Prolog Die galaktische Katastrophe, die Ende des Jahres 2057 die Milchstraße heimsuchte, hat sämtliche technischen Errun...
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Prolog Die galaktische Katastrophe, die Ende des Jahres 2057 die Milchstraße heimsuchte, hat sämtliche technischen Errungenschaften der Mysterious, die nicht von einem Intervallfeld geschützt waren, in nutzlosen Schrott verwandelt. Darüber hinaus hatten die Völker der Milchstraße alle unter den Folgen der Energiefront aus dem Hyperraum zu leiden, ob sie nun MysteriousTechnik benutzten oder nicht. Bewusstlosigkeit, Kurzschlüsse und Unfälle forderten allen technisch entwickelten Zivilisationen einen hohen Blutzoll ab. Allein auf der Erde fanden mehr als 50 Millionen Menschen den Tod. Ren Dhark vermutet einen Zusammenhang zwischen dieser Katastrophe, den verheerenden Strahlenstürmen in der Galaxis und der unerklärlichen Entdeckung der Galaxis Drakhon, die mit der Milchstraße zu kollidieren droht. Weil offenbar auch die Grakos, jene geheimnisvollen Schattenwesen, die so unerbittliche Feinde aller anderen intelligenten Lebensformen zu sein scheinen, unter den Folgen der kosmischen Katastrophe leiden und ihre Angriffe eingestellt haben, bricht Ren Dhark mit seinen Getreuen zu einer Expedition nach Drakhon auf. Da die Erde nach dem Ausfall ihrer meisten SKreuzer auf kein Raumschiff verzichten kann, steht für die Expedition nur ein einziges Schiff zur Verfügung: die POINT OF. Ausgerüstet mit von den Nogk konstruierten Parafeldabschirmern steuert das terranische Flaggschiff noch einmal den Planeten Salteria an, auf dem die letzten Salter Zuflucht bei den paramental enorm starken Shirs gefunden hatten. Diesen gewaltigen Kolossen war es offenbar gelungen, die Erinnerungen und Sinnes eindrücke der Terraner beim ersten Aufenthalt auf ihrer Welt fast nach Belieben zu manipulieren. Beim Einflug nach Drakhon macht die FunkZ der POINT OF eine erstaunliche Entdeckung: In der fremden Galaxis, die beim ersten Besuch funktechnisch »tot« war, wimmelt es nun von Kommunikationssignalen im Hyperraum. Offenbar hatte auch in dieser Sterneninsel ein kosmischer Blitz zugeschlagen, der die hier lebenden Völker aber früher außer Gefecht gesetzt haben muss als die Bewohner der Milchstraße... Ren Dhark erhält Hinweise auf das geheimnisumwitterte Volk der Rahim, das Drakhon früher mit seiner Supertechnik beherrscht haben soll, aber seit rund 600 Jahren verschwunden ist. Den Commander packt das Jagdfieber: Die Parallelen zu den Mysterious sind kaum zu übersehen! Von den Galoanern, einer höchst friedfertigen Zivilisation, bekommt das terranische Expeditionskorps Hinweise auf eine »verbotene Zone«, in der Spuren der Rahim zu finden sein sollen. Die Besatzung der POINT OF entdeckt in dieser Zone den Planeten der Rags. Auf dieser technisch noch rückständigen Welt finden sich Artefakte der Rahim und deutliche Hinweise auf ihren Lebensraum. Nach einem Zwischenspiel auf der Freizonenwelt Doron kann Ren Dhark endlich in den Bereich Drakhons starten, in dem er die Rahim vermutet. Er ahnt nichts davon, daß Terra zu gleicher Zeit in höchster Gefahr schwebt. Eine gewaltige Flotte von Doppelkugelraumern der Tel ist unterwegs zur Erde, um die Heimat der Menschen zu erobern. Renegaten, die sich gegen die rechtmäßige Regierung des TelinImperiums wandten, haben sich mit den Robonen verbündet und einen teuflischen Plan ausgeheckt. Er soll ihnen trotz der bevorstehenden Niederlage beim Kampf um Cromar doch noch den Sieg bringen... 1. Ter de Vries erinnerte sich an einen leidenschaftlichen Kuss. Und fühlte sich dennoch hundeelend. Offenbar hatte die zurückliegende Nacht in den Armen einer Frau geendet, deren Name ihm am verkaterten »Morgen danach« nicht mehr einfallen wollte, obwohl er sich das Hirn zermarterte. Fragen konnte er sie nicht mehr, denn sie war weg. So toll kann ich wohl nicht gewesen sein, dachte der GSOAgent, sonst hätten wir die Ausnüchterungspillen noch als gemeinsames Frühstück eingeworfen... Der Gedanke kratzte nicht wirklich an seinem Selbstbewusstsein. Immerhin konnte auch sie nicht wirklich überzeugend gewesen sein. Er erinnerte sich an nichts. Nicht einmal... An diesem Punkt wurde er stutzig. »Jalousien und Fenster auf!« befahl er der Steuerungseinheit des Zimmers, die auf Angloter programmiert war. Angloter war die Weltsprache. Auch an einem Ort, der zweihundert Jahre zuvor durch den Opiumkrieg gegen die Briten traurige Berühmtheit erlangt hatte: Schanghai. Ter durchquerte das Hotelzimmer und trat ans offene Fenster, durch das eine geradezu verbotene Lichtfülle hereinströmte. Der GSOMann stellte sich der Tortur in vollstem Bewusstsein. Zunächst glaubte er, sein Schädel müsste zerplatzen, doch nachdem dieses Stadium überstanden war, ging es aufwärts mit ihm. Unter ihm erstreckte sich, zehn Stockwerke tiefer, die Hafenregion am Huangpu Dschiang. Etliche Plattformen ragten aus dem Wasser heraus; sündhaft teure Vergnügungsstätten der absoluten Luxusklasse. Schanghai hatte sich zu einem Mekka der Erlebnissüchtigen gemausert nicht erst in den letzten Jahren, auch schon vor der GiantInvasion. Doch die vom CommutatorEnzephalo ge schädigten Menschen hatten vieles verkommen lassen, einiges auch unwiederbringlich zerstört. Es hatte, wie überall auf Terra, großer Anstrengungen bedurft, die Folgen der Invasion zu beseitigen. Aber es war gelungen. Das Schanghai von heute bot ein großartiges Bild. Solange jedenfalls, wie man sich damit begnügte, nicht an seiner Oberfläche zu kratzen.
Ter de Vries seufzte. Er wusste, was ein Kater war und wovon man ihn bekam. Wirklich interessant wurde ein solches »Tier« aber erst, wenn man es in sich hatte, ohne einen Tropfen Alkohol angerührt zu haben... Jedenfalls nicht bewusst, schränkte Ter ein, stieß sich vom Fensterbrett ab und ging zu seinem Hartschalenkoffer, der auf einer Bank neben dem Kleiderfach stand. Sorgsam verschlossen. Es waren auch keinerlei Anzeichen zu entdecken, daß sich jemand daran zu schaffen gemacht hatte. Ter lächelte. Er wäre kein TopAgent gewesen, hätte er sich mit dem reinen Augenschein begnügt. Routiniert spulte er die bereits in Fleisch und Blut übergegangene Prozedur ab, zu der er letzte Nacht bei seiner Rückkehr offenbar nicht mehr in der Lage gewesen war. Zunächst überprüfte er, ob das »Auge« noch da war. Er hatte es im offenen Blütenkelch einer exotischen, wild wuchernden Pflanze versteckt, die fast mehr Platz einnahm als das Bett. Er fand es unversehrt. Zufrieden öffnete er danach den Koffer, der jeden anderen beim missbräuchlichen Versuch ins Nirwana geschickt hätte. Als der Deckel aufklappte, fand er auch das Innere, in dem kein einziges Kleidungsstück Platz hatte, unangetastet. Ter entnahm sich mit Hilfe eines MedoBestecks ein paar Blutstropfen. Dann aktivierte er den Bildschirm, der die ganze Innenfläche des Kofferdeckels ausfüllte und auf dem er sich selbst, über den Koffer gebeugt, sah. Er stoppte die LiveAufzeichnung und startete die Memoryfunktion, wobei er sechs Stunden zurücksprang, kurz überprüfte, ob er schon im Zimmer war, dies nicht bestätigt fand und auf schnellen Vorlauf schaltete. Eine Weile blieb das Bild unverändert, zeigte nur das leere Zimmer. Dann ging die Tür auf. Ter schaltete auf Normalwiedergabe und sah sich selbst in Begleitung seiner Barbekanntschaft eintreten. Er bewegte sich sehr kontrolliert, obwohl er auch daran keine Erinnerung mehr besaß... Ein Summton lenkte ihn kurz ab. Das Ergebnis des Bluttests lag vor. Ter pfiff leise durch die Zähne. Diverse Medikamentenrückstände, unter anderem ein Halluzinogen! Volltreffer. Ter widmete sich wieder den Szenen, die der Koffermonitor zeigte. Die Frau war überaus attraktiv und ganz seine Kragenweite: eurasische Züge, dunkles, von illuminierenden Fäden durchwobenes Haar und eine Figur, die das hautenge Kleid an den richtigen Stellen fast zum Bersten brachte... Das »Auge« verfügte auch über eine Tonübertragung. Ter schaltete lauter. Und erfuhr so den Namen, der ihm entfallen war. »Tia«, hörte er seine eigene Stimme aus dem Lautsprecher, »soll ich uns noch einen kleinen Drink mixen?« Der Ter de Vries auf dem Bildschirm zeigte zu der gutsortierten Zimmerbar. »Lass mich das machen, Darling«, wehrte die Schönheit mit samtweicher Stimme ab. Ihre Bewegungen erinnerten in ihrer Geschmeidigkeit an eine Raubkatze. Was dem Ter im Koffer kurze Zeit später nicht möglich war, sah der originale Ter durch den günstigen Winkel, aus dem heraus das »Auge« starrte, in unmissverständlicher Deutlichkeit: Aus einem aufklappbaren Ring schüttete die Schöne namens Tia ein Pulver in eines der Gläser, mit denen sie zu Ter zurückkehrte. Keine Frage, daß sie ihm dieses Glas gab. Sie prosteten einander zu, Ter trank, und dann sah es minutenlang so aus, als setzte sich der Abend genauso fort, wie der Agent es sich erträumt hatte. Tia führte ihn zum Bett und begann, sich lasziv das Kleid abzustreifen. Doch plötzlich ging die Zimmertür auf, und drei unbekannte Männer betraten hintereinander den Raum. Der Ter im Bild zeigte keinerlei Anzeichen von Überraschung. Auch nicht, als sich seine vermeintliche Eroberung behende von ihm löste, ihr Kleid eilig überstreifte und aus dem Zimmer verschwand. Die Männer blieben Zurück und kümmerten sich um de Vries, dem als Zuschauer zu dämmern begann , daß er von Glück Sagen konnte, noch am Leben zu sein. Verdammt, er war wie eine Greenhorn in die Falle getappt wie der blutigste Anfänger, den man sich vorstellen konnte! Einer der Männer postierte sich an der Tür, einer setzte sich Neben Ter aufs Bett und der dritte inspizierte den Koffer, der im Film noch sicher verschlossen auf der Ablage stand. Es waren Profis. Ihre Vorgehens weise und auch die Vorsicht, die sie dabei an den Tag legten, ließen daran keinen Zweifel. »Wie heißen Sie?« fragte der Mann auf der Bettkante. »Ter de Vries.«
