Im Namen der Vollkommenheit
Die Robotbürger geben Rätsel auf von Hubert Haensel
Atlan - König von Atlantis - Nr. 488 ...
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Im Namen der Vollkommenheit
Die Robotbürger geben Rätsel auf von Hubert Haensel
Atlan - König von Atlantis - Nr. 488
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In das Geschehen in der Schwarzen Galaxis ist Bewegung gekommen. Schwerwiegende Dinge haben sich bereits vollzogen – weitere Ereignisse von großer Bedeutung bahnen sich an. Es begann damit, daß Duuhl Larx, der verrückte Neffe, mit zwei gefange nen Magiern an Bord des Organschiffs HERGIEN durch die Schwarze Ga laxis raste und Unheil unter seinen Kollegen stiftete. Es hatte damit zu tun, daß die große Plejade zum Zentrum der Schwarzen Galaxis gebracht wur de und nicht zuletzt auch damit, daß Atlan, der Arkonide, und Razamon, der Berserker, in ihrem Wirken gegen das Böse nicht aufsteckten. Inzwischen hat die große Plejade den Lebensring um Ritiquian aufgelöst. Der Dunkle Oheim mußte seine bisher schlimmste Niederlage einstecken, und die Neffen, die Statthalter des Dunklen Oheims, sterben aus. Ob damit das Schicksal der dunklen Mächte in der Schwarzen Galaxis endgültig besiegelt ist, bleibt abzuwarten. Der Dunkle Oheim trifft jedenfalls einschneidende Maßnahmen, indem er die Dimensionsfahrstühle zusam menführt. Während dies sich vollzieht, ohne daß Atlan die Entwicklung entschei dend behindern kann, passieren auf Pthor weitere Dinge, die Anlaß zu Be sorgnis geben. Dabei geschehen diese Dinge IM NAMEN DER VOLLKOM MENHEIT …
Die Hautpersonen des Romans:
Leenia - Die ehemalige Körperlose hat Schwierigkeiten.
Herr Moonkay - Großbürger von Wolterhaven.
Herr Merpaux - Ein geringwertiger Robotbürger.
Gambor und Merdino - Zwei Dalazaaren bei der Stahlquelle.
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Prolog
Der Herr Moonkay, der größte und mächtigste aller Robotbürger Wolter havens, rief seine Diener als erster an und sprach zu ihnen. »Sie stört die Vollkommenheit unserer Stadt«, sagte er, wobei seine Worte nichts anderes waren als elektromagnetische Impulse, die jeden sei ner würdigen Diener zur gleichen Zeit erreichten, egal, wo diese sich gera de befanden und welche Tätigkeit sie verrichteten. Es war dies nur die Einleitung einer Rede, die bewies, daß der Herr Moonkay in sich gegangen war. Mit seiner lautlosen »Stimme« fuhr er dann fort: »Wir alle haben gesündigt in der Vergangenheit, und keiner war unter uns, der es rechtzeitig erkannt hätte. Darum gehet hin und tilgt die Fehler, die wir gemacht haben, denn sie sind unser unwürdig. Vor allem die niedersten von euch, die Handlanger, müssen lernen, dem Gesetz der Vollkommenheit mit jedem ihrer Schaltkreise zu gehorchen. Wir, die Bürger von Wolterhaven, sind dazu bestimmt, über Pthor und viele andere Welten zu herrschen. Für diese Aufgabe wurden wir geschaf fen – sie soll von nun an unser Leben bestimmen …«
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1.
Gefühle, die ich nie zuvor gekannt, erwachten in mir. Eine Unzahl der ver schiedenartigsten Empfindungen stürzte von allen Seiten her auf mich ein – es war, als würde ich in eben diesem Augenblick meine Geburt neu und vor allen Dingen bewußt erleben. Alles wirkte fremd und irgendwie un heimlich. Ich fiel – stürzte in eine bodenlose Tiefe, die ihre gierigen Fänge nach mir ausstreckte. In meinen Schläfen rauschte das Blut, meine Glieder wa ren taub und gefühllos wie nach langem, erschöpftem Schlaf. Gleich ei nem Kind würde ich mich wieder an meinen Körper gewöhnen müssen, mich mit all seinen Funktionen vertraut machen, die mir jetzt noch fremd schienen. Denn nicht immer hatte ich diese Hülle aus Fleisch und Blut be sessen. Ich empfand Angst – ein Gefühl, das meiner menschlichen Exi stenz so verbunden war wie die Luft, die ich zum Atmen benötigte. Dein Körper? Eine lautlose Stimme schien in mir nachzuhallen, spöttisch und fragend zugleich. Da waren plötzlich Erinnerungen an ein früheres, ein anderes Leben, ir gendwo weit über den Dingen, frei und ungebunden, aber gleichzeitig mit der Gefahr verknüpft, für immer verloren zu sein. Ein purpurnes Leuchten nahm mich auf, das vertraute Bilder weckte. Ich wußte, daß die winzigen hellen Lichtpunkte ferne Sonnen waren … Die Höheren Welten! Ich wartete auf ihren Ruf! »Er ist verhallt. Du wirst ihn nicht mehr hören.« Der Klang einer fremden Stimme erschreckte mich und verscheuchte meine Gedanken. Es dauerte geraume Zeit, bis ich begriff, daß die Stimme meine eigene gewesen war. Ich war keine Körperlose mehr, sondern abgeschnitten von den anderen meiner Art, angewiesen auf mich selbst und einige Freunde, denen ich ver trauen durfte. Immer stärker machte sich eine Einsamkeit bemerkbar, die ich nie vor her gefühlt. Sie zwang mich, die Augen zu öffnen, obwohl ich unbewußt davor zurückschreckte. Ich sah vier Wände aus Metall, kalt und nüchtern, ohne jeden Schmuck, der dem engen Raum etwas Behagliches, Menschenwürdiges verliehen hätte. Das kalte blaue Licht, das aus unzähligen verborgenen Quellen fiel, zeichnete kaum Schatten. Hier hatte mich der Schlaf übermannt. Plötzlich und unerwartet war die Müdigkeit über mich gekommen, und ich hatte nicht die Kräfte besessen,
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mich gegen sie zu wehren. Vielleicht, wenn ich noch mit den Höheren Welten … Aber darüber nachzudenken war müßig. Es gab anderes, Wichtigeres. Zunächst mußte ich in Erfahrung bringen, wieviel Zeit verstrichen war, während ich mich in einem völlig traumlosen Zustand befunden hatte. Viel konnte inzwi schen geschehen sein. Allein wenn ich daran dachte, daß sich in der Ebene Kalmlech erneut die monströsesten Ungeheuer versammelten, von denen nicht einmal die Robotbürger wußten, woher sie kamen, spürte ich, daß die Ereignisse einem Höhepunkt zusteuerten, der alles verändern konnte. Neue Horden der Nacht waren im Entstehen begriffen, schrecklicher als jene, die vor ihnen unzählige Welten verwüstet hatten. Nachträglich schwanden meine letzten Zweifel, ob ich wirklich richtig gehandelt hatte, als ich Sator allein ziehen ließ und in Wolterhaven zu rückblieb. Aber ich besaß ohnehin keine Möglichkeit mehr, etwas für Pthor und seine Bewohner zu tun, und einzig und allein in der Stadt der Roboter hatte ich ständigen Zugang zu den neuesten Geschehnissen. Vor allem der Herr Moonkay sorgte sich in geradezu rührender Weise um mei ne Wenigkeit und ließ mir wichtige Informationen umgehend zukommen. Ich glaube, wäre er nicht ein Roboter, seine Besorgnis ließe sich wohl am ehesten mit dem Wort Verliebtheit umschreiben. Von ihm hatte ich auch erfahren, daß die Große Barriere von Oth ver lassen war. Die Magier schienen spurlos verschwunden, während gleich zeitig überall im Land fremde, unglaublich dürre Humanoide auftauchten, deren Ähnlichkeit mit den Technos geradezu verblüffend war. Sie trugen rote Roben, wie niemand sie je gesehen hatte – und sie wirkten unheim lich. Selbst die Roboter schienen das zu spüren. Taumelnd kam ich auf die Beine. Aber schon im nächsten Moment wur de mir schwarz vor Augen. Ich streckte instinktiv die Arme aus und konnte so den Sturz ein wenig abfangen. Dennoch schlug ich hart auf; der Schmerz raubte mir die Besin nung. Als ich wieder zu mir kam, glaubte ich, mein Schädel wolle zerplatzen. Diesmal war ich vorsichtiger, als ich mich erhob. Nach einer Weile fühlte ich mich schon wesentlich besser. »Herr Moonkay«, rief ich. »Was ist geschehen?« Aber niemand antwortete mir. Vielleicht konnte mich der Großbürger auch nicht hören. Draußen war es heller Tag. Ich trat hinaus auf die Plattform. Ein lauer Nordwind brachte vielfältige Düfte mit sich. Es roch nach dem Nektar exotischer Blüten, nach dem Tau noch feuchten Gräsern – aber auch nach Verwesung und Moder. Von meinem Standort aus bot sich ein herrlicher Rundblick. Der Blutd
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schungel lag fast zur Gänze unter wallenden Nebelschleiern verborgen. Nur hie und da ragten die Kronen mächtiger Urwaldriesen aus dem Dunst hervor – wie vereinzelte Insekten inmitten der schier endlosen Weite eines Ozeans. Im Westen, scheinbar zum Greifen nahe, lag der Rand von Pthor. Während ich meinen Blick schweifen ließ, war mir, als könnte ich eine Bewegung erkennen, irgendwo weit entfernt von unserem Dimensions fahrstuhl. Es war wie ein winziger, hell strahlender Stern, der dicht über den Horizont dahinzog. Ein weiteres Planetenfragment? Ich erinnerte mich, von einem würdigen Arbeiter des Herrn Moonkay erfahren zu haben, daß die Dimensionsfahrstühle sich versammelten. Hatte Pthor sein Ziel bereits erreicht? Nichts schien darauf hinzudeuten, daß dieses kosmische Eiland sich in allernächster Zeit erneut bewegen würde. Der Himmel war von einer Klar heit, wie ich sie selten erlebt habe; nur wenige Wolken schwebten über das Firmament und schoben sich gerade jetzt vor die Sonne. Wolterhaven lag wie ausgestorben da. Lediglich aus der Ferne hörte ich die Geräusche arbeitender Maschinen. Die Ruhe ringsum wirkte störend. Zwar befand ich mich im Augenblick auf einer relativ kleinen und unbe deutenden Plattform, und um zum Herrn Moonkay oder anderen bedeuten den Bürgern zu gelangen, mußte ich mehrere Ebenen höhersteigen, den noch hatte ich erwartet, einige der unermüdlichen Diener zu sehen, deren einzige Sorge meinem körperlichen und seelischen Wohlbefinden zu gel ten schien. Zwischen würfelförmigen Gebäuden hindurch näherte ich mich dem Rand der Plattform. Wenn ich mich weit genug vorbeugte, könnte ich so gar den sumpfigen Boden erkennen, auf dem die Stadt der Roboter errich tet worden war. Mehr als zwanzig Meter unter mir erhob sich die Kuppel eines geringen Bürgers. Der Größe des Baues nach zu schließen, bestand er kaum aus mehr als drei oder allerhöchstens vier Kugeln. Trotzdem erhoffte ich mir von ihm Auskunft über die unerklärliche Stille, die in Wolterhaven Einzug gehalten hatte. Nur wenige Schritte von mir entfernt führte eine der Transportsäulen in die Tiefe. Ich trat vor sie hin und sprach das Wort »Llinlith« aus, das eines der siebenhundertsiebenundsiebzig Attribute der Göttin der Nacht war. Was es bedeutete, wußte ich nicht, wohl aber hatten, die Roboter auf diese Möglichkeit der ungehinderten Fortbewegung hingewiesen, und für mich gab es bisher keinen Grund zur Klage. Das Wort war mir kaum über die Lippen, als aus dem Innern der hohlen Säule heraus eine dumpfe Stimme ertönte: »Gehe zwei Säulen nach Westen!«
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Ich tat, wie mir geheißen, und begab mich zweihundert Meter weiter in die angewiesene Richtung. »Broaigh!« sagte ich dort, was ebenfalls eines der siebenhundertsieben undsiebzig Attribute war. Doch diesmal geschah nichts. Weder erhielt ich eine Antwort, noch ertönte jenes helle Summen, das die Aktivierung der künstlichen Schwerefelder anzeigte, die überhaupt erst einen Transport er möglichten. Das Gefühl beobachtet zu werden, ließ mich herumfahren. Kaum mehr als zwanzig Schritte hinter mir stand einer der kleinen, skurril anmutenden Roboter, die nur dazu geschaffen waren, einfachste Tätigkeiten auszufüh ren. Er verfügte über mindestens zehn biegsame Arme, die in verschieden artige Werkzeuge ausliefen. Der Kleine schien mitten in der Bewegung erstarrt. Nur das Funkeln seiner Sehzellen, aus denen er mich unverwandt anstarrte, verriet, daß Le ben in ihm war. »Du«, rief ich ihn an. »Wer bist du?« Stille. »Bist du nicht fähig, mit mir zu kommunizieren? Dann rufe einen ande ren herbei, einen würdigeren Diener, denn ich muß mit Herrn Moonkay sprechen.« Mit keiner Regung zeigte er, ob er mich verstanden hatte. Ein solches Verhalten war ich bisher nicht gewohnt. Aber vielleicht hatte der Handlan ger einen Defekt. Es mußte geradezu so sein, denn entgegen aller Höflich keit schwebte er plötzlich in die Höhe und verschwand hinter einem Ge bäude. Was blieb mir anderes übrig, als daß ich mich wieder der Transportsäu le zuwandte. »Broaigh!« sagte ich erneut, und diesmal wurde das Schwerefeld akti viert. Innerhalb weniger Augenblicke gelangte ich auf die nächsttiefere Plattform, ohne daß ich irgend etwas dabei spürte. Sanft kam ich auf die Füße. Die Kuppel lag kaum zweihundert Meter von mir entfernt. Im Schein der Sonne, die gerade jetzt zwischen den Wolken hervorbrach, gleißte sie wie ein funkelnder Edelstein. Das helle Blau schmerzte den Augen. Ich weiß nicht, was mich dazu zwang, aufzusehen. Vielleicht bildete ich mir die innere Stimme auch nur ein, die mir so vertraut war wie die Kör perlosen der Höheren Welten. Sprachen Sie wirklich zu mir? Dann mußte ihr Hinweis von großer Be deutung sein. Aber ich sah nichts außer der Sonne über Pthor, die gnadenlos auf Wol terhaven herabbrannte. Erst als ich die Augen mit der flachen Hand abschirmte, erkannte ich
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den schwarzen Ring, der dieses Gestirn umgab. Vielleicht ein ehemaliger Begleiter, der irgendwann infolge einer kosmischen Katastrophe oder gar durch das unverantwortliche Handeln intelligenten Lebens zerstört worden war, und dessen Bruchstücke die Sonne für immer an sich fesselte. Mein Weg führt mich zu der Kuppel, die in ihren Ausmaßen eher klein zu nennen war und nicht einmal ein Viertel der Größe des Bauwerks er reichte, in dem der Herr Moonkay wohnte. Zwei Roboter von menschli chem Äußeren hielten vor dem halb geöffneten Portal Wacht. Sie standen starr, als würden sie meine Gegenwart überhaupt nicht zur Kenntnis neh men. Indes mußte ich erkennen, daß der Schein trog. Als ich an ihnen vor bei in das Innere des Bauwerks vordringen wollte, vertraten sie mir den Weg. »Laßt mich durch!« verlangte ich. Mit keiner Geste verrieten sie ihre Bereitschaft, meiner Forderung nach zukommen. Ein flüchtiger Blick in die von diffusem Dämmer erfüllte Hal le zeigte mir eine silbern schimmernde Kugel, die Bestandteil des Robot bürgers war. »Wer ist euer Herr?« wollte ich wissen. »Ich muß mit ihm sprechen.« Einer der beiden murmelte etwas, das ich nicht verstand. Deshalb bat ich ihn zu wiederholen, was er gesagt hatte. »Althai.« »Das ist der Name des Bürgers?« »Ja.« Nicht nur in der Art, wie er es sagte, auch in dem Blick seiner Sehzellen und überhaupt in seiner ganzen Haltung drückte sich eine deutliche Abnei gung aus. »Wie viele Kugeln nennt der Herr Althai sein eigen?« »Drei.« Der Diener konnte mich nicht leiden – das spürte ich deutlich. Es war wirklich das erste Mal, daß ich eine derart schroffe und abweisende Ant wort auf meine Fragen erhielt. Möglicherweise gefiel ihm mein Gesicht nicht. In Wolterhaven mußte man eben immer auf neue Überraschungen gefaßt sein. »Nenne mir deinen Namen!« verlangte ich. Der Roboter gab sich keine Mühe, seinen Widerwillen zu verbergen. »Krimston«, schnarrte er. »Ich bin ein nimmermüder Diener meines Herrn.« »Ich werde dich nicht vergessen«, versprach ich, teils erstaunt ob soviel Unhöflichkeit, teils verärgert. »… und ich bin vollkommen!« setzte er hinzu, und das in einem Ton fall, der erkennen ließ, daß er mich am liebsten am anderen Ende von Pthor gesehen hätte, wenn überhaupt.
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»Ich will deinen Herrn sprechen.« »Nein.« »Bringe mich zu ihm, du nimmermüder Diener. Hurtig, eile, mich anzu melden.« Ich begann, das ganze als eine Art Kräftemessen zu betrachten, deshalb bediente ich mich auch der blumigen Sprache, wie die Roboter sie hin und wieder gebrauchten. »Der Bürger Althai weiß bereits um deine Anwesenheit. Er legt aber keinerlei Wert darauf, mit dir zu konversieren. Du störst ihn bei der Erfül lung seiner Aufgaben.« »Wenn dem so ist«, murmelte ich, »soll er meinetwegen still vor sich hin rosten. Dein Herr erscheint mir ohnehin zu unbedeutend, um meine Fragen zu beantworten.« Da selbst auf diese offensichtliche Beleidigung keinerlei empörte Reak tion erfolgte, mußte ich einsehen, daß ich hier nichts mehr verloren hatte. Inzwischen verspürte ich Durst und auch Appetit nach etwas Eßbarem, deshalb beschloß ich, zu meiner Unterkunft zurückzukehren, um von dort aus Verbindung zu Herrn Moonkay aufzunehmen. Leider ließ die Transportsäule mich endgültig im Stich. »Broaigh!« sagte ich. Und ich wiederholte dieses Attribut der Göttin der Nacht mindestens ein halbes Dutzend mal, bevor ich es aufgab. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich einer der wenigen Leitern anzu vertrauen, die ebenfalls von einer Plattform zu anderen führten. Zum Glück waren die Sprossen rauh und griffig, so daß ich relativ schnell vor wärts kam. Gleichwohl atmete ich erleichtert auf, als ich wieder festen Bo den unter den Füßen spürte. Mittlerweile schien die Stadt zu gewohntem Leben zu erwachen. Ich be wegte mich entlang des ungesicherten Randes der Plattform nach Westen. Wiederholt ertappte ich mich dabei, daß mein Blick in die Tiefe fiel. Ein mal sah ich sogar noch die Kuppel des Herrn Althai. Der Platz, an dem seine beiden Diener gestanden hatten, war jetzt leer. Abermals mußte ich zur nächsthöheren Ebene hinaufsteigen. Hier wur den die Gebäude zierlicher und ästhetischer in der äußeren Formgebung, gleichzeitig gewannen die Kuppeln der Robotbürger an Größe. Einige Plattformen weiter wußte ich die von Herrn Leodagan, dem Quorkmeister. In meine Betrachtungen versunken, wurde ich von einem leisen, sum menden Geräusch gestört, das sich mir rasch näherte. Zwischen zwei La gerhallen hindurch eilte ein Roboter auf mich zu. Seinem Äußeren nach zu urteilen, handelte es sich um einen Handlanger. Er wirkte wie ein Würfel mit einer Kantenlänge von beinahe zwei Metern, aus dessen Oberfläche le diglich einige Tentakel mit den erforderlichen Werkzeugen hervorragten. Zunächst glaubte ich, die Maschine würde abbiegen und sich der defek ten Transportsäule zuwenden. Indes schien sie überhaupt nicht daran zu
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denken, sondern raste zielstrebig auf mich zu. Mir blieb kaum Platz, um auszuweichen. Vor mir erhob sich die stähler ne Mauer eines Turmes, hinter mir führte ein breiter Schacht mehr als fünfzig Meter weit in die Tiefe. »Halte an!« schrie ich dem Handlanger entgegen und wußte gleichzei tig, daß dieses Monstrum keinesfalls in der Lage war, meinen Befehl zu verarbeiten. Roboter seines Typs waren »beschränkt« und verfügten nur über das allernötigste Vokabular. Noch fünf Meter … Ich warf mich zurück, aber etwas streifte meine Beine und wirbelte mich herum. Sekundenlang starrte ich in einen gähnenden Abgrund, dann fühlte ich kühles Metall unter meinen Händen. Meine Füße stießen ins Leere. Hilflos baumelte ich am Rand der Plattform. Ich wollte schreien, brach te aber keinen Laut hervor. Nirgendwo fand ich Halt, hing nur mit den Unterarmen auf den Platten. Und Zentimeter um Zentimeter glitt ich weiter ab. Unwillkürlich blickte ich nach unten. Dort schwebte der Handlanger, der an meiner mißlichen Lage schuld war, und setzte gerade zur Landung neben einer Halle an. Aber ich sah auch etwas anderes. Rechts von mir war eine Vertiefung, die ich, wenn ich mir Mühe gab, mit den Füßen erreichen konnte. Langsam versetzte ich mich in eine pendelnde Bewegung. Dabei mußte ich in Kauf nehmen, daß ich schneller abrutschte. Für bange Sekunden hing ich zwischen Himmel und Erde, jeden Augenblick gewärtig, endgül tig abzustürzen, bevor meine Füße Halt fanden. Scheinbar eine kleine Ewigkeit verging, bis ich mich in Sicherheit gebracht hatte. Der Schreck saß mir in allen Gliedern; ich war schweißüberströmt und zitterte. Entsprechend froh war ich, daß ich etwa eine halbe Stunde später mein Quartier erreichte. Unterwegs hatte ich zwar etliche Roboter zu Ge sicht bekommen, aber keiner von ihnen hatte Anstalten getroffen, sich mir zu nähern. Mein erster Gang führte mich in die Vorratskammer, die an die kleine Küche angrenzte. Angenehme Kühle schlug mir entgegen. Es war nicht viel, was ich hier aufbewahrte: einige Sorten Fleisch; etwas Obst, dessen exotischer Duft den Raum erfüllte; und Brotfladen. Mit einem wahren Heißhunger machte ich mich über die Früchte her. Nun, da ich zur Ruhe kam, fühlte ich die Schwäche. Ein Schluck Kromyat – es hätten auch zwei sein dürfen – wäre genau das Richtige gewesen, um mich schnell wieder auf die Beine zu bringen. Leider stand mir nichts an deres zur Verfügung als klares Quellwasser, das aus einer Leitung in der Küche floß.
