksam mache.531 Für die Wirksamkeit der hohepriesterlichen Tätigkeit der christlichen Gemeinschaft ist nach Schleiermacher deren prophetische Amtsausübung vorausgesetzt, die denselben glaubenwirkenden Effekt zeitige, den auch die hohepriesterliche Amtsausübung des Erlösers – welche in der Gemeindepredigt verkündet werde – zeige.532 Indem Schleiermacher – auf Grund seines Geistverständnisses – annimmt, bereits das prophetische Amt der Gemeinde wirke Glauben, schließt er die glaubenwirkende Kraft der Taufe aus, vielmehr soll sie als Ausdruck des Glaubens gelten. Allerdings sei erst in der Gemeinschaft der Glaubenden, in welche die Taufe führe, dem einzelnen auch tatsächlich Anteil an der Vollkommenheit und Seligkeit Christi gegeben, weil er nun Anteil am Gemeingeist habe.533 Anteil am Heiligen Geist gewinnt nach Schleiermacher der Glaubende nicht durch die sakramentale Zuwendung Gottes, sondern durch den sakramentalen
526 527 528 529 530 531
GL 137,1,328. S. GL 137,1,329. S. GL 137,1,330. GL 137,2,330. GL 137,2,331. Entsprechend akzeptiert Schleiermacher zwar die Kindertaufe oder genauer die Taufe von Kindern christlicher Eltern (GL 138,1,336). Jedoch sei sie nur dann und erst dann „eine vollständige Taufe, wenn man das nach vollendetem Unterricht hinzukommende Glaubensbekenntnis als den letzten dazu noch gehörigen Akt ansieht“ (GL 138, Leitsatz, 335). 532 Das ist nach Schleiermacher deshalb der Fall, weil gerade durch die prophetischen Tätigkeiten die Wirkung der hohepriesterlichen Tätigkeit Christi verkündet und weitergegeben wird. 533 S. GL 137,2,332.
III. Inkarnation
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Vollzug seines freien Eintritts534 in die christliche Gemeinschaft auf Grund der geistvermittelnden Wirkung christlicher Predigt. Nach Schleiermacher bestätigt die Taufe das Wirksamgewordensein christlicher Predigt und bedeutet den Eintritt in die christliche Gemeinde.535 Schleiermacher versteht die Taufe nicht als die Bewegung durch Tod und Auferstehung hin zum ewigen Leben, die Luther mit dem Taufakt verbindet. Nach Luther ist die Taufe der Bundesschluß Gottes mit dem Täufling, der im Taufakt durch Tod und Auferstehung hindurch in sein „neues“, christliches Leben mit Gott geführt wird. Der Wille Gottes zur Verbindung mit dem Menschen in der Taufe werde mit den Einsetzungsworten – die durch die Predigt verständlich gemacht werden sollen – ausgesagt. Die Einsetzungsworte verkünden nicht die Absicht der Kirche, einen Glaubenden aufzunehmen, sondern vergegenwärtigen den Willen Gottes zur Gemeinschaft mit dem Täufling, dessen Glaube durch die vorgängige Heilszusage Gottes und Gottes Verbindung mit ihm begründet wird. Weil nach Schleiermacher die Neuschöpfung, die den Tod der sündhaften Persönlichkeit mit sich bringe, durch die Predigt gewirkt wird, tritt in seiner Tauftheorie im Unterschied zum Taufverständnis Luthers der Wasserritus (das Untertauchen in den Tod und das Auftauchen aus dem Wasser zum ewigen Leben) hinter das Einsetzungswort und die „Absicht der Kirche“ zurück als bloß „äußere Handlung“.536
534 S. dazu GL 14,1,94. 535 GL 137,2,331. 536 GL 137,1,329. – Luther betont die besondere Bedeutung des Wasserritus, der den Beginn des neuen geistigen Lebens auch körperlich erleben lasse und so die Gemeinschaft mit dem Erlöser ebenso ganzheitlich und leibhaft vergegenwärtige wie der Erlöser sich selbst als Menschgewordener präsentiert habe. – S. dazu Dorothee Schlenke, „Geist und Gemeinschaft“, 424. Schlenke hält Schleiermachers Taufverständnis für übereinstimmend mit demjenigen Luthers: „Schleiermacher steht […] durchaus in Übereinstimmung mit dem Kernsatz lutherischer Tauftheologie, wonach der Glaube die Taufe nicht ’mache’, wohl aber nur er sie ’empfange’.“ Sehr wohl empfängt nach Luther nur der Glaube die Taufe wahrhaft. Doch betont Luther gerade im Gegensatz zu Schleiermacher, daß die Geltung der Taufe unabhängig vom Glauben des Empfangenden ist; nach Luther machen Wasser und Wort die Taufe aus; s. dazu Luther-Kapitel, IV.2.3.2.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
III.6. Abendmahl Eine „genaue Analogie […] zwischen dem Abendmahl und der Taufe“ bildet nach Schleiermacher die Zwinglische Abendmahlsdeutung. Denn wie nach Schleiermacher das Wasser der Taufe als bloßes Zeichen für die Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden gilt, so dienten nach Zwingli Brot und Wein des Abendmahls dem bloß „geistigen Genuß“ des Fleisches und Blutes Christi.537 Jedoch zieht Schleiermacher das lutherische wie das calvinische Abendmahlsverständnis demjenigen Zwinglis vor, weil Luther und Calvin die „wirkliche Gegenwart“ des Erlösers im Abendmahl annähmen, was einzig die „besonderen Ausdrücke“ rechtfertige, deren sich der Erlöser bei der Einsetzung des Abendmahls bedient habe.538 Aber auch die Abendmahlstheorien Luthers und Calvins klärten die Beziehung zwischen leiblichem und geistigem Genuß nicht abschließend.539 Daß Schleiermachers Abendmahlsverständnis mit demjenigen Luthers nicht übereinstimmt, gründet insbesondere in Schleiermachers Christusverständnis und seiner Leugnung der communicatio idiomatum.540 Insofern der Erlöser seiner Seele nach als ewig allgegenwärtiger Gott existiert, sein Organismus aber rein menschlich beschaffen ist, kann nach Schleiermacher konsequenterweise das Abendmahl nach Luther nur als Feier einer „geheimnisvollen Sinnlichkeit“ verstanden werden.541 Denn die Vorstellung der Realpräsenz von Leib und Blut des Erlösers ist mit der mangelnden Göttlichkeit des menschlichen Leibes Christi nicht kompatibel. Die Realpräsenz des inkarnierten Gotteswortes im Abendmahl kann nach Schleiermacher nur dann angenommen werden, wenn Brot und Wein das Sein Gottes selbst in sich aufnehmen könnten. Die Aufnahme des göttlichen Wesens aber ist nach Schleiermacher, der eine diffinitive Raumausfüllung des Inkarnierten leugnet, nur mit Selbstbewußtsein ausgestatteten Geschöpfen möglich. Nur in ihnen oder vielmehr in der Gemeinschaft der Glaubenden sei der Erlöser selbst bei der Feier des Abendmahls wesenhaft, nämlich als die gemeinschaftsstiftende und gemeinschaftserhaltende Liebe Gottes, gegenwärtig, und zwar in geistiger Weise beim leiblichen Gebrauch der Abendmahlselemente.542 537 538 539 540 541 542
GL 140,4,353. GL 140,4,354. S. GL 140,4,355. S. dazu o. III.1.5. GL 140,4,355. S. GL 139,1,341/342 und 141,1,356. Zur diffinitiven Raumausfüllung s. o. II.2.
III. Inkarnation
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Für sein eigenes Abendmahlsverständnis macht Schleiermacher deutlich, daß prinzipiell der Genuß des Leibes und Blutes Christi „allen Gläubigen zur Befestigung ihrer Gemeinschaft mit Christo“ und also auch der Befestigung und dem Erhalt ihrer Gemeinschaft untereinander gereiche.543 Der Genuß der Abendmahlselemente sei unwürdig, wenn diejenigen, die am Abendmahl teilnehmen, nicht vom Gemeingeist und also nicht vom Gemeingefühl der christlichen Gemeinschaft erfüllt und damit auch nicht von der „Sehnsucht“544 nach dem gemeinschaftsstiftenden Genuß des Abendmahls getrieben sind. Entsprechend zeuge der unwürdige Genuß von einer „Unvollkommenheit der Kirche“. „Stimmt die Handlung derer, die zum Sakrament hinzutreten, mit dem Gemeingefühl des Ganzen zusammen; hat sich die das Sakrament darreichende Kirche zum vollkommnen Mitgefühl des Ganzen mit dem Zustande jedes Einzelnen entwickelt: so wird keiner auf unwürdige Weise des Sakramentes begehren, und die Gemeine wird es keinem zum unwürdigen Genuß darreichen.“545
Schleiermachers Ausführungen zu den Sakramenten Taufe und Abendmahl zeigen die Relevanz, die er der Wortverkündigung oder genauer der christlichen Selbstdarstellung zumißt. Diese sei es, die den Glauben und die Gemeinschaft mit dem Erlöser wirke. Taufe und Abendmahl dienten hingegen dem erst auf Grund des Glaubens eröffneten Eintritt in die christliche Gemeinschaft und ihrem Erhalt. Die Vermittlung des Gemeingeistes durch die Predigt der Kirche soll die notwendige Voraussetzung für den Vollzug der Sakramente sein, weshalb diese bei Schleiermacher in ihrer Bedeutung hinter der Verkündigung zurückstehen. Obwohl Schleiermacher gerade die Inkarnation als die erlösende Begegnung des Schöpfers mit seinen menschlichen Geschöpfen hochschätzt, steht für ihn dabei nicht die menschliche Körperlichkeit, sondern das menschliche Bewußtsein im Vordergrund. Entsprechend gibt er der geistigen Wortverkündigung den Vorrang vor Taufe und Abendmahl, die durch den Wasserritus sowie das Essen und Trinken von Brot und Wein gerade die Körperlichkeit des Menschen angehen. Auch sind nach 543 GL 141, Leitsatz, 355 und 141,1,356: „Indem als der einige Nutzen dieses Genusses die Befestigung unserer Gemeinschaft mit Christo angegeben wird: so ist darin die Befestigung der Christen in ihrem Verein untereinander mit eingeschlossen, indem dieser auf ihrer Vereinigung mit Christo so ganz beruht, daß die Vereinigung eines einzelnen mit Christo nicht zu denken ist ohne seine Vereinigung mit den Gläubigen.“ 544 GL 142,1,361. 545 GL 142,3,363.
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Kapitel II: Inkarnation und Schöpfung nach F.D.E. Schleiermacher
Schleiermacher die beiden Sakramente nur insofern von Bedeutung, als sie die geistige Gemeinschaft mit dem Erlöser und die Gemeinschaft der christlichen Gemeinde selbst zu Bewußtsein bringen. Die Wirksamkeit von Taufe und Abendmahl stehe und falle mit der bereits vorhandenen christlichen Geistigkeit derjenigen, die am Sakramentsvollzug teilnehmen. Die Inkarnation des Erlösers oder genauer den Ganzeindruck, den der Inkarnierte hinterließ, versteht Schleiermacher nicht eigentlich als Heilszusage Gottes an den Menschen in seiner Einheit von Geist und Körper, weshalb ihm auch in Hinsicht auf das Reich Gottes der Erhalt des menschlichen Organismus in seiner Beschränktheit nicht unheilvoll zu sein scheint.546 Wie sein Geist-, Predigt- und Sakramentsverständnis zeigen, hält Schleiermacher die durch den Menschgewordenen begründete Vermittlung von Gottesbewußtsein für das Heilswirken, durch das der Schöpfer seinen Gemeinschaftswillen verwirklicht.
IV. Fazit Als die entscheidende Grundkonstante des Schleiermacherschen Verständnisses von Inkarnation und Schöpfung und dem Zusammenhang beider hat sich die Liebe und Treue Gottes erwiesen, welche sich auf Grund der allwissenden Allmacht des ewigen und allgegenwärtigen Gottes in der Beständigkeit des Naturzusammenhanges und der Ausrichtung der Schöpfung auf die Verwirklichung des Reiches Gottes ausdrückt. Die Schöpfung wie die Realisation des Gottesreiches ist nach Schleiermacher von Gott selbst ewig vorherbestimmt. Weil mit der Schöpfung sowohl die ursprüngliche Vollkommenheit des Menschen und der Welt sowie die ursprüngliche Sündhaftigkeit des Menschen zugleich bestehen, müssen auch Inkarnation und Neuschöpfung, welche der Überwindung der Sünde dienen und dadurch das Reich Gottes initialisieren, ewig vorherbestimmt sein. Gottes Liebe muß von Ewigkeit her darauf ausgerichtet sein, die menschlichen Geschöpfe im Prozeß ihrer Bewußtseinsentwicklung zur Gemeinschaft mit ihrem Schöpfer fortzubilden und damit die Manifestation des göttlichen Wesens zu vollenden. Die kunstvolle Selbstdarstellung des Schöpfers, die nach Schleiermacher mit der Inkarnation des Gotteswortes in ihrem Zielzustand erscheint und durch die Selbstmitteilung der Christenmenschen zu ihrem Ziel vorangetrieben wird, impliziert also den menschlichen Erkenntnisprozeß, der von der 546 S. dazu o. III.2.2.2.3.
IV. Fazit
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ursprünglichen Sündhaftigkeit zur Verwirklichung der ursprünglichen Vollkommenheit führen soll. Die ursprüngliche Sündhaftigkeit ist dabei der ursprünglichen Vollkommenheit derart zugeordnet, daß sie gemäß dem ewigen Heilswillen Gottes mit der Realisation des Reiches Gottes vollkommen überwunden sein wird. Der ewige Heilswille des Schöpfers erscheint den menschlichen Geschöpfen immer nur in Raum und Zeit der geschaffenen Welt. Ebenso wie die Welt selbst gehen nach Schleiermacher auch Inkarnation und Neuschöpfung respektive Wiedergeburt als zeitlich-räumliche Erscheinungen aus der allgegenwärtigen und ewigen Liebe Gottes hervor. Schleiermachers Beschreibung von Inkarnation und Neuschöpfung als der beiden Übergänge, die in Zeit und Raum die ewige Liebe Gottes vergegenwärtigen, schließt aus, daß absolut Neues durch sie entsteht. Sie bewirken nach Schleiermacher vielmehr relativ Neues, indem sie dem Menschen zur Erscheinung bringen, was von Ewigkeit her vorherbestimmt ist. In Raum und Zeit gewähren sie Einsicht in den ewigen Heilswillen des allgegenwärtigen Gottes. Daß nach Schleiermacher der Gegensatz von Zeit und Ewigkeit, Raum und Allgegenwart durch einen Übergang zwischen der transzendenten Raum- wie Zeitlosigkeit und der weltlichen Raum-Zeit-Beschränktheit überbrückt werden kann, hängt mit zwei entscheidenden Annahmen zusammen: Zum einen erstreckt sich nach Schleiermacher die menschliche Möglichkeit zur Erkenntnis Gottes und seiner Schöpfung nicht nur auf das diesseitige, sondern auch auf das jenseitige Leben. Während Schleiermacher den Tod als vollständige Auflösung des Naturzusammenhanges und der menschlichen Personidentität verneint, hält er nämlich fest, daß im Tod das körperliche und endliche Sein in die Ewigkeit eingeht und ewigen Bestand hat, so daß es als raum-zeitlich begrenztes Sein auch in Ewigkeit erkannt werden kann. Im jenseitigen Leben werde das beschränkte Sein in Bezogenheit auf den ewigen Schöpfer in seiner Gottgewolltheit und Idealität vollkommen symbolisiert, und es werde erkannt, daß das Sein, gerade weil es gottgewollt ist, in alle Ewigkeit als Manifestation Gottes besteht. Wie nach Schleiermacher die gesamte Schöpfung zwar im Denken und Wollen Gottes ursprünglich vollkommen besteht, jedoch in Raum und Zeit unter der erhaltenden Tätigkeit Gottes im beständigen Werden begriffen ist und auch im jenseitigen Leben noch erhalten bleibt, so ist nach Schleiermacher auch die Inkarnation, die Menschwerdung Gottes, mit dem irdischen Tod des Menschgewordenen nicht abgeschlossen. Erst im Reich Gottes wird die Inkarnation für alle menschlichen Geschöpfe
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vollzogen sein, weil diese dann selbst vom Gemeingeist und vom Sein Gottes erfüllt sein werden. Unter der dauernden Dominanz ihres Gottesbewußtseins wird ihnen die Schöpfung in ihrer vollendeten Wahrheit, Güte und Schönheit offenbar sein. Im Reich Gottes als der Sphäre ewigen Lebens, in der die Inkarnation für alle menschlichen Geschöpfe gegeben sein wird, wird nach Schleiermacher dem Menschen die Vollendung der Schöpfung erscheinen, und somit wird sie auch tatsächlich vollendet sein. Denn die Vollendung der Schöpfung entspricht der Vollendung der Menschheit, die durch die universale Inkarnation des göttlichen Wesens geschieht, und das heißt, sie ist identisch mit der Vollendung der Bewußtseinsentwicklung des Menschen. Damit, daß die Schöpfung in ihrer Vollkommenheit dem Menschen gegenwärtig ist, ist nach Schleiermacher die Vollendung des menschlichen Bewußtseins gegeben. Dementsprechend kann das menschliche Bewußtsein die Schöpfung selbst oder vielmehr die geschaffene raum-zeitlich bedingte Realität als den Ort und Prozeß der eigenen Bewußtwerdung verstehen, welche wiederum als das Wirklichwerden von Inkarnation oder auch als Idealisierung des Realen zu verstehen ist. Die zweite Konsequenz, die mit Schleiermachers Festhalten an der Möglichkeit einer Verbindung von Zeit und Ewigkeit, Raum und Allgegenwart verbunden ist, ist seine Bestimmung des Inkarnierten, welcher den endlichen Menschen ins ewige Leben hinüberführt. Der Inkarnierte vereine als der Mittler zwischen Gott und Menschen Gottes ewige Liebe mit einem menschlichen Organismus; das eigentliche Sein Gottes in ihm erfülle seine Seele, sein Organismus sei wie der Organismus eines jeden Menschen ein endlicher Organismus, der ausführt, was das Selbstbewußtsein vorgibt. Weil sein Selbstbewußtsein ein reines Gottesbewußtsein ist, kann sein sinnliches Selbstbewußtsein allerdings nicht menschlich empfinden. Damit aber ergibt sich das Problem, daß Schleiermacher zwar keineswegs die Gottheit des Erlösers vernachlässigt,547 jedoch dessen auf547 S. dazu anders: Karsten Lehmkðhler, Inhabitatio, 198: „In letzter Deutlichkeit wird man sagen müssen: Schleiermacher kennt keine Inkarnation. Er kennt nicht das Wunder, das Paradox des Gottes, der zeitlich wird, der die conditio humana angenommen hat.“ Nach Lehmkühler genügt Schleiermachers Christologie insofern nicht, als der Erlöser von Schleiermacher auf Grund von dessen „Nichtbeachtung der trinitarischen Offenbarung“ zu sehr als Mensch beschrieben sei: „Die Nichtbeachtung der trinitarischen Offenbarung macht es […] erst möglich, das Sein Gottes in Christus in ein anthropologisches Gesamtkonzept einzuzeichnen, so daß der Unterschied zwischen Christus und den Christen als ein [bloß] gradueller und zeitlicher Unterschied erscheint.“ S. dazu auch Friedrich Beißer,
IV. Fazit
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und angenommenes Menschsein auf einen menschlichen Organismus reduziert. Und dies wiederum beeinflußt und beeinträchtigt die erlösende Wirksamkeit des Erlösers. Der klassische Grundsatz, nach dem nur erlöst werden kann, was angenommen ist,548 kommt in Schleiermachers Christologie nur sehr eingeschränkt, viel zu eingeschränkt zur Geltung. In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz würde der Erlöser, wie ihn Schleiermacher beschreibt, allein den menschlichen Organismus erlösen können. Tatsächlich aber soll die Erlösung das menschliche Selbstbewußtsein betreffen, auf daß – gleich wie beim Erlöser selbst – kein körperliches Übel als Übel empfunden werde. Indem Schleiermacher das Wesen des Erlösers als die ewige Liebe des Schöpfers benennt, reduziert er zudem den Menschgewordenen auf eine bloß menschliche Erscheinungsweise des Schçpfers gegenüber seinen menschlichen Geschöpfen. Zwar offenbart der Inkarnierte den Schöpfer und eröffnet also die Erkenntnis des Schöpfung. Doch ist er – wie Schleiermacher selbst festhält – das Schöpferwort Gottes, das sehr wohl dem Schöpferwesen und -willen entspricht und als solches die menschlichen Geschöpfe erlöst und versöhnt. Sein erlösendes Wirken unterbricht den geschaffenen Schöpfungszusammenhang nicht. Allerdings aber vollzieht er als das inkarnierte Schöpferwort die Neuschöpfung des Menschen, die die Überwindung der Sünde impliziert. Um dieser besonderen Handlung willen dürfte Schleiermacher die zweite Person der Trinität nicht derart mit Gott dem Schöpfer identifizieren, wie dies schon durch die Vernachlässigung ihrer menschlichen Natur der Fall ist. Auch die Bedeutung des Heiligen Geistes ist unterbestimmt, wenn Schleiermacher dessen steten und ewigen Ausgang bei Gott zugunsten der Inkarnation und Einwohnung des göttlichen Seins in der christlichen Gemeinschaft leugSchleiermachers Lehre von Gott, 237: „Der Gott […], den sich der christliche Glaube bisher als Person, also irgendwie als ein Einzelwesen vorgestellt hatte, ist für Schleiermacher tot. Der Christus, der Gott selbst sein soll, ein Fabelwesen.“ – S. aber auch Michael Trowitzsch, Zeit zur Ewigkeit, 189: Nach Trowitzsch hat in Schleiermachers Darstellung Gott sich keine Zeit für den Menschen genommen; er habe sich keine Zeit genommen, „in der er selber diese Zeit in den Tod mitnahm und neu entstehen ließ – und auf diese Weise Zeit zur Liebe hatte. Von einer Zeit des Menschen zur Ewigkeit, einer Zeit für den ewigen Gott kann man bei Schleiermacher Eindrückliches lernen“. Doch gebe es für Schleiermacher das nicht: „eine Zeit, die dadurch Relativierung erfährt und von der Stelle kommt, daß sich in diesem Sinne ereignet: Das Wort ward Zeit.“ Daß allerdings Karl Barth dieser Heilstatsache adäquater Rechnung getragen hätte, wird sich im folgenden Kapitel nicht bestätigt finden. 548 S. u. a. Hebr 2,18.
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net. Damit jedoch hebt Schleiermacher hervor, daß dem Schöpfer daran gelegen ist, daß seine menschlichen Geschöpfe, um in Gemeinschaft mit ihm zu existieren, selbst „gottähnlich“ werden sollen.549 Mit ihrem Gottesbewußtsein sind nach Schleiermacher die menschlichen Geschöpfe von Ewigkeit her dazu bestimmt, an Gottes Ewigkeit Anteil zu haben und schließlich in seine ewige, allgegenwärtige, allwissende und allmächtige Liebe vollkommen aufgenommen zu werden. Dazu sollen sie allesamt vom Geist Gottes erfüllt sein und zugleich in ihrer Individualität bestehen bleiben.550 Mit der Fülle ihrer individuell verschiedenen Schöpfungserkenntnis entsprechen sie der Fülle des geschaffenen Seins und also dem Reichtum des göttlichen Kunstwerks. Auf Grund der relativ übervernünftigen Geistbegabung sind nach Schleiermacher die vernünftigen menschlichen Geschöpfe dazu imstande, nicht nur die materialen Gehalte der christlichen Dogmatik einzusehen und zur Sprache zu bringen. Sie sind zudem in der Lage, die formale Seite dieses Erkenntnisfortschritts mitzubedenken. Denn ihre Denkfunktion ist nun mit dem göttlichen Geist selbst ausgestattet, der in die nur relative Übervernünftigkeit und Übernatürlichkeit des Christusgeschehens sowie in die nur relative Übervernünftigkeit und Übernatürlichkeit des Zustandekommens der Gewißheit des Christusgeschehens Einsicht gewährt und das Vermögen bedeutet, die entsprechenden vernünftigen Glaubenssätze formulieren zu können. Bei seinem Anliegen, das Wissen ðber die formale Seite dieses Gewißheitsinhaltes in seiner Glaubenslehre mit zu berücksichtigen,551 vernachlässigt Schleiermacher jedoch nicht nur, daß die Menschlichkeit des Erlösers an das Vorhandensein eines menschlichen Selbstbewußtseins gebunden ist, sondern auch, daß die Vermittlung von Glaubensgewißheit durch die christliche Kirche abgesehen vom besonderen übersinnlichen Wirken Gottes des Heiligen Geistes nicht adäquat beschrieben werden kann. Um den Glaubensgegenstand und das Zustandekommen des Glaubens verständlich und vernünftig zu beschreiben, schreibt Schleiermacher dem Intellekt oder eben der Vernünftigkeit und Geistigkeit des Erlösers zu viel Bedeutung zu. Entsprechend schreibt er – durch den Erlöser grundlegend vermittelt – auch der Gemeinschaft der Christenmenschen eine Geistbegabung zu, die zwar nicht deren menschlich-sinnliches Bewußtsein außer Kraft setzt, jedoch ein spezielles übersinnliches Wirken des Geistes Gottes als der dritten Person der Trinität 549 S. dazu F.D.E. Schleiermacher, UT, 335: „Verähnlichung mit Gott“. 550 S.o. Anm. 461. 551 S. dazu o. 0.4.
IV. Fazit
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überflüssig macht. Überhaupt ist nach Schleiermacher Gott der Heilige Geist nur in der Gestalt der Kirche gegeben. Wie der Erlöser, so stellt nach Schleiermacher auch der Heilige Geist eine Erscheinungsweise Gottes im Rahmen von Raum und Zeit dar, wobei das Wirken des Geistes eigentlich erst seit Tod und Auferstehung des Erlösers durch die Kirche als dessen abbildhafte, göttliche Nachfolgegestalt wirksam sein soll. Indem Schleiermacher die eigenständige Person des Geistes ebenso wie die des Sohnes vernachlässigt, will er seinem Anliegen genügen, die Welt als die eine, einheitliche und einzige ursprünglich vollkommene Schöpfung des einen Gottes herauszustellen. Die Selbstmanifestation Gottes soll das eine schlechthin vollkommene Kunstwerk Gottes sein und werden. Deshalb hat nach Schleiermacher Gott der Schöpfer von Ewigkeit her den Schöpfungsprozeß auf die Realisation des Reiches Gottes hin ausgerichtet, und er ist unablässig bestrebt, sein Kunstwerk dahingehend zu vollenden, daß tatsächlich alle einzelnen Bestandteile desselben von seiner Liebe erfüllt sind und also sein eines Wesen darstellen.
Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth „Jesus Christus, wie er uns in der heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“1
0. Einführung Für Barths Verständnis von Inkarnation und Schöpfung und deren Verhältnis zueinander sollen zunächst die grundlegenden erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, die Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik angibt, aufgezeigt werden. Es soll dargestellt werden, was nach Barth der Gegenstand des christlichen Glaubens ist, in welcher Weise dieser für den Menschen gegeben ist und ob über ihn Gewißheit erlangt werden kann. Im Anschluß soll die Kohärenz und Einheitlichkeit der für die Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung maßgeblichen materialdogmatischen Ausführungen Barths an dessen eigenen erkenntnistheoretischen Prämissen gemessen und geprüft werden. Barth leugnet, daß Gott von einem menschlichen Subjekt gleich wie ein jeder andere Erkenntnisgegenstand erkannt werden könne. Es sei die „Erkenntnismöglichkeit des Menschen“ gegenüber dem dreieinigen Gott nur von diesem her, „nur vom Erkenntnisgegenstand bzw. von der Erkenntniswirklichkeit her und durchaus nicht vom Erkenntnissubjekt, also durchaus nicht vom Menschen her als solche verständlich zu machen“.2 1 2
Barmer theologische Erklärung, These 1; s. Karl Barth, Texte zur Barmer Theologischen Erklärung, 67. S. auch KD IV,3,69,1. KD I,1,6,201. Zu den Hintergründen des Barthschen Anti-Subjektivismus s. Johann Friedrich Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus; s. v. a. 366/ 367: „In der Tat wirkt sich die Neukantianismus-Rezeption des Dialektischen Theologen Barth auch auf die weitere Ausarbeitung seiner Theologie aus. Im Laufe der 20er Jahre bestimmt sie in Gestalt des erkenntnistheoretischen Anti-Subjektivismus maßgeblich Barths Weg zu einer konsequenten Theologie des Wortes Gottes.“ S. auch a.a.O., 402: Nach Lohmann wird „der vom Neukantianismus übernommene Anti-Subjektivismus […] von Barth nicht nur festgehalten, sondern er wird in den 20er Jahren zum bestimmenden Faktor seiner Theologie und
0. Einführung
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Auch Gewißheit über den Erkenntnisgegenstand oder vielmehr „Gottesgewißheit“ gewinne das – immer schon sündige – menschliche Subjekt ausschließlich durch das Wirken Gottes. Und nur in dieser durch Gott selbst vermittelten „Gottesgewißheit“ gründet nach Barth die „Selbstgewißheit“ des Menschen. Daß er als ein „Selbst“ geschaffen und wie er als dieses beschaffen sei, könne dem Menschen nur auf dem Boden von „Gottesgewißheit“ deutlich werden.3 Gottesgewißheit im Sinne der Erkenntnis Gottes oder genauer im Sinne der Einsicht in das dreifache Wirken Gottes des Schöpfers, Versöhners und Erlösers wird nach Barth durch die objektive Offenbarung Gottes in Jesus Christus gewährt, die der Heilige Geist dem menschlichen Subjekt eröffne. Der Heilige Geist wirke die subjektive Offenbarung der objektiven Offenbarung oder vielmehr die „subjektive Realisierung“ der „objektiv in ihm [in Jesus Christus] geschehenen Versöhnung der Welt mit Gott“.4 Der Heilige Geist wirke den Glauben an die Wahrheit der durch Gott im Inkarnierten realisierten Heilswirklichkeit, wodurch Gott zugleich als der Schöpfer des eigenen Selbst wie der gesamten Welt erkannt werde.5 Der Glaube an Jesus Christus bedingt nach Barth das „Sehen und Verstehen“ Gottes des Schöpfers. Weil Jesus Christus „geradezu der
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bildet einen wesentlichen Hintergrund für die die gesamte ’Kirchliche Dogmatik’ prägende Methode der ’christologischen Konzentration’.“ S. KD I,1,6,204: „Es geht in der Theologie darum, die Selbstgewißheit auf die Gottesgewißheit zu gründen und an der Gottesgewißheit zu messen und also mit der Gottesgewißheit anzufangen, ohne auf die Legitimierung dieses Anfangs durch die Selbstgewißheit zu warten.“ S. dazu Michael Beintker, Fides quaerens intellectum, 118/119: Beintker hält fest: „Der Mensch, der von der eigenen Selbstgewißheit auf die Gewißheit vom Dasein Gottes schließt, übernimmt nolens volens die Verantwortung für die Wahrheit des Gottesgedankens.“ Der Schluß von der Selbstgewißheit auf die Gottesgewißheit sollte besser vermieden werden; es sei das umgekehrte Schlußverfahren vorzuziehen. Denn: „Wenn Gott nicht als nicht daseiend gedacht werden kann, während dieser Gedanke im Blick auf mich sehr wohl möglich ist, dann ist die Gewißheit von Gott derjenigen Gewißheit, die ich von mir selber haben kann, schon in ontischer Hinsicht unvergleichbar überlegen.“ KD IV,1,58,162. S. dazu KD IV,4,31/32: „Dabei kann es ja nicht sein Bewenden haben, daß die Geschichte Jesu Christi […] in seiner Auferstehung von den Toten allen Menschen objektiv offenbar wurde. Das will doch Gott in dieser Geschichte und mit ihrer Offenbarung, daß alle Menschen gerettet, nämlich auch subjektiv zu der Erkenntnis der Wahrheit gebracht (1. Tim. 2, 4), in dieser Erkenntnis zur Treue gegen ihn befreit werden sollen. […] Die Befreiung dazu ist das Werk des Heiligen Geistes.“
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Schlüssel zum Geheimnis der Schöpfung“ sei, gewähre einzig und allein der Glaube an ihn die Erkenntnis von Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf, die entsprechend eine „Glaubenserkenntnis“ sei.6 Die dem Heiligen Geist zugeschriebene Konstitution des Glaubens an Gott den inkarnierten Versöhner, den Schöpfer und Erlöser ist nach Barth in Schritte aufgegliedert. Barths Glaubensverständnis ist an Anselms „credo ut intelligam“ orientiert,7 wobei Barth unter Glaube („credo“) zunächst das gehorsame „Anerkennen“ oder geistgewirkte „Fürwahrhalten“ der objektiven Offenbarung in Jesus Christus versteht.8 Erst infolge dieses Fürwahrhaltens werde der Glaube auch ein „Erkennen“, ein Erkennen von der Wahrheit der fürwahrgehaltenen Wirklichkeit („intelligere“).9 Das Erkennen folge dem Anerkennen, in welchem es aber immer schon mitenthalten sei.10 Schon das gehorsame Anerkennen sei keine „bloße Gefühlsbewegung“ und auch kein „bloßer Willensakt“.11 Vielmehr sei es diejenige Gehorsamstat, in der das „Wissen“ um Christus angelegt und enthalten sei als „anhebendes Wissen“.12 Nur vermittelt durch den Glauben an Jesus Christus, d. h. infolge der Anerkenntnis des Versöhners, ist nach Barth auch dessen Erkenntnis sowie die Erkenntnis des Schöpfers gewährt.13 Das unmittelbare Bewußtsein eines menschlichen Subjekts von dem ihm eigenen Geschaffensein oder vielmehr von seinem In-die-Welt-Gesetztsein und jegliches damit ver6 KD III,1,40,30. 7 Auch Schleiermacher bezieht sich auf Anselms „credo ut intelligam“; s. dazu das Deckblatt seiner Glaubenslehre. 8 KD IV,1,63,847.850. 9 S. KD I,1,7,289: „Es [d.i. das Wort Gottes] muß zuerst […] geglaubt und es kann nur dann und so als Wahrheit erkannt werden. Credo ut intelligam.“ 10 S. KD IV,1,63,851. 11 KD IV,1,63,851. 12 KD IV,1,63,854. 13 S. dazu Regin Prenter, Die Einheit von Schöpfung und Erlösung, 12: „Man fragt sich, warum denn vom Glauben an Gott den Schöpfer nur in diesem gebrochenen Sinne geredet wird. Das Glaubensbekenntnis verwendet dasselbe Wort, Credo, in allen drei Glaubensartikeln. Warum wird denn nun hier, beim ersten Artikel, das Credo in ein Intelligo verwandelt, und zwar so, daß dieses Intelligo (womit hier beim ersten Artikel das Credo umschrieben ist) seine Sinngebung in dem zum zweiten Glaubensartikel gehörigen Credo finden muß. Mit dem Glaubensbekenntnis ist dieser Vorgang jedenfalls nicht in Übereinstimmung.“ S. auch Jan Rohls, Credo ut intelligam, 429: Rohls hält fest, nach Barth werde die Schöpfung „nur erkannt, insofern Jesus Christus ontisch ihr Mittler und noetisch ihre Offenbarung ist, so daß sie nicht anders in den Blick kommt denn als Raum für die Geschichte des Gnadenbundes.“ S. dazu im Folgenden.
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bundene unmittelbare Bewußtsein von einem göttlichen Ursprung allen Seins sei hingegen bloße Meinung. „Es ist nicht wahr, daß wir unmittelbar um unsere eigene oder um irgend eine Wirklichkeit wissen. Wahr ist nur dies, daß wir unmittelbar meinen, darum zu wissen.“14 Bevor die Offenbarung in Jesus Christus nicht offenbar geworden sei, gibt es nach Barth für den Menschen kein Wissen der eigenen Abhängigkeit von einem schaffenden, setzenden Grund und kein Wissen vom Wirklich-Sein des eigenen Selbst.15 Das eigene Dasein und Wirklich-Sein bleibe dem Menschen solange unbekannt, als es ihm nicht durch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus offenbart und durch das Wort Gottes „gesagt“ sei. „Es müßte uns von unserem Schöpfer gesagt sein, daß wir und was außer uns ist, seine Geschöpfe sind. Dann könnten und müßten, dürften und würden wir in gesicherter Erkenntnis auch selbst sagen, daß wir sind, daß etwas ist. Das müßte uns gesagt sein. Wir reden also nicht vom Inhalt eines mit unserem Ichund Weltbewußtsein verbundenen oder ihm ursprünglich zugrunde liegenden unmittelbaren Gottesbewußtseins.“16
Mit dem (erkennenden) Glauben an Jesus Christus ist nach Barth die gesicherte Erkenntnis Gottes, des Versöhners, und Gottes, des Schöpfers, eröffnet.17 Dieses Wissen, welches das Wissen um die Heilszuwendung Gottes durch den Inkarnierten in sich schließe,18 entstehe in der Bewegung, die der Glaubende von der Anerkenntnis des inkarnierten Versöhners zur Erkenntnis desselben vollziehe. Dieser erkennende Glaubensvollzug hat nach Barth „kognitiven Charakter“.19 Das menschliche Subjekt sei rational tätig, indem es in der Tat des Glaubens die durch Gottes Heilstat in Jesus Christus geschehene Veränderung der gesamten menschlichen Situation anerkenne und erkenne. Die Glaubenstat sei deshalb auch als „logische Antwort“ des Glaubenden gegenüber dem „logischen Verhalten20 Gottes“,21 als einzig adäquate Antwort auf die Offenbarung des göttlichen Logos zu bezeichnen. Nach Barth wird diese rationale, logische Glaubenstat, sobald sie durch die Gewalt des Wortes Gottes herausgefordert wird, in einer Weise gefordert, die die Wahl der Ablehnung, eine unlogische Antwort und ein anderes Tun als das des 14 15 16 17 18 19 20 21
KD III,1,42,395. S. KD III,1,42,399. KD III,1,42,397. „Wer glaubt, der weiß auch […], an wen er glaubt.“ (KD IV,1,63,854) S. KD IV,1,63,856. KD IV,2,64,349 und KD IV,1,63,839/840. Besser: „Handeln“. KD IV,2,64,349. S. dazu KD I,1,5,139.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
glaubenden Anerkennens und Erkennens unmöglich macht.22 „Es gibt da, wo Gott einmal geredet hat und gehört ist […] kein Entrinnen vor dieser Gewalt, kein Vorbeikommen an ihr“.23 Die Gewalt des Wortes Gottes, die nach Barth den Glauben des Menschen oder auch sein Anerkennen, Erkennen und dann sein Bekennen des Wortes Gottes hervorruft,24 läßt deshalb kein Entkommen zu, weil sie „mit der neuen Situation einen neuen Menschen [schafft], der vorher gar nicht existierte, nun aber existiert, identisch mit dem, der das Wort gehört hat.“25 Gottes logisches Handeln hat nach Barth, wenn es dem Menschen durch den Heiligen Geist vermittelt begegnet, „kreatorischen Charakter“. In der Gewalt seines Wortes schaffe Gott oder vielmehr Jesus Christus als die Offenbarung Gottes einen neuen Menschen, der als solcher die durch Gottes Heilstat in Jesus Christus geschehene Veränderung der gesamten menschlichen Situation unweigerlich anerkenne, erkenne und bekenne.26 Das Zum-Glauben-Kommen des Menschen setzt nach Barth die radikale Neuschöpfung oder „neue Schçpfung“ des Menschen durch den Versöhner voraus.27 Nur der neue Mensch nämlich sei „fähig, willig und bereit“, die offenbarte Situationsveränderung anzuerkennen und zu 22 S. dazu KD I,1,6,258: Nach Barth kann der Glaubende in seiner Glaubenstat „nicht sich selbst als handelndes Subjekt des Werkes, das da geschieht, verstehen.“ Doch sei er „im Glauben keineswegs ein Holzblock oder Stein, sondern eben der sich selbst bestimmende Mensch“, und zwar derart, daß er „nur noch von dem Du des Subjektes Gott her ist.“ – Barth versucht nicht nur in seinen Prolegomena, sondern auch in seiner Kirchlichen Dogmatik insgesamt, die vollkommene Unfähigkeit des Menschen für den Glauben mit Gottes glaubenwirkender Verwandlung des alten Menschen in ein ganz neues, glaubendes Subjekt zu vereinbaren. Damit aber versucht er, einen Sachverhalt zu fassen, der als solcher phänomenal gar nicht aufweisbar ist. S. dazu Johann Friedrich Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus, 378 – 380. 23 KD I,1,5,156. 24 S. KD IV,1,63,839 f. 25 KD I,1,5,158. 26 KD IV,1,63,841. S. dazu Gerhard Ebeling, Über die Reformation hinaus?, 311. Ebeling hält für Barths Glaubensverständnis fest: „Analog zu Gott, dem Täter schlechthin, sei der Mensch für die Theologie als animal rationale, als Täter in Rechnung zu stellen. Sogar der Glaube ist als Tat des Menschen zu orten. Diese Auffassung vom Menschen hat Luther, wider den Konsens von Mittelalter und Neuzeit, theologisch verworfen.“ Ebeling scheint nicht zu beachten, daß die Glaubenstat nach Barth alles andere als eine selbsttätige, sondern vielmehr eine durch Gewalt gewirkte Zustimmung des Menschen zu Gottes Glaubenswirken ist. Nach Luther hingegen wird der Mensch durch Gottes Offenbarungswirken zur Einstimmung in Gottes Willen befreit. 27 KD IV,3,71,586.
0. Einführung
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glauben.28 Dadurch, daß Jesus Christus die Neuschöpfung wirkt, „darf, kann, muß ein Mensch das tun, was er im Gauben tut“, nämlich Jesus Christus als seinen Schöpfer anerkennen, erkennen und bekennen.29 Die Anerkenntnis und Erkenntnis des Glaubenden ist nach Barth mit einer gnzlichen, nicht jedoch mit einer absoluten „Erschütterung“ des menschlichen Daseins verbunden.30 Denn das Leben des Glaubenden gründe zwar auf einer radikalen Neuschöpfung, der Glaubende sei allerdings noch immer nicht von Sünde frei.31 Er sei noch nicht in das eschatologisch erhoffte Reich Gottes versetzt; dieses sei zwar naheherbeigekommen, aber noch nicht angebrochen.32 Auf das endzeitliche Heilsereignis, auf die Vollendung des göttlichen Werkes durch die Erlösung dürfe und könne der Glaubende jedoch vertrauen und hoffen. Er dürfe darauf hoffen, als das neue Subjekt, das er „in der Erkenntnis des Glaubens zweifellos […] geworden ist“, bei der Wiederkunft Christi auch des ihm noch erst zugesagten Heils selbst teilhaftig zu werden.33 „Glaube“ ist nach Barth entsprechend nicht die Gewißheit, des göttlichen Heils bereits teilhaftig und inne zu sein,34 sondern „Vertrauen“ auf die durch Jesus Christus gegebene Heilszusage und also „Hoffnungsgewißheit“ im Blick auf die Erlösung.35 Gegenstand des christlichen Glaubens ist nach Barth grundlegend Jesus Christus. Die Anerkenntnis Christi und seiner Heilstat erlaube und eröffne erst den Glauben an den dreieinigen Gott, an Gott den Versöhner, den Erlöser und an Gott den Schöpfer. Daraus ergibt sich eine erste Schwierigkeit, die bei der folgenden Interpretation der materialdogmatischen Loci 28 29 30 31 32
33 34
35
KD IV,1,63,841. KD IV,1,63,841. KD IV,1,63,857. S. KD IV,1,63,862: „In mir finde ich […] auch, indem ich an Jesus Christus glaube und was mir in ihm widerfahren ist, erkenne, meinen Hochmut und meinen Fall immer noch und immer wieder vor.“ S. dazu KD IV,1,63,866: „Es denke keiner, daß in und mit dem, was er als seine vivificatio erfahren und betätigen darf, auch nur für ihn selbst, geschweige denn für Kirche und Welt, der neue Himmel und die neue Erde im Anbruch sei!“ Gleichwohl sei er „in der Erkenntnis des Glaubens zweifellos ein neues Subjekt geworden“. KD IV,1,63,866; s. dazu a.a.O., 865. S. dazu die falsche „Heilsgewißheit“: KD IV,1,63,864: „In mir, in meinem Herzen, in meinen Tätigkeiten und Verhaltungsweisen hat ja jene triumphale Herstellung [d.i. die Herstellung ’meines Rechtes und Lebens’ durch Jesus Christus] wirklich nicht stattgefunden“. S. auch KD IV,3,71,649/650. KD IV,1,63,865 und KD I,1,12,486.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
in den Blick genommen werden soll: Insofern nach Barth erst und allein durch die Offenbarung Jesu Christi auch Gott der Schöpfer erkannt werden kann und mit dieser Erkenntnis erst das menschliche Geschöpf sein eigenes Dasein und Geschaffensein wissen können soll, stellt sich die Frage, inwieweit Barth eine Schçpfung Gottes vor der Inkarnation und dem Versöhnungswerk Christi annimmt und wie diese beschaffen sein soll. Zum zweiten ist fraglich, wie nach Barth der Mensch vor und nach der radikalen Neuschöpfung verfaßt sein soll und ob Barths Bestimmungen des Menschseins jeweils auf demselben ontologischen Fundament beruhen. Denn insofern der versöhnte Mensch der neue Mensch ist, der mit dem alten sündigen Menschen noch irgendwie identisch oder wohl eher nicht identisch sein soll,36 sind der Mensch unter der Sünde und der glaubende oder „wirkliche“ Mensch nicht miteinander vereinbar, und es ist offen, inwieweit dem sündigen Menschen als solchem das Heilswirken Gottes zuteil wird. Widersprüchlich scheint zudem zu sein, daß nach Barth der inkarnierte Gottessohn zwar Gottes Heilswirken für den Menschen bereits manifestiert hat, der Glaube an Jesus Christus als die Offenbarung Gottes jedoch die Gewißheit ausschließen soll, des göttlichen Heils teilhaftig zu sein. Zumindest ist fraglich, inwiefern nach Barth das in Jesus Christus offenbarte und zugesagte Heil den Glaubenden selbst noch nicht derart betreffen soll, daß er sich auf Gottes Offenbarung als für ihn geschehen zurückbeziehen könnte, sondern vielmehr auf die Wiederkunft Christi hoffen muß.
I. Anthropologische Voraussetzungen Im Unterschied zu Luther und Schleiermacher leugnet Barth eine passive Disposition des Menschen (unter der Sünde), die diesen zum Empfang der Offenbarung Gottes und der Erkenntnis des Schöpfers befähigt.37 Ein „Anknüpfungspunkt“, der Empfänglichkeit für die Offenbarung Gottes garantiere, sei dem Menschen – nach dem Sündenfall – nicht zu eigen.38 Zwar sei das an Raum und Zeit gebundene, stets einmalige Sein eines jeden Menschen „gerade so“ und als solches „disponiert“ dafür, an dem Heilsgeschehen teilzunehmen, das aus Gottes Bund mit dem Menschen 36 S. dazu o. Zitat Anm. 25 und u. VII.1. 37 S. KD I,1,8,349; III,2,44,182. 38 KD I,1,2,26.252. S. dazu KD III,2,46,417.
I. Anthropologische Voraussetzungen
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hervorgehe.39 Doch bedürfe es zur Teilnahme an diesem Heilsgeschehen eines „besonderen Ereignisses zwischen Gott und Mensch“, das den Menschen verändere und erneuere.40 Solche Veränderung und Neuerung schaffe allein das wunderbare glaubenwirkende Handeln Gottes.41 Durch das Wunder des Glaubens,42 das Gott selbst in seinem Versöhnungshandeln für den Menschen wirke, werde der seit dem Sündenfall „verlorene Anknüpfungspunkt neu gesetzt“, der entsprechend „nur im Glauben wirklich“ sei.43 Nach KD IV (im Unterschied zu KD I44) impliziert diese wunderbare Neusetzung, daß diejenigen menschlichen „Organe“, die den Menschen für das Heilsgeschehen Gottes disponierten, von Gott selbst mit „Willigkeit und Fähigkeit“ versehen würden.45 Gottes Offenbarung erleuchte den Menschen derart, daß dieser den Inhalt der Offenbarung „mit denselben apperzipierenden Organen erkennt, mit denen er auch Anderes erkennt, aber nicht aus seinem eigenen Vermögen, sie dazu zu gebrauchen, sondern, indem Gottes Offenbarung selbst ihm das ihm fehlende Vermçgen dazu verleiht.“46 Weil zwar eine durch Erkenntnisorgane ausgezeichnete Disposition und Bestimmung des Menschen zur Teilhabe am Heilsgeschehen Gottes auch nach dem Sündenfall bestehe, jedoch diese Organe zum Empfang der Offenbarung nicht befähigt seien, ist nach Barth – auf Grund des Sün39 KD III,4,56,660. Nach Barth ist der Mensch „auf Grund des Schöpfer- und Herrenwillens Gottes“ darauf hin geschaffen, an dem Heilsgeschehen teilzunehmen (KD III,4,56,662). 40 KD III,4,56,661. 41 S. dazu KD I,1,5,190: „Das Wort Gottes ist […] in seinem zum Ziel Kommen beim Menschen, im Ereignis des menschlichen Glaubens an das Wort Gottes Gottes Wundertat.“ Der Glaube ist nach Barth „Wunder des heiligen Geistes“ (ebd.); s. auch KD I,2,15,204. 42 Zu Barths Beschreibung des Zum-Glauben-Kommens s.u. VII.2. und KD II,1,27,204 (zweite Hervorhebung von A.K.): „Zwischen Gott und uns steht Gottes Verborgenheit, in der er uns fern und fremd ist, sofern er nicht – aber das geschieht nicht in Aktualisierung unserer Fähigkeit, sondern im Wunder seines Wohlgefallens – von sich aus Gemeinschaft zwischen sich und uns stiftet und schafft.“ 43 KD I,1,6,251. „Dieser Anknüpfungspunkt ist also nicht außerhalb des Glaubens, sondern nur im Glauben wirklich.“ (ebd.) 44 S. KD I,2,17,305: An dieser Stelle der KD ist es nach Barth verwehrt, „bei Gott zwar die Wirklichkeit, beim Menschen aber eine Möglichkeit für die Offenbarung festzustellen, das Ereignis Gott, das Organ oder den Anknüpfungspunkt dafür aber dem Menschen zuzuschreiben“. 45 KD IV,1,58,87. 46 KD IV,3,71,585; s. dazu KD IV,4,30.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
denfalls – zur Erkenntnis Gottes die Neusetzung des verlorenen Anknüpfungspunktes, und d. h. die Neuschöpfung des sündigen Menschen oder vielmehr dessen „totale Veränderung“47 hin zum wirklichen Menschen unbedingt notwendig.48 I.1. Der wirkliche Mensch Weil Gott den Menschen daraufhin geschaffen und dazu disponiert habe, sein Bundesgenosse zu sein, ist es nach Barth des Menschen ontologische oder göttliche Bestimmung („Gottes Erwählung“49), auch tatsächlich und wirklich Gottes Bundesgenosse zu sein und zu werden. Es sei des Menschen Bestimmung, sowohl Gott als den anzuerkennen und zu glauben50, der von Ewigkeit her51 seinen Bund mit dem Menschen geschlossen hat, als auch diesem Bundesschluß zuzustimmen.52 Der Mensch als das Geschöpf Gottes, das unter dieser göttlichen Bestimmung steht, wird von Barth als der wirkliche Mensch 53 bezeichnet.54 Er existiere in Verantwortung gegenüber Gott als ein durch Gott selbst zeitlich befristetes, geschichtliches Sein. Der wirkliche und geschöpfliche Mensch, der „Seele eines Leibes“ sei, zeichne sich aber nicht nur durch Verantwortung gegenüber Gott, sondern auch durch Mitmenschlichkeit aus,55 wobei Barth unter „Mitmenschlichkeit“ dasjenige Verhältnis des wirklichen Menschen zu seinen
47 48 49 50 51 52 53 54
KD IV,3,71,584. S. dazu u. IV.1. KD III,2,44,174. S. dazu u. VII.2. S. KD III,2,47,650. S. KD III,2,45,244.389. S. KD III,4,52,47. S. KD III,2,45,268/269: „Sie [Gottes menschliche Geschöpfe] sind ja auch nicht einfach und direkt Gottes Bundesgenossen, indem sie seine Geschöpfe sind, sondern sie sind bestimmt, dies zu werden.“ Denn sie seien bestimmt dazu, durch Jesus Christus, den Menschgewordenen errettet zu werden. S. dazu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, III.1. Der wirkliche Mensch, 130: „Die Bestimmung des Menschen zu Gottes Bundesgenossen hat insofern ontologischen Charakter, als der Mensch kraft dieser Bestimmung nicht nur Gottes Bundesgenosse sein kann, sondern wird. Der Mensch ist (von Haus aus und immer wieder neu) der Gnade Gottes teilhaftig, die ihn zum Bundesgenossen Gottes macht.“ 55 KD III,4,52,48.
I. Anthropologische Voraussetzungen
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Mitmenschen versteht, in dem jener sich diesen „gerne“ zuwendet und ihnen auch „gerne“ Beistand leistet.56 Durch die genannten Charakteristika, Eigenschaften oder Wesenseigentümlichkeiten ist nach Barth „des Menschen Geschöpflichkeit“ bestimmt, „wie sie uns im Menschsein Gottes in Jesus Christus erkennbar ist“.57 In Jesus Christus sei sowohl das verantwortliche Zusammen-Sein des Menschen mit Gott,58 wie auch die Mitmenschlichkeit als das Sein des Menschen für den Menschen faktisch vollkommen wirklich, weshalb Barth ihn als den schlechthin wirklichen Menschen bezeichnet.59 Die Disposition zum Bund mit Gott, die Bestimmung des Menschen, (in der Nachfolge Jesu Christi) wirklicher Mensch zu sein, ist nach Barth dem Menschen unverlierbar wesentlich,60 und zwar als eine solche Bestimmung, die den Menschen in seiner Existenz immer schon bestimmt, und zugleich als eine solche, deren Verwirklichung noch aussteht.61 Gott habe von Ewigkeit her seinen Bund mit dem Menschen geschlossen, doch die Annahme des Bundes von seiten des Menschen stehe noch aus.62 Die 56 KD III,2,45,318. 57 KD III,4,52,48. S. dazu KD III,2,44,158: „Die ontologische Bestimmung des Menschen ist darin begrðndet, daß in der Mitte aller ðbrigen Menschen Einer der Mensch Jesus ist.“ „Er [ Jesus Christus] ist das geschöpfliche Wesen, das als solches nicht nur von Gott und in Gott, sondern statt für sich selbst, schlechterdings für Gott existiert.“ S. auch a.a.O., 161: „Menschsein heißt […]: mit Gott zusammen sein.“ 58 S. KD III,2,44,162: Die „Grundbestimmung“ des Menschseins ist nach Barth „seine unveränderliche Ursprungsbestimmung: daß es mit Gott zusammen ist.“ 59 S. dazu KD III,2,45,247; s. auch KD III,2,44,161.167. – In seiner Verantwortung gegen Gott sei der wirkliche Mensch seinem Schöpfer dankbar: „Der wirkliche Mensch ist der Gott dankbare Mensch, er und nur er.“ (KD III,2,44,204) Er könne deshalb in dankbarer Verantwortung Gott gegenüber existieren, weil er Gott erkenne, weil er nämlich Gottes Wort höre und bejahe. „Ein Wort als Wort hören, das in ihm Gesagte sich gesagt sein lassen, das heißt aber eben: erkennen. Gottes Wort hören, sich Gottes Wort gesagt sein lassen, heißt also Gott erkennen.“ (KD III,2,44,210) 60 S. KD III,2,45,385: Nach Barth ist der Mensch „in und mit seiner Erschaffung und Existenz dazu bestimmt Gottes Bundesgenosse zu sein.“ Und dieses „sein Sein als Gottes Geschöpf und die Natur dieses Seins [könne er] nicht verlieren.“ S. auch KD IV,3,69,312. 61 S. dazu KD III,2,44,180: „’Wirklich’ ist, wenn es um die Wirklichkeit des Menschen geht, zunächst einfach identisch mit: aufgerufen.“ S. auch KD III,4,53,51: „Der wirkliche Mensch als Gottes Geschöpf ist das Wesen, das – gleichviel, ob genügend oder versagend – in diesem Tun [der Verantwortung] begriffen ist, das Wesen, das, wie immer es sich dabei bewähre oder nicht bewähre, daran gemessen ist, daß es faktisch in dieser Verantwortung steht.“ 62 S. KD III,2,45,389.
220
Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
ontologische Bestimmung des Menschen, ein tatsächlich wirklicher Mensch zu sein, kann nach Barth zwar nicht verloren werden, denn Gott halte an seinem Bund in Treue fest.63 Doch könne sie unerkannt64 und unverwirklicht bleiben65, wenn sie vom Menschen selbst dadurch verfehlt werde, daß dieser – in absurder und paradoxer Weise – seinem eigenen Wesen widerspreche. Inwieweit das Ausbleiben der Verwirklichung oder die Verfehlung der eigenen Bestimmung nach Barth durch den Menschen selbst gewirkt wird, soll der Abschnitt zur Sünde zeigen.66 Die Verwirklichung der menschlichen Disposition, Gottes Bundesgenosse wahrhaft zu werden und zu sein, ist nach Barth dadurch gefährdet, daß das menschliche Geschöpf mit einer Licht- und einer Schattenseite geschaffen sei. Eigentlich sei das menschliche Geschöpf gerade mit diesen beiden Seiten vollkommen geschaffen und Gottes sehr gute Schöpfung.67 Gerade als dieses zweiseitige Geschöpf sei der Mensch „disponiert auf das, was im Bunde mit Gott aus ihm werden soll“.68 „Es gehört allerdings zum Wesen des [d.h. eines jeden menschlichen] Geschöpfes, und es ist in der Tat ein Merkmal seiner Vollkommenheit, auch jene Schattenseite zu haben, nicht nur nach rechts, sondern auch nach links hin zu sein, seines Schöpfers würdig, aber auch seines Schöpfers bedürftig zu sein, nicht Nichts, sondern Etwas, aber Etwas am Rande des Nichts, gesichert, aber auch gefährdet zu sein.“69
Eine Gefährdung stellt nach Barth die Schattenseite dar, weil sie „dem Nichtigen gewissermaßen benachbart und zugewendet ist.“70 Die Nähe zum „Nichtigen“ aber bedrohe die Verwirklichung des Wesens, das dem Menschen als dem wirklichen Menschen immer schon zu eigen sei. 63 S. dazu KD IV,1,57,37. 64 S. KD III,4,52,47: „Aus sich selbst wird er sich selbst, den wirklichen Menschen, […] niemals erkennen.“ Nur im Spiegel der „Gnade Gottes in Jesus Christus“ „erkennt er sich selbst […]. Er erkennt dort in und mit seiner Sünde, Verlorenheit und Bewahrung, in und mit der Verheißung seiner ewigen Zukunft auch sein geschöpfliches Sein als solches.“ 65 Nach Barth ist der Mensch „sich selber Geheimnis, er ist eine Wirklichkeit, die die Ankündigung seiner Bestimmung zum Sein mit Gott zwar enthält, aber […] nur dann ausspricht, wenn sie durch Gottes Gnade und Offenbarung und in der durch sie erweckten Erkenntnis des Glaubens zum Sprechen kommt.“ (KD III,2,45,387/ 388) 66 S.u. II. 67 KD III,3,50,335.336. 68 KD III,3,50,335. 69 KD III,3,50,335. 70 KD III,3,50,335.
I. Anthropologische Voraussetzungen
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Die Verwirklichung der ontologischen Bestimmung des wirklichen Menschen ist nach Barth an die zeitliche Befristung menschlicher Existenz sowie an die Verfaßtheit des wirklichen Menschen als „Seele eines Leibes“ gebunden.71 a.) Die Konstitution des Menschen als Seele seines Leibes bedeutet nach Barth die räumliche und zeitliche Bestimmtheit des wirklichen Menschen72 und vor allem dessen Befähigung zur eigenen Ich-Setzung. Selbstsetzung des Ich bedeutet nach Barth, daß das Ich sich „als dieses Wesen im Kosmos“, in der „ganzen Freiheit und Notwendigkeit“ seines Seins mitsamt seinem Verhältnis zur Außenwelt oder Umwelt selbst setzt, und zwar in Begegnung mit einem anderen menschlichen Du.73 Am begegnenden Du, am Mitmenschen stoße sich das Ich. Dabei anerkenne es dieses als seinesgleichen und könne von ihm ebenfalls als Du anerkannt werden.74 Die Ich-Setzung des Menschen oder vielmehr sein „Selbstbewußtwerden“ versteht Barth im Gegensatz zu Schleiermacher als „Aktuosität“ des Menschen. Die Seele des Menschen vollziehe unter Zuhilfenahme des Körpers eine „Rückwendung“ (Reflexion) zu sich selbst, durch welche der Mensch sich seiner selbst als Wesen in der Welt und als Gattungswesen unter räumlicher und zeitlicher Bestimmtheit bewußt werde.75 Zur Ich-Setzung sei das menschliche Geschöpf als Seele seines Leibes befähigt, und als Seele seines Leibes existiere es, weil der Geist Gottes „das Prinzip seiner geschçpflichen Wirklichkeit“ sei.76 Weil der wirkliche Mensch Geist habe, vermöge er nicht nur sich selbst zu setzen, sondern sei auch befähigt, „Gott zu begegnen, für Gott und in der Beziehung zu ihm eine Person zu sein“.77 In seiner Begegnung mit Gott würden „hinsichtlich seiner geschöpflichen Natur zwei bestimmte große Voraussetzungen sichtbar.“78 Zum einen sei das menschliche Geschöpf grundsätzlich dazu 71 KD III,2,46,420. 72 S. KD III,2,46,421. 73 KD III,2,45,293. – Vgl. dazu Fichtes „Wechselwirkung“; s. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 119 – 121. 74 KD III,2,45,292 – 294; „ich stoße, indem ich mich selbst setze, sofort […] auf die Tatsache, daß ein ganz entsprechendes Sichselbstsetzen, ein ganz entsprechendes Sein auch von dem her stattfindet, den ich, indem ich mich als Ich denke und ankündige, als Du ansehen und behandeln muß.“ (KD III,2,45,294) 75 KD III,2,46,450. 76 KD III,2,46,431. 77 KD III,2,46,474. 78 KD III,2,46,478.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
geschaffen, „den sich ihm offenbarenden Gott zu vernehmen, ihn von sich selbst, sich von ihm zu unterscheiden, sein göttliches Wesen als solches erkennen, sein Wort und seinen Willen, die zwischen Gott und ihm selbst bestehende Ordnung verstehen zu können.“79 Zum zweiten sei der Mensch derart geschaffen, daß er „in irgend einer Entsprechung zu dem, was er von Gott vernimmt, ttig sein kann.“80 Das menschliche Geschöpf ist nach Barth zum Heil durch Gott und zum Dienst an der Schöpfung bestimmt. Würden diese beiden Bestimmungen verwirklicht, würde das menschliche Geschöpf seiner geschöpflichen Natur gerecht und existierte – als faktisch wirklicher Mensch – in Verantwortung gegenüber Gott auf mitmenschliche Weise und in dem Bewußtsein der durch den Schöpfer selbst zeitlich befristeten eigenen Existenz. b.) Was die Endlichkeit menschlichen Lebens anbelangt, hält Barth fest, sie gehöre zur guten Schöpfung Gottes.81 Die zeitliche Begrenztheit menschlicher Existenz gilt ihm als Bestimmung der menschlichen Natur. Jedoch im Unterschied zur ontologischen Bestimmung des Menschen, Gottes Bundesgenosse zu sein und zu werden, sei diese Bestimmung eine Wesenseigentümlichkeit oder wesentliche Eigenschaft82 des Menschen, der sich das menschliche Geschöpf (auch in absurder und paradoxer Weise) nicht widersetzen könne. Jedoch akzeptiere es, wenn es sich seiner Bundesbestimmung widersetze, auch seine Endlichkeit nicht. An sich bedeute der Eintritt des Lebensendes für einen Menschen den Beginn seiner Teilhabe am ewigen Leben Gottes, nämlich die Offenbarung der vollendeten Erlösung seiner Existenz und damit die „Verherrlichung gerade seines von Natur und von rechtswegen diesseitigen, endenden und sterbenden Seins“.83 Weil die Schöpfung des endlichen Menschen ein gutes Werk Gottes sei, könne es für den in der Zeit existierenden Menschen kein „jenseitiges, unendliches, unsterbliches Sein nach dieser Zeit“ geben;84 dazu müßte vorausgesetzt werden, die geschaffene Diesseitigkeit 79 KD III,2,46,478. 80 S. III,2,46,487. 81 „Es gehört auch zu des Menschen Natur, es ist auch Gottes Schöpfung, die es so bestimmt und geordnet hat und es ist insofern gut und recht so, daß das Sein des Menschen in der Zeit endlich, daß der Mensch sterblich ist.“ (KD III,2,47,770) 82 Die ontologische Bestimmung des Menschen, Gottes Bundesgenosse zu sein und zu werden, ist nach Barth „keine menschliche Eigenschaft“ (KD III,2,45,385). 83 KD III,2,47,771. S. dazu a.a.O., 770: „Der Tod ist nicht an sich das Gericht und auch nicht an sich und als solcher das Zeichen des Gerichtes Gottes; er ist es doch nur faktisch.“ S. auch u. Anm. 208. 84 KD III,2,47,771.
