Heidenfrage und Slawenfrage im deutschen Mittelalter
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Heidenfrage und Slawenfrage im deutschen Mittelalter
East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450 General Editor
Florin Curta
VOLUME 4
Vormarsch christlicher Streiter zur Heidenschlacht unter Anführung Christi als apokalyptischem Reiter und unter dem Segen Gottvaters Apokalypse, englisch, Anf. 14. Jh., Pergament (jetzt British Museum)
Heidenfrage und Slawenfrage im deutschen Mittelalter Ausgewählte Studien 1953–2008
Von
Hans-Dietrich Kahl
LEIDEN • BOSTON 2011
Cover illustration: St. Boniface Baptising and St. Boniface’s Martyrdom in 754 from the Codex Bamberg, shelfmark: Msc. Lit. 1, fol. 126v. With kind permission of the Staatsbibliothek Bamberg This book is printed on acid-free paper. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Kahl, Hans-Dietrich, 1920– Heidenfrage und Slawenfrage im deutschen Mittelalter : ausgewählte Studien 1953–2008 / von Hans-Dietrich Kahl. p. cm. — (East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450 ; v. 4) Includes bibliographical references and index. ISBN 978-90-04-16751-3 (hardback : alk. paper) 1. Germany—Church history—843–1517. 2. Slavs—Germany—Religion. 3. Sorbs—Missions—History. 4. Crusades—Second, 1147–1149. I. Title. II. Series. BR854.K34 2008 274.3’03—dc22 2008033144
ISSN 1872-8103 ISBN 978 90 04 16751 3 Copyright 2011 by Koninklijke Brill NV, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Hotei Publishing, IDC Publishers, Martinus Nijhoff Publishers and VSP. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill NV provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, MA 01923, USA. Fees are subject to change.
. . . Am folgenden Sonntag [15. Januar 1156] kam alles Volk [des ostseeslawischen Kleinstamms der Wagrier] auf dem Markt von Lübeck zusammen; der Bischof erschien und hielt eine mahnende Rede an das Volk, von den Götzen zu lassen und den einen Gott zu verehren, der im Himmel ist, die Taufe zu empfangen und den schlimmen Taten, dem Raub und dem Mord an Christen zu entsagen. Als er zu Ende gesprochen hatte, sagte . . . [Fürst] Pribislaw: „Deine Worte, ehrwürdiger Bischof, . . . dienen zu unserem Heil. Wie aber sollen wir . . . diesen Weg antreten? Unsere [deutschen] Oberherren gehen . . . mit solcher Härte gegen uns vor, daß uns vor Steuern und drückender Knechtschaft der Tod besser erscheint als das Leben. . . . Wie sollen . . . wir Kirchen bauen und die Taufe empfangen, wenn uns täglich Vertreibung droht? . . . “ Darauf erwiderte der Bischof: „Daß unsere Fürsten bisher euer Volk ungut behandelt haben, ist nicht zu verwundern; sie meinen eben, keine große Missetat zu begehen, wenn es Götzendienern und Gottlosen geschieht. . . . Unterwerft euch eurem Schöpfer, vor dem sich beugen die Träger der Welt! Leben nicht die Sachsen und die übrigen Völker, die den Christennamen führen, ruhig und zufrieden in ihren verbrieften Rechten? Ihr allein seid, wie ihr vom Gottesdienst aller abweicht, auch der Ausbeutung durch alle preisgegeben.“ Helmold von Bosau (Augenzeuge!), Chronica Slavorum, c. 84.
INHALTSVERZEICHNIS Abbildungen ....................................................................................... xv Bibliographische Nachweise der Erstpublikation ......................... xvii Einführung .......................................................................................... xxiii 1. Die Heidenfrage ....................................................................... xxv 2. Die Slawenfrage ........................................................................ xxxv 3. Zu diesem Buch ........................................................................ xliv I
II III
IV
„Geschichte“ in einer sich wandelnden Welt ...................... Dreierlei „Geschichte“ ........................................................ Gestörter Zusammenklang ................................................ 1. Geschichte geschieht heute anders ........................ 2. Gewandelte Geschichtswissenschaft ...................... 3. Krise der Geschichtskunde ..................................... Bildungswerte der „Geschichte“ für unsere Gegenwart ............................................................................ 1. Eine Wissenschaft vom Menschen ........................ 2. Kritische Grundlagenforschung ............................. 3. Ältere Geschichtsbilder als Belastung ................... „Geschichte“ in einer sich wandelnden Welt ................ Literaturhinweis ..................................................................
1 1 2 2 4 6 7 7 10 15 17 18
Zu traditionellen mitteleuropäischen Geschichtskonstruktionen. Diskussionsbemerkung ...........
21
Ein gefährliches Zerrbild deutsch-slawischer Frühgeschichte .......................................................................... 1. Germanistische Grundlagen Stellers .......................... 2. Slavistische Grundlagen ............................................... 3. Archäologische Grundlagen ........................................ 4. Historische Grundlagen ............................................... 5. Gesamtwürdigung .........................................................
25 27 33 35 37 40
Alladorf und die Slawen. Eine Ortschaft der nördlichen Frankenalb als Brennpunkt von Grundproblemen des oberfränkischen Frühmittelalters .......................................... 1. Zielsetzung ......................................................................
45 45
viii
inhaltsverzeichnis 2. 3. 4. 5. 6. 7.
V
VI
VII VIII
Befunde vom Gräberfeld ............................................ Der Ortsname ............................................................... Versuch eines Brückenschlages ................................. Konsequenzen .............................................................. Ausblick auf die Slawen von 1059 ............................ Der „Scherdich“ – Ansatzpunkt für weitere Erkenntnisse? ................................................................
Kultbilder im vorchristlichen Slawentum. Sondierungsgänge an Hand eines Marmorfragments aus Kärnten mit Ausblicken auf den Quellenwert von Schriftzeugnissen des 8.–12. Jh. .............................................................. 1. Voraussetzungen .......................................................... 2. Bisherige Befunde ........................................................ 3. Weitere Umschau ........................................................ 4. Zwischenbilanz ............................................................. 5. Der Marmortorso von St. Martin am Silberberg – nicht römerzeitlich, nicht christlich, nicht germanisch, nicht keltisch .......................................... 6. Der Torso vom Silberberg – ein Relikt vorchristlichen Slawentums von überregionaler Bedeutung ..................................................................... 7. Slowenisch? Alpenslawisch? Karantanisch? ............ 8. Ergebnisse ..................................................................... Der ostseeslawische Kultstrand bei Ralswiek auf Rügen (8.–10. Jh.). Bemerkungen zu einem neuen archäologischen Dokumentationsband .............................. 1. Ralswiek und seine Entwicklung ............................... 2. Die Kultplätze ............................................................... 3. Die Kultübung .............................................................. 4. Das Ende des Kultplatzes ............................................ 5. Slaweneinwanderung, Restgermanen und ethnische Kontinuitäten ................................................................ 6. Schlußbemerkung .........................................................
46 52 61 67 68 78
81 81 85 94 107
115
126 135 138
145 146 151 154 157 160 165
War Gross Raden wirklich ein „slawischer Tempelort“? ............................................................................
167
Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im abendländischen Hochmittellalter ......................................
181
inhaltsverzeichnis 1. Ethnische Grundlagen und Quellenbasis ................... 2. Allgemeinhistorische Grundlagen ................................ 3. Christentum und wendisches Heidentum als Religionen gegensätzlicher Struktur: Universalreligion und Gentilreligion .......................................................... 4. Die Einstellung der wendischen Gentilreligion zum Christentum stammeigener Fürsten ............................ 5. Die Stellung christlicher Wendenfürsten als Herrscher über heidnische Stammesgenossen ........... 6. Wie erklärt sich die Duldung christlicher Stammesfürsten durch die wendische Gentilreligion? ................................................................. Verzeichnis abgekürzt zitierter Quellen und Abhandlungen ................................................................. IX
X
XI
Bausteine zur Grundlegung einer missionsgeschichtlichen Phänomenologie des Hochmittelalters ................................. 1. Die Forschungsaufgabe .................................................. 2. Positive und negative Missionsarbeit .......................... 3. Direkter Zwang und indirekte Nötigung ................... 4. Zielrichtungen der Christianisierung .......................... 5. Ausserkirchlicher und innerkirchlicher Kampf gegen das Heidentum .................................................... 6. Mission und Heidenkrieg .............................................. 7. Kasuistik ........................................................................... Die ersten Jahrhunderte des missionsgeschichtlichen Mittelalters. Bausteine für eine Phänomenologie bis ca. 1050 ...................................................................................... 1. Mission im ‚Mittelalter‘ ................................................. 2. Universalreligion und Gentilreligionen ...................... 3. Positive und negative Missionsarbeit .......................... 4. Direkter Zwang und indirekte Nötigung ................... 5. Mission und innerkirchliche Nacharbeit .................... 6. Mission und Heidenkrieg .............................................. 7. Kasuistik ...........................................................................
ix 182 188
198 206 213
222 230 233 235 238 240 244 251 258 266
271 271 287 298 305 308 323 335
Karl der Grosse und die Sachsen. Stufen und Motive einer historischen „Eskalation“ .............................................. 343 1. Das Problem .................................................................... 343 2. Vorfragen ......................................................................... 348
x
inhaltsverzeichnis 3. Der erste Sachsenzug: Grenzkrieg und Strafexpedition gegen heidnischen Gegner ............ 4. Erste Eskalationsstufe: das Kriegsziel der Christianisierung ......................................................... a) Die Alternative von Quierzy ............................... b) Der erste Ansatz zur Verwirklichung: Friedliche Christianisierung unter bloßer Hegemonie ................................................................... 5. Zweite Eskalationsstufe: Friedliche Christianisierung und Oberherrschaft; Autonomie unter Vorbehaltsrechten ....................................................... 6. Dritte Eskalationsstufe: Zwangschristianisierung und Annexion – Aufhebung jeder Eigenständigkeit .......................................................... 7. Einordnung und Konsequenzen ...............................
XII
XIII
Randbemerkungen zur Christianisierung der Sachsen .................................................................................... 1. Zur möglichen Anknüpfung christlicher Gotteshäuser an ältere Kultstätten ........................... 2. Rückkehr zum „Heidentum“ als Forschungsproblem .................................................... 3. Die „Heidenfrage“ im Stellinga-Aufstand .............. Das Würzburger Sondersendrecht für christianisierte Slawen und sonstige Nichtfranken. Ein Rechtstext aus der Zeit König Konrads I. (918?). Einführung, Edition und deutsche Übersetzung .................................................. Einführung ......................................................................... 1. Ein isolierter Text ....................................................... 2. Würzburger Provenienz? ........................................... 3. Inhaltliche Datierungskriterien ................................. 4. Vergleichbare Rechtstexte .......................................... 5. Ein Würzburger Sondersendrecht als Relikt der Spätphase König Konrads I. ...................................... 6. Schlußlicht .................................................................... Textedition und Verdeutschung: Das Würzburger Sondersendrecht für Nichtfranken ... Überlieferung ........................................................... Bisherige Ausgaben ................................................
350 356 356
362
373
381 398 409 410 414 424
431 431 432 434 436 440 447 454 456 456 456
inhaltsverzeichnis
XIV
XV
xi
Textedition ......................................................................... Verdeutschung ..................................................................
458 459
Zum Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters .................................................................. 1. Missionarische Theorie ............................................ 2. Stellungnahmen deutscher Kirchenvertreter ........ 3. Das praktische Vorgehen ......................................... 4. Das Gesamtbild .........................................................
465 466 469 473 480
Compellere Intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missionsund Völkerrechts .................................................................. 1. Bruns Brief an König Heinrich II. zur Ljutizenfrage................................................................. 2. Ungelöste Interpretationsprobleme ......................... 3. Die vergessene Apostatenexekution ......................... 4. Bruns Stellung in der Typologie christlichen Einsatzes von Waffengewalt gegen Heiden .......... 5. Bruns Sonderstellung in der deutschen Kirche seiner Zeit ...................................................................
483 483 493 502 518 548
XVI
Das Ende des Triglaw von Brandenburg. Ein Beitrag zur Religionspolitik Albrechts des Bären ................................... 565
XVII
Die Entwicklung des Bistums Brandenburg bis 1165. Ein wenig bekanntes Kapitel mittelalterlicher Kirchengeschichte im ostmitteldeutschen Raum .......... 1. Anfänge ....................................................................... 2. 983–1138: Schwebezustand ..................................... 3. Der Neuaufbau 1138–1165 ......................................
577 579 586 591
Wie kam das Prinzip der Zehntdrittelung in die Diözesen Brandenburg und Havelberg? Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von Kirchenreform und Ostmission im Hochmittelalter ....................................................................
605
XIX
Wie kam es 1147 zum „Wendenkreuzzug“? .................
623
XX
„ . . . Auszujäten von der Erde die Feinde des Christennamens . . .“. Der Plan zum „Wendenkreuzzug“ von 1147 als Umsetzung sibyllinischer Eschatologie .... 633
XVIII
xii
inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
XXI
XXII
XXIII
Wider die „Heiden des Nordens“ .......................... Sibyllinische Fragezeichen ....................................... „Rache an den Heiden“ ............................................ Das „Wunder der Wunder“ .................................... Kreuzzugseschatologie? ............................................ Für und Wider der Zeitgenossen ........................... Baltische Missionskreuzzüge als Nachklang .........
634 636 643 652 656 660 664
Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des sächsischen Frühchristentums ................................................................ 1. Maßstäbe ..................................................................... 2. Kreuzzugsidee und weltliche Nebenziele .............. 3. Herrschaftsbildungen ................................................ 4. Schlußbilanz ...............................................................
667 667 683 689 699
Vom Wendenkreuzzug nach Siebenbürgen? Versuch einer Stellungnahme zu überraschenden Hypothesen .......................................................................... 1. Fakten .......................................................................... 2. Thesen .......................................................................... 3. Was kann bleiben? ....................................................
703 704 705 708
Die Anfänge Schwerins. Eine Studie zu den hochmittelalterlichen Strukturwandlungen im südlichen Ostseeraum ........................................................ Die Quellenlage ............................................................... Das wendische Zvěrinĭ ................................................... Der Ortsname ............................................................. Natürliche Entfaltungsbedingungen ....................... Burg und Vorburgsiedlung (suburbium) ............... Svarinshaug? .................................................................... Eine deutsche Kaufmannskolonie der Übergangszeit? ............................................................ Missionsstützpunkt der letzten Phase .................... Das Ende ...................................................................... Die Anfänge des deutschen Schwerin ......................... Vorfragen ..................................................................... Saxo – ein Kronzeuge fällt aus ............................. Civitas Zverinensis ..................................................
737 739 743 743 747 758 768 771 775 780 781 781 781 790
inhaltsverzeichnis
xiii
Die Übergangszeit im Spiegel Helmolds von Bosau ........................................................................ Das älteste Stadtsiegel ............................................ Der älteste Stadtgrundriß ...................................... Rückblick und Ausblick ................................................
796 804 815 861
Zur kulturellen Stellung der Deutschordensritter in Preußen ................................................................................. 1. Synthese von Ritter und Mönch? ........................... 2. Ordensritter und „Bürgerkultur“ ........................... 3. Städte und Ordensherrschaft ..................................
881 881 892 907
Die völkerrechtliche Lösung der „Heidenfrage“ bei Paulus Vladimiri von Krakau († 1435) und ihre problemgeschichtliche Einordnung. Zugleich ein Nachtrag zum „Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters“ .........................................................
909
Ein Rückblick. Schlußwort zur akademischen Festveranstaltung des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften aus Anlaß meines 80. Geburtstages .........................................................................
955
Fachpublikationen .............................................................................
963
Index ....................................................................................................
985
XXIV
XXV
XXVI
ABBILDUNGEN Einband Heiden reagieren auf Christen: oben: Taufe (= Annahme der Verkündigung), unten: Martyrium eines Glaubensboten (Bonifatius). Sakramentar, Pergament, Fulda um 1000 (jetzt Bamberg, Staatsbibliothek) Frontispice Vormarsch christlicher Streiter zur Heidenschlacht unter Anführung Christi als apokalyptischem Reiter und unter dem Segen Gottvaters. Apokalypse, englisch, Anf. 14. Jh., Pergament ( jetzt British Museum) Einführung Abb. 1: Aristoteles als Meister der Dialektik zu Füßen ihrer Symbolfigur. Chartres, Kathedrale, Westfassade, linke innere Archivolte des südlichen Seitenportals. Kalkstein, um 1150 ......................................................... xxx Abb. 2: Hl. Mauricius. Magdeburg, Dom, Ganzfigur am Choraufgang, Ausschnitt. Sandstein, um 1220/45 .... xxxiii Abb. 3: Schwerin, ehem. Residenzschloß, Hauptportalfassade xlii (stadtwärts gekehrt), 2. Drittel 19. Jh. ......................... a) Gesamtansicht b) Ausschnitt: Reiterdenkmal von Christian Genschow, Stuck, aufgestellt 1865: Der Obotritenfürst Niklot im Aufbruch zu seiner letzten Schlacht (1160) Beitrag V Abb. 1: Vierteilige Götterstele aus dem Zbruč (Wolhynien) Abb. 2: Zweiköpfige Götterfigur von der Fischerinsel im Tollensesee bei Neubrandenburg ................................. Abb. 3: Mutmaßlicher mittelalterlicher Kragstein aus Zadel, Gem. Diera-Zehren bei Meißen (irrig als sorbische Götterfigur hingestellt) ................................................... Abb. 4: Dreigesichtiges Marmorfragment aus St. Martin am Silberberg, Gem. Hüttenberg, Bez. St. Veit a. Glan, Kärnten ....................................................................
87 93
96
116
xvi
abbildungen
Abb. 5: Dreigesichtige keltische Götterköpfe ................................ 125 a) aus Corleck, Co. Cavan (Irland) b) aus Reims Beitrag VII Abb. 1: Groß Raden (Mecklenburg), „Tempelort“, 9. Jh. (Rekonstruktionszeichnung) ............................................. 171 Abb. 2: Groß Raden (Mecklenburg), „Tempelort“, 10. Jh. (Rekonstruktionszeichnung) ............................................. 171 Beitrag XXIII Abb. 1: Schwerin. Landschaftliche Situation vor dem Aufstau des Mühlenteiches ............................................................... Abb. 2: Schwerin. Oberflächenstruktur des Altstadtbereiches vor der Stadtgründung ....................................................... Abb. 3: Schwerin. Stadtgrundriß der Frühphase bis Anfang des 13. Jh. ............................................................................. Abb. 4: Schwerin. Der Markt. Entwicklungsstufen ..................... Abb. 5: Schwerin. Der Markt. Entwicklungsstufen (A–C) ......... Abb. 6: Schwerin. Das älteste Stadtsiegel. Aufnahme des Abdrucks von 1298 ............................................................. Abb. 7: Schwerin. Das älteste Stadtsiegel. Umzeichnung ........... Abb. 8: Bespiel eines wendischen Burgwalls mit Vorburgsiedlung ..................................................................
873 874 875 876 877 878 879 880
BIBLIOGRAPHISCHE NACHWEISE DER ERSTPUBLIKATION Einführung: Originalbeitrag I
„Geschichte“ in einer sich wandelnden Welt, In: Wirklichkeit und Wahrheit. Vierteljahreszeitschrift für Forschung, Kultur und Bildung, Berlin: Freie Akademie e.V., 1/1971, S. 130–146 II Zu traditionellen mitteleuropäischen Geschichtskonstruktionen. Diskussionsbeitrag, In: E. Birke – E. Lemberg – Hgg., Geschichtsbewußtsein in Ostmitteleuropa, Marburg/Lahn: N.G. Elwert-Verlag, 1961, S. 78–80 III Ein gefährliches Zerrbild deutsch-slawischer Frühgeschichte, In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Zeitschrift des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands, Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1/1962, S. 21–32 IV Alladorf und die Slawen. Eine Ortschaft der nördlichen Frankenalb als Brennpunkt von Grundproblemen des oberfränkischen Frühmittelalters, In: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 69, München: Bayerische Akademie der Wissenschaften, 2006, S. 809–841 V Kultbilder im vorchristlichen Slawentum, In: Studia Mythologica Slavica 8, Ljubljana: ZRC SAZU, 2005, S. 9–52 (danach hier), Wiederabdruck in Bibliografie, Nr. 170, S. 287–330 VI Der ostseeslawische Kultstrand bei Ralswiek auf Rügen (8.–10.Jh.), In: Studia Mythologica Slavica 3, Ljubljana: ZRC SAZU, 2000, S. 223–237 VII War Groß Raden wirklich ein „slawischer Tempelort“? In: Mecklenburgische Jahrbücher 115, Schwerin: Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde e.V., 2000, S. 5–17 VIII Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion,
xviii
bibliographische nachweise der erstpublikation
In: Archiv für Kulturgeschichte 44, Köln/Graz: Böhlau Verlag, 1962, S. 72–119 IX Bausteine zur Grundlegung einer missionsgeschichtlichen Phänomenologie des Hochmittelalters, In: Miscellanea Historiae Ecclesiastica. Congrès de Stockholm août 1960, Louvain: Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique, 38, 1961, S. 50–90 X Die ersten Jahrhunderte des missionsgeschichtlichen Mittelalters, In: K. Schäferdiek – Hg., Kirchengeschichte als Missionsgeschichte II/1: Die Kirche des Frühmittelalters, München: Chr. Kaiser Verlag, 1978, S. 11–76 XI Karl der Große und die Sachsen. Stufen und Motive einer historischen „Eskalation“, In: H. Ludat – R.Chr. Schwinges – Hgg., Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Giessener Festgabe für František Graus; Beiheft zum Archiv für Kulturgeschichte 18, Köln-Wien: Böhlau Verlag, 1982, S. 49–130 XII Randbemerkungen zur Christianisierung der Sachsen, Erstdruck in: H.-W. Krumweide – Hg., Vorchristlichchristliche Frügeschichte in Niedersachen, Beiheft zum Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 64, Hannover: Landeskirchlichen Archiv Hannover, 1966, S. 118–134; Wiederabdruck in: W. Lammers – Hg., Die Eingliederung der Sachsen in das Frankenreich: Wege der Forschung 185, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1970, S. 502–526 (danach hier) XIII Das Würzburger Sondersendrecht für christianisierte Slawen und andere Nichtfranken, In: Archiv für die Geschichte von Oberfranken 87, Bayreuth: Historischer Verein für Oberfranken, 2007, S. 7–32 (danach hier) Nachdruck in: Studia Mythologica Slavica 11, Ljubljana 2008, S. 39–63 XIV Zum Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters, Erstdruck in: Zeitschrift für Ostforschung. Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa Marburg: J.G. Herder Institut, 2/1953, S. 1–14,
bibliographische nachweise der erstpublikation
xix
Wiederabdruck mit Nachtrag in: H. Beumann – Hg., Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters: Wege der Forschung 7, S. 156–176 (danach hier) Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1963 = 1973, S. 156–176 XV Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts Erstdruck in: Zeitschrift für Ostforschung. Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa, Marburg: J.G. Herder Institut, 4/1955, S. 162–193 u. 360–401; Wiederabdruck mit Nachtrag in: H. Beumann – Hg., Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters: Wege der Forschung 7, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1963 = 1973, S. 177–274 (danach hier) XVI Das Ende des Triglaw von Brandenburg, In: Zeitschrift für Ostforschung. Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa, Marburg: J.G. Herder Institut, 1/1954, S. 68–76 XVII Die Entwicklung des Bistums Brandenburg bis 1165, In: Historisches Jahrbuch 86, Freiburg/Br.: Verlag Karl Alber, 1966, S. 54–79 XVIII Wie kam das Prinzip der Zehntdrittelung in die Diözesen Brandenburg and Havelberg? Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag zum Verhältnis von Kirchenreform and Ostmission im Hochmittelalter, In: Historisches Jahrbuch 79, Freiburg/Br.: Verlag Karl Alber, 1960, S. 89–103 XIX Wie kam es 1147 zum „Wendenkreuzzug“? In: K. D. Grothusen – K. Zernack – Hgg., Europa Slavica – Europa orientalis. Festschrift Herbert Ludat, Berlin: Duncker & Humblot, 1980, S. 286–296 XX . . . Auszujäten von der Erde die Feinde des Christennamens . . . Der Plan zum „Wendenkreuzzug“ von 1147 als Umsetzung sibyllinischer Eschatologie, In: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 39, Berlin: Colloquium Verlag, 1990, S. 133–160 XXI Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des sächsischen Frühchristentums,
xx
bibliographische nachweise der erstpublikation
Erstdruck in: Wichmann – Jahrbuch für Kirchengeschichte im Bistum Berlin 11/12, Berlin: Morus Verlag, 1957/58, S. 99–120 Wiederabdruck mit Nachtrag in: H. Beumann – Hg., Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters: Wege der Forschung 7, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1963 = 1973, S. 275–316 (danach hier) XXII Vom Wendenkreuzzug nach Siebenbürgen? Versuch einer Stellungnahme zu überraschenden Hypothesen, In: Siebenbürgisches Archiv. Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde 8, Köln/Wien: Böhlau Verlag, 1971, S. 142–199 XXIII Die Anfänge Schwerins. Eine Studie zu den hochmittelalterlichen Strukturwandlungen im südlichen Ostseeraum, In: Mecklenburgische Jahrbücher 113, Schwerin: Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde e.V., 1998, S. 5–124 XXIV Zur kulturellen Stellung der Deutschordensritter in Preußen, In: Z. H. Nowak – Hg., Die Rolle der Ritterorden in der mittelalterlichen Kultur: Ordines militares, Colloquia Torunensia Historica III, Toruń: Universitas Nicolai Copernici, 1985, S. 37–63 XXV Die völkerrechtliche Lösung der „Heidenfrage“ bei Paulus Vladimiri von Krakau (†1435) und ihre problemgeschichtliche Einordnung, In: Zeitschrift für Ostforschung. Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa 7, Marburg: J. G. Herder Institut, 1958, S. 161–209 XXVI Ein Rückblick. Schlußwort zur akademischen Festveranstaltung des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften aus Anlaß meines 80. Geburtstages, In: Gießener Universitätsblätter 34/35, Gießen: Brühlsche Universitätsdruckerei, 2001/02, S. 69–72 u. 189 Abbildungsnachweis Bamberg, Statsbibliothek Bildarchiv Foto Marburg
Einbandmotiv Frontispice, Einführung 1–2
bibliographische nachweise der erstpublikation Biedermann, wie zitiert Glaser, Klagenfurt Raftery, wie zitiert Schwerin, Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Schwerin, Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde Słupecki, wie zitiert Zadel, Ev. Pfarramt
V/5, a V/4 V/5a Einführung 3, a–b, VII/1–2 XXIII, 1–7
V, 1–2 V/3
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EINFÜHRUNG Dem 1920 Geborenen schrillt noch die „Judenfrage“ im Ohr, die ihm in Jugendjahren eingehämmert wurde. Der Versuch, damals Geschehenes zu verarbeiten, führte auf mehrfache Wurzel. Wichtig wurde eine drastische Überspitzung der Ideen Herders vom Volkstum und seiner angeblichen Kontinuität nach Abstammung, Sprache und Kultur. Von dieser Warte her konnten die Juden nur „andere“ bleiben, auch wo sie sich assimilierten. Das Zeitalter der Industrialisierung fügte die Erfahrung neuartiger sozialer und wirtschaftlicher Nöte hinzu, die das Bedürfnis nach Sündenböcken weckten. Eine dritte Wurzel aber reicht ins Urchristentum zurück. Sie bedingte, daß die werdenden Nationen des nachantiken Europa kaum je zu unbefangener Begegnung mit Juden und Jüdischem kamen – schon das früheste Zusammentreffen war bestimmt durch intensive Vorprägung aus älterer Kirchengeschichte, meist weitab von den eigenen Siedlungsgebieten1, und man kann es als Tragik empfinden, daß die beiden jüngeren Faktoren fast genau in dem Augenblick wirksam zu werden begannen, in dem dank Aufklärung, dank etwa der Wirkung von Lessings „Nathan“, die Stoßkraft des älteren nachließ. Fast sieht es so aus, als wäre ein jahrhundertelang internalisierter Haß unter neuen Vorzeichen weitergeführt worden. Die „Judenfrage“ schärfte jedoch auch den Blick dafür, daß neben ihr eine „Heidenfrage“ einhergeht, gleichfalls von wenig erbaulichen Aspekten belastet. Sie reicht ebenso ins Urchristentum zurück, hat aber noch einen alttestamentlichen Strang aufgenommen, der auch noch eigenständig weiterwirkte2. Er erreichte Jahrhunderte später auch den Islam. Die „Heidenfrage“ stellt sich damit dar als christliche Ausformung eines Grundproblems, daß die drei „abrahamitischen“ – gemeinsam auf den Erzvater Abraham bezogenen – Religionen miteinander teilen, in jeder von ihnen charakteristisch variiert, während 1 H.-D. Kahl, Die Vorprägung des Zusammenlebens von Christen und Juden in Deutschland durch die ältere Kirchengeschichte, in: J. Albertz (Hg.), Judenklischees und jüdische Wirklichkeit in unserer Gesellschaft. Schriftenreihe der Freien Akademie 4, Wiesbaden 1985 = 1989, S. 153–188. 2 A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden, Freiburg i. Br. 1896; dazu A. Angenendt, Mission im Frühmittelalter, in: Zschr. f. Religionswissenschaft u. Missionswissenschaft 88 (2004), S. 100–105, und bes. J. Assmann, Moses der Ägypter, 6.Aufl. Frankfurt/M. 2007, Kap. I–III u.ö.
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es sonst in der Religionsgeschichte kaum auftritt. Es ist, wie auch Juden- und Ketzerfrage, in dem exklusiven Absolutheitsanspruch dieser Religionen begründet, der Abweichungen von eigenem Lehrgut nicht zu ertragen vermag, im Unterschied zum inklusiven anderer, der solche als unterschiedliche Einkleidung der einen Wahrheit nicht schätzt, doch hinnehmen kann3. Vergleichende Betrachtung wäre förderlich, eingeschlossen die nirgends fehlende interne Kritik gegen inhumane Auswüchse, doch zu bewältigen ist ein solches Vorhaben schwer; immerhin sei der islamistische Terrorismus der Gegenwart hervorgehoben und mit ihm die Palästinenserfrage in Israel – beides hochkomplizierte Problembündel, die jedoch von der religionspolitischen Grundlage her Schärfe und Sprengkraft gewinnen, wie dies ohne solche Vorgaben kaum vorstellbar wäre. Im hier vorgelegten Band muß es bei Betrachtung historischer Erscheinungsformen der christlichen Problemvariante, eben der Heidenfrage, bleiben. Doch schon damit ist angedeutet: Heiden sind niemals allein dies. Immer stehen sie zugleich in anderen Zusammenhängen, vor allem solchen sozialer und ethnischer Natur. Es ist nicht gleichgültig, ob Mission einen König anspricht oder einen Bauern, und die Volkszugehörigkeit entscheidet nicht nur, welcher Sprache die Glaubensboten sich anbequemen müssen, sondern auf ihr beruhen auch andere Eigenheiten, auf die einzugehen vorteilhaft, die zu verletzen lebensgefährlich sein kann. Solange die Kirche sich auf ein Werben unter römischer Reichsbevölkerung beschränkte, hatte dieses Problem keine Rolle gespielt. Außerhalb der Reichsgrenzen war umzulernen – das hat vielleicht schon Gregor d. Gr. empfunden. Die Heidenfrage reicherte sich auf einer sekundären Ebene an mit ethnischen Varianten. Diese können auch der Forschung nicht gleichgültig sein. Heidenfrage und berührtes Ethnicum liegen gleichsam nebeneinander wie zwei Kreise, die sich teilweise überschneiden; die Schnittmenge bezeichnet dann das jeweilige Hauptarbeitsgebiet missionsgeschichtlicher Untersuchungen, doch Nebenerträge, die allein das berührte Ethnicum als solches betreffen, bleiben normalerweise auch nicht aus. Dann ist zu beobachten, wie mit fortschreitender Christianisierung die Schnittmenge schmilzt. Beide Kreise rücken auseinander, bis am Ende z.B. das Verhältnis deutscher
3 G. Mensching, Soziologie der Religion, Bonn 1947, bes. S. 264–269; vgl. Dens., Toleranz und Wahrheit in der Religion, Heidelberg 1955, bes. S. 142–148. Assmann, bes. S. 20ff. 47ff., entwickelt dazu den Begriff „Gegenreligion“.
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Repräsentanten der christlichen Seite zu benachbarten Heiden, die zugleich Slawen sind, umschlägt in eine neuartige Beziehung zwischen zwei sprachverschiedenen Völkern im Rahmen der beide gemeinsam umschließenden Christenheit. Es wird nicht immer hinreichend gewürdigt, wie radikal dieser Wandel ist. Aus der geschilderten Forschungslage ergibt sich, daß die in diesem Bande zusammengefaßten Beiträge nicht alle der Heidenfrage, sondern einige auch der einfachen Beschreibung des Slawentums dienen, um dessen Christianisierung es im Hochmittelalter ging. Eine „Slawenfrage“ stellt sich neben jene und will gesondert beachtet sein. Stecken wir beide Komplexe genauer ab. 1. Die Heidenfrage Die Heidenfrage hat viele Gesichter, je nachdem, welche Art von Christen sich mit welcher Art von Heiden auseinanderzusetzen hatte und wie dies geschah, von den Missionsreisen der Apostel über die Christenverfolgungen römischer Imperatoren und den Gegenschlag in der Religionspolitik Justinians I. bis hin zu ihrer Vermählung mit ausgreifendem Imperialismus und dessen kolonialistischer Spielart, in dem sie fast zum Genocid ausufern konnte (etwa wenn Puritaner, die sich für bibeltreu hielten, in die „Neue Welt“ übergriffen)4. Hatten Christen Rückschläge einzustecken, womöglich schmerzhaft bis zum Martyrium, so wurden diese mit himmlischer Glorie verbrämt; waren sie im Besitz von Macht, so schien „Heidenhunden“ gegenüber vieles erlaubt, was man sich „Christenmenschen“ gegenüber nicht leisten durfte (vgl. das vorausgestellte Motto aus Helmold, oben S. v). Warum z.B. sollte man sie nicht kurzerhand einfangen dürfen, um sie in eben diese „Neue Welt“ zu verfrachten, wo sie dann, soweit sie den Schiffstransport überlebten, zwar Arbeitssklaven blieben, doch immerhin der Segnung der Taufe teilhaftig werden würden? Andererseits konnte es für die Reaktion von Politik und Öffentlichkeit Europas nicht gleichgültig sein, ob 1683 vor Wien die Türken oder die Franzosen standen, und
4 G. Friederici, Das puritanische Neu-England, Halle/S. 1924; Ders., Der Charakter der Entdeckung und Eroberung Amerikas durch die Europäer, 3 Bd., Stuttgart 1925–1936; dazu J. Höffner, Kolonialismus und Evangelium3, Trier 1972 (reiche weitere Literatur; für den gefeierten Bartolomé de Las Casas wird im Hinblick auf die Afrikaner die Verstrickung in von der Heidenfrage bestimmte Denkmodelle übersehen).
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das Echo auf das Ausbleiben von Hilfstruppen des „Sonnenkönigs“ wäre gedämpfter ausgefallen, hätte der Belagerer damals nicht Mehmed geheißen, sondern etwa Jan Sobieski. Der Forschung begegnen Denkvoraussetzungen dieser Art, unterschiedlich dicht, auf verschiedensten Ebenen: in hoher und in niederer Theologie, in Kanonistik, die zeitgenössisches Völkerrecht einschließt (Heiden hatten ja, anders als Juden, vielfach auch Staaten mit den üblichen Problemen von Krieg und Frieden), in der Geschichtsschreibung und in volkssprachlicher Dichtung, in der auch denkende Laien des Mittelalters zu Worte kommen; Andeutungen über vulgäre Auffassungen fallen hier und dort. Christliche Bildkunst zeigt gelegentlich etwas vom Verständnis ihrer Schöpfer: Ein Sakramentar, um 1000 in Fulda entstanden, jetzt in Bamberg, vereint auf einer einzigen Bildseite zwei gegenteilige Aspekte, den Vollzug einer Taufe nach erfolgreicher Predigt und das Martyrium des Bonifatius – Annahme und Abweisung christlicher Einwirkung (vgl. Abbildung auf dem Einband). Bei dem zweiten Ereignis ging es wahrscheinlich nur um einen Raubüberfall mit tödlicher Wirkung, ohne daß religiöse Motive einwirkten, doch für das christliche Denken der Zeit behielt die heidnische Qualität der Täter den Vorrang. Eine englische Apokalypse aus dem 14. Jh. stellt ein Drittes heraus: Christus als den Reiter von Apc. 19, 11 f., und zugleich als Anführer eines Kreuzheeres, das deutlich unter dem Eindruck der beliebten „Litauerreisen“ des Deutschen Ritterordens stilisiert ist; Gottvater erteilt dazu aus dem Himmelsfenster seinen Segen (Frontispice)5. In manchen Überlieferungen schimmert das Bewußtsein durch, daß die Heidenfrage bis zum Ende der Tage nicht vollständig bereinigt werden kann. Eine durch Jahrhunderte immer neu gefaßte Sage weiß von verheerendem Einbruch der apokalyptischen Heidenvölker „Gog“ und „Magog“ und von ihrer Niederwerfung samt Bekehrung durch den letzten Kaiser, bevor dann das Weltende kommt6. Doch der Taufbefehl Christi (Matth. 28, 19 f.) durchkreuzte die Möglichkeit, das Problem bis dahin ruhen zu lassen: Das hätte den Tod gar zu vieler Menschen im „Unheil“ bedeutet, die sich vielleicht doch noch retten ließen. Rei5 Bamberg, Staatsbibl, Lit. 1, f. 126v (Hinweis auf diese Miniatur danke ich Frau Marcella Mulder vom Verlag Brill), hier Umschlagbild. – Brit. Mus., Royal 19 B 15, f. 37r, Bildarchiv Foto Marburg (hier Frontispice). 6 Reiche Lit.: H. Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit, Stuttgart 2000; Vgl. H.-D. Kahl, Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage – ein übersehenes Kriegsziel des Zweiten Kreuzzugs, in: S. Burghartz u.a. (Hgg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für F. Graus, Sigmaringen 1992, S. 63–89, sowie unten, Beitrag XX.
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bungen mit heidnischen Nachbarn und ähnliches mehr sorgten dafür, daß die Flamme auch sonst am Brennen blieb. In theologischer Wertung standen die Heiden selbst hinter den Juden noch weit zurück. Diese – so die Meinung – dienten immerhin demselben, dem einzig wahren Gott wie die Christen, mochten sie auch zwei der drei Personen der göttlichen Trinität frevelhaft leugnen, ja als „Christusmörder“ gelten. Sie waren einmal seiner Offenbarung gewürdigt worden in damals angemessener, vorläufiger Gestalt; ihren Frommen aus jenen Tagen blieb daher die ewige Verdammnis erspart – sie durften, bis die Höllenfahrt Christi auch sie befreite, im Limbus, der Vorhölle, verweilen, die zwar keine Seligkeit kennt, doch auch keine Verdammnis. Die Juden nach Christus entzogen sich der neuen, erweiterten Offenbarung und gaben mit ihr die Erlösung preis, doch sie waren immerhin, soweit das Alte Testament in Betracht kam, nach wie vor im Besitz der gleichen heiligen Schriften wie die Christenheit, auch wenn sie sie nicht „richtig“ lasen; wer dies ernst nahm, konnte sich sogar, um Unstimmigkeiten in der Textüberlieferung zu klären, auch mit ihnen beraten, wie dies – kaum unter allgemeinem Beifall – im frühen 12. Jh. Stefan Harding wagte, Abt von Cîteaux7. Wie anders die Beurteilung derer, die man als „Heiden“ zusammenfaßte! Ihnen gegenüber fielen solche Verbindungen sämtlich fort. Sie dienten nach verkündeter Lehre nicht Gott, sondern dem Teufel und seinen Dämonen, die sich ihnen als vermeintliche Götter maskierten; mochten dem Anschein nach die einen bessere, die anderen schlechtere Menschen sein – stets hatte man sich vor Ausstrahlungen dieses höllischen Hintergrundes zu hüten, die ja jederzeit unvermutet hervorbrechen konnten. Im übrigen standen solche Menschen unter dem genannten Taufbefehl. Seine Weisung wurde mit vor der modernen biblischen Textkritik unanfechtbarer Authentizität auf Christus selbst zurückgeführt. Die maßgebliche, die Vulgatafassung läßt ihn an omnes gentes gerichtet sein, was nach dem Sprachgebrauch der Entstehungszeit, wie schon die griechische Vorlage, nur mit „alle Heiden“ übersetzt werden darf 8 (und damit, streng genommen, die Juden nicht einschließt, doch das verwischte sich meist). Wer als Heide gelebt hatte, bevor diese Weisung erging, stand unter ähnlich mildernden Umständen wie seine
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M. Cauwe, La Bible d’Etienne Harding, in: Rev. Bén, 103 (1993), S. 414–444. A. Dove, Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie d. Wiss., phil.-hist. Kl. 1916/8, Heidelberg 1916, S. 49–59. 8
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jüdischen Zeitgenossen; wußte man etwas von Plato oder Vergil, so ließ sich erwägen, ob nicht eigentlich auch ihr Platz in jener Vorhölle war – „Christen vor Christus“, denen zum damals möglichen Glauben nur die Taufe fehlte. In der gleichen Grauzone offizieller Kirchenlehre (nicht approbiert, nicht verworfen) vermochten die Sibyllen Fuß zu fassen, die vorchristlicher Antike entstammten, mit seherischen Kräften, die sie sogar neben die Propheten des Alten Testaments rücken ließen – eine höchst bemerkenswerte Durchbrechung der heilsgeschichtlichen Vorrangstellung des Judentums, vielfältig ausdeutbar; zugleich Aufwertung der Heidenwelt und folglich, da diese als Einheit gesehen wurde, unmittelbar eigener Vorfahren mit. Um diese Gestalten irgendwie biblisch zu verankern, wurde ihnen z.T. die Königin von Saba zugerechnet. Angebliche Schriften solch weiser Frauen („Sibyllinen“) kursierten in manchen Kreisen durch Jahrhunderte hin, immer wieder umgeschrieben und neu interpretiert, von anderer Seite bekämpft. Prophetien der eben angedeuteten Art gehörten zu ihrem Stoff. Für Heiden vor Christus waren also Auflockerungen offen. Für diejenigen nach ihm konnte es Gnade nicht geben; der Taufbefehl galt für sie insgesamt (omnes). Es war theologisch möglich, sie als irrende Menschenbrüder zu sehen, denen belehrende, rettende Hilfe anzubieten war, ohne sie aufzudrängen, und es hat auch im Mittelalter an Vertretern dieser Auffassung nicht gefehlt. Durch viele Jahrhunderte hin herrschte jedoch eine andere vor. Ihr galt das bloße Dasein von Heiden als sündhafte Verweigerung jeder Offenbarung und damit jeglichen Heils – daß es nicht dasselbe sein konnte, ob sie jemals von christlicher Botschaft gehört hatten oder nicht, wurde erst allmählich erfaßt. Sich mit ihrem eigenen religiösen Erbe aufzuhalten, und sei es nur, um sie desto besser bekehren zu können, hat mit gleich zu nennender Ausnahme vor dem Franziskanermissionar Bernardino de Sahagún († 1590) in Mexiko kaum jemand ernstlich für nötig gehalten9. Mit „heidnischem Unflat“ befaßte man sich nicht. Zahllose Uberlieferungen Alteuropas sind daher bis auf verhältnismäßig geringe und zusammenhanglose Fragmente verschollen. Unmittelbare Kontakte mit solcher Teufelsbrut, ausgenommen solche kriegerischer Art, waren lange nicht möglich, soweit man nicht als Fernhändler oder Missionar weit genug herumkam. Für die meisten Christen hatte in Zeiten mit wenig konkretem Informationsfluß die
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N. de Otwer, Fray Bernardino de Sahagún, Mexiko 1952.
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Phantasie folglich freies Spiel, sich dergleichen Bösewichte auszumalen, falls der Gesichtskreis weit genug reichte, jedenfalls deren Existenz einzubeziehen. Erst Reconquista und Kreuzzüge leiteten Wandel ein, die ja gleichfalls gegen „Heiden“ gingen, nachdem es laut Bibel nur Christen, Juden und Heiden gab. Wer hätte gedacht, hieß es nun, daß ihm dort derart ritterliche Streiter mit derart hohem Kulturstand entgegentreten würden! Was wären das für Helden gewesen, hätten sie nur die Taufe gehabt!10 Wo sich nach solchen Unternehmungen ein längeres Zusammenleben ergab, mochte gelegentlich schon der mittelalterliche Beobachter zu der Vorstellung durchdringen, daß es in den betroffenen, den islamischen Ländern nicht um „Heiden“ wie andere ging, sondern um Menschen, die in ihrer Art gleichfalls fromm und gottesfürchtig waren, nur eben leider mit „falscher“ Gottesvorstellung11. Bald darauf begann das gelehrte Europa trotz all seiner Theologie altgriechische Denker wie Aristoteles und sogar arabische wie Averroës zu schätzen, bereit, wenigstens im profanen Bereich, auch von ihnen zu lernen (Abb. 1, S. xxx)11a. Ähnliches vollzog sich auf anderer Ebene, als Winkkelmann nach aller Vorarbeit der Renaissance dem 18. Jh. die Augen für die „edle Einfalt und stille Größe“ der griechischen Klassik geöffnet hatte: Doch laßt nur ab, die Heiden zu beschreien! Wer Seelen hauchen kann in Marmorblöcke, Der ist erhaben über Litaneien,
so läßt ein Sonett, das diesem Bahnbrecher postum gewidmet wurde, die neue Stimmung sprechen12. Diesmal konnte sie, da man inzwischen in Herders Volkstumsideen lebte, dem Philhellenismus des 19.Jh. zugute kommen, der Vorwehen schon in Hölderlins „Hyperion“ fand – christliche Solidarität gegenüber türkischen, islamischen Unterdrückern kam dann verstärkend hinzu.
10 H. Naumann, Der wilde und der edle Heide, in: Vom Werden des deutschen Geistes. Festgabe G. Ehrismann, Berlin-Leipzig 1925, S. 80–42; R. C. Schwinges, Kreuzzugsidee und Toleranz, Stuttgart 1977, bes. S. 142–152; R. Hiestand, Der Kreuzfahrer und sein islamisches Gegenüber, in: Das Ritterbild in Mittelalter und Renaissance (Studia Humaniora 1), Düsseldorf 1985, S. 51–68. 11 Schwinges, ebd., S. 194–199, vgl. 290–294; Ders., Die Wahrnehmung der Anderen usw., in: H. Patschowsky – H. Zimmermann (Hgg.), Toleranz im Mittelalter (Vorträge u. Forschungen 45), Sigmaringen 1998, S. 101–127; vgl. unten Anm. 37. 11a L. Hodl, Heiden, -tum, in: Lexikon des Mittelalters VI (1989), Sp. 2011–2013. 12 A. Gf. v. Platen, An Winckelmann, in (NN.), Reines Ebenmaß der Gegensätze. Deutsche Sonette, Berlin 1977, S. 107.
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Abb. 1: Aristoteles als Meister der Dialektik zu Füßen ihrer Symbolfigur. Chartres, Kathedrale, Westfassade, linke innere Archivolte des südlichen Seitenportals. Kalkstein, um 1150
Doch es blieb nicht bei dieser einen Entwicklung. Bald nach Winckelmanns gewaltsamem Tod kam eine weitere in Gang, gleichgerichtet, doch von womöglich noch tieferer Wirkung. Zunächst gelangte die Aufklärung zur Relativierung der Offenbarungsreligionen (Lessings „Nathan“ 1779). Es folgte, von England her vorbereitet und begünstigt durch Ausstrahlungen Spinozas, ein weiterer Schritt: In der deutschen Bildungsschicht, vor allem unter Freimaurern, Illuminaten und Rosencreutzern, griff eine bisher unvorstellbare Hochschätzung wirklicher oder vermeintlicher Weisheit Altägyptens um sich – Mozarts „Zauberflöte“ (1971) gibt ein markantes Beispiel. Eine wichtige Ergänzung, verbreitet vor allem durch Schillers Jenaer Vorlesung „Die Sendung
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Moses“ (gedruckt 1790), fügte die Überzeugung hinzu, selbst der Schöpfer des nach ihm benannten Gesetzes sei von dieser Weisheit abhängig gewesen: Hätte die ägyptische Priesterschaft ihre Einsichten für den Unverstand des gemeinen Volkes in polytheistischem Bilderdienst verhüllt, so habe Moses ein Gleiches in überlegener Form getan, indem er sie in seine bildlosen Rituale einkleidete, gereinigt von allem „Götzendienst“. Mit dieser Konzeption war der Kreis der abrahamitischen Religionen aufgesprengt, der Akt vom Sinai von unmittelbar göttlicher Offenbarung umgemünzt in die menschliche Leistung eines genialen Religionsstifters und Volkserziehers – Biblisches war inhaltlich auf außerbiblische Grundlagen zurückgeführt, wenn auch umgegossen in originäre Form: „Heidnisches“ fand sich als älter und ehrwürdiger eingeschätzt, und das ohne die Konstruktion vermeintlicher „Christen vor Christus“, wie einst; was bisher als „Heilsgeschichte“ gegolten hatte, war abgewertet und mit ihm das alttestamentliche „Gottesvolk“. Die Wirkung war tief und hielt lange an. Einer ihrer Stränge vermochte dem säkularisierten Antisemitismus Nahrung zu geben, der sich im 19. Jh. vom hergebrachten kirchlichen Antijudaismus ablöste, und in die Behandlung der Heidenfrage zog Unbefangenheit ein13. Entsprechend säkularisierte sich nach und nach auch der Kolonialismus westlicher Mächte bis zu einem gewissen Grade, nun eben weniger gegen „Heiden“ vorangetrieben als gegen „kulturlose Wilde“, zu deren Rückständigkeit selbstverständlich auch die religiöse gehörte. Von Missionsbestrebungen blieb er weiterhin begleitet; noch Königin Viktoria (1837–1901) ging mit schärfstem Druck gegen Kultformen kanadischer Indianer vor13a. Wo bisher aus dem Alten Testament ein Recht auf Vordringen mit Genocid gefolgert worden war, wurde dieser noch tief ins 19. Jh. hinein weiter verübt. Mit der Ausbreitung moderner Freiheitsrechte auch in einstige Kolonialgebiete der Neuen Welt wurden jedoch nunmehr auch Gegenbewegungen möglich: Vorchristlich-religiöse Traditionen vermochten sich zu erholen, evtl. synkretistisch versetzt. In den Indianerreservaten Nordamerikas wurde und wird dies durch Überreste alter Gentilstrukturen gestützt. Besonders überraschend ist eine Entwicklung unter katholischen Afrobrasilianern,
13 Ausführlich: Assman (wie Anm. 2), bes. Kap. V–VI. Der Verfasser legt Wert darauf, seinen Gegenstand erstmals als Ägyptologe zu bearbeiten, geht aber nicht darauf ein, wie weit die Angaben verhältnismäßig später Autoren über ägyptische Religion, auf denen die Schillerzeit fußte, in vorhellenistische Perioden zurückprojiziert werden dürfen. 13a Eingehende Dokumentation im Provinzialmuseum zu Victoria (Brit. Columbia, Vancouver Island).
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Nachkommen importierter Sklaven, denen solche Strukturen genommen waren. Unter regional verschiedenen Namen, ohne übergreifende Organisation, finden sie sich sogar unter der zusammengewürfelten Bevölkerung von Vielmillionenstädten wie Rio de Janeiro und Bahia zusammen, um religiöses Erbe ihrer Ursprungsländer zu erneuern, das dort ganz anderen Lebensverhältnissen gedient hatte. Wie mögen ihre Überlieferungen sich behauptet haben? Wo hörte der „Heide“ auf, und wo begann das Christsein? Und was war, wenn jemand der christlichen Verkündigung Widerstand leistete, wenn er gar in seinen alten „Irrtum“ zurückfiel? War dann Gewalt statthaft und bis zu welchem Grade? Diese Fragen haben viele Federn in Bewegung gesetzt. Doch noch ganz andere Lernprozesse waren angesagt, vor allem bei Ungelehrten. „Heiden“ sind, wie gesagt, nie bloß dies; sie stehen immer zugleich in anderen, z.B. ethnischen und sozialen Zusammenhängen. Klar war die Gegenüberstellung zwischen „Wir“ und den „anderen“. Sie aber machte es naivem Empfinden möglich, religiöse und volkskundliche Merkmale ineinanderfließen zu lassen: Man sah etwa christliche und heidnische Haartracht oder Hautfarbe14. Doch um 1220/50 wurde in Magdeburg für einen Domneubau eine neue Skulptur des hl. Mauricius geschaffen, der nicht nur als Schutzheiliger, sondern zugleich als himmlischer Landesherr des Erzstifts galt. Nach der Überlieferung war er Afrikaner gewesen; konsequenterweise, doch durchaus revolutionär stellte man ihn folglich mit negroiden Zügen dar: auf dem Höhepunkt des Kreuzzugszeitalters – „unseren“ unmittelbar eigenen „himmlischen Herzog“! Die Auftraggeber demonstrierten augenfällig, daß Christsein nicht an äußerlichen Merkmalen hängt sondern allein etwas Geistiges ist; in diesem Sinn hielt das Bildwerk nun eine ständige, stumme Predigt (Abb. 2). Bald fand sie Nachahmung. Doch wie rasch vermochte eine breite Masse damit Schritt zu halten? Ein altfriesisches Recht hält noch im folgenden Jahrhundert Heerfolgepflicht fest für den Fall, „daß die Römer von der Christen Herrschaft fallen“. Klar ist: „Christen“ – das sind „wir“; doch wie weit dieses „Wir“ sich ausdehnt, verliert sich im Nebel mangelhafter Kenntnis. Römer, die sich gegen unseren Kaiser auflehnen – das konnten doch wohl nur „Heiden“ sein . . . 14 H. Krabbo, Eine Schilderung der Elbslawen aus dem Jahre 1108, in: Papsttum und Kaisertum. Paul Kehr dargebracht, München 1926, S. 250–262 (Haartracht), dazu Kudrun, Str. 1664 Bartsch, von einem christlichen Mohrenkönig: Sîn vater und sîn muoter die wâren niht enein (d.h. nicht gleicher Abstammung)./Sîn varwe Kristenlîche an dem helde erschein.
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Abb. 2: Hl. Mauricius. Magdeburg, Dom, Ganzfigur am Choraufgang, Ausschnitt. Sandstein, um 1220/45
So weit die eine Seite. Aber auch hier gilt: Audiatur et altera pars! Die Christenheit hatte sich aus der Bibel und aus konkreter Erfahrung in der antiken Mittelmeerwelt bestimmte Vorstellungen erworben, was und wie Heiden und Heidentum seien. Sie bewährten sich oft, aber, wie angedeutet, es gab auch Überraschungen, und das nicht zuletzt, weil neben äußerlicher Wahrnehmung die Innensicht fehlte, ja meist sogar das Empfinden dafür, es könnte wichtig sein, sich um sie zu bemühen. Die Religionsgeschichte hat aufgedeckt, daß die Welt des Religiösen verschiedene mentale Grundstrukturen umfaßt, die sich nicht nur durch ihr Überzeugungsgut gegenseitig ausschließen. Besonders wichtig ist der Gegensatz, den man mit den Begriffen „Universalreligion“ und „Gentilreligion“ andeuten kann15. Die erste spricht in weltweitem Ausmaß das Individuum an, ohne Rücksicht auf sonstige Einbindung. Die
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Unten Beitrag VIII; ausführlichere Fassung bei H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburg. Geschichte usw. (Mitteldeutsche Forschungen 30/I–II), KölnGraz 1964, S. 76–102 (eher geschrieben, aber später erschienen, daher mit anderer, überholter Terminologie).
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zweite richtet sich an das begrenzte Kollektiv einer frühzeitlichen gens, die nicht zuletzt durch diese Basis zusammengehalten wird. Universalreligion hatte die Christenheit am eigenen Beispiel und auch am Judentum kennengelernt; unter dem, was der Heidenbegriff zunächst einmal zusammenfaßte, begegnete sie ihr wieder im Islam, der ja gleichfalls zu den abrahamitischen Religionen gehört, doch im Gegensatz zu den beiden anderen die Bibel verschmäht. Er fußt wie sie auf dem Glauben, im Alleinbesitz gültiger Offenbarung zu sein; das machte auch seine Anhänger weitgehend immun und renitent gegen fremde Bekehrungsversuche. Dafür aus gegebener Strukturverwandtschaft Verständnis abzuleiten, gelang der mittelalterlichen Christenheit im Zeichen ihres Absolutheitsanspruchs jedoch meist nicht, aber die altüberkommenen Klischeevorstellungen, die Polytheismus und „Götzendienst“ einschlossen, versagten. Der Taufbefehl des auferstandenen Herrn betraf omnes gentes; Grund, eine Ausnahme zu machen, war nicht in Sicht. So kam es zu jener eindrucksvollen Episode von 1219 beim ägyptischen Damiette, wo sich Kreuzfahrer und muslimische Verteidiger feindlich gegenüberlagen. Franz von Assisi, der wohl beweisen wollte, daß das friedliche Verkündigungswort wirksamer sei als bewaffnetes Vorgehen, wanderte hinüber in das Feldlager der Feinde, um die Probe zu wagen. Er wurde zunächst als „ungläubiger Hund“ empfangen, aber als er geltend machte, er habe dem Sultan eine Botschaft zu bringen, doch vorgelassen. Seine Persönlichkeit machte Eindruck, was er vorzubringen suchte, nicht. So wurde er in Ehren, aber unverrichteter Dinge entlassen. Eher und häufiger traf die missionierende Kirche auf Gentilreligionen. Unter ihnen fand sie ihre traditionelle Vorstellung von heidnischem Polytheismus und „Götzendienst“ bestätigt. Dabei war die Götterwelt der Gegenseite nicht fest abgegrenzt; es gab eine gewisse Offenheit für synkretistische Neuerungen, doch Schwierigkeiten mit einem vollständigen Glaubenswechsel, der den alten Numina den Dienst aufzusagen verlangt und sie zu teuflischen Dämonen stempelt. Ihre Anhänger waren verhältnismäßig leicht zu gewinnen, wo christliche Waffen siegreich auftraten und damit die Überlegenheit ihres Gottes zu beweisen schienen; es mochte sogar nützlich sein, wenn der eigene Herrscher sich dem Kult dieses bisher unbeachteten himmlischen Machthabers anschloß. Doch durfte er sich deshalb dem angestammten entziehen, von dem das Gedeihen der eigenen Gemeinschaft abhing? Hakon der Gute von Norwegen sah sich um die Mitte des 10. Jh. zu Kompromissen genötigt, die ihm schwere Gewissenskonflikte einbrachten und doch
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niemanden zu befriedigen vermochten16. Und was geschah, wenn die Fremden begannen, im Freien, da es keine Kirchen gab, ihre Riten zu zelebrieren, in unverständlicher Sprache, mit befremdlichen Gesten? War dann womöglich ein Zauber im Gange, der Fruchtbarkeit der eigenen Äcker bedrohte, ganz unabhängig von allem, was sie über ihren Gott zu erzählen wußten17? Trau, schau wem! 2. Die Slawenfrage Der einzelne Forscher muß sich notgedrungen beschränken, z.B. auf den mitteleuropäischen Bereich, dem er selbst entstammt. Geschehen, das maßgeblich mit durch die Heidenfrage bestimmt wurde, ist dort am besten erkennbar auf (alt-)sächsischen und auf slawischen Schauplätzen des Früh- und Hochmittelalters. Zwar gab es weit mehr, von den Friesen bis zu Thüringern, Alemannen und Baiern (um diese Schreibung für den Altstamm festzuhalten im Unterschied zu dem gleichnamigen Staatsgebilde der späten Neuzeit, das Stammesunterschiede einschließt), doch auf all diesen anderen gibt die Quellensituation so verschwindend wenig an Blick frei, daß dort kaum etwas zu gewinnen ist – zahlreiche weitere slawische Gebiete nicht ausgenommen. Fast gilt dies auch noch für die Altsachsen, doch ist für sie immerhin das Endstadium ihrer Heidenzeit, auf wenige Jahrzehnte zusammengedrängt, intensiv genug beleuchtet18. Für einige slawische Beispiele jedoch bleiben mehrere Jahrhunderte, und sie reichen in eine Phase hinein, in der die christliche, die damals einzig schriftkundige Seite erzählfreudiger wird, so daß Zeugnisse nicht nur vermehrt werden, sondern auch konkreter. Die Sachsen waren vielleicht nicht das einigermaßen geschlossene Ethnicum früher Form, als das sie langezeit galten, doch waren sie wohl auf dem Wege, ein solches zu werden, weder sprachlich noch nach erkennbarer materieller Kultur stärker differenziert19. Der Slawenbegriff ist von ganz anderer Art. Er umfaßt eine ganze Sprachfamilie, eine der drei großen Europas neben Romanen und Germanen; sie vermochte in neueren Zeiten tief nach Asien hinüberzugreifen wie die beiden
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Kahl, Slawen und Deutsche, S. 93–98, vgl. 100–103, passim, dazu S. 653 Anm. 117. B. Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte, Berlin 1942, bes. S. 49 f. u.ö. 18 Unten Beiträge XI u. XII. 19 Zusammenfassung des Forschungsstandes: A. Angenendt, Liudger. Missionar – Abt – Bischof im frühen Mittelalter, Münster 2005, S. 78 f. m. Anm. 432–438 S. 179). 17
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anderen nach Amerika und Australien. Wie diese, ist auch sie stark zergliedert, so daß es trotz aller Sprachverwandtschaft auf internationalen Slawistenkongressen schwierig bleibt, sich nur über mitgebrachte Muttersprachen zu verständigen20. Sind die Slawen mehr, als was damit gekennzeichnet ist? Das wird schwierig. Unter Einwirkung Herders, dessen Volkstumsidee den Blick auf so viele andere Zusammenhänge vernebelt hat, konnte man sie auch für eine Abstammungsgemeinschaft halten. Auf diesem Boden blühte im 19. Jh. ein Panslawismus auf. Er begeisterte Massen russischer Freiwilliger, in beginnendem Freiheitskampf gegen die Türken ihren „slawischen Brüdern“ zu Hilfe zu eilen – die neue Eisenbahn machte es möglich. Dabei ging es um Bulgaren und Serben. Wären die Kontingente auch aufgebrochen, hätte es sich um Kroaten gehandelt? Zweifel scheinen nicht unberechtigt, denn die große Kirchenspaltung zwischen Ost und West hatte auch diese Völker getrennt – gerade die betroffene Gruppe besonders eng verwandter slawischer Mundarten, von der Sprachwissenschaft als Serbokroaten zusammengefaßt, wurde dadurch zerrissen, wie uns jüngst am bosnischen Beispiel auf grauenhafteste Weise demonstriert worden ist21. Auch der Erbhaß zwischen Polen und Russen hat zweifellos etwas mit dieser Spaltung zu tun22. Die Abstammungsgemeinschaft brauchte das nicht zu berühren – es könnte sich um nachträglich eingebrochene Störung handeln. Doch ausgeschlossen wird sie durch die Vielfalt anthropologischer Typen, die 20 Überblick: J. Herrmann (Hg.), Welt der Slawen – Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Leipzig-Jena-Berlin 1986; vgl. Z. Kurnatowska (Hg.), Słowianszczyzna w Europie, Wrocław 1996, mit zahlreichen Einzelbeiträgen. 21 Zur Religionszugehörigkeit als möglichem Integrationsfaktor zur Nationsbildung auf Kosten aller anderen am balkanischen Beispiel: H.-D. Kahl, Was ist das mit Volk und Nation? Einführung zum gleich betitelten Sammelband von J. Albertz. Schriftenreihe der Freien Akademie 14, Berlin 1992, S. 23–26. – Zum Problem der „Windischen“ in Kärnten, ebd. S. 14 f., und R. Svetina, Die Windischen, ebd. S. 189–212, fehlt ein Korreferat etwa im Sinne von A. Moritsch, Das Windische – eine nationale Hilfsideologie, bei Dems. (Hg.), Problemfelder der Geschichte und Geschichtsschreibung der Kärntner Slowenen. Unbegrenzte Geschichte, Bd. 1, Klagenfurt 1995, S. 15–29, und Ders., Nation Österreich und die Kärntner slovenische nationale Minderheit, bei Dems. (Hg.), Austria Slovenica. Unbegrenzte Geschichte, Bd. 3, Klagenfurt 1996, S. 9–27, sowie den Sammelband von H. Heppner (Hg.), Slowenen und Deutsche im gemeinsamen Raum. Neue Forschungen zu einem komplexen Thema (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 38), München 2002. Vgl. auch C. Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens III/2, Klagenfurt 2000, bes. S. 201 f., sowie unten Anm. 30. 22 Dazu interessant O. Halecki, Europa. Grenzen und Gliederung seiner Geschichte, Darmstadt 1957.
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vor sich versammelt sähe, wer Bergbauern – ein meist sehr bodenständiges Bevölkerungselement – aus allen Slawenvölkern vom Ural bis zu den Gebirgen der Balkanhalbinsel in einer Reihe nebeneinanderstellen könnte! Am Beispiel romanischer und germanischer Nationen konnte herausgearbeitet werden, daß sie mit ungebrochener Abstammungskontinuität nur wenig zu schaffen haben. Komplizierte und langwierige Wanderbewegungen, gipfelnd in der sog. Völkerwanderungszeit, haben Älteres gründlich durcheinandergewirbelt, anschließende historische Prozesse das, was daraus hervorgegangen war, nochmals zertrennt und neu zusammengefaßt; mit mehrfachem „Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung“, wie man treffend genannt hat, ist zu rechnen23. Für die Slawenwelt scheint dies nicht gleich umfassend untersucht, doch unzweifelhaft ist bei ihr ähnliches vorauszusetzen, mit Über- und Unterschichtungen, Austausch zwischen Substrat und Superstrat, mit Assimilation und Verschmelzung. Sorben und Serben tragen, kaum variiert, denselben angestammten Namen über fast 1000 km und die Sperre der Alpen hinweg, und sie sind nicht das einzige Beispiel. Die Bulgaren haben einen Namen turksprachlicher Herkunft aufgenommen; sie teilen ihn mit einem Volk an der mittleren Wolga, das sich mit ihm auch diese Sprache bewahrte. Awarischer, also steppennomadischer Einschlag ist für einen Teil der Slawen ausdrücklich bezeugt, ohne daß man ihn verallgemeinern dürfte; wir hören von einer Neigung, Kriegsgefangene in das eigene Ethnicum einzugliedern, und so fort24. Kurz: Wir haben uns darauf einzustellen, daß heutige Slawen Vorfahren haben, die vor 1500 Jahren z.T. ganz anders sprachen, während zahlreiche Slawen von damals ihre sprachliche Identität so vollständig aufgaben, daß heutige Nachfahren nichts mehr von ihr ahnen. Doch immer wieder gab es Traditionsträger, die ihrer Sprache Beharrungsvermögen und Durchsetzungskraft bewahrten. Sie wurde dann von
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So in dem bahnbrechenden Werk von R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln-Graz 1961 = Köln-Wien 1971, passim; darin auch grundsätzliche Auseinandersetzung mit der romantischen Volkstumsidee. 24 Ein Versuch, die heterogene Zusammensetzung einer frühslawischen gens, der Karantanen, näher zu bestimmen, bei H. D. Kahl, Der Staat der Karantanen. Supplement zu: R. Bratož (Hg.), Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche (2000), Ljubljana 2002, S. 79–136; obige Angabe: S. 83. Ergänzend Ders., Karantanische Streitfragen, in: Carinthia I/197 (2007), S. 351–364, sowie zur Frage der nicht gegebenen Kontinuität zwischen Karantanen und der slowenischen Nation: Ders., Slowenen und Karantanen. Ein europäisches Identitätsproblem, bei Bratož II, S. 978–993.
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fremden Kehlen und Zungen angeeignet, die vorher an romanische, germanische, turksprachliche und wer weiß, was noch für Idiome gewöhnt waren, und bekam schon dadurch einen neuen Klang. Teilweise mögen mit ihr zugleich andere Kulturelemente transportiert worden sein, z.B. solche der Mythologie, z.B. solche des Rechts, doch offenbar geschah dies nicht überall in gleichem Ausmaß. Gemeinsames und getrenntes Erbe vermengen sich bei den betroffenen Völkern zu unterschiedlichen Anteilen mit Ergebnissen nachträglicher Weiterentwicklung, nicht zuletzt umdeutender und auswählender Christianisierung; Rückschlüsse vom Befund eines heute slawischen Volkes auf die gemeinsame Frühzeit aller können daher verfänglich sein. Selbstverständlich müssen feststellbare Übereinstimmungen normalerweise gemeinsamen Ursprung haben, und dieser ist schwer anders vorstellbar als in Gestalt einer Gruppierung ethnischer Art, die sich im Zuge nachträglicher Ausbreitung aufgesplittert hat. Längst wird nach „Urslawen“ gefragt und nach deren „Urheimat“, unter der natürlich nichts verstanden werden kann als der ältest feststellbare Wohnsitz, mehr oder weniger wahrscheinlich zugleich Schauplatz der Ethnogenese. Eine Kombination linguistischer und archäologischer Argumente führt auf den Bereich an Dnjepr, Dnjestr und westlichem Bug, heute großenteils zu Weißrußland (Belarus) gehörig, und auf Völkermischungen bis zurück in die Bronzezeit. Man schließt schon für diese Anfänge ein, daß „die Slawen als Ethnos“ und „die Slawen als Gruppe von Menschen, die slawisch sprechen“, nicht voll identisch gewesen sein müssen25. Slawen und Germanenstämme, die später im Deutschtum aufgingen, trafen erstmals in der Völkerwanderungszeit zusammen. Beide wanderten westwärts auf getrennten Bahnen. Die ungefähre Demarkationslinie der frühen Karolingerzeit bezeichnet sehr ungefähr eine Linie von Aquileia über Passau, Erfurt, Magdeburg nach Kiel, zweimal die Elbe schneidend. Weiter nach Osten hin hatten auch auf später deutschem Boden einmal Germanen gesessen. Die meisten sorgten jedoch mittlerweile für neue Stammesbildungen in einst römischem Reichsgebiet, im heutigen Süddeutschland, mit starken keltoromanischen Substraten. Die Slawen 25
A. Pleterski, Modell der Ethnogenese der Slawen auf der Grundlage einiger neuerer Forschungen, in: Kurnatowska (wie Anm. 20), S. 19–37, Zitat S. 19. Vgl. J. Herrmann, Die Slawen in der Frühgeschichte des deutschen Volkes, Braunschweig 1989, S. 11–17.
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ihrerseits hatten auf ihrer Westwanderung östlich jener Linie noch Menschengruppen vorgefunden, die ihnen zu Substraten wurden. Vor allem wo Rom einst geherrscht hatte, waren dies Keltoromanen, aber auch völkerwanderungszeitliche Germanenreste; ein Teil von ihnen war offenbar an der Ethnogenese der slawisch geführten Karantanen im Ostalpenraum beteiligt26. Doch auch weiter nordwärts, bis zur Ostsee hin, stießen sie nicht überall auf das menschenleere Land, das die Forschung lange Zeit voraussetzte. Pollenanalytische Untersuchungen zeigen, daß die Zuwanderer auch dort stellenweise mit Vorbewohnern in Berührung kamen, die kaum etwas anderes als Germanenreste gewesen sein können, und gewisse namenkundliche Ergebnisse scheinen dies zu stützen27. Wir haben also auch dort mit Einschmelzung von Fremdelementen zu rechnen. Im übrigen wecken keramische Befunde die Frage, ob die Einwanderung aus älteren Slawengebieten etwa in das heutige Mecklenburg nicht in einer größeren Zahl von Wellen oder Schüben erfolgt sein muß, als vermutet wurde28. Das würde zu der Folgerung zwingen, daß im neu erreichten Gebiet bereits neue Ethnogenesen in Gang gekommen sein müssen, bevor frühkarolingerzeitliche Quellen den Vorhang des Schweigens für uns endlich zu lüften beginnen. Die entstehenden Neustämme müssen, als die Zusammenstöße mit dem übermächtigen Imperium des Westens begannen, noch wenig gefestigt gewesen sein – wichtige Voraussetzung für die weitere Entwicklung. Von den am weitesten vorgeschobenen Ausläufern an Obermain und Regnitz, in der Altmark und im „Hannöverschen Wendland“ kennen wir nicht einmal ethnische Namen; einzig archäologische Indizien lassen ahnen, daß es auch dort slawische Herrschaftsmittelpunkte gab29.
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Vgl. Anm. 20. Ausführlich zu diesen Wanderungsproblemen allgemein: J. Herrmann, Die Slawen in Deutschland. Ein Handbuch, Berlin 1985, S. 21–26 (im übrigen Standardwerk zum Gegenstand des Titels); Ders., wie Anm. 25; Ders., Probleme u. Fragestellungen zur Westausbreitung slawischer Stämme usw., in: Slavia Antiqua 37 (1996), S. 55–71; Ders., Völkerwanderungszeitliche „Siedlungslücke“ und slawische Besiedlung, in: E. Cziesla u.a. (Hgg.), Den Bogen spannen . . . Festschr. f. B. Gramisch. Beitrr. zur Uru. Frühgesch. Mitteleuropas 20, Weißbach 1999, S. 449–459; Ders., Seehandelsplätze des 8. Jh.s usw., in: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 51 (2003), bes. S. 442–445. Vgl. auch B. Wachter, Wendland und Altmark im Spiegel neuerer archäologischer Forschungen, bei R. Schmidt (Hg.), Wendland und Altmark in historischer und sprachwissenschaftlicher Sicht, Lüneburg 1992, S. 46 m. Anm. 14 (S. 60). 28 Herrmann 1985, bes. S. 27; 1996, S. 62–69. 29 Wachter, bes. S. 54–56; Ders., Wendland, in: Lex. d. MA VIII (1997), Sp. 2184; R. Bergmann u.a. (Hgg.), Missionierung und Christianisierung im Regnitz- und Maingebiet, Bamberg 2007, mit mehreren einschlägigen Beiträgen. 27
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Für die Germanen hießen die Slawen „Wenden“ – vielleicht nach älteren östlichen Nachbarn, den Venetern; es war, nicht anders als „Germanen“, eine undifferenzierte Sammelbezeichnung. Kroaten, Tschechen und Polen vermochten sich verhältnismäßig früh als Volksindividualitäten mit eigener Machtbildung abzusondern; „Wenden“ blieb mit nunmehr eingeschränkter Bedeutung für die mehr oder weniger noch fluktuierenden Kleingruppen weiter im Westen. Wo deutsch-slawische Symbiosen länger Bestand hatten, erhielt sich dieser Begriff bis zur Gegenwart, vor allem in Sachsen und Brandenburg, wo um Bautzen/ Budyšin, Cottbus/Chosébuz und Hoyerswerda/Woyerecy eine sorbische Minderheit fortbesteht, Nachkommen einerseits alter sorbischer Kleinstämme, andererseits assimilierter deutscher Zuwanderer – mit Kulturautonomie, allerdings durch die aktuelle Arbeitsmarktsituation stark in der Existenz bedroht; wie weit die Oder-Neiße-Linie, die mit Lubań/Lauban ein altes Mitglied des Lausitzer Sechsstädtebundes abschnitt, ihrerseits den Bestand beeinträchtigt hat, ist schwer zu ermitteln. Ähnlich hat Kärnten seine „Windischen“, die teils offenbar „Slowenen“ sein wollen, teils nicht30. Mir war „Wenden“ von klein auf geläufig, und so griff ich dies in älteren Arbeiten auf. Kollegen fanden es problematisch, Slawen eine Bezeichnung anzuheften, die ihrer eigenen Sprache fremd ist. Ich paßte mich an. Doch wird damit nicht eine Möglichkeit substanzieller Präzision preisgegeben? „Slawe“ ist auch der Russe in Wladiwostok oder der Makedone in Skopje, soweit er nicht albanisch empfindet oder türkisch; „Wenden“ sind beide nicht. Diese jedoch sind zusammengefaßt durch ein Geschick, das sie von sämtlichen anderen Slawen trennt. Unfertig
30 Das Problem der „Windischen“ in Kärnten (oben Anm. 21) hat viele Gemeinsamkeiten mit der oben angesprochenen Situation der Sorben, vgl. H.-D. Kahl, Wer ist in Kärnten „autochthon“? Anmerkungen zur Bevölkerungsgeschichte zwischen Karowanken und Tauern, in: Carinthia I/486 (1995), S. 419–427. Zu ergänzen ist ein wichtiger Unterschied: Die Sorben konnten sogar zwei Schriftsprachen entwickeln, Ober- und Niedersorbisch; das stützte die Erhaltung ihrer ethnischen Identität gegenüber Tschechen und Polen. Die slawischen Mundarten Kärntens vermochten dies schon deshalb nicht, weil sie jeweils von einander ähnlich weit entfernt sind wie von der slowenischen Schriftsprache, die auf unterkrainischer Grundlage erwuchs. Sie behielten diesen Abstand, wurden jedoch in den Sog der slowenischen Nationsbildung einbezogen, ohne gleichmäßig für ihn offen zu sein. So entstand ein in manchem tragischer Konflikt zwischen Volks- und Landesbewußtsein, der unterschiedliche persönliche Entscheidungen herausfordert, ohne daß die Extremisten beider Seiten dies anerkennen. Die bestehende Polarisierung (Stichwort: Ortstafelkrieg), die auf politischen Verwicklungen des 20. Jh. beruht, hat im Zwischenfeld offenbar eine Dunkelziffer unbekannter Größenordnung ausgelöst.
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zwischen starken Nachbarn, ließ ihr Zustand nach der Wanderzeit ein Machtvakuum. Deutsche vermochten dort die gleichfalls eindringenden Tschechen und Polen auszuschalten; Kolonialismus brachte den Betroffenen nicht allein Fremdherrschaft, sondern auch Zersiedelung des Heimatgebietes durch Zuwanderung und schließlich – über hergestellte christliche Gemeinsamkeit, die sie möglich machte – Eindeutschung. Niemand kann mehr die Nachkommen der älteren und der jüngeren Landesbewohner sondern – vielleicht, daß Familiennamen in deutschem Ohr unverfänglich gewordener Lautgestalt noch Nachklänge bieten wie Biele (bialy „weiß“) oder Weidhaas (wićacz „Lehnmann“, = deutsch Lehmann). Die „Wenden“ des Mittelalters, ausgenommen ihr Anteil am heutigen Sorbentum, sind neben denjenigen, die sie einst bezwangen, Vorfahren des deutschen Volkes geworden, so wenig die Gegensätze zwischen beiden von damals heruntergespielt werden dürfen – das Schloß zu Schwerin stellt an architektonisch bevorzugter Stelle den Wendenfürsten Niklot († 1160), Gegenspieler Heinrichs des Löwen, als Ahnherrn des deutschen Fürstenhauses der Großherzöge von Mecklenburg heraus, mit offensichtlichem Stolz (Abb. 3, a–b)31, doch schon der nachmalige Kaiser Otto d. Gr. hatte, noch als Thronfolger, illegitim einen Sohn, Wilhelm, von einer vornehmen Slawin; der Erstgeborene wurde keineswegs verachtet, sondern war dann als Erzbischof von Mainz (954–968) der ranghöchste Kirchenfürst im Reich und einer der bedeutendsten dieser Reihe. Diese Einschmelzung in neue Zusammenhänge trennt diese eine Stammesgruppe von sämtlichen weiteren Slawen! Ihre Geschichte, und in deren Kreis nur sie, hat kein eindeutiges, sie zeigt ein doppeltes Gesicht: Unbestreitbar eine solche eben von Slawen, die Wichtiges zur gemeinslawischen Altertumskunde beizutragen haben, bleibt sie doch zugleich, so befremdlich dies unter den Nachwehen eines überlebten Sprachnationalismus auch klingen mag, außerdem Teil deutscher Volksgeschichte. Das zu lernen, zu begreifen ist vielleicht die stärkste Herausforderung, die eine moderne Betrachtung der Slawenfrage beiden Seiten, der slawischen und der deutschen der Gegenwart, gemeinsam zumutet. Deutschland hat, bei Lichte betrachtet, gleichsam zwei Flügel, einstweilen fast nur der wissenschaftlichen Forschung bewußt, die sie lateinisch benennt:
31 D. Handorf, Romantischer Recke. Das Reiterdenkmal des Obotritenfürsten Niklot im Schweriner Schloß, in: Kulturerbe in Meckelnburg-Vorpommern 2006/2, S. 87–100.
Abb. 3: Schwerin, ehem. Residenzschloß, Hauptportalfassade (stadtwärts gekehrt), 2. Drittel 19. Jh. a) Gesamtansicht b) Ausschnitt: Reiterdenkmal von Christian Genschow, Stuck, aufgestellt 1865: Der Obotritenfürst Niklot im Aufbruch zu seiner letzten Schlacht (1160)
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eine Germania Romanica im Westen und Süden mit Relikten einstiger Zugehörigkeit zum Römischen Imperium und dementsprechend mit keltoromanischem Substrat32 – auf der anderen Seite eine Germania Slavica mit vielseitigen slawischen Spuren33 (in Österreich überlappen sich beide). Die erste setzt sich nach Westen und Süden hin in einer Romania Germanica fort, Romanengebieten, denen die Völkerwanderungszeit nachhaltigen germanischen Einschlag zubrachte, nachträglich assimiliert34; die Polen und die Kaliningrader Russen sind nach Auflösung von Nachkriegshemmungen auf bestem Wege, in ihrem Bereich gleichsam eine Slavia Germanica zu entdecken, ohne sie so zu benennen, in diesem Sonderfall ohne die sonst gegebene Bevölkerungskontinuität, doch mit charakteristischer Eigenart, weiter nach Osten vervollständigt z.B. durch polonisierte, einst deutsche Sprachinseln, entstanden durch Landesausbau eigener Herrschaftsträger. Leicht ließe sich dies weiterführen. Die Völker unseres Kontinents sind enger miteinander verwandt, als der überkommene Sprachnationalismus wahrhaben wollte, und sie selbst sind, auch wenn ein auf wenige Generationen begrenzter Rückblick das meist nicht wahrnehmen kann, durchaus keine fest abgeschotteten Größen – sogar die Himmler und Genossen hatten dies erfaßt, indem sie zur „Stärkung der deutschen Volkskraft“ gezielt die „Umvolkung“(!) von „rassisch wertvollen – Elementen“ aus besetzten
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Th. Frings u.a., Germania Romana, 1932 u. 1966–1968. Vgl. Anm. 33. So der Titel einer Interdisziplinären Arbeitsgruppe der 1980er Jahre an der Freien Universität Berlin und ihrer Schriftenreihe (3 Bd., Berlin 1980–82); vgl. W. H. Fritze, Germania Slavica. Zielsetzung und Arbeitsprogramm, ebd. Bd. I, S. 11–40, sowie Dens., Die Begegnung von deutschem und slawischem Ethnicum im Bereich der frühmittelalterlichen deutschen Ostsiedlung, in: Siedlungsforschung 2 (1984), S. 187–219). – Wolfgang H. Fritze (1916–1991) war einer der kreativsten Forscher im Bereich der Slawenfrage und gab vielfältig neue Impulse. Sein Hauptwerk, Untersuchungen zur frühslawischen und frühfränkischen Geschichte, Frankfurt/M. 1994, konnte leider erst postum veröffentlicht werden, weil er es lebenslang als nur ungenügend ausgereift empfand, und kam dadurch um die Wirkung, die es zur Entstehungszeit, in den 1950er Jahren, gefunden hätte; vgl. das Nachwort zur Ausgabe, S. 430–434, von R. Schneider. Ausgewählte Beiträge Fritzes mit Nachträgen zu den Erstdrucken, hg. von L. Kuchenbuch und W. Schich, erschienen u. d. T. „Frühzeit zwischen Ostsee und Donau“ 1982 als Germania Slavica III. 34 E. Gamilschegg, Romania Germanica, 3 Bd. 1934–1936, Bd. I in völliger Neubearbeitung 1970. Vgl. Th. Frings, Germania Romana und Romania Germanica zwischen Mittelmeer, Rhein und Elbe, in: Berichte über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie d. Wissensch. zu Leipzig, phil.-hist. Kl. 108/5 (1963). 33
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Ostgebieten betrieb35. Der unablässige Wandel, dem alles geschichtlich Gewordene unterliegt, betrifft nicht allein die Geschicke von Völkern, er macht auch vor ihnen selbst nicht Halt, und die Gegenwartskrisen um Zuwanderungen und Integration sind modern zugespitzte Varianten eines uralten Menschheitsproblems, so wenig dies sie leichter macht. Das wirkt auch auf die historische Einschätzung der ehemaligen Slawen im heutigen Deutschland zurück. Selbstverständlich gebührt, solange sie ihre mitgebrachte Eigenart behielten, der Slawenname auch ihnen, doch ihn für sie wie für zur Nationsbildung durchgedrungene andere durch eine besondere Bezeichnung zu ergänzen, die die sie zusammenfassende abweichende Entwicklung unterstreicht, das wäre nicht ohne Sinn. An den Weichenstellungen aber, die in die herausgearbeitete Richtung lenkten, waren entscheidend, ja ausschlaggebend Wirkungen der Heidenfrage beteiligt. Sie und die Slawenfrage waren auf diesem Schauplatz lange untrennbar verschränkt. Das aber bestimmte mein Arbeitsgebiet. 3. Zu diesem Buch Als ich vor gut 60 Jahren erste Schritte auf dem abgesteckten Terrain unternahm, stieß ich auf reichlich Gestrüpp, das den Weg versperrte und die Sicht auf den Boden störte. Wohl gab es längst missionsgeschichtliche Forschung, doch meist einseitig ereignisgeschichtlich orientiert, dazu als bloßer Teil der Kirchengeschichte: Erfolge und Mißerfolge von Glaubensboten sowie Aufbau der Kirchenorganisation in christianisiertem Neuland. Daß im Hintergrund Verfahrensnormen der Kirche wirkten, wurde wenig berücksichtigt: ein uns nicht ohne weiteres zugängliches Begriffsystem, das missionarische Fragen mit solchen verknüpfte, die wir als völkerrechtlich empfinden. Dies zu übersehen, gab fehlleitenden Vorstellungen Raum, etwa einem undifferenzierten Gebrauch von „Gewaltmission“, einer Verwischung des grundsätzlichen Unterschiedes zwischen „Heiden“ und „Apostaten“ und anderem mehr. Die von der Mission betroffene Gegenseite mochte Götter und Kulte besitzen, beiläufig mit erwähnt, doch ihre Denkstrukturen blieben aus dem Spiel, obgleich sie die Voraussetzung für charakteristische Reaktionen auf christliches Vorgehen abgaben. Unverbunden 35 Vgl. Kahl, Slowenen u. Karantanen (wie Anm. 24), S. 983 f., im übrigen Dens. Volk und Nation (wie Anm. 21), passim.
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in weitem Abstand lief Völkerrechtsgeschichte nebenher, konzentriert auf Fundamente von Haupt- und Staatsaktionen, ohne jedes Empfinden für den notwendigen Brückenschlag zur Missionsproblematik, die schließlich einer anderen Fakultät angehörte. Prozesse, die zur Grundlegung europäischer Kultureinheit, aber auch des Kolonialismus in Übersee beitrugen wie wenige, wurden in der historischen Rekonstruktion verzerrt und weitgehend dem Verständnis entzogen, zugleich aber bestimmende Züge abendländischer Mentalitätsgeschichte. Als ich dies allmählich erfaßte, mußte ich versuchen, gegenzusteuern. Beschränkung war unvermeidlich. Ich blieb beim Schwerpunkt Mitteleuropa, im Überschneidungsgebiet der beiden herausgearbeiteten Grundfragen. Vom Hause Brill zu einem Sammelband eingeladen zu werden, empfinde ich als besondere Ehre und Auszeichnung, die ich nur mit tiefem Dank quittieren kann. Vorgelegt werden 26 Einzelbeiträge, seit 1953 in vier verschiedenen Ländern publiziert. Sie greifen einerseits die vernachlässigten theologisch-kanonistischen Aspekte auf, andererseits deren praktische Auswirkungen, vorzugsweise am Beispiel der Slawen an Elbe und Ostsee sowie an Main und Regnitz. Hinzugefügt sind zwei Beiträge über die karolingerzeitlichen Sachsen, deren Christianisierung die Voraussetzung für die jener „Wenden“ schuf und besonders wichtige Aspekte der Heidenfrage ergänzt. Was sich dem Ostalpenraum zugewandt hatte, bleibt ausgeschieden, zumal die Quellenlage dort wenig Einblicke in die konkrete Auseinandersetzung zwischen Christen und Heiden jener Zeit erlaubt, so daß die Forschung mehr auf landesgeschichtliche Probleme verwiesen bleibt. Ein besonderer Sammelband zu Fragen dieser Region konnte bereits vorgelegt werden36. Der Dank an das Haus Brill richtet sich nicht zuletzt an Frau Marcella Mulder, die seine Belange mir gegenüber in äußerst entgegenkommender Weise vertrat. Sie hat die Zusammenarbeit angenehm, zügig und konstruktiv vorangetrieben, dabei auch Hinweise für den Abbildungsteil beigesteuert, für dessen Aufnahme ich besonders dankbar bin. Nachsehen mag man mir, wenn der Dank am Ende eines langen Lebens weiter greift und bei den Eltern beginnt, die erste Voraussetzungen für das
36 H.-D. Kahl, Streifzüge durch den mittelalterlichen Ostalpenraum (Bibliografie, Nr. 170). Vgl. Der Staat der Karantanen (oben Anm. 24) mit dem Versuch, die für die Heidenfrage wichtige, aber verschollene gentireligiöse Sakralstruktur dieses Machtgebildes zu rekonstruieren (S. 222–291); ebd., S. 461–471 ein Anhang über die religionsgeschichtlich wichtigen „Freisinger Denkmäler“.
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spätere Wirken schaffen halfen: der Psychiater Dr. Adolf Kahl, Stadtmedizinalrat in Dresden, wo umsichtige Lehrer mir erste Elemente der Slawenfrage schon in der Grundschule nahebrachten, selbst Mainfranke, und die Schlesierin Marie geb. Neugebauer, nachmals Atemtherapeutin in Bielefeld. Wichtigste akademische Lehrer waren Hans Erich Stier und Karl Voigt in Münster; aus dem Seminar Werner Conzes während seiner kurzen Göttinger Wirksamkeit ging die Anregung zum hier dokumentierten Themenkreis hervor. Percy Ernst Schramm, Herbert Ludat und Walter Schlesinger haben mir die Wege geebnet, aus anfänglichem Gymnasialdienst in die Universitätslaufbahn überzuwechseln. Kollegenfreunde gleicher Generation, die mir als Anreger besonders wichtig wurden, nennt der Rückblick, der diesen Band beschließt. Ihm sei, um die Namen nicht zu sehr zu häufen, nur noch ein Vertreter der nächsten angefügt, der mir die Freude bescherte, zu erleben, wie ein Schüler zum Kollegen und vom Kollegen zum Freund wurde: Rainer Christoph Schwinges in Bern. Er hat für die Heidenfrage die von mir vorbereiteten Fäden besonders folgerichtig aufgenommen und in fruchtbarer Weise weitergeführt37; auch dieser Band wäre wohl ohne ihn und seine Mitarbeiterin in Bern, Frau Melanie Kellermüller, der ich ebenso herzlich danke, nicht zustande gekommen. Schließlich kann mein Dank nicht vorbeigehen an drei Ehefrauen, zwei verstorbenen und der lebenden, die alle meine Arbeiten nach Kräften unterstützt und mir den Rücken für sie frei gehalten haben: Charlotte geb. Telkemeyer († 1954), Gertraude geb. Haberlandt († 1973) und Andrea geb. Schmidt. Möge, was dank so vielseitiger Unterstützung zustandekam, weiterer Forschung dienlich sein! Gießen, im Oktober 2010
Hans-Dietrich-Kahl
37 R. Chr. Schwinges, Wider Heiden und Dämonen. Mission im Mittelalter, in: H. Herkommer – R. Chr. Schwinges (Hgg.), Engel, Teufel und Dämonen. Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters, Basel 2006, S. 9–32, darf als die bisher beste Zusammenfassung der mittelalterlichen Heidenproblematik bezeichnet werden (reiche neuere Lit., die in den meisten Beiträgen des vorliegenden Bandes noch nicht berücksichtigt werden konnte). Vgl. Dens., wie oben Anm. 10 u. 11.
BEITRAG I
„GESCHICHTE“ IN EINER SICH WANDELNDEN WELT Dreierlei „Geschichte“ Von den Begriffen, die in der Themenformulierung zusammentreffen, steht die „sich wandelnde Welt“ uns allen vor Augen. „Geschichte“ dagegen erweist sich, unter die Lupe genommen, als ein Wort, dessen Begriffsinhalt unklar und verschwommen ist; es erscheint daher in Anführungszeichen. Landläufiger Sprachgebrauch läßt darin mindestens dreierlei zusammenfließen, was sachlich und methodisch unterschieden werden muß. Da ist zunächst das ständig pulsierende Geschehen als solches – „Geschichte“ hängt ja schon rein von der Wortbildung her mit „geschehen“ zusammen –; jenes Geschehen, das unablässig aus der Vergangenheit über die Gegenwart hinweg in die Zukunft greift und auch in diesem Augenblick nicht aussetzt. Allerdings gehört von dem, was „geschieht“, nicht alles hierher, sondern nur das, was an Auswirkung oder Nachwirkung über das Alltägliche hinaus einen Grad von Bedeutung erlangt, der eben „geschichtlich“ oder auch „historisch“ genannt zu werden verdient. Wann dieser Grad im einzelnen erreicht ist, bleibt eine Frage des Standorts oder besser der Ebene, von der aus der Maßstab angelegt wird: Wer die Geschichte eines Vereins oder eines Dorfes zu schreiben hat, von der eines Einzellebens, einer Biographie gar nicht näher zu reden, der wird Personen und Vorgänge als belangvoll aufzunehmen haben, die ignoriert werden müssen, wo es um „Weltgeschichte“ geht; ignoriert bis auf die wenigen Ausnahmen, wo von den verschiedenen Ebenen, die zwischen den angedeuteten Extremen liegen, mehrere gleichzeitig angesprochen sind: ein Napoleon gehört selbstverständlich auch in die Lokalgeschichte der korsischen Kleinstadt hinein, in der er geboren wurde, oder in die der Militärschule von Brienne, an der er 1774 seine Laufbahn vorzubereiten begann, und umgekehrt hat er beiden dazu verholfen, daß sie auch in weltgeschichtlichen Zusammenhängen Erwähnung finden. Dabei ist klar, daß die Unterscheidung derart verschiedener Ebenen oder Rangstufen des Geschehens bereits etwas ist, was von außen
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beitrag i
herangetragen wird, aus dem Abstand reflektierender Betrachtung, die die Fülle der Erscheinungen geistig zu durchdringen, zu ordnen und überschaubar zu machen versucht. Neben der Geschichte als dem fortlaufenden Geschehen steht zweitens die Wissenschaft, die sich mit ihrer Erforschung beschäftigt, steht aber drittens außerdem das, was von den Ergebnissen dieser Wissenschaft, verzerrt oder nicht, hinausdringt in die sogenannte Öffentlichkeit, über die Lehre der Universitäten, der Lehrerbildungsanstalten, der Schulen und auf welchen Wegen immer, vom Handbuch bis zur sog. populärwissenschaftlichen Darstellung oder gar dem historischen Roman. Auch die zweite und die dritte dieser Gegebenheiten finden sich gemeinhin als „Geschichte“ bezeichnet (wir sagen: jemand lehrt Geschichte, oder der Schüler „hat“ Geschichte in der nächstfolgenden Unterrichtsstunde). Es dürfte jedoch sachdienlich sein, beide auch im Vokabular von dem erstgenannten Zusammenhang abzuheben, zu dem sie sich verhalten wie Spiegel zum gespiegelten Gegenstand. Unsere Sprache stellt dazu durchaus eindeutige und unmißverständliche Möglichkeiten zur Verfügung. Unter „Geschichte“ sei daher im folgenden allein das historisch wirksame Geschehen verstanden, in dessen gegenwärtige Phase wir ausnahmslos verstrickt sind, ob uns dies nun passen will oder nicht; ihm gegenübergestellt sei einerseits die „Geschichtsforschung“ oder „Geschichtswissenschaft“, andererseits die „Geschichtskunde“, die sich bei entsprechend systematischem Ausbau zum abgerundeten „Geschichtsbild“ emporsteigern mag. Die Themenformulierung schließt, da der landläufige Sprachgebrauch diese Differenzierung nicht durchzuführen pflegt, sie alle drei gemeinsam ein. Die Geschichte, die Geschichtswissenschaft und die Geschichtskunde also sollen der „sich wandelnden Welt“ gegenübergestellt bzw. unter ihren Aspekten betrachtet werden, so gut dies auf begrenztem Raum möglich ist. Gestörter Zusammenklang 1. Geschichte geschieht heute anders Wenig nur ist hier zu dem ersten Teilzusammenhang zu bemerken, der Geschichte im engeren Sinne. Wie sehr unsere sich wandelnde Welt auch schon rein die äußere Art und Form des Geschehens verändert hat, ist uns allen bewußt: diese Welt der Bevölkerungsexplosion, der Technisierung mit all den früher ungeahnten Möglichkeiten sowohl
„geschichte“
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der Nachrichten- als der Verkehrsverbindung, mit ihren Massenvernichtungswaffen und nicht zuletzt ihren Massenmedien, durch die der Mensch als Masse manipulierbar geworden ist in einem Umfang, der gleichfalls selbst die kühnsten Phantastereien relativ wenig weit zurückliegender Generationen beträchtlich überbietet; diese „eine Welt“, in der es uns keineswegs mehr kalt lassen kann, wenn „hinten weit in der Türkei die Völker aufeinander schlagen“ (Goethe), weil Vorgänge an entlegenster Stelle nur all zu bald katastrophale Rückwirkungen in unserem ureigensten Lebensbereich zeitigen können. „Abschied von der bisherigen Geschichte“ hieß daher schon ein Buch, das 1946 erschien (Alfred Weber). All diese Wandlungen wirken aber auch auf das Verhältnis vieler Zeitgenossen zu dem zurück, was selbst die Goethezeit, ja noch erheblich näherliegende Epochen um sich herum geschehen sahen unter Voraussetzungen, in die sich zurückzuversetzen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt schwerer wird. Nun dehnt jedoch die Vergangenheit sich mit jedem vollzogenen Schritt in die Zukunft unbarmherzig immer und immer weiter aus, die Geschichte wird länger, die Stoffmasse wächst. Was von ihr geht uns wirklich noch etwas an, ist wert, auch heute, in dieser gewandelten und sich weiter wandelnden Welt, noch wissenschaftlich erforscht, noch als Geschichtskunde festgehalten und weiter tradiert zu werden? Hat nicht vielleicht im Wandel der Welt und ihres Geschehens unmerklich und doch radikal sich die Grenze verschoben zwischen der Geschichte, die es noch zu kennen lohnt, und, sagen wir, der „Prähistorie“? Liegen Steinzeit, Mittelalter und noch das Zeitalter der absolutistischen Fürstenherrlichkeit mittlerweile einander nicht viel näher als selbst die jüngste dieser Phasen uns, und beginnt das, was uns ernstlich berührt, nicht vielleicht wirklich erst in unserem eigenen Jahrhundert, etwa bei der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution von 1917? Wer das „Geschichte“ genannte Fach in Forschung und Lehre zu vertreten hat, steht täglich vor diesen und ähnlichen Fragen, nicht nur aus sog. Laienkreisen, sondern seit den Jahren der beginnenden Studentenunruhen stärker als je zuvor auch in seinem unmittelbarsten Wirkungskreise. Gesprochen und gedruckt schießen sie und die Stellungnahmen dazu allenthalben aus dem Boden, und keineswegs nur in Deutschland; so, daß man fast versucht ist, hier schon von einer Art Literaturgattung zu sprechen, über die eine auch nur einigermaßen umfassende Übersicht selbst dem Fachhistoriker kaum noch möglich ist, und all dies ist zweifellos ein beachtliches Symptom auch für die Eigenart der sich wandelnden Welt.
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Dieses so verbreitete „Unbehagen an der Geschichte“, das den Fachvertreter, soweit er nicht von Amts wegen für die jüngste Vergangenheit zuständig ist, immer neu und stärker in eine früher unvorstellbare Defensivstellung treibt – es hat verschiedenste Wurzeln. Sie liegen zum Teil im Erlebnis akuter Geschichte selbst, in der offenbaren Schwierigkeit, innerlich zu bewältigen, was gleichsam ohne, ja gegen alle Erfahrung früherer Generationen in den so neuartigen Geschehensformen der sich wandelnden Welt erlebt und erlitten wird. Im Hinblick auf das, was auch nur die heute Siebzigjährigen seit der Entfaltung ihres bewußten Erinnerungsvermögens mitzuerleben hatten, kann eine Beschäftigung mit weiter zurückliegender Vergangenheit nur zu leicht als eine „Flucht in die Idylle“ empfunden werden, durch die man sich um die vermeintlich „eigentlichen“ Aufgaben der „Vergangenheitsbewältigung“ herumdrücken möchte, ganz zu schweigen von den sonst drängenden Problemen aktuellster Gegenwart und nicht zuletzt Zukunft. 2. Gewandelte Geschichtswissenschaft Eine zweite Wurzel jenes „Unbehagens an der Geschichte“ dürfte aber auch in der Veränderung liegen, die in der gleichen Zeit seit der Jahrhundertwende die Geschichtswissenschaft ihrerseits erfahren hat: einmal durch Verfeinerung und Komplizierung ihrer Forschungsmethoden, dann und nicht zuletzt aber auch durch das selbst dem Fachvertreter unheimliche Anschwellen ihres gedruckten Niederschlages, von dem ja nicht so, wie das für die Naturwissenschaften gilt, das meiste nach mehr oder weniger kurzer Zeit ganz von selbst veraltet und unbeachtet abseits bleiben kann. Beides, die Wandlung der Forschungsmethoden wie das Anschwellen des Berges der sog. Vorarbeiten, zwingt diese Wissenschaft zu immer weitergehender Spezialisierung; zunehmend ist es ihr erschwert, über Einzelforschungen hinaus zu solch großzügigen Synthesen zu gelangen, wie sie den bedeutenden Historikern des vorigen Jahrhunderts, einem Ranke, einem Mommsen oder Waitz oder Albert Hauck, noch gelingen konnten, einfach, weil ihnen vergönnt war, noch vor dem Emporwuchern jenes Dschungels von Fachliteratur zu arbeiten, im wesentlichen einfach unmittelbar aus den Quellen heraus, mit deren schrittweiser wissenschaftlicher Publikation sie gleichsam aufwuchsen. So waren sie, wenn diese respektlos klingende Äußerung einem ihrer Epigonen einmal erlaubt sein soll, in vielem auch noch geradezu fast naiv, und zwar in doppelter Hinsicht: einerseits ohne eine umfassende Vorstellung von den Tücken, die dieses Material in sich schließt und
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die seine Tragfähigkeit einschränken; eine Vorstellung, wie wir sie inzwischen, nicht zuletzt auf der Grundlage des Lebenswerks dieser Männer, gewonnen zu haben glauben; andererseits aber auch ohne ein klar ausgebildetes Bewußtsein für eine ganz prinzipielle Gefahr, die jeden Historiker bedroht, wenn er nicht mit äußerster Wachsamkeit vorgeht, und der gerade diese älteren Historikergenerationen unvermerkt in erheblichem Ausmaß erlegen sind, nämlich der, daß die Problematik der eigenen Gegenwart die Perspektiven nach rückwärts verzerren kann, so daß diese Problematik in eine ganz andersartige Vergangenheit zurückprojiziert wird und deren Bild verfälscht. Durch dieses alles: die Verfeinerung und Komplizierung ihrer Forschungsmethoden, das nicht mehr meßbare Anschwellen ihres gedruckten Niederschlages, ihre zunehmende Spezialisierung mit allen Rückwirkungen auf die Kraft zur Synthese – durch all das ist die Geschichtswissenschaft nun aber auch für den Außenstehenden schwerer durchschaubar, damit jedoch gleichfalls unheimlicher geworden. Es ist mühsamer, sich in sie hineinzufinden – jeder, der heute erst ein Geschichtsstudium aufnimmt, kann ein Lied davon singen –; das kostet Zeit und Kraft, zwei Dinge, die einzusetzen, wo es nicht unmittelbar greifbaren Nutzen bringt, bekanntlich ein ständig wachsender Anteil von Zeitgenossen scheut, einfach, weil die Anforderungen des so stark veränderten Alltags dem einzelnen an beidem, an Zeit und an Kraft, immer weniger zu freier Verfügung lassen. Die gewandelte Welt und die gewandelte Geschichtswissenschaft haben es schon aus rein äußeren Gründen schwer, miteinander so in Kontakt zu bleiben, wie das früher einmal fast selbstverständlich scheinen mochte. Dabei ist die Entwicklung, die diese Wissenschaft durchzumachen hatte, prinzipiell gar nicht so sehr von der anderer Wissenschaftszweige verschieden. Wie stark gewandelt, dabei kompliziert, aufgefächert und spezialisiert, hat sich seit der Jahrhundertwende nur die Physik; wie viel schwerer zugänglich ist sie geworden, wie viel weniger zur Popularisierung ihrer Ergebnisse geeignet – sie, die heute nicht einmal mehr ein Weltbild im strengen Sinn des Wortes zu bieten hat, sondern nur noch abstrakte Formeln, deren Deutung, obwohl sie sich doch praktisch handhaben lassen, zwischen den Fachgelehrten umstritten ist! Doch wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe, und eine „moderne“ Wissenschaft wird vielfach anders beurteilt als eine solche, die an den Wandlungen unserer Welt keinen auslösenden Anteil genommen zu haben, die schon von ihrem Wesen her der überwundenen Welt von gestern verhaftet scheint.
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3. Krise der Geschichtskunde Das führt auf die Frage der praktischen Nutzbarkeit. Für die Physik scheint sie offenkundig: sie führt uns heute zum Mond und vielleicht bald schon weit über ihn hinaus. Aber die Wissenschaft der Geschichte? Findet sie nur schwer zu Synthesen, die nach außen hin vorzeigbar sind, so hat der Wunsch Außenstehender es immer schwerer, auf seine Kosten zu kommen, die von dieser Wissenschaft eine ihnen gemäße Form von Belehrung erwarten und erwarten müssen. Damit ist drittens auch die Geschichtskunde berührt. Schon im vorigen Jahrhundert wurde darüber geklagt, wie weit öffentlich verbreitete Kenntnis oft hinter den Ergebnissen der Geschichtswissenschaft herhinke, wie lange Vorstellungen, deren Unhaltbarkeit die Forschung längst erwies, sich weiterschleppen, als sei wissenschaftlich nichts geschehen. Heute, wo der aktuelle Forschungsstand immer schwerer faßbar, wo die Versuchung, zu veralteten Hilfsmitteln der Unterrichtung zu greifen, immer größer zu werden scheint, ist dies zweifellos nicht besser geworden. Es gibt Versuche, neuartige Handbücher im Teamwork zu schaffen, keineswegs klein an Zahl, jedes in seiner Art achtbar aus vielen Gründen. Aber wie weit und wie tief geht ihre Wirkung? Wo mehr geboten werden soll als trockene Daten und dürftige Schlagworte, ist ein größerer Umfang nicht zu umgehen. Das gilt doppelt, wo verfehlte und überholte, aber eingewurzelte Vorstellungen berichtigt werden müssen, wo also eine bloße Darstellung des erreichten Forschungsstandes nicht genügt. Fundierte Handbücher auch nur zur deutschen Geschichte pflegen daher mehrbändig zu sein. Die Preise auf dem Büchermarkt sind erheblich gestiegen. Wer legt gern, und sei es nach und nach, mit Erscheinen der einzelnen Bände, mehrere Hundertmarkscheine für die Ergebnisse einer Wissenschaft an, die irgendwie suspekt geworden ist? Vor allem aber: wer, solange er nicht beruflich dazu genötigt ist, kann es sich leisten, solche mehrbändigen Handbücher noch wirklich zu lesen, gar noch so, daß er sich das Wesentliche ihres Inhalts wirklich als Zusammenhang anzueignen vermag? Damit sind aber selbst die Versuche der Geschichtswissenschaft, ihre Ergebnisse, wie man heute gern sagt, nach außen hin zu artikulieren, in der Wirkungsmöglichkeit unerhört eingeschränkt. Überholte Geschichtskonzeptionen behalten einen erheblichen Freiraum, in dem sie unkontrolliert und unreflektiert nachzuwirken vermögen, besonders dann, wenn sie bestimmten emotionalen Regungen entgegenzukommen scheinen. „Geschichte“, so weit
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sie „Geschichtskunde“ ist, kann sich dann gerade dem fortschrittlich eingestellten Zeitgenossen nur zu leicht darstellen als ein Magazin von veralteten Vorurteilen, die so aktuellen Aufgaben wie der Völkerverständigung nur hinderlich sind. Sollte man dieses Magazin nicht abschließen und den Schlüssel fortwerfen? „Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, ist nicht geschickt zum Reiche Gottes“; so heißt bereits ein Bibelwort, das sich auch säkularisiertem Denken anpassen läßt. So scheint die sich wandelnde Welt auf „Geschichte“ in allen drei herausgestellten Bedeutungen des Wortes zurückzuwirken, scheint ein Knoten geschürzt, von dem nur schwer abzusehen ist, wie er sich möchte entwirren lassen. Bildungswerte der „Geschichte“ für unsere Gegenwart Vielleicht helfen einige grundsätzliche Überlegungen weiter. Sie werden eine gewisse persönliche Färbung nicht verhehlen können. Sie sollen und wollen dies jedoch auch gar nicht tun, denn nur vom Persönlichen aus kann ein Anstoß gegeben werden, der über den Monolog hinaus zum Dialog und vielleicht weiter zum Rundgespräch als der Keimzelle eines neuen Gemeingutes führen mag. 1. Eine Wissenschaft vom Menschen Was Geschichte selbst ist, wurde anzudeuten versucht. Was ist dann die Wissenschaft, die sie betrachtet? Eine etwas unkonventionelle Antwort könnte lauten: nichts anderes als eine „Bio-logie“ und „Anthropo-logie“, freilich auf ihre besondere Art, nicht so, wie es diese Wortprägungen als eingespurte Fachbezeichnungen meinen – eine Wissenschaft vom „Bios“ und „Anthropos“, vom „Leben“ im Bereich des „Menschen“, und zwar in demjenigen Bereich, in dem der Mensch sein spezifisch Eigenes entfaltet über all das hinaus, was ihn genetisch, „biologisch“ (im gewöhnlichen Sinn dieses Ausdrucks), physiologisch mit anderen Lebewesen verbindet. „Eine“ Wissenschaft von alledem ist „Geschichte“, denn die gleiche Allgemeindefinition kann auch für andere gelten, etwa für die Psychologie. Im Unterschied zu ihnen – das wird gleich nach Binsenwahrheit klingen, aber vielleicht doch nur für den ersten Augenblick – im Unterschied zu diesen anderen Wissenschaften vom spezifisch menschlichen Leben ist die der Geschichte bezogen auf die Dimension der Vergangenheit, aus der unablässig Gegenwart hervorgeht, in der aber ebenso unablässig Gegenwart, kaum Wirklichkeit geworden,
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wieder versinkt – die einzige Dimension, in der dieses spezifisch Menschliche überhaupt reflektierbar und damit wissenschaftlich faßbar wird: denn was „jetzt“ geschieht, überblickt niemand von uns; selbst als Urheber oder Augenzeugen, als Mitwirkende oder Mitbetroffene können wir es nicht ohne weiteres begreifen – selbst dann nicht, wenn wir etwa zu demjenigen Grade bewußten Erlebens gediehen sind, in dem mancher einigermaßen ständig als kritisch reflektierender Beobachter sich selbst und sein eigenes Leben zu begleiten vermag: wir können es selbst dann nicht, weil im Augenblick der Abstand noch mangelt, den reflektierend-verstehende Betrachtung und Verarbeitung nun einmal voraussetzt. Diese Dimension der Vergangenheit ist es daher, die für die Geschichte als Wissenschaft konstitutiv bleibt, sehr im Unterschied zur Geschichte als Geschehen, der die Gegenwart verhaftet ist, so, daß es sich ihrer in unmittelbarster Weise bemächtigt, bevor es sie in die Vergangenheit zurückstößt (und eben damit dann auch schließlich dem Zuständigkeitsbereich des Historikers übergibt). Auf dieser Dimension der Vergangenheit, der diese Wissenschaft so selbstverständlich verhaftet ist, ohne daß darum ihre Vertreter als Menschen sich der eigenen Gegenwart entfremden müßten – auf dieser Dimension beruht ein sehr beträchtlicher Teil der Wesenszüge, die es berechtigt erscheinen lassen, hier im übertragenen Sinn von einer Art „Anthropologie“ zu sprechen. Der Mensch ist nun einmal unter allen Geschöpfen, die wir kennen, das historische Wesen schlechthin; abhängig in der Entfaltung seiner Eigenart wie kein zweites von der zeitlichen Dimension mit der unwiderruflichen Unumkehrbarkeit ihrer Abläufe und Entscheidungen; dabei zutiefst bedingt durch Geschehen, das sich vor seiner persönlichen Geburt ereignet hat, zum Teil unvorstellbar lange vorher. Allein der Mensch – eine Überzeugung, die nicht nur Historikern eigentümlich ist – kann daher zu wesensgemäßer Tiefe nur gelangen, wenn er sich Rechenschaft gibt, wo in der Gesamtfolge der Jahrhunderte und der Ereignisse das eigene Ich seine Stelle hat. Dazu kommt sogleich ein Zweites. Geschichte mag uns in dieser Vergangenheit mit Verwandtem konfrontieren oder, häufiger, mit Fremdem, Befremdlichem; immer sagt sie uns auch dabei etwas vom Wesen des Menschen schlechthin. Gerade im Kontrast zu dem, was uns selbst auf den ersten, naiven Blick sozusagen selbstverständlich scheinen mag, lehrt sie uns unter Umständen, das Eigene desto besser zu erfassen, uns selbst desto sicherer zu finden. Um ein Wort zu zitieren, das von einer Außenseiterin, von Dorothee Sölle stammt: „Das Verstehen von Geschichte erschöpft sich ja nicht in der beobachtenden Feststellung dessen, was
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die Leute damals taten, dachten und glaubten; erwartet wird vielmehr im Verstehen, daß diese Vergangenheit zur Sprache wird, daß sie mir etwas für mein Leben zu sagen hat, Möglichkeiten, die ich annehmen oder ablehnen kann, erschließt. Wer nur beobachtet, bleibt außerhalb. Er kann Fakten erkennen, aber er versteht nicht, er wird kein anderer. Im echten . . . Verstehen verändert sich der Verstehende. Das Fremde, Andere, Neue, das ihm in der Geschichte, und zwar in der vergangenen wie in der gegenwärtigen eigenen begegnet, wird vermittelt ins Eigene; es wird gehört als Hilfe, als Bedrohung, als Angebot oder Anspruch“ (Dorothee Sölle, Die Wahrheit ist konkret; Olten/Freiburg i. Br. 1967, S. 85). Das ist, wie ohne weiteres deutlich wird, ein außerwissenschaftlicher Standpunkt, wenn man will: ein „meta-wissenschaftlicher“. Die Wissenschaft als solche hat eine entscheidende Grenze, wo das beobachtende Feststellen aufhört, so wenig das Bemühen, darüber hinaus auch zu verstehen, einfach von ihr abgetrennt werden kann. Aber was Frau Sölle von diesem Standpunkt aus formuliert, ist ein AllgemeinMenschliches, zu dem der Zugang vielleicht nicht unbedingt allein, aber doch vorzugsweise durch eben diese von ihr angesprochene Wissenschaft von der Geschichte vermittelt werden kann. Unter den Bildungswerten dieses Faches (wobei „Fach“ einmal beides, die Geschichtsforschung und die Geschichtskunde, einschließen mag) ist dies einer, von dem vielleicht wenig gesprochen wird. Gleichwohl ist er nicht gering einzuschätzen, und dasselbe gilt für diesen zweiten: die Gegenüberstellung mit so viel andersartigen Äußerungen und Formen des Menschseins, das Bemühen um Verständnis gegenüber jeder von ihnen – eine der wesentlichen Grundforderungen alles historischen Forschens und Fragens – kann uns helfen bei der Entfaltung einer Eigenschaft, die für das Leben in unserer Gegenwart, in einer nicht irgendwie ausgerichteten, sondern „pluralistischen“ Gesellschaft, außerordentlich wichtig ist. Gemeint ist der Mut, den heute jeder einzelne gewinnen muß, sich selbst und seinen eigenen Standpunkt zu relativieren, und zwar in wohlverstandenem, nicht im falschen Sinne: nicht so, daß am Ende gar kein Standpunkt mehr übrig bleibt, sondern so, daß der eigene einerseits immer klarer erfaßt wird, andererseits aber eben nicht absolut gesetzt, sondern erkannt wird als bedingt durch all die besonderen „Beziehungen“ – Relationen –, von denen wir, jeder einzelne, hier und heute ebenso abhängig sind wie die Menschen früherer Jahrhunderte (oder auch und nicht zuletzt andersdenkende Zeitgenossen der eigenen Gegenwart) von den ihren. Diese beiden Bildungswerte, das Finden des Eigenen und zugleich sein angemessenes Relativieren, sind, das
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versteht sich, nicht immer leicht ins rechte Gleichgewichtsverhältnis zu bringen. Wer es mit „Geschichte“ in jeder der drei Bedeutungen zu tun hat, gleich, ob als Forscher, als Lehrer, als Student oder als sogenannter interessierter Laie, wird trotzdem nicht darum herumkommen, sich dieser Aufgabe zu stellen, früher oder später. Sie selbst ist, um dies nochmals hervorzuheben, nicht wissenschaftlicher, sondern außer- oder eben besser meta-wissenschaftlicher Art. Der Geschichtswissenschaft aber, auch das dürfte sich von selbst verstehen, kommt dabei eine besonders große Bedeutung zu, als Wegbereiterin oder wie immer diese Funktion zu umschreiben wäre. Welche andere Wissenschaft sollte sie hier ersetzen? 2. Kritische Grundlagenforschung Schon insofern mag es vielleicht nicht mehr gar zu hoch gegriffen scheinen, wenn behauptet wird, daß diesem Fach eine Bedeutung zuzuschreiben ist, die das Alltagsmaß überschreitet; gerade auch in unserer sich wandelnden Welt und trotz aller Entfremdung, in der sie längst dazu neigt, an diesem unbequemen Fach einfach vorüberzugehen, zum Teil bis in die Bildungspläne unserer Schulen hinein. Mindestens gleich stark scheint diese Einschätzung gerechtfertigt durch das, was dieses Fach immer wieder neu zu leisten hat für das, was ein modernes pädagogisches Wortungeheuer, längst zum Schlagwort geworden, „Gegenwartserhellung“ nennt. Alle Gegenwart kommt aus historischen Wurzeln; die Knoten, die es heute aufzulösen gilt, haben sich im Ablauf der Geschichte geschürzt, sehr junger Geschichte zum Teil, nicht selten aber auch in erstaunlich weit zurückliegender Zeit; von diesen ihren Anfängen her können sie dann auch am besten verstanden, folglich – vielleicht – auch besser entwirrt werden als allein auf der Ebene sogenannten gesunden Menschenverstandes. Dabei muß gesehen werden, daß nicht allein vergangene Ereignisse und Zustände eine oft weitreichende Nachwirkung zu zeitigen vermögen, sondern stärker oft noch das Bild, das eine spätere Zeit sich, berechtigt oder nicht, von ihnen gemacht hat, um eigenes Verhalten danach zu bestimmen, sei es als Gegenbewegung, sei es in der Nachfolge eines Vorbildes, eines wirklichen oder eines vermeintlichen. Geschichtswissenschaft hat es mit beidem zu tun, mit vergangenem Geschehen und mit Geschichtsbildern, die ihrerseits mittlerweile Geschichte geworden sind; solchen, die dabei ihrerseits Geschichte gemacht haben, und anderen, die keine bedeutendere Wirkung zu erreichen vermochten. Aus
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dieser Doppelstellung aber erwächst den Vertretern des Faches, dem Geschichtsforscher und nicht weniger dem Geschichtslehrer, gerade heute eine Funktion gegenüber der Gesellschaft, die in ihrer Tragweite kaum zu überschätzen ist. Sie ist in einem sehr spezifischen Sinne politisch zu nennen und betrifft nicht zuletzt auch die sogenannte politische Bildung, freilich weniger in dem positiven Sinn, den diese Formulierung vielleicht zunächst erwarten läßt, sondern in einem anderen, der mehr negativ gerichtet ist. „Geschichte“ galt seit alters, verstärkt aber seit dem vorigen Jahrhundert, als ein scheinbar unerschöpfliches Schlagwortarsenal für politische Propagandazwecke fast jeder beliebigen Art. Was dabei herauskommt, haben wir sattsam gesehen: Dinge wie jenes berüchtigte „Heim ins Reich“ nach 1933 mit seinem trotz allem unhistorischen, ja widerhistorischen Romantizismus – oder auch solche wie die sogenannte Rückgliederung vermeintlich alter „polnischer Westgebiete“ an das angeblich rechtmäßige Mutterland, die merkwürdig genau auf gleicher Ebene liegt, ohne daß dies hier näher begründet werden kann. Hier hat die Arbeit des Historikers einzusetzen und die Grundlagen für wirklich saubere Argumentationen zu schaffen, Argumentationen, auf deren Boden über historische Hintergründe heikler Gegenwartsfragen endlich Diskussionen möglich werden, die den Namen „sachlich“ verdienen. Ob die Öffentlichkeit, ob die Politiker vollends sich der so geschaffenen Voraussetzungen dann tatsächlich bedienen, wenn es darauf ankommt, das durchzusetzen steht nicht in der Macht des Forschenden, Lehrenden oder Publizierenden in diesem Fach. Die Aufgabe aber bleibt darum doch bestehen und muß mit allem Ernst angepackt werden. Dabei gilt es vor allem aufzuräumen mit einem alten, verbreiteten Aberglauben, der nicht zu den geringsten Ursachen gehört, weshalb immer wieder veraltete Geschichtskonzeptionen sich der Wirksamkeit moderner Geschichtswerke hemmend entgegenstellen können: mit der Meinung, die Erforschung des Vergangenen, das als solches Wandlungen doch nicht mehr unterworfen sein könne, müsse im Grunde doch längst abgeschlossen sein, so daß weitere Tätigkeit auf diesem Felde sich erübrige. Diese Auffassung beruht auf einer prinzipiellen Verkennung des Materials, mit dem die Geschichtswissenschaft zu arbeiten hat, selbst dort, wo ihre Bedingungen unverhältnismäßig günstig sind. Man wird dabei einzuräumen haben, daß diese Wissenschaft an solchen Fehleinschätzungen insofern mitschuldig ist, als ihre früheren Vertreter wenig getan haben, um diese Problematik nach außen hin, gegenüber der Öffentlichkeit, deutlich genug ins Bewußtsein zu heben.
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Daß es ein ein für alle Male feststehendes Geschichtsbild ebensowenig geben kann wie ein ein für alle Male feststehendes physikalisches Weltbild, wurde schon angedeutet. Vielmehr ist jedes Geschichtsbild, sowohl das wissenschaftliche wie das, was sich an landläufigen Formen von Geschichtskunde außerhalb des engeren Fachkreises antreffen läßt, laufend neu zu überprüfen. Für uns heute stehen dabei wohl zwei Aufgaben im Vordergrund: 1. ein Aufräumen mit der Hypothesenfreudigkeit so manchen Vertreters älterer Forschergenerationen, die nicht zuletzt mit den Grund hat legen helfen für jenes verfehlte Arbeiten mit historischen Scheinargumenten, durch das dermaßen viel geschichtliches und damit menschliches Unheil ausgelöst worden ist; 2. und nicht zuletzt aber auch ein Durchdenken der allgemeinen Voraussetzungen, von denen her die heute landläufigen Formen von Geschichtskunde einmal zustandegekommen sind. 3. Das Problem der Grenzüberschreitung. Eine Geschichtswissenschaft ohne Hypothesen gibt es nicht und kann es niemals geben. Auch wenn „Geschichte“ als eine „Wissenschaft vom Leben“ verstanden wird: jeder, der ihr nahe tritt, sollte sich darüber Klarheit schaffen, daß wir niemals in der Lage sind, dieses von ihr zu betrachtende Leben jemals wieder unmittelbar in den Griff zu bekommen – es ist ja vergangen, versunken, zerronnen. Zurückgeblieben und uns zugänglich sind nichts als die Überreste und Nachklänge, die unser Quellenmaterial bilden, deren Zusammensetzung und Bestandsauswahl jedoch oft schon rein vom Überlieferungsgang her größten Zufälligkeiten ausgesetzt war. Hat eine bedeutende Zeit in genügender Anzahl schriftkundige Beobachter besessen, die das nötige Maß von Wahrheitsliebe mit einem so beträchtlichen Gesichtskreis verbanden, daß sie genügend Wesentliches wenigstens von äußeren Vorgängen aufzuzeichnen verstanden? Sind solche Darstellungen, wo sie zustande kamen, wenigstens in einem einwandfreien Exemplar, und sei es als Abschrift oder als Frühdruck, solange erhalten geblieben, bis moderne wissenschaftliche Editionstechnik sie nutzbar zu machen vermochte? Sind bei dieser oder jener Feuersbrunst bestimmte Archive, bestimmte Bibliotheksbestände vernichtet oder erhalten worden? Sehen wir bestimmte Vorgänge und Entwicklungen womöglich nur noch durch das Medium bewußter Täuschungsabsicht, die etwa einmal, und ausgerechnet bei der einzig
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erhaltenen Aufzeichnung, als politisches Kampfinstrument eingesetzt wurde? Der Fragenkatalog ließe sich leicht vermehren; er mag auch so schon genügen, die Problematik der Grundlagen anzudeuten, aus denen jedes Geschichtsbild erarbeitet werden muß. Mit anderen Worten: kein Geschichtsbild, das jemals entworfen wurde, ist etwas anderes als Rekonstruktion in genau dem gleichen Sinne, in dem etwa ein Kunsthistoriker aus trümmerhaften Anhaltspunkten die einstige Gestalt eines zerstörten Bauwerks wiederherzustellen sucht; Rekonstruktion, belastet mit allen Fragwürdigkeiten, die im Wesen eines solchen Versuches liegen. Auch in Zukunft wird es niemals ein Geschichtsbild geben, das von dieser prinzipiellen Bedingtheit frei zu werden vermöchte. Von hier aus hat die Hypothese in aller Geschichtsforschung ihre unentbehrliche, völlig legitime Funktion, solange sie von einer methodisch disziplinierten Phantasie gezügelt bleibt und das vertretbare Maß nicht hinter sich läßt. Von hier aus aber wird auch die Gefahr deutlich, die sich ergibt, wenn bestimmte Geschichtsbilder, also bestimmte Rekonstruktionsversuche mit allen eingeflossenen Hypothesen, als ein für alle Male geklärter Tatbestand genommen, wenn sie gar zu unbesehen zur Grundlage politischer Tagesauseinandersetzung gemacht werden. Wie stark eine gar zu weitgehende Hypothesenfreudigkeit gerade historische Forschung belasten kann, bekommt früher oder später jeder zu spüren, der auch nur auf einem einzelnen Teilgebiet nach den konkreten Grundlagen verbreiteter Geschichtsanschauungen fragt. Demgegenüber muß heute mehr denn je neu und intensiv klargestellt werden, was jeweils wirklich aus den Quellen heraus belegbar und beweisbar ist, was nicht; wo begründete Vermutung immerhin hohen Wahrscheinlichkeitsgrad beanspruchen darf und wo stattdessen die Materialbasis uns dazu zwingt, den Rekonstruktionsversuch ehrlichkeitshalber einzustellen, bis etwa einmal neue Materialien oder Gesichtspunkte zu der betreffenden Frage beigebracht werden. Das verlangt eine strenge methodische Schulung, eine Aufgabe, die gerade Anfangssemester oft als schwere Belastung empfinden, weil sie ihrer Eigenart nach wenig dazu beitragen kann, einen etwa vorhandenen Schwung zu beflügeln: sie verlangt vielmehr ein Höchstmaß an Nüchternheit. Ist diese Schulung jedoch erst einmal erworben, so wird man nicht selten befriedigt, vielleicht sogar beglückt vor den Ergebnissen stehen, die sich auch bei derart strenger Beschränkung in so vielen Fällen noch erreichen lassen. Mehr als einmal allerdings wird man auch enttäuscht vor dem Wenigen stehen, das sich wirklich bündig aussagen läßt über Dinge, von denen
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wir so gern unendlich viel mehr wissen würden; mehr als einmal sieht man geradezu mit Verärgerung hochragende, farbenprächtig schillernde Hypothesengebäude in sich zusammenfallen, die ungenügend disziplinierte Forscherphantasie trotzdem um diese oder jene Frage errichtet hat. Derartige Prunkbauten abzutragen und auf ein vertretbares Ausmaß zurückzuführen, gehört zu den wichtigsten Aufgaben gegenwärtiger historischer Neubesinnung, allerdings – das ist zuzugeben – auch zu ihren unerquicklichsten und unpopulärsten; dies einfach deshalb, weil in vielen Fällen nur Scheinbilder eingerissen werden können, ohne daß die Quellengrundlage gestattet, neue, gültigere Bilder von befriedigender Plastik und Farbigkeit an ihre Stelle zu setzen (vgl. wieder das Problem des „Weltbildes“ in der modernen Physik!). Für den, der sich als Fachvertreter um „Geschichte“ bemüht, angefangen vom Studenten des ersten Semesters, bedeutet dies, daß er ständig daran arbeiten muß, sein persönliches Fingerspitzengefühl dafür zu schärfen, wo die legitimen Grenzen der historischen Fachwissenschaft liegen, die Grenzen, an denen unsere Aussagemöglichkeit, ja geradezu unser Aussagerecht als Historiker erlischt. Dieses Bemühen um die Grenze fachlicher Zuständigkeit, um das klare Empfinden dafür, wo und inwiefern es gegebenenfalls zu Grenzüberschreitungen kommt, ist ein allgemeinwissenschaftliches Problem, lediglich in jedem Einzelfach anders gestellt. In den historischen Wissenschaften scheint es allerdings, daß in dieser Hinsicht gegenüber anderen Disziplinen noch ein gewisser Nachholbedarf besteht. Da gerade auf historischem Felde Unmassen von politischem Sprengstoff bereitliegen, dürfte eine schnelle und angemessene Bewältigung dieser Aufgabe gerade in unserer sich wandelnden Welt besonders bedeutsam sein: wieviel von diesem Sprengstoff läßt sich entschärfen, wenn rechtzeitig erkannt wird, daß er nicht historischer Wirklichkeit entstammt, sondern letztlich nur einer Scheinwelt, bei deren Aufbau frühere Fachvertreter gegenüber dem Problem der Grenzüberschreitung, ohne es zu merken, versagten! Beiläufig wird einleuchten, daß in der Auseinandersetzung mit dieser Problematik, in dem Bemühen um strenge, disziplinierte und sachgerechte Methodik einschließlich der notwendigen historischen Erkenntniskritik bereits für den, der Geschichte als Fach studiert, wiederum ein beachtlicher Bildungswert liegt, der seiner Persönlichkeitsbildung auf die Dauer erheblich zugute kommen muß.
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3. Ältere Geschichtsbilder als Belastung Die Fragwürdigkeit überkommener Geschichtsbilder, die nicht unbesehen festgehalten werden dürfen, beruht jedoch nicht allein auf möglichen Fehlleistungen älterer Wissenschaft, wie sie spätere Forschergenerationen auch uns einmal ankreiden werden; sie hat noch einen anderen Aspekt. Er ergibt sich, wenn man „Geschichtsbild“ noch einmal präziser zu definieren versucht. Der Begriff umschließt zweifellos eine Synthese von Einzelfakten und Zusammenhängen, und zwar denjenigen, die jeweils aus dem so schwer überschaubaren Strom des Gesamtgeschehens als wesentlich herausgehoben werden. Damit aber ergibt sich sogleich die weitere Frage: wesentlich – für wen? Diese Frage liefert ein Kriterium, an dem sich Geschichtsbilder unterscheiden unabhängig vom in der Klärung bloßer Fakten erreichbaren Forschungsstand. Vorhin war die Rede vom Menschen als „dem“ historischen Wesen schlechthin, aber auch von der offenbar zunehmenden Geschichtsfremdheit dieser unserer sich wandelnden Welt. Wenn es aber so ist, daß der Mensch zu ihm wesensgemäßer Tiefe nur gelangen kann, sofern er auch die Dimension der Vergangenheit in seine Selbstreflexion einbezieht und das Ausmaß seiner ureigensten Bedingtheit durch sie, dann ergibt sich eine Konsequenz. Ist Geschichte als Fach auf ihre Weise auch eine „Anthropologie“, so muß gefolgert werden: Verlust an historischem Sinn ist gleichbedeutend mit menschlichem Substanzverlust. Auch diese Folgerung wird keineswegs allein von Historikern gezogen, so daß der unmittelbare Fachvertreter sich nicht scheuen muß, von ihr zu reden. Eine umfassende Untersuchung, wer oder was für diesen heutigen Substanzverlust verantwortlich zu machen wäre, ist hier nicht zu leisten. Aber sollte es sich dabei nicht unter anderem auch um eine Frage der überlieferten Geschichtsbilder handeln, die einer sich wandelnden Welt so, wie sie einmal konzipiert worden sind, nicht mehr zu genügen vermögen, auch ganz unabhängig von dem hypothetischen Charakter vieler ihrer Grund- und Einzelzüge, von dem der Außenstehende ja im allgemeinen nur wenig ahnt? Das große Jahrhundert bisheriger Geschichtsforschung war das vorige: das Jahrhundert der Romantik, des beginnenden Nationalismus, der stärker als je vordringenden Aufklärung, um von Vorgängen abzusehen wie Technisierung und Industrialisierung, von denen auch damalige Historiker naturgemäß mehr durch allgemeine Auswirkungen berührt wurden als ganz unmittelbar im ureigensten Fachbereich. Vor allem aber war es das letzte Jahrhundert unserer Geschichte, in dem das altüberkommene
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dynastische Prinzip noch einmal die Verfassungswirklichkeit weiter Teile Europas zu bestimmen vermochte. Nie wieder ist Geschichtswissenschaft mit solchem Elan zu Werke gegangen, nie wieder hat sie eine vergleichbare Breitenwirkung in die Öffentlichkeit der eigenen Gegenwart hinein zu erzielen vermocht. Eben deshalb geht auf die Arbeit der damaligen Forschergenerationen, und gerade auch auf die von ihnen geschaffenen historischen Synthesen, offenbar ein beträchtlicher Teil von dem zurück, was an Geschichtsbildern oder Geschichtsbildfragmenten im Bewußtsein heutiger Öffentlichkeit noch lebendig ist. Sie haben viel Bleibendes erarbeitet, das ist kein Zweifel und soll um so bereitwilliger betont werden, als bisher an ihrer Wirksamkeit hier manche Kritik anzumelden war. Aber während ihre Bücher blieben, soweit sie nicht etwa kriegsbedingter Zerstörung zum Opfer fielen, ist mit ihnen selbst auch ihr Publikum vergangen, ein neues an seine Stelle getreten. Dieses Publikum steht diesseits zweier historischer Grenzmarken, die jene noch vor sich hatten, 1918 und 1945; dem Jahr, das bei uns in Deutschland die Dynastien vom Thron stieß, und dem zweiten, das die innere Unhaltbarkeit des nationalistischen Prinzips bei uns endgültig offenbarte. Kann in dieser Situation noch uneingeschränkt wesentlich bleiben, was einst im Zeichen jener besonderen dynastisch-nationalistischen Akzentuierung erarbeitet wurde, die das große Zeitalter der Geschichtswissenschaft im vorigen Jahrhundert bestimmte? So erhebt sich die Frage, wie weit die festzustellende heutige Geschichtsfremdheit auch damit zusammenhängt, daß landläufig verbreitete Geschichtsvorstellungen – oft und wesentlich von denen der heute maßgeblichen Fachvertreter auf den Universitäten verschieden – noch von Kategorien beherrscht werden, die unsere Zeitgenossen, und vor allem die nach 1945 geborenen, nicht mehr als die ihren anzuerkennen vermögen. Eine zweite Aufgabe erhebt sich, zusätzlich zu der bereits herausgestellten einer Überprüfung vorgefundener Geschichtsbilder auf sachliche Richtigkeit: auch ihr innerer Gehalt muß neu unter die Lupe genommen werden, eingeschlossen die Feststellung von Lücken, die in den älteren Konzeptionen unvermerkt offen blieben an Stellen, wo bündige Ergebnisse uns heute vielleicht gerade wichtiger wären als das, was rechts und links von ihnen bereits aufgebaut wurde. Das erste, die sachliche Überprüfung des bisher Behaupteten, ist zweifellos Angelegenheit der historischen Fachwelt allein. Dieses zweite wird ganz sicher nicht ohne ihre maßgebliche Mitwirkung erreicht werden können, vor allem, soweit
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es auch dabei auf methodische Erforschung von Tatbeständen und Zusammenhängen ankommt. Allein aber wird die Zunft der Fachvertreter hier schwerlich zum Ziel kommen. Sie bedarf hier dringender als je der Anregung durch die Öffentlichkeit und ihrer Fragen, jenes Dialogs also, von dem gezeigt werden mußte, wie sehr die Umstände ihn heute erschweren∗. „Geschichte“ in einer sich wandelnden Welt Insgesamt scheinen sich folgende Ergebnisse abzuzeichnen: Eine sich wandelnde Welt steht auch bei uns in Deutschland einer vielfach gewandelten Geschichtswissenschaft gegenüber, einer Wissenschaft, deren Vertreter von der Überzeugung getragen sind, daß gerade von der Basis ihres Faches her sich wesentliche Beiträge leisten ließen zur Neuformung des menschlichen Bewußtseins in dieser unserer Gegenwart und damit zur Menschenbildung überhaupt. Die sich wandelnde Welt allerdings hat noch wenig Notiz von dieser gewandelten Wissenschaft genommen; sie zeigt wenig Neigung, auf sie zu hören oder sich auch nur über ihre Möglichkeiten zu informieren. So muß im Augenblick als durchaus fraglich bezeichnet werden, ob das, was in unserem Fach angebahnt ist, in absehbarer Zeit wirklich zum ∗ Es mag erlaubt sein, in diesem Zusammenhang auf eine Ausstellung im Berliner Reichstagsgebäude hinzuweisen, die vom März bis Dezember dieses Jahres läuft und als ein in vieler Hinsicht neuartiger Weg bezeichnet werden darf, neue Dialoge zwischen Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit herauszufordern. Unter dem Thema: „1871 – Fragen an die Deutsche Geschichte“ sucht sie die deutsche Entwicklung von etwa 1789 bis zur Gegenwart nach neuen Erkenntnissen in der bisher wenig beachteten Vielfalt ihrer Aspekte darzustellen und damit zu selbständiger Auseinandersetzung mit überkommenen Geschichtstraditionen einzuladen, die der Besucher mitbringen mag. Die Gesamtkonzeption, niedergelegt auch in einem gleich betitelten, reich bebilderten Buch, das die Stelle eines Ausstellungskatalogs zu vertreten hat, wurde maßgeblich erarbeitet und bestimmt von Fachhistorikern der Universität Gießen. Veranstalter ist unter der Schirmherrschaft des Herrn Bundespräsidenten die Bundesregierung, eine kleine Parallelveranstaltung läuft seit Mai in der Frankfurter Paulskirche. Das Problem der Störung des Verhältnisses unserer Gegenwart zur Geschichte durch die Nachwirkung von Geschichtskonzeptionen, die noch mehr im Grundgehalt als im Faktischen überholt sind, wird wenig beachtet. Es ist beabsichtigt, bei späterer Gelegenheit darauf nochmals einzugehen. Dabei wird auch auf einige weitere Aspekte hingedeutet werden können, die diesmal aus Raumgründen ausgeklammert werden mußten, wie die gleichfalls wichtige und wenig berücksichtigte Frage, wie stark die Geschichtsbilder verschiedener Gruppen der Gesellschaft auseinandergehen, warum dies so ist und welche Folgen es hat etwa in der Reaktion bestimmter Zeitgenossen auf bestimmte Ereignisse oder Gegebenheiten der Gegenwart.
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Tragen kommen wird. Das Ausmaß, in dem etwa die Geschichtskunde heute aus den Bildungsplänen eliminiert wird, die die Kultusminister der Bundesländer für der sich wandelnden Welt angemessen halten, läßt hier nicht allzu viel Hoffnungen Raum, schon allein deshalb nicht, weil sie auch auf die Zahl der Geschichtsstudenten und auf die Intensität ihres Studiums zurückwirkt. Das jedoch führt allgemein auf das trübe Kapitel heutiger bundesdeutscher Bildungspolitik, einer Politik, die das unmittelbar praktisch Nutzbare in den Mittelpunkt rückt, als hätten wir, die wir doch von Auschwitz her kommen, das Recht, für die Zukunft in erster Linie Technokraten heranzubilden, statt nunmehr alles der Entfaltung des Menschlichen unterzuordnen, dessen Bedrohung durch eine von humanen Inhalten und Rücksichten unberührte Technokratie doch wohl als das ernsteste Problem unserer sich wandelnden Welt anzusprechen ist. Doch der hier zu erörternde Themenkreis ist damit verlassen. Literaturhinweis Der vorliegende Beitrag knüpft im Titel an die deutsche Fassung einer Aufsatzsammlung an von G. Barraclough, Geschichte in einer sich wandelnden Welt (Göttingen 1957), ohne sich dadurch mit den Auffassungen dieses Buches schlechtweg zu identifizieren. Aus der seitdem erschienenen Literatur seien im folgenden einige selbständige Veröffentlichungen in deutscher Sprache herausgegriffen unter Ausklammerung von Zeitschriftenaufsätzen u. dgl. O. Brunner, Das Fach „Geschichte“ und die historischen Wissenschaften (Hamburg 1959). A. Heuss, Verlust der Geschichte (Göttingen 1959). H. Heimpel, Kapitulation vor der Geschichte? Gedanken zur Zeit. 3. vermehrte Aufl. (Göttingen 1960). W. Besson – Fr. Frh. Hiller v. Gaertringen (Hrsg.), Geschichte und Gegenwartsbewußtsein (Göttingen 1963). E. H. Carr, Was ist Geschichte? (Stuttgart 1963). E. v. Kahler, Der Sinn der Geschichte (Stuttgart 1964). J. Habermas, Erkenntnis und Interesse (Frankfurt 1968; darin bes. Abschnitt II). Th. Schieder, Geschichte als Wissenschaft. Eine Einführung. 2. Aufl. (München-Wien 1968).
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H. Fleischer, Marxismus und Geschichte (Frankfurt a. M. 1969). F. Graus, Zur Gegenwartslage der Geschichtswissenschaft (Gießen 1969). H. Lüthy, Wozu Geschichte? (Zürich 1969). K. R. Popper, Das Elend des Historizismus. 2. Aufl. (Tübingen 1969). R. Wittram, Anspruch und Fragwürdigkeit der Geschichte. Sechs Vorlesungen zur Methodik der Geschichtswissenschaft und zur Ortsbestimmung der Historie (Göttingen 1969). [Nachtrag 2008: Zur Frage wirksamer Geschichtsmythen noch: H.-D. Kahl, Der Mythos vom Zollfeld, bei A. Moritsch (Hrsg.), Karantanien – Ostarricht. 1001 Mythos, Klagenfurt usw. 1997, S. 51–92, mit reicher Lit. (Wiederabdruck bei Dems., Streifzüge durch das Mittelalter des Ostalpenraums, Ljubljana 2008, S. 153–194, dazu S. 483). Das verhängnisvolle Wechselspiel von „Faktengeschichte“ und „Gedankengeschichte“ beleuchtet tiefschürfend Jan Assmann, Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur, 6. Aufl. Frankfurt/M. 2007, am Beispiel der genannten Gestalt mit Ausblicken auf Nationalideologien, Antisemitismus, Philhellenismus usw. – Zum Problem von Verstehen und Wertung in der Geschichtswissenschaft unten, Beitrag XI, Schlußabschnitt 7.]
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ZU TRADITIONELLEN MITTELEUROPÄISCHEN GESCHICHTSKONSTRUKTIONEN Diskussionsbemerkung Kahl: Herr Schieder hat heute früh am deutschen Beispiel darauf hingewiesen, wie wichtig es für uns ist, daß wir das Geschichtsbewußtsein irgendeines Volkes, mit dem wir uns beschäftigen, nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch Stellung dazu beziehen. Dasselbe wird wohl auch gelten, wenn wir uns hier mit dem Geschichtsbewußtsein der ostmitteleuropäischen Völker außerhalb Deutschlands beschäftigen, um so mehr, wenn sich, wie mir scheint, dabei herausstellt, daß einige wichtige Probleme unserem deutschen Geschichtsbewußtsein und dem der ostmitteleuropäischen Völker gemeinsam sind. Herr Schieder hat die Notwendigkeit der Auseinandersetzung besonders betont am Beispiel des deutschen Geschichtsbildes von 1871. Man wird daneben vielleicht – vereinfacht formuliert – an die Nachwirkungen erinnern dürfen, die sich von dem Erbe der Alldeutschen bis in die Gegenwart geltend machen und die sich letzten Endes auf merkwürdig verschlungenen Umwegen mit Herder und Jakob Grimm in Verbindung bringen lassen, die solche Nachwirkungen in dieser Form selbstverständlich nicht gewünscht haben. Wir haben doch lange dazu geneigt, in unserem eigenen Geschichtsbewußtsein die Entwicklung des deutschen Volkes genealogisch statt soziologisch zu sehen. Ich meine damit, es ist ein Abstammungszusammenhang konstruiert worden, der mit einem Sprachzusammenhang in Beziehung gesetzt worden ist, und es ist nicht gesehen worden, in welchem Umfang in der deutschen Geschichte sich Überschichtungs- und Assimilationsvorgänge vollzogen haben, die für die Ausbildung des deutschen Volkes entscheidend geworden sind. Das Sprachliche und das Volkskundliche sind ganz besonders in den Vordergrund dieses Geschichtsbewußtseins gerückt worden, ähnlich wie Herr Lemberg das für die ostmitteleuropäischen Völker betont hat. Das hat die Folge gehabt, daß auf der einen Seite, wenn ich nochmals auf Jakob Grimm hinweisen darf, eine deutsche Grammatik geschrieben worden ist, die mit großer Selbstverständlichkeit altnordisch, gotisch usw. in den Begriff des Deutschen mit einbezogen hat. Das hat ferner zur Folge, daß
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im landläufigen Geschichtsbild bis heute die Goten der Völkerwanderungszeit mehr oder weniger als Helden unserer Geschichte angesehen werden und daß die Elbslawen des Mittelalters, die in Kriege mit den damaligen Deutschen verwickelt waren, als die „anderen“, die außerhalb unseres deutschen Volkes Stehenden, angesehen worden sind. Ganz parallel wird etwa von den Polen her gegenüber dem größten Teil der Elbslawen oder von den Tschechen gegenüber den Sorben doch die Ansicht vertreten, daß diese Volksstämme eigentlich Bestandteil der polnischen und der tschechischen Geschichte zu sein hätten, auf Grund dieser gleichen, rein sprachlichen, volkskundlichen Kriterien. Mir scheint da etwas vorzuliegen, was sowohl bei uns als auch bei den anderen einer ernsthaften und sachlichen Kritik unterzogen werden sollte. Ein Beispiel aus unserem Bereich wäre dabei etwa die Einschätzung des Elsaß. Das Elsaß ist 1681 aus der gemeinsamen deutschen Entwicklung ausgeschieden, bevor die Entwicklung unseres Nationalbewußtseins in ihr entscheidendes Stadium eintrat. Das Elsaß hat dann an der weiteren Geschichte immer auf der Gegenseite teilgenommen, und Ereignisse, die für die Ausbildung unseres Nationalbewußtseins wichtig geworden sind, wie die friderizianischen und napoleonischen Kriege, sind von den Elsässern auf der anderen Seite erlebt worden; bei uns war dann das Erstaunen groß, daß es den Elsässern schwerfiel, nach 1871 sich ohne Druck als Bestandteil unserer deutschen Nation zu fühlen. Ob nicht eine sehr ähnliche Problematik vorliegt im Verhältnis z.B. der Elbslawen zu den Polen? Sind nicht die Elbslawen und die Oderslawen, soweit überhaupt von einer gemeinsamen Entwicklung mit Polen gesprochen werden kann, auch dort aus dieser gemeinsamen Entwicklung ausgeschieden, bevor es zur Ausbildung eines Nationalbewußtseins polnischer Prägung kam, und sind sie nicht mit ihrem National- und Geschichtsbewußtsein verhältnismäßig früh in ganz andere Zusammenhänge hineingezogen worden? Müssen wir nicht einen Mann wie Niklot, der sich gegen Heinrich den Löwen stellte, vom Standpunkt der deutschen Volksgeschichte her auf eine Ebene stellen mit Widukind, der sich gegen Karl den Großen stellte? In beiden Fällen ein Mann, der ein bis dahin nicht in den deutschen Zusammenhang eingeschmolzenes Volkstum verteidigte, dabei unterlag und im Unterliegen den Weg freimachte für diesen Einschmelzungs- und Überschichtungsvorgang. Und müssen wir von da her nicht sehr viele Dinge anders sehen lernen, sowohl wir, als auch die Polen, als auch die Tschechen? Das geht ja hin bis zu der letzten Konsequenz, daß nach 1945 aus den Gebieten ostwärts der OderNeisse-Linie die gemeinsamen Nachkommen der früher dort ansässigen
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Slawen und der deutschen Einwanderer ausgewiesen worden sind, weil es zur Ausrottung der slawischen Bevölkerung dort in Wahrheit nicht gekommen war. Zum Präzisieren vielleicht noch ein Beispiel: Um die geschichtliche Stellung Schlesiens herauszustellen, ist es verhältnismäßig irrelevant, wenn in den Beiträgen der Geschichte Schlesiens von Ewa Maleczyńska ein Photo veröffentlicht wird mit sehr alten polnischen Sprachbrocken, die auf schlesischem Boden aufgezeichnet worden sind. Um diese Stellung Schlesiens in der Geschichte zwischen Polen und Deutschland herauszustellen und in das Geschichtsbewußtsein beider Völker einzubauen, wäre eine Untersuchung über die Geschichte des Staats- und Nationalbewußtseins in Schlesien von den Anfängen bis heute entscheidend wichtig, wo dann wahrscheinlich für beide Seiten überraschende Dinge zutage treten würden, über die ich aber zu urteilen nicht befugt bin.
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EIN GEFÄHRLICHES ZERRBILD DEUTSCH-SLAWISCHER FRÜHGESCHICHTE Die Öffentlichkeit ist mit Nachdruck zu warnen vor einem neuen Bild europäischer Frühgeschichte, das seit einiger Zeit von sich reden macht und seinen Einfluß teilweise auch auf Philologenkreise ausdehnen konnte. Seine Grundthesen lauten etwa so: Die bisherige Geschichtsschreibung sei „weitgehend einem begrifflichen Irrtum auf der Grundlage einer Fehlkonstruktion erlegen, die der quellendokumentarischen Überlieferung nicht entspricht“. Erste Folge dieses Versagens sei die Erfindung gewesen, ein vorher vermeintlich slawisches Gebiet in Mittel- und Ostdeutschland sei erst durch eine angebliche deutsch-mittelalterliche Ostkolonisation germanisch-deutschem Volkstum gewonnen worden; zweite Folge die Austreibung deutscher Menschen aus großen Teilen dieses Gebiets durch einen neuslawischen Nationalismus, der diese von verantwortungs- und instinktloser deutscher Wissenschaft aufgebrachte „Fehlkonstruktion“ begierig für seine Zwecke ausgenutzt habe: „Irrtum der Wissenschaft – Verlust der Heimat“. Wohl nennten mittelalterliche Quellen immer wieder ostwärts wie teilweise auch westwärts der ElbeSaale-Linie Sclavi bzw. Wenden; diese Begriffe hätten jedoch, wie sich erweisen lasse, damals nicht etwa ein anderes Volkstum bezeichnet, sondern vielmehr „ostelbische Germanen“, von denen auch über die Völkerwanderungszeit hinaus die Hauptmasse der Bevölkerung jener Gegenden gestellt worden sei; Germanen, die sich gegenüber ihren Stammesgenossen westlich genannter Linie lediglich in einem „andersartigen religiösen Zustand“ befunden hätten, nämlich dem des Heidentums, während jene bereits christianisiert waren. Erst im 19. Jahrhundert sei der alte Sprachgebrauch zu dem heutigen umgebildet worden, indem „Slawe“ die Bedeutung annahm, die bis dahin durch „Sarmate“ gedeckt worden sei, und dieser moderne Sprachgebrauch sei dann unkritisch auch in die mittelalterlichen Texte hineingelesen worden. „Die Folgen sind bekannt; sie sind von europäischer Bedeutung.“ Urheber und Verfechter dieser Konzeption ist Walther Steller, geb. 1895 in Breslau, wo er 1922–1940 als Privatdozent und Extraordinarius
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wirkte; seitdem außerplanmäßiger Professor an der Universität Kiel, der als seine besonderen Fachgebiete Deutsche Philologie, Deutsche Volkskunde und Friesisch angibt; zugleich Kulturreferent der Landsmannschaft Schlesien, Landesgruppe Schleswig-Holstein, und Bundesreferent der gleichen Landsmannschaft für Volkskunde und Volkstrachten1. Die Mittel, die zur Verbreitung seiner Gedanken eingesetzt werden, sind: 1. vor allem die umfangreiche Schrift „Name und Begriff der Wenden (Sclavi). Eine wortgeschichtliche Untersuchung“, als Manuskript vervielfältigt in den „Mitteilungen der Landsmannschaft Schlesien, Landesgruppe Schleswig-Holstein“, Nr. 15, Kiel 1959 (304 S.); 2. Mitteilungsblätter und Rundschreiben des genannten landsmannschaftlichen Kulturreferates; 3. kleinere Artikel von Stellers eigener Hand in Zeitschriften verschiedenster Art (z.B. in mehreren Nummern von „Der Schlesier“, 12.–14. Jahrgang, 1960–1962, und in „Schleswig-Holstein“, Monatshefte für Heimat und Volkstum, Neumünster, Heft 8/1960); 4. eine ausgedehnte Vortragstätigkeit, besonders in landsmannschaftlichem Rahmen, aber, wie es scheint, auch in Volkshochschulen u. dgl. m.; 5. mehr oder weniger umfangreiche Berichte von gutwilligen und aufgeschlossenen, wissenschaftlich im strengen Sinne jedoch nicht urteilfähigen Anhängern, die durch vorgenannte Mittel gewonnen worden sind und es nun für ihre Pflicht halten, sich für gebührende Verbreitung der vermeintlichen Wahrheit einzusetzen; wiederum besonders stark in der Vertriebenenpresse (z.B. W. Heidlas, „Das Ende des Märchens der Ostkolonisation. Die deutschen Ostlande im Lichte der Wortgeschichte“, dreispaltig in der „Sudetendeutschen Zeitung“ vom 29. Juli 1961, S. 5). Der umwälzende Charakter der dargestellten Thesen; der Unfehlbarkeitsanspruch, mit dem dabei über „die ganze Naivität“ der bisherigen „historischen Argumentation“ hergezogen wird, die „nicht nur jedem gesunden Menschenverstand widerspricht, sondern auch der gesamten geschichtlichen Überlieferung“2, der beträchtliche Propagandaaufwand, die unverkennbare Suggestivkraft und Wendigkeit, durch die er sich
1 Vgl. Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender, 9. Ausgabe, hrsg. von W. Schuder (Berlin 1961), S. 2017 (zusammengestellt nach den eigenen Angaben der aufgenommenen Persönlichkeiten!): dazu das Titelblatt des gleich zu nennenden Stellerschen Buches. 2 So zwei von unzähligen gleichartigen Stellen der genannten Stellerschen Schrift, S. 12 und 13.
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auszeichnet: dies alles verlangt auch an diesem Ort eine eingehende orientierende Stellungnahme3. 1. Germanistische Grundlagen Stellers Thesen berühren im einzelnen folgende wissenschaftliche Fachdisziplinen: a) die Geschichtswissenschaft, sofern sie auf Interpretation schriftlicher Quellennachrichten aufbaut, b) die Spatenforschung, die nicht nur im prähistorischen, sondern auch im frühgeschichtlichen Bereich durch Erschließung und Auswertung von Bodenfunden entscheidende Beiträge zur Entwicklung des bisherigen Geschichtsbildes geleistet hat, c) die Slavistik, die besonders von der historischen Ortsnamensforschung her nicht minder grundlegend am Aufbau dieses Bildes beteiligt war, d) die Germanistik, der Steller seine wichtigsten Gegenargumente zu entnehmen sucht, um nur die wichtigsten zu nennen. Wir werden ihm am besten gerecht werden, wenn wir ihn zuerst auf diesem letzten, seinem ureigensten Fachgebiet aufsuchen, auch wenn das einen für manchen Historiker unbequemen Ausblick in fachfremde Gefilde bedingt. Um ihn weitestmöglich zu beschränken, greifen wir ein einziges charakteristisches Beispiel heraus: die Behandlung des Ortsnamens Lübeck. Auf sie freilich muß, um Stellers Arbeitsmethode klar genug zu beleuchten, mit einiger Ausführlichkeit eingegangen werden: um so kürzer werden wir uns anschließend fassen dürfen. Bisherige Forschung war sich im wesentlichen einig, daß die Hansestadt ihren Namen von dem slawischen Burgort und Herrschersitz L’ubice (Ljubice, mit c = z, betont auf der ersten Silbe) übernommen hat, dem heute unbewohnten sog. Alt-Lübeck 6 km nördlich des jetzigen 3 Wissenschaftliche Rezensionen s. unten Anm. 28. Die nachstehenden Ausführungen sind bemüht, nach Möglichkeit nur Gesichtspunkte hervorzuheben, die dabei noch nicht berührt worden sind. Ein Teil der Gedanken des V. Abschnitts (unten S. 40 f.) wurde bereits in „Forschungsfragen unserer Zeit“ 7 (1960), S. 174–176 angedeutet, wo leider übergroße räumliche Beschränkung das Bild übermäßig stark zugunsten Stellers verschob.
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Stadtkerns4. Steller schöpft diese Kenntnis laut S. 21 seines Buches nicht aus der einschlägigen Literatur, sondern aus dem „Baedeker“ für Schleswig-Holstein und Hamburg (Hamburg 1952) und dem ABKStadtplan Hansestadt Lübeck, 2. Aufl. (Eutin 1950), die naturgemäß nur das genannte Ergebnis der Wissenschaft anführen, jedoch keins ihrer Argumente. Ohne ersichtliche Prüfung und Auseinandersetzung führt Steller dagegen seine eigene Deutung ins Feld (S. 24): „Die Namensform der Stadt Lübeck kann unmittelbar mit der gleichen Namensform der westfälischen Stadt Lübbecke verglichen werden; beide sind einwandfrei germanischdeutschen Ursprungs.“ Der zweite Bestandteil beider sei nämlich nichts als niederdeutsche Parallele zu Bach; „die erste Silbe . . . entspricht lautlich dem gleichen Bestandteil in liu-te = hochdeutsch: Leute“; Lübeck gehöre folglich weiterhin zusammen mit hochdeutschen Formen des gleichen Namens wie Leubach oder – in süddeutscher Entrundung – Laibach, beide mehrfach bekannt, das zweite vor allem in „der bekannten Hauptstadt des einstmals deutschsprachigen Südostens von Österreich . . . an der Save“. An diesen Aufstellungen scheint dem germanistisch etwas vorgebildeten Leser Verschiedenes überraschend. Der Dental in Leute ist bisher auf Grund zahlreicher Parallelen in verschiedensten indogermanischen Sprachen5 als stammhaft betrachtet worden, nicht als beliebig abtrennbares formantisches Element. Immerhin wäre der Ausfall dieses Lauts noch erklärbar durch Assimilation an das folgende -b- mit anschließender Vereinfachung der so entstandenen Doppelkonsonanz nach Langvokal bzw. Diphthong (vgl. den heutigen Namen Leopold, ursprünglich = Luitpold), und der guter Leut-Bach im Gießener Zinsregister von 15536 zeigt, daß grundsätzlich in derartiger Richtung gesucht werden darf. Wie aber steht es z.B. mit der etymo-
4 Vgl. am besten C. Borchling, Zum ältesten Namen von Lübeck (Korrespondenzblatt des Vereins für Niederdeutsche Sprachforsch. 31, 1910, S. 62–64). – Für den Jahrgang 1962 der „Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde“ ist ein eingehender Forschungsbericht über den Ortsnamen Lübecks geplant. Über Alt-Lübeck s. unten Anm. 12. 5 Vgl. J. Pokorny, Indogermanisches etymologisches Wörterbuch I (Bern/München 1959), S. 684 f.; F. Kluge – W. Mitzka, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache 17 (Berlin 1957), S. 437. 6 Vgl. F. Kraft, Gesch. v. Gießen und der Umgegend bis zum Jahre 1265 (Darmstadt 1876), S. 51 Anm. 3.
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logischen Gleichsetzung zweier Namen, von denen der eine -bb-, der andere nur -b- aufweist? Selbstverständlich darf man nicht von den heute offiziellen Schreibungen ausgehen, deren Form nur zu oft bürokratische Launen und Zufälle verschiedenster Art bestimmten. Ersten Zugang zu authentischerem Material bietet das bequemste Hilfsmittel zur Städtnamenforschung in Deutschland, jedem Ortsnamenforscher bekannt und im Lesesaal jeder größeren wissenschaftlichen Bibliothek zugänglich: das „Deutsche Städtebuch“, herausgegeben von E. Keyser, das unter Nr. 1 jedes Stichworts die älteste Namensüberlieferung zusammenzustellen sucht – der Nordostdeutschland mit Schleswig-Holstein behandelnde Teil erschien 1939, der Westfälische Teilband 1954; beide lagen also bei Abfassung des Stellerschen Manuskripts bereits vor. Sieht man sie ein, so zeigt ein Blick, daß die Verknüpfung von Lübbecke und Lübeck unmöglich stimmen kann7. Nun sind allgemeine Handbücher dieser Art nicht immer in allen Einzelheiten zuverlässig, und das bestätigt sich auch hier, wenn man unmittelbar auf die Quellen zurückgeht; der allgemeine Eindruck jedoch, den der Blick in das Städtebuch weckt, das Urteil über Stellers wissenschaftliche Leistung, das er nahelegt, werden dadurch um so nachdrücklicher bestätigt. Für Lübbecke verfügen wir über ein reiches Material, aus dem mit voller Sicherheit hervorgeht: der Name, bereits zu 775 bezeugt, lautete damals nicht, wie nach Stellers Voraussetzungen zu erwarten, ∗Liu(d)beki, sondern Hlidbeki. Er besaß also alten H-Anlaut, als Stammsilbenvokal keinen Diphthong, sondern einen einfachen -i-Laut, an vierter Stelle einen Dental, der damals wie th in engl. that gesprochen worden sein muß. Dieser Name wurde im Rahmen normaler Entwicklungen, wie sie sich auf dem Wege vom Altsächsischen zum Mittelniederdeutschen vollziehen konnten, allmählich so umgebildet, daß schon im 13. Jahrhundert – nur mit -u- für -ü-, für das eine eindeutige Schreibgewohnheit damals fehlte – die heute offizielle Form erscheint, doch hatte sie sich noch bis zum Jahrhundertende so wenig durchgesetzt, daß Nachklänge des -i-Lauts wie des Dentals immer
7 Vgl. Gg. Fink, in: Deutsches Städtebuch I (Nordostdeutschland), hrsg. v. E. Keyser (Stuttgart/Berlin 1939), S. 417; E. Schmidt (u.a.), ebd. III, 2 (Westfälisches Städtebuch; Stuttgart 1954), S. 226. Die aufgeführten Formen sind in der Schreibung nicht immer korrekt, auch werden Original- und Kopialüberlieferung in der zeitlichen Einordnung nicht immer so geschieden, wie es modernen Anforderungen namengeschichtlicher Forschung entspricht. Zur Berichtigung s. unten Anm. 8 und 10.
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wieder auftauchen8. Von diesen Beobachtungen aber schließt jede einzelne zunächst eine etymologische Verknüpfung mit nhd. Leute in voller Sicherheit aus, schon weil dieser zweite Stamm niemals den H- (bzw. vorgerm. K-)Anlaut besessen hat; stattdessen ist Zusammenhang mit nhd. Leite „Berghang, Halde“ (ahd. hlîta) anzunehmen9. Der gleiche Befund verbietet aber ebenso klar den Anschluß von Lübbecke an Lübeck; denn diejenigen Überlieferungen, von denen für die Etymologie dieses Ortsnamens auszugehen ist, zeigen in verschiedenen Schreibvarianten, wie sie das Fehlen genormter Orthographie im Mittelalter nach sich zu ziehen pflegt, geschlossen Formen, die ∗Ljúbize ausgesprochen werden müssen10. Dabei erscheint in der zweiten Worthälfte wohl eine Form, die sich als nordseegermanische Entsprechung jenes -beki = „Bach“ nehmen ließe und im 12. Jh. tatsächlich so aufgefaßt worden sein muß, denn nur so läßt sich die Umbildung dieses -bize zu -beke/-beck im Rahmen damaliger geläufiger Sprachentwicklung erklären. In der entscheidenden ersten Worthälfte aber fehlt nicht nur der für Lübbecke weit länger noch charakteristische Dental11 –
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Die korrekten Formen sind: 775 (nach etwa gleichzeitigen und wenig jüngeren Quellen) altsächs. Hlidbeki, verhochdeutscht Lidbach, auch Lidbechi; 975 (aus den Varianten mehrfacher Kopialüberlieferung der fraglichen Kaiserurkunde zwingend erschließbar) ∗Lidhbeke, 1033 (Originaldiplom) Lippeke, Ende 12. Jh. (Originalaufzeichnung nach Quelle um 1142) Liuthbik (mit -iu- für -ü- meist langen, gelegentlich kurzen Lautwerts), im 13. Jh., vorherrschend Lutbeke (18 Originalurkunden 1203 bis 1300), an zweiter Stelle Lubbeke (6 Originalurkunden 1256–1299; beide -u-Formen wie die folgenden gleichfalls -ü- zu lesen), an dritter Litbeke (4 Or. 1227–1286) und weitere Varianten, von denen Libbecke (2 Or. von 1221), Libeke (1 Or. 1241), Lubbeche (1 Or. 1233) und Ludbeche (2 Or. 1293 und 1300) Hervorhebung verdienen. Für den Einzelnachweis muß auf den oben Anm. 4 angekündigten Bericht verwiesen werden. 9 So auch H. Jellinghaus, Die westfäl. Ortsnamen nach ihren Grundwörtern 3 (Osnabrück 1923 = 1930), S. 20, vgl. 15. 10 Für die Beurteilung der Frage, ob germanischer oder slawischer Namensursprung vorliegt, sind alle Formen auszuscheiden, die jünger sind als die Gründung der deutschen Stadt Lübeck (1143), mit der spätestens der Name definitiv in deutschen Mund überging und dort ein sprachliches Eigenleben, losgelöst von etwaiger andersartiger älterer Grundlage, beginnen konnte. Da zwei Urkunden von 1139 und 1141 in ihrer Echtheit umstritten sind, mithin nicht zwingend für die Namensform ihrer Nennjahre zeugen, sind wir folglich auf das angewiesen, was aus der Überlieferung des um 1075 schreibenden Adam von Bremen durch entsprechendes Alter oder durch genügend zahlreiche und unabhängige Parallelüberlieferung in jüngeren Handschriften hervorragt. Es sind dies Liubice (Adam Schol. 12, bes. nach Handschrift A 2, um 1100), Leubice Ad. III, 20, und Liubicen Ad. Schol. 96, sämtlich mit -i- bzw. -e- für -j-. 11 Der Dental fehlt auch in späterer Überlieferung. W. Ohnesorge, Deutung des Namens Lübeck (Beilage zum Jahresbericht 1910 des Katharineums zu Lübeck), S. 15 u.ö. nennt zwar unter insges. 128 verschiedenen Varianten, die er aus der Gesamtüberlieferung bis 1470 ebenso fleißig wie unkritisch zusammengetragen hat, als eine
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es tritt auch ein völlig abweichender Vokalismus hervor, der sich schwer anders deuten läßt denn als Umschreibung eines slaw. L’u- in deutschem Munde. Ein slawisches ∗L’ubici fügt sich reibungslos in bekannte gemeinslawische Ortsnamentypen ein und hat nicht wenige Entsprechungen in anderen Gegenden des gesamtslawischen Sprachraums. Den Ausschlag gibt jedoch, daß auch das reiche archäologische Fundmaterial von Burg und Burgort Alt-Lübeck in eindeutiger Weise dem gemeinslawischen, nicht dem germanischen Kulturkreis zuzuweisen ist – nehmen wir neben reicher keramischer Ausbeute nur die figürliche Knochenritzung mit einer Personendarstellung, die bei den Grabungen des Jahres 1954 zum Vorschein kam und etwa auf 1100 zu datieren ist12. Und Laibach? Bleiben wir unter den von Steller aufgezählten Namensvertretern nur bei der, nach ihm, „bekannten Hauptstadt des einstmals deutschsprachigen Südostens von Österreich . . . an der Save“ (s. oben S. 28), so stellen wir zunächst fest: dieser „deutschsprachige Südosten“ spricht seit weit über einem Jahrtausend in der Masse seiner Bevölkerung slowenisch mit wenigen deutschen Sprachinseln, zu denen lange Zeit, erst seit dem vorigen Jahrhundert stärker slawisiert, Laibach zählte, und mit gewissen italienischen Einflüssen in der westlichen Randzone. Die Stadt hat infolgedessen, was in einer namenkundlichen Untersuchung immerhin beiläufige Erwähnung verdient, seit alters drei Namen nebeneinander gehabt: deutsch Laibach, slowenisch Ljubljana
Variante zu Adam Luitbeke. Sie taucht jedoch ebensowenig wie einige andere im Variantenapparat der jetzt maßgeblichen Schmeidlerschen Ausgabe Adams von 1917 auf und dürfte auf älterer Fehllesung oder sonstigem Versehen beruhen. 12 Vgl. W. Neugebauer, Eine figürliche Knochenritzung vom Burgwall Alt Lübeck (Jahrb. d. Röm.-Germ. Zentralmuseums Mainz 3, 1956, S. 164–167 mit Taf. 13). – Ebd. S. 164 Anm. 1 Nachweis älterer Grabungsberichte für diesen Ort; vgl. ergänzend dens., Das Suburbium von Alt Lübeck (Zeitschr. d. Vereins f. Lüb. Gesch. 39, 1959, S. 11–28). Es ist kein Zweifel möglich, daß insbes. auch die bisher identifizierten keramischen Funde des Ortes mit Ausnahme wohl nur einer einzigen Scherbe eindeutig slawisch sind, und zwar verschiedenen Stilperioden slawischer Keramik zuweisbar (zur von Steller bestrittenen Einordnung dieser Funde als „slawisch“ im heutigen Wortsinn s. unten S. 40–43). Weiterhin ist beachtlich das im Burgwall aufgedeckte steinerne Kirchenfundament, das offenbar bald nach 1100 von dem, damals verbreiteter Strömung folgend, deutschnamigen, aber in den Quellen eindeutig als S(c)lavus gekennzeichneten Fürsten Heinrich errichtet wurde, auch das ein bemerkenswerter Hinweis gegen die ausschließliche Auffassung dieses Quellenbegriffs als religiösen Terminus für Nichtchristen. Unter den Metallgegenständen Alt-Lübecks fanden sich sog. „Schläfenringe“, eine besonders typische Leitform slawischer Kultur, weit über den einst slawischen Raum Deutschlands hinaus verbreitet, bei Germanen hingegen meines Wissens noch niemals beobachtet.
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(heute offizieller Name im jugoslawischen Staatsverband) und italienisch Lubiana. Von ihnen ist der dritte, als Lubigana (mit -g- = Gleitlaut -j-), schon 1146 überliefert13, unzweifelhaft unmittelbar aus dem zweiten entlehnt, für den bis ca. 1000 und später die Form ∗Ljubjana vorauszusetzen ist; er bezeugt damit auch für diesen ein höheres Alter. Das Verhältnis des deutschen Namens zum slowenischen ist ein schwieriges, mehrfach diskutiertes Problem, das seiner Lösung noch immer harrt14. Gegen Steller spricht schon, daß die älteste urkundlich gesicherte Form nicht Laibach, sondern Leibach ist (mit -ei- ungefähr = -äi-; bezeugt 1164 und weiter bis tief ins 13. Jh.), gegen die Laibach, bekannter Lautentwicklung folgend, erst seit der Wende zum 13. Jh. allmählich vordringt. Das paßt weder lautlich noch zeitlich in das Bild, das die Forschung sich bisher von der spätmittelalterlichen „Entrundung“ im bairischen Mundartgebiet gemacht hat, und ist schon deshalb dem Anschluß an Leute nicht günstig. Der Dental fehlt auch hier. Vor allem aber ist Laibach nicht mit Steller an der Save zu suchen, sondern an einem ihrer Nebenflüsse, im Deutschen der Stadt gleichnamig – vielleicht wie in unzähligen anderen Fällen für sie namengebend –, im Slowenischen Ljubljanica benannt (-c- auch hier mit Lautwert = -z-). Dabei ist entscheidend, daß es sich bei diesem schiffbaren Fluß nicht um „einen“, sondern um „eine“ Laibach, d.h. um eine Femininbildung handelt. Unstreitig kommt das Grundwort Bach, das Steller für Lübeck, Lübbecke und Laibach gemeinsam voraussetzt, in den verschiedenen germanischen Sprachen teils männlich, teils weiblich vor, und das zweite ist auch in zahlreichen deutschen Mundarten zu finden. Gerade aus dem gesamtbairischen Dialektraum, dem die Laibacher Gegend als Außenposten zuzuordnen ist, sind bisher jedoch keine Beispiele dafür beigebracht worden: hier haben wir bis zu ausdrücklichem Beleg des
13 Vgl. J. Zahn, Urkundenbuch d. Herzogthums Steiermark I (Graz 1875), n. 253, S. 261 f. Zur Begründung der obigen Auffassung und den sonstigen hier angeschnittenen Laibacher Problemen muß erneut auf den oben Anm. 4 angekündigten Bericht verwiesen werden. 14 Vielleicht ist Laibach Entlehnung aus slowen. Ljubija, dem vermutlich ursprünglichen Namen der gleich zu erwähnenden Laibach/Ljubljanica, mit analogischer Angleichung an deutsche -ach-Bildungen, wie sie auch für andere slawische Namen in deutschem Munde nachweisbar ist, und hat unter Einfluß der slawischen Sprachumgebung eine abnorme Lautentwicklung genommen. – Die nachstehenden Belege bei Fr. Schumi, Urkunden- und Regestenbuch des Herzogtums Krain I/II (Laibach 1882–1887); zur Auswertung beachte die Grundsätze oben Anm. 7 u. 10.
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Gegenteils mit durchgängig maskulinem Bach zu rechnen15. Sollte Laibach als Name aus rein deutscher Wurzel entstanden sein, so wäre mithin gar nicht Lai-bach zu trennen, sondern Laib-ach, gebildet mit dem verbreiteten femininen Bestandteil (etymologisch = lat. aqua), den in verschiedener Lautform zahlreiche Gewässer- und Ortsnamen aller germanischen Sprachen zeigen. Auch von hier aus entbehrt Stellers These, an bisheriger Kenntnis gemessen, nicht weniger als aller Grundlagen, und man hätte mindestens das Bedürfnis nach Erklärungen, die eine Brücke zwischen dem Quellenbefund, dem bisherigen Bilde und der neuen Theorie zu schlagen versuchten; Erklärungen, aus denen sich entnehmen ließe, daß der Urheber so umwälzender Neuerungen die Problematik, die sich mit ihnen verknüpft, wenigstens gesehen hat. Aber nichts dergleichen erfolgt, weder hier noch für die zahllosen anderen germanischen „Etymologien“, mit denen Steller den bisher angenommenen frühmittelalterlich-slawischen Charakter der Lande ostwärts der Elbe-Saale-Linie aus den Angeln zu heben sucht. So wundert man sich nicht, wenn ein Ordinarius für Germanistik – immer wieder zu betonen: des von Steller selbst als sein ureigenstes Fachgebiet in Anspruch genommenen Wissenschaftszweiges – in ausführlicher Rezension des genannten Buches zu dem Ergebnis kommt: „Wenn ich ein solches Manuskript als Dissertation vorgelegt bekäme, würde ich es pflichtgemäß ablehnen müssen16.“ 2. Slavistische Grundlagen Auf Stellers Qualitäten als Slavist hat bereits der vorige Abschnitt einiges Licht fallen lassen. Im Bereich dieser Nachbarwissenschaft übt sein Buch vor allem immer neue, besonders heftige Polemik gegen Reinhold Trautmann († 1951), einen Forscher, der in slavistischen Fachkreisen als hochverdient gilt. Keiner hatte zuvor die Durchforschung des nach bisheriger Ansicht slawischen Ortsnamenmaterials der fraglichen Teile Deutschlands mit gleich umfassender Systematik betrieben: Steller rügt, Trautmann habe dabei „unmethodisch und vernunftwidrig ostelbische Flurnamen mit russischen, kroatischen, bulgarischen, polnischen,
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Vgl. O. Philipp, Die Bach (Zeitschr. f. deutsche Mundarten 1906–1908); bes. 1907, S. 210 und 217 sowie 1908, S. 57 und 344 f. 16 G. Cordes (Kiel!), in der unten Anm. 28 genannten Rezension, S. 316 (= S. 20 f. des Sonderdrucks).
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tschechischen und ähnlichen Wortstämmen zusammenklittern“ wollen, statt sie nach den „naheliegenden Gesichtspunkten“ germanischer Sprachverwandtschaft durchzuprüfen (Steller, S. 132); Gesichtspunkten, von denen Proben ja soeben vorgelegt worden sind. Er selbst hat die Durchprüfung des von Trautmann herangezogenen Vergleichsmaterials – des einzigen, an Hand dessen die Frage sprachlicher Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zur slawischen Sprachwelt füglich entschieden werden kann – unterlassen, vielmehr wiederum einfach eigene Behauptungen den älteren Thesen entgegengesetzt, ohne auch nur an einem einzigen Beispiel deren Unhaltbarkeit schlüssig darzutun, was da und dort, d.h. in Einzelfällen, an sich durchaus möglich ist17. Nicht einmal Trautmanns jüngstes und umfassendstes Werk, „Die elb- und ostseeslawischen Ortsnamen“, zieht er heran, das doch lange vor dem Druck seiner eigenen Arbeit abgeschlossen war (abteilungsweise erschienen in den Abhandlungen der Berliner Akademie 1948, 1949 und 1956); nur zwei im wesentlichen gleichlautende kleinere Schriften des Kontrahenten werden zitiert, die sich geographisch auf wesentlich engeren Raum beschränken und vor allem in der grundlegenden Einleitung wesentlich gedrängter sind (vgl. Steller, S. 103, 105 u.ö.). Von solcher Basis aus polemisiert Steller z.B. dagegen, daß Trautmann die verbreiteten -gard-Namen seines Untersuchungsgebiets (Typ Stargard) als slawisch in Anspruch nimmt: der zweite Bestandteil sei deutlich germanisch, lasse er doch die „in den westslawischen Sprachen zumeist“ übliche Umstellung von Vokal und ursprünglich nachfolgendem -r- wie auch -l- vermissen: „Die slawische Form – und hier hätte sodann noch die jeweilige lautgesetzliche Differenzierung slawischer Dialekte berücksichtigt werden müssen – würde Metathese zeigen, wie tschech. král, asorb. krol aus ,Karl‘ (nach Karl dem Großen) in der Bedeutungsentwicklung ,König‘ oder obersorb. grod ,Schloß, Burg‘, atschech. grad . . . Bei Trautmann jedoch finden wir nirgends auch nur den Versuch, zu solch einer Behandlung der . . . Namen vorzustoßen, ja, wo sich die (germanischen) Zusammenhänge geradezu anbieten . . ., wird es absichtsvoll (!) vermieden“ (S. 105). Man muß dazu nur Bd. I, S. 30, und Bd. II, S. 67 f. des von Steller nichtbenutzten Hauptwerks von Trautmann aufschlagen, wo die einschlägigen grammatischen Probleme ausführlich behandelt sind, und
17 Vgl. z.B. M. Vasmer, Zur brandenburgischen Namenforschung (in: „Die Sprache“ 5, 1959, S. 209 bis 212).
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zwar unter einer Berücksichtigung der „jeweiligen lautgesetzlichen Differenzierung slawischer Dialekte“, wie sie deutlicher schwer geboten werden kann. Man wird dann finden, daß Stellers Argumentation sich etwa auf gleichem Niveau bewegt, als wolle jemand behaupten, die mittel- und niederdeutsche Wortform Born könne unmöglich der germanischen Sprachfamilie entsprungen sein, da ja althochdeutsch und altniederdeutsch brunno (nachlebend in unserem „Brunnen“), neuniederländ. bron, altnord. brunnr mit Nachfolgeformen wie norweg. und schwed. brunn so deutlich-einheitlich abweichende Lautverhältnisse zeigten. Hat in diesem Fall das Mittel- und Niederdeutsche eine lautliche Sonderentwicklung durchgemacht, die das ursprünglich einheitliche Bild in begrenztem Bereich störte, so zählt es umgekehrt zu den charakteristischen, wissenschaftlich allgemein bekannten Besonderheiten des alten Elb- und Ostseeslawischen, daß es die im Westslawischen – wie Steller selbst sehr richtig einschränkt: „zumeist“ – erfolgte LiquidaMetathese eben gerade als einziges Idiom dieser Gruppe großenteils nicht mitgemacht hat18. Es ist müßig, diesem Beispiel slavistischer Arbeitsweise weitere zur Seite zu stellen, was mit Leichtigkeit möglich wäre. Festgehalten zu werden verdient jedoch, daß die Art des Umspringens mit wissenschaftlich Andersdenkenden, wie sie bei dieser Gelegenheit besonders deutlich hervortritt, leider als die in Stellers Buch normale bezeichnet werden muß. 3. Archäologische Grundlagen Für die archäologische Fundierung der Stellerschen Thesen hat der Fall Lübecks gleichfalls schon ein Beispiel gegeben, das in seiner Art – besonders durch die weitestgehende Nichtberücksichtigung einschlägigen Materials – für die Arbeitsweise dieses Neuerers ungemein typisch ist. Nicht erledigt werden konnte im dortigen Zusammenhang ein Einwand, den Steller von seiner Position aus gegen die dabei vorgetragene Argumentation erheben würde. Die Interpretation von Bodenfunden ostelbischer Herkunft als „slawisch“ im heutigen Sinn dieses Wortes, so würde er sagen, beruhe ja
18 Vgl. neben Trautmann die Übersicht bei W. Vondrák, Vergleichende Slavische Grammatik I (Göttingen 1906), S. 7–11, dazu 293 ff. (die Neuauflage von 1924 war leider nicht zugänglich). – Zu den -gard-Namen noch unten Anm. 26.
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eben auf der angeblich vorgefaßten Meinung, dieser Ausdruck habe von jeher nichts anderes als einen Volksnamen bedeutet; mache man sich seine „Beweisführung“ zu eigen, so sei die unausweichliche Folge, daß auch dieses Material zwar weiterhin den Sclavi der schriftlichen Quellen zugewiesen, mit ihnen aber als „elb- und ostseegermanisch“ angesprochen werden müsse. Der Einwand ist bedeutsam, und man wird nicht umhin können, sich ihm zu beugen – wenn nur einige zusätzliche Fragen, die sich bei Lektüre des Stellerschen Buches ergeben müssen, von seiner Seite die Antwort finden, die man dort vergeblich sucht. Bisherige Forschung glaubte, an den Bodenfunden des ostelbischen Deutschland sowohl die Abwanderung der Masse einer älteren germanischen Bevölkerung als auch die Zuwanderung der späteren Wendenstämme an der Wende zum Mittelalter eindeutig greifen zu können. Wenn wir nun diese Auffassung preisgeben müssen: wie sollen wir uns dann den tiefgreifenden Kulturwandel erklären, der sich nach Ausweis der gleichen Funde seit der Völkerwanderungszeit im Bereich dieser ostelbischen Germanen vollzogen haben müßte; einen Kulturwandel, der sie – und sie allein! – aus dem gemeingermanischen Zusammenhang herausgerissen hätte? Wie kommt es, daß die Germanen vor diesem zeitlichen Einschnitt ihren Toten immer wieder reiche Grabbeigaben zuwandten: Waffen und kostbaren Schmuck vor allem, dazu reichlich Gebrauchsgut für den täglichen Bedarf – Gold und Silber, Bronze und Eisen, Glas, Bernstein, Knochenwerk, Steinwerk, Räucherharz u. a. m. –, während nachher die Beigaben so spärlich werden, daß es ungleich schwerer ist, von der Kultur jener späteren Jahrhunderte im ostelbischen Raum ein auch nur einigermaßen plastisches Bild zu entwerfen? Wie kommt es, daß die Häuser dieser späteren Zeit, über die die heutige Archäologie recht genaue Aussagen machen kann, sich in ihrer Bauweise so charakteristisch gerade von den eindeutig germanischen Überresten jener älteren Periode selbst in unmittelbarster räumlicher Nachbarschaft abheben? Wie, daß nicht nur die Wohnkultur, sondern etwa auch die Keramik dieses Raumes um die bezeichnete Wende sich dermaßen einschneidend wandelt, immer und immer wieder zu einer in gewisser Weise primitiveren Stufe? Warum verloren die „Elbgermanen“ dieser späteren Zeit mit einem Schlage jene Lust an der Jagd, die ihnen vordem so viel bedeutet haben muß, und verlegten sich stärker auf die Viehzucht, so daß die Knochenfunde ihrer Herd- und Abfallstellen nunmehr ein grundlegend andersartiges Mischungsverhältnis zwischen den Resten von Jagd- und von
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Haustieren aufweisen als zuvor? Wie schließlich kommt es, daß so gut wie alle archäologischen Funde dieser späteren Epoche aus Mittel- und Ostdeutschland mit einem Schlage immer wieder ihre Entsprechung in solchen außerdeutschen Gebieten finden, deren alte slawische Besiedlung (im heutigen Sinn dieses Wortes) auch Steller nicht bestreiten wird, während die Verbindungen zu den gleichzeitigen germanischen Kulturkreisen, von wenigen und eindeutigen Importstücken abgesehen, völlig abreißen – ausgerechnet zu denjenigen Bereichen, in denen, was zuvor auch ostwärts der Elbe lebte, gewiß nicht unverändert blieb, aber doch in durchaus faßlicher Weise von der alten gemeinsamen Basis aus weiterentwickelt wurde19? Solange Steller nicht erkennen läßt, daß er von diesen Problemen allen auch nur ein einziges wenigstens gesehen hat, werden wir uns keinesfalls „geringe Überschau“, „Denkunfähigkeit“ und gedankenloses Festhalten an einer „immer wieder nachgeschriebenen und unüberprüft kolportierten Meinung . . . in Verfolg des durch die ,Slawomanie‘ des 19. Jahrhunderts aufgekommenen Irrtums“ vorzuwerfen haben (so sämtlich bei Steller auf der einen S. 111), wenn wir über seine Thesen hinweg – zur Tagesordnung übergehen. 4. Historische Grundlagen Ein Blick muß noch auf die Art geworfen werden, wie Steller mit den eigentlich historischen Materialien umgeht: der Geschichtsschreibung und der urkundlichen Überlieferung, die ja gerade für die fraglichen Gegenden verhältnismäßig früh ungleich reichhaltiger einsetzt als für so manche Landschaft des westdeutschen Binnenlandes. Für die zweite Quellengruppe ist die Antwort besonders schnell gegeben: Steller hat sie überhaupt nicht herangezogen – weder, wie gezeigt, für seine Ortsnamenforschung, noch für die „wortgeschichtliche Untersuchung“, die der Untertitel seines Werkes verspricht; einfach unbenutzt gelassen, obwohl es sich dabei allein an publizierten Materialien für die ostelbischen Landschaften Deutschlands um an die hundert Bände
19 Vgl. für viele: G. Behm, Eine spätslawische Siedlung bei Berlin-Kaulsdorf (Prähist. Zeitschr. 32/33, 1941/42, S. 260–296), wo auch die Beziehungen des Fundmaterials zum gemeinslawischen wie zum gemeingermanischen Kreis erörtert werden.
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handelt20, in jeder wissenschaftlichen Bibliothek ohne große Schwierigkeit greifbar – mindestens durch den auswärtigen Leihverkehr –, und obwohl dieses Material für die Klärung des mittelalterlichen SclaviBegriffs eine Fülle unentbehrlicher Belege enthält. Und die erste Gruppe? Wir beschränken uns auf die besonders wichtige „Slawenchronik“ des holsteinischen Priesters Helmold von Bosau (um 1170), der Steller im Rahmen des Kapitels: „Der Gebrauch der Worte ,Wenden‘ und ,Slawen‘ (Sclavi) in den Chronikberichten“ einen eigenen Abschnitt widmet (S. 169–174). Der erste Eindruck ist, daß dabei die Ausgabe zugrunde gelegt wird, die Pertz 1868 veranstaltet hat. Sie ist beim heutigen Forschungsstand kaum als Notbehelf in ungünstigster Bibliothekssituation noch vertretbar – Steller wirkt als Professor in Kiel, dessen Universitätsbibliothek bekanntermaßen vorzüglich ausgebaut ist21. An zweiter Stelle fällt auf, daß Steller, man muß schon sagen: die Stirn besitzt, zu behaupten (S. 169), „neuere Forschungen“ über den Quellenwert Helmolds würden „zusammengefaßt“ – in Wattenbachs Beitrag zur „Allgemeinen Deutschen Biographie“, Bd. XI von 1880! Die dazwischenliegenden Jahrzehnte haben die Diskussion in außerordentlich intensiver Weise weitergeführt, vor allem im Anschluß an das umfangreiche Werk des russischen Forschers D. N. Jegorov über „Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrhundert“ (russisch: Moskau 1915; deutsch: Breslau 1930 – also erschienen zur Zeit, als Steller selbst ebendort wirkte –, 2 Bd.). Steller nennt weder diesen Namen, noch die zum Teil äußerst wichtigen anschließenden Stellungnahmen22! Seit 1880 sind nicht weniger als acht bibliographische Hilfsmittel erschienen, mit denen sowohl neuere Ausgaben als auch neuere Literatur sich leicht 20 Eine Übersicht über die meisten wichtigen Publikationen, die hier zu berücksichtigen sind, bietet R. Kötzschke in seiner bekannten Sammlung: Quellen zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation im 12. bis 14. Jh.2 (Leipzig/Berlin 1931), S. (VIII). Es handelt sich dabei zum Teil um Reihen von 20 und mehr Bänden. 21 Die heute maßgebliche Ausgabe stammt von B. Schmeidler (1937); zwischen ihr und der von 1868 liegt noch eine weitere dieses gleichen Herausgebers von 1909. 22 Einige Stellungnahmen verzeichnet der Literaturbericht von B. Schmeidler, Hist. Zeitschr. 146 (1932), S. 333–340 (hervorzuheben bes. H. Witte, Jegorovs Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jahrhundert. Ein kritisches Nachwort, Breslau 1932); vgl. weiter B. Schmeidler, Über die Glaubwürdigkeit Helmolds usw. (Neues Archiv 50, 1935, S. 320–387); A. Brückner, Zur slavischen und slavodeutschen Namenforschung (Zeitschr. f. Ortsnamenforsch. 2, 1926/27), S. 68 f.; dens., Mischnamen (in: Slavia 12, 1933/34), S. 173 f.; J. Pfitzner, Zur deutschslavischen Siedlungsgeschichte Mecklenburgs usw. (Jahrb. f. Kultur u. Gesch. d. Slaven, N. F. 9, 1933), S. 185–193, u. a. m.; sämtlich von Steller nach Ausweis seines Anmerkungsapparats nicht benutzt.
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hätten feststellen lassen; Hilfsmittel, die man in jedem Historischen Universitätsseminar erfragen kann, weil jeder Student der Geschichte sie schon im Proseminar der Mittelalterlichen Abteilung kennenlernt – überdies zählen großenteils auch sie zum festen Bestand wiederum schon des Lesesaals jeder größeren wissenschaftlichen Bibliothek. Steller vermochte offenbar keins von ihnen aufzufinden (besonders schwerwiegend für das von W. Stammler u.a. herausgegebene Verfasserlexikon der deutschen Literatur des Mittelalters, das ja auch für den Germanisten zum selbstverständlichen Rüstzeug gehört)23. Stellers weitere Auslassungen über Helmold – zwar nicht in dem ihm gewidmeten Abschnitt, der wesentlich aus breit ausgeführten orthographiegeschichtlichen Belanglosigkeiten besteht, doch späterhin unter anderen Überschriften (bes. S. 179 f., 193 ff., 199 ff.) – zeigen dann mit unwiderleglicher Eindeutigkeit, daß Steller diesen Autor nicht einmal in der von ihm zitierten deutschen Übersetzung Schmeidlers von 1910 im Zusammenhang gelesen hat: wie hätte er sich sonst Stellen entgehen lassen, die sich geradezu als unmittelbarer Beleg für die Stellersche Grundkonzeption (S[c]lavi = „Heiden“) hätten anführen lassen und damit – wohlgemerkt – eine besonders empfindliche Lücke seiner Aufstellungen hätten schließen können (so die fast erstaunte Feststellung eines Missionars um 1128, „daß ein Slawenfürst sich ganz freundlich gegen die Christen verhielt“, Helm. I, 48, S. 95 der maßgeblichen Ausgabe von 1937, S. 113 der genannten Übersetzung)?
23 Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Bd. I–II hrsg. von W. Stammler, Bd. III bis V hrsg. von K. Langosch, 1933–1955; auch die mittellateinische Literatur Deutschlands einbeziehend (Helmold: B. Schmeidler, Bd. II, 1936, Sp. 389 392). – Weiterhin sind nach 1880 erschienen: W. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter II6 (1894, leider noch nicht vollständig ersetzt; Helmold: S. 338–341); A. Potthast, Bibliotheca Historica Medii Aevi I2 (Berlin 1896), S. 576; M. Jansen – L. Schmitz-Kallenberg, Historiographie und Quellen der deutschen Geschichte bis 15002 (Leipzig/Berlin 1914), S. 68 f.; M. Manitius, Gesch. d. lateinischen Lit. d. Mittelalters III (München 1931), S. 493–497; Dahlmann-Waitz, Quellenkunde d. deutschen Gesch.9, hrsg. von H. Haering (Leipzig 1932), Nr. 6877; K. Jacob, Quellenkunde d. deutschen Gesch. im Mittelalter II4 (Berlin 1949), S. 97; H. Rößler – G. Franz, Biographisches Wörterbuch zur deutschen Geschichte (München 1952), S. 337 (W. Hoppe). Alle vorgenannten Werke bringen mehr oder weniger ausführliche Nachweise von Ausgaben und Literatur, zum Teil längere Artikel mit Einführung in die Helmold-Problematik nach dem jeweiligen Stand. Besonders ausführliche Bibliographien enthalten außerdem die oben Anm. 21 genannten Ausgaben sowie die von Steller benutzte Übersetzung: Helmolds Chronik der Slaven 3, von B. Schmeidler (= Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit Bd. 56, 1910), wo merkwürdigerweise in der Zusammenstellung S. IX Schmeidlers eigene Ausgabe von 1909 nicht genannt ist.
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Offensichtlich fußt Steller auf Zufallsfunden, wie sie sich bei flüchtigem Blättern ergeben mögen. Dabei zieht er verhältnismäßig ausführlich das Anfangskapitel heran, in dem Helmold nach alter Tradition einen zusammenfassenden Überblick über die Slavorum populi bzw. nationes gibt, doch führt vollständigere Benutzung des Textzusammenhangs schon bei diesem einen Kapitel zu recht bemerkenswerten Ergebnissen. Helmold zählt Russen, Polen, Böhmen, Mährer, die slowenischen Karentanen und andere auf – mit dem ausdrücklichen Hinweis, omnes hee naciones (mit genannter Ausnahme) Christianitatis titulo decorantur (I, 1, S. 5); für einzelne Völker noch ergänzt durch Sätze wie: „Böhmen . . . ist voll von Kirchen und christlichem Gottesdienst (religione divina); es teilt sich in zwei Bistümer, Prag und Olmütz“ (ebenda S. 7); die ausdrückliche Zurechnung auch dieser Christen zu Helmolds Slawenbegriff wird im letzten Satz des Kapitels nochmals unmißverständlich unterstrichen: Haec de Boemis atque Polonis et ceteris orientalibus Slavis dicta sufficiant (ebd.). Steller geht so weit, einen Teil dieser für seine These allein schon tödlichen Stellen im Wortlaut zu zitieren. Eines Versuchs, die offenbare Diskrepanz in irgendeiner Form zu überbrücken, hat er den Leser auch dabei nicht für wert gehalten, und dasselbe gilt für die schon in diesem ersten Helmoldkapitel wie öfter noch auftauchende „Slawische Sprache“ (Slavica lingua), der nach ausdrücklicher Angabe gleichfalls jene christlichen Völker mit angehören (ebd. S. 5), die also keinesfalls als „heidnische Sprache“ verstanden worden sein kann in dem Sinn, wie das Arabische, die heilige Sprache des Islam, vom Mittelalter oft die heidnische Sprache schlechthin genannt worden ist24. 5. Gesamtwürdigung Weitere Beispiele dürfen wir uns sparen, und auch ein Kommentar zu solcher Arbeitsweise erübrigt sich. Es gibt höchstens ein Buch im historischen Schrifttum unseres Jahrhunderts, mit dem Stellers Machwerk sich notfalls vergleichen ließe: die eben erwähnte, großangelegte Arbeit Jegorovs.
24 Vgl. M. Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch (Leipzig 1869–78), s. v. heidensch (mit Wendungen wie heidenische sprechen, singen usw.).
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Auch bei ihr handelt es sich um ein schwungvoll geschriebenes Werk, das auf scheinbar breitester Grundlage ein altes Geschichtsbild auf den Kopf zu stellen suchte, merkwürdigerweise mit umgekehrtem Ergebnis, nämlich so, daß der deutsche Charakter der mittelalterlichen Ostsiedlung geleugnet und stattdessen eine slawische Binnenkolonisation konstruiert wurde, die zu den Großtaten slawischer Kulturgeschichte gehöre. Das Jegorovsche Werk ist heftig diskutiert worden; längst jedoch haben die Wogen sich geglättet, und heute steht es so, daß der Fachmann es als Ballast empfindet, während der Nichtfachmann, dem die Urteilsgrundlage fehlt, unverändert nachdrücklich vor dieser „Umwertung aller Werte“ gewarnt werden muß. Von Stellers Buch gilt beides in ungleich höherem Maße, zumal es an das wissenschaftliche Niveau des auch im Irrtum fruchtbaren und anregenden Russen in keiner Weise heranreicht: in dieser Beziehung erinnert Steller allenfalls an die sog. Großpolnische Chronik des 14. Jahrhunderts, die – nur wiederum mit umgekehrtem Vorzeichen – Ortsnamen wie Hamburg, Bremen, Lüneburg, Bardowiek und Schleswig aus slawischer Wurzel abzuleiten und daraus geschichtliche Folgerungen zu ziehen versuchte25. Mag auch dem älteren Werk der aufgeblähte bibliographische Apparat fehlen, der den Laien beeindruckt, weil ihm zitierte Belanglosigkeiten und Grundlegendes, das stattdessen fehlt, nicht beim ersten Blick in die Augen springen – die Mittel, mit denen die einschlägigen Probleme bewältigt werden, sind hier wie dort erstaunlich gleich26, nur daß eben der unbefangene Leser annehmen sollte, die Wissenschaft müsse mittlerweile über das, was damals noch möglich war, eigentlich in einiger Beziehung hinausgewachsen sein. Der „Irrtum der Wissenschaft“, der für Millionen zum „Verlust der Heimat“ führte, liegt nicht in dieser, sondern in ganz anderer Richtung: in einem allzu einseitig von der Sprache her gefaßten Volkstumsbegriff, der andere wesentliche Geschichtszusammenhänge blind außer 25 Boguphali II. episcopi Posnaniensis Chronicon Poloniae, cum continuatione Basconis custodis Posnaniensis, I, 8 (ed. A. Bielowski, Monumenta Poloniae Historica II, Lemberg/Lwów 1872, S. 480 f.); vgl. auch F. Wigger, Des Bischofs Boguphal von Posen Nachrichten über Mecklenburg (Jahrb. d. Vereins f. Mecklenburg. Gesch. 27, 1862), S. 127 f. 26 Vgl. bes. die Erklärung von Magnopolis, einer der mittellateinischen Bezeichnungen für das heutige Dorf Mecklenburg bei Wismar, einstmals Fürsten- und Bischofssitz, S. 481 bei Bielowski bzw. S. 128 bei Wigger: der Name sei quasi ex latino et slavonico composition, quia in slavonico pole, in latino campus dicitur, und sei also genommen a camporum magnitudine, mit den Ausführungen bei Steller, S. 105, über die -gardNamen, auf die oben S. 34 f. nur teilweise eingegangen werden konnte.
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acht ließ; der womöglich im Westen und sonst allein auf Grund alter Sprachverwandtschaft Menschen für das Deutschtum beanspruchen wollte, ohne Rücksicht darauf, daß sie durch unaufhebbare geschichtliche Entwicklungen längst vom deutschen Zusammenhang abgetrennt waren – während er andererseits die ehemals slawischen Stämme des Elb- und Oderraumes als das, was sie sind, nämlich als Zweige der unmittelbaren biologischen Vorfahren des heutigen deutschen Volkes, in Anspruch zu nehmen verschmähte und sie damit einem slawischen Nationalismus überließ, der grundsätzlich auf den gleichen falschen Voraussetzungen fußte. So konnte es geschehen, daß aus den Gebieten ostwärts der Oder-Neiße-Linie die gemeinsamen Nachkommen slawischer Vorbewohner und späterer deutscher Einwanderer ausgetrieben wurden, während eine neue Bevölkerung von ihnen Besitz ergriff, die zu keiner Zeit in irgendeinem unmittelbaren geschichtlichen Zusammenhang zu diesen Gebieten gestanden hatte. Die Verankerung dieses Tatbestandes in unserem Geschichtsbewußtsein stellt zweifellos eine Aufgabe von besonderer Bedeutung dar. Vielleicht wäre Steller einem Beitrag zu ihrer Lösung nähergekommen, wenn er selbst es verstanden hätte, sich von den Einseitigkeiten jener älteren Volkstumsauffassung freier zu machen, als ihm dies offensichtlich möglich war. Sein Buch mag – dies soll nicht verkannt werden – von einem ernsten menschlichen Anliegen getrieben sein, das mit dem „Verlust der Heimat“ entscheidend zusammenhängt und schon dadurch Achtung verdient. Auch ein bescheidener Wahrheitskern ist seinen Thesen nicht abzusprechen, obwohl Steller gerade dafür die Belege schuldig bleibt, also offenbar nicht auf Forschungsarbeit fußt, sondern auf bloßer Intuition. Es trifft zu, daß S(c)lavus (bzw. Wende) für den christlichen Geschichtsschreiber des Mittelalters lange Zeit keineswegs nur eine Volkstumsbezeichnung war: zu dieser Grundbedeutung hinzu kam jahrhundertelang eine qualitative Färbung, die der von Steller herausgestellten religiösen Differenzierung entsprach, ähnlich wie heute „Russisches“ und „Sowjetisches“ so leicht zu einem einzigen Begriff ineinanderfließen. So war es durchaus möglich, immer wieder „slawisch“ und „christlich“ als Gegensatzpaar nebeneinanderzustellen, wie die vorhin zitierte Helmoldstelle es stellvertretend für viele gezeigt hat, und man wird dem geschichtlichen Leben jener Zeiten nicht gerecht, wenn man diesen Tatbestand nicht klar im Auge behält. Es ist auch zuzugeben, daß dies bisher nicht immer genügend geschehen ist. Die Art jedoch, wie Steller dieses berechtigte Anliegen aufgreift
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und vertritt, ist ganz sicher nicht geeignet, historischer Erkenntnis zu dienen, sondern allenfalls dazu, die deutsche Wissenschaft gerade auch bei den zahllosen slawischen Forschern lächerlich zu machen, die sich heute oft stärker als in der nationalistisch überhitzten Atmosphäre zwischen den Kriegen um Objektivität und um ein vorurteilsfreies Gespräch über gemeinsam bewegende Fragen bemühen27. So ist es verständlich, daß die deutsche Fachwissenschaft aller beteiligten Richtungen, gerade auch in ihren Vertretern an der Kieler Fakultät, in großer Einmütigkeit von Stellers Intentionen abgerückt ist28. Die deutsche Schule sollte dasselbe tun, vielleicht sogar prüfen, ob sich ihr hier nicht ein seltenes Beispiel anbietet, an dem im Oberklassenunterricht des Gymnasiums exemplarisch gezeigt werden könnte, wie man an Problemen dieser Art wissenschaftlich einfach nicht arbeiten darf. Der landsmannschaftlichen Bewegung muß es überlassen bleiben, wie lange und wie weit sie ihrerseits durch Identifikation mit derartigen „Forschungsergebnissen“ und betonter Herausstellung ihres Vertreters sich weiterhin so, wie bereits geschehen, selbst zu diskriminieren wünscht. [Nachtrag 2008: Zur Ergänzung vgl. H.-D. Kahl, Veneter-Phantasien, bei Dems., Der Staat der Karantanen, Ljubljana 2002, S. 436–460.]
27 Als „Bloßstellung der deutschen Wissenschaft“ charakterisiert Stellers Buch W. Kuhn, wie flg. Anm., S. 215. 28 Steller hat sich langezeit bei den verschiedensten wissenschaftlichen Stellen vergebens um einen Druckkostenzuschuß bemüht, bevor er sein Werk in den Mitteilungen seiner Landsmannschaft herausgab, insbes. bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (vgl. den 42 S. umfassenden Bericht, den er selbst einem Teil der Auflage seines Buches beigelegt hat). – An Rezensionen sind mir bisher bekannt geworden: besonders bedeutsam die ausführliche Sammelrezension der vier Kieler Professoren G. Kossack (Prähistoriker), L. Müller (Slavist), G. Cordes (Germanist) und W. Koppe (Historiker), Zeitschr. der Gesellsch. f. Schleswig-Holst. Gesch. 85/86 (1961), S. 296–318 (auch als Sonderdruck mit eigener Seitenzählung); ferner W. Kuhn (Historiker), Zeitschr. f. Agrargesch. u. Agrarsoziologie 8 (1960), S. 214 f.; Joh. Paul (Historiker), Jahrbücher f. Gesch. Osteuropas 8 (1960), S. 388–390; W. La Baume (Prähistoriker), Ostdeutscher Literaturanzeiger 6 (1960), S. 145–146. W. H. Fritze (Historiker), Slawomanie oder Germanomanie? Jahrb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 9/10 (1961), S. 293–304; F. Graus (Historiker), Origines de l’Etat et de la noblesse en Moravie et en Bohème, Revue des études slaves 39 (1961), S. 48; M. Vasmer (Slavist), Rez. in Zschr. f. slav. Philologie 30 (1962), S. 203–206; E. Schwarz (Slavist), Probleme der Stammeskunde im deutsch-slawischen Berührungsgebiet, Zschr. f. Ostforsch. 11 (1962), S. 121–123. Vgl. noch oben Anm. 3. – Bedeutsam auch die politischen Gesichtspunkte von S. van Rooy, in: Der Remter. Zeitschr. f. Kultur u. Politik in Osteuropa 7 (1961), S. 383 f.
BEITRAG IV
ALLADORF UND DIE SLAWEN Eine Ortschaft der nördlichen Frankenalb als Brennpunkt von Grundproblemen des oberfränkischen Frühmittelalters Wolfgang H. Fritze (1916–1991) zum Gedächtnis∗ 1. Zielsetzung Zu den Ortsteilen, die die Marktgemeinde Thurnau (Kreis Kulmbach) durch die Gemeindereform des vorigen Jahrhunderts hinzugewann, gehört Alladorf: ein lang gestrecktes Haufendorf mit einem Kern von etwa zehn Gehöften, kleiner Kirche und Blockgemengeflur. Es ist die erste Ortschaft am Oberlauf der Lochau, die zum System der Wisent gehört, des Hauptflusses der Fränkischen Schweiz. Der Naturpark dieser Landschaft bezieht die Siedlung ein; in Wanderführern besonders herausgestrichen zu werden, hat sie wenig Chancen1. Gleichwohl bietet sie Besonderheiten. Der Ortsname wirkt altertümlich und ist weithin isoliert. Er wirft Probleme auf, die mehrfach angerührt, doch
∗ Wolfgang H. Fritze, einer der fruchtbarsten Erforscher der historischen Nationalitätenprobleme im deutsch-slawischen Grenzraum des Mittelalters, erreichte 1977/78 an der Freien Universität Berlin die Konstituierung einer interdisziplinären Arbeitsgruppe Germania Slavica, benannt entsprechend der von anderer Seite vorgeprägten Germania Romanica für die eingedeutschten Romanengebiete des Westens. Auch Oberfranken sollte in das Vorhaben einbezogen werden, eine Arbeitstagung: „Slawische und deutsche Siedlung am Obermain (Radanzgau) im frühen Mittelalter“ den Auftakt bilden. Sie wurde, mit einer Exkursion, am 17./18. Juni 1981 in Coburg durchgeführt, unter anderem mit Klaus Schwarz, Joseph Schütz und Karl Heinz Mistele (leider unpubliziert). Gleichfalls 1981 erschien, grundlegend wie so viele Abhandlungen dieses Gelehrten: „Ortsnamenkunde und Landesgeschichte in ostdeutschen Ländern. Probleme der Namenskontinuität“ (in: Deutsch-slawische Namenforschung, hg. von H.-B. Harder, Marburg 1981; Neudruck in: W. H. Fritze, Frühzeit zwischen Ostsee und Donau. Ausgewählte Aufsätze (Germania Slavica III), Berlin 1982, S. 382–422). Der vorliegende Beitrag versucht, aus oberfränkischer Perspektive ergänzende Gesichtspunkte geltend zu machen. 1 Ortsgeschichtliche Daten aus Schriftquellen erschließt das Register zu Erich von Guttenberg, Stadt- und Landkreis Kulmbach (Historisches Ortsnamenbuch von Bayern, Oberfranken 1), 1952.
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nie durchdiskutiert wurden. Vor allem aber kam am Ortsrand eins der ausgedehntesten frühgeschichtlichen Gräberfelder Nordostbayerns zum Vorschein und konnte zum größten Teil ergraben werden. Die Auswertung liegt nunmehr vor. Das gibt Anlaß, für das Frühmittelalter des Platzes eine zusammenfassende Bilanz zu versuchen, die auch ältere Thesen neu unter die Lupe nimmt, eingeschlossen solche zur allgemeineren Landesgeschichte. Bei den Ausgrabungsfunden, die noch weniger bekannt sind, sei angesetzt. 2. Befunde vom Gräberfeld Der frühgeschichtliche Bestattungsplatz liegt unmittelbar beim Ort, nur 200 Meter nordöstlich der Kirche, von der ihn jedoch der Bacheinschnitt trennt. Die Grabstellen ziehen sich den wenig steilen Hang des Schmiedsbergs hinauf, der ein Vorberg des Ziegenberges ist und mit ihm Teil des Höhenzuges, der das Tal an der östlichen Flanke begleitet. Ein weiterer alter Siedlungsplatz in angemessener Nähe ist nicht erkennbar. Das Gräberfeld muß auf eine Vorform des heutigen Alladorf bezogen gewesen sein, ob sie nun genau am gleichen Platz lag oder leicht verschoben2. Die archäologische Untersuchung konnte 230 Grabstellen erfassen. Sie gaben 276 Individuen preis, größtenteils mit Grabinventaren. Das sind ungefähr 70 Prozent des Gesamtbestandes. Der verbliebene Rest bildet einen Unsicherheitsfaktor, der nicht aus dem Blick geraten darf. Welche Relevanz ihm zukommt, ist schwer abzuschätzen, und dasselbe 2 Zum Folgenden vgl. Ralph Pöllath, Karolingerzeitliche Gräberfelder in Nordostbayern. Eine archäologisch-historische Interpretation mit der Vorlage der Ausgrabungen von K. Schwarz in Weismain und Thurnau-Alladorf, 4 Bde., 2002; zuvor bereits Beate Leinthaler, Der karolingisch-ottonische Ortsfriedhof Alladorf, Lkr. Kulmbach. Die Grabungskampagne 1984, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 16/17 (1988/89), 7–122; Hans Losert, Die früh- und hochmittelalterliche Keramik in Oberfranken I (Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters, Beiheft 8), 1993, bes. 100 ff.; Jochen Haberstroh, Slawische Siedlungen in Nordostbayern, in: Alfried Wieczorek – Hans-Martin Hinz (Hg.), Europas Mitte um 1000, Bd. II, 2000, 713–717 (mit vergleichender Kartierung); vgl. auch Ders., Siedlungsgeschichtliche Entwicklungen im mittelalterlichen Franken aus archäologischer Sicht, in: Johannes Merz – Robert Schuh (Hg.), Franken im Mittelalter, 2004, 3–23, wo allerdings auf Alladorf wenig Bezug genommen wird. Weiteres unten Anm. 8. – Herrn PD Dr. Hans Losert, Bamberg, der an den Grabungen bei Alladorf persönlich teilgenommen hat, und Herrn Dr. Ruprecht Konrad, Kulmbach, habe ich hier und später für reiche Hinweise und intensive Diskussionsmöglichkeiten zu danken.
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gilt für den Anteil der beigabenlosen Gräber, vielleicht nochmals 20 bis 25 Prozent. Sie verteilen sich dermaßen regellos über das Gesamtareal, daß der Gedanke an ein Aufgeben der Beigabensitte während der Belegungszeit kaum aufkommen kann. Die Gemengelage begünstigt auch keine sozialgeschichtliche Deutung, und für das Skelettmaterial aus diesen Gräbern werden Besonderheiten nicht herausgestellt. Hier wird abgewartet werden müssen, ob sich noch neue Erkenntnisse auftun. Wer weiß, welche Rolle die einseitige Zusammensetzung der erhaltenen Teilbestände spielt! Nach der Grobdatierung, die archäologisch allein gewagt werden kann, erstreckte die Belegungsdauer sich ungefähr von 720 bis 840. Die Zahlen verlangen Spielraum nach beiden Seiten; für den Beginn hat man also mit etwa 700/740 zu rechnen, für das Ende mit etwa 820/860. Die Anfänge fallen damit vielleicht noch in die auslaufende Merowingerzeit, das Abbrechen eindeutig in die karolingische Epoche – Jahrzehnte, bevor diese in Deutschland gleichfalls zum Ende kam. In jedem Fall bleiben mehrere Generationen. Es wird zu zeigen sein, daß Alladorf nicht mehr an die sogenannte Merowingische Reihengräberzivilisation anschließt, die im Grunde überall vor Ablauf des 7. Jahrhunderts erlosch. Andererseits scheint es nicht unverfänglich, dieses Gräberfeld summarisch einer „karolingisch-ottonischen“ Gruppe zuzuweisen, wie das teilweise geschieht. Das verschiebt unter Umständen Akzente. Nichts weist hier über die mittlere Karolingerzeit hinaus. Man wird dem Historiker nachsehen, wenn er das Bedürfnis hat, die abstrakten Daten zu konkretisieren. Als die Belegung in Angriff genommen wurde, mag es Ansprüche gegeben haben, die das oberfränkische Gebiet einbezogen; faktisch war es wohl eher noch ein Niemandsland, in dem keine übergreifende Herrschaft wirklich gefestigt war. Ob man vom Christentum schon viel gehört hatte, steht gleichfalls dahin, so wenig erste Ansätze auszuschließen sind – nicht zuletzt solche arianischer Färbung aus der Zeit des Thüringerreiches. Mit Sicherheit gab es noch keine übergreifende kirchliche Organisation; der erste Bischof für Würzburg wurde 741 geweiht und hatte jedenfalls zunächst anderes zu tun, als sich um entlegene Randgebiete seiner Diözese zu kümmern, falls sie sich schon auch in diese Gegenden erstreckte und die Ostgrenze nicht zunächst offen war3. Das Belegungsende fällt vielleicht schon in die 3 Längst ist beobachtet worden, daß in der Aufzählung der Gaue, die dem Bistum Würzburg die sogenannte „Osterstufe“ zu entrichten haben, noch 889 Radenzgau und
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Zeit Bischof Wolfgers (ca. 810/12–832), vielleicht erst seiner Nachfolger Humbert (832/37–842) und Gozbert (842–855), falls nicht sogar erst Arn (855–892)4. Von diesen haben mehrere sich um Erneuerung alter Bistumsprivilegien bemüht, darunter des letztlich auf Karl den Großen zurückgehenden über die Errichtung von Kirchen im Gebiet der dabei so genannten Main- und Rednitzwenden5; sie zeigten also Interesse an dort zugewiesenen Sprengelteilen. Arn fiel sogar als aktiver Teilnehmer an einem Feldzug gegen Slawen, für den dahinsteht, ob er dabei nur einer allgemeinen Verpflichtung im Reichsdienst folgte oder auch für eine neue Osterweiterung seines Bistums wirken wollte6. Mit der gräflichen Unterstützung, die die gleiche kaiserliche Weisung anordnet, wird es einer dieser Herren gewesen sein, der durchgesetzt hat, daß das Alladorfer Gräberfeld aufgelassen und weitere Bestattungen auf einen ordentlichen Kirchhof verlegt wurden, wie das kanonisch gefordert war7, denn die Siedlungskontinuität am Ort selbst wurde, wie der Name zeigt, nicht unterbrochen. Darauf ist zurückzukommen. Volkfeld fehlen und daß die Bezugnahme auf an dieser Abgabe beteiligte Slawen offenbar nachträgliche Interpolation ist; vgl. Wolfgang H. Fritze, Untersuchungen zur frühslawischen und frühfränkischen Geschichte bis ins 7. Jahrhundert, 1994, 38 ff., zu ergänzen durch die Beobachtungen von Harry Bresslau, Die Würzburger Immunitäten und das Herzogthum Ostfranken, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 13 (1873), 90–92, dazu 99. Die vielzitierte Äußerung Willibald, Vita Bonifatii (MGH SS rer. Germ. 57), S. 44, 14 f., über die Zuweisung von Kirchen in confinibus Franchorum et Saxonum atque Sclavorum würde, wenn sie auf Würzburg zu beziehen wäre, für Slawen ebensowenig beweisen wie für Sachsen. Diese Zuweisung ist jedoch irrig, vgl. Wolfgang H. Fritze, Bonifatius und die Einbeziehung von Hessen und Thüringen in die Mainzer Diözese, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 4 (1954), 46 ff., bes. 49. 4 Über diese Bischöfe Alfred Wendehorst, Das Bistum Würzburg I: Die Bischofsreihe bis 1254 (Germania Sacra, NF 1), 1962, 36–51; Franz-Josef Schmale, Das Bistum Würzburg und seine Bischöfe im früheren Mittelalter, in: ZBLG 29 (1966), 616–661. 5 MGH Formulae 40 (S. 317 f.); D LdD 42 a. 845 (S. 56); D Arn 68 a. 889 (S. 102). Die Literatur ist Legion, in Einzeldiskussion hier nicht einzutreten. Es genüge der Hinweis auf Fritze, Untersuchungen (wie Anm. 3), 40–44; Pöllath, Karolingerzeitliche Gräberfelder (wie Anm. 2), Bd. 1, 221–225 samt dort genannter Literatur; jetzt Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7), Anm. 82–83. 6 Zum Tode Arns: Wendehorst, Bistum Würzburg (wie Anm. 4), 49 mit 51. Die Angabe, Arn sei beim Zelebrieren der Messe erschlagen worden, ist nicht unbedingt glaubhaft; vgl. aber Walter Schlesinger, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter I (Mitteldeutsche Forschungen 27/I), 1962, 1 f., im übrigen Marcel Beck in: Ders. – Heinrich Büttner, Die Bistümer Würzburg und Bamberg in ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung für die Geschichte des deutschen Ostens, 1937, 115 mit 117. Die häufige alternative Gegenüberstellung der beiden obengenannten möglichen Motive Arns scheint mir verfehlt. Eins schließt das andere nicht zwingend aus! 7 Vgl. für viele die Capitulatio de partibus Saxoniae Karls des Großen, c. 22 (MGH Capit. I, S. 69, 43 f.); Concil. Tribur., c. 15 a/b (MGH Capit. II, S. 222) und den von Richard W. Dove als „Sendrecht der Main- und Rednitzwenden“ in der Zeitschrift für
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So weit das zeit- und regionalgeschichtliche Umfeld. Was haben die Alladorfer Befunde zur Erhellung der damaligen Gegenwart beizutragen? Die Gräber sind, wie gewöhnlich, reihenweise angeordnet, nicht regellos. Die geborgenen Skelettreste lassen eine Bevölkerung erkennen, deren Lebensstandard unter den Bedingungen damaliger Agrargesellschaften einem gehobeneren Niveau entsprach, wenn auch wohl nicht der Spitzengruppe8. Sie war schon in dieser Hinsicht wohl einigermaßen homogen. Anthropologisch zeigt sie sich aus drei unterschiedlichen Komponenten gemischt: pannonid (einer Variante des Dinariden), faelid und nordid. Eine Verbindung der beiden ersten kommt auch in anderen frühmittelalterlichen Gräberfeldern Nordostbayerns vor; das nordide Element scheint nach bisheriger Kenntnis eine Alladorfer Besonderheit zu sein. Die Durchmischung, und das ist wichtig, zeigt sich dermaßen fortgeschritten, daß sie mehrere Generationen vor dem Belegungsbeginn eingesetzt haben muß, 75 oder 100 Jahre. Was vorausging, ist archäologisch schwer zu klären. Beginn an anderem wie am selben Ort kommt gleichermaßen in Betracht; im zweiten Fall wäre für den Bestattungsplatz ein nahegelegener Vorgänger zu vermuten, den es noch aufzufinden gilt. Da für die Zeitstellung mit dem Übergang von Brand- zu Körperbestattung gerechnet werden darf, könnte die zweite Möglichkeit den Vorzug verdienen. Nicht erkennbar ist auch eine stärkere soziale Differenzierung, anders als zum Beispiel im nahegelegenen Weismain (Kreis Lichtenfels). Die belegende Population muß auch in dieser Hinsicht einigermaßen gleichgestellt gewesen sein. Gründe, mit
Kirchenrecht 4 (1864), 157 ff. herausgegebenen Text, unter anderem gegen denjenigen, qui mortuos non in atrio ecclesiae . . . sepelierit (161). Dieser Text ist ein Würzburger Diözesanbeschluß aus dem früheren 10. Jahrhundert, gemünzt auf Slawen und andere Nichtfranken dieses Bereichs, vgl. Hans-Dietrich Kahl, Das erloschene Slawentum des Obermaingebietes und sein vorchristlicher Opferbrauch (trebo) im Spiegel eines mutmaßlich würzburgischen Diözesanbeschlusses aus dem 10. Jahrhundert, in: Studia Mythologica Slavica 7 (2004), 11–42, bes. Abschnitt 2, Nachdruck im Archiv für Geschichte von Oberfranken 86 (2006). Neuedition des genannten Textes in beiden Zeitschriften 2007. 8 Zum Folgenden vgl. Olav Röhrer-Ertl, Slawen – Deutsche. Beiträge zum ethnischen Wandel aus anthropologischer Sicht (Otnant-Gesellschaft für Geschichte und Kultur in der Euregio Egrensis, Quellen und Erörterungen 2), 1999, bes. 84–102, passim, mit den Ergänzungen bei Ders., Über Menschenreste aus dem karolingisch-ottonischen Reihengräberfeld von Alladorf, Gem. Thurnau, Lkr. Kulmbach (Ofr.). Anthropologische Fallstudie zu Bevölkerungsbiologie und Bevölkerungsgeschichte oberfränkischer Slawen, in: Pöllath, Karolingerzeitliche Gräberfelder (wie Anm. 2), Bd. 2, 197–224. Auch diese Arbeiten danke ich der Freundlichkeit von Herrn PD Dr. Hans Losert, Bamberg.
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getrennten Heiratskreisen zu rechnen, sind gleichfalls nicht ersichtlich. Ein deutlicher Frauenüberschuß weckt die Frage, wie weit Polygamie geübt wurde; Entscheidungskriterien fehlen. Ausgerichtet sind die Gräber, Kopf zu Fuß, von Süd nach Nord, nicht von West nach Ost. Neben der Zeitstellung – zu spät – ist dies eine der Gegebenheiten, die Alladorf von der genannten älteren Reihengräberzivilisation trennen. Erklärung sollte man nicht voreilig aus der unleugbaren Hanglage suchen; gleiche Ausrichtung findet sich zum Beispiel auch in Niedersachsen, in gänzlich anderem Milieu9. Hier muß sich eine Mentalitätsänderung äußern, die keine bestimmten ethnischen Grenzen einhielt. Dabei zeigt Alladorf, daß sie Varianten nicht ausschloß. Mit einer Konsequenz, wie sie sonst in Nordostbayern bisher nicht ans Licht kam, wurde hier eine Verfahrensweise besonderer Art eingehalten: Man bestattete die Toten zunächst provisorisch, so daß ein nochmaliger Zugang leicht möglich war. Nach Verwesung der Fleischteile, etwa nach Jahresfrist, wurden die Gräber nochmals geöffnet, um den Skeletten einerseits den Schädel einzuschlagen (so jedenfalls beinahe regelmäßig), andererseits die langen Röhrenknochen und teilweise noch weitere Partien. Die Hiebe wurden in immer gleicher Weise ausgeführt, mit schwerer Hacke, offenbar rituell. Es fand also eine etappenweise, eine sogenannte gestreckte Bestattung statt, wie sie zum Beispiel auch auf dem Balkan beobachtet wurde. Offenbar huldigte man der Vorstellung vom „lebenden Leichnam“, der auf seine Weise weiterhin aktiv zu werden vermag, zum Schaden der Zurückgebliebenen – nicht als bloße Geisterscheinung, sondern als körperhaftes Wesen –, und die Verstümmelung sollte die Möglichkeiten zu solchem Wiedergängertum einschränken. Auch Beigaben zeugen für die Vorstellung fortgesetzten Lebens in anderer Form. Sie wurden in Alladorf den Bestatteten auch bei der zweiten, endgültigen Schließung des Grabes mindestens mehrheitlich belassen10. Merkmale, die mit einiger Eindeutigkeit ethnisch gedeutet werden können, geben sie meist nicht her. Bemerkenswerterweise fehlen Speisebeigaben, mit ihnen die sonst so aussagekräftige Keramik,
9 Beispiele in mehreren Beiträgen bei Hans-Walter Krumwiede (Hg.), Vorchristlichchristliche Frühgeschichte in Niedersachsen (Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 64, Beiheft), 1966, dort bes. Albert Genrich, Archäologische Aspekte zur Christianisierung im nördlichen Niedersachsen, 24–27 und weiter. 10 Zum Folgenden s. Anm. 2.