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Also begab ich mich in den Wohnraum, wo für mich eine direkte Bild verbindung zu Herrn Moonkay installiert worden war. Vom Großbürger wußte ich, daß auch Atlan und Razamon in diesem und dem Nachbarap partement gewohnt hatten, als sie zum erstenmal in Wolterhaven weilten. Immerhin war ich erstaunt gewesen, dermaßen komfortabel ausgestattete Räume vorzufinden. Der kleine Bildschirm des Kommunikationsgeräts blieb leer. Anhand ei niger Kontrollen ließ sich feststellen, daß mein Anruf empfangen wurde, nur schien der Herr Moonkay es nicht für nötig zu erachten, daß er sich meldete. Solches war bislang noch nicht geschehen. Wieviel mehr hatte sich verändert, als ich ursprünglich angenommen? Fast schien es, als wollten die Bewohner Wolterhavens plötzlich nichts mit mir zu tun haben. Allerdings hatte ich ihnen keinen Anlaß dazu gegeben. Nicht ich, das war wahr, aber Sator Synk. Immerhin hatte der Orxeya ner den Robotern einen Zugor entwendet und sich praktisch bei Nacht und Nebel davongemacht. Sicher, er war mit vielem unzufrieden gewesen, vielleicht sogar zu Recht, zumindest wenn man, die Dinge von seinem Standpunkt aus betrachtete – aber die Flugschalen waren in dieser schlim men Zeit fast schon ihr Gewicht in Gold wert. »Sator«, murmelte ich und versuchte mir vorzustellen, wo er wohl sein mochte. »Du hast mir da was Schönes eingebrockt.« Den Kromyat konnte ich zunächst vergessen. Was blieb mir also ande res übrig, als meinen Durst mit Wasser zu stillen. Doch als ich den Hahn betätigte, kam nicht ein Tropfen. Ein Defekt in der Leitung, ausgerechnet jetzt? Eher glaubte ich, daß hinter all dem Sy stem steckte. Wollten die Roboter mich gar aus der Stadt haben und scheu ten davor zurück, mir dies ins Gesicht zu sagen? Ein zweiter Versuch, den Herrn Moonkay zu erreichen, blieb ebenfalls erfolglos. Nach wie vor huschte nur ein düsteres Flimmern über den Bild schirm. Seufzend warf ich mich auf mein Bett und schloß die Augen. Noch machte ich mir keine Gedanken darüber, daß in spätestens zwei Tagen meine Lebensmittelvorräte aufgebraucht sein würden. Bis dahin war das Mißverständnis sicherlich aufgeklärt. Immerhin hatte ich nichts mit Sators plötzlichem Verschwinden zu tun. Aber ich dachte auch daran, daß die Dimensionsfahrstühle sich versam melten. Es mochten Wochen, wenn nicht gar Monate vergehen, bis alle Fragmente sich zusammengefunden hatten, falls nicht das eine oder andere Planetenbruchstück auf seinen Reisen durch Raum und Zeit verschollen war. Würden sie jemals wieder ein Ganzes ergeben?
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Über meinem Grübeln muß ich wohl eingenickt sein. Und irgendwann versank ich in einen tiefen, erquickenden Schlaf. Es sprach der Herr Moonkay zu dem Bürger Althai, der nur drei Kugeln sein eigen nennen konnte und infolgedessen in den tiefergelegenen Regio nen der Stadt lebte: »Du bist ein Idiot!« Er sagte dies mit einer solchen Überzeugung, daß es dem geringen Bür ger die Sprache verschlug. »Du bist ebenso unfähig wie dein Handlanger! Selbständiges Arbeiten sollte dir verboten werden.« Der Herr Althai war zu Recht zerknirscht. Dennoch versuchte er nach einer Weile des Schweigens, sich zu rechtfertigen, wurde indes durch einen zynischen Impuls des Großbürgers daran gehindert. »Was geschieht nun?« fragte der Herr Moonkay. »Ich werde meinem Diener neue Befehle geben. Das nächstemal wird er erfolgreich sein.« »Er hat gefehlt, und deshalb widerspricht bereits seine Existenz der Vorschrift der Vollkommenheit.« »Aber er ist mein einziger Handlanger«, wagte der Bürger Althai einen Einwand. »Ich sorge dafür, daß er künftig …« »Er ist unvollkommen! Willst du, daß man dir solches ebenfalls nach sagt?« Das wollte der Herr Althai natürlich nicht. So kam es, daß schon wenige Minuten später eine der vielen Wolterhavener Metallpressen in Tätigkeit trat und ein nur noch zwanzig mal zwanzig Zentimeter messender Würfel in einen Schmelzofen wanderte. In unzähligen Arbeitsgängen würde ein neuer Handlanger entstehen, ein genaues Ebenbild seines Vorgängers, das auch dessen Namen trug und nicht minder beschränkt war. Bis dahin mußte der Herr Althai sich eben einschränken. Dabei sehnte er sich nach einem besseren Diener. Es mußte gar kein würdiger oder fleißiger Arbeiter sein, schon mit einem ideenreichen wäre er vollauf zufrieden gewesen.
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Gambor erwachte von einem unheimlich klingenden Ächzen, das durch den Urwald hallte. Von allen Seiten zugleich schien dieses Knarren und Krachen zu kommen, es war unmittelbar neben ihm und drang gleichzeitig auch aus großer Höhe herab. Taumelnd kam der Dalazaare hoch. Sein entsetzter Schrei schreckte die anderen auf. War es die Erschöpfung des tagelangen Marsches gewesen, die sie ge meinsam hatte niedersinken lassen, der quälende Durst, der sich schon wieder unangenehm bemerkbar machte, oder gar die Gewißheit, letztlich doch verloren zu haben, umgeben von tödlichen Gefahren den Weg zurück nicht mehr gehen zu können? Die Wipfel der mächtigen Bäume bogen sich wie im Sturm. Irgendwo klatschten abgerissene Äste auf den morastigen Boden. Weiter! hatte es zuletzt nur noch geheißen. Niedergeschlagen, erschöpft und verzweifelt hatten die Dalazaaren auf ihren Stieren gekauert, ständig darauf gefaßt, einer neuen Bedrohung ins Auge sehen zu müssen. Sie waren sieben gewesen, als sie voller Hoffnung ihr Dorf verließen. Sieben zu allem entschlossene Kämpfer mit ihren Panzerstieren. Zwei von ihnen waren Raubschweinen zum Opfer gefallen; die beiden anderen hatten ihr Leben im Netz einer riesigen Spinne gelassen. Jetzt waren sie nur noch drei – Gambor, Merdino und Boolan –, und ih re Zuversicht war Verbitterung gewichen, ihre Hoffnung einer bisher nicht gekannten Verzweiflung. Vergessen der Traum der Unbesiegbarkeit, der geboren worden war, als die Krolocs Pthor überfallen hatten. Vergessen ihr Plan, daß die Stahlquel le, Legende vieler Völker und doch Wirklichkeit, wie Porquetor bewiesen hatte, den Dalazaaren zu Ansehen und Reichtum und zur Macht verhelfen sollte. »Nichts weiter als ein Traum!« murmelte Gambor leise vor sich hin. Es herrschte ein trüber Dämmer, den nur hin und wieder vereinzelte Sonnenstrahlen durchbrachen. Die Bäume kämpften um das bißchen Licht. Ihre Äste peitschten durch die Luft, und die schwarzen fleischigen Blätter erzeugten dabei das hohle Brausen eines Sturmes. Wo auch immer die Rinde abgerissen und das Holz darunter frei wurde, ergoß sich eine dünne Flüssigkeit, die das Blut der riesigen Stämme war. »Wir müssen hier weg!« schrie Merdino entsetzt auf und floh vor einer rötlichen Lache, die über den Waldboden auf ihn zufloß. Aus weit aufge rissenen Augen starrte er auf mehrere handflächengroße Käfer, die
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zuckend verendeten, als der Lebenssaft der Bäume sie berührte. »Bei der Feste Grool, welcher Dämon hat uns dazu getrieben, hier zu rasten.« »Es waren die Waldgeister«, brachte Boolan hervor. »Sie schickten uns den Schlaf …« Seine weiteren Worte gingen in dem Brüllen der Stiere un ter, die sich schwankend aufrichteten. Auch sie litten Durst, der ihre Be wegungen lähmte und ihre Kampfkraft schwinden ließ. Die schwüle Hitze des Waldes entzog selbst ihnen Unmengen an Körperflüssigkeit. Gambor rief sein Tier, das aber nur widerwillig auf ihn zustapfte. Immer wieder blieb der Panzerstier stehen und blickte hinüber zu den Bäumen, um deren Wurzeln die roten Lachen größer wurden. Ein Zittern durchlief den mächtigen Körper. Vorsichtig tätschelte Gambor dem Stier die Nüstern, während er gleich zeitig beruhigend auf ihn einredete. Das zweite Tier indes zeigte sich widerspenstig. Es bockte, als Boolan aufsitzen wollte, warf sich mit einem wütenden Schnauben herum und machte erst unmittelbar neben einem der riesigen Stämme halt. Die drei Dalazaaren standen wie erstarrt. Keiner von ihnen wagte es, dem Stier nahe zu kommen, der jetzt gierig das Blut der Bäume aufleckte. »Er wird sterben«, sagte Merdino leise. »Wahrscheinlich«, nickte Boolan. »Die Waldgeister haben noch keines ihrer Opfer wieder freigegeben.« Gambor winkte heftig ab. »Sitz auf, wir reiten weiter! Der Tod kommt ohnehin früh genug.« Sie befanden sich tief im Blutdschungel, ihrer Schätzung nach etwa auf halbem Weg zwischen der Feste Grool und Wolterhaven. Bevor der Schlaf sie übermannte, hatten sie einen mehrere hundert Meter breiten Fluß über quert, dessen Strömung sie mit sich nach Westen riß. Von Erschöpfung gezeichnet, hätten sie wohl trotz aller Anstrengungen das andere Ufer nicht erreicht, wäre da nicht eine große Insel gewesen, die den Fluß in zwei Arme teilte. An jener Stelle waren sie nach links abgetrieben worden, wo eine schmale Landzunge Brackwasser hatte entstehen lassen, das bis tief zwischen die Bäume reichte. In den tückischen Strudeln, die rings um die Insel alles in die Tiefe zogen, was ihnen nahekam, hatten sie etliche ih rer Panzerstiere verloren. Vom Fluß aus ging es dann nach Süden, wo der Dschungel üppiger wu cherte und die Baumkronen sich bis in schwindelerregende Höhen er streckten. Die Luft war erfüllt gewesen von dem Lärmen unzähliger ver schiedener Tierarten, bis schließlich von einem Augenblick zum anderen eine geradezu tödliche Stille Einzug hielt. Dies alles ging Gambor durch den Sinn, während sie schweigend auf ih ren Stieren ritten, ohne dabei aber auch nur für einen Moment die Umge
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bung aus den Augen zu lassen. Der Dalazaare ahnte, daß die Stahlquelle nicht mehr weit war. Mindestens einen halben Tagesmarsch lag der Fluß inzwischen hinter ihnen. Wenn die alten Legenden die Wahrheit berichteten, mußte irgend wo in diesem Gebiet das Unfaßbare sein. Ein gellender Schrei ließ Gambor herumfahren. Boolans Stier bockte, seine beiden Reiter flogen in hohem Bogen ins Unterholz. Die zuvor weiße Haut des Tieres hatte sich bläulich verfärbt, vor seinen Nüstern und rund um das aufgerissene Maul stand dicker Schaum. Der Kopf mit den mächtigen Hörnern ruckte herum, zerfetzte Lianenstränge und bohrte sich krachend in den Boden. Moos und faustgroße Brocken Er de wurden aufgewirbelt. Noch einmal stieß der Stier zu, seine Hufe rissen tiefe Furchen, sein Schnauben wurde zum gequälten Brüllen. Gambor hatte alle Mühe, sein eigenes Reittier zu zügeln, das sich vom Toben des anderen anstecken ließ. Währenddessen waren Boolan und Merdino verzweifelt bemüht, sich in Sicherheit zu bringen. Eines der Hör ner streifte Merdino im Sprung und wirbelte ihn zur Seite. Der Dalazaare schrie auf, versuchte sich abzufangen, knickte aber ein, kaum daß er wie der hochkam. An seinem rechten Oberschenkel klaffte eine heftig blutende Wunde. Erneut raste der Stier heran, sein Brüllen hallte durch den Dschungel und wurde in vielfachem, schaurigem Echo zurückgeworfen. Im allerletz ten Moment fand Merdino Zuflucht hinter dem Stamm eines Blutbaums, der so mächtig war, daß selbst vier ausgewachsene Männer ihn nicht um fassen konnten. Das Tier warf sich herum und senkte den Kopf. Keuchend ging sein Atem, Schaum wirbelte von den Nüstern auf und trieb langsam davon. Dann preschte es auf Gambor los. Doch mitten im Lauf knickte der Panzerstier ein und überschlug sich. Es gelang ihm nicht mehr, auf die Beine zu kommen. »Die Waldgeister haben sich ihr Opfer geholt«, murmelte Gambor be drückt. Aus dem Schatten der Bäume kamen seine beiden Begleiter auf ihn zu. Der Dalazaare sah den kleinen ledernen Beutel in Merdinos Hand und wußte gleichzeitig, daß dieser den Stier von seinen Qualen erlöst hatte. Die kaum fingerlangen Skorpionwürmer waren die wirkungsvollste Waf fe, mit der sie sich im Blutdschungel behaupten konnten – weitaus durch schlagender als die Bolzen einer Skerzaal. Jeder von ihnen trug ein Blas rohr und einen ledernen Beutel voll dieser giftiger Tiere mit sich. Merdinos Verletzung erwies sich zum Glück als nicht sehr schlimm. Das Horn des Stieres hatte nur eine klaffende Fleischwunde hinterlassen. Ein straffer Verband aus Blättern und Lianen sorgte zunächst einmal da
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für, daß die Blutung aufhörte. Allerdings gab es nichts, um die Wunde auszuwaschen und die bösen Geister zu vertreiben, bevor diese in den Körper eindringen konnten. »Ich werde es schon schaffen«, sagte Merdino, aber seine Stimme zit terte dabei und strafte ihn Lügen. »Zumindest bis zum Abend halte ich durch, und bis dahin haben wir genügend Kräuter gefunden, die den Brand fernhalten.« Niemand konnte die Sonne sehen, die hinter den Wipfeln der Bäume verborgen stand, aber es mochte gegen Mittag sein. Irgendwann – etliche Stunden später – zog Nebel auf. Fast schlagartig reichte die Sicht nur noch wenige Meter weit. Der Dschungel erwachte zu gespenstischem Leben. Überall knisterte und krachte es, die Schreie der Tiere schienen lauter geworden zu sein und vielzähliger. »Hört ihr sie?« flüsterte Gambor beinahe ehrfürchtig. »Wen?« Der Dalazaare vollführte eine umfassende Bewegung. »Die Ahnen rufen uns.« »Du täuscht dich.« Merdino riß sein Blasrohr hoch und langte nach dem Beutel mit den betäubten Skorpionwürmern. »Was du zu hören glaubst, sind nur die Stimmen des Urwalds.« Auch wenn er sich unerschrocken gab, so vermochte er sich eines deut lichen Unbehagens ebenfalls nicht zu erwehren. An der Seite ihres letzten Panzerstiers schritten sie hintereinander her durch das immer dichter werdende Wallen. Schattenwesen schienen sie zu belauern, und manchmal zeigte sich eine flüchtige Bewegung zwischen den Bäumen. »Da!« Gambor erstarrte. »Hört ihr es nicht? Sie rufen uns.« Seine beiden Begleiter blickten sich entsetzt an. Tatsächlich war auch ihnen eben gewesen, als streifte sie ein kalter Windhauch. In der Höhe be gann das Laub zu klingen; die Bäume ächzten. Aus den Nebeln heraus starrten unmenschliche Fratzen sie an. Raubtier zähne funkelten durch die Dunkelheit. »Nein!« schrie Merdino auf. »Geht weg! Verschwindet!« Er setzte das Blasrohr an die Lippen. In dem Moment, als der Giftstachel des Skorpionwurms eines der nun deutlicher erkennbaren Gesichter traf, hallte ein Stöhnen durch den Wald, ein langgezogenes tiefes Seufzen, das die drei Dalazaaren schaudern ließ. Der Panzerstier brüllte erschrocken auf und riß sich los. Als er zwischen den Nebeln verschwand, zuckte ein grelles Leuchten auf, das in Sekunden schnelle zu einem blendenden Glutball anwuchs. Jetzt glaubten auch Merdino und Boolan die leise Stimme zu hören. Ihr verführerisches Locken ließ beinahe jeden Widerstand erlahmen.
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Die Geister der Ahnen – gab es sie wirklich? »Wir sind verloren!« Merdino war blaß geworden. Zuerst zögerte er, warf dann aber seine Waffen weg und schickte sich an, im Nebel unterzut auchen. Im letzten Moment hielt Gambor ihn mit eiserner Faust zurück. »Dein Schicksal erfüllt sich nur, wenn du selbst dich aufgibst«, brüllte er. Merdino sah ihn aus stumpfen Augen an. Sein Blick schien in weite Fernen zu schweifen. Da schlug Gambor zu, und ohne einen Laut von sich zu geben, brach der Dalazaare zusammen. »Vielleicht wäre es besser für uns alle, du hättest ihn gehen lassen«, murmelte Boolan. Gambor schüttelte den Kopf und legte dem Freund besänftigend eine Hand auf die Schulter. »Ich kann nicht anders handeln«, sagte er. »Glaube mir, wenn wir jetzt verzagen, sind wir verloren. Keiner von uns wird es schaffen, allein zur Feste Grool zurückzukehren.« »Vielleicht hast du sogar recht«, überlegte Boolan. »Wir gehören nicht mehr in den Dschungel, er ist uns fremd geworden, seine Gefahren sind für uns tödlich, als wären wir Fremde.« »Es mag viele Stämme unseres Volkes geben, die noch unter den Blut bäumen leben – wir aber waren zu lange in der Nähe Porquetors und der Feste.« Boolan nickte. »Möglich, daß die Ahnen uns deshalb rufen. Sie, die ihr Leben im Kampf verloren haben, sie die wahrhaft Ruhelosen. Sie finden erst Erlö sung, wenn andere an ihre Stelle treten.« »Aber ich will leben«, flüsterte Gambor. »Deshalb müssen wir weiter.« Ohne länger zu zögern, warf er sich den bewußtlosen Merdino über die Schulter. Dann stampfte er vorwärts. Gelegentliche Geräusche verrieten ihm, daß Boolan ihm folgte. Der Nebel schien erneut dichter zu werden. Schon nach kurzer Zeit hat te Gambor völlig die Orientierung verloren. Selbst wenn er im Kreis lief, hätte er es nicht bemerkt. Jeder Atemzug wurde zur Qual; jede Bewegung war ein mühsames sich Vorwärtskämpfen durch zähen Brodem, der vom Waldboden aufstieg. All mählich verstummten die Laute des Dschungels. Der Dalazaare vermochte nicht einmal mehr seine eigenen hastigen Atemzüge zu hören. Doch dafür wurden erneut Stimmen laut, die nach ihm riefen. Deutli cher diesmal und irgendwie eindringlicher. Gambor! Er wehrte sich gegen den stärker werdenden Einfluß, der ihn in seinen
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Bann zu ziehen drohte. »Geisterzauber!« fluchte er, als die Worte sich zwischen seine Gedanken drängten. Nie zuvor hatte er ähnliches gefühlt. Sie waren gekommen, um ihn zu holen. Das wußte er. Du wirst es gut haben als einer der unseren, besser als in deinem bishe rigen Leben, das von Mühsal erfüllt war und von Plage. Vielleicht, dachte Gambor bei sich, haben die Stimmen recht. Komm zu uns! lockten sie. Komm! Gambor ließ den schlaffen Körper Merdinos fallen. Ohne es eigentlich zu wollen, lief er schneller. In seinen Ohren rauschte das Blut, vor seinen Augen wirbelten farbige Schleier. Er stolperte über Wurzeln, raffte sich auf, hastete weiter. Wesenlose Schatten folgten ihm und trieben ihn vor wärts. Der Dalazaare bekam kaum noch Luft. Ein ehernes Band schien sich um seinen Brustkorb zu legen. Weiter! hämmerte es in ihm. Plötzlich durchzuckte ihn ein glühender, von seinem Herzen ausgehen der Schmerz. Da war ein Kloß in seiner Kehle, das ihn am Schlucken hin derte. Gambor stürzte, seine Finger krallten sich in den morastigen Boden. Namenlose Angst sprang ihn an. Du stirbst, lachten die Stimmen. Verschwindet! Schon umfing ihn das Gefühl einer endgültigen Ohnmacht, da schlug sein Herz wieder. Zaghaft zwar, doch es schlug. Aber die Schmerzen wur den schier unerträglich. Was Gambor empfand, war Haß. Grenzenloser, unbändiger Haß auf die Geister, die seinen Tod wollten. Warum? stellte er die stumme Frage. Er hatte nicht erwartet, eine Antwort zu erhalten. Um so überraschter war er, als die Stimmen erneut zu ihm sprachen. Pthor ist das Opfer einer unseligen Entwicklung geworden – eine ge fährliche Ruhe herrscht. Haß, Gambor, ist lebensnotwendig, ohne ihn zer fällt alles. Abermals stockte sein Herzschlag. Der Dalazaare wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Du darfst nicht ruhen, zu hassen, auch dich selbst, denn wir alle sind Teil des Großen. Als solches haben wir eine Aufgabe zu erfüllen. Ein Schemen brach aus dem Nebel hervor. Der Schreck riß Gambor zum zweitenmal ins Leben zurück. Blitz schnell wälzte er sich zur Seite und entging so um Haaresbreite einem auf ihn herabsausenden Knüppel. Merdino war der Angreifer.
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Gambor unterlief dessen nächsten Schlag und schnellte vor. Obwohl waffenlos, gelang es ihm, den anderen zu fassen. Keuchend verkrallten sie sich ineinander. Merdino trachtete danach, sich fallen zu lassen, schließlich rammte er Gambor mit aller Wucht seine Knie in den Leib. Der stieß einen wütenden Schrei aus und krümmte sich zusammen. Sofort setzte Merdino noch. Gambor wehrte sich mit der Kraft der Verzweiflung. Sämtliche Versuche, den Freund durch Zurufe zur Vernunft zu bringen, schlugen fehl. Aber endlich ließ ein wohlgezielter Hieb Merdino zusam menbrechen. Ihr müßt kämpfen! forderten die lautlosen Stimmen. Gambor achtete nicht mehr auf sie. Wieder warf er sich den Freund über die Schulter und lief weiter. Das Flüstern in seinem Schädel verfolgte ihn eine ganze Weile, bis es schließlich verstummte. Allmählich lichteten sich die Nebel. Trotzdem wurde es nur unmerklich heller. Die Sonne schien sich bereits dem Abend zuzuneigen, denn ihre Strahlen drangen nicht mehr durch das dichte Laub. In spätestens einer Stunde würde es dunkel werden. Bis dahin mußte Gambor ein sicheres Versteck gefunden haben, in dem er die Nacht überstehen konnte. Schließlich kam Merdino wieder zu sich. Es war nicht viel, woran er sich erinnerte, aber selbst das wenige ließ ihn schaudern. »Ich wollte dich töten«, sagte er. Großzügig winkte Gambor ab. »Vergiß es. Sie haben dich dazu ge zwungen.« »Du meinst die Stimmen der Ahnen?« fragte Merdino so leise, als fürchte er sich davor, jemand könne ihn hören. »Ich glaube, da war noch etwas anderes, etwas Schrecklicheres. Ein Schatten, der auf Pthor fiel, mächtig und unbeschreiblich.« Sie konnten sich nicht mehr am Stand der Sonne orientieren und haste ten ziellos durch den Urwald. Viel Zeit war indes nicht vergangen, als Gambor plötzlich innehielt. Wenige Meter vor ihm zog sich eine Schleif spur über den morastigen Boden bis hin zu einem dichten Gestrüpp. Er folgte ihr mit der nötigen Vorsicht. Doch da war nichts, was ihm hätte ge fährlich werden können. Da lagen nur bleiche Knochen und Fetzen von Kleidungsstücken, wie die Dalazaaren sie trugen. »Boolan«, stammelte er entsetzt. Der Freund mußte einem Raubtier zum Opfer gefallen sein. Von nun an hielten sie ihre Blasrohre fester. Die Dämmerung senkte sich bereits herab, als ein stechender Geruch die Luft erfüllte und langsam stärker wurde. Es roch nach Schwefel und Rauch, aber auch nach Sumpfgasen. Wegen der herrschenden Windstille konnte die Quelle des Gestanks nicht allzu weit entfernt sein.
