Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 736
In den Fängen der Hyptons Animas geistige Wende
von Peter Griese
Auf Terra...
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Atlan Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 736
In den Fängen der Hyptons Animas geistige Wende
von Peter Griese
Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide unvermutet in die Galaxis Manam-Turu gelangt. Das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit der Fortbewegung im All bietet, ist die STERNSCHNUPPE. Und der neue Begleiter des Arkoniden ist Chipol, der junge Daila. In den rund acht Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums verheerend wirkten. In dieser Zeit hat Atlan neben schmerzlichen Niederlagen auch Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich auf den Freiheitskampf der Daila gegen das Neue Konzil positiv auswirken dürfte. Doch Atlan ist längst nicht zufrieden mit dem bisher Erreichten. Das gilt auch für Mrothyr, und so haben die beiden mit der »Mission Zyrph« einen neuen Anlauf genommen. Indessen setzten Anima, Goman-Largo und Neithadl-Off, die drei so ungleichen Persönlichkeiten, die ein seltsames Schicksal zusammengeführt hat, ihre Suche nach Atlan fort. Dabei vollzieht sich Animas geistige Wende IN DEN FÄNGEN DER HYPTONS…
Die Hauptpersonen des Romans: Traykon – Der Roboter nutzt seine Freiheit. Goman-Largo und Neithadl-Off – Gefangene des Hyptons. Anima – Die Orbiterin läuft einem Phantom hinterher. Chossoph und Questror – Gesandte Gurays. Chirtoquan – Ein alter Priester von Cairon. Born der Ruhe – Die Hyptontraube der Quellenplaner.
1. Es war bedrückend eng in dem winzigen Beiboot. Die vier ungleichen Gestalten, Goman-Largo, der Tigganoi, Neithadl-Off, die Vigpanderin, Anima, die ehemalige Orbiterin Hartmanns vom Silberstern, und Traykon-6, der Roboter, in dem eine positronische Basiskomponente des früheren Blödel von der SOL ebenso steckte, wie etwas von Schwiegermutter und dem Traykon selbst, standen sich nicht im Weg. Sie lagen sich im Weg! Allein Neithadl-Off mit ihren 2,30 Metern Länge und 1,60 Metern Breite benötigte die gesamte Freifläche bis auf die winzige Lücke, in die sich der Modulmann gestellt hatte, um die Steuereinrichtungen bedienen zu können. So waren Anima und der Roboter gezwungen, auf dem lederartigen Rücken der Vigpanderin Platz zu suchen. Die Frau hockte im Schneidersitz da und starrte auf ihre Hände, die sie um die Knie geschlungen hatte. Und Traykon-6 versuchte das ebenfalls, was ihm bei seinem massigen Kopf jedoch nicht gelang. »Auf mehr als zehnfache LG bekomme ich diese lahme Kiste nicht«, beschwerte sich GomanLargo. »Wenn wir so weiterschippern, kommen wir bis zum Ende aller Zeiten nicht ans Ziel.« »Wir haben kein Ziel«, pfiff die Parazeit-Logikerin ärgerlich. »Was erstaunlicherweise der Wahrheit entspricht«, dozierte der Roboter. »Ich habe mal gehört, daß ein kluger Mann immer ein Ziel hat, und wenn es das Ziel ist, ein Ziel zu finden.« »Ich bin kein Mann!« Neithadl-Off wölbte ihren flachen Rücken, und der Traykon-Roboter stieß scheppernd gegen die Decke. »Ich auch nicht«, konterte der Roboter. »Aber ich habe ein Ziel. Ich will Atlan finden.« »Atlan?« Anima blickte gedankenverloren auf. Sie schien mit ihren Sinnen ganz woanders zu sein. »Ist er mein Ritter oder ist er es doch nicht?« Das kleine Beiboot des zerstörten Traykon-Schiffs machte plötzlich einen Satz, den die schwachen Andruckabsorber nicht zur Gänze kompensieren konnten. »Ist was?« fragte Neithadl-Off ihren Partner. »Es ist mir tatsächlich gelungen, die Geschwindigkeit zu erhöhen. Das ist doch hypertemporal. Außerdem habe ich ein Planetensystem in der Ortung.« »Entfernung?« fragte der Roboter. »Vier Lichtjahre, Traykon-6.« »Die Zahl kannst du weglassen, Modulmann«, meinte der Roboter. »Sie hat keine Bedeutung mehr.« »Von mir aus. Wichtiger ist, daß dieser Sarg weiter beschleunigt.« »Dann kann ich meinen Plan aufgeben?« wollte Traykon wissen. »Welchen Plan?« Neithadl-Off hielt ihr kleines Aufzeichnungsgerät in die Höhe, um ja kein Wort des Roboters zu versäumen. »Ich wollte schon aussteigen und vorlaufen«, behauptete der Roboter. Anima sah ihn kurz an und erkannte seine Absicht. Traykon wollte sie aus der Lethargie reißen, die ihr zu schaffen machte. Sie schüttelte den Kopf. Goman-Largo lehnte sich an die Seitenwand. »Diese Gummidose fliegt jetzt erst einmal allein«, stellte er zufrieden fest. »Das gibt mir Gelegenheit, nach dem hastigen Aufbruch von diesem
Ödplaneten das zu klären, Traykon, was du uns bislang verschwiegen hast.« »Ich?« fragte der Roboter gedehnt und überrascht. »Ja, du! Deine Warnung vor diesem Erleuchteten bestand zu Recht, wie wir inzwischen wissen. Mir sind die Zusammenhänge aber noch nicht klar. Woher beziehst du dein Wissen?« »Aus meiner Positronik«, bekannte Traykon treuherzig. »Er will dir ausweichen«, pfiff die Vigpanderin aus ihrer schmalen Mundleiste. »Das stimmt nicht.« Traykon verstand es ausgezeichnet, den Beleidigten zu spielen. »Ich werde euch noch einmal alles erklären, und dann laßt ihr mich hoffentlich in Ruhe.« »Wir hören!« Der Tigganoi blickte erwartungsvoll aus seinen wasserhellen, stets unruhigen Augen. »Urko war das Pre-Lo. Ihr habt dieses Instrument des Erleuchteten aus der Jetztzeit befördert, und das ist gut so.« »Das wissen wir selbst.« Goman-Largos helle Stimme wurde zwingender. »Ich will mehr wissen. Wer bist du? Woher kennst du Atlan, den auch Anima kennt, aber aus einer anderen Galaxis? Wer ist der Erleuchtete? Und…« »Stop, Modulmann! Wenn ich deine Fragen nur speichere, habe ich keine Zeit für die Antworten. Der Erleuchtete, ich kenne ihn nicht. Ich weiß nur, daß es ihn gibt. Er baut etwas, das er oder andere EVOLO genannt haben. Was das ist, weiß ich auch nicht. Aber es ist ziemlich klar, daß der Erleuchtete und sein Produkt nicht zum Vorteil der ordnenden Kräfte des Universums agieren. Sie suchen das Chaos, das, was ich Zerstörung nenne, denn darin sehen sie das Heil.« »Weiter!« drängte der Modulmann. »Ich will alles wissen. Wenn ich schon in dieser merkwürdigen Galaxis herumschippere, brauche ich auch gute Kenntnisse über die Kräfteverhältnisse.« Traykons Gesichtsscheibe leuchtete auf. »Drei Seelen wohnen ach in meiner Brust.« »Mir genügt die eine, die die Wahrheit sagt«, lockte ihn Goman-Largo. »Laß dir nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen.« »Ich habe weder eine Nase, und schon gar keine so häßliche Hakennase wie du, noch habe ich Würmer. Das sind Unterstellungen, die sich eine positronische Intelligenz nicht gefallen läßt.« Der Roboter schwieg empört, aber auch dieses Geplänkel wirkte nicht auf Anima. Als der Modulmann nichts antwortete, fuhr er aber fort: »Das Pre-Lo war eine Art Vortester EVOLOS. Das habe ich von Traykon-6 erfahren. Es sollte einen Bruchteil der Eigenschaften EVOLOS testen und die Aufgabe erfüllen.« »Deine Positronen sind in der falschen Reihenfolge, mein lieber Freund aus Blech.« Jetzt wurde der Tigganoi zornig. »Du bist doch Traykon-6. Und was war die Aufgabe, von der du sprachst?« »Wenn du deinen Mund halten würdest, du Zeitbastler ohne Bastelkasten«, brummte es aus dem riesigen Kopf, »hätte ich dir längst alles erklären können.« Goman-Largo nickte einlenkend und schwieg. »Der Erleuchtete schickte sechs Traykon-Roboter los, um das Pre-Lo zu unterstützen. Sie kamen alle um. Und als ich in die Fänge der Roboter geriet, konnte ich Traykon-6 überlisten und desaktivieren. Meine eigentliche Positronik, die aus zwei Komponenten besteht, konnte den Körper von Sechs übernehmen, ohne daß dies bemerkt wurde. Ich spielte Traykon-6. Da ich nicht genau wußte, was das Pre-Lo, also Urko, mit Anima plante, hielt ich mich bewußt zurück. Die weitere Geschichte kennt ihr. Denkt daran, daß ich euch gewarnt habe. Wenn das nicht geschehen wäre, wärt ihr jetzt Staub zwischen den Sternen. Alle drei!« »Danke!« murmelte Anima und bewies damit, daß sie ihm zumindest zuhörte. Sie hatte ihren
Schock noch nicht überwunden, und im Augenblick sah es auch nicht so aus, als würde ihr das in nächster Zeit gelingen. »Das Pre-Lo hatte eine Aufgabe«, fuhr Traykon fort. »Es sollte die beiden größten Feinde des Erleuchteten zerstören. Der Hauptfeind dieses Wesens ist Anima. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber ganz offensichtlich hat er vor ihr eine panische Angst. Er würde lieber fliehen, als sich mit ihr auseinandersetzen. Das ging aus den Anweisungen, die ich als Traykon-6 bruchstückhaft mitbekommen habe, eindeutig hervor. Und dann ist da ein zweiter Feind: Atlan. Auch ihn konnte das Pre-Lo nicht beseitigen, obwohl es annahm, es hätte Erfolg gehabt. So sehe ich die Dinge, Modulmann. Ob alles ganz richtig ist, weiß ich nicht.« »Es ist richtig.« Anima starrte in die Unendlichkeit. »Es ist mehr als eine Ahnung. Er floh vor mir.« Sie murmelte eine Reihe von Namen, die den anderen nichts sagten, und die auch kaum hörbar waren. »… Hartmann vom Silberstern… Vergalo… Alkordoom… Atlan… Hartmann…« »Urko oder das Pre-Lo ahnte nie«, ergriff der Roboter wieder das Wort, »daß sein Traykon-6 innerlich ausgewechselt worden war. In mir sind zwei positronische Bausteine, und einer davon ist das Fragment einer genialen Leistung, eines Mannes namens Hage Nockemann. Der Name wird euch nichts sagen. Ihr könnt ihn vergessen, denn das ist ferne Vergangenheit. Aber der Geist dieses positronischen Wunderwerks steckt noch in mir.« »Das Pre-Lo traf Anima lange vor dem Versuch, sie zu beseitigen«, meldete sich Neithadl-Off. »Warum hat es sie nicht einfach getötet?« »Die Frage müßte euch Anima selbst beantworten«, meinte Traykon. »Ich sehe es so, daß sie viel älter und auch ganz anders sein kann, als sie sich uns hier zeigt. Das klang aus der Furcht des Erleuchteten, der sehr mächtig ist, was widersprüchlich erscheint, es aber ganz und gar nicht ist, deutlich heraus. Ich glaube, man kann Anima nicht so einfach beseitigen. Der Erleuchtete weiß das. Und das Pre-Lo hat es auch gewußt.« Anima sagte nichts. Sie starrte wieder auf ihre Hände und hatte die Augen geschlossen. »Vielleicht hoffte Urko auch«, überlegte der Roboter laut weiter, »daß er mit seinem Angriff auf Anima Atlan anlocken könnte. Er hatte wohl inzwischen begriffen, daß er in diesem Punkt versagt hatte.« »Wer ist Atlan? Woher kennst du ihn?« Anima stöhnte bei dieser Frage des Spezialisten der Zeit auf. Aber ihr konnte niemand helfen. Neithadl-Off hoffte, daß die Zeit ihren Seelenschmerz heilen würde. »Atlan, schon fast eine Legende«, sinnierte Traykon. »Ähnlich wie der Erleuchtete. Beide müssen uralt sein. Eins der Wesen, die ich nicht gesehen habe, als sie mit mir herumbastelten, hat mir gesagt, daß ich nur dann meine positronische Erfüllung finden werde, wenn ich Atlan finde.« »Positronische Erfüllung!« höhnte der Modulmann. »Das ist doch ultramonotisch und idiotisch!« »Dann nenne es ein Programm, eine Befehlsdatei«, konterte der Roboter wenig freundlich. »Ich rege mich auch nicht über deinen Modulsalat auf, diesen genotronisch aufgepfropften Wirrwarr!« »Hört auf, euch zu streiten«, pfiff die Vigpanderin. »Es besteht kein Grund dafür, und es hilft uns auch nicht weiter. Strengt eure Köpfe einmal an, egal, ob sie positronisch oder genotronisch sind, damit wir endlich festen Boden unter die Füße bekommen. In dieser Nußschale bekomme ich ja klaustrophobische Angstzustände.« »Dann klettere doch nach draußen«, antwortete Traykon ungerührt. »Da ist erheblich mehr Platz.« Sie hielten zusammen, aber die Stimmung war doch gereizt. Animas Lethargie trug dazu bei, und Traykons Humor kam bei ihr überhaupt nicht an.
Sie schwiegen. Sogar Goman-Largo verzichtete auf weitere Fragen an den großkopfigen Roboter, der ihn doch irgendwie überzeugt hatte. Er kontrollierte die einfachen Systeme des Beiboots und hing dabei seinen persönlichen Gedanken nach. Über kurz oder lang, so folgerte der Modulmann, würden sich seine Wege und die dieses Erleuchteten und dieses Atlan wohl kreuzen. Er hatte kein Verlangen nach dieser Begegnung, denn seine Ziele lagen an ganz anderer Stelle. Die Situation, in die er seit dem Zusammentreffen mit Neithadl-Off geraten war, erlaubte aber kaum, etwas für die Suche nach den Feinden vom Orden der Zeitchirurgen zu unternehmen. Und dabei war er sich nicht einmal sicher, ob es diese frevelhafte Institution überhaupt noch gab. Er hatte die meiste Zeit seines Lebens als Gefangener verbracht. Er konnte nicht auf aktive Zeiten zurückblicken wie der Erleuchtete oder Atlan. Diese Erkenntnis erzeugte einen großen Respekt ihn ihm, und er wußte nach allem, was er bisher gehört hatte, nicht, wem von den beiden die größere Anerkennung gebührte. Seine ethischen und moralischen Vorstellungen, die er an der Zeitschule von Rhuf angenommen hatte, paßten nicht in diese reale Welt, in die er nun getaumelt war. Wenn der Erleuchtete seinen persönlichen Zielen nützen würde, würde er ihn sogar unterstützen. Die Aussagen eines polarisierten Weltbilds, wie sie Traykon offensichtlich vertrat, bedeuteten dem Modulmann wenig. »Ortung«, sagte jemand. Aber er hing weiter seinen Gedanken nach. Er hatte Abstriche in dieser Einstellung gemacht. Er hatte auch neue Dinge gelernt. Aber Neithadl-Off bewies doch oft genug mit ihren haarsträubenden Lügen, daß diese auch eine positive Wirkung haben konnten. Positiv, in seinem Sinn natürlich! In dem Sinn, der ihm half. »Ortung«, sagte Traykon. Würde eine Begegnung mit dem Erleuchteten seine Wertvorstellungen verändern? Wohl kaum, denn dieser Typ schien auch nur hart und pragmatisch zu handeln und zu entscheiden. Was ihm nicht in den Kram paßte, mußte entfernt werden. Eigentlich war das eine Logik, die begeistern konnte. Sie schaffte Erfolge! So hatte er es gelernt. So hatte er es angenommen und zu einem Bestandteil seines Egos gemacht. Und so hatte er in den vielen Jahren der schier endlosen Gefangenschaft gedacht und gefühlt. Die Lehrer von Rhuf waren weise Instruktoren gewesen. Das wußte er. Das Geschwafel Traykons von Ordnung und Chaos war dessen persönliche Ansicht, nein, dessen eigene Programmstruktur. Für ihn, den Spezialisten der Zeit, beinhalteten diese Worte nichts. Seine Zweifel verwehten. ’’ »Ortung! Achtzehn Signale!« Traykon schrie. Dieser Atlan schien auch so eine polarisierte und falsche Denk- und Handelsweise zu beherzigen! Goman-Largo lachte innerlich für einen Moment. Dann wunderte er sich darüber, daß – wenn Traykons Aussagen der Wahrheit entsprachen – dieser Typ uralt sein sollte. Nach seinen Vorstellungen kamen solche Wesen nicht über die Frühpubertät hinaus. Spätestens dann radierte der Existenzkampf sie aus. Neithadl-Off stöhnte, als Traykon sich in Richtung Goman-Largos bewegte und sie dabei zusammenpreßte. Der Roboter schob seinen mächtigen Schädel zum Pilotenstand. Als er mit seinen Armen in Reichweite des Kopfes des Tigganois war, versetzte er diesem eine donnernde Ohrfeige. »Du pennst, Modulmann!« dröhnte seine Stimme auf. »Oder du träumst den Schlaf der Egoisten. Sieh auf den Ortungsschirm. Da kommt wer!« Bevor Goman-Largo antworten konnte, erschütterte eine schwere Explosion das winzige Raumschiff. Ein Glutball entstand vor dem Frontfenster, und die Anzeigen wiesen aus, daß man längst auf Unterlichtgeschwindigkeit abgefallen war und sich im Normalraum befand.
Die Auswirkungen der Explosion klangen schnell ab. Goman-Largo war von einem Herzschlag zum anderen wieder klar bei Sinnen. Seine persönlichen Gedanken wurden hinweggefegt. Er sah die Lichtpunkte auf dem kleinen Bildschirm der Ortung und stieß einen Fluch aus. »Hyperultramonotisch! Da hat mir einer einen Knoten in die Zeit gemacht.« Er wollte nach den Steuerelementen packen, aber da klang die zweite Explosion auf. Das Schiffchen wurde umhergewirbelt. Die Andruckneutralisatoren heulten und gaben ihren Geist auf. Mit knirschenden und scheppernden Geräuschen wurden Teile des Leitwerks für den Flug in Atmosphären abgerissen. Die Trümmer donnerten gegen die Außenwände und wirbelten dann als glühende Brocken vor den Fenstern vorbei. Ein weiterer Schuß der Unbekannten. Es blitzte in der kleinen Kabine, und das Licht fiel aus. Die nahe Sonne erzeugte aber genügend Helligkeit. Neithadl-Off wurde gegen den Teil gepreßt, der einmal die Decke gewesen war. Oben und Unten existierten nicht mehr, denn mit den Blitzentladungen war die künstliche Gravitation ausgefallen. Anima hatte ihre gekrümmte Stellung beibehalten. Auch waren ihre Augen noch immer geschlossen. Sie lag vor Goman-Largos Füßen. Es gab weder eine Waffe an Bord, noch Defensivschirme mit großer Kapazität. Und als Traykon die einzige Funkanlage – lichtschneller Normalfunk! – einschalten wollte, erfolgte eine weitere Explosion. Dem Roboter flogen die Trümmer des Senders um den großen Kugelkopf. Sämtliche Anzeigen fielen auf Null. Jetzt sah Goman-Largo die Angreifer. Es handelte sich um kleine und wendige Raumer in der Form von Jets. Den Typ kannte er nicht, und auch Traykon wußte nichts damit anzufangen. »Ich glaube«, sagte der Roboter todernst, »ich öffne ein Fenster und schwenke die weiße Fahne.« Sein körpereigener Antigrav verlieh ihm als einzigem noch eine sichere Möglichkeit, sich zu bewegen. »Sie drehen ab«, rief der Modulmann, der in dieser Situation seine Module nicht einsetzen konnte. »Vielleicht haben sie eingesehen, daß wir hilflos sind.« »Das haben sie«, antwortete Traykon. »Wir sind ein Wrack. Die Klimasysteme sind auch ausgefallen. Ihr werdet Probleme bekommen.« »Ich hab’ sie schon«, gab der Modulmann zu. »Was hilft uns jetzt noch?« »Der Abschleppdienst.« Traykon deutete zum Seitenfenster. Dort näherte sich eine abgeplattete Kugel von mindestens zweihundert Metern Durchmesser. Rosarot tastete sich ein Traktorstrahl an das kleine Raumschiff heran. Es gab einen spürbaren Ruck, als die Gravitationsenergien es erfaßten. Goman-Largo hielt sich an den Steuergriffen des Pilotenpults fest. Anima kippte zur Seite, und Neithadl-Off klemmte sich zwischen die Wände, die sie an allen vier Seiten berührte. »Wer ist das?« fragte der Modulmann. »Ich nicht«, antwortete Traykon trocken. »Und auch nicht der Erleuchtete und auch nicht Atlan.« Das große Raumschiff nahm das Traykon-Beiboot in Schlepp.