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ausgenommen ein einziges Gefäß, das in schwer erklärbarer, hier nicht zu diskutierender Sonderverwendung auf ein Kindergrab (Grab 182) gestellt war. Mit Achsenabdruck von drehbarer Unterlage folgt es einem verbreiteten Regionaltyp, der im allgemeinen als slawisch angesprochen wird, doch nicht identisch ist mit dem altslawischen sogenannten Prager Typus. Ob im Einzugsgebiet während der Belegungsdauer auch noch andere Gefäßformen in Gebrauch waren, kann nicht beurteilt werden. Überreste von Eiern, die zutage kamen, sind nicht als Speisebeigaben aufzufassen, sondern als Abwehrzauber (Apotropäen). Von den Trachtelementen sind die vielleicht charakteristischsten die textilen, wie gewöhnlich, vergangen. Wir bleiben auf Metallteile angewiesen, die sich womöglich mit verschiedenen Gewandformen kombinieren konnten. Im Frauenschmuck treten vor allem sogenannte Schläfenringe aus Silber hervor, in zahlreichen Formen. Sie werden für diese Zeit und Gegend meist als slawisch in Anspruch genommen; ob sie dies damals so ausschließlich waren wie mit Sicherheit in späteren Perioden, ist nicht überprüfbar, weil in den zweifelsfrei germanischen Altsiedellandschaften die Beigabensitte bereits erloschen war, so daß ihr Vergleichsmaterial fehlt. Emailschmuck erscheint nicht, mit ihm ein sonst wichtiges Bindeglied nach Westen hin. Die Gürtelgarnituren der Männer – Schnallen und Riemenendbeschläge – bleiben unspezifisch und zeitlos. Wie auch sonst in der Region, ist unter ihnen keine Spur der Merkmale aufgetaucht, die man gern als „awarisch“ bezeichnet und die im Ostalpenraum bis tief ins 8. Jahrhundert begegnen11. Besonders beachtlich: außer Pfeilspitzen, die auf Jagd deuten können, fanden sich keinerlei Waffen. Viermal kamen Sporen zum Vorschein (Gräber 17, 22, 23, und 60), jeweils in einer Position, daß die einstigen Träger mit Reitstiefeln beigesetzt worden sein müssen – also Gräber von Reitern, deren gesellschaftliche Stellung sich jedoch dem Blick entzieht. Pfeilspitzen wie Sporen müssen ebenfalls als ethnisch indifferent eingestuft werden. Gleichwohl macht das Ensemble als Ganzes einen slawischen Eindruck. Nichts tauchte auf, was deutlich Verbindungen zu Germanischem nahelegt. Dazu ist wohl auch das Fehlen von Tierbestattungen hervorzuheben, von Pferd, Hund, Hirsch und anderem in menschlicher
11 Erik Szameit, Merowingisch-karantanisch-awarische Beziehungen im Spiegel archäologischer Bodenfunde des 8. Jahrhunderts, in: Neues aus Alt-Villach. Jahrbuch des Museums der Stadt Villach 31 (1994), 7–23, passim.
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Nachbarschaft, die in germanischen Gräberfeldern vor der Christianisierung nicht so selten zum Vorschein kamen. Zu vermerken sind noch zwei vereinzelte Pfostengruben, die sich nicht in einen gemeinsamen Grundriß bringen lassen. Schwerlich dürften sie als Standortmerkmal für Idole in Betracht zu ziehen sein, kaum auch als Hinweis auf hölzerne Memorialbauten, wie sie über herausgehobenen Gräbern anderweitig bekannt sind. Sie bleiben einstweilen rätselhaft. Wie nimmt sich im Licht dieser Befunde jene Weisung Karls des Großen zur Errichtung von Slawenkirchen aus? Wir wissen nicht genau, wann sie erging – irgendwann an Bischof Berowelf (768/69–800) – und wie rasch sie ausgeführt wurde. Die Identifizierung der Kirchen, die daraufhin entstanden, ist nur teilweise mit Sicherheit gelungen; wir können nicht einmal sagen, wie weit die Zahl 14 zurückgeht, die in den 820er Jahren auftaucht12. Die Anordnung des Herrschers fällt mindestens in die Nähe der Einschaltung Würzburgs in die Sachsenmission, die erstaunlich rasch Erfolge brachte. Zur dortigen Bevölkerung bestand wenigstens eine gewisse Sprachverwandtschaft. Alladorf weckt die Frage, wie weit das Bistum fähig war, zur gleichen Zeit auch noch effektiv über die gegebene Sprachbarriere hinweg unter den Slawen im Osten des eigenen Sprengels zu wirken. Ist es Zufall, wenn ein Bemühen um Dotierung von Kirchen in deren Bereich erst unter Bischof Wolfger (810–832) in dessen zweiter Regierungshälfte sichtbar wird, in die bereits das Belegungsende des betrachteten Gräberfeldes fallen kann13? Vorher jedenfalls zeigt dieser Platz auf der nördlichen Frankenalb sich vom neuen Glauben in keiner Weise berührt. 3. Der Ortsname Die Ortsnamenanalyse führt merkwürdigerweise zu einem völlig anderen Bild. Niemand hätte allein auf ihrem Boden jemals an slawische Zusammenhänge gedacht14.
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S. Anm. 5. Ältester Beleg: MGH Formulae (wie Anm. 5), als Leistungsergebnis, nicht als Inhalt der Weisung, was nicht immer beachtet wird. Aus welchem Besitz das Bistum diese Kirchen vorher wenigstens provisorisch hätte ausstatten sollen, ist nicht ersichtlich. 14 Zum Folgenden vgl. Guttenberg, Ortsnamenbuch Kulmbach (wie Anm. 1), 3 f. s. v. Alladorf mit 101 s. v. Lochau sowie 17∗–18∗ samt Kartenbeilage, dazu Ernst Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern (Erlanger Beiträge zur Sprach- u. 13
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Alladorf läßt sich über Zwischenformen auf Allachtorf (1398) zurückverfolgen. Diese Form ist etymologisch so durchsichtig, daß sie Ältestes zu bewahren scheint. Sie ist eindeutig germanischen Ursprungs, nicht anders als die Lochau, hinter der jedenfalls nichts anderes steckt als ein „Waldwasser“ dieser Sprache (mit Bestandteilen, die Lateinisch als lucus und aqua auftreten). Auch der Ortsname ist in geläufiger Weise zweigliedrig gebildet, aus Grund- und Bestimmungswort, die je auch für sich sinnvoll bleiben. Das erste, -dorf, ist weit verbreitet und wenig charakteristisch. Es wurde in verschiedenen Perioden herangezogen, mit wechselnder Bedeutung: anfangs „Gehöft“, dann „kleiner Siedlungskomplex“, schließlich „agrarische Siedlung schlechthin“, wie wir das noch kennen. Welche dieser Schichten beteiligt war, als der Name entstand, ist schwer auszumachen. Eine datierende Qualität geht diesem Bildungselement ab15. Das Bestimmungswort bedingt, daß der Name isoliert bleibt, und das gleich in doppelter Beziehung. Erstens begegnet es in weitem Abstand kein zweites Mal; außerdem ist es kein Personenname, sondern ein Appellativum, und das läßt die Bildung auch aus der Reihe anderer -dorf-Namen in weitausgreifendem Umkreis herausfallen16. Die Probleme, die dieses Element bietet, sind damit jedoch noch keineswegs erschöpft. Es braucht einige Geduld, um seine Aussage zu verstehen. Die Wurzel, der alah- entsprang, ist schon vorgermanisch. Sie wird als ∗aleq- „abschließen, abwehren, schützen“ angesetzt. Das schließt, wie einzelsprachliche Entwicklungen zeigen, die Präzisierung zur (sakralen) „Hegung“, zur „heiligen Stätte“ ein, aber auch die zu profaneren Bedeutungen wie „Haus mit umgebendem Grundstück“ (d.h. rechtlich geschützter privater Friedensbezirk) sowie „befestigter Platz; Burg“. Die ältesten germanischen Belege bietet das Bibelgotische des Ulfila aus dem 4. Jahrhundert. Dort erscheint alhs für den Tempel zu Jerusalem,
Kunstwissenschaft 4), 1960, 167 u. 394 mit 53 u. 87–90, sowie Erwin Herrmann, Zur mittelalterlichen Siedlungsgeschichte Oberfrankens, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 39 (1979), 3 f. u. 7, und Adolf Gütter, Alladorf, in: Archiv für die Geschichte Oberfrankens 78 (1988), 33–39 (die Kenntnis dieser Arbeit verdanke ich Herrn Dr. Ruprecht Konrad, Kulmbach); Vergleichsmaterial aus Thüringen bei Günter BehnBlancke, Germanische Kultorte im Spiegel thüringischer Ortsnamen, in: Ausgrabungen und Funde 9 (1964), 257 f. Ergänzend: Jan de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte (Grundriß der germanischen Philologie 12), Bd. 1, 21956, 317 Anm. 3 u. 373 sowie Bd. 2, 1957, 251 u. 310; Rudolf Simek, Religion und Mythologie der Germanen, 2003, 87 u. 113 f. Weiteres nachstehend Anm. 17 ff. 15 Vgl. auch Schwarz, Sprache und Siedlung (wie Anm. 14), 87 ff. 16 Guttenberg, Ortsnamenbuch Kulmbach (wie Anm. 1), 18∗.
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das Hauptheiligtum der Juden17. Ob das Krimgotische des 17. Jahrhunderts den Ausdruck noch kannte, läßt die äußerst fragmentarische Überlieferung nicht erkennen; Zwischenglieder fehlen. Für das Altnordische, das mit dem Gotischen, dem Ostgermanischen überhaupt einmal eine engere Einheit bildete, wird einerseits diskutiert, ob die Zeichengruppe alu in älteren Runeninschriften herbeigezogen werden darf, andererseits, ob gewisse zusammengesetzte Ortsnamen einen Nachklang bewahren. Keine dieser Thesen blieb unangefochten18. In der reichhaltigen schriftlichen Überlieferung fehlt der Ausdruck sonst auch dort, wo sein Gebrauch thematisch naheläge. Dazu kann wichtig sein, daß umfangreichere Aufzeichnungen nicht vor dem 12. Jahrhundert beginnen. Auch das Altfriesische bietet in seiner kargen Hinterlassenschaft, die nur ein Jahrhundert eher einsetzt, kein Beispiel. Verhältnismäßig reich ist die Überlieferung, mit der das Altenglische (Angelsächsische) aufwartet19. Dort tritt alh/ealh in Bedeutungen auf wie „Heiligtum, Tempel“, weiter „Asyl“ (d.h. „geschützter Raum“), aber auch „Burg“. Belege für Nachfolgeformen jüngerer Sprachstufen des Englischen sind bisher nicht beigebracht worden. Das Altsächsische hat wesentlich weniger Texte hinterlassen. Sein alah erscheint im Heliand, der Bibeldichtung des 9. Jahrhunderts, wieder für den jüdischen Tempel. Einfluß des Gotischen scheidet aus. Die Parallele zeigt, daß diese Verwendung dem Sprachgefühl nahe lag. Späteres Niederdeutsch kennt das Wort nicht mehr. Ein althochdeutsches alach fehlt nicht ganz, doch erscheint es lediglich noch als Bestimmungswort von Orts- und Personennamen, nicht mehr als selbständiges Sprachgebilde, als Appellativum; die Bibeldichtungen bedienen sich auch für den jüdischen Tempel anderer Möglichkeiten. Die Ortsnamen setzen sich, wie Alladorf, teilweise weiter fort. Sie verteilen sich auf Hessen, Thüringen, Württemberg und, in diesem einzigen Beispiel, Oberfranken, das heißt auf die alte Francia
17 Sigmund Feist, Vergleichendes Wörterbuch der gotischen Sprache mit Einschluß des Krimgotischen und sonstiger zerstreuter Überreste, 1936, 36 f. 18 Jan de Vries, Altnordisches etymologisches Wörterbuch, 1961, 6 f. s. v. áll Nr. 5 u. alu, sowie 100 s. v. Elgisetr; vgl. Ders., Altgermanische Religionsgeschichte (wie Anm. 14). 19 Joseph Bosworth – T. Northcote Toller, An Anglo-Saxon Dictionary, Bd. 1, 1882, 34 mit 230; Christian W. M. Grein, Sprachschatz der angelsächsischen Dichter, 1912, 146.
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orientalis mit Ausläufern in Thüringen und Schwaben; der bayerische Mundartbereich wartet, soviel bekannt, mit Fehlanzeige auf 20. Der Zusammenklang vor allem von Gotisch und Altenglisch weckt die Vermutung, daß die erschließbare Grundform, ∗alh(a)-, einmal Gemeinbesitz aller germanischen Sprachen gewesen sein dürfte. Im übrigen entsteht der Eindruck, daß die althergebrachte Wortschöpfung sich einzelsprachlich überall relativ früh zurückzog – im Althochdeutschen noch vor der Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert, mit der ausführlichere Denkmäler einsetzen, in Altsachsen und vor allem jenseits des Kanals etwas später, im übrigen zu unbestimmbarer Zeit vor dem 11./12. Jahrhundert. Daß dieser Eindruck zutrifft, wird geradezu plastisch bestätigt durch einige der spärlichen Trümmerteile, die das untergegangene Westfränkische hinterlassen hat. Sie steuern auch sonst wichtige Ergänzungen bei21. Als erstes zog dort eine kleine Gruppe nordfranzösischer Ortsnamen die Aufmerksamkeit an. Sie zeigen das Element alh-, noch vor dem Aufkommen des Sproßvokals zwischen den beiden Konsonanten, romanisiert zu alf-. Man hat an Sachsensiedlungen denken wollen, die dort entstanden waren. Das sei dahingestellt. Eindeutig für das Westfränkische gesichert sind Formen von alah- durch mehrfaches Vorkommen in den sogenannten Malbergischen Glossen zur Lex Salica, die auch sonst wichtige Zeugnisse für diese erloschene Mundart liefern. Diese Glossen liegen in mehreren Redaktionen ungleicher Zeitstellung vor. Dabei zeigt sich, daß alah- im Geltungsbereich spätestens im 8. Jahrhundert unverständlich geworden war. Man wird dabei zuerst an die fortschreitende Romanisierung denken, doch das Westfränkische war damals im Rahmen von Zweisprachigkeit noch weitgehend lebendig; für die Oberschicht galt dies noch tief ins 9. Jahrhundert hinein22. Der
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S. Anm. 14. Das Verdienst, diese Formen herbeigezogen zu haben, kommt Ruth Schmidt-Wiegand zu, vgl. den Beitrag: Alach. Zur Bedeutung eines rechtstopographischen Begriffs der fränkischen Zeit, in: Dies., Stammesrecht und Volkssprache, Ausgewählte Aufsätze, 1991, 233–257 (aus: Beiträge zur Namenforschung, NF 2 (1967), 21–45). Allerdings bleiben Alladorf und die thüringischen Befunde dabei aus dem Blick; das nötigt im folgenden zu einigen Modifikationen. Vgl. bereits Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7), bei Anm. 51. 22 Vgl. Rudolf Schützeichel, Das westfränkische Problem (überarbeitete Fassung mit Nachtrag), in: Franz Petri (Hg.), Siedlung, Sprache und Bevölkerungsstruktur im Frankenreich (Wege der Forschung 49), 1973, 578–638. 21
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Ersatz hat offenbar mit dem Zurückweichen des rechtlich relevanten Ausdrucks zu tun. Die Stelle wird nun lateinischen Begriffen überlassen – Sorge für Gemeinverständlichkeit im Zeichen des vordringenden Romanischen. Dabei erhalten wir die reichhaltigste Bedeutungspalette nach dem, was die Angelsachsen bieten: casa, villa und basilica, also „Haus oder Hütte“, „kleiner Siedlungskomplex“ und „Kirche“ – drei verschiedene Abwandlungen der Vorstellung vom „geschützten, umfriedeten und befriedeten Bereich“ mit einer Nuancierung, die im damaligen Denken, wie wir es uns meist vorstellen, sowohl an die rechtliche wie an die sakrale Sphäre rührt. Die „Kirche“ wird aus dem „heiligen Ort“ älterer Phase entwickelt sein; die Annahme einer Bedeutungsverengung, die vom „hölzernen Pfostenhaus“ ausgegangen wäre, hat doch wohl weniger Wahrscheinlichkeit für sich (solche Baulichkeiten dürften mindestens in gehobener Schicht auch für profanen Gebrauch nicht so ganz selten gewesen sein). Die beiden anderen Verwendungen aber warnen davor, sakrale Bezüge gar zu selbstverständlich ins Zentrum zu rücken; sie verstärken nachdrücklich, was schon die „Burg“ im ealh der Angelsachsen ins Blickfeld rückt. Stärker jedoch fällt zunächst ein anderer Aspekt ins Gewicht: das deutliche Absterben von alah in einer festlandswestgermanischen Mundart, die auf deutschem Boden engste Verwandte besitzt, viele Jahrzehnte vor dem Einsetzen ausführlicher Texte in diesem östlicheren Bereich. Es fügt sich zusammen mit dem schon festgestellten Fehlen des Ausdrucks in diesen Texten selbst dort, wo nach gegebenen Parallelüberlieferungen eine Verwendungsmöglichkeit offengestanden hätte – nicht zuletzt in Otfrids Evangelienharmonie, die wie die Malbergischen Glossen ein Denkmal fränkischer Sprachentwicklung ist. Der Eindruck, der sich bereits aus der Gesamtheit aller übrigen Befunde ergab, rundet sich und gewinnt ein so hohes Maß an Gewißheit, wie das in solchen Fällen nur selten erreicht werden kann. Alah hat als Ausdruck der Umgangssprache die Wende zur Karolingerzeit in den Mundartgebieten, auf die es hier ankommt, nicht überlebt. Die Konsequenz für Alladorf/Alachtorf liegt auf der Hand: Während das Zweitglied, das Grundwort, in der Zeitstellung vieldeutig ist, besitzt das erste, das Bestimmungswort, datierende Qualität. Sie läßt nur eine Folgerung zu: Der Ortsname kann kaum jünger sein als die ältesten Bestattungen auf dem anliegenden Gräberfeld, ja, der Belegungsbeginn um 720 (also ca. 700/740) ist für diese Namengebung fast schon zu
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spät. Die Wahrscheinlichkeit, daß sie – in zeitentsprechender Lautung – weiter zurückreicht, drängt sich vor. Daß das Gräberfeld seinerseits nicht zwingend zugleich den Beginn der anliegenden Siedlung datiert, sondern vielleicht nur einen Wechsel der Bestattungsart an einem fortbestehenden Platz andeutet, wurde bereits hervorgehoben. Es scheint damit, daß für diese Stelle nicht nur eine weit zurückreichende Siedlungskontinuität vermutet werden darf, gestützt durch die unmittelbare Nachbarschaftslage von Ortskern und Gräberfeld, sondern auch Namenskontinuität, was ja nicht unbedingt dasselbe ist23. Alladorf dürfte in zeitentsprechender Vorform so schon geheißen haben, als in Würzburg das Herzogsgeschlecht der Hedene residierte und als der irische Missionar Killena/Kilian seinen Rigorismus mit dem Tode zu bezahlen hatte (689). Was hat man, als der Ortsname sich fixierte, unter alah hier verstanden? Ältere Forschung ging auf schmaler Materialbasis und unreflektiert von der Bedeutung „Heiligtum“ aus und dachte an einen Nachklang einstiger Thüringersiedlung auf oberfränkischem Boden24. Neuere Ansicht kam, nicht zuletzt vom westfränkischen Material her, zu dem Vorschlag „(fränkische) Militärsiedlung“, was immer man für diese Zeit darunter verstehen soll, jedenfalls wohl einen durch Befestigung „geschützten“ Stützpunkt, vergleichbar der angelsächsischen „Burg“25. Dabei waren Beispiele aus Deutschland kaum einbezogen, auch Alladorf nicht. Gleichwohl hat der Vorschlag viel Anziehendes, schon allein im Hinblick auf die Verbreitung des entscheidenden Namensgliedes von Thüringen bis Schwaben: Das sind alles Gebiete, in denen fränkische Herrschaft vor 750 fest etabliert wurde, während Altbaiern und Sachsen erst später folgten. Doch wie weitmaschig sind die Beispiele gestreut! Schon das stimmt skeptisch, selbst wenn weitere spurlos verschwunden sein können. Aus Frankreich konnten bisher lediglich Zeugnisse geltend gemacht werden, die nördlich des geschlossenen Siedlungsgebietes von Franken liegen; andere alte Eroberungsgebiete wie Aquitanien und Burgund haben
23 Dazu, unabhängig vom vorliegenden Fall, die Beobachtungen von Pöllath, Karolingerzeitliche Gräberfelder (wie Anm. 2), Bd. 1, 86 f., mit reicher Literatur. 24 Vgl. bes. Guttenberg, Ortsnamenbuch Kulmbach (wie Anm. 1), und Schwarz, Sprache und Siedlung (wie Anm. 14). 25 Schmidt-Wiegand, Alach (wie Anm. 21).
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bisher nichts Vergleichbares beigesteuert. Speziell für Alladorf aber legt der archäologische Befund, der noch nicht erhoben war, als jene Thesen entwickelt wurden, ein unerbittliches Veto ein. Das Gräberfeld enthielt nichts, was fränkisch, ja nicht einmal etwas, was christlich wirkt. Ein anderer Vorschlag wollte für das erste Glied des Namens von der Bedeutung „Holzkirche“ ausgehen26. Das würde eine Art Parallele zum anderweit bekannten Holzkirchen geben. Daß allerdings diese Bedeutung alles andere als gesichert ist, wurde schon bemerkt. Speziell Alladorf bringt nichts, sie zu stützen. An anderen Plätzen Oberfrankens ließ sich der nachträgliche Einbau eines einfachen Gotteshauses in einen älteren Friedhof erweisen – hier nicht, und die rituellen Praktiken an den Bestatteten, hier mit besonderer Konsequenz und Kontinuität geübt, lassen keinerlei Ausstrahlung eines solchen erkennen. Die bestehende Ortskirche scheint wenig geeignet, die entsprechende Bresche zu schließen. Zwar steht sie nahe am Gräberfeld, doch darauf bezogen zeigt sie sich nicht: Beide trennt, wie gesagt, der Bacheinschnitt. Sie befindet sich in ausgesprochener Randlage, wie eine nachträgliche Zutat zum Ortskern, und auch ihr Patrozinium, Sankt Nikolaus, wirkt wenig altertümlich. Archäologisch untersucht ist sie nicht, und auch eine Analyse des Mauerwerks steht aus. So darf ein frühmittelalterlicher Vorgängerbau nicht ausgeschlossen werden. Ganz unwahrscheinlich ist er nicht: Die Erhaltung des alten Ortsnamens spricht für Siedlungskontinuität und folglich für fortgesetzte Bestattung von Ortsbewohnern. Sie kann nach Lage der Dinge nur noch auf einem christlichen Friedhof erfolgt sein27, wenn auch nicht notwendig weiterhin am Ort selbst; vielleicht ist an Trumsdorf zu denken, wohin Sankt Nikolaus 1445 als Filiale orientiert war. Keinesfalls aber, so wird zu folgern sein, gehört eine örtliche Kirche zu einem so frühen Gebäudebestand am Platz, daß die Siedlung nach ihr benannt sein könnte. Kurz: Die vorgeschlagenen Alternativlösungen waren je in ihrer Art wohlbegründet, und es mag sein, daß sie an einer oder der anderen Stelle wirklich greifen. Für das Dorf auf der Frankenalb sind sie auszuscheiden. Die etymologische Grundlage erlaubt noch, für alah- an „Fluchtburg“ zu denken, doch solche Rückzugsstellungen markiert man nicht durch Siedlungskomplexe, noch dazu mit ausdrücklich hinweisendem Namen –
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Gütter, Alladorf (wie Anm. 14). S. Anm. 7.
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ganz abgesehen davon, daß sie undenkbar sind ohne Befestigung, und dergleichen aus in Betracht kommender Zeit ist im Umkreis von Alladorf bisher nicht beobachtet worden. So bleibt für diesen Fall nach bisherigem Stande keine Deutung als die, von der schon die ältere Forschung ausging: Anknüpfung an ein Heiligtum – „geschützter Ort“ im Sinn eines Sakralbezirks, der, wohlgemerkt, nicht unbedingt zugleich auch Kultplatz gewesen sein muß. Sie behauptet sich hier trotz allem, was gegen sie ins Feld geführt worden ist. Es darf bemerkt werden, daß ein solcher Name zu denen gehört, für die eine derart beharrliche Kontinuität am Platz unbedenklich vorausgesetzt werden kann. Ein auf ein Heiligtum bezogener Ort, ausdrücklich danach benannt, gehört im Ursprung zu den „allen einsichtigen“, die „umgebungsbezogen“ sind und daher nicht so leicht einem Wechsel unterliegen wie zum Beispiel die Kategorie „personenabhängig“28. Er wird nicht einmal unbedingt von einer „Veränderung des Gemeinschaftsbewußtseins“ berührt29, solange er verständlich bleibt, und er kann sich behaupten, wenn die Christianisierung in sein Gebiet erst vordringt, nachdem die alte Bedeutung undurchschaubar geworden ist, aber Tradition an ihm festhält. Wo lag die heilige Stätte, wo der alah, an den der Ortsname anknüpft? Wie war er beschaffen? Dazu fehlt bisher jeder Anhalt, ebenso wie für die Brandgräberstätte, die als Vorgänger des aufgeschlossenen Gräberfeldes oben vermutet worden ist. Verdachtsmomente, die der Schirdigberg jenseits der Lochau auslöst, werden hier später benannt, sind aber noch ungeprüft. An der Beziehung des frühmittelalterlichen Alachtorf auf einen Sakralplatz, dessen vorchristlicher Charakter30 sich noch in den Bestattungen am Schmiedsberg spiegelt, kann jedenfalls wohl nicht länger gezweifelt werden, bei aller Vorsicht, die in dieser Richtung geboten ist. Der Ort auf der Frankenalb rückt dadurch vom Namen her in bemerkenswerte Nähe zu einem zweiten, von dem ihn keine 20 Kilometer Luftlinie trennen, nämlich Trebgast am Weißen Main, und zu dessen untergegangener Entsprechung im Stadtgebiet
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Vgl. Pöllath, Karolingerzeitliche Gräberfelder (wie Anm. 1), Bd. 1, 87. Ebd. 30 „Vorchristlich“ verdient den Vorzug vor dem im Grunde wenig besagenden „heidnisch“; Beitrag X, 287–289, 308–310, 313–316, 321 u. ö.; vgl. Leszek Moszyński, Die vorchristliche Religion der Slawen im Lichte der slawischen Sprachwissenschaft, 1992, 121–123 u. 125. 29
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von Bayreuth, Altentrebgast, noch weniger weit entfernt. Der slawische Personenname, von dem beide gebildet scheinen, enthält zwar keinen Hinweis auf eine entsprechende Stätte, doch im Erstglied ein Wort der einst anderen Landessprache für „vorchristliches Opfermahl“, das für das Maingebiet noch im frühen 10. Jahrhundert als lebendiges Appellativum bezeugt ist und damals auch im fränkischdeutschen Diözesanklerus bekannt war, nämlich treba/trebo31. Das deckt sich mit dem germanischen alah nicht ganz, doch bezeugen beide gemeinsam, daß, aus welchen Gründen immer, Sprachreste vorchristlicher Prägung im Namengut dieser Landschaft zu überdauern vermochten. Die vorgeschlagene Deutung von Alladorf wird vielleicht sogar vom Gräberfeld her gestützt. Wie angedeutet, fand der Anthropologe das Skelettmaterial in einem Zustand, der im wesentlichen einheitlich auf relativ gehobenen Lebensstandard schließen ließ. Das dürfte bedeuten, daß Merkmale verbreiteter körperlicher Schädigung durch langfristige Schwerarbeit nicht festzustellen waren. Das gleichfalls schon vermerkte Fehlen von Waffenbeigaben, auch wieder im Unterschied zum nahegelegenen Weismain (Kreis Lichtenfels), kommt hinzu. Es spricht gegen vordringliche Pflege von Kampfbereitschaft am Ort. Beim nordwestslawischen Heiligtum von Groß Raden (Kreis Sternberg, Mecklenburg) hat man eine zugeordnete Dienstsiedlung aufschließen können, etwas abgesetzt vom eigentlichen Sakralplatz, der sich dort auf eine Insel im See zurückziehen konnte. Sie betrieb mannigfaches Handwerk; Spuren agrarischer Betätigung fanden sich nicht – die Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten muß von außen her organisiert gewesen sein32. Für Alladorf haben wir einstweilen nichts als das Gräberfeld, keine Spur der Siedlung, die seinerzeit von ihm begleitet wurde, und ihrer ökonomischen Struktur; sie wird überbaut unter dem Ortskern liegen. Die Skelettbefunde legen nahe, für die damalige Phase der Ortsentwicklung die Möglichkeit einer Parallele zu Groß Raden nicht aus dem Auge zu lassen, so wenig sie für sich allein beweiskräftig wäre. Ein beträchtlicher Unsicherheitsfaktor bleibt. Für eine Probe aufs Exempel versagt leider die nächstscheinende Möglichkeit, die Analyse der Flurform. Blockgemengeflur beweist Ackerbau. Sie setzt jedoch einzelhofbezogene Besitzanteile voraus, und
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Vgl. Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7). Beitrag VII.
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das heißt: Entstehung erst in späterer Phase der Ortsentwicklung kann nicht ausgeschlossen werden. Womöglich wurde sie erst eingeführt, als die Zehntpflicht kam, die ja entsprechend gesonderte Besitzanteile verlangt. Ob die Siedlung zunächst ohne zugehörigen Agrarbereich auskam, bleibt ebenso offen wie die dritte Möglichkeit, daß nämlich die Bewohner das, was sie an Nutzfläche brauchten, gemeinsam bewirtschaftet hätten, wie das zum Beispiel der altslawischen zadruga entsprach. In jedem Fall braucht es eine Begründung, wie sich die einigermaßen gehobene Stellung der im Gräberfeld Bestatteten, die der Anthropologe voraussetzt, ohne eine wahrnehmbare Schicht von Knechten und Mägden erklären ließe, ob nun im skizzierten oder in anderem Sinn. 4. Versuch eines Brückenschlages Es zeigt sich: In der archäologischen Literatur wird das Alladorfer Gräberfeld als „slawisch“ behandelt. Das stimmt für die erhaltenen Überreste materieller Kultur, an die diese Fachdisziplin sich zu halten hat. Der Ortsname aber, in seinen Elementen mindestens gleichzeitig, zeigt rein germanischen Ursprung – und mit ihm die einzige Quelle für die übermaterielle Kultur der damaligen Bevölkerung. Die Befunde stehen sich diametral gegenüber. Wie sollen wir sie zusammenbringen? Deutsch benannte Orte mit ganz oder teilweise slawischer Bevölkerung sind in Oberfranken auch sonst bekannt, durchaus nicht gering an Zahl. Doch Alladorf präsentiert sich nicht zum Beispiel als alter Besitz des Klosters Fulda, das Hörige nach Belieben umgesiedelt haben kann. Es gehört auch nicht zu den Neugründungen hochmittelalterlichen Landesausbaues unter deutscher Herrschaft, für den auch Siedler der anderen Nationalität herangezogen wurden. In einem Gebiet lange Zeit unklarer Machtverhältnisse, die keineswegs eindeutig unter germanischdeutschem Vorzeichen standen, finden wir einen Ortsnamen verhältnismäßig hohen Alters, eindeutig dieser Herkunft, und zeitgleich eine Bevölkerung von eigenartiger anthropologischer Zusammensetzung, mit Kulturmerkmalen, in einseitiger Auswahl erhalten, die jedoch in ihren bestimmbaren Elementen allein auf Slawisches weisen. Das ist ein grundsätzlich anderer Befund und im Gesichtskreis der Forschung neu. Es gibt wohl nur eine Lösung: Das frühmittelalterliche Alladorf muß, trotz des einseitigen Bildes seiner kulturellen Hinterlassenschaft, zweisprachig gewesen sein – mindestens für eine längere Phase. Das slawische Element mag vorgewaltet haben. Das germanisch-deutsche Idiom
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muß jedoch lange genug lebendig geblieben sein, um den Anschluß an die Aufrichtung dauerhafter deutschsprachiger Verwaltung im Lande zu erreichen. An sie konnte der Name tradiert und in ihrem Rahmen das deutschsprachige Element so gestärkt werden, daß es sich am Ort dauerhaft durchzusetzen vermochte, ohne daß die slawische Sprache dort daneben gleichfalls noch deutlich erkennbare Spuren hinterließ. Die Eindeutschung ihrer Träger erfolgte sicherlich, wie auch sonst im Lande, in einem gestreckten Prozeß, bei lange weiterhin anhaltender Zweisprachigkeit, die als Übergangsphase nicht hinweggedacht werden kann33. Der Abschluß dieses Prozesses am Ort wäre dabei wohl relativ früh anzunehmen, eben weil Nachklänge des Slawischen sich der Überlieferung dermaßen weitgehend entziehen. Wenn die Zweisprachigkeit bereits aus dem Frühmittelalter mitgebracht wurde, also wesentlich weiter zurückreichte als in anderen Fällen, hätte ein so früher Abschluß wenig Erstaunliches. Trifft dieser Rekonstruktionsentwurf zu, so hätten wir an diesem oberfränkischen Platz ein besonders frühes Beispiel für eine Erscheinung, wie sie für die Grenz- und Übergangszone beider Ethnien aus späteren Tagen gut bekannt ist34, nur daß die Durchmischung im Fall Alladorf zunächst durch slawisches Vordringen westwärts mit slawischem Übergewicht zustandegekommen wäre und erst später auch durch germanisch-deutsches nach Osten. Daß Spracheinheit im Stadium der neuen Ethnogenesen nach der Völkerwanderungszeit als sekundär betrachtet wurde, hat man längst gezeigt35. Von den Franken, die jahrhundertelang Germanischsprachige mit Vertretern von Vulgärromanisch vereinten, war die Rede. Die Karantanen, nach denen Kärnten
33 Ungewöhnlich gut zu verfolgen ist der Eindeutschungsprozeß im sogenannten Hannoverschen Wendland, vgl. Jerzy Strzelczyk, Die slawische Minderheit in Deutschland in Spätmittelalter und früher Neuzeit am Beispiel der Nachkommen von Dravänopolaben im Hannoverschen Wendland, in: Antoni Czacharowski (Hg.), Nationale, ethnische Minderheiten und regionale Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit, 1994, 69–94. Von den dortigen Beobachtungen läßt sich manches auch in frühere Entwicklungen zurückprojizieren; Vergleich mit der aktuellen Situation in Kärnten bei Hans-Dietrich Kahl, Der Mythos vom Zollfeld/Gosposvetsko polje, in: Andreas Moritsch (Hg.), Karantanien – Ostarrichi. 1001 Mythos, 1997, 56 Anm. 13. – Slawische Flurnamenreste in Alladorf unten bei Anm. 69–70. 34 Vgl. z.B. Heinz Quirin, Herrschaftsbildung und Kolonisation im mitteldeutschen Osten, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Kl. 1949, bes. 82–85 (unter anderem über vielfach anzunehmende Hof-an-Hof-Siedlung und zweisprachige Ortsnamen). 35 Bahnbrechend: Reinhard Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, 1961, bes. 87–112.
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bis heute den Namen trägt, hatten einen slawischen Namen, der aber im Einwanderungsland neu entstanden war. Sie wirkten nach außen als Slawen, schlossen jedoch gleichfalls ein provinzialromanisches Substrat ein und außerdem ein germanisches, das an einer Art Bauernadel beteiligt war und seine Bezeichnung für ihn, Edlinger, als Rechtsausdruck an die nachrückenden Baiern und Franken weiterzugeben vermochte, so daß er im Ostalpenraum bis heute lebendig blieb – deutsch in der Lautung, doch mit einer Bedeutung, die von deutschen Voraussetzungen her schwer erklärbar bleibt36. Alladorf schlösse hier an. Die anthropologischen Befunde vom Gräberfeld vertragen sich mit dieser Annahme. Wie berichtet, ließ das Skelettmaterial dreierlei Elemente erkennen: solche pannonider und faelider Art, wie sie aus zeitgleichen Bestattungsgruppen im Lande auch sonst bekannt sind, dazu aber solche von nordidem Typus, die dabei offenbar bisher eine Ausnahme bilden. Daraus wurde gefolgert, die belegende Population müsse entstanden sein, indem zu der letztgenannten Gruppierung als einer älteransässigen nachträglich Repräsentanten der beiden anderen stießen, etwa im Verhältnis eins zu eins37. Sucht man diese Interpretation von anderen Fachvoraussetzungen her zu ergänzen, so bietet sich folgende Lösung an: Die Nordiden (etwa mit einem Teil auch des faeliden Einschlags) dürften einen germanischen Menschenschlag repräsentieren, wie ihn der offenbar weit zurückreichende Ortsname fordert; die Zuwanderer wären demgegenüber auf eine der slawischen Wellen zurückzuführen, die nach und nach später ins heutige Nordostbayern drängten – vielleicht einer relativ frühen. Zwar werden die Altslawen nicht anders geschildert als die frühen Germanen: hochwüchsig, hellhäutig, rotblond und mit blauen Augen38. Aus der Wanderperiode ist jedoch für sie eine große Bereitschaft bezeugt, fremde Elemente, zum Beispiel Kriegsgefangene, als „freie Freunde“ dem eigenen Verband anzugliedern, während andererseits, widerwillig hingenommen, eine Beimischung steppennomadischer Elemente erfolgte39. Für Germanen, die an der Bevölkerungsgeschichte
36 Hans-Dietrich Kahl, Der Staat der Karantanen. Supplementum zu: Rajko Bratož (Hg.), Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche, 2002, bes. 67 ff. (Karantanen-Name) und 79–136 (Bevölkerungselemente), dabei 110 ff. über Germanensplitter unter slawischer Herrschaft, 123 ff. über die Edlinger. 37 Röhrer-Ertl, Slawen – Deutsche (wie Anm. 8), 94 u. 95. 38 Fritze, Untersuchungen (wie Anm. 3), 3 u. 35. 39 Kahl, Staat der Karantanen (wie Anm. 36), 82 f. im Anschluß an den sog. Fredegar IV, 48 und das dem Kaiser Maurikios zugeschriebene Strategikon 11,4.
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Nordostbayerns beteiligt waren, sind vergleichbare Nachrichten nicht bekannt; dagegen verbindet sich hier gerade das pannonide Element in den Grabungsbefunden immer wieder mit Kulturmerkmalen, die man als slawisch einstuft. Es trifft sich, daß gerade für die böhmischen Slawen, Vorfahren der Tschechen, also nächste Nachbarn des späteren Oberfranken, als „seltsam“ hervorgehoben wird, sie seien „braun und dunkelhaarig“ und der „blonde Typus“ sei dort „nur wenig vertreten“40. Der spanisch-jüdische Gewährsmann kannte die Elb- und Ostseeländer, Polen und Rußland; ob er auch Pannonien persönlich bereist hat, ist zweifelhaft. So fiel ihm, was er in Böhmen vorfand, als bemerkenswerte Ausnahme auf, da er die Sprachverwandtschaft offenbar erkannte. Einwanderer, die von dort kamen, brachten selbstverständlich die angestammten Merkmale nach Oberfranken mit. Kurz: Der anthropologische Befund aus dem Gräberfeld läßt sich zwanglos mit anderen verbinden, und die Annahme einer zweisprachigen Phase in der Geschichte von Alladorf kann nicht als abwegig fortgewischt werden. Wann hat diese Phase begonnen? Es wurde schon besprochen: Die Anfänge der Verschmelzung beider Gruppen fallen nicht zusammen mit dem Belegungsbeginn des Gräberfeldes; sie dürfte 75 bis 100 Jahre eher eingesetzt haben. Andererseits gehen die erstnachweisbaren Grabanlagen nicht zwingend auf die Generation der Ortsgründer zurück. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß in ihnen lediglich der Übergang einer bereits ansässigen Bevölkerung zu einer bisher unüblichen Bestattungsart greifbar wird und daß auch die erste Begegnung mit den Zuwanderern sich schon an diesem Ort abgespielt hat. Wann Alladorf entstand, ist nicht zu datieren. Das Gräberfeld wurde seit etwa 700/740 in Angriff genommen. Für den Beginn der Verschmelzung käme man dann in die Zeit des Samoreiches, und das heißt zugleich: etwa ein Jahrhundert nach der Zerstörung des Thüringerreiches durch die Franken. An Thüringen hatte schon ältere Forschung für die Gründung des Ortes gedacht. Daß Slawen im zweiten Drittel des 7. Jahrhunderts an diesem Punkt der fränkischen Alb eine Rückzugssiedlung von Menschen vorgefunden haben könnten, die sich fränkischen Neuregelungen im bisherigen Heimatgebiet entzogen hatten, ist denkbar, aber kaum die einzige Möglichkeit.
40 Georg Jakob, Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe aus dem 9. und 10. Jahrhundert (Quellen zur Volkskunde 1), 1927, 13; über den Autor: Gerard Labuda, Ibrâhîm ibn Yaʿkūb, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, 1991, Sp. 321 f.
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Wie hat die Begegnung, die erste Auseinandersetzung der beteiligten Elemente in Alladorf stattgefunden? Das entzieht sich dem Einblick. War es ein blutiger Zusammenstoß, bei dem vorgefundene Männer erschlagen, Frauen samt Wohnstätten als Beute vereinnahmt wurden? Skelettmaterial aus dieser Phase, das zur Klärung beitragen könnte, steht nicht zur Verfügung. Vielleicht ging es friedlicher zu, nachdem etwa Bundesgenossenschaft erst gegen die Awaren, dann mit Samo gegen die Franken Annäherung gebracht hatte. Daß das Samoreich in diese Gegenden hereingewirkt haben könnte, ist noch immer unsicher, trotz aller ansprechenden Thesen, die die Wogastisburg mit Burk bei Forchheim zusammenbringen wollen41. Daß die Awaren sich spürbar gemacht haben dürften, ist nicht auszuschließen, solange die steppennomadische Herkunft der „Bamberger Götzen“, durch ihre unverkennbare Verwandtschaft mit den sog. Baba-Steinen der Turkvölker nahegelegt, nicht endgültig abgetan ist42. Der Vorhang vor dem, was wir für Alladorf wissen wollen, hebt sich weder so noch so. Wir sehen nur das Ergebnis der fortgeschrittenen Durchmischung in dem, was an Skelettbefunden und an Überresten der materiellen Kultur noch greifbar ist. Kann es glaubhaft sein, daß Thüringer – oder wer sie nun waren – im äußeren Lebensstil Eigenes aufgaben und doch an der angestammten Sprache festhielten, wenn auch im Rahmen neuer Zweisprachigkeit? Gegenargumente sind nicht in Sicht. Wohl aber sehen wir die Ostgoten unter hunnischer Herrschaft eine so einschneidende steppennomadische Sitte wie die Schädeldeformation übernehmen, die ihnen fremdartige „Turmschädel“ einbrachte43. Sie hielten daneben außer ihrer Sprache auch an althergebrachtem Kulturgut fest, aber sie hatten unter den fremden Oberherren auch noch ihren intakten gentilen Verband. 41 Neue Skepsis bei Pöllath, Karolingerzeitliche Gräberfelder (wie Anm. 2), Bd. 1, 204–207. Eingehender Forschungsbericht: Manfred K. H. Eggert, Samo – „Der erste König der Slawen“, in: Bohemia 42 (2001), 62–83 (Wogastisburg: 71 f. u. 82 f.; Oberfranken als Teil von Samos Herrschaftsgebiet: 71 Anm. 57, 72 Anm. 64, 77 Anm. 97, 82). Keine dieser Positionen ist unbestritten. 42 Jochen Haberstroh, Die Bamberger Götzen – ein Zeugnis vorchristlicher Kulturvorstellungen?, in: Josef Kirmeier u.a. (Hg.), Heinrich II. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2002 in Bamberg, 2002, 127 ff., hat mich weniger überzeugt als die ältere Literatur bei Hans-Dietrich Kahl, Der Millstätter Domitian (Vorträge und Forschungen, Sonderband 46), 1999, 39 Anm. 111. Zu den sog. Baba-Steinen: Leszek Pawel Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, 1994, 198–201 mit weiterer Literatur. 43 Joachim Werner, Beiträge zur Archäologie des Attila-Reiches, in: Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl., NF 38 A, 1956, 90 ff., dazu Franz Altheim, Geschichte der Hunnen, Bd. 5, 1962, 275; vgl. Kahl, Staat der Karantanen (wie Anm. 36), 57 u. 114.
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Die Germanengruppe, die Alladorf benannt hatte, war inzwischen jedenfalls aus dem alten ethnischen Zusammenhang isoliert. Schon das bedingte eine gewisse Verunsicherung. Den Zuwanderern gegenüber waren sie womöglich in der Minderheit, vielleicht sogar ihnen unterworfen, erneut besiegt. Das Samoreich, falls es in diese Gegenden hereingewirkt haben sollte, hat zweifellos auch keine betont germanischen Akzente gesetzt, sondern atmosphärisch eine Akkulturation an Slawisches begünstigt. Sprachwechsel aber ist etwas anderes als die Übernahme von äußeren Anregungen einer anderen Kultur, die sich Modeerscheinungen fügt. Der Ostgotensplitter, der beim Abzug der Mehrheit nach Westen auf der Krim zurückgeblieben war, bot noch weit mehr als ein Jahrtausend später die Möglichkeit, Aufzeichnungen aus seiner angestammten Sprache zu machen. Leider ist sie nur höchst bruchstückhaft ausgenutzt worden44. Diese Krimgoten waren zweifellos längst mit tatarischen und anderen Elementen vermischt; ihre materielle Kultur wird nicht unberührt geblieben sein. Doch gotisch sprachen sie nach wie vor, vermutlich gleichfalls neben anderen Idiomen, die sie inzwischen aus veränderter Umgebung aufgenommen hatten. Die entwickelte These geht also nicht am faßbaren Leben jener frühen Jahrhunderte vorbei. Wir dürfen davon ausgehen, daß es im Früh- und Hochmittelalter zeitweise ein zweisprachiges Alladorf gab, in dem unter einseitig erhaltenen Kulturmerkmalen Slawisches das Feld beherrschte, während wir von anderen, vor allem den wichtigen textilen, nichts mehr sehen. Die Zweisprachigkeit, und was sie zunächst an Akkulturation begleitete, war Folge des Einzugs fremder ethnischer Elemente in eine germanische (thüringische?) Siedlung, die schon länger bestand. Sie erlosch nach einigen Jahrhunderten, weil das neu erstarkte germanische, nunmehr deutsche Element wieder die Oberhand gewann und eigene Assimilationskraft zu entfalten vermochte. Auch dies geschah noch, bevor schriftliche Überlieferung sich bequemt, deutlichere Lichtreflexe auf die Entwicklung dieses oberfränkischen Dorfes zu werfen, wobei nicht auszuschließen ist, daß ein Teil der Ortsbewohner noch slawisch sprach, als der deutsche Ortsname ersten Eingang in Urkunden deutschsprachiger Aussteller fand.
44 E. Horst, Spuren der Goten im Osten, in: Norsk Tidsskrift for Sprogvidenskab 25 (1971), 45 ff.; vgl. Feist, Wörterbuch der gotischen Sprache (wie Anm. 17).
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5. Konsequenzen Ist das hergestellte Fundament bei aller Unbeweisbarkeit tragfähig, so dürfen wir uns noch einen Schritt weiter vortasten: Die vorauszusetzende Zweisprachigkeit im frühmittelalterlichen Alladorf/Alachtorf kann nicht Halt gemacht haben vor einem der zentralsten und ursprünglichsten Elemente des Ausdrucks, dem Namengut. Der Ort muß damals auch einen slawischen Namen besessen haben45, ob er sich zu dem germanischen nun verhielt wie das masurische Frambork zum deutschen Frauenburg, ob ein Übersetzungsverhältnis bestand wie zwischen dem wagrischen Starigard und niederdeutschem Oldenburg (= Alteburg; in Holstein) oder vielmehr ein unabhängiges Nebeneinander wie bei Bydgoszcz und Bromberg46. Was zutraf, können wir nicht ahnen, doch unter den im Gräberfeld Bestatteten und weiteren Generationen muß auch ein Name der zweiten Sprache gebräuchlich gewesen sein. Dieser Name ist unrekonstruierbar verschollen. Doch mit dem Hinweis auf ihn gewinnt die an einem kleinen Einzeldorf aufgeworfene Problematik eine grundsätzliche methodische Bedeutung für die allgemeine Landesgeschichte. Sie beruht auf der Zeitstellung der Befunde, auf der der entwickelte Rekonstruktionsversuch aufbaut, und sie berührt den Aussagewert der Unterlagen, auf denen die Slawenforschung für Oberfranken sich eingerichtet hat. Man kann für das erhaltene Namengut Prozentzahlen errechnen, die den Anteil slawischer Elemente am Gesamtbestand charakterisieren. Das wird längst durch Hinweise auf Fakten ergänzt, die zeigen, daß mit derartigen Angaben nie mehr erfaßt werden kann als eine Mindestgröße. Für die genannten Besitzungen des Klosters Fulda liegen verhältnismäßig weit zurückreichende Zeugnisse vor. Unter ihnen sind Orte mit deutschen Namen und slawischen Bewohnern belegt. Meist bleibt dabei offen, ob es gleichfalls Mischdörfer waren und welches Ethnicum dann dort überwog, ganz zu schweigen von der Frage, welches vielleicht als erstes am Platz gesessen hatte und wie die slawischen Bewohner ihren Wohnsitz benannten47. Alladorf lenkt die Aufmerksamkeit auf rein deutschnamige Siedlungen, für die die Überlieferung erst wesentlich
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Vgl. Anm. 34. Für den hier angestrebten Strukturvergleich ist es belanglos, ob in den oben herausgegriffenen Fällen der slawische oder der deutsche Name der ältere war. 47 Dazu Überlegungen, ohne das Problem auszuschöpfen, bei Schwarz, Sprache und Siedlung (wie Anm. 14), 342. 46
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später zu tröpfeln beginnt. In solchen Fällen beleuchtet normalerweise niemand, ob die Bewohner etwa zu bestimmter Zeit gleichfalls Slawen waren, mit Trägern deutscher Mundarten gemeinsam oder gar allein. Selbst was die Archäologie an Kontrollmöglichkeiten zur Verfügung stellen kann, wie das in Alladorf so eindrucksvoll geschieht, fällt aus, wo der Übergang zu beigabenloser Bestattung vollzogen ist. Man gewinnt nicht den Eindruck, daß all dies immer scharf genug im Blick bleibt. Im Zeichen von Alladorf, so darf gesagt werden, wirkt es vermessen, die einstige Verbreitung von Slawen im Lande nach kartierbaren Restbeständen ihres Namengutes und nach zufällig verfügbaren Erwähnungen im Urkundenmaterial abzuschätzen. Wir haben mit spurlos untergegangenen Fällen zu rechnen – mit einer Dunkelziffer allein schon für Namen, die mit der vollzogenen Assimilation des sie tragenden Bevölkerungsteils, mit dessen Einschmelzung in das werdende deutsche Oberfrankentum, erloschen sind, bevor es zu ihrer Aufzeichnung kommen konnte. Es ist nicht einmal auszuschließen, daß sie teilweise sogar noch über das erste Auftauchen des deutschsprachigen Gegenstücks hinaus fortbestanden haben. Wie groß diese Dunkelziffer ist, vermag niemand abzuschätzen. Sicher ist nur, daß wir uns, um eine realistische Vorstellung von der Größenordnung dieses landesgeschichtlich so wichtigen Elements zu gewinnen, an anderes Quellenmaterial halten müssen – und daß dieses rar ist. Zum Glück besitzen wir das Zeugnis einer Bamberger Diözesansynode von 1059. 6. Ausblick auf die Slawen von 1059 Am 13. April 1059 stellte Gunther, fünfter Bischof von Bamberg, eine Notiz aus, die er stellvertretend für viele von über 50 namentlich genannten Zeugen beglaubigen ließ, 23 geistlichen, 28 weltlichen Standes. Dem Inhalt nach gibt sie das Protokoll der wichtigsten Verhandlungspunkte einer Diözesansynode (synodum universorum subiectorum tenui), die wegen vielfacher Angelegenheiten seiner Kirche (propter multimoda meae ecclesiae negotia) notwendig geworden war. Ausdrücklich erwähnt werden dann allerdings nur zwei. An erster Stelle, besonders ausführlich, wird die geistliche Disziplin des Gemeindevolks (der plebs huius episcopii) angesprochen, dazu Zehntangelegenheiten, die das Verhältnis zum Nachbarbistum Würzburg berührten. Die Bevölkerung wird mit einigen Worten charakterisiert, die schon viel an Diskussion ausgelöst
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haben, aber immer noch nicht befriedigend erklärt sind. Dabei fällt die Formel von dieser Bevölkerung als zu einem sehr großen Teil slawisch (ex maxima parte Slavonica), eingeführt mit utpote, also jedenfalls als Begründung für deren fragwürdige Verfassung gemeint (Deutschstämmige, viel länger schon christianisiert und so viel unkomplizierter zu betreuen, standen offenbar unter positivem Vorurteil). Die Angabe zeigt sich zwar mit einem Vergangenheitstempus (erat), doch zugleich erfolgt Androhung kirchlicher Disziplinarmaßnahmen für den Fall fortdauernder Widerspenstigkeit, die nur auf Gegenwart und Zukunft bezogen sein können (compellerentur intrare – ein althergebrachter Topos nicht für äußere Mission an Kirchenfremden, sondern für die zwangsweise Durchsetzung innerkirchlicher Normansprüche an Getauften – und Güterkonfiskation). Jenes erat wird ein Hinweis sein, daß der vorgefundene Zustand schon weit zurückreichte48. Es handelt sich um eine zweifellos ernstzunehmende Quelle: Ein offizielles Beschlußprotokoll, für den Eigengebrauch verfaßt, ist schwerlich der Ort, einen Tatbestand zu verdrehen, der allen Beteiligten geläufig ist. Was damit gesagt ist, anzufechten allein auf der Basis greifbarer Zufallsüberlieferungen und der Daten nachweislich lückenhafter Namensstatistik, scheint reichlich kühn. Daß die karge Zeile allerdings der Interpretation bedarf, versteht sich von selbst. Eine solche aber muß nunmehr auch vor dem bestehen können, was uns Alladorf lehrt.
48 Druck: Ph. Jaffé, Bibliotheca Rerum Germanicarum, Bd. 5, 1869, S. 497, vgl. Herrmann, Assimilierung (wie Anm. 56), 101 f.; auch Joseph Schütz, Frankens mainwendische Namen, 1994, 214 f. Weitere bei Erich von Guttenberg, Die Regesten der Bischöfe und des Domkapitels von Bamberg, 1962, Nr. 312 (S. 144 f.). Die Inhaltsangabe und auszugsweise Übersetzung, ebd., vermag ich nur bedingt nachzuvollziehen, so stark sie die anschließende Literatur beeinflußt haben. Utpote ex maxima parte slavonica wird wiedergegeben als „soweit es (das Volk der Diözese) größtenteils slawisch war“. Utpote– zu potis – möchte ich jedoch eher kausal fassen, vergleichbar dem sinnverwandten, aber im Deutschen veralteten kraft dessen, daß . . . Die Formulierung im Regest engt die anschließenden Beanstandungen unnötig auf den slawischen Bevölkerungsteil ein, was schon für die Zehntverweigerung unglaubhaft ist, vgl. bereits Herrmann, Assimilierung (wie Anm. 56), 101 sowie Ders., Siedlungsgeschichte Oberfrankens (wie Anm. 14), 15 f. Die angenommene Drohung mit Zwangstaufe geht am eingebürgerten Sprachgebrauch des kirchlichen Lateins vorbei, vgl. Beitrag XV, bes. 501–512 u. 562 f.; E. Fascher, Lukas 14, 23, in: Die evangelische Diaspora 27 (1956), 1–16; Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7), Anm. 48; ebd., Abschnitt 5, zum Glaubensstand der Mainslawen im 11. Jahrhundert, der nicht mehr als „vorchristlich“ im Sinn vorstehender Anm. 30 bezeichnet werden kann, sondern auf christlichvorchristlichen Synkretismus mit zahlreichen Varianten hinauslief.
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Der zitierte Wortlaut wird gern relativiert, als handele es sich um eine Aussage, die lediglich die nähere Umgebung der Bischofsstadt im Auge habe, nicht die gesamte Diözese49. Niemand kann bestreiten, daß dies zu einer der zehn Bedeutungsnuancen von episcopium stimmt, doch „Diözese“ gehört nicht weniger in diese Reihe50, und Maßnahmen, wie die Synode sie androht, sind schwerlich auf ein relativ kleines Teilgebiet ihres Zuständigkeitsbereichs zu beziehen: Für ein solches, unmittelbar unter den Augen von Bischof und Domkapitel, wäre es kaum nötig gewesen, ein Gremium zu bemühen, dessen Zuständigkeit von der Nürnberger Gegend bis an die Grenze des Vogtlandes reichte. Genau das aber ist damals geschehen. Zweifellos: Die scheinbar nächstliegende Übersetzung von maxima parte wäre „zum größten Teil“; sie aber ist weder notwendig noch hier wahrscheinlich. Ein „sehr großer Teil“, wie mit Bedacht oben eingesetzt, dürfte die Situation von 1059 wesentlich besser treffen. An dieser Lösung allerdings wird man festhalten müssen. Anderthalb Jahrhunderte älter, nicht exakt datierbar, ist ein Würzburger Synodalbeschluß, dessen Zuweisung lange verkannt worden ist; sie wird jedoch gesichert durch ein eingefügtes althochdeutsches Wort, das südlich des Maingebiets einem anderen weicht. Der Text spricht für den damaligen Zuständigkeitsbereich des Bistums, der den größten Teil der späteren Bamberger Diözese noch einschloß, von einer Bevölkerung aus „Slawen und sonstigen Völkerschaften“ (Sclaui uel ceterae nationes)51. Es wurde also von einer Instanz, die es wissen mußte, offiziell mit einem heterogenen Konglomerat gerechnet, in dem Slawen die mit Abstand stärkste Gruppe bildeten. Die übrigen müssen germanischsprachig gewesen sein, ohne daß man sie damals als eine ethnische Einheit empfand – offenbar Volkssplitter, die dort ansässig geworden waren, sei es als Überreste der Völkerwanderungswirren, sei es durch fränkische Siedlungspolitik. Die „Einkirchung“52 dieser Bevölkerung, einschließlich der Slawen, war bereits so weit vollendet, daß neben zahlreichen Beanstandungen ihrer religiösen Verfassung nicht
49 Vgl. z.B. Hartmut Hoffmann, Mönchskönig und rex idiota. Studien zur Kirchenpolitik Heinrichs II. und Konrads II. (MGH, Studien und Texte 8), 1993, 94 f. 50 J. F. Niermeyer – C. van de Kieft – J. W. J. Burgers, Mediae Latinitatis Lexicon Minus, 22002, Bd. 1, 494 f., hier bes. Nr. 1 u. 8. 51 Dazu ausführlich: Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7), Abschnitt 3. 52 Terminus nach Fritz Blanke, Die Missionsmethode des Bischofs Christian von Preußen, in: Beumann, Heidenmission (wie Anm. 48), 348 (Wiederabdruck aus: Altpreußische Forschungen 4 (1927), 29).
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mehr für nötig gehalten wurde, auf Einhaltung der Kindertaufpflicht zu drängen53. Es ist ja auch das Gebiet, dessen „wendische“ Bevölkerung in den 820er Jahren als ein populus noviter conversus bezeichnet wird, von höchster Stelle, in einer Urkunde, für die die Mitwirkung des Würzburger Bischofs unverkennbar ist54. In den vielen Jahrzehnten bis 1059 dürften sich Einzelgewichte verschoben haben. Der neugeschaffene Bamberger Sprengel in seinem kleineren Umfang war sehr viel stärker slawisch bestimmt als das ältere Würzburg vor 1007. Andererseits ist mit verstärktem Zuzug von Angehörigen deutschsprachiger Gruppen zu rechnen, die wohl noch immer im Plural genannt werden müssen. Prinzipiell verändert war der im älteren Text geschilderte Zustand schwerlich. Die maxima pars von 1059 deutet an, daß in dem verkleinerten Bamberger Diözesangebiet noch immer kein anderer Bevölkerungsteil für sich allein an die Zahl der Slawen heranreichte. Sie fielen auch dadurch stärker als andere auf, daß sie sich wohl immer noch sprachlich in eine Eigenwelt zurückziehen konnten, in die ihnen zu folgen den meisten unmöglich war. Den Ausschlag für die Formulierung der Synode hat jedoch offenbar der Eindruck der Zahl geliefert: Ihr Wortlaut ist nicht qualitativ, sondern quantitativ zu nehmen. Was heißt das konkret? Welcher Zahlenwert wird der maxima pars, dem „sehr großen Teil“ der damaligen Diözesanbewohner gerecht? Kann man auf ihrem Boden ernstlich niedriger greifen als 30 Prozent? Waren es eher noch mehr? Die Befunde aus Alladorf machen Mut, uns dem Hinweis einer seriösen Quelle in diesem Sinn zu stellen, gegen Zweifel, die auf wenig aussagekräftigem Material beruhen. Daß dies nicht sogleich ein letztes Wort sein kann, versteht sich. Es braucht Diskussion. Doch man darf gespannt sein auf Gegengründe, die auf rational nachvollziehbaren Argumenten beruhen und nicht allein auf überkommenen Emotionen. Dabei braucht der angegebene Schätzwert dringend Ergänzung nach der qualitativen Seite. Wie sieht sie aus? Wie haben wir uns diese nicht absolute, sondern relative Mehrheit im Lande für die Zeit um 1059 vorzustellen? Zeugnisse aus jenen Jahren fehlen, doch das gesuchte Bild läßt sich mit weitgehender Zuverlässigkeit rekonstruieren, wenn man sonst
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Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7), bei Anm. 54–55. S. Anm. 5.
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Bekanntes zusammennimmt und mit Erfahrungen moderner Ethnogeneseforschung kombiniert, die ja auch auf das aus so vielen Elementen neu zusammenwachsende Oberfrankentum anwendbar sind55. Nach 1059 werden Slawen für diesen Bereich nur noch ganz selten genannt56. Es ist kein Verbot ihrer Sprache vor Gericht überliefert, wie wir es aus der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert aus Anhalt und aus dem Meißnischen kennen57 – es gab mithin in dieser Richtung kein Problem. Die Übernahme slawischer Ortsnamen in deutschen Mund erlosch, aus welchen Gründen immer, bereits im 12. Jahrhundert58. Die wenig später sich anbahnende Bildung von Familiennamen griff in Oberfranken, soweit erkennbar, nur noch in verschwindenden Einzelfällen auf slawisches Sprachgut zurück59. Selbst Personennamen der zweiten Landessprache der Zeit befanden sich offenbar früh auf dem Rückzug, zweifellos unter kirchlichem Einfluß, da slawisch als „heidnisch“, deutsch als „christlich“ galt. Die 1136 bezeugte Frau (mulier) Gothelindis, die als Rechtsgrund getroffener Verfügung angibt, sie sei frei nach Maßgabe slawischer Gewohnheit (cum esset libera sicut Sclaui solent – Präsens! – esse)60, sie ist schwerlich ein Einzelfall gewesen. Kurz – der Gesamteindruck spärlicher Überlieferung geht dahin, daß das Slawentum Oberfrankens so früh vom Deutschtum assimiliert worden ist wie an keiner anderen Stelle. Man fragt sich, warum. Zu den Gründen dürfte schon die Art ihres Anfangs im Lande zu ziehen sein. Allein besessen hatten slawische Zuwanderer die Region um
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Grundlegend Wenskus, Stammesbildung (wie Anm. 35); für Assimilation von Slawen an Deutsche: Strzelczyk, Slawische Minderheit (wie Anm. 33). Weitere Allgemeinliteratur bei Kahl, Staat der Karantanen (wie Anm. 36) zu den Kapiteln I,3, V, X sowie Anhang I, passim. 56 Die Belege mit einiger Vollständigkeit bei Erwin Herrmann, Zur Assimilierung der Slawen in Ostfranken im Hochmittelalter, in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 48 (1968), 103–108. 57 Karl Gottfried Hugelmann, Die Rechtsstellung der Wenden im deutschen Mittelalter, in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 58 (1938), bes. 224–240; Ders., Stämme, Nation und Nationalstaat im deutschen Mittelalter, 1955, 472 ff. (der angekündigte Bd. 2 ist nicht erschienen); vgl. Rudolf Kötzschke, Sächsische Geschichte, Bd. 1, 1935, 171 f. 58 Herrmann, Assimilierung (wie Anm. 56), 106. 59 Herr Dr. Ruprecht Konrad, Kulmbach, der auf diese Fragen seit Jahren achtet, konnte bisher, wie er freundlich mitteilt, nur verschwindend wenige Beispiele sammeln, darunter, verfassungsgeschichtlich wichtig, Supan. 60 Vgl. Herrmann, Assimilierung (wie Anm. 56), 104 mit Anm. 56. – Anschließend aufgeführte Kombinationen deutscher und slawischer Namen würde ich bestimmter als der Verfasser für Zeichen slawischer Abkunft nehmen. Es lag m.E. nicht im Trend der Zeit, daß Deutschstämmige slawisches Namengut übernahmen, sondern nur die gegenteilige Neigung.
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den Obermain und seine Zuflüsse niemals. Schon bei der Zuwanderung fanden sie andere vor; Alladorf liefert ein besonders bemerkenswertes Beispiel und steht damit vermutlich gleichfalls nicht allein. Vielleicht besaßen sie zeit- und stellenweise ein Übergewicht, das ihnen – auch das zeigt Alladorf – eine gewisse Assimilationskraft verschaffte, doch das Land wird eine Übergangszone zwischen ihnen und germanischen Ethnien geblieben sein, mindestens seit dem Zerfall des Samoreiches praktisch frei von übergreifenden Herrschaftsbildungen. Man hätte wohl weiterhin von beiden Seiten her dorthin vordringen können, doch es scheint, daß der Nachschub von Osten her versiegte, bevor eine slawische Konzentration zu gemeinsamer Machtbildung möglich wurde, während der Zustrom von Westen her sich verstärkte; das Karolingerreich konsolidierte sich gerade in der Frühphase der Belegung des Alladorfer Gräberfeldes, während Böhmen erst mit einer Phasenverschiebung folgte und dann ein unterlegener Partner blieb. Wann die Auseinandersetzung der Slawen im heutigen Oberfranken mit fränkisch-deutscher Herrschaft ernstlich begann, ist weniger klar als oft angenommen, denn es ist schwer zu beurteilen, ob sie wirklich bereits in der verlorenen Immunitätsurkunde des Hausmeiers Karlmann von 741 mitgenannt waren, wie meist angenommen wird61. Der erste Herrscher, der sich nachweislich für diesen Raum interessierte, war derjenige, der allgemein für die Slawenpolitik der Karolinger neue Weichen gestellt hat, nämlich Karl der Große mit seinem Plan der Fossa Karolina, mit der bekannten persönlichen Inspektionsreise von 793 und der Anordnung, das „kürzlich“ (wann?) neubekehrte Slawenvolk mit Kirchen zu versehen; für seine Zeit sind auch erstmals im erhaltenen Quellenmaterial Grafen für diese Gegenden genannt (cum comitibus, qui super eosdem Sclauos constituti erant)62. In jedem Fall machte sich die westliche Fremdherrschaft eine oder mehrere Generationen eher fühlbar als für die Karantanen im Ostalpenraum, denen die Grafschaftsverfassung anstelle mediatisierter eigener Gewalthaber erst in den 820er Jahren aufgedrängt wurde63, und mindestens anderthalb Jahrhunderte, bevor eine entsprechende Entwicklung in den neu errichteten Marken östlich von Elbe und Saale in Gang kam. Dieser frühe Beginn war zweifellos ein ausschlaggebender Faktor, und die von Anfang an gegebene
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S. Anm. 3. S. Anm. 5. Claudia Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens, Bd. 1, 1984, 71 f. mit Anm. 86–92.
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Gemengelage der Populationen brachte einen wirkungsvollen Verstärker hinzu. Nicht zuletzt durch ihn vermochte die Kirche hier ähnlich als Schmelztiegel zu fungieren wie früher im Franken-, Langobardenund Westgotenreich, wo sie ähnlich die Romanisierung germanischer Zuwanderer beförderte. Der planmäßige Landesausbau im werdenden Oberfranken mit den Kräften beiden Volkstums trug seinerseits bei, die Entwicklung voranzutreiben. Kurz – auf diesem Schauplatz spielte mancherlei mit, was in anderen Gegenden deutsch überschichteten Slawentums nicht so zum Tragen kam, und das stellte Weichen. Wie haben wir uns nach alledem die Slawen dieser Region im Jahr 1059 vorzustellen, wie den sehr allgemeinen ethnischen Begriff für diese Zeit inhaltlich zu füllen? Ganz sicher konnte längst nicht mehr von einer intakten Volksgruppe mit wenigstens einiger Geschlossenheit die Rede sein. Sie befand sich in fortschreitender Auflösung ihrer mitgebrachten Eigenart und war zweifellos dem Erlöschen der eigenen Sprache schon wesentlich näher als der Phase, in der sie sie neu ins Land eingeführt hatte. Die angestammten Mundarten waren nach Ausweis spärlicher Reste teils tschechisch, teils sorbisch eingefärbt. Doch waren diese „Wenden“ deshalb „Tschechen“ und „Sorben“? Linguistische und ethnische Begriffe sind oft gleichlautend, aber sie decken sich keineswegs so vollständig, wie die Romantik und ihre Ableger bis hin zum Nationalsozialismus meinten. Zur Zeit der Einwanderung in die neue Heimat war die Differenzierung der slawischen Idiome noch wenig fortgeschritten, eine klare Trennung von Tschechisch und Sorbisch zweifellos nicht schon erfolgt; selbst die Zusammenfassung damaliger Völkerwanderungssplitter zu geschlossenen Stämmen und Völkern stand noch in der Zukunft. Als die Auseinanderentwicklung slawischer Sprachen fortschritt, sorgte sie nicht einfach dafür, daß feststehende ethnische Gruppen sich deutlicher voneinander absetzten. Wir haben auch mit reinen Sprachbewegungen zu rechnen, das heißt mit Ausbreitung von Lauterscheinungen und grammatikalischen Neuerungen, die eigenen Gesetzen folgte – so, wie die hochdeutsche Lautverschiebung um 600 keinerlei Rücksicht auf „Stammesgebiete“ und auf Herrschaftsbildungen nahm und ebensowenig später die Ausbildung der romanisch-germanischen Sprachgrenze in den Niederlanden. Dies wird für die Slawen im heutigen Oberfranken, die man zum Teil auf Abwerbung von Siedlern aus nördlicheren Sorbengebieten anderer Herrschaftsträger zurückführt, meines Erachtens zu wenig bedacht.
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Was nun die Ethnogenesen angeht, aus denen schließlich die „Stämme“ und Völker von heute hervorgingen, so neigen wir mittlerweile dazu, sie uns langwieriger vorzustellen als früher und mit weit stärkerer Einwirkung politischer Organisationsformen als auslösender Momente. Die Völkerwanderung verschob nicht einfach vorgegebene, geschlossene Verbände. Sie sorgte, selbst wo althergebrachte Namen festgehalten wurden, für Entstehung neuartiger Wanderlawinen von oft bunter Zusammensetzung, in denen immer wieder überkommene Einheiten aufgelöst und neue Möglichkeiten aufgetan wurden, ohne in jedem Fall Dauer zu gewinnen. Die Slawen machten keine Ausnahme; schon die Aufsplitterung von Namen wie Obotriten oder Kroaten auf unterschiedlichste Regionen, in denen die Träger sich womöglich jeweils mit andersartigem Substrat verbanden, ist Beweis. Nicht zuletzt die Sorben hat man, wenngleich nicht unangefochten, hier angereiht, nachdem ihr Name dazu einlädt, sie mit den Serben zusammenzubringen, wobei selbstverständlich nicht an Abwanderung eines der beiden Ethnica aus dem heutigen Wohngebiet des anderen gedacht werden muß. Bleiben wir zunächst bei ihnen, so drängt sich die Frage auf, ob es für sie überhaupt je zum Abschluß einer Ethnogenese zu kommen vermochte, bevor die Sprachwissenschaft und die Volkstumsidee des 19. Jahrhunderts die Nachkommen der ältestbekannten Namensträger mit denen von Daleminziern, Milzenern, Lusizern und anderen unter dieser früh bezeugten Benennung zusammenfaßte, über fortbestehende Unterschiede hinweg, doch ermuntert durch gleichwohl bestehende Gemeinsamkeiten. All diese Gruppierungen wurden schon im 10. Jahrhundert fest in das sächsisch-deutsche Markengebiet einbezogen. Das könnte hier ebenso zum Abbruch eines derartigen Werdeprozesses geführt haben, zu einer „geköpften Ethnogenese“, wie vorher schon bei den Karantanen, und wie dort so, daß unter der Fremdherrschaft lange Zeit kein neuer Anlauf möglich wurde, doch ist dies an dieser Stelle nicht auszuführen. Wirklich klar wird hier wenig, doch fest steht, daß die Slawen im nachmaligen Oberfranken an all diesen Entwicklungen im östlichen Vorfeld der Sachsen unbeteiligt blieben. Die Ethnogenese der Tschechen aber dürfte, als jene im Obermaingebiet einwanderten, gleichfalls noch unvollendet gewesen sein, falls überhaupt schon begonnen. Definitiv erfolgte sie im Zeichen des böhmischen Herzogtums, das sich erst tief im neunten Jahrhundert fest etablierte, und der Landesbegriff, der ihr den Rahmen stellte, hat über die Urwaldgebiete der Frühzeit, die dann deutsch aufgesiedelt wurden, niemals erkennbar herübergegriffen, bis man für das Spätmittelalter, also
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wesentlich später, teilweise von „Neuböhmen“ sprach. Für die Slawen an Obermain und Regnitz fehlt jedes Indiz, daß sie zu irgendeinem Zeitpunkt in die Ethnogenese des östlichen Nachbarvolks einbezogen wurden, nicht weniger als für die der Sorben. In den Zeiten, von denen an dieser Stelle die Rede ist, wurde dieser Bevölkerungsteil von außen als Einheit empfunden. Man konnte ihn, lateinisch wie deutsch, noch mit dem altüberkommenen Namen zusammenfassen – auch die Synode von 1059 folgte dieser Übung. Ob der Name noch sämtliche Nachkommen derer deckte, die einst von Osten gekommen waren, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob diese Zusammenfassung dem Selbstverständnis der Betroffenen entsprach. Ein spezifischer Stammesname neben dem allgemeinen gelangte ebensowenig in die Überlieferung wie in manchen anderen Fällen, zum Beispiel für die Dravänopolaben im Hannoverschen Wendland oder die Wenden der Altmark. Vielleicht hat es ihn auch am Obermain niemals gegeben. Nach wie vor war diese Gruppierung um 1059 für Bamberg die maxima pars, also die stärkste der Diözesanbewohner neben anderen, die einzeln an Zahl sämtlich hinter ihr zurückblieben und die man noch nicht ohne weiteres als Einheit im Sinn „deutscher“ Nationalität empfand, weil Verschiedenheiten, die wir als zweitrangig nehmen, noch stärker empfunden wurden als die übergreifende Gemeinsamkeit64. Rückläufig gewesen sein werden jedoch, wie angedeutet, schon die angestammten Personennamen. Wir haben wohl mehr oder weniger bereits mit Doppelnamigkeit zu rechnen, die den slawischen noch festhielt, doch an zweite Stelle rückte (wie bei dem 1219 bezeugten Conradus Premvzel), vielleicht mit unterschiedlicher Wertung im privaten und im öffentlichen Gebrauch. Erst recht wird Zweisprachigkeit – nicht fortzudenken als Übergangsstadium in jedem derartigen Wandlungsprozeß – unter diesen Slawen schon 1059 weit fortgeschritten gewesen sein, gefördert nicht zuletzt durch Mischehen mit „deutschen“ Partnern (wie deren Nachkommen eingestuft wurden, läßt 64 Vgl. Peter Moraw, Vom deutschen Zusammenhalt in älterer Zeit, in: Matthias Werner (Hg.), Identität und Geschichte, 1997, 29–53; auch Ders., Bestehende, fehlende und heranwachsende Voraussetzungen des deutschen Nationalbewußtseins im späten Mittelalter, in: Joachim Ehlers (Hg.), Ansätze und Diskontinuität deutscher Nationsbildung im Mittelalter (Nationes 8), 1989, 99–120, samt weiteren Beiträgen in diesem Sammelband. – Zum folgenden nochmals Herrmann, Assimilierung (wie Anm. 56) in Verbindung mit vorstehender Anm. 60.
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sich nicht erkennen). Beides kam wohl in erster Linie in Mischdörfern vor, wie sie als Folge zurückliegenden Landesausbaues in dieser Region gleichfalls vorauszusetzen sind, aber auch in Märkten und Städten mit der ihnen eigenen Anziehungskraft für aktive Elemente gleich welcher Herkunft. Doch auch Zweisprachigkeit verhüllte in solcher Phase noch immer nicht, was die „eigentliche“, die Muttersprache des Nachbarn ist65, und sie steht noch immer auf anderem Blatt als der bewußte „Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung“66, der den definitiven Abschluß einer derartigen Entwicklung markiert – das zeigt schon ein Blick auf die Kärntnerslowenen der Gegenwart und auf die Sorben im östlichen Deutschland. Rechtliche Besonderheiten kommen hinzu, auf die noch das Jahrzehnte jüngere Beispiel jener Gothlind hinweist67; sie konnten sich unabhängig vom Verlauf der Sprachtradition vererben. Dasselbe gilt für Überlieferungen in Sitte und Brauch, die 1059 am Beispiel des Fortwucherns „heidnischer“ Riten angesprochen werden (ritibus gentilium dedita), doch auch auf sehr viel harmloserer Ebene nachwirken konnten. Ein unberührtes vorchristliches Religionsstadium ist, wie gleichfalls schon angedeutet, in keinem Fall gemeint, sondern ein Synkretismus, der auch Züge christlicher Frömmigkeitsneigung eingeschlossen haben kann – Mischung der Elemente auch hier68. Im einzelnen ist mit zahllosen örtlichen und persönlichen Varianten zu rechnen, die nicht mehr faßbar werden, nicht zuletzt auch mit Phasenverschiebungen im prinzipiell gleichen Trend, auch für das Jahr 1059. All das aber muß zu der Rede des damaligen Synodalprotokolls von den Sclaui im Diözesangebiet hinzugenommen werden, sonst rückt sie in falsches Licht.
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Vgl. Strzelczyk, Slawische Minderheit (wie Anm. 33). Dazu grundlegend Wenskus, Stammesbildung (wie Anm. 35), passim, vgl. das Register unter diesem Begriff. 67 S. bei Anm. 60. Das zitierte solent weist auf den gewohnheitsrechtlichen Charakter hin, durch den das eingesessene Slawentum sich von den aufgezeichneten deutschrechtlichen leges unterschied. Über diese slawische Gruppierung als solche eigenen Rechts neben anderen: Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7), Abschnitt 4. 68 Albert Hauck, Zur Missionsgeschichte Oberfrankens, in: Blätter für bayerische Kirchengeschichte 1 (1888), 115; vgl. Kahl, Erloschenes Slawentum (wie Anm. 7), Abschnitt 5. 66
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beitrag iv 7. Der „Scherdich“ – Ansatzpunkt für weitere Erkenntnisse?
Waren unter den „Slawen“ von 1059 auch noch Einwohner von Alladorf mitgemeint? Das entzieht sich dem Einblick. Für diesen Ort lernen wir nach den spätvölkerwanderungszeitlichen und karolingischen Anfängen bevölkerungsgeschichtlich nur noch das Ergebnis kennen, gekennzeichnet durch ersatzloses Verschwinden des slawischen Toponyms, das für eine nicht ganz kurze Spanne der Vergangenheit so zwingend vorausgesetzt werden muß, und weitgehend auch dessen, was mit ihm an Flurnamen korrespondierte. Für sie allerdings gibt es Ausnahmen, die die Erinnerung an einst Gewesenes festhalten, wenn auch nur noch in verschleierter Gestalt. Ihre Erforschung ist im Gang, ein baldiger Abschluß zu hoffen69. Ein Beispiel verdient Hervorhebung. Der Schmiedsberg, der das Gräberfeld preisgab, liegt, wie festgestellt, gleichsam am Fuß des Ziegenberges, der mit 524 Metern Meereshöhe das Ortsniveau von Alladorf um etwa 75 Meter überragt, nicht sehr markant im Gelände. Unmittelbar südlich, nur durch einen Sattel von diesem getrennt, beginnt die höchste Erhebung im engeren Umfeld; in der Mundart Scherdich genannt – amtlich ist Schirdigberg daraus geworden (535 Meter). Sein Abstand zum Schmiedsberg beträgt etwas über 500 Meter, zur Ortskirche jenseits der Lochau sind es etwas mehr. Der Berg und sie liegen einander ziemlich genau gegenüber. Keiner der aufgeführten Namen wirkt lautlich im Deutschen als Fremdkörper, doch durchsichtig sind nur die beiden ersten. Etymologisch ist Scherdich vom Deutschen her nicht erklärbar. Stattdessen finden sich Anknüpfungsmöglichkeiten im slawischen Sprachbereich. Die Mundartform hat sich noch verhältnismäßig wenig vom ältesten Zeugnis entfernt, das 1421 Schirtach liest. Das Erstglied wird mit Vereinfachung des Anlauts auf slawisch ∗čiŕt- zurückgeführt, Namen eines dämonischen Wesens, das christlich zur Teufelsbezeichnung umgedeutet wurde. Die Endsilbe hält einen Kasus fest, der den germanischen Sprachen verlorengegangen ist: einen sogenannten Lokativ mit ortsbezeichnender Funktion, der zu einem bestimmten Typ von Kollektivbenennung gehört. ∗Čiŕtah heißt also nichts anderes als „bei 69
Einblick in die laufenden Arbeiten danke ich Herrn Dr. Ruprecht Konrad, Kulmbach, einschließlich der im folgenden behandelten Hinweise, an deren Aufschlüsselung und Auswertung ich mich beteiligen durfte. Der Publikation seines Belegmaterials ist hier nicht vorzugreifen.
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den čiŕtane, den Teufelsleuten“, oder auch „Ort (bzw. Stätte) der Teufelsleute“70. Während Alladorf und Trebgast Vorchristliches festzuhalten scheinen, das vielleicht in der entscheidenden Phase bereits unverständlich geworden war71, liegt hier also in eindeutigster Weise eine interpretatio christiana vor, negative Umformung einer Vorstellung alten Glaubens, die im Zeichen christlichen Absolutheitsanspruches und seines Ersten Gebotes nicht weitergeführt werden konnte, wie sie einmal war72. Dreierlei ist daran bemerkenswert: erstens, daß ein solcher Name ausgerechnet an dieser Stelle erscheint, gegenüber dem Gotteshaus auf der anderen Talseite, dabei so weit abgesetzt vom „heidnischen“ Bestattungsplatz am Schmiedsberg, daß eine Beziehung auf die dort ruhenden Toten unwahrscheinlich ist; zweitens, daß gerade er keine Übersetzung ins Deutsche erfuhr und keinen andersartigen Ersatz in dem schließlich alleinherrschend gewordenen Idiom, sondern in der anderen Landessprache festgehalten wurde, obwohl sie im Umgang erlosch; drittens, daß Scherdich damit in Gegensatz tritt zu dem unmittelbar benachbarten Ziegen- und dem Schmiedsberg, zu dem südlich anschließenden Krähenberg und allen anderen wichtigen Erhebungen der Gegend. Mögen sie aus slawischen Vorformen übersetzt sein (der Schmiedsberg zum Beispiel aus einer ∗kovarska gora, oder wie nun ein einheimisch-slawisches Gegenstück anzusetzen wäre); mögen sie sich anderem Ursprung verdanken – die Sprachverschiedenheit der Nachbarnamen, während sonst keine Zweisprachigkeit mehr gilt, bleibt als Merkwürdigkeit bestehen. Und gleich, wer sich hinter dem umgedeuteten ∗čiŕt- verbirgt: Was haben wir uns unter seinen „Leuten“ vorzustellen? Führen sie womöglich auf die vermißte Spur des vorchristlichen Heiligtums, auf das der Ortsname Alladorf nicht slawisch, aber germanisch weist? Dergleichen muß weiterer Forschung überlassen bleiben, nicht zuletzt vor Ort. Vielleicht wird dann deutlicher werden, was all solche Gegebenheiten zunächst ortsgeschichtlich bedeuten. Vielleicht werden
70 Zu den slawischen Kollektivbildungen auf -(j)ane: Kahl, Staat der Karantanen (wie Anm. 36), 68–70, vgl. 333 f.; zu den an sie anschließenden lokativischen Ortsnamenbildungen: Eberhard Kranzmayer, Ortsnamenbuch von Kärnten, Bd. 1, 1956, 92 f. u.ö., vgl. Bd. 2, 1958, 13 f. 71 S. oben bei Anm. 30–31. 72 Begriff nach Herbert Achterberg, Interpretatio christiana. Verkleidete Glaubensgestalten der Germanen auf deutschem Boden, 1930; vgl. Beitrag X, 301 ff. mit weiterer Literatur.
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dabei aber auch weiter Ergebnisse anfallen, die über das lokale Interesse hinaus exemplarische Bedeutung für allgemeinere Zusammenhänge gewinnen. Es könnte lohnen, nachzusehen. In jedem Fall entsteht der Eindruck, daß die unscheinbare Ortschaft der Frankenalb uns noch eine ganze Weile beschäftigen kann.
BEITRAG V
KULTBILDER IM VORCHRISTLICHEN SLAWENTUM Sondierungsgänge an Hand eines Marmorfragments aus Kärnten mit Ausblicken auf den Quellenwert von Schriftzeugnissen des 8.–12. Jh The author discusses a marble torso from Carinthia (Austria), which does not fare as either Christian nor Celtic, nor Roman nor German. Nevertheless, Slavic oral tradition are indeed able to classify and explain it. This raises the issue of whether the so far apparent absence of Slavic idols between the Havela and the Adriatic is more the result of the type of Christianization – determined by the circumstances of the sources, than it is of the habits of those Slavs living there. 1. Voraussetzungen Bevor Religion sich zu Schriftform verfestigt, schlägt sie sich vielfach in liturgischen Gestaltungen nieder, Wort- und Handlungsfolgen, hinter denen bildhafte Vorstellungen – Mythen – stehen. Nicht selten wird Geglaubtes zusätzlich in Bildschöpfungen konkretisiert, aus gleichen mythischen Quellen gespeist. Sie ziehen dann ältere Liturgien auf sich, fordern vielleicht auch neue heraus. Zeitliche und räumliche Differenzierung wirkt ein, denn es gibt keine Instanz, die nach Art einer Kirche normiert – „die“ keltische, germanische oder slawische Religion, der dann das Christentum gegenübergetreten sei, hat es kaum je gegeben. Kontinuität und Diskontinuität wirken überall zusammen, im zweiten Fall auch durch Einflüsse von außen bestimmt: Frühe Religionen sind normalerweise grundsätzlich zu Synkretismus bereit1, und Ausdehnungsbewegungen in Räume von erstaunlicher Weitläufigkeit bringen
1
Beitrag VIII; ausführlicher bei H.-D. Kahl, Slawen u. Deutsche in der brandenburg. Geschichte des 12. Jh.s I, Köln-Graz 1964, Kapitel V (eher geschrieben, doch später ausgeliefert, daher mit weniger aktueller Terminologie).
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Berührung mit fremden Substraten, die alles andere als unbeschriebene Blätter sind, bringen dazu nicht zuletzt neue Nachbarn. Für die Ursprünge behindert Schriftlosigkeit überall den Einblick. Bei den Kelten wird er besonders früh getrübt durch römische Überschichtung, die ihre interpretatio Romana mitbrachte und auf Überkommenes zweifellos modifizierend wirkte, ohne daß uns hinreichend Kontrollmöglichkeiten verfügbar wären2. Für die Germanen hat Karl Helm (1871–1960) umfassend versucht, entsprechend nötiger Differenzierung gerecht zu werden. Die Erscheinungsdaten der ausgelieferten Teilabschnitte seines Werkes verteilen sich über nicht weniger als vier Jahrzehnte (1913, 1937, 1953), und doch blieb es unvollendet: Die Arbeitskraft eines einzelnen war mit dem Plan überfordert. Inzwischen ist viel daran überholt, schon allein durch Stoffvermehrung, nicht zuletzt dank Erschließung der sog. Goldbrakteaten als neuartiger Quellengruppe; ein weiterer Versuch gleicher Richtung kam nicht zustande – das Desiderat bleibt3. Für die Slawen setzt verwertbares Material dermaßen viel später ein, zeigt sich so viel karger und einseitiger – vor allem durch das völlige Fehlen von Selbstzeugnissen aus vorchristlichen Perioden –, daß Ähnliches nur sehr bedingt gewagt werden kann, so wenig es an Ansätzen fehlt. Beide Forschungszweige gemeinsam leiden, wie andere auch, an der zerstörerischen Wirkung christlicher Mission, die in den entscheidenden Phasen alles, was sie vorfand, als „Teufelswerk“ verabscheute4 und, wo die Macht auf ihrer Seite stand, vernich-
2 Zur Groborientierung: B. Maier, Keltische Religion, in: (Hoops) Reallexikon d. german. Altertumskunde2 XVI (2000), S. 413–420, zu ergänzen durch Dens., Die Religion der Kelten, bei St. Zimmer (Hg.), Die Kelten, Stuttgart/Darmstadt 2004, S. 57–68 mit S. 220 f.; W. Krause, Die Kelten (Religionsgeschichtliches Lesebuch, hg. von A. Bertholet, 2. Aufl. Heft 13), Tübingen 1929. Weiteres unten Anm. 79. Dazu G. Wissowa, Interpretatio Romana. Römische Götter im Barbarenlande, in: Arch. f. Religionswiss. 19 (1916), S. 1–49. 3 K. Helm, Altgermanische Religionsgeschichte I, Heidelberg 1913 (mit Vorwort und Einleitung von bleibender methodischer Bedeutung), II/1 (1937), II/2 (1953), unvollendet; Vorwegnahme einer abgekürzten Gesamtdarstellung von Dems., Die Entwicklung der germanischen Religion; ihr Nachleben in und neben dem Christentum, bei H. Nollau (Hg.), Germanische Wiedererstehung, Heidelberg 1926, S. 292–422 (mit nochmals beachtlicher Vorbemerkung, S. 292–294). Die Goldbrakteaten erstmals in eine Gesamtdarstellung einbezogen von R. Simek, Religion und Mythologie der Germanen, Stuttgart/Darmstadt 2003; dort S. 313 f. Verzeichnis der bahnbrechenden Arbeiten von K. Hauck, von denen hier hervorgehoben sei: Brakteatenikonologie, in: (Hoops) Reallexikon d. german. Altertumskunde 2 III (1978), S. 361–402. 4 H. Achterberg, Interpretatio christiana. Verkleidete Glaubensgestalten der Germanen auf deutschem Boden, Diss. Greifswald 1930 (Terminus S. 87), mit Beleuchten
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tete – nach Möglichkeit vor den Augen derer, die den betreffenden Kult gepflegt hatten. Man hat dieses straflose Vorgehen gegen heilige Stätten und Objekte, das die Ohnmacht der alten Götter handgreiflich zu beweisen schien, glücklich als „Tatmission“ bezeichnet5. Es ist nützlich, sich die Gundkonzeption etwas eingehender klarzumachen, die hinter diesem Vorgehen stand, denn sie hat tiefe Wirkungen auf unser Quellenmaterial gezeitigt: nicht allein auf die nur so mangelhafte Bewahrung von Kultbildern, sondern auch auf Stoffauswahl und Aussagefreudigkeit schriftlicher Unterlagen; dabei folgt sie einer Systematik, die einem ungeschulten Denken von heute ferner liegt. Für den lateinischen Westen, der hier im Vordergrund bleiben wird, wurde sie besonders von Theologen wie Augustinus und Gregor d. Gr. entwickelt. Mission war Kampf für Gott gegen den Satan und seine dämonischen Helfer um das Seelenheil der Mitmenschen, die der Verblendung durch ihn erlegen waren. Sie hat daher zwei verschiedene Aspekte, die das Taufgelübde in seiner Gegenüberstellung von abrenuntiatio diaboli und confessio fidei zusammenfaßt; beide sind zu unterscheiden, weil Abwendung vom einem nicht zwingend gleich Hinwendung zum anderen sein muß. Das, was wir eben „Tatmission“ nannten, stand im Dienst des „negativen Missionsziels“, das vom „positiven Missionsziel“, der eigentlichen Christianisierung, auch deshalb unterschieden wurde, weil für beide in der Praxis unterschiedliche Regeln galten: für die Ausrottung vorchristlichen Erbes waren alle Mittel recht, jedenfalls gegen Sachen, weniger gegen Personen; für die Pflanzung des neuen Glaubens war Gewaltlosigkeit gefordert, wurde allerdings durch die Jahrhunderte hin verschieden definiert. Das positive Missionsziel galt als erreicht mit dem
der Auswirkungen, die die entsprechend Grundhaltung auch der Quellenautoren für die Religionsgeschichte nach sich zieht. Ergänzend: R. Schomerus, Die Religion der Nordgermanen im Spiegel christlicher Darstellung, Diss. Göttingen 1936: auch F. Wienekke, Untersuchungen zur Religion der Westslawen, Leipzig 1940. S. 24–28 (sonst vielfach mit Vorsicht zu benutzen); R. Schmaus, Zur altslawischen Religionsgeschichte; in: Saeculum 4 (1953), S. 208 f.; vgl. Beitrag VIII, S. 437, sowie Beitrag X, S. 283–285. 5 Achterberg, S. 87. – Zum flg.: Beitrag X, S. 292–312; vgl. H.-D. Kahl, Zur Problematik der mittelalterlichen Vorstellung von „Christianisierung“, bei Z. H. Nowak (Hg.), Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung und Kolonisierung des Ostseegebietes (Ordines militares I), Toruń 1983, S. 125–128.
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Vollzug der Taufe, obwohl die bis dahin übermittelten Informationen zur Glaubens- und Sittenlehre normalerweise höchst mangelhaft waren; entscheidend war nicht der Übertritt zu einem Glauben, sondern der Entschluß zum Gehorsam gegenüber dem allmächtigen Gott, weitere Anpassung an dessen Willen stillschweigend eingeschlossen. Die Taufe unterstellte den, der sie auf sich nahm, unabhängig von seinem Kenntnisstand dem Anspruch, nunmehr „Christ“ zu sein, und das hieß: Glied der Heilsanstalt Kirche, fähig zur Teilhabe an der Gnadenwirkung ihrer weiteren Sakramente, der viel zugetraut wurde, aber auch unterworfen der korrigierenden Disziplinargewalt eben dieser Kirche mit all ihrer Härte, von der der Täufling noch nichts zu ahnen vermochte. Ihr oblag dann die Sicherung und Vervollkommnung von Glaubensstand und Lebensführung. Was dabei etwa noch als Restbestand vorchristlicher Religion und Moral zum Vorschein kam, mag uns als unbewältigter Anteil der negativen Missionsarbeit erscheinen; die Überwindung wurde jedoch als Aufgabe innerkirchlicher Seelsorge aufgefaßt. Wie weit diese zu gelingen vermochte, war allerdings abhängig vom aktuellen Zustand der Kirche vor Ort, etwa der Weitmaschigkeit oder Dichte des Netzes ihrer Organisation und der persönlichen Eignung der Priester – nicht zuletzt ihrem Bildungsstand, der de facto oft wohl wenig über die formalen Seiten der Gottesdienstübung und Sakramentsverwaltung hinausging. Die Idee enthüllt hier einen utopischen Zug. Verkündigung im Dienst der Mission, negativ und positiv, war der Geistlichkeit vorbehalten und ebenso die Durchführung der der Taufe folgenden Nacharbeit; der Laienwelt kam es zu, deren Arbeit in jeder Hinsicht nach Kräften zu fördern, Mitwirkung an „Tatmission“ und an sonstiger Vernichtung von „heidnischem Unflat“ inbegriffen. Sie fiel als Aufgabe jedem Christen zu, der sich stark dazu fühlte, und er durfte sich dann in dem Gefühl sonnen, ein verdienstliches Werk vollbracht zu haben. Gern überließ man dergleichen den Neubekehrten selbst, gemäß der Weisung, die der Frankenkönig Chlodwig bei seiner Taufe mitbekam, keineswegs nur symbolisch, sondern ganz wörtlich gemeint: Incende quod adorasti – „Verbrenne, was du angebetet hast6“! In jedem Fall mußten Kultbilder der alten Religionen ausgemerzt werden, so weit es irgend anging – Gott zum Ruhm, dem Ausführenden zum Verdienst und dem „Widersacher“ zum Schaden. Wer daraufhin das Nachsehen hat, sind wir mit unserem Forschungsdrang, der mehr oder weniger
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Greg.Tur., Hist. II, 31 (hg. R. Buchner, Darmstadt 1955, Bd. I, S. 118, 19).
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weitgehend gegen damalige Tabus verstößt. In welchem Ausmaß wir damit im Nachteil sind, ist später zu beleuchten. Die eben gewonnene Begrifflichkeit wird dann hilfreich sein. 2. Bisherige Befunde Auch für das vorchristliche Slawentum sind die Kultformen – Riten und Liturgien – im Wesentlichen verschollen; vielleicht, daß sie Nachklänge noch in der einen oder anderen Volksüberlieferung finden, die längst unter anderen Vorzeichen stehen und aufwendige Rekonstruktionsaufgaben stellen7. Für die Kultbilder hat L.P. Słupecki das zur Zeit mögliche Wissen instruktiv und handlich zusammengestellt8. Verfügbare Quellen – auch hier gegenständliche neben schriftlichen Aufzeichnungen – bilden allerdings verschiedene Kreise, die sich nur teilweise überschneiden. Liegt das daran, daß nur die ersten, die Bildwerke, genuin vorchristlich-slawisch sind? Die zweiten stammen ja von Repräsentanten der siegreichen Kirche, die sich auf solchen Stoff nicht wirklich einlassen wollten – Geistesbrüder derer, die bei Kultobjekten für möglichst gründliche Zerstörung sorgten. Was aber an schriftlichen Unterlagen und Fundstücken zugänglich ist, fügt sich nicht alles zusammen. Immer wieder sind landschaftliche und zeitliche Unterschiede in Betracht zu ziehen, beide oft unterschätzt. Unstimmigkeiten in der Überlieferung bilden ein Problem für sich. Am merkwürdigsten ist die geografische Verteilung dessen, was auf die eine oder andere Weise an Kultbildern gesichert werden kann, 7
Vgl. unten bei Anm. 61. L. P. Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, Varsav 1994, S. 198–228, mit zwei instruktiven Karten im Anhang und reicher älterer Lit.; ergänzend Ders., Au déclin des dieux slaves, bei M. Rouche (Hg.), Clovis – histoire et mémoire II, Paris 1997 S. 303–305; Ders., Heidnische Religion westlicher Slawen, bei A. Wieczorek – H.-M. Hinze (Hgg.), Europas Mitte um 1000, Ausstellungskatalog 2000, Bd. I, S. 244 f., mit Ergänzungen verschiedener Verfasser im Katalogteil, S. 135–139; Ders., Pagan religion and cultural landscape of Northwestern Slavs in the Early Middle Ages, in: Siedlungsforschung 20 (2002), S. 25–40. Vgl. J. Herrmann (Hg.), Die Slawen in Deutschland, Ein Handbuch, Berlin 1985, S. 309–321, und H.-D. Kahl, Der Millstätter Domitian. Abklopfen einer problematischen Klosterüberlieferung zur Missionierung der Alpenslawen (Vorträge u. Forschungen, Sonderband 46), Stuttgart 1999, S. 38–51, passim. Wichtige Quellensammlungen: C. H. Meyer, Fontes Historiae Religionis Slavicae (Fontes Historiae Religionum IV), Berolini 1931, und deutsch bei A. Brückner, Die Slaven (Religionsgeschichtliches Lesebuch, Heft 3), Tübingen 1926. Zur religionsgeschichtlichen Einführung jetzt G. Labuda, O wierzeniach poganskich Słowian w kronikach niemieckich z XI i XII wieku, in: Księga pamiątkowa T. Bialecki, Szczecin 2003, S. 37–57. 8
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im wesentlichen wohl Statuen und Stelen9. Vom heute ostslawischen Gebiet sind, wie bekannt, erhebliche Teile auszuklammern, die erst seit dem Hochmittelalter slawisiert worden sind: Der ganze Norden des europäischen Rußland, Moskau nicht ausgenommen, war von finnischen Wandernomaden behauptet, Partien Weißrußlands von baltischen Stämmen; weitere Abstriche verlangen der Osten und Süden, die Waldgebiete westlich wie sämtliche Regionen östlich des Ural und die Steppen im Norden des Schwarzen Meeres. Auch so indes fällt auf, wie wenig weit nach Osten slawische Kultbilder vordringen und wie sporadisch sie sich dann noch verteilen: zwei im Flußgebiet der Velikaya, südlich vom Peipussee, zwei zwischen Njemen und Bug, fünf relativ konzentriert in Wolhynien und Podolien, südwestwärts von Kiew. Über die damit gegebene Grenze nach Osten hinaus führt die sog. Nestorchronik aus dem 12. Jh. Sie hält fest, Wladimir d.Gr. habe, bevor er sich 980 zur Taufe entschloß, in Kiew selbst ein Pantheon von numinosen Gestalten errichtet, die er dann später verhöhnen und zerstören ließ10. Der Großfürst kann Träger skandinavischer Einflüsse gewesen sein, die von den Warägern kamen – die Namen der Gottheiten, Perun an der Spitze, zeigen, daß slawische Komponenten mindestens beteiligt waren. Ob die Genannten jemals schon vorher gemeinsam verehrt oder aber aus verschiedenen Reichsteilen zusammengeführt worden waren, um diese vereint an das Zentrum zu binden, bleibt offen. Noch weiter östlich befand sich ein Handelsplatz, wohl an der Wolga, dort, wo später Bolgar entstand. Ahmad ibn Fadhlan kam in den 920er Jahren als Glied einer Gesandtschaft dorthin. Ihm fiel ein „langer, aufgepflanzter Holzpfahl“ auf, „der ein Gesicht wie das eines Menschen“ hatte, von kleineren Bildwerken umgeben, mit weiteren Holzpfählen im Hintergrund11. Der Bericht spricht von Slawen; genauere Analyse hat jedoch gezeigt, daß er auf skandinavische Waräger zu beziehen ist12. So besitzen wir in ihm weder ein Zeugnis für einen vorgescho-
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Vgl. die Karten bei Słupecki 1994, Anhang. Brückner, S. 16 f. 11 C. Taesler bei Meyer, S. 87. 12 H.-P. Hasenfratz, Die religiöse Welt der Germanen, Freiburg/Br. 1992, S. 16, vgl. 13 ff., nach H. M. Smyser, Ibn Fadlan’s Account of the Rus, bei B. Bessinger jr. – R. P. Creed (Hgg.), Medieval and Linguistic Studies in Honor of F. P. Magoun jr., London 1965, S. 96 ff., und H.-J. Graf, Orientalische Berichte des Mittelalters über die Germanen, Krefeld 1971, S. 42 ff.; vgl. Simek, S. 84 f., 196 f. 10
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Abb. 1. Vierteilige Götterstele aus dem Zbruč (Wolhynien, Ukraine), Kalkstein, slawish, 1. Hälfte 10. Jh.? Nach Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, S. 226. Slika 1. Štiristrani steber z bogovi iz Zbruča (Volinija, Ukrajina), apnenec, slovansko. 1. polovica 10. st.? Po: Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, 226.
benen slawischen Bereich, noch einen Beleg für möglicherweise nicht erhaltene Denkmäler aus vergänglichem Material, mit denen an sich zu rechnen ist. Einfluß von Norden her, eben schon erwähnt, ist für die Urteilsbildung im Auge zu behalten13. Eins der wolhynischen Beispiele sei genauer betrachtet, weil es Fragen berührt, die weiter unten zu erörtern sind (Abb. 1)14. Die Kalksteinstele,
13 Das von Taesler, S. 97, herbeigezogene Zeugnis des etwas jüngeren Mas’udi dürfte schon wegen beschriebener Architektur gleichfalls nicht in slawischen Zusammenhang gehören. 14 Zum flg. Słupecki 1994, S. 215–223 mit Zeichnung aller vier Ansichten und älterer Lit.; Ders., 1997, S. 304 f.; 2000, S. 245 u. 247 mit Ergänzung durch I. Gabriel im zugehörigen Katalogband, S. 135, Nr. 05.01.01 (weitere Lit.). Vgl. auch die Abbildungen bei
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ca. 2,60 m hoch, 0,30 m breit, präsentiert sich als die bedeutendste Schöpfung vorchristlich-slawischer Sakralkunst, die wir kennen: ein Pfeiler mit quadratischem Querschnitt, allseitig von Flachreliefs überzogen, die offenbar keine Spuren gezielter Beschädigung aufweisen. Gekrönt wird sie von einem besonders herausgearbeiteten Kopf, der sich mit den Bildzonen darunter zusammenfügt. Das Fundstück kam 1848 bei Niedrigwasser aus dem Zbruč zum Vorschein, der damals Grenzfluß zwischen dem österreichischen Galizien und dem Zarenreich war, selbst ein Nebenfluß des Dnjestr. Es gelangte daraufhin nach Krakau, ins jetzige Polnische Nationalmuseum (Nachbildung im Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin). Vor zwei Jahrzehnten wurde, wie es scheint, der Kultplatz aufgefunden, auf dem die Stele einst aufgepflanzt war, auf einem Berg weiter westlich, dem Bogit/Bohod. Kam sie wirklich von dort, so ist der Aufwand bemerkenswert, den der Transport bis zur Fundstelle mit sich gebracht haben muß. Sollte der Fluß womöglich das heilige Bildwerk vor drohender Entweihung durch Christenhand schützen? Die Reliefs folgen auf allen vier Seiten dem gleichen Grundschema: etwa so, daß die oberen zwei Drittel der Gottesdarstellung dienen, das übrige im Gleichmaß zwischen Menschen- und Unterwelt aufgeteilt erscheint – eine Dreiteilung, die im slawischen Bereich mehrfach wiederkehrt; darauf ist zurückzukommen. Die Abmessungen sind allseits gleich. Stets trägt der Gott den gleichen Kaftan, präsentiert die Arme in wesentlich gleicher Haltung, nur daß die Rechte nicht stets denselben Gegenstand emporhält, und auch die Beinpaare nehmen immer die gleiche Stellung ein. Symbole unterhalb des Gürtels stellen offenbar unterschiedliche Aspekte der Gottheit heraus, wohl in Korrespondenz mit den Objekten der rechten Hand. Sie dürfen hier auf sich beruhen. Ein besonderes Problem bildet das Haupt. Für sich allein betrachtet, zeigt es vier Gesichter, männlich, in verschiedener Blickrichtung, unter einem gemeinsamen Kegelhut. Jedes schaut, auf die darunter befindliche Bildzone bezogen, geradeaus, so daß, frontal betrachtet, jeweils W. H. Fritze – A. v. Müller, Slawen und Deutsche zwischen Elbe und Oder, Ausstellung Berlin 1983, S. 93, vgl. 52. u. 92, sowie J. Herrmann (Hg.), Welt der Slawen, Leipzig usw. 1986, S. 27, Nr. 6. Dazu S. Brather, Mehrköpfige Gottheiten, in: (Hoops) Reallexikon2 XIX (2001), S. 504 mit weiterer Lit. – Ich habe nur den Berliner Abguß gesehen; in der Mannheimer Fassung der Ausstellung: Europas Mitte um 1000 (vgl. Anm. 8) war die Plazierung so ungünstig, daß er nur flüchtig untersucht werden konnte. – Vgl. unten bei Anm. 100.
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der Eindruck einer aufrecht stehenden Figur entsteht. Gleichwohl ist die Forschung auffällig an der Vierzahl als solcher haften geblieben. Wie alle viergesichtigen Schöpfungen slawischer Sakralkunst, die bisher bekannt geworden sind, wird die Stele daher gern als „Swantewit“ bezeichnet – aus gleich zwei Gründen unerfindlich, mit welchem Recht. Denn erstens fällt die ausführliche Beschreibung des einzigen Kultbildes, für das dieser Name ausdrücklich bezeugt ist, merklich anders aus, gerade für die Beziehung zwischen Köpfen und Körper15, und zweitens ist ungewiß, ob der für Rügen gesicherte Name, der relativ spät erst auftaucht, jemals weitere Verbreitung gewann. Man hat sich offensichtlich darauf beschränkt, die gegebene Vierzahl als solche zu registrieren, ohne nach ihrer Funktion zu fragen, während doch niemand von einer achtarmigen, achtbeinigen Gestaltung sprach. Unerörtert blieb, ob die Gesichter gleichzeitig wahrgenommen werden sollten oder nacheinander, womöglich bei verschiedenen Anlässen, die im Kult unterschiedliche Akzente setzten. Die Armpaare in ihrer ständig gleichartigen Kombination wirken nach Wiederholung, nicht nach Summierung, und für die Beinpaare gilt dasselbe. Sie vor allem aber sind es, die den Ausschlag geben. Die Geschichte religiöser Kunstübung kennt sehr wohl Götterdarstellungen mit übermenschlich vielen Armen, die dann allerdings auch vereint in Erscheinung treten – am bekanntesten der vierarmige Shiva Indiens. Gestaltungen mit einer Vielzahl von Beinen wären noch nachzuweisen. Der Gott aus dem Zbruč präsentiert sich also zwar an einem einzigen Werkstück, doch in vier getrennten Ganzfiguren vergleichbarer Art, die unabhängig von einander wirken sollen, jeweils unter Einbeziehung eines der Gesichter unter dem gemeinsamen Hut und immer so, daß dieses Gesicht dem Betrachter zugewandt ist, ohne daß eine Verbindung mit den drei übrigen bedeutungsvoll wird; vier Aspekte bilden ein Ganzes, treten aber nicht im gleichen Augenblick in Erscheinung, und die Zahl der Gesichter hat nichts zu schaffen mit gleichzeitiger Aktualität in einer Gruppenfunktion. Es ist schade, daß wir über die Orientierung der Bildseiten am Kultplatz nichts mehr erfahren können, und erst recht, daß auch hier die liturgische Überlieferung vollständig ausfällt. Vielleicht bekäme der Wechsel von einer Ansicht zur nächsten dadurch einen spezifischen Sinn, etwa im Festkreis des Jahreslaufs? Es fällt auf, daß beigegebene Attribute, soweit noch erkennbar, von
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S. unten bei Anm. 98.
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Seite zu Seite wechseln. Ihre Analyse könnte womöglich mehr Klarheit bringen, würde jedoch hier den Rahmen sprengen. Aus der Reihe der mehrgesichtigen, genauer: der mehrgesichtig gemeinten Gottheiten jedenfalls ist diese zu streichen, und das hat Bedeutung, wenn man die Verbreitung mehrgesichtiger Götterdarstellungen in der slawischen Welt festmachen will. Aus den polnischen Kerngebieten sind vier in Betracht kommende Bildwerke bekannt, alle zwischen Weichsel und Warthe. Schlesien liefert ebensowenig ein Beispiel wie die Slowakei, wie Böhmen und Mähren, die Lausitzen und manch weiteres Westslawenland. Allerdings meldet Cosmas von Prag noch aus seinem frühen 12. Jh., bis in seine Zeit (actenus) widmeten viele Bauern nach Heidenweise (velut pagani), je nachdem, Gewässern oder Feuern, Hainen und Bäumen, Steinen, Bergen und Hügeln, ja selbstgefertigten Idolen (que ipse fecit idola) Formen von Verehrung; sie waren also keine richtigen „Heiden“ mehr, jedenfalls getauft, doch sie folgten deren Bräuchen16. Es kann sich nur um Kleinidole gehandelt haben, wie der einzelne sie sich leicht selbst herzustellen vermag – ein öffentlicher Bilderkult unchristlichen Gepräges ist dreieinhalb Jahrhunderte nach der erstbezeugten Taufe böhmischer Fürsten und gut eins nach der definitiven Errichtung einer ersten landeseigenen Bistumsorganisation unvorstellbar. Doch die Aufzählung des Prager Domherrn entspricht in der Substanz dem, was wir in anderen Slawengebieten ausdrücklich bezeugt finden, einem Nebeneinander von Naturheiligtümern verschiedener Art und von Bilderkult, nur hier zurückgestuft auf die Ebene privater Übung. Der Schluß wird erlaubt sein, daß all die aufgezählten Kultformen vor der Christianisierung auch auf der höheren Ebene gepflegt wurden, die der Übergang zum neuen Glauben abkappte, in öffentlicher Gemeinschaft. Für die Verehrung von Idolen müßte man sonst an einen Ableger der importierten Ausprägungen kirchlicher Heiligenverehrung denken, und das verbietet sich von selbst. Die privaten Idole als Nachklang von älterem werden Hausgötter der gleich noch näher anzusprechenden Art gewesen sein, vielleicht mit traditionellen Namen.
16 Cosmas Prag., Chron. Boemorum I, 4 (ed. B. Bretholz, MGH SS rer. Germ., N. S. II2, Berol. 1955, S. 10, 18–21). Der in manchem ausführlichere Abschnitt III, 1 (S. 161, 8–21) nennt idola nicht; sie können aber mitgemeint sein in der Formel demonibus immolabant, Zl. 14, zu verstehen im Sinn von Achterberg (wie Anm. 4).
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Die Wenzelslegenden schließen sich mit Hinweisen auf vorchristliche Kultbilder an17. Ebenso findet sich für die böhmischen Länder, wie auch für Polen, mancher weitere Hinweis, der geprüft zu werden verdient, wie weit er schematische Wiederholung kirchlicher Klischees bietet und wie weit konkrete Beobachtung – in Synodalbeschlüssen, Predigten und anderen späten Unterlagen, die hier jedoch nicht weiterführen18. Eine auffällig andere Welt betritt, wer von all diesen sporadischen Zeugnissen in das Gebiet zwischen Odermündung, Havel, Niederelbe und Ostsee vordringt. Dort ist die Zahl nachweisbarer Beispiele dermaßen dicht, daß für die kartografische Darstellung ein anderer Maßstab gewählt werden muß als in den bisherigen Fällen19. Auch dort gab es, für uns regellos, einen Wechsel zwischen bildlosen Naturheiligtümern und Stätten, die sich um Kultbilder gruppierten; Helmold von Bosau berichtet um 1160 aus eigener Anschauung davon in ähnlicher Weise wie Cosmas20, und Fundgut ergänzt ihn wie weitere verfügbare Schriftquellen. Nicht weniger als acht Idole lassen sich in diesem Bereich nachweisen, fast ein Drittel der insgesamt bekannten, und Anzeichen deuten auf weitere hin. Manche sind einköpfig und eingesichtig wie sonst – eine Holzplastik aus Altfriesack diene als besonders bemerkenswertes Beispiel21. Andere zeigen eine Mehrzahl von Köpfen oder Gesichtern, und das so, daß sie nicht hinweginterpretiert werden kann wie im Fall der Stele aus dem Zbruč. Unter ihnen befindet sich die Spitzenleistung dessen, was wir bisher von altslawischer Holzschnitzkunst kennen, allerdings schlichter, ohne eine weltumgreifende Konzeption zu spiegeln wie das wolhynische Fundstück. Auf der Fischerinsel im Tollensesee bei Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) kam die Statue 1969 zum Vorschein, eine Halbfigur aus Eichenholz, 69 cm, auf unregelmäßiger Vierkantsäule von 110 cm Höhe; der Fundort liegt nahe einer Stelle, für die mit beachtlichen Gründen das alte Heiligtum Riedegost/Rethra vermutet wird. Jetzt im Landesmuseum Schwerin aufbewahrt, zeigt die in ihrer Art bisher einmalige Skulptur zwei
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Meyer, S. 60. f. Meyer, S. 62–79, passim. 19 Słupecki 1994, Karte B. 20 Helmold. Bozov., Chron. Slavorum, c. 84 (ed. H. Stoob, Augewählte Quellen zur deutschen Gesch. d. Mittelalters XIX, Darmstadt 1983, S. 288, 18–29). 21 Bei Herrmann 1985, Taf. 65, a (bei S. 310); weitere Beispiele etwa bei I. Gabriel im Katalogband 2000 (oben Anm. 8), Nr. 05.01.04–05 (S. 136 f.). 18
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männliche Häupter gleicher Blickrichtung über einem gemeinsamen Körperansatz (Abb. 2)22. Neben ihr stehen Beispiele mit vier und mehr Gesichtern oder Köpfen, unverwechselbar andersartig als das Exemplar vom Zbruč. Mehrere Schriftzeugnisse belegen einen Gott namens Triglaw, und das für verschiedene Orte. Der Name heißt schlicht „Der Dreiköpfige“, aber den Archäologen ist ein solcher Typ bisher nirgends begegnet. Schon damit ist bewiesen, klar wie selten, daß unsere Kenntnis einst vorhandener Varianten unvollständig ist, und es gibt weitere Beispiele – sie werden noch ausführlich zu besprechen sein23. Erwähnung verdient, daß das Götterbild in diesem Bereich nachweislich auch auf die Kleinkunst übergreift, mit einstweilen nur wenigen Parallelen anderweit. Der Prunkbeschlag einer Messerscheide aus Oldenburg i.H., dem alten Starigard, 11,5 cm lang, zeigt Bronzeguß den Himmels- und Sonnengott (Swarog?) als Herrscher und Segensspender drei Weltsphären24. Wir ahnen, was uns durch Fundlücken entgeht. Für die relativ gehäuften Kultbilder der Nordwestslawen hat man wieder mehrfach Einfluß der skandinavischen Nachbarn erwogen. Doch gerade die Mehrköpfig- und Mehrgesichtigkeit, die sich in ihrem Bereich konzentriert, ist aus solcher Nachbarschaft nicht zu erklären. Auch Einwirkung eines Substrats kommt nicht in Betracht, denn als solches kann in diesen Gegenden nur mit Bevölkerungsresten gerechnet werden, die von vor der Völkerwanderungszeit ansässigen germanischen Stammesgruppen übrig geblieben waren, und diesen war, im Unterschied vor allem zu den Kelten, eine solche Art der Darstellung fremd25. Man steht vor der Alternative, ob sich in diesen Gegenden eine regionale Sonderentwicklung vollzogen hat, die aus Sonderbedingungen erklärt werden muß (z.B. aus der vorübergehenden Einwirkung mißverstandener christlicher Dreifaltigkeitsvorstellungen vor 983) oder ob ein ursprünglich weiter verbreiteter Brauch aus slawischer Eigen-
22 Słupecki 1994, S. 205 f. m. älterer Lit. ergänzend Ders. 1997, S. 303 f.; Herrmann 1985, S. 307; U. Schoknecht, bei J. Luckhardt – E. Niehoff (Hgg.), Heinrich der Löwe und seine Zeit. Ausstellung Braunschweig 1995, Bd. I. S. 174 f. Nr. D 18, dort eine der besten Abbildungen, ebenso bei Herrmann 1986, S. 257. Vgl. auch G. Strauss u.a., Lexikon der Kunst VI, Leipzig 1994, S. 715 s. v. Slawische Kunst. 23 Vgl. unten bei Anm. 96–97. 24 Gabriel, S. 139, Nr. 05.01.13, mit weiteren Beispielen und Lit. 25 Vgl. Brather (wie Anm. 14), S. 500–505.
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Abb. 2. Zweiköpfige Götterfigur von der Fischerinsel im Tollensesee bei Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern), Eichenholz, slawisch, 11./12. Jh. Nach Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, S. 205. Slika 2. Dvoglavi lik božanstva z otoka Fischerinsel na jezeru Tollensesee pri Neubrandenburgu (Meklenburško – Predpomorjansko), hrastovina, 11./12. stoletje. Po: Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, 205.
entwicklung zufällig nur dort noch greifbar geblieben sein sollte. Die erste dieser Möglichkeiten wurde bereits erwogen und ist zweifellos im Auge zu behalten26. Die zweite wirkt nach gegebenem Forschungsstand so unwahrscheinlich wie möglich – bisher rechnet ja niemand mit einst weiterer Verbreitung von Kultidolen in der vorchristlichen Slavia. Ein bisher unbeachtetes Fundstück aus Kärnten allerdings stellt diese Meinung in Frage27. Es zwingt damit vor allem dazu, die Grundlagen zu
26 27
Ebd., S. 503 f. Unten, Abschnitt 5–6.
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überprüfen, auf denen sie fußt. Zuvor aber sollte der Blick noch auf die typologischen Aspekte des bisher erfaßten Fundguts gelenkt werden. Sie könnten für die weitere Untersuchung wichtig werden. Es gibt einige wenige steinerne Tierfiguren, denen eine alte numinose Bedeutung zugetraut werden kann, z.B. auf der Ślęża/dem Zobten. Sie wirken archaisch. Ob sie slawisch oder vorslawisch sind, bleibt ungewiß; oberflächlicher Eindruck lädt ein zum Vergleich mit mutmaßlich keltiberischen Schöpfungen, z.B. im nordspanischen Avila – wie er schließlich ausfallen würde, muß hier dahingestellt bleiben. Im übrigen konnte Słupecki aus dem Raum zwischen Dnjepr, Peipussee und Niederelbe ungefähr 30 sicher slawische Idole zusammenstellen, teils Statuen, teils Stelen, teils Holz, teils Stein, teils von hoher, teils von mäßiger Qualität. Ihr Formenschatz bedient sich ausschließlich anthropomorpher Motive; Übermenschliches deutet sich allenfalls in einer Vermehrung der Köpfe oder Gesichter an, ohne daß sie auch auf die Gliedmaßen übergreift wie in so vielen Darstellungen des schon genannten indischen Shiva. Nirgends fanden sich Mischwesen, die auf Menschenleib die Köpfe von Falken, Löwen, Schakalen und anderem Getier tragen wie die Gottheiten Altägyptens, wie der nochmals indische Ganesha bzw. Ganapati mit seinem Elefantengesicht oder der gallische Cerunnos, über dessen Menschenkopf ein Hirschgeweih aufsteigt; nirgends ein gegenteiliger Fall wie der menschenköpfige, tiergestaltige Sphinx. Auch sonstige Übergangsformen zwischen menschlicher und tierhafter Gestaltung tauchten bisher nicht auf, etwa Vermengung von Gesichtszügen beiderlei Herkunft, und ebensowenig gewollte Groteske oder Bizarrerie – selbst nicht in Fällen, die uns primitiv anmuten mögen. Die Zahl der Belegexemplare, auf denen diese Befunde fußen, ist nicht überwältigend groß, doch auch nicht ganz gering. Für wesentlich abweichende Beispiele, die etwa noch auftauchen sollten, wird man eine handfeste Begründung verlangen dürfen, wenn sie gleichwohl als slawisch anerkannt werden sollen. 3. Weitere Umschau Von der Havellinie bis zur Mittelgebirgsschwelle treffen wir auf Verhältnisse, die für Landschaften zwischen dem eben behandelten Nordwesten und dem böhmischen Befund überraschen. Ältere Drucke wollen von merkwürdigen numinosen Gestalten wissen und von Namen wie Krodo und Flins; sie warten sogar mit Kupferstichen und ähnlichen
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Abbilungen auf. Längst hat man sie als Fälschungen frühneuzeitlicher Wichtigtuerei entlarvt28; vergangene Jahrhunderte haben sich dergleichen gern einmal geleistet, für das slawische wie für das germanische Altertum – im zweiten Fall unter Beteiligung eines Neffen des bekannten „Lügenbarons“ Münchhausen29. Neben bewußt hergestellten Falsifikaten steht Fehldeutung von Objekten, die einmal eine andere Zweckbestimmung besaßen. Sie mag auch sonst vorkommen; in einem Gebiet, in dem authentische Idole fehlen, drängt sie sich unwillkürlich in den Vordergrund. Herausgegriffen sei ein Problemfall, der verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit erregte und doch bis heute nicht abschließend geklärt scheint. Er hat auch methodische Bedeutung. Im Treppenhaus der Kirche von Zadel bei Meißen findet sich ein altertümlich wirkender Stein eingemauert (Abb. 3). Zadel, 4–5 km nordwestlich der alten Bischofsstadt auf dem gegenüberliegenden Hochufer der Elbe, war einst Burgwardmittelpunkt und zählt heute zu Diera-Zehren. Auch die Pfarreigenschaft reicht tief ins Mittelalter zurück. Die Kirche ist Neubau von 1842, jedoch am alten Platz. Über die Herkunft des eingemauerten Stücks ist Sicheres nicht bekannt. Es scheint, daß die Einfügung in das Mauerwerk schon bei dessen Errichtung geschah – als nachträglicher Vorgang hätte sie doch wohl zu einer Aktennotiz geführt, an der es merkwürdigerweise fehlt. Die Plastik ist aus Sandstein. Der plump gestaltete Kopf mag in ein Quadrat von etwa 25 cm Seitenlänge passen. Er sitzt auf einigermaßen rechteckigem Sockel von ca. 40 cm Breite und etwas mehr an Höhe; ein Rücksprung an dessen linker Seite wurde, kaum überzeugend, als Restbestand eines Armes interpretiert, dessen Gegenstück nicht erhalten sei. Weit vorquellende Glotzaugen unter fliehender Stirn rahmen eine wenig ausgeprägte Stülpnase ein, kaum weiter herabgeführt; die Nasenlöcher zeichnen sich ab. Der wulstige Mund, weit geöffnet, gibt ausgeprägte Unterzähne frei. Starke Verwitterungsspuren bezeugen längeren, ungeschützten Aufenthalt im Freien. Es fällt auf, daß sie am Kopf wesentlich stärker hervortreten als am sog. Rumpf.
28 L. Franz, Falsche Slawengötter, 2. Aufl. Brünn 1943; wegen unkritischer Abhängigkeit von Wienecke (oben Anm. 4) teilweise mit Vorsicht zu benutzen. 29 H. Bei Der Wieden, Die Runenbildtafel vom Süntel. Zur Biographie des Dichters Karl von Münchhausen (1759–1836), in: Schaumburg-Lippische Mitteilungen 22 (1973), S. 49–58; vgl. auch H. Fichtenau, Die Fälschungen Georg Zapperts, in: MIÖG 78 (1970), S. 444–467.
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Abb. 3. Mutmaßlicher mittelalterlicher Kragstein aus Zadel, Gemeinde Diera-Zehren bei Meißen (Sachsen), irrig als sorbische Götterfigur aufgefaßt, Sandstein. Aufnahme: Dietmar Pohl, Zadel. Slika 3. Domnevna srednjeveška konzola iz Zadela, občina Diera-Zehren pri Meißnu (Saška), napačno opredeljena kot lik lužiškosrbskega boga, peščenjak. Foto: Dietmar Pohl, Zadel.
Die Deutung als „sorbisches Götzenbild“ kam offenbar volkstümlich auf und scheint tief verwurzelt. Sie wurde auch wissenschaftlich aufgenommen, blieb jedoch nicht unbestritten. Andererseits wurde mit guten Gründen geltend gemacht, daß es sich nicht um ein Falsifikat handeln könne: Ein solches pflegt nicht dermaßen unauffällig in die Welt zu treten, ohne jeglichen Aufwand, und auch ein Motiv wäre hier nicht erkennbar. Ein scharfer Beobachter fand, das Stück müsse ursprünglich nicht senkrecht eingefügt gewesen sein, wie jetzt, sondern waagerecht – so, daß der vermeintliche Rumpf oder Sockel im Gemäuer verschwand. Er vermutete eine Rinne auf der Rückseite und dachte an einen einstigen Wasserspeier, bei dem dann allerdings das
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Wasser über den Kopf abgelaufen sein müsse, weil das „Maul“ keinen Ausfluß aufzuweisen hat30. Die Einfügung in das Mauerwerk erschwert eine Stellungnahme. Sie entzieht uns nicht nur den freien Blick auf die Rückseite, sondern auch alles, was sich an Indizien aus Fundzusammenhängen ergeben könnte. Zudem fehlt Vergleichsmaterial sorbischer Provenienz. Die Deutung als slawisches Kultbild wird man heute gleichwohl mit Sicherheit ausschließen dürfen. Der Gesichtsausdruck ist fratzenhaftgrotesk, die Züge wirken wie eine Art Zwitterwesen zwischen Frosch und Mensch. Das weicht prinzipiell von den Kriterien ab, die oben aus der nicht so ganz geringfügigen Gesamtüberlieferung derartiger Idole abgeleitet wurden. Gesichtspunkte, die diese Feststellung aufwiegen könnten, sind vor Ort bisher nicht aufgetaucht. Nachgewiesene Besiedlungsspuren in Form von Keramikresten weisen, anders als für viele Punkte der Umgebung, offenbar nicht über das 11. Jh. zurück, in dem „heidnischer“ Kult hier längst nicht mehr möglich gewesen sein dürfte, und nichts spricht dafür, daß die Kirche, wie andernorts, einen vorchristlichen Kultplatz fortsetzen könnte31. Doch auch der Gegenvorschlag trifft so, wie er entwickelt wurde, schwerlich ins Schwarze. Abgesehen davon, daß anscheinend keinerlei sichtbare Anzeichen für die vermutete Wasserrinne sprechen – man kennt keine
30 Die Deutung als slawisches Idol wurde in mehreren Arbeiten vor allem von O. E. Schmidt aufgegriffen, zuerst: Slawische Götterbilder in Sachsen, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte u. Altertumskunde 32 (1911), S. 350 f.; zuletzt: Der Abgott von Zadel, in: Tausend Jahre Meißner Land. Volksfestschrift des Kirchenbezirkes Meißen zur Jahrtausendfeier 1929, S. 17–20. Demgegenüber W. Coblenz, in: Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands VIII: Sachsen, Stuttgart 1965, zum Stichwort Zadel, S. 368: “... muß nach dem heutigen Stande der Forschung als unecht abgelehnt werden. Weder Herstellungstechnik noch Darstellungsart entsprechen gleichzeitigen slawischen Stein- und auch Holzbildwerken“; vgl. Ders., Zur Situation der archäologischen Slawenforschung in Sachsen, bei H. Ludat (Hg.), Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder, Gießen 1960, S. 8, Anm. 46; ferner Wienecke (wie Anm. 4), S. 211 m. Anm. 42; W. Schlesinger, Kirchengesch. Sachsens im Mittelalter I, Köln-Graz 1962, S. 216 f. u. 331, der noch weitere Beispiele für derartige Fehleinschätzungen aufführt. Einige davon sind näher bei Franz behandelt, der Zadel bemerkenswerterweise nicht aufgenommen hat; dasselbe gilt andererseits für die Karte von Słupecki. Vgl. aber Herrmann 1985, S. 309. – Unter: http://www.kirchgemeindezadel.de/kirche/goetze/goetze.html sind im Internet weitere Informationen und Diskussionsbeiträge bereitgestellt; dort auch die Frage des Wasserspeiers. Herrn Pfarrer Dietmar Pohl, Zadel, danke ich herzlich für freundliche Auskünfte und vor allem für die großzügige Überlassung der hier als Abb. 3 wiedergegebenen Fotografie, Herrn Prof. Dr. Matthias Müller, Greifswald, für ein klärendes Gespräch. 31 Oben, 2. Abschnitt, Ende, nach Anm. 26, dazu Coblenz (wie Anm. 30) zur Fundsituation, die seitdem offenbar nicht verändert ist.
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Wasserspeier, die ihren Überfluß unmittelbar über den Kopf der Figur führen. Beachtlich indes bleibt der Vorschlag zum Verhältnis zwischen Haupt und vermeintlichem Rumpf, damit zur ursprünglichen Position am Ort der Erstverwendung. Er wird entschieden gestützt durch den unterschiedlichen Verwitterungsgrad beider Teile. Es bleibt die Möglichkeit, daß wir in Zadel einen mißverstandenen Kragstein vor uns haben, eine ursprüngliche Konsole, die zur Auflage anderer Architekturteile diente, ob dies nun Balken waren, ein Bogenansatz oder auch eine Röhre, die in eine Wassernase auslief und insofern funktionell einer Wasserspeierfigur entsprach. Dergleichen Architekturteile wurden im Hoch- und Spätmittelalter vor allem an Sakralbauten gern als Grotesken gestaltet, Verkörperung dämonischer Kräfte, die damit in den Dienst eines heiligen Zwecks gezwungen waren. Ob für den vorliegenden Fall am ehesten romanische oder gotische Entstehung zu erwägen ist, müssen Kunsthistoriker entscheiden, ebenso, ob das Teil vom Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses stammen kann oder eher von anderer, repräsentativerer Stelle verschleppt zu denken ist. Der slawischen Religionsgeschichte jedenfalls hat es nichts zu sagen. Wir gehen weiterhin leer aus, wenn wir nach ihren Idolen in diesem Bereich zu fahnden suchen. Die Lücke wird, anders als weiter im Norden, auch durch die Geschichtsschreibung nicht geschlossen, soweit sie diesen Namen verdient. Einiges bietet noch Thietmar von Merseburg, Bischof einer Diözese mit starkem sorbischem Bevölkerungsanteil (1009–1018), unser Hauptzeuge für das damalige Zentralheiligtum des Ljutizenbundes südlich der Ostsee mit dem dort versammelten Pantheon, von dem ihm allerhand zu Ohren gekommen war. Aus dem eigenen Bereich vermeldet er die Vernichtung eines heiligen Hains durch seinen Amtsvorgänger Wigbert (1004–1009), also 70–80 Jahre, nachdem dort die Unterwerfung und Missionierung der Landesbewohner in Gang gekommen war. Der Bericht handelt mithin, vom Schreiben her gesehen, von einem Faktum einer, wenn auch nahen, Vergangenheit, das ihm selbst eine Aufgabe abgenommen hatte. An anderer Stelle erwähnt er einen heiligen See, der noch immer in großer Verehrung stehe – außerhalb der eigenen Diözese, in erst weiterer Nachbarschaft. Von Kultbildern und Sakralplätzen der alten Religion im Merseburger Bereich, von eigenen Aktivitäten gegen ihre Nachwirkung schreibt er nichts, läßt im Gegenteil erkennen, daß die Arbeit für das Seelenheil seiner Anbefohlenen ihm weit weniger wichtig war als andere Verpflichtungen seines Amtes: Bis er sich entschloß, auch den Südteil seines Sprengels einmal
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aufzusuchen, was ohne weiteres zu Fuß möglich war, brauchte es neun Jahre, und trotzdem fand er dort nur wenige vor, die er firmen konnte. Muß man sich wundern, daß er für die Bamberger Bistumsgründung Heinrichs II. ein zentrales Motiv des Herrschers – die Nacharbeit gegen fortwuchernde Reste slawischen Heidentums im dortigen Bereich zu verstärken – mit dem Mantel des Schweigens bedeckt32? Zu alledem ist festzuhalten: Zwischen dem Havelland und dem Merseburger Gebiet verlief die Grenze, bis zu welcher der große Slawenaufstand von 983 sich hatte behaupten können. Repräsentative Kultbilder der alten Religion zu öffentlicher Verehrung hat es südlich davon sicherlich nicht mehr gegeben, mindestens seit den Gegenmaßnahmen, mit denen die dortigen Marken damals verteidigt und gehalten wurden, eher schon länger nicht mehr – schließlich besteht Grund zu der Annahme, daß man gegen derartige Objekte kirchlicherseits empfindlicher war als gegen heilige Haine. Doch wie stand es, als die Sachsenherrscher diese Gebiete an sich brachten? Wie noch weiterhin mit „Hausgötzen“, etwa in Form jener Klein- oder Taschenidole, wie sie aus späterer Phase z.B. auf Wolin/Wollin zum Vorschein kamen33? Dem Bischof, der sie verfolgen mußte, wird man so etwas kaum gezeigt haben, und daß er selbst gezielt danach gefahndet hätte, brauchen wir ihm nicht zuzutrauen. So stehen wir vor der Frage, wie Thietmar als Quellenautor zur slawischen Religionsgeschichte, als der er mit Recht geschätzt wird, im Ganzen zu beurteilen ist. Er bringt eine kostbare Schilderung des „Götzendienstes“ in nördlicher und anderer Ferne. Sollte sie womöglich schlicht von eigenem Versagen im unmittelbaren Zuständigkeitsbereich ablenken? Die Quellenlage für diese Gegenden entpuppt sich als überraschend unklar. Sie läßt uns nicht erkennen, ob der festgestellte Unterschied zwischen einer Zone mit Kultbildern und einer solchen ohne diese, wie er in ihr gespiegelt scheint, ursprünglich ist oder nicht. Vor Merseburg weiter in südlichen und auch westlichen Richtungen stößt man auf eine weitere Etappengrenze historischen Geschehens. Es ist die Außengrenze karolingerzeitlicher Grafschafts- und Bistumsorganisation. Auch sie hat unzweifelhaft etwas mit Christianisierungsvorgängen zu tun, und sei es im Dienste des negativen Missionsziels. 32
Kahl 1999, S. 44–47; ergänzend Ders. 2004 (wie Anm. 36), S. 38–40. In letzter Zeit häufiger abgebildet, z.B. bei M. Puhle (Hg.), Otto der Große, Magdeburg und Europa. Ausstellungskatalog, Magdeburg, Mainz 2001, Bd. II. S. 100 f., Nr. 71–72. 33
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Dazu fällt aut, wie viel unklarer das Bild dort nochmals wird, in beiden Richtungen. Beginnen wir in der Diözese Mainz sowie den Sachsenbistümern Halberstadt und Verden. Vom Gang der Christianisierung der Slawen in ihren Ostteilen, in Ostthüringen, der Altmark und dem sog. Hannöverschen Wendland, verlautet nichts, und erst recht nicht von dem, was dort vorher war. Vom späten 11. Jh. bis ins 13. hinein häufen sich allmählich Klagen über den Glaubenszustand von Slawen auf Liegenschaften von Klöstern wie Saalfeld, Nordhausen, Nienburg a. Saale, Oldenstadt und Diesdorf. Keine ist älter als das Durchdringen der Kirchenreformbewegung des hohen Mittelalters, und die Konsequenz, die störenden Elemente auszuweisen, begegnet kaum vor dem Aufruf Bernhards von Clairvaux zum sog. Wendenkreuzzug, der die Vernichtung aller „Feinde des Christennamens“ gefordert hatte. Die Betroffenen wurden wohl durch Christen, also deutsche Siedler ersetzt, von denen man bessere Erträge erhoffte – eine Art kolonisatorische statt missionarische Ausbreitung des Christentums34. Es ist wichtig, daß als Grund dieser Maßnahmen immer wieder herausgestellt wird, diese Slawen seien pagani. Das heißt nicht einfach „Heiden“, wie oft angenommen wird – eine Entsprechung zu diesem deutschen Begriff kennt das Kirchenlateinische nicht35. Der Ausdruck bezeichnet vielfach, und in diesen Fällen sicher, rückfällige Getaufte, die ihr Taufgelübde nicht einhalten und also Apostaten sind36. Wann und wie dort der formale Übertritt erfolgte, den dieses Sakrament besiegelte, ist nicht zu ermitteln. Wir stoßen damit auf das berüchtigte und vielschichtige Problem der sog. eiectio Slavorum im nord- und mitteldeutschen Überschneidungsgebiet beider Nationalitäten, das dringend einmal zusammenfassender Behandlung bedarf, nicht zuletzt im Hinblick auf die Verquickung des religiösen Problems mit den Auswirkungen von Unterschieden der deutschen und der herkömmlichen slawischen Agrarverfassung, die weniger zu erwirtschaften vermochte (und brauchte); auch Zusammenhänge mit der Durchsetzung zisterziensischer Grangienwirtschaft bestimmten Teile der Entwicklung – sie drängte auch in Gegenden
34
S. Anm. 37. S. Anm. 40. 36 Beitrag X, S. 308 f.; vgl. H.-D. Kahl, Das erloschene Slawentum des Obermaingebietes und sein vorchristlicher Opferbrauch im Spiegel eines mutmaßlich würzburgischen Synodalbeschlusses aus dem 10. Jh., in: Studia Mythologica Slavica 7 (2004), S. 38–40. 35
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ohne slawischen Bevölkerungsanteil auf Vertreibung von Altansässigen. All das führt hier ab37. Entscheidend bleibt, daß die „Wenden“ in den genannten Diözesen zu erkennbarer Zeit unter dem Anspruch standen, Christen zu sein. Ob sie vor dem, was formal als ihre Bekehrung angesehen wurde, auch Kultbilder hatten, muß ebenso offen bleiben wie die Frage, ob sie dergleichen wenigstens in Form von Kleinidolen heimlich weiter benutzten. Auch entsprechendes Fundgut fehlt wieder. Ein Slawengebiet, das gleichfalls nicht erkennbar zu eigener Stammesorganisation fand, bevor die Karolinger kamen, erstreckte sich durch die heutigen Landschaften Oberfranken und Oberpfalz, aufgeteilt auf die Bistümer Würzburg, neben das später noch Bamberg trat, sowie Regensburg und Eichstätt. Nur für die beiden ersten haben wir Quellen, die etwas von der religiösen Situation dieser Gruppe beleuchten, und diese bleiben karg. Die Art ihrer Christianisierung liegt völlig im
37 Allem Anschein nach konzentrieren sich sämtliche Fälle, mit Ausnahme von Zisterzen wie Reinfeld (Diözese Lübeck), auf Dörfer aus dem Besitz von Klöstern, die relativ kurz vor Erwähnung der Vorkommnisse neu gegründet oder neu besetzt worden waren, in Gebieten westlich der Elbe-Saale-Linie; auch die 983 behaupteten wettinischen Markengebiete weiter östlich wurden offenbar nicht berührt (Hinweis auf entsprechende, unbezeugte religionspolitische Maßnahmen, vielleicht im Zusammenhang mit den Ereignissen um das genannte Jahr?). Beispiele, die zusammengeführt und evtl. ergänzt werden müssen, bei R. Kötzschke, Quellen zur Geschichte der ostdeutschen Kolonisation im 12. – 14. Jh., Leipzig-Berlin 1912, S. 38 Nr. 21; Herrmann 1985, S. 410 f.; F. Lütge, Die Agrarverfassung der frühen Mittelalters, Stuttgart 1966, S. 41 (bes. Anm. 2), vgl. S. 61, Anm. 2.; zu den Klöstern die Nachweise in den Listen bei A. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands IV, 8. Aufl. Berlin 1958. In Neuerwerbungen des 12. Jh.s kamen Slawenvertreibungen auch östlich der Elb-Saale-Linie vor, dort jedoch unabhängig von Klosterbesitz, oft unklar bezeugt und schwer zu lokalisieren, vgl. F. Lotter, Bemerkungen zur Christianisierung der Abodriten, bei H. Beumann (Hg.), Festschr. f. Walter Schlesinger II, Köln-Wien 1974, bes. S. 427–442, dazu 416 Anm. 93, ausführlich auch zu den religionspolitischen Hintergründen, über die weiteres bei Kahl 1964, bes. S. 117–123, vgl. 439 und im Register, s. v. eiectio Slavorum; dazu Beitrag IX, S. 244–248; zu Bernhard von Clairvaux: Beitrag XX; H.-D. Kahl, Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage – ein übersehenes Kriegsziel des zweiten Kreuzzugs, in: S. Burghartz u. a. (Hgg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für F. Graus, Sigmaringen 1992, S. 63–89; Ders., Die Kreuzzugseschatologie Bernhards von Clairvaux und ihre missionsgeschichtliche Auswirkung, bei D. R. Bauer – G. Fuchs (Hgg.), Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, Innsbruck-Wien 1996, S. 262–314. Zur zisterziensischen Grangienwirtschaft: W. Rösener, Religion und Ökonomie. Zur Wirtschaftstätigkeit der Zisterzienser, bei B. Scholkmann – S. Lorenz (Hgg.), Von Cîteaux nach Bebenhausen. Welt und Wirken der Zisterzienser, Attempto 2000, S. 114–117 m. Anm. 35–50 (S. 124 f.), vgl. S. 120 f. Dort auch wichtige ältere Arbeiten des Verfassers. Vgl. R. Schneider, Grangie, in: LMA IV (1989), Sp. 1633 f.
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Dunkel, für das negative wie für das positive Missionsziel – gerade daß von einer gezielten Kirchenbauaktion die Rede ist, die Karl d. Gr. persönlich angeordnet hat. Öffentliche Kultstätten dürften seine Zeit kaum überdauert haben; wie sie beschaffen waren, weiß man nicht. Von nachlebenden heidnischen Bräuchen ist bis 1059 die Rede, mit letztmaliger Ankündigung rigoroser Gegenmaßnahmen. Ob und wie weit die Riten sich noch an alte Götter richteten und in welchem Ausmaß sie sich etwa synkretistisch mit kirchlichen Verhaltensweisen vermengten, bleibt gleichfalls verhüllt. Für die Frage nach Kultbildern wurde ein Synodalbeschluß herangezogen, den allerdings eine eigenartige Forschungsgeschichte begleitet: Einerseits hat man ihn lange hin und hergeschoben zwischen Oberfranken und den Gebieten südlich der Donau, andererseits mit einem Paderborner Kapitular von 785 zusammengeworfen. Eindeutige Indizien beweisen jedoch, daß er nur nach Würzburg gehören kann, und am wahrscheinlichsten in das zweite Jahrzehnt des 10. Jh. Sein Text wendet sich u.a. gegen idolothita, für die der (slawische) Name trebo gilt. Der lateinische Ausdruck läßt sich als „Götzenopfermahl“ übersetzen; deutlich enthält er als Erstglied das anrüchige idolum. Gelegentlich wurde gefolgert, dadurch seien für diese Gegend slawische Kultbilder wenigstens indirekt bezeugt, doch dieser Schluß geht daneben: Der Ausdruck wird für „heidnische“ Kultmahlzeiten allgemein verwendet, unabhängig von der Vorstellung eines Bilderdienstes, und Entsprechendes gilt sogar für idolatria38. Archäologische Quellen fehlen. Die sog. „Bamberger Götzen“ im dortigen Diözesanmuseum sind fernzuhalten. Zeitweise für slawisch erachtet, scheinen sie eher steppennomadischen Ursprungs (awarisch oder gar hunnisch?), und mit Götterbildern unseres Verständnisses haben sie offenbar nichts zu tun, sofern nicht an eine Art Herrscherkult durch Unterworfene zu denken wäre, was gleichfalls unsicher ist39. Nicht weniger ins Leere stoßen wir in den Slawenländern jenseits des baierischen Stammesgebietes, von den Waldgebirgen nördlich der Donau bis zur Drau, die seit 811 Missionsgrenze zwischen dem Erz38
Kahl 2004, S. 35–38. H. Jakob, Die Bamberger Götzen, in: Ber. d. hist. Vereins f. d. Pflege der Gesch. d. ehem. Fürstbistums Bamberg 116 (1980), S. 71 ff. Abwegig J. Haberstroh, Die Bamberger Götzen – ein Zeugnis vorchristlicher Kultvorstellungen? bei: J. Kirmeier u.a. (Hgg.), Kaiser Heinrich II. 1002–1024. Begleitband zur Bayerischen Landesausstellung 2002 in Bamberg, Stuttgart/Darmstadt 2002, S. 127–129. 39
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bistum Salzburg und dem Patriarchat Aquileia war, und weiter, tief in südslawische Bereiche hinein, wo die römische Kirche ihre Hoheit an die Ostkirche abgeben muß. Das ist eine beachtliche Strecke. Verschwindend wenige Schriftquellen deuten auch dort die Existenz von Kultbildern an, doch wie verläßlich sind sie? Etwa in den 760er Jahren schrieb ein Clemens Peregrinus, offenbar ein Ire aus dem Freisinger Klerus, an den Baiernherzog und den baierischen Episkopat einen flammenden Brief. Darin wettert er gegen die Heiden, die nicht an Gott glauben, unter bemerkenswerter Gegenüberstellung von pagani und gentiles – man hat an den Unterschied von rückfälligen Getauften und Ungetauften zu denken40. Zweimal wird formelhaft aufgeführt, daß sie Götzenbilder verehren (adorant idula), einmal verstärkt durch simulacra demoniorum, als die man diese sogenannten Götter zur Not noch gelten lassen kann. Mit Sicherheit sind die Karantanen gemeint, die eben damals versuchten, das Joch der Baiern abzuschütteln, politisch und zweifellos auch kirchlich. Doch das Ganze wirkt klischeehaft, unberührt von konkretem Einblick, schlicht aus der Bibel geschöpft, die es schließlich wissen muß41.
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Beitrag X, S. 297–322, dazu 288–291, 309 f. u.ö., vgl. Beitrag XV, S. 505–508, vgl. 562, sowie Kahl 2004, S. 33 u. 38 f. 41 MGH, Epp. IV, S. 496 f.; Zusammenhang mit dem Salzburger Bereich gesichert durch Überlieferung in einem Liber traditionum des Salzburger Domkapitels, der inzwischem verschollen ist. Dazu F. Kos, Gradivo za zgodovino Slovencev v srednjem veku I, Ljubljana 1902, S, 279 f., Nr. 245; H. Löwe, Die karolingische Reichsgründung und der Südosten, Stuttgart 1937, S. 54 f.; B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit I, 2. Aufl. Wiesbaden 1960, S. 61 m. Anm. 1, vgl. II (1980), S. 264; Ders., Salzburger Formelbücher und Briefe aus Tassilonischer und Karolingischer Zeit (Sitzungsber. d. Bayer. Akademie d. W., phil.-hist. Kl. 1973/74), München 1973, S. 6 u. bes. 19 f.; E. Rieber, Die Bedeutung der alttestamentlichen Vorstellungen für das Herrscherbild Karls d. Gr. und seines Hofkreises. Diss./masch. Tübingen 1949, S. 201 u. 283 Anm. 14, vgl. 122 f.; H. Wolfram, Das Fürstentum Tassilos III., Herzog der Bayern, in: Mitt. d. Ges. f. Salzb. Landeskunde 108 (1968), S. 165 f.; H.-D. Kahl, Zur Rolle der Iren im östlichen Vorfeld des agilolfingischen und frühkarolingischen Baiern, bei H. Löwe (Hg.), Die Iren und Europa im frühen Mittelalter I, Stuttgart 1982, S. 395; dazu T.O. Fiaich, Virgils Werdegang in Irland und sein Weg auf den Kontinent, bei H. Dopsch-R. Juffinger (Hgg.), Virgil von Salzburg, Salzburg 1985, S. 25 über den von irischem, nicht festländischem Latein geprägten Beinamen des Briefschreibers. Das Zeugnis darf als ein typisches Beispiel jener interpretatio ecclesiastica gelten, die Wienecke (oben Anm. 4) treffend charakterisiert, aber dann an falschem Beispiel exemplifiziert hat.
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Die Hauptquelle für die Vorgänge auf diesem Schauplatz, die Salzburger Conversio Bagoariorum et Carantanorum, ist ein Jahrhundert jünger (um 870). Mit ihr steht endlich wieder einmal ein wenigstens kleines Werkchen erzählenden Charakters zur Verfügung, doch zu der Zeit ungebrochenen slawischen Eigenlebens im Lande hat sie bereits erheblichen Abstand – und es ist ihr nicht wichtig. Im Vordergrund steht die Aufrichtung deutscher Herrschaft in Verbindung mit der Arbeit am positiven Missionsziel, d.h. die Belehrung im christlichen Glauben und die Durchführung der Kirchenorganisation. Die alte Religion wird als etwas behandelt, wovon man nicht spricht. Die zweifellos gefährliche Reihe von Erhebungen der 760er Jahre, die die geistliche Betreuung standhaft gebliebener Christen zeitweise fast unmöglich machte – möglicherweise eben die Ereigniskette, die auch den Brief des Clemens Peregrinus auslöste –, sie wird herunterstilisiert zu einer bloßen carmula oder seditio, einem Aufstand gegen den Herzog42; daß die Salzburger Mission damals mehr oder weniger zusammenbrach, spiegelt sich nur in der Zahl der Glaubensboten, die noch auf diesen Schauplatz entsandt werden konnten – aufgeführt, als sei die Arbeit dort kontinuierlich fortgegangen43. In die entstandene Lücke trat Freising, damals noch nicht Suffragan des Zentrums an der Salzach. Dort sind die kostbaren Denkmäler in der Sprache der Missionierten erhalten, deren Kernbestand noch der Periode vor 800 angehören dürfte, allerdings nachträglich verändert sein kann. Sie zeugen, was nicht immer beachtet wird, nicht für die außerkirchliche Verkündigung unter Ungetauften, sondern für die innerkirchliche Nacharbeit unter schon gewonnenen Neuchristen, was andere Akzente bedingt44. Im Hinblick auf den alten Glauben nehmen
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Conversio Bagoariorum et Carantanorum, c. 5 (Hg. F. Lošek, MGH, Studien und Texte 15, Hannover 1997, S. 106, 13–108, 12). Dazu H.-D. Kahl, Das Fürstentum Karantanien und die Anfänge seiner Christianisierung, bei G. Hödl – J. Grabmayer (Hgg.), Karantanien und der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter, Wien-Köln-Weimar 1993, S. 73 f. u. bes. Anm. 203 (S. 96 f.); vgl. Dens., Der Staat der Karantanen (R. Bratož [Hg.], Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo, Supplementum), Ljubljana 2002, S. 403. Anders A. Pleterski, Gab es bei den Südslawen Widerstand gegen die Christianisierung? in: SMS 4 (2001), S. 35 f. 43 Kahl 1993, wie vor Anm. (auch zum flg.). 44 Kahl 2000, S. 461–471; dazu Ders., 2004, S. 41 – Ausgaben: Brižinski spomeniki. Znanstvenokritična izdaja, Sazu, razr. za fil. in lit. vede 39, Ljubljana 1993, mit Übersetzungen u.a. in Latein, Deutsch und Englisch; O. Kronsteiner, Die Freisinger Denkmäler, in: Die slawischen Sprachen 53 (1997), S. 5–17. Ältere Lit. in der Ausgabe 1993, S. 161–181; weiteres bei J. Kos u.a. (Hgg.), Zbornik Brižinski spomeniki, Sazu
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sie, und das fällt auf, die gleiche Haltung ein wie die Salzburger Quelle. Schroff stellen sie die Gotteswelt, die das Heil bringt, der Teufelswelt gegenüber, die Sünde und Tod regieren. Sie bewahren ein Taufgelöbnis, doch lediglich mit Abschwörungs- und Bekenntnisformeln geläufiger Art45 – es erweist uns nicht den Gefallen, wenigstens Namen alter Gottheiten preiszugeben, wie das altsächsische es als seltene Ausnahme tut46. Unter aufgezählten Sünden erscheint an hervorragender Stelle, präsentisch, daß „wir Opfer (alten Stils) darbringen (trebu tuorim)“, den „Dankopfern“ des neuen Glaubens (obeti nasse) gegenübergestellt, doch an wen sie sich richten sollten, bleibt ungesagt (zweifelsfrei stand wohl der Teufel als eigentlicher Empfänger fest), und erst recht fällt keinerlei Andeutung, wie weit dabei an Kultbilder zu denken wäre47. Wir notieren die Übereinstimmung mit der zitierten Würzburger Quelle, die weit mehr als ein Jahrhundert jünger ist als die ältesten Schichten dieser Denkmäler, doch ihrer Karolingerzeit noch nahe steht. Die pannonischen Slawen berührte das sog. Donaukonzil von 796, auf dem die Spitzen der Salzburger Kirchenprovinz und des Patriarchats Aquileia das missionarische Vorgehen im besiegten Awarenreich festlegten. Ausführlich erörtert wurden zulässige Tauftermine und Fragen der vorzuschaltenden Katechese; der alte Glaube wird einzig in der Abschwörungsformel des Taufgelübdes erwähnt in Form des abrenuntiare . . . diabolum et pompis eius. Was mit Kultstätten und Kultbildern vorgefundener Gentilreligionen zu geschehen hatte, bedurfte keiner Erwähnung – es verstand sich von selbst48. Dazu fällt auf, daß
razr. za fil. in lit. vede 45, Ljubljana 1996, passim, vgl. Chr. Hannik, Die älteste slawische Kirchenterminologie, bei Bratož (wie Anm. 42) II, 2000, S. 801–808. Nicht zugänglich war R. J. Brunner, Die Freisinger Denkmäler, in: Historische Sprachforschung 110 (1997), S. 292–307. 45 Freis. Denkm. III, 1 ff. (Briž.spom., S. 60; Kronsteiner, S. 14 f.). 46 Wegen vergleichender Zusammenhänge besser bei W. Braune u.a. (Hgg.), Althochdeutsches Lesebuch, Tübingen, 14. Aufl. 1965, S. 38 f., Nr. XVI/2, II, als in MGH, Cap. I, S. 222, Nr. 107. Zum religionsgeschichtlichen Kontext: Beitrag XI, 385–398, bes. 393 ff., m. Anm 123. 47 Freis. Denkm. II, 20. 38 (Briž. sp., S 52 u. 54; Kronsteiner, S. 10 f.). Die verschiedenen Übersetzungen (lat. idolatria und vota, an zweiter Stelle engl. prayers, deutsch auch „bringen . . . Dank“), verschieben m.E. teilweise die Nuancen, indem sie verallgemeinern oder variieren. 48 Convent. Episc. ad ripas Danubii (MGH, Conc. II/1, S. 172–176, hier S. 175, 33). Zu diesem Text jetzt R. Bratož, La cristianizzazione degli Slavi negli atti del Convegno „Ad ripas Danubii“ e del concilio di Cividale, in: XII centenario del concilio di Cividale (796–1996). Convegno storico-teologico. Atti, Udine 1998, S. 145–190, umfassend mit älterer Lit. Nicht mehr berücksichtigt werden konnte M. Niederkorn-Bruck –
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all diese Texte sich in solchem Totschweigen des Überwundenen einig sind mit anderen, die den karolingischen Zeugnissen zeitgleich sind, doch auf einen anderen Hintergrund führen: den sog. Pannonischen Legenden über die „Slawenapostel“ Kyrill und Method, die bei aller Fühlungnahme mit Rom aus der Ostkirche kamen49. Dort ändert sich das Bild in mehrhundertjährigem Abstand: Einen Bericht über das Pantheon, das Wladimir d. Gr. vor seiner Bekehrung in Kiew errichten ließ, haben wir oben schon aufgeschlagen. Es ist merkwürdig, daß es dazu im Westen eine annähernd gleichzeitige Parallele gibt, nämlich in der Domitianslegende aus dem kärntnischen Millstatt, die ein Benediktiner ungefähr zur Barbarossazeit verfaßte. Er sucht den Namen seines Klosterortes, völlig abseits denkbarer Realitäten, von mille statuae abzuleiten, tausend Götzenbildern, die ihr Held, der angebliche Bekehrerherzog Domitian, in einem ecclesia genannten Gebäude verehrt gefunden und vernichtet habe. Die Etymologie als solche ist nichts als mönchische Pseudowissenschaft im Stil der Entstehungszeit, wieder abhängig von eingefahrenen Klischees und nicht einmal mit Phantasie genug ausgestattet, um sich die technische Unmöglichkeit eines entsprechenden Gebäudes klarzumachen. Die Quelle reicht gerade aus, daß wir die Existenz von Kultbildern für die Karantanenzeit nicht mit voller Sicherheit ausschließen können50; ja sie erlaubt, die Frage aufzuwerfen, ob es an diesem Punkt womöglich eine synkretistische „Kirche“ christlich-heidnischen Gepräges gegeben haben sollte, ohne daß ein klares Ja oder Nein vertretbar wäre51. Immerhin finden wir hier eine relative Unbefangenheit gegenüber wirklichen oder vermeintlichen Erscheinungsformen der cultura demonum, wie es auch in diesem Text heißt. Das ist gegenüber den älteren etwas Neues. Mit diesem Millstätter Zeugnis ist zugleich für den Gesamtraum zwischen dem Havelland und der Südgrenze des Patriarchats Aquileia,
A. Scharer (Hgg.), Erzbischof Arn von Salzburg (Veröff. d. Öst. Inst. f. Geschichtsforsch. 40), Wien 2004. – Zum flg. vgl. unten bei Anm. 65. 49 Mir leider nur vorliegend in der Übersetzung bei J. Buinoch, Zwischen Rom und Byzanz (Slavische Geschichtsschreiber I), Graz usw. 1958; vgl. bes. Methodiusvita, c. 10 (ebd. S. 94). Dazu oben bei Anm. 10. 50 Kahl 1999, S. 51 f. 51 A. Pleterski, Eine heidnisch-christliche Kirche in Millstatt? In: Carinthia I/187 (1997), S. 201–212; vgl. Dens., Ecclesia demonibus addicta. Povedka o poganskem svetišču v Millstattu, in: Zgodovinski časopis 48 (1994), S. 397–306; dazu Kahl 1999, S. 36, 51 f., 90 f., und Ders. 2002, S. 287–289. – Dem langjährigen Freunde sei auch hier herzlich gedankt für ständigen Austausch, ohne den auch die vorliegende Abhandlung nicht so ausgefallen wäre, wie sie vorliegt.
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wahrscheinlich sogar noch weiter, das einzige Zeugnis berührt, das sich wenigstens noch aus dem Hochmittelalter mit einer Kultstätte aus Zeiten befaßt, die vor den Beginn karolingerzeitlicher Missionsbestrebungen zurückreichen – von frühneuzeitlichen Phantastereien, die von der Vorstellung „der“ (einen) slawischen Religion ausgingen und daher ganz unbefangen die bei Helmold für die Ratzeburger Polaben bezeugte Göttin Siwa (d.h. wohl: Živa) ganz unbefangen auch zu den Südslawen verpflanzten, haben wir ja abzusehen52. Mit einzig dieser Ausnahme, die schon als solche auffällig ist, ließ sich also für den gesamten umschriebenen, weitgespannten Raum keine einzige Schriftquelle ausmachen, die zugunsten einstiger Existenz von altslawischen Kultbildern ausgewertet werden kann. Das aber erlangt verdoppeltes Gewicht, weil es nach bisherigem Eindruck mit dem scheinbaren Fehlen entsprechender archäologischer Denkmäler für den gleichen Gesamtbereich zusammenklingt. Da der Millstätter Mönch wenig Vertrauen erweckte und ein anderer Bericht nicht vorlag, glitt die Forschung generationenlang völlig über die Frage hinweg, ob das Staatswesen der Karantanen, Objekt der ersten wenigstens notdürftig beleuchteten Slawenmission, nicht eigentlich auch ein Zentralheiligtum besessen haben müßte, wie das der gentilreligiösen Grundlage derartiger Gebilde entspricht53. Von Kultstatuen „heidnischen“ Gepräges aber ist für diesen weitgespannten Bereich auch sonst in keiner ernstzunehmenden Quelle die Rede. 4. Zwischenbilanz An den Grenzen des Patriarchats Aquileia endet das reichskirchlich bestimmte Gebiet. Jenseits, mit Ungarn und Kroatien, mit den Erzbistümern Esztergom/Gran und Split, öffnen sich Problemfelder anderer Strukturen, die besonderer Untersuchung bedürfen, und weiter nach Osten wie nach Süden erst recht. Nachrichten über slawische Götterbilder haben mich für diese Regionen nicht erreicht, doch das kann Zufall sein. Wenden wir uns zurück und versuchen, eine Summe zu ziehen. Westlich von Elbe und Saale sowie südlich der Mittelgebirgsschwelle Thüringens fanden sich bis zu den Enden des aquileischen Sprengels
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Helmold, c. 52 (S. 196, 22): Siwa dea Polaborum; der Kontext zählt noch andere kleinräumig verehrte Gottheiten auf. Zum dabei verwandten Polabenbegriff und zu dieser Gottheit allgemein: Kahl 2002, S. 249–251 m. Anm. 533, vgl. 420. 53 Dazu jetzt Kahl 2002, S. 222–257, vgl. S. 67–78 u. 419 f.
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nirgends Indizien, die auf altslawische Kultbilder deuten könnten, mit einziger Ausnahme des Millstätter Legendenberichts, auf den sich niemand wirklich verlassen kann. Die Lücke gilt nach bisheriger Kenntnis für Schriftquellen wie für archäologisches Fundgut, und das ist ein Zusammenklang, über den man sich nicht leichten Sinnes hinwegsetzen darf. Er verlangt Gehör. Dabei drängen sich zwei merkwürdige Folgerungen auf. Erstens: Das umschriebene Gebiet ist identisch mit dem, für das aus dem Mittelalter überhaupt keine Nachrichten über substanzielle Aspekte slawischer Religion vorliegen, so daß Einsichten allenfalls aus Rückschlüssen zu gewinnen sind, die an spät erst erfaßtes Material anschließen wie Aufzeichnungen über Volksüberlieferungen und volkstümliches Brauchtum. Mit anderen Worten: Für dieses Gebiet ist bei Schlußfolgerungen höchste Vorsicht in beiden Richtungen angesagt, nicht allein nach der positiven, sondern ebenso nach der negativen Seite hin. Wir dürfen, ohne daß sich konkrete Anknüpfungsmöglichkeiten ergeben, weder behaupten, daß dort bestimmte Vorstellungen und Gepflogenheiten herrschten, noch, daß es sie dort nirgends gab. Stattdessen haben wir uns offen zu halten für etwa neu auftretenden Diskussionsstoff. Das Problem der Kultidole ist von dieser Regel nicht auszunehmen. Sie gilt prinzipiell. Zweitens: Das umschriebene Gebiet deckt sich merkwürdig genau mit bestimmten klar abgrenzbaren Bereichen frühmittelalterlicher Kirchenorganisation. Es umfaßt die östlichen Suffragane von Mainz, soweit sie in die Karolingerzeit zurückreichen, also unter Einschluß des erst nachträglich als exempt von Würzburg abgeteilten Bamberg. Hinzu kommen – mit der einen problematischen Ausnahme für Millstatt – die damals slawisch besiedelten Teile der Kirchenprovinzen Salzburg und Aquileia. Das sind durchweg Landschaften, in denen die Christianisierungsarbeit spätestens unter Karl d. Gr. eingeleitet wurde, und das heißt zugleich: zu Zeiten, deren Bereitschaft zu historischen Aufzeichnungen sich noch sehr in Grenzen hielt und für solche religionsgeschichtlicher Art ganz besonders. Sie hat, und das verdient gerade hier Beachtung, auch für die Altsachsen, deren Eingliederung in die Kirche des neuen Glaubens etwa gleichzeitig und im gleichen organisatorischen Rahmen erfolgte, wenig genug an Einschlägigem festgehalten. Diese Feststellungen bedingen eine weitere Konsequenz: Bis es für die betroffenen Gebiete vielleicht doch noch zu eingehenderer historischer Berichterstattung kam, hatte die von der Kirche geforderte und geförderte Vernichtungsarbeit an nichtchristlichen Kultobjekten ein bis
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zwei Jahrhunderte länger zu wirken vermocht als dort, wo schließlich dergleichen Nachrichten auftauchen. Erinnerung an solches „Teufelswerk“ hatte entsprechend länger Zeit gehabt, sich zu trüben, soweit es nicht von Anfang an mit einer damnatio memoriae belegt worden war: Warum sollte man sich länger mit Dingen aufhalten, die doch nichts weiter waren als wechselnde Gaukel- und Maskenspiele des immer gleichen Satans54? Schnell fügt sich weiteres zusammen. Die Autoren, die uns schließlich doch etwas eingehender von slawischer Religion und ihren „Götzenbildern“ berichten, waren durchweg Fremde, die außerhalb von Strängen slawischer Eigenüberlieferung standen. Von der Karolingerzeit sind sie sämtlich durch mehr oder weniger viele Generationen getrennt. Sie repräsentieren damit eine Phase, die sich bereits wesentlich erzählfreudiger zeigt, in der auch eine Art ethnographischer Interessen für Fremdartiges aufzukommen beginnt. Vor allem aber sind sie Zeitgenossen einer slawischen Religion, die nicht einfach „Heidentum“ war, sondern apostatisches Heidentum, neu durchgesetzt auf Kosten bereits vorgedrungener christlicher Mission und Kirchenorganisation und doch von Gottes unerforschlichem Ratschluß geduldet, was für solch geistliche Schreiber, teilweise sogar gehobenen Ranges, etwas Aufregendes haben mußte. So wenden sie sich – mit allem Abscheu, aller gebührenden Vorsicht – diesem Gegenstand zu, im Fall eines Thietmar vielleicht sogar mit der Nebenabsicht, von Zuständen in seinem unmittelbaren Amtsbereich abzulenken55. Für Helmold, den Priester im ostholsteinischen Bosau, gehörten die alten Götter der Landeskinder vielleicht gar noch zum eigenen Alltag – den Mann, der noch in eigener Person an der Zerstörung eines überkommenen Hauptheiligtums teilnahm, mit Zittern und Zagen, wie er freimütig eingesteht, doch es geschah ihm nichts mehr56. Wo findet sich Vergleichbares in der Karolingerzeit? Für die Slawen aber, auf die die neue Christianisierungswelle des 12. Jh.s zukam, ist festzuhalten: Sie kannten, anders als frühere, deren Träger aus Erfahrung. Ihnen ist zuzutrauen, daß sie eher als die Vorfahren daran dachten, geheiligte Bildsymbole rechtzeitig zu verbergen, um sie vor Entweihung zu schützen, und sie so für uns zu erhalten. Das Fehlen
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Zum Grundsätzlichen Achterberg (wie Anm. 4), dazu oben bei Anm. 5–6 sowie 41–49. 55 Oben bei Anm. 32–33. 56 Helmold, c. 84 (S. 288 f.).
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entsprechender Funde aus den Wirkungsfeldern karolingerzeitlicher Mission fände auch auf diese Weise eine mögliche Erklärung. Ist sie glaubhaft? Was wir konkret vom Ablauf damaliger Missionsbemühungen erfahren, vor allem von der Handhabung des negativen Missionsziels, ist mehr als dürftig. Die Quellen beschränken sich im wesentlichen auf Hinweise zur christlichen Glaubensverkündigung, also zum positiven Ausschnitt missionarischen Wirkens, und zur Nacharbeit unter Getauften, also einer Form innerkirchlicher Seelsorge zur Hebung der Glaubensreinheit im Gemeindevolk57. Zur uns so wichtigen negativen Seite, der Vernichtung von Stätten und Objekten der bekämpften Religionen, werden gelegentlich einmal herausragende Einzelereignisse hervorgehoben wie die Fällung der Geismarer Donarseiche durch Bonifatius oder die Zerstörung der sog. Irminsul durch das karolingische Heer, doch von regionalen und lokalen Vorgängen solcher „Tatmission“58 wissen wir im Ganzen wenig, für breite Landstriche nichts. Das gilt für die meistern Schauplätze der Sachsenmission, es gilt auch für die slawisch besiedelten Teile der Bistümer Verden und Halberstadt – das „Hannöversche Wendland“ und die sog. Altmark –; es gilt für Oberfranken und die Oberpfalz, es gilt für den salzburgisch-aquileischen Süden. Vielleicht begegnen uns, wie oben, aus dem 12. oder 13. Jh., lange nach den Karolingern, kirchliche Klagen, hier oder dort gebe es noch immer pagani – getaufte Christen, die dem Anspruch kirchlicher Disziplin unterstanden, die aber „falsche Wege“ gingen wider ihr Taufgelübde, im Sinn abgeschworenen Glaubens und Kultes, wenn auch womöglich mit christlichen Elementen vermischt59. Von „Taschenidolen“, die ihnen vielleicht noch wichtig waren, wohlverborgen vor den Repräsentanten der Kirche, gerät nichts zu unserer Kenntnis, doch auch, daß es sie nicht mehr gab, verbürgt uns niemand, und dasselbe gilt erst recht für Vorläufer, die sie etwa besaßen, bevor die Missionare kamen. Es zeigt sich: Die Entwicklung war von einer Dynamik geprägt, die vielfache Wirkung auf die Aussagemöglichkeit wie die Aussagefreudigkeit unserer Quellen erlangte. Sie blieb bisher weitgehend außer Betracht. Vielmehr kam die Forschung, unterschiedlich variiert, immer wieder zu dem Schluß, die Slawen südlich der Havel hätten im Grunde 57 58 59
Begriffe: oben bei Anm. 5–6. S. Anm. 5. Oben bei Anm. 34, dazu Anm. 36 u. 40.
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keine „höhere“ Religion besessen, sondern sich mit einer Art Dämonenglauben begnügt60. Langjährige Untersuchungen, die Radoslav Katičić nach und nach vorlegte, haben durch Vorstellungen dieser Art einen dicken Strich gezogen: Perun ist als ursprünglich gemeinsamer Hauptgott sämtlicher Slawengruppen erwiesen61. Das sagt selbstverständlich nichts über etwaige Kultstatuen zu seiner und zu anderer Verehrung, doch es rückt für die slawische Gesamtheit vorchristlicher Zeit ein Niveau im Sinn gentilreligiöser Vorstellungen in den Blick, das weit über der zuvor gekennzeichneten Ebene liegt. Die Ausgangssituation ist beträchtlich verändert. Man mag einwenden, die Sprachwissenschaft habe gezeigt, daß es kein urslawisches Wort für das Kultbild gab, vielmehr nur eine bunte einzelsprachliche Palette, und das spreche für eine sekundäre Aufnahme des Bilderkultes, wo er sich finde, zustandegekommen unter Fremdeinflüssen62. Das klingt überzeugend. Aber ist es das auch? Wer sich vergegenwärtigt, was nach der Christianisierung mit dem uralten Opferwort třeba geschah, wird zweifeln. In seinem Fall schwankt die Skala der Lösungen zwischen Ausmerzung unter Ersatz und der Umdeutung zum christlichen Begriff „Weihnachten“63. Sollte das im Fall eines alten Ausdrucks für Kultstatuen anders verlaufen sein? Ihm müßte die Vorstellung einer archaischen Heiligkeit angehaftet haben, die im kirchlichen Wortschatz nicht mehr tragbar, doch schwer abzuschütteln war. Um den Sinn „Götzenbild“ durchzusetzen mit allen negativen Empfindungen, die ihm anhaften sollten, waren neue Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen. Sie können in den einzelnen Kirchenprovinzen als der dafür maßgeblichen Instanz ebenso unterschiedlich ausgefallen
60 Schlesinger (wie Anm. 31), S. 215–219, vgl. 330 f.; E. Klebel, Siedlungsgeschichte des deutschen Südostens, München 1940, S. 39 f. (mit Annahme eines gewaltsamen Eingreifens der Awaren): auch E. Cevc, Das Problem der Kontinuität im Kult und in der bildenden Kunst in Slowenien, in: Alpes Orientales V, Ljubljana 1969, S. 103–112. sowie Wienecke (wie Anm. 4). Zu solchen Positionen grundsätzlich bereits Kahl 1999, bes. S. 47 f. 61 R. Katičić in mehreren verschieden betitelten Beiträgen in: Wiener Slavistisches Jahrbuch 33–39 (1987–1993) an Hand überreichen volkskundlichen Materials. Den Hinweis danke ich, wie viele andere, Andrej Pleterski, Ljubljana. 62 L. Moszyński, Die vorchristliche Religion der Slaven im Lichte der slavischen Sprachwissenschaft, Köln-Weimar-Wien 1992, S. 110–112. 63 Kahl 2004, S. 11–14.
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sein wie für den Opferbegriff64. Die vorgelegte Analyse der Quellenlage warnt auch hier vor voreiligen Kombinationen. Kurz: Der aufgetauchte Verdacht ist auch von hier aus nicht zu zerstreuen. Er sieht sich, zusammengefaßt, zu der Frage gezwungen, ob es mit dem Fehlen von Hinweisen auf Götterbilder, das den größten Teil der alten Slavia betrifft, womöglich eine besondere Bewandtnis hat. Liegt es am Ende so, daß dieser scheinbare Fehlbestand weniger mit den sog. Missionsobjekten zu tun hat als mit den Missionssubjekten – weniger mit dem, was die Glaubensboten bei ihrer Ankunft vorfanden oder nicht, stattdessen mit einer spezifischen Eigenart derer, die die Träger der Christianisierung waren, dazu im Fall der Slawen – anders als im germanischen Bereich – außerdem einzige Berichterstatter? Sie vermelden schon reichlich wenig über Dinge, die wir zwingend voraussetzen müssen wie Bekehrungen, Taufszenen und den Bau von Kirchen. Die Arbeit am negativen Missionsziel war ganz ohne Zweifel nicht weniger wichtig – im Gegenteil: Sie hatte eine Voraussetzung zu schaffen für den endlichen Taufentschluß; „Tatmission“ demonstrierte handgreiflich die Ohnmacht der alten Götter gegenüber den Boten des neuen, der mit seiner Kraft hinter ihnen stand. Wir besitzen ausdrückliche Weisungen des Papstes, der für die Gestaltung des mittelalterlichen Missionswerks grundlegend wurde, Gregors d. Gr. Sie waren leichter als manche anderen zugänglich durch ein so viel gelesenes Werk wie die Kirchengeschichte des Beda, in die ihr Text inseriert war, und sie legten eindeutig fest, was schon Brauch der alten Kirche gewesen war: Wo der Missionar irgend die Macht hatte, waren die „götzendienerischen Kulte“ zu verfolgen (idolorum cultus insequere) und etwa vorgefundene „Götzenbilder“ zu zerstören (idola destruantur); Laien kamen diese Aufgaben gleichfalls zu65. Der starke angelsächsische Einfluß auf die Karolingermissionen, repräsentiert durch Persönlichkeiten wie Bonifatius und Alcuin, ist bekannt. Die Quellen zur Slawenmission dieser Zeit spiegeln nichts davon, nicht die erzählenden und erst recht nicht die Akten der innerkirchlichen Nachsorge, die dem Taufakt zu
64 Auf die Bedeutung der Kirchenprovinzen für die Ausbildung volkssprachlicher kirchlicher Terminologien, die ja keiner übergreifenden Normung unterlagen, verweist am Beispiel deutscher Mundarten Th. Frings, Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache, 3. Aufl. Halle/S. 1957, bes. S. 16–22, passim, vgl. 52. Geografische Übersicht über die slawischen Termini: Słupecki 1994 (wie Anm. 8), S. 200. 65 Greg. Magn., Reg. Epist. XI, 37 u. 56 (MGH EE I, S. 308, 26 bzw. 331, 7; JE 1827 u. 1848), vgl. Beda, Hist. Eccles. Gentis Angl. I, 32 u. 30 (Beda der Ehrwüdige, Kirchengesch. d. engl. Volkes, hg. Von G. Spitzbart, Darmstadt 1982, Bd. I, S. 116 bzw. 119).
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folgen hatte – für die also der alte Kult erledigte Vergangenheit war, jedenfalls in seiner öffentlichen Form. Aber wie trügerisch ist das Bild, das durch dieses Schweigen entsteht? Wir versäumen etwas, wenn wir diese Frage verdrängen. Doch die besten Zweifel bringen nichts, wenn sie sich nicht an einem konkreten Befund abstützen lassen. Eben dies aber scheint, wie angedeutet, im vorliegenden Fall neuerdings möglich zu sein. In die umrissene Forschungslage trifft, völlig unerwartet, ein Marmorstück, seit Jahrzehnten bekannt, das jedoch bisher keine Einordnung fand. Es führt in ein Land, in dem die Anwessenheit von Slawen bereits für das 7. Jh. einwandfrei bezeugt ist. Sie lebten dort niemals allein, sondern als ein Bevölkerungselement unter anderen, doch sie hatten langezeit die Führung und schufen den ersten slawischen Staat, von dem wir überhaupt nähere Kenntnis besitzen, Generationen vor ihrer Christianisierung, also mit gentilreligiösem („heidnischem“) Gepräge66. In die Zuständigkeit der Archäologen gehörig, ist das Denkmal gleichwohl nicht ihren Bemühungen zu danken, sondern der Wachsamkeit eines spielenden Kindes, kurz nach dem zweiten Weltkrieg, an völlig unerwarteter Stelle67. Seine Zuordnung gilt noch als Problem. In den fünfziger Jahren vorigen Jahrhunderts kam es in bestimmten Kreisen Kärntens zu einer starken Überbewertung keltischer Traditionen: Nach traumatischen Erfahrungen von gleich zwei Seiten her wollte man offenbar etwas anderes sein als die Deutschen, doch um keinen Preis etwas Slawisches, während man sich jedoch von dem gewohnten Grundmodell ethnischer Kontinuitäten noch nicht zu lösen vermochte. In diese Strömung wurde auch das fragliche Steinfragment einbezogen, doch ohne wissenschaftliche Begründung in Druckform68. Den ersten
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Dazu ausführlich Kahl 2002. Nachstehende Ausführungen liegen in gekürzter Form als 2. Abschnitt meines Beitrags „Karantanische Fragezeichen“ dem Rudolfinum. Jahrbuch des Landesmuseums Kärnten, Klagenfurt, vor. 68 Bezeichnend etwa: H. Kenner, Keltische Züge in romanischer Kunst, in: Frühmittelalterl. Kunst. Akten zum III. internat. Kongreß für Frühmittelalterforschung, Olten u. Lausanne 1954, bes. S. 333, sowie Dies., Das Dreikopfbecken vom Magdalensberg, in: Carinthia I/144 (1954), S. 11 ff. Zur gelegentlichen Einbeziehung des Silberbergtorsos Hinweise bei K. Messner, Das Wesen mit den drei Gesichtern, in: Krone bunt (Sonntagsbeilage der Kronenzeitung), 10. 10. 2004, auf welchen Beitrag Herr Axel Huber, Seeboden, mich freundlich hinwies. Dazu B. Maier, Keltomanie und Keltenideologie (Kelten, §. 5), in: (Hoops) Reallex.2 XVI (2000), bes. S. 370 f. – Vgl. unten Anm. 69, 79 und 91. 67
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publizierten Hinweis gab, soviel ich sehe, 1977 der langjährige Landeskonservator Siegfried Hartwagner („ . . . ein rätselhafter Stein, der sicherlich der vorromanisch-frühmittelalterlichen Epoche angehört“)69. Das war reichlich unbestimmt, vermied aber die nach damaligem Stande schwer vertretbare nähere Festlegung. Eine solche schien sich erst wesentlich später aus vergleichenden Studien auf anderen Feldern mir zu ergeben – der Gedanke an ein Relikt des vorchristlichen Slawentums. Der Druck der Ausarbeitung zog sich unerwünscht hin. So wurde dies im Einvernehmen mit mir durch Franz Glaser zuerst an die Öffentlichkeit gebracht, skizzenhaft; ich folgte mit zwei ausführlicheren, doch gleichfalls abgekürzten Stellungnahmen, die mehrfach aufgegriffen wurden70. Es gab jedoch auch Widerspruch: Axel Huber stellte zur Diskussion, ob der Torso nicht vielmehr hochmittelalterlich sein werde, Rest einer jener romanischen Apsidenbekrönungen, auf die als wenig beachtete Eigentümlichkeit der Baukunst im Lande er schon früher eindringlich hingewiesen hatte. Er zog für das strittige Stück einen symbolischen Hinweis auf die christliche Trinitätslehre in Erwägung.71
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S. Hartwagner, Kärnten: Der Bezirk St. Veit a. Glan, Salzburg 1977, S. 119, im Zusammenhang Hüttenberg, ohne nähere Lokalisierung. Abkürzungen im obigen Zitat aufgelöst. Den Hinweis auf diese Nennung danke ich Herrn Univ. Prof. Dr. Franz Glaser, Klagenfurt, wie vieles andere, nicht zuletzt die Gelegenheit zur Nachschau unmittelbar in St. Martin a. S. – Auf gegebene Datierungsprobleme in der Spanne zwischen Keltenzeit und Gotik, soweit nicht römische Antike vorliegt, verweisen auch G. Biedermann, Romanik in Kärnten (Kunstgesch. Kärntens), Klagenfurt 1994, S. 9 ff.; sowie H. Birkhan, Kelten/Celts. Bilder ihrer Kultur/Images of their culture, Wien 1999, S. 22. 70 F. Glaser, Dreigesicht aus St. Martin am Silberberg, in: Archäologie Österreichs 7/2 (1996), S. 19–21; vgl. K. Karpf, Frühmittelalterliche Kunst Karantaniens, bei F. Glaser (Hg.), Kelten, Römer, Karantanen (Kunstgesch. Kärntens), Klagenfurt 1998, S. 170 f. m. Anm. 315 f.; Kahl 1999, S. 49 f.; P. Gleirscher, Karantanien. Das slawische Kärnten, Klagenfurt 2000, S. 149 f.; Kahl 2002, S. 296 f., vgl. 222 u. 301. 71 A. Huber, Neues über Karantanien, in: Die Kärntner Landsmannschaft 9–10/2003, S. 27–30, bes. am Schluß, und deutlicher bei Messner. Da diese letzten Äußerungen schwer zugänglich sind, seien die Kernsätze hier wiederholt: „Es ist durchaus möglich, daß es sich auch bei diesem Dreigesicht . . . um eine romanische Apsidenbekrönung handelt. In St. Martin am Silberberg wurden . . . 1996 die Überreste einer romanischen Apsis ausgegraben. Auf die Spitze solch einer Apsis wurde gern eine Steinskulptur gesetzt. Es ist also nicht auszuschließen, daß das Dreigesicht . . . die christliche Trinität symbolisiert.“ Allerdings hatte „die katholische Kirche . . . keine Freude an solchen Dreigesichtern, deren Wurzeln im heidnischen Bereich zu orten sind. Gut möglich, daß das Dreigesicht vom Silberberg auf Anordnung der kirchlichen Obrigkeit als Apsidenbekrönung entfernt werden mußte und deshalb an oder in der Friedhofsmauser landete.“ Ergänzend A. Huber, Menschenköpfe auf der Dachspitze von romanischen Kirchenapsiden, in: Die Kärntner Landsmannschaft 10/1985, A. 59–64, noch ohne Bezugnahme auf den Silberbergfund. – Herr Huber hat meine Bemühungen seit Jah-
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Die Bedeutung der Frage einerseits für Kärntens Frühmittelalter, andererseits für die slawische Religionsgeschichte, nicht zuletzt auch für die christliche Ikonografie drängt dazu, sie nochmals aufzurollen. Schon hier darf vorweggenommen werden, daß ich zum Abrücken von meiner Position keinerlei Grund erblicken kann. 5. Der Marmortorso von St. Martin am Silberberg – nicht römerzeitlich, nicht christlich, nicht germanisch, nicht keltisch Fundort des problematischen Objekts ist eine Einsturzstelle der Friedhofsmauer einer kleinen Pfarrkirche im Kärntner Dekanat Krappfeld: St. Martin am Silberberg. Der Platz liegt hoch über dem Steiergraben, der die vom Neumarkter Sattel kommende Fernstraße südwärts zum Görtschitztal/dolina Krčice leitet, nahe der Landesgrenze, in einem alten Bergbaugebiet, und gehört zur politischen Gemeinde Hüttenberg, Bezirk St. Veit a. d. Glan/Št. Vid. Wer die genannte Verkehrsader von Norden her benutzt, kann das Kirchlein steil links über sich erkennen. Der Bildstein muß in der Fundsituation wohl so gelegen haben, daß seine auffälligen Darstellungen verhältnismäßig gut bemerkt werden konnten, und auch so, daß er sich ohne besonderen Aufwand bergen ließ. Die Mauer ist längst wieder hergestellt. Sie läßt keinerlei Auffälligkeit mehr erkennen, vor allem keinen Anhalt, sie könne noch weiteres Fundgut enthalten. Wo der Torso einmal eingefügt war, ist ebensowenig mehr auszumachen wie der Platz, auf dem er sich vor dieser Zweitverwendung befand. Das Stück (Abb. 4) präsentiert sich als unregelmäßig abgerundeter Quader, ca. 32 × 21 × 10 cm. Gegenüber Geläufigem ist das ein merkwürdiges Verhältnis zwischen Höhe und Breite einerseits, andererseits der Tiefe. Wie weit es dem ursprünglichen Zustand entspricht, steht offen. Die Vorderseite zeigt in bemerkenswert flachem Relief (bedingt durch den eingeschränkten Spielraum nach rückwärts?) eine archaisch wirkende Bildkomposition. Beherrschend erscheint ein menschenähnliches Gesicht von einigermaßen natürlicher Größe. Sein Umriß hat ungefähr Eiform; die Kinnpartie ist eher breit gezogen, nicht birnenförmig gestreckt, und zeigt eine Art doppelter Einkerbung mit leicht ren, auch in diesem Falle, in großzügigster Weise mit Informationen und kritischen Hinweisen unterstützt, wofür ihm auch hier herzlich gedankt sei.
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Abb. 4. Dreigesichtiger Götterkopf aus St. Martin am Silberberg, Gemeinde Hüttenberg, Bez. St. Veit a. d. Glan/Št. Vid, Kärnten. Vorderansicht und (nachträglich veränderte) Rückseite; Marmor, slawisch; 7.–9. Jh.? Aufnahme: Franz Glaser, Klagenfurt/Celovec. Slika 4. Triobrazna glava božanstva s Sv. Martina na Silberbergu. Občina Hüttenberg, okraj St. Veit a. d. Glan/Št. Vid, Koroška. Sprednja stran in (drugotno predelana) zadnja stran. Marmor, slovansko, 7–9. st.? Foto: Franz Glaser, Klagenfurt/Celovec.
wulstiger Umrandung. Die Augen treten hervor, kugelförmig wie auch die besonders herausgearbeitete Iris; sie stehen unter starken Brauen, die unvermittelt in die – beschädigte – Nase übergehen; über ihnen bleibt wenig Raum für die Stirn. Der Mund mit wulstigen Lippen ist leicht geöffnet. Zähne zeigen sich nicht; vielleicht wird die Zunge angedeutet, keinesfalls jedoch aggressiv herausgestreckt. Ohren fehlen. Auf der rechten Wange überrascht klein ein zweites Gesicht ähnlicher Gestaltung, offenbar als Wiederholung des beherrschenden ersten angelegt, doch mit entsprechend geringerem Durchmesser. Am Hals erscheint ein drittes mit ähnlichen Augen und Brauen, fast unversehrt kräftiger Nase; durch Bruchschaden fehlen Mund- und Kinnpartie, doch zeichnet sich der Ansatz eines Schnurrbartes ab, während die beiden oberen bartlos sind. Alle drei schauen geradeaus nach vorn.
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Sie sind keinesfalls bewußt fratzenhaft angelegt, wie man das bei einer Teufels- oder Dämonendarstellung zu erwarten hätte, sondern Erzeugnis einer primitiven Kunstfertigkeit. Ihre Häufung schließt aus, daß ein menschliches Wesen gemeint sein könnte; alles sonst bleibt offen. Nicht erkennbar ist, ob die verlorenen Partien der alten Skulptur noch weitere Gesichter aufwiesen, auf der Brust oder sonst – die mehrfach begegnende Bezeichnung „Dreigesicht“ greift dem, was wir wissen können, vor. Der Hinterkopf wirkt flach. Die Rückseite des Halses zeigt ein Apostelkreuz. Eine hellere Färbung des Steins in den Kreuzwinkeln gibt Zeugnis, daß es eine nachträgliche Zutat sein muß – das heilige Zeichen sollte wohl die „heidnischen“ oder „dämonischen“ Qualitäten, die man auf der Vorderseite empfand, „entschärfen“, bevor man das problematische Stück durch Einmauern in die Umfriedigung eines sakralen Bezirks völlig unschädlich zu machen suchte. Eine entsprechende Anordnung von Gesichtsdarstellungen konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Damit fehlt Vergleichsmaterial. Hinzu kommt die Zweitverwendung als Mauerstein. Sie schneidet uns – wie beim Bildwerk von Zadel – die Frage nach ursprünglichen Fundzusammenhängen ab, die in anderen Fällen Rückschlüsse auf Herkunft und Datierung erlauben. Der Marmortorso bleibt nach jeder Richtung hin isoliert, und guter Rat, wie er sich zuordnen ließe, ist schon insofern teuer. Zum Unglück geriet das Stück auch noch in Privatbesitz und ist seit langem unzugänglich. Aus den lebenden Forschergenerationen haben nur wenige wie Franz Glaser und Andrej Pleterski das Original zu sehen bekommen; die Mehrheit ist zur Urteilsbildung auf deren Fotos und Zusatzinformationen beschränkt. Wichtige Fragen wie die Herkunft des Marmors, die Herstellungstechnik („Fabrik“) oder der Einfluß etwaiger Verwitterung entziehen sich einstweilen dem Zugriff. All das bringt Unsicherheitsfaktoren ins Spiel, die keinesfalls verdrängt werden dürfen, doch vor ihnen zu resignieren führt nicht weiter. Chancen, dem Problem vielleicht doch auf die Spur zu kommen, hat nur, wer ihm nicht ausweicht und keiner der begleitenden Fragen. An ein Werk römischer Antike zu denken, verbietet sich schon aus stilistischen Gründen. Unter christlichen Traditionen Umschau zu halten wie Huber, liegt dann für Kärnten zweifellos am nächsten. Apsidenbekrönungen allerdings, scheint mir, sind hier gleichfalls beiseite zu lassen. Die wir bisher kennen, zeigen Gesichtszüge, die deutlich nicht Numinoses, sondern Menschliches meinen, wenn auch in altertümlicher Formgebung. Sie schauen von ihrem Platz nach Osten, der aufgehenden
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Sonne entgegen, die die Kirche als Symbol des Christuserlösers versteht; man mag fragen, ob sie damit den „alten Adam“ repräsentieren sollen, der seiner Erlösung entgegensieht, doch das bleibt ungewiß. Überflüssig gewordene Exemplare wurden mindestens z.T. als altes, wertvolles Bauelement betrachtet, das man wie die römerzeitlichen Spolien gern weiter vorzeigt und deshalb sichtbar einmauert72. Der Torso vom Silberberg meint demgegeüber mit Sicherheit kein Menschengesicht, sondern ein Abbild aus anderer Sphäre, und er fand keinen Platz an der Außenwand der Kirche – er wurde in die Friedhofsmauer verbannt, d.h. unsichtbar gemacht: Man wünschte ihn loszuwerden. Von da führt keine Brücke zu dem, was wir von nachgewiesenen oder auch von wahrscheinlichen alten Apsidenbekrönungen wissen. Erst recht bleibt m.E. die Dreifaltigkeitsvorstellung hier außer Betracht. Die Dreizahl erhaltener Gesichter mag an sie gemahnen. Doch erstens wissen wir, wie gesagt, nicht, ob sie ursprünglich ist. Zweitens hat es mit trinitarischer Bildsymbolik eine besondere Bewandtnis. Die Kunst der Kirche tat sich schwer, zur Darstellung dieses höchsten Glaubensgeheimnisses auf Anschauungselemente aus menschlicher Sphäre zurückzugreifen73. Der Dekalog enthält ein prinzipielles Verbot, die Gottheit bildlich zu fassen, und der Hl. Geist war schon vom Namen her als körperlos festgelegt, so daß für ihn nicht einmal der Symbolbegriff einer Vatergestalt Hilfestellung bot. Im Abendland kam zu Versuchen, gleichwohl mit Dreiheiten von Menschenfiguren oder wenigstens – köpfen zu arbeiten, erst das Hochmittelalter – ein tastendes Experimentieren, zögernd und allmählich, bei dem mit mehr regionalen und zeitlichen Verschiedenheiten zu rechnen ist, als sich noch nachweisen lassen. Faßbar wird es etwa seit dem 12. Jh. Wichtig wurde dabei vor allem eine Gestaltung, in der auf einem Körper drei Gesichter so in einander verfließen, daß insgesamt nicht mehr als vier Augen zu sehen sind. Seit dem 14. Jh. begann die Kirche, offiziell gegen all dergleichen vorzugehen, jedoch nicht gleichmäßig. So konnten Ergebnisse dieses Experimentie-
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Beispiele: Huber 1985, mit abweichender Symboldeutung. Zum flg.: Reallexikon zur deutschen Kunstgesch. IV, Stuttgart 1958, Art. Dreifaltigkeit und Dreikopfgottheit/Dreigesichtigkeit, zu ergänzen durch Art. wie Dreifaltigkeit u. Dreigesicht in: Lexikon d. Mittelalters III, München-Zürich 1986; Lexikon d. Kunst, Neubearbeitung, II, Leipzig 1989; H. Biedermann, Knaurs Lexikon der Symbole, Augsburg 2000 (dort auch Art. Dreigestalt). Dazu W. Braunfels, Dreifaltigkeit VI; Ikonographie, in: Lex. f. Theologie u. Kirche2 III, 1959, Sp. 561 f.; M. D. Beck, Trinität in der Kunst, in: Die Religion in Geschichte u. Gegenwart3 VI, 1962, Sp. 1038–1041. 73
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rens allmählich doch noch auch in die Volkskunst eindringen, die in der Übernahme von Darstellungen der Dreifaltigkeitslehre – unanschaulich, wie diese bleibt – zurückhaltend war. Kärnten wartet mit einer verhältnismäßig großen Zahl von Dreikopfkombinationen auf. Axel Huber wird ihnen in der Carinthia I/195 (2005) eine eigene Abhandlung widmen. Wie weit in diesen Fällen eine trinitarische Deutung zulässig ist, muß einzeln untersucht werden, denn es gibt mehr Möglichkeiten. Ein hervorragendes, eindeutiges Beispiel bietet ein Schlußstein in der spätgotischen Kirche St. Walburgen bei Eberstein (Bez. St. Veit a. Glan), zentral plaziert in der Hauptachse des ersten Chorjochs. Drei Männerköpfe sind im Kreis so verkettet, daß der Bart des einen das Haupthaar des nächsten bildet; umgebende Steine zeigen andere Bildsymbole von hohem theologischem Rang74. Fast als Parodie des gleichen Grundtyps wirkt ein gemaltes Rundmedaillon in der Westempore des Doms zu Gurk/Krka, angebracht an auffällig nebengeordneter Stelle, im Bogenfeld des südseitigen Westfensters, als Teil eines wenig repräsentativen Ensembles. Die Köpfe, die dabei umgekehrte „Drehrichtung“ zeigen, weisen eine ans Groteske grenzende Gestaltung auf. Auch dieses Bild wird teilweise trinitarisch genommen. Zweifel sind längst geäußert worden, eine befriedigende andere Deutung hat sich bisher nicht finden lassen75.
74 E. Mahlenecht, Das bauplastische Programm im Innenraum der spätgotischen Pfarrkirche St. Walburgen bei Eberstein, in: Öst. Zschr. f. Kunst u. Denkmalpflege 46 (1992), S. 102, mit Abb. 146. Weitere freundliche Hinweise von Axel Huber führen auf zwei gleichartige Schlußsteine offenbar aus derselben Werkstatt im Langhausgewölbe der Pfarrkirche von Zeltschach (Bez. St. Veit a. d. Glan) und im Chor der Filialkirche zu Eibersdorf/Virnja ves (Dekanat Tainach/Tinje). Beide zeigen die drei Köpfe in ähnlicher Ausführung, im zweiten Fall wie im anschließend zu erwähnenden Beispiel mit umgekehrter „Drehrichtung“. Eine zusammenfassende Behandlung derartiger Schöpfungen ist leider zu vermissen. 75 Ohne Bildwiedergabe erwähnt bei S. Hartwagner, Der Dom zu Gurk, 2. Aufl. Klagenfurt 1969, Bilderläuterungen, Nr. 77, m. Lit. und mit auf die Ikonographie gegründeten Zweifeln an trinitarischer Deutung; vgl. Abb. 51, 53–54, 81 samt zugehörigen Erläuterungstexten; in Abb 81 ein Teilaspekt des Dreikopfbildes. Das Rundmedaillon findet sich an angegebener Stelle oberhalb von Blumenmustern und je einem mutmaßlichen, doch nicht identifizierten Stifterbild. Die Kopfgruppe ist von einem Kreisrund eingefaßt, das nicht unbedingt als Heiligenschein wirkt. An entsprechender Stelle des nördlichen Fensters findet sich ein Adlermotiv, das in theologischer Symbolik vieldeutig ist, aber stets weit unterhalb der Ebene der hl. Dreifaltigkeit bleibt. Beide Fensterlaibungen werden überragt von einem Fresko der Transfiguration und einem darüber befindlichen Glasgemälde der Kreuzabnahme. Die Rundmedaillons in beiden Laibungen rücken dadurch in eine ausgesprochene Nebenposition, was schlecht zu einer Dreifaltigkeitsdarstellung passen will. Die ursprünglich wohl vorhandenen Glasgemälde in den beiden Rundfenstern sind verloren, was die Rekonstruktion und Interpretation
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Eindeutig zu bestimmen sind Teufelsbilder mit drei Köpfen oder Gesichtern, über die die christliche Kunst gleichfalls verfügt, wahrscheinlich sogar länger als über die eben besprochenen Dreifaltigkeitssymbole. Für sie hilft der Bildzusammenhang, in dem sie auftreten, z.B. beim Weltgericht am Höllenrachen, ganz abgesehen von traditionellen Ausstattungen wie Hörnern und fratzenhaften Schnauzen. Gemeint ist mit jener Symbolik eine satanische Nachäffung der Hl. Trinität, verwerflich und verfehlt; die eingesetzten Bildtypen fallen erheblich anders aus. Beliebt ist etwa eine Verteilung von drei Gesichtern auf verschiedene, meist unmögliche, auch obszöne Körperstellen, darunter das Gesäß, das der dem Teufel Verfallene zu küssen hat, oder die Schamgegend, deren natürliche Darstellung bei aller Nacktheit sich auf diese Weise umgehen läßt. Vergleichbar ist nichts als die Dreizahl. Was hat der Torso vom Silberberg mit diesen beiden Symbolkreisen zu schaffen? Ob er Gesichter auch einmal noch an anderen Stellen besaß, ist, wie gesagt, nicht zu kontrollieren. War es der Fall, so war die Zahl, um die es hier geht, gesprengt. Die vorhandenen sind so eng wie möglich konzentriert, im Kopfbereich und seiner nächsten Umgebung. Alle traditionellen Teufelsattribute fehlen, von den Hörnern bis zur bewußt ausgespielten Fratzenhaftigkeit. Das gegebene Ensemble liegt jedoch auch weit ab von allen bekannten Gruppierungen der Trinitätssymbolik. Diese arbeitet mit Köpfen oder Gesichtern, die gleichrangig aufgefaßt sind, die – so oder so – auf einer Ebene erscheinen, Augen und Halsansätze – vertikal oder horizontal – in gleicher Höhe, wie das dem Dogma von der Wesensgleichheit der göttlichen Personen entspricht. Was dabei geboten wird, ist Reihung. Gerade sie aber war in der Konzeption des Torsos offensichtlich nicht gewollt. Das, worauf er abzielt, ist Häufung, und dies so, daß der Mindestanklang an Menschliches, den die Lehre von der Menschwerdung der zweiten Person Gottes verlangt, verlassen wird. Ein verkleinertes Zweitgesicht auf der einen Wange des ersten, ein weiteres auf dem Hals – das gehört in die Kategorie jener übermenschlichen, naturwidrigen Vielgliedrigkeit, an der die Symbolsprache außerchristlich-religiöser Kunstübung so reich ist, Ausdruck des „Ganz Anderen“ im Wesen dargestellter Numina.
des Gesamtprogramms dieser Wandseite erschwert. – Nachträglich verweist Herr Axel Huber noch auf die Mitberücksichtigung dieser Schöpfung in der soeben fertiggestellten kunsthistorischen Diplomarbeit/ms. von St. Zobernig, Zur spätgotischen Bauplastik in Kärnten. Das 15. Jh., Graz 2004, die hier leider nicht mehr ausgewertet werden konnte. – Zum flg. wieder Anm. 73.
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Wenn wir überhaupt Umschau zu halten wagen, dann darf dies nur in einer solchen Richtung geschehen. Da die römische Antike, wie bereits notiert, außer Betracht bleibt, sehen wir uns damit auf die drei gentilreligiösen Traditionskreise beschränkt, die Kärntens Frühgeschichte erkennbar mitbestimmt haben: keltisch, germanisch und slawisch – jeweils in sich stärker differenziert, als man langezeit annahm. Zwar zeichnen sich auch noch ältere Bevölkerungsschichten ab, sowohl, archäologisch wie im Ortsnamenmaterial; Schichten, die sich schwer zuordnen lassen – man hat sie gelegentlich neutral als „Regionalbarbaren“ bezeichnet76. Sie sind jedoch für uns einstweilen zu wenig profiliert, um sie in einen Vergleich einzubeziehen, ganz abgesehen davon, daß nichts dafür spricht, ihnen eine steinerne Skulptur zuzutrauen. Am wenigsten lädt nach bisheriger Kenntnis das slawische Element zur Berücksichtigung ein. Kärnten liegt weit ab von bisher nachgewiesenen Vorkommen numinoser Bildwerke dieser Provenienz – die Luftlinie Brandenburg a. H. – Villach/Beljak (um ein Beispiel herauszugreifen) mißt weit über 600 km. Unter germanischen Götterbildern fehlt es an Hinweisen auf mehrköpfige oder mehrgesichtige Ausgestaltung77; im übrigen wurden vor Baiern und Franken aus dieser Sprachgruppe keine Vertreter hier seßhaft, die nicht bereits mehr oder weniger geschlossen christianisiert waren, in der einen oder anderen Form. Wir sehen uns folglich in erster Linie auf die Kelten verwiesen. Sie haben vor den Römern beachtlich viele Jahrhunderte der Landesgeschichte bestimmt, und unter deren Herrschaft blieben sie ein wichtiges Substrat. Für die Anknüpfung des Torsos vom Silberberg waren sie schon einmal im Blick, wurden jedoch stillschweigend aufgegeben, ohne daß ihr Fall ausdiskutiert worden wäre78. Das war in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Inzwischen ist die Keltenforschung weit vorangekommen. Nicht nur die 76 G. Schramm, Eroberer und Eingesessene. Geographische Lehnnamen als Zeugen der Geschichte Südosteuropas im ersten Jahrtausend n. Chr., Stuttgart 1981, passim. Dazu M. Kuckenburg, Die Kelten in Mitteleuropa, Stuttgart/Darmstadt 2004, S. 9 f., und P. Gleirscher, Von den Anfängen künstlerischen Schaffens, bei Glaser (wie Anm. 70), S. 11–20. Zu alledem jedoch weiterhin L. Pauli, Die Herkunft der Kelten. Sinn und Unsinn einer alten Frage, in: Die Kelten in Mitteleuropa. Salzburger Landesausstellung 1980 in Hallein, 3. Aufl. Salzburg 1980, S. 16–24. 77 B. Maier, Götterbilder, in: (Hoops) Reallex.2 XII (1998), S. 289–293; vgl. T. Kapelle – B. Maier, Idole und Idolatrie, ebd. XV (2000), S. 325–330, sowie H. Hormann, Indiculus superstitionum et paganiarum, 1, g, ebd. XV (2002), S. 373 f. 78 Oben Anm. 69.
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Quantität, auch die Qualität des überblickbaren Fundbestandes hat sich verändert – wir verfügen über neue Urteilsgrundlagen. Sie haben auch für altbekannte Stücke wie die aus dem südfranzösischen Roquepertuse (bei Aix-en-Provence) zu veränderter Bewertung geführt – auch mit deutlicherem Einblick in Zerstörungspotentiale, die sich teilweise schon in vorrömischer und vorchristlicher Zeit gegen Kultbilder und ihren sakralen Umkreis gerichtet haben79. Die traditionelle Vorstellung von den Kelten als weitgehend barbarischer Völkerschaftsgruppe, die erst in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung unter mediterranen Einflüssen merklich über ein eher nur kunstgewerbliches Kulturniveau hinausgelangt sei, ist begraben. Wir haben mit eigenständigen Entwicklungen zu rechnen, die in lebhaftem Austausch mit hellenischen und etruskischen Anregungen schon in der sog. älteren Eisenzeit, spätestens im 6. Jh. v.u.Z., zu originären Hochleistungen vorzudringen vermochten. Als die Römer kamen, standen sie längst zumindest „an der Schwelle zur Hochkultur“80. Allerdings schritt diese Entwicklung schwerlich in allen Teilregionen gleich schnell und gleich weit voran, und sie ist nicht überall in gleicher Intensität zu belegen. Zeugen wie der sog. Krieger von Hirschlanden oder der Fürst vom Glauberg haben sich im Ostalpenraum bisher nicht gefunden. Der berühmte „Jüngling vom Magdalensberg“, ein Bronzewerk, hat sich als nicht ganz originalgetreuer Abguß einer aus Italien stammenden Weihegabe augusteischer Zeit erwiesen, erst in der Renaissance angefertigt81. Einschlägige Überlieferungen aus der Phase des ostalpinen Keltentums, die noch nicht von romanisierenden Tendenzen überdeckt war, sind rar. Manches, was früher überzeugt hierher gezogen
79 Den Fortschritt der Keltenforschung allein in den letzten 25 Jahren verdeutlicht bereits der Vergleich der Salzburger Landesausstellung von 1980 (s. Anm. 76) mit der hessischen von 2002 (Das Rätsel der Kelten vom Glauberg, Ausstellung Frankfurt/M. 2002, Stuttgart/Darmstadt 2002), ergänzt durch S. Sievers, Manching – die Keltenstadt, Stuttgart/Darmstadt 2003. Zum flg. weiter: Birkhan (wie Anm. 69); St. Zimmer (Hg.), Die Kelten, Mythos und Wirklichkeit, Stuttgart/Darmstadt 2004; Kuckenburg (wie Anm. 76); B. Maier, Die keltische Religion, München 2001, bes. S. 149–152; O.-H. Frey, Keltische Großplastik, in: (Hoops) Reallex.2 XVI (2000), S. 395–407 m. Taf. 20–22; A. Rapin, Die Großplastik in Südfrankreich und die keltische Kunst, in: Das Rätsel der Kelten vom Glauberg, S. 223–228 samt S. 320–324, Nr. 140, im anschließenden Katalogteil. – S. noch oben Anm. 2, unten Anm. 89. 80 Zusammenfassung: Kuckenburg, S. 108–115. 81 Hirschlanden: Ausstellung Glauberg, S. 317, Nr. 130 m. Abb. 191 f. (S. 210 f.). Glauberg: ebd. 262, Nr. 3,1 m. Abb. 70 f. (S. 106 f.). Magdalensberg: F. Glaser, Der Jüngling vom Magdalensberg, bei Dems. (Hg.), wie Anm. 76, S. 32–34 m. Abb. 11, vgl. Titelbild, S. 25; dazu Gleirscher, ebd., S. 22 f.
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wurde, bleibt in der Datierung so unsicher, daß eine zusammenfassende Darstellung, die sich auf klare Befunde gründen muß, davon keine Notiz mehr nehmen konnte82. Zu den Objekten, die dabei ausgeschieden blieben, gehören zwei merkwürdig proportionierte Becken, für deren Inanspruchnahme als keltisch je eine Dreizahl von Köpfen als vermeintlich typisches Merkmal mit herangezogen wurde83. Sie befinden sich in der Wallfahrtskirche auf dem Magdalensberg/Štalenska gora, also an einem Platz, für den eine herausragende Vorgeschichte in der Keltenzeit gesichert ist84. Ein Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses hat offenbar noch 1158 nicht bestanden; die Ersterwähnung fällt ins Jahr 126285. Die beiden Stücke können aus stilistischen Gründen weder damals noch später entstanden sein; wann, woher und wie sie in die Kirche gelangten, scheint unklar. Eins aus Stein, eins aus Bronze, dürften sie unterschiedlichen Zeiten entstammen. Die Proportionen weisen in beiden Fällen nicht unbedingt auf ursprüngliche Bestimmung als Tauf- oder Weihwasserbecken. Die drei Köpfe, die, gleichmäßig verteilt, beide Male die Außenseiten schmücken, wirken weder hier noch dort nach christlicher Symbolik. Doch auch der Gedanke an Römerzeitliches drängt sich nicht unbedingt auf. Die Annahme keltischer Provenienz mag sich unter diesen Umständen als Notlösung angeboten haben, doch auch sie überzeugt, wie angedeutet, nicht. Sollte sie trotz allem das Richtige treffen, so bleibt wieder bestehen: Die Dreizahl der Gesichter allein stellt noch keine Verbindung zum Torso von Silberberg her. Gleichartig gestaltete Häupter, in deutlichem Abstand voneinander plaziert und offenbar gleichrangig gemeint, bringen zweifellos eine andere Aussage als die Kombination, die diesen Torso prägt, mit unterschiedlicher Stellung und unterschiedlicher Größe der wiedergegebenen Gesichter.
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P. Gleirscher, bei Glaser (wie Anm. 76), S. 20–24, fällt daher durch geringen Umfang auf. 83 S. Anm. 68. 84 C. Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens I, Klagenfurt 1984, bes. S. 21–24; H. Dolenz, Magdalensberg, in: (Hoops) Reallex.2 XIX (2001), S. 124–130; Glaser (wie Anm. 76), bes. S. 121 f.; Ders., Der Name der Stadt auf dem Magdalensberg, in: Rudolfinum. Jahrb. d. Landesmuseums Kärnten 2003 (2004) S. 85–88; Ders., Heiligtümer im östlichen Alpenraum als Ausdruck lokaler Identität, bei A. Schmidt-Colinet (Hg.), Lokale Identitäten in Randgebieten des Römischen Reiches, Wien 2004, bes. S. 91–94 m. weiterer Lit. Grabungsberichte laufend in Carinthia I. 85 Erläuterungen zum historischen Atlas der österreichischen Alpenländer II/8, 2, Klagenfurt 1958, S. 116.
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Außerhalb Kärntens finden sich in keltischer Hinterlassenschaft zuweilen Einzelzüge, die an das Fundstück vom Silberberg anzuklingen scheinen. Sie sind weit verstreut. Jüngere Stücke zeigen einen Gesichtsumriß, der sich von der mehr birnenförmigen Gestaltung älterer Phase abhebt, aber er fällt dann rundlicher aus (z.B. bei einem „leierspielenden Barden oder Sängergott“ 2. Jh. v.u.Z. aus Saint-Symphorien bzw. Paule, Bretagne)86. Entfernt vergleichbare Knopfaugen finden sich bei einem Bronzefigürchen in einer Gruppe, die den Henkelansatz einer Schnabelkanne 5. Jh. v.u.Z. aus den Glauberg-Funden ziert87. Ein Goldpreßblech aus Ferschweiler (Eifel), das wohl einmal einem Trinkhorn appliziert war (um 400 v.u.Z.), präsentiert eine Kombination von Augenbrauen- und Nasenbereich, die anklingt88. So könnte man noch weiteres zusammensuchen. Doch dergleichen Parallelen wirken zufällig, nicht als Elemente eines übergreifenden Stils. Vor allem aber: Sie erscheinen in einfachen Gesichtszügen, nicht im Rahmen einer Komposition, wie sie das Besondere des Silberbergkopfes ausmacht und ihn bis auf weiteres isoliert. Oberflächliche Betrachtung mag noch auf die Dreikopfgottheiten verweisen, die in keltischem Gebiet reichlich greifbar sind89, Dabei wird dreierlei wenig beachtet: 1. Diese Gottheiten, die wir meist nicht sicher benennen können, erscheinen ausschließlich in Frankreich und Irland. Aus Deutschland, Österreich und anderen östlicheren Keltengebieten fehlt bisher jeder Nachweis. Eine Sonderentwicklung des Westens ist nicht auszuschließen. 2. Sie treten nur in später Phase auf, in Frankreich zu gallorömischer Zeit, obwohl Steinplastiken dort erheblich weiter zurückreichen.
86 Vgl. Birkhan, S. 328, Nr. 579, m. S. 420; Kuckenburg, S. 115; dazu Maier 2001, S. 151 m. Anm. 435 (S. 213). 87 Ausschnittvergrößerung im Glauberg-Katalog (oben Anm. 79), S. 82, zu Kat.-Nr. 1,1 (S. 242), vgl. Abb. 233–236 (S. 243–245). 88 Ebd., S. 45, Abb. 24, zu Kat. Nr. 63 (S. 286); zur Applikation zu vergleichen Abb. 293 (S. 279). 89 H. Haas (Hg.), Bilderatlas zur Religionsgeschichte, 17. Lieferung: Religion der Kelten, von W. Krause, Leipzig 1933, S. IX, § 16 m. Abb. 40–47; J. de Vries, Keltische Religion, Stuttgart 1961, S. 158–163 (mit Verbreitungskarte), vgl. S. 45 u. 144; J.-J. Hart, Mythes et dieux de la Gaule I, Paris 1989, S. 243–242 (zahlreiche Abbildungen!); B. Raftery, Pagan Celtic Ireland, London 1994, S. 185 f. m. Abb. 73; Birkhan, S. 31; ergänzend Brather (wie Anm. 14), S. 502 f., § 3: Kelten, mit reicher Lit., und Maier (wie Anm. 79), S. 151 m. Anm. 437.
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Abb. 5. a) Dreigesichtiger Götterkopf aus Corleck, Co. Cavan (Irland), Granit, keltisch-eisenzeitlich. Nach Raftery (wie Anm. 89), S. 186 Abb. 73. b) Dreigesichtiger Götterkopf, aus Reims, keltisch (gallorömisch), Marmor, 2. Jh. n.u.Z.; angeblich unkorrekter Abguß nach einem im Ersten Weltkrieg verschollenen Original. Nach H. Biedermann, Knaurs Lexikon der Symbole, München 1989, bzw. Augsburg 2000, S. 102. Slika 5. a) Triobrazna glava božanstva iz Corlecka, Co. Cavan (Irska), granit, keltsko-železnodobno. Po: Raftery (kot op. 89), 186 slika 73. b) Triobrazna glava božanstva iz Reimsa, keltsko (galorimsko), marmor, 2. st. n. št., baje neustrezen odlitek originala, ki je bil pogrešan v prvi svetovni vojni. Po: H. Biedermann, Knaurs Lexikon der Symbole, München 1989, oz. Augsburg 2000, 102.
3. Die Köpfe oder Gesichter sind mit einer Ausnahme wie bei Darstellung der christlichen Trinität auf gleicher Ebene nebeneinandergesetzt, jedoch meist mit unterschiedlicher Blickrichtung (Abb. 5 a, b). Die Ausnahme liefert eine Bronzefigur aus Autun, sitzend in Buddhaposition, mit Spuren eines abgebrochenen Geweihs am Hauptkopf, das an sonst bekannte Cerunnos-Darstellungen denken lässt; über jedem Ohr erscheint ein weiterer, erheblich kleinerer Nebenkopf, nach der betreffenden Seite gewendet, so daß sich auch hier drei verschiedene Blickrichtungen ergeben. Für diese schwer deutbare Gestaltung wird mit „Vermischung zweier Göttertypen“ gerechnet, die einen „besonderen Typus“ für sich zustande brachte90. Eine Kombination von mehreren Gesichtern an einem einzigen Kopf, mit durchweg gleicher Bickrichtung, ist keltisch bisher
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Krause, wie Anm. 89.
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nirgends aufgetaucht. Wie wenig all jene Beispiele ihr entsprechen, ist unübersehbar. Kurz: Die Anknüpfung an Keltisches steht für das Kärntner Fundstück auf schwachen Füßen. Sie hält aber auch mit der allgemeinen Entwicklung der Kunstgeschichtsforschung im Lande nicht Schritt. Die Auffassung, noch unter dem Deckmantel des Römischen habe „keltische Volkskunst“ im alten Noricum intensiv fortgewirkt und die Formgebung maßgeblich beeinflußt, ist einer wesentlich differenzierteren Betrachtung gewichen91. Bevölkerungsmischung, unterschiedliche Finanzlage von Auftraggebern, Wanderhandwerker auch auswärtiger Herkunft und anderes mehr werden jetzt stärker als früher in Rechnung gestellt. Der Torso vom Silberberg aber gehört, schon weil er ein Marmorwerk repräsentiert, schwerlich noch in vorrömische Zeit. Ältere Kunstschöpfungen aus diesem Material wären noch nachzuweisen. An ein Wiederaufleben keltischer Kunstübung im Ostalpenraum nach dem Zusammenbruch des antiken Imperiums aber hat noch niemand zu denken gewagt. All das aber heißt: Als einzige Möglichkeit, die sinnvoll weiter diskutiert werden kann, bleibt wider Erwarten und trotz allem, was gegen sie zu sprechen scheint, die slawische. Sie muß eingehender geprüft werden, als dies bisher geschah. 6. Der Torso vom Silberberg – ein Relikt vorchristlichen Slawentums von überregionaler Bedeutung Als slawische Gruppierungen im Ostalpenraum eine neue Heimat fanden, hatten sie bereits zahllose Meilen römischen Reichsgebietes durchquert. Sie kamen aus christianisierten Landschaften in christianisiertes Gebiet. Was fanden sie vor? Es gab eine ausgebaute katholische Kirchenorganisation – wie weit außerdem die arianische fortlebte, wissen wir nicht. Ein Netz von Bischofssitzen überzog das Land. Sie wurden offenbar noch immer besetzt – der von Odoakar veranlaßte Exodus der Romanen, d.h. ihrer Oberschicht mitsamt Dienstvolk, hatte lediglich Ufernoricum betroffen. Wallfahrtsorte lockten mit besonderer Beute. Das Niederkirchenwesen 91 Vgl. im Abschnitt: Römische Kunst, bei Glaser 1998 (wie Anm. 70), S. 26–29 und weiter, sowie S. 45–47, in den Beiträgen von S. Ladstätter und G. Gruber.
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läßt sich nur lückenhaft rekonstruieren; es dürfte gleichfalls noch leidlich intakt gewesen sein. Die Kunst der Kirche hatte sich antithetisch gegen die der antiken Religionen entfaltet. Sie war extrem statuenfeindlich. Der Schmuck ihrer Gotteshäuser beschränkte sich bewußt auf Mosaike und Freskenmalerei, auf Bas-Reliefs (vorwiegend mit ornamentalen Motiven, die Spielraum für symbolische Deutugen ließen) und die Ausgestaltung bauplastischer Elemente wie Säulen und Kapitelle (gleichfalls mehr ornamental gehalten). Noricum machte darin keine Ausnahme92. Was von antiken Tempeln noch stand, entzieht sich wieder unserem Einblick. Götterbilder der alten Religion haben sich in begrenztem Umfang erhalten, meist im Boden93. So weit wie möglich wurden sie im Zuge der Christianisierung zerstört – im alten Heiligtum des Mars Latobius auf dem Burgstall bei St. Margarethen-Etterndorf nahe St. Paul i. L./Št. Pavel v Labotski dolini fanden sich Gruben mit entsprechenden Fragmenten94. Öffentliche Kulthandlungen, in deren Mittelpunkt sie gestanden hätten, dürften längst nicht mehr möglich gewesen sein; was etwa im Verborgenen noch nachlebte, wird man sich wenig eindrucksvoll vorstellen müssen. Die Einwanderer sind wohl, nachdem gewisse Hemmschwellen abgebaut waren, mit den Alteingesessenen in synkretistischen Austausch getreten95. Anregungen, um Kultbilder neu zu entwickeln, ließen sich aus dieser Richtung schwerlich beziehen. Haben diese Slawen jemals solche besessen, bis auch ihre Christianisierung dem ein Ende setzte, 92 Zur Kirchenorganisation die Lit. bei Kahl 2002 (wie Anm. 42), S. 215 Anm. 441, dazu F. Glaser, Frühes Christentum im Alpenraum. Eine archäologische Entdeckungsreise, Regensburg/Darmstadt 1997, passim, samt den entsprechenden Abschnitten des Sammelwerks von Dems. (wie Anm. 70). Vgl. K. Czerwenka-Papadopoulos, Die Entwicklung der vorromanischen Architektur und Bauplastik in Kärnten, bei F. Nikolasch (Hg.), Studien zur Geschichte von Millstatt und Kärnten, Klagenfurt 1997, S. 39–78 (Aus: Symposium zur Gesch. v. Millstatt u. Kärnten 1987); R. Pillinger, Die malerische Innenausstattung frühchristlicher Kirchen in Noricum, bei E. Boshof – H. Wolf (Hgg.), Das Christentum im bairischen Raum von den Anfängen bis ins 11. Jh., Köln-WeimarWien 1994, S. 231–240, sowie die entsprechenden Abschnitte bei Glaser 1998. 93 G. Piccotini, Die Römer in Kärnten, Klagenfurt 1989, passim; Gruber bei Glaser 1998, S. 48–56. 94 Piccotini, S. 40. 95 H.-D. Kahl, Zwischen Aquileia und Salzburg. Beobachtungen und Thesen zur Frage romanischen Restchristentums im nachvölkerwanderungszeitlichen BinnenNoricum, in: Denkschr. d. Öst. Akademie d. Wiss., phil.-hist. Kl. 145 (1980), S. 61–73; zustimmend H. Mordek – M. Glatthaar, Von Wahrsagern und Zauberern. Ein Beitrag zur Religionspolitik Karls d. Gr., in: Arch. f. Kulturgesch. 75 (1993), S. 55, Anm. 20, und Pleterski 1997, Anm. 210, bzw. 1994, S. 306 (beide oben Anm. 51).
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so ist für deren Entwicklung kaum an etwas anderes zu denken als an Impulse von innen heraus, aus mitgebrachten Traditionen. Die erhaltenen Bestände altslawischer Kultplastik wurden durchmustert96. Es fanden sich verschiedene Formen von Mehrköpfigkeit. Häufig erschien – gerade hier nicht unwichtig – ein ausgeprägter Schnurrbart. Der Torso aus der Friedhofsmauer von St. Martin reiht sich auch hier nirgends ein. Allerdings besitzen wir in diesem Falle, anders als für die Kelten, auch schriftliche Überlieferungen, und dabei ist als Merkwürdigkeit festzuhalten: Sie berichten, und für verschiedene Gegenden, von einem Gott Triglav, was einfach „der Dreiköpfige“ heißt; erhalten aber sind nach bisheriger Kenntnis lediglich Beispiele mit einem Haupt, mit zweien und mit vieren. Unser Einblick ist also, was die gegenständliche Überlieferung angeht, nachweislich begrenzt. Andere erzählende Quellen zeigen, daß es bei den Slawen noch weitere Idoltypen gegeben hat, von denen wir sonst nichts wissen. Am wichtigsten ist ein Däne, Saxo, Domherr zu Lund, der um 1200 eine umfangreiche Chronik verfaßte. Darin schildert er ausführlich die Eroberung der damals slawischen Insel Rügen und die Zerstörung ihrer Kultstätten im Jahre 1168. Offensichtlich besaß er ungewöhnlich gute Informationen, sei es von Augenzeugen seiner Elterngeneration, sei es, daß er als sehr junger Mensch persönlich beteiligt war. Zahlreiche erstaunlich konkrete Details könnten eher auf das zweite deuten, aber wir wissen es nicht97. Hier kommt es auf die Beschreibung der Kultstatuen an, die die Sieger damals vernichteten. Sie waren sämtlich aus Holz, während das sonst verstreute Fundmaterial auch Exemplare aus Stein bietet. Der Hauptgott, Swantewit, fand sich mit vier Köpfen und entsprechend vielen Nacken dargestellt (quatuor capitibus totidemque cervicibus), je zwei Häupter auf Brust- und Rückenseite, das aber so, daß von jedem dieser Paare ein Teil nach rechts schaute, eins nach links (unum dextrorsum, alterum leuorsum) – Saxo mag diagonale Blickrichtungen meinen. In anderen Fällen wird nicht von Häuptern gesprochen, sondern von Gesichtern. Ein Idol, dem Rugievit gewidmet, zeigte den Gott mit sieben, wie betont wird: menschenähnlichen, sämtlich unter einem einzigen Scheitel
96
Oben, 2. Abschnitt. R. Volz, Saxo Grammaticus, in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), Sp. 1422 f. vgl. flg. Anm. Deutsche Übersetzung der Berichte bei A. Haas, Arkona im Jahre 1168, 2. Aufl. Stettin 1925, S. 11–35, mit kommentierenden Anmerkungen; die religionsgeschichtlich wichtigen Partien auch bei C. H. Meyer (wie Anm. 8), S. 48–56; deutsch bei Brückner (wie Anm. 8), S. 8–13. 97
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(in eius capite septem humanae similitudinis facies . . . que omnes unius uerticis superficie claudebantur, wörtlich: „vom Gipfelpunkt eines einzelnen Scheitels“ – einer der Pleonasmen, an denen der schwülstige Stil dieses Autors reich ist – „abgeschlossen“ oder „abgerundet“). Porenut war mit vier Gesichtern ausgestattet (ungesagt, in welcher Anordnung) und einem weiteren auf der Brust (pectori insertam); Poreuit schließlich erschien fünfköpfig (quinque capitibus consitum), auch wieder ohne nähere Angaben98. Von den Gestaltungen, die Saxo aufzählt, ist gleichfalls keine erhalten. Sie vergingen in den Feuern der Sieger. Auf den ersten Blick wirken seine Angaben phantastisch bis zur Unglaubwürdigkeit. Doch der Torso vom Silberberg, sonst isoliert, schließt bruchlos an sie an – nicht an die vorherrschende Mehrköpfigkeit, doch an die Mehrzahl von Gesichtern eines einzigen Kopfes und wenig unterhalb. Die Wendung vom „Gipfelpunkt eines einzigen Scheitels“, durch den sie „abgeschlossen“ wurden, ist, von der vorausgehenden Zahl abgesehen, fast eine Beschreibung des Torsos, und er seinerseits vermittelt eine Vorstellung, wie etwa die Gesichter des Rugievit unter seinem Scheitel vereint gewesen sein könnten – eine Vorstellung, die für ihre so erstaunliche Siebenzahl bisher fehlte. Das Kärntner Fundstück liefert damit den ersten und bisher einzigen archäologischen Hinweis, daß der Domherr aus Lund seine Details nicht einfach aus der Luft gegriffen hat, um die „Barbarei“ des „heidnischen Unflats“ drastisch zu untermalen; es erscheint neben ihnen als eine Variante wohl älterer Zeit, die noch weniger Anlaß sah, ursprüngliche einfachere Formen durch Massierung künstlich zu übertrumpfen. Beide, bisher nur je für sich betrachtet, beleuchten und erhellen sich gegenseitig. Das Gebilde aus St. Martin stimmt jedoch – vorausgesetzt, die erhaltene Dreizahl seiner Gesichter ist vollständig – merkwürdig auch zu einer weiteren Nachricht, festgehalten durch den Bamberger Benediktiner Ebo von Michelsberg in den 1160er Jahren. Danach hatten die Triglawpriester in Szczeczin/Stettin, damals Hauptort der pomoranischen Slawen, dem dort missionierenden Bischof Otto von Bamberg etwa 1128 erklärt, dieser ihr Hauptgott sei mit drei Häuptern
98 Saxo, Gesta Danorum XIV, 39 u. 41 (ed. J. Olrik – H. Raeder, Hauniae 1931–1957, Bd. I, S. 465, 5 ff.; 472, 2 ff. 20 ff.); vgl. bei Meyer, S. 8 u. 12, ferner Haas, S. 12 f. u. 32 f.; Brückner, S. 10 u. 12, je mit anderer Übersetzung. – Schon Helmold betont, c. 84 (S. 288, 23 f.): Multos etiam (Slavi) duobus vel tribus vel eo amplius capitibus exsculpunt; vgl. bei Meyer, S. 45; Brückner, S. 6.