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Die beiden Dalazaaren behielten die einmal eingeschlagene Richtung weiterhin bei. Ein anfänglicher starker Hustenreiz sowie ein schier uner trägliches Brennen im Hals ließen nach kurzer Zeit wieder nach. Man ge wöhnte sich daran. Manchmal schien greller Feuerschein durch die beginnende Dunkelheit zu leuchten. Jedes ferne Aufflammen war mit dumpfem Grollen verbun den, als würde die Erde sich auftun, um diesen Teil des Blutdschungels zu verschlingen. Kurz darauf gerieten Gambor und Merdino in den Bereich heißer, dicht über dem Boden dahintreibender Dampfschwaden. Nur niedriges, verkrüp peltes Buschwerk säumte hier ihren Weg. Und überall war die Erde mit ei ner gelblichen Schicht überzogen, die manchenorts sogar zu meterhohen Kristallsäulen emporwuchs. Dies war ein Ort des Todes, den selbst die unzähligen Insekten mieden. Eine schmale Landzunge führte hindurch, rechts und links von trügeri schem Erdreich begrenzt, das sich schnell als uferloser Morast entpuppte. Wehe dem, der ahnungslos hineingeriet. Schließlich hörten auch die Büsche auf. »Die Stahlquelle!« murmelte Gambor ergriffen. »Wir sind am Ziel un serer Wünsche.« Eine riesige Mulde, deren Ränder zum Teil meterhoch aufgeworfen wa ren, erstreckte sich vor ihnen. Selbst im flackernden Feuerschein war das gegenüberliegende Ende nicht zu erkennen. Ein metallisch schimmernder See füllte die Senke aus. Vielenorts stiegen Dampfschwaden auf, und tief unter der Oberfläche schienen magische Feuer zu brennen, denen das Wasser nichts anhaben konnte. Vorsichtig näherten sich die Dalazaaren den bizarren Gebilden, die in ihrer Nähe aufragten. Manche wirkten wie zu Metall erstarrte Pflanzen, andere wieder hatten geradezu verblüffende Ähnlichkeiten mit Lebewesen aufzuweisen. Über all dem lag ein stetes Brodeln und Gluckern. Zischend stiegen hei ße Wasserfontänen hoch in die Luft, verwehten mit dem Wind und fielen in Tausenden von winzigen, schillernden Tropfen zurück. Irgendwo in der Nähe des jenseitigen Ufers entstand eine Feuersäule. Wie Magma aus dem Innern eines Planeten quoll dort weißglühendes Metall aus den Tiefen des Sees hervor. Flammen züngelten den Kraterrand empor, einen flackernden Schein verbreitend, der die wie erstarrt dastehenden Beobachter Dinge se hen ließ, die in Wirklichkeit gar nicht existierten. Mit einem heftiger werdenden Grollen einhergehend, durchliefen starke Erschütterungen den Boden. Erdspalten öffneten sich, aus denen gelbe Dämpfe aufstiegen. Hier und da entstanden kleine Vertiefungen, in denen sich sofort Wasser ansammelte.
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Mittlerweile war die Nacht hereingebrochen, doch das von dem See ausgehende Glühen hielt die Finsternis fern. Die immer wieder aufzucken den Flammenzungen erzeugten mehr ein unbeständiges Halbdunkel, in dem selbst Felsen wie lebende Wesen wirkten, wie lauernde Raubtiere, die nur darauf warteten, sich auf die ungebetenen Besucher zu stürzen. Dennoch ging Gambor langsam weiter. Nun, da er seinem Ziel so nahe war wie nie zuvor, würde ihn nichts mehr zur Umkehr bewegen können. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, um eines der vielen metallenen Gebilde abzubrechen. Aber er fand nichts, was auch nur entfernt als Waffe zu verwenden war. Der Dalazaare stieg den Wall hinauf. Schier endlos dehnte sich der See vor ihm, dessen heißes Wasser in ständiger Bewegung begriffen war. Von hier oben aus bot sich ein weitaus besserer Überblick. Ungefähr hundert Meter zu seiner Rechten erkannte Gambor ein mon ströses Gebilde, dessen Umrisse ihm seltsam vertraut vorkamen. Es schil lerte in allen Farben des Regenbogens. Ständig darauf gefaßt, sich vor einer Eruption des heißen Wassers in Si cherheit bringen zu müssen, hastete der Dalazaare weiter. Merdino folgte ihm am Fuß des Walles. Schnell erreichten sie den Block aus funkelndem Metall, der sich halb über den Kraterrand hinaus erhob. Aus der Nähe betrachtet, wirkte er un sagbar lebendig, war das Spiel der Muskeln bis in die winzigste Feinheit nachgebildet. »Ein Panzerstier«, murmelte Merdino, schier überwältigt von dem An blick. Wer mochte dieses Kunstwerk von geradezu einmaliger Schönheit ge schaffen haben, dem nur der Hauch des Atems fehlte? Gambor zuckte zusammen, als er die Spuren sah, die den von Schwefel bedeckten Hang hinaufführten. Sie konnten kaum älter sein als wenige Stunden, denn an manchen Stellen schimmerte noch das nackte Erdreich hervor, während sonst alles von einer gelben Kruste überzogen war. Die Erkenntnis traf den Dalazaaren wie ein Schlag. »Das da«, sagte er zu Merdino, bückte sich nach einem der herumlie genden faustgroßen Klumpen und schmetterte diesen mit aller Wucht auf die vermeintliche Skulptur, »war unser letzter Stier.« Tatsächlich platzte dort, wo er getroffen hatte, eine hauchdünne Metallschicht ab. Weiße Pan zerhaut kam darunter zum Vorschein. Gambor wurde blaß, als er seine Befürchtung derart bestätigt sah. Denn was dem Tier widerfahren war, konnte ihnen jeden Augenblick zustoßen. Es mochte in einer Wolke giftiger Schwefeldämpfe umgekommen sein oder in einem Ausbruch des Sees, als dieser geschmolzenes Eisen in die Luft schleuderte.
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Wie dem auch war, hier konnten sie keinesfalls bleiben, sondern muß ten zurück in den Wald. Aber Gambor zögerte, weil er nur in unmittelba rer Nähe des Walles die Waffen finden konnte, auf die er hoffte. Er wartete zu lange. Als ein unterirdisches Rumoren laut wurde und der Boden unter seinen Füßen zu beben begann, wußte er, daß er es nicht mehr schaffen würde. Keine fünfzig Meter von ihm entfernt stiegen heiße Was serfontänen in die Luft. Vorübergehend behinderten dichte Dampfschwa den die Sicht, dann schienen sie von innen heraus aufzuglühen. Feuer brach aus der Tiefe des Sees zur Oberfläche empor und ergoß sich zi schend über die Kraterböschung. Als die Flammen nur noch wenige Meter von Gambor entfernt waren, fiel endlich die Starre von ihm ab. Schon wollte er Merdino folgen, der schreiend zwischen den ersten Büschen verschwand, da bemerkte er, daß die alles verzehrenden Gluten zum Stillstand kamen. Er spürte die Hitze nicht, die ihm entgegenschlug, die seine Haare und die Augenbrauen ver sengte und seine Haut bleichte. Er war wie fasziniert von dem, was sich unmittelbar vor ihm abspielte. Glühendes Metall nahm Gestalt an. Eine Kugel von mindestens einem Meter Durchmesser schob sich aus dem Wasser und schwebte auf den Kraterrand zu. Wie von unsichtbaren Händen geformt, entstanden Auswüchse, die länger wurden und schließ lich abrissen. Vier von ihnen fielen in den See zurück, wo sie blasenwer fend versanken. Nur ein länglicher Tropfen senkte sich langsam zu Boden, und seine Farbe wechselte rasch vom blendenden Weiß zu einem düsteren Rot. Ich brauche eine Waffe! dachte Gambor verzweifelt. Oder alles war umsonst. Er achtete nicht darauf, daß das dampfende Wasser erneut höher schwappte. Bald würde es seine Füße erreicht haben. Der Tropfen verformte sich, wurde flacher und gewann gleichzeitig an Länge. Ein Schwert – ich muß ein Schwert haben! Gambor war so in den Vorgang vertieft, daß er alles andere um sich her um völlig vergaß. Er hörte nicht Merdinos drängendes Rufen, sah nicht dessen verzweifelte Gesten. Für ihn gab es in diesem Moment nur das glü hende Stück Metall, das vor seinen Augen Gestalt annahm. Dann verstummte das Tosen der aufgepeitschten Wassermassen. Nichts blieb außer einem rötlichen Schimmer rings um den See und unzähligen bizarren Gebilden, die überall aus dem Boden gewachsen waren. Gambor starrte die Klinge an, die kaum einen Meter vor ihm entfernt auf der höchsten Erhebung des Walles stak. Sie war so, wie er sie sich in seinen Gedanken vorgestellt hatte, doppelschneidig und halb so breit wie
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eine Hand. Aber er zögerte, nach dem Schwert zu greifen. Auch wenn das Heft bereits in demselben bläulichen Farbton schimmerte wie die nunmehr unbewegte Oberfläche des Sees, mußte es glühend heiß sein. Gambor war schweißgebadet. Ein salziger Geschmack lag auf seinen Lippen, die Augen brannten ihm schier unerträglich. Aber all dies tat er mit einer einzigen flüchtigen Handbewegung ab. Was waren schon die paar Unannehmlichkeiten im Vergleich dazu, daß er fürderhin einer der wenigen sein würde, die sich einer Waffe aus der Stahlquelle rühmen durf ten. Kurzentschlossen griff Gambor nun doch zu. Ein ungewohntes Prickeln durchlief ihn, als er die Klinge berührte. Seltsamerweise spürte er nichts von der Hitze des Metalls. Im Gegenteil. Die Waffe schmiegte sich ange nehm kühl in seine Hand.
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3.
Als ich nach unruhigem Schlaf erwachte, galt mein erster Gedanke Sator Synk. Nicht, daß ich nachtragend gewesen wäre – ich konnte es dem Or xeyaner nicht einmal verübeln, daß er seine eigenen Wege ging –, aber ich fragte mich, ob die Erklärung, die ich für das ungewöhnliche Verhalten der Roboter gefunden hatte, wirklich gerechtfertigt war. Immerhin hätten die Bürger von Wolterhaven schon viel früher auf den Diebstahl des Zu gors reagieren müssen. Was steckte also tatsächlich hinter ihrem abwei senden Verhalten? Ich war mir keiner Schuld bewußt. Abermals scheiterte der Versuch, von meinem Apartment aus mit dem Großbürger in Verbindung zu treten. Indes war ich keineswegs gewillt, mir nach allem, was bisher geschehen war, eine solche Behandlung bieten zu lassen. Falls die Roboter triftige Gründe dafür hatten, sollten sie mir diese auch nennen und nicht einfach nur wie die Horden der Nacht um den Dämmersee herumschleichen. Einige Früchte stillten meinen größten Durst. Leider blieben nach der kurzen Mahlzeit nicht mehr viele übrig. Ich verließ dann die Wohnräume und trat hinaus auf die Plattform, wo mich blendender Sonnenschein empfing. Es war noch heißer geworden. Eine drückende Schwüle, die mir den Schweiß aus allen Poren trieb, lastete über dem südwestlichen Rand von Pthor. Die Luft flimmerte und machte es fast unmöglich, Entfernungen richtig abzuschätzen. Die weiter entfernten Stadtteile lagen unter einer Dunstglocke verborgen, die nur ab und zu einen flüchtigen Blick erlaubte. Innerhalb kürzester Zeit waren die Bluse, die ich trug, und mein langer Rock durchnäßt. Mir blieb nichts anderes, als mich damit abzufinden und zu hoffen, daß die am Horizont heraufziehenden düsteren Wolken eine schnelle Linderung brachten. Die Plattform mit meinem Quartier lag nur eine Ebene unterhalb der des Robotbürgers Moonkay. Ich hielt mich in südliche Richtung, wo der riesi ge Kuppelbau im Schein der hoch stehenden Sonne gleißte. Der Weg führte durch einen Park, der einzigartig war in dieser Stadt, vielleicht sogar auf ganz Pthor. Zum wiederholten Male fragte ich mich dabei, wozu es dieses mehrere Quadratkilometer messende Stück herrlich ster Natur überhaupt gab. Gewiß hatten die Roboter es nicht nötig, sich an dem üppigen Grün zu laben und auf den schmalen, zwischen Büschen und Bäumen hindurchführenden Pfaden zu lustwandeln. Ich schritt durch eine tropisch anmutende Pflanzenpracht. Überall grün te und blühte es, wenngleich an manchen Stellen Unkraut wucherte und andernorts verdorrte Pflanzen das Bild trübten.
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Früher mochte dieser Park in einem beneidenswerten Zustand gewesen sein. Sicher waren die Ereignisse der letzten Zeit schuld daran, daß die Roboter sich nicht mehr in dem bisherigen Umfang an die grüne Lunge ih rer Stadt gekümmert hatten. Anderes war wahrlich wichtiger gewesen. Ich kam an hoch aufragenden Felsen vorbei, über deren Flanken einst kristallklares Wasser plätscherte. Jetzt zeugten nur die tief eingeschliffe nen Rillen und weitflächige Auffangbecken davon. Schmetterlinge gaukelten durch die Luft; kleine, bunte Vögel flatterten in den Zweigen der Büsche umher. Ihr Gesang war einschmeichelnd zart. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte ich hier verweilt, um ihnen zu lauschen, nun aber zog es mich unaufhaltsam weiter. Nach einer Weile öffnete sich der Weg auf eine kreisrunde Lichtung, deren Mittelpunkt ein kleiner Weiher bildete. Der Anblick des Wassers rief mir das brennende Durstgefühl ins Bewußtsein zurück. Ich konnte nicht wiederstehen und schöpfte mit den hohlen Händen. Kühl und bele bend rann das Naß durch meine Kehle. Dann, nachdem ich getrunken hatte, legte ich meine Kleidung ab und sprang in den Weiher. Zweifellos wurde das Wasser ständig regeneriert, andernfalls hätte seine Oberfläche nicht derart klar sein können und völlig frei von Laub und Blütenteilen. Langsam und mit gleichmäßigen Zügen schwamm ich eine Runde um den marmornen Sockel, auf dem einst wohl eine Statue gestanden hatte. Aber nirgendwo fand sich ein Hinweis auf ihren Verbleib. Was mochte sie dargestellt haben? Einen der ehemaligen Herren der FESTUNG, einen Roboter – oder gar den Dunklen Oheim selbst? Ich wußte es nicht. Einigermaßen erfrischt, schwamm ich wieder ans Ufer. Die Sonne brannte noch immer vom Firmament herab; ihre Strahlen wurden von et was reflektiert, das im hellen Ufersand lag. Ich fand einen kleinen Stein, der anders war als die vielen glattgeschlif fenen Kiesel. Er leuchtete in allen Farben des Regenbogens. Gleichzeitig offenbarte er eine Transparenz, die mir bislang ungekannte Schönheiten erschloß. Die Welt erstrahlte plötzlich in berauschenden Farben. Ich konnte nicht umhin, ich mußte diesen Stein bis dicht vor meine Au gen führen. Der Anblick, der sich mir bot, war faszinierender als die Wun der der Höheren Welten. Eine strahlende Aureole unvergänglicher Brillanz huschte über das Wasser, hüllte Büsche und Bäume ein und ließ selbst verwelkte Blumen zu neuer Pracht erstehen. Ich begann zu begreifen, daß ich einen wahren Schatz in Händen hielt. Nichts würde mehr sein wie bisher – diese Welt, die sich mir nun offenbarte, kannte weder Verzweiflung noch Leid, ihr war der Kampf fremd und erst recht der Tod. Sie vermittelte Glück und
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Frieden, verhieß das Schöne, das Unvergängliche. Träume konnten wahr werden für den, dem dieser unscheinbare Stein der Schlüssel war zu einem neuen Leben. Ich vergaß, wo ich mich befand. Die Zeit wurde bedeutungslos. In jenen Sekunden, oder waren es Minuten – eine Stunde gar? – stand ich wie er starrt. Ich erinnerte mich an Geschehnisse, die eine kleine Ewigkeit zu rücklagen und mich mit Freude erfüllten. Aber da war ein fernes Geräusch, das mich störte – wie das Summen ei nes lästigen Insekts. Anfangs nahm ich es nur unbewußt wahr, aber es kam näher und drängte sich unaufhaltsam in meine Gedanken. Durch den Stein hindurch konnte ich einen bunt schillernden Lichtpunkt wahrnehmen, der rasch größer wurde. Ein Roboter … Irgendwie rief ich mir diesen Begriff ins Bewußtsein. Das Summen signalisierte Gefahr. Ohne es eigentlich zu wollen, verbarg ich mich in einer Gruppe dicht beieinanderstehender Büsche. Dabei verlor ich den Stein, und schlagartig war alles anders. Ich erkann te, daß er nur eine trügerische Illusion vermittelt hatte. Die Höheren Wel ten gab es nicht mehr für mich; Glück und Friede waren auf Pthor abstrak te Begriffe, mit denen kaum jemand wirklich etwas anzufangen wußte. Das Zusammenleben der einzelnen Völker, die unterschiedlichen Bezie hungen, die sie miteinander pflegten, all das erschien mir wieder wie von außen gesteuert. Sicher, die Bindungen waren im Lauf der Zeit gewach sen, hatten sich vertieft und ausgeweitet. Aber doch mußte am Anfang ei ne gewisse Absicht bestimmend gewesen sein, warum sonst drängten sich hochentwickelte Technik und primitive Eingeborene auf engem Raum. An diesem Punkt angelangt, endeten meine Überlegungen, weil der Ro boter kaum mehr als zehn Meter über mir verharrte. Hatte er mich bemerkt? Durch eine schmale Lücke zwischen Ästen und feingliedrigen Blättern hindurch sah ich eine pilzförmige Gestalt, die sich langsam herabsenkte. In diesem Moment war ich erstmals bereit zu glauben, daß der ver meintliche Unfall keiner gewesen war, sondern Absicht. Ich erschrak über meine eigenen Gedanken. Endlich schwebte der »Pilz« weiter, ohne mein Versteck entdeckt zu ha ben. Jetzt wußte ich überhaupt nicht mehr, was ich denken sollte. Es war wirklich an der Zeit, Herrn Moonkay meine Aufwartung zu ma chen. Hoffentlich hatte der Großbürger eine gute Erklärung parat, denn mit Ausflüchten würde ich mich nicht zufriedengeben. Irgendwie war mir unbehaglich zumute. Wovor hast du Angst? fragte ich mich. Auch wenn die Bewohner dieser Stadt verschroben sind und undurchschaubar, so sind sie immerhin Ver bündete.
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Dennoch blieb ein gewisses Unbehagen, das selbst dann nicht weichen wollte, als ich mich wieder angezogen hatte. Meine Kleider waren inzwi schen getrocknet. Ich vermißte den Stein, den ich vorhin zwischen den Fingern gehalten hatte. Da er etwas Geheimnisvolles, Magisches zu bergen schien, suchte ich nach ihm. Und tatsächlich fand ich ihn schon nach wenigen Minuten im lockeren Erdreich zwischen halb vermodertem Laub und unzähligen Wurzelsträngen. Allerdings hütete ich mich davor, abermals sein Funkeln zu schauen, sondern steckte ihn kurzentschlossen ein. Dann ging ich wei ter. Allmählich schoben sich die ersten Wolkenbänke vor die Sonne. Einige wenige Lichtfinger huschten über das Land – die Vorboten des nahenden Gewitters, das sich über dem Blutdschungel zusammenbraute. Zum Grei fen nahe schien der Urwald, obwohl seine Ausläufer etliche Kilometer ent fernt waren. Der Geruch von Ozon und Schwefel lag in der Luft. Von einem Augen blick zum anderen verstummten die vielfältigen Gesänge der Vögel. Der Wind frischte auf. Er kam aus Südosten, von der Großen Barriere von Oth, und peitschte mir ins Gesicht. Als ich das Ende des Parks erreichte, wurde es noch schlimmer. Winzi ge Staubkörner stachen wie Nadeln auf der ungeschützten Haut. Aber nach einiger Zeit hatte ich mein Ziel deutlich vor Augen. Die gewaltige Kuppel des Herrn Moonkay stemmte sich trutzig gegen den Sturm. Daß eine der Transportsäulen bis unmittelbar zum Großbürger führte, wußte ich, immerhin hatte ich sie in den vergangenen Tagen mehrfach be nutzt. Diesmal aber blieb sie mir verschlossen, und ich war gezwungen, auf die nächste Leiter auszuweichen. Zwanzig Meter Höhenunterschied galt es trotz des immer heftiger wer denden Sturmes zu überwinden. Ich schaffte es, obwohl der lange Rock um meine Beine flatterte und mich stark behinderte. Aus der Ferne erklang dumpfes Donnergrollen. Sekunden später schien ein greller Blitz das Firmament zu spalten. Irgendwo in den Bergen von Oth schlug er ein. Für einen kurzen Augenblick war ich wie geblendet, dann hastete ich weiter. Die Plattform war leer. Allerdings mußte das nicht heißen, daß der Herr Moonkay nicht auf meine Ankunft vorbereitet war. Er strafte mich ledig lich mit Nichtachtung. Dennoch fiel es mir leicht, in die Kuppel einzudringen. Ein Stück der Wandung schwang zurück, als ich bis auf etwa fünf Meter herangekom men war. Ich ließ die drückende Schwüle hinter mir. Das Innere der Kuppel war
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klimatisiert; eine angenehme Kühle umfing mich. Erst vor dem trogähnlichen Gestell in der Mitte des weitläufigen Raum es blieb ich stehen. Darin lagen siebenundzwanzig silbern schimmernde Kugeln. Jede von ihnen durchmaß zwei Meter. Das war der Robotbürger, der größte von allen. Wie ich erfahren hatte, gab es in Wolterhaven insgesamt etwa einhundertundzehn, denen eine »Armee« von über 15.000 Dienern und mechanischen Arbeitern zur Ver fügung stand. Und die autarken Fabriken der Stadt produzierten ständig neue Einheiten, die zerstörte oder auch beschädigte Roboter umgehend er setzten. Dabei sahen diese Nachfolger den ursprünglichen Baumustern zu mindest äußerlich zum Verwechseln ähnlich. An all dies mußte ich denken, während ich darauf wartete, daß der Herr Moonkay das Wort an mich richtete. Aber die siebenundzwanzig mitein ander verbundenen Kugeln mit ihren verschiedenartigen Auswüchsen schwiegen. Sollte ich das Gespräch eröffnen? Unzweifelhaft würde der Großbürger dies als Eingeständnis meiner Schwäche auslegen. Und dann mußte ich mir wie eine Bittstellerin vor kommen, die um Almosen heischte. War es am Ende gar das, was der Herr Moonkay mit seinem Schweigen erreichen wollte? Allmählich begann ich Sator zu verstehen. Traue jedem, nur keinem Ro boter – diesen Satz, von ihm irgendwann im Zorn gesagt, hatte ich mir ge merkt. Tatsächlich schien er einer gewissen Berechtigung nicht zu entbeh ren. Der Orxeyaner hatte eine seltsame Haßliebe zu den »Blechkisten« ent wickelt, wie er sie manchmal nannte. Sie fühlen sich uns überlegen, weil sie schneller rechnen und schneller handeln können als wir, hörte ich ihn wieder schimpfen. Deshalb bilden sie sich ein, besser zu sein. Schon morgen kann es geschehen, daß sie uns ihren Standesdünkel unverhohlen erkennen lassen. Sie sind undurchschau bar. Vielleicht hast du recht, Sator, dachte ich, während ich langsam den Trog umrundete. Meine Schritte hallten durch den hohen Kuppelbau. Schließlich wurde es mir zu dumm. Der Roboter konnte mich stunden lang warten lassen, bevor er sich endlich bereitfand, mit mir zu reden. Ich räusperte mich laut und vernehmlich. Nichts … »Herr Moonkay«, begann ich und wußte gleichzeitig, daß der Bürger den wütenden Unterton in meiner Stimme sehr wohl zu deuten vermochte, »aus welchem Grund du auch schweigst, ich lasse mich nicht länger auf eine derart dumme Weise hinhalten.«
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Das war ein Schlag ins Wasser. Der »Herr« schien überhaupt nicht dar an zu denken, mit mir zu reden. Ich wurde ernsthaft ungehalten. Was hätte Sator an meiner Stelle gesagt? »Mir scheint, daß bei einigen von euch blechernen Gesellen etliche Schrauben locker sind.« Ich mußte mir ein Lächeln verbeißen, weil ich ausgerechnet jetzt den Orxeyaner in Gedanken vor mir sah. Richtig! schien er mir zuzuflüstern. Du mußt diese Bande provozieren. Anders wirst du sie nie aus der Reserve locken können. Tatsächlich knackte plötzlich irgendwo ein Lautsprecher, und der Herr Moonkay sprach zu mir: »Deine Worte beweisen die Richtigkeit meiner Berechnungen. Du wirst zu Recht als störend empfunden.« Zunächst einmal war ich platt, dann empört. Was bildete dieses Unikum sich eigentlich ein? Nicht genug damit, daß seine Diener zuerst wie ver liebte Kater um mich herumscharwenzelten und offenkundig lieber ein Mensch gewesen wären, als aus Blech und Mikroprozessoren zu bestehen, nun bezeichnete man mich kurzerhand als störend. Wenigstens wurde mir dadurch klar, wie vergänglich alle mechanischen Gefühlsäußerungen sein konnten. »Ich bedauerte, was Sator Synk getan hat«, begann ich trotz allem den Versuch einer Rechtfertigung. »Glaube mir, daß ich damit nicht einver standen war.« Der Großbürger antwortete diesmal, ohne zu zögern. »Der Mann aus Orxeya ist unwichtig und unbedeutend, auch er kann sich auf Dauer nicht den Erfordernissen widersetzen.« »Dann machst du mich nicht für den Verlust des Zugors verantwort lich?« »Wahrhaft wichtigere Dinge harren ihrer Erledigung. Wir Robotbürger sehen einer großen und bedeutenden Zukunft entgegen.« Wie sollte ich das verstehen? Welchen Einfluß hatten die Geschehnisse außerhalb Wolterhavens auf das Verhalten der Roboter? Ich bat um eine Erklärung. »Es ist nicht meine Aufgabe, die Dinge zu verdeutlichen, die du noch nicht verstehen kannst«, versetzte der Herr Moonkay. Die Stimme, die aus den Lautsprechern kam, war nur die der mechanischen Komponente. Sie klang klirrend wie Eis. »Du hast Wolterhaven zu verlassen, Leenia! Packe deine Sachen zusam men und verschwinde endlich!« Mir verschlug es fast die Sprache. »Warum?« wollte ich wissen.