I. Anthropologische Voraussetzungen
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werde, weil sie womöglich ungenügend sei, schließlich von Gott selbst überwunden. Die christliche Hoffnung könne vielmehr davon ausgehen, daß Gott selbst in seiner Treue das Jenseits des Menschen sei, in welchem dieser des ewigen Lebens teilhaftig werde.85 Als Übel, als Strafe und Gericht Gottes zeige sich das Ende menschlicher Existenz nur dem sündigen Menschen. Faktisch ereigne sich für ihn am Ende seines Lebens der Tod als das Strafgericht um seiner Sünde willen.86 Diese Identität von Lebensende und Gottesgericht sei durch Jesus Christus, der „den Tod als Gottes Gericht auf sich genommen hat“, zum Heil des Menschen als nicht notwendig erwiesen.87 Die Tatsache, daß Jesus Christus auf Grund seiner Sterblichkeit als Menschgewordener die Identität von Lebensende und Gottesgericht zum Heil des Menschen auf sich nehmen konnte, macht nach Barth die Endlichkeit des Menschen geradezu als Heilsvoraussetzung deutlich.88 Weil das Sterben Christi als „der Inbegriff des Guten, das Gott der Welt erwiesen hat“, deutlich geworden sei, dürfe die Sterblichkeit des Menschen nicht an sich als Übel, sondern müsse vielmehr als Bestandteil der guten Schöpfung Gottes verstanden werden. Nur ihretwegen könne das menschliche Sein jemals der Erlösung und der Gemeinschaft mit Gott teilhaftig werden. Das Lebensende des Menschen, mit dem die Erlösung in Kraft treten werde, bedeute die Vervollkommnung der Beziehung zwischen Gott und seinem Bundesgenossen, weil die Offenbarung der Erlösung diesem seine Zugehörigkeit zu Gott entdecke.89 Nach Barth ist – wie gezeigt – die als Seele eines Leibes zeitlich befristet existente menschliche Natur in ihrer Bezogenheit auf Gott und den Mitmenschen zum einen als Bestandteil der guten Schöpfung Gottes zu verstehen. Zum anderen aber bezeichnet Barth mit dem Ausdruck „menschliche Natur“ die durch die Sünde bestimmte Natur des Menschen.90 Der Sünde wegen habe das menschliche Geschöpf dem Bund mit Gott noch nicht zugestimmt und seine Verantwortung gegenüber dem Mitmenschen noch nicht wahrgenommen. 85 86 87 88
S. KD III,2,47,770. S. KD III,2,47,725.739. KD III,2,47,766. KD III,2,47,767; s. a.a.O.,768: „Wir müssen schon endlich sein, wir müssen schon sterben können, damit das 1v ! ûpan der in Jesus Christus vollzogenen Erlösung auch für uns einmal in Kraft treten kann.“ 89 KD III,2,47,767; s. dazu Konrad Stock, Anthropologie der Verheißung, 229 – 233; s. v. a. die Kritik a.a.O., 233. 90 S. KD IV,2,64,26.
224
Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
I.2. Der Mensch der Sünde – der „unmögliche“ Mensch Zwischen der Beschaffenheit des wirklichen Menschen, der sich in Verantwortung gegenüber Gott und seinen Mitmenschen wisse, und derjenigen des sündigen Menschen besteht nach Barth einerseits insofern eine Übereinstimmung, als Gott in seiner Treue auch mit dem sündigen Menschen seinen Bund verwirklichen will und die unverlierbare ontologische Bestimmung, als wirklicher Mensch zu existieren, also auch für diesen Menschen gilt.91 Allerdings sei andererseits eine durch den Menschen selbst unüberbrückbare Differenz zwischen dem sündigen und dem wirklichen Menschen auszumachen. Nach Barth ist durch die Sünde der Zusammenhang mit Gott, der den wirklichen Menschen auszeichne, „zerrissen und verloren“. Deshalb könne eine Wiederherstellung dieses „ursprünglichen Zusammenhangs“ nicht als bloße Anknüpfung an die Beschaffenheit des zunächst sündlosen Menschen geschehen, sondern nur von Gott selbst in seiner freien Gnade vollzogen werden.92 Die Gottesbeziehung, zu der hin und in der der wirkliche Mensch geschaffen sei, habe der sðndige Mensch seinerseits vollständig zerstört, so daß sie und damit die Realisation seiner verbliebenen Bestimmung zu wirklichem Menschsein nur durch eine Neuschöpfung von seiten Gottes geschaffen werden könne. Indem Gott in seiner freien Gnade seine Absicht zum Bund mit dem Menschen erinnere, bewirke er auch tatsächlich beim Menschen „die Neuaufnahme seines [des Menschen] durch seine Übertretung [d.i. die Sünde] unterbrochenen Wissens um seinen Schöpfer“.93 Der Mensch der Sünde zeichnet sich nach Barth dadurch aus, daß er zur Erkenntnis Gottes von sich aus schlechthin unfähig ist. Diese Unfähigkeit liege nicht in der Sündentat des ersten Adam begründet.94 Adam95 dürfe nur als „Repräsentant“ aller anderen, folgenden Menschen verstanden werden, die „in eigener Verantwortung und aus freien Stücken“ Adam und seine Tat nachahmten.96 91 92 93 94 95
S. KD IV,1,57,37, s. dazu KD IV,1,60,548/549. KD I,2,13,41. KD III,4,56,649. Adam habe seine Sünde „nicht als Erbe hinterlassen“ (KD IV,1,60,568). Adam sei ebenso wie seine Nachkommen auch „ein Mensch der Sünde“ gewesen (KD IV,1,60,568). 96 KD IV,1,60,568. S. auch a.a.O., 569: „die Andern, nach Adam Lebenden sind […] die schon in seiner Person und Tat Reprsentierten“. „Wir sind von Gott in Adam, d. h. wir sind als die dem in ihm sichtbar gewordenen Gesetz Unterworfenen erkannt.“
I. Anthropologische Voraussetzungen
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Barth führt das sündige Tun des Menschen nicht auf den Gattungszusammenhang und den ersten Adam („Erbsünde“) oder das Gebundensein des Menschen an Zeit und Raum zurück.97 Vielmehr scheint er – einerseits – anzunehmen, es sei die „Möglichkeit“ zur Sünde vom Schöpfer selbst mit der „Schattenseite“ des Menschen gegeben. Diese Möglichkeit werde vom Menschen „schon in und mit dem, daß er da ist“, realisiert.98 Sobald er „da“ sei, verbinde er sich nämlich mit dem „’radikalen Bösen’“, dem er mit seiner Schattenseite zugewandt und somit bedrohlich nahe sei.99 Die Tatsache, daß ein jeder Mensch sich über seine eigene Schattenseite unausweichlich mit dem radikalen Bösen verbinde, welches Barth als das „Nichtige“ bezeichnet,100 mache einen jeden Menschen „volens nolens“101 – gewissermaßen von Anbeginn seines Lebens – zu einem total verderbten Sünder vor Gott.102 Obwohl der Mensch von Anbeginn seiner Existenz in der Welt ein sündiges Geschöpf sei, weil er unaufhaltsam sündige, sei er doch – andererseits – seinem Wesen nach sehr gut geschaffen und mit der ontologischen Bestimmung zum Bund mit Gott ausgestattet.103 Entsprechend leugnet Barth, daß für den Menschen als von Gott geschaffenes und zum Bund mit ihm bestimmtes Wesen die „Möglichkeit“ zur Sünde bestehe.104 Die Sünde habe „keinen Grund“ und „keine Möglichkeit als die des schlechthin Unmöglichen“, sie sei vielmehr die schlechthin absurde „Entscheidung“ des Menschen für das Nichtige. Absurd und unmöglich ist nach Barth diese Hinwendung zum Nichtigen, weil sie der dem Menschen 97 S. dazu KD IV,1,60,569. 98 KD IV,1,60,552. 99 Das „radikale Böse“ beschreibt Barth ebenso wie das Nichtige als dem Menschen „benachbart“, aber mit ihm nicht identisch, als etwas, das den Menschen bedroht, aber nicht selbst zur geschöpflichen Verfaßtheit des Menschen gehört (KD III,3,50,335; s. dazu KD IV,1,60,552; s. zum „radikalen Bösen“: Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B27.35). 100 S. KD III,3,50,335. 101 KD III,3,50,345. 102 S. KD IV,1,60,548 ff. 103 S. KD III,3,50,335 und KD IV,1,60,548: „Die Bibel klagt den Menschen von Kopf bis zu Fuß als sündigen Menschen an, streitet ihm aber sein volles und in sich unverändertes Menschsein, seine von Gott gut geschaffene Natur, den Besitz und Gebrauch aller ihm von Gott gegebenen Fähigkeiten durchaus nicht ab.“ 104 S. dazu KD III,2,45,333: Nach Barth gibt es „zwei Bestimmungen des Menschen, die in keiner Weise zu seiner Geschöpflichkeit und also zu seiner Natur gehören: die eine ist seine Bestimmung durch die unbegreifliche Tat seiner eigenen Sünde, die andere ist seine Bestimmung durch die noch unbegreiflichere Tat der göttlichen Barmherzigkeit.“
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wesentlichen, ontologischen Bestimmung widerspricht.105 In ihrem Widerspruch gegen Gottes Bestimmung des Menschen zu seinem Bundesgenossen sei die Sünde der „Inbegriff des Nicht-Notwendigen, NichtOrdnungsmäßigen, alles Sinn- und Planwidrigen“.106 Sie sei der „Zwischenfall“, der Gottes Plan und Absicht durchkreuze.107 Zugleich hält Barth wiederum fest, der Schöpfer habe den Sündenfall des Menschen nicht nur vorausgesehen, sondern dieser habe sogar zu seinem Plan gehört, sei allerdings nie vorherbestimmt gewesen. „Es lag […] auch des Menschen Sündenfall zwar nicht in seiner Absicht, aber auch nicht außerhalb seiner Voraussicht und seines Planes.“108 Die nach Barth zugleich mögliche wie unmögliche, planwidrige wie geplante Tat der Sünde besteht darin, daß sich der Mensch auf unmögliche und unbegründete Weise selbsttätig von seinem Schöpfer ab- und dem Nichtigen zuwendet. Mit dieser Zuwendung zum Nichtigen, die unausweichlich geschehe, sei zwischen Mensch und Gott jegliche Verbundenheit zerstört und damit für den Menschen die Fähigkeit zum Empfang der Offenbarung Gottes verloren; einen Anknüpfungspunkt für die Offenbarung Gottes besitze der Mensch – seit dem Fall, den ein jeder Mensch immer schon selbst vollziehe – nicht mehr.109 Der sündige Mensch ist nach Barth als solcher nicht dazu befähigt, Gott zu erkennen und in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes tätig zu sein.110 105 KD IV,1,60,454. S. auch a.a.O., 465: Nach Barth entbehrt die Sünde „der Notwendigkeit wie der Möglichkeit. Sie hat keinen Grund. Sie kann also nirgendswoher abgeleitet, erklärt, gerechtfertigt werden. Sie ist gerade nur Tatsache. Sie ist aber Tatsache.“ – S. dazu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 125: „Sünde ist insofern der furchtbare und zugleich absurde Versuch, gewissermaßen ontologischen Suizid zu begehen. So gesehen hat die Sünde den Charakter der ontologischen Unmöglichkeit.“ 106 KD IV,1,57,48. 107 S. KD IV,1,60,540. 108 KD III,2,44,172. 109 Es gibt nach Barth keinen „durch die Sünde nicht zerstörten ’Anknüpfungspunkt der göttlichen Botschaft im Menschen’“ (KD I,1,2,26). 110 Diese Überzeugung teilt Barth mit Luther und Schleiermacher. Jedoch unterscheidet er sich von ihnen darin, daß er für das sündige Tun des Menschen eine totale Veränderung des wirklichen Menschen voraussetzt, welche er mit der unzerstörbaren Wesensbestimmung des Menschen zu vereinen sucht. Umgekehrt wiederum beschreibt er das Heilswirken Gottes am sündigen Menschen als eine totale Neuschöpfung, die jedoch erst am Ende der Zeit vollständig verwirklicht werden werde. Zum Dritten gilt ihm die Sünde als eine Macht, die sich derart gegen Gott und seine Schöpfung zu stellen vermöge, daß dieser um seinen Bundeswillen zu verwirklichen, zur Erneuerung seiner Schöpfung gezwungen sei.
II. Die Sünde
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Für Barths Anthropologie ergibt sich die Schwierigkeit, zwei Beschreibungen des Menschseins derart miteinander in einen Zusammenhang zu bringen, daß die Einheit des Menschseins gewahrt wird. Einerseits geht Barth davon aus, der Mensch sei das immer schon und fortwährend mit der ontologischen Bestimmung zum Gottesbund ausgestattete Geschöpf Gottes. Andererseits existiere der Mensch von Lebensbeginn an – jedoch, wie noch gezeigt werden soll, im Anschluß an eine gewisse Zeit der Sündlosigkeit111 – im totalen Widerspruch zu dieser Bestimmung, und es stehe in Gottes freier Gnade, die Bundesbestimmung zu erneuern oder nicht. Prinzipiell problematisch an dieser Differenzierung ist Barths Weigerung, die sündige Verderbtheit des Menschen als mögliche ontische Verkehrung im Rahmen der ontologischen Heilsbestimmung des Menschen darzustellen. Nach Barth soll die Sünde mehr sein; sie soll selbst als eine ontologische Größe gelten, welche vor allem durch das Nichtige bedingt ist. Damit aber geht Barth von zwei einander entgegengesetzten und sich widersprechenden Ontologien aus und bestreitet die eine Wirklichkeit.
II. Die Sünde Die Charakteristik der Sünde als unmögliche Ablehnung der Gnade Gottes zeichnet durchgängig Barths Beschreibung der Sünde als Hochmut, Trägheit und Lüge aus. Diese drei Sündenarten ordnet Barth in Parallele zu seiner Beschreibung von Rechtfertigung, Heiligung und Berufung durch Gott den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist.112 Dabei unterscheidet er die drei Gestalten der Sünde im Blick auf die jeweilige Offenbarungswirklichkeit Gottes. II.1.1. Hochmut Des Menschen sündhafter Hochmut (superbia) bestehe darin, wie Gott sein zu wollen,113 und zwar wie Gott, der zugleich Herr, Richter und Helfer des Menschen sei. In seinem Hochmut lehne der Mensch die gnädige Zu111 S. dazu u. VI. 112 S. dazu u. VII.1. und VII.2. Darin, daß alle drei Gestalten der Sünde mehr oder weniger als Lüge gegen Gott zu verstehen seien, sind sie nach Barth miteinander vereint. Die Sünde der Lüge sei „der ihnen gemeinsame Exponent […], in welchem sie beide sich als Sünde verraten und darstellen müssen.“ (KD IV,3,70,430) 113 KD IV,2,65,461; s. ausführlich KD IV,1,60,464 – 531; s. dazu Wolf Krçtke, Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, 58/59.
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wendung Gottes ab, die darin bestehe, daß Gott der Herr selbst für den Menschen Fleisch geworden sei, sich zum Knecht erniedrigt114 und sich selbst unter das Gericht gestellt habe.115 Der Sünde des Hochmuts mache sich der Mensch schuldig, indem er sich dem gnädigen Gott und dessen Heilszuwendung versage und in Undankbarkeit gegen Gott davon ausgehe, sich stets selbst helfen zu können.116 Er sei damit – paradoxerweise – das Wesen, „dessen Verhalten dem Verhalten Gottes, wie es in Jesus Christus wirksam und offenbar ist, nicht nur nicht entspricht, sondern widerspricht und aktiv widerstrebt.“117 Die Tat der hochmütigen Sünde ist nach Barth die absurde und paradoxe Tat des Unglaubens, welche die aktive, selbsttätige „Abkehr von Gottes freier Gnade“ bedeute.118 Paradox sei diese Tat, weil der Mensch mit ihr das Unmçgliche verwirkliche. Er lasse seine ihm wesentliche göttliche Bestimmung zum Bund mit Gott seinerseits nicht gelten.119 Indem der Mensch der Gnade des Schöpfers und damit seiner eigenen, ihm wesentlichen göttlichen Bestimmung zum Bund mit Gott widerspreche, widerspreche er nicht nur Gott, sondern auch sich selbst,120 was nach Barth absurd und unmöglich, mit der Sünde des Hochmuts aber wirklich ist. Die Sünde des Hochmuts beschreibt Barth als aktive Abwendung des Menschen von Gottes helfender Zuwendung und Erniedrigung zum Menschen. In seinem Hochmut wolle der sündige Mensch „der Demut des Sohnes Gottes zuwider, seinerseits die Stellung Gottes einnehmen“.121 In Übereinstimmung mit Barths Gesamtdarstellung muß allerdings angenommen werden, daß der sündige Mensch gerade diese hochmütige Bewegung von Anbeginn seiner irdischen Existenz an vollzieht, also noch ehe ihm die Offenbarung der Erniedrigung Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist – subjektiv – offenbar geworden sein kann, und d. h., noch ehe ihm selbst offenbar geworden ist, daß die Erniedrigung Gottes im 114 S. KD IV,1,60,464.479. 115 KD IV,1,60,494. 116 KD IV,1,60,544 und a.a.O., 509; s. auch KD IV,1,60,516: Der Mensch der Sünde wolle sich „von dem Gesetz der Dankbarkeit damit lossagen […], daß er sich zu seinem eigenen Helfer ernennt.“ 117 KD IV,1,60,464. 118 KD IV,1,60,459. 119 „Sünde ist also nicht irgend ein Böses, sondern Sünde ist Bundesbruch, der als solcher Gott widerspricht und selber unter Gottes Widerspruch steht. Sünde ist des Menschen Selbstverweigerung der Gnade seines Schöpfers gegenüber.“ (KD IV,1,58,154) 120 S. KD IV,1,60,516. 121 KD IV,3,70,430.
II. Die Sünde
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Inkarnierten gerade auch seiner Sünde wegen geschehen ist. Im Unterschied dazu beschreibt Barth die Sünde der Trägheit ausdrücklich als diejenige Sündentat, die der Mensch trotz der ihm offenbaren Inkarnation und Erniedrigung Gottes tätige. II.1.2. Trägheit „Die Sünde in der Gestalt der Trägheit kristallisiert sich in der Ablehnung des Menschen Jesus. Im Verhältnis zu ihm wird die Ablehnung Gottes, aus der sie ursprünglich erwächst, virulent, konkret, kräftig. Denn in ihm widerfährt dem Menschen die Weisung, der Zugriff, der Anspruch Gottes, in ihm fällt Gottes Entscheidung über ihn, die er sich nicht gefallen lassen, der er sich verschließen und entziehen möchte.“122
In der Sünde der Trägheit beabsichtige der Mensch, ohne Gott sein zu wollen, weil er nicht akzeptieren wolle, daß er an das Nichtige verfallen ist und Gott allein seine Erhebung aus dem Nichtigen wirken kann, wie er auch die Erhebung des Menschgewordenen gewirkt habe.123 In seiner Trägheit wolle der sündige Mensch „sich seinerseits der Würde der ihm von Gott gegebenen Natur entschlagen“124 und seine in Jesus Christus geschehene Erhebung nicht anerkennen.125 Die „Erneuerung“ seines begrenzten und unvollkommenen Wesens, die ihm mit der ihn selbst inkludierenden Erhebung des Menschgewordenen vor Augen gestellt werde, halte er für „unnçtig“.126 Seine Trägheit wirke sich entsprechend als Dummheit,127 Unmenschlichkeit128 und Verlotterung129 aus. Als Folge wie auch als Ursache dieser drei Perversionen bestimmt Barth die „Sorge“130 des Menschen, nämlich als dessen umfassende Verfallenheit an das Nichtige.131 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131
KD IV,2,65,455/456. KD IV,2,65,461.453.458. KD IV,3,70,430. S. KD IV,2,65,467.489.511. KD IV,2,65,458. KD IV,2,65,460. KD IV,2,65,487. KD IV,2,65,510. KD IV,2,65,528. S. KD IV,2,65,528/529 und a.a.O., 537. „Die Wurzel alles Bösen ist […] schlicht und gewaltig: des Menschen Sorge. Sie ist nichtig“ (a.a.O., 529). – Einerseits sorge sich der der Trägheit zugeneigte Mensch um die zeitliche Begrenztheit seines Lebens, um sich selbst in seiner Bezogenheit auf die Gattung und um die eigene seelisch-leibliche Ganzheit, weil er in seiner Dummheit, Unmenschlichkeit und Verlotterung von der Güte seiner geschöpflichen Beschaffenheit, von seiner
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Die Sünde der Trägheit begehe der Mensch grundsätzlich dadurch, daß er sich der Erkenntnis Gottes, der sich ihm offenbart habe, verweigere,132 daß er also aus der von Gott selbst ihm „zugewendeten Gnade heraustritt“133 und sich „der Teilnahme an der von Jesus ausgehenden Bewegung und Erhebung“ entzieht und widersetzt134 ; er wolle den gnädigen Gott „in seiner Selbstoffenbarung mit hörenden Ohren nicht hören, mit sehenden Augen nicht sehen“.135 „Der Mensch will tatsächlich das Unmögliche, er will Gott nicht erkennen, wie er es doch dank der Freiheit, in der der Mensch Jesus das für ihn tut, […] tun könnte, dürfte, sollte.“136 Ebenso wie die Sünde des Hochmuts ist nach Barth, wie die Interpretation zeigt, auch die Sünde der Trägheit eine gewissermaßen aktive Abwendung des Menschen von Gott. Allerdings besteht der Hochmut des Menschen in der Leugnung des Geschaffenseins durch den gnädigen Schöpfer; der hochmütigeSünderwill selbst wieGott und damit sein eigener Schöpfer sein. Unter der Sünde der Trägheit hingegen lehnt der Mensch seine Beschaffenheit ab; er weigert sich, sein Verfallensein an das Nichtige und seine Angewiesenheit auf Gottes erhebendes Wirken, welches ihm beides in Jesus Christus, dem Menschgewordenen, offenbar geworden ist, anzuerkennen. II.1.3. Lüge Die Sünde der Lüge bezeichnet nach Barth – gleich wie Hochmut und Trägheit – ein „frevelhaftes Herausbrechen und Heraustreten aus der Wirklichkeit des Bundes“, den Gott von Ewigkeit her gestiftet, durch das Heilsgeschehen in Jesus Christus erfüllt und damit als Verheißung für den Menschen aufgerichtet und befestigt habe.137 Demjenigen aber, von dem
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Zugehörigkeit zur Gattung Mensch und von Gott selbst nichts wissen wolle. Andererseits brächte wiederum seine Sorge um die ihm eigene Endlichkeit, Sozialität und Ganzheit, weil sie auf seiner Leugnung des Heilswillens Gottes beruhe, Dummheit, Unmenschlichkeit und Verlotterung hervor. S. dazu KD IV,2,65,538: „Eben gegen Gott hat der Mensch sich in seiner Sorge zum vornherein verwahrt und verschlossen“; s. auch a.a.O., 540. – S. dagegen Martin Heidegger, Sein und Zeit, §42: Nach Heidegger eröffnet die „Sorge“ die Sicht auf die Eigentlichkeit des Menschen. Der Ruf der Sorge führe gerade zu Mitmenschlichkeit (a.a.O., §§57.60). KD IV,2,65,467. KD IV,2,65,489; s. auch a.a.O., 511. KD IV,2,65,528. KD IV,2,65,538. KD IV,2,65,462. KD IV,3,70.429.
II. Die Sünde
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die Wirklichkeit des Bundes sogar als Wahrheit erkannt sei, und der dennoch den Bund mit Gott nicht nur nicht gelten lasse, sondern auch seine Wahrheit verfälsche, sei die Sünde der Lüge anzulasten.138 Im Unterschied zu Hochmut und Trägheit beruhe die Sünde der Lüge, der die Einsicht in die Wahrheit des Heilswirkens Gottes vorausgesetzt sei, auf dem geschichtlich-individuellen „Zusammenstoß“ mit dem „Wort der Gnade Gottes“,139 auf der „direkten Begegnung“ mit Jesus Christus durch den Heiligen Geist.140 Wie die Sünde des Hochmuts im speziellen gegen Gott den Schöpfer gerichtet sei und die Sünde der Trägheit gegen den Inkarnierten, in welchem der Schöpfer sich den Ohren und Augen der Menschen offenbare, so beruhe die Sünde der Lüge auf der durch den Heiligen Geist vermittelten Offenbarung Gottes, die der sündige Lügner verfälsche. Dem in seiner Wahrheit offenbaren Wort Gottes begegne der sündige Mensch mit bewußt lügnerischer Absicht selbst im Wort und nicht bloß in seinem Wirken.141 Mit seinem Lügen-Wort richte sich der sündige Mensch gegen das Wort Gottes. Er lasse es nicht nur auf sein Handeln keinen Einfluß nehmen und seine Werke allein von Hochmut und Trägheit bestimmt sein. Vielmehr setze der Mensch der Lüge der „Gnadenoffenbarung“ Gottes seine eigene „Gegenoffenbarung“ entgegen: Sein Bemühen gehe dahin, der ihm von Gott durch den Heiligen Geist vermittelten Offenbarung Gottes in Jesus Christus „seine eigene Wahrheit“ oder eben die Unwahrheit entgegenzustellen.142 Diese Sünde der Lüge, diese Sünde wider den Heiligen Geist, ist nach Barth „die spezifisch christliche Gestalt der Sünde.“143 Indem der Mensch mit der Sünde der Lüge die Gabe und den Empfang des Heiligen Geistes abweise,144 wehre er sich gegen „seine eigene Befreiung durch den freien Gott und für ihn“.145 Er stelle der Begegnung mit dem 138 139 140 141 142 143
KD IV,3,70,429/430. KD IV,3,70,430. KD IV,3,70,519. S. KD IV,3,70,430. KD IV,3,70,432. KD IV,3,70,432; s. dazu a.a.O., 507. – Weil die Sünde der Lüge gegen den Heiligen Geist und demnach mit Bewußtsein und Absicht geschehe, sei sie das „Urphänomen der Lüge“ und deshalb „nicht einfach identisch mit der Unwahrheit, die in allem menschlichen Unglauben, Aberglauben und Irrglauben am Werk ist.“ (KD IV,3,70,519) 144 S. KD IV,3,70,512. 145 KD IV,3,70,514.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
freien und befreienden Gott die Lüge von Gott als einem hçchsten Wesen entgegen. So ersetze er die Freiheit Gottes durch Hoheit. Indem er das souveräne Wesen Gottes verleugne, wolle er sich seinen Gott verfügbar machen. Dabei bekenne er, um seiner Lüge von der Hoheit und Größe Gottes Überzeugungskraft zu verleihen, von Gott schlechthin abhängig zu sein.146 Die Sünde der Lüge ist nach Barth die bewußte und selbst verantwortete147 Abwehr und Abkehr von der durch den Heiligen Geist vermittelten Offenbarung Gottes und der damit angebotenen Gottesbeziehung. Der Mensch der Lüge wende sich „nicht nur faktisch, sondern bewußt, planmäßig, absichtlich“ gegen Gott, indem er angesichts der Offenbarung, die er nicht nur als wirklich gehört und gesehen, sondern sogar in ihrer Wahrheit eingesehen habe, die Lüge vom höchsten Wesen verbreite.148 Barths Unterscheidung zwischen der Sünde der Lüge, der Sünde des Hochmuts und der Sünde der Trägheit beruht auf seiner Bestimmung von christlichem Glauben. Christlicher Glaube zeichne sich durch die Anerkenntnis der Wirklichkeit von Gottes Offenbarung sowie durch die Erkenntnis ihrer Wahrheit aus. Die Wirklichkeit der Offenbarung ist nach Barth in Jesus Christus wirklich und objektiv gegeben. Jedoch bedeuteten Wirklichkeit und Objektivität der Offenbarung nicht schon, daß diese als solche fðr den Menschen, d. h. subjektiv wirklich ist, und schon gar nicht, daß sie von ihm als objektive Wirklichkeit anerkannt und als wahr erkannt149 wird.150 Was die Sünde des Hochmuts anbetrifft, geht Barth davon aus, daß dem hochmütigen Sünder die objektive Offenbarung noch gar nicht subjektiv offenbar geworden ist. Die Sünde der Trägheit bestehe 146 S. KD IV,3,70,516 ff. – Die Lüge von Gott als dem höchsten Wesen werde noch gesteigert durch die „Beteuerung […] der Abhngigkeit des Menschen von jenem Wesen“ (KD IV,3,70,518). – Ebenso wie gegen die Benennung Gottes als „höchstes Wesen“ spricht sich Barth auch gegen das Verständnis Gottes als des „transzendenten Ursprungs“ aus. S. dazu KD II,1,28,341: Durch die Bezeichnung Gottes als des transzendenten Ursprungs allen Seins werde der biblische Gottesbegriff „ersetzt durch einen Begriff, der unschwer als der höchste Begriff des Menschen von sich selbst zu erkennen ist.“ Zu Barths Ablehnung des Verständnisses Gottes als Ursprung allen Seins s. u. XII. und Johann Friedrich Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus, 389. 147 S. dazu KD III,3,50,347: Nach Barth ist jede Sünde „des Menschen eigene Tat und Schuld“, er sei für sie „verantwortlich“ zu machen. 148 S. dazu Wolf Krçtke, Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, 86 – 88. 149 S. dazu KD IV,4,31/32 KD IV,2,64,330 ff. 150 S. dazu KD I,2,16,253.262.
II. Die Sünde
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hingegen darin, daß die – gesehene und gehörte – Offenbarung nicht anerkannt, sondern vielmehr abgewiesen werde. Die Sünde der Lüge nun verfälsche die durch den Heiligen Geist – auf wunderbare Weise – geoffenbarte Wahrheit.151 Mit der Sünde der Lüge werde die Erkenntnis der (anerkannten) Offenbarung bewußt verfälscht und pervertiert. Angesichts der bisherigen Ausführungen zu Barths Sündenverständnis stellt sich nun die Frage, inwieweit Sünde in Bezug auf die Offenbarung Gottes überhaupt als aktive Abwendung von Gott, als Nichtanerkenntnis und Wahrheitsverfälschung beschrieben werden kann. Denn zum einen soll nach Barth doch grundlegend davon ausgegangen werden, daß die Möglichkeit der Sünde eine unmögliche ist. Zugleich verfüge der Mensch auf Grund der immer schon vollzogenen Sünde gar nicht über die nötigen Organe zur Anerkenntnis und Erkenntnis der göttlichen Offenbarung. Solche Organe würden ihm vielmehr erst mit einer ihn total verändernden Neuschöpfung152 zugeeignet. Erst auf Grund dieser Neuschöpfung aber sei die Offenbarung der Offenbarung gegeben, die nach Barth in der Sünde der Lüge aktiv abgelehnt wird und eigentlich dem Menschen das Sündigen unmöglich macht. Zum Zweiten scheint nach Barth insbesondere die Sünde der Trägheit erst auf Grund der Menschwerdung des Sohnes Gottes möglich zu sein. Die Inkarnation Gottes wäre dann allerdings nicht als Befreiung von menschlicher Blindheit gegenüber dem gnädigen Schöpfer verstanden, sondern als Provokation des Menschen, auch träge zu sein. Eine dritte Schwierigkeit betrifft die von Barth behauptete Macht des Nichtigen, die die Sünde des Menschen zumindest mit verursachen soll. Es ergibt sich das Problem, die Macht des Nichtigen derart mit der Allmacht Gottes in ein Verhältnis zu setzen, daß diese nicht durch jene beeinträchtigt wird. Diese Schwierigkeit verschärft sich noch, wenn mitberücksichtigt wird, daß Barth die Sünde einerseits als im Widerspruch zu Gottes Plan und andererseits als zum Plan dazugehörig versteht. Denn entsprechend kann entweder die Sünde als Bestandteil der guten Schöpfung Gottes und damit die Macht Gottes als Macht auch über das Nichtige vorgestellt werden. Oder es muß die Macht des Nichtigen und Bösen als Gegenmacht gegen Gott und sein schöpferisches Handeln gedacht werden. Im Ausgang von diesen beiden Alternativen ist dann das Geschehen der Neuschöpfung entweder als Restitution des Geschaffenen oder als eine zweite creatio und Abschaffung des Nichtigen zu deuten. 151 S. dazu KD I,2,16,264.266; s. dazu auch KD IV,1,58,162 und KD IV,1,63,828. 152 S.u. VII.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
II.2.1. Gott und Sünde Alle drei Arten von Sünde implizieren nach Barth die Ablehnung der Offenbarung Gottes und damit die „Auflehnung gegen die Gðte Gottes“153. Diese Absurdität der Abwendung von Gott, welche die Hinwendung zum Nichtigen bedeute, beleidige Gott.154 Gott lasse sich „in seiner hohen Majestät als Schöpfer und Herr – sehr anders, als Schleiermacher es wahrhaben wollte – durch diese Absurdität tangieren, bekümmern, beleidigen“; und er lasse sich diese Beleidigung, derentwegen er Schaden an seiner Ehre erleide,155 „zu Herzen gehen.“156 Weil ein jeder Mensch seine Sünde aktiv und selbstverantwortlich ausübe und sie „nicht eine Eigenschaft bzw. ein Mangel des Geschçpfes“ sei, müsse sie als „eine Beleidigung des Schçpfers“ ernstgenommen werden.157 Barth hält die Annahme, daß zum einen Gott durch das Nichtige und die Sünde nicht berührt werde und es zum anderen allein des Menschen Aufgabe sei, sich mit dem Nichtigen auseinanderzusetzen, für „gefährliche Irrlehren“.158 Vielmehr sei Gott selbst „das primäre Opfer des Nichtigen und der primäre Streiter dagegen“.159 Die Beleidigung des gnädigen Schöpfers vollziehe das menschliche Geschöpf, weil es unter der dominanten Macht des Nichtigen stehe, die der Allmacht Gottes entgegengesetzt sei.160 Der sündige Mensch sei dem Nichtigen als derjenigen „Wirklichkeit“161 zugewandt, die von Gottes Wirklichkeit verschieden sei, als solche ebenfalls Verfügungsmacht über das Geschaffene besitze und mit dieser „den Menschen zunichte machen will“.162 Die Sünde selbst ist entsprechend als Ausdruck der Dominanz des Nichtigen, als Gestalt des Nichtigen und damit nicht nur als paradoxe 153 KD III,3,50,351. 154 KD IV,3,70,427: „Des Menschen Sünde ist in allen ihren Formen sein verkehrtes Umgehen mit Gottes ihm in Jesus Christus zugewendeter strenger Güte und gerechter Barmherzigkeit: ihre Verleugnung und Verwerfung, ihr Mißverständnis und ihr Mißbrauch, des Menschen direkte und indirekte Feindschaft gegen Gottes Verheißung, die als solche auch Gottes Forderung ist.“ 155 KD IV,1,60,540. 156 KD IV,1,60,456. 157 KD III,3,50,349 (Hervorhebungen von A.K.). Nach Barth darf das Nichtige nicht als Bestimmung Gottes oder des Menschen verharmlost werden (KD III,3,50,403). 158 KD III,3,50,415. 159 KD III,3,50,416. 160 S. dazu KD III,3,50,334. 161 KD III,3,50,346. 162 KD IV,2,64,250 (Hervorhebung von A.K.).
II. Die Sünde
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Entgegensetzung gegen die dem Menschen eigene göttliche Bestimmung zu verstehen, sondern selbst als eine Wirklichkeit (1.), die der Wirklichkeit des Schöpfers (2.) und der Wirklichkeit seiner Schöpfung insgesamt (3.) beleidigend und störend entgegensteht.163 Im Unterschied zu Schleiermacher ist Barth daran gelegen, die Sünde als gegenmächtige „Wirklichkeit“ gegen die Wirklichkeit Gottes und die Wirklichkeit seiner guten Schöpfung und damit als „Bruch im Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf“ festzuhalten.164 Sünde sei nicht ein bloßes „Bewußtseinsphänomen“, sondern eine Gott selbst beleidigende Wirklichkeit und Feindin seiner Schöpfung.165 Weil Barth die Sünde des Menschen als Beleidigung Gottes und Störung seiner Schöpfung erachtet, hält er eine bestimmte Eigenverantwortlichkeit des menschlichen Geschöpfes für die Sünde fest. Nach Barth müssen die Schuldfähigkeit des Menschen und dessen Schuld an der Sünde hervorgehoben werden, damit deutlich sei, daß nicht der Schöpfer Sünde und Sünder wollte oder gar schuf.166 II.2.2. Gott und das Nichtige Nach Barth ist das Nichtige diejenige Wirklichkeit, die im Gegensatz zur Wirklichkeit Gottes und seiner Schöpfung steht.167 Gestalten des Nichtigen sind nach Barth nicht nur die Sünde, sondern auch Übel, Krankheit und Tod.168 Das Nichtige insgesamt ist nach Barth dasjenige, was Gott der Schöpfer nicht erwählt, sondern vielmehr verworfen hat. Indem Gott seine gute Schöpfung erschaffe, schließe er von dieser aus, was als solches das Nichtige sei. Das Nichtige ist nach Barth das verworfene, nichtgewollte Gedankengut Gottes, das als solches die verworfene Welt im Gegensatz zu Gott und seiner Schöpfung bilde. Keinesfalls dürfe die Begegnung mit dem Nichtigen „als eine Seins- und Naturnotwendigkeit“ und das Nichtige als
163 164 165 166 167
S. KD III,3,50,346 f.350 ff. KD III,3,50,332. S. KD III,3,50,377.353. S. KD III,3,50,347 – 349. KD III,3,50,346. Keinesfalls dürfe das Nichtige, dürften Sünde, Tod und Übel, kurz: das Bçse in einer Wirklichkeit mit Gott dem Schöpfer und seinem Geschöpf zusammengeordnet werden (s. KD III,3,50,409). 168 S. KD III,3,50,353.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
ein Bestandteil der von Gott gewollten Natur und Schöpfung mißverstanden werden.169 „Nur davon lebt es, daß es das ist, was Gott nicht will. Aber eben davon lebt es: weil und indem nicht nur Gottes Wollen, sondern auch Gottes Nichtwollen krftig ist und also nicht ohne reale Entsprechung sein kann. Die reale Entsprechung des göttlichen Nichtwollens ist das Nichtige.“170
Weil das Nichtige zwar kein Teil der (gewollten) Schöpfung Gottes sei, jedoch abgesehen von der schöpferischen Macht Gottes nicht wirklich geworden wäre, muß nach Barth zumindest angenommen werden, daß Gott selbst das Nichtige, indem er es verwarf, „wirklich“ werden ließ.171 Auch lasse Gott dem Nichtigen zu, daß es den Menschen auf dessen Schattenseite bedränge.172 Diese Bedrängnis aber führe zu der Grenzüberschreitung des Menschen hin zum Nichtigen, welche nach Barth Sünde heißt und in der Wirklichkeit Gottes und seiner Schöpfung gar nicht möglich sein soll. Durch diese Grenzüberschreitung des Geschöpfes werde das Nichtige in der Wirklichkeit des Geschöpfes, in der „Geschöpfwelt“ tatsächlich wirklich.173 Das Nichtige ist nach Barth dann als realisierte „unmögliche Möglichkeit“ wirklich, und zwar für Gott und die Menschen.174 II.3.1. Mensch und Sünde Ein gottloses, sündiges Sein des Menschen steht nach Barth im Gegensatz zur geschaffenen Wirklichkeit des Menschen. Auch die Möglichkeit des Überschritts zum Nichtigen sei mit der von Gott geschaffenen Wirklichkeit nicht gegeben. Vielmehr sei es die Macht des Nichtigen, die der Wirklichkeit Gottes entgegenstehe und, indem sie den Menschen be169 KD III,3,50,404. 170 KD III,3,50,406. 171 S. KD III,3,50,405: Nach Barth „ist auch das Nichtige nicht von ungefähr. Und es ist kein zweiter Gott. Und es hat sich nicht selbst erschaffen. Es hat keine Macht, die ihm nicht von Gott gegeben wäre. Auch es ist von Gott.“ Allerdings sei es „nur eben in seiner eigenen, schlechthin nichtigen Weise, nur als Widerspruch in sich selbst, nur als die unmögliche Möglichkeit.“ – S. dazu KD III,3,50,407: Das Nichtige als die „Negation seiner [Gottes] Gnade ist das Chaos, die Welt, die Gott nicht wählte, nicht wollte und also auch nicht schaffen konnte und tatsächlich nicht geschaffen, sondern, indem er die wirkliche Welt schuf, übergangen und hinter sich gelassen […] hat.“ 172 S. KD III,3,50,425. 173 KD III,3,50,403. 174 KD III,3,50,405.
II. Die Sünde
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herrsche, diesen zur Sünde, zur Abwendung von Gott verleite.175 Allerdings jedoch lasse Gott in seiner Freiheit zu, „daß wir sein Reich noch nicht sehen und uns insofern vom Nichtigen noch immer bedrängt finden.“176 Und grundsätzlich ist nach Barth dem Nichtigen mit der Schattenseite des Menschen von Gott selbst eine Angriffsfläche geschaffen. Die Zwiespältigkeit der Schattenseite, die einerseits die Bedürftigkeit des Geschöpfes gegenüber seinem Schöpfer darstelle, mache andererseits den Menschen anfällig gegenüber dem Nichtigen. Denn es ist nach Barth grundlegend die Bedürftigkeit gegenüber dem Schöpfer, die das hochmütige Geschöpf nicht gewahre und nicht wahr haben wolle. Und auch wenn dem sündigen Menschen die ihm eigene Bedürftigkeit deutlich sei, leugne er doch unter der Sünde der Trägheit, daß er in seiner Bedürftigkeit der Erhebung Gottes bedürfe. Und hätte er auch erkannt, daß er mit seiner Lichtseite in Bezogenheit auf Gott leben soll und darf, würde doch der Mensch unter der Sünde der Lüge das Lügenwort verbreiten, daß mit dem „höchsten Wesen“ die „erlösende“ Dominanz der Lichtseite schon gegeben sei. Die Anfälligkeit für das Nichtige und die Hinneigung des Menschen zu ihm hin schreibt Barth dem servum arbitrium des Menschen zu. Allerdings nimmt Barth im Unterschied zu Luther nur und gerade für den sðndigen Menschen die „traurige Wahrheit“ des servum arbitrium an.177 Es sei das „Elend“ des sündigen Menschen, daß sein Wille als servum arbitrium bestimmt sei.178 Befreiung aus dem Elend der Sünde bedeute entsprechend das Geschenk des liberum arbitrium für den durch und in Christus befreiten Menschen. Im Unterschied zu Luther beschreibt nach Barth der „Satz von der Unfreiheit des Willens“ die „Verkehrung der menschlichen Situation“, die sich aus der Sünde, speziell aus der Sünde der Trägheit, ergebe.179 Denn die Sünde selbst bestehe darin, daß der Mensch auf seine von Gott geschenkte Freiheit180 verzichte und „in Verkehrung seines Willens“, also „servo arbitrio“ das Nichtige „wähle“ und sich diesem zuwende. So verwirkliche
175 Nach Barth ist die Macht des Nichtigen „uns gegenüber nun doch so hoch wie möglich einzuschätzen.“ (KD III,3,50,334 f.) 176 KD III,3,50,425. 177 S. KD III,2,43,43. 178 KD IV,2,65,558. S. dazu auch KD IV,1,60,458; IV,2,64,102. 179 KD IV,2,65,558.559. 180 S.o. I.1.a.).
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
der Sünder „volens nolens“181 die ihm in der von Gott geschenkten Freiheit unmögliche Möglichkeit der Sünde.182 Barth schreibt also anders als Luther das servum arbitrium ausschließlich demjenigen zu, der sich dadurch auszeichne, daß er auf seine Freiheit verzichte, das Nichtige wähle und infolgedessen sündigen mðsse. „Non potest non peccare“, muß es nach Barth „nun“ und erst vom sündigen oder genauer vom sündigenden Menschen heißen.183 Barth geht davon aus, das servum arbitrium eigne nur dem sündigen Menschen, nämlich demjenigen, der seine geschaffene Wirklichkeit verfehle, indem er sich seiner geschaffenen Freiheit verweigere. Luther hingegen hält fest, daß es gerade das Geschçpfsein des Menschen auszeichne, in Heilsdingen unbedingt und uneingeschränkt auf Gott angewiesen und von ihm abhängig zu sein. So wie das Geschöpf als geschaffenes von seinem Schöpfer schlechthin abhängt, so ist es ebenfalls ins Heilsdingen schlechthin auf seinen Schöpfer angewiesen, der nicht nur sein Schöpfer, sondern auch sein Erlöser und Versöhner sein will. Luthers Verständnis vom servum arbitrium stimmt überein mit der vollkommenen und qua Geschöpfsein unaufhebbaren Angewiesenheit des Menschen auf das erlösende und zum Heil befreiende Handeln des allmächtigen Schöpfers, der sein Geschöpf sehr wohl zum Heil, nicht aber von der Angewiesenheit auf das göttliche Heilswirken befreit. Nach Luther befreit Gott den schlechthin angewiesenen Menschen als solchen zur Annahme des Heilswillens Gottes und zur freien Mitarbeit an seinem Heilswerk. Anders als nach Luther ist nach Barth dem menschlichen Geschöpf nicht erst durch Gottes erlösendes respektive versöhnendes Handeln Freiheit gegeben, sondern der Mensch soll auf sie bereits vor dem heilwirkenden Handeln Gottes verzichten können. Seine Freiheit gebrauche er „in der Wahl, in der er seine [ewige] Gemeinschaft mit Gott bestätigt und ins Werk setzt“.184
181 KD III,3,50,345. 182 KD IV,2,65,561.560. S. dazu Wolf Krçtke, Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, 71: Krötkes Interpretation macht deutlich, daß nach Barth für das arbitrium des Menschen festzuhalten ist: „Durch den Mißbrauch der Freiheit wird das dem Menschen von Gott gegebene liberum arbitrium zum servum arbitrium.“ Daß aber auch Luther „nur den von der Sünde besetzten Willen als servum arbitrium verstanden“ habe, ist gegen Krötke zu bestreiten. Luther hat das arbitrium des Menschen in Heilsdingen als ein unleugbares, unaufhebbares servum arbitrium beschrieben. 183 KD IV,2,65,560. 184 KD IV,2,65,559.
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Für Barths Ausführungen ist entscheidend, daß er annimmt, die Sünde sei die dem Menschen zwar von Gott her verwehrte und verschlossene Möglichkeit, doch werde sie vom sündigen Menschen unter der Macht des Nichtigen als unmögliche Möglichkeit verwirklicht. Die Macht des Nichtigen übe ihre widergöttliche Macht dadurch aus, daß sie den Menschen aus dem Einfluß- und Machtbereich Gottes abwende. Indem Barth die Macht des Nichtigen von der sündigen und freiheitsverweigernden Macht des Menschen unterscheidet, will er wohl zugleich Güte und Freiheit der menschlichen Geschöpfe schützen.185 II.3.2. Der Mensch und das Nichtige Die Sünde des Menschen ist nach Barth „vom Erleiden des bels und des Todes begleitet und gefolgt“, und zwar vom Erleiden des wirklichen Übels und des wirklichen Todes.186 Folge der Sünde sei nicht das sterbliche Ende, das die irdische Existenz menschlicher Geschöpfe begrenze, und auch nicht das Übel als Summe der „Unannehmlichkeiten, die mit dem Dasein des Geschöpfs als solchem, da die Schöpfung auch jene Schattenseite hat, unzertrennlich verbunden sind“.187 Vielmehr ständen der wirkliche Tod und das wirkliche Übel als Gestalten des Nichtigen „im Gegensatz zur Totalität der Schöpfung Gottes.“ Sie machten bemerkbar, daß das Nichtige nicht nur die moralische Seite menschlicher Existenz (Sünde) betrifft, sondern auch dessen physische; das Nichtige sei „die umfassende Negation des Geschöpfes und seiner Natur.“188 Ebenso wie die Sünde auch spiele sich das Übel nicht „nur in unserem Bewußtsein ab“, vielmehr bilde es einen wirklichen „Fremdkörper in der Schöpfung selbst“.189 Allerdings besteht nach Barth zwischen Sünde, wirklichem Übel und wirklichem Tod kein direkter Zusammenhang. Denn anders als nach Schleiermacher bedinge nicht die Sünde die Empfindung und das Bewußtsein des Übels als Übel. Vielmehr sei die Sünde als das moralisch Nichtige „direkt gegen Gott“ gerichtet; als Beleidigung Gottes bringe sie allerdings unabwendbar die heillose Existenz des sündigen Geschöpfes mit sich.190 Übel und Tod als das physisch Nichtige seien wiederum „direkt 185 186 187 188 189
S. KD III,3,50,335. KD III,3,50,353. KD III,3,50,353. KD III,3,50,353. KD III,3,50,377; s. dazu KD IV,1,60,416. – S. zur Kritik an Barths Schleiermacherverständnis: Schleiermacher-Kapitel, Anm. 128.137. 190 S.u. VI.
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gegen das Geschöpf“ gewendet; doch insofern das betroffene Geschöpf an ihnen leide, fühle der Schöpfer mit seinen leidenden Geschöpfen mit.191 Beide, das moralisch wie das physisch Nichtige, sind nach Barth, in direkter oder indirekter Weise, sowohl gegen das sündige Geschöpf wie gegen den Schöpfer gerichtet.192 Weil weder die den Schöpfer selbst beleidigende Sünde noch das wirkliche Übel und der wirkliche Tod von Gott gewollt seien, gehe der Schöpfer selbst gegen das Nichtige, gegen diese (relativ) eigenständige Feindesmacht vor. Sein Vorgehen richte sich nicht nur gegen die Sünde, sondern „gegen das Nichtige selbst“.193 Und weil das Nichtige „wirklich“ sei, genüge eine Erlösung des menschlichen Bewußtseins nicht.194 Zur Vernichtung des Nichtigen habe es „vielmehr“ der Inkarnation Christi und seines Gehorsams bis hin zum Kreuzestod bedurft.195 Allein um Christi196 willen, der das Nichtige „als das totale, als das moralische nicht nur, sondern auch als das physische Feindprinzip zum Heil des Geschöpfes und zur Ehre seines Schöpfers tatsächlich aus dem Felde geschlagen hat“,197 werde das Nichtige auch forthin „keinen Bestand“198 haben. Weil Jesus „Sieger“ sei im Kampf gegen das Nichtige, gegen Sünde, Tod und Übel, könne davon ausgegangen werden, daß das Nichtige, dessen Geltung („Scheingeltung“) allerdings immer noch von Gott selbst zugelassen werde, letztlich vollständig besiegt sein werde.199 Durch den Menschgewordenen sei das Nichtige schon objektiv erledigt und ver191 192 193 194 195 196
S.u. III.1.1. S. KD III,3,50,353. KD III,2,44,171. S. dazu Schleiermacher-Kapitel, Anm. 128. S. KD III,3,50,416. S. dazu KD III,3,50,346: Nach Barth ist das Nichtige „die ’Wirklichkeit’, um derentwillen […] Gott selbst in der Geschöpfwelt Geschöpf werden, der er sich in Jesus Christus selbst stellen und unterwerfen und sie eben so ðberwinden wollte“. 197 KD III,3,50,354. 198 KD III,3,50,421. 199 KD III,3,50,421. S. dazu a.a.O., 425: „Gott läßt es jetzt noch zu, daß wir sein Reich noch nicht sehen und uns insofern vom Nichtigen noch immer bedrängt finden.“ – S. dazu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 255 – 269. Härle geht aus von der Annahme Barths, „daß das Nichtige gerade durch Gottes verneinenden Willen seine Wirklichkeit hat“, zugleich aber durch Jesus Christus das Nichtige verneint und überwunden sein soll (a.a.O., 259). Nach Härle gibt es für Barth angesichts dieser Gegenüberstellung von Nichtigem, dessen Existenz der Schöpfer nicht verwehrte, und Jesus Christus als dem Sohn Gottes, des Schöpfers, der als solcher der Überwinder des Nichtigen sei, zwar keine Harmonie, jedoch „ein Zusammendenken im Gegensatz!“ (a.a.O., 269).
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nichtet. Andererseits jedoch behaupte es fortwährend noch Geltung gegenüber dem Menschen. Denn diesem werde die objektive Offenbarung erst mit der Wiederkunft Christi vollkommen subjektiv offenbar sein. Bis dahin bedränge das Nichtige die Menschen wegen „der Blindheit unserer Augen“, die also das Reich Gottes noch nicht erkennen könnten.200 Würde Barth die „Blindheit“ der „Augen“ metaphorisch verstehen, könnte auch er die Bedrängtheit des Menschen durch das Nichtige als einen Mangel menschlichen Bewußtseins auffassen. Denn zwar betont er, daß Übel und Tod wie auch die Sünde wirklich, und das soll heißen, nicht bloße Bewußtseinsphänomene seien. Doch habe Jesus Christus das Nichtige bereits überwunden. Entsprechend können nach Barth, weil und seit die Offenbarung Gottes in Jesus Christus geschehen ist, Tod und Übel eigentlich nur deshalb dem Menschen als Gestalten des Nichtigen begegnen, weil ihm unter der Sünde die Offenbarung noch nicht vollständig subjektiv bekannt geworden ist, er sie also noch nicht vollkommen erkannt hat oder besser: sie ihm noch nicht bewußt geworden ist. Der Tod als Gestalt des Nichtigen, als ewiger Tod201, ist nach Barth indirektes Ergebnis der guten Schöpfung Gottes, insofern er nämlich „zu der Welt, die Gott weder gewollt noch geschaffen hat“ und die gerade als solche „wirklich“ sei, dazugehöre.202 Als solches stelle er für den Sünder das Gericht Gottes dar. „Es ist wirklich unsere Nichtigkeit vor ihm [d.i. Gott], die im Vernichtungswerk des Todes offenbar wird. […] Unser Ende ist insofern nicht nur irgend ein erträgliches, sondern das ernste, große, unerträgliche Übel, als wir es, indem wir gegen Gott sind, auf uns ziehen, daß Gott wiederum gegen uns sein muß.“203 Der Tod als Gestalt des Nichtigen bedeutet nach Barth die Strafe 204 des Sünders, die diesen treffe, weil er dem Nichtigen zugewandt in Feindschaft zu seinem Schöpfer existiere.205 In christologisch-soteriologischer Sichtweise206 hingegen, und das heißt den geöffneten und sehenden Augen des Glaubenden, begegne die Sterblichkeit des Menschen als geschöpfliche 200 201 202 203 204 205
KD III,3,50,424. S. KD IV,1,59,278. KD III,2,47,740 und s. KD III,3,50,405 f. KD III,2,47,740. S. dazu KD IV,1,59,278/279. Gott bedrohe den Menschen „im Tode mit der Einforderung dessen, was wir ihm schuldig geblieben sind, mit der Auszahlung dessen, was wir verdient haben.“ (KD III,2,47,739) 206 S. KD III,2,47,765 ff.
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Wesenseigentümlichkeit.207 In christologisch-soteriologischer Perspektive sei deutlich, daß der Tod zwar eine Gestalt des Nichtigen sein könne und faktisch auch sei. Doch sei er „nicht an sich das Gericht und auch nicht an sich und als solcher das Zeichen des Gerichtes Gottes; er ist es doch nur faktisch.“208 An sich sei der Tod vielmehr die „Verherrlichung“ des sterblichen Seins; er impliziere eine gewisse Teilhabe des Menschen an Gottes ewigem Leben. Denn an sich bedeute er die Rückkehr des göttlichen Geistes, der ein Leben lang im Menschen sei und diesen am Leben erhalte, zurück zu Gott.209 Neben der Beschränktheit menschlichen Lebens durch den Tod nennt Barth als einschränkende Gestalt des Nichtigen noch die Krankheit. Unter der Macht des Nichtigen werde Krankheit als Perversion der psychischphysischen Ganzheit, als Übel, als Element des Nichtigen und damit als Vorbotin des Todes oder eben als „Zeichen des den Menschen treffenden göttlichen Gerichtes“ verstanden.210 Doch sei Krankheit gleich dem Tod in christologisch-soteriologischer Perspektive als Gottes Gnade und als Gottes „Wohlmeinen“ mit dem Menschen zu sehen.211 Wenn der „Kampf des Glaubens und des Gebetes und der Tat gegen die Krankheit“ erfolgreich gekämpft werde, werde schließlich sichtbar, „daß es dem Menschen gut ist, ein befristetes, ein beeinträchtigtes Leben zu leben und dessen dann auch gewahr zu werden“.212 Das Übel der Krankheit ist nach Barth – im 207 S. dazu Matthias D. Wðthrich, Gott und das Nichtige, 160/161. 208 KD III,2,47,770. 209 S. KD III,2,47,770/771 und o. I.1.b.) sowie Anm. 83. Der Geist, der das Leben des Menschen als Seele des Leibes gewähre und den Menschen damit zum Subjekt mache, kehre beim Tod des menschlichen Subjektes zu Gott zurück. Der Geist sei „im Unterschied zum menschlichen Subjekt unsterblich.“ (KD III,2,46,437) Dadurch, daß Barth eine ewige Fortsetzung individuellen menschlichen Lebens leugnet, will er „unsere Hoffnung auf eine Befreiung von der Befristung unserer Zeit und also auf ein Jenseits der uns gegebenen Frist“ verhindern. Statt dessen hätten die Christen-Menschen „auf den ewigen Gott selber zu setzen“ (KD III,2,47,771/772). 210 KD III,4,55,419 und s. 416 ff. 211 S. KD III,4,55,425: Die Krankheit spiegele auch „Gottes herzliches Wohlmeinen“. 212 KD III,4,55,425. S. dazu KD IV,1,60,449: Die „von Gott gegebene gute geschöpfliche Natur“ des Menschen impliziert nach Barth „seine Bestimmung zum Sein im Bunde mit ihm, seine Mitmenschlichkeit und in dieser seine Gottebenbildlichkeit, sein Leben in der Ordnung als Seele seines Leibes, sein Sein in seiner ihm verliehenen, befristeten, anfangenden und endenden Zeit.“ – S. auch Wolf Krçtke, Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, 74. Krötke geht leider nicht ver-
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Licht der Offenbarung – keineswegs als Übel, sondern als Teil der guten Schöpfung Gottes zu sehen. Dem Sünder erscheinen nach Barth Tod, Übel und Krankheit nicht nur als Übel und als nichtig, vielmehr seien sie es faktisch. Allerdings unterscheidet Barth diese Faktizität oder Wirklichkeit von der gottgewollten und geschaffenen Wirklichkeit und nimmt also außer der Wirklichkeit Gottes selbst noch zwei weitere Wirklichkeiten an. Als Ermöglichungsgrund dafür, daß zwei einander entgegengesetzte Wirklichkeiten nebeneinander existieren können, nennt Barth die Vorstellung von zwei Händen Gottes, mit der er jeglicher monistischen Tendenz entgegenzutreten sucht. Das faktische Todesgericht, das der sündige Mensch erwarte, erachtet Barth für das Werk des zornigen Gottes, für das „opus alienum“ der linken Hand Gottes, das dem Menschen seiner Sünde wegen bevorstehe und von Gott dem Schöpfer ebenso wie die Sünde auch nicht gewollt gewesen sei. Als Nichtgewolltes sei dieses Werk wirklich geworden als die Wirklichkeit des Nichtigen und der Sünde. Das Werk des gnädigen Gottes, mit welchem er dem Menschen im Tod seine Gnade zuwende und ihn an seinem ewigen Leben teilhaben lasse, sei das „opus proprium“ seiner rechten Hand. Allerdings habe Gott selbst, weil er in Jesus Christus den Sieg gegen das Nichtige davongetragen habe, mit seiner rechten Hand das Werk seiner Linken schon überwunden.213 Entscheidend für Barths Verständnis von den beiden Werken Gottes ist, daß sie zum einen zwei separate Wirklichkeiten bilden sollen und Gott also mit seinen beiden Händen zwei Parallelwirklichkeiten oder -welten erschaffen haben müßte. Zum anderen müßte Barth, wenn er seinen Verweis auf die beiden Hände Gottes ernstnähme, konsequenterweise und im Widerspruch mit seinen sonstigen Ausführungen, die Macht des Nichtigen Gott selbst zuschreiben. Er müßte – anders, als es bei ihm der Fall ist – davon ausgehen, daß Gott die Gestalten des Nichtigen wollte und schuf, um im Prozeß ihrer Überwindung seinen Heilswillen zu verwirklichen. Wie nach Barth das Wesen Gottes oder vielmehr Gottes Wirklichkeit beschaffen ist, wird nun im Anschluß an die Interpretation der Barthschen Ausführungen zur Wirklichkeit des Menschen sowie zur Wirklichkeit von Sünde und Nichtigem dargestellt. Dabei zeigt sich noch deutlicher als bisher, wie Barth das Verhältnis zwischen dem Schöpfer und seinen tiefend auf die „Zweiseitigkeit“ von Tod und Krankheit nach Barthschem Verständnis ein und führt den Vergleich mit Schleiermacher nicht weiter aus. 213 S. KD III,3,50,409/410.
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menschlichen Geschöpfen und wie er das Verhältnis zwischen Sünde und Jesus Christus als dem Überwinder der Sünde bestimmt.
III. Gottes Wirklichkeit und seine Eigenschaften Für das Wesen Gottes hält Barth fest, Gottes Sein sei das Sein des in Freiheit Liebenden. 214 Allerdings zieht Barth den Begriff der „Wirklichkeit Gottes“ demjenigen des Wesens vor. Denn nur insoweit könne vom Wesen Gottes die Rede sein, als sich Gott dem Menschen offenbare und damit für sein menschliches Geschöpf wirklich sei.215 Nach Barth bezieht sich jede Beschreibung Gottes „nicht auf sein Wesen als solches“, sondern vielmehr auf sein Wirken und seine Taten als Schöpfer, Versöhner und Erlöser. „Alles, was wir von Gott sagen, alle Eigenschaften, die wir Gott beilegen können, beziehen sich auf diese seine Taten. Also nicht auf sein Wesen als solches. Obwohl das Wirken Gottes das Wesen Gottes ist, ist es notwendig und wichtig, sein Wesen als solches von seinem Wirken zu unterscheiden: zur Erinnerung daran, daß dieses Wirken Gnade, freie göttliche Entscheidung ist, zur Erinnerung auch daran, daß wir von Gott nur wissen können, weil und sofern er sich uns zu wissen gibt. Gottes Wirken ist freilich das Wirken des ganzen Wesens Gottes. Gott gibt sich dem Menschen ganz in seiner Offenbarung. Aber nicht so, daß er sich dem Menschen gefangen gäbe. Er bleibt frei, indem er wirkt, indem er sich gibt. In dieser seiner Freiheit gründet die Unterscheidung des Wesens Gottes als solches von seinem Wesen als des Wirkenden, als des Sichoffenbarenden. In dieser Freiheit gründet die Unbegreiflichkeit Gottes, die Unangemessenheit aller Erkenntnis des offenbarten Gottes.“216
Weil Barth annimmt, daß einzig das Wirklichsein oder vielmehr das „Offenbarsein“ der „Offenbarung“ Gottes, des „Offenbarers“,217 Aussagen über Gottes Wesen und seine Eigenschaften ermögliche, faßt Barth seine Aussagen über Gott unter dem Titel „Die Wirklichkeit Gottes“ zusammen. Barth will mit dieser Ausdrucksweise hervorheben, daß dem Menschen nur durch die wunderbare Offenbarung Gottes, durch die Gott der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, für den Menschen wirklich ist, auch 214 S. KD II,1,29,362. 215 S. KD II,1,28,293: „[E]ben das Sein Gottes umschreiben wir, indem wir es als Gottes Wirklichkeit bezeichnen, als ’Gottes Sein in der Tat’, nämlich in der Tat seiner Offenbarung, in welcher das Sein Gottes seine Realität bezeugt: nicht nur seine Realität für uns – das freilich auch! –[,] sondern zugleich und eben so seine eigene, innere, eigentliche Realität, hinter der und über der es keine andere gibt.“ 216 KD I,1,9,391. 217 S. dazu KD I,1,9,391.