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wiedergegeben, weil er drei Reiche regiere: das des Himmels, das der Erde und die Unterwelt (tria . . . regna, id est coeli, terrae et inferni)99. Wie seine kostbar ausgestattete Skulptur aussah, wissen wir nicht, und der Silberbergtorso zeigt statt drei Köpfen drei Gesichter. Aber ein Bild, in dem Augenpaare auf drei verschiedenen Ebenen erscheinen, zu einer übergreifenden Einheit zusammengefaßt, mit angedeuteter Minderstellung der beiden unteren – das wird einer solchen Konzeption gerecht, wie es besser kaum vorstellbar ist. Ein zweites Mal ergibt sich zwischen dem Marmobild aus dem nördlichen Kärnten und einer Schriftquelle zur slawischen Religionsgeschichte ein Verhältnis wechselseitiger Erhellung, wie es anderweitig bisher für keine der beiden Seiten gegeben war, und für die zunächst so befremdliche Darstellung auf dem Bildstein erwacht eine Ahnung von möglichem Sinn, von der nicht abzusehen ist, wie sie anderweitig erreicht werden könnte. Dabei kehren die drei Zonen bildhaft noch an anderer Stelle wieder: auf der Kalksteinstele aus dem Zbruč(Abb. 1)100. Die oberste gehört dort unverkennbar dem Weltengott selbst. Sein Bild, übermächtig in der Dimension, krönt das Ganze und bildet zugleich seinen Hauptteil, nach jeder der vier Schauseiten in gleicher Weise. Die Mittelzone, ihm unmittelbar untergeordnet, zeigt sich durch tanzende Menschlein bestimmt, wohl in kultischem Reigen, der ihn feiert. Unter einem etwas stärkeren Trennungsstrich erscheint dann, nur dreiseitig erhalten, jeweils eine hockende Gestalt, immer in gleicher Stellung, doch mit ungleich groß geratenen Köpfen (Hinweis auf wechselnde Machtstellung im Jahreskreis?), stets aber mit einem mächtigen Schnurrbart, den nicht, wie bei den Kelten, ein Vollbart ergänzt. Das mag, wenn hier einmal die Phantasie spielen darf, ein Herr der Unterwelt sein, begrenzt in seiner Machtvollkommenheit, nicht ohne Möglichkeiten der Einflußnahme, doch auf seine Weise gleichfalls dem höchsten Herrn untergeordnet – Volos/Veles, den Perun immer wieder neu im Kampf besiegt? So weit die Komposition dort. Sagt nun der Kopf vom Silberberg mit anderen Ausdrucksmitteln letztlich dasselbe? Vertritt das kleine Gesicht auf der einen Wange die Menschenwelt, die der Allgott mit umfängt, analog den Reigentänzern aus dem Zbručgebiet? Entspricht das dritte,
99 Ebo, Vita Ottonis ep. Bamb. III, 1 (ed. Ph. Jaffé, Bibl. Rer. Germ. V, Berlin 1869, S. 651; auch bei Meyer, S. 35 f.; vgl. Brückner, S. 15 f.) Nicht vorgelegen hat die Neuausgabe von J. Wikarjak – L. Liman, in: Monumenta Poloniae Historica, N. S. VII/2, Kraków 1969). 100 Oben bei Anm. 14–16 sowie 24.
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unter die markante Kinnlinie auf den Hals plaziert, dem unterirdisch Hockenden auf der ukrainischen Stele? Immerhin scheint es, daß an der Bruchstelle sich gerade noch ein Schnurrbart abzeichnet, wie er an jenem Gegenstück so unverkennbar erscheint. Man wird zögern, diese Fragen eindeutig zu bejahen, doch unterdrücken lassen sie sich schwer – schließlich weisen sie auf ernstzunehmende Möglichkeiten hin, und so dämmert auch hier für das Fundstück aus Kärnten von slawischem Vergleichsmaterial her Ahnung von einer Sinngebung auf, wie sie sonst bisher ausblieb. Sollte das alles bloß Zufall sein? Ich sehe keine Erklärung als die, daß die zitierten Quellenaussagen und der Torso vom Silberberg sämtlich Ableger einer gemeinsamen Tradition darstellen, deren Kern in eine weite Vorzeit zurückreicht – vor die Auflösung der usprünglichen slawischen Siedlungseinheit. Und ich fühle mich damit nicht beteiligt an einem „Rückfall in mythologische Geschichtsschreibung“, sondern glaube, auf einer sauberen wissenschaftlichen Argumentation zu fußen, die auf klaren Befunden aufbaut und nachvollziehbar ist. Man mag noch einwenden, der Torso zeige zu wenig stilistische Verwandtschaft mit nachweislich slawischen Statuen und Stelen bisheriger Kenntnis. Doch stößt man nicht auch innerhalb des damit umschriebenen Kreises auf erhebliche Verschiedenheiten? Was verbindet die Stele vom Zbruč mit der Holzfigur von Friesack oder dem Doppelkopf von der Fischerinsel101 – was auch nur diese beiden, sehr viel weniger weit voneinander entfernt, miteinander? Die Völkerwanderungszeit hatte es möglich gemacht, daß Slawen in vordem unvorstellbarem Maße ausschwärmen konnten; sie standen schließlich zwischen skandinavischen, steppennomadischen (also teils iranischen, teils turkomongolischen), provinzialromanischen, balkanischen und sonstigen Einflüssen. Keiner dieser Einflüsse vermochte auf ihre Gesamtheit zu wirken, und hinzu trat die Aufnahme unterschiedlicher Substrate102. Speziell die Karantanen waren kein alter, geschlossener Stammesverband, schon als solcher eingewandert; sie waren erst nachträglich im Lande entstanden aus unterschiedlichen Splittern slawischer Herkunft, bei denen die Führung lag, und weiteren, die durch die Neuankömmlinge überschichtet worden waren: Provinzialromanen mit keltischem Substrat, auch wohl 101
Oben bei Anm. 16 bzw. 21. Vgl. A. Pleterski, Modell der Ethnogenese der Slawen auf der Grundlage einiger neuerer Forschungen, bei Z. Kurnatowska (Hg.), Słowiańszczyzna w Europie I, Wrocław 1996, S. 19–37, bes. S. 35. 102
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Völkerwanderungsgermanen, darunter Gotenreste aus dem Theoderichreich. Sie alle waren wohl auf dem Wege, ein geschlossener Stamm im Sinne der Vorstellungen zu werden, die wir heute mit diesem Begriff zu verbinden pflegen, doch die Geschichte ließ ihnen keine Zeit zur Vollendung103. Wenn sich in ihrer Kunstübung Sonderformen ausbilden konnten, von denen dieser Torso als für uns bisher singuläres Denkmal eine repräsentiert, so hätte dies nichts Verwunderliches. Längst ist festgestellt worden, daß es, solange ihr Staatswesen als eigenständiges Gebilde bestand, nicht zur Ausbildung eines einheitlich karantanischen Formenschatzes gekommen ist104. Sehr viel mehr Wert als auf Verschiedenheiten, die den SilberbergTorso von bisher bekannten Idolen des vorchristlichen Slawentums abheben, möchte ich daher auf etwas anderes legen: Er weist keins der Merkmale auf, die oben vom Gesamtbestand dieser Denkmäler her als offenbar nichtslawisch herausgestellt wurden. Der Künstler hat ausschließlich mit anthropomorphen Formelementen gearbeitet. Seine Schöpfung mag primitiv geblieben sein, doch nirgends streift sie das Groteske und Bizarre. Sie bietet ein Gegenbild zu dem Beispiel aus Zadel, das uns vorher beschäftigt hat (Abb. 3)105. Im übrigen haben wir bis 1969 auch nicht gewußt, daß zu den Gestaltungsmöglichkeiten slawisch-religiöser Kunst auch ein Nebeneinander zweier Köpfe gleicher Blickrichtung auf gemeinsamem Oberkörper gehörte, wie es dann die Fischerinsel so eindrucksvoll demonstrierte (Abb. 2). Der Torso vom Silberberg schließt hier als neue Überraschung an, und wer weiß, ob wir nicht auf weitere gefaßt sein müssen. Die gleichartige Ausrichtung der Augenpaare, die beiden Schöpfungen gemeinsam ist, im Unterschied auch zu längst schon Bekanntem wie dem Swantewit von Arkona, verdient jedenfalls Beachtung. Ich bleibe also dabei: Was der Einsturz der Friedhofsmauer auf dem Kärntner Silberberg preisgegeben hat, dürfte nichts anderes sein als ein karantanisches Erzeugnis, das auf seine Weise eine (nicht die!) vorchristlich-slawische Tradition repräsentiert. Seine Entstehung wäre
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S. unten bei Anm. 114–115. E. Szameit, Merowingisch-karantanisch-awarische Beziehungen im Spiegel archäologischer Bodenfunde des 8. Jh.s, in: Neues aus Alt-Villach. Jahrbuch 31 (1994), S. 11; vgl. Dens., Frühmittelalterliche Siedlungstätigkeit im Ostalpenraum und der Nachweis von Slawen im Lichte archäologischer Quellen, in: Acta Histriae II (1994), S. 300 f.; Ders., Die Karantanen und Donauslawen im 8. Jh., in: Hunnen und Awaren. Begleitbuch und Katalog zur burgenländischen Landesausstellung 1996, S. 321. 105 Oben bei Anm. 29–30, dazu der Text nach Anm. 27. 104
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damit auf das 7. oder 8., allenfalls noch 9. Jh. eingegrenzt, denn von späterem Aufflackern der alten Religion ist nichts bekannt, und auch die dann gegebenen Rahmenbedingungen lassen es nicht mehr erwarten. Weitere Datierungshinweise gehen uns ab. Die Fundumstände enthalten sie uns vor. Eine Alternative zum formulierten Vorschlag ist einstweilen nicht auszumachen. Was damit insgesamt zunächst für dieses eine Denkmal entwickelt wurde, kann nicht den Anspruch erheben, ein erwiesenes Faktum zu sein. Doch es spricht dermaßen vieles dafür, daß ich diese Lösung für wahrscheinlich halten muß. Sie bleibt Hypothese, doch mehr zu entwickeln verbietet der Zustand des Quellenmaterials und die geschilderte Ausgangsposition – für abweichende Stellungnahmen nicht weniger als für den dargelegten Vorschlag. Die religionsgeschichtlichen Konsequenzen, die sich ergeben, wenn ich recht behalte, sind nicht zu unterschätzen. Die Fragwürdigkeit der Quellenlage, die oben als Möglichkeit auftauchte106, bestätigt sich. Das Schweigen unserer Gewährsleute für den Gesamtraum von der Havel bis weit über die Drau nach Süden hin über slawische Kultbilder, allein Böhmen ausgenommen107, ist trügerisch. Es spiegelt nicht in erster Linie eine Realität, in der Missionare keine entsprechenden Objekte vorfanden, sondern vielmehr eine Mentalität karolingerzeitlichen Kirchentums, das dergleichen „heidnischen Unflat“ auszurotten wünschte, doch nicht geneigt war, über ihn näher zu berichten: schlimm genug, daß es ihn überhaupt gab. Die einstige Existenz von slawischen Kultbildern muß auch für den damit berührten Bereich grundsätzlich als möglich erachtet werden. Für Kärnten ist sie durch den Torso vom Silberberg, wenn nicht alles täuscht, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt; für ein zweites Beispiel, einen merkwürdigen Doppelkopf aus Sandstein von Mösel am Oberwietingberg, im Görtschitztalbereich, ist die Diskussion aufgenommen108. Für beide Plätze stellt sich damit zugleich die Frage, ob sich an ihrer Stelle womöglich einmal ein vorchristlich-slawischer Kultplatz befand. Hat das Gotteshaus von St. Martin die Nachfolge eines solchen angetreten?
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Oben bei Anm. 52–67. Oben bei Anm. 16. 108 P. Gleirscher, Ein Doppelkopf über Mösel bei Wieting im Görtschitztal (Kärnten): Provinzialrömische Volkskunst oder slawisches Götterbild? in: Archäologie Österreichs 8 (1997), S. 62–64; vgl. Dens. (wie Anm. 70), S. 150. Dazu Kahl 2002 (wie Anm. 42), S. 298. 107
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Allenfalls Grabungen könnten dies klären, doch die Ruhe der Toten auf dem Friedhof hat Vorrang. Wie die karantanischen Slawen solche Kultbilder nannten, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Selbst was urslawische Bezeichnung war, ist, wie bemerkt, durch die Christianisierung verdunkelt109. Wir vermögen nicht einmal mehr zu bestimmen, wie die dargestellte Gottheit zu nennen wäre. Die Dreizahl der erhaltenen Gesichter kann leicht dazu verleiten, an den Namen zu denken, den Ebo für das pomoranische Beispiel angibt, und dieser paßt auffälig zu dem des höchsten Berges der Julischen Alpen, keine 100 km vom Fundort entfernt. Doch das darf uns nicht zu einem Kurzschluß bringen. Zunächst besteht, wie schon erwähnt, die Ungewißheit, ob die Dreizahl erhaltener Gesichter dem ursprünglichen Zustand der Stele oder Statue entspricht. Überlieferungen, die um diese Zahl zentriert waren, schienen hilfreich bei den vorgelegten Interpretationsversuchen. Das mag verstärkend in ihre Waagschale fallen. Doch wir sind nicht befugt, uns darüber hinwegzusetzen, daß das verfügbare Fragment oberhalb der dritten Mundpartie abbricht. Saxo erwähnt ein Beispiel, bei dem zu einer Mehrzahl von Gesichtern, gemeint vermutlich: am Kopf, ein weiteres auf der Brust hinzutrat110. Also kein Triglaw. Gibt es Ersatz? Nein. Slawengötter wechseln ihre Namen mindestens zu den Zeiten, in die Ebo und Saxo uns Einblick vermitteln, von Ort zu Ort; sind es Hauptgötter, von Zentrum zu Zentrum, über oft kaum mehr als ein oder zwei Tagereisen hin. Dabei zeigt sich: Neben- oder Untergötter in abhängigen Orten tragen, wie sich besonders an den rügenschen Beispielen ausführen ließe, echte Eigennamen. Die Hauptgötter aber werden mit Ausdrücken belegt, die im Grunde nichts als ursprüngliche Beinamen sind, Hinweise auf Äußerlichkeiten bildlicher Darstellung (wie eben Triglaw) oder auf Eigenschaften wie „Starke Kraft“ (falls man Swantewit so wiedergeben darf). Längst wurde geltend gemacht, daß diese Gottheiten letzlich nichts anderes waren als jüngere Erscheinungsformen, regional verschieden entwickelt, des gleichen älteren Svarožic111. Dieser war offenbar gegen 109
Oben bei Anm. 62–64. Oben bei Anm. 98. Stein Troglav in Krkavče (Slowenien) hatte nach der Volksüberlieferung drei Gesichter: J. Puhar – A. Pleterski, Krkavški Kamen v ustnem izročilu in v sklopu obredne prostorske strukture, Studia mythologica Slavica 8 (2005), S. 57–74. 111 So bereits A. Brückner, Slaven und Litauer, bei Chantepie de la Saussaye u.a., Lehrbuch der Religionsgesch. II, 4. Aufl, Tübingen 1925, S. 510 f. Fur Swantewit siehe: 110
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einen früheren Hauptgott (Perun?), der vor den Deutschen versagt zu haben schien, aufgestiegen als der Sieger im großen Slawenaufstand von 983; fromme Scheu mag allmählich das Aussprechen seines eigentlichen Namens gehemmt haben. Nichts aber spricht dafür, daß diese Entwicklungen noch auf die längst christianisierten Karantanen gewirkt haben könnten. Für sie deutet eine einzige, reichlich vage Spur noch auf eine Perun-Tradition112. Wie Perun dargestellt wurde, ob überhaupt, weiß niemand. Und kann, bei aller scheinbaren Berührung mit der zitierten Aussage Ebos, am Silberberg der karantanische Hauptgott gemeint sein? Das Hauptheiligtum jener Zeit befand sich offenbar im Bereich von Ulrichsberg/Šenturška gora und Karnburg/Krnski grad, von dem der Karantanenname abgeleitet scheint, und es zeichnete sich durch einen charakteristisch geformtenFelsblock aus, dessen damalige Bedeutung sich nicht mehr ergründen lässt – womöglich ohne daß noch ein besonderes Kultbild neben ihn trat113. Ob die dort verehrte Gottheit an anderer Stelle, noch dazu in dermaßen geringer Entfernung, nochmals in den Mittelpunkt gerückt wurde, darf man bezweifeln – Hauptgottheiten erscheinen nach unserer Kenntnis nur einmal innerhalb eines gentilen Herrschaftsgebietes. Kurz: Alles fordert Zurückhaltung, und wir bleiben auf umständliche Umschreibungen angewiesen wie eben „Torso vom Silberberg“. 7. Slowenisch? Alpenslawisch? Karantanisch? Es bleibt zu klären, wie wir das bemerkenswerte Fundstück einordnen sollen. Das nötigt zu nochmaligem Ausholen. Der Torso ist, wie gezeigt, slawisch, genauer alpenslawisch, und er kann nur aus der Karantanenzeit stammen. Ist er also ein Werk slowenischer Frühzeit? Noch vor nicht allzu langer Zeit hätte man dies in aller Unbefangenheit bejaht. Das geht so einfach nicht mehr. Fortschritte der ethnogenetischen Forschung, vor allem in den letzten Jahrzehnten, haben das Bild differenziert und auch längst Bekanntes in neue Beleuchtung gerückt.
R. Zaroff, The Origins of Sventovit of Rügen, Studia mythologica Slavica 5 (2002), S. 11. 112 Kahl 2002, S. 251, vgl. 231, 240 u. 279 Anm. 577. 113 Ebd., S. 68–71 sowie 222–257, vgl. 419–421.
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Wir hatten zu lernen, daß biologische, sprachliche und sonstige kulturelle Erbgänge sich nicht derartig unkompliziert im gleichen Rhythmus vollziehen, wie man seit Herder und den romantischen Volkstumsideen denken konnte. Dies mag für Kleinstämme gegolten haben, in hypothetischer Urzeit, in die uns konkreter Einblick verwehrt ist. Sämtliche Volksgruppen, Völker und Nationen im Europa von heute sind Ergebnisse historischer Entwicklungen, die immer wieder über biologische, sprachliche und sonst gewachsene Zusammenhänge hinweggingen, auch wenn nachträglich meist wieder Ausgleichstendenzen wirkten. Wanderbewegungen machten sich geltend, von Groß- oder Kleingruppen wie von Einzelpersonen; Substrate und Superstrate traten in Austausch, wuchsen zusammen, und ein Problem für sich bleiben ethnische Selbstzuordnungen, bei denen es durch die Jahrhunderte hin zu mannigfachen Wechseln kommen kann114. Die Franzosen von heute sind Spracherben romanisierter Kelten, deren Eigenidiome erloschen sind, während die biologische Substanz fortwirkt, unentwirrbar durchmischt mit Andersstämmigen, die nach und nach zusätzlich ins Land kamen bis zu jenen Skandinaviern, nach denen das “Nordmannenland” Normandie neu benannt wurde; den Namen tragen sie, abgewandelt, von den Franken, einer germanischen Völkerschaft, die gleichfalls nicht mehr besteht – neben der gemeinsamen Hochsprache hielten sich in Randgebieten nichtromanische Volksmundarten, von denen das Baskische aus vorkeltischer Periode besonders hervorgehoben sei. Die Deutschen sind Spracherben germanischer Stämme, darunter eines anderen Teils jener Franken; im Nordwesten wohl wenig von zusätzlichen Elementen durchsetzt, im Süden mit Keltoromanen auch wieder anderer Stämme als älterem, assimiliertem Substrat, weiter östlich mit slawischem, das später einbezogen wurde. Sie tragen nicht den Namen eines alten Ethnicums: Ihre Selbstbezeichnung heißt im Grunde etwa „zum Volk gehörig“, ursprünglich gemeint im Gegensatz zu den Romanen im übergreifenden Frankenreich – er legte die zusammenfassende Bezeichnung nahe, für welche sonst schwerlich schon Bedarf bestand. In Randgebieten haben Elsässer, Deutschschweizer, Österreicher und andere sich nachträglich abgelöst und auf andere Wege begeben. Sie reden, zumindest mundartlich, weiterhin „deutsch“, doch „Deutsche“ 114
Grundlegend: R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln-Graz 1961 = Köln-Wien 1971, vgl. Register, S. 655, s. v. Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung. Weiteres bei Kahl 2002 (wie Anm. 42), Register, S. 551, s. v. Wechsel.
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im Sinn der Nation sind sie nicht mehr. Leicht ließen sich Beispiele mehren. Sie finden sich auch im Ostalpenraum. Die Karantanen standen unter Führung von Slawen, die mit der Einwurzelung in ihren neuen Heimatraum zu Alpenslawen wurden. Sie trugen einen Namen, der auf slawische Weise gebildet, doch an einen vorgefunden geografischen Begriff einer älteren Landessprache angeknüpft erscheint; er wurde also nicht von einem bestehenden Ethnicum mitgebracht – slawisch oder nicht –, und das heißt: Diese Völkerschaft entstand erst nach der Slaweneinwanderung als neue Einheit im Lande selbst. Dies geschah unter Beteiligung alpenromanischer und alpengermanischer Elemente z.B. gotischer Herkunft, die die Zuwanderer überschichtet hatten. Im Rahmen des sie alle umfassenden Staatsgebildes bahnte sich eine neue Ethnogenese unter slawischem Vorzeichen an. In diesen Rahmen und damit in diese Ethnogenese waren jedoch nicht alle Gruppierungen einbezogen, die durch die großen Wanderbewegungen zu Alpenslawen geworden waren. Andere blieben noch unter awarischer Herrschaft und wurden auch nach deren Sturz nicht in das dann offenbar erweiterte Karantanien einbezogen. Noch 820 finden sie sich mit von außen geprägter, romanischer Fremdbezeichnung als Carniolenses benannt. Die Karawankengrenze blieb, bis nach dem Ersten Weltkrieg grundsätzlich neue Verhältnisse geschaffen wurden. 820: Das ist etwa die gleiche Zeit, in der die letzten Reste karantanischer Eigenständigkeit aufgehoben wurden. Denn die begonnene Ethnogenese kam nicht zur Vollendung. Expansionsbewegungen von Westen her, erst baierisch, dann fränkisch bestimmt, entzogen ihr die eigenstaatlichen Voraussetzungen und schwemmten zudem nochmals neue Bevölkerungselemente ins Land. Die Karantanen vererbten ihren Namen an ein neuartiges Kärnten, das allmählich auf den heutigen Umfang zusammenschrumpfte. Sie selbst gingen zum Teil in den neu entstehenden Deutschkärntnern auf, so, wie die gemeinsamen Nachkommen der ostseeslawischen Obotriten und niedersächsischer Zuwanderer zu deutschen Mecklenburgern wurden; zum anderen Teil blieben sie im Land, wie sie waren, und wurden schließlich von der neuen Ethnogenese der Slowenen mit erfaßt, die in früher Neuzeit von Süden herübergriff, ohne das altkarantanische Gebiet vollständing einzubeziehen, mit Schwerpunkt außerhalb, in der alten Krain, unter einer Bezeichnung, die den ursprünglichen Allgemeinbegriff „Slawen“ zu einem neuen Volksnamen präzisierte. Daß dabei keine klare Sprachgrenze zu gewinnen war, der die Staatsgrenze sich leicht anpassen ließ,
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schuf Probleme, mit denen zu leben nicht immer einfach ist. Sie sind hier nicht aufzugreifen115. Man sieht: Die altangenommene Deckung von „alpenslawisch“ und „slowenisch“ (mit „karantanisch“ als älterer Phase) kann nicht mehr gelten. Wir müssen sorgfältiger differenzieren. „Alpenslawisch“ erweist sich als ein Oberbegriff, der die beiden anderen einschließt, sofern man die Bewohner des Prek- oder Pomurje mit seinen Ausläufern pannonischer Ebenen einbezieht. „Karantanisch“ und „slowenisch“ gehören erstens verschiedenen Zeitstufen an, zwischen denen es keinen unmittelbaren Übergang gibt, und zweitens erstrecken sie sich auf unterschiedliche Gebiete, die sich nur teilweise überschneiden. Das sollte nicht verdrängt werden. Damit ist aber auch für den Torso vom Silberberg eine Entscheidung gefallen. Selbstverständlich ist er „alpenslawisch“, doch das ist nicht spezifisch genug. Innerhalb dieses weiteren Rahmens bleibt er „karantanisch“ – nicht ausdrücklich bezeugt, doch mit denkbar großer Sicherheit zu erschließen. Er gehört damit in die Kunstgeschichte der Kärntner beider Landessprachen von heute, die gemeinsam Nachfahren der Karantanen sind, unabhängig von weitergreifenden Verbindungen aus jüngerer Zeit, die für beide Teilgruppen in unterschiedlicher Richtung außerdem bestehen. Er ist ein Werkstück aus der Kunstgeschichte eines Landes, das, wie eine keltische, so eine karantanische Phase durchlaufen hat, und er trägt bei, dieser ein Profil zu verleihen, das sie vordem nicht besessen hat. Eine Einreihung, die bereits mehrfach vorgenommen wurde116, hat ihre Bestätigung gefunden. 8. Ergebnisse Wer ein Fundstück aus Kärnten als Überrest eines slawischen Kultidols ansprechen will, kann zunächst nur auf Unglauben stoßen. Weder Quellenlage noch Forschungsstand scheinen ihm entgegenzu-
115 Zu alledem Kahl 2002, S. 26–27, 59–78, 134–136, 401–412, 413 f., 417–419, 430–434, dazu 436–460, passim; zu ergänzen durch Dens., Slowenen und Karantanen. Ein europäisches Identitätsproblem, bei R. Bratož (Hg.), Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo II, Ljubljana 2000, S. 978–993 sowie E. Szameit, Zum archäologischen Bild der frühen Slawen in Österreich. Mit Fragen zur ethnischen Bestimmung karolingerzeitlicher Gräberfelder im Ostalpenraum, ebd., S. 507–544, bes. S. 508 f., 516–522, passim, und 531–534. 116 Vgl. Karpf und Gleirscher, wie Anm. 70.
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kommen. Vom Havelland bis über die Ostalpen hinaus konnte lange kein archäologisches Denkmal in den Blick gerückt werden, das diese Einordnung zuließ, und auch in den Schriftquellen fehlt es an Hinweisen, ausgenommen den fragwürdigen Fall der verhältnismäßig späten Domitianslegende aus Millstatt; die Suche nach neuen Belegen mußte ein Beispiel nach dem anderen verwerfen117. Doch wie verläßlich ist das Bild, das auf solchen Negativbefunden aufbaut? Ein Marmortorso aus St. Martin am Silberberg – ein Kopf mit drei Gesichtern gleicher Blickrichtung, ungleichrangig in ungewöhnlicher Anordnung – unterstreicht diese Frage (Abb. 4)118. Das Stück ist mit Sicherheit kein Denkmal christlicher Kunst, vor allem kein Trinitätssymbol119. Römerzeitlicher Ursprung scheidet schon aus stilistischen Gründen aus. Keltische Dreigesichter sind wohl bekannt, jedoch nur aus weit entfernten Gebieten und von völlig anderem Typ120. Germanisches Vergleichsmaterial kommt erst recht nicht in Betracht121. So scheint guter Rat teuer, denn auf den ersten Blick bietet auch der slawische Bereich im erfaßbaren Fundgut kein vergleichbares Gegenstück. Doch gerade hier bietet sich ein Ausweg, und anscheinend nur hier. Schriftquellen zeigen, daß für dessen Kultidole die Vielfalt der Typen größer gewesen sein muß, als die erhaltenen Bestände erkennen lassen. Was sie an Beschreibungen liefern, teilweise erstaunlich detailliert, scheint in bestimmten Zügen merkwürdig genau auf den SilberbergTorso zu passen, und ergänzende Texte liefern sogar Anknüpfunspunkte für eine inhaltliche Interpretation, obwohl Unsicherheitsfaktoren bleiben122. Hinzugenommen werden darf, daß für den karantanischen Bereich, der das heutige Kärnten einschloß, mit der Einwirkung von Substraten zu rechnen ist, die dort, wo bisher schon Kultbilder slawischer Provenienz auftauchten, keine Rolle spielten123. Das Ergebnis gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man die Geschichte der Christianisierung ins Auge faßt. Dabei hilft für die Gebiete, in denen es bisher an Indizien für vorchristlich-slawische Kultbilder fehlte, ein Blick auf kirchliche Stukturen. Von betroffenen ostkirchlichen Regionen 117 118 119 120 121 122 123
Oben, 3. Abschnitt. Ausführliche Beschreibung oben, 5. Abschnitt. Oben bei Anm. 72–75. Oben bei Anm. 77–91, vgl. Abb. s. Anm. 77. Oben bei Anm. 97–100. Oben bei Anm. 100–104.
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abgesehen, die hier aus dem Spiel bleiben müssen, handelt es sich ausschließlich um Teile einerseits der Kirchenprovinzen Mainz, Salzburg und Aquileia, andererseits des Erzbistums Magdeburg. Die ersten drei haben ihre Organisation abschließend unter Karl d. Gr. empfangen, jedenfalls für das Altsiedelland124; die zweiten erfaßten Markengebiete, die gegen den großen Slawenaufstand von 983 hatten behauptet werden können. Die Karolingerzeit besaß Sinn für ethnische Verschiedenheiten. Sie wurden rechtlich durch ihr Personalitätsprinzip fixiert, dessen praktische Handhabung in der wachsenden Durchmischung zumindest der Führungsschichten des Großreichs zu bekannten Schwierigkeiten führte; es ist wenig beachtet, daß damals – anders als offenbar schon in den ottonischen Eroberungsgebieten – auch Slawen nicht grundsätzlich von seinen Regelungen ausgeschlossen waren125. Religionskundliche Interessen für Fremdes lagen für diese Zeit jenseits des Horizonts. Alles, was nicht christlich oder wenigstens jüdisch war, sah sie interpretatione christiana als höllisches Blendwerk, mit dessen Spielarten man sich normalerweise nicht näher zu befassen hatte – gleich, ob es sächsisch, ob es slawisch war (eine Parallele, die wenig Beachtung findet); man betrachtete es nicht, sondern suchte es auszurotten im Sinn einer „Tatmission“, die die mündliche Verkündigungsarbeit begleitete und radikaler vorging als sie126. Der zeitliche Vorsprung räumte diesem Geist in den erfaßten Gebieten ein bis zwei Jahrhunderte an Wirkungsmöglichkeiten ein, bevor jüngere Autoren über slawisches „Heidentum“ ihrer Gegenwart zu berichten begannen. Entsprechend länger hatte einerseits das Vernichtungswerk Spielraum gegenüber dem, was die neuaufgerichtete christliche Herrschaft vorfand – hier teilzunehmen war auch Pflicht laikaler Gewalten –; andererseits konnte vordringendes Vergessen verbliebene Spuren um so gründlicher verwischen, bis Quellen zögernd zu sprechen beginnen. In den Markengebieten der magdeburgischen Suffragane aber wird man nach ihrer gelungenen Behauptung um so gründlicher aufgeräumt 124 Oben, 4. Abschnitt. – Die Ausbildung von Lineargrenzen zwischen bestehenden Diözesen ist erst eine Folge des hoch- und spätmittelalterlichen Landesausbaus, am Beispiel der Bistümer Hildesheim und Halberstadt gezeigt von M. Erbe, Studien zur Entwicklung des Niederkirchenwesens in Ostsachsen vom 8. bis zum 12. Jh., Göttingen 1969. 125 Kahl 2004 (wie Anm. 36), S. 31 f. 126 Oben bei Anm. 4–6, 54–59 u. 65.
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haben: Keine Idole der alten Religion mehr in Besitz zu haben, dürfte hier zu einem Ausweis der Loyalität gegenüber der sächsisch-deutschen Herrschaft geworden sein; das seltsame Bildwerk von Zadel hat sich als nicht hergehörig entpuppt127. Für den Hauptberichterstatter dieser Gegenden, Bischof Thietmar von Merseburg, ergibt sich zudem der Verdacht, daß er in erkennbarer Vernachlässigung seiner geistlichen Pflichten, was den unmittelbaren Eigenbereich angeht, als unsicherer Gewährsmann betrachtet werden muß, so wichtig er sonst als Zeuge slawischer Religionsgeschichte bleibt. Seine Berichte über abliegende Schauplätze können die Funktion von Ablenkungsmanövern gehabt haben – sein Schweigen über das Motiv der Slawenbekehrung bei der Gründung des Bistums Bamberg, bei dessen feierlicher Konstituierung er persönlich zugegen war, liegt in wenig beachtetem Zwielicht128. Es zeigt sich: Die Voraussetzungen für die Bewahrung vorchristlicher Kultbilder und ihrer Erinnerung waren dort, wo bisher keine Indizien für ihr einstiges Vorhandensein sprachen, wesentlich ungünstiger als in den Bereichen, in denen Funde und Schriftquellen für sie zeugen. Dazu ist nachdrücklich an den alten archäologischen Grundsatz zu erinnern, daß Fundleere immer nur bis auf weiteres gilt – daß sie niemals als Beweis gegen einstiges Vorhandensein bisher vermißter Befunde ausgespielt werden kann: Auch wo es unwahrscheinlich aussieht, ist stets mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ein neuartiger Erstling die Reihe gegebener Negativbeobachtungen durchbricht und zur Aufgabe gewohnter Vorstellungen nötigt, die nichts anderes als nur hypothetisch waren. Dem Torso von Silberberg als bisher isolierter Erscheinung ist die Möglichkeit zuzugestehen, daß er sich als solch ein Erstling entpuppt und damit die Quellenlage prinzipiell verändert. Gründe, die diese Möglichkeit stützen, wurden benannt129. Der so weitgehende Ausfall von einschlägigen Fundstücken und schriftlichen Nachrichten erscheint damit weniger durch Realitäten bestimmt, die die christlichen Missionare vorfanden, als durch Eigenheiten, die sie selbst mitbrachten, als sie ihr neues Arbeitsfeld betraten130. Für welchen Umkreis dies gilt – ob nur für den engeren karantanischen Bereich, dem der Torso entstammt, oder darüber hinaus –, kann nur die
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Oben bei Anm. 29–31. Oben bei Anm. 31–34. Oben, 6. Abschnitt. Oben, bei Anm. 64–65.
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Zukunft lehren. Die prinzipielle Verschiebung der Quellenlage bleibt davon unberührt – die Grundsatzfrage, wie sich in den angestammten Kulten der Slawenwelt bildlose und bildgebundene Kulte zu einander verhielten, gewinnt neue Aspekte: Die räumliche Durchmischung beider Formen, wie sie sich vor allem im Nordwesten wahrnehmen läßt, kann einmal weitergreifend die Regel gewesen sein, als es sich heute dem ersten Blick zeigt. Wie ist das damit zugeordnete Fragment zu datieren? Die Voraussetzungen sind schlecht. Fundzusammenhänge, die Hilfestellung bieten könnten, fallen aus131, und der Marmor verwehrt uns die Möglichkeiten des Zugriffs, die bei Holz offen blieben. Stilistische Momente verweisen das Stück zwingend in frühes, vielleicht sehr frühes Mittelalter, ohne Romanik zwingend auszuschließen132. Den einzigen Anhalt stellt der so deutlich unchristliche Charakter des Kunstwerks, den das erst nachträglich angebrachte Apostelkreuz unterstreicht. Er weist auf eine Zeit ungebrochenen, zumindest synkretistisch durchsetzten „Heidentums“. Ein solches dürfte in Kärnten nach Mitte 9. Jh.s Schwierigkeiten gehabt haben, sich so offen zu entfalten, daß eine derart aufwendige und repräsentative Schöpfung noch möglich war. Die slawisch wirkenden Merkmale kommen hinzu. Sie setzen als terminus a quo die Phase der Zuwanderung des neuen Bevölkerungselements, grob gesagt, die letzten Jahrzehnte des 6. Jh. Wenn wir „ca. 600–800“ sagen, ohne die Grenzdaten zu sehr zu pressen, dürften wir ungefähr richtig liegen. Für Kärnten ist das die Periode, die dem Land auf Dauer den Namen gab, unbeschadet nachträglichen Schrumpfens der Grenzen. Er knüpft, wie es scheint, an eine Gegebenheit seiner Geografie an, die einmal vulgärromanisch Karanta hieß – das Massiv, das im Ulrichsberg/Šenturška gora gipfelt. Die slawischen Einwanderer haben den Namen entlehnt, was Sprachkontakte beweist, und mit einer Endung versehen, die sie gern für Anwohnernamen benutzten, und sie gewannen so in auch sonst häufig angewandter Weise ihre Selbstbezeichnung, die dann unter fränkischdeutscher Herrschaft auf das Land als solches überging. Anders gefaßt: Die Zuwanderer kamen nicht als fertig ausgebildete Völkerschaft – sie begannen erst nach der Festsetzung, aus unterschiedlichen Splittern zu einer solchen zusammenzuwachsen: Ihre Ethnogenese reicht nicht in altslawische Vorzeit zurück. Sie hätte unter slawischer Führung roma-
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Oben, vor Anm. 72. Oben, bei Anm. 69, dazu Biedermann und Birkhan, wie Anm. 69.
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nische und wohl auch germanische, vor allem ostgotische Elemente zusammenzuschmelzen gehabt, doch sie kam nicht zur Vollendung, weil der namengebende „Staat“ von den Franken vernichtet und in neue Zusammenhänge einbezogen wurde. Die Zuwanderer, bisher führend, wurden in die Stellung von Unterworfenen abgedrängt, die sie selbst vorher den vorgefundenen Landesbewohnern zugewiesen hatten. Neue Bevölkerungselemente setzten sich zwischen ihnen fest und lockerten ihren Zusammenhang. Im Endergebnis gingen die Karantanen in den Kärntnern beider Sprachen von heute auf, zum Teil unter Aufgabe der alten Identität, mit „Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung“, wie es treffend genannt worden ist133. Ihre Nachkommen, mit denen der späteren Zuwanderer vermischt, wurden teils Deutschkärntner, teils Korošci mit nunmehr slowenisch genannten Mundarten, durch komplizierte Entwicklungen in die jüngere slowenische Ethnogenese einbezogen, mit der Folge partieller Grenzverschiebungen für das Land134. Schweift dies ab? Es umreißt die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn man den Torso vom Silberberg, diese unverkennbar slawische, diese karantanische Schöpfung in die Geschichte von heute bestehenden Völkern oder Nationen einreihen will. Er gehört einem Ethnicum, das nicht mehr besteht, ebensowenig wie all die keltischen Kleinstämme, die einer früheren Phase der Landesgeschichte ihren Stempel aufdrückten und zweifellos gleichfalls nicht völlig aus der biologischen Substanz der Bevölkerung verschwanden, obwohl ihre konstitutiven Merkmale und Eigenheiten vergingen. Seine Träger standen den Slowenen von heute sprachlich näher als den Deutschkärntnern, aber das allein macht sie noch nicht zu frühen Slowenen. Niemand weiß, ob der Schöpfer der Statue oder Stele, von der der Torso vom Silberberg stammt, und sein Auftraggeber heute womöglich allein noch in Nachfahren weiterleben, deren Sprachform ausschließlich eine deutsche ist. Wir müssen uns begnügen, dieses Werk als „slawisch, und zwar karantanisch“ einzuordnen. Festzuhalten ist, daß auf der Dreizahl erhaltener Gesichter des Bruchstücks keine voreiligen Folgerungen aufgebaut werden dürfen, so sehr sie dazu verlockt. Niemand garantiert uns, daß das verschollene unversehrte Ganze nicht noch weitere Gesichtszüge aufwies, z.B. auf
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Wenskus, wie Anm. 114. Oben, 7. Abschnitt, bes. Anm. 114.
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der Brust135. Schon deshalb ist die auf den ersten Blick naheliegende Bezeichnung mit dem altslawischen Triglav auszuscheiden. Der Name würde auch deshalb nicht passen, weil der Torso keine Dreiheit von Köpfen zeigt, sondern drei Gesichter, die sich auf einen Kopf und den anschließenden Hals verteilen. Das ist typologisch nicht dasselbe und sollte auseinandergehalten werden. Ein Ersatz, der sich anbieten könnte, ist bisher nicht in Sicht. Wir müssen uns mit umständlicheren Bezeichnungen wie eben „Torso vom Silberberg“ zufriedengeben. [Nachtrag 2008: Wie Franz Glaser, Klagenfurt, freundlich mitteilt, wurde 2005 im Bereich der OG Schloßberg, KG Remschnigg, VB Leibniz (Steiermark) eine Gesichts-Stele aus Sandstein geborgen, die ursprünglich mit zwei anderen vereint am Vorplatz der Meßkapelle zu Mariä Heimsuchung am nahegelegenen Hochenegg gestanden haben soll. Das im oberen Teil plastisch herausgearbeitete Gesicht ist stark beschädigt. Die Vorsgeschichte des Kapellenhügels ist ungeklärt. Erstpublikation des Fundes durch St. Karl und G. Tiefengraber in Fundberichte aus Österreich 46 (Wien 2007), S. 729–732, publiziert mit Erwägung, ob es sich auch in diesem Fall um eine slawische Götterstele handeln könne. Die Suche nach den angeblichen beiden weiteren Objekten soll aufgenommen werden.]
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Oben, bei Anm. 98 u. 110.
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DER OSTSEESLAWISCHE KULTSTRAND BEI RALSWIEK AUF RÜGEN (8.–10. JH.) Bemerkungen zu einem neuen archäologischen Dokumentationsband Die slawische Altertumskunde steht heute auf Fundamenten, von denen man noch vor einem halben Jahrhundert kaum träumen konnte. Die Fortschritte danken wir nicht zuletzt dem intensiven Ausbau archäologischer Forschung. Von ihm hat auch die Religionsgeschichte profitiert. Wir kennen jetzt eine beachtlichhe Zahl von altslawischen Kultplätzen; es wurde möglich, in zusammenhängender Darstellung für sie eine Typologie zu entwickeln1. Wir verfügen auch, aller Zerstörungswut christlicher Missionare zum Trotz, über eine wachsende Reihe religiöser Skulpturen, denen dort Verehrung gewidmet wurde2. Zu dieser Erweiterung unseres Bildes hat das Gebiet wesentlich beigetragen, in dem die slawische Sprache seit der Zeit Karls des Großen zurückwich, nachdem sie dort im Übergang zum Frühmittelalter zunächst Neuland gewonnen hatte – auf dem Boden des heutigen Deutschland3, in dem Gebiet, das in Gegenüberstellung zur Germania Romanica im Westen und der angrenzenden Romania Germanica treffend als die Germania Slavica benannt worden ist4. Dabei trat in den letzten 1 L. P. Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, Warsaw 1994; vgl. auch Dens., Die slawischen Tempel und die Frage des sakralen Raumes bei den Westslawen in vorchristlichen Zeiten, in: Tor 25 (Uppsala 1993), S. 247–298. 2 Słupecki 1994, S. 198–228; ein Neufund, der einen bis dahin nur aus Schriftquellen bekannten Typ repräsentiert, bei H.-D. Kahl, Der Millstätter Domitian. Abklopfen einer problematischen Klosterüberlieferung zur Missionierung der Alpenslawen Oberkärntens (Vorträge und Forschungen, Sonderband 46), Stuttgart 1999, S. 49 f. m. Abb. 7 (S. 111). 3 J. Herrmann (Hg.), Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6.–12. Jh. Ein Handbuch, Neubearbeitung Berlin 1985. 4 Th. Frings, Germania Romana (Teuthonista, Zeitschr. f. deutsche Dialektforsch. u. Sprachgesch., Beiheft 4 = Mitteldeutsche Studien, Heft 2), 1932; E. Gamillscheg, Romania Germanica, 3 Bde. 1934–1936, I2 1970; W. H. Fritze (Hg.), Germania Slavica I (Berliner Historische Studien I), Berlin 1980, und Folgebände; dazu H.-D. Kahl, Germania Slavica. Ein neues Vorhaben deutsch-slawischer Geschichte in Mitteleuropa und seine Bedeutung für die Forschung der Ostalpenländer, in: MIÖG 89 (1981), S. 93–105. – Das Zurückweichen der slawischen Sprachgrenze durch Eindeutschung einer
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Jahrzehnten zunehmend ein Ortsname auf Rügen hervor, von dem man vordem wenig gehört hatte: Ralswiek. In den beiden letzten Jahrzehnten der DDR, zwischen 1972 und 1989, hatten dort 18 großangelegte Grabungskampagnen stattgefunden, unter erheblichen Schwierigkeiten, etwa in Auseinandersetzung mit dem Grundwasserstand. Die Durchführung lag beim Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie unter Leitung von Joachim Herrmann, einer Einrichtung der damaligen Akademie der Wissenschaften der DDR, die nach sowjetischem Muster organisiert war. Aufsehenerregende Funde drängten bald nach Aufnahme der Arbeiten in die Fachliteratur, teilweise allerdings auf Grund provisorischer Informationen und Interpretationen, die sich nicht alle als haltbar erwiesen. Erst in den letzten Jahren ist die abschließende Dokumentation in Gang gekommen. Sie wird gleichfalls von Joachim Herrmann erstellt. Ihr zweiter Band ist es, der an dieser Stelle gesteigerte Aufmerksamkeit verdient5. 1. Ralswiek und seine Entwicklung Rügen, Deutschlands größte Ostseeinsel, zeigt eine eigenartige Umrißgestalt. Im Norden und und Nordosten legt sich, fast wie ein abwehrend erhobener Arm, eine merkwürdig gebildete Halbinselkette vor den Inselrumpf. Sie besteht aus zwei, fast möchte man sagen: selbständigen Inselkörpern, Wittow und Jasmund, die durch schmale Nehrungen miteinander und mit dem Hauptteil Rügens verbunden sind; eine weitere Nehrung sticht von Wittow aus wie ein Sporn zu diesem Hauptteil zurück, ohne ihn zu erreichen. In der dadurch verbliebenen
verbleibenden Bevölkerung behandelt an einem quellenmäßig besonders gut beleuchteten Beispiel, an dem vieles z.B. an die Verhältnisse in Kärnten erinnert, J. Strzelczyk, Die slawische Minderheit in Deutschland im Spätmittelalter und früher Neuzeit am Beispiel der Nachkommen von Dravänopolaben im Hannoverschen Wendland, bei A. Czacharowski (Hg.), Nationale, ethnische Minderheiten und regionale Identitäten im Mittelalter und Neuzeit, Toruń 1994, S. 69–94. 5 J. Herrmann, Ralswiek auf Rügen, Die slawisch-wikingischen Siedlungen II: Kultplatz, Boot 4, Hof, Propstei, Mühlenberg, Schloßberg und Rugard (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorprommerns 33), Lübstorf „1998“ (tatsächlich greifbar seit Anfang 2000), 183 S., 144 Textabbildungen, 11 Tabellen und 17 Beilagen auf 4 großformatigen Faltbättern. – Der erste Band, der vor allem die sog. Hauptsiedlung behandelt, datiert von 1997 (ausgeliefert 1998). – Bd. III mit einer detaillierten Fundpublikation ist in Vorbereitung. Zahlreiche Stücke sind schon im voraus berücksichtigt bei Herrmann 1995 (wie Anm. 3); die unten zu erwähnende Griffelfunde aus der Hauptsiedlung S. 292 f. m. Abb. 140 sowie Taf. 25, b–c (bei S. 150).
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Lücke beginnt ein zusammenhängendes System von Meeresbuchten, hier mundartlich-niederdeutsch Bodden genannt; ihre Bezeichnungen wechseln je nach der angrenzenden Teillandschaft. Im sog. Kleinen Jasmunder Bodden greift dieses Gewässersystem tief ins Innere der Insel ein, bis in die Nähe von Bergen, wo sich einmal der Hauptsitz des Fürstentums der slawischen Rujanen oder Ranen befand. Vom nördlich angrenzenden Großen Jasmunder Bodden aus gab es bis tief ins Mittelalter hinein für die kleinen, flachen Boote der Zeit Durchfahrten in die Ostsee auch in östlicher Richtung, die künstlich offen gehalten wurden. Von März bis November ließ sich daher mit einer eisfreien Route rechnen, auf der das stürmische Kap Arkona auf Wittow umschifft werden konnte. Zwischen den Großen und den Kleinen Jasmunder Bodden schiebt sich von Südwesten, also vom Hauptteil der Insel her eine Landzunge vor, die nur eine schmale Wasserverbindung offen läßt. Dicht nördlich an ihrer Wurzel, also am Großen Bodden, auf der Jasmund gegenüberliegenden Seite, liegt Ralswiek, heute ein Dorf von 6–700 Einwohnern. In den älteren Quellen tritt sein Name hinter dem von Arkona zurück. Dort, unmittelbar an der Ostseeflanke von Wittow, befand sich im 12. Jh. das Heiligtum des Swantewit, den die Ranen als ihren Hauptgott verehrten, und ein Handelszentrum von überregionaler Bedeutung. Der genannte nordwestslawische Stamm war damals, nach dem Untergang des Ljutizenbundes, zu einer gewissen Vormachtstellung an der südwestlichen Ostseekünste aufgestiegen. Er entfaltete eine Art slawisches Wikingertum und wußte seinen Einfluß machtpolitisch, wirtschaftlich und religiös geltend zu machen; die Anziehungskraft Arkonas auch für skandinavische und deutsche Kauffahrer wurde dabei gezielt eingesetzt. Den wichtigen Platz archäologisch zu durchforschen, ist weitgehend unmöglich geworden, denn die See hat ihn zum größten Teil hinweggerissen. Einiges konnte gleichwohl erreicht werden, und neue Untersuchungen sind im Gang6. Besonders gute Schriftquellen ermöglichen trotz aller Einschränkungen eine ziemlich gute Vorstellung von der Beschaffenheit des einstigen Heiligtums7. Im 6 J. Herrmann, Arkona auf Rügen. Tempelburg und politisches Zentrum der Ranen vom 9.–12. Jh. Ergebnisse der archäologischen Ausgrabungen 1969–1971, in: Zeitschr. f. Archäologie 8 (1974), S. 177–209; ergänzende Hinweise bei Dems., Ralswiek II, S. 35–37 samt Tabelle 7. Vgl. Anm. 7. 7 J. Herrmann, Ein Versuch zu Arkona. Tempel und Tempelrekonstruktionen nach schriftlicher Überlieferung und nach Ausgrabungsbefunden im nordwestslawischen Gebiet, in: Ausgrabungen und Funde 38 (1993), S. 136–144.
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Sommer 1168 wurde es mit deutscher Unterstützung durch die Dänen zerstört und die Insel zwangschristianisiert. Es scheint, daß es dabei neben handfesten politischen Interessen um einen späten Ableger jenes merkwürdigen Kreuzzugs von 1147 gegen die „Heiden des Nordens“ ging, für den sich in den Geschichtsbüchern die verfehlte Bezeichnung „Wendenkreuzzug“ festgesetzt hat8. Die Bedeutung von Ralswiek reicht offenbar weiter zurück als die jenige von Arkona, hielt jedoch weniger lange an und erreichte keinen vergleichbaren Rang. Die Siedlung entstand um die Mitte des 8. Jh., und zwar als ein Seehandelsplatz jener frühen Form, die vor allem im Ostseeraum des Frühmittelalters weit verbreitet war9. Wir haben an eine skandinavische Initiative zu denken, die in Zusammenarbeit mit den einheimisch-slawischen Machthabern Ausführung fand. Die erhaltenen Holzbautenreste deuten teils auf nordgermanische, teils auf slawische Handwerkstraditonen, und dasselbe gilt für die aufgefundenen Boote. Erschlossen wurde eine Hauptsiedlung in geschützter Lage, leicht erhöht, zwischen dem Großen Jasmunder Bodden und einem inzwischen verlandeten Binnensee, in dem sich die bemerkenswert ausgebauten Hafenanlagen befanden. Sie umfaßte weniger als 20 Hofstellen, darunter auch Gewerbebetriebe im Stil der Zeit (Metallverarbeitung, nämlich Eisen und Bronze, ferner Verarbeitung von Horn bzw. Geweihen, von Bernstein u. dgl.)10. Hinzu kamen eine kleinere Südsiedlung,
8 H.-D. Kahl, Die Kreuzzugseschatologie Bernhards von Clairvaux und ihre missionsgeschichtliche Auswirkung, bei D. R. Bauer – G. Fuchs (Hgg.), Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, Innsbruck 1996, bes. S. 306–309; zum Begriff „Wendenkreuzzug“: Beitrag XX, S. 634–636 (auch zu den „Heiden des Nordens“); vgl. auch Dens., Die Ableitung des Missionskreuzzugs aus sibyllinischer Eschatologie. Zur Bedeutung Bernhards von Clairvaux für die Zwangschristianisierungsprogramme im Ostseeraum, bei Z. H. Nowak (Hg.), Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung des Ostseegebietes (Ordines militares I), Toruń 1983, S. 129–139. Ergänzend Ders., Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage – ein übersehenes Kriegsziel des Zweiten Kreuzzugs, bei S. Burghartz u.a. (Hgg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für F. Graus, Sigmaringen 1992, S. 63–89. – Zum allgemeinen: L. Leciewicz, Rügen, in: Lexikon des Mittelalters VII (1995), Sp. 1091 f. mit weiteren Nachweisen. 9 Hier genüge neben Ralswiek I der Hinweis auf W. Łosiński, Zur Genese der frühstädtischen Zentren bei den Ostseeslawen, bei H. Brachmann (Hg.), Burg – Burgstadt – Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa, Berlin 1995, S. 68–91; L. Leciejewicz, Kaufleute in westslawischen Frühstädten in archäologischer Sicht, ebd., S. 60–67, sowie V. Schmidt, Frühstädtische Entwicklung in Nordostdeutschland, ebd., S. 108–117, samt weiteren Beiträgen dieses Sammelbandes. 10 Eingehend: Ralswiek I.
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die noch manche Rätsel aufgibt, Kultstätten, ein umfangreicher Bestand an Hügelgräbern in Gruppen, abseits gelegen, noch nicht abschließend publiziert, und Befunde aus jüngerer Zeit, unter denen im Grabungsbereich merkwürdigerweise keine Kirche erschien, obwohl Ralswiek nach 1168 eine Propstei des Bistums Roskilde aufzunehmen hatte. Hier geht es um die vorchristlich-sakralen Plätze – ein archäologisch oft heikles Problem, in dem möglicherweise noch mancherlei Neuland zu erwarten ist. Auch Ralswiek hat Unerwartetes geboten. Der Band, der uns jetzt vor allem über den bedeutendsten dieser Plätze unterrichtet, räumt ihm von 183 großformatigen Druckseiten nicht weniger als 79 ein. Er weckt wieder Vertrauen. Dokumentation und Interpretation sind nach Möglichkeit getrennt, was die Überprüfung erleichtert; die Auswertung erfolgt vor dem Hintergrund des bisher verfügbaren Vergleichsmaterials von anderen Stellen; zahlreiche Fotos, Zeichnungen und Tabellen bieten das Beleggut. Zu den wichtigen Feststellungen gehört, daß die Schichtenfolge in der Hauptsiedlung und an den Kultplätzen offenbar gleichläufig ist. Das ermöglicht eine Gegenüberstellung, die es gestattet, manche Aussage zu präzisieren. In älterer Literatur wird die Zahl der sakral genutzten Stätten bei Ralswiek mit drei angegeben. Das läßt aufhorchen in Hinblick auf eine Grundsatzfrage, die Andrej Pleterski angeschnitten hat. Er rechnet für altslawische Zeit mit einem verbreiteten System von jeweils drei Kultstätten, die auf einander bezogen und in einem „heiligen Winkel“ von etwa 23° miteinander verbunden waren11. Es muß festgestellt werden, daß sich in Ralswiek bei relativ hohem Alter für diese Konzeption keine Stütze ergab. Die eine der drei Stätten wurde auf dem sog. Mühlenberg, unweit der Südsiedlung, gesucht. Sein flacher Rundwall hatte bei erster Begehung die Frage geweckt, ob sich dort nicht ein neues Beispiel für den längst bekannten Typ eines kreisförmigen Kultplatzes in Höhenlage finden würde, und diese provisorische Vermutung erhielt in vorläufiger Auswertung einen Bestimmtheitsgrad, der ihr keineswegs zukam. Die ergrabenen und nun vorgelegten Befunde schließen eine derartige Nutzung dieser Höhe mit voller Sicherheit aus; es gab dort lediglich eine spätmittelalterliche Windmühle, die in jüngerer Zeit einging. Übrigens hätte 11 A. Pleterski, Strukture tridelne ideologije v prostoru Slovanih, in: Zgodovinski časopis 50 (1996), S. 163–184, mit deutscher Zusammenfassung: Räumliche Strukturen einer dreiteiligen Ideologie den Slawen, ebd., S. 184 f.; vgl. auch Dens., Die Kärntner Fürstensteine in der Struktur dreier Kultstätten, bei A. Huber (Hg.), Der Kärntner Fürstenstein im europäischen Vergleich, Gmünd (Kärnten) 1997, S. 43–119, passim.
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eine Sakralstätte dort zu den beiden anderen nicht in dem gesuchten Winkel gelegen. Was diese angeht, so waren ihre Stätten benachbart, doch sie waren nicht gleichzeitig in Gebrauch: Der zweite, bei der sog. Südsiedlung näher am Mühlenberg, hat den ersten, der der Hauptsiedlung näher lag, offenbar in zeitlicher Folge abgelöst. Da die Funde aus dem Bereich jener Südsiedlung noch nicht gebührend aufgearbeitet sind, bleiben Art und Verlauf dieses Ortswechsels zunächst unklar; die vorliegende Publikation erfaßt außer dem Mühlenberg nur noch den Kultstrand am Bodden, un zwar als die Stätte, die zu ihrer Zeit nach bisheringer Kenntnis als einzige ihrer Art bei Ralswiek bestand. Sie wird als Opferplatz eindeutig erwiesen durch einen außerordentlich reichen Bestand an Knochenmaterial, das in seiner Zusammensetzung charakteristisch von demjenigen der Hauptsiedlung abweicht, ebenso übrigens wie bei der mutmaßlichen Nachfolgerin weiter südwärts. Die Hauptsiedlung zeigt das, was dort abfällt, wo man wohnt, als Überrest täglicher Nahrungsaufnahme. Die beiden anderen Stätten bieten ein völlig abweichendes Bild. Statt gewöhnlicher Fleischtiere wie Schwein und Ziege, Geflügel und Wild traten Pferd, Hund und Rind (offenbar in dieser Reihenfolge) ungewöhnlich stark hervor, nicht nur in anderer Häufigkeit, sondern auch in anderer Beschaffenheit. Vor allem aber beherrschten menschliche Skelettreste das Feld, vorwiegend von Erwachsenen beider Geschlechter, kaum von Kindern, Jugendlichen und Greisen; vorwiegend Einzelknochen, gelegentlich zusammenhängende Skeletteile, jedoch kein einziges vollständiges Skelett; teilweise deutlich durch gewaltsamen Eingriff verändert (besonders Schädel- und Oberschenkelknochen). All diese menschlichen und tierischen Überreste traten in auffällig enger räumlicher Konzentration um bestimmte charakteristische Punkte auf. Vergleichbares ist bisher an keinem anderen frühgeschichtlichen Grabungsplatz bekanntgeworden, zumindest nicht in entsprechender Menge und Intensität. Der Befund schließt deutlich auch aus, daß es sich um Relikte eines Überfalls handeln könnte, vergleichbar etwa der Hinterlassenschaft der babenbergischen Eroberung der Thunauer Schanze bei Gars am Kamp (Niederösterreich), wo im Übergang vom Frühzum Hochmittelalter ein slawischer Kleinfürst gesessen hatte12. Auf dem Platz bei Ralswiek
12 Herrn Prof. Dr. Herwig Friesinger, Wien, danke ich persönliche Erläuterungen bei einer Führung vor Ort. Zusammenfassende Allgemeinorientierung gibt E. Szameit,
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fand sich, wie gesagt, kein einziges vollständiges menschliches Skelett. In Schriftquellen sind, auch für den slawischen Bereich, gerade auch für Seehandelsplätze, Menschenopfer gut bezeugt. Ein Rückgriff auf sie bietet hier die einzig plausible Erklärung. Sie wird gestützt durch Streufunde von Keramik und anderen Gebrauchsgegenständen, die so, wie sie auftreten, für jeweils begrenzte Nutzungsdauer sprechen, nicht für ständige Besiedlung am Platz. 2. Die Kultplätze Die damit bestimmte Stelle, der die wichtigste Dokumentation des vorgeführten Bandes gilt, lag knapp 200 m südwestlich der Hauptsiedlung und ihres Hafens, am gegenüberliegende Rand eines niedrigen Moränenrückens und unmittelbar an der damaligen Strandlinie, die sich mittlerweile durch Verlandung vorgeschoben hat. Der Große Jasmunder Bodden treibt an dieser Stelle eine kleine Bucht relativ weit nach Süden vor, nach Osten hin begrenzt durch die Landzuge, die ihn vom Kleinen Jasmunder Bodden trennt. Die Kultstätte umgab im Bogen ein Bach mit seiner Niederung; seine Einmündung in den Bodden unterlag während der in Betracht kommenden Zeit starken Veränderungen. Er kam aus dem See, in dem der Hafen entstanden war, und dürfte oft mehr Brackwasser als Süßwasser geboten haben. In jedem Fall lieferte er ein Frischwasser, das für die Bereitung von Opfermahlzeiten unentbehrlich war. Vielleicht bot er zeitweise sehr flachen Booten auch eine behelfsmäßige Durchfahrt zum Hafengebiet. Die eigentliche Hafeneinfahrt kam von Nordwesten her zum See; die Südsiedlung, sofern von ihr in den Anfängen schon etwas bestand, befand sich jenseits des Baches. Im Ganzen war also für den Kultbezirk eine gewisse Abseitslage gegeben, wie sie einem solchen Areal zukommt. Im Fundmaterial von Ralswiek lassen sich insgesamt fünf Perioden unterscheiden. Die Ausgräber haben sie mit den Buchstaben A bis E bezeichnet. Periode A setzt in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts ein. Der Kultplatz wird damit zu einem der ältest bekannten in der Gars-Thunau – frühmittelalterliche Residenz und vorstädtisches Handelszentrum, bei Brachmann (wie Anm. 9), S. 274–282; aus dortiger Literatur hebe ich hervor M. TeschlerNicola – K. Wiltschke-Schrotta, Der Erschlagene von Gars-Thunau, in: Archäologie Österreichs 1990/1, S. 40 f. – Für die Befunde aus Ralswiek, vorstehend und weiter sämtlich nach Herrmann 1998 (wie oben Anm. 5) referiert, sei hier und weiter auf Einzelbelege verzichtet.
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slawischen Welt, für die Nordwestslawen vielleicht einstweilen nur durch Feldberg bei Neustrelitz (Mecklenburg) in den Schatten gestellt13. Im Lauf des 9. Jh. vollzog sich der Übergang in die Periode B, die sich noch über das 10. Jh. erstreckte. Mit der dann einsetzenden Periode C bricht die Nutzung des Kultplatzes ab; er weicht, bevor der Geländeabschnitt wegen veränderter Wasserverhältnisse ganz aufgegeben wird, einer deutlich profanen Verwendung – an seine Stelle trat ein relativ großes Gebäude, in dem z.B. in größerem Ausmaß gesponnen wurde und in dem Schreibgriffel zur Verwendung kamen, im Verhältnis ein Hallenbau. In den ersten Jahrzehnten seines Bestehens wurden die Opferhandlungen unmittelbar am offenen, flachen Strand durchgeführt. Sie gruppierten sich um eine Steinpackung von ovaler Grundform auf leicht erhöhtem Geländepunkt, deren Längsachse, ca. 3 m, von Südwest nach Nordost verlief; die Querachse kam auf ca. 2 m. Im Zentrum erhob sich ein hölzerner Pfahl, etwa 30 cm eingetieft und mit Steinen verkeilt. Er wurde umgestürzt aufgefunden, im Oberteil zerstört. Erhalten war er bei 20 cm Durchmesser in einer Länge von 1,60 m; ob der verlorene Oberteil in größerer Breite ausgestaltet war, wie sich das anderweit findet, etwa eine Art Büste trug, kann nicht mehr geklärt werden. In 12 und mehr m Entfernung befand sich, gleichfalls auf dem offenen Strand, eine Gruppe von Feuerstellen mit deutlichen Überresten von Opfermahlzeiten. Mit der Zeit begann der Wasserspiegel sich zu heben; Überflutungen kamen in Sicht oder setzten schon ein. Um 790 kam es daher zu einer durchgreifenden Umgestaltung des Geländes; die gefundene Lösung mag zusätzlich durch gehobene Prestigebedürfnisse beeinflußt worden sein. Etwas landeinwärts neben dem alten Steinoval, also unter beachtlicher Wahrung der Platzkontinuität trotz allem, wurde ein Podest errichtet, in prinzipiell gleicher Längsrichtung. Seine Grundfläche hatte ca. 6–7 × 8 m. Die Holzkonstruktion (Fundamentpfähle, Ankerbohlen und Flechtwerk) blieb genau erkennbar. Sie überragte das ursprüng-
13 J. Herrmann, Die Ergebnisse der Ausgrabungen in Feldberg, in: Ausgrabungen und Funde 13 (1968), S. 198–204; vgl. Dens., Feldberg, Rethra und das Problem der wilzischen Höhenburgen, in: Slavia Antiqua (1969), S. 33–69; weiteres bei S. KühneKaiser – B. Jähnig, Feldberg, bei H. Bei der Wieden (Hg.), Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands XII: Mecklenburg-Pommern, Stuttgart 1996, S. 32 f. – Gegen ältere Annahme scheidet Feldberg für die Lokalisierung von „Rethra“ aus: dazu jetzt V. Schmidt, Rethra – Lieps am Südende des Tollensesees, in: Studia Mythologica Slavica 2 (1999), S. 33–46.
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liche Bodenniveau um ungefähr einen halben Meter und blieb damit 25–30 cm über dem ansteigenden Spiegel des Boddens. Eine neuerliche Umgestaltung in Periode B hat die Spuren dessen, was sich einmal auf diesem Podest erhob, gründlich getilgt, nicht aus feindlicher Absicht, sondern um dem alten Zweck noch besser zu genügen. Indizien, zugegebenermaßen schwach, könnten dafür sprechen, daß sich dort ein Flechtwerkbau mit Lehmverstrich erhoben hatte. Es dürfte ein Tempel oder eine Kulthalle gewesen sein, d.h. entweder Götterwohnung oder Gemeinschaftshaus für sakrale Anlässe, doch ist selbst Überdachung nicht zweifelsfrei zu sichern. Die Entscheidung zwischen beiden Möglichkeitenn wird dadurch erschwert, daß das definitive Ende der Steinsetzung am Strand mitsamt dem Mittelpfahl sich chronologisch nicht einwandfrei festlegen läßt. Wir sehen, daß dieser Pfahl, ob nun Holzstele oder bloßer Träger einer Skulptur, am Platz verblieb. Er wurde also, was immer mit einem etwaigen Oberteil geschah, selbst nicht in das Gebäude überführt, doch wir erkenne nicht, ob er an der neuen Stelle, in nunmehr sakralem Raum ersetzt wurde oder nicht. Das verstellt zugleich den Blick auf den Verwendungszweck des zu vermutenden Bauwerks. Völlig unklar ist, wo die Opfermahlzeiten zubereitet wurden, nachdem die Feuerstellen am Strand unbrauchbar geworden waren. Die Anhebung des Wasserspiegels jedenfalls setzte sich fort. Gleichwohl blieb man an der bisherigen Stelle, doch sie wurde in Periode B nochmals aufwendiger ausgestaltet. Sogar das bisherige Kultniveau wurde weiterhin für ausreichend erachtet. Das bestehende Podest wurde um etwa 5 m nach Osten, also auf den Bodden hin, in prinzipiell gleicher Konstruktion erweitert; es maß nun etwa 8 × 11 m unter Drehung der Längsachse um 90˚. Auf ihm entstand auf Schwellensteinen ein Holzbau ohne Nägel, für den mehrere Konstruktionsweisen erwogen werden können, mit Abmessungen von ca. 9 × 4,5 m, also annähernd 45 m2. Er war gleichfalls der Boddenseite zugekehrt. Gleichzeitig wurden die Böschungsbefestigungen am Bodden, deren Abstand vom neuen Gebäude nur noch gering war, verstärkt. Außerdem wurde ein weiteres, sehr viel leichter gebautes Podest von 6 × 10 m aufgeschüttet und befestigt, das offenbar unbebaut blieb. Es schloß nur teilweise an den Erweiterungsteil des älteren Podestes nach Südosten hin an, wohin seine Längsachse lief; es war dabei etwas nach Osten hin verschoben, den erweiterten Spielraum nutzend, den dort das verbliebene Gelände bot. Das Niveau blieb 30–50 cm über dem ursprünglichen Strand. Auf dieses Podest konzentrierten sich nunmehr weitgehend die Opferhandlungen.
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Unverkennbar scheint der Wunsch, sie in größere Nähe des Wassers zu rücken. Oft genug mag die Flut die beiden Erweiterungsteile unmittelbar bespült haben. 3. Die Kultübung An den Kultformen hat sich, soviel erkennbar, die ganzen Perioden A und B hindurch, also über zweieinhalb Jahrhunderte, nichts Nennenswertes geändert. Es war Opferkult, der Menschen forderte und ausgewählte Tierarten bevorzugte, ohne daß andere ganz fehlten. Bemerkenswert ist ein besonderer Umstand: Die Hauptsiedlung zeigt deutlich teils slawisches, teils skandinavisches Gepräge; beide Ethnien werden dort gemeinsam gewohnt haben, wenigstens für einen beachtlichen Teil der genannten Zeitspanne, und sei es mit saisonalen Schwankungen. Am Kultplatz spricht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, daß er von anderen betrieben und genutzt worden sein könnte als von Slawen. Überraschend ist diese Feststellung nicht. Für Arkona berichtet Helmold von Bosau kurz vor der Zerstörung als Zeitzeuge: Kaufleute fremder Herkunft, nicht zuletzt aus christlichen Ländern, hätten dort nur Zutritt, wenn sie dem Haptgott etwas zum Opfer brächten; wurde bemerkt, daß ein christlicher Priester in ihrer Mitte seinen Gottesdienst verrichtete, so wurde seine Auslieferung verlangt, um den Zorn der einheimischen Gottheiten zu beschwichtigen; auch sonst brächten die Ranen gern Christenopfer dar – sie wären ihren Göttern besonders wohlgefällig14 (dies wird man auf Kriegsgefangene allgemein, gleich welcher Herkunft, beziehen dürfen). Die Stelle zeigt offenbar, daß die Fremden das Opfergut zu stellen und den einheimisch-slawischen Priestern auszuliefern hatten, die dann die entsprechende Kulthandlung vornnahmen; fremder Kult aber (ein peregrinum sacrificum nach Helmond15, der damit authentisch wirkt, weil er die Aussage nicht auf Christliches einengt) – ein nicht am Ort eingewurzelten Kult wurde nicht zugelassen. Für die Zeit, in der der Kultplatz bei der Hauptsiedlung von Ralswiek blühte, war eines anders als im 12. Jh. vor Arkona: Skandinavier und Slawen standen beide in gentilreligiöser Mentalität,
14 Helmold von Bosau, Slawenchronik, c. 6 (cur. Heinz Stoob, Darmstadt 1963, S. 54, 19 ff.); vgl. c. 108 (S. 374, 9 ff.). 15 Helmold, c. 108 (S. 374, 19).
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ohne dass Christentum hereinspielte; sie hielten folglich beide für selbstverständlich, daß es Zuständigkeiten von Stammes- und Landesgöttern gab, in die Außenstehende sicht nicht einzumischen, die sie aber im Kontaktfall anzuerkennen hatten16. Die skandinavischen Partner in Ralswiek werden sich also gehütet haben, dort ein peregrinum sacrificum auf eigene Faust darzubringen. Sie werden die Zuständigkeit der Ortsgottheit nicht zugunsten eigener bestritten, sondern sie werden es der dortigen Priesterschaft überlassen haben, nach ihrem Ritus durchzuführen, was danach zu geschehen hatte; den Fremden blieb die bloße Ablieferung der Opfergaben. Sehr viel merkwürdiger als die einseitige Nutzung ist die Lage der Opferstätte. Warum befand sie sich nicht auf dem Mühlenberg, keinen halben Kilometer weiter landeinwärts in gut gesicherter Höhenlage? Warum wurde sie am Bodden angelegt, warum vor allem dort beibehalten über einen derart langen Zeitraum hinweg, aller wachsenden Gefährdung zum Trotz? Waren auf dem Mühlenberg die Wasserverhältnisse zu ungünstig für kultische Mahlzeiten – oder kam es auf die Strandsituation an? Wurde die Nähe nicht nur zum Wasser gesucht, das man auch am See hätte haben können, sondern zu seiner größterreichbaren Fläche? Hat gerade diese Lösung etwas mit der Gottheit zu tun, die von diesem Seehandelsplatz aus verehrt werden solte? War es womöglich Mokoš oder eine ihrer Nachfolgeformen? Der Name dieser Gottheit gehört ja doch wohl zur Sippe von poln. mokać „naß machen,“ mokrość „Nässe“ usw. Aus gar zu spärlicher Überlieferung ist sie besser bekannt als Schutzherrin der Fruchtbarkeit und als weiblich geltender Arbeiten wie Mähen (also zunächst Sicheln) und Spinnen. Der Blick der Forschung hat sich oft dermaßen einseitig darauf fixiert, daß die skizzierte Herleitung des Namens in Zweifel geriet, was zu abenteuerlichen Konstruktionen führte. Übersehen wurde dabei eine Eigentümlichkeit archaischen Denkens: es hat keine Schwierigkeiten, das Fruchtwasser der Frau mit „Wasser überhapt“ zu einer Gesamtvorstellung zu verbinden, und diese ist es, die hier die Brücke zunächst zur Namensetymologie und dann zu weiterem schlägt. Der Augenblick, in dem das Fruchtwasser abgeht, leitet für Mutter und Kind eine Phase extremer Gefährdung ein; sie 16
Beitrag VIII; ausführlicher bei H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jh. (Mitteldeutsche Forschungen 30/I-II), Köln-Graz 1964, S. 76–105 (eher geschrieben, doch später ausgeliefert, mit noch weniger präzis ausgebildeter Terminologie).
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braucht besonderen Schutz derjenigen, die über die Wasser gebietet, und die Macht, die ihn gewährt, bezieht auch die sonstigen, die weniger gefahrenträchtigen Bedürfnisse des weiblichen Lebens in ihr Walten ein. Sie kann aber auch die Schiffahrt schützen, und wenn kraft ihres Wirkens die kleinen Boote der Frühzeit den Hafen erreichen, hat sie Anspruch auf Dank17. Überlegungen dieser Art schließen nicht aus, auch für Ralswiek an eine männliche Gottheit zu denken, wie Swantewit sie für Arkona repräsentiert, nur sollten wir uns nicht im voraus auf eine solche festlegen: Wieder Helmold bezeugt eine Stammesgöttin der Polaben (im engeren Sinne), die um Ratzeburg saßen, eine dea Polaborum, die er Siwa nennt (ob Živa gemeint?)18. Auch weiblichen Gottheiten konnte also im Einzelfall hohe Bedeutung zugeschrieben werden. Der Pfahlrest, der am Ralswieker Kultstrand ans Licht kam, zeigt in den erhaltenen Teilen keinerlei Merkmal für eine Geschlechtsbestimmung. Kann sein Holz weiterhelfen? Es ist Rotbuche, unter den bekannten slawischen Kultbildern aus Holz eine Seltenheit – sonst herrscht Eiche vor. Auch im erkennbaren Baumaterial des sakralen Platzes kommt Rotbuche nur gelegentlich vor – Eiche bestimmt auch dabei im wesentlichen das Bild. Außer dem Stelenpfahl (falls er so genannt werden darf) kam in Ralswiek noch ein verstümmeltes Kleinidol zutage, das einmal 30 cm gemessen haben mag; erhalten sind die oberen 17 cm, also gerade der Teil, der bei dem größeren Kultobjekt fehlt. Der Ausgräber glaubt eine abstrakte Menschenfigur mit symbolisch gestaltetem männlichen 17 Über Mokoš zuletzt, höchst einseitig, doch mit weiteren Nachweisen R. Zaroff, Organized Pagan Cult in Kievan Rus’. The Invention of Foreign Elite or Evolution of Local Tradition? in: Studia Mythologica Slavica 2 (1999), S. 66, der dabei sogar an eine persönliche Erfindung Vladimirs d. Gr. denkt; in den weiteren Ausführungen, die sich für Anknüpfung Vladimirs an altslawische Tradition aussprechen, wird S. 67 nochmals die Unsicherheit aller Kenntnis über Mokoš betont, die soeben wiedergegebene Vermutung jedoch nicht zurückgenommen (wie kann eine neugeschaffene Gestalt eines nur sehr kurzlebigen Reichskultes ohne nennenswerte Tiefenwirkung Einzug in lange nachwirkenden Volksglauben gewinnen?). Die Einsicht in die Schlüsselbedeutung des Fruchtwassers danke ich eingehender Unterrichtung über Forschungsergebnisse von Marija Gimbutas; nicht vorgelegen haben deren Bücher: The Language of the Goddes, San Francisco 1989 (Deutsch: Die Sprache der Göttin, Frankfurt/Main 1995), und: The Civilization of the Goddes, San Francisco 1991; sowie The Slavs, London 1971. Wie weit Mokoš in diesen Schriften mit behandelt ist, wäre zu prüfen. 18 Helmold, c. 52 (S. 196, 22). Dazu B. Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte. Zur Rechts- und Religionsgeschichte der germanischen Hinrichtungsbräuche, Berlin 1942, S. 41 f., vgl. 49 f. u.ö. Das viel zu wenig genutzte Buch behandelt über die Titelankündigung hinaus auch die Martyrien von Christen bei Slawen, Balten und ostseefinnischen Stämmen in aufschlußreicher Weise.
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Kopf zu erkennen. Warum diese Kopfandeutung männlich sein soll statt einfach und schlechthin menschlich, auch mit weiblicher Deutungsmöglichkeit, läßt die Abbildung nicht erkennen. Das Material ist wieder nicht Eiche, sondern eine Buchenart – allerdings nicht Rot –, sondern Hainbuche. Sind das Anhaltspunkte, auf denen sich weiterbauen läßt? Einstweilen bleibt nichts als Ungewißheit – und das Auffällige der Lage am Strandrand, samt ihrer Bewahrung trotz wachsender Gefährdung über dermaßen lange Zeit. 4. Das Ende des Kultplatzes Wie ging es mit diesem Opferplatz zu Ende? Das ist im Grunde nicht zu beurteilen, bevor nicht das Fundmaterial der Südsiedlung in gleich umsichtiger Sorgfalt dokumentiert vor uns liegt, denn beide Stätten können abschließend nur im Zusammenhang ausgewertet werden. Festzustehen scheint, daß der alte Kultstrand durch der neuen jenseits des Baches abgelöst worden ist. Aber wie? Geschah dies unmittelbar, durch einfache Verlegung, oder nach einem Hiat? Es fällt auf, daß nicht nur das sakrale Gebäude auf dem erweiteren Podest der Periode B durch Feuer endete, sondern auch die profan genutzte Halle am gleichen Patz in der Periode C. Dazwischen schoben sich tiefgreifende Umgestaltungen des gesamten Geländes: Anhebung des Niveaus durch umfangreiche Aufschüttungen – ihnen danken wir nicht zuletzt die Bewahrung großer Teile des älteren Knochenmaterials –, Anlegen einer neuen Schiffseinfahrt, der Hallenbau, Veränderungen im Wegenetz und anderes mehr. Es war also Macht wirksam, die sich lange genug zu entfalten vermochte, um unter den primitiven Voraussetzungen der Zeit umfangreiche Erdarbeiten in Gang zu setzen, und sie hielt so lange an, daß für nicht näher bekannte Dauer im neuen Gebäude ein profanes Leben Platz greifen konnte. All das geschah, wie gesagt, zwischen den beiden Bränden. Wie haben wir das alles zu verstehen? Es kann sich – zugegeben – um bloße Willkür des Zufalls handeln, um rein äußerliche Parallelität zweier Schadensfälle in zeitlichem Abstand am selben Platz, die nichts mit einander zu schaffen haben. Es kann jedoch, und gerade im hier gegebenen Rahmen, auch um ein Wechselspiel von Repression und Reaktion gehen, mit dessen zweitem Akt sich auch die Erneuerung des bisherigen Opferkultes am neuen Platz verband. Mit anderen Worten:
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Wurde der alte Kultplatz damals, als man ihn preisgab, lediglich verlegt, sein bisheriges Areal nur umgestaltet und umgewidmet – oder wurde die Stätte gezielt profaniert, und die Halle mit ihnen neuartigen Nutzungsmöglichkeiten hatte in erster Linie der Zweck, das bisherige Treiben dort für die Zukunft zu blockieren? Warum entstand der neue Kultplatz nicht, besser gegen das steigende Wasser gesichert, unter Wahrung der vordem so eindruckvoll gewahrten Platzkontinuität? Es gibt mehr Fragen. Was ist davon zu halten, daß in dem Hallenbau, der den alten Kultplatz mit profaner Nutzung verdrängte, Schreibgerät zum Vorschein kam – ein unverkennbarer Griffel aus Horn, etwa 11 cm lang, und zwei Objekte, die die Deutung als Reste von Griffeln mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit zulassen? Es gibt Griffelfunde auch aus der Hauptsiedlung. Sind sie an beiden Stellen gleich zu beurteilen? Griffel weisen auf Wachstafeln als Beschreibstoff, ein antikes Erbe der damaligen westlichen Welt. Alltagsnotizen, Schulübungen, Rechnungen, Konzepte für Urkundentexte oder auch für literarische Entwürfe, wohl auch Briefe wurden dort eingeritzt. All das kommt jedoch in unserer bisheringen Vorstellung von den Ostseeslawen jener Zeit nicht vor. Wir sehen sie als Träger einer oralen Kultur – die gelegentliche Behauptung, die Götterbilder im Tempel von „Rethra“ hätten eingeschnitzte Namen gezeigt, wirkt unglaubhaft. Wir sehen aber auch keine Gründe, für Laienkreise des damaligen Westens Schriftkundigkeit zu vermuten. Die Schreibkunst scheint uns dort für die Jahrhunderte, in die Ralswieks Periode C fiel, auf geistliche Kreise beschränkt. Laiensklaven aus Dänemark, aus Polen oder dem Reich, deren Schreibkenntnis von slawischen Besitzern ausgenutzt werden konnte, passen in dieses Bild ebensowenig wie Kaufleute aus gleicher Nachbarschaft, die sich die schwierige Kunst angeeignet hatten. Christenpriester, aber die erkannt wurden, wurden unter gentilreligiösen Slawen den Göttern geopfert. Wer also schrieb damals im Ralswiek der Periode C, über dem aufgelassenen (profanierten?) Kultplatz? In der Hauptsiedlung mögen die Griffel von Orientalen oder von Skandinaviern benutzt worden sein (einer trägt eine Inschrift in arabischen Zeichen). Spricht das Schreibgerät im Hallenbereich für eine vorübergehende Festsetzung christlicher Invasoren, und das Ende der ersten Kultstätte, die Profanierung des Platzes geht auf diese zurück? Die bekannte Geschichte liefert keine Daten für einen derart massiven Eingriff zu in Betracht kommender Zeit, im früheren 11. Jh., und auch nicht für einen Gegenschlag, der den alten Kult wieder hergestellt hätte.
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Doch eine wirre Zeit ist es damals gewesen, mit vielfachem Hin und Her von dänischen Vorstößen und slawischen Gegenaktionen: So viel ist bekannt, auch wenn vieles im Dunkel verbleibt. Vielleicht gibt es eine Alternative. Schriftkundig waren im damaligen Mitteleuropa auch die Juden, mit ihren besonderen Zeichen, jedenfalls in verhältnismäßig breiter Schicht, Folge ihres speziellen Verhältnisses zu ihrer Heiligen Schrift. Das 10. und 11. Jh. brachte ihnen eine Blütezeit mit vielfacher Privilegierung; sie wurden damals zu einem wichtigen Faktor in der Entwicklung zeitgemäßer Frühformen von Märkten und Städten – z.B. in Magdeburg, dem wichtigen Tor zum slawischen Nordwesten; erst mit der Katastrophe des Ersten Kreuzzugs begann dieses Bild sich zu wandeln. Ihre Wege und Verbindungen ostwärts des Elbstroms lassen sich aus Quellenmangel nicht näher verfolgen, abgesehen von dem einen, dem berühmten Ibrahîm ibn Jaʾqűb zur Zeit Ottos des Großen. Stammen die Ralswieker Schreibwerkzeuge von einem seiner Stammesgenossen, der ähnlich unterwegs war? Dann brauchten wir sie nicht mit etwaigen christlichen Zerstörern von „heidnischem Unflat“ in Verbindung zu bringen und den Brand des Hallenbaues, mit dem die Funde zusammenhängen, nicht mit einer altgläubigen Reaktion. Es bliebe dann aber noch immer die Frage, wie dessen Brand sich gegenüber der Einrichtung des neuern Opferplatzes südlich des Baches in die relative Chronologie einfügt, ob in denselben Zeithorizont oder in einen anderen, vorher oder danach, und es bliebe nichts zuletzt das Auffällige, das in der Aufgabe der vorher so lange trotz Schwierigkeiten gewahrten Platzkontinuität lieg. Dergleichen wiegt für sakrale Orte ungleich mehr als in anderen Fällen. Noch etwas fällt auf. Der vernichtete Hallenbau wurde nicht erneuert oder anders ersetzt. Die in Verbindung mit ihm neugeschaffene Schiffseinfahrt wurde nicht freigehalten; sie konnte versanden. Viellleicht gab es Versuche, den Bach zu regulieren, der gleichhfalls allmählicher Verflachung verfiel (wann?). Das Gelände blieb sich selbst überlassen, zeitweise wohl noch als Weide genutzt; nach und nach entwickelte es sich zu dem grasbewachsenen Ödland, das die Ausgräber vorfanden – wie weit sich vor der Beweidung auch wieder ein Hiat gegenüber der vorausgehenden Brandkatastrophe einschob, ist schwer zu klären. – Wurde die weitere Verwendung der Stätte zu kulturellen Zwecken, so oder so, gezielt unterlassen, aus besonderen Gründen? Es war möglich geworden, das Heiligtum zu vernichten und die Stätte zu profanieren. Wurde das als Zeichen genommen, daß der Segen der Götter nicht mehr auf ihr ruhte, aber auf dem, was dann an die Stelle gesetzt worden war,
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offensichtlich auch nicht? Der Hallenbau war ja ein äußeres Zeichen der Profanierung. Denkbahnen, die aus der alten Religion eingeschlagen wurden, konnten wohl so verlaufen, und doch bleibt die Frage, ob der mehrfache Wechsel vielleicht doch einfach äußeren Gründen entsprang, bedingt durch die Entwicklung des Wasserstandes. Es ist kaum zu erwarten, daß die aufgeworfenen Fragen einmal sämtlich Antwort finden, Trotzdem sollten wir sie stellen, um uns die Grenzen unserer Erkenntnismöglichkeiten bewußt zu halten. Einstweilen wird es richtig sein, sich nach keiner Richtung hin festzulegen, sondern zunächst einfach unvoreingenommen die möglichen Interpretationsalternativen bereitzulegen, bis die methodische Aufarbeitung der Materials der Südsiedlung und ihres Umfeldes neue Voraussetzungen schafft, sei es für die Erhellung der relativen Chronologie, sei es darüber hinaus. Zu den wichtigen Elementen, die dann abzuwägen sind, wird – neben dem Problem der Griffel – die Zähigkeit gehören, mit der der alte Opferplatz vor der Periode C gegen alle Widrigkeiten festgehalten wurde. Ob wir dann auch näheren Einblick in die Art seines Endes erhalten werden, bleibt abzuwarten. 5. Slaweneinwanderung, Restgermanen und ethnische Kontinuitäten Zum Schluß sei der Blick auf ein Problem gelenkt, das die Kultgeschichte von Ralswiek nicht unmittelbar berührt, wohl aber die Voraussetzungen für ihren Beginn: die Slaweneinwanderung auf Rügen. In die Grabungskampagnen, die der vorliegende Band dokumentiert, wurden auch gezielte Punkte des Hinterlandes jener Siedlung einbezogen. Von ihnen erstreckte sich eine auf den sog. Schloßberg, knapp 3 km nordöstlich Ralswiek, an der Spitze der Landzunge, die den Großen vom Kleinen Jasmunder Bodden scheidet, also an der verengten Durchfahrt zwischen den beiden Gewässern. Auf dieser Erhebung war eine Wallanlage aufgefallen. Ein Suchschnitt erwies sie als völkerwanderungszeitlich; die Befunde wurden zu den Ergebnissen eines weitgespannten Netzes von pollenanalytischen Untersuchungen in Beziehung gesetzt. Wie oft schon andernorts, ergaben sich auch dabei gravierende Widersprüche zwischen den archäologischen und den paläobotanischen Daten; Die ersten sprechen nach herkömmlichen Interpretationsmustern für einen deutlichen Hiat zwischen germanischer und slawischer Besiedlung, die anderen für eine Siedlungskontinuität, in die slawische Elemente,
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kenntlich an der Einführung von Roggenbau, spätestens im 7. Jh. eindrangen. Wie ist das aufzulösen? Die diffizile Problematik umfassend aufzugreifen, ist in einer Grabungsdokumentation nicht der Ort. Herrmann beschränkt sich daher auf prinzipielle Hinweise, die früher von ihm Vorgetragenes weiterführen, ohne einer definitiven Lösung verzugreifen; es geht dabei ja letztlich um nichts anderes als um die Möglichkeiten und Grenzen des archäologischen Nachweises von ethnischen Bewegungen überhaupt. Herrmann stellt in diesem Zusammenhang den Aussagewert rein typologisch fundierter Folgerungen aus keramischem Material erneut in Frage. Dem wird weiter nachzugehen sein. Das Problem berührt sich in manchem mit der Lage in Kärnten. Auch dort besteht ein Hiat: Slawen sind für die Übergangszeit zwischen Völkerwanderungszeit und Frühmittelalter durch Schriftquellen sehr gut bezeugt, archäologisch wollten sie sich geraume Zeit nicht zeigen, bis es wenigstens für das 8. Jh. zu Neudatierungen kam19. Für Rügen ist das weitgehende Fehlen vergleichbarer schriftlicher Nachrichten zusätzlich in Rechnung zu stellen. Die Komplizierung der ostalpinen Situation durch unumgängliche weitere Fragen wie die nach Restromanen und awarischen oder sonstigen Steppennomaden bleibe hier aus dem Spiel. Ein Restgermanenproblem verbindet beide Schauplätze20. Es ist oft in schiefe Richtung gedrängt worden. Daß es gleichwohl legitim aufgeworfen wird, läßt sich aus Schriftquellen belegen21, durch die auch etymologische Erwägungen gerechtfertigt bleiben, selbst wenn sie manchmal in die Irre gehen. Ein besonderer Aspekt des Restgermanenproblems, der gerade auch für Rügen in Betracht kommt, ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen slawischen Einwanderern und etwa verbliebener Vorbevölkerung. Der Berichterstatter vermag dazu nichts zu sagen, doch sei betont, daß in zu entwickelnde Modellvorstellungen die bekannt starke Durchsetzungs-
19 E. Szameit, Merowingisch-karantanisch-awarische Beziehungen im Spiegel archäologischer Bodenfunde des 8. Jh.s. Ein Beitrag zur Frage nach den Wurzeln der frühmittelalterlichen Kulturerscheinungen im Ostalpenraum, in: Neues aus Alt-Villach. Jahrbuch des Museums der Stadt Villach 31 (1994), S. 7–23; Ders., Zu Funden des 8. Jh. aus Kärnten, in: Acta Historiae 2 (1994), S. 79–92; Ders., Frühmittelalterliche Siedlungstätigkeit im Ostalpenraum und der Nachweis von Slawen im Lichte archäologischer Quellen. Bemerkungen zu einem Modell der archäologischen Fundsituation des 6.–9. Jh.s in Österreich, in: Mitt. d. anthropolog. Ges. Wien 125/128 (1995), S. 291–309. 20 H.-D. Kahl, Der Staat der Karantanen (Bibliografie Nr. 154), S. 110–132. 21 Beitrag XXIII, S. 744 f.
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kraft slawischer Idiome einbezogen werden muß. Mit Grund wird dazu auf ein Zeugnis verwiesen, das das sog. Strategikon des Maurikios bietet. Dort ist die ungewöhnlich starke Bereitschaft der Slawen betont, fremde Elemente als „freie Freunde“, also in günstiger Rechtsstellung, in die eigene Sozialordnung einzubeziehen22. Eine zahlen- und machtmäßige Überlegenhheit setzt allerdings auch das in jedem Fall voraus. Wie diese Faktoren sich aur Rügen ausgewirkt haben, mindestens viele Jahrzehnte, bevor der Seehandelsplatz Ralswiek entstand, bleibt bis auf weiteres im Dunkel. Die Germanen, die sich an seiner Gründung beteiligten, waren mit Sicherheit keine auf Rügen altheimischen aus Jahrhunderten vor der Völkerwanderungszeit. Mag sein, daß es auf slawischer Seite damals noch Nachkommen solcher Restgermanen gegeben hat, die sich etwas von ihrer zeitweise vorauszusetzenden Zweisprachigkeit bewahrt hatten. Wirkten solche mit, so könnte das die für den Anfang entscheidende Verständigung erleichtert haben23. Doch dies gehört mit zu den interessanten Fragen, auf die niemand eine Antwort weiß. Gleichgültig indes, ob diese Möglichkeit in Ralswiek mitspielte oder nicht: Es kommt hier auf das Prinzipielle an. Das Restgermanenproblem in der heutigen Germania Slavica, als legitim abgesichert, kann helfen, eine Erinnerung wachzuhalten, die die beiden letzten Jahrhunderte nur zu oft verdrängt haben. Es trifft sich dabei mit der Frage nach dem Verbleib slawischer Vorbevölkerung im gleichen Gebiet nach dessen mittelalterlichdeutscher Durchdringung, nur daß beide sich auf verschiedenen Bahnen bewegen. Frühere Zeiten mochten sich in der Vorstellung gefallen, daß „Völker“, was immer man darunter verstand, als geschlossene Einheiten auf Wanderschaft gingen, Billardkugeln gleich, die einander stießen und dann ihre Wege nahmen. Dies festzuhalten ist endgültig verbaut
22 Mauricii Strategikon 11,4 (hg. G. T. Dennis – E. Gamillscheg, Copus Fontium Historiae Byzantinae 17, Wien 1981, S. 372), dazu W. Pohl, Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa, München 1988, S. 127 u.ö. 23 Möglichkeiten frühmittelalterlicher Verständigung zwischen damals noch weniger weit auseinanderentwickelten germanischen Idiomen zeigt A. Lasch, Das altsächsische Taufgelöbnis, in: Neuphilolog, Mitteilungen 36 (Helsingfors 1935), S. 92–133, am Beispiel der Auseinandersetzung angelsächsischer Missionare mit der Sprache ihres altsächsischen Missionsgebietes.
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durch die bahnbrechenden Forschungen, die Reinhard Wenskus vor drei Jahrzehnten vorgelegt hat24. Am Beispiel der frühmittelalterlichgermanischen gentes entwickelt, sind sie weithin übertragbar auf andere Gruppierungen wie auch auf andere Zeiten. Völker und Nationen sind keine statischen Größen, die man in Geschichte und Prähistorie beliebig weit zurückverfolgen könnte. Sie entstehen und vergehen in vielfacher Fluktuation, deren Intensität wechselt, und sie bilden sich keineswege alle zu gleicher Zeit; dabei sind biologischer und sprachlicher Traditionsgang gegen ersten Augenschein weder gleichläufig noch gar identisch. Beide nehmen verschiedene Wege, die sich nur teilweise berühren. Der einseitige Sprachnationalismus, der so vielfach eingerissen ist, verdrängt daher wichtige Lebenswirklichkeiten anderer Art, und das hat immer wieder verheerende Folgen25. Wir Völker Europas sind alle viel stärker durchmischt und viel enger verwandt, als man dies langezeit wahrhaben wollte, gleich, ob wir nun in der Romania Germanica leben, in der Germania Romanica, in der Germania Slavica, in der Slavia Germanica (von der man sehr wohl ebensogut sprechen könnte) oder wo immer sonst. Das Restgermanenproblem ist eine unter vielen Karten in diesem Spiel. Sie sticht allerdings nicht an allen Plätzen, an denen man sie auszuspielen suchte. Was nun die Übergangszeit zwischen Völkerwanderung und Frühmittelalter auf Rügen angeht, so wird man die Hinweise der Paläobotanik ernst nehmen müssen, nur daß von ihnen aus, soviel ich sehe, das Zahlenverhältnis zwischen Einwanderern und Vorbevölkerung offen bleibt. Es mag dazu erlaubt sein, an ein paar Binsenwahrheiten zu erinnern, von denen keine für sich etwas Neues bringt, doch im Zusammenhang könnten sie vielleicht weiterhelfen. Auch Paläobotanik und Archäologie leben, wie mehr oder weniger alle Wissenschaft, in der Spannung von Befunden und Interpretation.
24 R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes, Köln-Graz 1961 = Köln-Wien 1977. 25 s. Anm. 4, dazu H.-D. Kahl, Wer ist in Kärnten „autochthon“? Anmerkungen zur Bevölkerungsgeschichte zwischen Karawanken und Tauern, in: Carinthia I/186 (1996), S. 419–427: Ders., Solium Ducatus Karinthie. Fragen um Kärntens Füstenstein und seine Rituale, in: Carinthia 188 (1998), bes. S. 243 f. Zur Ungleichzeitigkeit des Entstehens von Nationen und dem Versuch, diese Tatsache durch Erfindung von Geschichtsmythen zu beschönigen: Ders., Der Mythos vom Zollfeld/Gosposvetsko polje, bei A. Moritsch (Hg.), Karantanien – Ostarrichi. 1001 Mythos (Unbegrenzte Geschichte 5), Klagenfurt/Celovec 1997, S. 54–58.
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Dabei ist die Ausgangslage verschieden. Pollenanalysen bieten für die Zeitspanne, die sie erfassen, und den Umkreis, den sie einbeziehen, den Befund lückenlos, von Jahr zu Jahr. Wie lange ein bestimmter Fruchtanbau sich fortsetzt und wann ihn ein neuer ergänzt, kann sie beweisen; was das dann bedeutet, ist Auslegungssache – es kann vielfach nur durch Anleihen außerhalb des Faches klargestellt werden (daß es Slawen sein dürften, die den Roggen mitbringen, steht nicht in den Pollen). Ebenso haben Archäologen ihre spezifischen Befunde: Diese Scherbe vertritt den Feldberger, jene den Menkendorfer Typ; wer aber wann die Gefäße herstellte und wer sie wann benutzte, bleiben Fragen für sich. Immer wieder begleiten sie Datierungsprobleme, sehr viel weniger eindeutig als bei der Pollenanalyse, und deren Auflösung ist oft nur mit einem Unsicherheitsfaktor möglich, ob nun groß oder klein; verfeinerte Methoden können im Nachhinein auf Umdatierung drängen. Fundlücken verdunkeln zusätzlich das Bild, und sie sind tükkisch: Jeder Tag kann Neues bringen, was sie verringert oder schließt, nur daß die meisten Tage dies nicht tun; bewiesen werden kann hier nur, was ist, nicht aber auch, was nicht ist, und Negativbefunde können immer nur bis auf weiteres gelten. Das sind Gegebenheiten, die die Archäologie gegenüber der Paläobotanik in Nachteil bringen, nicht weil sie von Haus aus weniger sorgfältig arbeitete, sondern von den Grundvoraussetzungen des Faches her. All das berührt die Aussagemöglichkeiten beider Disziplinen, die eben von Natur nicht gleich sind, und das wirkt auf das Restgermanenproblem zurück, für Rügen und anderswo. Wenn Pollenanalysen methodisch sauber erarbeitet sind und deren Interpretation auf unanfechtbaren Voraussetzungen fußt, muß ich den Aussagen glauben, auch wenn zur Zeit keine entsprechenden Scherben oder Kämme sie stützen. Für den Archäologen bleibt dann die Frage, ob für das ihm vorliegende Material die Interpretationsansätze bisheriger Forschung überdacht werden müssen. Erweisen sie sich als weiterhin tragfähig, so bleibt die Kluft zwischen den beiderlei Aussagemöglichkeiten bestehen, und es muß weiter abgewartet werden, ob, wann und wie sie sich vielleicht doch noch einmal schließt, zum Beispiel durch Neufunde. Bringt die Herausforderung durch das Nachbarfach den Durchbruch zu neuen Interpretationsmöglichkeiten, so kann es vielleicht trotz allem schließlich zum Einklang kommen. Wenn ich recht verstehe, ist damit auch Herrmanns Auffassung wiedergegeben. Jedenfalls sucht er, mit neuem Ansatz Bewegung in die Methodendiskussion seines Faches zu
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bringen, und dem sollte man mit Offenheit begegnen, gleichgültig, ob dieser Ansatz sich dabei noch modifiziert oder nicht. 6. Schlußbemerkung Der Band Ralswiek II ist mit alledem nicht ausgeschöpft. Auch so schon wird deutlich geworden sein: Hier ist wieder einmal vielseitige Information mit reichen Anregungen verbunden, die auch andere Fachrichtungen nun aufgreifen können, um am möglichen gemeinsamen Ergebnis weiterzuarbeiten. Dafür dürfen wir Joachim Herrmann und seinem Mitarbeiterteam dankbar sein. Hoffentlich kann die Aufarbeitung der noch ausstehenden Materialien dieser Grabungskampagnen bald weitergeführt werden – nicht nur für die Südsiedlung, von der für die hier offen gebliebenen Fragen so besonders viel abhängt. [Nachtrag 2008: Die Grabungsdokumentation wurde inzwischen mehrbändig fortgesetzt. Teil IV (2006) kommt im Rahmen einer allgemeinen Forschungsbilanz S. 171–175 nochmals auf den Kultplatz zurück.]
BEITRAG VII
WAR GROSS RADEN WIRKLICH EIN „SLAWISCHER TEMPELORT“? Groß Raden, 3,5 km nördlich des mecklenburgischen Sternberg, genießt den Ruhm, erstmals in der Geschichte der Archäologie einen slawischen Tempel preisgegeben zu haben, und das in so bedeutenden Überresten, daß an eine Rekonstruktion gedacht werden konnte. Das Ergebnis bildet als originalgroßer Modellbau die Hauptattraktion eines Freigeländes, das dort einem instruktiven Museum zur Geschichte nordwestslawischer Stämme angegliedert ist; als Zeichnung geht es seit Jahrzehnten durch die Fachliteratur; man spricht von einem „slawischen Tempelort“1. Er kommt als Zentralheiligtum der Warnower, Warnaben, Warnawen in Betracht, eines obotritischen Teilstamms, von dem wir besonders wenig wissen2. Der Kult soll im 9. Jahrhundert einige Zeit in diesem
1 Ewald Schuldt: Der altslawische Tempel von Groß-Raden, Schwerin 1976. – Ders.: Groß-Raden. Ein slawischer Tempelort des 9./10. Jahrhunderts in Mecklenburg, Berlin 1985. – Joachim Herrmann (Hg.): Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neiße vom 6.–12. Jahrhundert. Ein Handbuch. Neubearbeitung, Berlin 1985, passim (Register), bes. S. 198–200, dazu 174–176. – R. Voss – P. Sentek: Der eintausendjährige Tempelort Groß Raden. Schwerin 1988. – H. Keiling: Archäologisches Freilichtmuseum Groß Raden. Archäologische Funde und Denkmale in Mecklenburg-Vorpommern, Museumskatalog 7, 3. Aufl., Schwerin 1990, S. 10–30. – L. P. Słupecki: Die slawischen Tempel und die Frage des sakralen Raumes bei den Westslawen in vorchristlichen Zeiten. In: Tor 25, Uppsala 1993, S. 269–270. – Ders.: Slavonic Pagan Sanctuaries. Warsaw 1994, S. 95–120. – R. Voss: Altslawischer Tempelort Groß Raden. Museumsführer durch das Freigelände, Sternberg o.J. (nach 1990). – L. P. Słupecki: Au declin des dieux slaves. In: M. Rouche (Hg.): Clovis – histoire et mémoire (II.): Le baptême de Clovis, son écho à travers l’histoire. Paris 1997, S. 297–298. – Michael Müller-Wille: Opferkulte der Germanen und Slawen. Archäologie in Deutschland, Sonderband, Stuttgart, Darmstadt 1999, S. 84–86. – Überholt ist die gelegentlich erwogene Identifizierung mit „Rethra“, dazu jetzt V. Schmidt: Rethra – Lieps, am Südende des Tollensesees. In: Studia Mythologica Slavica 2. Ljubljana 1999, S. 33–46 mit weiterer Literatur. – Vgl. Anm. 8. 2 Wolfgang H. Fritze: Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihrer Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat. In: H. Ludat (Hg.): Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder. Gießen 1960, bes. S. 142 u. 202. – Herrmann (wie Anm. 1), S. 12, 33, 210, 236 u. 254. – B. Friedmann: Untersuchungen zur Geschichte des abodritischen Fürstentums bis zum Ende des 10. Jahrhunderts. Gießener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsgeschichte des europäischen Ostens 117. Berlin 1986, S. 27, 75 u. 89, vgl. 272 (wie es scheint, noch
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Tempel geübt, dann aber auf eine nahe Insel verlegt worden sein, an einen besser gesicherten Platz unter freiem Himmel; das 10. Jahrhundert hätte er nicht überdauert. Die Funde und Befunde, auf denen diese These aufbaut, sind gut dokumentiert. An ihnen ist nicht zu rütteln. Doch wie steht es mit der Interpretation? Die Forschung hat in den zwei oder drei Jahrzehnten, seit diese Konzeption entwickelt wurde, erhebliche Fortschritte gemacht, nicht zuletzt in religionsgeschichtlicher Hinsicht3. Es kann nichts schaden, den alten Entwurf neu zu überprüfen und dazu vielleicht auch einmal einen Nichtarchäologen zu hören, der von Geschichts- und Religionswissenschaft herkommt. Ob das, was er beitragen kann, konsensfähig ist, müssen dann wieder die Archäologen entscheiden. Der Gesamtkomplex, der das fragliche Gebäude einschließt, liegt in einem Seengebiet, dessen ausgedehnte Wasserflächen früher wohl noch weitläufiger zusammenhingen. Es bettet sich in ein einst dicht bewaldetes Hügelland und gehört über die Mildenitz, die etwas nördlich in die Warnow mündet, zum Gebiet des für die Warnower namengebenden Flusses. Nach Nordosten hin streckt es den heute sog. Radener Binnensee aus. In ihn ragt von der nordöstlichen Schmalseite her eine Landzunge, der eine flache, annähernd kreisrunde Insel vorgelagert ist. Beide vereint, als Gesamtkomplex in das erwähnte Museumsfreigelände einbezogen, bilden den Schauplatz der folgenden Diskussion. Die Landzunge gab günstige Bedingungen für menschliche Besiedlung; dort fand im 9.–10. Jahrhundert eine Gruppe von gut 30 Hütten reichlich Raum. An diese angelehnt, etwas abseits gelegen, an der Spitze der Landzunge, befand sich der als Tempel gedeutete, ungleich aufwendiger gestaltete Hallenbau. (siehe Abb. 1) Die Insel, annähernd kreisrund mit einem Durchmesser von knapp 90 m, führte ein Eigenleben, auf das zurückzukommen ist. In der Entwicklung des gesamten Ensembles lassen sich bis ins 10. Jahrhundert hinein zwei Phasen unterscheiden, aber
unter Einschätzung des Burgwalls von Groß Raden als Fürstenburg, die archäologisch widerlegt ist). Vgl. unten Anm. 19. – Es gibt Versuche, die Warnower mit den germanischen Warnen in Verbindung zu bringen, die jedoch wohl eher in Jütland als in Mecklenburg saßen, vgl.: E. Schwarz: Germanische Stammeskunde. Heidelberg 1956, S. 116, u. bes. R. Much u.a.: Die Germania des Tacitus, 3. Aufl., Heidelberg 1967, S. 441. Wenig erwogen wird dabei die Möglichkeit zufälligen Gleichklangs der Namen. 3 Umfassende Bibliographien enthalten die Arbeiten von Słupecki (wie Anm. 1) – Für die Kultstättenfragen, die hier im Vordergrund stehen, kommt ihnen besonders weiterführende Bedeutung zu.
war gross raden wirlich ein „slawischer tempelort“? 169 anscheinend nicht eindeutig trennen. Es liegt im Wesen der Archäologie, daß sie immer nur ungefähr zu datieren vermag. Die Landzungensiedlung war von Anfang an befestigt. Im älteren Stadium wies sie ausschließlich Wohn- und Vorratsbauten sowie Werkstätten auf, doch keinerlei Anzeichen agrarischer Betätigung. Das weist diesen Teilkomplex für diese Phase als eine Dienstsiedlung aus, die in erster Linie andere Aufgaben hatte als die Nahrungsmittelproduktion und von auswärtiger Versorgung abhängig war, die also organisiert sein mußte. Für die Deutung der gleichzeitigen Verhältnisse auf der offensichtlich zugehörigen Insel wird das im Auge zu behalten sein. In unmittelbarer Nachbarschaft des Hallenbaus fand sich am Siedlungsrand ein freier Platz ausgespart, vor dem die übrige Bebauung auffällig zurückwich. Der Ausgräber schätzte, vielleicht etwas großzügig, dort hätten sich 1000 Menschen versammeln können. Schon 800 wären für damalige Umstände ziemlich viel gewesen. Es liegt nahe, zwischen dem Freiplatz und diesem Bauwerk eine nähere Verbindung anzunehmen. Die Halle scheint fast eher auf diesen Platz als auf die Siedlungshäuser bezogen. Der Eindruck kann jedoch täuschen, weil, wie noch zu berühren, die Gleichzeitigkeit nicht völlig gesichert ist. In der zweiten Phase rückte die Bebauung etwas mehr auf diesen Geländeteil vor. Die unterschiedlichen Haustypen beider Perioden sind im Freilichtmuseum teilweise gleichfalls nachgebaut und einander gegenübergestellt. Beide – erst Flechtwerk-, dann Blockhütten – bleiben architektonisch weit hinter dem sogenannten Tempel zurück. Dieser Bau selbst wird als „the most impressive example of Slavonic religious architekture“ gerühmt4, und die erhaltenen Überreste rechtfertigen dieses Urteil nach wie vor, obgleich mittlerweile an anderer Stelle Parallelen zutage gekommen sind, doch in wesentlich schlechterem Zustand5. Wir stehen vor einer einräumigen Halle von 7 × 11 m, viermal so groß wie die Wohnbauten der ersten Phase. Die Ecken scheinen nach den vier Haupthimmelsrichtungen zu weisen. Die massiven Eichenbohlen, die palisadenartig die Wände zusammensetzten, ragten 2 m über den Boden. Diesen Wänden waren Zierwände vorgesetzt, fest innen verankert, gleichfalls Bohlen, deren oberes Ende jedoch einen kopfartigen Umriß besaß; sie wirken als anthropomorphe Abstraktion. Diese Kopfenden zeigten nicht weniger als zehn verschiedene Formen.
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Słupecki (wie Anm. 1) 1994, S. 96. Zusammenstellung: Ders. 1997, S. 302, Anm. 54.
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Sie waren nicht, wie anderwärts, beschnitzt; auch Farbreste einstiger Bemalung wurden nicht wahrgenommen. Ähnlich gestaltet waren die 1,5 m hohen Pfosten, die den Zaun um einen nochmals vorgesetzten schmalen Umgang trugen. Die Halle hatte an jeder Schmalseite eine nicht gerade breite Tür (0,80 bzw. 1,00 m bei 1,80 m Höhe); sie erlaubte also den Durchgang. Im Innern fanden sich keinerlei Spuren ständiger Bewohnung, jedoch auch keine, die auf feste Aufstellung eines Idols oder auf einen Opfersockel schließen ließen. Es gab allerdings bemerkenswerte Einzelstücke: mehrere Pferdeschädel und zwei eiserne Lanzenspitzen, dazu vor dem nördlichen Zugang ein weiterer Schädel, dessen Oberteil entfernt war, von einem jungen Rind, schließlich ein Keramikpokal, der in Größe und Machart auffällig von entsprechendem Fundgut aus der Siedlung abstach, u.a.m. Jeder wird einräumen: Dies alles, nicht zuletzt in Kombination, ist äußerst auffällig. Es schließt den Gedanken an profane Bestimmung des Gebäudes aus. Daß der Ausgräber, der sich mit solchen noch niemals erhobenen Befunden aus slawischer Provenienz konfrontiert sah, an einen Tempel dachte, ist nur zu verständlich6. Als Lösungsversuch der ersten Stunde kam kaum etwas anderes in Betracht. Es gibt jedoch Probleme nicht nur in diesem einen Punkt. Bei weniger gravierenden sei angesetzt. Zunächst die Datierung: Sie schwankt in der Diskussion merkwürdig zwischen spätem 9. und spätem 10. Jahrhundert, was die einwandfreie Zuordnung des Gebäudes zu den Phasen der weiteren Teilkomplexe erschwert7; die Bauart – wie gesagt: Eichenbohlen in Palisadenbauweise – weicht sowohl von den Flechtwerkhütten der ersten wie von den Blockbauten der zweiten Siedlungsperiode ab. Hinzu kommt zunächst die Frage der Rekonstruktion. Wie die Datierung, so wurde auch sie nachträglich angefochten, und das mit Grund, denn sie läßt ein Problem ungelöst, das in dieser regenreichen Gegend hohe Aufmerksamkeit beansprucht, nämlich das der Wasserführung. Leider gab es nur Kritik und keinen neuen Entwurf – auch das ist nur zu verständlich: Es ist immer leichter, festzustellen, daß eine bestimmte Lösung sicher auszuschließen ist, als zu sagen, wie es stattdessen positiv gewesen sein könnte – besonders dort, wo klare Analogien fehlen. Die Zweifler stellten sogar die vermutete Überdachung in Frage, aber das ging wohl doch zu weit, – ein Balken, den der Ausgräber als Firstständer
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Schuldt (wie Anm. 1), zuerst 1976. Słupecki (wie Anm. 1) 1997, S. 299 m. Anm. 41.
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Abb. 1: Rekonstruktionszeichnung des „Tempelortes“ im 9. Jahrhundert nach Ewald Schuldt
Abb. 2: Rekonstruktionszeichnung des „Tempelortes“ im 10. Jahrhundert nach Ewald Schuldt
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in Anspruch nehmen wollte, ist zwar als solcher nicht sicher bestimmt, und im Gebäude ließ er sich nicht plazieren, doch die Abmessungen insgesamt mit ihrer einseitigen Längserstreckung scheinen durch die Erfordernisse eines Firstbaums bestimmt und die Massivbohlenwände eher zum Tragen entsprechender Auflagen. Einen umhegten Freiraum möchte man sich weitläufiger vorstellen8. All das ist wohl zu bedenken, doch es berührt nicht das Hauptproblem. Ungesichert ist nicht zuletzt die Annahme, der Hallenbau repräsentiere ein älteres Heiligtum, das durch ein jüngeres auf der Insel abgelöst worden sei (vgl. Abb. 1 u. 2). Was die einstige Insel seit Menschengedenken beherrscht, auch heute im Freilichtmuseum, ist ein mächtiger Ringwall. Er umschließt sie ganz bis auf einen schmalen Rand, der früher den Zugang ermöglichte. Die Ausgrabungen haben gezeigt, daß diese Anlage die jüngere Phase der Landzungensiedlung begleitet hat. In deren Verlauf wurde sie immer stärker ausgebaut, in drei Abschnitten nach und nach. Schließlich krönte sie ein hölzerner Wehrgang; weitere Schutzbauten, darunter ein Brückenhaus, das den Steg vom Dorf her sperren konnte, kamen hinzu. Man meint, ein verstärktes Sicherheitsbedürfnis zu spüren. Das 10. Jahrhundert gab dazu reichlich Gründe: Der Druck der zentralen Obotritenmacht auf die Randstämme intensivierte sich; nicht zuletzt machten christliche, in diesem Fall sächsisch-deutsche Aggressoren sich mehr und mehr bemerkbar. Heiligtümer galt es, gegen sie besonders zu schützen – und ein Heiligtum barg dieser Wall. Davon gleich. Die erste Phase kannte ein solches Schutzbedürfnis an dieser Stelle nicht. Für sie zeigt die Insel sich ohne jede Befestigung. Dafür bietet sie uns die komplizierteren Probleme. Sie beginnen bei dem eben genannten Steg. Es handelt sich um eine Holzbrücke, etwa 100 m lang, 3 m breit, also in ihrer Art gleichfalls ein beachtliches Bauwerk. Sie schließt als unmittelbare Fortsetzung geradlinig an den Hauptweg der Landzun-
8 Zur Kritik an der bisherigen Rekonstruktion vor allem Joachim Herrmann: Ein Versuch zu Arkona. Tempel und Tempelrekonstruktionen nach schriftlicher Überlieferung und nach Ausgrabungsbefunden im nordwestslawischen Gebiet. In: Ausgrabungen und Funde 38, 1993, S. 136–144. Herr Univ. – Prof. Dr. Franz Glaser, Klagenfurt, bemerkt brieflich am 24.05.1996: „Eigentlich“ müßten bei Ausführung der Rekonstruktion „auch den Zimmerleuten Zweifel gekommen sein“; das Problem der Wasserführung sei immer entscheidend. Er fügt hinzu: „Daß bei den Ausgrabungen kein Firstbalken zutage trat, ist kein entscheidendes Argument, weil auch laut Zeichnung zahlreiche Bretter der Wände bzw. Umfriedung fehlen. Vom Dach findet man oft überhaupt nichts.“
war gross raden wirlich ein „slawischer tempelort“? 173 gensiedlung an, was für eine einheitliche Planung spricht; die Insel wurde also von Anfang an einbezogen. Die Trasse muß gerade so, wie sie angelegt war, für wichtig gehalten worden sein, denn die zweite Siedlungsphase hat sie, offenbar nach einem zerstörerischen Eingriff, genau erneuert. Dabei hat sie einen eigenartigen Verlauf: Sie zielt nicht auf der kürzestmöglichen Strecke, die den Arbeitsaufwand eingeschränkt hätte, gleichsam radial zur Insel – sie legte sich am Ende wie eine abgebrochene Tangente an den nordöstlichen Inselrand, und das machte sie länger. An der Berühungsstelle traf sie auf acht kleine Hütten, die sich merkwürdig an diesem Rand zusammendrängten. Keine war ein Wohnbau, keine eine Werkstätte, obwohl in der Nähe ein paar Drechselköpfe zum Vorschein kamen; nur eine läßt etwas von ihrer Funktion erkennen, und das so, daß sie an so abgelegener Stelle überrascht: Dort kam nämlich eine Ölpresse zum Vorschein, dazu Vorratsgefäße von beachtlichem Umfang (15–50 Liter Fassungsvermögen); es scheint, daß außer Leinsamen dort auch Hirse und andere Getreidearten verarbeitet werden konnten, nur daß man nicht recht sieht, wie. Diese Hüttengruppierung besetzte, wie gesagt, einseitig den Inselrand am Brückenkopf, der Hauptteil der Insel war nach den vorgelegten Rekonstruktionen in dieser Phase unbebaut, lag also frei. Man fragt sich, worin diese auffällig unsymmetrische Bebauung, wodurch die Trassenführung der Brücke begründet ist und worin überhaupt die Bedeutung des Gesamtkomplexes für die Landzungensiedlung gelegen haben mag, so daß man den Aufwand eines derartigen, noch dazu verlängerten Brückenbaues nicht scheute und sich nicht mit Kahnverbindungen begnügte. Die Zahl der Schultern, auf die sich die mühsame Arbeit verteilen konnte, war bei der Größe der Siedlung doch nicht sehr erheblich, falls nicht Verstärkung von auswärts kam. Ergibt sich Antwort aus den Befunden der zweiten Phase? Sie zeigte das Burgwallinnere, eine Innenfläche von 25 m Durchmesser, von Hütten und Häusern frei; einige Räume waren kasemattenartig in die Wallanlagen hineingebaut. Die freie Fläche war fast fundleer, doch in ihrem Mittelpunkt erschien eine Grube, 1,2 m Durchmesser, 1,6 m tief, und auf ihrem Grund lagen zwei größere Feldsteine. Sie wurden ansprechend als Fundament für ein Kultbild gedeutet, das entsprechend eingetieft aufgerichtet war; eine hohe Phantasiestele deutet im heutigen Freilichtmuseum diese Lösung an, und eine Alternativdeutung ist schwer vorstellbar. Einige bemerkenswerte Drainageanlagen sorgten dafür, daß der Boden möglichst trocken blieb.
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Der Ausgräber, fixiert auf seine Vorstellung vom Hallenbau als Tempel der ersten Phase, hat diese Vorrichtung unwillkürlich mit dem umgebenden Burgwall zusammengesehen, als seien beide in einem entstanden, und kam dadurch zu seiner These von der Verlegung des Heiligtums. Für die entscheidende Grube sind jedoch, soviel ich sehe, keinerlei nähere, keinerlei einschränkende Datierungshinweise gegeben. Nichts hindert die Annahme, das Symbol der Gottheit an dieser Stelle werde schon in die Anfangsphase zurückgehen, und dies sei es, was die merkwürdige Verteilung ihrer Inselhütten erklärt. Wir könnten uns damit die befremdliche Vorstellung ersparen, das Idol sei zunächst von einem Tempel beherbergt worden, also unter Dach und Fach – eine weiter entwickelte Lösung –, und erst nachträglich habe man es dann doch den Wettern und Winden ausgesetzt, wie das im Burgwallinnern der Fall gewesen sein muß (nichts deutet auf einen Schutzbau um den Grubenbereich). Die Unsicherheit der Datierung der Halle, die nicht ausschließt, daß sie noch neben dem Burgwall bestand, verstärkt die Fragezeichen. An Beispielen, die meinen Vorschlag stützen, fehlt es nicht. Nennen wir nur eins, das erst jüngst genauer bekanntgeworden ist. Soeben wurden die Befunde vorgelegt, die sich für den Kultplatz der frühmittelalterlichen Kaufmannssiedlung bei Ralswiek auf Rügen ergaben. Er befand sich abseits der Hauptsiedlung und ihres Hafens am flachen, offenen Strand eines Meeresarms und wurde vom späten 8. bis ins 10. Jahrhundert genutzt. Vorzugsweise war er wohl für die Opfergaben bestimmt, die auswärtige Kaufleute der Ortsgottheit darbringen lassen mußten, bevor sie ihre Geschäfte aufnehmen konnten. In der Frühphase, vor und nach 800, stand dort an leicht erhöhter Stelle ein hölzernes Kultbild, wenige Meter von der Wasserfläche entfernt; erhalten haben sich das Pfostenloch, Verkeilungen und, umgestürzt, sogar die untere Partie des Pfostens. Eingefaßt war diese Statue oder Stele durch eine ovale Steinpackung; sie kann keine andere Bedeutung gehabt haben als die einer sakralen Hegung: eine zusätzliche Schutzvorrichtung wurde nicht für nötig gehalten9.
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Joachim Herrmann: Ralswiek auf Rügen. Die slawisch-wikingischen Siedlungen und deren Hinterland II: Kultplatz usw. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 33, Lübstorf 1998, S. 15–16, 19, 21 u. 66 f. – Dazu Beitrag VI. – Vgl. Anm. 16.
war gross raden wirlich ein „slawischer tempelort“? 175 Sollte man sich das Inselheiligtum von Groß Raden für seine ersten Jahrzehnte ähnlich vorstellen dürfen, nur daß sein Kultbild nicht so unmittelbar am Wasser stand? Vieles auf einmal wäre dadurch erklärt: die offensichtlich hohe Bedeutung der Insel für die Landzungensiedlung; ihre Einbeziehung in eine Gesamtplanung von Anfang an; der Aufwand des Brückenbaues – und sogar seine Trasse. Den Slawen wird als ausgeprägte Eigenart tief eingewurzelte Scheu vor ihren Gottheiten nachgesagt10. Sie hätte dann offenbar hier bedingt, daß man sich deren Repräsentanz nicht gar zu direkt, womöglich noch von der Seite zu nähern wagte. Die Hütten am Inselrand wären als eine Art Sakristeibauten, vielleicht auch Schatzhäuser zu deuten – es heißt ja auch, die Slawen hätten aus dieser frommen Scheu heraus in ihren Sakralbereichen weder Schloß noch Riegel benötigt11; man kam also wohl selbst für solche Zwecke mit einfachen Flechtwerkwandungen aus. Sogar die Ölproduktion gerade hier wäre damit zwanglos zu verbinden. Aus Indien wissen wir, daß Götterbilder dort regelmäßig mit Butter oder Joghurt gesalbt werden – neuerdings läßt man diesen Zeremonien sogar fremde Touristen beiwohnen, um das Spendenaufkommen zu steigern. Ich könnte es nicht erstaunlich finden, wenn die Slawen ihre hölzernen Idole – zumal wenn sie unter freiem Himmel aufgerichtet waren – mit Leinöl gepflegt hätten, das dann jedoch besser in unmittelbarer Nähe der heiligen Stätte zubereitet statt über größere Entfernung antransportiert worden wäre. Sollte es zutreffen, daß man in der genannten Hütte auch Getreide verarbeitete, so wäre daran zu erinnern, daß die Slawen neben blutigen Opfern auch unblutige aus Getreideprodukten kannten, z.B. gewaltige Brote12 (entsprechende Backöfen wurden im Inselbereich allerdings nicht erschlossen). Selbst die Drechslerarbeiten am Ort können kultischen Bedürfnissen gedient haben. Es sieht jedoch so aus, als ob mit dieser These zugleich neues Licht auf den Ringwall der zweiten Periode fällt. Ohne jeden Zweifel hatte er eine fortifikatorische Bedeutung. Doch hat sein Wesen sich in ihr erschöpft? Da sind, auffällig genug, die kasemattenartig in ihn zurückgenommenen Räume, wohl Funktionsnachfolger der Hütten von früher. Warum hat man sie nicht, wie so vielfach belegt, im Wallinnern freistehend an den Rand der freigebliebenen Fläche gesetzt? Kam es 10
Helmold von Bosau: Chronica Slavorum. c. 84 (S. 288 f. Stoob); vgl. Saxo: Gesta Danorum XIV, 39, 2 (S. 464, 29 ff. Olrik-Raeder). 11 Siehe Anm. 10. 12 Słupecki 1997 (wie Anm. 1), S. 308 f.
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darauf an, die sakral erwünschte Kreisform so wenig wie möglich zu stören? Daß der Wallinnenseite eine besondere, abgehobene Bedeutung zukam, zeigt die Überraschung, mit der sie aufwarten konnte: Dank der Freilegungsarbeiten kamen Samen der Rosenmalve (Malva alcea), die im Erdreich verborgen geblieben waren, nach Jahrhunderten wieder zur Entfaltung; der innere Hang bietet daher im Sommer, mit den blaßroten Blüten ausgekleidet, einen prachtvollen Anblick. So etwas ist nicht einfach bloß ein Befestigungswerk. Der Ringwall hat offenbar zugleich in vergrößertem Maßstab die Funktion übernommen, die vorher eine einfachere Hegung, Steinpackung oder was immer, erfüllt haben wird, und die Wallanlage von Groß Raden wäre dann ein aufwendig ausgestaltetes Gegenstück jener Kultkreise unter freiem Himmel, die von anderen Stellen der slawischen Welt wohlbekannt sind13. Ob die Rosenmalve Rückschlüsse auf die Gottheit zulassen könnte, die in solchem Rahmen Verehrung fand, wäre noch zu prüfen. An der These festzuhalten, das Heiligtum sei von der Landzunge nachträglich auf die Insel verlegt worden, besteht nach alledem wenig Anlaß. Daß der Versammlungsplatz bei dem Hallenbau in der zweiten Periode teilweise überbaut wurde, verlangt nicht unbedingt diese Erklärung, und dasselbe gilt für die Beobachtung, daß nach einer Zerstörung der Halle ihr Wiederaufbau begonnen, doch nicht zu Ende geführt wurde. Im übrigen haben wir, seit dieses Bauwerk aufgedeckt wurde, schärfer zwischen ,,Tempeln“ im strengen Sinn (als „Götterwohnung“) und einer anderen Form von slawischen Kultbauten unterscheiden gelernt, die lange wenig beachtet wurde. Für den pomoranischen Bereich verwenden die lateinischen Quellen den offenbar slawischen Ausdruck contina. Er bezeichnet Baulichkeiten, die nicht der Gottheit unmittelbar dienten, sondern ihrer Verehrung durch die Öffentlichkeit, die im eigentlichen Heiligtum nicht zugelassen war. Vom Tempel her gesehen waren es Nebengebäude; dort konnten Opfergelage abgehalten werden, für die sogar Tempelgeschirr zur Verfügung stand, doch auch als Beratungsstätten standen sie offen14. Im uneigentlichen Sinn wurden auch diese continae in der Forschung immer wieder als „Tempel“ bezeichnet – auch von mir selbst. Es dürfte jedoch der Klarheit dienen, wenn wir hier auch begrifflich schärfer scheiden, nachdem 13
Ders. 1993 (wie Anm. 1), S. 278–282. – Ders. 1994 (wie Anm. 1), S. 120–132. – Ders. 1997 (wie Anm. 1 ), S. 306–308. 14 Ders. 1993 (wie Anm. 1), S. 267. – Ders. 1994 (wie Anm. 1), S. 72 f. – Ders. 1997 (wie Anm. 1), S. 307.
war gross raden wirlich ein „slawischer tempelort“? 177 der sachliche Unterschied längst herausgearbeitet ist. Leszek Pawel Słupecki hat schon vor Jahren vorgeschlagen, diese zweite Form als „Kulthallen“ zu bezeichnen15. Das möchte ich aufgreifen. Dabei bleibt wichtig, daß sie, ebenso wie die Tempelbauten, bisher nur im nördlichen Nordwestslawengebiet nachgewiesen und selbst dort zu ihrer Zeit nicht alleinherrschend gewesen sind, weil andere, altertümlichere Formen sich neben ihnen zu behaupten vermochten16. Sie waren keine gemeinslawische Erscheinung. Der Hallenbau in Groß Raden hat, wie bemerkt, keinerlei Anzeichen erkennen lassen, daß in seinem Innern jemals ein Kultbild fest aufgestellt gewesen sein könnte, wie man das von einem Tempel zu erwarten hätte: Es gab keine Fundamentgrube, keinen Sockel und keine Bodenverfärbung, die an Pfostenlöcher erinnert hätte, ebensowenig so etwas wie einen Altar. Das unterscheidet seinen Befund grundsätzlich von dem des Inselheiligtums. Hinzu kommt die unmittelbare Nähe zum mutmaßlichen Versammlungsplatz. Sie entspricht nicht dem, was wir sonst über die Zurückgezogenheit heiliger Stätten bei den Slawen hören. So scheint kaum ein Zweifel möglich: In diesem kostbaren Bau besitzen wir nicht einen Tempel, sondern eine contina. Als solche wäre sie gleichfalls das erste bekannt gewordene Denkmal ihrer Art17. Dabei ist deutlich, daß sie keine Volksversammlung fassen konnte, sondern nur eine begrenzte Personenzahl. Das spricht für eine fortgeschrittene soziale Differenzierung – einen Kreis privilegierter primores, wie wir sie aus jüngeren Quellen kennen. Falls von den vorgeschlagenen Datierungen die spätere, die ins 10. Jh., ernsthaft in Betracht gezogen werden darf, würde ich daher ihr zuneigen. Die Kulthalle gehörte dann zu dem Ringwallheiligtum, das seinerseits auf gehobene Ansprüche, auf einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand hindeutet, und nicht in
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Ders. 1993 (wie Anm. 1), S. 267. Ausführliche Bestandsaufnahme in den zitierten Arbeiten von Słupecki (wie Anm. 1). – Zusammenfassung bei Hans-Dietrich Kahl: Slawische Tempel und Götterbilder. In: Ders.: Der Millstätter Domitian. Vorträge und Forschungen, Sonderband 46, Stuttgart 1999, S. 41 f., dazu S. 57–60. – Ebd., S. 49 f. m. Abb. 7 Beispiel eines archäologisch vordem nicht nachgewiesenen Götterbild-Typs, der bisher nur aus chronikalischer Erwähnung bekannt war. Da die Belege, die die Identifizierung als slawisch ermöglichten, aus dem Ostseeraum stammen, ist dieser Typ als Möglichkeit neben den bisher erfaßten (vgl. Słupecki 1994 (wie Anm. 1), S. 198–228) sowohl für Ralswiek wie für Groß Raden gleichfalls in Betracht zu ziehen, ohne daß eine Entscheidung gefällt werden könnte. 17 Indem ich für Groß Raden nunmehr diese Deutung in Betracht ziehe, korrigiere ich Kahl 1999 (wie Anm. 16), S. 40 f. 16
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die Frühzeit. Dem Inselheiligtum auf freier Fläche hätte der unbebaute Versammlungsplatz allein entsprochen: er stünde neben den einfachen Flechtwerkhütten der ersten Phase wie Ringwall und Kulthalle neben den Blockhäusern der zweiten. Doch hier eine Entscheidung zu treffen, liegt außerhalb meiner Fachkompetenz. Die Umdeutung zur Kulthalle nimmt dem Bohlenbau von Groß Raden nichts von seiner forschungsgeschichtlichen Bedeutung, nichts von der bisherigen Vorrangstellung – sie ändert nur den Bezugspunkt. Der Bau bleibt für uns, wie gesagt, der Erstling seiner Art, und er behält bis auf weiteres den ungewöhnlichen Erhaltungsgrad; er ist nach wie vor das eindrucksvollste Beispiel vorchristlich-slawischer Sakralarchitektur, das wir kennen. Die Neudeutung fügt jedoch dem allem noch etwas hinzu. Slawische Tempel sind schon für das fortgeschrittene 10. Jahrhundert bezeugt. continae erst für die frühen 1120er Jahre. Der Hallenbau von Groß Raden geht mindestens anderthalb Jahrhunderte weiter zurück, wo nicht noch wesentlich mehr. Die Archäologie trägt also auch in diesem Fall wieder einmal dazu bei, die Schriftquellen zu ergänzen. Dabei fällt ein Umstand, wie mir scheint, besonders ins Gewicht. Die schriftlichen Zeugnisse erwähnen diese Kulthallen in Verbindung mit einem Tempel – in Groß Raden erscheint der erhaltene Bau auf einen Sakralplatz unter freiem Himmel bezogen, der wahrscheinlich in beiden Phasen bestand, in der zweiten jedoch besonders aufwendig ausgestaltet war. Ein solcher Platz hat zum Tempel als Götterwohnung eine inhaltliche Beziehung, findet jedoch für das gleiche Grundproblem eine andere, altertümlichere Lösung. Damit aber wird durch Groß Raden etwas Neues beleuchtet. Die Befunde lassen eine Entwicklung ahnen, die für beide Seiten, für Kultgemeinde und Götterstätte, offenbar verschieden verlief und nicht einfach im Gleichklang. Man hat sich zu fragen, ob der Schritt zum überdachten Gebäude sich zuerst auf Gemeindeseite vollzog, im Zuge einer fortschreitenden sozialen Differenzierung, während das Empfinden, daß man Göttersymbole und Götterstätten aus der freien Natur nicht herauslöst, sich traditionsbestimmt länger hielt. Allerdings wird man es zunächst bei dieser Frage belassen, zu der künftige Forschung ihr weiteres Teil beitragen mag, und wird noch nicht wagen, eine feste Arbeitshypothese anzuschließen. Wie dem auch sei – im Ganzen ergibt sich hier offenbar ein Schulbeispiel typischer altslawischer Strukturen. Eine Dreiheit von Heiligtum, Versammlungsplatz und Dienstsiedlung fügt sich zusammen in jeweils phasenweise unterschiedlicher Gestaltung, die aber das Prinzip nicht
war gross raden wirlich ein „slawischer tempelort“? 179 berührt. Göttliche und menschliche Sphäre sind auseinander gehalten, doch auf einander bezogen; der Versammlungsplatz liegt nahe beim Sakralbereich, dringt jedoch nicht in ihn ein. All das wirkt fast wie eine Illustration zu Mitteilungen, die sich bei Helmold von Bosau finden18. Nicht unwichtig ist dabei auch, daß eins in diesem Ensemble fehlt: ein Fürstensitz. Wenn die Warnower einen solchen besaßen, und damit ist wohl mindestens für die erste Phase zu rechnen, dann muß er in einem anderen Burgwall ihres Siedlungsgebiets gesucht werden19. Fürstensitz und Heiligtum lagen bei slawischen Stämmen auch sonst keineswegs immer in unmittelbarer Nachbarschaft20; es ist nicht auszuschließen, daß ihr Zusammenrücken sich auf jüngere Phasen stärkerer staatlicher Konzentration beschränkte, doch bleibt da viel Unsicherheit. Das Auseinanderrücken, und sei es um wenige Kilometer, entspricht einem Strukturelement, durch das die altslawische Sakralverfassung sich fundamental z.B. von der germanischen unterschied. Die Slawen hatten einen besonderen Priesterstand; sie beließen die entsprechenden Funktionen nicht bei denen, die ihre Gemeinwesen auf seinen verschiedenen Ebenen politisch-militärisch repräsentieren21. Das prägte sich auch topographisch aus, ohne eine unmittelbare Nähe der beiden Zentralpunkte zwingend auszuschließen. Die Zuständigkeiten der einzelnen Priester werden sich auf das Heiligtum beschränkt haben, an dem sie dienten; an eine hierarchisch-zentralistische Organisation mit Weisungsrechten von „oben“ nach „unten“ ist schwerlich zu denken und schon gar nicht an institutionelle Bindungen über den einzelnen Stammesverband hinaus, doch die „Gewaltenteilung“ als solche bestand. Daß aber Volksversammlungen sich an das Heiligtum anzulehnen pflegten und nicht an den Fürstensitz, ist ein in diesem Zusammenhang bemerkenswertes,
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Siehe Anm. 10. Fritze (wie Anm. 1). S. 202, bezweifelt, daß die Warnower jemals eine eigene politische Organisation besaßen. Dagegen spricht m.E. der selbständige Name, auch wenn er erst relativ spät überliefert ist, und die Art seiner Einreihung in vorliegende Aufzählungen (vgl. ebd., S. 142). – Herrmann 1985 (wie Anm. 1), S. 210, bezieht die Warnower in die Entwicklung zu fürstlicher Verfassungsstruktur ein und denkt an Friedrichsruhe bei Parchim als möglichen Stammesmittelpunkt, ohne Gründe zu nennen. Vielleicht hat der zunächst selbständige Kleinstamm sich im 10. Jahrhundert zwischen Obotriten (im engeren Sinn) und Ljutizen nicht zu behaupten vermocht. 20 Zahlreiche Beispiele bei Herrmann 1985 (wie Anm. 1), S. 310–316. 21 Ebd., S. 316–319. – Vgl. Słupecki 1993 (wie Anm. 1), S. 269, 279 f. u.ö. – Dazu Beitrag VIII, S. 222–224. 19
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gut belegtes Detail. Es wird nicht zuletzt in der Bedeutung begründet sein, die dem Orakelwesen auch für politische Entscheidungen zukam. Orakel einzuholen war Priesterangelegenheit. In diese allgemeinen Gegebenheiten fügt Groß Raden sich ein, nach wie vor, und veranschaulicht sie auf seine besondere, seine besonders eindringliche Weise: ein Sakralplatz von ausgeprägter Eigentümlichkeit, die nach bisheriger Kenntnis ihresgleichen sucht – ein herausragender Platz für die slawische Altertumskunde und zugleich für die mecklenburgische Landesgeschichte. Der Stolz des Ausgräbers, erstmals in der Geschichte der Archäologie weit über Deutschland hinaus ein „altslawisches Heiligtum“ nachgewiesen zu haben22, kann uneingeschränkt weiter bestehen, nur anders, als er selbst es gemeint hat. Für einen Tempel aber im strengen Begriffssinn fehlt dort bisher, soviel ich sehe, jeder Beleg, sowohl in der Landzungensiedlung als auch auf der Insel. Vielleicht haben wir ihn inzwischen an anderer Stelle, auf dem Hanfwerder in der Lieps südlich Neubrandenburg, doch das wäre nochmals zu überprüfen23 Groß Raden aber war nach bisheriger Kenntnis, soviel ich sehe, kein „slawischer Tempelort“.
22
Schuldt 1976 (wie Anm. 1), S. 56. Volker Schmidt: Lieps. Die slawischen Gräberfelder und Kultbauten am Südende des Tollensesees. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns 26, Lübstorf 1992, S. 59 mit Abb. 19. Überprüfung an Hand der hier aufgestellten Kategorien wäre wünschenswert. 23
BEITRAG VIII
HEIDNISCHES WENDENTUM UND CHRISTLICHE STAMMESFÜRSTEN Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im abendländischen Hochmittelalter∗ Als ich kürzlich meine „Bausteine zur Grundlegung einer missionsgeschichtlichen Phänomenologie des Hochmittelalters“ vorgelegt hatte1, wurde mir entgegengehalten, es sei dabei doch vielleicht allzu einseitig der Standpunkt des christlichen Missionspartners in den Vordergrund gerückt worden. Das trifft ohne weiteres zu; es geschah allerdings in voller Absicht: mir schien, daß dieser Partner in der bisherigen phänomenologischen Betrachtung des Problems doch gegenüber dem heidnischen etwas zu kurz gekommen, daß die überaus große Mannigfaltigkeit seiner Aktions- und Reaktionsweisen gegenüber dieser anderen Seite bisher noch kaum ins Blickfeld gerückt war. Ganz sicher aber darf darüber keinesfalls unterschätzt werden, welch unermeßlich große Bedeutung für den Ablauf missionsgeschichtlichen Geschehens eben denen zukommt, die ein häßlicher Fachausdruck als „Missionsobjekte“ zu kennzeichnen pflegt: den lebendigen Menschen, die die missionarische Verkündigung aufnehmen sollen; ihnen selbst samt all den äußeren und inneren Voraussetzungen ihrer bisherigen Eigenwelt, von denen her ihre Stellungnahme zu der neuen Botschaft und deren Trägern so maßgeblich bestimmt werden muß. Es mag daher angebracht sein, die damaligen Darlegungen durch eine Betrachtung zu ergänzen, die, soweit überhaupt möglich, Missionsgeschichte einmal in erster Linie mit den Augen des beteiligten heidnischen Partners zu sehen versucht. Um in der begrenzten Zeit, die hier zur Verfügung steht, möglichst unmittelbaren Zugang zu konkretem und sprudelndem Leben zu gewinnen, beschränken wir uns zeitlich wie räumlich auf ein engeres Gebiet;
∗ Vortrag, gehalten am 27. Juli 1961 auf Einladung des Deutschen Zweiges der Internationalen Vereinigung für Religionsgeschichte (I. A. H. R.) auf dessen 8. Jahrestagung in Bonn. Ein zusammenfassendes Verzeichnis der im Anmerkungsteil benutzten Abkürzungen findet sich am Schluß der Abhandlung (unten S. 230 f.). 1 Unten Nr. 9 (S. 233 ff.).
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ein Gebiet zugleich, das religionsgeschichtlich im allgemeinen eine weniger intensive Beachtung erfährt: den Schauplatz der deutschen Mission des Hochmittelalters im östlichen Vorfeld des alten Sachsenstammes, in den seit der Reformation erloschenen Suffraganbistümern der einstigen Erzdiözesen Hamburg-Bremen und Magdeburg. Wir treffen dort zwar auf eine außerordentlich mißliche Quellenlage, die nicht den letzten Grund für die gekennzeichnete Zurückhaltung bisheriger Forschung abgibt: niemals wird für diesen Raum eine Studie geschrieben werden können, wie W. Baetke sie uns über „Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen“ geschenkt hat2 – einfach, weil wir gar zu wenig von den inneren Voraussetzungen wissen, von denen her die dortige „wendische“ Bevölkerung sich ihren inneren Weg zu der vielfach zunächst ja nur höchst äußerlich „angenommenen“3 neuen Botschaft zu bahnen hatte. Immerhin sind gerade hier Beobachtungen möglich, die es reizvoll machen, ungeachtet aller vorgegebenen Einengung der Erkenntnismöglichkeiten doch auch auf diesem Schauplatz das Quellenmaterial abzuklopfen auf das, was es etwa trotz allem hergeben will. 1. Ethnische Grundlagen und Quellenbasis Wer sind – oder besser: wer waren die Wenden, die damit in den Mittelpunkt unserer Betrachtung treten?4
2
W. Baetke, Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen. Ein Beitrag zur Frage der Germanisierung des Christentums, Die Welt als Geschichte 9 (1943), S. 143–166 = Ders., Vom Geist und Erbe Thules, (Göttingen 1944), S. 82–117; separate Buchausgabe in der Reihe „Libelli“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (Darmstadt 1959). 3 Baetke S. 143 (bzw. S. 7 der Buchausgabe) unterscheidet treffend „Annahme“ (d.h. den „äußeren Vorgang“, „Christianisierung als historisch feststellbares und ungefähr auch datierbares Ereignis“) und „Aufnahme“ (d.h. die „innere Aneignung des Christentums“). 4 Allgemeine Orientierung bieten: L. Niederle, Manuel de l’antiquité Slave I/II (Paris 1923/26); F. Dvornik, The Slavs. Their Early History and Civilisation (Boston 1956 = 1959); R. Trautmann, Die slavischen Völker und Sprachen. Eine Einführung in die Slavistik (Göttingen 1947). Dringend zu warnen ist vor den Auslassungen von W. Steller, Name und Begriff der Wenden (Sclavi), als Manuskript vervielfältigt (Kiel 1959); vgl. besonders die Rezensionen von G. Kossack-L. Müller-G. Cordes-W. Koppe, Zeitschr. d. Gesellschaft f. Schleswig-Holsteinische Geschichte 85/86 (1961); W. H. Fritze, JMO 9/10 (1960/61); ferner W. Kuhn, Zeitschr. f. Agrargeschichte u. Agrarsoziologie 8 (1960); Joh. Paul, Jahrb. f. Geschichte Osteuropas 8 (1960); W. La Baume, Ostdeutscher Literaturanzeiger 6 (1960); Beitrag III, S. 25 ff.; E. Schwarz, ZfO 11 (1962), S. 121–123.
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Landläufig versteht man darunter heute etwa in Berlin oder Dresden die Restgruppen im Spreewald und der Oberlausitz, die mit ihren „sorbischen“ Mundarten Nachklänge altslawischen Erbes bewahrt haben5. Daß dem Begriff einst weitere Ausdehnung zukam, zeigt das „Hannöversche Wendland“ (um Dannenberg und Lüchow), in dem zwar die einstige slawische Sprache seit dem 18. Jahrhundert erloschen ist, das aber noch mancherlei volkskundliche Besonderheiten aufzuweisen hat6. In spätgermanischer Zeit waren Winida die Slawen schlechthin; es war damit ein Ausdruck auf sie übertragen worden, der zuvor ein anderes (untergegangenes) Nachbarvolk im Osten bezeichnet hatte, ähnlich wie im Süden die „Welschen“ (Walchen) ursprünglich Kelten und erst später Menschen romanischer Zunge waren7. Im hohen Mittelalter verstand man in dem Teil Deutschlands, von dem wir hier auszugehen haben, nämlich im damaligen Sachsen (d.h. besonders Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Holstein nach unseren Begriffen) unter „Wenden“ diejenigen Westslawen, die nicht in den neuen Reichsbildungen der „Böhmen“, Polen und Ungarn aufgegangen waren8. In diesem Sinn mag
5
R. Lehmann, Geschichte des Wendentums in der Niederlausitz bis 1815 im Rahmen der Landesgeschichte (Dresden 1930); eine Entsprechung für die Oberlausitz war vorgesehen, ist jedoch leider nicht erschienen; F. Burkhardt, Die Entwicklung des Wendentums im Spiegel der Statistik (Dresden 1932); W. Frenzel-F. Karg-A. Spamer, Grundriß der sächsischen Volkskunde (Leipzig 1932); K. Blaschke, Die Entwicklung des sorbischen Siedelgebietes in der Oberlausitz, in: Siedlung u. Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale u. Oder, hg. v. H. Ludat (Gießen 1960); J. Jatzwauk, Wendische Bibliographie (Leipzig 1929); dazu neuerdings laufende Veröffentlichungen des Instituts für sorbische Volksforschung in Bautzen, bes. das Jahrbuch „Lětopis“ (1953 ff.). 6 J. Schwebe, Volksglaube u. Volksbrauch im Hannoverschen Wendland (Köln/Graz 1960); Fr. Krüger, Der Bardengau und die Slawen, in: Die Kunde 4 (Hannover 1936), Nr. 3; P. Diels, Das Deutsche im Munde der Hannoverschen Wenden, Jahresber. d. schlesischen Gesellsch. f. vaterländ. Kultur 92 (1914), Abt. 4; Kummerfeld, Slavische Spuren im Dialekt des Wendlandes, in: Niedersachsen 20 (1914/15); E. Mucke, Die Lüneburger Wenden (in: Hannoverland 1908); R. Grenz, Die slavischen Funde aus dem Hannöverschen Wendland (Göttingen 1961); R. Trautmann, Die elb- und ostseeslawischen Ortsnamen I (Berlin 1950), S. 8–12. Vgl. auch K. Brüning (u.a.), Atlas Niedersachsen (Hannover 1934), Blatt 110 g. 7 H. Krähe, Germanisch und Illyrisch, in: Germanen und Indogermanen, Festschrift f. Herm. Hirt (Heidelberg 1936), Bd. II, S. 570 f. mit reichen Literaturangaben; dazu aber jetzt dens., Vorgeschichtl. Sprachbeziehungen von den baltischen Ostseeländern bis zu den Gebieten um den Nordteil der Adria (Akademie d. Wissenschaften u. d. Literatur Mainz, geistes- u. sozialwissenschaftl. Klasse 1957/3), bes. S. 113 f., über die Fragwürdigkeit des zunächst für das vorslawische ostmitteleuropäische Volkstum verwandten Illyrerbegriffs. – Ferner E. Schwarz, Germanische Stammeskunde (Heidelberg 1956), S. 32 f. mit Kartenskizze Abb. 2 (S. 25). 8 Vgl. z.B. Sachsenspiegel, Lehnrecht 4, 1; ed. K. A. Eckhardt, Germanenrechte, Neue Folge (Göttingen 1946), S. 22: Regelung der Heerfolgepflicht to Wenden, to Polenen, to
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der Begriff auch für uns gelten, die wir uns mit diesen mittelalterlichen Jahrhunderten zu befassen haben. Wir dürfen allerdings darin nicht die Bezeichnung eines „Volkes“ im modernen Sinne sehen, das durch gemeinsame Geschichte, gemeinsame Schriftsprache und gemeinsames Nationalbewußtsein zusammengehalten worden wäre: in diesem Sinne gab es auch bei den Deutschen jener Zeit „Volk“ neben und über den Stämmen kaum mehr als in ersten Entwicklungskeimen9, und bei den Wenden war es, entsprechend jener west-östlichen Phasenverschiebung, die für die Entwicklung des frühen und hohen Mittelalters weithin charakteristisch ist, noch nicht einmal zur Ausbildung solcher Keime gekommen, als ihre eigenständige Entwicklung durch geschichtliche Entscheidungen von welthistorischer Tragweite abgebrochen wurde. „Wenden“ im damaligen Sinn ist nichts als ein Sammelbegriff, in manchem unseren heutigen „Skandinaviern“ vergleichbar: eine Gruppe unterschiedlicher politischer Gebilde umfassend, durch die auch Sprachgrenzen von mehr als nur mundartlicher Bedeutung hindurchliefen, nur daß diese Gruppe damals offensichtlich noch nicht zu dem Grad eines übernationalen Gemeinschaftsbewußtseins fortgeschritten war, der nach einer sechs- oder neunhundert Jahre längeren Entwicklung für das Skandinaviertum der Gegenwart charakteristisch geworden ist. Diese Wenden also siedelten zur Zeit Karls des Großen – umstritten, seit wann – in geringer Bevölkerungsdichte10, immer wieder durch unbewohnte Landstriche unterbrochen11, ostwärts einer Linie, die sich, grob vereinfacht, durch die heutigen Ortsnamen Kiel, Magdeburg und Bamberg andeuten läßt, auf einem Boden, den bis zur großen Völkerwanderung Germanen besessen hatten (keine „Deutschen“, die es noch
Behemen. (Die gleichfalls noch westslawischen Slowaken im alten „Oberungarn“ lagen dabei jedenfalls außerhalb des Gesichtskreises.) 9 Die Auffassung der Romantik, Völker und Nationen seien gewissermaßen vorgegebene, konstante Einheiten, die sich pflanzenartig aus ihrem Keim heraus entwickelten und entfalteten, ist von der Geschichtswissenschaft längst als ein absolut inadäquater Biologismus erwiesen, mit dessen Kategorien historische Größen dieser Art durchaus nicht erfaßt zu werden vermögen. Zur Entstehung des deutschen Volkes jetzt grundlegend W. Schlesinger, Die Grundlagen der deutschen Einheit im frühen Mittelalter (in: Die deutsche Einheit als Problem der europäischen Geschichte, hg. v. C. Hinrichs u. W. Berges, Stuttgart o. J. = 1960); dazu unten S. 185 f. m. Anm. 13 u. 14. 10 Dazu jetzt W. Kuhn, Ostsiedlung und Bevölkerungsdichte, in: Ostdeutsche Wissenschaft 7 (München 1960). 11 Vgl. jetzt das in Anm. 5 genannte Sammelwerk von H. Ludat, besonders die Beiträge von H. Helbig, W. Prange und Fr. Engel (sämtlich mit vorzüglichen Kartenbeilagen).
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nicht gab!12); westwärts dieser Linie kam in nicht einwandfrei geklärtem Umfang wendische Streusiedlung vor. In Ansätzen schon damals, vor allem aber seit dem 10. Jahrhundert gerieten diese Stämme in den politischen Sog des werdenden Deutschtums und seines Reiches hinein, gleichzeitig wechselndem Druck und nicht minder lebhaften Annexionsabsichten seitens der sich konsolidierenden Polen und Tschechen ausgesetzt. Weithin wurde so ihre eigene politische Organisation verhältnismäßig früh – etwa schon im 10. oder doch im 12. Jahrhundert – beseitigt. Die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert begann dann, selbst den siedlungsmäßigen Zusammenhang und Zusammenhalt innerhalb der einzelnen wendischen Stämme mehr und mehr aufzulösen: starke Gruppen deutschsprachiger Neusiedler zogen in ihren Raum ein, neben und zwischen ihnen Wohnung nehmend, bis nach und nach das slawische Volkstum bis auf jene spärlichen Reste ihnen fast allenthalben erlag13. Seine Menschen allerdings blieben dabei in ihrer Masse erhalten, soweit Menschen irgend zu dauern vermögen: sie verschmolzen mit den Zuwanderern aus dem Westen zu den deutschen „Neustämmen“ ostwärts von Elbe und Saale, unter denen niemand mehr die Nachkommen beider Gruppen zu scheiden vermag – wie denn schon die Enkel Niklots, des vielleicht bedeutendsten Vorkämpfers wendischer Freiheit im entscheidenden 12. Jahrhundert († 1160), zugleich Enkel
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s. Anm. 9. Glänzend geschildert von A. Brückner, Z dziejów Słowiańszczyzna pół nocnozachodniej (Aus der Geschichte des nordwestlichen Slawentums); in: Slavia Occidentalis 5 (Poznań 1926), mit kurzem französischem Résumé, das indes den Reichtum des Beitrags in keiner Weise erkennen läßt; es wäre dringend zu wünschen, daß diese wertvolle kritische Auseinandersetzung vor allem mit den Forschungen Hans Wittes und D. N. Jegorovs zur „Restslawenfrage“ der westlichen Forschung ungekürzt in einer ihr geläufigeren Sprache leichter zugänglich gemacht werden könnte. Zur Kritik beachte K. Tymieniecki, Społeczeństwo Słowian Lechickich (Die Gesellschaft der lechitischen Slawen; Lwów 1928), S. 152 (freundliche Hinweise von Dr. Budkiewicz, vormals Göttingen, und Dr. W. H. Fritze, jetzt Berlin). – Eine zureichende Gesamtdarstellung der deutschen „Ostkolonisation“ des Mittelalters und der sie begleitenden äußeren wie inneren Auflösung der nordwestslawischen Stämme bis zum Verschwinden ihrer Masse als selbständiges Volkstum steht noch aus. Einen knapp zusammenfassenden Abriß gaben R. Kötzschke und W. Ebert, Geschichte der ostdeutschen Kolonisation (Leipzig 1937), unverständlicherweise unter fast völliger Übergehung des Restslawenproblems, die überhaupt für die ältere deutsche Forschung weithin kennzeichnend ist; vgl. noch W. Schlesinger, Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung, Hist. Ztschr. 183 (1957); wieder abgedruckt bei L. Krusius-Ahrenberg u.a., Rußland, Europa und der deutsche Osten (München 1960); dazu nach freundlichem Hinweis von Dr. K. Zernack, Gießen, kritische Stellungnahme von G. Labuda, Przegląd Zachodni, Poznań 1958/I, S. 186–191. Zum Missionsgeschichtlichen: Beitrag IX, passim; vgl. unten Anm. 20 u. 22 Ende. 13
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Heinrichs des Löwen waren, des gewaltigen Sachsenherzogs, gegen den er im Kampfe gefallen war14. Es ist dieses Geschick, auf dem die angedeutete Ungunst der Quellenlage beruht. Mit der eigenen Sprache und Gesittung schwand auch die eigene Überlieferung dahin, die das Altwendentum in der Weise früher Völker auf mündlichem Wege gepflegt haben muß: keine einzige seiner geistigen Schöpfungen ist unverfälscht auf uns gekommen in der Gestalt, die es selbst ihr einmal gegeben haben mag. Wo wir von wendischem Wesen vernehmen, wo wir das Tun und Treiben dieser Stämme verfolgen können, müssen wir uns an fremde Gewährsleute halten, die von Deutschland und Skandinavien, vielleicht auch einmal als Sklavenhändler15 vom sarazenischen Spanien her mit wendischem Land und Volk in Berührung gekommen waren, sei es direkt, sei es – ungleich häufiger – nur indirekt. Das aber heißt: wo wir wendische Geschichte, und zumal, wo wir wendische Religionsgeschichte betreiben wollen, stehen wir in der Situation eines Forschers, der ins germanische Altertum einzudringen hätte, einzig gestützt auf Nachrichten griechischer und römischer Autoren, ohne all die überaus wichtigen, ja entscheidenden Ergänzungen und Korrekturmöglichkeiten, wie „Beowulf“ und „Hildebrandslied“, Paulus Diaconus und Widukind von Corvey, vor allem aber die Sagas Altislands sie uns in die Hand geben; ja, die Situation ist weit ungünstiger noch: konnte ein Tacitus die Götter der Germanen als so gleich den seinen empfinden, daß er von ihnen interpretatione Romana einfach als von Mercur oder Mars zu sprechen
14 Niklots Nachkommen in unmittelbar männlicher Linie regierten bekanntlich bis 1918 ebenso als deutsche Großherzöge von Mecklenburg wie diejenigen Heinrichs des Löwen als deutsche Herzöge von Braunschweig. Daß entsprechende Heiraten zwischen den Völkern in den niederen Schichten nicht weniger zeitig vorkamen, zeigt die Tatsache, daß die eherechtlichen Bestimmungen des Sachsenspiegels ausdrücklich darauf Rücksicht nehmen, daß also eine juristische Normierung dieser Berührungen zweier sonst getrennter Rechtskreise als notwendig empfunden wurde; vgl. dazu K. G. Hugelmann, Die Rechtsstellung der Wenden im deutschen Mittelalter, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechts-gesch., Germ. Abt. 58 (1938), S. 242–244: B. Guttmann, Die Germanisierung der Slawen in der Mark, Forschungen zur Brandenburg. u. Preußischen Geschichte 9 (1897), S. 457–460; W. Barkhausen, Die Gesetzgebung Wichmanns von Magdeburg, Deutsches Archiv 4 (1941), S. 498 ff. – Die Stellung Niklots wie der Hauptmasse des Wendentums innerhalb der deutschen Volksgeschichte ist bisher wenig gewürdigt; vgl. dazu ergänzend Beitrag II und Beitrag XIV, Anm. 4; ferner Fritze (wie oben Anm. 4), S. 302–304. 15 Über den sehr regen mittelalterlichen Sklavenhandel aus den Wendenländern bis ins sarazenische Spanien vgl. die Literaturzusammenstellung bei H.-D. Kahl, Beiträge, S. 243 f. Anm. 62.
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vermochte16 – dem Christentum (und – selten – Judentum) unserer Gewährsleute war solche Unbefangenheit verwehrt. „Interpretatione christiana“, wie man treffend gesagt hat, galt nun alles als höllisch, teuflisch und dämonisch, was dem Einen und Einzigen als „andere Götter“ gegenüberstand17. „Inutile videtur eorum acta scrutari qui non crediderunt“, schrieb um 1080 der Magister Adam von Bremen, den wir doch den Hauptzeugen wendischer Altertumskunde zuzählen müssen: unnütz sei es – will sagen: zur Erbauung eines christlichen Gemüts, in deren Dienst sich auch Adams Geschichtsschreibung wußte –, „unnütz, den Taten derer nachzuspüren, die nicht glaubten“, d.h. keine Christen waren; denn der Begriff des „Andersgläubigen“ bestand nicht für diese mittelalterlich-christliche Geisteswelt18. Ein zweiter, etwas älterer, noch wichtigerer Zeuge, Bischof Dietmar (Thietmar) von Merseburg (1009–1018), versäumt nicht, dem, was er über diese Heiden des Ostens mitteilt, den Ausdruck betonten Abscheus vorauszuschikken (quamvis . . . de hiis aliquid dicere perhorrescam . . .), und er verfehlt nicht, den Leser zu ermahnen, daß er nur ja ihren „Götzendienst“ fliehen möge19. Mit diesen Bemerkungen aber sind wir unversehens mitten in das Thema unserer Betrachtung hineingelangt; zeigen sie doch beispielhaft die Einstellung, mit der gerade die maßgeblichen Vertreter der christlichen Seite in die damalige Auseinandersetzung hineingingen. Magister Adam war nicht irgendein Stubengelehrter, sondern Leiter der Domschule seines Wirkungsortes, d.h. der zentralen geistigen Pflanzstätte des einen jener beiden Erzbistümer, denen die Aufgabe der Wendenmission von deutscher Seite damals zufiel, und er war es zu einer Zeit, da Bremen unter einem Erzbischof von besonderer missionarischer Aktivität gerade auch im slawischen Teil seiner Kirchenprovinz eine bis dahin kaum gekannte Intensität der Einwirkung versuchte. Es muß als sicher gelten, daß Adam nicht zuletzt Missionare für die Wirksamkeit in diesen Gegenden auszubilden hatte. Dietmar aber war Zögling der Kathedralschule zu Magdeburg, des zweiten Erzsitzes, der hier in Frage kommt, und er blieb diesem Erzsitz verbunden als Suffra-
16 Vgl. G. Wissowa, Interpretatio Romana. Römische Götter im Barbarenlande, Arch. f. Religionswissenschaft 19 (1916). 17 H. Achterberg, Interpretatio Christiana. Verkleidete Glaubensgestalten der Germanen auf deutschem Boden (Diss. Greifswald 1930). 18 Adam I, 61 (S. 59, 15). 19 Thietm. VI, 23 (S. 266, 28 ff.) u. 25 (S. 270, 8 ff.).
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gan, dessen Diözesanen überdies selbst in der Masse der Bevölkerung Wenden (sorbischen Stammes) waren, kaum wenigstens äußerlichformal christianisiert. Daß beide Männer sich in ihrer Einstellung zur Missionsaufgabe außerordentlich weit unterschieden, ist früher gezeigt worden20. In der Grundhaltung gegenüber allem heidnischen Wesen, mochte es nun slawisch oder ebensogut auch germanisch sein, waren Dietmar und Adam mit der großen Mehrheit aller ernsten Christen dieses Geschichtsraums und dieser Geschichtszeit eins21. 2. Allgemeinhistorische Grundlagen Herrschaft christlicher Fürsten wendischen Volkstums über altgläubige Untertanen tritt angesichts der Quellenlage nur an zwei Stellen des umschriebenen Gebietes so klar hervor, daß wir bestimmtere Aussagen wagen dürfen: bei der Stammesgruppe der Obotriten oder Abodriten (im östlichen Holstein sowie im westlichen und mittleren Mecklenburg) auf der einen, bei dem Kleinstamm der Heveller oder Stoderaner (im Havelland) auf der anderen Seite; wiederum also je einmal im Bereich jeder der genannten Erzdiözesen. Die Quellenlage wird uns freilich zwingen, aus diesen beiden Bereichen verschiedentlich hinauszugreifen, um zusätzliches Material zu beschaffen. Darin liegt beschlossen, daß manche Aussagen von vornherein hypothetisch bleiben müssen, doch sie teilen damit nur, was grundsätzlich für jegliche Forschungsarbeit auf diesem Geschichtsfelde gilt. Immerhin dürfen wir hoffen, zu ausreichend begründeten Ergebnissen zu gelangen. Doch suchen wir zunächst einen allgemeinen Eindruck von der Atmosphäre, dem „Klima“ zu gewinnen, in dem die Auseinandersetzung von Christlich und Heidnisch sich auf wendischem Boden vollzogen hat.
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Beitrag XIV, S. 469–472 und bes. Beitrag XV, S. 549–559. Eine Ausnahme unten S. 199 Anm. 58. Die meisten Abweichungen von der oben gekennzeichneten Regel bietet das altisländische Schrifttum; vgl. etwa Rud. Schomerus, Die Religion der Nordgermanen im Spiegel christlicher Darstellung (Diss. Göttingen 1936). 21
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Ungleich am günstigsten steht es um unsere Kenntnis für die nördlichere, die „bremische“ Wendengruppe22. Wir sehen nicht ganz genau, wann die lückenlose Folge christlicher Glieder in dem dort maßgeblichen Herrschergeschlecht einsetzt; jedenfalls geschah es noch tief im 10. Jahrhundert, im Gefolge der ottonischen Ostmission, die um 968 auch den Obotriten mit Sitz zu Oldenburg i. H. ein eigenes Bistum gab. Für die ältesten dieser Christenfürsten bleibt vieles sagenhaft. Einer von ihnen lebte als agrestis et incultus in der Tradition des zuständigen Bistums fort23, was nach dem Sprachgebrauch des Kirchenlateins der Zeit nicht etwa einen „unkultivierten Wilden“ bedeutet, sondern einen Menschen, der nicht tief genug von der „Pflugschar des Evangeliums“ umgewendet worden ist; dabei braucht keineswegs nur an mangelhaften Glaubensstand, an unchristlichen Lebenswandel gedacht zu sein – vielmehr fließt für diese Anschauung das Evangelium seltsam ineinander mit kanonistischen Rechtssetzungen und Ansprüchen etwa auf dem Gebiet des Zehntwesens und des kirchlichen Güterrechts, die alle gemeinsam mit Glauben und Sittlichkeit, nicht zu vergessen mit Verpflichtungen kultischer Art aufgehen in dem allumfassenden Begriff der lex christiana24. Tatsächlich hören wir von „Billug“, wie dieser Fürst angeblich hieß, vor allem, er habe die wirtschaftliche Existenzgrundlage
22 Allgemeine Literatur zum Folgenden, die nachstehend nur noch ausnahmsweise besonders zitiert werden kann, neben Niederle und Dvornik (wie Anm. 4): W. H. Fritze, Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihrer Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat (bei Ludat, wie Anm. 5); F. Wigger, Mecklenburgische Annalen bis zum Jahre 1066, eine chronologisch geordnete Quellensammlung mit Anmerkungen und Abhandlungen (Schwerin 1860); H. Jankuhn, Die Frühgeschichte, in: Geschichte Schleswig-Holsteins, hg. v. O. Klose, Bd. III (Neumünster 1955/57; Bd. IV – darin die Periode 1050–1227 von W. Lammers – in Vorbereitung); H. v. Schubert, Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins I (Kiel 1907); W. Biereye, Untersuchungen zur Geschichte der nordelbischen Lande in der ersten Hälfte d. 11. Jh., Zeitschr. d. Gesellsch. f. Schleswig-Holsteinische Gesch. 47 (1917); Rich. Wagner, Die Wendenzeit = Mecklenburgische Geschichte in Einzeldarstellungen, H. II (Berlin 1899); Hans Witte, Mecklenburgische Geschichte I (Wismar 1909); K. Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburgs I (Schwerin 1935); Fr. Lammert, Die älteste Geschichte des Landes Lauenburg (Ratzeburg 1933); ferner M. Bünding, Das Imperium Christianum und die deutschen Ostkriege vom 10. bis zum 12. Jh. (Berlin 1940), und H. Beumann, Kreuzzugsgedanke und Ostpolitik im hohen Mittelalter, Histor. Jahrbuch 72 (1953; beide demnächst neu bei B); schließlich die einschlägigen Bände der Jahrbücher des Deutschen Reiches sowie Hauck, Kirchengesch. Deutschlands, bes. Bd. III u. IV. – Vgl. auch Anm. 46 (bes. Brüske) sowie Anm. 112. 23 Helmold I, 13 (S. 26, 20). 24 Auf eine Begründung dieser Thesen muß hier verzichtet werden. Zum Sprachgebrauch vgl. unten S. 215 f. u. bes. Anm. 132.
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seines bischöflichen Oberhirten empfindlich geschmälert25; wie weit es ihm sonst ernst war mit dem neuen Glauben und Leben, steht dahin – schwerlich besser oder schlechter als vielen seiner sächsischen Zeit- und Standesgenossen. Sein mutmaßlicher Enkel erscheint in charakteristischer Weise unter zweisprachigem Doppelnamen als Udo (Uto)26 und Pribignew27. In Dänemark, wohin von seinem Hause aus seit langem verwandtschaftliche, für ihn persönlich erneut schwägerschaftliche Beziehungen bestanden, sah man diesen Fürsten als Christiani cultus amantissimus, der nur nicht imstande gewesen sei, sein der Apostasie anheimgefallenes Volk zum Christentum zurückzurufen28; Adam von Bremen gibt ihm die Zensur eines male christianus29. Die Wahrheit wird in der Mitte liegen: ein verhältnismäßig guter Christ, der sich persönlich leidlich zum „Glauben“ hielt, der aber schon aus politischen Gründen in der Förderung des Missionswerks zurückhaltender blieb, als es die maßgeblichen kirchlichen Stellen gern sehen wollten. Um 1028 fiel er durch den Mordstahl eines Sachsen; die Gründe bleiben im Dunkel. Udos Sohn hieß Gottschalk; es ist möglich, daß er als erster seines Stammes keinen wendischen Namen mehr führte, sondern nur noch den deutschen, der dem Sinngehalt nach („Gottesknecht“) zugleich so ausgesprochen christlich ist30. Von ihm hat man mit Recht gesagt,
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Helmold I, 14 (S. 27–30); in der Glaubwürdigkeit umstritten. So in der deutschen Überlieferung (bes. Adam und Helmold). Biereye (wie Anm. 22), S. 453 weist darauf hin, daß der Name damals auf Beziehungen zu den im Niederelbgebiet mächtigen Grafen von Stade hinweist, von denen noch Udo I. († 994) als Pate des Wendenfürsten in Frage kommt. 27 Pribignevus ausschließlich bei Saxo X, xvii, 3 (S. 292, 9 ff.). – Als Mutter des gleich zu erwähnenden Gottschalk und damit als Gemahlin Udos wird ausdrücklich eine ungenannte Dänin (jedenfalls vornehmer, wo nicht königlicher Abkunft) bezeichnet, s. Chron. monast. S. Michaelis Luneb., bei Wigger (wie Anm. 22), S. 48. 28 Saxo, wie Anm. 27. 29 Adam II, 66 (S. 126, 2), dazu folg. Anm. Beachte die ähnliche Differenz in der Beurteilung von Udos Enkel Heinrich, unten S. 215 f. 30 Auch Saxo, der doch als einziger den wendischen Namen des Vaters und nur diesen kennt, spricht nur von Guthscalcus; dabei ist die sogleich oben im Text zu erwähnende engere Beziehung auch dieses Fürsten zu Dänemark zu beachten. Allerdings trägt Gottschalk den gleichen Namen wie der Provisor des Lüneburger Klosters zur Zeit seines dortigen Aufenthalts (vgl. Adam II, 66, S. 126, 6), doch spricht dies eher gegen als für erst dort vollzogene Taufe, die doch dann wohl unter Hinzuziehung anderer Paten von diesem Prälaten selbst vorgenommen worden wäre. So beleuchtet der Name des Sohnes möglicherweise auch die innere Einstellung des Vaters (gegen Adam, wie vor. Anm.). 26
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er sei „der erste Wende, der mit greifbaren persönlichen Zügen uns entgegentritt“31. Beim Tode Udos weilte Gottschalk im Hauskloster der damaligen Sachsenherzöge zu Lüneburg; der Vater hatte ihn, wie ausdrücklich betont wird: praeter nationis suae morem percipiendae litterarum disciplinae gratia, dorthin gesandt32 – wir müssen wohl hinzufügen: zugleich als Geisel seiner politischen Zuverlässigkeit gegenüber dem Nachbarn im Westen. Allerdings muß der junge Mann dort sehr frei gehalten worden sein: auf die Nachricht, was geschehen war, konnte er entweichen, warf, wie es heißt, „Glauben und Wissenschaften zugleich über Bord“33 und begann an der Spitze wendischer Heerscharen einen wütenden Rachekrieg gegen die sächsischen Stammesgenossen des Mörders – eine sehr typische Reaktion, die uns noch beschäftigen wird. Doch das Werk der Mönche von Lüneburg hatten offenbar tiefere Wurzeln in ihm geschlagen: in einem ebenso plötzlichen neuen Bekehrungsakt, der sich anscheinend spontan, ohne christlich-deutsche Einflußnahme vollzog, ließ Gottschalk von seinem blutigen Werke ab und ging im Einvernehmen mit dem Sachsenherzog nach Dänemark ins Exil, ins Land seiner Mutter, wo er in dem späteren König Swen (Svend) Estridsen (1047–1076) einen wikingischen Gefolgsherrn und zugleich den künftigen Schwiegervater fand. Um 1043 kehrte Gottschalk als Herrscher in das angestammte Reich zurück und begann dort das, was die Kirche von seinem Vater vergeblich erwartet hatte: eine lebhafte Rechristianisierungs- und Missionstätigkeit34. Sie erfolgte in Formen, die wohl nicht ganz von Gewaltsamkeit frei waren35 und damit ebensowenig uneingeschränkten Beifall der
31 Rob. Beltz, Zur ältesten Geschichte Mecklenburgs (Progr. d. Gymnasiums zu Schwerin 1893), S. 27. Übertreibend Hauck III, S. 655: „Er allein unter allen wendischen Fürsten ist eine historische Persönlichkeit, die einzige, die ein Volk, das nach Millionen zählte, im Lauf von Jahrhunderten hervorgebracht hat.“ 32 Saxo, wie Anm. 27. 33 Adam II, 66 (S. 126, 8). 34 Zur Unterscheidung dieser beiden Begriffe, die methodisch nicht ohne Bedeutung ist, zuletzt Bausteine, S. 69–77. 35 Dieses Moment wird wohl unterschätzt in der sonst besten Charakteristik der Christianisierungstätigkeit unter Gottschalk bei Wigger (wie Anm. 22), S. 142 sowie dems., Berno, der erste Bischof von Schwerin usw., Jahrb. d. Vereins f. Mecklenburg. Gesch. 28 (1863), S. 13–15, dem die späteren mehr oder weniger folgen; beachte dazu oben weiter im Text samt Anm. 37. Zu stark betont das gewaltsame Moment m.E. K. Schmaltz (s. oben Anm. 22) I, S. 27 f. Allgemein ist davor zu warnen, daß nicht etwa das praktisch Mögliche und Erreichte zu weitgehend mit den Intentionen Gottschalks – oder auch der Bremer Kirche – ineinsgesetzt wird.
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Bremer Kirche fanden wie die völlige Zurückhaltung Udos; denn gerade an diesem Erzsitz legte man offenbar auf die Gewaltlosigkeit der Verkündigung besonders großen Wert36: Adam rühmt zwar Gottschalks prudentia und fortitudo, nennt ihn gar mit biblischen Worten einen vir religiosus ac timens Deum und noster Machabeus; aber er hat doch auch das Prädikat eines fervidus christianae religionis propagator, eines „hitzigen“ Ausbreiters des Christenglaubens bereit, und zwar gerade in einem Zusammenhang, wo er vom Plan des Fürsten spricht, die unter seinem Großvater Abgefallenen in vollem Umfang „zum Christentum zu zwingen“ (ad christianitatem cogere)37. Allzu hoch freilich wird man das Ausmaß des Zwangs, den Gottschalk in den Dienst des Bekehrungswerkes stellte, keinesfalls einschätzen dürfen: unzweifelhaft blieben die Möglichkeiten der Praxis hinter seinem Wunschtraum zurück – woher hätte der Fürst auch in seinem Volke die nötige Zahl von Helfern nehmen sollen? Nach wahrscheinlich noch übertreiben-
36 S. Anm. 20, dazu unten Beitrag IX, Abschn. 2, sowie Beitrag X, S. 303 ff. über die in diesem Zusammenhang wichtige Tatsache, daß missionsmethodisch „direkter Zwang“ und „indirekte Nötigung“ zu unterscheiden sind; die Ablehnung Adams als des maßgeblichen Sprechers der damaligen bremischen Kirche dürfte in erster Linie der schärferen Form gegolten haben, wie im einzelnen noch nachzuprüfen wäre. 37 Adam III, 19 (S. 162, 10 ff.) und III, 50 (S. 193,6 ff.). Sämtliche obigen Zitate außer noster Machabeus an erstgenannter Stelle; vgl. dazu Act. 10, 1–2 sowie den Anklang an das augustinische coge intrare, über das zuletzt Beitrag IX, S. 253 f. m. Lit.; dazu allerdings oben Anm. 20 zur grundsätzlich abweichenden Einstellung Adams hinsichtlich des Apostasieproblems. Gottschalks fortitudo preist auch Adam II, 79 (S. 138, 5); im gleichen Zusammenhang – Gottschalks kriegerische Rückkehr ins Wendenland aus dem Exil um 1043 – die Wendung: omnes impugnans magnumque paganis terrorem incutiens, die freilich im Unterschied zum Obengenannten offen läßt, ob nicht nur negativer Missionskrieg und negative Gewaltmission (Beseitigung heidnischer Kultstätten usw.) gemeint sind statt positivem Glaubenszwang; vgl. zur Terminologie wie vorstehend, Anm. 36; speziell zu Gottschalk noch Beumann (wie oben Anm. 22), S. 118 f., der jedoch den (gerade auch von Adam III, 19 betonten) apostatischen Charakter des wendischen Heidentums noch nicht klar genug herausstellt. – Die im ganzen etwas widersprüchliche Einstellung Adams zu Gottschalk erklärt sich wohl so, daß der Magister theologisch-kanonistische Bedenken gegen die Verfahrensweise des Fürsten nicht unterdrücken konnte, sie aber zurückstellte, weil Gottschalk im vordringlichen Anliegen der Hamburgisch-Bremischen Kirche, der bedingungslosen Unterordnung unter sie als mater, den Anforderungen einigermaßen entsprach (Adam III, 19, S. 162, 12) und überdies zur Abfassungszeit des Adamschen Werkes bereits ein Ende genommen hatte, das als Märtyrertod aufzufassen war (Adam III, 50, S. 193: interfectus est a paganis, quos ad christianitatem nitebatur ipse convertere; etwas weiter: Passus est . . .). Ungleich positiver steht Helmold dem Fürsten gegenüber (vgl. bes. das überschwengliche, zudem an sachlich durchaus unpassender Stelle zwischen aus Adam übernommenen Text eingeschobene Lob Helmold I, 21, S. 44, 10 ff.; im vorherigen Zusammenhang sind kleine, aber charakteristische Änderungen der Vorlage zugunsten Gottschalks erfolgt wie ähnlich unten Anm. 43).
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der Angabe war es nicht einmal ein Drittel (fere tercia pars) der einst Abgefallenen, die in gut zwanzig Jahren seiner Herrschaft zur Kirche zurückgeführt wurden38. Doch auch das Gegenbild darf nicht fehlen: christliche Gotteshäuser in großer Zahl, mehrere Klöster und Stifter wurden errichtet; „in alle Lande“ sandte man um Priester, den Anforderungen der wachsenden jungen Kirche zu genügen; Fürst Gottschalk selbst verschmähte es nicht, in seinem Eifer in der Kirche das Wort zu nehmen, um predigend die „geheimnisvollen Worte“ der Bischöfe und Priester (ea, quae mystice ab episcopis dicebantur vel presbyteris) „in slawischer Sprache“ verständlicher (planiora) wiederzugeben“39, um deren Kentnis bei dem eilig zusammengerufenen landfremden Klerus es offenbar recht mangelhaft bestellt war40, ganz abgesehen von der zweifellos ungenügenden Vertrautheit dieser Glaubensboten mit dem Fühlen und Denken ihrer „Missionsobjekte“, die allein ihnen Schlüssel zu den Herzen in die Hand gegeben hätte (man denkt an den Angelsachsenkönig Oswald, 634–642, der vierhundert Jahre vorher mit einem Missionsbischof keltischer Herkunft als Dolmetscher durch seine Lande gezogen war41; oder an Norwegens ersten Bekehrerkönig Olaf Tryggvason 995–1000, der gleichfalls gern persönlich predigte, wie er überhaupt mit Gottschalk manche Züge gemeinsam hat42). Es wundert 38
Adam III, 19 (S. 162, 17 ff.). Vgl. dazu D. N. Jegorov, Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jh. (Breslau 1930; aus dem Russ., Moskva 1915) I, S. 57 Anm. 209 mit bemerkenswerten Materialien, die jedoch nicht alle zwingend hergehören, wie das Jegorovsche Werk überhaupt nur mit äußerster Vorsicht zu benutzen ist, vgl. Brückner (oben Anm. 13); Hans Witte, Jegorovs Kolonisation Mecklenburgs (Breslau 1932); B. Schmeidler, Über die Glaubwürdigkeit Helmolds usw., Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 50 (1933) u. a. m. 40 Adam III, 20 (S. 163, 4 ff.). In der Literatur stehen sich zwei Auslegungen gegenüber, indem mystice teils auf die in damaliger Predigt übliche „allegorische Schriftauslegung der Priester“ bezogen wird (so Hauck III, S. 656 m. Anm. 3), teils auf „die lateinischen Formeln der sakramentalen Mysterien“ (H. v. Schubert, Kirchengesch. Schl.-Holsteins I, S. 85). Die erste Auslegung wird dem kirchenlateinischen Sprachgebrauch der Patristik und des Mittelalters zweifellos besser gerecht: schon die „Chronik der nordeluischen Sassen“ (15. Jh.), deren Bearbeiter den Wortlaut Adams aus dem Zitat bei Helmold (vgl. Anm. 43) kennen lernte, gibt ihn wieder mit: wat de prester gestliken seden, dat lede he deme uolke ut (hg. v. J. M. Lappenberg, Kiel 1865, S. 34). Immerhin ist nicht einzusehen, warum beide Interpretationen einander unbedingt ausschließen sollen. 41 Beda, Historia ecclesiastica gentis Anglorum III, 3 (= Venerabilis Baedae Opera Historica I, rec. C. Plummer, Oxon. 1896 = 1956, p. 132). 42 Vgl. K. Schmaltz (wie Anm. 22) I, S. 27 f. (z.T. nach v. Schubert I, S. 72 f.); zum dort durchgeführten allgemeineren Vergleich beider Fürsten jedoch oben Anm. 35. – Auch Kaiser Heinrich III., Gottschalks älterer Zeitgenosse, hat 1043 einmal auf einer Synode zu Konstanz unter allgemeinem Aufsehen persönlich zur Predigt die 39
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uns nicht, daß Magister Adam auch an dieser Stelle stirnrunzelnd hinzufügt, Gottschalk habe damit in seinem Bekehrungseifer, wenngleich als Diener (mediastes) der Geistlichkeit, eben doch „seinen Stand vergessen“ (oblitus ordinis sui . . . sermonem . . . ad populum fecerit)43, d.h. sich Dinge angemaßt, die ihm als Laien ohne Weihe und ohne theologische Schulung schlechterdings nicht zukamen. Das Ende des Fürsten (1066) war blutig wie das seines Vaters, nur daß er nicht von der Hand eines Fremden fiel, sondern durch eine Erhebung des eigenen Volkes, in der religiöse Widerstände und privater Zwist (Rivalität eines Schwagers) sich unauflöslich ineinander verschränkten. Seine Witwe, die dänische Königstochter, wagten die Empörer nicht anzutasten: mit Schimpf und Schande wurde sie samt ihrem Söhnlein nackt über die Grenze gejagt. Im Lande aber erhob nun das Heidentum wieder uneingeschränkt sein Haupt: die Kirchen fielen, Priester und Mönche starben unter schrecklichen Qualen als Opfer der Götter44, und jahrzehntelang zitterte das ganze nordsächsische Grenzland vor dem grimmen Kruto, der schließlich das Obotritenreich an sich riß und es dermaßen lange zu behaupten vermochte, weil die innerdeutschen Kriege der Zeit Kaiser Heinrichs IV. die Kraft der sächsischen Nachbarmacht lähmten. Doch auch Gottschalk fand seinen Rächer, und damit kommen wir zu der doch wohl bedeutendsten Gestalt obotritischer Geschichte, seinem Sohn Heinrich: dem Kinde, das 1066 mit nach Dänemark geflohen war. Um 1093 kehrte er mit Hilfe seiner dortigen königlichen Verwandten, auch vom Sachsenherzog tatkräftig gefördert, ins angestammte Reich zurück, vermochte Kruto zu stürzen und eine neue Erhebung in offener Feldschlacht niederzuschlagen. In mehr als dreißig Regierungsjahren († 1127) entfaltete er nun ein politisches Aufbauwerk, wie diese Gegenden es noch nicht gesehen hatten.
Kanzel bestiegen, wenn auch nicht im Missionswerk (vgl. Hauck III, 573). Eine weitere Parallele s. Anm. 43. 43 Adam, wie Anm. 39 (unterdrückt im Zitat bei Helmold I, 20, S. 42, 18 ff.; vgl. dazu oben Anm. 37 Schluß). – Helmold tadelt auch nicht die von ihm II, 108 (S. 212, 15 ff.) berichtete Predigttätigkeit Jaromirs I, Fürsten der rujanischen Wenden nach 1168–1218. 44 Vgl. dazu die wenig beachtete religions- und rechtsgeschichtliche Würdigung dieser und ähnlicher Martyrien bei B. Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte (Berlin 1942), S. 39–45.
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Diesem Mann wird ein wesentlicher Teil unserer weiteren Betrachtung zu gelten haben. Zuvor allerdings müssen wir noch ihrem zweiten Schauplatz einen orientierenden Blick gönnen. Der obotritischen Stammesgruppe sprachlich nahe verwandt, aber seit alters ihre erklärten Widersacher waren die Nachbarn im Süden und Osten, nach unseren geographischen Begriffen vor allem im Brandenburgischen, im östlichen Mecklenburg und in Vorpommern: schon Karl d. Gr. wußte den Gegensatz dieser verfeindeten Mächtegruppen für seine Zwecke zu nutzen nach der alten Taktik, die auch das Römische Imperium gegen die germanischen Barbaren seines Vorfeldes geübt hatte45. Die Wilzen, wie der alte Name dieses kriegstüchtigsten aller Wendenstämme lautet, bieten uns keine vergleichbare Generationenfolge christlicher Herrscher über altgläubiges Volkstum dar. Hauptträger des großen Slawenaufstands von 983, der die Magdeburger Kirchenprovinz so gut wie ganz um zwei ihrer fünf Suffraganbistümer brachte – und gerade die größten, Brandenburg und Havelberg –, lebte der bedeutendere Teil der altwilzischen Stammesverbände seitdem nicht unter „monarchischer“ Verfassung, wie wir sie, mehr oder weniger ausgeprägt, bei den Obotriten beobachten konnten; er lebte in einer Art „föderativer Adelsrepublik“, falls man diesen Ausdruck für jene Verhältnisse zulassen will, in einem Staatswesen, das als „Ljutizenbund“ für fast ein Jahrhundert die erstaunlichste Abwehrkraft entfaltete, Deutschen wie Polen, den beiden christlichen Nachbarn und Widersachern ihrer politischen wie religiösen Freiheit, in gleichem Maße ein achtunggebietender, ja furchtbarer Feind46. Einzig einige kleinere Randstämme des geographischen Übergangsfeldes zwischen Ljutizen und Sachsen traten zu dem Bunde nur in ein loses, vielleicht gar nur
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Barbari – seit der Christianisierung des Römerreiches zu der Qualität des „Barbarischen“ noch mit der des „Heidnischen“ aufgeladen – ist beliebtes Epitheton der Wenden z.B. bei Widukind von Korvei (s. unten Anm. 48), auch bei Adam u.a. Vgl. dazu demnächst A. Borst im Archiv für Kulturgeschichte (voraussichtlich 1963). 46 Auf die Entstehung des Ljutizenbundes hat überraschend neues Licht geworfen W. H. Fritze, Beobachtungen zu Entstehung und Wesen des Lutizenbundes, JMO 7 (1958); vgl. im allgemeinen W. Brüske, Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes (Münster/Köln 1955); dazu Rezensionen von W. H. Fritze, JMO 8 (1959) und H.-D. Kahl, Forschungsfragen unserer Zeit 8 (1961); ferner M. Hellmann, Grundzüge der Verfassungsstruktur der Liutizen (bei Ludat, wie Anm. 5). Auch die in Anm. 22 – besonders für Mecklenburg – genannte Literatur ist hierzu und zum folgenden laufend zu vergleichen (vor allem R. Wagner).
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vorübergehendes Verhältnis. Sie scheinen auch verfassungsmäßig eine Sonderentwicklung durchlebt zu haben, doch liegt gerade über ihnen für die Zeit Udos, Gottschalks und Heinrichs ein fast undurchdringliches Dunkel. Zu diesen Kleinstämmen gehören die Stoderaner47. Das Christentum drang in ihren Siedlungsraum mit größerem Nachdruck gleichfalls in ottonischer Zeit im Gefolge deutscher Oberherrschaft vor: 940 lieferte ein christlicher Fürst, Tugumir, das alte politische und religiöse Zentrum der Stoderaner, Brandenburg a. H., in wenig rühmlicher Weise den Deutschen aus48, acht Jahre später wurde dort das schon genannte Bistum errichtet, und das bedeutet mindestens den Willen zur Aufnahme eines Missionswerks in diesem Lande49. Vom Verlauf und Erfolg dieser Tätigkeit wissen wir nichts; das missionsgeschichtliche Gesamtbild der Zeit läßt, soweit es sich nachzeichnen läßt, keinen Raum für die Annahme gewaltsamer Massentaufen großen Stils unter Todesdrohung, wie wir sie ja auch unter Gottschalk keinesfalls anzunehmen haben – ein gerade im Hinblick auf verbreitete Vorstellungen ungemein wichtiger Befund50. Immerhin wurde der zweite Bischof, Dodilo, 980 erdrosselt – wie es verschämt unklar heißt: „von den Seinen“ (a suis), d.h. doch wohl von Diözesanen; drei Jahre später, als das Brandenburger Land sich dem großen Ljutizenaufstand gegen Reich und Kirche anschloß, wurde Dodilos (und, wie es scheint, nur Dodilos) Leichnam nochmals besonders geschändet51. Die Gründe dieses fanatischen Hasses kennen wir wieder nicht; vielleicht hatte der Bischof gewagt, Hand an Heiligtümer des alten Glaubens zu legen, die – wie wir an anderen Fällen sehen – in diesem Geschichtsraum auch unter durchgeführter christlicher Bistumsorganisation noch jahrzehntelang weiterbestehen konnten52: gewaltsame Beseitigung heidnischer „Greuel“
47 Über sie H.-D. Kahl, Beiträge, passim, mit umfangreicher Literatur, aus der Fr. Curschmann, Die Diözese Brandenburg (Leipzig 1906) hervorzuheben ist. Vgl. Anm. 49. 48 Widukind von Korvei, Res Gestae Saxonicae II, 21, ed. P. Hirsch – H.-E. Lohmann (SRG 1935), S. 85; Heveldi ist eine andere Bezeichnung der Stoderaner. 49 Über die Anfänge des Bistums Brandenburg unten Beitrag XVII, S. 577 ff., mit Ergänzungen Beitrag XVIII, bes. S. 615 ff., sowie Zernack (wie unten Anm. 100), S. 19–21. 50 Vgl. unten Beitrag XIV, bes. S. 473 ff. 51 Thietmar III, 17 (S. 104, 17 ff.); zur Interpretation noch W. Hoppe, Zur ältesten Geschichte des Havellandes, Forschungen zur Brandenburg. u. Preuß. Gesch. 41 (1928), S. 377 f. 52 Der heilige Hain der Wenden zu Schkeitbar (bei Lützen) fiel, wie es ausdrücklich heißt: ab evo antiquo numquam violatus, durch Bischof Wigbert von Merseburg (1004–1009), nachdem das Gebiet bereits seit 968 fest in die ottonische Bistumsorga-
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im Dienste des „negativen Missionsziels“, der „Entpaganisierung“, kann ja für mittelalterliches Empfinden ohne weiteres mit gewaltlosem Vorgehen in der positiven Christianisierungsarbeit zusammengehen53. Nach 983 hören wir mehrfach von Kämpfen um die Rückgewinnung der Brandenburg – dann wird es still: anscheinend waren die Bemühungen als gescheitert aufgegeben, und die alte Religion hatte ihr Zentrum wieder in Besitz genommen. Als im 12. Jahrhundert die Kunde wieder einsetzt, ist von einer angestammten Herrscherfamilie die Rede, in der die Macht durch Erbgang weitergegeben worden war54. Zu ihr gehörte vermutlich jener deutschnamige (und also christliche) comes Slavorum Meinfried von Brandenburg, der uns ausdrücklich auch selbst als Wende (Slavus) bezeichnet wird und 1127, im Todesjahr des Obotriten Heinrich, wiederum gewaltsam aus dem Leben schied55. Ob Stammesgenossen wie bei Gottschalk, ob Deutsche wie bei Udo seine Mörder waren, verschweigen die Quellen56; sicher scheint, daß sein Tod nochmals ein Aufbegehren heidnischen Wesens brachte, sei es nun als Ursache, sei es als Folge seines Sturzes. Aus den folgenden Wirren ging die erste Persönlichkeit als Sieger hervor, die in diesem Teil des Wendenlandes für uns einiges geschichtliches Leben gewinnt: in der Taufe gleichfalls Heinrich geheißen, daneben wie Udo noch mit slawischem Namen benannt, so daß er zur besseren Unterscheidung (auch von anderen historisch bekannten Trägern des gleichen slawischen Namens) Pribislaw-Heinrich genannt zu werden pflegt; ausdrücklich als Abkömmling der alten Fürstenfamilie bezeichnet – vielleicht ein jüngerer Bruder des erschlagenen Meinfried – und unverkennbar schon Christ, bevor er zur Herrschaft kam. Ihn sehen wir alsbald in enger, persönlicher Freundschaft mit Markgraf Albrecht dem Bären verbunden, zum Paten sogar des markgräflichen Stammhalters bestellt. Auch zum deutschen König (1125–1137) und Sachsenherzog (1106–1137) Lothar, dem Süpplingenburger, müssen sich spätestens damals Beziehungen hergestellt haben: von ihm, dem der bereits rund Fünfzigjährige etwa gleichalterig gewesen sein wird, dürfte er um 1129 die königliche Krone empfangen haben, in deren nisation einbezogen war, und zwar – bei wechselnder Diözesanzugehörigkeit – stets innerhalb der gleichen Kirchenprovinz wie das Bistum Brandenburg. 53 Vgl. unten Beitrag IX, Abschn. 3, sowie Beitrag X, Abschn. 3. 54 Tract, (s. Lit.-Verz. unten S. 119) § 1 (S. 8). 55 Beiträge, S. 17–18 u. 26. 56 Beachte gegen die communis opinio ebd. Anm. 48 zu S. 26; die dort aufgezeigte gegenteilige Möglichkeit möchte Verf. jetzt noch stärker betonen.
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Besitz wir ihn später finden, als ein Unterkönig des Reiches, wie sie in damaliger Zeit nur äußerst selten erhoben wurden – der einzige Kronträger, den, soviel wir sehen, das Wendentum überhaupt hervorgebracht hat. Wie sein älterer obotritischer Namensvetter, so hat auch Pribislaw-Heinrich in seinem Herrschaftsgebiet alsbald einen Staat geschaffen, fest gefügt wie nie dort zuvor: der Vergleich dieser beiden wird den Hauptinhalt der folgenden Ausführungen bilden, soweit sie sich noch mit den christlichen Partnern der Auseinandersetzung zu beschäftigen haben. Stärker jedoch interessiert uns zunächst die andere Seite, von der bisher nur andeutungsweise die Rede war. Tiefe, lodernde Leidenschaft haben wir dabei immer wieder gespürt, die sich verheerend gegen die Träger des neuen Glaubens wandte, gleich, ob sie eigenen oder fremden Stammes, Wenden oder Deutsche, Bischöfe und Priester oder Fürsten waren. Suchen wir zu erfahren, was in den Männern vorging, die Dodilo erdrosselten und Gottschalk niederschlugen. 3. Christentum und wendisches Heidentum als Religionen gegensätzlicher Struktur: Universalreligion und Gentilreligion Was bedeutete es für wendisches Empfinden, wenn ein Fürst (und das heißt: auch sonst ein Teil der Oberschicht) christlich war?57
57 Die folgenden Ausführungen sind eine stark zusammengezogene Wiedergabe des Abschnitts meiner Beiträge, S. 76–105, mit einigen Ergänzungen und Modifizierungen. Für Spezialstudien muß auf den dortigen Anmerkungsteil verwiesen werden, der für den vorliegenden Zweck drastisch zu beschneiden war. – Zum Allgemeinen vgl. die Forschungsberichte von A. Schmaus, Zur altslawischen Religionsgeschichte, Saeculum 4 (1953) mit umfangreichen Literaturangaben (bes. S. 208 f. zu den höchst anfechtbaren „Untersuchungen zur Religion der Westslawen“ von E. Wienecke, Leipzig 1940), und von L. Sadnik, Die Religion der Slawen im Altertum, in: Blick nach Osten I, 1 (1948; S. 42 f. u. 44 f. unverständlich positiv zu Wienecke). Aus der älteren Literatur sei neben L. Niederle (wie oben Anm. 4) II, S. 126–168, besonders hervorgehoben A. Brückner, Slaven und Litauer (in: Lehrbuch der Religionsgeschichte4, begr. von Chantepie de la Saussaye, hg. v. A. Bertholet u. E. Lehmann, Bd. II, Tübingen 1925); ferner C. Clemen, Religionsgeschichte Europas I: Bis zum Untergang der nichtchristlichen Religionen (Heidelberg 1926), S. 368–377; dazu neuerdings Dvornik (wie oben Anm. 4); beachte auch Rehfeldt (wie Anm. 44). Nicht zu vergessen sind die Zusammenfassungen, die die in Anm. 22 und 46 zusammengestellten landesgeschichtlichen Arbeiten jeweils geben; in der Qualität unterschiedlich, enthalten sie doch immer wieder feine Beobachtungen, die die allgemeine Religionsgeschichte sich nicht entgehen lassen sollte; vgl. in diesem Zusammenhang besonders noch Beltz (wie Anm. 31), passim, und Wigger, Berno (wie Anm. 35), S. 34–49. – Eine nützliche Quellensammlung bietet C. H. Meyer, Fontes Historiae Religionis Slavicae (Fontes Historiae Religionis, ed. C. Cleden, fasc. IV, Bonn
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Unsere Quellenautoren hat diese Frage zweifellos nicht beschäftigt. Ihnen war es, wie wir sahen, schon nicht der Mühe wert, der äußeren Geschichte „Ungläubiger“ nachzugehen, soweit sie nicht etwa zu deren Christianisierung führte oder mit Großtaten christlicher Recken zusammenfiel – sich mit Anteilnahme in innere Probleme von Heidenmenschen hineinzuversetzen, kam für sie wohl höchstens dann einmal in Betracht, wenn es sich um die eigenen, noch unbekehrten Vorfahren handelte58. Aber einige Hinweise, die weiterhelfen, erhalten wir doch. Den ersten bietet eine Aufzeichnung von Wundertaten, die man dem heiligen Kaiser Heinrich (II.) zuschrieb, verfaßt um 1165/70 in Merseburg; wir werden durch sie also an den einstigen Kathedralsitz Dietmars geführt. Ein blinder Bettler, so lesen wir, habe einmal freudigen Jubel vernommen, den ein Heilungswunder jenes himmlischen Patrons unter den Umstehenden auslöste; „er war aber aus dem Lande und Volke der Wenden, die durch die Verkehrtheit ihrer natürlichen Veranlagung dermaßen einfältig und unvernünftig sind (quibus simplicitas vel irrationalitas pravitate quadam ingenii naturalis est), daß sie offensichtlich kaum ein schwaches Fünklein Glauben haben (adeo ut vix vel tenuem fidei videantur habere scintillam).“ Natürlich fragt er nach dem Grund des Lärmens, den er ja nicht sehen kann, und hört, was geschah. Da aber entfährt ihm das bittere Wort: „Dieser Heinrich ist ja ein Deutscher, und so gewährt er seine Gnadenhilfe nur Deutschen (solis Teutonicis gratie sue prestat subsidium); mir aber und den Menschen meines Stammes (mihi vero gentisque mee hominibus) hat er noch niemals irgendeine Wohltat erwiesen.“ Natürlich wird der Sprecher verlacht und aufgefordert, doch unverzüglich auch einmal vor den Reliquien des heiligen Kaisers um Befreiung von seinem Übel zu beten. Zögernd gibt er nach,
1931), in deutscher Übersetzung desgl. A. Brückner, Die Slaven (in: Religionsgeschichtl. Lesebuch, hg. v. A. Bertholet, H. 3, Tübingen 21926). Ein empfindlicher, doch schwer vermeidbarer Mangel dieser Sammlungen liegt darin, daß sie sich auf zusammenhängende Äußerungen über die altslawische Religion beschränken müssen, so daß dem Benutzer zahlreiche verstreute Einzelbelege entgehen, die gerade für das Westslawengebiet angesichts der ungünstigen Quellenlage schlechterdings unentbehrlich sind; die angeführten historischen Arbeiten können dem Religionsforscher nicht zuletzt in dieser Hinsicht wichtige ergänzende Hinweise vermitteln. 58 Vgl. neben den zahlreichen isländischen Beispielen bei Schomerus (wie Anm. 21) hier etwa das auffällige und ungewöhnliche Verständnis, das Transl. S. Pusinnae (9. Jh.), c. 1 (MG. SS. II, 681 a, 37 ff.) dem inneren Widerstand der Sachsen gegen die Christianisierung entgegenbringt.
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wirft sich vor dem wunderkräftigen Heiltum zu Boden, „und unmittelbar nach dieser frommen Handlung erfährt der Wende die Gnade des Deutschen, die ihm, wie er klagte, angeblich vorenthalten war, am eigenen Leibe“: sein Augenlicht wird ihm zurückgegeben, und seitdem genießt Sankt Heinrich bei diesem Volksstamm, „der, wie gesagt, in seiner bäurischen Einfalt und Kleingläubigkeit (rustica simplicitate et fidei pusillanimitate) sich verschmäht wähnte“ (also einigermaßen geschlossen so dachte wie dieser eine!) große Verehrung59. Man hat dieses Geschichtchen herangezogen als aufschlußreiches Zeugnis für „die Durchtränkung des mittelalterlich-kirchlichen Lebens . . . in den christianisierten Wendländern mit Gegensätzen, welche gradlinig in die nationalpolitische Problematik späterer Jahrhunderte hineinführen“, und zugleich als ein Zeichen, „wie tief diese Gegensätze auf der Seite der Slawen empfunden werden konnten“60. Unzweifelhaft ist das richtig gesehen. Aber entscheidend scheint etwas anderes: die Stelle beleuchtet beispielhaft den grundsätzlichen Unterschied in der inneren Struktur jener beiden Religionen, die sich damals in der deutsch-wendischen Auseinandersetzung gegenüberstanden, und die zitierte Feststellung gehört, so seltsam es vielleicht klingen mag, in diesen größeren Zusammenhang hinein als bloße Teilerscheinung. Das Christentum ist seinem Wesen nach eine ausgesprochene Universalreligion im Sinne G. Menschings61. Seine Botschaft richtet 59 Miracula S. Heinrici, c. 10 (MG. SS. IV, 815 b, 54 ff.); daß die reale Möglichkeit derartiger Wunderheilungen nicht allgemein unbezweifelt ist, bedeutet keine Minderung des Quellenwertes dieser Stelle angesichts von Eindrücken, wie sie gläubige Katholiken noch heute an Orten wie Lourdes empfangen. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit ist allein, ob bei dem fraglichen Bettler und seiner Umgebung die psychologischen Voraussetzungen für das Gelingen vorhanden waren. – Merkwürdig ist, daß schon der hl. Bonifatius mit dem Glauben an die Berufung aller germanischen Stämme die Oberzeugung von der völligen Bekehrungsunfähigkeit der Slawen verband; vgl. F. Flaskamp, Die Missionsmethode des hl. Bonifatius (Hildesheim 1929), S. 32; seltsam zusammenstimmend mit ähnlichgerichteten Anzeichen bei Widukind von Korvei und anderen sächsischen Mönchen, s. zuletzt Bausteine, S. 68 f. m. Aum. 36. – Zweifel an der Auffassung Flaskamps äußert neuerdings W. H. Fritze, der sich weitere Ausführungen zur Frage vorbehält; nach ihm hätte Bonifatius lediglich seine persönliche Aufgabe nicht in der Missionierung der Slawen gesehen, ohne aber ihnen grundsätzlich die Bekehrungsfähigkeit abzusprechen, vgl. Zschr. f. slav. Philologie 3 (1964). 60 E. Maschke, Das Erwachen des Nationalbewußtseins im deutsch-slavischen Grenzraum (Leipzig 1933), S. 13 f. 61 Zum folgenden G. Mensching, Soziologie der Religion (Bonn 1947), S. 25 ff., 44, 53, 86 ff., 151 ff., 265 f.; ders., Toleranz und Wahrheit in der Religion (Heidelberg 1955), S. 225 ff., u.ö.; G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion (Tübingen 1933), S. 225 ff.; C. H. Ratschow, Magie und Religion (Gütersloh 1947), passim, bes. S. 19 (mit eigenwilliger Terminologie).
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sich an „alle Völker“62, ja im Grunde gar nicht so sehr an die Völker als solche, sondern an jeden einzelnen Menschen ohne Rücksicht auf die Volkszugehörigkeit: „Da ist nicht Grieche, Jude, . . . Barbar und Skythe, . . . sondern alles und in allen Christus“63. Den Völkern früher Stufe dagegen liegt nichts ferner als ein Denken, ein Anspruch dieser Art: sie wissen allgemein nichts von einem allumfassenden Weltengott64, wie ihnen überhaupt die Fähigkeit zum Denken in allgemeingültigen Kategorien abgeht65; sie kennen nicht einmal den Begriff der universalen Welt66, und so ist ihnen nichts selbstverständlicher, als daß jedes Land oder jedes Volk seine eigenen Gottheiten habe, wie denn besonders urtümlicher Glaube – belegt von den Ewe im damals deutschen Togo – sogar meinen kann, jedes einzelne Dorf habe seine eigene Sonne für sich67. Wir haben keinen Grund zu der Annahme, daß die Slawen historischer Zeit die letztgenannte extreme Anschauung geteilt hätten. Daß aber die angedeutete begrenzte Auffassung vom Wesen und Walten numinoser Mächte auch die ihre war, zeigt die Antwort jenes wendischen Bettlers von Merseburg in besonders eindringlicher Weise. Wir präzisieren: Der Wirkungskreis der eigenen Götter beschränkt sich auf „unser“ Volk und Land. Sie sind keineswegs die einzigen, die es gibt, oder die einzigen, die wirkliche Macht besitzen: auch die Götter anderer Völker sind wirklich und wirkmächtig; auch sie haben ihr Volk und ihr Land, in dem sie ihre Herrschaft üben und in dem ihnen deshalb Verehrung zukommt – nur in „unserem“ Bereich haben sie von Haus aus nichts zu schaffen: er liegt einfach außerhalb ihrer Zuständigkeit. So ist es ganz natürlich, daß die Deutschen nicht zu Triglaw oder zu Swantewit beten, sondern zu Christus und zum heiligen Heinrich68,
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Mt. 28, 19; vgl. folg. Anm. Col. 3, 11; vgl. Gal. 3,28; Rm 10, 12; I. Cor. 12, 13. Es ist zu beachten, daß ἔϑνη, gentes Mt. 28, 19 auch die Übersetzung „Heiden“ zuläßt, also in keiner Weise notwendig auf Volkszusammenhänge bezogen werden muß, vgl. oben, Einführung, S. xxvii m. Anm. 8. 64 Mensching, Soziologie, S. 27, 64, 252, 264 f.; ders., Toleranz, S. 18 ff. 65 Ratschow, S. 77 ff. 66 Ebd., S. 56 ff.; W. Grönbech, Kultur und Religion der Germanen 2I (Hamburg 1937), S. 147 ff., 184, 193, 226. 67 v. d. Leeuw, S. 47. 68 Die offizielle theologische Unterscheidung zwischen der Anbetung (adoratio), die allein Gott, und der bloßen Verehrung (veneratio), die stattdessen den Heiligen zukommt, darf bei dieser Erörterung rein volkstümlicher Auffassungen in zudem 63
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und niemand darf sich wundern, daß sie von ihnen wirksame Hilfe empfangen. Aber was haben diese fremden Mächte mit einem blinden Wenden, was hat er mit ihnen zu schaffen? Zwischen beiden besteht eine Kluft, über die erst universalreligiöses Denken eine Brücke zu schlagen vermag, wenn auch oft erst nach jahrhundertelanger Einwirkung. Dieses Denken lacht dann zugleich über die „Einfalt“ und „Unvernunft“ jenes älteren, andersartigen, und schließt von da aus gar auf die „Verkehrtheit der natürlichen Veranlagung“ eines ganzen Volkstums: denn welch ungeheuerliche Zumutung jene Denkvoraussetzungen, die ihm unmittelbar selbstverständlich scheinen, für die Gegenseite bedeuten müssen, das kommt ihm gar nicht in den Sinn, und die durchaus gleichartigen Probleme, vor denen die eigenen Vorfahren in ihrem Missionszeitalter standen, sind längst vergessen. Nun vertritt jener Bettler offensichtlich eine Stufe, auf der das urtümliche Denken schon stark zersetzt war (Mensching nennt es „volksreligiös“69; vielleicht sollte man nach einem Terminus, der im Anschluß an A. Dove und W. H. Fritze in der Geschichtswissenschaft des Mittelalters eingebürgert ist70, besser „gentilreligiös“ sagen, um unerwünschte Assoziationen in Richtung des modernen Volksbegriffs auszuschließen oder auch des – bei aller inneren Verwandtschaft doch durchaus andersartigen – „Volksglaubens“ unserer Tage). Die Kirchen- und Missionsgeschichte des Merseburger Raumes hatte im Schicksalsjahr 983 keine Unterbrechung erfahren, und wir müssen annehmen, daß die rein äußere Christianisierung im 12. Jahrhundert dort im wesentlichen abgeschlossen war. Der namenlose Blinde, so unchristlich, besser: vorchristlich er sich äußert, zeigt durch sein weiteres Verhalten gleichfalls,
vom Christentum so gut wie unberührten Schichten um so eher außer Acht gelassen werden, als sie in vulgärer Glaubenspraxis auch subjektiv guten Katholiken bis heute längst nicht überall einwandfrei klar zum Bewußtsein gekommen ist. 69 s. Anm. 61. 70 „Gentile Verbände“ sind danach frühgeschichtliche ethnische Einheiten, die – unbekümmert um etwa abweichende historische Wahrheit (z.B. im Sinn der auch oben Anm. 9 angedeuteten Zusammenhänge) – sich selbst als Abstammungsgemeinschaft verstehen und nicht zuletzt deshalb in den spät- und mittellateinischen Quellen mit dem stehenden Ausdruck gentes belegt werden. Über den besonders deutlich zur Völkerwanderungszeit und im Frühmittelalter faßbaren „Gentilismus“ als Denkweise: A. Dove, Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens (Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 1916/8.; dazu kritisch V. Michels, Anzeiger für deutsches Altertum 38, 1919, S. 130 ff.) und bes. W. H. Fritze in seinen leider erst postum gedruckten Untersuchungen zur frühslawischen und frühfränkischen Geschichte bis ins 7. Jh. (Frankfurt/M. 1994). Vgl. Anm. 82.
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daß er an sich dem neuen Glauben schon in irgendeiner Weise zuneigte: da man ihn anstandslos vor den heiligen Reliquien – ausdrücklich heißt es im Text: in der Kirche – beten ließ, dürfte auch er wenigstens getauft gewesen sein; vielleicht hatte er sogar, mochte auch der Wirkbereich der Heiligen ihm noch auf das Volkstum ihres Erdenwandels beschränkt sein, sich doch schon gewöhnt, Christus selbst als den großmächtigen Weltenherrn anzusehen, dessen Walten alle Völker und ihre verschiedenen Heiligen gemeinschaftlich umschloß. Ähnliches gilt für die von ihm repräsentierte Teilgruppe des Wendentums: anders wäre die Ausbreitung des St. Heinrichs-Kultes, der doch im Merseburger Raum unzweifelhaft an christliche Kirchen und Kapellen gebunden war, in ihren Reihen kaum zu verstehen – selbst dann nicht, wenn man bedenkt, daß Heidentum und gerade wendisches Heidentum an sich die Aufnahme überragender Menschen unter seine Gottheiten durchaus kennt71. Wo dagegen das alte Denken noch ungebrochen ist, fallen Zugeständnisse dieser Art an das neue fort: dort ist Christus kein Herr über alle Welt; und mögen seine Diener in seinem Namen noch so laut Anspruch auf wendisches Land erheben: er bleibt darum doch das, was sich aus dem Volkstum dieser seiner Prediger entnehmen läßt – der „deutsche Gott“. Ein merkwürdiges Wort! Es ist nicht etwa ad hoc erfunden, sondern tatsächlich bezeugt in der Überlieferung über eine andere Gegend des nordwestslawischen Bereichs, einem Bericht über die heidnische Reaktion, die sich etwa 1125/26 – wenige Jahre nach der ersten Missionsreise Bischof Ottos von Bamberg nach Pommern – in Stettin erhob, wo die Wirksamkeit dieses Glaubensboten eine der neuen Christengemeinden ins Leben gerufen hatte72. Das Wort tritt vor uns selbstverständlich in lateinischem Sprachgewand (als Teutonicus deus), und das legt den Verdacht nahe, ob es seinen Ursprung nicht einfach einer stilistischen Laune des Quellenautors verdanken könnte. Der Zusammenhang schließt diese Annahme jedoch aus. Die Wendung erscheint nicht nur einmal, gelegentlich, im Wechsel mit anderen, sondern dreimal, geradezu stehend im Rahmen des
71 vgl. Rehfeldt (wie Anm. 44), S. 22; Brückner bei Bertholet (wie Anm. 57), S. 6 Anm. 9. 72 Ebo, Vita Ottonis Babenbergis episcopi III, 1; ed. Ph. Jaffé, Bibl. Rer. Germ. V (1869) S. 651 f. Aus der umfangreichen Literatur sei hervorgehoben W. Kümmel, Die Missionsmethode des Bischofs Otto von Bamberg und seiner Vorläufer in Pommern (Gütersloh 1926); speziell zur Stelle noch Schlesinger (wie oben Anm. 9), S. 19.
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betreffenden Berichts: das weist doch wohl über den kirchenlateinischen Schriftsteller auf seine Gewährsleute zurück und weiter darauf, daß die Wenden, von denen sie ihm erzählten, wirklich eine entsprechende Formulierung zu brauchen pflegten. Innere Gründe stützen dieses Ergebnis. Was wir von der inneren Einstellung geistlicher Autoren des 12. Jahrhunderts und ihrem christlichen Selbstbewußtsein wissen, verweist die Erfindung solcher Bezeichnungen durch sie außerhalb aller Wahrscheinlichkeit: sie von sich aus hätten unzweifelhaft „Christengott“ (deus Christianorum) geschrieben. Die letzte Bestätigung bieten Parallelen aus der livländischen Missionsgeschichte, wo uns in Äußerungen dortiger Heiden aus gleichen religionsgeschichtlichen Voraussetzungen der „Sachsengott“ (deus Saxonum) entgegentritt, sogar in ausdrücklicher Gegenüberstellung mit dem „Livengott“ (deus Lyvonum)73. Das Wort vom „deutschen Gott“ ist also ein vollgültiges Quellenzeugnis, der zweite entscheidende Beleg neben der Merseburger Erzählung für die gentilreligiöse Grundeinstellung altslawischer Religion; es lehrt uns, wie die Wenden auch ihrerseits die eigenen Denkvoraussetzungen mit unbefangener Selbstverständlichkeit auf die Gegenseite übertrugen: wie sie im Christentum nichts anderes sahen als die Gentilreligion ihrer deutschen Nachbarn, in Christus also den Fremdgott – um es nochmals herauszustellen: kein Hirngespinst betrogener Phantasie von „Irrgläubigen“, auch keinen teuflischen Dämon, sondern einen wahrhaftigen Gott, an dessen Existenz, dessen Wirkmächtigkeit in Segen und Zorn nicht zu zweifeln war; den eigenen grundsätzlich gleichgestellt, doch mit anderem geographischem Zuständigkeitsbereich, so daß er im Wendenlande nichts zu schaffen hatte. Übergriffe seiner Schützlinge (und das heißt: dieses Gottes selbst) in den eigenen Gentilraum herein galt es daher aus überlegener Kraft der heimischen Gottheiten abzuwehren: gelang dies, so schändete man wohl das leibhaftige Bild, das wie jedem Gott, so auch dem „deutschen“ selbstverständlich zugeordnet war; schändete also den Kruzifixus, der für heidnisch-wendisches Empfinden mit den eigenen Idolen ja nicht weniger auf gleicher Stufe stand wie Christus mit Triglaw oder Jarowit: so suchte man in dem Bilde den Dargestellten selber zu treffen, ihm seine Ohnmacht im Bereich der eigenen Gentilgottheiten darzutun und deren überlegene Kraft in ihrem Herrschaftsgebiet; ja, es mag sein, daß man solche Handlung geradezu
73 Heinrich von Lettland, Chronicon Lyvoniae II, 8; ed. L. Arbusow – A. Bauer (SRG 1955), S. 11, 15 ff.; X, 14, S. 45, 4.
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als eine Art Opfer verstand an die göttlichen Herren der eigenen Welt, denen man sonst gern auch Diener des Fremden schlachtete. Allenfalls war man bereit, ihn neben den alten Göttern (durchaus nicht etwa an ihrer Stelle!) mit zu verehren, wenn er wider Erwarten überzeugende Beweise zu geben schien, daß seine Macht (und also seine Fähigkeit, zornig zu schaden) über die deutsche Grenze hinaus tatsächlich in dieses eigene Land hereinzureichen vermochte74. Beide Zeugnisse: die Merseburger Legende von dem leiblich wie geistlich Blinden, der, ganz im Sinne patristisch-mittelalterlicher Schriftexegese, von beiden Gebrechen zugleich wunderbar befreit wird, und das Stettiner Wort vom Teutonicus deus – sie stützen und beleuchten sich gegenseitig und sind nur in dieser Wechselbeziehung wirklich zu verstehen. Daß Stoderaner und Obotriten die damit gekennzeichnete Einstellung geteilt haben, ist nicht ausdrücklich überliefert. Das Gegenteil jedoch wäre so überaus unwahrscheinlich, daß wir es auch dann ausschließen dürften, wenn sie nicht dem Merseburger bzw. dem Stettiner Raum jeweils näher gesessen hätten, als diese beiden, deren Zeugnisse so beachtlich zusammenstimmen, einander zugeordnet liegen. Wenn nicht alles täuscht, so haben wir damit den entscheidenden Ansatz gefunden,
74 Belege über Schändung von Christusbildern durch aufständische oder apostatische Wenden erscheinen mehrfach. Ein Beispiel, das zugleich den jederzeit möglichen Stimmungsumschlag gegenüber dem mächtigen Fremdgott beleuchtet, unten S. 226 f.; als Gegenstück vgl. bes. Wipo, Gesta Chuonradi, c. 33 (= Opera, ed. H. Breßlau, SRG 1915 = 1956, S. 53, 21 ff.), wo auch über die religionsgeschichtlich höchst bedeutsame, grauenvolle Rache, die Kaiser Konrad II. 1035 als ultor fidei an wendischen Gefangenen übte, indem er sie in genau gleicher Weise verstümmeln ließ, wie dies zuvor durch ihresgleichen scelerato ludibrio einem Kruzifixus geschehen war. Der entsetzliche Vorgang zeigt, in welchem Maße die Funktion solcher Kultbilder damals auf christlicher wie heidnischer Seite gleichartig und einheitlich erfaßt wurde: das Gottesbild und also auch dasjenige Christi ist urtümlichem Empfinden etwas, was den Gemeinten nicht darstellt, sondern repräsentiert; weder ist er einfach in ihm „abgebildet“, noch gemäß alttestamentlicher Auffassung mit ihm ausschließlich identisch – vielmehr in ihm gegenwärtig, auf geheimnisvoll-paradoxe Weise identisch mit ihm wie nicht identisch zugleich, und „was man dem Bilde tut, das tut man dem Abgebildeten“ (J. Trier, Irminsul, Westf. Forsch. 4, 1941, S. 108, vgl. 107), in der Schändung nicht weniger als im Kult: vgl. van der Leeuw (wie oben Anm. 61), S. 427 ff.; Ed. Meyer, Elemente der Anthropologie (= Gesch. d. Altertums 6I, 1, Darmstadt 1953), S. 112; G. Wunderle, Vom Wandel des Wirklichkeitsbewußtseins im religiösen Erleben, Donum Natalicum Schrijnen (Nijmegen u. Utrecht 1929), S. 820; auch F. Melzer, Christus und die indischen Erlösungswege (Tübingen o. J. = 1949), S. 57–61. – Zum Menschenopfer bei den Elb- und Ostseeslawen neben den allgemeinen Aussagen Thietmar VI, 25 (S. 268, 31 ff.) und Helmold I, 52 (S. 102, 24 ff.); II, 108 (S. 213, 21 ff.) die Darstellung von Rehfeldt, wie oben Anm. 44. Ein Beispiel unten S. 207.
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von dem her eine Antwort auf die Frage nach der Einstellung des altgläubigen Wendentums insgesamt zum Christentum stammgleicher Fürsten wenigstens versucht werden kann. 4. Die Einstellung der wendischen Gentilreligion zum Christentum stammeigener Fürsten Jede Religion erhebt den Anspruch, ihren Gläubigen, sofern sie dem von ihr gewiesenen Wege folgen, das zu sichern, was sie unter dem „Heil“ versteht. Der Universalreligion geht es dabei um das Heil des einzelnen, im Fall des Christentums um sein jenseitiges Seelenheil. Nicht so der Gentilreligion: sie kreist, wie G. Mensching in grundlegender Weise entwickelt hat, in all ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen zwar nicht um die gleiche „Lebensmitte“, wohl aber immer und immer wieder um ein rein diesseitig-irdisches „Heil“ – denn eine wie immer geartete „jenseitige Dimension“ ist in ihr weder entdeckt noch überhaupt gesucht –, und allenthalben geht es ihr dabei nicht in erster Linie um den Einzelmenschen, sondern um das kollektive Ganze des jeweiligen gentilen Verbandes (gens); nur über seine Zugehörigkeit zu diesem Ganzen hat auch der einzelne teil an diesem „Heil“. (Daß das mittelalterliche Christentum, in den neubekehrten Völkern so stark zugleich Erbe vorchristlicher Religiosität, in oft eigenartigster Weise die Sorge für beides verbindet75, sei in diesem Zusammenhang wenigstens am Rande gestreift.) Diese allgemeine Feststellung wird für die Wenden aufs beste bestätigt, vor allem durch den ausführlichen Bericht des Saxo über den Kult des Swantewit (Svętovit), des Hauptgottes der slawischen Rujanen oder Ranen auf Rügen: danach erwarteten die Seinen von diesem Gott „für ihr Vaterland Gutes, Mehrung von Habe und Sieg für seine Bürger . . . zu Wasser und zu Lande“ (patriae bona civibusque opum ac victoriarum incrementa . . . terra marique), aber auch „Zuwachs der Ernte“ (agrorum ubertatis tempora und futura messis incrementa)76. Wir haben keinen Grund, für die Gottheiten der Obotriten und Stoderaner etwas anderes
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Vgl. Beitrag XXI, Abschn. 2. Über Mischformen zwischen universalreligiöser und gentilreligiöser Grundhaltung, die noch wenig erforscht scheinen, vgl. die Hinweise in: Beiträge, Register, s. v. ‘Synkretismus’, sowie unten Anm. 81 u. 90. 76 Saxo XIV, xxxix, 5–6 (S. 465, 30 ff.); auch MG. SS. XXIX, 122 f.
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anzunehmen, zumal nicht nur der rujanische Swantewit, sondern alle Hauptgötter wendischer Stämme des 12. Jahrhunderts, die wir kennen, trotz mannigfach abgewandelten Namen nichts anderes darzustellen scheinen als jüngere Erscheinungsformen ein und derselben älteren Gottheit: des Zuarasici der mittellateinischen Quellen, des altslawischen Svarožic (v = w, ž = französ. j, c = ts). Der Verehrer des „deutschen Gottes“ stand, so müssen wir zwingend folgern, für wendisches Empfinden außerhalb dieses „Heils“, das der eigene Volksgott gewährte, solange er nicht wenigstens daneben auch ihm die gebührenden Ehren erwies. Mußte er dieses Heil nicht unter Umständen sogar stören? Helmold von Bosau weiß aus der Zeit vor 1168 von einem sächsischen Priester aus Bardowiek zu berichten, der Kaufleute seines Stammes nach Arkona auf Rügen begleitet hatte, damit sie in dieser „Hochburg des Götzendienstes“ nicht ohne geistliche Versorgung wären. „Das blieb aber jenem Heidenpriester nicht lange verborgen. Da ruft er König und Volk zusammen und verkündet, die Götter (numina) seien zu heftig erzürnt und könnten nicht anders besänftigt werden als durch das Blut des Priesters, der sich erdreistet, in ihrer Mitte ein fremdes Opfer (peregrinum sacrificium) darzubringen.“ Die erschreckten Rujanen suchten alsbald, die Auslieferung jenes Geistlichen zu erlangen: sie boten den ungeheuren Preis von hundert „Mark“ Silbers (= ca. 25 kg) – deutlichstes Zeichen, wie viel ihnen an der Erfüllung jenes Gebotes lag; schließlich drohten sie mit Waffengewalt, wenn ihr Begehren nicht bis zum nächsten Tage erfüllt sei. Den sächsischen Kauffahrern blieb nichts übrig, als im Schutze der Nacht heimlich den Anker zu lichten und mitsamt ihrem Priester das Weite zu suchen77. Man muß diese Erzählung zusammensehen mit der Angabe des gleichen Gewährsmanns, daß der reiche und gewinnbringende Markt von Arkona zwar allen Kaufleuten offenstehe, aber nur dann, wenn sie zuvor dem Swantewit kostbare Weihegeschenke erlegt hätten (ein Gesetz, von dem auch Christen in keiner Weise entbunden waren)78. Dann ergibt sich, daß der oberste Gott der Rujanen für seinen und ihren Bereich einen Absolutheitsanspruch erhob, dem jeder sich zu beugen hatte, solange er sich dort aufhielt, auch wenn die eigentliche kultische Verehrung unzweifelhaft der eigenen Volksgemeinde vorbe-
77 78
Helmold II, 108 (S. 213, 28 ff.). Helmold I, 6 (S. 17, 7 ff.); II, 108 (S. 213, 26 ff.).
