Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 720 Der Erleuchtete
Die Falle der Hyptons von H. G. Francis Auf Terra schreibt ...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 720 Der Erleuchtete
Die Falle der Hyptons von H. G. Francis Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide erneut eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist ein hochwertiges Raumschiff, das Atlan auf den Namen STERNSCHNUPPE tauft. Das Schiff sorgt für mache Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den knapp sechs Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Die Hauptsorge Atlans gilt gegenwärtig den Daila des Planeten Äklard, der bereits von Invasoren kontrolliert wird. Und während der Arkonide Unterstützung bei den im Weitraum verstreuten Daila-Mutanten für deren alte Heimatwelt sucht, kommt es zu einem dramatischen Treffen beim Zielstern Gyd. Indessen läßt auch die Lage auf dem Planeten Zyrph, wo sich immer noch Atlans STERNSCHNUPPE befindet, an Dramatik nichts zu wünschen übrig. Denn Mrothyr führt den Freiheitskampf gegen die Invasoren seiner Heimat weiter und gerät dabei in DIE FALLE DER HYPTONS …
Die Hauptpersonen des Romans: Mrothyr - Anführer der Rebellen von Zyrph. Irksregs Grüa - Ein Telepath. Laif - Ein »Würger«. Arishka - Eine Freiheitskämpferin. Hachrnad Alchkard - Herr von Ah-Ahkrapha. Cushmancush - Alchkards Vertrauter.
1. Er wußte, daß sein Schicksal besiegelt war, sobald er das Raumschiffbetreten hatte. Deshalb warf er sich kraftvoll zur Seite, setzte über einen Naldrynnen hinweg und flüchtete in die Deckung verschiedener Versorgungscontainer, die vor der Hauptschleuse des Raumers abgestellt waren. Einer der Naldrynnen sprang mit einem gewaltigen Satz auf ihn zu, flog jedoch an ihm vorbei. Uaru, der naldrynnische Kommandant der ZYRPH'O'SATH, feuerte auf ihn, verfehlte ihn jedoch. Mrothyr hastete weiter. Er hörte das Alarmgeschrei der Fremden, doch es berührte ihn nicht. Er verließ die Deckung der Container und rannte über eine freie Fläche zu einem brennenden Gebäude hinüber. Wieder schoß jemand auf ihn. Der Energiestrahl zuckte nur wenige Zentimeter an ihm vorbei. Er spürte die Gluthitze, die von ihm ausging, ließ sich aber auch davon nicht beeindrucken. »Holt Mrothyr zurück«, schrie Uaru mit zornbebender Stimme. »Er darf uns nicht entkommen. Tod oder lebendig – ich will ihn haben.« Die ZYRPH'O'SATH hatte bei der Landung gewaltige Zerstörungen angerichtet. Der Kommandant hatte keinerlei Rücksicht auf die Stadt und die in ihr lebenden Zyrpher genommen. Er war mitten in dem Häusermeer gelandet und hatte dabei ganze Straßenzüge verwüstet.
Mrothyr schnellte sich über eine brennende Mauer hinweg, rollte durch schwelende Asche, sprang auf und warf sich mit der Schulter gegen eine Holzwand. Für Sekunden umzüngelten ihn die Flammen, dann brach er durch und fiel ins Dunkel. Wasser aus einer geborstenen Leitung sprühte auf ihn herab und kühlte ihn. Er blieb stehen und blickte nach oben. Wie ein Gebirge aus Stahl und Kunststoff wuchs die ZYRPH'O'SATH vor ihm auf, und ihm wurde bewußt, daß er noch einige Kilometer weit laufen mußte, bevor er in Sicherheit war. Man konnte ihn von oben jederzeit sehen. Sie können mich mühelos abschießen, fuhr es ihm durch den Kopf. Mit ihren technischen Hilfsmitteln machen sie mich ganz leicht aus. »Ganz recht«, sagte jemand mit sonorer Stimme. Erschrocken fuhr der Freiheitskämpfer herum. Er sah einen massigen Mann aus einem Keller hervorkommen. Ein riesiger, schwarzer Hut zierte den Kopf des Fremden. »Ich bin Irksregs Grüa«, stellte der andere sich vor und streckte ihm beide Hände entgegen. »Ich habe viel von dir gehört, Mrothyr. Nie zuvor haben wir Zyrpher einen so großen Freiheitskämpfer wie dich gehabt. Alle Völker unseres Planeten sind dir zu tiefem Dank verpflichtet, und ich fände es eigentlich ganz gut, wenn du diesen schießwütigen Naldrynnen entkommen würdest.« »Das ist nicht ganz leicht«, erwiderte der Rebell. »Wenn du hier oben herumläufst, sicherlich nicht.« Irksregs Grüa lachte dröhnend. Dabei entblößte er ein Gebiß, das einem der wildesten Raubtiger von Zyrph alle Ehre gemacht hätte. Mrothyr vernahm die Rufe der Verfolger. Sie rückten bedrohlich näher. »Komm«, forderte Grüa ihn auf. »Ich bringe dich in Sicherheit.« Er wandte sich um und kehrte in das Dunkel des Kellerabgangs zurück, aus dem er gekommen war. Mrothyr folgte ihm. Er hatte keine andere Wahl. Er eilte einige Stufen hinab, dann zogen ihn zwei Hände in einen Gang, und eine Tür fiel knarrend hinter ihm zu. Irgendwo stürzte laut krachend die Wand eines Hauses um.
Irksregs Grüa schaltete eine Handlampe ein und hastete durch ein Gewölbe bis zu einer Stahltür, durch die es in einen weiteren Keller ging. Er verriegelte die Tür sorgfältig hinter sich, nachdem Mrothyr hindurchgegangen war. Aus einem Regal nahm er eine Flasche Wein, schlug den Hals ab und schenkte zwei Gläser voll. Eines von ihnen hielt er Mrothyr entgegen. »Hier. Trink«, forderte er ihn auf. »Einen Schluck kann ich gebrauchen«, erwiderte der Freiheitskämpfer. »Du hast ein paar unangenehme Minuten hinter dir. Eben wollte man dich noch hinrichten, dann auf die ZYRPH'O'SATH bringen, und dann wollte man dich wiederum töten. Zwischen den brennenden Häusern war es vermutlich auch nicht gerade erfrischend. Aber du hast es überstanden.« »Noch nicht«, widersprach Mrothyr. Er setzte das Glas ab. Aus dem Nebenraum klangen Geräusche herüber, die recht eindeutig waren. Die Verfolger hatten seine Spur gefunden. »Sie könnten dich immer noch finden«, bestätigte Irksregs Grüa. »Gehen wir weiter. Sie setzen die Neue Technik ein. Damit können sie deine Spuren mühelos erkennen. Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wenn wir sie abschütteln wollen.« Er trank sein Glas aus und führte Mrothyr dann durch den Keller in ein Labyrinth von Gängen, in dem sie sich nahezu zwei Stunden lang von dem gelandeten Raumschiff entfernten. Als sie einen senkrecht nach oben führenden Schacht betraten, blieb der junge Zyrpher stehen. Immer wieder wunderte er sich, wie Grüa ihn gefunden und wie er ihn angesprochen hatte. Dann plötzlich begriff er, und er drehte sich überrascht zu seinem Begleiter um. Forschend blickte er ihn an. »Ja, das stimmt«, sagte Irksregs Grüa. »Du hast die Wahrheit erkannt.« »Du kannst meine Gedanken lesen«, erklärte Mrothyr. »Und wenn
du das schon kannst, solltest du mit deiner Antwort wenigstens solange warten, bis ich meine Frage gestellt habe. Mir ist noch nie jemand begegnet, der in meine Gedanken eindringen kann, und es ist nicht ganz leicht für mich, mich damit abzufinden. Also – beachte wenigstens die Reihenfolge von Frage und Antwort.« »Eine dumme Angewohnheit von mir«, bemerkte der Telepath ohne die geringste Spur des Bedauerns. »Nimm es nicht so wichtig.« »Du weißt also, wer ich bin.« »Natürlich. Und die Tatsache, daß ich dich gerettet habe, sollte dir beweisen, daß ich dir wohlgesinnt bin.« Mrothyr blickte Irksregs Grüa prüfend an. Es war ein eigenartiges Gefühl für ihn zu wissen, daß jeder seiner Gedanken vor dem anderen offenlag. Er entfernte sich einige Schritte von dem anderen und versuchte, den Telepathen zu ignorieren. Er wollte in Ruhe nachdenken, doch es gelang ihm nicht. Irksregs Grüa lachte. »Gib dir keine Mühe«, sagte er. »Es ist nun mal so. Du kannst mich höchstens bitten, dich ungestört zu lassen. Ich werde deinen Wunsch respektieren. Aber abkapseln kannst du dich nicht gegen mich. Das konnte nur einer, und ich bin froh, daß er nicht mehr hier ist.« »Jemand konnte sich gegen deine Fähigkeit abschirmen? Wer?« »Atlan«, antwortete Irksregs Grüa bereitwillig. Mrothyr ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. Er hatte von Anfang an gewußt, daß dieser weißhaarige Mann mit den rötlichen Augen anders war als alle anderen. »Die Begegnung mit ihm war leider nur kurz«, sagte er. »Blicken wir in die Zukunft. Zyrph werden die Kredite gesperrt. Unsere Welt ist von den Naldrynnen und den Hyptons ausgeplündert worden. Autark werden wir nie mehr sein können, weil uns die Rohstoffe fehlen. Wenn wir uns jetzt nicht von jeglichen Einfluß von außen befreien, bleibt uns überhaupt keine Hoffnung mehr. Dann werden uns die Hyptons vollends ausplündern, und wenn gar nichts mehr
bei uns zu holen ist, werden sie uns fallenlassen und weiterziehen. Dann bleibt uns nur noch das Elend.« »Wem sagst du das?« entgegnete der Telepath. »Das ist nicht nur mir klar geworden, sondern den meisten unseres Volkes auch. Seit wir wissen, wie mächtig die Naldrynnen und die hinter ihnen stehenden Hyptons sind, wissen wir, daß wir kaum mehr als eine Sklavenwelt sind. Dein Freiheitskampf beginnt erst jetzt, Mrothyr, und du kannst sicher sein, daß du einen gewaltigen Zulauf an Mitkämpfern haben wirst.« »Und unter ihnen werden viele Verräter sein«, erwiderte der junge Zyrpher. »Es werden Geschäftemacher dabei sein, denen völlig egal ist, was aus unserer Welt wird, solange es ihnen selbst gut geht.« Irksregs Grüa lachte dröhnend. Er schlug Mrothyr die Hand auf die Schulter. »Sei froh, daß es so ist«, sagte er. »Wenn du nur Idealisten als Mitstreiter hättest, wärst du bald am Ende.« Hinter ihnen im Gang krachte es, und dann ertönte ein eigenartiges Surren. Mrothyr blickte den Telepathen fragend an, doch dieser schüttelte den Kopf und hob ratlos die Hände. »Ich weiß nicht, was das ist«, sagte er. »Es hat keine Gedanken.« »Ein Roboter«, rief Mrothyr. »Weg hier.« Sie flüchteten in einen gegenüberliegenden Gang. Der Freiheitskämpfer blieb jedoch nach einigen Schritten stehen und blickte neugierig zurück. Er sah, daß ein tonnenförmiges Gebilde, das etwa anderthalb Meter hoch und einen Meter breit war, in den Schacht glitt. Es bewegte sich auf vier dünnen Beinen, und sein tonnenförmiger Rumpf schien hohl zu sein, denn er war nicht mehr als ein filigranartiges Gespinst. Wo darin die Antriebsaggregate und die Steuerelemente für die Maschine enthalten waren, konnte Mrothyr nicht erkennen. Die Neue Technik, dachte er erschrocken. Sie dringt immer weiter vor. Man muß sich völlig freimachen von alten Vorstellungen. In dem filigranartigen Gebilde blitzte es auf. Mrothyr fühlte einen
Schlag gegen die Schulter, dann schien seine ganze rechte Seite in Flammen zu stehen. Irksregs Grüa packte ihn und riß ihn zurück. »Hast du den Verstand verloren?« keuchte er. »Wie kannst du dich der Maschine aussetzen? Sie wird dich umbringen, bevor du einmal blinzeln kannst.« Mrothyr hielt sich die Schulter. Der Stoff seiner Jacke war verbrannt. Ein Energiestrahl hatte ihn gestreift und nur leicht, verletzt. Sie passierten einige Stahlschotte. Irksregs Grüa verriegelte sie hinter ihnen, so daß ihnen der Roboter nicht so ohne weiteres folgen konnte. Über einige Treppen ging es zunächst in die Tiefe, dann wieder nach oben und wieder hinab, bis Mrothyr nicht mehr wußte, ob er sich noch in der Nähe des Palasts oder weit von diesem entfernt außerhalb der Stadt befand. Doch dann kamen sie über eine Treppe in ein verfallenes Haus. Durch die zerbrochenen Fenster konnte Mrothyr die Stadt und die aus ihr emporragende ZYRPH'O'SATH sehen, die sich nun donnernd in den Himmel erhob und dabei zahllose Gebäude vernichtete. Ein ungeheurer Sturm erhob sich. Er tobte über die Dächer der Stadt hinweg, entwurzelte Bäume, riß Gebäude um und schleuderte Fahrzeuge Hunderte von Metern weit durch die Straßen. »Uaru kennt keine Rücksicht«, stellte der Freiheitskämpfer erbittert fest. »Er hat nicht den geringsten Respekt vor uns. Dieser Start zeigt mir deutlicher als alles andere, was aus uns wird, wenn einmal nichts mehr auf unserem Planeten zu holen ist.« »Er wird dafür bezahlen«, erklärte Irksregs Grüa. Erbittert ballte er die Hände zu Fäusten. Sein graues Gesicht war dunkel geworden, und die bernsteingelben Augen verfärbten sich rot im Widerschein der zahllosen Feuer in der Stadt. »Jetzt verläßt er Zyrph, aber eines Tages wird er zurückkommen, und dann wird er bereuen, was er getan hat.« Mrothyr schwieg. Er wandte sich ab und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Unmittelbar neben ihm wirbelten
Glassplitter und abgerissene Zweige durch die zerborstenen Fenster, und der Boden erzitterte unter seinen Füßen. Mit ohrenbetäubendem Lärm stieg das riesige Raumschiff auf, so daß minutenlang keine Verständigung mit Irksregs Grüa möglich war. Als es endlich still wurde, entblößte Grüa seine gewaltigen Zähne und blickte Mrothyr belustigt an. »Du möchtest ein Raumschiff haben, mit dem du es den Naldrynnen zeigen kannst?« Er lachte dröhnend. »Du hast keine Vorstellung davon, was die Neue Technik im Weltraum zu leisten vermag, und du weißt nicht, wie unendlich schwierig es ist, ein Raumschiff zu lenken. Der kosmische Raum ist unvorstellbar groß. Es gehört schon einiges Wissen und Können dazu, sich darin zurechtzufinden. Wir haben dieses Neue Wissen nicht. Keiner von uns. Und wir werden es auch nie haben.« »Vielleicht doch«, widersprach der Freiheitskämpfer ärgerlich. »Wenn du meine Gedanken liest, dann weißt du auch, daß ich an das Raumschiff gedacht habe, von dem Atlan mir erzählt hat. Es heißt STERNSCHNUPPE, und es lebt. Es hat das Neue Wissen, und es ist bereit, es weiterzugeben. Es würde mir helfen, alles das zu verwirklichen was ich will.« Irksregs Grüa lachte abfällig. »Der Arkonide hat sich über dich lustig gemacht«, erwiderte er. »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß es ein solches Raumschiff gibt? Erzählungen über derlei Dinge gehören ins Reich der Märchen und Legenden. Sie haben nichts mit der Realtität zu tun.« Mrothyr wandte sich ihm zu. Sein Gesichtsausdruck änderte sich. Grüa erschrak. Er wich unwillkürlich vor dem jungen Mann zurück. Abwehrend hob er die Hände. »Schon gut«, stammelte er, während er versuchte, den Blicken Mrothyrs auszuweichen. »Dein Freund, der Arkonide, belügt dich nicht. Es tut mir leid, daß ich so etwas behauptet habe.« »Tu das nie wieder«, forderte Mrothyr. Er schien über sich hinauszuwachsen, und plötzlich wagte Grüa es nicht mehr, ihn
telepathisch zu sondieren. Er hatte das Gefühl, vor einem Abgrund zu stehen, und er fürchtete, bei einem geistigen Kontakt hineingerissen zu werden. Seine Hände zitterten, und für einen kurzen Moment hatte er den Eindruck, einen riesigen, dunklen Raum betreten zu haben, der von der Aura des Bösen erfüllt war. »Deine Freunde sind zu beneiden«, sagte Irksregs Grüa mit schwankender Stimme. »Ich wollte, ich dürfte mich eines Tages dein Freund nennen.« »Das liegt bei dir.« »Ich könnte dir behilflich sein. Nach den Ereignissen der letzten Tage und nach dem Eingreifen der Hyptons weiß ganz Zyrph, was wirklich auf unserem Planeten gespielt wird. Allen ist klargeworden, daß wir von den Naldrynnen und den Hyptons bis aufs Hemd ausgeplündert werden. Das bringt die Leute auf deine Seite. Deine Organisation wird einen gewaltigen Zulauf haben. Du wirst nicht mehr auf nahezu verlorenem Posten kämpfen, sondern du wirst der Kopf einer Bewegung sein, die sich gegen die Hyptons richtet, und die für die Freiheit von Zyrph kämpft. Du wirst ein Volksheld sein, den man auf der ganzen Welt verehrt. Gleichzeitig aber wirst du in einer viel größeren Gefahr sein als jemals zuvor. Verräter werden sich an dich heranmachen. Sie werden für eine gewisse Zeit an deiner Seite stehen.« »Nur für eine gewisse Zeit?« »Solange du Erfolg hast. Aber früher oder später wird sich das Blatt wieder wenden. Wir Zyrpher sind faul und bequem. Wir kämpfen nicht für die Freiheit, sondern dafür, daß unser Wohlstand auf einem möglichst hohen Niveau bleibt. Natürlich können wir unseren Standard nur halten, wenn wir weiterhin Handel mit anderen Welten treiben. Das wiederum geht nur, wenn wir mit den Naldrynnen und Hyptons zusammenarbeiten.« »Und diese Kollaboration ist nur möglich, wenn wir den Freiheitskampf einstellen. Oder deutlicher noch – wenn ich beseitigt werde. Das ist es doch, was du sagen wolltest. Oder?«
Irksregs Grüa lachte dröhnend. Dabei zog er die Lippen hoch über die Zähne zurück. »Nicht ich sage das, sondern irgendein Verräter wird es irgendwann in den nächsten Tagen oder Wochen behaupten«, erklärte er. »Diese Stunde wird kommen, Mrothyr, und wenn es soweit ist, dann brauchst du einen Freund. Jemanden wie mich, der Gedanken lesen kann, der jeden Verräter entlarvt, bevor dieser noch den Dolch gegen deinen Rücken erheben kann.« Mrothyr blickte Grüa kühl abschätzend an. »Du kannst meine Gedanken lesen«, erwiderte er. »Ich muß dir vertrauen, während du jederzeit weißt, woran du mit mir bist.« »Das liegt in der Natur der Sache. Aber ich verspreche dir bei meiner Ehre, daß ich es dir sagen werden, wenn ich so verblendet sein sollte, dein Lager zu verlassen, um in ein anderes überzuwechseln.« »Ohne dich hätte ich den dunklen Durchgang schon hinter mir«, erklärte Mrothyr. »Die Naldrynnen hätten mich getötet. Also sollte ich dir danken.« Er fuhr herum, als eine der Türen sich plötzlich knarrend bewegte. Eine plump wirkende Gestalt betrat den Raum. Im Widerschein der brennenden Häuser sah Mrothyr ein von Narben übersätes Gesicht mit einer auffallend schmalen und hochrückigen Nase und zwei tiefliegenden Augen. Dichtes, graues Haar fiel dem Mann bis auf die Schultern herab. Seine Fülle war ein untrügliches Zeichen dafür, daß dieser Mann noch jung war. Grüa schrie erschrocken auf. »Paß auf, Mrothyr«, rief er. »Er will dich töten.« Der Narbige schien plötzlich schwerelos zu werden. Wie von Geisterhand bewegt, segelte er durch die Luft auf den jungen Freiheitskämpfer zu. In den Händen hielt er eine schimmernde Kette. Die würgenden Zähne! Mrothyr wußte, daß er gegen diesen Kämpfer keine Chance hatte.
Er war noch nie einem Würger begegnet, hatte jedoch schon viel von den Männern dieser Geheimsekte gehört, die in den unzugänglichen Bergen des Eulen-Kontinents lebten. Von ihnen erzählte man sich wahre Wunderdinge. Sie kämpften grundsätzlich mit einer Kette, die aus einem sonst auf Zyrph unbekannten Material gefertigt wurde. Es hieß, daß es dieses Material nur in den Eulen-Bergen gab. Mrothyr riß die Arme hoch und warf sich zur Seite. Die Kette traf seinen Arm, und schien ihn zu zerschmettern. Schmerzgepeinigt schrie der Freiheitskämpfer auf, und unwillkürlich griff er nach seinem Arm. Dadurch achtete er für einen kurzen Moment nicht auf den Würger. Bevor er recht begriff, wie ihm geschah, schlang sich ihm die Kette um den Hals. Er wälzte sich herum und packte den Narbigen instinktiv bei den Haaren. In seiner Todesangst zog er mit aller Kraft, und es gelang ihm, den Würger über sich hinwegzuziehen. Der Druck der Kette lockerte sich, und Mrothyr konnte sich noch einmal befreien. Er schlug blindlings zu und traf den anderen am Kopf. Damit verschaffte er sich etwas Luft. Er sah sich nach einem Gegenstand um, mit dem er sich verteidigen konnte, und wiederum schien es, als sei der Würger von jeglicher Schwerkraft befreit. Er schoß vom Boden hoch, flog auf ihn zu, überwältigte ihn und warf ihn auf den Boden. Die Kette schlang sich um seinen Hals und zog sich erbarmungslos zu. Dieses Mal konnte Mrothyr sich nicht befreien. Sein Gegner preßte ihn mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden. »Aufhören«, rief Irksregs Grüa. »Hast du den Verstand verloren? Du bewunderst Mrothyr und willst ihn töten?« Der Druck der Kette lockerte sich. »Was hat er mit Mrothyr zu tun?« fragte der Würger. Er war außerordentlich stark, schien jedoch nicht in gleichem Maße intelligent zu sein. Mrothyr spürte einen heftigen Schmerz im Nacken, und er begriff, daß die kleinste Kopfbewegung sein Ende bedeutete. »Du brichst mir das Genick«, keuchte er mühsam. »Laß mich
endlich los.« Irksregs Grüa trat auf ihn und den Narbigen zu. Dieser drehte sich zur Seite, um den vermeintlichen Angriff abzuwehren. Im gleichen Moment stürzte Mrothyr ins Dunkel. Irgendwann kehrte sein Bewußtsein zurück. Er vernahm ein lautes Rauschen, und seine Phantasie gaukelte ihm vor, daß er auf dem Meer war. Kraftige Hände massierten seinen Nacken. Sie gruben sich ihm tief ins Fleisch, so daß er glaubte, sie wollten in ihn eindringen. Gepeinigt versuchte er, ihnen zu entgehen. Doch vergeblich. Sie gaben ihn nicht frei. »Er kommt wieder zu sich«, sagte eine bekannte Stimme. Mrothyr glaubte, Irksregs Grüa vor sich zu sehen, und er erinnerte sich an den Telepathen. Bist du es? fragte er in Gedanken, da er unfähig war, seine Lippen zu bewegen. Er erhielt keine Antwort, und er verlor das Bewußtsein erneut. »Ich hätte ihn beinahe getötet«, sagte jemand, als er wieder zu sich kam. »Viel hat wirklich nicht gefehlt.« Mrothyr schlug die Augen auf. Durch ein Fenster schien helles Mondlicht herein. »Er kommst zu sich.« Ein narbiges Gesicht beugte sich über ihn. Mrothyr sah die vier halbmondförmigen Narben unter den gelben Augen des Kettenkämpfers, und er erinnerte sich daran, daß dies das Zeichen der Würger war. Vorsichtig richtete er sich auf. Dabei griff er nach seinem Nacken, der erstaunlicherweise nicht mehr schmerzte. Der Narbige blickte ihn besorgt an. »Wie fühlst du dich, Mrothyr?« »Du weißt, wer ich bin?« Er blickte den Würger forschend an. Er schätzte, daß sein Gegenüber fünf oder sechs Jahre jünger war als er. Der Narbige hatte sich ein schwarzes Tuch um den Kopf gewickelt. Aus diesem ragten dicke Büschel grauer Haare hervor. Die Kampfkette ruhte um seinen Hals.