III. Gottes Wirklichkeit und seine Eigenschaften
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Erkenntnis Gottes gegeben ist.218 Barth schließt damit zum einen aus, daß dem Menschen eine objektive Offenbarung Gottes als solche bekannt sein könnte. Nur was dem Menschen durch den Heiligen Geist vermittelt subjektiv offenbar geworden sei, könne er zu Aussagen über Gott verwenden. Zum anderen schließt Barth aus, daß der Mensch unabhängig von einer besonderen Mitteilung Gottes fähig sei, Gott selbst begreifend oder anschauend oder gar irgendwie unmittelbar zu erkennen.219 Der Mensch könne nur das ihm Gleiche erfassen, und also nur dasjenige, mit dem er sich in der einen Weltwirklichkeit und in der Gemeinschaft des Geschaffenen befindet. „Wir gleichen der Welt, sofern sie mit uns und wir mit ihr von Gott geschaffen sind. Und darum können wir uns von der Welt und von dem, was in der Welt ist, Anschauungen und Begriffe bilden. Wir gleichen aber Gott nicht.“220 „Zwischen Gott und Mensch wie zwischen Gott und Geschöpf überhaupt besteht unaufhebbare Andersheit.“221 Wegen dieser unüberbrückbaren Kluft, die zwischen der Weltwirklichkeit und der Wirklichkeit Gottes bestehe,222 sei Gott für den Menschen unbegreifbar; Erkenntnis Gottes und Gemeinschaft mit ihm schaffe allein Gott selbst, indem er auf wunderbare Weise in die Schöpfungswirklichkeit eingreife. Der Mensch habe „keine Fähigkeit zur Gemeinschaft mit Gott. Zwischen Gott und uns steht Gottes Verborgenheit, in der er uns fern und fremd ist, sofern er nicht – aber das geschieht nicht in Aktualisierung unserer Fähigkeit, sondern im Wunder seines Wohlgefallens – von sich aus Gemeinschaft zwischen sich und uns stiftet und schafft.“223 Seine Verborgenheit für den Menschen überwinde allein Gott selbst, indem er durch seine Offenbarung, durch seine Gnadenzuwendung menschliches Be218 S. KD II,1,27,206: Nach Barth ist einzugestehen, „daß wir, indem wir Gott erkennen, nicht einsehen, wie wir dazu kommen, ihn zu erkennen, daß wir unserem Erkennen als solchem die Fähigkeit zu diesem Geschehen nicht zusprechen, daß wir sie allein auf Gott zurückführen können.“ Es sei vielmehr einzusehen, „daß das Vermögen, Gott zu erkennen, uns eben durch die Offenbarung abgesprochen ist und nur wiederum durch die Offenbarung nun dennoch zugesprochen sein kann“ (a.a.O., 207). 219 Nach Barth wird man das „unmittelbare Erkennen [Gottes], sofern man mit einem solchen rechnen will, von dem, was hier als menschliches Vermögen negiert werden soll, nicht ausnehmen dürfen.“ (KD II,1,27,209) 220 KD II,1,27,211. 221 KD II,1,27,212. 222 S. KD II,1,27,237: Es sind nach Barth die menschlichen Anschauungen und Begriffe nicht fähig, Gott zu erfassen, „weil sie an sich und als solche nur Weltwirklichkeit und nicht seine Wirklichkeit zu erfassen vermögen“. 223 KD II,1,27,204.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
greifen und Anschauen zur Erkenntnis seiner selbst bestimme; „Gott wird nur durch Gott erkannt.“224 Barth hält es für ausgeschlossen, daß in Theologie und Verkündigung auf dieses Begreifen und Anschauen zugunsten „der subjektiven Empfindungen und Erlebnisse des frommen Menschen“ verzichtet werden könne.225 Gegenüber einem möglichen Mißverständnis Luthers hält Barth fest, daß die Unbegreiflichkeit oder Verborgenheit Gottes, von der Luther schreibe, keineswegs als Zurückbleiben Gottes hinter seiner Offenbarung verstanden werden dürfe.226 Gott sei kein anderer in seiner Verborgenheit als in seiner Offenbarung. Doch enthüllt nach Barth der durch sein Wirken und in seinem Wirken offenbare Gott nicht sein Wesen als solches. Denn dieses zeichne sich durch göttliche Freiheit aus, und Gottes freie Gnade und Liebe erweise sich gerade darin als frei, daß sie dem Menschen niemals verfügbar sei, sondern sich Gott dem Menschen gegenüber auch wieder verhüllen könne. Zwar habe sich Gott in Jesus Christus geoffenbart und damit habe sich „der verborgene Gott faßbar gemacht“. Doch sei damit der „Vorbehalt seiner Verborgenheit“ noch nicht aufgehoben.227 Nur schrittweise und immer wieder neu enthülle Gott dem Glaubenden auf Grund seiner wesentlich freien, uneinsehbaren und unfaßbaren Gnade sein göttliches Wesen.228 Gerade insofern sei Gott dem Menschen verborgen, als „seine Gnade Gnade, d. h. sofern er sie uns nicht schuldig ist, sondern in Freiheit widerfahren läßt.“229 Entsprechend kann nach Barth jegliche „Glaubensgewißheit“, die aus der Enthüllung Gottes hervorgeht, nur „Hoffnungsgewißheit“ sein. Denn die Enthüllung eröffne die Erkenntnis der Freiheit Gottes in seinem Wirken, derentwegen Gottes Wesen als solches nicht begreifbar und vollständig faßbar sei; zugleich aber eröffne sie die Erkenntnis der Liebe Gottes, 224 KD II,1,27,200 (Leitsatz). S. dazu a.a.O., 226: „Auf dem Grunde der Offenbarung darf und wird auch der Mensch, werden auch seine an sich und als solche unvermögenden Anschauungen und Begriffe an der Wahrheit des Zieles [d.i. der Erkenntnis Gottes …] teilnehmen.“ 225 KD II,1,27,217. Bei Schleiermacher sei grundsätzlich „nicht verstanden, daß der Satz von der Unbegreiflichkeit Gottes uns nicht von Gott weg an den Menschen verweisen, sondern gerade bei Gott, aber eben bei der Gnade Gottes in seiner Offenbarung festhalten will.“ (ebd.) 226 S. KD II,1,27,237. 227 KD II,1,27,223. 228 S. KD II,1,27,266. S. auch KD I,2,13,32: Gerade die Offenbarung mache „Gott zu einem – von ihr selbst abgesehen – den Menschen verborgenen Gott.“ 229 KD II,1,27,265.
III. Gottes Wirklichkeit und seine Eigenschaften
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welche immerhin Hoffnung auf ein irgendwie fortgesetztes Gnadenwirken des freien Gottes bis hin zur Wiederkunft Christi gewähre.230 Schleiermacher und Luther hingegen, die das Wirken Gottes als Manifestation des göttlichen Wesens beschreiben, gehen davon aus, daß das Wirken Gottes wahrhaft erkannt werden könne, weil das Wesen Gottes als solches grundlegend und unabdingbar in Jesus Christus durch den Heiligen Geist geoffenbart sei.231 Gottes Wirken an seiner Schöpfung bleibe im Einzelnen und bezogen auf die eschatologische Zukunft noch uneinsehbar. Doch durch die Offenbarung im Inkarnierten sei die Wesensgemäßheit dieses Wirkens auf ewig garantiert.232 Barth scheidet das Wesen Gottes von Gottes Wirken insoweit, als er eine vollkommen uneingeschränkte Offenbarung und Darstellung des Wesens Gottes für die menschlichen Geschöpfe ausschließt. Denn Barth hält fest und hebt hervor, daß Gott in absoluter Freiheit wirke.233 Im Gegenüber zu seiner Schöpfung eigne Gott, dem Dreieinigen, solche Freiheit, welche bezogen auf den Bereich des Geschaffenen weder gebunden noch von diesem her einsehbar und ermeßbar sei. Die gnädige Offenbarung des dreieinigen Gottes entstamme „dem Raume seiner eigenen Wahrheit“, welcher der Grund der Offenbarung und als solcher dem Menschen in 230 KD I,1,12,486. 231 Weil nach Barth zwar Jesus Christus die Offenbarung Gottes bedeutet, die Offenbarung jedoch nicht das Wesen Gottes als solches, d.i. die freie Liebe Gottes als solche, sondern vielmehr das Wesen Gottes als des Wirkenden zeige und dieses Wesen eben frei und im einzelnen Wirken gar nicht greifbar sei, ist zu bezweifeln, daß Luthers Einsicht in die vollkommene Wesensoffenbarung Gottes in Jesus Christus gerade durch „Barths Rede von Gott als dem ’in Freiheit liebenden’“ „glücklich“ ausgedrückt ist (s. aber Eilert Herms, Art. Willensfreiheit, V. Dogmatisch, 1575). 232 S. dazu die gegensätzliche Interpretation von Gerhard Ebeling, Karl Barths Ringen, 477/478.551/552: Barth verwerfe „Luthers Unterscheidung zwischen dem Deus absconditus und dem Deus revelatus. Barth sieht hier die Wahrhaftigkeit und Verläßlichkeit der Offenbarung Gottes in schriftwidriger Weise gefährdet.“ (a.a.O., 477) „Auf der Ebene objektiver Erfassung der Offenbarung kann es freilich gar nicht anders sein, als daß Luthers Aussagen in den Verdacht eines innergöttlichen Dualismus und eines alles verunsichernden finsteren Offenbarungshintergrundes geraten. […] Beunruhigender aber ist eine Frage, die an Barths eigene Theologie zu richten ist: Könnte nicht infolge [… seiner] Art von Christozentrik der Tendenz Vorschub geleistet sein, daß(!) Gottesverständnis in einer Einlinigkeit und Selbstverständlichkeit auf den Nenner der Gnade zu bringen, die mutatis mutandis an die Theologie der Aufklärung und Albrecht Ritschls erinnert?“ (a.a.O., 552) 233 S. KD II,1,28,334 – 361. S. dazu im folgenden.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
seiner Andersheit „unzugnglich ist und bleibt“.234 Für eine jede Gemeinschaftsbeziehung Gottes mit dem Menschen müsse entsprechend ein wunderbarer Schçpferakt angenommen werden, der nicht notwendig, sondern durch freies, seinem Grund nach verborgenes Gnadenwirken erfolge. Gott selbst sei dem Menschen deshalb verborgen, weil er sich selbst ganz unabhängig vom Menschen diesem offenbare, und er bleibe dahingehend verborgen, daß die Zuwendung seiner gnädigen Liebe, auf welche das menschliche Geschöpf vollkommen angewiesen sei, eine stets unbegreifliche bleibe. III.1.1. Gott als der in Freiheit Liebende Wie Luther und Schleiermacher auch, geht Barth davon aus, daß Gott in seiner Liebe nach Gemeinschaft mit seinen (menschlichen) Geschöpfen strebt.235 Angeblich gegen Schleiermacher hält Barth jedoch – in Übereinstimmung mit seiner Kritik an Schleiermachers Sündenverständnis236 – ausdrücklich fest, Schleiermachers „Gott“, nämlich das „Woher des Gefühls schlechthiniger Abhängigkeit hat kein Herz. Der persönliche Gott aber hat ein Herz.“237 Nach Barth ist der dreieinige Gott, weil er der persönliche Gott mit Herz sei, in seiner freien Liebe angesichts des menschlichen Leids keineswegs unberührbar und unveränderlich. Doch werde er nicht „von außen“ durch den Menschen berührt, sondern der „Affekt Gottes ist im Unterschied zu allen geschöpflichen Affekten durch sich selbst affiziert.“238 Diese Affektion führt nach Barth dazu, daß Gott in seiner freien Liebe am Elend des Menschen teilnimmt und sich in „Gestalt Jesu Christi“ dem Leid entgegenstellt.239 Entsprechend müsse Gottes freie Liebe als „barmherzige 234 KD II,1,25,53. 235 Das Lieben Gottes bestehe darin, „daß er Gemeinschaft mit uns sucht und schafft“. (KD II,1,28,309) 236 S.o. Anm. 188. 237 KD II,1,30,416. S. dazu Fragmente 89. – Nach Barth hat Gott deshalb ein Herz, weil er mit dem Menschen leide. Der persönliche Gott könne – auch mit dem Menschen – fühlen und empfinden. „Er ist nicht unberührbar.“ (ebd.) – Gegen Barths Schleiermacherinterpretation kann prinzipiell festgehalten werden, daß Schleiermacher – zumindest in den Einleitungsparagraphen seiner Glaubenslehre – grundlegend und vielmehr vom Woher der schlechthinnigen Abhängigkeit selbst handelt. 238 KD II,1,30,416. 239 KD II,1,30,417.
III. Gottes Wirklichkeit und seine Eigenschaften
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Liebe“ bestimmt werden.240 In seiner barmherzigen Liebe sei Gott zur Anteilhabe am menschlichen Leiden vollkommen frei, insofern er sich selbst ein Mitgefühl affizieren sowie in seiner Liebe die Überwindung des Leidens bewirken könne. Weil er dabei weder an die leidenden Menschen gebunden noch dem Leid als einer Gestalt des Nichtigen ausgeliefert sei, wird er von Barth als der in Freiheit Liebende, als der „Liebende in der Freiheit“ bezeichnet.241 Daß sich Gott angesichts menschlichen Leids in seinem eigenen Innersten, in seinem „Herzen“ selbst affizieren und Mitleid empfinden kann, bildet die Voraussetzung für die nach Barth mögliche Beeinflussung Gottes durch Sünde und Gebet des Christenmenschen.242 Mit seiner Feststellung der Freiheit Gottes angesichts des Nichtigen macht Barth deutlich, daß Gott der Schöpfer, obwohl ihm und vor allem seiner Schöpfung die Macht des Nichtigen entgegenstehe, dieser nicht schlechthin ausgeliefert und unterworfen sei. Jedoch negiert Barth, indem er Gott die Freiheit zur Überwindung des Nichtigen als der den Schöpfer herausfordernden Gegenmacht zuschreibt, gerade die sonst behauptete Absolutheit der göttlichen Freiheit. Grundsätzlich ist Barths Annahme von der Absolutheit der göttlichen Freiheit dadurch beschränkt, daß das Nichtige überhaupt real ist. Denn ist die Wirklichkeit des Nichtigen nicht zu leugnen, so ist der Freiheits- respektive Möglichkeitsraum Gottes außer durch das in Freiheit selbstgewählte Schöpfungswerk eben auch durch die Wirklichkeit des Nichtigen immer schon bestimmt.243 Insofern der Schöpfer auch der Liebende sei, bestimme er sich selbst in seiner Freiheit um des Nichtigen und seiner Liebe willen angesichts des menschlichen Leidens zur Überwindung des Nichtigen. Würde er sich gegenüber dem Leiden des Menschen nicht gnädig erweisen, müßte seine barmherzige Liebe in Frage gestellt werden. Vor allem aber leidet nach Barth Gott der Schöpfer in seiner Liebe nicht nur mit den am Nichtigen leidenden Geschöpfen. Vielmehr leide er auch selbst unter der in dem Angriff des Nichtigen auf seine Schöpfung „ihm selbst widerfahrenden Beleidigung und Beeinträchtigung [seiner Freiheit und seines Wir240 241 242 243
KD II,1,30,421. KD II,1,28 (Leitsatz) und s. v. a. a.a.O., 30,417. S.u. III.2.1. Einerseits bemerkt Barth: „Gott ist ’absolut’, d. h. losgelöst von Allem, was nicht er ist. […] Gibt es ein Anderes, dann kann es nur unter Gott sein, ihm nur dienen.“ (KD II,1,28,346) Andererseits hält er das Nichtige für die dem Schöpfer und seinem Geschöpf „feindselig“ gegenüberstehende Macht (KD III,3,50,335).
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kungskreises]“.244 Auf Grund seiner Liebe und Freiheit muß sich Gott also geradezu dem Nichtigen entgegenstellen. Nach Barth ist es Gott wesentlich der in Freiheit Liebende zu sein. Aber auch andere Eigenschaften charakterisierten ihn wesentlich. Sie werden von Barth ebenso wie Liebe und Freiheit als „Gottes Vollkommenheiten“ bezeichnet.245 Für die vorliegende Interpretation sind insbesondere Barths Beschreibungen der Ewigkeit und Allmacht, Allgegenwart und Weisheit Gottes von Belang. Im Unterschied zu Schleiermacher, der Welt und Mensch für ursprünglich vollkommen hält, nimmt Barth verschiedene Vollkommenheiten Gottes an, „deren jede für sich und mit allen andern zusammen darin vollkommen ist, daß sie […] sein eines, einfaches, ihm eigenes Wesen ist“.246 Die „Vollkommenheiten“ Gottes wie Ewigkeit, Allmacht, Allgegenwart und Weisheit können nach Barth dem Menschen allein durch Gottes (subjektive) Offenbarung bekannt sein. Entsprechend beziehen sich diese Vollkommenheiten Gottes nicht auf Gottes „Wesen als solches“; „alle Eigenschaften, die wir Gott beilegen können, beziehen sich auf […] seine Taten.“247 Sie beziehen sich also auf das eine Wesen Gottes als des Wirkenden. Das Wesen Gottes als des Wirkenden zeichne sich allerdings dadurch aus, daß Gott „nicht nur Eines, sondern Vieles, Einzelnes, Unterschiedenes“ sei. Entsprechend muß Gottes eines Sein, nämlich das Sein des in Freiheit Liebenden, ein göttliches Sein in der Vielheit der göttlichen Vollkommenheiten sein, die wiederum Gestalten seiner Freiheit und Liebe seien.248 Barth ordnet die freie Liebe als das eigentliche Sein Gottes den Vollkommenheiten Gottes als den Gestalten des göttlichen Seins vor.249 Zugleich identifiziert er die Vollkommenheiten Gottes selbst ebenso wie Gottes Freiheit und Liebe mit Gottes Wesen.250 Anders als Luther und Schleiermacher, die deutlich zwischen Wesen und Eigenschaften Gottes unterscheiden,251 setzt Barth an die Stelle der 244 245 246 247 248 249
KD III,3,50,345. KD II,1,29,362 ff. KD II,1,29,362 (Leitsatz; Hervorhebung von A.K.). S.o. III. KD II,1,29,372. S. auch a.a.O., 362 (Leitsatz). Richtig ist es nach Barth, „die Vollkommenheiten Gottes zu verstehen als die dieses seines besonderen Wesens selber und also als die seines Lebens, seiner Liebe in der Freiheit.“ (KD II,1,29,379) 250 KD II,1,29,375: „Alles, was Gott und in Gott ist, das ist […] zuerst und eigentlich in ihm, ja zuerst und eigentlich er selber als der Liebende in der Freiheit, er selber in seinem eigenen Wesen.“ 251 Gegen Barth ist anzumerken, daß Schleiermacher ebenso wie Luther auch das Wesen Gottes dem biblischen Zeugnis gemäß als Liebe erkennt, die durch die
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Rede von Gottes Eigenschaften die Rede von Gottes Wesen als dem Wirkenden in seinen göttlichen Vollkommenheiten;252 dies ist insbesondere für Barths Beschreibung der Beschaffenheit des menschgewordenen Gottessohnes und für sein Verständnis der communicatio idiomatum relevant.253 III.1.2. Gottes Ewigkeit und Allmacht Weil Gott selbst bei seiner Offenbarung im Inkarnierten zeitlich geworden sei, könne seine Ewigkeit „nicht als reine Zeitlosigkeit“ verstanden werden.254 Vielmehr umfasse die Ewigkeit Gottes alle Zeit zugleich. In Gott selbst seien Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft „durch die Allmacht seines Wissens und Wollens“ zusammengehalten.255 Als der allmächtige Ewige habe und sei Gott selbst „die absolut wirkliche Zeit“. Deshalb bestehe für ihn die Möglichkeit, nicht nur als Schöpfer dem Menschen „relativ wirkliche“ Zeit zu geben,256 sondern auch, sich für die Menschen im Inkarnierten Zeit zu nehmen.257 Nach Barth konnte Gott „nicht nur als der Schöpfer Zeit haben und geben, sondern er konnte in Jesus Christus selber zeitlich sein.“258
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Eigenschaften Gottes vermittelt dem Menschen offenbar werde. Anders als Barth festhält, erschöpft sich nach Schleiermacher Gottes Wesen nicht „in dem Begriff der Ursächlichkeit“, vielmehr macht Schleiermacher deutlich, daß „nur die Liebe dem Sein oder Wesen Gottes gleichgesetzt“ werden kann und muß (KD II,1,29,368; s. dazu GL 167,1,449). S. KD II,1,29,363/364: „Von Gottes ’Eigenschaften’ reden, wie wir es ja tun müssen und tun dürfen, indem wir auf Grund seiner Offenbarung von ihm reden, heißt […] von seinem Wesen reden.“ S. dazu KD II,1,31,529: Mit dem göttlichen Wesen seien „alle göttlichen Vollkommenheiten […] identisch“. S.u. VI.1.3.1. S. dazu Claus-Dieter Osthçvener, Gottes Eigenschaften, 181, Anm. 66. Im Blick auf Osthöveners Anmerkung, Barth bezwecke mit dem Ausdruck „Vollkommenheit“ „keine terminologische Abgrenzung von dem Ausdruck ’Eigenschaft’“, ist doch zumindest festzuhalten, daß Barth sich durch die Verwendung des Ausdrucks „Vollkommenheit“ ausdrücklich von dem, was – zumindest nach Schleiermacher und Luther – unter „Eigenschaft“ Gottes verstanden wird, terminologisch wie sachlich abgrenzt. Insbesondere ist auffällig, daß Barth im Unterschied zu Schleiermacher den Ausdruck „Vollkommenheit“ auf Gott und nicht auf Welt und Mensch anwendet. Die Schöpfung ist nach Barth anders als nach Schleiermacher nicht vollkommen, sondern durch die Sünde gestört. KD II,1,31,695. KD II,1,31,690. KD II,1,31,691. S. KD II,1,31,694 f. KD II,1,31,695.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Barth widerspricht nicht nur Schleiermachers Gleichsetzung von Ewigkeit und Zeitlosigkeit. In Konsequenz dazu versteht er auch unter der „Unveränderlichkeit“ Gottes nicht Gottes zeitlose Beharrlichkeit, welche keinem zeitlichen Nacheinander unterliegt.259 Die Unveränderlichkeit Gottes darf nach Barth nicht mit Bewegungslosigkeit überhaupt gleichgesetzt werden. Das nämlich verleite zur Leugnung der Lebendigkeit Gottes und zur Rede vom Tod Gottes; Schleiermachers Verständnis von Gottes treuer Unveränderlichkeit weise in diese Richtung.260 Gott habe vielmehr gerade mit seiner Selbstoffenbarung in Jesus Christus, derentwegen er zeitlich geworden sei, seine Unveränderlichkeit deutlich gemacht. Nach Barth besteht diese nämlich darin, daß „Gott ist als der, der er ist“; Gott aber sei wesentlich der ewig in göttlicher Freiheit Liebende.261 Unveränderlich ist Gott also derart, daß sein Handeln und Sein immer als das Handeln und Sein des in Freiheit Liebenden wirklich ist.262 Weil es aber als das ewig freie Handeln und Wirken des ewig Liebenden begegne, erweise es sich in bestimmten Situationen, zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten als ungebundenes Wirken des bewegbaren Gottes, der sein Wirken entsprechend seiner Anteilnahme an der geschaffenen Wirklichkeit ausrichtet.263 Unveränderlich sei Gott, insofern er sich in ewig freier Liebe für die Realisation seines Bundes mit dem Menschen entschieden habe und in Treue gegenüber dieser ewigen Absicht selbst zeitlich und Mensch geworden sei.264 Gerade mit der Inkarnation kommt nach Barth sowohl Gottes unveränderliche Liebe und Treue wie auch seine ewige Freiheit 259 S. GL 52,Z,271, s. Schleiermacher-Kapitel, III.2.2.2.4, Anm. 454. 260 S. KD II,1,31,555. – Schleiermacher hat angesichts der Eigenschaften Gottes betont, sie seien bloß menschlicher Ausdruck der Erfahrung schlechthinniger Abhängigkeit, weshalb Gott als schlechthin freie Ursache des Raumes und der Zeit als selbst raumlos und zeitlos oder auch schlechthin unermeßlich und unveränderlich beschrieben werden müsse. 261 KD II,1,31,556. 262 Gottes „’Unveränderlichkeit’ fällt nicht zusammen mit irgend einer unserer Stetigkeiten. Seine Treue ist seine Treue“. (KD II,1,28,353) 263 „Wäre dem so […], daß Gott weder von einem Anderen noch durch sich selbst bewegt […] wäre, dann müßte doch wohl jede Beziehung zwischen ihm und einer von ihm unterschiedenen Wirklichkeit […] unmöglich sein.“ (KD II,1,31,555) 264 S. KD II,1,31,579 Gerade die Menschwerdung Gottes offenbare, „wo und wie sich Gott selber zur Treue gegenüber dieser Kreatur [dem Menschen] verpflichtet, wo und wie er sich selber mit ihr verbunden hat, so daß er sich selber untreu sein müßte, würde er sich ihrer nicht auch sonst und weiter annehmen. Insofern ist es gerade Gottes Bestndigkeit, die in Jesus Christus offenbar und erkennbar wird.“
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und Beweglichkeit zum Ausdruck. Bewegt werde der treue Gott durch sich selbst und durch die Macht des Nichtigen. Zum einen beleidige ihn die Sünde des Menschen, zum anderen empfinde er selbstaffiziertes Mitleid mit den Menschen unter der Macht des Nichtigen. In seiner treuen und allmächtigen Beweglichkeit sei Gott jedoch nicht nur zur Überwindung von Sünde und Leid in Jesus Christus selbst und einmalig zeitlich geworden, zudem erhöre er fortwährend die Gebete der leidenden Christenmenschen und wirke Wunder. Als der Allmchtige sei Gott mächtig, das Nichtige durch seine Fleischwerdung und andere Wunder zu überwinden. Zugleich und andererseits ist durch die schöpferische Allmacht allerdings auch die Wirklichkeit des Nichtigen bedingt. Denn Gottes Allmacht bestehe darin, daß Gott in seiner freien Liebe aus Möglichkeiten, die er allesamt zu verwirklichen wisse, d. h. aus der „Summe des ihm Möglichen und so des echt Möglichen“265, nur das wähle, was er gemäß seiner freien Liebe tatsächlich realisieren wolle; seine Allmacht ist nach Barth „eben die seines Wissens und Wollens“, nicht aber die seines Wirkens.266 Barth hält – im Gegensatz zu Schleiermacher267 – die Allmacht Gottes für weitreichender als dessen Wirksamkeit.268 Gott sei in seiner Wirksamkeit nicht der Gefangene seiner Allmacht.269 Immer blieben Möglichkeiten übrig, die von Gott – gemäß seinem Wissen und Wollen – nicht gewählt und verwirklicht würden. Nach Barth ist der Schöpfer gerade nicht als ein vollkommener Künstler vorzustellen, dessen Möglichkeiten einzig diejenigen sind, die er vollständig realisiert. Zum anderen ist nach Barth Gott der Schöpfer aber auch nicht als ein solcher anzunehmen, dem zwar mehr Möglichkeiten verfügbar sind, als diejenigen, die er verwirklicht, aus dessen Schöpfertätigkeit jedoch nur eine ihm entsprechende „Wirklichkeit“ hervorgeht. Vielmehr nimmt Barth an, daß außer der 265 KD II,1,31,599. 266 KD II,1,31,611. 267 Barth hält fest, nach Schleiermacher fielen Allmacht und Wirksamkeit Gottes insofern zusammen, als Schleiermacher annehme, Gott habe in seiner Allmacht alle seine Möglichkeiten auch verwirklicht (Allwirksamkeit); KD II,1,31,595 f. 268 S. KD II,1,31,595 f. 269 S. dazu KD II,1,31,595. Im Vergleich mit Schleiermacher hält Barth fest: „Die Frage nach einem Möglichen Gottes selbst außerhalb der Gesamtheit des Wirklichen […] hat für Schleiermacher nicht existiert“. Vielmehr werde von Schleiermacher Gott der Schöpfer, der nur wirken könne und wirke, was er wolle und wisse, als „der Gefangene der Welt“ beschrieben und behandelt (a.a.O., 596). S. dazu Claus-Dieter Osthçvener, Gottes Eigenschaften, 192 – 195.
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Wirklichkeit Gottes sowohl die von Gott gewollte Wirklichkeit der Schöpfung als auch die von ihm nicht gewollte und nicht verwirklichte Wirklichkeit des Nichtigen als solche vorhanden sind; bei Gottes Schaffen blieben Möglichkeiten übrig, die sich schlimmstenfalls als Wirklichkeit des Nichtigen realisierten. Gottes freie und ewige Allmacht sei eben grundsätzlich nicht mit der „Allwirksamkeit“ Gottes gleichzusetzen. Entsprechend deckt sich nach Barth das Werk Gottes, das Schöpfung, Versöhnung und Erlösung umfasse, nicht „mit der Allmacht und also mit dem Wesen Gottes“.270 Gottes ewiges Wesen könne dem Menschen angesichts des Werkes und des Wirkens Gottes nicht als solches gegenwärtig sein, erkennbar sei immer nur das Wesen des (gegenwärtig) Wirkenden, der in seiner Freiheit keineswegs notwendig wirke, wozu er mächtig sei. III.1.3. Gottes Allgegenwart und Weisheit Barth bestreitet nicht nur, daß Gott zeitlos sei, sondern – ebenfalls im Gegensatz zu Schleiermacher – auch, daß er raumlos sei. Zudem unterscheidet Barth zwischen Ewigkeit und Allgegenwart Gottes dahingehend, daß er Gottes Allgegenwart vor allem als eine „Bestimmung der Liebe Gottes“, Gottes Ewigkeit aber insbesondere als eine „Bestimmung der göttlichen Freiheit“ versteht.271 Für das Wirken der ewigen Freiheit Gottes, das durch die Zeit hindurch auf Grund der unveränderlichen Lebendigkeit Gottes sowohl in Übereinstimmung mit bekannten Naturordnungen als auch zu Zeiten in wunderbarer Weise begegne, biete entsprechend die Zeit als Form der Schöpfung den Möglichkeitsraum. Der Raum als Form der Schöpfung sei die Möglichkeitsbedingung dafür, daß der Allgegenwärtige sich der Schöpfung sowie vor allem seinen menschlichen Geschöpfen als dem Gegenstand seiner Liebe räumlich nahen, ihnen begegnen und gegenwärtig sein könne.272 Die Begegnung Gottes mit seinen menschlichen Geschöpfen ist nach Barth zudem nur deshalb möglich, weil Gott als der Allgegenwärtige selbst „seinen Raum hat“ und nicht raumlos ist.273 Ohne eigenen Raum, ohne räumliche Unterschiedenheit von „allem Anderen“ könnte Gott weder sich selbst noch seinem Geschöpf gegenwärtig sein. Denn die Gegenwart Gottes für das Geschöpf bedeute das Zusammensein Gottes mit seinem geschöpflichen Gegenüber, welches wiederum die Distanz zwischen 270 271 272 273
KD II,1,31,592. KD II,1,31,522. KD II,1,31,523. KD II,1,31,527.
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Schöpfer und Geschöpf und damit die Distanz zwischen dem Raum Gottes und dem des Geschöpfes voraussetze.274 Die Annahme der Raumlosigkeit Gottes würde dahingegen Distanzlosigkeit zwischen ihm und seinen Geschöpfen implizieren, folglich die Identität von Schöpfer und Geschöpf behaupten und das Gottsein Gottes (Gottes Freiheit, Allmacht etc.) leugnen.275 Gerade in seiner Unterschiedenheit vom Raum Gottes sei der Raum der Geschöpfe vollkommen auf jenen bezogen. Denn Gott „umgreift und umschließt selbst seine Schöpfung und so kommt es zu seiner Allgegenwart im All der von ihm verschiedenen Dinge.“276 Als der allgegenwärtige Rauminhaber sei Gott „in allem geschaffenen Sein“ persönlich gegenwärtig, aber keineswegs mit ihm identisch.277 Barth unterscheidet an Gottes Gegenwart in der Schöpfung sowohl Gottes allgemeine Gegenwart in der Schöpfung insgesamt als auch Gottes besondere Gegenwart in seinem Offenbarungs- und Versöhnungswerk. Drittens bezeichnet er als Gottes „eigentliche“ Gegenwart die Gegenwart Gottes in Jesus Christus als dem Wort der Versöhnung. Das „Wohnen Gottes in Jesus Christus“ sei die „einzigartige, einfache und eine, die eigentliche Gegenwart des einen und einfachen Gottes in seiner Schöpfung“.278 Nur von dieser eigentlichen Gegenwart Gottes her, die nicht nur das noetische (für die Erkenntnis des Menschen) 279, sondern auch das ontische Fundament der Allgegenwart Gottes bilde, können nach Barth die besondere und die allgemeine Gegenwart Gottes sowohl ontisch als auch noetisch gegenwärtig sein. Sie bilde den Grund aller Vergegenwärtigungen Gottes.280 Weil Gott durch sein Wort, dem er in noetischer und ontischer Weise einwohne, die Welt geschaffen habe, sei er auch in der Schöpfung nicht nur in noetischer Hinsicht, sondern auch in ontischer Weise räumlich gegenwärtig.281
274 „Gegenwart heißt […] Zusammensein in einer Distanz.“ (KD II,1,31,527) 275 „Der christliche Gottesbegriff jedenfalls wird gesprengt und aufgelöst, wenn Gott absolute Raumlosigkeit zugeschrieben wird.“ (KD II,1,31,527) 276 KD II,1,31,536. 277 KD I,2,15,177. 278 KD II,1,31,544. 279 S. KD II,1,31,538. S. dazu KD III,1,40,29. 280 S. KD II,1,31,544. 281 Nach Barth ist Gott, insofern er in seinem eigenen Wort einwohnt, „der überall gegenwärtige Gott.“ (KD II,1,31,544)
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Gottes Allgegenwart bildet nach Barth eine primäre Bestimmung der göttlichen Liebe, nicht aber sei sie eine Bestimmung der Freiheit Gottes. Insofern Barth nämlich davon ausgeht, Gott selbst sei in seinem Wort in der geschaffenen Welt ontisch gegenwärtig, nimmt er eine Festlegung des Liebenden gegenüber der Schöpfung an, die dessen absolute Freiheit zumindest einzuschränken scheint. Die besondere Bestimmung der göttlichen Freiheit kann nach Barth nur die Ewigkeit sein, weil allein sie eine Lebendigkeit des unveränderlichen Seins und Wirkens Gottes im Wandel der Zeiten zuzulassen scheint. Mit dieser Zweiteilung verneint Barth, daß Raum und Zeit einen geschaffenen Rahmen für Gottes Handeln an seinen Geschöpfen darstellten.282 Das Wort, in dem Gott selber wohne und in welchem er in seiner Schöpfung für seine Geschöpfe gegenwärtig sei, setzt Barth mit der Weisheit Gottes gleich. Gottes Weisheit bestimme den Sinn des zeit- und raumgreifenden Wollens und Handelns Gottes, durch welches er als der allmächtige Schöpfer seine Geschöpfe erschaffe und erhalte.283 Insofern Barth das Wort Gottes respektive Jesus Christus mit Gottes Weisheit identifiziert und Gottes Wort in der Schöpfung für ontisch gegenwärtig hält, lehnt er eine „Trennung“ zwischen göttlicher Weisheit und der Selbstmitteilung Gottes durch seine Schöpfung ab. „Die göttliche Weisheit ist die die Welt für sich selber ordnende und bestimmende göttliche Selbstmitteilung“.284 In Übereinstimmung mit seinem Verständnis der Allgegenwart Gottes ist nach Barth die Weisheit des ewigen Schöpfer-Wortes in der Welt wirklich gegenwärtig und der Schöpfung von Anbeginn mitgeteilt. 282 KD II,1,31,522. 283 KD II,1,30,486/487. S. auch a.a.O., 476/477. 284 KD II,1,30,487. Mit dem oben zitierten Satz behauptet Barth, einen Satz Schleiermachers, in welchem dieser zwischen Gottes Weisheit und göttlicher Selbstmitteilung trenne, richtigzustellen. – Schleiermacher macht im Unterschied zu Barth deutlich, daß Gott seine Schöpfung gemäß seinem unverbrüchlichen Plan geordnet habe und daß der Erlöser nicht nur die Weisheit Gottes, sondern vor allem die Liebe Gottes und damit das Wesen Gottes, das die weisheitliche Schöpfungsordnung begründe, offenbare. Daß Gott sich selbst durch seine weisheitlich geordnete und durch das Schöpferwort geschaffene Schöpfung mitteilt, bringt nach Schleiermacher mit sich, daß die Welt schön ist. Jedoch bezeichnet Schleiermacher anders als Barth nicht Gott selbst als schön. Dazu müßte Gott in sich selbst Urbild und Ausbildung des Urbilds vereinen. Die Ausbildung des Urbilds ist aber eben seine Schöpfung. S. dazu Anne Kfer, „Die wahre Ausübung der Kunst ist religiös“, 218 – 220. Zu Barths Ansicht, „daß Gott schön ist“ s. KD II,1,31,734.
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Daß Barth die göttliche Weisheit mit der göttlichen Selbstmitteilung identifiziert und das Wort Gottes in der Weltwirklichkeit gegenwärtig findet, bedeutet also, daß sich der barmherzige Gott selbst mit seiner Schöpfung manifestiert. Diese göttliche Selbstmitteilung ist nach Barth jedoch nur die Mitteilung des Wesens Gottes als des Wirkenden, der sich in jeder einzelnen Wirkung seines Handelns an der Welt als der ewig Freie manifestiert, nicht aber in der Schöpfung insgesamt sein unveränderliches Wesen ausdrückt. Zum anderen schließt Barths Identifizierung aus, daß auch die Wirklichkeit des Nichtigen, welche nicht die Wirklichkeit der Schöpfung sei, von Gottes Weisheit getragen ist. Wenn diese sich aber nicht der Weisheit Gottes verdankt, kann für Gott keine Allwissenheit angenommen werden.285 Nach Barth ist weder Gottes ewige Allmacht mit Gottes Wirksamkeit in der Zeit gleichzusetzen noch Gottes schöpferische und allgegenwärtige Weisheit mit der Mitteilung des göttlichen Wesens als solchem. Barth geht vielmehr davon aus, daß Gott auf Grund seiner liebenden Freiheit (in Abänderung seiner bisherigen Wirksamkeit) sogar wirken könne und wirke, worum er im Gebet des Menschen gebeten wird, und daß er Wunder vollziehe, die eine Änderung der bekannten und weisheitlich-bestimmten Schöpfungswirklichkeit mit sich bringen. Zwar sei auf Grund der unveränderlichen Liebe Gottes auf ein „sachlich“ immer gleiches Wirken Gottes zu zählen. „Mit einem anderen als dem uns bekannten Können Gottes haben wir auf Grund seiner Freiheit allerdings zu rechnen: mit einem reicheren, grçßeren, ganz andere Bezirke und Dimensionen als die uns bekannten umfassenden Können Gottes nämlich.“286 III.2.1. Das Gebet Das Gebet ist nach Barth die Rede des Menschen zu Gott, welche jener erhçre, wenn sie von einem Glaubenden, aber auch, wenn sie von einem sündigen Menschen gesprochen sei.287 Denn Gottes allmächtige Freiheit 285 KD I,1,12,486. – Daß Barth die Schöpfung zum einen als Selbstmitteilung Gottes beschreibt und zugleich das Wesen Gottes des Ewigen und Allmächtigen von dessen Wirken an der Schöpfung unterscheidet, steht ganz in Übereinstimmung mit Barths Annahme, daß es „Glaubensgewißheit“ nur im Sinne von „Hoffnungsgewißheit“ gebe, weil Gott in seiner Liebe frei wirke. 286 KD II,1,31,609. 287 S. KD II,1,31,574: Nach Barth gibt es „eine Erhçrung des Gebetes […] für die, die an ihn [Gott] glauben dürfen und wollen, daß Gott also der ist und als der erkannt sein will, der das Gebet des Glaubens erhören will und wird.“ S. aber auch KD III,3,49,323: „Es gibt […] ein unbegreifliches Erhören sogar der sündigen Kreatur.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
bedeute Souveränität und unveränderliche Lebendigkeit, und als solche verlange sie sogar die bestimmende, aktive Einflußnahme des Menschen auf Gott durch das Gebet.288 Gegen Schleiermacher hält Barth fest, das Gebet sei nicht bloß als angeblich erhabenes „Selbstgesprch“ zur „Selbsthilfe“ zu verstehen.289 Denn, anders als Schleiermacher annehme, sei die „Mitbestimmung des göttlichen Tuns durch ein menschliches […] dem souveränen Wesen Gottes und der schlechthinigen Abhängigkeit aller von ihm verschiedenen Wirklichkeit“ nicht zuwider.290 Gerade darin zeige sich vielmehr die Größe der freien Allmacht und der ewigen, unveränderlichen Lebendigkeit Gottes, daß dieser sich durch sein Geschöpf „so oder so bestimmen lassen“ und „dem Bitten seines Geschöpfes Raum geben kann in seinem Willen.“291 Unter Erhörung ist nach Barth dementsprechend „die Aufnahme und Hineinnahme des menschlichen Bittens in den Plan und Willen Gottes und also das der menschlichen Bitte entsprechende göttliche Reden und Tun“292 zu verstehen. Allerdings bedeute die Bestimmung Gottes durch das menschliche Geschöpf und dessen „geschöpfliche Einwirkung“ auf den Plan Gottes nicht, daß dieser „das Heft auch nur einen Augenblick aus der Hand [gibt]“.293
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Das ist die Gnade Gottes gegenüber dem sündigen Menschen, daß er gerade ihm als erhörlicher Gott begegnet“. Fraglich ist, wie es nach Barth möglich sein kann, daß der sündige Mensch zu Gott betet, obwohl er diesem nach Barth gar nicht offenbar ist. S. KD II,1,31,574: Es sei „auch das eine Gestalt seiner Souveränität und also seiner unveränderlichen Lebendigkeit: daß er auf das Gebet des Glaubens nicht nur hören, sondern es erhçren will, daß er dem Glauben solches Gebet, das auf Erhörung wartet, nicht nur erlaubt, sondern geboten hat.“ S. auch KD III,3,49,323: „Gerade seine Souveränität ist so groß, daß sie auch diese Möglichkeit und in ihrer Ausübung auch diese Wirklichkeit umfaßt: daß das Geschöpf aktiv bei seinem Walten dabei sein und mittun darf.“ Nach Barth gibt es eine durch Gottes „ewige Aktivität geplante, gewollte und geforderte, ermöglichte und verwirklichte und in ihr eingeschlossene geschöpfliche Einwirkung auf die Gestalt und Ausführung seines Wollens und Tuns.“ Fragmente, 168. „So, als einen, den höchsten, intimsten Akt menschlicher Selbsthilfe hat Schleiermacher, haben aber auch Andere das Gebet verstanden.“ (ebd.) Fragmente, 169. KD III,4,53,120. „Wenn es einen kümmerlichen Anthropomorphismus gibt, dann die Zwangsvorstellung von der Unveränderlichkeit Gottes, die es ausschließe, daß er sich durch sein Geschöpf so oder so bestimmen lassen könne!“ KD III,4,53,117. KD III,3,49,323. Nach Barth will Gott das Weltgeschehen nicht derart „erhalten, begleiten und regieren […], daß er nicht auf sie [v.a. die menschliche Kreatur] hçrte, daß er sich, indem er allein Alles bestimmt, nicht auch durch sie bestimmen ließe.“ (ebd.)
III. Gottes Wirklichkeit und seine Eigenschaften
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Nach Barth sind Gottes Allmacht und Souveränität derart zusammenzudenken, daß einerseits die allmächtige Herrschaft Gottes und die schlechthinnige Abhängigkeit der Schöpfungswirklichkeit sowie andererseits die Freiheit des Handelns Gottes und auch des Menschen in der Welt gewährt sein müssen. Das Handeln Gottes, das sich durch unveränderliche Souveränität und ewige Allmacht auszeichne, soll nach Barth mit dem Handeln des Menschen, welches durch Abhängigkeit und mögliche Einflußnahme auf das göttliche Handeln charakterisiert sei, in einem gewissen wechselseitigen Verhältnis stehen. Weil nach Barth der allmächtige Gott die geschaffene Wirklichkeit insgesamt nach seinem ewigen „Einheitsplan“ zu ihrem einen Ziel führt,294 ist zu klären, inwieweit demnach das einzelne, individuelle, situationsbezogene Gebet, das im Rahmen dieses Plans erhört werden soll, tatsächlich Gottes Plan und Willen beeinflussen kann. Wenn in einzelnen Situationen und bei bestimmten Sachverhalten das Gebet des Menschen erhört und durch Gottes Wirken das Erbetene umgesetzt werden können soll, dann muß vorausgesetzt werden, daß Gott wie im großen und Weltganzen, so auch das Einzelne, und zwar sogar in je besonderer Weise wirkt. Mit dieser Annahme aber wird zum einen gerade die Freiheit menschlichen Handelns im Rahmen und Raum der geschaffenen Wirklichkeit eingeschränkt, nämlich durch ein besonderes Handeln Gottes, das diesen geschaffenen Rahmen nicht achtet und übergeht. Infolge einer „rahmensprengenden“ Gebetserhörung Gottes ist nach Barth – gerade im Rahmen der geschaffenen Wirklichkeit – nicht mehr dasselbe menschliche Handeln möglich, wie wenn sie nicht erfolgt wäre; die einstigen Möglichkeitsbedingungen menschlichen Handelns sind minimiert oder gar außer kraft gesetzt durch das besondere Eingreifen des ewigen Schöpfers in die geschaffene Wirklichkeit.295 Zum anderen ist deutlich, daß Barth angesichts der von Gott selbst geschaffenen Wirklichkeit annimmt, der Plan Gottes bedürfe zu seiner Verwirklichung des Gebetes und der besonderen Gebetserhörung. Wie bereits für sein Allmachtsverständnis gezeigt worden ist,296 spricht Barth dem Schöpfungswerk Gottes ab, Ausdruck des göttlichen Wesens als solchen zu sein. Der Schöpfer zeige sich dem Geschaffenen gegenüber 294 KD III,3,49,190; s. a.a.O., 186 – 192. 295 Das menschliche Handeln müßten in Konsequenz zu Barths Beschreibung letztlich als vollständig determiniert verstanden werden. 296 S.o. III.1.2.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
vielmehr in einer Freiheit, die an die von ihm selbst gewirkte Bestimmtheit des Geschaffenen nicht gebunden ist, und wiederum sei die geschaffene Wirklichkeit nicht an ein unverbrüchliches, verläßliches Gesetz gekoppelt, welches dem Schöpfer ein freies Handeln nicht gestattete. Zugleich aber sollen nach Barth Gebete des Menschen von Gott gerade in der Weise erhört werden, daß er sie in seinen einen Plan und ewigen Willen aufnimmt. Dies setzt ein verläßlich-geplantes Heils-Handeln Gottes an der geschaffenen Wirklichkeit für die geschaffene Wirklichkeit voraus und schließt konsequenterweise die Annahme der freien, geschöpflichen Gebetseinwirkung auf Gott und seinen ewigen Plan als solchen eigentlich aus. Eine aktive Mitbestimmung des göttlichen Plans durch das Gebet des Menschen paßt nicht zusammen mit einem ewigen göttlichen Plan, der sowohl dem Gebet als auch jeglichem Handeln in der Welt immer schon denjenigen Möglichkeitsraum vorgibt, der mit den ewigen Absichten Gottes übereinstimmt. An Barths Ausführungen zum Gebet wird deutlich, daß das Verständnis von Schöpfung eine entscheidende Rolle für das Verständnis des Heilswirkens Gottes spielt. Insbesondere der Zuordnung des ewigen Planes Gottes und des geschaffenen Ganzen zum Individuellen und Einzelnen ist diesbezüglich nachzugehen. Um ein adäquates Schöpfungsverständnis zu formulieren, muß – nach Barth – berücksichtigt werden, daß der Einheitsplan Gottes „auf ein gemeinsames Ziel“, nämlich auf Gott selbst hin ausgerichtet ist. Gottes Einheitsplan verwirkliche sich jedoch „in lauter individuellen Zielen“.297 Gott selbst sorge für einen „nexus rerum et actionum und eben so immer für das Einzelne und immer für das Ganze seiner Schöpfung und in Beidem immer für seine eigene Ehre.“298 Dieser nexus rerum ist allerdings zum einen – wie gezeigt – dann nicht angemessen beschrieben, wenn bei der Erhörung eines einzelnen Gebets die dadurch direkt und indirekt betroffenen Menschen sowohl in ihrer eigenen Handlungsfreiheit eingeschränkt sind als auch sich an keine verläßlichen Folgeabschätzungen menschlichen Handelns und kreatürlichen Verhaltens halten können. Dieser nexus rerum ist zum zweiten dann nicht angemessen dargestellt, wenn die Funktion des göttlichen Plans als unverbrüchliche Leitvorgabe Gottes für das Gebet des Einzelnen nicht ernstgenommen wird. Damit wird Gottes Freiheit nicht als einheitliches, kohärentes Wollen und Wirken im Horizont der konsistenten und we297 KD III,3,49,190. 298 KD III,3,49,192.
III. Gottes Wirklichkeit und seine Eigenschaften
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sensgemäßen Eigengesetzlichkeit Gottes verstanden. Vielmehr wird, aus Sorge um Gottes Aseität, Gottes Freiheit zu bloßer Willkür degradiert. Überhaupt ist fraglich, wie Barth beim Gebet des Menschen von einer Freiheit des Menschen ausgehen kann, die Gottes Freiheit beeinflussen können soll, zugleich jedoch jegliche Freiheit des Menschen im Prozeß seines Zum-Glauben-Kommens leugnet.299 III.2.2. Das Wunder Wie die Sünde Gott selbst beleidige und das Gebet seine Erhörung finde, so sind nach Barth auch Wunder in der von Gott geschaffenen Wirklichkeit möglich. Ebenso wie Barths Sünden- und Gebetsverständnis sollen auch die von ihm angenommene Möglichkeit und Wirklichkeit von Wundern der allmächtigen Freiheit Gottes, derentwegen sich Gott selbst nicht an naturgesetzliche Ordnungen halten müsse und halte, adäquat sein.300 Als Wunder beschreibt Barth nicht nur die Offenbarung Gottes im Inkarnierten, sondern überhaupt ein Geschehen, das mit „der Regel des Kosmos der dem Menschen sonst begegnenden Wirklichkeiten“ nicht übereinstimmt und die Kontinuität des üblichen Geschehens unterbricht, aber nicht den geschöpflichen Wirkungszusammenhang überhaupt und insgesamt beseitige.301 Wunder seien Handlungsvollzüge Gottes, die „supra et contra naturam“ geschähen, die jedoch als solche ein Wirken Gottes, welches die „uns bekannten Ordnungsbegriffe“ verständlich machten, nicht ausschlössen.302 Als ausgezeichnete Wunder, als ausgezeichnete Ereignisse supra et contra naturam nennt Barth neben der Offenbarung Jesu Christi in Zeit und Raum dessen abschließende Offenbarung am Ende aller Zeiten sowie die Schöpfung Gottes am Anfang aller Zeiten.303 Allerdings ist zu be299 S. dazu u. VII.2. 300 S. dazu KD III,3,49,147: „Man mache sich nur klar, daß gerade in solchen Ereignissen [das sind: Wunderereignisse] nicht eine ’wunderliche’ Ausnahme, sondern die Regel des göttlichen Wirkens, nämlich der freie gute Wille Gottes selbst, sichtbar wird“. 301 KD I,2,13,31 und s. auch a.a.O., 15,198: Ein Wunder könne „weder aus der Kontinuität des sonstigen Geschehens in dieser Welt verstanden werden“ noch sei es „faktisch in dieser Kontinuität begründet“. S. dazu KD III,3,49,214: Es implizierten die von Gott gewirkten Wunder als „direkt von Gott herbeigeführte Zusammenhänge geschöpflichen Wirkens und geschöpflicher Wirkungen, […] durchaus nicht deren Beseitigung“. 302 KD III,3,49,146. 303 KD III,3,49,146 f. Zum supranaturalen Charakter der Wunder Jesu s. IV,2,64,235.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
merken, daß gerade die Erschaffung der Welt nur dann als Wunder im Sinne Barths gedeutet werden kann, wenn bereits vor dem Dasein der Welt eine „Natur“ bestanden hat, über die hinaus und gegen welche die Welt erschaffen wurde (supra et contra naturam!). Das hat entscheidende Auswirkungen auf Barths Schöpfungsverständnis: Eine creatio ex nihilo kann unter der Voraussetzung der wunderbaren Weltentstehung konsequenterweise nicht mehr angenommen werden.
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf Was den dogmatischen Topos der Schöpfung anbelangt, ist an Barths Kirchlicher Dogmatik auffallend und eigenartig, daß er diesen Topos im Unterschied zu den Topoi der Inkarnation und der Geistausgießung in seinen Prolegomena nicht gesondert aufführt. Von Gott dem Schöpfer handeln die Prolegomena nur in einem Unterabschnitt zum dreieinigen Gott.304 Erst ab §40 widmet sich Barth dem Werk der Schöpfung, dem Geschöpf und seinem Schöpfer. Entscheidend für Barths Beschäftigung mit dem Schöpfungstopos ist sein bereits in den Prolegomena sowie in §40 dargestellter Zugang zu diesem Thema: Barth behandelt Gottes Schöpfung vornehmlich im Anschluß an den Schöpfungsbericht in Genesis 1 bis 3 und – im Gegensatz zu Schleiermacher305 – unter Ausschluß jeglicher naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.306 Die dogmatische Auseinandersetzung mit der Schöpfung setze vielmehr den Glauben an Jesus Christus voraus, weil – wie gezeigt – Jesus Christus als das Wort Gottes in ontischer Weise die gesamte Schöpfung begründe. Weil Gottes Weisheit durch Gottes Wort in der Schöpfung gegenwärtig sei, werde allein in der Person Jesu Christi die Wirklichkeit der Schöpfung „klar und gewiß erkannt“.307 304 S. KD I,1,10,404 – 410. 305 S. Schleiermacher-Kapitel, II.1. 306 S. KD III,1,Vorwort: „Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muß sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft […] ihre gegebene Grenze hat.“ 307 KD III,1,40,29. „Jesus Christus ist darum das Wort, durch das uns die Erkenntnis der Schöpfung vermittelt wird, weil er das Wort ist, durch das Gott die Schöpfung vollzogen hat und durch das er sie fort und fort erhält und regiert.“ (ebd.) – Der Satz von Gott dem Schöpfer Himmels und der Erde kann nach Barth nur auf Grund der Offenbarung Jesu Christi im Glauben angenommen werden. Gott der Schöpfer sei keineswegs identisch mit dem Begriff eines „postulierten oder erschlossenen oder erfühlten Weltgrundes.“ (KD III,1,40,10)
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Der Einsicht in Gottes Schöpfung muß nach Barth der Glaube an Jesus Christus vorausgehen. Weil Jesus Christus als das Wort Gottes „geradezu der Schlüssel zum Geheimnis der Schöpfung ist“, sei „die Erkenntnis der Schöpfung, des Schöpfers und des Geschöpfs eine Glaubenserkenntnis“.308 Der Glaube an Jesus Christus, die Anerkenntnis seiner Offenbarung gewährt nach Barth die Erkenntnis von Schöpfung, Geschöpf und Schöpfer. Als geschaffen oder vielmehr als überhaupt seiend erkenne das menschliche Geschöpf sich erst im Glauben an Jesus Christus, der in seiner Person Schöpfer und Geschöpf vereine.309 Denn erst, wenn der Schöpfer selbst bekannt gebe, „daß wir und was außer und ist, seine Geschöpfe sind“, dann könnten „wir in gesicherter Erkenntnis auch selbst sagen, daß wir sind, daß etwas ist.“310 Die Erkenntnis des eigenen Daseins ist also daran gebunden, daß Gott selbst außer der Schöpfung auch das Wunder des Zum-GlaubenKommens, das Wunder der Neuschöpfung angesichts des inkarnierten Gottessohnes wirkt. Und insofern fallen nach Barth für den Menschen Schöpfung und Neuschöpfung in eins. Die Neuschöpfung des Menschen, verstanden als Wendepunkt im Erkenntnisprozeß des Menschen, ist nach Barth unabdingbare Voraussetzung dafür, daß der Mensch sein eigenes Dasein und Sein erkennt.311 Erkenntnis darüber, daß die menschlichen Geschöpfe und die Schöpfung insgesamt überhaupt sind, kann nach Barth nicht ein unmittelbares Selbstbewußtsein „setzen“, sondern allein Gott selbst mit seiner „Selbstkundgebung“ in Jesus Christus aussagen und vermitteln.312 IV.1. Schöpfung und Bund In Parallele zum Erkenntnisprozeß des Menschen ordnet Barth Gottes Rettung des sündigen Geschöpfes und dessen Bewahrung vor dem Nichtigen durch das fleischgewordene Wort Gottes der Schöpfung dieses Geschöpfes vor.313 Das fleischgewordene Wort ist nach Barth „der echte 308 309 310 311 312 313
S. dazu o. Anm. 6. S. dazu auch Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 82/83. S. KD III,1,40 (Leitsatz). KD III,1,42,397. S. KD III,1,42,397. KD III,1,42,399. S. KD III,1,41,53: „Im Blick auf diesen seinen Sohn, der Mensch und Träger der menschlichen Sünde werden sollte, hat Gott den Menschen und mit dem Menschen seine ganze Welt von Ewigkeit her, noch ehe er sie schuf, geliebt, trotz und in ihrer ganzen Niedrigkeit, Nicht-Göttlichkeit, ja Wider-Göttlichkeit – und er hat
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Realgrund der Schöpfung“.314 Denn allein durch das fleischgewordene Wort werde die ewige Bundesabsicht Gottes realisiert und zu eben diesem Zweck und Ziel nur sei die Welt geschaffen. Die Schöpfung ist nach Barth das Mittel, durch das Gott seine Gnadenzuwendung verwirklichen und seinen Bund realisieren könne. Als solches ist sie „nicht selbst der Bund“.315 Die Schöpfung, die geschaffene Natur ist nach Barth mit der Gnade, die der Schöpfer durch seine Bundesstiftung dem Menschen zukommen lasse, nicht identisch. Doch als „notwendige Vorbereitung“ für Gottes gnädiges Handeln an seinen Geschöpfen sei sie allerdings „selbst schon Gnade“.316 Als notwendig für Gottes Gnadenzuwendung erachtet Barth die Schöpfung, weil sie dem gnädigen Handeln Gottes an seinen Geschöpfen in materialer und geschichtlicher Hinsicht vorausgesetzt sein müsse. Gott könne seinen Bund, den zu verwirklichen der „innere Grund“ der Schöpfung sei, nur mit seinen Geschöpfen als geschaffenen und im Bereich der Schöpfung tatsächlich realisieren. Die Bundesabsicht selbst habe ihren Grund in Gottes freier Liebe „ganz allein“,317 und entsprechend ist Gottes Streben nach Verwirklichung des Bundes als seine Wesensäußerung zu deuten. Die Erfüllung dieses Strebens verlangt nach Barth notwendig die Schöpfung der Welt. Der Bund Gottes oder genauer Gottes ewiger Bundeswille sei der Schöpfung formal und sachlich vorrangig und verlange als solcher notwendig ihre Realisation. „Man darf hier [im Blick auf die Schöpfung] ruhig von einer notwendigen Konsequenz reden, den Vorbehalt der Freiheit Gottes an dieser Stelle also fallen lassen.“318 Weil Gott die Verwirklichung des Bundes durch die Menschwerdung des Gottessohnes in seinem ewigen Ratschluß beschlossen habe, deshalb „mußte er Schöpfer sein.“ Seine ewige Liebe zur Welt und den Menschen, die sich niemals anders als im Heilshandeln durch den Menschgewordenen habe äußern wollen, habe ihm die Schöpfung notwendig gemacht und aufgenötigt.319 Wie die Darstellung zeigt, unterscheidet Barth zwischen der Inkarnation des Gottessohnes und der Schöpfung der Welt, und zwar derart, daß er die Schöpfung als notwendige Folge der inkarnatorischen Absicht
314 315 316 317 318 319
sie geschaffen: darum, weil er sie liebte in seinem eigenen Sohn, welcher als der wegen ihrer Sünde Verworfene und Getçtete vor seinen ewigen Augen stand.“ KD III,1,41,54. S. KD III,1,41,106; s. auch a.a.O., 262. KD III,1,41,107. KD III,1,41,106/107. KD III,3,49,91. S. KD III,1,41,54.
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Gottes beschreibt. Es ist dabei jedoch fraglich, wieso der dreieinige Gott ausgerechnet die „Mensch“werdung des Gottessohnes, den Eingang Gottes in den weltlichen Raum und die irdische Zeit von Ewigkeit her beschlossen haben soll, aber erst infolge dieser Absicht die raum-zeitlich verfaßte Schöpfung und insbesondere die Wirklichkeit der menschlichen Geschöpfe gewollt und geschaffen haben soll. Konsequenterweise müßten vielmehr die Bundes- und die Schöpfungsabsicht von Ewigkeit her zugleich und in Einheit den Willen Gottes erfüllt haben. Die Uneinigkeit, aber Verbundenheit von Bund und Schöpfung, die Barth annimmt, versucht er dadurch angemessen zu beschreiben, daß er dem Bund als dem „inneren Grund“ der Schöpfung die Schöpfung als den „äußeren Grund“ des Bundes gegenüberstellt. Der Bund sei der Schöpfung formal wie sachlich vorgeordnet, sie aber begründe in materialer und geschichtlicher Hinsicht den Bund.320 Diese Verschränkung von Bund und Schöpfung sowie die äquivoke Verwendung von „Grund“ macht im Kontext der Kirchlichen Dogmatik jedoch nur insofern Sinn, als unter „Bund“ die Wirklichkeit des Bundes im ewigen Ratschluß Gottes, unter „Schöpfung“ hingegen die Wirklichkeit von Geschaffenem in Raum und Zeit verstanden wird. Damit ist aber deutlich, daß nach Barth der Bund, verstanden als der ewige Heilswille Gottes, in Hinsicht auf die Schöpfung die hinreichende Bedingung bildet. Die Schöpfung jedoch ist die zeitlich und räumlich begrenzte, bloß notwendige Bedingung zur Verwirklichung des ewigen Bundes in Raum und Zeit, die auch nur deshalb als notwendig gilt, weil die Liebe des dreieinigen Gottes Gott den Schöpfer zum Schöpferwirken genötigt habe.321 „Indem die Liebe Gottes sich an jenem ewigen Bunde als solchem nicht begnügen, indem sie ihn vollstrecken, indem sie ihm also außerhalb des göttlichen Bereiches Gestalt geben wollte, machte sie selbst diesen äußeren Grund des Bundes, die Existenz und das Wesen des Geschöpfs und also die Schöpfung notwendig.“322
Die Schöpfung ist nach Barth im Unterschied zum Bund keine Wesensäußerung des in Freiheit Liebenden, sondern zur Verwirklichung des Bundes notwendig als die notwendige Bedingung, die Gott seiner Liebe
320 S. KD III,1,41,262. 321 S. dazu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 74. Härle bietet eine Problemlösung für Barths uneindeutige und ungenaue Wortwahl und Beschreibung an, die Barths Uneindeutigkeit auszugleichen versucht. 322 KD III,1,41,107.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
wegen aus seinen Möglichkeiten habe wählen mðssen. Deshalb müßte sie eigentlich als – von Gottes Liebe selbst – erzwungen beschrieben werden.323 Barths Bestimmung der Schöpfung als notwendiger Konsequenz der Liebe Gottes paßt zusammen mit der Zuordnung, die er in Hinsicht auf das Verhältnis zwischen dem Wesen Gottes als solchem und dem Wesen Gottes als dem Wirkenden vornimmt. Denn die Liebe Gottes oder der Bundeswille des dreieinigen Wesens kann nach Barth nur dann in einem bestimmten göttlichen Schöpferwirken dem Menschen offenbar werden, wenn dies freie Wirken Gottes dem dreieinigen Wesen verpflichtet ist. Dies impliziert allerdings gerade nicht, daß das Schöpferwirken Gottes als ein Wesensausdruck Gottes verstanden werden darf. Das Schöpferwirken ist in Barths Darstellung vielmehr das vom Wesen Gottes geforderte und also nicht ein mit diesem unmittelbar verbundenes Wirken Gottes. Barth nimmt zwar an, daß grundsätzlich für Gott eine Notwendigkeit zur Schöpfung nicht bewiesen werden könne. Es könne „nicht gezeigt werden, daß Gott die Welt schaffen mußte, daß diese also von Gott her gesehen notwendig existiert und ihr Wesen hat“.324 Barth bemerkt dies jedoch nicht mit der Absicht, die Schöpfung als freie Wahl und Wesensäußerung Gottes darzustellen,325 sondern, um festzuhalten, daß allein in dem Glauben, welcher auf der Menschwerdung Gottes gründet, die Schöpfung als Konsequenz, und zwar als notwendige Konsequenz des Heilswillens Gottes anerkannt werden könne.326 Auch im Glauben sei sie zwar nicht als Äußerung des Wesens Gottes, aber als indirekte und notwendige Folge der Liebe und Gnade Gottes deutlich.327 323 Hier ist ein Widerspruch in der Beschreibung festzuhalten, der – gegen Härle – auch nicht durch die Annahme aufgelöst wird, Gott habe sich in seiner innertrinitarischen Liebesgemeinschaft frei für den Bund entschieden und nur in Folge dieser freien Entscheidung habe er die Welt notwendig schaffen müssen. Denn die Inadäquanz im Handeln Gottes, das zunächst aus Freiheit und dann aus Notwendigkeit geschehen soll, bleibt dabei bestehen. S. dazu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 72. 324 KD III,1,40,3. 325 S. KD III,1,42,378: Schöpfung sei zwar „dem Wesen Gottes gemäße Setzung der von Gott verschiedenen, aber von ihm gewollten Wirklichkeit.“ Doch sei sie „seines eigenen Wesens nicht teilhaftig“ (a.a.O., 379), „vor der Welt ist Gott, schlechthin anderen, eigenen Wesens ihr gegenüber“ (KD III,1,40,5). 326 S. KD III,1,40,10. 327 Nach Barth ist es „freie Gnade, Überströmen seiner Liebe, daß er [Gott] unser Schöpfer und Herr sein wollte“ (KD IV,1,57,41) – Obige Interpretation macht im Unterschied zu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 72 deutlich, daß „die Unabhängigkeit Gottes der Welt gegenüber“ (ebd.) durch Barths Beschreibung sehr
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Als notwendige Konsequenz der Liebe Gottes sind nach Barth die Schöpfung wie auch die menschlichen Geschöpfe als solche nur insofern auf Gottes Liebe, und das heißt hier: auf das Wesen Gottes, bezogen, als sie die „Voraussetzung“ und den „Gegenstand“ der Liebe (das „Geliebte“) darstellten, welcher als solcher jedoch nicht zugleich schon geliebt werde. „Die Existenz und das Wesen des Geliebten ist ja nicht identisch mit seinem Geliebtwerden.“328 Geliebt werden nach Barth Gottes Geschöpfe erst bei der raum-zeitlichen Verwirklichung des ewigen Bundes Gottes, den dieser „bei sich selber als Bund des Vaters mit seinem Sohn als Herrn und Träger der menschlichen Natur und insofern als Vertreter der ganzen Kreatur beschlossen hat“ und auf Grund dessen die Geschöpfe insgesamt und von Ewigkeit her zu Bundespartnern Gottes bestimmt seien.329 Weil sie aber von Ewigkeit her zu Bundespartnern Gottes bestimmt seien und ihre Existenz der Liebe Gottes verdankten, nennt Barth sie die Geliebten Gottes.330 Eigentlich „brauchte der Mensch nicht erst geschaffen, geschweige denn zum Sünder zu werden […], um für Gott und vor ihm da zu sein, von wohl in Frage gestellt, ja verneint ist. Denn die Schöpfung wird von Barth nicht als unmittelbare Wesensäußerung des gnädigen Gottes, sondern als sein notwendiges Wirken beschrieben. Zum zweiten ist von Barth die Nichtbeweisbarkeit davon, daß Gott die Welt schaffen mußte, nicht für Gott selbst, sondern im Blick auf die Differenz zwischen Glaubensbekenntnis und Erkenntnismöglichkeit des Unglaubens ausgesagt. Dem Unglauben könne nicht bewiesen werden, daß Gott die Welt schaffen mußte; „es kann von der Welt her nicht gezeigt werden, daß sie, weil von Gott geschaffen, weil von ihm her notwendig existierend und in ihr Wesen gesetzt, keine Illusion […] ist“ (KD III,1,40,3). 328 „Die Existenz und das Wesen des von Gott gewollten und gesetzten Geschöpfs ist der Gegenstand und insofern die Voraussetzung seiner Liebe.“ „Die Existenz und das Wesen des Geliebten ist [… aber] nicht identisch mit seinem Geliebtwerden.“ „So ist der Bund das Ziel der Schöpfung, die Schöpfung der Weg zum Bunde.“ (KD III,1,41,106) 329 KD III,1,41,107. 330 KD III,1,41,106/107. Im Unterschied zu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 128/ 129 wird in der obigen Interpretation festgehalten, daß Barth, indem er das Geliebte vom Geliebtwerden unterscheidet auf die von ihm angenommene entscheidende Differenz zwischen Bund und Schöpfung abhebt. Als das „Geliebte“ ist vornehmlich das Geschöpf bezeichnet, dem es nach Barth als solchem nicht schon zugleich zukommt geliebt zu werden und tatsächlich und wirklich Gottes Bundesgenosse zu sein. Entsprechend ist nach Barth – anders als Härle annimmt – das Geliebtwerden nicht „die Wirklichkeit, die die Existenz und das Wesen des Geliebten begründet“ (a.a.O., 129). Vielmehr ist nach Barth das Geliebte notwendige Konsequenz der Liebe Gottes, die einen Gegenstand fordert, um diesen dann lieben zu können.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
ihm geliebt zu werden und ihn wieder zu lieben.“331 Das Gnadenwirken Gottes, das im „Geliebtwerden“ der Geschöpfe bestehe, setzt nach Barth weder das Geschaffensein des Menschen noch auch den sündigen Zwischenfall voraus. Doch sei faktisch und – nach christlichem Glauben – auch notwendig die Schöpfung samt allen Geschöpfen geschaffen worden als der „Schauplatz“ zur Verwirklichung des Bundes;332 sie sei „seine technische Ermöglichung, die Bereitstellung und die Ausstattung des Raumes, in welchem die Begründung und Geschichte des Bundes sich abspielen, des Subjektes, das in dieser Geschichte Gottes Partner sein, kurz, der Natur, der sich Gottes Gnade in dieser Geschichte annehmen und zuwenden sollte.“333 Weil wie die Schöpfung so auch die Sünde faktisch real geworden sei, ist nach Barth das dem Gnadenhandeln Gottes faktisch vorausgesetzte Objekt (Welt, Mensch) des Gnadenhandelns (Geliebtwerdens) nicht (mehr) dazu befähigt, das göttliche Gnadenhandeln zu empfangen. Weder die Welt insgesamt noch die menschlichen Geschöpfe sind nach Barth derart beschaffen, daß sie als solche Gottes Gnadenhandeln empfangen könnten. Gottes Gnadenhandeln oder genauer das Versöhnungshandeln Gottes könne in Folge der Sünde nicht in Anknüpfung an geschaffene Möglichkeiten wirksam werden.334 Welt und Mensch böten jedoch fortwährend Raum und Material für das versöhnende Wirken Gottes. Denn, weil die Schöpfung als notwendige Konsequenz aus dem Heilswillen Gottes und als Schauplatz seiner Realisation entstanden sei, ist nach Barth konsequenterweise die Schöpfung insgesamt wie die menschliche Natur auch immer schon auf die Gnade Gottes hin geschaffen und zum Bund mit Gott „bestimmt und disponiert. Es gibt keine Eigentümlichkeit des Menschen und der Welt, die nicht als solche eben auf diesen Bund hinzielte.“335 Als dieses zum Heil geschaffene Geschöpf ist nach Barth der 331 KD IV,2,64,34. S. dazu KD III,3,48,3: Nach Barth wäre Gott „nicht weniger Gott, auch wenn das Werk der Schöpfung nie geschehen, auch wenn keine Kreatur wäre“. S. auch KD IV,2,64,386: „Dieser Gott braucht uns nicht. Dieser Gott genügt sich selber. Dieser Gott ist in sich selbst selig.“ 332 KD III,3,48,55: „Der geschaffene Kosmos mit Inbegriff des Menschen oder der Mensch inmitten des geschaffenen Kosmos ist dieser Schauplatz der großen Gnaden- und Heilstaten Gottes.“ S. auch KD III,1,41,47: Gottes Herrschaft spiele sich ab „in der Menschheit und Welt, die Gottes Geschöpf und also sein Eigentum und als solches der Gegenstand, der Schauplatz und das Werkzeug seiner Taten ist.“ S. auch KD IV,3,69,155. 333 KD III,1,41,107. 334 S.o. I. und im folgenden. 335 KD III,1,41,106; s. dazu a.a.O., 261.