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halten blieb. Der fremde Priester, der am Herrschafts-, am Kultzentrum dieser numinosen Macht dem „deutschen Gott“ die Messe zu lesen wagte, hatte diesen Absolutheitsanspruch durchbrochen und damit den Zorn Swantewits heraufbeschworen in einer Weise, die das „Heil“ seines Volkes in Frage stellen mußte; nur die Opferung des „Frevlers“ vermochte diesen Riß wieder zu schließen79. Dabei war der fragliche Geistliche ein Sachse, der von Haus aus mit Swantewit nichts zu schaffen hatte. Wie mochte der Gott sich erst zu Gliedern seines angestammten Volkes stellen, die von ihm abfielen, um zu Christus überzugehen? Jede Gentilreligion erkennt die Existenz von Fremdgöttern außerhalb ihres Bereichs anstandslos an, zeigt also eine „tolerante“ Einstellung nach außen, solange ihr eigener Bestand von dort nicht gefährdet wird. Das schließt jedoch keineswegs aus, daß sie gegenüber ihren eigenen Angehörigen, also nach innen hin, intolerant zu sein pflegt, mindestens sobald sie es ablehnen, neben persönlich übernommenen Bindungen an andere Gottheiten den alten der gentilen Gemeinschaft weiterhin ihren schuldigen Dienst zu erweisen, denn die Erhaltung und Pflege des „Heils“ der Gesamtheit fordert, daß all ihre einzelnen Glieder daran teilnehmen; wer aus dieser Pflicht ausbricht, schädigt nicht nur sich selbst, sondern auch das Ganze, und das zweifellos um so mehr, je höher seine eigene Stellung in diesem Ganzen ist. – Ein zweites Moment, das in diesem Zusammenhang Beachtung verdient, ist an sich längst bekannt; es bedarf nur noch der Einordnung in das entworfene Bild. Wo die Spannungen der großen deutsch-wendischen Auseinandersetzung des Hochmittelalters einmal zu explosiver Entladung führen wie beim großen Ljutizenaufstand von 983 oder den obotritischen Erhebungen von 1018 und 1066, dort sehen wir sie immer gegen die politische Herrschaft der Deutschen und gegen die religiöse ihrer Kirche zugleich gerichtet80. Das lag einmal in der Natur der Sache: Deutschtum und Christentum, Reich und Kirche traten den Wenden in jenen Jahrhunderten als unlösbare Einheit entgegen. Aber es muß gesehen werden, daß dieses Zusammentreffen zweier für uns getrennter Faktoren
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Vgl. auch Rehfeldt, S. 38, 49 f., 57 f., 118 ff., 122 f. über unheilvollen Zauber, den ein fremder Kult im eigenen Lande bewirken kann (vorzugsweise am Beispiel baltischer Gentilreligionen). 80 Vgl. die Lit. in Anm. 22, 46 und 47.
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wendischem Empfinden auch von seinen eigenen Voraussetzungen her selbstverständlich war. Die Gentilreligion sieht sich aus ihrer Wesensstruktur heraus nicht nur von vornherein auf den Bereich der eigenen Gens beschränkt, so daß ihr jegliche Missionsabsicht fernliegt – sie kennt auch nicht jene Scheidung des religiösen und des nationalen Selbstbewußtseins, wie sie uns heute selbstverständlich scheint (angebahnt schon seit der Christianisierung, die uns einschmolz in eine von der Volks- und Stammesbasis abgehobene religiöse Welt81, vollendet dann seit der großen Konfessionsspaltung, die auch innerhalb des Volksganzen die bei der Christianisierung zunächst wieder hergestellte religiöse Gemeinsamkeit zerriß). Die alte „Gentilgemeinschaft“82 ist keine „Kirche“ neben dem „Staat“, sondern sie beruht auf der unmittelbaren, vorgegebenen Einheit, zu der in ihr religiöse und politische Gemeinschaft zusammenfallen: wesentlicher Bestandteil des von ihr gepflegten „Heils“ ist ja, wie wir sahen, gerade auch ein so hervorragendes Politikum wie der „Sieg zu Wasser und zu Lande“. Jeder Gau und jedes Land der Wenden, so hören wir mehrfach, ja jede Teillandschaft hat ihre Gottheit für sich, und
81 Noch zu wenig beachtet ist in diesem Zusammenhang die höchst bezeichnende Äußerung bei Widukind von Korvei I, 15 (wie Anm. 48, S. 25, 12 ff.), nach der durch die Wirksamkeit Karls des Großen aus Franken und Sachsen, qui olim socii et amici erant . . ., iam fratres et quasi (!) una gens ex Christiana fide, veluti modo videmus, facta est. Hier ist in beispielhafter Weise aus einer Übergangszeit zwischen gentil- und universalreligiösem Denken das Erlebnis zum Ausdruck gebracht, daß der eigene Gentilverband mit dem Glaubenswechsel in einer neuen, größeren Gemeinschaft aufgegangen sei, wie der alte zusammengehalten durch die Klammer gemeinsamer Religion und politischer Zusammengehörigkeit (zu diesem zweiten, für Widukind wesentlichen Faktor vgl. H. Beumann, Widukind von Korvei, Weimar 1950, S. 224 ff., im Anschluß an die gleiche Stelle), aber nicht mehr ohne weiteres wie die alte Einheit als gens zu bezeichnen. Für die oben Anm. 75 berührte Mischung beider religiöser Denkformen bezeichnend bleibt, daß über die Abgrenzung der neuen Gemeinschaft nach außen eine für uns überaus merkwürdige Unklarheit besteht: was nicht auf der Ebene der Gleichberechtigung – statt etwa des Unterworfenen – auch politisch dem „Reichsvolk“ (Beumann) zugehörig ist, scheint zunächst außerhalb zu bleiben, so daß z.B. nicht der Papst in Rom, sondern der Erzbischof von Mainz in seiner Eigenschaft als deutscher Primas den Titel eines summus pontifex erhält (z.B. II, 25, S. 87, 15). Es dürfte lohnend sein, gerade diesen Quellenautor einmal genauer aus dieser Richtung zu untersuchen. 82 Mensching spricht von „Volksreligionsgemeinschaft“. Hebt nicht aber ein Terminus dieser Art ein spezifisches Moment, eben das religiöse, aus einem geschlossenen Ganzen heraus, von dem es nicht wohl getrennt zu werden vermag? Der Begriff einer (speziellen) „Religionsgemeinschaft“ sollte vielleicht besser Erscheinungen vorbehalten bleiben, die – wie die christlichen Denominationen unserer Moderne – grundsätzlich unabhängig von politischen und ethnischen Grenzen auftreten, indem sie sie nämlich in einem überschreiten und (wegen verbreiteter Gemenglage) zugleich nicht ausfüllen, so daß sie kartographisch gar nicht einwandfrei darstellbar sind.
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sei es als Untergottheit unter der Obermacht derer, bei deren Stamm auch die politische Vormachtstellung liegt83: so vollständig decken sich politische und religiöse „Organisation“. Der selbstverständliche Aufbewahrungsort der Feldzeichen, in deren Bilde die Götter ihrem Volke zum Krieg voranziehen, in Friedenszeiten ist deshalb deren Heiligtum84; dort wird nach errungenem Siege ein namhafter Teil der Kriegsbeute für sie niedergelegt85, und dort (oder doch in unmittelbarer Nähe) treten auch Priester und Fürst mit dem Volk zu Beratung und Gericht zusammen, solange die alte Gentilordnung noch ungebrochen ist86. Wir müssen annehmen, daß die Wenden ähnliche Zustände auch für alle anderen Völker ganz selbstverständlich vorausgesetzt haben, soweit sie überhaupt dazu kamen, sich über deren innere Verfassung Gedanken zu machen: etwas anderes als eine Gentilgemeinschaft, „religiös“ und „politisch-staatlich“ in einem, lag unzweifelhaft außerhalb ihres Horizonts. Für alle anderen – auch für die vermeintliche „Gentilgemeinschaft“ des „Deutschen Gottes“. Wenn das Christentum also, wo es Wenden gegenübertrat, ihnen als die Religion des Siegers erschien, der auch politische Unterwerfung verlangte, dann konnte es damit nur eine auf wendischer Seite von Haus aus naheliegende Auffassung bestätigen. Im Grunde war diese „deutsche Gentilgemeinschaft“ damit ähnlich den Vormächten innerhalb der eigenen Slawenwelt, die ihrerseits gleichfalls allen abhängigen Stämmen Tribute für ihre Hauptgottheit, also deren Anerkennung auferlegten87, und doch war sie so anders, eben weil der „Deutsche Gott“ sich die anderen nicht nach altem Herkommen einfach unterordnen, sondern allein an ihrer aller Statt herrschen wollte. Wenn also „sich dem Christentum unterwerfen und den (sächsisch-deutschen)
83 Thietmar VI, 25 (S. 268, 26); Helmold I, 52 (S. 102, 16 ff.); auch I, 84 (S. 159, 27 ff. u. 160, 5 ff.); II, 108 (S. 213, 12) u. a. m. 84 Thietmar VI, 23 S. 268); 25 (S. 270, 7); 26 (S. 270, 12); weiteres ZfO 4, (wie oben Anm. 20), S. 166 f. 85 Herbord, Dialogus de vita . . . Ottonis Babenbergens. episc. II 32 rec. G. H. Pertz (SRG 1868, S. 89 f.); Thietmar VI, 25 (S. 268, 29 f.); Saxo, wie Anm. 76. 86 Helmold I, 84 (S. 159,30). 87 Helmold I, 52 (S. 103, 4–11); II, 108 (S. 213, 10–17). Vgl. dazu auch Kahl, Beiträge S. 23 Anm. 36. Was an diesen Stellen für Arkona auf Rügen ausdrücklich bezeugt ist, müssen wir nach der Andeutung Thietmars VI, 25 (S. 268, 27 f.) für die Zeit der Vorherrschaft von Radogost-Rethre (so die korrekten Formen, vgl. Fritze, JMO 7, 1958, S. 3 mit Anm. 6; das vielfach gebrauchte „Rethra“ ist nirgends bezeugt) ähnlich auch für dieses Heiligtum voraussetzen.
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Fürsten Tribute zahlen“ wendischem Empfinden immer wieder als eins erschienen88, dann geschah das nicht zuletzt auf dem Boden seiner eigenen, angestammten Religion, der es durchaus entsprechen mußte, den deutschen Ausgriff nach Osten – an sich zweigleisig und durchaus nicht immer im besten Einvernehmen zwischen kirchlichen und weltlichen Gewalten vollzogen – in dieser einheitlichen Weise zu erfassen89. Man wird dem Wendentum jener Übergangszeit vom 10. bis zum 12. Jahrhundert schwerlich gerecht werden können, wenn man an der so gekennzeichneten Verschränkung des religiösen und des politischen Moments, an diesem untrennbaren Zusammenklang von politisch-religiösem Unabhängigkeitsstreben nach außen und religiösem Absolutheitsanspruch nach innen vorübergeht, wie er in ganz ähnlicher Weise ja etwa auch für die Sachsen der Zeit Karls des Großen gilt. Wenn Gottschalk, der Obotrite, auf die Kunde vom Tode seines Vaters durch Sachsenhand nicht nur politisch, sondern zugleich religiös den Bruch mit den Sachsen insgesamt vollzieht, wenn er sie dabei grundsätzlich alle, ob mitschuldig oder nicht, seiner Rache preisgibt, so ist dies eine typisch gentilreligiöse Reaktion, gefördert zweifellos dadurch, daß der junge Mann bei seinem Einzug in Lüneburg den Gegensatz zur Heimat auf beiden Ebenen zugleich erfahren, daß er „sächsisch“ und „christlich“ dort als eine Einheit erlebt hatte, die in jeder dieser Äußerungen durchaus nicht wendisch war90. Sein plötzlicher Bekehrungsakt aber läßt sich sehr wohl verstehen als ein Durchbruch universalreligiösen Denkens, das in der Lüneburger Zeit trotz allem in ihm angelegt war und sich nicht auf die Dauer zurückdämmen ließ, weil es doch schon tief genug Wurzeln geschlagen hatte. Auch die stoderanischen Wenden bilden in dieser Hinsicht keine Ausnahme: „räuberische“ und „götzendienerische“ Gesinnung zugleich, also politisch-militärische und religiöse Gegnerschaft in einem91, werden für ihre Vorkämpfer mehrfach ausdrücklich hervorgehoben, und das geschieht nicht nur für 88
Vgl. für viele unten bei Anm. 101 sowie Fritze, JMO 7, S. 34 mit Anm. 156. Vgl. auch unten bei Anm. 131–132. 90 Es ist bemerkenswert, daß ein ganz entsprechendes Empfinden, offenbar als Mischform vorchristlichen und christlichen Denkens in der Übergangszeit zwischen „Annahme“ und „Aufnahme“ des Christentums (s. Anm. 3), sich auch im sächsischdeutschen Bereich damaliger Zeit feststellen läßt, gekennzeichnet etwa durch naive Verquickung volkskundlicher und religiöser Merkmale, so daß z.B. sächsische und wendische Haartracht in ihrer Verschiedenheit gleichfalls als „christlich“ und „heidnisch“ gegenübergestellt werden: vgl. Kahl, Beiträge, S. 119 m. Anm. 75, dazu S. 285 und 439. 91 Zum mittelalterlichen Begriff des „Räubers“ s. unten S. 221 m. Anm. 117. 89
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die Partei unter ihnen, gegen die der stammfremde deutsche Markgraf 1150 als Pribislaw-Heinrichs „Erbe“ Maßnahmen zur Sicherung seiner Nachfolge traf 92, sondern genau so für die Widersacher, gegen die Pribislaw-Heinrich selbst, Sproß des angestammten Fürstenhauses, aber eben Christ, sich die Herrschaft seiner Väter erkämpfen mußte93. Der Wende, der sich ausschließlich zum „deutschen Gott“ bekannte, hatte im Wendenland nicht nur keinen persönlichen Anteil am gentilen Stammesheil, er störte nicht nur die Geschlossenheit seines kultischen Vollzuges, er vertrat nicht nur ein fremdes religiöses „Heil“, das für den eigenen Bereich, zumindest der Möglichkeit nach, „Unheil“ war, und durchbrach damit den Absolutheitsanspruch der angestammten Götter, deren Dienst beizubehalten der neue Glaube ihm verbot, in ihrer ureigensten „Welt“; er war durch all das, mit gentilreligiösen Augen betrachtet, eo ipso zugleich der Repräsentant einer fremden, in diesem Fall zugleich feindlichen politischen Ordnung, die die eigene Freiheit von außen und innen zugleich bedrohte. So verstehen wir das Schicksal, dem Gottschalk 1066 zum Opfer fiel, von den gleichen Voraussetzungen her wie seine eigene Jugendreaktion auf die Ermordung des Vaters. Aber auch die merkwürdige Verfassung des Ljutizenbundes als einer „föderativen Adelsrepublik“, die im Gegensatz zu vorher bezeugten Zuständen keine obersten Herrscherpersönlichkeiten mehr kannte, rückt von hier aus in neues Licht. Entstanden war der Bund wohl nicht lange vor dem Aufstand von 983 gegen Reich und Kirche, mit dem er seinen geschichtlichen Weg in unser Blickfeld begann, als eine Art gentiler Gruppengemeinschaft oder Amphiktyonie um das zentrale Heiligtum von Radogost-Rethre, dessen Hauptgott vielleicht sogar mit einem seiner Kult- und Beinamen unmittelbar in der neuen Selbstbezeichnung dieses Bundes erscheint, wenn anders ∗L’utici mit W. H. Fritze als „Leute des ∗L’utyi bog“ aufgefaßt werden darf, des „wilden Gottes“, den ein nachlebender Ortsname des ljutizischen Kernbereichs uns noch greifbar gehalten zu haben scheint94. Der gleiche Forscher hat bereits die Möglichkeit angedeutet, daß bei der Bildung dieser neuen politischen Gruppierung die bisherigen
92 Tract., § 7 (S. 10): marchio Adelbertus libera rerum suarum disponendarum facultate potitus, paganorum scelere latrocinii notatos et immunditia idolatrie infectos urbe (Brandenburg) expulit; vgl. dazu Kahl, Beiträge, S. 339–343. 93 S. unten S. 214, dazu Beiträge, S. 29 m. Anm. 27. 94 Fritze, JMO 7 (1958), S. 29–33 gegen ältere Lit.
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Fürsten, soweit sie nicht schon den Maßnahmen der deutschen Eroberer zum Opfer gefallen waren, von den wendischen Verschwörern selbst beseitigt worden sein dürften, weil sie sich „als Werkzeuge und Schrittmacher von Christentum und deutscher Herrschaft erwiesen“ haben mochten95. Die neue pluralistische Verfassung wäre dann nicht zuletzt als Vorbeugungsmaßnahme gegen eine Wiederholung ähnlicher Vorgänge in der Zukunft zu verstehen – ganz sicher (das sei mit Nachdruck betont!) nicht allein, aber doch jedenfalls wesentlich mit von den soeben bloßgelegten gentilreligiösen Voraussetzungen her. 5. Die Stellung christlicher Wendenfürsten als Herrscher über heidnische Stammesgenossen Wie sah die Stellung aus, die ein christlicher Wendenfürst sich trotz allem auf derart vulkanischem Boden aufbauen konnte? Genaueren Einblick in das Wesen einer solchen Herrschaft erhalten wir erst für die beiden Fürsten, deren so gut wie unangefochtene Behauptung in der einmal erkämpften Stellung nach alledem besonders merkwürdig erscheinen muß: eben für die beiden slawischen Heinriche – Gottschalks Sohn und Pribislaw. Beider Wirksamkeit gehört verschiedenen Generationen an (Heinrich nicht allzu lange vor 1066, Pribislaw-Heinrich wohl um 1075 geboren: der eine 1093, der andere um 1127, d.h. etwa im Todesjahr des ersten, zu seiner fürstlichen Stellung gelangt), und die Lage der Stämme, die sie beherrschten, im östlichen Vorfeld der Sachsen war nicht nur geographisch, sondern auch geschichtlich durchaus nicht gleich. Trotzdem fällt in der Gegenüberstellung eine Reihe bemerkenswerter Gemeinsamkeiten auf, die, mit nötiger Vorsicht herangezogen, zur wechselseitigen Beleuchtung der Verhältnisse dienen können. Sie beginnen beim gleichen Namen und enden bei einer Legendenbildung, die hier wie dort nach dem Tode in erstaunlich gleiche Richtung drängte. Der Obotrite hatte, wie berichtet, noch als Kind sein väterliches Erbe zunächst eingebüßt durch die gentile (und also zugleich politische wie religiöse) Erhebung, der Gottschalk selbst zum Opfer fiel (1066). Im Mannesalter konnte er sich die verlorene Herrschaft mühsam wieder erkämpfen, anfangs mit dänischer, dann vor allem mit sächsischer Hilfe,
95
Ebd. S. 27.
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von der er zeitlebens entscheidend abhängig blieb96. Das deckt sich recht weitgehend mit dem, was sich über die Anfänge Pribislaw-Heinrichs erschließen läßt: seinem Kampf gegen ein Aufbäumen heidnischer Elemente, dem auch sein Vorgänger vielleicht unmittelbar erlegen war, bis hin zu der Nachricht, er habe Frieden im rechtmäßig ererbten Reich erst erlangt multis sibi Teutonicis principibus in amicicia fideliter copulatis (et) idolatris repressis (nicht also, wie für später schon hier festgehalten sei, oppressis: zurückgedrängt, nicht aber unterdrückt)97. Dabei vermerken wir gern, daß sich keineswegs alles deckt – gern deshalb, weil ja erst bei den Unterschieden das individuelle geschichtliche Leben beginnt; doch handelt es sich dabei um Probleme rein der politischen Geschichte, denen hier nicht nachzugehen ist98. Die obotritische Erhebung von 1066 war, wie schon einmal 1018, von den Ljutizen her angeregt worden, also von Randgebieten oder aus der Nachbarschaft des Gottschalkreiches, die sich durch die wachsende Macht des neuen Christenfürsten von so ausgesprochenem Missionseifer bedroht fühlen mochte; noch Heinrich mußte nach seiner Rückkehr erst „den Wendenvölkern, die im Osten und Süden wohnen“, eine Schlacht liefern, ehe er sich fest im Sattel fühlen konnte (bei Schmielau im heutigen Kreis Herzogtum Lauenburg, 1093). Ähnlich legt für Pribislaw der Wortlaut der Hauptquelle nahe, daß in die Wirren, aus denen er als Sieger hervorging, die „Umgebung“ (circuitus) des von ihm beanspruchten Fürstentums mindestens eingegriffen hat99: das repressis, das soeben hervorgehoben wurde, empfängt möglicherweise von da her seine entscheidende Beleuchtung. Vor allzu schematischer Parallelisierung wie überhaupt vor einer ungebührlichen Vereinfachung der Probleme warnt in diesem Fall die Möglichkeit, daß der christliche polnische Nachbar, der anscheinend eben damals von Osten her in der späteren Mark Brandenburg Fuß zu fassen suchte, diesen von den Quellen religiös motivierten Eingriff begünstigt, ja ausgelöst haben könnte, um den Herrschaftsantritt eines so ausgemachten Deutschenfreundes an diesem wichtigen Schlüsselpunkt tunlichst zu hintertreiben100, doch
96
Vgl. Anm. 105. Tract., § 3 (S. 9), dazu Kahl, Beiträge S. 29 f. 98 Vgl. ebd. S. 86. 99 Tract., wie Anm. 97. 100 Nach Pribislaw-Heinrichs Tod wurde, wie es scheint, ein spreeslawischer Dynast, Jaxa von Köpenick, von Osten her gegen den deutschen markgräflichen Nachfolger (s. unten S. 218) gestützt oder überhaupt ausgespielt, allem Anschein nach persönlich Christ, aber Herr über mindestens starke heidnische Bevölkerungsteile, so daß der 97
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ist diese Möglichkeit nur als solche in Rechnung zu stellen, nicht zu erweisen. Für Heinrich, den Obotriten, wird ausdrücklich angedeutet, daß er anfangs feste Missionsabsichten im Sinn seines Vaters hegte: die Wenden besonders der Nachbarschaft seines Kernlandes erhoben sich gegen ihn bald nach seiner Rückkehr, weil er verkündet haben sollte, „man müsse sich dem Christentum (christianis legibus) unterwerfen und den (sächsischen) Fürsten“, von denen er abhängig war, „Tribut zahlen“101. Die Härte des Widerstandes – auf dem Hintergrund, den das warnende Beispiel des Vaters abgab – hat Heinrich dann jedoch wohl von der Undurchführbarkeit solcher Pläne überzeugt: nach jener siegreichen Entscheidungsschlacht scheint er nicht wieder auf eine bewußte Christianisierungspolitik zurückgekommen zu sein, obgleich er den Zeitgenossen für eine grundsätzlich missionsfreundliche Gesinnung bekannt blieb102. In seinem ganzen, nicht unbeträchtlichen Herrschaftsgebiet gab es nach ausdrücklichem Zeugnis selbst am Schluß seiner langen Regierungszeit nur eine einzige christliche Kirche oder Kapelle (ecclesia) in seiner bevorzugten Residenz (Alt-)Lübeck, etwa 6 km nördlich der späteren Hansestadt, und nur den einen christlichen Priester, der dort amtierte103; den heidnischen Opferpriester (flamen) der unterworfenen Rujanen hat Heinrich ganz selbstverständlich als Verhandlungspartner anerkannt104. Für einen Teil der Nachwelt hat diese Zurückhaltung nach außen, die im geistlichen Zustand der Obotriten so lange und so sichtbar nachzuwirken schien, das Bild des Fürsten stärker bestimmt als die Gesinnung, die er nach zeitnäherer und besserer Quelle in Wirklichkeit gehegt haben muß: im Stift Neumünster (Holstein), einem besonders wichtigen Stützpunkt der Obotritenmission aus Heinrichs Tagen, galt er gegen Ende des Jahrhunderts als bloßer Namenschrist, der es nur aus Gründen politischen Vorteils mit der christlichen (= deutschen) Seite
Sieg über ihn als ein solcher der Christenheit über die Heidenschaft aufgefaßt werden konnte: vgl. Kahl, Beiträge, S. 91–93, 358–378, 518–528, 532–536 u.ö.; ergänzend K. Zernack, Köpenick u. das Land Zpriauuani in voraskanischer Zeit, JMO 9/10 (1961), bes. S. 14 f., 32–37 u. 42–46. 101 Helmold I, 34 (S. 67, 22); vgl. oben Anm. 88. 102 Vgl. Helmold I, 96 (S. 91, 4). 103 Ebd. I, 34 (S. 69, 3 ff.) u. 41 (S. 84, 2 ff.); dazu Kahl, Beiträge, S. 87 Anm. 67, auch über das Problem der zweiten Kirche Altlübecks, die offenbar zu Unrecht bereits der Zeit Heinrichs zugeschrieben wird. – Über Heinrichs nicht mehr ausgeführten Plan, am Schluß seines Lebens eine kleine Missionskongregation in Altlübeck anzusetzen, vgl. unten Anm. 113. Ob die Burgwallkirche damals einen Kaplan hatte, ist unbekannt. 104 Helmold I, 38 (S. 76, 23).
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gehalten habe105; man denkt an das Urteil, das sein Großvater Udo aus ähnlichen Gründen und ähnlichem zeitlichem Abstand heraus durch den Mund Adams von Bremen empfangen hatte. In diesem Zusammenhang will eine Nachricht wohl beachtet sein, die sich etwa auf den Winter 1123/24 beziehen wird. Heinrich unternahm damals einen Feldzug gegen die Rujanen, durch die sein Sohn Waldemar umgekommen war. Wolgast war als Sammelplatz des Heeres bestimmt, das der Herrscher aus allen Teilen seines Machtbereichs aufgeboten hatte. Auf dem Eis des „Boddens“, des Meeresarms, der Rügen vom Festlande scheidet, waren die Abteilungen aufgestellt; die Anführer sammelten sich um ihren Oberherrn, wetteifernd um die Ehre, wer gemeinsam mit ihm an der Spitze marschieren und den Kampf eröffnen dürfe. Heinrich aber vertraute sich keinem von ihnen an – vielsagend fügt der Chronist hinzu, und zwar mit einer biblischen Wendung aus ungemein bezeichnendem Zusammenhang: „denn er kannte sie alle“; stattdessen vertraute er sich lieber den Hilfstruppen an, die die nordelbischen Sachsen ihm gestellt hatten106. Nirgends spürt man so deutlich, wie dieser Fürst inmitten seines Volkes sich gleichsam auf einem explosionsbereiten Pulverfaß gefühlt haben muß, wenn man
105 Sidonis Epistola (ed. B. Schmeidler im Anhang zu Helmold, S. 238, 25 ff.): Solus . . . Hinricus nomine Christianus Christianis favebat, quia suos sibi rebelles per eos subiciens servire sibi compellebat. Daß dieses weniger zeitnahe Zeugnis eines überhaupt recht unzuverlässigen Gewährsmanns vor der älteren und besseren Überlieferung über Heinrichs Gesinnung nicht den Vorzug verdient, legt auch die allgemeine Wahrscheinlichkeit nahe: Heinrich, als Kind durch Apostasie aus dem angestammten Reich vertrieben, erzogen doch jedenfalls unter dem Einfluß der Mutter, die dabei den Gemahl verloren hatte, zudem an einem christlichen Königshofe, für den dieser legitime Fürstensproß eine wichtige Trumpfkarte im künftigen politischen Spiel bedeuten mußte, wie Heinrich ja auch tatsächlich zuerst mit dänischer Unterstützung in das einstige Reich seines Vaters eindrang: mußte unter diesen Umständen nicht alles daraufhindrängen, die auch politisch wichtige innere Verbindung des Heranwachsenden zu Christentum und Kirche von klein auf so sorgfältig wie möglich zu pflegen, um ihn gegen das Heidentum seines Volkes und die in ihm liegende Gefahr einer zugleich politischen Abwendung vom Land seiner Mutter tunlichst immun zu machen? – Die falsche Einschätzung der Gesinnung Heinrichs bei Sido schließt selbstverständlich in keiner Weise aus, daß sie auf richtiger Beobachtung seiner äußeren Verhältnisse beruht, daß vorstehende Äußerung mithin im zitierten Nebensatz echten Quellenwert behält. Wir greifen damit an dieser Stelle einmal mehr die Vielschichtigkeit des historischen Geschehens, das allein mit religionsgeschichtlicher Betrachtung keinesfalls zu fassen ist (s. auch unten S. 229 f.). 106 Helmold I, 38 (S. 75, 35 ff.): Licet enim Slavorum multus esset numerus, Heinricus tamen se non credebat eis, eo quod ipse nosset omnes; vgl. dazu Joh. 2, 24, ein vom Herausgeber noch nicht nachgewiesenes Vulgata-Zitat, dessen Zusammenhang gerade hier wohl zu beachten ist.
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dieses anachronistische Bild zulassen will; dabei ist wohl im Auge zu behalten, daß der erwähnte Feldzug, indem er Rügen betraf, sich gegen die unbestrittene religiöse Vormacht des damaligen Ostseewendentums richtete, so daß das gezogene Schwert sich besonders leicht gegen Heinrich selbst kehren konnte. Es trifft sich seltsam, daß selbst die Ausgrabungen in der erwähnten Residenz zu Alt-Lübeck, die infolge allzu knapp bemessener Mittel und Arbeitskräfte leider nur äußerst schleppend vorankommen, das sich abzeichnende Bild zu bestätigen scheinen. Zu ihren aufsehenerregendsten Ergebnissen gehört neben der Bloßlegung des Steinfundaments jener genannten Kirche (schon im vorigen Jahrhundert) und der Aufdeckung einer regelrechten slawischen Handwerkersiedlung zu Füßen des Burgwalls, die von Heinrichs Aufbauwerk ein besonders beredtes Zeugnis ablegt, folgende Feststellung: die Besiedlung des eigentlichen Burgwallplatzes muß unter Heinrich gegenüber älterer Zeit stark zurückgegangen sein, und ansprechend hat man vermutet, daß dies im Zusammenhang mit dem Aufbau einer Hofhaltung geschah, die nur noch einem begrenzten Personenkreis unmittelbar zugänglich gewesen sein dürfte107. Nicht einmal im Tode mochte Heinrich sich der Erde seines Landes anvertrauen: sein Leichnam wurde – doch wohl auf eigenen Wunsch des Fürsten – wiederum nach Lüneburg ins Michaeliskloster überführt und dort beigesetzt, an geweihter und sicherer Stätte, auch
107 Über die Ausgrabungen in Altlübeck, die nach dem Kriege planmäßig angelaufen sind, hat W. Neugebauer wiederholt berichtet, zuletzt in dem Beitrag: Das Suburbium von Alt-Lübeck, Zeitschrift d. Vereins f. Lübeckische Geschichte 39 (1959), wo auch weitere Nachweise. Zum Obigen vgl. speziell die Referate von W. Hübener und W. Neugebauer in: Bericht über die Tagung für Frühgeschichte, Lübeck 18./19. Jan. 1955, hg. v. W. Neugebauer (als Manuskript gedruckt), bes. S. 32 bzw. 48 f. – Es ist lebhaft zu bedauern, daß für dieses ungemein wichtige Forschungsobjekt, bei dem es u.a. um die Aufhellung der ersten bezeugten (deutschen oder dänisch-deutsch-slawischen?) Kaufmannssiedlung im hochmittelalterlichen Slawenlande geht, neben dem Ausgrabungsleiter vielfach nur ein einziger Arbeiter, und selbst dieser nicht ständig, zur Verfügung steht, evtl. verstärkt durch geringe, ständig wechselnde Gelegenheitshilfskräfte, etwa stundenweise abgeordnete Jugendliche aus einem Jugendaufbauwerk, wie Verf. sich anläßlich einer persönlichen Teilnahme an den Ausgrabungsarbeiten im Sommer 1960 überzeugen mußte. Herrn Dr. Neugebauer sei auch an dieser Stelle lebhaft für seine damalige freundliche und eingehende Einführung in die archäologischen Probleme des Ortes gedankt. – Daß die geschilderte Herauslösung der fürstlichen Hofhaltung aus dem Volkszusammenhang unter gar keinen Umständen ausschließlich auf religionspolitische Gründe und Gegensätze zurückgeführt werden darf, braucht kaum besondere Betonung, wenngleich auch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden darf, wie wenig die beiden für uns getrennten Ebenen des Religiösen und des Politisch-Sozialen für das alte Empfinden geschieden waren.
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vor späterer Profanierung nach menschlichem Ermessen geschützt – wer weiß, was für Bilder, der Schändung Dodilos beim Aufstand von 983 ähnlich, sich dem Gemüt schon des Kindes eingeprägt hatten, als es 1066 mit der Mutter davongejagt worden war. Für Pribislaw-Heinrich fehlen nicht nur alle Ausgrabungsergebnisse, die seine Situation verdeutlichen könnten, sondern auch so bestimmte Nachrichten schriftlicher Quellen, doch spricht alles dafür, daß die Lage sich für ihn prinzipiell weithin sehr ähnlich gestaltet hat. Tiefer Abscheu vor allem Götzenwesen, ehrlicher Bekehrungswunsch seinem Volk gegenüber sind auch für ihn ausdrücklich bezeugt. Beides ging so weit, daß er, der letzte seines Geschlechtes, auf dem Sterbebett nach lange abgesprochenem Plan lieber den stammfremden Markgrafen Albrecht, seinen deutschen Freund, zum „Erben“ bestimmte, als sein Land der Gefahr einer neuen heidnischen Obrigkeit auszusetzen, mit der vom eigenen Stamm her offenbar zu rechnen war108. Die Witwe hielt dann seinen Tod drei Tage lang geheim, bis der erkorene Nachfolger mit Heeresmacht anrücken und das Erbe antreten konnte109: welch nachhaltiger Hinweis auf die Stärke der Gegenkräfte, deren Aufbäumen es zuvorzukommen galt! Im übrigen ist an Maßnahmen Pribislaws gegen heidnische Elemente glaubwürdig nichts bezeugt als jener eine Satz über die „zurückgedrängten“ Götzendiener, der einer Deutung auf außenpolitisch-kriegerische Vorgänge mindestens zugänglich ist. Das zentrale Stammesheiligtum der Stoderaner auf dem Harlungerberge (jetzt Marienberg) jenseits der Havel, gegenüber der Brandenburg, dem dreihäuptigen Triglaw geweiht, stand offensichtlich beim Tode Pribislaws (1150) noch voll in Ehren; wahrscheinlich ist es in unmittelbarem Zusammenhang mit der Herrschaftsübernahme Albrechts gefallen, der politisch wie religiös auch andere Maßnahmen gegen die konservative stoderanische Gentilpartei folgten110. Auf der anderen Seite
108
Tract., § 1–2 (S. 8; die vom Herausgeber durchgeführte Paragraphenzählung zerreißt einen Sinnzusammenhang): In qua urbe (Brandenburg) idolum detestabile tribus capitibus honoratum a deceptis hominibus quasi pro deo celebrabatur. Princeps itaque Henricus (d. i. Pribislaw-Heinrich) populum suum spurcissimo idolatrie ritui deditum summe detestans omnimodis ad deum convertere studuit (was jedoch nicht auf gewaltsame Bekehrungsversuche gedeutet werden darf, vgl. dazu Kahl, Beiträge, S. 334 f.): et cum non haberet heredem, marchionem Adelbertum (= Albrecht den Bären) sui principatus instituit successorem. 109 Tract., §§ 6–7 (S. 9–10); vgl. dazu Kahl, Beiträge, S. 51 ff. u. 327 f. 110 Ebd. S. 336–346; S. 328–335 u. 484–504 über den legendären Charakter später Nachrichten, nach denen Pribislaw persönlich die Aufhebung des alten Heiligtums durchgeführt haben soll. Vgl. unten Beitrag XVI.
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ist auch für Pribislaws Zeit, wie bei der ernsthaft christlichen Gesinnung des Königspaares nicht anders zu erwarten, die Existenz einer Kapelle auf der Brandenburg bezeugt, in der der Fürst, anders als Heinrich, auch die letzte Ruhestätte fand111; an ihr wird jener Archipresbyter Ulrich amtiert haben, der unter diesem Herrscher (1136) seinen Sitz auf der Brandenburg hatte, leider ohne daß wir sehen, ob er Deutscher oder Wende war – der Name allein läßt das ja nicht erkennen112. Diese Burgkapelle ist das einzige christliche Gotteshaus im Herrschaftsbereich Pribislaw-Heinrichs, von dem wir wissen, jedenfalls für den größeren Teil seiner Regierungszeit. Es liegt nahe, das ausdrückliche Zeugnis über den obotritischen Heinrich heranzuziehen und zu fragen, ob die einzig bekannte offizielle Stätte christlicher Anbetung nicht auch hier die einzig bestehende gewesen sein dürfte, bis die weiteren Nachrichten einsetzen.
111
Ebd. S. 327 m. Anm. 6, dazu S. 87 f. m. Anm. 75 (Lit). Ebd. S. 37 m. Anm. 86 sowie S. 88 u. 134. – Ulrichs Titel stellt ein Problem, das im Machtbereich des Obotriten nicht auftaucht: er wird damals sonst von Männern getragen, die in einem Teilgebiet der übergeordneten Diözese das Aufsichtsrecht über Kirchen und Priester wahrzunehmen haben, und sei es nur über eine Reihe von Taufkirchen; s. H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte 3I (Weimar 1955); S. 87, 114, 156 f., 166, 169 f., auch 354; Hauck I, S. 221 ff.; II. S. 744–746; ferner Curschmann (wie Anm. 47), S. 228, und K. Weinzierl, Lexikon für Theologie und Kirche 2III (Freiburg i. Br. 1959), Sp. 1082 s. v. ‘Erzpriester’. – Wenn dies auch für Ulrich zu gelten hätte, so müßte eine sehr viel weitergehende Entfaltung des Christentums mindestens im engeren brandenburgischen Bereich vorausgesetzt werden, als wir sie für Heinrichs obotritisches Staatswesen erschließen können. Bedenkt man jedoch, daß Brandenburg – im Gegensatz übrigens zu Heinrichs Alt-Lübeck (s. unten) – offizieller Bistumssitz war, den die Bischöfe selbst schon seit vielen Generationen meiden mußten, so wird ein auszeichnender Titel für den einzigen Geistlichen, der dort geduldet wurde, auch ohne entsprechende Funktionen verständlich, zumal dieser Rang ja gleichzeitig Vorsorge traf für den Fall, daß wider Verhoffen, dank göttlicher Gnade, deren jederzeit mögliches Eingreifen mittelalterlichem Christentum sehr viel selbstverständlicher war als moderner Denkweise, diese Funktionen doch einmal wirksam werden sollten. So wird man mit der oben im Text aufgeworfenen Frage nicht der Gefahr schematischen Konstruierens verfallen. – Alt-Lübeck ist nicht zu verwechseln mit der 1158/59 durch Heinrich den Löwen begründeten späteren Hansestadt, die 1160 dann auch Kathedralsitz wurde. Zur Zeit des Obotritenfürsten Heinrich hatte das bei dieser Gelegenheit in Lübeck lokalisierte Bistum de jure seinen Sitz noch in Oldenburg i. H. (seit ca. 968), war jedoch nach mehreren vergeblichen Ansätzen seit 1066 ununterbrochen vakant (bis 1149). Vgl. die Lit. bei H.-D. Kahl, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart 3IV (Tübingen 1960), Sp. 1620 f.. s. v. ‘Oldenburg, Bistum’, darunter besonders K. Jordan, Die Bistumsgründungen Heinrichs des Löwen (Stuttgart 1939 = 1952), bes. S. 95 f. (für die ältere Zeit z.T. überholt). 112
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Sie nun zeigen freilich einen bedeutsamen Unterschied: dem Stoderaner war es möglich, nochmals anders als dem Obotriten113, im unmittelbaren Vorfeld seiner Hauptburg noch ein bescheidenes Klösterchen zu begründen, ein Prämonstratenserstift, das vielleicht nicht mehr als neun Mitglieder zählte, aber eben doch durch sein bloßes Vorhandensein einen bedeutenden Fortschritt verkörperte – selbstverständlich mit eigenem Gotteshaus (der heutigen Gotthardtkirche in der Brandenburger Altstadt) als Mittelpunkt. Es geschah dies nach ausdrücklicher Angabe, als „die Zeit fortschritt“ und der König durch kluge Friedenspolitik nach außen und innen mehr Spielraum für eine Betätigung im christlichen Sinne gewonnen hatte114; alle näheren Umstände sprechen für die letzten Jahre Pribislaw-Heinrichs, insbesondere für das Jahr 1147, mithin für eine Spanne, in der mit dem Eingreifen der Kreuzzugspredigt Bernhards von Clairvaux in den wendischen Osten spürbar eine neue Entwicklung einsetzt115. Die unverkennbare Vorsicht, mit der auch bei dieser Gründung noch vorgegangen werden mußte – kärglichste Ausstattung, nicht einmal die Grundherrschaft über auch nur ein einziges Dorf einschließend, wie sie doch deutschen Klöstern der Zeit längst selbstverständlich war; Beschränkung des seelsorgerlichen Zuständigkeitsbereiches auf ein einziges Nachbardorf, das vielleicht nicht mehr als 200–300 Einwohner besaß, selbst das aber vielleicht nur pro forma, ohne entsprechende Wirkungsmöglichkeit, einfach weil zu einem Prämonstratenserstift ein Zuständigkeitsbezirk dieser Art wesensmäßig hinzugehörte, – dies alles zeigt ebenso wie die erwähnte Nachfolgeregelung und die seltsame List, die Königin Petrissa für angebracht hielt, um deren Durchführung zu ermöglichen, wie wenig die Entwicklung selbst zu diesem späteren Zeitpunkt fortgeschritten war.
113 Heinrich übergab zwar ca. 1126/27 seine Burgwallkirche an den späteren Bischof Wizelin (Vicelinus), der daraufhin zwei Priester dorthin entsandte (Helmold I, 46, S. 91, 17 ff.; vgl. I, 48, S. 95, 12 ff.). Falls dies als Anfang zur Gründung eines unter dem Augustinerchorherrnstift Neumünster stehenden Außenpriorates oder evtl. eines künftigen Stifts gedacht war, so kam doch nichts dergleichen zustande, weil Heinrich darüber verstarb. Es wäre dann jedenfalls um eine Erneuerung der einst von Gottschalk in Alt-Lübeck errichteten geistlichen Kongregation gegangen (vgl. Adam III, 20, S. 163), die gleichfalls der Erhebung von 1066 zum Opfer gefallen war. 114 Tract. § 3 (S. 9). 115 Über den so überaus merkwürdigen Wendenkreuzzug des Jahres 1147 vgl. unten die Beiträge XIX–XXII sowie Kahl, Beiträge, bes. S. 186–189, 223–239, 333–335, 348 f., 413 f. u. ö. m. weiteren Literaturangaben; auch oben Anm. 75.
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Das gewonnene Bild wird also auch von dieser Seite her bestätigt, und wir dürfen zusammenfassen: Heinrich wie Pribislaw haben sich bei aller ernsthaften Missionsgesinnung beide damit begnügen müssen, daß ihre Herrschaft trotz der Religionsverschiedenheit, die für eine Gentilreligion wie die wendische ein so ernstliches Problem bildete, im Lande geduldet wurde und daß man ihnen persönlich samt ihrer engeren Umgebung freie Ausübung ihres landfremden Kultes zugestand. Sie haben ihre Herrschaft nicht als eine christliche auffassen oder doch ausüben dürfen, sondern nur so, wie auch die damaligen weltlichen Großen Sachsens es taten, nämlich im Sinne eines „Territorialstaates . . ., der im Kolonialraum ethnische und religiöse Schranken übergreift“116. Nur eine derart kluge Zurückhaltung in der Religionspolitik hat dem einen wie dem anderen das Schicksal des Vorgängers erspart: beide hatten, nachdem sie sich einmal durchgesetzt, in ihrem eigentlichen Herrschaftsgebiet nur noch mit unbedeutenden Widerstandsgruppen („Räubern“) zu kämpfen117, und beiden war ein natürlicher Tod vergönnt118. Der Vergleich ließe sich noch erweitern, denn beide sind von späterer Legende entgegen der geschichtlichen Wirklichkeit zu sehr aktiven Förderern von Christentum und Kirche gestempelt worden119. Doch wir wollen hier bei dieser Wirklichkeit bleiben, soweit sie überhaupt noch zu fassen ist. In ihrem Rahmen wenden wir uns erneut der heidnischwendischen Seite zu.
116 Beumann (wie Anm. 22) S. 130 f.; vgl. auch J. Jastrow bei dems. und G. Winter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Hohenstaufen I (Stuttgart 1897), S. 296. 117 Vgl. für Heinrich: Helmold I, 34 (S. 68, 29): exstirpavitque latrunculos et viros desertores de terra; seine weiteren Kriege betreffen offenbar die Aufrechterhaltung der Tributabhängigkeit loser angegliederter Gebiete, soweit sie nicht in erster Linie als Hilfsaktionen für Heinrichs deutsche Freunde und Oberherren anzusehen sind wie offenbar jener merkwürdige, in der Überlieferung vollständig aus den einstigen Zusammenhängen herausgelöste Zug nach Havelberg (1108?), über den jetzt Beiträge, S. 24 f. – Für Pribislaw-Heinrich: Tract., § 3 (S. 9) im Anschluß an das Zitat oben S. 214 im Text bei Anm. 97: . . . idolatris repressis et latronibus aliquantulum extinetis . . . optata pace . . . Zu Stellen dieser Art ist zu beachten, daß „Räuber“ im Sprachgebrauch des Mittelalters auch diejenigen einschließt, die nach der oftmals höchst subjektiven Ansicht des Quellenautors in „ungerechter“ Fehde gegen die von ihm begünstigte Partei stehen; vgl. O. Brunner, Land und Herrschaft (Brünn/München/Wien3 1943), S. 6 ff., 47 ff., 51 ff., 62 ff., 89 ff.; dazu J. Gernhuber , Die Landfriedensbewegung in Deutschland usw. (Bonn 1952). S. 28 f. 118 Vgl. Kahl, Beiträge, S. 328 f. m. Anm. 6 (Heinrich) bzw. S. 327 m. Anm. 2 (Pribislaw-Heinrich). 119 Ebd. S. 328–336, 344 u. 496–498.
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6. Wie erklärt sich die Duldung christlicher Stammesfürsten durch die wendische Gentilreligion? In seiner aufschlußreichen Studie: „Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte“ hat B. Rehfeldt einen eindrucksvollen Vergleich aller Martyrien durchgeführt, die aus dem nordalpinen Europa seit der Wende zum Mittelalter überliefert sind. Dabei ergibt sich, daß die Elb- und Ostseeslawen, also die Wenden des 10. bis 12. Jahrhunderts, wie Rehfeldt sagt: durch eine besonders starke „religiöse Reizbarkeit“ ausgezeichnet waren, sehr viel mehr als gerade auch die germanischen Völkerschaften während ihres Missionszeitalters120. Wie aber war es dann möglich, daß Heinrich und Pribislaw-Heinrich als abtrünnige Wenden seitens ihres Gentilverbandes die religiöse Duldung genossen, jahrzehntelang, die den sächsischen Kauffahrern zu Arkona als fremdstämmigen Gästen auch nur für kurzen Aufenthalt verweigert wurde: daß sie nicht nur gelegentlich Messe lesen lassen, sondern daß sie eine Kirche bauen, einen Priester unterhalten, ja im zweiten Fall ein wenn auch kleines Stift gründen durften unmittelbar zu Füßen des Berges, der das Hauptheiligtum des alten Glaubens trug, den immer neuen Schauplatz blutigen Opferkultes – eines Kultes, der, wie gezeigt, auch an Menschen und gerade an Fremd-, an Christgläubigen vollzogen werden konnte? Ganz sicher haben Heinrich und Pribislaw-Heinrich wesentliche Voraussetzungen selbst geschaffen durch die zurückhaltende Art, in der sie, anders als Gottschalk, der alten Religion und ihren Anhängern gegenübertraten – wie denn überhaupt das Gewicht, das diese Persönlichkeiten einfach als solche in die Waagschale zu werfen hatten mit aller Anziehungs- und Strahlungskraft, die ihnen vielleicht eigen war, in unserer Rechnung wohl eine große Unbekannte bildet, doch darum keineswegs vergessen werden darf. Ebenso sicher aber kann dieser Hinweis allein nicht genügen: denn auch jener Priester aus Bardowiek hatte keine Hand gegen das Heiligtum des Swantewit erhoben; die Kaufmannschaft, zu deren geistlicher Versorgung er mitgefahren war, muß im Gegenteil dem Wendengott die üblichen Tribute gezollt haben, ohne die eine Zulassung zum Handelsmarkt von Arkona schlechterdings nicht zu erreichen war, und die Messe, um die der Streit entbrannte, war
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Rehfeldt, S. 39 ff. und bes. S. 89.
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ganz gewiß nicht als „öffentliches Ärgernis“ vor allem Volke gehalten worden121. Als treibende Kraft auf wendischer Seite in der damaligen Auseinandersetzung hatten wir den Oberpriester zu Arkona kennengelernt. Sein Auftreten bringt uns einen wichtigen Strukturunterschied zwischen den gentilen Gemeinschaften dieser Slawen und denen der Germanen zum Bewußtsein, deren beider Reaktionsweisen gegenüber der andringenden christlichen Mission Rehfeldt so charakteristisch verschieden nachgezeichnet hat122. Für die Germanen hören wir wohl bei Tacitus von sacerdotes civitatis, doch diese wenig deutliche Einrichtung war, wie es scheint, einer alten Form gentilen Sakralkönigtums neben- und zugeordnet, die die Völkerwanderungszeit mit ihren Wirren wohl nirgends überdauert hat123. Im Bekehrungszeitalter jedenfalls der West- und Nordgermanen kannte die alte Religion selbstverständlich weiterhin priesterliche Funktionen, aber keinen besonderen Priesterstand. Der erste Mann des jeweils zu kultischer Feier versammelten Verbandes hatte, wie er in „weltlichen“ Dingen an der Spitze stand, so auch die Opfer zu leiten und darzubringen, ob er nun Sippenältester, Jarl oder König war124. 121 Der oben S. 207 behandelte Bericht (s. Anm. 77) sagt ausdrücklich, das Verhalten des sächsischen Priesters sei dem heidnischen „nicht lange verborgen“ geblieben (nec hoc latuit diu etc.). 122 Ausführlich ist dieser Strukturvergleich, der hier nicht wiederholt werden kann, versucht in: Beiträge, S. 93–99, vgl. 100 u. 102 f., besonders in Gegenüberstellung der Verhältnisse Pribislaw-Heinrichs mit denen des ersten christlichen Norwegerkönigs, Hakons des Guten († 961), die in dieser Hinsicht besonders charakteristisch sind. 123 Über den Strukturwandel des germanischen Königtums seit taciteischer Zeit grundlegend W. Schlesinger, Über germanisches Heerkönigtum, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen (Vorträge und Forschungen, herausgegeben vom Institut für geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebietes in Konstanz, geleitet von Th. Mayer, Lindau/Konstanz 1956), zu ergänzen durch die (in dieser Form vorläufigen) sprach- und religionsgeschichtlichen Bemerkungen von H.-D. Kahl, Europäische Wortschatzbewegungen im Bereich der Verfassungsgeschichte. Ein Versuch am Beispiel germanischer und slawischer Herrschernamen, mit Anhang: Zum Ursprung von germ. König, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung für Rechtsgesch. Germ. Abt. 77 (1960), bes. S. 162–164, S. 195 f. m. Anm. 91 u. S. 198–240, passim, sowie R. Wenskus, wie unten Beitrag XXII, Anm. 108, der die in vorgenannten Arbeiten angeschnittenen Probleme in ebenso grundlegende wie bisher unbeachtete Zusammenhänge germanisch-keltischer Frühgeschichte hineinstellt. 124 Vgl. R. v. Kienle, Germanische Gemeinschaftsformen (Berlin 1939), S. 280 ff.; E. Mogk im Reallexikon der german. Altertumskunde III (hg. v. J. Hoops; Straßburg 1915/16), Sp. 426 f. s. v. ‘Priester’; Neubearbeitung von O. Sundgvist in der 2. Aufl., Bd. XXIII, 2003, S. 424–435 m. neuen Aspekten u. reicher Lit. K. Maurer, Die Bekehrung des norwegischen Stammes zum Christenthume II (München 1856), S. 299 f. m. Anm.
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Daß die wendische Gentilgemeinschaft in dieser Beziehung anders strukturiert war, ist zweifellos hochbedeutsam und verdient besondere Beachtung. Wenn nicht alles täuscht, lassen sich die scheinbar so gegensätzlichen Beobachtungen, die sich aufdrängen, beide zugleich von hier aus erklären. Denn einmal liegt in der Existenz eines besonderen Priestertums, das als Stand neben die weltlichen Gewalten tritt125, zweifellos ein wichtiger Grund für die stärkere „religiöse Reizbarkeit“, die dieses slawische Heidentum gegenüber dem germanischen an den Tag legt. Priesterlose Religionen sind immer viel weniger von der Gefahr des Fanatismus bedroht als solche, über die ein fester Stand von Berufs wegen wacht. Andererseits aber wird man annehmen dürfen, daß sich dort, wo ein besonderes Priestertum ausgebildet war, ein Fernbleiben des Herrschers vom gentilen Kult verhältnismäßig leichter verschmerzen ließ als im gegenteiligen Falle126. Besonders für Heinrich fällt dieser Umstand ins Gewicht, denn in seinem Reich gab es wohl zahlreiche Kultstätten des alten Glaubens – wir können sie gar nicht mehr alle benennen – samt zugehörigen Priesterkollegien, doch es fehlte eine zentral gesteuerte, hierarchisch aufgebaute Gesamtorganisation dieses Standes mit einem zentralen Heiligtum, um das alle Reichsteile als solche sich zusammengeschart hätten: Alt-Lübeck, das unter diesem Fürsten so großartigen Ausbau erfuhr, war nie zuvor politisches Zentrum und also schwerlich auch jemals ein kultisches gewesen; die nächsten Heiligtümer, verschiedenen Gottheiten mehr lokalen Charakters geweiht, lagen bei Oldenburg i. H., Plön, Ratzeburg und wohl auch Schwerin, mithin in verhältnismäßig
34. – Eine befriedigende Monographie über germanisches Priestertum fehlt; sie wird auch nicht geboten von P. Hermann, Das altgermanische Priesterwesen (Jena 1929). Eine umfassende Neuuntersuchung unter Berücksichtigung der in voriger Anm. angedeuteten historischen Grundlagen wäre dringend zu wünschen; vgl. bes. den zitierten Aufsatz aus der Savigny-Zeitschrift, S. 207–228 über den altnord. konr und die vorauszusetzende altgermanische Vorform des ∗kuniz, der sprachlich in auffälligster Weise an litauisch žýnislžyn‘ys „Zauberer“ anklingt, dabei einerseits dem altnord. Þulr (Altgerm. ∗Þuliz) auffällig gegenübertritt, andererseits schwerlich dem taciteischen sacerdos civitatis gleichgesetzt werden kann; S. 228 die Frage, ob nicht „für eine polytheistische Religion mit ihrem Nebeneinander recht verschiedener Kultformen, entsprechend dem unterschiedlichen Charakter ihrer Numina, ‘der’ Priester schlechthin“, nach dem die Forschung auch für Altgermanien bisher so selbstverständlich zu fragen pflegte, eine „Abstraktion“ darstellen müßte, „die zu bezeichnen die konkrete Sprache der Frühzeit kein Bedürfnis empfand“. 125 Vgl. die Erwähnung von Priester und König nebeneinander oben bei Anm. 77. 126 Beachte nochmals das Gegenbeispiel Hakons des Guten von Norwegen (Anm. 122).
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weitem Umkreis, und Arkona auf Rügen, dessen gesteigerte Bedeutung für die Ostseeslawen der Zeit schon angedeutet wurde, besaß infolge seiner Insellage offensichtlich nicht den starken Einfluß, den vor ihm Radogost-Rethre zu entfalten vermochte. Schwieriger muß in dieser Beziehung die Lage Pribislaw-Heinrichs gewesen sein, der nach unserer Kenntnis keine Gruppe von Kleinstämmen, sondern nur einen einzelnen Kleinstamm beherrschte, zumindest unmittelbar am alten politischen und kultischen Zentrum eines solchen saß. Unter ihm mußten die St.-Peters-Kapelle auf der Burginsel und das Triglaw-Heiligtum auf dem Harlungerberge über wenige Hunderte von Metern hinweg, nur durch einen Havelarm getrennt, einander ständig unmittelbar vor Augen bleiben: ein Spannungsverhältnis von eigentümlichem Reiz für den späteren Betrachter, für die Zeitgenossen jedoch unzweifelhaft voll immer neuer, bedenklicher Problematik. Immerhin hatte auch dort der Fürst nicht zugleich auch Priester zu sein wie im spätgermanischen Heidentum, und das mußte selbst unter diesen erschwerenden Umstände seine Stellung erleichtern. Allerdings hätte dieser Unterschied wendischer Gentilstruktur zur germanischen sich für Heinrich und Pribislaw-Heinrich kaum im gekennzeichneten Sinne auswirken können, wäre nicht eben eine besondere geschichtliche Situation hinzugetreten, die für ein religiöses Empfinden gentiler Art Konsequenzen nach sich ziehen mußte und dadurch ein gewisses Gegengewicht abzugeben vermochte gegen die erhöhte „Reizbarkeit“ ihrer Stammesgenossen. Es war schon die Rede von den sächsisch-deutschen Freunden, die für den einen wie den anderen Fürsten in unmittelbarer Reichweite saßen. Ob sie ernstlich gewillt gewesen wären, einzugreifen, nur um ihren Schützlingen freie Kultübung sichern zu helfen oder den Zwang zur Teilnahme an heidnischen Opfern von ihnen fernzuhalten, das allerdings ist mehr als fraglich: so schnell zogen gerade die Sachsen nicht das Schwert zu einem Kriegszug allein aus religiösen Motiven127. Aber zu führen wußten sie das Schwert: das hatten die Wenden des
127 Vgl. Beitrag XV, S. 548–564, sowie Beitrag IX, S. 259 f. u. 268 f. über das Zurücktreten des „heiligen Krieges“ der Kirche, speziell der kanonistisch möglichen Apostatenexekution, im allgemeinen Denken der sächsischen Kirche, dazu Beiträge, S. 225–227 über den ausgesprochenen inneren Widerstand der Sachsen gegen die bernhardinische Kreuzzugspredigt von 1147, in dem bemerkenswerterweise, was bisher nicht beachtet wurde, geistliche und weltliche Große sich einmütig zusammenfanden.
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Festlandes – anders übrigens als schon die Rujanen – mehr als einmal erfahren müssen: denken wir nur an den Triumph Markgraf Udos III. im Winter 1100/1101 über die Brandenburg selbst, der als glorreiche Ruhmestat gefeiert wurde, denn diese Burg war fast unbezwinglich128 – binnen weniger Jahre folgte die Zerstörung wendischer Heiligtümer im westlich benachbarten Moritschanergau, den später sog. Landen Jerichow im ostelbischen Teil Sachsen-Anhalts, durch den Exilbischof Hartbert von Brandenburg, ohne daß ihm und seinen Helfern als Strafe der Götter ein Leids geschah129 –; denken wir weiter an die wiederholten Heerzüge, die der Herzog und spätere Kaiser Lothar, zum Teil im Bunde mit Heinrich, in die Obotritenmark unternahm oder Udos III. vierter Nachfolger, Albrecht der Bär, in das Ljutizengebiet nördlich des Havellandes130. Wir müssen annehmen, daß die Wenden von ihren gentilreligiösen Voraussetzungen her in diesen immer neuen deutschen Siegen einen Beweis sahen, „wie groß die Macht und Kraft des deutschen Gottes ist“ (quantae potentiae, quantae fortitudinis est Teutonicus deus) – ein Wort, das, wenngleich in anderem Zusammenhang, tatsächlich aus wendischem Munde überliefert ist, sogar von Pomoranen, also aus erheblich abgelegenerem Gebiet131. Gentilreligionen, so sahen wir, kreisen ihrem Wesen nach nicht um „jenseitiges“ oder „metaphysisches“, sondern um ganz konkret „diesseitiges“ Heil: um Fruchtbarkeit und Wachstum, um die Sicherung des politischen Bestandes der eigenen Gemeinschaft nach außen und innen. Kann es von solcher Grundlage aus eine aufregendere Entdekkung geben als die, daß es neben den altüberkommenen Göttern noch andere gibt, die Kraft haben, in den eigenen Raum hereinzuwirken: zu nützen – oder gar zornig zu schaden? Gentilreligionen sind deshalb immer sehr leicht bereit, solche Götter in den Kreis der bisher schon verehrten aufzunehmen. Für die Germanen bildet die Ausbreitung des Wodanskultes von Südwesten her ein besonders sprechendes Beispiel132. Für die Wenden haben wir einen Beleg, der sich ausdrücklich auf den „Deutschen Gott“ selbst bezieht.
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Kahl, Beiträge S. 19 m. Anm. 15, dazu ebd. S. 13–15. Ebd. S. 20 f., 108–110 u. 117 f. 130 Vgl. im einzelnen die Lit. oben Anm. 22 u. 46–47. 131 Ebo, wie Anm. 72. 132 In diesen Zusammenhang hinein gehört auch die berühmte Äußerung des arianischen Westgoten Agila gegenüber dem katholisch-romanischen Bischof Gregor von Tours in einem Streitgespräch des Jahres 580 (vgl. Gregors Historiae V, 34, ed. R. Buchner, Darmstadt 1955, Bd. I, S. 362), die zu Unrecht immer wieder als Zeugnis 129
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Bei der erwähnten heidnischen Reaktion in Stettin vor 1128 sehen wir die erregte Menge in die christliche Kirche drängen, die auch hier, wie so oft, den Platz des zerstörten Haupttempels der alten Religion einnahm. Selbstverständlich muß das „Bild“ des fremden Gottes fallen, der sich an dieser heiligen Stätte eingenistet! Doch seltsam: niemand traut sich recht heran. Schließlich wird der wendische Priester vorgeschoben: Ecce . . . tuum est istud caput et culmen Teutonici dei pro officio tuo aggredi et profanare. Es geschieht, daß der so Aufgerufene, der anscheinend doch auch recht zaghaft zu Werke ging, sich dabei selbst gefährlich verletzt: welch ein Beweis der Kraft, der Stärke des „Deutschen Gottes“! Wer wollte ihm widerstehen? Und so gibt der Priester des alten Glaubens den Seinen persönlich den Rat, sie sollten doch den neuen Triglawtempel nicht hier errichten, wo der Fremde den einmal eingenommenen Platz so machtvoll behauptet, sondern daneben, den Tempel und Kult des „Deutschen Gottes“ aber an Ort und Stelle bestehen lassen, gemeinsam mit der Verehrung der angestammten Götter, damit er in seinem Zorn über den Abfallsversuch nicht womöglich gleich ganz Stettin vernichte (edificate, ait, hic domum dei vestri iuxta edem Teutonici dei, et colite eum pariter cum diis vestris, ne forte indignatus interitum huic loco quantocius inferat)133. Leider erfahren wir mit keiner Silbe, wie dieser Christuskult in heidnischem Ritual, der ja gleichfalls in germanischer Bekehrungsgeschichte nicht ohne Parallele ist134, sich praktisch vollzogen haben mag.
einer besonderen „germanischen Toleranz“ herangezogen wird: Legem (= Religion als Einheit von Glaubens-, Sitten- und Kultgesetz im oben S. 190 gekennzeichneten Sinne), quam non colis, blasphemare noli; nos vero quae creditis etsi non credimus, non tamen blasphemamus, quia non deputatur crimini, si et illa et illa colantur. Sic enim vulgato sermone dicimus, non esse noxium (!), si inter gentilium aras et Dei ecclesiam quis transiens utraque veneritur. Es ist der gleiche Appell an die utilitas des heidnischen Volkes, der aus der bekannten Rede jenes schwedischen Kauffahrers der Vita Anskarii, c. 27 (ed. G. Waitz, SRG 1884, S. 58), zugunsten der Aufnahme der Christusverehrung spricht oder aus der Bemerkung der götländischen Witwe Ingibjörg gegenüber dem Skalden Hallfred Ottarsson um das Jahr 1000 (nach der Jüngeren Olafs Saga Tryggvasonar, c. 175, zit. bei Maurer – wie Anm. 124 – I, 1855, S. 366 f.): „Du bist ein getaufter Mann und hier fremd, hier aber ist ein starker Opferdienst, und die Leute werden nicht dulden, daß du die Religion haltest, die du früher angenommen hast (Germanische „Toleranz“!), andererseits aber ist es nicht gewiß, ob es dir wohl ausschlage, wenn du jenen Glauben aufgibst.“ An allen diesen Stellen erscheint letztlich die gleiche Problematik, die die Athener nach Act. 17,23 ihren berühmten Altar „für den unbekannten Gott“ errichten ließ. 133 s. Anm. 131. 134 Vgl. für viele Beda (wie Anm. 41) II, 16 (S. 106) über König Redwald von Ostanglien, der um 615 in eodem fano et altare haberet ad sacrificium Christi et arulam
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Nun gehörte es jedoch zu den, sagen wir: „Eigentümlichkeiten“ des „Deutschen Gottes“, daß er von seinen Anhängern nicht in Gemeinschaft mit anderen, sondern ausschließlich, als einziger verehrt werden wollte. Wo die freie Selbstbestimmung wendischer Priesterschaft nicht gehemmt war, mochte es möglich sein, über diese dem gentilreligiösen Denken so durchaus fremde Forderung hinwegzugehen, wenn auch vielleicht mit einem so bemerkenswerten Zugeständnis wie bei dem eben betrachteten Beispiel, daß wenigstens eine Trennung der Kultgebäude aufrecht erhalten blieb135. Unter der Herrschaft eines nicht nur äußerlich, sondern tief innerlich christlichen Fürsten, unter den Augen vielleicht gar eines Erzpriesters wie Ulrich, war solch ein Synkretismus schwer durchführbar. Ob es im Obotriten- und Stoderanerlande nicht manchen Heiden gab, der es unter solchen Umständen als günstig und nützlich empfand, wenn auf dem Wege über den Fürsten zu dem gefährlichen „Deutschen Gott“ wenigstens eine indirekte Verbindung bestand? Tatsächlich sicherten Heinrichs Herrschaft, Pribislaws Königtum ihnen einen Frieden vor den Schlägen der Anhänger dieses Gottes, wie ihn die benachbarten Wendengebiete keineswegs genossen; sie kamen also dem „Gentilheil“ gleichfalls zugute. Das Aufkommen einer gemäßigten Partei im Lande, die auch aus heidnisch-religiösen Gründen bereit war, die Herrschaft dieser Christen, die Ausübung ihrer landfremden Religion zu dulden, solange sie ihrerseits den althergebrachten Stammeskult gewähren ließen, fände auf diesem Wege eine ungezwungene Erklärung. Zugleich aber ergäbe sich von hier ein bemerkenswerter Ausblick auf die inneren Gründe, auf denen die unverkennbare Schwäche, die offenbare Unterlegenheit wesentlich beruhen dürfte, mit der die wendischen Gentilreligionen aller eindrucksvollen Kraftanstrengung des Ljutizenbundes zum Trotz dem Angriff des Christentums nur zu begegnen vermochten136.
ad uictimas daemoniorum; dazu Hauck I, S. 362 über Priester in Mitteldeutschland zur Zeit des Bonifatius, „welche sich nicht scheuten, christlichen und heidnischen Priesterdienst zugleich zu verrichten“. 135 Anders im Beispiel der vorigen Anm.; allerdings ist dazu zu prüfen, wie weit wendisches Empfinden auch sonst eigene Kultstätten und Tempel für jede einzelne Gottheit vorzog. 136 Daneben ist die oben S. 224 herausgestellte Organisationsform der wendischen Religion in ihrer unverkennbaren Unterlegenheit auch gegenüber der im 12. Jh. noch
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Wo das irdische Heil einer Gruppe den Vorrang genießt vor dem metaphysischen Heil der Einzelseele, das es notfalls auch um den Preis des physischen Auslöschens zu verteidigen gilt, dort ist im heimischen Pantheon insgeheim schon vor Beginn jeder religiösen Auseinandersetzung der Sitz für den starken Gegner bereitet; wann er ihn einnehmen, wann er unter Umständen die bisherigen Herren dieses Pantheons von den ihren verdrängen wird, all das ist nur eine Frage der Zeit – nicht nur im Bereich wendischer, sondern im Bereich jeder Gentilreligion. So scheint es, daß wir an dieser Stelle zugleich den Ort erreicht haben, an dem die Beschäftigung mit Spezialfragen wendischer Religions- und Missionsgeschichte in die allgemeine Religionsgeschichte einmündet, wie ja jeder Einzelfall bei aller Unwiederholbarkeit historischer Individualität letztlich doch immer mehr als nur den eigenen Umkreis exemplarisch zu erhellen vermag. Daß mit den letzten Unterstellungen der Raum des historisch Beweisbaren verlassen ist, bedarf keiner Diskussion. Wer indes einmal versucht hat, sich in gentilreligiöse Geistigkeit hineinzudenken und hineinzufühlen, der wird zugeben müssen, daß der Bereich des Wahrscheinlichen damit in keiner Weise überschritten wird. Und schon J. G. Droysen sagte: „Das wahre Faktum steht nicht in den Quellen.“ Immerhin befinden wir uns mit diesen Bemerkungen hart an der Grenze, an der der Historiker einhalten muß. Wenden wir uns zurück und überschauen noch einmal den Weg, der zu diesem Ziele führte. Es war, wie uns klar ist, ein Weg der Religionsgeschichte: einen einzelnen Sektor also des Gesamtlebens jener Zeiten hat er durchmessen, nicht dieses Leben in seiner Gesamtheit von allen Seiten zu umkreisen versucht. Religion, das weiß jeder, ist in Menschenherzen eine mächtig wirkende Kraft, und es mag sein, daß dies damals, vor sechs- oder neunhundert Jahren, in weit stärkerem Umfang noch galt als in der säkularisierten Massengesellschaft unserer Moderne. Selten aber gibt Religion allein im Wirken der Menschen den Ausschlag, wie überhaupt die Suche nach „dem“ (einen) Motiv einer Handlung wohl unvermeidlich stets in einer Sackgasse enden muß. So wird es gut sein, wenn der Blick bei der Überschau über die durchwanderte Strecke noch einmal an einer Gestalt haften bleibt, die
nicht voll entfalteten christlich-katholischen Hierarchie zweifellos entscheidend zu berücksichtigen.
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wir nur ganz im Vorbeigehen streifen konnten: an Gottschalks Schwager Blusso, einem der Hauptanstifter der Erhebung gegen diesen Fürsten, von dem wir wenig wissen137, für den aber Motive persönlicher Rivalität mindestens keine geringe Nebenrolle gespielt haben werden. Wir dürfen es uns versagen, ähnliche Beobachtungen und Möglichkeiten aufzuzählen, wie sie an manch anderer Stelle noch festgehalten werden könnten: genug, daß wir auch hier uns der Grenze bewußt bleiben, die der Erkenntnis mit den Mitteln religionswissenschaftlicher Forschung gesetzt sind138. Doch welche Spezialforschung wäre nicht von Grenzen dieser Art eingeschränkt? Wenn das, was auf unserem Wege eingebracht werden konnte, bei aller unvermeidlichen Einseitigkeit doch zugleich auch zu einem besseren, vielleicht sogar vertieften Verständnis des Ganzen beiträgt, das über all unseren fachwissenschaftlichen Einzeldisziplinen steht, dann hat auch diese Wanderung durch vergangene Zeiten ihren Sinn erfüllt. [Nachtrag 2008: Wichtige Ergänzungen zur Charakterisierung der beiden herausgestellten Religionstypen gibt, mit abweichender Terminologie J. Assmann (wie oben im Nachtrag zu Beitrag I), bes. in Kap. I u. II; dort auch über das Trauma, das ein aufgenötigter Wechsel von der einen zur anderen Religionsform bei den Betroffenen auslöst (bes. S. 49ff.). – Die bes. unten im Beitrag XII, Abschn. 2, angesprochenen Frömmigkeitstypen decken sich nicht mit diesen Religionsformen, sondern überschneiden sich mit ihnen: der kultisch-institutionelle kommt stark in beiden vor, der persönlich-ethische nur unter Universalreligionen, vorwiegend in gehobenen Schichten.] Verzeichnis abgekürzt zitierter Quellen und Abhandlungen Adam = Adam von Bremen, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. B. Schmeidler (SRG 1917). B = der von H. Beumann für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft (Darmstadt) vorbereitete Sammelband: „Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters“ (erschienen 1963).
137 Einzige Quelle von selbständigem Wert: Adam III, 51 (S. 195, 8 ff.): Huius auctor cladis (der Erhebung gegen Gottschalk und der anschließenden wendischen Übergriffe ins sächsische Nachbargebiet) Blusso fuisse dicitur, qui sororem habuit Godescalci domumque reversus (vom Streifzug nach Sachsen) et ipse obtruncatus est, jedenfalls im allgemeinen Machtkampf um die Nachfolge. 138 Beitrag IX, S. 268 f. sowie oben Anm. 105.
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Bausteine = H.-D. Kahl, Bausteine zur Grundlegung einer missionsgeschichtlichen Phänomenologie des Hochmittelalters (in: Miscellanea Historiae Ecclesiasticae. Congrès de Stockholm 1960, = Bibliothèque de la Revue d’Histoire Ecclésiastique, fasc. 38, Louvain 1961, S. 50–90), s. unten, Beitrag IX. Beiträge = ders., Beiträge zur Brandenburgischen Geschichte in der Zeit PribislawHeinrichs und Bischof Wiggers, erschienen 1964 u. d. T.: Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jh.s. Die letzten Jahrzehnte des Landes Sfodor (Mitteldeutsche Forschungen 30/I–II), Die provisorische Zitierweise des Erstdrucks wurde beibehalten. Hauck = A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 8I–V (Berlin 1954). Helmold = Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, ed. B. Schmeidler (SRG 1937). JMO = Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands (Berlin 1951 ff.). MG = Monumenta Germaniae Historica. Rehfeldt = B. Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte. Zur Rechtsgeschichte der germanischen Hinrichtungsbräuche (Berlin 1942). Saxo = Saxonis Gesta Danorum, ed. H. Olrik-H. Raeder u.a. I–II (Hauniae 1931– 1957). SRG = Scriptores Rerum Germanicarum in usum scholarum ex Monumentis Germaniae Historicis separatim recusi. Thietmar = Thietmar von Merseburg, Chronicon, ed. W. Trillmich (Darmstadt 1957). Tract. = Heinrich von Antwerpen, Tractatus de urbe Brandenburg, ed. G. Sello im 22. Jahresbericht des Vereins für vaterländische Geschichte und Industrie zu Salzwedel (Magdeburg 1888), S. 8–12, wonach zitiert; auch O. Holder-Egger, MG. SS. XXV (1880), S. 482–484. ZfO = Zeitschrift für Ostforschung (Marburg/Lahn 1951 ff.).
BEITRAG IX
BAUSTEINE ZUR GRUNDLEGUNG EINER MISSIONSGESCHICHTLICHEN PHÄNOMENOLOGIE DES HOCHMITTELALTERS∗ In den zwanziger Jahren des zwölften Jahrhunderts schrieb der deutsche Priester Heinrich, genannt „von Lettland“, Pfarrer zu Papendorf (lett. Rubene) im damaligen Bistum Riga, sein Chronicon Livoniae, das zu den wichtigsten missionsgeschichtlichen Quellen des ausgehenden Hochmittelalters gehört. Es beginnt mit einem merkwürdigen, wenig beachteten Gedicht1. Dum pia gratia vult pia premia reddere ter Vult nova gaudia que sua gloria reddere ter Vult nova lumina vult sua numina pandere ter Omnia lucida cunctaque splendida pandere ter Omnia pymetha cunctaque crimina pellere ter Omnia sordida cunctaque morbida pellere ter Ydola perfida vanaque delubra pellere ter Munera Livonicis lavacri sacra vult dare ter Irrigui sacra donaque celica vult dare ter Optima munera premia celica vult dare ter
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ris
∗ Nachstehende Darlegungen bildeten die Grundlage eines Referats, das am 20. August 1960 auf einer Tagung der Commission Internationale d’Histoire Ecclésiastique Comparée in Stockholm gehalten wurde. Fragen, die die Diskussion aufwarf, konnten nachträglich eingearbeitet werden. Im Belegteil werden folgende Abkürzungen verwandt: B = der von Helmut Beumann für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, vorbereitete Sammelband: Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters (erschienen 1963). – HJb = Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft, München. – HZ = Historische Zeitschrift, München. – MGH = Monumenta Germaniae Historica (EE = Epistolae, SS = Scriptores). – MOeIG = Mitteilungen des Oesterreichischen Instituts für Geschichtsforschung, Wien. – PL = (Migne), Patrologia Latina. – WaG = Die Welt als Geschichte. Eine Zeitschrift für Universalgeschichte, Stuttgart. – WJb = Wichmann-Jahrbuch für Kirchengeschichte im Bistum Berlin, Berlin. – ZfO = Zeitschrift für Ostforschung, Marburg/Lahn. – ZMW = Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft, Münster/Westf. 1 Das Gedicht entstammt der in Anm. 87 genannten Textausgabe, S. 1. Deutsche Nachdichtungen bieten: Heinrichs von Lettland Livländische Chronik, übersetzt und erläutert von Eduard Pabst, Reval, 1867, und: Heinrich von Lettland, Livländische Chronik, neu übersetzt von Albert Bauer, Darmstadt, 1959.
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beitrag ix O pia gratia tam pia premia da pia no Hec nova lumina tantaque gaudia da pia no Omnia candida cunctaque splendida da pia no Omnia que bona que pia que nova da pia no Pessima vincere crimina linquere da pia no Sordida tergere morbida pellere da pia no Que mala spernere que bona discere da pia no Optima munera celica premia da pia no Gentibus hec tua pandere numina da pia no Gentibus hiis lavacri dare munera da pia no Laudis et hec tua dicere munia da pia no Hostica prelia vincere carnea da pia no Terrena spernere sydera scandere da pia no Leta trophea futuraque gaudia da pia no
⎞
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bis
Künstlich gedrechselt sind die Verse – allzu künstlich, will es uns Heutigen scheinen. Dennoch ergreifen sie uns: uralte Menschensehnsucht nach Reinheit und Läuterung weht uns hier an in jener christlich vertieften Form, die nicht nur das eigene, persönliche Heil sucht, sondern das Heil des Ganzen. Die Erde, die Erde als solche ist es, der „alles Klare, alles Glänzende“ aufgetan, die befreit werden soll „von aller Missetat, allem Laster, allem Niedrigen, allem Kranken“; uns, den Menschen allen – so lautet das Gebet –, möge „alles Gute und Fromme und Neue“ gnädig zuteilwerden: Kraft, Böses zu bezwingen, abzusagen dem Laster, Unreines zu tilgen, Krankhaftes auszumerzen, zu verachten das Uebel, das Gute uns anzueignen. Irdisches gering zu achten, emporzusteigen zu den Sternen. Erbeten werden muss diese Kraft, bekennt die Form, in die die Sehnsucht nach diesen Zielen sich hier kleidet: allein aus uns selbst heraus vermögen wir wenig. In das so umschriebene Ganze aber ordnen sich ein, Teilerscheinungen gleichsam nur des Einen grossen Weltkampfes zwischen Licht und Finsternis, die Befreiung der Erde von „Götzenbildern“ und „Kultstätten der Nichtigkeit“, die Verkündigung Gottes an die Heiden, ihre Benetzung mit heiliger Taufe, die Vermittlung himmlischer Gnadengaben auch an sie, dass auch sie klar und rein, gut und gesund, neu und heilig werden mögen, wie der Mensch im Gnadenstande von Gott gewollt ist. Es ist die vielleicht eindringlichste Gestaltung christlicher Missionsidee in ihrer mittelalterlich-katholischen Ausprägung, die der Priester Heinrich in diesen Versen hinterlassen hat, und wir beachten wohl, dass sie nicht erbaulicher Betrachtung entstammen, wie stille Zurückgezogenheit sie pflegen mag, weit entfernt von aller praktischen Berührung mit missionarischen Fragen: Heinrich stand aktiv in vorderster Linie
bausteine zur grundlegung
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des missionsgeschichtlichen Geschehens seiner Zeit und seines livländischen Wirkungskreises. Ein kostbares, unmittelbares Selbstzeugnis der mittelalterlichen Mission ist es, das aus seinen Zeilen zu uns spricht. Dieses Zeugnis aber führt uns auf ein historisches Problem, das, wenig bisher nur beachtet, doch unter seinesgleichen einen hohen Rang beanspruchen darf. 1. Die Forschungsaufgabe Die missionsgeschichtliche Forschung hat, wo sie die Voraussetzungen eines Missionswerks blosszulegen suchte, den Blick bisher im allgemeinen einseitig auf die sog. „Missionsobjekte“ gerichtet1a. Unzweifelhaft sind die traditionellen Bedingungen, die die einheimische Bevölkerung eines Missionsgebietes mitbringt, für den eingreifenden Missionar – und damit auch für den betrachtenden Historiker – von ausschlaggebender Bedeutung: Sozialstruktur, materielle und geistige Kultur, Religion und Kult. Nicht minder wichtig ist es jedoch, auch die andere Seite, die sog. „Missionssubjekte“, in die Betrachtung einzubeziehen: denn eine einheitliche christliche Haltung als gemeinsame Voraussetzung missionarischen Vorgehens hat es niemals gegeben, – weder im Hinblick auf die theologische Grundeinstellung zu „Heidentum“ und „Heidenmenschen“, noch hinsichtlich des praktischen Vorgehens gegen beide. Ist das Heidentum „Vorhalle des Christentums“, ringsum erfüllt vom Abglanz einer (wenn auch verdunkelten) „Uroffenbarung“, der immer wieder auf die Wahrheiten des Evangeliums hinweist – oder ist es teuflisches Blendwerk, dem Glauben und Kult des einzig wahren Gottes durchaus und in allem entgegengesetzt? Ist der einzelne Heide ein irrender, missgeleiteter Menschenbruder, der christlichen Erbarmens und seelsorgerlicher Hilfe bedarf – oder ist er ein „Widersacher Gottes“, vor dem die christliche Pflicht, auch den persönlichen Feind zu lieben, eine unübersteigbare Grenze findet? Trägt auch er in sich eine anima naturaliter christiana, zur Erlösung berufen – oder ist er aus tiefstem Grunde bekehrungsunfähig, Glied einer hoffnungslos verfallenen massa perditionis? – Ist dem Missionsbefehl des auferstandenen Christus Genüge geschehen, wenn die „frohe Botschaft“ immer und immer wieder angeboten, den1a Eine Ausnahme bildet P. Benkart, Die Missionsidee Gregors d. Gr. in Theorie und Praxis. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zur Christianisierung der Germanen (Diss./masch., Leipzig, 1946).
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noch aber nicht aufgenommen worden ist? Gibt es vertretbare Mittel, Widerspenstige zum Anhören dieser Botschaft – oder gar darüber hinaus zum Taufvollzug – zu zwingen; den Einzelnen – oder gar die ganze Gemeinschaft, einen heidnischen Staat? Besteht womöglich eine Verpflichtung, solche Zwangsmittel einzusetzen, wo kein anderer Weg die Ausführung des Taufbefehls (eines göttlichen Gebotes!) zu gestatten scheint, oder müssen vielmehr Tag und Stunde, da Er jenem immer neu ansetzenden gewaltlos-missionarischen Bemühen endlich Frucht schenken will, seiner Vorsehung anheimgestellt bleiben? Das sind nur einige der Fragen, die von den Theoretikern und von den Praktikern der Kirche immer neu zu durchdenken und zu beantworten sind, und die Art der Antwort ist ganz gewiss nicht minder entscheidend für den Ablauf des missionarischen Geschehens als die besondere Eigenart des jeweils angesprochenen Teiles der Heidenwelt. Die damit skizzierte Forschungsaufgabe führt in ein typisches Grenzgebiet. Sie wird nicht zu lösen sein ohne eingehende Beteiligung der Theologiegeschichte, vor allem des umfangreichen patristischen Materials – es sei hier nur auf die hohe Bedeutung verwiesen, die der jeweils vertretenen Gnadenlehre für die Beantwortung der aufgeführten Fragenreihe zukommt (gibt es eine gratia irresistibilis, die sich zwangsläufig im dargereichten Sakrament als materiellem Träger am Empfänger auswirken muss, oder weht auch hier der Geist, „wo er will“?). Hand in Hand damit zu gehen hat die Untersuchung der Wirkungen, die von der Theologie, besonders von ihren Höhen, tatsächlich in die aktuelle Kirche hinausgestrahlt sind. Insbesondere die Geschichte der Geistlichenbildung ist hier zu befragen, was sie über das theologische Rüstzeug auszusagen weiss, mit dem der Missionar seine Reise jeweils etwa angetreten haben kann; aber auch die Liturgiegeschichte hat Entscheidendes beizutragen, ist ihr doch in Gebets- und Segensformeln, Hymnen und Litaneien, in ständig wiederholten Texten also von unzweifelhaft prägender Kraft, ein für unsere Zwecke besonders bedeutsames Erkenntnisgut anvertraut (es sei dazu nur an die Beobachtung A. Baumstarks erinnert, dass schon die liturgischen Ueberreste der Verfolgungszeit zwei gänzlich verschiedene Einstellungen zur „Heidenschaft“ widerspiegeln, die sich weiter bis in die Psalmen des nachexilischen Judentums zurückverfolgen lassen)2. Nicht vergessen werden darf die Kanonistik mit ihrem
2 Vgl. A. Baumstark, Liturgischer Nachhall der Verfolgungszeit, in: Festgabe f. A. Ehrhard, 1922, S. 54 u. 59; G. Tellenbach, Römischer u. christlicher Reichsgedanke in der
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Ringen um rechte Verhaltensnormen, ebensowenig aber auch hier die Frage nach Mass und Bedeutung ihrer tatsächlichen Ausstrahlungen in die missionarische Praxis, die uns endlich in das unmittelbarste Arbeitsgebiet des eigentlichen Missionshistorikers hineinführt. Selbst die Sprachwissenschaft kann ihren Beitrag leisten, indem sie beobachtet, wie der christlich-missionarische Wortschatz für das bisher nicht erfasste Sprachgebiet zusammenwächst, ein Vorgang, dem für das Gelingen einer Verkündigung zweifellos einschneidendste Bedeutung zukommt: es ist fesselnd, wie selbst dabei auf christlicher Seite, gemessen am Verhalten gegenüber altheimisch-heidnischem Sprach- und Geistesgut des Missionsgebiets, immer wieder „Ireniker“ und „Polemiker“ nebeneinander am Werke sind3. Ziel muss bei alledem sein die Erarbeitung einer umfassenden Phänomenologie missionarischen Denkens und Handelns als einer Art „Koordinatensystem“, in das die einzelne missionsgeschichtliche Erscheinung sich einordnen lässt, ohne dabei in ein starres Schema gepresst zu werden, in dem das individuelle geschichtliche Leben erstickt: nur dann, wenn wir alle äusseren und inneren Möglichkeiten überblicken, die der Kirche eines Zeitalters in dieser oder jener Richtung gegeben waren, und wenn wir auf diesem Hintergrunde prüfen, was davon sich denn jeweils auf einem bestimmten Missionsschauplatz verwirklicht und nicht verwirklicht hat; besonders aber dann, wenn wir die Verwirklichung des einen, die Nichtverwirklichung des anderen an gerade dieser Stelle nicht nur zu konstatieren, sondern auch zu begründen vermögen, – nur dann dürfen wir hoffen, einer Erkenntnis des missionsgeschichtlich Wesentlichen nahezukommen. Einige Beobachtungen, die sich auf begrenztem Gebiet, nämlich bei Beschäftigung mit Problemen des achten bis dreizehnten Jahrhunderts ergeben haben, mögen die damit umrissene Auffassung verdeutlichen helfen. Die gebotene Kürze wird dabei freilich oft nur knappe Andeutung gestatten, wo an sich eingehendere Darstellung und Begründung
Liturgie des frühen Mittelalters (Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., philos.-hist. Kl., 1934/1), S. 9–10; ergänzend A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten u. der Juden zu den Fremden, Freiburg/Br., 1896, S. 184 ff. – Weitere wichtige Arbeiten: H. Hirsch, Der mittelalterliche Kaisergedanke in den liturgischen Gebeten, in MIOeG, XLIV, 1930, und C. Erdmann, Der Heidenkrieg in der Liturgie usw., in MIOeG, XLVI, 1932, beide demnächst neu bei B. 3 Vgl. H.-D. Kahl, Papst Gregor d. Gr. und die christliche Terminologie der Angelsachsen, in ZMW, XL, 1956, S. 93–111 u. 190–200, mit Lituraturangaben auch für neuere Missionssprachen in Uebersee.
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gefordert werden muss; es sei daher summarisch auf die bisherigen Arbeiten des Verfassers verwiesen, in denen das Fundament für die gegenwärtigen Ausführungen gelegt worden ist4. 2. Positive und negative Missionsarbeit Einen ersten methodisch wichtigen Fingerzeig gab die vorzügliche Monographie, die G. Walter der Missionslehre des hl. Augustinus gewidmet hat5. „Mission“ ist bekanntlich nicht einfach „Bekehrung der Nichtchristen“, sondern ein oft harter Kampf zwischen gegensätzlichen geistigen Welten, in dem der Missionar nicht einfach ein bereitwillig geöffnetes Vakuum auszufüllen hat, sondern nur Fuss fassen kann, soweit er vorchristliche Glaubens-, Lebens- und Kultanschauungen seiner Zuhörer zu überwinden vermag. Man hat demnach ein doppeltes Missionsziel zu unterscheiden: einmal negativer, einmal positiver Art; hier auf Ausrottung des Heidentums, dort auf Pflanzung des Christentums gerichtet, – wenn man will: „Entpaganisierung“ und „Christianisierung“. Nicht nur die Patristik, auch das Mittelalter zeigt sich vom Bewusstsein dieser Unterscheidung beherrscht bis in Einzelformulierungen seiner
4 H.-D. Kahl, Zum Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters, in ZfO, II, 1953, S. 1–14; mit Nachträgen unten, Beitrag XIV; Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts, in ZfO, IV, 1955, S. 161–193 u. 360–401; neu mit Nachträgen unten, Beitrag XV; Das altschonische Recht als Quelle zur Missionsgeschichte des dänisch-schwedischen Raums, in WaG, XVII, 1957, S. 26–48. – Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des sächsischen Frühchristentums, in WJb, XI/XII, 1957/58, S. 99–120; neu mit Nachträgen unten, Beitrag XXI; – Die völkerrechtliche Lösung der ‚Heidenfrage‘ bei Paulus Vladimiri von Krakau († 1435) und ihre problemgeschichtliche Einordnung, in ZfO, VII, 1958, S. 161–209; unten, Beitrag XXV. Neubearbeitung des vorliegenden Themas für die Zeit bis ca. 1050 Beitrag X. – Besprechung von: A. Waas, Geschichte der Kreuzzüge, I/II, Freiburg i. Br. 1955, in HJb, LXXVIII, 1959, S. 238–242. – Beiträge zur Brandenburgischen Geschichte in der Zeit Pribislaw-Heinrichs und Bischof Wiggers erschienen mit verändertem Titel: Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte d. 12. Jh. (Mitteldeutsche Forschungen 31 (I–II), Köln-Graz 1964; die ursprüngliche Zitierweise wird im folgenden belassen. – Vgl. vor. Anm. – Alle diese Arbeiten bieten ausführliche Belege und Literaturangaben. Einzelbelege können nachstehend im allgemeinen nur gegeben werden, wo sie noch an keiner dieser Stellen vorgelegt worden sind. In Einzelheiten sind die zitierten Arbeiten durch nachstehende Ausführungen zu ergänzen oder auch zu modifizieren. – Vgl. unten Anm. 30. 5 G. Walter, Die Heidenmission nach der Lehre des hl. Augustinus, Münster/Westf., 1921.
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Urkunden- und Gesetzestexte hinein6. Sie muss den Menschen, denen sie immer und immer wieder mit solcher Selbstverständlichkeit in die Feder floss, tief bedeutsam gewesen sein. Was ihr auch für uns als Forscher eine geradezu ungewöhnliche Bedeutung verleiht, ist nun die Tatsache, dass der zitierte Kirchenvater, eine Persönlichkeit also von weitestgehendem Einfluss über die Jahrhunderte hin und gerade auch auf die Grundlegung kanonischer Rechtsvorstellungen, – dass Augustinus zur Erreichung beider Teilziele durchaus verschiedene Wege für statthaft hält: die Bekehrung selbst, der eigentliche Uebertritt, soll nach ihm unter allen Umständen freiwillig erfolgen, soll schon vor der äusseren Taufe innerlich besiegelt sein; in der negativen Arbeit aber sieht Augustinus Gewaltanwendung – von der Zerstörung heidnischer Kultstätten bis zur Todesstrafe an hartnäkkigen Erneuerern heidnischer „Greuel“ – nicht nur als erlaubt, sondern geradezu als geboten an, wenn auch wie alle Gewaltanwendung nur für die öffentliche, nicht für die private Hand7. Diese Feststellung aber hat für uns unmittelbare methodische Konsequenzen: wir werden demnach aufhören müssen, von gewaltsamer „Christianisierung“ zu sprechen, wo lediglich Zwangsmassnahmen bezeugt sind, die der „Entpaganisierung“ dienen, und wir werden in solchen Fällen auf Anzeichen nebenhergehender gewaltloser Verkündigungsarbeit im Positiven zu achten haben, die als weniger geräuschvolle Form des Vorgehens nur vielleicht in der Ueberlieferung weniger deutlich hervortritt, – oder sollte im Einzelfall etwa gar keine „Mission“ mehr im strengen Sinne gemeint sein, sondern stattdessen ein Vorgehen gegen „innerkirchliches Heidentum“ schon Getaufer, das, wie wir noch sehen werden, durchaus nicht mit der „Entpaganisierungsarbeit“ ausserhalb der Kirche zusammengeworfen werden darf?8. Weiter werden wir davon absehen müssen, den Vollzug einer Christianisierung selbst äusserlichster Form grundsätzlich unmittelbar an die heidnische Periode eines Missionsgebietes anzuschliessen: vielleicht gibt es auch einmal einen Schwebezustand zwischen der alten Religion, die öffentlich nicht mehr ausgeübt werden darf, und der neuen,
6 Einige Beispiele, die sich beliebig vermehren liessen, unten Beitrag XIV, Abschn. 1. Auch das oben einleitend wiedergegebene Gedicht ist tief von dieser Zweipoligkeit durchdrungen, die es nach beiden Seiten immer neu variiert. Vgl. noch unten, Abschn. 4. sowie das Gegenbeispiel unten, bei Anm. 65. 7 G. Walter, o. c, S. 115. 8 S. unten, Abschn. 5., sowie unten bei Anm. 84–87 und 95–98.
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von der die Bevölkerung des Missionsgebiets noch nichts wissen will, so wie A. Hauck ihn überzeugend für wesentliche Teile der deutschen Sorbenmarken des früheren Hochmittelalters vorausgesetzt hat9. 3. Direkter Zwang und indirekte Nötigung Vorbehaltlich mancher noch ausstehender Einzeluntersuchung wird man sagen dürfen, dass die augustinische Forderung des prinzipiell im letzten freien Taufentschlusses – unbeschadet aller Gewaltmassnahmen gegen heidnische Tempel und Haine – bis tief ins Hochmittelalter hinein als kirchliche Norm festgehalten worden ist. Wohl zeigen die Anforderungen an den Grad der Freiwilligkeit, der dabei gewahrt bleiben müsse, und an den Grad der Bekehrung, den die Taufe voraussetze, sich schon bei Gregor dem Grossen merklich gesenkt (so dass zwar nicht gerade ein Taufzwang unter Todesdrohung als kirchlich erlaubt erscheint, wohl aber ein mehr oder weniger gelinder Druck, etwa mit Einräumung oder Entziehung von Vermögensvorteilen unter Umständen weitreichender Art, z.B. stark überhöhtem Steuerdruck10); die Sachsenmission Karls des Grossen aber, die ein Sohn des betroffenen Volksstamms im neunten Jahrhundert bezeichnend als „Predigt mit eiserner Zunge“ charakterisiert hat11, oder die norwegische Reichsmission der Olaf Tryggvason und Haraldsson, – Fälle dieser Art sind dennoch als Ausnahmen zu betrachten, und sie dürfen keinesfalls vorschnell verallgemeinert werden,
9 A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands8, IV, Berlin, 1955, S. 578 u. 588; vgl. auch ebd. I, S. 124, über ähnliche Verhältnisse im Merowingerreich (dazu aber K. Voigt, Staat u. Kirche von Konstantin d. Gr. bis zum Ende d. Karolingerzeit, Stuttgart, 1936, S. 257 f.). 10 Vgl. bes. Greg. Magn., Reg. Epp., IV, 26 (JL, 1268, a. 594; ed. P. Ewald – L. M. Hartmann, MGH, EE, I, Berlin 1891, S. 261, 12 ff.) „ . . . Si rusticus tantae fuerit perfidiae et obstinationis inventus, ut ad Deum venire minime consentiat, tanto pensionis onere gravandus est, ut ipsa exactionis suae poena compellatur ad rectitudinem festinare“. Die Stelle ist u.a. ins Decretum Gratiani eingegangen (c. 4. C. XXIII, qu. 6: Corpus Iuris Canonici, ed. Ae. Friedberg, I, Leipzig 1879, S. 949); auch etwa Bernardi Papiensis, Summa Decretalium V, 5, 4 (ed. E. A. Th. Laspeyres, Regensburg, 1860, S. 211); vgl. auch unten S. 247, bes. Anm. 27. – Greg. Magn., Reg. Epp., II, 38 (JL, 1186, a. 592; l. c., S. 134, 12 ff.): „. . . Quia autem multi Iudeorum in massis ecclesiae commanent, volo, ut si qui de eis Christiani voluerint fieri, aliquanta eis pensi relaxentur, quatenus isto beneficio provocati, tali desiderio et alii adsurgant“; vgl. V, 7 (JL, 1323, a. 594; S. 288, 13 ff., unten Anm. 16. – Es ist bemerkenswert, dass diesen für die Einkünfte des Grundherrn abträglichen Bestimmungen offenbar keine Nachwirkung beschieden war, die sich mit derjenigen der vorgenannten Dekretale vergleichen liesse!). 11 Transl. S. Liborii, c. 2 (MGH, SS, IV, 151, 21 f.).
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nur weil sie sich in der Ueberlieferung stärker hervordrängen, bei den Zeitgenossen also mehr Aufsehen erregten; vielmehr bedürfen sie alle besonderer Begründung, und es scheint, dass dabei stets ausserkirchliche und aussertheologische Faktoren in Rechnung zu stellen sind (z.B. die Verknüpfung von Christianisierung und politisch-militärischer Unterwerfung)12. Erst das Zeitalter der Ritterorden hat hier für die Praxis einen tiefergreifenden Wandel geschaffen, der im einzelnen gleichfalls noch genauerer Untersuchung harrt13; dabei darf jedoch nicht verkannt werden, dass gerade dieses Zeitalter in der Person von Theologen wie Thomas von Aquin, von Kanonisten wie Sinibaldo Fieschi (als Papst Innozenz IV.) besonders nachdrückliche Stellungnahmen gegen eine gewaltsame Bekehrungsarbeit formuliert hat (Stellungnahmen freilich, die gleichfalls nicht als Forderungen einer „Toleranz“ im neuzeitlichen Sinn misszuverstehen sind: es ist bezeichnend, wie auch diese Autoren Zwangsmassnahmen zur Unterdrückung positiv heidnischen „Unwesens“ zu formulieren wissen, unter Umständen im gleichen Atem mit solcher Ablehnung eigentlicher Zwangschristianisierung)14. Und wie eindrucksvoll ist der missionarische Neuansatz eines Franz von Assisi und seines Ordens in eben diesem gleichen Zeitalter, am sinnfälligsten dargelebt in jenem Besuch, den der Heilige im Jahre 1219 unmittelbar aus dem Feldlager der Kreuzfahrer vor Damiette dem Sultan Al-Kamil abstattete, um in bewusster Abkehr vom herkömmlichen Kreuzzugsdenken den Sieg mit den Waffen der Liebe statt denen des Krieges zu suchen15! 12 Vgl. unten Beitr. XXV, Abschn. 4, bis Anm. 85. und weiter; dazu Beitr. XV, Abschn. 4 e. Besonders lehrreich sind diesem Zusammenhang die insbes. von Alkwin (Alcuin) entfesselten Diskussionen um die Berechtigung des Verfahrens der karolingischen Sachsenmission. 13 Es scheint dabei Uebertragung zunächst innerkirchlich „erlaubter“ Zwangsmassnahmen gegen Ketzer, Apostaten u. dgl. auf Ungetaufte vorzuliegen, vgl. Beitr. XV, bei Anm. 180–181. 14 Vgl. unten Beitr. XXV, Abschn. 1–3, bes. bei Anm. 74–76. – Ueber Thomas vgl. noch Th. Ohm, Die Stellung der Heiden zu Natur und Uebernatur nach dem hl. Thomas von Aquin, Münster/Westf., 1927, bes. S. 8 u. 22; J. Höffner, Christentum und Menschenwürde. Das Anliegen der spanischen Kolonialethik im Goldenen Zeitalter, Trier, 1947, S. 43 f. u. 59 f. (auch sonst für die kanonistisch-völkerrechtliche Seite des Problems ausserordentlich aufschlussreich) (Neuausgabe s. Einführung, Anm. 4). 15 Vgl. A. Waas (wie oben Anm. 4) II, 73–77, 298 f. u. 317; auch I, 40 u. 77; O. van der Vat, Die Anfänge der Franziskanermission, Werl, 1934; L. Lemmens, Gesch. der Franziskanermissionen (1929); auch Dens., Die Heidenmission des Spätmittelalters (1919). – Auch der Dominikanerorden wäre in diesem Zusammenhang zu nennen; vgl. bes. B. Altaner, Die Dominikanermission des 13. Jahrhunderts, Habelschwerdt, 1924, dazu die Spezialliteratur über Thomas in vor. Anm.
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Im Ganzen jedoch kommen wir hier zu einer methodischen Differenzierung auf dem Felde der positiven Missionsarbeit: ein „direkter Zwang“ (unter unmittelbarer Todesdrohung) ist von „indirekter Nötigung“ (unter Anwendung sonstiger Repressalien) zu unterscheiden, wobei die Grenze im Einzelfall fliessend bleiben mag; daneben steht die völlig gewaltlose, völlig friedliche und freie Bekehrungsarbeit, wie sie besonders dort unumgänglich ist, wo ein Land unter heidnischer oder sonst missionsabgeneigter Obrigkeit steht. Zugleich aber ergibt sich eine Folgerung, die uns besonders tief in das Wesen missionsgeschichtlichen Geschehens hineinzuführen verspricht. Für Augustinus war der Uebertritt eines Menschen zu Christus und seiner Kirche ein Bekenntnisakt, der die innerlich vollzogene Bekehrung des Taufbewerbers voraussetzen und besiegeln sollte; er stand am Schluss, nachdem sowohl das negative als auch das positive Missionsziel erreicht war, soweit das nur menschenmöglich schien, und er setzte den Willen des Bekehrten zu immer weiterer Vervollkommnung in christlichem Glauben und Leben voraus, eine freie Bereitschaft zu persönlicher Mitarbeit an diesem Werk, soweit sie dem einzelnen von sich aus möglich war. Kein Späterer, so wird man wohl sagen dürfen, hätte die grundsätzliche Bedeutung des Uebertritts bewusst verkleinern mögen. Wo aber zwischen den abgelehnten „direkten Zwang“ und die geforderte Freiwilligkeit „indirekte Nötigung“ als dritte Möglichkeit sich einzuschieben vermag, dort müssen die Ansprüche, die die Kirche an den Grad der Erfüllung beider Missionsziele stellt, reduziert worden sein. Der Weg hat sich geöffnet für Erscheinungen, die auch ein Augustinus schwerlich ausschliessen konnte, denen er aber doch nach Kräften vorzubeugen suchte: für ein Namenschristentum, dem der neue Glaube alles andere als Herzenssache ist, dem nichts ferner liegt als, ein Mühen um Vervollkommnung in diesem Glauben aus eigenem Antrieb und Bedürfnis; für ein innerkirchliches Heiden-oder auch Judentum, das nicht nur unbewusst über die Grenze mitgeschleppt wird als unwillkommener Ueberrest der Vergangenheit, durch das neue Kirchenglied von sich aus bekämpft, sobald es sich seiner bewusst wird, sondern das noch tief im Herzen des „Betroffenen“ verwurzelt ist, nur allzu leicht durch verständliche Trotzhaltung versteift und bestärkt über den vorherigen Zustand hinaus. Der Uebertritt wird dann zu einem Schritt, der von einer auch nur annähernden Erreichung des einen wie des anderen Missionsziels – „Erreichung“ vom Wesen, von innen her verstanden – weitgehend unabhängig wird, der einer blossen Formalie ungleich näher
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stehen kann als dem echten Bekenntnisakt16, und der Hauptteil der Arbeit, die bei anderer Auffassung noch vorher, noch vom Missionar geleistet werden muss, wird so aus seinen Händen genommen, um der innerkirchlichen Verkündigungs- und Seelsorgearbeit zur Last zu fallen, die freilich oft (nicht immer!) in den gleichen Händen ruhen wird (man kann auch sagen: die Missionsziele als solche ändern sich; die Zielmarken werden hier wie dort verschoben, und zwar in beiden Fällen vom echten Bekehrungsideal fort auf den an sich zu überwindenden Standort des „Missionsobjektes“ zu; mag auch der Uebertritt als solcher nach wie vor als conversio bezeichnet werden, so vollzieht dabei doch dieses Wort einen Bedeutungswandel, der seine Uebersetzung mit „Bekehrung“ im heutigen Sinn dieses Ausdrucks unmöglich macht.). Wir kommen auf diese Problematik sogleich nochmals zurück17. An dieser Stelle sei zunächst nur ein Warnzeichen aufgerichtet für den, der sich über die Feststellung des Befundes hinaus um dessen christliche Wertung bemüht. Selbstverständlich liegt in der gekennzeichneten Entwicklung eine Veräusserlichung, eine „Entgeistigung“ und „Formalisierung“, und es liegt nahe, von einem innerlich gefassten Glaubensbegriff aus den Stab über sie zu brechen. Auf der anderen Seite aber muss gesehen werden, dass diese „Entgeistigung“ und „Formalisierung“ der einzige Preis war, für den die Christianisierung der mittelalterlichen Völker Europas schon bei ihrer damaligen geistig-seelischen Verfassung überhaupt möglich zu werden vermochte18. Wer sich nicht entschliessen will, der Christianisierung als solcher einen prinzipiellen Wert abzusprechen, wird demnach Begleiterscheinungen der geschilderten Art mit in Kauf nehmen müssen: wohl in klarer Erkenntnis der Bekämpfungsaufgabe, die sie stellten und die auch die mittelalterliche Kirche in ihren Besten sehr wohl gesehen hat, dennoch aber bejaht als Schattenseiten, die dem zugehörigen Lichtschein untrennbar verbunden sind, wie es der Ambivalenz alles Irdischen entspricht. 16 Gregor d. Gr. hat diese Gefahr durchaus gesehen; er bemerkt über Juden, die durch erheblichen Steuernachlass zum Uebertritt bewegt werden könnten: „Nec hoc inutiliter facimus, si prolevandis pensionis oneribus eos ad Christi gratiam perducamus, quia, etsi ipsi minus fideliter veniunt, hi tamen qui de eis nati fuerint iam fidelius baptizantur. Aut ipsos ergo aut eorum filios lucramur“ (Reg. V, 7; s. oben Anm. 10). 17 S. unten S. 245–248 u. bes. 251–256. 18 Vgl. dazu besonders die aufschlussreiche Studie von W. Baetke, Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen, in WaG, XI, 1943, S. 143–166, = dess. Vom Geist und Erbe Thules (Göttingen 1944) 82–117 u. Buchausgabe, Darmstadt, 1959, bes. S. 39 ff. der Buchausgabe; auch schon Dens., Religion und Politik in der Germanenbekehrung, Leipzig, 1937. Ferner G. Mensching, Soziologie der Religion, Bonn, 1947, S. 220 f.
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beitrag ix 4. Zielrichtungen der Christianisierung
Die letzten Feststellungen betrafen rein das methodische Vorgehen. Zur Vervollständigung des gesuchten „Koordinatensystems“ ist jedoch noch eine weitere Differenzierung erforderlich: gleichfalls innerhalb der positiven Seite missionarischen Wirkens, nun aber hinsichtlich der zugrundeliegenden Intention. „Christianisierung“ kann nämlich, wie die Quellen zeigen, stärker als Ausbreitung christlichen Glaubens verstanden werden oder aber stärker als Ausbreitung christlichen Kultes, und sie kann stärker das Land als solches ins Auge fassen oder mehr die Menschen, die es bewohnen. Im Jahre 1114 stellte Bischof Hartbert von Brandenburg, Oberhirt eines durch den Wendenaufstand von 983 auf schmale Randgebiete zurückgeworfenen Missionssprengels, eine Urkunde aus, die in ausführlicher Narratio Kunde von seinem Wirken gibt. Sie bezeugt, der Bischof sei „für sein und aller Christen Seelenheil gegen den heidnischen Kult vorgegangen in der Hoffnung, das Christentum auszubreiten und gross zu machen“ (eine Formulierung, die gleichfalls in charakteristischer Weise das Bewusstsein der Zeit von der Zweiseitigkeit der Missionsaufgabe widerspiegelt), und zwar habe Hartbert mit seinem kleinen Gefolge „Götzenbilder zerstört“ und „Kirchen errichtet“19. Nirgends erscheint der Gedanke an das, was heute wohl bei aller christlichen Missionstätigkeit im Vordergrunde steht, nämlich an das Seelenheil der noch unbekehrten Heiden; nirgends auch nur eine Andeutung, es sei ihnen gepredigt worden. Da Hartbert offenkundig dazu neigt, seine Leistungen aufzubauschen, kann das nichts anderes heissen, als dass es damals zu diesem weiteren Schritt eben nicht gekommen ist. Der Bischof hatte demnach vordringlich im Sinn, ein „verdienstliches Werk“ zu vollbringen, das ihm selbst und den übrigen schon getauften Christen einmal zugute kommen sollte; es beschränkte sich auf Vernichtung des „widergöttlichen Kultes“, durch dessen Duldung im Lande Gott nach zeitgenössischer Auffassung immer neu herausgefordert werden musste, und auf die Schaffung von Stätten, an denen dem „wahren Gott“ der „wahre Kult“ nun auch in diesem Teil der Erde dargebracht werden konnte. Andere Zeugnisse legen die Gründe klar: die Wenden galten
19 Text am besten bei F. Winter, Die Prämonstratenser des 12. Jahrhunderts u. ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland, Berlin, 1865, S. 347 ff. Dazu und zum flg. ausführlich: Kahl, Beiträge . . . (s. oben Anm. 4), S. 107–124.
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infolge einer angeblichen „Verkehrtheit ihrer natürlichen Veranlagung“ weithin als bekehrungsunfähig20, und es konnte sogar als völlig legitime Massnahme zur „Ausbreitung des Christentums“ gelten, wenn solche „Ungläubigen“ aus ihren bisherigen Wohnsitzen ausgetrieben und durch Neusiedler ersetzt wurden, die „Anhänger des Christentums“ waren21. Wir präzisieren: die Ausbreitung des „Christentums“ vollzieht sich hier ohne Vermehrung seiner Bekennerzahl, durch einfache Errichtung von christlichen Kultstätten in einem Lande, in dem der „wahre Gottesdienst“ bisher nicht geübt worden war, und durch Verpflanzung von Altchristen in bisher heidnisches Gebiet, das damit allein als solches, ohne Rücksicht auf die Vorbewohner, dem neuen Glauben erschlossen wird; die „Christianisierung“ wird gewissermassen zu einem rein geographischen, nicht auch zu einem religionsstatistisch erfassbaren Vorgang, von einem geistigen ganz zu schweigen. Die Zahl der Fälle, in denen es dabei zu regelrechten Aussiedelungsmassnahmen kam, ist zwar nicht zu überschätzen, und eine vollgültige Beurteilung müsste sich sehr genau mit ihrem Rechtscharakter beschäftigen, der an dieser Stelle nicht dargelegt werden kann22. Entscheidend bleibt, dass eine solche
20 Vgl. Miracula S. Heinrici, c. 10 (verfasst ca. 1165; MGH, SS, IV, 815 b, 54 ff.); dazu Kahl, Beiträge . . ., S. 76–80. – Es ist seltsam, dass bereits der Angelsachse Bonifatius, während er an die „Berufung“ aller Germanenstämme glaubte, die Slawen für völlig bekehrungsunfähig hielt (vgl. F. Flaskamp, Die Missionsmethode des hl. Bonifatius, Münster/Westf., 1929, S. 32). Vgl. unten S. 250 m. Anm. 36. Für diesen Fall nachträglich als Mißverständnis erwiesen von W. H. Fritze, Slaven und Avaren im angelsächsischen Missionsprogramm I, Zschr. f. slav. Philologie 31 (1963), S. 316–338, vgl. Dens., Universalis gentium confessio, Frühmittelalterl. Studien 3 (1969), S. 78–130. Diese Richtigstellung ist jedoch nicht zu verallgemeinern. 21 Vgl. Urkundenbuch d. Erzstifts Magdeburg, bearb. von F. Israel u. W. Möllenberg, Bd. I, Magdeburg, 1937, Nr. 269. S. 338; dazu Beiträge . . ., S. 119 f. – In die Nähe dieser Erscheinung rückt das durch den Wendenfürsten Heinrich Burwy 1. von Mecklenburg und seine Söhne im Verein mit dem Zisterzienser Bischof Brunward von Schwerin (1191/95–1238) geübte Verfahren, durch planmässige Ansetzung deutscher Kolonisten im Lande dafür zu sorgen, „ut hec terra horroris et vaste solitudinis facilius inhabitaretur et rudi populo (den noch mehr oder weniger unbekehrten mecklenburgischen Wenden) per fidelium introitum fides persuadeatur“ (so Brunward in einer Urkunde von 1219, Meklenburgisches Urkundenbuch, I, Schwerin, 1863, Nr. 255, S. 241, beachte die Verbindung von bevölkerungspolitisch-fiskalischem und missionarischem Interesse; ergänzend ebd. Nr. 256, S. 242, u. 319, S. 311). Auch dabei kam es gelegentlich zur Vertreibung altangesessener Wenden (vgl. ebd. Nr. 158, S. 155), wenn auch die Mehrzahl der neuen Siedler offenbar auf neukultiviertem Boden (bes. Rodungsland) angesetzt wurden. Beachte flg. Anm. 22 Die bezeugten Fälle beziehen sich ausnahmlos auf grundherrschaftliche Untertanen und Hintersassen, nicht auf Grundbesitzer zu freiem Eigen. Es handelt sich im allgemeinen auch nicht um eine totale Ausweisung aus dem Lande, die unter mittelalterlichen Verhältnissen schwer genug durchführbar war, sondern um Umsiedlungsverfahren, die
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Verfahrensweise, die mit „Mission“ in unserem Sinne selbstverständlich gar nichts mehr gemein hat, überhaupt möglich war. (Man mag sie als „kolonisatorische Ausbreitung des Christentums“ der „missionarischen“ gegenüberstellen.) Es ist wichtig, zu sehen, dass eine derartig missionsfremde Haltung nicht nur in Gebieten erscheint, die wie der Sprengel Hartberts kaum mehr als ein völliges missionarisches Neuland waren23: sie findet sich auch z.B. in einer Gegend, die zum fraglichen Zeitpunkt seit etwa anderthalb Jahrhunderten als christianisiert galt. Die südwestnorwegische Gulathingsbók (ca. 1164/80) erörtert umständlich den Fall, was zu geschehen habe, „wenn ein Heidenmensch in unser Land kommt“. Man soll ihm dann Unterkunft und Verpflegung gewähren, wenn er erklärt, er komme, um sich taufen zu lassen (im gegenteiligen Falle also nicht!); führt er diesen Vorsatz nicht aus, obwohl Gelegenheit dazu gewesen wäre, so ist er vor das Dinggericht zu stellen und friedlos des Landes zu verweisen, wenn er auch vor dieser Instanz noch auf seiner Weigerung beharrt24. Hier steht gleichfalls die Vorstellung eines „christlichen Landes“ im Vordergrund, und zwar so, dass der Heide als solcher in diesem Lande nichts zu suchen hat; dass die Bekehrung eines solchen Menschen unmöglich wird, wenn man ihm keine intensivere und ausgedehntere Berührung mit der christlichen Welt gestattet, wird nicht ins Auge gefasst, jedenfalls nicht so nachdrücklich, dass es Einfluss auf die gesetzliche Normierung zu gewinnen vermöchte. Beiläufig beachten wir die ausschlaggebende Bedeutung, die der Formalie des Taufvollzuges beigemessen wird. (Wie mögen die Gesetzgeber sich das Wecken des Wunsches zum Uebertritt bei Menschen vorgestellt haben, die zu diesem Zweck erst eine, womöglich lange, Reise ins „Christenland“ antreten mussten, und das heisst: die in ihrer Heimat offensichtlich nicht mit Taufberechtigten, in erster Linie also mit geweihten Priestern, zusammentreffen konnten, unter denen eine kirchliche Mission also gar nicht betrieben wurde?). Nicht minder wichtig für die Urteilsbildung ist nun freilich die Feststellung, dass die damit umschriebene Einstellung selbst unter
wesentlich mitbedingt waren durch die im Zuge deutscher Ostkolonisation auf das wendische Altsiedelland übergreifende „Bodenreform“ oder „Flurbereinigung“ (Verhufung bezw. Umlegung zu deutschem Recht). Einzelfragen sind auch hier noch offen. 23 Die missionarischen Ansätze der Ottonenzeit waren in diesen ostmittelelbischen Gebieten 983 zunichte gemacht und seitdem nicht nennenswert erneuert worden. 24 Vgl. WaG, XVII, 1957, S. 27 f.
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den Zeitgenossen Hartberts und der Gulathingsbók alles andere als alleinherrschend war. Als Gegenbeispiele liessen sich Fälle aus dem nordelbischen Sachsen (dem heutigen Ostholstein) oder aus der Mark Brandenburg anführen, wo unter der Herrschaft christlicher Fürsten, sei es deutscher, sei es wendischer Abkunft, selbst heidnische Kultstätten unversehrt erhalten blieben, bis nach dem seltsamen Wendenkreuzzug des hl. Bernhard von Clairvaux neue Verhältnisse vordrangen25. Im dänischen und im schwedischen Missionszeitalter scheinen „Heidenmenschen“ unter christlicher Obrigkeit ganz offiziell im Lande geduldet worden zu sein, freilich gegenüber christlichen Volksgenossen in geminderter Rechtsstellung, die zweifellos zum Uebertritt anreizen sollte26. Aehnliches findet sich wieder in den deutschen Wendenmarken des Hochmittelalters: 1156 führte der Wagrierfürst Pribislaw vor dem zuständigen Diözesanbischof, Gerold von Oldenburg i. H. (später Lübeck) Klage über die schweren Abgaben- und Dienstlasten, die deutsche Herren seinem Volk auferlegten – wie man annehmen darf, im Gefolge jener Weisungen Gregors des Grossen, die oben kurz gestreift wurden27. Die Antwort ist geradezu den Schlüsselstellen mittelalterlichen Missions- und Völkerrechts zuzuzählen: „Dass unsere Fürsten bisher Missbrauch mit eurem Volke getrieben haben“ – als Missbrauch wurde dieses Verfahren also durchaus empfunden! –, „ist kein Wunder; sie glauben nämlich, sich nicht gross zu versündigen an Götzendienern und Gottlosen“; die Wenden sollten sich nur endlich bekehren, dann würde auch ihre Rechtslage ebenso erträglich werden wie die der übrigen Christen28. Tatsächlich lässt sich immer wieder zeigen, dass getaufte
25
Vgl. unten Beitrag XV, bei Anm. 47 ff.; Beiträge zur brand. Gesch., bes. S. 328–346. Vgl. WaG, XVII, 1957, S. 31–40, 42, 44 ff. 27 S. S. 240 f. m. Anm. 10. Die Darlegungen Pribislaws (Helmold, Chronica Slavorum, I, 84; ed. B. Schmeidler, Hannover, 1937, S. 161 f.) sind bezeichnend auch für die seit Gregor eingetretene grundsätzliche Aenderung der Voraussetzungen infolge Einführung der Zehntpflicht für Christen: seitdem war der ökonomische Anreiz zum Uebertritt ungleich schwerer zu geben, und ein überhöhter Steuerdruck gegen Heiden konnte, mit der „Zehntdrohung“ für den Fall des Uebertritts vereint, doppelt hemmend wirken. 28 Helmold, I, 84 (S. 161, 29 ff.): „Quod principes nostri hactenus abusi sunt gente vestra, non est mirandum; non enim multum se delinquere arbitrantur in ydolatris et in his qui sunt sine Deo. Quin pocius recurrite ad ritum (!) Christianitatis et subicite vos creatori vestro, sub quo curvantur qui portant orbem (vgl. Iob 9, 13). Nonne Saxones et ceterae gentes, quae Christianum nomen habent, degunt cum tranquillitate, contenti legitimis suis? Vos vero soli, sicut ab omnium discrepatis cultura, sic omnium patetis direptioni“. Der Quellenautor war bei diesem Disput persönlich zugegen, was den Zeugniswert dieser Stelle besonders unterstreicht. – Eine ähnliche Alternative bietet die Prüfeninger Vita des Bischofs Otto von Bamberg II, 10 (ed. H. Hofmeister, Greifswald, 26
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Wenden den Deutschen entsprechender sozialer Schicht rechtlich offenbar gleichgestellt wurden, wie denn Markgraf Albrecht der Bär, als ihm 1150 die Havelfeste Brandenburg zufiel, aus ihrem engeren Umkreis die Bekehrungsunwilligen verbannte, christliche Slawen aber gemeinsam mit deutschen Mannen zur Burgbesatzung hinzuzog29. In diesen und ähnlichen Zügen offenbart sich sehr merkwürdig die Durchbrechung eines Prinzips, das wir geneigt sind, für besonders typisch mittelalterlich zu halten, nämlich jenes Denkens in kollektiven Einheiten30, das an sich zweifellos eine entscheidende Rolle gespielt hat31. Man muss die Beispiele wahrhaft opferbereiter und selbstloser Verkündigungsarbeit hinzunehmen, die sich zwar weniger aus Skandinavien beibringen lassen, wo die Quellenlage ungleich trüber aussieht, wohl aber aus den gleichen deutschen Wendenmarken: etwa den Benediktiner Boso (später, 968–70, erster Bischof von Merseburg) im zehnten, den Augustinerchorherrn Wizelin (Vicelin; später, 1149–54, Bischof von Oldenburg i. H.) und den Zisterzienser Berno (später, 1160–91, erster Bischof von Schwerin)32, Für eine Missionspredigt Wizelins erhalten wir den ausdrücklichen Hinweis, dass „nur wenige Wenden (pauci Slavorum) sich dem Glauben zuwandten“33. Das erinnert unmittelbar an den Eigenbericht des anderthalb Jahrhunderte älteren Bischofs Dietmar (Thietmar) von Merseburg (1009–18), er habe bei einer Visitationsreise in den südlichen Teil seines Sprengels „nur wenige“ (pauci) Firmlinge vorgefunden, obwohl er doch nicht weniger als neun Jahre seit seinem Amtsantritt hatte verstreichen
1924, S. 54), dort durch eine Gesandtschaft des Polenherzogs Boleslaw III. gegenüber den Pomoranen geltend gemacht. 29 Heinrici de Antwerpe Tractatus de urbe Brandenburg, § 7 (ed. G. Sello, 22. Jahresbericht d. Altmärk. Vereins f. vaterl. Geschichte, Magdeburg, 1888, S. 10): „marchio Adelbertus libera rerum suarum disponendarum facultate potitus, paganorum scelere latrocinii notatos et immundicie idolatrie infectos urbe expulit ac bellicosis viris Teutonicis et Sclavis, quibus plurimum confidebat, custodiendam commisit (sc. urbem Brandenburg)“. Zur Interpretation: Beiträge z. Brandenburg. Gesch., S. 339–342; zum Gesamtproblem ebd., S. 441–445. 30 Vgl. H. Beumann in seiner Sammelbesprechung eines Teils der oben Anm. 4 genannten Aufsätze, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch., Kanonist. Abt. XLIV, Weimar, 1958, S. 426. 31 Es sei nur an den charakteristischsten Fall erinnert, nämlich die Christianisierung Islands im Jahre 1000 (WaG, XVII, 1957, S. 33 f.). 32 Boso: unten Beitr. XIV, bei Anm. 41 f.; W. Schlesinger, Kirchengesch. Sachsens im Mittelalter I, Köln-Graz 1962, bes. S. 24–26. Wizelin: H. v. Schubert, Kirchengesch. Schleswig-Holsteins I, Kiel, 1907, S. 130–156 (u.ö.), passim; Berno: K. Schmaltz, Kirchengesch. Mecklenburgs I, Schwerin, 1935, bes. S. 63–65 (vgl. unten Anm. 97). 33 Helmold I, 69 (S. 134, 22), wo allerdings (beachte: für ein Apostatengebiet!) mangelnde Hilfestellung durch den weltlichen Arm begründend hervorgehoben wird.
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lassen, bis er diese Gegenden aufsuchte34. Als besonders bemerkenswert fügt sich weiter die Aufzeichnung eines französischen Zisterziensers an, entstanden um 1178, die beiläufig von der Tätigkeit seiner Ordensbrüder in neugegründeten Klöstern des Wendenlandes berichtet – man wird an Doberan oder Dargun im Sprengel des eben genannten Berno zu denken haben –. Ihr entnehmen wir, dass eine Gruppe von Mönchen eines Tages in eine nahegelegene Ortschaft zog, „um dort eine Menge Heiden zu taufen, die sich gerade bekehrt hatten und nach der Gnade der Wiedergeburt verlangten“ (also nach dem Taufsakrament), „eine grosse Schar beiderlei Geschlechts“; und zwar traten die frommen Brüder ihren Weg, wie es heisst, „auf Einladung einiger Christen“ an (a quibusdam fidelibus invitati) – nicht also von sich aus, auf Grund unmittelbarer, persönlicher Kenntnis vom Stande der Dinge –, „zum festgesetzten Termin“ (statuta die). Man wird nicht umhin können, diese Nachricht mit B. Guttmann so zu interpretieren, dass die Missionare aus dieser Dorfgemeinschaft zunächst einige wenige persönlich angesprochen hatten, um sie „auf ihre Seite zu bringen“; diese wenigen müssen dann ihrerseits weitergewirkt und den Boden bereitet haben, bis die Zeit reif war, die Mönche zu unmittelbarem Auftreten vor der Gesamtheit „einzuladen“ (wir beachten dabei nicht nur die bezeichnende Stellung des Taufaktes am Beginn dieses Auftretens, sondern vor allem auch die überaus merkwürdige „Laienmission“ dieser Mittelsmänner, von deren „theologischer“ Bildung und deren „Missionspraxis“ wir leider gar nichts erfahren)34a. Andeutungen dieser Art bestätigen den Eindruck, den die zuvor dargelegten rechtsgeschichtlichen Tatbestände wecken: mag auch jede mittelalterliche Missionstätigkeit auf möglichst schnelle „Einkirchung“ geschlossener Räume hingedrängt haben, so hat es doch offensichtlich auch damals Verfahrensweisen gegeben, die – mit welchen Mitteln immer – stärker auf die Werbung des Einzelnen zielten; um die Formulierung von vorhin aufzugreifen: stärker auf Christianisierung der Menschen gerichtet als auf diejenige des Landes, so unzweifelhaft auch diese von Anbeginn erstrebt wurde. Es scheint, dass von den beiden Prinzipien, die damit gekennzeichnet sind, das eine stärker vom Alten Testament her, das zweite stärker aus
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Vgl. ZfO, II, 1953, S. 10. Herberti Liber de miraculis III, 36 (MGH, SS, XXVI, 142, 40 ff.); dazu B. Guttmann, Die Germanisierung der Slawen in der Mark (in: Forschungen zur BrandenburgischPreussischen Geschichte IX, 1897), S. 442. 34a
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neutestamentlich-kanonistischen Quellen gespeist wird35. Neben diesen beiden aber ist offenbar noch mit recht andersartigen Strömungen zu rechnen, die auf mittelalterliche Anschauungen zur Lösung der „Heidenfrage“ eingewirkt haben dürften. Wenn wir in den deutschen Wendenmarken des Hochmittelalters Anzeichen für ein Minderrecht Ungetaufter fanden, die zum Vergleich mit ostskandinavischen Verhältnissen einladen, so ist solche Benachteiligung auf diesem südlicheren Schauplatz doch schwerlich in gleich konsequenter Weise als bewusster Anreiz zum Uebertritt eingesetzt worden, wie es, soweit überhaupt noch ein Bild zu gewinnen ist, dort der Fall gewesen scheint. Vielmehr gibt es Anzeichen, dass sich in Deutschland mancherorts ein regelrechter Widerstand gegen jede Christianisierung der Wenden erhob, merkwürdigerweise nicht zuletzt in klösterlichen Kreisen36. Die Gründe, die man sich nicht zu gleichförmig vorstellen darf, harren ebenso wie das Ausmass dieser Erscheinung noch genauerer Erforschung; dass man die Konsequenz der rechtlichen Gleichstellung scheute, um die „Kolonialbevölkerung“ desto besser niederhalten und ausbeuten zu können, wird dabei nicht an letzter Stelle zu nennen sein. (Insofern scheint hier an der Gegenüberstellung zwischen ostskandinavischem und wendischem Missionsgebiet zugleich ein Unterschied sichtbar zu werden zwischen der Bekehrungsarbeit am eigenen Volk und der an unterworfenen Fremden). Ob man freilich alles auf diese Formel bringen darf, ist zweifelhaft: wahrscheinlicher haben hier auch Mischformen eingewirkt, die im Vollzug der Christianisierung deutscher Stämme zwischen alter und neuer Religiosität zustandegekommen sind, Formen, in denen das Christentum nicht als universale Botschaft erfasst worden war, sondern in den Kategorien vorchristlich-„volksreligiösen“ Denkens37 als „unsere“ (nunmehrige), nicht ohne weiteres übertragbare Religion38. Wo Christus mehr in volksreligiöser Weise als „unser Gott“ empfunden wird denn als „Gott aller Menschen“, da fehlt notwendig das rechte innere Organ für die Aufnahme seines Missionsbefehls. Gerade an dieser Stelle liegen freilich noch besonders viele ungelöste
35
WaG, XVII, 1957, S. 42. ZfO, II, 1953, S. 8 f.; ergänzend IV, 1955, S. 398. Für Mönchskreise ist verhältnismässig am deutlichsten der Fall Widukinds von Corvey; seine offenbare Ablehnung der Wendenmission, gepaart mit ebenso offenkundiger Bejahung einer Christianisierung der Dänen, erinnert auffällig an Bonifatius (vgl. oben Anm. 20). 37 Begriff nach Mensching (wie Anm. 18). 38 Zu dieser noch weithin ungeklärten Frage: Beiträge zur Brand. Gesch., S. 438–440; ergänzend ebd., Register s. v. „Synkretismus“. 36
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Forschungsaufgaben, auf die wir uns im vorliegenden Zusammenhang keinesfalls näher einlassen dürfen. 5. Ausserkirchlicher und innerkirchlicher Kampf gegen das Heidentum Noch nach anderer Richtung bedarf unser „Koordinatensystem“ der Ergänzung. Mission ist, christlich verstanden39, Auseinandersetzung zwischen „Christen“ und „Nichtchristen“ auf dem Boden des christlichen Absolutheitsanspruches. Dabei genügt es jedoch keinesfalls, festzustellen, dass es sich bei diesen „Missionsobjekten“ eben um Menschen handelt, die heidnischen oder auch jüdischen Glaubensvorstellungen und Kultformen hingegeben sind. Für das kanonische Recht, dem der Historiker dabei zu folgen hat, kommt es entscheidend auf anderes an. Handelt es sich im konkreten Einzelfall um „Ungläubige“ eines missionarischen Neulandes, die noch niemals von christlicher Verkündigung berührt worden sind? War ihnen das Evangelium bereits erfolglos gepredigt worden, womöglich unter gewaltsamer Abweisung, die vielleicht gar zu Martyrien führte? Stehen auf der anderen Seite am Ende sogar Menschen, die als schon Getaufte, „Glieder des Leibes Christi“, zum „Unglauben“ ihrer Väter zurückgefallen sind? Mag der subjektive Glaubenszustand, mag der Kultbrauch in all diesen drei Fällen auch noch so gleichförmig scheinen: für kanonistisches Denken bleibt solche Feststellung bei Aeusserlichkeiten stehen. So können je nachdem die verschiedensten Mittel und Methoden sowohl theoretisch gefordert als auch tatsächlich praktiziert werden, ohne dass dies jedoch immer und überall vorausgesetzt werden dürfte: vielleicht kommt es über solchen Fragen auch einmal zu ernsten innerchristlichen Kontroversen, weil rigoristische Forderungen des einen Teils von anderen abgewiesen werden, und zwar keineswegs immer einfach aus Gleichgültigkeit (die selbstverständlich im Einzelfall auch mitsprechen kann), sondern durchaus auch auf Grund abweichender christlicher Ueberzeugung40. 39 Eine umfassende Missionsphänomenologie hätte selbstverständlich auch die ausserchristlichen Missionsreligionen wie Islam und Zoroastrismus einzubeziehen. Besonders zwischen Islam und hochmittelalterlichem Katholizismus würden sich bei näherem Zusehen neben tiefgreifenden Unterschieden auch bemerkenswerte Gemeinsamkeiten ergeben, vgl. unten Beitr. XIV, bei Anm. 30–37. 40 Unten Beitr. XXV, bes. 1 Abschn. 4; ergänzend Beiträge z. Brand. Gesch., S. 225–233.
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Besonders der Einschnitt, den die Taufe bezeichnet, ist dabei von ausschlaggebender Bedeutung. Augustinus hatte noch eine eindringliche Unterweisung des Taufbewerbers als Voraussetzung wirklich überzeugten Uebertritts gefordert; auf dem Wege von ihm zum Mittelalter war jedoch die altkirchliche Einrichtung des Katechumenats mehr und mehr verkümmert41. Hand in Hand damit geht eine merkliche Reduktion des unbedingt vor der Taufe noch mitzuteilenden Lehrbestandes. Schon Gregor der Grosse vertritt die höchst bemerkenswerte Auffassung, die Kirche wechsele „je nach der geistigen Verfassung ihrer Zuhörer“ den Inhalt der Predigt, verkündige den „Ungläubigen“ den dreieinigen Gott, den „Gläubigen“ die vier Kardinaltugenden42. Nach „aussen“ steht also Glaubenslehre im Vordergrund, Sittenlehre oder überhaupt Anleitung zu christlichem Verhalten gewinnt Bedeutung erst für die „innere Verkündigung“: eine geradezu erstaunliche Beschneidung des missionarischen Verkündigungsgutes, lässt sie doch den Uebertretenden über wesentliche Konsequenzen seines Schrittes im Unklaren und macht den Weg frei für ein bitteres nachträgliches: „Hätte ich das vorher gewusst . . .“. Die Einschränkung der freien Entscheidung zum Uebertritt, die das gleichzeitig aufkommende Ja der Kirche zu indirekten Zwangsmitteln bereits andeutete43, rückt erst von hier aus in den entscheidenden inneren Zusammenhang ein. Die nachgregorianische Heidenpredigt hat sich dem angepasst und wohl noch weitere Reduktionen vorgenommen, wie ja auch die Theologie mehr und mehr zur Unterscheidung „impliciten“ und „expliciten“ Glaubens kam und bereits den impliciten für ausreichend ansah, d.h. eine einfache gehorsame Anerkennung dessen, was nur immer die Kirche lehre, ohne genauere Kenntnis dieses Lehrbestandes44. Die so stark von Gregor her geprägten frühmittelalterlichen Angelsachsen45,
41 Vgl. L. Kilger, Zur Entwicklung der Katechumenatspraxis vom 5.–18. Jahrhundert, ZMW, XV, 1925, wo S. 173 allerdings unzutreffend verallgemeinernde Folgerungen für die Zeit nach 800 gezogen werden; E. Varrentrapp, Ueber den Zusammenhang von Taufe u. kirchlicher Unterweisung in der christl. Frühzeit Deutschlands (Diss. theol./masch. Marburg/Lahn, 1946). 42 Greg. Magn., Mor. XXIX, 31, 72 (PL, LXXVI, 517). 43 Oben S. 240–242. 44 Vgl. z.B. Ohm (wie Anm. 14), S. 312 ff. 45 Vgl. H. Lau, Die angelsächsische Missionsweise im Zeitalter des Bonifaz (Diss. theol. Kiel, 1909); W. Konen, Die Heidenpredigt in der Germanenbekehrung (Diss. phil. Bonn, Teildruck, 1910); Flaskamp (wie oben Anm. 20).
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aber auch etwa ein Otto von Bamberg46 beschränkten sich weitgehend auf die Verkündigung der Allmacht Gottes, die Gehorsam verlange, und drängten dabei in erster Linie auf die Taufe hin als die entscheidende Gehorsamskundgebung, den eigentlichen Unterwerfungsakt, den diese Allmacht bei Strafe ihrer Ungnade fordere; alles andere blieb einer innerkirchlichen „Nacharbeit“ überlassen, durchzuführen mit den Mitteln des Visitations- und Sendgerichtswesens, der privaten Beichte und dergleichen mehr47, – überlassen nicht zuletzt in starkem Vertrauen auf die unmittelbare Gnadenwirkung der Sakramente, zu denen der gültige Taufempfang (und nur er) ja den Zugang eröffnete: an keiner Stelle tritt der stets wichtige Zusammenhang zwischen Missionspraxis und Gnadenlehre48 dermassen handgreiflich zutage, nicht zuletzt auch als Warnung vor einer allzu verständnislosen Urteilsbildung allein nach äusseren Symptomen. So wurde der formale Taufakt als solcher mehr und mehr zur entscheidenden Ziel- und Grenzmarke missionarischer Arbeit, und diese Marke erhob sich an für modernes Empfinden erstaunlich früher Stelle: er, so schien es den Zeitgenossen, war das, was in erster Linie „den Christen macht“, – selbst der widerwillig ihm Ausgesetzte galt von diesem Augenblick an als „Christ“49. Entscheidend beteiligt an dieser Entwicklung war zweifellos die schon früh greifbare, wenn auch erst allmählich fixierte und präzisierte Kirchenlehre, dass der Taufakt dem Menschen einen unverlierbaren „Charakter“ einpräge, der den
46 Vgl. W. Kümmel, Die Missionsmethode des Bischofs Otto v. Bamberg u. seiner Vorläufer in Pommern, Gütersloh, 1926, wo das Material für den Inhalt der Predigt vor und nach vollzogener Taufe besonders eindrucksvoll zum Sprechen kommt. – Vgl. etwa auch F. Blanke, Die Missionsmethode des Bischofs Christian von Preussen (Altpreuss. Forsch. IV/2, 1927; demnächst neu bei B), bes. S. 29. – Eine besonders bezeichnende Quellenstelle aus zeitlich und räumlich weit entferntem Missionsgebiet möge das Bild abrunden: Dudo von St. Quentin, De moribus et actis primorum Normanniae ducum III (PL, CXLI, 745 B) lässt Herzog Richard I. (942–996) zu heidnischen Verbündeten aus Dänemark sprechen: „Si veile est vobis inhaerere nostris consiliis, ego faciam vos primitus baptizari . . ., ampliorique deinde integerrimae fidei praedicatione ab episcopis erudiri“. 47 Vgl. A. M. Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland, I, München, 1907; Dens., Quellen zur Geschichte der Sendgerichte in Deutschland, ebenda, 1910 (meist jüngere Materialien); auch R. W. Dove, Beiträge zur Geschichte des deutschen Kirchenrechts, in Zeitschr. ƒ. Kirchenrecht, IV, Berlin, 1864, S. 1–45, und V, 1865, S. 1–42; einige Ergänzungen bei Varrentrapp (wie oben Anm. 41), bes. S. 37: weitere Literatur bei H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 13, Weimar, 1955, bes. S. 197. 48 S. oben S. 235 f. 49 Vgl. unten Beitr. XXI, bei Anm. 36–58.
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„Gläubigen“ vom „Ungläubigen“, den „Christen“ vom „Heiden“ oder „Juden“ in statu et habitu unterscheide50. Wiederum Augustinus war wohl der erste, der den gültigen Taufvollzug zugleich als Unterstellung unter die seelsorgerliche Verantwortung und damit unter die Disziplinargewalt der „heiligen Mutter Kirche“ fasste, und er hat daraus auch alsbald praktische Konsequenzen gezogen: um die Einhaltung des Taufgelübdes zu erzwingen, sei die Kirche, die gegen Ungetaufte nur friedlich zu predigen habe, berechtigt, notfalls den Staat zum Einschreiten aufzurufen, und zwar nicht nur, wie bei der Heidenmission, im Negativen, sondern durchaus auch im Positiven, dass er den „Irrenden“ zwinge, seine „falschen“ Glaubensvorstellungen und Lebensnormen aufzugeben, darüber hinaus aber zu denen der „wahren Kirche“ zurückzukehren51. Das galt zunächst für „irrgläubige Christen“, d.h. für „Ketzer“ und „Schismatiker“, angefangen vom gewaltsamen Vorgehen gegen Einzelne (zunächst noch unter Ausschluss der Todesstrafe, doch z.B. unter Einsatz von Haft und Prügel52) bis hin zur kriegerischen Exekution gegen geschlossene Gruppen wie die Donatisten, so dass wir hier die theologisch und kanonistisch entscheidende Wurzel späterer Ketzerkreuzzüge zu erblicken haben. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Rückfall Getaufter zum Heiden- oder Judentum im Gesichtskreis des Kirchenvaters neben Normabweichungen auf christlicher Basis keine entscheidende Rolle spielte. Unzweifelhaft war es nur konsequent, die grundsätzliche Abkehr Getaufter vom Christentum überhaupt (statt nur vom „wahren Christentum“) im gleichen Sinne zu beurteilen. Gregor der Grosse, der bei aller Förderung „indirekten Zwanges“ (in relativ noch massigem Umfang) dem direkten Glaubenszwang
50
Vgl. ZfO, IV, 1955, S. 179 f. Vgl. O. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustinus, Freiburg i. Br., 1910, S. 112–135, bes. 126–129 u. 133–135, dazu ebd., S. 212 f. u. 266. sowie 9–17; E. Fascher, Lukas 14, 23. Ein Beitrag zur Frage der Toleranz, in Die evangelische Diaspora, XXVII, 1956, S. 1–11; C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart, 1935 (= Darmstadt, 1955), S. 7 f.; Höffner (wie Anm. 14), S. 38 ff.; ZfO, IV, 1955, S. 178 f. 52 A. Hauck (wie Anm. 9), I, S. 35 f. verweist dazu auch auf Kaisergesetze wie Cod. Theodos., XVI, 5, 32 u. 54, von 412 bzw. 414, die den Grundherrn im Hinblick auf donatistische Untergebene anwiesen: „Colonos verberum crebrior ictus a prava religione revocabit“. Wenn Hauck folgert: „Man war gegen die Heiden schwerlich nachsichtiger“ (S. 35, Anm. 5), so bleibt freilich genauer zu prüfen, ob das nur für apostatisches oder auch für echt ausserkirchliches Heidentum galt, nicht zuletzt: ob nur für die Praxis oder auch für die offizielle kirchliche Theorie. – Vgl. unten Anm. 54. 51
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in der Heidenmission ablehnend gegenüberstand53, hat auch diesen Schritt bewusst vollzogen54, und ganz entsprechend finden wir beim IV. Konzil von Toledo (633) einerseits eine scharfe Verurteilung aller Zwangstaufen, andererseits aber die Bestimmung: sei jemand „zum Christentum gezwungen“ worden (ad christianitatem coacti . . . etiam . . . vi vel necessitate), so müsse er um der Heiligkeit des Glaubens und der Sakramente willen „gezwungen werden“ (cogantur), daran festzuhalten ( fidem tenere), sonst wäre es Blasphemie55. Bei diesen Disziplinarmassnahmen bürgerten sich je länger, je mehr rauhe Sitten ein. Von den früh auftretenden Haft- und Prügelstrafen für hartnäckige Pönitenzverweigerer war bereits die Rede. Eine Extravagante zum Sendhandbuch Burkhards von Worms, die in die Zeit um 918 zurückzureichen scheint, bedroht die gemischte Bevölkerung der damaligen Würzburger Diözese für ein Festhalten an Kultbräuchen germanischen oder slawischen Heidentums – wir beachten die Gleichstellung – ebenso wie für Frevel gegen das Fasten- und Sonntagsgebot mit Strafen von der Pfändung eines Rindes bis zu vollständiger Vermögenseinziehung und Landesverweisung56; das entspricht erstaunlich genau den
53 Ausdrückliche Ablehnung der Zwangstaufe aus seelsorgerischer Verantwortung z.B. Reg. Epp., I, 45 (JL, 1115, a. 591; MGH, EE, I, S. 72, 5 ff.); ergänzend Kahl bei Fascher, S. 13, Anm. 15. 54 Greg. Magn., Reg. Epp., IX, 204 (JL, 1731, a. 599; MGH, EE, II, 192, 20 ff.): „Contra idolorum namque cultores vel aruspicum atque sortilogorum fraternitatem vestram vehementius pastorali hortamur invigilare custodia atque publice in populo contra huius rei viros sermonem facere eosque a tanti labe sacrilegii . . . adhortatione suasoria revocare. Quos tamen emendare se a talibus atque corrigere nolle reppereris, ferventi comprehendere zelo te volumus et, siquidem servi sunt, verberibus cruciatibusque, quibus ad emendationem pervenire valeant, castigare. Si vero sunt liberi, inclausione digni districtaque sunt in paenitentia dirigendi, ut, qui salubra et a mortis periculo revocantia audire verba contemnunt, cruciatus saltem eos corporis ad desideratam mentis valeat reducere sanitatem“. Die Stelle ist von der Literatur, soviel ich sehe, bisher einmütig als Anweisung für das Vorgehen gegen ausserkirchliches Heidentum aufgefasst worden. Gregor pflegt jedoch in sehr konsequenter Weise vocare und revocare, adducere und reducere zu unterscheiden; ebenso weisen Begriffe wie corrigere und paenitentia auf innerkirchliche Busspraxis. Der aus dem scheinbaren Widerspruch dieser Stelle zu anderen Aeusserungen Gregors erhobene Vorwurf einer Inkonsequenz, die zwischen Gewaltverbot und Gewaltforderung in der Mission ziellos hin und herschwanke, ist mithin gegenstandslos. Die zitierte Stelle findet sich auch bei Burch. Worm., Decr. X, 2–3 (PL, CXL, 833). – Weitere Belege (auch für bewaffnete Exekutionen gegen Apostaten, Häretiker und Schismatiker) – freilich in unkritischer Weise mit Kriegen anderer Kategorien vermengt – bei F. H. Dudden, Gregory the Great, London, 1905, II, S. 238 f. und 413. 55 Concil. Tolet. IV, c. 57 (Mansi, X, 633); dazu K. Voigt (wie Anm. 9), S. 150; ferner unten Beitr. XV, bei Anm. 264–265, vgl. auch Beitr. XXI, bei Anm. 26. 56 Text jetzt unten Beitr. XIII, S. 458–464a (mit Verdeutschung); dazu ebd., S. 431–456 m. Lit.
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altnorwegischen „Christenrechten“ des elften und zwölften Jahrhunderts57, in denen dieser Text geradezu seine nächsten Verwandten zu finden scheint. Im deutschen Sendgerichtswesen des Mittelalters war das Skalpieren als Strafe für geistliche Delikte keineswegs unerhört58; aus dem ersten Jahrhundert der Kirche Polens verlautet, dass dort Fastenbrechern die Zähne ausgeschlagen und dass Keuschheitssünder in grauenhaftester Weise zur Selbstverstümmelung gezwungen werden konnten59. Bei den Entscheidungskämpfen des Deutschen Ritterordens in (Ost-) Preussen kam es in einer Zeit, in der auch für Häretiker der Feuertod etwas Selbstverständliches geworden war, zur Verbrennung „rückfälliger“ Anhänger des alten Glaubens60. Aber dies alles sind Dinge, die sich ausserhalb des Bereichs der Missionsgeschichte im strengen Sinne abspielten, Massnahmen des Sonderfalls „Rechristianisierung“ oder auch „Rekatholisierung“ innerhalb der Handhabung allgemeiner innerkirchlicher Disziplinargewalt61, für die „apostatische Heiden“ mit „Todsündern“ anderer Art dermassen zu einem einzigen, unteilbaren Gesamtkomplex zusammenflossen, dass sie geradezu gemeinsam mit ihnen unter einheitlichem Rechtsausdruck zusammengefasst werden konnten62. (Selbstverständlich setzt die Durchführbarkeit solcher Massnahmen voraus, dass die kirchliche Organisation eines Gebiets es zu einer gewissen Dichte und Schlagkraft gebracht hat. In den deutschen Wendenmarken des früheren Hochmittelalters ist nicht nur eine derart 57 Vgl. R. Meissner, Die norwegische Volkskirche nach den vier alten Christenrechten, in Deutschrechtliches Archiv, II, Weimar, 1941, S. 11 f. u. 31 ff. 58 Vgl. Koeniger, Sendgerichte, I, S. 183; weitere Sendstrafen ebd. S. 170 ff., vgl. auch Dove, in Zeitschr. f. Kirchenrecht, IV, 1864, bes. S. 42. 59 Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon, VIII, 2 (ed. R. Holtzmann, Berlin, 1935, S. 494). Die Stelle ist von der Literatur bisher gleichfalls als Zeugnis gewaltsamer „Heidenbekehrung“ gedeutet worden (so auch noch unten, Beitr. XIV, bei Anm. 19). Der Quellenautor bemerkt jedoch zu den geschilderten „consuetudines . . . quamvis dirae, tamen . . . interdum laudabiles“ ausdrücklich: „Lex namque divina in hiis regionibus noviter exorta potestate tali melius quam ieiunio ab episcopis instituto corroboratur“ (mit unmissverständlicher Anspielung auf altherkömmliches Pönitenzverfahren). Deutlicher kann der Bereich der „Neophytenseelsorge“ (im Gegensatz zur Heidenmission in missionarischem Neuland) kaum gekennzeichnet werden. 60 Vgl. H. Patze, Der Frieden von Christburg, im Jahrbuch für die Geschichte Mittelund Ostdeutschlands, VII, 1958, S. 68 m. Anm. 116. 61 Vgl. dazu J. Schmidlin, Katholische Missionslehre im Grundriss, Münster/ Westf. 1919, S. 39–55; auch ZfO, IV, 1955, S. 180 u. 380 f. 62 Vgl. unten, Beitr. XV, bei Anm. 298–302 sowie bei Anm. 115 und bei Anm. 257–259. Andererseits war jedoch auch die begriffliche Zusammenfassung innerkirchlichen (apostatischen) und ausserkirchlichen Heidentums unter dem Begriff der pagani möglich, eine Unschärfe dieses Quellenausdrucks, die zu manchen Missverständnissen älterer Forschung Anlass gab, vgl. ebenda, S. 504 u. bes. 506–508 sowie 512 f.
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radikale, sondern wohl so gut wie jegliche „Nacharbeit“ der Kirche unter ihren Neophyten weithin unterblieben, weil es gar zu wenig Pfarrpriester gab, die sich in dieses Neuland vorwagten, und weil die vorhandenen teilweise so wenig Eifer zeigten, dass sie allen möglichen anderen Beschäftigungen nachgingen, vielleicht nicht einmal die vorschriftsmässigen Weihen besassen)63. Für uns aber ergibt sich aus alledem die methodische Forderung, dass wir in der Anwendung von Begriffen wie „Gewaltmission“ und „Zwangschristianisierung“ auch von hier aus eine sehr viel grössere Zurückhaltung üben müssen als bisher. Bevor wir uns zu ihnen entschliessen, gilt es immer erst zu prüfen, ob nicht statt „ausserkirchlichem Heidentum“ vielmehr ein „innerkirchliches“, also „apostatisches“ vorliegt, demgegenüber das Vorgehen der Kirche, mit ihren eigenen Maßstäben gemessen, wesentlich anders beurteilt werden muss. Man wird nicht zuviel sagen, wenn man behauptet, dass ungenügende Scheidung von „Heidenmission“ und „innerkirchlicher Nacharbeit“ (bzw. „Neophytenseelsorge“) neben weitgehender Vermengung der Arbeit am negativen und am positiven Missionsziel den Hauptgrund dafür bietet, dass das bisherige Bild der mittelalterlichen Missionsgeschichte dermassen weitgehend im Sinn einer Vorherrschaft jener „Predigt mit eiserner Zunge“ verzeichnet worden ist, ohne gebührende Würdigung der Sonderstellung, die Fälle wie die Sachsenmission Karls des Grossen in ihrem Verlauf tatsächlich eingenommen haben. Nicht zu verkennen ist dabei freilich, dass der nach solchen Maßstäben „christliche“ Charakter eines Apostatengebietes unter Umständen über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg festgehalten werden kann in einer Weise, die ihn zur blossen juristischen Fiktion stempelt, weil längst kein Getaufter mehr lebt, an dessen Sakramentsempfang sich anknüpfen liesse64. Insofern eröffnet sich hier ein Grenzgebiet zwischen „Missions-“
63
Vgl. z.B. H. Leo, Untersuchungen zur Besiedelungs- und Wirtschaftsgeschichte des thüringischen Osterlandes in der Zeit des früheren Mittelalters, Leipzig, 1900, S. 38–40, über die kirchlichen Zustände in diesem westlichsten Teil des sorbisch besiedelten Markengebietes während der späteren Salierzeit (ca. 1070–1125). Die Zustände erinnern in gewisser Weise an diejenigen, die Bonifatius um 725 unter den germanischen Thüringern antraf (vgl. Hauck, I, S. 443 f.), wenn sie auch einem geordneten kirchlichen Leben schon einige Schritte näher gewesen sein müssen. 64 Die Annales Palidenses (des Prämonstratenserklosters Pöhlde am Harz) sprechen für die Elbslawen des Jahres 1147 davon, dass sie vom christlichen Kult „propemodum exorbitaverant“ (MGH, SS, XVI, 82, 35). Die letzten Apostasien der betroffenen Stämme fielen in die Jahre 983 bzw. 1066; seitdem hatte die christliche Mission nur wenig neuen Boden gewinnen können, allerdings einige Fürstenfamilien zum Uebertritt ver-
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und „Seelsorgegeschichte“, bei dem man über die Grenzziehung im einzelnen sehr verschiedener Meinung sein kann. Dennoch wird man prinzipiell an den aufgezeigten kanonistischen Kategorien festhalten müssen, wenn man zu einem wirklichen Verstehen der Vorgänge von innen heraus gelangen will. Ein gewisses, freilich nicht unfehlbares Kriterium kann sich bieten, wenn einmal entgegen vorherrschender mittelalterlicher Gewohnheit nicht beide Missionsziele nebeneinander herausgestellt werden, sondern allein das populum convertere ab errore ydolatriae, wie es etwa im Zusammenhang der Begründung des Hamburger Domkapitels geschieht65; von ihr steht fest, dass Erzbischof Unwan (1013–30) sie vollzog, um die Verkündigungsarbeit unter getauften, aber apostatischen Obotriten zu intensivieren, unter denen das positive Missionsziel nach dem Satz: „Die Taufe macht den Christen“ trotz allem als erreicht gelten konnte. 6. Mission und Heidenkrieg Das Problem der Gewaltanwendung im missionarischen Bereich ist vorstehend mehr in seinen Konsequenzen für den einzelnen Heiden erörtert worden. Unmittelbar folgt die weitere Frage: wie steht es mit dem Verhältnis von Mission und Krieg, d.h. der organisierten Gewaltanwendung gegen ganze Gruppen von Fremdgläubigen? Diese Frage führt an sich gleichfalls in weitere Zusammenhänge diesmal völkerrechtsgeschichtlicher Art, aus denen sie im Grunde nur eine Reihe von Sonderfällen heraushebt. Eine umfassende Behandlung hätte von dem Gesamtkomplex auszugehen; dabei wäre vor allem auch der profane Heidenkrieg einzubeziehen mit seiner Praxis, die in oft so charakteristischen Stimmungsnuancen vom Krieg innerhalb der Christenheit abweicht (so sehr dabei freilich vor übertriebenen Vorstellungen gewarnt werden muß)66 und mit allen weitschichtigen Erörterungen
anlasst. Zur Rechtslage beachte ZfO, IV, 1955, S. 186 f. und 362 f. über die entweihten christlichen Kultstätten, die ein Apostatengebiet auch über Generationen hinweg von „gewöhnlichem“ Heidenland unterschieden. 65 Vgl. Magistri Adam Bremensis Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, II, 47 (ed. B. Schmeidler, Hannover, 1917, S. 110, 1). 66 Vgl. unten Beitr. XV, Abschn. 4 b m. Anm. 168 sowie bei Anm. 330–338; ergänzend Beitr. XIV, Abschn. 4 m. Anm. 43. Das Problem wird gewöhnlich allzu isoliert von dem der allgemeinen Kriegführung im Mittelalter auch innerhalb der Christenheit betrachtet. Ueber deren Grausamkeit, die die der Antike nicht selten übertraf, handelt an Hand spätmittelalterlicher Materialien E. Nys, Les origines du droit international,
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vor allem der scholastischen Völkerrechtstheorie über die Frage, ob die Heiden nicht als solche womöglich überhaupt rechtlos sind, jeder beliebigen Vergewaltigung durch Christenmenschen preisgegeben (Erörterungen, die ihrerseits erst auf dem Hintergrund der grauenvollen Conquistadorenkämpfe in der „Neuen Welt“ ihr volles Licht erhalten)67. Leider muss hier der blosse Hinweis auf diese allgemeinen Zusammenhänge genügen, so sicher ein Verständnis der missionsgeschichtlichen Sondererscheinungen voll nur in diesem Gesamtrahmen erreicht werden könnte. Noch Augustinus, der doch im Donatistenstreit den Grund zur bewaffneten Exekution gegen Gruppen von Pönitenzverweigerern unter den Getauften legte, scheint das Problem entsprechenden Vorgehens gegen Ungetaufte rein als solches noch gar nicht gesehen zu haben; zumindest fordert er nirgends den Einsatz kriegerischer Mittel im ausserkirchlichen Missionswerk – kein Wunder: sein Hauptanliegen war zunächst die Christianisierung der römischen Reichsbevölkerung, die als regelrechter Kriegsgegner seines Staates gar nicht ohne weiteres in Frage kam. Der entscheidende Schritt verbindet sich auch hier mit der Person Gregors des Grossen. Neben offenbarer Ablehnung einer unmittelbaren Zwangsbekehrung (bei Anerkennung gewisser Formen „indirekter Nötigung“) finden wir bei diesem für die Folgezeit so bestimmenden Kirchenlehrer den Gedanken, dass die Predigt des Evangeliums unter heidnischen Völkern ausserhalb des Imperiums sehr wohl durch ihre militärische Unterwerfung vorzubereiten sei, in deren Schutz dann die friedliche Verkündigung der Kirche sich ungehindert entfalten könne68; man wird
Bruxelles/Paris, 1894, S. 188–190. Hochmittelalterliche Vergleichsmaterialien sind nicht schwer zu finden. 67 Ueber die diesbezüglichen Diskussionen in der hohen und späten Scholastik unterrichtet gut Höffner (wie Anm. 14), S. 47–66; ergänzend (z.T. auch für ältere Zeit) unten, Beitr. XV, bei Anm. 88 ff. In dieser Diskussion kehrt in gewisser Weise das alte Doppelgesicht der „Heidenfrage“ wieder (vgl. oben, Abschn. 1, bis Anm. 3); die Mehrheit der Theoretiker trat freilich nicht für radikale Rechtlosigkeit, sondern nur für ein Minderrecht Ungetaufter ein, indem „ungerechte“ Kriege gegen sie nicht minder verurteilt wurden als innerhalb der Christenheit, wohl aber die Zahl der „gerechten“ Kriegsgründe um weitere vermehrt wurden, die sich aus der Verquickung von Völkerrecht und Missionsrecht ergaben. Die Praxis vor allem des Entdeckungszeitalters blieb vorwiegend auf Seiten der Gegner dieser bei aller Härte doch relativ milden Auffassung; vgl. dazu die umfassende Darstellung von G. Friederici, Der Charakter der Entdeckung und Eroberung Amerikas durch die Europäer, I–III, Stuttgart, 1925–36, die auch missionsgeschichtlich wertwertvoll bleibt. 68 Vgl. Erdmann (wie Anm. 51), S. 7 f.
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voraussetzen dürfen, dass einem solchen „indirekten Missionskrieg“, wie ihn C. Erdmann genannt hat69, im allgemeinen ein Versuch mit rein kirchlichen Mitteln, ohne Waffenschutz, vorauszugehen hatte, wie Gregor selbst ihn in seiner Angelsachsenmission beispielhaft eingeleitet hat (freilich an einer Stelle, an der kriegerisches Vorgehen praktisch überhaupt nicht in Betracht kam)70. Dieser „indirekte Missionskrieg“ (im Gegensatz zum „direkten“, für den der definitive Uebertritt des Partners die entscheidende Friedensbedingung darstellt), hat in der deutschen Wendenmission des Hochmittelalters, insbes. in der ottonischen Ostpolitik eine entscheidende Rolle gespielt71, während sowohl der direkte als auch die bewaffnete Apostatenexekution, deren Unerbittlichkeit ihm zum Verwechseln nahe verwandt ist, auf diesem Schauplatz keinen echten Anklang fanden – es sei hier nur an den so merkwürdigen Ausgang des Wendenkreuzzugs von 1147 erinnert, den Bernhard von Clairvaux unter der Parole „Vernichtung oder Bekehrung!“ in Marsch zu setzen suchte und der nicht zuletzt am inneren Unverständnis der maßgeblichen Führer des deutschen Kreuzheeres – der weltlichen sowohl als auch der geistlichen! – für eine Zielsetzung dieser Art scheitern musste72. Angesichts des apostatischen Charakters, den das Heidentum der Elb- und Ostseeslawen seit den Aufständen von 983 bzw. 1066 besass, verdient diese Tatsache, die zweifellos zu den charakteristischsten
69
Ebenda, S. 8. Vgl. ZMW, XL, 1956, S. 190 ff., sowie oben Anm. 1a. 71 Vgl. Erdmann (wie Anm. 51). S. 91 ff.; ferner ZfO, II, 1953, S. 8 ff.; zu beidem Berichtigungen in ZfO, IV, 1955. 72 Rein formal wurde das Kreuzzugsziel zwar durch die Taufe der Wenden erreicht, doch offenbar mehr durch das Festhalten der breiten Masse des Heeres am Kreuzzugsgelübde als auf Betreiben der Heerführer (vgl. unten, Beitrag XXI). Ueber die geistigen Gegensätze gerade auch des sächsischen Episkopats zu den Ideen Bernhards vgl. Beiträge zur Brandenburg. Gesch., S. 225–233; speziell für die weltlichen Herren noch unten, Beitr. XXV, bei Anm. 90–102 und weiter. – Den Charakter von Apostatenexekutionen erhalten die Wendenkriege, die Herzog Heinrich der Löwe auf den Kreuzzug von 1147 folgen liess, in seiner angeblichen Dotationsurkunde für das Bistum Ratzeburg von 1158 (Die Urkunden Heinrichs des Löwen, ed. K. Jordan, Leipzig, 1941, Nr. 41, S. 58, 15 ff.), wo nach ausdrücklicher Feststellung mehrfachen Apostatentums der Wenden die bezeichnende Formulierung folgt: „cum unus servus, id est ordo doctorum, verbi predicatione diu vocaverit venire recusantes ad cenam dei. alter servus, id est ordo principum, locum habet agrestem populum ferri vibratione compellendi“. Die Urkunde ist jedoch in der vorliegenden Fassung Mitte 13. Jahrhunderts verunechtet worden, und gerade diese Einleitung gehört den verfälschenden Zusätzen an (vgl. Vorbem. des Herausgebers und dort genannte Literatur). In die geschichtliche Entwicklung der Datierungszeit fügt sich eine Motivierung dieser Art schlecht genug ein. Zum Prinzipiellen vgl. Burch. Worm., Decr. XV, 43 (PL, CXL, 907 f.), ex dictis S. Isidor. (zitiert ZfO, IV, 1955, S. 387, Anm. 265). 70
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Eigenheiten der deutsch-hochmittelalterlichen Wendenmission gehört, ganz besondere Beachtung. Man wird nicht fehlgehen, wenn man von hier aus Verbindungslinien zu den heftigen Diskussionen zieht, die im Zeitalter des Investiturstreits über der Frage entbrannten, ob es für die Christenheit einen „heiligen Krieg“ unmittelbar im Dienste kirchlicher und geistlicher Ziele überhaupt geben dürfe: auch dabei hat Deutschland in bemerkenswertem Umfang sich ablehnend verhalten, soweit es nicht zur kurialen Partei gehörte73, wie es ja auch für die Palästinakreuzzüge nur sehr zögernd zu gewinnen war. Selbst der indirekte Missionskrieg trat zeitweise für die deutsch-wendische Auseinandersetzung ganz hinter rein profanen Kriegen zurück74. Dasselbe gilt für das Verhältnis der „Kreuzfahrerstaaten“ des vorderen Orients zu ihren islamischen Nachbarn, das wenig genug vom Elan des ursprünglichen „heiligen Krieges“ der Christenheit spüren lässt75; für die Reconquista der christlichen Königreiche auf der Pyrenäenhalbinsel war die profane Motivierung jahrhundertelang überhaupt die Regel76. So ist die tatsächliche Verbreitung von Kriegen mit missionarischen Haupt- oder Nebenabsichten vor dem Aufkommen der Ritterorden keinesfalls zu überschätzen, auch wenn das für landläufig vereinfachte Auffassung „unmittelalterlich“ klingen mag. Angesichts der höchst bedenklichen Problematik, die ja schon dem indirekten Missionskrieg innewohnt und Tore zu mannigfachem Missbrauch öffnet77, wird man diese Zurückhaltung zweifellos begrüssen. Im einzelnen liessen sich die beiden Arten des Missionskrieges noch weiter differenzieren zu einer ganzen Skala verschiedener Möglichkeiten, die sich z.B. durch den Grad ihrer Fürsorge für die „Nacharbeit“ nach vollzogener Massentaufe der Besiegten und durch den Grad der Härte
73 Vgl. die Gesamtdarstellung von Erdmann (wie Anm. 51); dazu unten, Beitr. XV, bei Anm. 265–280. 74 Vgl. M. Bünding, Das Imperium Christianum und die deutschen Ostkriege vom 10. bis zum 12. Jahrh., Berlin, 1940, S. 11–22, passim (demnächst neu bei B); auch J. Kirchberg, Kaiseridee und Mission unter den Sachsenkaisern und den ersten Saliern, Berlin, 1934, S. 46, 53, 80 f., 103–105, 107, 111. 75 Vgl. nur den Abriss der Geschichte des Königreichs Jerusalem bei Waas (wie Anm. 4), II, S. 79–157, dazu die ausgezeichnete Darstellung des „Gegensatzes von Kreuzfahrern und fränkischen Rittern des Heiligen Landes“, ebenda, I, S. 394–396, 368–388. 76 Vgl. Erdmann (wie Anm. 51), S. 88 ff., 124 ff., 267 ff., 292 ff., dazu dens., Der Kreuzzugsgedanke in Portugal, in HZ, CXLI, 1930, S. 23–53; weitere Literatur unten, Beitr. XV, Anm. 190. 77 Vgl. etwa Erdmann (wie Anm. 50), S. 9 u 95 f.; Patze (wie Anm. 60), S. 60.
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des Vorgehens gegen hartnäckige Taufverweigerer aus ihren Reihen unterscheiden78. Wichtiger ist es vielleicht an dieser Stelle, auf Probleme hinzuweisen, wie sie sich gerade dabei für eine phänomenologische Klassifizierung ergeben, wenn sie der bunten Mannigfaltigkeit konkreten geschichtlichen Lebens wirklich nahe bleiben will. Denn nirgends tritt das Fliessende der Grenzen, das der klaren „Einordnung“ spottet, plastischer hervor als hier. Wo liegt zum Beispiel die exakte Scheidelinie zwischen Missionskrieg und „profanem Heidenkrieg“? Sie hat schon dem Mittelalter Schwierigkeiten bereitet, besonders, wo mit wachsendem Abstand die Erinnerung sich trübte und einfliessende Idealvorstellungen vom Verhalten christlicher Herrscher das Bild beeinflussen konnten. Bei Dietmar von Merseburg († 1018) lesen wir, König Heinrich I. habe die Dänen unterworfen und „gelehrt, das Joch Christi zu tragen“79. Die zeitgenössischen Quellen zwingen hingegen zu der Vorstellung, dass dieser Herrscher 934 einen rein profanen Krieg nicht einmal gegen alle Dänen, sondern nur gegen einen Kleinfürsten im Gebiet von Schleswig führte, wobei dann dieser persönlich seine Unterwerfung mit dem Empfang der Taufe besiegeln musste; dass durch diesen Schritt auch ein gewisser Neuansatz der Dänenmission ermöglicht wurde, lag nicht an der Initiative des Königs, sondern des zuständigen Erzbischofs80. Dietmars Bericht beruht also auf einem offenbaren Missverständnis, das wir wohl auf die verbreitete mittelalterliche Neigung zurückführen müssen, nach der ein Gebiet prinzipiell als christlich betrachtet werden konnte, wenn es unter christlicher Obrigkeit (zumindest eigenen Stammes) stand81; immerhin bleibt, dass der gut bezeugte Taufvollzug, von dem neben dem genann-
78 Eine sehr vorläufige Zusammenstellung von Typen ist versucht unten, Beitr. XV, Absch. 4 a – e, freilich – was nicht immer beachtet zu werden scheint – nicht für den Heidenkrieg im allgemeinen, sondern nur für den Sonderfall des Kampfes gegen Ungetaufte in Apostatengebieten. Auf den Missionskrieg im strengen Sinn des Wortes kann diese Systematik nicht ohne weiteres übertragen werden. 79 Thietmar (wie Anm. 59), I, 17 (S. 22). 80 Bequeme Quellenzusammenstellung bei G. Waitz, Jahrbücher des deutschen Reichs unter König Heinrich I.3, Leipzig, 1885, S. 160–162, vgl. 275 f. Die Darlegungen sind weithin überholt (Literatur bei R. Holtzmann, Thietmar-Ausgabe, S. 22, Anm. 9). Zum Missionsgeschichtlichen: A. Hauck (wie Anm. 9), III, S. 80 f.; v. Schubert (wie Anm. 32), S. 54 f.; vgl. auch Vilh. La Cour, Art. „Gnupa“, im Dansk biografisk Leksikon, VIII, Köbenhavn, 1936, S. 190 f., mit weiterer Lit. 81 Sachsen galt als bekehrt mit dem Uebertritt Widukinds 785 (vgl. A. Hauck, II, S. 395, und Kirchberg, S. 17), während die Selbstbehauptungskriege des heidnischen Stammes sich danach noch über 15 Jahre hinzogen.
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ten Fürsten noch weitere „Bürgen“ betroffen worden sein könnten, die klaren Grenzen verwischt. Aehnlich ist offenbar der Bericht Adams von Bremen († bald nach 1081) zu beurteilen, nach dem Otto der Grosse im Wendenland direkte Missionskriege geführt haben müsste, während sich für die Masse der slawischen Bevölkerung des Markengebiets unter ihm einwandfrei nachweisen lässt, dass sie höchstens von indirekten Missionskriegen betroffen worden sein kann82. Liegt hier der Tatbestand klar zu Tage, so scheint der dritte und letzte Pommernkrieg Boleslaws III. von Polen (1102–38) einen echten Grenzfall zu bieten. Als Kriegsziel des Herzogs wird uns zwar genannt: et quia paganismo tenebantur, dux eos aut penitus elidere, auf ferro ad fidem christianis conatus est impellere83. Tatsächlich findet sich für den Friedensschluss von 1121 festgesetzt, dass die pomoranischen Wenden cum suo principe christianos se ac tributarios fore84 (womit endlich auch das entscheidend beteiligte weltliche Motiv des Angreifers zum Ausdruck kommt). Es unterbleibt aber nicht nur eine Bekräftigung dieser Bedingung durch unverzügliche Taufe des Pomoranenfürsten – sie erübrigte sich offenbar, da Wartislaw schon früher getauft worden war, so dass die erneute Anerkennung kirchlicher Ansprüche durch ihn genügte –; auch die Bevölkerung wurde nicht unverzüglich mit dem Schwert zur Taufe getrieben. Vielmehr bemühte Boleslaw sich jahrelang, geeignete Kräfte der Kirche für ein friedliches Missionswerk zu gewinnen, und nahm selbst die Vertreibung eines ersten Glaubensboten, der seiner Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen war, ohne erkennbaren Gegendruck hin (1121/22). Nach mehreren Jahren (1124) trat endlich Otto von Bamberg auf Boleslaws Bitten eine regelrechte Missionsreise an, die nicht nur in den berührten Gebieten zweifellos zahlreiche Ungetaufte zurückliess, sondern auch weite Teile Pommerns überhaupt nicht erfasste. Auch als es alsbald zu ernstlichen Apostasien kam, veranlasste der Herzog zunächst nichts als eine weitere friedliche Verkündigungsreise Ottos (1128), nur dass er diesmal durchblicken liess, er sei durchaus zu einem neuen Waffengang bereit (der in diesem Fall ja schon kein Missionskrieg, sondern eher eine 82 Adam (wie Anm. 65), II. 5 (S. 65); dazu unten, Beitr. XIX, bei Anm. 40–49 (in Einzelheiten zu präzisieren nach den hier folgenden Ausführungen über Boleslaw III. von Polen). 83 Herbordi Dialogus de vita Ottonis Babenbergensis episcopi, II, 5 (ed. G. H. Pertz, Hannover, 1868), S. 55; etwas weiter hochbezeichnend: „Deo placuit aliquos ex eis conterere, ut caeteros ad fidem converteret“. 84 Ebenda, S. 56.
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Apostatenexekution gewesen wäre)85. Mindestens in der praktischen Konsequenz lief das, was Boleslaw 1121 geführt hatte, soweit es die Missionsgeschichte berührt, also auf einen indirekten Missionskrieg hinaus, auch wenn die Friedensbedingungen in ihrem prinzipiellen Gehalt weiter gegriffen haben mögen; wir beachten, dass die zitierte Angabe über das polnische Kriegsziel erst nach dem bernhardinischen Wendenkreuzzugsaufruf von 1147 aufgezeichnet und möglicherweise entgegen der geschichtlichen Wirklichkeit des Jahres 1121 von ihm beeinflusst worden ist86. Der Unterschied namentlich zu jener Form der expugnatio ad fidem christianam, die Heinrich von Lettland uns immer und immer wieder für den livländischen Schwertbrüderorden des 13. Jahrhunderts schildert87, liegt auf der Hand. Doch auch zwischen direktem Missionskrieg und Apostatenexekution gibt es Uebergänge, die unserem Bedürfnis nach klarer Systematik wenig entgegenkommen. Schon für die Sachsenkriege Karls des Grossen muss man fragen, ob nicht ein Taufversprechen, das die Besiegten
85 Umfangreiche Literaturangaben, die auch neueres polnisches Schrifttum gebührend berücksichtigen, bietet jetzt B. Stasiewski, Kirchengeschichtliche Beiträge zur Entwicklung des deutsch-polnischen Grenzsaumes im Hochmittelalter, in Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, II, Berlin, 1955, S. 43–48. Hervorgehoben seien Kümmel (wie oben Anm. 46) sowie A. Hauck, IV, S. 586–616; ergänzt H. Heyden, Kirchengeschichte Pommerns 2, I, Köln-Braunsfeld, 1957, S. 8–16. – Beachte auch oben Anm. 28. 86 Vgl. Bünding (wie Anm. 74), S. 51. Die Vermutung wird gestützt durch die auffällige Reihenfolge der beiden Alternativglieder (Vernichtung an erster, Bekehrung an zweiter Stelle), die dem bernhardinischen Kreuzzugsaufruf von 1147 entspricht (vgl. Beitr. XV, bei Anm. 170–174 und unten Anm. 93 sowie 99). 87 Vgl. Heinrici Chronicon Livoniae (ed. L. Arbusow - A. Bauer, Hannover, 1955), passim, bes. XIX, 3 (S. 124–126) und XXX, 5 (S. 220), vgl. auch XI, 6 (S. 54, 7 ff.); XVIII, 7 (S. 120, 19 ff.); XX, 6 (S. 138, 27 ff.); XXI, 5 (S. 145, 19 ff.); XXIII, 7 (S. 160, 25 ff.) usw. Obiges Zitat aus XXVIII, 7 (S. 205, 35). Vom Standpunkt einer auf derart kriegerisches Vorgehen gegründeten Missionsweise aus verdient es geradezu Hervorhebung, wenn eine Bevölkerung „sponte et absque ulla bellorum perturbatione fidem Christianam . . . susceperunt“ (XXIX, 3; S. 210, 23); es wird als Verletzung des Taufbefehls Christi angesehen, wenn russische Fürsten von ihrem ostkirchlichen Standpunkt aus Eroberungen nicht in Zwangstaufen gipfeln lassen, sondern sich mit blosser Herstellung der Tributabhängigkeit unterworfener Völkerschaften begnügen (XVI, 2; S. 103, 5 ff.), und die Ostkirche wird darum als „sterilis semper et infecunda“ getadelt (XXVII, 4; S. 202, 5). Derartige von einseitigem Standpunkt her formulierte Anklagen sagen selbstverständlich nichts über die wirkliche missionarische Leistung dieser Kirche, die eben nur mit friedlich-gewaltloser Predigt vorging: O. Loorits (Uppsala) hat in umfassender Untersuchung, die demnächst im Druck erscheinen wird, blossgelegt, dass die christliche Terminologie der ostseefinnischen und baltischen Sprachen von einer unerwartet starken Grundschicht ostslawischer Lehnwörter beherrscht ist, wie sie sich schwerlich ohne eine verhältnismässig intensive und auch erfolgreiche Verkündigungsarbeit aus dieser Richtung erklären lässt.
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im Friedensschluss von 776 eingehen und alsbald mit massenhaften Taufempfang besiegeln mussten, einen bisher kaum beachteten Wandel der Rechtslage geschaffen hat, der die grausigen Ereignisse der Folgezeit mindestens zu einem sehr wesentlichen Teil in das Gebiet innerkirchlicher Apostatenexekutionen verweist, verschärft durch den Machtkampf des karolingischen Imperiums um den Besitz des Sachsenlandes88. Auch die Preussenkreuzzüge, die im Einsatz des Deutschen Ritterordens (seit 1230) gipfelten, aber nicht mit ihm begannen, wurden erst aufgenommen, nachdem die anfangs erfolgversprechende friedliche Missionstätigkeit des Zisterzienserbischofs Christian einer heidnischen Reaktion zum Opfer gefallen war89. Aehnliches lässt sich für Livland sagen90; von den deutschen Wendenmarken vor 1147 haben wir schon gesprochen. Selbst für den merkwürdigen „Kalmarzug“ König Sigurds des Jerusalemfahrers von Norwegen (1123; meist – wenig zutreffend – als „Smålandkreuzzug“ bezeichnet), als dessen Ergebnis die südschwedischen Småländer das Christentum annehmen mussten, erhalten wir ausdrücklich den Hinweis: „Die Bewohner des Landes dort hielten nicht am Christentum fest, obwohl einige schon das Christentum angenommen hatten“91. Fast scheint es, als habe der direkte Missionskrieg sich als
88 Am klarsten hat diesen Tatbestand bisher vielleicht A. Hauck, II, S. 380–385 (und weiter) gesehen, ohne doch alle Konsequenzen aus seinen Beobachtungen zu ziehen. Zur Kritik vgl. auch H. v. Schubert, Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter, Tübingen, 1921, S. 335. Zur Beurteilung der Rechtsgrundlagen besonders beachtlich Annales Regni Francorum a. 777 (ed. F. Kurze, Hannover, 1895 = 1950. S. 48): viele Sachsen werden getauft und setzen „omnem ingenuitatem et alodem“ als Pfand ein: „si amplius inmutassent secundum malam consuetudinem eorum, nisi conservarent in omnibus christianitatem vel fidelitatem supradicti domni Caroli regis“ etc. Das erinnert in erstaunlicher Weise an gewisse Klauseln des Christburger Vertrags von 1249 (s. oben Anm. 60). 89 Vgl. F. Blanke, wie oben Anm. 46; Dens., Die Entscheidungsjahre der Preussenmission (1206–1274), in Zeitschr. f. Kirchengesch., XLVIII, 1928 (demnächst neu bei B). 90 Vgl. neben A. Hauck, IV, S. 653–660 (und weiter) jetzt vor allem A. Bauer, Der Livlandkreuzzug, in Baltische Kirchengeschichte, herausgegeben von R. Wittram, Göttingen, 1956, ergänzt durch die auch allgemein und grundsätzlich wichtigen Darlegungen von H. Dörries, Fragen der Schwertmission, in dem gleichen Sammelwerk. 91 Snorri Sturluson, Heimskringla, Magnús-sona S., c. 24 (ed. F. Jónsson, Köbenhavn, 1911, S. 546): „their, er thar byggdhu, heldu ekki kristni, thótt sumir hefdhi vidh kristni tekit“. Ebenda die zeitgenössische Bezeichnung „Kalmarna-leidhangr“ (Kalmar-Heereszug). „Kreuzzug“ ist unkorrekt, weil wir nichts von kirchlicher Kreuzpredigt, von Kreuznahme der Beteiligten und von Kreuzzugsablass erfahren. – Deutsche Uebersetzung von F. Niedner, Snorris Königsbuch, III (= Thule XVI, Jena, 1923), S. 228–230. Am besten behandelt ist das merkwürdige Unternehmen wohl bei A. M. Ammann, Kirchenpolitische Wandlungen im Ostbaltikum bis zum Tode Alexander Newakis, Roma, 1936, S. 96 f.
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kirchlich nicht ohne weiteres vertretbare Nebenform92 erst allmählich von der Apostatenexekution abgespalten, doch gilt es zweifellos auch noch andere Einflüsse im Auge zu behalten93, und im Ganzen liegen gerade hier noch manch ungelöste Forschungsaufgaben. Wir werden den Versuch, die Fülle der Erscheinungen gewissen Grundtypen zuzuordnen, auch angesichts all dieser Schwierigkeiten nicht aufgeben dürfen: wie sollten wir sonst zu einer Orientierung, einem inneren Verständnis gelangen? Doch wir werden uns dabei stets bewusst bleiben müssen, dass jede Systematik dieser Art nichts anderes darstellt als einen abstrahierenden Notbehelf, der nicht dem bunten Leben selbst entstammt, sondern der „grauen Theorie“. 7. Kasuistik Lenken wir am Ende dieser reichlich komprimierten, daher reichlich theoretischen und abstrakten Ausführungen noch den Blick auf eine konkrete Gestalt. Der ostsächsische Benediktiner und „Erzbischof der Heiden“ Brun von Querfurt († 1009) hat im Lauf seiner missionarischen Wirksamkeit nicht allzuviele greifbare Erfolge erzielt. Um so grösser ist jedoch seine Bedeutung für die missionsphänomenologische Forschung, zeichnet er sich doch dadurch aus, dass seine Wirksamkeit sich auf recht verschiedenartige Schauplätze erstreckte, auf denen er immer wieder auch vom kanonistischen Standpunkt her äusserst unterschiedliche Voraussetzungen vorfand94.
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Vgl. unten, Beitr. XV, Abschn. 4 c. Für hartnäckige Erneuerer heidnischer Greuel hatte schon Augustinus die Todesstrafe gefordert (s. oben bei Anm. 7). Weitere Antriebe kamen unzweifelhaft aus jener apokryphen Eschatologie, für die das Stichwort des „Endkaiserglaubens“ geprägt worden ist und deren offenbar sehr tiefgehende Wirkungen auf das Kreuzzugszeitalter noch intensiver Erforschung harren; vgl. C. Erdmann, Endkaiserglaube u. Kreuzzugsgedanke im 11. Jahrhundert, in Zeitschrift f. Kirchengeschichte, LI. 1932, und K. Heisig, Die Geschichtsmetaphysik des Rolandsliedes und ihre Vorgeschichte, in Zeitschr. f. roman. Philologie, LV, 1935 (dazu kritisch unten, Beitr. XV, Anm. 190); ergänzend provisorische Hinweise unten, Beitr. XXV, bei Anm. 112–127 sowie HJb 18 (1949), S. 240 m. Anm. 8. Von dieser Seite her scheint auch der Kreuzzugsgedanke Bernhards von Clairvaux (1147) mit seiner so merkwürdigen Alternative (vgl. oben Anm. 86) entscheidend beeinflusst, was bisher nicht berücksichtigt worden und besonders auch zu den Ausführungen Beitr. XV, Abschn. 4 c, zu ergänzen ist; vgl. jetzt zusammenfassend unten. Beitr. XX. – Siehe auch oben Anm. 13. 94 Aus der reichen Literatur über Brun seien hervorgehoben: H. G. Voigt, Brun von Querfurt, Stuttgart, 1907; R. Wenskus, Studien zur historisch-politischen Gedankenwelt Bruns von Querfurt, Münster i. Westf./Köln, 1956. Vgl. unten Anm. 96. 93
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Brun entstammte einem angesehenen ostfälischen Adelsgeschlecht aus dem heutigen Sachsen-Anhalt. Früh trat er in die Magdeburger Domschule ein, und das war bedeutsam: gerade seine empfänglichsten Jahre verbrachte er am Zentrum der Erzdiözese, die durch den Wendenaufstand von 983 so besonders empfindlich getroffen worden war. Als Kaplan Kaiser Ottos III. kam er nach Italien und fand dort Anschluss an reformgesinnte Kreise, aus denen später der Kamaldulenserorden hervorging; Brun selbst wurde Mönch. Damals scheint er auch die entscheidenden missionarischen Impulse empfangen zu haben, die sein weiteres Leben bestimmten. Sie verbanden sich für Brun mit den Magdeburger Jugendeindrücken zu dem Gefühl, dass die Rechristianisierung der 983 abgefallenen Ljutizen seine wahre Lebensaufgabe sei. Der sächsische Jünger St. Benedikts und Romualds empfing die Weihen zum Erzbischof der Heiden, genauer: der pagani, was nach damaligem Sprachgebrauch Heiden und Apostaten gemeinsam umfassen konnte95. Politische Verhältisse, auf die hier nicht einzugehen ist, verhinderten, dass Brun jemals zu der ersehnten Predigt unter den Ljutizen kam; sie drängten ihn vielmehr in die ausserkirchliche Missionsarbeit, über deren engen und unmittelbaren inneren Zusammenhang mit allem Rechristianisierungsstreben die Notwendigkeit sauberer begrifflicher und rechtlicher Unterscheidung ja in keiner Weise hinwegtäuschen darf. Brun missionierte in Ungarn und unter den Petschenegen am Schwarzen Meer, teilweise in unmittelbarer Fühlung mit Grossfürst Wladimir dem Heiligen von Kiew. Später wandte er sich nach Polen, wo er die Freundschaft Boleslaw Chrobrys gewann. Für die erstrebte Wirksamkeit unter den Ljutizen liessen die allgemeinen Verhältnisse, vor allem die deutsch-polnischen Kriege der Zeit, ihn jedoch auch dort keine Basis gewinnen. Durch einen seiner Schüler vermochte er, über die Ostsee nach Schweden hinüberzuwirken, wo ein (in seiner Identität umstrittener) Fürst damals die Taufe nahm. Brun selbst widmete sich der Mission unter den heidnischen Prussen (im späteren Ostpreussen) und starb dort schon 1009 den Märtyrertod. Die Kirche zählt ihn zu ihren Heiligen. Eine systematische Behandlung missionarischer und missionsrechtlicher Probleme lag Brun fern. Verstreute Aeusserungen in einer für seine Zeit nicht geringen literarischen Hinterlassenschaft, ergänzt durch sein eigenes Verhalten, lassen jedoch von seinen Anschauungen ein so
95
S. oben Anm. 62.
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beitrag ix
unmittelbares Bild gewinnen, wie es wohl für keinen anderen Missionar des Hochmittelalters möglich ist, liegen doch sonst im allgemeinen nur Quellen aus zweiter Hand vor, dazu nur selten wenigstens noch von zeitgenössischer96. Wir dürfen danach sagen, dass Brun im Einklang mit wohl allen Lehrern der offiziellen Kirche für den Beginn eines jeden Missionswerks einen unbedingt friedlichen Versuch für notwendig hielt ohne Rücksicht auf etwaige Gefahr für Leib und Leben derer, die ihn unternahmen. Schlug er fehl (wie gegenüber den Prussen, bei denen schon Adalbert von Prag, Bruns Freund und grosses Vorbild, 997 im Martyrium geendet war), so hat der Querfurter, wenn wir gewisse Andeutungen seiner Schriften richtig verstehen, wohl den Einsatz eines indirekten Missionskrieges gewünscht, damit die widerspenstige heidnische Obrigkeit dort im Lande beseitigt werde und dann endlich das friedliche Bekehrungswerk sich ungestört entfalten könne unter dem Schutz einer christlichen; liess jedoch ein derartiger Beistand des „weltlichen Arms“ sich nicht verwirklichen (weil etwa im genannten Fall Herzog Boleslaw durch Krieg mit dem Reich gebunden war), so war Brun auch in solcher Lage noch selbst zu einem weiteren friedlichen Missionsversuch bereit ohne die geringste Rücksicht auf die eigene Person. Wir sahen, dass er diese Bereitschaft mit dem Leben bezahlte. Gegen die apostatischen Ljutizen hat Brun die bewaffnete Exekution gefordert, den weltlichen und wohl selbst unmittelbar körperlichen Zwang, der die schon einmal Bekehrten nötigen sollte, ihr Taufgelöbnis nun auch wirklich einzuhalten, ganz zu schweigen von den entweihten heiligen Stätten im Apostatengebiet, die er der Christenheit zurückgeben sollte. Im Bereich dieser Abgefallenen hielt der Bischof auch eine zwangsweise Taufe derer, die in langen Jahren des Erliegens aller kirchlichen Arbeit das Sakrament nicht hatten empfangen können, offenkundig für vertretbar: sie hätte die Bevölkerung dieses Landes geschlossen unter die Kontrolle kirchlicher Disziplinargewalt gebracht, damit die beste Gewähr gegen erneute Apostasie geboten. Auf seine Anschauungen über das Verfahren in Gebieten anderer Rechtssituation aber ist aus alledem nicht zu schliessen: eine Christianisierung ausserkirchlicher Heiden auf gewaltsamem Wege – etwa, wie in Ungarn, durch Blendung Taufunwilliger – sah Brun als „schwere Sünde“ (magnum peccatum) an, die mit dem Segen des Höchsten den Fortgang des ganzen Bekehrungswerks in
96
Zum folgenden vgl. unten Beitr. XV, passim.
bausteine zur grundlegung
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Frage stellen könne. (Leider fehlen Aeusserungen über das Problem der „indirekten Nötigung“, in deren Licht die „Freiwilligkeit“ vollzogenen Uebertritts so sehr anders aussehen kann.) Im Ganzen bietet Brun mithin ein Beispiel, das mit seltener Klarheit erkennen lässt, wie sorgsam abgestuft ein verantwortungsbewusster Missionsbischof jener Zeit je nach „Beschaffenheit“ der „Missionsobjekte“ Missions- oder auch Disziplinarmittel verschiedenster Art einzusetzen strebte, um dem Missionsbefehl seines Herrn auf jeden Fall Genüge zu tun. Unzweifelhaft ist die dabei zutagetretende Kasuistik im vollen Sinn des Wortes typisch97; sie macht Brun zum Repräsentanten eines ganzen Systems, auch wenn er nicht in allen Einzelheiten „die“ Stellungnahme der mittelalterlichen Kirche oder auch nur seiner Zeitgenossen vertrat (es sei nur nochmals daran erinnert, wie völlig sein Ruf nach jener Apostatenexekution im Leeren verhallte, ja überhaupt in der Geistesgeschichte der deutschen Kirche des Wendenlandes isoliert dasteht98). ∗
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∗
Die Fülle der Fragen, auf die umfassende phänomenologische Betrachtung einzugehen hätte, ist zweifellos noch nicht erschöpft. Vollständigkeit ist jedoch ohnedies nicht zu erreichen, und wir müssen uns beschränken. Die Bedeutung, die einer derartigen Betrachtungsweise zukommt, wird auch so schon deutlich geworden sein: nur der in ihr gewährleistete Blick auf das Allgemeine kann die jeweilige geschichtliche Individualität in ihrer Besonderheit und Eigenart erfassen, nur er auf 97 Zum Vergleich sei auf die ausführliche Narratio einer Urkunde verwiesen, die Kaiser Friedrich I. 1170 dem Bistum Schwerin ausgestellt haben soll (Meklenburgisches Urkundenbuch, I, Schwerin, 1863, Nr. 91, S. 85 f.): darin ist die Rede von friedlicher Missionsarbeit, Taufe, Zerstörung heidnischer Heiligtümer, Bau christlicher Kirchen im Obotritenland; für Rügen wird vom Scheitern friedlicher Predigt berichtet, von darauf vorgenommener Nötigung zur Taufe mit Waffengewalt, dann aber erneuten friedlichen Versuchen, die also Bekehrten nun in Milde auch innerlich für das Christentum zu gewinnen. Die Urkunde ist im 13. Jahrhundert verfälscht (vgl. K. Jordan, Die Bistumsgründungen Heinrichs des Löwen, Stuttgart, 1939 = 1952, S. 55–59), zeugt also sicher nur für die Anschauungen dieser späteren Zeit; die Darstellung ist zweifellos rhetorisch aufgeputzt und vertritt einseitig den Parteistandpunkt des Schweriner Bistums, indem sie den Anteil anderer geistlicher und weltlicher Gewalten unterdrückt. Dass in wesentlichen Punkten echte Tradition vorliegen dürfte, legen Parallelüberlieferungen nahe, unter denen Arnold (von Lübeck), Chronica Slavorum, V, 24 (ed. G. H. Pertz, Hannover, 1868, S. 192 f.) Hervorhebung verdient; vgl. dazu oben Anm. 32 über Berno, auf den sich auch die vorstehenden Nachrichten beziehen. 98 Vgl. unten Beitr. XV, Abschn. 6, ergänzend XIV, Abschn. 2–3, und XXV, Abschn. 3–4.
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beitrag ix
die Dauer zu wirklich innerem Verständnis verwickelten Geschehens helfen, nur er – last not least – die Forschung davor bewahren, dass sie aus allzu isolierter Betrachtung eines begrenzten Einzelschauplatzes heraus falsche Schlüsse zieht (indem sie etwa das Vorgehen deutscher Partner in der Wendenmission als Aeusserung eines anachronistischen „Nationalhasses“ deutet, während es phänomenologisch doch in erster Linie dem allgemeinen mittelalterlichen Kampf zwischen Christentum und Heidentum einzuordnen ist, in dessen Rahmen es dazu alles andere einnimmt als eine extrem radikale Stellung). Wichtig ist bei alledem, dass wir auch als Phänomenologen Historiker bleiben: dass wir uns nicht blenden lassen durch scheinbare Uebereinstimmung im äusseren Bilde, wozu Phänomenologie und Typologie so leicht verführt: dass wir das historisch Einmalige und Unvergleichliche auch dort achten, wo Beziehungen sich auf den ersten Blick aufzudrängen scheinen99, und dass wir auch bei einer so stark geistesgeschichtlich gerichteten Disziplin wie der Missionsphänomenologie doch stets den ganzen Menschen im Auge behalten: den, der niemals nur Christ ist oder nur Heide, sondern immer zugleich auch König oder Kaufmann, Priester oder Krieger, Adeliger, Höriger oder Freibauer fremden oder auch gleichen Volkes, – den, der selten allein vom „Geist“ her zu fassen ist, selten allein von eigensüchtigen Trieben, sondern immer und immer wieder ideelles und materielles Streben in oft komplexester Weise in sich vereinigen kann, zumal auf dem Boden mittelalterlich-christlicher Religiosität100.
99
Der Kreuzzugsaufruf Bernhards von Clairvaux (1147) ähnelt äusserlich einem direkten Missionskrieg schärfster Form so weitgehend, dass er bisher immer wieder als bezeichnender Vertreter dieser Erscheinung in Anspruch genommen worden ist. Die Alternative ist dabei jedoch genau umgekehrt gestellt (nicht „Taufe oder Tod“, sondern „Vernichtung oder Bekehrung“), und es scheint hier vielmehr eine mildere Form des Rache- und Ausrottungskrieges gegen Heiden vorzuliegen, die an Gott und der Christenheit schuldig geworden waren (vgl. oben Anm. 86 und 93); dazu aber jetzt unten, Beitr. XX. 100 Ueber diese Religiosität: unten Beitr. XXI, Abschn. 2, (jedoch auch Abschn. 3 darüber, dass keineswegs alle Erscheinungen sich von hier aus erklären lassen). Zur Verbindung geistlicher und nichtgeistlicher Motive vgl. noch oben Anm. 10, gegen Ende, ferner bei. Anm. 12, Anm. 21 und 22, schliesslich bei Anm. 34a–38.
BEITRAG X
DIE ERSTEN JAHRHUNDERTE DES MISSIONSGESCHICHTLICHEN MITTELALTERS Bausteine für eine Phänomenologie bis ca. 1050 1. Mission im ‚Mittelalter‘ Vorliegender Band hat dem Weg christlicher Mission von der Antike in die mittelalterliche Welt hinein nachzugehen. Es dürfte sachdienlich sein, an seinem Beginn sich zu vergegenwärtigen, was dieser Weg bedeutet, und zwar nicht nur missionsgeschichtlich, sondern auch allgemeingeschichtlich gesehen. Daß jeder großzügige Überblick mancherlei zusammenraffen und vereinfachen muß, was sich bei detaillierterer Betrachtung erheblich differenziert, versteht sich dabei von selbst. ‚Mittelalter‘ entstand, rein sprachlich, als Verlegenheitsbegriff der Renaissancehumanisten: das – ,finstere‘ – medium aevum, das die eigene lichte Gegenwart von der Erhabenheit des klassischen Altertums trennte und nun endlich zu überwinden war. Einmal eingebürgert, blieb der Begriff haften, ungeachtet vielfacher Kritik; nicht für sich allein, sondern im Rahmen jenes dreigliedrigen Schemas, in dem er entstanden war, gemeinsam mit Altertum (Antike) und Neuzeit. Das geschah teils aus Gewohnheit, teils aber auch, weil mit dem so formulierten Dreischritt „die einzige nichttheologische Einteilung der Geschichte in größere Zeitabschnitte gegeben war“1. Dabei ist wichtig, daß die Festsetzung dieses Gliederungsschemas im allgemeinen Geschichtsbild in Europa erfolgte und zu Zeiten, in denen ein längst fragwürdig gewordenes europazentrisches Geschichtsdenken noch weit jenseits aller Anfechtung stand. Auch ‚Mittelalter‘ ist ein Begriff, dessen Anwendbarkeit einigermaßen unbestritten einzig für den Bereich geblieben ist, in dem er aufkam, nämlich das ‚Abendland‘2, das heißt: jenes engere Europa, das bis zum Einbruch der Reformation in der lateinischen Kirche zusammengefaßt war. Der Versuch, ihn zu 1 F. Graus, Mittelalter. In: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie, hg. v. C. D. Kernig u.a. Bd 4. Freiburg 1971, Sp. 571. 2 Zum Begriff vgl. O. Köhler, Abendland. TRE 1 (1977) S. 17–42.
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einem universalhistorischen Epochenbegriff auszuweiten, dem in China die gleiche Gültigkeit zukäme wie in Teilen des vorkolonialen Afrika, wird einzig in der marxistischen Geschichtsschreibung unternommen3. Allerdings ergeben sich dabei Schwierigkeiten, die noch nicht ausdiskutiert sind, etwa im Hinblick auf zutage tretende Verschiedenheiten der Entwicklung in weit auseinanderliegenden Teilräumen des Erdballs. Solange hier die innere Einheit übergreifender Epochenmerkmale nicht überzeugender dargetan wird, dürfte es sich empfehlen, an der ursprünglichen geographischen Begrenzung des strengen Mittelalterbegriffes festzuhalten, auch wenn man die Überwindung eines einseitig europazentrischen Geschichtsbildes bejaht und die Entwicklung sachgerechter übergeordneter Gliederungen des Geschichtsablaufes im Rahmen des Möglichen als Desiderat festhält. Wir sehen daher ‚Mittelalter‘ als eine spezifisch ‚abendländische‘ Erscheinung an, die nicht ohne weiteres in andere Geschichtsräume übertragen werden kann: sie bieten, versteht sich, Gleichzeitiges, zum beachtlichen Teil auch Gleichförmiges, aber ihre Epochengrenzen müssen jeweils aus ihrer Eigengesetzlichkeit und Eigenentwicklung abgeleitet, dürfen nicht von außen, hier also von Europa her, an sie herangetragen werden; und daß sie sich mit denen der abendländischen Sonderentwicklung innerhalb Gesamteuropas decken, ist keineswegs ohne weiteres vorauszusetzen, sondern von Fall zu Fall zu beweisen. Wie sind wir dann aber berechtigt, den Mittelalterbegriff in die christliche Missionsgeschichte einzubringen, die doch dem Wesen nach in besonderer Weise universal gerichtet ist? Wir sind uns des Notbehelfs bewußt, halten ihn jedoch für vertretbar, solange keine überzeugenden globalen Periodisierungsvorschläge der Geschichte vorliegen. 3 Weltgeschichte in zehn Bänden (deutsche Ausgabe der sowjetoffiziellen Istorija. Moskau 1957/8). Bd 3. Berlin (-Ost) 1963, S. 1: „Die marxistisch-leninistische Geschichtswissenschaft, die den historischen Prozeß als einen gesetzmäßigen Wechsel von sozialökonomischen Formationen betrachtet, versteht unter dem Mittelalter jene Phase der historischen Entwicklung der Menschheit, in der in den meisten Ländern Asiens und Europas und in einigen Ländern Afrikas die feudale Produktionsweise herrschte. Das Mittelalter ist die Epoche, in der sich die feudale Produktionsweise und die feudalen gesellschaftlichen Verhältnisse im Weltmaßstab herausbildeten, sich entwickelten und verfielen.“ Schon Graus (wie Anm. 1) vermißt dabei die nötige Integration „chronologische(r) und sozialstrukturelle(r) Gesichtspunkte“. Über das Verhältnis des marxistischen Mittelalterbegriffs zum offiziell bevorzugten Feudalismusbegriff und dessen durch gar zu gegensätzliche Anwendung belastete Verwendbarkeit für die Geschichtswissenschaft ist hier nicht einzugehen. Ebenso ist im vorliegenden Rahmen auf detaillierte Einzelnachweise zu den oben im Text folgenden Ausführungen zu verzichten; vgl. die unter Anm. 4 genannten Arbeiten (sämtlich mit weiterer Lit.).
jahrhunderte des missionsgeschichtlichen mittelalters
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Die Berechtigung, einen im strengen Sinn nur regional gültigen Epochenbegriff – europäisch oder nicht – universal auszuweiten, scheint uns dann gegeben, wenn in dem Teilraum, für den dieser Begriff eigentlich allein gilt, zur fraglichen Zeit Vorgänge und Entwicklungen stattgefunden haben, die unter universalhistorischem Aspekt weit über ihn hinausgewirkt haben. Dies ist nun missionsgeschichtlich ganz unzweifelhaft der Fall: im Verlauf der Jahrhunderte, die im abendländischen Europa die mittelalterlichen waren, sind die wichtigsten, weil am dauerhaftesten nachwirkenden Missionsleistungen unstreitig im Bereich der abendländischen Kirche erbracht worden, diejenigen nämlich, durch die sich die Basis der schon gegen Ende dieses Mittelalters sich anbahnenden Weltmission formiert. Die missionarischen Ausstrahlungen schon der gleichzeitigen Ostkirche sind gleichfalls von bedeutender Nachwirkung bis in die Gegenwart hinein, haben aber für die Folge keinen gleich erheblichen Elan im Hinblick auf außereuropäische Missionsgebiete auszulösen vermocht. Die unerhört eindrucksvolle gleichzeitige Missionsleistung etwa der nestorianischen Kirche aber, vielleicht die imponierendste – jedenfalls durch ihren missionarischen Schwung –, die die Geschichte überhaupt je gesehen hat, kann sich gleichwohl an historischer Bedeutung nicht mit dem messen, was in dieser Hinsicht im abendländischen Mittelalter geschah; denn sie wurde noch vor seinem Ablauf durch profanhistorische Ereignisse dermaßen überrollt, daß ihre Nachwirkung bis in die Gegenwart unbedeutend blieb. ‚Mittelalter‘ ist also im übertragenen Sinn gerade hier verwendbar, nämlich als: „Zeitabschnitt, der im lateinischen Europa im Zeichen des Mittelalters steht“, oder auch: „Abendländisches Mittelalter und gleichzeitige Entwicklungen“, wenn nur eine weitere Voraussetzung zutrifft: der Mittelalterbegriff, aus Gegebenheiten der allgemeinen Geschichte entwickelt, muß auch missionsgeschichtlich eine Epoche von einigermaßen übergreifender Geschlossenheit decken; denn wie die verschiedenen Geschichtsräume im globalen Zusammenhang, so haben auch die einzelnen historischen Teildisziplinen Anspruch darauf, daß ihnen Periodisierungsversuche nicht von außen her aufoktroyiert werden, sondern aus ihren eigenen Gegebenheiten erwachsen: auch sachliche Teilerscheinungen der Gesamtgeschichte können ja im Einzelfall durchaus anderen Rhythmen unterworfen sein als das übergeordnete Ganze. Wir haben folglich zu untersuchen, was ‚Mittelalter‘ im Bereich seiner abendländischen Basis ist, wie es sich zeitlich ungefähr abgrenzt, und ob dies beides zur Eigengesetzlichkeit missionsgeschichtlichen Geschehens stimmt. Dabei hat von den ersten beiden Aufgaben die
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Wesensbestimmung dem Eingrenzungsversuch vorauszugehen, weil erst für bekannte Erscheinungen gefragt werden kann, wann sie einsetzen und wann sie enden. Tatsächlich ist im angedeuteten geographischen Rahmen eine substantielle Präzisierung des Mittelalterbegriffes möglich, weil hier die von ihm zusammengefaßten Jahrhunderte unter wichtigen Aspekten tatsächlich eine Einheit bilden. Als Grundvoraussetzung, die diese Epoche mit anderen, auch außerhalb Europas teilt, ist hervorzuheben: sie entfaltet sich wesentlich auf der Grundlage einer Agrargesellschaft, die arbeitsteilig noch wenig differenziert ist. Nicht zuletzt die Kirche dieser Jahrhunderte ist in ihrer Struktur und in ihren Möglichkeiten maßgeblich von dieser Tatsache her bestimmt. Zwar gibt es schon vormittelalterlich Ansätze zu selbständigem Handwerk, auch Kunsthandwerk, etwa den Schmied, ebenso den Kaufmann, etwa in Form des Wanderhändlers, der seltene, nicht überall produzierbare Waren heranzuholen und anzubieten weiß. Aus einer Verstärkung derartiger Komponenten, die im Lauf des fortschreitenden Mittelalters überall in Europa mächtig zunimmt, entwickelt sich in seinem Verlauf ein blühendes und leistungsfähiges Städtewesen auch dort, wo es nicht wie in einstmals zum Romanum Imperium gehörenden Gebietsteilen wenigstens rudimentär schon von der Antike her bestehen geblieben war. In ihm konzentrieren sich wesentlich Kräfte, die am Ende dazu beitragen werden, das Mittelalter aufzusprengen und schließlich, lange nach seinem Ende, die ‚industrielle Revolution‘ heraufzuführen. Der Prozentsatz der Gesamtbevölkerung, der in städtischen Siedlungen zusammengefaßt war, blieb gleichwohl, im Ganzen gesehen, verhältnismäßig gering; selbst gegen Ende des Mittelalters hielt er sich wohl vielfach in Europa noch unter fünfzehn Prozent, soweit Schätzungen überhaupt möglich sind. Dabei ist noch der beträchtliche Anteil der Ackerbürgerstädte einzurechnen, die nur der Siedlungs- und Rechtsform nach Städte waren, ohne aber in nennenswertem Umfang aus der alten Agrargesellschaft tatsächlich auszubrechen. Sie ist es, die den Charakter der mittelalterlichen Jahrhunderte maßgeblich bestimmt, für weite Teile Europas bis in den Adel hinein, der weithin Landadel bleibt, nicht Stadtadel wird, wenn man von charakteristisch anders gearteten Entwicklungen im Süden absieht. Die Verkümmerung des einst blühenden Städtewesens der Antike in den Gebieten, die es einstmals beherrscht hatte, ist daher eine wesentliche Komponente, die zur Ausbildung des neuen Zeitalters beiträgt – es genügt, hier an den Verfall selbst Roms zu erinnern, das an einst
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ehrwürdigen Stätten innerhalb seiner Mauern jahrhundertelang Kühe weiden sah. Hand in Hand mit dieser Rückbildung antiken Städtewesens und seiner hochentwickelten gewerblichen Großproduktion geht der Verfall der Geldwirtschaft, die im alten Imperium eine so selbstverständliche Voraussetzung wirtschaftlichen Lebens geworden war: das Mittelalter zeigt sich weitgehend beherrscht von einer primitiven Naturaltauschwirtschaft, die für viele Teile dieses damaligen Abendlandes nur sehr allmählich und punktuell von neu sich ausbildender Geldwirtschaft zurückgedrängt wird; sie behauptet neben dieser vielfach auf dem Lande einen beachtlichen Platz noch in die sogenannte frühe Neuzeit hinein. Für die Entfaltung kirchlichen Lebens sind diese Gegebenheiten langezeit grundlegende Voraussetzung geblieben, auch wenn die päpstliche Kurie sich schon verhältnismäßig früh, spätestens im Lauf des zwölften Jahrhunderts, unter die großen Geldmächte ihrer Zeit einzureihen verstand, bis sie schließlich unter ihnen eine Spitzenposition erklomm. Auf den unteren Stufen der Hierarchie sind derartige Gegebenheiten zweifellos sehr viel zögernder und extensiver vorgedrungen, und für missionarisches Neuland, das für mittelalterliche Verhältnisse immer zugleich wirtschaftliches Entwicklungsland war – vom Orient sehen wir hier ab –, dürfte eine geldwirtschaftliche Basis landeseigener Kircheninstanzen noch lange schwer zu schaffen gewesen sein. Auf dieser Basis vorwiegend agrarisch-naturalwirtschaftlichen Entwicklungsstandes läßt ‚Mittelalter‘ sich bestimmen als ein Zeitalter, nach innen hin maßgeblich geprägt vom Dreiklang: Adelsherrschaft, Christentum und Antike, jeweils in besonderer Form. Die Adelsherrschaft war vielleicht stark durch nachwirkende germanische Komponenten bestimmt, nicht nur für den Bereich der germanischen, sondern auch den der romanischen Völker, die ja aus der Verschmelzung von Provinzialromanen mit eingeströmten Völkerwanderungsgermanen entstanden. Im Ostbaltikum wurde sie sogar gleichbedeutend mit einer Fremdherrschaft germanischstämmiger Einwanderer, zum Teil auch im Gebiet des alten Elbslawentums. In anderen westslawischen Gebieten dagegen und bei den Ungarn, die beide im Gesamtbild des abendländischen Mittelalters nicht vergessen werden dürfen, trat die germanische Komponente denkbar weitgehend zurück, und im übrigen ist sie auch dort, wo sie mitsprach, gegen ältere Ansicht nicht zu überschätzen: nicht alles bleibt bei näherem Zusehen ‚germanisch‘, was einmal in diesem Sinne gedeutet wurde. Wichtiger war wohl überall das grundherrschaftliche Element, durch das sich die Adelsschichten der Zeit aus ihrer Agrargesellschaft heraushoben und
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formierten, nicht weniger bedeutsam die unmittelbare Beteiligung dieser Schichten an der öffentlichen Gewalt, die so weit geht, daß für die mittelalterlichen Verfassungsverhältnisse geradezu die Anwendbarkeit des Staatsbegriffes in Frage gestellt werden konnte. Christentum hingegen, wie es für jene Jahrhunderte grundlegend wurde, war stark institutionalisiert, verstand sich daher vornehmlich als Kirche (nicht etwa in erster Linie als Gesinnung), und zwar als Kirche katholischer Art von damals besonders ausgeprägt – vielleicht darf man sagen: oft zu einseitig ausgeprägt – sakramentalem Denken. Diese Kirche stellte für viele dieser Jahrhunderte zugleich die einzige schriftkundige und literarische Bildungsschicht; denn die in der Antike selbstverständliche, in Byzanz weitergeführte Laienbildung verkümmerte im Übergang zum Mittelalter, soweit sie damals in den betreffenden Gegenden überhaupt jemals vorhanden gewesen war: die mittelalterliche Agrargesellschaft ist analphabetisch bis in höchste Spitzen hinein – selbst für einen Herrscher können Lesen und Schreiben durchaus nicht als selbstverständlich gelten –; Laienbildung fußt ausschließlich auf mündlichen Traditionen, in die sich im religiösen Bereich nun die kirchliche Verkündigung einreiht; erst die Oberschicht des neu entstehenden Stadtbürgertums kann allmählich eine Gegenbewegung einleiten, schon weil sie mit Ausweitung ihres Handels sich gezwungen sieht, Bücher zu führen. Kleriker als sozusagen von Beruf Schreibkundige spielen daher in diesem Mittelalter immer wieder hervorragende Rollen auch als Helfer weltlicher Verwaltung, soweit sie nicht Formen entwickelt, die des Schriftwesens zu entraten vermögen. Im übrigen nimmt diese mittelalterliche Kirche wesentliche Elemente der Adelsherrschaft der Zeit unmittelbar in sich auf, wird, vor allem im Episkopat, weithin zu einem ihrer spezifischen Exponenten. Zur straff zentralisierten Hierarchie allerdings formiert sie sich erst im Verlauf der Jahrhunderte, um die es hier geht, abschließend während des elften, dann aber endgültig so, daß weitere Erscheinungsformen christlicher Religion neben ihr nicht dauerhaft aufzukommen vermögen, wozu dann der Einfluß dieser Hierarchie auf die Inhaber weltlicher Gewalt Entscheidendes beiträgt, bis die Reformation neue Verhältnisse heraufführt. Was schließlich die Antike in diesem Zusammenhang angeht, so ist zu sagen: sie kommt für die Grundlegung des Mittelalters nicht mit der ganzen Breite ihres Erbes in Betracht, sondern allein in der Spätform derjenigen ihrer Entfaltungen, deren Sprache die Kirche ihrerseits sich zu eigen gemacht hatte, der lateinischen also: Graeca non leguntur blieb ein bestimmender Grundsatz, desto mehr, je verdächtiger zeitgenössisches
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Griechisch mit wachsender Absetzung von Byzanz dem Abendland wurde. Nicht einmal die griechische Bibel wurde weiter gepflegt, von der hebräischen ganz zu schweigen – Ausnahmen blieben selten. Von dieser späten lateinischen Antike aber gilt, daß sie im Mittelalter nun weniger mehr wirkt als nachwirkt, und zwar nachwirkt als verpflichtend empfundene Tradition – verpflichtend in den Grenzen, die zeitgenössische Christlichkeit noch gelten lassen konnte, zuweilen jedoch auch darüber hinaus. Im übrigen gilt auch für ihre Nachwirkung die stark unterschiedliche Intensität, die das Kulturleben des Mittelalters auch sonst so vielfach kennzeichnet, hier sowohl geographisch wie sozial gesehen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf den Unterschied zwischen Ordensklerus, Weltklerus und Laien. Auf dieser dreifachen Grundlage von Adelsherrschaft, christlichem Kirchentum und lateinischer Antike als Traditionsmacht vollzieht sich im Rahmen der mittelalterlichen Agrargesellschaft und ihrer Möglichkeiten in eben diesen Jahrhunderten ein Vorgang von kaum absehbarer Tragweite: Europa konstituiert sich als ein Begriff von nicht nur geographischer, sondern auch historischer Qualität, Landgebiete gemeinsam umgreifend, die vordem vielfach nur wenig miteinander gemein hatten, weil sie zerschnitten waren durch die Grenze des Imperium Romanum gegen die ‚Barbaren‘, politisch wie kulturell. Diese Formierung Europas zu einem neuartigen historischen Ganzen gehört zweifellos zu den wichtigsten Ergebnissen der gesamten mittelalterlichen Epoche, ebenso wie die gleichzeitig angebahnte Neugliederung nach innen zu einem System von Staaten, aus denen in vielen Fällen moderne Nationen hervorgehen sollten, ohne Anknüpfungspunkt in vormittelalterlichen Entwicklungen. Daß an dieser Formierung die lateinische Kirche in so hervorragender Weise beteiligt war als vielfach geradezu monopolisierte Bildungsmacht, blieb folgenreich bis zur Gegenwart: noch heute macht die Integrierung der Teile Europas, die ihre Prägung unter ostkirchlichem Vorzeichen empfingen, in das eigene Selbstverständnis vielen Bewohnern des einstigen Abendlandes Schwierigkeiten, und Amerika, das seine moderne Besiedlung dermaßen weitgehend aus dem Schoß West- und Mitteleuropas empfing, liegt ihnen innerlich näher als Rußland oder der Balkan, auch unabhängig von politischen Umformungen, die dort teilweise erst wenige Jahrzehnte alt sind. Denn dieses mittelalterliche Europa gestaltet sich maßgeblich in gegenseitiger Abgrenzung einer lateinkirchlichen und einer ostkirchlich bestimmten Sphäre auf dem Boden des Kontinents, von deren Gegensatz manches nachwirkt bis hinein in den heutigen weltpolitischen
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Antagonismus von ‚West‘ und ‚Ost‘. Noch stärker jedoch findet es sich selbst in Abgrenzung gegen die neue islamische Welt, die aus dem gleichen alten Imperium und seinem Kulturbereich andere Teilgebiete herausbrach und sie, ebenfalls unter Verwischung einer einst markanten Außengrenze, in neue Verbindungen einbezog. Die Struktur kompliziert sich, seit innerhalb des lateinischen ‚Abendlandes‘ noch ein zusätzlicher Dualismus zwischen Papsttum und Kaisertum aufbricht. Für das Mittelalter insgesamt bedeutet dies alles nochmals eine doppelte Dreiheit: für die ‚Alte Welt‘ als Ganzes lateinisches ‚Abendland‘ (mit der geschilderten Grundstruktur), daneben griechisch-byzantinisch geführter europäischer Osten (mit süd- und ostslawischen Komponenten von wachsender Eigenständigkeit) und weiter der islamische Orient, innerhalb des geographischen Europa aber ein konstitutives Dreiecksverhältnis zwischen Rom, Konstantinopel und jenem „Reisekaisertum“ des „Reiches ohne Hauptstadt“, dessen Schwerpunkt nördlich der Alpen verbleibt und neben dem zunehmend ‚nationale‘ Königtümer selbständige Bedeutung gewinnen. Europäisches Mittelalter endet, während Europa bleibt, dort, wo die alte Dreiheit seiner inneren Grundlagen sich auflöst: wo Adelsherrschaft eingeengt, ja aufgewogen oder gar zersetzt wird von neuaufstrebender Bürgerlichkeit im Verein mit neuartiger Fürstenmacht; wo die umfassende Kircheneinheit selbst innerhalb des engeren Europa zerbricht unter dem doppelten Angriff von Reformation und Rationalismus; wo im gleichen Raum Antike in ein neuartiges Stadium ihrer Ausstrahlung eintritt, in dem sie weniger nachwirkt als neu wirkt, renaissancehaft wiederentdeckt und -ergriffen, zum Teil auch als Hebel gegen bisheriges Christentum und unter seinem Vorzeichen entstandene Fesseln. Es ist die gleiche Zeit, in der auch die Dreiheit äußerer Konstituanten vergeht: das westliche Kaisertum fixiert sich in Wien, sein Gegensatz zum Papsttum tritt zurück hinter neuen Problemen, während das östliche aufgehört hat zu bestehen, denn auf der Hagia Sophia zu Konstantinopel erhebt sich nun der türkische Halbmond; erst allmählich schiebt Rußland sich als Erbe der alten Vormacht des Ostens in den Vordergrund, doch gleichzeitig unter neuartigen Vorzeichen und Formen. Es ist dieselbe Periode, in der Europa sich anschickt, endgültig die eigenen Grenzen zu sprengen, in der es auszuziehen beginnt zur Europäisierung einer übrigen, in ihren tatsächlichen Ausmaßen nun erst allmählich entdeckten Welt – um von anderem, was das neue Zeitalter kennzeichnen wird, hier zu schweigen.
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Das Ende des Mittelalters ist von da her verhältnismäßig eindeutig bestimmt: seine Wende kulminiert in einer größeren Zahl von Jahrzehnten, die sich beiderseits um das Jahr 1500 gruppieren. Dort etwa liegt die ‚Wasserscheide‘ zur ‚Neuzeit‘, so wenig ‚Mittelalter‘ damals ganz erlischt, so tief es noch Jahrhunderte weiter zu wirken vermag, etwa in Hexenprozessen (mit vollstrecktem Todesurteil zuletzt 1782 im schweizerischen Glarus) und in Ketzerverfolgungen (1731/2 Vertreibung der Salzburger Protestanten, erst 1813 förmliche Aufhebung der Todesstrafe für Leugner der Trinität in England), nicht zu vergessen die Überwindung spätmittelalterlicher (vorabsolutistischer) Formen von Staatlichkeit, wie sie etwa in Deuschland außerhalb der großräumigen Territorialstaaten dynastischer Prägung vielfach erst mit der napoleonischen Zeit einsetzt3a. Weniger eindeutig bestimmbar ist der Anfang der gleichen Epoche. Ist ‚Mittelalter‘ gegeben, wo die genannte Dreiheit von Fundamenten miteinander verbunden erscheint, so muß sein Beginn in den verschiedenen Teilen Europas konsequenterweise verschieden datiert werden, je nachdem ab wann dort Adelsherrschaft der spezifisch neuen Formen erscheint, vereint mit institutionalisiertem Christentum auf katholischer Basis und lateinisch-antiker Kulturtradition in ihren gekennzeichneten Sonderformen. Weit vor 600 kommt man wohl nirgends zurück (entgegen jahrhundertealten Konstruktionen, die die Absetzung eines bestimmten nicht einmal Kaisers, sondern Gegenkaisers im Westen 476 als Epochenscheide nennen wollten), aber in Teilen des Mittelmeerraumes läuft auch dann noch eine Entwicklung, die man zeitweise „subspätantik“ zu nennen versucht hat, zeitlich neben weiter nördlich schon spürbar einsetzendem Frühmittelalter einher. Für Skandinavien, das seinem Mittelalter eine (wesentlich noch heidnische) ‚Wikingerzeit‘ (um 800–1050) als selbständige Periode vorzuschalten pflegt, gelangt man mit den mittelalterlichen Anfängen erst in das elfte Jahrhundert, im Baltikum gar erst in das dreizehnte hinein. Es ist hier wie auch sonst
3a Dies gilt vor allem für die geistlichen Fürstentümer des alten Reiches, vgl. die Hinweise bei H. Raab, Clemens Wenzeslaus von Sachsen und seine Zeit I. Freiburg/ Basel/Wien 1962, S. 9–21, passim; daneben für eine große Zahl weltlicher Kleindynastien, vgl. W. Schlesinger, Die Landesherrschaft der Herren von Schönburg. Eine Studie zur Geschichte des Staates in Deutschland (QVGDR 9, 1). Münster/Köln 1954, mit grundlegender Problemstellung. Dazu allgemein: E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 13). Göttingen 1974.
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bei wichtigen Entwicklungen in unserem Erdteil, die, wenngleich wohl meist weniger kraß, immer wieder durch eine charakteristische Wellenfolge derartiger Phasenverschiebungen gekennzeichnet sind4. Von hier aus präzisiert sich nun aber auch die Bedeutung der Missionsgeschichte für den gesamten Ablauf. Adelsherrschaft, die erste der gekennzeichneten Konstituanten des Mittelalters, entstand jedenfalls in seinem Bereich allenthalben aus eigenwüchsigen Gegebenheiten, abgesehen von den genannten Ausnahmen im östlichen Mitteleuropa; nirgends sonst wurde sie importiert. Was jedoch christlichen Kult und Glauben dorthin trug, wo er noch keine Wurzeln geschlagen hatte, das war die Mission der Kirche, und für die beteiligten antiken Traditionselemente gilt aus genanntem Grunde mittelbar dasselbe. Mit anderen Worten: Missionsgeschichte erlangt in dieser Übergangsphase zwischen dem ersten und dem letzten Einsetzen ‚mittelalterlichen‘ Lebens im alten Europa eine Bedeutung für die allgemeine Geschichte, wie sie so niemals vorher gegeben war und auch niemals wiederkehren sollte; sie erlangt sie, weil eben Mission es ist, in deren Vollzug sich in dermaßen entscheidendem Ausmaß die Fundamentierung und Konstituierung Europas als, sagen wir: historische Wesenheit begibt und ereignet. Diese Beobachtung ermutigt nun aber im Anschluß an einige schon vorher berührte Details endgültig zu der Frage, ob der Mittelalterbegriff,
4 Zu den angeschnittenen Periodisierungs- und Strukturproblemen genüge hier, ergänzend zu Graus (wie Anm. 1), der Hinweis auf: P. E. Hübinger (Hg.), Zur Frage der Periodengrenze zwischen Altertum und Mittelalter. Darmstadt 1969 (Sammlung von 16 einschlägigen Aufsätzen besonderer Bedeutung aus den Jahren 1863–1962); H. Heimpel, Über die Epochen der mittelalterlichen Geschichte. Zuletzt in: ders., Der Mensch in seiner Gegenwart. Göttingen 1954, S. 42–66, vgl. S. 198–200; ders., Europa und seine mittelalterliche Grundlegung. Ebd S. 67–86, vgl. S. 200; O. Halecki, Europa. Grenzen und Gliederung seiner Geschichte. Darmstadt 1957; vgl. auch J. Fischer, Oriens – Occidens – Europa. Begriff und Gedanke „Europa“ in der späten Antike und im frühen Mittelalter. Wiesbaden 1957. – Kritisch gegen Überbetonung der „germanischen“ Komponente: F. Graus, Über die sogenannte germanische Treue. Hist (P) 1 (1959) S. 71–121; vgl. auch dens., Deutsche und slawische Verfassungsgeschichte? HZ 197 (1963) S. 265–317; dazu aber W. Schlesinger, Randbemerkungen zu drei Aufsätzen über Sippe, Gefolgschaft und Treue. In: Alteuropa und die moderne Gesellschaft. Festschrift für Otto Brunner. Göttingen 1963, S. 41–59. Daß innerhalb des als ‚Mittelalter‘ definierten Zeitraums trotz aller Gemeinsamkeiten ein sehr tiefgreifender Einschnitt um 1200 anzusetzen ist, der das ‚Spätmittelalter‘ in vielem näher an die ‚frühe Neuzeit‘ heranrückt als an die vorausgehenden Perioden, ist oft betont worden; vgl. etwa F. Rörig, Mittelalterliches Kaisertum und die Wende der europäischen Ordnung (1197). In: F. Härtung u.a., Das Reich und Europa. Leipzig 19412, S. 22–51. Der Erforschung der so verstandenen Anschlußperiode und ihrer Zusammenhänge von 1200 bis 1800 dient jetzt die „Zeitschrift für historische Forschung“, hg. v. Jhs. Kunisch u.a., Berlin 1974 ff.