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Aber mir wurde vom Großbürger nur unmißverständlich bedeutet, daß er mich bis spätestens zum Abend nicht mehr sehen wolle. Im nächsten Moment zerriß ein ohrenbetäubender Donner die Luft. Hin ter den transparenten Bauteilen im oberen Bereich der Kuppel flammte es grell auf. Ein zuckender Blitz fuhr auf die Stadt herab. Irgendwo, nicht all zu weit entfernt, schlug er ein. Der Himmel hatte sich mit einer schier un durchdringlichen Schwärze überzogen. Aber noch regnete es nicht. »Herr Moonkay«, wandte ich mich wieder den siebenundzwanzig sil bernen Kugeln zu. »Ich verlange, den Grund zu erfahren.« Machte ich ihn nervös? Er schrie mich geradezu an: »Du störst die Vorschrift der Vollkommenheit!« Nun wußte ich es. Aber gleichzeitig wurde mir auch klar, wie faden scheinig diese Behauptung war. Lange genug hatte ich Zeit gehabt, mich mit dieser Vorschrift der Vollkommenheit zu befassen. Sie war so un durchsichtig und konnte auf unzählige verschiedene Weise ausgelegt wer den, daß ich unwillkürlich annahm, selbst die Roboter wußten von ihrer ei gentlichen Bedeutung nur wenig. Im Gegensatz zu ihnen glaubte ich nicht, daß sie selbst das Gesetz entwickelt hatten. Wahrscheinlich erfüllten sie damit nur den Willen eines Unbekannten, der es geschickt verstanden hat te, diese Manie in ihr Gedankengut einzuschleusen, ohne daß sie die Mani pulation bemerkten. Normalerweise war das Gesetz recht differenziert angewendet worden. Daß die Roboter es plötzlich dazu benutzten, mich aus der Stadt zu vertrei ben, gab mir zu denken. »Geh jetzt!« herrschte der Herr Moonkay mich an. »Verlasse Wolterha ven auf dem kürzesten Weg.« »Ich verlange, daß du mich anhörst«, forderte ich. Aber sein »Nein« klang endgültig. »Hinweg mit dir, Unvollkommene. Jedes weitere Verweilen in diesen Räumen verlangt, daß die Vorschrift angewendet wird.« »Bisher hattest du aber nichts einzuwenden«, protestierte ich. »Du schienst sogar froh, wenn ich dir Gesellschaft leistete.« Der Großbürger nahm meine Worte überhaupt nicht zur Kenntnis. »Bleibe nicht länger«, hallte es durch die Kuppel. »Die Vorschrift erfor dert sonst die sofortige Löschung deiner Existenz.« Anders ausgedrückt: Der Herr Moonkay würde nicht zögern, mich zu töten. Er war übergeschnappt. Schweigend wandte ich mich um und schritt auf die in der Kuppelwan dung entstehende Öffnung zu. Grollender Donner hallte mir entgegen. Ich trat hinaus in eine Düsternis, die nur hin und wieder von jäh aufzuckenden Blitzen erhellt wurde. Ein heftiger Südwind strich heulend über die Stadt. Schräg unter mir
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sah ich die Positionslichter einiger unermüdlicher Arbeiter, die sich an verschiedenen Bauwerken zu schaffen machten. Gelegentlich flackerten Laserstrahlen auf. Während ich unschlüssig verharrte und überlegte, ob ich den Anordnun gen des Herrn Moonkay wirklich Folge leisten sollte, begann es zu regnen. Erste dicke Tropfen klatschten auf die Plattform, die sich im Nu mit einer schmierigen Schicht aus Staub und Wasser überzog. Ich mußte aufpassen, daß ich nicht ausglitt. Gleichzeitig nahm der Wind weiter an Stärke zu. Unter diesen Umständen würde ich nicht über die ungeschützten Leitern in die Tiefe hinabsteigen. Schließlich wollte ich mir nicht den Hals brechen. Wenn die Roboter wünschten, daß ich ihre Stadt verließ, dann mußten sie mir, um konsequent zu bleiben, den Weg freigeben. Also trat ich vor eine der Transportsäulen hin. Tatsächlich wies sie mir den Weg zur nächsten, die sich dann auch öffnete. So gelangte ich schnell und ohne Schwierigkeiten auf die nächsttiefere Ebene. Als ich jedoch abermals das Attribut »Broaigh«, aussprach, mußte ich feststellen, daß das Transportfeld in die umgekehrte Richtung nicht funktionierte. Ähnliches hatte ich erwartet. Aus dem Regen wurde ein Wolkenbruch, der sintflutenartig über der Stadt und wahrscheinlich auch einem Teil des Blutdschungels niederging. Obschon ich bis auf die Haut durchnäßt war, suchte ich Schutz unter dem vorstehenden Dach einer nahegelegenen Lagerhalle. Etwa ein halber Kilo meter trennte mich von den Robotern. Die Frage, ob sie mich bemerkt hat ten, beantwortete sich sehr schnell von selbst. Denn zwei der Positions lichter erhoben sich über die anderen und kamen näher. Ich erkannte eine zylinderförmige Konstruktion mit gut einem Dutzend verschieden langer Tentakel und Greifarme. Sie hatte sich mir bis auf un gefähr fünfzig Meter genähert, als ein vielfach verästelter Blitz aus den Wolken herabfuhr und sie im Flug traf. Ohrenbetäubender Donner drohte mir die Trommelfelle zu zerreißen. Ich sah grelle Flammenzungen auf die Plattform überspringen und war vorübergehend geblendet. Ein äußerst unangenehmes Prickeln machte sich in meinen Beinen bemerkbar. Die Ausläufer der elektrischen Entladungen waren zwar lästig, zum Glück aber nicht gefährlich. Allerdings, hätte ich mich vier oder fünf Meter weiter innerhalb des Spannungstrichters befun den, dann wäre ich, bedingt durch die herrschende Nässe, nicht so glimpf lich davongekommen. Vor meinen Augen tanzten grelle Lichtpunkte einen wirbelnden Reigen. Obwohl ich mir ausgiebig die Schläfen und die Stirn massierte, ver schwanden sie nur zögernd. Es mochte Minuten dauern, bis ich wieder richtig sehen konnte. Aber schon vorher erkannte ich den Schatten, der auf mich zutaumelte.
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Ein lautes Summen eilte ihm voraus, und mit einemmal roch es durchdrin gend nach Rauch und schmorendem Plastik. Irgend etwas krächzte plötzlich: »Du … stökrrch … die Vorschrift der … krrrch …« Instinktiv sprang ich zur Seite. Ein Tentakel streifte mich an der Schul ter, der, wäre ich stehengeblieben, mich wohl zu Boden geschleudert hätte. Es gab eine kleine, von zischenden Stichflammen begleitete Detonation. »Du … bist … unvoll …« Der Roboter krachte gegen die Halle. Wild mit den Armen rudernd ver suchte er, an Höhe zu gewinnen. Dann brach er auseinander. Etliche Trümmerstücke schwirrten wie Geschosse davon. Eines traf mich schmerzhaft an der Hüfte und riß mich von den Beinen. Ich reagierte zu spät, um mich noch abzufangen. Der harte Aufprall raubte mir vorübergehend die Besinnung. Es waren nur Sekunden, bis ich wieder zu mir kam. In meinem Schädel dröhnte es, meine Augen tränten. Als erstes sah ich die beiden Roboter, die sich mir näherten. Das Schicksal ihres Artgenossen mochte sie dazu bewogen haben, ihre Flugfä higkeit nicht unter Beweis zu stellen, sondern sich mit wesentlich langsa merer Geschwindigkeit auf dem Boden fortzubewegen. Ich würde ihnen trotzdem nicht entkommen können. Da bemerkte ich das offenstehende Schott, dessen Vorhandensein mir bislang verborgen geblieben war. Vielleicht hatte der Blitzschlag die Öff nungsautomatik ausfallen lassen. Ohne lange zu überlegen, huschte ich hindurch. Im Innern der weitläufigen Halle, in die ich kam, herrschte ein ähnliches Halbdunkel wie draußen. Endlos lange Reihen von Regalen waren vollge stopft mit den unterschiedlichsten Ersatzteilen. Im Vorübereilen warf ich hin und wieder einen flüchtigen Blick in eines der Fächer. Zweifellos waren die Roboter hinter mir her, aber ich hörte nichts außer meinen eigenen hastigen Atemzügen und dem heftigen Rauschen des Blu tes in meinen Schläfen. Der Vorfall mit dem Handlanger wollte mir nicht aus dem Sinn. Inzwi schen war ich überzeugt davon, daß es kein Zufall gewesen war. Sein Herr mußte ihm den Befehl erteilt haben, mich von der Plattform zu stürzen. Damit war mir auch klar, welches Schicksal mich erwartete, sobald die Roboter meiner habhaft wurden. Der Großbürger hatte mich aufgefordert, Wolterhaven zu verlassen. Ihm plausibel zu machen, weshalb ich mich in einer Gegend herumtrieb, in der ich bestimmt nichts mehr zu suchen hatte, würde schwerfallen. Ein Schott versperrte mir den Weg. Zunächst widerstand es meinen ha stigen Bemühungen, es zu öffnen, dann aber schien ich doch den richtigen
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Punkt berührt zu haben, denn es schwang langsam auf. Der Teil des Gebäudes, den ich nun betrat, besaß keinerlei Ähnlichkeit mit den Lagerräumen. Vielmehr erinnerte er mich an eine große und ge räumige Zentrale. Eine Unzahl beleuchteter Kontrollen verbreitete be scheidene Helligkeit. Auf etlichen kleineren Bildschirmen erkannte ich Ausschnitte von Wolterhaven und sah Roboter die verschiedensten Arbei ten ausführen. Langsam gewann ich den Eindruck, daß sie Umbauten vor nahmen. Das war, wie so vieles andere auch, seltsam. Denn ich wußte, daß seit langen Zeiten niemand etwas an der Stadt verändert hatte. Die Zentrale maß fast fünfzig Meter im Quadrat. Ich hatte sie zur Hälfte durchquert, als rechts von mir ein Schott aufschwang. Trotz der dahinter herrschenden Finsternis konnte ich für Bruchteile ei nes Augenblicks einen kastenförmigen kleinen Roboter erkennen. Gleichzeitig wurde hinter mir ein durchdringendes Summen laut. Ich wirbelte herum. Da standen zwei dieser zylinderförmigen Arbeiter. Ihre Sehzellen fun kelten mich tückisch an, und sie streckten die Arme nach mir aus.
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4.
Schon der erste gegen einen imaginären Gegner geführte Streich über zeugte Gambor davon, daß er die beste Waffe in Händen hielt, die jemals ein Dalazaare besessen hatte. Er spürte ihr Gewicht kaum, und doch lag sie in seiner Hand, als wäre sie auf ewig mit ihm verbunden. Singend schnitt die Klinge mit den beiden hauchdünnen Schneiden durch die Luft und spaltete sogar die bizarren Gebilde aus Metall, die überall vom Boden aufragten. Aus dem nahen Dschungel klangen die Laute der Nacht zu ihm herüber. Aber Gambor fürchtete jetzt keines der Raubtiere mehr, die in der Dunkel heit auf Beute lauerten. Er hastete den Wall hinunter. Zwischen den verkrüppelten Büschen hat te er Merdino zuletzt gesehen, der vor dem Ausbruch der Stahlquelle in den Wald geflohen war. Aus der Ferne erklang das Geräusch stürzender Bäume. Gambor er schauderte, als er sich vorzustellen versuchte, welches Tier sich dort sei nen Weg durch den Dschungel bahnte. Vorsichtig, nach allen Seiten lauernd, lief er weiter und drang, das Schwert zum Schlag erhoben, in den Urwald ein. Trotz aller Aufmerksamkeit entging ihm der Schatten, der sich von oben herabsenkte. Erst im allerletzten Moment vernahm Gambor das leise Ra scheln, mit dem ein dicker Spinnfaden über die Borke eines Baumes schabte. Die Gefahr erkennen und sich zur Seite werfen war eins. Unmittelbar über dem Dalazaaren schlugen zwei Paar gefährlich aussehender Beißzan gen zusammen. Ihr Klicken hallte durch den Wald. Gambor konnte aber nicht verhindern, daß eines von acht dicht behaar ten Beinpaaren ihn an der Schulter traf. Sein Schwert zuckte ins Leere. Es war die größte Raubspinne, die er je zu Gesicht bekommen hatte. Ih re kugelförmigen schwarzen Facettenaugen schienen ihn unverwandt an zustarren, während die riesigen Beißwerkzeuge langsam wieder aufklapp ten. Der Körper des Tieres war von einem abstoßenden grellen Rot. Vom Kopf bis zur Spinndrüse, aus der unablässig ein mindestens zwei Finger dicker Faden hervorquoll, maß sie mehr als drei Meter. Ein ernstzuneh mender Gegner, dem der Dalazaare an Kraft und Geschicklichkeit sicher weit unterlegen war. Unter anderen Umständen hätte er sein Heil in der Flucht gesucht, so aber, mit dem Schwert in der Hand, fühlte er sich gera dezu herausgefordert. Im Nu war er wieder auf den Beinen – bevor die Spinne den Boden er reicht hatte und sich aufrichtete.
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Gambor ließ die funkelnde Klinge einen Halbkreis beschreiben und stieß zu. Mit gräßlichem Knirschen bohrte sich das Schwert in eine der beiden Beißzangen. Beinahe hätte der Dalazaare das Heft fahren lassen, als das Tier abrupt den Kopf schüttelte. Er mußte alle Kraft aufwenden, um die Waffe aus dem steinharten Chitin freizubekommen. Mit einem mächtigen Satz schnellte die Spinne sich auf ihn zu. Doch das deutliche Spiel ihrer Muskeln hatte Gambor den Bruchteil eines Herz schlags zuvor gewarnt. Die Zangen konnten ihn nicht mehr erreichen; da für trennte sein Schwert eines der Beine unmittelbar unterhalb des Körpers ab. Die Spinne schien den Verlust überhaupt nicht zu bemerken. Jäh warf sie sich herum und griff nun von der Seite an. Abermals gelang es Gambor, den zupackenden Beißzangen zu entgehen und gleichzeitig dem Tier die Klinge in den Leib zu bohren. Von den Aus trittsöffnungen an den Enden der Zangen tropfte grünliches Gift herab. Wo es den Boden berührte, begann das Erdreich augenblicklich zu qualmen und verfärbte sich. Der Dalazaare ermüdete schnell, obwohl die Waffe in seiner Hand leicht war wie eine Feder. Aber die Anstrengungen besonders des vergan genen Tages ließen sich nicht leugnen. Gambor wußte, daß er den Kampf verlieren würde, wenn dieser sich länger hinzog. Entsprechend wütend versuchte er immer wieder anzugreifen. Es gelang ihm aber nicht, die Spinne entscheidend zu treffen. Hastig und keuchend ging sein Atem. Er zitterte. Immer öfter strauchel te er. Und irgendwann würde er stürzen und die Bestie über ihm sein, be vor er sich wieder erheben konnte. Täuschte er sich, oder drangen wirklich Stimmen an sein Ohr? Kurz verharrte Gambor, dann war er erneut gezwungen, auszuweichen. Ganz leise, wie aus unendlicher Ferne kommend, vernahm er ein Flü stern. Du quälst dich, Dalazaare. Aber nur so kann sich die Bestimmung die ses Landes erfüllen. Die Stimmen der Ahnen! Beinahe hätten sie Gambor zur Unachtsamkeit verleitet. Keine drei Meter vor ihm entfernt lauerte die Spinne. Ruckartig pendelte ihr Kopf hin und her. Gambor wich zurück – tiefer zwischen die Bäume, wo die Bestie weni ger Bewegungsfreiheit besaß. Zu seiner Überraschung folgte sie ihm nicht. Allerdings ließ sie ihn kei nen Moment lang aus den Augen. Und dann spürte Gambor die unverhoffte Berührung an seinen Beinen. Etwas hielt ihn zurück. Dieses Etwas war weich und nachgiebig und haftete unverrückbar fest
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an seiner Kleidung. Der Dalazaare begriff. Während er seine Aufmerksamkeit fast aus schließlich auf ihre Beißzangen richtete, hatte die Spinne überall klebrige Fäden versponnen. Nun kam sie langsam näher. Von Entsetzen geschüt telt, schrie Gambor auf. Blindlings führte er einen Hieb nach hinten. Die Klinge stieß auf fe dernden Widerstand und prallte davon ab. Aber er hatte das Gefühl, daß sie einen der Fangfäden halb durchtrennte. Keine zwei Schritte von ihm entfernt pendelten die Beißzangen, von de nen noch immer Gift tropfte. Verzweiflung stieg in Gambor auf. Wie besessen schlug er zu. Es gab einen peitschenden Knall, als die Spinnfäden endlich rissen. Der Dalazaare taumelte, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Instinktiv riß er das Schwert hoch, und die Klinge drang der sofort nachsetzenden Spinne in den Schädel. Im gleichen Moment, als die Beißzangen auf ihn zufuhren, wälzte Gam bor sich zur Seite. Abermals riß seine Waffe eine tiefe Wunde. Während die Bestie einknickte, kam er wieder auf die Beine. Schnell und geschickt plaziert waren seine Hiebe, denen die Spinne nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Zuckend verendete sie. Mit dem Handrücken wischte der Dalazaare sich den Schweiß aus den Augen. Eine plötzliche Schwäche zwang ihn in die Knie. Erst nach einer ganzen Weile wurde ihm besser. Trotzdem fühlte er sich schwach und ausgelaugt. Der Gedanke an Merdino ließ ihn nicht ruhen. War der Freund der Spinne zum Opfer gefallen? Gambor rief seinen Na men, aber nichts rührte sich. Der von der nahen Stahlquelle ausgehende flackernde Lichtschein reich te nicht weit. Dennoch machte der Dalazaare sich auf die Suche. Vielleicht war Merdino verletzt und bedurfte seiner Hilfe. Was geht er dich an? fragten die Stimmen der Ahnen vorwurfsvoll. Überlasse ihn seinem Schicksal, wie es bestimmt ist. Gambor hörte nicht auf sie, und so verstummten sie nach einer Weile. Wenige Minuten später fand er Merdino. Die Spinne hatte ihn in einen Kokon aus glänzenden Fangfäden eingehüllt, die nur seinen Kopf frei lie ßen. Erleichtert stellte Gambor fest, daß der Freund noch atmete. Er war oh ne Bewußtsein, aber er lebte. Allerdings bedurfte es unzähliger vorsichti ger Schwerthiebe, um ihn freizubekommen und etlicher Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht, um ihn aus der Welt der Träume zurückzurufen. Merdino stieß einen gellenden Schrei aus und verstummte erst, als er die Augen aufschlug. »Die Spinne ist tot«, sagte Gambor. Er hielt sein Schwert hoch, das
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blutverkrustet war. »Morgen holen wir auch für dich eine Waffe von der Stahlquelle, aber zunächst müssen wir eine sichere Bleibe für die Nacht finden.« Mehrmals hatten sie schon in den Höhlen abgestorbener Riesenbäume die Dunkelheit verbracht. Aber diesmal fiel es ihnen nicht schwer. Der Baum, den sie auswählten, stand unmittelbar am Waldrand, und sie konn ten von seinem Innern aus ungehindert zur Stahlquelle blicken. Mit der flachen Klinge erschlug Gambor unzählige Insekten und arm lange Würmer, die sich in dem faulenden Holz eingenistet hatten. Die Ka daver trugen sie etliche Meter weit weg, damit der Blutgeruch nicht um herstreifende Raubtiere anlockte. Gambor hielt sein Schwert fest umklammert in der Rechten, als er ein schlief. Er glaubte, daß selbst das leiseste Geräusch ihn wecken würde. Es wurde ein Schlaf der Erschöpfung. Als Gambor endlich erwachte, fühl te er sich wie neugeboren. Er wußte, daß er geträumt hatte, vermochte aber nicht zu sagen, was. Gleichzeitig begriff er, daß sie geradezu unverschäm tes Glück gehabt hatten, denn nicht einmal der erneute heftige Ausbruch der Stahlquelle hatte ihn geweckt. Als er das Innere des Baumes verließ, fielen soeben die letzten Wasserfontänen donnernd in sich zusammen. Die Sonne stand bereits eine Handbreit hoch über dem See, dessen Oberfläche wie flüssiges Gold schimmerte. Der Himmel war klar und fast wolkenlos, was erneut einen heißen Tag versprach. Gambor erschrak, als er hinter sich ein Rascheln vernahm, und fuhr her um. Aber es war nur Merdino, der ihm folgte. Eine Zeitlang starrten sie stumm zur Stahlquelle hinüber, als könnten sie noch immer nicht fassen, daß die Legende für sie zur Wirklichkeit gewor den war. »Während wir schliefen, hat sich vieles verändert«, sagte Merdino schließlich. Mit der ausgestreckten Rechten zeigte er zur Sonne hinauf. »Sieh sie dir an, sie verbirgt ihr Antlitz hinter einem schwarzen Schatten.« »Es könnte ein Omen sein«, nickte Gambor, »das dem Land Pthor Bö ses verheißt.« »Unsere Welt hat sich wieder einmal bewegt«, fuhr Merdino fort. »Hörst du, die Stimmen des Waldes erwachen erst jetzt langsam und zö gernd.« Gambor deutete auf die unzähligen verkrüppelten Büsche, die zwischen ihnen und dem See wuchsen. Das Licht der Sonne brach sich in allen Far ben des Regenbogens auf den Ästen. Sogar der Sumpf zu beiden Seiten war von spiegelndem Metall überzogen. »Die Schicht ist mehrere Zentimeter dick. Das kann nicht einfach über Nacht entstanden sein – ein solch verheerender Ausbruch der Stahlquelle hätte uns wecken müssen.«