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Mensch durch den Schöpfer sehr gut geschaffen und entsprechend von Gott und vor Gott auch „gerechtfertigt“.336 Für das versöhnende Gnadenhandeln Gottes ist nach Barth in Folge der Sünde das geschöpfliche „Material“ als solches nicht mehr speziell qualifiziert. Deshalb vollziehe der Versöhner an Mensch und Welt, welche er zur Realisation seines Bundes geschaffen habe, eine Wandlung, die einer neuen, zweiten Schöpfung gleichzusetzen sei. Der Welt insgesamt werde eine Macht zum Zeugnis und zur Verkündigung der Ehre Gottes verliehen, welche sie zuvor nicht besessen habe.337 Dem Menschen werde ein Vermögen geschaffen, mit welchem er nun erst die Offenbarung Gottes empfangen könne.338 Ihrer qualitativen Neuerung gemäß bezeichnet Barth die durch die Versöhnung bedingte Veränderung der geschaffenen Welt und insbesondere die Verwandlung des menschlichen Geschöpfes als Neuschçpfung, „totale Veränderung“ oder auch als „radikale Veränderung“.339 Mit diesen Ausdrücken hält er fest, daß zwischen dem Handeln Gottes als Schöpfer und seinem Handeln als Bundesherr eine qualitative Differenz mit geradezu trennendem Charakter besteht. Durch das Gnadenhandeln Gottes werde nicht das in der Schöpfung und dem geschöpflichen Sein selbst angelegte Qualitätsmaximum verwirklicht, vielmehr bestehe die Besserung der Welt darin, daß durch das Handeln Gottes als Bundesherr, welches in einem „anderen Buch“340 geschrieben stehe als sein Schöpferhandeln, der Bund mit dem Menschen tatsächlich zustande komme.341 Entsprechend dieser Zweiteilung des göttlichen Handelns in ein Handeln Gottes als Schöpfer und als Bundesherr ist nach Barth das Verhältnis Gottes zum Menschen durch zwei Gnaden bestimmt, durch „die Gnade des Bundes“ und die Gnade der „Erschaffung“.342 Diese Zweiteilung aber stellt – gegen Barths Intention – Gottes Weisheit oder genauer die Bedeutung des Wortes Gottes in Frage. Denn insofern Gottes schöpferisches Wirken ebenso wie die Verwirklichung des Bundes durch das (menschgewordene) Wort Gottes vollzogen wird, dieses aber eines ist, muß das göttliche Gnadenhandeln ebenfalls als eines, als die eine und ewig 336 337 338 339 340 341
S. KD III,1,42,418/419. Zur Rechtfertigung des Geschaffenen s.u. IV.3. S. KD IV,3,69,156.187. KD IV,3,71,585. KD IV,3,71,584 und KD III,3,48,5; s auch a.a.O., 69,156. KD III,4,56,662. S. KD III,1,42,419: „Besser als das geschöpfliche Sein ist nur das Ziel des Bundes, für das das Geschöpf in und mit seiner Erschaffung bestimmt ist.“ 342 KD III,2,46,420.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
vorhergewußte Zuwendung Gottes zu seinen menschlichen Geschöpfen beschrieben werden. Barths Leugnung einer geschöpflichen Fähigkeit zum Empfang der Offenbarung Gottes und sein gleichzeitiges Festhalten daran, daß Mensch und Welt zur Verwirklichung des Heilswillens Gottes geschaffen sind, soll deutlich machen, daß der Bund des Menschen mit Gott nur von Gott her gewährt wird. Allein von seiten Gottes steht nach Barth fest, daß die menschliche Natur und die Natur insgesamt dem ewigen Ratschluß gemäß für den Empfang des Heils disponiert sind.343 Von seiten des (sündigen) Menschen jedoch bestehe für den Heilsempfang keine geschaffene Potentialität und ein Wissen um das Heilswirken Gottes eigne den menschlichen Geschöpfen erst vermittelst der wunderbaren, schöpferischen Offenbarung Gottes in seinem fleischgewordenen Wort. Deshalb sei und bleibe das menschliche Geschöpf auf das freie und schçpferische Gnadenwirken Gottes beständig angewiesen. Diese Abhängigkeit des Geschaffenen von einem erneuten, zweiten schöpferischen Handeln Gottes belegt Barth mit der angeblichen Unvereinbarkeit von Gottes Gnadenund Gottes Schöpferhandeln, welche entscheidende Bedeutung für sein Trinitätsverständnis und sein Verständnis von Einheit, Allmacht und Liebe Gottes hat.344 An der Unvereinbarkeit von Gottes Gnaden- und Schöpferhandeln hält Barth (dennoch) fest, weil nur so die Fleischwerdung des Wortes Gottes wie auch das Zum-Glauben-Kommen eines jeden einzelnen Menschen als die Wunder, welche sie seien, verstanden und dargestellt werden könnten. IV.2. Bund und Sünde Für Gott bestehe – dem ewigen Heilswillen Gottes gemäß – der Bund mit dem Menschen bereits „von der Erschaffung des ersten Menschen, ja der ganzen Welt, ja von Gottes Ewigkeit her.“345 Zugleich hält Barth unter Verweis auf den zweiten Schöpfungsbericht im Buch Genesis fest, daß es eine Zeit gegeben habe, in der Gott „noch nicht“ im Bund mit dem 343 S.KD III,4,56,654; s. dazu a.a.O., 654 – 664. 344 S. dazu u. V. 345 KD III,2,47,650. S. dazu KD IV,1,57,37: Barth geht aus von einer „schon in und mit der Schöpfung tatsächlich vollzogenen Bundesstiftung“ zwischen Gott und dem Menschen.
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Menschen gestanden habe. Es sei dies die Zeit des „noch nicht in Sünde gefallenen Menschen und seiner Welt“ gewesen. In jener Zeit sei der Mensch geschaffen worden „in der Eigentlichkeit, deren er dann verlustig gegangen ist.“346 Diese beiden Aussagen über den Beginn des Bundes passen insofern zusammen, als nach Barth die ewige Heils- und Bundesabsicht Gottes oder genauer der ewige Bund, den Gott Vater und Gott Sohn miteinander von Ewigkeit her eingegangen seien, von der Realität des Bundes für den Menschen zu unterscheiden ist. Für den Menschen beginnt nach Barth die Zeit des Bundes mit der Fleischwerdung des Wortes Gottes.347 Die Erscheinung Jesu Christi in der Schöpfung aber sei wie der Bund selbst von Ewigkeit her von Gott beschlossen gewesen. Die versöhnende Menschwerdung Christi sei der Schöpfung und der Vorsehung348 Gottes „sachlich vor- und übergeordnet“.349 Die Erfüllung des Bundes durch die Erscheinung des Menschgewordenen ist nach Barth die „Vollstreckung der Absicht, in der Gott die Geschichte schon in und mit der Schçpfung und also in und mit dem Beginn der Zeit überhaupt anfangen ließ.“350 Nach Barth ist die Fleischwerdung des Wortes Gottes von Ewigkeit her beabsichtigt zur Verwirklichung des von Gott ewig vorherbestimmten Bundes auf seiten der menschlichen Geschöpfe in Raum und Zeit. Dabei werde die Realisation des Bundes zum einen in Unabhängigkeit gegenüber der Schöpfung vollzogen. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes sei ein „von der Schöpfung verschiedener göttlicher Herrschaftsakt“. Denn die „Entwicklungsmöglichkeiten“ der Schöpfung ließen die Fleisch-Werdung nicht zu.351 Zum zweiten sei die Realisation des Bundes durch die Menschwerdung des Gottessohnes nicht als von Ewigkeit her beschlossene Folge der Sünde und deren angebliche Störung des Willens Gottes zu verstehen. „Nicht erst um jene Störung seines Willens aus dem Felde zu schlagen, nicht erst in dieser polemisch-irenischen Behauptung und Bereinigung seines Verhältnisses zum Menschen und damit zu der ganzen von ihm geschaffenen Welt gegenüber dem Auf- und Einbruch der menschlichen 346 347 348 349 350
KD III,1,41,79. S. KD III,1,41,79. S. dazu KD III,3,48,3. KD IV,1,57,49. KD III,2,47,572; die Menschwerdung des Sohnes Gottes sei bereits „im Ratschluß Gottes vor der Schöpfung und also vor aller Zeit“ beschlossen gewesen (a.a.O., 573). 351 KD I,2,15,147 und I,2,13,41.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Sünde wollte Gott Mensch werden und ist er es tatsächlich geworden.“352 Vielmehr habe er von Ewigkeit her durch seine Menschwerdung seinen Bund mit dem Menschen verwirklichen wollen, und dieser Heilsabsicht stehe die Sünde als der „Inbegriff des Nicht-Notwendigen, Nicht-Ordnungsmäßigen, alles Sinn- und Planwidrigen“ gerade entgegen.353 Allerdings jedoch habe Gott angesichts des Sündenfalls, den er auch schon vorausgesehen habe, die Menschwerdung Christi diesem sündhaften Zwischenfall faktisch entgegengesetzt. „Jesus Christus ist faktisch Gottes Replik auf des Menschen Sünde.“354 Replik Gottes sei sie deshalb, weil sich der Schöpfer durch die Sünde beleidigt finde und darum seine Bundesabsicht nicht nur seinem treuen Bundeswillen gemäß355 verwirklichen wolle, sondern in seiner Freiheit auch, dem Nichtigen gegenüber, das den Bund gefährde und zu zerstören trachte, sein Recht sowie das Recht der Kreatur zu behaupten und seine eigene Güte sowie die Güte seiner Geschöpfe zu bestätigen beabsichtige.356 IV.3. „creatio ex nihilo“ – „creatio contra nihilum“ Das Nichtige, das die Verwirklichung des ewigen Bundes in Raum und Zeit gefährde, ist nach Barth ein „Nebenprodukt“ („Abfallprodukt“) der Schöpfung Gottes.357 In notwendiger Konsequenz seines Bundeswillens habe der Schöpfer aus dem ihm Möglichen Möglichkeiten gewählt und verwirklicht, welche insgesamt die Schöpfung konstituierten. Nicht alles Mögliche habe der Schöpfer verwirklicht und ins Sein gebracht, sondern nur dasjenige, das seinem Willen entsprochen und für das er sich deshalb in seiner freien Liebe entschieden habe. Das bei dieser Auswahl von Gott
352 353 354 355 356
KD IV,1,57,49. KD IV,1,57,48. S.o. I.2. KD IV,1,57,49 und s. a.a.O., 48. S. KD IV,1,57,37. S. KD III,3,50,345. – S. dazu KD IV,1,57,37: „Man kann und muß also wohl die menschliche Übertretung als einen Zwischenfall und ihre Überwindung in Jesus Christus als Gottes kontingente Reaktion gegen diesen Zwischenfall verstehen. Es geschieht aber auch diese Reaktion als solche im Zug und in der Linie der im Willen Gottes von Anfang an festgelegten und im Gang befindlichen Aktion. Sie ist doch nur deren besondere Gestalt angesichts jenes Zwischenfalles.“ 357 S. dazu o. II.2.2.
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Gewählte sei als geschaffenes Sein realisiert, das dabei Verworfene aber sei als das Nichtige wirklich.358 Gottes Wahl aus Möglichem samt der Realisation der gewählten Möglichkeiten versteht Barth als „creatio ex nihilo“.359 Denn hierbei führe der Schöpfer seine auserwählten Geschöpfe aus ihrem Nichtsein in ihr raum-zeitliches Sein;360 in ihr Nichtsein kehrten sie im Tod wieder zurück.361 Die Annahme, daß das Geschöpf dem Nichtsein entstammt, bestätigt nach Barth die Einsicht des Glaubenden in sein Un-Vermögen gegenüber Gott. „Der Gerechte lebt seines Glaubens; das heißt aber, daß auch die Potentialität seines Daseins nicht in, sondern außer ihm ist. […] Gerade das menschliche Sein bestätigt also auch von dieser Seite die creatio ex nihilo.“362 Verbunden mit Barths Beschreibung der creatio ex nihilo als Wahl aus Möglichem ist Barths Annahme, daß diese Wahl die Unterscheidung des Gottgewollten vom „Nichtigen“ mit einschließt. Nach Barth schuf der Schöpfer sein Geschöpf „’aus dem Nichts’, das heißt indem er es als das, was er wollte, von dem, was er nicht wollte, unterschied, indem er ihm auf Grund dieser seiner Unterscheidung das Sein gab.“363 Die göttliche creatio muß demgemäß zugleich auch als „creatio contra nihilum“ gedeutet werden, weil nach Barth das „Nichtige“ nicht das Nichtsein, sondern die Realität des von Gott Nichtgewollten bezeichnet, welches Gott „noch vor dem Sprechen seines ersten Schöpferwortes“ verneint und abgewiesen habe.364 In Abgrenzung gegen dieses nichtgewollte, wirkliche Nichtige habe der Schöpfer seine Schöpfung hervorgebracht; nach seinem Neinwort gegenüber dem Nichtigen habe er das Jawort zu seiner Schöpfung gesprochen. 358 S. dazu u. Anm. 368. 359 S. KD I,1,11,434; s. auch KD III,2,44,182. 360 S. KD III,2,47,698: „Vor dem Sein des menschlichen Individuums wie vor dem Sein des Menschengeschlechts ist auf alle Fälle irgendwo sein Nichtsein. Und es ist auf alle Fälle dieses sein Nichtsein, von dem wir als Einzelne und im Ganzen herkommen: eben das Nichtsein, welchem wir auch entgegengehen.“ 361 KD III,2,47,770. 362 KD III,2,44,186. 363 KD III,3,49,83. 364 S. KD III,3,49,84. S. dazu KD III,3,50,406: Das Nichtige oder „Chaos“ ist nach Barth „die Wirklichkeit, die er [Gott] nicht wollte und nicht geschaffen hat und die nun doch als solche gewissermaßen den Horizont seiner Schöpfung und seines Geschöpfes bildet.“ Denn der Schöpfer habe das Chaos „noch vor dem Sprechen seines ersten Schöpferwortes verworfen und verneint, übergangen und hinter sich gelassen“.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Das abgewiesene Nichtige oder das „Chaos“, das vor der Schöpfung schon wirklich gewesen sei, ist nach Barth in Genesis 1 biblisch belegt365 und als diejenige Wirklichkeit zu verstehen, der entgegen der Schöpfer sein „opus proprium“, sein Schöpferwerk vollbracht habe.366 Gottes Schöpfung „aus dem Nichts“ ist demnach das opus proprium Gottes, das darin besteht, daß der Schöpfer in der Unterscheidung vom Nichtigen und auf Grund der Verwerfung desselben das Sein aus dem Nichtsein (Nichts) herausschafft. Zum einen bezeichnet Barth bei seiner Beschreibung der göttlichen creatio als „nihil“ oder „Nichts“ die bloß noch nicht verwirklichten Möglichkeiten Gottes, das Nicht-Sein des Wirklichen, andererseits gilt für ihn als „Nichts“ das Nichtige, und damit das, was der Schöpfer niemals verwirklichen wollte und was als Nichtgewolltes wirklich sei.367 Dabei sind das Nicht-Sein und das Nichtige nach Barth insofern miteinander verbunden, als das Nicht-Sein, das den Möglichkeitsraum Gottes ausmacht, dadurch, daß ein Teil der Möglichkeiten nicht durch Gottes Schöpferwirken verwirklicht wird, sogar noch bevor Gott seine Schöpfung erschafft, als Nichtiges wirklich ist; und so ist das Nicht-Sein auch das Nichtige dem entgegen Gott die Welt erschafft.368 Ebenso wie das Verständnis der Schöpfung als creatio ex nihilo steht nach Barth auch die creatio contra nihilum in Parallele zur Rechtfertigung des Gottlosen, welche nämlich unter Verwerfung des Nichtigen, in Überwindung der Sünde vollzogen werde.369 365 Das Nichtige ist nach Barth das, was der Schöpfer „nach der Beschreibung Gen. 1, 2 als das Chaos hinter sich ließ, ohne ihm Wesen und Existenz zu geben: Das Nichtige ist das, was nur in dieser Negativitt, die ihm durch Gottes Entscheidung zugewiesen ist […] wirklich ist, so und hier aber allerdings in seiner höchst eigentümlichen Weise wirklich, relevant und sogar aktiv ist.“ (KD III,3,49,84) 366 S. KD III,3,50,407. 367 Entsprechend läßt sich auch Barths Feststellung verstehen: Daß das Nichtige „Nichts ist, d. h. nicht ist, wäre freilich eine voreilige, verharmlosende Folgerung“ (KD III,3,50,402). – S. dazu auch Wolf Krçtke, Sünde und Nichtiges bei Karl Barth, 36 – 44. 368 S. KD III,3,49,86: „Aber was eben das Nicht-Sein zu einer Gefahr, zu einem dem geschöpflich Seienden überlegenen Feind und drohenden Verderber macht, vor dem nur Gott es bewahren kann, das ist doch offenbar nicht seine Eigenschaft als Nicht-Sein, sondern dies, daß es das von Gott dem Schöpfer nicht Gewählte, nicht Gewollte, sondern Verworfene und Ausgeschlossene ist“. – S. dazu KD III,2,47,724: Im Tod geht nach Barth der Mensch wieder seinem „Nichtsein“ entgegen, und das könne „nur bedeuten, daß wir Gott entgegengehen – demselben Gott, der uns aus dem Nichtsein ins Sein gerufen“. 369 S. dazu u. VII.1.
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Allerdings mutet die Annahme, dem Schöpferwort Gottes gehe die Verneinung des Nichtigen voraus, befremdlich an, wenn Barth – wie die Interpretation seines Trinitätsverständnisses zeigen wird370 – von der Schöpfung als einem gemeinsamen Werk des dreieinigen Gottes ausgeht. Denn träfe diese Annahme zu, wäre der Sohn Gottes als die zweite Person der Trinität und als das schöpferische Wort Gottes nicht dabeigewesen und nicht mittätig gewesen, als Gott der Schöpfer sich für seine Schöpfung und gegen das Nichtige entschied. Vielmehr lägen seinem Wirken die Realisation des Nichtigen, die Wirklichkeit von Tod und Sünde zugrunde. Das Wirken des Gotteswortes wäre also – in Parallele zur Rechtfertigung des Gottlosen – nur in der Folge des Nichtigen und als Mittel zur Überwindung von Tod und Sünde und Nichtigem verstanden, und die Schöpfung, die also erst im Gegensatz zum Nichtigen wirklich gebildet wird, nicht als grundlegendes Werk zur Verwirklichung des Heilswillens Gottes ernstgenommen. Allerdings stellt Barth die Schöpfung nicht nur in sachlicher Hinsicht der Verwerfung des Nichtigen nach, sondern ordnet sie auch in zeitlicher Hinsicht dem das Nichtige verneinenden Bundeswillen Gottes nach. Die Schöpfung, die den Anfang der „Geschichte“ Gottes mit seinen Geschöpfen bedeute und dabei selbst „Geschichte“ sei, geschehe erst „in der Zeit“.371 Es liegt nach Barth „nicht weniger als Alles daran, daß es mit dem Satz, daß Gottes Schöpfung als Geschichte in der Zeit geschieht, seine Richtigkeit hat.“372 Und einzig dadurch komme es zur „Erschaffung“ des Geschöpfes und zum „Verkehr“ zwischen ihm und dem Schöpfer, daß sich der freie Schöpfer mit seinem Geschöpf „auf eine Ebene begibt, daß er in seine Existenzform eingeht, in dieser seiner Existenzform mit ihm redet und an ihm handelt“.373 Eben dies habe der gnädige Schöpfer, als er die Zeit und in der Zeit seine Geschöpfe schuf, tatsächlich getan. Nach seiner Verneinung des Nichtigen habe der ewige Gott sich selbst in seinem Schöpferwort in die Zeit und damit in die Existenzform der Geschöpfe begeben und so seine Schöpfung geschaffen.374 Ebenso wie der Schöpfer für seine Geschöpfe, um sie zu erschaffen und um mit ihnen zu verkehren, selbst zeitlich und Zeit geworden sei, so sei der Allgegenwärtige auch Raum geworden. Entsprechend bezeichnet Barth 370 371 372 373 374
S.u. V. KD III,1,41,44 (Leitsatz) und KD III,1,41,72. KD III,1,41,74. KD III,1,41,74. S. KD III,1,41,74/75.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Raum und Zeit als die „Form des Daseins Gottes“ fðr seine Schçpfung. 375 Nach Barth muß der Schöpfer von Raum und Zeit selbst räumlich und zeitlich werden, weil er nur so seinen Geschöpfen Leben geben und ihnen begegnen könne. Insofern Barth die Erschaffung der Geschöpfe daran bindet, daß Gott mit ihnen in eben derjenigen Existenzform, welche auch ihnen zu eigen ist, verkehrt, nimmt er an, daß das göttliche Wesen nur in der „Seinsweise“ des inkarnierten Versöhners376 an ihnen wahrhaft schöpferisch handelt. Dadurch, daß der inkarnierte Versöhner, der zur Rechtfertigung des Gottlosen und zur Überwindung der Sünde in die Welt gekommen ist, sein Schöpferwort spricht, werden nach Barth Gottes Geschöpfe als wahrhaft gute Geschöpfe verwirklicht, die das Nichtige hinter sich haben. Diese Erschaffung des Geschöpfes schließt nach Barth „wie seine Verwirklichung so auch seine Rechtfertigung in sich“,377 weshalb Barth Schöpfung gleichsetzt mit Rechtfertigung: „Schöpfung ist Rechtfertigung“.378 „Schöpfung“ wie „Rechtfertigung“ bezeichnen also nach Barth das Handeln Gottes an seinen Geschçpfen in Raum und Zeit zur Verwirklichung ihrer Bestimmung zum Bund mit Gott. Die festgestellte Identifizierung von Schöpfung und Rechtfertigung, die Barth mehr oder weniger explizit vornimmt, hat ihren Grund darin, daß Barth die Erkenntnis der Schöpfung nur im Glauben an den Versöhner gegeben sieht, weil dieser das wirkliche Menschsein lebe und zu erkennen gebe, indem er den Glauben selber wirke.379 Die Folge dieser Identifizierung besteht entsprechend darin, daß als Geschöpf Gottes nur der versöhnte und glaubende Mensch verstanden zu werden scheint und die Leugnung der Versöhnung die Verneinung des eigenen Geschöpfseins (Geschaffenseins) impliziert.380 375 376 377 378 379
KD II,1,31,690. S. dazu u. V. KD III,1,42,418. KD III,1,42,420. Zum Glaubenwirken Christi s.u. VII. und zu seinem wahren Menschsein s.u. VI.1. und KD III,2,44,158 (o. Anm. 57). S. dazu Konrad Stock, Anthropologie der Verheißung, 64/65. 380 S. auch KD III,1,42,419/420: „Kann das Geschöpf von sich aus nicht wissen, daß es ist, wie sollte es von sich aus wissen, […] daß es gut sei? […] Daß es gerechtfertigt und also gut ist, darüber müßte ihm, wenn es das mit Gewißheit wissen und sagen dürfte, von daher Bescheid gegeben sein, von woher es gerechtfertigt ist.“ (S. dazu schon o. unter 0. Einführung.) Die Erkenntnis der guten Schöpfung ist nach Barth nur im christlichen Glauben gegeben: „Eben um die Erkenntnis dieser in Gottes Handeln vollzogenen Rechtfertigung des Daseins geht es im christlichen Glauben.“ (a.a.O.,442)
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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IV.4. Erhaltung Gott der Schöpfer hat nach Barth seine Schöpfung mitsamt den menschlichen Geschöpfen sehr gut geschaffen.381 Als der in Freiheit Liebende erhalte er sie in seiner freien Treue 382 und führe er sie durch ihre Bewahrung und Errettung in Jesus Christus zu ihrer Vollendung.383 Nach Barth wird in wörtlicher Übereinstimmung mit dem Schöpfungsbericht der Genesis Gottes Schöpfung von Gott selbst am sechsten Schöpfungstag beendet. Von da ab habe Gott der Schöpfer „nichts Anderes, nicht Neues“ mehr geschaffen und werde er auch nichts Neues und Anderes mehr schaffen. „Es wird sich in aller göttlichen Neuschöpfung teils um die gnädige Erhaltung und Bestätigung, teils um die gnädige Erneuerung dieser in sich fertigen und beendigten Schöpfung handeln. Ihr als solcher gilt so oder so das ganze göttliche Wohlgefallen.“384 Indem Barth jedoch festhält, daß es die „freie Treue“ Gottes sei, derentwegen der Schöpfer seine Schöpfung erhalte und um ihrer Erhaltung willen auch erneuere, verwirft er Schleiermachers Einsicht, daß der Fortbestand der Schöpfung gemäß der vom Schöpfer selbst aufgestellten Naturgesetze und im Rahmen der gottgegebenen Schöpfungsordnung (Naturzusammenhang) garantiert ist. Barth ist daran gelegen, Gottes Treue in ihrer Verbundenheit mit Gottes Freiheit deutlich zu machen. Demgemäß beschreibt er die gnädige Erhaltung seiner Geschöpfe und insbesondere des Menschen als Reihe freier Schçpfungsakte. Der Mensch werde „jeden Morgen, ja jeden Augenblick“ immer wieder neu „begründet, konstituiert und erhalten“.385 Dieses nach Barth freie Handeln Gottes sei zu unterscheiden „von einer kontinuierlichen, einer fixierten Beziehung, 381 382 383 384 385
S. KD I,2,13,48; III,1,41,240; III,3,48,60. S. KD III,3,48,61 ff. S.o. KD III,3,49,91. KD III,1,41,204. KD III,2,46,418. – Das menschliche Leben und „Selbsterleben“ in Raum und Zeit ist nach Barth an die freie, gänzlich unverfügbare „Gnadentat Gottes des Schöpfers“ gebunden. Die Dauer eines Menschenlebens sei abhängig davon, daß der Schöpfer Augenblick um Augenblick dem Menschen seine Gnade unmittelbar zuwende. Als Seele seines Leibes sei der Mensch „immer unmittelbar von Gott her“, welcher also beständig neu sein „Lebendigmacher“ sei (KD III,2,46,424). Das fortwährende Ereignis der Lebensgabe wirke Gott, der Lebendigmacher durch die Gabe seines Geistes, die er „immer wiederholen muß, wenn der Mensch leben soll“ (KD III,2,46,431). Auch für die Tiere müsse von einer beständigen Wiederholung dieses Ereignisses zu ihrem Lebenserhalt ausgegangen werden.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
von den Wirkungen, die man einem [sogenannten] höchsten Wesen zuzusprechen pflegt.“386 Es bleibe allein der gnädigen Freiheit des in Jesus Christus offenbarten Schöpfers überlassen, in jedem Moment neu den Menschen „in immer neuem Schöpfungsakt“ zu erhalten oder nicht.387 Allerdings dürfe dies erhaltende Handeln Gottes nicht als ständig neues Erschaffen von geschöpflichem Leben aus Nichts verstanden werden. Andernfalls wäre die Vollkommenheit der ersten Erschaffung anzuzweifeln und die Identität des menschlichen Geschöpfes wie die Kontinuität seines Daseins wären nicht gewahrt.388 Die erhaltende Tätigkeit Gottes, die als solche schöpferisch sei, dürfe nicht mit Gottes Erschaffung des Menschen und der Welt verwechselt werden. Die „Schçpfung“ Gottes aber vereint nach Barth sowohl die Erschaffung als auch die Erhaltung des Geschaffenen, zu welcher der Schöpfer zugleich frei und genötigt sei. Wie gezeigt, verdankt sich nach Barth die Schöpfung Gottes sowohl einer Notwendigkeit als auch der göttlichen Freiheit. Gerade Gottes freie Liebe mache zum einen die Erschaffung von Welt und Menschen notwendig. Ebenso sei es die Notwendigkeit der Liebe Gottes, in welcher Gott dem Weltgeschehen „gegenwrtig“ und in der Welt „wirksam“ sei. Dieses „Gesetz“ der Gegenwart und erhaltenden Wirksamkeit Gottes in der geschaffenen Welt, welches die Liebe Gottes verfüge, gelte in der geschaffenen Welt „[g]ewisser als jedes Naturgesetz und als jedes mathematische Axiom“.389 Weil aber Gottes Liebe als solche frei sei, könne sie nur in ihrer Freiheit für Gott notwendig sein. Einzig Gottes freie Liebe könne Gott zu seinem erschaffenden und erhaltenden Handeln nötigen und verpflichten. Gott sei in seiner freien Liebe zu seinem erschaffenden und erhaltenden Handeln genötigt. Erschaffung und Erhaltung nämlich gewähren nach Barth die Verwirklichung des ewigen Bundes zwischen Gott und den Menschen. Und genau dazu, um ihnen in der geschaffenen Welt an seinem Heilshandeln Anteil zu geben, erschaffe und erhalte der Schöpfer seine Geschöpfe.390 386 KD III,2,46,419. 387 KD III,2,46,418. 388 S. KD III,3,49,78/79. Barth hält fest: „Man kann nicht sagen: er [Gott der Schöpfer] fhrt fort, es [das menschliche Geschöpf] zu erschaffen. Es bedarf dessen nicht, es ist ja erschaffen, und zwar gut erschaffen.“ 389 KD III,3,49,123; s. auch KD IV,3,69,165. 390 „Gott selber und Gott allein sorgt fort und fort auch für diesen äußeren Grund der Bundesgeschichte [d.i. die Schöpfung und ihre Erhaltung]. Er selber und er allein macht das Kreaturgeschehen zu seinem Diener und Werkzeug, zum Schauplatz,
IV. Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf
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Keineswegs aber habe sich Gott in seiner Liebe an seine Schöpfung oder gar an den Naturzusammenhang gebunden, denn so hätte er sich zum Gefangenen der Welt gemacht.391 Wie und wie lange er seine Schöpfung erhalte, stehe Gott dem Schöpfer jeden Augenblick neu völlig frei.392 Barth leugnet, daß Gott sich in seiner Erhaltung der Schöpfung inhaltlich festgelegt habe. Zwar habe das „Kreaturgeschehen“ „konstitutive Bedeutung auch für das Geschehen der Bundesgeschichte“, jedoch nur „sofern ihm diese Bedeutung von Gott selbst fort und fort nicht entzogen, sondern neu verliehen wird.“393 Weil Gott in seiner Liebe das Heil seines Bundes dem Menschen mitteilen wolle, sich jedoch weder der Schöpfung noch dem Menschen gegenüber „gefangen“ gebe,394 erhalte er seine Schöpfung in der Freiheit seiner Treue gegenüber seinem eigenen Bund. Gott der Schöpfer erhalte seine Schöpfung, um in freier Treue seinen ewigen Bund zu erfüllen und den Menschen zum Heil zu führen, obwohl dieser durch den Vollzug der Sünde den Bund gebrochen habe und breche. „Eben des Menschen Geschichte bestand nämlich von ihrem Anfang – und besteht auch als Geschichte jedes einzelnen Menschen – nicht in einem Halten des Bundes, sondern in dessen Bruch“.395 Dies beeinträchtige jedoch die Gnade Gottes
391 392
393 394
395
Spiegel und Gleichnis seines Tuns.“ (KD III,3,48,63) – „Gott will, daß er in der Kreaturwelt offenbar und wirksam, daß er in der Kreaturwelt gelobt und gepriesen werde dafür, daß er sie befreit, daß er dem Nichtigen die Macht nun auch über sie genommen, daß die Freiheit – eben die göttliche Freiheit, in der er selbst über diesem Gegensatz steht – auch für sie bereit ist.“ (KD III,3,49,90) S.o. III. „Was Gott heute getan und dem Menschen als sein Tun sichtbar gemacht hat, das will er morgen wieder, aber vielleicht ganz neu und anders tun und dann auch dem Menschen in einer ganz neuen und anderen Gestalt sichtbar machen. Daß er dem Kreaturgeschehen morgen wie heute seine Funktion, sein Telos, seinen Charakter geben wird, das ist die Treue Gottes, mit der wir rechnen können, dürfen und sollen: das Konstante, dem der glaubende Mensch auch im Blick auf morgen entgegensehen wird. Er wird aber darauf, wie Gott das tun wird, weder ihn noch sich selbst festlegen wollen.“ (KD III,3,48,65) KD III,3,48,62. S. dazu o. Anm. 216. – In seiner freien Liebe ständen Gott auch Möglichkeiten zur Verfügung, die er nicht mit und in der Welt verwirklicht habe. S. dazu KD II,1,31,612: Nach Barth ist Gott auf Grund seines allmächtigen Wollens und Wissens „nicht der Gefangene seiner Allmacht, sondern ihr Herr, so, daß er der Richter über Sinn und Unsinn, Mögliches und Unmögliches, so, daß er heilig und gerecht ist und bleibt in seinem Tun. Die Sünde aber, von ihm nicht gewollt und nur insofern Gegenstand seines Willens und Wissens, ist und bleibt die Sünde“. KD IV,1,57,71. S. auch KD IV,1,58,154.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
nicht, vielmehr erweise Gott seine freie Gnade gerade trotz des Sündenfalls;396 „sie bekommt und hat nun den Charakter jenes ’Dennoch’ und ’Trotzdem’“.397
V. Schöpfung und Versöhnung, Schöpfer und Versöhner Barths Überzeugung davon, daß es Gott zugleich freistehe und notwendig sei, seine Schöpfung zu erschaffen und zu erhalten und seinen ewigen Bund mit dem Menschen zu schließen und zu erfüllen, macht es nach Barth nötig, im Blick auf den einen und einzigen Gott verschiedene Seinsweisen Gottes zu unterscheiden.398 Einerseits sei Gott der Schöpfer durch seine Liebe oder genauer seinen Bundeswillen zur Schöpfung genötigt und zugleich doch frei darin, wie er sie schafft und erhält. Andererseits sei er aus Liebe genötigt, an seiner Bundestreue festzuhalten, und zugleich doch darin frei, seinen Bund trotz des menschlichen Bundesbruchs zu halten und dazu die Schöpfung als Schauplatz zu verwenden. Daraus ergibt sich nach Barth die Zuordnung von Schöpfer und bundwirkendem Versöhner: Als Versöhner sei Gott einerseits auf den Schöpfer verwiesen, andererseits jedoch – zumindest und vor allem angesichts des bundbrechenden Sündenfalls – von diesem unabhängig.399 Das Werk des Schöpfers aber macht nach Barth ohne das Werk des bundwirkenden Versöhners keinen Sinn. Für die Beziehung zwischen Schöpfer- und Versöhnergott nimmt Barth jedoch eine Unterordnung des Versöhners unter den Schöpfer an. Denn der Akt der Versöhnung, den der Menschgewordene vollziehe, sei ein göttlicher Akt, der insofern mit dem Schöpfungsakt des Schöpfers in Verbindung stehe, als er ihm folge, weil er – zumindest faktisch – auf die sündigen menschlichen Geschöpfe bezogen sei. Er folge aber nicht notwendig aus dem Schöpfungsakt, sondern sei „in seiner ganzen Neuheit und Unbegreiflichkeit“ ein besonderer und zweiter Akt Gottes gegenüber der Welt.400 Der Akt der Versöhnung werde vollzogen, obwohl und gerade 396 Wie kann sich eigentlich das Nichtige einmischen, wenn Gott doch jeden Moment neu schafft? 397 KD IV,1,57,72/73. 398 S. KD I,1,9,379. 399 S. KD I,1,11,433: „Und nun können wir im Blick auf das über Schöpfung und Versöhnung Ausgeführte noch hinzufügen: […] daß die Schöpfung […] und die Versöhnung […] ganz und gar verschieden voneinander in ihrer Bedeutung für uns, auch wieder ganz und gar zusammengehçren in ihrem Ursprung.“ 400 KD I,1,11,434.
V. Schöpfung und Versöhnung, Schöpfer und Versöhner
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weil durch die Sünde von seiten des Menschen der Bund mit Gott gebrochen und dadurch die Kontinuität der ursprünglichen Schöpfung unterbrochen sei. Gott nämlich halte in seiner freien Treue an seinem Bundeswillen fest und erfülle deshalb als der menschgewordene Gott trotz der Sünde durch das Werk der Versöhnung den Bund zwischen Gott und Mensch.401 Entsprechend der Nachordnung der Versöhnung unter oder hinter die Schöpfung, sei auch der Versöhner dem Schöpfer nach- und untergeordnet.402 Allerdings gibt Barth an, die „Unterordnung“ des Versöhners unter den Schöpfer sei von jeglicher „Subordination“ zwischen den beiden Seinsweisen Gottes unterschieden,403 weil der unter- und nachgeordneten Seinsweise des Versöhners nicht weniger „Gottsein“ zukäme als dem Schöpfergott.404 Wie der Akt der Versöhnung gerade für die geschaffene Wirklichkeit und in ihr geschehe, so seien auch Schöpfer- und Versöh401 „Die Versöhnung aber ist die Erfðllung des Bundes zwischen Gott und Mensch.“ (KD IV,1,57,22) 402 „Wir müssen sie unterscheiden, diese zwei [das sind Schöpfer und Versöhner], und wir müssen sie offenbar auch so unterscheiden, daß wir das Unterordnungsverhältnis einsehen und anerkennen, das hier stattfindet. Wir müssen also sagen: der Versöhner ist nicht der Schöpfer, und als Versöhner folgt er dem Schöpfer, vollzieht er sozusagen einen zweiten göttlichen Akt“ (KD I,1,11,434). S. dazu J. Christine Janowski, Zur paradigmatischen Bedeutung der Geschlechterdifferenz in K. Barths „Kirchlicher Dogmatik“, 50/51: In Gott „gibt es nach Barth trotz Wesensgleichheit und nachträglicher ’Perichorese’ bzw. Wechselseitigkeit der Personen oder ’Seinsweisen’ den Ursprungsrelationen gemäß eine Nachordnung, die sich auf Grund der ewigen Erwählung des Sohnes zur Menschwerdung in Jesus Christus auch ausdrücklich zu einer unumkehrbaren Unterordnung verstärkt“. S auch a.a.O., 51 Anm. 78: „Insofern nimmt der Sohn anders als gegenüber seiner Gemeinde gegenüber seinem Vater die gender-Position der Frau ein […] – auch dann, wenn Barth Erniedrigung und Erhöhung dialektisch miteinander verbindet.“ S. dazu KD III,1,41,220: „Wie sich das anrufende Ich in Gottes Wesen zu dem von ihm angerufenen gçttlichen Du verhlt, so verhlt sich Gott zu dem von ihm geschaffenen Menschen, so verhlt sich in der menschlichen Existenz selbst das Ich zum Du, der Mann zur Frau.“ 403 S. KD I,1,9,401 f. Im Vergleich mit Schleiermachers Ausführungen zur Trinitätslehre zeigt sich gleichwohl, daß die von Schleiermacher als inadäquat beschriebene „asymmetrische[] Zeugungs- bzw. Ausgangsbeziehung“ „in ungebrochener Deutlichkeit in den einschlägigen Darlegungen Karl Barths wieder[kehrt]: KD I/1, 383 f.“ (Eilert Herms, Schleiermachers Umgang mit der Trinitätslehre, 134 und a.a.O., Anm. 54) 404 „Die Trinitätslehre bedeutet […] als Abweisung des Subordinatianismus die ausdrückliche Erklärung: jene drei Momente bedeuten kein Mehr oder Weniger im Gottsein Gottes.“ (KD I,1,9,401)
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
nergott in einer Wirklichkeit verbunden. Entsprechend kann nach Barth die Unterordnung des Versöhners unter den Schöpfer „keine Verschiedenheit des Seins, sondern eben nur eine Verschiedenheit der Seinsweise bedeuten.“405 Insofern Barth eine Verschiedenheit der Seinsweise annimmt, leugnet er, daß die Verschiedenheit zwischen Schöpfer-, Versöhner- und auch Erlösergott bloß eine Verschiedenheit der Erscheinungsweise sei. Nach Barth gibt es drei voneinander verschiedene Weisen, in welchen der eine dreieinige Gott ist. 406 Vom Wirken Gottes als Schöpfer, Versöhner und Erlöser gelte zwar stets: „Alles Wirken Gottes […] ist ein einziger in allen seinen drei Seinsweisen zugleich und gemeinsam erfolgender Akt.“407 Doch ist nach Barth immer nur eine Seinsweise für ein bestimmtes Wirken Gottes vornehmlich zuständig. Nur dann nämlich macht die Unterscheidung der Seinsweisen überhaupt Sinn. Zudem verlangt Barths Unterscheidung des Wesens Gottes als solches vom Wesen Gottes als des Wirkenden, daß im Wirken einer Seinsweise gerade nicht das Wesen Gottes als solches offenbar wird, was jedoch der Fall wäre, würden mit der einen Seinsweise die beiden anderen in unlöslicher Verbundenheit agieren. Denn das Wesen Gottes als solches (seine Gottheit) muß doch in der Gemeinschaft der drei Seinsweisen, in der Einheit Gottes des Schöpfers, des Versöhners und des Erlösers bestehen.408 405 KD I,1,11,434. 406 S. dazu KD III,4,52,35.36: Gottes Handeln an seinen Geschöpfen muß nach Barth ein einheitliches sein. „Und so ist Gott Eines und Einer auch in seinem Wirken. Daß er der Schöpfer, der Versöhner und der Erlöser ist, bedeutet nicht die Existenz getrennter göttlicher Departemente und Verwaltungszweige.“ – „Und wenn der eine und ganze Gott das Subjekt und der Urheber der Schöpfung und der Versöhnung und der Erlösung ist, so ist damit doch nicht geleugnet, daß sein Tun in diesen drei Bereichen je ein besonderes ist“. 407 KD I,1,9,395. 408 S. dazu Eberhard Jðngel, Gottes Sein ist im Werden, 45: Nach Jüngel „ist zu bedenken, daß es Barth mit allen seinen trinitätstheologischen Aussagen um die Einheit der Wirklichkeit Gottes geht. ’Wesen und Wirken Gottes sind ja nicht zweierlei, sondern eins’“. Allerdings ist, wie bereits dargestellt (s. o. III.), nach Barth das Wesen Gottes als solches vom Wesen Gottes als dem Wirkenden unter Berücksichtigung der absoluten Freiheit Gottes zu unterscheiden. Entsprechend ist die Einheit der Wirklichkeit Gottes gerade durch Barths Unterscheidung der drei Seinsweisen, die eben durch ihr Wirken Gottes Wesen als des Wirkenden, nicht aber Gottes Wesen als solches offenbaren sollen, in Frage gestellt. – Nach obiger Interpretation hat Barth das Problem der Einheit der drei Seinsweisen nicht gelöst; s. dazu auch Jçrg Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, 55.
V. Schöpfung und Versöhnung, Schöpfer und Versöhner
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Die Unterscheidung der Seinsweise Gottes des Schöpfers von derjenigen Gottes des Versöhners ist für Barth insofern von Bedeutung, als er annimmt, es wäre dadurch Gott dem Versöhner die ihm zukommende Freiheit gewahrt. In seinem – faktischen – versöhnenden Handeln muß nach Barth der inkarnierte Gottessohn unabhängig vom Handeln des Schöpfers sein, weil andernfalls weder der Bundesbruch des Menschen noch die Freiheit Gottes ernstgenommen wäre; in seiner Freiheit muß nach Barth dem Versöhner eine Fortführung der Bundestreue angesichts des Bundesbruches offenstehen. Zwar sind nach Barth das schöpferische und das versöhnende Handeln dadurch miteinander verbunden, daß nur an den menschlichen Geschöpfen und in der Schöpfung der Bund Gottes mit den Menschen erfüllt werden kann. Weil Barth aber – vor allem angesichts des Sündenfalls – mit der Unterscheidung von Schöpfung und freiem heilvollen Wirken Gottes an der Schöpfung rechnet, nimmt er entsprechend den verschiedenen Wirkungsbereichen Gottes verschiedene Seinsweisen Gottes an, die das unterschiedliche Handeln Gottes als unabhängig voneinander beschreiben können sollen. Allerdings rechnet Barth nicht nur mit voneinander unabhängigen Wirkungsbereichen Gottes und verschiedenen Seinsweisen, sondern nimmt sogar an, daß die „Liebe Gottes“, die im Faktum der Versöhnung offenbar werde, „nicht identisch sein kann mit der Liebe Gottes zu der Welt, die er schaffen wollte und erschaffen hat – zwischen dieser Welt und unserer Welt liegt ja die Sünde und der Tod – weil die in diesem Faktum offenbare Liebe Gottes vielmehr gerade seine Liebe zu der verlorenen Welt des an ihm schuldig gewordenen Menschen ist ( Joh. 3,16), zu der Welt, deren Kontinuität zu jener ursprünglichen uns völlig verborgen ist“.409 Die Liebe des Schöpfers und Erhalters unterscheidet Barth von der Liebe des Versöhners und problematisiert damit die Einheit Gottes. Denn es ist – auch nach Barth – die Liebe eigentlich das eine Wesen Gottes, die eine Wirklichkeit des dreieinigen Gottes. Mit der geradezu trennenden Unterscheidung der Liebe des Schöpfers von derjenigen des Versöhners410, die durch angeblich voneinander verschiedene und sogar gegensätzliche Liebesobjekte bedingt sein soll, wird aber die Einheit der Wirklichkeit Gottes, die Einheit seines Liebesstrebens in Frage gestellt. Insofern Barth davon ausgeht, Gott sei nur als der in Freiheit Liebende angemessen erkannt, ist ihm allerdings wohl daran gelegen, die Ver409 KD I,1,11,430. 410 Dessen Liebe hat vermutlich die Schöpfung notwendig gemacht; s. dazu o. IV.1.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
schiedenheit der „Lieben“ mit der Freiheit Gottes in Einklang zu finden. Der in Freiheit Liebende soll in der Lage sein, nachdem sein erstes Liebeswirken durch den sündigen Menschen abgewiesen worden sei und obwohl er dies schon ewig vorausgesehen habe411, sich erneut zur Liebe zu entschließen. Bei seinem zweiten Liebesentschluß habe er sich für eine Liebe gegenüber dem Sündigen und Verlorenen entschieden, durch welche er neues Leben schaffe und erhalte. Erst diese „zweite“ Liebe initiiert nach Barth eigentlich, was unter Schöpfung (creatio) und Erhaltung (conservatio) zu verstehen sei. Denn die zweite Liebe Gottes bedinge die Versöhnung und damit die Befreiung der menschlichen Geschöpfe von der Macht des Nichtigen. Diese Befreiung und Bewahrung aber ist nach Barth die eigentliche Voraussetzung für die Erschaffung und Erhaltung des Menschen: „Weil servatio, darum creatio, darum auch conservatio.“412 „Der Gott, der von seiner Freiheit Gebrauch machte, in Jesus Christus unsere Errettung und also unsere Befreiung zu schaffen, der will und schafft eben darum – in derselben Freiheit 411 S. dazu o. I.2. 412 KD III,3,49,91. S. dazu Matthias D. Wðthrich, Gott und das Nichtige, 163: Wüthrich nimmt an, die Rettung (servatio), die dem Menschen geschehen soll, sei „die Rettung aus der tödlichen Vernichtungsgefahr durch das Nichtige, die hier [d.h. im Blick auf obiges Zitat] deutlich nicht als Sündenfolge zu interpretieren ist.“ Zudem geht Wüthrich davon aus, daß nach Barth gelte: „Jeder Mensch ist […] ’sofort’ der Mensch der Sünde und steht immer im Sog der tödlichen Folgen seines Seins und Tuns.“ (a.a.O., 162) Insofern Wüthrich unter „sofort“ die Faktizität des sündigen Menschseins von Anbeginn des menschlichen Lebens an versteht, muß er konsequenterweise festhalten, daß das Nichtige immer schon für den existierenden, lebendigen Menschen als den Sünder, welcher dieser Mensch eben immer schon ist, eine todbringende Gefährdung bedeutet. Denn zum einen ist nach Barth der Mensch nur als Sünder mit seiner Schattenseite dem Nichtigen derart zugeneigt, daß dieses „nichtigenden“ Einfluß auf seine Existenz nehmen kann. Zum anderen kann nach Barth der Tod als der Vernichter („annihilator“) von Leben, der Tod als lebenvernichtende Gestalt des Nichtigen, nur den existierenden, lebendigen Menschen betreffen. Weil also nur der existierende Mensch, der allerdings immer schon in der Sünde lebt, vor der tödlichen Vernichtung oder besser aus dem Sünden-Tod gerettet werden kann, ist nach Barth die „Vernichtungsgefahr durch das Nichtige“ immer an die Sünde gebunden. Wüthrichs Verweis auf zwei unterschiedene „Argumentationslinien“ Barths, von denen eine die Sünde als todbringend, die andere das Nichtige unabhängig von der Sünde als todbringend verstehen lasse, trägt nicht. Wie obige Interpretation im folgenden zeigt, ist es für das Schöpfungsverständnis Barths von Bedeutung, daß er die creatio der servatio als der Errettung des Menschen aus dem Sünden-Tod durch den Inkarnierten nachordnet.
V. Schöpfung und Versöhnung, Schöpfer und Versöhner
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und zum Zwecke unserer Befreiung – auch unsere Erhaltung.“413 Erst mit dem Faktum des Christusereignisses ist nach Barth die Erschaffung und vor allem die Erhaltung der menschlichen Geschöpfe von Gott her gegeben. Insofern dieses Ereignis von Gott von Ewigkeit her geplant gewesen war, geht die servatio der Schöpfung immer schon voraus.414 Insofern jedoch das Christusgeschehen erst in der Zeit und zu bestimmter Zeit geschieht, müssen nach Barth creatio und conservatio der menschlichen Geschöpfe eben zu dieser Zeit beginnen,415 und erst mit der Neuschöpfung des gerechtfertigten Sünders ist diesem demnach wahrhaftes, nämlich ewiges Leben gegeben, welches von Gott auch ewig erhalten wird.416 Grundsätzlich scheint Barth die erste Schöpfung zugunsten der Neuschöpfung durch den Versöhner zurückzustellen, denn erst durch diese werde das wahre Schöpfer-Geschöpf-Verhältnis initiiert; sie bedeute „den bergang der Existenz des gottlosen und also toten, in die Existenz des für Gott, vor ihm, mit und für ihn lebenden Menschen.“417 Mit der Annahme aber, daß also das Werk des Versöhners der creatio und damit der Bund Gottes in Unabhängigkeit von der Schöpfung eben dieser vorausgehen soll,418 stimmt Barths Unterordnung des Gottessohnes unter Gott den Schöpfer nicht überein.419 Was den Heiligen Geist anbetrifft, so ordnet Barth dessen Wirken an die dritte Stelle nach dem Versöhnungs- und Offenbarungswerk durch den Sohn. Gott der Vater sei als das Woher der „Offenbarung“ in Jesus Christus selbst „Offenbarer“ zu nennen. Als das „gemeinsame Ergebnis“ von Offenbarer (Gott Vater) und Offenbarung (Gott Sohn) bezeichnet Barth „als drittes ein Offenbarsein
413 KD III,3,49,91. 414 S. KD III,3,49,89: „[V]on Ewigkeit her – nämlich im ewigen Ratschluß seiner Gnade, wie sie in Jesus Christus wirksam und offenbar geworden ist – war dies sein barmherziger Wille: die Sache seines Geschöpfes gegen das Nichts […] in höchster Nähe und Direktheit zu seiner eigenen Sache zu machen, d. h. aber selbst Geschöpf zu werden.“ 415 S. KD III,3,49,90: Die Frage der conservatio steht nach Barth auch „im Lichte dieses [in Jesus Christus] geschehenen und offenbarten Gotteswillens, im Lichte dieser vollbrachten servatio.“ 416 S. u. VII. zu „Neuschöpfung“ und zu „ewigem Leben“ KD IV,2,64,354/355. 417 KD IV,1,61,580. 418 S. dazu o. IV.1. 419 Aber nicht nur diese Unterordnung, auch überhaupt Barths trennende Unterscheidung zwischen Bund und Schöpfung, zwischen servatio und creatio ist gegenüber dem ewigen und einen Wesen und Willen Gottes inadäquat.
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[Gott Heiliger Geist], die Wirklichkeit, die die Absicht des Offenbarers und darum zugleich der Sinn, das Wohin der Offenbarung ist.“420
VI. Inkarnation Weil Gott die Erhaltung des erschaffenen Geschöpfes, und zwar zur Verwirklichung seines Bundes erstrebe, habe er sich dafür eingesetzt, daß das Geschöpf nicht verlorengehe und durch das Nichtige vernichtet würde. Nach Barth hat Gott „die Auseinandersetzung mit dem Nichtigen zum vornherein zu seiner eigenen Sache gemacht“.421 Er verwirkliche seinen ewigen Bund seinerseits zugunsten des Menschen durch seine versöhnende Menschwerdung in Jesus Christus und die damit gegebene Neuschöpfung des sündigen Menschen. Gottes Bund sei nämlich „die zwischen Gott und dem Menschen zuvor bestehende, dann gestörte und bedrohte Gemeinschaft, deren Absicht in Jesus Christus und also im Werk der Versöhnung erfðllt wird“.422 Durch das Versöhnungswerk des Gottessohnes realisiere Gott seinen „Ur- und Grundwillen“, seinen „ursprünglichen Bund“, den er in Überwindung der Sünde423 verwirkliche.424 Dabei könne davon ausgegangen werden, daß die Erfüllung des Bundes durch die Menschwerdung Gottes „mehr als die Wiederherstellung des status quo ante“, „mehr als eine restitutio ad integrum“,425 nämlich „das Kommen des Heils selbst“ bedeute.426
420 421 422 423
KD I,1,9,383. KD III,3,50,413. KD IV,1,57,22. Zur Erfüllung des Bundes bedürfe es der „Überwindung eines Hindernisses“, nämlich der Überwindung des sündhaften Zwischenfalls durch die Versöhnung in Jesus Christus (KD IV,1,57,71). 424 „Gott ist der Schöpfer, der seinen Bund mit dem Menschen darin gehalten und erfüllt hat, daß er in Jesus Christus selber menschliches Geschöpf geworden, sich selbst für uns dahingegeben hat.“ (KD III,2,46,416) – Nach Barth geschieht die Versöhnung durch Jesus Christus „im Vollzug der göttlichen Reaktion auf jenen Zwischenfall. Es ist aber vor Allem auch Gottes, durch jenen Zwischenfall gestörte, aber nicht unterbrochene Aktion, die er dadurch zu ihrem Ziele führt. Er vollzieht und offenbart gerade damit auch Gottes Ur- und Grundwillen, Gottes erste Tat, seinen ursprünglichen Bund mit dem Menschen.“ (KD IV,1,57,37) 425 KD IV,1,57,12. 426 KD IV,1,57,13.
VI. Inkarnation
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Durch das Werk der Versöhnung werde dem Menschen zum einen das göttliche Heil vermittelt und nahegebracht und zum anderen werde ihm seine Sünde aufgezeigt.427 Es werde die Beziehung zwischen Gott und Mensch, die einst, in der Zeit vor dem Sündenfall, bestanden habe, in Überwindung des Sündenbruchs und in nun vollkommenerer Weise wiederaufgerichtet. Die erneuerte und verbesserte Gottesbeziehung des Menschen bestehe in der „Neuaufnahme seines durch seine Übertretung unterbrochenen Wissens um seinen Schöpfer.“428 Mit der Wiedererkenntnis Gottes des Schöpfers beginne die „Gnadenzeit“, die die verlorene Zeit unter der Sünde ablöse und die die unmittelbare, „wahre und eigentliche Folge und Fortsetzung der Schöpfungszeit“ bedeute.429 Allerdings sei die Gnadenzeit nicht schon die Gegenwart des vollkommen und vollendet erfüllten Gnadenbundes, sondern der vorerst fortdauernde Zeitabschnitt, in dem das menschliche Geschöpf in christlicher Hoffnung auf die zukünftige Vollendung und das ewige Leben430 lebe.431 Sein Leben ist ein Leben in der Hoffnung auf die Erlösung, auf die vollkommene Gemeinschaft mit Gott, dessen Leben einzig ewiges Leben sei und an welchem erst die Erlösten Anteil hätten.432 Mit der Annahme einer Zeit, in der das menschliche Geschöpf noch sündlos gewesen sei, stimmt Barths bereits problematisierte Annahme eines geschaffenen liberum arbitrium überein,433 das vom Menschen in der Zeit zurückgewiesen werde. Problematisch ist allerdings nicht nur die Behauptung eines geschaffenen liberum arbitrium, sondern insbesondere auch Barths Zeitverständnis. Barths Vorstellung von drei Zeiten ist mit der einen wirklichen und kontinuierlich fortschreitenden Zeit grundsätzlich nicht kompatibel. Insofern die drei Zeiten als Zeitabschnitte eines jeden menschlichen Lebens verstanden werden sollen (und nach Barths Darstellung auch so verstanden werden müssen), müssen diese, in Anbetracht 427 428 429 430 431
S. dazu KD IV,1,58,154 – 162. S.o. Anm. 93. KD III,1,41,81. S. dazu KD IV,1,58,121. S. dazu KD IV,1,58,131: Die christliche Hoffnung ist nach Barth „in der ganzen Dauer des zeitlichen Lebens immer auch Erwartung des ewigen Lebens“. „Die christliche Hoffnung ist ja eben ein gegenwrtiges Sein in und mit und aus der Verheißung des Künftigen“ (a.a.O., 132). 432 S. KD IV,2,64,354/355. S. dazu a.a.O.,386: Nach Barth hat die Versöhnung ihr „Ziel in seiner [des Menschen] Erlösung zum ewigen Leben mit ihm [Gott]“. 433 S.o. II.3.1.
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dessen, daß verschiedene Menschen zur gleichen Zeit434 jeweils andere Zeitabschnitte durchleben, als gleichzeitig nebeneinanderbestehend vorgestellt werden. Insofern die Schöpfungszeit gleich wie die verlorene Zeit und die Gnadenzeit als Zeitabschnitte in der einen geschaffenen Zeit und Wirklichkeit zu verstehen sind und die Schöpfungszeit nicht als „Zeit“ vor dem Geschaffensein der Welt zu verstehen ist, muß nach Barth das geschichtliche menschliche Geschöpf zunächst sündlos sein, sich dann aber dem Nichtigen zuwenden, von welchem es nur durch Jesus Christus befreit und in die Gnadenzeit übergeführt werden könne. Ebenso wie die Annahme des vorgängigen liberum arbitrium impliziert auch die Annahme einer sündlosen Zeit menschlicher Existenz eine erste verwirklichte (nicht nur transzendente) Vollkommenheit der Schöpfung, zu deren Zerstörung nach Barth das menschliche Geschöpf also fähig sein und immer schon fähig gewesen sein muß. Damit aber ist dem Menschen eine nahezu schöpfergleiche zerstörerische Macht zugeschrieben, welche die schlechthinnige Abhängigkeit des menschlichen Geschöpfes als eines Geschçpfes Gottes nicht ernstnimmt. Weil Barth vom liberum arbitrium des Menschen ausgeht und eine Folge verschiedener Zeiten für möglich hält, schreibt er der Inkarnation Christi wegen des sündigen Zwischenfalls eine – gegenüber der ewigen Absicht Gottes – veränderte Bedeutung zu. Sie diene nun eben faktisch der verbesserten Wiederherstellung des angeblich ersten, anfänglichen und angemessenen Schöpfer-Geschöpf-Verhältnisses, welches erst durch die Sünde des Menschen zerstört worden sei. Barth beschreibt den von Gott gewirkten Heilsprozeß nicht als Bildungsgeschichte der Geschöpfe zum Ziel der Realisation ihrer ewig vorherbestimmten Vollkommenheit, sondern als Restaurationsgeschichte eines mitleidigen und beleidigten Gottes. Durch das Versöhnungswerk des Inkarnierten angesichts der Sünde realisiere dieser zwar faktisch den „Urwillen“ des einen dreieinigen Gottes. Der Inkarnierte versiegele und offenbare den Urwillen Gottes und damit den Schöpfer- und Herrenwillen Gottes „im Ganzen“.435 Jedoch sei der Inkarnierte als „Voraussetzung der Versöhnung“ und als „Anfang aller Dinge“ zugleich „ein eigenes, selbständiges, unabhängiges freies Werk Gottes für sich, das nicht etwa identisch ist mit dem Gotteswerk der Schöpfung oder mit dem in diesem 434 D.i. die eine wirkliche Zeit, ohne die es gar keine Kommunikation der Menschen über den Verlauf und Wechsel von Zeit geben könnte. 435 KD IV,1,57,49.