»Irksregs Grüa hat es mir gesagt.« »Du kennst Grüa?« »Ich habe ihn hier zum erstenmal getroffen. Er hat mir erzält, wer du bist, und wie du den Naldrynnen kurz vor dem Start der ZYRPH'O'SATH entkommen bist.« Mrothyr stand auf und ging zum Fenster. Er sah die Stadt vor sich liegen. Aus einigen Häusern stiegen auch jetzt noch Flammen empor, obwohl Stunden seit dem Ausbruch des Feuers vergangen sein mußten. Er drehte sich um. Erst jetzt sah er den anderen Mann, mit dem der Narbige gesprochen hatte. Es war ein untersetzter Zyrpher, der einen röhrenförmigen, blauen Hut mit schmaler Krempe trug. Diese hohe Kopfbedeckung sollte ihn offenbar größer erscheinen lassen, als er tatsächlich war. Ein abgewetztes Lederhemd bedeckte den Oberkörper. Die stämmigen Beine steckten in hellblauen Hosen aus einem seidigen Stoff. Schwere, geflochtene Stiefel umspannten die Füße und die Beine bis hoch zu den Waden. In einem Gürtel steckten Dutzende von verschiedenen Kleingeräten. Der Mann blickte Mrothyr neugierig an. Sein Mund stand offen, und die Lider waren fast geschlossen. Dadurch erweckte der Begleiter des Würgers einen einfältigen Eindruck. Doch Mrothyr ahnte, daß dies nur Maske war. Der Mann war ein Prerk. Das bedeutete in der Sprache der Bergbewohner so etwas wie Hintergeher und besagte, daß dieser Mann hinter dem Würger zu gehen, dessen Rücken gegen feindliche Angriffe zu decken und dem Kettenkämpfer alle nur erdenklichen Dienste zu leisten habe. Solche Hintergeher stammten oft aus angesehenen Familien, und Mrothyr hatte gehört, daß sie häufig genug intelligenter waren als ihre Herren. Diesen dienten sie jedoch hauptsächlich aus religiösen Gründen. Gerüchte, dachte Mrothyr und tat diese Gedanken ab. Wer weiß, was davon wahr ist! »Ich habe zwei Fragen, die ich beantwortet haben will«, sagte er.
»Ich höre«, entgegnete der Narbige. »Warum wolltest du mich töten?« »Ein Irrtum. Ich verfolge seit Tagen einen Verräter. In der Dunkelheit habe ich dich mit ihm verwechselt. Der Mann hat mit den Naldrynnen zusammengearbeitet und unser Volk um eine unserer wertvollsten Reliquien gebracht. Die Bewahrer der Macht haben ihn dafür zum Tode verurteilt. Ich habe die Aufgabe, den Befehl zu vollstrecken.« »Wie konntest du mich mit ihm verwechseln?« fragte Mrothyr verblüfft. »Du hast mich doch gesehen. Im Widerschein der Flammen konntest du mein Gesicht erkennen.« »Der Frevler ist in dieses Haus gelaufen«, erläuterte der Narbige. »Ich bin ihm gefolgt, aber dann habe ich nur noch dich und Grüa gesehen. Es tut mir leid. Ich habe einen Fehler gemacht.« »Also gut. Zweite Frage. Wo ist Grüa?« »Er ist weggegangen. Er hat gesagt, daß er noch etwas in der Stadt zu tun hat. Er bat mich, dich nach Baignalk zu bringen.« »Baignalk? Was ist das?« »Er behauptete, es sei das Camp der Freiheitskämpfer. Viele Männer und Frauen versammeln sich dort, die zum Kampf gegen die Fremden bereit sind.« Mrothyr massierte sich den Nacken. Der Mann aus den Bergen war eine undurchsichtige und widersprüchliche Persönlichkeit, die er noch nicht einzuordnen wußte. Er sah, daß einige dunkle Gestalten sich von der Stadt her dem Haus näherten. Zunächst fühlte er sich nicht durch sie bedroht, aber dann bemerkte er einen tonnenförmigen Roboter unter ihnen, und er erkannte dessen filigranartige Struktur. »Wir müssen verschwinden«, sagte er. »Man ist mir auf den Fersen.« Er erläuterte dem Würger, wer der Roboter war. »Du hast mir deinen Namen noch nicht genannt. Wie heißt du?« »Lait«, antwortet der Kämpfer und versprach: »Ich werde
wiedergutmachen, was ich dir angetan habe.« »Paß auf, Lait«, erwiderte Mrothyr. »Es gibt Ärger, wenn wir nicht verschwinden. Ich weiß nicht, woher diese Leute wissen, daß wir hier sind. Sie werden uns angreifen, und das ist ausschlagggebend.« Ein grüner Desintegratorstrahl zuckte zu ihnen herüber. Er schlug dicht neben dem Kopf des Würgers in die Wand und riß ein faustgroßes Loch. Mrothyr rannte zur Tür hinaus und flüchtete ins Freie. Lait und sein Prerk folgten ihm, wobei der Hintergeher bemüht war, den Würger mit seinem Körper gegen den Beschuß abzudecken. Erst jetzt erkannte der junge Freiheitskämpfer, daß die Stadt noch nicht hinter sich gelassen, sondern erst die Vororte erreicht hatten. Vor ihnen erhoben sich mehrere Gebäude. Sie hatten geschwungene Satteldächer, die im Mondschein silbrig glänzten. In einigen von ihnen brannte Licht. Die Bewohner waren jedoch nicht zu sehen. »Schnell«, rief Lait. »Wir müssen durch sein, bevor die aus ihren Häusern kommen.« »Erstaunlich, daß sie das noch nicht getan haben«, erwiderte Mrothyr. Der Würger lachte. »Sie haben sich vor Angst verkrochen«, behauptete er. In diesem Moment tauchten rechts und links vor ihnen einige Gestalten aus dem Dunkel auf. Mrothyr sah ihre Waffen blitzen, und er entschied sich spontan dafür, in das direkt vor ihm liegende Haus einzudringen. Er stieß die Tür auf. Lait und der Hintergeher drängten ihn in einen großen Raum, in dem mehrere Bänke in parallelen Reihen vor einer mit phantasiereichen Mustern aus Edelmetallen und blitzenden Steinen verzierten Wand standen. Mrothyr erfaßte, daß sie in eine Art Tempel eingedrungen waren. Eine junge Frau tauchte plötzlich hinter einer Säule auf. Sie streckte die Arme in die Höhe und flehte den Würger an, das Haus augenblicklich wieder zu verlassen. »Du darfst hier nicht töten, Kettenkämpfer«, stammelte sie.
Die Tür flog auf, und vier stämmige Gestalten drängten herein. Ein Schlag traf Mrothyr an der Schulter und schleuderte ihn zwischen die Bänke. Dann warf sich einer der Männer auf ihn und versuchte, ihn zu erwürgen. Der Freiheitskämpfer hebelte ihn aus und richtete sich auf. Er sah, daß Lait eine reichverzierte Fackel aus ihrer Halterung riß und sie einem der Angreifer über den Kopf schlug. Sie zerbrach, und ihre Bruchstücke fielen auf den Boden. »Was hast du getan?« schrie die Frau. Sie stürzte sich zwischen die Kämpfenden und versuchte, die Bruchstücke aufzuheben. Mrothyr sprang über die Bänke hinweg. Er packte einen der Angreifer an der Schulter und riß ihn herum. »Verräter«, sagte er verächtlich. »Was glaubst du denn, wofür wir kämpfen? Für dich und deine Freiheit. Du solltest deine Faust nicht gegen mich, sondern gegen die Naldrynnen und die Hyptons erheben. Sie sind unsere Feinde.« Der Mann griff nach einem Messer. Mrothyr wartete nicht, bis er es gegen ihn erheben konnte. Mit einem wuchtigen Faustschlag warf er den Mann zu Boden. »Raus hier«, rief er Lait und seinem Hintergeher zu. Die Frau rannte zu der mit Edelmetallen verzierten Wand hinüber und zog an einigen herabhängenden Seilen. Schrille Pfiffe ertönten. Sie waren so laut, daß sie die Bewohner des ganzen Vorortes aufschrecken mußten. Lait zertrümmerte ein aus vielen farbigen Gläsern zusammengesetztes Fenster und stieg hindurch. Sein Prerk und Mrothyr folgten ihm, nachdem sie einen weiteren Angriff ihrer Verfolger abgewehrt hatten. Sie rannten über einen dunklen Hof. »Hierher«, rief der Würger Mrothyr zu. Dieser sah, daß der Kettenkämpfer in der beleuchteten Kabine eines Gleiters saß. Er eilte zu ihm und warf sich durch eine offene Tür hinein. Dann startete Lait auch schon. »Es scheint die Maschine eines Priesters zu sein«, bemerkte der
Prerk. »Wir sollten sie bald wieder verlassen und uns eine andere suchen.« »Ach, was, Unsinn«, antwortete Lait. Er lachte selbstsicher. »Ich bin froh, daß ich in der Eile einen Gleiter gefunden habe. Was spielt es schon für eine Rolle, ob dieses Ding einem Priester gehört oder nicht? Hauptsache, wir können damit verschwinden.« Das Innere des Geliters war an mehreren Stellen mit goldenen Kreisen verziert. Dieses Symbol war Mrothyr auch an der verzierten Wand des Tempels aufgefallen. Es war offenbar das Wahrzeichen der Sekte. Er erinnerte sich dunkel an eine Religionsgemeinschaft, die den Kreislauf des Lebens in ihren Mittelpunkt stellte. Ihr Symbol war der goldene Kreis. Es war eine Sekte, der man eine gewisse Gewalttätigkeit nachsagte. »Sie werden uns bald haben, wenn wir in dieser Maschine bleiben«, stellte er fest. »Wir werden sie verlassen.« Lait fuhr erregt herum. »Das werden wir nicht tun«, begehrte er auf. »Ich sagte schon, daß ich froh bin, daß wir einen Gleiter gefunden haben. Du hast Angst vor der Neuen Technik. Das ist alles.« Mrothyr saß entspannt auf seinem Sitz und blickte den Würger an. Dieser hob gestikulierend die Hände, setzte zu weiteren Worten an, ließ dann jedoch die Hände sinken und schüttelte den Kopf. Er begriff, daß der Freiheitskämpfer bei seiner Entscheidung bleiben würde, und daß er gegen dessen Willen nichts ausrichten konnte. »Es tut mir leid«, seufzte er. »Natürlich hast du keine Angst. Ich weiß. Wenn du meinst, daß es besser ist, den Gleiter zu wechseln, dann werden wir es tun.« Sein Hintergeher steuerte die Maschine. Er flog in nur wenigen Metern Höhe. Die Stadt blieb rasch hinter ihnen zurück. Längst war die ZYRPH'-O'SATH verschwunden. »Ich erinnere mich an einen Fall, in dem eine dieser Maschinen eine Rückrufautomatik hatte«, erklärte der Prerk. »Ein Freund von
mir sah sich gezwungen, einen solchen Gleiter zu benutzen. Er konnte tun, was immer er wollte, die Maschine kehrte an ihren Startplatz zurück, wo seine Feinde auf ihn warteten.« Lait blickte ihn verblüfft an. »Er hat etwas gesagt«, rief er. »Der große Schweiger hat den Mund aufgemacht. Das ist wirklich ungewöhnlich, Mrothyr. Normalerweise hörst du kein Wort von ihm.« Er warf den Kopf in den Nacken zurück und lachte lautlos. Dann wandte er sich nach vorn und schlug die rechte Faust in die offene linke Hand. »Wir wollen nicht den gleichen Fehler machen wie dein Freund.« Der Gleiter landete auf einem Hügel. Mrothyr stieß die Tür auf, stieg aus und entfernte sich einige Schritte von der Maschine. Wolken verhüllten die beiden Monde von Zyrph, und erst jetzt erkannte er, daß sie die Küste erreicht hatten. Er hörte die Brandung rauschen, und er atmete die rauhe Seeluft ein. Einige Seevögel zogen kreischend über ihn hinweg. Der Würger und sein Hintergeher hatten die Maschine kaum verlassen, als diese wie von Geisterhand bewegt aufstieg und sich lautlos entfernte. »Tatsächlich. Ihr habt recht gehabt«, sagte Lait erschrocken. Am Horizont zeigte sich ein erster Silberstreif. Er kündigte den heraufziehenden Tag an. »Wo ist Baignalk?« fragte Mrothyr. »Etwa hundertfünfzig Kilometer von hier«, antwortete der Kettenkämpfer. »Im Osten.« »Und wie kommen wir hin?« Der Hintergeher löste sich wortlos von ihnen und ging zum Wasser hinunter. Dort war es so dunkel, daß Mrothyr nichts erkennen konnte. Der Prerk aber schien genau zu wissen, was er wollte. »Ich glaube, er hat was gefunden«, bemerkte Lait. »Komm mit.« Zögernd folgte Mrothyr dem geheimnisvollen Kämpfer ans Wasser. Der Hintergeher hantierte an einigen dunklen Gegenständen,
die auf dem Boden lagen. »Was ist das?« fragte der Mann aus den Bergen. »Ich erinnere mich, von einem solchen Gerät gehört zu haben«, erwiderte der Prerk. »Ein Freund von mir hat mir davon erzählt. Es ist eine automatische Schleppvorrichtung, wie sie die Fischer für ihre Netze benutzen. Neue Technik.« Das war alles, was der Begleiter des Würgers zu sagen bereit war. »Ich hoffe, du weißt, was er meint«, bemerkte Lait. »Ich denke schon«, entgegnete Mrothyr. »Mit solchen Geräten schleppen die Fischer ihre Netze. Sie schicken sie allein aufs Meer hinaus und holen sie nach einigen Stunden mit einer Fernsteuerung zurück. In vielen Fällen holen sie dabei sogar Fisch an Land, obwohl die Meere bis zur totalen Erschöpfung von den Naldrynnen ausgebeutet worden sind.« »Und was können wir mit so einem Gerät anfangen?« »Das ist mir auch noch nicht ganz klar.« Mittlerweile hatten sich die Augen des jungen Freiheitskämpfers an das Dunkel gewöhnt. Er konnte erkennen, daß der Prerk eine Platte zum Wasser schleppte, die etwa zwei Meter breit und drei Meter lang war. Daran befestigte er einige Seile, die er von einem Netz abgeschnitten hatte. »Was hast du vor?« fragte Mrothyr, doch der Hintergeher gab nur ein paar unbestimmbare Laute von sich. Er antwortete nicht, sondern wuchtete die Platte ins Wasser. »Ich glaube, ich verstehe«, sagte Lait. »Das Gerät soll die Platte schleppen, und wir sollen uns offenbar auf die Platte stellen. Er muß verrückt geworden sein. Ich werde mich niemals auf so etwas einlassen. Es wäre Starschaek.« »Starschaek?« fragte Mrothyr. »Ein unehrenhafter Freitod«, erläuterte der Würger. Er schnaubte verächtlich. »He, du, Prerk, wie kannst du es wagen, mir so etwas anzubieten?« »Ich erinnere mich an einen mutigen Mann«, antwortete der Hintergeher. »Ein Freund von mir hat mir von ihm erzählt. Er hat
keine Sekunde gezögert, so etwas zu tun.« »Willst du mich einen Feigling nennen?« fuhr Lait auf. »Ich erinnere mich nicht daran, daß du jemals einer Gefahr ausgewichen wärest.« Mrothyr lächelte. Der Begleiter des Kettenkämpfers gefiel ihm immer mehr. Wenn er sein Schweigen brach, dann nur, um sich ganz gezielt zu äußern. »Ich bin noch nie auf dem Meer gewesen«, sagte Lait. Er ging zum Wasser und kehrte gleich darauf zu Mrothyr zurück. »Wir kennen die Berge und die Steppe. Die See aber ist uns fremd. Dennoch werde ich sie bezwingen. Der Hintergeher hat recht. Wenn wir nach Baignalk wollen, dann müssen wir aufs Meer hinaus. Das Camp der Freiheitskämpfer liegt auf der Landbrücke, die die beiden Kontinente Mhyn-Ha-Heth und Froak miteinander verbindet. Am Paß, der zur Landenge führt, steht seit Jahren ein Raumschiff. Es ist wie eine Festung. Niemand kommt auf dem Landweg daran vorbei.« »Ich habe davon gehört«, sagte Mrothyr. »Ich habe allerdings keine Ahnung, weshalb das Raumschiff dort steht.« »Das muß mit den Erzgruben zu tun haben«, vermutete der Kettenkämpfer. »Ungefähr in der Mitte zwischen den beiden Kontinenten weitet sich die Landbrücke. Dort werden seit Jahren wertvolle Erze abgebaut, mit denen wir Zyrpher unsere Schulden bezahlen. Natürlich bewachen die Naldrynnen den Abbau, damit die Ausbeute nicht zu mager ausfällt.« Unwillkürlich blickte Mrothyr zum sternenübersäten Himmel hinauf. »Die Neue Technik soll auch dort oben sein«, sagte er. »Es heißt, .daß dort oben für ewige Zeiten ein Neues Auge ist, dem nichts entgeht, was hier unten geschieht.« »Ich habe davon gehört«, entgegnete der Würger. Er schüttelte zweifelnd den Kopf. »Vorstellen kann ich es mir nicht. Wenn da oben wirklich so ein Auge ist, müßte es herunterfallen. Oder nicht?
Auf jeden Fall müssen wir es versuchen. Wahrscheinlich sind wir zu klein, als daß das Auge uns sehen könnte.« Der Motor des automatischen Schleppgeräts sprang surrend an. Der Prerk setzte sich rittlings auf die Maschine und steuerte sie langsam aufs Meer hinaus. »Es ist soweit«, sagte Mrothyr. »Also dann. Wagen wir es.« Die beiden Männer sprangen auf die Platte, die mittlerweile vom Strand ins Wasser gerutscht war. Sie tauchte nun leicht ein, so daß das Wasser ihre Füße umspülte. Der Kettenkämpfer ließ sich auf die Knie herabfallen. Er hielt sich mit beiden Händen an der Vorderkante der Platte fest, und der Hintergeher beschleunigte. Mrothyr ließ sich ebenfalls auf alle viere herabsinken, um nicht herabzufallen. Die Platte hob sich aus dem Wasser und glitt leicht darüber hinweg. Schäumend spritzte das Wasser an den Seiten hoch. »Kannst du schwimmen?« rief Lait. »Kein Problem«, antwortete der Freiheitskämpfer. »Ich nicht. Für mich wäre es Starschaek, wenn ich ins Wasser fiele.« »Keine Angst. Davor würde ich dich bewahren. Ich würde dich herausfischen, bevor dir die Luft ausgeht.« »Danke. Dafür verspreche ich dir einen schnellen Tod, falls ich mal gezwungen sein sollte, dich zu töten.« »Danke. Sehr liebenswürdig.« »Ich erinnere mich an jemanden, der glücklich über ein solches Angebot war«, rief der Hintergeher. »Ein Freund von mir wußte diese Ehre zu schätzen.« »Ich hoffe, daß ich niemals in die Verlegenheit komme, dein Angebot annehmen zu müssen«, sagte Mrothyr zu dem Würger. »Ihr Flachländer seid seltsame Menschen«, entgegnete der Narbige. »Ihr habt eine Mentalität, die mir unzugänglich bleiben wird.« Mrothyr stellte sich aufrecht auf die Platte. Er wiegte sich in den
Knien, um ihr Schwanken auszugleichen. Der Wind blies ihm ins Gesicht, und von dem Schleppgerät peitschte der Gischt hoch. Die Sonne ging auf, und allmählich versank das Festland hinter ihnen im Meer. Mrothyr genoß das Gefühl der Freiheit. Er wußte, daß ihm nicht lange Zeit bleiben würde, sich zu erholen und sich frei zu fühlen. Ihm war in seinem Kampf gegen die Fremden von den Sternen ein ungewöhnlich erfolgreicher Schlag gelungen. Er hatte die Naldrynnen und Hyptons aufgeschreckt und allen Zyrphern bewußt gemacht, wie weit Zyrph bereits in die Abhängigkeit der Fremden geraten war. Er hatte den Naldrynnen die Maske wohlwollender Freundschaft vom Gesicht gerissen und sie als brutale Ausbeuter entlarvt. Eigentlich hätte jedem einzelnen Zyrpher nun klar sein müssen, in welch ungeheurem Maß der Planet ausgeplündert wurde. Jeder muß begreifen, daß die Fremden nur am Geschäft interessiert sind, dachte er. Jeder muß doch sehen, daß sie nur so lange bleiben, bis sie Zyrph alles genommen haben, was von Wert ist. Sobald nichts mehr zu holen ist, werden sie abrechnen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Danach sind wir allein auf unserer Welt, der alles genommen wurde, was wir zum Leben benötigen. Weit südlich von ihnen flog ein Gleiter über das Meer. Mrothyr konnte ihn deutlich erkennen, doch die Besatzung der Maschine sah sie glücklicherweise nicht. Einige Zyrpher begreifen nicht, weil sie nicht wollen, erkannte der junge Freiheitskämpfer. Sie sehen nur die Geschäfte, die sie machen können. Ihnen ist egal, was aus unserer Welt wird. Sie verkaufen den Hyptons vom sinkenden Schiff, womit sie sich retten könnten. Und sie sind eher bereit, mich zu opfern als auf ihre Geschäfte zu verzichten. Voller Verachtung dachte er an Männer wie Tarlos, die mit Blindheit geschlagen zu sein schienen, und die sich bedingungslos für die Fremden entschieden hatten. Ohne Handel mit den kosmischen Völkern können wir nicht überleben,
überlegte er. Aber Geschäfte müssen für beide Seiten zum Vorteil sein. Nur dann sind sie sinnvoll. Und sie haben nur Zukunft, wenn wir Zyrpher den Fremden mehr bieten können als Rohstoffe. Wir müssen das Neue Wissen haben. Wir müssen selbst in der Lage sein, die Neue Technik zu bauen, oder wir werden ins Elend versinken und uns eines Tages kaum selbst ernähren können. Vor dem Hintergeher, der sich ausnahmsweise vor dem Würger her bewegte, stieg ein Metallrohr aus den Fluten. Er versuchte auszuweichen. Mrothyr, der es sah, ließ sich blitzschnell auf die Knie herabfallen und klammerte sich an die Platte. Dann krachte es auch schon. Der Netzschlepper prallte mit dem Mast zusammen. Der Prerk flog in hohem Bogen ins Wasser, der Netzschlepper explodierte, und die Platte kippte um. Mrothyr stieß sich instinktiv ab. Er stürzte kopfüber ins Wasser. Dabei sah er, daß sich der Narbige verzweifelt an der Platte festhielt und von ihr unter Wasser gedrückt wurde. Die Wellen brachen über Mrothyr zusammen und wirbelten ihn herum, so daß er Mühe hatte, sich zu orientieren. Panik kam in ihm auf, und er ruderte ebenso verzweifelt wie sinnlos mit den Armen, um wieder an die Wasseroberfläche zu kommen. Dann aber setzte sich die kühle Überlegung durch, und er begriff, daß sein Körper erst einmal zur Ruhe kommen mußte. Er streckte Arme und Beine aus, und nahezu schlagartig erkannte er, wo oben und unten war. Mit kräftigen Schwimmzügen strebte er zur hellen Oberfläche hoch. Er fühlte, daß Strömung und Wasserwirbel an ihm zerrten, doch er ließ sich nicht verwirren. Ruhig kämpfte er sich nach oben. Sein Kopf brach durch die Wasseroberfläche, und er atmete tief durch. Dabei drehte er sich mehrfach um sich selbst, bis er den Würger sehen konnte, der wild um sich schlug, es jedoch nicht schaffte, den Kopf über Wasser zu heben. Mrothyr schwamm zu ihm hin. Doch kaum hatte er ihn mit der Hand berührt, als Lait sich mit beiden Armen an ihn klammerte und ihn unter Wasser zog. Er trieb sich mit einigen Beinstößen nach oben
und hieb ihm die Faust gegen die Stirn. Der Würger wurde augenblicklich bewußtlos, so daß Mrothyr ihn ungefährdet halten konnte. Er sah, daß der Hintergeher sich an den Stahlmast klammerte, und er schwamm mit Lait dorthin. Das Wasser brodelte und schäumte noch stärker als zuvor. Es wirbelte ihn herum, so daß er den Narbigen nicht mehr halten konnte. Verzweifelt versuchte er, an der Wasseroberfläche zu bleiben, und als er ein dünnes Metallrohr in den Händen fühlte, hielt er sich mit aller Kraft daran fest. Ein riesiger Körper tauchte aus der Tiefe auf und hob ihn hoch. Neben ihm schoß der Würger aus den Fluten empor. Das Wasser floß ab, und Mrothyr ließ sich erschöpft auf den Rücken sinken. »Ich erinnere mich nicht, jemals so etwas gesehen zu haben«, rief der Prerk. Mrothyr richtete sich schwer atmend auf und sah sich um. Er befand sich auf einem gewölbten Metallkörper, aus dessen Oberseite allerlei Rohre und Antennen emporragten. »Es ist ein Schiff«, sagte er. »Ein Schiff, das tauchen kann.« Er ging zu Lait hinüber, der noch immer bewußtlos war, und drehte ihn auf die Seite. Der Würger spie Wasser aus, hustete einige Male und kam dann zu sich. »Teufelswerk«, stammelte er. »Ich wußte doch, das es Starschaek ist, aufs Meer hinauszufahren.« »Kein Teufelswerk«, erwiderte Mrothyr lächelnd. »Neue Technik, weiter nichts. Ein Tauchboot.« Der Kettenkämpfer blickte ihn finster an. »Du hast mich geschlagen«, sagte er drohend. Seine rechte Hand klammerte sich um seine Kampfkette. »Mir blieb nichts anderes übrig. Hätte ich es nicht getan, wären wir beide ertrunken. Starschaek für uns beide. Wäre dir das lieber gewesen?« Lait schüttelte den Kopf. Er stand vorsichtig auf, blieb jedoch vornübergebeugt, als fürchte er, das Gleichgewicht zu verlieren und
