Atlantis Das Buch der Götter Holger Grandpair
'Atlantis - Das Buch der Götter' von
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Atlantis Das Buch der Götter Holger Grandpair
'Atlantis - Das Buch der Götter' von
Holger Grandpair Ein kostenloser Science Fiction Roman von www.WARP-online.de, dem Fantastik Magazin. Alle Rechte der Geschichten und Bilder verbleiben bei den jeweiligen Autoren und Künstlern.
Atlantis - Das Buch der Götter Copyright 2003 WARP-online Herausgeber: www.WARP-online.de Satz und Layout: Bernd Timm Alle Texte und Bilder sind bereits jeweils einzeln bei www.WARP-online.de erschienen und zur Veröffentlichung durch WARP-online freigegeben. Die Magazin-Reihe ist eine Sammlung von Beiträgen, die zusätzlichen Kreis interessierter Leser anspricht und die Namen der Autoren und Künstler bekannter macht. Weder das Fehlen noch das Vorhandensein von Warenzeichenkennzeichnungen berührt die Rechtslage eingetragener Warenzeichnungen.
1000 Seiten Fantastik www.WARP-online.de bringt das ganze Spektrum der Fantastik: Bilder, Geschichten, Artikel, Projekte, Reportagen, Interviews, Wissenschaft, Comic, Kostüme, SF-Kabarett, Lyrik, Film-& TV-Projekte, Modelle und mehr!
TEIL I – DIE VERGESSENE ZEIT „Ich verstehe die rätselhaften, in Stein gemeißelten Wörter aus den Tagen vor der Flut.“ Inschrift des assyrischen Königs Assurbanipal
1.Kapitel: Marduk
L
eere, nichts anderes denn die Vollkommenheit der Abwesenheit von Gestalt und Form fand sich einst wieder in den Tiefen des Alls, denn da war nichts, das in Worte gefasst zu werden vermochte. Der Raum enthielt weder Atmosphäre noch Luft, weder Farbe noch Glanz, und selbst Licht und Dunkelheit suchte man vergebens fürwahr. Langsam jedoch, im Laufe unzähliger Jahrtausende, bildeten sich heraus mit Hilfe der Elemente die ersten der verschiedenen Möglichkeiten der Differenzierung, die da beinhalteten Hitze und Kälte sowie Schwere und Leichtigkeit, und dies geschah nach einem ganz bestimmten Plan. Noch ein weiter Weg blieb damalig zurückzulegen jedoch bis zu den ersten, den niederen Lebewesen sichtbarer Gestalt. Was sich zusammenfügte anschließend waren riesenhafte, und in der unendlichen Gesamtheit des Raumes doch so verschwindend geringe Objekte, die von unsagbarer, feinstofflicher Hitze gebildet wurden und ausschlaggebend für alle weiteren Entwicklungen sein sollten. Niemand vermag ein Urteil abzugeben darüber, ob aus der Leerheit zwangsläufig etwas schöpferisches erwachsen musste und ob dies gut war, denn was folgen sollte bis zum heutigen Tage war neben vermeintlich bewundernswertem Fortschritt ebenfalls vieles, ja geradezu unendliches an Schlechtigkeit und Leid. Wären die Energien, die zu den denkenden und handelnden Individuen späterer Zeiten wurden, nichts anderes als astrale Gebilde geblieben, hätten somit jene Umwandlungen der Evolution nimmer stattgefunden, so wäre womöglich alles im Guten verblieben. Doch der Fortschritt ist unabhängig vom Willen ebenso des Einzelnen wie von Vielen, er existiert und findet statt, gleichfalls wie dereinst wieder die Rückbildung, die Rückkehr zur allumfassenden Leere einsetzen wird, und niemand dies aufzuhalten vermag. Alles, was bis dorthin geschah, getan und gesagt wurde, wird dann verloren und belanglos sein. Nichts ist für die Ewigkeit. Doch nichts, was einmal war, wird jemals nicht mehr sein. Das Universum nimmer vergisst, so dass nichts im Leben trivial genannt werden darf. Zahlreiche Sonnen wurden somit erschaffen zu dieser Zeit, und sie standen von Anfang an unbewegt wie gewaltige Stützpfeiler im unbelebten Raum umher. Nicht mehr alles war nunmehr einzig leer und frei von Ausdrucksform, denn die Hitze der neuen Objekte führte zu großer Helligkeit und einer Strahlung intensiver Lebenskraft, so dass überall Bereiche geschaffen wurden, die von Licht durchdrungen waren und somit einen Nährboden für weiteren Fortschritt enthielten. Nicht ermessen werden kann die Gemächlichkeit, mit welcher die Natur zu Werke ging, denn unabhängig von jedweder Vorstellung von Raum und Zeit das Urprinzip des Universums ist, so dass wahrlich einzig ein Staubkorn nach dem anderen sich zusammenfügte, ehe letztlich weitere Gebilde entstanden, welche abgrenzbar vom leeren Raum waren und beinhalteten feste Form. Die inneren Kerne, die jene Körper enthielten, waren lange nicht von solcher Hitze wie die Sonnen geprägt, sondern vereinten teilweise im Gegenteil unsagbare Kälte in sich. Zahllose Galaxien, Systeme und Sternenbilder wurden auf diese Weise erschaffen im Laufe der Zeit, und alles geschah nach einem festen Plan, welcher jedoch selbst von den begabtesten Köpfen niemals durchschaut werden kann, da er älter ist als alles andere und doch alles andere in sich vereint.
Erzählt werden soll hier von den Geschehnissen innerhalb eines kleinen, unscheinbaren Systemes, in welchem das Leben dessen Bewohner und Lebensformen abhängt von lediglich einer einzigen Sonne, um welche sich zehn Sterne – manche größer und manche winzig – im immerwährenden Kreise bewegen, so lange, bis das Urprinzip seine Geschenke zurückfordern und mit der Umkehrung zurück ins unschuldige Nichts beginnen mag. Erzählt werden soll von den außergewöhnlichen Anfängen einer Lebensform, deren unglückseliges Erwachen vieles an schlechten Dingen in damaligen wie in späteren Zeiten auslösen würde. Und somit ist es eine traurige Geschichte, eine solche, die Leid und Schmerz und Verzagen mit sich brachte und doch so einerlei für alle weiteren Geschicke des weiten Universums genannt werden muss. Der Grund jedoch, sie zu erzählen, ist allein derjenige, dass sie in Vergessenheit geriet, doch nichts kann auf ewige Zeiten hin verschwiegen werden, da eine jede Wahrheit irgendwann ans grelle Tageslicht gelangen soll. ‚Neune waren’s an der Zahl, Die da zogen ihre Bahn, In kleinem Kreise, Unberührt und sanft und leise. Doch im Ganzen waren’s zehn, Und dieser hat’ die Gunst des Leben, So kreuzte er die Klinge, Und entfacht’ den Lauf der Dinge.’ Volksweise aus Sumer, ca. 3800 v.Chr.
Neun Sterne entsprangen schließlich den Prinzipien der Elemente und ernährten sich von den Strahlen ihres Daseinsspenders, welcher unbeweglich in ihrem Zentrum thronte und leuchtete so weit wie seine Kräfte es vermochten. Weitaus nicht von Allmächtigkeit geprägt waren jedoch die Eigenschaften des bereits vor langer Zeit entstandenen Fixsternes, so dass auf den Planeten weder Leben erwuchs noch die notwendige Atmosphäre als Keim der Entwicklung vorhanden sein sollte. Tatsächlich jedoch befand sich noch ein weiterer, ein zehnter Stern in jener Galaxie, der ebenso wie seine neun Brüder aus dem Licht der gleichen Sonne erschaffen ward. Die Angehörigen der späteren Hochkultur der Sumerer, die Nachfahren der Atlanter, nannten ihn Niburu, die Babylonier aber Marduk, und diese Bezeichnung war die gebräuchlichste. Marduk war der älteste von allen Sternen dieses Sonnensystemes und im Gegensatz zu den anderen verlief seine Bahn so weit, dass er zu gewissen Zeiten tief ins All hinaus und selbst in die Randbereiche anderer Milchstraßen vorstieß. Dreitausendsechshundert Jahre nach späterer, irdischer Zeitrechnung dauerte sein Turnus an, und niemand weiß, was er wirklich sah und wann in seinem Innern der Funke der Lebhaftigkeit entzündet wurde. Auf jeden Fall begann er zu leben, dort, wo sich auf den Rücken seiner Brüder lediglich totes, ödes und dampfbehangenes Gestein erstreckte, da begannen aus seiner Erde langsam die ersten Organismen zu erblühen, Ausformungen der Elemente, welche dereinst zu selbstständigem Denken und Handeln befähigt sein sollten. Abermals verstrichen viele Millionen Jahre, und ein nichts hatte sich verändert auf den Neunen, während auf dem Zehnten die Saat langsam aufzugehen sich anschickte und die ersten Wesen, welche später von den Atlantern viele verschiedene Bezeichnungen erhielten – die Bewohner des Marduk redeten niemals über sich selber und gaben sich auch niemals einen eigenen Namen –, aufrecht zu laufen lernten. Da sich einige der Einwohner des zehnten Planeten – welcher eigentlich der erste war – später als Lehrer der Menschen betätigten, waren viele der klügsten Köpfe von Atlantis davon überzeugt, dass die Fremden
einstmals selbst noch ältere, höher entwickelte Lehrmeister hatten oder gar direkt aus dem tiefstem Unbewussten des Urprinzips des Universums ihre Unterrichtung erhielten. Später, als nach der Sintflut die Weisheit der Alten im Wasser versank, wurde darüber nicht weiter nachgedacht, womit die Verbindung zur Urkraft des Universums, zur schöpferischen Leere, die vor allem anderen da war, endgültig und unwiderbringlich abriss. Mehrere Millionen Jahre vor unserer Zeitrechnung ereignete sich dann ein geradezu unaussprechliches Geschehen, welches wahrhaft vieles zu verändern wusste. War es purer Zufall, dass die Kollision eintrat oder entsprang die Begebenheit infolge höherer, möglicherweise bewusst kalkulierender Gewalt? Auf jeden Fall befanden sich die Lebewesen des Marduk zu dieser Zeit zweifelsohne noch in einem recht anfänglichen Stadium ihrer Entwicklung, so dass sie keinesfalls als Urheber – aus welchen unmöglich zu mutmaßenden Gründen auch immer – in Betracht kommen, höchstwahrscheinlich wussten sie nicht einmal, wie ihnen geschah, als der große Knall das Sonnensystem zu zerschmettern drohte. Der zehnte Planet überstand den Zusammenstoß ohne weitreichende Folgen, denn er war groß und massiv und angetrieben von den gewaltigen Kräften einer scheinbar endlos langen Umlaufbahn. Sein Kontrahent jedoch, welcher in seine Bahn trat, erlangte fortan ein gänzlich anderes Gesicht, denn die untere Hälfte des Tiamat wurde zerbröselt und hinfortgefegt und bildete fortan einen Gürtel aus Asteroiden zwischen den Planeten Jupiter und Mars, welchen die Atlanter als ‚gehämmerten Armreif’ bezeichneten. Der Rest des Planeten Tiamat jedoch kehrte wieder in seine gewohnte Bahn um die lebensspendende Sonne herum zurück. Weitaus bedeutsamer als die Verkleinerung seines Umfanges war für ihn jedoch eine andere Veränderung, welche sich zugetragen hatte und darin bestand, dass der zuvor leblose Himmelskörper infiziert wurde – infiziert mit der Saat des Lebens. So hatte Marduk Tiamat ungewollt befruchtet, und jener Umstand, welchen die Bewohner des Marduk baldig feststellen sollten, veranlasste dieselben schließlich dazu, den neugeformten Stern als das künftige Ziel ihrer Raumfahrbemühungen auszuwählen. Jenen nach dem Unglück erhalten gebliebenen nördlichen Teil des Tiamat bezeichneten die Atlanter weiterhin nach dem alten Namen, in viel späteren Zeiten, als sich die Menschen längst von ihrem Ursprung entfremdet hatten, wurde die Bezeichnung Erde gewählt. Die Zivilisation auf dem zehnten Planeten erhob sich in offensichtlich rasender Geschwindigkeit und schien keinerlei Grenzen zu kennen, so dass es keine düsteren, von Krieg und Tod gekennzeichneten Zeitalter, wie man sie in der Erdengeschichte kennenlernen sollte, gab. Von Anfang an war die Bevölkerung des Marduk vom gemeinsamen Streben nach Fortschritt geprägt, alle weiteren Angelegenheiten des Miteinanders wurden als zweitrangig erachtet. Selbstverständlich gab es trotz dieses kollektiven Zusammenlebens, das geprägt war von einem Höchstmaß an Kooperation und Genügsamkeit, alle möglichen praktischen Probleme, die infolge des Umgangs zwischen verschiedenen Lebewesen zwangsläufig auftreten müssen, so existierten desöfteren Streitigkeiten über Erbfolge – solange die Sterblichkeit noch nicht überwunden war –, Partnerschaft oder Anerkennung, das Ausmaß derselben sollte jedoch stets im begrenzten, friedlichen Rahmen verbleiben. Das Wesen der Einwohner des vergessenen Planeten war über alle Maßen im praktischen Denken verhaftet, alle Wünsche, Sehnsüchte, Bequemlichkeiten und Gefühle hatten sich dem vollends unterzuordnen. Ob dies als besser oder schlechter als die Eigenheiten der menschlichen Rasse beurteilt werden muss, soll hier unbeantwortet verbleiben. Letztlich geschieht alles gemäß des Universums Wille, und dessen Geschichte wird niemals zu Ende geschrieben sein.
2.Kapitel: Die Annunaki
E
ines Tages schließlich, als Wissenschaft und Technik auf dem Marduk bereits weit gediehen waren, entdeckten einige Forscher die Tatsache, dass es einen weiteren Himmelskörper innerhalb der eigenen Galaxis gab, der den Samen des Lebens enthielt, welcher inzwischen die ersten Keime zu tragen begann. Wie nahezu unglaublich musste die neue Erkenntnis damals angemutet haben, und groß waren Freude und Erwartung angesichts der Möglichkeiten, welche sich nunmehr möglicherweise eröffnen würden. Zweifellos hatten zunächst lediglich einzelne Wissenschaftler jene phänomenale Entdeckung gemacht, doch schon binnen kürzester Zeit stürzten sich zahllose Angehörige des unentwegt strebenden Volkes auf die Neuigkeit, so dass letztlich nicht mehr klar blieb, wer denn eigentlich der Entdecker war und schließlich niemandem die normalerweise damit verbundene unsagbare Anerkennung und Ehrung widerfuhr. Die Angehörigen des hochtechnisierten Volkes verloren keinerlei Zeit und stiegen sofortig ein in Planungen einer Mission, welche in einer Landung auf dem Tiamat bestehen sollte. Jedes Detail berechneten die Astronomen und Physiker auf das genaueste, und da sie von Natur aus versessen darauf waren, jede noch so augenscheinlich wenig bedeutsame Kleinigkeit ans Licht der Wahrheit zu bringen, suchten sie auch, die Vergangenheit zu erhellen und kamen alsbald zu dem den tatsächlichen Geschehnissen entsprechenden Schluss, dass vor langer Zeit eine gewaltige, schicksalhafte Kollision stattgefunden haben musste, welche die Galaxie erschütterte und den kleineren Stern teilweise zerbröselte. Auf diese Weise erst gelangte das Leben auf den fremden Planeten, und einzig deshalb vermochte es auch solange verborgen zu bleiben. Als sich jene neuerlichen Spekulationen, die von den führenden Wissenschaftsexperten geteilt wurden, auf dem Marduk verbreiteten, da wurde die Euphorie nur noch weiter verstärkt, gleichfalls jedoch nunmehr in andere Bahnen gelenkt. Manche argumentierten jetzt, dass der Tiamat praktisch nichts anderes als eine Kolonie oder geradezu ein Teil des Heimatplaneten geworden sei und dass man damit das Recht besäße, sich selbigen untertan zu machen und sich nach Herzenslust an seinen etwaigen Schätzen und Vorzügen zu bedienten. Denn schließlich wäre er ohne den zehnten Himmelskörper noch immer nichts anderes als ein lebloses Etwas und würde dies wahrscheinlich auch bleiben für alle Zeit. Andere meinten, und dies teils aus ehrlicher Überzeugung, dass man vielmehr die moralische Verpflichtung besäße, den befruchteten Planeten zu beobachten, zu erforschen und ihn gegebenenfalls mit Tatkraft zu unterstützen. Zu letzterer Fraktion gehörte E.A („Dessen Haus Wasser ist“), welcher später von den Atlantern und deren Nachfahren hochgeehrt und En.Ki („Herr des festen Bodens“) genannt wurde. E.A war der älteste Sohn des damaligen Herrschers des Marduk A.N („Der des Himmels“), der den ersten Menschen als Anu bekannt war. Anu liebte seine beiden Söhne E.A. und En.Lil („Herr über das Wort“) gleichermaßen, doch kam ihm der ältere stets am nächsten. Über das genaue politische System des zehnten Planeten wurde niemals etwas bekannt, doch kann angenommen werden, dass sich die Notwendigkeit schwerwiegender politischer Entscheidungen zu dieser Zeit bereits auf ein geringes Maß beschränkte, da die Bevölkerung ihr Lebensziel längst in die Bahnen von Forschung und wirtschaftlicher Entwicklung gelenkt hatte und sich jene Angelegenheiten weitgehend von selbst regelten. In dieser Hinsicht muss von einem streng liberalen System ausgegangen werden, der Erfolgreiche setzte sich durch, und der Unglückliche musste auf der Strecke verbleiben. Was ansonsten anfiel, wurde von Anu in herausragender Weise geregelt, denn überall wurde er als weiser, gütiger und sein Volk liebender Herrscher geschildert. Ebenfalls eine große Rolle fiel seinen Söhnen zu, die beide ein hohes Maß an Ansehen genossen.