VI. Inkarnation
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Werk realisierten göttlichen Schöpferwillen. Der Vollzug der Versöhnung und also die geschichtliche Wirklichkeit Jesu Christi ist nicht die höchste entwicklungsmäßige Fortsetzung, die Krönung und Vollendung der von Gott gewollten und vollbrachten Setzung der von ihm verschiedenen Wirklichkeit der Welt und des Menschen, nicht etwa das dieser Wirklichkeit immanente Telos.“436
Das Inkarnationsgeschehen darf nach Barth nicht als Entwicklungsstufe im Schöpfungsprozeß verstanden werden. Damit würde die Freiheit des dreieinigen Gottes oder vielmehr die Freiheit seiner zweiten Seinsweise eingeschränkt. Weil jedoch zugleich die zweite und die erste Seinsweise eines und desselben Wesens sein sollen, sucht Barth nach einer Zusammenstimmung von Schöpfungs- und Versöhnungshandeln, die aber ohne einen notwendigen Zusammenhang zwischen beidem auskommen soll.437 Barth nimmt an, daß ein Zusammenhang zwischen Schöpfung und Versöhnung angesichts der Sðnde nur insoweit besteht, als Gott trotz und gerade wegen der Beleidigung, die ihm die Sünde seiner geschaffenen Geschöpfe zugefügt habe, und wegen des Mitleids, das er angesichts der Bedrohung seiner Geschöpfe durch das Nichtige empfinde, in der Schöpfung selbst Mensch geworden sei.438 Die Menschwerdung Gottes war nach Barth von Ewigkeit her Gottes Wille. Durch sie habe er immer schon seine freie Gnade offenbaren wollen.439 Angesichts oder vielmehr trotz der Sünde, die Gott selbst zugelassen habe, sei Gottes Sohn nun aber in der verlorenen Zeit des Menschen und in der Schöpfung des Schöpfers faktisch Fleisch geworden. Damit habe er die Bundesgnade Gottes als eine solche erwiesen, auf Grund deren sich Gott für den Menschen sogar gegen das Nichtige zur Wehr setzt und dieses überwindet. Dadurch, daß er einerseits die Sünde zulasse und andererseits das Nichtige überwinde, zeige Gott erst eigentlich seine Gnade und mache sie „nur noch größer“.440 Nicht eigentlich um die Güte der Schöpfung zu manifestieren,441 sondern vielmehr um seine freie Gnade und seinen beständigen Bundes436 KD IV,1,57,51. 437 S. KD IV,1,57,49: Was im Inkarnierten geschieht, ist nach Barth „die Besiegelung und Offenbarung, das Urphänomen des positiven Willens Gottes in seinem Verhältnis zum Menschen und damit auch seines Schöpfer- und Herrenwillens im Ganzen.“ 438 Gott selbst sei Fleisch geworden „in seiner eigensten Sache, in Abwehr einer ihm selbst widerfahrenden Beleidigung und Beeinträchtigung!“ (KD III,3,50,345) 439 S. dazu o. IV.2. sowie KD III,3,47,572 und KD IV,1,57,71. 440 KD IV,1,57,74. 441 Die Vollkommenheit der Schöpfung offenbart nach Barth auch W.A. Mozart mit seiner Musik (KD III,3,50,339).
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willen zu offenbaren, sei Gott Mensch geworden.442 Zwar ist die Tatsache, daß Gott selbst Geschçpf wurde, Bestätigung dafür, daß die Schçpfung insgesamt sich der göttlichen Weisheit und Barmherzigkeit verdankt. Doch Gott sei nicht nur Geschöpf, sondern vielmehr auch Fleisch geworden. So habe er in Jesus Christus nicht nur die Güte der Schöpfung, sondern vor allem die Macht der Sünde gezeigt, welche die Verderbnis des Menschen und eine Beleidigung Gottes bedeute, derentwegen dieser die Überwindung des Nichtigen bezwecke. „Daß das Wort Fleisch ward, heißt: daß es […] verlorenes Geschöpf wurde.“ Daß Gottes Wort „verlorenes Geschöpf“ wurde,443 bedeute, daß sich Gott selbst seiner verlorenen Geschöpfe angenommen und ihre Errettung aus der Macht des Nichtigen zu seiner Angelegenheit gemacht habe.444 Anders als Luther unterscheidet Barth deutlich zwischen Fleisch- und Menschwerdung Christi und macht auf diese Weise seine Differenzierung zwischen Geschöpf- und Sündersein des Menschen, zwischen wirklichem 442 KD III,3,50,344. 443 KD III,3,50,345. Barth erachtet das menschliche Geschöpf nicht als in Wirklichkeit immer schon sündiges Wesen („Fleisch“); s. dazu seine Unterscheidung des wirklichen und des sündigen Menschen, die die Ursprünglichkeit Schleiermachers nicht kennt! „Fleisch“ ist nach Barth „die durch des Menschen Sünde bestimmte und geprägte, d. h. aber verkehrte und damit unendlich bedrohte, dem Sterben nicht nur, sondern dem Tode, dem Vergehen verfallene Menschennatur.“ (KD IV,2,64,26) Als „Fleisch“ darf und kann sich nach Barth eigentlich nur derjenige Mensch verstehen, dem das Urteil Gottes über den Menschen bekannt ist und der im Glauben annimmt, daß der Mensch zwar dem Tod verfallen sei, jedoch von Gott errettet werde; „Fleisch“ ist der Mensch, „wie er vor Gott steht“, und also der Mensch, „dem Gottes Offenbarung widerfährt.“ (KD I,2,13,44 und a.a.O., 49). Entsprechend hält Barth fest: „ursprünglich und eigentlich ist nur Jesus Christus der Mensch, der Fleisch ist, abgeleitet und sekundär dann diejenigen, die im Glauben durch den Heiligen Geist mit ihm ein Fleisch sind.“ (a.a.O., 49) S. dazu KD I,2,15,165: „Fleisch ist die konkrete Gestalt […] des zerstörten, erst wieder mit Gott zu versöhnenden Menschenwesens und Menschendaseins.“ 444 S. dazu KD III,1,41,53: „Im Blick auf diesen seinen Sohn, der Mensch und Träger der menschlichen Sünde werden sollte, hat Gott den Menschen und mit dem Menschen seine ganze Welt von Ewigkeit her, noch ehe er sie schuf, geliebt, […] – und hat er sie geschaffen: darum, weil er sie liebte in seinem eigenen Sohn, welcher als der wegen ihrer Sünde Verworfene und Getçtete vor seinen ewigen Augen stand. Und wieder im Blick auf diesen seinen Sohn […] hat Gott dem Menschen und mit dem Menschen seiner ganzen Welt, von Ewigkeit her, ehe er sie schuf als ihr Schöpfer, so viel Herrlichkeit zugedacht als Gleichnis der zukünftigen Herrlichkeit, die ihr Elend bedecken, ja auslöschen sollte – darum, weil er ihrer gedachte in seinem eigenen Sohn, der als der zu ihrer Rechtfertigung Erwhlte und Auferweckte vor seinen ewigen Augen stand.“
VI. Inkarnation
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und sündigem Menschen, und die Bedeutung dieser Unterscheidung für das wahre Menschsein Christi deutlich.445 VI.1. „Fleischwerdung“ des Sohnes Gottes Es bedeutet nach Barth für die „Menschennatur“ gegenüber allem anderen Geschaffenen eine Auszeichnung,446 daß gerade sie durch die Inkarnation „in Christus an- und aufgenommen wird zur Einheit mit dem Sohne Gottes“.447 Dabei sei die Menschwerdung des Gottessohnes 448 als die Annahme einer Menschengestalt durch den Sohn Gottes zu verstehen: „Sein Menschsein ist die Hülle, die er anzieht, und damit auch das Mittel seiner Offenbarung.“449 Indem sich der Sohn Gottes bei seiner Inkarnation mit Menschsein bekleide, verberge er seine Gottheit, die dann seine Auferstehung dem Menschen offenbare.450 Die Annahme der Menschen-Hülle ist nach Barth die Mensch- und Fleischwerdung des Gottessohnes, und sie mache ihn zum wahren Menschen. Dadurch, daß der menschgewordene Gottessohn „Mensch“ und „Fleisch“ geworden sei, verkörpere er in individueller, geschichtlicher Gestalt und Hülle den wirklichen Menschen, der unter dem Fluch der Sðnde stehe und dem ebenso wie allen Menschen die „Unnatur“ eigne, die sich „aus dem Gegensatz des Menschen zu Gott“ ergebe.451 Bei seiner Inkarnation nehme der Sohn Gottes nicht nur das geschichtliche Wesen des wirklichen Menschen in die Einheit mit sich selbst auf, sondern zugleich auch die an das Nichtige verlorene Menschennatur.452 Entsprechend stehe der Fleischgewordene ebenso wie die verlorenen Geschöpfe auch unter dem Fluch der Sünde, doch existiere er zugleich in Einheit mit Gott und halte dementsprechend seit Anbeginn seiner menschlichen Existenz an 445 446 447 448 449 450
S. dazu Luther-Kapitel, IV.2.3.2. S. KD III,2,44,164 ff. KD I,2,13,41. S. KD I,2,13,37. KD I,2,13,39. Unter der Menschwerdung Gottes müsse „ein Latentwerden seiner Gottheit“ verstanden werden (KD I,2,13,42). – Zum Bild der Hülle, mit der sich der Sohn Gottes bekleide, KD IV,2,64,57: „Vollends ist Vorsicht geboten gegenüber allen offenkundigen Bildreden wie der: das Wort sei im Fleische wie ein Mensch in seinem Kleide“. S. dazu a.a.O., 111: Nach Barth ist „das menschliche Wesen Jesu von Nazareth […] sein [des Sohnes Gottes] Kleid“. 451 KD IV,2,64,28. 452 S. KD IV,2,64,26.
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Gottes Bund fest.453 Folglich konnte „die Sünde, das heißt der Streit des Menschen gegen Gott, in ihm nicht weitergehen“.454 Darin, daß er verlorenes Geschöpf geworden sei, gleiche der Inkarnierte allen anderen Menschen, die umgekehrt ihm darin glichen, daß sie sterblich sowie zur Gemeinschaft mit Gott und den Mitmenschen geschaffen seien.455 Weil jedoch der Inkarnierte Gottes Sohn selbst und somit der zu Gott erhöhte Menschensohn sei, unterscheide er sich von allen anderen Menschen in seiner „Menschlichkeit“.456 Als der Erhöhte erleide er den Fluch der Sünde und die Not, die durch das Nichtige verursacht sei. Er stelle sich dem „Widerspruch der menschlichen Existenz“, der Spannung, in der der Mensch lebe, weil dieser in der Sünde seinem eigenen Wesen widerspreche. „Es ist aber die sofort mit dem Anheben seines Menschseins beginnende Tat seines Lebens eine einzige Durchbrechung und Überwindung dieses Widerspruch und dieser Spannung.“457 Als dieser Überwinder der Macht des Nichtigen, der zwar unter dem Fluch der Sünde steht, jedoch selbst nicht sündigt, sondern den Bund Gottes hält, sei er „der mit Gott versçhnte, der wahre und im Verhältnis zu uns Anderen Allen: der neue Mensch.“458 „Wahrer Mensch“ und damit auch neuer Mensch ist nach Barth der Fleischgewordene, insofern er einerseits ebenso wie alle Menschen, die als wirkliche Menschen zum Bund Gottes bestimmt sind, unter dem Fluch der Sünde steht, andererseits jedoch zugleich entsprechend seiner Einheit mit Gott das wirkliche Menschsein, das geschichtliche Sein des Menschen in Bezogenheit auf Gott und den Nächsten verwirklicht. Er erlebe den Bundesbruch des verlorenen Geschöpfs und erfülle doch zugleich den Bund. Weil Jesus Christus als verlorenes Geschöpf zugleich in vollkommener Gottesgemeinschaft und wahrhafter Mitmenschlichkeit (Humanität) lebe, hat er nach Barth die Bestimmung des wirklichen Menschen durch die Überwindung der Macht der Sünde tatsächlich und wahrhaft realisiert.459 Er hat die Gottlosigkeit des verlorenen Geschöpfes in seine
453 454 455 456 457 458 459
S. KD IV,2,64,31. KD I,2,13,45; s. dazu KD I,2,15,170 f. S. dazu o. I.1.b.). KD IV,2,64,28 f. KD IV,2,64,31. KD IV,2,64,31; s. dazu a.a.O., 26. „Das ist aber der wahre, der erhöhte Mensch in der Person des einen Jesus von Nazareth: Er ist der Mensch, dessen Geschichte sich als eine menschliche Geschichte in ihrer Totalität, in seiner freien, spontanen, inneren bereinstimmung mit
VI. Inkarnation
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Gottesgemeinschaft aufgehoben und also das verlorene Geschöpf von der Macht des Nichtigen zu seinem wahren Menschsein befreit. Als der „wahre Mensch“ ist nach Barth der Inkarnierte Versöhner zwischen Gott und den Menschen, indem er als Gottes Sohn, als der Erhöhte durch seine Erniedrigung zu den verlorenen Geschöpfen 460 („Fleisch“-Werdung) auch deren Erhöhung und so „die Wiederherstellung und Erfüllung des Bundes zwischen Gott und dem Menschen“ wirkt.461 Daß das Wort Gottes Fleisch „ward“, ist nach Barth eine Aussage über das Handeln des Wortes Gottes. Indem es Fleisch wurde, sei es selbst aktiv tätig gewesen. Das Fleisch-Werden des Wortes Gottes dürfe entsprechend nicht als Entwicklung in der Schöpfung, sondern müsse als „neue Schçpfung“ durch das göttliche Wort selbst verstanden werden.462 Die Fleischwerdung des Wortes Gottes sei „wie die Schöpfung selbst ein souverner, und das ist ein von der Schöpfung verschiedener göttlicher Herrschaftsakt.“463 Im Gegensatz zu Schleiermacher schließt Barth aus, daß die Menschwerdung Gottes als Entwicklungsstufe der Schöpfung, als „Moment des Weltprozesses“464 zu verstehen sei. Nach Barth darf die Inkarnation nicht als Entwicklungsstufe der Schöpfung angesehen werden, weil damit zum einen die Unterschiedenheit der ersten und zweiten Seinsweise Gottes, die Differenz zwischen dem Wirken des Versöhners und des Schöpfers nicht beachtet würde. Zum anderen werde nur dann, wenn die faktische Fleischwerdung als neue Schöpfung gedeutet werde,465 auch die Macht der Sünde ernstgenommen. Die Sünde nämlich verursache den Tod des
460
461 462 463 464 465
dem Willen, Ratschluß und Tun Gottes und also als Dienst Gottes und auch als Dienst an den Menschen zuträgt und kundgibt.“ (KD IV,2,64,31) In Jesus Christus ist nach Barth „der eine wahre Gott selbst in der Weise das Subjekt des Versöhnungsgeschehens […], daß seine Gegenwart und Aktion als Versöhner der Welt koinzidiert, ja identisch ist mit der Existenz des erniedrigten, demðtigen, gehorsamen Menschen Jesus von Nazareth. Er handelt als Versöhner, indem er […] sich selbst erniedrigt, demütig und gehorsam wird und ist.“ (KD IV,1,59,217) S. KD IV,2,64,26: Als Träger der sündigen, adamitischen Menschennatur war und ist nach Barth der Inkarnierte „Versöhner zwischen Gott und uns.“ (S. dazu a.a.O., 29 ff.) Zum Inhalt der Versöhnung s. KD IV,2,64,75 und u. VIII. KD I,2,15,147. KD I,2,15,147. KD I,2,15,147. KD I,2,15,148.
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Sünders, der nur auf Grund einer Neuschöpfung, welche mit der SelbstSchöpfung des Versöhners initiiert sei, zu neuem Leben errettet werde.466 Die Fleischwerdung des Sohnes Gottes ist nach Barth nicht an den Schöpfungszusammenhang gebunden oder gar eine anthropologische Notwendigkeit, sondern vielmehr ebenso wie die Schöpfung auch in der Freiheit Gottes, in seiner freien Gnade begründet.467 Zwar sei es schon von Ewigkeit her der barmherzige Wille Gottes, mit seinen menschlichen Geschöpfen in Gemeinschaft zu treten, seinen Bund in Abwehr des Nichtigen zu realisieren und dazu „selbst Geschöpf zu werden.“468 Auch geschehe die Inkarnation des Gottessohnes „im Zusammenhang des ganzen geschöpflichen Seins“.469 Doch gehe die Bundesabsicht Gottes schon immer der Schöpfung voran, und diese sei gerade nur als Mittel und Möglichkeitsraum zu Realisation des Bundes, nicht aber selbst als Bundesstiftung geschaffen.470 Überhaupt ðberschritten das versöhnende Handeln Gottes und seine Geschöpf-Werdung den Schöpfungszusammenhang.471 Die Inkarnation schließt nach Barth „das Geheimnis der Schöpfung in sich und überbietet es zugleich“, weshalb sie das einzige eigentliche „Sakrament“ sei.472 Entsprechend könne der Mensch das Geheimnis der Schöpfung, weil es eben ein Geheimnis sei, das allein die Inkarnation berge, nur in dem Glauben an das Fleisch gewordene Schöpfungswort erkennen.473 An Barths Verständnis der Fleischwerdung des Gottessohnes respektive der Vereinigung von Gott und Mensch in Jesus Christus ist grundlegend fraglich, wie es möglich sein soll, daß diese Einheit Gottes und des Menschen zugleich durch die Sünde, durch den „Gegensatz des Menschen zu Gott“474 bestimmt sein kann. Insofern Barth, wie oben gezeigt, das sündige, verlorene Geschöpf als ein zweites neben dem gottbezogenen wirklichen 466 KD I,2,15,148: Das Werk des Inkarnierten ziele darauf, „daß der tote Mensch wieder lebendig werde“. 467 S. dazu III,2,47,765: „Daß er [ Jesus Christus] in seinem Ende den Tod als Gottes Gericht auf sich nahm, […] das war der Erweis der in seiner Person wirksamen und offenbaren freien Gnade Gottes. Das geschah also gerade nicht aus anthropologischer Notwendigkeit.“ S. auch KD I,2,15,148. 468 KD III,3,49,89. 469 KD IV,2,64,39. 470 S.o. IV.1. 471 KD IV,2,64,39. 472 KD IV,2,64,42. 473 S. KD III,1,40,34/35. 474 S.o. Anm. 448.
VI. Inkarnation
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Menschen annimmt, und also zwei Geschöpfe voraussetzt, das eine durch Gott, das andere durch die Macht des Nichtigen bedingt, rechnet er mit zwei grundverschiedenen Bestimmungen des Menschseins; er scheint eine zweifache Ontologie zu vertreten oder vielmehr mit dem Nebeneinander von zwei Ontologien zu rechnen. Um den beiden grundverschiedenen Bestimmungen des Menschseins bei der Beschreibung der MenschWerdung gerecht zu werden, müssen konsequenterweise in Jesus Christus mit der Gottheit der wirkliche und der verlorene Mensch zur Überwindung dieser Verlorenheit vereinigt sein. Von welcher Beschaffenheit die Vereinigung zwischen Gott und Mensch nach Barth sein soll, darüber geben konkreter seine Ausführungen zur unio, communio und communicatio in Jesus Christus Auskunft. VI.1.1. Unio Entsprechend seiner Überzeugung, daß der Mensch unter der Sünde, der Mensch als (gottloses) Fleisch verstanden, nicht mit Empfänglichkeit für die Offenbarung Gottes ausgestattet und geschaffen sei, nimmt Barth an, daß Jesus Christus allein auf Grund göttlicher Aktivität Fleisch angenommen haben kann. Es bestehe die Fleischwerdung „in der menschlichem Sein durch das Wort Gottes in und mit seinem Werden als solchem widerfahrenden Annahme oder Aufnahme oder Hineinnahme in die Einheit mit dessen eigenem Sein, so daß dieses menschliche Sein, indem es selbst wird, als menschliches Sein das Sein des Wortes Gottes wird.“475 In und mit dem Werden des Wortes Gottes sei von diesem menschliches Sein aufgenommen und wie eine Hülle oder ein Kleid angezogen und also mit Gott selbst vereinigt worden.476 Dementsprechend beschreibt Barth die Fleischwerdung Gottes nicht als ein Werden Gottes im Fleisch, sondern vielmehr als Werden des menschlichen Seins zum Sein des Wortes Gottes. Die Vereinigung und Einheit Gottes mit menschlichem Sein in Jesus Christus kommt nach Barth allein durch Gottes Tätigkeit zustande. Eine Anknüpfungsmöglichkeit, die der Mensch zur Vereinigung mit Gott bieten könnte, gibt es nach Barth, seitdem der wirkliche Mensch als „Fleisch“ existiert, nicht mehr.477 Die Einheit von Gott und Mensch in Jesus Christus sei allein in Gott oder vielmehr in Gottes Sohn gegründet 475 KD I,2,15,175. 476 S. dazu KD I,2,15,178. 477 S. KD IV,2,64,48: „Es kann aber keine Rede davon sein, daß er, der Mensch in der Linie Adams, ihm [dem Sohn Gottes …] einen Anknüpfungspunkt bieten würde.“ S. dazu a.a.O., 31.
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und allein durch ihn werde sie auch erhalten.478 „Gott, der Sohn ist handelndes Subjekt in diesem Geschehen, er bleibt es auch in dem, was damit geschehen, Tatsache geworden ist“.479 In einer freien Gottestat habe nicht Gott der Schöpfer, sondern Gott der Sohn „ein Sein als Mensch zu seinem Sein als Gott hinzugenommen.“480 Er habe das menschliche Sein dadurch aufgenommen, daß er sich für dieses erniedrigte. In kausaler Folge zu der Erniedrigung des Sohnes Gottes hin zum Menschen und gleichzeitig mit dieser481 geschehe in Jesus Christus die Erhöhung des dankbaren Menschen zu Gott.482 Diese Einheit des erniedrigten Gottes und des erhöhten Menschen in Jesus Christus ist nach Barth jedoch nicht die Einheit Gottes mit einem Menschen, sondern vielmehr das Aufgenommensein des Menschlichen in das göttliche Sein.483 Dabei betont Barth, um jeglichem Doketismusvorwurf vorzubeugen, daß der Sohn Gottes, der das allgemeine Menschliche aufgenommen habe, in der Welt als ein bestimmter Mensch „objektiv wirklich“ existiere.484 VI.1.2. Communio Die besondere unio von Gott und Mensch in Jesus Christus impliziert nach Barth eine gegenseitige Teilnahme und Teilhabe der beiden Naturen oder Wesen, des menschlichen wie des göttlichen, aneinander (communio naturarum).485 Weil der Sohn Gottes im Unionsgeschehen in Jesus Christus das allgemeine Menschliche angenommen habe, sind nach Barth in ihm nicht nur Gott und Mensch, sondern auch göttliches und menschliches Wesen, „Gottheit“ und „Menschheit“ in gegenseitiger Teilnahme und Teilhabe aneinander vereinigt.486 Es muß nach Barth die Einheit von göttlicher und menschlicher Natur, von göttlichem und menschlichem Wesen in Jesus Christus angenommen werden, obwohl zwischen beiden 478 S. KD IV,2,64,50: Gott der Sohn „ist der Eine, der diese Union [von Gott und Mensch in Jesus Christus] begründet und erhält“. 479 KD IV,2,64,49. 480 KD IV,2,64,44. 481 S. dazu KD IV,2,64,50: „Sie [die Erhöhung] findet statt, weil und indem jene [die Erniedrigung] stattfindet.“ 482 KD IV,2,64,50. 483 S. KD IV,2,64,51 und 52: „In Jesus Christus ist nicht nur ein Mensch, ist vielmehr das Menschliche aller Menschen als solches in die Einheit mit Gott versetzt und erhoben.“ 484 KD IV,2,64,54. 485 S. dazu KD IV,2,64,75 s. auch a.a.O., 67. 486 S. KD IV,2,64,65.
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Naturen als solchen ein unvereinbarer Gegensatz bestehe.487 „Der Satz über Jesus Christus als den Einen, der göttlichen und menschlichen Wesens ist, wagt also die Vereinigung des definitionsmäßig Unvereinbaren.“488 Die „communio naturarum“, die gegenseitige Teilnahme und Teilhabe von göttlicher und menschlicher Natur aneinander, wie sie einzig in Jesus Christus gegeben sei, beruht nach Barth auf der durch Gott selbst verwirklichten unio (Einheit) von Gott und Mensch in Jesus Christus; „die ganze eigentlich so zu nennende ’Zweinaturenlehre’ hängt an jener primren, eigentlichen Einigung und Einheit, wie sie Joh. 1, 14 beschrieben wird. […] Keine der beiden ’Naturen’ als solche zählt […].489 Der Sohn Gottes allein zählt; er, der sich zu seinem göttlichen hinzu menschliches Wesen zu eigen macht, ihm damit Existenz gibt und eben damit beide in sich vereinigt. In ihm und nur in ihm wurden und sind sie vereinigt.“490 Das gegenseitige Teilnehmen der beiden Naturen aneinander ist nach Barth durch den Sohn Gottes und in ihm aktiviert; durch ihn und in ihm erhalte die göttliche Natur „ihre Bestimmung zur menschlichen hin“, die menschliche hingegen bekomme „ihre Bestimmung von der göttlichen her“ und ist also in ihrer Anteilnahme am göttlichen Wesen vollkommen auf das göttliche Handeln und die Anteilnahme des göttlichen Wesens an ihr angewiesen.491 Die menschliche Natur ist nach Barth die bloß passive Empfängerin der Anteilhabe am göttlichen Wesen. Denn die Möglichkeit zur Rezeption des Göttlichen, ein Anknüpfungspunkt für die rezeptive Anteilhabe am göttlichen Wesen sei nicht vorhanden.492 Für die unio von Gott und Mensch in Jesus Christus nimmt Barth an, daß der Mensch Jesus Christus „mit Gott identisch ist“, daß er „selbst Gott ist“.493 Entsprechend stehe „zwischen dem Menschen Jesus und uns anderen Menschen […] das Geheimnis seiner Identität mit Gott, anders als in dieser Identität ist er auch als Mensch unmöglich zu verstehen.“494 Zwar sei 487 Gottheit und Menschheit stehen nach Barth zueinander „in ’unendlichem qualitativen Unterschied’“ (KD IV,2,64,65). 488 KD IV,2,64,65. Nach Barth kann dieser Satz allein auf der Offenbarung Gottes in Jesus Christus gründen und nur im „Gehorsam“ gegenüber der offenbarten wunderbaren Wirklichkeit festgehalten werden (KD IV,2,64,66). 489 Nach Barth zählt keine der beiden Naturen als solche, weil sie nicht „an und für sich existiert“ (KD IV,2,64,71). 490 KD IV,2,64,71. 491 KD IV,2,64,75. 492 S.o. I. 493 KD I,2,15,178. 494 KD III,2,44,82.
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in sämtlichem geschaffenen Sein der allgegenwärtige Gott selbst persönlich gegenwärtig. Insbesondere Predigtwort sowie Wasser, Brot und Wein der Sakramente befänden sich ebenso wie der Glaubende in einer Einheit mit Gott, und seien als solche wirklich. Doch existiere alles geschaffene Sein Gott gegenüber selbstndig als „ein von Gott Verschiedenes“.495 Entsprechend sei die Vereinigung mit Gott, die bei den Sakramenten und den einzelnen Glaubenden angenommen werde, keineswegs dieselbe wie die von wahrem Mensch und wahrem Gott in Jesus Christus.496 Was hingegen die communio betreffe, geschehe diese zwischen göttlichem und menschlichem Wesen, welche keineswegs identisch seien. „In dem einen Subjekt Jesus Christus ist göttliches und menschliches Wesen vereinigt, aber nicht eins, nicht identisch.“497 Indem Barth die unio (Einheit) von Gott und Mensch von der communio (Vereinigung) der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus unterscheidet, sucht er dem chalcedonensischen Dogma der zugleich unvermischten, unverwandelten, ungeteilten und nicht getrennten Einheit von wahrem Gott und wahrem Mensch in Jesus Christus gerecht zu werden. Die unio oder Identität des Sohnes Gottes und des Menschen Jesus von Nazareth soll der ungeteilten und nicht getrennten Vereinigung von Gott und Mensch entsprechen. Zugleich ist nach Barth mit der communio von Gottheit und Menschheit, weil für die Vereinigung von göttlichem und menschlichem Wesen in Jesus Christus keine Identität angenommen werden dürfe, die unvermischte und unverwandelte Vereinigung von wahrem Mensch und wahrem Gott garantiert.498 Diese Deutung des Dogmas von Chalcedon beruht auf Barths Differenzierung zwischen unio und communio und setzt seine Unterscheidung von Gott und göttlichem Wesen voraus, welche wiederum in seinem Trinitätsverständnis begründet ist. Insofern Barth einerseits davon ausgeht, Gott sei in drei verschiedenen Seinsweisen für den Menschen wirklich, andererseits aber die Gottheit als das diesen drei Seinsweisen gemeinsame Wesen beschreibt, kann demnach zwar der Sohn Gottes im Menschen Jesus Christus wirken und wirklich sein, jedoch das ganze göttliche Wesen, an dem der Gottessohn Anteil hat, nicht mit dem menschlichen Wesen 495 KD I,2,15,177. 496 KD I,2,15,177. S. dazu KD IV,2,64,54. 497 KD IV,2,64,68. S. dazu KD I,2,15,178: Es besteht nach Barth keine Identität zwischen Menschheit und Gottheit Gottes in Jesus Christus. „Seine Menschheit ist nur Prädikat seiner Gottheit […] sie ist nur das in unbegreiflicher Herablassung angenommene Prädikat des an uns handelnden Wortes, das der Herr ist.“ 498 S. KD IV,2,64,68.69.121.
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überhaupt identisch sein. „Gottheit, göttliche Natur, göttliches Wesen an und für sich existiert nämlich nicht, ist nichts Wirkliches.“499 Nur als göttliches Wesen des Gottessohnes, werde das göttliche Wesen mit dem menschlichen vereinigt. Es wird – in Übereinstimmung mit Barths Unterscheidung von Gottes Wesen als solchem und Gottes Wesen als des Wirkenden – in Jesus Christus nicht das göttliche Wesen als solches, sondern das Wesen Gottes als des die Versöhnung wirkenden Gottessohnes offenbar. Es kann demnach im Versöhner nicht auch der die Schöpfung wirkende Schöpfer offenbar sein, mit dem der Versöhner zwar das göttliche Wesen teilt, dieses aber nicht als solches durch sein Wirken als Versöhner zum Ausdruck bringt. Entsprechend ist fraglich, inwiefern Barth die Inkarnation des Gottessohnes zugleich als Geschöpf-Werdung des Schöpfers bezeichnen kann.500 VI.1.3. Communicatio Ebenso wie Barth für unio und communio festhält, daß ausschließlich durch und im Sohn Gottes Einheit und Vereinigung mit dem menschlichen Wesen gewirkt würden, so nimmt Barth auch an, daß zwar Gottes Sohn Mensch, der Mensch Jesus von Nazareth aber keinesfalls Gott wurde.501 Das Heilshandeln Gottes am Menschen muß nach Barth vollkommen einseitig gedacht werden; der Mensch ist als bloßer, passiver Heilsgegenstand beschrieben. Zugleich geht Barth jedoch davon aus, daß in der communio von menschlichem und göttlichem Wesen in Jesus Christus auch das menschliche Wesen am göttlichen Wesen Anteil habe.502 VI.1.3.1. Communicatio idiomatum Die Anteilhabe des menschlichen Wesens am göttlichen Wesen in Jesus Christus muß sich nach Barth, der zum Wesen Gottes dessen freie Liebe samt allen göttlichen Vollkommenheiten zählt, – welche eben darum nicht als besondere „Eigenschaften“ Gottes bezeichnet werden,503 – als Anteilhabe an Gottes Allmacht, Allgegenwart, Ewigkeit und Weisheit gestalten. Umgekehrt seien dem göttlichen Wesen „Zeitlichkeit“ und „Mitmenschlichkeit“ sowie „Versuchlichkeit“, „Leidensfähigkeit“, „Sterblichkeit“, und das „Verfallensein an das Nichtige“, überhaupt 499 500 501 502 503
KD IV,2,64,70. S. dazu v. a. KD III,1,40,34 und KD IV,2,64,39. KD IV,2,64,77. S. KD IV,2,64,79. S.o. III.1.1.
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sämtliche Wesenszüge und Eigenschaften, welche das menschlichfleischliche Wesen ausmachen, „zu eigen“.504 Diese gegenseitige Anteilhabe der beiden Wesen aneinander bezeichnet Barth als communicatio idiomatum. Allerdings schließt er aus, daß durch die gegenseitige Teilhabe an den einander entgegengesetzten Eigenschaften und „Vollkommenheiten“ das menschliche Wesen gar apotheosiert, vergottet werde.505 Umgekehrt verliere das göttliche Wesen seine „echt göttliche Majestät“ nicht.506 – Barth hält Aussagen vom Tod Gottes für ebenso „mutwillig und ohne biblischen Anlaß ersonnene Sätze“ wie den Satz: „’Der Mensch Jesus Christus ist allmächtig“.507 „Vergottung“ wie „Vermenschlichung“ nehmen nach Barth die „Geschichte“, die sich in Jesus Christus zwischen Gott und Mensch ereigne, nicht ernst; sie berücksichtigten nicht, was das echt menschliche und was das echt göttliche sei. Denn die versöhnende und heilbringende Geschichte, die zwischen Gott und Mensch stattfinde, beruhe gerade darauf, daß in Jesus Christus vollkommene Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch in ihrer jeweiligen Verschiedenheit bestehe und in ihm das vollkommen Unvereinbare vereinigt sei.508 Vor allem aber würde die Apotheose der Menschheit Jesu Christi dazu führen, daß das menschliche Wesen überhaupt als „vergottungsfähig“ gedacht würde. „Ist nämlich das menschliche Wesen Jesu Christi nicht definitionsmäßig das aller Menschen?“509 Die Vermenschlichung der Gottheit Jesu Christi wiederum würde implizieren, daß Gott der Schöpfer und Gott der Erlöser ebenso wie Gott der Versöhner derart vorgestellt werden müßten, als könnten auch sie Mensch werden. Die Schwierigkeit, die bei Barths Verständnis der communicatio idiomatum besteht, ist seine Identifikation von Wesen und Eigenschaften Gottes. Indem Barth alle Eigenschaften oder genauer „Vollkommenhei504 KD IV,2,64,80. Die Ausdrucksweise „zu eigen“ ist ungenau. Denn die menschlichen Eigenschaften sollen nach Barth gerade nicht Eigentum oder Eigentümlichkeit Gottes sein. 505 Zur „Divinitt des Menschen Jesus“ s. KD III,2,45,247 ff. 506 KD IV,2,64,87. 507 KD IV,2,64,83; s. schon KD I,1,10,418: Nach Barth darf weder gesagt werden: „Gott der Vater ist gestorben“, noch: „Jesus von Nazareth oder der Geist von Pfingsten hat Himmel und Erde erschaffen.“ S. dagegen Martin Luther, WA 50, KuK, 589,33 – 590,1. 508 S. KD IV,2,64,87. 509 KD IV,2,64,88. – S. KD IV,2,64,90: Nach Barth ist die „idealistische“ „Apotheose der menschlichen Natur […] in der lutherischen Form der Idiomenlehre längst vorgesehen“. S. dazu in Kapitel IV, I.1.
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ten“ Gottes zu Gottes Wesen rechnet, muß er die Mitteilung der göttlichen Eigenschaften verneinen. Nur indem er die Mitteilung göttlicher Eigenschaften und damit die Mitteilung des göttlichen Wesens an das menschliche ausschließt, nimmt er an, jeglicher Vergottung des menschlichen Wesens wehren zu können. Damit aber stellt sich nicht nur die Frage, wie dann überhaupt von einer Anteilhabe des menschlichen Wesens an dem göttlichen die Rede sein kann.510 Auch müßte dementsprechend eine neuschaffende, wesensverändernde Bestimmtheit des menschlichen Wesens durch Gottes Liebe und Gnade ausgeschlossen sein, welche Barth jedoch als den Grund der Verbundenheit beider Wesen benennt.511 VI.1.3.2. Communicatio gratiarum Mit seinem Verständnis der communicatio gratiarum „ersetzt“ Barth nicht die lutherische Lehre von der communicatio idiomatum.512 Doch geht er davon aus, daß diese nur dann recht verstanden sei, wenn die Teilhabe des göttlichen und des menschlichen Wesens aneinander als in der freien Liebe und Gnade Gottes begründet beschrieben wird. Die Teilnahme und Teilhabe des göttlichen und des menschlichen Wesens aneinander, die nicht als Verwandlung und nicht als Vermischung der beiden Naturen gedacht werden dürfe,513 setzt nach Barth grundlegend die liebende Zuwendung des ewig treuen Gottes zum Menschen voraus. Gott habe sich „in höchster Bewährung seiner Treue nicht nur gegen uns, sondern zuerst und vor allem gegen sich selber“ in Jesus Christus für den Menschen „erniedrigt“.514 Weil Gott sich selbst in seiner ewigen und freien Liebe und in seiner allmächtigen Barmherzigkeit zum Bund mit dem Menschen erwählt und bestimmt habe, habe er sich das sündige Sein des Menschen zu Herzen gehen lasse und sein göttliches Wesen habe an der menschlichen Natur Anteil genommen: „Gottes Souvernitt wohnt in seiner, in dieses Menschensohnes geschöpflicher Abhängigkeit, Gottes Ewigkeit in seiner zeitlichen Einmaligkeit, Gottes Allgegenwart in seiner räumlichen Begrenztheit, Gottes Allmacht in seiner Schwachheit […].“515 510 511 512 513
S. dazu u. VI.1.3.3. S. dagegen allerdings den folgenden Abschnitt. So Jçrg Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, 88/89. S. KD IV,2,64,43: „Dieses Werk Gottes, die Inkarnation, schließt keinen Verzicht Gottes auf seine Gottheit in sich. Er verwandelt sich in ihr nicht in einen Menschen.“ 514 KD IV,2,64,92.93. 515 KD IV,2,64,94.
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Diese Anteilnahme des göttlichen Wesens am menschlichen Wesen, die, ohne sie auszutauschen, an den göttlichen Eigenschaften Anteil gibt, bedeutet nach Barth die „Erhçhung“ der menschlichen Natur, nicht aber deren Vergottung. Ohne selbst göttlich zu werden, sei das menschliche Wesen im Inkarnierten zu Gott erhöht worden, weil sich Gott in seiner freien Gnade und Liebe dem Menschen in Jesus Christus zugewendet habe. Erhöht und erhoben sei es also, insofern es „durch die Gnade Gottes“ vollkommen bestimmt sei.516 Der Menschgewordene ist entsprechend durch die Gnade Gottes, „durch sie und in ihr und nur so: nicht abstrahiert, nicht gelöst von ihrem Erweis, von ihrem Geschehen. Er ist nicht an sich. Er ist nur von seinem göttlichen Ursprung her.“517 In seinem Sein allein aus Gnade sei sein Wille der Macht des Nichtigen enthoben und sein menschliches Wesen bleibe also sündlos. „Man kann auch sagen: die Gnade des Ursprungs Jesu Christi bedeutet die prinzipielle Erhebung seiner menschlichen Freiheit zu deren Wahrheit, d. h. in den Gehorsam, in dessen Ausübung sie – keine übermenschliche, sondern gerade die rechte menschliche Freiheit wird. Man versteht sie von da aus als die Gnade der Sðndlosigkeit seines menschlichen Wesens.“518
Auf Grund der Gnade Gottes, die ihn erfülle, habe der Inkarnierte sein liberum arbitrium nicht verleugnet, sondern damit die göttliche Bestimmung des menschlichen Wesens erfüllt. Neben der Sündlosigkeit Christi wirkt nach Barth die Gnade Gottes auch die ständige und vollkommene Teilhabe des Inkarnierten an der „Gegenwart und Machtwirkung des Heiligen Geistes“.519 Entsprechend gelte dem Menschgewordenen neben dem Wohlgefallen Gottes des Vaters an seiner Sündlosigkeit auch die erfüllende Zuwendung des Heiligen Geistes; „wo der Sohn ist, da ist gleichen göttlichen Wesens mit ihm auch der Vater und wieder gleichen Wesens mit ihm auch der Heilige Geist.“520 Und in eben dieser Gemeinschaft Jesu Christi mit Gott Vater und Heiligem Geist ist nach Barth das menschliche Wesen „in seine Wahrheit“ erhoben.521 Allerdings kann die Gemeinschaft Gottes des Vaters und des Heiligen Geistes mit dem Inkarnierten gerade nach Barth nicht so gemeint sein, als 516 KD IV,2,64,97. 517 KD IV,2,64,100. 518 KD IV,2,64,101. Christus hat nach Barth „den inneren Widerspruch des menschlichen Wesens, indem er sich dieses auch in seiner Verkehrtheit zu eigen machte, nicht wiederholt, nicht aufs neue wahrgemacht.“ 519 KD IV,2,64,103. 520 KD IV,2,64,103. 521 KD IV,2,64,105.
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wäre Gott in der Seinsweise des Schöpfers und des Erlösers in Jesus Christus selbst präsent. Denn dann wäre die Unterschiedenheit der drei Seinsweisen nicht mehr gewahrt, die gerade im unterschiedlichen Wirken des einen göttlichen Wesens zum Ausdruck komme. Dann wäre vielmehr das eine göttliche Wesen als solches durch den Versöhner offenbar, was nach Barth, der ausschließlich die Offenbarung des Wesens Gottes als des Wirkenden für möglich hält, nicht sein kann. Weil der menschgewordene Sohn Gottes in vollkommener Gemeinschaft mit Gott Vater und Heiligem Geist auf Erden existiere, ist er nach Barth zum Mittler zwischen Gott und den Menschen qualifiziert. Er sei das dazu mit der nötigen göttlichen Macht und Vollmacht – nicht aber mit Allmacht522 – ausgestattete „notwendige geschöpfliche Medium“, das zudem menschlichen Wesens sei.523 Die ewige Absicht Gottes zum Bund mit seinen menschlichen Geschöpfen bedürfe des geschöpflichen Mediums und menschgewordenen Mittlers, der selbst die Vereinigung oder Verbündung von Gottheit und Menschheit darstellt. „Gerade indem der Schöpfer sich herabließ, ein Geschöpf zu werden, hat er das Geschöpf – nicht zum Schöpfer gemacht, aber in seiner Existenzeinheit mit seinem Sohn in die Gemeinschaft mit seinem Sein als Gott, Schöpfer und Herr aufgenommen. Nicht erst in Jesu Christi Auferstehung und Himmelfahrt hat er das getan.“ Auferstehung und Himmelfahrt Christi seien zwar „die erste, partikulare, vorübergehende Offenbarung“ des göttlichen Handelns zur Erhöhung des menschlichen Wesens. Doch die Erniedrigung selbst sei schon die Erhöhung desselben. Und dies werde durch Christi Wiederkunft als die „zweite, universale, definitive Offenbarung“ nur bestätigt, aber damit auch vollendet werden.524 Durch die Erniedrigung des Gottessohnes ist nach Barth bereits die Verbündung des menschlichen Wesens mit Gott für alle Zeiten „hergestellt“.525 Es widerfahre allem Fleisch, eben dem menschlichen Wesen überhaupt, im Fleisch Christi die „communicatio gratiarum, die Erhebung des menschlichen Wesens“ zum Bund mit der göttlichen Natur.526 Unter dem Widerfahrnischarakter dieser Erhebung versteht Barth allerdings ein 522 S. KD IV,2,64,109. 523 KD IV,2,64,109. Nach Barth sind für das Mittlerwerk Christi eine menschliche Seele und ein menschlicher Leib von Nöten, „weil da menschlich zu reden und zu handeln, zu leiden und zu streiten, zu beten und zu helfen, zu unterliegen und zu überwinden ist, darum und dazu ist ihm menschliches Wesen notwendig.“ (ebd.) 524 KD IV,2,64,110/111. 525 KD IV,2,64,112. 526 KD IV,2,64,114.
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Zweifaches; er unterscheidet außer den beiden genannten Offenbarungen auch Gottes objektive von seiner subjektiven Offenbarung.527 VI.1.3.3. Communicatio operationum Die Erhebung, die dem Menschen Jesus von Nazareth durch seine göttliche Aufnahme widerfahre, ist nach Barth von Bedeutung für alle menschlichen Geschöpfe. Denn in der „Geschichte“, in der Gott Mensch werde, werde der Mensch zwar nicht selbst Gott, doch werde das menschliche Wesen überhaupt in die Gemeinschaft mit dem göttlichen erhoben. Es werde dabei, „ohne in sich ein anderes zu werden, seinerseits dem göttlichen Wesen parallel geschaltet“ und sei somit eben „das in die Gemeinschaft mit Gott erhobene menschliche Wesen.“528 Auf dem Boden dieser Parallelschaltung geschieht nach Barth die communicatio operationum, „die gemeinsame Verwirklichung des göttlichen und des menschlichen Wesens“ in Jesus Christus.529 Das göttliche und das menschliche Wesen würden in Jesus Christus derart verwirklicht, daß dabei ihre Verschiedenheit gewahrt bleibe und entsprechend die Herrschaft des Göttlichen und der Gehorsam des Menschlichen aufeinanderträfen. „Genau da, wo das Göttliche herrscht, offenbart, schenkt, genau da dient, bezeugt, vermittelt das Menschliche.“530 An der Bestimmung der communicatio operationum, die Barth vornimmt, ist zum einen fraglich, inwiefern von einer gemeinsamen Verwirklichung von göttlicher und menschlicher Natur die Rede sein kann, obwohl Barth für das menschliche Wesen in seiner Bezogenheit auf das göttliche grundlegend bloße Passivität annimmt.531 Der Gehorsam, den das 527 S. dazu u. VIII. 528 KD IV,2,64,127. S. dazu Jçrg Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, 89. Dierken hält fest, daß nach Barth gemäß seinem Verständnis von communicatio gratiarum Jesus Christus als wahrer Mensch für die Versöhnung nicht von Bedeutung ist. „Indem Barths Christologie sowohl die Bestimmtheit als auch die Realität und Existenz des zu versöhnenden Menschen exklusiv auf Gott in Jesus Christus zurückschiebt, zahlt sie für die Negation einer außerhalb Gottes in Christus angesiedelten Sphäre der Realisierung der Versöhnung einen hohen Preis: Sie wird tendenziell doketisch.“ S. auch Regin Prenter, Karl Barths Umbildung der traditionellen Zweinaturlehre in lutherischer Beleuchtung, 84: Für Barth sei „die Menschlichkeit Jesu im Grunde nur ein passives Material“ und a.a.O., 92. 529 KD IV,2,64,127. 530 KD IV,2,64,129. 531 S. dazu o. VI.1.2.
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menschliche Wesen üben soll, muß nach Barth als von Gott her aufgegebene Tätigkeit angesehen werden, die keineswegs auf eigener Einsicht, sondern auf dem rein passiven Empfang der Anteilhabe am göttlichen Wesen oder vielmehr auf dem rein passiven Empfang des Wortes Gottes gründet, den Gott aus freiem Wohlgefallen wirkt.532 Gott erst und er allein „verleiht“ dem fleischlich-menschlichen Wesen, das als solches unter der Sünde steht, die Möglichkeit zum Empfang und zur Erkenntnis des Wortes Gottes. Gott verleihe die Erkenntnismöglichkeit, die damit des Menschen Möglichkeit werde, „ohne doch […] aufzuhören, ganz und gar seine, des Wortes Gottes, eigene, die nur ihm eigene Möglichkeit zu sein.“533 Sie bleibe die Erkenntnismöglichkeit, die der Gottessohn als Erkenntnisgegenstand selbst gewähre. Zum zweiten ist fraglich, wie auf dem Boden einer Parallelschaltung des menschlichen und göttlichen Wesens deren gemeinsame Verwirklichung den vollkommenen Gehorsam des menschlichen Wesens gegenüber dem göttlichen zur Folge haben soll. Denn schließlich wird nach Barth das vom Gottessohn angenommene fleischlich-menschliche Wesen kein anderes.534 Die oben gestellte Frage nach der Art und Weise der Anteilhabe des menschlichen Wesens an dem göttlichen wird von Barth zwar mit einer Näherbestimmung der communicatio idiomatum durch die communicatio operationum beantwortet. Doch für die Frage, inwiefern die der communicatio operationum zugrundeliegende Parallelschaltung ein Zusammenwirken des menschlichen Wesens mit Gott bedeuten kann, bleiben zwei unentschiedene Antwortmöglichkeiten übrig: Entweder muß ernstgenommen werden, daß Barth die Inkarnation des Gottessohnes als „neue Schöpfung“ bezeichnet535 und demnach für das menschliche Wesen in Jesus Christus eine radikale Wesensveränderung wirklich geworden sein muß. Oder es muß festgehalten werden, daß das Wirken des göttlichen Wesens am menschlichen Wesen gerade deshalb nichts ändert, weil dieses als solches 532 S. dazu KD IV,2,64,106: Erst und nur die „erwählende Gnade Gottes […] macht es [das menschlich-sündige Wesen] geeignet zu dem, wozu es dienen soll.“ 533 KD I,1,6,201. 534 S. dazu Jçrg Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, 89: „Die auch die ›communicatio operationum‹ dominierende Figur der ›communicatio gratiarum‹ hat daher die Pointe, daß das menschliche Wesen, ’ohne in sich ein anderes zu werden, seinerseits dem göttlichen Wesen parallel geschaltet [wird]’ (KD IV/2, 127; vgl. 214).[ ] Strenggenommen wird es deswegen kein anderes in sich, weil es auf Grund der Bestimmung seiner Existenz in der Person Jesu Christi als ein bestimmtes solches gar nicht existent sein kann.“ 535 S.o. Anm. 459.
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auf gewaltsame Weise zum Gehorsam gegenüber dem göttlichen Wesen gezwungen ist; seinem Wesen nach wird es also nicht verändert, aber sein Wirken ist ein anderes geworden. VI.2. Die Geburt Jesu Christi Daß Barth die Vereinigung von Gottheit und Menschheit für das Werk Gottes allein hält, das dem Menschlichen in Jesus Christus geschieht, das verdeutlicht insbesondere sein Verständnis der „Jungfrauengeburt“ Christi. Der „Mensch im Paradiese“ hat nach Barth536 noch die Fähigkeit und Möglichkeit zum Empfang der Offenbarung Gottes besessen. Deshalb hätte es im Paradies „des den Menschen als Werkgenossen Gottes zurückweisenden Zeichens ex virgine nicht bedurft.“537 Weil jedoch der Paradieszustand faktisch nicht mehr vorhanden sei und die menschliche Natur „von sich aus keine Möglichkeit [habe], von Gottes Wort aufgenommen zu werden in die Einheit mit ihm selber“, müsse, damit die Gottesgemeinschaft wieder möglich werde, an dieser menschlichen Natur ein „Zeichen“, ein „Geheimnis“ und ein „Wunder“ geschehen, eben das Wunder der Geburt Christi.538 In Folge dieses einen „Wunders“ und in Übereinstimmung mit ihm beschreibt Barth eine jede Neuschöpfung des sündigen Menschen, die durch den rein passiven Empfang des Wortes Gottes und die damit gegebene Aufnahme in die Gottesgemeinschaft vollzogen werde, gleichfalls als ein „Wunder“.539 Das Geheimnis und Wunder der Geburt Jesu Christi besteht nach Barth darin, daß diese nicht an die Kontinuität des sonstigen Geschehens in der Welt und die sonst übliche Weltordnung gebunden sei. Als Geburt ex virgine sei sie mit Gottes creatio ex nihilo in Zusammenhang zu sehen. Denn die zweite Schöpfung oder Neuschöpfung ex Maria setze zwar die erste Schöpfung voraus, jedoch als eine solche, die neu zu gestalten sei.540 Die Neuschöpfung der Schöpfung geschieht nach Barth durch das Wirken des Heiligen Geistes, der auch die Geburt Christi aus der Jungfrau Maria gewirkt habe. Denn allein dem Heiligen Geist als der dritten Person der 536 537 538 539
S. dazu o. I.1. KD I,2,15,206 (Hervorhebung von A.K.). KD I,2,15,206. Zum Wunderverständnis Barths s. o. III.2.2. – Zu Barths Verständnis von „Neuschöpfung“ s.u. VII. 540 S. KD I,2,15,204. S. dazu KD IV,2,64,48.
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Trinität sei solch ein kreatorischer Wunderakt möglich: Er finde in der Natur des Menschen keinen Anknüpfungspunkt541, sondern benutze die alte Schöpfung – ähnlich wie er die Jungfrau Maria benutzt – nur gleichsam als Material für sein wunderbares Wirken.542 Der Heilige Geist allein wirke die Geburt des Menschgewordenen und ebenso die Neuschöpfung der sündigen Menschen insgesamt, die – gleich wie Maria – immer bloß passiv die schöpferische Gnade Gottes empfangen könnten, indem ihnen dazu die Möglichkeit verliehen werde.543 Die Möglichkeit, Mutter des Gottessohnes zu werden, habe Maria nicht von sich aus, vielmehr erhalte sie diese, „indem der Gottessohn Fleisch annimmt“.544 „Auch dem fiat mihi der Maria ging doch der Beschluß und die Verheißung Gottes voraus: es bestätigte sein Werk, es trug aber nicht das Geringste dazu bei.“545 Indem Barth die Passivität des Menschen angesichts der Gnadenzuwendung Gottes betont, vernachlässigt er nicht nur das Geschaffensein des Menschen durch Gott auf Gottes Heilszuwendung hin und stellt damit den ewigen Heilsplan des ewig-treuen, allmächtigen und weisen Schöpfers in Frage. Überhaupt setzt die Annahme, daß die geschaffene menschliche Natur durch die Sünde des Menschen vernichtet werde, eine gegenüber der Macht des Schöpfers unverhältnismäßig hohe Macht des Menschen und des Nichtigen voraus; diese Macht soll eben die Unfähigkeit zum Empfang der Gnadenzuwendung Gottes und damit die faktische Änderung seines ewigen Heilsplans bewirkt haben. Drittens bedingt die These von der schlechthinnigen Passivität beim Gnadenempfang die Annahme einer göttlichen Gewaltanwendung an Maria und einem jeden Glaubenden, bei der jegliche freie Zustimmung des Menschen zum Wort Gottes ausgeschlossen ist.546 541 S. dazu KD I,2,15,196/197. 542 „Ist man sich […] darüber klar, daß mit dem Heiligen Geist schlechterdings Gott selbst als der Urheber des Zeichens der Jungfrauengeburt angegeben ist, dann weiß man, daß man mit dem Bekenntnis zu der Wirklichkeit dieses Zeichens von vornherein darauf verzichtet hat, es als eine natürliche Möglichkeit zu verstehen“ (KD I,2,15,216). 543 S. dazu u. VII. 544 KD I,2,15,209: „Dieser Mensch, die virgo, wird die Möglichkeit, wird die Mutter des Gottessohnes im Fleische. Wohlverstanden: sie ist es nicht, sie wird es; und sie wird es nicht aus eigener Fähigkeit, sondern indem der Gottessohn Fleisch annimmt, bekommt sie sie.“ – S. dazu KD I,1,6,194 – 261. 545 KD IV,2,64,48. 546 Diesen Eindruck bestätigen die bereits in der Einführung genannten Zitate.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
VI.3. Tod, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi Nach Barth hat der dreieinige Gott bereits in der Inkarnation des Gottessohnes das menschliche Wesen in die Gottesgemeinschaft aufgenommen. Doch habe sich die Offenbarung dieses Heilshandelns Gottes erst nach dem Tod Jesu Christi mit dessen Auferstehung und Himmelfahrt ereignet. Auferstehung und Himmelfahrt sind nach Barth das „abschließende und zusammenfassende, das entscheidende und eindeutige Offenbarungsereignis“ im Blick auf die geschichtliche und irdische Existenz des Fleischgewordenen. Die Offenbarung des Fleischgewordenen in Auferstehung und Himmelfahrt macht nach Barth deutlich, daß der Gottessohn zwar von Anbeginn seiner fleischlichen Existenz an wahrer Mensch und wahrer Gott zugleich war. Doch sei er zeit seines irdischen Daseins nur „virtuell und potentiell“ wahrer Mensch und wahrer Gott gewesen, weil die Vollendung seiner Existenz noch ausgestanden habe. Erst in seinem Kreuzestod sei sein Sein als wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich „aktuell und effektiv vollbracht und vollendet“ gewesen. „Sein Tod am Kreuz war und ist der vollendete Vollzug der Fleischwerdung des Wortes“.547 Die Fleischwerdung des Gottessohnes ist nach Barth erst mit dem Tod des Fleischgewordenen, der dessen Menschsein und Erniedrigung besiegele,548 in „abgeschlossener Wirklichkeit“ geschehen.549 Erst mit dem Tod sei in vollendeter Realisierung vorhanden gewesen, was „in Wahrheit“ schon von Ewigkeit her auf Grund von Gottes Gnadenwahl gegolten habe.550 Im Tod Jesu Christi habe die Erniedrigung Gottes ihren tiefsten Punkt erreicht, ihr folge die Offenbarung der Erhöhung des menschlichen Wesens in Auferstehung und Himmelfahrt.551 Diese Erhöhung als das Ziel göttlichen Wirkens am Menschen552 habe ihren Grund in „Gottes ewiger Gnadenwahl“ und setze die Inkarnation des Gottessohnes voraus; als wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich ist nach Barth der Inkarnierte 547 Die Belegstellen der Zitate dieses und des vorangehenden Abschnittes finden sich in KD IV,2,64,156.157. 548 S. KD IV,2,64,129: „Das eine Leiden und Sterben Jesu Christi ist die letzte Tiefe der Selbsterniedrigung Gottes“. 549 KD IV,2,64,157. 550 S. KD IV,2,64,32. 551 S. KD IV,2,64,151; s. auch a.a.O., 169 ff. 552 S. dazu KD IV,2,64,148: Es ist nach Barth die in Jesus Christus „geschehene Erhöhung des Menschen die vollzogene Erfüllung des Bundes, die vollbrachte Versöhnung der Welt mit Gott.“
VI. Inkarnation
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immer schon der Erniedrigte und Erhöhte zugleich.553 Ihren „Offenbarungsgrund“ besitze die Erhebung des menschlichen Wesens jedoch in Auferstehung und Himmelfahrt des Inkarnierten nach der Vollendung der Inkarnation im Kreuzestod.554 Demgemäß schreibt Barth zwar schon der irdischen Existenz Christi „Offenbarungscharakter“ zu, doch nennt er Auferstehung und Himmelfahrt „die seinem vollendeten Werk entsprechende vollendete Offenbarung Jesu Christi.“555 Diese Offenbarung könne durch die zweite, noch ausstehende Offenbarung bei der Wiederkunft Christi nur bestätigt werden.556 Daß sein Tod am Kreuz nicht nur seine Inkarnation vollendet, sondern zugleich die Entmachtung des Todes bedeutet, das offenbart nach Barth die Auferweckung Jesu Christi von den Toten, die Gott selber wirke und der die Auferstehung Christi folge;557 „Gott hat ihn auferweckt und so ist er ’auferstanden’.“558 Daß Jesus Christus der zugleich Erniedrigte und zu Gott Erhöhte ist, ist nach Barth dem Menschen angesichts der Auferstehung und Himmelfahrt Christi offenbar, insofern der Heilige Geist davon Zeugnis gebe. Das Zeugnis des Heiligen Geist mache dem Menschen aber nicht nur die Erhöhung des menschlichen Wesens in Jesus Christus, sondern auch deren Geltung für ihn als einzelnen Menschen offenbar.559 In Anbetracht dieses Sachverhaltes müßte konsequenterweise (auch) das Wirken des Geistes als „Offenbarung“ bezeichnet werden. Barth aber schreibt dem Wirken des Geistes das „Offenbarsein“ der „Offenbarung“ Gottes in Jesus Christus zu.560 Er unterscheidet damit die Offenbarung, die Gott in Jesus Christus wirkt, vom Offenbarsein dieser Offenbarung für den Menschen. Erst in ihrem Offenbarsein, nämlich vermittelt durch das offenbarende Wirken des Heiligen Geistes, betreffe die Offenbarung den Menschen derart, daß sie ihm als Heilshandeln Gottes widerfahre. Dabei ist nach Barth – wie die Interpretation im folgenden zeigt561 – das Zeugnisgeben des Heiligen Geistes so eng an das Wirken Christi gebunden, daß die Offenbarung geradezu ihr Offenbarsein selber wirkt. 553 554 555 556 557 558 559 560 561
S.o. VI.1.1. KD IV,2,64,131. KD IV,2,64,158. S. dazu o. Anm. 520. KD III,3,50,355. KD IV,2,64,170. S. KD IV,2,64,140. S. dazu o. III. S. dazu u. VII.2.
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VII. Neuschöpfung VII.1. Rechtfertigung und Heiligung Die Inkarnation des Gottessohnes, seine gesamte irdische Existenz samt seiner Geburt und seinem Tod, seiner Auferstehung und Himmelfahrt, ist nach Barth „an der Stelle aller anderen Menschen, im Vollzug ihrer Versöhnung“ geschehen.562 Stellvertretend für alle anderen Menschen habe sich Gott in Jesus Christus für den Menschen erniedrigt und das menschliche Wesen erhöht. Wenn diese stellvertretende Erhebung dem einzelnen Menschen durch den Heiligen Geist vermittelt als stellvertretende Erhebung seiner selbst offenbar ist, bedeutet dies nach Barth „die Erschaffung von dessen neuer Existenzform als Gottes getreuer Bundesgenosse“563. Diese Erschaffung sei als „creatio ex nihilo, [oder] vielmehr ex contrario“ zu verstehen,564 und sie sei konstitutiv für Rechtfertigung und Heiligung des (gottlosen) Menschen vor Gott. Rechtfertigung und Heiligung sind nach Barth „zwei verschiedene Aspekte des einen Heilsgeschehens“.565 Im Akt der Rechtfertigung geschehe die Erniedrigung des Gottessohnes zu Gunsten des sündigen Menschen. In ihm wende sich das göttliche Wesen in freier Gnade dem menschlichen zu, um es mit sich zu vereinigen und dadurch von seinem Hochmut, von seiner sündhaften Selbstbezogenheit zu befreien; es soll im Glauben zu Gott erhöht werden. Als gerechtfertigter und zu Gott erhöhter Menschen werde dieser in seiner Heiligung in die Nachfolge Jesu des Erhöhten gestellt und sei entgegen seiner Trägheit zum Handeln in Liebe und im Bund mit dem Erhöhten aufgefordert.566 Rechtfertigung wie Heiligung sind nach Barth durch Jesus Christus, durch seine Erniedrigung und seine Erhöhung, immer schon de iure geschehen und stehen als solche den Menschen gegenüber. Rechtfertigung und Heiligung des Menschen seien in Jesus Christus vollzogen „unabhngig davon, ob auch nur eines einzigen Menschen Glaube und Liebe dem entspreche! So geht sein Geben allem Nehmen von unserer Seite auch darin souverän voran, daß es in sich nicht nur wirklich, sondern auch wahr 562 563 564 565
KD IV,2,64,298. KD IV,2,66,565 (Leitsatz). KD IV,1,61,640. KD IV,2,66,569. Nach Barth sind Rechtfertigung und Heiligung ebenso „unvermischt und unverwandelt“ wie das göttliche und das menschliche Wesen in Jesus Christus (ebd.). 566 S. KD IV,2,66,574/575.
VII. Neuschöpfung
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[…] ist“.567 Ebenso wie Barth Gottes Offenbarung in Jesus Christus vom Offenbarsein dieser Offenbarung durch den Heiligen Geist unterscheiden will, so nimmt er auch an, daß die in Jesus Christus geschehene Rechtfertigung und Heiligung des Gottlosen von dem Glauben und der Liebe des de facto gerechtfertigten und geheiligten Menschen unterschieden werden müsse. De facto betreffe die Rechtfertigung diejenigen, die im Glauben ihr eigene Rechtfertigung anerkennen und erkennen. Dazu aber sei deren Neuschöpfung, deren geistige Neuschöpfung oder auch die Neuschöpfung ihrer Geistigkeit568 vorausgesetzt. Entsprechend schafft nach Barth das rechtfertigende Urteil Gottes, wenn es den sündigen Menschen de facto trifft, „einen neuen Menschen, der vorher gar nicht existierte“.569 Heiligung widerführe de facto denjenigen, die in ihrer von Gott erschaffenen „neuen Existenzform“ – ebenso wie Christus selbst – den Bund mit Gott in Liebe halten.570 Dazu seien sie befähigt im Aufsehen zu Jesus Christus, dem Erhöhten. „Dieses Aufsehen ist ihre Heiligung de facto.“571 Die Befähigung zu diesem Aufsehen sei im Gehorsam gegen den Heiligen Geist gegeben, wobei der Gehorsam des Menschen ganz allein „göttliche Gabe“ sei.572 Trotz Rechtfertigung und Heiligung bleiben nach Barth die Glaubenden und Liebenden Sünder; sie seien noch nicht erlöst.573 Denn die menschliche Situation sei durch Rechtfertigung und Heiligung erst „relativ“ verändert. Der sündige Mensch sei zwar bereits neugeschaffen, jedoch stünde der alte Mensch noch neben dem neuen; „der da unter der Bestimmung und im Begriff steht, ein total neuer Mensch zu werden, ist der in seiner Totalitt alte Mensch von gestern her.“574 Erlösung von diesem alten Menschen brächte erst die Erlösung bei der Wiederkunft Christi, auf welche die christliche Hoffnung gerichtet sei.
567 KD IV,3,69,7. 568 Eine Neuschöpfung der physischen Verfaßtheit des Menschen hat Barth nicht im Blick. 569 KD I,1,5,158. 570 KD IV,2,66,581; s. auch 582.585. 571 KD IV,2,66,597. 572 KD IV,2,66,598. 573 S. KD IV,2,66,600: „Heiligung ist ja ebenso wie Rechtfertigung noch nicht Erlösung, noch nicht Verherrlichung“; „wir können die Erlösung […] nur als zukünftige, d. h. als von Gott her auf uns zukommende verstehen. Wir haben sie im Glauben.“ (KD I,1,12,486) 574 KD IV,2,66,646. S. auch KD IV,1,63,840/841.