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zunächst aus Kriterien außerhalb der Missionsgeschichte definiert, sich nicht tatsächlich auch auf ihr Arbeitsfeld übertragen läßt. Offenbar ist diese Frage zu bejahen; denn nähere Betrachtung zeigt: den vorausgeschickten äußeren und inneren Merkmalen dieses allgemeinen Mittelalterbegriffs, so skizzenhaft sie hier auch zu bleiben hatten, sind zugleich auch einige wesentliche Grundzüge zu entnehmen, die christliche Mission für eben diese Jahrhunderte gemeinsam abheben von älteren und jüngeren Erscheinungsformen ihrer selbst. Anders gewendet: es ist eben dieser allgemeine Mittelalterbegriff, an dessen charakteristischen Inhalten das ansetzen kann, was die eigentliche Aufgabe dieses Beitrages bildet, nämlich die Entwicklung von Fundamenten einer missionsgeschichtlichen Phänomenologie dieser Zeit. Um bei den äußeren Merkmalen zu beginnen, jener Dreiheit von lateinischem ‚Abendland‘, griechisch-byzantinisch geführtem europäischen Osten und islamisch beherrschtem Orient, die vereint nicht die gesamte bewohnte Welt jener Jahrhunderte decken, deren gemeinsame Existenz und wechselseitige Verstrickung jedoch die Jahrhunderte des Mittelalters dermaßen charakterisiert, daß ihr Aufhören zu den wesentlichen Anzeichen seines Endes gezählt werden muß: das allgemeine Neben- und Gegeneinander dieser drei Welten bedeutet zugleich dreierlei verschiedene Erscheinungsformen von ‚Kirche‘, soweit ihre äußeren Existenzbedingungen betroffen sind. Die ausschlaggebenden Mächte Europas sind damals christlich in West und Ost, was immer sie hier oder dort darunter verstehen. Was das für die Kirche ihres Bereiches unter allen Umständen bedeutet, lehrt der Blick in den Orient: dort lebt ja gleichzeitig unter un-, ja widerchristlicher Herrschaft eine Mehrzahl konkurrierender Sonderkirchen, oft mehr widerwillig als freundlich geduldet, dahin, deren Existenzberechtigung bei aller praktischen Toleranz vom Prinzip her in Frage gestellt wird; sie sind daher auch in ihrem Auftreten nach außen hin, in der Öffentlichkeit ihrer Umwelt, immer wieder gezielten Einschränkungen ausgesetzt, so hoch auch die Stellungen sein mögen, die einzelne ihrer Glieder im Dienst der Machthaber gleichwohl immer wieder erlangen können. Ihnen stehen im Osten Europas orthodoxe Staatskirchen gegenüber, jeweils an ihrer Stelle integriert als tragende Säule in einen Staat, der im Rahmen zeitbedingter Grenzen als totalitär zu kennzeichnen ist, zentralistisch-bürokratisch in Byzanz, in nachlassender Intensität in seinem nordöstlichen Vorfeld, immer aber mit einer zugleich politisch gefärbten Orthodoxie gleichsam als Bürgerpflicht, gesetzlich verankert für alle, die diesem jeweiligen Staat im Vollsinn des Wortes angehö-
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ren. Diese Situation bedeutet, kirchlich gesehen, Stärke und Schwäche zugleich. Abendländische Kirchen hingegen erfreuen sich demgegenüber wechselnder, doch überall weitgehender Entfaltungsfreiheit, oft mehr neben als in den feudalistisch aufgelockerten Staatswesen (‚feudalistisch‘ im ursprünglichen Sinne der Lehnsverfassung gemeint), Staatswesen, die eben diesen Kirchen ihres Bereiches von der geistigen Potenz her unterlegen sind; was hier lähmen kann, ist vornehmlich der Konfliktfall zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt, als Möglichkeit vorgegeben in der gekennzeichneten dualistischen („dyarchischen“) Grundstruktur dieses lateinischen Bereichs, wenn auch keineswegs zu allen Zeiten des Mittelalters gleichmäßig realisiert und niemals so, daß die Spannungen sich überall gleichmäßig auszuwirken vermöchten. Dieses alles aber schafft wie für die Entfaltung kirchlichen Lebens überhaupt, so auch für diejenige von Mission in den drei Hauptteilen der „Alten Welt“ jener Zeit jeweils allgemeine Voraussetzungen von recht unterschiedlicher Art, von denkbar weitgehender Einengung missionarischer Bewegungsfreiheit im islamischen Bereich bis zu jenem seltsamen Gegeneinander päpstlicher und kaiserlicher Missionstheorie, nämlich im Hinblick auf Zuständigkeiten im zu christianisierenden Neuland, das im Abendland jahrhundertelang immer wieder auflebt, teilweise mehr als Prestigestreit im Hintergrund als ein Faktor von wirklich praktischer Bedeutung, teilweise jedoch von erheblicher Auswirkung auf die abschließende Festlegung kirchlicher Zuständigkeiten5. Dies aber führt sogleich auf ein Weiteres. Begreift mittelalterliches Christentum sich, stark institutionalisiert, vornehmlich als Kirche (statt etwa als individuelle Frömmigkeit), so versteht sich von selbst, daß die Geschichte seiner Mission weit stärker als anderweitig zusammenfallen muß mit derjenigen des Ausbaus der Kirchenorganisation
5 Derartige Diskrepanzen sind vorweggenommen bereits in den Konzeptionen Papst Gregors II. einerseits, Karl Martells andererseits, zwischen denen die Wirksamkeit des Bonifatius sich zu entfalten hatte (vgl. etwa A. Hauck [wie Anm. 97] I, S. 427 f. gegenüber S. 437 f., dazu S. 434, 439 u. 449). Für spätere Zeit grundlegend: A. Brackmann, Gesammelte Aufsätze. Weimar 1941 = Darmstadt 1967, S. 64 ff., 85 ff., bes. 89 ff., auch 96 f., 100 f., 104 f., 121 f., 125 ff., 144–150, 171 f., 190 f. u.ö. (dazu eine wenig überzeugende Gegenposition von J. Kirchberg, Kaiseridee und Mission unter den Sachsenkaisern und den ersten Saliern von Otto I. bis Heinrich III. [HS 259]. Berlin 1934, S. 38–41, 59 f. u. 79, dagegen z.T. schon die Rezension von C. Erdmann, HZ 152 [1935] S. 412); ferner E. Caspar, Hermann von Salza und die Gründung des Deutschordensstaates in Preußen. Tübingen 1924, S. 19 f., 25–28 u. 54 ff., um weitere hier zu übergehen. Vgl. unten S. 325 ff. mit Anm. 117 u. 120. Eine neue kritisch-zusammenfassende Untersuchung dieses Gesamtkomplexes wäre erwünscht.
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in übergreifendem Rahmen. Entscheidender Träger der Mission wird, so wenig er geringerer Mitarbeiter entraten kann, der Bischof als der maßgebliche Träger kirchlicher Weihegewalt, er, ohne den weder Priester gültig geweiht werden können noch Kirchengebäude (und daran hängt im ersten Falle die ordnungsgemäße apostolische Sukzession, ohne die nach katholischem Verständnis eine wirksame Verwaltung der Sakramente im allgemeinen nicht möglich ist; im zweiten die Einrichtung geregelten gottesdienstlichen Lebens, ohne das weder im neu gewonnenen Lande Gott die gebührende Ehre gegeben werden kann, noch eine Weitervermittlung des Stroms sakramentaler Gnade möglich ist, auf die im Denken der Zeit so ungleich viel mehr ankommt als auf Predigt und Seelsorgetätigkeit). Selbst die Firmung, durch die das in der Taufe begonnene Gnadenwerk die wahre Vollendung findet, ist für dieses Denken normalerweise an die Person eines geweihten Bischofs gebunden6. Von erheblicher Bedeutung für die mittelalterliche Mission wird ferner die Tatsache, daß die Kirche damals als Bildungsmacht, genauer: als Trägerin von Schriftkultur, in ihrem Bereich so völlig konkurrenzlos dasteht, im engeren Europa der Zeit wie übrigens nicht minder gegenüber der Slawenwelt im byzantinischen Strahlungsbereich (das Judentum, das seine altüberkommene Schriftkultur selbstverständlich auch im europäischen Mittelalter bewahrte, bleibt wegen der mangelnden geistigen Kommunikation hier vollständig außer Betracht). Gilt diese Monopolstellung schon für Lande, die länger kirchlich organisiert sind, so erst recht gegenüber den Missionsgebieten in unserem Erdteil, und das schafft denkbar weitgehend andere Voraussetzungen, als sie in der Antike bestanden hatten. Nirgends erscheinen im europäischen Mittelalter ein Celsus und seinesgleichen, um die Polemik der nichtchristlichen Seite gegen die neue Religion in Schriftform zusammenzufassen, und das liegt nicht nur an Überlieferungszufällen oder daran, daß christliche Obrigkeit damaliger Zeit solche Stimmen gar nicht hätte aufkommen lassen, sondern es ist in der festgestellten kulturgeschichtlichen Grundtatsache begründet, im einfachen Unvermögen der anderen Seite. Dementsprechend fehlt der mittelalterlichen Mission weitgehend die Begleitung durch christliche
6 Hier genüge der allgemeine Hinweis auf die maßgeblichen Handbücher des Kirchenrechts von H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Köln/Graz 19725; W. Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts. Wien 1960/12 usw.
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Apologetik als korrespondierende Literaturgattung. Missionarische Verkündigung ist ganz angewiesen auf außerschriftliche Formen, auf mündlichen Vortrag und auf Handlungen, die als Gottesurteil über die Ohnmacht der Heidengötter wirken wie die berühmte Fällung der Donarseiche von Geismar im Fritzlarer Raum durch Bonifatius7; ihr fehlt jede Möglichkeit, außerdem auf ein Lesepublikum einzuwirken. Die geistige Auseinandersetzung zwischen ihr und der jeweils bekämpften Religion vollzieht sich infolgedessen weitgehend in einem Raum, der jenseits unseres Quellenmaterials liegt – Nachrichten stammen durchweg von christlichen Autoren; einzig aus England und Skandinavien liegen Traditionen vor, die in vorchristliche Schichten zurückreichen, obgleich auch sie in ihrer Zuverlässigkeit und Unverfälschtheit heute nicht mehr so unangefochten dastehen wie noch für die vorige Forschergeneration. Wobei es durchaus zur Kennzeichnung mittelalterlichen Christentums dient, daß es unter all seinen Repräsentanten keinen hervorbrachte, der neubekehrte Zöglinge angehalten hätte, ihre bisherigen Traditionen aufzuzeichnen, wie das im sechzehnten Jahrhundert in der Indianermission des ‚Neuen Indien‘ doch verschiedentlich geschah. Einzig im Orient herrschen andere Verhältnisse: dort gibt es Auseinandersetzung mit dem Islam, die dann gelegentlich auch in Europa literarische Stellungnahmen wie die große Summa contra gentiles des Aquinaten hervorruft. Daneben findet sich im Abendlande etwas polemische Literatur gegen das Judentum, dessen beharrliches Festhalten am altererbten Glaubensgut christlichen Zeitgenossen ein ständiges Ärgernis ist, auch ohne daß jüdische Schriften antichristlichen Inhaltes in für die übrigen Europäer lesbarer Sprache aufkommen, die ja für die Verantwortlichen unter gegebenen Machtverhältnissen jederzeit neue Existenzbedrohungen auslösen könnten. Im übrigen aber herrscht für unseren Rückblick ein großes Schweigen. Für die Rekonstruktion dessen, was damals in den Seelen der von christlicher Mission Angesprochenen und Betroffenen geschah, hat dies die gravierendsten Folgen. Missionsgeschichte des Mittelalters ist stärker noch, als dies auch für andere ihrer Abschnitte gilt, verurteilt, in dem vielleicht entscheidendsten Problemkreis fragmentarisch zu bleiben.
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Über diese für das Mittelalter grundlegend wichtige ‚Tatmission‘ s. noch unten bei Anm. 33–38. Die ursprünglich angekündigte Ergänzung: Kahl, Erscheinungsformen karolingischer Reichsmission. In: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte II/2, ist mit dem gesamten Teilband nicht erschienen.
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Ein letzter Gesichtspunkt noch, der zugleich Konsequenzen für die Periodisierungsproblematik einschließt und damit die Brücke schlägt von der allgemeingeschichtlichen Abgrenzung des Mittelalters nach vorn, wie sie dargelegt wurde, zu der besonderen, die von missionsgeschichtlichen Eigenvoraussetzungen her vorzunehmen ist, auch wenn sie mit jener zusammentrifft: Zu den der Zeit selbstverständlichen Voraussetzungen gehörte die Katholizität der Kirche, die missioniert. Ihre Konsequenz war die unbedingte Einheitlichkeit der Verkündigung nach außen hin, so weit irgend ihr Einfluß reicht. Mittelalterliche Mission endet mithin dort, wo die Kirchenspaltung diese Einheitlichkeit der Verkündigung von europäischer Basis her zunichte macht und nun nicht mehr Kirche (im Singular) missioniert, sondern Kirchen (im Plural) auftreten mit allen Problemen, die das für die Glaubwürdigkeit ihrer Botschaften nach außen hin einschließt. Dergleichen hat es zu für uns mittelalterlicher Zeit normalerweise nur im Orient gegeben, der, wie erwähnt, auch damals mit einer Mehrzahl konkurrierender christlicher Kirchen zu rechnen hatte; Ausnahmen bilden für Europa die Gebiete, in denen vorübergehend von verschiedenen Zentren her West- und Ostkirche in konkurrierender Mission aufeinanderstießen, wie Bulgarien und Großmähren im neunten Jahrhundert oder, weit weniger bekannt, das Ostbaltikum im dreizehnten8. Das jedoch waren Episoden, die die prinzipielle Einheitlichkeit mittelalterlicher Mission in beiden Kirchenbereichen Europas nicht grundsätzlich und nicht dauerhaft zu stören vermochten; zum permanenten Missionspluralismus der Neuzeit führt von dorther keine wirkliche Brücke. – Andererseits liegt ein Endpunkt mittelalterlicher Mission ganz offensichtlich dort, wo die Christianisierungsarbeit nicht mehr zur Integration in ein werdendes Europa beiträgt, sondern die Grenzen dieses Europa zu sprengen sucht, und zwar so, daß sie dabei einen verhängnisvollen Bund eingeht mit der kulturellen Europäisierung von Nichteuropäern, wie er für die Missionsunternehmungen der Neuzeit gleichfalls so vielfach und so weithin kennzeichnend geworden ist. Auch dazu gibt es im Mittelalter nichts als unbedeutende Ansätze, die weder nach Zahl noch nach Intensität der Auswirkung ins Gewicht fallen können, nämlich wieder im Orient, während des Kreuzzugszeitalters.
8 Dazu grundlegend A. M. Ammann, Kirchenpolitische Wandlungen im Ostbaltikum bis zum Tode Alexander Newski’s. Rom 1936.
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Es sind gleichfalls nur Ausnahmen, die die allgemeine Regel nicht zu stören vermögen. So sind wesentliche Grundzüge spezifisch mittelalterlicher Missionswirksamkeit schon aus dem allgemeinen Mittelalterbegriff zu entnehmen, in den diese speziellen Aktivitäten sich einfügen. Stichproben gleich, führen schon sie zu dem Ergebnis: der allgemeine Mittelalterbegriff im dargelegten Sinne, zunächst von außen her an die Missionsgeschichte herangetragen, erweist sich als brauchbare Gliederungshilfe auch in ihrem eigenen Rahmen, in dem naturgemäß allein aus ihrer Eigengesetzlichkeit die Entscheidung über sinnvolle Periodisierungen gefällt werden kann. Das allgemeine Mittelalter, zu einer übergreifenden Einheit durch genannte charakteristische Merkmale verbunden, reicht, wie dargelegt, von, sehr grob gesprochen: 600 bis 1500. Genau so läßt das missionsgeschichtliche sich eingrenzen: beginnend mit der ersten typisch mittelalterlichen Missionsunternehmung, der Angelsachsenmission Gregors des Großen (eingeleitet 596), von der noch die ein Jahrhundert zuvor beginnende Frankenbekehrung sehr deutlich absticht, und mit dem islamischen Rückschlag seit den 630er Jahren, der im Südosten und Süden der Christenheit auch missionsgeschichtlich die gänzlich neuen Verhältnisse schafft; endend mit dem Ausscheiden der byzantinischen Kirche aus dem Kreise der aktiven Mitträger (definitiv 1453), mit dem Übergreifen portugiesischer und spanischer Missionsaktivitäten nach Nordafrika und in die Neue Welt (seit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts) und mit der abendländischen Konfessionsspaltung. Die Spanne zwischen diesen Epochenereignissen hebt sich, wie schon die angesprochenen Beispiele zeigen, gleichfalls durch charakteristische gemeinsame Merkmale als eine übergreifende Einheit heraus, besonders, aber nicht allein, für den dabei als führend herausgestellten abendländischen Kirchenbereich. Missionsgeschichtliches Mittelalter darf daher in eben diesen Epochengrenzen angesetzt werden als die Spanne, die die Entfaltung missionsgeschichtlichen Geschehens in diesem Abendlande umfaßt, samt den ihr gleichzeitigen einschlägigen Entwicklungen in den übrigen Teilen der damaligen Welt. Dieser Ansatz bestätigt sich, soweit man den weiteren Merkmalen dieser missionsgeschichtlichen Epoche nachgeht. Sie allerdings können nicht mehr aus dem allgemeinen Mittelalterbegriff abgeleitet, sie müssen zusätzlichem Material entnommen werden. Im folgenden soll versucht werden, einige davon bloßzulegen, soweit dies hier auf begrenztem Raum möglich ist, und zwar nun zunächst
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unter stärkerer Konzentration auf die Teilabschnitte des mittelalterlichen Gesamtablaufs, denen der vorliegende Band gewidmet ist. Aus Gründen der Sachkompetenz des Verfassers ist dabei allerdings Beschränkung auf den abendländischen, den im Sinn dieser Ausführungen eigentlich mittelalterlichen Kirchenbereich nicht zu umgehen, so wünschenswert eine Ergänzung für die gleichzeitigen Ostkirchen bliebe9. 2. Universalreligion und Gentilreligionen Missionsgeschichte im christlichen Raum pflegt ihre Betrachtung am Offenbarungscharakter der eigenen Religion auszurichten und am Taufbefehl des auferstandenen Christus. Einzig das Christentum ist der Glaube, hat von Gott die Gnadengabe einer Selbstenthüllung seiner Geheimnisse empfangen, soweit sie überhaupt Menschen gegenüber stattfinden kann; keine andere Religion hat an ihr teil, nicht einmal das Judentum mehr, das seine einstige Erwählung in weitem Umfang verspielt hat: „Es ist in keinem anderen Heil“10; „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“11 Eben darum aber gebietet die ausdrücklich erhaltene Weisung, gebietet aber auch die Liebe zum Nächsten, sich nicht im Monopolbesitz dieses Heils auszuruhen, sondern es „aller Welt“ zu verkündigen, ehe es zu spät ist. Wer wollte verkennen, daß solche Gedanken für christliches Missionsverständnis grundlegend sind? Für eine missionsgeschichtliche Betrachtung allerdings – und auch das muß gesehen werden – bieten sie keine Kategorien, die zu vertieftem Verständnis helfen, was in der Auseinandersetzung zwischen Christen und denen etwa, die sie gemeinhin als ‚Heiden‘ zusammenfassen, wirklich geschieht. Eine differenzierte Betrachtung wird hier nur möglich, wenn das Fundament des Glaubens ergänzt wird durch das Begriffsinstrumentarium, das in der vergleichenden Religionswissenschaft entwickelt wurde.
9 Einige Hinweise, die auch die ostkirchliche Mission einschließen, bietet K. Holl, Die Missionsmethode der alten und die der mittelalterlichen Kirche, zuletzt in H. Frohnes u.a. (Hgg.), Kirchengesch. als Missionsgesch. I, München 1994, S. 11–17. – Eine Ergänzung der vorliegenden Ausführungen für das spätere Hochmittelalter war für Band III/2 in Aussicht genommen (nicht erschienen; vgl. ersatzweise oben Beitr. IX, passim). 10 Apg 4,12. Nicht für die historische Wirklichkeit, aber für christliche Tradition die erste Missionspredigt! 11 Mk 16,16.
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‚Heide‘ und ‚Heidentum‘ sind uns so selbstverständlich geworden, daß wir über Inhalt und Abgrenzung dieser Begriffe nicht eben häufig nachzudenken pflegen12. Dabei steht es so, daß eine echte sachliche Ordnungsfunktion diesen Begriffen nur in dem theologischen Bereich zukommt, der sie hervorgebracht hat. Dort mag legitimerweise unter ihnen gemeinsam subsumiert werden, was im Gegensatz zu den biblischen Offenbarungsreligionen des Judentums und des Christentums steht, ohne Rücksicht auf alle Differenzierungen in dieser dritten Gruppe; sie sind ja eben wichtig nur unter religions- und geistesgeschichtlichem Aspekt, theologisch bleiben sie unerheblich. Die Auffassung, daß die Menschheit in dieser Weise dreigeteilt werden könne, ist in patristischer Zeit entwickelt worden, auf biblischer Grundlage, zu der unmittelbare Eigenerfahrung der alten Kirche in ihrer Auseinandersetzung mit ihrer synkretistischen Umwelt bestätigend hinzutrat; als klassische Formulierung darf ein Satz des Vigilius von Thapsus (um 484) gelten: Tres sunt in mundo religiones, Iudaeorum, paganorum et Christianorum13. Die darin zusammengefaßte Auffassung zieht sich in zahllosen Belegen durch das ganze Mittelalter hin und reicht bis in unsere Gegenwart. Sie hat die merkwürdigsten Konsequenzen gehabt: weil „Heidentum“ ebenso als eine einheitliche Religion genommen wurde wie Christentum und Judentum, galten Erfahrungen, die die missionierende Kirche im Mittelmeerraum gemacht, und Kenntnisse, die sie dort erworben hatte, ohne weiteres für übertragbar; mittelalterliche Bußbücher und ähnliche Dokumente, die gegen innerkirchlich nachwucherndes Heidentum vorzugehen suchen14, sind daher angefüllt mit Formeln und Klischees, die sich in unmittelbarer Tradition auf Caesarius von Arles (gest. 542) zurückverfolgen lassen und auf seine Auseinandersetzung mit der religionsgeschichtlichen Situation, die er zu seiner Zeit und in seinem Sektor der mediterranen Umwelt vorfand15; der Islam aber, der sich im Zeitalter der Kreuzzüge stolz und selbstbewußt als Vorkämpfer des Eingottglaubens gegen
12 Die folgenden Gesichtspunkte wurden z.T. bereits skizziert bei H.-D. Kahl, Randbemerkungen zur Christianisierung der Sachsen (unten Beitr. XII, bei Anm. 14–17 und weiter). 13 Vigilius Thapsensis, Dialogus contra Arianos I/5 (MPL 62, 157 D). Vgl. dazu noch unten bei Anm. 23 ff. 14 Dazu unten bei Anm. 78 ff. u. bes. Anm. 94–112, vgl. bei Anm. 155 ff. sowie nach 160. 15 W. Boudriot, Die altgermanische Religion in der amtlichen kirchlichen Literatur des Abendlandes vom 5.–11. Jahrhundert. Bonn 1928 = Darmstadt 1964 (Libelli 127).
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(vermeintliche) christliche Vielgötterei empfand16, mußte sich gefallen lassen, daß mittelalterlich-abendländische Literatur seine ‚Tempel‘ in ein Pantheon zahlloser Götzenbilder verwandelte, wo neben Muhammed und Phantasiegrößen wie Tervigant auch Apollo, Luna, Mars, Mercurius und andere antike Gestalten eine seltsame Auferstehung feierten17. Nur für wenige besser Unterrichtete wie Petrus Venerabilis von Cluny (gest. 1156) wurde dieser Islam zum Problem: er beruft sich gleichfalls auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs; er bringt sogar der Person Jesu eine hohe religiöse Verehrung entgegen, wenngleich nicht in christlicher Weise; andererseits hält er nicht die Taufe, sondern die Beschneidung ein – war das nun wirklich noch Heidentum oder vielmehr eine jener ‚abartigen‘ Formen des Christentums, die der fromme Katholik als Häresie einzustufen hatte18? Die Beispiele zeigen drastisch: dem Dreierschema des Vigilius von Thapsus, dem in ihm beschlossenen Begriff des Heidentums kommt eine Ordnungsfunktion nur in seinem Ausgangsbereich zu, in der Theologie19. Dort ist er sinnvoll und notwendig, stellt Zusammenhänge her und hellt sie auf; außerhalb dieses Bereiches aber muß er als Erkenntnismittel und Orientierungshilfe versagen; denn er umschließt inkompatible Größen und liegt damit auf ganz anderer Ebene als die beiden anderen Teilglieder dieser Dreiheit. ‚Judentum‘ war und ist eine klar bestimmte Religion, bei aller inneren Variationsbreite zusammengefaßt durch übergreifend gemeinsame Glaubensvorstellungen und Kultbräuche; für ‚Christentum‘ gilt das gleiche jedenfalls im Verständnis der mittelalterlichen Kirche. ‚Heidentum‘ aber umschließt eine Fülle verschiedenartigster Denk-, Erlebnis- und Verhaltensweisen, die im einzelnen von primitiven Manavorstellungen bis zu buddhistischer Mystik und bis zu modernem Atheismus reichen kann. Diese Tatsache hat jedoch nicht zuletzt missionsgeschichtlich die gravierendsten Konsequenzen; denn je nach der spezifischen Eigenart der Religions-
16 Vgl. H. Prutz, Kulturgeschichte der Kreuzzüge. Berlin 1883 = Hildesheim 1964, S. 25, dazu Beleg S. 502. 17 S. Stein, Die Ungläubigen in der mittelhochdeutschen Literatur von 1050 bis 1250. Diss. Heidelberg 1932, Neudruck Darmstadt 1963 (Libelli 108), mit umfangreicher weiterer Lit. (hier bes. S. 101); vgl. auch Prutz (wie Anm. 16), S. 514 ff. zu S. 340 ff. 18 Petrus Venerabilis, Contra sectam sive haeresim diabolicae fraudis Saracenorum (MPL 189, 663 ff.). 19 Ernst Strasser, Der Begriff des Heidentums. NKZ 39 (1928) S. 855–877; ders., Das Wesen des Heidentums. Ebd 40 (1929) S. 77–105. – Vgl. auch F. Stiefelbagen, Theologie des Heidenthums. Regensburg 1858.
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und Geisteswelt, in die hinein Christentum verkündigt werden soll, wandeln sich die Probleme und Schwierigkeiten, die bis zum Gelingen überwunden werden müssen, und das wirkt sich aus einerseits bis zu Einzelheiten der missionarischen Praxis, andererseits aber auch bis zu den möglichen Bekehrungsmotiven20. Auch die Besonderheiten mittelalterlicher Missionsgeschichte sind nicht zu erfassen ohne einen Blick in die Religionstypologie. Unter ihren Aspekten betrachtet, erweist das Christentum sich als eine ausgesprochene Universalreligion21. Seine Botschaft richtet sich an „alle Völker“22, ja im Grunde gar nicht so sehr an die Völker als solche, sondern an jeden einzelnen Menschen ohne Rücksicht auf die Volkszugehörigkeit (wie denn auch jenes πάντα τὰ ἔθνη des neutestamentlichen Grundtextes, das omnes gentes der im Mittelalter ausschlaggebenden Vulgata vielleicht gar nicht „alle Völker“ zu übersetzen ist, sondern „alle Heiden“): „Da ist nicht Grieche, Jude, . . . Barbar und Skythe, . . . sondern alles und in allen Christus“23. In der antiken Mittelmeerwelt, die den Hauptschauplatz noch der spätantiken Missionsgeschichte gebildet hatte, war das Christentum in dieser Hinsicht auf Strukturen getroffen, die der seinen verwandt oder doch angenähert waren. Wo seine Gegenspieler Mysterienreligionen gewesen waren, mochten sie esoterischer eingestellt sein als der neue Glaube, aber jedenfalls waren sie auf individuelle Bekehrung und Frömmigkeit gerichtet und gleichfalls nicht an irgendwelche nationalen Schranken gebunden. Handelte es sich um Anhänger der alten Philosophien, so dachten und empfanden auch sie aus einer derartigen Grundhaltung heraus, die universalistisch und individualistisch zugleich genannt werden kann. Selbst für die fortlebenden polytheistischen Religionen dieses Mittelmeerraums darf unterstellt werden, daß sie von der mehrhundertjährigen Einbeziehung in ein Universalreich nicht unbe-
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Wir stoßen damit in eine wesentlich tiefere Schicht vor als bereits bei den allgemein kulturgeschichtlichen Feststellungen oben bei Anm. 6–7. 21 Vgl. für viele G. Mensching, Soziologie der Religion. Bonn 1947, bes. S. 25 ff., 44, 53, 86 ff., 151 ff., 265 f.; ders., Toleranz und Wahrheit in der Religion. Heidelberg 1955, S. 255 ff. u.ö.; G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion. Tübingen 1933, S. 225 ff.; C. H. Ratschow, Magie und Religion. Gütersloh 1947, passim, bes. S. 19 (mit eigenwilliger Terminologie). – Zu den Grundthesen der folgenden Ausführungen vgl. H.-D. Kahl, Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im abendländischen Hochmittelalter. Oben, Beitr. VIII, bes. bei Anm. 61–74. 22 Mt 28,19 (dazu oben weiter im Text). 23 Kol 3,11; vgl. Gal 2,28; Röm 10,12; 1 Kor 12,13.
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rührt geblieben waren: es sei nur an die Neigung der Römer erinnert, Gottheiten anderer Völker interpretatione Romana unbekümmert mit eigenen zu identifizieren24, die zweifellos auch in der Vorgeschichte der besprochenen Konzeption vom Heidentum als vermeintlich einheitlicher Religion eine bedeutende Rolle gespielt hat. Sie setzt die Überzeugung voraus, es gebe letztlich nur eine einzige, universale Welt, gelenkt von den überall gleichen göttlichen Mächten mit prinzipiell universaler Wirkungsmöglichkeit, auch wenn nicht jede von ihnen überall gleich gut bekannt ist, so daß Vorsichtige neben bekannten auch „dem unbekannten Gott“ ihre Altäre weihen25. Es muß gesehen werden: all dies waren Voraussetzungen, die beim Verlassen der Mittelmeerwelt, beim Überschreiten der Grenze des römisch-imperialen Kulturkreises mehr oder weniger weitgehend entfielen. Mittelalterliche Mission hatte sich, jedenfalls, wo sie auf ‚Heidentum‘ in Europa gerichtet war, mit gänzlich anderen Denkstrukturen auseinanderzusetzen. Völkern früher Stufe liegt nichts ferner als ein Denken in allgemeingültigen Kategorien26: sie kennen nicht einmal den Begriff der einen, universalen Welt27, wissen folglich auch nichts von einem allumfassenden Weltengott28. Nichts ist ihnen selbstverständlicher, als daß jedes Land oder jedes Volk seine eigenen Gottheiten habe, wie denn besonders urtümlicher Glaube – belegt von den Ewe im damals deutschen Togo – sogar meinen kann, jedes einzelne Dorf habe seine eigene Sonne für sich29. Nun besteht gewiß kein Grund zu der Annahme, das vorchristliche Germanen- oder Slawentum historischer Zeit könne eine derart extreme Anschauung geteilt haben. Gelegentlich aber schimmert selbst durch unsere ausnahmslos von Christen, das heißt: aus ganz anderen Denkkategorien verfaßten Quellen etwas von der Auffassung durch, Christus sei der Volksgott des missionierenden Volkes, dem man im eigenen
24 G. Wissowa, Interpretatio Romana. Römische Götter im Barbarenlande. ARW 19 (1916) S. 1–49. 25 Apg 17,23. 26 Ratschow (wie Anm. 21), S. 77 ff. 27 Ebd S. 56 ff.; W. Grönbech, Kultur und Religion der Germanen I. Hamburg 19372, S. 147 ff., 184, 193, 226. 28 Mensching, Soziologie (wie Anm. 21), S. 27, 64, 252, 264 f.; ders., Toleranz (wie Anm. 21), S. 18 ff. 29 v. d. Leeuw (wie Anm. 21), S. 47; vgl. M. Buber, Königtum Gottes. Berlin 1929, S. 66.
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Bereich Dienst nicht ohne weiteres schuldig sei30, und seine Heiligen wendeten ihre Fürbitte den Gliedern eben dieses Volkes zu: für Fremde sei es zwecklos, sich gleichfalls an sie zu wenden31. Wir präzisieren: Der Wirkungskreis der eigenen Götter beschränkt sich auf ‚unser‘ Volk und Land. Sie sind keineswegs die einzigen, die es gibt, oder die einzigen, die wirkliche Macht besitzen: auch die Götter anderer Völker sind wirklich und wirkmächtig; auch sie haben ihr Volk und ihr Land, in dem sie ihre Herrschaft üben und in dem ihnen deshalb Verehrung zukommt – nur in ‚unserem‘ Bereich haben sie von Haus aus nichts zu schaffen: er liegt – bis zum Beweis des Gegenteils – einfach außerhalb ihrer Zuständigkeit. So ist es ganz natürlich, daß die Franken nicht dem Wodan und Saxnot, später die Deutschen nicht dem Triglaw oder Swantewit opfern, sondern zu Christus und seinen Heiligen beten, und niemand darf sich wundern, daß sie von ihnen wirksame Hilfe empfangen. Aber was haben diese fremden Mächte mit Notleidenden und Hilfsbedürftigen ‚unseres‘ Volkes zu schaffen? Zwischen beiden besteht eine Kluft, über die erst universalreligiöses Denken eine Brücke zu schlagen vermag, wenn auch oft erst nach jahrhundertelanger Einwirkung. Dieses Denken lacht dann zugleich über die „Einfalt“ und „Unvernunft“ jenes älteren, andersartigen und schließt von da aus gar auf die „Verkehrtheit der natürlichen Veranlagung“ eines ganzen Volkstums32: denn welch ungeheuerliche Zumutungen eben die Denkvoraussetzungen, die ihm unmittelbar selbstverständlich erscheinen, für die Gegenseite bedeuten müssen, das kommt ihm gar nicht in den Sinn, und die unter Umständen durchaus gleichartigen Probleme, vor denen die eigenen Vorfahren dieser christlichen Schreiber in ihrem Missionszeitalter standen, sind längst vergessen. Christliche Mission des Mittelalters steht mithin schon insofern einer Religionswelt gegenüber, die von völlig anderen Denkvoraussetzungen ausgeht: ethnische, politische und religiöse Ordnung decken sich; sie alle haben eine gemeinsame Grenze nach außen; innerhalb dieser Grenze ist jedes Glied der Gemeinschaft, solange sie innerlich intakt ist, zur Teilnahme auch an ihrem kultischen Leben verpflichtet, um seinerseits beizutragen zur Erhaltung des gemeinsamen ‚Heils‘; außerhalb dieser
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Kahl (wie Anm. 21), oben Beitrag VIII, S. 203 f. Ebd S. 198 f., vgl. S. 202. Ebd S. 206.
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Grenze erlischt im Normalfall die Zuständigkeit der eigenen Götter, mit ihr der Anspruch der eigenen Religion an dort lebende Menschen: niemand kommt auf den Gedanken, etwa für sie ‚missionieren‘ zu wollen. All das sind Voraussetzungen, auf die die antike Mission allenfalls rudimentär gestoßen war und vorzugsweise nur in kulturellen Rückzugsgebieten. Man hat den so skizzierten Religionstyp als ‚Volksreligion‘ zu kennzeichnen versucht; besser sollte man ‚Gentilreligion‘ sagen in Anlehnung an die quellenmäßige Bezeichnung der damaligen ethnischen Einheiten als gentes, damit unerwünschte Assoziationen ausgeschlossen bleiben in Richtung auf den modernen Volksbegriff oder auch den – bei vielfacher innerer Verwandtschaft doch durchaus andersartigen – ‚Volksglauben‘ unserer Tage33. Der christliche Glaubensbote des Mittelalters sieht sich, zumindest auf europäischem Boden, infolge dieser unterschiedlichen Denkstruktur seines Missionsfeldes immer wieder zuerst vor die Aufgabe gestellt, den Nachweis zu führen, daß der von ihm verkündete Gott wirklich auch für das Land und das Volk zuständig und wirkmächtig ist, an das seine Botschaft herangetragen werden soll; daß dieser Gott die Fähigkeit und die Macht besitzt, auch hier fördernden Schutz zu gewähren oder aber unter Umständen zornig zu schaden. Es ist dieser Nachweis, in dem für diese Periode die entscheidende Bedeutung jener immer wieder geübten Zerstörung heidnischer Kultstätten und Kultbilder liegt, dieses so treffend als „Tatmission“ charakterisierten Verfahrens34, für das das genannte Vorgehen des Bonifatius nur ein Beispiel unter zahllosen abgibt. Mit Recht hat man darauf hingewiesen, wie stark es im Grunde von den praktischen Anweisungen abweicht, die Papst Gregor der Große (590–604) für die erwähnte erste Germanenmission außerhalb des Mittelmeerbereiches entwickelt hatte, um ihr ein möglichst schonendes Vorgehen zu sichern35. Um so mehr fällt auf, daß solche „Tatmission“
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Ausführlicher: ebd S. 202 mit Anm. 69–70 (zur dort genannten Literatur zum frühmittelalterlichen ‚Gentilismus‘ nachzutragen: R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes. Köln/Graz 1961). Weiteres zur Struktur der alten ‚Gentilgemeinschaft‘ (nicht: gentilen Religionsgemeinschaft!) Beitrag VIII bei. Anm. 81–82; vgl. auch unten Anm. 52. 34 Der glückliche Terminus stammt, soviel ich sehe, von H. Achterberg, Interpretatio Christiana. Verkleidete Glaubensgestalten der Germanen auf deutschem Boden. Diss. Greifswald 1930, S. 87. 35 Darauf verweist H. Lau, Die angelsächsische Missionsweise im Zeitalter des Bonifaz. Diss. Kiel 1909, S. 68. – Zur Ergänzung bisheriger Vorstellungen über die Anweisungen, die Gregors Angelsachsenmissionare von ihm mitbekommen zu haben scheinen, vgl. die unten Anm. 125 genannte Arbeit von Kahl. Nicht zu vergessen ist daneben eine
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gerade von Missionaren angelsächsischer Herkunft mit besonderem Eifer geübt wurde, denen doch das Andenken ihres heiligen Bekehrerpapstes stets besonders teuer war. Muß hier angenommen werden: praktische Erfahrung hatte die Praktizierbarkeit seiner aus mittelmeerischer Erfahrung formulierten Prinzipien mittlerweile widerlegt, und die Missionare hatten daraus Konsequenzen gezogen? Wieweit sie die Funktion dieser ihrer Handlungen für das Denken der ‚Heiden‘, die ihnen gegenüberstanden, wirklich erfaßt haben, bleibt dabei allerdings eine Frage für sich; sie sahen in ihrem Vorgehen wohl mehr eine Art Gottesurteil, das die Ohnmacht der Heidengötter gegenüber dem Christengott sinnfällig darzutun hatte36. Ganz sicher war auch dieser Nachweis für die Anzusprechenden bedeutsam. Primär aber dürfte es für sie um die Überzeugung gegangen sein, daß der bisher fremde Gott wirklich auch sie etwas anging, weil auch ihr Bereich seiner Macht unterworfen war; das bloße Kraft- und Machtverhältnis allein war ein mittelmeerisches Problem, das im nordalpinen Europa der Zeit zweitrangig blieb, soweit man dort überhaupt eine Rangordnung der Probleme reflektierte. Auf die für christliche Augen zusätzlich wichtige Bedeutung derartiger Handlungen, daß nämlich durch sie heidnisches Teufelswerk beseitigt wurde, um auf seinen Trümmern erst den christlichen Glauben zu pflanzen, ist später zurückzukommen37. Hier ist zunächst ein weiterer Strukturunterschied ins Bewußtsein zu heben, der die christliche Universalreligion von den Gentilreligionen ihres missionarischen Arbeitsfeldes abhebt38. Jede Religion erhebt den Anspruch, ihren Gläubigen, sofern sie dem von ihr gewiesenen Wege folgen, das zu sichern, was sie unter dem ‚Heil‘ versteht. Der Universalreligion geht es dabei um das Heil des einzelnen, im Fall des Christentums um sein jenseitiges Seelenheil. Nicht so die Gentilreligion: sie kreist mit all ihren mannigfaltigen Erscheinungsformen zwar nicht überall um die gleiche ‚Lebensmitte‘ – sie gilt es, von Fall zu Fall besonders zu bestimmen –, wohl aber immer und immer wieder um ein ‚Heil‘, das rein diesseitig-irdisch beschaffen ist (denn eine
durchaus abweichende Stellungnahme des gleichen Papstes an den ersten christlichen Angelsachsenkönig, die offenbar stärker nachgewirkt hat. 36 So die herkömmliche Deutung, die hier keineswegs ausgeschlossen, sondern nur ergänzt werden soll; formuliert beispielsweise bei W. Konen, Die Heidenpredigt in der Germanenbekehrung. Diss. Bonn 1910, S. 12, vgl. S. 19 und 30–34, passim (S. 31: „Materialistische Ohnmachtsbeweise“). 37 Unten bei Anm. 56–58. 38 Zum folgenden oben, Beitr. VIII Abschn. 4.
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wie immer geartete ‚jenseitige‘ Dimension ist in dieser Strukturform weder entdeckt noch überhaupt gesucht), und allenthalben geht es ihr dabei nicht in erster Linie um den Einzelmenschen, sondern um das kollektive Ganze des jeweiligen gentilen Verbandes (gens): nur über seine Zugehörigkeit zu diesem Ganzen hat auch der einzelne Teil an diesem ‚Heil‘39. (Daß mittelalterliches Christentum, in neubekehrten Völkern so stark zugleich Erbe vorchristlicher Religiosität, in oft eigenartigster Weise die Sorge für beide Formen des ‚Heils‘ miteinander verbindet40, sei in diesem Zusammenhang wenigstens am Rande gestreift.) Das sind zunächst allgemeine Feststellungen. Für die Germanenwelt indes werden sie bestens bestätigt: wir sehen deutlich, daß politische Organisation und Kultorganisation identisch waren, so daß die Thingversammlung es war, die die öffentlichen Opfer darbrachte, dieselbe, die im übrigen Beratungs- und Gerichtsort und nicht zuletzt Heerschau und Versammlung des ‚Volkes in Waffen‘ war; als Motive der öffentlichen Opferhandlungen werden uns Erntesegen, Frieden (nach innen), Sieg nach außen und dergleichen mehr genannt41. Ähnliches findet sich für die Elb- und Ostseeslawen42. Für die baltischen und ostseefinnischen Völker, für die sehr viel weniger bekannt ist, darf nach vorliegenden Anhaltspunkten vorausgesetzt werden, daß die Dinge ähnlich lagen43. Ein Eingehen auf persönliche Lebensbedürfnisse außerhalb des kollektiven ‚Heils‘, auf eine wie immer geartete individuelle Erlösung, auf Trost und was immer hier anzuführen wäre, wird für keine dieser
39
Zu alledem grundlegend Mensching (wie Anm. 21). Vgl. H.-D. Kahl, Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des sächsischen Frühchristentums (1957/58) unten, Beitr. XXI, bes. Abschn. 2. Das Problem mittelalterlicher Mischformen zwischen universal- und gentilreligiöser Grundhaltung auf dem Boden des Christentums scheint im Ganzen noch wenig erforscht; vgl. dazu oben, Beitr. VIII, bei Anm. 80–86 (bes. 81) sowie bei Anm. 89–90 (u.a. „christliche“ und „heidnische“ [= sächsische und wendische] Haartracht); ferner ders., Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jahrhunderts. Die letzten Jahrzehnte des Landes Stodor. Köln/Graz 1964, Register s. v. Synkretismus. 41 Vgl. Kahl, Slawen und Deutsche (wie Anm. 40), S. 94 ff. samt der in den zugehörigen Anmerkungen nachgewiesenen Lit. Für die großen öffentlichen Opferfeiern im germanischen Jahreslauf genüge hier der Hinweis auf J. de Vries, Altgermanische Religionsgeschichte I. Berlin 19703, S. 445 ff., dazu die bequeme, allerdings nur in deutscher Übersetzung vorgelegte Quellensammlung von W. Baetke, Die Religion der Germanen in Quellenzeugnissen. Frankfurt a. M. 19443, S. 21–25; vgl. auch ebd S. 30–44 über den religiösen Charakter des Krieges u. a. m. 42 oben, Beitr. VIII, Abschn. 4, Anfang. 43 Hinweise auf Denkansätze, die dem ostseeslawischen Befund parallel liegen, für das vorchristliche Liventum oben, Beitr. VIII, bei Anm. 73. 40
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Gentilreligionen bezeugt, und wir haben allen Grund zu der Annahme, daß dies nicht lediglich durch Überlieferungszufall bedingt ist. Erinnert sei etwa an jenen northumbrischen „Optimaten“, der, wenn wir dem ehrwürdigen Beda glauben dürfen, um 627 in drastischer Weise zum Ausdruck brachte, daß der bisherige Glaube so durchweg Ungewißheit lasse, woher die Menschen kämen, wohin sie gingen, wenn sie das Maß ihres bekannten Erdenlebens durchschritten hätten; gebe das Christentum in solchen Fragen mehr Klarheit, so verdiene es, daß man ihm folge44. Hier wird (um es ganz allgemein auszudrücken) ein metaphysisches Bedürfnis offenbar, das die alte Religion in ihrer ausschließlich kollektiven Ausrichtung unbefriedigt lassen mußte. Es wird unter den von christlicher Mission des Mittelalters angesprochenen Bevölkerungsgruppen schwerlich Allgemeingut gewesen sein, und das schuf für die Verkündigungsarbeit zusätzliche Probleme. Wo es aber begonnen hatte, sich zu regen, bot es Anknüpfungspunkte, die sich nutzen ließen. Der Strukturvergleich ließe sich weiterführen, doch sei hier abschließend nur noch der Blick gelenkt auf die unverkennbare Schwäche, die offenbare Unterlegenheit, in der die Gentilreligionen des mittelalterlichen Europa dem Christentum gegenübertraten allein aufgrund solcher Unterschiede der inneren Struktur, ganz abgesehen von der Wahrheitsfrage, von dem unterschiedlichen allgemeinen Kulturgefälle zwischen beiden Seiten45 oder auch der Überlegenheit christlich-kirchlicher Organisation über die gentilen Kultorganisationen, soweit dergleichen überhaupt gesondert bestand46, was zweifellos alles verstärkend hinzukam. Gentilreligionen, so sahen wir, kreisen ihrem Wesen nach nicht um ‚jenseitiges‘ oder ‚metaphysisches‘, sondern um ganz konkret ‚diesseitiges‘ Heil: um Fruchtbarkeit und Wachstum, um die Sicherung des politischen Bestandes des eigenen Verbandes nach außen und innen. Kann es von solcher Grundlage aus eine aufregendere Entdeckung geben als die, daß neben den altüberkommenen Göttern noch andere Mächte vorhanden sind, die die Kraft besitzen, in den eigenen Raum hereinzuwirken: zu nützen – oder gar zornig zu schaden? 44 Beda Venerabilis, Historia eccl. II/13 (S. 112 Plummer; dazu Anmerkungen ebd Bd 2, S. 99 f.). 45 Vgl. dazu nochmals oben bei Anm. 5–7. 46 Über diesbezügliche Unterschiede zwischen germanischer und slawischer Religion und ihre Auswirkungen auf das „religionspolitische Klima“ vgl. Kahl, Slawen und Deutsche (wie Anm. 40), S. 94 ff.; ferner oben, Beitr. VIII, Abschn. 6.
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Gentilreligionen sind deshalb immer sehr leicht bereit, solche Götter in den Kreis der bisher schon verehrten aufzunehmen. Für die Germanen bildete möglicherweise die Ausbreitung des Wodanskultes von Südwesten her ein besonders sprechendes Beispiel, tief in vorchristlicher Zeit47. Es läßt sich durch viele Zeugnisse aus ihrer christlichen Missionsgeschichte ergänzen48. Für die Ostseeslawen liegt ein Beleg vor, der sich ausdrücklich auf Christus, den „deutschen Gott“ (Teutonicus Deus), bezieht49. Wo nicht das metaphysische Heil der Einzelseele den Vorrang genießt, das es notfalls auch um den Preis physischen Auslöschens zu verteidigen gilt, sondern das stets gefährdete irdische Heil einer Gruppe, dort ist im heimischen Pantheon insgeheim schon vor Beginn jeder religiösen Auseinandersetzung der Sitz für den starken Gegner bereitet; wann er ihn einnehmen, wann er unter Umständen sogar die bisherigen Herren dieses Pantheons von den ihren verdrängen wird, all das ist nur eine Frage der Zeit – und Christus erwies sich gerade in der Mittelaltermission nicht zuletzt als Gott der starken Waffen. Allerdings gehörte es zu den, sagen wir: ‚Eigentümlichkeiten‘ dieses bisher fremden Gottes, die ihn von allen bekannten der damaligen Welten Alteuropas unterschieden, daß er von seinen Anhängern nicht in Gemeinschaft mit anderen verehrt werden wollte, sondern ausschließlich, nicht als der Mächtigste unter vielen, sondern als einziger statt aller: „Du sollst nicht andere Götter haben neben mir.“50 Das aber führt auf ein neues Problem, das seine Wurzel nicht in der gentilreligiösen Struktur der damals Angesprochenen hat, sondern in der Eigenart des missionierenden Christentums selbst51.
47 K. Helm, Wodan. Ausbreitung und Wanderung seines Kultes. Gießen 1946; vgl. ders., Spaltung, Schichtung und Mischung im germanischen Heidentum. In: Vom Werden des deutschen Geistes. Festgabe G. Ehrismann. Berlin/Leipzig 1925, S. 1–20, sowie ders., Altgermanische Religionsgeschichte II/2. Heidelberg 1953, S. 251 ff. Anders de Vries (wie Anm. 41) II. 19703, S. 46 ff., 89 ff. u. 105 f. mit weiterer Lit. Ich halte beide Konzeptionen nicht für dermaßen unvereinbar, wie es auf den ersten Blick scheint. 48 Vgl. unten Anm. 89; einiges weitere oben, Beitr. VIII, Anm. 132. 49 Ebd bei Anm. 131–134. 50 Ex 20,3. 51 Auch die folgenden Darlegungen sind durch eine größere Zahl früherer Arbeiten des Verfassers vorbereitet worden, auf die hier zur Entlastung des Belegapparates in vielen Fällen verwiesen werden muß. Genaue Angaben in den Anm. 12, 21, 40, 58, 65 und 125; das Folgende z.T. nach oben, Beitr. IX, Abschn. 1.
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beitrag x 3. Positive und negative Missionsarbeit
Die missionsgeschichtliche Forschung hat, wo sie die Voraussetzungen eines Missionswerkes bloßzulegen suchte, den Blick bisher im allgemeinen einseitig auf die sogenannten ‚Missionsobjekte‘ gerichtet. Unzweifelhaft sind die traditionellen Bedingungen, die die einheimische Bevölkerung eines Missionsgebietes mitbringt, für den eingreifenden Missionar – und damit auch für den betrachtenden Historiker – von ausschlaggebender Bedeutung: Sozialstruktur, materielle und geistige Kultur, Religion und Kult. Nicht minder wichtig ist es jedoch, auch die andere Seite, die sogenannten ‚Missionssubjekte‘, in die Betrachtung einzubeziehen: denn eine einheitliche christliche Haltung als gemeinsame Voraussetzung missionarischen Vorgehens hat es niemals gegeben – weder im Hinblick auf die theologische Grundeinstellung zu ‚Heidentum‘ und ‚Heidenmenschen‘, noch hinsichtlich des praktischen Vorgehens gegen beide. Ist das Heidentum „Vorhalle des Christentums“, ringsum erfüllt vom Abglanz einer (wenn auch verdunkelten) „Uroffenbarung“, der immer wieder auf die Wahrheiten des Evangeliums hinweist – oder ist es teuflisches Blendwerk, dem Glauben und Kult des einzig wahren Gottes durchaus und in allem entgegengesetzt? Ist der einzelne Heide ein irrender, mißgeleiteter Menschenbruder, der christlichen Erbarmens und seelsorgerlicher Hilfe bedarf – oder ist er ein „Heidenhund“, ein „Widersacher Gottes“, vor dem die christliche Pflicht, auch den persönlichen Feind zu lieben, eine unübersteigbare Grenze findet? Trägt auch er in sich eine anima naturaliter christiana, zur Erlösung berufen – oder ist er aus tiefstem Grunde bekehrungsunfähig, Glied einer hoffnungslos verfallenen massa perditionis52? Ist dem Missionsbefehl des auferstandenen Christus Genüge geschehen, wenn die „frohe Botschaft“ immer und immer wieder angeboten, aber gleichwohl nicht aufgenommen worden ist? Gibt es vertretbare Mittel, Widerspenstige zum Anhören dieser Botschaft – oder gar darüber hinaus zum Taufvollzug – zu zwingen; den einzelnen – oder gar die ganze Gemeinschaft, einen heidnischen Staat? Besteht womöglich eine Verpflichtung, solche Zwangsmittel ein-
52 Zur Entstehung der Auffassung von der Bekehrungsunfähigkeit ganzer ethnischer Gruppen, zu der offenbar das bei Anm. 33 erwähnte gentile Prinzip nach seinem Eindringen in die mittelalterliche Kirche entscheidend beigetragen hat, wichtige Bemerkungen bei W. H. Fritze, Slaven und Avaren im angelsächsischen Missionsprogramm. ZSlPh 31 (1964), S. 232 f. Zum „Heidenhund“ unten, Beitr. XI, Anm. 24.
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zusetzen, wo kein anderer Weg die Ausführung des Taufbefehls (eines göttlichen Gebotes!) zu gestatten scheint, oder müssen vielmehr Tag und Stunde, da Er jenem immer neu ansetzenden gewaltlos-missionarischen Bemühen endlich Frucht schenken will, Seiner Vorsehung anheimgestellt bleiben? Das sind einige der Fragen, die hier aufzuführen wären. Für den Islam, dessen Ausgangsbasis im alleinigen und absoluten Wahrheitsanspruch der christlichen in vielem vergleichbar ist, waren viele von ihnen zumindest im Grundsatz von Anfang an ausgeräumt durch klare Weisungen des Korans wie: „Es sei kein Zwang im Glauben“, und: „Bekämpft . . . jene . . ., die nicht glauben . . . und nicht bekennen das Bekenntnis der Wahrheit, bis sie mit eigener Hand demütig Kopfsteuer zahlen.“53 Die Theoretiker und die Praktiker der christlichen Mission aber standen hier vor Problemen, die immer neu zu durchdenken und zu beantworten waren, mit exegetischen und anderen Methoden; im Mittelalter, das theologisch in so vieler Beziehung noch sehr viel unfertiger war als die Kirchen nachreformatorischer oder nachtridentinischer Zeit, galt dies womöglich noch mehr als in der Gegenwart. Die jeweilige Art der Antwort aber ist ganz gewiß nicht minder entscheidend für den Ablauf des missionarischen Geschehens als die besondere Eigenart des jeweils angesprochenen Teiles der Juden- oder Heidenwelt. Die damit skizzierte Forschungsaufgabe führt in ein typisches Grenzgebiet. Sie wird nicht zu lösen sein ohne eingehende Beteiligung der Theologiegeschichte, vor allem des umfangreichen patristischen Materials – es sei hier nur auf die hohe Bedeutung verwiesen, die der jeweils
53 Sure 2,257 und 9,29. Die landläufige Meinung von der Ausbreitung des Islams nach entgegengesetzten Prinzipien ist bekanntlich Legendenbildung der mittelalterlichen Christenheit, um seine (tatsächlich oft erst nach Generationen eingetretenen) Bekehrungserfolge auf Kosten der Kirche zu erklären. Sie findet sich merkwürdigerweise selbst bei einem Wilhelm von Tyrus (Historia I/1; Recueil des Historiens des Croisades, Hist. occid. I, 1. Paris 1844. Nachdruck 1967, S. 9): Die Nachfolger Muhammeds iam non exhortantibus vel praedicatione, sed gladiis et violentia in suum errorem populos descendere compellerent invitos; widerlegt bereits im folgenden c. 2 (S. 12) durch den Bericht über die bei der Einnahme Jerusalems geübte Toleranz. Dabei hatte gerade Wilhelm unvergleichliche Informationsmöglichkeiten, die ihn zu fast unmittelalterlich anmutenden Folgerungen über das Verhältnis der Christenheit zu Islam und Muslimen führten; vgl. jetzt R. Chr. Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz im Denken Wilhelms von Tyrus. Saeculum 25 (1974) S. 367–85; Ders., Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus. Stuttgart 1977. – Zum historischen „heiligen Krieg“ (dschihad) des Islam: A. Noth, Heiliger Krieg und heiliger Kampf in Islam und Christentum. Bonn 1966; N. Daniel, Islam and the West. The Making of an Image. Edinburgh 1960, bes. S. 123–127.
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vertretenen Gnadenlehre für die Beantwortung der aufgeführten Fragenreihe zukommt (gibt es eine gratia irresistibilis, die sich zwangsläufig am Empfänger auswirken muß über das ihm gespendete Sakrament als materiellem Träger – oder weht auch hier der Geist, „wo er will“?). Hand in Hand damit zu gehen hat die Untersuchung der Wirkungen, die von der Theologie, besonders der offiziellen und hohen, tatsächlich in die aktuelle Kirche hinausgestrahlt sind. Insbesondere die Geschichte der Geistlichenbildung ist hier zu befragen, was sie über das theologische Rüstzeug auszusagen weiß, mit dem der Missionar seine Reise jeweils angetreten haben kann; aber auch die Liturgiegeschichte hat Entscheidendes beizutragen, ist ihr doch in Gebets- und Segensformeln, Hymnen und Litaneien, in ständig wiederholten Texten also von unzweifelhaft prägender Kraft, ein für unsere Zwecke besonders bedeutsames Erkenntnisgut aufgegeben (es sei dazu nur an die Beobachtung erinnert, daß schon die liturgischen Überreste der Verfolgungszeit zwei gänzlich verschiedene Einstellungen zur ‚Heidenschaft‘ widerspiegeln, die sich weiter zurückverfolgen lassen bis in die Psalmen des nachexilischen Judentums54). Nicht vergessen werden darf die Kanonistik mit ihrem Ringen um rechte Verhaltensnormen, ebensowenig aber auch hier die Frage nach Maß und Bedeutung ihrer tatsächlichen Ausstrahlungen in die missionarische Praxis, die uns endlich in das unmittelbarste Arbeitsgebiet des eigentlichen Missionshistorikers hineinführt. Selbst die Sprachwissenschaft kann ihren Beitrag leisten, indem sie beobachtet, wie der christlich-missionarische Wortschatz für das bisher nicht erfaßte Sprachgebiet zusammenwächst, ein Vorgang, dem für das Gelingen einer Verkündigung zweifellos einschneidende Bedeutung zukommt; es ist fesselnd, wie selbst dabei auf christlicher Seite, gemessen am Verhalten gegenüber alteinheimisch-heidnischem Sprach- und Geistesgut des Missionsgebiets, immer wieder ‚Ireniker‘ und ‚Polemiker‘ nebeneinander am Werke sind55.
54 Vgl. A. Baumstark, Liturgischer Nachhall der Verfolgungszeit. In: Festgabe A. Ehrhard. 1922, S. 54 u. 59; G. Tellenbach, Römischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des frühen Mittelalters. SAH phil.-hist. Kl. 1934, 1, S. 9 f.; ergänzend A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden. Freiburg 1896, S. 184 ff. – Weitere wichtige Arbeiten: H. Hirsch, Der mittelalterliche Kaisergedanke in den liturgischen Gebeten (1930). Zuletzt in: Beumann (wie Anm. 40), S. 22–46, und C. Erdmann, Der Heidenkrieg in der Liturgie und die Kaiserkrönung Ottos I. (1932). Zuletzt ebd S. 47–64. 55 Vgl. Kahl (wie Anm. 125).
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Ziel muß bei alledem die Erarbeitung einer umfassenden Phänomenologie missionarischen Denkens und Handelns sein, ausgebaut zu einer Art ‚Koordinatensystem‘, in das die einzelne missionsgeschichtliche Erscheinung sich einordnen läßt, ohne doch dabei in ein starres Schema gepreßt zu werden, in dem das individuelle geschichtliche Leben erstickt: nur dann, wenn wir alle äußeren und inneren Möglichkeiten überblikken, die der Kirche eines Zeitalters in dieser oder jener Richtung gegeben waren, und wenn wir auf diesem Hintergrund prüfen, was davon sich denn jeweils auf einem bestimmten Missionsschauplatz verwirklicht hat und was nicht; besonders aber dann, wenn wir die Verwirklichung des einen, die Nichtverwirklichung des anderen an gerade dieser Stelle nicht nur zu konstatieren, sondern auch zu begründen vermögen, – nur dann dürfen wir hoffen, einer Erkenntnis des missionsgeschichtlich Wesentlichen nahezukommen. Voraussetzung zu alledem ist jedoch ein sauberes begriffliches Instrumentarium, das die zuverlässige Erfassung und Einordnung beobachteter Einzelerscheinungen gestattet; ist nicht zuletzt aber auch, so seltsam dies im ersten Augenblick scheinen mag, eine klare Sonderung, was von den Vorgängen kirchlichen Lebens der Vergangenheit nun eigentlich der Missionsgeschichte zuzuweisen ist, was anderen Sparten der Kirchengeschichte. Die Unbekümmertheit, mit der frühere Forschergenerationen hier vielfach zu Werke gegangen sind, ist heute ganz zweifellos nicht mehr vertretbar. Ist als Ergebnis solcher Forschungen in manchen Fragen ein verhältnismäßig breites Spektrum von Meinungen und Möglichkeiten zu erwarten, die alle vom gemeinsamen Rahmen des Christentums umschlossen sind, so wird an anderen Stellen eine weitgehende Einheitlichkeit der Grundlagen festzustellen sein, wie das der gemeinsamen Wurzel entspricht. Dies gilt nicht zuletzt für das schon andeutungsweise skizzierte Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen. Das vorchristliche Römertum kannte, wo es mit anderen Religionen umzugehen hatte, die erwähnte interpretatio Romana, Ausdruck einer Haltung, die fremde Glaubensvorstellungen gleichsam in die eigenen integriert56. Nichts liegt dem Christentum, zumal dem mittelalterlichen, ferner als dies. Sein Wahrheitsanspruch ist exklusiv. Von daher erwachsen ihm gleichfalls spezifische Denkkategorien, mit denen es den Gottheiten anderer Religionen gegenübertritt: sie sind Teufel oder Dämonen, durch die der Satan versucht, Menschenseelen in die ewige Verdammnis
56
S. Anm. 24.
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zu bringen – oder aber, sie sind „Schemen“, „Nichtse“, „Götzen, von Menschenhänden gemacht“, hinter denen sich aber gleichwohl derartige höllische Mächte verbergen, um mit ihren üblen Einflüsterungen dem einzig wahren Gott entgegenzuwirken; aller Heidenkult ist daher letztlich Teufelsdienst: so jedenfalls wurde es mit großer Einmütigkeit im christlichen Mittelalter gesehen. Der älteren römischen Denkform tritt mithin eine charakteristische interpretatio Christiana gegenüber57. Sie hat nicht nur unsere Überlieferung über vorchristliche Religionen Alteuropas vielfach entstellt und verfärbt, sie hat zweifellos auch wesentlich dazu beigetragen, den Gang christlicher Missionsarbeit zu beeinflussen, nicht im Mittelalter allein, sondern weithin auch sonst, mag sie auch heute nicht mehr unbestritten sein. Auch unabhängig davon jedoch ist Mission nicht einfach Bekehrung von Nichtchristen zu Christus und seiner Kirche, sondern ein oft harter Kampf zwischen gegensätzlichen geistigen Welten, in dem der Missionar nicht einfach ein bereitwillig geöffnetes Vakuum auszufüllen hat, sondern nur Fuß fassen kann, soweit er vorchristliche Glaubens-, Lebens- und Kultanschauungen zu überwinden vermag. Es ist kaum zweifelhaft, daß solche Erfahrungen im Mittelalter immer wieder dazu beigetragen haben, die der interpretatio Christiana zugrundeliegende Auffassung vom Wesen des Gegners zu stärken58. Christliche Missionstheologie hat auf solchen Hintergründen seit alters ein doppeltes Missionsziel unterschieden: einmal negativer, einmal positiver Art; hier auf Ausrottung des Heidentums gerichtet, dort auf Pflanzung des Christentums – wenn man will: ‚Entpaganisierung‘ und ‚Christianisierung‘. Nicht nur die Patristik, auch das Mittelalter zeigt sich vom Bewußtsein dieser Unterscheidung beherrscht bis in die
57
Achterberg (wie Anm. 34), unter Beleuchtung der Auswirkungen, die diese Grundeinstellung auch unserer Quellenautoren für die germanische Religionsgeschichte nach sich zieht. Ergänzend: R. Schomerus, Die Religion der Nordgermanen im Spiegel christlicher Darstellung. Diss. Göttingen 1936; auch E. Wienecke, Untersuchungen zur Religion der Westslawen. Leipzig 1940, S. 24–28 (vielfach jedoch mit Vorsicht zu benutzen; vgl. A. Schmaus, Zur altslawischen Religionsgeschichte. Saeculum 4 [1953] S. 208 f.). Über die Grundeinstellung, den Abscheu gegenüber heidnischen Religionen, die im Grunde nicht wert seien, ihnen nachzugehen, vgl. auch oben, Beitr. VIII, bei Anm. 15–19. 58 Zum folgenden oben, Beitr. IX, hier bes. Abschn. 2. Dieser Beitrag ist, ebenso wie Holl (oben Anm. 9), auch zur Ergänzung der weiteren Abschnitte des vorliegenden laufend heranzuziehen und wird in der Folge nur noch ausnahmsweise eigens zitiert. Ferner unten, Beitr. XIV, passim, sowie XXV, passim.
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Einzelformulierungen seiner Urkunden- und Gesetzestexte hinein59. Sie muß den Menschen, denen sie immer und immer wieder mit solcher Selbstverständlichkeit in die Feder floß, tief bedeutsam gewesen sein. In der Zweipoligkeit des Taufgelübdes, das um die beiden Brennpunkte der abrenuntiatio diaboli als negativer und confessio fidei als positiver Verpflichtung kreist, hat sie ihren sinnfälligsten Ausdruck gefunden60. Mission aber wird unter solchem Vorzeichen zum Kampf für den allein wahren Gott, gegen den Teufel, dem die Heiden – und auf ihre Weise auch die Juden – dienen. Was diesen Feststellungen nun aber auch für die Erfassung missionsgeschichtlicher Vorgänge eine kaum zu überschätzende Bedeutung verleiht, das sind die methodischen Konsequenzen, die schon Aurelius Augustinus (gest. 430) mit dieser Unterscheidung verbindet, eine Persönlichkeit also von weitestgehendem Einfluß über die Jahrhunderte hin, gerade auch auf die Ausbildung kanonischer Rechtsvorstellungen. Dieser Kirchenvater erklärte nämlich zur Erreichung beider Teilziele durchaus verschiedene Wege für statthaft: die Bekehrung selbst, der eigentliche Übertritt, soll nach ihm unter allen Umständen freiwillig erfolgen, soll schon vor der äußeren Taufe innerlich besiegelt sein; in der negativen Arbeit aber sieht Augustinus Gewaltanwendung nicht nur als erlaubt, sondern geradezu als geboten an, wenn auch – wie alle Gewaltanwendung – nur für die öffentliche, nicht für die private Hand; die Skala reicht bei ihm von der Zerstörung heidnischer Kultstätten bis zur Todesstrafe an hartnäckigen Erneuerern heidnischer ‚Greuel‘. Wir gelangen somit zu zwei verschiedenen Möglichkeiten gewaltsamen Vorgehens im Missionswerk, die streng auseinanderzuhalten sind: man mag sie die negative oder indirekte und die positive oder direkte Gewaltmission nennen. Jene bejaht der Kirchenvater, diese lehnt er
59 Als Beispiel die Urkunde zur Gründung des Bistums Bamberg vom Jahr 1007: diese wird u.a. vollzogen, ut et paganismus Slavorum (der Main- und Regnitzwenden) ibi destrueretur et Christiani nominis memoria perpetualiter inibi celebris haberetur (MGH. D Heinr. II., n. 143; S. 170, 40 f.); dazu H.-D. Kahl, Das erloschene Slawentum des Obermaingebietes usw.: Ach. f. d. Gesch. von Oberfranken 86 (2006), S. 35–38; ergänzend oben, Beitr. IV, Abschn. 6. beachte das Gegenbeispiel unten bei Anm. 113. 60 Vgl. für viele die bekannten altdeutschen Taufformeln bei W. Braune/K. Helm, Althochdeutsches Lesebuch. Tübingen 196514, Nr. XVI (S. 38 f.); beachte dazu unten, Beitr. XI, bei Anm. 123–124, über grundlegende Verständigungsschwierigkeiten, auf die diese Formeln bei ungenügend vorbereiteten Täuflingen gestoßen sein dürften. – Zu den patristischen Grundlagen der Gegenüberstellung beider Missionsziele: G. Walter, Die Heidenmission nach der Lehre des heiligen Augustinus (MAT 3). Münster 1921, bes. S. 115.
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ab; ausdrücklich stellt er klar, daß der Eintritt durch die „Pforte des Glaubens“ in persönlicher Hingabe und Gottesliebe erfolgen müsse; unmißverständlich fügt er hinzu, nicht alle Heiden seien durch göttliche Gnadenwahl berufen, und schärft damit eine Grenze ein, an der menschlichem Missionsbemühen unüberwindlich Halt geboten werden müsse61. Diese Distinktionen haben methodische Konsequenzen nicht nur für die Entfaltung missionarischer Praxis, sondern auch für deren Rekonstruktion durch die Forschung. Wir werden demnach aufhören müssen, von gewaltsamer ‚Christianisierung‘ zu sprechen, wo lediglich Zwangsmaßnahmen bezeugt sind, die der ‚Entpaganisierung‘ dienen, und wir werden in solchen Fällen auf Anzeichen nebenhergehender gewaltloser Verkündigungsarbeit im Positiven zu achten haben, die als weniger geräuschvolle Form des Vorgehens nur vielleicht in der Überlieferung weniger deutlich hervortritt, – oder sollte im Einzelfall etwa gar keine ‚Mission‘ mehr im strengen Sinne gemeint sein, sondern statt dessen ein Vorgehen gegen ‚innerkirchliches Heidentum‘ schon Getaufter, das, wie noch darzutun ist, durchaus nicht mit der ‚Entpaganisierungsarbeit‘ außerhalb der Kirche zusammengeworfen werden darf?62 Weiter werden wir davon absehen müssen, den Vollzug einer Christianisierung selbst äußerlichster Form grundsätzlich unmittelbar an die heidnische Periode eines Missionsgebietes anzuschließen: vielleicht gibt es auch einmal einen Schwebezustand zwischen der alten Religion, die öffentlich nicht mehr ausgeübt werden darf, und der neuen, von der die Bevölkerung des Missionsgebietes in ihrer Masse noch nichts wissen will, auch wenn einzelne schon zur Taufe sich stellen.
61 Vgl. zu alledem die in vorstehender Anm. genannte Monographie von Walter. Auf die geistes- und rechtsgeschichtlichen Wurzeln dieser folgenträchtigen Konzeption kann hier leider nur anmerkungsweise hingewiesen werden. Es handelt sich offenbar um eine Adaption kirchlichen Denkens an römisches Kaiserrecht der theodosianischen Dynastie, das seinerseits vorchristliches römisches Sakralrecht und damit eine entscheidende Grundlage des vorkonstantinischen Imperiums ins Christliche umzusetzen suchte; vgl. auch unten Anm. 96, ferner bei Anm. 127–129 über ein weiteres Eindringen des römischen Imperialismus in kirchliches Rechtsdenken bei Gregor d. Gr. Dergleichen wurde möglich, weil die Staatsferne des Ur- und Frühchristentums in allen Fragen staatlichen Rechts wie einer staatlich monopolisierten Kirche ganz naturgemäß ein Vakuum gelassen hatte, das sich seit Konstantin als verhängnisvoll erwies. Ich hoffe, darauf anderweitig zurückzukommen. 62 S. u. bei Anm. 75–87, 95–113 sowie Beitrag VII, passim.
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4. Direkter Zwang und indirekte Nötigung Vorbehaltlich mancher noch ausstehender Einzeluntersuchung wird man sagen dürfen, daß die augustinische Forderung des prinzipiell im letzten freien Taufentschlusses – unbeschadet aller Gewaltmaßnahmen gegen heidnische Tempel und Haine – bis tief ins Hochmittelalter hinein als kirchliche Norm festgehalten worden ist. Wohl zeigen die Anforderungen an den Grad der Freiwilligkeit, der dabei gewahrt bleiben müsse, und an den Grad der inneren Bekehrung, den die Taufe voraussetze, sich schon bei Gregor dem Großen merklich gesenkt (so daß zwar nicht gerade ein Taufzwang unter Todesdrohung als kirchlich erlaubt erscheint, wohl aber ein mehr oder weniger gelinder Druck, etwa mit Einräumung oder Entziehung von Vermögensvorteilen unter Umständen weitreichender Art, wie stark überhöhtem Steuerdruck63); die Sachsenmission Karls des Großen aber, die ein Sohn des betroffenen Volksstammes im neunten Jahrhundert bezeichnend als „Predigt mit eiserner Zunge“ charakterisierte64, oder die norwegische Reichsmission der Olaf Tryggvason und Haraldsson, – Fälle dieser Art sind demnach als Ausnahmen in der Mittelaltermission zu betrachten, und sie dürfen keinesfalls vorschnell verallgemeinert werden, nur weil sie sich in der Überlieferung stärker hervordrängen, bei den Zeitgenossen also mehr Aufsehen erregten; vielmehr bedürfen sie alle besonderer Begründung, und es scheint, daß dabei stets außerkirchliche und außertheologische Faktoren in Rechnung zu stellen sind (wie die Verknüpfung von Christianisierung und politisch-militärischem Machtkampf)65. Wandlungen,
63 Vgl. bes. Gregor. Magn., Reg. Epp. IV/26 (JL 1268, a. 594; MGH.Ep 1, S. 261, 12 ff.): Si rusticus tantae fuerit perfidiae (dazu unten bei Anm. 71) et obstinationis inventus, ut ad Deum venire minime consentiat (das consentire ist offenbar trotz allem wichtig!), tanto pensionis onere gravandus est, ut ipsa exactionis suae poena compellatur ad rectitudinem festinare. Legt der Sprachgebrauch hier die Frage nahe, ob statt Mission unter noch Ungetauften hier nicht vielmehr ein Vorgehen gegen Rückfällige innerhalb der Kirche gemeint ist, so zeigt Reg. Epp. II/38 (JL 1186, a. 592; aaO S. 134,12 ff.) eindeutig die Bereitschaft zum Einsatz materieller ‚Argumente‘ auch gegenüber Ungetauften: in Hinblick auf Juden in massis ecclesiae . . . volo, ut, si qui de eis Christiani voluerint fieri, aliquanta eis pensi relaxentur, quatenus isto beneficio provocati, tali desiderio et alii adsurgant; vgl. V/7 (unten Anm. 68). – Beachte zu alledem noch unten bei Anm. 78–80. 64 Transl. S. Liborii, c. 5 (MGH.SS 4, S. 151,20 ff.): (Karl den Großen vom sächsischen Standpunkt) arbitror nostrum iure apostolum nominari; quibus et ianuam fidei aperiret, ferrea quodammodo lingua praedicavit. 65 Vgl. oben, Beitr. IX, passim; unten, Beitr. XXV, Abschn. 4, ferner Beitr. XV, passim, bes. Abschn. 4 c samt Nachtrag am Ende sowie Beitr. XX; ferner unten bei Anm. 94 sowie bei Anm. 122–127a.
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die in dieser Hinsicht teilweise seit dem zwölften Jahrhundert erfolgen, liegen zeitlich jenseits dieses Bandes und müssen später besprochen werden; vor Verallgemeinerungen ist jedoch auch dabei dringend zu warnen66. Im Ganzen jedoch kommen wir hier zu einer neuen methodischen Differenzierung, die speziell auf dem Felde der positiven Missionsarbeit wichtig wird: ein ‚direkter Zwang‘ (unter unmittelbarer Todesdrohung) ist zu unterscheiden von ‚indirekter Nötigung‘ (unter Anwendung sonstiger Repressalien), wobei die Grenze im Einzelfall fließend bleiben mag; daneben steht die völlig gewaltlose, völlig friedliche und freie Bekehrungsarbeit, wie sie besonders dort unumgänglich bleibt, wo ein Land unter heidnischer oder sonst missionsabgeneigter Obrigkeit steht67. Zugleich aber ergibt sich eine Folgerung, die besonders tief in das Wesen mittelalterlichen Missionsgeschehens hineinzuführen verspricht. Für Augustinus war der Übertritt eines Menschen zu Christus und seiner Kirche ein Bekenntnisakt, der die innerlich vollzogene Bekehrung des Taufbewerbers voraussetzen und besiegeln sollte; er stand am Schluß, nachdem sowohl das negative als auch das positive Missionsziel erreicht war, soweit das nur menschenmöglich schien, und er setzte den selbständigen Willen des Bekehrten voraus zu immer weiterer Vervollkommnung im christlichen Glauben und Leben, eine freie Bereitschaft zu persönlicher Mitarbeit an diesem Werk, soweit sie dem einzelnen von sich aus möglich war. Kein Späterer, so wird man sagen dürfen, hätte die grundsätzliche Bedeutung des Übertritts bewußt verkleinern mögen. Wo aber zwischen den abgelehnten ‚direkten Zwang‘ und die geforderte Freiwilligkeit eine dritte Möglichkeit sich einzuschieben vermag, eben die ‚indirekte Nötigung‘, dort müssen die Ansprüche, die die Kirche an den Grad der Erfüllung beider Missionsziele stellt, gegenüber denjenigen des Augustinus reduziert worden sein. Der Weg hat sich geöffnet für Erscheinungen, die auch dieser Kirchenvater schwerlich ausschließen konnte, denen er aber doch nach Kräften vorzubeugen suchte: für ein Namenschristentum, dem der neue Glaube alles andere als Herzenssache ist, dem nichts ferner liegt als ein Mühen um Vervollkommnung in diesem Glauben aus eigenem Antrieb und Bedürfnis; für ein inner-
66
Vgl. Beitr. IX, bei Anm. 12–15. Auch unter Christen war eine missionsabgewandte, wo nicht -feindliche Obrigkeit bzw. Herrenschicht möglich, vgl. unten bei Anm. 135–136. 67
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kirchliches Heidentum oder auch Judentum, das nicht nur unbewußt über die Grenze mitgeschleppt wird als unwillkommener Überrest der Vergangenheit, durch das neue Kirchenglied von sich aus bekämpft, sobald es sich seiner bewußt wird, sondern das noch tief im Herzen des ‚Betroffenen‘ wurzelt, versteift womöglich und bestärkt über den vorherigen Zustand hinaus durch nur allzuleicht verständliche Trotzhaltung. Der Übertritt wird dann zu einem Schritt, der weitgehend unabhängig wird von einer auch nur annähernden Erreichung des einen wie des anderen Missionsziels – ‚Erreichung‘ verstanden vom Wesen, von innen her –; er kann einer bloßen Formalie ungleich näher stehen als dem echten Bekenntnisakt68, und der Hauptteil der Arbeit, die bei anderer Auffassung noch vorher, noch vom Missionar geleistet werden muß, wird so aus seinen Händen genommen, um der innerkirchlichen Verkündigungs- und Seelsorgearbeit zur Last zu fallen, die keineswegs immer von denselben Geistlichen wahrgenommen wird. Man kann auch sagen: die Missionsziele als solche ändern sich; die Zielmarken werden hier wie dort verschoben, und zwar in beiden Fällen vom echten Bekehrungsideal fort in Richtung auf den an sich zu überwindenden bisherigen Standort des ‚Missionsobjektes‘; mag auch der Übertritt als solcher nach wie vor als conversio bezeichnet werden, so vollzieht dieses Wort dabei doch einen Bedeutungswandel, der seine Übersetzung mit ‚Bekehrung‘ im heutigen Sinn dieses Ausdrucks unmöglich macht. Wir betonen: unvollkommene Bekehrung vor dem Taufentschluß, ein Übertritt aus letztlich weltlich-opportunistischen Motiven ist nichts, was mit dem Beginn des Mittelalters neu in die Kirchen- und Missionsgeschichte einträte: schon die Antike hat dergleichen mehr als genug erlebt, seit das Christentum zur offiziellen Reichsreligion des römischen Imperiums und die Kirche damit zur Massenkirche wurde – die grundsätzlichen missionstheoretischen Verlautbarungen eines Augustinus waren ja nicht zuletzt durch Erfahrungen dieser Art angeregt worden. Was in dieser Hinsicht mittelalterlichneu ist, das ist die förmliche Legalisierung von Zuständen, die der Bischof von Hippo noch erbittert bekämpft hatte, durch die höchste Instanz der Kirche, mag dies nun als eine Art
68 Gregor der Große hat diese Gefahr durchaus gesehen; er bemerkt über Juden, die durch erheblichen Steuernachlaß zum Übertritt bewogen werden könnten: Nec hoc inutiliter facimus, si pro levandis pensionis oneribus eos ad Christi gratiam perducamus, quia, etsi ipsi minus fideliter veniunt, hi tamen, qui de eis nati fuerint iam fidelius baptizantur. Aut ipsos ergo aut eorum filios lucramur (Greg. Magn., Reg. Epp. V/7 [JL 1323, a. 594; MGH. Ep 1, S. 288,22 ff.]).
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Resignieren vor der Realität aufzufassen sein oder eine andere Deutung verlangen. Wir kommen auf die Problematik der gekennzeichneten Grenzverschiebung zwischen verschiedenen kirchlichen Arbeitsbereichen sogleich nochmals zurück69. An dieser Stelle sei zunächst nur ein Warnzeichen aufgerichtet für den, der sich über die Feststellung des Befundes hinaus um eine christliche Wertung bemüht. Selbstverständlich liegt in der gekennzeichneten Entwicklung eine Veräußerlichung, eine ‚Entgeistigung‘ und ‚Formalisierung‘, und es liegt nahe, von einem innerlich gefaßten Glaubensbegriff aus den Stab über sie zu brechen. Auf der anderen Seite aber muß gesehen werden: diese ‚Entgeistigung‘ und ‚Formalisierung‘ war der einzige Preis, für den die Christianisierung der mittelalterlichen Völker Europas schon bei ihrer damaligen geistig-seelischen Verfassung überhaupt möglich zu werden vermochte70. Wer sich nicht entschließen will, der Christianisierung als solcher ihren Wert prinzipiell abzusprechen, wird demnach Begleiterscheinungen der geschilderten Art mit in Kauf nehmen müssen, unbeschadet seiner persönlichen Stellungnahme für die heutige Gegenwart. 5. Mission und innerkirchliche Nacharbeit Die letzten Beobachtungen zwingen nochmals zu einer Überprüfung, was eigentlich das Mittelalter unter ‚Christen‘ und ‚Nichtchristen‘ (also ‚Juden‘ und ‚Heiden‘) verstanden hat. Moderne Denkgewohnheit neigt dazu, von inhaltlichen Kriterien auszugehen; sie hält die drei Begriffe für anwendbar, wo Menschen jeweils christlichen, jüdischen oder heidnischen Glaubensvorstellungen und Kultformen ergeben sind. Für das kanonische Recht, dem der Historiker zunächst einmal zu folgen hat, kommt es entscheidend auf andere Kriterien an, und zwar auch schon zu Zeiten, in denen es nur rudimentär entfaltet ist, in denen von einer wirklichen Kanonistik noch kaum gesprochen werden kann.
69
Unten bei Anm. 73–87 sowie Abschn. 7. Vgl. die besonders aufschlußreiche Studie von W. Baetke, Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen. Ein Beitrag zur Frage der Germanisierung des Christentums (wiederholt gedruckt; separate Buchausgabe Darmstadt 1959 [Libelli 48], nach der hier zitiert), bes. S. 39 ff.; auch schon ders., Religion und Politik in der Germanenbekehrung. Leipzig 1937, ferner Mensching, Soziologie (wie Anm. 21), S. 220 f. 70
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Zunächst: von ‚Christen‘ und ‚Nichtchristen‘ wird damals normalerweise überhaupt nicht gesprochen, sondern von ‚Christen‘ oder ‚Gläubigen‘ ( fideles) einerseits, ‚Unglaubigen‘ (infideles, perfidi) andererseits71. Dabei wecken die deutschen Ausdrücke, die wir notgedrungen einsetzen müssen, falsche Assoziationen, als werde dem Nichtchristen in diesem Denken jeglicher ‚Glaube‘ abgesprochen. Es geht bei alledem nicht um ‚Glauben‘, sondern um fides, die in diesem Sprachgebrauch gleichgesetzt wird mit dem Christentum und eo ipso, der Doppeldeutigkeit des lateinischen Ausdrucks entsprechend, mit der ‚Treue‘ gegenüber dem einzig wahren Gott: confessio fidei heißt das der Taufe vorangehende Bekenntnis zum Christentum und zu Christus, ihm steht aber eine abrenuntiatio diaboli gegenüber, die die bisher verehrten Götter (interpretatione Christiana: Teufel oder Dämonen) und eben damit die an sie geknüpften Glaubensvorstellungen einschließt. Infidelis, seltener perfidus drückt damit nichts aus als den Mangel an fides, ganz unabhängig davon, ob dem nach der Gegenseite hin ein abweichendes Positivum zur Seite geht oder nicht 72. Fides pagana oder Judaica wird man in patristischen und mittelalterlichen Quellen wohl vergeblich suchen: wo diese Religionen als solche angesprochen werden sollten, ist von ihren consuetudines, ritus, ihren superstitiones, ihrem error, auch ihrer lex die Rede73. Betrachten wir den Begriff des infidelis näher, so zeigt er sich gegen den des christianus merkwürdig unscharf abgegrenzt. Offenbar gibt es einen Bereich mangelhaften Christentums, in dem beide Begriffsfelder sich überschneiden. Infidelis wird nicht nur auf offenbare Nichtchristen angewandt wie Heiden und Juden, sondern auf ‚Ketzer‘ (also ‚falsche Christen‘), ja auf unbußfertige Sünder, die der Exkommunikation
71 G. Koffmane, Entstehung und Entwicklung des Kirchenlateins bis auf Augustinus-Hiernoymus I. Breslau 1879/81, S. 70; H. Schmeck, Infidelis. Ein Beitrag zur Wortgeschichte. VigChr 5 (1951) S. 129–147; H. Helbig, Fideles Dei et regis. Zur Bedeutungsentwicklung von Glaube und Treue im hohen Mittelalter. AKG 33 (1951) S. 275–306, bes. S. 277 ff. – Für perfidus als Synonym zu infidelis vgl. C. Plummer, Venerabilis Baedae opera historica II. Oxford 1896 = 1956, S. 18. Der Begriff wird häufig, aber keineswegs allein, auf Juden angewandt. Liegt dabei die Vorstellung zugrunde, daß sie einmal die wahre fides besessen haben, aber nicht in ihr verblieben sind, so daß das per- ein „Hindurch-gelangt-sein“ und „Wieder-verlassen-haben“ andeuten soll? 72 Vgl. Walter (wie Anm. 60), S. 17. Zu fides beachte auch den Beleg unten Anm. 101. 73 Lexikalische Einzelbelege würden hier zu weit führen; vgl. (bes. für lex) vorläufig: unten, Beitr. XII, bei Anm. 28 bis Schluß. Ein Beispiel für supersticionum error (gleich kombiniert!) s. unten Anm. 89 Ende.
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verfallen sind74. Die terminologische Verwirrung wächst, wenn wir feststellen, daß das kirchliche Latein merkwürdigerweise keinen Ausdruck zur Verfügung stellt, der sich ohne weiteres mit dem Begriff des ‚Heiden‘, wie wir ihn kennen, zur Deckung bringen läßt. Vor allem gentilis und paganus stehen in bemerkenswert unterschiedlicher Bedeutungsnuancierung nebeneinander, die man sich durch den gemeinsamen Notbehelf beim Übersetzen ins Deutsche keineswegs verwischen lassen darf 75. Diese Situation zwingt uns, bei missionsgeschichtlichen Untersuchungen genauestens zu differenzieren. Handelt es sich, wo wir ganz allgemein an ‚Heiden‘ denken, im konkreten Einzelfall um ‚Ungläubige‘ eines missionarischen Neulandes, die noch niemals von christlicher Verkündigung berührt worden sind? War ihnen vielmehr das Evangelium bereits erfolglos gepredigt worden, womöglich unter gewaltsamer Abweisung, die vielleicht sogar zu Martyrien geführt hatte? Stehen auf der anderen Seite am Ende gar Menschen, die als schon Getaufte, „Glieder des Leibes Christi“, zum ‚Unglauben‘ ihrer Väter zurückgefallen sind? Mag der subjektive Glaubenszustand, mag der Kultbrauch in all diesen Fällen auch noch so gleichförmig scheinen: für kanonistisches Denken bleibt solche Feststellung bei Äußerlichkeiten stehen. So können wiederum je nachdem die verschiedensten Mittel und Methoden sowohl theoretisch gefordert als auch tatsächlich praktiziert werden, ohne daß dies jedoch immer und überall vorausgesetzt werden dürfte: vielleicht kommt es über solchen Fragen auch einmal zu innerchristlichen Kontroversen, weil rigoristische Forderungen des einen Teils von anderen abgewiesen werden, und zwar keineswegs immer einfach aus Gleichgültigkeit (die selbstverständlich in Einzelfällen auch mitsprechen kann), sondern durchaus auch aufgrund abweichender, keineswegs weniger gut christlicher Überzeugung76. Besonders der Einschnitt, den die Taufe bezeichnet, ist dabei von ausschlaggebender Bedeutung. Augustinus hatte noch eine eindringliche Unterweisung des Taufbewerbers als Voraussetzung wirklichen Übertritts gefordert; auf dem Wege von ihm zum Mittelalter hin war jedoch die altkirchliche Einrichtung des Katechumenats mehr und mehr
74 E. Eichmann, Acht und Bann im Reichsrecht des Mittelalters. Freiburg 1909, S. 15 f. 75 S. unten bei Anm. 90–95, bes. Anm. 94. 76 Unten Beitr. XV, bes. bei Anm. 165–184 sowie Abschn. 5, passim; ergänzend ders., Slawen u. Deutsche (wie Anm. 40), S. 225–233.
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verkümmert77. Hand in Hand damit geht eine merkliche Reduktion des unbedingt vor der Taufe noch mitzuteilenden Lehrbestandes. Schon Gregor der Große vertritt in dieser Hinsicht eine Auffassung, die höchst bemerkenswert erscheint: die Kirche wechsele den Inhalt der Predigt „je nach der geistigen Verfassung ihrer Zuhörer“, verkündige den „Ungläubigen“ den dreieinigen Gott, den „Gläubigen“ hingegen die vier Kardinaltugenden78; eine Briefstelle präzisiert: wer bereits in die Kirche eingegliedert sei, solle beim Abfall von ihren Normen zur Pönitenz gebracht werden, wer aber noch nicht getauft wurde, sei durch Ermahnungen, Bitten, durch die Schrecken des kommenden Gerichtes (offenkundig eine besonders wichtige Seite der Verkündigung des dreieinigen Gottes!), im übrigen durch Vernunftgründe, daß man doch schließlich keine Hölzer und Steine verehre (gemeint wohl: Geschöpfe,
77 L. Kilger, Die Entwicklung der Katechumenatspraxis vom 5. bis 18. Jahrhundert. ZM 15 (1925) S. 166–182, wo S. 173 allerdings unzutreffend verallgemeinernde Folgerungen für die Zeit nach 800 gezogen werden; E. Varrentrapp, Über den Zusammenhang von Taufe und kirchlicher Unterweisung in der christlichen Frühzeit Deutschlands. Diss. (Masch.) Marburg 1946. 78 Greg. Magn., Moralia XXIX/31,72 (MPL 76,517 A–D); die bemerkenswerte Stelle verdient, in extenso zitiert zu werden: In Arcturo (sc. dem von uns sog. Sternbild des „Großen Bären“) . . ., qui per gyrum suum nocturna spatia non occasurus illustrat, . . . tota simul Ecclesia designatur, quae fatigationes quidem patitur, nec tamen ad defectum proprii status inclinatur: gyrum laborum tolerat, sed ad occasum cum temporibus non festinat. . . . Est in Arcturo quod consideratius possimus intueri. In septem quippe stellis volvitur, et modo quidem tres ad summa elevat, atque ad ima quatuor inclinat, modo quatuor superius erigit, et tres inferius premit. Sancta quoque Ecclesia cum modo infidelibus Trinitatis notitiam, modo autem fidelibus virtutes quatuor, id est prudentiam, fortitudinem, temperantiam, justitiam praedicat, quasi rotatu praedicationis status sui speciem quodammodo immutat. Nam cum quibusdam de operibus suis gloriantibus (wie es besonders Heiden nachgesagt wird!), confidentiam proprii laboris evacuat, et fidem Trinitatis exaltat, quid aliud facit nisi tres stellas Arcturus elevat, quatuor inclinat? Et dum quosdam opera non habentes de sola fide praesumere prohibet, sed operari enixius quae praecepta sunt iubet, quid aliud Arcturus facit, nisi quatuor stellas erigit, tres deponit? Videamus quomodo tres elevat, quatuor deponat. Ecce per Paulum contra fidem de opere superbientibus dicitur: ‚Si Abraham ex operibus iustificatus est, habet gloriam, sed non apud Deum‘ (Röm 4,2). Quid enim Scriptura dicit? ‚Credidit Abraham Deo, et reputatus est illi ad iustitiam‘ (Gen 15,6). Videamus quomodo quatuor elevet, tres deponat. Ecce per Iacobum de fide nostra contra opera superbientibus dicitur: ‚Sicut corpus sine spiritu mortuum est, ita fides sine operibus mortua est‘ (Jak 2,26). Arcturus itaque volvitur, quiasancta Ecclesia juxta auditorum suorum mentes in diverso latere praedicationis arte versatur. – Der Passus ist, soviel ich sehe, so gut wie unbeachtet. Gleichwohl dürfte es sich um eine Schlüsselstelle zum Verständnis kirchlicher Wirksamkeit im Mittelalter handeln, nicht zuletzt in ihrem missionarischen Sektor. Ihren Hintergrund bildet Gregors Konzeption von der stufenweisen Anleitung der Menschen zum Heil durch die Kirche, das ihr von Gott durch die stufenweise Verwirklichung seines eigenen Heilsplanes gewiesen und aufgegeben sei, doch kann hierauf im vorliegenden Rahmen nicht näher eingegangen werden.
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die im Rang sogar unterhalb des Menschen stehen, anstelle des Schöpfers), zur Herde des Herrn zu bringen79. Nach ‚außen‘ hin steht für die kirchliche Verkündigung Glaubenslehre im Vordergrund, charakteristisch nuanciert; Sittenlehre oder überhaupt Anleitung zu christlichem Verhalten gewinnt Bedeutung erst für ihre ‚innere Arbeit‘: eine Beschneidung des missionarischen Unterweisungsgutes, die erstaunlich ist, läßt sie doch den Übertretenden im Unklaren über wesentliche Konsequenzen seines Schrittes, macht damit unter Umständen den Weg frei für ein bitteres nachträgliches: ‚Hätte ich das vorher gewußt . . .!‘ Die Einschränkungen der freien Entscheidung zum Übertritt, die das gleichzeitig aufkommende Ja der Kirche zu indirekten Zwangsmitteln bereits andeutete80, rücken erst von hier aus in den entscheidenden inneren Zusammenhang ein. Die nachgregorianische Heidenpredigt hat sich dem angepaßt und wohl noch weitere Reduktionen vorgenommen, wie ja auch die Theologie mehr und mehr zur Unterscheidung ‚impliziten‘ und ‚expliziten‘ Glaubens kam und als ausreichend schon den ersten ansah, das heißt: eine einfache gehorsame Anerkennung dessen, was nur immer die Kirche lehre, auch ohne genauere Kenntnis dieses Lehrbestandes81. Die frühmittelalterlichen Angelsachsen, so stark von Gregor her geprägt82, aber auch etwa ein Otto von Bamberg83 beschränkten sich weitgehend auf die Verkündigung der Allmacht Gottes, die Gehorsam verlange, und
79 Greg. Magn., Reg. Epp. VIII/1 (JL 1488, a. 597; MGH.Ep 2, S. 1, 16 ff.): sive eos qui aliquando fideles fuerunt, sed ad cultum idolorum negligentia aut necessitate faciente reversi sunt, . . . cum indicta paenitentia aliquantorum dierum ad fidem reducere, . . . sive eos qui necdum baptizati sunt, ammonendo, rogando, de venturo iudicio terrendo, rationem quoque reddendo, quia ligna et lapides colere non debent, . . . Domino congregare . . . (im Ganzen auch durch die Gegenüberstellung von fideles und necdum baptizati ein charakteristischer Beleg, so unzweifelhaft sich auch hier zeigt, daß die durch die Taufe erworbene fides wieder verwirkt werden kann!). 80 Oben, Abschn. IV. 81 Vgl. z.B. Th. Ohm, Die Stellung der Heiden zu Natur und Übernatur nach dem hl. Thomas von Aquin. Eine missionstheoretische Untersuchung (MAT 7). Münster 1927, S. 312 ff. 82 Vgl. neben den Arbeiten von Lau und Konen (wie Anm. 35–36) etwa F. Flaskamp, Die Missionsmethode des hl. Bonifatius. Münster 19292. 83 W. Kümmel, Die Missionsmethode des Bischofs Otto von Bamberg und seiner Vorläufer in Pommern (AMSt 4). Gütersloh 1926, wo das Material für den Inhalt der Predigt vor und nach vollzogener Taufe besonders eindrucksvoll zum Sprechen kommt. – Vgl. auch etwa F. Blanke, Die Missionsmethode des Bischofs Christian von Preußen (1927). Zuletzt in: Beumann (wie Anm. 40), S. 337–363, bes. S. 348 f. und Blanke, Missionsprobleme des Mittelalters und der Neuzeit. Zürich/Stuttgart 1966, S. 51–76, bes. S. 61 f.
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drängten dabei in erster Linie auf die Taufe hin als die entscheidende Gehorsamskundgebung, den eigentlichen Unterwerfungsakt, den diese Allmacht bei Strafe ihrer Ungnade fordere; alles andere blieb einer innerkirchlichen ‚Nacharbeit‘ überlassen, durchzuführen von den Trägern der regulären Kirchenorganisation, den Bischöfen und Archidiakonen, Pfarrern und Kaplänen, mit den Mitteln, die der innerkirchlichen Seelsorge und Disziplinargewalt zur Verfügung standen vom privaten Beichtverfahren bis zum Visitations- und Sendgerichtswesen hin84; blieb ihr überlassen nicht zuletzt in starkem Vertrauen auf die unmittelbare Gnadenwirkung der Sakramente, zu denen der gültige Taufempfang (und nur er) ja den Zugang eröffnete: an keiner Stelle tritt der stets wichtige Zusammenhang zwischen Missionspraxis und Gnadenlehre85 dermaßen handgreiflich zutage, nicht zuletzt auch wieder als Warnung vor einer allzu verständnislosen Urteilsbildung allein nach äußerlichen Symptomen. So wurde der formale Taufakt als solcher mehr und mehr zur entscheidenden Ziel- und Grenzmarke missionarischer Arbeit, und diese Marke wurde an für modernes Empfinden erstaunlich früher Stelle aufgerichtet: er, so schien es den Zeitgenossen, war das, was in erster Linie ‚den Christen macht‘, – selbst der widerstrebend, gegen seinen Willen ihm Ausgesetzte galt vom Augenblick seines Vollzugs an als ‚Christ‘ und also – zumindest bis auf weiteres – als fidelis, als einer, der fides besaß86. Entscheidend beteiligt an dieser Entwicklung war zweifellos die schon früh greifbare, wenn auch erst allmählich fixierte und präzisierte 84 Eine besonders bezeichnende Quellenstelle aus zeitlich und räumlich weit abliegendem Missionsgebiet runde das Bild ab: Dudo von St. Quentin, De moribus et actis primorum Normanniae ducum III (MPL 141,745B), läßt Herzog Richard I. (942–96) zu heidnischen Verbündeten aus Dänemark sprechen: Si velle est vobis inhaerere nostris consiliis, ego faciam vos primitus baptizari . . ., ampliorique deinde integerrimae fidei praedicatione ab episcopis erudiri. – Allgemein wichtige Bemerkungen über diese innerkirchliche Nacharbeit: Holl (wie Anm. 9), S. 15–17. Zum Sendgerichtswesen: A. M. Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland I. Münster 1907; ders., Quellen zur Geschichte der Sendgerichte in Deutschland. Ebd 1910 (meist jüngeres Material); ders., Die Sendgerichte. BZThS 8 (1931) S. 34 ff. – Weitere Lit. bei H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Köln 19644, S. 218 f. 85 Oben bei Anm. 53–55. 86 Vgl. unten, Beitr. XXI, bei Anm. 31–62. – Die Neigung, die Taufe als die eigentliche Begründung des Christseins einzuschätzen, geht schon in die alte Kirche zurück; vgl. die vorübergehende Gleichsetzung von fidelis = baptizatus in durchaus kirchlich-technischem Sinn, die aber nach Erhebung des Christentums zur römischen Reichs- und also zur Massenreligion in bezeichnender Weise aufgegeben wurde (vgl. Heibig [wie Anm. 71], S. 278 f.). Eine Erneuerung dieses Sprachgebrauchs im Mittelalter habe ich nicht in genügender Eindeutigkeit feststellen können, obgleich sie m.E. partiell
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Kirchenlehre, daß der Taufakt dem Menschen einen unverlierbaren ‚Charakter‘ einpräge, der den ‚Gläubigen‘ vom ‚Ungläubigen‘, den ‚Christen‘ vom ‚Heiden‘ oder ‚Juden‘ in statu et habitu unterscheide87. Im religiösen Denken und Verhalten sind ganz allgemein zwei gegensätzliche Grundformen zu unterscheiden, die sich auf dem Boden des Christentums und seiner Theologien nicht weniger bemerkbar gemacht haben als vielerorts sonst; man hat sie als „kultisch-institutionellen“ und als „persönlich-ethischen“ Frömmigkeitstyp gegenüberzustellen versucht, unbeschadet aller Grenz- und Übergangsformen, die im lebendigen Leben begegnen88. Seit der Renaissance ist bei uns in Europa die zweite Form stärker in den Vordergrund getreten; sie wirkt sich auch auf Begriffsbildung und Begriffsverständnis aus. Im mittelalterlichen Christentum haben persönlich-ethische Frömmigkeitselemente keineswegs gefehlt; sie konnten sogar zu sehr lebendigen Entfaltungen kommen; oft aber standen sie stark im Schatten einer kultisch-institutionellen Grundhaltung, und das allgemeine Bild wurde damals zweifellos von dieser zweiten Richtung bestimmt: das tritt gerade auch in dieser Einschätzung des Taufaktes handgreiflich hervor. Es zeigt sich auch in der auf solchen Voraussetzungen aufbauenden Terminologie. Auf dem Boden solcher Grundhaltung war es möglich, Menschen den Christennamen zuzubilligen, die Christus weder für den einzigen Gott hielten, noch wenigstens für den höchsten und mächtigsten der Götter, wenn nur die Taufe genommen war: so geschehen nicht etwa im Munde eines selbst noch halbheidnischen Bauern, sondern durch einen Mönch des heiligen Benedikt, der für sich persönlich immerhin so tief im neuen Glauben verwurzelt war, daß er sich gedrängt fühlte, eigene literarische Tätigkeit mit der Verherrlichung christlicher Anachoreten und Märtyrer zu beginnen, nämlich Widukind von Corvey (um 960)89.
keineswegs ausgeschlossen ist. Zu fides im vorliegenden Zusammenhang vgl. den Beleg unten Anm. 101. 87 Vgl. unten, Beitr. XV, bei Anm. 85 ff. 88 Mensching, Soziologie (wie Anm. 21), bes. S. 220. 89 Widukindus Corbeiensis, Res Gestae Saxonicae III/65 (MGH.SRG S. 140,1 ff.; Hirsch-Lohmann): Dani antiquitus erant Christiani, sed nichilominus idolis ritu gentili servientes. Kurz darauf: Danis affirmantibus Christum quidem esse deum, sed alios eo fore maiores deos. Das Rubrum zu diesem Kapitel lautet: De Danis, quomodo Christiani perfecte facti sunt (S. 103,24). Es stammt nicht von Widukind selbst (Hirsch, Einl. zur Ausgabe, S. XXX), setzt aber gleichfalls voraus, daß ein (wenngleich unvollkommenes) Christentum unter den Dänen schon vorher vorhanden war. Konsequenterweise wird im weiteren Verlauf des Widukind-Kapitels nicht von Taufen mehr berichtet, sondern
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Die Grenze zwischen ‚christlich‘ und ‚heidnisch‘ ist hier offensichtlich völlig anders gezogen, als wir dies von uns aus erwartet hätten. Hier spricht eine Auffassung, die sich überhaupt nicht für innere Überzeugungen interessiert, jedenfalls nicht als Grundlage für die Begriffsbildung in Fragen der Religionszugehörigkeit, sondern von einer rein formalen Feststellung ausgeht, die an den vollzogenen oder nichtvollzogenen Taufakt anknüpft. Man wird folgern dürfen: eine vollkommene und innerliche Bekehrung, wie sie einem Augustinus als unabdingbare Voraussetzung für den formellen Übertritt vorschwebte, wird zwar kirchlicherseits auch jetzt noch angestrebt, aber doch mehr als ein Fernziel, das eben nicht schon im Rahmen des Missionswerkes selbst zu erreichen sei, sondern erst auf längere Sicht, vielleicht gar erst über mehrere Generationen hinweg90. ‚Christ‘ aber war schon der bloß Getaufte, und er blieb es, auch wenn er sich der innerkirchlich zu leistenden Nacharbeit entzog oder wenn sie bei ihm nur unvollkommene Früchte trug – nur war er dann eben ein schlechter (male christianus)91. Dabei war es begrifflich zunächst gleichgültig, in welcher Richtung die Abweichung von den christlichen Normen lag, ob auf dem Gebiet der Sitten- oder dem der Glaubenslehre, womöglich sogar in heimlicher Fortsetzung heidnischer Kulthandlungen: teuflisch war das eine wie das andere, eine genaue begriffliche Unterscheidung zwischen diesen verschiedenen Abweichungen wurde lange Zeit nicht für nötig gehalten. Selbst Rückfall in offenkundiges Heidentum findet sich daher gelegentlich als ‚Häresie‘ bezeichnet, als
lediglich von einem Akt der ‚Tatmission‘ (vgl. oben bei Anm. 34 ff.), auf den hin rex conversus Christum deum solum colendum decrevit, idola respuenda subiectis gentibus imperat. Die Historizität der Erzählung steht hier nicht zur Diskussion; entscheidend ist die von ihr gespiegelte Auffassung. – Über die schriftstellerischen Anfänge Widukinds: Hirsch, Einl. z. Ausgabe, S. IX–XI. – Vgl. auch Helmold von Bosau, Chronica Slavorum I/47 (S. 93,7 ff.; Lappenberg/Schmeidler) über eine nordsächsische Bevölkerung, die christlich genug ist, sich um einen eigenen Pfarrer zu bemühen, gleichwohl aber charakterisiert werden kann als ein genus agreste et incultum, nichil de religione nisi nomen tantum Christianitatis habentes. Nam lucorum et fontium ceterarumque supersticionum multiplex error apud eos habetur. Als der bestellte Priester gloriam Dei et bona futuri seculi carnisque resurrectionem predicare cepit, ad novitatem incogniti dogmatis gens bruta . . . perculsa est; wieder ist jedoch nichts von Taufen zu berichten, sondern quanta plebium caterva in diebus illis ad penitentiae remedium confugerit. Verfasser ist in diesem Falle Pfarrer in eigener Person! – Dies sind unter zahlreichen einschlägigen Stellen zwei besonders sprechende Belege. Vgl. auch weiter oben im Text. 90 Vgl. die oben Anm. 68 wiedergegebene Äußerung Gregors des Großen. 91 Ein Quellenbeispiel mit kritischen Interpretationshinweisen: oben, Beitr. VIII, bei Anm. 23 ff.; als Gegenstück das pene paganus bei dems., Slawen u. Deutsche (wie Anm. 40), S. 19 mit Anm. 14, dazu S. 443.
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innerchristliche Verirrung also, und zwar wieder bei einem Sachsen, einem Mann überdies, der immerhin Bischof war: Dietmar (Thietmar) von Merseburg (gest. 1018)92. Die Fiktion fortdauernden Christentums konnte von hier aus erstaunlich weit getrieben werden, bis zu der Behauptung, eine über anderthalb Jahrhunderte hin erfolgreich sich behauptende Apostasie, die ein größeres geographisches Gebiet geschlossen erfaßte und de facto dort alle erreichbaren Spuren von Christentum und Kirche beseitigte, habe gleichwohl nur „fast ganz“ (propemodum) zu einer Abweichung vom Christentum geführt93. Es gab allerdings auch die Möglichkeit, apostatisches Heidentum anders zu kennzeichnen: mit dem Ausdruck paganus, der, wie gesagt, nicht einfach mit ‚Heide‘ übersetzt werden kann: er bezeichnet den ‚Heiden‘ nicht aus Schicksal, das der Betreffende selbst nicht zu verantworten hat, sondern den ‚Heiden aus Schuld‘, und er schließt neben dem, der von außen her christliches Land mit Mord und Brand überzieht, auch den Apostaten ein, der die ihm schon zuteil gewordene Taufgnade verachtet, all dies im Unterschied zu dem weniger stark belasteten gentilis94. Wo für Apostaten dieses paganus angewandt wird, herrscht für unser Empfinden eine größere begriffliche Klarheit, weil für die Wortwahl Überzeugungen zugrunde gelegt werden statt Formalien, von denen, wie wir etwa sagen würden, die Realität sich unter Umständen völlig entfernt hatte. Der mittelalterlichen Kirche sind jedoch eben vielfach andere Zusammenhänge wichtiger gewesen; sie hätte nicht so gesagt, sondern eingewandt, dies entspreche einer Sicht mit ‚natürlichen‘ Augen, doch nicht in ‚übernatürlichem‘ Lichte; was geblieben sei, durch die scheinbare Formalie begründet, sei vielmehr die wahre Realität, und der eingetretene Zwiespalt zwischen ihr und dem äußerlich wahrnehmbaren Zustand sei zwar unheilvoll, zwar dringend zu bekämpfen, doch letztlich von minderem Rang. So haben die Quellenautoren der Zeit von solchen terminologischen Unterscheidungsmöglichkeiten oft nicht
92 Thietmarus Merseburgensis, Chronicon III/17 (S. 118,30 ff.; Holtzmann); dazu unten, Beitr. XV, bei Anm. 114 ff. 93 Vgl. unten Anm. 97–114, bes. Anm. 112. 94 Vgl. unten, Beitr. XV, bei Anm. 97–113. Nicht zufällig beherrscht gerade paganus, nicht gentilis, auch Quellen wie die berüchtigte Capitulatio de partibus Saxoniae (MGH.Cap I 26; S. 68–70), die ja auf die formelle Annahme des Christentums durch die Sachsen folgt, daher, soweit sie religionspolitisch zu beurteilen ist, so etwas wie Apostatenrecht bietet: Beitr. XV, Abschn. 4 c vgl. unten bei Anm. 131–133, dazu aber oben bei Anm. 63–66; ferner Beitr. XI, Abschn. 6.
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den uns wünschenswerten Gebrauch gemacht, und das führt für uns zu vielfacher Trübung des Quellenmaterials, so daß etwa der Erfolg der karolingischen Sachsenmission langezeit für wesentlich durchschlagender und nachhaltiger angesehen werden konnte, als er offenbar in Wahrheit war95. Ein zweites aber, was hier entscheidend wird, ist dies, daß auf den geschilderten kanonistischen Grundlagen auch in diesem Teilbereich Konsequenzen für die Praxis gezogen werden. Wiederum Augustinus war wohl der erste, der den gültigen Taufvollzug zugleich als Unterstellung unter die seelsorgerliche Verantwortung der „heiligen Mutter Kirche“ faßte und damit als solche unter ihre Disziplinargewalt, so daß die Taufe zusätzlich zu ihrem sakramentalen Charakter die Bedeutung eines Rechtssymbols gewann. Die seelsorgerische Verantwortung, die für die Kirche daraus folgte, nahm dieser Kirchenvater außerordentlich ernst; er glaubte, aus ihr besondere Mittel ableiten zu dürfen, um die Möglichkeit ihrer Wahrnehmung durchzusetzen: um die Einhaltung des einmal geleisteten Taufgelübdes zu erzwingen, so meint er nach trüben Erfahrungen im Donatistenstreit, gegen eigene ältere Überzeugung, sei die Kirche, die gegen Ungetaufte nur friedlich zu predigen habe, berechtigt, notfalls den Staat zum Einschreiten aufzurufen, und zwar nicht nur, wie bei der (außerkirchlichen) Heidenmission, im Negativen, sondern durchaus auch im Positiven, nämlich so, daß er den „Irrenden“ zwinge, nicht nur seine „falschen“ Glaubensvorstellungen und Lebensnormen aufzugeben, sondern auch darüber hinaus zu denen „der wahren Kirche“ zurückzukehren96. Das galt zunächst für „irrgläubige Christen“, das heißt: für ‚Ketzer‘ und ‚Schismatiker‘; angefangen vom
95
unten, Beitr. XII, Abschn. 2 sowie bei Anm. 28–33. O. Schilling, Die Staats- und Soziallehre des hl. Augustinus. Freiburg 1910, S. 112 bis 135, bes. 126–129 u. 133–135; dazu ebd S. 212 f. u. 266 sowie 9–17; E. Fascher, Lukas 14,23. Ein Beitrag zur Frage der Toleranz. EvDia 27 (1956) S. 1–11; C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. Stuttgart 1935 = Darmstadt 1972, S. 7 f.; ferner unten, Beitr. XV, bei Anm. 78–84 u.ö. Vgl. unten Anm. 100. Zu den historischen Grundlagen vgl. bereits oben Anm. 61. Auch hier liegt eine Adaption an zeitgenössisches Kaiserrecht vor (vgl. Anm. 98), das letztlich nichts anderes darstellte als eine christliche Abmilderung – dies immerhin – derselben imperialen Rechtstradition, die in vorkonstantinischer Zeit die Christenverfolzungen ausgelöst hatte. Das Ergebnis ist die Aufhebung der Gleichheit aller vor dem Gesetz, wie sie bisher im römischen Recht wenigstens innerhalb gleichartiger Standesschranken verwirklicht war, für Nichtkatholiken. In kirchliches Denken durch Ambrosius von Mailand (etwa in den Streitfällen um die arianischen Kirche im Bereich seiner Bischofsstadt, um den Viktoria-Altar in der Senatskurie zu Rom und um die Synagoge von Callinicum) bereits für das innerstaatliche Sachenrecht übernommen und zunächst gegen kaiserlichen Widerstand durchgesetzt, 96
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gewaltsamen Vorgehen gegen einzelne (zunächst noch unter Ausschluß der Todesstrafe, doch beispielsweise unter Einsatz von Haft und Prügel97) bis hin zur kriegerischen Exekution gegen geschlossene, zahlenmächtige Gruppen wie die Donatisten; wir haben mithin in dieser Konzeption nichts Geringeres zu erblicken als die theologische und kanonistische Wurzel späterer Ketzerkreuzzüge, aber auch etwa der Inquisition. Apostaten, die zum Heidentum oder Judentum zurückstrebten, sind dabei noch nicht einbezogen. Dazu ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Rückfall Getaufter zu ihrer früheren Religion im Gesichtskreis dieses Kirchenvaters neben Normabweichungen auf christlicher Basis keine entscheidende Rolle spielte. Unzweifelhaft war es in seinem Sinne, wenn Spätere, konsequent weiterdenkend, an die grunsätzliche Abkehr vom Christentum überhaupt (statt nur vom „wahren Christentum“) mit gleichen Maßstäben herangingen. Gregor der Große, der schon im Dienst des positiven Missionszieles ‚indirekte Nötigung‘ (in relativ noch mäßigem Umfang) für vertretbar hielt98, hat auch diesen Schritt bewußt vollzogen99, während er
wird sie von Augustinus auf das innerstaatliche Personenrecht ausgedehnt. Gregor d. Gr. wird mit dem Völkerrecht folgen, vgl. unten bei Anm. 120–124a. 97 A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands I. Berlin 19589, S. 35 f., verweist dazu auch auf Kaisergesetze wie CTh XVI/5,52 u. 54 (von 412 und 414), die den Grundherrn im Blick auf donatistische Hintersassen anwiesen: Colonos verberum crebrior ictus a prava religione revocabit. Wenn er folgert: „Man war gegen die Heiden schwerlich nachsichtiger“ (S. 35, Anm. 5), so bleibt freilich genauer zu prüfen, ob dies nur für apostatisches oder auch für echtes, d.h. außerkirchliches Heidentum galt, nicht zuletzt: ob nur für die Praxis oder auch für die offizielle kirchliche Theorie. – Vgl. Anm. 99. 98 Oben Abschn. 4, Anfang. 99 Greg. Magn., Reg. Epp. IX/204 (JL 1731, a. 599; MGH. Ep 2, S. 192, 20 ff.): Contra idolorum namque cultores vel aruspicum atque sortilegorum fraternitatem vestram vehementius pastorali hortamur invigilare custodia atque publice in populo contra huius rei viros sermonem facere eosque a tanti labe sacrilegii . . . adhortatione suasoria revocare. Quos tamen emendare se a talibus atque corrigere nolle reperis, ferventi comprehendere zelo te volumus et, siquidem servi sunt, verberibus cruciatibusque, quibus ad emendationem pervenire valeant, castigare. Si vero sunt liberi, inclausione digni districtaque sint in paenitentia dirigendi, ut, qui salubra et a mortis pericula revocantis audire verba contemnunt, crucistus saltem eos corporis ad desideratam mentis reducere sanitatem. Die Stelle ist gegen herrschende Auffassung nicht als Answeisung für das Vorgehen gegen außerkirchliches Heidentum zu nehmen: ersten weisen Begriffe wie corrigere und paenitentia eindeutig auf innerkirchliche Bußpraxis, ergänzt durch labes in der alten Bedeutung „Abfall von christlichen Normen und Prinzipien“, zweitens zeigt eine genaure Untersuchung von Gregors Sprachgebrauch, daß er, anders als Spätere, noch sehr konsequent zwischen vocare und revocare, adducere im Sinne eines Vorgehens gegen außerkirchliches und innerkirchlich-apostatisches Heidentum zu unterscheiden weiß, und drittens widerstreitet die hier abgelehnte Deutung dem, was sich sonst den Äußerungen dieses Papstes über außerkirchlich vertretbare Praktiken entnehmen läßt
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dem direkten Glaubenszwang in der Heidenmission nach wie vor ablehnend gegenüberstand100. Ganz entsprechend finden wir beim IV. Konzil von Toledo (633) einerseits eine scharfe Verurteilung aller Zwangstaufen – mit bemerkenswerter theologischer Begründung –, andererseits aber die Bestimmung: sei jemand „zum Christentum gezwungen“ worden durch Gewalt oder sonstigen Druck, so müsse er auch gezwungen werden, daran festzuhalten, um der Heiligkeit des Glaubens und der Sakramente willen, sonst wäre es Blasphemie101. (vgl. nachstehende Anm. 100). Der aus dem scheinbaren Widerspruch dieser Stelle zu anderen Äußerungen Gregors erhobene Vorwurf einer Inkonsequenz, dei zwischen Gewaltverbot und Gewaltforderung in der Mission ziellos hin- und herschwanke, baut mithin auf falschen methodischen Voraussetzungen auf und ist gegenstandslos. Die vorstehen zitierte Stelle findet sich auch bei Burchard I. von Worms (Decr. X/2–3; MPL 140,833). – Weitere Belege (auch für bewaffnete Exekutionen gegen Apostaten, Häretiker und Schismatiker) – freilich unkritisch vermengt mit Kriegen anderer Kategorien – bei F. Dudden, Gregory the Great II. London 1905, S. 238 f. u. 413. 100 Besonders sprechend ist Gregors von Augustinus abweichende Exegese von Luk 14,23. Für den Bischof von Hippo war diese Stelle mit ihrem coge intrare (wie er las) ein Hauptbeweismittel für den von ihm für vertretbar gehaltenen Zwang gegen perversae opiniones in der Christenheit (s. oben bei Anm. 95–97, bes. Anm. 96). Gregor hingegen bezieht die gleiche Bibelstelle auf die Problematik der Juden- und Heidenmission (Greg. Magn., Hom. in Ev. 36,8; MPL 76, 1270 C/D). In dem Augenblick aber, in dem aus dem von Augustinus für die Legitimierung gewaltsamer Praktiken herangezogenen Sprachgebrauch (in Gregors Bibelfassung wie heute: compelle) Konsequenzen für diese außerkirchliche Missionsarbeit zu ziehen wären (ebd. c. 9; Sp. 1270D–1271A: Notandum vero est quod in hac invitatione tertia non dicitur ‚invita‘, sed ‚compelle intrare‘), in diesem Augenblick schreckt Gregor zurück, verliert den vorher angesprochenen Bezug vollständig aus den Augen und lenkt unvermittelt in andere Gedankengänge ein, nämlich in die Züchtigung derer, die sich als Christen einer glaubensgemäßen Lebensführung entziehen, und zwar Züchtigung nicht einmal durch die Kirche, die über sie zu wachen hat, sondern unmittelbar durch Gottes Heimsuchung (ebd. 1271 f.); durch die gesamte Darlegung geht mithin ein Bruch. – Ausdrückliche Ablehnung der Zwangstaufe, und zwar aus seelsorgerlicher Verantwortung zB Reg. Epp. I/45 (JL 1115, a. 591; MGH. Ep 1, S. 72,3 ff.): Plurimi . . . Iudaicae religionis viri . . . ad nostram perduxere notitiam, multos . . . Iudaeorum vi magis ad fontem baptismatis quam praedicatione perductos. Nam intentum quidem huiuscemodi et laude dignum censeo et de Domini nostri descendere dilectione profiteor. Sed hanc eandem intentionem, nisi competens scripturae sacrae comitetur effectus, timeo, ne aut mercedis opus exinde non proveniat, aut iuxta aliquid animarum quas eripi volumus quod absit dispendia subsequantur. Dum enim quispiam ad baptismatis fontem non praedicationis suavitate, sed necessitate pervenerit, ad pristinam superstitionem remeans inde deterius moritur, unde renatus esse videbatur. (Folgt Aufforderung Intensivierung der Predigttätigkeit). 101 Concil. Tolet. IV, can. 57 (MPL 84,379 f.): prinzipielles Verbot, in Zukunft noch gewaltsame Christianisierungsmaßnahmen anzuwenden, unter Hinweis auf Röm 9,18; die Bekehrung müsse unbedingt freiwillig erfolgen, ut integra sit forma iustitiae . . . Qui autem iam pridem ad christianitatem venire coacti sunt, . . . quia iam constat eos sacramentis divinis associatos, et baptismi gratiam suscepisse, et chrismate unctos esse et corporis Domini et sanguinis exstitisse participes, oportet ut fidem etiam quam vi vel necessitate susceperunt, tenere cogantur, ne nomen Domini blasphemetur, et fides quam susceperunt
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Diese Verlautbarung ging auch in die kanonistischen Rechtssammlungen ein102. Bei solchen Disziplinarmaßnahmen bürgerten sich je länger, je mehr Sitten ein, die wir als rauh und nicht eben kirchlicher Seelsorgearbeit gemäß empfinden. Von den früh auftretenden Haft- und Prügelstrafen für hartnäckige Pönitenzverweigerer war bereits die Rede103. Eine Extravagante zum Sendbuch Burkhard von Worms, die in die Zeit kurz vor 900 zurückzureichen scheint, bedroht die gemischte Bevölkerung der damaligen Würzburger Diözese für ein Festhalten an Kultbräuchen germanischen oder slawischen Heidentums – wir beachten die Gleichstellung – ebenso wie für Frevel gegen das Fasten- und Sonntagsgebot mit Strafen von der Pfändung eines Rindes bis zur vollständigen Vermögenseinziehung und Landesverweisung104. Im späteren mittelalterlichen Sendgerichtswesen Deutschlands waren Maßnahmen wie das Skalpieren als Strafe für Delikte rein geistlicher Art keineswegs unerhört105; aus dem ersten Jahrhundert der Kirche Polens verlautet, daß dort Fastenbrechern die Zähne ausgeschlagen und daß Keuschheitssünder in grauenhafter Weise zur Selbstverstümmelung gezwungen werden konnten; der deutsche Bischof aber, der uns davon berichtet, hält solche Methoden zwar für roh (dirae), doch im Hinblick auf den geistlichen Entwicklungsstand der Bevölkerung als Übergangslösung für löblich (interdum laudabiles)
vilis ac contemptibilis habeatur. Dasselbe mußte natürlich erst recht von freiwillig Bekehrten gelten, wie schon das etiam des letztzitierten Satzes ergibt. Dazu K. Voigt, Staat und Kirche von Konstantin d. Gr. bis zum Ende der Karolingerzeit. Stuttgart 1936, S. 150. – Der Kanon entstand aus Problemen der damaligen spanischen Judenmission, darf aber ohne weiteres auf die außerkirchliche Missionsarbeit insgesamt bezogen werden, da seine theologischen Formulierungen – hier übergangen – ganz allgemein das christliche Menschenbild als solches ansprechen. Man beachte die Verwendung von fides im Sinne der Ausführungen bei Anm. 71–72 sowie bei Anm. 86–87. 102 Um zunächst wieder in der vom vorliegenden Bande umfaßten Spanne zu bleiben: vgl. Burchard I. von Worms, Decr. IV/82 (MPL 140, 742 B). 103 Oben bei Anm. 97, ergänzend Anm. 99. 104 Text bei R. W. Dove, Das von mir s. G. Sendrecht der Main- und Rednitzwenden. ZKR 4 (1864) S. 160–162, und bei Koeniger, Sendgerichte I (wie Anm. 84), S. 194–196. Neuedition und Diskussion dieser in mannigfachster Hinsicht aufschlußreichen Quelle, die ihre nächsten Verwandten merkwürdigerweise in den altnorwegischen „Christenrechten“ des 11. bis 12. Jh. zu finden scheint (vgl. mit dem Text die Materialien bei R. Meissner, Die norwegische Volkskirche nach den vier alten Christenrechten. Weimar 1941, S. 11 ff. u. 31 ff.), jetzt unten, Beitr. XIII. Wohl zu beachten ist, daß alle oben genannten Repressalien einschließlich derjenigen gegen heidnischen Kult ausdrücklich im Hinblick auf eine Bevölkerung konzipiert werden, die solche Verstöße percepta baptismatis gratia begeht. 105 Koeniger, Sendgerichte I (wie Anm. 84), S. 183; weitere Sendstrafen ebd S. 170 ff.; vgl. auch Dove (wie vorst. Anm.), bes. S. 42.
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und wirksamer als normale kirchliche Pönitenzmittel wie Fastenverordnungen106. Aber dies alles sind Dinge, die sich außerhalb des Bereiches der Missionsgeschichte im strengen Sinn abspielen, Maßnahmen des Sonderfalls ‚Rechristianisierung‘ oder auch ‚Rekatholisierung‘ innerhalb der Handhabung allgemeiner innerkirchlicher Disziplinargewalt107, für die ‚apostatische Heiden‘ mit unbußfertigen Sündern anderer Art dermaßen zu einem einzigen, unteilbaren Gesamtkomplex zusammenrückten, daß sie geradezu gemeinsam mit ihnen unter einheitlichen Rechtsausdrücken zusammengefaßt werden konnten108. Selbst hier aber ist die Frage, wie es in der Praxis mit der Realisierung solcher Maßnahmen bestellt war, mögen sie noch so stark durch damals befugte Instanzen verordnet worden sein. Schließlich setzt ihre Durchführbarkeit voraus, daß die kirchliche Organisation eines Gebietes es zu einer gewissen Dichte und Schlagkraft gebracht hatte. Wo es zu wenig Pfarrpriester gab, die sich in ein frisch bekehrter Neuland vorwagten, und wo die vorhandenen vielleicht nicht einmal die vorschriftsmäßigen Weihen besaßen, jedenfalls aber teilweise so wenig Eifer zeigten, daß sie allen möglichen anderen Beschäftigungen nachgingen109, dort ist vermutlich
106 Thietmarus Merseburgensis, Chronicon VIII/2 (S. 494 Holtzmann). Die Stelle wird gleichfalls fälschlich als Zeugnis für Gewaltmethoden in der Heidenbekehrung gedeutet. Der Quellenautor bemerkt jedoch zu den geschilderten consuetudines ausdrücklich, sie herrschten in einem Lande, in dem die lex divina (also das Christentum mit der Gesamtheit seiner Glaubenslehren, Sittengebote und Rechtsvorschriften) erst noviter exorta sei. In Verbindung mit der zitierten Anspielung auf die Unterwerfung der Betroffenen unter die kirchliche Disziplin, gehandhabt ab episcopis (denen gegenüber Ungetauften gar keine Disziplinargewalt zustand), ist dies eine an Deutlichkeit nicht zu überbietende Kennzeichnung des Bereichs der „Neophytenseelsorge“ (im Gegensatz zur Heidenmission in missionarischem Neuland). 107 Dazu auch J. Schmidlin, Katholische Missionslehre im Grundriß. Münster 1919, S. 39–55, mit nachdrücklicher Stellungnahme gegen die ebenso verbreitete wie unhaltbare Vermengung dieser verschiedenen kirchlichen Operationsbereiche. Vgl. auch unten, Beitr. XV, bei Anm. 81 ff. u. 230 ff. 108 Ebd., bei Anm. 298, über mögliche Ausdehnung des Apostasiebegriffes auf Pönitenzverweigerer, die sich schwerer Verstöße nicht gegen die Glaubenssondern gegen die Sittengebote der Kirche schuldig gemacht hatten; dazu ebd. bei Anm. 114 über mögliche Ausdehnung des Häresiebegriffs auf apostatisches Heidentum, ferner 276, schließlich bei Anm. 88–114 über die umgekehrt vorkommende begriffliche Zusammenfassung innerkirchlichen (apostatischen) und außerkirchlichen Heidentums als pagani, eine Unschärfe des Quellenausdrucks, die zu manchen Mißverständnissen Anlaß gab; dazu auch oben Anm. 90–95. 109 Beispiele bei H. Leo, Untersuchungen zur Besiedlungs- und Wirtschaftsgeschichte des thüringischen Osterlandes in der Zeit des frühen Mittelalters. Leipzig 1900, S. 38–40.
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nicht nur eine derart radikale, sondern so gut wie jegliche ‚Nacharbeit‘ der Kirche untr ihren Neophyten weithin unterblieben. Für uns jedoch ergibt sich aus alledem erneut die methodische Forderung, daß wir in der Anwendung von Begriffen wie ‚Gewaltmission‘ und ‚Zwangschristianisierung‘ eine sehr viel größere Zurückhaltung zu üben haben als bisher. Bevor wir uns zu ihnen entschließen, gilt es nicht nur, sorgsam zwischen ‚Christianisierung‘ und ‚Entpaganisierung‘ zu scheiden, wie das früher herausgearbeitet wurde110; es muß auch jeweils geprüft werden, ob statt ‚außerkirchlichem‘ (und somit allein echtem) Heidentum nicht vielmehr ein ‚innerkirchliches‘, also ‚apostatisches‘ vorliegt, demgegenüber das Vorgehen der Kirche, mit ihren eigenen Maßstäben gemessen, gleichfalls wesentlich anders zu beurteilen ist. Man wird nicht zuviel sagen, wenn man behauptet, daß ungenügende Scheidung von ‚Heidenmission‘ und ‚innerkirchlicher Nacharbeit‘ (oder ‚Neophytenseelsorge‘) neben weitgehender Vermengung der Arbeit am negativen und am positiven Missionsziel den Hauptgrund dafür bietet, daß das bisherige Bild der mittelalterlichen Missionsgeschichte dermaßen weitgehen verzeichnet worden ist im Sinne vermeintlicher Vorherrschaft jener „Predigt mit eiserner Zunge“ – ohne gebührende Würdigung der Sonderstellung, die Fällen wie der Sachsenmission Karls des Großen in ihrem Verlauf tatsächlich zuzuweisen ist111. Nicht zu verkennen ist dabei freilich, daß der nach solchen Maßstäben ‚christliche‘ Charakter eines Apostatengebietes unter Umständen über Jahrzehnte oder Jahrhunderte hinweg festgehalten werden konnte in einer Weise, die ihn zu bloßen juristischen Fiktion stempelt, weil längst kein Getaufter mehr lebt, an dessen Sakramentsempfang sich anknüpfen ließe112. Insofern öffnet sich hier ein Grenzgebiet zwischen ‚Missions‘und ‚Seelsorgegeschichte‘, bei dem man über die Grenzziehung im
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Oben bei Anm. 58–62. Vgl. oben bei Anm. 63 ff.; Zitat Anm. 64. 112 Die Annales Palidens. (des Prämonstratenserklosters Pöhlde am Harz, also einer strengen Reformobservanz) sprechen für die Elbslawen noch des Jahres 1147 davon, daß sie von christliche Kult propemodum exorbitaverant (MGH.SS 16, S. 82,35). Die letzten Apostasien der betroffen Stämme fielen in die Jahre 983 und 1066; seitdem hatte das Christentum nur wenig neuen Boden gewinnen können, allerdings einige Fürstenfamilien zum Übertritt veranlaßt. Zur Rechtslage beachte unten, Beitrag XV, bei Anm. 118 ff. und 159 ff., bes. Anm. 160 über die entweihten christlichen Kultstätten, die ein Apostatengebiet auch über Generationen hinweg von ‚gewöhnlichem‘ Heidenland unterschieden; ferner Beitr. XII, bei Anm. 20–22. Über die christlichen Wendenfürsten, die erst nach den genannten Apostasiebewegungen zum Christentum gekommen waren: oben, Beitr. VIII, passim. 111
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einzelnen durchaus verschiedener Meinung sein kann. Dennoch wird man prinzipiell an den aufgezeigten kanonistischen Kategorien festhalten und terminologische Unklarheiten der Quellendiktion von ihnen aus zurechtrücken müssen, wenn man zu einem wirklichen Verständnis der Vorgänge von innen heraus gelangen will, und das heißt ja nichts anderes als: im Einklang mit dem Selbstverständnis der Zeit, um die es bei missionsgeschichtlicher Betrachtung des abendländischen Mittelalters nun einmal geht – ganz unabhängig davon, wie wir als Menschen unserer eigenen Gegenwart heute denken und urteilen mögen. Ein gewisses, freilich nicht unfehlbares Kriterium kann sich bieten, wenn einmal entgegen vorherrschender mittelalterlicher Gepflogenheit nicht beide Missionziele nebeneinander herausgestellt werden, sondern alleine das populum convertere ab errore ydolatriae, wie es etwa im Zusammenhang der Begründung des Hamburger Domkapitels geschieht113: von ihr steht fest, daß Erzbischof Unwan (1013–1030) sie vollzog, um die Verkündigungsarbeit unter getauften, aber apostatischen Obotriten zu intensivieren, unter denen das positive Missionsziel nach dem Satz: „Die Taufe macht den Christen“ trotz allem als erreicht gelten konnte. 6. Mission und Heidenkrieg Das Problem der Gewaltanwendung im missionarischen Bereich ist vorstehend mehr in seinen Konsequenzen für den einzelnen Heiden erörtert worden. Unmittelbar folgt die weitere Frage: wie steht es mit dem Verhältnis von Mission und Krieg, das heißt: der organisierten Gewaltanwendung gegen ganze Gruppen von Fremdgläubigen aus religiösen bzw. kirchlichen Motiven? Sie berührt ein Problem, das missionsgeschichtlich, soviel erkennbar, erstmals im Mittelalter auftritt. Antike Mission entfaltete sich durchweg innerhalb geschlossener Staatswesen (Imperium Romanum, Armenien, Äthiopien usw.) als interne Bewegung, zunächst von einzelnen und von sauerteigartig wirkenden Kleingruppen getragen, wieder vorzugsweise im Hinblick auf einzelne und Kleingruppen, ohne jede Verquickung mit außenpolitischen Problemen. Das gilt so noch im Merowingerreich, obgleich dort bereits die Frage fränkischer Hegemonie gegenüber unterworfenen nichtfränkischen Stämmen hereinspielt in einem Ausmaß, das 113 Adamus Bremensis, Gesta Hammaburgensis Ecclesiae Pontificum II/47 (S. 110,1 Schmeidler).
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immer noch exakter Klärung bedarf. Ähnliches ist von der angelsächsischen Staatengruppe des Frühmittelalters festzustellen. Der definitive Umschlag, der die weitere Entwicklung maßgeblich bestimmt, erfolgt im Karolingerreich. Seitdem vollzieht sich Mission endgültig in weitem Umfang außerhalb älterer Staats- und Kirchengrenzen und nur zu häufig mit kriegerischen Auseinandersetzungen verquickt. Das allgemeine Kulturgefälle der Zeit brachte es mit sich, daß dabei die christlichen Partner vielfach zugleich die staatlich besser Organisierten und militärisch Überlegenen waren. Den Siegen ihrer Waffen kam dabei unzweifelhaft ein erhebliches Gewicht zu im Zusammenhang der gleichfalls typisch mittelalterlichen Aufgabe, gentilreligiösem Denken zunächst einmal zu beweisen, quantae fortitudinis est Teutonicus deus (oder welcher hier immer nach jeweiligen Gegebenheiten einzusetzen wäre), wider ursprüngliches Erwarten auch in dem jeweils betroffenen Lande114. Welche kirchliche Tradition fanden die Staaten vor, die derartige Wege einschlugen, und wieweit wurden sie womöglich von ihnen mitbestimmt? Diese Frage führt an sich gleichfalls in weitere Zusammenhänge hinein, diesmal völkerrechtsgeschichtlicher Art, hebt sie doch aus ihnen im Grunde lediglich eine Reihe von Sonderfällen heraus. Eine umfassende Behandlung hätte von dem Gesamtkomplex auszugehen; dabei wäre vor allem auch der profane Heidenkrieg einzubeziehen, das heißt: derjenige, bei dem die von christlicher Seite bekämpfte Partei zufällig gleichzeitig heidnisch ist, ohne daß dies die Kriegsproblematik sichtbar modifiziert, die auch dabei rein machtpolitisch fundiert bleibt – nur daß die Praxis auf christlicher Seite gleichwohl in oft charakteristischen Stimmungsnuancen vom Krieg innerhalb der Christenheit abweicht (so sehr dabei freilich vor übertriebenen Vorstellungen gewarnt werden muß115); hinzuzunehmen wären all die weitschichtigen Erörterungen 114 Oben, Beitr. VIII, bei Anm. 131–134; dazu Baetke, Religion und Politik (wie Anm. 70), passim; zu alledem oben S. 291 ff. 115 Vgl. unten, Beitr. XV, bes. bei Anm. 168 mit weiteren Hinweisen. Zu den besonderen Stimmungsnuancen, die sich auf christlicher Seite auch im profanen Heidenkrieg gegenüber dem Gegner einmengen konnten, vgl. Beitr. XIV, Abschn. 4, bes. bei Anm. 62. Allerdings wird dieses besonders radikale Beispiel in dieser Form nicht verallgemeinert werden dürfen. Im übrigen wird das Problem mittelalterlichen Heidenkrieges gewöhnlich allzu isoliert von der allgemeinen Kriegsführung im Mittelalter, auch innerhalb der Christenheit, betrachtet. Über deren Grausamkeit, die die der Antike nicht selten übertraf, handelt anhand spätmittelalterlicher Materialien E. Nys, Les origines du droit international. Brüssel/Paris 1894, S. 188–190. Früh- und hochmittelalterliche Ver-
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der neu erstehenden Völkerrechtstheorie seit dem späteren Mittelalter über die Frage, ob Heiden nicht als solche grundsätzlich rechtlos sind, jeder beliebigen Vergewaltigung durch Christenmenschen preisgegeben, oder ob sie nicht wenigstens in Fragen des ‚natürlichen Rechts‘ als gleichgestellte Gottesgeschöpfe betrachtet werden müssen116; auch das Problem schließt sich an, ob Heiden, wenn sie einmal getauft sind, nicht bereits dadurch voll gleichberechtigte christliche Brüder werden, denen auch politisch-rechtlich ihre Eigenständigkeit zuzubilligen ist, so daß sie Anspruch auf ihre eigene libertas christiana haben und nicht etwa bisherige Freiheit an andere, ältere Christen als nunmehrige Oberherren verlieren dürfen117. Im vorliegenden Zusammenhang muß der bloße Hinweis auf diese allgemeinen Zusammenhänge genügen, so sicher ein Verständnis der missionsgeschichtlich wichtigen mittelalterlichen wie
gleichsmaterialien sind nicht schwer zu finden; einige Hinweise bei Kahl, Slawen und Deutsche (wie Anm. 40), S. 385 mit Anm. 6 sowie S. 440 f.; vgl. ferner unten, Beitr. XI, passim, bes. Abschn. 6. 116 Über diesbezügliche Kontroversen in der hohen und späten Scholastik, die teils durch die Kreuzzüge, teils durch die grauenvollen Conquistadorenkämpfe und deren Folgeerscheinungen in den „Neuen Indien“ ihren aktuellen Hintergrund erhielten, vgl. J. Höffner, Kolonialismus und Evangelium. Trier 19723; ergänzend auch für deren Vorgeschichte im Früh- und Hochmittelalter: unten, Beitr. XXV, bes. Abschn. 4–5; vgl. auch P. Herde, Christians and Saracens at the Time of the Crusades. StGra 12 (1967), S. 359–376. In diesen Kontroversen kehrt in gewisser Weise das alte Doppelgesicht der ‚Heidenfrage‘ wieder (vgl. oben Beitrag III, bis Anm. 55); die Mehrheit der Theoretiker trat freilich nicht für radikale Rechtlosigkeit ein, sondern nur für ein Minderrecht Ungetaufter, indem ‚ungerechte‘ Kriege gegen sie nicht minder verurteilt wurden als innerhalb der Christenheit, wohl aber die Zahl der ‚gerechten‘ Kriegsgründe um weitere vermehrt wurde, die sich aus der Verquickung von Völkerrecht und Missionsrecht ergaben. Die Praxis vor allem des Entdeckungszeitalters blieb vorwiegend auf Seiten der Gegner dieser bei aller Härte doch relativ noch milden Auffassung; vgl. etwa G. Friederici, Der Charakter der Entdeckung und Eroberung Amerikas durch die Europäer. 3 Bde. Stuttgart 1925 bis 1936 (auch missionsgeschichtlich wertvoll). – Die allgemeine Geschichte des Völkerrechts hält sich merkwürdigerweise in der Integration dieser doch gravierenden Gesichtspunkte erheblich zurück, vgl. etwa E. Reibstein, Völkerrecht. Eine Geschichte seiner Ideen in Lehre und Praxis, 2 Bde. Freiburg/München 1958/63, bes. in den Ausführungen über mittelalterliches Kriegsrecht (Bd 1, S. 121–147); einzig die Kreuzzüge werden am Rande in das Gesamtbild aufgenommen (ebd S. 117 f., 187 f. u.ö.). Dazu neuerdings Schwinges (wie Anm. 53), bes. 1977, S. 214–267 u. 285 ff. 117 Diese Frage spielte eine Rolle im Zusammenhang des oben bei Anm. 5 angedeuteten Gegensatzes zwischen päpstlicher und kaiserlicher Missionstheorie, betonter allerdings erst jenseits der diesem Band gesetzten Zeitgrenze, insbes. im Zusammenhang mit den Anfängen des Deutschen Ritterordens im Preußenlande, wozu außer Caspar (wie Anm. 5) vor allem H. Patze, Der Frieden von Christburg im Jahre 1249 (1958). Zuletzt bei Beumann (wie Anm. 40), S. 417–485, bes. S. 440 bis 460 sowie unten, Beitr. XIII, bei Anm. 57–38. Das Scheitern der in diesem „Christburger Vertrag“ unter päpstlicher Mitwirkung ausgehandelten Lösung dürfte epochemachend für das Zurücktreten derartiger Konzeptionen in der Folgezeit gewesen sein.
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noch frühneuzeitlichen Sondererscheinungen des Krieges voll nur in diesem Gesamtrahmen erreichbar wäre. Der gekennzeichneten allgemeinen Entwicklungslinie, die den Einsatz kriegerischer Mittel in der Missionsarbeit außerhalb der Kirche als nachantike Erscheinung ausweist, entspricht, daß noch Augustinus als Kronzeuge für diese Problematik ausfällt. War er es gewesen, der im Donatistenstreit den Grund zur bewaffneten Exekution gegen Gruppen von Pönitenzverweigerern unter Getauften legte118 – die Möglichkeit entsprechenden Vorgehens gegen Ungetaufte scheint er rein als solche noch gar nicht gesehen zu haben. Zumindest fordert er nirgends den Einsatz kriegerischer Mittel im außerkirchlichen Missionswerk, auch nicht im Dienste der Entpaganisierung119, und das ist nicht erstaunlich: sein Hauptanliegen war zunächst die Christianisierung der römischen Reichsbevölkerung; sie aber kam als regelrechter Kriegsgegner seines Staates, etwa auch im Wege eines Massenaufstandes zugunsten der alten Religion, gar nicht ohne weiteres in Betracht. Im übrigen hielt dieser Kirchenvater die der Heidenmission noch verbliebenen Aufgaben inner- wie außerhalb des Imperiums nicht mehr für sehr relevant – das meiste sei bereits geschehen. Gleichwohl hat er im Namen von Christentum und Kirche für Heidenvölker, die dieser ihrer Wirksamkeit noch unterworfen seien, eine große Hochschätzung ihres Eigenlebens und ihrer eigenständigen politischen Verfassung zum Ausdruck gebracht120. Gedanken, die er in dieser Richtung konzipierte, waren offenbar maßgeblich beteiligt an der Ausbildung jener eben erwähnten Vorstellungen von einer libertas christiana, die auch Neophyten zukomme, lange nach seinem Tode. Wieweit er solche Ansätze ähnlich revidiert hätte wie im Fall der Handhabung innerkirchlicher Disziplinargewalt, wenn er auch im außerkirchlichen Missionswerk mit der Erfahrung entsprechenden Scheiterns friedlicher Mittel konfrontiert worden wäre, steht dahin. Der entscheidende Schritt verbindet sich auch hier mit der Person desjenigen Papstes, der wohl auf dem Stuhl Petri die Wende vom Altertum zum Mittelalter am deutlichsten bezeichnet: mit Gregor dem Großen.
118
Oben bei Anm. 95–98. Vgl. oben vor Anm. 61. – Zum folgenden vgl. auch G. Metzger, Kirche und Mission in den Briefen Augustins (AMSt 20). Gütersloh 1936, S. 67 f. 120 Walter (wie Anm. 60), S. 119 f.; dazu A. Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance. München/Berlin 1929 (Darmstadt 19542), S. 127 f. – Über die vermeintliche Geringfügigkeit noch verbliebener heidenmissionarischer Aufgaben, die vielleicht schon binnen eines Menschenalters erledigt seien, nach Augustin: Walter, S. 39, 49 f., 78 f., 111 f., 198 u.ö. 119
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Hier ist vorzuschalten, daß katholische Missionsarbeit, wo sie die Grenzen des Romanum Imperium überschritt, charakteristische Konsequenzen zu ziehen pflegte aus den kirchengeschichtlichen Erfahrungen, die sich in dessen Rahmen ergeben hatten. Diese Erfahrungen waren bestimmt einmal von der häufigen Unsicherheit, ja Existenzbedrohung, der die werdende Kirche sich in vorkonstantinischer Zeit ausgesetzt gesehen hatte, zweitens von dem, was man gemeinhin als die ‚konstantinische Wende‘ bezeichnet, aber auch von weiteren Einwirkungen staatlicher Macht, die sich ergaben, als das Kaisertum in der Folge doch noch wieder in jedenfalls nichtkatholische Hände geriet. Seitdem zeigte christliche Missionsarbeit in erstaunlicher Folgerichtigkeit das Bestreben, bei der Aufschließung von Neuland immer den Weg ‚von oben nach unten‘ zu gehen: erst einmal Fuß zu fassen an der Spitze eines Landes und Volkes, das heißt: die ausschlaggebenden Machthaber für sich zu gewinnen, auf diese Weise eine ‚rechtgläubige‘ Obrigkeit zu schaffen, die dem weiteren Bekehrungswerk Schutz und Hilfe gewährt, mit alledem aber Gefahren wie Rückschläge durch ‚Christenverfolgungen‘ seitens missionsfeindlicher Machthaber nach menschlichem Ermessen auszuschalten. Gregor der Große hat dieses Prinzip nicht erfunden, sondern gleichsam ererbt; die gallische Kirche etwa hatte es erfolgreich angewandt, als sie einen Chlodwig für sich gewann. Aber Gregor hat seinerseits gezielt und vorbildweisend nach diesem Grundsatz gehandelt: die von ihm eingeleitete Christianisierung der Angelsachsen, dieses vielleicht am stärksten epochemachende missionsgeschichtliche Ereignis des Frühmittelalters, verfuhr, wie wir von dem ehrwürdigen Beda wissen, konsequent in diesem Sinne, wobei im entscheidenden Anfangsstadium, wie schon im Falle Chlodwigs, eine christlich-katholische Fürstengemahlin günstige Anknüpfungsmöglichkeiten bot121. So konnte das Prinzip auf den britischen Inseln ohne nennenswerte Komplikationen durchgehalten werden. Was aber war zu tun, um ein neu anlaufendes Missionswerk gleichwohl zu sichern, wenn die Aufrichtung einer christlichen Obrigkeit aus dem neu zu gewinnenden Lande heraus sich nicht durchführen ließ? Seine ablehnende Haltung gegen jede unmittelbare Zwangsbekehrung122 (bei Anerkennung jedenfalls gewisser Formen ‚indirekter 121
Die christliche Fürstengemahlin als Wegbereiterin der Mission verdiente durchaus einmal eine zusammenfassende Studie. Es sei hier nur noch an ihre Rolle bei der Bekehrung Polens, in anderer Weise auch Rußlands im 10. Jh. erinnert. 122 Oben Anm. 100.
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Nötigung‘123) gab Gregor nicht auf. Wohl aber faßte dieser Kirchenlehrer, der für die Folgezeit offenbar noch wesentlich stärker bestimmend werden sollte als Augustinus, einen anderen Gedanken: es könne notwendig sein, die Predigt des Evangeliums unter heidnischen Völkern außerhalb des Imperiums vorzubereiten durch ihre militärische Unterwerfung, in deren Schutz dann anschließend die friedliche Verkündigung der Kirche sich ungehindert entfalten könne124. Damit war die Konzeption des ‚indirekten Missionskrieges‘ geschaffen, der die Heidenbekehrung nicht als unmittelbaren Zweck verfolgt, aber doch in ihrem Dienst steht, indem er die politischen Voraussetzungen für ihre Durchführung herstellt. Es ist nicht zu verkennen, in welch innere Nähe zum Prinzip ‚indirekter Nötigung‘ zum Einzelübertritt dieses Vorgehen führt. Man wird voraussetzen dürfen, daß einem kriegerischen Vorgehen dieser Art im allgemeinen ein Versuch mit rein kirchlichen Mitteln, ohne Waffenschutz, vorauszugehen hatte, wie Gregor selbst ihn in seiner Angelsachsenmission so beispielhaft eingeleitet hatte (freilich an einer Stelle, an der ein kriegerisches Vorgehen zur Stützung im Notfall praktisch überhaupt nicht in Betracht kam)125. Der indirekte Missionskrieg wird im Sinne dieses Papstes eine ultima ratio gewesen sein. Aber ausgeführt wird dies nicht, und auch anderes vermißt man in dem einzigen knappen Text, den Gregor für diese Konzeption zur Verfügung stellt125a: die Formulierung ist so gehalten, daß sie kein profanes Begleitmotiv ausdrücklich ausschließt als den reinen Blutdurst (das desiderium fundendi sanguinis), nicht also etwa auch ein Streben nach irdischer Bereicherung und Machtsteigerung des angreifenden christlichen Reichsgebildes. Über die Notwendigkeit, dergleichen wenigstens einzuschränken, fällt kein Wort, ebenso keins über die Behandlung der Unterworfenen, über neue Missionshindernisse, die sich ergeben könnten, wenn ihre Einverleibung in von Christen beherrschtes Staatsgebiet sie äußerer Bedrückung aussetzt (die Gregor wahrscheinlich nur
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Oben bei Anm. 63. Vgl. Erdmann (wie Anm. 96), S. 7 f. (dort auch der sogleich im Text einzuführende Terminus); Beleg s. unten Anm. 126. 125 P. Benkart, Die Missionsidee Gregors des Großen in Theorie und Praxis. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zur Christianisierung der Germanen. Diss. (Masch.) Leipzig 1946, gibt eine in vielem vorzügliche, in vielem allerdings auch ergänzungsbedürftige Skizze des Gesamtproblems für diesen Papst. Vgl. auch H.-D. Kahl, Papst Gregor der Große und die christliche Terminologie der Angelsachsen. ZM 40 (1956) S. 93–111 u. 190–200. 125a S. flg. Anm. 124
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als Repressalie gegen auch weiterhin hartnäckig Bekehrungsunwillige gutgeheißen hätte). Und wer sollte über die Auslösung eines derartigen indirekten Missionskrieges entscheiden? Anscheinend sah Gregor sie in das Belieben des jeweils ausschlaggebenden christlichen Machthabers gestellt, denn es handelt sich bei alledem um eine Glückwunschadresse an einen dieser Herren, dem ein Vorgehen in Gregors Sinne nachgesagt wurde (bella vos appetere . . . loquitur)126. Man gewinnt den Eindruck, daß es sich im Gesichtskreis dieses Papstes um eine Randfrage handelte, die zu eingehenderer Behandlung keinen Anlaß gab, so daß sie gleichsam nebenbei erledigt werden konnte. Immerhin: die Konzeption war entworfen und konnte damit wirken, obwohl das Entscheidende eigentlich in einen einzigen, grammatisch wohl durchkonstruierten Nebensatz zusammengepreßt war126a: man verstand im Mittelalter, dergleichen Dinge zu lesen und auszuwerten: nicht zufällig hat auch die Briefstelle, die diesen Nebensatz einschließt, ihren Platz in den späteren Dekretaliensammlungen gefunden, wurde also als grundlegende Verlautbarung einer kirchlich anerkannten Rechtsnorm aufgefaßt, die sich nicht ersetzen ließ127. Die Nachwirkungen, die der so entwickelten, der so festgehaltenen und tradierten Konzeption des ersten Mönchspapstes beschieden sein sollten, stehen in krassem Gegensatz zu der Beiläufigkeit, mit der sie sich bei ihm behandelt zeigt. Der stärkste Ausdruck ist hier angemessen: sie waren ungeheuerlich. Sie vermochten dies zu werden, weil diese Konzeption, ohne zu Sicherungen gegen Auswüchse auch nur anzusetzen, in das christliche Völkerrechtsdenken, auf dessen eigentliche Problematik bereits hingewiesen wurde, erstmals offiziell einen Grundsatz einführte, der ohnedies für ideologischen Mißbrauch in ganz besonderer Weise offen bleiben mußte; nämlich den, daß für politische Gebilde außerhalb eigener
126
Greg. Magn., Reg. Epp. I/73 (JL 1142, a. 591, an den Exarchen von Africa, Gennadius; MGH. Ep 1, S. 93,16 ff.): lobt den Patricius wegen seiner ex fidei merito et Christianae religionis gratia . . . bellicorum actuum prosperitas . . . Quae et bella vos frequenter appetere non desiderio fundendi sanguinis, sed dilatandae causa rei publicae, in qua Deum coli conspicimus, loquitur, quatenus Christi nomen per subditas gentes fidei praedicatione circumquaque discurrat. Die Partizipialkonstruktion zeigt eindeutig: erst Unterwerfung, dann Glaubenspredigt. 126a S. vor. Anm. 127 Auch hier genüge zunächst der Hinweis auf Burchard I. von Worms, Decr. XV/ 18 (MPL 140, 899 B/C); dazu unten, Beitr. XV, bei Anm. 270–280, vgl. bei Anm. 265, über die höchst auffällige Auswahl, die dieser frühe Kanonist aus ihm vorliegenden älteren Bestimmungen über Gewaltanwendung in religiösen Belangen trifft.
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Grenzen, sobald nicht wenigstens deren maßgebliche Repräsentanten im Besitz der (christlichen) fides erscheinen, ein Sonderrecht bestehe – ein Sonderrecht, aus dem notfalls sogar eine militärische Expansion auf ihre Kosten christlich zu legitimieren sei; ein Sonderrecht, aus dem ein zusätzlicher gerechter Kriegsgrund abgeleitet werden könne über das hinaus, was die verchristlichte Lehre vom bellum iustum sonst einräumte. Hatte Augustinus, ohne es zu ahnen, theologische und kanonistische Grundlagen für Ketzerkreuzzüge und Inquisition geliefert, so ist in den geschilderten Auffassungen Gregors eine wesentliche (selbstverständlich nicht die einzige!) Wurzel einer Erscheinung zu erblicken, die er selbst so, wie sie sich schließlich realisierte, zweifellos schärfstens verurteilt hätte: des späteren europäischen Kolonialismus nämlich, der ja, etwa in den „Neuen Indien“ des Conquistadorenzeitalters, nicht zuletzt im Zeichen indirekter Missionskriege begann, nicht weniger als seine ottonische Vorstufe im damaligen ostelbischen Slawenland127a. Bei einer Erscheinung von derartiger Bedeutung darf auch hier kurz eingehalten werden, um nach historischen Grundlagen zu fragen. Für sie ist offenbar nicht belanglos, daß die Konzeption vom indirekten Missionskrieg in einem Schreiben nicht an einen beliebigen selbständigen Fürsten erscheint, sondern an einen kaiserlichen Exarchen von Afrika, einen Machthaber also nicht eigenen, sondern abgeleiteten Rechts, der seine Siege nicht für sich, sondern für den spätrömischen Kaiser in Konstantinopel erfocht. Eine Erweiterung seines Statthalterbezirks durch erobernden Ausgriff erfolgte daher im Namen und zugunsten des imperium Romanum der Zeit, das für sein eigenes Selbstverständnis längst in gleicher Weise zum imperium christianum geworden war – Gregor selbst bringt dies im zitierten Zusammenhang mit einer Wendung zum Ausdruck, die für seine eigene Gegenwart noch eindeutig gewesen sein dürfte, indem er als Ziel der begrüßten Eroberungen die „Ausdehnung des Staatswesens“ bezeichnet, „in dem wir Gott verehrt sehen“ (dilatandae causa rei publicae, in qua Deum coli conspicimus), was doch offenbar damals nichts anderes darstellen konnte als eine Umschreibung der ihm als gebürtigem Stadtrömer besonders geläufigen res publica Romana; erst seit karolingischer Zeit war dies auf die Gemeinschaft christlicher Staatswesen insgesamt zu beziehen.
127a Dazu Friederici, wie Anm. 116, zu ergänzen durch Höffner, wie ebd; im übrigen oben Anm. 61 und 96. Über ottonische Vorformen unten, Beitr. XIV, bei Anm. 40–44, vgl. ebd., bei Anm. 34–37.
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Damit deutet der Papst selbst die Richtung an, aus der die neue Konzeption in ihm angeregt worden sein dürfte: hinter ihr steht offenbar einmal die alte, schon vorkonstantinisch-imperiale Auff assung vom Kaiser als dem Barbarenbezwinger, wie sie auch im traditionellen kirchlichen Karfreitagsgebet für den Herrscher festgehalten erscheint, zweitens und vor allem aber die schon frühchristliche Vorstellung von der Heilsnotwendigkeit des Römischen Imperiums, das in seiner (der Idee nach) universalen Ausdehnung wegbereitend den Rahmen schaffe für die Erfüllung des die ganze Menschheit einbeziehenden göttlichen Missionsbefehls127b. Gregor, so wird man folgern dürfen, griff diese Ideenkreise namens der offiziellen Kirche auf und verschmolz sie zu einem neuen, zukunftsträchtigen Ganzen. Trifft dies zu, so hat man hier aber von einem Einbruch des römischen Imperialismus in kirchliches Denken zu sprechen, das von seinen urchristlichen Anfängen her weder auf Probleme des Staatslebens noch auf die Rolle einer im Staatsverband privilegierten und beherrschenden Kirche vorbereitet sein konnte; das daher dem konstantinischen und nachkonstantinischen Zeitalter in diesen Beziehungen zunächst ein Vakuum darbieten mußte. Der Einbruch ist nicht auf das Problem des indirekten Missionskrieges beschränkt – auch etwa viele der gestreiften augustinischen Konzeptionen wären unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen –, doch erfolgte er hier an der Stelle, die für den vorliegenden Zusammenhang die entscheidende ist: im missionarischen, genauer: missionstheoretischen Sektor. Die Heiden betroffener Eroberungsgebiete sollten offenbar dem einen und einzigen Imperium eingegliedert werden, dessen Aufgabe ohnedies in der Zusammenfassung aller Erdbewohner zu höheren Zwecken lag, damit in seinem Rahmen besser für ihr ewiges Heil gesorgt werden könnte als zuvor. Sie wurden damit den ‚Reichsheiden‘, an denen Gregor sich seine sonstigen missionstheoretischen Vorstellungen gebildet hatte, diesem spärlich gewordenen Überrest,
127b Zitat s. Anm. 126. Über die Verschmelzung der römischen mit einer neuen christlichen Reichsidee und die Umformung dieser Synthese bis zur Karolingerzeit bes. Tellenbach (wie Anm. 54), passim (Karfreitagsgebet: S. 52 ff.) und Hirsch (wie Anm. 54), passim (Karfreitagsgebet: S. 24, 35 mit Anm. 45); ferner L. Biehl, Das liturgische Gebet für Kaiser und Reich. Ein Beitrag zur Geschichte des Verhältnisses von Kirche und Staat (VGG.R 75). Paderborn 1937, passim (Karfreitagsgebet: S. 83–93). Zur Vorstellung der Heilsnotwendigkeit des Romanum Imperium schon in frühchristlichem Verständnis genüge hier der Hinweis auf W. H. Fritze, Universalis gentium confessio. Formeln, Träger und Wege universalmissionarischen Denkens im 7. Jahrhundert. FrühmaSt 3 (1969) S. 78–130, bes. S. 124–127 (Lit.).
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sozusagen gleichgestellt und gemeinsam mit ihnen einbezogen in die im Reichsinnern noch zu bewältigende Bekehrungsaufgabe. Mit alledem aber hob der indirekte Missionskrieg, wie Gregor ihn als Randerscheinung seiner heimischen römisch-imperialen Welt im Grunde mehr sah als konzipierte, sich merklich ab von den jüngeren Nachfolgeformen, die gleichsam in seinem Schatten erwuchsen – durchweg geführt von mindestens formal vollständig durchchristianisierten Staatswesen, deren Staatsgrenze (soweit damals von einer solchen gesprochen werden kann) nach der fraglichen Richtung hin zugleich Religionsgrenze war; Staatswesen, die über diese Doppelgrenze hinaus vorstießen, ihre Macht über dort erreichbare Heidenländer auszudehnen und die Bewohner dann durch Christianisierung dem eigenen Herrschaftsbereich desto fester zu integrieren, sei es in neugeschaffenem ostelbischem Markengebiet, sei es drüben weit über Meer. Ein ‚direkter Missionskrieg‘ als Gegenstück, geführt unter der Losung: „Bekehrung oder Vernichtung“, gewährt Frieden nach Möglichkeit nur dem, der sich nicht nur der militärischen Waffenentscheidung, sondern zugleich Christus, dem „wahren Friedensbringer“, unterwirft128. Er erscheint zuerst in der Sachsenmission Karls des Großen129, und zwar offenkundig als ein Sonderfall, übrigens offenbar nicht von deren Beginn 772 an, sondern erst infolge einer Eskalation, wie man heute sagt, deren entscheidende Wende in den Winter 774/75 zu setzen ist130. Von da binnen zweier Jahre kam es schrittweise zu Taufversprechen, die die Besiegten bei der als abschließend gedachten Friedensregelung des Jahres 777 erneuern und alsbald mit massenhaftem Taufempfang besiegeln mußten, ohne auch nur einigermaßen begriffen zu haben, um was eigentlich es dabei ging. Offenbar war es diese Regelung, die einen 128 Besonders zahlreiche einschlägige Formulierungen bei Henricus de Lettis (Heinrich von Lettland), Chronicon Livoniae, zB XI/6 (S. 76,32 ff.; Arbusow-Bauer 1959): Si veram . . . pacem desideratis, abrenunciate ydolatrie et verum pacificum, qui est Christus, in vestrum castrum recipite. Baptizamini usw. (dazu S. 78,7 nach Ausführung über die christlichen Kriegspartner: de conversione gencium gaudentes . . .). 129 Vielzitiert und -diskutiert Ann. q. d. Einh., a. 775 (S. 41 Kurze): rex (Karl) . . . consilium iniit, ut perfidam ac foedifragam Saxonum gentem bello adgrederetur et eo usque perseveraret, dum aut victi christianae religioni subicerentur aut omnino tollerentur; man beachte die Formulierungsnuancen, die hier gegenüber dem Text oben Anm. 126 die Aufnahme der Bekehrungspflicht gleich unmittelbarer in die Friedensbedingungen gestatten (insbes. Besiegung und Christianisierung gemeinsam als Alternative zur Vernichtung; unmittelbares subicere der victi unter die christliche Religion statt einer praedicatio per subditas gentes). Ausführlicher über diese äußerst wichtige Stelle unten, Beitr. XI, Abschn. 4 a. 130 S. unten, Beitrag XI.
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bisher kaum beachteten Wandel der Rechtslage geschaffen hat131; die grausigen Ereignisse der Folgezeit wären dann mindestens zu einem sehr wesentlichen Teil in das Gebiet innerkirchlicher Apostatenexekutionen zu verweisen, verschärft durch den Machtkampf des karolingischen Imperiums um den Besitz des Sachsenlandes, dessen eigentümliche Verfassungsordnung die Schaffung eines fränkischen Satellitenstaates mit einheimischer Obrigkeit praktisch verbot, obwohl zeitweise vielleicht sogar dies versucht worden ist132. Ähnliche Ziele spielen, wenn wir den Quellen glauben dürfen, in die norwegische Reichsmission der beiden Olafs hinein, dort nicht als auswärtiger, sondern als innerer Krieg in dem betroffenen Lande. Auf dem europäischen Festland erscheinen sie erst wieder im zwölften Jahrhundert, dann unter Einwirkung von Kreuzzugsvorstellungen, die oft aber sehr spezifisch eschatologisch eingefärbt waren; weniger mit Bernhard von Clairvaux selbst als im Gefolge seiner Wirksamkeit, besonders im Bereich von ihm beeinflußter Ritterorden, in dem es zugleich nochmals zu weitgehender Verschmelzung von Missionskrieg und Apostatenexekution gekommen zu sein scheint. Wahrscheinlich war es diese Verbindung, die dann ein derartiges Vorgehen auch der offiziellen Kirche als tragbar erscheinen ließ; denn theologisch ist ein derartiger Glaubenszwang gegenüber noch ungetauften Heiden, wie es scheint, auch das ganze weitere Mittelalter hindurch mit verschwindenden Ausnahmen für unvertretbar erklärt worden133, und wir tun gut, dies festzuhalten. An all diesen damit nur sehr grob skizzierten Entwicklungen ist im einzelnen noch mancherlei unklar, doch ist darauf erst in einem späteren Bande einzugehen134. Der indirekte Missionskrieg jedoch hat im frühen Hochmittelalter, insbesondere in der ottonischen Ostpolitik, eine beachtliche Rolle gespielt – nicht zuletzt auch als ‚Motor‘ für die ‚freiwillige‘ Christianisierung der polnischen Staatsspitze, die offenbar in wesentlichen Momenten als Präventivmaßnahme gegen ein etwaiges deutsches Übergreifen auf den piastischen Machtbereich aufzufassen ist. Alleinherrschend allerdings ist diese Form bewaffneter
131 Am klarsten hat diesen Tatbestand bisher vielleicht Hauck (wie Anm. 97) Bd 2, S. 380–385 (und weiter) gesehen, ohne doch alle Konsequenzen aus seinen Beobachtungen zu ziehen; zur Kritik vgl. auch H. v. Schubert, Geschichte der christlichen Kirche im Frühmittelalter. Tübingen 1921 = Darmstadt 1962, S. 335. Vgl. oben S. 316 f. mit Anm. 94, im übrigen unten, Beitrag XI. 132 S. unten, Beitrag XI. 133 Vgl. unten Beitrag XV, S. 528 f., bes. Anm. 183. 134 S. Anm. 9.
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Auseinandersetzung in den deutschen Ostkriegen der hier zu behandelnden Periode keineswegs gewesen; zeitweise trat sie auch in diesem Felde ganz hinter rein profanen Kriegen zurück, ungeachtet der bestehenden Religionsgrenze135; ja, es gibt Anzeichen, daß sich in Deutschland damals mancherorts ein regelrechter Widerstand gegen jede Christianisierung der Wenden erhob, merkwürdigerweise nicht zuletzt in klösterlichen Kreisen, unter anderem wohl deshalb, weil man die Konsequenz der rechtlichen Gleichstellung, die die Beseitigung der Glaubensschranke verlangte, scheute, um die ‚Kolonialbevölkerung‘ desto besser niederhalten und ausbeuten zu können136. Im Ganzen ergibt sich auch schon für diese früheren Jahrhunderte des Mittelalters ein recht mannigfaltiges Bild, das zu differenzierter Betrachtung einlädt und schematischer Behandlung alles andere als günstig ist. Dabei sei abschließend noch einmal auf Fallen hingewiesen, die das Quellenmaterial für unser Bemühen, historische Wahrheit zu rekonstruieren, auch in dieser Beziehung bereithält. Sie liegen zunächst in der im Mittelalter nur zu verbreiteten Neigung, das, was tatsächlich geschah, nachträglich umzustilisieren, sei es in bewußter Kritik, sei es unbewußt in gutgläubigem Anschluß an bereits erfolgte Traditionsbildung, jedenfalls aber in Annäherung an Idealvorstellungen, die im Augenblick der Handlung offenbar nicht befolgt worden waren. Im Rückblick kann deshalb sowohl ein direkter Missionskrieg zum indirekten umstilisiert werden (etwa derjenige Karls in Sachsen), wie andererseits ein rein profaner Heidenkrieg, bei dem ohne weitere Fürsorge für Missionsbelange lediglich der besiegte Fürst für sich persönlich die politische Unterwerfung auch durch die Taufe besiegeln mußte, mit
135 Vgl. M. Bünding-Naujoks, Das Imperium Christianum und die deutschen Ostkriege vom zehnten bis zum zwölften Jahrhundert (1940). Zuletzt bei H. Beumann (Hg.), Heidenmiss. u. Kreuzzugsgedanke in d. deutschen Ostpolitik d. MA, Darmstadt 1963 (Ndr. 1973), S. 68–81, passim; auch Kirchberg (wie Anm. 5), S. 46, 53, 80 f., 103–105, 107 u. 111. 136 Unten, Beitr. XIV, bei Anm. 34–37; ergänzend Beitr. XV bei Anm. 325 Für Mönchskreise ist verhältnismäßig am deutlichsten der Fall Widukinds von Corvey; seine offenbare Ablehnung der Wendenmission paart sich auffällig mit einer ebenso offenkundigen Bejahung einer Christianisierung der Dänen, die den Deutschen bzw. Sachsen nicht in vergleichbarer Weise unterworfen waren; allerdings spielen hier auch Motive herein, die weniger mit Widukinds Einstellung zur Slawenwelt zu schaffen haben als mit seiner Kritik der ottonischen Mauritius-Verehrung, an deren Stelle er die des hl. Veit von Corvey gesetzt sehen wollte; vgl. H. Beumann, Wissenschaft vom Mittelalter. Köln/Wien 1972, S. 76 f., 87, 102 ff., 383 ff. und 545 ff.
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den Zügen eines direkten Missionskrieges ausgestattet wird137. Zu den Faktoren, die hier das Bild trüben können, gehört nicht zuletzt, daß auch die Frage, ab wann ein Gebiet prinzipiell als christlich betrachtet werden könne, im Mittelalter nicht immer nach gleichen Kriterien beantwortet wurde wie bei uns: oft galt dies schon als gegeben, sobald es nur unter christlicher Obrigkeit zumindest eigenen Stammes stand, mochte auch das Bekehrungswerk im übrigen noch kaum, ja im Grunde gar nicht angelaufen sein138. Hier ist überall dringend geboten, jüngere Überlieferung an unmittelbar zeitgenössischen Aussagen zu kontrollieren und, wo ihr Fehlen dies unmöglich macht, Skepsis walten zu lassen. 7. Kasuistik Nicht alle wesentlichen Erscheinungen christlicher Mission im frühen Mittelalter sind damit erfaßt; denn hier ist Beschränkung geboten, und schon die Anwendung der bisher entwickelten Prinzipien auf das vorliegende Material stellt keine geringe Aufgabe dar. An vielen Stellen haben wir Tendenzen zur Gewaltsamkeit im missionarischen Vorgehen festhalten müssen, die sich nur historisch verstehen, nicht aber zugleich auch für die Gegenwart bejahen lassen. Augustinus forderte sie im Dienst des negativen Missionseinsatzes, der hier sogenannten ‚Entpaganisierung‘, nicht nur gegen Sachen, sondern auch gegen 137
Ein besonders drastisches Beispiel für den zweiten Fall oben, Beitr. IX, bei Anm. 79–82. Die Überlieferung über den ersten z.B. bei H. Mühlner, Die Sachsenkriege Karls des Großen in der Geschichtsschreibung der Karolinger- und Ottonenzeit. Berlin 1937; vgl. dies., Die Sachsenkriege Karls des Großen in der Geschichtsschreibung des 10. bis 16. Jahrhunderts. Thür.-Sächs. Zeitschr. 24 (1936) S. 43 bis 71. Das dort vorgelegte Material ist allerdings nicht mittels der Kategorien des ‚direkten‘ und des ‚indirekten‘ Missionskrieges geordnet. Umstilisierung von indirekten Missionskriegen zu direkten: Beitr. IX, bei Anm. 80. 138 Sachsen galt als bekehrt mit dem Übertritt Widukinds 785 (vgl. Hauck [wie Anm. 97] Bd 2, S. 395 und Kirchberg [wie Anm. 5], S. 17 unten, Beitr. XI, bei Anm. 2–3, sowie Anm. 27), während die Selbstbehauptungskriege des heidnischen Stammes sich danach noch über 15 Jahre hinzogen; im 10. Jh. scheint Polen als christliches Land betrachtet worden zu sein, als sein Herzog Mieszko I. die Taufe genommen hatte; im 12. Jh. wurde der christliche Charakter des stodonarischen Wendengebietes, das unter einem getauften Fürstenpaar stand, in besonders demonstrativer Weise betont, um es, nicht zuletzt im Interesse Markgraf Albrechts des Bären, aus dem sog. Wendenkreuzzug von 1147 herauszuhalten, obwohl damals dort noch ein angesehenes und einflußreiches heidnisches Heiligtum samt seiner Priesterschaft bestanden zu haben scheint; vgl. Kahl, Slawen und Deutsche (wie Anm. 40), S. 186 ff., 213–225, 236 ff. u. 269 ff. Auch diese Problematik sollte einmal geschlossen untersucht werden.
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Personen: Zerstörung heidnischer Kultstätten und Kultobjekte einerseits, Todesstrafe an denen, die ‚heidnische Greuel‘ immer noch wieder neu aufleben lassen, auf der anderen Seite139. Im Positiven, zur Herstellung des Einklangs mit christlichen Normen, läßt er sie nur im Rahmen innerkirchlicher Disziplinargewalt gelten, gegen Abweichler, die ihr Taufgelübde nicht halten. Ihnen denkt er – mit bemerkenswerter Abstufung nach dem sozialen Rang – Haft oder Prügel zu, soweit es um einzelne geht140; als geschlossenen Gruppen droht er ihnen mit kriegerischer Exekution, wenn die Realität sich dem de jure bestehenden Zustand des Christseins im Sinne der Kirche anders nicht anpassen läßt141; im äußeren Missionswerk jedoch, gegenüber noch Ungetauften, will er völlige Freiheit der individuellen Gewissensentscheidung uneingeschränkt gewahrt wissen142, und von der Taufe verlangt er, daß sie gleichsam als Formalakt einen bereits hergestellten Bekehrungszustand abschließend besiegelt – sie ist ihm keine Station an relativ früher Etappe des Weges zur Christianisierung143. Gregor der Große hält im Prinzip an diesen Grundsätzen fest, weicht sie jedoch auf: direkter Glaubenszwang, notfalls auch mit kriegerischen Mitteln, nur zur Durchsetzung innerkirchlicher Disziplin, wobei vielleicht erstmals neben Häretikern auch Apostaten nachdrücklich einbezogen erscheinen144, Ablehnung insbesondere der Zwangstaufe und Forderung mindestens einer letzten Freiwilligkeit für die persönliche Entscheidung zum Übertritt145, aber doch Entwicklung eines Systems der ‚Nachhilfe‘ mit irdischen Mitteln, die eine gar zu zögernd aufgenommene geistliche Predigt unterstützen sollen; eine ‚indirekte Nötigung‘ des einzelnen, bis er schließlich den ‚freiwilligen‘ Entschluß faßt146, und ein ‚indirekter Missionskrieg‘ gegen geschlossene politische Verbände, um in deren Bereich christliche Obrigkeiten zu schaffen, die der friedlichen Verkündigungsarbeit der Kirche Wirkungsmöglichkeiten garantieren147: das ist das Programm des Papstes, der an praktischer Wirkung auf die Formung des Mittelalters den von ihm selbst tief verehrten Augustinus weit übertrifft. Bewußt wird dabei
139 140 141 142 143 144 145 146 147
Oben bei Anm. 61 ff. Oben bei Anm. 95 ff. Ebd. (bes. Anm. 96). Oben bei Anm. 61 f., 64 ff. u. 118 ff. Vgl. oben bei Anm. 75 ff. u. 85–95. Oben bei Anm. 99. Ebd. mit Anm. 100. Oben bei Anm. 66, dazu bei 78 ff. Oben bei Anm. 127 f.
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in Kauf genommen, daß mit solchen Mitteln erreichte ‚Bekehrungen‘ nicht anders als unvollkommen sein können. Neben die außerkirchliche Mission tritt daher eine verstärkte innerkirchliche ‚Nacharbeit‘, um nachzuholen, was bis zur Taufe nicht zu erreichen war, und zwar so, daß dabei nicht mehr allein Möglichkeiten menschlichen Wirkens eingesetzt werden in Predigt, Beichtpraxis und sonstigen Seelsorgeformen, sondern auch und vor allem die sakramentale Gnade mit den heiligenden Wirkungen, die von ihr ausgehen, die aber außerhalb der Kirche, und das heißt: außerhalb des Bereiches, in dem Sakramente legitimerweise gespendet werden können, schlechterdings nicht zu vermitteln sind148. Der Aufgabenkreis des Missionars schrumpft zusammen mit der Folge eines stark reduzierten Verkündigungsprogramms149, derjenige der innerkirchlichen Disziplinargewalt dehnt sich fast maßlos aus – und mit ihm der Sektor, in dem nach dem Ermessen der Kirche der Zeit auch profan-gewaltsame Methoden zur Durchsetzung geistlicher Ziele als legitim anzusehen sind150. Eine Zwangsmission oder Zwangschristianisierung aber im mittelalterlichen Sinne liegt auch dann nicht vor, sondern nur dort, wo ‚direkter Zwang‘151 und ‚direkter Missionskrieg‘152 mit unmittelbarer Gewalt (statt etwa bloß bürgerlichen Nachteilen) die Taufe durchzusetzen suchen, die die entscheidende Grenzmarke zwischen Mission und innerkirchlicher Seelsorgearbeit bleibt153. Das aber sind Verfahren, die sich für die mittelalterliche Kirche normalerweise außerhalb der Legalität bewegen154, wenn auch die Grenzen zum kirchlich Erlaubten mit dem fortschreitenden Mittelalter immer mehr verschwimmen155. Lenken wir am Ende dieser reichlich komprimierten daher reichlich theoretischen und abstrakten Ausführungen den Blick noch auf eine konkrete Gestalt. Der ostsächsische Benediktiner Brun von Querfurt (gest. 1009) hat im Lauf seiner missionarischen Wirksamkeit nicht allzuviele greifbare Erfolge erzielt. Um so größer ist jedoch seine Bedeutung für die missionsphänomenologische Forschung, zeichnet er sich doch dadurch aus, daß seine Wirksamkeit sich nach und nach auf recht
148 149 150 151 152 153 154 155
Oben bei Anm. 80 ff. Oben bei Anm. 78 ff. Oben bei Anm. 98 ff. Oben bei Anm. 103. Oben bei Anm. 129 ff. Oben bei Anm. 90 ff. Oben bei Anm. 153. Oben bei Anm. 122–129, passim.
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verschiedenartige Schauplätze erstreckte, die ihm immer wieder auch vom kanonischen Standpunkt her die unterschiedlichsten Voraussetzungen boten. Er ermöglicht daher für die hier entwickelten methodischen Prinzipien sozusagen die Probe aufs Exempel156. Brun entstammte einem angesehenen ostfälischen Adelsgeschlecht aus dem heutigen Sachsen-Anhalt. Früh trat er in die Magdeburger Domschule ein, und das war bedeutsam: gerade seine empfänglichsten Jahre verbrachte er am Zentrum einer Erzdiözese, die durch einen großangelegten Wendenaufstand, 983 gegen Reich und Kirche in einem gerichtet, so besonders empfindlich getroffen worden war. Als Kaplan Kaiser Ottos III. kam er nach Italien und fand dort Anschluß an reformgesinnte Kreise, aus denen später der Kamaldulenserorden hervorging; Brun selbst wurde Mönch. Damals scheint er auch die entscheidenden missionarischen Impulse empfangen zu haben, die sein weiteres Leben bestimmten157. Sie verbanden sich für Brun mit den Magdeburger Jugendeindrücken zu dem Empfinden, daß die Rechristianisierung der abgefallenen Ljutizen seine wahre Lebensaufgabe sei. Der sächsische Jünger St. Benedikts und Romualds empfing die Weihen zum „Erzbischof der Heiden“, genauer der pagani, was nach damaligem Sprachgebrauch ‚Heiden‘ und ‚Apostaten‘ gemeinsam umfassen konnte158. Politische Gegebenheiten verhinderten, daß Brun jemals zu der ersehnten Predigt unter den Ljutizen kam; sie drängten ihn vielmehr in die außerkirchliche Missionsarbeit ab, über deren engen und unmittelbar inneren Zusammenhang mit allem Rechristianisierungsstreben die Notwendigkeit sauberer begrifflicher und rechtlicher Unterscheidung ja in keiner Weise hinwegtäuschen darf. Brun missionierte in Ungarn und unter den Petschenegen am Schwarzen Meer, teilweise auch in unmittelbarer Fühlung mit Großfürst Wladimir dem Heiligen von Kiew. Später wandte er sich nach Polen, wo er die Freundschaft des Herzogs, Boleslaw Chrobrys, gewann. Für die erstrebte Wirksamkeit 156 Aus der reichen Literatur über Brun seien hervorgehoben: H. G. Voigt, Brun von Querfurt. Mönch, Eremit, Erzbischof der Heiden und Märtyrer. Stuttgart 1907; R. Wenskus, Studien zur historisch-politischen Gedankenwelt Bruns von Querfurt. Münster/Köln 1956; A. Gieysztor, Sanctus et gloriosissimus martyr Christi Adelbertus: un état et une église missionnaires aux alentours de l’an mille. SSAM 14 (1967) S. 611–647, bes. S. 636–646; vgl. auch D. Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg I. Köln/Wien 1972, Register, S. 444. Vgl. Anm. 159. 157 Zur Art dieser Impulse vgl. J. Sydow, Probleme der camaldulensischen Ostmission (1953). Zuletzt bei Beumann (wie Anm. 135), S. 146–155; aber auch Wenskus, S. 134 u. 145 ff. 158 Oben bei Anm. 94.
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im Ljutizengebiet ließen die allgemeinen Verhältnisse, vor allem die deutsch-polnischen Kriege der Zeit, ihn jedoch auch dort keine Basis gewinnen. Durch einen Schüler vermochte er, über die Ostsee nach Schweden hinüberzuwirken, wo ein (in der Identität umstrittener) Fürst damals die Taufe nahm. Brun selbst widmete sich der Mission unter den heidnischen Prußen (im späteren Ostpreußen) und starb dort den Märtyrertod. Die Kirche zählt ihn zu ihren Heiligen. Eine systematische Behandlung missionarischer und missionsrechtlicher Probleme hat, dem Zeitstil entsprechend, auch diesem Mann ferngelegen. Verstreute Äußerungen in einer für damals nicht geringen literarischen Hinterlassenschaft, ergänzt durch sein eigenes Verhalten, erlauben jedoch, von seinen Anschauungen ein so unmittelbares Bild zu gewinnen, wie es wohl für keinen anderen Missionar des frühen und hohen Mittelalters möglich ist, liegen doch sonst im allgemeinen nur Quellen aus zweiter Hand vor, dazu nur selten wenigstens noch von zeitgenössischer159. Wir dürfen danach sagen: Brun hielt im Einklang mit wohl allen Lehrern der offiziellen Kirche für den Beginn eines jeden Missionswerkes einen unbedingt friedlichen Versuch für notwendig, und zwar ohne Rücksicht auf etwaige Gefahr für Leib und Leben derer, die ihn unternahmen. Schlug er fehl (wie gegenüber den Prußen, bei denen schon Adalbert von Prag, Bruns Freund und großes Vorbild, 997 im Martyrium geendet war), so hat der Querfurter, wenn wir gewisse Andeutungen seiner Schriften richtig verstehen, wohl den Einsatz eines indirekten Missionskrieges gewünscht, um die Pforten für ungestörte kirchliche Arbeit aufzubrechen; ließ jedoch ein derartiger Beistand des ‚weltlichen Arms‘ sich nicht verwirklichen (weil etwa im genannten Fall Herzog Boleslaw durch Krieg mit dem Reich gebunden war), so zeigte Brun sich trotz allem noch einmal selbst zu einem weiteren friedlichen Missionsversuch bereit, wieder ohne die geringste Rücksicht auf die eigene Person. Wir sahen, daß er diese Bereitschaft mit dem Leben bezahlte160. Gegen die apostatischen Ljutizen jedoch hat Brun die bewaffnete Exekution gefordert: Gewalt gegen die, die sie ihrerseits bei ihrer Erhebung
159 Zum folgenden unten, Beitr. XV, bei Anm. 1 ff., 47 ff. u. 251 ff.; zustimmend und ergänzend: Wenskus, S. 143–153 (mit einzelnen kritischen Bemerkungen). 160 Über die Martyrien Adalberts und Bruns mit aufschlußreichen religionsgeschichtlichen Beobachtungen über die Motive der beteiligten Prußen: B. Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte. Berlin 1942, S. 46–52.
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getätigt hatten; den weltlichen und wohl auch selbst unmittelbar körperlichen Zwang, der die schon einmal Bekehrten nötigen sollte, ihr Taufgelöbnis nun auch wirklich einzuhalten – ganz zu schweigen von den entweihten heiligen Stätten im Apostatengebiet, die auf diesem kriegerischen Wege der Christenheit zurückgegeben werden sollten. Im Bereich dieser Abgefallenen hielt der Erzbischof auch eine zwangsweise Taufe derer, die in langen Jahren des Erliegens aller kirchlichen Arbeit das Sakrament nicht hatten empfangen können, offenkundig für vertretbar: sie hätte die Bevölkerung dieses Landes geschlossen unter die Kontrolle kirchlicher Disziplinargewalt gebracht, damit die beste Gewähr gegen erneute Apostasie geboten. Hier also spielt in dieser Sondersituation eine Zwangsbekehrung von Heiden, die noch niemals in die Kirche einbezogen gewesen waren, offenbar wirklich einmal eine Rolle, wenn auch nach knappen Andeutungen aus Bruns Feder nur hypothetisch erschließbar, nicht expressis verbis bezeugt. Auf Bruns Anschauungen über das Verfahren in Gebieten anderer Rechtssituation aber ist daraus nicht zu schließen: eine Christianisierung außerkirchlicher Heiden in noch nicht von Apostasie ‚befleckten‘ Gebieten – etwa, wie in Ungarn, durch Blendung Taufunwilliger – sah er als „schwere Sünde“ (magnum peccatum) an, die mit dem Segen des Höchsten den Fortgang des ganzen Bekehrungswerks in Frage stellen könne. Leider fehlen dabei Hinweise, wie er über die Möglichkeit ‚indirekter Nötigung‘ dachte, in deren Licht die ‚Freiwilligkeit‘ vollzogenen Übertritts so sehr anders aussehen kann. Im Ganzen ist hier ein Beispiel geboten, wie sorgsam abgestuft ein verantwortungsbewußter Missionsbischof jener Zeit je nach gegebener Rechtslage Missions- oder auch Disziplinarmittel verschiedenster Art einzusetzen strebte, um dem Missionsbefehl seines Herren auf jeden Fall Genüge zu tun. Unzweifelhaft ist die dabei zutage tretende Kasuistik im vollen Sinn des Wortes typisch; sie macht Brun von Querfurt zum Repräsentanten eines ganzen Systems, auch wenn er nicht in allen Einzelheiten ‚die‘ Stellungnahme der mittelalterlichen Kirche vertrat oder auch nur die seiner Zeitgenossen: sein Ruf nach jener Apostatenexekution verhallte eben im Leeren, wie er überhaupt in der Geistesgeschichte der deutschen Kirche der Wendenlande isoliert dasteht161. Die exemplarische Bedeutung dieses Mannes aufzuhellen,
161 Vgl. unten, Beitr. XIV, Abschn. 2, nach älterem Forschungsstande; dazu Beitr. XV, bei Anm. 43–53; Wenskus, S. 147.
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war jedoch nur möglich durch vorherige Erstellung eines allgemein phänomenologischen Bezugsrahmens, der den an Brun zu gewinnenden Befunden zu sachgerechter Einordnung verhalf. Vorher wirkte er in unverständlicher Weise anachronistisch, ein Außenseiter, mit dem sich nichts Rechtes anfangen ließ. Wichtig ist bei alledem, daß wir auch als Phänomenologen Historiker bleiben: daß wir uns nicht blenden lassen durch scheinbare Übereinstimmung im äußeren Bilde, wozu Phänomenologie und Typologie nur zu leicht verführen162; daß wir das historisch Einmalige und Unvergleichliche auch dort achten, wo vermeintliche Beziehungen sich auf den ersten Blick aufzudrängen scheinen163, und daß wir auch bei einer Disziplin, die so stark geistesgeschichtlich gerichtet ist wie die Missionsphänomenologie, doch stets den ganzen Menschen im Auge behalten: den, der niemals nur Christ ist oder nur Heide, sondern immer zugleich auch König oder Kaufmann, Priester oder Krieger, Adeliger, Höriger oder Freibauer, fremden oder auch gleichen Volkes – den, der selten allein vom ‚Geist‘ her zu fassen ist, selten allein von eigensüchtigen Trieben her, sondern immer und immer wieder ideelles und materielles Streben in oft komplexester Weise in sich vereinigen kann, zumal auf dem Boden mittelalterlich-christlicher Religiosität164. [Nachtrag zu Abschnitt 1.: In den Ausführungen zur Geschichtsgliederung wäre stärker, als geschehen, die Möglichkeit zu berücksichtigen, daß prinzipiell gleichläufige Entwicklungen sich in verschiedenen Geschichts- und Kulturräumen mit Phasenverschiebung vollziehen können. Damit soll allerdings nicht der fragwürdige Begriff „Griechisches Mittelalter“ für die homerische Zeit des alten Hellas erneuert werden. Ebenfalls stärker betont werden sollte, daß die drei Hauptkomponenten, die das abendländische Mittelalter konstituieren, nämlich Adelsherrschaft, Christentum und Antike, sich während der mittelalterlichen Jahrhunderte in ständiger Bewegung und Wandlung befinden. Sie sind nicht als starre Größen aufzufassen.
162 In dieser Richtung liegen schwere Mängel etwa des sonst so verdienstlichen Werkes von v. d. Leeuw (wie Anm. 21). 163 Dies wäre zu exemplifizieren an der Gegenüberstellung einschlägiger Verlautbarungen Bernhards von Clairvaux mit dem ‚gewöhnlichen‘ direkten Missionskrieg; vgl. unten, Beitr. XX. 164 Über diese Religiosität: unten, Beitr. XXI, Abschn. 2, dazu aber auch Abschn. 3 darüber, daß sich keineswegs alle angrenzenden Erscheinungen von hier aus erklären lassen). Zur Verbindung geistlicher und nichtgeistlicher Motive vgl. noch oben Anm. 63 gegen Ende.
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Das Ungenügen kirchlicher Berichterstattung über vorchristliche Kultzusammenhänge liegt heute deutlicher offen als bei Abfassung vorstehenden Beitrags, vgl. oben Nr. V, Absch. 3 u. 4, passim, sowie bei Anm. 106 f. Die in den Anmerkungen verschiedentlich angekündigten Bände II/2–III des betreffenden Sammelwerks sind nicht erschienen, so daß für jüngere Zeitabschnitte weiterhin auf Beitrag IX verwiesen werden muß.]
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KARL DER GROSSE UND DIE SACHSEN stufen und motive einer historischen „eskalation“ Wir werden daran erinnert, daß die Geschichtsschreibung einer Epoche die ideelle Gesamtheit der Vergangenheit im Auge behalten und gleichzeitig bestrebt sein muß, einen Bezug zur Gegenwart herzustellen. Nicht die Suche nach den mythischen ‚Anfängen‘ und bewährten Vorbildern steht zur Diskussion, wohl aber das Forschen nach Verhaltensmechanismen – Strukturen – Verhaltensweisen, die überaus widerstandsfähig sind und auch grundlegende Revolutionen in politischen und sozialen Bereichen überdauern können. František Graus
1. Das Problem Zu den Überraschungen des monumentalen Karlswerks von 19651 gehörte eine Lücke: die Sachsenpolitik des gefeierten Herrschers erfuhr dort – anders als etwa sein Vorgehen gegen die Awaren – nirgends eine zusammenfassende Würdigung; sie mußte sich mit verschiedentlicher Berührung am Rande begnügen. Dabei gehört Karls Einwirkung auf die Großregion zwischen Essen und Magdeburg, Harz und Nordsee zu den aufregendsten, den grundlegendsten und folgenreichsten Ereigniszusammenhängen der gesamten mittelalterlichen Geschichte Europas – das wird nicht nur demjenigen selbstverständlich sein, dessen historisches Problembewußtsein im Zeichen der Diskussion erwachte, ob als Beiname nicht gerade ihretwegen der „Sachsenschlächter“ viel berechtigter sei als der „Große“, und angesichts jenes seltsamen Versuchs, klar bezeugtes decollati umzumünzen in simple Verschreibung für delocati sunt2. 1
W. Braunfels u.a. (Hrsg.), Karl der Große. Lebenswerk und Nachleben, 4 Bde., Düsseldorf 1965–1967. – Zum oben vorgesetzten Motto s. unten Anm. 138a. 2 Zahlreiche wichtige Beiträge aus der damaligen Diskussion sind mit eingegangen in den Sammelband von W. Lammers (Hrsg.), Die Eingliederung der Sachsen in das
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Karls Sachsenpolitik, und sie allein, hat die Einbeziehung eines großen und wichtigen, sehr bald maßgeblich mittragenden Stammeselements in den werdenden deutschen Volkszusammenhang durchgesetzt – eines Elements, das bis dahin zu Angelsachsen und Skandinaviern sehr viel engere Bindungen unterhalten hatte als zu Franken, Alemannen und Baiern. Dies war nicht nur Voraussetzung dafür, daß ein deutsches Volk als überstammliches Einheitsgefüge in derjenigen Zusammensetzung und Ausdehnung erwuchs, wie es dann tatsächlich der Fall war, sondern mehr: nach dem so erstaunlich raschen Zerfall des Karlsimperiums entstand aus dessen Konkursmasse ein Ostfränkisch-deutsches Reich, das auch für sich allein in der Lage war, im abendländischen Europa eine Großmachtstellung aufzubauen, und zwar als langezeit einziger Faktor dieser Art, gleichsam ohne Konkurrenz. Auch dies aber – samt all den einschneidenden Folgen für die weitere Entwicklung unseres
Frankenreich, Darmstadt 1970, darunter S. 109–150 der Aufsatz von K. Bauer, Die Quellen für das sog. Blutbad von Verden (zuerst 1936), der materialreich und anregend ist, aber mit der oben im Text erwähnten Konjektur keinen Beifall gefunden hat. W. Lammers betreute auch den weiteren Sammelband: Entstehung und Verfassung des Sachsenstammes, Darmstadt 1967. Beide bieten umfangreiche Auswahlbibliographien; der zweitgenannte wiederholt S. 149–206 auch den wichtigen Beitrag von M. Lintzel, Der sächsische Stammesstaat und seine Eroberung durch die Franken (1933), der in die Aufsatzsammlung dieses Autors (s. unten Anm. 21) nicht mit eingegangen war. – Lintzel bleibt für den hier gegebenen Themenbereich wie E. Klebel für den werdenden deutschen Südosten der große Anreger, von dem aber viele Einzelergebnisse nicht haltbar sind. Aus älterer Lit. nach wie vor hervorzuheben: A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands II, 6. Kapitel, 3. Abschnitt (benutzbar in allen Auflagen von der 3. an; hier zitiert nach Berlin 81954). Letzte Zusammenfassungen mit weiteren Angaben: M. Last, Niedersachsen in der Merowinger- und Karolingerzeit, in: H. Patze (Hrsg.), Geschichte Niedersachsens I., Hildesheim 1977, S. 543–652; H. Patze, Mission und Kirchenorganisation in karolingischer Zeit, ebd. S. 653–712 (beide nicht auf Niedersachsen im heutigen staatsrechtlichen Sinne beschränkt). Vgl. auch R. Schneider, Karl der Große – politisches Sendungsbewußtsein und Mission, in: H. Frohnes (wie Anm. 3), S. 227–248, der allerdings im Grundsätzlichen zu erheblich anderen Ergebnissen kommt als der vorliegende Versuch; zur weiteren Einordnung: W. Schlesinger, Zur politischen Geschichte der fränkischen Ostbewegung vor Karl d. Gr., in: Ders. (Hrsg.), Althessen im Frankenreich, Sigmaringen 1975, S. 9–61; ferner O. Gschwandtler – K. Schäferdiek, Bekehrung und Bekehrungsgeschichte, in: (Hoops) Reallexikon der germanischen Altertumskunde II/2, Berlin-New York 21974, S. 175–205, sowie K. Schäferdiek, Germanenmission, in: Reallexikon für Antike und Christentum X, Stuttgart 1977, S. 492–548. – Für Einzelfakten, die im folgenden nicht besonders belegt sind, wird grundsätzlich verwiesen auf S. Abel – B. Simson, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl d. Gr. I2 u. II, Leipzig 1888 bzw. 1883, sowie die Ergänzungen und Berichtigungen bei J. F. Böhmer – E. Mühlbacher – J. Lechner, Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751–918, Reprogr. Ndr. mit Ergänzungen von C. Brühl und H. H. Kaminsky, Hildesheim 1966 (zit.: BM2).
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Kontinents – wäre schwerlich zustande gekommen ohne die im voraus vollzogene Verbreiterung der Basis durch Karl. Die betroffenen Landschaften selbst sahen sich grundlegender Umstrukturierung preisgegeben. Neue Zentren und Herrschaftsmittelpunkte entstanden als Keimzellen späteren Städtewesens an Stellen, wo man dergleichen Ansatzpunkte bisher nicht gesehen hatte; mächtige steinerne Dome und Klosterkirchen wuchsen empor, von denen doch mancherlei konkrete Vorstellung noch zurückzugewinnen ist, und zeigten schon bald nach dem Tode des Kaisers an, daß dieses Land bisher alleinherrschender Holz- und Fachwerkbauweise an damals modernster Hochkultur Anteil zu haben begann, um sie bald tatkräftig und selbstschöpferisch mitzutragen. Man kann sagen: „Mittelalter“, verstanden als Strukturbegriff, nicht nur als Abschnitt äußerlich fixierter Daten, – „Mittelalter“ hielt seinen Einzug in einem neuen Teilraum Europas, der bisher auerhalb der so zu bezeichnenden Geschichtswelt gestanden hatte, älteren mittelalterlichen Entwicklungen nur Gleichzeitiges, nicht aber auch Gleichartiges zur Seite stellend3. Kurz: Karls Sachsenkriege sind eine Ereignisfolge, der an Wirkung und Ausstrahlung und damit an geschichtlichem Rang nicht viele andere in der Vergangenheit der Deutschen nahekommen. Er selbst scheint etwas von dieser ungewöhnlichen Bedeutung geahnt zu haben: über die Kaiserproklamation vom Weihnachtstage 800, die man für den glänzendsten Höhepunkt seines Herrscherlebens halten möchte, war er nach bekanntem ausdrücklichem Zeugnis verärgert, ohne daß die Gründe völlig klar liegen; die Unterwerfung und vor allem Bekehrung der Sachsen aber, die er zunächst mit der persönlichen Unterwerfung und Taufe des Hauptwidersachers Widukind am Weihnachtstage 785 vollendet sah, – sie gab ihm Anlaß zu einer Stellungnahme, wie er sie nach keinem anderen seiner zahlreichen Kriege und Siege hinausgehen ließ: einer Bitte an den Papst, dafür doch ein dreitägiges, allgemeines Dankfest der gesamten Christenheit anzuordnen, wie dies dann auch tatsächlich geschah4.
3 Über „Mittelalter“ als dynamisch zu nehmenden Strukturbegriff: oben, Beitr. X, Abschn. 1, aufbauend u.a. auf F. Graus, Mittelalter, in: C. D. Kernig u.a. (Hrsg.), Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft. Eine vergleichende Enzyklopädie IV, Freiburg 1971, S. 569–588. 4 Allgemein über Widukinds Taufe als für die Zeitgenossen vermeintlichen Abschlußpunkt der Sachsenchristianisierung: K. Hauck, Die Ausbreitung des Glaubens in Sachsen und die Verteidigung der römischen Kirche als konkurrierende Herrscheraufgaben Karls d. Gr. in: Frühmittelalterliche Studien (künftig abgekürzt FMSt) 4, 1970,
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Ein Parallelfall ist nicht nur aus der Regierungszeit dieses Herrschers unbekannt, sondern auch aus der gesamten sonstigen Geschichte des Reiches wie der christlichen Mission, nicht nur im Mittelalter. Überdies aber sind die Sachsenkriege das einzige Ereignis unter der Herrschaft Karls, von dem wir hören, daß es als Motiv für einen Bildschmuck an repräsentativer Stelle gedient hat, nämlich in der wichtigen karolingischen Winterpfalz zu Ingelheim, für die wir zufällig eine genauere Schilderung der vergangenen Ausstattung besitzen. Die Entwürfe, ausgeführt sicher erst unter Ludwig dem Frommen, scheinen noch auf die Zeit des Vaters zurückzugehen5; das wäre ein zweiter Hinweis, welch ungewöhnliche Bedeutung noch der alternde Kaiser dem Erfolg seiner Sachsenpolitik selbst zugemessen hat. Allerdings: so ungewöhnlich bedeutend dieser Geschichtszusammenhang bleiben mag – wer noch vermöchte mit ungetrübten Empfindungen auf ihn zu blicken? War es doch eben diese Sachsenpolitik Karls, die erstmals in unserem Erdteil außerhalb der einstigen Grenzen des antiken Imperiums einen prinzipiellen und radikalen Glaubenszwang zur Geltung brachte, radikal im Sinne jenes morte moriatur, das den grausigen Kehrreim seiner Capitulatio de partibus Saxoniae aus den frühen 780er Jahren bildet – Glaubenszwang in derart massiver Form, wie dies vielleicht noch in keinem anderen Zusammenhang der Weltgeschichte geschehen war, selbst das verchristlichte Römerreich nicht ausgenommen6. Unverkennbare historische Größe, die grundlegend
S. 158–60, vgl. S. 147 ff.; A. Angenendt, Taufe und Politik im frühen Mittelalter: ebd. 7, 1973, S. 159. Vorher waren schon die Paderborner Vereinbarungen von 777, auf die zurückzukommen ist, als entscheidender und abschließender Einschnitt empfunden worden; vgl. K. Hauck, Paderborn, das Zentrum von Karls Sachsen-Mission, in: Adel und Kirche. Festschrift G. Tellenbach, Freiburg-Basel-Wien 1968, S. 92–140. Vgl. unten bei Anm. 91. – Für das Einlenken Widukinds sind jetzt auch die medizinischen Gesichtspunkte ins Auge zu fassen, die im Anschluß an die Bergung seiner mutmaßlichen Gebeine entwickelt wurden, vgl. W. Klenke und F. Schilling, in: U. Lobbedey u.a., Die Ausgrabungen in der Stiftskirche zu Enger I, Bonn 1979, S. 27–33, bes. 32 f., bzw. 46. – Vgl. auch unten Anm. 27. 5 H. Fichtenau, Byzanz und die Pfalz zu Aachen, in: MIÖG 59, 1951, S. 38; vgl. W. Lammers, Ein karolingisches Bildprogramm in der Aula regia von Ingelheim, in: Ders., Vestigia Mediaevalia. Ausgewählte Aufsätze, Wiesbaden 1979, bes. S. 264 f., 282. Aus älterer Literatur hervorzuheben: J. Kollwitz, Oströmische Plastik der Theodosianischen Zeit, Berlin 1941, S. 38, aber auch etwa E. Rieber, Die Bedeutung alttestamentlicher Vorstellungen für das Herrscherbild Karls d. Gr. und seines Hofkreises, Diss. ms. Tübingen 1949, S. 173–176. 6 Capitulatio de partibus Saxoniae, ed. Boretius, MGH Cap. I, n. 26, S. 68–70; weitere Ausgaben verzeichnet L. Ganshof, Was waren die Kapitularien?, Darmstadt 1961, S. 21, Anm. 24. Auf laufende Kontroversen über Datierung und Entstehungsschichten ist hier
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Weichen für Jahrhunderte zu stellen vermochte, erscheint hier in einer Weise gepaart mit Grauen, wie das in abendländischer Vergangenheit gleichfalls nicht eben alltäglich begegnet, und dieses Grauen wird wenig gemildert durch den Hinweis, der Herrscher habe in der zweiten Hälfte seiner Regierungszeit schließlich eingelenkt, dann die Südostpolitik mit ihrem Bekehrungswerk sogar ganz von vergleichbaren Zügen freigehalten7. So stehen wir hier vor einem Kapitel, wenig angetan, Panegyrik zu entfalten, wie sie ideell mindestens als ein Motiv unter anderen noch hinter den Fresken oder Mosaiken von Ingelheim stand. Die Saat eines Ambrosius und eines Augustinus8 hat in Karls Sachsenpolitik Früchte getragen, von denen man doch gern wüßte, wie diese Kirchenväter selbst sie beurteilt hätten. Der Historiker aber steht gleichwohl auch hier vor der Aufgabe, das, was geschah, zu verstehen, selbst wenn er keineswegs der Meinung ist, „alles Verstehen“ müsse gleichbedeutend sein mit einem „alles Verzeihen“. Damit Verständnis aber möglich wird, müssen wir zunächst zu rekonstruieren versuchen, was eigentlich damals wirklich geschah, über sattsam geläufige Allgemeinvorstellungen hinaus. Ein für mittelalterliche Verhältnisse vielleicht reichliches, gleichwohl karges und vor allem einseitiges Quellenmaterial – das zeitgenössische Sachsen spricht zu uns bekanntlich mit keiner einzigen Silbe – muß erneut durchforstet werden auf die Frage hin, ob es vielleicht doch noch mehr preiszugeben vermag, als man ihm auch bisher schon zu entlocken vermochte.
nicht einzugehen. Zum Problem des positiven Glaubenszwangs in diesem Gesetzwerk – abgrenzend von anderen Formen moralischen und geistigen Drucks – K. Voigt, Staat und Kirche von Konstantin d. Gr. bis zum Ende der Karolingerzeit , Stuttgart 1935, S. 325 f., 332. Es wird wenig beachtet, daß die Wendung morte moriatur (nicht aber das mit ihr wechselnde capite punietur) alttestamentlichem Sprachgebrauch entstammt (Ex. 21, 12. 15–17; 22, 19). Dazu unten bei Anm. 17. Vgl. auch Anm. 98. 7 Hierzu jetzt R. Bratož, La cristianisazzione degli Slaci etc., in: XII centenario del Concilio di Cividale (796–1996). Convegno storicoteologici. Atti, Udine 1998, S. 145 ff. Vgl. unten Anm. 38, ergänzend Anm. 10. 8 Ambrosius von Mailand (374–397) arbeitete bekanntlich darauf hin, den Rechtsgrundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz für Nichtkatholiken aufzuheben; dazu genüge hier der Hinweis auf K. Baus – E. Ewig, in: H. Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte II/1, Freiburg 1973, S. 89–91; O. Hiltbrunner, Ambrosius, in: Der kleine Pauly. Lexikon der Antike I, Stuttgart 1974, S. 296 f. sowie oben, Beitr. X, Anm. 96; über Augustinus ebd. u.ö. Zur Wirkung auf Karl: unten bei. Anm. 37 sowie 99. Vgl. noch unten bei Anm. 136 f.
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beitrag xi 2. Vorfragen
Es versteht sich, daß die gestellte Aufgabe in Gegenüberstellung mit dem Forschungsstande anzupacken ist9. Dabei zeigt sich schnell: gleich die erste Voraussetzung für die wissenschaftliche Urteilsbildung über Karls Wirksamkeit und Leistung in Sachsen fehlt, nämlich die einhellige Einschätzung der Voraussetzungen, von denen sie auszugehen hatte. Den einen gilt Sachsen mindestens in der breiten, bestangebauten Hauptzone südlich der Lippe im Westen und etwa der Bode im Osten als lange vor Karl schon mit einiger Intensität christlich durchdrungen, im Westen beginnend mit den Tagen Dagoberts I. (in Austrasien 626–639) und Kuniberts von Köln (623–663?), weiter östlich spätestens im Zeitalter Karl Martells und des Wynfrith-Bonifatius (etwa im Gefolge der Feldzüge seit 738, die aber mindestens teilweise gleichfalls schon an gewisse ältere Voraussetzungen anknüpfen konnten). Andere halten ein solches Bild für Ergebnis eines Wunschdenkens, das sich bestrebt zeigt, christliche Tradition im Lande so weit wie irgend möglich zurückzuprojizieren. Mir scheint die zweite Auffassung wesentlich besser begründet, ohne daß hier näher dargelegt werden kann, warum10; als Beispiel diene die Feststellung, daß von einer Kölner Mission 7. Jahrhunderts um Soest ausschließlich in wissenschaftlichen Hypothesen die Rede ist, doch in keiner einzigen Quelle. Basis der Annahme ist eine vereinzelte Angabe, die sich als urkundlich gibt und bestimmte besitzrechtliche Erwerbungen der Kölner Kirche im Gebiet jener Stadt auf eine Schenkung Dagoberts an Kunibert zurückführen will – sie aber findet sich einzig in einer Urkundenfälschung 12. Jahrhunderts aus dem Kölner Kunibertstift, zusammengebraut von einem Propst, der auch noch in weiteren Machwerken den Anteil seines Stiftspatrons an tatsächlichem Geschehen über Gebühr herauszustreichen suchte11 – wenn nicht einmal er neben 9
Vgl. Anm. 2. Für Band II/2 der oben Anm. 3 zitierten „Kirchengeschichte als Missionsgeschichte“ bereitete ich eine umfassende vergleichende Studie der verschiedenen Einzelunternehmungen karolingischer Reichsmission vor. Der Band kam nicht zustande. 11 Das Nötige hierzu im Grunde bereits bei O. Oppermann, Rheinische Urkundenstudien I, Bonn 1922, S. 59, dazu S. 27 f., 34–38, 56–92; vgl. A. K. Hömberg, Das mittelalterliche Pfarrsystem des kölnischen Westfalen, in: Westfalen 29, 1951, S. 44–47, und die wichtigen Ergänzungen an Hand archäologischen Materials bei H. Rothert, Der Stadtplan von Soest II: Die geschichtliche Entwicklung, in: Westfäl. Zschr. 103/04, 1954, S. 43–45, 89 f.; vgl. auch K. Gollub, Zur Frage ältester christlicher Bestattungen in Westfalen, in: Westf. Forsch. 11, 1958, S. 10, 13. Weiteres bei H. Bannasch, 10
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angeblicher Erwerbspolitik von missionarischer Wirksamkeit zu fabeln wagt, sollte dies doch wohl aufhorchen lassen. So hat man offenbar doch von nicht mehr auszugehen als davon, daß es auf sporadischen Sachsenfeldzügen Karl Martells und Pippins, die sich in der erwähnten Südzone bewegten, zu Versuchen gekommen ist, Friedensschlüsse mit Taufaktionen zu besiegeln, ohne daß von ihnen eine größere Breiten – oder gar Nachwirkung ausgegangen ist, – schon allein deshalb nicht, weil sich kein Klerus auftreiben ließ, der gewillt war, sich in genügender Anzahl zur Festigung des so begonnenen Werks im Lande niederzulassen12. Ausnahmen sind denkbar allein für gewisse Grenzgebiete, für die es scheint, daß sie schon damals fränkischer Annexion anheimgefallen sein könnten, z.B. im südlichen Leinegebiet und ostwärts davon, aber gerade sie brauchten wohl nicht mehr Gegenstand einer besonderen Sachsenpolitik Karls d. Gr. zu sein, weil fränkische Macht – etwa auch schon in Form einer Grafschaftsverfassung – dort bereits hinreichend etabliert war, als er seinen ersten Sachsenzug antrat13. Diese Vorfragen sind wichtig auch für die Einschätzung von Karls historischer Leistung in Sachsen: das Christentum im Lande geht, wenn Das Bistum Paderborn unter den Bischöfen Rethar und Meinwerk, Paderborn 1972, S. 23, Anm. 55. – Die Behauptung, durch König Dagobert zur Heidenmission eingesetzt und unterstützt worden zu sein, erhob das Bistum Köln 753 im Streit mit Bonifatius über die Zuständigkeit in Utrecht; Bonifatius konnte demgegenüber ausspielen, daß im dortigen Bereich von Köln aus nichts geschehen sei (Bonif. ep. 109, ed. Tangl, S. 235, 26 ff.). Dabei war dieses Bistum nach allem, was noch erkennbar ist, damals anscheinend sehr viel stärker nach Norden als nach Osten hin orientiert, wo der Rhein zwar keine politische, doch eine deutliche Kulturgrenze darstellte (W. Schlesinger, wie Anm. 2, S. 29, dazu S. 27; beachte allerdings S. 39). – Weitere Teilaspekte des angesprochenen Gesamtkomplexes fränkischer Missionswirkung in Sachsen vor 772, der etwa auch die Datierung der Vita Lebuini einschließt, dürfen hier zurückgestellt werden; vgl. auch R. Schneider (wie Anm. 2), S. 242, 245, sowie vorstehend Anm. 10. 12 Auf die Schwierigkeit, Missionare für Sachsen zu beschaffen, nehmen die Quellen noch für die Zeit nach Widukinds Taufe mehrfach Bezug, vgl. H. Wiedemann, Die Sachsenbekehrung, Münster 1932, S. 42, Anm. 80. Mögen dabei auch Erfahrungen mit angeblicher sächsischer „Treulosigkeit“ aus der Phase 777–785 mitsprechen, so ist doch schwerlich anzunehmen, daß der fränkische Klerus unter Karl Martell und auch noch in den folgenden, so stark durch interne Reformen absorbierten Jahrzehnten wesentlich einsatzfreudiger gewesen sein sollte. 13 Leinegebiet: E. Hennecke, Nachtrag zu den „Miszellen zur Kirchengeschichte Altsachsens“, in: Zschr. f. Kirchengesch. 54, 1935, S. 65 f.; A. Bruns, Der Archidiakonat Nörten, Göttingen 1967, S. 12–14 u.ö.; W. Niemeyer, Der Pagus des frühen Mittelalters in Hessen, Marburg 1968, S. 184. – Grafschaftsverfassung im vormals thüringischen Ostsachsen: Hans K. Schulze, Die Grafschaftsverfassung der Karolingerzeit in den Gebieten östlich des Rheins, Berlin 1973, S. 267–273; auch W. Schlesinger (wie Anm. 2), S. 59, vgl. S. 48. – S. noch unten Anm. 55.
350 beitrag xi das so skizzierte Bild zutrifft, im wesentlichen auf seine Initiativen und deren Auswirkungen zurück; er ist hier nicht in der Rolle mehr eines bloßen Vollenders zu sehen, und es muß als berechtigt anerkannt werden, wenn frühe Ansätze christlich-sächsischer Historiographie schon im 9. Jahrhundert den Ehrennamen eines Apostels der Sachsen keinem anderen als ihm beilegten14. 3. Der erste Sachsenzug: Grenzkrieg und Strafexpedition gegen heidnischen Gegner Das nächste Problem, das bei Bilanzierung des Forschungsstandes hervortritt, betrifft bereits Karls Sachsenpolitik unmittelbar: hat er von Anfang an die Annexion und zugleich Christianisierung ganz Sachsens angestrebt, so daß schon sein erster Feldzug von 772 als Eroberungsund Missionskrieg zugleich eingestuft werden muß? Hat sich vielmehr seine Konzeption im Verlauf der Auseinandersetzungen gewandelt, und, wenn ja: wie – und warum? Als Beweis für die erste Auffassung wird geltend zu machen versucht, daß es gleich bei diesem ersten Feldzug zur Zerstörung eines wichtigen altsächsischen Heiligtums kam, jener vieldiskutierten sog. Irminsul, von der wir immer noch nicht recht zu sehen vermögen, was sie war, was sie bedeutete und wo sie sich befand. Dieses Argument sticht jedoch nicht. Es fußt auf einer methodischen Voraussetzung, die als überholt zu bezeichnen ist. Seit alters wußte das Denken der Kirche im Missionswerk zwei unterschiedliche Zielsetzungen zu sondern, die es unter Umständen getrennt, nicht zuletzt aber auch auf unterschiedlichen Wegen zu verfolgen für statthaft hielt: auf der einen Seite die Ausrottung un- und widerchristli14 Vgl. K.-U. Jäschke, Die älteste Halberstädter Bischofschronik, Köln-Wien 1970, S. 79 f.; K. Honselmann, Die Annahme des Christentums durch die Sachsen im Lichte sächsischer Quellen des 9. Jhs., in: Westf. Zschr. 108, 1958, S. 214 f. – Angemerkt sei, daß neue Aspekte zum Thema früher christlicher Infiltration in Sachsen sich aus Adelsverbindungen zu ergeben scheinen, wie sie R. Wenskus, Sächsischer Stammesadel und fränkischer Reichsadel. Göttingen 1976, passim, erschließt. Die Diskussion über dieses methodisch und sonst äußerst anregende Buch ist jedoch noch zu wenig abgeschlossen, um an dieser Stelle mehr zu gestatten als den Hinweis auf entsprechende Möglichkeiten, die als solche in der weiteren Diskussion nicht außer Acht zu lassen sind. Vor allem die Konsequenzen für eine etwaige Modifizierung der großen Züge des Gesamtbildes sind noch durchaus offen (etwa auch im Hinblick auf die Frage, wie die hier evtl. sich abzeichnende Hintergrundproblematik sich sachlich und auch zeitlich zu den Befunden verhält, die Klingsporn – wie unten Anm. 54 – hinsichtlich des spätagilolfingischen Baiern aufdeckt).
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chen sog. „Unglaubens“ und Kultes, hier also der altsächsischen Religion und ihres Opferdienstes, auf der anderen die Bekehrung zu Christus und seiner Kirche. Jene galt als ein Kampf gegen Teufel und Teufelswerk (denn „interpretatione christiana“, wie man es treffend genannt hat, waren alle heidnischen Gottheiten derart höllische, widergöttliche Mächte, aus deren Knechtschaft und Verstrickung es die „Götzendiener“ zu befreien galt), und so herrschte die Überzeugung, es sei in diesem Kampf auch weitgehende Gewaltsamkeit jederzeit erlaubt: unbeschränkt gegenüber Sachen (z.B. Kultgegenständen), in gewissem Umfang aber auch gegen Personen – verhängnisvolle Frühform des Gedankens, daß der Zweck die Mittel heilige. Das Herüberziehen der „Missionsobjekte“, wie der unschöne Ausdruck lautet, auf die Gottesseite wurde davon naturgemäß nicht immer faktisch, wohl aber systematisch getrennt – es drängte fürs erste zum Taufvollzug als der ersten Voraussetzung für die zusätzliche Einwirkung sakramentaler Gnade, und zwar so, daß dabei ein Minimum an Freiwilligkeit persönlicher Entscheidung prinzipiell stets gefordert blieb, mochte es auch im praktischen Vollzuge vielfach zur Fiktivität zusammenschrumpfen. Man mag beide Missionsziele terminologisch als das negative und das positive gegenüberstellen. Für die Forschungsmethodik aber kommt dieser Unterscheidung höchste Bedeutung zu, eben weil die Mittel, die beiderseits für erlaubt gehalten wurden, erheblich verschieden waren. Man verbaut sich den Zugang zum wirklichen Geschehen, wenn man beide unterschiedslos vermengt und das, was hier oder dort geschah, nach Belieben auf „Missionswirksamkeit schlechthin“ überträgt15. Was nun die Zerstörung der Irminsul angeht, so hat sie es unverkennbar allein mit dem ersten der beiden skizzierten Ziele zu tun. Sie beseitigt eine Stätte des „Teufelsdienstes“ und führt damit einen augenfälligen „Ohnmachtsbeweis“ im Hinblick auf die dort verehrten Gottheiten – den Beweis, daß der Christengott durch seine Diener dort ungestraft schalten kann, ohne daß Gegenwirkungen möglich sind. Das schafft einen moralischen Erfolg auch im Dienste unmittelbar politischer Ziele, wenn ein Feldzug primär nur solche verfolgte. Außerdem ist an Stätten wie dieser ungewöhnlich reiche Beute zu holen. Beute aus kostbaren Weihegaben, die frommer Sinn dort niedergelegt hatte: wer
15 Oben Beitr. X, bes. Abschn. III, mit weiteren Nachweisen; dort Anm. 56 ff. zur interpretatio christiana, über die bes. noch Achterberg (wie Anm. 123). – S. auch unten Anm. 120, ferner 38 sowie 99 Ende.
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läßt sich dergleichen entgehen, wenn es nur irgend in der Reichweite liegt16? Maßnahmen aber, zugleich auch das positive Missionsziel zu fördern, sucht man im erhaltenen Überlieferungsbestande vergebens: so zahlreiche Quellennotizen bis nach Baiern hinüber das genannte Zerstörungswerk verzeichnen – keine einzige steht neben ihnen, die die Taufe auch nur eines Heiden für dieses gleiche Jahr zu vermelden wüßte, wie es doch sogar für die älteren Sachsenzüge unter Karls Großvater und Vater zuweilen geschieht. Stattdessen fällt auf, daß das „Wasserwunder“ für das dürstende Heer, das die Überlieferung mit dem Aufenthalt im IrminsulBereich verknüpft, nirgends zu dem Quellwunder des Moses im Buch Exodus in Beziehung gesetzt wird, obwohl sich doch die Karlszeit durch eine auffällige Neigung auszeichnet, alttestamentliche Vorbilder und Anspielungen aufzugreifen17 – so gänzlich fehlte diesem Unternehmen der bewußt und bevorzugt heilsgeschichtliche Aspekt. Nicht einmal die begleitenden Geistlichen dürften ihn auffällig herausgestrichen haben. Noch dem offiziösen „Reichsannalisten“, der über diese Phase in der Zeit zwischen Widukinds Taufe und dem Wiederaufleben der Kämpfe – d.h. aber: in der Überzeugung abschließend gesicherten Erfolges – schrieb18, fiel es nicht ein, wenigstens aus etwa im Rückblick veränderter Sicht dergleichen Züge mit dem Bericht über dieses Anfangsjahr zu verbinden, und dasselbe gilt für alle positiv missionarischen Aspekte19.
16 Auf „aurum vel argentum, quod ibi repperit (et) abstulit“, verweisen ausdrücklich z.B. Ann. Regni Franc, a. 772 (S. 34 Kurze). – Zur „Tatmission“ durch Zerstörung vorchristlicher Heiligtümer unten bei Anm. 121. 17 Darauf macht aufmerksam die überhaupt viel zu wenig beachtete Arbeit von Rieber (wie Anm. 5), S. 196. Zur Wirkung und Bedeutung des Alten Testaments in der Karlszeit ebd., passim; ergänzend R. Kottje, Studien zum Einfluß des Alten Testaments auf Recht und Liturgie des frühen Mittelalters, Bonn 1964, passim. Vgl. auch oben Anm. 6. – Als Schauplatz des „Wasserwunders“ wird vielfach der Bullerborn (heute Bollerborn) am sog. Eggeweg nahe Altenbeken betrachtet. Die Tradition scheint mindestens ins 16. Jh. Zurückzureichen, vgl. U. Wiechert, Älteste frühneuzeitliche Erwähnung der Irminsul, in: Die Warte 23, Paderborn 1962, s. 121. 18 Wattenbach-Levison-Löwe, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger II, Weimar 1953, S. 250: „zwischen 787 und 793“. Dazu oben Anm. 4; Belegzitat Anm. 16. 19 Dies fällt m.E. auch stark ins Gewicht gegenüber Briefzeugnissen angelsächsischer Provenienz, mit denen man teilweise versucht, missionarische Pläne auf fränkischer Seite schon für das Jahr 772 zu stützen (z.B. Th. Schieffer, Angelsachsen und Franken, in: Abhandlungen der Akademie Mainz, geistes- und sozialwiss. Klasse 1950/20, erschienen 1951 , S. 1514 f. an Hand von Bonif. epp. 119–120, ed. Tangl, S. 255 f.). Die Briefe geben zunächst nichts als Wunschbilder wieder, wie altempfundene Stammesverbundenheit mit den „Altsachsen“ jenseits des Meeres sie im angelsächsischen England längst aufgestaut hatte. Der zweite ist, bisher unbemerkt, weitgehend wörtlich einem bei Beda inserierten Brief Gregors d. Gr. an den ersten christlichen Angelsachsenkönig entlehnt (vgl. Beda,
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Allerdings: einige Jahre nach der Aufzeichnung dieses Gewährsmannes geschah eben dies ausdrücklich, und zwar bemerkenswerterweise in Fulda, an einer Stätte also, die das Frühstadium karolingischer Missionsarbeit in Sachsen hervorragend mitgetragen hatte. Eigil – Verwandter, Zögling, später auch einer der Nachfolger des ersten Abtes Sturmi († 779) – behauptet für den ersten Sachsenzug Karls ein ungewöhnliches Aufgebot an predigtbereiter Geistlichkeit, und zwar mit einer Datierung, die zu 772 stimmt20. Es wurde jedoch eben schon angedeutet: die Niederschrift ist nicht gleichzeitig, sondern aus über zwanzigjährigem Abstand erfolgt; der betreffende Satzzusammenhang zieht unverkennbar Ereignisse mehrerer Jahre zusammen in einer Weise, daß man fragen muß: gehören Datierung und Sachinformationen hier wirklich ursprünglich zusammen – oder wurden sie dem Autor zunächst getrennt überliefert und erst von ihm irrig zusammengefügt? Statt auf den ersten Sachsenzug des Königs überhaupt könnten die Angaben sich dann auf den ersten von mehreren beziehen, der das Kloster Fulda unmittelbar berührte, weil sein Vorsteher und Konvent durch ihn maßgeblich eingeschaltet wurden, während ältere Vorläufer, dem Getriebe lediglich der Welt außerhalb der Klostermauern zugehörig, hier in der Erinnerung versunken waren. Mittelalterliche Texte – das ist Binsenweisheit – dürfen nie absolut genommen werden, sondern immer nur in Relation zum Schreiber und seiner spezifischen Situation; man wird daher die zweite Möglichkeit nur ausschließen dürfen, wenn sie aus anderem Material ausdrücklich widerlegt werden kann. Dies aber scheint hier unmöglich: frühestens der Sachsenzug von 775, eher noch derjenige von 777 bietet im Gesamtbild der Überlieferung Voraussetzungen dar, in die auch die Angabe Eigils sich reibungslos einfügt21. So hat er also wohl doch in seiner späten Hist. eccl. I, 32, ed. Plummer, S. 67 f.); um so weniger sind Einzelformulierungen zur vermeintlichen Erhellung der Situation von 772 zu pressen. Daß die in diesen Briefen ausgedrückten Hoffnungen von angelsächsischen oder angelsächsisch beeinflußten Mitgliedern des fränkischen Episkopats und Mönchtums schon damals geteilt wurden, wird man für möglich halten müssen. Für die offiziell von Karl verfolgte Linie beweist auch diese Möglichkeit nichts. 20 Vita Sturmi, c. 23 (jetzt bei P. Engelbert, Die Vita Sturmi des Eigil von Fulda, Marburg 1968, S. 158) mit Datierung: Regnante feliciter domino rege Karolo annos quatuor (ohne zusätzliches Inkarnationsjähr u. dgl.) . . . Rex . . . cogitare coepit, qualiter gentem hanc Christo acquirere quivisset. – Vgl. folgen de Anm. 21. 21 Unten bei Anm. 84. – Zur Chronologie der Vita Sturmi ist zu beachten: c. 23 (wie Anm. 20) läßt dem mitgeteilten Zitat den Bericht folgen, gleich dieser „erste“ Sachsenzug Karls habe die Bekehrung gebracht. Anschließend c. 24 (S. 159 f.) wird, allerdings nach multum temporis, der Sachseneinbruch von 778 geschildert, über den unten S. 149 und 152; c. 25 (S. 160) bezeichnet dann den fränkischen Feldzug gleichen
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Aufzeichnung ein auch in Fulda festgehaltenes, doch für das Kloster selbst beziehungsloses Datum ungewollt anachronistisch zu Überlieferungen und Erinnerungen seiner Mönchsgeneration in Beziehung gesetzt, die ohne präzise Fixierung an absoluter Chronologie lebendig geblieben waren22. Die Zerstörung der Irminsul aber – dies sei nochmals betont – bedarf zum Verständnis eines derartigen Hintergrundes nicht: sie erklärt sich zwanglos aus der Tatsache, daß Kampf gegen einen heidnischen Partner im christlichen Bewußtsein zu keiner Zeit dasselbe war wie ein solcher gegen Gegner des eigenen Glaubens – selbst dann nicht, wenn es bei dem Feldzug als solchem nach Ursache und Anlaß um rein profane Angelegenheiten ging: Religionsverschiedenheit blieb, wo sie hereinspielte, ein Faktor, der auf das Maßgeblichste einwirkte, der die Grundstimmung prägte in eben jener charakteristischen Einfärbung, die jene interpretatio christiana bedingte, gekennzeichnet durch das mehr oder weniger deutliche Empfinden, daß es bei diesen „Heiden“ nicht einfach um „Andersgläubige“ ging (diesen Begriff kennt kirchliches Latein, soviel ich sehe, bis heute nicht, da fides in seinem Sprachgebrauch nicht einfach irgend ein „Glaube“ beliebiger Färbung ist, sondern einzig das nach kirchlicher Definition rechtgläubige Christentum23), sondern daß es sich eben um Teufelsdiener handele, deren Teufelswerk „dem Herrn ein Greuel“ war24. Daß eine Grundstimmung dieser Art äußerst massiver Vulgarisierungen fähig war, ist keine Frage.