E.A war zwar der Ältere der Nachkommen Anus, doch war sein Halbbruder En.Lil dennoch der Thronerbe, da dessen Mutter eine Halbschwester des Herrschers war. Dies führte jedoch anfänglich keineswegs zu großer Missgunst und Zwist, obgleich die Beiden von Anfang an als unterschiedliche Charaktere angesehen werden mussten und sich ihre Wege später weitgehend trennten. Diese führte letztlich zu jenen großen, unüberbrückbaren Gegensätzen, welche in vielerlei leidvollen Verwicklungen mündeten. E.A war ein herausragender Wissenschaftler und Ingenieur, er war ein rastloser Geist und liebte die Raumfahrt, doch noch weitaus mehr liebte er das Wasser, das er so oft wie nur möglich befuhr, zunächst auf dem Marduk und später ebenso auf dem Tiamat, welcher zu seiner Freude zu mehr als zwei Dritteln von Meer und See überzogen war. Im übrigen hatte er das friedvolle, gütevolle Wesen seines Vaters geerbt, eine Eigenschaft, die dazu führte, dass er im späteren der beste Freund der Menschen unter den Abgesandten des Marduk genannt wurde. Niemand anderes als der älteste Sohn von Anu wurde schließlich auch zum Leiter der bevorstehenden Expedition auserkoren, und niemand – nicht einmal En.Lil, der auf dem Marduk zurück blieb – konnte daran etwas auszusetzen haben, denn kein anderer erschien geeigneter an Charakter, Ansehen und Befähigung. So stellte E.A eine Mannschaft von 50 Raumfahrern zusammen, die an Bord eines immens großen, raketenförmigen Flugobjektes die Mission angehen sollten. Die späteren, nach der Flut entstandenen Hochkulturen der Menschen bildeten jene Raumschiffe als Pyramiden, Obelisken oder als Zeichnungen auf den Gräbern ihrer Könige nach, weil man dachte – da das alte Wissen schon längst verblasst war –, dass die sonderbaren Objekte der Fremden, welche nach irdischem Ermessen unsagbar alt wurden, auf direktem Wege in den Unsterblichkeit verheißenden Himmel führen mochten. Der zweifellos auf tatsächlichen Ereignissen basierende, jedoch nicht mehr in jeder Einzelheit nachzukonstruierende Gilgamesch-Epos ist ein weiteres untrügliches Zeichen hiervon. Die Sumerer nannten die Flugkörper Schem oder Gir und deren Kommandokapsel ben-ben („Das in den Himmel Hinaufschießende“). Mit übermäßig großer Sorgfalt wurde die Expedition geplant und schließlich angegangen, als sich der Tiamat in günstiger Position zum Heimatplaneten befand. Der Flug dauerte nicht sehr lange, da das ausgewählte Raumschiff zu den jüngsten und modernsten der Bewohner des Marduk gehörte und damit auf einer unsagbar hohen technischen Entwicklungsstufe stand. So landeten die ersten der fremden Wesen, die die Menschen in späteren Zeitaltern in ihrer Unwissenheit zu Göttern erhoben, etwa 450 000 Jahre vor Christus auf der Erde, wahrscheinlich zunächst irgendwo auf dem Arabischen Meer, von wo aus sie sich aufmachten in ein Gebiet, welches später unter anderem der Mittlere Osten genannt wurde, konkret handelte es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um das spätere Mesopotamien. Jene erste Gruppe, die dereinst den Boden Tiamats betrat – und einzig diese –, wurde in den späteren Erzählungen als die Annunaki („Die vom Himmel, die auf Erden sind“) bezeichnet. Nachdem die Annunaki, die etwa 50 Astronauten zählten, ihren Gir verließen, da wurden sie überwältigt von dem, was sich ihnen darbot. Die Atmosphäre, die sie atmeten, war wahrhaft dieselbe wie auf ihrem Heimatstern, so dass sie sich ohne Verzögerung mit Freude ihren Raumanzügen und Atemgeräten entledigten. Die Natur, die sich ihren Augen zeigte und diese in Verzückung versetzte, war noch jung und rein und erfüllt von Blüte und Kraft. Die niederen Lebewesen, die sie mit ihren hochtechnisierten Gerätschaften alsbald auszumachen vermochten, unterschieden sich ebenfalls deutlich von den Tieren auf dem Marduk, zumindest zu dieser Zeit. In Wahrheit verhielt es sich wahrscheinlich derart, dass die Bewohner des zehnten Planeten durch ihr rücksichtsloses Streben nach Fortentwicklung ihre naturgegebenen Ressourcen und damit die Lebensgrundlage sowohl der schwächeren Wesen – der Tiere
und Pflanzen – als auch ihre eigene bereits zu einem großen Teil ausgebeutet und zerstört hatten. Und obgleich man diese Tatsache nahezu totschwieg, ja längst zu einem gesellschaftlichen Tabu erklärt hatte, hatten die klügsten und vernünftigsten Köpfe dies sehr wohl bereits seit längerem erkannt. Dennoch zog wahrlich niemand ernsthaft in Erwägung, die letzten verbliebenen Rohstoffvorräte einem hoffnungslosen Rettungsversuch zu unterziehen und die gesellschaftspolitische Orientierung der Bevölkerung in andere Bahnen zu lenken. Nichts genaues wurde jemals bekannt über die lange Zeitdauer, wähend derer sich der Marduk auf seiner ewigen Umlaufbahn aus dem Sonnensystem ein jedes Mal entfernte, doch kann angenommen werden, dass bereits viele – mehr oder weniger erfolgreiche – Versuche gestartet wurden, die Rohstoffquellen anderer Planeten anzuzapfen. Und genau hierin lag auch nunmehr der bestimmende Faktor, denn eben aus diesem Zweck wurden die Annunaki zum Tiamat – der späteren Erde – entsandt. E.A, der von nun an unter dem Namen En.Ki Bekanntheit erlangte, verlor keinerlei Zeit. Seine Aufgabe und sein Ziel bestanden in der Gewinnung von Gold, dem edelsten aller Metalle, welchem auf dem zehnten Planeten eine unermesslich hohe Bedeutungskraft zukam, da es sowohl als hauptsächliches Zahlungsmittel – als Münze mit dem Haupt Anus geprägt – als auch vor allem als mit Abstand wesentlichstes Element der Energieversorgung eingesetzt wurde. Würden die Vorräte an Gold jemals versiegen, so würde auch jedwede Existenzgrundlage der Bewohner des Marduk mit einem Male verendet sein, darüber waren sich jeder Mann und jede Frau bewusst. Die Annunaki zogen so lange umher, bis sie die geeignete Umgebung für den Bau ihrer ersten Siedlung gefunden zu haben glaubten. Innerhalb kürzester Zeit – dies war ihnen aufgrund der von ihnen mitgeführten Apparaturen leicht möglich – erschufen sie eine Ortschaft und nannten sie E.Ri.Du („fern erbautes Haus“). E.Ri.Du wurde jedoch an Bedeutung von den später nachfolgenden Errichtungen übertroffen und diente vor allem der Unterbringung der Raumfahrer. Nun widmete man sich dem ersten Plan, welchen die führenden Wissenschaftler des Volkes ausgearbeitet hatten. Geradezu enthusiastisch und erfüllt von unsagbarer Schaffenskraft begannen die Annunaki unter En.Kis Anweisungen mit dem Versuch, Gold aus Meerwasser zu gewinnen. Für die Ohren in weitaus späteren Zeitaltern lebender Menschen mag dies unerhört anmuten, doch die Kinder des Marduk befanden sich in ihrem weit gediehenen Entwicklungsstadium sehr wohl in der Lage, dies für erfolgsverheißend zu erachten, möglicherweise bedienten sie sich ähnlicher, nur wesentlich ausgeklügelterer Theorien und Methoden wie die Alchemisten des irdischen Mittelalters. Zweifellos hätten sie keineswegs solch hohe Erwartungen in diese Vorgehensweise gesetzt, wenn dieselbe nicht schon zuvor, in ähnlich gelagerten Fällen, positive Ergebnisse hervorgebracht hätte. Nimmer wurde etwas darüber bekannt, welcher Hilfsmittel sie sich im folgenden bedienten, doch unternahmen sie die Bemühungen für eine lange Zeit, ehe En.Ki, dem niemand in wissenschaftlichen Dingen gleichkam, das Unterfangen letztendlich für gescheitert erklärte. Und wahrlich groß war daraufhin die Enttäuschung der Annunaki, denn zunichte waren ihre Hoffnungen, ohne große Anstrengungen und selbst mit ihrer kleinen Anzahl die Lebensgrundlage ihres Volkes zu sichern. Selbstverständlich jedoch gaben sie ihr Vorhaben nicht auf, und rasch improvisierte En.Ki eine neuerliche Vorgehensweise, welche darin bestand, im tiefen Innern der Berge nach dem heißersehnten Edelmetall zu schürfen. Das geeignete Gelände fand sich sehr rasch, und zwar ein weites Stück entfernt im Süden jenes Kontinentes, den die Menschen, welche die Flut überlebten, später Afrika nennen sollten. Jene mühsame Bergwerksarbeit konnte von den Annunaki jedoch nicht ohne weiteres verrichtet werden, so dass ein ungeheurer, zusätzlicher Organisationsaufwand hinzukommen musste. Der Befehlshaber des bisherigen Unternehmens wand sich daher an seinen Vater, unterrichtete ihn über den Stand der Dinge
und teilte ihm mit, dass er weitere Männer benötigte und zudem erhöhten technischen Bedarf hatte. Anu teilte diese Ansicht und veranlasste sofortig die notwendigen Vorbereitungen für eine Ausweitung der Exkursion auf jenen unbewohnten, immense brachliegende Schätze verbergenden Planeten. Nun trat En.Lil in den Vordergrund, obgleich er sich zuvor sehr zurückhaltend über die Mission geäußert hatte, und niemand weiß, weshalb er seine Ansicht änderte. Womöglich sah er jetzt, da eine größere Anzahl der Mitbewohner seines Planeten ihre Überreise und längere Verweildauer auf dem Tiamat vorbereiteten, die Gelegenheit, den fremden Stern zu einem lohnenden Betätigungsfeld für sich zu gestalten. Auf jeden Fall trat er stolz und in edlem Gewand vor seinen Vater und forderte in unbedingter Weise jenes Recht, welches er als das ihm zustehende erachtete. „Geliebter Herrscher, oh Gerechter und mit Weisheit Gekrönter! Ich, der ich Dein Sohn genannt werde, stelle Dir nunmehr meine Dienste zur Verfügung, da sie wohl niemals mehr benötigt wurden als in diesen schweren Zeiten! Sofern es Dein Wille sei, werde ich mit den stattlichsten und fähigsten Männern unserer Heimat zu jenem Himmelskörper übersetzen, den wir befruchteten dereinst zu unserem heutigen Glücke, da die Zeit uns drängt, so wie noch niemals zuvor! Mit all den Kräften meines Leibes, in welchem pulsiert das Blut, das Du mir zum Geschenke gabst, und meines Verstandes, den Du zu voller Reife erzogest, werde ich als Verantwortlicher dafür Sorge tragen, dass wir in genügendem Maße des goldenen Metalles fündig werden, so dass das Überleben unseres Volkes gesichert sein mag! Und alleinig will ich die Verantwortung auf mich nehmen, sofern es Dir beliebt, denn breit ist mein Kreuz mit der Krone im Nacken, und nicht möchte ich, dass ein jemand sonst erdrückt wird von jener Bürde, welche einzig ich zu ertragen auserwählt bin!“ Und Anu lächelte und umarmte seinen jüngeren Sohn, den er in gleichem Maße liebte wie seinen Bruder, welcher jedoch längst in weiter Ferne schwere Verrichtung unternahm. Konnte er En.Ki etwas besseres tun, als ihm seinen Bruder zur Unterstützung zu entsenden und diesem die mühsame Last der Verantwortung und Planung zu übertragen, so dass der Ältere – welcher der bessere Wissenschaftler und Ingenieur war – entbunden wurde von vielerlei Arbeit und sich vermehrt dem Nützlichen zuzuwenden vermochte? So ernannte Anu En.Lil zum Befehlshaber der nunmehr weitaus größeren Mission, worauf dieser voll Freude und Stolz ohne Verzögerung mit seinen Tätigkeiten begann und innerhalb weniger Tage eine Mannschaft, bestehend aus Technikern, Architekten, Tiefeningenieuren, Mathematikern, Ärzten und Wissenschaftlern verschiedener Arten, zusammenrief, und wahrlich fand er die besten ihres Faches, die die Bevölkerung des Marduk hervorgebracht hatte. Fünf Tage danach landeten die nächsten der Gir auf dem Arabischen Meer, und der erste Vorsatz, den En.Lil sich nahm, war es, einen Raumflughafen zu errichten, so dass ein stetiger Flugverkehr zwischen der Kolonie und dem Heimatplaneten in Zukunft ohne Zeitverlust zu bewerkstelligen wäre. Nach weiterer Reise zu Land gelangte die nunmehr große Schar nach E.Ri.Du, wo En.Ki mit wahrlich großer Freude seinen Bruder begrüßte, und keineswegs wirkte er betroffen darüber, dass ihm ihr gemeinsamer Vater den obersten Befehl über die Expedition entzogen hatte. Selbstverständlich war En.Ki vom gleichen nahezu unersättlichen Ehrgeiz und größter nur erdenklicher Schaffenskraft erfüllt wie alle anderen seines Volkes, doch missgönnte er seinem Fleisch und Blut ein nichts, und schließlich handelte es sich ohnehin lediglich um eine Unternehmung von begrenzter Dauer. Des Weiteren konnte er sich, ohne die organisatorischen Aufgaben bewältigen zu müssen, weitaus mehr noch auf die eigentlich wesentliche Tätigkeit – das Abtragen von Gold – konzentrieren und auf diese Weise seine großartigen Fähigkeiten in die Tat umsetzen und zu Beweise tragen.
En.Lil verlor keinerlei Zeit und leistete ganze Arbeit. Unter seiner Leitung entstanden weitere Siedlungen für verschiedene Zwecke, und vor allem anderen erbaute er in Sippar („Vogel-Stadt“), das ebenso wie E.Ri.Du im Gebiet des späteren Mesopotamien lag und einen hervorragend ausgestatteten Raumflughafen darstellte. In dieser Gegend bildeten die Gipfel des Ararat-Gebirges ein auffälliges Kennzeichen, so dass sich die Raumpiloten daran vereinfacht zu orientieren vermochten. Von nun an umkreiste ein wahrhaft riesenhaftes Raumschiff, eines der größten, das die Bewohner des Marduk jemals gebaut hatten, den Tiamat und stand bereit für kleinere Flugobjekte – Fähren –, welche auf die periodische Wiederkehr des Mutterschiffes warteten, danach von Sippar aus dieses ansteuerten und letztlich die kostbare Fracht übergaben. Ferner entstand Bad-Tibira, das Industriezentrum für die Erzverarbeitung, dessen genaue Lage später unter den alles reinwaschenden Fluten in Vergessenheit geriet, was ebenso für die ursprüngliche Bedeutung seines Namens gilt. Auf jeden Fall wurde das Metall, welches die Arbeiter im Süden des Kontinentes abbauten, über den Seeweg nach Norden verschifft und letztlich nach Bad-Tibira verbracht, wo es feingeschliffen und für den Weitertransport fertig zubereitet wurde. Schuruppak war das medizinische Zentrum, ihm stand Nin.Hur.Sag („Herrin des Berggipfels“) vor. Diese war eine Halbschwester von En.Ki und En.Lil, und beide wetteiferten um ihre Gunst, da ein Sohn von ihr zweifelsfrei zum Thronfolger werden musste. Auch dieser Umstand sollte sich zum Schicksalhaften wenden. Schließlich errichtete man exakt in der Mitte des Betätigungsraumes der Siedelnden Nibru.Ki („Schnittpunkt auf Erden“), in welchem sich das Missionskontrollzentrum befand. Viele Namen wurden den Fremden gegeben von den Menschen, die erst entstehen und erwachsen werden sollten durch die Hilfe der vom fernen Marduk Angekommenen, und manche nannten sie Neter, welches nichts anderes als Götter bedeutet und damit seine Gültigkeit wahrt bis zum heutigen Tag, wenn auch in gänzlich vom wahren Wissen entfremdeter Bedeutung fürwahr. Die Akkader sprachen von den Ilu („Luftige“), die Bewohner Kanaans und Phöniziens gaben ihnen die Bezeichnung Ba’al („Herr“) – die Stadt Baalbek existiert noch heutzutage – und die Sumerer nannten sie die Din.Gir („Die Gerechten der Raketenschiffe“). Die Atlanter jedoch gebrauchten für ihre Schöpfer und Lehrmeister einen anderen Namen, nämlich denjenigen, den die Hebräer später in den Schriften der Bibel festhielten, sie nannten die Abgesandten Marduks die Nefilim („Die zur Erde Hinabgeworfenen“). 300 der Nefilim waren erforderlich, um die Fähre und die Raumstation zu bedienen, 600 weitere waren nunmehr damit beschäftigt, das edle Metall in schwerer körperlicher Arbeit unter Tage aus den weit im Süden gelegenen Bergen des Kontinentes abzubauen und ans Licht der Sonne zu befördern. Selbst ihnen, die sie über hochentwickelte technische Mittel verfügten, blieb es nicht erspart, sich äußerst mühevoll zu betätigen und trotzdem lediglich in kleinen, zeitraubenden Schritten ihrem Ziel näher zu gelangen. Das Prozedere funktionierte zweifellos, doch ging es langsamer voran, als man es sich wohl erhofft hatte. Die Anzahl der zum Tiamat herabgesandten Arbeiter wurde dennoch nicht erhöht, und dies lässt den Schluss zu, dass der Marduk zu dieser Zeit nur sehr wenige Einwohner besaß, und wahrscheinlich hat sich dies auch in den folgenden Zeiten nicht entscheidend verändert, ganz im Gegenteil zu jener Entwicklung, welche die menschliche Rasse nahm. En.Lil und En.Ki hatten im Ganzen 900 Männer zur Verfügung, und diese mussten genügen, um die Unternehmung erfolgreich voranzutreiben. Jahrhunderte und Jahrtausende vergingen auf dem Tiamat, nur eine wesentlich kürzere Zeitspanne auf dem Mutterplaneten jedoch – ein Jahr auf dem Marduk entspricht schließlich 3600 Erdenjahren – und die Zeit verstrich, ohne dass zunächst auffällige Veränderungen eintraten. Die Nefilim bauten das Gold ab, verarbeiteten es und transportierten es letztlich über die kleineren Raketenschiffe und das riesenhafte Hauptschiff zum Bestimmungsort, wo es unablässig sehnsüchtig erwartet und sofortig in
den Energiekreislauf des Planeten investiert wurde. Anu, seine Söhne und die zurückgebliebenen Einwohner waren zufrieden, die Mission gestaltete sich zwar langwierig, doch war der Erfolg mehr als zufriedenstellend, und dies erschien das Wesentliche zu sein. Eine weitere, für irdisches Vorstellungsvermögen schier unvorstellbar lange Zeitspanne verstrich, in welcher En.Lil und En.Ki – auf getrennten Wegen – ausgiebig den Tiamat bereisten, zunächst lediglich zu Zwecken der Forschung fürwahr, später jedoch zunehmend aus eigenem Interesse, denn beide fanden sie in sich die Liebe zur unberührten, vom Leben durchdrungenen Natur – welche auf dem Marduk kaum mehr existierte – wiedererweckt. Vor allem traf dies auf den Älteren der Brüder zu, welcher alle Meere befuhr und insbesondere die Tierwelt studierte. En.Lil hingegen fasste weitreichendere und pragmatischere Gedanken, er fand langsam immer mehr Gefallen an der Idee, welche ihm vor seiner damaligen Abreise bereits in Form einer Eingebung in den Sinn getreten war, er überlegte nämlich, auch über die Mission hinaus auf dem Tiamat zu verbleiben und diesen zu einer dauerhaften Kolonie seines Heimatsternes zu erklären. Uneingeschränkte Macht würde er hier auszuüben in der Lage sein, so dass er seinem Drang nach Kreativität und Ruhm in wahrlich vollendetem Maße freien Lauf darzubieten vermochte. Er würde eine Welt erschaffen mit Bauwerken von unvergänglicher Pracht, mit Städten, die niemand, der sie betrat, jemals wieder verlassen wollte, mit einer Technik, welche alles im Universum von Lebewesen Erdachte weit übertreffen würde, kurzum Metropole und Paradies zugleich, eine Stätte, deren Glanz bis in die fernsten Galaxien hinausreichen würde. Viele tausende weitere Jahre hätte der gegenwärtige Zustand wohl noch angedauert und wohlgereift wären die Planungen En.Lils, hätten sich nicht neuerliche Umstände ergeben, die zurückzuführen waren auf die Wahl der Raumfahrbesatzung, welche der Befehlshaber der Mission auswählte dereinst. En.Lil hatte fürwahr die fähigsten Köpfe des Marduks auf den Tiamat verbracht, und waren diese folglich mit herausragenden geistigen Fähigkeiten und Interessen beschlagen, so doch keineswegs mit solchen körperlicher Natur. Lange hatte es gedauert, ehe die Bergwerksarbeiter zu murren begannen, denn zunächst waren sie von Stolz erfüllt, ihrer Heimat großen Dienst zu erweisen, und später, als die Mühsal immer schwerer erträglich wurde, hatten sie geschwiegen aus Loyalität zum Herrscherssohn und in der Hoffnung, dass ihre Last in absehbarer Bälde beendet sein würde. Nichts jedoch hatte sich verändert im Laufe der Zeit, und irgendwann waren die Mühen geradezu unerträglich und bar jeder Hoffnung auf Beendigung geworden, so dass der Unmut immer größer wurde und sich letztendlich in offener Weise zu äußern begann. Die eingelegte Arbeitsgeschwindigkeit wurde immer langsamer und der Gewinn an Gold damit immer dünner, und als En.Ki, der dies rasch bemerkte, daraufhin sofortig an den Ort der Plagen reiste, da entgegneten ihm bereits ein hohes Maß an Entrüstung und Aggressivität, und er erschrak, als er die eingefallenen, ausgemergelten und von seelischer Erschöpfung gezeichneten Gesichter der Angehörigen seines Volkes erblickte. Mit Worten besänftigte er seine Brüder und bat sie, an die Arbeit zurückzukehren, da ansonsten das Schicksal ihrer Heimat auf dem Spiel stünde und niemand wüsste, wie Anu über den Misserfolg befinden mochte. Zugleich versprach er ihnen Hilfe, denn er würde ihren begründeten Unmut ohne Verzögerung En.Lil übermitteln, auf dass dieser Abhilfe ersinne. Und tatsächlich gelang es ihm, kraft seiner herrlichen Stimme, deren Magie wahrhaft unmögliches zu erreichen vermochte, die Arbeiter ein wenig milder zu stimmen, so dass sie zu ihrem Tun zurückkehrten, in der festen Überzeugung jedoch, dass man ihrem Ansinnen mit Eile nachkommen würde. Diese Hoffnung sollte jedoch ihre Erwiderung finden in nichts anderem denn Sturheit und Überheblichkeit und führen schon baldigst zum ersten Zwist unter der Sonne des Tiamat.
3.Kapitel: Der Aufstand
E
n.Lil war erzürnt. Er allein war der Thronerbe Marduks, er war der geliebte Sohn von Anu, dem Herrlichen und Allgewaltigen, der da herrschte über den zehnten Planeten bereits seit langer Zeit und der wurde geachtet und wohlgeschätzt von jedem Mann und jeder Frau. In vollem Maße unverständlich, ja unfassbar geradezu erschien ihm folglich das Aufbegehren, der Ungehorsam der Arbeiter, denen die Ehre zukam, für ihr Volk und ihr künftiges Oberhaupt ihre Kräfte aufbieten zu dürfen. Wie nur konnten sie es wagen, Drohungen auszusprechen und ihre Gefolgschaft in Frage zu stellen? En.Lil war außer sich vor Zorn, als ihn sein älterer Halbbruder von dem Geschehenen unterrichtete. „Sie wagten, was sie niemals wagen durften, mein Bruder! Niemals zuvor in der Geschichte unserer Heimat trat ein Fall eines derartigen Mangels an Loyalität ein! Und bedenke, was uns groß gemacht hat, war es nicht der Zusammenhalt, das selbstlose Miteinander, das uns über andere Sterne erhob und unser Überleben bis zum gegenwärtigen Tage zu sichern vermochte?“ sprach En.Lil, und seine Stimme war von unsagbarer Würde und Größe, so dass jeder, dem sie zu vernehmen gegeben war, sogleich in ihren Bann gezogen wurde und Folge zu leisten genötigt war. „Zweifellos recht Du sprichst, mein geliebter Bruder“, erwiderte En.Ki, und der Klang seiner Stimme hingegen war keineswegs von solch autoritärer Schwingung, hierfür in unvergleichlichem Maße von Schönheit und edler Erhabenheit geprägt. „Doch tatsächlich haben meine Augen erblickt Verhältnisse, die wahrhaft unerträglich genannt werden müssen! Kein böser Wille noch Arbeitsscheu darf somit unseren Brüdern zum Vorwurf gereichen, sondern vielmehr am Ende ihrer Kräfte und Duldsamkeit sie angelangt sind! Niemand anderes als Du derjenige ist, den Anu zum Befehlshaber erkor, darum liegt es bei Dir zu entscheiden, doch willst Du meinen Rat, so ersuche ich Dich um Milde und es zu versuchen mit den Mitteln der Freundschaft und der Großzügigkeit!“ Für viele Stunden zog sich En.Lil hieraufhin zurück, um nachzusinnen über die ihm wenig an Glück bereitende Situation. Unverändert war sein Unverständnis über jede Form des Ungehorsams, doch anderseits hallten die Worte seines Bruders in seinem Ohr und vor allen Dingen musste er bedenken den praktischen Aspekt, denn wahrlich noch vieles hatte er zu erreichen im Sinne auf jenem kleinen, mit unbeflecktem Reichtum beschenkten Planeten, der allein seinem Willen unterstand. Keinesfalls durfte er riskieren, dass die Mission der Goldgewinnung in Gefahr geriet und Anu ihm womöglich den Befehl entzog. Ebenso wenig durfte er die Möglichkeit außer acht lassen, dass sein Bruder die Sympathien der Arbeiter für sich zu vereinnahmen und auf diese subtile Weise einen Wechsel der Gewaltenverteilung herbeizuführen begann. So gelangte der jüngere Sohn des Herrschers des Marduk letztlich zu der Auffassung, dass er den Versuch unternehmen sollte, durch gutes Zureden und die Macht seines Wortes an sein Ziel zu gelangen, und er war wahrlich überzeugt, dass ihm dies gelingen würde, denn schließlich wusste er um seine Fähigkeiten einerseits und die fest in ihrem Wesen und Dasein verankerte Loyalität der Nefilim andererseits. So kam es, dass En.Lil gen Süden reiste, zu den großen Arbeitsstätten unter Tage, welche allein ursächlich waren für den Gewinn an edlem Metall und damit den Erfolg der ihm anvertrauten Unternehmung an sich. Ausdrücklich wies er En.Ki an, ihn keinesfalls zu begleiten, denn ohne fremde Hilfe – insbesondere ohne diejenige seines Halbbruders – wollte er seine Untergebenen von seiner Autorität und der Richtigkeit seiner Handlungsweise zu überzeugen vermögen. Einzig eine kleinere Anzahl an Wachleuten nahm er mit sich, denn trotzdem er vom Gelingen überzeugt war, mochte er doch jedwedes Risiko ausgeschlossen wissen. Offiziell dienten seine Begleiter selbstverständlich einzig