»In wessen Auftrag sind Sie hier?« Ter schwieg. Der Mann griff in seine Jackentasche und hielt Ter ein Injektionsgerät an die Halsschlagader. Ein leises Zischen war zu hören. Ter sank Zurück auf die Matratze. Der Mann wiederholte seine Frage. »Im Auftrag der GSO.« »Wie lautet Ihr Auftrag?« »Separatisten beobachten. Ihre Ziele ermitteln...« Der Fragesteller, wie jeder der drei Besucher ein Asiate, lächelte freundlich. Dann erkundigte er sich bei Ter nach dem Stand seiner Beobachtungen. Die Antworten schienen ihn zufrieden zu stellen. Tatsächlich hatte Ter bis auf diesen Vorfall noch überhaupt nichts Greifbares ermitteln können. Bernd Eylers hatte ihn mit ziemlich diffus formulierten Vorgaben nach Schanghai beordert... Der Asiate, der sich den Koffer vorgenommen hatte, sagte: »Es wäre nicht ratsam, ihn öffnen zu wollen. Ich erkenne Hinweise auf spezielle Sicherungen...« »Dann lassen wir ihn das Ding aufmachen.« »Ebenfalls nicht ratsam«, wehrte der »Kofferspezialist« ab. »Die Sicherungen könnten auf die Mentalschwingungen abgestimmt sein, und es wäre möglich, daß die Mittel, die wir ihm verabreicht haben, diese verfälschen. Die Konsequenz wäre dieselbe, wie wenn wir ihn mit Gewalt zu öffnen versuchten.« Sie einigten sich darauf, den Koffer nicht weiter zu beachten. Dafür musste Ter de Vries mit wachsendem Unbehagen zusehen, wie sich die beiden Hauptakteure an ihm zu schaffen machten. Sie zogen ihm das Hemd aus und befahlen ihm, sich auf den Bauch zu legen. Dann beugten sie sich über ihn. Das Auge erfasste aus Seinem Blickwinkel keine Details, aber einmal erhaschte Ter einen kurzen Blick auf eine Hand, die seinen Hinterkopf festhielt, während sich eine andere mit einem stabförmigen Gerät seinem Nacken näherte... Kurz darauf verließen die Besucher das Zimmer. De Vries blieb auf dem Bett liegend Zurück, als würde er schlafen. »Verdammt!« De Vries fluchte erst, dann tastete er seinen Nacken ab. Die Erhebung war kaum spürbar. Aber sie war zweifellos da. Der Spiegel in der zum Zimmer gehörigen Hygienezelle brachte keinen weiteren Aufschluss, woraufhin de Vries über sein Kofferinstrumentarium Kontakt zur GSOZentrale in Cent Field herstellte. Er tat dies via Schriftmodus. Der Text konnte auf der Gegenseite wahlweise in Schrift oder Sprachform abgerufen werden. Entsprechende Programme gab es heutzutage an jeder Straßenecke für ein paar Dollar zu kaufen. Nicht zu erwerben gab es jedoch Dechiffriergeräte von einer Qualität, wie sie nötig gewesen wäre, um das xfach verschlüsselte Buchstabentohuwabohu auch wieder zu entwirren. 10 11 De Vries verzichtete bewusst auf eine mündliche Kontaktaufnahme mit dem Hauptquartier der Galaktischen Sicherheitsorganisation . Und er hoffte, daß das verdammte Ding in seinem Nacken nicht in der Lage war, Gedanken zu lesen... Sie rückten mit einem hyperschnellen Spezialjett an. Sie waren eine eingespielte Mannschaft, die im Bedarfsfall auch diskret vorgehen konnte. Als die Frontscheibe der Hotelsuite zerbarst und die Scherben von speziellen Vorrichtungen weggesaugt wurden, so daß kein einziger Splitter den zehn Etagen tiefer gelegenen Boden erreichte, wartete de Vries bereits in einem Sessel. Er hatte das Prozedere, nach dem die eingetroffene Einheit der GSO vorging, selbst in seinem Spruch an Eylers vorgeschlagen. Ter de Vries war sicher, das Menschenmögliche getan zu haben, um die Unbekannten nicht frühzeitig auf das Scheitern ihres Plans aufmerksam zu machen. Wortlos verabreichte ihm einer der Ankömmlinge eine Injektion in den Hals. De Vries schwanden die Sinne. Als er die Augen aufschlug, war ihm fast so übel wie beim ersten Erwachen. Er lag auf einem Sofa und war umringt von derselben Truppe, die dem Jett entstiegen war. »Wie fühlen Sie sich?« fragte der korpulente Einsatzleiter, ein weißhaariger Mann mit narbigem, aufgeschwemmtem Gesicht, den de Vries ebenso wenig persönlich kannte wie jeden anderen im Raum. »Blendend«, versetzte er sarkastisch. Und fügte hinzu: »Ich gehe davon aus, wir können wieder reden?« Der Mann im dunklen Zweireiher nickte. Dann fragte er vorwurfsvoll: »Wie konnten Sie nur in eine solche Falle tappen?«
De Vries versuchte, sich aufzurichten. Es gelang wider Erwarten ohne Schwindelgefühl. Nachdem er aufgestanden war, zeigte sich, daß er den Weißhaarigen fast um Haupteslänge überragte. »Ich hoffe, ich habe die Pferde nicht unnötig scheu gemacht. Und wenn ich jetzt noch Ihren Namen erfahren dürfte...?« »Jong.« Die Narben, erkannte de Vries aus nächster Nähe, sahen aus wie winzige Krater als wäre Jong irgendwann einmal ungeschützt in einen Blizzard geraten. »Jong und weiter?« »Jong genügt.« »Wow.« De Vries lächelte verzerrt. »Da hat Eylers mir wohl seinen coolsten Mann geschickt.« »Sie wurden uns schon als Scherzkeks beschrieben. Von mir aus hätte das Ding drin bleiben können. Es hat Sie gestört nicht mich...« »Und von was für einem Ding reden wir? Dürfte ich das auch langsam mal erfahren?« Zum ersten Mal hob er die Hand und fuhr sich in den Nacken. Die leicht erhabene Stelle war verschwunden, dafür ertastete de Vries den getrockneten Film eines Sprühpflasters. Sein Blick suchte die wässrigen Augen Jongs. »Haben Sie operiert?« Jong schüttelte den Kopf und deutete auf einen anderen Agenten, der zaghaft lächelte. »Das war Schneiders Sache. Er hat schon unter schlechteren Bedingungen Übleres herausgeschnitten.« De Vries nickte Schneider zu. »Das Ding«, erinnerte er Jong anschließend. »Wie übel war es denn?« »Es ist bereits mit einem Kurier unterwegs nach Cent Field.« Bevor de Vries eine weitere Frage stellen konnte, summte sein Armbandvipho. Ein Blick auf das Display verriet ihm, daß ein An 12 13 ruf auf der GSOeigenen Frequenz erfolgte mit höchster Prioritätstufe. »Sie entschuldigen mich kurz...« Ohne eine Antwort abzuwarten, kehrte er der versammelten Mannschaft den Rücken und trat an das glaslose Fenster, durch das ein feuchtwarmer Wind hereinfuhr. Außerhalb schwebte in Fensterhöhe ein Transportjett ohne Embleme, die seine Herkunft verraten hätten. Die Zustiegsluke stand offen und berührte fast die Wand des Hotelgebäudes. De Vries konnte in einen Laderaum blicken, in dem sich allerhand unbekanntes militärisches Gerät stapelte. Er aktivierte das Vipho. Auf dem Display erschien das Gesicht von Bernd Eylers, dessen weiche Züge wie de Vries aus langer Erfahrung wusste täuschten. »Ich bin bereits über alles informiert«, sagte der GSOChef. »Während Sie noch in Narkose lagen, hat Jong mir Bericht erstattetet.« »Wie nett«, erwiderte de Vries säuerlich. »Irgendwie hat er das bei mir bisher versäumt.« Eylers ging nicht darauf ein. Statt dessen sagte er: »Sie werden Schanghai sofort verlassen. Zusammen mit der Jettbesatzung. Nutzen Sie die Denkpause, die ich Ihnen gewähre.« »Denkpause?« echote de Vries erschüttert. Er hatte einiges erwartet, aber nicht seine sofortige Abberufung. »Wie oft habe ich Sie ge und verwarnt? Ich wusste, daß Ihnen und uns Ihre Frauengeschichten eines Tages zum Verhängnis werden könnten. Ich habe immer wieder ein Auge zugedrückt, aber diesmal ist das Risiko zu hoch. Betrachten Sie sich bis auf weiteres als suspendiert. Ihr Ersatz ist bereits informiert. Er wird in Kürze den Platz einnehmen, den Sie räumen.« De Vries kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern oder zu seiner Verteidigung vorzubringen. Eylers hatte die Verbindung von seiner Seite aus bereits unterbrochen. Jos Aachten van Haag blickte aus dem Fenster von Bernd Eylers Büro. In Sichtweite lag der Raumhafen. Beinahe minütlich starteten und landeten Schiffe. Für jedes mußten spezielle Passagefenster im globalen Schirm um Terra geschaltet werden. Eine Sysiphusarbeit für die Lotsen im Tower. Eylers folgte dem Blick seines TopAgenten. »Denken Sie auch manchmal daran?« fragte er. »Woran?« »Daran, daß es die Menschheit nicht mehr gäbe, wenn nicht...« »Wenn nicht was?« »Die Liste der >Wenn nicht...reinem Absturz< meinen, was auch ich darunter verstehe, würde ich sagen: nein. Aber das ließe sich relativ schnell errechnen...« Noch ohne zu wissen, worauf Giray wirklich hinauswollte, winkte Frikk einen seiner Leute herbei und trug ihm auf, die Frage unverzüglich und verbindlich beantworten zu lassen. »Weiter!« drängte er danach den Terraner. Eine weitere Minute war verstrichen. Blieben noch knappe zwölf übrig. 34 35 Zwölf Minuten! Ömer Giray wünschte sich, ein Cyborg mit der Fähigkeit zum superschnellen Sprechen zu sein. Aber dann hätte auch Frikk in der Lage sein müssen, diesen Redeschwall zu verarbeiten... »Haben Sie auch eine Idee, wie Sie Clos Vlcs Schiffe zum Abschuß bringen wollen, ohne ihm vorher noch die Gelegenheit zum Gegenschlag zu geben?« »Hätte ich sonst gefragt?« Frikk machte eine unwirsche Geste: »Vergeuden Sie keine Zeit reden Sie!« Der Mann, den Frikk zuvor mit der Rechenaufgabe betraut hatte, meldete: »Die Schilde würden sich gegenüber einem reinen Aufprall als resistent erweisen. Problematisch würde es, wenn die Schiffsmeiler erst beim Kontakt mit dem Energieschirm hochgingen. Die dann freiwerdenden Kräfte würden den Schirm mit hoher Wahrscheinlichkeit zerreißen.« »Dann war das wohl eine Niete«, wandte sich Frikk an Giray. Aber seine Augen bettelten regelrecht, von Giray eines Besseren belehrt zu werden. Der GSOAgent ließ sich nicht lange bitten: »Okay«, sagte er, »hören Sie mir jetzt genau zu und geben Sie die Befehle umgehend weiter. Wir werden die restliche Frist wahrscheinlich bis auf die letzte Minute ausreizen müssen. Aber wenn wir Glück haben alles Glück dieser Galaxis können wir das Wunder schaffen...« Und dann erklärte er Bor Frikk seinen Plan, der an Aberwitz kaum noch zu übertreffen war. Noch neun Minuten... Zwanzig XeFlash verließen ihre Basen auf der dem Kluis abgewandten Planetenseite. An Bord eines jeden blauviolett schimmernden Fahrzeugs befanden sich zwei Tel die Mindestbesatzung. Keine Freiwilligen. Die Zeit hatte nicht gereicht, solche zu rekrutieren. Die Insassen folgten einem strikten Befehl, ohne an dessen Richtigkeit zu zweifeln. Sie waren vorab nicht einmal über die Tragweite ihres Einsatzes informiert. Erst an Bord der XeFlash erhielten sie nähere Instruktionen. Von einem Terraner!? Autorisiert wurde der Mann von Bor Frikk das genügte selbst Fro Nunc, dem erfahrensten Piloten, der den Einsatz zusammen mit seinem Partner Noc Drun leitete. Die restlichen neunzehn Flash waren über die Gedankensteuerungen gekoppelt, so daß ein perfekter Formationsflug möglich war. Noch sieben Minuten... Der Verband durchstieß die Atmosphäre Cromars und wechselte vom Ortungsschatten des Planeten in den des größten Mondes, einer öden, lebensfeindlichen Steinkugel. Fro Nunc und die anderen Piloten beherrschten das Instrumentarium der XeFlash im Schlaf. Blaues Licht füllte das Innere der Kleinstraumschiffe, die Sitzgelegenheiten für maximal 38 Personen boten. Selten flogen die XeFlash beinahe leer. Fro Nunc wusste, was dies bedeutete und jeder andere seiner 39 Mitstreiter wusste es auch: Dies war ein Risikoeinsatz, bei dem es darauf ankam, die Zahl möglicher Opfer so gering zu halten, wie es nur eben ging. Aber Fro Nunc war Soldat aus dem Bewusstsein heraus geworden, daß er eines Tages im Einsatz sterben konnte. Der Tod schreckte ihn nicht, auch wenn er ihn nicht herbeiwünschte. Die Balance zwischen »überleben wollen« und »den Tod im äußersten Fall nicht scheuen« stimmte. Bei ihm und allen anderen. In der Bildprojektion unter der Decke, die das umliegende All zeigte, wuchs der Planet Cromar auf eine Größe heran, die es erlaubte, Details sowohl auf der Oberfläche als auch in seiner Atmosphäre zu erkennen. Die Gedankensteuerung markierte die Position des Kluis und die der zwanzig Feindraumer gleichfarbig. »Glaubst du, daß wir das überstehen?« fragte Noc Drun. 36 37 Keines der Worte, die zwischen ihnen gewechselt wurden, verließ das Innere des Schiffes. Es bestand absolutes Kommunikationsverbot. Schon vor dem Start war jedem XeFlash ein Doppelkugelraumer der Rebellen zugeordnet worden. Der Verband würde sich Sekunden vor Erreichen der Ziele auflösen, ausschwärmen und...