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Das Zugleich von altem und neuem Menschen identifiziert Barth mit dem lutherischen Zugleich von iustus und peccator.575 Die Wendung „simul peccator et iustus“ bezeichnet nach Barth jedoch die Wende des gerechtfertigten und geheiligten Menschen von seiner sündigen Vergangenheit hin zu seiner erlösten Zukunft. Das Zugleich von sündiger Vergangenheit und erlöster Zukunft betrifft nach Barth den neugeschaffenen Menschen in der Zwischenzeit,576 in welcher er mit Christus auf die Auferstehung hin noch begraben sei.577 Weil die beschriebene Wende die Ablösung von der sündigen Vergangenheit hin zur Erlösung impliziere, existiert nach Barth der Christenmensch zwischen Vergangenheit und Zukunft „nicht wie zwischen zwei gleichberechtigten, gleich mächtigen, gleich zuständigen Partnern.“578 Vielmehr überwiege das Gewicht der erlösenden Zukunft, auf das der neugeschaffene Christenmensch im Glauben an und in Gemeinschaft mit Jesus Christus, dem Auferstandenen, hoffe.579 In der Wende, die im Glauben erlebt werde, findet sich nach Barth der gerechtfertigte und geheiligte alte Mensch bereits in eine „neue“ Identität „hineinversetzt“.580 In seiner alten Identität werde der neugeborene Christenmensch von Gott nicht „ernst genommen“ und sei „dem ewigen Tode preisgegeben“. In seiner neuen Identität hingegen nehme Gott ihn ernst, und er sei „ins ewige Leben aufgenommen“.581 Weil der Christenmensch in seiner Wende und Umkehr von der Sünde hin zu Jesus Christus seine alte Identität verliere und verloren habe, gelange er schließlich dahin, „daß er gar nicht mehr sein kann, der er war, nur noch sein kann, der er sein wird.“582 Diese Bewegung des simul iustus et peccator muß nach Barth also als Ablösung von der „Unnatur“ des verlorenen Geschöpfs hin zur Verwirklichung des wirklichen Menschen und damit als Ablösung des einen
575 Vgl. dazu Gerhard Ebeling, Karl Barths Ringen, 479/480. 576 Nach Barth darf das Zugleich von sündigem und gerechtfertigtem Menschen nicht als „Dauerzustand“ angenommen werden (KD IV,2,66,648). 577 S. KD IV,1,59,356/357; s. dazu auch u. IX.3. 578 KD II,1,31,707. 579 KD II,1,31,708. S. auch KD IV,3,73,1056. 580 KD IV,2,66,648. 581 KD IV,2,66,648. 582 KD IV,2,66,649.
VII. Neuschöpfung
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Menschen durch den anderen verstanden werden. Dabei allerdings widerfahre dem Glaubenden die Neuschöpfung immer wieder neu.583 Obwohl nach Barth der gerechtfertigte und geheiligte Christenmensch gleich wie Jesus Christus auch mit Gott selbst in Gemeinschaft steht und vom Heiligen Geist erfüllt wird, sei er doch anders als Jesus Christus ein nur relativ neuer Mensch. Obwohl nach Barth der Heilige Geist dem Glaubenden und Liebenden die Auferstehung Christi offenbart hat, befinde dieser sich noch im Grab mit Christus, als ob ihm die Auferstehung zu „neuem“ Leben nicht gelte. Barths Differenzierung zwischen relativ und total neuem Menschen, mit der er den versöhnten vom erlösten Menschen unterscheidet, ist aber nicht nur deshalb problematisch, weil sie das durch den Heiligen Geist offenbarte Werk des Inkarnierten bezogen auf Gottes Heilsverwirklichung als sachlich unzureichend behandelt; Barth nimmt nämlich an, erst die Wiederkunft Christi bringe die Erlösung des Menschen im Unterschied zu der durch den Inkarnierten bereits gewirkten Versöhnung.584 – Nach Luther impliziert das simul iustus et peccator nicht das Zugleich des alten Sünders und seines erst zukünftigen Erlöstseins durch eine total neue Schöpfung, sondern das gegenwärtige Zugleich des gegenwärtigen Sünders und Gerechtfertigten. – Zudem versteht Barth unter der erwarteten totalen Neuerung des Menschen dessen Identitätsverlust zugunsten einer neuen Identität. Damit aber muß – wie für die bereits genannte Parallelschaltung des göttlichen und des menschlichen Wesens in Christus vermutet – angenommen werden, daß Versöhnung und Erlösung den sündigen Menschen selbst gar nicht treffen und erneuern, sondern ein anderes, neues Sein als das des Sünders betreffen. Überhaupt aber nimmt die Annahme eines zur Erlösung notwendigen Identitätsverlustes die (erste) Schöpfung Gottes des Schöpfers in ihrer gottgewollten Vollkommenheit nicht ernst. Indem Barth die totale Neuschöpfung des alten Menschen erwartet, deren Beginn er eben durch die Rechtfertigung gesetzt findet,585 583 S. KD IV,1,63,866: „Das ist es, was die Alten, die dem Christen nicht nur einmal, sondern immer aufs neue widerfahrende […] vivificatio nannten.“ Gleichwohl und grundlegend sei der Christenmensch „in der Erkenntnis des Glaubens zweifellos ein neues Subjekt geworden“. 584 Diese Annahme Barths verwundert auch im Blick darauf, daß er für die „zweite Offenbarung“ keinen anderen Inhalt annimmt als für die erste (s. o. VI.1.3.2). 585 Wie bereits gezeigt, besteht nach Barth für den in der Welt existierenden Menschen keine Möglichkeit zu einem Sein in Gemeinschaft mit dem Schöpfer. Vielmehr billigt Barth als Schöpfung, als Schöpfung im eigentlichen Sinne, eigentlich nur die Rechtfertigung und überhaupt die Neuschöpfung des an seiner
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geht er davon aus, daß die vorhandene Schöpfung einer totalen und radikalen Verbesserung bedarf, weil sie durch die Sünde dem Tode übergeben sei. Aber nicht nur die Schöpfung Gottes als Ganze, vor allem auch der einzelne Sünder wird – wie die Äußerungen Barths zu verstehen geben –, indem er dem Tod verfallen ist, weder von Gott noch von Barth selbst als sündiges Geschöpf ernstgenommen, obwohl doch gerade diesem das Heilswirken Gottes gelten muß. VII.2. Berufung Wie für Rechtfertigung und Heiligung auch ist nach Barth für die „Berufung“ des Menschen festzuhalten, daß es sich bei ihr „um eine neue Schçpfung handelt“; Berufung bedeute „totale Veränderung dessen, dem sie widerfährt.“586 Diese totale Veränderung und Verbesserung könne allerdings erst bei der Wiederkunft Christi tatsächlich wirklich werden. Die Bedeutung und das Ziel der Berufung liegen nach Barth darin, daß der Mensch zu einem Menschen geschaffen werde, der in der Nachfolge Christi als dessen Zeuge, als Zeuge des Wortes Gottes tätig sei, obwohl Christus des Menschen als seines Verkündigers eigentlich nicht bedürfe;587 die Berufenen sind nach Barth zum ministerium Verbi divini berufen.588 Die Berufung eines Menschen wirke der Inkarnierte selbst, und zwar – im Widerspruch zu CA V – „mit oder ohne ’Predigt und Sakrament’“.589
586 587 588
589
Sünde gestorbenen Sünders (s. o. V.). – S. KD I,1,10,408/409, KD IV,3,69,156 und KD III,1,42,418 ff. S. dazu Wilfried Hrle, Sein und Gnade, 89 ff. KD IV,3,71,586. Der Wille Gottes sei ausgerichtet auf die „totale Veränderung und Erneuerung“ der ganzen, sündigen Welt (KD IV,2,64,200). S. im folgenden. KD IV,3,71,554; s. auch a.a.O., 623. S. dazu a.a.O., 695: „Er [ Jesus Christus] beruft sie [die Menschen] aber dazu, seine Herolde zu sein. Er holt sie […] heran zum ministerium Verbi divini, zum Dienst an Gottes, an seinem Wort.“ Ihre Amtstätigkeit sei als Antwort auf widerfahrene Rechtfertigung und Heiligung zu verstehen. Der berufene Christ äußere seinen Glauben und übe sich in Liebe, indem er das Wort Gottes, durch das ihm seine eigene gerechtfertigte und geheiligte Gemeinschaft mit Christus offenbar geworden sei, dankbar verkündige. KD IV,3,71,593. Die „Berufung“ ist nach Barth nicht an „Predigt und Sakrament“ gebunden. S. dazu KD IV,3,71,594: Es müsse damit gerechnet werden, daß Jesus Christus „unabhängig von dem Dienst seiner Gemeinde […] auch noch ganz andere Wege ganz anderer Möglichkeiten wirksamster Berufung kennen und gehen möchte.“ – Ebenso wie diese Aussage Barths im Widerspruch zu CA V steht, befindet sie sich auch im Widerspruch zu Luthers Ausführungen in De servo ar-
VII. Neuschöpfung
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Jesus Christus selbst gebe dem Menschen „den berufenden und erleuchtenden, den heiligenden und erhaltenden Geist“, indem er in diesem sein Wort vom Evangelium selber spreche. „Des Menschen Berufung aber ist darum unter allen Umständen ein geistlicher Vorgang, weil ein anderes Subjekt als der in der Macht seines Wortes und so durch den Heiligen Geist direkt und unmittelbar handelnde lebendige Jesus Christus in ihr gar nicht in Frage kommt.“590 Das Wort Christi, das auf pneumatischem Weg den Menschen unmittelbar – nicht notwendig vermittelt durch die Predigt eines Menschen – erreiche, treffe diesen „wie ein Blitz einen Baum“ oder falle wie ein Samenkorn in die Erde und treibe in ihr Frucht.591 Der Blitz des Wortes Christi erleuchte die blinden Organe des Menschen und befähige sie dadurch zur Erkenntnis der Offenbarung Gottes.592 Gottes Offenbarung in Jesus Christus selbst verleihe in einem Schöpfungsakt den geschaffenen Organen des Menschen ihre Befähigung. „Man kann aber, um diesen Vorgang zu verstehen, nicht genug bedenken, daß es sich in ihm tatsächlich um eine neue Schçpfung handelt.“593 Mit dieser Beschreibung von Berufung, Erleuchtung und Offenbarung will Barth gerade einem Verständnis von Berufung entgegenwirken, das zum einen Gottes Menschen-Schöpfung als fruchtbaren Boden für den rezeptiven Empfang der Offenbarung Gottes erachtet. Er wendet sich zweitens gegen eine Theologie, die den Menschen als Gottes Verkündigungs-Kooperator ernstnimmt, und drittens gegen die Annahme, daß die Offenbarung Gottes einen jeden Menschen immer in dessen bestimmtem Gewordensein, ihn immer in seiner individuellen psychologischen wie physiologischen Entwicklung betrifft.594 Jedoch geht Barth davon aus, daß der durch das Versöhnungswerk Christi neugeschaffene Mensch immer noch auch seiner Vergangenheit verbunden ist, insofern er sich in der
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bitrio (WA 18, ServArb, 754,11 – 16); s. dazu Eberhard Jðngel, Karl Barths Lehre von der Taufe, 255 Anm. 35. KD IV,3,71,577. KD IV,3,71,580. S. KD IV,3,71,585. KD IV,3,71,586. Nach Barth orientiert sich dieser Schöpfungsakt eher nicht an den vorhandenen, aber noch unbrauchbaren Organen, sondern schafft sie eigentlich neu. S. dazu KD IV,3,71,582. – Genau die Ernstnahme des Gewordenseins eines Menschen entspricht allerdings Barths eigenem Vergleich der Berufung mit einem Samenkorn, das in einen fruchtbaren Boden fällt; seine Fruchtbarkeit verdankt der Boden seinem Gewordensein (s. a.a.O., 580). Jedoch muß – gegen Barth – der bloß passive Nährboden deutlich vom Menschen als einem Personwesen unterschieden werden.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Zwischenzeit zwischen Sünde und Erlösung bewege. Entsprechend kann auch Barth die Gebundenheit des „neuen“ Menschen an dessen einstige Entwicklung eigentlich nicht verleugnen. Ein viertes Problem besteht deshalb, weil Barth zwar einerseits die Geburt des Inkarnierten dem besonderen Wirken des Heiligen Geistes an der Jungfrau Maria zuschreibt und annimmt, in paralleler Weise vollziehe sich die Neuschöpfung eines jeden Menschen. Doch soll der Vorgang der Neuschöpfung an das Geistwirken und die Geistgabe Christi gebunden sein, so daß es nach Barth für den Vollzug der Glaubenskonstitution keines gesonderten und speziellen Wirkens der dritten Person der Trinität mehr bedarf. Diese These bestätigt Barth, indem er für das Zum-GlaubenKommen des Menschen nicht einmal die menschliche Verkündigung für nötig erachtet595 und somit einem besonderen Wirken des Heiligen Geistes auch gar keine besondere Möglichkeit zugesteht.596 So wie Barth den Vorgang der Berufung und Neuschöpfung insgesamt beschreibt, muß angenommen werden, er geschehe am Menschen, aber ganz ohne den Menschen, am Menschen vorbei und abgesehen vom Geschaffensein des Menschen durch Gott den Schöpfer allein als besondere Tat Jesu Christi, des Schöpferwortes. Die dreifache(!) Neuschöpfung durch Rechtfertigung, Heiligung und Berufung geschieht nach Barth zwar im Raum der Schöpfung und an den menschlichen Geschöpfen,597 doch könne das „Heilswerk“ Gottes, die Neuschöpfung des Sünders, obwohl sie durch das inkarnierte Schöpferwort vollzogen werde, eben „nicht einfach (wie Schleiermacher es wollte)“ als „Fortsetzung und Krönung“ des göttlichen „Schöpfungswerks“ angesehen werden.598 Zwar bemerkt Barth selbst, daß die durch Rechtfertigung, Heiligung und Berufung gewirkte Gemeinschaft des Christen mit Christus, dem Schöpferwort, die „Begegnung von zwei ihre Identität und Eigenart nicht verlierenden, sondern gerade in dieser Begegnung bewährenden perso595 S. dazu ausführlicher u. IX.1. 596 S. dazu Jçrg Dierken, Glaube und Lehre im modernen Protestantismus, 99: Dierken hält für Barths Lehre vom Heiligen Geist fest, sie sei eine „im Kontext der Barthschen Theologie unweigerlich zu einem Kümmerdasein verurteilte Pneumatologie“. S. auch a.a.O., 94: Der Heilige Geist sei bei Barth „nur der ’verlängerte Arm’ Jesu Christi“. „Der Heilige Geist ist nichts als die unselbständige Abbildung der Selbstbezeugung Jesu Christi.“ 597 S. dazu o. VII.1. 598 KD II,1,31,570.
VII. Neuschöpfung
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nalen Partnern“ sei.599 Doch impliziere diese „unio cum Christo“600, ebenso wie die unio von Mensch und Gott in Jesus Christus, die passive Aufnahme des menschlichen Seins durch den Gottessohn, welche die Erhöhung und die Dankbarkeit des Menschen bewirke.601 Die Neuschöpfung, die unio cum Christo oder das Zum-Glauben-Kommen des Menschen, welches dessen Anerkennen, Erkennen und Bekennen des Wortes Gottes impliziere,602 komme zustande, insofern der einzelne Mensch in seiner Passivität durch die „Gewalt“ Christi bestimmt und zum Glauben gebracht werde. Zwar sei die Gewalt Christi befreiende Gewalt.603 Doch ist sie nach Barth insofern Gewalt, als sie die Christenmenschen alternativlos und unausweichlich604 unter die Herrschaft Christi stellt, der sogar als in den Christen räumlich präsent605 gedacht werden soll: „Christus spricht, handelt, herrscht […] als der Herr ihres Denkens, Redens und Wirkens.“ „Ihr eigenes Denken, Reden und Wirken hat […] sein regierendes, bestimmendes Prinzip im Sprechen, Handeln, Herrschen Christi.“606 Und eben darin bestehe das wahre Sein der Christenmenschen,607 die Erfüllung ihrer 599 600 601 602 603
604 605
606 607
KD IV,3,71,629. KD IV,3,71,630. S. dazu o. VI.1.1. S. KD IV,1,63,839 f. S. KD IV,3,71,608; s. dazu o. KD I,1,5,155 ff. Um die Größe der glaubenwirkenden Macht Gottes und die menschliche Unmöglichkeit ihr zu widerstehen zum Ausdruck zu bringen, verwendet Barth den Ausdruck „Gewalt“. Allerdings jedoch impliziert „Gewalt“ nicht nur die Unfähigkeit, sondern noch viel mehr die Unfreiheit zur Ablehnung der göttlichen Zuwendung. – S. dazu auch Friedrich Wilhelm Graf, Die Freiheit der Entsprechung zu Gott, 114: Graf hält fest, daß nach Barth der Mensch nur dazu frei ist, „sich Gottes Selbstentsprechung gegenüber nicht inadäquat [zu] verhalten“. Wenn jedoch „die Freiheit des Menschen als bloße Entsprechung zum In-Entsprechung-gestellt-Sein zu Gottes Selbstentsprechung und durch Gottes Selbstentsprechung definiert [ist], erweist sich auch die Freiheit Gottes als dem Gedanken der Freiheit inadäquat gedacht. Denn die Herrscher-Freiheit Gottes ist selbst wesentlich als Zwang bestimmt, insofern sie als Freiheit des unbedingt sich selbst Bestimmenden nur als der Zwang der Identität zu sich selbst gedacht werden kann, qua Gleichschaltung unbedingte Geltung zu erlangen.“ (a.a.O., 115). – S. zur Unterscheidung von Macht und Gewalt: Hannah Arendt, Macht und Gewalt. S. dazu u. IX.3. (s. KD IV,4,178). S. KD IV,3,71,629: Ausgerechnet in den Christenmenschen soll nach Barth die räumliche Distanz zwischen Gott und Mensch verschwinden, obwohl es doch nach Barth Gottes Allgegenwart auszeichnet, daß sie Gottes Räumlichkeit impliziert (s. o. III.1.3.). KD IV,3,71,629. S. KD IV,3,71,636.
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Bestimmung, die nicht ihre Vergöttlichung, jedoch sehr wohl eine neue Identität, nämlich das Identischsein mit Christus bedeutet, gegen das sich Barth eigentlich verwehrt608 ; anders als in Identität mit Christus ist nach Barth dem Christenmenschen christlich zu handeln nicht möglich. Wenn diese These Barths zuträfe, könnte allerdings die von Barth behauptete Freiheit des Christen nicht gegeben sein.609 Freiheit im Handeln, und zwar im dankbaren Handeln kann für den einzelnen Christen nur dann bestehen, wenn er in seinem Selbstbewußtsein fundamental von Jesus Christus bestimmt ist und folglich sein Denken und Wollen prinzipiell, aber nicht unmittelbar unter der Herrschaft Christi steht. Insofern Barth jedoch leugnet, daß die Frömmigkeit des Christen auf dessen unmittelbarem Selbstbewußtsein basiert, und statt dessen davon ausgeht, daß sie in einem durch Christus regierten Denken, Wollen und Wirken besteht, kann von einem individuellen, selbsttätigen, freien und wahrhaft dankbaren Handeln des Christen in der Welt keine Rede sein.610 Indem Barth zudem die glaubende Annahme der offenbarten Offenbarung Gottes für unausweichlich hält und eine Abweisung als unmögliche Möglichkeit beschreibt, die eben in der Sünde, vor allem in der Sünde der Lüge, ergriffen werde, schließt er zweitens menschliche Freiheit bei der durch den Heiligen Geist gewährten Entscheidung für die Gottesgemeinschaft und bei der widerfahrenden Erhçhung aus. Insofern er drittens verneint, daß Christsein die menschliche Rezeption der Offenbarung Christi voraussetzt, und statt dessen von einem rein passiven Erleiden dieser Offenbarung ausgeht, schließt er auch die Freiheit zum Empfang des Wortes Gottes aus.611
VIII. Die Ämter Christi Rechtfertigung, Heiligung und Berufung des Menschen sind nach Barth dem hohepriesterlichen, königlichen und prophetischen Amt Christi zugeteilt. Die Ausübung dieser Ämter mache das Versöhnungswerk Christi aus. Mit einem jeden Amt wende sich Christus gegen die drei Bestimmungen der Sünde als Hochmut, Trägheit und Lüge und befreie 608 609 610 611
S. KD I,2,15,177. S. dazu auch KD IV,3,71,625. S. dazu u. IX.1. und X. Die Neuschöpfung oder das Zum-Glauben-Kommen muß nach Barth als ein solches Wunder und Geheimnis verstanden werden, wie es für ihn auch die Jungfrauengeburt ist (s. dazu o. VI.2.).
VIII. Die Ämter Christi
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den Sünder von ihnen.612 Er richte sich dadurch gegen die Sünde, daß er die „subjektive Realisierung“ seines Versöhnungswerkes durch den Heiligen Geist wirke und somit Rechtfertigung, Heiligung und Berufung zu Ereignissen mache, die den Menschen de facto betreffen.613 Es stellt sich hier allerdings die Frage, inwieweit nach Barth ein glaubender Christenmensch von einer objektiv geschehenen Versöhnung ausgehen kann,614 da sie ihm doch nur als einem durch den Heiligen Geist zum Glauben gebrachten Individuum („subjektiv“) wirklich ist.615 Das hohepriesterliche Amt Christi umfaßt nach Barth die Erniedrigung Gottes in Jesus Christus bis zum Tod am Kreuz, durch welche die Befreiung von der Sünde des Hochmuts und damit Rechtfertigung oder Erhöhung des menschlichen Wesens für dieses in dessen geistgewirktem Glauben gegeben seien. Die Heiligung des Menschen wirke Christus in seinem königlichen Amt. In Ausübung dieses Amtes durch den Heiligen Geist tröste er den Menschen nicht nur im Glauben, sondern verpflichte ihn sogar zum Handeln in Liebe unter seiner königlichen Herrschaft. Gegen die Sünde der Lüge wende sich Christus in seinem prophetischen Amt, in welchem er durch die Verkündigung seines Wortes und Werkes im Heiligen Geist die neuschaffende Berufung des Menschen zur wahrhaften Verkündigung des göttlichen Wortes und Werkes vollziehe. Weil nach Barth das schöpferische Handeln Christi durch den Heiligen Geist in Rechtfertigung, Heiligung und Berufung auf den Sünder Gewalt ausübt, muß dieser konsequenterweise unwiderstehlich von der Sünde zur Gottesgemeinschaft befreit werden. In Übereinstimmung mit Barths Beschreibung der drei Ämter Christi könnte angenommen werden, die Sünde des Hochmuts, der Trägheit und der Lüge würden vom Menschen solange begangen, als Rechtfertigung, Heiligung und Berufung zwar objektiv geschehen, aber noch nicht subjektiv realisiert sind, ihn als Einzelnen de facto also noch nicht betreffen.616 Wie jedoch für die drei Gestalten der Sünde bereits gezeigt worden ist, geht Barth insbesondere bei der Sünde der Lüge und der Sünde der Trägheit davon aus, daß sie sehenden Auges, also mit funktionstüchtigen Organen und angesichts der offenbarten Offenbarung Gottes geschehen. Was die Sünde der Lüge anbetrifft, gehe ihr sogar der geschichtlich-individuelle 612 613 614 615 616
S. hier und im folgenden KD IV,3,70,426 und KD IV,1,58,160 ff. KD IV,1,58,162. S. dazu o. II.1.3. und III. S. dazu Barths Kritik an Schleiermacher: KD IV,1,58,169. S. dazu KD IV,1,58,162.
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„Zusammenstoß“ mit dem „Wort der Gnade Gottes“,617 welcher auf der „direkten Begegnung“ mit Jesus Christus durch den Heiligen Geist beruhe, voraus.618 Deshalb muß für Barths Verständnis von Sünde im Gegenüber zu Rechtfertigung, Heiligung und Berufung festgehalten werden, daß hier insofern eine Unvereinbarkeit besteht, als von Barth die Sünde der Lüge und auch die des Hochmuts trotz der subjektiv offenbaren Offenbarung Gottes und damit eben als „unmögliche Möglichkeit“ realisierbar gedacht wird. Zugleich aber wird das Versöhnungshandeln Christi als gewalttätige Neuschöpfung Christi am menschlichen Subjekt und damit als unausweichliche Wirklichkeit vorgestellt. Mit diesen beiden Annahmen, die nicht in Übereinstimmung zu bringen sind, versucht Barth, zum einen der Macht des Nichtigen und zum anderen der Macht Gottes gerecht zu werden. Indem er beide als mächtige Extreme einander gegenüberstellt, gelingt es ihm nicht die Sünde des menschlichen Geschöpfs und dessen Versöhnung in einen Zusammenhang zu stellen. Vielmehr scheinen – wie bereits bemerkt619 – in Barths Darstellung zwei einander entgegengesetzte und ausschließende Ontologien vorausgesetzt zu sein; die Bestimmung des Menschen durch die Sünde steht der Bestimmung des Menschen zum Bund mit Gott geradezu kontradiktorisch entgegen. Diese Entgegensetzung ist nach Barth zwar im Menschen selbst als mçglich angelegt, weil für den Menschen zwei Seiten, eine Schatten- und eine Lichtseite anzunehmen seien. Jedoch stehe die Dominanz der Schattenseite (Sünde) derart im Widerspruch zur ontologischen Heilsbestimmung des Menschen, daß eine totale Neuschöpfung nötig sei, um diese Heilsbestimmung überhaupt zur Geltung zu bringen. Nach Barth ist die Sünde als eine ontologische Gegenmacht gegen die ontologische Heilsbestimmung des Menschen zu verstehen. Entsprechend könne sie nicht im Rahmen der ontologischen Heilsbestimmung und im Heilsprozeß der Schöpfung, sondern nur durch eine ganz neue Schöpfung überwunden werden. Konsequenterweise setzt Barth voraus, daß der Macht Gottes des Schöpfers, Versöhners und Erlösers, dessen rechte Hand von seiner linken ebenso wie die Licht- von der Schattenseite des Menschen zu unterscheiden sei, zwar wohl die Macht des Nichtigen entgegenstehe. Gott aber überwinde sie, indem er an seinem Heilswillen festhalte, durch die Neuschöpfung des Inkarnierten (gen. subj. und gen. obj.). Hieraus resultiert 617 KD IV,3,70,430. 618 KD IV,3,70,519. 619 S.o. I.2.
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zum einen eine Minimierung der göttlichen All-Macht. Die Sünde respektive das Nichtige sollen fähig sein, Gottes Macht und Ehre derart zu beeinträchtigen, daß dieser zum Kampf gegen sie antritt. Angesichts der zerstörerischen Macht des Nichtigen soll Gott zur Neuschöpfung geradezu herausgefordert sein. Durch diese aber erweist er nach Barth gerade erst seine volle Schöpfermacht. Allerdings jedoch läßt die Notwendigkeit der Neuschöpfung die Qualität des ersten Schöpfungs-Werkes Gottes bezweifeln.620
IX. Das Wirken des Menschen IX.1. Dienst am Wort Gottes Der Dienst der christlichen Zeugen am Wort Gottes ist nach Barth Zeichendienst. Der christliche Zeuge sei dazu berufen, das Wort Gottes zwar auch durch das Predigtwort, vor allem aber „in der Tat seiner ganzen Existenz anzuzeigen“ und damit den eigenen Lebensvollzug zum Zeichen für die Selbstoffenbarung des Gottessohnes zu machen. Indem die christlichen Zeugen „dazu berufen und eingesetzt sind, mit dem, was sie menschlich, allzu menschlich tun, dieses Zeichen seines Tuns zu sein, ist ihr Dienst am Worte Gottes […] Mitwirken beim Werk Christi“.621 Die cooperatio des Christenmenschen mit Gott ist nach Barth einerseits dadurch beschränkt, daß der Zeugnisdienst des Christen für die Vermittlung der Offenbarung Gottes keinen notwendigen Beitrag leiste. „Daß die Jünger, die Christen, ihr dienendes Mittun, ihrem Herrn in dem Sinn unentbehrlich wären, daß er […] seinen Weg als Offenbarer und Verkündiger des Reiches Gottes, der in ihm geschehenen Versöhnung der Welt 620 S. dazu auch die Kritik von Konrad Stock, Anthropologie der Verheißung, 239: Nach Stock „erfordert es die theologische Definition des Menschen darzustellen, daß sich in Gottes rechtfertigendem Handeln und Leiden […] die Treue des Schöpfers zur Welt seiner Schöpfung bewährt. Die menschliche Situation ist nur dann als widersprüchlich zu bestimmen, wenn Unmenschlichkeit und Selbsttäuschung die Existenz vor Gott charakterisieren. Und die Veränderung, von der das Evangelium handelt, ist nur dann als die Aufhebung dieses Widerspruchs zu begreifen, wenn der schöpferische Gott als der rechtfertigende Gott zu glauben ist. Als der Schöpfer ist Gott der Versöhner. Gottes schöpferisches Wirken stellt die Voraussetzung dar, von der aus sowohl eine Kritik menschlicher Unmenschlichkeit und Selbsttäuschung als auch eine Reflexion der heilvollen Bedeutung der Geschichte Jesu Christi zu leisten ist.“ 621 KD IV,3,71,697.
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mit Gott, nicht ohne ihren Beistand zu gehen vermöchte – das wird man besser nicht behaupten!“622 So wie in Jesus Christus die menschliche Natur in keiner Weise aktiv an der Vereinigung mit Gott mitwirkt, so ist auch bei der Verkündigung des Wortes Gottes menschliche Mitarbeit nicht nötig. In seiner Barmherzigkeit leiste vielmehr umgekehrt Jesus Christus den Berufenen Beistand bei ihrer Zeugentätigkeit und gebiete diese sogar, damit seine Offenbarung durch Menschenwort der Welt bekannt gemacht werde.623 Es wirke Jesus Christus durch ein Wunder die berufende Kraft des menschlichen Zeugnisses; „hat des Christen Zeugnis die Kraft, das Selbstzeugnis Christi als dessen Echo in der Welt vernehmbar zu machen, dann ist das dessen eigene, nicht seine menschliche Kraft.“624 Die cooperatio des Christenmenschen mit Gott ist nach Barth andererseits insofern weitreichend, als von einem Christenmenschen zum Zeichen der Selbstoffenbarung Christi nicht nur der Predigtdienst, sondern sogar ein adäquater Lebensvollzug verlangt sein soll. Obwohl Barth das menschliche Zeugnis einerseits für nicht notwendig hält, nimmt er doch andererseits an, der Berufene sei zum Zeugendienst mit seiner gesamten Existenz verpflichtet. Zum einen nämlich wirke Gott in Freiheit und Allmacht, unabhängig von seinen Geschöpfen, die Berufung des Menschen. Zum anderen hingegen fordere das Christsein eines wahrhaften Christen den Zeugendienst an der Welt, welcher die bedrängende Auseinandersetzung mit der unchristlichen Welt zur Folge habe. „Die persönliche Heilserfahrung und Heilsgewißheit des Christen als solche könnte und würde ihn der Bedrängnis von Seiten der ihn umgebenden Welt nicht aussetzen.“ Der wirkliche Christ aber übe durch sein Zeugnis auf die ihn umgebende Welt einen „Druck“ aus, der bedrängenden „Gegendruck“ veranlasse.625 Nach Barth „wird man sagen müssen, daß Keiner ein Christ sein kann, ohne in Bedrängnis zu geraten.“ Jedoch sei die Bedrängnis niemals Verdienst oder auch Schuld des Christen; denn 622 KD IV,3,71,696. 623 S. KD IV,3,71,697. S. auch a.a.O., 592/593: „Alles hängt zum Verständnis des Ereignisses der Berufung daran, daß unmittelbar, direkt und ausschließlich Er als der die Menschen Berufende verstanden wird, während Alles, was die prophetischapostolische Schrift und dann auch die Kirche und die in ihr als Verbi divini ministri Tätigen in dieser Sache leisten können und leisten sollen, darin besteht, eben ihn […] als den zu bekennen, mit dem es der Mensch in diesem Ereignis zu tun bekommen soll, vielleicht schon zu tun bekommen hat und sicher noch und noch zu tun haben wird.“ 624 KD IV,3,71,698. 625 KD IV,3,71,705.
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dieser sei gegenüber der bedrängenden Welt ebenso wie Gott gegenüber schlechthin passiv. Allerdings aber werde dem christlichen Zeugen als solchem unvermeidlich und immer schon die Erfahrung der Bedrängnis zuteil: „Wirkliche Christen sind immer von der sie umgebenden Welt her bedrðckte Menschen.“626 Insofern Christus allein und ausschließlich den sündigen Menschen beruft, ist es nach Barth die Aufgabe des wirklichen Christen, die Bedrängnis der Welt auszuhalten, bis er davon befreit wird durch die Berufung der unchristlichen Welt. Seine cooperatio mit Gott besteht also in einem Zeugendienst, an den notwendig das Erleiden von Bedrängnis gebunden ist, zu welchem er nur als ein wirklicher Christ befreit und neugeschaffen sei.627 Die Befreiung zur Gemeinschaft mit Gott ist nach Barth Voraussetzung für den christlichen Zeugendienst, nur sie lasse wahrhaft zeugen und die Bedrängnis ertragen. Jedoch dürfe der Christ nicht seine „persönliche Befreiung“ zum Inhalt seines Zeugnisses machen. Er habe vielmehr Wort und Werk Christi zu verkündigen. Obwohl Christi Wort und Werk, wie Barth selbst festhält, dem Christenmenschen gerade in dessen eigener Berufung wirklich offenbar werden, hält Barth fest, daß das Zeugnis nur dann angemessen sei, wenn es von der persönlichen Befreiung absehe.628 Außer zum Dienst am Wort sind nach Barth die Christenmenschen auch zur Feier der Sakramente berufen, die ebenfalls Zeichen für das versöhnende Wirken Gottes in Jesus Christus durch den Heiligen Geist darstellen sollen. IX.2. Abendmahl Ebenso wie die Wortverkündigung sind nach Barth die Sakramente Taufe und Abendmahl „Zeichen“, Zeichen „des Zeugnisses, das die [christliche] Gemeinde der Welt schuldig ist“.629 Im Zeichen des Abendmahls werde keineswegs die reale Gegenwart Gottes in Brot und Wein gefeiert. Die Konsumation von Leib und Blut Christi geschehe „nur im Glauben“, welchen Jesus Christus durch den Heiligen Geist wirke.630 Denn nur im 626 KD IV,3,71,708. 627 S. dazu KD IV,3,71,752/753. 628 KD IV,3,71,775. „Ich und mein persönliches Christentum gehören nicht in das von mir zu Gehör zu bringende Kerygma.“ (a.a.O.,776) 629 KD IV,3,72,1034. 630 KD IV,3,72,871 f.
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Glauben betreffe die vollendete Wirklichkeit der Fleischwerdung des Gottessohnes den einzelnen Menschen de facto. Im Glauben, in welchem der versöhnte Einzelne sich selbst in die Gottesgemeinschaft aufgenommen wisse und zugleich in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen sei, werde das Abendmahl zum Zeichen des die Gemeinschaft der Glaubenden begründenden und erhaltenden Handelns Gottes durch den am Kreuz gestorbenen und auferstandenen inkarnierten Gottessohn gefeiert. Die Gemeinschaft der Versöhnten bringe mit dem Abendmahl zeichenhaft zum Ausdruck, daß die Versöhnten miteinander im Fleischgewordenen mit Gott vereint sind.631 Im Abendmahl wird nach Barth angezeigt, „daß in und mit der in dem gemeinsamen Verteilen und Empfangen von irdischem Brot und Wein realisierten menschlichen Gemeinschaft deren Einheit mit ihrem himmlischen Herrn, die Mitteilung und der Empfang seines Leibes und Blutes Ereignis wird“, und zwar „im Glauben“.632 Wie Barths Verständnis der Allgegenwart Gottes deutlich macht, schließt Barth eine Realpräsenz Gottes außer in Jesus Christus (und den Christenmenschen) aus. Denn Gott und alles geschaffene Sein und damit auch Brot und Wein des Abendmahls stehen nach Barth in räumlicher Distanz zueinander.633 Insofern Gott in Jesus Christus in noetischer und ontischer Hinsicht einwohne, sei er auch in der Schöpfung und also auch in Brot und Wein des Abendmahls nicht nur in noetischer Weise, sondern auch in ontischer Hinsicht räumlich gegenwärtig.634 Doch sei eben Gott in Jesus Christus und der Schöpfung gegenwärtig; Gleiches gelte nicht für Leib und Blut des fleischgewordenen Gottessohns. IX.3. Taufe Nach Barth ist die Wassertaufe, die durch die christliche Gemeinde gespendet wird, Zeichen für den Glauben des Einzelnen, der allein durch Gott den Heiligen Geist oder genauer durch die „Geisttaufe“ unausweichlich
631 632 633 634
S. KD IV,3,72,1033/1034. KD IV,3,72,871. S. KD I,2,15,177/178. S. dazu o. Anm. 279.
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zum Glauben gekommen und sich für die Gottesgemeinschaft entschieden habe.635 „Es ist ja die einzige, ihm im Werk Gottes in Jesus Christus begegnende Wirklichkeit, der er, von Gott für Gott geheiligt und erneuert, mit seiner Zusage den Vorzug gibt vor dem, was ihm […] nur eben unmöglich […] sein kann. Er whlt das, was ihm als das allein Wirkliche auch das allein Mçgliche ist und verwirft damit eo ipso das, was ihm im Lichte jenes allein Wirklichen und Möglichen das schlechthin Unmçgliche ist.“636
Die Wahl der Gottesgemeinschaft veranlaßt nach Barth den mit Heiligem Geist getauften Menschen dazu, von der christlichen Gemeinde die Wassertaufe zum bloß „menschlichen“ Zeichen für das versöhnende Wirken Gottes zu verlangen.637 Mit der Wassertaufe werde der Glaubende für alle Gemeindeglieder sichtbar durch die Gemeinde selbst in die Gemeinschaft der Glaubenden aufgenommen, und die Wassertaufe bringe also gleich wie das Abendmahl zeichenhaft die „Einigung von Menschen und Menschen“ in Jesus Christus durch das Wirken Gottes zum Ausdruck.638 Die zeichenhafte Bedeutung der Taufe werde durch die christliche Gemeinde dargestellt, indem diese denjenigen, der „aus eigenem Entschluß“ die Taufe begehre, mit Wasser taufe.639 Der Beitritt zur christlichen Gemeinde durch die Wassertaufe mache den Glaubenden zum Glied der christlichen Gemeinde und damit auch zum Mitverantwortli635 Nach Barth ist „die Macht der göttlichen Wendung, in der es zum Ereignis der Begründung christlichen Lebens von bestimmten Menschen kommt, […] die Macht der ihnen widerfahrenden Taufe mit dem Heiligen Geist.“ (KD IV,4,33) – S. dazu KD IV,4,45. S. hier auch Barths mißverständliche Rede von der „Tat des Menschen“; s. dazu KD IV,1,63,846 ff. Die Tat des Gehorsams, die der Glaubende ausübe, kann insofern keine „freie Tat“ sein (a.a.O., 848), als sie durch Gottes Gewalt gewirkt ist (s. dazu o. die Zitate in der Einführung). 636 KD IV,4,178. Nach Barth ist hier das liberum arbitrium im Blick auf eine Wahl zwischen Möglichem und Unmöglichem als heidnisch zu verwerfen. 637 S. KD IV,4,35/36.48.158.171. 638 KD IV,3,72,1034. 639 KD IV,4,48. Zu Barths Unterscheidung (nicht Trennung!) von Geisttaufe und Wassertaufe, die er mit der Passivität des Menschen beim Empfang der Heilszuwendung Gottes und mit der Unangewiesenheit Gottes auf das durch sein Werk hervorgerufene Werk des Menschen begründet, s. KD IV,4,45 und v. a. Wolfram Kerner, Gläubigentaufe und Säuglingstaufe, 96/97. Kerner, der allerdings eine Trennung zwischen Geist- und Wassertaufe konstatiert, macht deutlich, daß der Empfang des Geistwirkens Gottes „nicht ohne die Mitbeteiligung desjenigen Menschen, dem dies offenbar wird, [nämlich nicht] ohne das Eingehen seiner ganzen Person“ möglich ist (a.a.O., 96). Andererseits gebe es keine christliche Taufhandlung „ohne das Mitwirken des Geistes Gottes“ (a.a.O., 97).
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chen an der Verkündigung des Evangeliums gegenüber den noch Ungetauften.640 Nach Barth zeigt die Taufe auf den Namen Christi, daß die getauften Christen mit Jesus Christus in der „Zwischenzeit“ zwischen Inkarnation und Erlösung begraben sind. Keineswegs seien die Getauften mit Christus gestorben und auferstanden. (Sie müssen demnach lebendig und unerlöst begraben sein!) Doch nicht nur die getaufte Gemeinde, sondern die gesamte gegenwärtige Welt befinde sich derzeit in der „Zwischenzeit“: So wie Jesus Christus nach seinem Tod und vor seiner Auferstehung drei Tage lang im Grab gelegen habe, so befänden sich Gemeinde und Welt in der Zeit zwischen der ersten Gegenwart Jesu Christi als des Inkarnierten und seiner eschatologischen Wiederkunft.641 Die Taufe bedeutet nach Barth dementsprechend nicht den Eintritt in den Lebensvollzug Christi zum Miterleben seines Todes und seiner Auferstehung. Weder sterbe der Getaufte mit Christus noch auferstehe er mit ihm. In Hinsicht auf den Glauben des Getauften kann nach Barth „gerade nicht von einer absoluten Erschütterung, gerade nicht von einer eschatologischen Entscheidung, gerade nicht von der Heilstat Gottes [geredet werden].“642 Tod und Auferstehung, welche Christus erfahren habe, wiederholten sich nicht für den Glaubenden.643 Vielmehr könne und solle die Tatsache, daß Jesus Christus für den Menschen gestorben und auferstanden sei, im Glauben ergriffen werden.644 Dieser Glaube bringe mit sich, daß der Glaubende Jesus Christus parallelgeschalten sei. Er werde nicht in den Lebensvollzug des Menschgewordenen hineingenommen, sondern dürfe im Glauben an ihn in Entsprechung zu ihm leben.645 Insofern nach Barth die Taufe nicht als Eintritt in den Lebensvollzug Christi, sondern statt dessen als der Beginn einer mit dem Glauben ergriffenen Parallelschaltung zu verstehen ist, könne ein „täglicher ’reditus ad
640 641 642 643
KD IV,4,220. KD IV,1,59,357. KD IV,1,63,858. Nach Barth ist die Erlösung für den Menschen noch nicht vollzogen. Es sei deshalb „böse Theologie“, wenn von „Heilsgewißheit“ ausgegangen werde (s. KD IV,1,63,864). 644 S. KD IV,1,63,858. 645 KD IV,1,63,860. Nach Barth können Tod und Auferstehung Christi den Glaubenden nur „indirekt“ betreffen; s. KD IV,2,66,659.
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baptismum’“ nicht verlangt sein;646 vielmehr führe „tägliche conversio und progressio baptizati“ den Weg zur Erlösung.647 Die tägliche Bekehrung hin zu Christus und den damit verbundenen Fortschritt auf dem christlichen Weg zur Erlösung zieht Barth der täglichen Rückbesinnung auf die eigene Taufe vor. Die Entscheidung für die Gottesgemeinschaft müsse ebenso wie die communicatio des göttlichen und des menschlichen Wesens in Jesus Christus ein Leben lang erhalten werden. Nach Barth genügt das einmalige Ereignis der Taufe und die Rückbesinnung auf dieses nicht, um ein dauerhaftes Leben in kommunikativer Gemeinschaft mit Gott zu führen.648 „Nun soll sich ja an die Taufe […] eben das ’christliche’ Leben anschließen: ein Leben, in dessen Kontinuitäten und Wandlungen […] sich eben das Wählen, das in der [Wasser-]Taufe vollzogen wurde, zu wiederholen, in welchem eben das, was dort gewählt, gewollt und getan wurde, zu wiederholen und zu bestätigen wäre.“649 Weil im Unterschied zu Barth nach Luther das einmalige Taufgeschehen den Sakramentsvollzug der Gemeinde umfaßt, in welchem dem Täufling seine ewige Bestimmung zur Gottesgemeinschaft zugesagt wird, ist nach Luther die Erinnerung dieser Heilszusage, die Gott selbst in Jesus Christus gegeben habe und deren sich der Täufling darum gewiß sein darf, ausreichend für einen Lebensvollzug in christlicher Gesinnung. Weil nach Barth hingegen die Wassertaufe bloß ein menschliches Zeichen für die widerfahrene Geisttaufe darstellt, bietet der Rückbezug auf sie keine dauernde Garantie für einen Lebensvollzug in der Nachfolge Christi. Vielmehr ist von Barth für den Lebensvollzug des Getauften ein stetes Zeichenhandeln gegenüber der ungetauften Welt gefordert, das den Getauften in Bedrängnis bringt und ihm wie der Gemeinde zugleich deutlich machen soll, daß er (noch) im Glauben lebt. In konsequenter Weiterführung dieser These stellt es sich jedoch als überaus gefährlich und 646 S. dazu Barths Verwerfung der Kindertaufe KD IV,3,71,595 und KD IV,4,XI. In diesem Zusammenhang formuliert Barth die einzige vollständige Zustimmung zu einem Topos der Theologie Schleiermachers, s. KD IV,4,207. 647 KD IV,4,222. 648 S. dazu Eberhard Jðngel, Karl Barths Lehre von der Taufe, 284: „Die Taufe bringt mit ihrer Einmaligkeit eine unwiderrufliche Ansprechbarkeit des Getauften auf das ihm zuteil gewordene ’Leben im Geiste’ zur Geltung. Paulus pointiert zwar nicht die Unwiderruflichkeit dieses Lebens, sondern die unwiderrufliche Ansprechbarkeit auf dieses Leben, aber diese doch eben im Sinne eines AnsprechbarSeins. Das ist m. E. die unaufgebbare particula veri des in den neutestamentlichen Tauftexten offensichtlich vorausgesetzten dq¾lemom-Charakters der Taufe.“ 649 KD IV,4,222. S. zur Kritik an diesem Taufverständnis Barths auch: Eberhard Jðngel, Karl Barths Lehre von der Taufe, 284, ad 4.
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geradezu blasphemisch heraus, daß der Glaube eines Menschen als eine erkennbare Haltung vorgestellt werden soll. Genau dann, wenn ein Mensch davon ausgeht, es müsse der Glaube eines anderen anhand von Zeichen erkennbar sein, maßt er sich an, Gott gleich zu sein, dem einzig das Urteil über Glaube und Unglaube zusteht.650
X. Die Kirche, Gemeinschaft der Glaubenden Der Glaube651, der durch den Heiligen Geist gewirkt wird und sich in Liebeshandlungen und in speziellen Zeichen der Welt gegenüber äußert, ist nach Barth zunächst das Anerkennen Christi, das geistgewirkte, gehorsame „Fürwahrhalten“ dessen, der selbst das Haupt der Kirche und dessen Leib die Kirche ist.652 Aus der Erkenntnis des anerkannten Heilsgeschehens, das in Christus für den Menschen geschehen sei, resultiere die christliche Hoffnung auf die bevorstehende eschatologische Erlösung und ein theologisch fundierter Zeichendienst in der Welt, der die Glaubenden in der Gemeinschaft der Glaubenden vereine. Nach Barth ist die Gemeinschaft der Glaubenden oder die Kirche dem einzelnen Glaubenden vorgeordnet. „Es gibt Jesus Christus gegenüber nicht zuerst Gläubige und dann, aus diesen gebildet, die Kirche, sondern: zuerst gibt es die Kirche und dann, durch sie und in ihr, die Gläubigen.“653 Die Kirche nämlich, die als unsichtbare wie auch als – durch und in ihren Zeichen – sichtbare Gemeinschaft der Glaubenden Gegenstand des Glaubens-Bekenntnisses sei, ist nach Barth die Gemeinde, die in der genannten „Zwischenzeit“654 mit dem Leib Christi, mit „seiner irdischgeschichtlichen Existenzform“ identisch sei.655 Wer dieser Gemeinde begegne, begegne also Jesus Christus selbst, und wer von Christus durch
650 Zu den Problemen der Tauflehre Barths s. insgesamt Eberhard Jðngel, Karl Barths Lehre von der Taufe, 282 – 284. 651 S. dazu o. die Einführung. 652 KD IV,1,63,849 f. 653 KD I,2,16,230. S. dazu KD IV,1,63,838/839. 654 KD IV,1,62,810. 655 KD IV,1,63,848.849. S. dazu KD IV,1,62,738: „Die Gemeinde ist Jesu Christi eigene irdisch-geschichtliche Existenzform. Der neutestamentliche Begriff zur Bezeichnung dieser Sache muß hier aufgenommen werden: sie ist sein Leib, von ihm geschaffen und fort und fort erneuert durch die erweckende Macht des Heiligen Geistes.“
X. Die Kirche, Gemeinschaft der Glaubenden
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den Heiligen Geist berufen werde, werde in diese Gemeinde und damit zur Anteilhabe am Leib Christi berufen. In Übereinstimmung mit Barths Inkarnationsverständnis gilt ihm die Kirche als Leib Christi und damit als Ort der unio, communio und communicatio von Göttlichem und Menschlichem. Wie in Jesus Christus das menschliche Wesen und nicht ein menschliches Individuum mit dem göttlichen Wesen vereinigt sei, so zeichne sich die Gemeinschaft der Glaubenden eben dadurch aus, daß in ihr Menschen miteinander und in Jesus Christus mit Gott und im Empfang seiner Gnade zu einem Leben in der Nachfolge Christi vereinigt sind.656 Der Zeichendienst und vor allem der Dienst am Wort Christi, zu dem die christliche Gemeinde durch Jesus Christus verpflichtet sei, ist nach Barth keine grundsätzlich notwendige Bedingung für die Glaubenskonstitution des Einzelnen. Jedoch gehe die Gemeinschaft der Glaubenden insofern notwendig dem Glauben des Einzelnen voraus, als sie den Leib Christi, den Ort der unio, communio und communicatio von Göttlichem und Menschlichem selbst verkörpere und damit die Existenz des Inkarnierten657 in der jeweiligen Gegenwart sichtbar darstelle, so daß erst in Folge der Zugehörigkeit zu ihr, der Glaube des einzelnen Christen in den Blick kommen könne.658 Der Einzelne komme dadurch zum Glauben, daß es für ihn eine „Begegnung mit der christlichen Gemeinde, direkt oder indirekt mit ihrem Dienst, mit ihrer Verkündigung, mit einer ihrer Auswirkungen“ gebe, wobei es jedoch nicht das Zeugnis der Gemeinde sei, das seinen Glauben wirke, sondern vielmehr Jesus Christus selbst, dem der Einzelne eben in der dienstbaren Kirche leibhaft begegne und dem er sich deshalb – „veranlaßt durch ihren Dienst“ – „selbst beugen“ müsse.659 Nach Barth ist Jesus Christus weder im Abendmahl real präsent, noch bedeute die Taufe den Eintritt in den Lebensvollzug Jesu Christi. Die Wortverkündigung gilt Barth als bloßer Zeugendienst. Doch die christliche Gemeinde verkörpere den Inkarnierten selbst; sie sei sein gerechtfertigter und geheiligter Leib, der gleich wie der menschliche Leib Christi in vollkommener Passivität, die Gnade Gottes empfange und der erhofften 656 S.o. IX.2. und IX.3. zu den Sakramenten. 657 S. auch KD I,1,1,10: „Die Rede von Gott hat dann den rechten Inhalt, wenn sie dem Sein der Kirche, d. h. wenn sie Jesus Christus gemäß ist.“ 658 S. KD IV,1,63,839: „das im Sein und Werk Jesu Christi konstituierte und durch die Macht des Heiligen Geistes als solches erweckte geschöpfliche Subjekt ist in der Tat seines persönlichen Glaubens zuletzt der einzelne Christ.“ 659 KD IV,1,63,848. – Zu Barths Kritik an Schleiermachers Geist- und Predigtverständnis s. KD I,1,3,63.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Erlösung und Auferstehung aus dem Grab der Zwischenzeit unter Verrichtung von Bekenntnis und Zeichendienst entgegengehe.660
XI. Erlösung Wie Barths Verständnis der Wendung „simul iustus et peccator“ zeigt, nimmt Barth zum einen an, der sündige Mensch werde durch das Versöhnungswerk Christi neu geschaffen. Jedoch bedeute diese Neuschöpfung noch nicht die vollständige Befreiung des Sünders von seiner Vergangenheit. Er sei von seinem „alten“ Sein unter der Sünde noch nicht erlöst, weil das prophetische Amt Christi noch nicht vollendet sei. Das Reich Gottes, zu dem Christus die christliche Gemeinde und ihre Glieder berufe, sei noch nicht realisiert.661 Denn noch dauere der Kampf Christi gegen die ungläubige und lieblose Welt an. Erst bei seiner Wiederkunft werde Christus den Sieg im Kampf des Lichtes gegen die Finsternis vollbringen.662 Dieser Sieg impliziere die Erlösung des Menschen aus der Finsternis, die Erlösung vom Nichtigen oder vielmehr die Erlösung von „Etwas im Menschen“, das sich der Gnade Gottes widersetze und nach Barth mehr sein muß als die Schattenseite des menschlichen Geschöpfs.663 660 KD IV,1,63,839. – S. dazu Eilert Herms, Karl Barths Entdeckung der Ekklesiologie als Rahmentheorie der Dogmatik und seine Kritik am neuzeitlichen Protestantismus, 185. Herms vergleicht Barths Verständnis vom „Sein der Kirche“ mit Schleiermachers Verständnis vom „Wesen des Christentums.“ „Was zwischen beiden strittig ist, ist nichts weniger als die rechte Bestimmung des ’Seins der Kirche’ bzw. des ’Wesens des Christentums’. Zwar gilt für beide: Über das Wesen des Christentums entscheidet die Art seines Zustandekommens, die Art seines Geschaffenwerdens. Für beide gilt ferner, daß dieser Vorgang das Christusgeschehen, die existenzumwandelnde Wirkung Jesu Christi ist. Für beide gilt, daß diese Wirkung im Geschenk einer spezifischen Gewißheit besteht. Aber eben in der genauen Auffassung des Christusgeschehens als Gewißheit stiftenden Geschehens und in der systematischen Entfaltung der Voraussetzungen und Konsequenzen dieses Geschehens gibt es Unterschiede.“ S. dazu auch u. Kapitel IV. 661 S. dazu KD IV,3,69,218: „Die Prophetie Jesus Christi ist die Geschichte, in der er in der durch ihn mit Gott versöhnten Welt Erkenntnis seiner selbst und also Erkenntnis dieser von ihm an ihr vollzogenen Heilstat, Erkenntnis des in und mit seiner Existenz und Tat nahe herbeigekommenen Reiches Gottes, Erkenntnis ihrer eigenen damit eingetretenen Veränderung begründet.“ 662 Den Sieg im Kampf gegen das Nichtige und die Erlösung des Menschen erwartet Barth „mit der Wiederkunft Jesu Christi […] in ihrer letzten und abschließenden Form.“ (KD IV,3,69,367) S. auch KD IV,3,69,302. 663 KD IV,3,69,289.
XI. Erlösung
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Noch könne Jesus Christus der Welt und den Glaubenden nicht als der offenbar sein, „der wie sein hohepriesterliches und königliches, so auch sein prophetisches Werk schon vollendet hat“.664 Das prophetische Werk Christi faßt Barth auf als „die Versöhnung in ihrem Übergang zu ihrer Vollendung in der Erlösung.“665 Der Christenmensch, der im Glauben dem Auferstandenen zugewendet sei und in Liebe seinen Nächsten beistehe, könne auf diese zukünftige Erlösung bei der Wiederkunft (nur) hoffen.666 Im Unterschied zu Schleiermacher und Luther versteht Barth die Tugenden der Hoffnung und des Glaubens nicht als notwendige Voraussetzungen für ein Tätigsein in Liebe. Nach Barth ist das Liebeshandeln des Christen kein Tätigsein auf Grund von Erlösung und also kein Handeln aus Glaubensgewißheit und in zuversichtlicher Hoffnung, welches nach Luther allein gute Werke hervorbringt. Vielmehr ist es ein Handeln in der Hoffnung auf die Gewißheit und Vergewisserung des Heils, auf die vollkommene Erkenntnis Christi durch Jesus Christus selbst.667 Ebenso wie auf die Erlösung durch Jesus Christus allein gehofft werden könne, sei auch die Frage nach einer möglichen „Allversöhnung“, die mit der Wiederkunft Christi eintreten könnte, nur mit der Hoffnung auf die göttliche Gnade zu beantworten.668 Das vom Christenmenschen erhoffte ewige Leben im Reich Gottes muß nach Barth ein Dasein sein, in dem die ganz und gar neuen Menschen im Bund mit Gott von ihrer alten Vergangenheit ganz und gar frei sind und alle Zeiten als in Gott aufgehoben erleben.669 Der Christenmensch hofft nach Barth darauf, in Gott als seinem eigentlichen „Jenseits“ selbst offenbar zu werden als das von Gott zur Gottesgemeinschaft und zur Gemeinschaft mit allen anderen menschlichen Geschöpfen befreite seelisch-leiblich verfaßte endliche Subjekt.670 Damit wird er nach Barth selbst wahrer 664 665 666 667
KD IV,3,69,301. KD IV,3,69,303. S. dazu KD IV,3,69,9. S. KD IV,3,69,305/306: „Jawohl, es gibt gerade für den Glauben, für sein Ziel und seinen Weg, eine solche unmittelbare und unbedingte Siegesgewißheit. Sie ist aber mit nichten(!) des Glaubens innere und also eine dem Menschen eigene, durch seine Selbstgewißheit zu bestätigende, sondern die seinem Ursprung und Gegenstand und also wieder Jesus Christus eigene Gewißheit: nur eben von Ihm und nur als die Gewißheit seines Sieges zu empfangen, und wenn sie echt ist, immer neu bei Ihm zu suchen und zu finden.“ 668 S. KD IV,3,70,550 f. 669 S. dazu o. III.1.2. 670 S. KD III,2,47,770 ff.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
wirklicher Mensch sein und zu der aktiven Setzung seiner Selbst als Ich im Gegenüber zu Gott und den Mitmenschen befreit sein,671 obwohl doch gerade diese Setzung der schlechthinnigen und unaufhebbaren Abhängigkeit des Geschöpfes von seinem Schöpfer vollkommen widerspricht.
XII. Fazit Die Inkarnation des Gottessohnes bewirkt nach Barth die der Sünde wegen faktisch notwendig gewordene Neuschöpfung, und sie hat die Erkenntnis Gottes, auch des Schöpfers, zum Ziel. Jesus Christus ist für den Menschen „Schlüssel zum Geheimnis der Schöpfung“, weil durch sein Wirken Gott selbst „gleichsam rückwärts auch als Gott der Schöpfer erkannt werden kann.“672 Für Gott den Schöpfer hält Barth jedoch fest: „Der wirkliche Schöpfer und Herr der Welt ist nicht das Prinzip des Anfangs oder Ursprungs oder wahren Seins aller Dinge […].673 Der wirkliche Schöpfer und Herr ist der und nur der, der sich unserer gerade in unserem Abfall von ihm angenommen und der damit mehr, der in Bestätigung seiner Schöpfung noch etwas Anderes an uns getan hat als mit seiner Schöpfung als solcher.“674
Indem Barth festhält, daß der als Versöhner im Werk der Neuschöpfung offenbar gewordene Gott der eigentliche Schöpfer ist, behauptet er die Neuschçpfung Gottes, die geistige, rationale, nicht aber physische oder gar das Bewußtsein betreffende Neuschöpfung675 durch die zweite Seinsweise der Trinität, als die eigentliche Schöpfung. Die menschlichen Geschöpfe, die der Sünde wegen vom Schöpfer abgefallen seien, hätten ihre „Existenz als seine Geschöpfe und die Gemeinschaft mit ihm als dem Schöpfer verwirkt“.676 Deshalb wolle der „wirkliche Schöpfer und Herr der Welt“ den Tod dieser Geschöpfe in der Absicht, sie durch seine „Neuschöpfung“ zu ihrem wirklichen Sein erst eigentlich zu erschaffen und sie also durch den Tod hindurch zum ewigen und eigentlichen Leben in seinem Reich hinüberzuführen.677 „Durch den Tod hindurchgegangenes, vom Tode 671 S. dazu o. I.1.a.). 672 KD II,1,31,570. 673 S. zu Barths Ablehnung des Verständnisses Gottes als Prinzip oder Ursprung allen Seins: Johann Friedrich Lohmann, Karl Barth und der Neukantianismus, 389. 674 KD II,1,31,570. 675 S.o. VII.2. 676 KD II,1,31,570. 677 S. KD I,1,10,409.
XII. Fazit
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erstandenes, ewiges Leben, wirklich neue Geburt wird das Leben sein, das dieser [ Jesu] Wille schafft.“678 Barth geht davon aus, die Versöhnung Gottes sei ein gegenüber der Schöpfung „unbegreiflich neues Werk Gottes“, das die „alte“ Welt und den „alten“ Menschen rücksichtslos überwinde.679 Die erste Schöpfung680 ist nach Barth zwar gut geschaffen und „[i]m weiteren Sinn verstanden“ auch schon Gnade. Doch gilt nach Barth von der Inkarnation des Gottessohnes, die zum Bund Gottes mit den neugeschaffenen menschlichen Geschöpfen führt: „Das ist mehr als Schöpfung, mehr als Erhaltung, Begleitung und Beherrschung seiner Geschöpfe. Das ist eben der Bund Gottes mit dem Menschen“.681 Schleiermacher habe, indem er die „Versöhnung (’Erlösung’) als die Krönung der Schöpfung“ beschrieben habe, die Versöhnungstat Gottes in eine Reihe mit seiner Schöpfung gestellt,682 demgemäß die Sünde als „bloßes Manko“ bezogen auf die Vollkommenheit der Schöpfung gedeutet und drittens „wiederum folgerichtig die Trinität modalistisch, d. h. die Verschiedenheit der drei Seinsweisen als eine in den Tiefen Gottes aufgehobene verstanden.“683 Barth leugnet, daß die Versöhnung Gottes zur Vollendung der Schöpfung und damit zur Erfüllung des Schöpferwillens durch das Werk des menschgewordenen Schöpferwortes geschehen sei. Vielmehr be678 KD I,1,10,408. S. dazu KD I,1,11,434: „Wie wir Gott dem Schöpfer das Leben verdanken, so Gott dem Versöhner das ewige Leben.“ 679 S. dazu KD IV,3,69,312: Nach Barth übergeht Gottes Heilswirken durch das Wort den alten Menschen als solchen und richtet sich „unmittelbar an den wirklichen Menschen“. „Unmittelbar: unter Übersehen und Übergehung des Widersetzlichen im Menschen, am Teufel vorbei, gewissermaßen über dessen Kopf weg, weil ohne Rücksicht darauf, daß der Mensch von diesem versucht, verführt, beherrscht, besessen ist“. 680 Von der „ersten“ Schöpfung ist zu unterscheiden, was unter IV.3. ausgeführt wurde: Indem Barth Schöpfung und Rechtfertigung gleichsetzt, macht er deutlich, daß er eben die Rechtfertigung, nicht aber die grundlegende und „erste“ Erschaffung des Menschen für den eigentlichen und heilsrelevanten Schöpfungsakt Gottes hält, weil allein die Rechtfertigung das Geschaffensein und die Güte der Schöpfung sehen lasse. 681 KD IV,1,57,39. 682 Die Annahme, „die Einheit von Schöpfung und Erlösung“ sei tatsächlich „eine nur in der Tat Gottes, nicht in unserer Erkenntnis einzusehende, zu vollziehende Einheit“ (Regin Prenter, Die Einheit von Schöpfung und Erlösung, 26) stellt die grundsätzliche Einheit des Handelns Gottes in Frage, der doch gerade in dem einen Jesus Christus seiner einen Schöpfung gegenüber offenbart, daß er ihr zugewendet ist. 683 KD I,1,11,431. Nach Barth ist das eine Katastrophe (ebd.).
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
schreibt er Versöhnung respektive Offenbarung als ein Anderes und Neues gegenüber der Schöpfung,684 nämlich „als ein Wunder in und an der gefallenen Welt.“685 Dieses Wunder vollbringe Gott in seiner Auseinandersetzung mit der Macht des Nichtigen, im Kampf gegen die Finsternis, und damit offenbare er seine Neuschöpfung als seine wirkliche und wahre Schöpfung. Nicht nur Barths Vorstellung von einem Dualismus zwischen Licht und Finsternis, zwischen Gott und Nichtigem als zweier „Wirklichkeiten“, gerade auch die Trennung von Schöpfung und Versöhnung führt jedoch, wie bereits gezeigt, zu Widersprüchen und Ungereimtheiten in der Theologie Barths.686 Prinzipiell muß festgehalten werden, daß sie mit der Einzigkeit des in Christus offenbaren allmächtigen Gottes, die Barth ebenfalls konstatiert, nicht kompatibel ist.687 Barths Verständnis von Neuschöpfung und Schöpfung durch Person und Werk des Inkarnierten liegt die Wesensbestimmung Gottes als des in seiner Freiheit unveränderlichen Gottes zugrunde. Die Ernstnahme der Freiheit Gottes verlangt nach Barth die Annahme, daß sich der dreieinige Gott seiner Schöpfung gegenüber gerade auch dann als treu erweist, wenn er – in seiner Freiheit – eine Neuschöpfung vollzieht, die – bis auf die Endlichkeit und die leiblich-seelische Verfaßtheit des Menschen – die Beschaffenheit des menschlichen Geschöpfes auf wunderbare Weise total verändert. Eigentlich bedeutet nach Barth die Neuschöpfung nur eine verbesserte Wiederherstellung eines ersten Geschaffenseins des Menschen, nur die Verwirklichung des „wirklichen“ Menschen und seiner Bestimmung zum Bund mit Gott. Weil jedoch die erste Schöpfung – die selbst in der geschaffenen Zeit bestehe – durch die Sünde vollständig zerstört werde, sei eine zweite Schöpfung nötig geworden, die von Barth als die wahre Schöpfung dargestellt wird. Für diese zweite Schöpfung bildet nach Barth die erste Schöpfung keine anschlußfähige Voraussetzung. Sie kommt nur 684 Vgl. auch KD I,1,8,348: „Offenbarung geschieht senkrecht vom Himmel“. Weil die Versöhnung mit der Schöpfung Gottes keine prinzipielle Einheit bildet, muß nach Barth der Sohn Gottes, um die Versöhnung zu wirken, in die „Fremde“ gehen (KD IV,1,59,171) – er kommt nach Barth nicht in sein „Eigentum“. 685 KD I,1,11,433. 686 S. dazu schon o. I.2. 687 Wie für den Menschen so impliziere das Versöhnungswerk Gottes auch eine „Neuschöpfung“ für die gesamte Schöpfung. Auf Grund der Inkarnation des Gottessohnes komme die gesamte Schöpfung „zu der ihr eigenen Ehre“. Ihre „Lichter“ bekämen die Macht zur Verkündigung der Heilstat Gottes (KD IV,3,69,187).