dem Schutz vor Lebewesen des Tiamat, vor großen Tieren und sonstigen unerkannten Gefahren, denn mehr als ungewöhnlich war es, dass ein Bewohner des Marduk – gleich welche gesellschaftliche Position er begleitete – gegenüber Angehörigen seines Volkes Vorsichtsmaßnahmen ergriff, nicht einmal Anu hatte sich jemals auch nur von einem einzigen Wächter gehütet in die Arme der Öffentlichkeit begeben. Sehr bald schon gelangte der Befehlshaber der Astronauten an seinem Bestimmungsort und gemächlich zog er sich zunächst in das Quartier des Aufsichtsführenden zurück, in welchem wenige Tage zuvor noch En.Ki geherbergt hatte. Die Arbeiter jedoch erkannten ihn sofortig und gesteigert noch wurde ihr ohnehin schwelender Zorn, denn insbesondere erbosten sie sich, dass En.Lil sich getraute hierher zu kommen und unverzüglich in einem angenehm ausgestatten Heim verschwand, ohne ein Wort der Begrüßung an sie zu richten, während sie weiterhin in unwürdigen Verhältnisse die schwere Arbeit verrichten mussten. Und zu allem Überfluss sahen sie auch noch mehrere bewaffnete Personen an seiner Seite, was schließlich dazu führte, dass niemand von En.Lil irgendwelche frohe Botschaften sondern ganz im Gegenteil einzig Unerbittlichkeit und Strenge, ja geradezu Feindseligkeit erwarten musste. Indes hatte sich der Sohn Anus in dem ihm zustehenden Quartier zunächst einmal behaglich eingerichtet und eine Weile der Entspannung von der zurückliegenden Reise verstreichen lassen, ehe er hernach seine anstehende Rede noch ein letztes Mal vorzubereiten begann. In vollendetem Maße überrascht wurde er somit von dem, was im folgenden sich ereignen sollte, und schwer fällt es zu beurteilen, ob der Aufstand durch geschicktere Vorgehensweise hätte vermieden werden können. Auf jeden Fall hatte En.Lil die Lage fehlerhaft einzuschätzen vermocht, und plötzlich wurde er gestört von lautem Geschrei, worauf er an das nächstgelegene Fenster stürzte und erkennen musste, dass seine Arbeiter das Gebäude, das ihm zum Aufenthalt diente, eingekesselt hatten. An der Südseite des Hauses hatten sie überdies ein großes Feuer errichtet, in welches sie ihre Werkzeuge, ihre Äxte, Hämmer, Meißel, Siebe, Schaufeln, Gefäße und alles andere warfen. Und unentwegt reckten sie die Fäuste gen Himmel und riefen ein lautes „Schluss damit!“ in die Winde hinaus. En.Lil stockte der Atem aufgrund der eiskalten, wahrlich unsagbaren Wut, welche ihn umklammerte in jenen Augenblicken, in welchen er wie gebannt am Fenster stand und auf das Unfassbare hinausstarrte. Seine Begleiter hielten sich ein weites Stück von ihm entfernt, denn Angst und Beklemmung packten sie beim Anblick ihres zornerfüllten Befehlshabers. Erst nach einiger Zeit schienen dessen Lebensfunktionen zurückzukehren, denn bis dahin waren weder Atmung noch Bewegung zu vernehmen. Nun jedoch winkte er seinen Getreuen unbeholfen und kraftlos wirkend zu, worauf die Männer – es waren sechs an der Zahl – langsam hinter seinem Rücken an ihn herantraten. „Seht dort“, sprach En.Lil, „seht diesen Mann!“ Hierbei wies er vorsichtig, so dass es von draußen nicht ohne weiteres erkennbar war, auf einen einzelnen der Arbeiter, welcher sich fürwahr dadurch auszuzeichnen wusste, dass er die anderen unentwegt aufforderte, mit dem Verkünden ihrer Parole fortzufahren und auch die letzten der Werkzeuge, der Zeichen ihres unwürdigen Loses, ins alles verschlingende Feuer zu werfen. „Dieser ist der Anführer jenes Frevels, und ich kenne ihn, allein sein Name ist mir entfallen!“ „Seine Name ist Sar.E, oh Herr!“, bemerkte einer der Wächter sogleich mit erzwungen aufrechter Stimme. „Er ist ein hervorragender Architekt, wahrscheinlich einer der besten unserer Heimat!“ „Vor Anu ist jedermann gleich!“ erwiderte En.Lil mit erzwungener Gelassenheit, und das erste Übermaß seiner Wut war unverkennbar einem erbitterten, berechnenden Willen gewichen. „Und darum muss er sich als Aufwiegler, als Verräter an unserer Heimat und allen unseren Brüdern und Schwestern, die ihre Lebenshoffnung in unser Wirken gelegt
haben, verantworten – stellvertretend für alle anderen hier draußen, deren Geist die Unverantwortlichkeit ihres Tuns unmöglich erfasst haben kann!“ Keinesfalls wollte sich der Missionsleiter der Astronauten dazu herablassen, zu den Aufrührern auch nur ein einziges Wort verlauten zu lassen, und so verzog er sich in eines der hinteren Zimmer des Hauses und ließ seine Bewacher an den Fenstern Position beziehen, falls die Meute ein gewaltsames Eindringen versuchen sollte. Unvorstellbar erschien dieser Gedankengang, doch ebenso unglaublich hatte zuvor der Eintritt desjenigen Geschehens angemutet, das sich nunmehr längst im Gang befand. Eines der größten Prinzipien der Traditionen des Marduk, die Loyalität gegenüber den Verantwortungsträgern, war an diesem Tage durchbrochen worden, und nichts noch schlimmeres konnte in den Augen En.Lils mehr ausgeschlossen werden. Die Männer, die nunmehr als Wächter fungierten, trugen die übliche Bewaffnung, die auf dem zehnten Planeten schon seit längerem als Standard galt. Es war dies nicht mehr als ein einziges Schusswerkzeug, das die Form eines kurzen Stabes hatte und außen aus einem eher ordinären Metall gefertigt war. Dies zeigte die geringe Wertschätzung, welche die Nefilim dem Kriegerischen entgegenbrachten, denn ihr Augenmerk galt dem Fortschritt, der Technologie und dem wirtschaftlichen Wohlstand. Im Inneren der handlichen Waffen jedoch befand sich ein wesentlich komplexerer und wertvollerer Inhalt, denn es waren wahrhaft seltene Edelgesteine, vergleichbar den irdischen Diamanten wohl, die notwendig waren, um bei Bedarf geradezu unendlich grelle, golden glänzende Lichtstrahlen hervorzubringen, welche eine große Reichweite besaßen und beinahe alles, auf das sie trafen, durchbohrten und augenblicklich zu feinem Staub verwandelten. Zudem trug jede der Wachen eine leichte, unscheinbare Weste, welche aus ähnlich kostbarem Material wie die Schusswerkzeuge gefertigt war und die todbringenden Strahlen wenigstens abzudämpfen vermochte, was tatsächlich jedoch einzig dann funktionierte, wenn das Auftreffen in einem ungünstigen Winkel geschah. Die sechs Männer, die der jüngere Sohn Anus zu seinen Bewachern ernannt hatte, waren überdies keine ausgebildeten Soldaten, deren Leben dem Kampf gewidmet war, denn diese sollten eine der vielen unglückseligen Erfindungen der Menschen werden. Auf dem Marduk bestand keine Notwendigkeit der dauerhaften Unterhaltung einer Armee, denn weder war eine Bedrohung durch äußere Feinde absehbar noch bestand Gefahr für den inneren Frieden. Es gab praktisch keinerlei Gewalt auf dem zehnten Himmelskörper jener Galaxie, denn Recht oder Unrecht, Erfolg oder Misserfolg regelten sich gemeinhin von alleinig in wirtschaftlichen Bahnen. Dennoch existierte immerzu eine zahlenmäßig geringe, bewaffnete Einheit, deren Mitglieder sich aus Männern eher jüngeren Alters zusammensetzten, welche immer nur für wenige Monate jenen Dienst versahen und hernach sofort wieder in ihren herkömmlichen Arbeitsalltag zurückkehrten. Beschäftigung hatten sie einzig in den wenigen Fällen, in denen säumige Schuldner ihren Verpflichtungen nicht nachkommen wollten und ihre Anteile – dieses virtuelle Kapital stellte neben Gold ein Hauptzahlungsmittel dar – zeitig in wahrhaftiges Edelmetall eintauschten und dieses in ihrem Heim verbargen. Spätestens nach Erscheinen der staatlichen Eintreiber vor den Türen ihrer Häuser sahen jedoch in der Regel auch diese Personen ihr Fehlverhalten ein und korrigierten dasselbe mit ehrlichem Bedauern, so dass zumindest in den letzten Jahrhunderten kein einziger Fall der gewaltsamen Schädigung eines Nefilim bekannt wurde. En.Lil entschied sich, zu warten bis die Nacht hereingebrochen war, um hernach in aller Stille von diesem für ihn gefahrvollen Ort zu verschwinden. Noch bis zum späten Abend hatten die Arbeiter sein Quartier umlagert, das Feuer geschürt und dem in ihren Augen Verantwortlichen für ihre untragbare Situation unentwegt ein schallendes „Schluss damit!“ entgegengebracht. Dann jedoch zogen sie sich zunächst gruppenweise in ihre
Wohngemächer zurück, da sie von Müdigkeit befallen wurden, und als Sar.E ebenfalls ging, da folgten diesem schließlich alle weiteren, so dass das Haus schon bald verlassen war. Als ihm seine Getreuen dies berichteten, da handelte der Befehlshaber sofortig und eilte mit den Wächtern ins Freie, worauf die Fliehenden ihr flaches, großräumiges und von zwei gewaltigen Walzen angetriebenes Gefährt – das die Aufrührer gänzlich unbehelligt gelassen hatten – betraten und mit diesem das Weite suchten. Noch während jener Fahrt nach Norden steigerte sich die Wut En.Lils von neuem, denn unsagbar war für ihn die Pein, von den ihm Untergebenen von seinem eigenen Land – als dasselbe betrachtete er den ganzen Tiamat – vertrieben worden zu sein. Er, der Thronerbe des Marduk, war gezwungen, wie ein übler Verbrecher im Schutz der Nacht der Flucht zuzusprechen – unmöglich konnte dies ungesühnt verbleiben. Unbeschadet gelangte der Befehlshaber zurück zu seinem Sitz nach E.Ri.Du, worauf man ihm sogleich mitteilte, dass sein Bruder sich auf See befand und schon mehrfach die Bitte übersandt hatte, dass En.Lil ihn sogleich nach seiner Rückkehr kontaktieren möge. Und keinen Zweifel hatte En.Ki daran gelassen, dass ihm nichts anderes als der nunmehr erst kurze Zeit zurückliegende Vorfall am Herzen lag. Nachrichten verbreiteten sich rasch mit Hilfe der hochentwickelten Technologie der Nefilim, das war nichts neues und nichts verwunderliches, und vielleicht hatten die Aufrührer gar bewusst En.Ki informiert und ihn um Hilfe ersucht. Auf jeden Fall verspürte En.Lil kein Verlangen, mit seinem Bruder zu reden, und an seinem anstehenden Handeln konnte es ohnehin keine Änderung mehr geben., da die Entscheidung hierüber längst gefällt war. En.Lil hatte sein Domizil – ein prachtvoll, wenn auch wenig kostenintensiv gearbeitetes Gebäude – noch kaum betreten, ehe er sich alleine in eine der wichtigsten Räumlichkeiten zurückzog. In jenem Zimmer befand sich unter einem gläsernen Kasten ein rundlich geformtes Objekt, das für den Unbedarften auf den ersten Blick wie ein großer Stein wirken musste. Und in der Tat wurden jene Gegenstände von den Menschen, die sie nach der Flut auffanden, für verzauberte Steine gehalten, denn sie hatten die Fähigkeit zu sprechen und Rat zu geben. Es handelte sich um eben jene unbeschreiblichen Objekte, die von den Menschen des Altertums als ‚Orakel’ bezeichnet und der Nachwelt überliefert wurden. In Wahrheit jedoch bestand das Innere der vermeintlichen Steine aus – selbst aus Sicht von weitaus später lebenden Angehörigen der menschlichen Rasse – unmöglich nachvollziehbarer Technologie, welche zu bewirken vermochte, dass die Übertragung von mit akustischen Energien bedachten elektromagnetischen Wellen über unsagbar weite Entfernungen, namentlich bis hin zum Heimatplaneten der Nefilim, ermöglicht wurde. Dies verhielt sich letztlich so, dass En.Lil auf dem Tiamat in die Apparatur sprach, die Wellen der Worte im folgenden über eine Art weit überdimensionale Antenne, die sich in Nibru.Ki befand, und über einen Satelliten, der in der Umlaufbahn des Tiamats kreiste, bis zu einem Empfangsgerät auf dem Marduk weitergesendet wurde. Und am anderen Ende jener technischen Vorrichtung saß niemand anderes als A.N, der alleinige Herrscher des Heimatplaneten der Astronauten. Und der Sohn berichtete dem Vater von den unerhörten Dingen, die da vorgefallen waren, und Anu zeigte sich wahrhaft erschüttert. Nun versuchte En.Lil ohne Umschweife zu erwirken, dass ihm eine größere Einheit an bewaffneten Männern gesandt wurde und er jegliche Vollmacht erhielt, um die Verantwortlichen der Revolte zur Rechenschaft zu ziehen. Hätte er seine Worte ein wenig subtiler gebraucht, so hätte er möglicherweise einen sofortigen Erfolg davongetragen, denn lediglich in den seltensten Fällen hatte ihm sein Vater vormals einen Wunsch abzuschlagen vermocht. Doch in seiner immer noch lodernden Wut hatte En.Lil die unsagbare Gewaltigkeit seiner Sprache in solch hohem Maße ausgeschöpft, dass Anu von den Schilderungen zu sehr mitgenommen wurde, um in Schnelle klare Gedanken zu fassen. So nahm er sich Bedenkzeit und ließ seinen jüngeren Sohn in Unbehagen zurück.
Für zwei Tage hörte En.Lil nichts mehr vom Marduk, und weiterhin verweigerte er jegliches Gespräch mit seinem Bruder, welcher sich immer noch auf Reisen auf irgendeinem weit entfernten Teil des Tiamat befand, da er diesem nichts anderes denn vollendete Tatsachen präsentieren mochte. Am dritten Tag nachdem er sich gegenüber seinem Herrscher geäußert hatte, erhielt er dann vom Kontrollzentrum in Nibru.Ki die Nachricht, dass ein Raumschiff die bevorstehende Landung in Sippar ankündige. Und an Bord jenes Flugobjektes befand sich niemand anderes als Anu höchstpersönlich. En.Lil war zutiefst überrascht und wusste zunächst nicht, wie er die unerwartete Neuigkeit einordnen sollte. Sofortig ließ er eine größere Anzahl an ihm treu Untergebenen – im Ganzen waren es etwa zwanzig – in üblicher Weise sich bewaffnen, woraufhin die Schar in die vier modernsten zur Verfügung stehenden Fahrzeuge einstieg und den Weg nach Süden und Osten – wo sich der Raumflughafen befand – einschlug. Der Befehlshaber der Astronauten erlangte zunehmend eine positive Einstellung zum Besuch seines Vaters, denn er war sich sicher, dass dies fraglos dazu dienlich sein musste, seine Autorität zu unterstreichen und seine alleinige Herrschaftsgewalt auf dem Tiamat zu manifestieren. Er wusste, dass Anu ihm noch niemals einen Wunsch abgeschlagen hatte und unmöglich erschien es, dass sein Vater ihm vor dem Angesicht ungezählter Leute seine Gunst entziehen mochte. En.Lil und seine Soldaten – nicht anders können seine unter Waffen stehenden Getreuen bezeichnet werden aus menschlicher Sicht – gelangten rechtzeitig an ihr Ziel, so dass sie am Fuß der auf einem Hochplateau befindlichen Landefläche warteten, bis das erwartete Raumschiff zur Landung ansetzte. Hatte En.Lil jedoch gehofft, dass Anu mit einem größeren Aufgebot an Männern ankommen würde, so zerschlug sich diese Erwartung schon sehr rasch, denn das Flugobjekt, das schließlich zum Landeanflug überging, war keines der mit einem großen Volumen ausgestatteten Schiffe, die zur Beförderung einer größeren Anzahl von Personen dienten, sondern einzig ein kleineres Raketenschiff, das außerordentlich hohe Geschwindigkeiten zu erreichen vermochte, in dessen Innern das Raumangebot jedoch sehr begrenzt war. „Wahrhaft großer Kummer wurde mir bereitet durch Deine Worte, oh mein geliebter Sohn! Und befand ich mich hernach für lange Zeit im Ungewissen, auf welche Weise ich Dich unterstützen und die rechte Entscheidung finden sollte, so entschied ich mich letztlich für den aufwendigsten Weg, nämlich mein Heim zu verlassen und selbst zu begutachten, was in der Abgeschiedenheit jenes fernen Sternes zu finden ist!“ So sprach Anu zu seinem künftigen Erben, welcher ihn mit aller gebührenden Herzlichkeit empfing, wenn dies auch zugleich von einer unübersehbaren Spannung überlagert wurde. „Mit größter Freude will ich Dir zeigen, oh Vater, was wir aus dem Nichts hier erschufen, durch unserer Hände Arbeit und immerwährenden Fleiß! Wahrlich niemand hier kann freudig genannt werden angesichts unseres schweren Loses, körperliche und geistige Mühen fern der geliebten Heimat zu erleiden, doch sind wir uns alle stets bewusst, dass unsere Brüder und Schwestern und alle Werke unseres Planeten, die bereits unsere Ahnen erschufen, einzig erhalten werden können durch unser aller Selbstlosigkeit! Doch bedenke, wie gefährdet jene alleinig Rettung und Glück verheißende Einsicht wäre, würde das gezeigte Beispiel Schule machen und der Loyalität all ihre Bedeutungskraft nehmen! Müßiggang, Selbstsucht und letztlich Anarchie würden die unvermeidlichen Folgen sein, und elendig müsste unser Volk zugrunde gehen! Darum bleibt uns lediglich vorzugehen mit harter Hand wider die Verräter und Verführer – so sehr mir dies auch widerstreben mag! Denn letztlich muss auch ich – der ich trage ungeteilt die Verantwortung über die Mission – mich ergeben meinem Los mit allen Konsequenzen, denn ansonsten müsste man mich nicht anders denn unwürdig und gescheitern nennen!“
Anu lobte seinen Sohn und sicherte ihm seine immerwährende Unterstützung zu, doch ließ er sich mitnichten zu einer vorschnellen Entscheidung bewegen. Er bestand darauf, so bald wie möglich in die Bergbauregion zu reisen und persönlich mit den Arbeitern zu reden – in En.Lils Beisein zu jeder Zeit. Traurig zeigte er sich lediglich darüber, dass En.Ki nicht zu seinem Empfang zugegen war, auch wenn er völliges Verständnis dafür aufbot, dass sein ältester Sohn als Beauftragter für die Goldgewinnung die fremden Länder mehr als jeder andere bereisen musste. Zumindest bestand er jedoch darauf, dass En.Ki unmittelbar die Botschaft seiner Ankunft übermittelt wurde, denn offensichtlich war, dass dies bislang niemand in die Wege geleitet hatte. Lediglich zwei Wächter hatte der Herrscher des zehnten Planeten mit sich gebracht, denn unzweifelhaft wollte er jedermann seinen Willen zur friedlichen Lösungsfindung demonstrieren. Mit Zweifel und Missfallen bedachte er daher die Schar der bewaffneten Männer, die der von ihm ernannte Missionsleiter nicht von seiner Seite lassen mochte. Dennoch ließ sich Anu zu keiner Bemerkung herab, und so wurden En.Lil und er schließlich von mehr als zwanzig Soldaten begleitet, als sie sich in vier großräumigen Gefährten zur Reise in den südlichen Teil des später als Afrika bekannten Teiles des Tiamat aufmachten. Das Fahrzeug mit dem Thronerben rollte von Anfang an voraus, während dasjenige mit Anu an Bord dahinter verblieb und die beiden übrigen die Seiten flankierten. Ohne von dieser Formation abzulassen, bewegten die schweren Walzen die flachen, starkmotorisierten und aus einem offensichtlich sehr leichten, jedoch gleichsam widerstandsfähigen Kunststoff gebauten Gefährte ihrem Bestimmungsort entgegen, und dank überaus hoher Geschwindigkeit gelangte man sehr rasch voran, wenn der Weg auch dennoch sehr weit entfernt und beschwerlich verblieb. Die unberührte Natur des Tiamat faszinierte die Nefilim weitaus mehr, als sie ihnen Mühen und Unbehagen verursachte, denn gewohnt waren die Ankömmlinge nichts anderes als kahle, abgewirtschaftete Landschaften, die lediglich erfüllt wurden von künstlichen und technischen Errichtungen, die nur noch sehr wenig mit dem Urzustand, den die Elemente einst hervorbrachten, gemein hatte. Insbesondere der lebensalte Herrscher konnte seinen Blick zu keinem Zeitpunkt abwenden von all den unbezwungenen Bäumen, mannshohen Gräsern und Pflanzen sowie vor allem von den prächtigen Tieren, jenen niederen Geschöpfen, die vom Marduk längst aufgrund des Mangels an Lebensraum verschwunden waren, hier jedoch in Unversehrtheit und Unbekümmertheit gediehen und sich an der üppigen Reichhaltigkeit der Natur mit Freuden bedienten. In diesen Momenten verlor Anu einen Teil seines Herzens an die unberührte Schönheit des naturgegebenen Daseins auf dem Tiamat und nahm sich vor, diesen Stern nimmer zu einem zweiten Marduk werden zu lassen. Wie wohlwollend und löblich diese Vorsätze doch waren, und in der Tat suchte der Herrscher in den folgenden Zeiten stets, unverzeihliche Eingriffe in den natürlichen Lauf der Dinge durch die Hände seines Volkes zu vermeiden und insbesondere die Welt der Tiere zu schützen zu jeder Zeit, nimmer jedoch konnte er vorhersehen, dass dem Leben, welches er zu bewahren versuchte, letztlich nicht durch die Angehörigen seines eigenen Volkes, sondern durch deren Kinder – die Menschen – der Todesstoß versetzt wurde. Ob dies geschah aufgrund der Unvorsicht En.Kis, aufgrund der Nachlässigkeit Anus, als Ursache der Verführung durch Ischtar oder einfach aus Gründen der Schlechtigkeit und Maßlosigkeit, welche die Geschöpfe des Tiamat letztlich selbst für sich erwählten, soll nicht beurteilt werden, auf jeden Fall sollte die Natur niemals wieder die gleiche sein wie damals, als Anu erstmals die Lande des neuentdeckten Planeten bereiste. Nur wenige Übernachtungen waren erforderlich, ehe sich der Konvoi schließlich seinem Bestimmungsort näherte. Während der letzten Kilometer empfand En.Lil ein Gefühl erhöhter Ungeduld und brennenden Verlangens, seine Autorität endlich denjenigen zu