»Theoretisch könnte es klappen«, erwiderte Fro Nunc, »probiert habe ich etwas derartiges noch nicht keiner von uns hat das...« »Ich wünschte, diese verdammten Dinger ließen sich in der geforderten Perfektion fernsteuern.« »Angst?« Noc Drun verneinte glaubhaft. »Es ist nur... ich hatte gerade jemanden kennengelernt. Sie ist wundervoll. Ich hätte nicht gedacht, daß ich mich überhaupt einmal verlieben könnte, und nun...« Er sprach seine Gedanken nicht zu Ende. Und Fro Nunc hakte nicht nach. »Es wird alles gutgehen«, sagte er. »Die Entität, die uns Zwerge erschaffen hat, wird doch nicht zwei Liebende trennen wollen...« Es klang nicht einmal spöttisch. Noc Drun lachte nervös. Noch drei Minuten... Der Bezirk, in dem die Familie Sagla wohnte, war kaum wiederzuerkennen: Die relative Nähe zum Kluis machte sich in einem gewaltigen Aufgebot von Sicherheitskräften bemerkbar, die jedoch allesamt große Verunsicherung ausstrahlten, so daß ihr Auftreten die beruhigende Wirkung, die es vermitteln sollte, verfehlte. ;f_ Ngt starrte auf die Straßen hinab, in denen es zuging wie in einem AggroStock. Aggros waren virtuelle Insekten, die bei Kindern sehr beliebt waren. Man konnte sie hegen und pflegen, sie zur weiteren Vermehrung anregen, ihnen Kunststückchen beibringen... Kunststückchen, dachte Ngt beklommen. Sie schüttelte den Gedanken an Virtualität ab. Sie hatte die Kinder in ihr Zimmer geschickt und stand jetzt ganz allein vor der transparent geschalteten Wohnungswand, die von außen immer noch undurchdringlich für Blicke war. Sie hatte mehrfach versucht, Kontakt mit ihrem Mann aufzunehmen, der sich im Kluis und damit im Zentrum der Gefahr befand. Vergeblich. Unklar blieb, ob die Kontaktsperre von den Vank gewollt war oder ob die über dem Komplex schwebenden Schiffe mit Störfeldern eine Verbindungsaufnahme verhinderten. Ngt war ratlos. Obwohl erst wenige Minuten seit dem Auftauchen der Rebellenraumer verstrichen waren, kam es ihr wie Stunden vor. Sie überlegte, ob sie die Kinder nehmen und zu ihrer Mutter Fahren sollte, die auf der anderen Seite Cromars lebte. Die Nähe zum Kluis, die ihr sonst immer Vertrauen und Sicherheit suggeriert hatte, schien ihr plötzlich unverantwortbar groß... Sie drehte sich um, als der Nachrichtensprecher mit bebender Stimme über den Angriff auf den Kluis zu berichten begann. Die Bilder, die seine Worte untermauerten, waren offenbar von Orbitalkameras erstellt worden. Sie zeigten, wie die zwanzig Rebellenschiffe einen Blitzkrieg gegen die außerhalb des Schutzschirms gelegenen Geschützbastionen flogen und diese binnen weniger Augenblicke ausschalteten. Als handele es sich um Spielzeuge. Ngt fröstelte. Detailgetreu zu sehen, was sie bislang nur vermutet hatte, nachdem sie die Explosionen und Rauchentwicklungen beobachtet hatte, schnürte ihr das Herz zusammen. Der Moderator wirkte in seinen Erklärungsversuchen so hilflos wie die überall aufgebotenen Sicherheitskräfte. Und Ngt glaubte zu wissen, woran das lag. Niemand hatte mehr Kontakt zur Führungsspitze der Tel. Die Rebellenraumer knebelten den Kluis und ihre Absicht wurde selbst einem strategischen Laien wie Ngt von Sekunde zu 38 39 Sekunde klarer. Sie werden den Kluis zerstören, wenn die Regierenden sich nicht unterwerfen, dachte sie. Und diesmal war Rlc nicht zur Stelle, um sie zu stützen. Ein Schwindelgefühl drohte ihr die Beine unter dem Körper wegzureißen. »Haus«, befahl sie mit schwacher Stimme. »Ich brauche... Hilfe...« Etwas strömte vom Stoff ihrer Kleidung auf sie ein. : Aber es kam zu spät. Ngt verlor das Bewusstsein und schlug auf dem Boden auf. »Wir müssen evakuieren!« sagte Ömer Giray eindringlich. »Unmöglich«, wehrte Bor Frikk kategorisch ab. »Aber...« »Ich halte Ihre Idee für durchführbar«, rang sich der Geheimdienstchef ein Eingeständnis ab, das ihm nicht leicht zu fallen schien. »Sie ist wahrscheinlich die einzige Chance, die wir noch haben. Das sollte Sie stolz machen, Terraner. Aber wenn wir jetzt beginnen würden zu evakuieren, würden wir uns dieser letzten Chance
selbst berauben. Clos Vlc würde mißtrauisch werden. Er würde sich nicht länger an sein Zugeständnis gebunden fühlen und den Kluis sofort unter Beschuß nehmen...« »Aber im Umkreis des Gebäudes leben Hunderttausende oder mehr Tel. Unschuldige Zivilisten, die...« »Die sterben könnten«, nickte Bor Frikk mit steinernem Gesicht. »Einige werden es sogar sicher. Aber es ist Krieg. Opfer müssen gebracht werden!« Giray sah den schwarzhäutigen Mann ohne negroide Merkmale aus zusammengekniffenen Augen an. »Wenn ich geahnt hätte...« »Was dann? Hätten Sie dann Ihren Vorschlag nie unterbreitet? Bei den Staubwürmern von Fontanau! Wenn alles planmäßig verläuft, retten wir den Kluis, die dort befindlichen Regierungsmitglieder und ganz nebenbei auch noch den Planeten!« Giray preßte die Lippen zusammen. Und fragte sich, ob er an Bor Frikks Stelle wirklich anders gehandelt hätte... Der VerräterVankko Clos Vlc starrte auf den in die Monitorwand eingeblendeten Countdown. Die Frist, die er der noch amtierenden TelRegierung gewährt hatte, verrann unaufhaltsam. Crt Sagla hatte Wort gehalten: Sämtliche Einheiten der Flotte hatten die Kampfhandlungen eingestellt und auch Clos Vlc hielt sich an die Abmachung: Kein Rebellenschiff verletzte den ausgehandelten Waffenstillstand. Noch zwei Minuten, dachte Clos Vlc. Aber er suchte vergeblich nach einem Gefühl der Genugtuung in sich. Noch vor einer Stunde hätte er geschworen, daß er den Triumph wie nichts anderes in seinem Leben auskosten würde. Doch möglicherweise würde der Preis für den Sieg höher ausfallen als gewollt. Möglicherweise würde sich Crt Sagla als der starrsinnige Idealist erweisen, der er schon immer gewesen war... Und dann? Dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als seine Drohung in die Tat umzusetzen. Der Kluis würde für künftige TelGenerationen nur noch Geschichte sein! Und Cromar? Würde Cromar den Verlust überstehen oder würden die neuen Herrscher nach einem neuen Regierungsplaneten Ausschau halten müssen...? Clos Vlc war sich darüber im klaren, daß er wahrscheinlich der einzige TelRebell war, der sich diese möglichen Schattenseiten ihres Sieges vor Augen führte alle anderen rechneten offenbar bereits fest mit der bedingungslosen Kapitulation der Regierung. Kurz dachte er an all die Milliarden Tel, die bei einem Schlag gegen den Kluis ihre Heimat viele auch ihr Leben verlieren würden. Es würde immense Überzeugungsarbeit kosten, den Bürgern des Imperiums im nachhinein die Notwendigkeit einer sol 40 41 chen Maßnahme plausibel zu machen. Andererseits: Propaganda war schon immer Clos Vlcs heimliches Steckenpferd gewesen... Die rückwärtslaufenden Zahlen in der Einblendung zeigten, daß die letzte Minute der eingeräumten Bedenkzeit anbrach. Clos Vlc gab dem Funker einen Wink, daß er sich bereithalten sollte, die Phase zu öffnen. Der Kluis war kommunikationstechnisch von der Außenwelt isoliert. Induktionsstrahlen nutzten den bestehenden Energieschild und zweckentfremdeten ihn zu einem Störfeld, das keinen Spruch hinein und keinen hinausließ. Es sei denn, man kannte die Frequenz, die davon unbeeinflußt blieb. »Noch zwanzig Sekunden«, sprach Clos Vlc seine Gedanken laut aus, gerade so, als müsste er sich die Nähe des Sieges erst vor Augen führen, um selbst daran glauben zu können. Niemand in der Kommandozentrale des Flaggschiffs antwortete. Atemlos gebannt starrten alle auf den Chronometer. Plötzlich jedoch, noch vor Ablauf des Ultimatums, hämmerte ein Stakkato schriller Töne durch das Schiff. Die Automatik schlug Alarm. Noch bevor Clos Vlc realisierte, was passiert war, erteilte er den Befehl, das Vernichtungsfeuer auf den Kluis zu eröffnen. Diese Narren, dachte er. Diese verfluchten, selbstmörderischen, an ihrer Überheblichkeit zugrunde gehenden Narren...! Rlc glaubte, einen dumpfen Aufprall gehört zu haben. »Still!« wies sie ihre beiden Geschwister an, die sich in ihre AntischwerkraftGespinste, die ihnen nachts als Schlaflager dienten, zurückgezogen hatten und dort unterschiedlichen Beschäftigungen nachgingen. Um sich abzulenken. Vielleicht begriffen sie immer noch nicht, was wirklich geschah. Draußen am Himmel. Und weitab im Weltraum.
Krieg! Rlc dachte an nichts anderes mehr, und für sie war dieses Wort mit Blut und Angst und Tränen gefüllt, während es für die jüngeren Geschwister Drg und Hlv noch etwas vollkommen Abstraktes darzustellen schien. Obwohl... bei Drg hegte Rlc ihre Zweifel. Ihre Schwester war in der letzten Zeit spürbar gereift. Kein Vorteil, dachte Rlc bitter. In dieser Situation kein Vorteil. »Was ist?« fragte Drg. Sie hatte die Augen und den Mund ihres Vaters, während Rlc mehr auf ihre Mutter herauskam. Bei Hlv war zu keinem der beiden Eltern teile eine Ähnlichkeit festzustellen. Rlc wusste, daß dieser Genmix gewollt war. Crt und Ngt Sagla hatten sich diese drei Varianten für ihre drei Sprößlinge gewünscht. Es gab Familien, in denen völlig dem gerade geltenden Schönheitsideal nachgeeifert wurde, wenn die Fortpflanzung zur Debatte stand ganz ohne Rücksicht auf familiäre Merkmale. Rlc war zufrieden mit sich und ihrem Körper. Auch mit ihrer Intelligenz, bei der kein TelElternpaar Kompromisse einging. »Ich weiß nicht... bleibt hier, ich sehe nach.« »Mutter...?« Hlv starrte Rlc verzweifelt an. Der Krieg mochte ihm ein Buch mit sieben Siegeln sein. Aber er fühlte, daß seine kleine Welt bedroht war. Und seine Mutter war die dominierende Person darin. »Ich bin gleich Zurück!« Rlc wusste, daß sie der Anordnung ihrer Mutter zuwider handelte, als sie das Zimmer verließ. Normalerweise gehörte Gehorsam zu den ersten Tugenden einer Tel. In diesem Moment aber hätte sie sich noch über ganz andere Regeln hinweggesetzt. Über ein kurzes Flurstück gelangte sie Zurück in den Hauptraum des Hauses, in dem sich normalerweise das alltägliche Miteinander abspielte. Ngt Sagla lag wie hingegossen auf dem weichen, von sachten Wellenbewegungen durchlaufenen Teppich ein Imitat aus Lag5rosHaar. Der Teppich hatte sich so schwarz verfärbt wie Ngt Saglas Gewand. Sie ist tot, dachte Rlc und blieb stehen, als wäre sie gegen eine 42 43 Wand gelaufen. Doch dann sah sie, wie sich der Brustkorb ihrer Mutter langsam hob und senkte. Sie atmete, also lebte sie! »Haus!« Rlc erschrak über die eigene krächzende Stimme. »Raus, hilf ihr!« »Es wurden bereits Maßnahmen in die Wege geleitet«, antwortete der »gute Geist« des Gebäudes. »Was ist passiert?« »Der Streß. Ngt Sagla wurde ohnmächtig.« Rlc atmete innerlich auf. »Was ist da drüben los?« Es war Drgs Stimme. Und Hlv stimmte ein: »Mutter? Hörst du mich? Mutter antworte!« »Es ist alles in Ordnung!« rief Rlc über die Schulter, überwand die Distanz zur Bewußtlosen und kniete neben ihr nieder. Noch während sie nach dem Puls tastete, schlug ihre Mutter die Augen auf. »Rlc...?« rann es schwach über die Lippen. »Es wird alles gut.« Ngts Augen weiteten sich. Die Erinnerung an das, was der Ohnmacht vorausgegangen war, kehrte Zurück. »Die Rebellen...?« Rlc machte eine abwehrende Handbewegung. »Du darfst dich nicht aufregen. Es wird dir gleich besser gehen.« Auf Ngts dunkles Gesicht hatte sich Blässe wie eine feine Ascheschicht gelegt. Ohne auf ihre Tochter zu hören, richtete sie sich ruckartig auf. Ihre Kleidung war jetzt fahlgrau, als befände sich Ngt auf dem Weg der Genesung. Tapsende Schritte klangen auf. Hlv erschien in der Tür. Da stand Ngt bereits wieder auf ihren eigenen Beinen. Die verkniffene Miene des Jungen entspannte sich. »Geht Zurück auf euer Zimmer«, sagte Ngt und wandte sich der immer noch transparenten Fensterfront zu. Am Himmel hingen die stählernen Doppelmonde und reflektierten das Morgenlicht. 44 Es sah aus, als hätte sich nichts geändert. Doch im nächsten Augenblick änderte sich alles. Fro Nunc schaltete auf Sternensog. Ein jeder der neunzehn anderen XeFlash reagierte ebenso.
