Martin Eisele/Hans Sommer
Highlander Die Rückkehr des Unsterblichen
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Martin Eisele/Hans Sommer
Highlander Die Rückkehr des Unsterblichen
Das Buch »Highlander Die Rückkehr des Unsterblichen« entstand auf Grundlage zweier Drehbücher von Dan Jordon und Robert McCullough zu der 22teiligen Fernsehserie »Highlander«, produziert von Gaumont Television, Paris, in Zusammenarbeit mit RTL Television.
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Eisele, Martin:
Highlander: die Rückkehr des Unsterblichen/Martin Eisele; Hans Sommer. - 1. Aufl. - Köln : vgs, 1994 ISBN 3-8025-2260-5 NE: Sommer, Hans:
© RTL/Marketing/Vertrieb © der Buchfassung: vgs Verlagsgesellschaft, Köln 1994 Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Dorothée Haentjes Titelfoto: © RTL Marketing/Vertrieb Umschlaggestaltung: Papen Werbeagentur, Köln Satz: Fotosatz Froitzheim, Bonn Druck: Freiburger Graphische Betriebe Printed in Germany ISBN 3-8025-2260-5
Denn tausend Jahre sind vor dir wie der gestrige Tag, der verging, einer Nachtwache gleich. Psalm 90,4
1 Der Fluch des dai-katana
Es war schlimmer als jemals zuvor: Die Stimmen der Nacht flüsterten hinter Mauern aus dunklem Rauschen, und Duncan MacLeod begriff vage, daß er nach stundenlangem ziellosen Herumfahren nun vornübergebeugt hinter dem Steuer seines schwarzen 68er Thunderbird kauerte, die Augen starr nach unten gerichtet. Das, was er schon eine unbestimmbar lange Zeit wie gebannt betrachtete, war möglicherweise Teil eines seiner wirren, fiebrigen Alpträume von ewiger Flucht und Verdammnis, von Wahnsinn und Tod. Das heilige Schwert... das tödliche Schwert... das Herz und die Seele des Samurai. Die Klinge blinkte matt im schwachen Licht des Armaturenbretts. Gesichtslose Gestalten, die aus allen Epochen und Regionen der Weltgeschichte emporgestiegen zu sein schienen, tanzten einen wilden Reigen auf dem silbrigen -4-
Stahl, hieben mit mörderischem Ingrimm aufeinander ein, stießen unhörbare Triumphschreie aus, starben mit lautlosem Stöhnen - Sieger und Besiegte, Täter und Opfer. Aber es war kein Traum - natürlich nicht. Dies hier war die Wirklichkeit, seine Wirklichkeit, und er durchlebte sie schon seit vierhundert Jahren mit ständig wachsendem Grauen; seit jenem Tag, einem wahrhaft magischen Tag in den schottischen Highlands, als er im Verlauf eines dieser lächerlichen Clan-Scharmützel getötet worden, aber nach wenigen Tagen wieder ins Leben zurückgekehrt war und seitdem nicht mehr hatte sterben können. Zuviel Blut, dachte er benommen und konnte den Blick trotzdem nicht abwenden von dem, was er in der leicht gekrümmten, etwas mehr als einen Yard langen rasiermesserscharfen Klinge des dai-katana zu sehen glaubte. Mit solchen Nichtigkeiten Zeit zu vergeuden, war in einer solchen Situation gefährlich; trotzdem gelang es ihm nicht, den Bann dieser Nichtigkeiten zu brechen. Zu lange schon war er auf der Flucht, und es gab von allem zuviel; vor allem zu viele Erinnerungen. Und zu viele Kämpfe, dachte er. Zu viele Namen. Zu viele Gesichter von zu vielen Toten. Und von lebenden Toten. Slan. Kiem Sun. Felicia Martins. Walter Reinhardt. Caleb Cole. Und Crowley und Pilar Vasquez und... Und Tessa und Richie. MacLeod wollte nicht: an sie denken, nicht ausgerechnet jetzt, da er endgültig mit allem abschließen wollte. Aber Gedanken dieser Art waren gefährliche Gegner. Sie kratzten alte, noch immer schwärende Wunden rücksichtslos -5-
auf, und darunter kam unweigerlich die schmerzhafte Wahrheit zum Vorschein. Wie auch die Tatsache, daß es dieses Mal schon nach ein paar lächerlichen Jahren von neuem begonnen hatte. Und daß er in den tiefsten Abgründen seines Bewußtseins auch ganz genau wußte, warum. Zu viele Fragen stellten sich nach dem Sinn dieses Lebens. Sein Bewußtsein, seine Erinnerungen und das Grauen alles kehrte nun in einem wirbelnden Aufruhr zurück, wie Scherben und Splitter eines zertrümmerten alten Spiegels, ein Panoptikum verzerrter, gleißender BILDER. Der Tod von Pilar Vasquez, seine rasende Irrfahrt kreuz und quer durch Vancouver. Dann hinauf, nach Whistler, Pemberton, Lillooet und weiter, Richtung Prince George. Schließlich, ganz unvermittelt, die Umkehr. Und jetzt war er hier, an der Nordspitze von Vancouver Island; knapp fünfzig Yards oberhalb der Felsenklippen von Port Hardy, von dessen Fischerhafen aus im Sommer jeden zweiten Tag die großen, majestätischen Autofähren der B.C. Ferry Corporation die Inseln der Inside Passage nordwärts, bis Prince Rupert hinauf anfuhren. Wenn er die Augen schloß, glaubte er die Einsamkeit und die Macht dieses Ortes fühlen zu können, ebenso wie die Brandung jenseits der steil abfallenden Klippen. Dazu die Möwenschwärme, die trotz Nacht, Sturmwind und Regen in halsbrecherischen Manövern darüber kreisten und den Naturgewalten mit unbändiger Lebensenergie die Stirn boten.