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»Was willst du damit sagen?« fragte Merdino verständnislos. »Daß wir länger geschlafen haben als nur eine einzige Nacht. Vielleicht sogar etliche Tage.« Merdino schüttelte den Kopf. »Wie sollte so etwas möglich sein?« Ohne ein klärendes Wort verschwand Gambor zwischen den Bäumen, kehrte jedoch schon nach wenigen Minuten zurück. In seinem Gesicht stand Überraschung geschrieben und mühsam unterdrückte Verständnislo sigkeit. »Ich begreife es nicht«, rief er von weitem, »aber es muß wohl so sein. Die Kadaver der Spinne und des Ungeziefers sind bereits in Verwesung übergegangen. Und nirgendwo finden sich die Spuren von Aasfressern.« »Kannst du etwas ändern, wenn du die Wahrheit weißt?« »Nein«, machte Gambor erstaunt. »Also nimm es hin und frage nicht. Zwischen Himmel und Erde gesche hen viele Dinge, auf die wir keinen Einfluß haben. Versuche die Götter nicht mit deiner Neugierde, wenn du nicht ihren Zorn auf dich ziehen willst.« »Du magst recht haben …« Mit einer fahrigen Bewegung wischte Gam bor sich über die Stirn, als wolle er die lästigen Gedanken verscheuchen. »Wir sollten lieber nach einer zweiten Waffe suchen und dann den Rück weg antreten, damit wir bis zum Abend sichere Regionen erreicht haben.« Aber sie fanden nicht viel, was der Mühe des Mitnehmens Wert gewe sen wäre. Das meiste, was an Metall aus dem Boden wuchs, war nicht zu gebrauchen. Eine gut zwei Meter lange armdicke Stange, die in einer na delscharfen Spitze auslief, war das einzige Stück, das einer Waffe ähnelte. Gerade dieses fand Merdino zu plump, denn es würde ihm im Dschungel nur hinderlich sein. Lieber wollte er sich auch weiterhin ausschließlich auf sein Blasrohr und die Skorpionwürmer verlassen. Der Tag war noch jung, als die beiden Dalazaaren in östliche Richtung aufbrachen. Orxeya war ihr Ziel, die Stadt der Händler, die sie schon bald zu erreichen hofften. Anfangs kamen sie gut voran, dann wurde der Boden morastiger, und sie mußten mit ihren Kräften haushalten. Wieder senkten sich dichte Ne belschwaden über den Dschungel. Im Verlauf weniger Stunden wurde es schwül und stickig. Die Wärme wirkte ermüdend. Tiere bekamen sie kaum zu Gesicht, was Gambor zu einigen Bemerkun gen über den möglicherweise seinem Schwert anhaftenden Zauber veran laßte. Er hätte sie lieber für sich behalten sollen, denn kaum hatte er geen det, als aus dem dichter gewordenen Unterholz ein urweltliches Brüllen er scholl. Schlagartig verstummten alle anderen Laute. Gambor riß die Klinge hoch. Er hatte das Gebrüll ein einziges Mal ge
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hört, vor vielen Jahren, in der Nähe der Feste, aber er würde es nie verges sen können. Fünf Panzerstiere waren damals einer wütenden Bestie zum Opfer gefallen, bevor es Porquetor gelungen war, sie zu erledigen. Ein zweiter Schrei, schon bedeutend näher, zerriß die Stille. Gambor schauderte. Er sah, daß Merdino an seinem Beutel mit den Skorpionwürmern herumfingerte. Ob der Freund wirklich hoffte, einen ge zielten Schuß anbringen zu können? Irgendwo raschelte trockenes Laub. Eine flüchtige Bewegung zwischen zwei Bäumen, die kaum mehr als fünfzehn Meter entfernt standen … Gambor glaubte, einen rötlichen Schatten gesehen zu haben, war sich dessen aber keineswegs sicher. Merdino hielt das Blasrohr bereits an den Lippen. Furcht sprach aus seinem Blick. Schleichende Schritte näherten sich, verhielten, huschten weiter heran. Dann endlich sah Gambor die große Raubkatze. Ihr rot und gelb ge schecktes Fell schimmerte durch die Äste. In dem Augenblick, in dem Merdino den ersten seiner tödlichen Würmer losschickte, sprang sie. Gambor schrie auf und riß abwehrend die Klinge hoch. Das Raubtier landete keine zwei Meter vor ihm. Stinkender Atem schlug dem Dalazaa ren entgegen. Auge in Auge stand er dem Tod gegenüber. Den großen Räuber, der sonst nur nachts jagte, trieb wohl der Hunger in die Helligkeit des Tages. Ein zweiter Skorpionwurm verfehlte den Rachen des Tieres um eine Handbreite. Merdino war viel zu nervös und aufgeregt, um sicher zielen zu können. Dann ging alles sehr schnell. Gambor wollte der auf ihn zuspringenden Raubkatze ausweichen, aber ein Prankenhieb riß ihn von den Beinen. Während er stürzte, hielt er sein Schwert krampfhaft umklammert. Trotz der wahnsinnigen Schmerzen, die seinen linken Arm nahezu lähmten, gelang es ihm, sich herumzuwälzen. Im letzten Augenblick entging er so den gierig zuschnappenden Kiefern. Gambor stieß die Klinge hoch. Es überraschte ihn, daß er fast sofort auf Widerstand stieß. Ein durch Mark und Bein gehendes Heulen antwortete ihm, und er ahnte die zuschlagende Pranke mehr, als er sie sehen konnte. Das Schwert aus der Stahlquelle verrichtete blutige Arbeit. Später fehlte Gambor jegliche Erinnerung daran, was in den folgenden Minuten geschah, und das wenige, das Merdino in seiner Aufregung mit bekommen hatte, war höchstens dazu geeignet, ihn vollends zu verwirren. Eines aber war klar: Er schien plötzlich nicht mehr er selbst gewesen zu sein und fand erst wieder zu bewußtem Denken zurück, als er der toten Raubkatze bereits das Fell abzog. Blutgetränkt und von unzähligen Sti chen zerfetzt, war es als Trophäe wertlos, nicht hingegen als Beweis dafür,
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daß sein Besitzer zu kämpfen verstand wie kaum ein zweiter. Der Abend brach herein, als die Dalazaaren endlich eine Quelle fanden. Gambor wusch sich das inzwischen angetrocknete Blut ab und säuberte seine Kleidung so gut es eben ging. Auch Früchte entdeckten sie, die wohlschmeckend waren und neue Kräfte gaben. Die Nacht verbrachten beide abermals im Schutz eines hohlen Baumes, nur schreckten sie diesmal wiederholt auf. Ihr Instinkt verriet ihnen, daß in der Nähe größere Tiere jagten. Lange Zeit konnte Gambor dann nicht wieder einschlafen. Er lag nur da und lauschte in sich hinein, ob sich die Stimmen der Ahnen erneut melde ten. Eine Unruhe erfaßte ihn, für die er keine Erklärung fand. Wachträume kamen und erfüllten ihn mit Furcht. Sie zeigten ihm Pthor, wie er es nie gekannt – ein Pthor, das von Kriegen geschüttelt wurde. Zbahn und Zbohr, die beiden Zwillingsstädte, brannten; Moondrag zitterte unter der Gewalt von Mjöllnirs Hammer. Es gab kein Volk, das nicht an den mehr oder we niger blutigen Auseinandersetzungen Teil hatte. Bropen, Yaghts und Paar len kämpften gegen Kelotten und Technos – Nedolks, Keenies und Dala zaaren rannten mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Mauern von Or xeya an. In diesen Augenblicken glaubte Gambor dabeizusein, obwohl alles ir gendwie unwirklich schien. Plötzlich durchzuckte ihn ein siedendheißer Schmerz. Seine Rechte ver krampfte sich um den Bolzen, der aus seiner Schulter herausragte. Er woll te schreien, doch nur ein gequältes Stöhnen drang über seine Lippen. Ihm wurde schwarz vor Augen. Dann brach er zusammen … … und schreckte übergangslos auf, weil ihn jemand ins Gesicht schlug. Gambor wollte aufspringen, aber der andere zwang ihn fast mühelos auf den Boden. Da erst begann er zu begreifen. »Merdino«, murmelte er. »Was ist geschehen?« Gleichzeitig wußte er, daß er keine Antwort erhalten würde. Eine seltsame Unruhe wühlte in seinen Eingeweiden. Das Pthor, das er eben gesehen hatte, war nicht das Pthor gewesen, das er kannte. Er wußte selbst nicht zu sagen, woher er die Sicherheit dieser Erkenntnis nahm. Die Stimmen der Ahnen …? »Wer seid ihr?« brachte er leise hervor. Aber da war nichts mehr. Er blieb allein mit seinen Zweifeln und einem Brennen auf der Seele, das ihn langsam dem Wahnsinn in die Fänge trieb.
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5.
So manches hatte sich verändert, und keiner begriff, wie dies geschehen konnte. Wäre der Herr Moonkay in der Lage gewesen, ungläubig den Kopf zu schütteln, er hätte es sicher recht ausgiebig getan. Indes war er sich bewußt, daß es nicht sonderlich schön aussah, wenn er einige seiner siebenundzwanzig Kugeln bewegte, und deshalb fuhr er nur eine einzige Antenne aus. Der Großbürger war zufrieden. Nun konnte er darangehen, die alten Zustände wiederherzustellen. Die Vorschrift der Vollkommenheit würde erfüllt werden. Der Herr Moonkay rief die anderen Bürger. Sie hörten ihn und verstanden, daß eine bedeutsame Wende bevorstand. Sie schämten sich ihres Verhaltens und bedauerten, was sie versäumt hatten. »Es ist wahr«, sagte der Herr Moonkay. »Wir haben gefehlt.« Der Herr Leodagan, den man auch den Quorkmeister nannte, erwiderte mit einem einzigen Impuls: »Alles begann auf jenem Planeten, den die Eingeborenen TERRA nann ten.« »Sehr richtig«, stimmte der Herr Geraint zu. Aber der Großbürger löschte beide Antworten aus seinem Gedächtnis, denn sie beschämten ihn ob ihrer Unvollkommenheit. Deshalb sandte er einen drängenden Impuls aus und sprach: »Eine große Aufgabe harrt unser. Ich bin gewiß, daß wir die Fehler til gen werden. Pthor muß zu seiner Bestimmung zurückfinden. Darum hört, was euch alle betrifft …« Nur Sekunden vergingen. Aber in dieser kurzen Zeitspanne hielt der Großbürger eine flammende Rede, die von Pathos zeugte und Ergebenheit. Er schloß mit dem Aufruf an viele Bürger Wolterhavens, sich zu einem Rechenverbund zu vereinen. »Wir«, fügte er voll Stolz hinzu, »sind das Schicksal von ganz Pthor.« Und auf noch etwas konnten die Robotbürger stolz sein: auf das stets sau bere und blitzende Äußere ihrer Stadt. Da gab es kein Bauwerk, dessen Wandung matt gewesen wäre oder gar oxydiert, denn das gräßliche Wort »Rost« hörte keiner gerne. Allein der Herr Merpaux trug die schwere Bürde der Verantwortung und teilte sie mit einigen Dutzend Handlangern, die er deshalb nie aus sei ner Überwachung entließ. Der Herr Merpaux war der Meinung, der einzige Bürger zu sein, der sei
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ne Pflichten derart ernst nahm. Obwohl er nur aus fünf Kugeln bestand, wußte er genau, was wirklich von Bedeutung war. Denn er war vollkommen. Daß andere von ihm behaupteten, er verwechsle Eitelkeit mit Vollkom menheit, tat ihm keinen Abbruch. Auch daß Owein, der ideenreiche Arbei ter im Dienst des Großbürgers sich hin und wieder zu solchen Äußerungen hinreißen ließ, störte ihn nicht. Wenn die Sonne über Pthor – falls der Dimensionsfahrstuhl nicht gera de irgendwo zwischen den Zeiten dahinraste – einen bestimmten Winkel erreicht hatte und ihr Schein durch verschiedene Öffnungen ins Innere der Kuppel fiel, gleißten die fünf silbernen Kugeln, als bestünden sie aus pu rem Licht. Stets dann wurde der Herr Merpaux sich seiner Vollkommenheit richtig bewußt. Aber er ließ nicht nach, seine Handlanger bei ihrer Arbeit zu überwa chen. Zum einen war diese Kategorie Diener ausgesprochen dumm, was selbst ihm ein Dorn im Auge war, zum anderen hantierten sie mit einer ge fährlichen Säure, die – wenn sie nicht nach einem genau bemessenen Zeit raum wieder entfernt wurde – nicht nur die Algen und den Flechtenbelag, die sich überall auf den Plattformen der Stadt bildeten, sondern auch die darunterliegende Wandungen zerfraß. Sicher gab es andere, harmlosere Mittel, die denselben Zweck erfüllten, aber nur durch die Säurebehandlung wurde das Metall blank und glänzend. An jenem Tag, als der Großbürger überraschend nach ihm rief, war der Herr Merpaux ohnehin nervös. Fünf seiner Handlanger arbeiteten auf einer der oberen Etagen, und gerade dort galt es, sein ganzes Können unter Be weis zu stellen. Entsprechend verärgert reagierte der Bürger, als die Impulse ihn trafen. Nur mit einem geringen Teil seines Potentials registrierte er, was der Herr Moonkay zu sagen hatte. Endlich! dachte er dann. Endlich hat auch der Großbürger die wahre Bedeutung der Vorschrift der Vollkommenheit erkannt! Und dieser wußte den zu würdigen, der schon immer danach gehandelt hatte. Er tat dies, indem er ihn dazu aufforderte, sich mit vielen anderen, zum Teil weitaus höherstehenden Bürgern zu einem Rechenverbund zum Wohle Pthors zu vereinigen. Die Worte des Herrn Moonkay ließen die Dringlichkeit erkennen, und so kam es, daß Merpaux seine Handlanger von einer Sekunde zur anderen vergaß. Denn er nannte nur fünf Kugeln sein eigen und wurde deshalb von der neuen, ehrenvollen Aufgabe voll beansprucht. Als die Berechnungen endlich – nach kaum einer Stunde – beendet wa ren, ließ sich nichts von dem mehr rückgängig machen, was in der Zwi
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schenzeit geschehen war. Der Bürger Merpaux meinte, vor Schreck unzäh lige Kurzschlüsse zu bekommen.
»Was wollt ihr von mir?« rief ich aus.
Die Roboter reagierten nicht. Leise summend rollten sie weiter auf mich zu. Als sie mich beinahe erreicht hatten, warf ich mich zur Seite. Aber die Blechkameraden waren schneller … Einer von ihnen bekam den Kragen meiner Bluse zwischen die Klauen und hielt mich fest. Ehe ich aus dem Kleidungsstück herausschlüpfen konnte, spürte ich seine zweite Hand an meinem Arm. Ihr Griff war im wahrsten Sinne des Wortes eisern und ließ mir keine Gelegenheit mehr zur Flucht. Der erste Anflug von Panik wich schnell einer gewohnten Ruhe. Immer hin sah es nicht danach aus, als wolle der Roboter mir etwas tun, denn das hätte er wahrlich einfacher haben können. Ich bekam kaum noch Luft, als er mich hochhob und dann quer durch die Zentrale in die Richtung zurück trug, aus der ich gekommen war. »Laß mich sofort runter!« befahl ich. Ich kann nicht sagen, daß ich enttäuscht gewesen wäre, als keine Reak tion erfolgte. Schließlich hatte ich nicht damit gerechnet, wirklich etwas zu erreichen. »Du Unikum!« schrie ich. »Du Blechbüchse!« Ähnliches hatte ich aus Sator Synks Mund des öfteren gehört. Da alle Robotdiener nichts anderes darstellten als bewegliche Ableger ihrer Herren, hoffte ich, den betreffen den Bürger durch beleidigende Äußerungen provozieren zu können. Leider schien ich mich in dieser Annahme zu täuschen. »Was hast du vor mit mir?« Schweigen. »Ich will sofort mit deinem Herrn sprechen!« Als wir die Lagerhalle verließen, bemerkte ich, daß der zweite Roboter verschwunden war. Offenbar trauten diese Kerle mir nicht zu, daß ich auch nur mit einem einzigen von ihnen fertig wurde. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen. Die Luftfeuchtigkeit war aber noch immer dermaßen hoch, daß ich innerhalb weniger Augenblicke er neut vor Nässe triefte. Etliche Arbeiter waren damit beschäftigt, die sichtbaren Folgen des Blitzschlags zu beseitigen. Erst jetzt wurde mir richtig bewußt, welch un verschämtes Glück ich gehabt hatte. Ich wiederholte meine Forderung mit allem Nachdruck und war über rascht, als der Roboter diesmal darauf reagierte. »Wir haben nichts mehr miteinander zu besprechen«, kam es aus sei nem Lautsprecher. »Ich sagte dir bereits, du sollst Wolterhaven verlas
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sen.« »Herr Moonkay?« fragte ich erstaunt, weil ich nicht erwartet hatte, mit ihm konfrontiert zu werden. Er ging nicht darauf ein. »Mein Diener wird dich jetzt vor die Stadt bringen. Kehre niemals zu rück.« Der Roboter rollte auf den Rand der Plattform zu. Sein Griff war über aus schmerzhaft und ließ mir kaum Bewegungsfreiheit. Ich begann zu be dauern, daß ich keine Waffe trug. Inzwischen war ich auch schon zu lange von den Höheren Welten abgeschnitten, als daß ich mir deren unerschöpf liche Energien hätte zunutze machen können. Wie ein Stein sackte der Roboter dann in die Tiefe. Rasend schnell kam die nächste Plattform näher. Mir wurde übel, mein Magen rebellierte. »Hör auf, Moonkay!« stöhnte ich. Täuschte ich mich, oder schwang in der Stimme des Dieners eine gehö rige Portion Spott mit, als er mir antwortete? »Du störst die Vorschrift der Vollkommenheit, also erwarte nicht, daß jemand auf dich Rücksicht nimmt.« Wie ein Fisch wand ich mich in seiner Umschlingung. Aber ich kam nicht frei, konnte nur die Arme ein wenig bewegen. Der Roboter fing den Sturz ab und schwebte mit mir dicht über dem Bo den nach Westen. Eine Wolke dampfender Schwüle verbarg den Blutd schungel vor meinen Blicken. Wir umflogen einige ausgedehnte Gebäude komplexe, die dann schnell zurückblieben. Der Stein fiel mir ein, den ich noch immer bei mir trug. Und gleichzei tig verdrängte eine jäh aufflammende Hoffnung alle anderen Gedanken. Mit der Rechten konnte ich zwar den Inhalt meiner Tasche ertasten, es war mir aber unmöglich, den Arm soweit anzuwinkeln, daß ich hineingrei fen konnte. In Wolterhaven geschahen Dinge, die sich meiner Vorstellungskraft ent zogen. Instinktiv ahnte ich, daß es nichts Gutes war, was sich da unter dem Deckmantel der Vollkommenheit zusammenbraute. Vorhin, in der Halle, da hatte ich für einige kurze Augenblicke das Böse beinahe körperlich gespürt. Inzwischen war dieses Gefühl zwar wieder verschwunden, ein gewisses Unbehagen aber blieb und wurde immer stär ker. Mit den Fingerspitzen tastete ich nach dem Stein, dessen Anblick mich in eine Welt der Illusionen versetzt hatte. Vielleicht würde ähnliches ge schehen, wenn der Roboter ihn vor seine Linsen hielt. Ich hoffte es jeden falls. Vorsichtig schob ich den Kiesel unter dem dünnen Stoff auf meine Handfläche zu. Dabei hatte ich Angst, mit einer einzigen unvorsichtigen Bewegung alles zu verderben.
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Als ich endlich das Gewicht in meiner Hand spürte, atmete ich erleich tert auf. Wie es allerdings weitergehen sollte, darüber machte ich mir kaum Gedanken. Langsam öffnete ich die Finger. Trotz aller Bedenken konnte ich es nicht lassen, in das von dem Stein ausgehende helle Leuchten zu schauen. Obwohl ich darauf vorbereitet war, durchpulste mich abermals eine Welle der Freude. »Oh!« hörte ich den Roboter sagen. Dieser Ausruf ließ mich die beginnende Faszination vergessen. Unser Flug wurde schwankender; der Boden kam abermals näher. Dann setzte der Arbeiter des Herrn Moonkay auf, sein Griff lockerte sich. End lich konnte ich wieder tief durchatmen. Zwei stählerne Finger griffen nach dem Stein in meiner Hand und ho ben ihn behutsam in die Höhe. Ich kam gänzlich frei. Ein rascher Blick zeigte mir, daß es in den Sehzellen des Roboters aufblitzte. Er schien mich völlig vergessen zu haben, hatte nur noch Augen für den Kiesel. »Schön«, jauchzte er. »Welch vollkommenes Wunder … welch betö render Feuerschein …« Immer schneller werdend, drehte der Diener sich im Kreise und fegte haarscharf an mir vorbei. Kopfschüttelnd sah ich ihm hinterher. Aber so leicht, wie ich es gehofft hatte, sollte ich dieses Unikum nicht loswerden. Im nächsten Moment stand er nämlich schon wieder vor mir, erhob sich einen halben Meter hoch in die Luft, fiel krachend auf seine Laufrollen zu rück und stieg erneut empor. Wie mir schien, hüpfte er vor Freude und war mir wohl auch noch dankbar. »Du!« kam es quietschend und kreischend aus seinem Innern. »Du bist meine Wohltäterin. Alles Lüge, was mein Herr über dich gesagt hat – die ser, dieser …«, offenbar suchte er verzweifelt nach einem passenden Wort, das in seinem Speicher nicht vorhanden war, oder aber eine induktive Schaltung hinderte ihn daran, es auszusprechen. Jedenfalls brach er abrupt ab und blickte mich aus einem Auge beinahe flehend an, während er das andere unverwandt auf den Stein gerichtet hielt. Wenn ich jemals fliehen konnte, dann jetzt, bevor der Großbürger die Kontrolle über seinen Diener zurückgewann. »Oh Farbenrausch …« Das Gehüpfe des Roboters wurde allmählich unerträglich. Keine zehn Meter weit hatte ich mich entfernt, als die unverhofft eintre tende Stille mich zurückblicken ließ. Da kamen zwei weitere Diener heran. Um ihre Waffenarme lag ein un mißverständliches Flimmern – und sie waren auf mich gerichtet.