2. »Ich zeige es dir, Chossoph!« Questror war in seinem Element, wahrscheinlich dem einzigen, das er mit Leben füllen konnte. Die beiden Roboter nahten mit den dampfenden Schüsseln. Das hatte sein Mitgefangener, der wild aussehende Chossoph, durch das kleine Zellenfenster festgestellt. »Es ist gar nicht so einfach, einen Roboter zu beklauen.« Questror sprach mehr mit sich selbst als mit dem neuen Zellennachbarn. »Auf den Fraß kann ich sowieso verzichten. Mal sehen, was die Burschen noch am Leib haben.« Chossoph gab keine Antwort. Er studierte Questror mit Staunen. Es erschien ihm fast undenkbar, daß Guray dieses Geschöpf erzeugt hatte, denn Questror war ein Feigling, ein Angeber, wenn es um nichts ging, und strohdumm. Und er war noch etwas! Er war wie er! Sie stammten aus dem gleichen Leib, dem Leib Gurays! Nach allem, was Questror in der kurzen Zeit ihres Zusammenseins hatte verlauten lassen, betrachtete er sich als den größten Dieb aller Zeiten. Er hatte Chossoph das bewiesen, denn ohne daß der es bemerkt hatte, hatte Questror alle Kleinigkeiten und Utensilien, die die Stahlmänner ihm gelassen hatten, an sich gebracht. Aber für eine aktive Sache, einen Ausbruchsversuch, nur um ein paar Fakten über diese Station im Leerraum in Erfahrung zu bringen, war dieser Gesandte nicht zu begeistern. In Chossophs Augen war Questror ein niederträchtiger Feigling, der seine Aufgabe als Gesandter Gurays nicht nur vernachlässigte. Er trat alles, was Guray hoch und heilig war, in seinem kleptomanischen Egoismus mit Füßen. Er war so dumm, daß er nicht einmal feststellen konnte, daß auch sein neuer Zelleninsasse ein Gesandter war! Noch dazu ein besonderer Gesandter Gurays, denn nach dem generellen Rückruf waren nur noch wenige und ausgesuchte Außenposten unterwegs. Chossoph hatte sich gemäß den Anweisungen quasi freiwillig in diese Gefangenschaft begeben. Guray, der Sensible, hatte sich völlig abgekapselt, weil er erkannt hatte, daß die eigentliche Gefahr bereits in Manam-Turu weilte. Nicht einmal Chossoph, der ja ein Teil Gurays war, wußte, wo sich dieser befand. Er zerbrach sich auch nicht den Kopf darüber, denn im Vordergrund aller Überlegungen stand sein Auftrag. Daß der erste Schritt zur Erfüllung seiner Mission ihn ausgerechnet in die Gegenwart eines Artgleichen gebracht hatte, mochte Zufall sein. Für Chossoph war es eher ein Schock. »Tür auf!« Questror rieb sich die Hände. Er gierte förmlich danach, sich gegenüber seinem Zellenpartner zu bestätigen. Chossoph hockte abwartend auf seiner Pritsche und schwieg. Die Stahlplatte mit dem kleinen Fenster glitt klingend in die Höhe. Chossoph und Questror blickten in die Mündungen von zwei Strahlwaffen, die fest in die Arme des einen Stahlmanns integriert waren. Hinter diesem stand ein zweiter Roboter, der zwei Blechschalen in seinen Händen hielt, aus denen sich leichte Dampfschwaden in die Höhe kräuselten. »Hunger!« schrie Questror. Er rannte an dem bewaffneten Wächter vorbei, rempelte diesen kurz an und murmelte eine Entschuldigung, dann riß er dem anderen Stahlmann eine Schüssel aus dem Arm. Seine Hand griff gierig in den dampfenden Brei und führte die Speise zum Mund. Mit der Schale rannte er zu seiner Pritsche zurück und setzte sich. Mit Heißhunger machte er sich
über das Essen her. Er beachtete dabei nicht, wie Chossoph seine Schüssel gelassen empfing, das Besteck aufklappte und nach einem Bissen alles zur Seite legte. Angewidert sah er Questror an, bis die beiden Roboter verschwunden waren und sich der Eingang wieder geschlossen hatte. Nun legte auch Questror seine Essenschale weg. »Paß auf, Kumpel!« Er erhob sich und faßte noch einmal nach dem Brei. Mit einem Finger fuhr er kurz durch die körnige Speise, dann hielt er ein kleines Plastikstück triumphierend in die Höhe. »Ich bin ja schon etwas länger hier als du«, flüsterte er vertraulich. »Daher weiß ich, wo der Stahlmann sein Fach für den Kodestreifen hat. Ich spreche von dem, der die Waffen trug. Das Stück Plastik hier, siehst du die winzigen Löcher? Das ist sein Kommunikationskode. Ich, ich habe es ihm geklaut, als ich ihn scheinbar gierig angerempelt habe. In Wirklichkeit habe ich gar keinen Hunger.« Er steckte den Kode - deutlich sichtbar für Chossoph – in eine kleine Tasche, die er an einem Lederband um den Hals trug. Sorgfaltig klappte er die Halskrause seines dünnen Stoffanzugs darüber. »Du siehst etwas primitiv in deinen Fellfetzen aus.« Questror trat auf Chossoph zu und klopfte ihm kameradschaftlich auf beide Schultern. »Dich hat man wohl auf einer Primitivwelt aufgegabelt, eh? Und rasieren müßtest du dich auch mal wieder. Wie war noch dein Name?« »Chossoph«, kam die leise Antwort. Der Bärtige stieß Questror sanft, aber energisch von sich. Chossoph fühlte sich angewidert, aber er sagte nichts. In der folgenden Stunde sprachen sie nichts. Jeder hockte auf seiner Pritsche. Das Essen blieb unangetastet, denn die Gesandten Gurays waren darauf nicht angewiesen. Chossoph rätselte über sich. Sein Weg für Guray war kurz. Er hatte auf Cairon begonnen – im Tal der Götter. Er hatte dort etwas von den seltsamen Dingen erfahren, die in Manam-Turu geschahen. Und er hatte diesen Fremden getroffen: Atlan. Er hatte ihn nicht richtig eingeschätzt und auch unzweckmäßig behandelt, wie er bei dem zweiten Zusammentreffen auf Phurthul gemerkt hatte. Fumsel, sein Ableger, hatte in vieler Hinsicht besser reagiert. Chossoph war dennoch nicht unzufrieden. Guray hatte ihm erneut vertraut und ihn in diese Aufgabe geschickt, obwohl nahezu alle Gesandten in seinen Körper zurückgekehrt waren. Wo war die Gefahr für Guray? War sie hier? Er wußte es nicht, denn die Stahlmänner waren schweigsam. Aber er würde alles tun, um diese Gefahr, die Guray zur Verzweiflung trieb, aufzuspüren, zu stellen und zu beseitigen. Er war nicht Guray. Er war ein Teil von ihm, aber er kannte ihn kaum. Er kannte aber seine Gedanken, seine Furcht. Die trieb ihn an. Questror besaß davon nichts, und doch war er ihm gleich. Er erkannte aber nicht einmal, daß ein anderer Gesandter mit ihm diese Zelle teilte. Seine Dummheit erschien Chossoph grenzenlos, aber sie enthielt auch eine Warnung. Dumme können verflixt gefährlich werden! Guray, so sagte sich der bärtige Gesandte in der Gestalt eines Nomaden von Cairon, mußte seine Gründe haben, auch solche Gesandte zu erzeugen und mit Missionen zu beauftragen. Eine Zeitspanne, die Chossoph nicht gemessen hatte, war verstrichen, als der Eingang sich wieder öffnete. Das geschah völlig unerwartet und nicht programmäßig. Die beiden Gefangenen erhoben sich zögernd und starrten die Stahlmänner verdutzt an. Schlagartig bauten sich schimmernde Energiewände in der Zelle auf. Questror und Chossoph wurden durch eine Wand getrennt und je in eine Ecke gezwungen. Der Eingang wurde mit einem doppelten Energieschirm blockiert.
Vier Stahlmänner stürzten herein. Ihre Körperschirme erlaubten es ihnen, die aufgebauten Sperren mühelos zu durchqueren. Je ein Roboter packte Chossoph und Questror. »Diebe!« zischte einer der Roboter. »Wer war es?« »Wer war was?« Chossoph behielt die Ruhe, was eigentlich gar nicht seinem Wesen entsprach. Hier verlangte es aber der Auftrag, mit dem ihn Guray losgeschickt hatte. Sein Partner in der blauen, einteiligen Kombination setzte zu einem schauerlichen Gejammer und Geheul an. Questror wand sich im stählernen Griff des Roboters, als sei seine letzte Stunde gekommen. Tränen rannen über seine hohlen Wangen. Er bot ein Bild des Jammers, und Chossoph empfand Mitleid mit ihm. »Einer von euch ist es gewesen«, erklärte der Sprecher der Roboter. »Es wurde ein Kommunikationskode gestohlen.« »Ich war es nicht!« heulte Questror, und Chossoph hatte dabei den klaren Eindruck, daß dieser wirklich eine abgrundtiefe Furcht empfand. Aber er dachte keine Sekunde daran, seinen Zellenpartner zu verraten, obwohl er genau wußte, daß dieser die runde Plastikscheibe in die kleine Halstasche gesteckt hatte. Es half Questror alles nicht. Der eine Roboter hielt ihn eisern fest, und der andere untersuchte ihn gründlich. Sein Gezeter und Gejammer war zum Steinerweichen. Er flehte und bettelte, aber all diese Maßnahmen weckten bei den Stahlmännern keine Reaktion. Chossoph ließ die Untersuchung gelassen über sich ergehen. Warum hatte Questror das auch tun müssen! Nur um ihm zu imponieren. Jetzt zeigte er sein wahres Gesicht. Er war eine Memme, wie sie im Buche steht. Zur Verwunderung Chossophs brauchten die Stahlmänner sehr lange, um die Kodescheibe zu finden. Schließlich ließen sie sogar ganz von dem Feigling ab. Dafür stieß der Roboter, der sich durch Chossophs Fellkleidung wühlte, plötzlich einen triumphierenden Ruf aus und faßte unter den linken Arm des Gesandten. Er hielt das gesuchte Objekt in die Höhe. »Du also, Chossoph!« Der Sprecher der Roboter zuckte herum. Sein Waffenarm flog in die Höhe, und ein Schauer von Paralysestrahlen jagte in die Beine des Mannes. Chossoph brach auf der Stelle zusammen. Während die Stahlmänner die Zelle verließen, zog er sich mühsam auf seine Pritsche hoch. Seine Arme waren nicht getroffen worden, aber dennoch war dieses Unterfangen eine Tortur. Questror stand verlegen an der gegenüberliegenden Wand. Er stand noch dort, als die Energiefelder und die Stahlmänner längst verschwunden waren. Ein Finger lag verlegen an seinem Mund, aber er rührte sich auch nicht, als Chossoph abrutschte und auf dem Stahlboden liegenblieb. Die Gedanken des Halbgelähmten rasten. Wie hatte das passieren können? Er sagte kein Wort, denn sein Mitgefühl für den feigen Questror war einer abgrundtiefen Verachtung gewichen. Der Feigling hatte ihn hereingelegt, und das nach allen Regeln der Kunst! Trotz seiner Beklemmung weckenden Lage überlegte Chossoph in Ruhe. Die Lähmung würde irgendwann verschwinden. Er konnte nicht beurteilen, wie stark die Dosis gewesen war, aber jeder Gedanke daran war überflüssig. Er konnte nun nichts mehr daran ändern. Questror zitterte schon jetzt vor dem Augenblick, an dem er sich wieder frei würde bewegen können. Er rief die Bilder in sein Gedächtnis zurück. Questror hatte ihm den runden Plastikstreifen gezeigt und dann deutlich in die kleine Tasche gesteckt, die an dem Lederband um seinen Hals hing. Und dann… Dann hatte er ihm scheinbar kameradschaftlich auf beide Schultern geklopft. Links etwas stärker als
rechts, so daß er unwillkürlich nach links geblickt hatte. Diesen Augenblick mußte dieser Kerl benutzt haben, um die kleine Scheibe zwischen das Fell der Jacke zu stecken! Oh, Questror! dachte der Gelähmte. Was hast du da angestellt. Oh, Guray! überlegte er weiter. Ich hatte gerade mit Freude festgestellt, daß du dein Interesse an den Geschehnissen in Manam-Turu nicht ganz verloren hast. Dein Rückzug war überraschend für uns alle gewesen, aber sicher berechtigt. Auch andere Gesandte hatten gedacht, daß du nun völlig von Sinnen wärst. Es ist nicht so. Deine für uns unverständliche Panik muß schlimm sein. Aber sie hat dir nicht die Vernunft geraubt. Questror stand noch immer bewegungslos an der Wand und starrte Chossoph an. In dessen Körper breiteten sich die Lähmungserscheinungen weiter aus. Sie ergriffen von seinem Magen Besitz, und er mußte sich ungewollt übergeben. Auch jetzt rührte sich der Feigling nicht, und Chossoph dachte nicht im Traum daran, ihn um Hilfe zu bitten. Er wäre leicht dazu in der Lage gewesen, denn sein Kopf war von der Paralyse nicht betroffen. Er versuchte wieder, sich mit den Armen auf die Liege zu ziehen. Obwohl er noch steifer geworden war, gelang ihm das diesmal. Er würdigte Questror mit keinem Blick. Die lange, dürre Gestalt in dem flatternden Anzug war es nicht wert. Chossoph schloß die Augen. Die Gefühllosigkeit im Unterleib erzeugte den Eindruck von eisiger Kälte. Der Gesandte wußte, daß ihm sein Gehirn etwas vorspiegelte und daß er nichts daran ändern konnte. Er hörte Schritte draußen. Getrappel. Fremde Stimmen und die der Stahlmänner. Ein ärgerlicher Schrei… »Neue Gefangene«, sagte Questror. »Halt dein dreckiges Maul, Verräter der Sache!« zischte Chossoph. Der lange Dünne kam herüber und beugte sich über ihn. »Du mußt das verstehen, Nomade«, säuselte er weich. »Ich mußte so handeln. Ich wußte doch, daß die Stahlmänner kommen würden. Und ich wäre doch ein Idiot, wenn sie die Plastikscheibe bei mir gefunden hätten.« Chossoph war nahe daran, dem Feigling ins Gesicht zu spucken. Die Paralyse ergriff immer weiteren Besitz von seinem Körper, auch von den Bereichen, die gar nicht getroffen worden waren. Aber er unterdrückte dieses Verlangen. Das Getrappel draußen näherte sich ihrer Zelle. Leichte und schwere Schritte mischten sich untereinander. Er hörte Stimmen, aber er verstand nichts. Questror legte freundschaftlich einen Arm um seinen Hals. »Du darfst mir nicht böse sein, Chossoph.« Das klang wie ein ängstliches Flehen. »Wir sind in einer Notlage. Ich habe die größeren Erfahrungen mit den Stahlmännern. Ich mußte so handeln, denn meine Haut ist wichtiger als deine.« Der Gesandte gab seinem Artgenossen keine Antwort, aber er verfolgte aus den Augenwinkeln jede Bewegung der unruhigen Finger Questrors. Von Gurays Sammelwahn hatte Chossoph schon hinreichend erfahren. Hier schien es so, daß sich in Questror diese unerklärliche Charaktereigenschaft seines Herrn und Stammkörpers in anderer Weise demonstrierte. Questror war ein Kleptomane! Seine Finger fummelten an der Fellkleidung herum, als suche er nach etwas, ohne das selbst zu bemerken. Da die Stahlmänner Chossoph aber alles abgenommen hatten, was von Interesse war, fand Questror
nichts. »Hau ab!« preßte Chossoph hervor. »Laß deine Gelüste an anderer Stelle aus!« Der Dünne zuckte erschrocken zurück. Er fühlte sich durchschaut, und damit bekam er sich wieder in die Gewalt. Er ging zum Eingang und blickte durch die kleine Öffnung. »Seltsame Fremde«, redete er mehr zu sich als zu dem Gelähmten. »Ein Sechsbeiner. Oder eine Sechsbeinerin. Ein großkopfiger Roboter, der einen reichlich dämlichen Eindruck macht. Eine grazile Gestalt mit traurigen Augen. Und ein Knochenmann.« Die Stimmen der Neuankömmlinge verliefen sich in den Gängen. »Wir haben heute noch Ausgang«, fuhr Questror in seinem Selbstgespräch fort. »Da kann ich die Neuen kennenlernen.« »Um sie zu beklauen!« konnte sich Chossoph in einer spontanen Reaktion nicht verkneifen. »Ich bitte dich, Kumpel!« kam die vorwurfsvolle Reaktion. »Ich klaue nie!« »Wenn du klaust«, sagte der Gelähmte, »dann machst du das, um deinen Trieb zu befriedigen und um dir Vorteile zu verschaffen. Es kann ja nicht schaden, wenn man bei den Stahlmännern gut angesehen ist. Makellos und ehrlich. Und doch verdorben und wenig mehr als ein Haufen Dreck. Wenn Guray das wüßte!« Questror zuckte bei der Erwähnung des Namens deutlich zusammen. »Was hast du gesagt?« fragte er dann beklommen. »Nur eine Redewendung«, wiegelte Chossoph auf seiner Liege ab. Er merkte, wie die Lähmungserscheinungen immer weiter um sich griffen. »Ich habe sie mal gehört.« Questror atmete auf. Grinsend kam er auf Chossoph zu. Sein hohlwangiges Gesicht strahlte selbstzufrieden. »Dir geht es schlecht, mein Zellenfreund«, murmelte er. »Eine gute Gelegenheit, dich einmal in Ruhe zu durchsuchen. Irgend etwas hat jeder am Leib, das man ihm nehmen kann.« Seine spindeldürren Finger tasteten über Chossophs Fellkleidung. Die Arme der Nomadenimitation arbeiteten nicht mehr. Aber Chossoph besaß noch eine andere Möglichkeit. Er wollte sie erst später einsetzen, aber jetzt sah er keinen anderen Weg. Er war ein Fragmentkörper Gurays. Questror auch! Aber dieser zerstörte alle seine Pläne. Er hatte sich freiwillig in diese Gefangenschaft begeben, weil er hoffte, so etwas über die geheimnisvollen Fremden zu erfahren, die sich in Manam-Turu bemerkbar gemacht hatten. Er hatte ihre ersten Spuren auf Cairon im Tal der Götter aufgespürt. Die Hyptons! Er war ein Fragmentkörper Gurays. Aber sein Körper konnte auch ein Fragment erzeugen, was nach seinem Wissen keinem anderen Gesandten möglich war. Es bedurfte nur eines gezielten Gedankens. Er erzeugte ihn. Fumsel! Questror schrie auf, als hätte ihn die Stahlfaust eines Roboters getroffen. Dabei hatte ihn nur eine kleine Wildkatze ins Bein gebissen. Als er nach unten blickte, sah er nur noch einen Schatten, der sich wieder auflöste. Er ließ von dem Gelähmten ab, und beschloß, sich nie wieder mit ihm anzulegen. »Es wird Zeit«, stammelte der dürre Lange, »daß wir Freunde werden, mein Lieber.« Er bekam keine Antwort.
3. Es war sehr kühl in der abgedunkelten Halle, ja fast eisig. Der Born der Ruhe hatte sich gespalten, um einen Dialog führen zu können. Die zweiundfünfzig Hyptonleiber bildeten drei kleine Trauben zu je siebzehn Körpern. Und Zyzy spielte als Einzelträumer den Störfaktor, der durch spontane Einwürfe die Diskussion anheizen sollte. Allerdings durfte er nach den Spielregeln des Borns der Ruhe keine sachlichen Argumente vorbringen. Der Born der Ruhe bestand ausschließlich aus den besonderen Hyptons, die jener uralten und traditionell belasteten Schicht angehörten, die von den wahren Lenkern des glorreichen Volkes von Chmazy-Pzan verkörpert wurde. Es gab Alte in der jetzt aufgeteilten Traube, die noch den Feldzug der Laren im Rahmen des Konzils der Sieben Galaxien gegen die Milchstraße mitgemacht hatten. Zyzy gehörte nicht dazu. Er bezeichnete sich als »Junger« und »Frecher«. Deswegen mußte er auch immer die Rolle des Störfaktors einnehmen. Die Alten dachten manchmal an den Verrat der Kelosker, an die Müdigkeit der Greikos, an die Inkonsequenz der Laren oder die Zwiespältigkeit der Mastibekks. Sie träumten von einer verlorenen Schlacht, die nur deshalb verlorenging, weil die Verbündeten nicht alle weisen Ratschläge befolgt hatten. Für die Traube des Borns der Ruhe bedeuteten diese Aussagen neue Impulse. Diesmal würde alles besser werden! Manam-Turu würden sie allein in den Griff bekommen. Willige Helfer gab es in ausreichender Zahl, und Eigenbestrebungen würden frühzeitig unterdrückt werden. Wie üblich seit unzähligen Generationen, war der Körper, der am unteren Ende einer Traube aus Leibern hing, deren Sprecher. Manchmal ergab sich das zufällig, aber bisweilen wurde auch ganz gezielt aus der Masse der Leiber einer bestimmt, der diese Aufgabe wahrzunehmen hatte. Zyzy war noch nie Traubensprecher gewesen, aber oft genug Störfaktor. Die Traube der Quellenplaner hatte ein paar eigene Rituale entwickelt, die sich bewährt hatten. Dazu gehörte nicht nur die Bestimmung des Einzelträumers. Auch mußte jede Teiltraube vor Beginn der verbalen Auseinandersetzung einen jeweils neuen Namen für sich festlegen. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe der Namen war nun gekommen, denn alle drei Teiltrauben hatten ihre Positionen eingenommen. Die Halle des Denkens war so konstruiert, daß jede Ansammlung von Hyptons einen bequemen Platz finden konnte. Die Decke des Kühlraums bestand aus einem Geflecht, in das man sich besonders leicht verkrallen konnte. Diesmal hatten sich die drei Teiltrauben fast exakt in einem gleichseitigen Dreieck angeordnet. Nur Zyzy hing abseits, ein einzelner Hypton, der sich jetzt schon überlegte, wie er den Anheizer und Störenfried spielen konnte. »Wir sind Traube XF3«, meldete sich der Sprecher einer Ansammlung. »Abgelehnt!« schrie Zyzy. »Das ist kein Name.« »Wir nennen uns Ixeffdrei«, wiederholte der Sprecher in einem anderen Tonfall, der auch anders interpretiert wurde. »Warum?« peitschte Zyzys Frage in die abgedunkelte, kalte Halle. Er wartete keine Antwort ab. »Ihr nennt euch Ix!« entschied er. Da es den Teiltrauben des Borns der Ruhe ziemlich gleichgültig war, unter welchem Namen sie auftraten, ergab sich kein Widerspruch. Das Vorgeplänkel war schnell vorüber, als die beiden anderen Trauben sich mit »Ebo« und »Tyrr« vorstellten. Gegen diese Namen erhob der Störenfried keinen Einspruch.