Jahres, auf dem Sturm noch kurz vor seinem Tod das Kommando der Eresburg zu übernehmen hatte – insgesamt den fünften oder sogar sechsten unter Karl – als dessen zweiten (iterum rex . . . ad illam terram . . . perrexit). Die mangelhafte Orientierung ist deutlich. Die Quelle entstand ca. 794–800 (Engelbert, S. 18–20). Zu beachten ist eine jüngere Bearbeitung (nach 822; 10. Jh.?), die den chronologischen Hinweis in c. 23 streicht (Engelbert, S. 158; zur Datierung ebd. S. 46, 50–53). Das ist jedoch nicht unbedingt als Korrektur aus besserem Wissen aufzufassen (vgl. über ausgesprochen irrige Abweichungen dieser Redaktion von der Chronologie der Originalfassung ebd. S. 46 f.). – Vgl. auch M. Lintzel, Ausgewählte Schriften I, Berlin 1961, S. 98, Anm. 20, sowie S. 128–137, passim. 22 Über die Anfänge historiographischer Aufzeichnungen in Fulda sind neue Forschungen von E. Freise zu erwarten, denen man gerade vom vorliegenden Themenkreis her mit Spannung entgegensehen darf; vgl. Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e.V., Protokoll der 110. Arbeitstagung am 15. 12. 1979 (vervielfältigt). 23 Oben Beitr. X, bei Anm. 70–76. 24 Dieser Aspekt kommt m.E. zu kurz selbst bei C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935 (Ndr. Darmstadt 1974), etwa bei Behandlung der deutschen Slawenkriege ottonischer Zeit, S. 91 ff.; vgl. dazu Beitr. X, Abschn. 4, bes. auch dortige Anm. 115 mit Hinweisen auch zum „Heidenhund“; dazu ergänzend H. Dickerhof, Canum nomine gentiles designantur. Zum Heidenbild aus mittelalterli-
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Wie hätte man auf einem Zug, der als Strafexpedition für so mancherlei Grenzübergriffe gedacht war, sich die Gelegenheit entgehen lassen sollen, eine Stätte solchen Teufelsdienstes zu vernichten, mit all den erwünschten Nebenergebnissen, die eben schon gekennzeichnet wurden? Für die Zielsetzung des Unternehmens selbst aber besagt dies nichts. Es stellt sich nach alledem dar als eine Demonstration fränkischer Stärke, um in permanentem Grenzkrieg möglichst dauerhafte Ruhe zu schaffen, so, wie es Einhard – gewiß kein fehlinformierter Zeuge – in seiner Karlsvita ausdrücklich als Kriegsursache herausstellt25. Wie gesagt: nicht von Taufen ist in den Berichten über diesen Ereigniszusammenhang die Rede; wir hören lediglich noch von Verhandlung (ohne Anführung der Ergebnisse) und Geiselgestellung, was uns zu der Annahme berechtigt, sie werde der Absicherung eben des herausgearbeiteten Zweckes gedient haben. Ergänzen läßt sich lediglich, daß der König im Jahr darauf seinen ersten Italienzug antrat, ohne die Sachsengrenze nochmals besonders zu sichern26. Hielt er den dort errungenen Erfolg für dauerhaft genug? Traute er den erlangten Zusagen, ohne sich die Problematik klar zu machen, die sich dafür schon aus der besonderen Verfassungsstruktur des nordöstlichen Nachbarn ergeben mußte27 – oder wollte er ihm
chen Bibellexika, in: Secundum Regulam vivere. Festschr. N. Backmund, Windberg 1978, S. 41–71 (aus anderem Material wären weitere Ergänzungen möglich). – Eine geradezu klassische Formulierung für die Verschärfung von Kriegshandlungen durch bestehende Religionsgegensätze fand im 12. Jh. Wilhelm von Tyrus, vgl. R. Chr. Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu W. v. T., Stuttgart 1977, S. 237 f. Allerdings geschah dies aus einem Erfahrungshorizont, in dem zwei Universalreligionen aufeinanderstießen; die dortigen Voraussetzungen sind auf Gentilreligionen, zu denen auch diejenige Altsachsens gerechnet werden muß, nicht ohne weiteres übertragbar; dazu Beitr. X, Abschn. 2. 25 Einhard, Vita Karoli c. 7, ed. Waitz/Holder-Egger, S. 9. 26 Ann. Regni Fr., a. 773, ed. Kurze, S. 36, in ursprünglicher Marginalie: dimissa marca contra Saxones nulla omnino foederatione suscepta. Der Annalist scheint hier eine andere Völkerrechtsauffassung zu vertreten als Karl, was die Gültigkeitsdauer eingegangener Verträge angeht. 27 Bekanntlich fehlte in Sachsen eine Zentralgewalt mit monarchischer Regierungsbefugnis und womöglich zentralem Verwaltungssitz, wie ihn Pavia für das Langobardenreich darstellte, das nicht zuletzt deshalb so rasch zu unterwerfen war. Der sächsische Stammesverband, wie man ihn vielleicht am besten charakterisiert, war eine „segmentäre Gesellschaft“ im Sinne moderner Ethnosoziologie, als Ganzes normalerweise praktisch nichtexistent, abgesehen von seltenen verfassungsbedingten Sondersituationen. Zum damit angeführten Begriff: Chr. Sigrist, Regulierte Anarchie. Untersuchungen zum Fehlen und zur Entstehung politischer Herrschaft in segmentären Gesellschaften Afrikas, Olten-Freiburg i. Br. 1967; dazu das Altsachen betreffende Material bei Lammers 1967 und bei Last (beide wie Anm. 2). Noch die überraschende Überschätzung der Taufe
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bewußt eine Chance zur Bewährung lassen, um Weiterungen nach Möglichkeit zu vermeiden? Jedenfalls scheint sich hier eine Zurückhaltung anzudeuten, die noch weit von dem späteren Vorgehen entfernt ist, trotz der radikalen Einzelmaßnahme gegen die Irminsul. Man spürt noch nichts von dem Willen, um jeden Preis aufs Ganze zu gehen. 4. Erste Eskalationsstufe: das Kriegsziel der Christianisierung a) Die Alternative von Quierzy Erst zu 775 erscheinen Formulierungen, die zu dem aus der Rückschau zu gewinnenden „Gesamtbild“ passen, nämlich in den sog. Einhardsannalen, die im allgemeinen trotz größeren Zeitabstandes als wohlunterrichtet gelten. Dabei setzt der Quellenautor voraus, daß Karl damals seine Konzeption umstellte (consilium iniit, also nicht etwa Bekräftigung eines früheren Planes). Man sollte dies nicht überlesen28. Als Ziel soll nunmehr proklamiert worden sein, „den ungläubigen und vertragsbrüchigen Stamm der Sachsen mit Krieg zu überziehen und so lange durchzuhalten, bis sie entweder besiegt und der christlichen Religion unterworfen oder aber gänzlich ausgerottet sind“29. Auch das ist keine unmittelbare Äußerung Karls30, sondern ein historiographischer Bericht, und dies aus noch weiterer zeitlicher Entfernung als im Fall der Sturms-Vita. Man hat darum die Glaubwürdigkeit anfechten wollen; wie mir scheint, ohne zureichenden Grund.
Widukinds (oben Anm. 4) dürfte sich nicht zuletzt aus einer Übertragung fränkischer verfassungsmäßiger Denkgewohnheiten auf die ganz anderen Gegebenheiten Altsachsens erklären: der eine „Fürst“, von dem alles abhängt, der daher den Ausschlag gibt. 28 Beleg s. flg. Anm. 29 AnnqdEinh a. 777, ed. Kurze, S. 41: Cum rex in villa Carisiaco hiemaret, consilium iniit, ut perfidam ac foedifragam Saxonum gentem bello adgrederetur et eo usque perseveraret, dum aut victi christianae religioni subicerentur aut omnino tollerentur. An diese Formulierung angelehnt die jüngere dichterische Version beim sog. Poeta Saxo I, 1777 ff., MGH PL IV/1, S. 11, mit gewissen Detailergänzungen wie der Angabe, daß der Alternativbeschluß von Quierzy dort auf einem (auch urkundlich bekannten) Reichstag verkündet wurde. Um so besser und weiter bekannt mußte diese Verlautbarung sein! – Es sei darauf hingewiesen, daß K. Schoppe, Die Translatio S. Liborii und der Poeta Saxo, in: Die Warte 23, 1962, bes. S. 185–187, und 24, 1963, S. 6–8 einen interessanten Versuch vorträgt, diesen Dichter mit dem gleichfalls anonymen Verfasser der Paderborner Version genannter Translatio zu identifizieren. – Zur Glaubwürdigkeitsdiskussion für die in vorzitierter Stelle der AnnqdEinh aufgestellte Alternative von 775 vgl. noch unten bei Anm. 89–90. 30 Wo läge eine solche überhaupt vor?
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Schon die grauenvolle Alternative, die Bevölkerung eines derart großen Gebietes ausrotten zu wollen, falls die Christianisierungsabsicht mißlingen sollte, fällt m.E. zugunsten dieser Aussage ins Gewicht. Die Quelle entstand in den ersten Jahren Ludwigs des Frommen31. Sachsen war damals politisch unbezweifelbar in seiner ganzen Ausdehnung, eingeschlossen die Nordteile jenseits der Elbe, ins Frankenreich integriert, mochte es auch in religiöser, wirtschaftlicher und sonst kultureller Beziehung vielfach noch immer als „Entwicklungsland“ dastehen. In den maßgeblichen Hofkreisen, auf die auch dieses Annalenwerk zurückzuführen ist, besaß man gute Kenntnis, wie ausgedehnt, wie vielfach unwegsam Sachsen und wie zahlreich seine Bevölkerung war; man wußte, daß eine Alternative solcher Art allenfalls in relativ begrenztem Umfang realisierbar gewesen wäre. Hätte man sie damals neu erfunden, wäre sie nicht bereits überliefert gewesen? Tatsächlich spricht manches für die Annahme, daß die Franken, als sie die entscheidenden Pläne für Sachsen faßten, keine Ahnung hatten, auf was sie sich damit einließen32. Dieses Land jenseits von Rhein und Limes war, außerhalb des Römischen Imperiums liegend, nicht in den sog. Peutingerschen Tafeln erfaßt, die Karl und seine Umgebung anscheinend für ihre Vorstöße ins awarische Donaugebiet mit Nutzen heranziehen konnten33; es lag aber im wesentlichen auch abseits der damaligen Fernhandelsinteressen, so daß eine Kaufmannsschicht fehlte, der sich nähere Informationen hätten entlocken lassen, wie sie im folgenden Jahrhundert von Regensburg aus der sog. Baierische Geograph für Böhmen und sonstige Slawenländer zusammenzubringen vermochte. Man hat damit zu rechnen, daß Karl und sein Hof erst allmählich erfassen lernten, wie groß und wie schwer durchdringbar dieses Sachsenland war; folglich auch damit, daß ein Teil der vom Herrscher schließlich bewiesenen Härte sich, zugespitzt formuliert, aus einer Art Panikreak-
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Wattenbach-Levison-Löwe (wie Anm. 18), II, S. 255. Als Beispiel diene hier nur die bekannte fränkische Vorstellung von der angeblichen Dreiteilung Sachsens in Westfalen, Ostfalen und Engern, wie sie einige Jahre nach Beginn der Auseinandersetzung sichtbar wird, während moderne Forschung längst mit einer Vierteilung rechnen muß, die den gesamten nordsächsischen Bereich (die Nordliudi) als eigenständig von den genannten abhebt. Vgl. auch unten S. 371 m. Anm. 60. 33 H. Koller, Der ,mons Comagenus‘, in: MIÖG 71, 1963, S. 244 f.; vgl. auch Ders., Zur Eingliederung der Slawen in das karolingische Imperium, in: Annales Instituti Slavici 6, 1970, S. 40, 43. – Nicht vorgelegen hat: P. Uiblein, Geschichte der Altertumsforschung in Österreich vor Wolfgang Lazius, Diss. Wien 1950, S. 149 ff. (in hergehörigem Zusammenhang zitiert von H. Thaller, Die Städte der Vita Severini an der Donau, in: Carinthia I/143, 1953, S. 769 Anm. 32). 32
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tion erklärt angesichts einer unterschätzten Aufgabe, mit der man sich spürbar übernommen hatte, von der abzulassen aber unmöglich war, ohne das Gesicht zu verlieren. Die Zielsetzung, die der sog. Einhardannalist für die Neukonzeption von 775 unterstellt, erhält schon von hier aus eine starke Stütze für ihre Glaubwürdigkeit. Vor allem aber: die ganze Sachsenpolitik Karls in der Folge wirkt wie eine schrittweise, systematische Ausführung genau dieses Plans – der Einwand, von ausgesprochenen Christianisierungsmaßnahmen sei mit belanglosen Ausnahmen erst zu 776 die Rede, verschlägt nichts: Maßnahmen solcher Art brauchten schließlich ihre Anlaufzeit, und überdies ist von den Verhandlungen, die die Feldzüge von 775 beschlossen, inhaltlich wieder nichts weiter bekannt; wie weit auch vom Christentum damals schon in aller Form die Rede war, bleibt mit in diesem Dunkel – nur in so spektakulärer Form wie bei den öffentlichen Massentaufen des folgenden Jahres, die endlich auch den Historiographen Beachtung abnötigten, kann dies mit Sicherheit nicht der Fall gewesen sein. Überdies lassen sich Gründe erschließen, die eine Konzeptionsänderung im bezeichneten Sinne gerade damals ausgelöst haben können. Jener Optimismus, den Karl nach dem Erfolg von 772 hinsichtlich der Lage an der Sachsengrenze mindestens zur Schau trug34, hatte sich nicht bewährt – schon das folgende Jahr hatte während der Abwesenheit des Herrschers in Italien neue Angriffe von sächsischer Basis auf eine tief gestaffelte Grenzzone gebracht, sehr auffällig gerade auf fränkischchristliche Heiligtümer gerichtet – man wird sie sich als Rachezüge für die Zerstörung der Irminsul verständlich machen dürfen, getragen mindestens teilweise von Kräften, die an den Abmachungen von 772 gar nicht beteiligt gewesen, also durch sie nicht gebunden waren35. Schutz christlicher Kirchen – ein so wesentliches Anliegen christlichen Herrschertums – war nach dieser Seite hin also offenbar nur möglich, wenn solche gottesdienstlichen Stätten auch in sächsischem Empfinden als geheiligte Orte verankert wurden, was aber nur durch Christianisierung erreichbar war: so etwa wird man sich das Fazit vorzustellen haben, zu dem Karl nach den Ereignissen dieses Zwischenjahres gelangte, nachdem Vorstellungen wie die, eine heidnische Rache für die (in sächsischen Augen) Schändung der Irminsul durch ihn sei nichts als ein legitimer
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Oben S. 355 m. Anm. 26. Vgl. Anm. 27.
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Gegenschlag, außerhalb seiner Denkmöglichkeiten liegen mußten. Zwingt die Art, wie das sächsische Vorgehen von 773 in den Quellen notiert wird, zu der Annahme, es müsse auffälligere Züge an den Tag gelegt haben als die Vorläufer mindestens seit sehr langer Zeit, so ergibt sich als Gegenwirkung wiederum eine Potenzierung von Ziel und Einsatz auf fränkischer Seite. Man nennt dies heute eine Eskalation. Schwerer als diese allgemeine Feststellung ist es allerdings, die neue fränkische Alternative inhaltlich zu präzisieren – so, wie sie in eben diesem Winter 774/75 aufgefaßt wurde, zu einer Zeit, als konkrete Folgen wie das berüchtigte „Blutbad von Verden“ oder die Capitulatio de partibus Saxoniae mit allen begleitenden Realitäten noch in einer Zukunft lagen, die so wohl von niemandem erahnt wurde. Hier ergibt sich ein erheblicher Unsicherheitsfaktor schon daraus, daß die Formulierung, auf der allein wir fußen können, uns nur in einem historiographischen Text vorliegt, dessen Quelle wir nicht kontrollieren können. Niemand weiß, ob sie einigermaßen unmittelbar an eine offizielle Verlautbarung der für die Neuplanung entscheidenden Phase anknüpft, die dem Annalisten noch zugänglich war, oder ob er von sich aus sie frei stilisiert hat, aus persönlicher Erinnerung oder womöglich nur aus indirekter mündlicher Tradition. Da uns jedoch nichts als eben diese eine Aussage vorliegt, bleibt nichts übrig, als uns zunächst an sie zu halten: vielleicht, daß eine exakte Auslotung ihrer Konsequenzen auf Fragen hinführt, in deren Licht die verfügbaren Berichte über das Geschehen der folgenden Jahre sich anders ausnehmen als bisher. Zunächst fällt auf: der Reichstag von Quierzy, auf dem die neue Zielsetzung öffentlich proklamiert wurde, schloß mehr oder weniger unmittelbar an dasjenige Weihnachtsfest an, das nach unserer Rechnung noch in das Kalenderjahr 774 fiel, während es für die damaligen Franken schon den Neujahrstag 775 markierte. Die Festbotschaft, wie sie auch beim feierlichen Gottesdienst dieses Tages im Mittelpunkt stand und Gedanken anzog, umschließt in der Vulgatafassung die Verheißung: Gloria in altissimis (bzw. in excelsis) Deo, et in terra pax hominibus bonae voluntatis36. 36 Luc. 2, 14. – Zum Reichstag von Quierzy: BM2 1975 a–b, 176, vgl. 177. Ich vermute, daß es eine der meist kleineren Versammlungen dieser Art war, die im Herbst oder Winter dem Hauptreichstag des Jahres folgen konnte, aber nur selten ausdrücklich bezeugt werden (vgl. G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichte III, Berlin 21883, S. 572, auch 569). Allerdings war 774 möglicherweise kein normaler Reichstag voraufgegangen, weil Karl noch zur Ordnung der italienischen Verhältnisse in der Lombardei verweilte. Rückkehr war zwischen Juli 16 und Sept. 1 erfolgt (BM2 167, 167 c), woraufhin etwa
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Die Versuchung ist groß, in dem, was eben damals als Zielalternative proklamiert wurde, eine interpretierende Konsequenz dieser himmlischen Botschaft zu sehen. Die Saxonum gens hatte sich für fränkische Auffassung als perfida ac foedifraga gezeigt. Hatte sie sich nicht eben damit außerhalb der homines bonae voluntatis gestellt? War es statthaft, ihr pax zu gewähren, bevor sie sich offensichtlich in diesen Kreis eingereiht hatte? Gab es aber dafür ein anderes verbindliches Zeichen über fragwürdige Worte hinaus als das Einstimmen dieser gens in den Lobpreis des einzig wahren Gottes? Wer die Weihnachtsbotschaft mit Ohren aufnahm, die von Karls damals akuter Gegenwartserfahrung mit der benachbarten Stammesgruppe für ganz bestimmte Töne geschärft waren, dem darf eine solche Folgerung zugetraut werden, besonders, wenn er zugleich mehr oder weniger weitgehend von – vielleicht noch vergröberten – augustinischen Gedankengängen beeinflußt war37. So wird man die Möglichkeit eines Ausblicks in dieser Richtung nicht leichthin verwerfen dürfen, auch wenn der Bereich des exakt Nachweisbaren mit solchen Feststellungen verlassen ist. Doch gleichgültig, ob die Alternative von Quierzy nun von Reflexen einer so interpretierten Weihnachtsbotschaft mitbestimmt wurde oder nicht: in jedem Fall ist sie von einer Unerbittlichkeit geprägt, die von je her Beachtung gefunden hat. Wohl erstmals in der Geschichte zumindest Europas wurde hier einer ganzen großen, geschlossenen Bevölkerungsgruppe, sofern sie sich nicht ganz bestimmten religiösen Normen fügen wollte, in bestimmter Weise die Ausmerzung angedroht; zwar sicher nicht als Wunschziel, doch als offen anvisierte Möglichkeit. Wie diese Ausmerzung zu geschehen hätte, wird in dieser Startsituation naturgemäß nicht präzisiert: sicher ist nicht allein an physische Vernichtung
Anfang September vier Kriegsscharen gegen die Sachsen entsandt worden waren (ebd. 169a). 37 Nach bekannter Mitteilung Einhards erfreuten sich augustinische Schriften, bes. De civitate Dei, besonderer Wertschätzung Karls (Vita Karoli, c. 24, ed. Kurze, S. 29); dazu c. 25, S. 30, über Karls Lateinverständnis). Allerdings wissen wir nicht, wann der König die intensivere Beziehung zu diesem Kirchenvater aufnahm. Über die Bedeutung von (wenn auch kaum immer recht verstandenen) augustinischen Elementen für die Karlszeit: J. Rüngeler, Das Bild Karls d. Gr. in der zeitgenössischen Annalistik und in der Gedichts- und Briefliteratur, Diss. Münster 1937, S. 14–62, passim. bes. S. 35 ff. mit Lit. (bes. S. 34 Anm. 57–58); ebd. 17–21 über das augustinisch gefärbte Feindbild, das die Annalen von den heidnischen Sachsen entwerfen. Zur Problematik der augustinischen pax genüge hier der Hinweis auf die Zusammenstellungen von H. Beumann, Widukind von Korvey, Weimar 1950, S. 210, bes. Anm. 1 u. 4. Vgl. auch unten Anm. 92.
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sämtlicher Individuen zu denken, deren man habhaft werden konnte, sondern etwa auch an Zerstreuung durch Flucht und Deportation, wie sie ja später in Sachsen auch tatsächlich eingesetzt wurde. Der Wille zu äußerster Härte wird davon nur wenig berührt. Sehr viel weniger klar als das zweite ist das erste Glied der Alternative. Sehr eindeutig ist hier von Christianisierung die Rede, was immer man damals darunter verstehen mochte38. Was aber wird hier eigentlich darüber hinaus ins Auge gefaßt? Der Text verlangt, daß die Sachsen victi christianae religioni subicerentur39. Was heißt hier: victi? Zieht man zum Vergleich diejenige Formulierung Gregors d. Gr. heran, die für die Grundlegung des sog. indirekten Missionskrieges maßgeblich wurde (als der einzigen Form kriegerischen Einsatzes mit missionarischem Ziel, die bis dahin kirchlich approbiert worden war40), so fällt auf, daß dort – bezogen auf das Römische Imperium jener Zeit – die Rede ist von der dilatanda res publica, in qua Deum coli conspicimus, quatenus Christi nomen per subditas gentes fidei praedicatione circumquaque discurrat41. Es ist deutlich: für die rein missionarische Seite des Problems zeigt der Kirchenvater aus seiner seelsorgerischen Erfahrung und Verantwortung auffällig mehr Zurückhaltung und Vorsicht. Spiegelt seine Verlautbarung deutlich die Vorstellung: erst Unterwerfung, dann Christianisierung, und zwar durch das Mittel
38 Hierzu ist die im Mittelalter weitverbreitete Auffassung zu beachten, nach der der bloße Taufvollzug den Christen mache, unabhängig vom Entwicklungsstand seiner inneren Überzeugung, vgl. Kahl (wie Anm. 3), S. 45–55. Beim primitiven Entwicklungsstand der Theologie, wie er noch für die Anfangsphase der Regierung Karls im Frankenreich vorausgesetzt werden muß, ist nicht zu bezweifeln, daß diese Auffassung auch für den vorliegenden Zusammenhang zugrundezulegen ist. Erst später, möglicherweise vor allem unter Einfluß Alkwins, kam es in dieser Hinsicht zu grundlegender Neubesinnung, wie sie ihren Niederschlag in den Akten des sog. Donaukonzils von 796 und den dort festgelegten Richtlinien für die Christianisierung des neueroberten Awarenreiches fand (MG Concil. II, 172–76; nach L. Kilger, Die Taufvorbereitung in der frühmittelalterlichen Benediktinermission, in: H. S. Brechter (Hrsg.), Benedictus, der Vater des Abendlandes, München 1947, S. 517, zwischen Augustinus und der Mexikanermission „die einzigen etwas ausführlicheren Anweisungen und Erlasse über die Frage der Taufvorbereitung, die auf uns gekommen sind, vom Standpunkt der Heidenmission aus“. Vgl. auch E. Varrentrapp, Über den Zusammenhang von Taufe und kirchlicher Unterweisung in der christlichen Frühzeit Deutschlands, Diss. theol./masch. Marburg 1946, sowie unten S. 156 ff. 39 Vgl. Anm. 29. 40 Beitrag X, S. 323–335, dazu S. 308–323, bes. S. 316 ff. über die älteren, hier aber fernzuhaltenden Lehren Augustins hinsichtlich legitimer Gewaltanwendung im Dienst innerkirchlicher Disziplin. 41 Greg. Magn., Reg. Epp. I/73 (MGH EE I, 93, 16 ff.); JL 1142. Dazu Beitrag X, S. 328–333, bes. auch Anm. 126 u. 129.
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der Predigt42, so läßt der karolingische Wortlaut die Aufnahme einer Bekehrungspflicht gleich unmittelbar in die Friedensbedingungen zu, bevor eine intensivere Predigtwirkung eingetreten sein konnte: insofern liegt hier in der Planung mindestens der Möglichkeit nach etwas kirchengeschichtlich völlig Neues vor, nämlich ein direkter Missionskrieg, der nicht Vorbereitung eines Missionswerks, sondern selbst Missionsmittel ist43. Was jedoch die militärisch-machtpolitische Seite des Vorgehens angeht, so ist unverkennbar, daß Gregor ungleich weitergehende Ausdrücke benutzt als der fränkische Annalist: subdere fehlt bei dem jüngeren Autor ebenso wie vergleichbare Termini, die man erwarten könnte, etwa subiugare44. Ein bloßes vinci ist ohne Zweifel die Voraussetzung für jeden so zu bezeichnenden Zustand, doch ist ebenso unbezweifelbar, daß dergleichen nicht die einzige Folge darstellt, die sich aus einem militärischen Siege ergeben mag. Damit stellt sich, sehr merkwürdig, eine völlig unerwartete Frage: wie verhielten sich in der Konzeption von 775 die Aspekte, die später so untrennbar verbunden erscheinen – Missionierungsziel und Annexionsabsicht? War es womöglich so, daß die zweite neben der ersten damals noch gar nicht im Blick war – zumindest nicht für das Ganze des Sachsenlandes, die Saxonum gens als solche, und nicht als vollständige Einverleibung in das Karlsreich? Gab es womöglich eine Phase, in der die Herstellung „christlicher Bruderschaft“, etwa kombiniert mit einer loseren Form der Angliederung, erleichtert durch gewisse Grenzkorrekturen, als ausreichendes Mittel zur Friedenssicherung an dieser Grenze erschien, und was im weiteren Verlauf hierüber hinausging, ergab sich erst nachträglich, als Folge weiterer „Eskalation“? Wenn es Antwort gibt, kann sie einzig aus dem weiteren Gang der Ereignisse abgeleitet werden. b) Der erste Ansatz zur Verwirklichung: Friedliche Christianisierung unter bloßer Hegemonie Der Feldzug, der auf die neue Entscheidung folgte, drang tief in Sachsen ein wie noch keiner der Franken zuvor. Karl eroberte zwei zur
42
Beitrag X, Anm. 129. Ebd., S. 333 f. 44 Dazu H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jhs., Köln-Graz 1964, S. 20 mit Anm. 21. 43
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Verkehrskontrolle wichtige Burgen in relativer Grenznähe, „Siegburg“ und „Eresburg“ (in unserer Vorstellung: Hohensyburg an der Ruhr und Obermarsberg an der Diemel); er erkämpfte gegen nachhaltigeren Widerstand den Weserübergang, drang bis in die Gegend des heutigen Wolfenbüttel vor und erreichte daraufhin, daß sich ihm sächsische Partner nacheinander zu drei getrennten Vereinbarungen stellten, vielleicht auch schon zu Taufen45. Es scheint, daß es diesmal bereits zu förmlichen Annexionen kam. Allerdings wartet das Quellenmaterial, vom bisher herrschenden Bilde her gesehen, dafür erneut mit einer Überraschung auf. Den einzigen einschlägigen Beleg liefern die Northumbrischen Annalen, spät überliefert, in den hier entscheidenden Aufzeichnungen jedoch offenbar einigermaßen gleichzeitig entstanden auf Grund von Informationen, die mit den alten, guten Verbindungen zwischen Angelsachsen und „Altsachsen“ zusammenhängen dürften. Jeder lobt daher ihren Quellenwert; doch wurden sie in den hier entscheidenden Angaben schon wirklich benutzt? Der Bericht verzeichnet einen außerordentlich verheerenden Verwüstungskrieg des Frankenkönigs (quam magnis et inedicibilibus regionem praeliis gravissimis vastavit, igne ferroque debacchans, quia erat consternatus animo). „Endlich“, heißt es weiter, „gliederte er seinem Herrschaftsbereich zwei Burgen an, Siegburg und Eresburg“, dazu – eine Wendung, die der Interpretation bedarf – provinciam Bohweri, olim a Francis oppressam46.
45 Die sog. Ann. Sangall. Baluzii, a. 775 (MGH SS I, S. 63) berichten von Taufen schon in diesem Jahre, allerdings als einzige Quelle; vgl. Lintzel (wie Anm. 21), S. 99 f. mit Anm. 25. Um spektakuläre Massentaufen dürfte es sich jedenfalls nicht gehandelt haben. Es erhöht die Glaubwürdigkeit des sog. Einhardsannalisten, daß er die Kriegserfolge des von ihm herausgestellten Epochenjahres 775 in der Berichterstattung nicht bereits diesem Programm anpaßt! Auch der Glückwunschbrief, den Papst Hadrian I. dem König im gleichen Jahre noch nach Sachsen hin übermitteln ließ, weist nicht unbedingt auf bereits erreichte Christianisierungserfolge hin (JL 2420; MGH EE III, S. 574, 5). – Schneider (wie Anm. 2), S. 234, hebt hervor, daß ab 776 in den Reichsannalen vom Kampf der Sachsen adversus christianos die Rede sei. Die fraglichen Stellen (ed. Kurze, S. 44 und 46) finden sich jedoch nur in ursprünglicher Marginalie, die die Überlieferung z.T. an unterschiedlichen Stellen erst nachträglich in den Text gezogen hat (vgl. den zugehörigen textkritischen Apparat); ebenfalls in ursprünglicher Marginalie ist bereits zu 773 (S. 38) neben Franci und Saxones von christiani und pagani die Rede. Wer wollte diese Zusätze dem Ursprung nach chronologisch fixieren? Für die Konzeptionsänderung von 775 können sie nicht als Stütze herangezogen werden. 46 Ann. Northumbr. a. 775 (MGH SS XIII, S. 155).
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Der Gebietsname ist eindeutig verballhornt, wie dies in längerer Überlieferungsspanne, womöglich mit Zwischengliedern, gerade bei ungeläufigen Formen fremder Herkunft so leicht geschieht. Opprimere weist auf eine militärische Vergewaltigung. A Francis ist an sich doppeldeutig: rein vom Wortlaut her kann hier an ein Gebiet, dem solche Drangsal fränkischerseits zugefügt wurde, ebensowohl gedacht werden wie an eins, das sie auf Kosten des merowingisch-karolingischen Reichsvolks erleiden mußte. Da aber nach Meinung des Annalisten eine fränkische Annexion dort in eben diesem Jahre 775 erfolgte, ist für die Vorgeschichte an die zweite Möglichkeit zu denken. Ältere Deutungsvorschläge für die Lokalisierung der fraglichen Region faßten den Bucki-Gau (um Bückeburg), ja selbst Bayern ins Auge47. Kann man sie anders als abwegig nennen? Im ersten Fall fehlt die Landverbindung, doch offenbar auch jede Spur früherer Zugehörigkeit zum Frankenreich; gegen den zweiten Vorschlag sprechen sowohl geographische wie historische Gründe erst recht – eigentlich so offenkundig, daß es sich erübrigt, sie namhaft zu machen. Doch es saßen noch im 7. Jh. zwischen Lippe und Ruhr, also etwa um Dortmund und Soest, die alten Brukterer; um 694/95 wurden sie von den Sachsen überschichtet – ein Teil wich daraufhin ins untere Diemelgebiet, links der oberen Weser, aus, verfiel aber dort in der Folge dem gleichen Schicksal. Namensformen wie Borahtra, Borhtari finden sich für diese Gegenden noch im 8. und 9. Jh. (teilweise strittig, auf welche der beiden zu beziehen); für die zweite erscheint noch 1033 urkundlich Bohteresgo. Alle diese Formen stimmen im Anlaut zum Bohweri der Annales Northumbrani48.
47
Vgl. MGH SS XIII, Index, S. 765. Borahtra: Vita Liudgeri III,11 (MGH SS II, S. 417, 11); Borhtari: JL 2246 a. 737 (?), MGH EE III, S. 219, 16; vgl. Porathani (Parahtani): Arbeo v. Freising, Vita Haimhrammi, c. 37, ed. Krusch 1920, S. 85, dazu ebd. Anm. 1; Bortrini, Bortrenses: Capitulare Saxonicum a. 797, c. 11 (MGH Cap. I, 72, S. 35 ff.); in pago Boratre: Schenkungsurkunde Ludwigs d. Frommen 833 Apr. 1 (in: R. Wilmans, Kaiserurkunden der Provinz Westfalen I, Münster 1867, S. 36, n. 12; zugleich ein wichtiger Hinweis auf Königsgut in diesem Bereich von Lippstadt und Soest!); DLD 93 a. 858 Jun. 13 (S. 135, 10): in pagis . . . Boroctra (dazu Wilmans, S. 145). Vgl. auch Burcturi auf den Peutingerschen Tafeln, Segm. III, zwischen Francia und Suevia (ed. K. Miller, Tabula Peutingeriana, 1887/ 88, Ndr. 1961). Die Zusammenstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. – Bohteresgo: D. Ko. II, 198, a. 1033 Aug. 2 (S. 263, 32 f.). – Art. „Brukterer“ in der Neubearbeitung des Reallexikons der Germanischen Altertumskunde, Berlin-New York 1973 ff., liegt noch nicht vor. Vgl. noch R. Wenskus, Stammesbildung und Verfassung, Köln-Graz 1961, S. 522 f., sowie L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme: Westgermanen, München 1938, S. 51 ff.; dazu über das Fortleben der alten 48
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Sollte deren spätüberlieferte Form nicht die Verballhornung einer angelsächsischen Entsprechung darstellen zu dem bei Beda latinisiert bezeugten Boructuari49, in dem außer dem Bo – auch noch das – were sein Gegenstück findet (wie übrigens wohl auch noch in der zweiten Silbe des Bohteresgo, mit in dieser Stellung, wie üblich, geschwundenem -w-)? Wir kämen damit insgesamt auf ein Gebiet, das für das Frankenreich nach dem Stande vor 775 unmittelbarer Anrainer war und sich schon dadurch zur Angliederung eignete. Es schloß die beiden ausdrücklich genannten Burgen ein, doch zweifellos auch denjenigen Ort, der sich auf der Verbindungsroute zwischen ihnen schlechterdings nicht umgehen ließ: das verkehrspolitisch und strategisch so unerhört wichtige Paderborn50, das dabei bemerkenswerterweise noch nicht genannt ist,
ethnischen Einheit im Gedächtnis der Bevölkerung zwischen den Gegenden nahe Essen und Erwitte sowie Lippe und Hellweg bis gegen 1000: H. Rothert, Das St. Patroklistift zu Soest, in: Jahrb. d. Vereins f. Evang. Kirchengesch. Westfalens 16, 1914/15, S. 60 f. – Nachträglich sehe ich, daß bereits Ders. (wie Anm. 11), S. 44, Anm. 20 Bohweri als „Brukterergau“ aufgefaßt hat, allerdings ohne Begründung. Die Feststellungen ebd. S. 46 über die relativ früh in diesem Gebiet eingetretene Ruhe stimmen gut zu der oben weiter im Text zu entwickelnden Annahme einer kurzlebigen „Sachsenmark“, die bald durch die weiteren Ereignisse gegenstandslos wurde. – Vgl. nachstehend Anm. 51. 49 Beda, Hist. Eccles. V, 10 u. 11, ed. Plummer, S. 296 bzw. 302, samt dortigen Anmerkungen. 50 W. Görich, Gedanken zur Verkehrslage und Siedlungsentwicklung von Paderborn im frühen Mittelalter, in: Westf. Forsch. 10, 1957, S. 158–167 (z.T. durch neuere Grabungen überholt); K. Schoppe, Das karolingische Paderborn I, Paderborn 1967, S. 10–12 (mit Skizze). Schon H. Krüger, Die vorgeschichtlichen Straßen in den Sachsenkriegen Karls d. Gr., in: Korrespondenzblatt des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine 80, 1932, S. 223–280, passim, bes. Schlußkarte 5, erkannte, daß die Sachsenfeldzüge Karls großenteils über Paderborn gingen, übrigens meist von der Südroute her, an der auch die Eresburg lag. Vgl. noch zwei materialreiche, doch im ganzen mit Vorsicht zu benutzende Arbeiten, nämlich B. Ortmann, Vororte Westfalens seit germanischer Zeit, Paderborn 1949, S. 87–102, passim, sowie H. Kindl, Padaribrunno, in: Westf. Zschr. 115, 1965, S. 368–373 (vor den etymologischen Teilen der Arbeit ist besonders zu warnen). – Hohensyburg (jedenfalls zum westfälischen Bruktererland zu rechnen): J. Ramackers, Die rheinischen Aufmarschstraßen in den Sachsenkriegen Karls d. Gr., in: Ann. d. Hist. Vereins f. d. Niederrhein 142/43, 1943, S. 11 f. mit Anm. 27 sowie W. Winkelmann, Ausgrabungen auf dem Domhof in Münster, in: A. Schröer (Hrsg.), Monasterium. Festschrift zum 700jährigen Gedächtnis des Paulus-Doms zu Münster, Münster 1967, S. 33. – Eresburg: A. K. Hömberg, Zwischen Rhein und Weser, Münster 1967, bes. S. 94–96, vgl. S. 80; H. Büttner – I. Dietrich, Weserland und Hessen im Kräftespiel der karolingischen und frühen ottonischen Politik, in: Westfalen 30, 1952, S. 135; U. Bockshammer, Territorialgeschichte der Grafschaft Waldeck, Marburg 1958, S. 7; F. Schwind, Die Franken in Althessen, in: W. Schlesinger (Hrsg.), Althessen im Frankenreich, Sigmaringen 1975, S. 232, Anm. 120; vgl. Winkelmann, wie oben; Lintzel (wie Anm. 21), I, S. 107 mit Anm. 6, vgl. S. 111, vermutet, diese Burg sei schon 772 von den Franken besetzt geblieben und 774 wieder an die Sachsen verlorengegangen, die sie zerstörten. Die Quellenbasis dafür ist jedoch äußerst unsicher und läßt auch
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an Bedeutung also damals – zumindest als befestigter Ort – wohl noch hinter den beiden Burgen zurückstand, wenngleich sie beide an ihrem jeweiligen Platz gerade den Zugang zum dortigen Bereich deckten. Nicht zuletzt wäre für den so umschriebenen Gebietsstreifen insgesamt die Bedingung vormaliger sächsischer Überschichtung auf fränkische Kosten erfüllt, die der zitierte Quellenwortlaut uns aufnötigt51. Die Annexion eines wichtigen Teilgebietes im Grenzbereich, verbunden mit einer abwartenden Haltung gegenüber der weitergehenden Entwicklung, entsprach in militärisch-machtpolitischer Auseinandersetzung des Frankenreichs mit unabhängigen Gebilden der Nachbarschaft einer Tradition des karolingischen Hauses. Karls Vorfahren waren so schon um die Wende vom 7. zum 8. Jh. gegenüber den Friesen vorgegangen52,
ganz andere Deutungen zu, vgl. H.-J. Schulze, Der Beginn der Sachsenkriege Karls d. Gr., in: Zschr. f. Gesch. Wiss. 4, 1956, S. 770, Anm. 26. Sollte die Annahme trotzdem zutreffen, so dürfte es sich um ein Faustpfand zur Friedenssicherung gehandelt haben; auch das wäre kein Beweis für schon 772 bestehende Okkupationsabsichten auch nur hinsichtlich größerer Teile des Sachsenlandes. 51 Die sächsische Expansion ins westfälische Bruktererland (um 694?) ist besser bekannt als diejenige des Diemelgebiets (erst gegen 715?). Da die Zuweisung der oben Anm. 48 aufgeführten Belege teilweise kontrovers ist, wird nachstehende Literaturauswahl nicht nach Bereichen getrennt: E. E. Stengel, Heimatgeschichte und allgemeine Geschichte, in: Heimat und Arbeit. Monatshefte für pädagogische Politik 7, 1934, S. 79; Ders., Abhandlungen und Untersuchungen zur Hessischen Geschichte, Marburg 1960, S. 348–352; Hennecke (wie Anm. 13), S. 64 f. mit Anm. 13; G. Pfeiffer, Geschichtliche Einleitung zu Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen 44: Kreis Warburg, Münster 1939, S. 7 f.; Lintzel (wie Anm. 20), I, S. 25; H. Rademacher, Die Anfänge der Sachsenmission südlich der Lippe, in: Westfalia Sacra II, Münster 1950, S. 136–140, vgl. S. 159, 162, 164 (missionsgeschichtlich vielfach mit Vorsicht zu benutzen!); R. Jahn, Essener Geschichte. Die geschichtliche Entwicklung im Raum der Großstadt Essen, Essen 1952, S. 9; W. Winkelmann, Frethenna praeclara – Berühmtes Vreden. Vorbericht über die Ausgrabungen unter der Pfarrkirche in Vreden (Kr. Ahaus) 1949–1951, in: Vredener Festbuch, hg. v. der Stadt Vreden, Vreden 1952, S. 26; E. Ewig, Spätantikes und fränkisches Gallien I, München 1976, S. 475, 488–490 mit Anm. 81; F. Petri, Stamm und Land im frühmittelalterlichen Nordwesten nach neuerer historischer Forschung, in: Westf. Forsch. 8, 1955, S. 13 f., vgl. S. 15; Gollub (wie Anm. 11), S. 13; A. K. Hömberg, Westfalen und das sächsische Herzogtum, Münster 1963, S. 9 f.; Ders., Kirchliche und weltliche Landesorganisation des südlichen Westfalen, Münster 1965, S. 97 f. mit Anm. 4, vgl. S. 109: Lammers, Entstehung (wie Anm. 2), S. 289 mit Anm. 99–100, vgl. auch S. 329; Niemeyer (wie Anm. 13), S. 149–152, vgl. S. 162; K. Weidemann, Die frühe Christianisierung zwischen Schelde und Elbe im Spiegel der Grabsitten, in: Lammers, Eingliederung (wie Anm. 2), S. 393, vgl. S. 401 f., 405 f.; Schlesinger (wie Anm. 2), S. 18 mit Anm. 50–51. Weiteres in der Lit. zu den beiden Burgen in Anm. 50. 52 W. H. Fritze, Zur Entstehungsgeschichte des Bistums Utrecht, in: Rhein. Vierteljahrsbll. 35, 1971, S. 113 f., 130 f., 140–148; vgl. H. Löwe, Deutschland im fränkischen Reich, in: B. Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte I, hg. v. H. Grundmann, Ndr. Stuttgart 91973, S. 151 mit Anm. 8; dazu A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands I, Berlin 81954, S. 408 f. mit Anm. 2 (S. 409).
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später gegen die Alamannen53 und ebenso gegen die Baiern – in deren Fall wird das abgetretene Gebiet ähnlich wie im vorliegenden allein durch die beiden wichtigsten Zentren, die Fiskalhöfe Lauterhofen und Ingolstadt, bezeichnet, ohne daß an der Übertragung der betroffenen westlichen Nordgauregion insgesamt gezweifelt werden kann54. Entsprechendes war offenbar auch gegenüber dem südöstlichen Sachsen geschehen, noch bevor Karl selbst zur Regierung kam55; er selbst übte die gleiche Praxis später im Hinblick auf das bekriegte Awarenreich und ebenso das sarazenische Spanien56. Die beachtliche Zahl dieser Fälle eröffnet aufschlußreiche Perspektiven für die Möglichkeiten, die sich von solchermaßen verbesserter Basis aus nutzen ließen. Auf friesischem Annexionsgebiet z.B. entstand
53 O. Feger, Geschichte des Bodenseeraumes I, Lindau 1956, S. 98 f.; B. Behr, Das alemannische Herzogtum bis 750, Bern 1975, S. 177–187, passim; dazu H. G. Walther, Der Fiskus Bodman, in: H. Berner (Hrsg.), Bodman I, Sigmaringen 1977, S. 231–243, passim, mit weiteren Nachweisen. Vgl. auch Schlesinger (wie Anm. 2), S. 53 f., 56. 54 E. Frh. v. Guttenberg, Stammesgrenzen und Volkstum im Gebiet der Rednitz und Altmühl, in: Jb. f. fränk. Landesforschung 8/9, 1943, S. 15–17, dazu über die Abgrenzung 6–15 und über Siedlungsvorgänge, die diesen Entwicklungen folgten, S. 20 ff., bes. S. 24; vgl. S. 27, 52 f., 65 f.; K. Reindel, Grundlegung: Das Zeitalter der Agilolfinger, in: M. Spindler (Hrsg.), Handbuch der Bayerischen Geschichte I, München 1967, S. 124 (Neuauflage in Vorbereitung), unter Hinweis auf H. Dachs, Der Umfang der kolonisatorischen Erschließung der Oberpfalz bis zum Ausgang der Agilolfingerzeit, in: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 86, 1936, S. 159 ff.; vgl. H. Löwe, Die karolingische Reichsgründung und der Südosten, Stuttgart 1937, S. 9; A. Klingsporn, Beobachtungen zur Frage der bayerisch-fränkischen Beziehungen im 8. Jh., Diss. Freiburg i. Br. 1965, S. 47–50 (dabei und weiter aufschlußreiche Beobachtungen über die Ausnutzung der gewonnenen Basis zur Infiltration des annexionsfrei gebliebenen Hauptteils des baierischen Herzogtums); Schlesinger (wie Anm. 2), S. 44. H. Wolfram, Die Notitia Arnonis und ähnliche Formen der Rechtssicherung im nachagilolfingischen Bayern, in: Vorträge u. Forsch. 23, 1968, S. 160 mit Anm. 17 sowie S. 117 f. mit Anm. 118, 120; ferner Ders., Der Zeitpunkt der Bischofsweihe Virgils von Salzburg, in: MIÖG 79, 1971, S. 307 f. weist auf Konseguenzen der durch die Abtretungen seiner Vorgänger entstandenen geopolitischen Lage für die Politik Tassilos III. hin. Zur fränkischen Siedlungspolitik nach diesen Abtretungen noch E. Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern, Nürnberg 1960, S. 81–84, mit wichtigen Einschränkungen zum Ausmaß beteiligter fränkischer Elemente (neben stammesbaierischen). 55 Vgl. oben S. 349 mit Anm. 13. – J. Hörle, Hersfeld oder Fulda?, in: Die Stiftsruine II/17, Hersfeld 1943, S. 94 entwickelt die Meinung, das Diemelgebiet um die Eresburg sei schon unter Karl Martell als eine Art Grenzmark des Frankenreiches aufgefaßt und in die bonifatianische Bistumsplanung einbezogen worden; das später tatsächlich in Büraburg errichtete Bistum habe seinen Sitz in einer Rückzugsstellung erhalten. Die These, vor allem auf eine Konjektur gegründet, scheint weitgehend abwegig; vgl. aber E. E. Stengel, Abhandlungen (wie Anm. 51), S. 349. 56 J. Deer, Karl d. Gr. und der Untergang des Awarenreiches, in: Vortr. u. Forsch. 21, 1977, s. 344 f. mit Lit. – R. Menéndez Pidal (Hrsg.), Historia de España VI, Madrid 1956, S. 424–488, bes. 438 ff., 443 ff.
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in geschickter Ausnutzung von Chancen, die sich durch gleichzeitiges Auftreten angelsächsischer Glaubensboten eröffneten, das Missionsbistum Utrecht, dem seitens der Reichsgewalt zweifellos die Aufgabe zugedacht war, auf seine Weise befriedend auf die frei gebliebenen Friesen mit einzuwirken, mochten seine Träger selbst auch politisch zurückhaltender sein. In der Folge kamen die Verhältnisse in wellenartige Bewegung, bis Karl Martell 733–34 mit großem Kraftaufwand die dortige Frankengrenze erneut und weiter vorschob. Ostfriesland wurde auch damals noch nicht gewonnen, sondern erst im Zusammenhang der Sachsenkriege seines Enkels; das „überseeische“ Emigrations- und Kolonisationsgebiet der Nordfriesen blieb ganz außerhalb der Reichweite fränkischer Heere, da es sich in der dänischen Einflußsphäre gebildet hatte. Auf awarische Kosten wurde zunächst nur die bisher vom Gegner kontrollierte Grenzwüstung zwischen Enns und Wienerwald grafschaftlich organisiert, nicht das eigentliche Awarengebiet. Dieses wurde teils in eine Art abhängiges Reservat für dessen bisheriges Reichsvolk umgewandelt, teils mehr oder weniger sich selbst überlassen, so daß dort erhebliche ethnische Umschichtungen zugunsten slawischer Elemente möglich wurden. Der Anspruch karolingischer Oberhoheit drang nach Osten hin niemals über die Donaugrenze des alten Pannonien vor, obwohl das Hauptzentrum des zerstörten Reichsgebildes erst jenseits des Stromes gelegen hatte. Entsprechend mußte Karl sich in Spanien mit ungefährer Sicherung der Ebrolinie begnügen, die als „Spanische Mark“ wenigstens ein weitläufiges Glacis vor die Pyrenäenpässe legte. Im baierischen Fall schließlich gewann der fränkische Eroberer ein Aufmarschgebiet mit strategisch wichtiger Straße und einen besonders bedeutsamen Brückenkopf südlich der Donau, keine zwei Tagemärsche von Regensburg, dem Hauptort des besiegten Herzogtums. Das so gewonnene Sprungbrett wurde genutzt, um von dort aus das übrige Land so intensiv wie möglich zu infiltrieren – besonders, als das Schicksal dem Frankenkönig für Jahre maßgeblichen Einfluß auf die Vormundschaftsregierung für den jungen Tassilo III. in die Hände spielte. In späterer Phase war es daraufhin sogar möglich, daß Karl „Lauterhofen und Ingolstadt“, also das vormals abgetretene Gebiet, lehensweise an diesen Vetter zurückgab, als er noch einmal einen friedlichen Ausgleich versuchte. Rechtlich aber blieb Baiern bis zum definitiven Sturz des letzten Agilolfingers (788) mit seinem Hauptgebiet, wenn auch unter fränkischer Oberhoheit, ein autonomer Staat, der die Möglichkeit behielt, zunächst maßgeblich an der Erhebung Grifos gegen die karolin-
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gischen Halbbrüder mitzuwirken und später nochmals jahrzehntelang eine De facto-Unabhängigkeit zu gewinnen, bis dann schließlich doch die vollständige Einverleibung erfolgte – rund sechs Jahrzehnte (soweit unsichere Datierungen hier eine Aussage gestatten) nach der ersten Abtretung des Randgebietes, von dem die Rede war. Was sich, wie vorgeführt, aus den Angaben des northumbrischen Annalisten zu 775 ableiten läßt, fügt sich aufs Beste in dergleichen Zusammenhänge ein. Karl hätte mit dem Landstreifen, den Hohensyburg und Eresburg beherrschten, den wichtigen Hellweg jedenfalls bis Paderborn unter seine unmittelbare Kontrolle gebracht, weiter den dortigen Verkehrsknotenpunkt und den Straßenzug von ihm nach dem längst fränkischen Fritzlar hin; das heißt: er hätte vom Rhein nach Hessen und weiter nach Thüringen, die bisher füreinander über fränkisches Reichsgebiet nur mittels zeitraubender Umwege erreichbar gewesen waren, eine relativ kurze Direktverbindung gewonnen; zugleich aber hätte er eine strategisch vorteilhafte Position gegen die bisher so unruhigen Nachbarn hergestellt, die nicht nur die fränkische Abwehrstellung stärkte, sondern notfalls auch weiteres Eingreifen im übrigen Sachsenlande erleichtern mußte. Dies alles wäre geschehen im wesentlichen in Wiederherstellung sächsischerseits verletzter fränkischer Rechte. Mehr aber wäre, was die Ausdehnung der unmittelbaren Reichsgrenze anging, damals nicht durchgesetzt worden, ganz analog all den vorgeführten älteren und auch jüngeren Fällen. Nichts also ist ersichtlich, was uns berechtigen könnte, neben anderen Angaben des northumbrischen Annalisten auch diese anders als ernst zu nehmen; im Gegenteil: die Angaben der fränkischen Quellen fügen sich mit der vorgetragenen Interpretation dieser angelsächsischen Nachricht vorzüglich zusammen. Eroberung der beiden genannten Burgen nämlich wird auch durch sie bezeugt; die Berichte zum folgenden Jahre 776 lassen erkennen, daß damals dort fränkische Besatzungen lagen und mindestens auf der Hohensyburg eine christliche Kirche bestand57. Das paßt sehr wohl zu einer festen Annexion in den Formen, die für damalige Zeiten bekannt sind, nämlich bevorzugte Sicherung strategisch wichtiger Plätze und über sie Kontrolle bedeutender Verkehrswege, in deren Entfernung sich der Einfluß der neuen Machthaber naturgemäß verdünnte. Weitere fränkische Stützpunkte aber, zumal außerhalb des umschriebe-
57
Vgl. bes. Ann. Regni Fr. a. 776, ed. Kurze, S. 44.
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nen Grenzbereichs, werden für dieses Folgejahr in den Quellen nicht genannt, obwohl sie, hätte es sie gegeben, damals gewiß nicht minder unter den erneuerten sächsischen Druck geraten wären; dazu ist wohl zu beachten, daß als Ergebnis der neuen Kämpfe die Errichtung einer zusätzlichen fränkischen Burg im Lippegebiet ausdrücklich und mehrfach verzeichnet wird; mit anderen Worten: auf solchen Ausbau der eigenen Stellung in diesen Jahren und seine Fortschritte wurde von den Quellenautoren geachtet. Schon insofern fehlt es also für 775 an Hinweisen für ein fränkisches Ausgreifen über die Randzone hinaus, auf die der Bericht aus Northumbrien hinführt, wenn er hier richtig ausgelegt wurde. Zu diesem Befund ist aber sogar noch eine Negativprobe möglich: im Hinblick auf die Ostsachsen wird in der gleichen fränkischen Quellengruppe die Herstellung eines Verhältnisses angegeben, das nach der entscheidenden Formulierung gerade nicht wie eine unmittelbare gebietsmäßige Angliederung aussieht, sondern wie eine Art Bündnisschluß, und das, obwohl diese Quellengruppe doch zur Übertreibung der Erfolge des Königs, zum Herunterspielen seiner Mißerfolge neigt. Die Reichsannalen schreiben von diesen Vertragspartnern: iuraverunt . . . se fidèles esse partibus . . . regis; ich betone das partibus: verglichen mit üblichen Formulierungen wie fideles esse regi u. dgl. m. dürfte es, von fränkischer Seite formuliert, die geringe Intensität der hergestellten Bindung besonders unterstreichen, etwa im Sinn der Begründung, modern gesprochen: eines „Satelliten“–Verhältnisses, einer der Rechtsform nach äußerst losen Oberherrschaft unter voller Wahrung der Autonomie nach innen58. Von
58 B. Grafenauer, Großmähren, Unterpannonien und Karantanien, in: F. Graus (Hrsg.), Das Großmährische Reich, Praha 1966, S. 384 f. meint, fidem servare und dergleichen Wendungen deuteten weniger einen Friedensschluß zwischen zwei Staaten gleichen Ranges an als die Anerkennung einer losen Oberherrschaft des Frankenreiches durch die andere Seite. Ich möchte meinen, daß der Gedanke an Anerkennung auch einer allgemeineren Hegemonialstellung des größeren Vertragspartners im oben bezeichneten Sinne nicht auszuschließen ist, zumal bei einer so auffälligen Formulierung wie der hier diskutierten: C. Erdmann, Die Annahme des Königstitels durch Alfons I. von Portugal, in: Congresso do Mundo Portuguêz II, Lisbôa 1940, S. 39 rechnet für den Wortstamm fidelis sogar mit der Bedeutung „lediglich . . . Ausschluß von Feindseligkeiten“ durch die andere Seite. Eine reiche Materialsammlung zur einschlägigen Terminologie bietet H. Jäger, Rechtliche Abhängigkeitsverhältnisse der östlichen Staaten vom FränkischDeutschen Reich (Ende des 8. bis Ende des 11. Jahrhunderts), Diss. Frankfurt 1960 – leider ohne in die Zusammenfassung eine systematische Auswertung des Sprachgebrauchs aufzunehmen – mit reicher weiterer Literatur. – Für den gegenwärtigen Zusammenhang vgl. auch Lintzel (wie Anm. 21), I, S. 99. Wenn der sog. Einhardsannalist anstelle der oben im Text hervorgehobenen Formulierung einsetzt. Hessi . . . cum omnibus Ostfalais
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der anschließenden Übereinkunft mit den Engern und den Westfalen verlautet inhaltlich nichts; wenn die Reichsannalen schreiben, beide Gruppen hätten Geiseln gestellt sicut et alii Saxones, so mag dies nicht nur den formalen Vorgang betreffen, sondern auch auf vergleichbaren Vertragsinhalt deuten59. Von den übrigen Sachsen aber ist für dieses Jahr überhaupt nicht die Rede, wie denn überhaupt Bardongavenses und Nordleudi nicht vor 781 in den Gesichtskreis des Reichsannalisten (und wohl der Franken überhaupt) traten60. Mit anderen Worten: die fränkische Überlieferung spiegelt Befunde, die dem vom northumbrischen Annalisten nahegelegten Bilde in keiner Weise widersprechen, nur daß sie es abrundend ergänzen. Man hat also offenbar anzunehmen, daß Karl noch 775 bereit war, sich mit den genannten Abtretungen relativ bescheidenen Umfangs und im übrigen mit der Anerkennung seiner hegemonialen Stellung im erreichbaren Teil von Sachsen zu begnügen. Es verdient Beachtung, daß damit nicht einmal alles zurückgefordert wurde, was die Franken vor Jahrzehnten an den expansiven Nachbarn verloren hatten61. In der Christianisierungsfrage aber geschah nichts, was spektakulär genug war, um von unseren Quellenautoren eigens notiert zu werden: es wurde also, so rigoros die Alternative von Quierzy anmutet, in der Praxis zunächst eine gewisse vorsichtige Zurückhaltung gewahrt, die Blick für das Maß verrät: eine äußerst wichtige Ergänzung des Gesamtbildes, die besonders betont werden muß, gerade weil so sehr bald danach alles anders kam. Aus dem Auge verloren wurde diese besondere Zielsetzung jedoch nicht: das beweisen die erwähnten Nachrichten über vereinzelte Sachsen-
ei (sc. regi) . . . sacramentum fidelitatis iuravit (Kurze, S. 43), so möchte ich hierin keine Korrektur der Reichsannalen erblicken, sondern allenfalls eine verkürzende Zusammenziehung aus der Perspektive einer später hergestellten Situation. 59 Das im Text gebrachte Zitat (Kurze, S. 42) betrifft die Westfalen als die letzten, die sich zu einer Übereinkunft bereit fanden; vorher für die Engern: sicut Austrasii. 60 Ann. Regn. Fr. a. 781, ed. Kurze, S. 56. Wigmodien (Wihmuodi) wird gar erst 804 genannt (ebd. 118), doch hatte dort bereits ab 782 um Bremen Willehad gewirkt. Zu der Annahme, daß die Franken von diesem Gebiet wesentlich vor 780 Kunde erhielten, besteht m.E. kein Anlaß. Vgl. oben S. 355. 61 Außer dem Bruktererland südlich der Lippe und dem Diemelgebiet ist um 700 auch das südwestliche sog. Hamaland um Vreden in sächsische Hände gefallen, während dessen nordwestlicher Teil um Elten und Deventer fränkisch blieb: Winkelmann (wie Anm. 51), S. 28 f. (unter Hinweis, daß Karl diesen Raum nicht vor 779 berührte: er lag also 775 zu weit ab!); vgl. H. Löwe, Entstehungszeit und Quellenwert der Vita Lebuini, in: DA 21, 1965, S. 367 mit Anm. 92.
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taufen, die mit eben diesem Jahre einsetzen62. Darf man vermuten, daß Karl in die damaligen Abmachungen eine Klausel aufgenommen hat, nach der die Sachsen sich verpflichteten, künftig die Arbeit christlicher Missionare in ihrem Lande widerstandslos zu dulden? Die älteren Annalen von Metz behaupten eine solche zu 753 für den ersten Sachsenzug Pippins I. als König63, für damals offenbar anachronistisch64. Die vielfach anfechtbare Quelle projiziert jedoch gern und oft Anschauungen der Karlszeit vor 805, in der sie entstand, in ältere Berichtsperioden zurück, um den Ruhm der Vorfahren des Königs und Kaisers dem seinen anzugleichen; die so sichtbar ihn auszeichnende göttliche Auserwähltheit sollte damit generationenweit zurückprojiziert werden65. Was der zitierte Bericht für den Vater unterstellt, könnte sehr wohl in Wahrheit dem Sohn angehört haben; eine Frühphase seiner Sachsenmission, die im Vorgehen stark von der die Erinnerung Späterer bestimmenden Hauptphase abstach, wäre nicht der am wenigsten glaubhafte Ort, die aus dem Überlieferungszusammenhang herausfallende Angabe unterzubringen. Der Metzer Annalist hätte dann indirekt einen Zug festgehalten, der in sonstiger Überlieferung unterging, weil die andersartigen Ereignisse der Folgezeit mit ihrer ungleich größeren Intensität und Dauer den Blick von ihm abzogen66. Chronologisch aber möchte man ihn dann am ehesten hier einreihen, denn schon in das folgende Jahr offenbar größeren Nachdrucks scheint er sich nicht mehr so gut einzufügen, wie sogleich zu zeigen ist. Der Vorschlag bleibt in unerwünscht hohem Grade hypothetisch; niemand wird fest auf ihn bauen. Setzte Karl aber eine Klausel dieser Art damals durch, so mußte er sich darüber klar sein, daß sie nicht im Handumdrehen zu realisieren war, galt es doch zunächst, Missionare zu gewinnen, die eine solche Aufgabe auch wirklich auf sich nehmen wür-
62
Vgl. Anm. 45. Ann. Mettens. prior., a. 753, ed. v. Simson (1905), S. 44, 9 ff.: Friedensschluß eo modo, ut quicumque de sacerdotibus in Saxoniam ire voluisset ad predicandum nomen Domini et ad baptizandum eos licentiam habuisset. 64 Vgl. v. Simson (Ed.), zur in Anm. 63 zitierten Stelle. Anders Löwe (wie Anm. 61), S. 366. 65 Dazu Lit. bei H. Beumann, Wissenschaft vom Mittelalter, Köln 1972, S. 326, Anm. 157; die dort festgestellte Tendenz des Annalisten zu bewußter Geschichtsklitterung wird durch I. Haselbach, Aufstieg und Herrschaft der Karolinger in der Darstellung der sog. Annales Mettenses priores, Lübeck 1970, unterschätzt und jedenfalls nicht widerlegt. 66 Die Annahme, der Metzer Annalist habe Beobachtungen aus der Awarenmission Karls in die Sachsenpolitik Pippins zurückgespiegelt, scheint mir jedenfalls komplizierter. 63
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den67, und für sie die Operationsbasis auszubauen, um die Arbeitsbedingungen möglichst günstig zu gestalten. Das sind Maßnahmen mehr der Stille, deren Nichtbeachtung in den Quellennotizen verständlich wäre. Das Hauptaugenmerk dürfte sich nach dem Erfolg von 775 zunächst darauf gerichtet haben, das neu- oder vielmehr zurückgewonnene Gebiet um die beiden Burgen und Paderborn zur „Sachsenmark“ des Frankenreiches auszubauen, wie dies sämtlichen akuten Bedürfnissen, militärischen wie missionarischen, in gleicher Weise zugute kam68. 5. Zweite Eskalationsstufe: Friedliche Christianisierung und Oberherrschaft; Autonomie unter Vorbehaltsrechten Das Ergebnis der beiden vorstehenden Teiluntersuchungen ist bemerkenswert: Wir sehen eine Zielsetzung, so brutal zugespitzt, daß hier nur von einer unerhörten Vermessenheit gesprochen werden kann69. Ihr folgt ein Feldzug, der Schrecken und Angst verbreitet, in Formen eines verheerenden Rachekrieges70, weit ausgreifend wie keiner der Franken zuvor, doch mit einem Abschluß, der, gerade in Gegenüberstellung mit dem verfolgten Programm, eine politische Mäßigung fast erstaunlichen Grades zu spiegeln scheint; eine Zurückhaltung, die, wie es aussieht, bewußt zu vermeiden sucht, was den Gegner über Gebühr reizen, was damit die Erreichung des eigentlichen Zieles nur erschweren könnte. Das ist nicht nur ein Zug, der im traditionellen Bilde der Sachsenpolitik Karls vollständig fehlte – wir haben diesem Ergebnis auch eine grundsätzliche Warnung zu entnehmen, was gar zu eilige Rückschlüsse von gegebenen Zielproklamationen auf zu erwartende Methoden der anschließenden Durchführung betrifft. Gerade in diesem Fall ist das wichtig, wo die Entwicklung dermaßen bald in Bahnen hineindrängen
67
Vgl. Anm. 12. Von einem „Markengebiet“ bzw. „Anfänge(n) der fränkischen Markenorganisation im südlichen Westfalen . . . und in Engern“ sprach in diesem Zusammenhang bereits E. Ewig, Das Zeitalter Karls d. Gr., in: H. Jedin (Hrsg.), Handbuch der Kirchengeschichte III/l, Freiburg 1966, S. 73; vgl. ebd., S. 80 über die Verteilung später greifbarer Königsdomänen auf sächsischem Gebiet; dazu u.a. auch Schwind (wie Anm. 50), S. 238–257, passim. Zum Strukturvergleich karolingerzeitlicher und jüngerer Marken: K. Lechner, Die territoriale Entwicklung von Mark und Herzogtum in Österreich, in: Unsere Heimat 24, Wien 1953, S. 34 f. Vgl. oben Anm. 48 Ende. 69 Vgl. unten S. 406, bes. auch Anm. 139. 70 Oben S. 363 mit Anm. 46. 68
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sollte, die so ungleich besser zum überlieferten Wortlaut der Alternative von 775 zu stimmen scheinen. Wie Karl nach den Friedensschlüssen dieses Jahres sein Christianisierungsziel weiter verfolgt hätte unter Ausnutzung der neugewonnenen hegemonialen Stellung über mindestens erhebliche Teile des Sachsenlandes, das bleibt uns vorenthalten, denn was damit angebahnt war, wurde bald genug durch neue Ereignisse überrollt. Schon im folgenden Jahr erhoben sich, wie bereits angedeutet, Saxones – sicher nicht „die“ Sachsen, doch „Sachsen“, nämlich solche aus den Angehörigen dieser „segmentären Gesellschaft“71, die sich durch die Abmachungen von 775 mit ihren Eiden und Geiselgestellungen nicht gebunden fühlten – und brachen erneut gegen die fränkischen Grenzen vor; zunächst – versteht sich – in die mutmaßlich neu im Aufbau befindliche Mark im Hellwegund Diemelbereich. Waren Emigranten von dort beteiligt, die freiwillig oder gezwungen den neuen Verhältnissen hatten weichen müssen und zurück in ihr angestammtes Erbe strebten71a?: Mit unerwarteter Schnelligkeit erschien Karl wieder persönlich mit Heeresmacht in ihrem Lande. Daraufhin scheint niemand mehr einen größeren Waffengang gewagt zu haben. Ein Vertrag „am Lippeursprung“ brachte einen neuen entscheidenden Durchbruch im Sinne des Königs; ob dabei nunmehr wirklich schon ganz Sachsen beteiligt war, wird allerdings nicht deutlich und kann kaum für wahrscheinlich gelten. Die sächsischen Partner gelobten, wie nun ausdrücklich festgehalten wird, die Annahme des Christentums und unterstellten sich einer Art Oberherrschaft (dicio) nicht nur Karls, sondern der Franken überhaupt; sie gaben nicht nur Geiseln, sondern setzten, wie es heißt, ihre patria zum Pfande (per wadium) und stellten sich obendrein zu einer ersten Massentaufe mit Weib und Kind72. Ich verstehe dies so, daß der
71
Vgl. Anm. 27. Vgl. Anm. 68 über später feststellbare Häufung von Königs-, d.h. Konfiskationsgut gerade in diesen Bereichen, wozu weitere Literatur hier beiseitegelassen sei. 72 Ann. Regni Fr. a. 776 (S. 46): . . . Saxones perterriti omnes . . . venientes ex omni parte et reddiderunt patriam per wadium omnes manibus eorum et spoponderunt se esse christianos et sub dicione domni Caroli regis et Francorum subdiderunt; folgt Bericht u.a. über Massentaufe und Geiselgestellung sowie die Ansetzung von scaras resedentes in drei bezeichneten Burgen, die sämtlich im mutmaßlichen Markengebiet von 775 verbleiben. Auffällig in der Formulierung der dreimalige Rückgriff auf Formen von omnis: eindringliche Betonung angeblicher Gesamtbeteiligung des Sachsentums, jedenfalls im Sinn des damals offiziellen fränkischen Parteistandpunkts. Diese Behauptung wird ebenso wie anderes beachtlich korrigiert in den abgeleiteten AnnqdEinh (S. 47): (Rex) . . . inmensam illius perfidi populi multitudinem velut devotam ac supplicem, 71a
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Frankenkönig nach dem Rückschlag, der sowohl die politische Lösung wie auch die Missionsansätze des Vorjahres betroffen hatte, auf wirksamere Garantien für beides drängte; daß die Sachsen ihm daraufhin zunächst eine gewisse Kontroll- und Schutzfunktion für die nunmehr konsequent einzuleitende Christianisierung zugestanden, die über die im Vorjahr verankerte Hegemonie hinausging, unbeschadet ihrer sonst fortbestehenden Autonomie; daß sie sich jedoch zugleich für den Fall eines neuen Vertragsbruches im voraus einverstanden erklären mußten mit der unmittelbaren Übernahme der, modern gesprochen: Regierungsgewalt durch Karl, also mit ihrer: vollen Eingliederung in sein Reich, ohne daß dieser Schritt jetzt schon vollzogen wurde. Träfe dies zu, so hätte der König den Vertragspartnern, von seinem Standpunkt her gesehen, noch einmal eine Chance eingeräumt, die im Gesamtablauf wiederum erhebliche Beachtung verdient. Die
et quam erroris sui paeniteret, veniam poscentem invenit. Cui cum et misericorditer ignovisset et eos, qui se christianos fieri velle adfirmabant, baptizari fecisset (also Aufrechterhaltung noch eines gewissen Freiwilligkeitsmoments für den Taufvollzug!) – Anders als oben im Text der eingehende und interessante Rekonstruktionsversuch von H. Kindl, Die Reichsversammlung zu Lippspringe 804 in der Quellenkritik, in: Westf. Zschr. 117, 1967, S. 135–144, bes. 137 f. Er rechnet einerseits damit, daß Karls Verhandlungspartner für die ausführlicher mitgeteilten Abmachungen nur die „Südengern“ waren, andererseits unterstellt er, schon 775 hätten die Vertragspartner einen „Untertaneneid, vielleicht besser . . . Treueid“ als Zeichen ihrer „Eingliederung in den Untertanenverband des Reiches“ zu leisten gehabt, der 776 durch den „Abschluß eines vasallitischen Lehensverhältnisses“ als zusätzliche Sicherung ergänzt worden sei. Die scharfsinnigen Ausführungen fußen m.E. zu weitgehend auf dem Sprachgebrauch der Ann. Mettens. priores, deren Quellenwert für diese Zeit ich nicht gleich hoch einzuschätzen vermag (s. oben Anm. 65). Ganz verfehlt scheint mir die Interpretation des dortigen: Saxones . . . fidem petentes (v. Simson, S. 75) als: „Sie baten um die Aufnahme des alten Treueverhältnisses“, das von ihnen gebrochen worden war; die Stelle könne „nur im Sinne weiterer Verhandlungen verstanden werden“ (Kindl, S. 139). Hier ist m.E. nach dem Sprachgebrauch der Zeit keine andere Auslegung möglich als: sie erbaten die fides im Sinne des christlichen Glaubens und also die Taufe (s. oben S. 354 mit Anm. 23 in Verbindung mit Anm. 38). Der Aufsatz ist auch sonst m.E. nur mit äußerster Vorsicht benutzbar. – Weiterhin weicht obige Auslegung in Einzelheiten ab von Lintzel (wie Anm. 21), I, S. 100–102 und weiter, sofern dieser in den Quellennachrichten zu 776 und 777 patria und allodia gleichsetzen will. Zu 776 sehe ich quellenmäßig ausschließlich das erste hervorgehoben, zu 777 teils das erste, teils das zweite jeweils allein. Beim zweiten Mal wurde wohl beides eingesetzt, aber nicht von jedem Quellenautor gleichmäßig notiert; für den ersten Vertrag fehlt hinsichtlich der allodia der Einblick. – Für dicio als Bezeichnung einer losen Oberhoheit, die eine überkommene gentile Verfassung der Betroffenen nicht antastet, vgl. Chron. Lauriss. breve IV,21 (NA 36, 1911, S. 33) für das 789 hergestellte Verhältnis zu gewissen Elbslawen: Carolus Sclavorum gentem, qui dicuntur Wilzi, trans fluvium Elbia dicioni suae subegit; ähnlich ebd. S. 36; weitere karolingerzeitliche Belege bei Deer (wie Anm. 56), S. 345; Anm. 366 sowie S. 348, Anm. 380; vgl. auch Lintzel (wie Anm. 21), S. 102.
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mutmaßliche „Sachsenmark“ im Südteil Westfalens und Engerns hätte er selbstverständlich festgehalten; Sachsen als Ganzes aber wäre nach dieser Regelung noch immer kein fränkischer Reichsteil geworden, sondern eine Art Satelliten- oder Klientelstaat (bzw. eher ein Satellitenoder Klientelstaatensystem) mit fortbestehender eigener Verfassung und Verwaltung, lediglich unter Oberhoheit Karls und mit zwei bestimmten Auflagen: erstens, gegenüber den Franken endgültig Frieden zu halten, zweitens aber, die vom König propagierte Religion anzunehmen73. Karl hätte damit ein Verfahren angewandt, das wiederum gewisse Parallelen in seinem späteren Vorgehen gegen die Awaren fände74; er hätte eine Lösung angestrebt, die sehr merkwürdig anzuklingen scheint an einen ungleich besser bekannten Vertrag erheblich jüngerer Zeit, jenen Frieden von Christburg, den 1249 ein päpstlicher Legat zwischen dem Deutschen Orden und den Repräsentanten der neugetauften Prußen vermittelte mit allen Garantien einer weitgehend freien, auch vom Orden her ungestörten Weiterentwicklung unter der einzigen Bedingung, daß sie künftig am katholischen Glauben festhielten, im Gehorsam der römischen Kirche verblieben und sich dem Orden gegenüber loyal verhielten, dem in diesem Fall allerdings die schon bestehende direkte Landesherrschaft nicht bestritten wurde75. Ihm hätte die 776 angebahnte Lösung vom Lippeursprung in wesentlicher Hinsicht entsprochen, nur daß hier für die Betroffenen ein ungleich weitergehendes Maß
73 Über den Klientelstaatengürtel, der für die Struktur zunächst des vereinten Frankenreiches, später des Ostfränkischen Reiches grundsätzlich zu berücksichtigen ist: Grafenauer (wie Anm. 58), S. 385. Die Beispiele sind fast alle slawisch, die religionspolitisch-missionarische Integration auch intentional sehr verschieden. Die Wahrscheinlichkeit, daß auch Sachsen zunächst in entsprechender Weise organisiert werden sollte, ist auf solchem Hintergrunde erst recht gegeben. Die Problematik insgesamt entspricht auffällig der Situation des spätrömischen Reiches, vgl. O. F. Winter, Der Ausgang byzantinischer Universalpolitik, in: Mitteilungen d. Österreichischen Staatsarchivs 3, 1950, S. 338–357. Vermutlich liegt hier eher unabhängige Parallelentwicklung aus verwandter Grundsituation vor als bewußte fränkische Anknüpfung an eine ältere Imperialtradition. 74 Vgl. Anm. 56. 75 Über den Christburger Vertrag: H.-D. Kahl, Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts; zu benutzen in der Fassung bei H. Beumann (Hrsg.), Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters, Darmstadt 1973, S. 228–231 (s. unten, Beitrag XV, S. 525–528), und bes. H. Patze, Der Frieden von Christburg, ebd., bes. S. 439–461, passim. Die Gemeinsamkeit würde sich auch auf das Scheitern des versuchten Ansatzes erstrecken, hier wie dort gekennzeichnet durch baldige Abfallsbewegung der Neubekehrten vom Christentum und anschließenden gewaltsamen Verlust ihrer Selbständigkeit; dazu für den zweiten Fall ebd., S. 417 f.
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fortbestehender Freiheit, eben im Sinne auch politischer Autonomie nach innen, ins Auge gefaßt worden zu sein scheint, so weit sie nicht im umschriebenen Annexionsgebiet wohnten (auf weitere Differenzierung zwischen beiden Vertragswerken, die angebracht wäre, mag hier verzichtet werden). Eine Weichenstellung von erheblicher Tragweite wäre damit versucht worden, nochmals eine äußerst bemerkenswerte Alternative zu dem, was schließlich stattdessen geschah, doch erreicht dieser Deutungsversuch angesichts der Quellenlage vielleicht nicht den wünschenswerten Grad von Sicherheit (allerdings gilt eben dies auch für andere hier mögliche Hypothesen). Nicht bezeugt, doch aus folgenden Ereignissen zwingend zu erschließen ist für den Abschluß von 776 eine weitere Abmachung, nämlich eine gemeinsame Versammlung von Franken und Sachsen im Folgejahr; sie sollte offensichtlich die in vielem nur vorläufigen Vereinbarungen dieses Sommers präzisieren und ergänzen, vor allem aber eine wirklich verbindliche Repräsentation ganz Sachsens ermöglichen und damit dem Abschluß uneingeschränkte Gesetzeskraft verschaffen, an der auch vom sächsischen Standpunkt aus nicht mehr zu rütteln war. Wir hören nämlich, daß 777 Franken und Sachsen bei Paderborn zusammentrafen, ohne daß es inzwischen zu neuen Kämpfen und neuen Zwischenbedingungen gekommen war. Der Ort war denkbar gut gewählt, aus geographischen wie aus politischen Gründen. Dank günstiger Verkehrslage konnten beide Seiten ihn leicht erreichen76. Die anliegende Ebene, die vielleicht schon früher eine Thingstätte eingeschlossen hatte, bot für ein derartiges Treffen größerer Massen schon rein äußerlich alle geeigneten Voraussetzungen; auch der unerhörte Wasserreichtum gerade dieses Platzes ist dabei mit hervorzuheben. Vor allem aber handelte es sich nach soeben entwickelter These um zwar bisher sächsisches Gebiet, das jedoch seit 775 als fränkischer Reichsboden zu gelten hatte. Ein regelrechtes fränkisches Maifeld an dieser Stelle war wirksamste Demonstration der Inbesitznahme, die Hinzuziehung der Sachsen lief auf eine stillschweigende Ratifizierung hinaus. Nicht zuletzt blieb, worauf mittelalterliches Denken so sehr zu achten pflegte, die Rangordnung in erwünschter Weise gewahrt: nicht Karl suchte die Sachsen in ihrem Lande auf, sondern sie ihrerseits stellten sich ihm auf seinem unmittelbaren Hoheitsgebiet.
76
Vgl. Anm. 50.
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Was an fränkischen Truppen auf welchen Wegen immer zu dem Treffpunkt marschierte77, scheint unterwegs nicht belästigt worden zu sein – durch die hier vertretene Auffassung wieder besonders gut verständlich, denn nach 775 vollzogener Annexion des Hellweg- und Diemelbereiches waren dort zwei ganze Jahre Zeit zu umfassenden Sicherungsmaßnahmen gewesen78. Das Ergebnis des gemeinsamen Tages beider Parteien aber war eine Bestätigung und Ergänzung dessen, was in den Übereinkünften des Vorjahres ins Auge gefaßt worden war, unter wirksameren Voraussetzungen, und zugleich der unmittelbare Übergang zur konkreten Ausführung. Die Sachsen, so wird man zu folgern haben, waren nicht mehr (wie vielleicht noch 776) nach Gesetzen mehr des Zufalls ausgewählt, sondern mit Vorbedacht. Sie konnten vermutlich in beliebig großer Zahl erscheinen, und zweifellos waren sie auf das, was sie erwartete, im Prinzip vorbereitet. Hatte Karl aus den Fehlschlägen der letzten Jahre etwas über die ihm so fremde Problematik einer derart „segmentären Gesellschaft“ gelernt? Suchte diese seine Paderborner Veranstaltung daraus Konsequenzen zu ziehen, um nunmehr endlich eine wirklich verbindliche und effektive Vereinbarung zustandezubringen? Jedenfalls: seine Partner erneuerten die Garantien des Vorjahres, ja sie verstärkten sie noch, indem sie nunmehr auch gewisse persönliche Freiheits- und Eigentumsrechte als Pfand einsetzten (omnem ingenuitatem et alodem, angeblich secundum morem illorum79; nach anderer Lesart: ut . . . si ulterius sua statuta violarent, et patria et libertate privarentur80, wobei der Verlust der Allodien offenbar als selbstverständlich in den der patria eingeschlossen zu denken ist81; abgesichert werden sollte mit alledem, (ut) conservarent in omnibus christianitatem vel fidelitatem supradicti domni Caroli regis et filiorum eius vel Francorum82,
77 Ich sehe keinen Grund zu der Annahme, das gesamte Frankenheer müsse geschlossen mit dem König von Nimwegen aus, wo er Ostern begangen hatte, über den Hellweg nach Paderborn gelangt sein. Vereinigung von Marschgruppen, die über diese Route gekommen waren, mit solchen, die den Weg von 772 von der Wetterau aus über die Eresburg wiederholten, am gemeinsamen Treffpunkt ist als Möglichkeit schwerlich ganz auszuschließen. 78 Ausdrücklich und mehrfach bezeugt ist die Neuerrichtung der – „Karlsburg“ an der Lippe, deren Lokalisierung immer noch unklar scheint. Vgl. Anm. 71a. 79 Ann. R. Fr., a. 777 (S. 48). 80 AnnqdEinh, a. 777 (S. 49). Vgl. Lintzel (wie Anm. 21), I, S. 102 mit Anm. 37, dazu aber oben Anm. 72. 81 Oben Anm. 72. 82 Vgl. Anm. 79.
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also die verbindliche Unterwerfung unter das Christentum – das auch hier bemerkenswerterweise an erster Stelle hervorgehoben wird – und unter die Herrschaft Karls, seiner Dynastie und seines Reichsvolkes: eine bemerkenswert eingehende Präzisierung jener dicio, von der bei früherer Gelegenheit die Rede gewesen war83. Dabei sahen die Sachsen sich nicht nur dem König und der politisch-militärischen Führung der Franken gegenübergestellt, sondern auch einer so umfassend repräsentativen Reihe kirchlicher Prälaten, daß mit Reichstag und Heerschau der Siegermacht zugleich eine geistliche Synode verbunden werden konnte84. Der bewußte und energische Christianisierungswille des Herrschers kommt nicht zuletzt in diesem Detail seiner Planung zum Ausdruck. Weitere Massentaufen folgten, eine wenigstens provisorische Regelung missionarischer Zuständigkeiten wurde vorgenommen, die Errichtung christlicher Gotteshäuser im Lande zumindest ins Auge gefaßt. Über dies alles hinaus aber geschah damals nichts: keinerlei Ansatz, etwa zugleich eine fränkische Verwaltung für ganz Sachsen aufzubauen oder auch nur für weitere Teile des Stammesgebietes; keinerlei Vorkehrungen zu weiterer militärischer Sicherung des Gesamtbereichs oder zusätzlicher Abschnitte, die irgend in die Augen fielen, so daß wenigstens eine der zahlreichen Quellen sie notiert hätte – nichts also, was man erwarten müßte, wäre eine vollständige Eingliederung des Sachsenlandes in das Frankenreich beabsichtigt worden in der Art, wie sie später schließlich zustandekam85. Karl begnügte sich weiter mit der älteren, doch relativ
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Vgl. Anm. 72 Ende. Der Aufmarsch zur Reichssynode mit missionarischen Planungsaufgaben und konkreten Schritten zur Ausführung in Form von Massentaufen ist der historische Ort, in den die oben Anm. 20 zitierte Nachricht der Vita Sturmi sich offenbar am reibungslosesten einfügt, sofern dabei von universis sacerdotibus, abbatibus, presbyteris als Begleitern des Heeres die Rede ist (wobei in der Nichterwähnung des Episkopats die exempte Stellung der Abtei Fulda und ihre Spannung zum Mainzer Bischof Lul sich ausdrücken mag – falls hier nicht sacerdos in Gegenüberstellung zum presbyter für „Bischof “ steht). – Grundlegend für die Synode von 777: K. Hauck, TellenbachFschr. (wie Anm. 4), passim, bes. S. 104–112, 113 f., 116; vgl. Ders., in: FMSt 4, 1970 (wie Anm. 4), S. 145 f., bes. Anm. 49; ergänzend: K. Schoppe, Hieß Paderborn einmal Lippspringe?, in: Die Warte 27, Paderborn 1966, S. 91, 105; Ders., Das karolingische Paderborn I, Paderborn 1967, S. 23–32, 50 f., 54, vgl. S. 58; Engelbert (wie Anm. 22), S. 107 f.; W. Winkelmann, Liturgisches Gefäß der Missionszeit aus Paderborn, in: Paderbornensis Ecclesia. Festschrift Lorenz Kardinal Jaeger, Paderborn-Wien 1972, S. 37 mit Anm. 1. 85 Es sei nochmals betont, daß der Begriff dicio in der Rechtssprache der Zeit durchaus keine weitergehenden Maßnahmen als die getroffenen voraussetzt, vgl. oben Anm. 72 Ende. – Daß solche Maßnahmen unterblieben, betonen bereits Abel-Simson (wie Anm. 2), I, S. 267, 417 sowie Wiedemann (wie Anm. 12), S. 90. 84
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bescheidenen Gebietsabtretung, die im Grunde nur verletzte Rechte seines Reiches wieder hergestellt hatte, und mit den sächsischerseits nunmehr angebotenen Garantien; er zog mitsamt seinem Heere ab unter Zurücklassung der kirchlichen Missionsbevollmächtigten, z.B. Mönchen aus Fulda und St-Denis, die nun ohne weiteren Schutz auch im Lande jenseits der neugezogenen Grenze die Arbeit aufnahmen! Ein überaus bemerkenswerter Befund; er ist bisher schwerlich gebührend gewürdigt worden. Karl war ausgezogen, die Sachsen so lange zu bekriegen, bis sie entweder, besiegt, das Christentum annähmen oder zumindest als gens ausgelöscht würden86. Er hatte versucht, dieses Ziel zu erreichen, indem er, von der erwähnten Grenzkorrektur abgesehen, sich mit Anerkennung seiner hegemonialen Stellung auch im sächsischen Bereich begnügte, ergänzt vermutlich durch gewisse Zusagen, die die Friedenswahrung und die ungestörte Entfaltung missionarischer Arbeit im freien Sachsen betrafen87. Erneuter Friedensbruch von sächsischer Seite hatte ihn überzeugt, daß er den Bogen stärker spannen müsse, um mit seinem Pfeil wirklich ins Ziel zu treffen88. Die 776 vorbereitete, 777 abgeschlossene Neuregelung auf breiterer Basis verschaffte ihm weitergehende Garantien, mit Klauseln, die bei etwa neuer Vertragsverletzung ein neues, auch massives Eingreifen im voraus als rechtens anerkannten, und sie sorgte für effektivere Formen missionarischen Vorgehens nach dem Verständnis der Zeit. Dabei wurde das politische Band zwischen beiden Partnern enger geknüpft: förmliche Oberherrschaft des Franken statt einer mehr allgemeinen Hegemonie. Für den Fall der Vertragserfüllung aber behielten die Sachsen alle Chancen einer autonomen, eigenständigen Weiterentwicklung unter ihren altüberkommenen Anführern und Verfassungsformen – für die Aufrechterhaltung ihrer ingenuitas, ihres allod, ihrer patria, um die Quellenausdrücke aufzugreifen; ihrer libertas, wie man hinzufügen möchte (gerade in einem mittelalterlichen Sinne, für den „Freiheit“ so vielfach identisch war mit einer wie immer im einzelnen näher bestimmten königsunmittelbaren Stellung). Wie gesagt: ein überaus bemerkenswerter Befund! Er verdient alle erdenkliche Beachtung.
86 87 88
Vgl. Anm. 29. Oben S. 372 f. Oben S. 374 f.
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Ein anonymes Carmen de conversione Saxonum, das offenbar auf den so erreichten Abschluß hin entstand, hält die so entstandene Situation fest. Der besprochenen Zielsetzung von 775, jenem: dum aut victi christianae religioni subicerentur aut omnino tollerentur89, tritt das Ergebnis gegenüber, der Lobpreis des Herrschers, der diese Sachsen sibimet gladio vibrante subegit; traxit silvicolas (wie fränkisches, schon mittelalterlich geprägtes Kulturbewußtsein den noch vormittelalterlichen Gegner zu apostrophieren beliebt) ad caeli regna phalanges90. Das ist nichts als die positive Entscheidung der 775 ins Auge gefaßten Alternativlösung, vermehrt lediglich um das Moment der politischen Unterwerfung, das der ursprünglichen Konzeption offenbar noch fehlte, das aber durch die dazwischenliegenden Erfahrungen in die Zielsetzung aufgenommen worden war, ohne daß wir doch berechtigt wären, an diesen allgemeinen Begriff gar zu weitgehende Assoziationen zu heften. Die Glaubwürdigkeit der früher diskutierten Angabe des sog. Einhardannalisten über den Entschluß von 775 erfährt auch von hier aus eine Bestätigung; sie wiegt um so schwerer, als das Carmen den Ereignissen zeitlich ungleich näher steht als dieser jüngere Historiograph. 6. Dritte Eskalationsstufe: Zwangschristianisierung und Annexion – Aufhebung jeder Eigenständigkeit Die eben zitierte Dichtung steht mit ihrer Auffassung nicht allein: auf den Paderborner Tag hin breitete sich im Frankenreich, soviel erkennbar, die einhellige Meinung aus, mit der Entscheidung von 776/777 habe der Sachsenstamm als Ganzes den Übertritt zum Christentum vollzogen, ein großes Bekehrungswerk seinen Abschluß erreicht91. Doch schon das folgende Jahr 778 brachte eine neue sächsische Erhebung, angestachelt von Widukind – demjenigen Anführer aus dem mittleren Wesergebiet, dessen Fehlen schon in Paderborn aufgefallen war, der also am damaligen Abschluß überhaupt nicht teilgenommen hatte, durch ihn 89
Vgl. Anm. 29. De convers. Sax. carm., v. 46 (MGH Poet. I, 380 f.); zur Datierung V. 23 ff. sowie K. Hauck, in: Tellenbach-Festschr. (wie Anm. 4), S. 97 f.; Ders., FMSt 4, 1970, S. 162 f., 166 f.; vgl. auch: Kunst und Kultur im Weserraum. Ausstellungskatalog II, Münster 21966, S. 744 f., Nr. 583. – Zum „Mittelalter“ als hier einschlägigem dynamischen Begriff, der auch etwas über Kulturstrukturen besagt, vgl. oben S. 119 mit Anm. 3. 91 A. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands II, S. 385 (mit abweichender Beurteilung der Frage der politischen Eingliederung Sachsens); dazu wichtige Ergänzungen von K. Hauck, in: Tellenbach-Festschr. S. 92–98. Vgl. oben Anm. 4 Ende. 90
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mithin auch nicht gebunden sein konnte. Naturgemäß wandte sie sich gegen Frankenreich und Frankenreligion in einem. Nachweislich gab es sächsische Märtyrer und Glaubensflüchtlinge christlichen Bekenntnisses; trotzdem kreiden die fränkischen Quellen, ungerechtfertigt generalisierend, die neue Wendung „den“ Sachsen ohne Einschränkung an. Spiegeln sie damit eine offiziell in Umlauf gesetzt Version des Hofes, dem die Möglichkeit zu neuem Eingreifen und also einer eventuell weitergehenden Lösung womöglich gar nicht so ungelegen kam, ähnlich dem so wenig wahrheitsgetreuen Bilde, das fränkische Reichspropaganda am Vorabend der Awarenkriege desselben Herrschers von den neuen Gegnern entwarf 92? Jedenfalls scheint dieser Rückschlag das gewesen zu sein, was die Sachsenkriege Karls zu dem werden ließ, als das sie in der Geschichte fortleben, so wie auch der Christburger Vertrag93 durch neue Prußenaufstände annulliert werden und neuen, verhängnisvollen Entwicklungen Raum geben sollte. Der Weg wurde beschritten, der zu brutaler Annexion des gesamten Landes führte und zu dem, was im folgenden Jahrhundert ein christlicher Sachse zweiter oder dritter Generation, seines Zeichens Domherr zu Paderborn, Karls „Predigt mit eiserner Zunge“ nannte94; jener Weg, den Schreckensmarken charakterisieren wie Verden 782, die Capitulatio de partibus Saxoniae, wie massenhafte Zwangsdeportationen und Gründung fränkischer Militärsiedlungen auf konfisziertem Lande. Dieser neue Weg, im äußeren Verlauf allgemein bekannt, sei hier nicht näher verfolgt95. Zu fragen ist jedoch, wie er, – wie diese neue Eskalation möglich werden konnte. Für die fränkische Seite scheint die Antwort verhältnismäßig leicht. Mochte bei der Auffassung, in Paderborn 777 sei die Christianisierung des Sachsenlandes prinzipiell vollendet worden, wieder einmal der Wunsch Vater des Gedankens sein oder eine uns fremde Auslegung
92 Vgl. Deer (wie Anm. 56), S. 294–300 mit 330 f.; S. 296 Hinweis auf die aus den Quellen erschließbare Absicht, am Vorabend der Unternehmung „die religiöse Rechtfertigung eines Angriffskrieges im Geiste der augustinischen Lehre von bellum iustum“ zu erreichen, während profane Kriegsziele erst in jüngeren Überlieferungsschichten durchdringen. Vor gar zu rascher Übertragung dieser Analogie auf das sächsische Beispiel ist ganz sicher zu warnen, doch bleibt die Möglichkeit parallelen Verhaltens nicht für alle Phasen rundweg auszuschließen; vgl. oben Anm. 37. – Über sächsische Märtyrer und Glaubensflüchtlinge: A. Hauck, Kirchengesch. II, S. 390 mit Anm. 8, vgl. 391 mit Anm. 3. 93 Oben S. 376 mit Anm. 75. 94 (Paderborner) Transl. S. Liborii, c. 5 (MGH SS IV, S. 151, 21 f.): ferrea quodammodo lingua praedicavit; zur Verfasserfrage oben Anm. 29. 95 Vgl. die Lit. bes. oben Anm. 2.
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des Christianisierungsbegriffs96: mit dieser Auffassung als solcher war zugleich ein Rechtsstandpunkt fixiert, von dem die weitere Sachsenpolitik Karls ausging97. Fortsetzung vorchristlichen Kultes und Glaubens in Sachsen über diesen Zeitpunkt hinaus war dann aber nicht einfach mehr Heidentum, sondern Apostasie98, eins der schwerst denkbaren Delikte innerkirchlicher Disziplin, und zu ihrer Bekämpfung stand jenes unerbittliche überkommene Apostatenrecht zur Verfügung, wie es aus bestimmten Verlautbarungen des Alten Testaments, aus römischem Kaiserrecht und aus Kirchenväterstimmen zusammengewoben und von der Tradition mindestens rudimentär überliefert worden war, auch wenn die Quellentexte im einzelnen damals nicht überall greifbar gewesen sein dürften99. Es war ein Recht der bewaffneten Exekution
96
Vgl. Anm. 38. Dies wurde bereits von A. Hauck (wie Anm. 91) klar erkannt. 98 Der apostatische Charakter sächsischen Heidentums nach 777 wird in den fränkischen Quellen immer wieder betont; zwei besonders bezeichnende Stellen: Vita Willehadi, c. 5 (MGH SS II, S. 381, 27 f.), und Ann. Lauresh. a. 792 (SS I, S. 35). Daß auch Karl selbst sich dieses Sachverhalts bewußt war, zeigt seine Anfrage an Papst Hadrian I. von 785 (zu erschließen aus dessen Antwort, die der Herrscher in den Codex Carolinus aufnehmen ließ, n. 77: MGH EE III, S. 609); dazu etwa die Bemerkungen zum Sprachgebrauch der Capitulatio de partibus Saxoniae (oben Anm. 6) in Beitrag X, S. 316, bes. Anm. 94. – Vgl. nachstehend Anm. 99. 99 Auf die Bedeutung des Apostatenbegriffs für die zutreffende Erfassung missionsgeschichtlicher Tatbestände im allgemeinen und besonders für die Sachsenkriege Karls d. Gr. habe ich seit 1955 mehrmals hingewiesen, vgl. unten Beitrag XV, passim, hier bes. S. 502–513 mit 528; Beitrag IX, S. 264; Beitrag XII, S. 414–416 mit 421; auch Beitrag X, S. 332 f., dazu 318–323, bes. 322 f. Bei einer Diskussion im Rahmen des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte meldete F. Lotter von seiner Beschäftigung mit karolingerzeitlicher Judenproblematik her Bedenken an, ob eine derartige „subtile Kenntnis theologischer und kirchenrechtlicher Prinzipien bei den maßgebenden Leuten . . . am Ende des 8. Jhs. . . . gegeben sein konnte“, und wies damit die Notwendigkeit eingehenderer Begründung auf (vgl. Konstanzer Arbeitskreis usw., Protokoll der 111. Arbeitssitzung vom 12. 1. 1980, vervielfältigt, S. 12). Die Absicht, diesen Fragenkreis in vorliegende Untersuchung einzubeziehen, mußte aus Raumgründen aufgegeben werden; ich hoffe, dies anderweitig nachzuholen. Allgemein zur Pflege kanonischen Rechts am Hof und im Reich Karls d. Gr.: H. Mordek, Kirchenrecht u. Reform im Frankenreich, Berlin-New York 1975, bes. S. 8–13, 160–162, vgl. 151, 159 f., 184 f., 206 f. u.ö., samt wichtigen ergänzenden Hinweisen von G. Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium Juris. Rechtsaufzeichnungen und Rechtsbewußtsein in Norddeutschland vom 8. bis zum 16. Jh., Köln-Graz 1968, S. 54–62, passim. – Apostatenrecht ist in kirchlichem Denken grundsätzlich ein Sonderfall von Ketzerrecht, vgl. Beitrag X, S. 510 f. über gelegentliche ausdrückliche Bezeichnung eines apostatischen Zustandes als demoniaca heresis; „dämonisch“ im Sinn der oben bei Anm. 15 besprochenen interpretatio christiana. Einschlägige ältere kirchliche Rechtssetzungen, nicht in Konzilsbeschlüssen, daher außerhalb der von Mordek behandelten Sammlungen, doch gerade in augustinischen Traditionen, über deren einschlägige Bedeutung oben Anm. 37, behandelt Beitrag X, S. 318–323, vgl. 321, aber auch 316. Ergänzend sind gerade für Karl d. Gr. 97
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und des Zwangs mit allen Mitteln bis zur Todesstrafe gegenüber denen, die ihr einmal gegebenes Taufgelübde verletzten, und seine Prinzipien verbanden sich nun mit all den politisch-rechtlichen Garantien, die die Sachsen, ohne daß wir eigentlich sehen, warum, sich 776/ 777 hatten abnötigen lassen; der Frankenkönig aber, Inhaber jener Obergewalt (dicio), unter die dieses ganze Missionswerk dabei getreten war, – Karl war es, der dieses komplizierte Instrumentarium im Ernstfall zu handhaben hatte: er, der ohnedies erst wenige Jahre zuvor im Zeichen der erbarmungslosen Alternative von Quierzy ausgezogen war, dieses Werk zu vollenden auf Biegen oder Brechen – ein Mann, dem in seiner Stellung niemand prinzipiell verdenken wird, wenn er auf dem Boden geistiger Vorbedingungen, die nicht von ihm selbst geschaffen waren, in dieser Auseinandersetzung auch als Machtpolitiker dachte, der sein Prestige zu wahren hat (was von seinen Schritten man dann auch zu billigen vermag, ist ein Problem für sich). Wichtig zum Verständnis bleibt: das Vorgehen des Herrschers in der Praxis – das lassen die fränkischen Quellen, so sicher sie manches frisieren, doch erkennen – entsprang hier, wie überhaupt in der Sachsenpolitik nach dem Erstlingserfolg von 772, nicht einfach eigener Initiative – es war dem Wesen nach Reaktion; Reaktion in Formen, wie die spezifische Spiegelung der allgemeinen Zeitstruktur in dieser Persönlichkeit sie bedingte, auf ein Handeln der Gegenseite, von dem er sich unter Zugzwang gesetzt sah. Die Frage, wie es denn zu dem kommen konnte, was nach Paderborn geschah, hat deshalb primär an
unmittelbare Rückgriffe auf das Alte Testament in Betracht zu ziehen (s. oben bei Anm. 17, zu ergänzen durch Hinweise Anm. 6, Ende, und Anm. 103, Ende); vgl. hier Ex. 22, 10 (dazu Num. 25,1–9; I Mach. 2,23–24); Dt. 13,5. 9–10. 15–17; 17,5; ferner I Reg. 18, 19–40, bes. gegen Ende, sowie II Reg. 10, 18–28; nicht zuletzt Ex. 32, bes. 26–28. Schließlich ist für Karl eine mögliche Einwirkung römischen Kaiserrechts einzukalkulieren, etwa über das Breviarium Alarici (Cod. Theod. XVI,2,1 und Nov. Theod. II,3,8 in der Fassung der Lex Rom. Visig., S. 248 f. bzw. 258 Haenel; vgl. M. Conrat (Cohn), Breviarium Alaricianum. Römisches Recht im Fränkischen Reich in systematischer Darstellung, Leipzig 1903 (Ndr. Aalen 1963), S. 160 u. 161). Der Rückgriff auf Rechtszusammenhänge dieser Art scheint mir näher zu liegen als der Vorschlag von Delaruelle (wie Anm. 128), S. 28, der die karolingischen Massenexekutionen in Sachsen auf das Vorbild der angeblichen Ausrottung der Bevölkerung des Gelobten Landes in Jos. 6,21 zurückzuführen sucht. Karl führte ja in Sachsen gerade keinen primär auf Vernichtung zielenden Krieg, sondern suchte das Nachbarvolk zu gewinnen! – Vgl. noch oben Anm. 8, unten Anm. 115 sowie zum Allgemeinen unten bei Anm. 138. Zum folgenden auch noch S. 401.
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anderer Stelle anzusetzen: bei den Sachsen, die die neue Erhebung von 778 trugen – nicht Widukind und der vielleicht wenig großen Zahl derer, die vom fränkischen Standpunkt aus „Miträdelsführer“ waren, sondern bei der Masse derer, die sich von ihnen mitreißen ließen. Das ist, wie gesagt, diejenige Seite im damaligen Entscheidungsprozeß, die für uns vollständig schweigt. Stärker als auch schon im bisherigen Gang dieser Untersuchung sehen wir uns auf Hypothesen verwiesen. Da indes für eine historisch vertretbare Rekonstruktion auf diese andere Seite keinesfalls zu verzichten ist, seien sie gewagt. Die fränkischen Quellen sind mit Erklärungen rasch bei der Hand: „Treulosigkeit“ habe die Sachsen von Anfang an geleitet, nicht zuletzt bei den Abmachungen von Paderborn100. Es ist leicht zu sehen: das ist eine Angabe äußerst formaler Art, die keinesfalls ins Innere dringt; sie beschreibt ein Verhalten rein von außen her, doch über die wirklichen Gründe besagt sie nichts – gesteht im Gegenteil ein, daß, wer so berichtet, zu ihnen überhaupt nicht vorzudringen vermochte. Gesetzt, die aus parteiischer Sicht gegebene Interpretation sächsischen Verhaltens als Treuebruch träfe zu: auch ein solcher setzt Motive voraus, die ihn verursachen; Motive, die den Treuebrecher dazu bringen, auf Änderung hinzuwirken, und auch seine Mittel bestimmen. Diese Motive brauchen keineswegs für alle Beteiligten in allen Einzelheiten identisch gewesen zu sein. Läßt sich immerhin ausmachen, was als für die Mehrheit vorherrschend in Betracht kommen könnte? Nach bisheriger Sicht konnte man sich zufriedengeben mit Gedankengängen auf stark politischem Felde: mit Freiheitsdrang gegenüber imperialistischer Okkupation samt all ihren möglichen sozialen und wirtschaftlichen Folgen, durch den der Widerstand gegen die, von sächsischem Standpunkt aus, religiöse Selbstentfremdung verstärkt worden wäre. Dem, der den Weg bis 777 und speziell die Paderborner Lösung zu rekonstruieren versucht, wie beschrieben, bleibt ein solcher Ausweg verwehrt. Wenn Sachsen damals noch im wesentlichen seine Autonomie behielt, lediglich unter einer Oberhoheit des Frankenkönigs, von der im Alltag wenig genug zu spüren gewesen sein dürfte, dann konnte das die
100 Als besonders typisch sei hier auf die Berichterstattung der AnnqdEinh (z.B. oben Anm. 72) verwiesen, die jedoch keineswegs alleinsteht. Vgl. für viele noch Alcuin, ep. 207 (MGH EE IV, S. 344, 18 ff.) – besonders gravierend wegen der althergebrachten besonders engen Verbundenheit, die die Angelsachsen der Zeit mit den „Altsachsen“ empfanden –: ut cito finiatur causa cum Saxonibus, si tamen in mendaciis veritas inveniri poterit.
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Verhältnisse des einzelnen Sachsen wenig berühren. Schwerer mochte wiegen, daß die Möglichkeit, im fränkischen Grenzland zu heeren und Beute zu machen, durch die neue Vertragssituation abgeschnitten war. Doch war dergleichen in der Vergangenheit so intensiv und regelmäßig genutzt worden, daß es für die Existenzgrundlage der „Befriedeten“ gleichsam zu Buche schlug? Die fränkischen Quellen wecken nicht diesen Eindruck. Auch ein Widukind mußte, um Stimmung für die neue Erhebung zu machen, offenbar an anderes anzuknüpfen wissen. Tatsächlich wurde fränkischerseits registriert, daß der Sachseneinfall von 778 ein ganz anderes Gesicht trug als alles, an was man sich von früher her erinnern konnte: er griff weit aus bis zum Rhein, heerte von Deutz bis zum Lahnmündungsgebiet und bedrohte Fulda, so daß die Mönche sich mitsamt den Bonifatiusreliquien in Sicherheit zu bringen suchten; er tat dies aber mit einer erbarmungslosen Leidenschaftlichkeit, die spüren ließ: hier wurde nicht mehr Beute gesucht, sondern Rache101. Rache – wofür? In späterer Phase hat in Sachsen als ein Faktor, der Widerstände weckte und wachhielt, eine entscheidende Rolle nachweislich die drückende Zehntlast gespielt102. Die Sachsenmission Karls war die erste der Missionsgeschichte, die auf die verbindliche Einführung dieser Institution im zuständigen Basisbereich folgte103 und daher auch diese „Christenpflicht“ mit auszubreiten hatte; das vorchristliche Sakralrecht Sachsens aber hatte offenbar keinerlei Gegenstück gekannt, an das sich dabei hätte anknüpfen lassen. Es wäre dies nochmals ein wirtschaftliches Moment, wenngleich mit starker religiöser Akzentuierung. Für die Zeit zwischen Paderborn und der Erhebung schon des nächsten Sommers jedoch wird man diesen Faktor noch einigermaßen auszuschließen haben. Schwerlich gab es bis dahin schon Voraussetzungen,
101
Vgl. Anm. 135. Dazu zuletzt: Schneider (wie Anm. 2), S. 244 f. Wenig beachtet auch hier Rieber (wie Anm. 5), S. 158 f. 103 Über die Entwicklung des Zehntrechts im Karolingerreich bis Karl: K.-U. Jäschke, Studien und Quellen zur Geschichte des Osnabrücker Zehntstreits unter Heinrich IV., in: Arch. f. Diplomatik 9/10, 1963/64, S. 214–217 mit Lit.; ergänzend K. H. Debus, Studien zu merowingischen Urkunden und Briefen, ebd. 14, 1968, S. 88 f. mit Anm. 715, S. 117 f. Zur Bedeutung: A. Pöschl, Das karolingische Zehntgebot in wirtschaftsgeschichtlicher Beleuchtung, in: Die feierliche Inauguration des Rektors der Grazer Universität, Graz 1927, S. 15–44, und die knappen, aber wichtigen Bemerkungen von F. Tremel, Der Slavenzehnt als Quelle der Siedlungsgeschichte, in: Annales Instituti Slavici I/2, 1966, S. 109 f. Zu den für die Einführung maßgeblichen alttestamentlichen Grundlagen: Rieber (wie Anm. 5), S. 155–158, und Kottje (wie Anm. 17), S. 57–68. 102
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um Zehntforderungen massiv und weitausgreifend zur Geltung zu bringen: was mittlerweile schon an Kirchen wenigstens primitiver Art im Lande bestand, war sicher noch verhältnismäßig gering an Zahl und wenig gleichmäßig verteilt; meist werden es Kapellen ohne ordentliche Weihe gewesen sein, weil die auf Bischofsebene monopolisierte kirchliche Weihegewalt jedenfalls Mühe hatte, diesbezüglichen Anforderungen rasch genug nachzukommen, so daß der Gottesdienst behelfsmäßig mit Tragaltären wahrgenommen werden mußte. Priester, die auch nur mit einer bestimmten Gruppe solcher Kirchenbauten so fest verbunden waren, daß sich von Ansätzen eines Pfarrsystems sprechen ließe, waren innerhalb dieser knappen Jahresfrist, die dazu einen Winter einschloß, sicherlich in noch geringerem Umfang vorhanden104, zumal ja auch die Frage ihrer Ausstattung und Versorgung einer Regelung bedurfte; das „Durchtaufen“ des Landes als erste Voraussetzung seiner Christianisierung im Sinne der Zeit105 stand als Hauptaufgabe kirchlicher Arbeit zweifellos noch ganz im Vordergrund – und welcher Apparat schließlich hätte Zehntforderungen rigoros eintreiben sollen in einem Stadium, in dem das autonom verbliebene sächsische Mehrheitsgebiet noch keinerlei fränkische Grafengewalt kannte? Auch aus dieser Richtung ist offenbar kein überzeugendes Motiv für die neue Wendung zu gewinnen. Wir werden damit offenbar zwingend auf den einzigen Sektor verwiesen, in dem sich auf die Regelung von Paderborn hin wirklich Einschneidendes anbahnte: den religionsgeschichtlichen im engsten Sinn. Hier ist an die Missionsmethode der damaligen fränkischen Kirche zu erinnern, die sich von modernen Anforderungen christlichen Denkens bekanntlich äußerst weitgehend unterschied. Von der großen Synode, die sich mit dem Reichstag von 777 verband, haben wir nicht, wie von dem für die spätere Südostmission so wichtigen Donaukonzil des Jahres 796, Protokollaufzeichnungen; ob auch für die Christianisierung der Sachsen frühzeitig bestimmte katechetische Prinzipien festgelegt wurden, entzieht sich daher unserem Einblick, und auch über die Praxis der Glaubensunterweisung, die den erwähnten Massentaufen vorausging, erfahren wir nicht das Geringste. Wo wir jedoch Einblick in die Substanz früh- und hochmittelalterlicher Heidenpredigt erhalten, dort kann immer wieder nur Staunen aufkommen, wie dürftig man damals bemessen zu dürfen
104
Vgl. Anm. 12. Vgl. Anm. 38. Als ein Durchtaufen kennzeichnet die erste Periode der karolingischen Christianisierung Sachsens Wiedemann (wie Anm. 12). 105
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glaubte, was in dieser Richtung sozusagen als Existenzminimum zu betrachten war; dies gilt selbst dort, wo ungleich mehr Geruhsamkeit möglich wurde, als sie sich unter den Bedingungen von 776/777 für Sachsen voraussetzen läßt. Als entscheidend galt offenbar, die Furcht vor der Allmacht Gottes und seinem Zorn zu wecken, vor allem im Hinblick auf das drohende Jüngste Gericht, und dementsprechend die Bereitschaft, sich in Gehorsam seinem Willen zu unterwerfen, was er auch fordern möge; Bereitschaft, überzeugend zu dokumentieren einzig durch Annahme der Taufe, die dann gleichzeitig den Weg zur Mitwirkung der sakramentalen Gnade am Bekehrungswerk auftat – was Inhalt des göttlichen Willens war in Glaubensverpflichtung, Kultobliegenheiten, sittlichen und kirchenrechtlichen Geboten (wie Ehehindernissen und Zehntforderung), das wurde in erstaunlichem Umfang zurückgestellt für spätere Belehrung106. Vor allem aber besitzen wir keinerlei Anhalt, daß mittelalterliche Mission sich an irgendeiner Stelle die prinzipielle innere Strukturverschiedenheit klarzumachen vermochte, die erst moderne religionswissenschaftliche Forschung zwischen dem Christentum und den sog. heidnischen Religionen des damaligen Alteuropa aufgedeckt hat – den Unterschied zwischen der eigenen, rigoros monotheistischen Universalreligion mit bevorzugter Blickrichtung auf die individuelle Erlösung des Einzelmenschen im Sinn seines jenseitigen Seelenheils auf der einen Seite, einer polytheistischen Gentilreligion auf der anderen, der es primär um Absicherung diesseitigen Kollektivheiles eines begrenzten Verbandes ging, ohne jeden Absolutheitsanspruch nach außen, wohl aber ganz grundsätzlich jedem Synkretismus offen, wo bisher unbekannte numinose Mächte neu in den Gesichtskreis traten mit der Fähigkeit, unter Umständen machtvoll und zornig zu schaden107. Die fränkische Kirche der 770er Jahre stand im wesentlichen noch vor den Reformen, durch die der gleiche Karl sich wenig später bemühte, ihr geistiges, geistliches und sittliches Niveau zu heben, so daß auch in ihrem Bereich sich nun etwas zu entfalten vermochte, was den Namen einer Theologie verdient108. Wie hätte sie im Hintergrund der sächsischen Christianisierungsaufgabe, die wohl recht jäh, ohne die Möglichkeit 106
Vgl. Beitrag X, S. 309–316. Donaukonzil: oben Anm. 38. Kahl, ebd., S. 287–298. 108 Vgl. Rieber (wie Anm. 5), passim. Die entscheidende Wende fällt wohl erst in die 780er Jahre, vielleicht sogar nach Widukinds Taufe 785. Aufschlußreiche Ausblicke auf die theologiegeschichtliche Entwicklung seitdem, die auch (schwer zu fassende) Auswirkungen auf die missionarische Verkündigung gehabt haben dürfte, gibt G. Haendler, Epochen karolingischer Theologie, Berlin 1958. 107
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großer Vorbereitungen über sie hereinbrach, derart komplizierte innere Strukturprobleme erkennen sollen? Sie sah in dieser Aufgabe, zu der unbeirrbarer Herrscherwille ihr das Tor aufgestoßen hatte, einen Sonderfall des weltweiten Kampfes der beiden civitates, von dem einst der Kirchenvater Augustinus geschrieben hatte, mochten seine Gedanken auch noch so rudimentär und vergröbert auf sie gekommen sein109. Für diesen Kampf hielt sie als Waffen nicht Verständnis bereit und liebevolles, eingehendes Studium von Mentalität und Geisteswelt der „Missionsobjekte“, sondern verkündigende Predigt, die im bezeichneten Sinn Unterwerfung heischte, Angebot sakramentaler Gnadenmittel, Weihwasser, Exorzismus, Bußdisziplin, ganz sicher auch und intensiv das Gebet, doch eben auch und nicht zuletzt den Rückgriff auf den weltlichen Arm, der notfalls hindern mußte, daß fortwucherndes Teufelswerk die Seelen schon Bekehrter neu gefährde. Führten eingeleitete Maßnahmen nicht zum gewünschten Erfolg, so war dies in erster Linie ein Beweis, daß der Teufel diese Sachsen fester in seinen Krallen hielt, als man ohnedies befürchtet hatte. Selbst ein Alkwin, der zeitweise mancherlei Kritisches auch zur fränkischen Missionsmethode, zu Glaubenszwang und Zehntgier zu sagen hatte, stufte, enttäuscht über die anhaltende „Verhärtung“ des stammverwandten Schlages, die Sachsen schließlich ein als ein „nichtswürdiges Volk (populus nefandus), eine „verfluchte Generation . . ., die Gott bis heute verächtlich ist“ (maledicta generatione Saxonum Deoque despecta adhuc)110: der gefeiertste abendländische Theologe der Zeit! Die damit umschriebene Unfähigkeit damaligen Kirchentums, gegebene mentale und ideelle Strukturunterschiede zu erfassen und daraus die nötigen katechetischen Konsequenzen zu ziehen, dürfte die ausschlaggebende Ursache der Verwicklungen ab 777 geworden sein. Hinzu kam offenbar als weitere Schwierigkeit, daß der Monetheismus
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Dies beweist schon die gerade auch bei karolingerzeitlichen Autoren nachweisbare interpretatio Christiana (s. oben bei Anm. 15), dazu Karls persönliche Vorliebe für Augustins De civitate Dei (doch jedenfalls durch Vermittlung kirchlicher Kreise – erst Alkwins? – bewirkt) oben Anm. 37. 110 Vgl. Alcuin ep. 174 (MGH EE IV, S. 289, 2 ff.) bzw. 184 (S. 309, 13 ff.). – Ders. hat ep. 207 (S. 344, 20 ff.) ausdrücklich den Teufel als Sündenbock für missionarisches Versagen der eigenen Seite bereit: insuper et diabolus habet quaerere causas omnimodis, ut impediatur iustitia et sancta Dei ecclesiae protectio. Eine genauere Analyse des Gesamtbestandes alkwinscher Äußerungen zur Sachsenfrage mit gebührender Rücksicht auf die zeitliche Abfolge würde die Hilflosigkeit der von ihm vertretenen Position eindringlich beleuchten, zugleich aber geeignet sein, auch vor diesem gefeierten Lehrer neben Bewunderung – Grauen zu wecken.
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des Christentums für theologisch ungeschulten Geist damals zweifellos nicht nur für sächsische Augen verdunkelt war, schon durch zeitgenössische Erscheinungsformen des Heiligenkultes111. Das brachte, wie gleich noch näher zu zeigen ist, zusätzliche Komplikationen und machte umgekehrt den Sachsen erst recht Schwierigkeiten, zu erfassen, daß mit dem neuen Glauben etwas wirklich Neuartiges auf sie zukam. Nun gehört ein Zusammenstoß derartiger Strukturgegensätze zweifellos nicht allein zum Erscheinungsbild dieser einen Missionsunternehmung des abendländischen Mittelalters: er begleitet sie alle112, ausgenommen die immer wieder so eigenartig erfolglosen Christianisierungsversuche gegenüber Judentum und Islam, deren monotheistischuniversalreligiöse Grundstruktur prinzipiell gleichartig war (und ist). Insofern liegt im Fall der Sachsen nichts Einmaliges und Besonderes vor. Gleichwohl ist er von allen anderen vergleichbaren Ereigniszusammenhängen radikal abgehoben112a. Was dies bewirkt und die allgemeiner verbreitete Erscheinung einzig hier zu so unvergleichlicher Zuspitzung hinaufsteigert, das ist der spezifische historische Rahmen, der den konkreten Verlauf bestimmte. Nie zuvor nämlich war Übernahme des Christentums durch ganze große und geschlossene Bevölkerungsgruppen Gegenstand eines völkerrechtlichen Vertrages gewesen, dem die Ausführung gleichsam schlagartig zu folgen hatte; niemals mithin war Missionierenden und Missionierten dermaßen wenig Spielraum gegönnt, um sich bei allem guten Willen, wie er hier offenbar beiderseits bis zu einem gewissen Grade vorausgesetzt werden darf, wirklich aufeinander einzustellen.
111 Der Islam fühlte sich im Zeitalter der Kreuzzüge gegenüber seinen christlichen Kontrahenten sehr bewußt als Vorkämpfer des Eingottglaubens gegenüber dem Polytheismus, vgl. H. Prutz, Kulturgeschichte der Kreuzzüge, Berlin 1883 (Ndr. Hildesheim 1964), S. 24 f. mit höchst aufschlußreichen Belegen S. 502. Neben zeitgenössischen Erscheinungen des Heiligenkultes dürfte auch das gerade in der Kargheit damaliger Missionsexegese schlechterdings nicht klar verständlich zu machende Trinitätsdogma den monotheistischen Aspekt des Christentums nach außen hin verdunkelt haben – gerade für eine Religion, die ihrerseits Göttersöhne anderer Art kannte, wie das nach angelsächsischen und skandinavischen Analogien jedenfalls auch für die kaum bekannten mythologischen Vorstellungen Altsachsens vorausgesetzt werden darf. 112 Am Beispiel der Elb- und Ostseeslawen ausgeführt in Beitrag VIII. 112a Am ehesten rücken in die Nähe Vorgänge wie die Christianisierung Rügens und des Ostbaltikums im 12./13. Jh. (s. unten S. 164 f.). Die Sonderproblematik des Wendenkreuzzugs von 1147 lasse ich hier aus dem Spiel; dazu unten, Beitrag XX, mit Nachweis weiterer Arbeiten des Verfassers.
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Die Christianisierung der Franken selbst hatte sich von Chlodwigs Taufe an noch jahrhundertelang hingezogen, die der Angelsachsen mit bewußter Behutsamkeit gearbeitet (so, daß über die Umgebung des früh gewonnenen Herrschers und seiner christlichen Gemahlin, die mit ihrem Hauspriester schon lange im Lande gelebt hatte, nach und nach ein Missionskader auch aus dem zu durchdringenden Volk selbst herangebildet werden konnte). Den Sachsen blieben für die Umstellung kaum Jahre: der gewaltsam drängende Wille des Herrschers, der rasche Entscheidungen und Lösungen zu sehen wünschte, verlangte es so. Um so unvermittelter und schroffer mußte der Zusammenprall der beiden durch so weite Kluft getrennten geistig-religiösen Welten erfolgen. Suchen wir uns konkreter zu vergegenwärtigen, wie dies geschah113. Soweit die Quellen Einblick gestatten, begannen auf die Entscheidungen von Paderborn hin Taufe und Kirchenbau sich in entlegenere Gebiete Sachsens vorzutasten, wenn auch immer noch weite Strecken unerfaßt bleiben mußten, vor allem im Norden und Osten. Das Ganze geschah zunächst ohne militärischen Schutz einer fränkischen Besatzungsmacht, offenbar im Zusammenwirken mit landeseigenen Lokalinstanzen. Wie betont werden muß: sächsischerseits darf eine gewisse Freiwilligkeit der Mitwirkung an diesem Werk durchaus vorausgesetzt werden eben auf Grund der angedeuteten Gegebenheiten angestammter Denkstruktur114. Warum sollte man sich in der gegebenen Situation nicht auch des Gottes der Franken versichern, der sich so offenkundig als machtvoll erwiesen hatte; Christus also neben Donar, Wodan, Saxnot und wie sie alle hießen – vielleicht sogar Donar, Wodan, Saxnot und die angestammten Gottheiten sonst neben Petrus, Martin, Dionysius und ihren Genossen auf einer Ebene gemeinsam unter Christus? Christentum aber muß schon von seinem jüdisch-alttestamentlichen Erbe her prinzipiell antisynkretistisch eingestellt sein; das fränkische jener Zeit zudem hatte keine Wahl, als hier seine interpretatio Christiana einzubringen115. 113
Es sei erneut auf die Literatur bes. in Anm. 2 und 12 verwiesen. Vgl. dazu auch W. Baetke, Religion und Politik beim Übergang der germanischen Stämme zum Christentum (Neufassung von Dess., Religion und Politik in der Germanenbekehrung, Leipzig 1937), in: Ders., Kleine Schriften, Weimar 1973, S. 351–369. 115 Den bekanntesten Fall eines derartigen Synkretismus aus der Germanenmission bietet Beda, Hist. Eccles. II,15, ed. Plummer, S. 116, vgl. Kommentar S. 106; er ist sowohl der Sache wegen hier zitierenswert als auch durch die kommentierende Umrahmung des angelsächsischen Mönchs, der auch auf das karolingerzeitliche Deutschland große Wirkung ausübte: König Redwald von Ostanglien (frühes 7. Jh.) iamdudum in Cantia sacramentis Christianae fidei inbutus est, sed frustra (dazu s.u.); nam rediens domum ab uxore sua et quibusdam peruersis doctoribus seductus est (eine Version des 114
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Kein Zweifel: im Prinzip war dies auch den Sachsen gegenüber bekundet worden, zunächst bei den Massentaufen der beiden vermeintlichen Entscheidungsjahre, dann bei weiterer Spendung des christlichen Initiationssakraments im sächsischen Binnenlande: schon jenes charakteristische Gegenüber von „Abschwörung“ (abrenuntiatio) und „Glaubensbekenntnis“ (confessio fidei), das für die Zweipoligkeit des christlichen Missionsziels, seine Doppelrichtung ins Negative und Positive hinein116, so charakteristisch ist. Doch die traditionellen Abschwörungsformeln waren auf eine abrenuntio diaboli eingestellt, Absage an einen Teufel, der in angestammter sächsischer Vorstellungswelt nicht vorkam – er hatte gleichfalls erst frisch durch die Missionare eingeführt werden müssen. Kein Zweifel: die sächsischen Täuflinge waren ohne weiteres bereit, sich dem Kampf wider diesen Teufel anzuschließen, wenn der neu angenommene Gott ihn als seinen Feind ansah. Doch die Taufvorbereitung war, wie niemand bezweifelt, nur äußerst flüchtig gewesen, vor allem bei den symbolischen Massentaufen von 776 und 777117. Es kann als gewiß
geläufigen Topos, daß ein Herrscher nicht von sich aus irre; hier mit vielleicht doch etwas naiver Selbstverständlichkeit voraussetzend, daß der Täufling die Radikalforderung der abrenuntio diaboli seines Taufgelöbnisses zunächst eindeutig begriffen und akzeptiert haben müsse), atque a sinceritate fidei deprauatus (Ausdruck für Apostasie!) habuit posteriora peiora prioribus (vgl. Mt. 12, 45: Lc 11,25; der Gedankenkreis ist zu ergänzen durch Stellen wie Iud. 2,19; II Petr. 2,20–22 und nicht zuletzt I Tim. 5,8 sowie I Cor. 11,27; er besagt, daß der Apostat durch seinen sündigen Verstoß gegen das Taufgelübde im Hinblick auf sein Seelenheil schlechter gestellt ist als der ungetaufte Heide; er hat die Taufgnade wieder verwirkt und insofern, wie vorstehend formuliert: frustra empfangen); ita ut in morem antiqorum Samaritanorum (vgl. IV. (II.) Reg. 17,24–41) et Christo seruire uideretur et diis, quibus antea seruiebat; atque in eodem fano et altare haberet ad sacrificium Christi, et arulam (neben dem Vorgenannten natürlich nur mit einem minderen Ausdruck zu bezeichnen!) ad uictimas daemoniorum. Zur auch dabei hervortretenden interpretatio christiana oben bei Anm. 15 Ende; vgl. die demoniaca heresis Anm. 99 Ende. Einige weitere Beispiele in Plummers Kommentar. Man darf in derartigem Synkretismus wohl fast so etwas wie ein Normalverhalten von an sich bekehrungswilligen Neophyten sehen, die fern von laufender seelsorgerischer Betreuung durch christliche Priester sich selbst überlassen blieben, wie dies vor dem Ausbau eines noch so weitmaschigen Urpfarrnetzes für weite Teile Altsachsens zu gelten hat und also gerade für die Phase unmittelbar nach 777. Die Kirche aber muß hier von ihrem Wesen her radikal bleiben, zumindest in re; wie weit sie dies auch in modo für notwendig hält, ist eine Frage beteiligter Personen und Umstände, in gewissem Grade wohl nicht zuletzt der auf ihrer Seite erreichten geistigen und geistlichen Reife. 116 Oben S. 351–353. 117 Zur Problematik der Massentaufen zuletzt Schneider (wie Anm. 2), S. 242 f.; vgl. Patze (wie Anm. 123); dazu den Entwicklungsabriß für die Germanenmission überhaupt im Hinblick auf die Katechetisierungspraxis bei Varrentrapp (wie Anm. 38 Ende), S. 93–105 und weiter, bes. S. 119; ferner H. Aubin, Stufen und Formen der
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gelten, daß die Zahl der lehrenden Priester in keinem angemessenen Verhältnis zur Zahl der Taufbewerber gestanden hatte. Ganz sicher war auch die Zeit, die zur Belehrung verfügbar blieb, nur karg bemessen gewesen – Ausdehnung auf mehrere Tage schuf bei Massierung von Taufbewerbern Verpflegungsprobleme –, und Sprachschwierigkeiten müssen das Ihre beigetragen haben, die Intensität der Verkündigung zu durchkreuzen: mochten Niederfranken, Angelsachsen und Friesen sich sächsischen Zuhörern gegenüber vor verhältnismäßig geringen Sprachbarrieren noch sehen – für Sprecher mittel- und oberdeutscher Mundarten mußten sich in einer Zeit, die noch keine übergreifende deutsche Gemeinsprache kannte, bereits erheblich größere Probleme ergeben, einmal ganz abgesehen von Männern, die Vulgärromanisch als Muttersprache mitbrachten und durch notdürftige Kenntnis dieser oder jener Form des Fränkischen ergänzten118. Wer will erwarten, daß es unter solchen Voraussetzungen möglich werden konnte, den in polytheistischer Gentilreligiosität mit prinzipiell synkretistischer Tendenz Aufgewachsenen wirklich klarzumachen, was unter jenem „Teufel“ und seinen „Dämonen“ zu verstehen war: daß es im Akt der abrenuntiatio um nichts anderes zu gehen hatte als um die völlige Abkehr von den alten, angestammten Göttern, die doch ihr bisheriges Volksleben, wie sie selbst glaubten, immer wieder mit so spürbarem Segen an Ernte und Kriegsbeute begleitet hatten? Gewiß: der Zwang zur Entscheidung zwischen „Gott“ und den „Götzen“ muß in der Taufvorbereitung erwähnt worden sein. Aber geschah dies unter gegebenen Voraussetzungen mit der Eindringlichkeit, die erforderlich gewesen wäre, um auch nur rein formal wirklich
christlich-kirchlichen Durchdringung des Staates im Frühmittelalter I, in: Festschr. f. Gerh. Ritter, Tübingen 1950, S. 83 mit Anm. 64 und S. 90; Wiedemann (wie Anm. 12), S. 38 ff., 54 ff. passim; dazu auch M. Buber, Zwei Glaubensweisen, Zürich 1950, S. 176 f. Konkrete Schilderung eines möglichen Verlaufs: Salomo bar Simeon, in: A. Neubauer – M. Stern – S. Baer, Hebräische Berichte über die Judenverfolgungen während der Kreuzzüge, Berlin 1892, S. 137. 118 Neben dem Kloster Fulda, dessen Konvent auch zahlreiche angelsächsische Elemente einschloß, wurde in Paderborn u.a. die alte Königsabtei St-Denis zu diesem Missionswerk herangezogen (K. Hauck, in: Tellenbach-Festschr., wie Anm. 4, S. 102–133, passim, bes. S. 119 ff., 125 ff.; vgl. auch Jäschke, wie Anm. 103, S. 223). Auf weitere kirchliche Instanzen (Bistümer und Klöster) aus dem romanischen Sprachgebiet, die mit mehr oder minder großer Sicherheit wohl schon in Paderborn zur Mitarbeit herangezogen wurden, verweist A. Hauck, Kirchengesch., S. 387–389, passim. Selbstverständlich besagt die Lage der betreffenden geistlichen Einrichtungen nichts über Abkunft und Muttersprache der von ihnen entsandten Mitglieder, die sehr unterschiedlich gewesen sein kann.
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verstanden zu werden? Geschah es so, daß die Sachsen mit ihren so andersartigen religiösen Denkkategorien zu begreifen vermochten, was die Entscheidung für die Taufe auch nur in dieser einen Beziehung wirklich von ihnen verlangte? Ich sehe keinerlei Anknüpfungspunkte für eine Antwort, die auch nur ansatzweise bejahend ausfallen dürfte. Wohl aber kann auf den sächsischen Autor der Translatio Sanctae Pusinnae verwiesen werden, der noch acht oder neun Jahrzehnte nach Paderborn sehr genau wußte, welche Problematik ein vollständiger Bruch mit bisher für ehrwürdig gehaltenem Vätererbe gerade in religiöser Beziehung für die Generation des unmittelbaren Christianisierungszeitalters aufgeworfen hatte119. Die Sachsen haben in Paderborn getan bzw. besiegelt, was der übermächtige Franke von ihnen verlangte; guten Willens, sich auch seinen Gott zum Freunde zu machen. Und nun mußten sie unmittelbar anschließend erleben, wie christliche Predigt, die in ihre heimischen Wohngebiete vordrang, nicht nur für weiteren Anschluß an die Lösung warb, die dort auch für ihre Augen erkennbar vereinbart worden war, sondern zusätzlich dafür, daß die Bevölkerung selbst Hand an ihre bisherigen Kultstätten legte120. In welchem Umfang solche Predigten damals Erfolg hatten, wird aus den Quellen nicht deutlich; ebensowenig, wie weit Missionare schon damals auch zu selbständiger „Tatmission“ solcher Art griffen, ohne die bisherigen Verehrer der angestammten
119 Transl. S. Pusinnae, c. 1, in:Wilmans (wie Anm. 48), I, S. 541: Nobilis et strenua, iuxtaque dotem naturae sagacissima gens Saxonum . . . primo quidem duruscule ad divinam fidem accessit, quoniam antiquis ritibus tenebatur, et nefas videbatur maiorum ceremoniis errorem ascribere: quod videlicet fiebat novorum sacrorum susceptione, et veterum rituum abdicatione. Qui enim ceremoniis a maioribus sibi traditis renuntiare contendit, errasse eos, se vero veritatem invenisse, tacite confitetur. Es dürfte aus der gesamten älteren Missionsgeschichte nicht eben viele Zeugnisse geben, die so verständnisvoll über die Bekehrungsunwilligkeit von „Missionsobjekten“ urteilen. Welche Erfahrungen aus der eigenen Familiengeschichte des unbekannten Autors, mit persönlich verehrten Angehörigen älterer Generation, die er nun als Christ ewiger Verdammnis preisgegeben sehen mußte, mögen im Hintergrunde stehen? Möglicherweise kämen wir von hier aus an denselben Punkt, der für die so unerbittliche Prädestinationstheologie Gottschalks, eines sächsischen Christen zweiter (gleicher?) Generation, den „Sitz im Leben“ bezeichnen dürfte. 120 Vgl. z.B. Vita Sturmi, c. c. 23, ed. Engelbert, S. 159: Sturm sucht in dem ihm (777) zugefallenen Missionsbezirk darauf hinzuwirken, ut idola et simulacra derelinquerent, Christi fidem susciperent (klassische Formulierung des doppelten Missionsziels, vgl. oben S. 352 f., deorum suorum templa destruerent, lucos succiderent, sanctas quoque basilicas (hier = Kirchenbau allgemein, Holzkirchen nicht ausgeschlossen!) aedificarent. Dazu Vita Willehadi, c. 4 (MGH SS II, S. 381) und andere Stellen; vgl. Wiedemann (wie Anm. 12), S. 43 f.
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Heiligtümer in das Vernichtungswerk einzubeziehen. Unwahrscheinlich ist auch dies zweite ganz sicher nicht121; im Gegenteil: Mönche aus Fulda waren an dieser Erstphase in besonders starkem Ausmaß beteiligt, Männer, denen das berühmte Vorbild des gerade von ihnen so besonders verehrten Bonifatius vor Augen stand, die Fällung jener Donarseiche im hessischen Geismar. Vollends warnt davor, Züge dieser Art im Gesamtbild zu unterschätzen, das Ergebnis – eben der sächsische Gegenschlag von schon 778, von Rachedurst beflügelt122, der offenbar nur als Vergeltungsschlag aufgefaßt werden kann für Vorgänge, welche altsächsischem Empfinden als Religionsfrevel erscheinen mußten: ein Rachezug im Dienst der alten Götter zur Abwendung ihres Zorns, aber etwa auch aus Empörung über solche, wie man wohl glauben mußte, vertragswidrige Obergriffe der fränkischen Seite, nachdem man selbst doch getreulich und gutwillig hatte zu erfüllen gesucht, was Wunsch und Wille des Siegers gewesen war. Wie sollte solcher Frevel an altheiligen Stätten – im Kriege selbstverständlich – zum feierlich hergestellten Frieden stimmen? Die Franken, die Christen standen in solcher Perspektive als Rechtsbrecher da: man war an bisherige Abmachungen nicht mehr gebunden. Dies alles ist so weit, zugegeben, Hypothese. Doch es gibt eine Quelle, die durch ihre Eigenart die gesuchte Lösung mit großer Bestimmtheit in die bezeichnete Richtung verweist: das sog. altsächsische Taufgelöbnis123.
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Allgemein zum Problem der „Tatmission“: Beitrag X, S. 294 f. dazu S. 284 über die gleich zu nennende Donarseiche. 122 Oben bei Anm. 101. Im Urteil berühre ich mich hier mit Wiedemann, S. 44. 123 Der bekannte Druck MGH Cap. I, S. 222 n. 107 erschwert die Einordnung, weil er alles Vergleichsmaterial beiseite läßt; besser bei W. Braune-K. Helm-E.A. Ebbinghaus (Hrsg.), Althochdeutsches Lesebuch, Tübingen 141965, Nr. XVI/2,II (S. 38 f. mit Lit., S. 164 f.) im Rahmen dortiger Begleitstücke; vgl. auch W. Lange, Texte zur germanischen Bekehrungsgeschichte, Tübingen 1962, S. 175 f.; mit neuhochdeutscher Übersetzung bei R. Rau, Briefe des Bonifatius usw., Darmstadt 1968, S. 448 f. Zum Vergleich wichtig auch die entsprechenden Formeln der lateinischen Sakramentare, aus denen hier diejenige bei H. Lietzmann (Hrsg.), Das Sacramentarium Gregorianum nach dem Aachener Urexemplar, in: Liturgiegeschichtl. Quellen 3, 1921, S. 50, n. 83,3 hervorgehoben sei. – Alle altdeutschen Taufformeln gemeinsam behandelt mit wesentlich neuen Einsichten W. Foerste, Untersuchungen zur westfälischen Sprache des 9. Jhs., Marburg 1950, S. 90–125 (darunter das altsächsische S. 92–98, vgl. S. 111); vgl. Ders., Altsächsische Literatur, in: P. Merker-W. Stammler u.a. (Hrsg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte I, Berlin 21958, S. 40. Er datiert den Text (ob zwingend?) vor 789 (Karls Anweisung in der Admonitio generalis, den Taufritus dem Ordo Romanus anzupassen; die Anweisung wurde jedoch zweifellos nicht überall schlagartig ausgeführt, wie Karls Enzyklika in dieser Angelegenheit und die erhaltenen Responsen von 811/12 beweisen).
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Ec forsacho allum dioboles uuercum and uuordum, Thunaer ende Uuôden ende Saxnôte ende allum thêm unholdum thê hira genôtas sint: keine sonst unter all den Gelöbnisformeln zur Taufe, die historisch bekannt sind, fügt einen Passus ein, der eine derart ausdrückliche, namentliche Absage an die wichtigsten alten Gottheiten des Missionsgebietes ein
Ergänzend H. Homann, Der Indiculus superstitionum et paganiarum und verwandte Denkmäler, Diss. Göttingen 1965, S. 4–12 u. bes. S. 202–208 mit weiterer Lit. Aus älteren Bearbeitungen hebe ich hervor: A. Hauck, Kirchengesch. II, S. 402 f.; H. Achterberg, Interpretatio Christiana. Verkleidete Glaubensgestalten der Germanen auf deutschem Boden, Diss. Greifswald 1930, S. 72 ff. (dem ich jedoch nicht zu folgen vermag, wenn er den Begriff der „Unholde“ nicht mit auf die drei namentlich genannten Hauptgötter bezieht: dies verkennt m.E. den doch noch stark synthetischen Sprachcharakter des Denkmals, in dem thêm nicht Artikel, sondern Demonstrativum ist, geradezu als „diejenigen“ übersetzbar – um von anderen Gegengründen hier abzusehen); A. Lasch, Das altsächsische Taufgelöbnis, in: Neuphilolog. Mitteilungen 36, Helsingfors 1935, S. 92–133; Varrentrapp (wie Anm. 38), bes. S. 155 f., 160 f. – Die oben weiter im Text charakterisierten Zusätze zum Normalschema an gerade der betreffenden Stelle bedingen, daß das altsächsische gerade nicht „wie andere frühe Taufgelöbnisse . . . nur ein kurzes Wechselspiel zwischen dem fragenden Priester und dem antwortenden Heiden“ darstellt (so Patze, wie Anm. 2, S. 703, der im übrigen die Problematik des mit solchen Formeln im Bekehrungswerk damals getriebenen Spiels nochmals scharf beleuchtet). – G. Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters I, München 21932, S. 298 verweist auf gelegentliche Erwähnung von Dämonen in lateinischen Abschwörungsformeln zusätzlich zum Teufel. Darüber hinaus finde ich Ansätze zu vergleichbarer Präzisierung nur an zwei Stellen: 1. in dem wohl von Alkwin verfaßten, also dem altsäch. Taufgelöbnis sehr nahestehenden Ordo de catechizandis rudibus (bei Löwe, wie Anm. 54, S. 173), in Gestalt eines eingearbeiteten Zitates aus Nicetas von Remesiana (um 400): Deinde abrenuntiet et operibus eius malignis, id est culturis et idolis, sortibus et auguriis, pompis et theatris, furtis et fraudibus, homicidiis et fornicationibus (folgen weitere Laster). Dies weicht deutlich ab, wenn es sich auch nach entsprechender Richtung hin ausbaufähig zeigt. – 2. dichterisch und spät im Rolandslied des Pfaffen Konrad (um 1170, fußend auf der verbreiteten Vorstellung, der Islam als „das“ Heidentum schlechthin jener Zeit huldige einem zügellosen Polytheismus), v. 1037 ff. Wesle: wir schulen Machmeten uirtribin / unde alle die mit ime blibin, / Apollen sinin gesellen. – Das altsächsische Taufgelöbnis ist nicht zu verwechseln mit einem zweiten, gleichfalls niederdeutsch abgefaßten, das in der Forschung den im Grunde gar nicht ausreichend differenzierenden Verlegenheitsnamen des altwestfälischen Taufgelöbnisses erhalten hat (Text: Foerste, Untersuchungen, S. 90 f., dazu ebd., S. 91–125; mitgedruckt auch in den meisten oben zitierten Ausgaben. Vgl. noch: Kunst und Kultur im Weserraum, wie Anm. 90, S. 749, n. 592). Es gehört in die Mitte des 9. Jhs. vielleicht nach Werden, und folgt im Aufbau eher dem traditionellen Schema: nach Alleinherrschaft der Kindertaufe im christianisierten Sachsen war die namentliche Abschwörung der alten Gottheiten gegenstandslos geworden. – In welcher geographischen Ausdehnung und wann bzw. wielange das altsächsische Taufgelöbnis tatsächlich praktisch eingesetzt wurde, ist unbekannt; ebenso, wie weit etwa auch das sog. fränkische Taufgelöbnis als Übersetzungsleistung mit den Vorbereitungen zur Sachsenmission zusammenhängt, in die ja auch des Altsächsischen zunächst unkundige Instanzen gerade aus dem fränkischen Bereich (Würzburg, Amorbach usw.) eingeschaltet wurden.
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schließt, und zwar an syntaktisch nicht eben geschickter Stelle, die den nachträglichen Einschub deutlich genug erkennen läßt. Er ist dabei so stilisiert, daß die interpretatio christiana in voller Eindeutigkeit klargestellt wird (unholdum = daemonibus), und vor allem: dieser Passus gegen „Donar und Wodan und Saxnot und all diese Unholden, die ihre Genossen sind“, zeigt sich nicht etwa eingearbeitet in eine jener katechetischen Fragen, die der Priester dem Taufbewerber vor dem Sakramentsvollzug vorzulegen hatte – er tritt auf im Rahmen einer der Antworten, die der Kandidat persönlich verlautbaren, die er im voraus auswendig lernen, in die er zumindest vorher so weit eingeführt werden mußte, daß er sie ohne Stocken nachzusprechen und doch wohl auch wenigstens einigermaßen zu verstehen vermochte. Diese Stellung innerhalb des Ganzen scheint mir die Wichtigkeit der Zusätze für das Verständnis dessen, was mit ihrer Einfügung geschah, sehr wesentlich zu unterstreichen: man darf hier wohl einen Versuch aus der fränkischen Missionskirche sehen, aus Erfahrungen der soeben vorausgesetzten Art zu lernen und wenigstens nachträglich Konsequenzen zu ziehen, und es ist wohl mehr als ein Zufall, daß der Redaktor dieser Fassung offensichtlich kein Franke, sondern ein Angelsachse war, der sich mit den altsächsischen Stammesvettern so ungleich leichter verständigen konnte124. Er war damit besser als jene in die Lage versetzt, zu erfassen, wo die so viel und erbittert gerügte „Herzensverhärtung“ der „Missionsobjekte“ ihre Ursache hatte. Seine Reaktion ist ein Spiegel, der wenigstens indirekt einige Strahlen der sächsischen Beleuchtung jener Vorgänge auffängt, die selbst für uns so vollständig verdunkelt ist. Nach alledem stehen wir an dieser entscheidenden Stelle unserer Geschichte offenbar vor einem Konflikt zwischen einer synkretistisch geprägten Gentilreligiosität und dem ersten Gebot des Dekalogs; einem Konflikt, zu dessen angemessener Bewältigung der missionierenden fränkischen Kirche der Zeit das geeignete Instrumentarium vollständig abging. Ein Versagen des fränkischen Partners hat die Sachsen herausgefordert, ein Versagen jedoch – und darin liegt Tragik –, das offenbar unvermeidbar war, nachdem eine grundsätzlich andere Verhaltensalternative in den inneren Möglichkeiten zeitgenössischen Christentums schlechterdings nicht gegeben war. Die Sachsen haben diese Herausforderung angenommen, um – ihrem eigenen Empfinden
124 Dieser Nachweis gelang überzeugend A. Lasch (wie Anm. 123), bes. S. 101, 104–123, passim und S. 131, dazu 118, 133.
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nach – frevelhaftes Unrecht zu sühnen und seine weitere Ausdehnung zu verhindern; eben damit aber fielen sie, die de jure bereits als Christen betrachtet wurden, unter das erbarmungslose Apostatenrecht bisheriger christlicher Tradition, das die weiteren Schritte des Frankenkönigs so maßgeblich mitbestimmt zu haben scheint mit all den grauenhaften Konsequenzen, die nur zu gut bekannt sind. So kam es zur dritten, letzten und entscheidenden Eskalation in der bedrückenden Reihe, die wir zu verfolgen suchten. Nicht, daß vom Apostatenbegriff und vom Apostatenrecht her sich alles erklärte, was der Herrscher und seine Beauftragten nach 777 in und an Sachsen verübten: der militärisch-machtpolitische Aspekt mit seinen Eigengesetzlichkeiten sprach zweifellos immer mit bis zum, je nach Standpunkt, glorreichen oder bitteren Ende. Ein Karl hat auch sonst hart durchgegriffen, wo er Widerstand fand. Doch wo wären Beispiele einer Härte vergleichbaren Grades? Nicht die neue Eskalation, doch ihr Ausmaß, ihre Intensität, ihre Formen sind es, die von den hier angesprochenen Voraussetzungen her besser verstehbar werden als auf jedem anderen Wege, den bisherige Forschung erprobte. Es ging dort in Sachsen wohl auch gegen Vertragsuntreue und Friedensbruch, später gegen „Rebellen“; nie aber ging es allein gegen solche, sondern – seit Paderborn – gegen Religionsfrevler, die nicht mehr nur gewöhnliche „Heidenhunde“ waren, sondern Apostaten und als solche schlimmer denn sie124a. 7. Einordnung und Konsequenzen Die Sachsenpolitik Karls d. Gr. stellt sich nach alledem nicht dar als ein von durchlaufend gerader Linie bestimmter Ereigniszusammenhang, der nach Formen und Lösung bestimmt gewesen wäre durch einheitlich-umfassende Vorausplanung125. Sie erscheint vielmehr als Ergebnis wiederholter wechselseitiger Eskalation, bewirkt durch das Ineinandergreifen mehrfacher Aktion, Reaktion und Antireaktion, beides aber
124a Zum „Heidenhund“: oben Anm. 24; Apostateneinschätzung neben Heiden: oben Anm. 115. 125 Im Prinzip hat dies bereits A. Hauck, Kirchengeschichte II, S. 380 f. mit ausgedehnter Anm. 4, klar gesehen unter grundsätzlicher Abweisung jedes simplen Rückschlusses vom schließlichen Ergebnis auf die Anfangszielsetzung Karls. Er ist darin nicht widerlegt worden, auch wenn seine Ergebnisse im einzelnen, wie hier zu zeigen versucht, mancher Modifizierung und Ergänzung bedürfen.
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jeweils auf mindestens zwei Ebenen zugleich: einer profanpolitischen, gleichsam als Fundament, und einer religionspolitischen, die für die konkrete Ausprägung und Profilierung der Vorgänge offenbar immer wieder die entscheidendere war. Wir rekapitulieren: Strafexpedition der Franken in grenznahes Sachsengebiet zur nachdrücklicheren Friedenssicherung an besonders gefährdeter Grenze, doch auch unter Zerstörung der Irminsul ohne Gegenwirkung der Sachsengötter; daraufhin Vertragsschluß, sicher nicht ohne daß der Eindruck dieses besonderen Einzelerfolges auf die Sachsen ihre Neigung zum Einlenken gefördert hätte – Rachezug aufgebrachter (anderer?) Sachsen gegen das fränkische Grenzgebiet und seine christlichen Heiligtümer – Neukonzeption Karls von 775 zu radikaler Lösung und Ansatz zur Realisierung mit, an Späterem gemessen, zunächst erstaunlich maßvoll zurückhaltenden Forderungen – neue sächsische Gegenwirkung, z.T. vielleicht unter Beteiligung von Emigranten aus fränkischerseits dabei annektiertem Randgebiet – Anziehen der Schraube auf seiten Karls, doch immer noch mit beachtlichem Blick für das Maß; daraufhin scheinbare Abschlußlösung in Paderborn – Versagen zeitgenössischer Missionskatechese bei der Ausführung vor dem gegebenen Hauptproblem unter vermehrten Übergriffen gegen altsächsische Heiligtümer als Folge – neue, ungewöhnlich weitausgreifende und verheerende Rachezüge der Betroffenen – Annahme und Vergeltung der neuen Herausforderung durch Karl mit äußerstem Rigorismus, der sich, wie es scheint, nicht zuletzt durch Einwirkung überkommener kirchlicher Rechtstraditionen mitbestimmt zeigt, dabei aber auch den Gegner seinerseits zu Äußerstem treibt – bis schließlich die Kräfte auf beiden Seiten erschlaffen, der Stärkere in gewisser Weise einlenkt, dem Schwächeren damit Brücken baut, doch im Ganzen die Oberhand zu behaupten vermag weit über die ursprüngliche Konzeption hinaus, so daß auch ein nach längeren Ruhejahren aufflammendes Nachspiel mit nochmals rigorosem (doch nun weniger blutigem) Durchgreifen der Siegermacht zu keinem neuen Ergebnis mehr führen kann. Dabei mag ein Teil der Härten – etwa Verden 882 – vielleicht zusätzlich als eine Art Verzweiflungsreaktion dessen zu verstehen sein, dem ein so wohlgefügter Staat wie das Langobardenreich binnen weniger als zwei Jahren zugefallen war, während er sich hier im Norden plötzlich vor einer Aufgabe offenbar nicht erkannten Ausmaßes sah, der
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gegenüber er gleichwohl zu beweisen hatte, daß er trotz allem auch ihr gewachsen war126. Wie sollen wir einordnen, was auf solcher Basis ab 778 zustandekam? Ein „Kreuzzug“ war es noch nicht, denn ein solcher setzt vom Begriff her grundsätzlich bestimmte unabdingbare Merkmale voraus: Initiative und ideelle Leitung durch Papsttum und Kirche, deren ureigenste Mittel, die Einwirkungsmöglichkeiten mit den Waffen des Wortes, erschöpft sind, so daß sie sich nun derer des weltlichen Armes bedienen; dazu den Charakter einer zeitweise geradezu wallfahrtsartigen, individuellen Bußleistung, zu der der Teilnehmer sich durch personliches Gelübde verpflichtet und die ihm – „rechte Gesinnung“ bei der Durchführung vorausgesetzt – entsprechenden Ablaßgewinn für sein eigenes Seelenheil einbringt127. Für die Sachsenkriege Karls bezweifelt niemand, daß auch nach 777 die entscheidenden Initiativen allein vom Herrscher ausgingen, nicht vom Papst und ebensowenig von einer anderen kirchlichen Instanz – die fränkische Reichskirche folgte mit oft eher weniger als mehr Engagement dem Willen ihres Königs, und die Möglichkeit, durch Teilnahme an solch kriegerischem Werk auch das geistliche Wohl des einzelnen Streiters gefördert zu sehen, lag nicht minder noch weit jenseits des Gedankenhorizonts der Zeit; statt mehr oder weniger freiwilligen Gelübdes galt das zwingende Aufgebot des Kriegsherrn128. Doch was die Feldzüge dieser folgenden Jahre zu wahren suchten, war ein als rechtmäßig hergestellt angesehener christlicher Besitzstand; um ihn ging es nach hier entwickelter Auffassung sogar eher und stärker als um einen politisch-administrativen Anspruch des fränkischen Reiches – wenn es nämlich zutrifft, daß dessen Expansion sich erst nachträglich auf den gesamten weitgedehnten Schauplatz der Auseinandersetzung unmittelbar erstreckte, als es schließlich schien, daß keins der älteren Ziele auf anderem Wege dauerhaft gesichert werden konnte: weder
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Vgl. oben S. 357 f. Hier genüge der Hinweis auf Schwinges (wie Anm. 24), bes. S. 2–10, in Verbindung mit J. Riley-Smith, What were the Crusades?, London-Basingstoke 1977, bes. S. 11–17, wo vielleicht deutlicher herauskommt, daß der Jerusalemgedanke nur in bestimmter Frühphase, nicht aber auf Dauer wichtig blieb, also nur akzidentiell, nicht prinzipiell begriffswichtig wurde. Den Hinweis auf dieses meinen eigenen, langgehegten Intentionen sehr entgegenkommende zweite Buch danke ich Herrn Dr. Schwinges selbst. – Das Arbeiten mit einem unsauberen Kreuzzugsbegriff ist ein immer noch häufiger Fehler historischer und literaturhistorischer Fachliteratur. 128 Vgl. dazu die ersten Kapitel von Erdmann (wie Anm. 24), sowie E. Delaruelle, Essai sur la formation de l’idee de Croisade I: La guerre sainte sous Charlemagne, in: Bulletin de Littérature Ecclésiastique (Toulouse) 1941, S. 25–45. 127
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das religionspolitische noch das der allgemeinen Friedenswahrung. Dabei konnte ab 777 Apostatenrecht eingesetzt werden, doch nahm das weitere Vorgehen keine Rücksicht darauf, wie viele Sachsen etwa noch ungetauft waren, also gar nicht unter dieses Sonderrecht fallen konnten: der feierlich abgeschlossene Vertrag dieses Jahres sah vor, daß Sachsen christlich wurde; wer dies für seinen Teil unterließ, war in fränkischen Augen Vertragsbrecher und gefährdete überdies den Bekehrungsstand der Neophyten, was für eine praktische Gleichstellung mit Apostaten ausgereicht haben mag. In all diesen Merkmalen aber wurden die Unternehmungen, die dem sächsischen Gegenschlag von 778 folgten, doch zu Vorläufern bestimmter Kreuzzüge späterer Zeit, vor allem nach Preußen und Livland129. Es versteht sich, daß dies nicht gleichbedeutend ist mit einem kontinuierlichen Traditionszusammenhang: ein solcher konnte nicht zustandekommen, eben weil die karolingerzeitliche Kirche an der Grundlegung der königlichen Kriege ihrer Gegenwart nicht auslösend und führend beteiligt war, sondern mehr dienend, vom Herrscher herangezogen, und die römische vollends so gut wie überhaupt nicht130. Die Übereinstimmung ist gleichwohl mehr als zufällig: Sachsenkriege und Ostbaltikumkreuzzüge sind als Schößlinge anzusprechen, die unabhängig voneinander zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen einer gleichen Wurzel entsprangen. Dasselbe gilt aber auch noch nach anderer Richtung: soweit Karls spätere Sachsenzüge als Apostatenexekutionen zu verstehen sind, rücken sie in gleichartige bedingte Vorläuferposition ein auch zu späteren Ketzerkreuzzügen, etwa gegen Albigenser und Stedinger, wurde doch Apostatenrecht stets als Sonderfall des Ketzerrechtes betrachtet131. Vielleicht, daß in den jüngeren Erscheinungen oft das „ideologische“ Moment noch stärker beteiligt war, indem dort profane Motive noch wesentlich nachdrücklicher einzuwirken scheinen und nicht zuletzt von Anfang an, was für Karl jedenfalls nach der überlieferten Alternative von 775 und noch nach dem Stande von Paderborn 777 mindestens fraglich ist. Doch es gibt noch Aspekte ganz anderer Art. Grundsätzlich haben wir die Sachsenpolitik Karls auch zu verstehen als Auseinandersetzung
129 Auch bei diesen Kreuzzügen ging der Versuch friedlicher Missionierung dem bewaffneten Eingreifen voraus, das ihrem offenbaren Scheitern entgegenwirken sollte; vgl. bes. die beiden Beiträge von F. Blanke, in: Beumann (wie Anm. 75). 130 Über gelegentliche Befassung des Papstes mit der Sachsenfrage durch Anfragen und Bitten, die von Karl ausgingen, vgl. oben bei Anm. 4 sowie Anm. 98. 131 Vgl. Anm. 99 Ende.
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zwischen einem Teil Europas, der schon mittelalterlich strukturiert war, mit einem anderen, noch nicht mittelalterlichen, vielmehr alteuropäischen Gepräges. Der jähe Zusammenprall gegensätzlicher religiöser Strukturen, wie er später auch die Preußen- und Livlandkreuzzüge begleitet (anders als die innerchristlichen Ketzerexekutionen), – er kennzeichnet nur die vielleicht bezeichnendste und bedeutsamste Seite dieses allgemeineren Zusammenhanges. Was steigernd hinzukam, war der gleiche fordernde Herrscherwille, der schlagartig zu erzwingen suchte, was schlagartig zu erzwingen auch unter günstigeren Voraussetzungen nun einmal nicht möglich ist, ohne daß das stark formal, wohl doch übersakramentalisierte Denken der Kirche seiner Zeit rechtzeitig Möglichkeiten zu besserer Einsicht hätte anbieten oder wenigstens freigeben können132. Von hier aus stellt das Geschehen dieser Jahrzehnte sich dar als ein Sonderfall jener allgemeinen Erscheinung, die sich durch die Weltgeschichte hin an immer neuen Stellen verfolgen läßt bis hinein in unsere eigene Gegenwart: der Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Vertretern unterschiedlicher Denksysteme, die weder Muße noch auch Willen haben, sich gebührend aufeinander einzustellen133. Sind wir nicht befragt, ob wir das Menetekel begreifen, das von den Katastrophen dieses Sonderfalles der Geschichte her auch an unserer Wand aufscheint? Historisches „Verstehen“ – das wurde gesagt – kann nicht gleichbedeutend sein mit einer automatischen Nötigung, „alles“ zu „verzeihen“, womöglich gar noch zu billigen, zu sanktionieren. Solches Verstehen zu fördern war ein wesentlicher Zweck dieses Beitrags; ein Verstehen, soweit irgend erreichbar, gleichsam von innen heraus, und zwar für beide Seiten, die damals beteiligt waren, nicht nur für eine allein. Doch kann es damit getan sein? Es ist meine Überzeugung, daß nach größtmöglichem und ehrlichem Bemühen um Verständnis der Historiker gleichwohl als Mensch
132 Über prinzipiell unterschiedliche Frömmigkeitsformen, die hier in die Urteilsbildung hereinspielen, vgl. Beitrag X, S. 314 f. im Anschluß an G. Mensching, Soziologie der Religion. Bonn 1947, bes. S. 220 f.; zu ergänzen: G. R. Heyer, Kraftfeld der Seele, München 21964, Teil II, über die sog. Psychologie des „individuellen“ und des „institutionellen Stils“. 133 Das vielleicht wichtigste mittelalterliche Beispiel aus diesem übergreifenden Problemkreis bildet bekanntlich die Auseinandersetzung zwischen dem Abendland und Byzanz; dazu Hinweise bei H.-D. Kahl, Römische Krönungspläne im Komnenenhause? Ein Beitrag zur Entwicklung des Zweikaiserproblems im 12. Jh., in: Arch. f. Kulturgesch. 59, 1977, S. 259–320, passim.
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seiner Zeit auch Stellung zu nehmen hat zu dem, was er in seinem Untersuchungsfeld als geschehen, als getan und also als menschliche Möglichkeit vorfindet – eine Möglichkeit mithin, die sich als solche in jeder Gegenwart auswirken kann, mit den jeweils gegebenen äußeren Mitteln, auch in der unseren. Müssen wir uns nicht rüsten, um ihr heute, je nachdem, den Boden zu bereiten oder aber möglichst zu widerstehen? Hat nicht Geschichte, indem sie uns für dergleichen den Blick zu schärfen hilft, eine der „notwendigsten“ Funktionen, die sich für sie denken läßt? Nicht umsonst stellt sie in so besonderer Weise eine „Wissenschaft vom Menschen“ dar134. Niemand wird sich mit den Sachsen identifizieren wollen, die 778 auf fränkischem Boden alle Siedlungen, die sie nur erreichen konnten, mit Feuer und Schwert verheerten, Heiliges wie Profanes in gleicher Weise der Vernichtung preisgebend, ohne Schonung von Alter und Geschlecht135. Aber sie waren gereizt, herausgefordert im Zentrum ihrer menschlichen Existenz. Wie viel weniger können wir uns identifizieren mit dem Mann, von dem diese Herausforderung ausging! Mag er immer Großes gewollt haben aus einer Herrscherverantwortung, die die Pflicht zur Friedenssicherung einschloß, aber auch die Missionspflicht gegenüber denen, die nach seinem Glauben, solange sie unbekehrt blieben, ewiger Verdammnis preisgegeben waren: gegenüber dem, was auf sein Königswort hin im Namen des Gottes der Liebe in und an Sachsen verübt worden ist, kann es nichts als ein kompromißloses Absetzen geben – das spürte selbst mittelalterliches Empfinden, indem es die düsteren Züge in diesem Bilde weitgehend verdrängte und, was blieb, in mehr oder weniger idealisierende Sphären emporhob136.
134 Vgl. H.-D. Kahl, Geschichte in einer sich wandelnden Welt, in: Wirklichkeit und Wahrheit. Vierteljahreszeitschrift für Forschung, Kultur und Bildung, Heft 3/1971, S. 130–146 (oben, Beitrag I); mit Ergänzungen Ders., Geschichtsstudium ohne Forschung?, Ebd. Heft 2/1972, S. 121–126, bes. S. 125 f. – Graus (wie Anm. 138a), S. 636 stellt – ganz im Sinne dieser meiner älteren Äußerungen, aber präziser formuliert – unserer Wissenschaft die Aufgaben, die dem vorliegenden Beitrag als Motto vorangestellt sind, ohne damit jedoch die Einengung auf eine bloße „historische Sozialwissenschaft“ zu propagieren, in der entscheidende Dimensionen des Menschlichen verkümmern müßten (vgl. ebd. 647). 135 AnnqdEinh, a. 778, ed. Kurze, S. 53: Saxones . . . ad Rhenum usque . . . quicquid . . . vicorum villarumque fuit, ferro et igni depopulati sunt. Pari modo sacra profanaque pessumdata; nullum aetatis aut sexus discrimen ira hostis fecerat, ut liquido appareret, eos non praedandi, sed ultionem exercendi gratia Francorum terminos introisse. 136 Vgl. Beitrag XV, S. 537 f. mit Anm. 216 (Lit).
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Kein Mensch hat das Recht, mit seinesgleichen so zu verfahren, ob es sich dabei nun um Massen oder „nur“ um einzelne handelt; keiner das Recht, geistige Auseinandersetzungen mit solchen Mitteln zu führen und aus womöglich künstlich hochstilisiertem Feindbild137 derartige Konsequenzen zu ziehen. Dies gilt auch dann, wenn er sich dabei in starkem Umfang von einem geistigen Milieu bestimmt zeigt, dem er Widerstand nicht entgegenzusetzen vermochte, weil es ihm mit dem Nimbus altüberkommener, ehrwürdig-verbindlicher Tradition gegenübertrat, der auch er sich zu fügen hätte. Er wird dann zwar weitgehend vor uns stehen als ein seinerseits Verführter, der auch als solcher Verständnis beanspruchen kann; was er bewirkte und tat, wird dadurch um nichts vertretbarer – auch nicht, wenn anderes, womit er sein rigoroses Durchgreifen begleitete und ergänzte, in der Kulturpolitik etwa, zugegeben positive Aspekte bietet und Jahrhunderte befruchtet hat. Unwillkürlich fragt man nach dem „Verführer“ – und stellt fest: ein solcher läßt sich in diesem Fall gar nicht benennen, jedenfalls nicht als Individualität, als ausschlaggebende Person. Nur die genannte Tradition steht im Hintergrund: teils schriftlich fixiert, teils wohl nur in mündlichem Ungefähr, keinesfalls systematisch erfaßt und gesichtet, sondern in all ihren diffusen Elementen damals immer nur mehr oder weniger zufällig greifbar, dazu vielleicht noch einseitig aufgefaßt, eigenwillig weiterentwickelt, überspitzt gehandhabt nach Maßgabe der geistigen und seelischen Kapazitäten, die diese Tradition hier – nicht zuletzt in Karl selbst – als Lebensweisung zu rezipieren und zu verarbeiten hatten. Wir registrieren: das gibt es also – solche Verführung ohne individuellen Verführer. Wie nachdenkenswert! Und sehen uns, weiter nach Ursprüngen suchend, unversehens einem der Komplexe gegenübergestellt, die man nun doch wohl als Haupt- und Grundprobleme unserer gesamteuropäischen Entwicklung (nicht etwa nur der abendländischen!) herausstellen darf, auch wenn dazu in diesem Rahmen nur noch stichwortartige Andeutungen möglich sind. Es geht um das traditionsbildende Eindringen eben derjenigen spätrömisch-sakralisierten Imperialvorstellungen, die in vorkonstantinischer Entwicklungsphase die Christenverfolgungen ausgelöst hatten; um ihr Eindringen in ein Christentum, das seinerseits nicht – wie man immer wieder lesen kann – den römischen Staat (von sich aus) erobert hatte, sondern vielmehr unverhofft und ungerüstet von seiten dieses Staates selbst in ihn und
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Vgl. oben bei Anm. 92.
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seine Sphären hereingezogen wurde, mit der unerhört gravierenden Folge, daß es von seiner Eigenentwicklung her allen Fragen staatlichgesellschaftlicher Ebene zunächst mit einem kaum überbietbaren Konzeptionsdefizit gegenüberstand, nun aber in der neuen Situation keine Zeit behielt, die verhängnisvolle Lücke allein von seinen eigenen Voraussetzungen her aufzuarbeiten: ein Vorgang, der wiederum im Vollsinn des Wortes tragisch genannt zu werden verdient, und wiederum, soviel noch erkennbar, in damaliger Gegenwart keine wirkliche Alternative besaß. So blieben die vorchristlichen Strukturen im verchristlichten Römerreich erhalten, nicht unmodifiziert, doch ohne prinzipielle Wandlung. In der Folge entwickelten sie zwei verschiedene Hauptvarianten in Ost und West und wurden hier wie dort in säkularisierter Form an totalitäre Systeme unserer Moderne weitertradiert, mehr oder weniger abgelöst nun von der christlichen Motivation, die ihnen früh, doch gleichwohl erst nachträglich aufgepfropft worden war; gegenwärtig sind sie am deutlichsten sichtbar in der leninistischen Ausprägung des Marxismus, die sie sich von der auf byzantinischem Erbe beruhenden Staatsorthodoxie des zaristischen Rußland übermitteln ließ (weshalb etwa eine – ausreichend differenzierende – Vergleichsstudie über Apostatenexekutionen und Ketzerkreuzzüge des lateinischen Westens einerseits, die bewaffneten Formen sog. „brüderlicher Hilfe“ im heutigen „sozialistischen Lager“ andererseits offenbar eine lohnende Aufgabe wäre)138. Unser Karlsbild erhält von solchen Ausblicken her eine historische Tiefendimension; unmittelbar berührt aber wird es wenig. „Für Morde kann es keinerlei Entschuldigung geben, auch keine ‚historische‘ im Abstand von Jahrhunderten, und Massenmorde sind ein Phänomen, das nie genügend gebrandmarkt werden kann“, auch wenn man „dabei . . . sehr schnell an die Grenzen menschlicher Ausdrucksweise überhaupt“ gelangt138a. Entfesselung eines Missionskrieges aber und Ausweitung bis zum brutalen Eroberungskrieg sind Dinge, die auf keine
138 Hinweise zum Fortleben vorchristlich-sakralisierter Strukturen entsprechender Art im vorchristlichen Römerreich in Beitrag X, S. 304 mit Anm. 61, ferner S. 317, Anm. 96 sowie S. 327–331, bes. 331 mit Anm. 127b; vgl. auch oben bei Anm. 99. Ich hoffe, darauf zurückzukommen. Zum Traditionsgang über die byzantinische Staatsorthodoxie zum Ostmarxismus: H.-G. Beck, An den Rändern der europäischen Geschichte. Das Modell Byzanz, in: Jahrbuch d. Bayer. Akademie d. Wissenschaften 1975, S. 106–123, passim (auch als Sonderdruck mit eigener Seitenzählung). 138a F. Graus, Die Einheit der Geschichte, in: HZ 231, 1980, S. 639. Der Beitrag (insgesamt S. 631–649), der mir erst nach Fertigstellung des Manuskripts bekannt wurde, enthält eine persönlich gehaltene Auseinandersetzung mit Situation und Aufgaben der
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andere als die damit bezeichnete Ebene gehören, selbst wenn man noch nicht einmal unmittelbar an Verden denkt; zahlreiche weitere Folgen, etwa im Zeichen der berüchtigten Capitulatio, eingeschlossen. Auch ein moderner Katholizismus, der sich an der Enzyklika Redemptor hominis Papst Johannes Pauls II. vom 4. März 1979 orientiert, kann hier schwerlich zu anderer Stellungnahme gelangen139. Also zurück zu „Karl dem Sachsenschlächter“? Dies wäre doch wohl ein Versuch, das Knäuel vom falschen Ende her zu entwirren. Die grausigen Aspekte sind nur eine Seite in der Sachsenpolitik dieses Mannes, und sie selbst stellt auch als Ganzes nicht mehr dar als nur einen Teilausschnitt seiner Gesamtwirksamkeit, wichtig zwar und herausragend140, doch gleichwohl begrenzt. Gerade die hier versuchte Betrachtungsweise nach Eskalationsstufen führt zu ganz neuen Zügen, rückt Pläne ins Blickfeld, die den eigentlichen Wünschen des Königs wohl sehr viel eher entsprochen hätten, wäre es möglich gewesen, sie damals zu realisieren. Dies ist nicht gering einzuschätzen. Von den kulturpolitischen Zusatzaspekten, Karls Fürsorge für das sächsische „Entwicklungsland“, war gleichfalls die Rede. Weiter scheint es, daß er selbst sich wohl nicht aus allem, doch aus vielem, was damals in seinem Namen dort geschah, nachträglich ein Gewissen machte141, und auf jeden Fall hat er für die zweite Hälfte seiner Herrscherwirksamkeit offensichtlich mancherlei aus Mißgriffen der ersten, gerade gegenüber Sachsen, gelernt142. Seine Bedeutung für die weitere Entfaltung unserer gesamten Kultur- und Geschichtswelt bleibt überragend. Wenige kommen ihm hier an dauerhafter Nachwirkung auch im Positiven gleich.
Geschichtswissenschaft heute, die sich außerordentlich weitgehend mit Positionen berührt, wie ich selbst sie seit Jahren in Forschung und Lehre mit zunehmender Intensität vertrete. So freue ich mich doppelt, gerade die vorliegenden Ausführungen für diese Festschrift bestimmt zu haben. Ich unterdrücke die Versuchung, aus vorgenanntem Beitrag noch weitere Partien wörtlich zu zitieren, und verweise nur noch besonders auf die dortigen Seiten 631, 639, 642, 645, 647, 648 sowie das oben S. 343 vorausgestellte Motto, das S. 636 entnommen ist. 139 Mir nur vorliegend in der Fassung: Enzyklika Redemptor Hominis Sr. Heiligkeit Papst Johannes Paul II. . . . zum Beginn seines päpstlichen Amtes (= Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Nr. 6), Bonn 1979. Vgl. bes. Abschnitt 12 („Der Auftrag der Kirche und die Freiheit des Menschen“, S. 22–24) und 17 („Menschenrechte: ‚Buchstabe‘ oder ,Geist‘ “; S. 37–41), die ihrerseits u.a. auf der Erklärung des II. Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit fußen. 140 Oben S. 344–346. 141 Dies zeigt K. Hauck, in: FMSt 4, 1970 (wie oben Anm. 4), S. 147–160. 142 Oben S. 347 mit Anm. 7.
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Kann man einer Persönlichkeit solchen Ranges den Namen des „Großen“ ernstlich wieder bestreiten? Eher, scheint mir, muß von diesem Beispiel der Sachsenpolitik Karls her die eine oder andere Vorstellung revidiert werden, die sich immer noch so vielfach an den Begriff historischer „Größe“ zu heften scheint. Solche Größe – das zeigt nicht zuletzt dieser Fall – ist durchaus nicht unbedingt identisch mit Größe oder Vorbildhaftigkeit im Sinn humanitärer Idealvorstellungen. Schließt beides einander, nüchtern betrachtet, womöglich weitgehend aus? Jedenfalls pflegt an historischer Größe, was immer sie sonst noch bewirken mag, offenbar grundsätzlich Blut zu kleben; Blut in Ausmaßen, die menschlich nicht zu verantworten sind. Ob es von dieser Regel Ausnahmen geben könnte, bedarf vielleicht weiterer Diskussion. Karl der Große jedenfalls bildet eine solche nicht. Historische Größe setzt ein ungewöhnliches Maß voraus an Wirkung und Nachwirkung auch in positiver, besser konstruktiver Hinsicht; sie ist jedoch nichts, was uneingeschränkte Bewunderung zu wecken vermag – nichts, was sich zur Idealisierung eignet. Als Kategorie der Urteilsbildung, aber auch gefühlsmäßig ist sie nur zu erfassen, wenn neben aller etwa schuldigen Bewunderung auch das Grauen und das nötige Mißtrauen als unabdingbar zugehörig in ihre Definition eingebracht werden – so, wie auf einem sehr anderen Felde, zu dem die Grenze gerade von hier aus ganz besonders wachsam gewahrt werden muß, „das Heilige“ nach bekannter Begriffsanalyse mit dem fascinosum zugleich untrennbar das tremendum in sich einbezieht143. Dieses Wesen historischer Größe endlich klar ins allgemeine Bewußtsein zu heben, dürfte nachgerade überfällig sein. Nicht zuletzt dazu kann uns die Untersuchung von Karls des Großen Sachsenpolitik helfen.
143 R. Otto, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 51920 (seitdem Nachdrucke).
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RANDBEMERKUNGEN ZUR CHRISTIANISIERUNG DER SACHSEN∗ Wenn ich mir erlaube, in diesem Kreis um das Wort zu bitten, so geschieht dies in dem Bewußtsein, in der eigentlichen Sachsenforschung Außenseiter zu sein. In der speziellen Quellen- und Materialkenntnis zu diesem Sondergebiet ist mir zweifellos jeder von Ihnen überlegen. Immerhin steht mir von der allgemeinen Missionsgeschichte des Mittelalters her mancherlei Vergleichsmaterial zur Verfügung, das auf diesem Einzelfelde vielleicht doch nicht immer genügend beachtet worden ist. Insofern hoffe ich, trotzdem das eine oder andere beitragen zu können, was auch hier sachdienlich ist. Von den zahlreichen anregenden Thesen, die in diesen Tagen vor uns ausgebreitet wurden, haben besonders zwei mich zur Äußerung angeregt. Die erste nimmt an, im Bereich der Sachsenmission sei mit der sonst bekannten Umwandlung vorchristlicher Kultstätten in christliche Kirchen offenbar nicht zu rechnen, auch nicht in der Form, daß Gotteshäuser des neuen Glaubens die Stelle heiliger Plätze des alten einnahmen unter Wahrung einer lediglich topographischen Kontinuität. Die zweite bestreitet, daß es in Sachsen nach Karl d. Gr. noch einmal zu Rückfällen ins Heidentum gekommen sei, und zieht aus dieser Annahme weitreichende Folgerungen, gerade auch im archäologischen Sektor. Beide Auffassungen haben in mir, wie ich gestehen muß, lebhafte Zweifel wachgerufen. Es sei mir gestattet, sie zu begründen und dafür etwas auszuholen, da es sich um Fragen handelt, die methodisch m.E. besonders wichtig und auch besonders interessant sind.
∗ Nachstehender Beitrag faßt eine Reihe längerer Diskussionsbemerkungen zusammen, die im Lauf einer Tagung vom November 1965 bei verschiedenen Gelegenheiten nach und nach vorgetragen wurden. Einige Belege wurden ergänzt. Diskussionsergebnisse waren nicht einzuarbeiten, da die angeschnittenen Fragen nicht aufgenommen wurden.
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beitrag xii 1. Zur möglichen Anknüpfung christlicher Gotteshäuser an ältere Kultstätten
Zur ersten These, der Frage, ob für Sachsen topographische Kontinuität im sakralen Raum über den Religionswechsel hinweg möglich war, ist hier nicht auf die bekannten Briefe Gregors d. Gr. zurückzugreifen, die im Anfangsstadium der Angelsachsenmission die entsprechenden Grundsätze so besonders klar formuliert haben, nachdem sie im spätantiken Mittelmeerbereich schon jahrhundertelang praktiziert worden waren. Diese Briefe bezeugen ein Prinzip, sie sagen jedoch nichts über das, auf was es hier allein ankommt, seine Anwendung nämlich – schon gar nichts über seine Anwendung in Sachsen. In dieser Hinsicht aber geben zwei Beispiele zu denken, die zwar gleichfalls Sachsen nicht unmittelbar berühren, doch in nahe Nachbarschaft gehören: eins aus der Geschichte des Mannes, den ein eingängiges, aber unzutreffendes Epitheton den „Apostel der Deutschen“ nennt, ein zweites aus den Anfängen der Slawenmission im ostsächsisch-thüringischen Vorfeld. Zu den bekanntesten Episoden im Leben des Bonifatius gehört die Fällung der Donarseiche in einem der niederhessischen Orte namens Geismar. Gleichgültig, welcher von ihnen gemeint ist: gut bezeugt bleibt, daß der Missionar aus dem Holz dieses Baumes alsbald eine Peterskapelle errichten ließ1. Niemand wird bezweifeln, daß dies auch an der gleichen Stelle geschah. Ähnlich aber war das Vorgehen Wigberts, des ersten Bischofs von Merseburg nach Wiederherstellung der vorübergehend aufgehobenen Diözese (1004–1009). Er fand bei seinem Amtsantritt in der Gegend des heutigen Schkeitbar bei Lützen einen heiligen Hain sorbischer Wenden vor, der nach bestunterrichteter zeitgenössischer Quelle „bei den Bewohnern der Gegend in jeder Hinsicht wie Gott verehrt wurde und von alters her niemals verletzt worden war“; im Vorübergehen ist festzuhalten, daß dies möglich gewesen war, obgleich das Gebiet, wenn auch mit wechselnder Diözesanzugehörigkeit, seit 968 fest in die christliche Bistumsorganisation einbezogen war – eine wichtige Parallele zu einem gleich anzuführenden Befund aus dem Bremer Sprengel. Diesen Hain von Schkeitbar ließ Wigbert von Grund auf vernichten. Mit welchen Mitteln, wird nicht gesagt; auch
1 Vita Bonif. auct. Willib., c. 6 (S. 31, 26 ff. Levison): ligneum ex supradictae arboris metallo oratorium construxit eamque in honore sancti Petri apostoli dedicavit. Danach die jüngere Bonifatiusvita des Otloh I, 22 (ebd. S. 135, 26 ff.) mit der geringfügigen Änderung: ex illa ingentis arboris mole.
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Feuer kommt in Betracht. Wir wissen daher nicht, ob anschließend aus seinen Bäumen noch Bauholz gewonnen werden konnte. Dafür ist diesmal deutlich bezeugt, daß die Romanuskirche, die der Bischof dort nunmehr errichten ließ, unmittelbar innerhalb des vom alten Heiligtum eingenommenen Bereiches (in eo) entstand2. Wie gesagt: keiner dieser Vorgänge spielt auf sächsischem Boden. Beide aber führen in nahe Nachbarschaft. Der Urheber des ersten hat durch seine Wirksamkeit für die Reformierung der Kirche des Frankenreiches wichtige Voraussetzungen auch für die Sachsenmission geschaffen; der Urheber des zweiten entstammte einem Adelsgeschlecht Ostthüringens und gehört damit noch enger in den sächsischen Zusammenhang hinein. Zudem liegt das eine Ereignis vor, das andere lange nach der Christianisierung der Sachsen. Es wäre merkwürdig und bedürfte jedenfalls besonderer Begründung, wenn ausgerechnet bei diesem Geschichtsprozeß, der sowohl zeitlich wie auch schon rein geographisch zwischen beide fällt, ein ähnliches Verfahren ausgeschlossen gewesen sein sollte. Tatsächlich ist, abweichend von dem in diesen Tagen vor uns entwickelten Bilde, auch im Bereich der Sachsenforschung selbst verschiedentlich mit Möglichkeiten dieser Art gerechnet worden3. In diesem Zusammenhang stellt sich nun auch ein methodisches Problem. Der Widerspruch gegen die von mir verfochtene Möglichkeit, die selbstverständlich in gar keiner Weise als Regelfall proklamiert werden soll, kam, wenn ich recht sehe, vor allem von archäologischer Seite. Dazu muß jedoch m.E. gefragt werden: wie wäre eine Kontinuität dieser Art mit archäologischen Mitteln überhaupt feststellbar, wieweit entzieht sie sich solchem Nachweis? Das heutige Stadtgebiet von Brandenburg a. d. Havel umschließt, um ein durch neueste Forschungen besonders gut beleuchtetes Beispiel 2 Thietmar. Merseb. Chron. VI, 37 (S. 321, 2 ff. Holtzmann; S. 282, 26 ff. Trillmich): lucumque Zutibure dictum, ab accolis ut Deum in omnibus honoratum et ab evo antiquo numquam violatum, radicitus eruens, sancte martiri Romano in eo ecclesiam construxit. Über die Anfänge dieses Prinzips unter Konstantin d. Gr. und seine Verwurzelung in vorchristlich-römischem Sakralrecht vgl. jetzt L. Voelkl, Die Kirchenstiftungen des Kaisers Konstantin (Köln/Opladen 1964) bes. 40–43, dazu aber 70 und 72. 3 A. K. Hömberg, Studien zur Entstehung der mittelalterlichen Kirchenorganisation in Westfalen: Westf. Forsch. 6 (1943–52) 67; bewußt vorsichtig formuliert in Abweisung außerordentlich weitgreifender Thesen von Karl Haff, Das Großkirchspiel im nordischen und niederdeutschen Recht des Mittelalters: Zschr. f. Rechtsgesch./Kan. 32–34 (1943–47). Neuerdings H.-W. Krumwiede, Die Schutzherrschaft der mittelalterlichen Kirchenheiligen in Niedersachsen: Jahrb. d. Ges. f. Niedersächs. Kirchengesch. 58 (1960) 25 f. mit besonders wichtigen Belegen. Kenntnis dieser Arbeit danke ich der Freundlichkeit des Herrn Verfassers.
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herauszugreifen, einen Marienberg (älter: Harlungerberg). Von ihm ist durch Schriftquellen bekannt, daß er noch in spätslawischer Zeit ein zentrales Heiligtum der Havelwenden stoderanischen Stammes trug; seit 1166 ist dort eine christliche Kapelle bezeugt, die sich in relativ kurzer Zeit zu einem bedeutenden Wallfahrtszentrum entwickelte und in der Folge entsprechend ausgebaut wurde (leider nicht erhalten). Schon auf Grund dieser Nachrichten ist an einer unmittelbaren topographischen Kontinuität kaum zu zweifeln. Zum Überfluß haben neueste Grabungen gezeigt, daß unter bekanntgewordenen Fundamentresten der letzten Wallfahrtskirche dieses Platzes eine spätslawische Kulturschicht sehr begrenzter Ausdehnung liegt. Nichts, was aus ihr bekanntgeworden ist, legt nahe, sie auf eine regelrechte Wohnsiedlung zurückzuführen, der geringe Umfang, die Spärlichkeit des Fundmaterials sprechen ausdrücklich dagegen. Sie wird daher die Überreste des alten Heiligtums, wahrscheinlich eines Holztempels, repräsentieren. Diese Fundschicht schließt nun aber nach oben mit einer Brandschicht ab. Das liefert zunächst offenbar eine Quellenbasis für die Art, wie wir uns das Ende der slawischen Kultstätte vorzustellen haben, über das nichts bezeugt ist, nur daß allgemeine Erwägungen nahelegen, es in das Jahr 1150 zu datieren4. Darüber hinaus aber gibt der Gesamtbefund eine wichtige archäologische Stütze für die Kontinuitätsvermutung, die aus dem sonstigen Material abzuleiten ist. Man wird von hier aus fragen, ob eine Brandschicht, auf der oder in der Fundamente eines christlichen Gotteshauses liegen, nicht auch sonst zuweilen eine Kontinuität des sakralen Ortes über den Glaubenswechsel hinaus andeutet, wo keine Schriftquelle ergänzend hinzutritt. Schon da wird man sich jedoch absichern müssen, daß nicht vielmehr eine einfache Brandrodung auf bisher jungfräulichem Boden vorliegt, bei der das Feuer nichts schaffen sollte als Platz für eine neue christliche Niederlassung, ohne daß gleichzeitig „heidnischer Unflat“ zu tilgen war. Wo statt des Brandes die Axt es war, die das alte Heiligtum zu Fall brachte, wie bei der Geismarer Donarseiche; wo etwa in unmittelbarer Ausführung gregorianischer Prinzipien ein vorchristlicher Sakralbau selbst nach gehöriger Weihe in den Dienst des neuen Gottes gestellt worden wäre – wie sollte, wenn schriftliche Überlieferung versagt, der betreffende Vorgang mit archäologischen Mitteln faßbar sein? Erst
4 H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der Brandenburgischen Geschichte usw. (Köln/Graz 1964) 954–960, dazu 99 f. u. 343–346.
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recht nicht vermag ich mir vorzustellen, wie mit solchen Mitteln ein bündiger Beweis geführt werden könnte, daß in diesem oder jenem konkreten Einzelfall ein Vorgang fraglicher Art mit uneingeschränkter Sicherheit auszuschließen sei. Eben solch ein negativer Beweis aber wäre zu fordern, bevor die angeführte These akzeptiert werden kann. Ich bin kein Facharchäologe und übersehe ohne Zweifel viele der Argumentationsmöglichkeiten nicht, die diesem Forschungszweig legitimerweise zur Verfügung stehen. Bis zu besserer Belehrung sehe ich mich jedoch zu der Annahme gezwungen, daß wir hier an einer der berühmten Grenzen stehen, an der die Aussagemöglichkeiten eines bestimmten Faches erlöschen, so gern unsere Wißbegierde von ihm auch darüber hinaus noch Auskunft erhalten hätte. Vielleicht sollte die These umformuliert werden, etwa in dem Sinne, daß ein archäologischer Nachweis für die in Frage stehende Möglichkeit topographischer Kontinuität auf sächsischem Boden bisher nicht erbracht werden konnte. Das bliebe wichtig und wäre unbedingt zur Kenntnis zu nehmen. Ob es aber diese Möglichkeit im realen Geschichtsverlauf auf sächsischem Boden gegeben hat, das liegt m.E. auf einem ganz anderen Blatt und wird durch eine solche Feststellung allein in keiner Weise berührt. Vielleicht wäre zur Klärung noch anzufügen, daß bei alledem selbstverständlich zwischen christlichen Kirchen verschiedenen Ranges unterschieden werden muß, von der bischöflichen Domkirche angefangen über die Pfarrkirche, die Taufkirche bis herab zum kleinen Oratorium, zur Kapelle – alles Formen, die Quellentermini wie ecclesia und zeitweise wohl selbst basilica ohne weiteres subsumieren, auch wenn das deutsche Wort „Kirche“ nicht ohne weiteres auf alle paßt. Vorchristliche Heiligtümer lagen auch in Sachsen wohl meist abseits menschlicher Siedlungen, die Kirche dagegen suchte diese geradezu aus Prinzip auf. Von hier aus ist zu fragen, ob nicht topographische Anknüpfung an ältere sakrale Gegebenheiten für bestimmte Rangordnungen christlicher Gotteshäuser eher in Betracht kommen mag als für andere: am häufigsten für abgelegenere Kapellen, am wenigsten für Domkirchen. In vorläufiger Beantwortung dieser Frage mag man zu gewissen Wahrscheinlichkeiten gelangen, und auf dieser Basis möchte sich dann auch der Wahrheitskern herausschälen lassen, den die von mir in Zweifel gezogene These selbstverständlich ebenso in sich schließt wie jede andere. Allerdings möchte ich Argumentationen mit Wahrscheinlichkeitsgesetzen auf historischem Felde keinen sehr erheblichen Aussagewert beimessen. Wo Quellen vorliegen, zeigen sie immer wieder, daß
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historisch eben sehr viel mehr Dinge möglich waren, als wir uns von unseren Voraussetzungen her träumen lassen möchten, und so kann einer Wahrscheinlichkeitsrechnung auch für die hier aufgeworfene Frage m.E. keine größere Bedeutung zukommen als die einer sehr vorläufigen Groborientierung, einer Arbeitshypothese, die uns nicht von der Verpflichtung entbinden kann, in jedem konkreten Einzelfall von der jeweils gegebenen konkreten Materialbasis aus neu zu prüfen, wieweit sie sich wirklich aufrechterhalten läßt. 2. Rückkehr zum „Heidentum“ als Forschungsproblem Wie steht es nun mit der zweiten These? Hat Sachsen nach Karl d. Gr. tatsächlich keine Rückfälle ins Heidentum, anders gefaßt: kein Wiederaufleben vorchristlicher Glaubens- und Kultformen erlebt? Die Ansicht, im Anschluß an die Wirksamkeit dieses Herrschers sei es verhältnismäßig bald auch zu einer wirklichen inneren Bekehrung des Sachsenvolkes gekommen, ist ja weit verbreitet. Aber wie sehen ihre Grundlagen aus? Wahr ist, daß Karl selbst sich nicht mit bloß äußerem Übertritt begnügte, sondern seiner „Predigt mit eiserner Zunge“5 eine intensive Nacharbeit folgen ließ, mit geistigen und geistlichen Waffen zugleich. Diese Arbeit hat auch in erstaunlich kurzer Zeit erstaunliche Früchte getragen: der Heliand-Dichter – nach neuerer Auffassung viel weniger „germanisch“, viel stärker wirklich christlich, als früher angenommen wurde6 – und auch ein Außenseiter wie jener Gottschalk „von Orbais“ sind Stimmen, die gehört werden wollen. Aber ihr Zeugnis gilt nur für einzelne, wohlgemerkt: Klosterleute, nicht für die Masse der Sachsen6a.
5 Transl. S. Liborii, c. 4 (Mon. Germ. Hist., SS IV 151, 21 f.): ferrea quodammodo lingua praedicavit. 6 Herm. Wicke, Das wunderbare Tun des hl. Krist nach der altsächs. Evangelienharmonie (Göttingen 1935); K. D. Schmidt, Die Christianisierung der Sachsen (Göttingen 1937) 6 ff.; W. Baetke, Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen. Ein Beitrag zur Frage der Germanisierung des Christentums: Die Welt als Geschichte 9 (1943) 153–157; wieder abgedruckt bei dems., Vom Geist u. Erbe Thules (Göttingen 1944) 97–106; Sonderausgabe als Buch (Darmstadt 1959) 27–39; Elis. Grosch, Das Gottes- u. Menschenbild im Heliand: Beitr. z. Gesch. d. dtsch. Sprache u. Lit. 72 (1950) 90–119; Joh. Rathofer, Der Heliand. Theologischer Sinn als tektonische Form (Köln/Graz 1962). 6a Vgl. auch Krumwiede 25.
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Für diese Masse muß doch wohl gesagt werden, daß unser Quellenbestand, einseitig zusammengesetzt, wie er ist, kein einziges Organ einschließt, durch das sie Gelegenheit gehabt hätte, ihre Gedanken und Empfindungen zum Christianisierungsproblem ungefärbt und unverhüllt laut werden zu lassen. Dieses Massenschweigen, durch Generationen hindurch, ist ein Faktum, das unsere Rekonstruktionsmöglichkeiten für das, was sich damals abgespielt hat, auf das Empfindlichste berührt. Es wird m.E. auch durch Nachrichten von der im 9. Jh. wachsenden Bereitschaft adeliger Kreise, Klöster und Stifter zu gründen und zu besetzen, in gar keiner Weise aufgewogen. Wie stark die Differenzen zwischen Adelsschicht und übriger Bevölkerung gerade in Sachsen gewesen sind, ist bekannt. Nach aller sonstigen geschichtlichen Erfahrung müssen sie sich auch in dieser Hinsicht ausgewirkt haben, nicht anders als in der Reformationszeit, wo das, was die Stadt Magdeburg dazu brachte, sich der „reinen Lehre“ als „unseres Herrgotts Kanzlei“ zur Verfügung zu stellen, nicht zuletzt ihr langaufgestautes Unabhängigkeitsstreben gegenüber der erzbischöflichen Stadtherrschaft war, und wo ähnliche Motive etwa die Herren (nachmals Reichsgrafen) von Schlitz, Erbmarschälle und Lehnsträger der Abtei Fulda, im Entschluß zur Einführung der Reformation in ihrem kleinen Ritterschaftsterritorium bestärkten. Auf anderer Ebene, mit anderem Vorzeichen ist auch für die Standesgegensätze auf sächsischem Boden mit solch religionsgeschichtlichen Auswirkungen zu rechnen. Man wird annehmen müssen: je stärker die Hinneigung adeliger Kreise zum neuen Glauben, der im Anschluß an die Franken zugleich ihre weltliche Stellung garantierte, desto stärker die Zurückhaltung mindestens bei Teilen der übrigen Bevölkerung. Vieles spricht m.E. dafür, daß schon der sog. Stellinga-Aufstand von 841 in diesen Zusammenhang hineinzustellen ist, doch möchte ich ihn zunächst auf sich beruhen lassen, weil diese Auffassung nicht allgemein geteilt wird – die daher nötige eingehendere Auseinandersetzung würde im Augenblick stören; ich komme darauf zurück. Für die Frage nachlebenden Heidentums auf sächsischem Boden sind wir durchaus nicht auf dieses vielleicht problematische Beispiel angewiesen. Eine Sendgerichtsordnung für den Kölner Sprengel aus dem späteren 10. Jh. befiehlt – leider, ohne Strafmaße anzugeben –, daß Leute aufgespürt werden sollen, „die im Widerspruch zum Kirchenglauben (oder: zu ihrer Treue gegen die Kirche) Stätten verehren, welche nicht Gott geweiht sind, und Christi Kirchen aufzusuchen verschmähen“, dazu auch „jene, die sich nicht um angesagte Fastenzeiten kümmern“ (qui loca deo non dicata contra fidem ecclesiasticam colunt et ad
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Christi ecclesias venire contemnunt; . . . etiam . . . qui indictum ieiunium negligunt)7. Kann dies auf andere als sächsische Verhältnisse gemünzt sein, an denen Anteil zu nehmen Köln ja durch die Ostausdehnung seines unmittelbaren Diözesangebietes ex officio gehalten war? Die heiligen Haine in den Wesermarschen, gegen die Erzbischof Unwan von Bremen (1012–29), ein Zeitgenosse Wigberts von Merseburg, endlich vorgehen ließ8, sind zwar nur bedingt als Stütze heranzuziehen: ihre Verehrer werden keine Sachsen gewesen sein, sondern eher Ostfriesen, bei denen die Heiligtümer des alten Glaubens bekanntlich noch um die Mitte des 9. Jh. unter öffentlichem Rechtsschutz gestanden hatten, bei Strafe des Menschenopfers9. Immerhin liegen die Verehrer dieser Haine dem Bereich der eigentlichen Sachsenmission nicht sehr fern. Für das nordelbische Sachsen der Zeit Unwans war es noch keineswegs selbstverständlich, daß ein Sachse zugleich auch Christ war; traf ein solcher mit einem Slawen zusammen, so war es ratsam, zur Vermeidung von Mißverständnissen hervorzuheben, daß es sich um quendam Saxonem Christianum handelte10. Noch hundert Jahre später fand ein Mann strenger kirchlicher Observanz wie Wizelin im Holtsatenlande um das heutige Neumünster heilige Haine zu fällen und „sakrilegische Bräuche“ auszurotten, da die Bevölkerung „nichts von Religion besaß als den bloßen Namen des Christentums“11. Für die gleiche Zeit wird der geistliche Zustand der Bevölkerung um Leitzkau im ostelbischen Vorfeld von Magdeburg so geschildert, daß man annehmen muß, daß dort damals neben so gut wie unbekehrten Slawen ein sächsisches Element lebte, das gleichfalls nur überaus mangelhaft christianisiert war12. Zugegeben: in den beiden letzten Fällen handelt es sich um Randgebiete der damaligen Bistumsorganisation, deren geistliche Versorgung mindestens viele Jahrzehnte lang sehr im argen gelegen hatte; Gebiete, in denen die Nähe ungebrochenen slawischen Heidentums ein Beharren oder Wiederaufleben von Nachfolgeformen des sächsischen begünstigen
7 A. M. Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland I (München 1907) 198 f., Anhang III. 8 Adam v. Bremen, Hamburg. Kirchengesch. II 48 (S. 108, 9 ff. Schmeidler; S. 284, 18 ff. Trillmich). 9 Lex Fris., Add. Sap., tit. XI (Mon. Germ. Hist., LL III 696 f.); vgl. II 3 (S. 124). 10 Helmold von Bosau, Slawenchronik I 19 (S. 40, 20 f. Schmeidler; S. 96, 24 Stoob) – in der Formulierung vermutlich nach älterem, unbekanntem Gewährsmann – für die Zeit um 1030. 11 Ebd. I 46 (S. 93, 7 ff. bzw. 182, 19 ff.). 12 Kahl (wie oben Anm. 4) 116 f.
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mochte, um so mehr, als die allgemeine Situation dieser Gegenden lange Zeit dem slawischen Element ein Übergewicht ermöglicht hatte, das die deutsche Grenzbevölkerung schwer zu spüren bekommen haben muß – eine Lage, in der bei der vorauszusetzenden Grundstruktur ihrer Religiosität der Christengott von ihr schwerlich als der „starke Gott“ empfunden werden konnte, der es einem lohnte, wenn man sich einzig an ihn hielt13. Zugleich aber handelt es sich um Gebiete, für die in genannter Zeit die Quellenlage ungleich günstiger ist als für sehr viele Teile des sächsisch-deutschen Binnenlandes. Man wird sich also zweifellos hüten müssen, Befunde wie diese schlechtweg zu verallgemeinern. Man wird aber auch nicht in das gegenteilige Extrem verfallen dürfen, nun umgekehrt das geschlossene Schweigen all der zahllosen Überlieferungen als verbindlich-bündige Aussage zu nehmen, die für den Hauptteil des nachkarolingischen Sachsen das Gegenteil als den Normalfall erwiese. Die Kölner Sendordnung, die ausgerechnet in die westlichsten, sozusagen „binnenländischsten“ Teile Sachsens zu führen scheint, errichtet hier ein deutliches Warnschild. In diesem Zusammenhang ist noch ein weiterer Umstand hervorzuheben, der geeignet ist, nachlebendes Heidentum und ebenso entsprechende Rückfallstendenzen im Quellenmaterial zu verdunkeln. Vordergründig handelt es sich dabei um ein terminologisches Problem, letztlich aber, da Sprache Ausdruck von Weltverständnis ist, um Fragen sehr grundsätzlicher Art, von deren zutreffender Beantwortung für das Verständnis missionsgeschichtlicher Vorgänge ziemlich viel abhängt. Gestatten Sie mir daher, zur Herstellung nötiger Zusammenhänge nochmals etwas auszuholen; wir bereiten damit zugleich die angekündigte Stellungnahme zum Stellinga-Problem vor. „Heide“ und „Heidentum“ sind uns so selbstverständlich geworden, daß wir über Inhalt und Abgrenzung dieser Begriffe nicht eben häufig nachzudenken pflegen. Dazu ist allerdings zu sagen, daß eine echte sachliche Ordnungsfunktion diesen Begriffen nur in dem theologischen Bereich zukommt, aus dem sie hervorgegangen sind. Dort mag legitimerweise unter ihnen als Sammelbegriffen subsumiert werden, was im
13
Zur Bedeutung derartiger Gesichtspunkte für die Religions- und Missionsgeschichte: W. Baetke, Religion u. Politik in der Germanenbekehrung (Leipzig 1937); Beitrag VIII, bes. S. 227–230; G. Friedrici, Der Charakter der Entdeckung und Durchdringung Amerikas durch die Europäer (Stuttgart/Gotha 1925–36) I 566 f.; II 241 f.
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Gegensatz zu den biblischen Offenbarungsreligionen des Christentums und des Judentums steht, ohne Rücksicht auf alle Differenzierungen in dieser dritten Gruppe, die nur religionsgeschichtlich wichtig, theologisch jedoch unerheblich sind – wobei die Frage, wie der Islam einzuordnen sei, der sich gleichfalls auf den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs beruft, überdies gleichfalls der Person Jesu eine hohe religiöse Verehrung entgegenbringt, schon im Mittelalter strittig war14. Die Auffassung, daß die Menschheit in dieser Weise dreigeteilt werden könne, ist auf biblischer Grundlage in patristischer Zeit entwickelt worden; als klassische Formulierung darf ein Satz des Vigilius von Thapsus (um 484) gelten: Tres sunt in mundo religiones, Iudeorum, paganorum et Christianorum15. Der Satz zeigt zugleich mit aller Deutlichkeit, daß dem theologischen, in seinem Ausgangsbereich sinnvollen und notwendigen Ordnungsbegriff außerhalb dieses Bereichs eine sachliche Ordnungsfunktion nicht zugesprochen werden kann. „Heidentum“ ist nun eben keine in sich einheitliche „Religion“ etwa im Sinn der vergleichenden Religionswissenschaft, sondern eine Fülle verschiedenartiger Glaubens- und Verhaltensweisen, die im einzelnen von primitiven Mana-Vorstellungen bis zu modernem Atheismus reichen kann. Auch in seiner theologischen Ausgangssphäre aber ist der Begriff keineswegs zu allen Zeiten einheitlich gefaßt worden. Im religiösen Denken und Verhalten ganz allgemein sind zwei gegensätzliche Grundformen zu unterscheiden, die sich auf dem Boden des Christentums und seiner Theologie nicht weniger bemerkbar gemacht haben als vielerorts sonst; man hat sie als „kultisch-institutionellen“ und als „persönlich-ethischen“ Frömmigkeitstyp charakterisiert, unbeschadet aller Grenz- und Übergangsformen, die im lebendigen Leben begegnen16. Seit der Renaissance ist bei uns in Europa die zweite Form stärker in den Vordergrund getreten und hat auch die theologische Begriffsbildung nicht unerheblich beeinflußt. Von hier aus wird „Heidentum“ stärker als Angelegenheit innerer Überzeugung betrachtet: „Heide“ ist, wer anders glaubt und denkt, als es christlicher oder jüdischer Überzeugung entspricht. Im mittelalterlichen Christentum haben persönlich-ethische Frömmigkeitselemente sich selbstverständlich ebenfalls geltend gemacht; sie standen aber oft stark im Schatten einer kultisch-institutionellen Grundhaltung, 14
Ernst Strasser, Der Begriff des Heidentums: Neue kirchliche Zeitschr. 39 (1928) 855–877; ders., Das Wesen des Heidentums: ebd. 40 (1929) 77–105. 15 Vigil. Thaps., c. Arian. I 5 (Migne, Patr. Lat. 62, 157 D). 16 Gust. Mensching, Soziologie der Religion (Bonn 1947) bes. 220.
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und das allgemeine Bild wurde damals zweifellos von dieser zweiten Kategorie bestimmt. Auf ihrem Boden war es möglich, Menschen den „Christennamen“ zuzubilligen, die Christus weder für den einzigen Gott hielten, noch wenigstens für den höchsten und mächtigsten der Götter: so geschehen nicht etwa im Munde eines selbst noch halbheidnischen Bauern, sondern durch einen Mönch des hl. Benedikt, der für sich persönlich immerhin so tief im neuen Glauben verwurzelt war, daß er sich gedrängt fühlte, seine literarische Tätigkeit mit der Verherrlichung christlicher Anachoreten und Märtyrer zu beginnen – ich meine Widukind von Corvey und kehre damit zugleich unmittelbar in den altsächsischen Stammesbereich zurück17. Die Grenze zwischen „christlich“ und „heidnisch“ ist hier offensichtlich völlig anders gezogen, als wir dies von uns aus erwartet hätten. Hier spricht eine Auffassung, die sich überhaupt nicht für innere Überzeugungen interessiert, sondern von einer rein formalen Feststellung ausgeht, von dem Satz nämlich, daß die Taufe es sei, die den Christen mache, selbst dann, wenn sie unfreiwillig, ja gegen den Willen des Betroffenen gespendet wurde; ein Satz, der im Mittelalter, zumal im früheren, denkbar weitgehende Anerkennung gefunden hat18. Dieser Satz ist im Zusammenhang zu sehen mit einer Vorstellung vom Missionsziel, die von der heutigen, vor allem der heutigen protestantischen, nicht minder stark abweicht, ebenso wie von derjenigen, die in patristischer Zeit etwa Aurelius Augustinus vertrat. Ihm war Bekehrung zum Christentum, ohne daß auch die innere Überzeugung sich wandelte, ein absolutes Unding; auch den Taufempfang, der die Bekehrung besiegeln sollte, wollte er daher unter allen Umständen von dieser Voraussetzung des Überzeugungs- und Gesinnungswandels abhängig gemacht wissen. Spätere haben dann jedoch, mehr im Sinne Gregors
17 Widukind v. Corvey, Sachsengesch. III 65 (S. 140, 1 ff. Hirsch-Lohmann): Dani antiquitus erant Christiani, sed nichilominus idolis ritu gentili servientes. Kurz darauf: Danis affirmantibus Christum quidem esse deum, sed alios eo fore maiores deos. Das Rubrum zu diesem Kapitel lautet: De Danis, quomodo Christiani perfecte facti sunt (S. 103, 24). Es stammt nicht von Widukind selbst (Hirsch, Einl. z. Ausg. S. XXX), setzt aber gleichfalls voraus, daß ein (wenngleich unvollkommenes) Christentum unter den Dänen schon vorher vorhanden war. – Vgl. als weiteres Zeugnis sächsischen Christentums die oben S. 416 m. Anm. 11 zitierte Helmoldstelle. 18 Ausführlich: Beitrag XXI, S. 675–680.
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d. Gr., eine Bekehrung dieser Art wohl gleichfalls angestrebt, aber doch mehr als Fernziel, das nicht schon im Rahmen des Missionswerks selbst zu erreichen sei, sondern erst auf längere Sicht, vielleicht gar erst über mehrere Generationen hinweg. Nahziel war vielmehr eben ein möglichst baldiger Taufempfang, zunächst also die Herstellung der Bereitschaft dazu: die Taufe fügte den neuen Christen in den Gemeindeverband ein, in dem er dann weiterhin betreut werden konnte, und damit in die Kirche als Institution; vor allem machte sie als Grundsakrament ihn tauglich, hinfort auch die übrigen Sakramente zu empfangen, von deren Gnadenwirkung man sich für die auch innerliche Umwandlung, die Wandlung zum Christen im Vollsinn des Wortes, Entscheidendes versprach. Auf dieses Nahziel baldiger Taufe wurde daher die Missionsarbeit weithin konzentriert, auch das vorher mitgeteilte Lehrgut entsprechend reduziert, so daß der Übertretende über wesentliche Konsequenzen seines Schrittes im unklaren gelassen wurde – alles andere blieb einer „Nacharbeit“ überlassen, die nicht mehr vom Missionar durchzuführen war, sondern von den Trägern der normalen Kirchenorganisation, von Pfarrer und Bischof, mit den Mitteln innerkirchlicher Seelsorge und innerkirchlicher Disziplinargewalt19. Soviel zum Grundsätzlichen. Terminologisch nun ist wichtig, daß auch, wer sich dieser „Nacharbeit“ entzog oder bei wem sie nur unvollkommene Früchte trug, im mittelalterlichen Sinne grundsätzlich „Christ“ blieb, wenn auch eben ein schlechter (male Christianus); dabei war es begrifflich zunächst gleichgültig, in welcher Richtung die Abweichung von den christlichen Normen lag, ob auf dem Gebiet der Sitten- oder dem der Glaubenslehre, womöglich sogar in heimlicher Fortsetzung heidnischer Kulthandlungen: teuflisch war das eine wie das andere, eine genaue begriffliche Unterscheidung zwischen diesen verschiedenartigen Abweichungen wurde lange Zeit nicht für nötig gehalten. Selbst Rückfall in offenkundiges Heidentum findet sich daher gelegentlich als „Häresie“ bezeichnet, als innerchristliche Verirrung also, und zwar wieder bei einem Sachsen, einem Mann überdies, der immerhin Bischof war: Dietmar (Thietmar) von Merseburg († 1018)20.
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Ergänzend Beitrag IX, 251–258, vgl. 244–251. Thietm. III 17 (S. 118, 30 ff. Holtzmann; S. 104, 22 Trillmich); dazu Beitrag XV, 509 f. 20
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Die Fiktion fortdauernden Christentums konnte von hier aus erstaunlich weit getrieben werden: der Annalist des Prämonstratenserklosters Pöhlde am Harz formuliert im 12. Jh. als Zielsetzung des 1147 unternommenen Wendenkreuzzuges, er habe die betroffenen Slawen „dem göttlichen Kult (also dem Christentum) . . . wieder näherbringen wollen, von dem sie fast ganz (propemodum) abgewichen waren“21 – die „Abweichung“, die demnach angeblich nicht vollständig war, sondern nur sehr weit ging, bestand immerhin darin, daß diese Slawen teils seit 983, teils seit 1066, also seit über 150 oder wenigstens 80 Jahren, alle erreichbaren Spuren von Christentum und Kirche unter sich beseitigt hatten, in blutigen Aufständen, so, daß seit Generationen nicht einmal ein Getaufter mehr unter ihnen lebte, sondern nur noch Nachkommen einstmals getaufter Apostaten. Die Religion dieser Apostaten war in Glauben und Kult erst recht heidnisch, wenn auch die vorübergehende Christianisierung dieser ethnischen Gruppen Spuren hinterlassen und das alte Heidentum in wichtigen Zügen modifiziert hatte22, was als prinzipielle Möglichkeit auch für nachkarolingisches sächsisches Heidentum unbedingt im Auge zu behalten ist; dabei ist kein Zweifel, daß diese religionsgeschichtlichen Besonderheiten des späten Elbslawentums, die erst neuere Forschung bloßlegen konnte, dem Annalisten von Pöhlde restlos unbekannt gewesen sind, so daß seine Formulierung auf etwas gemünzt war, was heute im allgemeinen anstandslos als reines Heidentum gelten würde (der Grundcharakter, die innere Struktur der alten Kultreligion war durch die erwähnten christlichen Einflüsse nicht gewandelt worden). Wieder stehen wir an der begrifflichen Grenze, die so anders verläuft, als wir es gewohnt sind. Es gab allerdings auch die Möglichkeit, apostatisches Heidentum anders zu kennzeichnen: mit dem Ausdruck paganus, der entgegen verbreiteter Meinung nicht einfach mit „Heide“ übersetzt werden kann, wie überhaupt das mittelalterliche Latein merkwürdigerweise keine genaue Entsprechung zu diesem neuhochdeutschen Worte kennt23. Paganus ist der Ausdruck, der nicht zufällig auch Quellen wie die Capitulatio de partibus Saxoniae beherrscht, die ja auf die formelle Annahme des
21
Ann. Palid. a. 1147 (Mon. Germ. Hist. SS XVI 82, 35). A. Brückner bei Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte 4II (Tübingen 1925) 509. 23 Th. Ohm, Die Stellung der Heiden zu Natur und Übernatur nach dem hl. Thomas v. Aquin. Eine missionstheoretische Untersuchung (Münster 1927) 25; speziell zu paganus: Beitrag XV, 505–509. 22
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Christentums durch die Sachsen folgt, daher, soweit sie religionspolitisch zu beurteilen ist, so etwas wie Apostatenrecht bietet24. Wo dieser Ausdruck angewandt wurde, herrscht für unser Empfinden eine größere begriffliche Klarheit. Den Vertretern der mittelalterlichen Kirche sind jedoch eben vielfach andere Zusammenhänge wichtiger gewesen; sie haben daher von dieser terminologischen Unterscheidungsmöglichkeit, wie gesagt, nicht den uns wünschenswerten Gebrauch gemacht, und das heißt mit anderen Worten, um diesen langen Exkurs endlich zum gewünschten Ende zu führen: in dem spärlichen Quellenmaterial, das für die Religionsgeschichte Sachsens in den Jahrhunderten nach Karl d. Gr. überhaupt zur Verfügung steht, muß mit einer weitgehenden begrifflichen Verdunkelung von Elementen gerechnet werden, die in unserem Sinne als heidnisch zu betrachten wären. Abschließend ist daher festzustellen: daß es in diesen Jahrhunderten nach Karl in Sachsen weder Fortexistenz alten Heidentums noch Rückfallstendenzen gegeben habe, ist für die früher genannten Randgebiete durch die vorgeführten Zeugnisse ausdrücklich zu widerlegen; für die Hauptteile Sachsens kann diese Auffassung nicht mehr beanspruchen, als allenfalls Hypothese zu sein, unbewiesen und unbeweisbar, Hypothese, die dabei durchaus nicht gerade alle Wahrscheinlichkeit für sich hat. Als Grundlage, auf der sich Schlüsse gerade auch bei der Ausdeutung archäologischen Materials mit ausreichender Sicherheit aufbauen ließen – als solche Grundlage ist diese Auffassung daher m.E. in gar keiner Weise geeignet. Ein formales, institutionalisiertes Denken, wie es soeben zu schildern war, ist uns heute fremd; gleichwohl sollten wir seine Gesichtspunkte, wenn wir uns mit diesen Zeiten befassen, doch vielleicht stärker mitsprechen lassen, als dies zuweilen geschieht. Uns sind in diesen Tagen eindrucksvolle Beispiele dafür vorgelegt worden, wie in heidnische Friedhöfe Sachsens allmählich christliche Symbole eindrangen. Sie sind eindeutige Beweise dafür, daß die Berührung Sachsens mit dem Christentum zunahm; über die Art dieser Berührung aber sagen sie m.E. nichts, und vollends als Beweise für eindringendes Christentum als solches vermag ich sie, wenn ich auch dies noch gestehen darf, nicht anzunehmen. Keinem dieser Symbole ist anzusehen, ob der, der es an den Fundort verbrachte, es wirklich christlich verstanden und christlich gemeint hat
24
Beitrag XV, 528 f.; vgl. Beitrag IX, 264, dazu 240.
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oder aber umgedeutet in welchem Sinne immer. Auch wo mit Sicherheit eine christliche Auffassung unterstellt werden dürfte, was zu behaupten die Anhaltspunkte wohl nirgends ausreichen – auch dort wäre zu fragen, ob das Zeichen wirklich für Christentum spricht, etwa im Sinne einer in Bildung begriffenen Diaspora, oder ob es nicht vielmehr Niederschlag eines bloßen Synkretismus ist, in den echt christliches Gut unverändert eingeflossen war, doch nur als eine Komponente unter anderen – vielleicht sogar ohne die Taufe, die damals den Christen machte, so daß nicht einmal Widukind von Corvey das Ergebnis noch als Christentum hätte gelten lassen25. Gerade wenn eine solche scheinbar christliche Bestattung sich inmitten eines heidnischen Gräberfeldes findet, ist m.E. äußerste Vorsicht am Platze. Echtes Christentum in mittelalterlichem Sinne hat stets danach gestrebt, in geweihter Erde bestattet zu werden und jedenfalls nicht in Gemenglage mit „Ungläubigen“, die am Tage der Auferstehung des Fleisches hoffnungslos dem Gericht verfallen mußten – wer konnte sicher sein, ob sie dann nicht den, der sich mitten unter ihnen vom Todesschlafe erhob, mit sich ins Verderben reißen würden? In der Praxis werden solche Grundsätze sich nicht immer haben durchsetzen lassen, vor allem dann nicht, wenn die Angehörigen eines verstorbenen Diaspora-Christen, denen die Bestattung zufiel, selbst noch altgläubig waren; wenn sie daher nicht im Traum an die Durchführung derartiger Prinzipien dachten, vielleicht im Gegenteil den Grabhügel einer verehrten christlichen Stammutter zur neuen heidnischen Sippenkultstätte machten, wie dies ein charakteristisches Beispiel aus Island bezeugt26. Gleichwohl scheint mir, daß wir auch hier an einer Grenze angelangt sind, an der die Aussagekraft archäologischer Materialien erlischt, ohne daß anderes mit sicherer Hilfestellung einspringt – eine Grenze, an der daher äußerste Vorsicht geboten bleibt.
25 Beispiele solcher Mischform sind auch aus der Germanenmission gut bezeugt, vgl. W. Baetke, Stufen u. Typen in der Germanenbekehrung, in: Vom Geist . . . (wie oben Anm. 6) 131–133 (aus Zschr. f. Missionskunde u. Religionswiss. 1939). Archäologische Hinweise dieser Art etwa bei Walter Schultz, Archäolog. Zeugnisse frühen Christentums in Deutschland usw.: Wiss. Zschr. Univ. Halle, Ges.- u. sprachwiss. Reihe 5 (1955/56) 1057–63, passim. Von grundsätzlicher methodischer Bedeutung für das Problem formaler Übernahme religiöser Symbolzeichen aus einer religiösen Sphäre in die andere: E. R. Goodenough, The Crown of Victory in Judaism: Art Bulletin 28 (1946) 139–159. 26 Vgl. Baetke, ebd.
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beitrag xii 3. Die „Heidenfrage“ im Stellinga-Aufstand
Gestatten Sie eine letzte Bemerkung zur Stellinga, auf die einzugehen ich vorhin vermieden hatte. Die langen, scheinbar abführenden Exkurse, die seitdem eingeschaltet worden sind, haben auch dafür wichtige Voraussetzungen geschaffen. Die zur Zeit vorherrschende Auffassung des Problems mag ein Zitat stellvertretend für viele charakterisieren: „Der Stellinga-Aufstand . . . ist als Auflehnung der Frilinge und Laten gegen die Herrschaft des Adels aufzufassen. Wenn K(aiser) Lothar, wie Nithard berichtet, den genannten Ständen versprach, ,sie sollten, wenn sie ihm folgten, das Gesetz, welches sie zu der Zeit hatten, als sie noch Götzendiener waren, wiedererhalten‘, so heißt das doch, daß sie jetzt christlich sind, nicht aber, daß sie sich gegen den christlichen Glauben erhoben haben“27. Stellen wir dem den Quellenbefund gegenüber, zunächst den angeführten Beleg, natürlich nicht nur die wenigen herausgegriffenen Worte, sondern den Gesamtzusammenhang, dem sie entnommen sind28. Da ist zunächst wichtig, daß am Anfang dieses Zusammenhanges die Feststellung steht, Kaiser Karl habe, wie allgemein bekannt, „die Sachsen . . . von ihrem nichtigen Götzendienst durch vielfache, verschiedene Bemühung zur wahren Religion Gottes und des Christentums bekehrt (ab idolorum vana cultura multo ac diverso labore ad veram Dei Christianamque religionem convertit)“. Damit ist die Position abgesteckt, von der aus Nithard die Dinge betrachtet. Es ist der offizielle Standpunkt der mittelalterlichen Kirche: die Sachsen sind bekehrt; sie haben damit einen Schritt vollzogen, der prinzipiell nicht rückgängig gemacht werden kann, mag auch ihr religiöser Zustand nach diesem Schritt vielleicht noch vielfach zu wünschen übriglassen, vielleicht sogar dem vorherigen, rein äußerlich betrachtet, ähnlicher sein als dem, was nachher eigentlich erreicht werden sollte. Niemals wieder kann sich Heidentum im Vollsinn des Wortes im Bereich dieser Völkerschaft entwickeln. Dabei ist wohl zu beachten, daß derjenige, der hier diesen Standpunkt vertritt, nicht nur als ein frommer mittelalterlicher Christ schreibt, sondern zugleich als Enkel Karls, des Bekehrerkaisers, den Nithard außerordentlich verehrt
27 K. Honselmann, Die Annahme des Christentums durch die Sachsen usw.: Westf. Zschr. 108 (1958) 202 Anm. 1. – Bequemste Zusammenfassung der Belege zum Stellinga-Aufstand bei E. Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reiches2 (= 3) I (Leipzig 1887 = Darmstadt 1960) 164–166 u. 184 f., vgl. 266 sowie II 416. 28 Nithard. Hist. IV 2 (S. 41, 28 ff. Müller: S. 488, 7 ff. Rau).
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hat. Ein Abgehen vom offiziellen kirchlichen Standpunkt wäre für ihn zugleich eine Schmälerung desjenigen Werkes gewesen, das unter denen seines Großvaters für ihn sicher nicht das geringste war. Es folgen zunächst weitere Bemerkungen allgemeiner Art über die Sachsen: ihren kriegerischen Charakter, ihre Ständegliederung, zu der die geteilte Parteinahme des Adels im Streit der Söhne Ludwigs des Frommen, der Vettern Nithards, hervorgehoben wird. Lothar I., in diesem Streit in besondere Bedrängnis geraten, setzte alle erdenklichen Hebel in Bewegung, um sein Schiff wieder flott zu bekommen. Unter anderem (ich paraphrasiere etwas) schickte er auch nach Sachsen, um dessen starke kriegerische Kraft gegen seinen Bruder Ludwig auszuspielen, der von dort aus im Rücken gefaßt werden konnte. Eine Adelspartei dort hing Lothar schon an; worauf es ankam, war, auch noch das Volk zu gewinnen, um so des ganzen wichtigen Reichsteiles Herr zu werden. Lothar ließ daher den Angehörigen der beiden unteren Stände, deren Parteinahme anscheinend noch offen war, „den Frilingen und Lazzen, deren Zahl sehr groß ist“, wie Nithard hinzufügt, ein Versprechen übermitteln: wenn sie seine Partei ergriffen (si secum sentirent), dann werde er ihnen zugestehen, „künftig (deinceps) die gleiche lex zu haben, die ihre Vorfahren (antecessores sui) zu der Zeit besessen hatten, da sie noch Götzendiener waren (tempore, quo idolorum cultores erant). Danach über die Maßen begierig (qua supra modum cupidi)“, legten sie sich den Namen bei, unter dem ihre Erhebung bekanntgeworden ist – er harrt noch immer befriedigender Deutung. Sie rotteten sich zusammen, trieben ihre Herren beinahe aus dem Lande, „und nach alter Weise lebte jeder nach der lex, die ihm beliebte (more antiquo qua quisque volebat lege vivebat)“, bis Ludwig der Deutsche durchgriff und mit einer an ihm sonst ungewohnten Härte, die nahe an das berüchtigte Blutbad von Verden heranreicht, den alten Zustand wiederherstellte. Vermag die herrschende Auffassung von diesem Text zu bestehen? Daß ein stark sozialgeschichtlicher Aspekt hervortritt, kann nicht geleugnet werden: ganz falsch ist die referierte Deutung also keinesfalls. Die Frage ist, ob sie genügt. Die Entscheidung liegt bei dem Worte lex, das hier zweimal bestimmend hervortritt. Daß es damals in vielen Fällen „Rechtsordnung“ heißen kann (im Unterschied zum einzelnen Gesetz), steht fest und ist gleichfalls nicht zu bezweifeln. Im vorliegenden Fall kann diese Deutung jedoch schwerlich befriedigen: wenn im Zeichen der Stellinga „jeder nach der Rechtsordnung“ gelebt hätte, „die ihm beliebte“, dann würde damit für das vorkarolingische Sachsen ein praktisch recht- und
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gesetzloser Zustand vorausgesetzt, in dem jeder das einhielt, was ihm gerade paßte. Diese Auffassung ist absurd. Beiläufig möchte man für die Wiederherstellung entfremdeter Standesprivilegien, wie Frilinge und Lazzen sie in der Stellinga angeblich verfochten haben sollen, eher Ausdrücke wie consuetudines, iura u. dgl., pluralisch also, erwarten. Nun kommt jedoch dem Wort lex speziell im christlichen Latein mindestens seit spätantiker Zeit noch eine andere Bedeutung zu, schon im Codex Theodosianus an zahllosen Stellen greifbar. Zu den beliebtesten Motiven frühchristlicher Kunst gehört eins, das im Anschluß an zeitgenössischen Sprachgebrauch herkömmlich als donatio legis bezeichnet wird: die Übergabe der lex, als Schriftrolle dargestellt, an Petrus oder auch Paulus durch den thronenden Christus, ikonographiegeschichtlich bezeichnenderweise abgeleitet von Vorlagen der offiziellen Kaiserkunst, die den irdischen Herrscher zum Gegenstand hatten, wie er durch förmliche Überreichung des Bestallungspatents die Investitur eines Beamten vornahm. Was aus diesen Reliefs und Mosaiken spricht, ist die Auffassung von Christus als dem himmlischen Rex et Sacerdos, der der Christenheit als seinem „Volke“ das Evangelium gegeben habe, gleichsam als „Reichsgesetz des Reiches Gottes“ auf Erden, so wie das Gottesvolk des Alten Bundes das ihm bestimmte Gesetz durch Gott in Mose erhalten hatte29. Diese lex christiana, catholica, sanctissima, venerabilis, divina und wie immer sie genannt wird, umfaßt ein für modern systematisches Denken überaus komplexes Gebilde: die Gesamtheit der Normen, die in Bibel und kirchlicher Tradition verbindlich festgelegt sind, so daß sie vereint das „rechte Christentum“ ausmachen, dem der einzelne Gläubige nachstreben soll; die Skala reicht vom kirchlichen Dogmengebäude über kultisch-rituelle Vorschriften bis zur persönlichen Lebensführung, von der Erfüllung der Nächstenliebe bis zu der der kirchlichen Sonntagspflicht, der Ehe- und der Fastengebote und nicht zuletzt der Zehntpflicht, die im 8. Jh. gleichfalls zum festen Bestandteil dieser lex christiana geworden war. Dies alles verbleibt zunächst rein im christlichen, genauer: im christlich-katholischen Bereich. Von diesem Ausgangspunkt her wird
29 Vgl. für viele: Jhs. Kollwitz. Das Bild von Christus dem König in Kunst u. Liturgie der christl. Frühzeit. Theologie u. Glaube 2 (1947/48) 106 f.; Chr. Ihm, Die Programme d. christl. Apsismalerei vom 4. Jh. bis z. Mitte d. 8. Jh. (Wiesbaden 1960) 33–39; dazu etwa A. Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters usw. (München/Berlin 1929) 103; Fr. Heiler, Das Wesen des Katholizismus (München 1920) 30 ff., bes. 32 u. 40 (auch zum flg.).