zu fallen. Staunend sah er, was unter ihnen aufgetaucht war. Das Schiff fuhr mit mäßiger Geschwindigkeit in Richtung Südost. »Es ist wenigstens zweihundert Meter lang und siebzig Meter breit«, sagte er. »Und wir sind mittlerweile wenigstens zehn Meter über dem Wasser«, fügte Mrothyr hinzu. »Scheint so, daß wir vorläufig in Sicherheit sind.« »Und was ist, wenn dieses Ding wieder wegtaucht?« Der Freiheitskämpfer antwortete nicht. Er nahm seine grün und blau gestreifte Fellmütze vom Kopf und drückte das Wasser heraus. Der orangefarbene Schwanz war leicht angesengt, doch das störte ihn nicht. Der Hintergeher stellte sich hinter seinen Herrn, so wie es seine Aufgabe war. »Wir sollten versuchen, das Schiff zu öffnen und hineinzugehen«, schlug dieser vor. »Glaubst du, daß es eine Besatzung gibt?« »Das werden wir erleben.« Mrothyr ging aufdem Schiffsrumpf entlang zu einem großen Stellrad, das sich vorn am Bug befand. Er stemmte sich dagegen, konnte es jedoch nicht bewegen. Es gab erst nach, als der Prerk ihm half. Ein Schott öffnete sich. Es klappte nach außen auf und gab den Blick ins Schiffsinnere frei. Ein breiter Schacht führte in die Tiefe. Aus ihm schossen zahllose Krebse hervor. »Bei allen Geistern der Berge«, stammelte der Kettenkämpfer erschrocken. »Das ist unser Ende. Ich wußte, daß ich auf dem Meer einen unehrenhaften Tod finden würde.« Im Schacht wimmelte es von riesigen Krebsen. Bevor die drei Männer das Schott wieder schließen konnten, ergoß sich ein breiter Strom dieser Tiere auf das Deck und drängte sie zurück. Der Rumpfkörper der Krebse hatte einen Durchmesser von etwa einem halben Meter, die sechs Beine waren jeweils einen Meter lang. Die beiden Scheren waren unterschiedlich groß. Während die eine dünn und kaum dreißig Zentimeter lang war, hatte die andere sich
zu einem anderthalb Meter langen, klobigen Gebilde ausgewachsen. Sie endete in einer furchterregenden Zange. »Wir müssen das Schott wieder schließen«, brüllte der Kettenkämpfer in panischem Entsetzen. »Schnell. Helft mir.« Er wollte sich zum Schott durchkämpfen, erreichte es jedoch nicht, denn er stolperte über einen der Krebse und fiel der Länge nach hin. Im nächsten Moment wurde er unter den heranstürmenden Tieren förmlich begraben. Er schrie, als würde er von tausend Zangen gekniffen, schlug wild um sich und kämpfte sich mühsam frei. Mehrere Krebse hingen an ihm, als er auf Mrothyr zutaumelte. Er riß sie herunter, ohne darauf zu achten, daß sein lederartiges Hemd dabei in Fetzen ging. Der Prerk eilte unerschrocken zu ihm und löste die letzten beiden Krebse ab, die noch in ihm hingen, während es um ihn herum von Tieren wimmelte. Keines von ihnen biß oder kniff ihn. Mrothyr war stehengeblieben. Staunend beobachtete er die beiden Männer, die sich mitten im Strom der Krebse befanden, die aus der Luke hervorkamen und dem Wasser zustrebten. Der Würger war angesichts der für ihn völlig ungewohnten Gefahr außer Fassung, während der Hintergeher Würde bewahrte und sogar darauf achtete, daß sein röhrenförmiger Hut nicht allzu sehr verrutschte. Mehrere Krebse eilten hochbeinig an Mrothyr vorbei. Einige verharrten kurz und streckten tastend ihre Scheren nach ihm aus, verletzten ihn jedoch nicht. Lait schleuderte einige Tiere zur Seite und kämpfte sich zu dem Freiheitskämpfer durch. Sein Gesicht war aschgrau, und seine Augen lagen tief in den Höhlen. Er sah ganz und gar nicht mehr aus wie ein Mann, der keine Furcht kannte. »Wir müssen dieses Höllenschiff verlassen«, schrie er. »Ich bleibe keine Sekunde länger.« »Du kannst ja an Land schwimmen«, antwortete Mrothyr. Er zeigte zur Küste hinüber. Die Landbrücke, die die beiden
Kontinente miteinander verband, war noch etwa vierzig Kilometer von ihnen entfernt. Sie war am Horizont als graue Bank mehr zu erahnen, denn zu erkennen. »Laß dir irgend etwas einfallen«, keuchte der Kettenkämpfer. »Oder willst du, daß uns diese Meeresungeheuer fressen?« Der Hintergeher blickte Mrothyr über die Schulter Laits hinweg an. Er lächelte begütigend. Seine Blicke baten um Verständnis für den Würger, dem alles unheimlich war, was mit dem Meer zu tun hatte. »Bis jetzt hat mich noch kein einziger Krebs angegriffen.« Eines der Tiere streckte seinen großen Scherenarm nach Lait aus, und die Zange verfing sich in seinem Gürtel. Der Kettenkämpfer schrie erschrocken auf und sprang zur Seite. Dabei prallte er gegen ein senkrecht stehendes Metallrohr. Dieses gab nach und kippte knirschend zur Seite. Während der Würger sich von dem Krebs befreite, hob sich eine längliche Kuppel aus dem Rumpf des Schiffes. Es krachte laut. Die Kuppel flog schräg in die Höhe, kippte um und landete unmittelbar neben dem Schiff im Wasser. Aus diesem stieg sie lautlos auf und schwebte dann etwa einen Meter über den Wellen. »Eine Rettungswanne«, staunte Lait. »Es ist eine Rettungswanne. Sieh doch, es sind Sitze drin. Schnell. Damit können wir die Küste erreichen.« Mrothyr mußte dem Narbigen recht geben. Es handelte sich tatsächlich um ein Rettungsgerät, eine wannenförmige Antigravschale, in der sich acht einfache Sitzmulden befanden. Langsam trieb es von dem Krebsfänger weg. Dabei hob es sich zugleich aus den Wellen, bis es etwa anderthalb Meter darüber schwebte. »Wir müssen hinschwimmen«, drängte der Würger. »Schnell, bevor es zu spät ist.« »Halte dich an mich«, forderte Mrothyr ihn auf. »Und bewege dich nicht, sonst lasse ich dich los, und du kannst allein schwimmen.« Er blickte den Hintergeher an, und dieser gab ihm mit einer
Handbewegung zu verstehen, daß er sich um ihn nicht zu kümmern brauchte. Er sprang ins Wasser und streckte Lait die Hand entgegen. Zögernd ließ sich der Kettenkämpfer vom Schiffsrumpf gleiten. Er war kaum im Wasser, als er sich auch schon mit aller Macht an Mrothyr klammerte. Der Prerk kam zu Hilfe. Er war kein besonders guter Schwimmer, aber er konnte sich über Wasser halten und dem Würger etwas von seiner Angst nehmen. Doch das änderte sich, als sie die Antigravwanne erreichten und sich daran festhielten. Vergeblich versuchten sie, sich hinaufzuziehen. Der Rand war zu hoch. Mrothyr ließ sich von den Wellen hochtragen. Er wollte ihren Schwung nutzen, aber auch damit gelang es ihm nicht, in die Rettungswanne zu kommen. Verzweifelt hingen bald alle drei an der Wanne. Sie gaben den Kampf nicht auf, obwohl ihre Kräfte rasch nachließen. Keiner von ihnen wußte einen Rat, und sie kamen auch nicht weiter, als sie sich gegenseitig halfen. »Seht doch«, brüllte der Kettenkämpfer. »Das Schiff taucht weg. Wir müssen es schaffen. Wir müssen!« Tatsächlich tauchte der Krebsfänger gurgelnd und schäumend in die Tiefe. Die in ihm verborgene Positronik hatte offensichtlich auf ihre Nähe reagiert und veranlaßte das Schiff nun – da sie gerettet zu sein schienen – sich wieder seinen eigentlichen Aufgaben zuzuwenden. Mrothyr sah, daß die Luke nach wie vor offenstand. Das Wasser stürzte rauschend hinein. »Das haben wir nur dir zu verdanken«, tobte der Narbige. Wütend blickte er Mrothyr an. »Ich könnte dich umbringen.« Der Hintergeher schrie plötzlich auf. »Ich erinnere mich nicht, jemals einen so großen Fisch gesehen zu haben«, stammelte er. »Allerdings hat mir mal ein Freund erzählt, daß es im Ozean die gefährlichsten Bestien geben soll.« Lait und Mrothyr blickten über die Schultern zurück. Sie sahen eine gewaltige Rückenflosse aus den Wogen aufsteigen. Sie war wenigstens einen Meter hoch. Das Wasser brach sich schäumend an
ihr, und sie kam genau auf sie zu. Im nächsten Moment befanden sich alle drei in der Antigravschale, ohne daß einer von ihnen hätte sagen können, wie sie es geschafft hatten, die hohe Kante zu überwinden. Erschrocken blickten sie auf den gewaltigen Fischleib, der dicht an dem Rettungsgerät vorbeizog. Ein faustgroßes Auge blickte sie kalt durch das klare Wasser an. »Bei allen Geistern der Bergwelt«, stöhnte der Würger. »Das wird mir zu Hause niemand glauben.« Mrothyr lehnte sich in seiner Sitzschale zurück. Er lächelte. »So entstehen Legenden«, bemerkte er. »Die Helden kehren in die Heimat zurück und berichten, was ihnen draußen in der weiten Welt begegnet ist. Sie übertreiben ein bißchen, korrigieren die Wahrheit hier und da ein wenig, und am Ende ist wahrscheinlich von feuerspeienden Fischen die Rede, die sogar das Meer zum Kochen bringen können!« »Du hast dieses Monster anscheinend nicht richtig gesehen«, erwiderte der Kettenkämpfer. »Es war größer als das Schiff, von dem wir geflüchtet sind.« »Du solltest die Tatsachen nicht verdrehen«, mahnte Mrothyr ihn. »Das eigentliche Ungeheuer war nicht dieser Fisch, sondern das Schiff.« »Das Schiff?« fragte der Narbige erstaunt. »Wie kommst du auf einen derartigen Unsinn?« »Das Schiff gehört zur Neuen Technik. Also haben die Naldrynnen und die Hyptons es nach Zyrph gebracht. Es ist der Beweis dafür, daß die Fremden unseren Planeten nicht nur um alle Bodenschätze berauben, sondern daß sie auch die Meere ausplündern. Wahrscheinlich sind diese Krebse eine Delikatesse von hohem Wert für sie, sonst würden sie sie nicht in diesen Massen fangen. Sie holen sich, was immer sie für sich verwenden können, und sie nehmen keinerlei Rücksicht auf uns. Vielleicht weiß außer uns niemand, daß dies geschieht.«
Er blickte den Narbigen durchdringend an, und dieser hielt erschrocken den Atem an. Nervös wandte Lait sich ab. Er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Verlaß dich darauf, Würger, ich werde das ändern. Ich werde Zyrph von diesen Ungeheuern befreien.«
3. Als die Antigravwanne den Strand erreicht hatte, und die drei Männer ausgestiegen waren, wendete sie und entfernte sich mit rasch wachsender Geschwindigkeit vom Ufer. »Neue Technik«, staunte Mrothyr. »Das Gerät hat uns an Land gebracht, ohne daß wir etwas tun mußten. Jetzt kehrt es zum Schiff zurück.« Der Narbige rasselte hinter ihm mit seiner Kette. Mrothyr drehte sich zu ihm um. Er sah, daß der Würger die beiden Kettenenden in den Händen hielt und seine Mordwaffe straffte. Der Prerk stand hinter ihm. Er blickte auf den Boden und schien sich nicht für das zu interessieren, was geschah. »Was ist los?« fragte Mrothyr. »Du hast mich schwach gesehen«, erklärte Lait. »Ja – und? Was stört dich daran?« »Niemand, der mich schwach gesehen hat, darf überleben.« Mrothyr verschränkte die Arme vor der Brust. »Hast du nichts anderes zu tun als gegen mich zu kämpfen?« fragte er furchtlos. »Naldrynnen und Hyptons sind unsere Feinde. Um sie allein geht es, nicht um mich.« »Du irrst, Mrothyr. Ich rede von meiner Würde und von meiner Selbstachtung.« Er sprang auf Mrothyr zu und versuchte, diesem die Kette um den Hals zu werfen. Der Freiheitskämpfer wich ihm jedoch geschickt aus und hieb ihm zugleich die Faust gegen die Brust. Damit warf er ihn
zurück. »Hör auf mit dem Unsinn«, sagte er. »Wir haben etwas anderes zu tun.« Der Narbige schien ihn nicht gehört zu haben. Er griff erneut an, täuschte Mrothyr mit einer geschickten Körperwendung und schlang ihm die Kette um den Hals. Im nächsten Moment schleuderte er ihn zu Boden und drückte ihn mit seinem Körpergewicht nieder. Mit ungeheurer Kraft zog er die Kette zu. Vergeblich versuchte Mrothyr sich aus dem tödlichen Griff zu lösen. Der Hintergeher stand mit ausdruckslosem Gesicht daneben. Er blickte auf das Meer hinaus und schien nichts zu sehen, was geschah. Von See her näherte sich ein scheibenförmiges Raumschiff. Es flog donnernd über die drei Männer am Strand hinweg. Gischt sprühte auf und hüllte sie ein. Ihm folgte der lockere Sand, der in einer dichten Wolke aufwirbelte. Der Kettenkämpfer lockerte seinen Griff unwillkürlich, um seine Augen mit den Händen vor dem Sand zu schützen, und Mrothyr rang mühsam nach Luft. Der Sand drang ihm in den Mund. Lait folgte dem Raumschiff mit seinen Blicken. Es flog über die Dünen hinweg, die bis zu einer Höhe von etwa hundert Metern aufragten, und landete unweit der Küste. Mrothyr bäumte sich ruckartig auf, und es gelang ihm, den Würger zur Seite zu stoßen. Er richtete sich taumelnd auf und flüchtete ins flache Wasser. Hier spülte er sich den Mund aus. Lait nahm die Kette an sich, die in den Sand gefallen war. Breitbeinig stand er am Strand. »Du entkommst mir nicht«, sagte er drohend. »Du hast den Verstand verloren«, erwiderte Mrothyr. »Begreifst du denn wirklich nicht? Ich kämpfe für die Freiheit unseres Planeten. Ich kämpfe auch für dich.« »Ich kämpfe für Ehre und Würde.« »Man kämpft immer für das, was man nicht hat«, entgegnete der Rebell. Furchtlos kehrte er an den Strand zurück. In seinen Augen
glomm ein fanatisches Feuer. »Dein Hintergeher versieht die falsche Aufgabe, wenn er dir den Rücken deckt. Er sollte dir einen Tritt in den Körperteil versetzen, in dem bei dir der Verstand zu sitzen scheint.« Lait verfärbte sich. Wütend zerrte er mit seinen Händen an der Kette. »Dafür bringe ich dich um«, brüllte er. Er machte Anstalten, sich auf Mrothyr zu stürzen. Doch jetzt hob der Prerk den rechten Fuß und versetzte ihm einen derben Tritt. Der Narbige warf die Arme haltsuchend in die Höhe und stürzte kopfüber ins Wasser. Mrothyr packte ihn an den Haaren und zog ihn wieder daraus hervor. »Danke«, sagte er zu dem Hintergeher. Dann wandte er sich an Lait und fragte: »Geht es irgendwann in deinen Schädel, daß ich den Verstand eines Mannes weitaus höher einschätze als seine körperliche Kraft?« »Ich töte dich«, röchelte der Narbige. Mrothyr drückte seinen Kopf unter Wasser. Lait wehrte sich mit aller Kraft, doch im Wasser war er nur halb soviel wert wie auf dem Land. Sein Kampf dauerte nicht lange. Bald erschlaffte sein Körper. »Er scheint aufzugeben«, sagte sein Prerk. »Gezwungenermaßen.« Er kam zu Mrothyr ins Wasser. Ungerührt blickte er auf den bewußtlosen Lait. »Wenn es dir recht ist, bringe ich ihn auf den Strand.« »Es ist mir recht.« Der Hintergeher lächelte verstohlen und schleppte seinen Herrn an Land. Hier ließ er ihn fallen und versetzte ihm einen kräftigen Schlag in den Rücken. Röchelnd und hustend spuckte Lait Wasser aus. Er krümmte sich wie unter großen Schmerzen zusammen und brauchte einige Minuten, bis er sich wieder erholt hatte. Keuchend richtete er sich auf und ordnete das Tuch, unter dem der größte Teil seiner Haare verborgen war. Respektvoll blickte er Mrothyr an. »Du hast. mir bewiesen, daß du stärker bist als ich«, stammelte er
dann. »Damit ist alles weitere klar.« »Ach, tatsächlich? Ist es so?«, fragte Mrothyr. Er wandte sich an den Prerk. »Was hat das zu bedeuten? Was meint er?« »Damit gibt er dir zu verstehen, daß seine Würde wieder hergestellt ist. Von jetzt an brauchst du nicht mehr zu befürchten, daß er dich angreift. Im Gegenteil. Er wird dich und dein Leben verteidigen, wo immer ihm das möglich ist.« »Dann ist ihm also doch ein Funke Verstand geblieben.« »Offensichtlich«, lächelte der Hintergeher. »Er wird sich immer daran erinnern, was ihm soeben unter Wasser widerfahren ist.« Plötzlich fiel Mrothyr wieder ein, was ihm das Leben gerettet hatte. »Das Raumschiff«, rief er. »Wir müssen unbedingt wissen, warum es da hinten gelandet ist. Kommt.« Er eilte über den Strand und kämpfte sich dann mühsam über den ständig wegrutschenden Sand die Dünen hoch. Lait und sein Prerk folgten ihm wortlos. Zwischen ihnen gab es keine Auseinandersetzung. Der Würger schien vergessen zu haben, daß sein Hintergeher ihm einen Tritt versetzt hatte. Hinter den Dünen erstreckte sich ein weites, von Nadelhölzern überdecktes Land, das allmählich bis zu den Bergen am Horizont anstieg. Das Raumschiff war etwa zwei Kilometer von der Küste entfernt in einem Gebiet gelandet, in dem sich zahlreiche weiße, bizarr geformte Gebäude aus dem Grün erhoben. »Man kann nicht erkennen, was sie in der Stadt dort treiben«, sagte Mrothyr. »Wir müssen näher herangehen.« Lait und sein Prerk erhoben keinen Einspruch. Wortlos schlossen sie sich dem Freiheitskämpfer an, dessen führende Rolle sie nun nicht mehr anfochten. Sie blieben stets hinter ihm, bis sie sich einem der Gebäude und dem Raumschiff bis auf etwa zweihundert Meter genähert hatten. Dann schlossen sie zu ihm auf und kauerten sich neben ihm ins Unterholz. »Was hat das zu bedeuten?« fragte der Kettenkämpfer. »Verstehst
du das?« Er deutete zu den Gebäuden hinüber. Zwischen diesen und dem Raumschiff bewegten sich zahlreiche Roboter. Die Maschinen schleppten in Kunststoffbehälter verpackte Gegenstände aus den Häusern. »Ich glaube – ja«, antwortete Mrothyr. »Ich bin noch nie vorher in dieser Gegend gewesen, aber ich glaube, ich weiß, um was es geht. Dies kann nur die Museumsstadt Aarkhof sein, in der die meisten Kunstschätze von Zyrph versammelt sind.« »Ich erinnere mich, von Aarkhof gehört zu haben«, entgegnete der Hintergeher. »Ein Freund hat mir davon erzählt. Hier werden Kunstschätze aus allen Ländern und aus allen Epochen unserer Geschichte aufbewahrt. Jeder Künstler strebt danach, daß seine Werke hier ausgestellt werden, und für viele Zyrpher ist es die Erfüllung ihres Lebens, einmal in Aarkhof gewesen zu sein.« »Diese Stadt ist das Zentrum unserer Kultur«, stellte Mrothyr erbittert fest. »Es ist ungeheuerlich.« Er wandte dem Raumschiff den Rücken zu und blickte Lait und den Prerk an. Ein fanatisches Feuer brannte in seinen Augen. »Begreift ihr, daß dies der schlimmste Diebstahl ist, den die Fremden sich je geleistet haben? Die Plünderung unserer Rohstoffe ist nichts gegen dieses Verbrechen. Hier nimmt man uns nicht nur die Lebensgrundlage, sondern versetzt uns den Todesstoß. Hier vernichtet man unsere Kultur und alles, was für unsere Völker wichtig ist. Man reißt die Wurzeln unserer Vergangenheit heraus. Die kostbarsten Beweise unserer Kultur werden die Wohnungen fremder Wesen auf fernen Welten schmücken, die nicht einmal ahnen, welche Bedeutung diese Schätze für uns haben. Verantwortungslose Politiker verkaufen das Letzte, was uns noch geblieben ist.« Er sprang auf. »Wir brauchen Hilfe. Wir müssen so schnell wie möglich ins Camp der Freiheitskämpfer. Dort müssen wir eine Kampfgruppe
zusammenstellen. Sie muß noch heute zuschlagen, oder diese Kunstwerke sind für alle Zeiten für uns verloren.« »Du hast recht«, sagte Lait. »Ich habe einen Verräter verfolgt, der eine unserer wertvollsten Reliquien gestohlen hat, und der dafür zum Tode verurteilt worden ist. Aber was hier geschieht, ist noch viel schlimmer, hier nimmt man uns nicht nur einen Teil, sondern alles.« »In diesen Dingen manifestiert sich die Würde unserer Völker«, fügte Mrothyr hinzu. »Wenn wir sie nicht für uns bewahren können, haben wir unsere Zukunft verloren.« Er führte seine beiden Begleiter von dem Raumschiff weg und besprach dabei die notwendigen nächsten Schritte. Sie mußten auf dem schnellsten Weg nach Baignalk ins Camp der Freiheitskämpfer. »Es kann nicht weit bis dorthin sein«, erwiderte Lait. »Höchstens noch hundert Kilometer.« Mrothyr zuckte zusammen. »So weit?« Er schüttelte verzweifelt den Kopf. »Wir können unmöglich in der uns verbleibenden Zeit dorthin gehen, eine Kampftruppe zusammenstellen, zurückkehren und gegen das Raumschiff kämpfen.« »Wir müssen es versuchen«, sagte der Narbige. Er richtete sich auf. »Oder wir müssen allein gegen die Naldrynnen und das Raumschiff kämpfen. Wir müssen unsere Feinde zwingen, die gestohlenen Kunstwerke wieder in die Häuser zurückzubringen.« »Allein haben wir keine Chance«, stellte Mrothyr illusionslos fest. »Wenn wir etwas ausrichten wollen, brauchen wir Verstärkung. Oder wißt ihr, wie wir den Start des Raumschiffs hinauszögern können, so daß wir Zeit gewinnen?« »Ich kenne mich mit der Neuen Technik nicht aus«, gestand Lait. »Und ich erinnere mich an nichts, womit wir das erreichen können«, fügte der Hintergeher hinzu. Er blickte Mrothyr über die Schulter seines Herrn hinweg an. »Ich habe keinen Freund, der sich jemals mit einer derartigen Maßnahme befaßt hat.«
Die Unterlippe sackte ihm noch etwas weiter als sonst nach unten, und die Lider bedeckten seine gelben Augen fast vollständig. Der Prerk sah aus, als sei er gerade dabei einzuschlafen. »Also los«, drängte Mrothyr. »Wir müssen nach Baignalk. Vielleicht haben wir Glück und sind rechtzeitig zurück.«
* Mrothyr blieb am Rand einer Grube von ungeheuren Ausmaßen stehen. Betroffen blickte er von der bewaldeten Kante in die Tiefe. Etwa fünfhundert Meter unter ihm krochen Maschinen über den Grund der Grube, die aus der Höhe wie große, graue Käfer aussahen. Sie bauten das Gestein ab, indem sie es mit Desintegratorstrahlern bearbeiteten. Hinter ihnen blieben die offengelegten Erzadern zurück. Sie wurden von anderen Maschinen bearbeitet. Mrothyr schätzte, daß die Grube etwa zehn Kilometer breit war. Wie lang sie war, konnte er nicht erkennen, da aus der Tiefe aufsteigender Dunst die gegenüberliegende Seite verdeckte. »Wir können sie nicht umgehen«, stellte Lait bestürzt fest. »Im Norden und im Süden stehen steile Felsbarrieren zu den beiden Meeren hin. Sie können wir nicht übersteigen. Also bleibt uns keine andere Wahl. Wir müssen nach unten und auf dem Grund der Grube entlanglaufen.« »Man sollte den Rand der Grube sprengen«, sagte Mrothyr. »Das Meer würde die Barriere durchbrechen und die Grube rasch füllen. Dann könnte niemand hier noch etwas abbauen.« Sie kletterten über den Hang nach unten. Dabei kamen sie überraschend schnell voran, da es genügend Vorsprünge gab, an denen sie Halt fanden. Mächtige Lastengleiter schwebten herab und nahmen tief unter ihnen das abgebaute Erz in sich auf, während ringförmige Antigravmaschinen die Staubmassen aufsaugten,
welche neben dem Erz als Rückstände der Desintegratorbestrahlung geblieben waren. Die ringförmigen Einheiten hatten einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern. Sie schleppten gewaltige Staubmassen in die Höhe und über die seitlichen Felsbarrieren hinweg aufs offene Meer hinaus. Als die drei Männer den Grund der Grube erreichten, konnten sie sehen, daß die Abbaumaschinen an ihrer Unterseite grüne Desintegratorstrahlen ausstießen. Diese verwandelten den Fels zu Staub, ließen jedoch das Erz unberührt und legten es lediglich frei. »Es ist unglaublich«, staunte Lait. »Ich komme aus den Bergen, und ich weiß, wie schwierig der Bergbau sein kann. Hier aber ist alles höchst einfach. Die Neue Technik holt sich nur das, was sie haben will. Alles andere wird vernichtet.« Die Desintegratormaschinen waren etwa dreißig Meter lang, fünfzehn Meter breit und fünf Meter hoch. An ihren Seiten befanden sich Schotte, durch die man in das Innere gelangen konnte. »Wir sehen uns so eine Maschine an«, beschloß Mrothyr. »Sie können fliegen. Also kommen wir darin schneller voran als zu Fuß. Vielleicht können wir damit auch nach Aarkhof zurückkehren und das Raumschiff aufhalten.« Eine der Maschinen näherte sich ihnen leise zischend. Die grünen Desintegratorstrahlen fraßen sich tief in den Fels ein. Staub wirbelte auf. »Los«, befahl Mrothyr. »Wir versuchen es.« Die drei Männer rannten auf die Maschine zu. Diese war mit zahlreichen Ausbuchtungen, rätselhaften Aufbauten und verschiedenen Antennen versehen, deren Sinn und Zweck für die Zyrpher nicht zu erkennen war. Doch das störte Mrothyr und seine Begleiter nicht. Sie ignorierten auch die Möglichkeit, daß die Maschine eine Besatzung hatte. Sie rannte zu einem der Schotte hin und hantierten daran herum, bis es sich öffnete. Dann kletterten sie hinein. »Und jetzt?« fragte der Würger.