Innerhalb der drei Ansammlungen von Hyptons wurde ein kaum hörbares Gemurmel deutlich. Dann meldete sich Ebo zu Wort. »Unser zentrales Problem«, erklärte er, »ist die unzureichende Kommunikation mit jener geheimnisvollen Macht, die sich der Erleuchtete nennt. Wir kommen nicht an ihn heran, denn wir kennen seinen Aufenthaltsort nicht. Und er allein scheint die Waffe zu besitzen, die uns mit einem Schlag den entscheidenden Vorteil verschaffen kann.« »Der Platz des Erleuchteten ist Manam-Turu!« quäkte Zyzy aufreizend. »Ein dummer Einwurf, Einzelträumer«, wurde er von Tyrr getadelt. »Manam-Turu ist groß, größer als Chmazy-Pzan.« »Und wir sind größer, als der Erleuchtete«, behauptete der Störenfried. »Was noch zu beweisen wäre.« Ix reagierte mit besonnener Stimme. »Das Problem besteht darin, daß der Erleuchtete den Zeitpunkt bestimmen kann, an dem er mit uns spricht.« »Und auch den Zeitpunkt, an dem das Gespräch beendet ist«, ergänzte Ebo. »Unsere bisherigen Verhandlungen waren wenig mehr als ein behutsames Abtasten.« »Falsch!« keifte der Einzelträumer. »Es war ein einseitiges Abtasten durch den Erleuchteten. Ihr habt versagt.« Diesmal gab es keinen Widerspruch. Tyrr wechselte das Thema. »Unsere Außenstellen und Vasallen haben von einem merkwürdigen Wesen namens Guray berichtet. Er und seine Gesandten stellen womöglich einen Machtfaktor dar, der in unseren Planungen noch ungenügend berücksichtigt wurde.« »Richtig«, beeilte sich Ebo, bevor Zyzy wieder schreien konnte. »Der Grund dafür ist einfach. Wir haben bis jetzt weder diesen Guray, noch einen seiner Gesandten in unsere Gewalt bekommen. Es ist trotz der vielen Gerüchte und Anzeichen nicht einmal bewiesen, daß es dieses Wesen gibt.« »Auf welcher Seite steht Guray?« fragte Ix. »Dabei nehme ich natürlich an, daß er existiert.« Die beiden anderen Trauben schwiegen. Für den Einzelträumer war dies eine willkommene Gelegenheit, um seinem Unmut wieder freien Lauf zu lassen. »Versager! Alles Versager!« brüllte er mit seiner hohen Stimme. »Ihr habt versagt! Vielleicht befindet sich unter den Gefangenen ein Gesandter Gurays. Ihr müßt sie einmal gehörig durchleuchten.« »Alles zu seiner Zeit«, entgegnete der besonnene Ix. »Die Gefangenen können die Station nicht verlassen. Von den Gesandten Gurays wird aber berichtet, daß sie sich auflösen, wenn sie in Gefahr geraten. Es ist also vernünftiger, alle Gefangenen erst einmal zu beobachten.« »Das hemmt den Fortschritt!« schimpfte der Einzelhypton. »Vielleicht.« Die Traube Ebos schwankte leicht. »Aber niemand von den Quellenplanern geht davon aus, daß wir hier schnell zum Erfolg gelangen. Erinnert euch an die weisen Worte ChmazyIltons: Auch die Milchstraße wurde nicht an einem Tag erobert.« »Die Milchstraße!« Zyzy äffte den Traubensprecher Ebos nach. »Der Ort des Versagens! Wie kann es einer von euch wagen, die Erinnerung daran zu wecken?« »Das kann ein junger Einzelträumer nicht verstehen.« Tyrr wurde ärgerlich. In seiner Traube schienen sich besonders viele alte Hyptons aus dem Kreis der Quellenplaner versammelt zu haben, in deren Bewußtsein die früheren Ereignisse noch lebendig waren. »Wir haben nie versagt! Das waren andere.« »Ausreden!« nörgelte der Einzelträumer. »In einem Punkt hat Zyzy recht«, räumte Ix ein. »Es bringt uns nicht weiter, wenn wir über die
Vergangenheit diskutieren. Es steht fest, daß uns ein entscheidender Vorteil gegenüber dem Erleuchteten fehlt. Diesen Mangel müssen wir anerkennen.« »Und aus ihm ergibt sich logisch«, hakte Ebo ein, »daß wir diese Lücke schließen müssen. Was wir brauchen, ist ein Pfand, mit dem wir den Erleuchteten unter Druck setzen können.« »Ich wäre schon zufrieden«, meinte Tyrr, »wenn wir etwas besäßen, das uns zu gleichwertigen Verhandlungspartnern macht. Der Erleuchtete agiert aus einem Versteck. Das allein beweist, daß er sich nicht so sicher fühlt, wie er vorgibt. Er fürchtet etwas. Wir werden unsere Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, um schnell in Erfahrung zu bringen, was das ist. Wenn uns das gelingt, sind wir einen entscheidenden Schritt weiter.« Die beiden anderen Teiltrauben stimmten dieser Ansicht zu, aber auch ohne das Gezeter des Einzelträumers war allen Hyptons klar, daß sie noch weit davon entfernt waren, dieses hypothetische Pfand in ihren Besitz zu bringen. Der Born der Ruhe beschloß vor seiner Vereinigung weiterhin, daß man sich auch verstärkt auf den geheimnisvollen Guray konzentrieren wolle. Allerdings versprachen sich die Hyptons davon weniger Erfolg als von dem noch geheimnisvolleren Gegner des Erleuchteten. »Und was geschieht mit unseren Gefangenen?« maulte Zyzy. »Sollen sie sich die Bäuche vollfressen und zu nichts nutz sein? Ich plädiere an unsere Logik und die Fähigkeit der ParalogikPsychonarkose! Damit muß es doch möglich sein, mehr über diese Figuren in Erfahrung zu bringen, die unsere Pläne durchkreuzen wollen.« Der Einzelträumer hatte damit indirekt das Thema angesprochen, das den Hyptons gewisse Sorgen bereitete. Das Schweigen der drei Teiltrauben des Borns der Ruhe sprach für sich. Zyzy spürte Triumph in sich. Er hatte endlich ein Thema erwischt, mit dem er seinen Artgenossen tüchtig einheizen konnte. »Was ist mit euch?« tobte er. Zur Untermalung seiner Worte stieß er spitze Schreie aus und drehte ein paar Runden in der Kühlhalle. »Hat euch der gute Geist der Quellenplaner verlassen?« »Es ist dir sicher nicht entgangen, Störfaktor«, erklang es schließlich von Tyrr, »daß es an einigen wenigen Orten in Manam-Turu nicht nur positiv aussieht.« »Du wagst es ja nicht einmal, den Namen auszusprechen.« Der Einzelträumer fühlte sich immer wohler in der Rolle des Anheizers. »Ich habe keine Scheu. Cairon!« Er hörte beifälliges Gemurmel. »Die getöteten Gefangenen«, schrie Zyzy weiter. »Ihr habt versagt, denn sie haben nichts verraten.« »Nun sei still!« Ix ergriff die Initiative. »Wir sind hiermit bei dem Thema angelangt, über das wir eigentlich beraten wollten. Damit entfallt auch jegliche Scheu, die Dinge klar anzusprechen.« »Ich habe eine Zusammenfassung der wichtigen Fakten parat«, meldete sich Ebo. »Wenn keine Einwände bestehen, dann…« »Keine Einwände!« quäkte der Einzelträumer. »Aber ihr dürft nie vergessen, daß ihr ohne mich nie zu diesem Punkt der Besprechung gelangt wärt.« Die Teiltrauben reagierten nicht mehr darauf. Der Bann der inneren Anspannung, der seltsamen Scheu sich selbst gegenüber, war gebrochen. Der Störenfried hatte seine Funktion erfüllt. »Es trifft zweifelsfrei zu«, begann Ebo, »daß die Eingeborenen von Cairon einen Weg gefunden haben, sich unserer paralogischen Psychonarkose vorübergehend zu entziehen. Wir müssen sogar damit rechnen, daß dies ein permanenter Zustand wird. Wie diesen Primitiven das gelang, ist eine andere Frage. Es gibt aber logische Schlüsse, die besagen, daß dieser Fremde, der Atlan genannt wird, der Verursacher ist.« »Das ist nur eine Vermutung«, warf Ix ein. »Kein Beweis.«
Auch Tyrr unterstützte diese Aussage und sagte weiter: »Wie unsere Alten und unsere Vorfahren uns berichteten, gab es auch in der Milchstraße während des Feldzugs der Laren ein Wesen mit dem Namen Atlan. Es soll hingerichtet worden sein, aber ganz geklärt wurde die Angelegenheit nie. Später, als wir uns schon weitgehend zurückgezogen hatten, um neue Pläne zu schmieden, ging das Gerücht um, daß Atlan sich in ein Versteck in der Milchstraße, in die Provcon-Faust, zurückgezogen hatte, um dort eine neue Menschheit um sich zu formieren, das Neue Einsteinsche Imperium.« »Es ist für uns eigentlich bedeutungslos«, behauptete Ebo, »ob jener Atlan mit diesem identisch ist. Selbst wenn es so wäre, ließe sich das kaum beweisen. Es zählt doch nur, daß dieses Wesen eine Gefahr für uns darstellt. Ich habe keinen Zweifel daran, daß er den Priestern von Cairon einen üblen Trick verraten oder beigebracht hat, durch den diese sich vor der Psychonarkose schützen. Es ist doch unvorstellbar, daß diese Primitiven aus sich heraus einen Weg fanden, unsere Macht zu brechen.« »Und wenn die Bewohner Cairons so einzigartig wären«, fragte Zyzy mit nun besonnener Stimme, »daß sie das aus sich heraus erreicht hätten? Wir dürfen keine Möglichkeit außer acht lassen.« »Wir wären gut beraten«, antwortete Tyrr, »in diesem Fall den ganzen Planeten zu beseitigen. Da dies aber weniger als eine Hypothese ist, brauchen wir uns mit derartigen Gedanken nicht zu befassen.« »So ist es«, bekräftigte auch Ix. »Was uns zu interessieren hat, ist allein die Gefahr, die von Atlan ausgeht. Wir können ruhig davon ausgehen, daß die Priester, die den Tod gefunden haben, nur schwiegen, um ihn und sein Geheimnis zu schützen. Damit bleibt die Gefahr bestehen. Ich will sie einmal ganz deutlich aussprechen, auch wenn noch keine Anzeichen dafür erkennbar sind. Atlan könnte diesen Trick, der unsere Psychonarkose unwirksam werden läßt, auch anderen Völkern verraten!« »Zum Beispiel den Ligriden«, meinte Zyzy, der seine Rolle als Anheizer jetzt ganz aufgegeben hatte. »Die sind schon aufsässig genug.« »Stimmt, Kleiner.« Ebos Worte taten dem Einzelhypton gut. »Wir hatten elf Priester von Cairon hierher schaffen lassen, um dieses Geheimnis zu ergründen. Wir haben versagt. Chirtoquan ist der einzige von ihnen, der noch lebt. Und die, die starben, haben ihr Geheimnis mit in den Tod genommen.« »Das bezweifle ich«, erklärte Tyrr entschieden. »Sie haben nichts ausgeplaudert, und sie ließen sich mit unseren normalen Mitteln nicht beeinflussen. Selbst gegen rohe Gewalt, eine Methode, die wir alle zutiefst verabscheuen, waren sie gefeit. Sie suchten lieber den Tod. Und deshalb glaube ich nicht, daß sie ein Geheimnis mit in den Tod nahmen.« »Sondern?« fragte Zyzy neugierig. Er schielte schon zu Tyrr hinüber, um sich in dessen Traube zu integrieren. »Sie kannten das Geheimnis gar nicht!« platzte Tyrr heraus. Die beiden anderen Trauben schwiegen zunächst, denn Tyrrs Worte klangen logisch. Schließlich fragte aber Ebo: »Warum haben sie das nicht gesagt? Keiner hat auch nur eine Andeutung in dieser Richtung gebracht.« Tyrr hatte auch hier die passende Antwort parat: »Hätten wir es ihnen geglaubt? Natürlich nicht. Wir haben noch eine Möglichkeit, um diese Vermutung bestätigt zu bekommen. Das ist dieser Chirtoquan. Wir werden ihm anders gegenübertreten. Mit einer List und noch freundlicher. Ich arbeite bereits an einem entsprechenden Plan. Er soll ohne jegliche Psychonarkose funktionieren.«
Tyrr fand Zustimmung, aber Zyzy stellte noch eine Frage, bevor er sich an diese Traube klammerte: »Was soll mit den anderen Gefangenen geschehen? Ich denke vor allem an die, hinter denen wir Gesandte Gurays vermuten.« »Sie müssen noch behutsamer beobachtet werden«, verlangte Ebo. »Wir wissen, daß sie sich zu Staub auflösen können, wenn sie wirklich Gesandte sind und wenn sie sich bedroht fühlen. Wir lassen sie heimlich durch die Roboter beobachten. Erst wenn sich konkrete Ansatzpunkte zeigen, werden wir aktiv. Die Zeit arbeitet für uns. Ich schlage vor, daß wir es mit Cairon genauso halten. Wir betrachten diese Welt als ein Studienobjekt, um herauszufinden, worin der Schutz besteht, den Atlan den Priestern und ihren Schülern gegeben hat, und der bereits weite Kreise unter den Nomaden und Jägern zieht.« Tyrr und Ix schlossen sich bereits zusammen, als ein Roboter durch die abgedunkelte Tür trat. Die Hyptons hatten keine Schwierigkeiten, die Gestalt zu erkennen. »Born der Ruhe«, sagte die Maschine. »Verzeih die Störung.« »Sprich!« Am untersten Ende der vereinigten Teiltrauben Tyrr und Ix hing nun ein neuer Sprecher. »Wir haben ein fremdes Raumschiff, eigentlich ein Rettungsboot, ausgemacht und aufgegriffen. Es sind drei Wesen an Bord, die nach den Ergebnissen der Fernabtastung in kein bekanntes Schema passen. Die eine Frau hat eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Daila, die andere ist so fremdartig, daß auf sie kein Vergleich paßt. Und ein männliches Wesen, das offenbar der Pilot war.« »War?« fragte der Traubensprecher. »Das Schiff wurde beschädigt, aber die Gefangenen leben.« Die Hyptons, die Ebo gebildet hatten, vereinigten sich auch nun wieder mit der großen Traube. Der Born der Ruhe war wieder komplett. »Ihr habt sie also aufgebracht«, stellte der Born der Ruhe fest. »Das ist gut. Sperrt sie in die Zellen und beobachtet sie. Und spielt Bilder von ihnen herein.« Als auf dem Monitor drei Gestalten und ein plumper Roboter sichtbar wurden, hing Zyzy seinen eigenen Gedanken nach. Er durfte sie nicht aussprechen, denn er war zu jung. Es war für ihn Ehre genug, in einer Traube der Quellenplaner leben zu dürfen und oft die Rolle des Einzelträumers und Störenfrieds zu spielen. Das durfte er nicht aufs Spiel setzen. Zyzy dachte, wie es wohl wäre, wenn die Priester von Cairon aus sich heraus die Kraft entwickelt hätten, um der paralogischen Psychonarkose widerstehen zu können. Und er dachte, was wohl wäre, wenn dieser plumpe Roboter, den der eigene Stahlmann bei der Nennung der neuen Gefangenen überhaupt nicht erwähnt hatte und dem die Traube auch jetzt keine Bedeutung beimaß, Guray oder Atlan oder der Erleuchtete wäre. Das waren natürlich ausnahmslos wirre Gedanken. Daher war es schon richtig, daß er schwieg.
4. Die Raumstation bot einen imposanten Anblick. Vor dem pechschwarzen Hintergrund des Alls erstrahlten die unzähligen Positionslampen wie bunte Perlen einer riesigen Kette, die sich mit einem verschlungenen Muster durch die Nacht bewegt. Das Licht der Lampen überdeckte das der fernen Sterne. Alles sah unwirklich aus, aber Goman-Largo, Neithadl-Off und Traykon wußten, daß dies rauhe Wirklichkeit war. Nur Anima hielt ihre Augen geschlossen und ihr Gesicht in den Händen verborgen. Sie hing ihren Gedanken nach und machte dabei den Eindruck, als habe sie mit sich und ihrem Dasein abgeschlossen. Zwei überdimensionale Scheinwerfer tasteten sich nach dem länglichen Raumschiff, das ihr angeschlagenes Traykon-Beiboot in Schlepp genommen hatte. Dann tauchte ein rosafarbener Traktorstrahl auf - und hüllte das Wrack in seinen Schein. »Ein unfreundlicher Empfang auf der ganzen Linie«, stellte der Roboter fest. »Es wird Zeit, daß ich etwas unternehme.« »Ich vertraue dir zwar, Traykon«, pfiff die Vigpanderin, »aber was willst du schon unternehmen?« »Seht ihr die winzige Schrift an dem kurzen Ausleger?« Traykon deutete mit seinem kurzen Arm auf ein rechtwinklig abgeknicktes Teilstück der Station. Hier befanden sich besonders viele Lichter, und aus verschiedenen Fenstern erstrahlte Licht. Der Rest der Station selbst besaß keine Ausblicke nach draußen. »Fremde Symbole«, stellte der Modulmann fest. »Nicht für mich«, behauptete der Roboter. »Ich lese MANAM-PZAN.« »Marzipan?« Anima blickte verträumt auf, aber Traykon ging nicht auf sie ein. »Manam-Turu«, erklärte er. »Der am weitesten verbreitete Name für diese Galaxis. Und ChmazyPzan, die Heimatgalaxis der Riesenfledermäuse, der Hyptons. Allein der Name dieser Station, denn zweifellos handelt es sich darum, verrät sehr viel. Die Hyptons haben uns aufgegriffen. Ich weiß, daß sie in Manam-Turu sind. Ich weiß auch, daß sie aus Chmazy-Pzan stammen.« »Woher?« kam Goman-Largos Frage. Der Spezialist der Zeit bewies wieder einmal, daß er gegenüber Traykon noch immer eine Portion Mißtrauen hegte. »Ich verfüge über ein paar sehr alte Datenspeicher«, erklärte der Roboter. »Sie sind nicht mehr ganz vollständig, und sie stammen aus einem hantelförmigen Raumschiff, das nach der Sonne benannt wurde, unter deren Strahlen die Vorfahren desjenigen geboren wurden, der aus einer simplen Laborpositronik eine Spezialanfertigung konstruierte, die ihm dann pausenlos bewies, daß er unfähig war. Leider…« »Er lügt besser als ich«, stellte Neithadl-Off verwundert fest. »Aber nicht so gekonnt.« Ihr angeschlagenes Schiffchen wurde abgekoppelt und von dem Traktorstrahl in Richtung der Hypton-Station MANAM-PZAN gezogen. »Wir haben keine Zeit für sinnlose Diskussionen«, erklärte Traykon hastig. »Ich sagte, daß ich etwas tun muß. Das wird jetzt geschehen. Ich berücksichtige, daß meine Möglichkeiten gering sind. Daher aktiviere ich das Antiprogramm Toter Vogel.« Der Tigganoi stöhnte auf. »Bist du übergeschnappt?« »Noch nicht.« Wieder beeilte sich Traykon. »Ihr müßt ein bißchen mitspielen, klar? Ich desaktiviere meine wichtigsten Systeme und unterbreche alle Verbindungen der relevanten Hauptspeicher. Damit
schütze ich mich. Ich werde zu einem echten Blödel, also zu einem simplen Hilfsroboter, kapiert? So habe ich eine Chance, besser für unsere Ziele zu handeln, denn meine wahren Fähigkeiten werden nicht entdeckt. Und dir, Go-Man-Go, oder wie du dich nennst, dir empfehle ich, deine Module ähnlich zu drangsalieren, damit die Hyptons und ihre Stahlmänner nichts merken. Wir müssen uns erst einmal umsehen. Also, kapiert? Macht ihr mit?« Erstaunlicherweise antwortete Anima zuerst. »Du handelst richtig, Traykon«, erklärte sie matt, aber bestimmt. »Ich mache mit.« Neithadl-Off und Goman-Largo wurden einer Antwort enthoben, denn in diesem Moment erfolgte eine sanfte, aber deutliche Explosion. Die Wände des engen Beiboots flogen in Trümmern nach allen Seiten auseinander. Eine Energieblase hielt die Atmosphäre aufrecht. Die vier Gestalten torkelten auf eine Schleuse zu, in der etwa zwanzig zweibeinige Roboter mit schweren Waffen standen. »Du machst mit, Go-Man-Go!« zischte Traykon dem Modulmann zu. »Wenn du querschlägst, singe ich dir ein Largo, aber das ist dann die letzte Begleitmusik, die du zu hören bekommst.« Goman-Largo blickte etwas verständnislos auf den Roboter, aber er nickte. Sie ließen sich widerstandslos in das Innere der Station führen. * Die Raumstation MANAM-PZAN war in erster Linie ein Horchposten der Hyptons gewesen, den sie aus reinen Überwachungszwecken der Hyper- und Normalfunkverkehre in Manam-Turu eingerichtet hatten. Die Paralogiker aus Chmazy-Pzan wußten sehr wohl, wie wichtig es war, exakte Informationen zu besitzen, wenn man einen heimlichen Feldzug gegen eine große Galaxis plante, wie sie Manam-Turu darstellte. Der Expansionsdrang der fledermausähnlichen Intelligenzen war auch heute noch ungebrochen. In ihrer eigenartigen Mentalität hatten sie die Schlappe, die das Konzil der Sieben Gelaxien in der Milchstraße nach einem 125jährigen Kampf letztlich erlitten hatte, weggesteckt, obwohl sie die Planer, Umgestalter und Regulatoren gewesen waren. Sie waren es noch jetzt, aber sie handelten anders als zu der Zeit, in der sie mit Laren, Mastibekks oder Greikos verbündet gewesen waren. Sie handelten allein! Aus dieser Tatsache schöpften die Hyptons ein tiefes Selbstvertrauen, denn sie gingen davon aus, daß diesmal keine Versager an ihrer Seite waren. Die Ligriden und andere Völker betrachteten sie als Handlanger, auch wenn sie das diese nicht direkt spüren ließen oder gar deutlich machten. Manam-Turu war das Ziel ihres Expansionsdrangs, aber nicht das Objekt einer gewaltsamen Invasion. Die Quellenplaner nannten es in ihren internen Unterredungen eine heimliche Eroberung mit der Kraft des Geistes. Mit dieser Methode hatten sie schließlich in der Vergangenheit praktisch alle Völker von ChmazyPzan unter ihre Kontrolle gebracht, ohne selbst über eine besondere Technik, über Raumfahrt oder über ein Waffenpotential zu verfügen. Sie waren anders, diese Hyptons. Ihre Mentalität hatte sich natürlich entwickelt, denn sie war ein Teil ihrer biologischen Evolution, die auf einem eiskalten Planeten mit rauhen Bedingungen und geringen Überlebenschancen abgelaufen war. Irgendwann in der fernen Vergangenheit waren fremde Raumfahrer auf diesen Planeten gekommen, Angehörige eines Volkes von Chmazy-Pzan, die längst vergessen waren. Aber diese Raumfahrer hatten den Hyptons den Weg zu den Sternen geöffnet.
Viele Millionen Jahre hatten sie nach dem Ende ihrer natürlichen Entwicklung auf diesen Moment gewartet, ohne ihn zu erahnen. Aber als die Chance da gewesen war, hatten sie zugegriffen. In einer Zeit, die im Vergleich zu den halben Ewigkeiten des Wartens geradezu lächerlich war - weniger als ein Zehntausendstel davon! –, hatten sie sich Chmazy-Pzan Untertan gemacht und schon bald danach erste Kontakte zu den Konzilsvölkern geknüpft, die aus anderen, ferneren Sterneninseln gekommen waren, um Verbündete zu finden. Heute sahen es die Quellenplaner als einen Fehler an, daß man sich damals auf das »Unternehmen Milchstraße« eingelassen hatte. Die Kelosker hatten sich als unzuverlässig erwiesen, die Mastibekks als unnahbar, die Laren als zu brutale Krieger, die Greikos als Schwächlinge. Und die Zgmahkonen, die die heimlichen Herren des Hetos gespielt hatten? Sie hatten sich nicht nur durch Perry Rhodan nach dem Sturz der SOL in das Black Hole von Balayndagar überrollen lassen. Sie hatten auch alle Verbindungen ihres Mini-Universums dahinschwinden sehen und zudem zugeben müssen, daß eine kleine Gruppe von ihnen, die Spezialisten der Nacht, längst das Erbe des wahren siebten Konzilvolks, der Koltonen, angetreten hatte. Die Hyptons hatten aus diesen Erfahrungen konsequente Lehren gezogen, denn sie besaßen die Chance, noch frei zu denken. Sie hatten sich rechtzeitig zurückgezogen. Und als ihr Plan, die Milchstraße allein zu besetzen, an widrigen Umständen gescheitert war, hatten sie mit dem Neuaufbau ihrer biologisch-evolutionären Expansionsbestrebungen begonnen. Das Resultat war klar gewesen. Keine gleichberechtigten Verbündeten! Laren, Kelosker, Greikos, Mastibekks und Zgmahkonen, sie alle hatten im Lauf der Geschichte einen Dämpfer bekommen, der sie handlungsunfähig und die Vergangenheit vergessen machen ließ. Sie waren anders, die Hyptons! Auch wenn es für jeden einzelnen von ihnen ein Problem war, auch nur einen einfachen Kombistrahler zu bedienen, sie brauchten das nicht. Ihre Waffe bestand aus zwei Komponenten, aus dem unbeirrbaren Willen und der Fähigkeit der Paralogik-Psychonarkose, die diesen Willen scheinbar freiwillig auf andere Intelligenzen übertrug. Ursprünglich waren die Quellenplaner davon ausgegangen, daß sich der Horchposten MANAMPZAN nicht lange halten würde. Die Station arbeitete zwar passiv, und das bedeutete, daß sie keine energetischen Strahlungen aussandte, um Informationen aus den Reflexionen zu gewinnen. Diese Verhaltensweise beinhaltete den größten Schutz vor einer Entdeckung. Ausgenommen davon waren natürlich Strahlungen im Nahfeld, und dieses Nahfeld konnte ruhig ein paar Lichtjahre betragen. Der Ort, an dem die Station erbaut worden war, war so gewählt worden, daß der nächste Stern 21 Lichtjahre entfernt war. Erkundungen hatten ergeben, daß dieser keine Planeten besaß, die Leben hervorbringen konnten. Die anfänglichen Befürchtungen einer frühzeitigen Entdeckung hatten sich als unbegründet erwiesen. Als die Quellenplaner das erkannt hatten, war der nächste Schritt logisch gewesen. MANAM-PZAN war erweitert worden, ohne die ursprüngliche und weiterhin primäre Aufgabe des Horchpostens zu verlieren. Jetzt aber hielt sich hier eine Traube aus dem Kreis der Quellenplaner auf. Und diese Hyptons griffen direkter in das Geschehen in Manam-Turu ein. Von hier war die Aktion gegen Cairon gelenkt worden, und auch andere Maßnahmen gegen bewohnte Planeten, gegen Völker von Manam-Turu, waren hier in den Beratungen in der Kühlhalle geboren worden. Mit dem Erscheinen der Quellenplaner war auch der Name der Station geändert worden. Aus REELIN-TLOT (was »Ewiges Eis, unter dem das Feuer der Seele brennt« bedeutete) war ganz offen MANAM-PZAN geworden. Und dieser Name dokumentierte indirekt das Ziel der hyptonischen Aktionen, das Herstellen einer inneren Bindung zwischen Manam-Turu und ChmazyPzan.