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Und mit einem Mal war es ganz einfach, überzuwechseln in jene andere, fremdartige Perspektive. Die Laterna magica drehte sich in rastloser Geschwindigkeit. Irgendwo zitterte hohler Donner. Der Spiegel - dieser zertrümmerte Spiegel. Noch mehr Scherben, noch mehr Bilder, alle in seinem Kopf - rasend und von bezwingender Macht. Die großen Wälder des Nordens, die Jagd nach Tessas Entführern. Der Sturz in jene Schlucht, dann der Aufschlag. Blut in seinem Mund. Jene schattenhafte Grenze, die er erneut überschritten hatte, wie schon so oft zuvor, in der einen und auch der anderen Richtung. Der Kampf Mann gegen Mann... Sonnenreflexe auf der schartigen Schneide der Kriegs-Axt... Calebs Schreien. Der Geruch von Schweiß, Erwartung und Angst. Und dann, ganz plötzlich, erschien Walter Reinhardt, und MacLeod dachte: Er gehört nicht hierher, gehört nicht in diesen Bilderreigen. Es war Silvester 1989. Mächtige Schwerthiebe klirrten, Stahl auf Stahl. Das dunkelhäutige Gesicht einer schönen Frau. Er erinnerte sich an ihren Namen, so, wie er sich stets viel zu gut erinnerte: Rebecca Lord. Er hörte Reinhardt sagen: »Frauen sind austauschbar.« Er sah sie sterben, in diesem unglaublich luxuriösen und teuren Trainingsraum, den sie sich für den Tag ihrer Rache geschaffen hatte. Aber dies war noch längst nicht das Ende gewesen. Reinhardt... Reinhardts verdammtes Schwert... Und sein eigener Tod. Immer wieder sein eigener Tod. Dann eine Dunkelheit wie vom Schatten einer toten Sonne. -7-
Unsagbare Schmerzen, Schreie. Und noch mehr Bilder: ein Sturm, eine Jahrhundertflut, die Hunderte von Yards hoch heranraste, tobend und brüllend und... Brian Slade und die anderen im Vancouver Courthouse. Der donnernde Widerhall von Schüssen. Das durchdringende Heulen der Alarmsirenen. Schreie sterbender oder in Panik flüchtender Menschen. So viele Geiseln. Tessa und Richie. Das kleine Mädchen, Belinda, in ihrem eigenen kleinen Refugium: Der Raum des Hausmeisters. MacLeod hörte sich selbst zu ihr sagen: »Du mußt dich verstecken.« Und sie schüttelte den Kopf, so bestimmt und doch verletzlich, wie das nur Kinder vermögen: »Erst mußt du mir eine Geschichte erzählen, aber keine gruselige, lieber ein Märchen.« Also erzählte er ihr von Wesen, die niemals sterben konnten, die gut waren und kleine Kinder beschützten, während er zugleich unablässig daran dachte, Brian Slade zu töten, und dann... Bilder von Connor MacLeod, wie er selbst ein Mitglied des Clans der MacLeods. Connors Lachen. Dieses unvergleichliche Lachen. Und seine Erinnerungen rasten weiter... schneller... schneller. Die Heilige Insel. Connor, der einen weiten Abhang hinab zu seinem Kanu ging. Und Tessas verunsichertes Lächeln: »Ihr habt euch nicht verabschiedet.« Und er selbst, lakonisch: »Das tun wir nie.« Dann China, 1792. Kiem Suns Tempel. Und Alexeij Voshin, 1947. Die Dissidenten. Die See-Hexe. Stahl, der auf Stahl -8-
trifft und gleißende Funken erzeugt. Felicia und Sheriff Crowley. Stahl, der auf Stahl trifft und Menschen tötet. Und schließlich Pilar Vasquez. Sie hatte ihn aufgespürt, hatte ihn belauert und verfolgt wie eine Tigerin, die sich ihrer Beute sicher ist, aber noch ein wenig mit dem Opfer spielen will, bevor sie es reißt. Er hatte sie gespürt, wieder und wieder, mit kurzen, grellen Flashs, die wie Funken einer vagen Erkenntnis aufleuchteten und schon verglühten, bevor sie sich fassen ließen. O ja, sie war geschickt gewesen, hatte es verstanden, in den Schatten der diesseitigen und jenseitigen Welt unterzutauchen und sich ihm zu entziehen, wenn er nahe daran war, sie zu finden. Und dann plötzlich, so unerwartet wie ein Meteor, der als Fanal kommenden Unheils am Nachthimmel aufleuchtet, war sie in der Dunkelheit des Parkplatzes über ihn hergefallen - wahrhaft eine Tigerin, jedoch mit Mordlust und Blutgier ausgestattet, die weit über die animalischen Triebe einer räuberischen Großkatze hinausgingen. Er hatte sich ihrer erwehren müssen, hatte seine ganze Kraft und Geschicklichkeit aufbieten müssen, um ihren höllischen Attacken widerstehen und sie letztendlich besiegen zu können. Und dann, als sie entseelt auf dem staubigen Asphalt lag und nachdem unter Qualen ihre Kraft in ihn übergegangen war, hatte er sie zum erstenmal richtig gesehen. Sie war ein Kind, dem äußeren Anschein nach vielleicht sechzehn Jahre alt. Sweet Little Sixteen - die Melodie des Rocksongs war durch seinen Kopf geschossen und hatte ihm Tränen -9-
in die Augen getrieben. Er war sich völlig im klaren darüber gewesen, daß ihr jugendliches Aussehen täuschte, daß dieses Mädchen möglicherweise zweihundert oder dreihundert Jahre alt war und vielleicht sein eigenes Alter übertraf. Aber dies war eine Realisation des Verstands gewesen. Seine Gefühle, seine Empfindungen als Mensch, als den er sich trotz allem noch immer sah, hatten ihm gesagt, daß sie ein Kind war. Und er hatte sie getötet. Der Tod. Immer wieder der Tod. Aber diesmal... ein Tod zuviel. Vielleicht versuchte er mit dieser selbstquälerischen Prozedur nur Zeit zu gewinnen. Oder das Schwert wollte es. Im Bewußtsein dieser Gefahr, die von seinem eigenen Schwert ausging, blieb er dennoch scheinbar völlig ruhig sitzen, während es draußen wetterleuchtete und der Regen wie in Sturzbächen auf den Wagen herunterprasselte. MacLeod starrte auf seine Hände, die die Klinge des dai-katana wie eine Opfergabe umfaßt hielten, und jetzt ihren Griff noch festigten. Geschliffener Stahl schnitt tief in das sehnige Fleisch seiner Handflächen und Finger. Noch mehr Blut floß. Aber MacLeod spürte den Schmerz nicht. Zumindest nicht diesen Schmerz. In seinem scharfgeschnittenen Gesicht zuckte kein Muskel. Der alles verzehrende Strudel in seinem Schädel war wie glühende Lava, und er verlor mit jeder verstreichenden Sekunde mehr an Intensität. Vergiß nicht, weshalb du hier bist. - 10 -
MacLeod schüttelte den Kopf, um die Bilder endgültig zu verscheuchen. Er glaubte sich übergeben zu müssen. Das Blut auf der Klinge des dai-katana - sein Blut - schien düster und bösartig aufzuglühen. Kein Krieger berührt jemals den geschliffenen und geheiligten Stahl seiner Klinge. Es ist ein Frevel. Es ist, als fordere er die darin gebannte Bestie auf, ihn selbst zu verschlingen. Und plötzlich wußte er, daß er selbst sein gefährlichster Gegner war. Er war dem Teufelskreis des Ewigen Kampfes nicht entkommen. Er wußte es, und es brachte ihn beinahe an den Rand des Wahnsinns und schürte diesen namenlosen Zorn, aber auch die Verzweiflung tief in ihm. Letzten Endes war er allein aus diesem Grund hierher gekommen, obwohl er sich unablässig einzureden versucht hatte, er fahre nur ziellos herum. Ruhe finden. Frieden. Was für ein lächerliches Unterfangen für einen Mann, eine Kreatur wie ihn. Der Tod war seit Jahrhunderten Bestandteil seines Lebens. Aber dieser Tod war kein knöcherner Sensenmann, sondern ein Netzwerk aus magischen Abhängigkeiten und Traditionen, von Nabelschnüren aus purer kosmischer Schwärze und wie ein schwindelnder Abgrund jenseits der Zeiten. Er war allgegenwärtig und erstickend, gerade so, wie es ein allgegenwärtiger, niemals endender Kampf des Bösen gegen das Gute vorschreiben mochte. Solchen Gespenstern konnte man nicht davonfahren. Trotzdem mußte es einmal ein Ende haben. - 11 -