»Komm mit. Irgendwo muß so etwas wie eine Zentrale sein.« Mrothyr eilte über einen schmalen Gang zu einem weiteren Schott, öffnete dieses und betrat danach einen kleinen Schaltraum. Mit Hilfe von mehreren Monitoren konnte er erkennen, was außerhalb der Maschine vorging. Auf verschiedenen anderen Anzeigen ließ sich jeder Vorgang beobachten, der von der Maschine ausgeführt wurde. Die Darstellungen waren denkbar einfach. »Das sollten wir eigentlich begreifen«, sagte Mrothyr. Lait ließ sich in einen der beiden Sessel sinken, die in dem Schaltraum standen. Er lehnte sich weit zurück, streckte die kurzen Beine aus und schloß die Augen. »Macht das nur«, seufzte er. »Ihr werden schon damit klarkommen. Wenn nicht – fragt mich.« Mrothyr und der Prerk blickten sich an, und der Hintergeher lächelte verstohlen. Die beiden Männer wußten, weshalb der Würger sich so verhielt. Er verstand absolut nichts von dem, was hier geschah, und das wollte er vor ihnen beiden verbergen. Mrothyr diskutierte mit dem Prerk über die verschiedenen Schaltungen und Vorgänge, und sie wurden sich rasch einig. Die Abbaumaschine ließ sich mühelos steuern, und die Desintegratorstrahlen ließen sich sowohl in der Breite als auch in der Tiefenwirkung beinflussen. »Die Maschine ist geradezu ideal für uns«, stellte der Hintergeher schließlich fest. Er schien vergessen zu haben, daß er eigentlich hinter Lait hätte stehen und unbeteiligt bleiben müssen. »Damit können wir die Grube verlassen und das Raumschiff angreifen.« »Richtig«, bestätigte Mrothyr. »Vorausgesetzt, wir haben die Selbststeuerung richtig begriffen. Das werden wir feststellen, wenn wir oben sind.« Er deutete auf die obere Kante der Grube hinauf. »Und dann können wir nur hoffen, daß es nicht so etwas wie Wachpersonal oder Überwachungsroboter gibt, die uns aufhalten.«
Er verschob einige Hebel auf dem Schulpult, und die Desintegratorstrahlen erloschen. Dann drehte er an einem Stellrad, und die Maschine strebte dem Rand der Grube zu. Sie stieg daran hoch bis zur Kante, folgte zügig einem weiteren Befehl und entfernte sich von der Grube. »Niemand greift ein«, stellte der Hintergeher triumphierend fest. »Es scheint keine Kontrollen zu geben.« Lait öffnete ein Auge und blickte sie unsicher an. Er hätte gern ein paar Fragen gestellt, doch er wollte Mrothyr gegenüber nicht zugeben, daß er nichts von dem verstanden hatte, was dieser mit seinem Diener besprochen hatte. Er hätte die Maschine gern verlassen. Sie war ihm unheimlich und erschien ihm wie Teufelswerk, doch er fürchtete, daß sein Prerk einige abfällige Bemerkungen über ihn machen würde, wenn sie wieder ins Bergland zurückkehrten. Vor dem Großen Feuer würde er berichten müssen, was ihm widerfahren war, und auch sein Prerk würde sich dazu äußern müssen. Er mußte vorsichtig sein. Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als Mrothyr als großen Führer herauszustellen, dachte er. Aber ich muß auch darauf achten, daß meine Rolle nicht zu klein ausfällt. Er schloß das Auge rasch wieder, als er merkte, daß Mrothyr sich ihm zuwenden wollte. Dieser junge Freiheitskämpfer war ihm irgendwie unheimlich. Er hatte sich ihm überlegen gefühlt, bis Mrothyr ihn aus dem Wasser gezogen hatte, und er begriff auch jetzt noch nicht, daß er den letzten und entscheidenden Kampf gegen ihn verloren hatte. Es lief ihm kalt vor Entsetzen über den Rücken, als er daran dachte, wie Mrothyr ihn unter Wasser gedrückt und festgehalten hatte, bis er das Bewußtsein verloren hatte. Er hätte mich umbringen können, dachte er. Und es wäre ein Tod ohne Würde gewesen. Er überlegte, ob er sich unter diesen Umständen an die Ergebenheitserklärung halten mußte, die sein Prerk Mrothyr gegenüber abgegeben hatte.
Wenn das Raumschiff nicht gekommen wäre, hätte ich ihn getötet, und alles wäre anders gewesen. Ich muß noch einmal darüber nachdenken. Der Magen krampfte sich ihm zusammen, als die Maschine wie von Geisterhand bewegt über die Wipfel der Bäume hinwegflog und sich den weißen Gebäuden der Museumsstadt näherte, doch der Gedanke an die geraubten Kunstschätze lenkte ihn ab. Er war nicht weniger empört über diese Tat der Hyptons und Naldrynnen als Mrothyr. Vor den Kunstwerken der Zyrpher hatte er den größten Respekt. Er selbst wäre nie in der Lage gewesen, selbst so etwas zu schaffen. Um so höher achtete er die Männer und Frauen, unter deren Händen jene Werke entstanden waren, die nun zum Opfer der Fremden werden sollten.
4. Mrothyr und der Hintergeher diskutierten leise miteinander, und sie wurden sich auch jetzt bald einig. »Aussteigen, Lait«, sagte der Freiheitskämpfer. »Die Maschine muß den Rest allein erledigen.« Der Würger tat, als habe er tief geschlafen. Er richtete sich auf, rieb sich die Augen und blickte sich kopfschüttelnd um. »Wir sind in einer der Bergbaumaschinen«, erläuterte der Prerk nachsichtig. »Erinnerst du dich?« Lait stand auf und nickte würdevoll. »Natürlich«, erwiderte er. »Es war nur, weil ich dachte, ihr seid schon weiter.« Damit marschierte er zum Ausgangsschott und wartete, bis die beiden anderen Männer bei ihm waren. Würdevoll rückte er das Tuch zurecht, unter dem er seine Haarpracht verbarg. »Ich hoffe, ihr habt alles richtig gemacht. Oder möchtet ihr, daß ich die Maschine noch einmal kontrolliere?« »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, entgegnete der Prerk.
»Wir haben alles im Griff.« Er öffnete das Schott und forderte den Würger mit einer Geste auf, hinauszuspringen. Lait kam dieser Aufforderung ohne Zögern nach. Sein Hintergeher und Mrothyr folgten ihm. Sie landeten auf dem weichen Waldboden und eilten sogleich zu einem Hügel hinauf. Von ihm aus konnten sie die Museumsstadt und das Raumschiff besser sehen. »Wir haben den Autopiloten vorprogrammiert«, erläuterte der Hintergeher. »Neue Technik.« Die Bergbaumaschine hob sich wie ein graues Monster an. Aus ihrer Unterseite schlugen zwanzig etwa zehn Meter lange Desintegratorstrahlen. Sie näherte sich dem Raumschiff, und jetzt endlich wurde einer der Naldrynnen aufmerksam, der in einer der Schleusen stand. Er gestikulierte heftig und verschwand im Innern des Raumschiffs. »Jetzt ist das Ding dran«, schrie Lait begeistert. Die Bergbaumaschine schob sich langsam über das Raumschiff, und die grünen Desintegratorstrahlen fraßen sich durch dessen Außenhaut. Mehrere Roboter stiegen auf und feuerten. »Es ist vorbei«, stöhnte der Würger. Über dem Raumschiff blitzte es auf, und die Bergmaschine explodierte. Doch auf ihrem Weg über den Raumer hatte sie schwere Zerstörungen angerichtet. »Die Naldrynnen können so bald nicht starten«, stellte der Prerk befriedigt fest. »Für die Reparaturen benötigen sie bestimmt einige Tage.« »Zurück zur Grube«, rief Mrothyr. »Schnell. Beeilt euch. Es wird nicht lange dauern, bis es hier von Kampfrobotern wimmelt.« Sie flohen zur Grube, kletterten in aller Eile am Hang hinab bis zum Grund und stiegen dann in eine weitere Abbaumaschine. Mrothyr atmete auf, als sich das Schott hinter ihnen schloß. »Wir bleiben vorläufig in dieser Maschine«, erklärte er. »Damit durchqueren wir die Grube bis zum anderen Ende. Niemand wird
uns hier vermuten.« Zusammen mit dem Prerk beobachtete er die anderen Maschinen und stimmte die Geschwindigkeit des eigenen Erzdesintegrators sorgfältig auf sie ab. Allmählich erhöhte er die Geschwindigkeit. »Wir kommen doppelt so schnell voran, als wenn wir laufen würden«, stellte er fest. »Das muß genügen.« Wenig später sahen sie einige Gleiter und fliegende Roboter über der Grube auftauchen. Die Naldrynnen reagierten auf die Beschädigung des Raumschiffs, doch wurde schon bald deutlich, daß sie ihre Spur verloren hatten. Sie kamen nicht auf den Gedanken, die Abbaumaschinen zu untersuchen. Drei Stunden später hatten Mrothyr und seine beiden Begleiter die Grube durchquert. Sie verließen die Abbaumaschine und machten sich an den Aufstieg. »Warum diese Mühe?« beschwerte Lait sich. »Warum klettern wir hoch? Wir hätten doch mit dieser Maschine fliegen können.« »Und wären dann entdeckt worden«, erwiderte Mrothyr. Als sie die obere Kante der Grube endlich erreicht hatten, erlegte der Würger ein antilopenartiges Tier. Er nahm es aus, zog es ab und bereitete es über einem offenen Feuer zu. Das Geweih warf er achtlos weg. Währenddessen eilte Mrothyr weiter. Er kehrte erst an das Feuer zurück, als der Kettenkämpfer und sein Hintergeher bereits aßen. »Ich habe Baignalk gefunden«, berichtete der Rebell. »Es ist nur noch etwa drei Kilometer von hier entfernt.« Er setzte sich und schob sich die grün und blau gestreifte Fellmütze in den Nacken zurück. Das verschwitzte Haar fiel ihm in die Stirn, die für einen Zyrpher ungewöhnlich hoch war. »Ich erinnere mich daran, dich schon einmal zufriedener gesehen zu haben«, bemerkte der Prerk. »Ein Freund von mir hätte an deiner Stelle gesagt: Ich habe es nicht so angetroffen, wie ich gehofft habe.« »Und damit hätte dein Freund vollkommen recht gehabt. Ich schätze, daß in Baignalk wenigstens dreitausend Männer und
Frauen versammelt sind«, antwortete Mrothyr. »Das sind zu viele.« »Damit kannst du eine Streitmacht aufstellen«, begeisterte sich der Würger. »Dreitausend Zyrpher wollen versorgt werden«, erwiderte Mrothyr. »Wir werden vor lauter Problemen nicht zum Kampf kommen.« »Abwarten«, knurrte der Kettenkämpfer und stopfte sich ein gewaltiges Stück Fleisch zwischen die Zähne. Der Saft lief ihm über das Kinn, doch das störte ihn nicht. »Das sind keine Dummköpfe. Viele von ihnen werden etwas mitgebracht haben. Sie sind nicht mit leeren Händen gekommen.« Mrothyr griff schweigend nach dem Fleisch. Versonnen blickte er vor sich hin. Er hatte damit gerechnet, einige seiner früheren Mitstreiter und darüber hinaus noch eine Handvoll unternehmungslustiger Männer und Frauen im Camp der Freiheitskämpfer zu finden, nicht aber eine derartige Menge. Er fürchtete, durch sie von seinen Zielen, dem Kampf gegen die Naldrynnen und die Hyptons, abgehalten zu werden. Sie werden mich behindern, dachte er voller Skepsis. Außerdem werden uns die Naldrynnen schnell auf die Schliche kommen. Eine derartige Ansammlung kann ihnen nicht entgehen. Sein Hunger war bald gestillt. Der Kettenkämpfer aber aß weiter, bis von dem erlegten Wild nichts als das Gerippe übrig war. Dann lehnte er sich zurück, legte beide Hände an den prallen Bauch und stöhnte zufrieden. »Jetzt werde ich schlafen«, erklärte er. »Weckt mich, sobald es hell wird.« Mrothyr blickte ihn verblüfft an. Es würde noch Stunden dauern, bis die Sonne untergehen würde. Wenn Lait bis zum Sonnenaufgang schlafen wollte, würden sie wenigstens 18 Stunden auf ihn warten müssen. Er stand auf. »Hoch mit dir«, befahl er. »Die Ruhepause ist beendet. Wir gehen
nach Baignalk.« Lait lachte. »Nicht doch«, protestierte er. »Hier wird nichts befohlen.« »Dann bleibst du hier. Und laß dich nicht in Baignalk sehen.« Der Kettenkämpfer sprang überraschend behende auf. Er griff nach den Enden seiner Kette und straffte sie zwischen den Händen. Mit zornig funkelnden Augen blickte er Mrothyr an. »Also gut«, sagte er. »Beenden wir den Streit. Hier ist kein Wasser, in dem du Zuflucht nehmen kannst. Tragen wir es aus.« Mrothyr blickte den Hintergeher an, doch dieser stand unbeteiligt hinter dem Würger. Lait schrie laut auf und stürzte sich auf den Freiheitskämpfer. Die Kette wirbelte durch die Luft und hätte sich fraglos um Mrothyrs Hals gelegt, wenn dieser sich nicht im letzten Moment gebückt hätte. Dann aber fuhren die Fäuste des Rebellen vor. Sie trafen den aufgeblähten Leib Laits. Der Würger wurde blaß. Seine Arme fielen schlaff herab, und die Kette rutschte ihm aus den Fingern. Die Beine knickten ihm ein, er kippte nach hinten weg und schlug auf den Waldboden. Er fuhr jedoch augenblicklich wieder hoch. Brüllend hielt er sich das Hinterteil, mit dem er auf das zuvor achtlos weggeworfene Geweih gefallen war. Mrothyr schlug ihm die flache Hand links und rechts ins Gesicht. Lait wehrte sich nicht. Er blickte ihn nur fassungslos an, während er sich stöhnend von dem Geweih befreite. »Verschwinde«, sagte der Rebell. »Ich will dich nicht mehr sehen.« Der Würger blickte ihn verständnislos an. »Du hast mich besiegt«, stammelte er, als sei damit alles erklärt. »Ja, wieder einmal«, erwiderte Mrothyr. »Und jetzt reicht es. Geh mir aus den Augen.« Er drehte sich um und ging in Richtung Baignalk davon. Doch Lait eilte hinkend hinter ihm her. »Das kannst du mir nicht antun«, klagte er, wobei er sich das blutende Hinterteil hielt. »Du würdest mich vernichten.«
»Du hast mir die Treue mit der Begründung verweigert, daß unser Kampf nicht ehrlich war. Du bemängelst, daß ich dich mit Hilfe des Wassers besiegt habe«, antwortete Mrothyr. »Das nächste Mal wirst du behaupten, alles wäre ganz anders gekommen, wenn du dir den Bauch nicht so vollgeschlagen hättest. Du wirst immer eine Entschuldigung dafür finden, daß du mir unterlegen bist. Ich kann deinem Wort nicht vertrauen.« »Du hast recht. Ich habe mein Volk entehrt. Ich muß Starschaek begehen.« »Den unehrenhaften Selbstmord? Von mir aus.« Mrothyr rechnete damit, daß Lait noch irgend etwas vorbringen würde, um sein Verhalten zu entschuldigen, doch der Würger ließ sich mit versteinerter Miene auf die Knie herabfallen, schlang sich blitzschnell die Kette um den Hals, verknotete sie und zog sie mit aller Kraft zu. »Meint er es ernst?« fragte der Freiheitskämpfer erschrocken. »Er ist entschlossen zu sterben«, bestätigte der Hintergeher. »In einigen Minuten werde ich frei sein.« Das Gesicht Laits verfärbte sich. Er hielt die Augen geschlossen und preßte die Lippen fest aufeinander. Schärfer noch als sonst hob sich die schmalrückige Nase aus seinem Gesicht hervor, doch sonst ließ er durch nichts erkennen, daß er unter höchster Atemnot litt. Mrothyr hatte noch nie jemanden gesehen, der sich angesichts seines sicheren Todes in solcher Weise beherrschen konnte. Die Haltung des Narbigen nötigte ihm Respekt ab. Er stürzte sich auf ihn und versuchte, die Kette zu lösen, doch Lait trieb ihn mit einem wuchtigen Faustschlag zurück. Sein Körper begann zu zucken, dann kippte er langsam um und fiel ins Gras. Wieder warf sich Mrothyr auf ihn, und da Lait das Bewußtsein verloren hatte, gelang es ihm, die Kette an sich zu bringen. »Wie kannst du dabei zusehen?« schrie er den Prerk an. »Los doch. Hilf mir.« Er preßte seine Hände rhythmisch auf die Brust Laits, bis dessen
Atmung wieder einsetzte. »Ich darf dir nicht helfen«, erklärte der Prerk. »Es war die freie Entscheidung Laits.« Der Narbige kam wieder zu sich. Verwirrt blickte er Mrothyr an. »Und jetzt?« fragte dieser den Hintergeher. »Ich hoffe, er wird nicht noch einmal so etwas machen.« »Daran kann ihn niemand hindern«, erwiderte der Prerk, und seine Lider sanken noch ein wenig tiefer herab. »Er wird in sich gehen und überlegen. Nach Sonnenaufgang wird er dir sagen, ob er sich für das Leben und den Dienst an dir oder für den unehrenhaften Tod entscheidet. Er wird dich nie mehr angreifen. Von jetzt an kannst du wirklich sicher vor ihm sein.« »Das hast du schon einmal gesagt. Das nächste Mal werde ich nicht eingreifen, sondern ihn tun lassen, was er will«, versprach Mrothyr. Er beobachtete, wie der Narbige sich mühsam aufrichtete. Mit einem Fußtritt schleuderte der Würger das Geweih zur Seite. Mrothyr drehte sich um und ging in Richtung Baignalk davon. Es dauerte nicht lange, bis der Kettenkämpfer und sein Prerk zu ihm aufschlossen. Lait verhielt sich schweigsam. Als der Freiheitskämpfer sich zu ihm umdrehte, schlug er die Augen nieder und wich seinen Blicken aus. Er bot das Bild eines Mannes, der sich seiner Niederlage bewußt ist, und sie voll akzeptiert. Baignalk lag in einem weiten, dicht bewaldeten Talkessel. Aus der Ferne war nur schwer zu erkennen, daß sich so viele Zyrpher in ihm versammelt hatten, da die meisten ihr Lager unter den Bäumen aufgeschlagen hatten. Viele hatten Zelte mitgebracht, die überwiegende Zahl der Männer und Frauen aber saß oder lag auf Decken, die sie auf dem Boden ausgebreitet hatten. Als Mrothyr das Camp erreichte, erhoben sich einige Männer und blickten ihn bewundernd an. Jemand rief seinen Namen, und plötzlich pflanzte sich der Ruf durch das ganze Lager fort. Von allen Seiten strömten Männer und Frauen heran. Die meisten waren bewaffnet. Jubelnd begrüßten sie den Mann, der die Naldrynnen
blamiert und die Hyptons aus ihren Verstecken hervorgezwungen hatte. Sie umringten ihn und bestürmten ihn mit Fragen. Immer wieder bestätigte sie ihm, daß sie auf ihn gewartet hatten. »Ich danke euch«, sagte Mrothyr zu einigen wildverwegenen Männern. »Ich möchte jedoch wissen, wer von euch auf den Gedanken gekommen ist, das Camp an dieser Stelle zu errichten.« »Arishka«, antwortete ein kahlköpfiger Hüne, der die Uniform eines Soldaten vom Südkontinent trug. Eine breite Narbe zog sich quer über seinen Schädel, und sein linkes Auge war größer als das rechte. »Sie hat bei uns im Süden gegen die Hyptons und die Naldrynnen gekämpft. Sie hat uns hierher geführt.« Erstaunt stellte Mrothyr fest, daß man ihn vorbehaltlos als Anführer ansah, obwohl man bisher lediglich von ihm gehört hatte. Offenbar traute man ihm zu, im Kampf um die Freiheit der Zyrpher die große Wende herbeiführen zu können. Im Kreis von mehreren jungen Männern kam eine langhaarige Frau auf ihn zu. Sie trug ihr rotes Haar offen und hatte nur einige türkisfarbene Federn als Kopfbedeckung. Eine grüne Bluse umspannte ihren Oberkörper ein wenig zu fest, wie Mrothyr fand, während die weichen, grünen Hosen sie gut kleideten. Mit wachen Augen blickte sie ihn an. Sie hatte eine kantig wirkende Stirn, eine sanft nach oben geschwungene Nase, dünne Lippen und zierliche, außerordentlich scharfe Zähne. Einige blaue Polypen zierten ihre Wangen. »Ich bin Arishka«, stellte sie sich vor und streckte ihm beide Hände entgegen. »Ich habe viel von dir gehört, von deinem Kampf gegen die fremden Mächte und von deinen bisherigen Erfolgen gegen sie. Mit größter Befriedigung habe ich im Fernsehen verfolgt, wie du die Naldrynnen bloßgestellt hast. Ich möchte mit dir zusammenarbeiten.« »Wer bist du?« fragte er. »Ich bin die Tochter eines hochgestellten, aber langweiligen Qurailequyren-Funktionärs«, antwortete sie. Dann warf sie lachend
den Kopf in den Nacken. »Funktionär! Dieser Begriff leitet sich von funktionieren ab. Leider ist gerade das bei unseren Funktionären am wenigsten der Fall, weil sie alles reglementieren und bürokratisieren wollen, bis überhaupt nichts mehr geht. Gerade deshalb ist dein Freiheitskampf so wichtig. Er richtet sich nicht nur gegen die Naldrynnen und die Hyptons, sondern auch gegen die verkrusteten Zustände in unseren Ländern.« Verblüfft blickte er sie an. »Redest du immer so viel?« fragte er. Sie lacht erneut, und ihre Augen blitzten vor Vergnügen. »Nicht immer«, erwiderte sie. »Nur wenn ich wirklich großen Männern begegne, und das kommt nicht alle Tage vor.« Ihr Lachen war ansteckend. Eine mächtige Gestalt schob sich durch die Reihen der Freischärler. Sie trug einen dunklen Hut, der sich zu zwei großen Flügeln aufwölbte. »Mrothyr«, rief der Mann. »Ich wußte, daß ich dich hier finden würde.« »Irksregs Grüa«, sagte Mrothyr. Er war überrascht, den Telepathen in diesem Camp zu sehen. »Ich dachte, du bist in der Stadt.« »Ich mußte ins Lager der Naldrynnen zurückkehren«, erwiderte Grüa. »Ich hätte unnötig Verdacht erregt, wenn ich es nicht getan hätte.« »Zu den Naldrynnen? Heißt das, daß du mit den Fremden zusammenarbeitest?« »Ich stehe in ihren Diensten«, gestand der Telepath, »aber ich arbeite nicht mit ihnen zusammen. Um es deutlich zu sagen: Ich hintergehe sie, wo immer mir das möglich ist. Nein, sprich jetzt nicht aus, was du denkst. Laß uns erst unter vier Augen miteinander reden.« »Einverstanden«, erwiderte Mrothyr. »Wir haben ein Quartier für dich vorbereitet«, erklärte Arishka. Sie
zeigte zu einem Hügel hinüber, auf dem ein Zeltdach zwischen vier Bäumen gespannt worden war. »Es ist ein Kommandostand. Dort haben wir auch einige Geräte der Neuen Technik. Du wirst sie für deinen Kampf benötigen.« Zusammen mit Grüa und Arishka ging Mrothyr zu dem Unterstand hinüber, begleitet von dem Beifall der Männer und Frauen, an denen es vorbeiging. Er winkte ihnen lächelnd zu, während er überlegte, wie er sie wieder loswerden konnte. Er freute sich über ihre Begeisterung, war sich jedoch darüber klar, daß er keine dreitausend Zyrpher kurzfristig für den Kampf gegen die Naldrynnen und Hyptons organisieren konnte. Eine solche Menge konnte allzu leicht entdeckt werden. Von einem zufällig vorüberfliegenden Gleiter aus konnten die Fremden sie sehen und durch einen Luftangriff unschädlich machen. Außerdem konnten die Hyptons allzu leicht Spione in eine solche Masse einschleusen. »Hast du etwas dagegen, wenn ich bei euch bleibe?« fragte das Mädchen. »Zunächst will ich allein mit Grüa sprechen«, antwortete Mrothyr. »Danach rufe ich dich hinzu.« Arishka war ihm auf Anhieb sympathisch. Ihre offene und ungezwungene Art gefiel ihm, und er war davon überzeugt, daß sie entschlossen an seiner Seite kämpfen würde. »Du weißt nicht, ob du mir vertrauen darfst«, erkannte sie. »Aber du wirst es bald wissen.« Sie akzeptierte seinen Wunsch und fühlte sich durchaus nicht zurückgesetzt. Sie lehnte sich an einen Baum und hob den rechten Arm, um den anderen Freiheitskämpfern anzuzeigen, daß sie Mrothyr und Grüa nicht folgen durften. Man gehorchte ihr, und niemand begehrte auf. Die beiden Männer setzten sich unter dem Segeltuch in den Schatten. »Bis jetzt weiß niemand außer dir, daß ich Telepath bin«, erklärte Grüa. »Und so soll es vorläufig auch bleiben. Ich habe die Gedanken von wenigstens einem Spion gelesen, und ich werde diesen Mann noch heute entlarven. Sobald aber allgemein bekannt wird, daß ich
die Gedanken aller kontrollieren kann, muß ich damit rechnen, daß man versucht, mich umzubringen.« »Was ist mit Arishka?« fragte Mrothyr. »Du hast dich in sie verliebt, was?« Der junge Mann blickte den Telepathen kühl an. Äußerlich war ihm nicht anzumerken, was er empfand. »Davon ist nicht die Rede. Ich will wissen, ob ich ihr vertrauen kann. Steht sie eindeutig auf unserer Seite oder nicht?« Grüa lachte dröhnend. »Auf sie kannst du dich ganz bestimmt verlassen«, erwiderte er. »Auf viele andere nicht. Es sind eine Menge Männer und Frauen dabei, die romantische Vorstellungen von Freiheitskampf haben, und die eigentlich gar nicht recht wissen, um was es eigentlich geht. Viele glauben, sich nur auf diese Weise auch für die Zukunft einen hohen Lebensstandard sichern zu können. Und dann gibt es einige, die glauben, ihre Fahne rechtzeitig in den Wind hängen zu müssen. Sie spekulieren darauf, daß eine neue Zeit angebrochen ist, in der andere Herrschaftsstrukturen geschaffen werden. Sie wollen von Anfang an dabei sein, um sich auf diese Weise möglichst gute Aufstiegschancen zu sichern.« »Die Frage ist, wie wir diese Leute wieder loswerden«, sagte Mrothyr. »Ich kann nur die gebrauchen, denen es um unsere Freiheit geht. Hyptons und Naldrynnen müssen Zyrph für immer verlassen. Danach werden wir uns die Neue Technik und damit eine bessere Zukunft erschließen.« »Ich helfe dir, so gut ich kann«, versprach der Telepath. »Du solltest Arishka nun nicht länger warten lassen. Und dann solltest du einen Organisationsstab zusammenstellen, damit du möglichst bald eine schlagkräftige Truppe aufbauen kannst.« Mrothyrs Kopf ruckte hoch, und er blickte den Telepathen mit leicht verengten Augen an. Grüa richtete sich betroffen auf. Er griff sich ans Kinn und strich sich mit den Fingerspitzen über die hornigen Lippen.