Der Rest des programmierten Manövers verlief mit einer solchen Geschwindigkeit, daß die TelPiloten es manuell nicht hätten zum Erfolg bringen können. Noch achtzehn Sekunden bis zum Ablauf des Ultimatums! Das Geschehen hatte Ähnlichkeit mit einem Traum. Fro Nuncs subjektives Empfinden weigerte sich zu glauben, daß sein Geschwader nur ein oder zwei Sekunden benötigte, um den Mond, über dessen Oberfläche sie zuvor mit SLE tangential hinweggeflogen waren, hinter sich zu lassen und... ... Kurs auf Cromar selbst zu nehmen. Auf zwanzig eng beieinanderstehende Zielobjekte! Die sie im Bruchteil einer Sekunde erreichten. Und nicht nur erreichten... Der Chronometer an Bord von Clos Vlcs Flaggschiff zeigte Sekunde sechzehn des ablaufenden Countdowns und war dabei, auf fünfzehn umzuspringen, als der abtrünnige Vankko begriff zu begreifen versuchte daß er zu hoch gepokert... und verloren hatte. Es blieb keine Zeit, um Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Crt Sagla oder eine andere Instanz auf Cromar erwies sich als Verbessere Stratege. Clos Vlc bildete sich ein, daß er über den Panoramaschirm noch wahrnahm, wie die anderen Schiffe seines Verbandes auseinan 45 derplatzten. Dann zerfetzte es auch ihn. Ein jeder der zwanzig XeFlash nahm einen der Rebellenraumer aufs Korn. Unmittelbar vor Erreichen der Ziele schalteten sie von Sternensog auf SLE Zurück und setzten Ömer Girays Idee bis in die bitterste Konsequenz in die Tat um. Im Schutz der künstlichen Universen ihrer Intervalle durchdrangen sie zuerst die äußeren Schiffswandungen, dann einzelne Decks und Räume... ... und schließlich die Verkleidungen der Energiemeiler. Die sich im selben Moment in Miniatursonnen verwandelten und ihre Glutarme in alle Bereiche des Schiffes ausstreckten. Zwanzig Rebellenschiffe explodierten fast gleichzeitig. »Antworten Sie, wenn Sie mich hören können! Vanks...!« Weder Crt Sagla noch Url Bnako oder Gen Punfk waren in der Lage, etwas zu erwidern. Ihre Augen hingen an den herabfallenden Trümmern, die wie Bomben auf den KluisSchild und die benachbarten Gebiete der Stadt niederregneten. Ngt, dachte Crt Sagla bleiern. Rlc, Hvl, Drg... Unter den Treffern der herabstürzenden Teile begann der Schutzschirm über dem Kluis in allen erdenklichen Farben zu schillern. Beben durchliefen das Bauwerk. Und einen Moment wünschte Sagla, daß es zusammenstürzen und den Gewalten nicht standhalten würde. Für den Fall, daß sich seine schlimmsten Befürchtungen erfüllen sollten... Crt Sagla hatte bereits Atem geholt in der Erwartung der Frage, die Clos Vlc gleich an ihn richten würde: »Kapitulation oder Tod?« Doch Clos Vlc stellte diese Frage nie. Clos Vlc und seine Mitverschwörer starben am Himmel über Cromar! Ihre Schiffe verwandelten sich in verderbenspeiende Ungeheuer jedoch in anderer Weise, als der rebellische Vankko es geplant haben konnte. Für einen Herzschlag lang schien die Zeit stillzustehen. Ohne die Bilder, die auf ihren Netzhäuten reflektierten, zu Verstehen, hörte Crt Sagla plötzlich die Stimme Bor Frikks aus den Membranprojektoren schallen: 46 O mein Gott, dachte Ömer Giray, dessen schlimmste Befürchtungen sich gerade bewahrheiteten. Früher als die Rebellenschiffe hatten die Spezialisten in der Geheimdienstzentrale die anfliegenden XeFlash auf ihren Schirmen gehabt. Hatten das Verhängnis kommen sehen, das zunächst nach den zwanzig Doppelkugelraumern und jetzt nach der Stadt griff. Bor Frikk ließ den Schild über dem Hauptquartier im selben Augenblick hochfahren, als das erste Donnergrollen zu ihnen vordrang. Die Instrumente erfaßten doppelt so viele Detonationen wie Rebellenschiffe am Himmel gestanden hatten. Und alle wußten, was das bedeutete.
Spätestens als die Ortungsspezialisten eine erste Bilanz des Schreckens zogen jenes Schreckens, der sich am Himmel über dem Kluis abgespielt hatte. Über die Tragödien am Boden konnte und wollte noch niemand 47 Details nennen. »Sie haben es nicht geschafft«, sagte Bor Frikk beherrscht. »Die Intervalle haben den Belastungen nicht standgehalten. Aber die Männer, die ihr Leben ließen, werden als Helden in die Geschichte eingehen...« Ömer Giray wusste, von wem Frikk redete, und er fühlte sich wie ein Mörder. Warum hatten die Tel nicht selbst den Plan entwerfen können, der sämtliche eingesetzten XeBesatzungen das Leben gekostet hatte? Und dessen »Nachbeben« gerade die Stadtgebiete rund um den Kluis verwüsteten. ganz persönliche Opfer gefordert hatte, gab es schließlich auch Gutes zu vermelden: Nach Clos Vlcs Tod waren die Raumschlachten wieder aufgeflammt, doch die Rebellen besaßen ohne ihren Führer nicht mehr die Kraft und die Entschlossenheit, die sie zuvor so gefährlich gemacht hatte. Nachdem mehrere in ihrer Hand befindliche Raumer im Feuer der Übermacht auseinandergebrochen waren, ergaben sie sich schließlich. Der Krieg in diesem Sektor der Galaxis war beendet. Anderswo hingegen... Am Ende des Tages war das ganze Ausmaß der Katastrophe zumindest in groben Zügen überschaubar geworden. Die Wucht der XeFlash, die mit ihren Brennkreisen eine Spur der Vernichtung von den Panzerhüllen der Doppelkugelraumer bis zu den Meilern tief in ihrem Inneren gezogen hatten, war auch dafür verantwortlich gewesen, daß es die explodierenden Schiffe zum größten Teil vom Kluis weg über die ungeschützte Stadt gezogen hatte. Der Trümmerregen der gesprengten Rebellenraumer hatte mehrere hunderttausend Opfer unter den Tel gefordert, darunter Crt Saglas gesamte Familie. Eines der größeren Bruchstücke hatte das Gebäude, in dem seine Kinder zur Welt gekommen waren, auch in deren Grab verwandelt. Mit ihnen war Ngt Sagla gestorben, die Frau, die Crt ein halbes Leben lang begleitet hatte... Seine Trauer war grenzenlos. Aber er schloß sie ein in einen fernen Winkel seines Herzens. Um weitermachen, um helfen zu können. Hier auf Cromar und draußen im All. Während die schwarzen Roboter der Tel ausschwärmten, um Verschüttete zu bergen und Schwerstverletzten eine Erstversorgung angedeihen zu lassen, fiel draußen im All die Entscheidung. Und ganz am Ende dieses schwarzen Tages, der von Crt Sagla »Wir müssen sie warnen!« »Ja, aber wie? Wir haben es doch bereits versucht. Doch im Sektor Sol toben zur Zeit wieder schwerste Magnetstürme. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß unsere Nachricht durchkommt, rechtzeitig durchkommt und...« »Versuchen Sie es weiter, verdammt!« Über Bor Frikks Gesicht flog der Schatten eines Lächelns. »Verdammt«, sagte er, »scheint ein beliebter Fluch bei den Terranern zu sein. Dabei wurden sie vor nicht allzu langer Zeit doch noch selbst in der Galaxis als >die Verdammtem bezeichnet...« Ömer Giray erwiderte das falsche Lächeln des Geheimdienstchefs mit gefletschten Zähnen. Der Moment, in dem er keinen Spaß mehr verstand, absolut gar keinen, war gekommen. Vor wenigen Minuten hatte sich herausgestellt, daß sich ein Teil der Rebellenflotte noch vor der Niederlage vom Hauptverband abgespalten und Kurs auf Terra genommen hatte dabei mit von der Partie war aller Wahrscheinlichkeit nach der mutmaßliche Robone Owo Gbagbo, nach dem die Tel in den letzten Stunden vergeblich gefahndet hatten. Angeführt wurde die aus zweitausend Doppelkugelraumern bestehende Armada offenbar von einem Wer Namens Bol Gnun. Ein kampferprobter Stratege, dessen Reputation die ganze Sache noch verschlimmerte. »Schalten Sie die stärksten Sendeanlagen im CromarSystem zu 48 49 Samen!« verlangte Giray. »Mit Hilfe des geretteten Kluis dürfte das kein Problem sein, oder? Ich erinnere Sie ungern, Frikk, aber sind Sie mir diesen >kleinen Gefallene von dem vielleicht das Schicksal meiner Heimatwelt abhängt, nicht schuldig?« Bor Frikk schnaubte kurz. Dann nickte er ganz wie ein Mensch genickt hätte. Ömer Giray hatte an seine Ehre appelliert. Und besser hätte er den Nerv des Tel nicht treffen können... 3. Henk de Groot warf einen Blick auf sein Armbandchrono. »Feierabend«, stieß er erleichtert hervor und war trotz aller Begeisterung für seine Arbeit froh, daß zwei freie Tage vor ihm lagen, an denen er nicht zu schuften brauchte. »Wochenende...« Zwei Tage lang keine Geistesakrobatik, die ihm und seinem Team das Letzte abverlangte, weil die Technik, die sich im Inneren des Goldenen Menschen von Babylon befand, so schnell wie möglich enträtselt werden musste.