Er haßte es noch immer, zu töten. Er haßte es, dem Ritual unterworfen zu sein. Es gab Tage wie heute, da verzweifelte er an der Last der Jahrhunderte, an seinem ewig unveränderten Gesicht und daran, daß all jene, die er liebte und die menschlich und sterblich waren, für ihn nichts anderes sein konnten als Kometen: ein Aufblitzen von Helligkeit und Wärme in seinem Leben - und gleich darauf folgte stets nichts als Leere und Dunkelheit. Ein Jahrhundert in seinem Refugium auf jener namenlosen Heiligen Insel hatte nicht ausgereicht, die anderen vergessen zu lassen, daß es ihn gab. Und es hatte erst recht nicht ausgereicht, um ihn zu einem der ihren zu machen, oder ihn Spaß oder gar Lust an dieser pervertierten Art des Daseins empfinden zu lassen. Der Ewige Kampf, das Blut, der Schweiß, die Tränen und der Wirbelsturm und Pestgestank des Todes blieben ehernes Gesetz und Fluch für alle seiner Art, mochte der Tag der Großen Zusammenkunft noch so fern sein - oder bereits nahe. Es war nicht vorbei. Es würde niemals vorbei sein. Nicht, solange er oder einer der anderen seinen Kopf behielt. Und doch! Es mußte ein Ende haben, für Tessa und für Richie. Es mußte ein Ende haben - um ihretwillen. MacLeod dachte es immer und immer wieder, zuerst nur mit einem leisen Anflug von Entsetzen; es war kaum mehr als eine flüchtige Berührung, ein Etwas mit vielen haarigen Beinen, das über seine Seele huschte und schon wieder - 12 -
verschwunden war, sich schließlich jedoch zitternd vor Haß in etwas wandelte, das viel, viel schlimmer war. Vergiß nicht, weshalb du Donnergrollen trieb mit unnatürlicher Geschwindigkeit näher und stürzte wie ein Gebirge aus Fels über ihn herein. Das Gewitter aus Blitzen hatte er nicht wahrgenommen, doch es mußte für einen winzigen Lidschlag selbst den letzten Rest Schwärze aus dem Wageninnern fortgebrannt haben. MacLeod blinzelte. Es war, als erwache er aus einem völlig widernatürlichen schlaflosen Schlaf. Doch mit der Schwärze war auch dieser alles lähmende Bann zerrissen: Er fühlte sich mißbraucht und elend - es war, als habe er tausend gute Träume verschenkt, um sich an die schlechten erinnern zu können. Aber da war auch Entschlossenheit. Kraft. Er würde ausführen, wozu er hierher gekommen war. Ein blau-weißes Irrlicht züngelte wie ein bizarres, geisterhaftes Abbild der Blitze über die rasiermesserscharfe Klinge des dai-katana, ließ das Blut darauf wie zum Spott glühen und funkeln. Tu es. JETZT. Vielleicht war es die Stimme seines unversöhnlichen Gottes, die er gehört hatte. Er wußte es nicht. Er hatte die Wagentür aufgestoßen und war mit einer einzigen kraftvoll-gleitenden Bewegung ausgestiegen, bevor sich der lähmende Bann erneut festigen konnte. MacLeod tauchte ein in ein tobendes, winselndes Inferno. Der Sturm schleuderte ihn beinahe von den Füßen, fauchte ihm eine eisige Kälte ins Gesicht, die ihn nach Atem ringen - 13 -
ließ, bauschte den langen Mantel und ließ ihn im Wind flattern. Der Regen fiel jetzt in langen, silbrigen Kaskaden und durchnäßte ihn bis auf die Haut. Die Luft schien bis zum Bersten angereichert mit Schwefel und Elektrizität, und das grelle Zucken der Blitze, das Krachen und der Nachhall immer neuer Donnerschläge ließen die Erde erbeben und verwandelten MacLeods Schritte in ein orientierungsloses Taumeln. Schon nach wenigen Sekundenbruchteilen schien der Wagen hinter ihm wie von einer riesigen Bestie verschluckt. Die Scheinwerferstrahlen, die ihm anfangs den Weg gewiesen hatten, waren nur mehr lächerlich fahle Kegel, die sich wie unter einer schwarzen Säure zersetzten. Und der Himmel selbst veränderte sich im Schutz des Sturmwinds und des Regens in einen entsetzlichen Mahlstrom, in dessen Zentrum sich etwas zu materialisieren suchte, das hoffentlich niemals Wirklichkeit wurde: Etwas Großes, Schwarzes, Furchtbares, mit feucht schillernden Tentakeln, die möglicherweise die ganze Welt zu umspannen vermochten. MacLeod umfaßte den langen Elfenbeingriff des dai-katana, der noch immer von seinem Blut schlüpfrig war, fester. Er verbannte endgültig alle störenden Gedanken aus seinem Hirn und konzentrierte sich völlig auf den Schattenriß der Klippen, an dem sich Himmel und Erde trafen, vor einem Abgrund von annähernd dreißig Yards brodelnder Tiefe. Mit jedem Schritt fiel ihm das Vorankommen nun leichter, es war, als gebe es eine mystische Übereinkunft zwischen den mächtigen Prankenhieben der Naturgewalten - 14 -
und ihm selbst. Zudem meinte er tatsächlich, etwas von der ungestümen Wildheit und Freude der Möwen in sich erwachen zu spüren. Die Dunkelheit war nicht mehr länger nur um ihn herum, sondern drang durch jede seiner Poren in ihn ein, breitete sich tastend und suchend in ihm aus und erkannte ihn als ihren Verbündeten: ein Sohn der Nacht, ein Schattenkrieger; ein Wesen ihrer eigenen Art. Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wie er die letzten Yards über die vor Nässe glitschigen Felsen und Schrunde zurückgelegt hatte. Doch als sein Denken und seine Wahrnehmung wieder in sein Bewußtsein zurückkehrten, stand er hoch aufgerichtet wenige Zollbreit von dem Steilabhang entfernt - ein leichtes Opfer für jede neuerliche Sturmbö. Er versuchte nicht einmal, sich vor den gewaltigen Stößen und Schüben zu schützen, und fast schien es, als werde dem Respekt gezollt. Er wurde nicht in den Abgrund geschleudert. Regen peitschte in sein Gesicht, und aus der Tiefe vor ihm erhob sich ein Brüllen wie von urweltlichen Ausgeburten. Ganz kurz glaubte er das bleiche Wüten des Pazifiks zu sehen, weit, unendlich weit unten. Im grellen, fast weißen Zucken immer neuer Blitze warf sich die Brandung wie von Zeitlupenschüben verfremdet gegen die Felsen, und ein ständig stärker werdendes Vibrieren pflanzte sich bis in seine Fußsohlen fort. MacLeod lächelte, blinzelte Regentropfen von seinen Augenlidern und warf mit dem Handrücken seiner Linken das lange, wirr ins Gesicht fallende Haar zurück. Die Entscheidung war gefallen, und gleichzeitig fühlte er ein überwältigendes Gefühl von... vielleicht Freiheit. Hinter - 15 -
der Elektrizität und dem Schwefelgeruch schmeckte er jetzt mit jeder Faser seines Ichs den salzigen Atem des Meeres, und keinerlei Furcht noch Beklemmung mehr. Die Blitze zuckten in immer rascherer Folge rings um ihn auf, nur wenige Armlängen von ihm entfernt, und umgaben ihn wie ein gewaltiger Dom aus eisigem Licht. MacLeod wußte, sie würden ihm nichts anhaben, genausowenig, wie ihm die Energiestürme während der Belebung etwas anzuhaben vermochten. Die Macht dieses Ortes, dieser Nacht und seines Entschlusses durchströmten ihn in wilden, pulsierenden Schüben. Sie erfüllten und beschützten ihn. Er war Teil dieser Nacht und dieses Sturms geworden. Er wollte es nicht mehr länger hinauszögern. Mit einem Ruck seiner Rechten hob er das Samurai-Schwert hoch über den Kopf, bot dem Mahlstrom im Herzen des Nachthimmels das dai-katana als Opfergabe an und glaubte, für einen zeitlosen Moment hinter der sichtbaren Realität das Auflodern eines ungeheuerlichen Zorns zu fühlen. Du wagst es »Sicht so aus«, flüsterte MacLeod ironisch gegen das Kreischen des Sturmes an und lächelte noch immer. Währenddessen bewegte er sich bereits mit der Schnelligkeit einer angreifenden Schlange: Seine Linke stieg hoch und schloß sich ebenfalls um den Griff des dai-katana. Es war, als pariere er einen letzten Angriff: die linke Schulter vorgereckt, Muskeln angespannt, die Lippen leicht geöffnet, der Atem in jenem Hauch ausgestoßen, den Musashi einst im »Go Rin No Sho« als Todeshauch für den Feind beschrieben hatte. - 16 -