»Entschuldige«, stammelte er. »Ich hätte wissen müssen, daß mir derartige Ratschläge nicht zustehen. Du weißt viel besser als ich, was zu tun ist.« Er blickte Mrothyr erschrocken an. Er hatte plötzlich das Gefühl, es mit einer ganz anderen Persönlichkeit als zuvor zu tun zu haben. Er meinte, Einblick in eine Seele gewonnen zu haben, die sich seinem Verständnis entzog. Ein einziger Gedanke machte den rangmäßigen Unterschied zwischen ihm und Mrothyr klar, und er beugte sich ihm. Er war blaß geworden, und er wich den Blicken des jungen Freiheitskämpfers aus. Arishka kam zu ihnen. Sie spürte sofort, daß sich etwas verändert hatte. Verstört blickte sie Grüa an und wandte sich dann Mrothyr zu. Unsicher strich sie sich das rote Haar aus der Stirn. »Was ist los?« fragte sie. »Nichts«, erwiderte Mrothyr und berichtete dann, daß die Naldrynnen dabei waren, die Museumsstadt Aarkhof zu plündern, und daß er bereits Maßnahmen ergriffen hatte, sie daran zu hindern. »Das reicht jedoch nicht aus«, fuhr er fort. »Wir müssen eine schlagkräftige Truppe zusammenstellen, die die Naldrynnen davonjagt. Dafür brauche ich etwa zweihundert bewaffnete Männer und Frauen. Sie sollen von zwanzig Unterführern befehligt werden. Diese sind ausschließlich mir verantwortlich, und sie erhalten ihre Anweisungen nur von mir.« »Ich hatte mir bereits einige Gedanken gemacht, bevor du hier warst«, erwiderte Arishka. Deutlicher noch als zuvor spürte sie, daß etwas zwischen Grüa und ihm vorgefallen war. »Wenn du willst, werde ich dir einige Männer und Frauen empfehlen, mit denen zusammen ich gekämpft habe und für die ich mich verbürgen kann.« »Warum nicht? Ich brauche erfahrene und zuverlässige Kräfte. Fangen wir an.«
5. Wie sich zeigte, hatte die junge Frau eine gute Auswahl getroffen. Mrothyr war mit acht Männern und vier Frauen einverstanden. Die anderen wies er ab und suchte selbst Ersatz für sie. Zugleich schickte der den Würger und seinen Hintergeher mit dem Auftrag durch das Lager, für Waffen zu sorgen. Tatsächlich gelang es Lait, eine Reihe von Geräten aufzutreiben, die beim Kampf eingesetzt werden konnten. Das Spektrum dieser Waffen reichte vom Hochleistungsenergiestrahler über Repetiergewehre bis hin zu Katapulten, mit denen Stahlkugeln verschossen werden konnten. Mrothyr hatte keine andere Wahl. Er mußte alles nehmen, was sich irgendwie im Kampf verwenden ließ. Er vertröstete die Freiheitskämpfer auf die zu erwartende Beute, bei der ganz sicher auch Waffen sein würden. Am Abend dieses Tages brachen zweihundert Männer und Frauen auf. Sie verwendeten Antigravgleiter und Antigravplattformen, mit deren Hilfe sie die Grube schnell überwinden konnten. Als es zu dunkeln begann, hatte Mrothyr die Kampftruppe bis auf etwa drei Kilometer an das Raumschiff der Naldrynnen herangeführt. Die Transportgeräte blieben im Wald versteckt zurück, und nun rückten die verschiedenen Gruppen zu Fuß weiter vor. Arishka, Irksregs Grüa, der Würger und dessen Hintergeher hielten sich in der Nähe Mrothyrs auf, der an der Spitze ging. Er trug einen leichten Energiestrahler in den Händen. Schon von weitem war der Lichtkegel zu sehen, den die Naldrynnen über dem beschädigten Raumschiff errichtet hatten. »Sie rechnen ganz sicher mit einem weiteren Angriff«, sagte Mrothyr. »Sicher haben sie Roboter als Wachen aufgestellt.« »Das ist richtig«, bestätigte Grüa leise. »Ich weiß auch schon, wo einer ist.« Arishka blickte ihn erstaunt an, fragte jedoch nicht. Sie folgte ihm
und Mrothyr, als diese einen Bogen schlugen und auf diese Weise eine Mulde umgingen. Der Prerk sorgte dafür, daß die Anweisungen Mrothyrs an die anderen Gruppen weitergeleitet wurden. Doch dabei schlich sich ein Übermittlungsfehler ein. Als die meisten Gruppen den Roboter bereits umgangen hatten, liefen mehrere Männer direkt auf diesen zu, und plötzlich blitzte ein Energiestrahler auf. Danach fielen mehrere Schüsse, und die Schreie der Verletzten hallten durch den Wald. »Angriff«, befahl Mrothyr und stürmte voran. Er brach durch das Unterholz und sah sich plötzlich dem Raumschiff gegenüber, an dem Dutzende von Naldrynnen und Robotern arbeiteten. Die durch die Desintegratoren angerichteten Schäden waren offenbar beträchtlich. Eine Alarmsirene heulte auf, und aus dem Schiffsinnern feuerte jemand auf die Freiheitskämpfer. Mrothyr bemerkte einen Naldrynnen, der hinter einem Container hervorkam. »Vorsicht«, rief Grüa. »Der Bursche hat dich erkannt. Er will dich umbringen.« Das kleine, gedrungene Wesen schnellte sich auf Mrothyr und versuchte, ihn mit bloßen Händen zu erledigen. Doch der junge Rebell wich geschickt aus und schlug dem Naldrynnen die Waffe ins Genick, erzielte damit jedoch so gut wie keine Wirkung. Er hatte das Gefühl, gegen eine Betonmauer geschlagen zu haben. Die Naldrynnen waren nur etwa 80 Zentimeter groß und fast ebenso breit. Sie waren über und über mit einem langen und dichten, olivgrünen Fell bedeckt, hatten vier kurze, dicke Beine und zwei ebenfalls kurze, aber dehnbare Arme mit hornigen Krallenhänden. Die Naldrynnen sahen mit ihrem Fell und ihren großen Augen auf den ersten Blick geradezu possierlich aus, doch sie waren überaus gefährliche und harte Kämpfer, die keinerlei Hemmungen hatten, ihre Gegner zu töten. Bezeichnend für sie war, daß sie sich selbst in gefährlichen Situationen nicht von ihren Angehörigen trennten.
Mrothyr sah, daß einige Frauen und Kinder abwartend hinter den Landebeinen des Raumschiffs standen und den Kampf beobachteten. Eine hornige Krallenhand griff nach ihm und fetzte ihm das Hemd herunter. Dann streckte der Naldrynne zwei Finger aus und stieß sie blitzschnell gegen ihn. Mrothyr konnte gerade so weit ausweichen, daß ihm die beiden Finger nicht wie die Klinge eines Dolches ins Herz, sondern nur in den Oberarm fuhren. Dann kam auch schon die nächste Attacke. Die Naldrynnen waren körperlich sehr stark, und sie konnten mit ihren kurzen Beinen überraschend gut springen. Mrothyr war sicher, daß sie von einem Planeten mit höherer Schwerkraft kamen als Zyrph. Wieder griff der Naldrynne an. Er fintierte, und unwillkürlich wich Mrothyr aus. Im gleichen Moment merkte dieser, daß er einen schweren Fehler gemacht hatte. Bevor er ihn jedoch korrigieren konnte, lag er schon am Boden. Der Naldrynne warf sich auf ihn, und die hornigen Krallen zielten auf sein Herz. Mrothyr blieb keine andere Wahl, wenn er überleben wollte. Er mußte ebenso schnell wie konsequent handeln. Er schoß. Der Energiestrahl warf den Naldrynnen zurück und verletzte ihn tödlich. Laut klagend eilte die Familie des Sterbenden heran und klammerte sich an diesen. Mrothyr beachtete sie nicht. Er sprang auf und entfernte sich einige Schritte von ihnen. Er sah, daß viele seiner Mitstreiter gegen Naldrynnen kämpften, und er unterstützte sie mit energischen Rufen. »Nehmt keine Rücksicht«, rief er. »Sie töten euch, wenn ihr sie schont.« Zusammen mit Arishka rannte er auf das Raumschiff zu. »Ich habe einen Roboter zerstört«, teilte sie ihm mit leuchtenden
Augen mit. »Ich war stärker als die Neue Technik.« »Gut gemacht.« Ein Energiestrahl zuckte an ihm vorbei. Dann fiel ein Schuß aus dem Hintergrund. Mrothyr hörte eine Kugel an sich vorbeifliegen, und er sah einen Naldrynnen vor sich zusammenbrechen. Er bückte sich rasch und nahm den Kombinationsstrahler aus der hornigen Hand des Fremden. »Nehmt alle Waffen an euch, die ihr seht«, sagte er zu Grüa. Er hielt den Telepathen fest, als dieser sich von ihm entfernen wollte. »Du bleibst in meiner Nähe.« Ich will immer wissen, was meine Leute denken und fühlen, dachte er angestrengt. Ich muß sofort reagieren können, wenn sie den Mut verlieren und resignieren. Hilf mir, sie zu höchster Kampfkraft zu bringen. Er stieg in eine Schleuse des Raumschiffs und schoß auf einen Roboter, der ihm seine Werkzeugarme abwehrend entgegenstreckte. Die Maschine brach qualmend zusammen. »Was hast du vor?« fragte Arishka, die ihm gefolgt war. »Dieses Raumschiff ist gefüllt mit Kulturschätzen«, antwortete er. »Es darf in den nächsten Wochen nicht starten. Es muß hier bleiben. Die Naldrynnen dürfen uns unsere Kunstwerke nicht entführen. Wir würden sie niemals wiedersehen.« »Ja – und? Du kannst dich nicht ewig als Wächter hier aufstellen.« »Wir müssen den Antrieb zerstören.« »Und du weißt, wo der ist?« »Grüa weiß es.« Der Telepath stapfte heran. Er hielt sich den linken Arm, an dem er eine große Brandwunde hatte. »Fast hätten sie mich umgebracht«, stöhnte er, und öffnete die Tür eines Wandschranks. Er riß einiges Verbandsmaterial daraus hervor, bis er eine kleine Dose fand. Er nahm sie und versprühte ein Pulver auf seinen Arm. Dann entspannte er sich und seufzte erleichtert. »Es stillt den Schmerz sofort. Ich werde das Zeug behalten, damit ich anderen Verletzten helfen kann.«
»Du weißt erstaunlich gut Bescheid, Irksregs Grüa«, bemerkte Arishka. »Ich sagte schon, daß ich für die Naldrynnen arbeite«, erwiderte er. »Ich habe einiges bei ihnen gelernt, was wir jetzt gegen sie verwenden können. Hier geht's entlang zum Triebwerk.« Er eilte weiter. Mrothyr und Arishka folgten ihm. »Meinst du, daß wir ihm vertrauen dürfen?« flüsterte sie. »Er hat immerhin zugegeben, daß er für die Naldrynnen arbeitet.« »Wir haben keine andere Wahl«, erwiderte er. »Nur er kann uns die Informationen geben, die wir benötigen.« Ungehindert erreichten sie den Triebwerksraum und sahen sich damit einer Technik gegenüber, von der sie absolut nichts verstanden. Irksregs Grüa mahnte Mrothyr zur Vorsicht. »Wenn du einen Fehler machst, fliegt hier alles in die Luft«, sagte er. »Dann explodiert nicht nur das Triebwerk, sondern das ganze Schiff. Alles, was es geladen hat, ist dann mit Sicherheit verloren, und ein großer Teil von Aarkhof wird auch vernichtet.« »Irgendwo muß ich anfangen. Aber wo?« »Ich würde sagen, daß es genügt, die Zuleitungen zu zerstören«, erläuterte Grüa. »Solche Triebwerke müssen gesteuert werden. Das geschieht mit hochkomplizierten Maschinen, die in der Hauptleitzentrale stehen. Wenn wir die Verbindung zwischen diesen beiden Teilen zerschlagen, kann das Schiff nicht mehr starten.« Mrothyr nickte nur. Er feuerte seinen Energiestrahl mehrere Male ab und zerstörte dabei erhebliche Teile der Positronik und einige kleine Aggregate, die zur Regeltechnik der Triebwerke gehörten. Obwohl er so gut wie nichts von der Neuen Technik verstand, der er sich gegenübersah, ging er dabei richtig vor. Er legte die Triebwerke des Raumschiffs lahm und richtete derart große Schäden an, daß der Raumer kaum mehr als ein Wrack war, als er endlich den Rückzug befahl. Wiederum handelte er richtig.
Als die Freiheitskämpfer sich mit ihren Verwundeten und Toten zu den Gleitern und Antigravplattformen schleppten, schossen lärmend mehrere Kampfgleiter heran. Sie feuerten ungezielt Explosionskörper in die Luft, um die Angreifer zu erschrecken und zu vertreiben. Irksregs Grüa lachte dröhnend, wie es seine Art war. »Sie wissen nicht, wo wir sind«, rief er. »Sie schießen blind in der Gegend herum. Dabei sollten sie eigentlich die Neue Technik haben, mit der sie uns finden können.« »Ich bin froh, wenn sie sie nicht einsetzen«, erwiderte Mrothyr. Er zog Arishka mit sich. Sie ging zögernd und schwerfällig, als könne sie sich noch nicht von dem Kampfplatz trennen. »Was ist mir dir los?« fragte er sie. »Ich habe einen Blick in einen der Laderäume geworfen«, antwortete sie. »Ich hätte nicht gedacht, daß sie soviel wegschleppen. Wollen wir das wirklich alles hier lassen?« »Wir müssen, Arishka. Wir haben gar nicht die Möglichkeit, diese Dinge in Sicherheit zu bringen.« Sie stiegen in einen der Gleiter, schwebten damit vorsichtig in die Höhe und entfernten sich langsam von den Nadrynnen, wobei sie jede sich bietende Deckung nutzten. Grüa lachte erneut. »Die Naldrynnen sind mit Blindheit geschlagen«, stellte er verächtlich fest. »Sie würden es uns gern heimzahlen, aber keiner sucht nach uns. Sie kümmern sich nur um das Raumschiff. Wir können uns ungestört zurückziehen.« Mrothyr hörte nicht hin. Er ließ sich in seinem Sessel nach hinten sinken, und er achtete auch nicht darauf, daß sich Arishka gegen ihn lehnte. »Was hast du?« fragte sie. »Bist du nicht zufrieden?« Sie mußte ihre Frage wiederholen, erst dann blickte er auf. »Nein«, entgegnete er. »Das bin ich nicht. Nun gut, wir haben die Naldrynnen ein bißchen aufgehalten. Vielleicht können sie einige
Tage oder Wochen lang nicht starten. Geändert aber haben wir so gut wie nichts. Wir haben damit nicht erreicht, daß auch nur ein einziger erwägt, Zyrph zu verlassen.« »Du verlangst zuviel auf einmal«, kritisierte Grüa. Er sah, daß Lait und sein Hintergeher in einer anderen Maschine saßen. »Ich muß nachdenken«, erwiderte Mrothyr. »Ich muß einen Weg finden, sie zu vertreiben.« »Du hast viele Freunde«, sagte Arishka eindringlich. »Du hast fast dreitausend Männer und Frauen, die bereit sind, mit dir alles zu wagen, um die Freiheit für Zyrph zu gewinnen.« »Ist das wirklich so? Sind sie tatsächlich hier, weil es ihnen um die Freiheit geht?« »Du zweifelst an ihnen?« »Ich bin mir meiner Sache nicht sicher.« »Er muß einen Plan entwerfen«, erklärte Grüa der jungen Frau. »Dazu braucht er Ruhe. Laß ihn nachdenken. Morgen sieht alles anders aus.« Sie landeten unter dem Jubel der vielen Männer und Frauen, die zurückgeblieben waren, im Camp. Als Mrothyr aus dem Gleiter stieg, sah er einen Mann, der eine Skulptur unter dem Arm hielt. Er stellte sich ihm in den Weg. »Moment mal«, sagte er. »Ich glaube, wir sollten miteinander reden.« Der andere war noch jung. Mrothyr schätzte, das er gerade zwanzig Jahre alt war. Er hatte schulterlanges, graues Haar, eine breite Nase und weit vortretende gelbe Augen, die vor Stolz funkelten. Er hielt sich auffallend gerade, und das Lächeln eines Siegers lag auf seinen Lippen. »Es war ein toller Erfolg«, sagte er. »Ich danke dir, daß ich dabei sein durfte. Mein Blut gehört dir.« »Niemand hat etwas davon gesagt, daß wir irgend etwas außer Waffen mitnehmen. Die Kunstschätze sollten im Schiff bleiben.«
»Dann haben dich alle mißverstanden, die an dem Kampf beteiligt waren«, lachte der junge Mann. Er hielt die Skulptur hoch. »Ich habe ein besonders schönes Stück erbeutet. Ich denke, daß ich dafür eine Menge gutes Geld bekommen werde.« »Verschwinde«, erwiderte Mrothyr erzürnt. »Wir reden später noch darüber.« Arishka blickte ihn verwundert an, als sie allein waren. »Du verübelst es ihm?« fragte sie. »Hätte er dieses schöne Stück dort lassen und riskieren sollen, daß die Naldrynnen es doch noch entführen? Vergiß nicht, daß die Fremden viele Raumschiffe haben. Wer sagt uns denn, daß sie das Wrack reparieren? Vielleicht lassen sie es einfach liegen und laden die Fracht auf ein anderes Schiff um.« Er nickte. »Du hast recht, Arishka. Daran habe ich auch schon gedacht. Leider weiß ich nicht, wie ich so etwas verhindern könnte.« Er ging zu einem Zelt, in dem die Verwundeten behandelt wurden. Einejunge Frau kam ihm entgegen. Sie sah erschöpft aus. Ihr blutbefleckter Kittel ließ erkennen, daß sie operiert hatte. »Wie geht es den Leuten?« fragte Mrothyr. »Werden alle durchkommen?« »Ich hoffe es«, erwiderte sie. »Eine der Frauen befand sich in einem kritischen Zustand, als sie hier ankam, aber jetzt geht es ihr schon wieder besser.« »Kann ich mit ihnen sprechen?« »Natürlich.« Sie trat zur Seite und gab den Weg ins Innere des Zeltes frei. Der Geruch von Blut und Brandwunden schlug ihm entgegen. Mehrere junge Frauen versorgten die Verletzten, von denen die meisten Verbrennungen erlitten hatten. Einige der Verwundeten richteten sich auf, als sie Mrothyr sahen. Sie ließen deutlich erkennen, daß sie sich über seinen Besuch und seine Anteilnahme freuten. »Die Aktion war ein voller Erfolg«, eröffnete er ihnen. »Dank
eures Einsatzes. Ihr habt eure Sache gut gemacht.« Er ging zu einem der Männer, die still liegengeblieben waren. Er sah, daß seine Beine dick bandagiert waren. »Der Schaden ist zu reparieren«, tröstete er ihn. »Du wirst bald wieder gesund sein und herumlaufen wie früher.« »Das glaube ich auch«, erwiderte der Verletzte. »Die Beine stören mich nicht. Die kommen schon wieder in Ordnung.« Mrothyr lächelte. »Sonst gibt es nichts, was dir an dem Einsatz mißfallen könnte – oder?« »Doch. Ich konnte nicht laufen. Die anderen mußten mich tragen.« »Aber das ist doch nicht weiter schlimm.« Der Verwundete verzog gequält das Gesicht. »Nicht schlimm? Ich bin vielleicht der einzige, dem es nicht gelungen ist, eines der Kunstwerke an sich zu bringen. Ich stehe mit leeren Händen da, während die meisten von den anderen ein glänzendes Geschäft gemacht haben.« Mrothyr war es, als habe der andere ihm einen Tiefschlag versetzt. Er ließ sich jedoch nicht anmerken, was er bei diesen Worten empfand. »Es ist bald wieder alles in Ordnung«, sagte er. »Wir kümmern uns um dich.« Er nickte ihm zu und verließ das Zelt. Arishka folgte ihm. Er ging so schnell, daß sie Mühe hatte, bei ihm zu bleiben. »Was ist los?« fragte sie schließlich und hielt ihn am Ärmel fest. Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Wenn du das nicht begreifst«, erwiderte er, »trennen sich unsere Wege.« Sie blickte ihn fassungslos an. »Hast du den Verstand verloren?« fragte sie. Er sah, daß einige Gleiter aufstiegen und sich in schneller Fahrt vom Camp entfernten. »Kann sein«, entgegnete er.