XII. Fazit
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als zerstörte und vernichtete Schöpfung in den Blick: Die Verwirklichung des wahren Menschen setzt nach Barth den sündigen Menschen und dessen Vernichtung voraus. Zum einen ist es nach Barth von Ewigkeit her die Absicht des dreieinigen Gottes, den göttlichen Bund mit dem Menschen zu verwirklichen, und entsprechend sei auch die Inkarnation von Ewigkeit her vorgesehen. Allerdings besitze die Sünde des Menschen die Macht, diese Absicht Gottes insofern zu durchkreuzen, als auf Grund der Sünde die Bedeutung der Inkarnation eine andere geworden sei. Der Inkarnierte sei faktisch zur Neuschöpfung der an die Sünde verlorenen, toten Geschöpfe in die Welt gekommen. Die bereits zu Beginn der vorliegenden Interpretation gestellte Frage, inwiefern Barths Kirchliche Dogmatik zwei nicht miteinander vereinbare Beschreibungen des Menschen voraussetzt, findet sich nun insofern bestätigt, als Barth der Sünde eine dem – ersten – Schöpferwirken Gottes sogar überlegene Mächtigkeit zuschreibt. Der geschaffene wirkliche Mensch wird nach Barth durch den sündigen Menschen abgelöst. Die Überwindung der Sünde und die Befreiung des sündigen Menschen wiederum soll nur durch eine Neuschöpfung möglich sein, welche den alten Menschen, den Menschen der Sünde ablöst und vernichtet, als wäre er ein anderer als der durch Jesus Christus gerechtfertigte neue Mensch. Den neuen Menschen zeichnet nach Barth zwar die Realisation der ontologischen Bestimmung zum Bund mit Gott aus, doch sei der neue Mensch nicht identisch mit demjenigen, der diese ontologische Bestimmung durch seine Sünde in Frage stellte. An Barths Darstellung ist grundsätzlich fraglich, wie er selbst, dem doch als einem sündigen Exemplar der Gattung Mensch nichts anderes als die subjektive Realisierung der faktischen Offenbarung Gottes in Jesus Christus offenbar sein kann, von einem Plan Gottes wissen will, der ohne die Sünde des Menschen anders verlaufen wäre.688 Überhaupt stellt sich die Frage, wie Barth auf dem Boden seiner subjektiven Offenbarung zu einem Trinitätsverständnis kommt, das insofern mit einer Uneinheitlichkeit im Wirken der göttlichen Personen rechnet, als Barth der zweiten Person eine ganz und gar neue Schöpfung zuschreibt, die ohne Anknüpfung an die Schöpfung der ersten Person gleichwohl doch dieser Schöpfung folgen soll. 688 S. dazu o. I.2.: Barth bezeichnet die Sünde einerseits als den „Inbegriff des […] Planwidrigen“, andererseits soll sie jedoch faktisch im Plan Gottes inbegriffen sein.
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Kapitel III: Inkarnation und Schöpfung nach Karl Barth
Der dreieinige Gott, der von Barth als Einheit von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft beschrieben wird, erweist sich, wie die Interpretation zeigt, als in einer zeitlich bestimmten Entwicklung begriffen, die er in seiner Beziehung zu seinen Geschöpfen und im Gegenüber zum Nichtigen als Schöpfer, Versöhner und Erlöser durchlebt. Dieser Werdeprozeß Gottes wird nach Barth durch das unterschiedliche Wirken der drei Seinsweisen vermittelt, die zusammen das treue, aber freie und darum unbegreifliche und verborgene Wesen Gottes als solches ausmachen sollen. Um jeglichen Zweifel an Gottes treuem Sein und Wesen auszuschließen, muß Barth allerdings verneinen, daß mit dem Wirken der Seinsweisen auch bereits das Wesen Gottes als solches offenbar wäre. Denn nach Barth wirken die Seinsweisen Gottes angesichts der Sünde faktisch doch in anderer Weise, als sie es von Ewigkeit her als dreieiniges Wesen beabsichtigt gehabt hätten. Barths Festhalten an der Freiheit und Verborgenheit des Wesens Gottes führt insbesondere zu der Annahme, der Glaubende sei auch durch seine Taufe nicht in den Lebensvollzug Christi gestellt, um mit Christus in der Gewißheit der für ihn geschehenen Heilstat Gottes zu leben. Vielmehr ist es nach Barth dem verborgenen und freien Wesen Gottes gemäß, daß der Glaubende in (bloßer) Hoffnung auf Gottes zukünftige Heilszuwendung parallelgeschaltet neben Christus – und unter seiner Gewalt, in zeichenwirkender Nachfolge und in der Bedrängnis durch die nichtchristliche Welt leben darf. Daß Barth die Freiheit Gottes in besonderem Maße hochhält, scheint zu Lasten der Liebe Gottes zu gehen; sie ist dem Christenmenschen als das Evangelium Gottes in seiner Taufe zugesprochen, weshalb er auf diese, im Widerspruch gegen Barth, stets zuversichtlich zurückblicken darf und soll. Daß Barth die Freiheit Gottes in besonderem Maße hochhält, geht zudem zu Lasten der Personalität des (geliebten?) Menschen, der auch im Inkarnierten nicht ein lebendiges Gegenüber, sondern ein totes Objekt zu sein scheint. Allein als kirchliche Gemeinschaft, nicht aber in seiner individuellen Gestalt erhält bei Barth das Menschliche Bedeutung; eine Bedeutung, die das tatsächliche Vermögen der Kirche übersteigt und die lebendige Beziehung Gottes mit seinen menschlichen Individuen untergräbt.
Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen im Vergleich Für Barth, Schleiermacher und Luther ist ausgemacht, daß die Erkenntnis Gottes ebenso wie die Erkenntnis seines Schöpfungswerkes nur angesichts des Inkarnierten möglich ist. Allerdings geben die drei Theologen drei alternative Weisen an, in denen die Erkenntnis Gottes und seiner Schöpfung erlangt werde. Das Wirken des Heiligen Geistes, der beim Hören des Evangeliums von Jesus Christus zum Glauben befreit, bedingt nach Luther die Einsicht in Gottes Wesen und Wirken. Die Weitergabe des christlichen Gemeingeistes durch die christliche Gemeinde ist nach Schleiermacher der Erkenntnis Gottes notwendig vorausgesetzt. Die Gewalt Christi, die das Wunder der Berufung bewirkt, bewirkt nach Barth die Glaubenserkenntnis des Schöpfers. Die von den drei Theologen – im Blick auf Gott und Welt – vorausgesetzten erkenntnistheoretischen Prämissen führen zu deutlichen Differenzen in Christologie und Schöpfungslehre. Im folgenden Vergleich wird ausgehend von der bereits interpretierten Christologie der drei Autoren gezeigt, wie ihr jeweiliges Verständnis von Schöpfung, das ihnen selbst durch das Christusgeschehen erschlossen ist, von ihren christologischen Einsichten abhängt. Durch den Vergleich sollen die Pointen der jeweiligen Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung deutlich werden. Was die Christologie der drei Autoren betrifft, bestehen entscheidende Differenzen bei der Beschreibung des Gott-Mensch-Verhältnisses, das den Inkarnierten auszeichnet. Im Blick ist jeweils die Frage, in welcher Weise wahrer Gott und wahrer Mensch in Anlehnung an das Dogma von Chalcedon im Inkarnierten vereinigt sind und in welcher Weise diese Vereinigung zum Ausdruck kommt und wirksam wird (I.1. und I.2.). Die Antwort hierauf erweist sich als ausschlaggebend für das Tauf- und Abendmahl-, Predigt- und Kirchenverständnis der drei interpretierten Positionen (I.3. – I.6.). Was die Schöpfungslehre anbelangt, sollen die Differenzen in der Beschreibung des Schöpfers, der Schöpfung sowie der menschlichen Geschöpfe dargestellt werden. Hierbei ist die jeweilige Verhältnisbe-
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Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen
stimmung von Sünde und Erlösung von weitreichender Bedeutung (II.1. – II.3.). Die materialdogmatischen Loci Christologie und Schöpfungslehre sind – wie die Interpretation zeigt – maßgeblich durch den Topos der „Neuschöpfung“ verbunden, die in der Theologie aller drei Autoren einen besonderen Erkenntniszuwachs bedeutet (III.). Die jeweilige Beschreibung dessen, was Neuschöpfung bezeichnet, ist begründet im jeweiligen Inkarnations- und Schöpfungsverständnis und stellt das Geschehen der Christusoffenbarung in ein bestimmtes Verhältnis zur Erschaffung und Erhaltung von Welt und Mensch. Zudem machen die unterschiedlichen Ausführungen deutlich, in welcher Weise nach Auffassung der drei Theologen der dreieinige Gott als Schöpfer, Erlöser und Vollender an seiner Schöpfung und seinen menschlichen Geschöpfen handelt (IV.). Es wird deutlich, inwiefern der ewige und allmächtige dreieinige Gott aus Liebe und in Freiheit und Treue tätig ist. Abschließend werden die drei Positionen auf ihrer Vorzugswürdigkeit geprüft. Dabei muß nicht nur die Konsistenz der jeweiligen theologischen Aussagen in ihrem Kontext, sondern auch prinzipiell der Ausweis der phänomenologischen Richtigkeit der erkenntnistheoretischen und anthropologischen Grundannahmen in den Blick genommen werden (V.). Das dem Vergleich folgende Abschluß-Kapitel ist dem adäquaten Verständnis der Dreieinigkeit Gottes im Verhältnis zur Schöpfertätigkeit Gottes gewidmet.
I. Christologie I.1. „vere Deus et vere homo“ – die zwei Naturen Was das Verhältnis von Gott und Mensch im Inkarnierten anbelangt, hält Luther fest, in Jesus Christus seien menschliche und göttliche Natur auf Grund ihrer communicatio idiomatum derart zu einer Person vereinigt, daß dieser Person sowohl göttliche wie menschliche Eigenschaften zukommen. Dabei setze der Austausch von göttlichen und menschlichen Eigenschaften zwischen Gott und Mensch im Inkarnierten voraus, daß im Inkarnierten nicht Gottheit und Menschheit im Allgemeinen, sondern der konkrete Gott und ein bestimmter Mensch mit vernünftiger Seele und menschlichem Leib (in Übereinstimmung mit dem Dogma von Chalce-
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don) 1 vereinigt sind. Luthers Christologie berücksichtigt sowohl die Eigentümlichkeiten der beiden Naturen Christi sowie die Tatsache, daß der inkarnierte Gottessohn Gottes ewige Liebe und damit Gottes ewiges Wesen manifestiert. Die Inkarnation erweist nach Luther Gottes Annahme der Menschheit aus Liebe. In Liebe hat Gott die Menschen geschaffen, sich ihrer angenommen, und aus Liebe will er sich mit ihnen vereinigen. Fraglich ist jedoch, ob allein durch den Austausch von Eigenschaften das menschliche Wesen an Gottes Wesen Anteil hat. Karl Barth verneint für den Inkarnierten und im Unterschied zu der von Luther angenommenen communicatio idiomatum, daß die menschliche Natur des Inkarnierten allmächtig und seine göttliche Natur sterblich sein könne. Überhaupt habe sich der Sohn Gottes in Jesus Christus zwar mit einem Menschen vereinigt, jedoch habe er nicht eigentlich diesen einen Menschen, sondern das „Menschliche“ angenommen und sei „Fleisch“ geworden. Die Annahme des Menschlichen schließt nach Barth nicht nur den Austausch der Eigenschaften zwischen Gott und einem bestimmten Menschen, sondern vor allem die Bedeutung des menschlichen Individuums als eines eigenständigen und kooperativen Gegenübers im Vollzug des göttlichen Heilsgeschehens aus. Barth geht davon aus, es geschehe zwischen Gottessohn und Menschheit zwar ein gewisses wechselseitiges Anteilnehmen an den jeweiligen Eigenschaften des anderen, jedoch nur auf Grund und infolgedessen, daß Gott in und mit seiner Gnade und Liebe das menschliche Wesen vollkommen erfülle. Dadurch werde das Menschliche als bloß passives Objekt des Handelns Gottes dem Sohn Gottes parallelgeschaltet und sei folglich derart mit diesem verbunden, daß es unausweichlich Gott gegenüber vollkommenen Gehorsam übe. Auch nach Schleiermacher ist ein gegenseitiger Austausch der Eigenschaften von Gott und Mensch im Inkarnierten nicht möglich. Der unendliche Abstand zwischen Gott und Mensch erlaube den Austausch von göttlichen und menschlichen Eigenschaften nicht. Er verhindere jedoch nicht die Vereinigung des göttlichen Seins oder Wesens mit einem Menschen. Anders als Barth unterscheidet Schleiermacher das Wesen Gottes von Gottes Eigenschaften und identifiziert jenes allein mit der Liebe. Entsprechend gilt ihm die Vereinigung im Inkarnierten als Einwohnung der göttlichen Liebe in einem bestimmten Menschen, der demgemäß als Urbild Gottes und auch als Urbild des Menschen erscheint. Gott und Mensch sind nach Schleiermacher im Inkarnierten derart ver1
S. dazu o. die Einleitung.
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Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen
einigt, daß Gottes Liebe, d.i. Gottes Sein, vollkommen das Bewußtsein und die Seele des Menschgewordenen erfüllt. Barth nimmt für den Inkarnierten an, dieser sei dem Willen Gottes vollkommen gehorsam, weil sein menschliches Wesen von Gottes Gnade erfüllt und unausweichlich Gott selbst parallelgeschaltet sei. Schleiermacher geht davon aus, die Seele des Inkarnierten werde von vollkommenem Gottesbewußtsein oder vielmehr von Gottes Liebe selbst dominiert, so daß alle Ausübungen seines menschlichen Organismus in vollkommener Übereinstimmung mit dem göttlichen Willen geschehen. Zwar berücksichtigen Schleiermacher wie Barth bei ihren Ausführungen zur Christologie den unendlichen Abstand zwischen Schöpfer und Geschöpf und verneinen deshalb eine durch Eigenschaftsaustausch charakterisierte Vereinigung von Gott und Mensch. Auch machen sie Ernst damit, daß einzig Gottes Liebe ein gottgehorsames und frommes Leben begründet. Doch gehen beide, um die Differenz zwischen Gott und Mensch zur Geltung zu bringen, von doketischen Annahmen aus. In beiden christologischen Entwürfen wird das wahre Menschsein des Inkarnierten vernachlässigt; die Eigenschaften, die den Menschen auszeichnen, werden zu bloßen Ausführungsmitteln des göttlichen Willens herabgesetzt. Nach Barth wird der Mensch Jesus durch die gewaltsame Macht des gnädigen Gottessohnes bestimmt. Nach Schleiermacher ist er der Liebe Gottes ausgeliefert. Sowohl die Christologie Schleiermachers wie diejenige Barths können als doketisch kritisiert werden. Doch der Zweck ihrer Ausführungen ist ein ganz unterschiedlicher. Barth will vor allem vermeiden, daß das menschliche Geschöpf angesichts des Inkarnierten auf seine eigene individuelle Gott-Werdung hoffen könnte. Die Annahme einer möglichen Apotheose des Menschen schließt er aus. Vielmehr soll sich der Mensch als Teil seiner Gattung seinem Schöpfer gegenüber als schlechthin angewiesen und zum Dank verpflichtet wissen. Nach Schleiermacher hingegen manifestiert der Inkarnierte in Person und Werk, daß ein jedes menschliche Individuum im Bewußtsein seiner schlechthinnigen Abhängigkeit dazu befreit sein soll, mit Gott in vollkommener Liebesgemeinschaft ewig zu leben und dabei Gott ähnlich zu werden. Im Unterschied zu Barth und Schleiermacher ist für Luther im Blick auf den wahren Menschen Jesus Christus wie in Hinsicht auf einen jeden Menschen dessen Eigenart und Freiheit von maßgeblicher Bedeutung. Denn der Wille Gottes findet nach Luther nur dann wahrhaften Gehorsam, wenn er in Freiheit anerkannt wird. Lust und Liebe zu Gottes Geboten sind nach Luther nur dann gegeben, wenn das menschliche Geschöpf sich selbst
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als ein bestimmtes Individuum mit Körper, Geist und Seele von Gott angenommen weiß und in Gemeinschaft mit Gott leben will. Entsprechend versteht Luther die vollkommene Gemeinschaft von wahrem Menschen und wahrem Gott im Inkarnierten eben als eine Gemeinschaft der communicatio idiomatum und nicht nur als Parallelschaltung oder als Verbundenheit unter der Dominanz des Liebe Gottes. Nur wenn die gegenseitige Mitteilung aller göttlichen und menschlichen Eigenarten gewährleistet ist, besteht eine Gemeinschaft, die den bestimmten einen Menschen ebenso wie den Gottessohn in seiner Eigenart gelten läßt. Zu solcher Gemeinschaft mit Gott befreit nach Luther das Erlösungs- und Versöhnungshandeln Christi durch den Heiligen Geist. I.2. vera libertas – Erlösung und Versöhnung Nach Luther befreit der Inkarnierte zur Einstimmung in den Willen Gottes, indem er die Sünde aller Menschen auf sich nimmt, in metaphorischer Weise selbst zur Sünde wird und ihretwegen den Tod am Kreuz erleidet. Seine Auferstehung macht dem Glaubenden deutlich, daß nach dem Tod, der um der Sünde willen gefürchtet wird, das ewige und selige Leben bei Gott verheißen ist. Dem Glaubenden ist die Furcht vor Sterben und Tod und überhaupt seine Gottlosigkeit durch die Eröffnung der Gottesgemeinschaft in Jesus Christus genommen, so daß er selbst zur Erfüllung des Gesetzes, zum Dienst an Gott und am Nächsten in der Nachfolge Christi erlöst ist. Im Glauben nämlich wird nach Luther das Gesetz Gottes oder auch die dem Menschen unausweichlich vorgegebene Schöpfungsordnung mitsamt ihren räumlichen und zeitlichen Begrenzungen als tatsächlich zum Heil des Menschen gegeben erkannt und als Möglichkeitsbedingung zur Realisation des Reiches Gottes eingesehen. Nach Schleiermacher gewährt der Inkarnierte dadurch Freiheit, daß er zum einen grundlegend sich selbst als denjenigen darstellt, der in vollkommener Gottesgemeinschaft auf Erden existiert. Zum anderen erleidet er auf Grund seiner Göttlichkeit als sündloser Mensch bis hin zu seinem Tod am Kreuz auf selige Weise Schmerzen und Leiden, welche durch die Sünde der Menschen mitverursacht sind, und bewirkt auf schöpferische Weise die Gottesgemeinschaft der menschlichen Geschöpfe. Die Seligkeit des Kreuzesleidens Christi, nicht aber seine Auferstehung aus dem Tod am Kreuz sind nach Schleiermacher im Unterschied zu Luther für das erlösende und versöhnende Wirken des Inkarnierten von Bedeutung. Auch schreibt Schleiermacher dem Inkarnierten ein schöpferisches Vermögen
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Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen
zu, das nach Luther dem Wirken des Heiligen Geistes in der Zeit nach Ostern zukommt. Nach Schleiermacher vermittelt der Inkarnierte durch seine Tätigkeit diejenige schlechthinnige Bezogenheit auf Gott, die alles Sein in der Welt als im Heilswillen des Schöpfers begründet erkennen läßt. Damit macht er deutlich, daß die gesamte Schöpfung samt ihrer zeitlichen und räumlichen Beschränkungen durch Krankheit und Tod ursprünglich die Manifestation der Liebe Gottes ist und als solche den Zeit-Raum bildet, in dem die menschlichen Geschöpfe aus ihrer Sündhaftigkeit heraus zum ewigen Leben mit Gott geführt werden sollen. Nach Barth gilt für den Glaubenden, daß er angesichts des gekreuzigten und auferstandenen Inkarnierten auf die Wiederkunft Christi hoffen darf, bei welcher er selbst von der Sünde und der Macht des Nichtigen endgültig zur Gottesgemeinschaft befreit sein werde. Denn der Gottessohn habe die menschliche „Unnatur“ angenommen und sie zur Erfüllung des Gottesbundes mit dem göttlichen Wesen verbunden, so daß in ihm die Sünde nicht „weitergehen“ konnte. Der Glaubende, dem diese Verbundenheit von göttlichem und menschlichem Wesen zu Gute kommt, befindet sich nach Barth jedoch noch in der „Zwischenzeit“ zwischen Sünde und Erlösung oder vielmehr zwischen dem Versöhnungswirken des Inkarnierten und seiner erlösenden Wiederkunft. In diese Zwischenzeit gelange der Mensch durch die versöhnende Neuschöpfung, die der Inkarnierte an ihm wirke, indem er ihn zu neuem Leben erschaffe. Indem Barth zum einen davon ausgeht, der inkarnierte Gottessohn wirke die Versöhnung, nämlich die Erfüllung des gebrochenen Bundes zwischen Gott und Mensch, und zum anderen das Werk der Erlösung erst der Wiederkunft Christi zuschreibt, ordnet er die Versöhnung dem Akt der eigentlichen und vollständigen Sündenbefreiung des Menschen vor. Wahre christliche Freiheit kann es nach Barth erst bei der Wiederkunft Christi geben. Bis dahin lebe der Christenmensch in Bedrängnis und strebe danach, im Widerstreit gegen die Macht des Nichtigen und der Sünde, die von Gott noch immer zugelassen werde, den Bund mit Gott zu halten. Luther und Schleiermacher ordnen beide das erlösende und versöhnende Handeln Gottes – zumindest grundlegend – der Wirksamkeit Christi zu. Der Inkarnierte erlöse als wahrer Mensch und wahrer Gott die menschlichen Geschöpfe von der Sünde und deren Verhängniszusammenhang und gewähre so das versöhnte Miteinander des Glaubenden mit seinem Schöpfer, die selige Gemeinschaft zwischen Mensch und Gott. Im Glauben und in der zuversichtlichen Hoffnung darauf, daß die Gemeinschaft mit Gott im vollendeten Reich Gottes vollkommen sein wird, ist
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nach Luther und Schleiermacher der Glaubende fähig, Liebesdienste zu üben, die zur Verwirklichung des Gottesreiches beitragen und die im Reich Gottes ihre Vollendung finden werden.2 Barth hingegen ordnet die gottgefällige Ausübung von Liebeswerken der Hoffnung darauf, daß die Welt im Reich Gottes von der Macht des Nichtigen und der Sünde erlöst sein werde, vor. Er stellt die gehorsame Ausübung von Liebeswerken vor die Hoffnung des Christenmenschen, weil er davon ausgeht, durch das Versöhnungswerk des Inkarnierten werde der Mensch zum Gehorsam gegenüber Gottes Geboten mit Jesus Christus parallelgeschaltet und neugeschaffen. Und nur, wer bereits daran mitarbeite, den Bund mit Gott in Liebe zu halten, könne auf die Überwindung oder Abschaffung des Nichtigen hoffen. Daß Luther im Unterschied zu Schleiermacher und Barth der göttlichen und der menschlichen Natur des Inkarnierten gleichermaßen gerecht wird, bringt insbesondere sein Verständnis von Taufe und Abendmahl zum Ausdruck. Auf Grund der communicatio idiomatum, die der menschlichen Natur die Allgegenwart Gottes mitteilt, ist nach Luther die Realpräsenz des menschgewordenen Gottessohnes auch in den Abendmahlselementen Brot und Wein gegeben. Schleiermacher und Barth hingegen vernachlässigen die menschliche Natur des Inkarnierten zu Gunsten seiner Gottheit, und zwar um einerseits Gottes allmächtige Liebe und andererseits Gottes freie Allmacht zur Geltung zu bringen. Das wird nicht nur an ihrem Gottesverständnis, sondern auch an ihrer Sakramenten- und Predigtlehre deutlich. Die Konstitution christlichen Glaubens schreiben sie vollständig dem schöpferischen Wirken Gottes zu, wobei Schleiermacher dieses Wirken dem Gemeingeist der christlichen Gemeinde zuordnet, Barth hingegen jegliche menschliche Vermittlungstätigkeit für entbehrlich erachtet. Entsprechend seiner Christologie schließt Barth die Notwendigkeit menschlicher Verkündigung zur Weckung von Glauben aus und versteht doch zugleich die kirchliche Gemeinschaft, die als solche mit dem Gottessohn vereinigt sei, als die Existenzform des irdischen Inkarnierten seit seiner Auferstehung.
2
Zur angemessenen Bestimmung und Beziehung der christlichen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe aufeinander s. auch Dirk Evers, Gott und mögliche Welten, 395: „Die Wahrheit des christlichen Glaubens beruft sich […] auf ihre lebenspraktische Orientierung und Relevanz, so dass sich durch das glaubende Vertrauen auf Gott auch Hoffnung als zuversichtliche Erwartung und Liebe als geistesgegenwärtige Aufmerksamkeit für den anderen einstellen.“
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Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen
In welcher Weise nach Luther, Schleiermacher und Karl Barth Person und Werk des Inkarnierten seit dessen Tod und Auferstehung in der Schöpfung gegenwärtig und manifest werden, soll anhand ihres Sakraments-, Predigt- und Kirchenverständnisses dem genauen Vergleich unterzogen werden. In welches Verhältnis die drei Theologen Gottes Inkarnation zur Schöpfung Gottes setzen, soll insbesondere unter II. Schçpfung verglichen werden. I.3. Taufe Barth und Schleiermacher setzen für die Wirksamkeit der Taufe den Glauben des Täuflings voraus. Luther, der die Taufe als grundlegende Bundeszusage Gottes an den Menschen erkennt, geht zwar davon aus, daß erst dem Glaubenden die Taufe zum Heil gereicht. Doch macht er deutlich, indem er das Taufsakrament als den dem Glauben vorhergehenden Zuspruch Gottes hochhält, daß Gottes Wort weder auf wunderbare unmittelbare Weise Glauben wirkt noch daß die Taufe eine Forderung darstellt, die der Glaubende zu erfüllen hätte, um als Glied der Kirche gelten zu dürfen. Vielmehr gebe die Taufe die Gemeinschaftsabsicht Gottes zu verstehen, zu deren freier Bejahung der Täufling als Glied der Kirche3 im Rahmen seines Lebensvollzugs aufgerufen ist. Nach Luther geht Gottes Wort oder vielmehr der im Inkarnierten verkörperte Gemeinschaftswille Gottes in erkenntnisstiftender, verläßlicher und befreiender Weise allem Wirken des Menschen voraus und ermöglicht dessen freie Zustimmung zur Inkorporation in den Lebensvollzug des Inkarnierten sowie den Eingang in das ewige Leben mit Gott. Mit dem Sakrament der Taufe werde dementsprechend die Auferstehung oder Neuschöpfung des Täuflings gefeiert, die der dreieinige Gott seinem menschlichen Geschöpf zusagt. Im Gegensatz zu Luther verneinen Barth und Schleiermacher, daß die Taufe als Feier der Auferstehung oder Neuschöpfung eines Menschen anzusehen ist. Nach Barth und Schleiermacher geht die Neuschöpfung der Taufe voraus. Mit der Taufe aber werde der Eintritt des Zum-GlaubenGekommenen in die Gemeinschaft der Glaubenden gefeiert. Nach Barth und Schleiermacher wird ein Mensch zu der von Gott selbst festgelegten Zeit durch Gottes Wirken unausweichlich zum Glauben gebracht. Nach 3
Hier ist „Kirche“ als Gemeinschaft der Heiligen „canone charitatis, non canone fidei“ verstanden (WA 18, ServArb, 652,1).
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Barth ist Gottes glaubenweckendes, schöpferisches Wirken nicht notwendig an menschliche Predigttätigkeit gebunden, nach Schleiermacher ist in der menschlichen Verkündigung Gott selbst am Werk und deshalb die Neuschöpfung eines Menschen notwendig an die menschliche Verkündigung gebunden. Trotz ihrer gegensätzlichen Annahmen über die Bedeutung menschlicher Verkündigung schließen sie beide aus, daß Gottes Verheißung, wenn sie einem Menschen zugesprochen wird, eine freie Antwort sucht und zunächst auch unbeantwortet bleiben kann. Für beide ist eindeutig, daß das Wort Gottes, wenn es von Gott selbst tatsächlich gesprochen wird, auch unmittelbar Glauben findet. Weil das ZumGlauben-Kommen eines Menschen von der kirchlichen Gemeinschaft weder bestimmt noch festgestellt werden kann, lehnen Barth und Schleiermacher es ab, die Taufe als das Datum der Neuschöpfung zu verstehen. Die Taufe ist für sie vielmehr ein Zeichenakt des Zum-Glauben-Gekommenen, bei dem dieser der Kirche gegenüber seine Neuschöpfung bestätigt. I.4. Abendmahl Ebensowenig wie Barth und Schleiermacher die Taufe als Feier der Auferstehung Christi und der Neugeburt eines Menschen erachten, nehmen sie an, daß im Sakrament des Abendmahls das Sterben des Inkarnierten um der Sünde des Menschen willen und die Befreiung des Menschen von der Sünde mit der Inkorporation des Inkarnierten in den Menschen gefeiert würde. Allein Luther geht – gemäß seiner Überzeugung von der communicatio idiomatum – davon aus, daß im Brot und Wein des Abendmahls Leib und Blut Christi real präsent sind. Wie die beiden reformierten Theologen setzt auch er für die Heilswirksamkeit des Abendmahls den Glauben der Partizipanten voraus. Im Unterschied zu Luther leugnen Barth und Schleiermacher, gleich wie sie die Eigenständigkeit des menschlichen Wesens im Inkarnierten vernachlässigen, auch die reale Gegenwart von Leib und Blut des Menschgewordenen im Abendmahl. Es kommt ihnen nicht so sehr auf die mit Leib und Blut präsente Menschlichkeit des Inkarnierten, als vor allem auf dessen göttliches Heilswirken an, das er unter der Dominanz seines göttlichen Wesens vollziehe. Insbesondere aber wenden sich Schleiermacher und Barth gegen die Annahme einer Räumlichkeit des Menschgewordenen, die nicht beachte, daß dieser sich gerade als Mensch durch räumliche Beschränktheit auszeichne.
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Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen
Nach Barth und Schleiermacher dient das Abendmahl vornehmlich der Gemeinschaftsfeier. Mit dem Abendmahl werde sowohl die Gemeinschaft der getauften Glaubenden untereinander als auch deren geistige Vereinigung mit Jesus Christus vergegenwärtigt und gestärkt. Für Luther hingegen, der auf Grund der communicatio idiomatum mit einer Allgegenwart auch der menschlichen Natur rechnet, wird beim Abendmahl das Wort Gottes in leibhafter Weise aufgenommen und dadurch Raum eröffnet zu einem Leben in Gottesgemeinschaft. I.5. Dienst am Wort Gottes Die glaubenwirkende Verkündigung des Wortes Gottes geschieht nach Luther, Schleiermacher und Karl Barth auf dreierlei verschiedene Weise. Nach Luther wirkt der Heilige Geist – „ubi et quando visum est Deo“ (CA V) – beim Hören der Predigt den Glauben an das durch sie verkündigte Evangelium. Weil nach Luther allerdings die durch menschliche Rede verkündigte Heilszusage Gottes auch gilt, wenn sie nicht unmittelbar Glauben findet, kann Gottes promissio im Sakrament der Taufe als vollgültige, neuschaffende Heilszusage gefeiert werden. Nach Schleiermacher ist die Glaubenskonstitution ausschließlich an die Predigt der christlichen Gemeinde gebunden, wobei allerdings die christliche Gemeinschaft mit dem göttlichen Wesen selbst vereinigt sei. Karl Barth geht davon aus, daß Gott unabhängig von menschlicher Rede durch eine auf gewaltsame Weise unabdingbaren Gehorsam fordernde wunderbare Offenbarung Glauben wecke. Daß gleichwohl die Predigt des Wortes Gottes von Christenmenschen ausgeübt werde, dient nach Barth dazu, die nichtchristlichen Mitmenschen mit dem christlichen Glauben zu konfrontieren und den eigenen Glauben in der Auseinandersetzung mit ihnen zu behaupten. Wenn sich der Dienst des Menschen am Wort Gottes doch auch zur Vermittlung von Glauben nützlich erweise, müsse dies als barmherziges Zugeständnis Gottes erachtet werden. Im Vergleich mit den verschiedenen Sakramentsauffassungen der drei Autoren wird deutlich, daß Schleiermacher im Unterschied zu Luther der Wortverkündigung größeres Gewicht zumißt als der Feier von Abendmahl und Taufe: Luther geht ausschließlich im Blick auf Abendmahl und Taufe davon aus, daß diese ebenso wie Jesus Christus auch unmittelbar Gottes Wort selber sind. Predigt oder Schrift hingegen vermittelten das Wort Gottes mit menschlichen Worten. Zwar könne das sakramentale Wort Gottes nur auf
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dem Boden menschlicher Wortverkündigung eingesehen werden. Doch ändere die Einsicht in Gottes Wort nicht die Tatsache, daß mit Taufe und Abendmahl die res dieser Sakramente, nämlich die Heilszusage Gottes immer schon für den Menschen gegeben ist, gleich ob sie erkannt und geglaubt wird oder nicht. Dahingegen sei beim Hören oder Lesen der Heiligen Schrift die Sichtbarkeit und Bedeutsamkeit der res für den Menschen – gerade nicht an den Buchstaben, sondern – an den Glauben der Rezipienten gebunden. Nach Schleiermacher ist der Glaube an die Heilszuwendung Gottes die ausschlaggebende Bedingung für die Wirksamkeit der Sakramente, welche im wesentlichen die Gemeinschaft der Glaubenden untereinander und mit Gott zum Ausdruck bringen, stärken und erhalten. Weil der Glaube durch die Verkündigung der christlichen Gemeinde zustande komme, muß folgerichtig die Wortverkündigung beiden Sakramenten zeitlich und in sachlicher Hinsicht vorgeordnet sein. Zur wirksamen Wortverkündigung sei die christliche Gemeinde auf Grund des menschlichen Gattungsbewußtseins und ihrer Bestimmtheit durch den christlichen Gemeingeist befähigt. In Anbetracht des ewig-treuen Schöpferwillens rechnet Schleiermacher mit einer Schöpfungsordnung, die ein unmittelbares Eingreifen des Heiligen Geistes bei der Verkündigung der christlichen Gemeinde ausschließt. Die cooperatio zwischen Gott und Mensch hat demgemäß ihr Schwergewicht auf seiten des Menschen. Allerdings hat sie dies gerade deshalb, weil die christliche Gemeinde derart vom christlichen Gemeingeist erfüllt und bestimmt ist, daß sie in der Nachfolge Christi dessen schöpferische Tätigkeit auf Grund ihrer eigenen Göttlichkeit ausführen kann. Auch nach Barth ist die Heilswirksamkeit der Sakramente im Glauben begründet. Was die Glaubenskonstitution anbelangt, schließt Barth jedoch die Notwendigkeit einer cooperatio von menschlichem und göttlichem Wirken zu Gunsten der freien Allmacht Gottes aus, derentwegen der dreieinige Gott der menschlichen Mitwirkung nicht bedürfe. Die allein Gott zu verdankende Offenbarung des Wortes Gottes kann nach Barth durch Predigt und Feier der Sakramente nicht eingeholt werden. Für entsprechend bedeutungslos hält Barth die signa der Kirche bei der Weckung und Stärkung der christlichen Gottesbeziehung. Im Unterschied zu Barth und Schleiermacher ist nach Luther die Vermittlung von Glauben nur durch das Zusammenwirken von Gott und Mensch möglich, das weder auf Gottes allmächtiges Schöpferwirken noch auf die geschaffene Beschaffenheit des Menschen verzichtet. Weder wird nach Luther Gottes Schöpfermacht auf die christliche Gemeinde über-
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tragen noch bringt der dreieinige Gott ohne Anknüpfung an die Beschaffenheit des Menschen sich selbst zur Erkenntnis. Vielmehr wirkt er als Schöpfer durch den Inkarnierten im Heiligen Geist die Glaubenseinsicht des Menschen, indem er damit Ernst macht, daß er selbst das menschliche Geschöpf zur Erkenntnis seines Willens und Wesens und zur freien Mitarbeit an seinem Reich geschaffen hat. I.6. Kirche Luther nennt die Gemeinschaft der Getauften und derer, die bereits zum Glauben gekommen sind, Kirche oder auch den geistlichen Leib Christi. Die christliche Kirche gilt ihm als die Gemeinschaft von Menschen, die in geistlicher Weise Jesus Christus als ihrem Haupt zugeordnet und die als sein Leib im Glauben und in der Feier der Sakramente mit ihm untrennbar verbunden sind. Nach Schleiermacher ist die Kirche als der Leib Christi zwar nicht identisch mit der irdisch-geschichtlichen Existenzform Christi. Denn der Inkarnierte zeichne sich durch seine Urbildlichkeit aus. Doch bezeichnet Schleiermacher die Gemeinschaft der getauften Glaubenden als „Abbild Christi“, welches als solches dadurch zu seiner Vollendung gelange, daß es nicht nur in seiner Gottesbeziehung gefestigt werde, sondern auch Zuwachs an christlichen Individuen erhalte. Erst die christliche Gemeinschaft der von Gott geschaffenen Individuen in ihrer Fülle vervollkommne die Abbildhaftigkeit der Kirche. Denn als Urbild ist nach Schleiermacher der Inkarnierte nicht nur Urbild im Glauben, sondern auch Urbild der Schöpfung; er ist Urbild für den Menschen wie für Gottes Schöpfung, die sich durch ihre mannigfaltige Fülle an Geschöpfen auszeichnet. Abbild Christi wird und ist die Kirche demgemäß dann, wenn in ihr die Fülle an Individuen, die das Urbild der Schöpfung in sich faßt, enthalten und ebenso wie das Urbild selbst vollkommen auf den Schöpfer bezogen ist; das wird nach Schleiermacher im Reich Gottes der Fall sein. Nach Barth hingegen ist die Kirche oder vielmehr die Gemeinschaft der Glaubenden nicht nur Leib Christi, insofern sie in leibhafter Weise Christus, ihrem Haupt, Gehorsam leistet. Vielmehr sei sie mit der „irdischgeschichtlichen Existenzform“ Christi identisch. Die auf Grund ihres Glaubens getauften und in die christliche Gemeinschaft aufgenommenen Christen sind nach Barth als Gemeinschaft der Leib Christi. Denn der Gottessohn habe zwar in einem Menschen existiert, jedoch in diesem einen das Menschliche überhaupt angenommen. Weil auch nach seinem Tod
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und seiner Auferstehung seine Fleischwerdung dem sündhaften Menschlichen gelte, ist nach Barth der inkarnierte Gottessohn in der Gemeinschaft aller getauften, aber noch sündigen Christenmenschen präsent. Entsprechend feiere diese Gemeinschaft im Abendmahl nicht die Realpräsenz des Inkarnierten. Vielmehr werde die Realexistenz der christlichen Gemeinschaft selbst vergegenwärtigt und gestärkt. Barth leugnet, daß die dauernde Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Inkarnierten leibhaft in den Sakramenten gegeben sei, und geht vielmehr davon aus, daß Christus in der Gemeinschaft der Glaubenden real präsent existiere. Das Menschliche, mit dem sich der Gottessohn auf schöpferische Weise vereinigt habe, existiere als christliche Gemeinde. Diese sei im Glauben an den Gottessohn mit ihm vereinigt und bilde also auf Erden den fortexistierenden Leib Christi. Dieser Leib befinde sich noch in der Zwischenzeit, in der Zeit des Begrabenseins und der Bedrängnis, sowie in der Hoffnung auf die Wiederkunft Christi und die eigene Auferstehung. Von Luther wird der Ausdruck „Leib Christi“ als Metapher für die leibhafte Bezogenheit der christlichen Gemeinde auf den Inkarnierten als ihr geistliches Haupt verstanden. Nach Schleiermacher drückt die Wendung das abbildhafte Dasein der christlichen, vom Gemeingeist erfüllten Gemeinschaft im Gegenüber zum unerreichbaren Urbild des Erlösers aus. Karl Barth identifiziert die Kirche mit dem irdischen Inkarnierten. Weil nach Luther und Schleiermacher im Inkarnierten der Gottessohn mit einem konkreten Menschen ein für alle Mal zum Heil der Menschen vereinigt ist, ist in Übereinstimmung mit ihrer Christologie ausgeschlossen, daß die christliche Gemeinschaft mit Christus selbst identifiziert werden könnte. Nach Schleiermacher ist die christliche Gemeinde allerdings derart vom göttlichen Wesen erfüllt, daß ein besonderes Geistwirken zur Glaubensweckung nicht in den Blick kommt. Karl Barth, der das Wirken unwiderstehlicher göttlicher Gewalt am Menschen annimmt und personale Freiheit des Menschen gegenüber seinem Schöpfer ausschließt, sieht in der von Gott gewirkten Christengemeinschaft den Inkarnierten selbst gegeben. Ebenso wie die jeweilige Christologie der drei Theologen deren differierendes Sakraments- und Predigtverständnis sowie ihre unterschiedliche Ekklesiologie bedingt, steht sie auch in aufschlußreichem Zusammenhang mit ihren Schöpfungslehren, deren maßgebliche Eigenarten aufgewiesen werden sollen.
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II. Schöpfungslehre II.1. Der Schöpfer Für den Vergleich der Schöpfungslehren ist es aussagekräftig, zunächst die verschiedenen Überzeugungen in Hinsicht auf Wesen und Eigenschaften Gottes auszumachen. Denn in Bezogenheit auf diese werden nicht nur die Verfaßtheit der menschlichen Geschöpfe und die Beschaffenheit der Schöpfung insgesamt, sondern auch Grund und Ziel alles Geschaffenen bestimmt. Zwar sind sich alle drei Autoren darin einig, daß das Wesen Gottes die Liebe ist. Doch im Unterschied zu Luther und Schleiermacher hält Barth die Liebe nicht für die einzige Wesensbestimmung Gottes. Diese Differenz zwischen den Autoren ist unter anderem an das unterschiedliche Verständnis von „Eigenschaften“ und „Wesen“ gebunden. Von Barth werden Gottes Wesen und Eigenschaften als Gottes „Vollkommenheiten“ zusammengefaßt. In Übereinstimmung damit leugnet Barth sowohl eine communicatio idiomatum im Sinne Luthers, nämlich den Austausch rein von Eigenschaften, als auch eine umfassende Bestimmung des Inkarnierten durch Gottes Wesen im Sinne Schleiermachers. Vielmehr nimmt er eine Parallelschaltung von göttlichem und menschlichem Wesen auf Grund der freien Liebe Gottes an. Nach Barth sind mit Gottes Liebe nicht nur sämtliche Vollkommenheiten wie Allmacht und Ewigkeit verbunden, sondern vor allem zeichne sich Gottes Liebe durch absolute Freiheit aus. Weil der dreieinige Gott in seiner Liebe absolut frei und nicht an eine von Ewigkeit her aus Liebe festgelegte raumzeitlich bestimmte Schöpfungsordnung gebunden sei, kann nach Barth das Zustandekommen der Gottesbeziehung eines menschlichen Geschöpfes nicht an die Entwicklung des geschaffenen Lebens gebunden sein. Überhaupt sei der Bruch in der Beziehung zwischen Gott und Mensch, den die Sünde verursacht habe, von Gott nicht vorherbestimmt gewesen. Angesichts der Macht des Nichtigen, das als ungewolltes Nebenprodukt des göttlichen Schöpferhandelns entstanden sei und die Sünde verursacht habe, müsse die Überwindung des Bruchs und die Wiederherstellung seines Bundes Gottes freie Entscheidung gewesen sein. Im Unterschied zu Barth machen Luther und Schleiermacher Ernst mit der Treue des liebenden, gemeinschaftswilligen Schöpfers und heben entsprechend die Zuverlässigkeit, Beständigkeit und Unveränderlichkeit göttlichen Wirkens hervor. Keineswegs leugnen sie die Allmacht Gottes, doch erkennen sie diese in ihrer Gebundenheit an die ewige Allwissenheit und Weisheit Gottes. In Übereinstimmung mit seinem ewigen Vorher-
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wissen habe der dreieinige Gott von Ewigkeit her seine Schöpfung samt Sünde, Erlösung und Vollendung vorherversehen und vorherbestimmt, und er bleibe in Ewigkeit diesem Willen treu. II.2. Die Schöpfung Nach Luther, Schleiermacher und Karl Barth hat Gott der Schöpfer aus Liebe die Welt geschaffen, um mit seinen menschlichen Geschöpfen Gemeinschaft zu haben. Nach Luther und Schleiermacher war dazu nötig, daß Gott in seiner Ewigkeit und Allgegenwart seinem ewigen Willen gemäß, Anfang und Ort, Zeit und Raum seiner Schöpfung bestimmte. Außer dem ewigen und allmächtigen Gott selbst sei vor der Schöpfung nichts gewesen. Nach Barth hingegen ist, noch ehe die Schöpfung geschaffen war, das Nichtige als das von Gott Verworfene bereits wirklich gewesen. Entsprechend versteht Barth die Schöpfung als die Realisation des Heilswillens Gottes, die mit der Überwindung des Nichtigen vollzogen wird. Der Anfang der Schöpfung ist nach Barth (immer) erst mit der Überwindung des Nichtigen gegeben. Die Schöpfung wird nach Barth wie nach Luther und Schleiermacher auch durch den Sohn Gottes oder genauer durch das Schöpfungswort Gottes verwirklicht. Dabei verstehen Luther und Schleiermacher unter dem göttlichen Schöpferwort zugleich das ewige Denken und Wollen des Schöpfers wie auch das Medium, durch das dieser seine Absicht realisiert. Für Schleiermacher ist unwiderleglich, daß Gott alle seine Gedanken uneingeschränkt realisiere, weil diese mit Gottes Heils- und Schöpfungsplan vollkommen deckungsgleich seien. Nach Luther befindet sich der Schöpfer in einem Gespräch mit sich selbst, in dem er Schöpfungsmöglichkeiten erwägt. Keineswegs aber läßt – sowohl nach Schleiermacher wie nach Luther – Gott der Schöpfer zu, daß es zur Realisation verworfener Möglichkeiten kommt. Barth hingegen beschreibt das Nichtige als die Wirklichkeit verworfener Schöpfergedanken. Er stellt der Wirklichkeit der gottgewollten Schöpfung die Realität des Nichtigen entgegen, die bereits vorhanden sein soll, ehe noch das Schöpferwort gesprochen ist. Das Schöpferwort Gottes dient folglich nicht dazu, Gottes Schöpfungsplan ab initio in Raum und Zeit auszubilden, vielmehr verteidigt es Gottes Schöpfergedanken gegen das Nichtige und erhält das Geschaffene, indem es dieses vor der Macht des Nichtigen bewahrt.
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Luther und Schleiermacher verstehen unter der erhaltenden Tätigkeit des ewig-treuen Gottes, die Fortführung seines schöpferischen Handelns zu dem Zweck, den ursprünglich und von Ewigkeit her vorhergesehenen und vorherbestimmten Heilsplan zu realisieren. Das ewige Ziel der Schöpfung oder vielmehr der dem Schöpfungsprozeß inhärente letzte Zweck, zu welchem Gott seine Schöpfung erhält und hinführt, ist nach Luther und Schleiermacher die Verwirklichung des Reiches Gottes als die vollkommene Gemeinschaft Gottes mit seinen Geschöpfen. Diese aber setze unausweichlich die Christusoffenbarung voraus und dementsprechend stellt die Offenbarung des Inkarnierten (gen. subj. und gen. obj.) die eigentliche Pointe des Schöpferhandelns dar. Weil nach Luther und Schleiermacher Gott der Schöpfer von Ewigkeit her Sünde und Tod vorherbestimmt hat, um durch Sünde und Tod hindurch seine gesamte Schöpfung zu erhalten und zur Vollendung zu führen, sei er in Jesus Christus selbst Mensch geworden und habe auf menschliche Weise das ewige Wesen des Schöpfers sowie Schönheit und Güte seiner Schöpfung als Ausdruck des göttlichen Gemeinschaftswillens offenbart. Für Barth ist es undenkbar, das faktische Heilshandeln des Inkarnierten als der Schöpfung immanentes Telos anzunehmen. Die Verwirklichung des Bundes Gottes mit den Menschen setze vielmehr das Werk der Versöhnung, das Gott trotz des sündhaften „Zwischenfalls“ vollbringe, als das zweite, neue Werk Gottes nach der (ersten) Schöpfung voraus. II.3. Das Geschöpf Nach Barth ist deshalb ein zweites göttliches Werk außer der Schöpfung zur Verwirklichung des Gottesbundes nötig, weil Barth davon ausgeht, die menschlichen Geschöpfe ständen derart unter der Macht des Nichtigen und der Sünde, daß nur ein neues Werk Gottes und eine zweite Schöpfung den eigentlichen Schöpferwillen und damit auch den wirklichen Menschen zu realisieren vermöge. Der wirkliche Mensch ist nach Barth das menschliche Geschöpf, das Gottes Schöpferwillen entspricht, der Sünde wegen jedoch in Raum und Zeit (noch) gar nicht realisiert ist. Der sündhafte Mensch hingegen, der nach Barth auf Erden real existiert, könne nicht eigentlich wirklich sein. Die Sündhaftigkeit des Menschen setze nämlich die vom wirklichen Menschen vollzogene Tat der Sünde voraus. Für den wirklichen Menschen aber stelle die Sünde eine „unmögliche Möglichkeit“ dar, die er eben deshalb gar nicht verwirklichen könne. Zwar geht Barth von einer dem wirklichen Menschen mitgegebenen „Schat-
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tenseite“ aus, die sich in großer Nähe zum Nichtigen und zur Sünde befinde. Erst aber infolge der vom Menschen selbst gewirkten unmöglichen Hinneigung dieser Schattenseite zum Nichtigen hin, also erst auf Grund der tatsächlich ausgeführten unmöglichen Sündentat, könne der Mensch als Mensch der Sünde und als sündhaft qualifiziert werden. Durch das Nichtige und die Sünde sei der mit einer Schattenseite ausgestattete Mensch gefährdet, sündhaft aber sei erst der Mensch unter der Sünde, der wie diese eigentlich unmöglich sei. Im Unterschied zu Barth bezeichnen Luther und Schleiermacher den Menschen, wie er in Zeit und Raum existiert als das irdische Realisat des ewigen Schöpferwillens. Die Beschaffenheit, die der Schöpfer von Ewigkeit her für seine menschlichen Geschöpfe vorgesehen habe, sei hingegen deren ursprðngliche oder originale Vollkommenheit, die in vollendeter Weise im Reich Gottes verwirklicht sein werde. Der irdisch-reale Mensch ist nach Luther und Schleiermacher durch seine Sündhaftigkeit bestimmt. Dies bedeutet keineswegs, daß seine Geschöpflichkeit mit Sündhaftigkeit gleichzusetzen wäre. Jedoch befinde sich das menschliche Geschöpf, solange ihm das Wesen seines Schöpfers nicht offenbar sei, in einem defizitären Zustand und auf einer niederen Entwicklungsstufe, auf der es unumgänglich die Tat der Sünde begehe. Nach Schleiermacher zeigt die Sündentat ein Ausbleiben der Verwirklichung des Möglichen, ein Zurückbleiben hinter der möglichen Vollkommenheit menschlichen Daseins, welches ebenso wie seine Überwindung im göttlichen Heilsplan vorherbestimmt sei. Auch nach Luther eignet dem Menschen während seines irdischen Daseins noch nicht die Vollkommenheit, die ihm von Ewigkeit her von Gott selbst zugedacht ist. Entsprechend verstehen Schleiermacher und Luther unter Sünde nicht die Beleidigung Gottes durch seinen Bundespartner, den wirklichen Menschen, der nach Barth als solcher den Bundeswillen Gottes kennen muß. Vielmehr nehmen sie an, die Nichterkenntnis des Schöpfers auf seiten seines Geschöpfes bedinge die Sünde. Indem Barth denjenigen Menschen als wirklich beschreibt, den Schleiermacher und Luther als ursprünglich vollkommen bezeichnen, macht er deutlich, daß er jegliche Verfehlung gegenüber der gottgewollten Verfaßtheit des Menschen als ein Defizit am Wirklichen und nicht als ein Ausbleiben der Realisation von Möglichkeiten begreift. Entsprechend kann nach Barth das Defizit an der Wirklichkeit nur durch Setzung einer neuen Wirklichkeit, durch eine „Neuschöpfung“ in seinem Sinne behoben werden. Überhaupt wird nach Barth gerade angesichts der Neusetzung von Wirklichkeit erst Gottes absolute Freiheit deutlich, die nicht
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auf bestimmte Möglichkeiten zurückgreift, sondern einen ganz neuen Anfang zu setzen vermag.4 Zwar nehmen nur Luther und Schleiermacher an, daß die Sünde selbst zu Gottes Heilsplan gehört. Aber Barth stimmt mit ihnen darin überein, daß der Mensch unabhängig vom Eintreten der Sündentat als endliches Wesen geschaffen ist und daß unter der Macht der Sünde der Tod als Übel gefürchtet wird. Die räumliche und insbesondere die zeitliche Beschränktheit leibhaften Menschenlebens sei als solche nicht als Sündenstrafe zu verstehen. Vielmehr zähle die Endlichkeit menschlichen Lebens zu den dauernden Bedingungen geschöpflichen Seins. Nur jedoch dem Glaubenden sei der irdische Tod als Strukturmoment der guten Schöpfung Gottes, nämlich als notwendige Übergangsstation zum ewigen Leben, und das menschliche Sterben als transitus ad patrem bewußt. Die Auffassungen von Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf, die Barth, Schleiermacher und Luther vertreten, variieren vor allem darin, daß auf der einen Seite von Luther und Schleiermacher die unverbrüchliche Kontinuität des Schöpfungsprozesses sowohl in Übereinstimmung mit der ewigen Treue des Schöpfers als auch zu Gunsten der personalen Identität des Menschen, vor wie unter dem Evidenzerlebnis der Christusoffenbarung, hochgehalten wird. Auf der anderen Seite werden von Barth die Freiheit Gottes sowie die Mächtigkeit des Nichtigen derart ernstgenommen, daß es nach Barth zur Sünde und zum Bruch des Bundes zwischen Gott und den Menschen sowie anläßlich der Wiederherstellung des Bundes zur Durchbrechung des Schöpfungsprozesses kommen muß. Zu Ungunsten personaler Identität und schöpferischer Kontinuität hält Barth an Gottes Freiheit fest. Nach Luther und Schleiermacher umfaßt der Heilsplan des ewigtreuen Gottes die Entwicklung des Menschen ausgehend von dessen sündhafter Existenz hin zu einem Leben im Reich Gottes. Damit dieses Ziel des gesetzmäßig und kontinuierlich fortschreitenden Schöpfungsprozesses erreicht werden könne, sei die identittswahrende Neuschöpfung des Menschen, durch welche Einsicht in Gottes Wesen gewährt werde, als integraler Bestandteil dieses Prozesses notwendig. Nach Barth hingegen bildet der Akt der Neuschöpfung, der dem Bundesbruch des Menschen entgegenwirken soll, gerade kein integratives Moment im Schöpferhandeln Gottes, geschweige denn das der Schöpfung inhärente Telos.
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S. dazu Immanuel Kant, KrV B474: Freiheit ist, von selbst anfangen zu können.
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III. Neuschöpfung Daß die irdische Existenz des Menschen als dessen Übergangszeit hin zum ewigen Leben im Reich Gottes zu verstehen ist, ist nach Luther, Schleiermacher und Barth dem Glaubenden von seiner Neuschöpfung an offenbar. Darin, daß durch den Akt der Neuschöpfung, den der inkarnierte Gottessohn grundlegend wirke, ein neues Verhältnis der Geschöpfe zu ihrem Schöpfer und damit auch zu dessen Schöpfung sowie zu ihrem eigenen Lebensvollzug eröffnet wird, sind sich die drei Theologen ebenfalls einig. Allerdings versteht Barth unter Neuschöpfung eine neue, zweite Schöpfung, die den Menschen im Anschluß an seinen Bundesbruch in ein neues Geschöpf-Schöpfer-Verhältnis einsetzt, welches ihm überhaupt erst die Erkenntnis des eigenen Daseins vermittele und als Geschöpf zu leben gewähre. Die Erkenntnis des eigenen Daseins und Seins sei nur und erst durch das Wunder der Neuschöpfung gegeben. Entsprechend fielen für den Neugeschaffenen Schöpfung und Neuschöpfung Gottes in eins; daß er tatsächlich ist, sei ihm ausschließlich als neugeschaffenem Geschöpf offenbar. Unter der Macht des Nichtigen und der Sünde sei dem Menschen keinerlei Gewißheit über Gott noch gar über das eigene Dasein in der Welt gegeben, doch soll er fähig sein, Gott selbst zu beleidigen, den Bund mit ihm zu brechen und damit Gottes Plan zu durchkreuzen. Der Bruch zwischen Gott und den Menschen wird nach Barth dadurch behoben, daß eine neue Schöpfung an die Stelle der dem Sündentod verfallenen und dem Nichtigen ausgelieferten Schöpfung gesetzt wird. Bei dieser Neuschöpfung werde der Mensch zu einem Bundespartner Gottes geschaffen, dem es unmöglich sei, sich der göttlichen Gewalt zu widersetzen. Luther und Schleiermacher, die an der ewigen Treue und Unveränderlichkeit des göttlichen Wollens und Wirkens festhalten, bezeichnen mit dem Ausdruck Neuschöpfung oder Wiedergeburt die Einsetzung des Menschen in die von Gott vorherbestimmte Gottesbeziehung, in der den menschlichen Geschöpfen Einsicht in das Wesen ihres Schöpfers und damit eine qualitative Verbesserung ihres eigenen Lebensvollzugs gewährt sei. Weil der Mensch von Anfang an dazu geschaffen sei, Gottes Heilszuwendung zu erhalten, sei er von Anfang an mit der passiven Disposition zum Empfang der Offenbarung Gottes ausgestattet. Die Neuschöpfung des sündigen Menschen knüpfe an diese Disposition an und bewirke die Bewußtwerdung des Menschen darüber, daß er von Gott selbst von Ewigkeit her zum Heil geschaffen ist. In diesem Bewußtsein sei der sündige Mensch ein wahrhaft neuer Mensch.