Dann endlich schleuderte MacLeod das dai-katana in den Aufruhr aus purer Schwärze über dem Pazifik. Er dachte an die Opfer - ausschließlich schuldige Opfer - und sah der Klinge hinterher, wie sie davonwirbelte und die Dunkelheit zerteilte. Im grellen Licht der Blitze war sie binnen eines Augenblicks selbst zu einer Art sichelförmigem Blitz geworden. Dann war sie verschwunden - wie zufällig -, und gleichzeitig schien auch die Intensität der Blitze nachzulassen. Trotzdem hatte MacLeod nicht das Gefühl, aus einem Alptraum zu erwachen. Für die Dauer mehrerer Herzschläge verharrte er in absoluter Dunkelheit. Er empfand Erleichterung und stellte fest, daß die Wundmale an seinen Händen bereits wieder verheilt waren. Das neue Fleisch, die neue Haut prickelte. Ungeheuerlich. Es war wie immer. Aber das sollte nun anders werden, ganz anders. Fröstelnd barg er die Hände in den Manteltaschen, wandte sich vom Steilabhang ab und ging mit genau derselben traumwandlerischen Sicherheit, mit der er hierher gelangt war, den Weg zurück über die Felsen und Klüfte und den weitgespannten, mit Felstrümmern übersäten Abhang empor. Das Flackerlicht der Blitze entfernte sich. Der Donner war nur mehr ein ganz normaler Donner. Selbst der Sturm schien sich zu legen, und die bis dahin tosenden Regenfluten gingen über in ein ruhiges, gelassenes silberhelles Strömen. Die Zeit lief wieder normal: so rasend schnell wie ein Tausendfüßler. Er empfand noch immer keinen Schmerz - 17 -
nicht einmal ein Gefühl des Verlusts. Zumindest gestand er es sich nicht ein, noch nicht. Aber der Schmerz würde kommen. O ja, das würde er. Sein Wagen stand noch an Ort und Stelle, wie ein Bollwerk gegen den unheimlichen Zauber dieser Nacht. MacLeod fühlte die letzten Reste der Benommenheit verwehen und bemühte sich, seinen Verstand mit Nebensächlichkeiten in Bewegung zu halten. Er überlegte, ob es sinnvoll wäre, einen bedeutsamen wissenschaftlichen Kommentar zu formulieren. Aber gleich darauf, während er die Wagentür öffnete, einstieg und den Zündschlüssel drehte, hielt er dieses Ansinnen nur noch für lächerlich. Besser, er hielt es mit einem dieser banalen Sprichwörter der Sterblichen: Essen hält Leib und Seele zusammen. Es war so gut - oder schlecht - wie alles andere in dieser Nacht. Aber er hatte so ein ganz normales Ziel, bevor er ganz normal zu Tessa und Richie nach Hause zurückkehren würde. Er würde eine ganze Menge italienischer Köstlichkeiten einkaufen. Und dann würde er Tessa bitten, sie zusammen mit ihm zuzubereiten einfach so, zur Feier des Tages, weil er nach zwei Tagen, an denen er ganz gewaltig abgeirrt war, nun in jeder Hinsicht wieder auf dem richtigen Kurs lag. Ein kleines, ganz privates Festmahl. Wie es ein ganz normales Paar dann und wann machte. Zum Beispiel Fettucine mit frischem Lachs. Tessa würde ihn für völlig übergeschnappt halten, aber das Risiko wollte er eingehen.
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»Also zu Antonios Gourmet Italian Market.« MacLeod sagte es halblaut, um gleich darauf den Kopf zu schütteln. Er konnte dieser Heraufbeschwörung von Normalität gar nicht vertrauen, so sehr er dies auch wollte. Der Motor des Thunderbirds erwachte mit einem satten Rumoren zum Leben. MacLeod kuppelte, trat das Gaspedal durch und zog den Wagen so heftig herum, daß das Heck wie von einem Riesen getreten hin- und herschlingerte. Er erreichte den Highway 17 A, beschleunigte und fuhr ihn zügig in südlicher Richtung entlang. Er fand, daß er zu Recht das Gefühl hatte, Zeit aufholen zu müssen. Von der Nordspitze Vancouver Islands bis zum Fährhafen Swartz Bay waren es rund vierhundert Meilen. Dann die Überfahrt nach Tsawwassen - weitere eineinhalb Stunden. Sein hübsches kleines Festmahl würde ein Frühstück werden. Aber es war ein gutes Gefühl, unterwegs zu sein und das Singen der Reifen auf dem nassen Asphalt zu hören. Nachtvögel flogen vom Straßenrand auf, wie lautlose Schatten. Auf den nächsten achtzig Meilen begegnete ihm kein einziges anderes Fahrzeug. Der Regen versiegte in einem halbherzigen Tröpfeln. Die Scheibenwischer flirrten mit häßlichen Scharrgeräuschen hin und her. Am Horizont, weit hinter ihm, wetterleuchtete es vereinzelt. Blau-schwarze Wolkenberge und riesenhafte Lebensbäume und Douglasien schoben sich wie erhobene Fäuste und Finger in sein Blickfeld - Symbole einer fernen, vagen Drohung.
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Wenn er auch nur eine Sekunde lang die Augen schloß, würde er das dai-katana von neuem sehen, wie es sich durch explosionsartig herabprasselnden Regen und durch Sturmböen in einem weiten Bogen fallend drehte und drehte und schließlich in die kochende See stürzte. Wie Voshins Schwert, damals, als es tiefersank; ein silberner Reflex im Wechselschein aus grünem und blauem Wasser, aus hell und dunkel. Wie es von der Strömung aufgegriffen und herumgewirbelt und in die Tiefe gedrückt wurde. Und wie es schließlich zwischen schädelförmigen Felsblöcken eingekeilt zur Ruhe kam. Die Botschaft war klar und deutlich: Du wirst mich jederzeit wiederfinden, Highlander. Jederzeit. Und du wirst kommen, um mich zurückzuholen. Bald. MacLeod riß die Augen weit auf, konzentrierte sich mit aller Macht auf das Steuer des Thunderbird, auf die Gischt der Regentropfen und auf die schlüpfrige Fahrbahn - auf das reale Jetzt des Augenblicks. Er wollte diese Einflüsterungen, die aus jener Welt kamen, die er hinter sich zu lassen gedachte, nicht hören. Aber selbst wenn er sich die Ohren in verzweifelter Abwehr zugehalten hätte, wäre es ihm nicht möglich gewesen, sie von sich fernzuhalten. Die geheimnisvolle Macht des dai-katana, das mit ihm wie durch eine Nabelschnur aus purer kosmischer Schwärze verbunden war, erwies sich als stärker. Es gibt keine Normalität für dich, Highlander. Dein Versuch, vor dir selbst zu fliehen, ist zum Scheitern verurteilt. Gib auf! Kehr um und hol mich zurück!
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Mit einem heftigen, ruckartigen Tritt stemmte MacLeod seinen rechten Fuß auf das Gaspedal. Der Wagen, ohnehin schon schneller, als es den Verhältnissen angemessen war, machte einen spürbaren Satz nach vorne, geriet ins Schlingern. Und während sich MacLeod von Adrenalinstößen aufgepeitscht, mit alles andere ausschließender Anspannung abmühte, einen überstürzten Kontakt mit der Straßenböschung zu vermeiden, verblaßten die schimärenhaften Konturen des Schwerts vor seinen Augen, und die gleichzeitig lockende und drohende Stimme verhallte.
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Die schattenhafte Grenze
Die Skyline der großen Stadt empfing MacLeod mit Kaskaden von Neonlichtern hinter Nebelschleiern - Elmsfeuer nach einem gleißenden Zeitlupenfeuerwerk. Er wußte, es war ein falscher Glanz, der nur aus der Ferne sichtbar war eine Fassade für die Menschen. Bereits wenige Zollbreit hinter dieser Fassade klaffte der Abgrund, und darin schlug ein Dämonenherz aus purer Finsternis einen mörderischen Takt. Vancouver war eine junge Stadt, dreihundert Jahre jünger als er, doch ihr Pulsschlag unterschied sich nur geringfügig von dem anderer urbaner Krebsgeschwüre - New York City, Chicago, Miami und wie sie alle hießen. MacLeod spürte den Rhythmus und paßte sich ihm an, als wäre er nie fortgewesen. Er war ein Schatten unter Schatten. Ohne erkennbare Hast fuhr er in die Downtown und drehte ein paar Runden, um sicherzustellen, daß sich ihm keine anderen Schatten an die Fersen geheftet hatten. Vorerst war es nur wie immer: Er mußte Instinkt beweisen, wachsam sein, am Leben bleiben, den Kopf behalten. Als er das Seitenfenster herunterkurbelte und den ins Innere strömenden Fahrtwind roch, wurde dieses Gefühl stärker: er spürte einen Druck in der Atmosphäre, fast wie Verwesungsgeruch, etwas, das dafür sorgte, daß sich seine Nackenhärchen aufstellten. Gefahr.