Aus dem Schatten der Bäume kam Irksregs Grüa heran. In der Dunkelheit wirkte er noch größer als sonst. Sein Hut schwankte bei jedem seiner Schritte, als werde er im nächsten Moment herunterfallen. »So ist das«, sagte er und lachte leise. »Da zieht man gegen den Feind, um die Freiheit zu gewinnen und das Kulturgut seines Volkes zu retten, und was geschieht? Das Volk ist gar nicht daran interessiert, Freiheit und Kultur zu bewahren. Es will nur den finanziellen Gewinn. Es plündert noch rücksichtsloser als die Fremden. Siehst du? Die ersten verschwinden schon mit ihren Gleitern. Die Maschinen sind vollgepackt mit unersetzlichen Kunstwerken, die nun in irgendeinem Winkel unseres Planeten verscherbelt werden.« »Rede nicht so«, fuhr ihm Arishka in die Parade. Er lachte dröhnend. »Warum sollte ich es nicht tun? Unsere Leute verhalten sich doch ganz normal. Die Zyrpher sind nun einmal so, und sie werden in dieser Weise auch weitermachen.« »Das sagst du so, als würde bald etwas Grundsätzliches geschehen«, stellte die junge Frau beunruhigt fest. »Es geschieht bereits«, antwortete er und streckte einen Arm zum Himmel hinauf. »Die Ligriden kommen. Ich habe es gerade in einer Nachrichtensendung gehört.« »Die Ligriden?« fragte Mrothyr. »Wer ist das?« »Die Ligriden sind sozusagen Spezialisten, die ihre eigenen Methoden haben, mit aufsässigen Völkern fertig zu werden.« Arishka tippte den Würger an, der an einem der offenen Feuer saß und sich die Hände wärmte. Er war einer der wenigen Männer, die zu so später Stunde noch wach waren. Längst war Mitternacht vorbei, und die meisten Männer und Frauen lagen in den Zelten oder unter Bäumen und schliefen. »Wo ist Mrothyr?« fragte sie. Lait drehte sich zu ihr um. Er hob seine Hände, um ihr anzuzeigen, daß er es nicht wußte. Sein Gesicht
erschien ungewöhnlich blaß im Licht der beiden Monde. Der Hintergeher trat aus dem Schatten eines Baumes hervor und legte ihr die Hand auf die Schulter. Erschrocken fuhr sie herum. »Ach, du bist es«, seufzte sie erleichtert, als sie ihn erkannte. »Was dachtest du?« »Einer der Ligriden, von denen Grüa gesprochen hat«, erwiderte sie. »Sie gehen mir nicht aus dem Kopf. Ich fürchte, daß sie das Camp angreifen werden.« Der Hintergeher nickte würdevoll. Die Unterlippe sank noch ein wenig weiter nach unten, während er träge die Lider hob. »Ich erinnere mich daran, daß Grüa von einem Spion der Hyptons gesprochen hat. Er wollte seinen Namen nennen, hat es bis jetzt jedoch nicht getan.« »Deshalb wollte ich mit Mrothyr reden, aber ich weiß nicht, wo er ist.« Der Prerk zeigte ins Dunkel der Nacht hinaus. »Er ist zu den Hügeln dort hinübergegangen. Ich hatte das Gefühl, er wollte allein sein.« »Danke.« Sie lächelte flüchtig. »Ich werde mich immer daran erinnern, daß du mir geholfen hast.« Sein Mund schloß sich. Zugleich zog er das Lid des rechten Auges hoch und blickte sie an. Sie zögerte, bevor sie sich abwandte. Ein seltsames Gefühl beschlich sie, und sie wünschte sich, sie könnte Einblick in die Gedanken dieses seltsamen Mannes gewinnen. Gegen ihn kam ihr der Würger geradezu gradlinig vor. Ihn meinte sie berechnen zu können. »Hast du eigentlich auch einen Namen?« fragte sie. »Ich erinnere mich nicht an ihn«, behauptete er so leise, daß sie ihn kaum verstand. Sie glaubte, seine Blicke im Nacken fühlen zu können, als sie in die Dunkelheit hinausging, und sie fragte sich, wer dieser Mann eigentlich war. Verbarg sich mehr hinter ihm, als es den Anschein hatte? Weshalb diente er dem Würger, obwohl er diesem doch in so
vieler Hinsicht überlegen zu sein schien? Und weshalb war er manchmal so unbeteiligt, als habe er mit alledem nichts zu tun, was um ihn herum geschah? Arishka blieb stehen, als ihr plötzlich der Gedanke kam, der Prerk könne der Spion sein, von dem Grüa gesprochen hatte. Oder es ist sein Herr, dem er verpflichtet ist, und er weiß es! dachte sie erschrocken. Aber hätten sie dann an dem Angriff gegen das Raumschiff der Naldrynnen teilgenommen? Hätten sie ihn nicht vielmehr verhindern müssen? Sie ging langsam weiter. Ihre Gedanken schweiften ab. Sie wurde sich der vielfältigen Geräusche der Nacht bewußt. Sie hörte das Zirpen der Myriaden von Insekten in den Bäumen, das ängstliche Pfeifen eines offenbar verirrten Vogels und das lockende Bellen einiger Kleintiere, die irgendwo im Unterholz lebten. Das kommt darauf an, welche Ziele der Spion verfolgt, überlegte sie. Was wissen wir denn schon über seinen Auftrag? Vielleicht geht es gar nicht in erster Linie darum, Anschläge auf die Raumschiffe und die Einrichtungen der Naldrynnen und Hyptons zu verhindern. Sie blieb erneut stehen und blickte in den sternenklaren Himmel hinauf. Ihr wurde bewußt, daß Hyptons, Naldrynnen und Ligriden aus ungeheuren Entfernungen nach Zyrph gekommen waren, und wie fremd sie ihnen tatsächlich waren. Eigentlich ist erstaunlich, daß es überhaupt eine Verständigung zwischen uns gibt, dachte sie. Plötzlich entdeckte sie eine dunkle Gestalt, die auf einem der Hügel vor ihr neben einem Baum stand. Ihre Haltung ließ erkennen, daß sie jemanden beobachtete. Mrothyr! schoß es ihr durch den Kopf. Er beobachtete Mrothyr. Sie rannte auf den Hügel zu. Gras und kleine Büsche raschelten, als sie sie mit ihren Füßen streifte, und plötzlich war der geheimnisvolle Beobachter verschwunden. Eben noch hatte sie ihn deutlich gesehen, dann aber war er lautlos ins Dunkel geglitten, als habe er aufgehört zu existieren.
Es muß der Hintergeher gewesen sein, dachte sie. Er hat sich wie er bewegt. Doch dann zweifelte sie. War es wirklich der Prerk gewesen? Oder hatte sie sich getäuscht? Unsicher schüttelte sie den Kopf. Sie ging den Hügel hoch, und sie sagte sich, daß es der Hintergeher nicht gewesen sein konnte. Dieser trug einen hohen, röhrenförmigen Hut mit schmaler Krempe. Die Gestalt auf dem Hügel aber hatte nichts auf dem Kopf oder in den Händen getragen. Sie blieb an der gleichen Stelle stehen, an der der Unbekannte vorher versteckt gewesen war. Ein eigenartiger Geruch stieg ihr in die Nase. Er erinnerte sie an irgend jemanden, ohne daß sie hätte sagen können, an wen. Doch sie bemühte sich auch nicht, diese Spur zu verfolgen, denn das Bild, das sich ihr bot, schlug sie in ihren Bann. Mrothyr war etwa dreißig Meter von ihr entfernt. Er hockte mit untergeschlagenen Beinen an einem kleinen Tümpel und blickte in ein kleines, grünes Feuer, das vor ihm loderte. Er hielt beide Hände seitlich an die Flammen, so als wolle er sie behüten. Seine Augen schimmerten grün im Widerschein des Feuers. Sie schienen in die Unendlichkeit zu blicken. Sein Mund war geschlossen. Er preßte die Lippen so fest aufeinander, daß sie nur noch einen schmalen Strich in seinem Gesicht bildeten. Dieses trug einen Ausdruck, den Arishka sich nicht erklären konnte, und der ihr auch keinen Aufschluß über seine Gefühle gab. Mrothyr schien ein Fremder zu sein, zu dem es keinen Zugang gab. Ein dumpfes Dröhnen schreckte sie auf. Arishka blickte zum Himmel empor. Sie sah ein bizarr geformtes Raumschiff, das etwa einhundert Meter lang war, und das eine Reihe von Aufbauten hatte, die sie sich nicht erklären konnte. Sie hörte Stimmen und eilte an der Flanke des Hügels hinunter, um den beiden Männern entgegenzugehen, die sich ihr näherten. Sie wollte auf jeden Fall verhindern, daß diese Mrothyr an dem rätselhaften grünen Feuer sahen.
»Arishka?« »Lait«, sagte sie überrascht. »Lait mit seinem Prerk. Wißt ihr, was das für ein Raumschiff ist?« »Ich erinnere mich daran, schon einmal so ein Schiff gesehen zu haben«, antwortete der Hintergeher. »Es muß ein Forschungsschiff der Daila sein. Ein Freund hat mir davon erzählt. Er behauptete, das Raumschiff habe ein Impulstriebwerk mit einem SoliumNukleonentank. Neue Technik kann wenig damit anfangen. Weißt du mehr davon?« »Willst du mich auf den Arm nehmen? Ich verstehe von diesen Dingen überhaupt nichts.« Das Raumschiff beschleunigte plötzlich und schoß so schnell davon, daß Arishka es aus den Augen verlor. Unmittelbar darauf begriff sie, warum es geflüchtet war. Ein riesiges Raumschiff schob sich tosend heran. Es flog in großer Höhe und wirkte doch überaus bedrohlich auf die junge Frau und die beiden Männer. »Das müssen die Ligriden sein«, sagte der Würger erschrocken. »Du meine Güte, jetzt greifen sie uns an. Sie sind uns tausendfach überlegen.« Mrothyr tauchte plötzlich neben ihnen auf. »Nur ruhig«, bat er. »Notfalls zerstreuen wir uns in alle Winde. Das zwingt sie, ihre Kräfte aufzusplittern.« Arishka schrie erschrocken auf, als plötzlich mehrere große Gestalten unter den Bäumen hervorkamen und sie einschlossen. »Laßt die Waffen fallen«, befahl jemand mit sonorer Stimme. »Wehrt euch nicht, oder wir müssen euch töten.« Der Würger reagierte mit explosiver Gewalt. Er stürzte sich auf eine der Gestalten und ging mit ihr zu Boden. Sein Hintergeher wurde ebenfalls aktiv. Er schnellte sich plötzlich durch die Luft, und seine Fäuste hämmerten auf einen der Fremden ein. Mrothyr fühlte sich herumgerissen. Er wehrte sich instinktiv. Zugleich sah er, daß Arishka sich gegen zwei der humanoiden Gestalten zu behaupten hatte.
»Alarm!« brüllte jemand in der Nähe. »Die Ligriden greifen uns an.« Schüsse fielen, und Energiestrahler erhellten die Nacht. In ihrem Licht sah Mrothyr die fremdartigen Gesichter der Ligriden, die von Kampfhelmen umrahmt wurden. Er schlug mit aller Kraft zu und wehrte damit einen Ligriden ab, der einen Paralysator auf ihn gerichtet hatte. Dann sah er Arishka, und er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Sie flog mit den Füßen voran auf einen der Fremden zu. Mit blitzschnellen und unglaublich kraftvollen Schlägen zertrümmerte sie seinen Kampfhelm und warf den Ligriden mit einem weiteren Schlag zu Boden. Aus allen Richtungen kamen Gleiter heran. Sie landeten mit aufgeblendeten Scheinwerfern im Camp der Freiheitskämpfer. Die Energiestrahlen aus den Waffen der Rebellen prallten wirkungslos von den Schutzschirmen der Kampfmaschinen ab. »Weg«, befahl Mrothyr. »Wir verlassen das Lager. Lauft.« Er packte Arishka am Arm und rannte mit ihr in die Dunkelheit hinaus. Es gelang ihnen, an einigen gelandeten Gleitern und den daraus hervorstürzenden Ligriden vorbeizukommen, und bald lag das Camp hinter ihnen. Auf einem Hügel blieben sie schließlich stehen und blickten zurück. Im Lager war es still geworden. Schüsse fielen nicht mehr. An einigen Stellen stiegen Flammen auf. Ein Kampfgleiter schwebte über dem Lager. Er drehte sich ständig im Kreis. Die Lichtstrahlen seiner Scheinwerfer strichen über die Wipfel der Bäume. »Du kannst nichts tun«, sagte Arishka leise. Sie lehnte sich an ihn. »Die Übermacht ist zu groß, und die Ligriden sind besser bewaffnet als wir. Wenn sie mehr geschossen hätten, wäre es noch schneller vorbei gewesen.« »Das tröstet mich wenig.« »Übertreibe nicht, Mrothyr. Du warst doch schon entschlossen,
dich von uns zu trennen. Du wolltest das Camp verlassen und allein weiterkämpfen.« Er blickte sie an. »Das weißt du?« »Ich habe dir angesehen, wie sehr du diejenigen verachtest, die den Angriff auf das Raumschiff der Naldrynnen dazu genutzt haben, sich zu bereichern.« Eilige Schritte näherten sich ihnen. Lait und sein Prerk tauchten aus der Dunkelheit auf. Ihnen folgten fünfzehn Männer und vier Frauen. Aus westlicher Richtung kam Irksregs Grüa mit zehn weiteren Männern und einer jungen Frau. Mrothyr rief sie zu sich. »Ich glaube, das sind alle, die sich retten konnten«, sagte der Telepath. »Einige von uns sind nach Norden gelaufen, aber sie werden nicht weit gekommen sein. Ich habe gehört, daß dort auch Ligriden gelandet sind.« »Nicht nur dort«, bemerkte der Würger. »Ich war etwas weiter westlich von hier, und da habe ich gesehen, daß hier in der Nähe ebenfalls ein Gleiter niedergegangen ist. Die Ligriden warten auf uns. Wir müssen aufpassen, daß wir ihnen nicht in die Falle gehen.« »Du hast den Bogen überspannt, Mrothyr«, klagte ihn eine der Frauen an. Sie trat aus der Gruppe der anderen vor. Sie war kahlköpfig und von beachtlicher Körperfülle. Vom schnellen Lauf durch die Wildnis war sie noch jetzt außer Atem. »Du hast zu hart zugeschlagen. Damit hast du die Ligriden auf den Plan gerufen. Sie werden unser Volk nun endgültig unterjochen.« »Meinst du das wirklich?« entgegnete Mrothyr. »Ich bin ganz anderer Meinung. Ich denke, daß es wir Zyrpher selbst sind, die am meisten für unsere eigene Versklavung tun. Wir leisten nicht entschlossen genug Widerstand, sondern wir versuchen, uns zu bereichern. Damit bringen wir uns um unsere letzte Chance. Aber wir wollen uns nicht streiten. Ich zwinge niemanden, bei mir zu bleiben. Wer jedoch mit mir geht, wird um unsere Freiheit kämpfen, und nur darum. Nicht um Reichtümer. Ich werde unseren Völkern
die Freiheit zurückgeben, und nichts wird mich davon abhalten. Wer aber glaubt, daß er an meiner Seite Geschäfte machen kann, soll lieber gleich verschwinden. Ich kann ihn nicht gebrauchen.« »Was hast du vor?« fragte Arishka. »Ich glaube nicht, daß du mit den Mitteln Erfolg hast, die du bisher eingesetzt hast.« »Nein. Das glaube ich auch nicht. Wir müssen das Übel an der Wurzel packen.« »Das solltest du etwas genauer erklären«, entgegnete der Kettenkämpfer. »Wenn wir Zyrph von der Herrschaft der Fremden befreien wollen, müssen wir Naldrynnen und Hyptons, und wer sonst noch bei uns sein mag, dorthin zurückjagen, woher sie gekommen sind.« Die korpulente Frau lachte. »Bist du verrückt?« rief sie. »Wie willst du das anstellen?« »Das weiß ich vorläufig noch nicht. Ich werde darüber nachdenken.« »Es geht nur, wenn du Zyrph verläßt«, sagte Arishka ruhig. »Und dazu brauchst du ein Raumschiff.« »Noch dazu eines, das du auch steuern' kannst«, fügte der Würger hinzu. »Das ist mir klar«, sagte Mrothyr gelassen. »Verlaßt euch darauf, ich werde einen Weg finden. Jetzt aber sollten wir von hier verschwinden.« »Völlig richtig«, stimmte Irksregs Grüa zu. »Wir sollten zu Hachmad Alchkard gehen.« »Hachmad Alchkard«, sagte Arishka überrascht. »Er ist neben Mrothyr der mächtigste Feind der Naldrynnen und Hyptons. Leider habe ich keine Ahnung, wo Hachmad Alchkard ist.« »Ich habe gehört, daß er auf Ah-Ahkrapha, seiner Festung, ist«, erwiderte der Telepath. Arishka lachte leise. »Ah-Ahkrapha ist eine Legende«, erwiderte sie. »Niemand weiß, ob es diese Festung wirklich gibt.«
»Das ist ein Irrtum«, widersprach Irksregs Grüa. »Ah-Ahkrapha ist mehr als eine Legende. Ah-Ahkrapha existiert. Mir ist bekannt, daß sich die Festung nicht weit von hier auf einer Halbinsel befindet.« »Wenn du so etwas weißt, dann wissen die Hyptons es schon lange«, stellte Mrothyr fest. »Und wenn sie es wissen, dann machen sie kurzen Prozeß mit der Festung.« Grüa schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht, mein Freund. Ah-Ahkrapha ist eine Festung, die man nicht ohne weiteres angreifen kann. Hachmad Alchkard hat einen Weg gefunden, sie in der Zeit zu verstecken. Das ist der Grund dafür, daß sie noch existiert. Ich habe die Naldrynnen davon reden hören. Sie würden die Festung liebend gern vernichten, wenn sie nur könnten. Hachmad Alchkard hat sie bisher stets abgewehrt.« »Und du meinst, Hachmad Alchkard läßt uns in die Festung?« fragte Arishka. »Das wird sich zeigen. Wir sollten hingehen und es versuchen«, empfahl Irksregs Grüa. »Ich glaube, daß er uns einlassen wird. Immerhin ist Mrothyr der mächtigste und erfolgreichste Freiheitskämpfer, den es außer ihm selbst gibt. Lait, der Würger, hat allein ein Raumschiff der Naldrynnen gestürmt, die Besatzung umgebracht und das Raumschiff zerstört. Bessere Referenzen könnten er und sein Prerk nicht mitbringen. Und du, Arishka, hast den Handelsstützpunkt Comkar mit deinen Leuten angegriffen und dabei über fünfzig Naldrynnen in die Flucht gejagt. Ihr habt die Handelsgüter zerstört und Kommunikationseinrichtungen zerschlagen. Der Schaden für die Naldrynnen war ungeheuer.« »Das ist dir bekannt? Ich habe niemandem davon erzählt«, stammelte die junge Frau. »Und meine Freunde haben ganz sicher auch den Mund gehalten.« »Warum willst du so etwas geheim halten?« Der Telepath lachte ganz gegen seine sonstige Gewohnheit nahezu lautlos. »Es war eine
ruhmvolle Tat. Mit Mrothyr, dir und Lait hat sich hier demnach die Führungsgruppe des zyrpherischen Widerstandes versammelt. Fehlt nur noch Hachmad Alchkard. Er wird uns einlassen und mit uns zusammen den entscheidenden Schlag gegen die Fremden führen.« Er rückte seinen Hut zurecht. »Und ich wäre nicht überrascht, Mrothyr, wenn er dir sagen könnte, wo die STERNSCHNUPPE ist. Ich habe gehört, daß Hachmad Alchkard über nahezu alles informiert ist, was auf Zyrph geschieht.«
* Der Würger kam lautlos heran. Plötzlich tauchte er aus dem Dunkel auf und stand neben Mrothyr und Arishka. »Dahinten steht der Gleiter«, berichtete er. »Nur einer der Ligriden bewacht ihn. Die anderen haben sich entfernt. Es ist eine große Maschine. Wenn wir zusammenrücken, finden wir alle Platz darin.« »Wir greifen an«, entschied Mrothyr. »Die Maschine müssen wir haben.« Die Männer und Frauen der kleinen Kampftruppe schwärmten aus und rückten gegen den Gleiter vor. Lediglich Irksregs Grüa blieb bei Mrothyr. »Du hast etwas von einem Spion, einem Verräter gesagt«, flüsterte der junge Freiheitskämpfer dem Telepathen zu. »Wer ist es?« »Er ist nicht mehr bei uns«, erwiderte Grüa. »Ich hätte ihn beinahe erwischt, als er dich vorhin beobachtete. Er stand auf einem Hügel und sah dir zu, als du ein grünes Feuer entfacht hattest.« »Wie konnte er dir entkommen?« Mrothyr tat, als habe er nicht gehört, daß Grüa von dem geheimnisvollen Feuer gesprochen hatte. »Arishka kam dazwischen«, erläuterte der Telepath. »Sie wäre sicherlich hinter mein Geheimnis gekommen, wenn ich mir den
Mann geschnappt hätte.« »Du wirst es mir melden, wenn er wieder zu uns stoßen sollte«, befahl Mrothyr. »Wir werden ihn nicht bei uns aufnehmen.« Der Würger hob warnend seinen Arm. Mrothyr verstummte und blieb stehen. »Der Ligride ist ahnungslos«, wisperte Grüa. »Arishka will ihn angreifen.« Mrothyr wollte die junge Frau aufhalten, doch Arishka trat schon in Aktion. Mehrere dumpfe Schläge durchbrachen die Stille. Dann stöhnte jemand auf, und ein schwerer Körper stürzte auf den Boden. Mrothyr eilte weiter. Grüa folgte ihm. In seiner Hand blitzte eine Lampe auf. Der Lichtstrahl erfaßte Arishka, die sich grade wieder aufrichtete. Auf dem Boden lag die massige Gestalt eines Ligriden. »Er ist bewußtlos«, sagte sie, als sei nichts Besonderes vorgefallen. »Es sieht aus, als wäre er gegen einen Felsen gerannt«, bemerkte der Telepath und zeigte auf eine dicke Schwellung am Kinn des Ligriden. Dieser hatte eine olivbräunliche Haut, die stellenweise leicht geschuppt war. Der Kopf war rund und haarlos. Er hatte kleine, eng anliegende Ohrmuscheln, eine hohe Stirn und schwach ausgeprägte Brauenwülste. Der Hintergeher kniete sich neben ihm nieder und legte ihm die Finger an ein Auge. Vorsichtig zog er ihm das leicht beschuppte Lid nach oben. Darunter lag eine dünne, durchscheinende Haut, ein zweites Lid, das sich nach unten hin öffnete. »Seltsam«, sagte der Prerk. »So etwas habe ich noch nie gesehen.« »Was machen wir mit ihm?« fragte Lait. Er hielt sein Kette mit beiden Händen, als wolle er sie dem Ligriden um den Hals legen. »Wir lassen ihn hier«, entschied Mrothyr. »Nehmt ihm das Armband ab. Darin ist Neue Technik verborgen, mit der er Hilfe herbeirufen und andere Ligriden auf uns hetzen kann. Seinen Helm behalten wir.« »Das sollten wir nicht tun«, widersprach Grüa. »Und warum nicht?«
»Der Helm hat eine besondere Bedeutung für die Ligriden, Mrothyr. Ligriden zeigen sich anderen nie ohne Kopfbedeckung. Naldrynnen haben es mir erzählt. Wir würden diesen Mann in unerträglicher Weise demütigen, wenn wir seinen Helm nicht zurückließen.« »Ich habe nicht vor, ihn zu demütigen«, erwiderte Mrothyr. »Dennoch nehmen wir den Helm mit. Dieser Ligride wird nicht so bald zu seiner Einheit zurückfinden, wenn er davor zurückschreckt, sich anderen kahlköpfig zu zeigen.« Er nahm den Helm auf und warf ihn in den Gleiter. »Und jetzt steigt ein. Wir starten. Es wäre gut, wenn wir weg sind, bevor dieser Bursche wieder aufwacht.« »Ich kann den Gleiter fliegen«, erklärte der Telepath. »Bist du einverstanden, wenn ich das Steuer übernehme?« »Ich bin«, antwortete Mrothyr knapp. Er setzte sich in den Gleiter. Arishka ließ sich neben ihm in die Polster sinken. »Findest du nicht, daß Grüa ein wenig zuviel weiß und kann?« wisperte sie. »Er ist mir unheimlich. Könnte er nicht der Verräter sein?« Mrothyr entschloß sich, das Geheimnis Grüas zu lüften. Er wechselte einen kurzen Blick mit dem Telepathen, als dieser das Triebwerk des Gleiters startete. »Er ist Telepath«, antwortete er so leise, daß keiner der anderen ihn verstehen konnte. »Er kann unsere Gedanken lesen. Deshalb weiß er, wer du bist, und was du getan hast.« Sie blickte ihn überrascht an und legte die Hände an den Kopf, als könne sie ihre Gedanken dadurch vor dem Zugriff des Telepathen schützen. »Und du vertraust ihm?« fragt sie. »Er hat bewiesen, daß er mein Vertrauen verdient«, entgegnete er. »Er hat mir das Leben gerettet.«