Daß diese Bindung für die Völker von Manam-Turu Unterjochung bedeutete, spielte in den Überlegungen der Hyptons keine oder eine absolut untergeordnete Rolle. Sie handelten so, weil ihre als natürlich empfundene Art das verlangte. MANAM-PZAN bestand im wesentlichen aus dem Zentralkörper. Dieser hatte die Form eines abgeflachten Eis mit kantigen Aufsätzen an den beiden schmalen Enden. Der Ausleger an der stumpfen Seite enthielt die zentralen Räume, die ausschließlich von Robotern betreten und benutzt wurden. Hier befanden sich alle Steuerelemente, die verschiedenen Zentralen für die Auswertung der aufgefangenen Funknachrichten und der Indirektortung, aber auch die kleinen Schleusen und der Andockplatz des einzigen großen Beiboots, der BIZARRER EISSTRAHL. (Hyptonisch: REEZ). Der Hauptkörper besaß noch eine Doppelschleuse in der Nähe des abgeknickten Kommandoteils, aber diese wurden fast ausschließlich für Nachschubtransporte benutzt. Der eiförmige Hauptkörper stellte die Masse der Station MANAM-PZAN dar, aber er gab ihrem Aussehen nicht das entscheidende Gepräge. Der Horchposten hätte in den Augen eines Terraners das Bild einer Spinne mit Rückenstacheln erzeugt. Dazu trug am wenigsten der Energieversorgungsteil bei, der das schmale Heck zierte. Vielmehr lag dies an den drei jeweils über drei Kilometer langen »Spinnenbeinen« die an beiden Längsseiten aus dem Rumpf des Zentralkörpers ragten. Diese tief in das Dunkel des Alls reichenden, nur knapp vierzig Meter dicken und sanft geschwungenen Rohrkörper wirkten zierlich im Vergleich mit dem plumpen Kloß des Zentralkörpers. Und doch befanden sich hier die wichtigsten Teile von MANAM-PZAN, ohne die die Station ihren Sinn verfehlt hätte, nämlich die Lauschantennensysteme, die Vorverstärker, die Differenzierer und die Übertragungseinrichtungen, die alle passiv gewonnenen Informationen zur Weiterverarbeitung in den Zentralkörper beförderten. Die Systeme waren in einer Technik gegen Fremdeinnüsse, die sich hier nur störend ausgewirkt hätten, so gut abgeschirmt, daß die REE-Z sie ohne Bedenken passieren konnte. Selbst die Hyperimpulse eines Überlichttriebwerks konnten die acht Meter dicke und in sich vielfach gestaffelte Abschirmung nicht durchdringen. MANAM-PZAN war technische Perfektion. Die Traube der Quellenplaner wußte das, und sie verließ sich darauf. Sie wußte auch, daß die Erbauer einem »ihrer« Völker aus Chmazy-Pzan angehörten und daß sie selbst diese Technik nie verstehen würden. Planen und gestalten, das allein zählte für sie, um die Naturziele zu erreichen. Aus dem »Rücken« des Zentralkörpers von MANAM-PZAN wuchsen drei kurze Stacheln, die die Antennensysteme für die normale Kommunikation beinhalteten. Der größte Antennenträger hatte eine Länge von 122 Metern, und er diente allein für den Kontakt zur Heimatgalaxis. Die beiden kürzeren waren dem Normalfunk zur REE-Z oder zu Versorgungsschiffen vorbehalten. MANAM-PZAN war ein technisches Wunderwerk. Die später eingebaute Kühlhalle im Zentrum des Zentralkörpers war das geistige Herz dieser Station. Und doch war MANAM-PZAN weniger als ein Staubkorn innerhalb von Manam-Turu. Was bedeutete eine Breite-über-alles, die Antennenausleger inbegriffen, von 6,4 Kilometern im Vergleich zu einer Sterneninsel, deren fernste Körper 400.000 Lichtjahre voneinander entfernt standen? Nichts, wenn man sich diese Dimensionen vorstellen konnte. Nichts, wenn man eine Handpositronik benutzte, um festzustellen, wie lächerlich MANAM-PZAN wäre, wenn ManamTuru die Größe der Erde besäße! Weniger als nichts.
Und doch befand sich in dieser Station das Fragment einer Macht, das unzählige Seelen unglücklich machen oder töten lassen konnte. Es war seit jeher so, daß nicht die subjektive Größe einer Institution die Macht verkörperte, die sie repräsentierte. Subjektiv in dem Sinn, wie ein unbedarfter und naiver Beobachter oder Betrachter das sah. Macht herrschte im Kleinen. Seit dem Entstehen des Kosmos, seit seiner nie gezählten Wiedergeburten. Den Hyptons wurde dies durch winzige Mikroparasiten demonstriert, die sie bisweilen belästigten, und anderen Völkern erging es nie anders. Macht trachtete nach dem Großen. Seit dem Entstehen des Kosmos? Nein, seit dem Zeitpunkt, an dem die Evolution Intelligenz erzeugt hatte. Das wurde allen Völkern, auch denen, die selbst nach Macht strebten, immer wieder demonstriert, auch wenn es ihnen lästig war. Die Idee der Urgeburt des Universums lebte noch. Sie war auch hier in Manam-Turu so existent wie die Hyptons, der Erleuchtete, Guray, die Daila, die Ligriden, Anima, Neithadl-Off, Atlan, GomanLargo, Chipol, Mrothyr… …Chossoph, Questror, Chirtoquan… …Zyzy… … der Born der Ruhe… … Abermilliarden andere Intelligenzen. Die Idee der Urgeburt des Universums war polarisiert, zwiespältig, gegenläufig, die Auseinandersetzung suchend. Nicht, damit sich der Stärkere profilierte! Damit jeder etwas lernen konnte, damit eine Chance für den Schwächeren existierte sich an dem vermeintlich Stärkeren zu orientieren. Damit der vermeintlich Stärkere eine Möglichkeit sah, sein negatives Ebenbild zu sehen und dabei zu erkennen, daß nicht das Ebenbild negativ war, und auch er nicht. Es war alles polarisiert. So oder so. Es kam auf den Standpunkt der Betrachtung an. Auf mehr nicht. Wertmaßstäbe setzte der Egoismus. Auch das war seit jeher eine Idee der Urgeburt des Alls. Neithadl-Off, Goman-Largo und Anima dachten nicht über diese Dinge nach. Der Vigpanderin, die insgeheim mit einer Art Verhör rechnete, fielen pausenlos die tollsten Sachen ein, die sie diesen Burschen auftischen würde. Der Tigganoi überlegte, ob er hier einen Angehörigen des Ordens der Zeitchirurgen treffen würde, aber er wertete (wie immer) die Chancen als ultramonotisch schlecht ein. Was Anima in ihren Gedanken bewegte, konnte keiner ahnen. Ihr steinernes Gesicht sprach Bände. Sie hatte sich in ihrer ganz eigenen Art gegenüber der Umgebung abgekapselt. Und sie nahm nur noch das davon wahr, was zufällig in ihr Bewußtsein drang. Dann war da nur dieser dämlich vor sich hin schlurfende Roboter, der mehrmals gegen die Wände rempelte und eine stereotype Entschuldigung herunterleierte: »War im Programm nicht vorgesehen. Umgebung fremd. Hilfe!« Auf Goman-Largos Fußtritte reagierte er ebensowenig wie auf die herrischen Anweisungen der hyptonischen Stahlmänner. Er trottete vor sich hin, bis er merkte, daß seine drei Begleiter verschwunden waren. »Ich muß Hage Nockemann eine große Tasse Tee bringen! Her mit dem Tee, sonst produzier ich Schnee!« Keiner hörte Traykon. Die Stahlmänner in der Zentrale des abgewinkelten Auslegers von MANAMPZAN stuften diese Maschine als »blöd« ein.
5. »Hör zu, weiser Mann!« verlangte Mimimi. »Wenn du nicht mitspielst, verrate ich den Hyptons deine Tricks!« Das war eine massive Drohung, aber sie ließ Chirtoquan kalt. Was konnte dieses seltsame Weib schon verraten! Er sprach mit niemand über seine eigenen Probleme, auch nicht mit seiner Zellengenossin Mimimi, die als roter Ball mit kurzen grünen Stummelfüßen und blätterartigen Armen vor dem alten Cairon-Priester auf und ab tanzte. Die Zarryrerin, die sich gern die Rote nennen ließ, wurde noch zorniger. Sie schlug mit ihren Blätterarmen nach dem ausgemergelten Priester, aber Chirtoquan reagierte noch immer nicht. »Hier wird nicht meditiert, weiser Mann! Es gibt viel zu tun. Und du mußt mir helfen. Verstehst du denn nicht? Es ist meine Chance, die Freiheit zu erlangen. Die Hyptons haben es mir versprochen. Ich muß nur herausbekommen, was das für seltsame Burschen sind. Allein schaffe ich das nicht. Du bist ein weiser Mann! Du kannst mir helfen.« »Such dir einen anderen, Rote«, murmelte der alte Priester. »Du darfst dich frei bewegen. Es dürfte dir nicht schwerfallen, einen anderen Gefangenen für diese Sache zu gewinnen.« »Ich will aber dich«, beharrte die Zarryrerin auf ihrem einmal eingenommenen Standpunkt. »Du bist weiser als alle anderen. Es wäre doch auch von Vorteil für dich. Ich lege ein gutes Wort bei den Hyptons für dich ein. Los, mach mit, Chirtoquan!« »Ich kann nicht.« Das klang fast bedauernd. »Warum nicht, weiser Mann?« Mimimi zog ihre Extremitäten ein und rollte sich vor die Füße des Bathrers. In dieser Form war sie nur etwa fünfzig Zentimeter hoch. »Es ist ganz einfach, Rote. Meine Einstellung zum Leben erlaubt es mir nicht, mich an einer Schnüffelei gegenüber anderen Mitgefangenen zu beteiligen.« »Eine alberne Moral!« Die Zarryrerin blies sich auf doppelte Größe auf. »So erreichst du nichts. Es wird dir so ergehen, wie den anderen Entführten von Cairon.« Sie stieß einen dumpfen Würgton aus. »Woher willst du wissen, daß ich von einem Planeten namens Cairon stamme?« Chirtoquan lehnte sich bequem auf seiner Liege zurück, und Mimimi rollte zu der Sandkiste, die ihr als Quartier diente. Dort nahm sie ein paar geschälte Nüsse auf und steckte sie in die Eßöffnung an der obersten Kuppe ihres Körpers. »Ich weiß es von den Hyptons«, gab sie dann freimütig zu. »Du arbeitest mit denen zusammen, die dich entführt haben«, warf der Priester dem weiblichen Kugelwesen vor. »Das ist schlecht. Es beweist, daß du verdorben bist.« »Du bist zwar in vielen Punkten intelligenter als ich«, räumte Mimimi ein. »Aber in einigen anderen verhältst du dich strohdumm. Ich will hier raus, und dafür ist mir jedes Mittel recht. Außerdem glaube ich den Hyptons, daß sie nicht bösartig sind. Sie wollen eine neue und friedliche Ordnung herstellen. Dagegen habe ich keine Bedenken.« »Sie haben dich mit ihren Narkoseimpulsen eingelullt«, korrigierte sie der Bathrer. »Du besitzt einen schwachen Willen, so daß dies sehr einfach war.« »Und du kannst dich dagegen schützen!« Die Rote lachte. »Auch das beweist deine Dummheit. Dir entgeht etwas. Ich empfinde es als sehr angenehm, von den Hyptons über wesentliche kosmische Zusammenhänge aufgeklärt worden zu sein.« »Du bist nicht mehr als ihr Werkzeug«, antwortete Chirtoquan. »Ich habe auf Cairon Freunde
gesehen, die von den Hyptons gekommen waren. Sie waren scheinbar glücklich und willig, aber sie folgten nicht mehr ihrem wirklichen Willen.« »Du gibst also zu, daß du von Cairon stammst?« Mimimis einziges Auge auf der oberen Kugelhälfte quoll auf. Der Priester nickte. »Du kannst von mir aus gleich zu den Hyptons rennen oder rollen und es ihnen brühwarm auftischen. Ich weiß, daß du auch versuchst, mich auszuspionieren.« »Das stimmt nicht!« begehrte die rote Kugel auf. »Gib dir keine Mühe.« Chirtoquan brachte trotz seiner Mißstimmung ein Lächeln zustande. »Ich erkenne genau, wann du die Wahrheit sagst, Rote.« »Dein siebter Sinn?« fragte sie lauernd. »Die Hyptons haben etwas darüber erwähnt, aber ich habe es nicht verstanden.« »Das ist gut so.« Der Priester ordnete den Stoff seines langen Umhangs und verschränkte die Arme. »Ich mache dir ein anderes Angebot«, versuchte es die Zarryrerin noch einmal. »Du begleitest mich nur, sagst aber kein Wort. Und hinterher erklärst du mir lediglich, wann die Gefangenen gelogen haben und wann nicht. Deckt sich das mit deiner seltsamen Moral?« »Ja, Rote.« Diesmal brauchte Chirtoquan nicht nachzudenken. »Ich bezweifle nur, daß die Stahlmänner mich als deinen Begleiter erlauben. Die Hyptons haben ein besonderes Auge auf alles geworfen, was von Cairon stammt.« »Ich mache das schon.« Das Kugelwesen eilte auf seinen vier Stummelfüßen zur Zellentür. Dort stieß es einen gellenden Pfiff aus. Wenig später wurde der Eingang geöffnet. Der Stahlmann, der in der Öffnung stand, war nicht einmal bewaffnet. Der Priester konnte nicht hören, was Mimimi zu ihm sagte, aber der Roboter gab den Weg frei, und die Rote verschwand. Chirtoquan verfolgte das Geschehen mit mäßigem Interesse. Seine Gedanken weilten bei seinen umgekommenen Freunden, die hier in der Gefängnisstation – für eine solche hielt er MANAMPZAN, denn er hatte noch nicht viel vom Innern sehen dürfen – ihr Leben hatten lassen müssen. Immerhin war es ihnen gelungen, ihr Geheimnis mit in den Tod zu nehmen. Die Hyptons hatten den Eindruck gewonnen, daß die bathrischen Priester selbst nicht wußten, wie sie sich gegen die hypnoseähnlichen Gedankenimpulse wehrten. Der Tod bedeutete für den Priester wenig, denn er war alt. Er war mit Abstand der Älteste unter den Entführten gewesen, und das hatte ihm wahrscheinlich bis jetzt das Leben gerettet, an dem er eigentlich gar nicht mehr hing. Für ihn zählte nur eins. Nie durften die Hyptons erfahren, daß die Priester von Cairon auf ganz natürliche Art den geistigen Angriffen der Hyptons widerstehen konnten. Nachdem einige von ihnen erkannt hatten, daß sich ihre Psi-Fähigkeiten zur Abwehr der heimlichen Attacken der Hyptons verwenden ließen, war der Rest einfach gewesen. Aber auf Cairon hatten sie auch erkannt, in welcher Gefahr sie dadurch schwebten. Die Fremden würden es nie und nimmer erlauben, daß in ihrem neuen Herrschaftsbereich Immune existierten. Mit List hatten es die Priester zuwege gebracht, daß ein Gerücht die Runde machte. Jener Fremde, der Atlan genannt wurde, sollte der Verantwortliche für die neue Widerstandskraft sein. In gewisser Hinsicht stimmte das sogar, denn dieser Atlan – Chirtoquan war ihm einmal begegnet – hatte die Bathrer beeinflußt. Der Priester war nach dem Verschwinden der Roten so schnell in seine Gedanken versunken, daß der Stahlmann ihn mehrmals an der Schulter rütteln mußte, bevor er reagierte. »Was willst du?« stieß Chirtoquan unwillig hervor.
»Mimimi wartet auf dich. Du hast die Erlaubnis zu einem ausgedehnten Spaziergang und zum Besuch anderer Gefangener auf MANAM-PZAN. Ich warne dich! Wenn du über die…« »Schon gut, Stahlmann«, unterbrach der Priester den Roboter. »Ich werde nur die Gefangenen besuchen, und ich werde nichts anfassen, was nicht erlaubt ist und auch keinen deiner Artgenossen verspeisen.« »Ich gehe davon aus«, erklärte der Stahlmann förmlich, »daß deine letzte Bemerkung nicht sachlich gemeint war.« Chirtoquan riß seinen Mund auf und tat, als wolle er damit nach dem Roboter schnappen. Dann winkte er aber müde ab und schritt an der Maschine vorbei hinaus in den Gang, wo die Rote schon wartete. * Im Unterschied zu Neithadl-Off, Anima und Goman-Largo, die alle in Einzelzellen gesperrt wurden, wurde Traykon gar nicht eingeschlossen. Die Stahlmänner hielten ihn in einem Fesselfeld fest und zerrten ihn damit in einen Raum, der mit verschiedenen Maschinen gefüllt war. Traykon widersetzte sich dieser Prozedur nicht, aber mehrmals geriet er ins Stolpern oder er klagte, daß seine Programme unzureichend seien, um mit der veränderten Situation zurechtzukommen. »Kannst du mich verstehen?« herrschte ihn ein Roboter an. »Ja, Herr«, entgegnete Traykon unterwürfig. »Ich verstehe dich, und ich sehe dich.« »Wir werden dich untersuchen.« »Ja, Herr. Untersuchen.« »Kennst du meinen Namen? Er wird in einem kodierten elektromagnetischen Feld abgestrahlt.« »Ja, ich kenne deinen Namen«, antwortete Traykon stupid. »Er lautet Herr. Was bitte, Herr, ist ein Element-Mann-Tisch-Feld? So habe ich deine Worte, Herr, nach meinem Lexikon definiert.« »Nenne mich nicht Herr. Ich heiße Top-22C. Welches war deine Aufgabe? Wie lautet deine Bezeichnung?« Es knackste in Traykon. »Ist notiert, Herr-Top-22C. Meine Aufgabe ist die Wartung des Klimasystems. Meine Bezeichnung lautet gemäß dem Quellprogramm…« Es folgten unverständliche Laute, die sich wie das Knirschen von stählernen Füßen in Kies anhörten. »… aber man hat mich immer Traykonschwiegermutter genannt. Das bedeutet, der, der nur manchmal etwas richtig macht. Aber keiner konnte mich reparieren. Dabei wäre das so einfach, Neuer-Herr-Top-27Z.« »22C«, korrigierte ihn der hyptonische Stahlmann irritiert. »Du bist also bereit, meine Programmlücken zu füllen?« Traykon war begeistert. Aus seinem Unterleib fuhr eine schmale Leiste an einem festen Kabel heraus. An den Enden wurden acht Kontakte sichtbar. »Bereit zur Aufnahme«, quäkte er. Die Hyptonroboter reagierten merkwürdig. Sie verständigten sich wortlos und ließen dann das Fesselfeld abschalten. Aus einer der Maschinen tastete sich ein Greifarm heran. Er umklammerte das ausgefahrene Ende
Traykons. Feine Fühler legten sich auf die acht Kontakte am Ende der schmalen Leiste. Traykon reagierte nicht darauf. Er stand bewegungslos da. Sein kreisrundes Gesichtsfeld leuchtete etwas blasser. Die Hypton-Roboter werteten dies als ein Zeichen der Erwartung. Und das war es auch. Die wirklich aktiven Systeme des positronischen Verbunds aus Blödel, Schwiegermutter und Traykon-6 ruhten. Mehr noch! Sie waren für die forschende Positronik der Hypton-Station MANAM-PZAN gar nicht vorhanden. Die internen Abschottungsmaßnahmen, die Traykon mit dem Programm »Toter Vogel« aktiviert hatte, waren nicht feststellbar. Traykon-Blödel hatte einmal eine entscheidende Erfahrung in diesem Punkt gesammelt, als er – desaktiviert – gegen eins von Borallus Augen geflogen war. Und da in der Blödel-Positronik nach den Irrwegen, die der Vernichtung des Ursprungskörpers gefolgt waren, nur die Dinge Bestand hatten, die des Lernens wert waren, lebte diese totale Abschottung noch jetzt. Sie war gar nicht vorhanden, obwohl sie existierte. Diese Abtrennung war rein technisch, aber perfekt. Die ganze hyperpositronische Intelligenz des Forschungszentrums von MANAM-PZAN konnte dies nicht entdecken, denn nach außen war nichts meßbar, spürbar, registrierbar, vorhanden. Die Abfrage-Impulse strömten in den Robotkörper und leerten seine Speicherinhalte. Das Ergebnis waren Raparaturprogramme, die sehr sorgfältig von 0 bis 16.383 (2 hoch 14 minus 1) aufgelistet waren. Die Hypton-Positronik registrierte die Antworten, zerlegte die Programminhalte, suchte nach Widersprüchen (fand aber keine), aktivierte ihr »Beurteilungsprogramm« und kam nach dessen Durchlauf zu dem Ergebnis, das Top-22C schon festgestellt hatte: Dieser Roboter war ein primitives Reparaturelement. Unwichtig! Lächerlich, aber nutzbar. Es fehlte stets an Überwachungsorganen innerhalb von MANAM-PZAN. Hier hatte sich ein neuer Faktor angeboten. Er brauchte nur noch eine entsprechende Programmierung. Für die KALYSteuerung der Raumstation MANAM-PZAN war das kein Problem. Der Primitivmechanismus Traykonschwiegermutters war leicht zu überlisten. Er nahm seinen neuen Namen Traykon, eine Verkürzung des dargebotenen Namens Traykonschwiegermutter, begeistert an. Er akzeptierte auch das Kontrollprogramm. Es gab natürlich ein Problem. Dieser Traykon besaß keine Waffen und kein Kommunikationssystem. Er verstand nicht einmal normale Binärcodes. Er war blöd. Für KALY bedeutete das nichts. Ein Helfer war gewonnen! Das allein zählte. »Neues Programm verstanden«, quakte der Roboter. »Neuer Name Traykon ist Inhalt meines Daseins. Ich gehorche! Bewacher. Ich bin der Bewacher.« Traykon mit seinem veränderten Primitivprogramm wurde aus den positronischen Klauen KALYS entlassen. Er stand einfach so da und dachte (positronisch) nichts anderes, als Gefangene festzuhalten. Die oberflächliche Positronik glaubte das auch. Sie war sich sicher! Hier war ein Helfer gewonnen worden, den man einfach benutzen konnte. Die hyptonische Positronik KALY schaltete sich eine Stufe tiefer, was diesen Roboter betraf. Die zentrale Lauscheinheit von MANAM-PZAN stimmte ihr zu. Dieser nun neu als Wächter programmierte Roboter war nicht beachtenswert. Er war eine Überwachungsfunktion für den Born der Ruhe. Im positronischen Innern von Traykon-6/Schwiegermutter/Blödel/Traykon liefen ganz andere Prozesse ab. Aber das waren technisch-positronische Abläufe, an die selbst die Roboterintelligenz von MANAM-PZAN nicht herankam. Hinter sorgfältig abgesicherten Funktionsblöcken liefen nicht meßbare Impulse. Sie wurden von dem neuen Programm in ihrer Reststrahlung so überdeckt, daß
sie nicht auffielen. Ein synchron geschalteter Taktgeber sorgte zudem dafür, daß die verborgenen Impulse stets nur dann auftraten, wenn solche des offiziellen Außenprogramms ebenfalls strahlten. »Ich habe den neuen Aufgabenbereich verstanden«, sagte Traykon. Und gleichzeitig fertigte er in den geheimen Blöcken ein detailliertes Bild der Raumstation an, soweit dies bereits möglich war. »Welche Gefangenen gehören in meine Aufsichtszone?« »Ihre Namen sind Chirtoquan, Mimimi, Questror und Chossoph«, antwortete die KALY-Positronik. »Wenn du dich bewährst, wird dein Aufgabenbereich erweitert.« Es scheint hier einen Mangel an Stahlmännern zugeben, überlegte ein Geheimsektor Traykons. Anderenfalls hätte man mich nicht zum Wächter gemacht. Er wurde entlassen. Mit gewichtigen Schritten eilte er durch die schmucklosen Räume aus Stahl, Kunststoff und Glas. Traykon registrierte jede Einzelheit der neuen Umgebung, aber auch dieser Vorgang war von außen her nicht feststellbar. Er betrat den Trakt mit den Zellen. Auch hier mußte er sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Dieser Sektor der Station bestand aus sieben Etagen, die durch zwei Antigravschächte und eine Treppe miteinander verbunden waren. Jedes Stockwerk war etwa zwanzig Meter lang. An jeder Seite des breiten Ganges reihten sich sieben Zellentüren aneinander. Die meisten Zellen waren leer, aber Traykon zählte beim ersten Rundgang immerhin über fünfzig Gefangene. Es befanden sich Daila darunter, auch zwei Ligriden und eine Reihe von Intelligenzen, die er keinem ihm bekannten Volk zuordnen konnte. Traykons Aufsichtsbereich war klein. Er betraf nur jeweils eine Zelle der vierten und der fünften Etage. Warum die KALY-Positronik das so eingerichtet hatte, war rätselhaft. Entweder mußte es sich hier um besonders unwichtige oder um besonders wichtige Gefangene handeln. Er würde das sicher bald in Erfahrung bringen. Unauffällig sah sich Traykon weiter um. Er entdeckte seine drei Begleiter in Einzelzellen in der untersten Etage, aber er kümmerte sich nicht um sie. Vereinzelt begegnete er anderen Robotern, aber diese schenkten ihm keine Beachtung. Es war alles etwas merkwürdig, fand er. Die meisten Zelleninsassen konnten ihre Räume sogar verlassen. Mit den Neuankömmlingen verfuhren die Stahlmänner jedoch nicht so. In der fünften Etage gab es einen größeren Raum, in dem man sich traf. Traykon warf nur einen, kurzen Blick hinein. Hier ging alles ganz friedlich, ja fast beschaulich zu. Die Gefangenen plauderten ungezwungen und schienen nicht einmal mit ihrem Schicksal zu hadern. Traykons weitere Beobachtungen führten bald zu einer entscheidenden Erkenntnis. Diese Gefangenen waren durch die Hyptons entsprechend behandelt worden. Sie sprachen lobend über ihre Herren und empfanden alles hier in der Station als selbstverständlich. Nach diesen Eindrücken studierte der Roboter seine vier Gefangenen. Er traf alle in der Zelle, die eigentlich Chossoph und Questror zugeteilt war. Auch das war merkwürdig, und es sah nicht nach einem Zufall aus. Traykon merkte sehr schnell, daß die Herrn der Raumstation eine ganz bestimmte Absicht verfolgten und ihn aus diesem Grund zum Wächter dieser vier gemacht hatten. Zunächst verfolgte er das Gespräch. Mimimi, das rote Kugelwesen, war Wortführer. Und ihre Fragen richteten sich mehr oder weniger gezielt gegen Chossoph und Questror. Der alte Chirtoquan nahm nur als stiller Beobachter teil. Unauffällig suchte Traykon die Wände mit seinen verborgenen Sensoren ab. Schon nach kurzer Zeit entdeckte er versteckte Kleingeräte, die jedes Wort und jede Geste an einen anderen Ort übertrugen.