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Er dachte an Tessa, in ihrem Loft über dem Antiquitätenladen, drüben, in den North Vancouver Heights, und bremste sich: Es war noch zu früh. Er mußte es erst ganz sicher wissen. Also fuhr er mitten hinein ins Herz der Stadt - und weiter, Richtung Downtown. Es hatte auch hier geregnet: Glänzende Reflexe durchzuckten die Dunkelheit. Der dunkle Plymouth, der ihm bereits auf der Granville Bridge aufgefallen war, hielt sich weiterhin konsequent zurück, blieb drei, vier Wagenlängen hinter ihm im ausgedünnten Verkehrsstrom. MacLeod behielt ihn über den Innenspiegel im Auge, bis er ohne zu blinken abbog. So etwas nennt man Verfolgungswahn, Mac, schalt er sich selbst - und blieb doch wachsam. Auf der Südseite des Robson Square, der sich von der Nelson bis zur Georgia Street zog, glitzerte der siebenstöckige Glaspalast des Vancouver Courthouse unter tastenden Flutlichtstrahlen. Nebelfetzen, dick und träge, trieben von der English Bay im Westen und vom Burrard Inlet im Osten über die Stadt. Als MacLeod tiefer in Straßenschluchten eintauchte, die niemals auf Postkarten abgebildet werden, Richtung Hafen, Burrard Inlet und Fräser River, gab es kaum mehr einen überschüssigen Strahl Helligkeit. Es war nicht mehr richtig Nacht und noch nicht richtig Morgen, dennoch erschien es offensichtlich, daß die Stadt hier keine Sekunde lang zur Ruhe gekommen war. Nachtschattenleben: Hafenarbeiter, die in kleinen Gruppen
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vom Schichtdienst kamen und die paar hundert Yards nach Hause zu Fuß zurücklegten. Der Verkehr wurde jetzt stärker. Werkssirenen heulten. Ein paar Stadtstreicher starrten triefäugig und ergriffen in magere Flammen, die aus einer rostigen Tonne schlugen, und ließen eine Flasche kreisen: eine Zombie-Versammlung, die den neuen Tag begrüßte. Prostituierte und Strichjungen, an Jahren viel zu jung und an Erfahrung viel zu alt, trippelten schmalspurig von ihrer nächtlichen Arbeit nach Hause. Ein metallicgrauer Lincoln Continental zog schon zum zweiten Mal an den Prostituierten vorbei. Sein Fahrer war offensichtlich solo auf Menschenjagd ausgesandt worden. Vielleicht auch nur, um für seinen Boß zu kassieren. Aus der Ferne wehten die Geräusche der riesigen Hafenanlagen heran. Startende und ankommende Trucks, Schiffe, die im Schichtbetrieb rund um die Uhr be- und entladen wurden: Vor allem Weizen, aber auch Erze, Schwefel, Zellulose für den asiatischen Markt; im Gegenzug Autos aus Japan, Kleidung aus Hongkong. Vancouver war der größte Hafen an der gesamten nordamerikanischen Pazifikküste. MacLeod hatte genug gesehen. Es gab keine Verfolger keinen Flash, der die Nähe eines anderen unsterblichen Schattenkriegers verriet. Er investierte weitere fünfzehn Minuten darauf, auf Umwegen über die Chinatown zu Antonio's Gourmet Italian Market zu fahren. Er dachte an Kiem Sun, schon wieder, und, um sich von diesem Schatten der Vergangenheit zu befreien, an die Ruhe des Sun Yat-Sen Classical Chinese Garden in der Carrall Street. - 24 -
Es war Zeit, einmal wieder dorthin zurückzukehren. Trotz Kiem Sun. Antonio's Gourmet Italian Market stand inmitten einer vergessenen Kreuzung; eine häßliche Bude im Bodega-Stil, die jeden Nicht-Eingeweihten abstoßen mußte. Sowohl im Laden als auch in Antonios Hinterzimmer brannte noch Licht. Auf den gegenüberliegenden Straßenseiten befanden sich jeweils an den Ecken ein längst aufgegebener Friseursalon mit eingeworfenen Schaufenstern und, als Kontrast, eine Billardhalle mit pinkfarbener Fassade, ein Schnapsladen, der angeblich rund um die Uhr geöffnet war, momentan aber dunkel und verlassen aussah, und ein ebenfalls unbeleuchteter chinesischer Waschsalon, obwohl Chinatown weit genug entfernt lag. In der Billardhalle wurden gerade sämtliche Lichter gelöscht. MacLeod schaltete das Abblendlicht aus. Dann ließ er den T-Bird lautlos ausrollen und parkte vor dem Schnapsladen. Er sicherte in die Runde und wartete. Zu lange Jäger und Gejagter. Es war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Straßenlaternen schaukelten im Morgenwind. Der Großteil von ihnen war mit Kleinkalibergewehren zerschossen worden. Streunende Katzen durchforschten auf leisen Sohlen die Mülltonnen der Seitengassen. MacLeod stieg aus und schickte sich an, die Straße zu überqueren. Irgendwo rechts von ihm, dort, wo vorhin die Katzen in der Seitengasse neben der Billardhalle verschwunden war- 25 -
en, entstanden aufgeregte Laute und schließlich Schreie, die absolut nichts mit Katzen zu tun hatten. Dann ein dumpfer Schlag, noch einer. Stahlrohr. Das Geräusch eines berstenden Schädelknochens und spritzenden Blutes. Das Rascheln von Kleidern. Ein Körper stürzte schwer zu Boden, und irgend jemand trat oder schlug noch immer auf ihn ein - wie von Sinnen. MacLeod war bereits auf dem Weg, mit raumgreifenden, fast lautlosen Schritten. Er wünschte sich, schneller zu sein, tierhaftere Instinkte zu haben, im Dunkeln sehen zu können und ein noch besseres, schärferes Gehör zu besitzen. Er vernahm nervös zischelnde Stimmen. Eine Blechdose kullerte. Hastige Schritte, dann das Aufheulen eines Motors. Alles ging rasend schnell. Aber vielleicht gelang es ihm doch, die Zeit zu überholen. Der Wagen kam auf ihn zugeschossen wie eine Dampflok. Fernlicht wurde aufgeblendet. Die geöffnete Fahrertür schrammte kreischend und funkenschlagend an der Hauswand entlang. Es war unmöglich, in der Enge dieser Gasse auszuweichen. MacLeod versuchte es trotzdem und hechtete hoch, um dem unvermeidlichen Aufprall die größte Wucht zu nehmen. Seine Bewegungsabläufe waren zuverlässig wie immer, rasend schnell und fließend, kaum wahrnehmbar. Eine Sekunde lang glaubte er noch, es zu schaffen. Aber der Wagen war bereits da, und mit ihm unerträgliches weißes Feuer. Ein Atombrand, der ihn ergriff und wie ein Blatt hoch wirbelte. Rasende Schmerzen brachen in ihm auf, an drei, vier Stellen zugleich: Hüfte, linker Arm und Schädel. Gleichzeitig vernahm er die nur in seinem - 26 -