Zwei Tage lang kein Herumbasteln an Aggregaten, die auf den ersten Blick formschön verkleidet waren; aber war die Verkleidung erst einmal entfernt, erschreckten sie mit einem verwirrenden Durcheinander in ihrem Inneren, das sich nur schwer begreifen und noch schwerer erklären ließ. Fest stand nur, daß diese Aggregate nicht der Hochtechnologie der Mysterious entstammte, sondern der der Giants. Aber waren diese, welche sich selbst hochtrabend All-Hüter genannt hatten, nicht lediglich ein Kunstprodukt der Mysterious gewesen? Ein Versuch jener vor tausend Jahren spurlos aus der Galaxis verschwundenen Superrasse, Kybernetik und Bioleben zu einer Einheit zu verbinden und daraus ein Sternenvolk zu schaffen, das auf den ersten Blick natürlich wirkte und dieses Natürliche sogar mit Parafähigkeiten unterstrich und doch nichts anderes war als Roboter in einer biologischen Verkleidung, zusätzlich mit einem Atomsprengsatz im Körper! Trotz der enormen Wissensgrundlagen, die der Arzt und Forscher Manu Tschobe geschaffen hatte, waren die Giants immer noch ein Rätsel. Ihre Technik ebenfalls, zumindest hier auf Babylon, dem Planeten, dem die Mysterious einst den Namen Fände gegeben hatten nur klang »Babylon« in terranischen Ohren schöner, musikalischer als die alte Bezeichnung in der Sprache der 50 51 Mysterious. Der 16. Umläufer seiner Sonne, mit einer Schwerkraft von nur 0,78 g und einer relativ hohen Durchschnittstemperatur von 18° C gesegnet, hatte förmlich danach geschrien, von Terranern besiedelt zu werden. Wohnraum musste nicht erst geschaffen werden. Seit die Mysterious vor tausend Jahren dem Ruf »ron wedda wi terra« * folgten, standen ihre riesigen Pyramidenstädte leer. Eine Infrastruktur aufzubauen sollte kein Problem sein, und laut Evakuierungsplan B01 sollten im Laufe weniger Monate anderthalb Milliarden Menschen nach Babylon evakuiert werden. Als erste Quote hatte man zunächst 35 Millionen Umsiedler vorgesehen, aber auf wesentlich mehr als 40 Millionen war Babylons Bevölkerungszahl mit dem nächsten Siedlerschub dann doch nicht mehr angewachsen. Denn zu viel war im "letzten halben Jahr dazwischengekommen. Robonische Störpropaganda, welche die Umsiedler verunsicherte, war nur einer der Gründe. Der Ausfall der M-Technik wog schwerer, denn Terra besaß plötzlich nicht mehr genug Raumschiffe, die für dieses Projekt eingesetzt werden konnten. Tausende von SKreuzern, ursprünglich als Transporter für die BabylonKolonisten vorgesehen, würden nie mehr fliegen, weil die Galaktische Katastrophe, dieser unselige Hyperraumblitz, sie für alle Zeiten unbrauchbar gemacht hatte. Seither stagnierte nicht nur der Nachschub an weiteren Kolonisten, sondern auch an Versorgungsmaterial, denn auch wenn es auf Babylon umfangreiche industrielle Anlagen gab, war die terranische Kolonie noch längst nicht zum Selbstversorger geworden. Das war ein unerfüllbarer Wunschtraum der Planer auf Terra, der seine Schwächen jetzt besonders kraß zeigte. Wirkliche materielle Not musste auf Babylon dennoch niemand leiden. Noch nicht... Statt dessen war ein anderer Notfall eingetreten: Die Grakos hatten Babylon entdeckt und angegriffen! Der verzweifelte Abwehrkampf, mit völlig unzureichenden Mitteln geführt, hatte den Kolonisten einen hohen Blutzoll abverlangt, und nur weil Henk de Groot es geschafft hatte, den Gigantsender im Goldenen Menschen zu reaktivieren und mit seinem HyperfunkNotruf die INVINCIBLE, einen Ringraumer der Terranischen Flotte, herbeizurufen, konnte das Schlimmste verhindert und das Schattenschiff der Grakos in die Flucht geschlagen werden. Trotzdem gab es Trümmer und Trauer in reichlichem Maße. Und die so dringende wie drängende Aufgabe, so schnell wie möglich so viel wie möglich der hier vorgefundenen Technik zu erforschen. Womit speziell alles gemeint war, was irgendwie mit dem Goldenen Menschen zu tun hatte! Der war nicht nur eine gigantische Hyperfunkstation, die mit Ihrer Leistung selbst den Mammutsender von Erron1 in den Schatten stellte, sondern auch eine Waffe! Die beweglichen Arme dieser über 8.000 Meter aufragenden Skulptur besaßen in ihren Händen Abstrahlpole, und mit diesen hatte die Superwaffe Goldener Mensch einen Raumtorpedo der Grakos abschießen können, ehe der in gefährliche Nähe des Planeten gelangen konnte. Und vorher hatte er dem Schiff selbst mächtig zugesetzt. Noch ein Rätsel mehr, weil kein Mensch sich vorstellen konnte, auf welche Weise Gianttechnik mit Grakowaffen fertig wurde. Ein auf Babylon stationierter Kugelraumer, Beuteschiff der TF aus GiantBeständen, war gleich im ersten Feuerschlag der Angreifer vernichtet worden! Für die Kolonisten ging es ums Überleben. Die Evakuierungspläne der terranischen Regierung waren entwickelt worden, um angesichts der bedrohlichen Situation wenigstens einem Teil der Menschheit eine Überlebenschance zu gewähren dezentralisiert auf eine große Anzahl von Kolonialplaneten, von denen Babylon die geeignetste war, weil sie nicht mehr erschlossen werden musste. Eine weitere Chance hätte der
52 53 Planet Hope geboten wenn er nicht zu nahe in Richtung des Galaktischen Zentrums läge. Aber von jenseits des Zentrums, vom Rand her, aus Richtung der Fremdgalaxis Drakhon, kamen doch die Magnetfeldstörungen und Strahlenstürme! Und die wurden immer stärker, von Jahr zu Jahr... Mittlerweile schon von Monat zu Monat... War die Katastrophe überhaupt noch aufzuhalten? Aber wie sollte man das tun? Wie sollte man ein kosmisches Phänomen bekämpfen oder neutralisieren? War es nicht Irrsinn, noch Planeten dieser Galaxis zu besiedeln? Sollte nicht das Beispiel der Fremdvölker zu denken geben, die alles daran setzten, die Milchstraße zu verlassen? So, wie es die Nogk getan hatten, nur rief ihnen das Exspect sein unerbittliches »Halt!« zu, weil sie nach Hunderten von Generationen zu strahlungsabhängigen Mutanten geworden waren, die den energetischen Einfluß der Milchstraße brauchen, um überhaupt existieren zu können. Wenn sie ins Exspect vorstießen, starben sie unweigerlich, zerfielen zu Staub. Blieben von ihnen allenfalls Spuren im Sand der Zeit... Andere, wie Terraner, Amphis, Utaren oder sonstige Völker, mochten mehr Glück haben. Zumindest die Menschen überstanden den magnetoenergetischen Spannungsabfall des Exspects unbeschadet, der um so größer und gefährlicher wurde, je tiefer man in diese Negasphäre vorstieß, nur gab es noch kein Antriebssystem, das in der Lage war, den enormen Energieverlust auszugleichen, der um so gewaltiger wurde, je tiefer ein Raumschiff ins Exspect vordrang. Hatten nicht selbst die Mysterious davor kapitulieren müssen? Soweit Henk de Groot informiert war, verloren auch die SKreuzer Unmengen an Energie, wenn sie ins Exspect gerieten, und Henk hatte davon gehört, daß bei einer früheren Fehltransition der POINT OF hinaus in den Leerraum zwischen den Galaxien selbst das Flaggschiff der TF Schwierigkeiten bekommen hatte einer der Konverter war ertobit geworden. Was so viel bedeutete wie leer, funktionsuntüchtig ausgebrannt. De Groot fragte sich, ob es unter diesen Umständen überhaupt 54 noch sinnvoll war, nach Überlebensstrategien zu suchen. Andererseits irgendwohin mußten sich auch die Mysterious gewandt haben, und daß die Grakos permanent ihre Angriffe flogen, bedeutete doch, daß sie sich etwas davon versprachen! So mörderisch sie waren, handelte es sich bei ihnen doch sicher um intelligente Wesen, die bestimmt nicht um verlorenes Gebiet kämpfen würden. Eher würden sie ihre potentiellen Opfer in den Strahlenstürmen vergehen lassen, die in Galaxis Zwei Drakhon, wie man die andere Sterneninsel nach einer Legende der Tel benannt hatte ihren Ursprung hatten. musste es demzufolge nicht Hoffnung geben? Dann aber war diese Hoffnung es wert, ums Überleben zu kämpfen, um jede Minute, um jede Sekunde. Aber Feierabend war Feierabend. De Groot und seine Leute hatten genug getan. Wochenende war angesagt. Und Henk sehnte sich auch danach, wieder mit seiner Freundin Charlize Zusammensein zu können. Auch das war eine Überlebensstrategie, weil sie Hoffnung schuf, und die Gewißheit, etwas Sinnvolles zu tun für eine gemeinsame Zukunft. Außerdem war es Liebe, und das war noch wichtiger als alles andere. Zumindest jetzt für ihn. Daß der Feierabend ihn in eine Zone der Verwüstung zurückbrachte, interessierte ihn nur am Rande. Die Zerstörungen, welche die Grakos angerichtet hatten, konnte man ignorieren, soweit man nicht selbst davon betroffen war. Viele andere aber waren betroffen, und Charlize als Krankenschwester hatte mit ihnen zu tun. Henk konnte sich dem ebensowenig entziehen. Er hatte vor ein paar Wochen seinen Teil beigetragen, die Schlacht gegen die überlegenen Grakos zu gewinnen, mit seiner Arbeit, seinem Geist, Seinen Ideen, aber er hatte auch gesehen, wie andere starben. Er hatte die höchste Auszeichnung erhalten, die die Verwaltung Babylons zu vergeben hatte, aber die half ihm nicht gegen die Alpträume, »e kamen, wenn er schlief. Die Toten standen vor ihm und warfen ihm vor, nicht schneller gewesen zu sein, nicht früher die richtigen Gedanken entwickelt zu haben. Der Tod war etwas Schlimmes. Wenn Angehörige aus Altersgründen 55 starben, konnte man irgendwie damit leben, damit fertig werden, den Verlust überwinden. Zum Leben gehörte der Tod, aber Leben sollte ausgekostet werden können, solange es die Biologie zuließ und nicht durch Fremdeinwirkung gestoppt werden. Durch Unfall, Mord oder Krieg in dieser Reihenfolge des Entsetzens und der Widerwärtigkeit. Henk war nicht sicher, ob er die Grakos dafür hassen sollte, daß sie Menschen das Leben gestohlen hatten und es auch künftig tun würden in einer Verblendung, die sich von vernünftigem, logischem Denken ebensowenig erfassen ließ wie überhaupt jede Form von Mord und Krieg. Aber er war sicher, daß er sie bedauerte.
Denkende Wesen, die sich selbst zwangen, grundlos zu töten, waren die ärmsten, verlogensten, einsamsten Kreaturen des Universums. Denn sie hatten keine Freunde. Wer wollte schon den Tod zum Freund haben? Und die Grakos hatten nur den Tod zum Freund. Sie brachten ihn allen anderen, und sie empfingen ihn, wenn diese sich wehrten. Welchen Sinn hatte das alles? Töten und Morden, Krieg führen das alles brachte nichts. Zerstörung und Tod waren sinnlos, waren es schon immer gewesen und würden es immer sein. Einander helfen, sich gegenseitig unterstützen und dadurch vorankommen, Träume verwirklichen, um danach neue Träume erdenken zu können und noch weiter voranzuschreiten das war sinnvoll. Leben und Existenz genießen, helfen, lachen, glücklich sein und das Glück anderer zu erleben das war sinnvoll. Staunende Kinderaugen, fröhliches Kinderlachen zu sehen, eine Zukunft ohne Leid und Angst zu schaffen das war sinnvoll. Und wenn irgendwann der Tod kam, nach vielen Jahren der Freude und des Glücks, der Erfüllung, dann musste niemand mehr Angst vor diesem Tod haben, weil er nur nahm, was nicht mehr weitergeführt werden konnte, weil man gehen durfte, wenn nur noch wenig oder gar nichts mehr ungetan blieb. Doch Krieg brachte die Angst vor dem Tod. Weil noch zu viel unerlebt und ungetan bleiben musste. Und die Grakos brachten den Tod nicht nur den Erwachsenen, die zumindest schon einen Teil ihres Lebens hinter sich gebracht hatten, sondern auch den Kindern, die noch am Anfang ihrer Existenz standen, die noch keine Chance hatten, zu erleben, wie schön man die Welt gestalten konnte, wenn man es nur wollte und konnte! Haben Grakos Kinder? fragte sich de Groot. Begreifen sie überhaupt, was sie tun? Und er musste an die Pyramidenstadt denken, deren Bewohner Männer, Frauen und Kinder von den Schattenkriegern zunächst »nur« gefangengenommen, dann aber ermordet worden waren: Tausende von Menschen hatten von einem Moment zum anderen ihr Leben verloren. Einfach so, nicht weil ihr Ende vorbestimmt war, sondern weil die Mörder aus Weltraumtiefen das so wollten! De Groot schüttelte sich, als könne er den Alpdruck von sich werfen, der auf ihm lastete. Dann, wenn er sich nicht in die Arbeit knien konnte, wenn er schlafen wollte, um sich zu erholen, aber von Erholung nichts spürte, wenn die dunklen Träume kamen und er die Schattenkrieger sah, ihre Kampfflieger, ihr Raumschiff, diese schwarzen TechnoUngeheuer, die unter ihren Deflektorschirmen nur undeutlich zu erkennen waren. Sie sind zu feige, ihr Gesicht zu zeigen, wenn sie töten. Etwas hieb mit Urgewalt auf Henks Schulter und ließ ihn zusammenfahren. Instinktiv riß er die Fäuste zur Abwehr hoch und ließ sie wieder fallen. »Bitte, Isaak mach das nie wieder«, murmelte er. »He, was ist los mit dir?« fragte Isaak Izchemir, dessen türkischer Vater eine Israelin geheiratet hatte, um mit ihr Isaak und ein halbes Dutzend anderer junger Menschen in die Welt zu setzen. »Du bist krank in deiner Seele.« »Ja«, sagte Henk leise. »Wer ist das nicht, nach allem, was hier geschehen ist?« »Sie können nicht gewinnen, die Grakos«, sagte Isaak. »Was auch immer sie tun, was auch immer sie anderen oder uns antun. sie sind aus der Hölle gekommen, und die Hölle wird sie wieder fressen, weil das Böse niemals siegen kann in unserer Welt, solange wir noch Hoffnung in uns haben! Henk, hast du denn die Hoffnung schon verloren?« 56 57 Er schüttelte langsam den Kopf. »Dann Lass uns von hier verschwinden, Chef! Wochenende! Pause! Ausruhen, Kraft schöpfen! Tief Luft holen und mit neuer Energie wieder ans Werk! Draußen wartet der Schieber, der uns nach Hause bringt. Gehen wir wir sind ohnehin die letzten!« De Groot sah ihn überrascht an. »>Allah ist der Freund der Gläubigem«, zitierte Isaak Izchemir. >»Er führt sie aus der Finsternis ins Licht.< So geschrieben in der zweiten Sure des Koran, Vers 258. Glaube an das Gute und an die Hoffnung, mein Freund Henk, und du wirst das Licht sehen.« Henk schwieg immer noch. Er dachte an die Opfer der Grakos. Sie hatten kein Licht gesehen, als sie starben woran auch immer sie geglaubt haben mochten. Denn die vernichtenden Kampfstrahlen der mörderischen Feinde waren schwarz. Die Spuren des GrakoAngriffs würden noch lange an die Abwehrschlacht und den hohen Blutzoll erinnern, den Babylon für seine Freiheit bezahlt hatte. Wenn de Groot aus dem Fenster seines kleinen Apartments sah, fiel sein Blick unweigerlich auf die verkohlten Überreste der benachbarten Pyramidenstadt, die von den Schattenungeheuern niedergebrannt worden war. Dennoch hatte Henk darauf verzichtet, die Zuweisung einer anderen Wohnung zu beantragen obgleich gerade ihm das garantiert sofort bewilligt worden wäre oder darauf, endgültig zu Charlize Farmer in deren kleines Quartier zu ziehen.