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Notgedrungen mußte ich einsehen, daß es besser war, stehenzubleiben. Die beiden Maschinen landeten. Der zylinderförmige Arbeiter hielt ih nen den Stein entgegen. Dabei gewann ich den Eindruck, daß sie auf ihre lautlose Weise miteinander kommunizierten. Im nächsten Moment erlo schen die Abstrahlpole der Waffen, und ich durfte ein zweitesmal erleich tert aufatmen. Indes wurde mir klar, daß der Herr Moonkay keineswegs versucht hatte, mich mit leeren Drohungen einzuschüchtern. Wenn ich Wolterhaven nicht auf der Stelle verließ, war mein Leben wirklich in Gefahr. Aber konnte ich mich überhaupt noch aus der Affäre ziehen, jetzt, nach dem drei Roboter der Überwachung des Großbürgers entglitten waren? Si cher betrachtete er dies als gezielten Anschlag gegen die herrschende Ord nung. Im Gegensatz zu mir würde ihn der Anblick der tanzenden Diener wohl nicht zum Lachen reizen. Sie hatten sich an den Händen gefaßt und hüpften nebeneinander auf den Rand der Plattform zu. Dabei grölten sie irgendwelche Verse, von de nen ich kaum die Hälfte verstand. »… Wolterhaven ist schön erst im steinernen Licht, doch Moonkay, der Sture, der gönnt es uns nicht. Den größten Genuß hatte einst Iwein, dann nahm man ihm ab den Illusi onsstein. Vollkommenheit kommt auf die Welt, wenn man den Stein vor Augen hält …« Plötzlich verstummten die Roboter. Sie sahen zu mir herüber, als hätten sie soeben neue Befehle erhalten. Ihre Waffenarme ruckten hoch. »Nein!« kreischten sie. »Leenia ist vollkommen!« Und weiter ging ihr Freudentaumel, der sie alles andere vergessen ließ. Der zylinderförmige Diener warf den Stein in die Luft. Bevor er ihn wieder auffangen konnte, waren da vier Arme mit gierig vorgestreckten Klauen, die ihn zur Seite drängten. Enttäuscht und wütend zugleich schrie er auf. »Ihr Mordbande! Gebt mir sofort mein Eigentum zurück!« Er erntete nur lautes Gelächter. Langsam wurde mir klar, was ich angerichtet hatte. Die Roboter fielen förmlich übereinander her, weil jeder von ihnen den Stein besitzen wollte. Dabei schienen sie genau zu wissen, was sie erwartete, sobald sie sein Leuchten schauten. Der Schluß lag nahe, daß es in Wolterhaven irgend wann einmal mehrere dieser Illusionssteine gegeben haben mußte. Nun war es aber wirklich an der Zeit, daß ich mich zurückzog. Ich weil te an einigen kleineren Türmen vorbei weiter nach Westen. Wenn der Herr Moonkay nach mir suchen ließ, würde er sicher zuallererst annehmen, daß
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ich in die Nähe meines Apartments zurückgekehrt war. Diesen Gefallen wollte ich ihm nicht tun. Allerdings hatte ich keine Vorstellung davon, wo an der Peripherie ich ein geeignetes Versteck finden konnte. Der Knall einer Detonation holte mich ein. Zurückblickend sah ich die Trümmer eines der Roboter aus großer Höhe herabstürzen. Die beiden an deren entfernten sich torkelnd in Richtung auf das Zentrum der Stadt. Ich lief schneller, fürchtete ich doch, daß das Unglück weitere Diener anlocken würde. Zum Glück blieb ich von ihnen verschont. In den folgenden fünfzehn Minuten schaffte ich es sogar, ungesehen auf die nächste, höherliegende Plattform überzuwechseln. Die Sonne brannte schon wieder auf das Land herab. Blendend brachen sich ihre Strahlen in dem Metall der Gebäude. Als ich an einigen Hallen matte, stumpf wirkende Stellen entdeckte, lenkte ich meine Schritte ganz unbewußt in diese Richtung. Da war etwas, das nicht der Norm entsprach, und das galt es aus der Nähe anzusehen. Den Roboter bemerkte ich viel zu spät. Aber mein anfänglicher Schreck wich rascher Erleichterung, denn auf den ersten Blick wirkte er betrübt. Seine Haltung ließ sich am ehesten als bestürzt deuten. Der Diener – es handelte sich um eine einfache Konstruktion, wahr scheinlich um einen Handlanger – schien mich überhaupt nicht wahrzu nehmen. Als ich ihn ansprach, zuckte er merklich zusammen. Die erste Reaktion war Furcht. Die anderen würden über ihm spotten, und ihm vorhalten, daß er nur aus fünf Kugeln bestand und deshalb zu den we niger begüterten Mitgliedern der Bürgerschaft gehörte. Sie würden be haupten, daß er unfähig war, seine Diener zu beaufsichtigen. Denn Tatsache war, daß der Herr Merpaux einige von ihnen glatt ver gessen hatte. Tatsache war weiterhin, daß das Mißgeschick sich nicht verbergen ließ. Jeder konnte die Stellen sehen, an denen die Säure viel zu lange einge wirkt hatte. Gräulich zerfressene Flächen waren das Ergebnis – ein An blick, der beim besten Willen nicht zur angestrebten Vollkommenheit paß te. Dem Herrn Merpaux war sein Versagen schrecklich peinlich. Gerade ihm, der er die Vorschrift der Vollkommenheit stets auf das Genaueste be folgte, mußte das passieren. Er benötigte sehr lange, um den Schreck zu überwinden. Fast fünf Minuten. Dann tauchte die Frage auf, warum ausgerechnet ihm dieses Mißge schick widerfahren war. Die Antwort darauf schien einfach: alle anderen Bürger hatten natürlich keine Mühe gehabt, auch während der Gemeinsamkeit innerhalb des Re chenverbunds ihren sonstigen Aufgaben nachzukommen. Immerhin ver
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fügten sie zum Teil über weit mehr als die doppelte Anzahl von Kugeln und konnten mit einer oder zweien davon ihre normale Tätigkeit weiter führen. Zorn erwachte in dem Herrn Merpaux. Nicht mich trifft die Schuld, dachte er. Die anderen tragen die Verant wortung dafür. Sie hätten es wissen müssen. Niemand konnte ihm daraus einen Vorwurf machen, daß er seine Auf gaben immer ernst genommen hatte. Niemand!
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6.
Der Morgen des nächsten Tages begrüßte die beiden Dalazaaren mit Tau auf den Gräsern. Auch fanden sie eine Pflanzenart, die in tiefen Blütenkel chen Wasser speicherte. Es war nicht viel, aber ausreichend, um den größ ten Durst zu stillen. Der Blutdschungel zeigte sich von seiner friedlichsten Seite. Das Unter holz wucherte längst nicht mehr so dicht wie weiter westlich, die Stämme der mächtigen Bäume traten weiter auseinander. Irgendwann im Lauf des Vormittags sahen Gambor und Merdino end lich die ersten Felder vor sich. Reife Ähren wogten im Wind, der von den Hängen der Großen Barriere kam und eine angenehme Kühle brachte. Scheinbar zum Greifen nahe lagen die Mauern von Orxeya. Zwischen ihnen und dem Dschungel loderten große Feuer. Von Norden her näherte sich eine Karawane der Stadt. Gambor zählte zehn Händler und mindestens die doppelte Anzahl an Yassels, die zum Teil schwere Lasten trugen. Einige der Tiere zogen ein hölzernes Gestell. Selbst aus der Ferne wirk te der transportierte Kadaver furchteinflößend. »Eine Bestie aus den Horden der Nacht«, sagte Merdino tonlos. Gambor schüttelte den Kopf. »Die Horden gibt es nicht mehr«, stellte er fest. Aber sicher schien er sich dessen nicht zu sein. »Komm.« Er erhob sich aus der Deckung etlicher halb mannshoher Schachtelhalme. »Die Orxeyaner haben jetzt anderes zu tun, als auf uns zu achten.« Zwei schwarze Schemen huschten an den Feuern vorbei. Die Felder, die bis nahe an die Stadtmauer heranreichten, verbargen sie vor neugierigen Blicken. Etwas südlich entdeckte Gambor eine Lücke in dem Wall aus gebrann ten Lehmziegeln. Dort mochten einst hölzerne Palisaden und ein Wach turm die gegnerischen Stämme aus dem Dschungel abgehalten haben – jetzt zeugten nur noch verkohlte Überreste und Teile eines zusammenge brochenen Wehrgangs davon. Die beiden Dalazaaren wollten sich gerade in diese Richtung wenden, als vor ihnen Schreie laut wurden. An unzähligen Stellen teilten sich die Ähren. »Keenies!« platzte Merdino heraus. Etwa fünfzig Wilde stürmten auf die Stadt zu. Aber obwohl es heller Tag war, blieb auf den Mauern alles ruhig. Siedendheiß fühlte Gambor das Verlangen, es den Angreifern nachzu
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tun. Seine Hand umklammerte das Heft des Schwertes, bis die Knöchel weiß unter der Haut hervortraten. Er begann zu schwitzen. In Gedanken sah er sich durch hohes Gras rennen, einen langschäftigen Speer in der einen Hand, in der anderen eine Steinaxt, wie manche Kee nies sie besaßen. Rings um ihn fielen die Krieger im Pfeilhagel der Vertei diger, er achtete nicht darauf. Dann hatte er die Mauer erreicht. Einer der Orxeyaner beugte sich weit über die Palisaden und richtete seine Skerzaal nach unten, doch der geschleuderte Speer riß ihn in die Tiefe, bevor er schießen konnte. Gambor stieß einen triumphierenden Schrei aus. Neben ihm waren jetzt andere, die es ebenfalls geschafft hatten, bis an den Rand der Stadt vorzu dringen. Wie Kletten hingen sie an der Mauer und zogen sich langsam, aber unaufhaltsam in die Höhe. Gambor war als erster zwischen den Zinnen. Kurz darauf drang ihm der Bolzen einer Skerzaal in die Schulter, und ihm wurde schwarz vor Augen. Was blieb, war der Druck auf seinem linken Schlüsselbein. Irritiert mußte der Dalazaare feststellen, daß er nicht wußte, was geschehen war. Er glaubte, schon einmal vor dieser Mauer gestanden zu haben und wußte gleichzeitig, daß dies unmöglich war, denn er hatte Orxeya nie zu vor gesehen. Und dennoch … Das eben Erlebte konnte nicht einfach nur seiner Phantasie entsprungen sein. Krampfhaft unterdrückte Gambor das plötzliche Verlangen, Seite an Seite mit den Keenies gegen die Orxeyaner zu kämpfen, als es auf den Zinnen lebendig wurde. Die Schreie der von Bolzen getroffenen Angreifer mischten sich in das höhnische Gelächter der Verteidiger, die nur darauf gewartet zu haben schienen, daß die Keenies näherkamen. Innerhalb weniger Minuten war alles vorbei. Gambor konnte nicht er kennen, ob es Tote gegeben hatte, doch mindestens die Hälfte der Dschun gelkrieger schien verletzt zu sein. Einen monotonen Singsang anstim mend, zogen sie sich geschlagen zurück. Ihnen folgten wüste Flüche der Händler, weil sie entgegen aller Gewohnheit keine Anstalten trafen, die zu Hunderten verstreut liegenden Geschosse einzusammeln, um sie später als Handelsgut anzubieten. »Das ist unsere Chance«, gab Merdino zu verstehen. »Auf diese Weise brauchen wir nicht mit den Wächtern zu feilschen. Ich habe gehört, daß sie Reisende oftmals nur gegen gute Bezahlung einlassen, und wir haben kaum etwas zu bieten.« »Außer dem, weswegen wir hier sind«, grinste Gambor. »Allerdings werden wir unser Wissen nur dem zahlungskräftigsten unter den Händlern verkaufen.« Nicht viel später liefen zwei Dalazaaren geradewegs auf das nächste Tor zu. Beide hatten Teile ihrer Kleidung abgelegt und schleppten diese zu
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recht ansehnlichen Bündeln gefüllt mit sich. Die Torwache trat ihnen entgegen, als sie schon meinten, ungehindert passieren zu können. »Halt!« donnerte der rotbärtige Hüne und stützte sich auf seinen Speer. Deutliche Verachtung sprach aus seinem Blick. »Wir bringen die Bolzen zurück«, sagte Gambor. »Es sind mindestens dreihundert Stück.« »Ihr werdet nicht viel dafür bekommen.« »Wir sind mit wenig zufrieden«, gab Merdino zurück. »Sooo«, dehnte der Orxeyaner. Allem Anschein nach hatte er noch et was sagen wollen, doch schwieg er überrascht. Seine Augen quollen förm lich aus ihren Höhlen, als er das Fell bemerkte, das Gambor um seine Len den gebunden hatte. »Die Haut der Yam-Katze«, stieß er beinahe andächtig hervor. »Es heißt, daß sie ihren Träger unverwundbar macht. Woher hast du sie?« Der Dalazaare deutete auf den Dschungel. »Von dort«, sagte er lakonisch. »Ein Wilder wie du?« Der Rotbart hob seinen Speer an und zielte damit auf Gambors Brust. »Ich denke, du bist ein Lügner. Wen hast du um das Fell betrogen – einen aus Orxeya? Das sollte dir schlecht bekommen.« Er zögerte. »Du siehst nicht aus wie ein Keenie – dein Begleiter auch nicht. Woher kommt ihr? Heraus mit der Sprache, oder ich werde euch die Zun ge lösen.« »Freund«, sagte Gambor leise, aber mit einem drohenden Unterton in der Stimme. »Ich rate dir, uns nicht wie dahergelaufene Wegelagerer zu behandeln.« »Verschwindet!« zischte der Orxeyaner, während er gleichzeitig seinem Befehl mit der Waffe den nötigen Nachdruck verlieh. Einen Herzschlag später hielt er nur noch den eisernen Schaft des Spee res in Händen. Die Spitze war glatt abgeschlagen. Gambor hatte sein Bün del fahren lassen, mit einer blitzschnellen Bewegung das Schwert gezogen und zugeschlagen. Vor Überraschung brachte der Rotbart keinen Ton her vor. »Nun können wir uns in aller Ruhe unterhalten, nicht wahr.« Fast spie lerisch piekste Gambor den Wächter in seinen fetten Wanst. »Ja, ja natürlich«, stammelte der. Seinen anfänglichen Hochmut hatte er verloren. »Sage mir, an welchen Händler ich mich wenden kann …« »Oh, es gibt Hunderte. Sie alle …« Mit einer heftigen Handbewegung unterbrach der Dalazaar. »Keinen, der üblichen Ramsch verkauft. Ich muß mit jemandem reden, der über viele Quorks gebietet, vielleicht auch etliche Bruchstücke des
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Parraxynt.« Der Rotbart preßte die Lippen aufeinander. Ihm war anzusehen, was er dachte, daß er lieber auf der Stelle sterben würde, als einen seiner Brotge ber ans Messer zu liefern. »Heraus mit der Sprache«, forderte Merdino. »Wir wollen weder rauben noch plündern, sondern ganz einfach ein Geschäft machen. Wir wollen un ser Wissen über die Stahlquelle verkaufen.« Ein Stöhnen antwortete ihm. »Sieh dir mein Schwert an«, grinste Gambor. »Ist es nicht Beweis ge nug für die Richtigkeit meiner Worte?« Der Wächter nickte betreten. »Unter diesen Umständen solltet ihr zu Morrat Tobran gehen oder zu Gäham Lastor. Beide sind in der Lage, euch beinahe jeden Preis zu bezah len.« »Lastor?« meinte Merdino nachdenklich. »Weilt der wieder in Orxeya? Ich habe gehört, er soll nach dem Überfall der Krolocs mit einer großen Karawane aufgebrochen sein, um ganz Pthor zu bereisen.« »Gäham Lastor kehrte vor einigen Tagen zurück«, bestätigte der Rot bart. »Allein und nur mit einem halben Dutzend seiner Yassels. Niemand hat bisher erfahren, was geschehen ist.« »Wo wohnt der Händler?« wollte Gambor wissen. Der Wächter beschrieb es ihm mit blumigen Worten und weit aus schweifenden Gesten. Anscheinend war er froh, die beiden Dalazaaren schnell wieder loszuwerden. Als sie dann die Stadt betraten und sich noch einmal umwandten, sahen sie ihn auf einem der Wehrgänge verschwinden. Wahrscheinlich eilte er, Meldung zu erstatten. Orxeya war eine alte Stadt mit eng aneinandergelehnten Ziegelhäusern und strohgedeckten Dächern, mit schmutzigen, verwinkelten Straßen und einer lärmenden Einwohnerschaft. Die Ereignisse der letzten Wochen und Monate hatten ihre Spuren hinterlassen, die zum Teil in deutlich sichtba rem Verfall bestanden. Früher mochte so manches imposant gewesen sein, was jetzt rauchgeschwärzt war und baufällig wirkte. Niemand nahm Notiz von den im Verhältnis zu den Händlern groß ge wachsenen Schwarzen, nur gelegentlich traf sie ein forschender Blick. Wer sich einmal in dem Gewirr von Gassen und Plätzen verirrte, hatte es schwer, wieder herauszufinden. Gambor bemerkte schon bald, daß die erhaltene Beschreibung äußerst ungenau war. Er wußte nur, daß Gäham Lastor am anderen Ende der Stadt wohnte, nachdem sein ehemaliges Heim irgendwann zerstört worden war. Der Geruch am Spieß bratenden Wildbrets weckte bislang unterdrückte Hungergefühle. Da ein leichter Wind wehte, fiel es nicht schwer zu be stimmen, in welche Richtung man sich halten mußte, um in den Genuß ei
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ner warmen Mahlzeit zu kommen. »Wir sollten die Bolzen gegen ein Bratenstück eintauschen«, schlug Merdino vor. Sie gelangten an den Rand eines großen Platzes, auf dem sich etliche hundert Menschen versammelt hatten. Zu sehen war kaum etwas – außer dünnen Rauchwolken, die träge in die Höhe stiegen und verwehten. Gambor benutzte seine Fäuste, um sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, und Merdino tat es ihm nach. Manch einer äußerte seinen Unmut mit lauten Worten, doch glücklicherweise kam es zu keiner Auseinander setzung. Beim Anblick knusprig am Spieß gebratener Fleischstücke lief den Dalazaaren das Wasser im Mund zusammen. Allerdings kamen Gambor auch Zweifel, als er sah, um was für Fleisch es sich handelte. »Sieh dort hinüber«, sagte er zu Merdino und zeigte nach links, wo etli che Orxeyaner mit Beilen das Ungeheuer aus der Ebene Kalmlech zerleg ten. Dort standen die Gaffer am dichtesten. »Das Fleisch der Bestien soll ungenießbar sein.« Merdino zuckte mit den Schultern. »Würden Sie sich dann die Mühe machen und es über dem Feuer zu drehen?« fragte er. »Hm.« Gambor packte einfach einen der ihm am nächsten Stehenden am Arm und zog ihn zu sich heran. Es war ein alter Mann mit wallendem grauen Bart und ängstlichem Blick. »Sag mir«, begann der Dalazaare, »kann man dieses Fleisch essen?« »Du bist fremd hier?« erwiderte der Alte. Gambor nickte. »Mein Freund und ich wollen einen Handel abschlie ßen.« »Der Platz der Schlächter ist nicht der richtige Ort für Geschäfte.« »Daß laß meine Sorge sein. Jetzt jedenfalls haben wir Hunger.« Ohne länger zu zögern, lief Gambor auf eines der Feuer zu. »Heda«, rief er den beiden davorstehenden Händlern zu. »Euer Braten ist gar, schneidet mir ein Stück davon ab.« Nicht nur das Raunen, das plötzlich durch die Menge ging, auch die sich schlagartig verfinsternden Gesichter der Angesprochenen verrieten dem Dalazaaren, daß er einen Fehler begangen hatte. »Ich wollte euch nicht kränken, falls …« Er brach ab, weil keiner mehr auf ihn achtete. Ringsum erschollen wütende Rufe. Offenbar hatte Gam bor, ohne es zu wollen, ein Sakrileg begangen. »Jagt ihn aus der Stadt«, schrie die Menge. »Er hat es gewagt, Mitglie der der höchsten Kaste zu belästigen.« Lauter Peitschenknall ertönte.
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Gambor wirbelte herum. Die Leute bildeten eine Gasse, durch die drei verwegen aussehende Or xeyaner auf ihn zukamen. Sie schwangen Peitschen mit meterlangen ge flochtenen Lederschnüren; ihre Blicke verhießen nichts Gutes. Gambor ließ das Bündel mit den Bolzen fallen, das er noch immer unter dem Arm trug, und riß sein Schwert aus dem Gürtel. Im Licht der hoch stehenden Sonne funkelte es wie ein Kristall. Schon wickelte sich eine der Schnüre um seine Beine. Der Dalazaare fühlte einen stechenden Schmerz. Den Bruchteil eines Augenblicks bevor der nachfolgende Ruck ihn von den Füßen riß, durchtrennte die Klinge den Lederriemen. Ein entrüstetes Raunen wurde laut, das sich schnell über den Platz fort pflanzte. Einen der Peitschenträger konnte Gambor entwaffnen, die beiden ande ren aber lernten daraus und gingen ihn nun von verschiedenen Seiten her an. Ein entsetzlicher Schlag traf seinen nackten Rücken und hinterließ tie fe Striemen auf der Haut. Gambor biß die Zähne zusammen, um nicht auf zuschreien. Die nächsten Hiebe parierte er mit der Klinge und verkürzte dabei die Schnüre um die Hälfte. Er blickte in schwitzende, verzerrte Ge sichter. Auch ihm lief der Schweiß über die Stirn und brannte in seinen Augen. Wie durch einen seidenen Vorhang hindurch nahm er wahr, daß Merdino von etlichen Händlern überwältigt wurde. Dann warf ihm jemand einen Knüppel zwischen die Beine, und er stürzte. Im Nu waren sie über ihm und entrissen ihm das Schwert. »Woher hast du das und die Haut der Yam-Katze?« Trotz seiner wenig verheißungsvollen Lage verzog Gambor das Gesicht zu einem hämischen Grinsen. »Die Klinge holte ich mir von der Stahlquelle«, verkündete er so laut, daß jeder ihn hören mußte. »Und das Fell erbeutete ich im Kampf mit der Bestie.« »Werft ihn vor die Tore – und seinen Kumpan dazu. Aber nehmt beiden vorher ihre Habe ab.« »Ihr begeht einen großen Fehler«, begehrte Gambor auf. »Man sagt, daß die Händler von Orxeya sich niemals ein gutes Geschäft entgehen lassen.« »Das ist richtig.« Ein Mann, der allein schon an seiner Kleidung als wohlhabend zu erkennen war, löste sich aus der Menge. »Was für einen Handel willst du?« »Es geht um die Stahlquelle.« »Ihr habt sie wirklich gefunden?« »Genügt dir mein Schwert nicht als Beweis?« Der Mann zögerte zunächst, ließ sich dann von einem der Peitschenträ ger die funkelnde Klinge reichen und unterzog sie einer eingehenden Prü
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fung. Schließlich nickte er anerkennend. »Ein wirklich hervorragendes Stück. Wer hat es angefertigt?« »Geister, Magier …«, brauste Gambor auf. »Was weiß ich?« »Die Waffe stammt aus der Stahlquelle?« »Bei der Seele von Pthor. Aber ich spreche nur mit Gäham Lastor dar über.« »Ich«, sagte der Mann, »bin Lastor.« Und zu denen gewandt, die den Dalazaaren festhielten: »Laßt ihn los. Auch sein Freund ist frei.« Der Händler gab Gambor sein Schwert zurück. »Wenn ihr euch nicht als unverschämt und Halsabschneider erweist, können wir zu einer Einigung kommen«, meinte er. »Ich muß sagen, mich reizt der Gedanke, so edle Klingen wie die deine in der Hand zu halten. Aber zuvor zeigt mir eure Seelenscheine, damit ich euch als Geschäfts partner anerkennen darf.« »Wir haben keine.« Gäham Lastor zog die Brauen zusammen, daß unzählige Falten seine Stirn bedeckten. Er wirkte müde und resigniert. »Ihr benötigt Seelenscheine, sonst wird nichts aus unserem Geschäft.« »Und woher …?« »Ich bringe euch zum Haus des Gewichts. Er wird zwar einen Obulus für die Benutzung der Seelenwaage verlangen, aber ohne ihn gibt es keine Scheine. Könnt ihr bezahlen?« »Wir haben die Skerzaal-Bolzen«, gab Gambor zur Antwort, woraufhin Gäham Lastor in schallendes Gelächter ausbrach. »Dafür bekommt ihr vielleicht zwei Flaschen alten vergärten Kromyat, aber keinesfalls wird das Gewicht für diese Summe auch nur sein fettes Hinterteil anheben. Andererseits«, der Händler setzte plötzlich ein unbe wegtes Gesicht auf, »könnte ich für euch bürgen, wenn du mir das Fell überläßt.« »Nein!« platzte Gambor heraus. »Die Trophäe ist mir mehr wert als al les …« »Kein Fell, kein Handel – so einfach ist das.« »Dein letztes Wort?« »Mein letztes«, nickte Lastor. Es half nichts, Gambor mußte sich von der Haut der Yam-Katze tren nen. Ihm blieb die Hoffnung, daß er sie im Zuge seiner Forderungen zu rückgewinnen könnte. »Wir haben Hunger«, sagte er und deutete auf das Fleisch. Erst jetzt fiel ihm auf, daß nur wenige Stücke gegrillt wurden. Männer in blutroten Ka puzenumhängen schleppten das andere, in schmale Streifen geschnitten, davon. »Es wird zum Trocknen aufgehängt oder gepökelt«, erklärte der Händ
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ler. »Auf jeden Fall ist es noch ungenießbar – auch das über dem Feuer. Diese Art, das Fleisch eines Drachen zu konservieren, wird nur äußerst selten angewandt – bei bestimmten Partien, wenn wir nicht wissen, wie lange das Tier schon tot ist.« Gäham Lastor führte sie dann durch enge, verwinkelte Gassen, und schon nach kurzer Zeit hatten die beiden Dalazaaren jede Orientierung verloren. Ein Trupp von sechs Robotern kam ihnen entgegen, von denen einer menschenähnlich war, die anderen aber eher wie aufrecht gehende Zylinder wirkten. »Was wollen die hier?« fragte Gambor verblüfft. »Wir treiben auch mit Wolterhaven Handel«, erklärte Lastor. »Soviel ich weiß, haben die Roboter eine größere Lieferung technischer Geräte ge bracht, die für Zbahn und Zbohr bestimmt sind. Wir leiten diese Dinge weiter.« Sie erreichten das Haus des Gewichts und betraten ein großes Zimmer, das angefüllt war mit allen möglichen Kunstgegenständen, mit Waffen, Fellen und schweren, geschnitzten Möbeln. »Ihr wartet hier!« befahl der Händler. Durch eine versteckt angebrachte Tür verließ er das Zimmer und kehrte wenig später mit einem gebrechli chen wirkenden Orxeyaner unbestimmbaren Alters zurück. »Das Ge wicht«, sagte er, »wird sich eurer nun annehmen.« Sie wurden in einen weiteren Raum geführt, der sein Licht ausschließ lich durch ein großes, in der Mitte der Decke befindliches Fenster erhielt. Unmittelbar darunter erhob sich ein gemauertes Podest aus schwarz und rot gefärbten Ziegelsteinen. Ein zwei Meter hoher hölzerner Pfahl ragte daraus hervor, der eine Art Schale aus Alabaster trug, und diese wiederum war von einer Ansammlung verschiedenartigster Figuren umgeben, alle von geradezu ausgesuchter Häßlichkeit. »Du«, sagte das Gewicht und deutete auf Merdino, »steige hinein.« Nach einer Weile begannen die Figuren ihr Aussehen zu verändern. Manche von ihnen zeigten den Anflug eines Lächelns, andere wechselten ihre Farbe und wurden heller. Merdino schien eingeschlafen zu sein. Das Gewicht weckte ihn schließ lich mit einem heftigen Stoß zwischen die Rippen und blickte Gambor da bei auffordernd an. »Dein Freund hat einen sehr niedrigen Seelenwert«, stellte es fest. »Mich wundert, was Gäham mit euch zu schaffen hat, daß er sogar die Ko sten übernimmt.« »Das laß meine Sorge sein«, erwiderte der Händler heftig. Mittlerweile war Gambor auf das Podest geklettert. Er legte sich in die Schale, die unter seinen Händen zu leben schien. Ihm war, als trete er in eine andere Welt ein. Eine unwirkliche Stille
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umfing ihn, bis er das leise Klingen vernahm, mit dem die Figuren sich zu bewegen begannen. Gambor wurde schläfrig, er mußte sich dazu zwingen, die Augen offen zuhalten. Immer schneller veränderten sich die Figuren und etliche began nen zu schimmern, als bestünden sie aus purem Gold. Ein heller Licht schein ging von ihnen aus, der den Raum erfüllte. Gambor hörte den entsetzten Aufschrei der beiden Orxeyaner, dann ver sank die Welt um ihn herum in einem Meer aus Farben. Er nahm Stimmen wahr, deren Klang ihm seltsam vertraut vorkam. Irgendwie, das wußte er, gehörten sie zu ihm. Man wird die Wahrheit herausfinden! Zögern. Die Maschine ist nicht geeignet dafür, ihm auf die Spur zu kommen. Und wenn der Zufall ihnen hilft? Niemand könnte etwas damit anfangen … Ein gequältes Stöhnen drang über Gambors Lippen. Er hatte jeglichen Sinn für die Zeit verloren, die inzwischen verstrichen war, indes schien es ihm, als habe er eine Ewigkeit nicht mehr richtig gelebt. Er empfand Haß, als er die Seelenwaage verließ.