demonstrieren, welche ihn in solch schändlicher Weise verunglimpft hatten. Seine größte Sorge bestand darin, dass sich die Arbeiter und vor allem die Urheber der Auflehnung mittlerweile nicht mehr an diesem Ort befanden, sondern sich aus Furcht vor gerechter Bestrafung längst in die unerforschten und schwer zugänglichen Wälder des Tiamat geflüchtet hatten. Selbst wenn dies zwangsläufig bedeuten musste, dass eine einstmalige Rückkehr in ihre Heimat somit mehr als unwahrscheinlich wurde. Die Mutmaßungen des Befehlshabers sollten jedoch unbegründet bleiben, denn die Siedlung unweit der großen Bergwerke, in welcher die Arbeiter nun bereits seit sehr langer Zeit untergebracht waren, zeigte sich keineswegs als verlassen, sondern ganz im Gegenteil verweilte eine große Anzahl der Nefilim – etwa 600 der Astronauten waren schließlich an der Goldschürfung beteiligt – scheinbar unbeschwert im Bereich der zahlreichen Hütten, wenn auch die Stimmung überaus unbefriedigt und gedrückt erschien. So reagierten die Männer, denen die Erschöpfung praktisch an jeder Körperfaser abzulesen war, wohl aufgrund ihrer inneren Leere sehr behäbig und scheinbar nur bedingt interessiert – was jedoch fraglos täuschte – auf das Erscheinen der vier Fahrzeuge, und auf keinen Fall waren aggressive Emotionen irgendwelcher Art zu erkennen. Die weitgereisten Gefährte blieben still stehen, worauf ihnen zunächst mehr als ein Dutzend an streng dreinblickenden Männern entstieg, welche ihre Schusswaffen in augenscheinlich demonstrativer Offenheit zu präsentieren suchten. Lediglich kurz darauf verließ eine weitere Person das vorderste der Fahrzeuge, und sogleich erkannte ein jedermann das edle und gestrenge Antlitz von En.Lil, dem Thronerben des Marduk. „Versammelt Euch alle“, rief En.Lil denjenigen entgegen, die ihn erkannten und in den meisten Fällen zunächst wie gebannt anstarrten, „denn hier ist noch jemand außer mir, der mit Euch zu reden bereit ist! Und vor allem schickt Sar.E, den Architekten, denn ihn verlangt es mich zu sehen, und er weiß, weshalb dies der Fall ist!“ Einige der Anwesenden wandten sich um, mit dem Ziele, die übrigen der zu harter körperlicher Arbeit Auserkorenen herbeizurufen, doch war dies keineswegs nötig, denn in aller Schnelle hatte sich die Rückkehr des Missionsleiters herumgesprochen, so dass sich nach wenigen Minuten mehrere Hundert der ausgelaugten, nunmehr im südlichen Afrika beheimateten Nefilim einfanden und geduldsam das nunmehr Folgende erwarteten. Unverändert stand ihnen En.Lil in sicherem Abstand entgegen, während er von im Ganzen um die zwanzig Bewachern flankiert wurde. Mit kritischer und unnachgiebiger Miene blickte er in die Menge und ließ seine Augen suchend umher schweifen, zu seiner Unzufriedenheit schien ihnen der Erfolg zunächst jedoch verwehrt zu bleiben. Dann trat behutsam ein einzelner Mann durch die Menge, die ihm bereitwillig Platz bereitete, so dass er schließlich nach vorne gelangte und dem Sohn des Herrschers geradewegs gegenüberstand. En.Lils Züge erhellten sich sofortig, als er Sar.E erkannte, denn nunmehr hatte er zumindest einen der wesentlichen Anstifter der Verräter, die sich an seiner Autorität zu versündigen wagten, vor seinem Angesicht und damit in der Reichweite seiner Gewalt. „Ihr alle wisst, weshalb ich hierher gekommen bin, und Ihr wisst, worin Eure Schuld besteht! Großes Unheil wider unsere Heimat und unser Volk habt ihr in maßloser Unverantwortlichkeit in Kauf genommen, und darum will nicht ich Euch richten, sondern ein anderer, dessen Wort uns allen als weise und heilig gilt!“ En.Lil nickte mit dem Kopf einem der weiter hinten postierten Soldaten zu, nachdem er die letzten Worte gesprochen hatte, worauf dieser eine der Türen des Gefährtes an seiner Seite öffnete. Und an dieser Stelle, auf welche sich nunmehr alle Blicke richteten, erschien um kurzes darauf eine Persönlichkeit, deren Antlitz allen zuvor unwissenden Betrachtern vor Überraschung die Sprache verschlagen ließ. Anu verließ das Fahrzeug und schritt erhobenen Hauptes langsam nach vorne, bis er an die Seite seines jüngsten Sohnes
gelangte. Dort angelangt, betrachtete er zunächst einige Augenblicke lang die Angehörigen seines Volkes, welche ihm nunmehr gegenüber standen. Und wahrlich absolute Geräuschlosigkeit herrschte vor während jener Momente, bis er selbst die Stille brach. „Vom Marduk aus habe ich mich hierher begeben, da mir zu Ohren gelangte, welche Zwietracht hier ausgebrochen ist! Und so groß waren mein Unglaube einerseits und die Liebe zu meinem Volk zum anderen, dass mir nichts anderes blieb, denn mich selbst an Euch zu wenden und von Angesicht zu Angesicht die Angelegenheit durch offene Worte zu bereinigen zu versuchen! So mögen nunmehr diejenigen von Euch sprechen, welche sich in Ehrlichkeit bekennen, die zurückliegenden, folgenschweren Taten als Urheber mitgetragen zu haben, ohne dass sie meine Verdammung fürchten müssen!“ „Niemand der unseren war der alleinige Urheber, oh Herr!“ sagte Sar.E, und ehrfurchtsvoll senkte er leicht sein Haupt, da er seinem Herrscher als Zeichen der Hochachtung nicht in die Augen schauen mochte. „Eine scheinbar unendlich lange Zeit lang waren wir wahrlich gefangen unter Tage, fern unserer Heimat und unserer Lieben, und dennoch murrte ein niemand von uns und jedermann ertrug die schweren Lasten ohne ein Wort der Klage! Die Zustände in den Minen jedoch wurden im Laufe der Jahre immer unerträglicher, und es schwand unsere Hoffnung, eines Tages von den Mühen erlöst zu werden! Ihr müsst wissen, oh großer Herrscher des Marduk, dass nicht ein einziger von uns jemals zuvor schwere Arbeit zu erdulden erlernte, denn wir wurden ausgewählt allein nach geistiger Qualifikation! Dies alles müsst Ihr bedenken, wenn Ihr beurteilt unsere Schuld, die einzig darin bestand, dass wir warfen die Wahrzeichen unserer Qual in die reinigende Feuersbrunst!“ Anu schwieg. Und während er überlegte, da vermochte ein jeder den Zwiespalt, das Zerwürfnis in seinem Innern zu erfassen. Auch En.Lil entging dies keineswegs, und abermals entfachte sein Zorn, denn in seinen Augen bestand die Verfehlung und der einzige Punkt, den es zu bereden galt, in jenem Bruch der Loyalität, welcher unverzeihlich war und alle bisher gehegten Werte und Ordnungen und damit die Grundlage des Fortbestehens der Nefilim zu zerschmettern drohte. So blieb ihm nichts anderes, als ohne Verzögerung das Wort zu ergreifen und seinen Vater vor eine unmissverständliche, augenblickliche Wahl zu stellen. „Wahrhaftig mochten Eure Motive nicht gänzlich unverständlich gewesen sein, allein die Art der Umsetzung kann verziehen werden zu keiner Zeit! Einzig in den Händen derjenigen, welchen die schwere Last der Verantwortung zu tragen bestimmt sind, kann das Recht liegen, Veränderungen zu bewirken, so war es immer schon seitdem die Kinder Marduks zu laufen lernen! Und sollte es jemals anders sein, so wird unser Volk unzweifelhaft seine letzten Tage erleben, sei es aus Mangel an Gold oder aufgrund anderweitiger Auslöser! So fordere ich hiermit nichts geringeres als die höchste aller Bestrafungen für Sar.E, welcher an der unheiligen Auflehnung in führendem Maße beteiligt war, und dies soll als Vergeltung für alle gereichen!“ Mit blanker Bestürzung in den Augen blickte Anu zu seinem Sohn und sah die Unerschütterlichkeit in seinem Antlitz. Voll unübertrefflicher Autorität hatte dieser gesprochen, und da war nicht ein einziger, der nicht ergriffen war. Für eine lange Zeit – und niemand vermochte anschließend zu sagen, um welche Zeitspanne es sich im Ungefähren handelte – herrschte Sprachlosigkeit vor, und unmöglich fällt es zu ermessen, welcher der Anwesenden wohl als erster das Schweigen durchbrochen hätte und welch Geschehnisse des Weiteren eingetreten wären, wäre nicht ein gänzlich unerwarteter Faktor hinzugetreten. Viele zeigten sich später jedoch sicher, dass der alte Herrscher wohl dem Drängen seines Thronerben nachgegeben und erschütterten Herzens das Todesurteil für den Angeschuldigten in En.Lils Hände gegeben hätte. Möglicherweise hätte sich Sar.E sofortig gefügt und sich für Ordnung und Frieden geopfert, anderseits wäre ebenso eine
erbitterte Auseinandersetzung mit schmerzhaften Ausgang denkbar gewesen. So aber blieb der Augenblick der ersten, unglückseligen Gewalttätigkeiten, die schließlich alles weitere Geschick auf dem Tiamat für immer prägen sollten, einem anderen Zeitpunkt vorenthalten, denn mit einem Male trat ein einzelner Mann zu den Anwesenden heran, und alle wurden blass vor Erstaunen, da jeder ihn bestens zu kennen wusste, doch sein Erscheinen nimmer erwartet hatte an diesem Tag. Es war En.Ki, welcher heranschritt, und er kam alleine, ohne einen Begleiter an seiner Seite. Mit leichtem Schritt nahte er heran, und im Gegensatz zu allen anderen der Nefilim war sein Gesicht keineswegs von Anspannung und tiefster Ernsthaftigkeit geprägt, wenn es auch nicht frei von Sorgen wirkte. Die Miene des älteren Sohnes Anus war hell und verbreitete sogleich eine Aura von Milde und Zuversicht, etwas, das zu keiner Zeit dringlicher benötigt wurde als in diesen Augenblicken. „Ich vernahm von der Zuspitzung des Zwistes, und ich weiß, wie sehr uns allen dadurch zugesetzt wurde! So eilte ich mich hierher zu gelangen, und noch um vieles mehr beschleunigte ich meine Reise, als ich vernahm, dass Ihr hier auf diesem unbekümmerten Planeten weilet!“ Während der letzten Worte hatte sich En.Ki seinem Vater zugewandt. Nun trat er direkt an ihn heran und setzte sein linkes Knie auf die Erde hinab, während er sein Haupt voll Demut zu senken begann. „Ich grüße Euch, oh gütiger Herrscher unseres Volkes, lange habe ich mich danach gesehnt, Euch wieder begegnen zu dürfen!“ Dann schwieg er, und jedermann vermochte zu sehen, wie der alte Mann von dem unsagbaren Druck, welcher zuvor auf ihm gelastet hatte, langsam abzulassen vermochte, während wahrhaft übermäßige Freude über das Wiedersehen mit seinem Kind in ihm aufstieg. „Erhebe Dich, mein Sohn, denn Du hast keinen Grund, Dich mir untergeben zu fühlen! Wahrlich außergewöhnlich waren Deine Leistungen hier in dieser fremden Welt, und einzig durch Deine Hilfe konnte es unserem Volk gelingen, die Unternehmung voran zu treiben mit unübersehbarem Erfolg! Doch nunmehr ist ein schwerer Schatten über unsere gemeinsamen Anstrengungen getreten, und selbst mit dem Reichtum all meiner Erfahrung vermag ich nicht zu ermessen, welch Urteil und weitere Vorgehensweise recht und gebührend sei!“ En.Lil, der die ganze Zeit über voll Missmut geschwiegen und sich von der Überraschung, plötzlich seinen Bruder zu erblicken, immer noch nicht gänzlich erholt hatte, schickte sich nunmehr etwas zu sagen an, doch noch ehe ihm dies möglich wurde, erhob sich En.Ki und ergriff rechtzeitig selbst das Wort, denn was er zu sagen hatte, war ohne Frage bedeutsam, und niemanden gab es, den es nicht betraf. „Wahrlich weiß ich sehr wohl um die Problematik der schlimmen Arbeitsbedingungen, denen all diese Männer hier ausgesetzt sind, und tatsächlich war diese bereits absehbar seit dem Tag, an dem unsere erste Vorhabung, die Gewinnung des edlen Metalles aus klarem Meereswasser, zum Scheitern erklärt werden musste! Seit langer Zeit bereits machte ich mir daher vielerlei Gedanken, wie der für unsere Heimat lebensnotwendige Erfolg unserer Mission auf einfacherem Wege zu erlangen sei, und fürwahr trat mir eine einzige Lösung in den Sinn, die ich aufgrund ihrer Ungeheuerlichkeit bislang nicht auszusprechen wagte! Nun jedoch sehe ich keine andere Möglichkeit mehr als sie der Allgemeinheit zu eröffnen und einer Entscheidung preiszugeben! Im östlichen Teil dieses Kontinentes hat sich ein niederes Wesen entwickelt, das von seinen Anlagen her das Potenzial besitzt, für unsere Zwecke dienlich zu sein! Da es sich von ähnlichen Tieren – den Affen – durch den Grad seiner Entwicklung unterscheidet, gab ich ihm die Bezeichnung Affenmensch. Durch fraglos schwerwiegende biologische Eingriffe in die Natur dieses Wesens sehe ich die Möglichkeit, mehrere seiner Evolutionsstufen – die es womöglich niemals erreichen würde – zu überspringen und ihn
zu einem dienstbaren Geist zu gestalten! Auf diese Weise würde er in die Lage versetzt, die schwere Arbeit unter Tage an unserer Stelle zu erledigen!“ Nach diesen Worten schwieg En.Ki und ließ das Gesagte in Ruhe seine Wirkung entfalten. Die Atmosphäre der Anspannung und Aggressivität, die vor seinem Erscheinen vorgeherrscht hatte, hatte sich nunmehr endgültig zum größten Teil verflüchtigt. Statt dessen erkannte man fragende und von Ratlosigkeit geprägte Gesichter, die jedoch auch einen Schimmer an Hoffnung offenbarten. Schließlich fand einer der Anwesenden als erster wieder zu geistiger Klarheit, und dieser war Anu, der altehrwürdige Herrscher des zehnten Planeten. Für jedermann sichtbar reckte er sich auf zur vollen Größe seiner immer noch von großer physischer wie seelischer Kraft durchdrungenen Gestalt, wobei sich seine Gesichtszüge verhärteten und somit seine Entschlossenheit zu untermalen wussten. „Nun denn“, so begann er, „selbst wenn mir keineswegs wohl bei dem Gedanken ist, dass wir uns als Schöpfer von Leben betätigen und des Universums Geschick zu beeinflussen suchen, so vertraue ich En.Ki, meinem geliebten Sohn, in vollen Maße! Wenn dieser Weg tatsächlich zur Lösung unseres dringlichen Problemes und damit zur Begrabung jener unsäglichen Zwietracht führen mag, so muss er der rechte genannt werden! Meine Entscheidung ist somit getroffen! Verlangen werde ich allerdings, dass alle der auserwählten Arbeiter von diesem Augenblick an sogleich an ihre Aufgabe zurückkehren und diese mit voller Hingabe ausfüllen, solange bis die Bemühungen der Wissenschaftler den ersehnten Erfolg gebracht haben mögen!“ Es dauerte nicht sehr lange, ehe die erwartungsvolle Ungewissheit unter den Nefilim schlagartig Freude und Zuversicht Platz machte. Sar.E und mit ihm jeder andere, welcher unter den zur körperlichen Bemühung Auserkorenen Wortführer genannt werden konnte, trat hervor und sicherte dem wahrlich geliebten Herrscher sofortige und unbedingte Folgsamkeit zu. Und tatsächlich ließen die Eifrigsten nicht lange mit Zeichen ihres aufrechten Willens auf sich warten und machten sich daran, noch unversehrte Werkzeuge herbeizuschaffen und mit der Herstellung neuer, zweckmäßiger Hilfsmittel zu beginnen. So endete die erste und letzte Visite Anus auf dem Tiamat in überschwänglichem Erfolg, und nachdem er zahlreiche Hände seiner vor ihm niederknienden Untertanen gedrückt hatte, da stieg er zurück in das Fahrzeug, mit welchem er kam, und ließ sich geradewegs nach Sippar verbringen, wo er sich von seinen Söhnen verabschiedete und hernach in einem Raketenschiff in Richtung des Marduk aufmachte. Die Nefilim, die auf dem neu erblühten Stern zurückblieben, waren im folgenden überaus guter Dinge, bis auf eine einzige Ausnahme jedoch. En.Lil schwelgte in wahrhaft unendlich tiefer Verbitterung und Wut, und für einige Zeit vermochte er nicht, das Wort zu erheben, sondern verharrte in Schweigen und Zurückgezogenheit. Schließlich jedoch sollte er seinen Willen wiederfinden, und dieser erwuchs fortan zur Quelle vielerlei Verwicklungen und Leids.
4.Kapitel: Der erste Mord
L
ängst zurückgefunden hatten die Arbeiter an den Ort, welchen sie noch wenige Wochen zuvor unter Erschöpfung und Grauen verließen, und an welchen sie nach ihrem damaligen Entschluss nimmer wieder zurückkehren mochten. Doch erweckt hatte sie das Erscheinen Anus zu neuer Tatenkraft, und nicht zuletzt hatte die längere, unplanmäßige Pause den Kräften ihrer vormals ausgezehrten Körper wieder zu neuer Energie verholfen. Nun wussten sie, dass sie nicht vergessen und für alle Zeiten hoffnungslos zur Arbeit innerhalb der dunklen Gruben geknechtet waren, denn die höchsten Würdenträger ihres Volkes würden sich persönlich um ihr Wohl zu bemühen
suchen. Und was bedeuteten schon einige weitere Wochen oder Monate der Mühen, verglichen mit den vielen Jahren, die sie bereits ohne Klagen gelitten hatten. Letztlich nahm für die Astronauten die Aussicht auf die Würdigung ihrer Hingabe und Leistung sowohl durch ihre Weisungsbefugten als auch durch die zurückgebliebenen Bewohner ihrer Heimat noch einen wesentlich höheren Stellenwert ein als die Freude auf die fraglos über alle Maßen ersehnte Ablösung, denn so war ihr Wesen geartet, voller Streben und Loyalität zum an Fortschritt und Glanz alles in den Schatten stellenden Marduk. En.Ki zog sich in der Zwischenzeit nach Schurrupak zurück, wo er sich gemeinsam mit seiner Halbschwester Nin.Hur.Sag gänzlich dem Studium der Schaffung eines Lulu – eines künstlichen Arbeiters – widmete. Niemand vermochte zu sagen, wie lange diese Arbeit in Anspruch nehmen würde, doch so lange sollte alles seinen gewohnten Lauf nehmen. Somit wurde es wiederum still auf dem Tiamat, ein jeder der Astronauten ging seiner ihm aufgetragenen Tätigkeit nach, und die fernen Gebiete blieben unbereist, da En.Ki seine Liebe zur See zurückstellen musste und niemand sonst solch Verlangen danach verspürte oder es andererseits an der Möglichkeit mangelte. In dieser Atmosphäre der Ruhe und Zufriedenheit sollten nun jene Gedanken gedeihen, welche schon sehr bald zu unsäglichem und wahrhaft unentschuldbarem Handeln führen mussten. „Du musst meine Worte verstehen, mein Sohn, denn ich habe keine Zweifel darüber, dass Du, wenn Du dereinst mein Nachfolger geworden bist, in ähnlicher Lage ebenso handeln würdest! Zuweilen sind große Entscheidung fürwahr schmerzvoll sowohl für den einen wie auch für den anderen, doch niemals darfst Du vergessen, dass mir – und dereinst Dir an meiner Stelle – gegebenenfalls die gewaltige Verantwortung obliegt, mit einem einzigen Schiedsspruch über das gesamte Fortexistieren unseres Planeten zu richten! Und nicht immer ist das geschriebene oder ungeschriebene Gesetz identisch mit den Geboten der Weisheit, dies darfst Du niemals vergessen!“ „Zweifellos rechte und weise Worte sprichst Du, oh Vater, und ungeteilt muss ich Dir nunmehr meine Zustimmung aussprechen! Doch fürchte ich deshalb nur um so mehr, dass ich Dein Vertrauen enttäuscht und mich als wenig geeignet erwiesen habe, die mir von Dir auferlegte Mission zu jedermanns Glück und Zufriedenheit auszufüllen! Darum bleibt mir schweren Herzens keine andere Alternative, als Dir meine Rückkehr in die Heimat anzubieten und vorzuschlagen, meinen Bruder als meinen Nachfolger zu ernennen, denn er hatte im Gegensatz zu mir die günstige Position, keine unangenehmen Tatsachen verkünden zu müssen, so dass er unbelastet verbleiben und von dem dienenden Volk unverändert geliebt werden konnte!“ Anu stutzte und zweifellos musste seine Bestürzung enormen Ausmaßes gewesen sein. Unmittelbar nachdem sein jüngerer Sohn mit ihm zu kommunizieren begonnen hatte, war ihm dessen schwacher und in hohem Maße bedrückt erscheinender Tonfall aufgefallen, doch nimmer hatte er die Vermutung gehegt, dass En.Lil ihm seinen Rücktritt als Leiter der Unternehmung auf dem Tiamat anbieten wollte. Zu jeder Zeit hatte er gewusst, wie sehr die gegen En.Lil gefällte Entscheidung an demselben gezehrt hatten, doch hatte der lebensalte Herrscher des Marduk als sicher angenommen, dass das Unbehagen des Befehlshabers verfliegen und ihn letztlich vielmehr noch zu einem reiferen Mann vermachen würde. In aller Kürze spielten sich in jenen Momenten der Wortlosigkeit die möglichen Konsequenzen einer unrühmlichen Rückkehr von En.Lil auf den zehnten Planeten in Anus Kopf ab, und diese zeigten wahrlich furchtbare Bilder, denn wie sollte ein Mann, der bei einer einzelnen Unternehmung bereits an seiner Verantwortung scheiterte, dereinst als Herrscher über das großartigste aller Völker Akzeptierung finden. „In Sprachlosigkeit versetzt Du mich fürwahr, denn erschütternd sind Deine Worte für die Ohren eines alten Mannes, der ich geworden bin, und für den nichts größer ist denn die Liebe zu seinen Kindern! Doch trotzdem mir für einen Augenblick die Worte auf der
Zunge erstarrt waren, gibt es doch keine einzige Sekunde, in der ich erwägen würde, Deinem zweifellos ehrhaften Ansinnen nachgeben zu wollen! Niemand anderes als Du, mein Sohn, sollst weiterhin Befehlender und Verantwortlicher der Unternehmung sein, und zweifle ebenso wenig wie ich, dass die dir zugewiesenen Männer und Frauen höchste Wertschätzung für Dich zu empfinden bereit sind!“ Hatte En.Lil zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in Erwägung gezogen, seine hochgesteckten Ziele auf dem Tiamat zu Grabe zu tragen und mit einer unzweifelhaften Niederlage im Rücken nach Hause zurückzukehren, womöglich, da ihn das Gewissen plagte ob der Entscheidung, welche er innerlich bereits unumkehrbar getroffen hatte? Man wird es nie erfahren, doch hatte er es zweifellos als wahrscheinlich empfunden, dass Anu seinem Rücktrittsgesuch nimmer stattgeben und seinem Thronfolger somit größtmögliche Rückendeckung gewähren würde. Müßig bleibt es jedoch zu spekulieren, was die genauen Inhalte von En.Lils Gefühlsleben und Bewusstsein aussagten, denn allein das Handeln eine unverwechselbare Sprache spricht. Zufrieden und doch keinesfalls vor Freude strahlend, sondern mit einem düsteren Gesichtsausdruck versehen, rief der Befehlshaber der Mission seine ihm treu ergebenen Wachen zu sich. Und schicksalhafte und nur schwer aussprechliche Worte waren es, welche fielen in den darauffolgenden Momenten innerhalb des prachtvollsten Gebäudes von E.Ri.Du, und niemals sollten sie nach außen getragen werden, wenn über ihr Wesen auch keinerlei Zweifel bestehen kann. En.Lil baute sich vor den vier zu ihm gerufenen Männern in vollem Ausmaß seiner einzigartige Würde ausstrahlenden Gestalt auf und ließ den eigentlich wesentlichen Worten vielerlei Silben vorausgehen, mit welchen er unterrichtete, erläuterte und die Sinne seiner Zuhörer unweigerlich gefangen nahm, denn wahrlich vermochte er zu entfesseln die vollste Intensität seiner von unendlicher Größe und Erhabenheit schwangeren Stimme. Selbstverständlich hätte er in knappen Sätzen Befehle erteilen können, und ohne vernünftigen Zweifel hätten die Soldaten diese ohne Erwiderung oder inneres Zerwürfnis ausgeführt, denn vor ihnen stand niemand anderes als der künftige Herrscher des Marduk. Doch solch Handeln war nicht En.Lils Art und Weise, zu keiner überlieferten Zeit seines Lebens. Der jüngere Bruder En.Kis wusste um seine rhetorische Gabe und nichts liebte er mehr, als seinen Willen auch zur Überzeugung der anderen zu machen. Dies wusste er zu vielerlei Gegebenheiten zu für die Allgemeinheit vorteilhaften Zwecken zu nutzen, andererseits jedoch auch für das Erlangen von Zielen und Vergünstigungen, welche alleinig in seinem persönlichen Interesse standen. Etwa drei Tage nachdem jene Unterredung stattgefunden hatte, ging im weit entfernten Süden des Kontinentes, welcher später als Afrika bezeichnet werden sollte, ein Tag zu Ende, welcher begonnen und seinen vorbestimmten Lauf genommen hatte wie viele hunderte und tausende andere Tage zuvor. Doch der Abend an jenem Datum der Geschichte sollte keineswegs fern des Außergewöhnlichen verbleiben, denn das Unheil näherte sich und gelangte schließlich an sein Ziel. Das Hell des Tageslichtes begann bereits langsam, seinen Platz für die ewig wiederkehrende Dunkelheit zu räumen, als die Minenarbeiter die Schächte verließen und sich mit ihren geschulterten Werkzeugen in Richtung ihrer Siedlungen begaben. Aufgrund der körperlichen Ermattung fand kein lautes Schwatzen statt und nicht ein einziges Anzeichen eines Gelächters war zu hören, vielmehr ließen die annähernd sechshundert Astronauten, die offenkundig allesamt männlichen Geschlechtes waren, den Abend in gemütlicher Ruhe ausklingen. Sie kehrten ein in ihre kleinen Häuser, welche schlicht gefertigt waren und doch eine behagliche Wärme und Abgeschiedenheit ermöglichten, und nichts anderes konnte als zweckmäßig und sinnvoll bezeichnet werden. Die meisten der Hütten dienten drei Männern gemeinsam als Unterkunft, und so verhielt es sich auch im Fall von Sar.E, der das Handwerk der Architektur in herausragender Weise erlernt hatte,