Er war noch nicht bereit, auf seine Erinnerungen zu verzichten, sie zu verdrängen. Noch immer konnte niemand genau sagen, wie viele Menschen den Grakos zum Opfer gefallen waren die Verluste an Soldaten und Zivilbevölkerung mußten in die Zehntausende gehen. Selbst jetzt, Wochen nach dem heimtückischen Überfall, waren noch nicht alle Gefallenen eindeutig identifiziert und ihre Listen mit denen der Vermißten abgeglichen worden. Deshalb musste der Wiederaufbau an vielen Stellen auch immer noch ruhen, bis diese Dinge geklärt waren. De Groot schreckte regelrecht zusammen, als der Türsummer Besuch anmeldete und ihn damit aus seinen Gedanken riß. Er öffnete die Tür. Charlize war gekommen. »Was ist los?« wollte sie wissen. »Bist du nur hergekommen, um dich in deiner Bude zu verkriechen, oder haben wir für heute und morgen vielleicht doch noch was vor?« »Entschuldige«, murmelte er. Spontan zog er Charlize an sich, umarmte und küßte sie. Sie hatten sich beide erst auf Babylon gefunden und beschlossen, den Rest ihres Lebens gemeinsam zu verbringen. Sie wollten Kinder haben und ihrer Zukunft Gestalt geben. Im Moment aber schien dieses Vorhaben noch so weit entfernt zu sein wie die fünf Monde, die Babylon umrandeten und in manchen Nächten jede Romantik abtöteten, weil mindestens drei, manchmal vier von ihnen zugleich am Himmel standen und es über den Pyramidenstädten fast taghell werden ließen. Charlize löste sich aus seiner Umarmung und musterte ihn kritisch. »Manchmal frage ich mich, was ich eigentlich an dir finde«, sagte sie provozierend. »Statt mit mir das Nachtleben dieses Planeten aufzumischen, grübelst du immer wieder über deine Arbeit nach. Du bist von ihr besessen dabei will ich dich besitzen! Aber nur einer von uns kann dich haben!« Ihre Augen leuchteten dabei auf merkwürdige Weise, schienen jeden Zentimeter seiner körperlichen Erscheinung in sich aufzusaugen. Ein unscheinbarer Mann mit schütterem Haar, an dem alles durchschnittlich zu sein schien. Mittleres Alter, mittlere Größe, mittleres Gewicht. Ein nicht unsympathisches Durchschnittsgesicht ohne markante Züge. Das einzig Auffällige an ihm waren seine dunklen Augen, die einen wachen Verstand, Energie und hohe Intelligenz verrieten. Aber nicht das war es, was sie an ihm mochte. Es war seine ^ Art, die ihr auf Anhieb gefallen hatte, als sie ihn zum ersten sah. Und gerade das, was sie ihm nicht einmal ernstgemeint 58 59 vorwarf, nämlich sich mehr um seine Arbeit zu kümmern als um seine Freundin, gehörte zu ihm wie die Luft zum Atmen. Er lächelte etwas verloren. »Diesmal habe ich wirklich nicht über meine Arbeit nachgedacht«, wehrte er sich zaghaft. »Eher über das da.« Er wies in Richtung Fenster, hinüber zu den Trümmern der anderen Stadt, in der kein einziger Mensch überlebt hatte. »Du solltest aufhören, dich in diesem Katastrophenszenario zu vergraben. Bleib nicht hier. Weißt du, wie allein ich bin, tagelang nach jedem Feierabend? Und jetzt ist Samstag, und du vergräbst dich in deiner Bude und deinen Erinnerungen an den Krieg!« Wie das klang: Krieg! Aber es war doch tatsächlich Krieg, auch wenn es niemals eine offizielle Kriegserklärung durch die Grakos gegeben hatte, sondern nur heimtückische Überfälle! Und eine der Schlachten war auf Babylon geschlagen worden. Aber so, wie Charlize es in Worte kleidete, schien dieser Krieg schon eine kleine Ewigkeit zurückzuliegen. »Nun komm endlich auf andere Gedanken«, verlangte sie. »Raus aus deiner Räuberhöhle und hinein ins volle Leben! Bist du fertig?« Sie wartete sein Nicken kaum ab, zog ihn einfach an der Hand mit sich und ließ ihm kaum Zeit, zu prüfen, ob er seine Chipkarte bei sich hatte, um später die Tür zu seinem Apartment wieder öffnen zu können. Die Mysterious hatten keine Türschlösser hinterlassen; die waren von den Kolonisten nachträglich installiert worden, weil es auch auf Babylon den Wunsch nach privater Abgeschlossenheit und dem Schutz vor Angehörigen der Diebesgilde gab. »He! Was hast du mit mir vor?« »Dich auf andere Gedanken bringen!« Eine Viertelstunde später bugsierte Charlize ihn in ein Lokal, das wie die typische »kleine Kneipe nebenan« aussah. Draußen auf dem Vorplatz tanzte der Bär. Jugendliche tobten sich aus. Verdrängten Frust und Elend durch Aktion. Für einen kurzen Augenblick wünschte Henk sich, dazuzugehören. Aber er war ein paar Jahre zu alt, die Jungs und Mädels würden ihn höchstens mitleidig belächeln, wenn er versuchte, sich unter sie zu mischen. Und außerdem machte Charlize nicht den Eindruck, als fände sie Gefallen dran, von dröhnender HyspacyMusik, wie sich die momentan aktuelle, für Ohren erwachsener Menschen unerträgliche Stilrichtung nannte, und dem Heulen der SliderMotoren malträtiert zu werden. Fast zu hastig zog sie Henk ins Innere der Kneipe.
Die war schallisoliert. Von dem draußen vorherrschenden Lärm war hier nichts zu bemerken. Nur, wenn Gäste kamen oder gingen, weil es keine »Schallschleuse« gab. Dafür gab es Musik, die Henk zusagte. Mal weich und einschmeichelnd, dann wieder schnell und aufpeitschend. Musik, mit der er auf Terra aufgewachsen war. Er lächelte seine Freundin an, und sie grinste wie ein hungriger Biber Zurück sie wusste verflixt genau, was ihm gefiel und ihn in Stimmung brachte. Sie kannte ihn schließlich, den Mann, den sie liebte und mit dem sie Kinder haben wollte eines Tages, wenn das alles hier sich normalisiert hatte, wenn der Krieg gegen die Grakos nur noch ferne Vergangenheit war, an die man sich nur ungern erinnerte. Die Musik kam live von der Bühne, auf der es kaum Technik gab, sondern ganz normale, »altertümliche« Instrumente wie Gitarre, Querflöte und immerhin Dudelsack. Bretonische Folklore, wie man sie vor Jahrhunderten im Norden Frankreichs gespielt hatte, wie sie im 20. Jahrhundert von Barden wie Alan Stivell oder Gruppen wie Sonerien Du modernisiert worden war. Das war es, was Henk mochte. Stets in seine wissenschaftliche Arbeit vertieft, hatte er gar nicht gewußt, daß es hier eine solche Musikkneipe gab, sonst wäre er garantiert schon früher mal eingekehrt. Aber Charlize als Krankenschwester hatte natürlich ganz andere soziale Kontakte als er, sie kam mit viel mehr Menschen aus allen Schichten der hiesigen Bevölkerung zusammen und erfuhr entsprechend mehr. Seine Füße begannen im Takt der Musik zu zucken, signalisierten, daß sie tanzen wollten. Aber Charlize hatte erst einmal Getränke geordert. Während sie Henk das Glas weiterreichte, warf er einen etwas intensiveren Blick auf die Bühne. »Ups«, entfuhr es ihm. Die kleine LiveBand bestand aus bildhübschen Mädchen, die 60 61 lediglich mit ihren Instrumenten und einer faszinierenden Körperbemalung »bekleidet« waren. »Ich dachte, so etwas gefällt dir«, schnurrte Charlize und rieb Ihren Kopf an seiner Schultern. »Du gefällst mir«, protestierte er. Etwas lahm, denn wie konnte er so viel Schönheit widerstehen, die sich auf der Bühne zum Takt der Musik bewegte und Harmonie und Eleganz ausstrahlte, ohne dabei zu erotisch zu wirken? Die kaum kaschierte Nacktheit der Mädchen war eher kühl, gelassen, alles andere als auf oder gar erregend. Sie paßte einfach zu den Liedern obgleich er eher mit der von der Musik repräsentierten Kultur und der entsprechenden Tracht gerechnet hätte. Und die jungen Ladies verstanden sich aufs Musizieren und aufs Singen! Auch wenn Henk etwas widerwillig die Augen schloß und versuchte, an zusammenstürzende Maulwurfshügel statt an schöne Mädchen zu denken, gefiel ihm die Interpretation der alten Melodien. »Aus denen wird noch mal was«, prophezeite auch Charlize. »Wenn die den richtigen Agenten finden, der sie galaxisweit vermarktet... bloß bei den Utaren werden sie keinen Stich kriegen, weil deren Musikgeschmack eher dem einer Stubenfliege gleicht...« »Wenn sie sich bei den Vorstellungsgesprächen auch im Evaskostüm präsentieren, werden die Agenten sich um sie reißen«, grinste Henk. »Gut, daß ich kein Musikagent bin.« »Warum?« wollte Charlize wissen. »Weil ich sonst Vergleiche anstellen müsste«, sagte er. Bevor sie protestieren konnte, fuhr er fort: »Du wärst absolut im Vorteil. Sofern du auch so gut singen und spielen kannst.« »Soll das heißen«, sie machte eine Kunstpause von ein paar Sekunden, »daß es dir gefallen würde, mich auch da auf der kleinen Bühne zu sehen? Läßt sich arrangieren. In dieser Kneipe ist alles möglich.« Er fing sie ab. »He, warte! Ich habe damit nicht gesagt, daß du dich in der Öffentlichkeit ausziehen sollst...« Sie schmiegte sich an ihn, küßte ihn. »Wieso eigentlich nicht?« fragte sie dann. »Weil ich deinen Anblick keinem anderen gönne!« knurrte Henk 62 düster. Sie lachte hell auf und drehte sich mit ausgebreiteten Armen einmal um sich selbst, schnell genug, daß ihr blondes, im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenes Haar flog. Sie genoß es, wie er sie anschaute, wie er sich in Gedanken vorstellte, sie auf der Bühne zu sehen, sie aber lieber nur für sich allein zu haben. Sie war eine durchaus hübsche junge Frau. Keine perfekte Schönheit wie die Modelle aus den 3DModekatalogen oder die Mädchen auf der Bühne, aber sie strahlte eine Natürlichkeit und Lebendigkeit aus, die sie weitaus anziehender machte als so manche der eingebildeten und zickigen Schönheitsköniginnen, von denen Männer wie Henk nur träumen konnten. Er liebte die Lachfältchen um ihre wasserblauen Augen, ihre Stupsnase und die zahllosen Sommersprossen auf ihrem Gesicht. Und alles andere an ihr, das hoffentlich niemand anderer zu sehen bekam... Wieder schmiegte sie sich an ihn, küßte ihn. »Trink aus und Lass uns tanzen«, flüsterte sie ihm zu. Aber dazu kam es nicht mehr. Denn in diesem Moment verließ ein Gast das kleine Lokal. Und durch die für einen Moment offene Tür drangen erschreckend lautes Krachen, Dröhnen und Scheppern und laute Entsetzensschreie!