7. Mrothyr hantierte am Funkgerät des Gleiters, nachdem er das Objektiv abgedeckt hatte, um nicht versehentlich den Ligriden sein Bild zu übermitteln. Erregte Stimmen klangen aus den Lautsprechern. »Wovon reden sie?« fragte Arishka. »Kennt jemand diese Sprache? Es muß ligridisch sein.« »Ich erinnere mich daran, derartige Laute gehört zu haben«, erwiderte der Hintergeher, der hinter dem Würger saß. »Ein Freund von mir hat mir einige Vokabeln beigebracht.« »Hat dein Freund dir auch erzählt, was die Ligriden jetzt sagen?« fragte Arishka. »Das konnte er schwerlich«, sagte der Prerk ernsthaft. »Er hatte einen engen Kontakt mit den Naldrynnen. Immerhin verhilft mir sein Wissen zu ein wenig Verstehen. Die Ligriden sind äußerst erregt. Sie haben den Mann gefunden, den du niedergeschlagen hast. Es war ein Gwyn-Kämpfer, ein von vielen gefürchteter Spezialist. Daß du ihn so mühelos überwunden hast, erschreckt alle. Noch mehr aber empört sie, daß er einer Frau unterlegen ist, und daß es uns gelungen ist, mit diesem Gleiter zu entkommen. Sie setzen zur Zeit alle Hebel in Bewegung, um uns zu finden.« Er lächelte bedauernd. »Mehr kann ich leider auch nicht verstehen.« Der Gleiter flog an einer felsigen Küste entlang nach Nordosten. Er näherte sich der geheimnisvollen Festung Ah-Ahkrapha, die irgendwo vor ihnen auf einer Halbinsel liegen sollte. Irksregs Grüa hielt sich stets dicht an die schroff aufsteigenden Felsen, um möglichst lange in ihrer Deckung zu bleiben. »Wir sollten den Gleiter bald aufgeben«, empfahl er. »Am besten wäre es, wenn wir ihn auf Autopiloten umstellen und davonfliegen lassen. Wir könnten ihn allerdings auch in einer Höhle verstecken, so daß die Ligriden ihn nicht orten können.«
»Und müßten dann zu Fuß weiter«, kritisierte der Würger. »Wie kann man nur so einen Vorschlag machen?« Plötzlich zog Grüa den Gleiter zur Seite und lenkte ihn unter eine weit überhängende Felswand. »Was ist los?« fragte Mrothyr. »Ligriden«, antwortete der Telepath. »Sie suchen uns.« Mrothyr öffnete die Tür und stieg aus, während der Gleiter sich noch weiter in einen Felsspalt zurückzog. Er blickte an der Küste entlang. Die aufgehende Sonne spiegelte sich im Meer, und milchiger Dunst stieg von den Klippen auf. Schwärme von weißen Seevögeln flatterten auf Beutesuche über der Brandung. Er wollte sich bereits abwenden, da er nirgendwo eine Spur der Ligriden entdecken konnte, als plötzlich ein grauer Kampfgleiter zwischen den Felsen auftauchte und sich ihm näherte. Erschrocken flüchtete er in einen Felsspalt. Sekunden später rauschte die Kampfmaschine der Ligriden über ihn hinweg. Einige der Fremden blickten durch die Seitenfenstern nach unten, bemerkten ihn jedoch nicht. Aus dem Heck des Gleiters ragten mehrere Energiestrahler. Sie hatten ein Kaliber, wie er es bisher nur bei Raumschiffen beobachtet hatte. Er eilte zu Grüa, der den Gleiter inzwischen abgesetzt hatte. »Das war gerade noch rechtzeitig«, sagte der Telepath. »Sie haben keinen Verdacht geschöpft.« Er stieg aus und entfernte sich einige Schritte mit Mrothyr vom Gleiter. »Es ist sehr ernst«, warnte er. »Sie sind entschlossen, uns sofort zu töten, wenn sie uns rinden. Wir hätten den Ligriden nicht ohne Helm zurücklassen dürfen. Dadurch fühlen sich auch die anderen beleidigt.« »Wo sind sie jetzt?« »Sie passieren gerade die Halbinsel, auf der Ah-Ahkrapha steht. Allerdings ist die Festung nicht da.« »Wie soll ich das verstehen? Kannst du nicht deutlicher reden? Entweder steht Ah-Ahkrapha auf der Halbinsel oder nicht.«
»Wenn ich es richtig begriffen habe, ist Ah-Ahkrapha in der Zeit verschwunden«, antwortete der Telepath. »Dabei muß es sich um die Neue Wissenschaft handeln. Ich kann dir wirklich nicht erklären, wie das geschieht. Ich kann dir nur sagen, was ist.« Mrothyr blickte ihn ratlos an. Er konnte sich nichts unter dem vorstellen, was Grüa gesagt hatte. »Noch etwas«, fuhr dieser fort. »Dreh dich nicht um. Arishka beobachtet uns.« »Was ist mit ihr?« »Es ist gut, daß sie nun weiß, wer ich bin. Seitdem versucht sie ständig, nicht an das zu denken, was sie wirklich plant. Sie hat Angst, ich könnte etwas entdecken.« Der Telepath kehrte zum Gleiter zurück und setzte sich wieder hinter die Steuerelemente. Mrothyr folgte ihm zögernd. Er blickte Arishka an. Plante sie tatsächlich irgend etwas, was nicht auch seinen Zielen diente? War ihr gegenüber Mißtrauen angebracht? Es fiel ihm schwer, das zu glauben. »Wie weit ist es bis zur Festung Ah-Ahkrapha?« fragte er Grüa. »Mit dem Gleiter sind wir in wenigen Minuten dort, wenn wir zu Fuß gehen, brauchen wir etwa zwei bis drei Stunden.« »Wir fliegen etwa die Hälfte der Strecke. Dann verstecken wir den Gleiter.« Er setzte sich neben die junge Frau. »Glaubst du, daß wir es bis Ah-Ahkrapha schaffen können?« fragte sie, als der Gleiter startete und das Versteck verließ. »Wir müssen es auf jeden Fall versuchen«, erwiderte er. »Eine andere Chance haben wir nicht.« Wieder führte Irksregs Grüa die Maschine dicht an den Felsen entlang. Einige Male näherte er sich ihnen so weit, daß sie sie fast berührte. Wie berechtigt seine Vorsicht war, zeigte sich schon bald darauf, als wiederum eine Kampfmaschine der Ligriden vor ihnen auftauchte. Es gelang ihm, gedankenschnell in eine Höhle zu flüchten.
Sekunden später rasten die Ligriden an dem Versteck vorbei. »Wir steigen aus. Nur Lait und sein Prerk bleiben hier. Sie kommen nach, wenn ich ihnen ein Zeichen mit dem Energiestrahler gebe«, entschied Mrothyr. Er wollte sich auf keinen Fall auf einen Kampf mit einem anderen Gleiter einlassen, da auch Grüa die Offensiv- und Defensivwaffen der Maschine nicht ausreichend beherrschte, um ein solches Duell gewinnen zu können. »Untersucht den Gleiter«, rief er den anderen zu. »Und nehmt mit, was ihr glaubt, gebrauchen zu können. Bestimmt sind irgendwo Waffen versteckt.« Er behielt recht mit seiner Vermutung. Der Hintergeher entdeckte am Heck ein großes Fach, in dem zehn Energiestrahler in Halterungen hingen. Mit diesen Waffen gewann die Gruppe der Freiheitskämpfer ganz erheblich an Schlagkraft. Mrothyr führte die Männer . und Frauen über die Klippen ans Wasser hinunter. Sie kamen nur sehr langsam voran, da der Weg äußerst beschwerlich war. Doch schon in der nächsten Bucht erreichten sie einen weit geschwungenen Sandstrand. Dieser reichte bis zu einer Halbinsel. Auf ihr erhob sich ein wuchtiger Bau. Er glich einem Büffelschädel, von dem sich zwei mächtige Hörner erhoben. »Ah-Ahkrapha«, sagte Irksregs Grüa. »Die Burg Hachmad Alchkards.« Mrothyr war beeindruckt. Wie die meisten Zyrpher hatte er von dieser Burg gehört, jedoch nie recht an ihrer Existenz geglaubt. Er zögerte kurz, dann aber führte er seine Gruppe über den Strand zur Halbinsel hinüber, wobei er allerdings nicht am Wasser entlang lief, sondern hoch oben blieb, wo der Sandstrand in zerklüftetes Felsengelände überging. Wie berechtigt diese Vorsichtsmaßnahme war, zeigte sich, als wiederum ein Gleiter der Ligriden erschien. Dieses Mal blieb er jedoch etwa hundert Meter von der Küste entfernt. Und wiederum blieben die Freiheitskämpfer unentdeckt, da sie schnell genug Deckung hinter den Felsen gesucht hatten. »Sieh doch, Mrothyr! Die Burg«, stammelte Arishka. »Sie ist
verschwunden.« Verblüfft blickte sie zur Halbinsel hinüber. Von dem seltsamen Bau war nichts mehr zu sehen. »Die Burg kann doch nicht einfach weg sein«, sagte die junge Frau. »Das verstehe ich nicht.« »Sie ist in die Zeit geflüchtet«, behauptete Irksregs Grüa. »Ich habe einen naldrynnischen Wissenschaftler belauscht. Er behauptet, AhAhkra-pha entweiche um ein paar Sekunden in die Zukunft, sobald sich ihr jemand nähere. Neue Wissenschaft, wie ich schon sagte. Deshalb soll es unmöglich sein, sie zu erobern. Die Naldrynnen haben schon oft versucht, in die Burg einzudringen. Ohne Erfolg. Hachmad Alchkard hat sich ihrem Zugriff bisher stets entzogen.« »Hoffentlich nimmt er uns auf«, sagte Mrothyr. »Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Grüa. Sie verließen die Deckung der Felsen und betraten die Halbinsel. Zögernd näherten sie sich der Stelle, an der sie vorher die Burg gesehen hatten. War sie wirklich verschwunden? Oder wurden sie nur das Opfer einer optischen Täuschung? Arishka blickte immer wieder zurück. Sie fürchtete, daß die Ligriden angreifen würden. »Ich begreife diese Neue Wissenschaft nicht«, sagte sie. »Kein Ding kann einfach so verschwinden. Und doch können wir die Burg nicht sehen. Aber wie ist es umgekehrt? Kann Hachmad Alchkard uns sehen?« »Ich habe keine Ahnung«, erwiderte Mrothyr. Er blickte Grüa an. »Kannst du seine Gedanken lesen? Ist da überhaupt ein Gedanke, wo die Burg war?« »Nein. Nichts«, erwiderte der Telepath. Er fuhr plötzlich herum, und seine Augen weiteten sich. »Die Ligriden!« rief er. »Sie haben uns entdeckt. Sie greifen an.« Über den Bergen im Landesinnern erschienen zwei große Kampfgleiter der Ligriden. Mrothyr handelte augenblicklich. Er riß seinen Energiestrahler hoch und feuerte ihn ab. Der Blitz zuckte
senkrecht in die Höhe. Sekunden später tauchte der erbeutete Gleiter aus seinem Versteck in den Felsen und raste heran. Mrothyr konnte den Würger bereits erkennen, als es bei einem der anderen Gleiter aufblitzte. Ein Energiestrahl schlug in das Heck der Maschine und warf diese herum. Arishka schrie entsetzt auf, als der Gleiter zur Seite kippte und abstürzte. Der Hintergeher zog den Würger vom Steuer weg und versuchte, Lait und sich zu retten. Er konnte die Maschine abfangen, bevor sie auf den Felsen schlug. Dann riß er Lait hoch und sprang mit ihm durch ein Seitenfenster hinaus. Die beiden Männer kamen hart auf, fingen sich jedoch und rannten auf Mrothyr zu. »Auf den Boden«, brüllte Irksregs Grüa. Mrothyr legte den Arm um Arishka und warf sich mit ihr auf die Felsen. Im nächsten Moment explodierte das Antiebsaggregat des Kampgleiters, und Trümmerstücke wirbelten über sie hinweg. Eine dichte Rauchwolke breitete sich aus. »Weiter«, rief Mrothyr. »Bleibt nicht hier. Wir müssen zur Burg.« Er glaubte selbst nicht mehr daran, daß sie es noch schaffen konnten, sich in Sicherheit zu bringen, wollte jedoch auf keinen Fall aufgeben. Das hatte er nie getan. Er hatte immer so lange gekämpft, wie es ihm möglich war, und letztendlich hatte er damit stets Erfolg gehabt. Arishka rannte neben ihm her. Der Würger und sein Hintergeher gesellten sich hinzu. Lait hielt sich die Wange, über die sich eine blutige Schramme zog. Irskregs Grüa blieb stehen. Er schoß mehrere Male auf die beiden heranrasenden Gleiter der Ligriden, verfehlte sie jedoch. Dann rauschten die Maschinen auch schon über sie hinweg. Sie setzten zwischen ihnen und der Stelle, an der die Burg gewesen war, zur Landung an. Mrothyr sah, daß zwei weitere Gleiter von den Bergen kamen. Sie landeten hinter ihnen, so daß ihnen der Rückweg versperrt war. In diesem Moment erschien Ah-Ahkrapha wie aus dem Nichts
heraus erneut. Mrothyr sah, daß sich die Rohre von Kanonen aus Öffnungen hoch über dem Boden schoben, und plötzlich stiegen die Gleiter der Ligriden wieder auf. Laut krachend feuerten die Kanonen, und Explosivgeschosse schlugen dicht unter den Kampfgleitern in den Felsen. Steine und Felssplitter prasselten gegen die Unterseiten der beiden Maschinen. Diese schwankten heftig. Der Würger riß jubelnd die Arme hoch. Er glaubte, daß sie abstürzen würden. Doch er irrte sich. Sie stiegen rasch auf. Er schoß mit seinem Energiestrahler auf sie, traf sie jedoch nicht, da sie nun scharf beschleunigten und bald außer Reichweite waren. »Zur Burg«, schrie Irksregs Grüa. »Beeilt euch.« Arishka stürzte auf den Boden. »Mrothyr – meine Beine«, rief sie. »Ich kann sie nicht mehr bewegen.« Er beugte sich zu ihr herab und nahm sie kurzerhand auf die Arme. »Sie haben mich gelähmt«, stammelte sie. »Ich habe überhaupt kein Gefühl mehr in den Beinen.« »Das gibt sich bald wieder«, tröstete er sie, während er über einen breiten Steg in das halbbogenförmige Tor der Burg lief. Ihm folgten die anderen Männer und Frauen seiner Gruppe. Der Prerk bildete den Abschluß. Mrothyr blickte zurück. Er sah, daß das Land hinter ihnen in einem grauen Nebel verschwand. Verwirrt trug er Arishka in eine große, runde Halle. Durch reichverzierte Fenster fiel diffuses Licht herein. Es ließ die Steine auf dem Boden aufleuchten, die wie Glas aussahen und in allen Farben des Regenbogens schimmerten. Trophäen der Tiefseejagd schmückten die Wände, und unter der gewölbten Decke hing der präparierte Körper eines gewaltigen Raubfischs. Doch darauf achteten Mrothyr und seine Begleiter kaum. Ihre Blicke richteten sich auf die in Fischhäute gekleideten Männer, die auf den Stufen einer Treppe standen, und die mit langläufigen Schußwaffen auf sie zielten.
»Streckt die Arme in die Höhe«, rief einer von ihnen. »Los doch. Wir erschießen jeden, der sich weigert.« Eines der Gewehr krachte, und Mrothyr fühlte, daß eine Kugel seine Mütze herumriß, so daß sie ihm beinahe vom Kopf geflogen wäre. »Vorsicht«, sagte er energisch. »Sie ist von Lähmstrahlen getroffen worden. Ich muß sie auf den Boden legen, bevor ich die Arme heben kann, und vor ihr werdet ihr euch wohl kaum fürchten.« »Hüte deine Zunge«, entgegnete einer der Männer. Er trug eine feuerrote Kappe, die seinen kahlen Kopf vollkommen umschloß. »Hier zählt nur, was wir tun. Dein Leben ist nichts wert. Sei also lieber still.« »Laß mich runter«, bat Arishka. »Sie sind verrückt genug, dich zu erschießen, wenn du dich weigerst.« Er ließ sie behutsam auf den Boden sinken, während einige der Männer herankamen und ihnen die Waffen abnahmen. Sie tasteten sie von Kopf bis zu den Füßen ab und ließen ihnen nichts, was sich irgendwie gegen sie richten konnte. »Mehr als zwanzig Engergiestrahler«, stellte der Mann mit der roten Kappe schließlich fest, als er vor Mrothyr stand und dessen Waffen forderte. »Eine beachtliche Kampfkraft.« Er befahl, die Waffen wegzutragen. »Was wollt ihr hier?« fragte er dann. Er blickte Mrothyr an, und seine Augen verengten sich. Er bewegte die Lippen, sagte jedoch nichts und wich zögernd einen Schritt zurück. Dann hob er sein Gewehr, ließ es jedoch gleich wieder sinken, schluckte mühsam und hob dann ruckartig den Kopf. »Ich will Hachmad Alchkard sprechen«, erwiderte Mrothyr. »Du willst Hachmad Alchkard sprechen«, wiederholte der Mann. Sein Gesicht verzerrte sich. Allzu deutlich war ihm anzusehen, wie unsicher er war, und wie unterlegen er sich fühlte. »Wer bist du, daß du Hachmad Alchkard sprechen willst?« »Mrothyr.«
»Mrothyr? Wenn du wirklich der Mrothyr bist, von dem ich gehört habe, dann wird Hachmad Alchkard dich empfangen.« »Du weißt, daß ich es bin«, erwiderte der Freiheitskämpfer. »Richte deinem Herrn aus, daß jemand gekommen ist, der einen Verbündeten im Kampf gegen alle Feinde von Zyrph sucht.« »Ich werde es ihm sagen. Wartet.« Damit entfernte er sich. Die anderen Männer blieben auf den Stufen der Treppen stehen. Sie hielten ihre Gewehre schußbereit in den Händen, und ihre Mienen ließen keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie notfalls gezielt schießen würden. Mrothyr kniete neben Arishka nieder und massierte ihr die Oberschenkel, um die Lähmung zu vertreiben. Etwas mehr als eine Stunde verstrich. Arishka erholte sich und konnte aufstehen. Mit Mrothyrs Hilfe ging sie langsam auf und ab, um ihre Beine wieder zu beleben. Dann endlich kam der Mann mit der roten Kappe zurück. »Hachmad Alchkard hat jetzt Zeit für dich, Mrothyr«, sagte er. »Du kannst kommen. Die anderen bleiben hier.« Mrothyr folgte dem Mann die Treppe hoch zu einem einfachen Fahrstuhl, der sie einige Stockwerke hinaufbeförderte. »Mein Name ist Cushmancush«, stellte sein Begleiter sich vor. »Ich bin der Vertraute von Hachmad Alchkard. Wir haben viel von dir gehört. Bist du gekommen, um Unterstützung für deinen Kampf gegen die Fremden zu finden?« »Richtig«, antwortete Mrothyr. »Und weil ich hoffe, daß Hachmad Alchkard einige Informationen für mich hat.« »Du könntest Glück haben. Hachmad Alchkard weiß ziemlich genau, was auf Zyrph geschieht.« Er führte Mrothyr in einen luxuriös eingerichteten Raum. Die Wände waren mit kostbaren Stoffen behängt, und die Möbel waren aus edlen Hölzern gefertigt. Auf den Tischen und Schränken standen Vasen und kleine Skulpturen aus rotem Gestein, das nur in wenigen Ländern Zyrphs vorkam und das sich nur unter großen
Schwierigkeiten bearbeiten ließ. Aus Lautsprechern, die unter der Deckenverkleidung verborgen waren, ertönte anspruchsvolle Musik. Mrothyr war beeindruckt. Er hatte nicht erwartet, daß Hachmad Alchkard in einer derartigen Umgebung lebte. Cushmancush schob ihm einen Sessel hin und bot ihm Platz an. »Wo ist Hachmad Alchkard?« fragte der Freiheitskämpfer. »Bist du blind?« ertönte eine helle Stimme. »Ich bin hier.« Erstaunt drehte Mrothyr sich um. Er glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Aus einem Nebenraum marschierte ein Zwerg herein. Er war kaum einen Meter groß und bewegte sich, als ob er vor Kraft berste. Er war schlank, wirkte jedoch durch seine Art, sich zu bewegen, so, als sei er ebenso breit wie hoch. Sein Kopf war unverhältnismäßig groß, hatte eine wuchtige Stirn, eine geradezu winzige Nase und vorquellende, gelbe Augen, die in ständiger Bewegung waren. Sein Gebiß wurde durch Eckzähne geprägt, die wie mächtige Hauer über die Lippen hinausragten. Hachmad Alchkard kletterte auf einen Stuhl, der für ihn viel zu hoch war, beugte sich vor, wobei er die Ellenbogen auf die Oberschenkel stützte und blickte Mrothyr durchdringend an. »Bring uns etwas zu trinken, Cushmancush«, befahl er dem Mann mit der roten Kappe. Er wartete, bis dieser den Raum verlassen hatte, dann richtete er sich ruckartig auf und fragte: »Was willst du hier?« »Ich hoffe, jemanden zu finden, der mit mir gegen die Hyptons, Naldrynnen und Ligriden kämpft.« »Und jetzt siehst du einen Zwerg vor dir und bist enttäuscht«, stellte Hachmad Alchkard fest. Er grinste breit. »Darüber vergißt du, was du von mir gehört hast. Niemand außer dir hat den Fremden soviel Schwierigkeiten gemacht wie ich.« »Das ist wahr«, gab Mrothyr zu. »Und nun hast du einen Fehler gemacht. Du bist auf einen Plan der Hyptons hereingefallen. Arishka, der Würger mit seinem Hintergeher, du und ich sind an einem Ort versammelt. Wenn sie
zuschlagen könnten, würden sie die Eckpfeiler des gesamten Widerstands treffen und diesen möglicherweise endgültig brechen.« »Es dürfte ihnen nicht leichtfallen, uns auszuschalten.« »Bist du wirklich sicher, daß du dich auf deine Leute verlassen kannst?« »Absolut. Keiner von ihnen wird uns verraten. Aus dieser Richtung haben wir also keinen Angriff zu befürchten. Und du kannst dich mit deiner Burg dem Zugriff der Hyptons entziehen, so daß du auch nach außen hin geschützt bist.« »Dank einer Neuen Technik, die ich einem Besucher von den Sternen verdanke, der vor vielen Jahren auf meiner Burg Zuflucht gesucht hat. Ich habe dich und deine Freunde gesehen, lange bevor ihr Ah-Ahkrapha erreicht hattet. Ich habe euch erkannt. Das war der Grund dafür, daß ich euch eingelassen habe. Doch jetzt müssen wir überlegen, wie es weitergehen soll.« »Wir müssen die Fremden zwingen, Zyrph zu verlassen. Das können wir auf zwei Wegen erreichen. Entweder wir bekämpfen sie hier bei uns …« »Das hast du mit beachtlichem Erfolg bisher getan.« »… oder wir greifen sie dort an, wo wir sie wirklich empfindlich treffen können. Auf ihrer Heimatwelt. Dazu benötige ich ein Raumschiff, mit dem ich umgehen kann.« »Ich verstehe.« »Ein Fremder namens Atlan hat mir von einem Raumschiff erzählt, das sich irgendwo auf Zyrph befindet. Es soll ein intelligentes Raumschiff sein. Es gehört ihm, aber ich glaube, er hätte nichts dagegen, wenn ich mit ihm fliegen würde.« »Das intelligente Raumschiff?« »Ja. Es heißt STERNSCHNUPPE. Du kennst es? Weißt du auch, wo es sich befindet?« »Es steht auf einer Insel im Norden und wird von den Naidrynnen scharf bewacht. Meine Späher haben mir berichtet, daß es den Naidrynnen nicht gelungen ist, an Bord zu gehen, aber sie sorgen
immerhin dafür, daß dies auch kein anderer schafft. Ich glaube nicht, daß du eine Chance hättest, STERNSCHNUPPE für dich zu gewinnen.« »Abwarten«, erwiderte Mrothyr, der sich nicht anmerken ließ, wie sehr ihn diese Nachricht erregte. Endlich hatte er einen klaren Hinweis auf STERNSCHNUPPE und ihren Standort. Er war davon überzeugt, daß es ihm gelingen würde, an Bord zu kommen und das Raumschiff für sich zu gewinnen. »Gibt es eine Möglichkeit, zur Insel zu kommen?« »Die gibt es«, bestätigte Hachmad Alchkard. Er blickte Mrothyr nachdenklich an. Er schien beeindruckt von dessen Entschlossenheit zu sein. »Unter der Burg habe ich einen geheimen Hafen eingerichtet. Dort liegt ein Tauchboot. Mit diesem kann ich AhAhkrapha jederzeit verlassen. Es ist ebenfalls ein Geschenk jenes Fremden, der vor Jahren hier gewesen ist.« Mrothyr stand auf und ging einige Schritte auf und ab. Seine Gedanken überschlugen sich. Er war voller Pläne. Hatte er endlich einen Verbündeten gefunden, auf den er bauen konnte? Es schien so. Der Zwerg schlug sich mit der rechten Faust in die linke, offene Hand. »Ich muß dich noch einmal fragen, Mrothyr. Kannst du dich auf die Leute verlassen, die du mitgebracht hast?« »Ich verbürge mich für sie«, erwiderte Mrothyr. »Einer von ihnen ist ein Telepath. Er hat alle überprüft.« Er dachte flüchtig an das, was Grüa über Arishka gesagt hatte, schob diese Gedanken dann jedoch zur Seite. Er war sich sicher, daß er ihr vertrauen durfte. Sie würde nichts tun, was gegen ihn gerichtet war. Hachmad Alchkard lachte. »Wie enttäuschend für deinen Gedankenleser.« »Ich verstehe nicht, was du meinst.« Der Zwerg lachte erneut. »Meine Gedanken bleiben ihm verschlossen. Der Fremde hat es
mir bestätigt. Er besaß diese Gabe ebenfalls. Aber wozu sollte er auch meine Gedanken lesen? Ich bin als Feind der Hyptons, Naidrynnen und Ligriden bekannt.« Er rutschte von seinem Stuhl und eilte zur Tür, wobei er wiederum die Arme anwinkelte und die Hände zu Fäusten ballte, als wolle er die Tür zertrümmern. »Ihr dürft in Ah-Ahkrapha bleiben«, rief er. »Ich werde Anweisungen geben, daß man euch Quartiere zuweist. Wir sehen uns dann später beim Essen.« Damit eilte er zur Tür. Cushmancush kam in diesem Moment zurück. Er trug einen großen Krug in den Händen und wäre fast über den Zwerg gestolpert. »Zu spät«, rief Hachmad Alchkard ärgerlich. »Du kommst immer zu spät!« Er eilte davon, ohne sich um seinen Gast und das angebotene Getränk zu kümmern. Mrothyr schüttelte verwundert den Kopf. Er hatte sich Hachmad Alchkard ganz anders vorgestellt.