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7.
Der Roboter schien mehr Angst vor mir zu haben, als ich vor ihm. Er wich zurück, als ich mich ihm weiter näherte. »Warte!« rief ich, »ich will mit dir reden.« Tatsächlich blieb er stehen. In seinen Sehzellen flimmerte ein trübes Licht. »Wer ist dein Herr?« wollte ich wissen. »Der Bürger Merpaux«, kam nach einer Weile die Antwort. »Ich kenne den Namen nicht. Ist er ein bedeutender Herr?« Irgend etwas quietschte leise. Ich hatte das Gefühl, daß dieses Geräusch aus dem Lautsprecher kam. »Der Herr Merpaux verfügt über fünf Kugeln.« Die Zahl fünf betonte der Roboter so eigenartig, als hätte er fünfzig sa gen wollen. Täuschte ich mich, oder hatte in seiner Stimme Wehmut mit geschwungen? »Immerhin«, gestand ich ein. »Er kann stolz darauf sein.« Der Diener traf keinerlei Anstalten, mich festzuhalten oder gar hand greiflich zu werden. Nun verstand ich überhaupt nichts mehr. Wußten nicht alle Bürger, daß der Herr Moonkay mich aus der Stadt gewiesen hat te? In diesem Fall bot sich vielleicht eine überraschende Gelegenheit, zu Informationen aus erster Hand zu kommen. »Ich möchte deinen Herrn sprechen«, bat ich. »Du sprichst bereits mit ihm, wenn du zu mir redest.« Mein Blick wanderte über die matten Stellen an einzelnen Gebäuden. Dabei gewann ich den Eindruck, daß das Metall teilweise Zentimetertief zerstört war. Auch Arme und Hände des Roboters wiesen graue Stellen auf. »Ich verlange Auskunft darüber, was in Wolterhaven geschieht«, platzte ich heraus. »Bist du ermächtigt, eine solche Frage zu stellen?« »Ich bin Gast des Großbürgers.« »Du warst sein Gast«, berichtigte der Diener sofort. »Aber du bist un vollkommen und sollst deshalb die Stadt verlassen. Wenn du es nicht tust, verlangt der Herr Moonkay deine Liquidation.« Eine plötzliche Schwäche ließ mich zittern. In diesem Moment begriff ich in voller Konsequenz, daß ich den Bewohnern von Wolterhaven nicht das geringste entgegenzusetzen hatte. »Dennoch hast du mich nicht sofort erkannt?« Die Antwort verblüffte mich: »Ich hatte es vergessen.«
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Allerdings schien der Herr Merpaux die Unlogik, die in diesem Satz verborgen war, selbst bemerkt zu haben, denn er fügte augenblicklich hin zu: »Ich war mit Problemen beschäftigt.« »Ein Bürger, der dem Gesetz der Vollkommenheit gehorcht, hat keine Probleme«, nutzte ich spontan seine deutliche Unsicherheit. »Ich bin vollkommen«, behauptete der Herr Merpaux. »Und das hier …?« Eine umfassende Handbewegung sollte ihm meine Zweifel verdeutlichen. »Ich nehme an, dabei handelt es sich um dein Pro blem.« Der Diener schwieg. Fühlte sein Herr sich gar betroffen? Fast war ich versucht, das zu glauben, und ich beschloß, alles auf eine Karte zu setzen. »Ein Roboter, der vollkommen ist, begeht keine Fehler. Wenn doch, wie kann er dann von anderen behaupten, sie störten die Vorschrift?« »Ich habe das nie von dir behauptet.« »Wer dann?« »Der Herr Moonkay.« »Und außer ihm keiner?« »Der Herr Leodagan, der Herr Geraint, der …« »Du brauchst nicht alle aufzuzählen«, unterbrach ich seinen Redefluß. »Wir sollten die Zeit lieber nutzen, um zu überlegen, wie wir uns gegen ihre Willkür wehren können. Sicher werden sie auch von dir bald behaup ten, du seist unvollkommen. Für den Großbürger und die anderen, die nur wenige Etagen unter ihm ihre Kuppel haben, bist du unbedeutend, viel leicht sogar lästig, weil du der Vorschrift gehorchst.« »Was willst du damit sagen?« fragte der Herr Merpaux, und aus dem Tonfall, in dem sein Handlanger zu mir sprach, konnte ich förmlich seine Neugierde heraushören. »Sie haben sich längst davon abgewandt und die kleinen Bürger, die über weniger Kugeln verfügen, in ihrem Sinn beeinflußt. Nur du stehst ih ren Plänen noch im Wege. Möglicherweise haben sie deshalb das Mißge schick provoziert, das dir widerfahren ist.« Hatte ich zu dick aufgetragen? Der Herr Merpaux schwieg jedenfalls. Sollte sich meine Vermutung, daß ihm beim Reinigen der Gebäude ein Fehler unterlaufen war, als falsch erweisen? Endlich … »Du magst recht haben, Leenia. Unter diesem Aspekt habe ich die An gelegenheit bisher nicht betrachtet. Deshalb also war der Zusammenschluß zum Rechenverbund von äußerster Dringlichkeit. Die anderen wußten ge nau, daß ich die Aufgabe ernst nehmen würde und darüber alles andere vergessen mußte, weil meine Kapazität zu gering ist. Ihnen fällt es ja leicht, viele Dinge gleichzeitig zu tun.«
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»Sie wollen dich loswerden, denn du bist der einzige in ganz Wolterha ven, der es mit der Vorschrift der Vollkommenheit noch immer genau nimmt. Alle anderen haben sich inzwischen mindestens teilweise davon abgewandt. Deshalb bist du ihnen unbequem – möglicherweise fürchten sie dich sogar.« Als der Roboter die Logik meiner Vermutung bestätigte, atmete ich er leichtert auf. Es war mein Glück, daß die Bewohner Wolterhavens keine Maschinen im eigentlichen Sinne des Wortes waren. Dann nämlich hätte der Herr Merpaux mein Spiel sofort durchschauen müssen. Aber schon die Unterscheidung in Diener und Handlanger, in würdige, fleißige und nim mermüde Arbeiter und was es dergleichen mehr gab, war ein deutlicher Hinweis darauf, daß die Roboter und ihre Herren überaus menschliche Zü ge trugen. Sie entwickelten einen manchmal beängstigenden Ehrgeiz und waren gleichzeitig neidisch auf andere, die mehr Kugeln und eine größere Dienerschar besaßen. Kurz, jedem von ihnen konnte man nachsagen, er sei frustriert. »Ich bin überzeugt«, fuhr ich fort, »daß dir bald wieder etwas zustößt. Du mußt dich dagegen zur Wehr setzen, bevor sie einen Grund finden, dich abzuschalten.« »Was soll ich tun, Leenia? Ich bin zu schwach, um wirklich etwas un ternehmen zu können.« »Aber du hast mich«, sagte ich. »Schließen wir ein Abkommen, uns ge genseitig beizustehen. Du hilfst mir, alle benötigten Informationen zusam menzutragen, und ich sorge dann dafür, daß die früheren Zustände wieder hergestellt werden.« Das war nicht einmal gelogen, denn mir lag viel daran, daß Pthor nicht eines Tages von einer Horde unberechenbar gewordener Roboter über schwemmt wurde. Der Handlanger, sein Name war übrigens Quabs, führte mich auf Schleichwegen zur tiefergelegenen Kuppel des Herrn Merpaux. Allein und ohne seine Hilfe hätte ich diese Wege nie gehen können. Das war wohl auch der Grund, weshalb uns keine Roboter begegneten. Sie suchten mich anderswo. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen. Obwohl kaum Wolken am Himmel standen, zeigte sich nicht ein einziger Stern. Die paar größeren Lichtpunkte, die in schnellem Lauf über das Firmament zogen, mochten Dimensionsfahrstühle sein, ähnlich unserem Pthor. Der Herr Merpaux konnte mir kein Quartier zuweisen, er verfügte nicht einmal über die einfachsten Mittel, um es mir bequem zu machen. Notge drungen mußte ich mit dem nackten Boden vorlieb nehmen. Aber ich war müde und erschöpft und deshalb schon mit einem Dach über den Kopf zu frieden und der Gewißheit, ohne Furcht schlafen zu können.
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Der Geruch von Kromyat und frischem Obst weckte mich, als die Son ne bereits hoch über der großen Barriere von Oth stand. Quabs hatte eine Schüssel mit allerlei Früchten neben mir abgestellt und war gerade im Be griff, sich leise zu entfernen. Als ich mich räusperte, wirbelte er mit knackenden Gelenken herum. »Ich wollte dich nicht wecken«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Das hast du auch nicht. Vielen Dank für das Frühstück. Ich hoffe, es hat niemand bemerkt.« »Sei unbesorgt«, erwiderte der Herr Merpaux selbst, dessen erste Kugel keine drei Meter von mir entfernt lag. »In den oberen Regionen der Stadt tragen die Diener des Herrn Moonkay große Mengen an Lebensmittel zu sammen. Das Verschwinden einer derart kleinen Ration fällt nicht auf.« »Lebensmittel?« fragte ich irritiert. »Für wen? Außer mir hält sich nie mand in der Stadt auf, der pflanzlicher oder tierischer Nahrung bedürfte. Oder weißt du mehr darüber?« Der Herr Merpaux verneinte. »Es mag sein«, gab er dann aber zu bedenken, »daß die verschiedenen Umbauten damit im Zusammenhang stehen.« Diese Aussage deckt sich in etwa mit meinen eigenen Vermutungen. Nach allem, was ich bisher über die sogenannte Vorschrift der Vollkom menheit hatte herausfinden können, war ich zunächst einmal versucht ge wesen anzunehmen, daß es sich dabei um eine regelrechte Pseudoreligion handelte, der die Robotbürger huldigten und deren Auswirkungen biswei len wie ein beinahe schon pathologischer Hang zu einem statischen Leben wirkten. In Wirklichkeit aber war diese Vorschrift nichts anderes als ein geschickt verbrämtes Verbot, irgend etwas an der Stadt Wolterhaven zu verändern. Nur hatte ich selbst gesehen, daß inzwischen mit verschiedenen Arbei ten begonnen worden war. »Wer hat die Umbauten veranlaßt?« fragte ich den Herrn Merpaux. »Und was bezweckt man damit?« Der Bürger schwieg sich aus. »Weißt du es nicht?« bohrte ich nach einer Weile weiter. »Oder willst du es mir nicht sagen? Die Tatsache, daß die anderen sich nicht mehr an die Erfordernisse der Vorschrift halten und im Begriff sind, Wolterhaven in ihrem Sinne umzugestalten, sollte dir beweisen, wie es um sie bestellt ist.« »Es gibt kaum noch Zweifel daran, daß wir beide die einzigen vollkom menen Geschöpfe in dieser Stadt sind«, sagte der Herr Merpaux. »Aber gerade deshalb schäme ich mich. Über all den Schicksalsschlägen, die mein Ansehen innerhalb der Gemeinschaft minderten, vergaß ich nämlich den Befehl, den wir Bürger erhalten haben.«
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»Von wem?« wollte ich wissen. »Von außerhalb der Stadt. Mehr kann ich dir leider nicht sagen, denn nur der Herr Moonkay hörte ihn und gab ihn schließlich weiter.« »Und was wurde verlangt?« »Die Arbeiter sollen neue Verbindungen zu Plattformen herstellen, die bisher nur auf Umwegen erreichbar waren. Außerdem sind in den oberen Regionen in der Nähe des Großbürgers Bauten zu errichten, die später der Unterbringung organischer Wesen dienen werden – und Wolterhaven ist von allem Unvollkommenen zu säubern.« Zumindest das erste war ein völlig neuer Aspekt, der zu denken gab. Immerhin wurden gleichzeitig große Vorräte an Lebensmittel angelegt. Bedeutete das nicht, daß schon in absehbarer Zeit Besucher eintreffen würden, vielleicht bereits in den nächsten Tagen? Ich fragte den Herrn Merpaux danach. »Mir ist nichts dergleichen bekannt«, antwortete er. »Ausschließen kann ich diese Möglichkeit jedoch nicht. Niemand weiß, was der Dunkle Oheim plant.« Die Erwähnung des Herrschers über die Schwarze Galaxis ließ mich frösteln. »Was weißt du von ihm? Wie sieht er aus, welche Macht besitzt er wirklich?« »Darauf könnte dir auch der Großbürger keine Auskunft geben, Leenia. Mir ist lediglich bekannt, daß der Dunkle Oheim in unserer Nähe weilt.« Schlagartig bekam vieles einen Sinn, was mir bisher unverständlich er schienen war. Wenn dieses meistgehaßte und meistgefürchtete Wesen ei ner ganzen Galaxis seine Hand im Spiel hatte, mußte es sich um eine Sa che handeln, die über Leben und Tod vieler entscheiden konnte. Dann ging es nicht mehr nur darum, daß ich aus irgendwelchen Grün den Wolterhaven verlassen sollte, sondern dann braute sich etwas zusam men, das für Pthor zum Verhängnis werden würde. Wie hatte es geschehen können, daß er Leenia aus den Augen verlor? Eine kurze Berechnung bestätigte dem Herrn Moonkay seine Vermutung, daß sie sich noch immer innerhalb der Stadt befand. Damit war die Frau nicht nur lästig, sie wurde auch zur nicht zu unterschätzenden Gefahr. Der Herr Moonkay zögerte aus verständlichen Gründen, die anderen Bürger zu unterrichten. Einerseits hätte er mit einer solchen Handlung ein gestanden, Fehler gemacht zu haben, zum anderen hätte dies zweifelsohne seinen Nimbus der Unfehlbarkeit beeinträchtigt. Die Frau konnte sich ohnehin nicht lange verborgen halten. Hunger und Durst würden sie aus ihrem Versteck treiben, falls die Dienerschar sie nicht schon in Kürze aufspürte. Der Großbürger glaubte, alles getan zu haben, was in diesem Fall zu tun
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war. Er stellte die Kapazität von zehn Kugeln für die Suche nach Leenia ab, die anderen siebzehn erfüllten weiterhin ihre alltägliche Tätigkeit. Es gab viel zu überwachen, seit der Dunkle Oheim sich überraschend gemeldet hatte. Pthor mußte bereit sein für seinen Gast. In diesem Zusammenhang erinnerte sich der Herr Moonkay an die Zer störungen, die einige Handlanger angerichtet hatten. Allein der Gedanke an die grauen Flächen erfüllte ihn mit Zorn. Zu allem Überfluß berichtete einer seiner würdigen Arbeiter, daß niemand sich der beschädigten Gebäu de annahm, die ein Schandfleck waren. Der Großbürger rief daraufhin den Herrn Merpaux an und beschuldigte ihn der Unvollkommenheit. In der Wahl seiner Worte ließ er sich von der allgemeinen Hektik leiten, die nichts anderes war als ein Ausdruck der be vorstehenden Ereignisse. »Du bist unfähig«, beschuldigte er den geringen Bürger. »Man wird dich verschrotten und aus dem Metall deiner fünf Kugeln minderwertige Handlanger herstellen.« Der Herr Merpaux versuchte einen Einwand, der seiner Meinung nach berechtigt war. »Schweig!« kam ein besonders intensiver Impuls. »Für deinen Fehler gibt es keine Entschuldigung. Sieh zu, daß du das Übel aus der Welt schaffst.« Deshalb verzichtete der Herr Merpaux darauf, die Fragen zu stellen, die etliche seiner Schaltkreise belasteten. Zweifellos hätten sie sich nachteilig ausgewirkt, denn das Verhalten des Großbürgers war anders geworden – härter und unnachsichtig. »Du weißt, daß ich nur über wenige Arbeiter verfüge, und auch die Zahl meiner Handlanger ist begrenzt, so daß etliche Tage vergehen werden, bis alle Schäden beseitigt sind.« »So lange können wir nicht warten!« »Wenn ich …« »Der Herr Leodagan wird dir einhundert seiner Diener zur Verfügung stellen. Sie unterstehen aber nach wie vor seiner Kontrolle. Bis wann glaubst du, die Arbeiten erledigen zu können?« »Ich müßte wissen, wie tief die Säure eingedrungen ist, um einen ge nauen Zeitraum zu berechnen …« »Du bist wirklich unfähig!« ließ der Großbürger vernehmen, dann un terbrach er die Verbindung. Funkensprühend fraßen sich die Laser in zentimeterdicken Stahl. Weißglü hendes, verflüssigtes Metall wurde abgesaugt, um keine neuen Schäden entstehen zu lassen. Eine hektische Betriebsamkeit herrschte. Insgesamt waren fast zweihundert Roboter damit beschäftigt, jeweils mehrere Qua dratmeter große Platten aus den unansehnlich gewordenen Gebäuden her
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auszuschneiden und zu ersetzen. Ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Die einen schafften un brauchbare Elemente in die Schmelzöfen, die anderen schwebten mit neu en heran und paßten sie ein. Der Herr Merpaux hatte wirklich viel zu tun, um die Übersicht nicht zu verlieren. Er war es nicht gewohnt, und es überstieg beinahe seine Kapazi tät, eine solche Anzahl von Dienern zu koordinieren. Anfangs war er dem Quorkmeister sogar dankbar, daß dieser seine Handlanger selbst kontrol lierte, dann kamen ihm aber Bedenken, der Herr Leodagan wolle das Lob für die schnelle und präzise Arbeit selbst einstecken und ihn nicht daran teilhaben lassen. Die Roboter waren unermüdlich – bis, ja, bis zu jenem Vorfall, der den Herrn Merpaux dazu veranlaßte, seine würdigen Arbeiter und die Hälfte der Handlanger sofort zurückzuziehen. Das Unglück ereignete sich, als nur noch die unteren Platten einer turm ähnlichen Ortungsanlage auszutauschen waren. Einem würdigen Arbeiter des Herrn Merpaux fiel auf, daß Handlanger des Quorkmeisters die Laser zu weit auf unbeschädigte Segmente richteten, und er gab einen kurzen Impuls ab, um sie zur Ordnung zu rufen. Indes ließen die Diener sein Ansinnen unbeachtet und fuhren eifrig in ihrer unsinnigen Tätigkeit fort. Um sie herum entstand eine rasch größer werdende Lache geschmolzenen Metalls. Als der würdige Arbeiter sich ihnen näherte, erkannte er, weshalb sie seinen drängenden Befehl nicht befolgten. Durch irgendeine Unvorsichtig keit waren ihre Eingangsverstärker für den gesamten Funkverkehr abge knickt worden. Zum Glück bedurfte es nur weniger Handgriffe, um diese Störung zu beheben. In dem Augenblick, als der Arbeiter den beiden Handlangern bis auf zwei Meter nahegekommen war, löste sich die Stahlplatte aus ihren Veran kerungen. Niemand hatte erkannt, daß die Säure an mehreren Stellen tiefer eingedrungen war als berechnet und dadurch die Stabilität dieses Seg ments gefährdet wurde. Der Roboter zuckte zurück, als er über sich ein durchdringendes Krei schen vernahm. Doch jede Reaktion kam zu spät. Die tonnenschwere Plat te begrub ihn unter sich, bevor er den Gefahrenbereich verlassen konnte. Nur eine Weile widerstand der würdige Arbeiter dem auf ihm lastenden Druck. In dieser kurzen Zeitspanne sah er die Handlanger des Herrn Leod agan ihre Laser abschalten. Sie trafen keinerlei Anstalten, ihm zu helfen. Dann verging er in der Explosion seiner beschädigten Energiespeicher.
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8.