denn er teilte sich sein Heim mit zwei weiteren Männern, deren Namen nicht überliefert wurden und deren Rolle im schicksalhaften Lauf der Dinge nicht überaus bedeutsam genannt werden kann. Die Drei verstanden es in sehr guter Weise, miteinander umzugehen und gegenseitigen Respekt und Rücksicht zu üben, so dass sie noch niemals in der langen Zeit ihres engen Zusammenlebens in Streit gerieten. Obgleich die beiden Mitbewohner Sar.Es gestandene Männer waren, die auf dem Marduk eine Familie besaßen, so war der Architekt dennoch derjenige von ihnen, welchem von jedermann an Ansehen, Sympathie und freundschaftlichem Empfinden bei weitem am meisten entgegengebracht wurde, und dies lag nicht nur an seinem augenscheinlichen Engagement innerhalb der Gruppe der Bergwerksarbeiter sondern ebenso an seiner stets bedingungslos verständnisvollen und hilfsbereiten Wesensart. Nachdem der Abend in gewohnter Weise verstrichen war, sprachen sich die drei Männer gegenseitig einen Gute Nacht-Gruß aus und begaben sich in ihre kleinen Einzelzimmer. Dort zog ein jeder von ihnen den Vorhang zu, kleidete sich in sein Nachtgewand und setzte sich entweder in seinem Bett auf, um noch einige Seiten eines Buches zu lesen – die Nefilim bevorzugten ausschließlich Sachbücher, Unterhaltungsliteratur war ihnen fremd – oder verdunkelte sogleich sein Gemach, um in entspannter Ruhe noch einigen Gedanken nachzuhängen und auf diese Art langsam in die Welt des Schlafes überzutreten. Sar.E entschied sich an jenem Abend dafür, sich ein hochwissenschaftliches Werk über das Raumfahrtswesen zu Gemüte zu führen – eines der wenigen Wissensgebiete, in denen er seiner Ansicht nach noch deutliche Mängel aufwies – ehe er letztendlich, nach etwas mehr als einer Stunde, das Licht auslöschte und sich zur Ruhe bettete. Bereits kurz nach Einbruch des Morgengrauens würde er aufstehen und sich zum ungezählten Male in die Tiefen der Schächte der das edle Metall beherbergenden Bergwerke begeben – so dachte er gewiss. Lautlos näherten sich indessen die vier Männer, die seit mehreren Tagen bereits unterwegs waren und ihr Ziel nunmehr erreicht hatten. Das breite, dunkellackierte Fahrzeug parkte zwischen zwei hohen Bäumen ein gutes Stück nördlich der ersten Häuser der Siedlung, so dass es von den größtenteils bereits schlafenden Arbeitern nur durch äußersten Zufall gesichtet werden konnte. Anschließend rührte sich zunächst nichts, denn die Insassen warteten solange, bis ihnen der rechte Zeitpunkt des Handelns gekommen schien. Dann, spät in der Nacht, öffneten sich die seitlichen Türen des Beförderungsobjektes und heraus traten langsam und still im ganzen vier Männer, und diese waren dunkel gekleidet und hatten jeweils einen der todbringenden Stäbe, welche die einzigen gebräuchlichen, weil unübertrefflichen Waffen auf dem Marduk darstellten, an ihrer Seite. Vermutungen dürfen wahrlich angestellt werden darüber, wie es im Innern der Soldaten ausgesehen haben mochte, denn überaus selten zuvor war es unter den Nefilim zu Gewalttätigkeiten gekommen und noch niemals fand etwas statt, das vergleichbar war dem, das in diesen Augenblicken bevorstehen sollte. Waren jene Wachen von einem derartigen Pflichtgefühl erfüllt, dass sie ohne jedes eigene Nachsinnen und jeden Anflug einer Gefühlsregung dem ihnen gegebenen Befehl in unbedingter Weise gehorchen mochten, existierte für sie wahrhaftig kein Gewissen oder dergleichen? Oder verhielt es sich ein wenig anderweitig, so wie manche der in späteren Zeiten Zurückschauenden zu bedenken geben, denn möglich ist es, dass die Männer keinesfalls skrupellose, die Angehörigen ihrer Art geringschätzenden Individuen gleich einigen der später den Tiamat bevölkernden Menschen waren, sondern sich vielmehr dem wahren Inhalt und den Folgen ihrer Tat zu keinem Zeitpunkt bewusst waren, da sie ihrem Befehlshaber in vollem Maße ihr gutgemeintes Vertrauen schenkten und überdies sehr wohl wussten, dass ein rebellieren unweigerlich das Ende ihrer Karriere und all ihrer Lebenswünsche bedeutet hätte. Letztlich sind jedoch all diese Überlegungen müßig und einerlei, denn tatsächlich bleibt festzuhalten, dass die Männer, welche überwiegend
jüngeren Alters waren, mit ernsten, entschlossenen und in keiner Weise Nervosität ausstrahlenden Mienen leise und voller Vorsicht voranschritten, geradewegs der Siedlung entgegen. Die unter den Astronauten zur Arbeit Bestimmten lagen zu diesem Zeitpunkt ohne jede Ausnahme in tiefstem Schlummer, und lediglich der matte Schein des noch wenige Tage abnehmenden, mittlerweile sichelförmigen Mondes erhellte die Runde der aus massivem Holz gefertigten Hütten, welche zählten beinahe zweihundert an der Zahl. Die Soldaten passierten die ersten der Wohngebäude, und rasch wurde ersichtlich, dass sie sehr wohl wussten, wohin sie sich zu wenden hatten, denn ihr Blick blieb starr geradeaus gerichtet und ihre Aufmerksamkeit war allein der Vermeidung von Lärm und Auffälligkeit gewidmet. Wie Schatten in der Nacht bewegten sie sich schemenhaft durch die engen Gassen, ehe sie nach einer Weile an ein Haus gelangten, das ziemlich in der Mitte der Siedlung gelegen war und sich durch nichts von den anderen unterschied, außer durch einen einzelnen Buchstaben, der mit roter Farbe in kleinem Maß darauf gepinselt war. Die Nefilim benutzten für solche geringen Zwecke mit Vorliebe Buchstaben, denn Zahlen waren ihnen heilig, da sie den Großteil ihres wissenschaftlichen Strebens bestimmten. Der Buchstabe, welcher Sar.Es Heim zierte, bestand in einem Symbol, das keiner der späteren Schriften der Menschen vergleichbar war. Die von E.Ri.Du Herbeigesandten wussten jedoch sehr wohl etwas mit jenem Zeichen anzufangen, denn sie hielten sofortig in ihrer Bewegung inne und bereiteten sich ein letztes Mal innerlich vor auf das, das sie in Kürze durchzuführen beabsichtigten. Es war lediglich einer der Attentäter, der in diesen Momenten ein Stichwerkzeug aus seiner Kleidung hervornahm. Die anderen drei verzichteten zunächst auf jede Form der Bewaffnung, insbesondere lag es in ihrem Interesse, einen Einsatz der Strahlenstäbe zu vermeiden, und dies war nachvollziehbar, denn niemand sollte die folgende Tat zurückzuverfolgen vermögen. Die Türen waren innerhalb der Arbeitersiedlung niemals verschlossen, da man sich in hohem Maße gegenseitiges Vertauen schenkte und die Ankömmlinge vom Marduk auf diesem wenig entwickelten Planeten zu diesen Zeiten noch keinerlei Feinde zu fürchten brauchten. So drückte einer der Soldaten den außen angebrachten Hebel, welcher mit dem Schließmechanismus der Tür verbunden war, herunter, worauf der Eingang unmittelbar und geräuschlos freigegeben wurde. Gänzlich unerkannt betraten die Männer die Hütte, so dass sie in den kleinen Eingangsbereich gelangten, von welchem wiederum vier Räumlichkeiten abgingen. Die erstere befand sich unmittelbar geradeaus, und keine weitere Türe versperrte die Sicht dorthin, denn dies war der Wohn- und Aufenthaltsraum, der sich nunmehr in völliger Leere erstreckte. Die drei weiteren Zugänge waren jedoch versperrt, und da dort keinerlei Markierungen auf die Bewohner der Schlafräume hinwiesen, blieb den Eindringlingen nichts anderes übrig, als jede der sich darbietenden Möglichkeiten einzeln zu erproben. Einer von ihnen öffnete mit größtmöglicher Sorgsamkeit die erste Tür, während seine Begleiter bereits so postiert waren, dass ihnen gegebenenfalls ein schnelles und erfolgbringendes Eindringen ermöglicht wurde. Sie gestalteten den Spalt, der ihnen Einblick in das Zimmer gewährte, gerade so weit, dass zwei von ihnen hindurchlugen und einen ersten Versuch starten konnten, den zweifellos in seinem Bett schlafenden Mann zu identifizieren. Und wahrlich erwies sich das Unterfangen als ebenso verlaufend wie es zuvor geplant gewesen war, denn sofortig vermochten sie das Haupt eines Angehörigen ihres Volkes zu erschauen, worauf sie sich sogleich abwandten, da Züge und Form dessen Gesichtes nicht mit demjenigen, das sie zu finden trachteten, übereinstimmig war. Nachdem sie die Tür wieder verschlossen hatten, wiederholten sie dies Vorgehen in ebensolcher Weise, indem sie die gegenüberliegende Tür einen Spalt weit aufdrückten und
hindurchsahen, worauf das Ergebnis dieses Mal gleich demjenigen war, das sie angestrebt und aufgrund dessen sie die weite Reise auf sich genommen hatten. Der Rest jener Nacht ist traurige Geschichte, so traurig, dass er fürwahr nicht in Einzelheiten wiedergegeben werden soll. Niemals zuvor war ein Nefilim durch die bewusst geführte Hand eines seiner Brüder – so verstanden die Einwohner des Marduk ihr Verhältnis zueinander – zu Tode gekommen, so dass dasjenige, das an diesem Datum geschah, ein wahrhaft neues und zuvor unbekanntes Maß an Grausamkeit und Schrecken darzustellen wusste. Ohne jedes Zögern oder eine sonstige Regung stürmten die vier Soldaten in das Zimmer, und drei von ihnen hielten Sar.E fest und hinderten ihn am Sprechen und jeglicher Gegenwehr, als er sofort nach der ersten Berührung zu erwachen begann. Der Vierte jedoch hatte eine lange Klinge in seiner linken Hand, und mit jener stach er im folgenden unzählige Male auf das hilflose Opfer ein und hielt erst dann inne, als jedes Lebenszeichen bereits seit langem erloschen war. Nicht nur der Leichnam und dessen Nachtbekleidung, sondern ebenso das ganze Bett, die dunklen Gewänder der Soldaten, der Fußboden und die nahe gelegene Wand waren mit Blut verschmiert, welches durch den Mondschein, der zwischen den Vorhängen ein wenig hindurchschimmerte, zu einem vermeintliche Lebendigkeit ausstrahlenden Glänzen erhellt wurde. Doch da war kein Leben mehr, wo zuvor noch welches gewesen war, und schon sehr rasch begann der rote Lebenssaft zu gerinnen und sich zu einem dusteren, glanzlosen Geschmelz zu verdichten. Keinesfalls wohl waren die Attentäter hernach in Panik verfallen, doch starrten sie noch für einige Zeit ergriffen auf das Unfassbare, das sie angerichtet hatten, ehe sie in aller Schnelligkeit den Ort ihrer unbeschreiblichen Tat verließen und sich hernach in Windes Eile durch die noch immer unverändert leeren und lautlosen Gassen bewegten, wobei sie nunmehr keineswegs mehr auf die unbedingte Vermeidung von Geräuschen Wert legen mochten. Ohne Rücksicht darauf, dass sie auf diese Weise ein geeignetes Bild für möglicherweise aus ihrem Fenster heraus lugende Arbeiter abgaben – wenn dies auch sehr unwahrscheinlich war –, eilten sie weiter über die staubige Straße auf geradem Wege in Richtung des nördlichen Ausgangs der Siedlung, wo sich der schützende Wald erstreckte. Und wahrlich erreichten sie nach scheinbar endlos langen Augenblicken das Fahrzeug, mit welchem sie gekommen waren, und nicht eine einzige Seele hatte ihr Antlitz erschaut. So drängten sie sich in das flache Gefährt und brausten mit höchster Geschwindigkeit hinfort vom Ort des Geschehens, und zurück ließen sie den Auslöser unausbleiblichen Leids, denn gesät war nunmehr die Saat des Todes und der Gewalt.
TEIL II – DIE ERSTEN MENSCHEN „Die Tage vor der Flut waren die Tage, wo die Nefilim auf Erden wandelten..., die Mächtigen, das Volk der Raketenschiffe.“ Teil einer hebräischen Handschrift
1.Kapitel: Zi.U.Sud.Ra
E
n.Ki war Ingenieur, jedoch ebenfalls ein Wissenschaftler, welcher unter allen anderen fürwahr weit herauszuragen wusste. Immens waren sein Wissen und seine Fähigkeiten auf beinahe jedwedem Gebiet, und dennoch bestand seine gegenwärtige Aufgabe in etwas gänzlich neuem, in einer fürwahr ungewissen Herausforderung. Doch der Sohn Anus liebte Herausforderungen, und mit all seiner Energie und Konzentration stürzte er sich in die Arbeit, so dass er an nichts anderes mehr zu denken vermochte. Der Ort der Betätigung war Schurrupak, das Zentrum der medizinischen Versorgung und Pflege, wo seine Halbschwester Nin.Hur.Sag ihm mit ihren hohen biologischen Kenntnissen tatkräftig Unterstützung leistete. Das Objekt der Forschung bestand zunächst im Pithecanthropus erectus, dem Affenmenschen, welcher in Südostafrika vorkam und unter den auf dem Tiamat sich langsam entwickelnden Lebewesen am besten für die Vorhabung geeignet erschien. Trotzdem sich die fähigsten Wissenschaftler, über die die Nefilim verfügten, an dem Projekt beteiligten und die theoretischen Voraussetzungen allesamt gegeben waren, mussten zunächst jedoch einige Rückschläge verwunden werden. Die ersten Versuche gingen fehl, denn sie hatten zur Folge, dass die Nachkommen der niederen Spezies bestenfalls wieder die gleichen genetischen Bedingungen aufwiesen und somit zu dem notwendigen Zweck ungeeignet verblieben. Das Ergebnis waren bedauernswert anmutende Kreaturen, die aufgrund ihrer verunstalteten körperlichen Gegebenheiten kaum in der Lage waren, sich eigenständig zu versorgen und somit entweder zum raschen Verenden bestimmt waren oder in Einzelfällen gar als eine Art Haustier gebraucht wurden. Doch En.Ki ließ sich keinesfalls entmutigen, er forschte zur Tages- wie zur Nachtzeit und führte wahrhaft unzählige Versuchsreihen durch. Schließlich, nach mehreren Erdenjahren des erfolglosen Strebens, gelangten er sowie seine ihm stetig beistehende Halbschwester tatsächlich zum von vielen beinahe schon nicht mehr für möglich gehaltenen Erfolg, und Nin.Hur.Sag hob das erschaffene Kind in die Luft und weinte vor Freude. Der erste der Menschen erhielt den Namen Adapa, im Alten Testament, das die Menschen erst lange nach der großen Flut zusammenfügten, wurde er hingegen als Adam überliefert. Adapa war ein Retortenkind, ein Hybrid, und wurde auf eine Weise geschaffen, welche selbst für die unsagbar hochentwickelten Verhältnisse der Kinder des Marduk als ungewöhnlich und andererseits als in hohen Maße bedenklich bezeichnet werden musste. Das Verfahren war dergestalt, dass die Eizelle einer Affenfrau mit dem Samen eines jungen Astronauten befruchtet wurde. Da aber selbst auf diese Weise zunächst unzählige Versuchsreihen fehl schlugen, begann man in eine noch weitgehendere Richtung zu experimentieren. Man nahm nunmehr die befruchtete Eizelle und pflanzte sie der Gebärmutter einer Nefilim ein. So entstand Adapa, als Vereinigung zweier Völker von zwei verschiedenen Planeten und ausgetragen durch eine Astronautin des fernen Marduk. Wahrlich über alle Maßen diskutiert wurde jenes Ereignis, als sich die Kunde hiervon verbreitete. Selbst unter den Nefilim, welche ihr Streben bekanntlich stets auf die 1
Fortentwicklung ausrichteten, brachen Bedenken hervor, denn niemals zuvor wurde in ähnlich gravierender Weise auf die Gesetze des Universums eingewirkt. Andere, und unter ihnen trat En.Lil am deutlichsten hervor, sprachen die Befürchtung aus, dass jene neu erschaffene Rasse dereinst zu einer Konkurrenz, zu einer Bedrohung der eigenen Vorherrschaft gereichen könnte. En.Lil war somit von Beginn an den Menschen gegenüber skeptisch eingestellt, und aus jenem Misstrauen sollten sehr rasch eindeutige Ablehnung und Feindschaft erwachsen. Die Arbeiter in den Bergwerken des Tiamat jedoch jubilierten, als sie die Nachricht erfuhren. Für sie schien das Ende ihrer qualvollen Mühen absehbar zu werden. Zuvor stellte sich jedoch noch ein weiteres Problem, denn wie alle Hybriden war der erste homo sapiens zunächst nicht fortpflanzungsfähig, und deshalb musste man weitere Geburtsgöttinnen bemühen. En.Ki benutzte hierzu vierzehn weibliche Nefilim und manipulierte sie in bewährter Weise mit den vereinigten Zellen der beiden Welten. Auf diese Weise gebaren die Frauen weitere sieben Jungen und sieben Mädchen, und diese waren somit die Grundlage der menschlichen Art, denn sie sollten sich untereinander vermehren und Ausgangspunkt der Entwicklung darstellen, welche die neue Spezies in späteren Tagen zu großer und doch vermeintlicher Blüte und nach der alles verheerenden Flut gar zur alleinigen Herrschaft über den Tiamat führte. Es folgte nunmehr eine Zeit des Wartens, in welcher die künstlich erzeugten Kinder erwachsen werden und eine Vielzahl von weiteren ihrer Art zum Wohle der Nefilim erzeugen sollten. Sehr bald wurde offensichtlich, dass die Angehörigen der neuen Rasse bei weitem kein solch langes Leben wie die Bewohner des Marduk hatten, sondern bereits nach einer wesentlich kürzeren Zeitspanne ihr Leben lassen mussten. Die innere, biologische Uhr der Nefilim hingegen war auf den Marduk eingestellt, und somit entsprach ein Lebensjahr der Astronauten 3600 Erdenjahren, denn dies war die Zeitspanne, die ihr Heimatplanet für einen Umlauf um die Sonne benötigte – man sprach von einem schar. Um die Umstellung auf den Kreislauf des Tiamat ohne Schaden durchzustehen, gebrauchten sie eine Substanz, das sogenannte Lebenswasser. In jener Flüssigkeit waren alle Inhaltsstoffe enthalten, welche die Körper der Raumfahrer benötigten, um von den veränderten Einflüssen des fremden Planeten nicht abhängig zu sein. Das Lebenswasser war selbstverständlich eines der kostbarsten und geheimsten Güter, über das die Nefilim verfügten, so dass zu keiner Zeit in Erwägung gezogen wurde, es den Menschen preiszugeben. Dennoch verbreiteten sich die Gerüchte darüber unweigerlich im Laufe der Zeit, und nichts anderes als das Lebenswasser und der daraus erwachsende Mythos sollten letztendlich zum größten aller Verhängnisse führen. Mit Trauer erfüllte es En.Ki zu sehen, wie seine Geschöpfe bereits in jungen Jahren sterben mussten, doch das Lebenswasser war tabu für sie, und daher versuchte er neue Wege zu erdenken, wie er ihre Jahre verlängern konnte. Von Anbeginn der Blüte ihres Volkes an hatten sich die Nefilim mit der Verlängerung der Daseinsspanne befasst und unter allen weiteren Gebieten ihres Forschens war dieses stets eines der gewichtigsten geblieben. Unsagbar weit waren die dies betreffenden Studien auf dem Marduk bereits gediehen, doch hatten sie zu dieser Zeit wahrscheinlich noch nicht das Geheimnis des ewigen Lebens gelüftet. Ob es ihnen später, womöglich nach ihrer Aufgabe des Tiamat, gelang, wurde weder überliefert noch vermag auf sonstige Weise in Erfahrung gebracht zu werden. E.Ri.Du war mittlerweile in ein immenses Laboratorium umfunktioniert worden, und hier war es auch, wo En.Ki nunmehr seine Forschungen fortsetzen wollte. Der Hauptwohnort der Astronauten wurde hingegen nach E.Din („Wohnung des Gerechten“) verlegt, welches sich gleichsam im späteren Mesopotamien befand und wahrlich prachtvolle landschaftliche Reize zu bieten wusste. Die Fragen, die der ältere Sohn Anus für seine Vorhabung zu ergründen hatte, waren vielerlei, denn zum einen lebten die Menschen länger als die 2
primitiven, herkömmlichen Affenmenschen doch lediglich eine winzige Zeitspanne im Verhältnis zu den Astronauten. Darüber hinaus verfügten jedoch auch die reinrassigen Kinder, die den Nefilim auf dem Tiamat geboren wurden, über eine sehr viel kürzere Lebenszeit als ihre Eltern. Waren somit womöglich Umwelteinflüsse für das Geheimnis von Leben und Tod verantwortlich, oder spielten die genetischen Voraussetzungen die vorherrschend wesentliche Rolle? En.Ki ließ nichts unversucht und benutzte selbst seinen eigenen Samen, worauf er letztlich einen Menschen schuf, der von den vorangegangenen Exemplaren seiner Art augenscheinlich verschieden war. Unbewusst hatte er durch seine Bemühungen jedoch noch etwas gänzlich anderes bewirkt, denn waren die zuerst entstandenen homo sapiens weitgehend stumpfsinnige Arbeitskräfte, die offensichtlich zu keinen eigenen Gedanken tieferer Natur befähigt waren, so zeichnete sich jenes nunmehr erschaffene menschliche Lebewesen der zweiten Generation durch eine weit gesteigerte Intelligenz aus. Da En.Ki überdies annahm, dass die Lebensspanne seines Schützlings zumindest verlängert wurde, gab er diesem den Namen Zi.U.Sud.Ra („dessen Lebenszeit verlängert ist“). Nach Zi.U.Sud.Ra folgten weitere homo sapiens seiner Entwicklungsstufe, und diese verbreiteten den neugestalteten Wesenstypus sehr rasch, denn bei Kindern, welche geschlechtlichem Verkehr zwischen Angehörigen der verschiedenen menschlichen Generationen entsprangen, setzte sich stets der spätere, höhere Erbteil durch. So gelangten die Menschen zu Bewusstsein und Intellekt, und von diesem Zeitpunkt an waren sie den Tieren auf dem Tiamat überlegen. En.Ki kümmerte sich fast ausschließlich noch um Zi.U.Sud.Ra, denn er war fasziniert von dessen Fähigkeit, viele Dinge innerhalb kürzester Zeit zu erfassen und zu verstehen, und schließlich existierte in ihm auch ein Erbteil von En.Ki selbst, was jenen Menschen praktisch zum Sohn des prächtigsten unter den Nefilim machte. Dieses Geheimnis sollte der ältere Sohn Anus jedoch niemals lüften, doch manche sagen, dass En.Lil die Wahrheit zumindest vermutete und seinen Groll deshalb stets insbesondere gegen den ersten homo sapiens des höher gereiften Entwicklungsstadiums richtete. En.Ki bemühte sich im folgenden darum, sein Geschöpf in jedes erdenkliche Wissen, das ihm selbst zur Verfügung stand, einzuweihen, so dass er ihn in allen Wissenschaften, Sprachen und Künsten mit großem Erfolg zu unterweisen suchte. Die Nefilim nannten dies Wissen um die Geheimnisse des Universums den Plan des Himmels und der Erde. Schließlich jedoch drangen die Gerüchte über dieses Tun nach außen, und als En.Lil davon erfuhr, geriet er außer sich vor Zorn. Wie konnte es sein Bruder nur wagen, einen Angehörigen einer fremden Rasse mit dem Wissen, das einzig den Kindern des Marduk vorbehalten war, zu versorgen, und mit welchem Recht hatte er es überhaupt gewagt, weitere Manipulationen an den Retortenwesen vorzunehmen, wo sie den ihnen bestimmten Arbeitszwecken doch längst genügten? Die bisher erschaffenen Menschen wurden nunmehr sofortig in die Bergwerke Südafrikas verbracht, wo die dort arbeitenden Astronauten die ersehnte Hilfe mit größtem Wohlgefallen, ja geradezu überschwänglichem Glücksgefühl entgegennahmen. En.Ki musste seine Forschungen gezwungenermaßen einstellen, und die Anerkennung über seinen Erfolg bei der Schaffung der neuen Arbeitskräfte wurde getrübt durch das Leid, das in ihm dadurch verursacht wurde, dass ihm eine weitere Verbesserung seiner Lebewesen nicht mehr ermöglicht wurde und insbesondere sein Sohn einer ungewissen Zukunft entgegensah. En.Ki wurde stets der treueste Freund der Menschen genannt, und fürwahr trug er bis zuletzt den Traum in seinem Innern, dass die durch seine Hand auf dem Tiamat entstandene und beheimatete Rasse dereinst bedingungsloser und gleichberechtigter Freund der Nefilim genannt werden würde. Trotz dieses überaus wohlgemeinten Idealismus bleibt En.Ki vorzuwerfen, dass er niemals ein Mann war, der das Wohl in 3