Für Traykon war klar, daß der Empfänger aller Nachrichten die KALY-Positronik war. Er stellte sich als neuer Wächter vor, was aber bei den vieren gar keine Wirkung zeigte. Sie nahmen es einfach zur Kenntnis. Mimimi sprach unbeeindruckt weiter. So zog sich Traykon schnell wieder zurück und beobachtete die vier Anvertrauten aus sicherer Entfernung durch die offene Zellentür. Seine geheimen Positroniken werteten jedes Wort aus. Das Ergebnis war verblüffend für den Roboter. Während die rote Mimimi ganz offensichtlich unter einem starken Fremdeinfluß stand, traf das für die drei Zweibeiner nicht zu. Diese waren entweder der Behandlung durch die Hyptons noch entgangen, oder sie konnten ihr widerstehen. Auch das mußte etwas mit dem Auftrag zu tun haben, den man ihm gegeben hatte.
6. Goman-Largo hielt sich auch noch an den Rat des Roboters, als ihn die Stahlmänner der Raumstation nach einem halben Tag aus der Zelle holten. Er wurde durch abgedunkelte Gänge geführt. Ein Bordtransmitter nahm ihn und seine drei stählernen Begleiter auf. Dem Modulmann gefiel das weniger, weil er wußte, daß er durch den Transport die Orientierung verlieren würde. »Darf man fragen«, meldete er sich, »wohin die Reise geht?« »Zum Born der Ruhe«, antwortete einer der Stahlmänner bereitwillig. »Das sind die des echten Lebens, die diese Station führen.« Zumindest stand damit fest, daß er MANAM-PZAN nicht verlassen würde. Ohne sich zu widersetzen, ließ er sich abstrahlen. Der Ankunftsort sah völlig anders aus. Hier waren die Wände mit bunten Tüchern bedeckt und der Boden mit dicken Teppichen ausgelegt. Unerklärliche Muster verzierten die Decke. Skulpturen, die an gefärbte Eiszapfen erinnerten, hingen dazwischen herab. Einer der Stahlmänner wies auf einen dunklen Eingang, zu dessen Seiten schwere Stoffe in dicken Falten zu, Boden hingen. »Geh dort hinein! Der Born der Ruhe wird mit dir sprechen. Du brauchst nichts zu befürchten.« Goman-Largo zögerte nicht. Er empfand kaum Furcht vor dem Unbekannten oder den Wesen, die die Herren dieser Station waren. Traykon hatte sie als Riesenfledermäuse mit dem Namen Hyptons bezeichnet. Ein dichter Vorhang schloß sich hinter ihm. Er brauchte einen Moment, damit sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten. Hier war es noch kälter als in dem Vorraum. Die Temperatur lag nahe dem Gefrierpunkt. In drei Ecken glimmten schwache rötliche Lichter. »Willkommen, Goman-Largo«, hörte er eine hohe und freundliche Stimme. »Wir bedauern, daß unsere automatischen Systeme euer Raumschiff angriffen, aber das ließ sich leider nicht vermeiden. Ihr seid in unser Hoheitsgebiet eingedrungen und habt auf unsere Warnung nicht reagiert. Erst nach der Durchsuchung des Wracks haben wir erfahren, daß ihr gar nicht über die technischen Systeme verfügt, die unsere Anrufe hörbar hätten machen können.« »Das ist eine faule Ausrede«, entgegnete der Modulmann schroff. Unterdessen hatten sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt. Er hatte die Traube aus eng aneinandergeklammerten Leibern erkannt, die in der Mitte der Halle von der Decke hing. »Es ist bedauerlich«, fuhr die Stimme am unteren Ende der Traube fort, »daß du uns keinen Glauben schenkst. Vielleicht haben wir dennoch eine Möglichkeit, dich zu überzeugen. Warst du mit der Nahrung zufrieden, die dir die Stahlmänner gebracht haben?« »Ich fand sie widerlich und habe sie nicht angerührt.« »Auch das ist bedauerlich, Goman-Largo. Aber wir werden das ändern. Dein Metabolismus ist uns unbekannt. Woher stammst du?« »Das geht euch nichts an! Ich verlangt die sofortige Freilassung. Das gilt auch für meine Begleiter. Außerdem fordere ich Schadenersatz für unser Raumschiff. Falls das nicht geschieht, so kann ich auch andere Seiten aufziehen.« »Wir bitten dich um Geduld. Sei unser Gast. Es wird alles geregelt werden.« Das klang sogar echt, aber der Tigganoi schenkte den Hyptons trotzdem keinen Glauben. »Bitte komm näher, damit wir in Ruhe über alle Einzelheiten sprechen können. Und wenn du uns nicht sagen willst, woher du kommst, so soll dies dein Geheimnis bleiben.«
Irgendwie war der Modulmann von dem sanften Ton überrascht. Er gestand sich ein, daß er damit nicht gerechnet hatte, denn der Angriff war doch reichlich brutal gewesen, und von einem Warnruf hatten sie nichts bemerkt. Er machte ein paar Schritte in Richtung der Hypton-Traube. »Hör zu, Fremder«, fuhr der Sprecher fort. »Wir stammen auch nicht aus Manam-Turu. Aber wir sind hierher gekommen, um dieser Sterneninsel einen neuen Frieden zu bescheren. Wir verabscheuen die Gewalt. Und Manam-Turu droht Gewalt. Seltsame Mächte breiten sich hier aus. Du hast sicher von ihnen schon gehört. Man munkelt etwas von einem Erleuchteten, der die ultimate Waffe EVOLO baut. Wir haben etwas von einem geheimnisvollen Wesen namens Guray gehört. Ein anderer Unruheherd geht von einem Fremden namens Atlan aus. Du siehst, es gibt viel zu tun für uns, um die Bewohner von Manam-Turu in eine sichere Zukunft zu führen. Wir bieten dir an, an dieser Aufgabe mitzuarbeiten. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, die Leid verhindern und Leben erhalten soll.« »Ich verfolge andere Ziele.« Etwas von Goman-Largos schroffer und ablehnender Art war aber verschwunden. »Wir unterstützen dich gern, sofern du es wünschst und es im Bereich unserer Möglichkeiten ist«, boten die Hyptons an. »Was weißt du über den Erleuchteten, über Guray, über Atlan?« »Es könnte sein, daß ich etwas weiß«, erklärte der Tigganoi ausweichend, denn er sah nur seine Ziele. »Ob ich es sage, hängt davon ab, wie ihr meine Frage und mein Begehren beantwortet.« »Wir hören«, kam spontan die Antwort. »Es gab einmal den Orden der Zeitchirurgen«, sagte Goman-Largo. »Es spricht vieles dafür, daß er noch existiert und daß seine Agenten auch in Manam-Turu weilen. Was wißt ihr darüber?« Der Born der Ruhe schwieg. »Womöglich«, fuhr der Modulmann vorwurfsvoll fort, »arbeitet ihr mit diesen Feinden zusammen. Heraus mit der Sprache!« Es tuschelte in der Traube, dann meldete sich der Sprecher. »Die von dir erwähnten Namen sind uns unbekannt. Wir verfügen aber über weitreichende Verbindungen auch in andere Galaxien. Wir werden Nachforschungen anstellen. Nun aber zu unseren Fragen!« »Nichts da! Bevor ich etwas verrate, verlange ich, daß meine Partnerin geholt wird. Ich spreche von Neithadl-Off. Wir sind ein Team, und wir entscheiden nur gemeinsam.« »Dieser Bitte können wir gern nachkommen«, antwortete der Born der Ruhe leutselig. »Es ist bereits alles veranlaßt. Neithadl-Off wird sogleich erscheinen.« Der Modulmann verschränkte sehne Arme vor der Brust und schwieg. Auch die Hypton-Traube blieb ruhig. Irgendwie fühlte sich Goman-Largo unbehaglich. Es war nicht nur die fremde Umgebung und das merkwürdige Gehabe der Hyptons. Er spürte ein leises Kribbeln im Nacken und ein sanftes Rumoren in seinem Kopf, aber beide Erscheinungen empfand er als angenehm, ja fast als verlockend. Der Verdacht, daß die Hypton-Traube ihn mit Parapsi-Methoden zu bearbeiten versuchte, drängte sich auf. Die seltsamen Gefühle hielten auch jetzt an, wo beide Seiten schwiegen. Sie ließen aber ganz plötzlich nach, als Neithadl-Off den Raum betrat. Goman-Largo informierte sie ohne Rücksicht auf die Gegenwart der Hyptons über das, was sich bisher ereignet hatte. Die merkwürdigen Empfindungen aber verschwieg er. Er speicherte diese Informationen jedoch in einem Modul ab. In diesem Text erwähnte er auch den Verdacht der parapsychologischen Behandlung.
Während die Hyptons Neithadl-Off in ähnlich freundlicher Weise begrüßten, schickte er das Modul los. Es war kleiner als ein Fingernagel und in der Dämmerung nicht zu sehen. Zielsicher fand das Modul des Aufzeichnungsgerät der Vigpanderin und legte dort die Mitteilungen ab. Neithadl-Off konnte sie unbemerkt lesen. »Man hat uns vor euch gewarnt«, begann sie, um damit ihrem Partner zu verstehen zu geben, daß die Information angekommen war, und um gleichzeitig ein Lügenmärchen erster Güte aufzuziehen. »Ihr seid die Hyptons von Chmazy-Pzan. Clerk, der Merk, hat uns geschickt. Er meinte, wir sollten uns einmal ansehen, was ihr hier ausheckt.« »Wer bitte«, fragte der Sprecher des Borns der Ruhe irritiert, »ist Clerk, der Merk?« »Was?« Neithadl-Off bäumte ihren Körper auf, und ihre Stimme wurde noch schriller. »Ihr wollt eine Galaxis besänftigen, und da kennt ihr nicht Clerk, den Merk, und Pfleck, den Schreck? Dann seid ihr hier ja völlig fehl am Platz. Komm, Goman, wir reisen ab. Mit diesen Würmlingen will ich nichts zu tun haben.« »Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Die hohe Stimme der Hypton-Traube wurde ungeduldig und drängend. »Also gut, Born. Clerk und Pfleck sind die Regenten des Galaktischen Friedensbundes von Armellang-Dussel. Davon habt ihr sicher schon gehört. Wir sind die Botschafter Clerks, aber natürlich weiß auch Pfleck von unserer Mission. Wenn ihr mir ein fünfdimensionales HolophonKatastergerät zur Verfügung stellt, führe ich euch die beiden vor.« Die Hypton-Traube schwieg, aber die Vigpanderin begann sich unruhig zu bewegen. Goman-Largo spürte das wohltuende Kribbeln wieder. »Gibt es eine Möglichkeit«, fragte er, »mit meiner Partnerin allein zu sprechen?« »Ihr könnt hier reden«, antworteten die Hyptons. »Wir haben keine Geheimnisse vor euch, also braucht ihr auch keine zu haben. Allerdings klingt die Geschichte von Clerk und Pfleck etwas seltsam.« »Es handelt sich auch um zwei seltsame Burschen«, hakte die Parazeit-Historikerin sofort ein. »Sie sind nämlich nicht in der Jetztzeit totalgegenwärtig. Aber sie leben in uns und auch in euch. Kennt ihr die Geschichte des Rubinroten Meeres? Nein? Das hätte mich auch gewundert. Das Rubinrote Meer hat vor seiner dritten Verfärbung Clerk, den Merk, geboren. Und der Merk merkt sich alles, auch das, was mit uns geschieht, denn er ist der Fluß der Zeit, der in das Rubinrote Meer strömt und dort die ehernen Steine der vagabundierenden Wohlfahrt erzeugt. Pfleck, der Schreck, sammelt diese Steine. Er streut sie zwischen den Zeiten aus. Hier ist ein solcher Stein.« Sie zog aus einer Körperfalte einen unansehnlichen Brocken von schmutzig-brauner Farbe heraus. »Oh!« pfiff sie bedauernd. »Der eherne Stein ist erloschen. Ein böses Zeichen.« Sie sank in sich zusammen. Goman-Largo hatte unterdessen ein weiteres Modul als Informationsträger vorbereitet. Er setzte das winzige Ding in Marsch. »Wir haben deine Aussagen überprüfen lassen«, meldete sich der Sprecher der Hypton-Traube erneut. »Aber keines der von dir, Neithadl-Off, erwähnten Dinge weist auf etwas Bekanntes hin. Unsere KALY-Positronik ist vielmehr der Ansicht, daß du…« »Eure Positronik ist unwissend«, unterbrach die Vigpanderin hart. »Sie muß es auch sein, denn die hat keine Vorstellung von der Entfernung, die wir zurückgelegt haben, um zu euch zu gelangen. Vormerk, der siebte Lakai von Clerk, dem Merk, hat es vorhergesehen. Wir stoßen hier auf Unverständnis. Und der Grund dafür ist eure Unwissenheit. Ich mache euch einen Vorschlag. Gebt uns unser Raumschiff wieder oder ein anderes, und dann folgt uns – oder eine Delegation von euch
– nach Untertaunamzaun.« »Du sprichst in Rätseln«, bedauerte der Born der Ruhe. Inzwischen hatte Goman-Largos Modul das Aufzeichnungsgerät Neithadl-Offs erreicht. Die Parazeit-Historikerin las die Nachricht. Wir werden parapsychisch behandelt! Ich bin mir jetzt ganz sicher. Es wäre ratsam, darauf einzugehen, um so zu erfahren, was diese Burschen wirklich mit uns vorhaben. »So muß es sein«, schrillte Neithadl-Off, und das war wiederum eine Antwort an ihren Partner, aber auch ein Eingehen auf die Bemerkung der Hyptons. »Die Rätsel allein«, redete sie weiter wie ein nie endender Wasserfall, »sie sind das Salz in der Suppe des Kosmos. Schon Verwirrsch, der Derwisch – ich traf diesen Dreizüngigen auf der Welt vor dem Ende der paramagnetischen Zeit –, wußte davon zu berichten. Allerdings war er der Ansicht, daß Chmazy-Pzan die Quelle des eisigen Schreckens ist.« »Wir verstehen auch das nicht«, kam sofort die Antwort des Borns der Ruhe, »aber wir haben den Verdacht, daß du uns beleidigen willst.« »Ich bin weit davon entfernt, meine neuen Freunde«, begehrte Neithadl-Off auf. Sie schüttelte sich, und auch der Tigganoi spürte, wie die Psi-Impulse stärker wurden. »Ich preise ein Loblied auf euch, denn ihr seid… seid… seid…« Sie stockte plötzlich. Goman-Largo atmete kurz auf, denn jetzt spürte er, daß seine Partnerin auf seine Forderung einging und mit ihren sinnlosen Lügen Schluß machte. »Was wollte ich noch gleich sagen?« Stammelnd drangen die Worte aus ihrer Mundleiste. Sie krümmte sich. »Ich fühle mich plötzlich ganz anders. Ich will hier weg.« »Du wolltest uns berichten, wer Clerk, der Merk, und Pfleck, der Schreck, sind«, sagte der Sprecher der Hyptons. Die Traube hatte entgegen der üblichen Methode alle Kraft in die Beeinflussung gelegt, die normalerweise erst nach einiger Zeit wirksam wurde. »Ach ja, richtig, lieber Born«, säuselte Neithadl-Off. »Weißt du, Kenner des Friedens und der Ruhe, Clerk und Pfleck sind Gestalten meiner Träume. Und manchmal gehen mir die Nerven durch. Dann verwechsle ich Traum und Wirklichkeit. Könnt ihr mir noch einmal verzeihen? Ich bin etwas verwirrt.« »Und du, Goman-Largo«, fragte die Traube, »was ist mit dir?« »Ich bin müde«, entgegnete der Mann langsam. »Aber ich fühle mich wohl. Irgendwie ist hier etwas anders. Ich werde Zeit brauchen, um das zu verstehen.« Neithadl-Offs vordere Gliedmaßen tasteten sich hilfesuchend an Goman-Largo heran. Die Sensorstäbchen an ihrer schmalen Frontseite glänzten, und das war ein sicheres Zeichen dafür, daß sie aufgeregt war. »Laß uns gehen!« flehte sie. »Ich brauche Ruhe.« »Du bekommst Ruhe.« Der Sprecher der Hypton-Traube schlug nun einen deutlich rauheren Ton an, denn er ging davon aus, daß der Widerstand in diesen beiden Gefangenen gebrochen war. »Aber erst beantwortet ihr weitere Fragen. Sie betreffen den Erleuchteten, Guray, Atlan.« Die Vigpanderin sank wie ein dicker Teppich in sich zusammen. Aus ihrer Mundleiste kam nur noch ein schwaches Röcheln. Ihre sechs Beine knickten unkontrolliert nach außen. »Wir haben von einem Wesen gehört«, erklärte Goman-Largo mit gesenktem Kopf, »das Erleuchteter genannt wird. Auch von Atlan haben wir gehört, aber wir sind beiden nie begegnet. Sie interessieren uns auch nicht. Ich suche die Agenten des Ordens der Zeitchirurgen, und Neithadl-Off will nichts weiter, als durch die Endlosigkeit des Alls streifen, damit sie immer neue Dinge sieht
und erlebt. Sie hat eine blühende Phantasie, aber ich bin mir sicher, daß sie etwas von eurem geistigen Gut aufnehmen wird. Wenn sie erst mehr von eurer Friedensmission weiß, wird sie diese Gedanken in ihre Träume aufnehmen.« »… in ihre Träume aufnehmen«, echote die Vigpanderin brav. »Und Guray?« wollte der Sprecher der Traube wissen. »Diesen Namen kennen wir nicht«, beteuerte Goman-Largo. Und das fiel ihm nicht einmal schwer, denn es entsprach auch der Wahrheit. »Die andere Person, die mit euch gekommen ist«, fragte der Born der Ruhe eindringlich weiter, »was ist mit ihr? Sie heißt Anima. Gehört sie zu euch?« Neithadl-Off raffte sich noch einmal zu einer Antwort auf. »Wir haben sie aufgegabelt«, behauptete sie matt. »Wir kennen sie erst seit kurzer Zeit. Sie leidet unter irgend etwas, aber wir wissen nicht, was das ist.« In diesem Fall war Goman-Largo heilfroh, daß seine Partnerin wieder in ihre Lügen verfiel, denn ihm lag doch etwas daran, daß Anima nicht in unmittelbaren Kontakt mit diesen Hyptons kam. Die Auswirkungen hätten verheerend sein können. »So ist es«, bekräftigte er. »Sie ist unbedeutend und für uns mehr oder weniger ein Klotz am Bein. Wir werden sie bei der nächsten Gelegenheit auf einem bewohnten Planeten abschieben.« »Das hat Zeit.« Der Born der Ruhe war wieder etwas irritiert, weil dieser Gefangene wohl annahm, daß er schon bald wieder MANAM-PZAN verlassen können würde. »Natürlich«, lenkte der Modulmann sofort ein. »Aber ich gehe doch davon aus, daß wir schon bald eure Friedenslehre auch an anderen Orten verbreiten dürfen.« »Ihr wißt noch nicht viel«, wehrte der Born der Ruhe dieses Ansinnen sanft ab. »Ihr müßt erst lernen. Dann werdet ihr entlassen. Geht nun. Ihr werdet nicht mehr eingesperrt. Sprecht mit den anderen Gästen von MANAM-PZAN, die schon länger hier sind. Sie können euch weitere Eindrücke unserer guten Bestrebungen vermitteln. Aber seid behutsam. Es weilen auch Wesen hier, die dem Frevel frönen. Sie verbreiten Irrlehren und sind aufsässig. Es handelt sich um Elemente der Lähmung und des Verderbens.« »Wir werden vorsichtig sein«, versprach der Modulmann mit gespielte? Treuherzigkeit. »Aber wie sollen wir diese Verräter des Guten erkennen?« »Merkt euch ihre Namen! Sie lauten Chossoph, Chirtoquan und Questror!«
7. Traykon hatte längst beschlossen, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um mehr über die Vorgänge in MANAM-PZAN in Erfahrung zu bringen. Er verhielt sich vorsichtig, aber als durch ein Signal verkündet wurde, daß nun Nachtruhe herrschte, wurde er aktiv. Die meisten Gänge, insbesondere die Querflure in den Gefangenenetagen, wurden völlig abgedunkelt. Nur ein Antigravschacht war noch schwach beleuchtet. Traykon zog es vor, die dunkle Treppe zu benutzen, weil er davon ausging, daß ihm hier niemand begegnen würde. Er begab sich leise in die Etage, in der die Zelle von Chirtoquan und Mimimi lag. Ohne bemerkt zu werden, erreichte er die Zelle. Er lugte durch das kleine Fenster. Der alte Priester schlief auf seiner Liege, aber das rote Kugelwesen rumorte noch in seiner Sandkiste herum und stopfte sich kleine Nüsse in die Öffnung an der Spitze des Körpers. Das einzige Auge der Zarryrerin war Traykon abgewandt. Für den Roboter war es einfach, die ohnehin unverschlossene Zellentür lautlos zu öffnen und hinter die Rote zu treten. Er schlang gleichzeitig beide Arme um den Kugelleib, wobei sich der eine auf ihr Auge legte und der andere sie fest umklammerte. Mimimi strampelte kurz, dann gab sie auf. Traykon schleppte sie nach draußen. »Wer bist du?« quietschte die Rote. Traykon ahmte ein ganz bestimmtes Lachen nach. »Rate mal!« sagte er dann, und auch die Stimme klang nicht robotisch. Mimimi entgegnete nichts. Sie war feige, wie sich in diesen Augenblicken zeigte. Der Roboter suchte eine leere Zelle auf, wobei er ständig das Auge der Zarryrerin geschlossen hielt. »Hast du etwas bei dir«, fragte er im gleichen Tonfall, »das sich lohnt?« »Du bist Questror!« folgerte Mimimi. Traykon lachte. »Nein, Chossoph. Questror wäre niemals dazu in der Lage, so etwas zu tun.« Aber er zeigte sich nicht. Sollte das Kugelwesen ruhig grübeln. »Tut mir leid, altes Mädchen.« Wieder benutzte Traykon eine Stimme, die entweder Chossoph oder Questror zu gehören schien. »Aber ich habe etwas vor, wo ich eine Verräterin wie dich nicht gebrauchen kann. Und Chirtoquan wird es mir danken.« Er drückte zu, bis die Zarryrerin die Besinnung verlor. Dann erst nahm er die Hand von ihrem Auge und legte sie auf dem Boden ab. Er verließ die Zelle und verschloß sorgfaltig den Eingang. Sein nächster Weg führte zu Chossoph und Questror. Er ortete vorsichtig in die Zelle hinein, die im Dunkeln lag. Die beiden unterhielten sich leise. Aus einer verborgenen Ecke seines Körpers holte Traykon eine Phiole hervor. Er warf das kleine Behältnis in die Zelle, wo es sofort zerplatzte. Chossoph sprang blitzartig auf, aber das ausströmende Gas wirkte zu schnell. Der Bärtige sank in sich zusammen, bevor er einen Laut ausstoßen konnte. Questror rutschte schlaff von seiner Liege. Der Roboter packte die beiden Gestalten und schleppte sie auf den Gang. Die Zellentür wurde ebenfalls verriegelt. Dann brachte er Chossoph in einer leeren Zelle unter, die er ebenfalls verschloß. Questror brachte er zu dem schlafenden Chirtoquan, wo er ihn neben dem alten Bathrer auf den Boden legte. Zum Schluß verriegelte er auch diese Zellentür. Nun gab es nur noch eins zu tun, um das Verwirrspiel zu komplettieren. Noch war es zu früh, um Goman-Largo und Neithadl-Off in seine Pläne einzuweihen. So schloß er auch diese ein, ohne daß