Der Roboter hatte gerade zu einer Erklärung angesetzt, als er mitten im Satz abbrach. Die unheilvolle Stille, die nun in der Kuppel Einzug hielt, ließ mich das Schlimmste ahnen. Ich wagte es nicht, von mir aus das Wort zu ergreifen, aber siehe da, der Herr Merpaux wurde nach wenigen Minu ten von selbst wieder gesprächig. »Ich wollte dir nicht glauben, Leenia«, sagte er, »als du von weiterem Unheil sprachst. Jetzt ist es zu spät dazu, und diese Gewißheit bedeutet einen sehr schweren Verlust für mich, denn von den vier würdigen Arbei tern, über die ich verfüge, erlitt einer Totalschaden.« Ich fragte ihn, was geschehen sei, und ob der Herr Moonkay ihm offen seine Feindseligkeit zu erkennen gegeben habe. »Der Großbürger war nicht direkt beteiligt«, erwiderte er mit gedämpf ter Stimme. »Die Schuld trifft den Quorkmeister. Durch zwei seiner Hand langer hat er meinen würdigen Arbeiter in eine Falle locken lassen, um ihn auf niederträchtige Weise zu zerschmettern. Aber das werde ich ihm nicht vergessen, nicht diese hinterhältige Gemeinheit.« »Das Ende deines Dieners ist bedauerlich«, begann ich, wurde jedoch sofort unterbrochen. »Bedauerlich …?« brauste der Herr Merpaux auf. »Es ist infam. Ich hät te wirklich eher auf dich hören sollen, anstatt mich von Berechnungen lei ten zu lassen. Aber du mußt verstehen, daß ich dir, einer Fremden, kein großes Vertrauen schenken durfte. Was weißt du schon über die Vorschrift der Vollkommenheit.« »Und jetzt«, fragte ich, »ist das anders?« »Ich glaube dir, Leenia.« Insgeheim triumphierte ich. Meiner Meinung nach hatte der Herr Mer paux seinen würdigen Arbeiter durch einen Unfall verloren, den niemand verhindern konnte – er sah es anders, und das brachte mir nur Vorteile. Endlich war er wirklich davon überzeugt, daß die übrigen Bürger es mit der Vorschrift der Vollkommenheit nicht mehr genau nahmen, und daß sie in ihm den lästigen Außenseiter sahen. Je mehr Vertrauen er zu mir faßte, desto eher würde ich hinter die Ge heimnisse von Wolterhaven kommen. Die Erwähnung des Dunklen Oheims hatte mich mißtrauisch werden lassen. Inzwischen war ich davon überzeugt, daß der Herrscher der Schwarzen Galaxis höchstpersönlich da für gesorgt hatte, daß die Robotzivilisation in Pthor ansässig wurde. Wahr scheinlich existierten auch auf anderen Dimensionsfahrstühlen vergleich bare Einrichtungen. Immerhin gewährleisteten die Roboter mit ihren enor men Rechenkapazitäten eine hervorragende Kontrolle über die Welten
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fragmente und deren Bewegungen innerhalb verschiedener Raum Zeit-Kontinua. Diese Vermutung paßte zu dem, was ich bereits wußte. Schließlich hat ten die Bewohner der Höheren Welten mir ihre Kenntnisse vermittelt, be vor ich an Bord eines Dimensionsfahrstuhls in die Schwarze Galaxis ein geschleust wurde. Früher dienten diese Planetenfragmente unzweifelhaft positiven Zwecken, aber der Dunkle Oheim hatte eine Reihe von Sicher heitsmaßnahmen getroffen, um zu verhindern, daß sie ihre ehemalige Tä tigkeit wieder aufnehmen konnten. Zu diesen Vorkehrungen gehörten zweifellos die einstigen Herren der FESTUNG und, wie sich allmählich herausstellte, die Robotbürger von Wolterhaven. Leider hatte ich keine Ahnung, wer die Dimensionsfahrstühle geschaffen hatte und zu welchem Zweck. Möglicherweise hätte mich dies einen entscheidenden Schritt wei terbringen können. Das einzige Erbe jener geheimnisvollen, unbekannten Macht schien die Seele von Pthor zu sein, der es ohne die Kontrolle durch die Roboter und die FESTUNG wohl längst gelungen wäre, sich aus dem Bann des Dunklen Oheims und der Neffen zu lösen und das Weltenfragment seiner wirklichen Bestimmung zuzuführen. Ursprünglich hatte ich mich nur deshalb mit dem Herrn Merpaux be schäftigt, weil ich von ihm zu erfahren hoffte, warum ich in Wolterhaven plötzlich unerwünscht war. Wie es aussah, lagen die Dinge nun völlig an ders. Nachdem ich wußte, daß in irgendeiner Weise der Herrscher der Schwarzen Galaxis hinter allem steckte, war ich gezwungen, mit größter Vorsicht zu Werke gehen. Der Herr Merpaux und die anderen Bürger begegneten sich inzwischen mit einem gesunden Mißtrauen. Mein Hauptanliegen mußte es sein, diese Kluft zu vergrößern. Nur wenn es mir gelang, die Roboter gegeneinander auszuspielen, durfte ich mich halbwegs sicher fühlen. Irgendwie mußte ich meinem Gastgeber klarmachen, daß der Großbürger, der Quorkmeister und wie sie alle hießen, nicht mehr Herr ihres eigenen Willens waren und deshalb immer häufiger gegen die Vorschrift verstoßen würden. Daß eine solche Beeinflussung tatsächlich möglich war, bewiesen zwei Ereignisse in jüngster Vergangenheit. Zum einen hatte der VONTHARAAlarm eine totale Verwirrung bei den Robotern hervorgerufen und sie jeg licher Kontrolle entgleiten lassen, zum anderen hatte ich selbst erlebt, wie mehrere Diener beim Anblick des Illusionssteins außer Rand und Band ge rieten. In aller Bescheidenheit erlaubte ich mir, den Herrn Merpaux auf diese beiden Fälle hinzuweisen. Zu meiner Überraschung ging er sofort darauf ein. »Ich verfolgte bereits ähnliche Gedanken«, ließ er mich wissen. »Als
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Atlan zum erstenmal in unsere Stadt kam, brachte er die Illusionssteine mit, und ich wurde eines ihrer Opfer. Alles versank damals in einem Freu dentaumel. Die von uns, die der Verlockung nicht unmittelbar teilhaftig werden konnten, fielen ihr über den Kommunikationsverbund anheim.« »Vor kurzem hat abermals eine Beeinflussung stattgefunden«, sagte ich. »Nur sind deren Auswirkungen nicht ohne weiteres erkennbar, und du scheinst als einziger dagegen immun zu sein.« Es hatte mich einige Mühe gekostet und meiner ganzen Überredungskün ste bedurft, bis der Herr Merpaux sich endlich bereitfand, mir einen seiner würdigen Arbeiter zur Verfügung zu stellen. Denn mit der Zeit kam ich mir im Innern der Kuppel abgeschnitten vor. Ich mußte ganz einfach hin aus und mit eigenen Augen sehen, was geschah. Auf Schleichpfaden hoff te ich, bis zu den oberen Plattformen zu gelangen. Freist – das war der Roboter, der mich begleitete – wich nicht von mei ner Seite. Anscheinend hatte sein Herr ihm entsprechende Befehle erteilt. Wir kamen schnell voran und blieben unbehelligt. Auch konnte ich nichts Außergewöhnliches feststellen. »Wir müssen höher hinauf«, sagte Freist. »Die Ortungen beweisen, daß in verschiedenen Regionen gearbeitet wird.« Der Himmel über Wolterhaven erstrahlte in einem eintönigen Grau. Die Sonne schien viel von ihrer Kraft verloren zu haben. Ich fröstelte. Gele gentlich zuckte ein Aufblitzen über das Firmament, wie fernes Wetter leuchten. Auf dem Rücken meines Begleiters schwebte ich zur nächsten Platt form. Dann allerdings verließ ich mich lieber wieder auf meine eigenen Beine, da Freists zwangsläufig erhöhter Energieverbrauch die Gefahr, ent deckt zu werden, vergrößerte. Selbstverständlich hielten wir uns abseits der großen Gebäude und ver mieden es erst recht, einzelnen Robotbürgern zu nahe zu kommen. Schließlich konnte ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen, daß der Herr Merpaux nicht zuviel behauptet hatte. Ein Heer von unermüdli chen Arbeitern war damit beschäftigt, neue Bauten zu errichten und andere zu verändern. Spiralförmige Rampen schraubten sich zwischen den einzel nen Ebenen in die Höhe, breit genug, daß auf ihnen sogar Ochsenfuhrwer ke Platz hatten. Die Gebäude ähnelten den überall vorhandenen Kuppeln, waren jedoch kleiner als diese und wirkten ganz so, als entstünden in ihrem Innern Apartments, wie ich sie bereits kannte. »Wir müssen näher heran«, forderte ich Freist auf. Zum erstenmal seit unserem Aufbruch zögerte er. Ich gewann den Ein druck, daß er erst bei seinem Herrn Rücksprache hielt.
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Dann nickte der Roboter. »Aber nur bis zu jener Lagerhalle.« Er meinte die würfelförmige Konstruktion, die etwa sechshundert Meter von uns entfernt war. Langsam begann ich mich über meinen eigenen Mut zu wundern. War es nicht besser, zur FESTUNG zu fliehen und das zu überbringen, was ich bisher wußte, als alles auf eine Karte zu setzen? »Keinen Schritt weiter, Leenia«, raunte Freist mir plötzlich zu und hielt mich zurück. Dabei deutete er auf die Wand neben uns. Ich mußte schon genau hinsehen, um die winzige Apparatur zu ent decken, die kaum einen Zentimeter hervorstand. »Ein Sensor«, klärte mein Begleiter mich auf. »Er reagiert auf die An näherung von Lebewesen, nicht hingegen auf uns Roboter.« »Was geschieht, wenn ich daran vorbeigehe?« wollte ich wissen. Freist schien zu grinsen. »Du würdest nicht sehr weit kommen«, erklärte er. »Spätestens nach zehn Sekunden wären sie hinter dir her.« »Gibt es diese … diese Geräte überall in der Stadt?« »Wo denkest du hin. Der Aufwand wäre viel zu groß, und außerdem ha ben wir nur sehr selten Gäste in Wolterhaven. Und Gäste braucht man nicht zu überwachen, sie können sich frei bewegen.« Das ist wahr, dachte ich. Der Sensor diente also nur dazu, mich aufzuspüren. Immerhin mußte es für den Herrn Moonkay so aussehen, als sei ich spurlos verschwunden, falls er nicht über kurz oder lang von selbst darauf kam, wer mir Unter schlupf gewährte. »Links von uns«, sagte Freist, »in einem Abstand von fünfzig Metern ist der nächste. Meine Ortungen sind zu schwach, um Genaueres feststellen zu können, aber ich glaube, sie verlaufen in gerader Linie weiter.« Die Halle, die sich in einiger Entfernung in der betreffenden Richtung erhob, war mir in unangenehmer Erinnerung. Dort hinein hatte ich mich während des Gewitters geflüchtet und war schließlich von Dienern des Großbürgers aufgespürt worden. »Es sieht so aus, als wolle man dich von jenem Sektor fernhalten.« Freist mochte seine Gründe für diese Behauptung haben. Ich kam nicht mehr dazu, ihn zu fragen, weil er mich unvermittelt um die Taille packte und mit mir zusammen vom Boden abhob. Mit irrsinniger Beschleunigung schoß er nach Süden. Ich bekam kaum Luft, war hilflos zwischen seinen Armen eingeklemmt. »Sie haben uns bemerkt«, raunte der würdige Arbeiter mir zu. Wir rasten über den Rand der Plattform hinaus und fielen der nächsten entgegen. Kurz bevor wir erneut in den Schatten einer Halle eintauchten,
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entdeckte ich die Verfolger. Sie schwebten hoch über uns und stürzten sich in der Manier beutehungriger Raubvögel herab. Mir war klar, daß wir ihnen nicht entkommen konnten. Ich schloß die Augen. Nur einmal noch, dachte ich, ein einziges Mal die Kraft besitzen, die Roboter zu zerstören. Aber ich versagte kläglich. Was Freist sagte, riß mich aus der beginnenden Lethargie. »Wir schaffen es nicht, Leenia. Ich muß sie aufhalten, oder der Herr Merpaux sieht uns beide nicht wieder.« »Und was wird aus mir?« »Du kennst den Weg zurück; niemand wird dort nach dir suchen. Aber du mußt dich beeilen, sonst ist deine Chance vertan.« Damit gab er mich frei, und ich lief so schnell ich konnte weiter, ohne mich auch nur ein einziges Mal umzudrehen. Eine Rampe führte schräg hinab ins Innere der Plattform. Ich hatte ihr Ende noch nicht erreicht, als hinter mir die Geräusche von Strahlschüssen laut wurden. Mir war klar, daß ich Freist nie wiedersehen würde. Mit ihm verlor der Herr Merpaux seinen zweiten würdigen Arbeiter innerhalb weniger Stun den. Der Verlust mußte ihn schwerer treffen, als ich es mir vorzustellen vermochte. Während ich durch düstere, schlecht belüftete Gänge eilte, beschäftigte mich nur ein einziger Gedanke: Hatte Freist sich aus eigenem Antrieb ge opfert, oder war ihm dies von seinem Herrn befohlen worden? Ich kam mir plötzlich schäbig vor, daß ich das Vertrauen des Bürgers derart miß brauchte. Allein das Geräusch arbeitender Maschinen begleitete mich. Manchmal blieb ich stehen und wandte mich um und lauschte. Aber niemand folgte mir. Völlig unverhofft, als wäre er aus dem Boden hervorgewachsen, stand ein Handlanger vor mir. Im ersten Schreck wollte ich ihn mit bloßen Fäu sten angreifen … »Ich bin Quabs«, krächzte er. Nie zuvor hatte ich einen Roboter so gerne gesehen, wie in diesem Au genblick. »Sie sind allesamt verrückt geworden«, sagte der Herr Merpaux und mein te damit seine Mitbürger. »Wie können sie es wagen, einen würdigen Ar beiter zu vernichten?« Ich zuckte mit den Schultern – was hätte ich ihm auch antworten sollen. »Du hattest keinen Erfolg«, stellte er fest. »Wie man es nimmt. Ich habe vieles gesehen, was mir fremd war, aber leider nichts über die Beweggründe herausfinden können. Man müßte es ein zweitesmal versuchen. Gibt es einen anderen Weg, um ungesehen bis
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an das abgesicherte Gebiet gelangen zu können?« »Man kann von Osten her auf die fragliche Plattform vordringen, ohne bemerkt zu werden. In diesem Fall hättest du mehrere Gebäude zwischen dir und den Arbeitern. Allerdings verstehe ich nicht, weshalb du dich er neut in Gefahr begeben willst.« »Es geht um uns beide«, log ich. »Aber ich kann es nur mit deiner Hilfe schaffen. Wenn du sie mir verweigerst, müssen wir die Unvollkommenen gewähren lassen.« »Vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit …« »Dann nenne sie mir!« »Es bedürfte umfangreicher Berechnungen, die nicht innerhalb kürze ster Zeit durchzuführen sind.« »Niemand vermag zu sagen, was bis dahin geschehen ist. Ich bitte dich nur um zwei deiner Diener …« »Abgelehnt!« unterbrach der Herr Merpaux schroff. »Das Risiko ist zu groß. Doch – warte, Leenia, ich empfange soeben einen Anruf des Groß bürgers.« Ohne daß ich ihn dazu auffordern mußte, ließ er mich an dem Gespräch teilhaben. »… haben wir herausgefunden, daß es einer deiner Diener war, der zer stört wurde. Wir schließen daraus, daß du das Wesen Leenia verbirgst. Sie stört die Vorschrift der Vollkommenheit, deshalb verlange ich, daß du sie auf der Stelle auslieferst.« »Warum sollte ich das tun?« »Ich sagte es bereits: Sie stört die Voll …« »Nein!« »Sei vernünftig, Merpaux, sonst muß ich annehmen, daß du dich gegen die Gemeinschaft stellst.« »Du redest irre, Moonkay.« Ein vernehmliches Knacken zeigte an, daß der Herr Merpaux die Verbindung unterbrochen hatte. »Zwei Diener werden dich begleiten«, sagte er dann zu mir. »Aber ich bitte dich, jede Gefahr zu meiden.« Das Versprechen konnte ich ihm geben. Mein Ziel stand ohnehin fest, und ich wußte in etwa, was mich erwartete. Eine knappe halbe Stunde später befand ich mich in der Nähe der be treffenden Lagerhalle. Wider Erwarten war es bisher zu keinen neuen Zwi schenfällen gekommen. Vorerst beschränkte ich mich aufs Beobachten. Nichts Verdächtiges zeigte sich. Unter diesen Umständen schien es angebracht, weiter vorzudringen. Gerade wollte ich den Befehl dazu geben, als ich die Roboter sah, die sich aus verschiedenen Richtungen näherten. Ihre Zahl konnte ich nur schätzen. Es mochten fünfzig sein, vielleicht auch sechzig oder mehr.
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»Der Herr Moonkay meldet sich wieder«, sagte einer meiner Begleiter. »Er fordert dich letztmals auf, umgehend die Stadt zu verlassen. Andern falls steht dein Leben auf dem Spiel.« Was sollte ich tun? Ein ungezielter Strahlschuß, der sich hoch über un seren Köpfen verlor, bewies mir, daß der Großbürger es ernst meinte. Jetzt galt es keine Zeit mehr zu verlieren, und auf die Gefühle des Herrn Mer paux konnte ich schon gar keine Rücksicht nehmen. Bevor ich dessen schützende Kuppel erreichte, verging ein weiterer sei ner würdigen Arbeiter in einem Feuerball. Ich zweifelte nicht daran, daß der tödliche Schuß mir gegolten hatte. »Wurden in den letzten Tagen Berechnungen in fremdem Auftrag durchgeführt, und welchen Inhalt hatten sie?« platzte ich heraus. Der Herr Merpaux schien nichts von der Hektik zu spüren, die mich er faßt hatte. Um es mit den Worten auszudrücken, die Atlan in dieser Situa tion gebraucht hätte: Mir brannte die Zeit auf den Nägeln. »Warum willst du das wissen?« ließ sich der Robotbürger vernehmen. »Die Beantwortung dieser Frage hat nichts mit der Befolgung der Vor schrift der Vollkommenheit zu tun.« »Vielleicht doch! Vergiß nicht, daß der Herr Moonkay und all die ande ren einem verhängnisvollen Einfluß unterliegen. Seit wann ist das so?« »Der Zeitpunkt läßt sich nicht genau bestimmen.« »Aber sicher ungefähr. Traten die ersten Anzeichen einer Veränderung nicht kurz nach Beendigung des Rechenverbunds auf? Oder wie war das mit deinen Handlangern?« Der Herr Merpaux schwieg. Ich hingegen wurde zunehmend nervöser. Jeden Augenblick konnte ei ne Armee von Blechkästen hereinstürzen und sämtliche Bemühungen zu nichte machen. Endlich zeigte ein kaum hörbares Knacken an, daß der Bürger den Vor gang des Nachdenkens abgeschlossen hatte und seine akustische Verstän digungsbereitschaft wieder gegeben war. »Du irrst, Leenia, denn der Dunkle Oheim kann mit den Vorfällen nichts zu tun haben.« »Für ihn habt ihr Berechnungen angestellt?« »Ich sagte die bereits, daß der Herr Moonkay den Befehl vernahm. An geblich kam dieser unmittelbar vom Oheim selbst.« »Worum ging es dabei? Du mußt es mich wissen lassen, Merpaux, an dernfalls kann es schon bald zu spät sein.« Erneut zögerte er. Und ausgerechnet jetzt mußte sich der Großbürger melden. Aber dann war ich sogar froh, daß dem so war, denn es stellte sich heraus, daß die Roboter nicht davor zurückschrecken würden, die Kuppel des Herrn Merpaux zu zerstören und damit ihn selbst der Gefahr der Ver
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nichtung auszusetzen. Das Ultimatum war auf den Ablauf von zehn Minuten befristet. »Verstehst du nun?« drängte ich. Dabei war die Gefahr für mich größer als für ihn. Durfte ich mich überhaupt der trügerischen Hoffnung hinge ben, Wolterhaven jemals lebend zu verlassen? Ich wußte es nicht, und zum Glück interessierte es mich in diesem Augenblick auch herzlich wenig. Ich wollte die Information, um die sich alles drehte. Erst wenn ich sie hatte, war es an der Zeit, mich um meine eigene Sicherheit zu sorgen. Insgeheim rechnete ich damit, daß der Herr Moonkay doch Gnade vor Recht ergehen ließ und sich zufrieden gab, wenn ich Wolterhaven umge hend den Rücken kehrte. Was hätte ihm mein Tod genützt? Aber dann erfuhr ich, welcher Art die Berechnungen gewesen waren und begriff schlagartig, was sich daraus entwickeln konnte. Es war unge heuerlich. Das Entsetzen würde nach den Bewohnern von Pthor greifen und ihnen unzählige Verluste abverlangen. Außerdem mußte es zu Konfrontationen mit den Bewohnern der benachbarten Dimensionsfahrstühle kommen, denn zwischen Wolterhaven und den Robotzivilisationen dieser Welten fragmente hatte bereits ein ausführlicher Informationsaustausch stattgefun den. Ein dröhnender Schlag hallte durch die Kuppel des Herrn Merpaux – der Boden unter meinen Füßen erbebte. Ich war mir klar darüber, was das bedeutete. Der Großbürger hatte endgültig die Geduld verloren und den Angriff befohlen. Ich hatte viel gewagt und alles verloren. Jetzt erst bemerkte ich, daß ich zitterte; meine Zuversicht war nur Fassade gewesen, mit der ich mich selbst getäuscht hatte. »Sie werden uns vernichten«, sagte der Herr Merpaux leise. »Das ist der endgültige Beweis dafür, daß sie anders sind.« Der Donner mehrerer kurz hintereinander erfolgender Explosionen hall te über die Plattform. »Sie töten meine Handlanger. Aber auch ich werde sterben, einsam und mit der Befürchtung, daß es nie wieder eine Vollkommenheit geben wird.« Konnte ein Roboter einsam sein? Irgendwie tat er mir leid. Vielleicht, weil ich ebenfalls am Ende war. Ja, schrie ich in Gedanken, ich habe Angst. Indes ging es mir nicht ein mal so sehr um meine körperliche Existenz als vielmehr um die Katastro phe, die über Pthor hereinbrechen würde. »Du mußt fliehen, Leenia!« Erst als der Herr Merpaux seine Forderung wiederholte, reagierte ich. Unmittelbar vor dem Trog mit den fünf silbernen Kugeln öffnete sich der Boden.
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»Schnell, bevor die Angreifer eindringen und dich finden.« Eine dunkle Tiefe gähnte mir entgegen. Ich konnte nicht viel erkennen, nur, daß vier oder fünf Meter unter mir der Boden lag und eine eiserne Leiter hinabführte. »Beile dich!« drängte der Bürger. »Wenn du der Leuchtmarkierung folgst, gelangst du in einen der Stützpfeiler, auf denen die Stadt ruht. Kei ner wird dich dort vermuten.« »Danke«, murmelte ich. Dabei hätte ich noch so vieles sagen wollen, aber mir fehlten ganz einfach die Worte. Stille umfing mich, als ich das Innere der Plattform hinabstieg. Und schließlich wurde es fast völlig dunkel um mich herum. Nur die in regel mäßigen Abständen angebrachten Leuchtmarkierungen verbreiteten einen fahlen Schimmer. Ich dachte an den Herrn Merpaux und fragte mich, ob er seinen Irrtum rechtzeitig einsehen würde. Irgendwie war er mir ans Herz gewachsen.
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Epilog
Der Herr Moonkay, der größte und mächtigste aller Robotbürger sprach: »Ich befahl euch, das Gesetz der Vollkommenheit zu achten. Aber was ist geschehen? Sind wir nicht einmal mehr fähig, das Unvollkommene in Wolterhaven zu tilgen?« Seine Worte klangen hart und unwirsch und riefen Bestürzung unter den Bürgern hervor. »Wo ist sie?« Niemand wußte es. Fleißige Arbeiter hatten den Eingang zur Kuppel des Herrn Merpaux aufgesprengt, Leenia jedoch nicht gefunden. Sie war spurlos verschwun den, schien sich in Luft aufgelöst zu haben. »Bringt diesen Merpaux zur Vernunft!« forderte der Großbürger. »Nur er kann uns sagen, wohin sie geflohen ist. Und dann sucht sie und bringt sie zurück!«
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Weiter geht es in Atlan Band 489 von König von Atlantis mit: Verschwörung der Roboter von Hubert Haensel
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