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dann jedoch der Sprachgebrauch möglich, auch andere Normen religiöser Art als die christlich-katholische lex zu nennen; zuweilen auch dort, wo das schon deshalb nicht paßt, weil die fremde Religion überhaupt nicht auf einer wie auch immer normierenden Schriftgrundlage fußt: Abweichungen solcher Art von dem, was im eigenen Lebensraum als selbstverständlich erscheint, pflegen für dermaßen unempirisch eingestellte Zeiten außerhalb dessen zu liegen, was normalerweise vorstellbar ist. So kann es von Ketzern, Juden und auch Heiden heißen, sie lebten secundum legem eorum; der lex Christi kann die lex illius qui Mahometh dicitur gegenübergestellt werden (lex ipsa quae Alchoran vocatur), der lex nostra die lex ista, und anderes mehr30. Legt man in der zitierten Nithard-Stelle diesen Sprachgebrauch zugrunde, so gewinnt sie ein erheblich anderes Gesicht. Der herausgestellte innere Widerspruch löst sich auf. Lothars Botschaft garantiert den zum Christentum bekehrten, d.h. getauften und also christlichen Frilingen und Lazzen Sachsens die Freiheit zur Erneuerung der Glaubens- und Kultnormen, „die ihre Vorfahren zu der Zeit besaßen, als sie noch Götzendiener waren“; wir präzisieren: als sie noch Heiden waren, die die Kirche als solche anerkannte, Menschen noch jenseits der Taufe und damit jenseits des Anspruchs, de jure Christen zu sein. Mit anderen Worten: Lothar hob von der ohnedies schon stark gemilderten Capitulatio de partibus Saxoniae nun auch die Bestimmungen auf, die eine Fortdauer heidnischen Kultbrauchs im christlichen Sachsen unter Strafe gestellt hatten und seit Karl unverrückt in Geltung geblieben waren. Das Angebot fand bei den beiden Schichten, die die Masse der Sachsen verkörperten, regen Widerhall, und jeder lebte hinfort nach der lex, die ihm gefiel – eine Aussage, die erst von hier aus ihre volle Tragweite erhält, besagt sie nun doch nicht weniger als dieses, daß es zwar zu einer starken heidnischen Reaktion kam, daß jedoch dabei kein Zwang ausgeübt wurde, vom Christentum abzufallen: wer die lex christiana beizubehalten wünschte, wurde bei ihr belassen – eine weitere stand neben der altheimischen ja nicht zur Auswahl, so daß sie gemeint sein muß, wo auf mehrere konkurrierende leges auf sächsischem Boden angespielt wird –; nur wer sie ablehnte, kehrte
30 Einzelbelege können hier nicht aufgereiht werden. Sie finden sich besonders zahlreich bei Schriftstellern des Kreuzzugszeitalters; obige Zitate aus Schriften des Petrus Venerabilis: Migne, Patr. Lat. 189, 659 A, 671 C, 673 B u. C usw. Auf ecclesiae legis Gothorum = „arianische Kirchen“ in ravennatischen Urkunden 6. Jh. verweist Th. Mommsen, Gesammelte Schriften VI (1910) 476 Anm. 1.
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zu der lex zurück, die so seltsam verklausuliert mit den heidnischen Vorfahren in Verbindung gebracht wird (wie mag Nithard sich gewunden haben, von seinem leiblichen Vetter, einem christlichen Kaiser, eine derart offenkundige Begünstigung widerchristlicher Umtriebe zu berichten!). Die Stellinga-Leute hielten mithin bei der Rückkehr zum alten Herkommen, als die sie von sich aus das Ganze betrachteten, ein Maß, das beachtlich ist; man mag fragen, ob die gewahrte Grenze ihnen nicht von Lothar selbst vorgeschrieben worden war, da er ja in seiner Stellung eine offene Christenverfolgung unter gar keinen Umständen begünstigen durfte. In diesem Maßhalten unterschieden sich die Sachsen des Jahres 841 etwa von den Elbslawen der Jahre 983 und 1066, die auf standhaftes Christentum nicht mit Duldung antworteten, sondern mit dem Martyrium. Die Erhebung der Stellinga ging demnach, soweit ihre religionsgeschichtliche Seite in Betracht kommt, sehr viel weniger weit als andere Apostasiebewegungen der Geschichte – hier liegt der Wahrheitskern, der aus der sonst von mir bestrittenen These festzuhalten ist. Vom kirchlichen Standpunkt aus aber wurde das Christentum der Stellinga-Leute durch ihre, sagen wir einmal: paganisierenden Umtriebe prinzipiell nicht berührt, eben weil eine Rückkehr zum Heidentum im Vollsinn des Wortes, wo einmal das Christentum eingeführt war, für diese Auffassung unmöglich war: auch daher die verklausulierte Formulierung Nithards, die uns so zu schaffen macht. Wieder darf besonders an den eigentümlichen Christen-Begriff Widukinds von Corvey erinnert werden31. Neben all diesen religionsgeschichtlichen Vorgängen her aber läuft die politisch-soziale Erhebung der Frilinge und Lazzen gegen den Adel, zu dem sie seit alters in gespanntem Verhältnis standen. Ob diese Erhebung allerdings in einer seit Karls Zeit erfolgten Rechtsminderung ihre Ursache hatte oder einfach in den alten Spannungen zwischen den Ständen, die unverändert fortbestanden hatten, das scheint mir nach alledem durchaus einer neuen Untersuchung wert. Dazu ist nochmals daran zu erinnern, daß Nithard nicht, wie im ersten Fall zu erwarten, von iura oder consuetudines spricht. Das so konzipierte Bild hat sich an dem übrigen Quellenmaterial zu bewähren. Dabei treten Schwierigkeiten nicht auf. Es genügt der Hinweis auf die Annalen von St. Bertin32: Lothar stellt den im Stellinga-Bund vereinigten Sachsen „die Entscheidung (obtionem) für jede beliebige
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Oben S. 418 f. Ann. Bertin. a. 841 (S. 26 Waitz = S. 54, 14 ff. Rau).
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lex oder die consuetudo der alten Sachsen frei, je nachdem welche von beiden sie vorzögen (utram earum mallent)“. Hier erscheint consuetudo, aber in der Singularform, die für einen Rechtszustand weniger gebräuchlich sein dürfte, dafür oft eine ähnliche religiöse Bedeutung hat wie lex; das Wort uter stellt ausdrücklich klar, daß es im Grunde um die Wahl zwischen zwei Dingen, eben zwischen Christlichem und Heidnischem, geht. Die Fortsetzung bestätigt, daß diese Interpretation zutrifft: „Da sie (die Sachsen) immer zum Bösen hinneigen (semper ad mala proclives), entschieden sie sich lieber dafür, den Kultbrauch der Heiden nachzuahmen, als die Sakramente des christlichen Glaubens zu wahren (magis ritum paganorum imitari quam christianae fidei sacramenta tenere delegerunt).“ Hier ist die heidnisch-religiöse Seite der ganzen Bewegung mit aller nur wünschenswerten Eindeutigkeit festgehalten von einem Schreiber, der sehr viel weniger persönliche und familiäre Rücksichten zu nehmen hatte als Nithard; es ist unverständlich, wie diese klare Aussage so weitgehend hintangesetzt werden konnte. Als besonderes Dessin vermerken wir, daß diese Sachsen vom Standpunkt des Quellenautors aus heidnischen Kultbrauch nicht „üben“, sondern nur „nachahmen“ können, da sie auch für ihn selbstverständlich Christen sind und bleiben (an etwas späterer Stelle heißt es, ganz in der Art des Annalisten von Pöhlde, daß sie christianam fidem pene reliquerant33). Es ist auch in diesem Falle wieder ein Bischof, der spricht, Prudentius von Troyes († 861). Doch es wird hohe Zeit, daß ich schließe. Leider habe ich verschiedentlich weit ausholen müssen. Wer aber als Außenseiter in einem Kreise mitzureden versucht, darf in dieser Hinsicht vielleicht mildernde Umstände geltend machen, ist es ihm doch von der Sache her erheblich stärker erschwert, seiner Position Verständnis zu schaffen, als dem, der sich in diesem Kreise längst und fest eingespielt hat.
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Ebd. a. 842 (S. 28 bzw. 58, 22 ff.; vgl. oben S. 516.
BEITRAG XIII
DAS WÜRZBURGER SONDERSENDRECHT FÜR CHRISTIANISIERTE SLAWEN UND SONSTIGE NICHTFRANKEN Ein Rechtstext aus der Zeit König Konrads I. (918?) Einführung, Edition und deutsche Übersetzung∗ Einführung Der Quellentext, der hier erneut vorgelegt wird, ist seit gut 150 Jahren bekannt. Er gibt konzentriert wie selten Einblick in die Bevölkerungsund Herrschaftsverhältnisse, in die religions- und sozialgeschichtliche Situation des Bestimmungsgebietes, doch herangezogen wurde er selten. Vor allem Zuweisungsschwierigkeiten legten sich in den Weg. Kürzlich ließen sie sich, wie es scheint, beheben, und es wurde möglich, ihn in dieser Zeitschrift ausführlich zu würdigen, wenn auch nicht erschöpfend1. Das weckte den Wunsch, über Einzelzitate hinaus auch den vollen Wortlaut wieder leichter verfügbar zu haben, der 1907 zuletzt vollständig gedruckt worden war, und das als Anhang zu einer schwer zugänglich gewordenen Spezialmonographie2. Schließlich empfangen Details Licht auch von dem Gesamtzusammenhang her, der sie einschließt. Diesem Wunsch wird hiermit entsprochen. Aus Raumgründen wird möglichst wenig wiederholt, was bereits die vorige Abhandlung ausbreitet. Neu aufgerollt werden muß jedoch das Problem der Datierung und historischen Einordnung, zu dem ergänzende Gesichtspunkte aufgetaucht sind.
∗ Vorliegender Beitrag erscheint als Nachdruck auch in den Studia Mythologica Slavica, Ljubljana, Bd. 11 (2008). Den beteiligten Schriftleitungen dankt der Verfasser für freundliche und großzügige Zusammenarbeit. 1 H.-D. Kahl, Das erloschene Slawentum des Obermaingebietes und sein vorchristlicher Opferbrauch (trebo) im Spiegel eines mutmaßlich würzburgischen Synodalbeschlusses aus dem 10. Jh., in: SMS 7 (2004), S. 11–41, danach hier zitiert; Wiederabdruck im Archiv für Geschichte von Oberfranken 86 (2006), S. 7–40, durch eine Karte zum Mainslawenproblem ergänzt. 2 Bei A. M. Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland I, München 1907, S. 194– 196.
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beitrag xiii 1. Ein isolierter Text
Die Überlieferung des Textes, der provisorisch als T bezeichnet sei, stellt keine Originalausfertigung zur Verfügung. Sie unterschlägt, wann, wo und durch wen T zustandekam, und beschränkt sich auf das Inhaltliche. Der Form nach handelt es sich um so etwas wie einen Synodalschluß, der Lebensverhältnisse im Bestimmungsgebiet den Normen der damaligen Kirche anpassen soll, und zwar mit den Mitteln des geistlichen Gerichts der Zeit, des sog. Send 3. Vorausgesetzt wird ein gefestigtes Niederkirchenwesen unter geordneten Herrschaftsverhältnissen, die im eingespielten Zusammenwirken geistlicher und weltlicher Gewalt ein scharfes Durchgreifen möglich machen. Weiteres kann im wesentlichen allein aus dem Text selbst gefolgert werden. Die wahrscheinlich ältere der beiden Handschriften gehört nach neueren Ergebnissen in die Zeit um 10404. Damit ist ein provisorischer Terminus ante quem gegeben. Sucht man dem einen Terminus a quo gegenüberzustellen, so hat man sich zunächst mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß T im ersten Kapitel hier eingeführter Zählung zwei Partien einschließt, die noch anderweitig überliefert sind und dort Quellenangaben zeigen. Sie erscheinen in einer Canonessammlung, die ein Salzburger Codex umstrittener Herkunft einschließt, gleichfalls aus dem 11. Jh. Das Gegenstück zu I, 1 ist durch Rückverweis auf den vorausgehenden Canon dem Konzil von Tribur zugeschrieben (in Triburiensi concilio); II, 2–3 enthält einige Sätze aus einem erheblich längeren Passus, der dort auf ein Konzil von Rouen zurückgeführt wird (concilio Rodomagensi); dabei läßt der Textvergleich sich lediglich bis zu der Stelle durchführen, an der die Salzburger Fassung abbricht – ob T die gemeinsame Vorlage weiter zitiert oder mit II, 1 selbständiges Formulieren beginnt, ist nicht sicher auszumachen5. Gibt das Datierungshinweise? Ein Konzil von Tribur ist wohlbekannt. Es wurde 895 unter König – noch nicht Kaiser – Arnulf im heutigen Trebur (bei Groß-Gerau, Hessen) abgehalten und gehört
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H. Zapp, Send, in: Lexikon des Mittelalters (= LMA) VIII (1995), Sp. 1747 f. m. Lit. Zum flg.: Kahl, S. 18 ff. 5 (G.) Phillips, Der Codex Salisburgensis S. Petri IX. 32, in: Sitzungsber. d. Akad. d. Wiss. Wien, phil.-hist. Kl. 44 (1863), S. 469, 471 f. u. 501–503. Zur Handschrift noch: P. Fournier – G. Le Bras, Histoire des collections canoniques en occident etc. I, Paris 1931, S. 305–310 ; R. Kottje, Eine Salzburger Handschr. aus Köln, in: Rhein. Vierteljahrsbl. 28 (1963), S. 286–290; H. Fuhrmann, Einfluß u. Verbreitung d. pseudoisidor. Fälschungen III, München 1974, S. 706, Anm. 257, vgl. S. 683 ff., 707, 716 Anm. 289 sowie S 749 samt Anmerkung von R. Kottje, ebd., S. 629, Anm. 6. 4
das würzburger sondersendrecht
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zu den markantesten Ereignissen von dessen Regierungszeit. Leider liegt es mit der Überlieferung im argen, und wir können noch nicht einmal auf eine moderne Ausgabe zurückgreifen. Es gibt zahlreiche Extravaganten, und ihre Authentizität ist teilweise umstritten; ausgerechnet der hier wichtige Canon zählt zu denen, die nicht allgemein anerkannt sind6. Das Konzil von Rouen aber gehört zu den Cruces der Forschung. Es wird mehrfach in ähnlicher Weise zitiert, besonders bei Regino von Prüm († 915); wir besitzen jedoch keine vollständige, nicht einmal eine größere zusammenhängende Textüberlieferung – selbst für die behaupteten Exzerpte ist unklar, ob wenigstens hinter ihnen noch ein greifbarer Gesamttext gestanden hat oder auch nur ein Zitat von Zitiertem. Einzig bezeugt ist für diesen Tagungsort eine Synode von 650. Mit ihr läßt sich rein von der Problemstellung her keins der bekannten Bruchstücke in Verbindung bringen – sie würden am ehesten in die Zeit um 878/80 passen. Es ist nicht einmal sicher auszuschließen, daß es nach 650 gar keine Synode von Rouen mehr gegeben hat und die Angaben auf Erfindung beruhen7. Der Passus, um den es hier geht, taucht bei Regino nicht auf, so daß selbst die Abfassungszeit seines Handbuchs
6 Synode von Tribur: W. Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im Frankenreich u. in Italien, Paderborn 1989, bes. S. 7 f., 10., 22 f., 25, 299, 367–371, 481 u.ö. (Register S. 523), dazu H. Wolter, Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von 916 bis 1056, Paderborn 1988, Register, S. 517, über die Nachwirkung. Ausgabe: V. Krause, MGH Cap. II, S. 196–249, dazu Ders., Die Akten der Triburer Synode 895, in Neues Archiv 17 (1892), S. 51 ff., sowie ebd., 18 (1893), S. 411 ff., mit Kritik von E. Seckel, ebd. S. 36–409; dazu H. Hoffmann – R. Pokorny, Das Dekret des Bischofs Burchard von Worms. Textstufen – Frühe Verbreitung – Vorlagen, München 1991, S. 69 f. m. Anm. 25, und vor allem R. Pokorny, Die drei Versionen der Triburer Synodalakten von 895, in Deutsches Arch. 48 (1992), bes. S. 432–466 und 481–385, mit teilweiser Kritik von W. Hartmann, Kaiser Arnolf und die Kirche, bei F. Fuchs – P. Schmid (Hg.), Kaiser Arnolf, München 2002, S. 238 f., 241 f., 245–251 m. weiterer Lit. – Zum oben behandelten Sonderkanon: Ae. L. Richter – R. Dove – W. Kahl, Lehrbuch d. kath. u. ev. Kirchenrechts, 8. Aufl. Leipzig 1886, S. 143 Anm. 4; Krause, NA 17 (1892), S. 326; Ders., MGH Cap. II, S. 197 f. mit Tabelle II, 10; Koeniger, Sendgerichte I, S. 52 m. Anm. 2, S. 197 f., vgl. 202 f. – S. nachstehend Anm. 8. 7 E. Seckel, Die ältesten Canones von Rouen, in: Histor. Aufsätze, Karl Zeumer dargebracht, Weimar 1910, S. 611–635; Hartmann, Synoden, S. 385 f. und 435, vgl. 478 u. 481: O. Pontal, Die Synoden im Merowingerreich, Paderborn 1986, S. 203 f. m. Anm. 20. Zum fraglichen Einzelkanon: Phillips, S. 501–503; A. M. Koeniger, Beiträge zu den fränkischen Kapitularien und Synoden, in: Arch. f. kath. Kirchenrecht 87 (1907), S. 395 f. m. Anm. 3; Ders., Sendgerichte I, S. 196–198; Seckel, Rouen, S. 629 m. Anm. 3; E. Mayer, Das sog. Sendweistum der Main- und Rednitzwenden usw., in: Zschr. f. Bayer. Landesgesch. 6 (1933), S. 3–15. passim (aus: Arch. d. Hist. Vereins f. Unterfranken 68, 1929; mit verfehlter Grundthese, gegen die bereits A. M. Koeniger, Art. SlawenSendrecht, in: Lex. f. Theologie u. Kirche IX, 1937, S. 624); Hartmann, Synoden, S. 466; Ders., in MGH Concil. III (1984), S. 131 Anm. 8. – Fernzuhalten sind die sog. Capitula Rotomagensia (MGH Cap. Episc. III, 1984, S. 367–371). – Vgl. flg. Anm.
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(um 906) uns nicht weiterhilft. Kurz: Uns bleibt einstweilen nichts, als das Suchen nach Hinweisen aus solcher Richtung einzustellen8. Wir sehen uns allein auf das angewiesen, was T vom Inhalt her an Indizien zur Verfügung stellt. 2. Würzburger Provenienz? Das Rubrum weist auf eine Region unter fest etablierter fränkischer Herrschaft mit ethnisch gemischter Bevölkerung. Slawen stellen einen so bedeutenden Anteil, daß sie als einzige namentlich hervorgehoben werden; was für Elemente sonst im Lande lebten, bleibt ungesagt – T spricht lediglich von Sclavi vel ceterae nationes (in Mehrzahl). Den namentlich Genannten kam also keine der mitbeteiligten Gruppen an Zahl und Bedeutung gleich. Die Urheber des Textes geben dabei zu erkennen, daß sie deutschsprachig waren – die Rede ist von Hügeln, quos dicimus [. . .] hougir (II, 1). Die erste Person Pluralis bezeichnet also ein althochdeutsches Wort als eigensprachlich, und zwar im Gegensatz zu einem anderen, slawischen, quod trebo dicitur (ebd.), in unpersönlicher Passivform. Hougir ist Mehrzahl zu houc „Hügel“ und hat zusätzlichen Zeugniswert: Es zeigt, daß T nur im Maingebiet oder weiter nördlich entstanden sein kann, denn weiter nach Süden hin wurde der Ausdruck durch einen anderen abgelöst9. Dazu paßt, daß die Überlieferung von T sich auf Kathedralsitze des Erzbistums Mainz konzentriert, nämlich Eichstätt, dessen Zuständigkeiten slawische Bevölkerungsteile einschlossen, andererseits aber das merkwürdig abgelegene Konstanz, im deutschsprachigen Binnenland, an einer Stelle, wo nicht slawische Sprachprobleme akut waren, sondern allenfalls solche rätoromanischer Art. Mainz selbst ist, wie all seine übrigen Suffragane, unbeteiligt, obwohl es im Ostteil der unmittelbaren Erzdiözese gleichfalls slawische Bevölkerung zu betreuen hatte, deren Bekehrungsstand noch 1074 als reichlich mangelhaft gekennzeichnet wird10. Schwer ist der Eindruck 8 Die theoretische Möglichkeit, daß die fraglichen Partien der Salzburger Sammlung nicht Quelle für T, sondern umgekehrt aus T entlehnt sind, wird verschiedentlich erörtert; große Wahrscheinlichkeit vermag ich ihr nicht beizumessen. Vgl. Krause, NA 17 (1892), S. 326 sowie MG Cap.. II, S. 206, Nr. 5; Koeniger, Archiv 1907, wie vor. Anm.; P. Hinschius, System des kath. Kirchenrechts V/1, Berlin 1893, S. 430 f. Anm. 6. 9 Kahl, S. 19 f. m. Anm. 46. Vgl. noch unten Anm. 76. 10 O. Dobenecker, Regesta Diplomatica necnon Epistolaria Historiae Thuringiae I, Jena 1895, Nr. 911 f. (S. 191 f.), dazu H. Leo, Untersuchungen zur Besiedlung und Wirtschaftsgesch. d. thüring. Osterlandes, Leipzig 1900, S. 66 f.; E. Schwarz, Sprache u. Siedlung in Nordostbayern, Nürnberg 1960, S. 362.
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abzuweisen, daß die Überlieferung von T auf Zufällen beruht, die von akutem Bedarf an entsprechenden Regelungen unabhängig sind, doch wird man den Bereich der Mainzer Kirchenprovinz nicht verlassen, solange sich dafür keine besonderen Gründe ergeben. Ältere Forschung hat teilweise Eichstätt als Entstehungsort in Anspruch genommen. Das hat zwei Beobachtungen gegen sich. T ist in beiden Überlieferungen als Extravagante der Dekretaliensammlung Burkhards von Worms hinzugefügt. Dabei erscheint der Zusatz in der Eichstätter Überlieferung ebensowenig wie in derjenigen aus Konstanz als ein selbständiger Nachtrag auf zufällig freigebliebenen Spalten, wie sonst so oft. Beide Male tritt T an der gleichen Stelle auf, die vom thematischen Zusammenhang durchaus nicht prädestiniert erscheint, gerade ihn aufzunehmen; die Hand, die ihn schrieb, ist in beiden Fällen identisch mit derjenigen, von der die vorausgehenden Textteile stammen, im Eichstätter Fall auch noch die unmittelbar anschließenden. Beide Schreiber müssen den Passus also bereits in ihrer Vorlage vorgefunden haben, die einstweilen weder hier noch dort nachgewiesen werden kann11. Im übrigen liegt Eichstätt ebenso wie Konstanz außerhalb des bekannten Verbreitungsgebietes von houc. Um so mehr zieht das benachbarte Würzburg den Blick an, unmittelbar am Main gelegen, ein altes Zentrum der Überlieferung dieses Ausdrucks, den sein Stift Haug bis heute im Namen bewahrt. Prüfen wir, ob das, was T sonst noch an Bedingungen stellt, dort ebenfalls als erfüllt gelten kann. Gleich für die erste, schon geschilderte Voraussetzung ist dies der Fall. Was sich T zur gegebenen Herrschafts- und Bevölkerungssituation entnehmen läßt, stimmt für den Würzburger Diözesanbereich mindestens für das 8.–10. oder 11. Jh12. Daß die Bischöfe sich der Christianisierung der die Ostteile besiedelnden Slawen annahmen, war ein Anliegen schon Karls d. Gr. gewesen, und seitdem hatten sie sich mit bemerkenswerter Beharrlichkeit immer wieder um Erneuerung der Privilegien bemüht, die sie dazu erhalten hatten, zuletzt 88913. Erst 1007, mit Abzweigung des neuen Bamberger Bistums, wurde ihnen diese Aufgabe abgenommen. Eine Synode vor diesem Jahr, vermutlich in größerem Abstand, die das Würzburger Bistum betraf, ist als Urheberin der in T wiedergegebenen Beschlüsse insofern durchaus in Betracht zu ziehen, und wir hätten
11 Zu alledem, auch zum flg., Kahl, bes. S. 19–21. Vgl. Abb. unten S. 32 sowie Anm. „u“ zur anschließenden Textedition, II, 2. 12 Kahl, bes. S. 21, 25–30 u. 31 f. Vgl. unten Anm. 58. 13 Übersicht: Schwarz, S. 357.
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damit, wenn diese Zuweisung sich bestätigt, zugleich einen weiteren Hinweis zum Terminus ante quem. Von den slawischen Mundarten des älteren Würzburger Sprengels ist nur wenig erkennbar. Daß der Wortstamm des Ausdrucks, den T als trebo wiedergibt, dort bekannt war, ist durch Ortsnamen bezeugt14. 3. Inhaltliche Datierungskriterien Das Rubrum deutet auf ungebrochene Geltung des karolingerzeitlichen Personalitätsprinzips im Recht: Es wird kaum eine Quelle geben, die einem slawischen Bevölkerungsteil im Frankenreich und seinen Nachfolgestaaten dermaßen eindeutig bescheinigt, daß er den Status einer „nach eigenem Recht lebenden Volksgruppe besitzt“15. Die Bevölkerung des Bezugsgebietes von T insgesamt bot offenbar rechtlich, und das heißt bis zu einem gewissen Grade auch: ethnisch, ein ziemlich buntes Bild. Franken spielten eine gewichtige Rolle. Darüber hinaus erfahren wir Näheres nicht, doch die Sozialstruktur wird beleuchtet, mit seltener Schärfe und Konzentration (II, 5–7). Vordringlich genannt wird der Fronbauer auf Staats- bzw. Königsland ( fiscalinus colonus). Er stellte wohl den größten Anteil. Es gab auch freie Eigentümer (in suo [. . .] praedio); andere waren Hintersassen eines solchen (in [. . .] alterius praedio), der für sie dann der Herr (dominus) war. Es ist nicht zu leugnen, daß all das sich gut zu den Vorstellungen fügt, die wir für die Karolingerzeit und darüber hinaus mit dem östlichen, dem heutigen engeren Franken verbinden. Leider erfahren wir nicht, wie die Slawen sich auf diese verschiedenen Schichten verteilten – ob sie an ihnen allen Anteil hatten oder nicht. Was in der Aufzählung fehlt, sind Hörige auf Kirchengut. Daß dort im Sinn der getroffenen Verfügungen durchzugreifen war, mag gar zu selbstverständlich gewesen sein. In den sehr detaillierten Ausführungsbestimmungen zeigt T – und auch das weist in eine frühere Phase – eine so enge Zusammenarbeit geistlicher und weltlicher Gewalt an ausgesprochen kirchlichen Zielen, wie man sie sich schon für die Periode der Sachsenkaiser nicht mehr recht vorstellen kann. Sie entspricht bestimmten Forderungen des römischen Kaiserrechts, deren Kenntnis sich in der Karolingerzeit und kurz danach im
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Kahl, S. 21 f. Vgl. H. Liermann, Zur mittelalterl. Rechtsgesch. Frankens, in: Jahrb. f. fränk. Landesforsch. 5 (1939), S. 2 m. Anm. 4. 15
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Frankenreich bemerkenswert weit verbreitet zeigt16. In den Synoden von Tribur (895) und Hohenaltheim (916) wurde sie besonders intensiv praktiziert. T erwähnt in diesem Zusammenhang zwei weltliche Herrschaftsträger, bezeichnet als centurio und als dux (II, 2 u. 6). Hinter dem ersten Ausdruck verbirgt sich ein untergeordneter Amtsträger, dessen Funktion früh im Hochmittelalter erlosch, ahd. hunno, sonst häufiger durch centenarius wiedergegeben, in der Fachliteratur früher vielfach als „Zentgraf “ bezeichnet. In Mainfranken war er schon nach dem Ausweis von Ortsnamen bekannt17 und kann folglich das sich abzeichnende Bild nicht stören. Was den dux angeht, so hat seine Bedeutung sich mehrfach gewandelt. Ungefähr bis zur Mitte des 10. Jh. bezeichnet er einen weltlichen Machthaber herausgehobener Stellung, ohne daß sie verfassungsrechtlich fixiert ist – eine Art Übergraf, der z.B. mehrere Grafschaften vereinigt, doch ist dux dafür noch kein festgelegter Begriff, sondern wechselt mit marchio und auch noch mit comes. Unter den Ottonen dringt früh die Bedeutung eines Amtsherzogs vor, den es vorher nicht gegeben hatte, vom Herrscher eingesetzt und ihm unmittelbar unterstehend, später nochmals abgelöst durch die eines hohen, erblichen Adelsranges. Die mittlere dieser Bedeutungen kommt für Ostfranken nicht in Betracht, denn dieses Gebiet blieb, wie gegen ältere Ansicht längst durchgedrungen ist, das Königsland schlechthin, ohne jeden Amtsherzog. Der dux-Titel, den der Bischof von Würzburg im 12. Jh. ausnahmsweise erlangte, kann in T nicht gemeint sein, denn der so Bezeichnete hat Aufgaben wahrzunehmen, für die geistliche Herren nicht in Betracht kamen. Auch der „Herzog von Rothenburg“, auf den Konrad III. vor seiner Königserhebung als Herzogssohn Anspruch erhob, bleibt hier fern. Wenn T in diese Geschichtslandschaft gehört, kann einzig die erste der drei Bedeutungen gemeint sein. Tatsächlich treffen zwischen dem Ende der Babenberger Fehde (906) bis zur Schlacht von
16
Dazu W. Hartmann, Der Bischof als Richter, in: Röm. Hist. Mitteil. 28 (1986), S. 104 f. m. Anm. 4–5. 17 G. Gudian, Handwörterbuch z. dtsch. Rechtsgesch. I (1978), S. 603–606, s. v. centenarius, passim; A. Kroeschell, ebd. II (1978), S. 271–275, s. v. Hundertschaft, passim; Ders., LMA V (1991), Sl. 214 f., s. v. Hundert; vgl. D. Claude, centenarius, ebd. II (1986), Sp. 1620 f.; Th. Andersson, Reallex. d. Germ. Altertumskunde XV (2000), S. 235 ff. s. v. Hundare, passim. – Schon R. Dove, Das von mir sg. Sendrecht der Mainund Rednitzwenden, in: Zschr. f. Kirchenrecht 4 (1864), S. 168 zieht den centurio im Rahmen damaliger Möglichkeiten als Datierungsmerkmal heran. Seine Arbeit insgesamt, die erste ernstzunehmende, die sich mit T befaßt, ist ein klassisches Beispiel für eine alte Untersuchung, die bei näherem Zusehen auch bei neueren Argumenten gegen gelegentlichen Widerspruch meist noch immer recht behält.
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Andernach (939) die entsprechenden Voraussetzungen für zwei Brüder aus dem Hause der Konradiner zu, die damals in dieser Region unangefochten an der Spitze standen, zunächst für Konrad, der dann von 911–918 als erster seines Namens König war, dann für dessen Bruder Eberhard, der in jener Schlacht fiel18. T bringt den dux ohne zugehörigen Personennamen, einfach als Rangbezeichnung, und böte damit einen verhältnismäßig frühen Beleg für diese Verwendung. Doch gerade im dortigen Zusammenhang ist die Aufnahme des Ausdrucks verständlich. Ein Instanzenzug war zu umreißen, in den der comes einbezogen war; ein Ausdruck, der eindeutig genug einen Höherstehenden benannte, war unentbehrlich. Mainfranken ist auch von hier aus als Heimat von T nicht auszuschließen. Achten wir noch auf die Stellung der Quelle in der Geschichte des Sendgerichtswesens. Die maßgebliche Versammlung wird als placitum episcopi sive archipresbyteri bezeichnet (II, 1). Je nachdem, wie man diesen Beschluß datiert, ist er damit die erste oder eine der ersten Quellen, die die Abhaltung des Sends nicht ausschließlich dem Bischof selbst vorbehalten, sondern die Möglichkeit einer Delegation voraussetzen19. Das spiegelt ein fortgeschritteneres Entwicklungsstadium. Auch das Institut der Send- oder Rügezeugen, das T in I, 2–3 mit jenen angeblichen Formulierungen aus Rouen anspricht, zeigt sich verhältnismäßig weit ausgebildet20. Im übrigen ist unverkennbar allein von Verfahren gegen Laien die Rede – Visitation von Klerikern klingt nirgends an. Beide sind also offenbar bereits wie selbstverständlich nach Zeitpunkt und Schauplatz getrennt21. Noch nicht angedeutet ist die Absonderung Adeliger aus der Menge der Sendpflichtigen, die sich, regional verschieden, im fortschreitenden Hochmittelalter durchsetzt, doch findet sich eine Art Vorstufe dazu in einer Begünstigung des fränkischen Reichsvolks, auf die zurückzukommen ist. Inhaltlich fällt der starke Akzent auf, den T auf die Bekämpfung von Relikten vorchristlichen Kultbrauchs legt, und zwar nicht als abstrakt-allgemeines Verbot, sondern in ganz konkreter Zuspitzung
18 Kahl, S. 18 f. m. Anm. 41; aus genannter Lit. hervorzuheben: H. W. Goetz, „Dux“ und „Ducatus“. Begriffs- und verfassungsgeschichtliche Untersuchungen. Bochum 1977; über die Konradiner bes. S. 339. – Vgl. unten Anm. 43. 19 Vgl. A. Hauck, Send/Sendgericht, in: Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3. Aufl. XVIII (1906), S. 213; Koeniger, Sendgericht I, S. 80, dazu 102 ff. 20 Dove, S. 112; Koeniger, Sendger. I, S. 197, vgl. 52. 21 Hauck, S. 211.
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auf benannte Bräuche des Bestimmungsgebietes, wie sie in dieser Bestimmtheit ungewöhnlich ist (II,1). Bonifatius hatte zur Unterbindung von „Heideleien“ (paganiae) im „Volke Gottes“, ohne sie zu präzisieren, ein Zusammenwirken von Bischöfen und Grafen angestrebt, doch in der erhaltenen Hinterlassenschaft karolingerzeitlicher Synoden weicht dieses Moment auffällig zurück22. Ein gemeinsames Vorgehen beider Gewalten im Verfolg kirchlicher Ziele tritt stärker erst wieder in den genannten Synoden von Tribur (895) und Hohenaltheim (916) zutage, doch auch dann noch zunächst in anderen Themenbereichen23. Diese Synoden verfolgten Probleme, die im ganzen Reich akut waren. Vor Ort lag es nahe, auch Aufgaben einzubeziehen, die dabei abseits liegengeblieben waren, sofern sie sich in hoher Dringlichkeit stellten, stärker als in anderen Gebieten. T spiegelt einen Geist, der so stark dem jener beiden Synoden entspricht, daß man sich trotz abweichenden Gegenstandes schwer entschließen wird, die Fixierung weit von diesen beiden Höhepunkten reichskirchlicher Bestrebungen abzurücken, und zugleich warnt das inhaltliche Moment, die Entstehungszeit tiefer ins 9. Jh. zurückzudatieren. Das vorgesehene Sühneverfahren, von Beugungsstrafen beherrscht, weist in die gleiche Richtung. Es sieht für den Fall hartnäckiger Unbußfertigkeit, die die Exkommunikation mißachtet, Repressalien aus weltlicher Rechtsgewohnheit vor, und sie sollen mit erstaunlicher Drastik ein- und durchgesetzt werden. Auch dafür ist T, je nachdem, die älteste oder eine der ältesten Quellen24. Dabei begnügt der nach eigener Aussage kirchliche Text (II, 5: decretum est ab ecclesia) sich nicht mit entehrenden Leibesstrafen an der Person, wie sie sonstigem Sendrecht nicht fremd sind (Prügeln, Haarschur u. dgl.). Es sieht Maßnahmen vor, die in eine ganz andere Dimension vorstoßen, wie Pfändung von Vermögenswerten (II, 3–4), schließlich Güterkonfiskation und Exilierung (II, 5: ab ecclesia exclusum humana priuari communione; II, 7: expulsus; infiscentur substantiae). Das bedeutet Eingriffe in das Sippeneigentum, die womöglich
22 Sog. Concilium Germanicum, c. 5, im Anhang zu: Briefe des Bonifatius usw., bearb. v. R. Rau (Ausgew. Quellen z. dtsch. Gesch. d. Mittelalters IVB), Darmstadt 1968, S. 379; Synode von Estiennes, c. 4 (ebd., S. 384); Synode von Soissons, c. 7 (ebd., S. 386); sowie den Indiculus superstitionum et paganiarum (ebd., S. 444–448), jetzt vielseitig beleuchtet von H. Homann – E. Meineke – R. Schmidt-Wiegand, in: Reallex z. germ. Altertumskunde, 2. Aufl. XV (2000), S. 369–384. Dazu Hartmann, Synoden, bes. S. 447 f., vgl. 52 u. 55. 23 Tribur: oben Anm. 6; Hohenaltheim: MGH Conc. VI/1 (1987), S. 1–40, bes. 19 ff.; dazu Wolter (wie Anm. 6), S. 11–20 (Anm. 6: Quellenlage). 24 Koeniger, Sendger. I, S. 25 ff., bes. 27, vgl. 62.
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auch Unschuldige in Mitleidenschaft ziehen. Dergleichen sind Vollzüge, die ein Kleriker allein gar nicht durchzuführen vermag. Eine kirchliche Stelle verfügt also über weltliche Herrschaftsträger mit. Die Entwicklungslinie, in die T damit einrückt, findet auffällig wenig Beachtung25. Es ist darum erforderlich, etwas weiter auszuholen, damit die Stellung der Quelle im Gesamtzusammenhang deutlicher wird. Diese Linie beginnt in der Karolingerzeit, Frucht ihres neuartigen Denkens über die Verantwortung der Herrschenden für Aufgaben kirchlichen Ursprungs, doch geradlinig verläuft sie von dort aus keineswegs. Versuchen wir, sie wenigstens zu skizzieren. 4. Vergleichbare Rechtstexte Die Kombination von Verbannung und Güterkonfiskation für hartnäkkigen Widerstand gegen kirchliche Normansprüche setzt Mitte 8. Jh. ein, wobei Exilierung als Schlußpunkt nicht unbedingt auf Ausweisung aus dem Heimatgebiet hinausläuft – sie kann auch Klosterhaft bedeuten, auch Anweisung eines bestimmten Aufenthaltsortes (z.B. Isolierung auf einer Insel), auch gefänglichen Gewahrsam und ähnliches mehr26. Schon unter Pippin I. findet sich die Verbindung von Enteignung und Exil für Exkommunizierte, die nicht dazu gebracht werden können, Kontakte mit Christen von sich aus zu meiden, und bei Karl d. Gr. erscheint dieses Strafmaß in schrittweiser Verschärfung der Strafen gegen Zehntverweigerer, doch zu konsequentem Einsatz kommt es noch nicht – man entschied noch spontan, ohne Systematik27. Die barbarische Härte mit 25 Handbücher, aus denen man Orientierung erhofft, setzen mit detaillierteren Informationen hierzu meist erst mit dem Decretum Gratiani oder noch später ein. Selbst das überfachlich angelegte LMA beschränkt sich unter Stichwörtern wie Apostasie, Häresie usw. auf korrekte theologische Definitionen, enthält sich jedoch aller Hinweise zur Strafverfolgung nach kirchlichem und nach weltlichem Recht. Einige Hinweise bei Hinschius V/1 (1895), S. 158 f., vgl. 140 f. 374 ff.; V/2, S. 686 f., vgl. IV, S. 742. Vgl. flg. Anm. 26 E. Eichmann, Acht und Bann im Reichsrecht des Mittelalters, Paderborn 1909, S. 19; Ansätze zur Allgemeinorientierung S. 18–26, vgl. 112 ff. 27 Concil. Vernense (Verneuil bei Senlis) 755 – erstes Reformkonzil Pippins I. als König, von ihm selbst einberufen und publiziert –, c. 9 (MHG Cap. I, S. 35, 17 ff.): Ein Exkommunizierter, der sich verhält wie oben, regis iudicio exilio condamnetur. – Karl d. Gr., Capitula de rebus ecclesiasticis (ca. a. 787/813), c. 3–4 (MGH Cap. I, S. 186) verfügt schrittweise Verschärfung der Strafen gegen Zehntverweigerer, im zweiten Schritt zusätzlich zur Geldstrafe bannum nostrum; [. . .] de tertio autem, ut sacrilegus habeatur, sit in exilium missus et res eius in fiscum nostrum redigantur. Anders ders., z.B. nach Annal. Mettens. prior. a. 777 (MGH SRG, 1895, S. 86): Auf einem Reichstag
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zahllosen Todesstrafen, zu der dieser Herrscher sich unter dem Eindruck seiner Mißerfolge gegen die Sachsen hinreißen ließ, ist nur zu gut bekannt28. Kritik blieb nicht aus; ihre Frucht war die grundsätzliche Neubesinnung über den rechten missionarischen Ansatz am Auftakt der Awarenmission, beim sog. Donaukonzil (conventus episcoporum ad ripas Danubii) von 796, zu dessen Grundsätzen uns jedoch weitgehend Einblick in die praktische Umsetzung fehlt29. Das auffällige Zurücktreten von Maßnahmen gegen „Heideleien“ im folgenden Jahrhundert könnte vielleicht eine weitere Reaktion auf die Maßlosigkeiten Karls gewesen sein. Kaiser Lothar I. hat in den Bruderkriegen nach dem Tode Ludwigs d. Fr. offenbar den Sachsen das Praktizieren ihres alten Glaubens freigestellt und nur Verfolgung derer unterbunden, die Christen zu bleiben wünschten30. Sein Hauptmotiv dürfte politisch gewesen sein: Er wollte sie als Bundesgenossen gewinnen. Doch zur Rechtfertigung genügte das nicht. Hat er geltend gemacht, daß erzwungene Scheinbekehrungen im Grunde fruchtlos sind und daß Entscheidungsfreiheit zumindest für später wirksamer zum Übertritt motivieren kann? Das Strafgericht Ludwigs II. war nochmals überaus hart, aber vielleicht stärker wegen des Aufstandes der „Stellinga“ als aus religionspolitischen Gründen. Spuren nachwirkenden alten Glaubens und Kultes finden sich unter den Sachsen noch jahrhundertelang, und das ohne Nachrichten weiterer drastischer Verfolgung31. Neue Probleme schoben sich in den Vordergrund: „Heiden“ drängten von allen Seiten heran – teils als Beutemacher, die wieder verschwanden, teils aber mit dem Ansinnen, Handelsbeziehungen aufzunehmen, ja Wohnsitze zu erhalten, dies vor allem im Westfrankenreich und im
in Paderborn innumerabilis turba Saxonum [. . .] baptizata est et [. . .] ingenuitatem et possessionem eorum regi Carolo per manus in pignus tradiderunt, ut, si amplius mutassent fidem eorum, in servitium sempiternum perdita hereditate incidissent (sinngleich, mit schwieriger Rechtsterminologie, anderweit). Hier tritt Verknechtung anstelle des Exils, die Güterkonfiskation bleibt. – Vgl. flg. Anm. 28 Dazu oben, Beitrag XI. Neueste Zusammenfassung m. Lit.: A. Angenendt, Liudger, Münster 2005, S. 78–85. 29 R. Bratož, La cristianizzazione degli Slavi negli Atti del convegno „ad ripas Danubii“ et del concilio di Cividale. Con un’ appendice di T. Knific, in: XII Centenario del Concilio di Cividale (796–1996), Convegno storico/teologico, Atti. Udine 1998, S. 145–202. 30 Beitrag XII, bes. S. 414–423. 31 Ebd., S. 409–414.
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angelsächsischen England. Wie es scheint, wurde dadurch das Bewußtsein in bestimmter Richtung geschärft, nämlich der, daß Christianisierung nicht allein Menschen und Menschengruppen betraf, sondern auch Länder. Waren diese erst einmal mit einem Netz geweihter Stätten überzogen – mit Kirchen und Klöstern, Kapellen und Friedhöfen –, so kam ihnen eine Art „Charakter“ zu, der als unauslöschlich galt, vergleichbar demjenigen, den nach Kirchenlehre das Taufsakrament dem einzelnen Christen einprägt32. Das 9. Jh. ist erfüllt von frustrationsreichen Versuchen, unerwünschte Eindringlinge wenigstens zur Taufe zu bewegen. Sie kleiden sich vielfach in hochoffizielle Verträge, die karolingische und angelsächsische Herrscher mit den Anführern wikingischer bzw. normannischer Kontingente schlossen, gipfelnd in der Übereinkunft von St.-Clair-sur-Epte (wohl 911), die den Normannen einen beträchtlichen Teil der später nach ihnen benannten Normandie auslieferte33. Es mag im Anschluß an solche Erfahrungen erfolgt sein, daß kirchliche Aufmerksamkeit sich der Bekämpfung heidnischer Relikte im eigenen Lager wieder stärker zuwandte, für die auch T ein mindestens frühes Zeugnis liefert. Im 11. Jh. setzten Entwicklungen ein, die für hartnäckig „falschen“ Glauben auf Todesstrafe drängten, in anderen Fällen von Bußverweigerung auf Acht, also Friedloslegung, die dem Betroffenen nicht unbedingt das Verlassen des Landes auferlegte, doch jeden Verkehr mit ihm untersagte und jedermann freistellte, ihn totzuschlagen34. Mit „falschem“ Glauben war in erster Linie Ketzerei (Häresie) gemeint; Rückfall zum Heidentum (Apostasie) galt als eine ihrer Sonderformen. Fortführung oder Erneuerung einzelner vorchristlicher Bräuche gehörte, strenggenommen, mit in diesen Rahmen, doch in dem synkretistischen Kontext, der vor dem neuen missionarischen Ausgreifen des 12. Jh. mehr oder weniger überall zu unterstellen ist und jedenfalls für die mutmaßliche Umwelt von T35 –
32 Beitrag XV, S. 505 u. bes. 510 f.; vgl. Beitrag IX, S. 244–251 (die dort zitierten „Beiträge zur Brandenburgischen Geschichte“ erschienen 1964 unter dem Titel: Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Gesch. d. 12. Jh.s). 33 Zusammenfassend behandelt bei A. Angenendt, Kaiserherrschaft und Königstaufe, Berlin-N.Y. 1984, bes. S. 259–273; zum genannten Vertrag S. 263–265; vgl. H. Hattenhauer, Die Aufnahme der Normannen in das Westfränk. Reich, Göttingen 1990, passim; A. Renoux, LMA VII (1995), Sp. 1140. Für England bes. A. P. Smyth, Scandinavian Kings in the British Isles 850–880, Oxford 1977. 34 Eichmann, passim. 35 Vgl. Kahl 2004, S. 33 ff. u. 38 f.
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in diesem Kontext dürfte solche Abweichung kaum als Abfall vom Glauben überhaupt gewertet worden sein. Datierung des Übergangs zu diesen neuen Auffassungen ist schwierig, schon weil mit starken landschaftlichen Differenzen zu rechnen ist. Ganz sicher aber ist die Erinnerung an die Lösung der frühkarolingischen Zeit nicht vollständig erloschen. Im 12. Jh. suchte Hildegard von Bingen (1098–1179) solchem Trend entgegenzusteuern: Auch Häretiker seien Gottes Ebenbild; das Land werde zwar durch ihre teuflischen Umtriebe befleckt, doch umbringen solle man sie deswegen nicht, sondern lediglich enteignen und sie dann hinaustreiben36. Papst Innozenz III. dachte 1208, als die Albigenserfrage verstärkte Dringlichkeit gewann, sogar an planmäßige Entvölkerung und Neubesiedelung ganzer Landschaften37. Außerordentlich bemerkenswert ist ein Vertrag, der 1249 auf der Deutschordensburg Christburg im nachmaligen Westpreußen (nahe dem späteren Marienburg/Malbork) zustandekam. Parteien waren der Deutschritterorden und die Prußen, die er zu bekehren strebte, die sich aber gegen gleichzeitige Aufrichtung seiner Herrschaft wehrten; die Abmachung sollte nach schweren Kämpfen eine Abfallsbewegung friedlich beenden. Es handelte sich also einerseits um eine kirchliche Instanz, andererseits um ein Gemenge von Getauften, die zu ihrer angestammten Religion zurückgekehrt, die also Apostaten waren, und noch ungetauften „Heiden“. Ausschlaggebend für die Gestaltung wurde ein päpstlicher Legat, Kardinal Jakob von Albano (auch: von Lüttich), der als Vermittler wirkte – 12 Jahre später übernächster Papst (Urban IV., 1261–1264); hinter ihm aber stand der Papst der Zeit, Innozenz IV. (1243–1254), ein bedeutender Kanonist, der in seinen Schriften darauf bestand, den „Ungläubigen“ mehr eigene Rechte zuzugestehen, als andere es zulassen wollten. Die Prußen erhielten Garantie ihrer angestammten Freiheitsrechte, so daß der Orden sich auf eine bloße Schutzfunktion für ihr Christentum beschränkt sah; sie gelobten dafür, endgültig von allem Heidentum – Kult wie Glauben – abzulassen, und unterwarfen sich der katholischen Kirche (was natürlich deren Normen einschloß, ob sie ihnen bekannt waren oder nicht). Die Güter (bona)
36
Hildeg. Bingens., ep. 47 ad praelatos Moguntinenses (Migne, Patr. Lat. 197, 232 D): . . . populum istum ab ecclesia, facultatibus suis privatum, expellando et non occidendo effugate, quoniam forma dei sunt . . . 37 H. Roscher, Papst Innozenz III. und die Kreuzzüge, Göttingen 1969, S. 225 f. u. 227.
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derer, die weiterhin die Taufe verweigerten, sollten eingezogen werden (publicentur), ebenso diejenigen derer, die ihrer Kindertaufpflicht nicht genügten; die Betreffenden sollten aus dem Gebiet der Christen (extra christianorum fines) ausgetrieben werden (expellantur), „damit nicht die guten Sitten anderer durch ihre verderblichen Gespräche korrumpiert werden“, und zwar nackt im Hemd (nudi in tunica)38. Von Strafen für bisherigen Abfall ist keine Rede – er erhielt also stillschweigend Amnestie, um nicht zu großen Widerstand gegen die Rückkehr wachzurufen. Der Teufel etwaiger neuer Apostasien wurde nicht erst an die Wand gemalt – dafür genügte offenbar das festliegende Strafrecht der Kirche, der die Prußen sich unterwarfen. Es ist kaum zu bezweifeln, daß dieses Vertragswerk in hohem Grade auf den Instruktionen des Papstes beruht, und es sollte ebensowenig unabhängig von dessen kanonistischen Thesen behandelt werden wie umgekehrt diese von ihm, so sehr dies auch üblich geworden ist. Der Unterschied zu T liegt auf der Hand. In einem Vertrag werden die Partner gefragt und können ihre Zustimmung geben, selbst wenn sie dies widerwillig tun; T dagegen ist eine Art Gesetz, das über die Köpfe der Betroffenen hinweg über sie verfügt. Das hängt mit der ungleichen Ausgangslage zusammen: Neuchristen, denen der Übertritt möglichst weitgehend erleichtert werden soll, dort – ein dem Anspruch nach längst christianisiertes Land mit fest etablierter Kirche im Rahmen gesicherter Herrschaft eines christlichen Staatswesens hier. Gleichwohl ist die innere Nähe beider Verlautbarungen unverkennbar: beiderseits Normen katholischen Lebens als Maßstab mit besonderer, wenn auch nicht ausschließlicher Spitze gegen Nachwirkungen vorchristlicher Religion, beiderseits gleiche Zwangsmittel weltlichen Strafvollzugs gegen Abweichler. Ein Traditionsstrang wird faßbar, dünn nur belegt, der jedoch in wie immer gearteter Kontinuität gewirkt haben muß. In diesem Strang aber nimmt T eine hervorragende Stellung ein, die Beachtung verdient. Hat Rom nur an dieser einen Stelle in vergleichbarer Richtung gewirkt? In Norwegen haben sich einzellandschaftliche „Christenrechte“ erhalten. Sie beharren darauf, daß jedermann im Lande verpflichtet sei, Christ zu sein, und regeln die strafrechtliche Behandlung etwaiger 38
Preußisches Urkundenbuch. Polit. Abt. I,1 (1909), Nr. 218,64 ff. 106 ff. (2. 161 f.). Dazu C. A. Lückerath, Christburger Vertrag, in: LMA II (1983), Sp. 1907 f. (Lit.); zu Innozenz IV.: G. Schwarz, in: Theolog. Realenzyklopädie XVI (1987), S. 182–185; ergänzend: B. Robert, LMA V (1991), Sp. 437 f.
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Verstöße gegen kirchliche Normen. Es sind, wohlgemerkt, nicht Verfügungen geistlicher Instanzen – es handelt sich um Thingbeschlüsse, also „staatliches“ Recht. Geistliche Strafmittel kommen daher nicht vor. Vielfach begnügen die Texte sich mit Vermögensstrafen, für schwere Fälle aber drohen sie Friedlosigkeit an, sowohl für den Täter wie für seine Habe, deren Aufteilung zwischen König, Bischof und etwaigen anderen dann sorgfältig geregelt wird. Das gilt für Fortführung von Relikten der vorchristlichen Religion, nicht zuletzt Beisetzung von Toten in Hügeln (haugar!) oder sonst außerhalb des Friedhofs, ferner für Verweigerung der Kindertaufpflicht, für Fastenbrechen, widernatürliche Unzucht, bestimmte eherechtliche Verstöße und anderes mehr. Ausführlich wird der Fall behandelt, „wenn ein Heidenmann in unser Land kommt“: Er hat bei nächster Gelegenheit die Taufe zu nehmen; bis dahin darf man ihn verpflegen, aber nicht mit ihm zusammen essen – weigert er sich, so hat er binnen fünf Tagen das Land zu verlassen, und wer ihn dann länger als eine Nacht beherbergt, gar mit ihm gemeinsam speist, verfällt einer Geldbuße, die dem Wert einer Herde von 148 vollwertigen Rindern entspricht39. Der Heide als solcher ist unrein und eine Gefahr für das Land. Wer kann schon wissen, was an Teuflischem von ihm ausstrahlt! All diese Texte zeigen deutlich verschiedene Entstehungsgeschichten – teilweise stehen diese merkwürdig unverbunden und unausgeglichen nebeneinander. Mehrere davon gehen unstreitig ins 11. Jh. zurück, das Norwegen seine Christianisierung in ziemlich gewalthaften Formen brachte. Zum ältesten Band können die genannten Festsetzungen kaum gehören: Sie setzen voraus, daß der Sieg des neuen Glaubens im Lande nicht mehr nur Anspruch war, sondern Realität; daß also von den Ausweisungsdrohungen nur eine Minderheit noch betroffen werden konnte. Dazu fällt auf, daß keine der verfügbaren Handschriften dieser Christenrechte vor die Wirksamkeit eines weiteren Kardinals zurückreicht, nämlich des Nikolaus Breakspeare, nachmals Papst Hadrian IV. (1154– 1159), der 1152/53 längere Zeit als Legat Papst Eugens III. in Skandinavien weilte. Er hat damals der norwegischen Kirche als nunmehr 39 R. Meissner, Die norwegische Volkskirche nach den vier alten Christenrechten, Germanenrechte, N. F.: Deutschrechtl. Archiv, 2. Heft (Weimar 1941), passim; nicht behandelt der „Heidenmann“ in „unserem Land“ – dazu H.-D. Kahl, Das altschonische Recht als Quelle zur Missionsgesch. usw., in: Die Welt als Geschichte 1/1957, S. 27 f., vgl. 46 f. Zum Allgemeinen: A. Bø u.a., Kristenrettar, Norge, in: Kulturhistorsk Leksikon för nordisk middelalder IX (1964), Sp. 297–304 m. Lit.; zu den Hügelgräbern Ders u. S. Lindqvist, Hauglegging, ebd. VI (1961), Sp. 246–250.
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selbständiger Kirchenprovinz unmittelbar unter Rom eine dem kanonischen Recht gemäße Form gegeben, an der es bisher gefehlt hatte, und zahlreiche weitere Reformen durchgesetzt bis hin zum Verbot des Waffentragens an Handelsplätzen, und seine Persönlichkeit hinterließ einen stark nachwirkenden freundlichen Eindruck40. Daß das Königtum bald mit weiteren Reformen des weltlichen Rechts nachzog, verhinderten Rivalitätskämpfe mehrerer Prätendenten, die über ein Jahrzehnt in Anspruch nahmen. Erst nach 1163 geschah mehr in dieser Richtung. Daß davon dann auch die „Christenrechte“ betroffen wurden, ist bezeugt, ohne daß der damalige Anteil sich einwandfrei abgrenzen läßt; auch diese Reformen liegen noch vor deren ersten Handschriften. Gibt es einen Anteil des Kardinals Nikolaus an dem, was uns schließlich greifbar wird? Dürfte das so rekonstruiert werden, so kämen wir nochmals in die Zeit Hildegards von Bingen und auf Papst Eugen im Hintergrund. Doch die Quellen schweigen eisern. Sie geben nicht einmal den Blick auf Wahrscheinlichkeiten frei. Die harten Bestimmungen der norwegischen Christenrechte können durchaus schon einer der jüngeren Schichten des 11. Jh. angehören; möglicherweise wäre dann mit Einflüssen aus der deutschen und der englischen Kirche zu rechnen, die beide lange zur Entwicklung der norwegischen beigetragen haben. Nur am Rande kann hier auf das berüchtigte Problem der sog. eiectio Slavorum hingewiesen werden, das für die deutschen Kolonisationsgebiete östlich der Elbe im 12. und 13. Jh. von sich reden macht. Es ist vielschichtig und muß differenziert betrachtet werden; teilweise gehört es zweifellos in den hier verfolgten Fragenkreis hinein, teilweise ist es ebenso zweifellos anders gelagert. Seine verworrenen Fäden auseinanderzuziehen, ist hier nicht der Ort41. Überhaupt erübrigt es sich, die Umschau an dieser Stelle fortzusetzen. Auch so schon hat sie deutlich gemacht: T steht, was seine Beugungsstrafen angeht, in einer langen Überlieferungskette, die sich nicht auf Deutschland beschränkt. Unter ihren Gliedern kommt diesem Synodalschluß eine beachtliche Stellung zu. Allerdings hilft dies nur zur motivgeschichtlichen Einordnung. Für die chronologische hat sich dabei im Grunde lediglich ergeben, daß die
40 Hier genüge der Hinweis auf O. Kolsrud, Norges Kyrkjesoga I, Oslo 1958, S. 186–202; F.-J. Schmale, Hadrian 4., in: LMA IV (1989), Sp. 1823 mit weiteren Hinweisen. Zum Nachleben in der Erinnerung des Nordens: Snorri Sturluson, Heimskringla, Uphaf Inga konungs, c. 23 (Udg. af F. Jónsson, København 1911, p. 587). Vgl. auch M. Gerhard – W. Hubatsch, Norweg. Gesch., 2. Aufl. Bonn 1963, S. 93–95. 41 Hinweise: Oben, Beitrag V, bei Anm. 37.
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Warnung vor gar zu frühem Ansatz der Entstehungszeit Verstärkung erfuhr. Im übrigen ist das Vergleichsmaterial zu diesem strafrechtlichen Aspekt zu weit gestreut, um noch neue Anhaltspunkte für die Datierung zu liefern. 5. Ein Würzburger Sondersendrecht als Relikt der Spätphase König Konrads I. Suchen wir eine vorläufige Summe zu ziehen, so läßt sich festhalten: T entstand im Verbreitungsgebiet des ahd. Wortes houc, also nicht südlicher als im Maingebiet. In engere Wahl kommt, wie es scheint, die Diözese Würzburg. Inhaltliche Analysen führen, soweit sie Datierungshinweise erbringen, immer wieder in spätkarolingisch-frühnachkarolingische Zeit; der Gebrauch des dux engt den Blick, wenn man in Mainfranken bleibt, auf die Spanne ein, in der der eine oder andere Konradiner dort informell mit diesem Ausdruck belegt werden konnte, bevor daraus eine feste Rangbezeichnung wurde. Das führt auf erstaunlich präzise Daten, etwa 906–939, doch kommt wegen des vorausgesetzten engen Zusammenspiels geistlicher und weltlicher Instanzen schon die Zeit König Heinrichs I. (ab 919) kaum noch in die engere Wahl. Bei derart präziser Eingrenzung allein aus Rückschlüssen fühlt man sich nicht wohl. Es trifft sich jedoch, daß zwischen 793 und 1008 ausgerechnet die so herauspräparierte Phase die einzige ist, für die Würzburg mit nachweisbaren Herrscheraufenthalten aufwarten kann. Konrad I. hat dort sogar mehrmals geurkundet, 915 und 91842. Thiodo, damals Bischof des Ortes (908–931), scheint, soweit das karge Quellenmaterial Einblick gestattet, diesem Herrscher näher verbunden gewesen zu sein43. Offenbar kam er aus dem engeren Umkreis der Konradiner und war nicht ohne 42 Würzburger Herrscheraufenthalte verzeichnet A. Wendehorst, Das Bistum Würzburg (Germ. Sacra, N. F. 1), Berlin 1962 ff., im Zuge der Behandlung der Reichstätigkeit der einzelnen Bischöfe. Für die Zeit bis 908 weist K. Lindner, Untersuchungen zur Frühgesch. d. Bistums Würzburg u. d. Würzburger Raumes, Göttingen 1972, S. 208–212, passim, sowie 237 auf weitere mögliche Termine hin, die jedoch unbezeugt bleiben. Ein Aufenthalt Ottos I. 961 in Würzburg ist nur spät und in fragwürdiger Quelle behauptet; das Itinerar des Königs ließe dafür Raum (Wendehorst I, S. 64); für einen Besuch jedenfalls der Kaiserin 995 ist nur die Ankündigung bekannt, nicht die Ausführung (ebd., S. 72). Königsurkunden für Würzburg zwischen 793 und 1008 zeigen Ausstellungsorte wie Frankfurt/M., Magdeburg, Forchheim, Pöhlde; Falsifikate, denen echte Diplome zum Opfer gefallen scheinen, erschweren den Einblick. 43 Dazu Wendehorst I, S. 55–58; vgl. auch E. Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reiches III, 2. Aufl. Leipzig 1888 = Darmstadt 1960, S. 576, 598, 614.
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deren Einfluß in sein Amt gelangt. In der Umgebung Konrads erscheint er schon im Jahr vor dessen Königserhebung, und bei diesem Akt war er mindestens anwesend; er erhielt damals das ersterhaltene Privileg dieses Herrschers, das ihn auffällig betont herausstreicht; es betrifft u. a. die Übertragung von slawischen Siedlungen (Sclavinis oppidis) aus Reichsgut zugunsten des Hochstiftes und seines Eigenklosters Ansbach44. 915 urkundete der Herrscher in Würzburg selbst zugunsten eines bischöflichen Vasallen; die Intervenientenliste läßt erkennen, daß auch mehrere Mitglieder des Episkopats anwesend waren, darunter Erzbischof Heriger von Mainz (913–927)45. Das nächste Jahr sah die Synode von Hohenaltheim. Daß Thiodo dabei war, läßt sich nur vermuten – mit der Unterschriftenliste zu den Akten fehlt jede Kontrollmöglichkeit46. Es wäre merkwürdig, wenn gerade er gefehlt hätte. In seinem letzten Lebensjahr weilte der König nochmals im heutigen engeren Franken, offenbar für längere Zeit. Auch dabei berührte er Würzburg. Anfang Juli ließ er dort an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Urkunden zugunsten des Bischofs ausfertigen: Bestätigung der alten Immunitätsprivilegien (unter Erwähnung von accolas vel Sclavos, was zu dem von T vorgeführten Bild der Bevölkerung paßt)47, und von Zollvergünstigungen48. Das deutet an, daß Konrad damals dort nicht lediglich verweilte, sondern auch mit speziellen Problemen des gastgebenden Bistums befaßt war – es sind die einzigen Beurkundungen, die wir aus diesem Aufenthalt kennen. Nicht mehr erneuert wurde das alte Sonderprivileg der Karlszeit über die Slawenkirchen: Ihre Rechtsstellung im Bischofsgut war wohl seit dem letzten Mal (889) dermaßen selbstverständlich geworden, daß eine wiederholte Einschärfung sich erübrigen konnte – die allgemeine Bestätigung des Besitzstandes erfaßte sie hinreichend mit. Sich statt dessen nun mit der kirchlichen Disziplin zugehöriger Gemeinden zu befassen, lag kaum fern, und ebensowenig, sie beim fortgeschrittenen Entwicklungsstand nicht mehr als Sonderproblem für sich zu behandeln, sondern im Rahmen der Gesamtsituation im Diözesangebiet, das auch weitere nationes einschloß. Allerdings fielen die damit berührten Probleme nicht in königliche, sondern in geistliche Zuständigkeit. Wenige Tage nach Ausstellung jener 44 DKr I, 1, 911 XI 10 (MGH DD I, S. 2): . . .rogatu Diotonis venerabilis et dilecti episcopi nostri [. . .] praefatus vir venerabilis Dioto praesul egregius . . . 45 DKr I, 27 915 XI 6 (2. 25 f.). 46 Wolter (wie Anm. 6), S. 12, vgl. 17 f. 47 DKr I, 34 918 VII 4 (S. 31), nach DArn 66 (MGH DKar III, S. 98). 48 DKr I, 35 918 VII 5 (S. 31).
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Urkunden, am 8. Juli, war Kilianstag, Fest des Hauptpatrons von Würzburg. Der König wird kaum schon vorher abgereist sein. Ein mehrtägiger Herrscheraufenthalt, ohnedies nicht von einem Tag zum anderen zu organisieren, konnte Anlaß geben, den Diözesanklerus zahlreich zusammenzurufen, schon um dem hohen Besuch einen möglichst festlichen Empfang zu bereiten: Der adventus regis war ja im Zeremoniell seit alters herausgehoben49. Die Zeit pflegte kirchliche Synoden nicht klar von anderen repräsentativen Versammlungen zu trennen50. Wurde T auf einer solchen im Beisein des Herrschers beschlossen, so wäre eine Schwierigkeit behoben, auf die die Forschung schon wiederholt hinzuweisen hatte: Die Art, wie dort weltliche Amtsträger in das Vollstreckungsverfahren eingebunden werden, sprengt den Umkreis, in dem die Kirche eigenmächtig Regelungen zu treffen vermochte – sie setzt eigentlich eine Bestätigung durch den Herrscher voraus51. Wurden die Beschlüsse in seinem Beisein gefaßt und verkündet, so erübrigte sich jeder zusätzliche Schritt, um ihnen uneingeschränkte Rechtskraft zu verleihen. Ist das Bündel von Indizien, die sich damit zusammenfügen, gar zu stimmig, gar zu verführerisch, um sich darauf einzulassen? Unbedingt sind wir nicht auf diese Möglichkeiten angewiesen. Noch drei Monate später erscheint Konrad auf fränkischem Boden, dann in der Königspfalz Forchheim. Er urkundet dort, im nächsterhaltenen Diplom nach den beiden Würzburger Stücken, für das Bistum Eichstätt; die Intervenientenliste zeigt, daß damals auch Erzbischof Heriger wieder zugegen war, außerdem Thiodo, gleichsam der Nachbar, und ein comes Eberhard52. Es ist kaum auszuschließen, daß sich hinter diesem letzten niemand anders verbirgt, als der vorhin angesprochene Königsbruder, der sonst auch als dux bezeichnet wird, obwohl diese Identifikation nicht ganz sicher scheint53. Die Teilnahme des Metropoliten, der sich selten in diesen 49
Th. Kölzer, adventus regis, in LMA I (1980), Sp. 170 f. Vgl. z.B. I. Schröder, Die westfränk. Synoden von 888 bis 987, München 1980, S. 7–11. 51 Kahl, 2004, S. 30, Anm. 67–68. Von dort zitierten Stimmen hier hervorzuheben: Rich. Schröder, Die Ausbreitung der salischen Franken, in: Forsch. z. deutschen Gesch. 19 (1879), S. 140, der „mit einem Würzburger Synodalschluß, wenn auch vielleicht in Form eines königlichen Gesetzes“ rechnet. 52 DKr I, 36, 918 IX 9 (S. 33). 53 Das Register des Bandes, S. 686, schlägt ohne Begründung einen gleichnamigen Grafen aus dem österreichischen Donaugebiet vor. Die dort auf den Konradiner bezogenen Nennungen zeigen, daß er öfters ohne besondere Hervorhebung unter anderen comites genannt wird, einmal – DKr I, 23 (S. 22, 23) 914 VI 7, also schon verhältnismäßig früh – als marchio; als Königsbruder nur hervorgehoben, wenn er allein herausgestellt wird. Den dux hat König Konrad, soviel bekannt, niemals verwendet. 50
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Gegenden sehen ließ, spricht für einen bedeutenden Anlaß, den wir leider nicht kennen. Wenn T dort beschlossen wurde, wären Interessen, die Würzburg und Eichstätt gemeinsam berührten, vor einem breiteren Forum erörtert worden. Vielleicht jedoch war es zu breit. Vorher, im Juli, war der König sicherlich stärker auf Würzburger Probleme fixiert, und jenes hougir mag zusätzlich für seinen damaligen Aufenthaltsort sprechen, doch sollten wir hier nichts pressen. Jedenfalls zögere ich nicht, die Entstehung von T am ehesten in diese Sommermonate 918 zu setzen, in das dritte Quartal dieses Jahres, nicht auf weit entferntem Schauplatz, sondern unmittelbar auf ostfränkischem Boden. Von hier aus scheint sich zugleich eine besondere Merkwürdigkeit aufzuklären, die sich, so gut wie unbeachtet, mit T verknüpft. Verfolgt werden sollen Feiertagsschändung, Fastenbrechen, „götzendienerische“ Praktiken, Zehntverweigerung und Boykott des Sends; dazu werden Verfahrensfragen geregelt. All das könnte in einem ganz gewöhnlichen Sendrecht stehen, auch wenn die Drastik auffällt, in einem Sendrecht für Laien. Aber das ist T nicht ohne weiteres. Es sieht Ausnahmen vor. Sie stehen im Rubrum, das die Geltung der Bestimmungen einschränkt auf Sclavi vel ceterae nationes, qui nec pacto nec lege Salica utuntur. Zeiten, die mit mehr oder weniger nationalistisch verblendeten Augen sahen, nahmen auf, daß damit das Slawentum angesprochen war, und prägten daher für T Bezeichnungen wie „Sendrecht der Main- und Rednitzwenden“54 oder, noch stärker vereinfacht, „Slawensendrecht“55. Doch das trifft bestenfalls eine Halbwahrheit. Die benannte Gruppierung ist in T ausdrücklich mit weiteren auf eine Stufe gestellt, die nach Lage der Dinge schwerlich etwas anderes sein können als Angehörige germanischer Stammesreste aus der Völkerwanderungszeit, später gemeinsam mit den „Wenden“ im deutschen Oberfrankentum aufgegangen. Die so geschaffene Gesamtheit aber wird zwei benannten Rechtsgruppen gegenübergestellt, hinter denen man wohl Franken ribuarischen und salischen Rechts zu suchen hat. Für sie gelten die aufgeführten Bestim-
Ihn in T einzusetzen, war wohl die einzige Möglichkeit, über den comes hinaus eine höhere Instanz zu fixieren, wie sie der dortige Verfahrensgang brauchte. Angesichts der Bedeutung Eberhards für die dortige Landesgeschichte (vgl. E. Karpf, LMA III, 1986, Sp. 1512) wird man bei einer Gelegenheit, die selbst den Erzbischof von Mainz anzog, in erster Linie ihn erwarten. 54 Dove, wie Anm. 17. 55 S. Riezler, Bistum Eichstätt und sein Slavensendrecht, in: Forsch. z. dtsch. Gesch. 16 (1876), S. 397–408; Richter-Dove-Kahl (wie Anm. 6); Koeniger 1937 (wie Anm. 7); weiteres bei Kahl 2004, S. 16, Anm. 29.
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mungen nicht56. Welch merkwürdige Zweiteilung der Laienwelt! Sie ist im Sendgerichtswesen gänzlich ungewöhnlich, vielleicht sogar einmalig, und sie bedarf daher besonderer Erklärung. Zwei Gründe, soviel ich sehe, kommen zusammen: einer aus dem gegebenen Zustand von Reich und Königtum, der zweite aus nachwirkender karolingischer Reichsideologie. Die Regierung Konrads I. stand wie keine vor ihm im Zeichen von Vorwehen des aufkommenden sog. jüngeren Stammesherzogtums57. Der Erfolg von Hohenaltheim war nur partiell gewesen und nicht von Dauer. Die wenigen Folgejahre brachten ständig neue Rückschläge, in Sachsen, in Bayern und auch in Schwaben. Einzig Ostfranken, wo die herzogsähnliche Stellung beim konradinischen Hause selbst lag, bot eine einigermaßen verläßliche Basis. Die Ungarn blieben ständige Bedrohung, die böhmischen Slawen hatten begonnen, sich deutlicher als früher zu formieren, und sie paktierten dabei wohl zeitweise mit dem ungebärdigen Reitervolk. Das Würzburger Bistumsgebiet lag zwischen all diesen Fronten, gemeinsam mit dem von Eichstätt, doch nicht so stark wie dieses von Bayern her bedrängt. Dieses Gebiet fest in der Hand zu behalten, war für Konrad von höchster Bedeutung: Nicht zufällig wird er sich so viele Sommermonate hindurch in diesem Bereich bewegt haben – sonst läßt das karge Quellenmaterial vergleichbar ausgedehnte Aufenthalte in einer Region nur für Winterszeiten erahnen. Die komplizierte Bevölkerungsstruktur, die oben gestreift worden ist, wird die Aufgabe, das Land zu behaupten, nicht leichter gemacht haben: Franken als verhältnismäßig sichere Stütze dürften in weiten Partien wenig mehr gestellt haben als eine dünne Oberschicht, die allerdings vermutlich im ureigensten Interesse zum König hielt58; andere Bevölkerungsgruppen mochten für unerwünschte 56
Kahl 2004, S. 24–30, hier im folgenden ergänzt. Zum flg. genüge hier der Hinweis auf Dümmler (wie Anm. 43), S. 574–620 u. 635–640. 58 Volle Sicherheit über die konkrete Verteilung von Franken im Lande ist nicht zu gewinnen. Zum allgemeinen: R. u. U. Koch, Die fränkische Expansion ins Main- und Neckargebiet, in: Die Franken, Wegbereiter Europas. Ausstellungskatalog Mainz 1996, S. 270–284, dazu II, S. 902 f. u. 905–914, passim. H.-J. Nitz, Siedlungsgeographische Beiträge zum Problem der fränkischen Staatskolonisation im süddeutschen Raum, in: Zschr. f. Agrargesch. u. Agrarsoziologie 11 (1963), S. 34–62,∗∗ erzielt bemerkenswerte Ergebnisse über die Ausbreitung dieser Kolonisation, doch bleibt unvermeidlich offen, welche Ethnica im Einzelfall herangezogen wurden. Nicht erfaßbar bleibt Grundherrschaft fränkischer Oberschicht über vorgefundenen älteren Strukturen. Nicht feststellbar ist, wie in den übrigen Fällen auch, der zahlenmäßige Anteil an der Gesamtbevölkerung. Auch nur eine relative Mehrheit ist schwerlich anzunehmen. (∗∗ Nachtrag hierzu nach Anmerkung 66) 57
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Einflußnahmen von außen her offen sein. Ihre Loyalität zu sichern, wird man sich als ein wesentliches Anliegen des Herrschers vorstellen dürfen. Mindestens die Slawen wohnten in Randgebieten! Die Franken haben sich, soweit die Quellen Einblick gestatten, im Lauf des 8. Jh. daran gewöhnt, sich selbst mit dem Gottesvolk des Alten Testaments zu identifizieren, in einer Intensität, die wohl erst von den englischen Puritanern des 17. Jh. wieder erreicht, dann allerdings wohl auch überboten wurde. Gern sonnte man sich in dem Gefühl, einer gens anzugehören, die von Gott selbst gestiftet war, von Christus geliebt, von unanfechtbarer katholischer Rechtgläubigkeit, während die „Barbarenwelt“ noch in Ketzerei verharre59; seit Karl d. Gr. entwickelte sich die merkwürdige, im Grunde unübersetzbare Formel, man habe fidelis Dei et regis zu sein, an Gott zu glauben und ein Getreuer des Königs zu sein, den die feierliche kirchliche Salbung beim Herrschaftsantritt irgendwie in die Nähe des Höchsten gerückt hatte60. Franke sein und ein Christ sein, der den dem Herrscher geleisteten Treueeid nicht durch Abfall nachträglich zum Meineid werden ließ, waren der Idee nach eins. Wie sehr die Realität diesen berauschenden Wein immer wieder verwässert hat, ist nur zu gut bekannt. Gleichwohl: Bei Lichte besehen, ist die Zahl der Fälle, die Aufsehen genug erregten, um in die Quellen zu dringen, doch relativ gering. Aus Mainfranken ist für die Zeit Konrads I. kein einziger auszumachen. Was es etwa noch an Anhängern der gestürzten Babenberger gab, wird Gründe besessen haben, sich ruhig zu halten. Die eigenen Interessen waren wohl auf seiten des Königs, der mehr geben, aber auch mehr nehmen konnte als jeder andere, am besten gewahrt. Selbstverständlich werden auch unter diesen Franken Verstöße gegen kirchliche Vorschriften vorgekommen sein. Sie zu ahnden und abzustellen, haben aber offenbar normale sendrechtliche Maßnahmen genügt. Wie das geschah, entzieht sich unserem Einblick. T hat es nicht mit ihnen, sondern mit anderen zu tun, und mit Hartnäckigkeit, gegen die Abmahnung und leichte Buße nichts half. Sie muß demonstrativ gewirkt haben und damit als Auflehnung sowohl gegen Gott als auch gegen den König. Die politische Situation der letzten Jahre Konrads I., so wird man zu folgern haben, forderte, in gerade diesem 59 Bezeichnend der Prolog der Lex Salica mit seinen verschiedenen Entwicklungsstadien, bes. Fassung D (um 760; MGH LNG IV/2, 1969, S. 3–8, passim). Weiteres bei Kahl 2004, S. 28 f. m. Anm. 64–65, dazu noch A. Hauck, Kirchengesch. I, S. 172 ff., 198 ff. 60 Kahl 2004, S. 28–30, insbes. nach H. Helbig, Fideles Dei et regis, in: Arch. f. Kulturgesch. 33 (1951), bes. S. 283–291; zu ergänzen durch W. Schlesinger, Beitr. z. deutschen Verf.Gesch. I, Göttingen 1963, S. 108–215, 231 f., 325 ff., 332 f. – Zur Herrschersalbung: H. H. Anton, Salbung II, in: LMA VII (1995), Sp. 1289–1292 (reiche Lit.).
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Würzburger Diözesangebiet, diesem vorgeschobenen Teil Ostfrankens, mit allen nur erdenklichen Mitteln gegen solche Auflehnung vorzugehen. Die Kirche war geeignet, mit ihren Mitteln als Instrument der Herrschaftssicherung zu dienen, wie sie es in Hohenaltheim gewesen war, nur jetzt auf anderer Ebene: nicht gegenüber den aufstrebenden Magnaten im Reich, sondern im Hinblick auf breite Bevölkerungsschichten. In den vorliegenden Beschlüssen haben wir damit nicht einfach ein „Würzburger Sendrecht“ vor uns, wie man gelegentlich sagen wollte61, sondern ein „Würzburger Sondersendrecht für Nichtfranken“, die fester in die Kirche und damit in das Reich eingebunden werden sollten. Die Härte, die dabei eingesetzt wird, fällt auf, jedenfalls uns. Sie wird möglich durch die intensive Einschaltung weltlicher Amtsträger bis hinauf zur Ebene unmittelbar unter dem König selbst. Mit dieser Härte steht der Würzburger Text zwischen zwei Extremen, der berüchtigten Capitulatio de partibus Saxoniae Karls d. Gr., zur mutmaßlichen Entstehungszeit gut 130 Jahre alt, und einer kleinen canones-Sammlung, die Erzbischof Hervé (Heriveus) von Reims um 914/922 zusammenstellte, also ziemlich genau zeitgenössisch62; die Capitulatio galt einem Eroberungsgebiet, in dem der Frankenkönig eine nicht mehr ernstlich zu erschütternde Stellung gewonnen hatte; ihre ständige Todesdrohung war ein ungewolltes Eingeständnis, daß die von ihm angewandten Methoden gleichwohl versagt hatten. Hervé arbeitete im Interesse der Normannenmission, die jener Vertrag von St.-Clair-sur-Epte in ein neues Stadium befördert hatte, dabei aber für eine Kirche, die nicht gerade ein machtvolles Königtum hinter sich hatte; sie mußte froh sein, wenn die Eindringlinge sie einigermaßen gewähren ließen, und konnte nichts tun, als den im Grunde Widerstrebenden goldene Brücken zu bauen. Für Drohungen, gleich welcher Art, war da kein Raum. Hinter dem Würzburger Sondersendrecht steht ein gemeinsames Interesse von Kirche und Königtum in einem sozusagen altchristianisierten Land, in dem religionspolitisch nur noch gegen eine Minderheit vorzugehen war. Dafür genügten Vermögenseinziehung und Verbannung. Doch ein hartes Brot für die Betroffenen waren auch sie.
61
Koeniger, Sendger. I, S. 104 u.ö. Druck: Th. Gousset, Les actes de la province ecclésiastique de Reims I, Reims 1862, S. 550–561; mit abweichender Kapitelzählung auch bei Mansi XVIII, S. 189–201. Auch dieser Text wird außerhalb der landesgeschichtlichen Forschung erstaunlich wenig beachtet. Für Hervé genüge hier der Hinweis auf M. Lauwers, 9. Hervé, in: Dict. d’hist. et de géographie ecclésiastiques XXIV (1993), Sp. 240–243, vgl. auch Schröder (wie Anm. 50), S. 157–160, 180–197, 208–212, vgl. 156, sowie M. Bur, in LMA IV (1989), Sp. 2157. 62
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Allerdings ahnen wir nicht, wie viele damit abgespeist wurden. Wir haben nur den Rechtstext – nichts zeugt für Häufigkeit und Art seiner Anwendung. Gab es Schwierigkeiten auf seiten derer, die die Durchführung übernehmen sollten? Der Text deutet an, daß der eine oder andere sich gegen diese Aufgabe sperren könnte, so daß auch gegen ihn noch vorzugehen war (II, 7). Erkennbar wird nur das Endergebnis: Noch anderthalb Jahrhunderte nach Festlegung dieses Sondersendrechts waren jedenfalls unter den Slawen Relikte des alten Glaubens im Schwange, die Ärgernis erregten63. Die Bedeutung der Quelle für die Entwicklung des kirchlichen Rechtes im Hochmittelalter bleibt unberührt. Beiläufig ergaben sich Aspekte zur slawischen Religionsgeschichte, die in ihrer Art gleichfalls einmalig sind. Sie wurden schon früher eingehend behandelt64, daher hier nur kurz zur Erinnerung: Verfolgt wird „heidnisches“ Wesen unter Menschen, die dem Anspruch ausgesetzt sind, Christen zu sein (post perceptam baptismi gratiam, sagt das Rubrum); dabei wird nicht mehr, wie in den älteren Würzburger Privilegien über die Slawenkirchen, deren Errichtung Karl d. Gr. noch selbst verfügte, vom populus noviter conversus gesprochen, von einer gerade erst bekehrten Bevölkerung65. Andererseits bleibt alles unbeleuchtet, was bereits im Sinn der Kirche abläuft, mag dies nun viel oder wenig sein. Für das vorchristliche Slawentum fällt wenig ab – vielleicht nur ein einziger Satz. Er bringt jedoch, so mager er ist, die wahrscheinlich wichtigste Aussage, die wir über den hier als trebo bezeichneten Opferbrauch besitzen. Ob in der Fortsetzung, die von Bestattungen bei oder in den hougir spricht, slawisches oder germanisches Brauchtum angesprochen ist oder beides vereint, bleibt offen. 6. Schlußlicht Der Historiker ist gehalten, ehe er einen Vorschlag vertritt, nach möglichen Alternativen Ausschau zu halten, um sich nicht voreilig festzulegen. Ich gestehe, daß das in diesem Fall nicht gelungen ist, weder für die Datierung noch für die Einordnung in historische Zusammenhänge. Das „Sondersendrecht für Nichtfranken“ bleibt für mich ein Würzburger Text, und zwar ein solcher, der nicht allein die Entwicklung kirchlicher Rechtssetzungen berührt, sondern zugleich einen wichtigen Baustein
63 64 65
Kahl 2004, S. 38–40. Kahl 2004, S. 33–40. S. Anm. 13.
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liefert zur Beurteilung König Konrads I. und seines Bischofs Thiodo, ohne daß deren persönliche Anteile sich näher abgrenzen lassen. Nebenergebnisse, die gestreift wurden, runden das Bild ab. Besonders hervorzuheben ist die prinzipielle Gleichbehandlung von Slawen und Nichtslawen. Die Bestimmungen mochten mit unterschiedlicher Häufigkeit einschlagen, je nach dem Stand der Christianisierung. Denen, die deutsche Mundarten sprachen, war kein „Götzenopfer“ nach Art des trebo mehr anzulasten, sondern nur noch ein Bestattungsbrauch. Die prinzipielle Gleichbehandlung bleibt davon unberührt. Abschließend ist noch vor einem Fehlschluß zu warnen. Sämtliche vorstehend herangezogenen Diplome Konrads I. sind von dem Mann rekognosziert, der seit 909 das Kanzleramt innehatte: Salomo III., Bischof von Konstanz und einflußreicher Ratgeber dieses Königs. Sein nomineller Amtssitz ist einer der beiden Orte, an denen für uns eine Version des Würzburger Sondersendrechts aufs Pergament kam. Man mag sich fragen, ob der Text durch diesen Mittelsmann dorthin gelangt war, doch er hat mit dem angesprochenen Überlieferungsstrang schwerlich etwas zu tun. Die Überlieferung im ursprünglich Konstanzer Codex, der jenes Sondersendrecht mit aufnahm, entpuppte sich ja, wie gezeigt, als ein Nachtrag, den der Schreiber nicht selbständig eingefügt hat, sondern bereits in seiner Vorlage fand66. Die Provenienz dieser Vorlage kennen wir nicht; sie in Konstanz selbst zu suchen, weitab aller slawischen Probleme, die sich in diesem Sondersendrecht so stark in den Vordergrund drängen – dazu besteht kein Grund. Bischof Salomon wird bei den Beratungen und Beschlüssen, aus denen es hervorging, ähnlich beteiligt gewesen sein wie in Hohenaltheim – eine Ausfertigung mit heimzunehmen, hatte niemand Ursache, dessen ureigenste Angelegenheiten darin unberührt blieben. Für trebo und auch für hougir war am Bodensee kein Platz, und vollends mit seiner Zweiteilung der Laienwelt war der Text kaum verallgemeinerungsfähig. Ihn gleichwohl festzuhalten, mußte man schon ein eingefleischter Sammler sein, der im Eifer einen Regino noch übertraf – ausgenommen vielleicht die Würzburger selbst. Die Beschlüsse in der Mainmetropole auf freigebliebenen Spalten einer Canones-Sammlung einzutragen, als unmittelbar eigenes Diözesanrecht, das konnte naheliegen, und wer dann diesen Codex abschrieb (oder auch eins seiner Derivate), der nahm sie wie selbstverständlich mit. Vorlage war Vorlage – sie war so sorgfältig und vollständig zu kopieren, wie es nur anging.
66
Oben bei Anm. 11, Abb. unten S. (32).
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Leider kennen wir keine Handschrift, an der diese Vermutung überprüft werden könnte, doch das spricht nicht gegen sie. Würzburg hat zahlreiche Dombrände erlebt, von anderem abgesehen. Niemand vermag zu überblicken, was alles bei solchen Katastrophen verlorenging. Daß es aber Verluste gab, wird niemand bezweifeln wollen. ∗∗ Nachtrag zu Anm. 58: Vgl. Auch H. Nitz, Siedlungsstrukturen der königlichen und adeligen Grundherrschaft, bei W. Rösener (Hg.), Strukturen der Grundherrschaft im frühen Mittelalter (Veröff. d. Max-Planck-Inst. f. Gesch. 92), Göttingen 1989, bes. S. 421–423. Textedition und Verdeutschung Das Würzburger Sondersendrecht für Nichtfranken Überlieferung 1. Universitätsbibliothek Eichstätt, Staatsbestand (st) Nr. 772 (früher: Domarchiv, Ms. 6, aus Seminarbibliothek, Ms. 48), fol. 23vb bis fol. 24rb. Der Codex entstand um 1040/50, vielleicht nicht in Eichstätt, doch jedenfalls in Bayern oder Franken67. Im folgenden: E. 2. Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., Hs. 7, fol. 48rb–49rb. Der Codex stammt aus der Dombibliothek Konstanz und kann im dortigen Skriptorium vor 1046 entstanden sein68. Im folgenden: K. Bisherige Ausgaben Der Text wurde 1837–1907 fünfmal ediert, doch nur einmal kritisch (nachstehend Nr. 4) und auch damals nicht nach den Ansprüchen, die heute gestellt werden müssen: 1. H. Amann, Praestantiorum aliquod Codicum MSS., qui Friburgi servantur, ad iurisprudentiam spectantium notitia, fasc. II, Friburgiae Brisigaviae 1837, S. 63–65, aus K. – Im folgenden: A.
67 H. Hoffmann, Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Stuttgart 1986, S. 208 f.; vgl. Hoffmann – Pokorny (wie Anm. 6), S. 129, vgl. 68 m. Anm. 23. 68 Hoffmann – Pokorny, S. 129 u. 136–143.
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2. R. W. Dove, Untersuchungen über die Sendgerichte, in: Zschr. F. Deutsches Recht 19 (1859, S. 382–384, aus E.) Im folgenden nicht mehr zu berücksichtigen wegen Nr. 4. 3. J. Merkel, Lex Baiuvariorum, Add. XVII (MGH LL III, 1863, S. 486 f.), aus E. Im folgenden: M. 4. R. W. Dove, Das von mir sog. Sendrecht der Main- und Rednitzwenden, in: Zschr. f. Kirchenrecht 4 (1864), S. 160–162, aus K und E. Erste und bisher einzige kritische Ausgabe. Im folgenden: D. 5. A. M. Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland I, München 1907, S. 194–195, nach 4., mit modernisierter Interpunktion, ohne Apparat. Vorliegende Edition fußt auf E und K und kann dabei im wesentlichen dem von D hergestellten Text folgen. Neu im Druck kenntlich gemacht werden die mittlerweile nachgewiesenen Textparallelen, die m.E. als Abhängigkeiten des Würzburger Entwurfs zu verstehen sind, nämlich ein in der Collectio Catalaunensis fehlender angeblicher Kanon des Konzils von Tribur 895 (oben bei Anm. 5–6; im folgenden: Tr) und ein einem nicht datierbaren Konzil von Rouen zugeschriebener Kanon (oben bei Anm. 5 u. 7; im folgenden: R). Abweichungen der sonst bekannten Fassungen dieser mutmaßlichen Vorlagen werden in [ ] vermerkt. Der Variantenapparat von D wird um stereotype orthographische Abweichungen von E gegenüber K entlastet, die keine textkritische Bedeutung haben (z.B. konsequentes aecclesia statt ecclesia, ae statt oe oder rr statt r). Die Interpunktion wird gleichfalls modernisiert, dazu zwecks leichterer Zitierbarkeit eine Kapitel- und Paragraphenzählung neu eingeführt, die in den Handschriften kein Vorbild hat. Den beiden beteiligten Universitätsbibliotheken sei für freundliche Zusammenarbeit, insbes. die Publikationsgenehmigung, gedankt, vor allem aber Herrn Prof. Dr. Theo Kölzer, Bonn, für zahlreiche Hinweise, ohne die die Bearbeitung des komplizierten Textes niemals so möglich geworden wäre. Der unvergeßliche Freiburger Kollege Prof. Dr. Hubert Mordek, der dieses Vorhaben gleichfalls freundlich gefördert hat, kann den Dank leider nicht mehr entgegennehmen († 17. 3. 2006).
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Statutum est qualiter Sclaui uela ceterae nationes, qui nec pacto nec lege Salicab utuntur, post perceptam baptismi gratiam constringendi sint, ut divinis sacerdotumque suorum obtemperent praeceptis.
Aus Tr
Aus R
a
(I, 1) Quia secundum canonicam diffinitionem ecclesiasticis iusiurationibus implicitis cura accusandi proclamandiquec scelera committitur, quae infra omnem parrochiam illam, cuius diocesanid sunt, perpetrantur, summa diligentia obseruandum est, ut nullus diuinae legis transgressor, licet alterius conditionis uel parrochiae sit, in synodica stipulatione reticeatur. (2)
Quodsi quis, cuiuscumque sit gentis, nationis uel linguae, contempto dei omnipotentise timore ita inreuerens deprehensus fuerit post huiusmodi sacramentum, ut iurata per quodcunque ingenium siue excusationem aut dissimulationem noticiae uiolare praesumat, a cuiuscunque nationis uel linguae uiris nobilibus tantumf et numero testimonio congruentibus periurii uel alicuius criminis impetitus fuerit noxaeg penitus quia unius legis et gentish non sunti obiectione remota, aut uindictaek periurii subiaceat aut se exl impetita suspitione igniti ferri iudicio expurget.
A fälschlich et b K. – E: scã (= sancta), dazu D, S. 160,10. c [T: et proclamandi] d K. – E.: diocaesanei e K. – E: omnipotentis dei f [R: tantum nobilibus] g E: fuerit. noxae. – KD: noxa h K. – E: gentis et legis i K. – E: cn ft; M: censentur k [R. uindicta] l E.– ex fehlt in K
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Verdeutschung Es ist festgesetzt worden, wie die Slawen (oder Wenden) und sonstigen Rechtsgruppen69, die weder nach dem Pactus70 noch nach dem salischen Gesetz leben, im Zaum zu halten sind, daß sie den göttlichen Geboten und (den Vorschriften) ihrer Priester gehorchen. (I, 1)
Laut kanonischer Satzung wird kirchlich vereidigten (Personen) die Aufgabe anvertraut, Verbrechen anzuklagen und bekanntzumachen, welche innerhalb des gesamten Sprengels verübt werden, dem sie als Diözesanen angehören. Deshalb ist mit höchster Sorgfalt darüber zu wachen, daß kein Übertreter des göttlichen Gesetzes, selbst wenn er einem anderen Stande oder Sprengel angehört, im Sendverfahren verschwiegen wird.
(2)
Wenn also jemand, welchem Volksstamm, welcher Rechtsgemeinschaft71 oder Sprache immer er angehört, die Furcht vor dem allmächtigen Gott verachtet und dermaßen ohne Ehrfurcht befunden wird nach dieser Eidesleistung, daß er, was geschworen, durch irgendeine Eingebung, Entschuldigung oder wider besseres Wissen72 zu verletzen sich erdreistet, (der) soll, wenn er von Männern beliebiger Rechts- und Sprachzugehörigkeit, nur von Adel und in der Zeugenschaft angemessener Zahl, belastet wird, des Meineides oder eines anderen Verbrechens73 schuldig sein unter völligem74 Ausschluß des Einspruchs, sie seien nicht gleicher Rechts- und Abstammungsgemeinschaft. (Er soll dann) entweder der Strafe für Meineid unterliegen oder sich von dem angelasteten Verdacht durch die Probe des glühenden Eisens reinigen.
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Zum Sprachgebrauch: Kahl 2004, S. 25 f. mit 31; vgl. nachstehend Anm. 71. Dazu Kahl 2004, S. 27 f. 71 Da gentis im Text selbständiger Zusatz zur Vorlage R ist, muß es den Redaktoren auf stärkere Betonung einer Differenzierung angekommen sein. Offenbar ging es um den Unterschied zwischen Abstammungs- und Rechtszusammenhang. Nur der zweite war in nationes ihres Sprachgebrauchs erfaßt. Es ist beachtlich, daß beides nicht mehr als identisch empfunden wurde. 72 Wörtlich: durch Verhehlung von Kenntnis. 73 Auffälliger Zusatz zur Vorlage, nachdem es im Zusammenhang um nichts geht als um die Wahrung des Eides, mit dem sich die Send- oder Rügezeugen zu verpflichten hatten. Im folgenden nicht erneuert. 74 Auch penitus ist Zusatz zur Vorlage. Man meint zu spüren, wie es den Redaktoren auf verstärkten Nachdruck ankam. 70
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(II, 1)
Quodsim temeritatis obstinatian in neutro sanctae dei ecclesiae satisfacere uoluerit, ao liminibus et communione eiusdem sanctae deip ecclesiae habeatur disclususq et exlex, quousque resipiscendo canonicis obtemperauerit institutisr.
Praeterea festiuitates dominicas ceteraques anni solemnitates obseruandas in parrochiali ecclesia a sacerdote indictas, quicunque aliquo opere temerare praesumpserit uel quicquid tunc laborare praeter id, quod ad domesticum apparatum eiusdem diei indiget, – uel qui legitima ieiunia, hoc est quadragesimam et IV tempora et uigilias esu carnium contaminauerit, – aut quit idolothita, quod trebo dicitur, uel obtulerit aut manducauerit, – aut qui mortuos non in atrio ecclesiae, sed ad tumulos, quosu dicimus more gentilium hougir, sepelierit, – aut decimas dare noluerit, – aut qui a sacerdote in ecclesia bannitus fuerit ad placitum episcopi siue archipresbyteri et uenire contempserit, canonicis induciis sacerdos eum pro huiusmodi praeuaricatione et neglegentia ad poenitudinem inuitet.
m
[R: quod si quis] n K. – E: obstinantia o [a fehlt in R] p K. dei fehlt in E. q [R: exclusus] r [R: statutis] s K. E: aliaque t K. E: quisquis u KEADKö: quod. Sowohl tumulos wie hougir erfordern die obige Relativpartikel oder eine angemessene Entsprechung. Der K und E gemeinsame offensichtliche Fehler unterstreicht die Abhängigkeit beider Codices von gemeinsamer Vorlage.
das würzburger sondersendrecht
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(3) Wenn er aber in verwegener Hartnäckigkeit weder auf die eine noch die andere Weise der Kirche Gottes Genugtuung leisten will, dann werde er von der Schwelle und aus der Gemeinschaft ebendieser Heiligen Kirche Gottes ausgeschlossen und für friedlos erachtet, bis er einlenkt und den kanonischen Bestimmungen gehorcht. (II, 1) Im übrigen (sind) die Sonntage und sonstige Festtage des Jahres, wenn sie in der Pfarrkirche vom Priester angesagt worden sind, einzuhalten. Wer sich herausnimmt, (sie) durch irgendeine Arbeit zu schänden oder dann irgend etwas zu verrichten über das hinaus, was für den Haushalt des betreffenden Tages nötig ist, – oder wer die gesetzlichen Fasten, das heißt Quadragesima und Quatember und die (jeweiligen) Vigilien mit Fleischgenuß befleckt, – oder wer die Götzenopfer, was man „trebo“ nennt, entweder darbringt oder ißt, – oder wer Tote nicht auf dem Friedhof einer Kirche bestattet, sondern bei (oder: in) den Hügeln, die wir nach der Weise der Heiden75 „hougir“ nennen, – oder (wer) die Zehnten76 nicht geben will, – oder wer vom Priester in der Kirche vor das Gericht des Bischofs oder des Erzpriesters geladen wird und zu kommen verschmäht: mittels der kanonischen Fristen soll der Priester ihn für solcherart Anmaßung und Nachlässigkeit zur Buße auffordern.
75 Zu gentiles „Heiden“: A. Dove, Studien zur Vorgesch. d. deutschen Volksnamens, in: Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., phil.-hist. Kl. 1916/8, bes. S. 52–56. Die Wortverbindung more gentilium z.B. in c. 19 der von päpstlichen Legaten zusammengestellten capitula, die angelsächsische Synoden 786 anzunehmen hatten, vgl. MGH EE IV, S. 27. Im vorliegenden Text zeigt die Wendung, daß ahd. houc für den Textredaktor zu den mit heidnischer Qualität aufgeladenen Ausdrücken gehörte, die ein Christ eigentlich zu meiden hatte. 76 Es ist zu beachten, daß hier ganz allgemein von decimae gesprochen wird, ohne Abhebung einer besonderen decima constituta oder eines speziellen „Slawenzehnten“. Ob der allgemeine Ausdruck unterschiedliche Leistungen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen gemeinsam abdecken soll oder eine einheitliche Belastung aller voraussetzt, muß wohl offenbleiben.
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beitrag xiii
(2)
Quod si contempserit, exactor publicus, id estv centurio aut suus uicarius cum sacerdote pergat ad domun huiusmodi praesumptoris et de sua facultate tanti aliquid precii, bouem siue aliud aliquidw tollat, propter quod proteruus constringatur, ut humiliatus a sua prauitate resipiscat.
(3)
Quod ipsum in ecclesiastica sacerdotis potestate locatum maneat,x donec transgressory ab inculcatoz crimine aut expurgando aut poenitendo satisfaciat.
(4) Quodsi infra spacium unius septimanae ita resipuerit, sibi sublatam recipiat suppellectilem; si vero ad finitasaa inducias contumax venire distulerit, etiamsi postmodum poenitentiae se subdiderit, propter neglectas autem induciasbb sit in arbitrio sacerdotis, depositum in ecclesiasticos usus seruare aut repetenti condonare. (5) Quod si quispiam tam male pertinax invenitur, ut nec omnipotentis dei territus timore nec iactura uel opum damno attenuatus ab huiusmodi sceleris obstinatia ad resipiscendum coerceri possit, decretum est ab ecclesia exclusum humana priuari communione, et tunc demum, si sit fiscalinus colonus omnia quaecunque possidet a rei publicae ministrocc infiscentur et in dominicam redigantur potestatem.
(6) Si quis autem in suo uel in alterius praedio ita scelerosus exstiterit, simili modo cum centurione dominus eiusdem praedii, quaecunque habuerit, ab illo auferat suaeque uendicet potestati.
v AM: KE: iđ, Kö: i. e. w K. E: aut aliquid aliud x K. E: maneat locatum K: transgresor z E. – K. inconculcato. – A. Inculpato aa K. – E. diffinitias E. indutias cc E: rei publicae ministerio. – K: rei publicae ministro.
y bb
E. – K. –
das würzburger sondersendrecht
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(2) Wenn er sich darüber hinwegsetzt, soll der öffentliche Vollzugsbeauftragte, d.h. der Zentgraf (hunno) oder sein Vertreter, mit dem Priester sich zum Hause des solchermaßen Widersetzlichen begeben und von dessen Vermögen etwas nehmen von solchem Wert – ein Rind oder irgend etwas anderes –, um dessentwillen der Aufsässige sich zügeln mag, daß er sich demütigt und von seiner Verworfenheit wieder zur Besinnung kommt. (3) Dieses Stück soll in der kirchlichen Gewalt des Priesters verbleiben, bis der Übertreter für das (ihm) angelastete Verbrechen entweder, indem er sich reinigt, oder durch Buße Genugtuung leistet. (4) Wenn er binnen einer Woche so Vernunft annimmt, empfange er das ihm entzogene Stück seiner Fahrhabe zurück; wenn er aber bis zum Ablauf der Frist in Trotz zu kommen zögert, dann soll es, auch wenn er sich später der Pönitenz unterwirft, wegen der Fristversäumnis im Belieben des Priesters stehen, das Verwahrstück für kirchlichen Gebrauch einzubehalten oder ihm auf seine Bitten zurückzugeben. (5) Wenn aber jemand dermaßen übel hartnäckig befunden wird, daß er weder durch die Furcht vor dem allmächtigen Gott noch durch Verlust und Vermögensschaden nachgiebig gemacht genötigt werden kann, aus der Verstocktheit eines solchen Verbrechens Vernunft anzunehmen, (so) ist verfügt, (ihm) als von der Kirche Ausgeschlossenem die menschliche Gemeinschaft zu nehmen, und dann soll schließlich, wenn er ein Bauer auf Staatsgut ist, alles, was er irgend besitzt, vom Vertreter der öffentlichen Gewalt eingezogen und wieder als Frongut verfügbar gemacht werden. (6) Wenn aber jemand auf seinem Eigen oder auf dem Gut eines anderen mit solchem Frevel befleckt sitzt77, so soll ähnlich mit dem Zentgrafen der Herr eben dieses Gutes, was immer er besitzt, ihm abnehmen und in seine eigene Gewalt übernehmen.
77
D.h. als Hintersasse eines Privaten, weder auf Fron- noch auf Kirchengut.
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beitrag xiii
(7) Si uero ipse centurio aut dominus hoc agere neglexerit, sit ipse, quod estdd, quem rebus foueat et tuetur, excommunicatus, et tamen nihilominus per ducem autee comitem expulsus, illius infiscentur substantiae.
dd
K. – quidem E.
ee
A fälschlich: et.
das würzburger sondersendrecht
464a
(7) Wenn aber der Zentgraf selbst oder der Grundherr so zu verfahren versäumt, sei er selbst, was (der) ist, den er in der Habe begünstigt und schützt, (nämlich) exkommuniziert, und gleichwohl soll jener durch den Herzog78 oder den Grafen vertrieben und sein Vermögen eingezogen werden.
78
Zum dux s. oben bei Anm. 17–18 sowie Anm. 36.
Universitätsbibliothek Eichstätt, Cod. st 772, fol. 23v, Ausschnitt. Die Abbildung zeigt, daß der Text des Würzburger Sondersendrechts, beginnend mit Statum est, von gleicher Hand eingetragen ist wie der vorausgehende; dazu oben S. 26
464b beitrag xiii
BEITRAG XIV
ZUM GEIST DER DEUTSCHEN SLAWENMISSION DES HOCHMITTELALTERS∗ Als Musterfall der gesamten Missionspraxis mittelalterlich-abendländischer Christenheit wird oft jene blutige „Predigt mit eiserner Zunge“ hingestellt, durch die nach einem Wort des 9. Jahrhunderts1 das Sachsenland für den neuen Glauben gewonnen worden ist. Besonders für die deutsche Slawenmission dieser Zeit hat der amerikanische Forscher J. W. Thompson2 ein Bild entworfen, das neben anderen unerfreulichen Zügen auch diesen ausdrücklich hervorhebt und um so mehr ins Gewicht fällt, als Thompson im allgemeinen alles andere eher zeigt als eine bewußt deutschfeindliche Tendenz. Begreiflich, daß dieses Bild, als von einem unbefangenen Beobachter stammend, gerade auch von solchen slawischen Wissenschaftlern gern herangezogen wird, die sich im Rahmen des Menschenmöglichen um eine von Parteileidenschaften ungetrübte Objektivität bemühen3. Der Deutsche des 20. Jahrhunderts hat keinen Anlaß, im Hinblick auf die deutsch-wendischen Auseinandersetzungen des Hochmittelalters einseitig nur seine sächsischen und fränkischen Vorfahren damaliger Zeit herauszustreichen und ihr Verhalten um jeden Preis zu rechtfertigen; auch die Gegner von damals – Wilzen, Obotriten und wie sie alle hießen – sind für ihn selbst in ihrer Masse ja gleichfalls nichts anderes als ein Teil der Vorfahren seines Volkes, das durch die nachträgliche Einschmelzung dieser slawischen Elemente in seinen Körper entscheidender beeinflußt worden ist, als wir uns oft gegenwärtig halten4. Irgendetwas
∗ Nachstehend werden folgende Abkürzungen verwandt: MG. = Monumenta Germaniae Historica; DD. = Diplomata; Cap. = Legum Sectio II: Capitularia Regum Francorum; SRG. = Scriptores Rerum Germanicarum in usum scholarum; SS. = Scriptores. 1 Transl. S. Liborii (MG. SS. IV, 151, 21 f.). 2 J. W. Thompson, Feudal Germany. Chicago (Illinois) 1928. S. 387 bis 450 (bes. S. 396, 397, 423). 3 F. Dvornik, The Making of Central and Eastern Europe. London 1949. S. 129 Anm. 69. 4 Im einzelnen liegen hier noch sehr viele ungelöste Forschungsaufgaben. Feststehen dürfte immerhin, daß dieses Zusammen-, ja Ineinanderwachsen einstiger Widersacher zu neuer, untrennbarer Einheit in seiner Bedeutung für die allmähliche Entstehung des
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beitrag xiv
zu beschönigen, was in den damaligen Auseinandersetzungen beide in reichem Maße einander zugefügt haben, steht ihm, dem Deutschen unserer Tage, folglich noch weniger an, als es wissenschaftlichen Forschungsgrundsätzen schon ganz allgemein entspräche. Er wird deshalb auch die Feststellung Francis Dvorniks: „Die Geschichte der ‚Bekehrung’ dieser slawischen Stämme nimmt in den Annalen unserer Kirche keinen Platz ein, auf den die Christenheit stolz sein kann“5, anstandslos unterschreiben. Die Behauptung aber, daß die gesamte Wendenmission von der Ottonenzeit an, mit wenigen rühmlichen Ausnahmen wie Otto von Bamberg und Wizelin, eine Zwangschristianisierung mit dem Schwerte gewesen sei, kann nicht unwidersprochen hingenommen werden. 1. Missionarische Theorie Daß diese Auffassung entstehen konnte, mag u.a. dadurch bedingt sein, daß ein entscheidender Grundzug alter kirchlicher Missionslehre modernem Denken ferner gerückt ist. Seit der Aufklärung sind wir geneigt, heidnischen Göttern als solchen keine Realität mehr zuzubilligen: wir kennen nur den Einen Gott, und alle anderen sind uns entweder „Phantome“, „Nichtse“, oder aber mehr oder weniger unvollkommene Abbilder dieses dunkel geahnten Einen und seiner verschiedenen Kräfte. Als Missionsziel ist uns deshalb im allgemeinen lediglich die Bekehrung der Nichtchristen zu Christus und seiner Kirche bewußt. Mit den Augen der Theologie betrachtet, ist das jedoch einseitig und unvollständig: ihr ist das Missionsziel seit alters doppelter Art 6 – negativ Ausrottung des Heidentums, das als geistige Macht durchaus ernst genommen wird, positiv Pflanzung des Christentums, das nicht nur ergänzend neben und über jenes treten soll, sondern in jeder Hinsicht an seine Stelle; mithin einerseits ein Streiten für Gott, andererseits ein Kampf wider den Teufel, dem die Heiden dienen7. deutschen Volkes („Volk“ ist ja keine starre unveränderliche Größe, sondern ein Gewordenes und stetig Werdendes!) kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Es stellt neben der Christianisierung, die zugleich das antike Erbe brachte, wohl den wichtigsten Einschnitt dar, der das Deutschtum als solches vom alten Germanentum trennt. 5 F. Dvornik a. a. O., S. 129. 6 G. Walter, Die Heidenmission nach der Lehre des hl. Augustinus, Münster/W. 1921. S. 115. 7 Vgl. dazu H. Achterberg, Interpretatio Christiana. Verkleidete Glaubensgestalten der Germanen auf deutschem Boden. Diss. Greifswald 1930, passim; R. Schomerus, Die Religion der Nordgermanen im Spiegel christlicher Darstellung. Diss. Göttingen
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 467 Das ganze Mittelalter hindurch ist dieser Doppelcharakter des Missionsziels betont oder vielmehr wie selbstverständlich immer wieder erwähnt worden, bis in die Chroniken, Urkunden und Gesetzestexte hinein: das Bistum Bamberg etwa wurde im Jahre 1007 u.a. deshalb gegründet, ut et paganismus Slavorum (der Main- und Regnitzwenden) ibi destrueretur et Christiani nominis memoria perpetualiter inibi celebris haberetur (man beachte die scharfe Gegenüberstellung beider Seiten durch die et-et-Konstruktion!)8, und, um noch ein Beispiel aus ganz anderer Gegend herauszugreifen, die Guta Lagh, das gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstandene Gesetzbuch der Insel Gotland, hebt an mit den Worten: „Dies ist der erste Anfang in unseren Gesetzen, daß wir das Heidentum ablehnen und uns zum Christentum halten sollen“9. Zeugnisse dieser Art ließen sich erheblich mehren; sie zeigen aber, wie tief dieser Doppelcharakter des Missionsziels im damaligen christlichen Bewußtsein verankert gewesen ist. In der Zweipoligkeit des Taufaktes, der, soweit der Täufling selbst als Subjekt mithandelt, um die beiden Brennpunkte der abrenuntiatio diaboli (als negatives) und der confessio fidei (als positives Taufgelöbnis) kreist, hat er seinen sinnfälligsten Ausdruck gefunden10. Was diesen zunächst in manchem vielleicht fast banal klingenden Feststellungen eine außerordentliche Bedeutung verleiht, ist die Tatsache, daß zur Erreichung dieser beiden Teilziele durchaus verschiedene Wege beschritten werden können. Jesus und die Apostel hatten zwar nach dem Zeugnis des Neuen Testaments beide in gleicher Weise friedlich verfolgt11. Nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion im Römerreich aber war es nach alttestamentlichem Grundsatz12 in steigendem Maße zu gewaltsamer Unterbindung heidnischen Kultes gekommen, insbesondere zur Zerstörung von Heiligtümern; selbst an Versuchen regelrechter Zwangsbekehrung
1936, passim; auch E. Wienecke, Untersuchungen zur Religion der Westslawen, Leipzig 1940. S. 24–28 (vielfach jedoch mit Vorsicht zu benutzen, vgl. die Lit. bei A. Schmaus, Zur altslawischen Religionsgeschichte. Saeculum 4 [1953], S. 208 f.) 8 MG. DD. Heinr. II. n. 143, S. 170, 40 f. 9 Gotlandslagen I, 1 (Corpus Juris Sueo-Gothorum Antiqui, tom. VII., ed. Schlyter, Lund 1852, S. 7). 10 Vgl. für viele die bekannten altdeutschen Taufformeln bei W. Braune – K. Helm, Althochdeutsches Lesebuch. 10. Aufl. Halle 1942. Nr. XVI (S. 36). XLVI (S. 138–139). 11 Vgl. M. Meinertz, Zeitschr. f. Missionswissensch. 15. Münster/W. 1925, S. 249 f.; Th. Zahn, Skizzen aus dem Leben der alten Kirche. Erlangen u. Leipzig 1894. S. 106 ff.; K. Holl, Allg. Missionszeitschr. 39. Berlin 1912. S. 193–203; J. Schmidlin, Kath. Missionsgesch., Steyl o. J. (1925) S. 10 ff. 12 Vgl. Ex. 23, 28 ff.; Dt. 7, 1–6; 16–26; 20, 16–8 usw.
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beitrag xiv
zum neuen Glauben hatte es seitens der christlichen Herrscher nicht gefehlt. In Auseinandersetzung mit diesen unterschiedlichen Eindrücken entstand dann die auch für das Mittelalter wichtige Missionstheorie Augustins, die z.B. auf die angelsächsische Bekehrungspraxis einen spürbaren Einfluß genommen hat. Augustin hält zur Erreichung des negativen Missionsziels Gewaltanwendung nicht nur für statthaft, sondern geradezu für geboten, freilich nicht für den Privatmann, sondern allein für diejenigen, denen auch sonst ausschließlich die Handhabung einer Zwangsgewalt zukommt: den Herrscher und seine Beauftragten. Ihnen liegt es vornehmlich ob, das Heidentum niederzuhalten, seine Tempel, Bilder und Haine auszumerzen, seine Kultübung unmöglich zu machen und dadurch der positiven Bekehrung den Weg zu bahnen. Damit wird aber nur die Kultusfreiheit für die „widergöttlichen Religionen“ verworfen; die Freiheit der Bekehrung will der Kirchenvater unter allen Umständen gewahrt wissen: nur freiwillige Bewerber soll die Kirche zur Taufe zulassen, und auch sie nur dann, wenn sie wirklich innerlich vom neuen Glauben ergriffen sind. Im positiven Teil des Missionswerks ist nach Augustin also jeder Zwang abzulehnen – er hat für ihn wohl den schlechten Christen, besonders den Häretikern gegenüber seinen Platz als innerkirchliche Disziplinarmaßnahme, nicht aber beim Eintritt durch die „Pforte des Glaubens“, der in persönlicher Hingabe und Gottesliebe erfolgen muß: ausdrücklich stellt der Heilige fest, daß nicht alle Heiden durch die göttliche Gnadenwahl berufen seien, und schärft damit eine Grenze ein, an der menschlichen Missionsbemühungen unüberwindlich Halt geboten ist13. Wir gelangen somit von Augustin her zu zwei verschiedenen Möglichkeiten gewaltsamen Vorgehens im Missionswerk, die streng auseinanderzuhalten sind: man mag sie die negative oder indirekte und die positive oder direkte Gewaltmission nennen. Jene bejaht er, diese lehnt er ab. Dabei ist wichtig festzuhalten, daß ein eigentlicher Glaubenszwang – d.h. die Vorwegnahme einer persönlichen Gewissensentscheidung durch Nötigung von außen her ohne Rücksicht auf etwa entgegenstehende innere Überzeugung – nur im zweiten Falle vorliegt: im ersten bleibt ja dem Heiden unbenommen, seinen alten Glauben festzuhalten; nur nach außen hin betätigen darf er ihn nicht. Bei Späteren, etwa Gregor d. Gr.14, 13
Vgl. G. Walter, a. a. O., sowie C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. Stuttgart 1935 [= Darmstadt 1955]. S. 7 f. 14 Eine der Walterschen Arbeit vergleichbare Monographie über die Missionsanschauungen Gregors d. Gr. liegt bisher nicht vor. Einen ersten Versuch mit wertvollen
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 469 ist dann zwar der Bereich, in dem auf die „Missionsobjekte“ ein Druck ausgeübt werden darf, ausgedehnt, der Bereich der Freiwilligkeit für den Übertritt eingeengt worden, aber grundsätzlich hat sich an diesem Bilde nichts geändert. Wir dürfen, ja müssen auch im Hochmittelalter noch mit dieser Unterscheidung arbeiten. Neben ihr ist dann, nicht minder wichtig, eine zweite zu beachten, die hier freilich nicht mehr mit gleicher Ausführlichkeit entwickelt werden kann. Sie verläuft ungefähr parallel und trennt den indirekten vom direkten Missionskrieg: jener, zuerst wohl von Gregor d. Gr. vertreten15, bezweckt die Ausdehnung christlicher Oberherrschaft auf bisher unabhängiges Heidengebiet, damit unter ihrem Schutze das eigentliche Missionswerk mit friedlichen Mitteln ungestört durchgeführt werden kann; dieser, vor allem – und gerade im Zusammenhang mit der Wendenmission – von Bernhard von Clairvaux verkündet16, vollzieht sich unter der Losung „Taufe oder Tod!“ und gewährt Frieden nach Möglichkeit nur dem, der sich gleichzeitig dem „wahren Friedebringer“, Christus, unterwirft. 2. Stellungnahmen deutscher Kirchenvertreter Legen wir die damit gewonnenen Maßstäbe an die Quellen zur deutschen Slawenmission des Hochmittelalters an, so wird das eingangs angedeutete Bild unmöglich. Wir versuchen, zunächst einen Eindruck von dem zu gewinnen, was man für eine bewußter, reflektierter denkende Zeit die „Theorie“ nennen würde, um dann noch einen Blick auf die Praxis zu werfen. Zunächst fällt auf, daß die Sachsen, mit denen wir es bei der hochmittelalterlich-deutschen Slawenmission ja im wesentlichen zu tun haben, zwar die an ihnen selbst vollzogene Gewaltmission im allgemeinen bejaht haben, soweit ihre Stimmen noch zu uns herübertönen17; nirgends aber wird daraus bei ihnen ein verpflichtendes Vorbild abgeleitet, nun
Materialien bietet, auch in der Art seiner Fragestellung wichtig, ohne jedoch das Thema voll auszuschöpfen, Paul Benkart, Die Missionsidee Gregors des Großen in Theorie und Praxis. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zur Christianisierung der Germanen, Diss. (masch.) Leipzig 1946, für deren freundliche Vermittlung Herrn Prof. Dr. Thomas Ohm, Münster, auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei. 15 Vgl. C. Erdmann, S. 8 f. 16 Bern. Clar., Ep. 457 (bei Migne, Patr. Lat. 182, 651). 17 Vgl. für viele die oben Anm. 1 zitierte Stelle.
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beitrag xiv
ebenfalls „mit eiserner Zunge“ das Christentum zu noch unbekehrten Nachbarvölkern zu tragen; nirgends mit einer einzigen Ausnahme: dem heiligen Brun von Querfurt, vor allem in seinem bekannten Brief an König Heinrich II. (1008)18. Dieser Sachse aber war auch sonst ein Außenseiter innerhalb seines Stammes, durch besonderes Schicksal nicht in der Heimat, sondern in der Fremde geprägt, und zudem hat gerade er entgegen seinen eigenen Wünschen und Plänen keinerlei Einfluß auf die Gestaltung der Wendenmission gewonnen. Schon sein Verwandter und Schulgenosse Dietmar (Thietmar) von Walbeck, als Bischof von Merseburg selbst Oberhirt eines Missionssprengels im slawischen Markengebiet, zeigt sich denkbar weit von Bruns compelle intrare entfernt. Wohl finden sich bei ihm einige Äußerungen, in denen er voll Anerkennung und Bewunderung von gewaltsamen Christianisierungsmethoden spricht, die aus Polen und Ungarn an sein Ohr gedrungen waren19. Aber die Art, wie er diese Dinge hervorhebt, die Ausführlichkeit, mit der er sich darüber verbreitet, zeigen, daß ihm das keine alltäglichen Erscheinungen waren, die er im eigenen Lebenskreise ständig vor Augen hatte. Andererseits hat er offensichtlich auch nicht versucht, gegen solches Auseinanderklaffen von Ideal und Wirklichkeit anzugehen, etwa dafür zu sorgen, daß gleiche Taten zum Ruhme Gottes nun auch in seinem Sprengel geschähen: Dietmars Bewunderung war unverkennbar von der Art, wie das Gefühl eigenen Ungenügens sie Leistungen entgegenträgt, von denen es weiß, daß es Gleiches niemals vollbringen wird. Und damit sind die bejahenden Stellungnahmen zu einer positiven Gewaltmission, die sich aus dem deutsch-wendischen Missionsgebiet beibringen lassen, bereits erschöpft. Einige Stellen, die sich, für sich allein genommen, in diesem Sinne deuten ließen, bietet zwar auch Adam von Bremen. Im Gesamtzusammenhang seiner Missionsauffassung betrachtet, wird solche Auslegung aber unmöglich. Nicht, daß der Bremer Magister gegen das „heilbringende Sendamt an die Heiden“20 gleichgültig gewesen wäre: im Gegenteil – er hatte sogar 18 Gedruckt bei W. v. Giesebrecht, Gesch. d. deutschen Kaiserzeit. II4. Braunschweig 1875, S. 691 f.; vgl. Bruno, Vita S. Adalb. c. 10 (längere Fassung), MG. SS. IV, S. 599, 24 ff. [zu alledem jetzt unten S. 177 ff.]. 19 Thietmari Merseburgensis episcopi Chronicon (ed. R. Holtzmann, MG. SRG., Nova Series IX, Bln. 1935), VIII, 2 (S. 494); VIII, 4 (S. 496, 24 ff.). 20 Magistri Adami Bremensis Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum (ed. B. Schmeidler, MG. SRG. 1917) IV, 43 (S. 279, 22).
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 471 halb und halb ein schlechtes Gewissen, daß er nicht selbst mit hinauszog als „Prediger der Wahrheit“21, wie einer seiner Nachfolger in der Leitung der bremischen Kathedralschule, Wizelin, es später tatsächlich getan hat22; und zu den Dingen, die Adam besonders lebhaft beschäftigt haben, gehört das Rätsel, daß „Gottes Wort“ oft jahrhundertelang vergeblich gepredigt wird, bis es endlich einmal in einem Heidenvolke zündet, ja daß es selbst dort, wo es schon durchgedrungen war, noch einmal wieder vom Heidentum verschlungen werden kann. Von der eingangs skizzierten Auffassung her hätte es nahe gelegen, in solchem Zusammenhang Klagen anzustimmen über die Fürsten, die es unterließen, Heiden zu Gottes Dienste zu zwingen und Bekehrte bei ihm festzuhalten. Bei Adam aber findet sich nichts dergleichen, obwohl er anderweitig zu erkennen gibt, daß er sehr wohl mit einer Missionspflicht weltlicher Obrigkeiten rechnete23. Mit einem Bibelwort, auf das er wiederholt zurückkommt, hat er sich über dieses Rätsel hinweggeholfen, nämlich, daß Gott in seinem unerforschlichen Ratschluß „sich erbarmt, wessen er will, und verstockt, wen er will“ (Rm. 9, 18)24. Ein schrofferer Gegensatz zur Capitulatio de partibus Saxoniae Karls d. Gr.25 oder zu den bernhardinischen Parolen von 114726 ist kaum denkbar. Wer so schreiben konnte, der wußte um die augustinische Grenze, die allem menschlichen Missionsstreben gesetzt ist und von ihm nicht übersprungen werden kann27. Er vermochte wie der heilige Bischof von Hippo die negative Gewaltmission zu bejahen: es ist Anerkennung, was aus Adams Schilderung des von Erzbischof Unwan (1012–29) in den friesischen Wesermarschen angeordneten ritus paganos amovere spricht28, obwohl der Magister ein solches Vorgehen nicht unter allen Umständen für zweckmäßig hält29, und mit ausgesprochenem Behagen verweilt er dabei, wenn es – wohlgemerkt: durch friedliche Predigt eines begnadeten Missionars – gelingt, die „Missionsobjekte“ dazu zu bringen, daß sie aus freien Stücken selbst ihre bisherigen Idole
21
Ebenda, I, 42 (S. 45, 6 ff.); vgl. IV, 21 (S. 252, 10); 44 (S. 280, 14). Vgl. H. v. Schubert, Kirchengesch. Schleswig-Holsteins I. Kiel 1907, S. 130–47, m. wieterer Literatur. 23 Vgl. III, 15 (S. 155, 10 f.) und bes. III, 22 f. (S. 165 f.). 24 Vgl. I, 15 (S. 22, 11 ff.); II, 44 (S. 105, 5 ff.) [sowie Beitrag XV. S. 550 ff.]. 25 MG. Cap. I, 26 (S. 68–70). 26 Vgl. oben Anm. 16. 27 Vgl. oben S. 160. 28 II, 48 (S. 108, 9 ff.). 29 Vgl. IV, 30 (S. 262). 22
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beitrag xiv
zerschlagen30. Für eine positive, direkte Gewaltmission aber, die Parole „Taufe oder Tod!“, war in seinem Denken kein Platz31: Adam ging ja sogar so weit, den Abfall vom Christentum, wo er mit einer Erhebung gegen ungerechte Bedrückung durch Vertreter der missionierenden Seite zusammenging, als gerechten Verteidigungskrieg zu behandeln32, statt hier nach augustinischer und sonstiger kanonistischer Auffassung33 die weltliche Gewalt zum Einschreiten gegen die Brecher des Taufgelübdes aufzurufen. Alle diese Stellungnahmen aber sind nicht etwa belanglose Äußerungen irgendeines kleinen Mönchs, sondern stammen von einem Manne, der unter einem Erzbischof von besonderer missionarischer Aktivität die Bremer Kathedralschule und mit ihr eine Pflanzstätte für künftige Missionare auch im Slawenlande zu leiten hatte. In Magdeburg, dem zweiten Erzstift Sachsens, hat man augenscheinlich mit erheblich kriegerischeren Augen in das ja auch viel unmittelbarer vor den Toren liegende heidnische Vorland hinübergeblickt. Aber ein heiliger Bekehrungskrieg in bernhardinischem Sinne oder überhaupt eine positive Zwangsmission wird auch dort nicht verkündet. Ein bekannter Aufruf zum Kreuzzug gegen die Ostlandheiden, der wohl 1108 aus der Umgebung des Erzbischofs Adalgot hervorgegangen ist34, verlangt weder die Christianisierung noch die Ausrottung, sondern lediglich die Unterwerfung (subjugatio) des Gegners, und das in einer Zeit, für die ein Wiederaufleben der Missionstätigkeit im magdeburgischen Vorland nachgewiesen werden kann35, der also eine positive Bekehrungsabsicht keinesfalls fernlag. Das Schweigen des Aufrufs über dergleichen kann also nur heißen, daß für den Kreis, der hinter ihm stand, solch positive Missionsarbeit mit bewaffneter Gewaltsamkeit nichts zu tun hatte.
30
IV, 8 (S. 236). Dies würde vor allem eine eingehende Interpretation seiner Darstellung der Sachsenkriege Karls d. Gr. zeigen (I, 8, S. 9 f., dazu praef., S. 3, 19 f.). – Der Wendenfürst Gottschalk, der eine Zwangschristianisierung seiner Untertanen plant, erhält von Adam das Prädikat „hitzig“ ( fervidus propagator fidei, III, 19, S. 162, 16 f.). 32 II, 42–44 (S. 102 ff.). 33 Vgl. C. Erdmann, wie Anm. 13. 34 Zuletzt gedrukt Urk.-Buch d. Erzstifts Magdeburg, bearb. v. F. Israel u. W. Möllenberg, Bd. I, 193 S. 249 ff. mit weiteren Druck- und Literaturhinweisen [dazu noch unten S. 224 u. 236–239]. 35 Vgl. Cod. Dipl. Brandenburgensis, begr. v. A. F. Riedel, I/X, S. 69 (Bischof Hartbert von Brandenburg um 1110); auch Vita Wernheri ep. Mers., c. 1 (MG. SS. XII, S. 246, 10 ff.). 31
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 473 Noch klarer tritt das Ziel, das der Magdeburger Geistlichkeit für die Heidenkriege ihres Bereichs vorschwebte, in Brunos etwas älterem „Buch vom Sachsenkriege“ hervor. Dort wird König Heinrich IV. gerügt, daß er seine Burgen mitten im Sachsenlande gebaut hat und nicht gegen die Heiden der Nachbarschaft – hätte er das getan, so „wären sie schon längst entweder Christen oder auf ewig schatzpflichtig christlichen Fürsten“36 (iam dudum aut omnes fuissent Christiani aut Christianis principibus imperpetuum tributarii). Es ist das Ziel des islamischen Dschihad37, das diese Kreise beseelt, nicht aber das der sancta milicia Bernhards von Clairvaux. Nimmt man hinzu, daß es gerade unter den Sachsen eine beträchtliche Gruppe gegeben hat, die der Slawenmission überhaupt ablehnend gegenüberstand – repräsentiert durch Widukind von Corvey38 und vor allem einen erheblichen Teil des weltlichen Adels39 – wobei die Motive im einzelnen sehr verschieden gewesen sein können –, so läßt sich wirklich nicht sagen, daß hinter dieser Mission auf deutscher Seite ein stark ausgeprägter Wille zu gewaltsamer Bekehrung gestanden hätte. 3. Das praktische Vorgehen Wie verhielt sich die Praxis zu dieser „Theorie“? Von Otto d. Gr. ist bekannt, daß er einmal den Befehl zur Ausrottung der Redarier gegeben hat. Das aber geschah aus rein politischen, nicht aus religiösen Motiven und wurde überdies nicht ausgeführt40.
36 Bruno, De bello Sax., c. 16 (rec. Wattenbach, MG. SRG. 1880, S. 10; rec. H. E. Lohmann, 1937, Dt. MA Bd. II, S. 23, 8 f.). 37 Über die durch die Alternative „Bekehrung oder Tributabhängigkeit“ unter ausdrücklichem Verbot jedes Gewissenszwangs (Sure 2, 256) bestimmte Zielsetzung des Dschihad vgl. die von verschiedenen Verfassern bearbeiteten Artikel: ahl al-kitab, dhimma, djihad, djizya, kafir, bei A. J. Wensinck – J. H. Kramers, Handwörterbuch des Islams. Hrsg. 1941 im Auftrage der Koninklijke Akademie van Wetenschapen, Amsterdam, mit weiterer Literatur. 38 Vgl. H. Beumann, Widukind von Korvei . . . und seine politische Gedankenwelt. In: Westfalen 27, 1948, S. 161–176, S. 170; H. Beumann, Widukind von Korvei. Untersuchungen z. Geschichtsschreibung u. Ideengeschichte des 10. Jh. Weimar 1950. S. 225 m. Anm. 2. Beumanns Hinweise lassen sich noch erheblich ausbauen. 39 Vgl. für viele: J. Kirchberg, Kaiseridee und Mission unter den Sachsenkaisern und den ersten Saliern (= Eberings Historische Studien 259). Berlin 1934. S. 46, 53, 80 f., 103–5, 107, 111. 40 MG. DD. I, 355 (S. 488); dazu R. Köpke – E. Dümmler, Otto d. Gr., Leipzig 1876, S. 435.
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Vom wirklichen Eingreifen des Kaisers in das Werk der Slawenbekehrung wissen wir, daß er dort im Osten heidnische Heiligtümer zerstörte und christliche Missionsstützpunkte (Kirchen und Klöster) gründete41, daß er für Missionare (wie Boso von St. Emmeram) sorgte42 und schließlich dem ganzen Werk durch eine vollständige Bistumsorganisation ein festes Rückgrat zu schaffen suchte. Das heißt, daß er im Verfolg der ihm zukommenden kaiserlichen Missionspflicht sich bemühte, für beide Seiten des Missionsziels, die negative wie die positive, die äußeren Voraussetzungen zu schaffen. Daß er darüber hinaus in das eigentliche Missionswerk eingegriffen und etwa zwangsweise Bekehrungen durchgesetzt hätte, ist nicht erweislich; wo wir einmal in der Lage sind, Stichproben zu machen, tritt vielmehr das Gegenteil zutage. Über die Arbeitsweise des genannten Boso sind wir verhältnismäßig gut unterrichtet43. Nirgends fällt dabei eine Andeutung, daß er sich auf das weltliche Schwert gestützt und mit seiner Hilfe Widerstrebende zum Taufbrunnen getrieben hätte. Ganz offenbar hat er sich unter großen Schwierigkeiten redlich geplagt, seine Botschaft auf friedliche Weise unter den ihm anvertrauten Wenden auszubreiten. Er hat dabei selbst mutwillige Verhöhnung der heiligen Liturgie in Kauf genommen, ohne einen Richter „dieser Welt“ zur Ahndung solchen Frevels zu bemühen – jenes ukrivolsa, „die Erle steht im Busch“, das die Zeitzer Slawen anstelle des Kyrieleison sangen. Auch der geringe Erfolg seiner Predigt vermochte ihn nicht, diese Haltung zu ändern. Die Freiwilligkeit des Übertritts ist durch ihn also offensichtlich nicht angetastet worden, und Boso reiht sich damit würdig ein neben einem Wynfrith-Bonifatius, einem Otto von Bamberg oder einem Wizelin, die wir aus besser beglaubigten Zeiten kennen. Wie weit wir das Vorgehen dieses Bayern für seine Zeit verallgemeinern dürfen, ist fraglich. Immerhin bleibt bestehen, daß er der einzige Vertreter der ottonischen Reichsmission ist, den wir gewissermaßen in der vordersten Frontlinie beobachten können, und daß für ein Gegenbeispiel auch die leiseste Andeutung fehlt. Einige urkundliche Zeugnisse Ottos selbst runden das Bild ab. Wir greifen eine Schenkung heraus, die er am 29. Juli 961 dem Moritzkloster zu Magdeburg gemacht hat, darunter aus einer ganzen Reihe von
41 Vgl. Widukindi Monachi Corbeiensis Rerum Gestarum Saxonicarum libri III (ed. P. Hirsch – H. E. Lohmann, MG. SRG. 1935) III, 75 (S. 132, 12), zu interpretieren auf dem Hintergrund von I, 40 (S. 59, 10). 42 Siehe folg. Anm. 43 Vgl. Anm. 19, Thietmar a. a. O., II 36 f. (S. 84 ff.), wo auch Literatur.
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 475 Wendengauen „den gesamten Zehnten . . . von der Frucht und aller Nutzung, von der man Christen Zehnten geben sieht und sie selbst (ihn) leisten müssen, sobald sie durch Gottes Gnade Christen geworden sein werden“44. Um die Zeit, wo Boso ohne Anwendung irdischer Gewalt um Zeitz und Merseburg wirkte, hatte der Kaiser (oder vielmehr damals noch König) also auch in diesem doch recht ausgedehnten Gebiet noch keine Zwangsbekehrung durchführen lassen, und nichts deutet an, daß er etwa die Absicht hegte. Auch dieses Beispiel steht nicht allein. Wenn wir folglich aus anderen (nebenbei durchweg späteren) Zeugnissen hören, Otto habe die rechtselbischen Stämme solange bekriegt, bis sie das Christentum annahmen, dann wird angesichts solcher Selbstäußerungen darunter nicht mehr zu verstehen sein als ein indirekter Missionskrieg, wie ihn etwa im 12. Jahrhundert Bolesław „Schiefmund“ (Krzywousty) von Polen gegen die pomoranischen Wenden führte, unternommen wohl in der Absicht, unter anderem auch das Christentum auszubreiten, aber beendet auf die Zusage hin, eine kirchliche Organisation des Landes und ungehinderte Betätigung der Mission zuzulassen, während das eigentliche Bekehrungswerk dann der Kirche selbst (in Bolesławs Falle dem milden Otto von Bamberg) übertragen und ohne unmittelbaren Glaubenszwang für den einzelnen durchgeführt wurde45. Da die erwähnten magdeburgischen Zeugnisse der späteren Salierzeit46 gerade der bevorzugten Gründung des ersten Sachsenkaisers entstammen und ganz in die eben angedeutete Richtung weisen, dürfen sie wohl als unmittelbarer Nachklang der Traditionen ottonischer Reichsmission betrachtet werden. Zahlreiche weitere Zeugnisse, aus denen sich für das von ihnen beleuchtete Gebiet, stellenweise bis ins 13. Jahrhundert hinein, ein ähnlich negativer Beweis gegen Durchführung einer Zwangschristianisierung entnehmen ließe wie aus der eben erwähnten Urkunde von 961, müssen hier übergangen werden, um Raum zu gewinnen für einige neue Züge, die im Bilde der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters nicht fehlen dürfen. Für die ersten Jahrzehnte, vielleicht das erste Jahrhundert nach Errichtung des östlichen Marken- und Bistumssystems wird nicht bezweifelt werden können, daß Christen und Heiden dort vielfach neben- und 44
MG. DD. I, 231 (S. 317) = UB. Erzst. Magdeb. (oben Anm. 34) I Nr. 26 (S. 37). Vgl. W. Kümmel, Die Missionsmethode des Bischofs Otto von Bamberg und seiner Vorläufer in Pommern. Gütersloh 1926. 46 Oben S. 465 f. 45
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durcheinander gewohnt haben. Die bekannte Mitteilung Dietmars von Merseburg47, daß er neun Jahre nach seinem Amtsantritt zum ersten Male in den südöstlichen Teil seines Sprengels kam und selbst nach so langer Zeit dort nur wenige (pauci) antraf, welche gefirmt werden mußten (jedenfalls weil die Mehrheit der dortigen Bevölkerung noch heidnisch war), darf in gewissem Sinne als typisch gelten. Neben ihr mag noch das ebenfalls vielzitierte Gottesurteil von Werben a. d. Elbe aus dem Jahre 1033, in dem vor den Augen Kaiser Konrads II. ein heidnischer Slawe den Sieg über einen christlichen Sachsen gewann48, als Beispiel dienen, wie stark damals im täglichen Zusammenleben der religiöse Unterschied zurückzutreten vermochte. Eine derartige Großzügigkeit war nun freilich nicht ohne weiteres im Sinn mittelalterlichen Christentums. Selbst ein Otto von Bamberg hielt es 1128 in Stettin für angemessen, den schon getauften Wendenkindern das Spielen mit ihren noch heidnischen Gefährten zu untersagen49. Ein solches Scheidungsbedürfnis scheint sich denn im zweiten Jahrhundert deutscher Slawenmission auch anderweitig stärker Geltung verschafft zu haben. Wir sehen nicht völlig klar, aber es scheint, als ob es damals verschiedentlich zu einer Art Ghetto-Bildung für Heidenreste innerhalb des schon stärker christianisierten Wendenlandes gekommen ist. Das wagrische Kolonisationswerk, das Graf Adolf II. von SchauenburgHolstein seit 1143 einleitete50, lief, religionspolitisch betrachtet, auf die Errichtung eines heidnischen Reservates hinaus, mit voller Autonomie nach innen, sogar freier Übung des alten Kultes, und räumlich von dem von Christen besiedelten Gebiet geschieden. Handelte es sich dabei zugleich um ein Auseinandersiedeln von Menschen verschiedenen Volkstums, so scheint das sog. Ratzeburger Zehntregister von 1230 anzudeuten, daß in seinem Bereich auch christliche und heidnische Wenden getrennt worden waren51. Es fehlt nicht an Anhaltspunkten, daß
47
Vgl. Anm. 19, Thietmar a. a. O., VIII, 21 (S. 518, 12 ff.). Wipo, Gesta Chuonradi, c. 33 (Werke, hrsg. von H. Bresslau, 1915, S. 52). Oft behandelt, z.B. von Kirchberg, wie Anm. 39, S. 92; Erdmann, wie Anm. 13, S. 93. 49 Vgl. Anm. 45, W. Kümmel, S. 40. 50 Vgl. Helmoldi presbyteri Bozoviensis Chronica Slavorum (ed. Schmeidler MG. SRG. 1937) I, 57 (S. 111 f.), dazu I, 69 (S. 134, 13 ff.); I, 84 (S. 160, 18 ff.). 51 Mecklenburgisches Urkundenbuch I, 375 (S. 361–8). Darin wird eine bestimmte Zahl von Ortschaften mit der Begründung: „Sclavi sunt“ als nicht zehntbar bezeichnet. Offenbar handelte es sich um heidnische Slawen, da auch ein erheblicher Teil der übrigen aufgezählten Dörfer damals noch mehr oder weniger weitgehend wendisch gewesen sein muß, vgl. auch Witte, Wendische Bevölkerungsreste in Mecklenburg. Stuttgart 1905. S. 22–28, 31–54 und sonst. 48
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 477 ähnliche Maßnahmen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts etwa in der Zerbster Gegend durchgeführt worden sein können52, obgleich bei der Lage unseres Quellenmaterials für derartige Schlüsse äußerste Vorsicht geboten ist. Sicher dagegen bleibt, daß um die Mitte des gleichen Jahrhunderts ein völlig neuer Zug im Bilde der deutschen Slawenmission erscheint. Zwar setzen sich die bisher herausgearbeiteten Linien auch nach dieser Wende noch fort; ja sie scheinen sogar auch jetzt noch vorherrschend geblieben zu sein: es genügt, einen Blick auf die wiederum besonders gut beleuchteten Vorgänge zu werfen, die sich seit Mitte der fünfziger Jahre in jenem kurz zuvor errichteten wagrischen Heidenreservat abspielten, als Graf Adolf sich nicht mehr imstande sah, seinen anfänglichen Widerstand gegen dessen Christianisierung aufrechtzuerhalten53. 1156 fiel der heilige Prowe-Hain bei der einstigen Bischofsstadt Starigard-Oldenburg. Im Anschluß daran predigt Bischof Gerold, der die Zerstörung geleitet hatte, zu den Wagriern, „daß sie von ihren Götzen lassen und den einen Gott verehren möchten, der im Himmel ist, daß sie die Taufe empfangen und ihren Übeltaten absagen sollten, als da sind Mord und Plünderung an Christenmenschen“ – und ihr Sprecher, Fürst Pribislaw, hat Gelegenheit, ausführlich zu begründen, warum der Übertritt unterbleibt. Der Bischof veranlaßt den Herzog zum Eingreifen, „und er redete mit den Slawen ein Wort über das Christentum“; als Niklot darauf nicht nur unbefriedigend, sondern für mittelalterlichchristliches Empfinden geradezu gotteslästerlich antwortet, erhält er einen Verweis, wird aber unangefochten entlassen. Dann nimmt Graf Adolf, offenbar auf einen Wink Heinrichs des Löwen, die Arbeit an seiner Missionspflicht auf, und nun ersteht vor unseren Augen ein ungewöhnlich lebendiges Bild von einem Zusammenwirken geistlicher und weltlicher Gewalt, wie es einem Augustin und einem Gregor d. Gr. ungefähr vorgeschwebt haben mochte: der Bischof setzt in Starigard-Oldenburg einen Priester ein, und der Graf gründet dort, ihm zum Rückhalt, eine sächsisch-christliche Siedlung. Der Priester „ruft das Wendenvolk auf zur Gnade der Wiedergeburt, Haine niederhauend und sakrilegische Bräuche vernichtend“, der Graf aber sorgt dafür, daß die Toten (doch jedenfalls der Getauften) nun 52
Sie sind zu gewinnen aus einer eingehenden Interpretation von UB d. Erzst. Magdeb. (vgl. Anm. 34) Nr. 357 (S. 470) im Rahmen des zeitgeschichtlichen Zusammenhangs. 53 Folgendes nach Helmold I, 84 (S. 159–165).
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auch wirklich auf den Kirchhof kommen statt in die alten Begräbnisstätten, daß die Sonntagspflicht eingehalten wird und daß heidnische Rechtsbräuche verschwinden. Gemeinsam errichten Bischof und Graf neue Kirchen auf dem Boden des bisherigen Heidenreservates, „und so wuchs das Werk Gottes im Wagrierlande.“ Von einem direkten Glaubenszwang aber, einer unmittelbaren Nötigung zum Taufempfang durch den Grafen mit Todesdrohung oder Verbannung, hören wir nichts. Alles, was von seinem Wirken für die Kirche verlautet, beschränkt sich auf die Wahrnehmung der negativen Missionspflicht in seinem Bereich und eine Förderung des positiven Bekehrungswerks, an welchem der eigentliche Anteil aber der geistlichen Seite verbleibt; wenn an eine der Kirchen, die er mit dem Bischof gemeinsam gegründet, ein Priester versetzt wird, weil er „nach den Mühen und Gefahren dürstet, die die Verkündigung des Evangeliums in sich birgt“, und wenn dieser dann sein Amt dort inmitten eines wendischen „Piratennestes“ unter äußersten Schwierigkeiten ausübt54, dann ist der Gedanke an eine unmittelbare staatliche Zwangschristianisierung, die ihm den Weg geebnet hätte, fast mit Sicherheit ausgeschlossen. Daß nebenbei der Graf seiner Missionspflicht nicht nur den ihm unterstellten Wenden gegenüber nachkam, sondern auch an den „ungezähmten Waldeseln“, den Holtsaten, deren Christentum immer noch reichlich zu wünschen übrig ließ55, sollte zur richtigen Würdigung aller Zusammenhänge ebenfalls im Auge behalten werden. In alledem greifen wir, wie gesagt, ein Nachwirken älterer Linien, das sich auch an mancherlei anderen Beispielen noch aufzeigen ließe. Aber daneben setzen nunmehr mit einem Schlage Belege ein, daß „ungläubige Wendenkolonen“ aus ihren bisherigen Sitzen entfernt und durch „neue Bauern christlichen Glaubens“ ersetzt worden seien: so etwa formuliert in der Narratio einer Urkunde Erzbischofs Friedrich von Magdeburg von 1149, aus der gleichzeitig hervorgeht, daß ein solches Verfahren diesem Prälaten ein durchaus legitimer Weg zu sein schien, „um den Kult der christlichen Religion an den Orten zu begründen und in Form zu bringen, wo er bisher noch nicht bestand“56. Es ist eine – keineswegs die einzige – Form der berüchtigten „Eiectio Slavorum“, die wir in diesen Zeugnissen sich widerspiegeln sehen und die sich in dieser ihrer 54
Ebenda, S. 165. Ebenda I, 67, S. 128, 34 ff. (beachte, daß rebellis eine alte Ungläubigenbezeichnung ist); dazu I, 46, S. 92–93. 56 UB. d. Erzst. Magdeb. (vgl. Anm. 34) Nr. 269 (S. 338); vgl. Nr. 296 (S. 369). 55
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 479 älteren Form bei näherem Zusehen als eine gewaltsame Vertreibung bekehrungsunwilliger Heiden (deren wendisches Volkstum dabei von durchaus untergeordneter Bedeutung ist) aus dem „christlichen Lande“ entpuppt: ein, wie es einmal heißt, a finibus christianis amovere57. Es war keine Massenerscheinung, die zur Entvölkerung weiter Landstriche geführt hätte; denn sie wurde nicht planmäßig von einer zentralen Instanz aus geleitet. Es blieb vielmehr Sache der lokalen Gewalten, ob und wieweit sie sich an ihr beteiligen wollten. Vorherrschend waren wohl auch jetzt noch jene anderen, älteren und, man darf wohl sagen, christlicheren Züge. Aber wir spüren doch, daß ein neuer Faktor begonnen hat, in die deutsche Slawenmission einzugreifen. Man wird nicht fehlgehen, in solchen Maßnahmen eine Auswirkung jenes exstirpare de terra christiani nominis zu sehen, das Bernhard von Clairvaux über die Heiden auch des Nordostens verhängt wissen wollte58. In der radikalen Form des „Taufe oder Tod“, wie er sie verkündigte, hat diese Losung bei den Sachsen bekanntlich denkbar wenig Gegenliebe gefunden59. Aber es ist doch schwerlich ein Zufall, daß kein einziges sicher datierbares Beispiel der erwähnten Eiectio, die sich ja jedenfalls unter jener Formel einordnen läßt, vor Bernhards Kreuzzugsaufruf von 1147 liegt. Es scheint sogar, daß wir den Mann kennen, von dem diese mutmaßliche Umwandlung der bernhardinischen Ideen auf ostmitteldeutschem Boden ausgegangen ist: jenen Abt Arnold des Reichsklosters Nienburg a. d. Saale und des erzstiftischen Klosters Berge vor Magdeburg (†1166), der als Hauptvertreter der Hirsauer Reformrichtung im östlichen Sachsen seiner Zeit angesprochen werden muß und auch sonst eine bedeutende, einflußreiche Persönlichkeit gewesen ist60.
57
Cod. diplomaticus Anhaltinus ed. O. v. Heinemann, I, Dessau 1867. 714 (S. 527–
528). 58
Vgl. Anm. 16. Vgl. hierzu den vortrefflichen Aufsatz v. H. Beumann, Kreuzzugsgedanke und Ostpolitik im hohen Mittelalter (im Historischen Jahrbuch der Görres-Gesellschaft 1953, S. 112–132) [= S. 121 ff. in diesem Sammelband. – Vgl. auch unten S. 254–272]. 60 Allgemein über Arnold vgl. R. Siebert, Untersuchungen über die Nienburger Annalistik . . . Diss. Rostock 1896, 48–84, bes. 54 ff., 68 ff.; B. Schmeidler, Sachsen und Anhalt 15 (1939), S. 88–167; H. Holstein, Einl. zum Urkundenbuch d. Klosters Berge bei Magdeburg (= Gesch. Quellen d. Prov. Sachsen u. angrenz. Gebiete IX), Halle 1879, S. VII–IX. Die notwendige ausführliche Begründung der angeschnittenen Vermutung über Arnolds Stellung zum Heidenproblem würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. 59
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beitrag xiv 4. Das Gesamtbild
Zusammenfassend läßt sich folgendes feststellen: Das Bild, das unsere Quellen nachzuzeichnen gestatten, ist alles andere als lückenlos. Es ist wie in einer tiefen Nacht, in der ab und zu einmal ein Schlaglicht aufblitzt, bald hier, bald dort, bald heller, bald matter, einen mehr oder weniger großen Umkreis notdürftig erhellend, bis es alsbald wieder verlischt, und alles übrige bleibt im Dunkel. In diesem Dunkel kann sich mancherlei abgespielt haben, von dem wir nichts ahnen: auch mancherlei Glaubenszwang mit dem Schwert im Zeichen des „Tauf dich oder stirb“. Vielleicht wäre es sogar unwahrscheinlich, wenn Züge dieser Art gänzlich gefehlt hätten. Aber bezeugt sind sie, wenn man von dem Sonderfall Bruns von Querfurt und dem widerstrebend auf fremde Initiative hin unternommenen Wendenkreuzzug von 1147 absieht, nirgends. Das bedeutet, daß sie im Gesamtbild der Zeit doch stark zurückgetreten sein müssen. Wir wollen nichts beschönigen, was von den Karolingern bis zu den Staufern zwischen den sächsischen und den wendischen Vorfahren des heutigen Deutschtums geschah. Es mag viel Abstoßendes in dieser Begegnung gewesen sein, von beiden Seiten her. Aber das Bild der Christianisierung mit Feuer und Schwert nach dem Muster der karolingischen Sachsenmission hat in ihr keinen Platz, der Beachtung verdiente. Es gehört ins Reich der Legende – einer Legende, die wohl in erster Linie aus ungenügender Scheidung der Arbeit am positiven und an negativen Missionsziel entstanden ist. An ihre Stelle zu treten hat jenes eigenartige Gemisch von passivem oder gar aktivem Widerstand gegen jede Missionierung dieser Fremden, von Nachlässigkeit gegenüber der anbefohlenen Arbeit im „Weinberge des Herrn“, von „vielem Schweiß“, der in ehrlichem Mühen um die friedliche Bekehrung ohne jede Zuhilfenahme weltlichen Zwanges geflossen ist61, dazu von stillschweigender oder auch bewußter Ablehnung jedes gewaltsamen Vorgehens in Glaubensdingen, wie es sich im Verlauf dieser Betrachtung für die „Missionsobjekte“ aus den Quellen ergeben hat. Wo daneben Gewalt erscheint, die durchaus nicht fehlt, ist es keine, die an Leib und Leben geht, und sie dient nicht dem unmittelbaren Zwang der Gewissen; sie steht nicht im Dienst des eigentlichen Bekeh-
61
Vgl. MG. DD. I, 366 (S. 503, 9 f.).
geist der deutschen slawenmission des hochmittelalters 481 rungswerkes, sondern soll lediglich ein Land, das für das Christentum in Anspruch genommen wird, von den spurcitia paganorum „reinigen“: denn dies ist letztlich der gemeinsame Generalnenner, auf den sich die Zerstörung heidnischer Heiligtümer und die Austreibung von Heidenmenschen bringen lassen. Kein Christ und kein Deutscher des 20. Jahrhunderts wird derartige Maßnahmen bejahen. Aber zur gerechten geschichtlichen Würdigung darf nicht außer acht gelassen werden, daß ähnliche, ja teilweise bedeutend schroffere Neigungen sich in sehr erheblichen Teilen der mittelalterlich-abendländischen Christenheit auch außerhalb Deutschlands nachweisen lassen, von Island im hohen Norden bis hinunter zu den Kreuzfahrerstaaten des „lateinischen“ Orients: „Wenn einer nicht den Christenglauben hat“, läßt der altfranzösische Aliscans-Dichter seinen Guillaume zu Esmerés sagen62, „und wenn er Gott haßt und die christliche Bruderliebe verachtet“ (was beides sich nach der landläufigen Vorstellung für einen Heiden eo ipso verstand), „dann hat er, ich sag’s dir der Wahrheit gemäß, kein Recht zu leben, und wer ihn umbringt, vernichtet einen Teufel; mit Recht nennt man euch Hunde.“ Jeder, der die Geschichte des Kreuzzugs-Zeitalters kennt, weiß, in welchem Maße Stellungnahmen dieser Art nicht nur dichterischer Phantasie entflossen, sondern auch wirklich praktiziert worden sind. Erst auf ihrem Hintergrunde aber rückt das, was von den Karolingern bis zu den Staufern im deutsch-slawischen Osten geschah, in sein wahres geschichtliches Licht63.
62 Aliscans (hrsg. von E. Wienbeck – W. Hartnacke – P. Rasch, Halle 1903), 1058 ff. Vgl. S. Singer, Wolframs Willehalm, 1918, S. 30 f. 63 [Nachtrag 1962. Vorstehende Skizze wurde alsbald heftig angegriffen von Z. Wojciechowski im Przegląd Zachodni IX, 1 (Poznán-Posen 1953), S. 605. Auf dabei angeregte wissenschaftliche Fragen geht Verfasser ausführlich ein in dem Aufsatz: Die völkerrechtliche Lösung der „Heidenfrage“ bei Paulus Vladimiri von Krakau (†1435) und ihre problemgeschichtliche Einordnung (Zeitschr. f. Ostforsch. 7, 1958, S. 161–209), der gleichzeitig eine Reihe sachlicher Ergänzungen zu vorstehenden Ausführungen bringt, insbesondere auch zur Scheidung der beiden Missionsziele. Noch einmal ausdrücklich betont werden mag, daß die hier wiederholten Darlegungen selbst sich ausschließlich mit missionsgeschichtlichen Fragen zu beschäftigen hatten, nicht mit den Formen der gleichzeitigen politischmilitärischen Unterwerfung der Elbslawen unter das Reich. Daß es dabei oft hart auf hart ging, kann nur ein Blinder leugnen, doch steht dies auf einem anderen Blatt als die religiös-kirchliche Auseinandersetzung: wenn in den Ostkriegen Ottos des Großen für den Kaiser persönlich weltlicher Eroberungskrieg und (wohlgemerkt: indirekter) Missionskrieg zusammenflössen, ohne daß jedoch für die Masse der Mitkämpfenden das zweite Moment eine wesentliche Rolle gespielt zu haben scheint, so darf das den Blick nicht trüben.
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Die wesentlichen Grundlinien des vorstehenden Versuchs haben sich bei weiterem Zusehen vollauf bestätigt: nur im einzelnen gilt es, teils noch sorgsamer zu differenzieren, teils auch richtigzustellen. Besondere Betonung verdient zunächst, daß die (außerkirchliche) Missionsarbeit als solche für den mittelalterlichen und nachmittelalterlichen Katholizismus mit der Taufe endet: was ihr nachfolgt, gehört dem Bereich der innerkirchlichen Seelsorge und Disziplinargewalt an. Das gilt auch dort, wo es sich um Bekämpfung offenen Abfalls zu einem Heidentum handelt, das dann, kanonistisch gesehen, nicht mehr ursprünglich, sondern apostatisch ist. Bei den Bemerkungen über Brun von Querfurt (oben S. 470 f.) wurde das noch nicht berücksichtigt, vgl. dazu unten Beitrag XV, S. 502–519 sowie 538–548 u. Beitrag XXI, S. 676–679; auch die oben S. 471 zitierten Bemerkungen über Dietmar von Merseburg scheinen mindestens zum Teil eher in diesen zweiten Zusammenhang hineinzugehören, wie im einzelnen noch genauer zu prüfen wäre. Für die Arbeit am positiven Missionsziel ist zu beachten, daß sie ihrerseits zwei verschiedene Seiten hat, die im Verlauf der Missionsgeschichte z.T. äußerst unterschiedlich betont worden sind: erstens die Christianisierung des Landes als solchen, zweitens diejenige seiner Menschen (vgl. Verf., Das altschonische Recht als Quelle zur Missionsgeschichte des dänisch-schwedischen Raums, in: Die Welt als Geschichte 17, 1957, S. 26–48, dazu H. Beumann, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch., Kan. Abt. 44, 1958, S. 426). Wird die erste Zielsetzung einseitig betont, so kann die Methode neben vollem Einsatz im Dienst des negativen Missionsziels (bis hin zur Austreibung Bekehrungsunwilliger) sich auf Errichtung von Stätten christlichen Gottesdienstes im Lande und Hereinholung christlicher Bevölkerung beschränken, so daß der Ausdruck „Mission“ gar nicht mehr angebracht bleibt. Die oben S. 473 erwähnten Bemühungen im Magdeburger Erzsprengel um 1110, repräsentiert durch Bischof Hartbert von Brandenburg, sind offenkundig in diesen Zusammenhang einzureihen, also kein Zeugnis für positive Bekehrungsabsicht (vgl. Verf., Slawen und Deutsche brandenburgischen Geschichte, Zweites Kapitel, Abschnitt I, 2; 1964 im Böhlau-Verlag, Köln/Graz). Auch die oben S. 478 f. berührten Vorgänge sind vielleicht einfach hierher zu ziehen und nicht ohne weiteres als hirsauische Umgestaltung zisterziensischer Kreuzzugsparolen zu nehmen, doch bedarf auch diese Frage noch genauer Untersuchung, die dann „Bauernlegen“ und „Binnenausbau“ auf westdeutschem Klostergut in ihrem zeitlichen Verhältnis zu ihnen einzubeziehen hätte. Vorher kann auch die Bedeutung Arnolds von Nienburg für diesen Fragenkreis nicht einwandfrei bestimmt werden. Das gleiche gilt für das oben S. 476 f. angedeutete Problem etwaiger Ghettobildung für „Heidenmenschen“ im Markengebiet des 11. Jh.s. Die Beziehungen von Mission und Krieg (oben S. 470) sind unten Beitrag XV, S. 521–530 genauer differenziert worden, beachte besonders die abweichende Beurteilung Bernhards von Clairvaux (dazu auch die Bemerkungen im Nachtrag, S. 564); auch dazu Ergänzungen Zeitschr. f. Ostforsch. 7 (s. o.). – Weiteres in Beitrag IX sowie Beitrag VIII.]
BEITRAG XV
COMPELLERE INTRARE Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts∗ 1. Bruns Brief an König Heinrich II. zur Ljutizenfrage Ein halbes Jahrzehnt und mehr schon wechselten Krieg und fauler Friede zwischen Heinrich II., dem König der Deutschen, und dem Mann, der einst ihm im Thronstreit den Rücken gedeckt1, dann ihm förmlich gehuldigt2, unmittelbar darauf aber aus schwer mehr entwirrbaren Gründen die Fehde eröffnet hatte3: Bolesław Chrobry, dem Patrizius des Reiches der Römer und Herzog der Polen4. Fast ebenso lange hatte der König mit Rücksicht auf dieses Zerwürfnis den ständigen erfolglosen Krieg seines Vorgängers mit den ljutizischen Wenden, den alten Feinden des Reichs und des christlichen Glaubens, begraben5, auf
∗ Die vorliegende Abhandlung ist die letzte, für die meine Frau mir vor ihrem plötzlichen Tode einen erheblichen Teil der notwendigen Schreibarbeiten abnehmen konnte. Ich widme sie dem Andenken dieser unvergeßlichen Lebenskameradin. – Abkürzungen: MG = Monumenta Germaniae Historica. – EE = Epistolae. – SRG = Scriptores Rerum Germanicarum in Usum Scholarum. – SS = Scriptores. – Cap. = Capitularia. PL = J.-P. Migne, Patrologiae Cursus Completus . . ., Series Latina. ZfO = Zeitschrift für Ostforschung. HJb. = Historisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft. HZ = Historische Zeitschrift. 1 Thietmar von Merseburg, Chronicon V 10 (rec. R. Holtzmann, MG SRG, Nova Series IX, Berol. 1935) S. 232, 10 ff., dazu F. Dvornik, The Making of Central and Eastern Europe. London 1949. S. 190–2 (auch zum Folgenden). 2 Thietmar V 18, S. 241, 16 ff. 3 Ebenda S. 243, 10. 4 Vf. folgt hier der u.a. von H. Zeissberg, P. E. Schramm, A. Brackmann und F. Dvornik vertretenen Auffassung des Gnesener Aktes vom Jahre 1000. 5 Vgl. Thietmar V 31, S. 256. – Das Bündnis und die daran geknüpfte zeitgenössische Kontroverse ist, gerade auch im Hinblick auf die Stellung Bruns von Querfurt, oft behandelt, z.B. bei G. Lukas, Die deutsche Politik gegen die Elbslawen vom Jahre 982 bis zum Ende der Polenkriege Heinrichs II. Diss. phil. Halle 1940. S. 69–77, 97–8; H. Zeissberg, Die öffentliche Meinung im 11. Jh. über Deutschlands Politik gegen Polen. In: Zs. f. d. österr. Gymnasien 19, 1868, S. 86–95 [= S. 1–21 in diesem Sammelband]; S. Hirsch-H. Pabst, Jb. d. deutsch. Reichs unter Heinrich II. Bd. II, Leipzig 1864. S. 270–2; H. Lubenow, Die Slawenkriege der Ottonen und Salier in den Anschauungen
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alte Tributansprüche verzichtet6 und selbst ihrem heidnischen Kult offizielle Duldung gewährt7, ein für viele strengdenkende Christen der Zeit ungeheuerlicher Schritt8. Mehr noch: er hatte sie, die „Ungläubigen“, zu Bundesgenossen wider den gefährlichen Nachbarn im Osten zu erheben gewagt und seitdem schon mehrfach gegen ihn ins Feld geführt, der doch ein nicht minder treuer Diener der römischen Kirche war als er selbst. Da erging aus eben diesem verfeindeten Polen an den König ein Brief, der wohl den berühmtesten seines Jahrhunderts zugezählt werden muß; letzte schriftliche Äußerung, die wir besitzen, und somit Vermächtnis eines Mannes, der wenige Monate später, am 9. März 1009, unter den heidnischen Prußen den Märtyrertod fand: des sächsischen Mönches und Missionars Brun aus dem Hause der Edlen von Querfurt9.
ihrer Zeit. Diss. phil. Greifswald 1919. S. 34–8; H. G. Voigt, Brun von Querfurt. Stuttgart 1907. S. 95–6, 101, 120–4; Th. E. Mommsen, Studien zum Ideengehalt der deutschen Außenpolitik im Zeitalter der Ottonen und Salier. Diss. phil. Berlin 1930. S. 28–30; C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. Stuttgart 1935. S. 91–6; F. Dvornik, S. 9, 194–6, 202–10 u. a. m. 6 Anders G. Lukas, S. 77 Anm. 29; A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands III. 3. u. 4. Aufl. Leipzig 1904. S. 628 Anm. 4, nach Quellen, deren Beweiskraft für die Zeit um 1003 fragwürdig ist. Ausschlaggebend scheint der Hinweis in Bruns Brief, daß Heinrich bei Änderung seiner Politik zu ljutizischen Tributen kommen könne (s. unten S. 489), – sinnlos, wenn ihm solche damals bereits zugeflossen wären – in Verbindung mit Thietm. VI 25, S. 304–28, wo die Ljutizen zum Jahre 1005 als quondam servi (dazu III 17, S. 118, 10: tributarie serviebant), tunc liberi gekennzeichnet sind. Gegen diese Zeugnisse kommt trotz seiner zeitlichen Nähe (ca. 1021/24) auch Alpert. Mettens., De divers. temp. I 5 (MG SS IV 703, 50 f.) nicht auf, dessen mangelhafte Orientierung schon daraus hervorgeht, daß er die durchaus unmonarchisch organisierten Ljutizen reges nennt und ihren Stammesnamen zu Winidi verallgemeinert. 7 Das ergibt sich u.a. daraus, daß Heinrich die Ljutizen ihre Götterfahne (stanica) mitführen und sogar – vermutlich an kriegsgefangenen polnischen Christen – Menschenopfer vollziehen ließ (vgl. unten bei Anm. 27), ja die stanica persönlich gegen Tätlichkeiten christlicher Fanatiker zu schützen hatte (vgl. Thietm. VII 64, S. 478). 8 Vgl. dazu Beitrag XIV, S. 465–467 und 473 – Oben S. 476 ein Beispiel vorübergehender, wohl ebenfalls politisch bedingter Duldung heidnischen Kultes (statt der sonst üblichen Ausrottung desselben, die nicht mit einer Zwangsbekehrung zum Christentum verwechselt werden darf ) aus etwas späterer Zeit. 9 Abdruck des Briefes bei W. v. Giesebrecht, Gesch. d. deutsch. Kaiserzeit II. 4. Aufl. Braunschweig 1875. S. 689–92 (mit wichtigen Verbesserungen gegenüber den älteren Ausgaben, unter denen die von Bielowski, Mon. Pol. Hist. I, S. 224–8, hervorzuheben ist, dem Vf. leider nur in v. Giesebrechts Variatenapparat zugänglich geworden). Eine vollständige deutsche Übersetzung bei H. G. Voigt, S. 436–43 (mit weiteren textkritischen Anmerkungen, die jedoch nicht alle überzeugen: vgl. unten Anm. 26, 29, 35). Eine englische Übersetzung der wichtigsten Abschnitte bei F. Dvornik, S. 202–4 (nach dem Bielowskischen Text).
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Der Brief, den uns eine Handschrift noch des gleichen Jahrhunderts erhalten hat, wird gewöhnlich nicht in allen seinen Teilen gleichmäßig berücksichtigt. Das ist nur zu verständlich, denn sein Inhalt berührt Forschungsanliegen der verschiedensten Art: Nachrichten zur deutschen und polnischen Geschichte seiner Zeit wechseln mit solchen für Ungarn, das Wendenland, Altpreußen und selbst Schweden; Aussagen über das mittelalterliche Herrscherideal im allgemeinen, die christliche Kaiser- und Königsidee im besonderen mischen sich dazwischen, das Missions- und Rechtsdenken jener Jahrhunderte kommen zu Wort und nicht zuletzt Mitteilungen zur Lebensgeschichte Bruns selbst. Der Brief verdient aber doch, auch als Ganzes betrachtet zu werden. Nicht nur, daß manche Stelle (etwa im zweiten, bekannteren Teil, dem auch diese Untersuchung in erster Linie gelten soll) von einer anderen, scheinbar weit abliegenden her entscheidendes Licht erhält: auch das Ganze als solches ist einer umfassenden Betrachtung wert. Auf den ersten Blick eine Sammlung von mehr oder weniger zusammenhanglosen Einzelheiten, erweist es sich nämlich dann bald als planvoll komponierte Einheit, streng auf ein Ziel zu gestrafft; eine Arbeit, die nicht nur der Briefstell-, sondern auch der Verhandlungskunst des Absenders ein hohes Zeugnis ausstellt. Denn Bruns Schreiben ist ein kleines Meisterstück diplomatischen Vorgehens. Das Ziel war zunächst die Beseitigung des „christlichen Bruderkrieges“10 zwischen zwei Herrschern, denen er persönlich eng verbunden war, eines Krieges und noch mehr eines Bündnisses, in dem der „Erzbischof der Heiden“ ein wesentliches Hindernis seiner Missionsarbeit sehen mußte; darüber hinaus erstrebte Brun die Einleitung neuer Maßnahmen zu tatkräftiger Ausbreitung des christlichen Glaubens. Für Heinrich aber hätte ein Eingehen auf solche Wünsche nicht weniger bedeutet als die genaue Umkehrung eines wesentlichen Teils seiner gesamten politischen Konzeption. Der Versuch, einen Staatsmann zu so radikaler Kursänderung zu bewegen, ist immer heikel; doppelt und dreifach heikel aber, wenn es sich um eine so selbstsichere, eigenwillige und zielstrebige Herrscherpersönlichkeit handelt, wie Heinrich es gewesen sein muß. Brun kannte seinen König, und entsprechend vorsichtig tastete er sich an sein Ziel heran. Schon in der ersten captatio benevolentiae am
10 Diese Formulierung stammt nicht ausdrücklich von Brun, entspricht jedoch vollkommen seinen Anschauungen (s. unten S. 513).
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Anfang des Briefes, neben dem üblichen Ausdruck der Verehrung, der guten Wünsche für das zeitliche und ewige Heil des Empfängers, neben der Erinnerung an die persönliche Anteilnahme, die Heinrich seit jeher für Brun gehegt, steht, zunächst noch ganz unverfänglich, ein betonter Hinweis auf seinen Glaubenseifer: „Gott sei Dank! Du bist ein König nach der Weisheit, die Dir Gott gegeben, und so bist Du bestrebt, ein gut katholischer Herrscher, bestrebt auch, ein frommer und gestrenger Lenker zu sein, wie ihn die heilige Christenheit braucht11.“ Er, Brun, suche mit Gottes Hilfe an seinem Platze und im Rahmen seiner bescheidenen Kräfte Entsprechendes zu erreichen: diese Versicherung leitet über zu einem Bericht über die missionarische Wirksamkeit, die der bischöfliche Asket in den Jahren seit der letzten persönlichen Begegnung mit Heinrich entfaltet hatte. Nicht, daß er sich selbst rühmen wolle: die Erfolge unter den Heiden seien ja nicht sein, des unzulänglichen Sünders, sondern Gottes Werk; doch „Werke Gottes zu offenbaren und zu bekennen macht Ehre. Vor allem Euch darf ich sie nicht verschweigen, durch dessen heilige Verwendung ich, der ich vom heiligen Petrus das Evangelium Christi zu den Heiden trage, Bischof bin“12 (und das heißt: erst voll in der Lage bin, den Aufgaben dieses heiligen Sendamtes zu genügen13). Das alles scheint, vom eigentlichen Ziel des Briefes her gesehen, auf den ersten Blick ein Umweg und ist doch wiederum, immer noch ganz unauffällig, ein bedeutender Schritt auf eben dieses Ziel zu: hatte Brun den König zunächst nur ganz allgemein auf das christliche Herrscherideal hin angesprochen, dem nachzustreben ihm als selbstverständliche Ehrenpflicht gelten mußte, so lenkte er nun die Aufmerksamkeit des Lesers auf die vornehmste Aufgabe, die dieses Ideal in sich schloß: Schützer und Mehrer des Glaubens zu sein. Konnte es eine geschicktere Form geben, das königliche Interesse behutsam in die gewünschte Richtung zu lenken, als einen Rechenschaftsbericht, in dem Heinrich sich noch ohne jede Einschränkung, ohne das leiseste Wort einer Kritik anerkannt sah, und der doch gerade dadurch sein Verantwortungsbewußtsein für den Bereich wachrufen mußte, in den dann im folgenden Bruns eigentliches Anliegen hineinführen sollte? 11 Tu, cum sis rex secundum sapientiam, quam tibi Deus dedit (vgl. Mc. 6, 2; Eph. 1, 17), studium habes, ut sis bonus et catholicus rector, sis et, qualem habere necesse est, sanctae aecclesiae pius et districtus auriga. Eine für das Kaiserideal des abendländischen Mittelalters, wie R. Holtzmann es uns verstehen gelehrt hat (vgl. HZ 159, 1939, S. 258), höchst bezeichnende Formulierung! 12 Vgl. dazu Thietm. VI 94, S. 386, 25. 13 Siehe unten Anm. 42.
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Und doch kündigt die Kritik sich auch in diesem Abschnitt schon ganz vorsichtig an, nämlich in der Auswahl des Stoffes. Über manche seiner Unternehmungen eilt Brun in wenigen Zeilen hinweg; mit erstaunlicher Liebe und Breite dagegen malt er seine wiederholten Begegnungen mit dem senior Ruzorum aus, mit Wladimir dem Großen. Das ist ohne Zweifel mehr als bloße Laune oder mangelhaftes Dispositionsvermögen. Denn in dem Großfürsten von Kiew konnte Brun seinem König einen christlichen Herrscher vor Augen stellen, von dem er für sein Missionswerk tatkräftigste Unterstützung erfahren hatte. „Möge Gott Dir das Paradies aufschließen, wie Du uns den Weg zu den Heiden aufgeschlossen hast“, – so hatte seine kleine Schar dem Urenkel Ruriks als Abschiedsgruß zugesungen, nachdem er ihr mit ansehnlichem Gefolge persönlich das Geleit bis an die gefährliche Petschenegengrenze gegeben. Was soll die ausführliche Schilderung dieses Abschieds, der unsere Kenntnis christlich-mittelalterlicher Missionsgeschichte eine ihrer lebendigsten Episoden verdankt; was soll namentlich die wörtliche Anführung jenes Segenswunsches in diesem Brief anderes als im Empfänger die Frage auslösen, was er denn seinerseits getan habe, um Brun Wege ins Heidenland, sich selbst die Paradiesespforte zu öffnen14? Ganz unmittelbar an das eigentliche Thema heran aber führt im Grunde bereits die bloße Mitteilung, die in kurzem Abstand auf diese Erzählung folgt: daß nämlich Wladimir im weiteren Verlauf der Dinge sich anstandslos bereitgefunden habe, auf Bitten Bruns einen Friedensschluß zu tätigen, ohne den die Predigt des Bischofs unter den Petschenegen nach denkbar verheißungsvollem Auftakt um jeden Erfolg gebracht worden wäre15. Keinem, der im „typengebundenen Denken“ des Mittelalters16 aufgewachsen war – und Heinrich hatte von früh auf geistliche Bildung empfangen –, konnte die Bedeutung dieser indirekten Mahnung entgehen, sobald er den Brief insgesamt übersah. Unverkennbar liegt also in dem Hinweis auf solche Zusammenarbeit am Missionswerk, die gerade auch von der weltlichen Seite her vorbildlich war, der entscheidende Kern dieses ganzen Berichts, und was ihn an sonstigen Nachrichten umgibt, hat wesentlich (wenn auch nicht nur)
14 Vgl. auch den ausdrücklichen Hinweis auf das Jüngste Gericht und die Ehrenstellung eines Apostels, die Heinrich sich dafür durch sein Eingehen auf Bruns Wünsche erwerben könne, unten S. 491 f. 15 Siehe unten S. 497 f., wo auch weiteres über die Einschätzung Wladimirs bei Brun. 16 Vgl. J. Schwietering, Jb. d. Preuß. Akad. d. Wiss. 1939. Berlin 1940. S. 79; H. Beumann, Widukind von Korvei (Weimar 1950), S. 174 f.
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den Charakter geschickter Einkleidung. Über alledem aber steht, wie gesagt, der Anspruch, daß es nicht eigene, sondern Gottes Sache ist, als deren Sprecher der Kirchenmann hier vor den Herrscher tritt. Er wird diesen Anspruch an entscheidender Stelle seines Briefes, der also hier bereits vorgearbeitet wird, noch einmal nachdrücklich wiederholen17. Damit ist jedoch der Punkt erreicht, wo der direkte Vorstoß Bruns einsetzen muß. Eine erneute captatio benevolentiae macht den Anfang und bereitet den Leser endgültig darauf vor, daß er sich nunmehr auf etwas gefaßt zu machen hat, was nicht nach seinem Sinn sein wird: „Mein Herr, alles Gute hast Du in meiner Sache getan“, alles Gute nämlich, was bei früherer Gelegenheit einmal zu tun war: kaum zufällig steht dabei das Perfekt der abgeschlossenen Handlung – unaufdringlicher und doch eindringlicher Hinweis darauf, daß dieser Zustand leider nicht mehr ohne weiteres in die Gegenwart hereinreicht. (Zwischen den Zeilen mag man lesen: „Den ersten Schritt, mich zu fördern wie Wladimir, hast Du doch längst schon getan – so vollzieh doch nun auch den zweiten!“) Nochmals wird die persönliche Anteilnahme hervorgehoben, die Heinrich früher für „seinen“ Bischof gezeigt, nochmals seine Güte der Sündhaftigkeit des Absenders gegenübergestellt (was in solchem Zusammenhang nicht nur Demutsbekundung ist, sondern zugleich verpflichtende Mahnung). Dann erhebt sich das vielsagende Gebet: „Der allmächtige und barmherzige Gott möge mich alten Sünder ebenso bessern, wie Euch von Tag zu Tag, ohne daß Euer gutes Werk jemals abstirbt, zu einem noch besseren König machen18. Nun endlich kann Brun zu dem übergehen, was ihm von der ersten Zeile an auf der Seele brennt: der jähe Sprung, mit dem das geschieht, zeigt an, wie mühsam er es so lange zurückgedämmt hat. Es sei unwahr (wie man dem König also offenbar zugetragen hatte), daß er „dem hiesigen Herrn“ (huic seniori) die Treue halte und in größerer Freundschaft ergeben sei: damit ist für Heinrich der Feind genannt – Bolesław Chrobry. Wohl liebe er diesen, fährt der Querfurter fort, wie
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Siehe unten S. 490 f. Omnipotens et misericors Deus et me corrigat, antiquum peccatorem, vosque faciat de die in diem, nunquam mortuo bono opere, meliorem regem. Nicht von „guten Werken“ ist die Rede, sondern nur singularisch von „gutem Werk“. Ob darin ein Hinweis auf einen bestimmten Ausschnitt von Heinrichs Wirken erblickt werden darf, etwa auf seine frühere Förderung der Missionsarbeit Bruns, die jetzt durch das Vorgehen des Königs so behindert wird, oder auch auf die von Brun so sehr begrüßte Wiederherstellung des Bistums Merseburg, deren Heilswert für die Seele des Königs am Ende durch eben dieses Vorgehen aufgewogen werden könnte? 18
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seine eigene Seele, mehr als sein eigenes Leben, „doch nicht so, daß Eure Huld dadurch verletzt werden könnte19 . . .; ich will ihn ja desto mehr zu Euch bekehren“20. Aber, heißt es weiter, „mit Verlaub Eurer königlichen Gnade zu sprechen: ist es recht, ein christliches Volk zu bekämpfen und mit einem heidnischen Freundschaft zu halten?“ Wie fügt sich, greift der Schreiber ein Bibelwort auf, das im Mittelalter immer und immer wieder gegen allzu enge Beziehungen zwischen Christen und Nichtchristen ins Feld geführt wird21, „wie fügt sich Christus zu Belial, wie lassen Licht und Finsternis sich vergleichen? Wie kommen Zuarasi“ – das ist Svarožic, der Hauptgott Altslawiens22 – „bzw. der Teufel23 und der Herzog der Heiligen zusammen, Euer und unser Mauritius24? Mit welcher Stirn gehen nebeneinander die heilige Lanze“ – das Attribut dieses Heiligen25 – „und jene teuflischen Feldzeichen, die von Menschenblut sich nähren26? Glaubst Du nicht, o König, daß es Sünde ist, wenn (was schon allein auszusprechen wider alles göttliche Recht verstößt) ein Christenhaupt unter dem Feldzeichen
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non contra gratiam vestram. Diese Behauptung wird zutreffen. Aus den folgenden Ausführungen spricht freilich unverhüllt der genau gegenteilige Wunsch. Beides war nötig, um das Versöhnungswerk zu vollenden. 21 I. Cor. 6, 15. 22 Über diese einzige Gottheit, deren Name mit Sicherheit als urslawisch angesetzt werden kann, und ihre heilige Kriegsfahne (stanica s. Anm. 7 und bes. 26) vgl. A. Brückner bei: Chantepie de la Saussaye, Lehrbuch der Religionsgeschichte II. 4. Aufl. 1925, S, 509–11, 513, 518, 520–1; auch dens. bei A. Bertholet, Religionsgeschichtl. Lesebuch I, H. 3, 1926, S. 3–4 mit Anm. 3, S. 11 Anm. 12; dazu L. Niederle, Manuel de l’antiquité slave II, Paris 1926, S. 140–2, 147–9; auch E. Wienecke, Untersuchungen zur Religion der Westslawen, Leipzig 1940, S. 202–4, 217–9, 260–2, dessen These von der Bildlosigkeit des slawischen Kultes jedoch unhaltbar sein dürfte [vgl. dazu auch A. Schmaus, Saeculum 4, 1953, S. 208 f.]. 23 Vgl. dazu die in Beitrag XIV, Anm. 7 genannte Literatur. 24 Dux sanctorum . . . Mauritius; ähnlich Thietm. II 30, S. 76, 20: Deo . . . invictissimoque eius duci Mauricio . . . – Über die Bedeutung dieses Heiligen für Heinrich II. vgl. A. Brackmann, Ges. Aufsätze, Berlin 1941, S. 216, 236–7, 239 (aus Sitzungsber. d. Preuß. Akad. d. Wiss. Berlin 1937, Nr. XXX). 25 Vgl. zu dieser Stelle: A. Brackmann, ebenda, S. 227, sowie H. Zeissberg, Über die Zusammenkunft Kaiser Ottos III. mit Herzog Bolesław I. von Polen zu Gnesen. In: Zs. f. österr. Gymnasien 18, 1867, S. 331–2. 26 H. G. Voigt übersetzt hier freier: „Die . . . Feldzeichen derer, die . . .“ Es dürfte aber unmittelbar an die Zeichen selbst zu denken sein, die wohl mit Opferblut besprengt bzw. am Schaft bestrichen wurden. Dieser Auffassung entspricht auch die Übersetzung von H. Zeissberg, Zs. f. d. österr. Gymnasien 19, 1868, S. 90, und von F. Dvornik, S. 203. – Über die Götterfahne (stanica) der Ljutizen, aus deren Femininform Thietm. VII 64, S. 478, 1 ff., irrtümlich seine dea Liuticiorum gewann, vgl. oben Anm. 22. 20
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der Dämonen geopfert wird27? Wäre es nicht besser, einen Mann hinter sich zu haben, mit dessen Hilfe und Ratschlag Du von dem Heidenvolk Tribut empfangen28 und aus ihm eine heilige Christenheit machen könntest (tributum accipere et sacrum christianismum29 facere de populo pagano30), . . . den Herrn Boleslaw . . . ! Wäre es nicht besser, mit Heiden um des Christentums willen Krieg zu führen, als Christen Gewalt anzutun um weltlicher Ehre willen?“31 Brun kann hier an frühere Mißerfolge erinnern, die dem König zuteil wurden, als er „mit Heiden und Christen“ (bezeichnende Reihenfolge!) ins Polenreich einrückte. Sollten sie nicht dem Schutz kräftiger Heiliger zuzuschreiben sein wie
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Vgl. Anm. 7; zur Formulierung I. Cor. 10, 20 und oben Anm. 23; zum Menschenopfer der Elbslawen jetzt: B. Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte. Berlin 1942. S. 39–45 (speziell über diese Stelle: S. 42–3). 28 Vgl. dazu Anm. 6 und unten S. 531 f. 29 Vf. liest hier christianismum mit v. Giesebrecht gegen Bielowski und H. G. Voigt (christianissimum). Das Wort erklärt sich zwangslos als Germanismus nach dem altdeutschen cristenheit, das neben „christlicher Glaube“, „Christlichkeit“ und selbst „Taufe“ – Bedeutungen, die es ohne weiteres mit christianismus teilt – auch für ecclesia eintreten kann (vgl. E. G. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz IV, Berlin 1844, wo aus der Zeit vor 1050 überhaupt keine andere Bedeutung nachgewiesen wird; R. v. Raumer, Die Einwirkungen des Christentums auf die althochdeutsche Sprache, Stuttgart 1845, S. 287–8; G. Fliegner, Geistliches und weltliches Rittertum im Rolandslied des Pfaffen Konrad, Diss. phil. Breslau 1937, S. 43–4; L. Diefenbach, Glossarium Latino-Germanicum Mediae et Infimae Aetatis, Francof. 1857, S. 194 s. v. ecclesia). „Ecclesia“ kann aber auch jede größere oder kleinere Gliedkirche innerhalb der gesamten Christenheit sein, wie ja auch altfranz. crestientet und altwestnord. kristni sogar in der Bedeutung „Pfarrsprengel“ verwendet werden (F. Godefroy, Dictionnaire de l’ancienne langue française et de tous ses dialectes etc., Paris 1881 f., II, 131, bzw. J. Fritzner, Ordbog over det Gamle Norske Sprog2, Kristiania 1886–96, II 346 s. vv.). Diesen Sprachgebrauch hat Brun hier offenbar auf christianismus übertragen, ebenso wie er im gleichen Brief (bei v. Giesebrecht, S. 690) von: circiter triginta animas christianitate facta spricht und demnach auch christianitas, das häufigere Synonym zu christianismus, in dem hier vorgeschlagenen Sinn verwendet. Zur Ergänzung sei darauf hingewiesen, daß umgekehrt auch ein noch unbekehrtes Einzelvolk als „eine Heidenschaft“ (gentilitas) bezeichnet werden konnte, vgl. für viele P. Hasse, Schleswig-Holstein-Lauenburgische Regesten und Urkunden. Hamburg u. Leipzig 1886/88. Nr. 89 (Bd. I S. 44). 30 Zur Interpretation dieser Wendung s. auch unten S. 531, 533 f., 541 f. 31 Vgl. zu dieser Stelle Brun Querf., Vita S. Adalb. rec. I, c. 10 (MG SS IV 599, Anm.), wo der Krieg augendae christianitatis gratia demjenigen terrae causa (besonders auf Kosten von Mitchristen) entgegengesetzt wird (s. dazu unten bei Anm. 134 sowie S. 548 f.). – Die katholische Kirche hat Brun in dieser Beurteilung der Handlungsweise seines Mitheiligen nicht recht gegeben. In der Oratio der St. Heinrichs-Messe (Missale Romanum, ed. XVI juxta typicam Vaticanam, Ratisb. 1933, S. 594) wird gebetet: ut, sicut illum, gratiae tuae ubertate praeventum, illecebras saeculi superare fecisti, ita nos facias, ejus imitatione, mundi hujus blandimenta vitare etc. Damit dürfte von dieser Seite auch die Unterstellung rein weltlicher Motive für einen Kriegszug ausgeschlossen sein.
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St. Petrus und St. Adalbert, denen dieses christliche Land am Herzen liegt? Und so rät denn der Bischof zum Frieden. Er ist sich durchaus im klaren, daß dieser erste Anlauf bei einem Heinrich II. wenig ausrichten kann. So hält er zunächst einmal inne bei der Frage, die der König ohnehin längst unwillig auf der Zunge haben wird: „Aber was geht das ausgerechnet uns an?“ Die Antwort folgt aus der missionarischen Verantwortung, die Brun letzten Endes mit dem „frommen und gestrengen Lenker der heiligen Christenheit“32 gemeinsam zu tragen hat; geschickt nimmt er dabei jenen Gedanken wieder auf, daß er hier ja gar nicht einfach nur in seinem persönlichen Interesse spreche: „Wieso wird meine, vielmehr Gottes Sache davon berührt?“ Nur zwei Dinge will er dazu anführen. Denn „zwei große Übel müssen der neuen Kirche, die Gott und der streitbare Petrus unter der rohen Heidenschaft in Angriff genommen, nahegehen. Erstens: Herr Bolesław wollte mich bereitwilligst, aus Geistes- und Leibeskräften, bei der Prußenmission unterstützen, und es war seine Absicht, dabei keinerlei Mittel zu sparen33. Doch siehe! Es hindert ihn der Krieg, den ein weiser König anstelle der Dinge eintreten ließ, die notwendig gewesen wären34, und so hat er weder Zeit noch Kräfte frei, mich in der Evangelisationsarbeit zu unterstützen. – Zweitens: die Ljutizen sind Heiden und verehren Götzenbilder. Dennoch hat Gott dem Herzen des Königs nicht eingegeben, Menschen dieser Art35 um ihres Christentums willen36 in einem Krieg, der (dann wahrhaft) ruhmvoll wäre, bis zur Entscheidung niederzukämpfen (debellare), was hieße, nach dem Geheiß des Evangeliums37“ – zum Anspruch, Gottes Sache zu vertreten, gesellt
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Siehe Anm. 11. Großzügige Unterstützung Bruns durch den Herzog bezeugt auch Thietm. VI 94, S. 286, 30. Vgl. dazu unten bei Anm. 295; im übrigen unten S. 492 f. 34 Bellum quod . . . pro necessitate dedit. Die Stelle ist in ihrer Deutung umstritten. H. G. Voigt schwankt in seiner Übersetzung zwischen „zur Notwendigkeit machte“ und: „aus Notwendigkeit verursachte“; F. Dvornik gibt: „a war that is forced on him by a wise King“. Die oben im Text vorgeschlagene Auffassung enthält eine bedeutend herbere Kritik, dürfte aber dem Kern des Brunschen Anliegens näherkommen. 35 Hos tales der Handschrift mit Bielowski, Voigt u.a. in hostes tales zu ändern, besteht kein Grund. Die Verbindung hic talis (nach griech. ὁτοιοῦτος) erscheint z.B. mehrfach in der gerade auch für einen Mönch wie Brun wichtigen Benediktinerregel (vgl. S. Benedicti Regula Monasteriorum, ed. B. Linderbauer OSB, Bonnae 1928 p. 80, Index s. v.). Vgl. dazu unten S. 516. 36 Zu dieser Übersetzung s. unten S. 515–516. 37 Vgl. Lc. 14, 23 [dazu Fascher, wie unten Anm. 399]. 33
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sich der Hinweis auf sein unmittelbares Gebot – „,nötigen hereinzukommen‘ (compellere intrare).“ Und damit ist das Stichwort zum zweiten Anlauf gegeben: „Wäre es nicht große Ehre und großes Heil eines Königs, darauf hinzuarbeiten, daß der Heide getauft werde, und den Christen Frieden zu gewähren, die ihm dabei helfen, auf daß er die Christenheit mehre und vor Gott den Apostelnamen erlange? . . . Ach, unsere unseligen Zeiten! Nach dem heiligen Kaiser38, dem großen Konstantin, nach Karl, dem besten Vorbild, wie man die religiösen Herrscherpflichten erfüllt (exemplar religionis)39, gibt es jetzt wohl jemanden, der einen Christen verfolgt“ – eine kühne Anspielung auf Heinrichs Politik gegen Bolesław! –, „(doch) fast niemanden, der den Heiden bekehrt40. Darum, mein König: wenn Du den Christen Frieden gewährst, um im Interesse des Christentums wider die Heiden zu streiten, so wird es Dir am jüngsten Tage zugute kommen, wenn Du, von allem entblößt, vor dem Angesicht Deines Fürsten stehst, mit um so geringerem Schmerz und um so größerer Freude, je größer die guten Werke sind, die Du verrichtet, an die Du zurückdenken kannst.“ Heinrich solle nicht fürchten, daß „ein Mensch religiöser Gewissenhaftigkeit“ (homo religionis) wie Bolesław sich seinerseits mit jenen Heiden verbünden könnte, um desto besser die erlittene Unbill an ihm zu rächen, sobald er selbst sie preisgegeben habe. Sofern er nur billige Bedingungen erhalte, sei der Herzog ganz bereit, „bei der Unterwerfung der Heiden“ (in expugnandis paganis) ihm zur Seite zu stehen. „O welch vortrefflicher Gewinn käme zusammen beim Bewahren der Christenheit vor Fehltritten und bei der Bekehrung der Heidenschaft (in custodiendo christianismo et in convertendo paganismo)41, wenn, wie der Vater Mieszko mit unserem verstorbenen Kaiser, so der Sohn Bolesław mit Euch, unserem König, lebte, der einzig übriggebliebenen Hoffnung des Erdkreises . . .“ So sucht der Mönch im Bischofsrang dem künftigen Kaiser in glühenden Farben vor Augen zu stellen, wie sein Bild aussehen müßte, wollte er in seiner Lage so handeln, wie der Großfürst von Kiew es zugunsten der Missionsarbeit in der seinen getan hat.
38 Imperatorem für imperium der Handschrift zu lesen nach v. Giesebrechts gut begründeter Konjektur (vgl. dessen Anm. 14). 39 Zur Interpretation dieser Stelle s. S. 536–538. 40 Diese ganze Stelle fast wörtlich aus Bruns Vita S. Adalb.: vgl. unten S. 499 f. und 514 f. 41 Zu dieser Übersetzung s. unten S. 516–518 u. 518 f.
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Damit ist Brun im Grunde am Ende. Wie er den Bericht von seiner Zusammenarbeit mit Wladimir durch erfreuliche Nachricht von benachbarten Missionsschauplätzen des Südostraums beschloß, so fügt er hier noch eine Meldung über verheißungsvolle Verbindungen an, die er (wohl von Polen aus) nach Schweden hin hatte anknüpfen können; sie ist noch einmal ausdrücklich gerichtet an den königlichen Missionsherrn, „der mich im Evangelium (d.h. im Missionswerk) zur Vollendung brachte“42 und den er selbstverständlich weiterhin auf dem Laufenden halten werde. So wird noch einmal in jener indirekten Weise an Heinrichs Verantwortungsgefühl für diesen Teil seiner Herrscherpflichten appelliert. Erneute Versicherung treuer Ergebenheit schließt sich an, nochmals die dringende Bitte: „Was Ihr auch immer mit Rat und Tat zur Bekehrung der Ljutizen und Prußen zu tun vermögt, das wollet, wie es einem frommen König, der Hoffnung des Erdkreises, angemessen ist, nicht aufschieben. Denn zur Bekehrung jener harten Heidenherzen muß unsere Mühe sich gürten, da der Heilige Geist weht, all unser Wirken und Streben (jetzt) sich unermüdlich verzehren, da Petrus kämpft.“ Mit frommem Segenswunsch klingt das denkwürdige Zeugnis aus, wie es sich für den Brief eines Mannes von bischöflichem Rang an ein gekröntes Haupt geziemt. 2. Ungelöste Interpretationsprobleme Wir wissen nicht, ob Brun selbst an die Möglichkeit geglaubt hat, daß sein Vorstoß Erfolg haben könnte: vielleicht hat er damit nur noch einmal das Äußerste versuchen wollen, was ihm möglich war, um wenigstens sein persönliches Gewissen zu entlasten, wenn das Verhängnis dennoch seinen Lauf nehmen sollte43. Wir wissen auch nicht, ob es „der heiligen Christenheit frommem und gestrengem Lenker“, der sonst die geistliche Seite seines Herrscheramtes so ernst nahm, leicht
42 Wohl Anspielung auf die von Heinrich gestattete Weihe zum Bischof (vgl. oben S. 486), durch die Brun ja das Recht erhielt, Firmungen und Kirchweihen vorzunehmen, damit aber erst voll in den Stand gesetzt wurde, eine missionarische Wirksamkeit im Sinn seiner Kirche auszuüben. 43 Eine solche Haltung entspräche durchaus alter kirchlicher Tradition über den Umgang mit übermächtigen Großen dieser Welt, wie sie z.B. von Gregor d. Gr. vertreten worden ist (vgl. F. H. Dudden, Gregory the Great, II, London 1905, S. 251–2, dazu für das Grundsätzliche etwa Greg. M., hom. in Ez. I 11, 9–24; PL 76, 909–15 ad Ez. 3, 18–21). Vgl. auch unten Anm. 236.
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gefallen ist, über solche Argumente hinweg dennoch zu einem „Nein“, einer Beibehaltung des alten Kurses zu kommen44. Fest steht nur, daß Heinrich auch in den folgenden Jahren die bisherige Politik – mit den Ljutizen gegen Bolesław – weitergeführt hat. Für den späteren Betrachter aber ist Bruns Schreiben, seit es im vorigen Jahrhundert wiederentdeckt wurde, immer wieder aufsehenerregend gewesen. Daß ein Vertreter der Kirche gegen ein Bündnis eines christlichen Fürsten mit heidnischen Mächten Protest erhob, war nichts Neues: das hatte mit teilweise recht ähnlichen Gründen und sogar mit Erfolg um 897 schon Erzbischof Fulko von Reims getan, als Karl III. („der Einfältige“) von Westfranken seinen Gegenkönig Odo mit normannischer Hilfe auf die Knie zwingen wollte45. Auch daß ein Kirchenmann den Einsatz von Waffengewalt im Missionswerk forderte, entsprach einer alten Tradition: hier ist schon Papst Gregor d. Gr. (590–604) mit einer Reihe von Schreiben vorausgegangen46, die teilweise auch in die kanonistischen Sammlungen aufgenommen worden sind47. Was den Aufruf Bruns so erstaunlich macht, ist die Tatsache, daß den Waffen hier allem Anschein nach eine unvergleichlich viel weitergehende Aufgabe zugeschrieben wird. Bei Gregor sollten sie Hindernisse beseitigen, die eine böswillige heidnische Obrigkeit etwa der Ausbreitung des Christentums in den Weg legen könnte; sie hatten sich aber unbedingt darauf zu beschränken, Wegbereiter der friedlichen und gewaltlosen Predigt durch die Kirche zu sein. Bruns Brief dagegen macht ganz den Eindruck, als hätte hier – soviel wir sehen, zum ersten Male auf abendländischem Boden – ein Vertreter der geistlichen Seite seine Stimme erhoben, um gegenüber Heiden, und zwar nicht nur einzelnen, sondern einer ganzen geschlossenen Gruppe außerhalb der eigentlichen Hoheitsgrenzen des angesprochenen Herrschers48, eine
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Bei späterer Gelegenheit hören wir einmal, daß der nunmehrige Kaiser auf die Nachricht von bestimmten Umtrieben seiner christentumsfeindlichen Bundesgenossen tief aufseufzte. Thietm. VIII 6, S. 498, 37. 45 Bei Flodoard, Hist. Rem. Eccl. IV 5, MG SS XIII 565, 21 ff., vgl. F. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter, Leipzig 1914, S. 214–5, sowie M. Bünding, Das Imperium christianum und die deutschen Ostkriege vom 10. bis zum 12. Jh., Berlin 1940, S. 10–12, die auch dieses Schreiben wohl zuerst mit dem von Brun verglichen hat, S. 15. 46 Vgl. einstweilen C. Erdmann, Entstehung (s. oben Anm. 5), S. 8–9. 47 Siehe bei Anm. 265 sowie S. 548 f. 48 Das genaue Rechtsverhältnis der Ljutizen zum Reich nach dem Friedensschluß von 1003 ist hier nicht zu diskutieren. Zur Annahme mindestens sehr weitgehender
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unmittelbare Christianisierung mit dem Schwerte zu fordern, das also, was man den „direkten Missionskrieg“ nennt im Gegensatz zu der „indirekten“ gregorianischen Form49. So jedenfalls hat ihn die Mehrheit der bisherigen Forscher verstanden50. Das aber rückt diesen ostfälischen Mönch seinen Zeitgenossen gegenüber in eine geradezu anachronistische Isolierung. Ein direkter Missionskrieg dieser Art läßt sich, wenn man von dem ohnehin besonders gelagerten Fall der karolingischen Sachsenkriege absieht, sonst erst im Zeitalter der Kreuzzüge nachweisen (nach bisheriger Auffassung am nachdrücklichsten formuliert von Bernhard von Clairvaux im Jahre 114751). Zumal in Deutschland hat er nur äußerst schwer Fuß zu fassen vermocht52, und im Hinblick auf die Christianisierung der Wenden wäre Brun, soweit die Quellen uns einen Einblick gestatten, neben dem Burgunder Bernhard geradezu der einzige gewesen, der ihn bewußt zum Programm erhoben hätte53. Schon das allein gäbe Grund genug zu erneuter Überprüfung des bisher vorherrschenden Bildes. Hinzu kommt aber noch, daß dieses Bild durchaus nicht einhellig anerkannt ist. Es beruht auf Folgerungen, die allein aus dem zweiten Teil des Mahnschreibens an Heinrich gezogen worden sind und aus einer inhaltlich anklingenden Stelle der ebenfalls von Brun verfaßten Vita S. Adalberti54, ohne Rücksicht auf seine sonstigen Äußerungen und auf den Gesamtzusammenhang seiner Gedankenwelt. Gerade der bisher beste Kenner Bruns, H. G. Voigt, hat deshalb ernste Bedenken gegen sie erhoben, ohne freilich damit nennenswerte Beachtung zu finden. Das Hauptargument liefert ihm dabei ausgerechnet der so oft übergangene erste Teil jenes Briefes.
Unabhängigkeit (wo nicht eines Bündnisses zwischen nominell gleichberechtigten Partnern) vgl. jedoch oben bei Anm. 6–7, ferner unten Anm. 339. 49 Zu diesen Begriffen vgl. noch unten S. 496 f., 499 f. u. bes. 521–529 sowie C. Erdmann, S. 8–9; auch Beitrag XIV, S. 468 und 475. 50 Vgl. z.B. Hauck (s. oben Anm. 6) III, S. 629–30; H. Lubenow (s. oben Anm. 5), S. 37; C. Erdmann, S. 97; M. Bünding, S. 15; H. Beumann, Kreuzzugsgedanke und Ostpolitik im hohen Mittelalter, in: HJb 72, 1953, S. 114, 115, 126. Auch R. Wenskus (s. unten Anm. 85) neigt dieser Auffassung zu. 51 Siehe dazu jedoch S. 524 f. 52 Vgl. H. Beumann, HJb 72, 1953, S. 126–31 und Beitrag XIV S. 477–479; vgl. auch Wichmann Jahrbuch 11/12, 1957/58, S. 101 f. 53 Vgl. Beitrag XIV, S. 469–481, sowie unten S. 549–561. 54 Siehe unten S. 499 f. u. 513 ff.
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Dort findet sich nämlich unter den Nachrichten, die Brun an seine Zusammenarbeit mit Wladimir anschließt, der Hinweis: „Auch zu den Schwarzen Ungarn“ – gemeint sind wohl die Szekler – „kam, die niemals vergebens vorrückt: die erste missionarische Abordnung des heiligen Petrus. Wie ich hörte, sind sie alle bekehrt und getauft worden, obgleich unsere Leute – Gott möge es verzeihen! – mit schwerer Sünde (cum peccato magno) einige von ihnen geblendet haben“55. Voigt deutet diese Stelle auf Ablehnung körperlicher Gewaltakte, von denen das Christianisierungswerk in der fraglichen Gegend offenbar begleitet gewesen sei. Dadurch sieht er sich dann aber auch zu Konsequenzen für die Deutung jenes compellere intrare genötigt, das der Missionsbischof im zweiten Teil des gleichen Briefes von König Heinrich verlangt. Brun habe, lautet sein Urteil, diesen evangelischen Grundsatz „nicht . . . so verstanden, daß der einzelne Heide schließlich mit körperlichen Strafen oder Folter zur Annahme des Christentums zu zwingen sei. . . . Sein Gedanke war nur, daß die weltlichen Herrscher solche Heidenvölker, welche die Predigt des Evangeliums nicht zuließen, unterwerfen, die Kirche unter ihnen in voller Sicherheit aufrichten und bei der Ausrichtung ihrer geistlichen Mission schützen sollten“, während der einzelne „durch die freie Wirksamkeit der geschützten Kirche“ gewonnen werden sollte. „Vor der Beschreitung des Kriegsweges aber hielt er friedliche Versuche für das Gebotene“, und im übrigen habe er solche Zwangsgewalt ausschließlich den weltlichen Herrschern zumessen wollen als Teil ihrer fürstlichen Missionspflicht: „Die geistlichen Missionare predigen und leiden. Dies Leiden aber im Dienste der Mission erschien Brun eben als der Schritt zur höchsten Vollendung“56. Der sächsische Missionar hätte sich somit nach Ansicht Voigts zwar für rückhaltlose Zusammenarbeit beider Gewalten im Bekehrungswerk eingesetzt, aber unter reinlicher Scheidung ihrer Kompetenz, ganz im Sinne Gregors d. Gr. als des entscheidenden Wegweisers der mittelalterlichen Mission des Abendlandes, und er hätte sich folglich, ebenfalls durchaus im Einklang mit den Lehren dieses Papstes, begnügt, einen
55 Bei v. Giesebrecht, S. 690: Audivi etiam de Nigris Ungris, ad quos, quae nunquam frustra vadit, sancti Petri prima legatio venit, quamvis nostri, quod Deus indulgeat, cum peccato magno aliquos cecarent, quia conversi omnes facti sunt christiani. Da Brun es gerade in diesem Briefe liebt, Nebensätze dem Beziehungswort vorauszuschicken (vgl. nur im eben zitierten Beispiel die Stellung der beiden Relativsätze: quae – vadit und quod – indulgeat), ist der quamvis-Satz als adverbiale Bestimmung zum quia-Satz aufzufassen (der seinerseits Objektivsatz zu audivi ist), nicht aber zu venit zu ziehen. 56 H. G. Voigt, S. 101–2 und S. 164 m. Anm. 636 (S. 316).
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indirekten Missionskrieg zu fordern, welcher der Idee nach weder der friedlichen Bekehrungsarbeit durch die kirchliche Predigt vorgreifen sollte, noch der Freiwilligkeit des Übertritts für den einzelnen Heiden. Die dargelegten Thesen hätten nicht verdient, mit derartigem Stillschweigen übergangen zu werden. Schon als Versuch, die Einzeläußerung aus dem Gesamtzusammenhang der Gedankenwelt Bruns zu erklären, gebührt ihnen dankbare Anerkennung. Es läßt sich jedoch auch nicht leugnen, daß sie in vielen Einzelheiten sorgfältiger Nachprüfung sehr wohl standzuhalten vermögen. So ist vor allem die für das richtige Verständnis des Ganzen so wichtige Deutung der Stelle, in der Brun von der Bekehrung der „Schwarzen Ungarn“ spricht, völlig überzeugend: die Tempusverhältnisse lassen erkennen, daß die Terrorakte dem Missionsversuch gleichzeitig gewesen sein müssen, nicht aber vorangegangen sind57; gewaltsames Vorgehen auch im Dienste des positiven Missionziels (der Eingliederung in die Kirche) statt nur zugunsten des negativen (der Zerstörung des unchristlichen Kults und seiner Stätten)58 ist für den ungarischen Bereich jener Zeit auch anderweitig bezeugt59, und wenn Brun unverhohlene Verwunderung äußert, daß die Christianisierung gelingen konnte trotz solcher Sünden der missionierenden Seite60, so entspricht das ganz einer geschichtstheologischen Anschauung, die, auf alttestamentlicher Grundlage erwachsen, immer wieder ihre Rolle gespielt hat, wo Christen und Heiden gegeneinander standen: der Anschauung, das Heidentum sei die „Zuchtrute Gottes“; sein Anwachsen oder Abnehmen an Zahl und Macht stehe in einem ursächlichen Wechselverhältnis zum Steigen und Sinken des Sündenmaßes der Christenheit, und namentlich das Missionswerk sei nach menschlichem Ermessen zum Scheitern verurteilt, wo die missionierende Seite sich für ihre Unternehmungen durch moralisches Mißverhalten den Segen des Höchsten verscherzte61. Wir kommen folglich nicht darum herum, daß
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Vgl. venit – cecarent (nicht cecavissent) – facti sunt in Anm. 55. Zu dieser unumgänglichen begrifflichen Unterscheidung vgl. Beitrag XIV, S. 466–469. 59 Vgl. C. Erdmann, S. 96 m. Anm. 60 Vgl. den quamvis-Satz oben Anm. 55. 61 Reiche Belege aus älterer Zeit bei J. Fischer, Die Völkerwanderung im Urteil der zeitgenössischen kirchlichen Schriftsteller . . . Diss. theol. München 1943. Heidelberg 1947; aus der Kreuzzugszeit bei U. Schwerin, Die Aufrufe der Päpste zur Befreiung des Heiligen Landes . . . bis zum Ausgang Innozenz IV. Eberings Hist. Stud. 301, Berlin 1937. 58
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Brun körperliche Gewaltmaßnahmen in der Heidenmission tatsächlich als „schwere Sünde“ (peccatum magnum) gebrandmarkt und abgelehnt hat, und wir müssen für sein compellere intrare eine Erklärung finden, die diesem Ergebnis Rechnung trägt. Ebenso überzeugend ist Voigts Ansicht, daß nach Brun vor etwaigen kriegerischen Maßnahmen unbedingt der friedliche Weg zur Ausbreitung des Evangeliums versucht werden muß. Wieder ist hier der erste Teil des Briefes entscheidend mit seinem Bericht, wie er selbst die Petschenegenmission eingeleitet hat: ein friedliches Vordringen in das Heidenland ohne jedes bewaffnete Geleit auf die Gefahr des Martyriums hin, gekrönt von der Vermittlung des erwähnten Friedens mit Wladimir, von dem die Bekehrungswilligen, durch rein geistliche Predigt gewonnen, den endgültigen Übertritt abhängig machten62. Dabei fällt gegenüber dem Großfürsten, der die Missionare nur bis an die Heidengrenze geleitet hatte, ohne die Waffen weiter zu tragen, keine Silbe der Kritik; auch keinerlei entschuldigende Andeutung, daß etwa anderweitige Bindung ihm eine nachdrücklichere Unterstützung unmöglich gemacht hätte, wie es doch an späterer Stelle des Briefes von Bolesłav ausdrücklich festgestellt wird. Unverkennbar hatte Wladimir für Bruns Empfinden alles geleistet, was von einem christlichen Herrscher an diesem Frontabschnitt der Mission billigerweise zu erwarten war. Das aber verdient höchste Beachtung angesichts der Forderungen, die der unbequeme Mahner wenig später im gleichen Schreiben gegenüber Heinrich erhebt. Wer so nachdrücklich zum Bruch eines Bündnisses aufrufen konnte, – sollte der sich nicht erst recht für die Ausnutzung eines ohnehin bestehenden Kriegszustandes eingesetzt haben, wenn sein Gewissen ihn nicht gezwungen hätte, hier mit anderen Maßen zu messen als dort? Die Konturen des Bildes, das sich damit abzuzeichnen beginnt, gewinnen an Schärfe dadurch, daß die Verurteilung des gewalttätigen Vorgehens gegen die „Schwarzen Ungarn“ sich im Gesamtzusammenhang des Briefes alsbald an diesen Bericht über die Petschenegenmission anschließt. Die letzte Bestätigung aber bringt uns Bruns Reise ins Prußenland, von der er nicht mehr zurückkehren sollte: auch sie völlig
Im einzelnen genüge an dieser Stelle der Hinweis, daß für Brun selbst der Rückfall der Ljutizen zum Heidentum vom Jahre 983 zu den Strafen gehörte, welche die sündhafte Aufhebung des Bistums Merseburg durch Otto II. nach sich zog: Vita S. Adalb. c. 10 (s. unten bei Anm. 132 u. 134). – Vgl. auch unten bei Anm. 305. 62 Vgl. Bruns eigenen Bericht bei v. Giesebrecht, S. 690.
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friedlich, waffenlos, allein auf die Macht der Predigt vertrauend und auf die göttliche Führung63. Brun hat die Auffassung, die Voigt ihm beilegt, also wirklich nicht nur gelehrt, sondern auch gelebt und mit seinem Tode besiegelt. Zugleich ist damit deutlich geworden, daß die These, welche die Aufgaben beider Gewalten in der Missionsanschauung des Querfurters klar getrennt sieht, ebenfalls vollauf zu Recht besteht. Hat Voigt dann also auch zutreffend geurteilt, wenn er meinte: was Brun bei Heinrich gegen die Wenden durchsetzen wollte, sei nicht mehr als ein indirekter Missionskrieg gewesen? Eine ansehnliche Zahl der einschlägigen Formulierungen – pugnare cum paganis propter christianitatem, in expugnandis paganis u.ä. – ist mit dieser Deutung sehr wohl vereinbar; tributum accipere et sacrum christianismum facere de populo pagano könnte in der – sehr bezeichnenden! – Reihenfolge sogar einen ausdrücklichen Hinweis enthalten, daß die politische Unterwerfung der eigentlichen Bekehrung vorangehen sollte, wenngleich man sich hüten muß, diesen Wortlaut zu pressen64. Im Zusammenhang mit der Taufe der Wenden ist nicht von Krieg und Kampf die Rede, sondern nur vom laborare des Herrschers, was natürlich genau so gut auf die Förderung friedlich-kirchlicher Bekehrungsarbeit gehen kann (die Sorge für geeignete Missionare etwa und für eine feste kirchliche Organisation des Missionsgebiets, wie wir sie von Kaiser Otto I. kennen65). Aber all diese Deutungen bleiben nur offen; von keiner der fraglichen Wendungen werden sie zwingend gefordert. Es kann hier überall ebensogut auch von jener direkten Form des bewaffneten Glaubenszwangs die Rede sein, wie sie die Mehrheit der bisherigen Forscher aus Bruns Brief herausgelesen hat. Eine Entscheidung zwischen beiden Möglichkeiten ist nur zu finden, wenn andere Äußerungen Bruns sich bestimmter festlegen. Dabei stoßen wir auf Widersprüche, von denen zunächst schwer abzusehen ist, wie sie sich auflösen lassen. Auf der einen Seite steht nach wie vor jene Kritik an dem gewaltsamen Vorgehen gegen Bekehrungsunwillige im ungarischen Raum, an der nicht zu deuteln und zu rütteln ist. Auf der anderen aber erhebt sich vor uns unübersehbar die Wendung: hos tales66 propter christianismum glorioso certamine debellare, quod est iubente evangelio compellere intrare. Sie steht nicht, wie 63 64 65 66
Vgl. Thietm. VI 95, S. 388. – s. auch unten Anm. 251. Vgl. dazu unten S. 531 f. Vgl. Beitrag XIV, S. 473 f. Zur Textgestaltung s. Anm. 35.
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die Äußerung über die Szekler, zwar im gleichen Brief, aber in einem anderen Zusammenhang, sondern gerade am Höhepunkt der Ausführungen, in denen Brun den König bestürmt, den „heiligen Krieg“ gegen die Wenden doch endlich aufzunehmen: hos tales ist durch den Anfang der gleichen Satzperiode als „götzendienerische Ljutizen“ (und nur diese) bestimmt67. Dadurch erhält diese Formulierung für das Verständnis jener anderen, unbestimmteren, mit denen wir uns soeben befaßten, ein bedeutend stärkeres Gewicht als die Stellungnahme zu den ungarischen Vorgängen. Sie aber spricht ebenso eindeutig gegen H. G. Voigt, für die von der Mehrheit der Forscher aufgenommene Auslegung. Eine bloße Unterwerfung ohne regelrechte Zwangschristianisierung, lediglich zur Sicherung ungestörter, friedlicher Predigt, wäre ja ein Vorgang, der rein im Dienste des negativen Missionsziels68 stünde; er könnte niemals als „Nötigung zum Eintritt“ bezeichnet werden, die ihrerseits doch eindeutig ein Streben nach positiver Christianisierung zu erkennen gibt69. Zudem ist dieser ganze Absatz in weitem Umfang, bis in Einzelheiten des Wortlauts hinein, einer älteren Schrift des Querfurters entnommen; dort aber heißt es, ebenfalls mit Bezug auf die Elbslawen, eindeutiger: ecclesiam intrare compellat paganum, und das compellat ist, um jedes Mißverständnis auszuschließen, noch durch ein unmittelbar vorhergehendes: qui persequatur christianum in aller wünschenswerten Klarheit beleuchtet70. Nach alledem ist es mit Sicherheit auszuschließen, daß Brun an der Stelle, wo er den Wendenkrieg behandelt, etwas anderes im Auge gehabt haben könnte als einen direkten Glaubenszwang. Da aber doch auch die von H. G. Voigt beigebrachten Argumente – mit dieser einen Ausnahme – sich nicht beiseite schieben lassen, kommen wir nicht um die Folgerung herum, daß dieser strenge Gottesmann für die Christianisierung der Wenden – genauer: der ljutizischen Wenden, denn nur von diesen spricht er, nicht auch von Sorben und Obotriten71 – Dinge ausdrücklich gefordert hat, die ihm, an bekehrungsunwilligen Szeklern
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Siehe oben S. 491. Siehe oben bei Anm. 58. 69 Über die im gleichen Zusammenhang erfolgende Anführung Karls d. Gr. als Vorbild für die Erfüllung religiöser Herrscherpflichten, die auf den ersten Blick in gleicher Richtung weisen könnte, s. unten S. 536 f. 70 Siehe unten Anm. 134. 71 Siehe dazu unten bei Anm. 98. 68
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verübt, als schwere Sünde erschienen. Und dieses Ergebnis läßt sich gleich noch nach einer anderen Richtung hin ausbauen. „Zwei große Übel“ sind es, die Brun auf dem nordöstlichen Missionsschauplatz beschweren72: die noch ausstehende Bekehrung der Prußen und der widerchristliche Glaubensstand der Ljutizen. Jene sieht er sich selbst, dem Vertreter der Kirche, als Aufgabe zugewiesen; die weltliche Gewalt des angrenzenden christlichen Gebiets, das als Missionsbasis in Frage kommt, Herzog Bolesław, soll ihn dabei lediglich unterstützen (consolari, iuvare). Er soll dies „mit den Kräften des Geistes und des Körpers“ tun: eine für uns reichlich unbestimmte Wendung. Da indes die Hauptrolle an diesem Unternehmen unverkennbar dem predigenden Bischof vorbehalten ist, kann sich dahinter höchstens ein indirekter Missionskrieg verbergen73. Wie anders dagegen denkt Brun über die Aufgaben an der Ljutizenfront! Dort haben zunächst allein die Waffen des Königs zu sprechen. Sie sind es, die den Anschluß an die Kirche durchsetzen sollen (denn das compellere intrare ist gleich propter christianismum . . . debellare gesetzt); von einer geistlichen Predigt, der sie etwa die Tür aufstoßen sollten, wird nichts gesagt, wenn man nicht die kurze Erwähnung der Taufe, die doch jedenfalls von Priesterhand zu spenden war, dafür nehmen will. Statt dessen hören wir, daß der, der sich hier den Apostelnamen verdienen kann, eben der König ist74! Wiederum zeigt sich, daß jene eine wendische Stammesgruppe für diesen heiligen Eiferer nicht unter die gleichen Gesetze fiel wie andere Heiden. Und haben wir die gleiche Beobachtung nicht soeben auch beim Vergleich zwischen ihr und den Petschenegen gemacht75? Alles weist in dieselbe Richtung: die Ljutizen standen in den Augen Bruns von Querfurt ganz offenbar unter einem Ausnahmerecht, das sie – man darf wohl sagen: von allen übrigen Heiden seines Gesichtskreises schied. Ein äußerst merkwürdiger Befund! Wie sollen wir ihn deuten? Jener angebliche eingefleischte „Nationalhaß“ schon der mittelalterlichen
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Siehe oben S. 491. Ein solcher wäre mit Bruns Grundsätzen (s. oben S. 495–499) den Prußen gegenüber insofern vereinbar, als an ihnen ein friedlicher Missionsversuch bereits mit dem Martyrium des hl. Adalbert blutig gescheitert war (997). Die verbreitete Annahme, daß Bolesław Chrobry direkte Missionskriege geführt habe (z.B. C. Erdmann, S. 96 Anm.), entspricht ebensowenig den zeitgenössischen Quellen wie das entsprechende Bild der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters. 74 Siehe oben S. 491 f. 75 Siehe oben S. 497 f. 73
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Deutschen gegen alles Slawische, der sonst in solchen Fällen immer wieder herhalten muß76, kann ja doch gerade bei einem so engen Freund und Mitarbeiter des hervorragendsten Vertreters der damaligen westlichen Slawenwelt77, in einem Vorstoß, der in dessen unmittelbarstem Interesse unternommen worden ist78, unter gar keinen Umständen in Betracht kommen. 3. Die vergessene Apostatenexekution Es gibt innerhalb des mittelalterlichen Katholizismus neben direktem und indirektem Missionskrieg noch eine dritte Form gewaltsamkriegerischen Vorgehens zur Durchsetzung kirchlicher Ziele. Gleichfalls ein unmittelbarer, positiver Zwang mit weltlichen Machtmitteln zur Unterwerfung unter die Normen der sancta universalis Ecclesia, scheint sie rein äußerlich dem direkten Missionskrieg eng verwandt und kann deshalb leicht mit ihm verwechselt werden. Mit den Augen der Theologie und Kanonistik betrachtet, ist sie jedoch dem Wesen nach so grundsätzlich von ihm verschieden, daß sie sich sogar immer wieder mit seiner ausdrücklichen Ablehnung paart79. Eben diese Form aber ist es, die sich seit ihren Anfängen im 5. Jahrhundert jenes biblischen compelle (bzw. coge) intrare80 als Rechtfertigung und Leitwort ihres Vorgehens bedient hatte. Sollte Brun, wenn er schon die gleiche Formel verwendet, dies am Ende auch im gleichen Sinn getan haben, nachdem die Versuche, ihr
76 Zum Beispiel bei A. Hauck (s. Anm. 6) III, S. 87–91; E. O. Schulze, Die Kolonisierung und Germanisierung der Gebiete zwischen Saale und Elbe, Leipzig 1896. S. 131. Gegen diese völlig unhaltbare Auffassung haben u.a. schon Stellung genommen: B. Guttmann, Die Germanisierung der Slawen in der Mark, in: Forsch. z. brandenb. u. preuß. Geschichte 9, 1897, S. 403 ff., 415, 420, auch 457 ff., 462 ff.; D. N. Jegorow, Die Kolonisation Mecklenburgs im 13. Jh. I (deutsch von H. Cosack, Breslau 1930, aus dem Russischen, Moskva 1915), S. 415–9; F. Lammert, Die älteste Geschichte des Landes Lauenburg. Ratzeburg 1933. S. 11–27; J. W. Thompson, Feudal Germany, Chicago/Illinois 1928. S. 392 Anm. 2, S. 352, 467. Vgl. auch H. Beumann, Widukind von Korvei. Weimar 1950, S. 121, 174, 207–8, und H.-D. Kahl, Beitrag XVI, S. 467 f. 77 Brun. Querf., Ep. (bei v. Giesebrecht S. 691): certe diligo cum ut animam meam et plus quam vitam meant. – Siehe oben S. 489. 78 Daß Bolesław voll hinter Bruns Vermittlungsversuch und seinen Vorschlägen stand, kann nicht bezweifelt werden. 79 Siehe unten S. 546 f., vgl. S. 539 f. auch 518 f. Allenfalls der indirekte Missionskrieg wird neben ihr gutgeheißen. 80 Lc. 14, 23; compelle intrare nach dem Vulgatatext, Augustin (s. Anm. 81) liest coge.