Absprache mit der Allgemeinheit suchte, sondern sich immerzu von allen anderen losgelöst zum alleinigen Streben aufmachte. Zweifellos waren seine Fähigkeiten wahrhaft einzigartig und ausnahmslos von gutgemeinter Natur, doch wurden viele seiner Werke zum Scheitern verurteilt, da er sich praktisch niemals um Rücksprache bemühte und keiner anderen Person Weg und Ziel seines Vorgehens zu erläutern suchte. Auf diese Weise bewirkte er – wenn auch unbewusst und somit ohne Schuld – viele nachteilige Dinge, denn hätte er sich eines Mindestmaßes an diplomatischem Geschick bedient und sich insbesondere mit seinem Bruder zu arrangieren gewusst, so wären viele schreckliche Entwicklungen möglicherweise vermieden worden. Doch En.Kis Wesen war ebenso eigenständig und selbstbewusst wie es vor Güte und Selbstlosigkeit glänzte, und niemals richtete er sein Denken und Handeln nach anderen, sondern immerzu tat er geradewegs das, was ihm in den Sinn geriet. Nachdem der Großteil der Menschen in die Mine verbracht wurde, verlangte En.Lil außerdem eine besondere Behandlung für Zi.U.Sud.Ra, denn dieser allein war in das höchste Wissen eingeweiht und konnte demnach, nach Meinung des Befehlshabers der Mission, zu einem ernstlichen Faktor der Konkurrenz und Bedrohung für die Nefilim werden. En.Ki hatte sich bisher mit widerwilligen Äußerungen zurückgehalten und allen Forderungen und Verfügungen ohne Widerstand Folge geleistet. Allerdings hatte er sich statt dessen in Mitleid für seine Geschöpfe und ebenfalls zu einem gewissen Grade in Selbstmitleid geflüchtet, und all dies sollte sich nunmehr entladen, da man ihm auch noch seinen leiblichen Sohn und treuherzigen Schüler wegnehmen wollte. Zudem musste gar die Erwägung aufgeworfen werden, dass dieser sich des Lichtes der Sonne nicht mehr allzu lange würde erfreuen können, sollte dem Willen seines jüngeren Bruders entsprochen werden. So kam es, dass En.Ki sich weigerte, Zi.U.Sud.Ra auszuliefern und En.Lils Urteil zu unterwerfen, und als Soldaten nach E.Ri.Du kamen, um den Menschen nach E.Din mitzunehmen, da trat ihnen der herrlichste aller Nefilim gegenüber und entgegnete ihnen Worte, die so wunderbar und wahrhaftig im Gehör eines jeden sie vernehmenden Lebewesens erklangen, dass diese sich verstört und doch überzeugt, dass sie nunmehr das einzig rechte Handeln an den Tag legten, abwandten und unverrichteter Dinge zu ihrem Auftraggeber zurückkehrten. „... Ich, der ich der Sohn Anus genannt werde, ersuche Euch daher, Nach dem Herzen zu suchen, das schlägt in Eurem Innern, Und zu erforschen Euer Trachten und Sehnen, Auf dass Ihr erkennen möget, wie fern es Eurer Seele nur liegen kann, Zu bedrängen den Schwachen, den Hilfsbedürftigen, Unseren Bruder, Der nach unserem Schutze verlangt! ...“ Nicht einmal den ungefähren Wortlaut des mit En.Kis Stimme Gesprochenen vermochten die Abgesandten wiederzugeben, doch versuchten sie dem Befehlshaber der Unternehmung auf dem Tiamat in aller Überzeugung klar zu machen, dass es falsch sei, in dem ersten der mit Intelligenz und Wissen versehenen Lebewesen der neuen Gattung eine Gefahr zu sehen und dieses gar seiner Freiheit zu berauben. En.Lil jedoch zeigte keinerlei Verständnis für derartigen Ungehorsam und ließ die Wachen fortan als Arbeiter in der Goldweiterverarbeitung in Bad-Tibiria einsetzen. Voller ärgerlicher Erregung schickte er hernach neue Boten aus, doch wählte er dieses Mal keine bewaffneten Untergebenen sondern zwei Männer hohen Ranges, die allgemein einen sehr hohen Respekt genossen und zweifellos am besten geeignet erschienen, um zu seinem Bruder Zugang zu finden. Ihre Aufgabe bestand nun nicht mehr darin, Zi.U.Sud.Ra nach 4
E.Din zu verbringen, sondern En.Ki dazu zu bewegen, die Reise dorthin anzutreten und sich mit dem Leiter der Mission zu einer Unterredung zu treffen. Selbstverständlich hatte der Thronerbe des Marduk zu diesem Zeitpunkt längst bemerkt, dass seine noch immer angestrebte Herrschaft über den Tiamat, den er als uneigenständige Kolonie des Mutterplaneten erachtete, von nichts anderem abhing als von seiner ungehemmten Vormachtstellung gegenüber seinem älteren Bruder. Solange dieser auf dem neu erschlossenen Stern seine eigenen Wege ging und sich nach seinem Gemüt zu entfalten suchte, würde er immerzu ein Hindernis darstellen. Indes hatte dieser die schlimmste aller möglichen Taten bereits längst begangen, indem er jene unheiligen Geschöpfe, deren Gene zum Teil den Nefilim nachempfunden wurden, erschaffen und einem der ihren zudem noch ohne jede Erlaubnis den Plan des Himmels und der Erde enthüllt hatte. Die einzige Möglichkeit, dieses Unglück rückgängig zu machen, bestand nach En.Lils Ansicht darin, den eingeweihten Menschen zu töten oder ihn zumindest bis zu seinem natürlichen Tode von allen anderen Angehörigen seiner Rasse gänzlich fern zu halten. Darüber hinaus wäre nichts trefflicher, als dass En.Ki den Tiamat verlassen würde – sofortig und für alle Zeit. Die ausgesandten Boten erreichten En.Ki, und dieser zeigte sich zunächst nicht erpicht darauf, dem ihm vorgetragenen Ersuchen Folge zu leisten. Die Männer, welche ihm nunmehr gegenüberstanden und ihm seit langer Zeit als Freunde wohlbekannt waren, beknieten ihn jedoch unablässig, seinen Bruder keinesfalls abzuweisen und das Ausbrechen eines offenen Konflikts damit unvermeidlich werden zu lassen. Und schließlich trugen sie tatsächlich den erhofften Erfolg davon, denn der ältere Sohn Anus besann sich und erklärte sich nach langem Zaudern doch bereit, der unerwünschten Einladung Folge zu leisten. Zuvor jedoch trat er noch einmal seinem Schüler und Sohn gegenüber, da er befürchtete, dass man ihn wegbringen und ihm möglicherweise auf hinterlistige Weise Schaden zufügen könnte. „ Zi.U.Sud.Ra, der ich Dich meinen Sohn und Schüler genannt Und über alles Wissen, das mit bekannt ist, unterrichtet habe, Sofern das Universum es will, werden Dich diejenigen, Die Dich um Dein Wissen und Deine Vollkommenheit beneiden, Von hier fortbringen und Dir Dinge erzählen, die nicht der Wahrheit entsprechen! Wenn sie Dir schließlich das Todesbrot anbieten, Darfst Du es nicht essen, Wenn sie Dir schließlich das Todeswasser anbieten, Darfst Du es nicht trinken!“ Mit diesen Worten verließ En.Ki sein Heim und Laboratorium in E.Ri.Du und begleitete die zu ihm gesandten Männer zur Residenz seines Bruders, welcher zugleich der Verantwortliche für die Mission der Goldgewinnung auf dem Tiamat war. Wenn es denn zu diesem Zeitpunkt noch eine Gelegenheit gab, den immer offenkundiger aufflammenden Streit zwischen den Söhnen Anus zu schlichten, so war es ohne Zweifel das nunmehr unmittelbar bevorstehende Gespräch. Derjenige, von dem viele der damals gegenwärtigen sowie der in späteren Zeiten lebenden Betrachter eher ein Einlenken erwarteten, war En.Ki, denn er war der ältere und sein Wesen beinhaltete niemals Zorn, Herrschsucht oder die Neigung, nachtragend zu sein. Alle, die in eine solche Richtung dachten, waren jedoch in einem Irrtum befangen, denn sie versäumten es, die Größe und den zweifellos vorhandenen Stolz des herrlichsten aller Nefilim zu bedenken, und vor allen Dingen vernachlässigten sie dessen Liebe zu den von ihm erschaffenen Geschöpfen. Aus diesem Grunde trat En.Ki keinesfalls mit der Bereitschaft, sich dem Willen seines jüngeren Bruders annähern zu wollen, vor denselben, sondern ganz im Gegenteil war er von der Wahrhaftigkeit seines Standpunktes überzeugt, so dass er unter keinen Umständen von 5
diesem ablassen wollte, nicht einmal um eines höheren Zweckes – dem Erfolg der Unternehmung und dem Wohle der Nefilim – Willen. „Ich liebe und ehre Dich, mein Bruder, denn Dein Fleisch ist das meine, und seit Anbeginn unserer Schaffenszeit haben wir stets gemeinsam für unser gegenseitiges Wohl Sorge getragen!“ sprach En.Lil, und mit einer Ausprägung von Güte in seinen Zügen blickte er seinem Halbbruder geradewegs ins Angesicht. „Niemals in unserer Jugend vermochte ein Funke der Zwietracht zwischen uns zu gelangen, und nur zu sehr ersehne ich, dass sich dies niemals ändern möge! Doch oftmals leiten die mannigfaltigen und unergründlichen Einflüsse der Elemente unser Streben in eine fehlerhafte Richtung, zuweilen auf einen Irrweg sogar! Niemand trägt schuld daran, dass dies geschehen mag, der Schaden indes ersteht erst, wenn der Fehler bestätigt wird! Du jedoch, mein Bruder, bist mit einem unvergleichlichen Maß an Wissen und Weisheit gesegnet, und daher zweifle ich nicht, dass Du das Rechte vom Falschen zu unterscheiden und all dies, das unserem Volk zu schaden weiß, umzukehren vermagst!“ „Fürwahr kann es niemanden geben in des Universums Weite, der sich mit Unfehlbarkeit rühmen und darum nicht als verwirrt oder lügnerisch bezeichnet werden kann, doch gibt es Dinge, die wir einst aus innerem Antrieb heraus erschufen und die keiner Einordnung unter recht und falsch bedürfen, da ihr Zweck alleinig in ihrem Entstehen und Existieren selbst liegen soll! Nicht anders verhält es sich mit demjenigen, das mir zu ersinnen aufgetragen wurde, denn die Fortentwicklung ohnehin niemals aufgehalten zu werden vermag! Wie kann ein Wesen im übrigen als nützlich und recht bezeichnet werden, solange es nicht zu denken versteht und seine Entwicklung nicht abgeschlossen ist, während es als schlecht gelten soll, sobald es seine naturgegebenen Eigenschaften zu nutzen erlernt? Ich habe nichts getan, das nicht ohnehin eingetreten wäre in früheren oder späteren Zeiten, und darum empfinde ich nichts, das mir Veranlassung auferlegte, mich rechtfertigen zu müssen!“ „Die Menschen sind schlecht.“ erwiderte En.Lil nach einer kurzen Besinnungspause, und er gebrauchte eine ruhige und von sachlicher Überzeugungskraft geprägte Stimme. „Nicht objektiv sind Deine Sinne, da Du die durch Dich entstandenen Wesen lieben und Dich allen sonstigen Einflüssen verschließen magst! Doch forsche nicht mit dem Herzen, sondern gebrauche Verstand und Weisheit, und auf diese Weise wirst Du die unausbleibliche Wahrheit erkennen, welche besagt, dass die durch Dein Verschulden mit Verstand gesegneten Geschöpfe dereinst zu allen unheiligen Empfindungen und Taten, die sich unser Bewusstsein nicht einmal auszumalen vermag, befähigt und willens sein werden! Die Menschen kennen keinen Sinn für das Kollektiv, für das gemeinsame Wohl ihres Volkes, wie es unserem Wesen schon seit Anbeginn entspricht, sie sind geprägt von Egoismus, Grausamkeit, gewinnorientiertem und kurzzeitigem Denken sowie einer Abwesenheit von Moral und Strebsamkeit! Wenn wir die Menschen gewähren lassen, so werden sie sich in unsagbarer Weise vermehren, diese Welt ausbeuten und mit Krieg überziehen und irgendwann eine gewaltige Gefahr auch für unsere Heimat darstellen! Glaube meinen Worten, oh mein Bruder, denn sie sind wahrhaftig und entsprechen allein meiner tiefsten Überzeugung!“ „Erschütternd und eindringlich sind Deine Worte fürwahr, doch ist es niemandem gestattet, ein anderes Wesen zu verurteilen, noch ehe dasselbe ein Handeln unternommen hat! Darum besitzen wir keinesfalls das Recht dazu, dem Universum das allein ihm gebührende Fällen eines Urteiles abzusprechen! Keines der Menschenkinder hat bislang auch nur einen schlechten Gedanken nach außen getragen, bedenke hingegen, was das Gewissen unseres Volkes zu ertragen hat! Waren nicht wir es, die jede andere Form von natürlichem Leben auf unserem Stern auslöschten und sei es nur durch Unterlassen von Hilfe? Sind nicht wir es, die, da wir unsere eigenen Ressourcen längst ohne Umsicht aufbrauchten, nunmehr 6
ohne Scham diese fremde Welt auszubeuten versuchen? Haben wir nicht längst die Inhalte unserer Seele verloren und uns jeglicher Gefühle entfremdet, und dies bereits seit langer Zeit? Die Menschen hingegen sind noch ohne Schuld, und durch unsere Hilfe können sie lernen, unsere Fehler zu vermeiden, und umgekehrt vermögen sie möglicherweise uns dereinst beizustehen, um dasjenige, das uns verlustig ging, auf’s neue zu erfassen, falls es noch nicht zu spät für uns ist!“ So trennten sich die beiden Brüder, ohne dass sie zu einer einheitlichen Meinung gelangten. Und diese sollte die letzte Unterredung bleiben, welche die Söhne Anus in friedfertiger und nicht von tiefer Feindschaft geprägter Atmosphäre führen sollten. In der eigentlichen Angelegenheit hatten sich die Fronten verhärtet, und somit blieb lediglich eine einzige Möglichkeit der Entscheidungsfindung, nämlich indem der Entschluss des Herrschers der Nefilim herbeigeführt werden musste. Anu wurde über den Stand der Dinge unterrichtet, worauf er die Anordnung traf, dass Zi.U.Sud.Ra unmittelbar zu ihm selbst verbracht werden sollte, da er sich ohne jeden äußeren Einfluss selbst ein Urteil bilden mochte. So brachte man den ersten der vollendeten homo sapiens nach Sippar und verschiffte ihn von dort aus mit einem eigens für ihn bereitgestellten Raketenschiff in Richtung des Heimatsternes der Nefilim. Schweigend und bereitwillig erduldete er all das, was man von ihm verlangte, ehe er letztendlich vor den Thron Anus, des altehrwürdigen Herrschers des zehnten Planet, geführt wurde. Mit unbeschreiblichem Erstaunen erfasste er all die Wunder jener weit vorangeschrittenen Kultur und ließ sich doch nicht von Ehrfurcht überwältigen, da er ausgestattet war mit dem Stolz seiner neu entstandenen Rasse und dem immensen Wissen, welches ihn sein leiblicher Vater gelehrt hatte. Unter Berücksichtigung aller sich ziemender Regeln der gebührenden Etikette, was man am Hof des Herrschers mit großer Überraschung zur Kenntnisse nahm, unterwarf er sich Anu und schickte sich an, willig alle an ihn gerichteten Fragen zu beantworten, wobei er einzig die Identität seines männlichen Elternteiles verschwieg. Anu war im folgenden nicht nur zufrieden mit den Äußerungen des vermeintlich gering zu schätzenden Wesens, er war geradezu angetan vom Wissen und der Verstandesgabe seines Gegenübers, über dessen Schicksal er allein zu richten hatte. Da er nun solch großes Wohlgefallen an dem jungen Mann gefunden hatte, entschied der höchste aller Nefilim, dass der Mensch für immer auf dem Marduk verbleiben sollte, denn auf diese Weise würden seine Fähigkeiten dem Volk des zehnten Planeten zu Nutzen gereichen und außerdem würde der auf dem Tiamat schwelende Zwist somit ein für alle Seiten akzeptables Ende finden. So unterbreitete man dem Objekt der Entscheidung das Urteil des Herrschers und brachte ihm das Brot des Lebens und auch das Lebenswasser, denn beide Substanzen waren notwendig, um die innere Uhr des Kindes des später als Erde bezeichneten Himmelskörpers auf den für ihn gänzlich verschiedenen Zyklus des Marduk umzufunktionieren. Zi.U.Sud.Ra jedoch entsann sich der warnenden Worte En.Kis und mutmaßte, dass man ihm Schaden zufügen und ihn mit unbekömmlicher Nahrung vergiften wolle. So verweigerte er jede Art der Nahrungsaufnahme und ließ sich durch keine Form des Zuredens in seiner Ansicht beeinflussen. Über mehrere Tage hinweg hielt diese Verhaltensweise an, und alle der klügsten der Nefilim rätselten ob des Grundes für jenes Handeln, doch niemand wusste einen Ausweg. Schließlich gelangte der Mensch in einen Zustand größter körperlicher Schwächung, womit ein dringliches Eingreifen erforderlich wurde, denn lange Zeit würde der an Durst und Hunger Leidende nicht mehr zu überstehen vermögen. So entschied Anu schweren Herzens, den Angehörigen der neu entwickelten Rasse zurück zum Tiamat zu verbringen und eine andere Möglichkeit der Lösung des Konflikts zwischen seinen Söhnen zu ersinnen. 7
So geschah es, dass Zi.U.Sud.Ra zum Tiamat zurückkehrte und die aus irdischer Sicht wahrhaft unvergleichliche Gelegenheit, das Geschenk des ewigen Lebens zu erlangen, für immer verwirkt hatte. Gleichsam sollte er der erste und ebenso einzige Mensch, der jemals den Marduk, welcher den Ursprung alles Lebens auf Erden barg, betreten hatte, verbleiben, und dies für alle Zeit bis zum heutigen Tage, denn niemals wieder sollte ein Sterblicher vor Anus Thron gerufen werden.
2.Kapitel: Der Bruderzwist
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roß und in seinen Einzelheiten wahrlich unbeschreiblich war das Entsetzen, welches losgetreten wurde, als der von geronnenem Blut bedeckte und beinahe bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leichnam Sar.Es entdeckt wurde. Die ersten, die sein Zimmer betraten und mit dem Grauenvollen konfrontiert wurden, waren die beiden Mitbewohner des Architekten, da ihn diese an jenem Morgen auf eine vom Schabernack getragene Art und Weise gemeinsam wecken und ihn somit voll Heiterkeit in den neu angebrochenen Arbeitstag geleiten wollten. Das Ergebnis jener wohlgemeinten Bemühungen war die Tatsache, dass beide in unsäglich kaltes Erstarren verfielen, in eine Umklammerung der unerbittlichen Todesnähe, welche sie niemals zuvor verspürt hatten. Das schlimmste war im ersten Moment zweifellos der Geruch des verwelkten, wenn auch noch unverwesten Fleisches, und jener stechende und beißende Impuls wäre für die beiden in solcher Hinsicht gänzlich unbedarften Männer wohl nur schwerlich zu ertragen gewesen, wären sie nicht augenblicklich in einen wahrhaften Schockzustand verfallen. So standen sie da, mit geöffneten Mündern den Ort des grauenhaften Geschehenen betrachtend, ehe der erste sich nach endlos langen Sekunden davon zu lösen vermochte. Als ob er gegen weit übernatürlich starke Schwerkräfte ankämpfen müsste, bewegte er sich langsam und unendlich mühevoll aus dem Zimmer heraus, ehe er sich umwand, die naturgegebene Kontrolle über seinen Körper wiedererlangte und zur Türe der Hütte rannte. Von nicht durch Worte zu beschreibender Panik gepackt, schrie er sein Entsetzen im folgenden aus seiner Kehle heraus, auf dass alle der übrigen Bewohner der Siedlung zu hören gezwungen waren, welch furchtbare Tat sich unerkannt in ihrer Mitte ereignet hatte. Niemand der zahlreichen Arbeiter, die da waren nahezu sechshundert an der Zahl, konnte sich auch nur annähernd erklären, wie sich solch Tragödie zu ereignen wusste, und nicht wenige mochten gar, bar jedes Begründungsansatzes, standhaft davon ausgehen, dass es sich zweifellos um ein Unglück oder vermutlich gar um eine natürliche Todesursache, welche möglicherweise mit den unerforschten Umweltbedingungen des Tiamat zusammenhing, handeln musste. So suchte man, nachdem das erste Entsetzen überwunden war, das Geschehene durch den Versuch makellosen Verdrängens seines Schreckens zu berauben. Die Nefilim vergruben den verstümmelten Leichnam fern ihrer Siedlung, brannten das Haus nieder und kehrten an ihre tagtäglichen Betätigungen zurück, ohne weitere Worte über das Schicksal ihres einstigen Wortführers zu verlieren. Niemals zuvor waren sie mit solchem Eifer bei der Arbeit in den Bergwerksstollen gewesen wie zu dieser Zeit, doch trotz allem blieb der Schmerz, und ein bedrückender Schleier düsterer Vorahnung senkte sich hernieder über das einstmals aus der Fremde an diesen Ort gekommene Volk. Nicht ein einziger der Arbeiter hatte die Mutmaßung, dass der Befehlshaber der Unternehmung in Verbindung mit dem Tod Sar.Es stehen könnte, auch nur für einen einzigen Augenblick seines Daseins in Erwägung gezogen, zu ungeheuerlich schien jene Vorstellung wohl, obgleich dieser Rückschluss aufgrund des offen kundgegebenen Zornes En.Lils auf den in der Kunst der Architektur Bewanderten gemäß vernünftigem Ermessen keinesfalls abwegig erscheinen musste. Doch nimmer vergessen werden darf, dass den Bewohnern des Marduk die körperliche Gewalttätigkeit bis auf wenige, kaum 8
nennenswerte Ausnahmen vollends unbekannt war, ehe sie den Tiamat betraten, und ihre Loyalität und ihr Vertrauen in ihre ihr Volk stets hervorragend dirigierende Obrigkeit geradezu unerschütterlich genannt werden konnte. Doch trotz der Verschwiegenheit der zu dieser Zeit im südlichen Afrika beheimateten Nefilim drangen nach einer Weile Gerüchte über das grausame Vorkommnis nach außerhalb, worauf sie schließlich auch die weiteren größeren Zentren wie Schurrupak, Bad-Tibiria, Nibru.Ki, E.Ri.Du und E.Din erreichten. En.Ki steckte in diesen Tagen noch im Anfangsstadium seiner Forschung um die Erschaffung des homo sapiens aus dem Affenmenschen, er befand sich im medizinischen Zentrum in Schurrupak, wo er gemeinsam mit Nin.Hur.Sag die ersten Fehlversuche hinzunehmen gezwungen war. Verschiedene Gerüchte drangen aus dem weit entfernten Süden bis zu seinen Ohren vor, und sie reichten von offenkundig fehlerhaften Meldungen, wie beispielsweise, dass sich in den Bergwerken eine Art Explosion ereignet und mehrere der Arbeiter in den Tod gerissen hatte, bis hin zu der Wahrheit bereits näherrückenden Erzählungen über eine böswillige Fehde innerhalb der Siedlung, welche den Mord an einem Architekten zum Ausgang hatte. Der älteste Sohn Anus war ohne Frage ebenfalls tief erschüttert und in vieler Hinsicht ratlos über ein solches geradezu unfassbares Ereignis, doch zeigte er sich aufgrund seines unschätzbaren Intellekts und seines Verantwortungsgefühles für sein Volk durchaus zu nüchternem, scharfsinnigem Nachsinnen befähigt. Und als er erfuhr, dass niemand anderes als Sar.E, jener Mann, dessen schwere Bestrafung sein Bruder so vehement eingefordert hatte, das Opfer darstellte, da wurde er hellhörig und fasste einen unheiligen und wahrhaft unaussprechlichen Verdacht. Lediglich seine Halbschwester weihte er in seine Vermutung ein, und da auch Nin.Hur.Sag seine Gedanken nachzuvollziehen vermochte, rang er sich dazu durch, En.Lil darauf anzusprechen. Nur allzu gerne wäre En.Ki selbst in die unglückliche Siedlung gereist und hätte dort eigene Nachforschungen zur Bestätigung oder Entkräftung seiner Verdachtsmomente angestellt, doch hierzu fehlte ihm zweifellos der zeitliche Freiraum, da seine genetischen Versuchsreihen unablässig am Fortlaufen waren und jeder Tag, an denen er es unterließ, die notwendigen Beobachtungen und Schlussfolgerungen zu unternehmen, ihn um ein gewaltiges Maß an Zeit zurückwerfen konnte. So trat er lediglich vor einen der sprechenden Steine, welche in ihrem Innenleben aus einer unsagbar komplexen Technologie bestanden und über die Fähigkeit verfügten, Worte bis hin in ferne Welten zu übermitteln. In diesem Fall wurde die Inanspruchnahme des die Umlaufbahn des Tiamat umkreisenden Satelliten jedoch nicht benötigt, so dass die akustischen Wellen einzig über die gewaltige Antenne in Nibru.Ki bis nach E.Din in Mesopotamien übersandt wurden. En.Ki vermied es selbstverständlich, En.Lil gegenüber eine offene Verdächtigung auszusprechen, zumal er nicht über das auch nur geringste mit Aussagekraft bedachte Indiz verfügte, so dass er ihn alleinig ob dessen Meinung zu dem tragischen Vorfall befragte. Der Befehlshaber reagierte in höchstem Maße gelassen und entgegnete lediglich, dass er selbst nicht über den genauen Inhalt und Hergang des Geschehens informiert sei, dafür jedoch fähige Leute mit den notwendigen Ermittlungen betraut hätte. Auf jeden Fall handele es sich um einen mehr oder weniger gewöhnlichen Zwischenfall, welcher keinerlei erwähnenswerte Auswirkung nach sich ziehe und wohl auf den unergründlichen Willen des Universums zurückzuführen sei. Aus diesen nichtssagenden Worten wusste der ältere der Bruder jedoch durchaus seine eigenen Rückschlüsse zu ziehen, denn keinesfalls hatte er der Stimme En.Lils auch nur einen Anflug von Besorgnis oder gar Trauer zu entnehmen vermocht. Vielmehr drangen Großmut und zuweilen gar Häme – als Bestätigung für Zufriedenheit und freudiges Empfinden wohl – zu ihm vor, was ihn in seiner gehegten Ansicht nur des Weiteren bestätigen musste.