sie es bemerkten. Sein weiterer Weg führte ihn aus dem Zellentrakt in Richtung der abgewinkelten Frontspitze von MANAM-PZAN. Er konnte ungehindert die oberste Etage des Zellenbereichs verlassen. Hier herrschte wieder normales Licht. Die künstliche Nacht galt also nur für die Gefangenen. Er lauschte, weil er hier mit Stahlmännern rechnete. Die hyptonischen Roboter schienen zwar Mangelware zu sein, aber so leichtfertig konnten die Riesenfledermäuse und ihre KALY-Positronik doch nicht sein. Es war nichts zu hören. Oder? Die feinen Sensoren Traykons vernahmen ein schleichendes Tapsen. Irritiert ließ er seine Wahrnehmungssensoren rotieren. Er erkannte noch nichts. Dann war da ein leises Fauchen. Oberhalb von seinem großen Kopf hockte ein Tier auf einer Rohrleitung des Klimasystems. Es handelte sich um ein vierbeiniges, kleines Raubtier, das Traykon an die Katzen erinnerte, die er als Blödel auf der SOL kennengelernt hatte. Ein solches Tier in der nüchternen Technologiewelt von MANAM-PZAN? Das überstieg sogar die positronischen Elemente des Roboters. »Ich spreche normalerweise nicht«, sagte die Wildkatze. »Aber da Chossoph, von dem ich ein Teil bin, bewußtlos ist, kann ich es. Er hat erkannt, daß du ein Freund bist, auch wenn du ihn betäubt hast. Du meintest, er hätte dich nicht bemerkt? Er hat dich bemerkt. Questror, der kleptomanische Dummkopf natürlich nicht. Chossoph schläft durch deine Gasdosis. Ich bin da. Fumsel hilft dir!« »Wenn das der alte Nockemann noch hätte erleben können«, entfuhr es Traykon. »Wer ist Nockemann?« fragte Fumsel. »Der, der einen Teil von mir baute. Und der, der das Rezept für das Gas entwickelte, das Chossoph und Questror ins Land der Träume schickte.« »Du mußt durch das Klimasystem gehen, Traykon«, sagte die kleine Wildkatze, ohne auf das vorangegangene Thema noch mit einem Wort einzugehen. »Alle anderen Durchgänge sind bewacht.« Das Tier setzte sich in Richtung eines Lüftungsschachts in Bewegung. Traykon verfolgte das Geschehen, aber seine positronischen Programme brauchten echte Sekunden, um zu verarbeiten, was ihm hier widerfahren war. Dann begriff er. Er half dem Tier, die Luftklappe aufzustoßen. Fumsel eilte voran. Traykon hatte ein paar Schwierigkeiten, in dem engen Schacht vorwärts zu kommen, aber es gelang. Die Informationen, die der Roboter bei seiner Neuprogrammierung von der KALY-Positronik der Station erhalten hatte, halfen ihm, auch den weiteren Weg genau zu planen und zu verfolgen. Links von ihm, also kurz vor dem abgeknickten Ausleger mit der robotischen Befehlszentrale, mußten die Vorratslager und die großen Schleusen sein. Hier mußte auch das einzige Beiboot der Station MANAM-PZAN angedockt sein, die REE-Z. Fumsel eilte zielsicher voraus, und Traykon folgte dem Ableger Chossophs. Die Zugänge zu den Lagern waren verschlossen, aber der Weg zu den Schleusen lag frei. Die REE-Z stand in einem Hangar. Fumsel wartete ab und überließ Traykon die Initiative. Der studierte die Technik der REE-Z, übersetzte ihren Namen in BIZARRER EISSTRAHL, und kam zu dem Schluß, daß weder er, noch Goman-Largo oder ein anderer in der Lage sein würde, dieses Raumschiff zu steuern. Mehr noch, es besaß nicht einmal einen Überlichtantrieb. »Hier stimmt etwas nicht«, sagte er mehr zu sich selbst als zu der Wildkatze. »Wer hat uns denn gestellt? Wer hat das Beiboot des Traykonschiffs zerstört?«
Er suchte weiter herum und fand ein Terminal, auf dessen Bildschirm noch Anzeigen zu lesen waren. Es bereitete ihm wenig Mühe, die Informationen in verständliche Signale zu übertragen. Sie beinhalteten den Flugverkehr während der letzten Zeit. Nun wurde manches klarer. Eine Flotte der Hyptons, ausschließlich bemannt mit Robotern, war in der Nähe von MANAM-PZAN gewesen, um Instruktionen zu empfangen. Auch war eine Delegation der Hyptons an Bord gegangen, um irgendwo in Manam-Turu im Sinn der Fledermauswesen die Weichen zu stellen. Es war mehr ein Zufall gewesen, daß dieser Verband das kleine Rettungsboot gestellt hatte. Jetzt war diese Flotte längst unterwegs, um neues Unheil über die Völker dieser Sterneninsel zu bringen. »Mist!« sagte Traykon. Sein Plan, ein Raumschiff zu finden, mit dem man der Station hätte entkommen können, war damit praktisch gescheitert. Er würde Tage brauchen, um die seltsame und unverständliche Technik der REE-Z zu verstehen. Etwas anderes war nicht da. Und dann der Gedanke an eine Flucht mit einem Beiboot, das keinen Überlichtantrieb besaß! Nein, er verwarf diese Überlegung. Sie saßen fest. Mehr routinemäßig fragte er das Terminal nach weiteren Daten ab. Und da kam ihm ein verrückter Gedanke, als er las, was in den nächsten Tagen von der Seite der Hyptons geplant war. Ein Sonderteam aus Stahlmännern sollte nach Cairon fliegen, um das »Studienobjekt«, auf dem sich seltsame Dinge ereignet hatten, zu beobachten. Sogar eine Mini-Traube von vier Hyptons aus dem Kreis der Quellenplaner war dafür vorgesehen. »Wir gehen zurück«, erklärte er Fumsel. Die Wildkatze drehte sich um und eilte voraus. In Traykons abgeschirmten positronischen Bausteinen liefen Berechnungen, die immer verrückter wurden. Der Roboter kam zu einem vorläufigen Ergebnis, aber die Realisierung des groben Planes hing davon ab, daß Goman-Largo und Neithadl-Off und Anima mitspielten. (Und daran zweifelte er nicht.) Aber auch Chossoph und vor allem Questror. Er brauchte sie alle. Chirtoquan mußte er auch mitnehmen. Ob er bei der Verwirklichung helfen konnte, war noch ungewiß. Aber die Rote würde er hier versauern lassen. * Es kam so, wie es Traykon abgeschätzt hatte. Trotz Fumsels Hilfe rannte er in eine Falle. Noch bevor er das Deck über den Zellenetagen erreicht hatte, sah er sich in einer energetischen Sperre gefangen. Es gab kein Vorwärtskommen mehr. Und in seinem Rücken rastete dröhnend eine Stahlwand zu Boden. »Ich verschwinde«, sagte Fumsel. »Denk an die Spur!« »Welche Spur?« »Wo ich war, riecht es nach Mimimi.« Mit diesen Worten löste sich die Wildkatze vor Traykons optischen Sensoren auf. Noch während die verborgenen Positronikelemente des Roboters versuchten, die Bedeutung dieser Worte zu erfassen und danach Verhaltensmaßregeln zu I konstruieren, tauchten die ersten Stahlmänner der Hyptons auf. Sie hielten Waffen im Anschlag oder hatten diese aus ihren stählernen Körperpartien ausgefahren, und das war eine verdammt deutliche Sprache. »Traykon«, donnerte der erste Stahlmann los. »Du erkennst mich. Ich bin Top-22C. Ich habe die Aufsicht über dich.«
»Ja, sicher«, antwortete Traykon klar und ohne jede Hemmung. »Was beunruhigt dich?« »Du befindest dich in einem Bereich, für den du nicht zugelassen bist. Warum?« »Irgend jemand spinnt hier.« Traykon zeigte sich selbstbewußt. »Niemand hat mir verboten, bestimmte Bereiche nicht zu betreten.« »Dir wurde von KALY ein klarer Auftrag zugewiesen.« Zur Untermalung seiner Worte jagte Top22C einen Energiestrahl vor Traykon in den Boden. Das Metall dampfte leicht, aber der großkopfige Roboter ließ sich davon nicht beeindrucken. »Stimmt«, antwortete er. »Und diesen Aufgabenbereich versuche ich in aller Konsequenz wahrzunehmen. Allerdings werde ich von dir und deinen Begleitern daran gehindert.« Top-22Cs Sensoren glühten auf, was für Traykon ein deutliches Zeichen war, daß die Logikelemente seines Gegenübers in Verwirrung geraten waren. »Erklärung!« bellte die Maschine. »Frage KALY! Ich soll Chirtoquan, Mimimi, Chossoph und Questror im Auge behalten. Das ist mein Auftrag. Nichts anderes habe ich getan.« »Das erklärt nicht, warum du dich hier herumtreibst!« Der Impulsstrahler Top-22Cs zuckte wieder höher. »Kannst du riechen?« fragte Traykon. Er bekam keine Antwort. »Du kannst es nicht! Ich merke es. Ich kann es aber. Ich kann jedes biologische Wesen riechen, denn früher mußte ich die Gerüche der Klimaanlage riechen. Und manchmal auch die von geschmierten mechanischen, sich bewegenden Maschinenteilen. Ich kann riechen, Top-22C. Und meine Programme sind dank der Hilfe von KALY wieder in Ordnung. Kapiert?« »Du sprichst eine primitive Sprache! Und unklar.« Das klang fast verlegen, positronisch unsicher. Aber gerade das wollte Traykon erreichen. »Ich dachte, du wüßtest es.« »Was? Was weiß ich?« Die Leuchtdioden Tops spielten verrückt. »Na, daß Mimimi verschwunden ist.« Traykon sagte das mit einem Tonfall, der Überraschung und Entrüstung mit sich trug. »Sie gehört zu den Gefangenen, die ich bewachen muß. Sie hat eine deutlich zu riechende Spur hinterlassen. Der bin ich gefolgt, um sie zu finden. Die Geruchsfährte ist unverkennbar. Sie geht von ihrer Zelle aus in die oberste Etage. Von dort läuft sie durch einen Quergang zu einem Lüftungsschacht des Klimasystems und dann zu einem Hangar. Dort zieht sie ein paar Schleifen und folgt dann dem Korridor, in dem wir jetzt stehen. Bei meiner Verfolgungsjagd wurden die Dufteindrücke immer frischer. Ich war mir sicher, diese rote Kugel zu schnappen, damit ich die Bewährung bestehe, die mir KALY angekündigt hat. Nun ist alles versaut! Durch dich, Top-22C! Ich werde im Konverter landen, weil du mir die Chance der Bewährung genommen hast.« »Ich spreche mit KALY«, antwortete der Stahlmann mit dem Namen Top-22C ungerührt. »KALY sagt, daß Mimimi in ihrer Zelle ist und daß du lügst. Du wirst von einer falschen Macht beherrscht. Ich werde dich zerstrahlen!« »Tu es!« Traykon hob beide Arme. »Bei uns kommt es ja auf einen Helfer oder Wächter nicht an.« »Bei uns?« »Ja! Schieß endlich, Top-22C! Und bevor du mich ausschaltest, möchte ich dir sagen, daß die Bezeichnung 27 Z, die ich für dich einmal benutzt habe, nur möglich war, weil meine Programmstrukturen lückenhaft geworden waren. KALY hat das behoben. Ihr sei Dank, auch in den Sekunden meines Daseinsendes.«
Der Stahlmann zögerte. Traykon pokerte hoch, aber er mußte es tun. Er nutzte alle positronischen Erfahrungen aus, die in ihm steckten. Und das waren die einer Schwiegermutter manamturuischer Herkunft, die einer umgestrickten Laborpositronik des Kauzes Hage Nockemann auf der SOL und die eines TraykonRoboters aus einer unbekannten Roboterküche des Erleuchteten. Er wollte Atlan finden, obwohl dieser nicht wissen durfte, daß in ihm eine Blödel-Komponente der früheren Zeiten verteufelt deutlich existierte. Eben dieses positronische Fragment stachelte alle anderen Komponenten des Roboters wieder an. Es hatte lange geschlummert, weil es der frühere Roboter in seiner Verzweiflung, in seinem positronischen Kollaps in der Namenlosen Zone, selbst so gewollt hatte. »Ich werde dir zeigen, daß du lügst!« Top-22C gab ein unhörbares Signal an seine Begleiter. Ein Fesselfeld hüllte Traykon ein. Es hob ihn hoch und beförderte seinen Körper in waagrechte Lage. »Durch dich habe ich Mimimis Spur verloren«, teilte Traykon unverdrossen mit. »KALY wird es mir danken. Dir, 22C oder 478J nicht!« Die Stahlmänner reagierten nicht auf die Worte. Sie schleppten Traykon in die vierte Etage des Zellentrakts und öffneten die Tür zu Mimimis und Chirtoquans Raum. Für Sekunden verharrten sie starr, als sie mit ihren robotischen Sensoren die Körper von Chirtoquan (was ja noch zu erwarten war) und Questror registrierten (was nun gar nicht zu erwarten war). Top-22C jagte seine Begleiter los. In allen Fluren des Zellentrakts flammten die Lichter auf. Die Ligriden und Daila, die hier ihr kümmerliches und vermeintlich angenehmes Dasein fristeten, schimpften lauthals wegen der Ruhestörungen. Die Mitte der Nachtzeit war längst überschritten. Traykon hing noch immer waagrecht in seinem Fesselfeld. Seine verborgenen Systeme rechneten, und sie kamen immer wieder zum gleichen Resultat. Es war richtig, was er tat und wie er sich verhielt. Sein Fluchtplan war logisch, wenn Goman-Largo, Neithadl-Off und Anima mitspielten. Chossoph hatte durch Fumsel bereits gezeigt, daß er auf seiner Seite war. Es interessierte Traykon in diesem Zusammenhang wenig, daß er sich mit Sachen und Personen belasten würde, die ihm auf der Suche nach Atlan vielleicht hinderlich waren. Irgendwie war seine positronische Grundstruktur so wie Atlan oder Hage Nockemann. Es galt immer, erst zu helfen, egal was es an Zeit und Einsatz und Risiko kostete. Wenn er aus einem solchen Grund einmal versagen und vergehen würde, hätten seine Programmstrukturen keinen Kollaps. Top-22Cs Stahlmänner kamen wenig später zurück. Was sie berichteten, ließ Traykons Programmstrukturen deutlich langsamer werden, denn es zeigte sich, daß seine vorbeugenden Maßnahmen ganz richtig gewesen waren. Sie hatten die Rote gefunden. Und die behauptete, daß Chossoph sie entführt und eingesperrt hatte. Sie hatten Chossoph gefunden - nicht in seiner Zelle! Und der behauptete, daß »eisige Krallen aus den Tiefen des Schreckens« ihn aus dem Schlaf gerissen und wegtransportiert hatten. Die Rote wußte nicht, wo sie wirklich gewesen war. Chossoph wußte es auch nicht. Aus Chirtoquan und Questror war nichts herauszupressen. Beide wußten von nichts. Als die Stahlmänner in Top-22Cs Begleitung die Rote etwas härter anfaßten, gab die Zarryrerin zu, daß es durchaus möglich sei, daß sie unbewußt durch die Station MANAM-PZAN gelaufen sei – auch hin zum Hangar und den Schleusen, an denen die Versorgungsschiffe anlegten. Mimimi brach
regelrecht zusammen, aber sie blieb bei ihrer Behauptung, daß alles nur auf Chossoph zurückzuführen sei. Top-22C zögerte noch eine Weile. Dann entließ er Traykon aus dem Fesselfeld. »Bewachungsroboter Traykon ist wieder fähig, seine Pflichten zu erfüllen!« tönte der Großkopfige. »Halt’s Positronenmaul!« kläffte Top-22C. »Alles in die Betten und Sandkisten! Die Zellentüren bleiben heute nacht geschlossen.« Als endlich Ruhe eingekehrt war, ging 22C allein seinem Verdacht nach. Er vermutete, daß die »Neuen« Goman-Largo, Anima und Neithadl-Off dieses Verwirrspiel inszeniert hatten. Aber er fand deren Zellen verschlossen und die Insassen friedlich schlafend. Er war einer falschen Vermutung aufgesessen. Damit stand aber auch fest, daß Traykon ohne Fehl und Tadel war. Er teilte das KALY mit, wie es sich für seinen Auftrag gehörte. Er fragte seine anderen Stahlmänner nicht ab, wer die Zellentüren verschlossen hatte, hinter denen die »Neuen« ruhten, denn es war logisch, daß irgendeiner von ihnen es gewesen war. In einer Zelle lag Chossoph auf seiner Liege. Questror schlief längst, und auch das war für den Gesandten Gurays ein Rätsel, denn er brauchte keinen Schlaf, wenn es um die Auftragserfüllung ging. Auf der Brust des bärtigen Nomadentypen hockte eine gescheckte Wildkatze. Chossoph streichelte ihren Hals so lieb, als wäre er das selbst. Und er war es selbst und doch wieder nicht. Sie waren alle - auch dieser widerliche Kleptomane Questror – aus dem Leib Gurays. Und dem würden sie ewig gehören, er, Fumsel, die anderen ganz wenigen Gesandten, die Guray noch nach dem zentralen Rückruf ausgeschickt hatte, und auch dieser Kleptomane! Hatte der überhaupt einen Sinn? Diese Ausgeburt der Unverständlichkeit Gurays? Chossoph wußte es nicht, aber er verzweifelte auch nicht daran. Er bedauerte lieber, daß er einem Lebewesen namens Atlan aus falscher Einschätzung auf Cairon im Tal der Götter einen unsichtbaren Dolch in den Körper gerannt hatte. Heute war er froh zu glauben, daß eben dieser Atlan noch lebte. Er mußte ein Freund Gurays sein! Sein Handeln bewies das. Und er, Chossoph, mißtrauisch, hatte etwas Falsches vermutet. Und das, obwohl ihm Fumsel das Gegenteil bewiesen hatte. Fumsel, ein Teil von ihm, Chossoph. An einem in der Nähe befindlichen Ort zimmerte sich eine Gemisch-Positronik aus Schwiegermutter, Blödel und Traykon-6 eine Überlegung zusammen. Diese Überlegung hatte nichts mit dem Erfolg zu tun, den der Roboter errungen hatte. Traykon war in seiner Weise durch den positronischen Anteil von der SOL ein Absonderung. Er »dachte« in anderen Bahnen. Er dachte auch an die Menschen von damals, an Bjo Breiskoll, Sternfeuer und Federspiel, an Breckcrown Hayes, Solania von Terra, Insider, die ungleichen und doch so gleichen BricksZwillinge, an Cara Doz, hinter der sich Chybrain verborgen hatte… … Chybrain, den er nie mehr sehen würde! Und dann entwickelten die positronischen Schaltsteine Traykons einen eigentlich menschlichen Gedanken: Top-22C, KALY, ich habe euch nach Strich und Faden gelinkt! Traykon sah den kommenden Ereignissen gelassen entgegen. Irgendwann würde er Atlan finden und ihm nicht sagen, daß in ihm eine SOL-Komponente steckte! Er hatte seinen guten Grund, das zu verschweigen.
Und Traykon erzeugte in seinen positronischen, mikroelementarischen Bausteinen einen weiteren Gedanken: Top-22C, du bist ein echter Blödel. KALY auch! Bei diesen positronischen Gedanken ging Traykon davon aus, daß Goman-Largo, Neithadl-Off, Anima, Chossoph, Questror und Chirtoquan mitspielten. (Aber hat eine Schwiegermutter-Traykon-6/Traykon-Blödel-Mixpositronik immer das richtige Gespür?)
8. Anima nahm alles gelassen hin. Ihre Gedanken waren nicht hier. Sie waren von Zweifeln und Fragen durchgeschüttelt. Sie sehnte sich nach Ruhe und Geborgenheit. Geborgenheit?! Das stand gleichbedeutend für ihren Ritter! Hingabe! Das stand gleichbedeutend für ihren Ritter! Sie wußte genau, daß sie seelisch angeschlagen war. Sie gab das auch sich selbst gegenüber zu – oder nicht ganz? Ihr Ritter! Atlan! ATLAN? Seele, Herz und Verstand kämpften miteinander. Das Resultat lautete ATLAN! Daran gab es nichts zu rütteln, nichts zu verändern. Sollte es einmal einer wagen, daran eine Frage zu knüpfen! ATLAN? Sie kamen sie holen. Höflich, aber bestimmt. Diese Stahlmänner. Roboter, wie sie Hartmann vom Silberstern locker, leicht, lässig erledigt hatte… HARTMANN VOM SILBERSTERN! Quatsch! Atlan war ihr Ritter. Die Hintergründe um die Schleicher von der schlechteren Seite der Materiequellen – so sah Anima das! – hatte sie nie verstanden. Aber sie hatte sie befolgt, die indirekten Weisungen, aus denen die tiefe Liebe zu Hartmann vom Silberstern gewachsen war. Oder war das die Liebe zu Atlan gewesen? Oder war Hartmann Atlan? Oder war Atlan Hartmann? Sie wußte es nicht. Sie war unsicher, verzweifelt, verwirrt. In ihr tobten sich Gefühle aus, die nur mit einer Aussage zu beschreiben waren: Seelisches Chaos. Niemand war da, als sie die Stahlmänner aus dem kleinen Raum zerrten und durch die Gänge zum nächsten Transmitter schleiften. Anima ließ sich hängen. Sie konnte gar nicht anders. »Es muß irgendwann wiederkommen«, murmelte sie benommen. »Das Gefühl, für etwas da zu sein. Ich lebe noch. Atlan… Nein!« Es war ein Schrei, tief aus dem Innern heraus. Die Stahlmänner der Hyptons ließen ihr Zeit. »ES GIBT NUR EINEN WAHREN RITTER!« Ihre emphatischen Worte brachten die Stahlmänner zum Schweigen. »Nicht du, Atlan«, setzte Anima ihren Monolog ruhig fort. Es schien, als habe sie eine ganz entscheidende Erkenntnis gewonnen. »Ich weiß, daß Hartmann vom Silberstern lebt. Ich sage nicht ›noch lebt‹. Er lebt nicht für immer, aber er lebt. Ich weiß, daß du gefangen bist, Hartmann, den ich liebe. Aber ich sorge mich um dich! Nur um dich!« Die Stahlmänner lenkten sie sanft, aber zwingend weiter. »Ich werde dich befreien, Hartmann, denn dein Herz ist mein Herz.« Anima hörte ihre Worte, aber sonst niemand. »Weißt du, Hartmann«, fuhr sie in ihrem Selbstgespräch fort, »was ich befürchtete? Du weißt es nicht. Ich bin nicht stark. Ich habe Angst, große Angst, Hartmann. Ich weiß, daß du lebst, Hartmann. Du hast meine Liebe nie bemerkt, und doch war sie so da wie zu Vergalos Zeiten.
Erinnerst du dich?« »Hier ist kein Vergalo!« schnauzte sie ein Stahlmann hart an. »Halt endlich dein Maul!« Anima kümmerte das nicht. »Weißt du, Hartmann«, begann sie noch einmal, »daß ich furchtbare Dinge gesehen habe? Du weißt es nicht, weil du nicht bei mir bist. Ich bin aber bei dir. Es existiert ein Parallel-Universum, Hartmann. Ich weiß nicht, wie es entstehen konnte, aber es ist da. Es existiert. Daß es da ist, ist nicht schlimm. Daß ich seine Existenz veranlaßt habe – und das weiß ich –, bereitet mir seelische Schmerzen. Kannst du mir nicht helfen, Hartmann?« »Es gibt hier keinen Hartmann«, erklärte einer der Stahlmänner etwas rauher. »Halt endlich deinen Mund, damit sich dein Gehirn darauf konzentrieren kann, etwas vom wahren Frieden zu erfahren.« »Ich muß daran beteiligt gewesen sein«, redete Anima unbeeindruckt weiter. Keiner hörte ihr zu. Eine ganz andere Umgebung wirkte auf sie ein. Wallende Vorhänge, weicher Teppichboden, undefinierbare Skulpturen, von wehenden Stoffen umrahmte Tore. Sie merkte gar nicht, daß nur noch einer der hyptonischen Stahlmänner sie begleitete. Sie trabte vor sich hin, versonnen, versponnen, ihren Gedanken nachhängend, die sowieso niemand verstehen würde. Der letzte Stahlmann gab ihr nur noch ein Zeichen, in welche Richtung sie gehen sollte. Bunte Tücher berührten ihren unscheinbaren Leib. Sie schritt voran. * »Willkommen?« Diesmal hatte der Born der Ruhe Zyzy zum Besänftiger gewählt, denn die Hypton-Traube befand sich in heller Aufregung. Was 22C KALY vermittelt hatte, weckte die Aufmerksamkeit des Borns. Entsprechend reagierte er auch. »Könntet ihr bitte unserem Gast ein freundliches Wort sagen?« fragte die Besänftigerin. »Gern.« Es gab diesmal nur zwei Teiltrauben und die Sanfte. Die beiden Trauben nannten sich Flah (was »Frost« bedeutete) und Ux-Flah-Ah (was »Furcht-vor-dem-Frost« wiedergab). Das Ziel des Gesprächs war diesmal ein ganz anderes. Der Gast ( = die Gefangene) hieß Anima. Ein weibliches Wesen, unscheinbar, weich, unbedeutend. Zyzy hatte zwar die Rolle des Besänftigers, aber das behagte ihr nicht. Lieber hätte sie wieder die Rolle des Störenfrieds gespielt. Sie lag ihr mehr. Aber der Born der Ruhe hatte es so bestimmt. »Wir heißen dich im Kreis der Ruhe herzlich willkommen, Anima«, erklärte Ux-Flah-Ah. »Du bist in Sicherheit. Niemand will dir etwas Böses. Wir mögen dir fremdartig erscheinen, aber gib bitte nichts auf unser Aussehen.« »Ihr seid hübsch«, sagte Anima. »Danke.« Nun nahm Flah den Gesprächsfaden auf. »Wir haben dich zu uns gebeten, weil wir uns für das entschuldigen wollen, was dir widerfahren ist.« Anima blickte überrascht auf. »Ihr seid nicht die Schuldigen«, kam es über ihre schmalen Lippen. »Kennt ihr Hartmann vom Silberstern?« Die beiden Trauben schwiegen.