Alarmiert stürmten Henk und Charlize ins Freie. Vor ihnen breitete sich ein Schreckensszenario aus. Minuten vorher: HyspacyRhythmen hämmerten aus den Gettoblastern und Peitschten auf. Dazu das verhaltene Dröhnen der SliderTurbos, das hin und wieder ohrenbetäubend wurde, wenn einer der Piloten seine Maschine voll aufdrehte und ein paar wilde Runden über den Platz drehte. Die Pyramide hinaufzuackern und Anwohnern über die Terrasse zu fahren, war aber schon langweilig, und die Clique suchte nach neuen Herausforderungen. 63 Die Clique, das waren gut zwei Dutzend Jungen und Mädchen im Alter von sechzehn bis zwanzig Jahren, wild und ungebändigt. Sie hatten das Chaos des GrakoAngriffs erlebt und überlebt, und sie wußten, wie haarscharf sie alle dem Tod entgangen waren. Um so mehr wollten sie das Leben genießen, exzessiv auskosten, was irgendwie möglich war. Denn niemand garantierte, daß die Mörderschatten nicht noch einmal zurückkehrten und ihr Vernichtungswerk vollendeten. Also galt es, jede Sekunde, jeden Atemzug, jeden Herzschlag so zu genießen, als wäre es der letzte. Es war die eine Art, mit dem Grauen Fertigwerden. Die andere war, sich zu verkriechen, zu grübeln, zu weinen und zu beten. Oder sich in die Arbeit zu stürzen, um zu vergessen. Das war es nicht, was der Lederclan wollte. »Wir sind zäh und unbesiegbar, uns bringt nichts um, wir schaffen alles und jeden!« lautete das Motto des wilden Haufens. Sie wollten nur genießen und sich austoben, um zu wissen, daß sie nichts versäumt hatten, wenn der Tod Babylon noch einmal hungrig heimsuchte. Aber so, wie sie leben wollten, hart am Limit und vielleicht darüber hinaus, ignorierten sie, wie nahe der Tod ihnen auch ohne die Nähe der Grakos war. Es war die typische Fehleinschätzung jedes Menschen, der sich zu viele Gedanken über das Sterben macht die Risikoschwelle sinkt, weil der Tod nichts unsagbar Fremdes, Fernes mehr ist, sondern allgegenwärtig in der Gedankenwelt, und weil dieser Tod besiegbar gemacht werden muss. Passanten warfen der Gruppe teilweise mißbilligende Blicke zu, andere grinsten, weil sie sich an ihre eigenen wilden Zeiten auf Terra erinnerten, und wieder andere, weil sie diese jungen Menschen um ihre Abenteuerlust beneideten, die ungebrochen war. obgleich der GrakoAngriff eigentlich Abenteuer genug für ein ganzes Leben sein konnte. Zumindest für jene, die den Mut nicht aufbrachten, aus dem grauen Alltag auszubrechen und exzessiv auszukosten, was das Leben zu bieten hatte. Vielleicht waren einige auch nur neidisch auf die hübschen, heißen SliderBräute, die sie gern auch im Bett gehabt hätten, nur waren die nicht scharf auf Spießer, die sich verkrochen hatten, als der Angriff begann. Daß die Clique nur noch aus einem Drittel bestand, weil die anderen beim Abwehrkampf umgekommen waren, spielte kaum noch eine Rolle. Man gedachte der Toten, aber man lebte. Und wie! Garak Khan, der Anführer, nahm sogar eine Sonderstellung ein, die ihn noch über die »Leaders of the pack« der anderen Gangs hinaus hob er war der »Superchief«. Er hatte beide Beine verloren, und er konnte sie nicht nachwachsen lassen, weil er nicht nach Terra konnte nur in den dortigen Spezialkliniken war so etwas bisher möglich. Das nötige Geld für die Behandlung hätten seine Leute aus der Gang ihm spendiert. Aber die Passage nach Terra war zu teuer. Die war einfach unbezahlbar. Selbst für einen Helden wie Garak, der vier Grakos getötet hatte. Man hatte ihm einen Orden verleihen wollen, er hatte nach einer Passage gefragt, und Schulterzucken zur Antwort bekommen. Ein Stück Blech in Form zu pressen kam billiger. Also blieb Garak Khan ein Krüppel. Ein »Kriegsversehrter«, wie es offiziell und politisch korrekt hieß. Er saß in seinem TriSlider wie in einem Rollstuhl, wenn er den Events beiwohnte. Und er beherrschte den Slider nach wie vor perfekt. Den hatte er nicht einmal neu kaufen müssen von wem auch, denn auf Babylon gab es, was Fahrzeuge anging, nur das, was von Terra mitgebracht worden war. Damals hatten ihn alle des breiten und bequemen Apparates wegen insgeheim belächelt. Heute lächelte keiner mehr; jedem war die Tragik bewusst, daß der Knan keinen normalen Slider mehr fahren konnte. Dort, wo sein Körper endete, begannen mechanische Gehhilfen, aber bei den Treffen legte er die nur selten an, sondern ließ die aus Elastomer geschnitzte Beinattrappe sehen, in welche vier tiefe Kerben geschnitzt waren. Vier Kerben vier Grakos, die er erlebt hatte. Und deshalb hatten sieben Soldaten, drei Frauen und zwei Kinder unversehrt flüchten können. Ob die Soldaten nicht später noch verwundet worden oder gefallen waren, wusste Garak nicht. Er bildete sich auch nichts darauf ein ihnen eine Chance gewährt zu haben. Er hatte nur getan, was 64 65
er tun musste, um sich am nächsten Tag noch im Spiegel anschauen zu können. Es hatte ihn seine Beine gekostet, und das war sein halbes Leben. Aber zwei Kinder lebten. Und vier verfluchte Grakos waren tot und würden niemanden mehr bedrohen können. »Ein Rennen«, schrie Carmen Santiago. »Der Sieger bekommt mich!« Sie riß ihre Lederjacke auf, unter der sich nur Carmen Santiago befand, und fetzte sich die Ledershorts vom Luxuskörper: das schwarzglänzende Verkehrshindernis wurde nur von Druckknöpfen rechts und links gehalten, die unter dem Druck ihrer zupackenden Fäuste aufsprangen. Wild ließ sie das Becken kreisen. »Ein Rennen«, wiederholte sie herausfordernd. »Wer will mich gewinnen?« »Zum Teufel mit dir!« fauchte Garak sie an. Sie war seine Gefährtin, seine Braut gewesen. Bis zum GrakoÜberfall. Sie war heiß wie die Hölle. Sie war ein leidenschaftlicher Vulkan, sie konnten beide nicht genug voneinander bekommen als sein Körper noch unversehrt war. Aber jetzt... war der »halbe Mann« für sie nicht mehr interessant! Dabei habe ich nur meine Beine verloren, alles andere ist noch dran! dachte er in zorniger Verbitterung. Aber es genügte ihr nicht. Sie wollte mehr alles! Sie lachte auf. »Die beiden Ringpyramiden!« rief sie und schwenkte das Stück Leder, das sie sich vom Leib gerissen hatte, um die Jungs aufzuheizen. Eines der anderen Mädchen tippte sich vielsagend an die Stirn, zuckte mit den Schultern. »Wer's nötig hat«, hörte Garak sie murmeln. Rennen waren verboten. Warum, verstand keiner von ihnen allen. Es gab so viel Platz zwischen den Städten und falls zufällig ein anderes Fahrzeug den für ein Rennen in Anspruch genommenen Platz erreichte, konnte jeder den anderen deutlich sehen und Rücksicht nehmen. Aber Rennen waren illegal. Was den Reiz natürlich erhöhte, und damit rechnete auch Carmen Santiago! Sie redete längst weiter. »Bis zur Pyramidenstadt drüben und wieder Zurück nach hier! So schnell wie möglich! Wer zuerst wieder hier ist, darf mit mir machen, was er will!« Ein paar der Ledermänner sahen sich vielsagend an und schüttelten die Köpfe. Sie wußten, daß Carmen zum »Superchief« gehörte. Und dem die Frau wegzunehmen, war nicht ihr Fall. Das hatte er nicht verdient gerade jetzt nicht! Aber ein paar andere erklärten sich sofort für das Rennen bereit. Es gab kein Zurück mehr. Garak Khan rückte seinen Torso auf dem Sitz des TriSlider zurecht. »Okay«, sagte er laut und gedehnt. »Die Sache gilt. Wer zuerst wieder hier ankommt, kann mit Carmen machen, was er will.« Eine leichte Berührung des Sensorschalters der Motor seines Tri sprang an. Die Maschine hob sich auf ihrem AGravkissen einige Handbreiten hoch über den Bodenbelag. Eine weitere Berührung eines Steuerschalters, der TriSlider schwenkte herum. Die Jungs, die das Rennen machen wollten, sahen Khan verblüfft an. Sie hatten nicht damit gerechnet, daß der Kriegsveteran selbst in diese Auseinandersetzung einsteigen wollte. Er selbst schalt sich dafür auch einen Narren. Mit dem Tri ein Rennen zu fahren, war aberwitzig. Aber er wollte nicht zulassen, daß Carmen Santiago ihn vorführte wie ein kurioses Tier. Er wollte es ihr zeigen. Zugleich setzte er sich damit aber selbst unter enormen Streß. Er hatte die Herausforderung angenommen, jetzt musste er auch Siegen, oder zumindest mit dem schnellsten der anderen zugleich die Ziellinie durchrasen. Oder er machte sich selbst erst recht lächerlich. Die Augen seiner ExGespielin, die ihn einfach so fallenlassen wollte, wurden unnatürlich groß. »Worauf wartest du, Süße?« fragte er kalt. »Gib das Zeichen!« Die anderen vier Konkurrenten hatten ihre Sliders jetzt ebenfalls !n Position gebracht. Mit brummenden Antrieben lauerten sie auf ihren AGravkissen, bereit, wie abgefeuerte Geschosse loszujagen. »Jetzt!« schrie Carmen. Und die insgesamt fünf Maschinen stürmten los. 66 67 Sie jagten der anderen Stadt entgegen, über die ebene, hier und da sandbedeckte und von niederen Pflanzen überzogene Fläche. Der Begriff »Pyramide« oder »Ringpyramide« war eigentlich irreführend, war aber bei den meisten Babyloniern mittlerweile in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Die Städte, die die Oberfläche des Planeten bedeckten, waren teilweise mehr als zwei Kilometer hohe, in Terrassenform erbaute Kegel mit abgeschnittenen Spitzen, so daß sich die Flachdächer als Landeplätze für Schieber, Jetts und sogar kleinere Raumschiffe eigneten. Der Durchmesser einer solchen Stadt konnte am Boden mehr als drei Kilometer betragen. Ihr Anblick konnte Garak Khan längst nicht mehr beeindrucken. Er achtete auch nicht auf seine Rivalen. Er war angespannt und konzentriert wie noch nie, holte aus seinem schweren TriSlider das Äußerste heraus, schonte sich selbst nicht. Teilweise war der Boden uneben, die Sliders sprangen regelrecht. Wo die anderen Fahrer sich
mit den Oberschenkeln festklammern konnten, wurde Garak geradezu hochkatapultiert und war einige Male nahe daran, von seiner Maschine geschleudert zu werden. Andererseits stabilisierte sich der TriSlider durch seine Breite rascher als die schmalen Sliders der anderen, Motorrädern des vergangenen Jahrhunderts recht ähnlich, aber auf Antigrav gleitend und nicht auf Rädern balancierend. Dennoch war es fast schwerer, einen Slider zu beherrschen als eines der antiken Motorräder. Denn während dort die Reifen noch Bodenkontakt hatten, gab es bei den Sliders überhaupt keine Haftung. Die Antigravfelder hielten die Masse der Maschine in der Schwebe, ein Lenken war nur durch das Spielen mit dem Antriebssystem und durch Gewichtsverlagerung möglich. Und wer nicht aufpaßte, der rutschte einfach weg, wo die Profilstollen eines Gummireifens sich vielleicht noch ein wenig hätten festkrallen können. Garaks Hände flogen über die Sensortasten und Steuerschalter. Er drosch den Tri um Bodenunebenheiten herum, die ihm gefährlich werden konnten, stabilisierte die Maschine immer wieder mit Seitenschub der Lenkdüsen. Kurvenkontrolle durch Gewichtsverlagerung kam für ihn aufgrund seines körperlichen Mangels kaum 68 in Frage, deshalb war er selbst überrascht, wie schnell er vorankam. Zwei Rivalen hatte er hinter sich gelassen. Mit dem dritten war er annähernd gleichauf, der vierte jagte nur wenige Meter vor ihm über die Piste. Die »Nachbarstadt« war erreicht. Der Rennfavorit zog seine Kawasaki in einen weiten Bogen, drehte vor der Stadt ab, statt sie weiträumig zu umrunden. Aber das wurde ja auch nicht gefordert, nur hatte er jetzt mit seinem Wendemanöver die Spur vorgegeben, die auch die anderen einhalten mußten, wenn das Rennen fair bleiben sollte. Per Ideallinie die Kurve abkürzen galt nicht... Garak Khan bekam dennoch seinen Vorteil. Es war eine Linkskurve, und sein Rivale fuhr rechts neben ihm. Garak blieb exakt in der Spur, die die Kawasaki vorgab, und Garaks Rivale musste dadurch einen geringfügig größeren Bogen fahren. Außenbahn, dachte Khan grimmig. Hoffentlich brechen sie sich den Hals, diese verdammten Halunken! Er erhöhte sein Risiko, überlastete den Antrieb, um den Abstand zum Vordermann noch weiter zu verringern. Aber der schien zu ahnen, wie dicht ihm der Anführer der Clique bereits auf den Fersen war. Er begann, Garak zu behindern. Setzte sich unmittelbar vor dessen Maschine, um ihn auszubrennen und dann wieder voll durchzustarten. Tatsächlich musste Garak sich wieder etwas zurückfallen lassen bei allem Stolz wollte er doch überleben und nicht bei einem hektischen Ausweichmanöver drauf gehen. Prompt schloß natürlich sein Hintermann zu ihm auf und setzte zum Überholen an. Der Führende fühlte sich jetzt sicher. Ein Blick auf den Rückmonitor verriet ihm, daß er seinen Verfolger abgehängt hatte, und er verzichtete jetzt auf weitere riskante Manöver, sondern drehte nur noch voll auf. Aber jetzt konnte auch Garak wieder voll beschleunigen. Die Instrustrumente seines Tri warnten. Der überlastete Antrieb würde nicht mehr lange durchhalten. Schon jetzt war die Kühlmitteltemperatur extrem angestiegen. Jeden Moment konnten Dichtungen 69 schmelzen oder verdampfen, konnten in der Hitze sich ausdehnende Teile sich gegenseitig wegsprengen oder unter dem erhöhten Druck aufplatzen lassen. Wenn Khan Pech hatte, flog ihm die Maschine um die Ohren, ehe er das Ziel erreicht hatte. War es das wert? Konnte er sich nicht vielleicht auf seinen »Kriegsversehrtenbonus« berufen? Aber nein, er hatte dem Rennen zugestimmt, hatte sich mit eingeklinkt, zu den gleichen Bedingungen wie die anderen. Und das alles nur, um dieser dummen Schnepfe Carmen Santiago zu zeigen, daß sie mit ihm nicht machen konnte, was sie wollte, daß sie ihn nicht einfach nach Belieben wegwerfen konnte, nur weil er ihr jetzt nicht mehr bieten konnte, was er ihr früher Geboten hatte. Im Gegenteil er wollte siegen, um dann seinerseits ihr eine Lektion zu erteilen! Und er holte wieder auf! Da waren sie schon wieder bei »ihrer« Stadt! Jagten auf den Platz zu! Khan fast schon neben seinem Rivalen, der jetzt erst feststellte, wie nahe ihm Garak Khan doch wieder gekommen war! Jetzt galt es abzubremsen! Warum bremst der nicht? durchfuhr es Khan. Verdammt, der will doch nicht etwa...? Der wollte! Er wollte das Abbremsen bis zum buchstäblich allerletzten Sekundenbruchteil hinauszögern, um nichts mehr zu verschenken! Nur dann konnte er noch verhindern, daß Khan an ihm vorbeizog, der durch die größere Stirnfläche seines TriSlider mehr Luftwiderstand besaß und demzufolge besser bremsen konnte. ,, Im gleichen Moment tauchte der Bus auf! Khan sah die Katastrophe, aber er sah auch, daß er sie nicht mehr verhindern konnte.