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Der Mord an Sar.E geriet in den folgenden Wochen und Monaten in Vergessenheit, doch war dies gleichwohl eines der einschneidenden Ereignisse, welches einen tiefen Keil des gegenseitigen Misstrauens zwischen die beiden Söhne Anus treiben sollte. Von dieser Zeit an bestand die Beziehung zwischen den beiden einzig noch aus förmlicher Höflichkeit im Rahmen des für das Gelingen der Unternehmung notwendigen Kontaktes, ein privater, bruderschaftlicher Austausch hingegen fand längst nicht mehr statt. En.Ki vertiefte sich in seine Forschungen, und En.Lil fühlte sich wohl in seiner Rolle als uneingeschränkter Regent über den Tiamat – jene in seinen Augen mit unschätzbaren, brachliegenden Möglichkeiten versehene Kolonie des Heimatplaneten. Dennoch wusste der Thronerbe des Marduk schon in diesen Tagen, dass ihm noch ein weiter Weg bis hin zum erfüllten Glück bevorstand, so dass er immer wieder voller Genugtuung und daraus schöpfender Zuversicht auf die in seinem Willen geschehene und in vollem Maße erfolgreich verlaufene Gewaltanwendung zurückblickte und diese somit auch für Schwierigkeiten, die noch kommen mochten, als probates Mittel in sein Auge fasste. Niemand der großen Nefilim der alten Tage vermag von den erst lange nach der Flut geborenen Generationen der Menschen schwieriger beurteilt zu werden denn En.Lil, denn wahrlich viele Ausprägungen beinhaltete sein Charakter und in vielen Dingen war er möglicherweise der menschlichste aller Nefilim. Zweifellos gebrauchte er als erster in der langen Ahnenreihe des Marduk das Mittel der vom Zweck geheiligten Gewalt, doch war er auch der erste, welcher in solch ungeheurer Position der Verantwortlichkeit über einen neu erschlossenen Planeten stand. War es womöglich tatsächlich der universelle Plan, die Vorhersehung des Tiamat – der späteren Erde –, welcher jene unheilvollen Gedanken und Gelüste zumindest begünstigte, wenn nicht gar als Ausformung eines höheren Willens hervorbrachte, oder handelte En.Lil ganz und gar aus eigenem bewussten Antrieb heraus? Verhielte es sich auf diese Weise, so hätte er zweifellos unsagbaren Anteil an jeder Form von Schlechtigkeit, welche in die Sphäre des kleinen, blauen Sternes gelangte und später unweigerlich von der den Tiamat dereinst beherrschenden, neu erschaffenen Rasse der homo sapiens Besitz ergriff. Niemals jedoch, zu keiner Zeit war das Gute – so wie die Menschen es in weitaus späteren Zeitaltern interpretieren sollten – in den Weiten des Universums in Reinform vorhanden gewesen, und niemand, weder En.Lil noch ein sonstiges Wesen, könnte es folglich zu zerstören vermögen oder in umgekehrter Weise etwas vermeintlich durchweg Schlechtes ersinnen. Unmöglich und stets zum Scheitern verurteilt scheint es unter all diesen Gesichtspunkten, über das Wesen des jüngeren Sohnes A.Ns einen Richtspruch zu fällen, mögen wir dies allein dem Plan des Himmels und der Erde – um den Ausdruck der Nefilim und im folgenden der Atlanter zu gebrauchen – überlassen. Viele Jahrzehnte vergingen in der sich daran anschließenden Zeit, und neben dem Erringen von ersten wissenschaftlichen Erfolgen durch En.Ki und Nin.Hur.Sag tat sich weder auf dem Marduk noch in den Weiten des Tiamat vieles, das mit bedeutsamer Außenwirkung verbunden war. Der Abbau und die Verarbeitung des Goldes ging stetig voran, wenn auch unverändert mühevoll und wesentlich langsamer als zu Anbeginn, so dass die Energieressourcen des Mutterplaneten zumindest für die nähere Zukunft gesichert verblieben. Etwas, das nicht unbeachtet bleiben und später zweifellos mit Auswirkungen behaftet werden sollte, ereignete sich aber dennoch, denn Nin.Hur.Sag entschied sich unter ihren Halbbrüdern für En.Ki als ihren Gemahl. So ehelichte der ältere Sohn Anus die Herrin des medizinischen Zentrums von Schurrupak, worauf sie nach und nach mindestens drei Kinder zeugten, welche allesamt Söhne waren. Eines von ihnen trug den Namen Ner.Gal, welcher voller Energie und Tatkraft geschildert und von den Menschen nach der Flut – unter anderem von den Sumerern und Assyrern – als Gott des Planeten Mars verehrt wurde. Ein weiteres wurde Gi.Bil genannt, während der dritte nach dem Heimatstern den Namen Marduk erhielt. Marduk war fraglos der Lieblingssohn En.Kis, und ihm errichteten 10
die Menschen späterer Zeitalter die größten und prächtigsten Tempel und erhoben ihn zum obersten Gott ihrer Städte und Länder. Nicht genau bekannt ist hingegen, in welcher Reihenfolge die Söhne geboren wurden, und ein noch weitaus größerer und bedeutsamerer Streitpunkt liegt in der Abstammung jener geheimnisvollen Person, die von den Ägyptern später als Ré oder Ra bezeichnet wurde. Zudem sei erzählt, dass En.Lil als Reaktion auf die Abfuhr, welche er von Nin.Hur.Sag erhielt, unmittelbar eine andere Gemahlin auserkor – über die uns nichts überliefert wurde – und mit ihr mindestens vier Kinder hatte. Der älteste derselben, welcher von Anfang bis zum Ende als rechtmäßiger Erbe seines Vaters galt, war Nin.Ur.Ta, ein tapferer und aufrechter Mann, der sowohl den Nefilim als auch den Menschen stets mit zuweilen heldenhaftem Mut in jeder misslichen Situation beistand. Der zweite war Nan.Nar, der im späteren akkadischen Dialekt als Sin übermittelt wurde. Auch er galt als wohlwollend und hilfsbereit, wenn auch als wesentlich zurückhaltender denn sein älterer Bruder. Während seiner Regentschaft über Sumer, wovon an anderer Stelle noch die Rede sein soll, entstand unter anderem die berühmte Menschensiedlung Ur als eine der ältesten und damals bedeutendsten ihrer Art. Der jüngste Sohn En.Lils wurde Ischkur genannt, jedoch erlangte er unter der akkadischen Bezeichnung Adad eine bedeutend größere Bekanntheit. Unter anderem wurde er in Babylonien als Gott des Jupiters verehrt. Schließlich hatten die Söhne des damaligen Thronfolgers des zehnten Planeten noch eine Schwester, welche von den Sumerern als Ir.Ni.Ni („Starke, süßduftende Herrin“), Inanna und vor allem Ischtar überliefert wurde. Sie war jünger als ihre Brüder und besaß ein Antlitz von unvergleichlicher Schönheit und Vollkommenheit, während ihr Verstand zudem von beträchtlicher Intelligenz und Verführungskraft geprägt war. Unweigerlich muss von ihr noch des öfteren die Rede sein, denn ihre Rolle sowohl beim Schicksal von Atlantis als auch dem Untergang der Nefilim auf Erden kann niemals übersehen oder hinweg gedacht werden. Über die Kinder und Kindeskinder Anus, des einzigen den Bewohnern des Tiamat überlieferten Herrscher des Marduk, würde somit Klarheit herrschen, wenn nicht jener eine Nefilim wäre, dessen Geschichte und Person so unsagbar zwiespältig genannt werden müssen. Die Rede ist von Ra, der in den Geschichten der einen Völker als der Herr des Chaos und Große Feind der Menschen dargestellt wurde, zum Beispiel in denjenigen, in welchen er die Namen Chtu.Lu oder Baal erhielt. Andere Traditionen gewaltiger Völker verehrten ihn jedoch als den einen und alles bestimmenden Gott, welcher als Statthalter der alles Leben gewährleistenden Sonne stets seine schützende Hand über seine menschlichen Kinder hielt. Auf jeden Fall bewirkte Ras Einfluss unvergleichlich nachhaltige Veränderungen und führte letztendlich dazu, dass die Menschen ihre Lehrmeister vom Tiamat zu verdrängen wussten, wenn dies auch mit einem unendlichem Maß an Leid und Schmerz verbunden sein sollte. Die meisten Quellen sprechen nun ohne Zögern davon, dass Ra ein Sohn En.Lils, und zwar der jüngste von allen seinen Kindern, sei, und zweifellos muss als außer Frage stehend konstatiert werden, dass die Charaktere jener beiden Nefilim in vielen Punkten Ähnlichkeiten oder gar Übereinstimmungen aufwiesen. Zudem versuchen viele der in späteren Zeiten lebenden Betrachter der damaligen Ereignisse Ras ungeheuerliches Verhalten damit zu erklären, dass er eben der jüngste von fünf Geschwistern und folglich von vielerlei Begünstigungen – so bei der Aufteilung der Gebiete des Tiamat – ausgeschlossen war. Sollte wahrlich Neid der Auslöser jener zahlreichen, dunklen und verhängnisvollen Gedanken gewesen sein? Neben dieser besagten Mehrheit an überlieferten Texten und mündlichen Zeugnissen existiert jedoch außerdem noch die Ansicht einer Minderheit, welche sich jedoch auf fraglos ernstzunehmende Dokumente und nicht von der Hand zu weisende Zusammenhänge stützt. Demzufolge tritt eine überraschende und für einige Menschen geradezu frevlerische Folgerung in den 11
Vordergrund, und jene besagt, dass Ra nichts anderes als ein Sohn En.Kis gewesen sein musste. Eine Aufklärung jenes Zwiespalts wird letztendlich wohl niemals ermöglicht werden, denn die schlüssigen Nachweise – sollten sie denn jemals existiert haben – gingen mit der alles verschlingenden Flut unwiderbringlich verloren und der Betreffende selbst sprach zu seinen Kindern und Schülern offensichtlich niemals ein Wort darüber. Obgleich En.Lil wenig an Trauer und offen gezeigtem Groll über seine Niederlage bei der Werbung um Nin.Hur.Sag an den Tag legte, war auch dies ohne Frage eine weitere Einzelheit, welche den Zwist unter den Söhnen Anus zu verstärken wusste. Noch weitaus schärfer als zuvor fanden nunmehr Abgrenzung und gegenseitiges Ignorieren zwischen den beiden höchsten und herrlichsten aller auf dem Tiamat befindlichen Nefilim statt, doch noch immer funktionierte die bislang bewährte Rollenverteilung, so dass der Zeitpunkt der Eskalation weiterhin in unbestimmter Ferne lag und auch Anu, der von seinem Palast auf dem weit entfernten Marduk aus die Entwicklung nur unzureichend zu verfolgen vermochte, die Schwere des Konfliktes trotz seiner Weisheit zunächst keineswegs erkannte. Schließlich jedoch gingen die Forschungen En.Kis ihrem Ende entgegen, und damit endete auch die ganzzeitliche Beschäftigung des älteren der Brüder, was wohl das einzige darstellte, das eine Ausweitung des Streites vermieden hatte. Doch es kam noch um ein wesentliches schlimmer als das, denn En.Ki erschuf – wie uns die Überlieferungen verraten – eine zweite, vollkommenere Generation an Menschen und segnete den ersten der ihren mit dem Geschenk des Wissens um den Plan des Himmels und der Erde. Und all dies geschah einzig gemäß seines eigenen Ersinnens, ohne jede erhaltene Weisung oder Absprache und im unvereinbaren Gegensatz zum Willen En.Lils, des Befehlshabers der Mission. Nach Zi.U.Sud.Ras Rückkehr vom Marduk nahm das Unheil nun gänzlich seinen Lauf, denn Anu hatte noch immer keinerlei verbindliche Entscheidung über das Schicksal des homo sapiens getroffen und unvermeidlich gerieten seine Söhne wiederum in nunmehr offenkundig unversöhnlicher Weise aneinander. En.Ki nahm seinen Schützling sogleich in Sippar in Empfang und geleitete ihn unmittelbar zurück nach E.Ri.Du, wo er ihn in seiner Residenz von neuem seiner Obhut unterstellte. En.Lils Reaktion jedoch ließ nicht sehr lange auf sich warten, und so bedrängte er im folgenden seinen Bruder über Mittelsleute auf das Heftigste, den Menschen auszuliefern, da ihm als Befehlshaber aller Nefilim auf dem Tiamat jedwede Entscheidung überlassen bliebe, sofern nicht Anu selbst von seinem noch höherstehenden Recht Gebrauch machte. Der ältere der Söhne des Herrschers des zehnten Planeten weigerte sich strikt, die Abgesandten seines Bruders auch nur zu empfangen, worauf dieser erbost seinen Vater anrief, diesem von den erneuten Verfehlungen En.Kis berichtete und erstmals offen darauf drängte, denselben zurück auf den Heimatplaneten zu befehligen. Anu jedoch zögerte, denn niemand hatte ihm jemals mehr an Freude bereitet denn En.Ki, welcher von allen geliebt und geachtet wurde und niemals aus Eigennutz oder Starrsinnigkeit verurteilenswert zu handeln vermochte. Wenige Tage später trat ein neuerliches Ereignis hinzu, welches die Angehörigen der neu erschaffenen Gattung betraf. Nachdem die Menschen in den Bergwerken ausgezeichnete Arbeit verrichteten, wurden die in Mesopotamien lebenden Nefilim neidisch auf ihre in Südafrika beheimateten und nunmehr größtenteils zu Aufsehern empor gestiegenen Brüder und Schwestern, so dass sie ebenfalls willige Arbeitskräfte verlangten. En.Lil stimmte dieser Forderung sofortig zu, wenn auch nur aus dem einen Grund, seinem Bruder künftig innerhalb räumlicher Nähe dessen Wohnorts zu demonstrieren, zu welch niederen Objekten die von ihm Erschaffenen bestimmt waren. Zu seinen eigenen Ungunsten sollte sich der Thronfolger des Marduk jedoch auch dieses Mal auf einen Irrweg begeben,
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welcher ihn letztendlich die Herrschaft über den Großteil des von ihm beanspruchten Gebietes kosten sollte. Was sich nunmehr anschloss, wurde in den Tagen nach der Flut in den Büchern der Bibel mit folgenden Worten beschrieben: „Und Gott nahm den Adam und setzte ihn in den Garten von Eden, ihn zu bebauen und zu pflegen.“ So wurden einige der homo sapiens gewaltsam von Südafrika aus nach Mesopotamien, insbesondere nach E.Din, der Wohnsiedlung der hochrangigsten der Astronauten, verbracht. Nun protestierte En.Ki seinerseits über Mittelsleute bei seinem Bruder, denn seiner Ansicht nach beschränkte sich der Zweck der Erzeugung der neuen Rasse auf den eigentlichen Inhalt der Mission, nämlich die Goldgewinnung, und keinesfalls darauf, den persönlichen Wünschen der Nefilim dienlich zu sein. Doch er erhielt keine Antwort, und somit verblieb der damalig vorherrschende und als ausweglos zu bezeichnende Zustand für weitere Zeit, während derer sich Anu weiterhin zu keiner die Fronten endgültig klärenden Entscheidung durchzuringen vermochte. Hatte der alte Herrscher des Mutterplaneten einzig noch auf einen letzten Anstoß zu seinem Handeln gewartet, so ereignete sich dieser letztlich nicht mehr als einige Erdenjahre später.
3.Kapitel: Die Aufspaltung des Tiamat
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weifellos war es En.Lil, da er sein Augenmerk lediglich auf den Zwist mit seinem Bruder gerichtet hatte, versagt geblieben zu erkennen, welch schmerzlicher Wandel sich innerhalb des Bewusstseins der Astronauten vollzogen hatte. Und folglich war er auch außer Stande, die für diese Entwicklung ausschlaggebenden Ursachen zeitig zu bekämpfen. Zu Anbeginn ihrer Unternehmung auf dem erst seit jungen Tagen mit Leben versehenen Stern waren die Ideale und Empfindungen der Raumfahrer auf das gleiche Maß, welches innerhalb der Rasse der Nefilim bereits seit ewigen Zeiten auf ihrem Heimatplaneten vorherrschte, beschränkt gewesen. Das erste Anzeichen einer Änderung fand fraglos statt, als die Arbeiter gegen die Weisungen ihres Befehlshabers rebellierten und damit einen für ihr Wesen geradezu unfassbaren Mangel an Loyalität unter Beweis stellten. En.Lils daraus resultierendes und gleichsam durch nichts zu rechtfertigendes Handeln war geprägt von einem Übermaß an Ehrgeiz und Geltungssucht, das nunmehr sich entfaltende Gebaren der Nefilim Mesopotamiens wies jedoch noch eine anderes Erscheinungsmerkmal auf, denn es beinhaltete den Neid. Immer zuvor waren die Bewohner des Marduk untereinander in schwerwiegendem Konkurrenzdenken befangen, doch niemals traten Gefühle von Missgunst in den Vordergrund, vielmehr entnahmen die strebsamen Männer und Frauen dem Erfolg des anderen eine Steigerung des eigenen Antriebes, eine noch bessere Leistungsfähigkeit zu erreichen und schließlich auf ehrliche Weise selbst zu Ruhm und Erfolg zu gelangen. Die Bewohner E.Dins, Nibru.Kis, Schurrupaks und der anderen größeren und weniger großen Siedlungen innerhalb des Kernlandes der Astronauten hatten nunmehr erstmals eine deutliche Ausprägung von Neid gezeigt, und unmittelbar folgte daraus eine weitere Verfehlung, an welcher auch En.Ki nicht ohne Mitschuld war, da er ebenfalls die Voraussetzungen dieser negativen Entwicklung nicht erkannt hatte. Jene weitere Verfehlung war die Trägheit, die in unvereinbarem Gegensatz zu einer der größten Tugenden der Einwohner des Marduks – der Strebsamkeit – stand. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte En.Lil den neuerlichen Zuständen keinerlei Aufmerksamkeit gewidmet, da seine uneingeschränkte Befehlsposition unangetastet erschien und allein die Aufsässigkeit seines Bruders ihm Kopfzerbrechen zu bereiten wusste. Dann jedoch sollte ein neuer Umstand eintreten, welcher endlich dazu führte, dass dem Thronerben des
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Marduk seine bisherige Fehleinschätzung wie Schuppen von den Augen fiel und er daraufhin in einen unsagbar wallenden Zorn geriet. Hatten sich die in Südafrika zur Aufsicht über die Minenarbeiter eingesetzten Astronauten noch damit begnügt, die ihnen unterstellten homo sapiens zur Verrichtung des Goldabbaus heranzuziehen, so mochten sich die Nefilim Mesopotamiens nunmehr weiterer Vorzüge der Angehörigen der neu erschaffenen Gattung bedienen. Dies führte letztlich dazu, dass die männlichen der Raumfahrer, welchen es an weiblicher Gesellschaft ihrer Art mangelte, sich Menschenfrauen zum Weibe nahmen, da sie erkannten, dass die beiden Rassen nicht nur deutliche äußere Ähnlichkeiten besaßen, sondern ebenso zum Geschlechtsakt und gar dem Zeugen von gemischten Nachkommen füreinander geeignet waren. Letzteres muss nicht verwunderlich sein, denn sowohl Nefilim wie Mensch entstammte dem ersten und einen Lebenssamen, welcher einstmals sowohl den Marduk wie später den Tiamat mit Leben befruchtete, und überdies wurde der homo sapiens als Hybrid aus den genetischen Mustern der Kinder des zehnten Planeten erschaffen. Im Zuge dieser Entwicklung entwuchsen die Menschen aus ihrem eingeschränkten Arbeiterdasein, denn sie lernten zu musizieren, zu tanzen und sich allen Formen der Kommunikation zu bedienen. Und die Nefilim freuten sich darüber und beschlossen, das Leben auf dem Tiamat in reichhaltiger Weise auszuschöpfen und sich hemmungslos den Vorzügen von Bequemlichkeit, Spiel und körperlichen Genüssen hinzugeben. Zwangsläufig breitete sich jene Verhaltensweise mit unglaublicher Schnelligkeit über alle erschlossenen Gebiete aus, was unweigerlich zur Folge hatte, dass der Zweck der Mission schon baldig in Verdrängung geriet und Abbau, Verarbeitung und Verschiffung des für die Einwohner des Marduk lebensnotwendigen Edelmetalles zunächst erlahmte und letztlich beinahe gänzlich zum Stillstand kam. Der Befehlshaber der Unternehmung hatte das Geschehen für eine lange Zeit nicht in seiner Tragweite zu erfassen vermocht, da er eine zurückgezogene Lebensweise pflegte und seine Konzentration auf höhere Angelegenheiten und Ziele, welche er dereinst anzupacken und zu erreichen gedachte, gerichtet hielt. Dann erreichte ihn eine Kontaktierung vom Heimatplaneten, und man fragte ihn im Namen Anus, weshalb die Produktion an Gold in solch unübersehbarem Maße zurückgegangen war. En.Lil war hieraufhin so irritiert und verstört, dass er sich nicht einmal zu fragen gedachte, weshalb sein Vater entgegen seiner früheren Gewohnheit ihn nicht persönlich angesprochen hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war jedoch offensichtlich, dass Anus unumstößliches Vertrauen zu seinem jüngeren Sohn gebrochen war und er die später folgende Entscheidung wohl schon in groben Zügen in sich trug. Erstmals betrachtete En.Lil nun das Ausmaß der Ausschweifungen, welche über die ihm anvertrauten Gebiete hereingebrochen waren. Niemals zuvor hätte er ein solches auch nur zu träumen gewagt, und in seine Wut mengten sich Ansätze von Selbstvorwurf, da er sein Volk und seinen Heimatplaneten trotz allen eigenen Ehrgeizes unzweifelhaft über alles schätzte und liebte – Empfindungen, die sich bekanntermaßen vor allem in Augenblicken von Gewichtigkeit und Gefahr offenbaren – und unmöglich ertragen konnte, dass die Nefilim und der Marduk aufgrund seiner Versäumnisse untergehen mussten. All die tugendhaften Verdienste und aufopferungsvollen Bemühungen der unzähligen Generationen der Bewohner des zehnten Planeten, welche ihrem Volk zu unvergleichlichen Erfolgen und Fortschritt gereichten, – sollten sie tatsächlich vergebens gewesen und nunmehr für immer an ihrem Ende angelangt sein? Doch En.Lil war keineswegs gewillt, den drohenden Untergang tatenlos mit anzusehen. Umgeben von einer Wolke aus bitterem Zorn trat er aus seinen Gemächern, in welchen er sich schon zu lange selbst gefangen gesetzt hatte, und rief sofortig eine Versammlung aller seiner Untergebenen aus, welche in Mesopotamien ein auch nur annäherungsweise als 14