Zyzy schaltete sich in das Gespräch. »Der Name besagt uns leider nichts. Aber wenn wir dir irgendwie helfen können, dann sag uns, was dich bedrückt.« »Ich kann mit niemand darüber sprechen«, wehrte das Mädchen matt ab. »Es ist zu kompliziert, zu verworren. Ich verstehe selbst alles nicht.« Statt einer Antwort schickten die beiden Trauben ihre beruhigenden Impulse aus. Sie ließen Anima Zeit. »Möchtest du dich setzen?« fragte die Besänftigerin. »Ja, gern.« Die Antwort war nur ein Murmeln. Ein Stahlmann betrat die Kühlhalle und setzte einen gepolsterten Sessel neben Anima ab. Dankbar nahm die ehemalige Orbiterin Platz. Die Hyptontrauben schwiegen. Sie hatten erkannt, daß sie diesem Wesen Zeit lassen mußten. In Zyzy brach das vorlaute Wesen wieder durch. Sie verließ ihre Hängestellung und glitt mit leisem Rauschen zu Boden. »Du siehst«, sagte sie nach der Landung vor Anima, »daß wir weder Hände haben, die Waffen tragen könnten, noch daß wir solche mit uns führen. Wir sind der Born der Ruhe. Wir wollen jedem Leben helfen, damit es seinen Frieden findet. Wenn du jetzt nicht sprechen möchtest und unser Angebot für unpassend hältst, so geben wir dir alle Zeit, die du brauchst. Und wenn du gar nicht mit uns sprechen willst, so werden wir auch das respektieren. Möchtest du jetzt gehen?« Anima starrte versonnen auf das Wesen, das sich in dieser Haltung sichtlich unwohl fühlte. »Flieg wieder an die Decke, kleiner Vogel.« Sie lächelte. »Ich werde nicht gehen. Ich werde mit euch reden.« Die übergroßen Augen Zyzys strahlten Verständnis aus. Wortlos schwang sich die Besänftigerin in die Höhe. Sie wählte einen Platz zwischen Flah und Ux-Flah-Ah. »Jemand, den ich nicht kenne«, begann Anima, »wahrscheinlich sind es mehrere, ich weiß es nicht…« Sie stockte und schüttelte den Kopf. Die Hyptons warteten geduldig. »Ich sollte helfen, unterstützen«, fuhr Anima langsam fort. Sie sprach stockend. »Nein, erst sollte ich es allein versuchen. Nein, auch das ist nicht richtig. Erst versuchte es Hartmann.« Sie machte wieder eine Pause. »Vergalo«, platzte sie dann heraus. »Kennt ihr Vergalo?« »Leider nicht«, entgegnete Zyzy sanft. »Es gibt Mächte jenseits unseres Daseins.« Animas Blick war starr und verträumt. »Man hat sie einmal Kosmokraten genannt. Ich weiß nicht, ob sie sich so nennen, denn dieser Name stammt doch wohl aus unserer Welt. Sie gaben mir den Auftrag, aber ich weiß nicht wie.« »Laß dir Zeit, Anima.« Die Impulse der Hyptons wurden schwächer, denn die beiden Trauben merkten, daß sie hier nicht nachzuhelfen brauchten. »Ich bin mir nicht sicher.« Anima wand sich innerlich. »Ich habe Hartmann vom Silberstern geliebt. Doch dann kam Vergalo, und dann kam ich, und dann kam Atlan, der den Erleuchteten stellen wollte.« Sie vernahm das plötzlich einsetzende, aufgeregte Gewisper in den beiden Trauben des Borns der Ruhe nicht. Die Hyptons bewegten sich erregt, aber selbst die klatschenden Geräusche ihrer Flügel drangen nicht bis in Animas Bewußtsein. »Ich weiß nicht«, fuhr Anima mehr in einem Selbstgespräch fort, »ob ich richtig gehandelt habe, als
ich Atlan half. Das war in Alkordoom, wo der Erleuchtete eine Machtposition aufgebaut hatte, aus der heraus er in aller Ruhe EVOLO bauen konnte.« Aus der Traube Ux-Flah-Ahs fielen bei der Erwähnung EVOLOS zwei Hyptons, die buchstäblich den Halt verloren hatten. Sie flatterten wild und fingen sich ab, bevor sie den Boden erreichten. Dann kehrten sie an ihre alten Plätze zurück. Anima bemerkte auch das nicht. Sie war ganz in sich gekehrt. »Ich weiß inzwischen«, murmelte sie, »daß Hartmann vom Silberstern noch lebt. Ich weiß nicht, warum ich es weiß, aber es ist so. Ich habe einen falschen Weg verfolgt, als ich Atlan half. Ich war ihm treu, aber wie kann man treu sein, wenn man in seinem Herzen einen anderen liebt? Das ist unmöglich. Meine Aufgabe ist anders, als es die Kosmokraten verlangt haben. Sie sind sowieso unnahbar und kalt. Sie agieren aus einer Unberührbarkeit heraus, die nichts mit dem wahren Leben und der wirklichen Liebe zu tun hat. Sie sind da, aber sie haben nicht das Recht, Hartmann oder Atlan oder mir etwas aufzuzwingen. Zwang ist gegen die Existenz des Universums. Zwang ist böse.« »Hier wirst du zu nichts gezwungen«, erklärte der Sprecher von Flah und nahm damit Zyzy die Worte aus dem Mund. »Hartmann lebt! Ich weiß es«, wiederholte Anima. »Und meine einzige Aufgabe ist, ihn zu befreien.« »Wenn du uns nähere Hinweise geben könntest, liebe Anima«, sagte Ux-Flah-Ah, »dann könnten wir dir vielleicht behilflich sein. Wo soll Hartmann vom Silberstern gefangen sein? Was hat das mit dem Erleuchteten zu tun, der aus Alkordoom kam und jetzt in Manam-Turu ist?« Sie bauten sehr geschickt Gedankenbrücken für die verwirrte Anima. Und die ging darauf ein. »Ich weiß nicht, wo mein Hartmann ist. Er hat mich zu dem gemacht, was ich war und bin.« Sie hob plötzlich ihren Kopf. »Ich bin älter als ihr alle zusammen!« Der Born der Ruhe schwieg. »Hartmann und ich haben gegen Vergalo gekämpft. Das war in einer fernen Vergangenheit, als ich die Orbiterin des Ritters war. Ich war stark. Hartmann vom Silberstern war stark. Aber Vergalo war auch stark. Er hat Hartmann besiegt, aber mich kann nichts besiegen.« Ihre weiche Stimme klang plötzlich trotzig. »Ich mußte meinen eigenen Weg gehen. Nach Alkordoom, wo mich Atlan aus den Klauen des Versagens gegen den Erleuchteten befreite. Ich hörte auf Atlan. Ich half ihm, aber der Erleuchtete erwies sich als stärker. Er entwich.« »Gestattest du eine Frage?« meldete sich Zyzy zu Wort. »Ich verstehe einen vielleicht entscheidenden Punkt nicht.« Anima winkte zustimmend mit einer Hand. »Welche Bedeutung hat der Erleuchtete?« »Der Erleuchtete«, antwortete Anima bereitwillig, »ist eine Gefahr. Selbst die Mächte aus dem Jenseits befürchten, daß der Erleuchtete mit EVOLO etwas erschafft, was die Polarisierung des Kosmos aus dem notwendigen Gleichgewicht bringen könnte und damit ihre unverständliche Existenz angreifen könnte. Ich habe die Auswirkungen gesehen. Mir graut vor der Zukunft. Ich habe panische Angst. Ich bin in diese Entwicklung verstrickt. Ich bin auch eine Ursache, wie der Erleuchtete, das Juwel von Alkordoom. Ich bin schuldig, denn ich habe versagt. Der Weg zurück zur Wahrhaftigkeit ist nicht nur zu schwer. Er ist nicht mehr gangbar.«
Anima schwieg, und der Born der Ruhe tat dies auch. Selbst die hitzige Zyzy brachte kein Wort heraus. »Ich kenne die Bilder aus einer anderen Existenzebene«, fuhr Anima fort. »Sie sind grauenhaft, voller Frevel und Gewalt. Irgendwo oder irgendwie muß diese Daseinsebene real sein, in der grauenhafte Diktatoren das wahre Leben unterdrücken und die Freiheit des Seins, des Körpers, der Gedanken und des Handelns mit ihren abartigen Sehnsüchten geißeln. Die Zeichen dieser Existenzebene sind schon hier in Manam-Turu. Ich habe das Pre-Lo erlebt, ohne es zu erkennen. Der Erleuchtete hatte es geschickt, um mich zu vernichten. Dabei müßte er wissen, daß man mich nicht vernichten kann.« »Wie bitte?« fragte Flah. »Daß man mich nicht vernichten kann.« Anima wirkte irritiert. »Er hat versucht, mich durch das Pre-Lo in eine unwirkliche oder doch vielleicht wirkliche Existenzebene zu verbannen, denn er weiß, daß man mich nicht töten, ausschalten oder vernichten kann. Sein Plan ist gescheitert, aber das war nicht mein Verdienst allein.« Die Hyptons schwiegen, und sie gaben auch keine Psi-Impulse mehr ab. Sie begriffen aber allmählich, daß in diesem unscheinbar wirkenden Wesen mehr steckte, als man durch den Anblick vermuten konnte. Vergessen war für den Born der Ruhe die Besorgnis um die jüngsten Ereignisse in MANAM-PZAN. Hier bahnten sich Erkenntnisse an, die alle bisherigen Überlegungen in einem ganz anderen Licht sehen ließen. »Das Pre-Lo«, führ Anima fort, »wurde entschärft. Es existiert für mich nicht mehr. Mein irrtümliches Idol Atlan hat wohl auch überlebt. Der Erleuchtete existiert. Manam-Turu existiert. Aber wie lange noch? Das frage ich euch, ihr Fremden, denen ich mein ganzes Herz ausschütte. Ihr könnt die Bilder der anderen Existenzebene nicht kennen, aber ihr sollt wissen, daß so unsere Zukunft aussehen wird. Weil ich mich sehr schuldig gemacht habe. Ich habe Liebe zu Hartmann entwickelt, was ganz normal war. Dann aber habe ich in Atlan Hartmann gesehen. Das war mein Frevel, der zum Chaos in der Zukunft führt. Ich habe Angst!« »Du brauchst dich nicht zu fürchten«, erklärte Ux-Flah-Ah sanft. »Wir sind bei dir. Wir sind nicht viel, aber wir beschützen dich. Sei unser Freund auf dem Weg zum Frieden.« »Hier ist Ruhe«, sagte Anima befreit, denn sie hatte sich alles von der Seele gesprochen, was sie bedrückte. Daß sie nicht das vollkommene Verständnis finden würde, hatte sie in Betracht gezogen. Aber das, was ihr der Born der Ruhe gegeben hatte, hatte ihre bescheidenen Erwartungen übertroffen. »Bitte bleib bei uns«, bat Zyzy stellvertretend für den Born der Ruhe. »Wir werden dir helfen, so gut, wie wir es können. Das versprechen wir dir.« »Danke, meine Freunde!« Anima erhob sich. Zyzy glitt zu ihr hinab und legte eine Schwinge um ihren Körper. »Ich bringe dich zurück in deine Unterkunft«, bot sie sich an. »Und wenn es dir an irgend etwas fehlt, laß es uns wissen. Wir sind da. Für dich, Anima.« Sie lächelte und nickte.
9. Der Born der Ruhe flatterte lange Zeit wirr durch die Kühlhalle. Jeder einzelne Hypton drückte seine Empfindungen jedem anderen aus, die er nach der Begegnung mit Anima gewonnen hatte. Die Meinungen überschlugen sich, denn alle Auswertungen des Gehörten überstiegen das Maß der Erwartungen und des Erhofften. Der Born begriff in allen seinen Einzelwesen, daß ihm hier ein Fang gelungen war, der zwar zufällig war, aber dennoch ganz neue Perspektiven eröffnete. »Sammelt euch!« schrillte Zyzy. »Kommt zur Vernunft! Redet geregelt, wie wir es gewohnt sind. Auch die alten Quellenplaner können ruhig einen Rat eines jungen Mitglieds befolgen.« Der Born der Ruhe formierte sich zu einer Traube, die sich aber sofort wieder teilte. Schließlich hingen fünf kleine Trauben an der Decke der Kühlhalle. Zyzy hatte sich in eine Traube eingereiht, denn sie war es leid, die Rolle der einzelnen zu spielen. Es gab diesmal weder einen männlichen Störfaktor, noch eine weibliche Besänftigerin. Da waren fünf Trauben, und das genügte. Es wurden nicht einmal Namen vergeben. Das Ritual der Quellenplaner wurde über den Haufen geworfen, denn die neuen Erkenntnisse übertrafen die Regeln der Diskussion. »Sie ist klein und unscheinbar, harmlos und verwirrt. Sie sagt die Wahrheit.« Das sagte eine Traube. »Sie ist voller Angst vor einer Zukunft, in die sie Einblick gehabt hat.« Das sagte die zweite Traube. »Sie hat Angst. Aber sie erzeugt auch Angst. Sie strahlt etwas aus, was kaum faßbar und verständlich ist. Es ist nicht ihre Angst. Es ist ihre Stärke. Sie ist stärker, als sie auf den ersten Blick und nach dem ersten Eindruck wirkt. Sie ist phänomenal.« Das sagte die dritte Traube. »Sie kennt den Erleuchteten. Sie ist ihm begegnet. Sie hat Angst vor der Zukunft und vor sich. Aber sie empfindet Sicherheit und Kraft gegenüber dem Erleuchteten, mit dem wir in losem Kontakt sind.« Das sagte die vierte Traube. »Ihr wißt es längst.« Zyzy war Sprecher (nicht Sprecherin, denn nun empfand sie wieder maskulin) der fünften Traube. »Ihr sprecht es nur nicht klar aus. Ich tu es!« Die anderen Hyptons schwiegen. Sie hatten die unverständliche Kraft, die in Anima schlummerte, begriffen. Sie hatten verstanden, daß man sich nicht von einem äußerlichen Eindruck fehlleiten lassen durfte. »Es ist so«, erklärte Zyzy für den Born der Ruhe. »Anima ist die Macht der Seele. Anima ist in unserer Macht. Anima ist unser Pfand. Und…« »Und?« klang es vierfach zurück. »Anima ist der Grund für die Flucht des Erleuchteten aus Alkordoom!« Und die vier anderen Teile des Borns der Ruhe wiederholten: »Anima ist die Macht der Seele. Anima ist der Grund für die Flucht des Erleuchteten.« Die Traube, die zuerst gesprochen hatte, fügte allein hinzu: »Damit ist auch klar, was wir tun werden, um unsere Ziele zu verwirklichen. Wir werden Anima alles versprechen, was sie will. Und wir werden auch diese Versprechen halten, wenn sie in unsere Pläne passen. Wir werden sie aber festhalten und sie nie wissen lassen, daß sie unser Trumpf gegenüber dem Erleuchteten ist. Mit ihr können wir von diesem verlangen, was wir wollen, denn er fürchtet sie. Und wenn es an der Zeit ist, werden wir die Waffe Anima einsetzen, auch wenn sie dabei untergehen sollte. Was wir brauchen, ist letztlich nicht Anima und auch nicht der
Erleuchtete.« »Ja!« erklang es aus den Mündern der anderen vier Traubensprecher, denn alle Hyptons spürten, daß die innere Harmonie wieder in ihnen lebte. »Wir brauchen nur eins.« Zyzy schwang sich aus ihrer Traube und glitt mit weichem Flügelschlag durch die Halle. »Wir brauchen EVOLO! EVOLO ist der Schlüssel zur Macht!« * Zwei Tage später trafen sich die Gefangenen erstmals untereinander. Traykon, den sie längst als umfunktionierten Wächter betrachteten, und zwei Stahlmänner beobachteten sie aus sicherer Entfernung. Neithadl-Off kümmerte sich in erster Linie um Anima, aber die war sehr schweigsam. Mehr als eine belanglose Zustimmung war von ihr nicht zu hören. Allerdings war die Schwermut von ihr gewichen. Sie wirkte ruhig und gelassen, ja fast beschwingt. Die Vigpanderin fragte sie nach dem Grund für diesen Stimmungsumschwung, aber Animas Antwort war nur ein nichtssagendes Lächeln. Goman-Largo drückte Chossoph sanft in eine Ecke. »Ich weiß«, zischte der Modulmann, »daß du zu denen gehörst, die sich von den Hyptons nicht einlullen lassen. Die Roboter beobachten dich und diesen schleimigen Questror stets genauer als alle anderen. Neithadl-Off und ich mimen die braven Gefühlsabhängigen, aber wir sind es nicht. Ich schmiede Fluchtpläne, aber ich suche noch ein paar Helfer. Dabei dachte ich an dich.« Der Gesandte blickte starr und unergründlich in die Augen des Tigganois. »Ich weiß nicht«, erklärte er kühl, »wovon du sprichst. Ich weiß aber, daß hier so ziemlich jeder jeden anderen verraten würde, wenn er dadurch einen Vorteil erzielen würde.« »Ich verstehe das«, beeilte sich Goman-Largo mit der Antwort, denn er hörte die Schritte eines Stahlmanns. »Du kannst es dir in Ruhe überlegen, Chossoph.« Der Stahlmann ging vorbei, ohne sich um die beiden zu kümmern. »Der da hinten«, Chossoph deutete auf Traykon. »Was ist mit ihm?« »Ich bin mir da nicht sicher«, gab der Modulmann offen zu. »Wahrscheinlich haben diese Burschen ihn umprogrammiert.« Als ob der Roboter mit dem großen Kopf gehört hätte, daß von ihm die Rede war, kam er näher. Er blieb kurz bei den beiden Männern stehen. »Seid vorsichtig!« sagte er kaum hörbar. »Wenn ihr euch unbeobachtet unterhalten wollt, stellt euch ins Treppenhaus. Dort gibt es keine funktionierenden Abhörsysteme mehr. Aber macht es kurz, und laßt euch zwischendurch wieder hier blicken. Klar?« Chossoph nickte unmerklich. »Du vertraust ihm und mir nicht?« staunte Goman-Largo. Der Bärtige wandte sich wortlos ab und ging. Der Tigganoi verstand. Chossoph wollte kein Risiko eingehen. Er begab sich zu Neithadl-Off, die sich trotz Animas Unbeschwertheit Sorgen um sie machte. Als sie das offen aussprach, schüttelte das Mädchen den Kopf. »Ihr könnt euch nicht vorstellen«, erklärte sie ganz abgeklärt, »was in mir vorgeht. Ihr wißt nichts
über mich. Aber ihr könnt mir vertrauen. Mir geht es gut. Ich habe meine Sorgen verringern können.« Neithadl-Off und Goman-Largo verständigten sich mit stummen Blicken. Beide dachten an die Versuche der Hyptons, sie parapsychologisch zu besänftigen. Entweder hatten sie mit dieser Methode bei Anima Erfolg gehabt, oder es war etwas ganz anderes geschehen. »Ich drehe allein eine Runde.« Der Modulmann winkte seiner Partnerin zu, aber diese schien nicht sehr glücklich darüber zu sein, daß sie jetzt allein gelassen wurde. Erwartungsgemäß traf Goman-Largo den bärtigen Chossoph im Treppenhaus zwischen den Etagen. »Wenn der Roboter Traykon dir vertraut«, unterstrich der Gesandte Gurays sofort, »dann vertraue ich auch dir. Ich will auch hier raus, aber ich sehe nur geringe Chancen. Traykon hat mich aber bereits wissen lassen, daß er einen Weg gefunden hat. Und er will auch dich und deine Begleiter mitnehmen.« Nun war die Überraschung auf der Seite des Tigganois. Traykon war also auf ihrer Seite. Es mußte ihm gelungen sein, die Hyptons und ihre Stahlmänner zu täuschen. Sie hörten Schritte und setzten ihren Weg schweigend fort. Aber es war der großkopfige Roboter. »Mit Beginn der Nachtruhe in Zelle 8«, zischte Traykon. »Fünfte Etage. Ich habe dort alle Überwachungssysteme abgeschaltet.« Er wartete keine Reaktion ab. Goman-Largo brannten tausend Fragen auf den Lippen, denn er spürte förmlich, daß Chossoph mehr war und mehr wußte, als er vorgab. Als er bei Neithadl-Off eintraf, war Anima verschwunden. Die Vigpanderin diskutierte mit der roten Mimimi, und das bedeutete für den Modulmann, daß er vorsichtig sein mußte. Dem Kugelwesen traute er schon seit den ersten beiden Begegnungen nicht über den Weg. »Es geht mir schlecht«, jammerte die Zarryrerin. »Seit in dieser Nacht etwas mit mir geschehen ist, mißtrauen mir die Stahlmänner. Sie glauben einfach nicht, daß es Chossoph war.« »Er war in einer Zelle eingesperrt«, entgegnete Goman-Largo. »Das habe ich erfahren. Uns erging es ähnlich. Also kann er es nicht gewesen sein.« »Vielleicht«, klagte die Rote weiter. »Jedenfalls habe ich von MANAM-PZAN für immer genug. Ich will weg. Aber das darf man ja nicht einmal laut denken, ohne sich verdächtig zu machen.« »Ich fühle mich hier sehr wohl.« Der Tigganoi warf seinen Kopf in den Nacken, um diese Worte überzeugend zu unterstreichen. »Stimmt genau«, hakte Neithadl-Off ein. »Wenn ich da an die Gefahren denke, die draußen im All lauern! Ach, Mimimi, du Kleine. Mir fällt da eine Geschichte ein, die ich dir unbedingt erzählen muß.« Die Zarryrerin zögerte. Goman-Largo und seine Partnerin verständigten sich wieder mit den Augen. Die unruhigen Blicke des Modulmanns verschwanden für Sekunden, und der Kopf mit der Falkennase beugte sich kurz nach unten. Neithadl-Off schnappte sich Mimimi und setzte sie auf ihren Rücken. »So kann man sich besser unterhalten«, pfiff sie und trabte los. »Also, meine kleine Freundin. Das war so. Ich war mit der GARNIX im Sternhaufen der Klappernden Äonen unterwegs, als wir auf das unsichtbare Hindernis stießen. Die GARNIX verwandelte sich in Sekunden zu Schrott. Wenn mich der eine Klapperarm nicht in seinen Seelenkörper gehüllt hätte, wäre ich vergangen. Dann kam aber das Schlimmste, die Singenden Regen Route-Raute…« Goman-Largo hörte nicht mehr zu, zumal Neithadl-Off sich immer weiter entfernte. Er bewegte sich zwischen den herumstehenden Gefangenen, die ihn mißtrauisch als »Neuen« beäugten,
hindurch. Er konnte diesen Wesen nichts abgewinnen, denn ihnen war deutlich anzusehen, daß sie sich gegenseitig die Lehren der Hyptons predigten und ihre eigene Abhängigkeit nicht mehr sehen konnten. Um wegen seiner ablehnenden Haltung nicht aufzufallen, sprach er unwillkürlich einen alten Mann an. »Ein neuer Frieden kann Manam-Turu nicht schaden«, eröffnete er das Gespräch. Dann erst bemerkte er den wachen Blick des anderen. Sofort sprachen seine Sinne an. Der Alte machte ein Zeichen mit seinen knochigen Fingern, das der Modulmann nicht interpretieren konnte. »Ein neuer Frieden«, hüstelte er dann, »kann aber sehr schädlich sein, wenn der alte Frieden eine Wahrheit war und noch ist.« »Wer bist du? Wie heißt du?« Goman-Largo tat, als ob er nichts verstanden hätte. »Mein Name ist Chirtoquan. Und du bist Goman-Largo, ein Neuer. Alles weitere wirst du heute mit Einbruch der Nachtzeit in Zelle 8, fünfte Etage, erfahren.« Dem Tigganoi verschlug es erst einmal die Sprache. Er stand noch eine Weile da, als der alte Priester von Cairon längst verschwunden war. Aber er begriff. Traykons Befreiungsaktion umfaßte offensichtlich noch weitere Gefangene. Das war zwar verständlich, aber es gefiel dem Modulmann weniger. Er sah in erster Linie seine Ziele. Und je mehr an dem Fluchtversuch beteiligt waren, desto riskanter wurde dieses Unternehmen. Dann war da noch etwas, was ihm nicht behagte. Er stand irgendwie abseits in dieser Sache. Er hatte die ganze Aktion nicht im Griff. Ein Roboter, der sich durch sein eigenartiges Gehabe verdächtig machte, führte Regie. Nachdenklich machte er sich auf die Suche nach Neithadl-Off. Und insgeheim bereitete er ein Modul vor, das er bei der nächsten passenden Gelegenheit diesem Traykon in seinen Robotkörper jagen würde.