Kopf hörbaren Geräusche splitternder Knochen und reißender Muskelstränge. MacLeod krachte schwer auf die Motorhaube des Wagens, wurde herumgeschmettert, höhergedroschen, schlug hart gegen die Windschutzscheibe. Ein weiterer Aufprall, und sein Schädel wurde herumgerissen. Er sah die Gesichter der beiden Freaks im Innern des Wagens wie bleiche Luftballons im Universum treiben, dann zertrümmerte seine Stirn das Sicherheitsglas der Windschutzscheibe. Das Schreien der Freaks drang zu ihm durch. »Gerry... Gerry, um Gottes willen - nicht - « »Halt's Maul, du - « Plötzlich Zeitlupe. Nichts paßte mehr zusammen: ein Traum, in dem alles zugleich geschah, und überall war Blut. Ein rotes Spinnennetzmuster zog sich direkt vor ihm über das Glas. Er bekam einen der Scheibenwischer zu fassen und riß ihn ab. Dann war das Bild weg. Und er war weg. Er wischte über das Wagendach, mit verzweifelt nach Halt tastenden Händen. Endlos andauerndes Schreien begleitete ihn, und das schrille Durchdrehen des Motors, das Kreischen der Reifen, als der Wagen aus der Gasse hinausschleuderte. MacLeod glaubte noch immer, über das Wagendach hinwegzurutschen. Abrollen, dachte er apathisch, weil die Schmerzen rasend schnell unerträglich geworden waren und die Finsternis, die noch immer in ihm war, über sein bewußtes Denken und Wahrnehmen wie ein Tonnengewicht hereinbrach. Der Schatten einer toten Sonne. Er hatte diesen Gedanken schon einmal gedacht - irgend- 27 -
wann, vielleicht vor ein, zwei Menschenleben. Noch immer im Fallen begriffen, krümmte er sich zusammen, prallte seitlich auf dem nassen Asphalt auf und wurde von unsichtbaren Fäusten weitergestoßen, immer um die eigene Achse herum. Und erst jetzt, wie es ihm in seiner Benommenheit vorkam, krachte auch sein Schädel auf den Asphalt. Ein Wagen hielt. MacLeod vernahm das hauchfeine Quietschen der Stoßdämpfer. Stimmen schwebten zu ihm hinunter. Die unvermeidlichen Gaffer rückten an, eine schattenhafte Front. »Hast du gesehen, wie das passiert ist?« »Nein, jedenfalls nicht genau, es ging alles so schnell, da war plötzlich dieser Wagen und dieser Mann. Ich glaube, die haben ihn absichtlich überfahren - « »Jemand muß einen Krankenwagen rufen! Schnell! Gott all das Blut! Schau dir seinen Kopf an!« »Das überlebt er nie.« Daraufhin, fast andächtig, das Flüstern einer jungen Frau: »Er sieht aus wie der junge Sean Connery...« »Nicht anfassen, nicht bewegen. Das ist Sache der Ärzte!« MacLeod wußte, was das bedeutete. Ärzte konnten einem Wesen wie ihm sehr gefährlich werden. Zu viele neugierige Fragen: »Sie waren so gut wie tot, und jetzt leben Sie plötzlich wieder. Könnten Sie mir bitte verraten, wie Sie das anstellen?« Aus den Stimmen wurde ein verwehendes
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Dröhnen. Sie entkommen, dachte MecLeod, bereits ganz fern. Die Freaks entkommen. Und: Jemand muß sich um ihr Opfer kümmern. Dunkle Echos hallten in ihm wider. Er versuchte, sich hochzustemmen und den Mund zu bewegen. Aber seine Muskeln gehorchten ihm nicht. Der Schock und eine gigantische Schmerzwelle lähmten seinen Herzschlag, und er wußte, daß er sterben würde. Es war nicht das erste Mal, und es würde nicht das letzte Mal sein. Es war nicht angenehm, kein sanftes, friedfertiges Hinüberdämmern in eine unbekannte Dimension, die von den einen Himmel, von den anderen Nirwana genannt wird. Es war qualvoll, physisch und psychisch. Nur zu gut erinnerte er sich noch an das letzte Mal und an das davor: an dieses Gefühl absoluter Einsamkeit und Verlassenheit. Daran, wie es war, sich in diesem Behältnis, das die Sterblichen Körper nannten, unentrinnbar eingeschlossen zu finden, in einem Verlies aus Fleisch und Knochen. Das Absterben von Zellen zu fühlen, den Schlag des eigenen Herzens nicht mehr wahrnehmen zu können. Keinen Atem mehr zu haben. Die Empfindung, von dieser abgrundtiefen Dunkelheit wie von einer gierigen Bestie verschlungen zu werden... Und dann das Aussetzen des gegenwärtigen Bewußtseins, das Verschwimmen der Realitäten, der Übergang vom Jetzt ins Gestern oder Vorgestern. Es heißt, daß ein Mensch, der dem Tod unmittelbar gegenübersteht, sein gesamtes Leben wie im Zeitraffer vor sich ablaufen sieht, vom Unterbewußtsein auf eine holographische - 29 -
Leinwand gebannt. MacLeod bezweifelte, daß es so war - es hatte noch keinen Toten gegeben, der ins Leben zurückgekehrt war, um darüber berichten zu können. Jedenfalls keinen normalen Verstorbenen, keinen Angehörigen der Menschheit, deren irdisches Dasein einen Anfang und ein Ende hatte. Die Unsterblichen wie er jedoch, die immer wieder aufs neue Geborenen, konnten darüber berichten, wie es war, wenn der Lebensfunke scheinbar - erlosch. Wenn der Geist, die Seele, das Ich in ein unfaßbares Etwas eintrat, das Einsteins Relativitätstheorie nicht erfassen konnte, aber vielleicht in Ansätzen erahnen ließ. Tausend Jahre wie ein Tag, wie eine Minute, wie eine Sekunde, wie ein nicht meßbarer Moment? Zeit existierte nicht in diesem Etwas, konnte nicht existieren. Aber es ließ in der Tat den Erinnerungen freien Raum. Sie erschienen nicht gerafft und wie ein Sturzbach aus den Splittern und Fragmenten alles Gewesenen, sondern episodenhaft auf jene Ereignisse und Erlebnisse beschränkt, die sich besonders nachdrücklich in die Psyche eingegraben hatten. Die Ereignisse spielten sich erneut ab, um ein Vielfaches verstärkt, da bereits erlebt, und mit dem furchtbaren Wissen, daß sie unveränderbar waren, daß der freie Wille keine Rolle spielte, daß alles so vonstatten ging, wie es vorgezeichnet war. Das Bewußtsein der absoluten Hilflosigkeit, des völligen Ausgeliefertseins war mehr, als ein Individuum eigentüch ertragen konnte. Aber MacLeod wußte, daß er es ertragen müßte. - 30 -
Als die Stimmen um ihn herum immer leiser und tonloser wurden, als die Gestalten, die sich schemenhaft an der Peripherie seines Wahrnehmungsvermögens bewegten, immer mehr an Kontur verloren, als die Prozesse seines Denkens der Konfusion entgegentrieben, erkannte er mit seinem letzten klaren Gedanken, daß er es wieder einmal auf sich nehmen mußte. Jetzt...