Der Bus, ein Transportgleiter, der zwischen den Städten pendelte, glitt mit normaler Geschwindigkeit hinter einem Sichthindernis hervor. Er schwebte in etwa einem Meter Höhe über dem Boden. Nur wenig höher als die Sliders. Der schnelle Kawasakifahrer, der sein Bremsmanöver noch hinauszögern wollte, schaffte es nicht mehr, anzuhalten. Er schaltete 70 zwar auf maximalen Gegenschub, aber er verriß dabei die Lenkung, die Maschine kippte und war nicht mehr zu halten, glitt unaufhaltsam und so gut wie ungebremst weiter geradeaus. Garak legte seinen Tri in eine Kurve. Der Pilot des Bugsieret versuchte auszuweichen. Aber die große Maschine, die bis zu fünfzig Passagieren Raum bot, war zu schwerfällig und drehte sich nur langsam seitwärts. Zudem reagierte der Pilot zu langsam und falsch er hatte nicht mit einer Horde Wahnsinniger gerechnet, die ausgerechnet hier ein illegales Rennen fuhr! Der KawasakiSlider knallte gegen den Bus. Der wurde durch die Aufprallwucht in die entgegengesetzte Richtung gedreht und prallte gegen die untere Terrassenwand der Pyramide. Mehr bekam Garak Khan nicht mehr mit. Sein TriSlider kippte ebenfalls unter der Kurvenbelastung weg. Im gleichen Moment spielte auch der Antrieb nicht mehr mit. Die Maschine explodierte. Khan, der vier Grakos erledigt hatte, sah nicht mal mehr den grellen Blitz, der ihn fraß. Henk de Groot, der als erster nach draußen stürmte, blieb abrupt stehen. Charlize stieß gegen seinen Rücken. Entsetzt starrten beide in das Inferno. Ein Gleiterbus war gegen die Pyramidenfassade geknallt! Und ein paar Sliders einer jugendlichen Clique waren an dem Unfall beteiligt. Flammen loderten, verletzte Menschen schrien oder stöhnten. »Scheiße«, murmelte Henk. Reichte der GrakoAngriff nicht voll aus? musste es jetzt auch noch zu diesem Fiasko kommen? Charlize schob ihn vorwärts, riß ihn aus seinen Erinnerungsblitz. " >>Notdienst anrufen... Henk, was hast du von deinem ErsteHilfeurs behalten?« 71 Das weckte ihn endgültig auf. Plötzlich sah er nicht mehr nur die brennenden technischen Apparate, nicht nur verletzte Menschen, sondern auch, was er tun konnte. »Rettungsdienste sind unterwegs«, dröhnte hinter ihnen eine Stimme auf. »Hab' gerade angerufen, bestätigt... paar Minuten...« Zu der Stimme gehörte ein Mann vom Kaliber »mehr breit als hoch«. Der übernahm auch gleich das Kommando. Rasch und überlegt deutete er auf Männer und Frauen, die neugierig aus dem Lokal drängten, und teilte sie zu Hilfsdiensten ein. Er trat autoritär auf, seinen Anweisungen wurde widerspruchslos gefolgt. Charlize, von Beruf Krankenschwester, übernahm es sofort, ebenfalls Entscheidungen zu treffen und Hilfsmöglichkeiten vorzugeben. Sie faßte selbst mit an, um Verletzungen zu versorgen, vorwiegend aber diagnostizierte sie, ihren Erfahrungen gemäß. Der Mann, der das Kommando an sich gerissen hatte und ebenfalls selbst mit zupackte, akzeptierte das sofort. Henk war froh, daß ihm selbst in diesem Moment Entscheidungen abgenommen wurden. Noch erleichterter war er darüber, daß niemand ihn als den Mann erkannte, der bei der GrakoInvasion für die Rettung des Planeten gesorgt hatte. Jetzt war er einer unter vielen Helfern oder eher unter wenigen, denn die Autorität des Breitschultrigen reichte nicht aus, alle Anwesenden in die Verantwortung zu zwingen. Vor allem Angehörige der Ledergang tauchten ziemlich schnell irgendwo unter und wurden nicht mehr gesehen. Daß einer oder zwei von ihnen für den Unfall verantwortlich waren, schien sie nicht sonderlich zu berühren. Irgendwo heulten Sirenen. Je näher die Rettungsschweber kamen, desto lauter wurden sie, und Henk fühlte auch die Impulse des Vibrationsalarms, der ebenfalls ausgestrahlt wurde und die akustische Warnung unterstützte. Er haßte diese Variante, hatte sich noch nie damit anfreunden können. Er zerrte einen Mann aus den Trümmern hervor, der ihm von der Statur her recht ähnlich war, nur wog er Henks Schätzung nach um die 100 Kilo, die Henk selbst nicht mal auf die Waage brachte, wenn er sich ein ganzes Jahr lang nur noch von Bier und Chips er 72 [ nährte. Der blutüberströmte Bewußtlose war offenbar ein Passant, der das Pech hatte, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Der Gleiterbus musste ihn bei seinem vergeblichen Ausweichmanöver mit folgendem Rammstoß erwischt und an der Pyramidenwand beinahe zerdrückt haben. Henk schloß sekundenlang die Augen; er wollte die schweren Verletzungen nicht sehen, die der Mann aufwies, der seinem Aussehen nach auch noch in Henk de Groots Alter war. Charlize tauchte kurz neben Henk auf, untersuchte den Verletzten. Sie zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
»Nichts mehr zu machen«, sagte sie leise und wandte sich dem nächsten Unfallopfer zu. Inzwischen hatten die Helfer nahezu alle Verletzten geborgen und eine notdürftige Versorgung begonnen. Einige SankaSchweber landeten; ein paar Ärzte und eine Menge medizinischer Helfer schwärmten aus. Henk preßte die Lippen zusammen. Die Logik sagte ihm: UNFälle geschehen, und bei Unfällen sterben Menschen. Aber das Gefühl sagte ihm: Ich habe diesen Mann aus den Trümmern gezerrt, um ihn zu retten, er darf mir doch nicht wegsterben! Aber Charlize war erfahren genug, um tödliche Verletzungen zu erkennen. Sie war zwar keine Ärztin, sondern »nur« Krankenschwester, aber gerade in der letzten Zeit hatte sie genug Erfahrung sammeln müssen, um sicher beurteilen zu können, wem geholfen werden konnte und wen Freund Hein zu sich in eine bessere Welt winkte. Aber scheinbar wollte dieser Mann, dieser Sterbende mit seinen schweren Verletzungen, sich noch nicht in jenseitige Gefilde begeben . Er stöhnte und bewegte sich, schien aus seiner BewußtloS1gkeit zu erwachen. Aber dann klappte das doch nicht, doch Henk sorgte dafür, daß sein Patient in einen SankaSchweber gepackt und ms nächstliegende Hospital gebracht wurde. Von Erholung, Entspannung... davon war keine Rede mehr. dieser verdammte Unfall hatte wieder einmal alles einfach durcheinandergebracht. Und Henk war beinahe sauer darüber, daß er nicht einfach weitergearbeitet hatte. Dann wäre ihm dieses Szenario erspart 73 geblieben ihm und auch Charlize, die ohne Henk vermutlich kaum auf die Idee gekommen wäre, eben diese Musikkneipe aufzusuchen. Irgendwie steht unsere Liebe unter keinem guten Stern, dachte er verbittert. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, nach Babylon zu gehen. Aber dann hätte er Charlize auch nicht kennengelernt. Jetzt galt es, das beste aus der Situation zu machen. Und die Situation hieß wieder einmal: Krisenfall! Nur diesmal in einem etwas überschaubareren Rahmen... 4. Doron blieb auf den Monitoren und Bildkugeln der Ringraumer Zurück. Vor wenigen Minuten erst hatte Ren Dharks POINT OF die Freizonenwelt im OdassuSystem verlassen, begleitet von der MAYHEM unter Ralf Larsen als Kommandant und dem galoanischen LaborZylinderraumschiff Shodonns, der H'LAYV. Aber schon war die Systemsonne nichts weiter mehr als ein Lichtpunkt unter vielen im Sternendschungel Drakhons. Und doch... Trotz der enormen Geschwindigkeit, mit der der Flug vonstatten ging gemessen an den Weiten des Alls bewegte sich die POINT OF im SLEBereich in relativ langsamer Unterlichtfahrt. An Bord des Ringraumers ging alles seinen gewohnten Gang. Die Zentrale war voll besetzt; die astrologische Abteilung arbeitete mit der üblichen Belegung. In den Waffenstationen WSWest und WSOst ließen die diensttuenden Wachen die Anzeigen auf den Konsolen nicht aus den Augen. Man befand sich immerhin weit von der heimatlichen Milchstraße entfernt in den unbekannten Regionen der Galaxis Drakhon, die in der Vergangenheit schon mehrfach für unliebsame Überraschungen gesorgt hatte. Tino Grappa belegte den Platz vor den Ortungssystemen der FunkZ und verfolgte konzentriert die hereinkommenden Daten, wobei der Mailänder mit gespitzten Lippen tonlos eine Melodie pfiff. Hen Falluta hatte den Platz im Kommandositz eingenommen, en Dhark war noch nicht in der Zentrale erschienen, und Leon Bebir thronte im Kopilotensitz, bereit, sofort zu übernehmen, falls Falluta ihn dazu aufforderte. »Und, wie fliegt sich das alte Mädchen?« Leon Bebirs Stimme drang an Hen Fallutas Ohr, der mit ent 74 75 rückter Miene vor der Navigationskonsole saß und die Informationen der Bildkugel verfolgte, die ihm den umgebenden Raum zeig. te. »Von wegen altes Mädchen«, protestierte der Erste Offizier der POINT OF mit einer von ihm ungewohnter Verve, »das >alte Mädchen