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Die Befreiung und Erlösung von der Sünde oder eben die Neuschöpfung des sündigen Menschen muß nach Luther und Schleiermacher als Realisation eines Zustands gedacht werden, der von Ewigkeit her in Gottes Willen beschlossen ist und keinen Bruch der Identität bedeutet, sondern die Kontinuität menschlichen Personseins wahrt. Denn gerade Identität und Kontinuität der menschlichen Existenz zeichnen das Personsein des Menschen aus und charakterisieren ihn als ernstzunehmendes Gegenüber Gottes. Nach Luther und Schleiermacher werden durch Gottes Neuschöpfung keine neuen Geschöpfe geschaffen. Vielmehr wird ihnen auf Grund der glaubenwirkenden Neuschöpfung ihre eigene Bezogenheit auf Gott als die Macht, der sie ihre Bedingtheit zuschreiben, in neuer Weise bewußt. Die unabweisbare Bedingtheit des eigenen In-der-Welt-Seins ist nach Luther auch den Heiden bewußt und nach Schleiermacher im Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit präsent. Das Wesen des Schöpfers jedoch, der das In-die-Welt-gesetzt-sein seiner menschlichen Geschöpfe begründet und aus Liebe verwirklicht hat, sowie die ursprüngliche Beschaffenheit der Welt insgesamt werden erst durch Jesus Christus und im Glauben an ihn offenbar. Wenn gleichwohl Barth wie Schleiermacher Jesus Christus als den Schlüssel zu Schöpfung und Schöpfer bezeichnen, verstehen sie darunter doch Grundverschiedenes. Nach Barth erschließt die Christusoffenbarung die Tatsache des Geschaffenseins überhaupt. Dahingegen gilt sie nach Schleiermacher wie auch nach Luther als maßgebliche Schlüsselstelle in der Beziehung der Geschöpfe zum Grund ihrer Bedingtheit und ihres Gesetztseins. Vor der Neuschöpfung führen nach Luther, Schleiermacher und Barth die Menschen ein „Leben“ unter der Sünde. Infolge der Neuschöpfung befindet sich nach Barth der Mensch als neu-geschaffenes Geschöpf Gottes in einer Zwischenzeit, in der er einerseits als „neuer“ Mensch bereits in Ausrichtung auf das ewige Leben mit Gott existiert, andererseits aber von seiner „alten“, todverfallenen Existenz noch nicht frei ist. Nach Luther und Schleiermacher hingegen ist die Neuschöpfung die Erlösung der menschlichen Geschöpfe aus ihrer sündigen Existenz in das ewige Leben mit Gott. Die Lebens-Zeit, die der Neuschöpfung folge, sei nicht eine Zeit zwischen Tod und Leben, Nichtsein und Sein, sondern bilde den Anfang des ewigen Lebens mit Gott, das nach dem irdischen Tod vollkommen sein werde. Nach Schleiermacher beinhaltet diese Zeit einen Erkenntniszuwachs des Glaubenden im Zusammenleben mit der christlichen Ge-
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meinde. Nach Luther ist der Glaubende angehalten, in täglicher Buße sich seine Taufe und damit seine ein für alle Mal vollzogene Neuschöpfung sowie die verläßliche, unwandelbare und ganz und gar gewisse Zusage Gottes zu vergegenwärtigen. Barth, der Gott als den in Freiheit Liebenden beschreibt, leugnet, daß mit der Taufzusage Gottes oder mit der durch den Inkarnierten eröffneten Einsicht in Gottes Wesen Heilsgewißheit gegeben sein könne. Einzig in der Hoffnung auf Erlösung und in täglicher Bestätigung des in der eigenen Taufe bekannten Glaubens kann nach Barth der Christenmensch sein Leben unter der freien, und das heißt unter der ungebundenen Gnade Gottes führen. Der durch die Neuschöpfung entstandene total neue und doch noch nicht erlöste Mensch dürfe sich in seinem Leben und Tun auf den geoffenbarten Gott richten, dürfe aber keinesfalls davon ausgehen, Gott sei in seiner Treue unveränderlich. Wie Barths Verständnis von Gebet und Wunder zeigt, ist nach Barth um der Freiheit Gottes willen Gottes Wirken nicht einmal an die von diesem selbst gesetzte Schöpfungsordnung gebunden. Weil Barth voraussetzt, daß Gottes Wesen nicht als solches, sondern nur seinem Wirken nach erkannt werden könne, kann seiner Ansicht nach keine Gewißheit darüber bestehen, daß der dreieinige Gott einen bestimmten, durch Jesus Christus offenbarten, seinem eigenen Wesen gemäßen Heilswillen verwirklichen werde. Erst im Vollzug seines ewigen Wirkens werde Gott sein Wesen offenbaren, abgesehen von Gottes offenbarendem Wirken aber bleibe es verborgen. Nach Luther und Schleiermacher hingegen sind Wesen und Wille Gottes durch das inkarnierte Wort Gottes vollkommen und gewißheitsstiftend offenbar. Allerdings werde Gottes Wirken im Einzelnen – nicht Gottes Wesen – erst im Verlauf des Heilsprozesses von den menschlichen Geschöpfen als heilsam eingesehen werden und in Übereinstimmung mit seinem geoffenbarten Wesen erkannt werden können. Auch von Luther und Schleiermacher wird eine Verborgenheit Gottes für den Menschen angenommen. Uneinsehbar sei den menschlichen Geschöpfen der konkrete Zusammenhang zwischen Gottes Wirken an der Welt und Gottes Wesen. Weil aber Gottes Wesen ewige und allmächtige Liebe sei, bestreiten Luther und Schleiermacher ein Wirken Gottes an der Welt, das Gottes ewigem Heilsplan und der in allmächtiger Liebe geschaffenen Schöpfungsordnung widerspricht. Die einzige Ausnahme, die Luther zuläßt, ist die Geburt des Inkarnierten aus der Jungfrau Maria, wobei Luther selbst ausdrücklich bemerkt, daß der Schöpfer hierbei seine Schöpfungsordnung – zumindest teilweise – absichtlich nicht habe halten wollen. Allerdings hebt Luther im Unterschied
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zu Barth auch für die Geburt Christi die Kooperatorfunktion des Menschen hervor, die bei der Geburt Christi Maria spielt. Nach Schleiermacher ist ein Wirken Gottes, das seiner Selbstmanifestation in der Welt und seiner Selbstmitteilung in Jesus Christus widerspräche, vollständig ausgeschlossen. Ebenfalls verneint Schleiermacher, daß der eine und einzige ewige Heilsplan Gottes durch Gebete des Menschen verändert werde,5 was Barth um der göttlichen Freiheit willen voraussetzt. Denn nach Schleiermacher ist, wie nach Luther auch, die Schöpfung das Werk der Liebe Gottes und also Ausdruck des allmächtigen und allwissenden göttlichen Wesens. Würde Gott, der allmächtige und allwissende Schöpfer, durch seine Geschöpfe zu einer Verbesserung seines Wirkens gebeten werden können, müßte angenommen werden, daß er in seinem ewigen Vorherwissen nicht die beste oder einzig angemessene Welt bereits vorherbestimmt hat. Es müßte also entweder sein Vorherwissen, seine Allmacht oder gar seine Liebe bezweifelt werden. Mit der Erkenntnis des eigenen Geschaffenseins und Bezogenseins auf Gott den Schöpfer gewährt nach Barth die Neuschöpfung dem Glaubenden eine neue Zeit. Der verlorenen Zeit unter der Sünde folge die Gnadenzeit, die bei der Wiederkunft Christi abgelöst werde durch die Aufnahme des Menschen in die Ewigkeit Gottes. Anders als nach Luther und Schleiermacher kann nach Barth die Zeit des Menschen nicht von Anbeginn an als maßgebliche Größe des heilszielstrebigen Schöpfungsprozesses gelten. Vielmehr sei solche Zeit erst mit der Neuschöpfung gegeben. Luther und Schleiermacher nehmen für das menschliche Geschöpf mit dem Vollzug der Neuschöpfung die Aufnahme in Gottes ewiges Leben an. Allerdings gehen sie dabei – in Übereinstimmung mit der Kontinuität des einen raum-zeitlich bestimmten Schöpfungsprozesses – nicht von einer Folge von Zeiten aus, die der Mensch während seines irdischen Daseins 5
Allerdings schließt Schleiermacher weder eine Wirksamkeit des christlichen Gebetes für den Menschen noch eine Gebetserfüllung aus. Denn das christliche Gebet geschehe ohnehin im Bewußtsein darum, daß Gott selbst auf dem Boden und im Rahmen seiner Schöpfung die Realisation seines Reiches erstrebe (s. GL 147,2,382). Das christliche Gebet ist demnach auch niemals bloß Selbstgespräch zur Selbsthilfe, sondern drücke vielmehr vollkommenes Vertrauen in Gottes Heilswirken aus. S. dazu GL 146,1,377: „Denn beteten wir nicht, so müßte entweder unser Interesse an dem Reiche Gottes, welches jene Vorstellungen des Heilsamen aber Ungewissen erzeugt, oder unser Gottesbewußtsein, welches uns die absolute Kräftigkeit der göttlichen Weltregierung vorhält, verschwunden sein.“
IV. „alius, alius, alius“ – die Trinität
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durchlebe. Vielmehr gewähre die neuschaffende Erlösung Christi die Erkenntnis, daß sowohl die räumliche wie die zeitliche Bestimmtheit menschlichen Lebens von Gott dem Schöpfer zum Heil des Menschen geschaffen ist. Der Inkarnierte, der selbst in Raum und Zeit existiert, um den menschlichen Geschöpfen Gottes Wesen zu offenbaren, bejaht eben auf diese Weise die Beschaffenheit der Schöpfung. Er weist auf, daß der Schöpfer gerade im Rahmen der Schöpfung mit seinen Geschöpfen in Gemeinschaft treten will, um sie zum ewigen Leben zu erlösen. Das ewige, selige Leben selbst besteht nach Schleiermacher entsprechend darin, daß, solange der Mensch noch auf Erden existiert, ihm die Ewigkeit der Liebe Gottes bewußt ist, die ihn in Treue erhalten wird. Nach dem irdischen Tod werde das ewige Leben unter der stetigen Dominanz des Gottesbewußtseins als vollendete Gemeinschaft mit dem Schöpfer fortbestehen. Nach Luther wird den menschlichen Geschöpfen auf Erden in der Feier der Sakramente Anteil an Gottes ewigem und allgegenwärtigem Sein gewährt. Weil die räumliche und zeitliche Präsenz des Inkarnierten in den Sakramenten real gegeben sei, eröffneten diese nicht nur die Einsicht in die Güte der raum-zeitlich verfaßten Schöpfung. Sie geben zudem – anders als Barth und Schleiermacher annehmen – auf leibhafte Weise Anteil am ewigen leibhaften Leben des Gottessohnes und vermittelten die Gewißheit, daß auf Grund der ewig-treuen Liebe Gottes nach der „Ganzwerdung“ des irdischen Lebens im Tod die leibhafte Gottesgemeinschaft ewig bestehen wird.6
IV. „alius, alius, alius“ – die Trinität Was die Ausführungen über die Verbundenheit von wahrem Gott und wahrem Menschen anbelangt, sind diese nicht nur aussagekräftig im Blick auf die Bestimmung des Verhältnisses zwischen Schöpfer, Schöpfung und Geschöpf. Auch für die Trinitätslehre erweist sich das Verständnis von Inkarniertem und Inkarnation als von Bedeutung. Dabei zeigt sich, daß die Vernachlässigung der menschlichen Natur des Inkarnierten, wie sie als 6
S. dazu Eilert Herms, Zur Systematik des Personbegriffes, 403: Nach Herms ist „das Enden dieser geschaffenen Welt des geschaffenen Ebenbildes des Schöpfers nicht deren Vernichtung, sondern nur deren Ganzwerden“. Dabei sei „[d]iese geschaffene Welt […] schon jetzt durch das Geschehen der Inkarnation an den Ort des Logos versetzt und in das ewige Leben Gottes aufgenommen. Ihre absolute Zukunft ist, dass sie als ganz gewordene vollendet im ewigen Leben Gottes existiert.“
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Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen
Gemeinsamkeit der beiden reformierten Theologen aufgewiesen ist, an einander entgegengesetzte Positionen in ihrer jeweiligen Trinitätslehre gekoppelt ist. Barth nimmt für den Versöhnergott an, daß dieser als Inkarnierter insofern wahrer Mensch sei, als er durch seine göttliche Gewalt die menschliche Natur seinem göttlichen Wesen parallelschalte und so sich selbst mit einem neugeschaffenen, wahrhaft gottbezogenen und lebendigen Menschen verbinde. Solange der Versöhnergott die Neuschöpfung, die er als Inkarnierter selbst darstelle und wirke, nicht ausführe, bleibe der sündhafte Mensch im Tod der Sünde befangen, und weder könne er vor Gott als wirklicher Mensch gelten noch sich selbst seines eigenen Daseins gewiß sein. Weil nach Barth erst das Versöhnungswerk, das der Inkarnierte an sich selbst vollzogen habe, den Menschen zum wirklichen Geschöpf Gottes erschafft, knüpft folglich das Werk des Versöhners nicht an das Werk des Schöpfers an. Vielmehr ist es nach Barth ein zweites und ganz und gar neues Werk Gottes. Obwohl Barth von einem stets gemeinsamen Wirken der drei „Seinsweisen“ Gottes ausgeht, nimmt er doch um der Freiheit Gottes und seines souveränen Wirkens willen an, daß die neuschaffende und eigentlich schöpferische Tätigkeit des Versöhners zwar der Tätigkeit des Schöpfergottes nachgeordnet, jedoch der Sache nach von ihr unabhängig sei; das Werk des Versöhners sei ein „unbegreiflich neues Werk“. Indem Barth das Werk des inkarnierten Versöhners für ein neues, zweites Werk Gottes hält, leugnet er die Verbundenheit zwischen dem besonderen Werk des Schöpfers und dem besonderen Werk des Versöhners ebenso, wie er eine Anknüpfungsmöglichkeit des versöhnenden Wirkens Gottes an den in Sünde gefallenen menschlichen Geschöpfen ausschließt. Was das Wirken der dritten Seinsweise Gottes anbetrifft, ist Barths Differenzierung zwischen der Offenbarung Gottes und seinem Offenbarsein bedeutsam. Die Inkarnation des Versöhnergottes ist nach Barth die Offenbarung Gottes. Jedoch das Offenbarsein dieser Offenbarung oder auch die Offenbarung der Offenbarung, durch die der Mensch überhaupt erst von einer Offenbarung Gottes wissen könne, wirke der Heilige Geist. Allerdings schließt Barth aus, daß das Offenbarsein der Offenbarung oder auch der Vollzug der Neuschöpfung an die Verkündigung des Versöhnungsgeschehens oder die Feier der Sakramente gebunden sei. Vielmehr wirke der Versöhner selbst in der Kraft des göttlichen Geistes in unmittelbarer und geistlicher Weise auch das Offenbarsein seiner Offenbarung oder eben die Neuschöpfung der sündigen Menschen. Nur die Erzeugung des Inkarnierten ist nach Barth das spezielle Werk des Heiligen Geistes, der
IV. „alius, alius, alius“ – die Trinität
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die Jungfrauengeburt ermöglicht, die Schleiermacher und Luther als nicht übereinstimmend mit Gottes Schöpfungsordnung beschreiben. An Barths Trinitätslehre muß eine zu große Verschiedenheit zwischen dem Wirken der ersten und der zweiten Person der Trinität beanstandet werden. Zugleich ist auf sein Verständnis der dritten Person der Trinität diejenige Kritik anwendbar, die er an der gesamten Trinitätslehre Schleiermachers äußert. An Schleiermachers Trinitätslehre kritisiert Barth, daß die Unterschiedenheit der drei Personen nicht genügend berücksichtigt sei. Diese Kritik kann insofern bestätigt werden, als der Erlöser und der Heilige Geist von Schleiermacher nur als Erscheinungen des göttlichen Offenbarungshandelns dargestellt sind: Die Erkenntnis seines Wesens gewähre der Schöpfer einerseits im besonderen durch den Menschen Jesus von Nazareth, andererseits in allgemeiner Weise durch die christliche Gemeinschaft. Beide Male ist es jedoch Gott der Schöpfer selbst, der auf schöpferische Weise Einsicht in sein Wesen gibt. Denn der Inkarnierte ist nur seinem Organismus nach von menschlicher Natur, nicht aber als die zweite Person der Trinität von Ewigkeit her auch wahrer Mensch. Der Heilige Geist oder vielmehr der Gemeingeist ist nach Schleiermacher die Vereinigung des schöpferischen Wesens Gottes mit der christlichen Gemeinde. Das Geistwirken Gottes ist also das Wirken der Person des Schöpfers, nicht in der Gestalt Christi, sondern in der Gestalt der Gemeinschaft von Christenmenschen. Zwar berücksichtigt Schleiermachers Beschreibung des Inkarnierten und des Heiligen Geistes nicht ausreichend deren personale Eigenart gegenüber Gott dem Schöpfer. Jedoch hält Schleiermacher in Übereinstimmung mit Luther und im Gegensatz zu Barth die Wesenseinheit der drei Personen Gottes hoch, weil er den einen und einzigen unverbrüchlichen Heilswillen Gottes ernstnimmt. Luther hält im Unterschied zu Barth und Schleiermacher ausdrücklich fest, daß zum einen die gesamte trinitarische Einheit Gottes die Inkarnation des Gottessohnes wirke, daß zum anderen aber nur die zweite Person der Trinität mit dem menschlichen Wesen in Jesus Christus vereinigt sei. Die dritte Person wiederum bewirke im Sinne des göttlichen Wesens die Einsicht in Gottes Wesensoffenbarung durch den Inkarnierten. Der Schöpfer oder die erste Person der Trinität schaffe und erhalte durch das Schöpferwort und den Schöpfergeist die gesamte Schöpfung dazu, daß in ihr Gott der Sohn Raum und Zeit einnehmen kann und Gott der Heilige Geist in Raum und Zeit die Augen für die in Jesus Christus vollkommen dargestellte ewige Liebe des Schöpfers öffnet. Daß in Luthers Theologie die
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Kapitel IV: Inkarnation und Schöpfung und ihre theologischen Folgen
Einheit des göttlichen Wesens und die Unterschiedenheit der drei göttlichen Personen zur Geltung kommt, hängt vor allem auch damit zusammen, daß Luther den Menschen als eigenständiges, stets identisches und zur Verantwortung fähiges Würdewesen wahrnimmt. Denn entsprechend geht Luther bei der von Ewigkeit her bestimmten Einheit von wahrem Gott und wahrem Menschen im Inkarnierten von einer communicatio idiomatum aus. Diese beachtet das Menschsein des Inkarnierten derart, daß dieser sich wegen der unvermischten, aber auch untrennbaren Einheit von Gott und wahrem Menschen von Gott dem Schöpfer unabweisbar unterscheidet. Zudem geschieht nach Luther das Wirken des Geistes nur in cooperatio mit den Menschen, die das Wort Gottes verkündigen und die Sakramente feiern. Diese kooperative Beziehung zeichnet nach Luther den Heiligen Geist aus, der deshalb von den beiden anderen göttlichen Personen unterschieden, aber ebenso wie diese wesentlich Liebe ist.
V. Auswertung Wie die Interpretationen der Inkarnations- und Schöpfungstheologie Luthers, Schleiermachers und Karl Barths sowie der Vergleich ihrer Entwürfe zeigen, kann ihre jeweilige erkenntnistheoretische Überzeugung als Basis ihrer Unterschiede ausgemacht werden. Insbesondere ihre jeweilige Trinitätstheologie macht abschließend die Konsequenzen ihrer Grundannahmen deutlich. Für Luther und Schleiermacher ist klar, daß der Schöpfer seine menschlichen Geschöpfe mit dem Vermögen zur Erkenntnis seines Wesens und seiner Schöpfung, seines Heilswillens und -wirkens ausgestattet hat. Nach Barth hingegen verleiht Gott erst mit seiner Offenbarung auch Empfänglichkeit für diese. Entsprechend ist nach Barth, anders als nach Luther und Schleiermacher, das Offenbarwerden des Heilswillens Gottes „faktisch“ nicht die von Ewigkeit her vorherbestimmte Absicht Gottes des Schöpfers im Erlöser und durch den Heiligen Geist. Vielmehr ist nach Barth die Inkarnation „faktisch“ Gottes Replik auf die nicht vorherbestimmte Sünde. Entsprechend ihrer erkenntnistheoretischen Voraussetzungen nehmen Luther und Schleiermacher an, daß die Inkarnation insofern ein Zusammenwirken Gottes und des Menschen darstellt, als sich die menschliche Natur Gott gegenüber in gewisser Weise für eine Vereinigung empfänglich erweist. Einzig aber Luther beschreibt das Verhältnis zwischen Mensch und Gott als einen kommunikativen Austausch, der dem
V. Auswertung
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„vere Deus et vere homo“ des Dogmas von Chalcedon gerecht wird. Nach Schleiermacher erfüllt im Inkarnierten Gottes Wesen vollständig die rezeptive Seele des Menschen Jesus. Nach Barth bedeutet das Geschehen der Inkarnation die Parallelschaltung von göttlichem und menschlichem Wesen, wobei das göttliche Wesen dem vollständig passiven menschlichen Wesen auf gewaltsame Weise unbedingten Gehorsam abverlange. Dadurch werde die Beziehung zwischen Gott und Menschen eröffnet und gewährt, die den Menschen erst zu einem wahren Geschöpf Gottes mache. Indem Barth den versöhnten Menschen als wirklichen Menschen ansieht und dem Menschen jegliche Anknüpfungsmöglichkeit, geschweige denn Mitwirkungsfähigkeit in Hinsicht auf das Offenbarungshandeln Gottes abspricht, trennt er die versöhnten Christenmenschen von ihren unchristlichen Mitmenschen auf eine für den Menschen unüberwindbare Weise. Dadurch aber schreibt er dem dreieinigen Gott vollkommene Wirkmächtigkeit zu und schafft den Christenmenschen Erleichterung. Zwar macht er den Menschen selbst für dessen Verfallensein an die Macht des Nichtigen verantwortlich. Doch zugleich entlastet er den Menschen von dem Anspruch, für die Überwindung der Macht des Nichtigen einen wirkungsvollen Beitrag leisten zu können. Als faktische Replik Gottes auf die Sünde des Menschen kann nach Barth die Inkarnation auf die Schöpfung nur derart bezogen sein, daß erst sie es ist, die die Schöpfung des wirklichen Menschen wirkt; die Christusoffenbarung ist damit der Schöpfung gleichgesetzt. Nach Luther und Schleiermacher hingegen stellt die Christusoffenbarung die Pointe der Schöpfungsoffenbarung dar, weil die Schöpfung dem Schöpferwillen gemäß auf die Gemeinschaft der menschlichen Geschöpfe mit ihrem Schöpfer hin geschaffen ist. Die Vollendung der Schöpfung vollziehe sich im Rahmen der einen Schöpfung als Bildungsprozeß der menschlichen Geschöpfe hin zu ihrer vollkommenen Erkenntnis des Wesens und Willens Gottes des Schöpfers sowie der Güte und Schönheit seiner Schöpfung, die durch den Inkarnierten und das Wirken des Heiligen Geistes offenbart werde. Mit seiner Verhältnisbestimmung von Inkarnation und Schöpfung will Barth die absolute Freiheit Gottes und die Unterschiedenheit der Personen Gottes sowie das Ausgeliefertsein des Menschen an das Nichtige und dessen radikale Angewiesenheit auf Gottes Gnade zur Geltung bringen. Gottes Freiheit ist nach Barth nur dann gewahrt, wenn zwischen dem Wirken Gottes des Vaters und Gottes des Sohnes kein ewig festgelegter, vorherbestimmter Zusammenhang besteht. Zugleich versucht Barth auf diese Weise, Gott den Schöpfer von der Verantwortlichkeit für die Sünde und
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das Nichtige zu dispensieren. Die Verwirklichung des Nichtigen ist nach Barth kein unmittelbares Ergebnis der Schöpfung Gottes. Deshalb sei auch das Versöhnungswerk des Inkarnierten, das erst die Macht des Nichtigen überwinde, nicht mit theologischer Notwendigkeit an das Schöpferwerk Gottes gebunden. Allerdings mißachtet Barth bei seiner Beschreibung die ewige Treue der Liebe des allmächtigen Gottes, die zum einen die Verwirklichung von „Nichtigem“ grundsätzlich ausschließt und die zum anderen die Erlösung von der Sünde um der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen willen schon ewig und unumstößlich intendiert. Schleiermacher und Luther hingegen erkennen, daß die Relation zwischen Inkarnation und Schöpfung durch das kohärente und konsequente Handeln des dreieinigen Gottes bestimmt ist. Dabei ist nach Schleiermacher die eine realisierte Schöpfung Gottes, die einzige Schöpfung, die dem Wesen des Schöpfers, nämlich seiner ewig-treuen Liebe, entspricht. Ausschließlich Luther – und darum ist seine theologische Position den beiden anderen ebenfalls christlich motivierten Positionen vorzuziehen – macht in adäquater Weise zum einen Ernst mit Gottes Freiheit und Liebe sowie zum anderen mit der Sündhaftigkeit und Heilsbestimmtheit des Menschen als dem von Gott selbst gewollten, ansprechbaren, kooperativen und eigenständigen Gegenüber Gottes. Luther geht – im Unterschied zu Schleiermacher – nicht nur von mehreren Möglichkeiten aus, die dem Schöpfer in seiner Freiheit bei seinem Schöpferwirken zur Verfügung gestanden hätten. Er hält zudem fest, daß sich der Schöpfer auf Grund seiner Liebe für die eine Schöpfung entschieden habe, durch die er und in der er sein Wesen zum Ausdruck bringe. Weil nach Luther, im Gegensatz zu Barth, Gottes allmächtige Liebe die gesamte Schöpfung begründet, umfaßt die Schöpfung Gottes auch die Möglichkeit zur Sünde, der das menschliche Geschöpf solange ausgeliefert ist, bis es durch Gott den Inkarnierten und Gott den Heiligen Geist zu dem Heil befreit wird, das dem Wesen des dreieinigen Gottes entspricht. Dies aber geschieht eben auf die Weise, die dem Menschen als leibhaftem Geschöpf angemessen ist. Denn der eine Gott, der Schöpfer, Erlöser und Vollender, muß als der eine ewig-treue, allwissende und allmächtige Gott, der die Liebe ist, seine menschlichen Geschöpfe so geschaffen haben und erhalten, wie er ihnen von Ewigkeit her als ihr Erlöser und Vollender heilswirksam begegnen will. Genau dies erweist nach Luther die Inkarnation.
Kapitel V: Die Liebeswelten der Dreieinigkeit „Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn – So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sei, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der Dritte.“ (Friedrich Schiller, Die Bürgschaft, 72)
Anknüpfend an die Vorzugswürdigkeit, die für die Lutherische Position gegenüber den Positionen Schleiermachers und vor allem Barths herausgestellt wurde, soll abschließend das mit Luthers Darstellung von Inkarnation und Schöpfung eng verbundene Trinitätsverständnis zu weiterführenden Überlegungen herangezogen werden. Es sollen die Schöpfungsmöglichkeiten des dreieinigen Gottes unter Berücksichtigung seiner Liebe und seiner Freiheit in den Blick gefaßt werden.
Inkarnation und Schöpfung als Werke des dreieinigen Gottes. Gottes Wesen und die Möglichkeiten Gottes Nach Luther gilt: „gleich wie der Vater ein ewiger Sprecher ist, der Son jnn ewigkeit gesprochen wird, ist, also der heilige Geist von ewigkeit der Zuhoerer.“1 Nach Luther ist Gott, der Sohn, ewiger Ausspruch und ewiger Inhalt der Rede Gottes, des Vaters: „Wie nu ein Mensch ein wort, gesprech oder gedancken mit sich selber hat, er redet on unterlas mit sich selber, ist voller wort und ratschlege, was er thun oder lassen wolle“, so „hat Gott auch in ewigkeit in seiner Maiestet und Goettlichem wesen ein wort, rede, gespreche oder gedancken in seinem Goettlichen Hertzen mit sich selber, […] das heisst sein wort, das von ewigkeit in seinem Veterlichen Hertzen inwendig gewest, dadurch GOTT geschlossen hat Himel und Erden zu schaffen.“2
1 2
WA 46, Das XVI. Kapitel S. Johannis, 60,4 – 6. S. dazu Christoph Schwçbel, Art. Trinität, III.–IV., in TRE, Bd. 34, 107 und Markus Mðhling-Schlapkohl, Gott ist Liebe, 65. WA 46, JohAusl, 543,34 – 36 und 544,3 – 9.
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Wie gezeigt, leugnet Luther, es könne Gottes Majestät als solche eingesehen und hinter den deus revelatus auf den deus nudus vor aller Zeit geblickt werden. Mit dem deus revelatus, dem inkarnierten Wort Gottes sei jedoch das ewige Wesen Gottes, das eitel Liebe sei, vollkommen offenbar. Die Schöpfung als Ergebnis des göttlichen Gespräches und als Manifestation des Wortes Gottes muß dementsprechend selbst Darstellung und Ausdruck der ewig-treuen Liebe Gottes sein. Dem väterlichen Herzen Gottes entstammt nach Luther Gottes Wort, das – in Verbundenheit mit Gott, dem Geist – die schöne und gute Schöpfung nicht nur erschafft und erhält, sondern den Menschen auch zur Einsicht in die Güte und Heilszielstrebigkeit der Schöpfung befreit.3 Die Schöpfung von Welt und Mensch, die aus dem liebenden Herzen Gottes hervorgeht, ist nach Luther durch das „Liebeswort“ Gottes geschaffen. Dieses erhalte die ewige Zustimmung des hörenden Geistes. Durch sein Offenbarungswirken bestätige dieser das Werk des Wortes Gottes gegenüber den menschlichen Geschöpfen und gebe es als Manifestation des dreieinigen Wesens Gottes zu erkennen. Daß Gottes Liebe oder auch Gottes Gemeinschaftswille die Schöpfung begründet, stellt nach Luther keineswegs die vollkommene Freiheit Gottes in Frage. Gottes Freiheit besteht von Ewigkeit her darin, Möglichkeiten zur Realisation seiner Liebes-Manifestation aus all den Ratschlägen und Möglichkeiten zu wählen, die er in seinem Selbstgespräch in Liebe bildet. Dem Menschen, zumindest solange er auf Erden lebt, sind sowohl die Möglichkeiten wie auch die Auswahl aus ihnen nicht einsehbar, weshalb ihm das Wirken Gottes im Einzelnen verborgen ist. Sicher aber ist nach Luther, daß sowohl die Möglichkeiten wie auch die Auswahl bestimmter Möglichkeiten in der Liebe Gottes gründen. Inwiefern das Schöpfungsverständnis Luthers vorzugwürdig ist, soll im Kontrast zu den beiden maßgeblichen Alternativlösungen aufgezeigt werden: Um der schlechthinnigen Freiheit Gottes gerecht zu werden, könnte es angemessen scheinen, eine unendliche Anzahl möglicher Welten von unterschiedlichster Eigenart der Erschaffung dieser einen Welt vorauszusetzen. Dabei stellen diese möglichen Welten die Menge der dem Schöpfer eigenen Möglichkeiten dar, aus denen dieser die beste Welt wählt und verwirklicht, weil er nicht nur schlechthin frei, sondern auch voll3
„Aber von solchem willen GOTTES hat nie kein Mensch gewust, bis so lange dasselbige Wort fleisch wird, und verkündiget uns“ (WA 46, JohAusl, 544,7 – 9).
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kommen ist. Erst durch eine nachträgliche Qualitätsbestimmung wählt also der schlechthin freie Schöpfer aus seinen unendlichen Möglichkeiten aus.4 Dieser These steht Schleiermachers Annahme entgegen, Gott habe weder zwischen verschiedenen Möglichkeiten gewählt noch gar die Möglichkeit erwogen, keine Welt zu schaffen. Denn Gottes Wesen genüge allein die einzige seiner Liebe gemäße ursprünglich vollkommene Welt, mit der er sein Selbst zum Ausdruck bringe. Weil Gott selbst vollkommen sei, könne seine Selbst-Manifestation aus Liebe nicht auf einer abwägenden Wahl aus anderen weniger vollkommenen möglichen Welten resultieren, die als solche seinem Selbst und Wesen nicht entsprechen.5 Anders als die beiden genannten Alternativen, die einerseits die Freiheit, andererseits mehr das Wesen oder vielmehr die Liebe Gottes berücksichtigen, vereint Luther bei der Beschreibung der schöpferischen Tätigkeit des dreieinigen Gottes dessen Freiheit und Liebe. Nach Luther verfügt Gott in seiner Freiheit über eine Menge möglicher Welten, die allesamt aus Gottes Liebe hervorgehen und folglich dem Wesen Gottes entsprechen. Jedoch in ihrer Funktionalität im Blick auf die Realisation des göttlichen Heilswillens unterscheiden sie sich. Daß der Schöpfung ein göttliches Gespräch über Schöpfungsmöglichkeiten vorausgeht, gehört nach Luther zwar zu dem Bereich der dem Menschen verborgenen göttlichen Tätigkeit vor aller Zeit. Jedoch bestärkt gerade die Offenbarung der ewigen Liebe Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Geistes die Annahme eines solchen Gespräches. Denn zum Wesen der treuen Liebe Gottes gehört die Kommunikation der drei Personen Gottes untereinander ebenso wie die Kommunikation des dreieinigen Gottes mit dem Menschen. Die Liebe selbst strebt nach kommunikativer Gemeinschaft, für welche wiederum die Freiheit der einzelnen Personen vorausgesetzt werden muß. Was das Zustandekommen eines Gesprächsergebnisses anbelangt, darf die Freiheit der drei Personen Gottes allerdings gerade nicht zu miteinander unverbundenen Welt-Ideen führen; dies würde dem ewig-einheitlichen Gemeinschaftswillen oder vielmehr dem einen einenden Wesen Gottes widersprechen. Die Vorstellung Barths, die Inkarnation des Gottessohnes sei faktisch infolge des Bundesbruchs und damit frei von aller Anknüpfung an das Werk des Schöpfers geschehen, ist deshalb abzulehnen. 4 5
Vgl. dazu die Darstellung der Leibnizschen Theorie von Friedrich Hermanni, Das Böse und die Theodizee, 171 – 182. S. dazu GL 41,Z,204 und 55,2,296/297.
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Kapitel V: Die Liebeswelten der Dreieinigkeit
Es kann das Wirken der drei Personen Gottes, die eines Wesens sind, nur so gedacht werden, daß der Vater genau diejenigen Möglichkeiten bedenkt, die die Zustimmung des Sohnes erhalten und vom Geist in Ewigkeit bestätigt werden. Weil das freie Wirken der drei Personen stets ihrem einen Wesen entspricht, können ihre Möglichkeiten keineswegs schlechthin beliebig sein. „Das bei Gott Mögliche ist gerade nicht das Beliebige, denn das Belieben Gottes ist das genaue Gegenteil des Beliebigen.“6 Alles Gott Mögliche ist Gottes Belieben verdankt; seine Liebe ermöglicht seine Möglichkeiten.7 Nur die Liebe Gottes bietet den Ermöglichungsgrund aller möglichen Welten. Eine Möglichkeit, die dem göttlichen Wesen widerspräche, kann es demnach nicht geben. Auch die Möglichkeit des „Bösen“ muß zu den Möglichkeiten Gottes gezählt werden, die seinem Wesen entsprechen. Weil sämtliche Möglichkeiten des allmächtigen Gottes seinem Wesen gemäße Möglichkeiten sind, kann Gottes Auswahl aus diesen Möglichkeiten nur im Blick darauf erfolgen, welche Möglichkeiten zur Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes geeigneter sind.8
6 7
8
Dirk Evers, Gott und mögliche Welten, 334. Vgl. dazu Eilert Herms, Zur Systematik des Personbegriffes: Nach Herms verfügt Gott, der Vater, „über die Möglichkeiten seines Seins als schaffender Selektor allein durch sich selbst“ (a.a.O., 395). Gott, der Sohn, treffe die „Wahl der Bestimmtheit dieser Möglichkeiten als Möglichkeiten des Logosseins, das heißt als Möglichkeiten, Schöpfer dieser Welt zu sein“ (a.a.O., 396), im Sinne seiner „Gemeinschaftstreue“. Gott, der Heilige Geist, verwirkliche die im Sinne der Gemeinschaftstreue gewählten Möglichkeiten (a.a.O., 395). Problematisch ist diese Beschreibung, wenn die Wahl Gottes, des Vaters, als bloß freie Wahl, das heißt als eine Wahl gedacht wird, die noch nicht von Gottes Gemeinschaftstreue oder Liebe bestimmt ist. Denn dann wäre die schöpferische Liebe Gottes gebunden an die Auswahl Gottes des Sohnes und damit nicht eigentlich als ewiges Wesen des dreieinigen Gottes wahrgenommen. Es könnte mehrere mögliche Welten geben, die vollkommener Ausdruck der Liebe Gottes sind und als solche „wertmaximal“ genannt werden können. Die Unterschiede, die zwischen ihnen und der einen wertmaximalen verwirklichten Welt bestehen, müssen im Blick auf die spezifische Gestaltung des Heilswillens Gottes bestehen; s. dazu Friedrich Hermanni, Das Böse und die Theodizee, 290/ 291. S. dazu auch a.a.O., 291: „Im Rahmen der hier [d.h. von Friedrich Hermanni] favorisierten Theodizee hat die Annahme einer Pluralität von wertmaximalen möglichen Welten sogar gewisse Vorteile. Denn unter dieser Voraussetzung ist die anstößige Behauptung überflüssig, die faktischen Übel unserer Welt seien logisch notwendige Bedingungen für die Wertmaximalität einer Welt überhaupt.“ (Hervorhebung A.K.)
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Indem Gott der Vater sein Wesen in der Gestalt des Sohnes oder vielmehr in der Gestalt des Schöpfungslogos zeugt und mit Liebesworten „schwanger geht“9, bespricht er und wählt er Möglichkeiten aus, die die Verwirklichung seines ewigen Gemeinschaftswillens ermöglichen. Indem er durch den Sohn und im Heiligen Geist die seinem Wesen gemäßen, auserwählten Möglichkeiten realisiert, spricht der dreieinige und allmächtige Gott sein Herz aus, das er dem Menschen offenbaren will. Der schöpferische Ausdruck Gottes ist also die zur Verwirklichung seiner Gemeinschaft mit dem Menschen am besten geeignete Welt10, die der dreieinige Gott in der Einheit des Mit-sich-selbst-Sprechens und -Hörens erschafft und erhält. Zur Vollendung aber gelangt genau diese Welt nur im Prozeß der Kommunikation Gottes mit seinen menschlichen Geschöpfen. Dieser Kommunikationsprozeß gewährt und garantiert, weil er sich der treuen Liebe Gottes verdankt, den menschlichen Geschöpfen in Raum und Zeit ein freies Wählen und Verwirklichen von eigenen Möglichkeiten.11 Raum und Zeit bedingen die Realisation des Idealen, die Verwirklichung geschaffener Möglichkeiten durch den Menschen derart, daß dadurch der Heilsplan Gottes nicht zerstört wird, sondern daß vielmehr mit der Vollendung des gesamten Schöpfungsprozesses zuverlässig gerechnet werden darf. Überhaupt lassen gerade Raum und Zeit das Ganzwerden der einzelnen Geschöpfe zu. Diese gelangen zu realisierter Ganzheit mit dem Ende ihres irdischen Daseins, über das hinaus ihnen die ewig-treue Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott bevorsteht. Daß der dreieinige Gott aus Liebe die beste Schöpfungsmöglichkeit verwirklicht hat, wird nach Luther demjenigen offenbar, dem die heilvolle Gegenwart des Inkarnierten, wie sie in Taufe und Abendmahl gegeben ist, durch Mitmenschen verkündet und durch den Heiligen Geist erschlossen 9 S. WA 46, JohAusl, 545,6/7. 10 Die Tatsache, daß der dreieinige Gott die seinem Wesen gemäße beste Welt geschaffen hat und erhält, muß eben deshalb angenommen werden, weil er als Gott in seiner Liebe allmächtig ist. S. dazu Friedrich Hermanni, Das Böse und die Theodizee, 290: „Die Annahme […], wonach über jeder möglichen Welt eine bessere möglich ist, ist mit der theistischen Annahme […], daß ein allmächtiger und allgütiger Gott die Welt geschaffen hat, logisch nicht vereinbar.“ 11 S. dazu Dirk Evers, Gott und mögliche Welten, 409: „In seiner schöpferischen Freiheit ist Gott derjenige, der darüber entschieden hat, dass außer ihm nicht nichts ist […]. Insofern er sich dafür entschieden hat, dass ein Zusammenhang von Raum, Zeit und Möglichkeiten möglich und wirklich sein soll, setzt Gott die Modalitäten als die Struktur des relativ Möglichen und relativ Notwendigen seiner Schöpfung.“
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wird. Die heilbringende Kommunikation des dreieinigen Gottes mit seinen menschlichen Geschöpfen geschieht bei der Feier der Sakramente und beim Hören der Predigt, bei dem der dreieinige Gott durch den Heiligen Geist die res des verkündigten Gotteswortes zu Gehör bringt. Die res des Evangeliums aber ist in Person und Werk des Inkarnierten gegeben, der als wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich das Wesen des Schöpfers und die Heilszielstrebigkeit der Schöpfung offenbart. Durch den Heiligen Geist als den Dritten im göttlichen Treue- und Liebesbund werden folglich die menschlichen Geschöpfe zum Glaubensbekenntnis gegenüber Gott, dem Schöpfer, und Gott, dem Inkarnierten, berufen und befreit. Mit dem Bekenntnis zum ersten und zum zweiten Artikel des Apostolikums drücken die glaubenden Geschöpfe ihre Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Glaubenden aus, die nach dem dritten Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses durch das Wirken des Heiligen Geistes eröffnet ist und in der ewigen Liebesgemeinschaft mit dem dreieinigen Gott vollendet sein wird.
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Personenregister Arendt, Hannah 317 Axt-Piscalar, Christine 104, 106, 108, 110f., 113 Bayer, Oswald 7, 28f. Beintker, Michael 211 Beißer, Friedrich 206 Beutel, Albrecht 53, 58 Birkner, Hans-Joachim 94, 196, 198 Brandt, Wilfried 157, 196, 199 Calvin, Johannes 2, 7, 202 Dierken, Jörg 137, 185, 282, 301, 304f., 316 Ebeling, Gerhard 5, 7, 10, 13, 39f., 214, 247, 312 Elert, Werner 72, 79 Erikson, Erik H. 10, 78 Evers, Dirk 343, 368f. Gerhardt, Paul 30 Gräb, Wilhelm 157, 181 Graf, Friedrich Wilhelm 317 Grillmeier, Alois 1f. Härle, Wilfried 7, 218, 226, 240, 263, 265–267, 314 Heidegger, Martin 230 Herder, Johann Gottfried 183 Hermanni, Friedrich VII, 367–369 Herms, Eilert VII, 11–13, 17, 19–24, 33, 39, 42f., 51, 54, 61, 67, 69, 75f., 80–83, 89, 92, 95f., 98, 104, 118, 130, 158, 184–186, 198f., 247, 281, 330, 359, 368 Janowski, J. Christine 181, 281
Joest, Wilfried 12–14, 16, 23, 32, 44, 55, 59, 66–68, 81 Jüngel, Eberhard 37, 52, 57, 59, 282, 315, 327f. Junker, Maureen 168 Käfer, Anne 6f., 86, 90f., 100, 117, 122, 125, 142, 174, 185, 187, 221, 256 Kant, Immanuel 6, 86, 225, 354 Kerner, Wolfram 325 Korsch, Dietrich 41 Krötke, Wolf 227, 232, 238, 242, 274 Lehmkühler, Karsten 206 Löfgren, David 38, 80 Lohmann, Johann Friedrich 210, 214, 232, 332 Lohse, Bernhard 19 Miller, Marlin E. 127 Mühling-Schlapkohl, Markus 365 Osthövener, Claus-Dieter 251, 253 Prenter, Regin 212, 304, 333 Reinhuber, Thomas 28 Ringleben, Joachim 62 Ritter, Adolf Martin 1 Rohls, Jan 212 Schiller, Friedrich 365 Schlenke, Dorothee 119, 189, 194, 197–199, 201 Schwarz, Reinhard 34f., 73 Schwöbel, Christoph 365 Slenczka, Notger 35–37, 62, 80 Sparn, Walter 101
380
Personenregister
Staedtke, Joachim 65 Stock, Konrad 223, 276, 321 Torrance, Thomas F. 8, 63 Trowitzsch, Michael 114f., 154, 207
Weeber, Martin 177, 179, 181 Wendebourg, Dorothea 59, 65 Weymann, Volker 95 Wüthrich, Matthias Dominique 242, 284
Vind, Anna 40f., 61
Zˇak, Lubomir 68
Sachregister Abbild, abbildhaft 191, 193, 198, 209, 348 f. Abendmahl 16, 54–56, 58–65, 70–73, 76 f., 83, 199, 202–204, 323–325, 329, 337, 343, 345–347, 349, 369 abhängig/Abhängigkeit 19, 23, 32, 35, 71, 86, 89, 91 f., 103 f., 108, 112, 115 f., 121–124, 127, 151–154, 156, 159, 179, 187, 213, 232, 248, 252, 258 f., 270, 288, 301, 332, 340, 356 abstrakt/Abstraktheit 34–38 absurd/Absurdität 220, 222, 225 f., 228, 234 Abwendung 228, 230, 233 f., 237 Adäquanz 90, 93 allgegenwärtig/Allgegenwart 12, 64, 120–123, 128 f., 146, 152, 154, 177, 187, 202, 204–206, 208, 250, 254–257, 275, 298, 301, 317, 324, 343, 346, 351, 359 allmächtig/Allmacht 12, 18, 23 f., 26–30, 34 f., 37 f., 44 f., 63 f., 78, 80, 83 f., 106, 108, 110, 112, 119–126, 128, 130, 134, 143, 152, 154, 159, 170, 177, 204, 233 f., 250 f., 253–259, 261, 279, 299–301, 303, 322, 343, 347, 350 f., 357 f., 364, 368 f. allwissend/Allwissenheit 120–126, 134, 148, 152–154, 204, 257, 350, 358, 364 amor 19–21 Amt (hohepriesterliches Amt, königliches Amt, prophetisches Amt) 161 f., 176, 188, 193, 200, 318 f., 330 Anbeginn/Anfang/ab initio 12–16, 21, 26 f., 29, 31, 43 f., 46, 48, 68 f.,
74, 80, 100, 105, 107–109, 112, 121, 128–130, 138 f., 147, 171, 182, 184, 225, 228, 256, 261, 275, 279, 284, 288, 291, 351, 354–356, 358 Änderung 66, 112, 172, 257, 307 Anerkennen 72, 212, 214 f., 229, 281, 311, 317, 328 Anknüpfung 141, 161, 224, 268, 335, 348, 367 Anknüpfungspunkt 216–218, 226, 295, 297, 307 Apostolikum/Apostolisches Glaubensbekenntnis 1, 8, 370 Apotheose 300, 340 Auferstehung 42, 60 f., 64, 66, 68 f., 71, 76, 78, 80, 83, 174 f., 177–181, 184, 188 f., 201, 209, 211, 291, 303, 308–310, 312 f., 326, 330, 341, 343–345, 349 Auferweckung 178, 309 Barmherzigkeit 32, 225, 234, 290, 301, 322 Begrenztheit 20 f., 25, 54, 154, 159, 177, 187, 222, 229, 301 bekennen/Bekenntnis 2, 8, 28, 33, 49, 101, 109, 200, 212, 214 f., 267, 317, 322, 328, 330, 370 Berufung 5, 169, 227, 314–316, 318–320, 322 f., 337 Bestimmtheit 3, 12, 93, 98 f., 105, 110, 117, 127, 137, 146, 196, 221, 260, 301, 304, 347, 359, 368 Bestimmung 2, 12, 14, 18, 20 f., 32, 103, 106, 110, 116, 119, 122, 183, 206, 216–222, 224–228, 232, 234 f., 242, 254, 256, 258, 266, 276, 292, 295, 297, 302, 304 f.,
382
Sachregister
311, 318, 320, 327, 330, 334 f., 343, 350, 359 Bewahrung 182, 220, 263, 277, 284 Böse, das 18 f., 104, 106, 108, 225, 228 f., 233, 235, 326, 367–369 Bruch 228, 235, 279, 350, 354–356 Bund 69, 216, 218–220, 223–225, 228, 230 f., 242, 252, 263–272, 276, 278–281, 283, 285 f., 292–294, 301, 303, 308, 310 f., 320, 331, 333–335, 342 f., 350, 352, 354 f., 365 Bundesgenosse 218–220, 222 f., 226, 267, 310 Buße 71, 76, 357 Chalcedon/chalcedonensisch 1 f., 12, 33, 36, 150, 298, 337, 363 Christologie 1 f., 8, 128, 137, 141, 184, 206 f., 304, 337–340, 343, 349 Christusgeschehen 15, 53, 208, 285, 330, 337 communicatio 34, 152, 295, 299, 301, 303–305, 327, 329 communicatio idiomatum 34, 37, 40, 62–64, 123, 151–153, 155, 176, 202, 251, 299–301, 305, 338 f., 341, 343, 345 f., 350, 362 communio 75, 295–299, 329 cooperatio 43, 70, 74 f., 81, 132, 196, 321–323, 347, 362 credo ut intelligam 97, 212 Darstellung/Selbstdarstellung 16, 48, 93 f., 96, 98, 100, 103, 117, 121, 135–137, 141, 153, 161 f., 167, 175 f., 182, 185 f., 193–196, 203, 207, 247, 366 Denken 1, 4 f., 10, 20, 27 f., 68, 86–93, 95, 98, 110, 114, 117 f., 122, 124–126, 129, 131, 134, 136, 138, 145, 155, 174, 178, 182, 186, 191, 203, 205, 317 f., 351 Dienst 19, 81, 99, 132, 137, 193, 198, 222, 293, 314, 321, 323, 329, 341, 346
Disposition/passive Disposition 14, 17 f., 31 f., 99, 109 f., 216 f., 219 f., 355 doketisch/Doketismus 137, 148, 169, 296, 304, 340 Dreieinigkeit 8, 338, 365 Dreifaltigkeit 36 Ebenbild Gottes 14, 41, 45, 132 Eigenschaft 32, 34, 40, 120 f., 128, 137, 152–155, 157, 177, 219, 222, 234, 244, 250–253, 274, 299–302, 338–340, 350 Eigentümlichkeit 136 f., 268, 300, 339 Einheit 3, 5, 36, 40, 56–58, 60, 62, 84, 89, 92 f., 98, 110, 114, 135 f., 153, 155–157, 161, 178, 199, 204, 212, 227, 265, 270, 282 f., 291 f., 294–299, 306, 324, 333 f., 336, 361 f., 369 Einsetzungsworte 60, 201 Einwohnung 51, 65, 75, 84, 133, 136, 143, 155, 172, 207, 339 Ekklesiologie 199, 330, 349 Endlichkeit 182 f., 187, 222 f., 230, 334, 354 Entgegengesetzte, das 35, 153, 227, 243, 300, 320, 360 Entwicklung 85, 100, 102–104, 106, 110, 114, 124, 126 f., 136, 138–141, 147 f., 153, 176, 180 f., 187, 293, 315 f., 336, 350, 354 Erbsünde 15, 20, 101, 104 f., 139, 225 Erhalter/Erhaltung 12, 29–31, 43 f., 49, 67, 99, 117, 119, 130–132, 134, 149, 160, 163, 169–171, 173, 181 f., 192, 199, 202–205, 242, 256, 258, 277–280, 283–286, 296 f., 315, 324, 327, 333, 338, 347 f., 352, 355, 359, 361, 364 Erhöhung 281, 293, 296, 302 f., 308–310, 317–319 Erkenntnisfähigkeit 11, 50, 67, 82, 85 Erneuerung 3, 226, 229, 277, 314 Erniedrigung 228 f., 281, 293, 296, 303, 308, 310, 319
Sachregister
Erscheinungsweise 143, 157, 207, 209 Evangelium 5, 15, 22, 24, 42 f., 52–54, 62, 65, 75–77, 83, 113, 197, 199, 315, 321, 326, 336 f., 346, 370 ewige Leben, das 12, 25, 43, 46, 53, 55, 60, 65–69, 72 f., 78, 83 f., 102, 146 f., 155, 162, 171, 173, 180, 182, 185–187, 201, 206, 222 f., 242 f., 285, 287, 312, 331, 333, 342, 344, 354–356, 358 f. Fleischwerdung 3, 143, 253, 270 f., 291, 293–295, 308, 324, 349 Folge 14, 18, 20, 27, 32, 104, 108, 122, 239, 264, 266, 268 f., 271, 275, 287 f., 296, 305 f., 322, 329, 358 Fühlen 20, 86, 122, 136, 248 Gebet 242, 249, 253, 257–261, 357 f. Gebetserhörung 259 Gefühl 13, 87–92, 94, 96, 112, 117, 121, 123 f., 150, 166, 182 f., 186, 195, 248, 356 Gegensatz 1, 31, 36, 84, 86–89, 93, 106, 111, 116, 123 f., 126 f., 129 f., 133 f., 138, 140, 151 f., 154 f., 161 f., 180, 187, 205, 235 f., 239 f., 275, 279, 283, 291, 294, 297, 320 Gegenwart 33, 51, 63 f., 72 f., 75, 77, 80, 123, 177, 184, 188, 202, 251, 254 f., 278, 287, 293, 302, 323, 326, 329, 336, 345, 349, 369 Gehorsam 21, 24, 41 f., 46 f., 66, 77 f., 163 f., 166 f., 212, 240, 293, 297, 302, 304–306, 311, 325, 328, 339 f., 343, 346, 348, 363 gerechtfertigt 42, 226, 269, 276, 285, 310–314, 329, 335 Gericht Gottes 222 f., 241 f. Gesetz 6, 21–25, 42 f., 45–47, 49 f., 53, 62, 66, 75, 82, 113, 124, 224, 228, 260, 278, 341, 354 Gespräch 27, 351, 366 f. Gewalt 7, 42, 51, 79, 189, 213 f., 317, 319, 325, 336 f., 349, 355, 360 Gewissen 13, 24 f., 57, 75, 79, 96, 259
383
Gewißheit (Glaubensgewißheit, Heilsgewißheit, Hoffnungsgewißheit) 3–7, 10, 13, 15, 21 f., 39, 43, 52, 54, 65, 68–70, 74, 77, 81–83, 96 f., 106, 143, 173, 175, 179, 184, 186, 198 f., 208, 210 f., 215 f., 246, 257, 276, 322, 326, 330 f., 336, 355, 357, 359 Glaubenskonstitution 74, 196 f., 316, 329, 346 f. Gnade 10, 23, 41 f., 46, 62, 70, 79, 82 f., 106, 109 f., 160, 218, 220, 224, 226–228, 230 f., 236, 240, 242–244, 246 f., 258, 263–270, 277, 279 f., 285, 289, 294, 301 f., 305, 307, 310, 314, 320, 329–331, 333, 339 f., 357, 363 Gottebenbildlichkeit 14 f., 44, 78 f., 242 Gotteserkenntnis 17 f., 32 f., 66, 92, 127 Güte 14, 23, 28, 32, 39, 44, 48, 52, 72, 77, 80, 82, 186 f., 206, 229, 234, 239, 272, 289 f., 333, 352, 359, 363, 366 Gute, das 7, 14, 18, 20, 22, 25, 31, 39, 41–44, 66, 81, 83, 106, 114, 220, 222 f., 233, 235, 241–243, 261, 276, 331, 342, 354, 366 Heil 7, 10–12, 15 f., 19, 23 f., 37, 43, 45 f., 49, 51, 53 f., 59, 62, 65, 70–72, 77, 80, 83, 105 f., 111, 115, 121, 156, 159, 161, 173 f., 181, 215 f., 222 f., 238, 240, 260, 268, 270 f., 279, 286 f., 331, 341, 344 f., 349, 351, 355, 359, 364 Heiliger Geist 26, 36 f., 192, 197, 286 Heiligung 111, 171, 173, 227, 310 f., 314, 316, 318–320 Heilsplan 3, 30, 32, 45, 51, 100, 121, 127, 129–131, 160, 162 f., 165, 170, 175, 181, 184, 307, 352–354, 357 f., 368 f. Heilswille 5, 11, 15 f., 18, 20, 28, 32 f., 37, 39, 42–46, 48, 51 f., 54 f., 62, 65, 67, 70, 72, 74 f., 82, 84, 109, 112, 115, 126 f., 129, 133 f., 141,
384
Sachregister
150, 159, 163, 171, 175, 191, 194, 205, 243, 265, 268, 270, 320, 342, 357, 361 Herrschaft 7, 103, 123, 140, 163, 178, 189 f., 259, 268, 304, 317–319 Himmelfahrt 64, 66, 76, 303, 308–310 Hochmut 215, 227 f., 230–232, 310, 318–320 Hoffnung 7, 24, 43, 76, 78, 80–82, 142 f., 154, 215, 223, 242, 246 f., 257, 287, 311, 328, 331, 336, 342 f., 349, 357 Identität 88–90, 93, 95, 98, 112, 125, 127, 134, 137, 139, 180, 185, 187, 223, 255, 278, 297 f., 312 f., 316–318, 354, 356 Individualität 79, 103, 136 f., 172, 185, 208 Jungfrauengeburt 51, 73–75, 84, 138 f., 143, 306 f., 318, 361 Kirche 1 f., 5, 16, 47, 50, 75–77, 119, 157, 169, 180 f., 189–191, 194–201, 203, 208 f., 215, 322, 328–330, 336, 344 f., 347–349 Kommunikation 37, 99, 138, 196, 288, 367, 369 f. konkret 5, 34, 36–38, 49, 98, 229, 290, 295, 338, 349, 357 Kontinuität 112, 180, 182, 261, 278, 281, 283, 306, 327, 354, 356, 358 Körper 10, 12, 14, 16, 71, 79, 99, 182, 187, 204, 221, 341 Krankheit 101 f., 235, 242 f., 342 Kreuz/Kreuzigung 23, 34, 41 f., 50 f., 61, 65 f., 72, 83, 102, 177 f., 240, 308 f., 319, 324, 341 Kunst 39, 86, 90 f., 100, 117, 121 f., 125, 142, 185, 187, 221, 256 Künstler 122, 125, 131, 135, 142, 156 f., 186, 253 Leib Christi 16, 51, 57, 59, 63, 65, 75–77, 198, 202, 328 f., 348 f.
Leiden 10, 15, 23–25, 35 f., 38 f., 42, 45, 47, 50, 55, 65, 102, 136, 150 f., 154 f., 159, 164–167, 174–176, 178, 249, 303, 308, 321, 341 Logos 33, 71, 213, 359 Lüge 227, 230–233, 237, 318–320 Manifestation 32, 49, 116, 122, 128, 131, 134, 143 f., 158 f., 198, 204 f., 247, 342, 366 f. Menschlichkeit/Mitmenschlichkeit 149, 175, 208, 218 f., 230, 242, 292, 299, 304, 345 Menschwerdung 3, 33, 38, 46 f., 51, 72, 128, 133, 141, 144 f., 151, 156–158, 160, 178, 187, 195, 198, 205, 233, 252, 264, 266, 271 f., 281, 286, 289–291, 293 Metapher 41, 56 f., 61 f., 349 Mitarbeit 43, 51 f., 169, 196, 238, 322, 343, 348 Mitgefühl 108, 150, 165 f., 203, 249 Mitleid 179, 249, 253, 289 Mitmensch 40, 162, 179, 185, 219, 221, 223 f., 292, 332, 346, 363, 369 Mitwirken 321, 325 Nachfolge 54, 67, 69, 72, 75, 83 f., 97, 140, 166, 192, 219, 310, 314, 327, 329, 336, 341, 347 Naturgesetz 21–23, 25, 44, 46, 54, 75, 83, 113, 277 f. Naturzusammenhang 101 f., 112 f., 119, 122, 133, 139–141, 143, 147, 152 f., 171, 177 f., 180 f., 204 f., 277, 279 neue Schöpfung/Neuschöpfung 31, 66–68, 70 f., 77, 84, 104, 139, 170–174, 188, 196, 199, 201, 204 f., 207, 214–216, 218, 224, 226, 233, 263, 277, 285 f., 293 f., 305–307, 310 f., 313, 316–318, 320 f., 330, 332, 334 f., 338, 342, 344 f., 353–358, 360 Neugeburt 55, 68, 70, 75, 345 Nichtige, das 7, 220, 225–227, 229 f., 232–243, 249 f., 253 f., 257, 263, 272–276, 279 f., 284, 286,
Sachregister
288–295, 299, 302, 307, 320 f., 330, 334, 336, 342 f., 350–355, 363 f. Nichts, das 35, 220, 274, 278, 285 Notwendigkeit 19, 30, 32, 38, 43–46, 74, 83, 96, 116, 196, 221, 226, 266, 278, 294, 321, 343, 347, 364 Ontologie/ontologisch 3 f., 32, 57, 216, 218–222, 224–227, 295, 320, 335 Organismus 86 f., 135–138, 140, 148, 155, 158, 169, 183 f., 187, 190, 196, 202, 204, 206 f., 340, 361 Ostern 51, 55, 69, 138, 342 Parallelschaltung 304 f., 313, 326, 341, 350, 363 passiv/Passivität 2, 87, 159, 297, 299, 304–307, 315, 317 f., 323, 325, 329, 339, 363 Person 2, 13, 23 f., 26, 31, 33–36, 38–40, 55, 58, 64, 68–70, 98, 117, 119, 128, 137, 140–143, 145, 147, 149, 153–159, 161–164, 169, 171, 173, 175 f., 178, 180, 182, 188, 192, 195–197, 207–209, 221, 224, 262 f., 275, 281, 292, 294, 305 f., 316, 325, 334 f., 338, 340, 344, 361–363, 367 f., 370 Pfingsten 138, 300 Plan 14, 20, 164, 173, 226, 232 f., 256, 258–260, 335, 355 planwidrig 226, 272, 335 präsent/Präsenz 13, 33, 55, 57–64, 72–75, 77, 83, 88–92, 94, 123, 146, 154, 166, 303, 317, 329, 345, 349, 356, 359 Predigt 8, 15, 20, 22 f., 28 f., 34 f., 41, 47, 50–55, 68, 71, 73–80, 193, 197, 199–201, 203 f., 314 f., 337, 344, 346 f., 370 Prozeß 86–88, 109, 114, 149, 160, 169, 173–175, 178, 186 f., 204, 206, 243, 261, 369 raumlos/Raumlosigkeit 88–90, 122, 127, 129, 185, 205, 252, 254 f.
385
Realpräsenz 59, 202, 324, 343, 349 Rechtfertigung 41 f., 227, 269, 274–276, 290, 310 f., 313 f., 316, 318–320, 333 reditus ad baptismum 71, 327 Reich Gottes 3, 6, 18, 24, 30, 33, 38, 41, 43, 50, 66, 72, 77, 79 f., 82, 100, 105, 109, 112, 117, 121, 127, 131, 142 f., 155, 160, 162, 168 f., 171, 177–182, 184–189, 191–193, 204–206, 209, 215, 241, 321, 330 f., 341–343, 348, 352–355, 358 res, die 20, 22 f., 51–57, 59 f., 65, 76, 83, 347, 370 Restitution 45, 233 rezeptiv 2, 86, 110, 117, 135, 150, 297, 315, 363 Sache 7 f., 97, 118, 120, 192, 285 f., 289, 322 Sakramente 15 f., 47, 50 f., 54 f., 59, 70, 72 f., 75, 83, 132, 199, 203 f., 298, 323, 329, 343, 347–349, 359 f., 362, 370 Schicksal 19 Schlüssel 97, 160, 212, 263, 332, 356 Schönheit 187, 206, 352, 363 Schöpfungslehre 98, 131, 337 f., 349 f. Schöpfungsordnung 21–23, 25, 45–47, 74 f., 83 f., 102, 138, 181, 256, 277, 341, 347, 350, 357, 361 Schöpfungswort 11, 16, 27, 29, 45–50, 54, 60, 64, 71 f., 76 f., 82–84, 294, 351 Schuld 18, 104, 113, 232, 235, 322 Seele 2, 10, 13, 28, 49, 56, 66, 71–73, 79 f., 99, 135–137, 147, 150, 154 f., 158, 169, 172, 174, 182–184, 196, 202, 206, 218, 221, 223, 242, 277, 303, 338, 340 f., 363 Seinsweise 276, 280–283, 289, 293, 298, 303, 332 f., 336, 360 selig/Seligkeit 9, 26, 50, 54, 60 f., 66, 69, 71, 79, 81, 146 f., 151, 159, 165–167, 172 f., 175–177,
386
Sachregister
179–181, 184, 197, 200, 268, 341 f., 359 servum arbitrium 112, 237 f. status integritatis 14, 17 f., 100, 110 stellvertretend 41, 45, 66, 310 Sterben 15 f., 20, 24, 36, 42, 49, 55, 65, 69, 165–167, 176, 210, 223, 290, 308, 341, 345, 354 Sterblichkeit 102, 112, 155, 223, 241, 299 Strafe 20, 67, 108, 112 f., 165–167, 177, 223, 241 Subordination 156, 281 Sündenfall 32, 101, 110, 216–218, 226, 272, 280, 283, 287 Sündhaftigkeit 15, 23, 41, 83, 101–105, 110 f., 139, 147 f., 159 f., 162, 172, 189, 204 f., 342, 352 f., 364 Sündlosigkeit 40, 100, 137, 139, 147, 163, 165 f., 227, 302 Synekdoche/synekdochisch 56–58, 61 f. Taufe 16, 54 f., 59, 65 f., 68–73, 76 f., 83, 199–204, 315, 323–329, 336, 343–347, 357, 369 Testament 56, 60 f. Trägheit 227, 229–233, 237, 310, 318 f. transitus ad patrem 16, 77 f., 354 Treue 7, 19, 28, 42, 45 f., 109, 112, 153, 160 f., 170 f., 175, 178, 184, 204, 211, 220, 223 f., 252 f., 272, 277, 279, 281, 301, 307, 321, 336, 338, 347, 350, 352, 354 f., 357, 359, 364–367, 369 f. trinitarisch/Trinität 35–37, 156, 158 f., 195–197, 206–208, 266, 270, 275, 281 f., 298, 307, 316, 332 f., 335, 359–362, 365 Übel, das 101 f., 105, 108 f., 113, 165–167, 177, 207, 223, 235, 239–243, 354, 368 übereinstimmen/Übereinstimmung 6, 13, 16, 20, 31, 38, 44–46, 52, 54, 64, 82, 90, 92, 109 f., 116, 125 f.,
134, 139, 143, 147, 150, 154 f., 163, 171, 186, 192, 224, 226, 254, 260 f., 340, 350, 354, 357 f., 361 Übergang 20, 54, 65 f., 78, 88, 90, 126–131, 142, 144–146, 151, 159, 163 f., 167, 170 f., 173, 178–180, 187, 205, 285, 331 übernatürlich 118–120, 123, 139, 143–146, 148, 152, 161, 197 f. übervernünftig 63, 96, 118–120, 123, 143 f., 146, 148, 153, 161, 167, 197, 208 Unbegreifbarkeit 27 Unfreiheit 25, 103, 115, 237, 317 ungesondert 2 ungetrennt 2, 36, 63, 153, 174 unio 295–299, 317, 329 unmögliche Möglichkeit 236, 238 f., 318, 320, 352 Unsündlichkeit 113, 139 Unterordnung 156, 280–282, 285 unveränderlich/Unveränderlichkeit 30, 49, 97, 137, 150, 154, 156, 179, 184, 186, 219, 248, 252, 254, 256–259, 334, 350, 355, 357 Unverbrüchlichkeit 75, 83, 109, 112, 161, 171 unvermischt 2, 34, 36, 58, 153, 174, 298, 310, 362 unverwandelt 2, 34, 36, 63, 298, 310 Urbild 120, 131, 133, 135, 138, 140–143, 154, 156, 162, 168, 184, 256, 339, 348 f. Urbildlichkeit 146, 148, 198, 348 ursprünglich/Ursprung/in principio 3, 14 f., 17, 27, 29, 31–33, 41, 48, 67, 80, 86, 89, 91, 94, 99–106, 109–115, 121, 123, 125–127, 129–134, 139 f., 142, 144 f., 147 f., 153 f., 156, 158–160, 163, 166 f., 170, 172, 174, 176, 181, 185 f., 188 f., 204 f., 209, 213, 219, 224, 229, 232, 250, 280 f., 283, 286, 290, 302, 331 f., 342, 352 f., 356, 367 Veränderung 31, 86, 171, 176, 213 f., 217 f., 226, 269, 314, 321, 330
Sachregister
verantwortlich/Verantwortung 81, 211, 218 f., 222 f., 224, 232, 234 f., 325, 362 f. verborgen/Verborgenheit/deus absconditus 10, 15, 18, 37 f., 42, 217, 245–248, 283, 336, 357, 366 f. vere Deus et vere homo 1, 33, 338, 363 Vereinigung 34 f., 37 f., 45, 47, 51, 56–58, 63, 117, 119, 121, 136 f., 139, 143–147, 149, 152 f., 155, 158, 161, 163 f., 167, 169, 172–175, 183 f., 186 f., 190–192, 194, 203, 294 f., 297–299, 303, 306, 322, 337, 339 f., 346, 361 f. Vereintsein 143, 149 f., 152–155, 158 f., 162–164, 173, 182 Verkündigung 47, 50, 53, 75, 142, 161 f., 164, 166, 189 f., 193, 197, 203, 246, 269, 315 f., 319, 322, 326, 329, 334, 343, 345–347, 360 Versöhner 211–215, 238, 244, 269, 276, 280–283, 285, 293 f., 299 f., 303, 320 f., 332 f., 336, 360 Versöhnung 33, 162, 166, 174–176, 195, 211, 254 f., 269, 276, 280–289, 293, 299, 304, 308, 310, 313, 319–321, 331, 333 f., 341 f., 352 Vollendung 12, 38, 44 f., 54, 62, 66–68, 77, 80, 82, 99, 104, 129, 131, 140, 161, 170, 175 f., 178, 180 f., 193, 206, 215, 277, 287, 289, 308 f., 331, 333, 343, 348, 351 f., 363, 369 vorherbestimmt/Vorherbestimmung 3, 11, 18 f., 25, 30, 32, 44, 62, 67, 74, 77, 80, 83, 100 f., 107–109, 111 f., 131 f., 137, 142, 145–147, 156, 161, 169 f., 197 f., 204 f., 226, 271, 288, 350–353, 355, 358, 362 f. vorherversehen/Vorherversehung 109, 146, 170, 197, 351 vorhergewußt/Vorherwissen 28, 30, 32, 44–46, 67, 101, 112, 168, 270, 351, 358
387
wahrer Gott 33 f., 42, 45, 158, 162, 164, 308, 337, 342, 370 wahrer Mensch 33–35, 45, 49 f., 60, 82, 158, 166, 177, 292, 304, 308, 337, 342, 360 f., 370 Wahrheit 5, 10 f., 57–59, 80, 83, 97, 107, 119, 126, 133, 143, 173, 185–187, 198, 206, 211 f., 231–233, 237, 246 f., 302, 308, 343 Weisheit 10, 113, 117, 121, 123 f., 141, 153, 160 f., 184, 250, 254, 256 f., 262, 269, 290, 299, 350 Wesen Gottes 37 f., 42, 48 f., 82, 113, 119, 121, 123, 128, 133 f., 142, 148–150, 155, 162, 170, 186, 191, 232, 243 f., 247, 250 f., 254, 257 f., 266 f., 282 f., 299, 303, 336, 339, 350, 361, 366 f. Wiederherstellung 66 f., 187, 224, 286, 288, 293, 334, 350, 354 Wiederkunft 79, 215 f., 241, 247, 303, 309, 311, 313 f., 326, 330 f., 342, 349, 358 wirkliche Mensch, der 218–222, 224, 226, 291 f., 295, 312, 332 f., 335, 352 f., 360, 363 Wirklichkeit Gottes 235 f., 243–245, 254, 282 f. Wort Gottes 7, 14 f., 26, 37, 47 f., 57, 60–64, 71 f., 74, 76 f., 83, 95, 98 f., 118, 132, 134 f., 141–144, 156, 158, 198, 210, 212–214, 217, 231, 256 f., 262 f., 269–271, 275, 293, 295, 305–307, 314, 317 f., 321 f., 345–347, 357, 362, 366 Wunder 117, 143 f., 146, 161, 178, 195–197, 206, 217, 245, 253, 257, 261–263, 270, 306, 318, 322, 334, 337, 355, 357 Zeichen 5, 23, 55, 202, 222, 242, 306 f., 321–325, 327 f. zeitlos/Zeitlosigkeit 88–90, 98 f., 103, 127, 129 f., 150, 176, 182–185, 205, 251 f., 254
388
Sachregister
zerstören/Zerstörung 16, 30 f., 67, 111 f., 122, 131, 144, 224, 226, 272, 288, 290, 321, 334 f., 369 Zeugnis 26, 55, 66, 144, 177, 250, 269, 309, 322 f., 329
Zum-Glauben-Kommen 96, 144, 194, 197 f., 214, 217, 261, 263, 270, 316–318, 345