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Unüberwindliches Gestern
Löwenzahnsamen schwebten wie Ascheflocken eines fernen Feuersturms auf ihn hinab. Tessa lachte übermütig und klatschte in die Hände, begeistert wie ein Kind. Nackt, wie sie war, wand sie sich aus seinen Armen, zupfte behutsam einen zweiten Löwenzahn aus der Vase neben dem Bett und pustete gegen den grauen Flaum, in den sich auch diese Blüte verwandelt hatte. Inmitten eines neuen Gestöbers hauchzarter Sporen - jede von ihnen ein winziger Fallschirmspringer - ließ sie sich wieder nach hinten fallen und schmiegte sich an ihn, den Kopf in seiner Armbeuge. Ihre langen, zerzausten blonden Haare reflektierten einzelne Lichtstrahlen. »Schau sie dir an, Mac«, flüsterte sie ganz atemlos und nickte zu den Löwenzahn-Fallschirmspringern hin, »sind sie nicht wunderschön? Wie magische Wesen. Und ich liebe magische Wesen.« Weil er - wie sie - ein vollkommenes Glücksgefühl empfand, konnte und wollte er nur nicken. Gewisse Momente waren mehr als flüchtig, ein einziges Wort mochte schon zuviel sein und ausreichen, um sie zu zerstören. So lagen sie Seite an Seite nebeneinander, noch immer erhitzt, erschöpft und außer Atem, und sahen dem Löwenzahnflaum zu, wie er sich überall auf ihnen und im Bett ringsum niederließ. Es war Abend geworden, doch die Luft in dem großen, lichten Schlafzimmer des Lofts über dem Antiquitätenladen war noch immer erfüllt, wie Dunst, bei- 32 -
nahe silbern. Ein zärtlicher kleiner Verrat dessen, was hier geschehen war: daß sie sich geliebt hatten, zärtlich zuerst, mit Necken und Streicheln und Küssen und gemeinsamem Lachen, dann mit größerer Intensität und Wildheit - ein Kräftemessen, um die Weite des gegenseitigen Gebens und Nehmens darzulegen. Er hatte sie festgehalten, hatte sie fühlen und schmecken wollen bis zur Besinnungslosigkeit. Und sie hatte ihn angefeuert, kleine Seufzer, direkt an seinem Ohr, die in einem gekeuchten »Ja - ja!« abgerissen waren. Sie hatte sich ihm entzogen, hatte ihn zugleich heftiger geküßt als jemals zuvor, und dann war sie wieder dagewesen, über ihm, ihr Körper ein heller Schemen in der Weite des Zimmers, etwas Gleitendes, Schwebendes, Forderndes, ihre Haut und ihre Haare eine goldfarbene Kaskade über ihm, so daß er sich dem Puls ihrer Raserei anpaßte, wieder und wieder, während sie sich noch immer küßten und ihr Stöhnen der Mund des jeweils anderen auffing. Wortlose, keuchende Trance. Eine Art bujutsu: Eins mit sich, dem Partner und der gemeinsamen Umgebung. Konzentration, Anteilnahme und Reinheit. Kraft und Reflexe, und der Schatten des Todes - das Wissen um Tessas Sterblichkeit so fern. MacLeod wandte Tessa das Gesicht zu. Er lächelte. Vielleicht hatte sie in diesen Momenten dieselben Gedanken, dieselbe Sehnsucht nach mehr. Sie küßte seinen Hals, glitt erneut auf ihn, und ihre smaragdgrünen Augen waren wie die eines Raubtiers: Anmut und Wildheit funkelten miteinander um die Wette. Der Schock, plötzlich zu spüren - zu wittern daß sie nicht mehr allein miteinander waren, daß irgendwo draußen je- 33 -
mand... etwas... lauerte, zerteilte alle Empfindungen wie der Hieb einer Damaszener Klinge. Es war, als löse er sich auf. Es war, als sei er nicht mehr allein in seinem Geist: Der Flash. Ein anderer Schattenkrieger. Nach mehr als hundert Jahren und unzähligen Tricks, um seine Spuren zu verwischen und ein »normales« Leben zu führen, hatten sie ihn letzten Endes also doch wieder aufgespürt. Er wußte es, und Haß und Verzweiflung drohten ihn fast zu überwältigen, noch während sich der emotionale Teil seines Selbst exakt gegen dieses Wissen sträubte und die Reflexe des Kriegers ihn bereits handeln ließen. Mit Sinnen, denen nichts Menschliches anhaftete, die zu dem Dunkel tief in ihm gehörten, tastete er hinaus, sprach, ohne sprechen zu wollen: »Ich - spüre etwas.« »Hey, das hoffe ich!« »Nein... Ich meine: Es ist... Jemand ist hier. Draußen. Nahe. Gefährlich.« MacLeod sah, wie sich Tessas Augen verdunkelten: ein Schatten über dem Mond. Er versuchte nicht, es ihr zu erklären. Diese Art raubtierhafter Wahrnehmung würde sie nicht einmal ansatzweise verstehen können. Alles in ihm erkaltete, wurde zu Stein. Mit einem Ruck kam er hoch, lauschte, schob sie zärtlich beiseite, wollte plötzlich Abstand, da er sie nur so schützen konnte. Schweiß kühlte auf seiner nackten Haut und ließ ihn frösteln. Der letzte Kampf lag Jahre zurück, er war ungeübt in diesem Spiel des Wahnsinns. Er verließ das Bett, fuhr in seine Hosen und löschte die Jugendstillampe. Ein Phantom im lavendelfarbenen Zwie- 34 -
licht des Raumes, völlig lautlos. Es war, als sei er unvermittelt in einen Sog geraten. Seine Rechte fand den kunstvoll geschnitzten Elfenbein-Doppelhandgriff des dai-katana und umschloß ihn fast zärtlich: Herz und Seele des Samurai. Verlängerung seines Armes, seines Atems und vertraut. Auch in der langen Zeit des Fliehens und sich Verkriechens hatte er es niemals versäumt, diesen Gefährten stets in Griffweite bei sich zu haben. MacLeod glitt aus dem Raum, ging, von einer Dunkelheit umgeben, die tiefer und vollkommener war, als jede irdische Dunkelheit hätte sein können, den Korridor entlang, den Oberkörper halb seitlich gedreht und das gesamte Körpergewicht in hara ausbalanciert, dem Zentrum aller menschlichen Energie. Das dai-katana hielt er stoß- und abwehrbereit in Brusthöhe: ein silbernes Schimmern. Die Präsenz des anderen nahm scheinbar von überallher zu, ein Hagelschauer entsetzlicher Fremdheit. Dazwischen oberflächliche, verkrüppelte Empfindungen: kreatürliche, jedoch bis zur Besessenheit überspielte Angst, fiebernde Vorfreude und Haß. Er ging weiter, folgte seinem eigenen Schatten die Empore entlang und die Treppe zu den weitläufigen Verkaufsräumen hinab. Es war, als könne er die unmerklichen Deformierungsvorgänge des wurmstichigen Geländers wider jede Normalität spüren. Keine Bewegungen in der Finsternis, nur Lauern. Atemanhaltender Stillstand. MacLeod fühlte es. Seine Sinne spannten sich bis zum Äußersten. Dann hörte er das Kreischen, im rückwärtig gelegenen, amphitheaterähnlichen Raum. Ein Diamant schnitt durch Glas. - 35 -
Er ist bereits im Haus. Schritte. Geräusche, Poltern, wie von etwas Schwerem, Unhandlichem in einem Sack. Eine Flüsterstimme: »Bescherung, Bescherung! Das ist dein Glückstag, Mann!« Der Flash wurde stärker, paarte sich mit tobenden Schmerzen und explodierte gleich darauf in Sekundenabständen in MacLeods Schädel, immer und immer wieder, zwang ihn aus seinem inneren Gleichgewicht und ließ ihn die letzten drei, vier Schritte taumeln, halb besinnungsund orientierungslos. Er schnappte nach Luft, bezwang den in seinen Geist prasselnden Wahnsinn des anderen, war für Sekunden, vielleicht Minuten stärker. Aber eine unsichtbare Kraft peitschte ihn vorwärts, auf den milchweiß herumgeisternden Lichtstrahl einer Taschenlampe zu. »Stell dich endlich, Feigling!« MacLeods Linke hieb auf den Lichtschalter. Helligkeit flammte auf, zerfetzte den Ruf und hüllte den sich umwendenden anderen und ihn selbst ein. Die Zeit beschleunigte, es war, als löse sich ein Trugbild in Millionen Einzelpunkte auf: Ein Wesen seiner Art - trügerisch unscheinbar. Das Äußere jung, vorgeblich viel zu jung, und überrascht und verunsichert: Lederne Kleidung, schwarz und grün. Ein blasses, harmloses Gesicht, die rotbraunen Haare unter einem Kopftuch gebändigt. Sie tarnen sich alle, dachte MacLeod, verbesserte sich aber gleich: Wir tarnen uns alle. Und sein Gegenüber hielt die Nachbildung des Richard-Löwenherz-Schwertes drohend erhoben - bereit für das Ritual. - 36 -