10. Er hatte die Vigpanderin vorgeschickt, als die Lichter erloschen waren. Neithadl-Off stellte keine Fragen, denn sie hatte längst verstanden, daß man in der Station nur an ganz bestimmten Orten ungestört sprechen durfte und daß Goman-Largo diese besser kannte als sie. Der Modulmann war mißtrauisch. Etwas stimmte hier nicht, aber er konnte nicht sagen, was es war. Für ihn zählte nur, daß er sein Ziel schnell erreichen wollte, nämlich die Hypton-Station zu verlassen. Was mit den anderen Gefangenen geschehen würde, war unbedeutend. Er folgte Neithadl-Off in größerem Abstand und beobachtete, wer sich alles nach und nach in der von Traykon bezeichneten Zelle in der fünften Etage einfand. Chossoph und Chirtoquan kannte er hinreichend, aber das auch dieser Questror zum Kreis der Flüchtlinge gehörte, ließ seine rotbraunen Fuchshaare in die Höhe stehen. Schließlich kam Traykon selbst. Der Roboter huschte geräuschlos durch das Dämmerlicht, das vom Ende des Ganges aus dem Antigravschacht herüberschimmerte. Er bemerkte ihn nicht und verschwand ebenfalls in der Zelle. Goman-Largo wartete weiter mit der Geduld eines Mannes, der die meiste Zeit seines Lebens in Gefangenschaft gewesen war. Es kam niemand mehr, und es war still ringsum. Auch aus der Zelle, in der sich Chossoph, Questror, Chirtoquan, Neithadl-Off und Traykon versammelt hatten, war nichts zu hören. Dafür hörte der Modulmann plötzlich ein leises Fauchen. Wenige Meter von ihm entfernt schlich sich ein kleines Tier heran. Fast instinktiv bereitete er das Modul, daß er Traykon zugedacht hatte, vor. »Laß den Unsinn!« fauchte die Katze. »Und komme endlich herein. Wir haben nicht endlos viel Zeit.« Die gescheckte Katze huschte in Richtung der Zellentür davon, und Goman-Largo schien es, als würde sie sich in der Dunkelheit zu nichts auflösen. Er verstand nicht, was das wirklich bedeutete, aber er folgte dieser Aufforderung. »Du kommst reichlich spät«, warf ihm Traykon vor. »In zwei Stunden startet der Plan ›HyptonSchnippchen‹. Und wer nicht kommt zur rechten Zeit, hier in dieser Hölle bleibt!« »Wo ist Anima?« fragte der Tigganoi. »Ich gehe davon aus, daß sie uns ebenfalls begleitet.« Er konnte selbst nicht sagen, warum er gerade mit dieser Frage herausplatzte, denn jedes weitere Mitglied, das die Gruppe vergrößern würde, widersprach seinen Vorstellungen. »Das ist tatsächlich ein Problem«, antwortete Neithadl-Off. »Ich habe mit ihr gesprochen, aber sie reagierte merkwürdig. Wenn wir hier fertig sind, gehe ich noch einmal zu ihr.« »Du scheinst nicht viel über Manam-Turu zu wissen, Goman-Largo.« Chossoph ergriff das Wort. »Ich rede nicht gern, und über einige Themen absolut nicht. Questror habe ich eingeweiht, und wenn er das Maul öffnet, zwinge ich ihn zur Selbstzerstör… lassen wir das. Ihr seid fremd hier, du und Goman-Largo.« Er blickte Neithadl-Off an. »Traykon verfolgt nur ein Ziel. Er sucht Atlan. Ich kenne Atlan. Ich bin ihm begegnet. Zweimal. Die Hyptons dürfen das nie erfahren. Keiner darf wissen, wer ich bin.« »Du bist ein Gesandter Gurays«, erklärte Traykon ungerührt. Chossophs Augen funkelten wild. »Du darfst diesen Namen nicht einmal in deinen Blechmund nehmen! Aber lassen wir auch das. Goman-Largo und Neithadl-Off sollen wissen, was sich hier in Manam-Turu ereignet.«
»Ich höre«, sagte der Tigganoi. Chossoph berichtete. Von den Daila, den verbannten Daila, den Ligriden, den Piraten (wobei er nichts über Guray aussagte!), dem Erleuchteten, Atlan, Cairon, den dortigen Priestern, psibegabten Wesen, die einen Weg gefunden hatten, sich der Beeinflussung durch die »Götter« (die Hyptons!) zu entziehen. Vom Erleuchteten, vom Pre-Lo, von EVOLO, über den auch Chossoph nicht mehr wußte, als die anderen gehört hatten. Questror unterstützte Chossophs Worte mit heftigem Kopfnicken, aber er schwieg während der ganzen Zeit. »Ich weiß nicht«, schloß der Gesandte Gurays, »welche Rolle ihr und insbesondere Anima spielt. Gerade bei der empfinde ich eine tiefe Scheu, die ich mir nicht erklären kann.« »Was ist mit diesem Hampelmann?« Goman-Largo deutete auf Questror. »Und was war das für ein Vieh, das mir draußen begegnet ist?« »Questror ist wie ich«, antwortete Chossoph, ohne damit direkt zu erwähnen, wie unterschiedlich die Gesandten Gurays sein könnten. »Und Fumsel gehört zu mir. Nun soll aber Traykon erklären, wie die Flucht aus MANAM-PZAN gelingen soll.« »Es kommt in dieser Nacht ein Raumschiff der Hyptons«, berichtete der großkopfige Roboter. »Es bringt Güter und nimmt andere auf. Und außerdem einen Teil der Hyptons, der Quellenplaner. Das Ziel ist Cairon, die Heimat Chirtoquans. Auch Chossoph war schon auf Cairon. Und Atlan. Cairon stellt für die Quellenplaner etwas Augenfälliges dar. Sie kümmern sich persönlich darum.« »Ausgezeichnet«, sagte Goman-Largo sarkastisch. »Dann werden wir die Hyptons bitten, uns ein paar Freifahrkarten nach Cairon auszustellen, damit wir MANAM-PZAN verlassen können.« »Ich gebe dir ausnahmsweise einmal eine vernünftige Antwort, du ewig mißtrauischer Zeitbastler.« Traykon deutete auf Questror und Chossoph. »Ohne die beiden kämen wir hier nicht weg. Questror muß dem Stahlmann Top-22C, der den Kode für einen Vorratsraum, der in Zelle 3 der sechsten Etage eingerichtet worden ist, unbemerkt klauen. Dann haben wir noch eine Stunde Zeit, um uns in die Container zu bugsieren. Dann werden wir verladen. Und damit werden die Hyptons verladen, aber in einem anderen Sinn. Ihre Stahlmänner werden uns an Bord des Raumers bringen. Das ist die Freifahrkarte, Goman-Largo. Ich habe meine Zeit hier genutzt. Vielleicht treffen wir uns einmal wieder. Dann bist du vielleicht etwas weniger mit Vorurteilen gegenüber einem blöden Roboter belastet.« »Das heißt«, folgerte der Modulmann, »du kommst nicht mit?« »Ich komme mit«, erklärte Traykon. »Aber nicht nach Cairon. Ich muß meinen Weg gehen, und der führt direkt zu Atlan. Du und Neithadl-Off, ihr habt jetzt noch eine halbe Stunde Zeit, Anima zur Flucht zu überreden. Ich sehe da finstere Wolken am Horizont. Ich gehe in jedem Fall. Auch wenn sie nicht mitkommt.« »Ich gehe zu ihr.« Neithadl-Off verließ die Zelle. »Ich bringe das in Ordnung.« »Ich komme auch mit.« Goman-Largo hatte sich etwas entkrampft. »Und mir ist es egal, wer mitkommt.« »Damit ist alles klar.« Traykon zog Questror hoch. »Es ist an der Zeit für deinen Einsatz, Kleptomane. Jetzt beweise, daß dich Guray nicht umsonst ausgeschickt hat.« »Ich kenne keinen Guray«, stammelte Questror und blickte Chossoph hilfesuchend an. »Das stimmt«, unterstrich der. »Aber trotzdem gehst du jetzt!« »Das kann doch nie funktionieren«, dachte der Modulmann laut.
* Neithadl-Off ließ auf sich warten. Questror und Traykon waren längst mit dem Schlüsselkode zurück, den der Kleptomane Top-22C unbemerkt auf einem vorprogrammierten Kontrollgang abgenommen hatte. Wie Traykon dafür gesorgt hatte, daß der Aufseher der Stahlmänner in diesem Sektor von MANAM-PZAN den Diebstahl auch später nicht bemerkte, behielt er für sich. »Wir müssen in wenigen Minuten aufbrechen«, drängte der Roboter. »Sonst gerät der ganze Zeitplan durcheinander.« »Ich sehe nach.« Goman-Largo erhob sich. In diesem Augenblick sprang Fumsel durch die angelehnte Tür der Zelle und stieß ein heiseres Fauchen aus. »Gefahr!« Chossoph sprang auf, während sich die Wildkatze auflöste. Traykon zuckte herum, und Goman-Largo nahm eine lauernde Haltung ein. Der Roboter stieß die Zellentür ganz auf. Draußen stand Neithadl-Off. »Panik?« fragte die Vigpanderin. Sie trat ein und blickte Goman-Largo an. »Anima wird euch nicht begleiten. Ich habe das Gefühl, daß sie zu sehr in die Gedanken der Hyptons verstrickt ist. Sie ist sogar glücklich. Aber in ihrem Glücksgefühl ist sie für die Wahrheit nicht mehr ansprechbar. Ich habe alles versucht. Sie bleibt auch.« »Auch?« fragte der Modulmann. »Ja, auch. Ich lasse sie, nicht allein«, erklärte die Vigpanderin ganz entschieden. »Und diesmal verzichte ich auf eine gemachte Wahrheit, Goman-Largo. Sie ist etwas Bedeutendes. Ich darf und kann sie nicht allein lassen. Ich verstehe zwar noch nicht die tieferen Zusammenhänge, aber ich fühle, daß sie Hilfe braucht. Wir werden uns vielleicht irgendwann treffen, Modulmann. Ja?« Chossoph, Questror und Chirtoquan folgten dem Dialog schweigend. Nur Traykon bewies durch seine Gesten, daß er auf Eile drängte. Goman-Largo hatte es geahnt, daß Anima ihnen nicht folgen würde. Aber er hatte sich nie wirklich mit diesem Gedanken auseinandergesetzt. Das rächte sich jetzt, denn er fühlte sich völlig überrumpelt. »Da muß noch eine Gefahr sein«, unterbrach Chossoph seine rasenden Gedanken. »Fumsel hätte wegen Neithadl-Off nicht so heftig reagiert. Vielleicht ist Anima auf dem Weg zu den Hyptons, um uns zu verraten.« »Das ist sie nicht«, besänftigte ihn Neithadl-Off. »Sie hat gar nicht verstanden, worum es geht. Sie ist für Traykons Hypton-Schnippchen überhaupt nicht ansprechbar. Sie träumt, weil sie damit ihre Ängste abbaut oder verdrängt.« Die Parazeit-Historikerin wandte sich an Traykon. »Kannst du deinen Plan so modifizieren«, fragte sie, »daß Anima und ich euch nicht begleiten?« »Ja, schon.« Der Roboter war sichtlich mit positronischen Problemen beschäftigt. »Wir würden sogar die verlorene Zeit zurückgewinnen. Aber mein Plasma rebelliert, denn so geht es doch nicht…« »Es geht noch ganz anders.« Goman Largo hatte nach kurzem, aber intensivem inneren Ringen einen Entschluß gefaßt. Er stand breitbeinig vor Neithadl-Off und arbeitete daran, das Modul, das er Traykon zugedacht hatte, wieder abzubauen. Er würde es nicht brauchen. Der Großkopf war schon in Ordnung.
Sollte er seinen Atlan finden. »Anders?« fragte die Vigpanderin. In diesem Augenblick flog die Tür der Zelle auf. Mimimi, die Rote von Zarryr, stieß einen Jubelschrei aus. Und die beiden Stahlmänner dicht hinter ihr rissen ihre Waffen hoch. Goman-Largos Modul war schneller. Fast hätte er das winzige Objekt desaktiviert gehabt, denn Traykon hatte ihn überzeugt. Traykon? Ja, er! Aber auch Neithadl-Off! Und jetzt stand alles auf des Messers Schneide. Das Modul jagte in Mimimis Kugelleib und blähte diesen in Sekundenbruchteilen zur achtfachen Größe auf. Die Stahlmänner sahen nichts mehr, denn der rote Ball mit den nun winzigen grünen Füßen füllte den ganzen Eingang aus. Mimimi verstummte erst und dann implodierte sie. Sie riß die Metallkörper der beiden Stahlmänner mit in sich hinein. Es schmatzte heftig, und es roch zur Sekunden bestialisch nach versengtem Material. »Los, Traykon.« Der Modulmann versetzte dem Roboter einen Tritt. »Schnapp dir diese Jungs und verschwinde! Noch habt ihr eine Chance. Ich bleibe sowieso hier, denn Anima braucht nicht nur diese Lügentante. Sie braucht auch mich. Ich weiß, daß ich meine Grundsätze über den Haufen werfe, aber vielleicht habe ich etwas von eurer komischen Ethik gelernt.« Neithadl-Off schlang ihre vorderen Extremitäten um seinen Körper und pfiff eine Melodie. »Laß die Hyptons oder ihre Stahlaffen ruhig kommen, Goman!« Sie lachte befreit, weil sie nun wußte, daß er bei ihr bleiben würde. »Ich habe schon eine Geschichte auf Lager, die länger dauert als ein Flug nach Cairon.« Traykon schob Questror und Chirtoquan hinaus auf den Gang. Chossoph bewegte sich auch ohne Aufforderung. Sie rannten über die glühenden Reste der Stahlmänner und Mimimis hinweg und verschwanden in der Dunkelheit. »Es gibt für uns etwas zu tun, zeitloses Mädchen«, sagte Goman-Largo. »Ich bin erst froh, wenn ich diese Bande in Sicherheit weiß.« »Und ich erst, wenn Anima diesem Zwang entflohen ist.« * Traykon packte den Priester und die beiden Gesandten Gurays in einen Container, der zur Abholung bereitstand. Auf Chossophs Fragen, was er selbst beabsichtige, gab der Roboter keine Antwort. Er hantierte geschickt mit den positronischen Verschlüssen und gab den drei Flüchtlingen letzte Hinweise, wie sie nach der Landung auf Cairon unbemerkt ihr Versteck verlassen konnten. Dann kehrte Ruhe ein. Traykon verließ sich auf den Modulmann und seine biologisch seltsame Begleiterin. Sie würden die Hyptons, die ja ohnehin nie direkt erschienen, hinhalten, denn die Stahlmänner waren mit der Beladung des Transporters ausreichend beschäftigt. Er hatte alles so sorgfältig studiert, daß er auch die Änderungen, die sich durch Animas Verzicht und die Fluchtverweigerungen Neithadl-Offs und Goman-Largos ergeben hatten, berücksichtigen konnte.
»MANAM-PZAN ade!« sagte er laut, denn er wußte, daß ihn niemand hören konnte. KALY hatte nie bemerkt, welche empfindlichen Sensoren er in seinem Leib trug. Und wie diese alle Informationen, auch die des stationsinternen Steuer- und Kontrollfunks zwischen der KALYPositronik und den Stahlmännern, folgerichtig auswerten konnten. Traykon-Blödel-Schwiegermutter wartete aus einem Versteck heraus ab, bis der Container mit den beiden Gesandten Gurays und dem alten Bathrer abgeholt wurde. Es passierte nichts Augenfälliges. Dann machte er sich auf den Weg. Er dachte an Anima, Goman-Largo und Neithadl-Off, und er rechnete eigentlich nicht damit, daß er ihnen wieder begegnen würde. Aber wirklich wissen konnte er das auch nicht. Er suchte die Zuleitung zu den mittleren Antennen von MANAM-PZAN auf und kletterte gemächlich den Wartungsschacht hinauf. Hinter einer Energiesperre, die die Atmosphäre der Station am Entweichen hinderte, gelangte er ins Vakuum. Er brauchte keine Luft. Er brauchte Atlan, um ihm nicht zu sagen, welche Fragmente eines uralten Plasmazusatzes (der von den Posbis der Hundertsonnenwelt stammte) und einer nicht ganz so alten Laborpositronik der SOL in ihm wirkten. Was ging es den alten Arkoniden an! Nichts! Sollte der seinen Kosmokratenideen hinterherlaufen. Und an dem Tag, an dem Atlan diese unsinnige Anhänglichkeit ganz einsehen würde (gute Ansätze waren ja vorhanden!), an dem Tag würde sich Traykon-Blödel-Schwiegermutter offenbaren. Vielleicht! Er schritt über die Außenhülle von MANAM-PZAN. Über ihm schimmerten die energetischen Schutzschirme, und irgendwo unter ihm diskutierte der Born der Ruhe, und KALY stellte ihre Berechnungen an. Traykon beobachtete aus einem sicheren Winkel, wie die vierzehn Hyptons, die Cairon und die dort veränderten Verhältnisse studieren sollten, an Bord des Transportschiffs gebracht wurden. Auch hier gab es keine Zwischenfälle. Da er wegen der perfekten Abschirmung der Raumstation hier auch keine Informationen der KALYPositronik empfangen konnte, war er auf das angewiesen, was er an Daten in den letzten Tagen gesammelt hatte. Er wartete auf den Behälter mit den Gewändern der Hyptons, der gesondert verladen werden sollte. Als dieser auftauchte, ließ er sich nach unten gleiten, wo sein Metallkörper zwischen den bunten Tüchern schnell verschwand. Wenige Minuten später war auch er an Bord des Raumschiffs. Er verließ sein Versteck so früh wie möglich. Die Umgebung war fremd, aber da er mit der Geduld einer Biopositronik arbeitete, fand er sein Ziel, eine winzige Rettungskapsel ohne eigenen Antrieb. Chossoph, Questror und Chirtoquan waren auf dem Weg nach Cairon. Sie hatten gute Chancen, ihr Ziel zu erreichen. Anima, Neithadl-Off und Goman-Largo waren auf MANAM-PZAN geblieben. Ihr Schicksal war ungewiß. Ungewiß wie das Atlans. Traykon kappte alle Verbindungen zwischender Rettungskapsel des Transporters und seinen Bordsystemen. Er überprüfte alles mehrmals und wartete dann, bis seine Sensoren meldeten, daß das Raumschiff zu einem Zwischen- oder Orientierungsstopp in den Normalraum gefallen war. Dann klinkte er sich unbemerkt aus. Wieder wartete er, aber auch dieser Teil seiner Planungen erfüllte sich. Das Hyptonschiff setzte seinen Flug fort. Sorgfältig justierte Traykon die Hyperfunkanlage der Rettungskapsel. Er bereitete den Text vor,
aber er wartete mit der Abstrahlung des normalkodierten Funkspruchs. Erst als nach seiner Berechnung der Hyptontransporter Cairon erreicht haben mußte, setzte er seine Sendung ab. Hier spricht Varnhagher-Ghynnst! Und nur einer wird verstehen, wer Varnhagher-Ghynnst ist. Er wird diese Koordinaten anmessen und mich holen! Jeder andere wird nichts finden, denn nur einer kennt die Spur nach Varnhagher-Ghynnst. Traykon wartete drei Tage, in denen er von Zeit zu Zeit immer wieder diese normalkodierte Meldung absetzte. Dann spürte er, wie seine kleine Rettungskapsel in Schlepp genommen wurde. Er rechnete mit allem, mit anderen Traykons, mit Stahlmännern und Hyptons, ja sogar mit dem Erleuchteten selbst, von dem er nicht einmal eine vage Vorstellung hatte. Er öffnete das einzige Schott der Kapsel nicht selbst. Er überließ das denen, die ihn aufgegriffen hatten. Er dachte an Neithadl-Offs verrückte Lügengeschichten und an Mimimi, die ihr Leben hatte lassen müssen. Sie holten ihn heraus. Das erste, was er sah, war der Kopf des Arkoniden. »Eine höchst seltsame Botschaft«, sagte Atlan. * »Du kennst mich von Latos-Tener«, begann Traykon seine Erklärung. »Ich danke dir, daß du mich gerettet hast. Als Entschädigung biete ich dir ein paar Informationen. Frag mich nicht, woher ich den Namen dieses Varnhagher-Ghynnst kenne. Ich weiß es nicht.« »Varnhagher-Ghynnst«, antwortete Atlan, »ist nicht der Name einer Person. Es ist die Bezeichnung einer Galaxis, besser gesagt, eines bestimmten Sektors einer Galaxis.« »Egal.« Traykon winkte ab. »Du kennst mich von Latos-Tener, als das Pre-Lo auf dich Jagd gemacht hat. Ich weiß das, obwohl ich selbst auf einem öden Brocken saß. Ich war nur mit einem Teil meines positronischen Egos bei den Tenern. Ich kann dir aber berichten, daß das Pre-Lo keine Gefahr mehr darstellt. Es wurde durch Freunde Animas in eine andere Existenzebene verjagt.« »Du kennst Anima?« Der Arkonide staunte, aber er blieb deutlich mißtrauisch. »Anima aus Alkordoom?« »Ja, genau die. Sie ist dir gefolgt. So wie du dem Erleuchteten gefolgt bist und nicht weißt, wie das geschah. Es sind gute Freunde bei ihr. Ihre Namen sind Neithadl-Off und Goman-Largo. Anima braucht jetzt gute Freunde, denn sie ist nicht nur in Gefahr. Sie ist auch wie früher, ähnlich wie du. Und sie hat Sehnsucht nach Hartmann vom Silberstern, wenn dir das etwas sagt.« »Wer bist du wirklich?« fragte Atlan. »Ein Roboter mit einem langen Schicksal«, antwortete Traykon und nannte diesen Namen. »Wenn du deine Zeit vergeuden willst, dann grüble über mich nach. Ich sage dir aber, daß es sich nicht lohnt. Es gibt wichtigere Dinge, Atlan.« »Ich bin skeptisch.« »Ich habe ihn durchgeprüft«, meldete sich die Intelligenz der STERNSCHNUPPE. »Er ist in Ordnung.« »Die wichtigeren Dinge«, sagte Traykon. »Anima befindet sich in der Gewalt der Hyptons. Sie ist ihnen hörig. Und die Hyptons werden sie benutzen, um den Erleuchteten zu erpressen.« ENDE
Im Atlan-Band der nächsten Woche blenden wir um zu Atlan und seinen Begleitern, zu denen inzwischen auch der seltsame Roboter gehört, der sich als Traykon-6 bezeichnet. Atlans STERNSCHNUPPE entschlüsselt neue Daten – und diese Daten führen zum Tabusektor Leron… TABUSEKTOR LERON – so lautet auch der Titel des Atlan-Bandes 737, der von Arndt Ellmer geschrieben wurde.