hoch zu bezeichnendes Amt bekleideten. Da er dringlichste Eile zum Gebot machte, fanden sich die Betreffenden noch am Abend desselben Tages im Wohnpalast des Befehlshabers ein, wo sie in einer großen Halle dem Erscheinen des sie Herbeizitierten harrten. Unverkennbar war ihr Unmut, denn wahrlich angenehmere Tätigkeiten warteten ihrer in ihren behaglichen Heimen, und welch Anliegen konnte schon derart dringlich genannt werden, wo sich doch alles im besten Zustand befand? Keineswegs blieb dem Sohn Anus jene Einstellung verborgen, als er letztendlich die Räumlichkeit betrat, und voll Abscheu blickte er auf diejenigen, denen er in solch hohem Maße sein Vertrauen geschenkt und damit sein Schicksal in deren unwürdigen Hände gelegt hatte. Mit betonter Langsamkeit erklomm er das erhöht angebrachte Podium, so dass er die Szenerie – es waren wohl zwischen fünfzig und hundert Nefilim anwesend – vollends zu überschauen vermochte. Dann holte En.Lil tief Luft und begann zu sprechen, worauf sich die zuvor von Unruhe und Ungeduld erfüllte Atmosphäre augenblicklich in eine beinahe atemlose Stille verkehrte. „In Euch habe ich mein Vertrauen gelegt, und daraufhin habt Ihr mich wahrlich in bitterstem Maße enttäuscht! Nie zuvor in der Geschichte des Marduk wurde solch verabscheuungswürdiges Handeln an den Tag gelegt wie es nunmehr der Fall zu sein scheint, und Ihr allein habt dafür verantwortlich zu zeichnen! Was nur sollen unsere Brüder und Schwestern von uns denken, die von uns in unserer Heimat zurückgelassen wurden und dem Gelingen der Unternehmung harren? Wollt Ihr sie sterbend zurücklassen, während Ihr Euch in der Fremde Wollust und Trägheit hingeben mögt? Und zu allem Überfluss habt Ihr Euch gestattet, die Euch anvertraute Macht und Verantwortung über eine Rasse niederer Art, die allein durch unser Einwirken erst das Licht der Welt erblickte und nichts anderem als dem Erfolg unserer Mission zu dienen bestimmt war, auf schlimmste Art und Weise zu missbrauchen! Und was denkt Ihr von meiner Person? Was habt Ihr mir angetan? Ihr habt verraten mich, der immerzu für Euer Wohlergehen kämpfte und dereinst Euer Herrscher sein soll! Anu verlangt nach Erklärung, und ich allein muss für Eure Verfehlungen gerade stehen und mich erniedrigen, um die Ehre unseres Volkes nichts vollends dem Untergang zu weihen! Doch all dies vermag mich nicht mehr zu belasten, der Inhalt meines Strebens soll von nun an darauf gerichtet sein, die Saat des Unheils, die in unserer Mitte aufgegangen ist, zu bekämpfen ohne jede Form von Rücksicht! Und der Anfang sei damit getan, dass Ihr alle, die Ihr am heutigen Tage hier anwesend seid, Euch als von Euren Aufgaben entbunden betrachten sollt! Kehrt somit zurück in Eure Unterkünfte ohne Würde und Rang, und harret der Anweisungen, die ich möglicherweise im folgenden Euch zuzutragen gedenke!“ Mit diesen Worten endete die Rede En.Lils, und was folgte, war eine Kulisse aus Reglosigkeit und Stille in ihrer reinsten Form. Die Astronauten saßen und standen wie angewurzelt auf den Plätzen, von welchen sie dem Gesagten gelauscht hatten, und was in ihnen vorherrschte waren Fassungslosigkeit, Erschütterung und Furcht. Einzig wenige der ihren empfanden Reue und Einsicht, vielmehr verspürten sie jedoch tiefste Bedenken hinsichtlich ihrer eigenen Situation und Zukunftsaussicht, welche geprägt sein konnten von Erwerbslosigkeit und bitterer Schmach. Niemand jedoch vermochte auch nur ein einziges Wort zu erheben, denn solch unnahbar und gewaltig erschien die Persönlichkeit, die nunmehr unbewegt und starren Blickes vor ihnen stand und sie mit einem Ausdruck unübersehbarer Verachtung strafte. En.Lil hatte mittels seiner wahrhaft unbeschreiblichen Stimme, welche auszudrücken vermochte ein unübertreffliches Maß an Größe und Würde, fürwahr die gewünschte Wirkung zu erzielen gewusst und alle, die zuvor jegliche Form von Aufmerksamkeit, Interesse und Loyalität ihm gegenüber vermissen ließen, in seinen sprichwörtlichen Bann gezogen. Nach einer Weile setzten sich die ersten der Anwesenden in Bewegung, und es schien, als seien sie innerhalb weniger Minuten um viele Jahre 15
gealtert. Schweren Schrittes betraten sie das Freie und taten folgsam, wie ihnen geheißen. So verschwanden sie in ihren Häusern und erwarteten die Geschehnisse, die des Weiteren erfolgen sollten und an welchen sie keinerlei bestimmenden Anteil mehr haben würden. Der Thronfolger des Marduk war nunmehr wahrhaft besessen davon, mit aller Härte und Unerbittlichkeit vorzugehen gegen die barbarischen Auswüchse, welche auf dem Tiamat in unübersehbarer Weise in Erscheinung getreten waren, und hierzu hielt er es für unausweichlich, neben den schrecklichen Blüten auch die Wurzel des Unheils als Ursprung der verderblichen Entwicklung herauszureißen und für immerzu unschädlich zu machen. Innerhalb kürzester Zeit aktivierte er die größtmögliche Zahl an Soldaten, über welche er zu verfügen und die er zu bewaffnen vermochte, worauf er diesen eindeutige Befehle erteilte. Und eben nachdem sich die Dunkelheit der nächstfolgenden Nacht zu verflüchtigen begann und das Morgengrauen das Heraufdämmern des neuen Tages einleitete, rollten mehrere Dutzend mit todbringendem Gerät versehene Nefilim in schweren Fahrzeugen nacheinander durch die großen Siedlungen Mesopotamiens und der angrenzenden Gebiete. Wo immer sie anhielten und in der Ganzheit ihrer stattlichen Zahl ausschwärmten, da griffen sofortig Furcht und Kleinmütigkeit um sich, und die Bewohner der Wohnstätten, welche sich noch kurze Zeit zuvor an den ihnen gehörenden Menschen nach allen Möglichkeiten erfreuten, öffneten ihre Türen, stießen die Angehörigen der neu entstandenen Rasse ins Freie hinaus und versicherten den Abgesandten des Befehlshabers ungefragt ihre größtmögliche Loyalität und Friedfertigkeit. Die Bewaffneten trieben alle homo sapiens, die sie zu finden vermochten, zusammen und pferchten sie in ein großes Lager, welches um einiges entfernt von E.Din in der Nähe von Nibru.Ki mittels einfacher Umzäunung durch in hohem Maße elektrisierte Drähte errichtet wurde. Vermutet werden kann, dass En.Lil jenen von den größten Zentren sowie von En.Kis Wohnort in E.Ri.Du abgelegenen Ort wahrscheinlich aus dem einfachen Grunde erwählte, da er jegliche Einmischung seines Bruders zu verhindern suchte. Die Wahl der frühen Tageszeit für die Aktion sowie die Schnelligkeit deren Durchführung weist auf, dass es ihm wohl am meisten Gefallen bereitet hätte, wenn sich die Kunde über das Geschehen gar nicht erst verbreitet und der Erschaffer der betroffenen Lebewesen niemals oder zumindest erst zu spät davon erfahren hätte. Doch alle Hoffnungen und Vorkehrungen sollten vergebens sein, wie sich alsbald erweisen sollte. Die Menschen selbst hatten keinerlei Möglichkeit zur Gegenwehr, ganz im Gegenteil wussten sie nicht einmal, wie ihnen geschah. Noch am vorherigen Tage wurden sie von ihren Herren im Großen und Ganzen mehr als gut behandelt, wenn sie auch einiges an Gegenleistung zu erbringen hatten. Man hatte sie zu sprechen, zu lernen und sich in allen Formen der Kunst zu betätigen gelehrt, und sie waren mit ihrer Rolle zufrieden und einverstanden, denn sie waren zu dieser Zeit ein junges Volk, das niemals etwas anderes als Sklaventum kennengelernt hatte. Und nunmehr zerrten, stießen und traten Angehörige der Rasse ihrer Gönner sie mit augenscheinlich unmöglich nachvollziehbarer Gewaltanwendung aus ihren Wohnplätzen heraus und zwangen sie, sich gemeinsam mit ihresgleichen – sowohl Männer, Frauen wie Kinder wurden herbeigeschafft – unter freiem Himmel einzufinden, umgeben von hohen, unüberwindlichen Zäunen. Weshalb nur sprang man solcher Art mit ihnen um, hatten sie nicht alle Wünsche der Nefilim ausnahmslos nach bestem Gewissen erfüllt? Einige der Menschen waren im folgenden so leichtsinnig, den kalten Draht mit ihren Händen zu berühren, worauf sich augenblicklich ihre Haare zu Berge stellten, die Haut an manchen Stellen schwarz zu verkohlen und zu dampfen begann und die leblosen Leiber schließlich verunstaltet zu Boden sanken. Wahrhaft unsagbares Entsetzen war die Folge hiervon, und die Männer und Frauen drängten und kauerten sich zusammen in der Mitte des eingefriedeten Platzes, wo sie tatenlos ihr Schicksal zu erwarten verdammt waren. 16
Während der Tag verging, wurden in regelmäßigen Abständen weiterhin vereinzelte Menschen von den Soldaten herbeigeschleppt und durch das große, knarrende Tor zu den anderen befördert. Erst gegen Abend erlahmten die Bemühungen der Nefilim offensichtlich, so dass anzunehmen war, dass nunmehr die große Mehrzahl zumindest der nicht in den Bergwerken des südlichen Afrikas tätigen homo sapiens in das Lager verbacht war. So brach die Stille der Nacht herein, und das Dunkel brachte eine eisige Kälte mit sich, da zu dieser Jahreszeit die Temperaturen der nächtlichen Stunden gänzlich im Gegensatz zu dem warmen Klima des Tages standen. Da die Eingepferchten lediglich spärliche Bekleidung an sich trugen und ihnen keine Decken gegeben wurden, begannen sie gar furchtbar zu frieren, so dass sie sich gegenseitig – vor allem ihre Kinder – notdürftig zu wärmen gezwungen waren und folglich etliche qualvolle und überwiegend schlaflose Stunden verbrachten. Das Schlimmste blieb dennoch zweifellos nichts anderes als die Ungewissheit, was der neue Tag mit sich bringen würde, denn kein einziges Wort hatte man ihnen gegenüber verlauten lassen und zu wahrlich allem schienen die bewaffneten, offenkundig mitleidlosen Männer fähig zu sein. Die Bemühungen des Befehlshabers der Unternehmung, die Vorgehensweise seiner Abgesandten wider die neu entstandene Rasse und vor allem das, was des Weiteren erfolgen sollte, geheim zu halten, sollten sich bereits in den frühen Stunden des nächsten Tages als gescheitert offenbaren. Mit einem Zorn, den man niemals zuvor in seinem Gebaren festzustellen wusste und der seinem Wesen zweifellos fremd genannt werden konnte, kontaktierte En.Ki, der älteste Sohn des Herrschers des Marduk, von seinem Laboratorium in E.Ri.Du aus die Wohn- und Befehlsstätte seines Bruders, worauf er heftigst Erklärungen für das ungeheuerliche Vorgehen der Soldaten einschließlich der Errichtung des Gefangenenlagers in der Umgebung Nibru.Kis verlangte. Niemand weiß, wie er an jene genauen Informationen gelangte, doch offensichtlich ist, dass En.Ki zu jeder Zeit viele Freunde und Bewunderer unter den Astronauten hatte, und diese ihn, gleich welche Umstände auch gegeben sein mochten, als den wahren Nachfolger Anus betrachteten. Auf jeden Fall kam ein Gespräch mit seinem jüngeren Bruder auch bei dieser Gelegenheit nicht zustande, denn dieser weilte – nach Angaben eines seiner Untergebenen höheren Ranges – bereits seit dem gestrigen Tag außerhalb E.Dins, da er die Maßnahmen zur Wiederherstellung von Sittlichkeit und Arbeitsamkeit persönlich beaufsichtigen wolle. Über jene Maßnahmen wollte der Diener En.Lils den Schöpfer der Menschen hingegen keinesfalls im Einzelnen informieren, sondern ihn vielmehr damit vertrösten, dass ihn der Leiter der Mission so rasch wie möglich in eigener Person kontaktieren und über alles in Kenntnis setzen würde. Die Überlieferungen der sich nunmehr anschließenden Ereignisse sind einerseits glücklicherweise ebenso vollständig wie sie andererseits in vielen Teilen oberflächlich gehalten sind. Eindeutig ist, dass En.Ki, nachdem man ihm verwehrt hatte, seinen Bruder zur Rede zu stellen, unverzüglich Anu anrief und um Hilfe ersuchte. Er schilderte seinem Vater alles, das auf dem Tiamat vorgefallen war und überdies noch ein weiteres Element, das in seiner Ungeheuerlichkeit durch wahrlich nichts in der Geschichte der Nefilim überboten zu werden vermag. Er sprach nämlich davon, dass er sich gewiss darüber sei, dass En.Lil alle Menschen auf dem Tiamat – zumindest diejenigen, die über Wissen jeglicher Art verfügten – gänzlich vernichten wolle. Mit anderen Worten habe er die wehrlosen Geschöpfe aus dem einzigen Zweck in jenes im Freien befindliche Lager treiben lassen, um sie alle miteinander zu töten, damit hernach wieder alles so werde, wie es vor der Erschaffung der neuen Rasse war. Der Herrscher des Marduk hätte die Schilderungen wohl kaum zu glauben vermocht, wären sie ihm nicht von seinem über alles geliebten und geschätzten Sohn zugetragen worden. Zudem war er längst unterrichtet, dass die Unternehmung der Goldgewinnung dem endgültigen Scheitern nahe war und En.Lil aus dieser verzweifelten Situation heraus 17
möglicherweise keinen anderen Ausweg als dieses unsägliche Handeln sah. So unterließ Anu jegliches Zögern und suchte, seinen Thronerben über das Missionskontrollzentrum auf dem Tiamat in Nibru.Ki zu kontaktieren, was nach einer Weile auch von Erfolg gekrönt wurde. In Worten, die von einer unübertrefflichen Klarheit und Entschlossenheit geprägt waren, konfrontierte der Vater seinen jüngsten Sohn mit dem, was ihm zu Gehör gelangte, worauf sich der Befehlshaber der Mission zunächst in Schweigen übte, hernach widerwillig die notwendigsten Auskünfte erteilte und letztlich seiner Verärgerung freien Lauf ließ und das Ausmaß seiner Absichten in vollem Umfang darlegte. En.Lil erzählte von den ungeheuerlichen Ausschweifungen, derer sich die Astronauten hingegeben hatten und folglich ihren Verpflichtungen nicht mehr nachzukommen in der Lage waren. Nimmer müde wurde er zu betonen, dass alleinig die Rasse der Menschen durch ihr verdorbenes und andere verderbendes Wesen dafür verantwortlich zu machen sei, darüber hinaus jedoch noch ein anderer schuldig gesprochen werden musste, nämlich einer der Nefilim, und dieser sei niemand anderes als En.Ki, der Schöpfer der neuen Gattung, der seinen Schützlingen zudem noch das Wissen des Marduk über den Plan des Himmels und der Erde wider alle Gebote eröffnet hatte. Anu vernahm das ihm Entgegengebrachte und enthielt sich zunächst jeglicher Kommentierung und Wertung, jedoch ordnete er wohl an, alle weiteren Handlungen, welche restriktiver Natur waren und im besonderen gegen die Unversehrtheit der Menschen gerichtet waren, zur Gänze ruhen zu lassen bis er selbst weitere Entscheidungen gefällt habe. En.Lil gehorchte und bekundete dem Herrscher des zehnten Planeten seine unbedingte Folgsamkeit sowie sein Vertrauen in die Weisheit und Gerechtigkeit des Urteils seines Vaters. Soweit reichen die Überlieferungen über die Vorgänge, welche der Aufspaltung des Tiamat unmittelbar vorausgingen. Nichts genaues wurde über die Worte festgehalten, mit welchen En.Lil Anu über seine Absichten bezüglich der Menschen unterrichtete, so dass lediglich die Aussage En.Kis bleibt, in welcher er den Herrscher des Marduk darauf hinwies, dass sein Bruder die wortwörtliche Auslöschung des neu entstandenen Geschlechtes anstrebe. Viele weitere Indizien weisen wahrlich darauf hin, dass der Befehlshaber der Unternehmung jene grauenhafte Vorhabung in seinem Bewusstsein hegte, und wahrhaft enorm waren Zorn und Enttäuschung in ihm, als er von dem als zügellos zu bezeichnenden Verhalten der ihm Untergebenen erfuhr. Dennoch muss der jüngere Sohn Anus einer der großen Nefilim genannt werden, welche dereinst den Tiamat bevölkerten und unumkehrbar prägen sollten, da er über gar großartige Fähigkeiten auf vielen Gebieten verfügte und sein Wesen unleugbar von Tugenden wie unerschütterlicher Heimatliebe, Loyalität, Strebsamkeit und Mut geprägt war. Mit der sich nunmehr anschließenden Entscheidung Anus endete jedoch unweigerlich die Zeit des alles beeinflussenden Wirkens und Herrschens En.Lils auf dem Tiamat, und nur noch ein einziges Mal sollte er zurück ins Licht der Geschehnisse rücken, doch dies ist ein tragische Episode, die erzählt werden soll zu gebührender Zeit. Schließlich verkündete der Herrscher des zehnten Planeten sein Urteil vom Heimatplaneten der Nefilim aus, und dieses hatte unverkennbar zum Ziele, den Bruderzwist auf dem entfernten Planeten seinem unweigerlichen Ende zuzuführen. Darum verfügte er, dass der von den Astronauten erschlossene und zur Durchführung der Mission benötigte Teil des Sternes von diesem Zeitpunkt an in vier Gebiete aufgespalten werden solle. Dieser Part der Überlieferung kann als gesichert betrachtet werden, ungewiss verbleibt indes, inwiefern Anu Einfluss auf die letztliche Umsetzung seiner Maßgabe nahm. Womöglich verhielt es sich dieser Art, dass er zunächst das Los zu Rate zog, um die beiden größten Bereiche zwischen seinen Söhnen aufzuteilen. Dieses Verfahren ergab, dass En.Lil die Bedeutsamkeit aufweisenden Landstriche Europas sowie die größten Teile Asiens und 18
En.Ki Afrika zugesprochen wurde. Das dritte Gebiet umfasste augenscheinlich den Subkontinent Indien, und jenes wurde aus Gründen, die wohl niemals mehr nachzuvollziehen sein werden, En.Lils einziger Tochter Ischtar zugesprochen. Möglicherweise wollte der alte Herrscher der Nefilim nach den zwiespältigen Erfahrungen mit seinen männlichen Nachkommen mit seiner einzigen Enkelin eine Frau in einer verantwortlichen Position erproben. Über ein Hinzutun Ischtars unter Aufwendung ihrer fraglos unübertrefflichen Künste der Einflussnahme kann hier einzig spekuliert werden, auch verbleibt die Rolle ihres Vaters wohl für immer gänzlich im Dunkel der Geschichte. Spätere, sumerische Texte nennen den betreffenden Landstrich Aratta und beschreiben diesen als fruchtbares Land, das eine Vielzahl an Getreide enthielt. Das Hauptzentrum bezeichneten sie als Ha.Rap.Pa, und jenes ist wohl identisch mit dem legendären Ursprungsort der Induskultur, welcher als Pandschab übermittelt wurde. Da die Astronauten für die Fortsetzung ihrer Unternehmung der Goldgewinnung weiterhin hervorragende Raumfahrtseinrichtungen benötigten, behielten sie – gemäß Anus Weisungen – das vierte Gebiet ausschließlich für diesen Zweck vor. Jener Teil des erschlossenen Landes, in dessen Grenzen somit der Raumflughafen in Sippar sowie das Kontrollzentrum in Nibru.Ki lagen, trug von nun an die Bezeichnung Til.Mun („Ort der Raketen“), und unter jenem Namen sollte dieser Ort bei den Atlantern zu unvergleichlichem Ruhm und Mythos gelangen und letztlich zum Ausgangspunkt geradezu jedweden Strebens und vielerlei unsäglicher Taten gereichen. Verantwortlicher für diese Region und damit Befehlshaber über das gesamte Raumfahrtwesen auf dem Tiamat wurde ein Nefilim, dessen Herkunft unbekannt ist und welcher den Namen Utu („Glänzender“) trug. Die Kunde über seine herausragende Stellung reichte schließlich bis nach Atlantis, und die Menschen nannten ihn Schamasch, eine Bezeichnung, welche die Sumerer und Assyrer in ihre Schriften übertrugen. Überdies wurde der Nefilim stets in einer AdlerUniform dargestellt, denn jener Raubvogel war sein Symbol. Geradezu unglaublich und doch zweifellos unumstößlich erscheint die Tatsache, dass sowohl En.Ki als auch En.Lil fortan ihre Einflussnahme beinahe gänzlich zu reduzieren suchten, und unwahrscheinlich erscheint die Vermutung, dass jenes geschah auf Anus Geheiß. Beide der Söhne des damaligen Herrschers des zehnten Planeten übertrugen im folgenden die Verantwortung über die ihnen gegebenen Herrschaftsgebiete ihren eigenen Söhnen, so dass die ersten beiden der vier Landteile wiederum in mehrere Regionen untergliedert wurden. Mesopotamien und die angrenzenden Gebirgsländer – welche weitaus später unter anderem Elam, Persien und Assyrien benannt wurden – unterstellte der jüngere der Brüder seinem ältesten Sohn und Erben Nin.Ur.Ta. Dieser begann als erster damit, dieses Gebiet landwirtschaftlichen Zwecken zuzuführen. Nan.Nar erhielt die sich westwärts zum Mittelmeer erstreckenden Gebiete, auf welchen sich in den Tagen nach der Flut Sumer erstreckte. Manche Quellen wagen gar die Behauptung, dass der Nefilim noch zu seinen Herrschaftszeiten die Stadt Ur begründete und diese in den späteren Tagen von den Menschen lediglich wieder aufgebaut wurde. Nan.Nars Symbol war die Mondsichel, alte Inschriften bezeichnen diese als sein „himmlisches Gegenstück“. Adad, dem jüngsten Sohn En.Lils – wobei die ungewisse Abstammung Ras ausgeklammert verbleibt –, wurde die Herrschaft über die nordwestlichen Länder verliehen, er regierte folglich über Kleinasien, die Mittelmeerinseln sowie wahrscheinlich über einen Teil des späteren griechischem Festlandes. En.Ki teilte die ihm zugewiesenen Gebietschaften ebenfalls gewissenhaft unter seinen Nachkommen auf. So ist bekannt, dass Ner.Gal die größten Bereiche des südlichen Afrikas erhielt, während Gi.Bil von seinem Vater die Kunst des Bergbaus und der Metallurgie erlernte und ihm von diesem Zeitpunkt an die Aufsicht und Verantwortlichkeit über die afrikanischen Goldminen übertragen wurde. Marduk, dem Sohn, welcher En.Ki gemäß den überlieferten Schriften der liebste von allen war, brachte En.Ki sein 19
naturwissenschaftliches und astronomisches Wissen bei, zudem wurden ihm die nördlichen Gegenden unterstellt. Marduk war von den Kindern des ältesten Sohnes Anus zweifellos derjenige, der seinem Vater am nächsten kam, denn es dürstete ihn nach Wissen jedweder Art sowie nach Abenteuer und fernen Ländern. Die Menschen jedoch wurden auf einen anderen Kontinent verbracht, auf ein Landgebiet, welches gänzlich von Wasser umgeben war und sich nicht allzu weit – was relativ zu verstehen ist – von den von den Astronauten erschlossenen und im Gebrauch befindlichen Ländereien entfernt befand. Dennoch war jenes Land in solcher Weise in Isolation verborgen, dass die Geschlechter der Nefilim und der homo sapiens fortan getrennt verblieben und die Angehörigen der neu erschaffenen Rasse somit erstmals in Freiheit für ihr Schicksal selbst verantwortlich zu zeichnen vermochten. Der betreffende Kontinent erhielt den Namen Atlantis, und von ihm und den großen Taten seiner Bewohner soll im folgenden die Rede sein.
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