MacLeod nickte, schob sich einen weiteren Schritt näher, suchte den sich explosionsartig mehrenden Schwall der Gedankenimpulse zu ignorieren und sich gegen diese Beeinflussung abzuschotten. »Ich bin«, sagte er, wie es die Regeln vorschrieben, »Duncan MacLeod vom Clan der MacLeods, und ich bin bereit.« »He, Mann, was soll das?« Das Schattenwesen wich zurück. Eisige Funken tanzten auf der breiten, vorgereckten Klinge des Löwenherz-Schwertes. »Gut, ich meine, ich hab 'n bißchen was von Ihrem Silberkrempel geklaut, aber hey, das kommt nicht wieder vor, okay? Sie können das Zeug wiederhaben. Ist alles in der Tasche da. Und ich bezahle auch das Fenster... und verschwinde, okay?« Perfekte Gesten von Angst und Panik. So geschickt. Noch mehr Gedanken, Irritationen in MacLeods Schädel: Ein Trugbild... Nur ein Köder... aber warum dann diese Schmerzen, diese Witterung - er muß es sein - er NEIN. MacLeod schüttelte den Bann ab, lächelte, um das Begreifen zu tarnen, ein eisiges Lächeln, sagte: »Du redest zuviel, und du wirst deinen Kopf dennoch verlieren, mein Freund.« »Kopf verlieren? He, nur weil ich hier eingestiegen bin?« Der Junge geriet vollends in eine Art ungläubige Panik. Er ließ die Klinge fallen, als sei sie plötzlich lebendig geworden und hob beide Hände. Sein Blick flatterte zu dem Fenster, durch das er eingestiegen war - es war zu weit entfernt -, und er redete, redete sich halb um den Verstand. - 37 -
»Hören Sie, wir können das doch alles friedlicher... äh... regeln. Wozu gibt's Versicherungen? Wissen Sie was? Rufen Sie doch einfach die Cops. Ich bin fast noch ein Kind, noch nicht mal 18, Mann, die werden Ihnen das bestätigen. Sie haben doch Telefon? Halt, ich glaube, ich hab noch ne viel bessere Idee: Ich werde die Bullen selbst anrufen. Okay?« Dann Tessas unnatürlich ruhige Stimme, von der Treppe her: »Mac, er ist harmlos.« Keine Zeit, darauf zu reagieren und den Bluff für sie und den Jungen durchschaubar zu machen. Es war noch jemand anwesend. Zeit für den Tanz. MacLeod war dort, wo er hatte sein wollen, und spürte das neuerliche Brodeln in seinem Verstand. Eine Eruption wie von zähflüssigem Schlamm. Dieses Mal war es eine Warnung. Er warf sich vorwärts - eine Bewegung wie ein Flirren -, versetzte dem Jungen mit der freien Linken einen Stoß vor die Brust, der seinen Redeschwall verstummen und ihn weit genug davontorkeln und zu Boden gehen ließ. Dann fuhr er herum, wie von einer unsichtbaren Kraft gestoßen, und seine Rechte beschrieb mit dem dai-katana einen blitzenden Halbkreis, schneller als das Licht selbst. Es war keine Sekunde zu früh. Der Schatten des Feindes war direkt über ihm aufgetaucht - an dem Oberlicht in der Decke zwei Stockwerke höher. Und er blieb in Bewegung. Die Milchglasscheibe zerbarst. Das Geräusch zerriß die unnatürliche Stille wie eine Explosion. Scherben und Splitter segelten in einem funkelnden Orkan herunter, in ihrer Mitte schien die Finsternis der Nacht selbst Gestalt ange- 38 -
nommen zu haben. Ein brüllender schwarzer Fleischberg federte geschmeidig hoch, geduckt, kampfbereit, umgeben vom Prasseln und Spritzen des Glases. Er war nur zwei Armlängen entfernt - viel zu nahe. MacLeod wich zurück, achtete aber darauf, Tessa und den Jungen zu schützen, der dümmliche Kommentare plapperte und noch immer nicht begriff, daß er zur falschen Zeit am allerfalschesten Ort der Welt auf Raubzug gegangen war. »Highlander...« , dröhnte es aus dem Schlund des Kolosses, und noch bevor MacLeod reagieren konnte, raste ihm sengende Helligkeit entgegen, wie zerlaufendes und sogleich wieder gerinnendes Licht. Er parierte den Schlag der zollbreiten Klinge mit dem dai-katana, ebenso den nächsten und den darauf folgenden. Die Wucht dieses Aufpralls zertrümmerte ihm fast das Handgelenk und ließ tausend neue Schmerzen in ihm losbrüllen. Der Schwertstahl des Feindes schrammte an der zierlicheren, jedoch tausendfach gehärteten Klinge des dai-katana entlang. Funken wirbelten erlöschend zu Boden. MacLeod war in einen Schatten verwandelt, drehte sich in einem einzigen gleitenden Bewegungsablauf um die eigene Achse und versetzte der Fleischmasse einen Fußtritt, die sie weit zurückschleuderte - gegen eine der Glas Vitrinen, in denen Tessa ihre kostbarsten Antiquitäten vor Staub und allzu neugierigem Berühren schützte. Erneut splitterte Glas. MacLeod hatte einen ausreichend festen Stand und damit Kraft, den nächsten Angriff selbst zu führen. Doch er wartete und bot dem Koloß seine Seite: die linke Schulter vor- 39 -
gereckt, linke Hand ausgestreckt, bereit, falls nötig, mit ihr das namenlose Schwert zu führen. Noch nicht. Er zögerte es genauso hinaus wie der Feind. Es war nichts als eine Probe gewesen, ein Einschüchterungsversuch... und, wie sich MacLeod eingestand, ein verdammt imposanter. Er bedeutete Tessa mit einem Wink, zu verschwinden doch sie reagierte nicht, sondern war wie gelähmt. Und dann blieb keine Zeit mehr. »Wie schön Sie sind, Lady«, röchelte der Fleischberg. »Oh, wir wurden einander noch nicht vorgestellt. Doch das wird nachgeholt werden müssen, ich schwöre es, und dann...« MacLeod unterbrach ihn. »Nennst du das kämpfen, Maskenmann?« Das ungeheuerliche Ding ihm gegenüber richtete sich auf. Es schien auch jetzt, ohne den Schock des ersten Moments, nur entfernt menschenähnlich: ein riesenhafter, in einen eisenbeschlagenen Ledermantel gehüllter Körper. Eine Eisenfratze über Monsteraugen. Arme, Beine, riesige Fänge wie aus Stahl. Erst auf den zweiten ungläubigen Blick begriff MacLeod, daß es eine stählerne Maske war. Hinter engen Sichtschlitzen loderten Augen in einem solch wahnsinnigen Feuer, wie er es noch niemals zuvor bei einem seiner Art gesehen hatte - und sie waren alle irgendwie wahnsinnig. Er bemerkte, daß seine Handflächen feucht wurden.
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Aber letzten Endes hielt sich der Fleischberg doch noch an das Ritual, das einer jeden Zusammenkunft vorauszugehen hatte: »MacLeod«, grollte er. »Ich bin Slan Quince, ich bin seit mehr als vierzehn Jahren auf deiner Fährte. Jetzt endlich habe ich dich aufgespürt, und ich komme, um mir deinen Kopf zu holen!« MacLeod antwortete mit einem Nicken. Er lächelte und wechselte das dai-katana von der Rechten in die Linke - eine spielerische Geste. Ein weiterer Bluff, der Slan Quince nicht aufhalten würde. Aber der Junge störte das Ritual: »He, Leute, eine coole Show, echt cool, wirklich! Ihr macht hier so 'n Ding, so 'ne Art >Versteckte Kamera00Omikron