8. Mrothyr sah Hachmad Alchkard früher wieder als vereinbart. Cushmancush kam in das Quartier, das man ihm und Arishka angewiesen hatte und führte ihn und die junge Frau zu dem Burgherren. Dieser erwartete sie in einer großen Halle unter der AhAhkrapha. In ihr standen mehrere wuchtig aussehende Maschinen, wie Mrothyr sie noch nie zuvor gesehen hatte. Voller Stolz zeigte Hachmad Alchkard ihnen die Anlage, mit deren Hilfe er in der Lage war, die Burg um einige Sekunden in die Zukunft zu versetzen. Er gab unumwunden zu, daß er von der Technik nicht das geringste verstand, sondern lediglich in der Lage war, die Maschinen zu bedienen.
»Wir haben die Anlage vor Jahren schon aufgebaut, um den Fremden von den Sternen vor dem Zugriff der Naldrynnen zu schützen. Er war schwerverletzt und verdankt es ausschließlich uns, daß er überlebt hat. Die Maschinen wurden aus seinem Raumschiff ausgebaut. Diese Arbeit wurde von Robotern übernommen. Sie waren es auch, die später ein Raumschiff der Naldrynnen für den Fremden gekapert haben, so daß er zu seiner Heimatwelt zurückkehren konnte«, erläuterte Hachmad Alchkard, wobei er mit eckigen Bewegungen in der Halle hin und her eilte. »Jetzt sind wir unangreifbar.« »Das sollte dich nicht unvorsichtig machen«, entgegnete Arishka. »Das werde ich nicht«, rief der Zwerg. »Niemals. Die einzige Gefahr, die uns droht, kann nur von innen kommen. Deshalb werde ich jeden einzelnen von euch überwachen lassen. Auch euch beide.« »Ich habe nichts dagegen«, entgegnete Mrothyr. »Das ist mir lieber, als wenn du die Möglichkeit eines Verrats ignorieren würdest.« »Glaube mir«, rief Hachmad Alchkard, wobei er die rechte Faust in die Höhe streckte. »Ich kenne die Zyrpher. Für ein wenig Gewinn tun sie alles. Sie würden ihrem Henker sogar das Schwert verkaufen, mit dem dieser sie köpfen soll, und sie sind töricht genug zu glauben, damit könnten sie ein Geschäft machen.« Danach führte er Mrothyr und Arishka wieder in die Burg hinauf. In einer großen Halle waren mittlerweile mehrere Tische gedeckt worden. Auf ihnen türmten sich Berge von Fischen, die in der unterschiedlichsten Weise zubereitet worden waren, so daß jeder auswählen konnte, was ihm am besten schmeckte. Hachmad Alchkard erwies sich als überraschend charmanter und amüsanter, Plauderer. Er wurde Mrothyr immer sympathischer, zumal er fest entschlossen war, nicht nur für die Freiheit Zyrphs zu kämpfen, sondern auch die sozialen Zustände auf Zyrph grundlegend zu ändern. »Mit dem Würger, Arishka, dir und mir sind die wichtigsten Kräfte
des Widerstandes vereinigt«, sagte er, bevor er die Tischrunde auflöste und sich zur Nachtruhe zurückzog. »Fast sieht es so aus, als hätten unsere Gegner dafür gesorgt, daß es so gekommen ist. Ihr Plan könnte sein, einen Verräter in die Burg zu bringen, der die Zeitmaschinen zerstören und Ah-Ahkrapha damit von innen her aufbrechen soll. Der Plan wird nicht gelingen, falls es einen solchen geben sollte. Meine Männer sind auf der Hut.« Drei Stunden später schreckten die Mrothyr und Arishka aus dem Schlaf auf, weil jemand mit Fäusten gegen ihre Tür hämmerte. Mrothyr stand auf und öffnete. Cushmancush stand vor ihm. Er sah verstört aus. »Was ist los?« fragte Mrothyr. »Komm mit«, forderte der Vertraute Hachmad Alchkards ihn auf. Er hatte Mühe zu sprechen. »Schnell. Arishka auch.« Er hastete vor den beiden her eine Treppe hoch und über einen Gang zu den Gemächern des Zwerges. Bewaffnete Wachen standen auf den Gängen. Einige von ihnen hatten Tränen in den Augen. Von böser Ahnung erfüllt, betrat Mrothyr das Schlafzimmer Hachmad Alchkards. »Nein. Ich glaube es nicht«, stammelte Arishka, als sie sah, was geschehen war. Der Zwerg lag blutüberströmt in seinem Bett. Sein Gesicht war vom nahen Tod gezeichnet. Mrothyr beugte sich über ihn. Er war sich dessen bewußt, daß viele seiner Pläne nun nicht mehr zu verwirklichen waren. Die Hilfe Hachmad Alchkards fiel weg. Von nun an war er wieder auf sich allein gestellt. Maßloser Zorn erfüllte ihn, da ihm bewußt wurde, daß der Täter ein Zyrpher war, der die Waffe somit gegen sein eigenes Volk gerichtet hatte. »Wer ist es gewesen?« fragte er. »Ich weiß es nicht«, erwiderte der Sterbende mühsam. Er griff nach der Hand Mrothyrs. »Er hat mich im Schlaf überrascht. Cushmancush ist mal wieder zu spät gekommen. Laß du dich nicht
aufhalten, mein Freund. Kämpfe. Zyrph muß frei werden. Gib nicht auf, solche Verräter sind die Ausnahme.« Er versuchte, noch mehr zu sagen, schaffte es jedoch nicht. Seine Hand fiel auf das Bett zurück, sein Kopf kippte zur Seite, und die Augen brachen. Erschüttert wandte Mrothyr sich ab. Arishka flüchtete in seine Arme. »Wer konnte so etwas tun?« stammelte sie. »Es war einer von euch«, sagte Cushmancush mit zornbebender Stimme. Er packte Mrothyr und riß ihn herum. Mit flammenden Augen blickte er ihn an. »Dieser Verräter wird dafür bezahlen. Verlaß dich darauf.« Mrothyr stieß die Hände zurück. »Beherrsche dich«, entgegnete er. »Du darfst gerade jetzt nicht die Nerven verlieren. Der Mörder könnte die Gelegenheit nutzen, um sein Werk zu vollenden.« »Wie meinst du das?« fragte Cushmancush sehr erschrocken. Er war hilflos. Er war kein Mann, der eigene Entscheidungen treffen konnte. Er brauchte jemanden, der ihm sagte, was er zu tun hatte. »Hachmad Alchkard hat es gesagt, aber ich habe ihm nicht geglaubt. Die Hyptons haben uns hereingelegt. Sie haben uns manipuliert und uns an der langen Leine in diese Burg geführt. Ihr erstes Ziel haben sie erreicht. Hachmad Alchkard ist tot. Ihr zweites Ziel ist es, Ah-Ahkrapha aufzubrechen, und das können sie nur, wenn die Zeitmaschinen zerstört werden.« Cushmancush erbleichte. »Du hast recht«, sagte er erschrocken. »Wenn die Maschinen ausfallen, können wir nicht mehr in die Zukunft ausweichen, und die Naldrynnen können uns angreifen. Damit vernichten sie den gesamten Widerstand auf einen Schlag.« »Was redest du noch?« fuhr Mrothyr ihn an. »Lauf endlich zu den Maschinen, oder willst du schon wieder zu spät kommen?« Cushmancush fuhr herum und rannte hinaus. Er brüllte seinen Männern Befehle zu, und sie hasteten hinter ihm her. Mrothyr und
Arishka folgten ihnen in einigem Abstand. »Wer kann es gewesen sein?« fragte sie. »Was glaubst du?« »Ich weiß es nicht«, erwiderte er. »Grüa muß es uns sagen.« Sie stiegen die Treppe hinunter, und er klopfte an der Tür des Telepathen. Es dauerte ziemlich lange, bis Grüa öffnete. Er sah verschlafen aus. »Was ist denn los?« fragte er mürrisch. Dann erfaßte er die Gedanken Mrothyrs. Er zuckte erschrocken zusammen, und seine Augen weiteten sich. »Das ist nicht wahr. Hachmad Alchkard kann nicht tot sein.« »Er ist es«, erwiderte Arishka heftig. »Und wir wollen von dir wissen, wer sein Mörder ist.« »Woher soll ich das wissen? Ich habe geschlafen. Ich muß mich erst umhören. Bald werde ich es wissen. Der Mörder wird sich durch seine Gedanken verraten.« »Zieh dich an und komm«, befahl Mrothyr. Sie liefen die Treppen hinunter, nachdem sie vergeblich versucht hatten, den Lift zu rufen. Auf halbem Wege zur Eingangshalle stießen sie auf den Würger und seinen Hintergeher. Diese waren bereits über das informiert, was geschehen war. »Jetzt greifen die Ligriden an«, sagte Lait. »Es ist die logische Konsequenz.« Eine heftige Explosion erschütterte Ah-Ahkrapha. »Das war unter uns«, rief Irksregs Grüa. »Die Zeitmaschinen. Sie sind zerstört worden.« »Dann ist alles aus«, stöhnte der Kettenkämpfer. »Wir sitzen in der Falle.« »Wir müssen nach unten«, drängte Arishka. »Das Tauchboot«, sagte Mrothyr, als sie das Ende der Treppe erreichten und in die Eingangshalle kamen. »Wir müssen versuchen, die Burg mit dem Tauchboot zu verlassen.« Er blickte Grüa fragend an, aber der Telepath zuckte nur mit den
Schultern. »Du müßtest doch längst herausgefunden haben, wer der Verräter ist«, fuhr Arishka ihn an. »Wieso?« fragte Lait. »Was hat er damit zu tun?« › »Er ist Telepath«, antwortete sie. »Er kann Gedanken lesen.« Der Würger blickte Grüa erschrocken an. »Und das sagt ihr mir erst jetzt?« beschwerte er sich. Er baute sich vor Grüa auf. »Bitte, lies meine Gedanken. Und dann bestätige Mrothyr, daß ich nicht der Mörder bin.« »Er ist es nicht«, antwortete der Telepath. »Es muß einer von den anderen sein, die mit uns gekommen sind.« Ein Energiestrahl schlug gegen das Tor der Eingangshalle und brach es auf. Flüssige Glut spritzte herein und brannte sich in den gläsernen Boden ein. Das Glas zerbarst, und zahlreiche Risse bildeten sich. »Weg«, rief Mrothyr. »Nach unten.« Er eilte mit Arishka zu einer abwärts führenden Treppe. In der Halle fielen weitere Schüsse. Donnernd brach das Tor auseinander. Mrothyr blickte zurück. Er sah einen ligridischen Kampfgleiter, der unmittelbar vor dem Tor gelandet war. Mehrere Ligriden sprangen aus der Maschine. »Schnell«, rief Arishka. »Worauf wartest du? Die anderen sind schon weit voraus.« Sie eilten hinter Grüa, Lait und dem Hintergeher her, die bereits einen beträchtlichen Vorsprung hatten. Hinter ihnen fielen weitere Schüsse. Mrothyr warf eine Panzertür hinter sich zu und verriegelte sie, obwohl er wußte, daß die Ligriden dieses Hindernis mit ihren Energiewaffen aufsprengen konnten. Immerhin würde es sie für einige Sekunden aufhalten. Arishka wartete an einer weiteren Tür auf ihn. »Hier unten haben die Zeitmaschinen gestanden«, sagte sie und deutete auf einen Torbogen. Hinter diesem öffnete sich die Halle, in der Hachmad Alchkard ihnen am Vortag voller Stolz das technische
Wunder gezeigt hatte, durch das er lange Jahre unangreifbar gewesen war. Etwa fünfzig seiner Männer standen vor den rauchenden Trümmern der Maschinen. Unter ihnen Cushmancush. »Weiter«, drängte Arishka. »Wir müssen weiter.« Doch Mrothyr betrat die Halle. Er ging auf Cushmancush zu. Dieser hielt eine Kette in den Händen. »Das hat der Verräter zurückgelassen«, sagte er und hob anklagend die Kette. »Der Würger war es?« stammelte Arishka. Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Das glaube ich nicht.« »Er hat sich Sprengstoff aus unserem Lager besorgt«, erklärte Cushmancush. »Dabei hat er eine Wache getötet. Dann ist er hierher gegangen und hat zwei weitere Männer umgebracht, die hier aufpassen sollten. Einen von ihnen hat er mit der Kette erwürgt. Danach hat er den Sprengstoff an die Zeitmaschinen gelegt, sie mit einer Uhr zusammengeschlossen und hat sich auf den Weg gemacht, um Hachmad Alchkard zu ermorden.« »Aber es war nicht der Würger. Das glaube ich nicht«, protestierte Arishka. »So etwas kann doch nur ein Mann gemacht haben, der sich hervorragend in der Burg auskennt. Woher sollte Lait gewußt haben, wo ihr den Sprengstoff aufbewahrt?« »Ich glaube nicht, daß das jetzt noch eine Rolle spielt«, mischte Mrothyr sich ein. »Die Ligriden stürmen die Burg. Sie werden gleich hier sein.« »Wo ist der Würger?« fragte Cushmancush. »Er ist zusammen mit Grüa und dem Hintergeher nach unten gelaufen. Sie wollen zum Tauchboot.« Cushmancush streckte den Arm aus und deutete auf Mrothyr. »Das Tauchboot ist für ihn«, erklärte er. »Hachmad Alchkard hat es mir gesagt. Mrothyr muß es haben, damit er nach Norden zur Insel fahren kann, auf der die STERNSCHNUPPE steht. Wir werden nicht zulassen, daß der Mörder damit flieht.« Er steckte die Kette ein. Irgendwo über ihnen explodierte etwas in
der Burg, doch dadurch ließ Cushmancush sich nicht aufhalten. Er blickte nur kurz zur Decke hinauf, dann drängte er sich an Mrothyr und Arishka vorbei und stürmte die nach unten führende Treppe hinunter. »Ich glaube es nicht«, sagte die junge Frau immer wieder. »Lait kann das nicht getan haben. Er ist ein überzeugter Freiheitskämpfer. Er würde sich nie auf die Seite der Hyptons schlagen.« Sie eilten hinter Cushmancush her. Ihnen folgten die anderen Männer. Keiner von ihnen dachte daran, sich den Ligriden entgegenzustellen und Ah-Ahkrapha zu verteidigen. Sie schienen die Burg bereits verlorenzugeben. Als Mrothyr und Arishka das Ende der Treppe erreichten, betraten sie ein Gewölbe, in dem ein etwa fünf Meter langer, grauer Zylinder schwamm. Cushmancush stand dem Würger, dem Hintergeher und Grüa gegenüber, die mehrere Seile von einem Steg gelöst hatten, mit denen der Tauchkörper angebunden gewesen war. Zornig schleuderte Cushmancush Lait die würgenden Zähne vor die Füße. »Da hast du deine Kette, Verräter«, rief er. Der Würger bückte sich. Kopfschüttelnd blickte er den Vertrauten Hachmad Alchkards an. Er hob die Kette auf. »Wo war die Kette?« fragte er. »Ich habe sie gesucht. Irgend jemand hat sie mir abgenommen, als ich schlief.« »Du lügst«, sagte Irksregs Grüa. »Du hast die Kette neben den Zeitmaschinen verloren, als du die Sprengladung gelegt hast. Einen der Wächter hast du damit ermordet.« »Was – ich?« Lait war fassungslos. »Hast du den Verstand verloren?« Der Telepath sprang auf den Tauchkörper hinüber und öffnete eine Luke. »Er ist der Mörder eures Herrn«, rief er und zeigte auf Lait. »Ich kann seine Gedanken lesen. Sie verraten mir alles.« »Das stimmt nicht«, erklärte Prerk. »Ich weiß, daß er es nicht war.«
»Es tut mir leid«, beteuerte der Telepath. »Ich habe lange Zeit an Lait geglaubt. Ich war davon überzeugt, daß er es ehrlich meint, aber ich habe mich getäuscht. Er gehört zu jenen wenigen Zyrphern, die ihre Gedanken so gut unter Kontrolle haben, daß sie sogar mich als Telepathen täuschen können.« »Nein! Ich war es nicht«, brüllte der Würger, »aber jetzt weiß ich, wer der Verräter ist.« Der Tauchkörper war mittlerweile mehrere Meter vom Steg weggetrieben, ohne daß jemand versucht hätte, ihn aufzuhalten. Lait schnellte sich mit einem gewaltigen Sprung vom Steg ins Wasser. »Haltet ihn«, rief Mrothyr. »Laßt ihn nicht entkommen.« Erstaunlicherweise versuchte weder Cushmancush noch einer der anderen Männern aus der Burg, den Kettenkämpfer aufzuhalten. So erreichte dieser das Boot und zog sich geschickt hinauf. Als er sich jedoch aufrichtete, schlug Grüa ihm die Faust an den Kopf. Der Würger stürzte auf die Knie herab, richtete sich aber sogleich wieder auf. »Nein«, sagte Mrothyr plötzlich. »Lait war es nicht. Hier gibt es nur einen, der lügt und das ist Irksregs Grüa. Er ist der Verräter.« Der Telepath traf Lait mit einem weiteren Schlag, und diesmal blieb der Würger bewußtlos auf dem Tauchboot liegen. »Du warst es, Grüa«, rief Mrothyr. »Du hast es getan.« Er wollte ins Wasser springen, um zum Boot hinüberzuschwimmen, doch Cushmancush hielt ihn energisch zurück. Irksregs Grüa lachte. »Es hat lange gedauert, bis du es gemerkt hast«, erwiderte er, während er durch die Luke nach unten ins Boot stieg. »Ja, ihr Narren, ich habe euch nach Ah-Ahkrapha gelockt. Ich habe die Zeitmaschinen zerstört. Es war ein leichtes für mich, herauszufinden, wo der Sprengstoff lagert. Die Gedanken der Wachen haben es mir verraten. Dann bin ich zu Hachmad Alchkard
gegangen. Ich wollte ihn fesseln, doch er wachte auf, und da habe ich kurzen Prozeß gemacht.« Er lachte erneut. »Was spielt es für eine Rolle, ob ich ihn getötet habe, oder ob die Ligriden es tun werden? Er mußte ohnehin sterben. Ebenso wie ihr alle. Ihr habt keine Chance mehr.« »Dann ging es also von Anfang an nur um diese Burg?« fragte Mrothyr. »Nur um sie«, bestätigte der Telepath. »Sie war den Hyptons ein Dorn im Auge. Daher war es ihnen ganz recht, daß du weggelaufen bist. Sie konnten mich einschalten. Ich habe dich hierher gebracht, Hachmad Alchkard hat dich – wie erwartet – gesehen, als du dich der Burg genähert hast, und er hat dich hereingelassen. Und mich natürlich auch, da ich ja bei dir war. Jetzt ist es vorbei, Mrothyr. Die Ligriden kommen, um das Todesurteil zu vollstrecken. Und dieses Mal wirst du der Exekution nicht entgehen.« Der Würger schnellte sich plötzlich hoch. Er packte Grüa bei den Schultern und riß ihn mit geradezu übermenschlicher Anstrengung aus der Luke. Dann hieb er ihm mit aller Kraft die Faust gegen die Brust. Der Telepath versucht vergeblich, dem Schlag auszuweichen. Er verlor das Gleichgewicht, warf die Arme haltsuchend in die Luft und stürzte rücklings ins Wasser. Lait wollte hinterher springen. »Nein«, schrie Cushmancush. »Nicht ins Wasser.« Grüa tauchte wieder auf. Er blickte sich unsicher um. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte. Dann entschied er sich für das Tauchboot. Er wollte zu ihm zurückschwimmen, doch er kam nicht mehr dazu. Aus der Tiefe tauchte ein mit Saugnäpfen versehener Tentakel auf. Er war so dick wie der Oberschenkel eines Mannes. Grüa sah ihn. Verzweifelt versuchte er, sich auf das Tauchboot zu retten. Doch der Tentakel legte sich blitzschnell um ihn und zog ihn in die Tiefe. Entsetzt verfolgte Mrothyr, wie er in dem düsteren Wasser verschwand.
»Schnell«, drängte Cushmancush. »Wirf ein Seil herüber, Würger.« Lait verlor keine Zeit. Er warf ein Seil hinüber, Mrothyr packte es und zog das Tauchboot damit zu sich heran. »Steigt ein«, rief Cushmancush. »Beeilt euch. Schließt die Luke und drückt den großen Hebel nach vorn. Alles weitere macht die Neue Technik. Beeilt euch. Ihr müßt weg sein, bevor die Ligriden hier sind.« »Danke«, sagte Mrothyr, während Lait Arishka half, in das Tauchboot zu steigen. Der Hintergeher folgte ihr. »Paßt auf euch auf.« »Die Ligriden haben es auf euch abgesehen«, antwortete Cushmancush, »uns werden sie nichts tun, wenn wir uns ergeben.« Mrothyr stieg als letzter ins Boot. Er schloß die Luke und sicherte sie. Der Würger stand bereits an einem Steuerpult. Er drückte einen großen Hebel nach vorn, und durch eine der Scheiben konnte Mrothyr sehen, daß das Boot im Wasser versank. Arishka fiel ihm in die Arme. »Ich dachte nicht, daß wir es noch schaffen würden«, flüsterte sie. »Ich dachte, es ist alles vorbei.« »Die Götter sind auf unserer Seite«, erwiderte er. »Und sie werden es weiterhin sein, bis Zyrph frei ist.«
ENDE
H. G. Francis, der Autor dieses Bandes, hat auch den Atlan-Roman der nächsten Woche verfaßt, in dem Mrothyrs weitere Abenteuer geschildert werden, die zu einem überraschenden Wiedersehen im All führen … Mehr darüber lesen Sie im Atlan-Band 721 unter dem Titel: WO DIE SONNE NIE UNTERGEHT