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in seinem Mund eine abweichende Bedeutung zu geben, offenkundig mißlungen sind? Daß auch bei ihm jener auffällige Gegensatz erscheint zwischen ausdrücklicher Forderung und ausdrücklicher Ablehnung einer Zwangschristianisierung je nach dem Schauplatz, auf dem sie stattfinden soll, muß uns aufhorchen lassen. Es handelt sich um die von der Kirche veranlaßte Exekution weltlichchristlicher Obrigkeit gegen Menschen, die nach dem Anspruch dieser Kirche ihrer Botmäßigkeit unterstanden, sich solchem Anspruch aber zu widersetzen wagten als Ketzer, Schismatiker, unbußfertige Gebannte (Pönitenzverweigerer) und ähnliches mehr: geistige Schöpfung des heiligen Augustinus († 430)81 – Frucht seiner schmerzlichen Erkenntnis, daß die donatistischen Wirren mit rein geistlichen Mitteln einfach nicht zu schlichten waren, und von allen seinen Gedanken vielleicht derjenige, der die stärkste Wirkung auf den Gang der realen Geschichte ausgeübt hat –, dann von Päpsten wie Pelagius I. (555–60)82 und Gregor d. Gr. (590–604)83 aufgegriffen und ausgebaut84. Im Hinblick auf Bruns Plan zum „heiligen Krieg“ gegen die ljutizischen Wenden scheint diese Möglichkeit auf den ersten Blick völlig abwegig, und sie ist deshalb bisher noch niemals ins Auge gefaßt worden85. Die soeben umrissene Konzeption richtete sich gegen geistliche Delikte recht verschiedener Art: immer aber ging es ihr um die Durchsetzung innerkirchlicher Disziplinargewalt, immer gegen Menschen, die unter dem Anspruch standen, Christen (wenn auch schlechte) zu sein, die als äußeres Zeichen dessen die Taufe empfangen hatten samt dem besonderen geistlichen „Charakter“, den dieses Sakrament mit
81
Vgl. C. Erdmann, S. 7–8. Vgl. Pelagii I. ep. 2 (PL 69, 394). 83 Vgl. die bei F. H. Dudden (s. oben Anm. 43) II, S. 238–9, 413, zusammengestellten Belege, die freilich indirekten Missionskrieg, Rekatholisierungskrieg und Disziplinarmaßnahmen gegen einzelne Kirchenglieder allzusehr vermischen. 84 Vgl. noch unten bei Anm. 265. 85 Auch Vf. selbst, Beitrag XIV, S. 469 f., hatte sie noch nicht gesehen, sondern Brun trotz der bestehenden Bedenken noch im Einklang mit der bisherigen Forschungsmehrheit (s. Anm. 50) beurteilt, weil sie im entscheidenden Punkt trotz allem recht zu behalten schien (vgl. oben S. 499). Der entscheidende Gedanke kam ihm blitzartig im Gespräch mit R. Wenskus, dem für seine Anregungen bei weiterem Gedankenaustausch (förderlich besonders für die Klärung der unten S. 513 ff. und 536 f. behandelten Zusammenhänge) auch an dieser Stelle herzlich gedankt sei. Seine „Studien zur historisch-politischen Gedankenwelt Bruns von Querfurt“, die in Kürze in der Reihe „Mitteldeutsche Forschungen“ erscheinen sollen und voraussichtlich einige Ergänzungen zu den folgenden Ausführungen bringen, konnten leider nicht mehr benutzt werden [erschienen Münster/Köln 1956, vgl. S. 143–153, bes. 151 f.]. 82
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seiner sündentilgenden Kraft nach alter Väterlehre jedem Empfänger unauslöschbar einprägt86. Eben aus diesem Grunde hat ja auch der Missionsbegriff in diesem Zusammenhang keine Berechtigung, der für den christlichen Bereich in seinem eigentlichen und strengen Sinne der Glaubensarbeit unter Ungetauften vorbehalten bleiben muß87, und mit ihm der Begriff des Missionskrieges. Dagegen nun die vorstehend88 herangezogenen Wendungen Bruns: war da nicht immer und immer wieder ausdrücklich von pagani, also gerade von „Heiden“ die Rede; bietet sein Brief nicht darüber hinaus konkrete Einzelheiten ihres „dämonischen“ Kults bis hin zum Götternamen Svarožic89? Sind die Verehrer dieses Gottes nicht sogar klar und eindeutig als ungetauft gekennzeichnet90, so daß eine Ausdehnung solch innerkirchlicher Disziplinargewalt auf sie, weil an den Empfang dieses Sakraments, dieses „Charakters“ gebunden, normalerweise gar nicht in Betracht kommen konnte? An keinem einzigen dieser Einwände läßt sich rütteln – nur eins ist dabei übersehen. Mit dem Heidentum der Ljutizen jener Zeit hatte es eine besondere Bewandtnis: nicht zufällig hebt Brun Dinge, die an Heiden eigentlich selbstverständlich sind, an ihnen und nur an ihnen mit auffälligem Nachdruck hervor91. Gerade in der Gegenüberstellung mit den ungarischen Verhältnissen tritt diese Besonderheit deutlich zutage. Das Land der Madjaren nämlich hatte sich erst zu Lebzeiten des Querfurters in stärkerem Umfang dem Glauben der Sieger vom Lechfeld zu öffnen begonnen. Dabei mochten westlich der Raab etwa die Kirchen von Salzburg und Passau an ältere Ansprüche aus der Zeit der karolingischen Awarenmark anknüpfen können, die im neunten Jahrhundert
86 Vgl. die Art. Charakter, Sakrament, Taufe in (Buchbergers) Lexikon f. Theologie u. Kirche, Freiburg 1930–8, und in (Herzogs) Realenzyklopädie f. protestant. Theologie u. Kirche, 3. Aufl. Leipzig 1896–1913. 87 Vgl. J. Schmidlin, Katholische Missionslehre im Grundriß, Münster 1919, S. 39–55, mit nachdrücklicher Stellungnahme gegen die ebenso verbreitete wie unhaltbare Vermengung von „Mission“ („Christianisierung“ von Nichtchristen: Juden und Heiden) und „Rekatholisierung“ (Rückführung von entfremdeten Getauften – „Häretikern“, „Schismatikern“ usw. – in den Schoß der katholischen Kirche). Vgl. auch unten S. 539 f. 88 Siehe oben S. 499. 89 Siehe oben S. 489. 90 Siehe oben S. 491. Der entscheidende Satz lautet: . . . hoc laborare, ut baptizetur paganus . . . 91 Siehe unten S. 515 f.
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dem Ansturm des neuen heidnischen Feindes erlegen war92; östlich des alten Grenzflusses fielen solche Anknüpfungsmöglichkeiten fort, mochte ein Fälscher wie Pilgrim von Passau (971–91) sich immer bemühen, dergleichen auch für diesen Raum zu erhalten. Das neue Herrenvolk aber war hier wie dort in seiner Masse vom Christentum unberührt, niemals in nennenswertem Umfang dem Bild des Gekreuzigten verpflichtet gewesen; kaum daß einzelne Führer (so die Gegner Ottos d. Gr. in der Lechfeldschlacht) es für zweckmäßig erachtet hatten, nach außen hin die Religion z.B. der Kaiser von Byzanz anzunehmen93. Das Gebiet der Madjaren – und vollends das der nordöstlich angrenzenden Szekler – war echtes Missionsgebiet im vollen Sinne des Wortes. Anders das ljutizische Land. Mochte Svarožic immer der altangestammte Herr dieses Landes sein: einmal schon hatte er seine Herrschaft an Christus abtreten müssen. Er wird ihm nicht ganz gewichen sein: seit wir wissen, daß auch die Slawenkriege des ersten Sachsenkaisers nur indirekte Missionskriege mit friedlicher kirchlicher Nacharbeit waren94, kommt ja den erzwungenen, geschlossenen Massenübertritten ganzer Völkerschaften, die für das Wendenland jener Zeit ohnedies nirgends bezeugt sind, in unserem Geschichtsbild kein Platz mehr zu. Immerhin hatte der alte Gott mindestens viele seiner Kultstätten hergeben müssen95, und ein zunächst noch weitmaschiges (aber lückenloses) Netz christlicher Bistümer, ein engeres Netz kirchlichen Grundbesitzes hatte sein bisheriges Herrschaftsgebiet überzogen. Wir müssen annehmen, daß auch verhältnismäßig bedeutende Teile der Bevölkerung, darunter gerade der politisch und sozial entscheidenden Schichten, wenigstens formell96 sich dem neuen Gotte gebeugt und das Taufbad empfangen hatten. Der große Aufstand von 98397 hatte den dünnen christlichen Schleier zerrissen (wohlgemerkt: nur für den Ljutizenbund, nicht auch für Sorben und Obotriten, deren kirchliche Organisation damals vorerst
92 Man denke etwa an die kirchlichen Stiftungen des Mährerfürsten Priwina († um 860) im Plattenseegebiet: vgl. A. Hauck (s. Anm. 6), II, S. 712–4; E. Dümmler, Gesch. d. ostfränk. Reiches. 2. Aufl. Leipzig 1887/88. I, S. 33, 38, 298; II, S. 24, 176–8. 93 Vgl. R. Köpke – E. Dümmler, Kaiser Otto d. Gr. Leipzig 1876. S. 261. 94 Vgl. Beitrag XIV, S. 473–476; auch C. Erdmann, S. 91–5. 95 Vgl. Beitrag XIV, S. 473, sowie unten Anm. 130. 96 Vgl. semichristiani unten S. 509. 97 Datierung nach G. Lukas (s. Anm. 5), S. 35–43.
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noch erhalten blieb98) und hatte dem alten Gott seinen angestammten Platz zurückgegeben – vom Standpunkt der Wenden her gesehen. Vom christlichen, kirchlichen, kanonistischen Standpunkt her konnte ein solches Land und Volk niemals wieder heidnisch im eigentlichen Sinne des Wortes werden: mochte es immer das Taufsakrament verleugnen, mochte es handeln, als wäre es niemals von ihm benetzt – empfangen hatte es dasselbe darum doch und mit ihm jenen durch nichts auslöschbaren „Charakter“, den es dem Menschen einprägt, durch den es ihn der kirchlichen Bußdisziplin unterstellt; mochten die christlichen Kirchen, die Kapellen und Kirchengüter immer ihrem bisherigen Zweck entfremdet sein – Eigentum des allmächtigen Gottes und seiner Heiligen blieben sie darum doch99. Wohl ließ ein solches Volk sich nach dem Rückfall wiederum mit einem Ausdruck bezeichnen, der ihm auch vor seiner Christianisierung gegolten hatte und den wir als „Heiden“ zu übersetzen pflegen: eben, wie gerade das Beispiel Bruns zeigt, als pagani100. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, daß keiner der alten kirchenlateinischen „Ungläubigen“-Namen sich ohne weiteres mit diesem deutschen Worte deckt101. Ehe wir aus dem festgestellten Sprachgebrauch Folgerungen ziehen, müssen wir deshalb prüfen, welcher Gehalt sich hinter paganus verbirgt. Das Wort scheint zu seiner christlichen Bedeutung nicht unmittelbar vom klassischen „Landmann“ her gekommen zu sein, sondern auf dem Umweg über den Soldatenjargon der römischen Kaiserzeit102, dem es 98 Im Sorbenland wurde die christlich-deutsche Herrschaft aufrecht erhalten, und die Mission nahm langsam aber sicher ihren Fortgang. Die Obotriten sind offenbar erst nach Bruns Tode wiederholt zu Apostaten geworden, zuerst wohl im Jahre 1018 (vgl. Thietm. VIII 5, S. 498). Aus dieser Annahme erklärt sich vor allem auch, daß Bruns Forderungen sich allein gegen die Ljutizen richten (angesichts der Tatsache, daß Brun noch 1004 in Deutschland, und zwar gerade in Sachsen weilte, wohl eins der stärksten Argumente gegen die vor allem in älterer Literatur verschiedentlich vertretene Ansicht, daß schon 1002 eine obotritische Apostasie stattgefunden habe). 99 Siehe unten S. 510 f. 100 Oben S. 499. – gentiles scheint daneben erst in jüngeren Quellen (vgl. z.B. Anm. 128) eine größere Rolle zu spielen, nachdem es sich – in jüngeren Generationen – tatsächlich wieder voll um Ungetaufte handelte. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen im Text, insbes. auch Anm. 107. 101 Vgl. Th. Ohm, Die Stellung der Heiden zu Natur und Übernatur nach dem hl. Thomas von Aquin, Münster 1927. S. 25. 102 Dieser Erklärungsversuch ist in neuerer Zeit vor allem von Th. Zahn, Paganus, in: Neue kirchl. Zs. 10, 1899, S. 18–44, vertreten worden, läßt sich jedoch mindestens bis ins 16. Jh. zurückverfolgen: vgl. B. Brissonius, De verborum quae ad ius pertinent significatione (1559) s. v.; D. Gothofredus, Cod. Justinian. (Lugd. 1583), col 82 ad tit.
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zu einem Spott- und Schimpfnamen für „Zivilisten“ und „Spießer“ geworden war. Die Brücke zum „Heiden“ schlug von da, wenn diese Auffassung zutrifft, der Gedankenkreis der militia Christi, der in den ersten christlichen Jahrhunderten eine besonders große Rolle spielte: ihm war das Taufgelöbnis das sacramentum, der Fahneneid auf den himmlischen Kaiser, und dementsprechend paganus jener, der diesen Eid nicht geleistet, der sich erkühnte, diesem Kaiser seinen Dienst zu entziehen. So trat der Ausdruck als „populäres Schimpfwort“ in den christlichen Sprachgebrauch ein103, hatte damit aber von Anfang an einen schärferen Klang als das ältere, dem grch. ἐθνικός nachgebildete gentilis. Er konnte dann wie dieses als rein technische Bezeichnung des „Ungetauften“ verwendet werden, sogar im Hinblick auf kleine Kinder104. Mit der Zeit scheint sich jedoch, ohne jemals vollständig durchzudringen105, eine Sonderung vollzogen zu haben in der Richtung, daß gentilis am „Heiden“ stärker den „Ungetauften“ meinte, paganus den „Anhänger widergöttlichen Kults“: gentiles, schreibt Isidor von Sevilla († 636), hätten ihren Namen daher, daß sie geblieben seien, wie sie im Stande der Sünde fleischlich „gezeugt“ wurden, noch ohne die geistliche Wiedergeburt im Taufsakrament (geniti . . . necdum regenerati)106; die pagani dagegen seien benannt nach den attischen Demen (ex pagis Atheniensium), wo die Heiden angeblich zuerst sich Haine und Götzenbilder aufgerichtet hätten107. Das sind Deutungen, die bei I, 11; C. Kilianus, Etymologicum Teutonicae Linguae (3. Aufl. Antv. 1599) p. 179 s.v. heyden; Matth. Martinus, Lexic. Philol. (3. Aufl. 1655) s. v., u. a. m. Neben ihm stehen mancherlei rivalisierende Vorschläge (Übersicht: E. Kornemann, Realenzyklopädie d. klass Altertumswissensch. von Pauly-Wissowa u.a. XXXVI/1, 1942, 2295–7 s. v.), doch scheint er trotz allem immer noch den Vorzug zu verdienen. Bündig wird die Geschichte des Wortes erst geschrieben werden können, wenn die entsprechende Lieferung des Thesaurus Linguae Latinae vorliegt und durch genügend umfassende Sammlungen für die Zeit nach 600 ergänzt worden ist. Wertvolle Vorarbeit für die Abgrenzung gegenüber den älteren gentilis usw. hat an entlegener und darum unverdient wenig beachteter Stelle A. Dove geleistet: Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens, Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., philos.-hist. Kl., 1916, 8. Abh., S. 48–63. 103 A. Dove, S. 60, auf eine von ihm angenommene andere Erklärung des Ursprungs der christlichen Bedeutung gemünzt. Die zitierte Formulierung trifft jedoch auf sämtliche Versuche dieser Art zu. 104 Th. Zahn, Neue kirchl. Zs. 10, 1899, S. 23–5. 105 Siehe Anm. 107. 106 Isid. Hispal., Orig. (ed. W. M. Lindsay, Oxon. 1911) VIII, 10, 2. 107 Ebenda VIII, 10, 1. – Man beachte, daß „Heiden“ in diesem Satz mit gentiles wiedergegeben wird, ebenso wie auch an der in Anm. 106 zitierten Stelle zum necdum regenerati das idolis servientes tritt. Vollständig wurde die Trennung nie durchgeführt, nur das Schwergewicht ruhte bei beiden Begriffen in der angegebenen Richtung. Ein
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der Vorliebe des Mittelalters für „etymologische“ Spielereien dieser Art ihre Wirkung nicht verfehlen konnten, wenngleich Isidor hier wohl mehr Spiegel als Urheber der Entwicklung gewesen ist108. So wurde denn, um mit A. Dove zu sprechen, paganus vorwiegend der Begriff „für das Heidentum . . . in seiner verwerflichen Gestalt, in seinem unverantwortlichen Dasein und Wesen“, während sich an gentilis mehr „die freundlichere Vorstellung“ knüpfte von „der Heidenschaft als der noch nicht bekehrten, wohl aber zur Bekehrung berufenen Völkerwelt“109. „Jenes bezieht sich – relativ gesprochen – auf die Heiden durch Schuld, dieses auf die durch Schicksal; die Paganen erwecken mehr Zorn und verdienen eher Strafe, die Gentilen erregen überwiegendes Mitleid und vor allen Dingen Hoffnung auf ihren gutwilligen Übertritt“110. Zwei in der Kirche von den Anfängen an nebeneinander vorhandene, verschiedene Ansichten des Heidentums111 hatten damit, soweit überhaupt möglich, getrennten sprachlichen Ausdruck gefunden. Durch diese Entwicklung wurde paganus befähigt, in Richtung seines angegebenen inhaltlichen „Schwerpunktes“ auch über die ursprüngliche Bedeutungsgrenze, den Umkreis der Ungetauften, hinauszugreifen. Meinte es vornehmlich den Verehrer fremder Götter, so konnte es schließlich auch Getaufte mit einschließen, die von solchem Kult nicht lassen wollten, konnte also zusätzlich zu der Funktion des grch. ἐθνικός, die es mit gentilis teilte, noch die des grch. ἀποστάτης bzw. des spätlat. Lehnworts apostata mit übernehmen. Schon der Codex Theodosianus weiß von Leuten, die ex Christianis pagani facti sunt112, und für die
Beispiel für Verwendung von paganus in Verbindung mit dem Hinweis auf fehlende Taufe s. oben Anm. 90. Vgl. auch A. Dove, S. 60 f. mit weiteren Belegen. 108 Vgl. die Beleg bei A. Dove, ebenda, die zwar nicht die gleiche etymologische Deutung, aber doch die gleiche semantische Entwicklung bereits bei Augustin angebahnt zeigen, jedenfalls für paganus. 109 A. Dove, S. 58. 110 Ebenda S. 61. 111 Vgl. A. Baumstark, Liturgischer Nachhall der Verfolgungszeit. In: Festg. f. A. Ehrhard, 1922, S. 54, 59; G. Tellenbach, Römischer und christlicher Reichsgedanke in der Liturgie des frühen Mittelalters. In: Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., philos.-hist. KL, 1934, 1. Abh., S. 9–10. – Der doppelte Aspekt findet sich bereits in Psalmen des nachexilischen Judentums vorgebildet (vgl. A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten und der Juden zu den Fremden, Freiburg 1896, S. 184 ff.), so daß hier für die frühe Christenheit heilige Überlieferung und unmittelbare eigene Erfahrung zusammenwirkten. 112 Cod. Theod. XVI 7, 1 (S. 884 Mommsen-Meyer). In die gleiche Richtung weisen charakteristische Neubildungen, vgl. das Wettern karolingischer Kapitularien gegen paganiae des populus Dei (MG. Cap. I p. 24, 31 f.; 30, 1 ff.; 45, 16 ff.), sowie das
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Ljutizen des 11. Jahrhunderts, um die es uns hier vordringlich geht, stellt der Kaiserbiograph Wipo (um 1040) ausdrücklich fest, daß sie, einst ohnehin nur „Halbchristen“ (semichristiani), zu pagani geworden seien „durch ruchlose Apostasie“ (per apostaticam nequitiam)113. Wir dürfen das Wort trotzdem auch weiterhin im allgemeinen mit „Heiden“ übersetzen, denn der deutsche Ausdruck läßt die gleiche Begriffserweiterung zu wie der lateinische im Sinn jener Zeit. Nur müssen wir uns darüber im Klaren sein, daß dies vom Standpunkt einer strengen und ausgebildeten Terminologie, wie sie den modernen Ansprüchen der Kanonistik genügt, sehr unpräzis ist. In ihrem Begriffssystem wäre für die Ljutizen nach 983 nicht „Heiden“ zu sagen (= vom Christen- sowie Judentum Unberührte), sondern eben „Apostaten“. Daß die Schriftsteller des frühen Hochmittelalters sich trotz ihrer noch verschwommeneren Ausdrucksweise über den grundsätzlichen Tatbestand durchaus klar gewesen sind, hat schon das eben angeführte Beispiel Wipos gezeigt. Ganz anders ist die Formulierung, mit der gut 25 Jahre vor ihm ein Sachsenbischof im Sorbenlande sich über die religiöse Situation des Nachbarvolkes geäußert hat, aber sie weist durchaus in gleicher Richtung. Dietmar (Thietmar) von Merseburg nämlich (1009-18) faßt die Empörung von 983 überhaupt nicht als Rückfall zum Heidentum auf, sondern als Abfall zu „dämonischer Ketzerei“ (demoniaca heresis)114. Das entspricht zwar wiederum nicht ohne weiteres den Vorstellungen, die sich heute an den Begriff der „Ketzerei“ heften; es ist jedoch ähnlich in dieser Zeit auch sonst zu belegen115 und läßt sich
Verbum paganizare bei Du Cange, Glossarium mediae et infimae Latinitatis, Niort 1883–7, s. v. 113 Wipo, Gesta Chuonradi c. 33 (= Opera3 ed. Bresslau, MG SRG 1915, S. 52). 114 Thietm. III 17 (S. 118, 30 ff.): Vice Christi et piscatoris eiusdem venerabilis Petri (vgl. Mt. 4, 19; die Anspielung erfolgt wohl mit Rücksicht auf das verheißungsvoll angelaufene Missionswerk, das durch den Abfall so jäh unterbrochen wurde) varia demoniacae heresis cultura deinceps veneratur. Dietmar, dessen Einstellung zur elbslawischen Apostasie unten S. 551–560 noch genauer zu charakterisieren ist, hat damit eigenartig ins Schwarze getroffen: tatsächlich bedeuteten die verschiedenen heidnischen Reaktionen der Jahre 983–1066 nicht ohne weiteres eine Rückkehr zur reinen Form des alten Heidentums, sondern, mindestens teilweise, zu einer von christlichen Einflüssen veränderten Gestalt: vgl. A. Brückner, bei Chantepie (s. Anm. 22) II S. 509. 115 Regino Prum., De syn. caus. II 371 (ed. F. G. A. Wasserschleben, Leipzig 1840, S. 355–7) = Burch. Worm., Decr. X 1 (PL 140, 831–3): haereticus und infidelis . . . pagano deterior für Leute, die derelicto creatore suo, a diabolo suffragia quaerunt; wer solches tut, a recta fide deviat, et in errore paganorum revolvitur . . . et . . . fidem perdit (konkret von Anhängern heidnischer Los- und Zauberbräuche gesagt, die aber für das christliche Mittelalter sich wesensmäßig von heidnischem Götterkult nicht unterscheiden: auch er ist ihm ja ein Anrufen des Teufels bzw. seiner Dämonen an Gottes Stelle, vgl. oben
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unschwer verstehen: „Ketzerei“ und „Apostasie“ stellen ja auch im heutigen Sinne beide nichts anderes dar als Abweichungen von der kirchlich gebotenen Glaubensnorm, nur in jeweils verschiedener Richtung (als Abirrung einmal gewissermaßen nach der Seite, im anderen Fall nach rückwärts, dort zur Glaubensneuerung, hier als Rückwendung zu Göttern und Riten, denen bereits abgeschworen war); der alte Sprachgebrauch achtete mehr auf dieses grundsätzlich Gemeinsame, der neuere hat, präziser, zunächst die Unterschiede im Auge. Um so größer ist die Bedeutung, die dieser Formulierung Dietmars für unsere Zwecke zukommt: sie führt uns bereits ganz unmittelbar in den Bereich hinein, in dem das compelle (bzw. coge) intrare im augustinischen Sinne gilt116; zugleich aber haben wir an dieser Stelle erstmalig wieder den persönlichen Lebenskreis Bruns betreten, der ein Verwandter und, wichtiger, ein Magdeburger Schulgenosse des Bischofs von Merseburg war117. Die gleiche Einschätzung des Ergebnisses von 983, wie sie von Dietmar und Wipo vertreten wird, zieht sich aber durch die ganzen folgenden Jahrhunderte hin: es sei nur an Adam von Bremen (um 1075) erinnert, demzufolge die Wenden nach langem Festhalten am Christentum „sich abschnitten vom Leibe Christi und seiner Kirche, dem sie vorher verbunden waren“118 (eine Wendung, die bemerkenswert an herkömmliche Exkommunikationsformeln anklingt119). Vor allem Vertreter besonders streng kirchlicher Observanz haben sich diese Zusammenhänge im Bewußtsein gehalten: der Annalist von Pöhlde, Prämonstratenserordens, motiviert sogar noch den bernhardinischen Wendenkreuzzug von 1147, der von seinem Urheber her doch wohl anders gemeint war120, u.a. als eine Strafexpedition gegen eine Bevöl-
S. 489 f.). – Vgl. auch Anm. 121, sowie für die ähnlich fließenden Grenzen zwischen „Apostaten“ und „Todsündern“ unten S. 553. 116 Siehe bei Anm. 80. 117 Thietm. VI 94, S. 386, 10: contemporalis et conscolasticus meus, . . . amicus mihi consanguinitate. Vgl. R. Holtzmann, Einl. z. Ausg. S. VIII bis IX sowie Stammtafel ebenda S. X. 118 Adam Brem., Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum3 II 44 (ed. B. Schmeidler, MG SRG 1917, S. 105, 4): . . . (Sclavi) . . . se absciderunt a corpore Christi et ecclesiae . . . Adams Gesamteinstellung zum Problem s. unten S. 550–552. 119 Vgl. Reg. Prum., De syn. caus. II 412 (S. 371) = Burch. Worm., Decr. XI 2 (PL 140, 857 D): . . . itaque . . . membrum putridum et insanabile . . . ferro excommunicationis a corpore Ecclesiae abscindamus . . . 120 Vgl. unten bei Anm. 129 und bes. S. 524 f.
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kerung, die „von der Bahn des göttlichen Kultes . . . fast ganz ( propemodum!) abgewichen war“121, also gegen Apostaten. Das war nun zwar vielleicht auch für hochmittelalterliche Verhältnisse etwas kraß gedacht: jene Apostasie konnte ja gar nicht den damals lebenden Elbslawen selbst zur Last gelegt werden, sondern lediglich ihren Vorvätern vor so und so vielen Generationen, und die kirchliche Disziplinargewalt hatte strenggenommen nur die zu belangen, die noch selbst das Taufsakrament empfangen hatten122. Ein Anspruch aber war von kanonistischem Standpunkt aus auf jeden Fall aufrecht zu erhalten: der nämlich, daß das de facto verlorene Land am anderen Ufer der Elbe de jure weiterhin ein christliches sei. Nehmen wir nur, um bei einem der Lebenszeit Bruns besonders naheliegenden Beispiel zu bleiben, die Dekretaliensammlung des Burkhard von Worms: da stellen mehrere ältere canones einmütig fest, „daß Orte, die einmal Gott geweiht worden oder Klöster gewesen sind, dies auf ewig bleiben müssen und fürderhin nicht mehr zu weltlichen Wohnstätten gemacht werden können“123 (wieviel weniger zu Stätten der „Dämonen“!), und „daß Orte, die, vor Zeiten geweiht, nun durch Unflat (spurcitiis, eine häufige Bezeichnung für alles heidnische Wesen) besudelt sind, nach Möglichkeit (iuxta possibilitatem) in ihren alten Stand zurückgeführt werden müssen“124. Als sichtbare Verkörperung dieses Anspruchs wurden nach wie vor Bischöfe etwa von Brandenburg geweiht, nun eben in partes paganorum125: ein solcher verlebte um die Mitte des 11. Jahrhunderts sein Exil am Hofe des Erzbischofs Adalbert von Bremen126; einen anderen sehen wir 50 Jahre später maßgeblich daran beteiligt, das Christentum erneut über die Elbe in seinen rechtmäßigen Sprengel zurückzutragen127. Die Erinnerung, daß dort drüben im Osten christliche 121 Ann. Palid. a. 1147 (MG SS XVI, 82, 35): Die Kreuzfahrer rücken aus u.a. cultui divino . . . artius eos (die Elbslawen) adplicare cupientes, a quo propemodum exorbitaverant. Die Wendung: a fide exorbitare findet sich z.B. noch bei Pseudo-Isidor, Ep. Anacl. c. 39 (ed. P. Hinschius, Lips. 1863, S. 85), dort von einem irrgläubigen Priester gebraucht. – Vgl. auch Helmoldi Bozov., Chron. Slav. I 65 (ed. B. Schmeidler, MG SRG 1937, S. 123,4) über die Ziele der Kreuzfahrer: . . . ut Slavi fidem Christianam reciperent. 122 Vgl. dazu unten S. 519–521. 123 Burch. Worm., Decr. III 15 (PL 140, 676 B); 19 (ib. C); 39 (679 D); 105 (694 C); 129–30 (698–9); 140 (701 C); 142–5 (701–2); 164 (706 A); 178 (707). 124 Ebenda III 16 (676 B). 125 Vgl. dazu ebenda III 89–90 (Sp. 691–2). 126 Adam Brem. III 77 (S. 225): Tangwardus Brandenburgensis unter einer Reihe von Bischöfen, die sedes proprias non haberent. 127 Vgl. Cod. Dipl. Brandenburgensis, begr. v. A. Riedel, I/X S. 69 (Urkunde Bischof Hartberts ca. a. 1114 mit ausführlicher narratio). Auch an die Wirksamkeit Bischof
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Heiligtümer geschändet und von „heidnischem Unflat“ besudelt sind, nicht weniger als drunten im fernen Palästina, spricht aus dem gleichzeitigen Magdeburger Entwurf zum Aufruf eines Kreuzzugs gegen diese „schlimmsten aller Heiden128“, und auch Bernhard von Clairvaux stellte 1147 seine Kreuzzugspredigt gegen dieselben unter die Losung, „Vergeltung zu üben an den Heiden und sie auszurotten aus dem Lande unseres Christennamens“129. Anderthalb Jahrhunderte nach Brun vermochte so die Erinnerung an entsetzliche, immer noch ungesühnte Schuld, die dieses Volk in den Augen mittelalterlichen Christentums auf sich geladen hatte130, Herz und Zunge führender christlicher Geister zu entflammen und christliche Heere in Marsch zu setzen (wenn auch schließlich mit sehr anderem Ergebnis, als es im Sinne des Planers lag131). Ist es verwunderlich, wenn ein Mann wie Brun, unmittelbarer Zeitgenosse des gräßlichen Abfalls, zudem von strengsten kirchlichen Reformideen erfüllt wie kein zweiter Sachse seiner Zeit, zu ähnlich schroffen Forderungen kam? Wie der Querfurter die Ereignisse von 983 erlebt hat, wissen wir nicht: etwa 973/74 geboren, mag er damals ein Kind von 9–10 Jahren gewesen sein. Weilte der Knabe bereits im Magdeburger Domstift, am Sitz desjenigen Erzbistums, das durch diese Ereignisse vor allen anderen in seinem Bestand getroffen und erschüttert wurde, so muß er das Schreckliche aus nächster Nähe miterlebt und tief in sein empfängliches Gemüt aufgenommen haben; mindestens aber ist die offizielle kirchliche Auffassung der damaligen Ereignisse ihm dort während seiner späteren
Wiggers (1138–60) wäre hier zu erinnern (vgl. A. Hauck IV S. 634 m Lit.; unten Beitrag XVI, S. 569 f.). [Über Hartbert und Wigger jetzt ausführlich ders., Slawen u. Deutsche in der Brandenburg. Gesch., Köln/Graz 1964, Zweites u. Drittes Kap.] 128 Urk. Buch d. Erzstifts Magdeburg, bearb. v. F. Israel u. W. Möllenberg I (Magdeb. 1937), n. 193 (S. 249 ff.). Vgl. dazu unten S. 521 f. u. 532–534. 129 Bern. Clar., Ep. 457 (PL 182, 651 B): . . . ad faciendam vindictam in nationibus (vgl. Ps. 149, 7; über nationes als Heidenbezeichnung: A. Dove, S. 52–3) et exstirpandas de terra Christiani nominis . . . Dazu unten S. 524 f. 130 Daß die Zerstörung heidnischer Heiligtümer durch Christenhand für die Betroffenen subjektiv ein nicht geringerer Frevel war, der durch eben diese Taten hatte gesühnt werden sollen, – dies zu verstehen lag im allgemeinen jenseits der inneren Möglichkeiten mittelalterlichen Christentums. (Bekanntlich pflegte die mittelalterliche Kirche ihre Gotteshäuser mit Vorliebe an Plätzen zu errichten, die schon der alten Religion heilig gewesen waren; die Wiederherstellung alter Kultstätten war also ohne Vernichtung der neuen gar nicht möglich.) Vgl. dazu die vortreffliche Arbeit von B. Rehfeldt (s. Anm. 27). 131 Vgl. zuletzt H. Beumann, HJb. 72 (1953), S. 126–31; aber auch unten Beitrag XXI.
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Ausbildung eingehämmert worden, wohlgemerkt: die Auffassung des unmittelbar Geschädigten samt allen Ansprüchen, die sich aus ihr ergaben. Sobald er dann unmittelbar zu uns zu sprechen beginnt – in seiner Adalbertsvita, die 1004, vermutlich in der sächsischen Heimat, verfaßt worden ist –, zeigt er sich ganz davon erfüllt: der Abfall der Ljutizen, bewußt als solcher gewertet, und das Ausbleiben des entscheidenden Gegenschlages treten dort geradezu als Brennpunkte des Bildes hervor, das Brun sich von der Geschichte seiner Gegenwart machte132; so bestimmend hervor, daß die wirkliche Reihenfolge der Ereignisse sich ihm in der Erinnerung zugunsten dieses Schemas umgekehrt hat: „Zu jener Zeit“, schreibt er nämlich, „warfen die Ljutizen, die ungezügelte Völkerschaft, als pagani (sagen wir: heidnische Apostaten) das Joch des Christentums von sich“ (eine Anspielung auf das Bibelwort vom „sanften und leichten Joch des Herrn“133). „Mit aufgerecktem Hals (dem beschämenden Gegenbild christlicher Demut, die sich willig unter dieses Joch beugt) liefen sie hinter fremden Göttern her – ein Irrtum (error), mit dem sie noch jetzt sich plagen – und . . . brachten viele Christen mit dem Schwerte um“; der zweite Otto aber, „während es doch besser gewesen wäre, in heiligem Eifer mit den pagani zu kämpfen“ (auch hier jedenfalls = Apostaten und unmittelbar auf die soeben genannten Ljutizen gemünzt), – der Kaiser also habe statt dessen Krieg mit den Polen und Westfranken geführt, „ohne Rücksicht auf ihr christliches Brudertum“ (was alles in Wirklichkeit vor 983 geschah); er sei dafür freilich allenthalben durch schimpfliche Niederlagen gestraft worden134. 132 Die im gleichen Zusammenhang bedeutsam als Quelle allen Übels hervortretende Aufhebung des Bistums Merseburg durch Otto II. kann hier außer Betracht bleiben. Vgl. dazu Anm. 61. 133 Mt. 11, 29-30; Act. 15, 10. Formulierungen dieser Art, die sehr häufig wiederkehren, sind also nicht etwa ein Eingeständnis, daß das Christentum infolge unmenschlicher Christianisierungsmethoden und unerträglicher Zehntenlast ein Joch für die Neubekehrten war (so z.B. O. Loorits, Grundzüge des estnischen Volksglaubens I, Uppsala 1949, S. 590). Das sanfte und leichte „Joch Christi“ wird gern dem drückend lastenden Joch des Teufels und des Unglaubens gegenübergestellt (anknüpfend wohl an Stellen wie II. Cor. 6, 14; Gal. 5, 1): vgl. z.B. Thietm. VIII 5 (S. 498) von der obotritischen Apostasie des Jahres 1018: cervicem suam „suavi iugo“ Christi excussam oneroso diabolicae dominacionis ponderi sua sponte subdiderant . . . Daß in Wirklichkeit auch das Christentum der Missionszeit für die mittelalterlichen Völker ein sehr drückendes Joch sein konnte, wie O. Loorits a. a. O. für Estland mit vollem Recht hervorhebt, steht freilich auf einem anderen Blatt. 134 Brun. Querf., Vita S. Adalb., rec. I (MG SS IV, 598 f., wo die Fassung dieser Redaktion leider unglücklich auf Text und Noten verteilt ist; nicht zugänglich war die Ausgabe von A. Bielowski, Mon. Pol. Hist. I, 184 ff.): Ea tempestate effrena gens Lutici pagani (p. – prädikativ, nicht als Attribut zu L. zu fassen, da Brun sonst widersinnig
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Die chronologischen Irrtümer dieser Stelle, die übrigens für den Sprachgebrauch von paganus eine klare Parallele zu Wipo135 liefert, sind dann zwar in den späteren Schriften beseitigt136; vielleicht hängt es damit zusammen, daß das um diese beiden Brennpunkte kreisende Schema dort nicht mehr in gleicher Konzentration wiederkehrt. Nimmt man aber alles zusammen, so ergibt sich, daß Brun, trotz aller Berichtigung in Einzelzügen, grundsätzlich dieses Schema doch bis in sein letztes Lebensjahr – das Jahr des Briefes an Heinrich – festgehalten hat137, und namentlich der Brief selbst läßt uns noch stärker spüren, wie der Schreiber die ganzen langen Jahre auf den Feldzug gewartet hat, der die christliche Ehre an diesem Frontabschnitt wieder hergestellt hätte: wie sehr er die gemeinsame Kriegführung Deutschlands und Polens gegen die Abtrünnigen im Zeitalter Ottos III. trotz ihrer geringen Erfolge begrüßt hat als verheißungsvollen Auftakt für das endgültige debellare (= compellere intrare)138; wie er dann freilich durch den Quedlinburger
behauptet hätte, daß bis zum Zeitpunkt dieser Apostasie Heiden Christen gewesen seien) iugum christianitatis deponunt, et – cum quo errore adhuc laborant (vgl. dazu Anm. 133) – post deos alienos (häufige biblische Wendung für Götzen, zu denen die Israeliten abfielen) erecto collo currunt, et . . . christiani multi gladio ceciderunt. Trotzdem handelte Otto, cum esset melius pugnare zelo cum paganis, in der angegebenen Weise sine reverentia fraternae christianitatis . . . Zu den beiden oben im Text erwähnten kriegerischen Unternehmungen tritt noch ein verlustreiches und ebenfalls schimpfliches bellum cum nudis Sarracenis, das aber, obwohl gegen Nichtchristen gerichtet, ebenfalls nicht in Bruns Sinne war, da nicht augendae christianitatis gratia, sondern terrae causa unternommen. Vgl. dazu oben bei Anm. 31 sowie unten S. 548 f.; über die weiteren Ausführungen Bruns an dieser Stelle: oben S. 499 f., unten 515 f. 135 Siehe oben S. 509. 136 Beachte bes. Vita S. Adalb., rec. II, c. 10 (MG SS IV, 598–9, reine Textfassung), wo zwar die Apostasie der Ljutizen als größtes der durch Ottos II. Mißregierung heraufbeschworenen Übel ihren Platz vor seinen älteren Feldzügen behalten hat, aber ohne daß diesen letzteren noch eine Bezugnahme auf sie (christlicher Bruderkrieg statt Apostatenexekution) beigegeben wäre. – Ob die Änderung der historischen Reihenfolge in rec. I wider besseres Wissen erfolgt ist, um so, ein Jahr nach dem Ljutizenbündnis Heinrichs II., dieses indirekt desto schärfer zu geißeln? 137 Die Schilderung der Apostasie von 983: Vita S. Adalb., rec. II, c. 10 (s. Anm. 136); die Forderung des Zusammenstehens aller Christen zum Kampf gegen die pagani: Vita quinque fratrum, c. 9 (MG SS XV2 S. 724–5); dazu die ausdrückliche Herausstellung des konkreten Sonderfalls, den Brun auch bei diesen allgemeinen Formulierungen allein im Auge gehabt hat, im Brief an Heinrich. (Die Prägung allgemeiner Formulierungen auf konkrete Einzelfälle ist eine Eigenheit Bruns, die R. Wenskus – s. oben Anm. 85 – auch sonst beobachtet hat). 138 Bei v. Giesebrecht, S. 692 (anschließend an den Hinweis, daß Bolesław zur Zusammenarbeit mit Heinrich in expugnandis paganis bereit sei): O quanta bona et commoda in custodiendo christianismo et in convertendo paganismo concurrerent, si, sicut pater Mysico cum, qui mortuus est, imperatore, ita filius Bolezlawo cum vobis . . . viveret, nostro rege. Vgl. oben S. 491 f. und bes. unten bei Anm. 151. – Die deutsch-polnische
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Friedens- und Bündnisschluß Heinrichs II. mit „solchen Menschen“ (hos tales) um so bitterer enttäuscht worden ist139. Für die übrigen Schriften dieses Jahres kann hier ein Blick in die zweite Redaktion der Adalbertsvita genügen, die Brun damals wohl für Bolesław Chrobry verfaßt hat. Jener gegenwartsgeschichtliche und gegenwartskritische Exkurs der ersten Fassung ist darin stark gekürzt, sei es zur Ausmerzung seiner chronologischen Unrichtigkeiten, sei es, weil die daran angeschlossenen Klagen gegenüber einem Mann vom Missionseifer des Polenherzogs unnötig waren. Was Brun aber damals über den Rückschlag von 983 selbst geschrieben hatte, ist wortwörtlich wieder aufgenommen, einschließlich der Feststellung, daß der durch ihn herbeigeführte Zustand des Irrtums unter den Schuldigen „noch jetzt“ anhalte140. Da der Querfurter den fraglichen Abschnitt für die Neufassung im übrigen so weitgehend umgearbeitet und gekürzt hat, ist das ein sehr handgreiflicher Beweis, daß ihm diese Zusammenhänge in den Monaten, in denen er sich auch mit seinem Brief an den König trug, unverändert wesentlich waren. Mehr noch: die in der Neufassung ausgeschiedenen Partien, die jenen Sätzen ursprünglich folgten, sind zu einem erheblichen Teil unmittelbar in den Brief abgewandert. Besonders die Wendungen, die für uns entscheidend geworden sind, haben teilweise ihren Ursprung dort: vor allem die Anspielung auf das biblische compelle intrare 141. Es ist deutlich, daß der Aufruf an Heinrich dadurch zu der vorhin wiedergegebenen Formulierung – der einzigen, in der Brun ausführlicher auf die ljutizische Apostasie als solche eingegangen ist – in eine ganz besondere Nähe rückt. Aber wir können noch einen Schritt weiter gehen: auch der Text des Briefes selbst nimmt bei genauerem Hinsehen auf das Apostatentum des bekämpften Volkes Bezug; nicht so ausdrücklich, daß es sich auch uns Fernerstehenden unmittelbar aufdrängt, doch für den zeitgenössischen Empfänger und Kenner der Verhältnisse deutlich genug. „Zwei große Übel“, so sahen wir142, hemmten nach Meinung Bruns den Fortschritt der Christenheit an ihrer nordöstlichen Flanke: daß
Waffenbrüderschaft jener Zeit behandeln u.a. G. Lukas (s. Anm. 5), S. 47–69 u. fortfahrend; F. Dvornik (s. Anm. 1), S. 86–7; 137–8; 145–6; 159; 181; A. Brackmann (s. Anm. 26), S. 172–5; 251. [vgl. unten Anm. 316.] 139 Zum Quedlinburger Vertrag: oben bei Anm. 5; Bruns Stellungnahme: oben S. 488–491. – hos tales nach Anm. 35. 140 Vita S. Adalb., rec. II c. 10 (s. Anm. 136). 141 Siehe oben S. 499 f. 142 Oben S. 491 und 500.
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die Prußenmission wegen der anderweitigen Bindung des christlichen Nachbarherrschers auf den stützenden weltlichen Arm verzichten mußte, und das Ausbleiben des Ljutizenzuges. Dabei wird der religiöse Zustand der Prußen ganz beiläufig behandelt wie etwas Selbstverständliches, das keines besonderen Aufhebens braucht: sie sind, meint man aus dem Wortlaut herauszuspüren, noch keine Christen, gewiß; aber wie sollte das anders sein, wo wir bisher mit so wenig Nachdruck unter ihnen gepredigt haben? So ist ihr Heidentum dem Schreiber in diesem Zusammenhang keine ausdrückliche Betonung wert143; lediglich die Bemerkung, daß Bolesław gern tatkräftig „an der Prußenbekehrung“ (ad convertendos Pruzos) mitgearbeitet hätte, wirft darauf ein flüchtiges Licht. Mit welchem Eifer dagegen hebt Brun hervor, wie es in dieser Hinsicht um das Wendenvolk steht! „Obwohl die Ljutizen sich zum Heidentum halten und Götzen dienen“144, zum Schmerz „der neuen Kirche, die Gott und der streitbare Petrus unter der rohen Heidenschaft in Angriff genommen“145, unterläßt der König den Entscheidungskampf „wegen ihres Christentums“, wie wir propter christianismum nach alledem wohl am besten wiedergeben; und zwar nicht einfach nur den Kampf gegen „sie“, sondern den Kampf gegen „sie, die so beschaffen“, „Menschen, die so sind“ (hos tales146). Das sticht nicht nur von der
143 Daß das Heidentum der Prußen an früherer Stelle des Briefes (bei v. Giesebrecht, S. 690) schon gestreift worden ist, spielt dabei keine Rolle: dies war ebenfalls bedeutend ausführlicher, unter Nennung des Götternamens und kultischer Einzelheiten, auch für die Ljutizen bereits geschehen (s. oben S. 489 f.). 144 Bei v. Giesebrecht, S. 691: . . . cum Liutici pagani sint et idola colant, non misit Deus in cor regis, hos tales propter christianismum . . . debellare, quod est iubente evangelio compellere intrare. Zur Textfassung s. Anm. 35. Obige Übersetzung mit Rücksicht auf die ungenaue Deckung von mlat. paganus und nhd. „Heide“ (s. oben S. 505–509). 145 Bei v. Giesebrecht, ebenda: . . . quam Deus et pugnans Petrus in rudi paganismo coepere, nova aecclesia prope sentire debet. Das steht zwar als Leitsatz über dem ganzen Passus, auf beide magna mala bezogen, die Brun darin beanstandet (s. oben S. 491). Es gilt in erster Linie für die Behinderung Bolesławs an der Durchführung seiner Maßnahmen für die Prußenmission und für das Ausbleiben des von Heinrich erwarteten Ljutizenzuges. Der damit angeschlagene Grundton schwingt aber auch in der Erwähnung des Umstandes mit, der diesen Zug nach Brun notwendig macht. Wieder ist zu beachten, daß für das Heidentum der Prußen Entsprechendes nicht gesagt werden kann: es ist zwar, scheint die Meinung zu sein, bedauerlich und muß bekämpft werden, aber das eigentliche Übel für die Kirche liegt hier nicht darin, daß dieses Heidentum noch besteht – es bleibt ja außer ihr, während das ljutizische in sie eingebrochen ist –, sondern darin, daß sie ohne den Schutz, den Bolesław zur Zeit nicht gewähren kann, dort nicht frei zu predigen vermag (vgl. das Martyrium Adalberts, an dem ja gerade Brun durch seine doppelt bearbeitete Vita besonderen Anteil genommen hat). 146 Siehe dazu Anm. 35.
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Art ab, wie der Querfurter die Prußen behandelt147, sondern auch von sämtlichen Erwähnungen sonstigen Heidentums in seinem Brief und ist nur aus den besonderen Gegebenheiten zu erklären, die wir uns vergegenwärtigt haben. Für „gewöhnliche Heiden“ versteht sich der „Götzendienst“ von selbst. Kann schon diese Stelle voll nur von den gekennzeichneten Voraussetzungen her verstanden werden, so gilt dies in noch höherem Maße von einer zweiten. Am Ende dieses ganzen Passus schreibt Brun, die militärische Zusammenarbeit zwischen Heinrich und Bolesław gegen die Ljutizen solle u.a. hergestellt werden, damit wieder, wie schon zur Zeit der beiden Vorgänger, große bona et commoda in custodiendo christianismo entstünden148. Die vergangene Forschung hat dies so aufgefaßt, als sollten die beiden bisherigen Rivalen künftig gemeinsam zum Schutz der Christenheit gegen äußere Feinde kämpfen, was bei den ständigen Einfällen, mit denen die Ljutizen bis zum Frieden von 1003 die angrenzenden Gebiete verheerten, ja auch durchaus nahelag149. Dabei ist jedoch nicht berücksichtigt, daß custodire weniger „beschützen“ als „bewachen“, weniger „abschirmen nach außen“ als „verhindern eines Ausbruchs von innen“ bedeutet, wie denn custodia oft geradezu der „Gewahrsam“ ist. Von dieser Grundlage aus kann sich dann zwar übertragen auch die Bedeutung entwickeln, welche die früheren Übersetzer im Auge gehabt haben, indem gewissermaßen daran gedacht wird, daß Feinde innerhalb ihrer eigenen Grenzen „in Gewahrsam gehalten“, am „Ausbruch“ aus ihrem eigenen Gebiet verhindert werden sollen. Der geistliche Sprachgebrauch aber hat offensichtlich an die Grundbedeutung angeknüpft: proximorum custodia ist z.B. für Gregor d. Gr. Ausdruck der seelsorgerischen Aufsicht eines Priesters über seine Gemeindeglieder und ungefähr gleichbedeutend mit commissorum nobis vitam zelare, dem frommen Eifer des Geistlichen für jene, die ihm anvertraut sind150. Genau das aber ist es, was wir als Absicht des „Erzbischofs der Heiden“ gegenüber den
147
Vgl. dazu auch Anm. 145. Siehe Anm. 138. Die dort betont als vorbildlich herausgestellte Zusammenarbeit zwischen Otto III. und Mieszko I. galt der Ljutizenbekämpfung (Literaturangaben ebenda), so daß die oben im Text hervorgehobene Wendung ebenfalls in diesen Zusammenhang eingerückt werden muß. Über das unmittelbar anschließende: et in convertendo paganismo s. unten S. 518 ff., 530, 534, 538, 542 f.; auch schon Anm. 151. 149 Vgl. die Übersetzungen von H. G. Voigt, S. 443: „in Schutz des Christentums“; F. Dvornik, S. 204: „in the defence of Christendom“. 150 Vgl. z.B. Greg. Magn., Hom. in Ev. I 17, n. 11 und 14 (PL 76, 1144 B; 1146 B–C). 148
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wendischen Apostaten aufgewiesen haben. Wir werden demnach die fragliche Formulierung nicht auf den „Schutz der (außerljutizischen) Christenheit“ gegen die Beutezüge eben dieser Wenden zu beziehen haben, sondern auf die „Bewahrung der (ljutizischen) Christenheit“ vor Fehltritten oder, wenn man so will, den „Schutz des (ljutizischen) Christentums“ gegen diejenigen, die ihm de iure längst unterstehen, aber sich nicht scheuen, es ständig zu verletzen151. Mit diesen beiden Beobachtungen aber haben wir zugleich aus Bruns eigenem Munde die Bestätigung, daß die Sondermaßnahmen, die er im Gegensatz zu allen anderen Missionsgebieten seines Gesichtskreises für dieses eine wendische Land fordert152, wirklich mit der Sonderstellung zusammenhängen, in der dieses Land – für ihn ebenfalls einmalig – sich damals der Kirche gegenüber befand. Das letzte Glied unserer Beweiskette hat sich geschlossen: das compellere intrare Bruns von Querfurt steht seinem Ursprung nach nicht auf einem anderen, sondern noch auf demselben Blatt wie das coge intrare eines Augustin. Beide gemeinsam vertreten den Anspruch der Kirche an die christlich-weltliche Obrigkeit, Abtrünnige, vor denen die geistlichen Disziplinarmittel versagen, zu deren eigenem Heil in den Schoß dieser Kirche zurückzuzwingen, nunmehr eben auf ungeistliche Weise; nur die Form von Abtrünnigkeit, die jeweils im Vordergrund steht, ist für den sächsischen „Erzbischof der Heiden“ eine andere als für den um die Donatisten bemühten Bischof von Hippo. 4. Bruns Stellung in der Typologie christlichen Einsatzes von Waffengewalt gegen Heiden Ist Bruns Aufruf darum ganz aus der Geschichte der zwangsweisen Heidenchristianisierung zu streichen?
151 Auf diese Weise entsteht gleichzeitig eine bedeutend wirkungs- und sinnvollere Spannung zu dem unmittelbar folgenden et in convertendo paganismo, dessen Aufklärung der 4. Abschnitt dieses Beitrages dienen soll (s. S. 518–538, 542 f.): Custodire christianismum und convertere paganismum stehen nunmehr nebeneinander als zwei gleichermaßen seelsorgerliche Aufgaben der Christenheit – die eine nach innen, die zweite nach außen gewendet, beide aber zusammengefaßt in dem großen Ziel, alle Menschen zum rechten christlichen Glauben und Leben zu führen (s. dazu auch unten, S. 539–545) und beide vom „weltlichen Arm“ dieser Christenheit mit Nachdruck zu unterstützen. 152 Siehe oben S. 499–501.
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Wir dürfen nicht vergessen, daß die Bevölkerung, gegen die er sich richtete, mit kanonistischem Maßstab gemessen, keineswegs einheitlich war. Schon vor 983 wird ein nicht gerade unbedeutender Prozentsatz des Ljutizentums sich der Taufe ferngehalten haben153, wie ja auch das vor dem damaligen Rückschlag bewahrt gebliebene Sorbenland noch lange danach auf weiten Flächen fast rein heidnisch war154. Als aber Brun seine Schriften verfaßte (1004–9), waren seit jenem Schicksalsjahr nicht weniger als 20–25 Jahre ins Land gegangen, ebenso viele ljutizische Jahrgänge doch wohl geschlossen ungetauft geblieben. Die von ihm geforderte Exekution mußte also ganz von selbst in erheblichem Umfang Menschen in Mitleidenschaft ziehen, die pagani wirklich im Sinne von „Heiden“ (= Ungetauften) und nicht im Sinne von „Apostaten“ waren; Menschen, vor denen der Anspruch der kirchlichen Disziplinargewalt nach altem theologischen und kanonistischen Grundsatz infolgedessen keinen Raum hatte. Brun selbst schreibt an Heinrich, der König solle doch „darauf hinarbeiten, daß der Heide getauft werde155“, und fügt seinem in custodiendo christianismo ein in convertendo paganismo an156. Das kann möglicherweise auch die Förderung einschließen, welche die Prußenmission durch ein Einlenken des Königs gegenüber Bolesław erfahren würde157, aber der Zusammenhang zwingt, beide Stellen in erster Linie mit dem ljutizischen Feldzug in Verbindung zu bringen. Brun war sich demnach des soeben berührten Umstandes sehr wohl bewußt, und es lag durchaus in seinem eigenen Wortlaut begründet, wenn die Forschung bisher seinen Kriegsplan so einhellig158 und selbstverständlich dem Bereich außerkirchlicher Missionsarbeit zuwies. Wir haben also noch zu fragen, wie der Querfurter sich im Zuge seines Exekutionsplans die Behandlung der Ungetauften im Land zwischen Elbe und Oder gedacht haben mag. Zunächst darf festgestellt werden, daß ein Einwand gegen die bisherigen Thesen von den soeben umrissenen Tatsachen aus nicht erhoben werden kann: es ist mehr als fraglich, ob für die kanonistische Rechts-
153
Siehe oben S. 505 f. Siehe Beitrag XIV, S. 476. 155 Oben S. 491, sowie Anm. 90. 156 Oben bei Anm. 151. 157 Mit einem Einsatz Heinrichs in Liuticis et Pruzis convertendis rechnet Brun ausdrücklich, vgl. oben S. 493; convertere dient für die Bekehrung sowohl des Nichtchristen wie des christlichen Sünders: vgl. z.B. unten bei Anm. 286. 158 Das gilt auch für H. G. Voigt, so sehr seine Auffassung sonst auch von den übrigen Forschern abweicht (oben S. 495–499). 154
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auffassung, von der Brun sich nach allem, was wir sahen, so tief durchdrungen zeigt, die angeführten Veränderungen im Bevölkerungsaufbau des Ljutizenlandes jemals ernstlich ins Gewicht fallen konnten, solange es überhaupt noch Getaufte in diesem Lande gab. Da im 10. Jahrhundert die Kindertaufe längst allgemeine Kirchensitte war, stand dies im Winter 1008/9 immerhin noch mindestens für Teile der Jahrgänge von 26 aufwärts zu erwarten, also gerade für die Männer im sogenannten besten Alter, die eigentlichen Träger des ljutizischen Gemeinwesens. „Aufgeschoben“ konnte im Sinn dieser Auffassung also auch jetzt noch keineswegs gleich „aufgehoben“ sein: immer noch gab es, als Bruns Aufruf an König Heinrich erging, genügend Grund zum Einschreiten im Sinn des alten compelle intrare. Eine wesentliche Verschiebung der Rechtslage hätte für einen Mann wie Brun vielleicht in dem Augenblick eintreten können, der das Aussterben der letzten getauften Ljutizengeneration besiegelte, einem Augenblick, den zu erleben ihm selbst nicht mehr beschieden war. Aber auch dann wäre – wir deuteten es schon an159 – im Verhältnis dieses Landes und Volkes zur Kirche nicht einfach wieder alles so gewesen wie zu der Zeit, ehe die Christianisierung begann. Es mag dahingestellt bleiben, ob ein extrem kanonistisches Denken geradezu den Standpunkt hätte vertreten können, daß alle, die von einmal Getauften abstammten, von Rechts wegen die Kindertaufe hätten erhalten müssen, für die zu sorgen ja selbstverständliche christliche Elternpflicht war; daß also der Anspruch kirchlicher Disziplinargewalt vor ihnen nicht in gleichem Maße haltzumachen brauchte wie vor sonstigen Ungetauften: als unmöglich wird der Gedanke an eine derartige Auffassung sich kaum abtun lassen, aber es bleibt dabei doch äußerste Vorsicht geboten. Sicher dagegen ist, daß selbst über das Aussterben der Getauften hinaus ein wesentlicher Unterschied zwischen „echten Heiden“ und den Ljutizen bestehen blieb. Mochte der „Taufcharakter“, der ja immer nur vom einzelnen Sakramentsempfänger persönlich erworben werden kann, aus den Menschen des Landes geschwunden sein, – auch das Land selbst hatte durch Weihe von Kirchen, Friedhöfen und Kapellen, durch die Aufrichtung von Bischofssitzen u. dgl. m. eine Art christlichen „Charakters“ erhalten (wenn hier einmal übertragen so gesagt werden darf ), und er starb nicht mit den Generationen der Men-
159
Siehe S. 505 f. u. 509–515.
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schen dahin160. Mochten seine jetzigen Bewohner, im Jahre 983 noch ungeboren, an der Apostasie dieses Jahres persönlich keinerlei Anteil genommen haben – die Schändung jener christlichen Heiligtümer lag, gewissermaßen als „Kollektivschuld“, darum doch mit auf ihnen, und zwar nicht etwa nur als Erbe der Väter, sondern auch als unmittelbare persönliche Schuld: denn an ihr hatte jeder teil, der sich an heidnischem Kult an einmal gottgeweihter Stätte beteiligte und so dazu beitrug, daß sie immer weiter mit „heidnischem Unflat besudelt“ wurde161. Die Geister mochten sich scheiden an der Frage, ob diese Schuld von christlicher Obrigkeit auch dann zu rächen sei, wenn die Schuldigen ihrer unmittelbaren Botmäßigkeit entzogen waren: darauf kommen wir gleich noch zurück. Unabdingbar jedoch galt die Christenpflicht, entweihte Gotteshäuser, entfremdetes Kirchengut „nach Möglichkeit“ zurückzugewinnen und wiederherzustellen162, und das war nach Lage der Dinge nicht anders zu bewältigen als auf kriegerischem Wege. Es versteht sich, daß alle diese Voraussetzungen erst recht für die Zeit Bruns berücksichtigt werden müssen und für sein Verhältnis zu der ungetauften Mehrheit, mit der er wohl mittlerweile unter den Verehrern des Svarožic zu rechnen hatte. Das bedeutet, daß auch der Querfurter die Maßstäbe „gewöhnlicher“ Heidenmission nicht ohne weiteres auf diesen Schauplatz übertragen konnte, – selbst dann nicht, wenn er von den abtrünnigen Getauften hätte absehen wollen162a. Bis dahin bewegen wir uns auf sicherem Boden. Schwer zu sagen aber ist, wie sein kirchlicher Eifer sich die Behandlung dieser ungetauften
160 Siehe S. 510 f. Das Wort „Charakter“ ist in diesem Zusammenhang zwar nicht gebräuchlich, doch läßt die Auffassung, daß die Taufe und die Kirchweihe in ihrer Wirkung parallel zu setzen seien, sich tatsächlich nachweisen, vgl. Uplandslagen, KkB 4, pr. (Corpus Juris Sueo-Gothorum antiqui, ed. H. S. Collins – C. J. Schlyter, tom. III, Lund 1834, S. 19; deutsch bei C. Frh. v. Schwerin, Schwedische Rechte = „Germanenrechte“ VII, Weimar 1935, S. 71): eine neuerbaute Kirche müsse vom Bischof geweiht werden, „weil von Worten der lebende (Mensch) christlich wird und die Kirche heilig“. – Über den „Zusammenhang des geheiligten Landes“ im Mittelalter, gegeben durch hierarchisch abgestufte Ausstrahlung von Kathedralen – Pfarrkirchen – Friedhöfen – Kapellen, Wegkreuzen usw. ohne Konkurrenz entsprechender Einrichtungen anderer Religionsgemeinschaften (abgesehen von den Juden), vgl. die bemerkenswerten Ausführungen von R. Guardini, Das Ende der Neuzeit, Würzburg 1950, S. 28–30; auch S. 31 m. Anm. 1. 161 Siehe oben S. 211 und Anm. 129. Das eindrucksvollste Zeugnis dieser Anschauungen s. Anm. 128. 162 Siehe S. 511 f., bes. Anm. 124. 162a [ Beachte Nachtrag unten Anm. 339].
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Ljutizen im einzelnen gedacht haben mag, als er seinen Brief an den König schrieb. Grundsätzlich zeigt die Geschichte des Mittelalters für die Behandlung von Heiden unter vergleichbaren Voraussetzungen eine ganze Reihe verschiedener Möglichkeiten: a) Zunächst ließ der nach Bruns Empfinden überfällige Feldzug zur Rückeroberung der verlorenen heiligen Stätten und getauften Seelen sich mit einem weltlichen Eroberungskrieg verbinden, der das fragliche Land einer christlichen Obrigkeit unterwarf und mit der bisherigen heidnischen das Haupthindernis einer friedlichen Weitermissionierung beseitigte, daneben selbstverständlich die Möglichkeiten zur Fortsetzung des „widergöttlichen Kults“. Das Ganze lief dann also, soweit die Heiden in Betracht kommen, auf einen indirekten Missionskrieg hinaus, der sich wohl durch die besonderen Umstände rein stimmungsmäßig erheblich verschärft, aber doch eben nur zur Unterwerfung (subiugatio) der Betroffenen geführt hätte, nicht zu ihrer zwangsweisen unmittelbaren Christianisierung und erst recht nicht zu ihrer Ausrottung163. Es ist dies die Lösung, die der bekannte Magdeburger Entwurf von 1108 anstrebte164, freilich zu einer Zeit, als das Nebeneinander von Getauften und Ungetauften im Ljutizenlande längst erloschen war. Im Zeitalter Bruns hätte sie ein unterschiedliches Vorgehen gegen Teile des gleichen Volkes bedingt, indem bei kirchlich korrektem Verhalten die einen direktem, die anderen nur indirektem Glaubenszwang ausgesetzt werden durften. Das hätte bis in die einzelnen Ortschaften und Familien hineingreifen müssen und wäre damit in der Praxis kaum durchführbar gewesen, ohne daß es zu ständigen Überschreitungen der Grenze des kirchlich allenfalls noch Erlaubten kam. Dennoch kann diese Möglichkeit nicht von vornherein abgewiesen werden, denn sie teilt ihre Problematik mit allen derartigen Exekutionen gegen räumlich geschlossene Gruppen bis in die Gegenwart hinein: es sei nur an die örtliche Mischung von Kirchentreuen und Abgefallenen erinnert, mit der sich später die Kreuzzugsbewegung gegen die Albigenser auseinanderzusetzen hatte, oder auch an die Schwierigkeit, „Nazis“ und „Nicht-
163
Siehe die Begriffsbestimmung bei Anm. 49. Siehe Anm. 128, dazu gegen die verbreitete Auffassung dieser Quelle als Beleg für die Absicht direkter, positiver Gewaltmission, die im Wortlaut derselben keinerlei Stütze findet, Beitrag XIV, S. 472, und H. Beumann, HJb 72, 1953, S. 122. 164
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Nazis“ auseinanderzusondern, beim weltlichen Kreuzzug der jüngsten Vergangenheit gegen das Deutschland des Hitler-Regimes. b) Als gegenteiliges Extrem dieser relativ mildesten Form erscheint die Verbindung des Rückeroberungszuges mit einem Strafgericht, das dem Frevel an den geschändeten Heiligtümern nicht nur ein Ende machen, sondern zugleich ihn rächen und ahnden soll. Auf diese Weise kommt überhaupt kein Missionskrieg zustande, weder indirekt noch direkt, sondern ein erbarmungsloser Ausrottungskrieg nach alttestamentlichem Vorbild. Führt man sich die entsetzlichen Blutbäder vor Augen, durch die der erste Orientkreuzzug eine traurige Berümtheit erlangt hat165, so drängt sich der Gedanke auf, daß dies die Lösung war, die damals grundsätzlich angestrebt wurde und sich nur wegen der übergroßen Zahl vorgefundener Heiden in der Praxis nicht voll verwirklichen ließ: um altes christliches Land mit wenigstens teilweise entfremdeten Gotteshäusern handelte es sich dort in Syrien und Palästina ja mindestens ebensogut wie im Osten der Elbe166, so verschieden die Voraussetzungen sonst auf beiden Schauplätzen auch sein mochten. – Uns Späteren scheint diese Form des Vorgehens grausam, abstoßend und unchristlich in einem Maße, daß wir uns schaudernd abwenden möchten, obwohl unsere so „zivilisierte“ eigene Zeit ja wenig genug Anlaß zur Überhebung über solch „finsteres Mittelalter“ bietet. Wir dürfen das damalige zelum Domini jedoch nicht wie das Geschehen unseres 20. Jahrhunderts von modernen Humanitätsidealen her beurteilen, sondern allein von den geistigen Voraussetzungen seiner eigenen Gegenwart. Da zeigt sich
165 Ein auf die Eroberung Jerusalems im Jahre 1099 gedichtetes Siegeslied von 35 Strophen (hrsg. von H. Hagenmeyer im Anhang zu Ekkeh. Uraug., Hierosolymita, 1887, S. 385–7) enthält Wendungen wie: (Christus) proposuit hanc legem: / . . . ut concio fidelis / . . . perimat tyrannos, / qui per tam multos annos / vexarunt Christianos. / . . . Lancea regis coeli / genti datur fideli, / ut sit mors infideli. / Bei Einnahme der Stadt rivi fluunt cruoris, / . . . dum perit gens erroris . . . / vos gaudete, benigni, / nam pereunt maligni. / Jherusalem, exulta! Jeder Augenzeugenbericht der christlichen Eroberungen von Antiochia (1098) bis Jerusalem (1099) und weiter beweist nachdrücklich, daß dieser Hymnus der wirklichen Kampfgesinnung jenes exercitus Dei entsprach: vgl. für viele Raimund. Agil., bei Ekkeh. Uraug., ebenda 18, 1, S. 172–3; Fulcher Carnot., Hist. Hierosolymit. (ed. H. Hagenmeyer, 1913) I, 23; 25, 3; 27–29; II, 9; 17, 1 usw.; (Anonym.) Gesta Francorum (ed. H. Hagenmeyer, 1890) 18, 7; 20, 9–11; 33, 7; 38, 4; 39, 1 usw. usw.; dazu als päpstliche Stellungnahme Paschalis II. a. 1100 an das siegreiche Kreuzheer (bei H. Hagenmeyer, Die Kreuzzugsbriefe aus den Jahren 1088–1100, 1901, S. 178): . . . manus vestras, quas hostium suorum sanguine (Deus) consecravit . . . 166 Vgl. nur die beispielhafte Formulierung, die Gesta Franc. 28, 3, S. 365, einer Botschaft an das seldjuqische Entsatzheer unter Kerboga vor Antiochien (1098) geben: . . . ut velociter recedatis a terra Dei et Christianorum . . .
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denn, daß schon das profane Völkerrechtsempfinden jener Zeit dem Sieger eine unbeschränkte Verfügungsgewalt über Leib, Leben, Ehre und Besitz der Besiegten einräumte, so daß es von ihm nur als Gnade, nicht aber auf Grund eines Rechtsanspruchs hoffte, er werde dieses sein gutes Recht nicht bis zum Äußersten ausnutzen167. Die Kirche bemühte sich hier, einen mildernden Einfluß geltend zu machen, freilich nur innerhalb der „rechtgläubigen“ Christenheit, nicht gegenüber „pseudochristlichen“ und sonstigen „Feinden Gottes“168. Ihre Lehre vom „gerechten Krieg“ aber, für die der Gegner der „gerechten Sache“ von vornherein im Unrecht und also Verbrecher war, billigte dem Sieger über ihn ohne weiteres das Recht zu, nun auch sein Richter zu sein169. Und wo sollte es einen gerechteren Krieg im Sinn dieser Konzeption geben als dort, wo es um die Rückgewinnung christlicher Heiligtümer und Kirchengüter aus der Hand von „Ungläubigen“, mithin um ewig unveräußerliches Eigentum des Höchsten ging, das entfremdet und gräßlich „besudelt“ war170? c) Die Verbindung des Rückeroberungszuges mit einem so gearteten Rachekrieg konnte aber auch in etwas abgemilderter Form erfolgen. Grundsätzlich wurde dann für die jener „Kollektivschuld“ Verfallenen genau so die Todesstrafe gefordert und an allen vollzogen, die sich
167 Vgl. H. Conrad, Gesch. d. deutschen Wehrverfassung I, 1939, S. 171–2; E. Nys, Les origines du droit international, Bruxelles/Paris 1894, S. 193 ff. 168 E. Nys, S. 192, 236 ff. Der praktische Erfolg solcher Bemühungen ist nicht zu überschätzen (vgl. G. Tellenbach, Vom Zusammenleben der abendländischen Völker im Mittelalter, Festschr. f. Gerhard Ritter, Tübingen 1950, S. 42), doch eröffnen sich immerhin bezeichnende Ausblicke, wenn man das vollkommen entgegengesetzte Verhalten etwa eines Richard Löwenherz bei der Einnahme des christlichen Messina (1190) und sarazenischer Orte wie Jaffa (1192) vergleicht: Itinerarium . . . regis Ricardi (ed. W. Stubbs, Chronicals and Memorials of the Reign of Richard I., vol. I, London 1864), II, 16, S. 163, gegen VI, 15, S. 409, usw. Diese Voraussetzungen dürfen auch bei einer geschichtlich gerechten Würdigung der deutschen und polnischen Feldzüge gegen das heidnische bzw. apostatische Elbslawentum des 10.-13. Jhs. nicht außer acht gelassen werden, so sehr C. Erdmann, S. 91–6, zuzugeben ist, daß dieselben nicht primär als Religionskriege geführt worden sind. Vgl. unten Anm. 333. 169 Vgl. E. Bernheim, Mittelalterl. Zeitanschauungen in ihrem Einfluß auf Politik u. Geschichtsschreibung I, Tübingen 1918, S. 27–33 und weiter, passim bes. S. 103–4; 123; E. Nys, S. 44–8; 97–100; J. Höffner, Christentum und Menschenwürde. Das Anliegen der spanischen Kolonialethik im Goldenen Zeitalter, Trier 1947, S. 53–6 und weiter, passim; C. Erdmann, S. 5–6; H. Beumann, HJb. 72, 1953, S. 113–4; sämtlich mit weiterer Literatur. – Die Erkenntnis, daß ein Krieg zumindest subjektiv von beiden Seiten her gerecht sein kann, ist erst Francisco de Vitoria OP (1483–1546) und anderen spanischen Neuscholastikern seiner Zeit gekommen: vgl. J. Höffner, S. 263–7. 170 Vgl. oben Anm. 130.
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erreichen ließen, nur mit einer einzigen Ausnahme: dem unter den Frevlern nämlich, der sich bereit erklärte, Christ zu werden. Bekehrung bedeutet ja im mittelalterlichen Sinne immer in erster Linie Unterwerfung unter das Taufsakrament, und dessen sündentilgende Kraft löschte dann die zu ahndende Schuld der Vergangenheit noch wirksamer als das Blut des Täters. Rein äußerlich kommt auf diese Weise eine Form zustande, die stark dem direkten Missionskrieg gleicht, und zwar in seiner schärfsten Gestalt, unter der Parole „Taufe oder Tod“. In Wahrheit aber heißt hier das Stichwort umgekehrt „Tod oder Taufe“, und die Gesinnung ist nicht minder die eines Ausrottungskrieges als im vorigen Fall. Einzelne Beispiele dieser Art bietet denn auch ebenfalls bereits der erste Kreuzzug171; vor allem aber haben wir hier, wenn nicht alles täuscht, die Lösung eines Bernhard von Clairvaux in seinem Wendenkreuzzugsplan von 1147 vor uns172, an dem immer wieder befremdet hat, wie unvergleichlich viel stärker er die „Vernichtung“ betont als die „Bekehrung“173. (Bernhard wäre dann also nicht der klassische Vertreter des direkten Missionskrieges, als der er bisher gemeinhin gegolten hat, und wir dürften ihn von der Urheberschaft an einem „Missionsmittel“ freisprechen, das als solches wie eine menschliche, so besonders auch eine theologische Ungeheuerlichkeit darstellen würde, aller kirchlichen Vätertradition kraß entgegengesetzt174). d) Eine noch mehr abgemilderte Form kam zustande, wenn der Rückeroberungszug sich nicht so sehr mit einem Strafgericht verband als mit Sicherungsmaßnahmen, die über die Herstellung des früheren Zustandes hinaus nach menschlichem Ermessen unmöglich machen sollten, daß es in Zukunft noch einmal zu derartigen Rückschlägen kam. Der Krieg war dann fortzusetzen nicht bis zur völligen physischen Vernichtung des Gegners (evtl. mit den angegebenen Ausnahmen), sondern nur bis zur militärischen Entscheidung. Auf sie folgte dann als Friedensbedingung, daß der besiegte Stamm, dem sein Eigenleben im übrigen durchaus belassen werden konnte, in Zukunft nicht nur keinen Heidenkult mehr in seinem Lande dulden dürfe, sondern überhaupt kein Heidentum mehr, von dem ja der Anreiz zur Apostasie ausgegangen war. Das bedeutete für die schon Getauften Versöhnung mit der
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Vgl. C. Erdmann, S. 321. Vgl. oben Anm. 129. 173 Vgl. A. Hauck (s. oben Anm. 6) IV, S. 628 Anm. 4; anders E. Maschke, Der deutsche Orden und die Preußen, Berlin 1928, S. 73, Anm. 43. 174 Siehe unten bei Anm. 183. Beachte noch Anm. 339 gegen Ende. 172
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Kirche, für die Ungetauften Wahl zwischen Taufe und nun nicht Tod, sondern Verbannung, denn im Unterschied zur Form a) wurde hier auch jener eigentümliche Schwebezustand ausgeschlossen zwischen der alten Religion, die man öffentlich nicht mehr ausüben durfte, und der neuen, von der man vielleicht noch nichts wissen wollte; der Zustand also, der nur die Vollstreckung des negativen Missionsziels erzwang, alles weitere aber der persönlichen Entscheidungsfreiheit des einzelnen überließ175. Zugleich war damit, anders als dort, eine Möglichkeit geschaffen, mit einem Schlage klare Verhältnisse herzustellen, ohne umständliche inquisitorische Verfahren u. dgl., von denen doch von vornherein zu erwarten war, daß sie kaum alle einmal Getauften wirklich ans Licht bringen würden. – Es ist dies die Lösung, die auf Betreiben Papst Innozenz’ IV. und seines Legaten Jakob von Lüttich im „Christburger Vertrag“ des Jahres 1249 zwischen dem Deutschen Orden und den apostatischen Prußen festgelegt wurde176. Im Hinblick auf das Vorgehen gegenüber dem ungetauften Bevölkerungsteil muß sie als direkter Missionskrieg (wenngleich milderer Form) im vollen Sinne des Wortes bezeichnet werden, denn die Bekehrungsabsicht hat hier eindeutig den Vorrang vor dem Vergeltungsstreben, und die Gewaltanwendung steht durchaus im Dienste des positiven Missionsziels: der vollkommenen und endgültigen Christianisierung des de jure längst als christlich beanspruchten Landes. Rechtsgrundlage dafür ist das gleiche mittelalterliche Kriegs- und Völkerrecht, das über den beiden vorigen Formen stand und dem Sieger ja auch die Verfügung über den Besitz der Besiegten freistellte; er nahm dieses Recht hier dann eben nur gegenüber den Bekehrungsunwilligen wahr (die nach dem Christburger Vertrag nackt im Hemd über die Grenze zu treiben
175 In diesem Mittelzustand haben viele Sorben des 11. u. 12. Jhs. dahingelebt: A. Hauck, IV, S. 578, vgl. auch ebenda I, S. 124 (dazu aber K. Voigt – unten Anm. 182 – S. 550 f.). 176 Pr. UB. I, 1 n. 218 (S. 158–65, bes. 161–2); dazu E. Maschke, S. 16, 36–46 (unter aufschlußreichen Vergleichen mit der Cap. de part. Sax., unten Anm. 182); A. M. Ammann SJ, Kirchenpolit. Wandlungen im Ostbaltikum bis z. Tode Alexander Newski’s (Roma 1936), S. 278; C. Krollmann, Polit. Gesch. d. deutsch. Ordens in Preußen. Königsberg 1932. S. 17–8. – Eine umfassende Analyse des Vertragswerks auf dem Hintergrund der theologischen und kanonistischen Auffassungen Innozenz’ IV. steht, soweit Vf. sehen kann, leider noch aus. [Vgl. jetzt H. Patze, Der Frieden von Christburg usw., Jahrb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 7, 1958, S. 39–91].
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waren177), verzichtete aber auf seine Ausübung gegenüber denen, die am „christlichen Brudertum“178 Anteil gewannen, indem sie sich dem „wahren Friedebringer“, Christus, unterwarfen179. Missionstheoretisch betrachtet, geht der Druck, der auf die Freiwilligkeit der Entscheidung für oder gegen Christus ausgeübt wird, bei aller Abmilderung doch auch hier noch außerordentlich weit: die Alternative, entweder den gesamten Besitz, darüber hinaus die Heimat zu lassen, oder aber den angestammten Glauben, ist hart, sehr hart. Immerhin sind die theologischen Bedenken, die gerade auch von katholischer Seite aus gegen die Losung „Taufe oder Tod“ erhoben werden müssen, hier erheblich eingeschränkt, im mittelalterlichen Sinne wohl überhaupt aufgehoben, denn die freie Entscheidung des Betroffenen im letzten wird durch diese Losung nicht angetastet: die Möglichkeit, als Heide weiterzuleben, bleibt jedem unbenommen, wenn er sich auch die äußeren Existenzgrundlagen erst ganz aus dem Nichts wieder schaffen muß180. Damit läßt diese Art des Vorgehens zwar alles hinter sich, was die Patristik in dieser Richtung angebahnt hatte, aber sie stellt keinen Bruch mit deren Überlieferungen dar, sondern eine geradlinige Weiterentwicklung schon dort gegebener Ansätze: gegen Heiden, die sich gar nicht zum Anschluß an die Kirche bequemen wollten, hatte schon Gregor d. Gr. in einem Brief von 594 empfohlen, seitens der christlichen Obrigkeit mit materiellen Druckmitteln (überhöhter Steuerlast) vorzugehen, damit sie vielleicht „durch die Strafe rücksichtsloser Eintreibung, die sie trifft, angeregt“ würden, „dem rechten Weg zuzueilen181.“ Die soeben entwickelte mildere Form
177
Pr. UB. I, 1, S. 162 (Zl. 111–8). – Daß die Bischöfe einen Anhänger heidnischer (Los- u. Zauber-) Bräuche turpiter dehonestatum de parochiis suis ejiciant, steht bereits bei Reg. Prum., De syn. caus. II 371 (S. 355) = Burch. Worm., Decr. X 1 (PL 140, 831 C), dort freilich auf christliche Gemeindeglieder beschränkt. Über Ausweisungen bekehrungsunwilliger Wenden vgl. Beitrag XIV, S. 478 und Beitrag XVI, S. 568–570. 178 Siehe oben Anm. 134. 179 Vgl. Heinr. Chron. Lyv. IX 13 (ed. Pertz, MG SRG 1874, S. 26, 32 ff.) über die Behandlung besiegter Dünaliven, die ebenfalls teils apostatisch, teils noch ungetauft waren, im Jahre 1205: sie mußten sich der Kirche unterwerfen u. dabei, soweit noch nicht geschehen, taufen lassen; daraufhin durften sie ihre Dörfer, Äcker und sonstigen Besitz, den sie in den ihrem Abfall folgenden Kämpfen juste eingebüßt hatten, non immerito wieder in Besitz nehmen. 180 Beachte auch die bemerkenswerten Ausführungen über den Begriff der Gewaltmission bei K. D. Schmidt, Die Bekehrung d. Germanen z. Christentum. I, Göttingen 1939, S. 63. 181 Greg. M., Ep. IV 26 (MG EE I, 261, 6 ff.).
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des direkten Missionskrieges stellt also nur die äußerste Konsequenz einer schon viel früher angelegten Entwicklung dar, die freilich Gregor d. Gr. selbst in solchem Umfang vielleicht nicht gutgeheißen hätte. Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß das damit umrissene Kriegsziel zunächst nur der Sicherung eines Landes galt, in dem die Kirche für eine frühere großzügigere Einstellung gegenüber dem Heidentum bereits einmal die Vernichtung ihrer eigenen Existenz geerntet hatte (in Preußen z.B. mit dem Scheitern Bischof Christians). Erst von da aus haben die Ritterorden des Nordostraumes diese Form dann, einmal an sie gewöhnt, statt des indirekten Missionskrieges auch auf echtes Heidenland übertragen, und das um so leichter, als geistliche und weltliche Gewalt, sonst getrennt und auf Zusammenarbeit angewiesen, bei ihnen ja in einer Hand vereinigt waren. e) Die Verbindung des Rückeroberungszuges mit einem derartigen Sicherungsstreben konnte sich jedoch auch so gewaltsam äußern, daß daraus ein direkter Missionskrieg schärfster Form entstand unter der Parole „Taufe oder Tod“. Dies ist die Lösung Karls d. Gr. in seinen Sachsenkriegen gewesen, die ja in dieser ihrer späteren, schroffen Gestalt, soweit das kirchliche Moment in Betracht kommt, ebenfalls als Gegenmaßnahme gegen vorausgegangene Apostasien verstanden werden müssen. Allerdings wirkte damit untrennbar das Streben des fränkischen Reiches zusammen, zugleich für sein Gebiet eine weltliche Eroberung zu sichern. Allein diese Verbindung, für welche Taufverweigerung gleichbedeutend mit Auflehnung gegen den siegreichen Eroberer (und somit, vom fränkischen Standpunkt aus, Hochverrat) war, erklärt wohl die grauenvolle Schärfe dieses Vorgehens, wie sie als berühmtestes Denkmal jene Capitulatio de partibus Saxoniae aus den achtziger Jahren des 8. Jahrhunderts widerspiegelt182. In einer Übersicht, der es um
182 MG Cap. I 26, S. 68–70, bes. c. 8: Si quis deinceps in gente Saxonorum inter eos latens non baptizatus se abscondere voluerit et ad baptismum venire contempserit paganusque permanere voluerit, morte moriatur; dazu die höchst bezeichnende Verbindung in c. 10: Si quis cum paganis . . . in adversitate . . . perdurare voluerit . . . contra regem vel gentem christianorum . . ., morte moriatur. Vgl. A. Hauck I, 396–8; H. v. Schubert, Gesch. d. christl. Kirche im Frühmittelalter, Tübingen 1921, S. 336 (m. älterer Lit.); E. Maschke, S. 6–7, 45–6 (Vergleich m. Christburger Vertrag); K. Voigt, Staat u. Kirche von Konstantin d. Gr. bis z. Ende d. Karolingerzeit, Stuttg. 1935, S. 325–6, 332. – Vgl. auch Annal, q. d. Einhardi, a. 775 (ed. F. Kurze, MG SRG 1895, S. 41): Beschluß des Königs (in der angegebenen Datierung umstritten), ut perfidam ac foedifragam Saxonorum gentem bello adgrederetur et eo usque perseveraret, dum aut victi christianae religioni subicerentur aut omnino tollerentur (perfidus = Ungläubigenbezeichnung, synonym zu infidelis!).
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mögliche kirchliche Stellungnahmen geht, ist diese Form des Missionskrieges nur der Vollständigkeit halber anzuführen, denn theologisch ist ein derart weitgehender Glaubenszwang auch von mittelalterlichen Voraussetzungen her wohl durch nichts zu rechtfertigen183. Er hat denn auch unter den Hoftheologen Karls, allen voran Alkwin von York, eindringliche Kritik gefunden, durch die dann wenigstens für die Awarenund Slowenenmission der Jahre seit 795 eine Wiederholung derartiger Methoden verhindert werden konnte184. Über die Rechtsgrundlage auch dieses Vorgehens, die wir heute nicht mehr teilen, die wir aber um des geschichtlich gerechten Urteils willen zur Kenntnis nehmen müssen, ist schon gesprochen worden. So bleibt nur noch einmal zu betonen, daß diese Form mit der dritten, bernhardinischen, keinesfalls verwechselt werden darf, so ähnlich sich beide nach außen hin sehen mögen: dort steht der Wille zum Strafgericht, zur Vernichtung im Vordergrund, hier trotz allem der Wille zur Bekehrung. Denn was sollte ein König mit einem verwüsteten und menschenleeren Lande? So kommen wir also von der inneren Motivierung her zu einer Fünfzahl geschichtlicher Möglichkeiten, die sich – in der Reihenfolge a, d, e, c, b vorgelegter Übersicht vom relativ mildesten zum schärfsten Verfahren fortschreitend – zu einem regelrecht abgestuften System zusammenschließen: zunächst der indirekte Missionskrieg als die geschichtlich älteste Form, dazu in je einer schärferen und einer milderen Spielart der direkte Missionskrieg und der blutige Vergeltungskrieg. Auf ihrem Hintergrunde aber erscheint die Aufgabe, den Standort Bruns in diesem Fragenkreis zu bestimmen, doch bedeutend weniger hoffnungslos als vordem. Denn so knapp seine Andeutungen sind, so wenig sie uns eine erschöpfende Aussage gestatten: einige Handhaben, an denen wir ansetzen können, bieten sie doch. Zunächst darf mit Bestimmtheit festgestellt werden, daß dem Querfurter eine Ausrottungsabsicht völlig ferngelegen haben muß. Sein Aufruf zum Ljutizenkrieg ist von leidenschaftlicher Schärfe, aber sie
183 Siehe das Zitat aus Burch. Worm., Decr. IV 82, unten Anm. 265. – Über den Standpunkt des Thomas von Aquin: Th. Ohm (s. Anm. 101), S. 8 und 22; J. Höffner (s. Anm. 169), S. 43–4, 58–9. – Vgl. auch Beitrag XIV, S. 465 f. m. Lit. – Der einzige große Theologe, der, und zwar auf Grund abweichender Gnadenlehre, einen Zwang zur Taufe minis et terroribus gelten läßt, ist Johannes Duns Scotus OFM († 1308), der damit aber auch unter seinen eigenen Anhängern nur wenig Nachfolger fand (Höffner, S. 44 m. Anm. 46∗). 184 Vgl. A. Brackmann, Ges. Aufs., Berlin 1941, S. 61 ff., 82 ff., 94 ff., 190 f.: A. Hauck, I, S. 475–80; H. v. Schubert, S. 340–1.
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gilt in erster Linie dem König, der diesen Krieg unterläßt: auch wieder ein Zeichen der straffen Konzentration auf die diesem Brief gestellte Aufgabe, die ihn überhaupt kennzeichnet – Klagen und Flüche über den religiösen „Irrweg“ der Wenden hätten in seinem Zusammenhang ja nur abgeführt185. Für das Vorgehen gegen die Ungetauften aber findet Brun ausschließlich Wendungen wie: laborare, ut baptizetur paganus, und: in convertendo paganismo; für das Gegenteil, das exstirpare186, fehlt jegliche Andeutung. Der Wille zum „Vorwegnehmen des Jüngsten Gerichts“ an den Schuldigen187 muß also bei diesem Missionar aus innerster Berufung gegenüber dem positiven Anliegen der Heidenbekehrung erheblich zurückgetreten sein. Das aber bedeutet, daß die zweite und dritte Form unserer Übersicht, der Vergeltungskrieg in beiderlei Gestalt, für Brun zweifelsfrei ausgeschieden werden dürfen, wie überhaupt gesagt werden kann, daß sie von Haus aus offenbar vornehmlich der französischen Nation zugehörig scheinen188: sowohl Deutschland189 als auch Spanien190
185 Auch die Menschenopfer werden ganz offenbar weniger angeführt, um sie selbst zu brandmarken, als um den König zu tadeln, der solches in seinem Heer, im Zeichen der hl. Mauritiuslanze, geschehen läßt: vgl. Den Zusammenhang oben S. 489. 186 Vgl. Anm. 129. 187 Vgl. Chanson de Roland (63. éd. p. J. Bédier, Par. s. a. [1928]), v. 3368: Deus nus ad mis al plus verai juïse, „Gott hat uns zum wahrsten Gericht gesandt“ (Ansprache vor einer Heidenschlacht auf spanischem Boden). Deutsche Übersetzung v. W. Hertz, Das Rolandslied. Stuttgart 1861. 188 Neben den Quellen und Darstellungen des ersten Kreuzzugs, der bekanntlich fast ausschließlich eine französische Angelegenheit gewesen ist – nach dem treffenden Wort von A. Luchaire: „la France en marche“ (bei E. Lavisse, Hist, de la France III, 1, Paris 1901, p. 228) – sind hier besonders die Chansons de geste zu vergleichen, vor allem die Chanson de Roland (s. Anm. 187) und Aliscans (vgl. Beitrag XIV, S. 480). – Vgl. auch Anm. 216. 189 Vgl. für den ersten Kreuzzug: C. Erdmann (s. Anm. 5), S. 270–2; für den zweiten: H. Beumann, HJb 72, 1953, S. 130–1 mit einzelnen Ergänzungen Beitrag XIV, S. 475–477. Sämtliche an diesen Stellen besprochenen Vorgänge berühren ebenfalls Räume, die dem Christentum durch Apostasie verlorengegangen waren. 190 Vgl. C. Erdmann, Entstehung, S. 88 ff., 267 ff.; dens., Der Kreuzzugsgedanke in Portugal, HZ 141, 1930, S. 23–53; R. Konetzke, Der Kardinal Cisneros und seine Zeit, Ibero-Amerikanisches Archiv 5, 1931, S. 222–3 m. weiterer Lit., dazu die ganz entsprechenden literaturgeschichtlichen Ergebnisse von A. Hämel, Französische und spanische Heldendichtung (Neue Jb. f. Wissensch. u. Jugendbild. 4, 1928), bes. S. 43–44. Gewiß hat Spanien auch Eiferer wie Paulus Alvaro von Cordoba († um 861) aufzuweisen, der auf den ersten Blick gegen die angeführte These zu sprechen scheint und geradezu als geistiger Urheber der Idee des Ausrottungskrieges gegen die Heidenschaft für das ganze Abendland angesprochen worden ist (K. Heisig, Die Geschichtsmetaphysik des Rolandsliedes und ihre Vorgeschichte, Zs. f. roman. Philol. 55, 1935, S. 16 ff., dazu kritisch bereits C. Erdmann, Entstehung, S. 283 Anm. 136, sowie im voraus A. Hämel, a. O., und L. Jordan, Wie man sich im Mittelalter die Heiden des Orients vorstellte, German.-Roman. Monatsschr. 5, 1913, S. 398–99). Alvaro ist jedoch ein Einzelgänger,
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zeigen sich jedenfalls, bis dieser französische Kreuzzugsgeist auf der Höhe des Mittelalters auch bei ihnen eindrang, von derartigen Bestrebungen im wesentlichen frei. Wir vermerken in diesem Zusammenhang besonders den Gegensatz zwischen Brun und Bernhard von Clairvaux, zwei Männern, die einander doch sonst in so manchem gleichen. Noch einen Schritt weiter führt die Wendung: sacrum christianismum facere de populo pagano, „eine heilige Christenheit machen aus einem Heidenvolke“191. Wenn wir sie recht verstehen, dürfte sie nämlich nicht weniger besagen als folgendes: Fallen muß, was der Durchdringung der Ljutizen mit christlichem Geiste entgegensteht, und diese Durchdringung soll möglichst vollständig erfolgen (wobei unklar bleibt, ob durch schlagartige oder durch allmähliche Christianisierung). Der populus als solcher aber – und dieses Wort heißt vorzugsweise, noch wie in altrömischer Zeit, „das den Staat im Ganzen ausmachende Volk“, auf jeden Fall aber „Menschengruppe von . . . bestimmter Umgrenzung nach außen“192 –, der populus der Ljutizen also soll erhalten bleiben: eine andere Deutung läßt diese Formulierung doch wohl nicht zu. Eine Bestätigung bietet das unmittelbar voraufgehende tributum accipere (. . . de populo), das doch ebenfalls nur von einer politisch geschlossenen und einigermaßen autonomen Einheit gelten kann193. Damit ist aber der Inhalt des expugnare paganos näher bestimmt, das mehrfach im Brief aufklingt: Ziel ist für Brun die Christianisierung und darüber hinaus die Herstellung der Tributabhängigkeit194 vom Reich, die wir im Sinne mittelalterlichen Völkerrechts ja nicht nur von ihrer wirtschaftlichen Seite sehen dürfen, sondern vor allem auch als laufend kontrollierbare Anerkennung der Oberherrschaft und damit Oberaufsicht des Tributherrn195 (in diesem Falle einer, vielmehr der für Brun entscheidenden, christlichen Obrigkeit196, der er diese Stellung ohne Zweifel in erster Linie deshalb übertragen wollte, damit sie weitere Rückschläge der Kirche
der wesentlich daher verstanden werden muß, daß in seinem Bereich Christen entgegen den Grundsätzen kanonischen Rechts unter heidnischer Obrigkeit standen. Das enge Zusammenleben über die Religionsschranke hinweg bezeugt gerade auch er (PL 121, 513–555, passim). 191 Zu dieser Übersetzung s. oben Beitrag XIV, Anm. 29. 192 A. Dove (s. S. 205 Anm. 102), S. 39–47. 193 Vgl. unten bei Anm. 206. 194 Vgl. dazu Anm. 6. 195 Vgl. dazu G. Tellenbach, Ritter-Festschr. (s. Anm. 168), S. 7 und 23–5. 196 Vgl. Anm. 11 und die wiederholte Anrede Heinrichs als spes orbis, S. 493.
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im Ljutizenland verhindere), und diese beiden Friedensbedingungen sind es, die durchzusetzen die militärische Eroberung dienen soll; nicht aber ist Ziel die Aufrichtung einer unmittelbaren Fremdherrschaft unter Beseitigung der eigenwüchsigen Lebensformen des Ljutizenlandes, wie sie von Heinrich I. in den neuerrichteten Sorbenmarken durchgeführt worden war197. Brun erstrebt also mit anderen Worten für das Verhältnis dieses Landes und Volkes zum Reich nichts weiter als die Wiederherstellung des Zustandes, wie er vor 983 bereits geherrscht hatte198, und die Zerstörung lebendig gewachsener Volksordnung lag ihm nicht weniger fern als die Vernichtung der physischen Existenz solcher Glaubensfeinde: eine Mäßigung, die nach allem, was gewesen war, bemerkenswert ist und auf den Menschen Brun ein ganz neues Licht fallen läßt199. Zum ersten Male stellt auch ein positiver Vergleich sich ein: der Gedanke an den Christburger Vertrag; denn auch damals wurde dem Orden – sehr gegen dessen Absichten – keine unmittelbare Landesherrschaft über das prußische Gebiet eingeräumt, sondern die Kurie versuchte, den Neubekehrten die „Freiheit eines Christenmenschen“ auch politisch zu sichern200. Freilich darf dabei ein wesentlicher Unterschied nicht übersehen werden: das Prußenland sollte 1249 nicht nur seine Autonomie behalten, sondern über die subiectio et obediencia Romane ecclesie hinaus überhaupt keinem weltlichen Herrn fremder Herkunft unterworfen sein. In diesem Punkte steht Bruns Wunschziel also dem ersten aus unserer Reihe von Lösungsversuchen, dem indirekten Missionskrieg, näher: der Magdeburger Entwurf von 1108 spricht ja ausdrücklich vom subjugare der ostelbischen Heiden. Der damit nahegelegte Vergleich aber gewinnt an Aktualität, wenn wir dem Inhalt dieses „Unterjochens“ nachzuspüren suchen.
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Über die Lage der Sorben seit Heinrich I.: B. Guttmann (s. Anm. 76), S. 412; R. Kötzschke, Zur Sozialgesch. d. Westslawen (Jb. f. Kultur u. Gesch. d. Slawen, N. F. VIII, 1932, S. 5–37); H. F. Schmid, Das Recht d. Gründung u. Ausstattung von Kirchen im kolonialen Teile d. Magdeb. Kirchenprovinz während des Mittelalters (Zs. f. Rechtsgesch., Kanon. Abt. 13. 1924) S. 5 ff. – Anders E. O. Schulze (s. Anm. 76), S. 58–60. 198 Vgl. oben bei Anm. 6 (bes. die dort angeführte Stelle Thietm. III 17) und unten Anm. 207. 199 Sie beweist, wenn nicht eine Milde, der es allein um positive Bekehrung, nicht um Rache und Strafe geht, so doch jedenfalls einen klaren Blick für das reale Kräfteverhältnis, das dem Reich eine Behandlung der Ljutizen nach Art der Sorben einfach nicht mehr gestattet hätte (s. Anm. 201 u. 204). 200 Vgl. E. Maschke (s. Anm. 173), S. 43–44, auch 15, 16, 30–5, 37.
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Von modernen Vorstellungen her sind wir geneigt, hinter ihm das zu vermuten, was Polen im Jahre 1939 und Deutschland im Jahre 1945 erlebte. Aber diese Vorstellungen erweisen sich doch als sehr wenig geeignet, Licht in Verhältnisse des früheren Hochmittelalters zu bringen: damals bestimmten erhebliche Menschenarmut und gering entwikkelte Technik das Bild, dazu eine Wirtschafts- und Wehrverfassung, welche die Truppen nach nicht allzu vielen Wochen immer wieder nach Hause rief. Das gestattete ähnliche Formen der Unterwerfung und Herrschaftssicherung nur in sehr bescheidenem Rahmen201. Im Sorbenlande waren sie nach 928 möglich gewesen, wenn auch nur in Gestalt „einer leichten . . . deutschen Übersiedlung slawisch vorbesetzter Wohninseln“202, und damit waren die Kräfte, die das Reich für solche Aufgaben freistellen konnte, bereits auf lange Zeit erschöpft203. Erst mehrere Jahrzehnte nach 1108 vermochte ein Zeitalter größeren Menschenreichtums jene Markenverfassung auch an anderen Grenzabschnitten wirksam nach Osten vorzuschieben, und auch dann noch nur sehr allmählich und schrittweise, wenngleich nun mit fester Siedlungsbasis204. Im Jahre 1082 aber hatte der Merseburger Kleriker Bruno, demselben Magdeburger Bereich entstammend wie der Entwurf von 1108, für die pagani des Ostens lediglich gefordert, sie sollten, wenn nicht bekehrt, so doch wenigstens „christlichen Fürsten auf ewig schatzpflichtig“ gemacht werden205, und das gleiche Wort (tributarii) erscheint noch
201
Vgl. G. Tellenbach, Ritter-Festschr., S. 2–4. W. Ebert, bei R. Kötzschke – W. Ebert, Gesch. d. ostdeutschen Kolonisation, Leipzig 1937, S. 173–4, vgl. 177, und R. Kötzschke, ebenda S. 50 u. 58; ferner E. O. Schulze, S. 78–80, 93, 120, 122; W. Füllner, Der Stand der deutsch-slawischen Auseinandersetzung zur Zeit Thietmars von Merseburg, Jena 1937, S. 41–2, 73, 85. 203 Vgl. B. Guttmann (s. Anm. 76), S. 412; M. Seidlmayer, Die geistigen Grundlagen der deutschen Ostkolonisation, Hochland 34/11, 1937, S. 119 bis 20 m. Anm. 4, und bes. H. Dannenbauer, Politik u. Wirtschaft in d. altdeutsch. Kaiserzeit, Festschr. f. J. Haller, Stuttg. 1940, S. 174–202. 204 Eine stärkere Bevölkerungszunahme trat tatsächlich erst einige Jahrzehnte nach dem Beginn des 12. Jhs. auf (vgl. H. Beumann, HJb 72, 1953, S. 124); noch die Siedlungsversuche der Jahre 1104/09 (also der Zeit des Entwurfs von 1108) im Merseburger Bannforst erwiesen sich als „verfrüht“ (H. Quirin, Herrschaftsbildung u. Kolonisation im mitteldeutschen Osten, Nachr. d. Akad. d. Wiss. zu Göttingen 1949, S. 91). – Das „schrittweise Vorschieben“ gilt für Brandenburg; der stürmische Ausgriff Heinrichs des Löwen weiter im Norden war nicht von Bestand und wurde schon 1167 durch die Neuerrichtung der niklotidischen Herrschaft im größten Teil Mecklenburgs abgelöst, also eine vasallitische Ordnung, während die westlicheren Gebiete regelrechte Grafschaften blieben. Eine Markenverfassung lag seitdem weder hier noch dort vor. 205 Vgl. Beitrag XIV, S. 472. 202
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für die Lösung, die Graf Adolf II. von Holstein 1143 zur Einordnung ihm unterworfener Wenden fand (ein Beispiel, an dem wir zugleich besonders gut beobachten können, wie dieser Art von Abhängigkeit eine völlige Autonomie nach innen entsprach)206. Der Text von 1108 nun liegt zwischen diesen beiden Daten, dabei dem ersten und seinen Voraussetzungen näher als dem zweiten, das schon dicht an der Wende zur nächsten Periode steht. Es wäre sehr merkwürdig, wenn er eine andere Lösung im Auge gehabt hätte, und tatsächlich läßt sich nachweisen, daß das hochmittelalterliche Latein subjugare auch im Sinn von „herstellen einer Tributabhängigkeit“ verwendet hat207. (Der Aufruf zur Landnahme in dem zu erobernden Gebiet, den der gleiche Text enthält208 – gegenüber den Plänen des Querfurters ohne Zweifel etwas Neues –, läßt sich auch mit dieser Auffassung unschwer in Einklang bringen209). Wenn wir das tributum accipere et sacrum christianismum facere de populo pagano, das Brun seinem König vor Augen stellt, eben dieser Reihenfolge wegen als Hinweis nehmen dürften, daß ihm Unterwerfung und Bekehrung nicht in eins zusammenfallen, sondern aufeinander folgen sollten, dann wäre damit der Ausschlag zugunsten der von diesem Magdeburger Entwurf vertretenen Form des indirekten Missionskriegs gegeben, nur daß sich mit ihm für den Querfurter noch jene Apostatenexekution verbunden hätte, die 1108 des Aussterbens der Getauften wegen gegenstandlos geworden war. Aber solche Folgerungen sind nicht unbedenklich210: einmal könnte Brun, um Heinrich für sich zu gewinnen, von zwei ihm selbst notwendig zusammenfallenden Dingen statt des ihm persönlich wichtigeren einfach das an die erste
206 Ebenda S. 474 (dazu 475 über spätere Änderungen der 1143 geschaffenen Ordnung, die Graf Adolf offensichtlich nur widerstrebend auf herzoglichen Druck hin zuließ). 207 Widukind. Corb., Res Gestae Saxon. II 21 (ed. P. Hirsch – H.-E. Lohmann, MG SRG 1935, S. 85, 13): . . . omnes barbarae nationes usque in Oderam fluvium . . . tributis regalibus se subiugarunt. 208 Dazu jetzt H. Beumann, HJb 72, 1953, S. 124 (und unten Beitrag XXI, S. 686–690). 209 Die Siedlung konnte entweder (wie im Fall Ostholsteins 1143 oder Westmecklenburgs nach 1167) auf einem abgetretenen Randgebiet erfolgen, neben dem ein mehr oder weniger autonomes Wendengebiet bestehen blieb, oder durch ihrerseits autonome Genossenschaften – zugleich Besatzung, die den Schutz der Kirche sicherte und der Mission einen kräftigen Rückhalt gab – im Hoheitsbereich wendischer Territorialgewalten (so offenbar die Lösung des Christburger Vertrags für das Verhältnis von Prußen und Orden) [Anders jetzt Patze, wie Anm. 176]. 210 Siehe S. 498–501.
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Stelle gerückt haben, was für den nüchtern-praktischen Sinn gerade dieses Königs das stärkste Lockmittel sein mußte; dann aber fehlt ja auch jeder ausdrückliche Hinweis für eine unterschiedliche Behandlung des getauften und des ungetauften, des apostatischen und des heidnischen Bevölkerungsteils, wenn man nicht die klare Gegenüberstellung in custodiendo christianismo et in convertendo paganismo als solchen gelten lassen will211. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Querfurter den entscheidenden Passus, der sein compellere intrare enthält, allein mit Rücksicht auf die Apostatenexekution formuliert hat als das an dieser Front vordringlichste Unternehmen, ohne Rücksicht auf die Auseinandersetzung mit den Ungetauften (die sich ja nur als notwendige Begleiterscheinung an sie anschließen mußte) und damit auch ohne Rücksicht darauf, daß für sie ein anderes Verfahren am Platze war212. Aber ebenso bleibt doch auch die Möglichkeit offen, daß das compellere intrare trotz allem für beide gelten soll, mit ihr zugleich die einer Mittelform zwischen dem Magdeburger Entwurf und dem Christburger Vertrag – einer Form, die dann, um es noch einmal ganz klar zu sagen, mit dem einen die Vernichtung der arae profanationis, die Wiederaufrichtung der zerstörten Kirche und die politische Unterwerfung der Besiegten in Gestalt eines Tributar-Verhältnisses gemein gehabt hätte, mit dem anderen das Zusammenfallen einer Exekution gegen Apostaten mit einem direkten Missionskrieg gegen die „ungetauften Heiden“, die so untrennbar mit ihnen verbunden waren. Mit dem Aufweisen dieser Möglichkeiten sind wir nun freilich an die Grenze des wissenschaftlich Erkennbaren gelangt: die Entscheidung, ob
211 Die angeführte Formulierung beweist zwingend die grundsätzliche, nichts für eine methodische Scheidung der beiden Aufgaben, welche Brun der Christenheit im Ljutizenlande gestellt sah. Sie läßt durchaus offen, daß beide, die ja auf das gleiche Ziel hinführen sollten (s. Anm. 151), trotz dieses grundsätzlichen Unterschiedes auch auf gleichem Wege (eben dem des compellere intrare) angegriffen werden sollten. Ohne Zweifel würde ein indirekter Missionskrieg trotz der oben S. 522 angedeuteten praktischen Schwierigkeiten sich erheblich besser in das geistesgeschichtliche Gesamtbild der Zeit einfügen als ein direkter, zumindest für den deutschen Raum (s. unten S. 548 f.). Aber Brun könnte auch in dieser Beziehung der Außenseiter gewesen sein, der er in anderer Hinsicht nachweislich bleibt (s. Unten S. 548–561). 212 Die oben S. 515 u. folgend vorgetragenen Beobachtungen sprechen durchaus dafür, daß dem Schreiber an dieser Stelle die Apostaten allein vor Augen standen. Aber auch das sagt nichts über die Gültigkeit (und ebensowenig über die Nichtgültigkeit) des compellere intrare für die übrigen Ljutizen. – Das christianismum facere de populo pagano kann nach dem Zusammenhang (s. S. 489 f.) ebenso in allmählichem Übergang wie schlagartig gedacht sein (vgl. S. 531).
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Brun eine derartige „Mittelform“ gemeint hat oder vielmehr die durch den Text von 1108 vertretene des nur indirekten Missionskrieges und seiner Begleiterscheinungen, ergänzt durch eine Apostatenexekution, läßt sich nicht fällen; die Gründe halten sich ungefähr die Waage und gestatten nicht einmal, von der Möglichkeit wenigstens zur Wahrscheinlichkeit vorzudringen213. Wir können folglich auch nicht sagen, ob die bisherige Forschermehrheit auch mit der Annahme Recht behält, daß Bruns compellere intrare nicht nur einen positiven Glaubenszwang vertrete, sondern darüber hinaus eine erstmalige Ausdehnung solchen Zwangs auf außerkirchliche Christianisierungsarbeit im Munde eines Vertreters der Kirche (ein Schritt, der dann eben freilich nur aus dem dargelegten Gedankenkreis der Rückgewinnung einer terra christiani nominis214 erklärbar wäre, einzig für diesen konkreten Einzelfall vollzogen, ohne daß damit ein allgemeiner Missionsgrundsatz aufgestellt werden sollte). Nur eins läßt sich noch mit Sicherheit feststellen: wenn dieser Sachsenmönch wirklich zu der Forderung eines direkten Missionskrieges gegen Ungetaufte vorgestoßen ist, dann kann er nur eine mildere Form im Auge gehabt haben, wie der Christburger Vertrag sie spiegelt, also ohne unmittelbare Drohung für Leib und Leben der Bekehrungsunwilligen, – nicht aber die scharfe karolingische Lösung des „Tauf dich oder stirb“. Zwar beruft Brun sich ausdrücklich auf das Beispiel Karls d. Gr. als auf ein exemplar religionis, ein „Vorbild für die gewissenhafte Erfüllung religiöser Herrscherpflichten“215, und dahinter muß gerade für ihn, den Sohn sächsischer Erde, der Gedanke an Karl als den Bekehrer seines Stammes gestanden haben. Aber wir haben keinen Beweis dafür, daß er eine einwandfreie geschichtliche Kenntnis besaß, wie der Missionswille dieses Frankenkönigs sich in der Praxis ausgewirkt hatte. Was wir an zeitgenössischen Äußerungen über das Karlsbild gerade seines sächsischen Heimatraums kennen, spricht sehr dagegen, daß die ohnehin nach verhältnismäßig kurzer Geltungsdauer aufgehobene Capitulatio de partibus Saxoniae dieses Bild noch in irgendeiner Weise bestimmt haben könnte; es gibt sogar Anlaß zu der Vermutung, daß Karls Sachsenkriege damals vielleicht schon z.T. als indirekte Missionskriege angesehen worden sind, obwohl sie nur mit äußerster 213
Auch die Anführung Karls d. Gr. als Vorbild kann keinen Ausschlag zugunsten der Annahme eines direkten Missionskrieges geben: s. Oben weiter im Text. 214 Siehe Anm. 129. 215 Siehe S. 491.
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Vorsicht gewagt werden darf 216, – ganz abgesehen von der Möglichkeit, die Gewaltmaßnahmen des Frankenherrschers im Sachsenland wenigstens bis zu einem gewissen Grade ebenfalls mit dem Gedanken der Apostatenexekution in Verbindung zu bringen. Allein die Anführung dieses Namens berechtigt uns also nicht, Schlüsse in der angegebenen Richtung zu ziehen. Dasselbe gilt aber auch von dem Hinweis auf das Vorbild Konstantins, dessen Vorstellung für Brun einfach vom Gedankenkreis der konstantinischen Schenkung bestimmt ist, mithin von einer vorbildlichen Zusammenarbeit der weltlichen Gewalt mit der geistlichen selbst auf Kosten eigener irdischer Vorteile, ohne daß daneben Andeutungen eines Bildes von Konstantin als angeblichem gewaltsamen Heidenbekehrer aufträten217. Mit anderen Worten: es besteht kein Grund zu der Annahme, daß diese beiden Herrschernamen im Zusammenhang des Briefes an Heinrich mehr und anderes sagen sollen als die ausführliche Erzählung über die verdienstliche Hilfestellung Wladimirs d. Gr. im gleichen Brief 218, von der uns schon früher aufgefallen ist, daß sie keinerlei Hinweise auf eine unmittel-
216 Über die Entwicklung des Karlsbildes im Mittelalter unterrichten H. Hoffmann, Karl d. Gr. im Bilde der Geschichtsschreibung des frühen Mittelalters, Berlin 1919, und H. Mühlner, Die Sachsenkriege Karls d. Gr. in der Geschichtsschreibung der Karolinger- und Ottonenzeit, Berlin 1937; dazu wichtige Ergänzungen bei C. Erdmann, Entstehung, S. 276 ff., und K. Heisig (oben Anm. 190). Darnach scheint im Westen verhältnismäßig früh (oder gar durchgehend?) mit seinem Namen die Vorstellung des gewaltsamen Heidenbekehrers verbunden worden zu sein, aus der heraus ihn Jocundus v. Maastricht in den 80er Jahren des 11. Jhs. als exemplum derer preist, qui rectores dicuntur (Transl. S. Servatii, MG SS XII 96; vgl. C. Erdmann, S. 276, sowie oben bei Anm. 188). Für Sachsen beweist Widukind von Corvey, daß das Schreckensbild hinter dem dankbaren Gedenken an den Mann zurückgetreten war, der dem Lande das Christentum und die Gleichberechtigung mit dem fränkischen Reichsvolk gebracht hatte (Wid. Corb. I 15, S. 25), sei es in bewußt tendenziöser Umgestaltung des Geschichtsbildes durch Widukind selbst (so H. Beumann, Widukind – s. oben Anm. 76 – S. 522 f.), sei es, weil ihm diese Anschauung bereits durch die Tradition überkommen war. Für die Zeit Bruns zeigen die beiden Redaktionen der Vita Mahthildis, welcher Verharmlosung die karolingischen Sachsenkriege in der volkstümlichen Überlieferung der Besiegten fähig waren (jeweils c. 1: MG SS IV 284–5 bzw. X 575–6). Für Adam von Bremen, den Zeitgenossen des Jocundus, ließe sich zeigen, daß Karls Sachsenkrieg für ihn zum rein indirekten Missionskrieg geworden war (vgl. Beitrag XIV, Anm. 31), und nachdem die Slawenkriege Ottos d. Gr. sich genauerem Zusehen als indirekte Missionskriege erschlossen haben (vgl. ebenda S. 473–475), müssen wir bei der bekannten Bedeutung des karolingischen Vorbildes für diesen Herrscher allen Ernstes fragen, ob diese Auffassung in geistig führenden Kreisen Sachsens nicht schon zu dessen Lebzeiten, also bereits vor Brun, bestanden hat. 217 Briefliche Hinweise von R. Wenskus (s. Anm. 85). 218 Siehe S. 486–488.
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bare Bekehrungsaufgabe des Herrschers enthält219. So vermögen diese Namen kein Gegengewicht zu liefern gegen die so klare und eindeutige Absage des Querfurters an die Anwendung körperlichen Zwangs im außerkirchlichen Missionswerk220, und diese Absage muß auch für die Entscheidung der gegenwärtigen Frage den Ausschlag geben. Wir können also nunmehr folgende Ergebnisse verbuchen: Brun von Querfurt erhob im Winter 1008/09 gegenüber König Heinrich II. in nachdrücklichster Form die Forderung, er solle an den ljutizischen Wenden das evangelische Gebot des compellere intrare vollziehen, wie er, Brun, es verstand. Als Definition dazu gibt er selbst: hos tales propter christianismum glorioso certamine debellare, als Begründung: cum Liutici pagani sint et idola colant. Das Ziel solle erreicht werden durch ein expugnare paganos, das neben dem sacrum christianismum facere de populo pagano und dem dadurch verdienten Apostelnamen für den König ein tributum accipere von eben diesem populus zur Folge haben werde. Im übrigen deutet Brun an, daß der damit verlangten militärischen Exekution eine doppelte Hilfestellung zukommen müsse: einmal in custodiendo christianismo, zweitens in convertendo paganismo (genauer: im laborare, ut baptizetur paganus)221. Beim Versuch, den Inhalt dieser Forderung klarer zu bestimmen, war die Forschung bisher zu keinem einheitlichen Ergebnis gelangt. Zwei Hauptrichtungen traten sich gegenüber, und eingehende Prüfung ergab, daß jede der beiden gute und treffende Beobachtungen mit Folgerungen verknüpft, denen sich nicht beipflichten läßt. H. G. Voigt hat eindeutig nachgewiesen, daß Brun in der Heidenmission ein erklärter Gegner des Einsatzes körperlicher Gewalt im Dienste des positiven Missionsziels (der eigentlichen Christianisierung) war. Damit ist zugleich der Gedanke an einen direkten Missionskrieg, eine „Predigt mit eiserner Zunge222“ nach Art Karls d. Gr., ausgeschlossen223. Die Gegenseite, am eindrucksvollsten durch C. Erdmann vertreten, behält jedoch recht, wenn sie in Bruns Schreiben an den deutschen König dennoch einen Aufruf zur Zwangschristianisierung erblickt, durch die nicht nur (im Sinne des negativen Missionsziels) der „Götzendienst“ im Ljutizenlande ausge-
219
Siehe S. 498, vgl. auch 493. Siehe S. 496–498. 221 Vgl. S. 488–493, wo in den laufenden Anmerkungen auch die Begründung für die obige Textgestalt der angeführten Wendungen gegeben ist. 222 Transl. S. Liborii, c. 2 (MG SS IV 151, 21 f.). Vgl. dazu oben S. 528 f. 223 S. 494 ff. und folgend. 220
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rottet und eine missionsfeindliche heidnische „Obrigkeit“ beseitigt224, sondern positiv die Eingliederung von Menschen in die christliche Kirche erzwungen werden sollte225. Die Frage war, wie diese einander scheinbar ausschließenden Ergebnisse unseres Nachprüfungsversuchs miteinander in Einklang gebracht werden könnten. Die Lösung schien ein Blick auf den Glaubenszustand der Ljutizen zu bringen, wie er sich zur Abfassungszeit des Briefes, seit 983, kirchlich-kanonistischem Rechtsbewußtsein darstellen mußte. Bis zu diesem Jahre hatten ihr Land durch Bistums- und Kirchengründungen, ihr Volk – nicht vollzählig, doch wohl in wesentlichen Teilen – durch den Taufempfang einen christlichen „Charakter“ erhalten; dieser Charakter aber ist nach alter Väterlehre sakramentaler Art und ewig unverlierbar226. Wenn dann eine Ausrottung des Christentums, eine Neubelebung des Heidentums im Land zwischen Elbe und Oder stattfanden, so ließen seine Bewohner sich zwar wieder wie einst als pagani bezeichnen, weil dieses Wort neben dem ungetauften auch den rückfälligen Anhänger der alten Religion, den Apostaten, bezeichnen kann227. Der christliche „Charakter“ aber wurde für das Denken der Kirche davon nicht berührt; im Gegenteil: er verhinderte geradezu die Wiederherstellung des alten Glaubenszustands, wie sie den Urhebern der Apostasie vorgeschwebt hatte. Mit ihm blieb der auf ihn begründete Anspruch der Kirche auf die Verantwortung für diese Menschen und auf den ihr überschriebenen Besitz in diesem Land, ein Anspruch, der, ebenfalls nach alter Väterlehre, notfalls durch den weltlichen Arm mit Waffengewalt durchzusetzen war. Er wurde auch davon nicht beeinträchtigt, daß mit der Zahl der Jahre der Prozentsatz der Ungetauften dort ständig wuchs, so daß sie zur Abfassungszeit des Briefes sicher schon eine bedeutende Mehrheit bildeten. Allenfalls das völlige Aussterben der letzten noch getauften Ljutizengeneration konnte hier wenigstens eine gewisse Änderung der Rechtslage bringen228; dieser Fall trat jedoch zu Bruns Lebzeiten nicht mehr ein. Das alte Leitwort solch bewaffneter Exekutionen der kirchlichen Disziplinargewalt war eben jenes biblische compelle intrare, das auch er über seinen Aufruf
224 Die Beseitigung solcher Obrigkeit wird von Brun nirgends ausdrücklich erwähnt, muß aber als selbstverständlich vorausgesetzt werden. 225 S. 499. 226 S. 502–506, 509–514 u. 518–521. 227 S. 506–509. 228 S. 519–521.
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geschrieben hat229. Er hat es also im Gegensatz zur bisherigen Ansicht noch durchaus im alten Sinne verwendet. Das Streben, das hinter solchen Exekutionen steht, ist dem Missionsstreben, mit dem Bruns Aufruf bisher in Verbindung gebracht wurde, nahe verwandt, aber doch grundsätzlich anders gerichtet, ein anderer Ast am gleichen Stamm230. Mission im strengen und eigentlichen Sinne des Wortes231 ist auf Ausbreitung des Glaubens gerichtet, die im katholischen Sinne immer zugleich Ausbreitung der Kirchenhoheit ist: jene Exekutionen haben es statt dessen mit der Wahrung des einmal erlangten Besitzstandes zu tun (konfessionell wie materiell gesehen). Mission sucht sich ihr Arbeitsfeld unter Stämmen, die nie zuvor vom Christentum berührt worden sind, sozusagen in kirchlichem Neuland, unter Ungetauften, die sie frisch zu gewinnen hofft – diese kehren ihren Arm gegen abtrünnige Glieder der Christenheit, Brecher des Taufgelübdes aller Art, mögen sie nun (wie der exkommunizierte Sünder, der unbußwillig ist) von der gebotenen und beschworenen Norm christlichen Lebens und Handelns abirren oder aber (wie hartnäckige Häretiker und Apostaten) von der gebotenen und beschworenen Norm christlichen Glaubens und Denkens232. Das erste Streben ist sozusagen expansiv, das zweite konservativ. Man mag es von jenem ersten, dem Missionsstreben, nach dem Vorgang J. Schmidlins, des Altmeisters katholischer Missionswissenschaft, als Rekatholisierungsstreben unterscheiden233. Brun selbst verwendet dafür die Formel custodire christianismum, die von hier aus ihre Erklärung findet als ein „Bewahren der Christenheit vor Fehltritten“234. Die Motive dieses Strebens können selbstverständlich ebenso mannigfacher Art sein wie die der Mission und überhaupt jeglichen menschlichen Einsatzes für hohe Ideale. Gerade für das Mittelalter und nicht zuletzt für die Politik des deutschen Episkopats gegenüber dem Elbslawentum steht fest, daß sie vielfach recht handfester und ungeistli-
229
S. 500. Vgl. Anm. 151 sowie 265. 231 Siehe Anm. 87. 232 Man verkenne nicht, daß das von den Paten stellvertretend geleistete Taufgelübde nach kanonistischer Auffassung dieselbe Rechtskraft besitzt, als wenn es vom Täufling selbst geleistet worden wäre. – Zur inneren Verwandtschaft von Häresie und Apostasie s. S. 509 f.; zur Verwandtschaft von Sünde und Apostasie S. 553. 233 Siehe Anm. 87. 234 Siehe S. 516 f., wo auch noch eine andere Übersetzungsmöglichkeit. 230
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cher Art waren235. Man täte jedoch schweres Unrecht, wenn man diese an sich richtige Beobachtung verallgemeinern wollte. Gerade für eine Persönlichkeit wie Brun von Querfurt – und keineswegs für ihn allein – kann nicht bezweifelt werden, daß echte religiöse und seelsorgerische Verantwortung im Hintergrunde stand: schließlich hatte ja die Kirche nach ihrem eigenen Glauben am Jüngsten Tage Rechenschaft abzulegen über die, welche sich im Taufbund ihr einmal anvertraut236. Der aus solchen Voraussetzungen erwachsene „heilige Krieg“ Bruns hätte also zunächst die getauften Teile des Ljutizenvolkes, die sich so leichtfertig-frevelhaft über ihr Taufgelübde hinwegsetzten237, unter das sanfte und leichte „Joch des Christentums“ zurückzwingen sollen (gleichbedeutend mit ihrer Befreiung von einer drückenden Unheilslast, mit der sie in ihrem „Irrtum“ sich „abzuplagen“ hatten)238. Darüber hinaus war diesem Krieg, wenn wir die Andeutungen des Querfurters richtig verstehen, im Sinne des negativen Missionsziels239 die Aufgabe gestellt, alles zu beseitigen, was der Durchdringung dieses Volkes als Ganzen mit christlichem Geiste im Wege stand, seiner Umbildung zum sacer christianismus, „einer heiligen Christenheit240“ (in erster Linie jedenfalls der heidnische Kult und seine Stätten241). 235 Vgl. z.B. B. Guttmann (s. Anm. 76), S. 437. Freilich darf diese Seite auch nicht übertrieben werden, wie es bis zur Maßlosigkeit bei J. W. Thompson (s. Anm. 76), S. 393–403, geschieht, wo die ganze Missionstätigkeit der deutschen Kirche des Mittelalters zu „largely a money-making proposition“ wird (S. 394, ähnlich öfter, und zwar mit „Belegen“, von denen bei näherer Nachprüfung eine große Zahl überhaupt nicht zur Sache gehört, sondern von der Kirche bekämpfte Tributgier weltlicher Herren betrifft). Auf einen sehr entscheidenden Hintergrund dieser „Zehntgier“, durch den sie sich ganz erheblich von der Unersättlichkeit habgieriger Prälaten mit fetten Pfründen unterscheidet, hat für die Kirche des Wendenlandes bereits F. Curschmann, Die Diözese Brandenburg, Leipzig 1906, S. 27, hingewiesen, wozu man die ergänzenden Materialien bei E. O. Schulze (s. Anm. 76), S. 298–300, vergleichen mag. Im übrigen ist wohl im Auge zu behalten, daß sich diese Bestrebungen gegen Deutsche nicht weniger richteten als gegen Wenden (vgl. nur Helmold I 92, S. 178–81). 236 Vgl. für viele die in Anm. 119 zitierte Exkommunikationsformel, in der es u.a. heißt: . . . solliciti ne per negligentiam pastoralem aliqua de ovibus nobis creditis deperiret, pro qua in tremendo judicio ante principem pastorum . . . rationem reddere compelleremur, juxta quod ipse terribiliter nobis comminatur, dicens: ,Si non annunciaveris iniquo iniquitatem suam, sanguinem ejus de manu tua requiram.‘ (Vgl. Ez. 3, 18–21). Vgl. auch Anm. 43. 237 Siehe Anm. 232. 238 Siehe Anm. 134. 239 Siehe bei Anm. 58. 240 Siehe S. 531 sowie bei Anm. 29. 241 Beachte die betonte Wendung gegen die ljutizischen idola S. 516 f., gegen die ljutizischen Menschenopfer S. 489, dazu die allgemeinen Voraussetzungen, Beitrag XIV, S. 467 f. auch 473 und 477.
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Schließlich war Bruns Absicht, die Ljutizen durch diesen Krieg einer christlichen Obrigkeit zu unterstellen, die unbezweifelbar fest und sicher im Glauben stand, so daß sie die Belange des Christentums ihnen gegenüber wirklich vertreten konnte. Das custodire christianismum sollte sich deshalb für ihn mit einem expugnare verbinden, einer politisch-militärischen Unterwerfung, durch die das ostelbische Land in fester Form nicht nur der Kirche unterstellt worden wäre, sondern auch dem Reich als ihrem weltlichen Arm. Dabei war aber offenbar nicht an ein Auslöschen seines politischen und volksmäßigen Eigenlebens durch unmittelbare Fremdherrschaft gedacht, sondern nur an die Aufrichtung einer Oberherrschaft in Gestalt einer Tributabhängigkeit, die es laufend der Kontrolle christlicher Herrscher unterstellte, ohne im übrigen seine Autonomie anzutasten242. Die Tribute als solche aber waren wohl weniger als Entschädigung an das Reich für die Durchführung dieser Exekution gemeint denn als Erneuerung von Leistungen, die ihm schon vor dem Abfall von 983 zugestanden hatten243. Insofern trat hier für Brun neben den Rekatholisierungskrieg der Kirche der Rekuperationskrieg des Reiches, mit dessen Interessen dieser enge Freund und Mitarbeiter eines Otto III. sich nicht minder verbunden fühlte – beide standen ihm ja nicht neuzeitlich getrennt nebeneinander als verschiedene Institutionen mit gänzlich getrennten Aufgaben und auch räumlich abweichenden Grenzen, sondern als eben die beiden Arme der gleichen umfassenden Christenheit mit dem einen gemeinsamen Haupte im Herrscher des Himmels. Bei beiden Bestrebungen aber, Reichs- wie Kirchenkrieg, handelte es sich – das ist wichtig – für Brun um nichts anderes als um die Wahrung von Rechten, die er für wohlerworben halten mußte. Der sächsische Kirchenreformer war nicht der Mann, böswillig fremde Rechte zu schmälern. Mit der Beseitigung des „Teufelsdienstes“244 und der Aufrichtung einer christlichen Oberherrschaft über das ljutizische Land waren aber zugleich erste Schritte getan für die Bewältigung der letzten Aufgabe, die Brun seinem König im Hinblick auf dieses Land nennt: das convertere paganismum, das laborare, ut baptizetur paganus. Die Wendungen müssen bezogen werden auf die ungetaufte Mehrheit, die infolge der
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S. 530–535. S. 531 f. Vgl. S. 489 f.
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langen seit 983 verstrichenen Zeit neben und zwischen den von dem Exekutionsplan in erster Linie betroffenen Apostaten saß. Wir dürfen annehmen, daß das Wort laborare z.B. die Sorge für die Errichtung bzw. Wiederherstellung christlicher Gotteshäuser und für die Bereitstellung geeigneter Prediger einschließen sollte245. Leider aber sehen wir nicht, ob damit schon alles umschrieben ist, was Heinrich nach Brun für die Bekehrung dieser Volksteile zu tun hatte. Die Möglichkeit als solche ist durchaus gegeben, und dann hätte der Plan sich diesen „ungetauften Heiden“ gegenüber auf die Durchführung eines indirekten Missionskrieges beschränkt. Ebensogut kann es aber sein, daß das compellere intrare sich auch auf sie mit erstrecken, also über dem custodire christianismum und dem convertere paganismum in gleicher Weise stehen sollte. Dann hätten wir hier, auf diese Heiden gesehen, den Plan eines direkten Missionskrieges vor uns, der neben der Entfernung heidnischen Brauchs aus dem Lande auch die Entfernung heidnischer Menschen zum Ziel gehabt hätte und damit den Abschluß nicht nur der negativen, sondern auch der positiven Missionsarbeit unter den Ljutizen. Welche von diesen beiden Möglichkeiten den Vorzug verdient, wissen wir nicht; sie sind beide gleich gut begründbar246. Selbst wenn die zweite, schärfere der geschichtlichen Wahrheit entsprechen sollte, bliebe indes dreierlei bestehen: Erstens hätte sie dann für Brun nicht im Zeichen des schroffen „Taufe oder Tod“ gestanden, sondern im Zeichen des milderen „Taufe oder Verbannung“247. Zweitens wäre sie auch dann, trotz der umfassenden Enteignungen, die sich aus ihr hätten ergeben können, kein Eingriff in wohlerworbene fremde Rechte gewesen (wie es uns auf den ersten Blick scheinen möchte), denn die Rechte, über die in solcher Weise verfügt worden wäre, wären nach dem Rechtsempfinden der damaligen Zeit bereits vom Augenblick der militärischen Entscheidung her an den Sieger verwirkt gewesen, dem es ohne weiteres freistand, ob er sie annullieren oder erneuern wollte248. Schließlich und vor allem aber dürften wir auch aus dieser zweifellos bedeutenden Verschärfung des Vorgehens kein allgemeines und grundsätzliches Bekenntnis Bruns zum direkten Missionskrieg herauslesen, sondern lediglich eine Ausnahmeregelung für einen konkreten 245 246 247 248
Bei Anm. 65. S. 533–535. S. 536–538, dazu S. 525–528. S. 522–524.
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Sonderfall249: denn dieses Vorgehen stünde dann nicht selbständig für sich allein, sondern bliebe Neben- und Begleiterscheinung zu einer Apostatenexekution als Hauptsache, bliebe wie diese selbst eine Folge des Umstandes, daß über dem ljutizischen Lande keine einfache Missionsaufgabe lag, sondern eben ein Rekatholisierungsanspruch (oder, wenn man will, eine Rekatholisierungspflicht); es wäre nicht gegen „echte Heiden“ eines vom Christentum völlig unberührten Neulandes geplant gewesen, sondern gegen eine Menschengruppe, die mitten zwischen ihnen und den Apostaten, den friedlich zu Bekehrenden und den gewaltsam zu Zwingenden stand, jenen durch das Fehlen des christlichen Taufcharakters verbunden (und damit durch die Freiheit von jeder unmittelbaren Verpflichtung gegenüber der kirchlichen Disziplinargewalt), diesen aber durch gemeinsamen Frevel an christlichem Heiligtum250. Als Losung für das Missionswerk im allgemeinen dürfte das compellere intrare Bruns von Querfurt also dann immer noch nicht angesprochen werden. Selbstverständlich behält dieser sächsische Mönch und Bischof auch nach der damit vollzogenen Richtigstellung einen bedeutenden Platz in der Geschichte der christlichen Mission in jenem eigentlichen Sinne des Wortes. Er bleibt ihm gesichert durch seine Wirksamkeit für „Schwarze Ungarn“, Petschenegen und sogar Schweden, von welcher der gleiche Brief an König Heinrich berichtet, schließlich für die Prußen, die ihm schon wenige Monate später den Märtyrertod bringen sollte251. Brun von Querfurt ist sogar für die missionsgeschichtliche Betrachtung eine besonders wichtige Gestalt, weil er auf so vielen verschiedenen Schauplätzen mit so unterschiedlichen Voraussetzungen gearbeitet hat wie vielleicht kein zweiter Glaubensbote des abendländischen Mittelalters. So läßt sein Beispiel uns mit seltener Klarheit erkennen, wie sorgsam abgestuft ein verantwortungsbewußter Missionsbischof jener Zeit je nach der Beschaffenheit der „Missionsobjekte“ Missionsmittel verschiedenster Art einzusetzen strebte, um dem Missionsbefehl seines Herrn252 auf jeden Fall Genüge zu tun: wie er am Anfang unbedingt einen friedlichen Versuch für notwendig hielt ohne Rücksicht auf etwaige Gefahr
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S. 499–502 u. bes. S. 497 f., ferner S. 533–536 S. 521 f. 251 Das Martyrium Bruns behandelt jetzt in aufschlußreicher religions- und rechtsgeschichtlicher Beleuchtung B. Rehfeldt (s. Anm. 27), S. 50–2. 252 Mt. 28, 19–20. 250
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für Leib und Leben derer, die ihn unternahmen253; wie er nach dem Fehlschlag eines solchen, wenn wir ihn recht verstehen, den Einsatz eines indirekten Missionskrieges wünschte, damit die widerspenstige heidnische Obrigkeit beseitigt werde und dann endlich das friedliche Bekehrungswerk unter dem Schutz einer christlichen sich ungestört entfalten könne254; wie er aber auch in solch einem Fall noch selbst zu einem weiteren friedlichen Versuch bereit war255, wenn der erhoffte Beistand des weltlichen Armes sich nicht verwirklichen ließ256, und bei alledem eine gewaltsam, nämlich unter Drohung für Leib und Leben, erzwungene Bekehrung grundsätzlich als „schwere Sünde“ ansah, die mit dem Segen des Höchsten den Fortgang des ganzen Missionswerks in Frage stellen müsse257. Sein compellere intrare aber ist, wie gesagt, aus diesem Zusammenhang auszuscheiden. Zwar erweist es sich nicht weniger charakteristisch für diese sorgsame Anpassung der anzuwendenden Mittel an die jeweilige besondere Situation, indem es gewissermaßen die nächste Stufe bezeichnet: den Übergang zu weltlichem und selbst körperlichem Zwang, wenn die freiwillig und friedlich Bekehrten nicht hielten, was sie einmal aus eigenem Entschluß gelobt hatten258. Es steht jedoch bereits nicht mehr als Meilenstein an der Straße, die – auf mancherlei Umwegen – schließlich zur modernen katholischen Heidenmission hinüberleitet, sondern an der, die in ihrem weiteren Verlauf durch Marken wie die Albigenser- und Stedingerkreuzzüge bezeichnet wird. Dort ragt es empor als vielleicht eindrucksvollstes geschichtliches Denkmal der Idee einer bewaffneten Apostatenexekution, wie sie das Rekatholisierungsstreben der mittelalterlichen Kirche neben seiner bekanntesten Ausprägung, der Idee des heiligen Ketzerkrieges, aus gleichem Geiste entwickelt hat. Es kann sein, wenngleich dies zweifelhaft bleibt, daß es von dort aus auch jene andere Straße am Rande berührte. Aber wenn dies der Fall ist, dann geschah das gewissermaßen durch den Schatten, der von diesem seinem eigentlichen Standort aus hinüberfiel259.
253 Von Brun selbst in besonders eindrucksvoller Weise vorgelebt und beschrieben bei der Petschenegenmission; vgl. S. 486–488 u. 498. 254 So allem Anschein nach gegenüber den Prußen, vgl. S. 500 f., bes. auch Anm. 73. 255 Wiederum im Fall der Prußen: s. S. 499. 256 S. 491. 257 S. 495. 258 Vgl. Anm. 265, dazu bei Anm. 232. 259 Vielleicht wird derjenige, dem wir die erstmalige Übertragung von Lc. 14, 23 auf den Bereich außerkirchlicher Zwangschristianisierung in der Heidenmission
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Die vorgeschlagene Auffassung ist imstande, den scheinbaren Zwiespalt zu erklären, der auf den ersten Blick zwischen Bruns unmißverständlicher Ablehnung gewaltsamer Christianisierungsmethoden auf anderem Schauplatz und seiner ebenso ausdrücklichen Forderung derartigen Vorgehens gegen die ljutizischen Wenden klafft260. Die Vertreter der Ansicht, daß das Rekatholisierungsstreben notfalls durch den weltlichen Arm durchgesetzt werden müsse, und sei es mit Waffengewalt, haben seit jeher die Übertragung gleicher Zwangsmittel auf den Bereich der (außerkirchlichen) Missionsarbeit nachdrücklich abgelehnt, gemäß dem Apostelwort: „Was habe ich über die zu richten, die draußen sind? . . . Gott wird sie richten . . . Entfernt nur das Übel aus Euren eigenen Reihen261.“ Ihnen gegenüber hieß es, man dürfe ihnen allenfalls negativ die Ausübung ihres nichtchristlichen Kultes unmöglich machen – den Juden, die auf ihre „fleischliche Weise“ doch immerhin Gottesgebote befolgten, nicht einmal dies –, dürfe vielleicht auch darüber hinaus (doch auf jeden Fall unter Ausschluß körperlicher Drangsalierung) der Freiwilligkeit ihres Übertritts etwas nachzuhelfen suchen, diese Freiwilligkeit selbst aber im letzten doch keinesfalls anzutasten wagen262. Es ist deutlich, daß Brun sich hier ohne weiteres einfügt – einfügt selbst dann, wenn sein compellere intrare auch das convertere paganismum im Ljutizenbereich einbeziehen sollte, weil dies seinerseits, an der gesamten Gedankenwelt seines Verkünders gemessen, dennoch keinen körperlichen Zwang gegen Ungetaufte eingeschlossen haben kann263. Zugleich ist mit der vorgeschlagenen Lösung die Hauptschwierigkeit aus dem Wege geräumt, die sich bisher der Einordnung Bruns in das geistige Gesamtbild seiner Zeit entgegengestellt hat. Als Vertreter eines direkten Missionskrieges im Dienst echter, außerkirchlicher Heidenmission auf christlichem Neuland, als der er bis jetzt immer wieder in Anspruch genommen wurde, wäre er eine völlig vereinzelte, nach keiner Richtung hin anknüpfbare Erscheinung gewesen, ein seltsam verfrühter Neuerer ohne Vorgänger und ohne unmittelbare Nachfolger, geradezu
zuzuschreiben haben, nunmehr jener norwegische Benediktiner sein, der um 1180 das älteste erhaltene Geschichtswerk seines Landes schrieb: vgl. Theodricus Monachus, Historia de Antiquitate Regum Norwagensium, c. 11 (bei G. Storm, Monumenta Historica Norvegiae, Kristiania 1880, S. 18). 260 Siehe S. 498 f. u. 500. 261 I. Cor. 5, 12–3. Als Kriterium für das „Draußen-“ oder „Drinnensein“ (foris und intus esse) galt der Empfang oder Nichtempfang der Taufe: s. S. 200–202. 262 Beitrag XIV, S. 467, oben S. 526 und Anm. 265. 263 Siehe oben S. 535, dazu S. 525–528 (bes. auch Anm. 180) sowie S. 495 f. u. 597.
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anachronistisch264 – als Vertreter eines unabdingbaren Anspruchs auf Land und Menschen, die auf Grund einmal rechtsgültig erfolgter Christianisierung von einer verantwortungsbewußten Kirche nicht sich selbst überlassen bleiben durften, ist er ohne weiteres einbezogen in einen kontinuierlichen Strom, der sich von dem heiligen Bischof von Hippo an bis tief in die Neuzeit hinein durch die kirchliche Geistesgeschichte hindurch verfolgen läßt: wir brauchen hier nur an Bruns Zeitgenossen und Bischofskollegen Burkhard von Worms zu erinnern, der in seiner Dekretaliensammlung (bearbeitet zwischen 1008 und 1012, also teilweise wohl noch genau gleichzeitig mit den letzten Schriften des Querfurters) mancherlei einschlägige Dokumente älterer Zeit zusammengestellt hat265. Beinahe – nämlich mit einer sehr wichtigen Einschränkung, auf die wir gleich noch zurückkommen müssen – ließe sich sagen: Brun gibt uns geradezu ein Beispiel praktischer Nutzanwendung dessen, was Burkhard rein aus systematischem Interesse sammelt, auf einen konkreten Fall seiner Gegenwart.
264
Siehe S. 494. Vgl. bes. Burch. Worm., Decr. IV, 82 (PL 140, 742 B) ex concil. Tolet IV. c. 57: Verbot, in Zukunft noch gewaltsame Christianisierungsmaßnahmen anzuwenden, unter Hinweis auf Rm. 9, 18; die Bekehrung müsse unbedingt freiwillig erfolgen, ut integra sit forma justitiae . . . Qui autem jampridem ad Christianitatem coacti sunt, . . . quia jam constat eos sacramentiis divinis associatos, et baptismi gratiam suscepisse, et chrismate unctos esse, et corporis Domini et sanguinis exstitisse participes, oportet ut fidem etiam quam vi vel necessitate susceperant, tenere cogantur, ne nomen Domini blasphemetur, fidesque quam susceperunt vilis ac contemptibilis habeatur. (Dasselbe mußte natürlich erst recht von freiwillig Bekehrten gelten, wie schon das etiam des letztzitierten Satzes ergibt. Der Kanon entstand aus Problemen der damaligen spanischen Judenmission, darf aber ohne weiteres auf die außerkirchliche Missionsarbeit insgesamt bezogen werden, da seine theologischen Formulierungen – hier übergangen – ganz allgemein auf das christliche Menschenbild als solches hinweisen.) – Ferner X, 2–3 (Sp. 833) aus Greg. Magn. Reg. Epist. IX, 204 (MG EE II 192, 20 ff.; gewöhnlich zu Unrecht auf außerkirchliche Gewaltmission gedeutet); X, 64 (Sp. 853); XV, 43 (Sp. 907–8) ex dictis S. Isidor.: Aufgabe der weltlichen Obrigkeit sei es, ut quod non praevalet sacerdos efficere per doctrinae sermonem, potestas hoc imperet per disciplinae terrorem . . ., ut qui intra Ecclesiam positi contra fidem et disciplinam Ecclesiae agunt, rigore principum conterantur, etc. – Vgl. auch oben Anm. 123, 124 u. 236. – Es fehlen Stellen, die ausdrücklich zum Ketzerkrieg aufrufen – wohl kaum zufällig (s. unten S. 548 f.) –, doch ließ ein solcher sich mindestens aus dem eben zitierten Wortlaut von XV, 43 ableiten. – Datierung des Burkhardschen Werks nach W. Wattenbach – R. Holtzmann, Deutschlands Gesch. Quellen im MA. Deutsche Kaiserzeit I2, 2. Aufl. Tübingen 1948, S. 211 (ebenda I1, 3. Aufl. S. 49–50 über Brun). Beachte, auch zum folgenden, O. Meyer, Überlieferung und Verbreitung des Dekrets des B. Burchard von Worms (Zs. f. Rechtsgesch., Kanon. Abt. 24, 1935, S. 141–83), wonach diese Sammlung nicht nur gelehrtem Interesse, sondern wirklich der praktischen kirchlichen Rechtsprechung gedient haben dürfte. 265
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beitrag xv 5. Bruns Sonderstellung in der deutschen Kirche seiner Zeit
Eins freilich kann auch durch die neue Deutung nicht beseitigt werden: die auffällige Vereinzelung dieser sächsischen Stimme gegenüber allen Stellungnahmen zum Apostatentum des Nachbarvolkes, die wir sonst aus dem christlichen Deutschland jener Zeit und gerade aus sächsischem Raum kennen. Das hat sehr tiefe Gründe: Bruns Schreiben an König Heinrich griff ja nicht nur in die aktuellen welt- und kirchenpolitischen Probleme des damaligen Ost-Mitteleuropa ein, sondern zugleich in eine Frage von erregend grundsätzlicher Bedeutung: die Frage nach dem Verhältnis von Christentum und Kirche zum Krieg überhaupt. Durfte eine christliche Kirche dulden, daß ihre Glieder immer wieder die Waffen ergriffen, womöglich gegeneinander und aus eigensüchtigsten Motiven, trotz des klaren Herrengebotes: „Du sollst nicht töten“? Durfte sie, der Inbegriff duldend überwindender Liebe, gar selbst solche Kriege im eigenen Hause entfesseln, um ihre hierarchischen und seelsorgerischen Zwecke durchzusetzen? Bruns Brief zeigt ebenso wie seine übrigen Schriften, daß er diese Probleme klar gesehen und eindeutig beantwortet hat: Ablehnung jedes Zustandes, wo „die Eingeweide des christlichen Erdkreises sich gegeneinander kehren“266, Ablehnung jedes Krieges nur terrae causa, selbst wenn er gegen Nichtchristen ging267, dagegen unbedingte Bejahung eines Krieges augendae christianitatis gratia268, zur Mehrung und Erhöhung von Christentum und Christenheit, für den er nach unserer Feststellung wahrscheinlich zwei verschiedene Möglichkeiten gelten ließ: den Rekatholisierungskrieg (möglicherweise gekoppelt mit einer Vertreibung bekehrungsunwilliger Heiden aus dem Apostatengebiet) und den indirekten Missionskrieg269. Aber dies alles war seine persönliche Lösung: für die Kirche seiner Zeit als Ganzes waren alle diese Fragen noch völlig offen, trotz aller Autoritäten, die sich längst im gleichen Sinne ausgesprochen hatten wie Brun, und seine Antwort, die uns heute so typisch mittelalterlich erscheinen will, erhielt erst im zweiten Jahrhundert nach seinem Tode so etwas wie
266
Vita quinque fratrum, c. 9 (s. Anm. 137). Siehe bei Anm. 31. Die dort zitierte Stelle aus der Vita S. Adalb. schließt in ihrem Tadel auch einen Sarazenenkrieg ein (vgl. Anm. 134). 268 Siehe Anm. 31. 269 Siehe S. 544 f. 267
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allgemeine Anerkennung – nicht ohne gerade in Deutschland heftigsten Widerstand gefunden zu haben270. Befragen wir den eben genannten Burkhard von Worms – die deutsche Autorität seiner Zeit auf kanonistischem Gebiet271 –, so wird bei aller Übereinstimmung in den entscheidenden Grundlagen272 doch gleich eine sehr andere Haltung offenbar: wir finden die herkömmlichen geistlichen Strafen für Kirchenglieder, die Götzendienst und ähnlichen Unfug trieben (Pönitenzfristen von einem bis zu zehn Jahren, Anathem, einmal auch schimpfliche Ausweisung aus dem Diözesanbereich273); wir finden, daß infideles aut haeretici innerhalb der christlichen Gemeinschaft auch in weltlicher Beziehung rechts- (oder zumindest geschäfts-) unfähig sein sollen274 und daß der christliche Fürst mit seiner Strafgewalt den kirchlichen Disziplinarmaßnahmen Nachdruck verleihen soll, wenn sie allein nichts fruchten275. Selbst ein Ansatz zur Gleichsetzung von Häretikern und Apostaten, der ihre gleichartige Behandlung nahelegt, fehlt nicht276. Aber Gewaltanwendung gegen einzelne Widerstrebende im unmittelbaren Hoheitsbereich eines Herrschers ist etwas sehr anderes als ein Rekatholisierungskrieg gegen ein ganzes Volk der Nachbarschaft, und Hinweise auf einen solchen Krieg suchen wir bei Burkhard vergebens; im Gegenteil: von zwei eng zusammengehörigen Schreiben Gregors d. Gr., die im Registrum seiner Briefe fast unmittelbar aufeinander folgen und von denen das eine zum Rekatholisierungskrieg aufruft277, das andere zum indirekten Missionskrieg278, – von diesen beiden Schreiben, die spätere kanonistische Sammlungen (etwa das Decretum Gratiani) ganz selbstverständlich aneinanderreihen, bringt der gelehrte Wormser, schwerlich aus Zufall, allein dieses zweite279,
270 Diese schwierigen Auseinandersetzungen eindringlich beleuchtet zu haben, ist das Verdienst der in Anm. 5 genannten Arbeit von C. Erdmann, auf die hier als Ganzes verwiesen werden muß. 271 Vgl. dazu Anm. 265 am Ende. 272 S. Anm. 265. 273 Burch. Worm., Decr. X (PL 140, 831–54). – Die Ausweisung s. oben Anm. 177. 274 Decr. XV 8 (PL 140, 896 C) aus Pseudo-Isidor: . . . quod ab infidelibus aut haereticis factum fuerit, omnino cassabitur. – Vgl. XVI, 4 u. 11 (Sp. 910 B; 911 A). 275 Decr. XV, 43 (s. Anm. 265 gegen Ende). 276 S. Anm. 115. 277 Greg. Magn., Reg. Epist. I, 72 (MG EE I, 92–3). 278 Ebenda, n. 75 (S. 93–4). 279 Decr. XV, 18 (Sp. 899).
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und nicht weniger fehlt Augustin mit seinem coge intrare, dem Gratian ebenfalls so bedeutenden Raum gönnt280. So ist es nicht verwunderlich, wenn auch die Stellungnahme zu dem konkreten Sonderfall, auf den Brun seine Grundsätze angewandt, an dem er sie sich vielleicht sogar entwickelt hatte, im Munde anderer deutscher Kirchenmänner (auf die wir uns dabei beschränken wollen) sehr anders ausfallen konnte als bei ihm. Als sein ausgesprochener Gegenpol muß Adam von Bremen betrachtet werden, der ein halbes Jahrhundert später unter einem Erzbischof von besonderer missionarischer Aktivität Leiter der dortigen Kathedralschule war, mithin verantwortlich für die Ausbildung gerade auch missionarischen Nachwuchses für das wendische Vorfeld seines Erzbistums und folglich von unvergleichlich viel größerem Einfluß auf den tatsächlichen Gang der deutschen Slawenmission, als ihn der Querfurter je zu erlangen vermochte. Adam schreibt aus erheblichem zeitlichem Abstand zu den Ereignissen von 983, und man könnte meinen, daß daraus für ihn auch ein sachlicher Abstand, eine mangelnde innere Fühlung mit den Problemen erwachsen wäre, die Brun so leidenschaftlich bewegten. Aber erst 1066 hatten sich, nicht minder grauenvoll, ganz ähnliche Dinge in Adams unmittelbarem Gesichtskreis unter den Obotriten abgespielt, und davon war er bei der Ausarbeitung seines Werkes nicht halb so weit entfernt als Brun, da er den Brief an Heinrich verfaßte, von den Vorgängen, deren Sühne er forderte. Um so erstaunlicher ist, wie der bremische Magister auf alle diese Ereignisse reagiert281. Im Grundsätzlichen war er wie Burkhard mit dem Querturter ohne weiteres einer Meinung: der Abfall von 983 hatte der Kirche als dem mystischen Leibe Christi eine tiefe Wunde geschlagen282. Der Gedanke an ein compellere intrare mit Waffengewalt aber lag ihm völlig fern: er ging vielmehr so weit, die damalige Erhebung trotz ihrer religiös so bedenklichen Seite als eine gerechte Sache zu behandeln, weil sie durch unvertretbare Übergriffe maßgeblicher Vertreter der missionierenden Seite provoziert worden war283. Daß dabei aber mit
280 Das Kriegsrecht Gratians s. C. XXIII (Corpus Juris Canonici, ed. Ae. Friedberg, tom. I, Lipsiae 1879, col. 889–965). 281 Zum folgenden vgl. H. Beumann, HJb 72, 1953, S. 117–9 in Verbindung mit Beitrag XIV, S. 470–472. 282 Siehe oben S. 536 f. 283 Man vergleiche dazu den von Wipo, Gesta Chuonradi, c. 33 (S. 52), berichteten Sieg eines apostatischen Ljutizen über einen christlichen Sachsen im Gottesurteil (!), der mit Bedauern, aber unangefochten hingenommen wurde.
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dem Freiheitskampf auch die Apostasie als solche gelingen konnte, führt Adam auf einen rätselhaften Ratschluß Gottes zurück, der „sich erbarmt, wessen er will, und verstockt, wen er will“284; er, der einst von der Vernichtung der Völker Kanaans die Philister ausgenommen habe, um durch sie die Israeliten zu strafen, „er, sage ich, hat nun eine kleine Gruppe von Heiden verstocken wollen, damit durch sie unser Unglaube aufgestört werde“ (nostra confunderetur perfidia)285. „Durch ein gerechtes Gericht Gottes (iusto Dei iudicio) sehen wir über uns die Oberhand behalten, die durch Gottes Erlaubnis(!) dazu verstockt sind (permissu Dei ad hoc indurati), damit durch sie unsere Verworfenheit gegeißelt werde. Denn in der Tat: wie wir uns von den Feinden überwunden sehen, solange wir sündigen, so werden wir, wenn wir uns nur bekehren, Sieger über die Feinde sein“286. Das ist eine sehr klare und eindringliche Stellungnahme, wahrhaft würdig eines Erziehers künftiger Priester und Missionare, gleichgültig, wie man sich sachlich zu ihr stellen mag. Von einem bewaffneten Gegenschlag der Christenheit aber verlautet kein Wort; nicht einmal einen indirekten Missionskrieg, der neuer friedlicher Predigt den Weg eröffnet hätte, scheint Adam in diesem Fall für wünschenswert gehalten zu haben, obwohl er ihn sonst an sich bejaht – zumindest beklagt er das Ausbleiben eines solchen Gegenschlags auf das damalige Geschehen nirgends mit einer Silbe. Das könnte für die Erhebung von 983 noch mit seiner Ehrfurcht vor der gerechten Sache des Gegners, seinem Schmerz über den sündlichen Hochmut der eigenen Seite erklärt werden, mit der Furcht, ob Gott unter solchen Umständen den Sieg nicht vielleicht dem so wenig christlichen Heere verweigert hätte. Aber zu der obotritischen Reaktion von 1066, die sich gegen einen christlichen Fürsten des eigenen Stammes richtete und Adam so unvergleichlich viel näher lag, nimmt er die gleiche Haltung ein287. Unverkennbar steht also eine andere theologische Grundauffasung hinter seinen Worten, wie ja überhaupt die dabei wohl in erster Linie ausschlaggebende Gnadenlehre bis heute innerhalb der katholischen Kirche einen Spielraum offen läßt, dessen
284
Rm. 9, 18 (vgl. Oben Anm. 265). Ad. Brem. II, 44 (S. 105). Die ungerechte Bedrückung durch christliche Gewalthaber: II, 42 (S. 102) und 48 (S. 109): Herzog Bernhard per avariciam gentem Winulorum crudeliter opprimens ad necessitatem paganismi coegit!; s. auch folg. Anm.; die an dieser Stelle behandelten Vorgänge gehören mindestens teilweise auch ins Jahr 983; vgl. B. Schmeidler zu II, 42 (S. 102 Anm. 3). 286 III 23 (S. 166). 287 Vgl. III, 50 (S. 193). 285
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Weite Außenstehende immer wieder überrascht. Man wird nicht fehlgehen, wenn man Adam in die Reihe der Stimmen einreiht, die damals aus anderem Anlaß auf deutschem Boden das Recht eines heiligen Krieges der Kirche gegen abtrünnige Glieder ausdrücklich und mit Leidenschaft bestritten haben288. Sprach Adam als Vertreter einer bremischen Schultradition, Brun als ein solcher der magdeburgischen seiner Zeit? Sobald wir, ebenfalls erst gegen Ausgang des 11. Jahrhunderts, klareren Einblick in die Grundsätze magdeburgischer Slawenpolitik gewinnen, steht sie sehr eindeutig im Zeichen kriegerischer Pläne, die sich tatsächlich sehr weitgehend mit denen des Querfurters vergleichen lassen – aber gerade das compellere intrare, das Herzstück seines Entwurfs, teilen sie nicht; alles, was wir sehen, bleibt im Rahmen des indirekten Missionskrieges bzw. der negativen Gewaltmission und friedlichpositiver Verkündigung289. Dabei spricht manches dafür, daß in dieser Haltung des salischen Magdeburg Überlieferungen aus der Zeit Kaiser Ottos d. Gr. nachwirken290. Aber waren diese Überlieferungen die ganze Zeit hindurch ständig unverändert festgehalten worden: von der Gründung des Erzbistums im Jahre 968 – über die Katastrophe von 983 hinweg, durch die ihm zwei Suffraganbistümer und mehr als die Hälfte seiner Fläche verlorengegangen waren, – bis in diese spätere Zeit, die bei allem unbeirrbaren Festhalten der alten Ansprüche doch wieder einen größeren Abstand zu den Dingen gewonnen haben mußte? Wir besitzen nur einen ausführlicheren Gewährsmann aus dem Zeitalter Bruns, der uns in dieser Frage weiterhelfen kann: Dietmar von Merseburg, der gemeinsam mit seinem Querfurter Vetter in der Domschule zu Magdeburg erzogen worden war291, aber ohne dann wie dieser seinen weiteren Weg außerhalb des magdeburgischen Bereichs zu suchen292. Von ihm steht fest, daß auch er in wesentlichen Punkten mit Brun übereinstimmt, und zwar viel weiter als der bremische Magister.
288 Siehe Anm. 270. – Daß trotz aller Gegensätze auch die Auffassungen Adams und Bruns, aus der gemeinsamen katholischen Wurzel erwachsen, sich in wesentlichen Punkten berühren, legt ein Vergleich des Obigen mit den Ausführungen oben S. 497 nahe. 289 Vgl. oben 522, 532–535, ferner bei Anm. 128 sowie Beitrag XIV, S. 472 f. samt Anm. 63. 290 Beitrag XIV, S. 475 291 Siehe oben Anm. 117. 292 Vgl. unten S. 559.
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Wir haben uns zwar gewöhnt, die beiden Vettern in den damaligen Auseinandersetzungen über die Ostpolitik Heinrichs II. als Gegenspieler zu betrachten293, und das ist richtig, solange wir ihre Stellung zum Krieg gegen Bolesław ins Auge fassen, den der eine so bitter beklagt, der andere nicht weniger leidenschaftlich gutgeheißen hat. Brun schätzte, wie wir sahen, den Polenherzog als bereitwilligen Förderer von Kirche und Mission, eine „Mutter der Knechte Gottes“294, ja er liebte ihn nach eigenem Bekenntnis „wie seine eigene Seele und mehr als sein eigenes Leben“295; für Dietmar war er, der doch auf dem Hoftag von 1002 Heinrich II. gehuldigt hatte296, der ruchlose Empörer gegen seinen königlichen Lehnsherrn und Brecher heiliger Eide, von Rechts wegen der kirchlichen Disziplin verfallen, dabei aber weit entfernt von jeder Bereitschaft zur Buße297, nicht Vorkämpfer des Christentums, sondern ein schlechter Christ. Dazu muß man wissen, daß Pönitenzverweigerung bei schweren Verstößen gegen die sittlichen Gebote der Kirche seit alters als fast ebenso heilloser Abfall von Gott galt wie ein Glaubensverstoß, so daß er nicht weniger als „Apostasie“ bezeichnet werden konnte298,
293
Vgl. die Anm. 5 genannte Literatur. Vita S. Adalb. c. 22 (MG SS IV, 607, 6): . . . quem suo labori adiutorem Deus praeparavit, ducem Polanorum, Dei servorum matrem Bolezlavum. 295 Siehe oben Anm. 77. – Großzügige Unterstützung Bruns durch Bolesław gibt auch Dietmar zu, wenngleich er sie nicht ihm als Vertreter der Kirche, sondern nur ihm persönlich zuteil werden läßt: VI, 94 (S. 386, 30). 296 Oben S. 483. 297 Die Hauptstelle Thietm. VI, 92 (S. 384, 20 ff.): . . . quoscumque potuit, ab eius (sc. regis) gratia per hos (sc. missos) amovere conatus. Tantus fuit huic respectus Dei et sie piorum quesivit interventum („Fürbitte“) ac ita cluebat militis incliti firma fides et de sacramentis terribilibus adeo curavit! . . . perpendit, canones coram se poni, qualiterque id debeat emendari, ut quaeratur, precipit, ac . . . mox scelus peractum purgare contendit. Maior tarnen est ei consuetudo periculose delinquendi, quam in salutari penitentia permanendi. – Zu den canones, auf die Dietmar dabei anspielen dürfte, vgl. Burch. Worm., Decr. XII 21 (PL 140, 880 D): Si quis laicus juramentum violando prophanat, quod regi et domino suo jurat, et postmodum perverse ejus regnum, et dolose tractaverit, et in mortem ipsius aliquo machinamento insidiatur: quia sacrilegium peragit, manum suam in Christum Domini mittens (vgl. I. Reg. bzw. Sam. 24, 7. 11; II. Reg. bzw. Sam. 1, 14. 16 u.ö.), anathema sit, nisi per dignam poenitentiae satisfactionem emendaverit, nämlich durch lebenslängliche Pönitenz im Kloster unter Ausschluß von der hl. Kommunion, die er nur als letzte Wegzehrung erhalten dürfe. – Vgl. XV, 22–24 (Sp. 900–1) sowie hier Anm. 298 u. 299, schließlich Anm. 265 am Ende über die praktische Bedeutung des Burkhardschen Dekrets für die kirchliche Rechtsprechung. 298 Vgl. die in Anm. 119 zitierte Exkommunikationsformel, deren narratio sich von Dietmars Standpunkt aus gerade auch auf Bolesław deuten ließ: . . . quod quidam vir nomine N., diabolo suadente, postponens Christianam promissionem, quam in baptismo processus est, per apostasiam conversus post Satanam, cui abrenunciavit, et omnibus operibus ejus, vineam Christi, id est Ecclesiam ejus, devastare et depredari non pertimescit; 294
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und überdies waren dem Denken jener Zeit, gerade auch eines Dietmar, Treue gegen den König und Treue gegen Gott in einer uns seltsamen Weise eins299. Insofern stand Bolesław dem Merseburger also durchaus auf einer Stufe mit den apostatischen Wenden, mochte sein Abfall sich auch in anderen Formen äußern; als Reichsfeind aber war er ihm offenbar noch verwerflicher als sie, die sich seit dem Friedensschluß von 1003 immerhin positiv zum Reich stellten. So hielt dieser Bischof in krassem Gegensatz zu Brun sogar ein Bündnis mit diesen Götzendienern gegen den Herzog, den „Feind aller Gläubigen“300, zur Not für vertretbar301, wie denn überhaupt nach altem katholischem Grundsatz von zwei vorhandenen Übeln das größere stets zuerst bekämpft werden muß, selbst wenn das kleinere dadurch vorübergehend wächst302. Aber dies alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es die polnische oder vielmehr die bolesławische Frage ist, die diese gegenteiligen Stellungnahmen der beiden Vettern und Schulgenossen bedingt, nicht aber eine „tolerantere“ Einstellung Dietmars gegenüber dem wendischen Rückfall zum Heidentum. Zwar erinnert das, was der Merseburger Bischof dazu zu sagen hat, in manchem an die milde Stellungnahme Adams: auch er sieht in der
pauperes Christi, quos pretioso sanguine suo redemit, violenter opprimens et interficiens, et bona eorum diripiens . . . Den Schlüssel zu dieser Ausweitung des Apostasie-Begriffs bieten Stellen wie Ps. Isid., Decr. Anacl. c. 4–5 (S. 68): Transgressores enim sponte legis sui (d.h. der lex christiana, die Glaubenslehren und sittliche Gebote in einem umfaßt), eiusque violatores apostatae nominantur . . . Quicunque autem, ut ait apostolus Iacobus (2, 10–14), totam legem servaverit, offendit autem in uno, factus est omnium reus. Beachte in diesem Zusammenhang besonders die Forderung der notwendigen Einheit von fides und opera Iac. 2, 14–26. Die Zusammenfassung beider unter dem einheitlichen Begriff der lex christiana oder divina ist schon im Dekalog vorgebildet, der das erste Gebot mit dem zweiten bis zehnten in einem „Gesetz“ zusammenfaßt. 299 Vgl. H. Helbig, Fideles Dei et regis (Arch. f. Kulturgesch. 33, 1951, S. 275–306). – Speziell für Thietm.: II, 2 (S. 38, 25): Boemiorum ducem Ventizlavum . . . Deo ac regi . . . fidelem . . .; ferner V, 32 (S. 256, 22 ff.) von Dietmars eigenem Vetter, Bolesławs Verbündeten Heinrich von Nordgau: . . . non ullam in hoc seculo esse dominationem, nisi a Deo (Rm. 13, 1-2), et qui se contra eam erigat, divinae maiestatis offensam incurrat, etc.; vgl. noch VI, 6 (S. 280, 16); 10 (S. 286, 5 f.); 11 (S. 288, 8 ff.); 48 (S. 344, 12 f., 16 ff.); 92 (oben Anm. 297); dazu als Gegenstück zur Formel Fidelis Dei et regis: VIII, 5 (S. 498, 12): Christo seniorique proprio rebelles (von gleichzeitig aufständischen und apostatischen Obotriten). – Vgl. auch die Stellen aus Burc. Worm. In Anm. 297. 300 Thietm. VI, 11 (S. 288, 14): cunctorum hostem fidelium. 301 VII, 64 (S. 478, 7) urteilt Dietmar sogar übet Ljutizen, die sich a. 1017 wegen ungünstiger Vorzeichen vom kaiserlichen Heer trennen wollen, dies sei malorum instinctu geschehen. 302 Vgl. Greg. Magn., Regula Pastoralis III, 38 (PL 77, 123).
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„beklagenswerten Veränderung“303 einen geheimen Ratschluß Gottes wirksam, durch den „der Geist jenes Volkes zu solchen Taten verstockt“ worden sei „wie das Herz des Pharao“304, und er gibt zu, daß sündhafte Übergriffe von seiten sächsisch-christlicher Obrigkeit an der Entwicklung von 983 nicht unschuldig waren305. Selbst der Gedanke, daß diese Erhebung ein göttliches Strafgericht gegen so unlautere Christen sei, scheint ihm nicht völlig fernzuliegen, denn er erklärt das anfangs geradezu stürmisch siegreiche Vordringen der Aufständischen in altsächsisches Gebiet damit, daß „unsere Verbrechen ( facinora) uns Furcht einflößten und ihnen einen starken Mut“306. Aus solchen Voraussetzungen aber nun mit Adam zu folgern, daß die Erhebung selbst eine gerechte Sache gewesen sei, liegt einem Dietmar fern: sie war ihm trotz allem nichts anderes als sündhafte Anmaßung (presumcio) und schändliches Verbrechen (scelus)307, wie denn schon dem Alten Testament die Heiden einerseits die „Träger des göttlichen Zorngerichts für Israel“ sind, andererseits dennoch eben dadurch, daß sie Hand an das „auserwählte Volk“ zu legen wagen, „selber Gottes Zorn verfallen“308. Daß der Merseburger den durch diese Erhebung erneuerten Götzendienst nicht mehr als echtes Heidentum gelten läßt, sondern nur als eine Art „Häresie“, haben wir bereits gesehen309, und aus seinem tiefen Abscheu vor ihm macht er gerade auch dort, wo er von den Ljutizen als den Bundesgenossen des Königs spricht, kein
303 Thietm. III, 17 (S. 120, 1): . . . flebilis haec mutacio, nämlich von Christus zur demoniacae heresis cultura (s. oben Anm. 114). Vgl. dazu VII, 36 (S. 442, 42): . . . Deum caeli et terrae diabolo mutare, sowie oben Anm. 133 am Ende. 304 VIII, 5 (S. 498) im Bericht über die obotritische Apostasie von 1018, der hier zum Vergleich herangezogen werden darf, unter Anspielung auf Ex. 7, 13 (eine Stelle, der in der theologische Diskussion über das Verhältnis von göttlicher Gnadenwirkung und menschlicher Willensfreiheit immer wieder große Bedeutung zugekommen ist: vgl. z.B. die Belege für Gregor d. Gr. im Register zu PL 76 s. v. Pharao). 305 III, 17 (S. 118): Die slawischen Stämme erheben sich superbia Thiedrici ducis aggravatae. Die superbia ist seit Augustin die Ursünde schlechthin (im Gegensatz zur humilitas): E. Bernheim (oben Anm. 169), S. 27–8, dazu Stimmen aus dem 9.–11. Jh. bei K. Heisig (oben Anm. 190), S. 48–9. – Vgl. Thietm. VI, 25 (S. 304, 28): die Ljutizen haben ihre Freiheit erlangt nostrisque iniquitatibus …; s. Anm. 306. 306 III, 18 (S. 120, 7 ff.). Zum Gedanken, daß die Heiden Gottes Zuchtrute seien, bei Thietm. vgl. noch II, 7 (S. 46, 15 ff.); VII, 36 (S. 442, 20 f.). Vgl. oben bei Anm. 61. 307 Thietm. III, 17 (S. 118). 308 K. Hartenstein, Art. Heidentum, im Calwer Kirchenlexikon I, 1937, S. 812; vgl. A. Bertholet (oben Anm. 111), S. 96 ff., passim. 309 Oben S. 509 f.
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Hehl310. Deutlich zeigt er auch, daß ein von solch Abrünnigen vertriebener Bischof ihm eben „der Bischof jener apostatischen Völkerschaft“ bleibt, auch wenn er zur Zeit keine Möglichkeit hat, seine Funktion auszuüben311. Dies alles stimmt wieder eher mit Bruns Urteil überein, mit dem sich ja auch die vorher berührten Anschauungen ohne weiteres vereinigen lassen. Nur der Schlußstein fehlt auch hier dem Vergleich. Es steht zwar fest, daß Dietmar einem körperlichen Zwang in Glaubensdingen nicht ablehnend gegenüberstand, – vielleicht ging er in seiner Bejahung sogar noch weiter als Brun, obgleich wir hinzufügen müssten, daß sie bei ihm allem anschein nach mehr theoretischer Art war als wirklich praktiziert worden ist312. Aber, wie gesagt: Gewaltanwendung gegenüber einzelnen Widerstrebenden im eigenen Land ist etwas anderes als eine von der Kirche selbst entfesselte, bewaffnete Exekution gegen ein anderes Volk – und hier läßt sich nicht beweisen, daß der Walbecker Grafensohn den Schritt über Burkhard hinaus zum Standpunkt seines Querfurter Vetters vollzogen hätte. Schon für den Kampf gegen Bolesław, dem er doch so unvergleichlich viel mehr Raum widmet, läßt er nicht erkennen, daß er darin einen heiligen Rekatholisierungskrieg der Kirche gegen den Apostaten gesehen hätte statt einfach nur einen gerechten Krieg des Reiches gegen den treulosen Rebellen. Und der Wendenkrieg? An der Tanger, weiß der Chronist zu berichten, konnte die Invasion von 983 endlich zum Stehen gebracht werden. Die Wenden, „mehr als dreißig Legionen stark“, erlitten eine vernichtende Niederlage; die Christen lobten Gott „in allen seinen wunderbaren Werken“ – ihm, nicht seinen sündhaften Landsleuten schreibt Dietmar den Sieg also zu –, und so hatte wieder einmal jenes Bibelwort313 seine Wahrheit erwiesen, nach dem wider den Herrn keine Klugheit, keine Stärke und kein Ratschlag hilft: „Verlassen wurden, die sich zuvor angemaßt, Gott zu verachten, die in ihrer Torheit handgemachte und durchaus nichtige Götzenbilder ihrem Schöpfer vorgezogen hatten“314. Leider konnten die Wenden in der Nacht entkommen – und das ist schon alles: die Darstellung kehrt sich unvermittelt den Sarazenenkriegen Otto II. zu. Man gewinnt den
310
Vgl. bes. Thietm. VI, 25 (S. 304, 27 ff.), sowie unten Anm. 314. VIII, 6 (S. 498): Bernardus, confrater Parthenopolitanus et apostatae istius gentis tunc episcopus, meldet die Vorgänge von 1018 unverzüglich dem Kaiser. 312 Beitrag XIV, S. 470; für Brun oben S. 499. 313 Prov. 21, 30. 314 Thietm. III, 17–19 (S. 118–22). 311
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Eindruck, daß es sich hier für Dietmar wohl um eine Schlacht gegen Apostaten handelt315 – wie hätte ein Bischof den religiösen Gegensatz jemals aus dem Auge verlieren sollen? –, aber gegen Apostaten, die dabei nicht in erster Linie als solche bekämpft und zurückgewiesen werden, sondern als Landfriedensbrecher, also als „irdische Feinde“, nicht als „Feinde der Kirche“. Ebenso streicht der Merseburger für die zwischen 983 und 1003 geführten Slawenkriege nirgends heraus, daß sie ihm mit der politischen zugleich die religiöse Schlappe jenes Schicksalsjahres auswetzen sollten316, und man möchte hier doch mit Schlüssen ex silentio, als sei das eben einfach selbstverständlich gewesen, sehr vorsichtig sein, wo auch der allgemeine zeitgeschichtliche Hintergrund für den deutschen Raum der Idee des heiligen Rekatholisierungskrieges so offenbar keine Stütze bietet. Das Echo, das die obotritische Apostasie von 1018 bei Dietmar findet, niedergeschrieben sozusagen gleichzeitig mit den Ereignissen317 und wohl ziemlich unmittelbar unter dem Eindruck der Nachricht, vervollständigt das Bild: „Diese ihre Schwächung beweinen die Glieder Christi und klagen sie ihrem Haupte“, also Christus; „sie bitten mit beständiger Stimme ihres Geistes, daß sich das zum Besseren wende, und dulden zu ihrem Teil (ex parte sua), soweit möglich (in quantum fieri possit), nicht, daß solche Zustände andauern (perdurare).“ Das ist zunächst eine Formulierung wie aus dem Munde eines ohnmächtigen Zuschauers, der wohl gern eingreifen möchte, aber nicht eingreifen kann. Gleich darauf folgt dann freilich ein Satz, bei dem sich einen Augenblick zweifeln ließe: Dietmar berichtet von der Zusage des nunmehrigen Kaisers Heinrich an den betroffenen Diözesan, daß das bedauerliche Geschehen zu gegebener Zeit „mit klugem Ratschluß zunichte gemacht werden solle (annuletur)“, und dem fügt er den ganz persönlichen Stoßseufzer an: „Dieses Versprechen und heilsame Geheimnis (salutare secretum, weil nämlich Heinrich eine konkrete Antwort auf des Bischofs
315
Verwendung des Wortes apostata bei Thietm. s. Anm. 311. Siehe Anm. 138. Zu der dort genannten Lit. ist nachzutragen: W. Brüske, Unters. Z. Gesch. D. Lutizenbundes. Deutsch-wendische Beziehungen d. 10.–12. Jhs. (Mitteldt. Forsch. Bd. 3), Münster u. Köln 1955, eine grundlegende Arbeit, die leider nicht mehr benutzt werden konnte (teilweise zu berichtigen nach den Ergebnissen von Beitrag XIV, und vorliegender Abhandlung). 317 Die Thietm. VIII, 5 berichtete Erhebung fand nach seiner eigenen Angabe im Februar d. J. statt; VIII, 6 über die Aufnahme dieser Botschaft bei Heinrich II. Muß vor Ostern, 6. April 1018, geschrieben sein (vgl. R. Holtzmann, z. St.). Dietmar starb am. 1. Dezember des gleichen Jahres. 316
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Beschwerden einstweilen noch zurückgestellt hatte) möge der allmächtige Gott begünstigen“318. Zum wirklichen „Annullieren“ derartiger Vorgänge kann ja wohl wirklich nichts anderes als eine bewaffnete Exekution geeignet sein – die diplomatischen Gegenzüge, auf die der Kaiser sich dann tatsächlich beschränkt hat, brachten jedenfalls nur äußerst fragwürdige Ergebnisse319 –, und so werden wir annehmen müssen, daß solch ein Kriegszug es war, dem Dietmars fromme Wünsche galten. Lieder ist er gestorben, ehe er diesen Faden wieder aufnehmen konnte, so daß wir uns mit jener reichlich vagen Formulierung begnügen müssen. Sie auf einen „heiligen Krieg“ der Kirche zu deuten, von ihr entfesselt und in ihrem solange weitergeführt, bis die Abtrünnigen reumütig wieder in ihren Schoß zurückkehrten, liegt jedenfalls auch hier kein Grund vor, – im Gegenteil: die Entscheidung ruht ja ganz offenbar allein bei der weltlichen Gewalt, von der die kirche gespannt ist zu erfahren, was sie nun wohl beschlossen haben mag. Dietmar wird also wohl, wenn er sich überhaupt konkrete Gedanken wegen der einzuleitenden Gegenmaßnahmen gemacht hat, lediglich eine Reichsexekution im Auge gehabt haben, die den vertriebenen christlichen Stammesfürsten, den vertriebenen christlichen Bischof zurückführte und die zerstörte kirchliche Organisation wiederherstellte, während die Durchsetzung von Rechtsansprüchen auf entfremdetes Kirchengut und die Bearbeitung der Apostaten dann allmählich und einzelfallweise dem Zusammenwirken dieser beiden lokalen Gewalten überlassen blieb, ebenso wie der Fortgang der friedlich-außerkirchlichen Mission: für solch zähes und unermüdliches Wirken eines Kirchenfürsten zur Rückgewinnung dessen, was seiner Kirche de jure zustand, ist der Merseburger selbst ja das beste Beispiel. So läßt sich also zusammenfassend wohl sagen, daß Dietmar den Anschauungen Bruns näher steht als denjenigen Adams, aber es gibt keinerlei Wahrscheinlichkeit, daß er, wäre der Polenkrieg nicht dazwischengetreten, in das compellere intrare seines Vetters gegen die Ljutizen eingestimmt hätte. Dieser Befund aber ist besonders wichtig wegen der schon angedeuteten persönlichen Stellung Dietmars im Magdeburger Kreise. Zögling der Kathedralschule des Erzstiftes selbst, dann Angehöriger des dortigen
318 Thietm. VIII, 5–6 (S. 498–500). Zu der Einschränkung: in quantum fieri possit, vgl. oben S. 511. 319 Vgl. F. Lammert (s. Anm. 76), S. 42–3.
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Domkapitels und diesem bis zum Tode aufs engste verbunden320, schließlich einer der drei verbliebenen Magdeburger Suffragane, der seinen Einfluß auch mehrfach bei der Neubesetzung dieses Erzstuhles geltend zu machen wußte: so steht er vor uns und darf darum wohl in ganz besonderer Weise als berufener Sprecher der Anschauungen angesehen werden, die zu seiner Zeit im magdeburgischen Bereich gepflegt wurden. Außerdem aber bleibt er für uns neben Brun der einzige, der sich aus diesem Bereich ausführlicher zu dem wendischen Apostatenproblem geäußert hat, solange es jenseits der Elbe noch in nennenswertem Umfang Menschen gab, die einmal getauft worden und somit vom Anspruch der Kirche auf Rückgliederung in ihre Gemeinschaft unmittelbar erfaßbar waren. Wäre auch bei ihm eine Abweichung von der Haltung jenes Entwurfs von 1108321 mit ihrem indirekten Missionskrieg festzustellen gewesen, so hätten wir auch Brun als Vertreter der magdeburgischen Rekatholisierungspolitik seiner Zeit ansprechen dürfen; es wäre dann der Schluß unausweichlich gewesen, daß die ottonische Wendenmetropole nach 983 zunächst vom Geist des compellere intrare beherrscht worden wäre und daß sie erst nach dem Aussterben der letzten Taufempfänger im ljutizischen Lande notgedrungen in die alten ottonischen Bahnen zurückgelenkt hätte, weil nun ja dort wieder ungetauftes Heidentum herrschte, dem die freie Entscheidung für oder gegen Christus und seine Kirche im letzten nicht genommen werden durfte. So aber ist uns dieser Weg abgeschnitten. Dietmar scheint im Gegenteil zu bestätigen, daß das Jahr 983 für Magdeburg keine Unterbrechung der ottonischen Heidenkriegstraditionen gebracht hat, sondern nur – in Anpassung an eben die Tatsache, daß im Vorland nicht mehr allein zu missionieren, sondern auch wiederherzustellen war – eine gewisse Umformung. Brun von Querfurt aber bleibt außerhalb auch der dortigen Linie, trotz seines Ursprungs aus dem gleichen Bereich. Sollen wir nun noch jenen Benediktiner von St. Gallen anführen, der zu den Kämpfen nach 983 meint, da seien die Sachsen und „die Slawen, welche Wilzen heißen“ (d.h. die Ljutizen), „mit Morden und Brennen übereinander hergefallen“ und hätten „ganz Germanien von der Donau bis zum Meeresstrand in die größte Verwirrung gebracht“322; 320
R. Holtzmann, Einl. z. Ausg. S. XVI, XVII, XVIII. Siehe Anm. 289. 322 Ann. Sangall. mai. a. 995 (MG SS I, 8l). Dazu schon B. Guttmann (s. Anm. 76), S. 421: „So unbefangen urteilt ein Süddeutscher über die Kämpfe nach dem großen Aufstand von 983.“ 321
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sollen wir noch Dietmars Klage bemühen, daß die „beweinenswerte Veränderung“ jenes Jahres „nicht nur von Heiden, sondern sogar von Christen gepriesen wird“323 (eine Klage, die nicht nur, wie man gemeint hat, auf beutelüsterne Weltkinder gemünzt zu sein braucht, die nun ihren Weizen in dem benachbarten Land wieder blühen sahen, sondern ebensogut jene geistlichen Kreise einschließen kann, welche die Wendenmission von vornherein abgelehnt hatten324); sollen wir noch ein übriges tun, um Bruns Vereinzelung gegenüber dem Sachsen und dem sonstigen Deutschland seiner Zeit zu erweisen325? Erst der Annalist von Pöhlde, der noch den Wendenkreuzzug von 1147 wenigstens teilweise als Apostatenexekution hinstellt326, kommt ihm wieder nahe – nach dem tiefen Einschnitt, der durch den Austrag des Kampfes um die Berechtigung des heiligen Krieges der Kirche auch in Deutschland
323 Thietm. III 17 (S. 120, 1 ff.): flebilis haec mutacio non solum a gentilibus, verum etiam a christianis extollitur. 324 Vgl. folg. Anm. 325 F. Dvornik (s. Anm. 1), S. 204, urteilt: „The policy of collaboration with Poland in the conversion of the Veletians (wie Brun sie verkündete) had the support of many followers, even outside the reformist circles, and among the German ecclesiastics and nobles, not excepting Saxony.“ Aber darf jeder Widerstand gegen das Bündnis mit den apostatischen Ljutizen gegen einen christlichen Herrscher, jede Abneigung gegen den Polenkrieg gleich als ein Wunsch zu gemeinsamer Kriegführung mit Polen gegen diese Heiden gewertet werden und jedes Bestreben, mit polnischer Hilfe das alte Tributverhältnis wiederherzustellen, als ein solches, damit auch eine zwangsweise Rekatholisierung zu verbinden? Die Quedlinburger Annalen z.B. geben ihrem Abscheu gegen Heinrichs Ljutizenbündnis von 1003 in unmißverständlicher Weise Ausdruck, indem sie es einfach mit Stillschweigen übergehen, obwohl diese Abmachungen in Quedlinburg selbst besiegelt worden und also dem Annalisten ohne jeden Zweifel bekannt gewesen sind. Die gleiche Quelle weiß aber die Kriege, die in den Jahren vorher gegen die Abtrünnigen geführt worden sind, fast nur als Verheerungszüge zu kennzeichnen; gelegentlich erscheint eine Formulierung wie a. 987 (MG SS III 67, 44): . . . et ad ultimum ipsi Sclavi regis ditioni (!) subduntur, et castella iuxta Albiam flumen denuo restaurata sunt. Wie die Ereignisse von 983 von den Quedlinburger Mönchen beurteilt worden sein dürften, läßt sich aus der Angabe zu 994 schließen (S. 72, 28): Sclavi insuper omnes exceptis Sorabis a Saxonibus (!) defecerunt (Jahresnotiz zu 982/83 fehlt). Von solchen Belegstellen ist die Brücke eher zu der grundsätzlichen Ablehnung jeder Slawenmission durch einen Mönch wie Widukind von Corvei (vgl. Beitrag XIV, S. 472, Anm. 38, zu schlagen als zu der oben angeführten These Dvorniks. – Über die notorische Unbeliebtheit des östlichen Kriegsschauplatzes, sobald es über kleinere Raub- und Beutezüge hinausging, bei den mittelalterlichen Sachsen und übrigen Deutschen vgl. K. Schünemann, Deutsche Kriegführung im Osten während des Mittelalters, Deutsches Archiv 2, 1938; G. Lukas (s. Anm. 5), S. 32–5. Sie dürfte, verstärkt durch kirchliche Bemühungen um die Friedenswahrung innerhalb der Christenheit (vgl. C. Erdmann, Entstehung, S. 70–1, über Thangmar von Hildesheim, um 1023), vollkommen genügen, um den nicht unerheblichen Widerstand gegen die Ostpolitik Heinrichs II. zu erklären. – Vgl. auch Anm. 330. 326 Siehe bei Anm. 121.
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bezeichnet wird, und überdies als Prämonstratenser von vornherein stärkerer westlicher Einflüsse verdächtig. In seiner eigenen Gegenwart steht Brun unter seinen Stammesgenossen wirklich allein, und wir vestehen nun doppelt, daß König Heinrich, der den deutschen Typ dieser Jahrtausendwende so unvergleichlich viel besser verkörpert als sein jugendlicher Vorgänger, über diesen Aufruf hinweggehen mußte. Wohl aber finden wir westlich des Rheins Stimmen, in deren Chor dieser sächsische Mönch sich reibungslos einzufügen scheint: nehmen wir nur einen Mann wie Abbo, den Abt des von Cluny aus reformierten St. Benediktsklosters zu Fleury an der Loire, der da schreibt, echtes Rittertum bekämpfe sich nicht gegenseitig „im Schoße seiner Mutter“, der Kirche‚ „sondern richtet all seine Geisteskräfte darauf, die Gegner der heiligen Kirche Gottes zu unterwerfen327.“ Damit sehen wir uns auf die westliche Kirchenreformbewegung verwiesen, welche gerade seit dem Ende des 10. Jahrhunderts die Idee eines heiligen Krieges für kirchlich-hierarchische Zielsetzungen mir ganz neuem Leben erfüllt und ihr schließlich für lange Zeit zum Siege verholfen hat328. Ihre Tendenzen begannen auch damals schon nach Rom überzugreifen, um sich dort unter Otto III. mit mancherlei anderen Reformströmungen zu verbinden: Abbo selbst weilte mehrmals, zuletzt 997, in der heiligen Stadt329 und könnte dort geradezu persönlich mit der Querfurter zusammengetroffen sein, der gleichfalls 997 mit dem jungen Kaiser nach Rom kam. Auf jeden Fall hat der junge sächsische Edeling sich dort, fern der Heimat, all diesen reformerischen Tendenzen mit größter Bereitwilligkeit aufgeschlossen, und so werden wir nicht zögern, die Lösung des Rätsels Brun an dieser Stelle zu suchen330.
327 Vgl. C. Erdmann, Entstehung, S. 86–7. Die entscheidende Stelle aus Abbos Apologeticus lautet: . . . non se collidunt in utero matris suae, verum omni sagacitate expugnant adversarios sanctae Dei ecclesiae (PL 139, 464 B). Man vergleiche damit das expugnare paganos bei Brun (z.B. oben S. 491). 328 Siehe Anm. 270. 329 Wattenbach-Holtzmann (s. Anm. 265 am Ende) I2, s. 307–8. 330 Als typische Äußerung der von Brun vertretenen kirchlichen Reformkreise hat seinen Brief bereits F. Dvornik, S. 202, aufgefaßt (daneben freilich auch als Nachklang der offiziellen Politik Ottos III., was angesichts der Tatsache, daß die Quellen uns dessen Wendenkriege – s. oben Anm. 138 – nirgends als ausgesprochene Rekatholisierungsfeldzüge zeigen, nicht unbedenklich ist). Vgl. auch H. Beumann, HJb 72, 1953, S. 114. Über kluniazensiche Beziehungen des Kreises um Romuald, die damit auch für Brun wichtig geworden sein können, wird die angekündigte Arbeit von R. Wenskus (s. Anm. 85) Näheres bringen. Allerdings sind diese Beziehungen für Brun persönlich nicht zu überschätzen, wird er doch nach R. Wenskus nur in den Nekrologien solcher Klöster erwähnt, die zu Cluny in Reformgegensatz standen (z.B. Weißenburg).
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Freilich sieht diese Lösung nicht so aus, daß der sächsische Mönch die westlichen Anregungen einfach unbesehen übernommen hätte, ohne sie an die besonderen Verhältnisse seines Heimatlandes anzupassen: auch das lehrt der Vergleich seines Briefes mit jener Äußerung Abbos von Fleury. Der Franzose richtet sich, wie die ganze kluniazensische Bewegung im Land eines schwachen und ohnmächtigen Königtums, an die breite Schicht der christlichen Ritterschaft, wie sie dann schließlich im Jahre 1096 ohne Führung eines gekrönten Hauptes den Marsch in den Orient antreten sollte. In Deutschland aber war der Heidenkrieg als religiöse Aufgabe seit karolingischer und ottonischer Zeit stets auf den Herrscher beschränkt geblieben, während sein Heer und damit der einzelne Krieger von solchen Gedanken weniger beeinflußt wurden331. Sobald die weltlichen Großen Ostdeutschlands wegen anderweitiger Bindung der Reichsgewalt den Wendenkrieg allein weiterzuführen hatten, war deshalb von jenem königlichen Kriegsethos der Ottonenzeit an dieser Front nichts mehr zu spüren332; höchstens daß das Bewußtsein, hier ja mit „Heidenhunden“333 zu kämpfen, an denen man sich überhaupt nicht versündigen könne, den Feldzügen eine besonders hemmungs- und rücksichtslose Schärfe gab334. Vielleicht hatte Brun bei seinem letzten Aufenthalt in der alten Heimat (1004) in den Kreisen jener Großen bereits ähnliche Verständ-
Trennende Momente sind u.a., daß Bruns „heiliger Krieg“ gegen abtrünnige Christen sich mit regstem Einsatz für die außerkirchliche Missionsarbeit paart, der die Kluniazenser (wie anfangs auch Romuald) durchaus gleichgültig gegenüberstanden, und daß Bruns Aufruf sich nicht an die Ritterschaft, sondern nur an den König wendet (s. dazu oben weiter im Text). Brun hat also auf jeden Fall, was er etwa von kluniazensischen Anregungen übernahm, selbständig umgebildet.Vgl. Anm. 339. 331 C. Erdmann, Entstehung, S. 95, dazu aber oben Anm. 168 gegen Schluß. 332 H. Beumann, HJb 72, S. 117. 333 Der „Heidenhund“ ist ein sprichwörtlicher Schimpfname, der bis in die Zeit des vorchristlichen Judentums zurückgeht und durch die Kommentare zu Mt. 15, 26–7, der mittelalterlichen Christenheit ständig im Bewußtsein gehalten wurde (vgl. H. L. Strack – P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, I, München 1922, S. 724 ff., dazu etwa Hieron., in Mt. XV, PL 26, 114 B; Hrab. Maur., in Mt XV, PL 107, 980 C, usw. Belege für das Vorkommen dieser Wendung in historiographischen und urkundlichen Quellen sind ohne Zahl und brauchen hier nicht gegeben zu werden). 334 Vgl. Helmold I, 84 (S. 161, 29 ff.), eine wahre Schlüsselstelle mittelalterlichen Völkerrechts (Entgegnung Bischof Gerolds von Oldenburg i. H. a. 1156 auf Berchwerden eines Sprechers der in Lübeck versammelten Slawen): Quod principes nostri hactenus abusi sunt gente vestra non est mirandum: non enim multum se delinquere arbitrantur in ydolatris et in his qui sunt sine Deo . . . Nonne Saxones et ceterae gentes, quae Christianum nomen habent, degunt cum tranquillitate, contenti legitimis suis? Vos vero soli, sicut ab omnium discrepatis cultura, sic omnium patetis direptioni. – Vgl. Anm. 168.
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nislosigkeit für sein Anliegen feststellen müssen335 – die wiederholte Bezeichnung des Königs als „einzig übriggebliebene Hoffnung des Erdkreises“336 könnte daher ihren Ursprung haben –; vielleicht auch lebte er selbst noch allzu tief in der Vorstellung, daß der Heidenkrieg in erster Linie Herrscheraufgabe sei, wie man sie ihm wohl in seiner jugend zu Magdeburg eingeprägt hatte. Die Art, wie sein Schreiben an Heinrich den Empfänger als Herrscher und königlichen Missionsherrn anspricht – und nur ihn allein –, stimmt jedenfalls noch ganz zu diesen älteren Traditionen, wie sie in Deutschland im Grunde bis in die Zeit der Ritterorden lebendig blieben337: „Der ritterliche Kreuzzug“, urteilt H. Beumann mit vollem Recht, „ist hier noch nicht in Sicht“338 [339]. 335
Vgl. S. 501. Zum Beispiel S. 493. 337 Dies ist das entscheidende Ergebnis des mehrfach zitierten Aufsatzes von H. Beumann. 338 HJb 72, 1953, S. 117. 339 Nachtrag 1960. Inzwischen erschien das in Anm. 85 genannte Buch von R. Wenskus (beachte hier bes. die Abschnitte IV, 5–8, S. 126–162, und V, 3, S. 186–197), und E. Fascher stellte die Problematik von „Lukas 14, 23“ zusammenfassend dar einschließlich der geschichtlichen Wirkungen dieser Bibelstelle (in: Die evangelische Diaspora 27, 1956, S. 1–16); beachte auch die Kritik von K. Górski, Die deutsche Mission unter Slawen und Prussen (in: Zapiski Historyczne 25, Toruń 1960; poln.), S. 61–64; weiteres oben Anm. 63 gegen Ende. Das künftige Gespräch muß vor allem wohl drei Gesichtspunkte im Auge behalten: Bruns Verhältnis 1. zur westlichen Reformbewegung, 2. zum Reichsgedanken und 3. zur damals aufblühenden Kanonistik. – Zu 1. gibt Wenskus, S. 149 u. 160 (Anm. 451) Berührungen der Heidenkriegsideen Bruns mit westlichen Reformern zu, betont aber, daß ihre „konkrete Ausprägung“ keinesfalls dort anknüpfbar ist. Das bestärkt die oben bei Anm. 330 ausgesprochene Ansicht, daß bei Brun eine sächsisch-westliche Gedankensynthese vorliegt (vgl. auch Wenskus, S. 200). Wie stark dabei das Sächsische vorwaltet, zeigt gerade auch seine Stellung zu den beiden anderen Problemkreisen: Zu 2. weist W. Fritze (brieflich) darauf hin, daß Bekehrung und Tributleistung fern aller libertas ecclesiae für Brun sehr viel unmittelbarer zusammengehören dürften, als oben gezeigt, sofern ein fidelis Dei eben undenkbar war, ohne zugleich fidelis regis zu sein (vgl. auch dazu oben bei Anm. 299; ergänzend W. Schlesinger, Kaisertum und Reichsteilung. Zur Divisio regnorum von 806, in: Forschungen zu Staat und Verfassung. Festgabe für Fritz Hartung, Berlin 1958, S. 26–32, 39, 42, 44, 50 f. – Sollte die bis zur Deutschordenszeit wirksame Verquickung von Christianisierung und politischer Unterwerfung – entscheidendstes Missionshindernis auf dem östlichen Schauplatz – hier ihre Wurzel haben: zunächst vom Königtum gefordert, dann wie so vieles andere von den Lokalgewalten usurpiert, die dort ausschlaggebend an seine Stelle traten?). Ergänzend läßt sich fragen, ob für Brun die Ljutizen wirklich „außerhalb der eigentlichen Hoheitsgrenzen des angesprochenen Herrschers“ standen (so oben S. 494, vgl. 549). Der Vertrag von 1003 dürfte mit seinem Verzicht auf Tributansprüche (vgl. bei Anm. 6) eine mindestens sehr weitgehende Anerkennung ihrer Unabhängigkeit von Reichs wegen gebracht haben (vgl. dazu S. 531); ob jedoch ein Mann, der schon das damals geschlossene Bündnis anfocht wie Brun, dies anerkannte? Dann wäre die Weiterführung der 1003 abgebrochenen gewaltsamen Exekution gegen die Reichsrebellen für ihn vielleicht ein wesentliches Bindeglied zu 336
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den westlichen Ideen vom „heiligen Krieg“ gewesen. (Nicht hereinzuziehen ist der Umstand, daß pagani im älteren Sprachgebrauch „Reichsheiden“ waren im Gegensatz zu den gentes jenseits der Grenzen, da dieser Unterschied sich früh verwischte: vgl. Dove, wie Anm. 102, S. 59–62.) – Zu 3. betont Wenskus, S. 131 u. 200, das „völlige Fehlen“ kanonistischer Interessen bei Brun bis hin zu abschätzigem Urteil über deren Vertreter. Daraufhin ist zu prüfen, ob die oben S. 519 ff. zugrundegelegte Systematik Brun selbst ferngelegen haben sollte (vgl. jedoch bei Anm. 211): H. Beumann, Zeitschr, d. Savigny-Stift. f. Rechtsgesch., Kan. Abt. 44, S. 425 fragt, ob Brun womöglich, indem er einfach „einen unterschiedslosen Einsatz der staatlichen Macht gegen alle Liutizen als geringeres Übel im Vergleich zu den herrschenden Zuständen vorzog“, einer „deutlicheren Explikation der verworrenen missionspolitischen Lage im Liutizenlande“ auswich, um nicht „die Wirkung seines Appells herabzumindern.“ (Dann ließe umgekehrt die abweisende Haltung Heinrichs II., des geistlich Vorgebildeten, über das Politische hinaus sich vielleicht auch theologisch-kanonistisch verstehen.) Beachte in diesem Zusammenhang auch stärker, als oben im Text geschehen, die von Brun betonte Rolle der ljutizischen pagani als „Christenverfolger“ (Zitat oben S. 499 f.), durch die ihre Einbeziehung in die Kirche durchaus dringlicher wurde als diejenige „friedlicher“ Heiden. – Die Angaben über die Herrschaftsordnung des Christburger Vertrags (oben S. 532 u. S. 534 f., Anm. 209) sind zu berichtigen nach Patze (wie Anm. 176), S. 72 f., wodurch die innere Verwandschaft dieser Urkunde zu Bruns Lösungsversuch zunimmt. – Für die oben S. 522–530 entwickelte Typenlehre wird wohl nicht immer genügend beachtet, daß sie nicht dem „Heidenkrieg schlechthin“ gilt, sondern nur den Möglichkeiten bewaffneten Vorgehens gegen Ungetaufte im abgefallenen „Christenland“ (vgl. S. 521 f. u. 543 f.). Schließlich sei angemerkt, daß der problematische bernhardinische Kreuzzugsaufruf von 1147 (oben S. 524 f.) zum vollen Verständnis offenbar zusätzlicher eschatologischer Betrachtung bedarf, wie C. Erdmann, Endkaiserglaube u. Kreuzzugsgedanke im 11. Jh. (Zeitschr. f. Kirchengesch. 51, 1932), sie für frühere Zeit durchgeführt hat. Die Begründung kann hier nicht mehr gegeben werden. [Nachtrag 2008: Zum oben bei Anm. 4 erwähnten Gnesener Akt von 100 neige ich heute zu der Auffassung, daß der Kaiser damals am bisherigen Polenherzog die Erhebung zum (Unter-) König des Reiches nach byzantinischem Kaiserrecht vornahm mittels einer weltlichen (Lehns-) Krönung, die jedoch außerhalb Polens bald nicht mehr ernst genommen wurde, weil das Zeitempfinden mittlerweile für eine gültige Königskrönung kirchlich-liturgische Formen verlangte. Dazu H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburg. Gesch. I, Köln-Graz 1964, S. 37–45 samt den Ergänzungen bei Dems., Die Angliederung Burgunds an das mittelalterliche Imperium, in: Schweizer Numismatische Rundschau 48 (1969), S. 99–102 (mit Bildbeleg!)]
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DAS ENDE DES TRIGLAW VON BRANDENBURG Ein Beitrag zur Religionspolitik Albrechts des Bären 1. Die Stoderaner im Havelland gehören bekanntlich zu denjenigen westslawischen Stämmen, deren endgültige Christianisierung nicht durch die Unterwerfung unter eine politisch-militärische Oberherrschaft ihrer sächsischen Zeitgenossen eingeleitet worden ist. Wohl hat eine solche – die der brandenburgischen Markgrafen – auch in ihrem Falle entscheidend in den Gang des Missionswerkes eingegriffen, aber schon ihr letzter Fürst aus eigenem Stamme, Pribislaw (etwa 1127–1150)1, war getauft (auf den Namen Heinrich; durch wen, wissen wir nicht), und er nahm den neuen Glauben durchaus ernst: auf seinen Münzen erscheint einmal im Verein mit seinem Bilde ein segenspendender Priester2, ja wir hören, daß er und Petruscha, die gesinnungsgleiche Gemahlin, sich bestimmen ließen, ihre fürstlichen Insignien auf dem Altar der
1 Über diesen: O. v. Heinemann, Albrecht der Bär. Darmstadt 1864. S. 107–8, 179–80; B. Guttmann, Die Germanisierung der Slawen in der Mark (Forsch. z. brandenb. u. preuß. Geschichte – künftig abgekürzt: FBPG – Bd 9, Leipzig 1897, S. 395–514.) S. 423, 425–6, 456; F. Curschmann, Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums. Leipzig 1906. S. 88–91, 96–7, 102–5 mit weiteren Literaturangaben; H. Krabbo, Albrecht der Bär. (FBPG 19, 1902, S. 371–90.) S. 377, 380; ders., Regesten der Markgrafen von Brandenburg aus dem askanischen Hause. Leipzig 1910–33. Nr. 18, 103, 171. Einzelne wichtige Bemerkungen und weitere Literaturhinweise auch bei H. Ludat, Legenden um Jaxa von Köpenick, Leipzig 1936, S. 20, 23–4, 30, 32 samt Anmerkungen. – Hauptquellen, auch zum folgenden: Heinrici de Antwerpe Tractatus de captione urbis Brandenburg (verfaßt um 1180 oder doch vor 1200), ed. O. HolderEgger, Monumenta Germaniae Historica, Scriptores (künftig abgekürzt: MG., SS.) XXV, 482–4 (die kommentierte Neuausgabe von G. Sello, 22. Jahresber. d. Altmärk. Vereins f. vaterld. Gesch., Magdeb. 1888, stand leider nicht zur Verfügung). – Ferner: ein in der böhmischen Chronik des Pribika Pulcawy von Tradenina (14. Jh.; gewöhnlich Pulcawa genannt) erhaltenes größeres Bruchstück einer altbrandenburgischen Chronik (ed. A. F. Riedel, Codex Diplomaticus Brandenburgensis – künftig abgekürzt: CDB – IV/I, S. 2–3, vgl. S. IX–X) und einige weitere Fragmente, bes. Excerpta Chronicae Brandenburgensis (MG. SS. XXV, 484–5 = CDB. IV/I, S. 274–5 = O. v. Heinemann, Albrecht der Bär, Anhang I Nr. 1, S. 421). 2 F. Curschmann, Die Diözese Brandenburg, S. 105.
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Stiftskirche St. Peter zu Leitzkau niederzulegen3 (als dem Hauptstützpunkt des Christentums im dortigen Bereich vor Wiederherstellung des Bistums Brandenburg), ähnlich wie wenig später nach französischem Vorbild in Norwegen gefordert wurde, daß der neugekrönte König seine Krone auf dem Altar des hl. Olaf zu opfern habe.4 Daß ein solcher Mann sich auch seiner fürstlichen Missionspflicht unter dem heidnischen Volke bewußt gewesen ist, versteht sich5: ohne Zweifel hängt es damit zusammen, daß er in unmittelbarer Nähe seiner Burg ein weiteres Prämonstratenserstift ins Leben rief 6, und er soll sogar so weit gegangen sein, den alten Kultmittelpunkt seines Stammes, das Triglaw-Heiligtum auf dem Harlungerberge bei Brandenburg, aufzuheben7. In der Wissenschaft hat diese Nachricht teilweise Glauben gefunden8, doch bei näherem Zusehen ergeben sich schwere Bedenken. Schon A. Hauck hat geltend gemacht, daß die Zerstörung eines Heiligtums von solchem Rang an einem noch durchaus heidnischen Orte schlechterdings unmöglich war9, und wer sich den Augenzeugenbericht Helmolds von Bosau über die etwa gleichzeitige Vernichtung des heiligen Prowe-Hains zu Starigard-Oldenburg vergegenwärtigt, wird Hauck recht geben müssen: das Wagrierland war im Jahre 1156 immerhin schon fest in den christlich-deutschen Herrschaftsbereich (Grafschaft Holstein) einbezogen, zudem seine wendische Bevölkerung durch wechselvolle Kämpfe mit Sachsen und Dänen erheblich geschwächt, und doch vermochten Bischof Gerold und sein Gefolge ihr Werk nur mit Zittern und Zagen, in ständiger Todeserwartung durchzuführen.10 3 Heinr. de Antw. (MG. SS. XXV, 483, 14 ff.); Pulcawa, S. 3; Exc. Chron. Brand., a. O. – Vgl. Anm. 35. 4 Vgl. H. Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters. Grundlinien einer vergleichenden Verfassungsgeschichte des Lehnszeitalters, 3Weimar 1948, S. 479–80, wo die brandenburgische Parallele nachzutragen ist. 5 Heinr. de Antw. (S. 482, 46 ff.): Princeps itaque Henricus populum suum spurcissimo idolatrie ritu deditum summe detestans, omnimodis ad Deum convertere studuit. 6 Ebenda S. 483, 5 ff.; Exc. Chron. Brand. (vgl. Anm. 1). Das Stift lag in Parduin, der späteren Altstadt von Brandenburg, während die Feste selbst sich zunächst auf die heutige Dominsel beschränkte: vgl. Curschmann, S. 102–4, dazu ebenda S. 8 m. Anm. 1; auch O. v. Heinemann, S. 179–80. 7 Exc. Chron. Brand.: Qui christianus factus ydolum quod in Brandenburg fuit cum tribus capitibus, quod Triglav Sclavice dicebatur et pro deo colebatur, et alia ydola destruxit. 8 Curschmann betont, daß P. ,,den heidnischen Kultus unter seinen Untertanen dulden mußte . . . Nur das gelang ihm, den Triglavdienst wenigstens aus seiner Hauptstadt zu verbannen“ (Die Diözese Brandenburg, S. 83, 104). 9 A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV 3 + 4 Leipzig 1913. S. 634. Anm. 4. 10 Helmoldi Presbyteri Bozoviensis Chronica Slavorum, (Ed. tertia rec. B. Schmeidler, MG. SS. in us. schol., Hannov. 1937) I, 84 (S. 160, 18 ff.): . . . non tamen sine metu, ne forte tumultu incolarum obrueremur. Sed divinitus protecti sumus.
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Für die Stoderaner Pribislaw-Heinrichs dagegen traf keine dieser beiden Voraussetzungen zu! Wie hätte dann ein Fürst, der ähnliches gewagt, ausgerechnet inmitten seines Volkes eines natürlichen Todes sterben können11, besonders wenn man die außerordentliche religiöse Reizbarkeit hinzunimmt, durch welche die Elbslawen des Bekehrungszeitalters gerade auch von den germanischen Stämmen so bemerkenswert abstachen12? Überlieferungskritische Schwierigkeiten kommen hinzu: jene Nachricht findet sich nur in einem kurzen, nicht näher datierbaren Fragment13, fehlt aber in den Hauptquellen Heinrich von Antwerpen14 und Pulcawa15, die sonst doch ziemlich ausführlich von den christlichen Taten des letzten Stoderanerfürsten berichten. So wird man nicht umhin können, die Angabe zu verwerfen: dergleichen gehörte eben zum Typus des missionierenden christlichen Herrschers hinzu16, als den man sich Pribislaw vorzustellen gewöhnt hatte; auch die bekannte Neigung, bekehrte Heiden, die wirklich gute Christen wurden, zu idealisieren, mag zur Entstehung dieser Legende beigetragen haben, denn gerade die Zerstörung heidnischer Kultstätten und Götterbilder entsprach ja einem weitverbreiteten Ideal17. 2. Es bleibt die Frage, ob sich ein anderer finden läßt, dem die Vernichtung des Triglaw von Brandenburg mit größerer Wahrscheinlichkeit zugeschrieben werden darf. Da das Havelland sich unter Pribislaw-Heinrich einer langen Friedenszeit zu erfreuen hatte und besonders vom Wendenkreuzzug des Jahres 1147 verschont blieb18, wird vom Tode dieser bemerkenswerten
11 Dies geht aus allem, was über das Ende Pribislaw-Heinrichs berichtet wird (vgl. Anm. 23), mit zwingender Gewißheit hervor. 12 Vgl. B. Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte. Zur Rechts- und Religionsgeschichte der germanischen Hinrichtungsbräuche. Berlin 1942, S. 39. 13 S. Anm. 7. 14 Er weiß nur von idolatris repressis (also Abwehr, kein Unterdrücken = opprimere) et latronibus aliquantulum extinctis sowie einer dadurch erlangten requies per circuitum (S. 483, 4 f.). Das ganze handelt also wohl von äußeren Kämpfen. 15 meldet ähnlich nur: . . . repressis aliqualiter ydolatris et pace terrarum disposita (Cod. Dipl. Brand. IV/I, S. 3). 16 Vgl. Beitrag XIV, m. Literatur. 17 Beispiele in den missionsgeschichtlichen Quellen sind ohne Zahl und vielfach bekannt. Hier sei nur noch auf das wertvolle Material aufmerksam gemacht, das L. Denecke, Ritterdichter und Heidengötter 1150–1220 (= Form und Geist. Arbeiten zur germ. Philologie, Heft 13, Leipzig 1930), und R. Schomerus, Die Religion der Nordgermanen im Spiegel christlicher Darstellung (Diss. phil. Göttingen 1936), vorgelegt haben. 18 Vgl. F. Curschmann, Die Diözese Brandenburg, S. 95, 104–5.
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Persönlichkeit (1150) als dem terminus post quem ausgegangen werden müssen. Dazu stimmt, daß gerade dieses Ereignis allgemein einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der stoderanischen Wenden bezeichnet: schon um 114219 hatte Pribislaw, der ohne Leibeserben war20, „willens, lieber sein Fürstentum den Deutschen zuzuwenden (und damit) Christen zu übergeben als Götzendienern“21, einen Erbvertrag mit Albrecht dem Bären abgeschlossen22, der als Markgraf der sächsischen Nordmark sein Nachbar und überdies seit geraumer Zeit ihm in Freundschaft verbunden war; nun sorgte seine Witwe Petruscha dafür, daß dieser Vertrag ausgeführt werden konnte23. Der Askanier aber, dessen gut kirchliche und missionseifrige Gesinnung bekannt (freilich auch nicht zu überschätzen) ist24, nahm sofort die ihm, wie es heißt, nunmehr zugefallene Handlungsfreiheit wahr und trieb alle, die ,,vom Unflat des Götzendienstes infiziert“ waren, aus der Brandenburg hinaus25. Das kann keine vollständige Slawenaustreibung gewesen sein, denn es gab auch nachher noch Wenden in Brandenburg: Der Markgraf
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Datierung nach H. Krabbo, Regesten, Nr. 103 (S. 21–2), vgl. Nr. 44 (S. 11). Allerdings nicht ohne Erben überhaupt: vgl. B. Guttmann, S. 423 m. Anm. 1; sowie unten bei Anm. 38. 21 So Pulcawa, S. 3, von Pribislaws Witwe und Willensvollstreckerin Petruscha. Die gleichen Worte hätten ohne Zweifel auch auf Pribislaw selbst geprägt werden können: vgl. oben Anm. 5 (wozu sich ähnliche, kürzere Äußerungen über seinen Abscheu vor dem Heidentum aus den übrigen Quellen beibringen ließen) sowie O. v. Heinemann (oben Anm. 1), S. 108, 179; F. Curschmann (ebenda), S. 96; H. Krabbo, FBPG 19 (ebenda), S. 380. – Eine ähnliche Haltung bei Heinrici Chronicon Lyvoniae (rec. Pertz, MG. SS. in us. schol., Han. 1874), X, 8 (S. 32): bei einem wiederholten Abfall der Liven a. 1206 neophiti quidam . . . fideles se exhibentes . . . Rigam descendunt suggerentes domno episcopo, qualiter se defendat ab inimicis, optantes magis christianorum quam suorum perfidorum Lyvonum profectum (perfidus = Ungläubigenbezeichnung). 22 H. Krabbo, Regesten, Nr. 103 (S. 21–2) m. Lit. 23 Sie hielt den Tod Pribislaws so lange vor ihrem Volke geheim, bis der sofort verständigte Markgraf mit Heeresmacht zur Stelle und also in der Lage war, sein Erbe tatsächlich anzutreten: vgl. bes. Heinr. de Antw. und Pulcawa. Als Motiv wird dabei ebenso wie für Pribislaw (vgl. die Anm. 21 genannte Literatur) die Furcht anzunehmen sein, daß die gemeinsamen frommen Stiftungen einer zu erwartenden heidnischen Reaktion zum Opfer fallen möchten. 24 Vgl. O. v. Heinemann, S. 75–6, 226–9, 266–8, 271, 279, teilweise berichtigt von H. Krabbo, FBPG 19, S. 384, 387–8. 25 Heinr de Antw. (S. 483, 18 f.): marchio Adelbertus libera rerum suarum disponendarum facultate potitus (die er vor dem Tode des Pribislaw, allein auf Grund des Erbvertrages nicht besessen hatte), paganorum scelere latrocinii notatos et immunditia idolatrie infectos urbe expulit ac bellicosis viris, Teutonicis et Sclavis, quibus plurimum confidebat, custodiendam (sc. urbem) commisit. Vgl. auch Pulcawa (S. 3–4): . . . Castrum Brandemburg, cuius iam possessionem Albertus tenuit et expulsis inde ydolatris viris commiserat bellicosis, Slawis pariter et Saxonibus. 20
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nahm aus ihren Reihen sogar einen Teil der Besatzung, der er bei seiner Abreise den Schutz der strategisch so wichtigen Feste anvertraute26 – zugleich ein Beweis, daß er glauben durfte, beim Antritt seiner neuen Herrschaft keinen übermäßigen Haß gesät zu haben27. Er war ja auch sonst nicht slawenfeindlich28. Offenbar steht hinter jener Nachricht ein letzter Appell an die slawischen Bewohner des Ortes, nunmehr endlich den Christenglauben anzunehmen, gestützt auf Machtmittel, wie sie dem Vorgänger niemals zu Gebote gestanden hatten: der Hauptort des neuen Landes, der zudem de jure Bischofssitz und dadurch ganz besonders geheiligt war, sollte nach dem Willen des Bären heidenfrei sein. Die Ausweisung aber betraf nur diejenigen, die auch jetzt noch als Taufverweigerer hartnäckig blieben29. Trifft diese Auffassung zu, so hätten wir gleich unmittelbar nach dem Tode Pribislaw-Heinrichs eine Kette von Ereignissen, in welche die Zerstörung des brandenburgischen Triglaw-Heiligtums sich geradezu mit Notwendigkeit einfügen würde: wenn schon, wie ausdrücklich bezeugt, die Heidenmenschen aus der Brandenburg ausgetrieben wurden – was sollte dann noch ein Heiligtum ihres Glaubens am Ort, den zurückbleibenden Christen doch nur eine Stätte des Greuels und des Abscheus? Eine Heidenaustreibung, die nicht von einer Vernichtung solcher Stätten begleitet worden wäre (soweit diese nicht sogar vorausging30), ist im christlichen Mittelalter undenkbar: Albrecht der Bär also wird der Zerstörer des Triglaw auf dem Harlungerberge gewesen sein, und
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S. vor. Anm. Über die strategische Bedeutung der Brandenburg: Curschmann, S. 8; W. Gley, Die Besiedelung der Mittelmark von der slawischen Einwanderung bis 1624. Eine historisch-geographische Untersuchung. (= Forsch, z. Deutschtum der Ostmarken. Im Auftr. d. Preuß. Akademie d. Wiss. hrsg. v. H. Witte, Zweite Folge, H. 1. Stuttgart 1926.) S. 95. 27 So schon A. F. Riedel, Die Mark Brandenburg im Jahre 1250 . . . II. Berlin 1832. S. 19–20. 28 Vgl. A. F. Riedel, ebenda S. 16–7, 18, 24, 32–3 u. sonst; B. Guttmann, S. 425–6; H. Krabbo, FBPG 19, S. 384; A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands IV, 632; zuletzt W. Hoppe, Biographisches Wörterbuch z. deutschen Gesch., hrsg. v. H. Rößler u. G. Franz. München 1952. S. 14. Die häufig anzutreffende Behauptung, Albrecht habe nach der zweiten Einnahme der Brandenburg (s. unten 570) ihre gesamte wendische Bevölkerung vertrieben, ist quellenmäßig nicht verifizierbar, wie besonders aus der Gegenüberstellung von Text und Belegen bei H. Simonsfeld, Jahrbücher der deutschen Geschichte unter Friedrich I. Bd I, Leipzig 1908, S. 534 m. Anm. 63, deutlich wird. 29 Dies wäre zu erhärten durch eine eingehendere Interpretation der oben Anm. 25 angeführten Quellenstellen im Rahmen anderer gleichzeitiger Zeugnisse aus dem askanischen Bereich, die den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde. Vgl. einstweilen Beitrag XIV, S. 478 f. 30 Vgl. dazu Beitrag XIV, S. 467 f., 471 f., 474 f., 476 f.
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nur das Jahr 1150, da er die Nachfolge Pribislaw-Heinrichs antrat und die stoderanischen Verhältnisse nach seinen Maßstäben neu ordnete, kommt als Zeitpunkt dafür in Frage, – so müßten wir folgern, selbst wenn kein ausdrückliches Zeugnis dafür zur Verfügung stünde. Nun ist aber ein solches Zeugnis sogar vorhanden, jedenfalls für den Urheber der Zerstörung. „In Gemeinschaft mit Bischof Swiger“, heißt es im Fragment einer Brandenburgisch-Brietzenschen Chronik (ebenfalls nicht näher datierbar), „stellte derselbige Bär nach langer Zerstörung mit Gottes Hilfe die brandenburgische Kathedralkirche wieder her und zerstörte das Götzenbild, das in Brandenburg auf einem Berge vor der Altstadt war, und viele andere mehr“31. Diese Nachricht steht zwar ebenso allein wie die entsprechende für Pribislaw-Heinrich32, aber das will in diesem Falle weit weniger besagen: die größere Ausführlichkeit der übrigen Quellen gilt nur den Taten dieses letzten Stoderanerfürsten, während Albrechts Anteil an den damaligen Ereignissen auch in ihnen nur sehr knapp gestreift wird33. Innere Gründe aber, die gegen eine Benutzung dieses Fragments ins Feld geführt werden müßten, sind ebensowenig ersichtlich: wie gesagt – hätten wir es nicht, wir müßten einen erheblichen Teil seines Inhalts postulieren34. Über das Jahr der Zerstörung sagt auch diese Quelle nichts, doch liefert sie wenigstens einen gewissen Anhalt. Jener Swiger oder Wigger, mit dem Albrecht dabei gemeinsam vorging35 – es ist derselbe Bischof von Brandenburg (zunächst noch in partes infidelium), der schon mit
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CDB. IV/I, S. 277: . . . Idem Vrsus cum Swigero Episcopo Cathedralem Ecclesiam Brandenburgensem, diu destructam, cum adiutorio Dei reformauit et idolum, quod in Brandenburgk fuit ante Veterem ciuitatem in monte, et alia multa destruxit (Wortstellung in der deutschen Wiedergabe geändert, um mit dem lateinischen Text festzuhalten, daß die Wirkung Swigers sich nicht nur auf das reformare, sondern auch auf das destruere erstreckte). An dieser Stelle scheitern die Ausführungen von J. W. Thompson, Feudal Germany (Chicago/Ill. 1928), S. 447–8, zu denen man sich überhaupt Belege gewünscht hätte. Die brandenburgischen Ereignisse jener Zeit sind bei Th. auch sonst recht ungenau behandelt: so werden die entscheidenden Vorgänge von 1150–57 überhaupt nicht erwähnt bzw. durch den Satz ersetzt: „Most of the Wendish population in Brandenburg accepted the fait accompli, both in its political and its religious bearing, without opposition“, wobei der Herrschaftsantritt Albrechts auf 1134 vordatiert wird (S. 525, vgl. auch 518). 32 Vgl. oben S. 566. 33 Zu Heinr. de Antw. vgl. unten. 34 Verf. hatte sich vorstehend entwickelte Auffassung bereits gebildet, ehe er auf die quellenmäßige Bestätigung stieß. 35 Die oben S. 565 erwähnte Diademsniederlegung erfolgte nach Heinr. de Antw. ad nutum atque arbitrium domini Wiggeri archiepiscopi. Auch die kirchlichen Stiftungen Pribislaws sind jedenfalls im Zusammenwirken mit W. zustandegekommen.
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Pribislaw-Heinrich zusammengearbeitet hatte – amtierte von 1138 bis 1160 und gibt uns damit immerhin einen quellenmäßig fundierten terminus ante quem, mit dem die soeben vorgetragene Annahme sich ohne weiteres verträgt. Dieselbe erhält damit tatsächlich einen Grad von Gewißheit, der in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jhs. nicht leicht zu überbieten ist36. 3. Eine zweite Frage ist, ob der brandenburgische Triglaw im Jahre 1150 schon endgültig fiel. Zwar ist er nach 1160 nirgends mehr bezeugt, aber die Spanne zwischen jenen beiden möglichen Grenzterminen schließt noch ein zweites Schicksalsjahr des stoderanischen Wendentums ein. Der scheinbar so gut gesicherte Erwerb von 1150 sollte nämlich für den Markgrafen noch nicht von Dauer sein: Pribislaws Testament hatte einen Oheim übergangen, einen gewissen Jaxa (aller Wahrscheinlichkeit nach Knesen von Köpenick)37. Dies geschah zwar durchaus im Einklang mit den Möglichkeiten wendischen Rechts38, doch wir verstehen, daß Jaxa seine Ansprüche auf einen so bedeutenden Schlüsselpunkt nicht ohne weiteres fahren ließ. Durch Verrat fiel er ihm zu; wann, können wir nicht sehen39. Erst 1157 zog der Bär nach harter Belagerung wieder in seine Feste ein. Es war dies der letzte Herrschaftswechsel, den die Brandenburg in den langwierigen Kämpfen zwischen Sachsen und Wenden erlebte, und so hat A. Hauck den Sturz des alten Gottes mit diesem Zeitpunkt (als dem der „definitiven Besitznahme“) zu verknüpfen gesucht40. Die Begründung erregt Bedenken: einmal war doch in Albrechts Sinne die Entscheidung von 1150 nicht weniger definitiv gemeint – die endlich erlangte Handlungsfreiheit, die er damals begierig ergriff, wird ausdrücklich betont41 –, andererseits aber stand für die Zeitgenossen durchaus nicht fest, ob der Wechsel von 1157 die Reihe nun wirklich beschließen werde: noch um 1187 hielt ein Bischof von Brandenburg es für nötig, Anordnungen zu treffen für den Fall, daß sein Kathedralsitz erneut
36 Über die Quellenlage für die ältere Geschichte der Kurmark vgl. H. Krabbo, FBPG 19, S. 372; B. Guttmann, S. 432, dazu die spärlichen historiographischen Fragmente im CDB. IV/I (1862). 37 Vgl. H. Ludat, Legenden, bes. S. 43–52. – Zum folgenden noch: H. Krabbo, Regesten S. 50–51 Nr. 265–66; ders., FBPG 19, S. 383; F. Curschmann, S. 113–4; auch W. Gley, Die Besiedlung d. Mittelmark, S. 92. 38 H. Ludat, S. 20 Anm. 81. 39 Vgl. bes. Curschmann, S. 112 und unten Anm. 57. 40 S. Anm. 4. 41 S. Anm. 25.
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verloren gehen sollte42. Dennoch verdient Haucks Erwägung unsere Aufmerksamkeit in Verbindung mit der Tatsache, daß der sächsische Feldzug von 1157 in den Pöhlder Annalen ausdrücklich als Unternehmen gegen eine „düstere Heiden phalanx“ erscheint43. War der Abfall von Albrechts Herrschaft zugleich ein Abfall von der Religion gewesen, der er mit so einschneidenden Maßnahmen zur Alleinherrschaft in der Brandenburg hatte verhelfen wollen? Hatte damit der Gott vom Harlungerberge nach dem Sturz von 1150 sein Haupt noch einmal erheben können, ehe er für immer dahinsank? Bei der engen Verquickung „nationaler“ und religiöser Momente, die den Behauptungskampf des damaligen Elbslawentums gegen deutsche wie polnische Nachbarn so weithin kennzeichnen, wäre an sich kaum etwas anderes zu erwarten. Auffälligerweise deutet jedoch gerade unser Hauptgewährsmann, der Brandenburger Domherr Heinrich von Antwerpen, einen derartigen Rückschlag mit keiner einzigen Silbe an, obwohl man doch annehmen sollte, daß ihm als Prämonstratenser, sofern er nichts anderes wollte als eben Geschichte schreiben, die religiöse Seite der Auseinandersetzung nicht weniger nahe gelegen hätte als seinem Ordensbruder von Pöhlde. Nach Heinrichs doch einigermaßen ausführlicher Darstellung sieht es ganz so aus, als sei die „Heidenfrage“ für Brandenburg mit der Regelung von 1150 erledigt gewesen, und alles weitere habe sich auf rein politisch-rechtlicher Ebene abgespielt als ein ganz gewöhnlicher, profaner Erbfolgekrieg im Kleinen. Da der unmittelbar vorausgehende Lebensabriß Pribislaws die religiöse Seite seines Wirkens stark und einseitig herausstellt, verdient dieser Umstand sorgfältige Beachtung. Hat der Annalist von Pöhlde seine Notiz also gedankenlos nach einem überkommenen Schema formuliert, einer traditionellen Gleichsetzung von „Wenden“ und „Heiden“44, die für die tatsächlichen Gegebenheiten Brandenburgs um 1157 nicht mehr stimmte?
42 CDB. I/X, S. 77: Einrichtung einer Interimsverwaltung in Leitzkau (s. oben S. 565), wenn etwa sive paganorum incursu sive quacunque causa Brandeburgensis ecclesia desolata fuerit. 43 Ann. Palid. a. 1157 (MG. SS. XVI, 90, 11): atrox gentilium phalanx. – Vgl. Anm. 42. 44 Das bekannteste Beispiel für Einsetzung von gentiles anstelle des Wendennamens ist der Magdeburger Entwurf von ca. 1108 zu einem Kreuzzugsaufruf gegen die Ostlandheiden, deren Volksbezeichnung dabei kein einziges Mal genannt wird (vgl. UB. d. Erzstifts Magdeburg, bearb. v. F. Israel u. W. Möllenberg, Bd I. 1937, Nr. 193 S. 249).
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Man braucht die Frage nur auszusprechen, um ihre Unwahrscheinlichkeit zu empfinden: schon die Rückführung der von Albrecht Verbannten, ohne die man sich Jaxas Erfolg schwerlich vorstellen kann, mußte dem Heidentum am Mittelpunkt des Stoderanertums neuen Auftrieb geben, und daß es heidnische Bedrohung war, der die Havelfeste sich in der Zeit nach 1150 ständig ausgesetzt sah, wird von ihrem eigenen Bischof noch in jener Urkunde von etwa 1187 bezeugt45. Sollte die Unstimmigkeit also vielmehr auf Seiten Heinrichs liegen? Er gehört ja zu den Autoren, die den so epochemachenden Sturz des Triglawbildes nirgends erwähnen. Die religiöse Fragestellung trat für ihn also schon in dem Augenblick zurück, wo er die von Albrecht bei seinem Herrschaftsantritt durchgeführte Neuordnung zu schildern hatte46; sie ist ihm nur bis zum Zeitpunkt der Übergabe durch Pribislaws Witwe wichtig. Sollte er ihr am Ende auch vorher die Aufmerksamkeit nicht um ihrer selbst willen zugewandt haben? Entsprang seine Aufzeichnung nicht dem allgemeinen Wunsch, geschichtliche Denkwürdigkeiten festzuhalten, sondern einem bestimmten, speziellen Zweck? Durchmustert man seinen „Traktat“ daraufhin noch einmal als Ganzes, so fällt die starke Betonung bestimmter Rechtstitel auf, die alle den Besitz der Brandenburg betreffen. Schon gleich am Anfang wird mit auffälligem Nachdruck, der aus dem engeren Textzusammenhang allein nicht recht verständlich ist, hervorgehoben, daß Pribislaw seine dortige Herrschaft „in legitimer Nachfolge seiner Verwandten“ besaß47. Entsprechendes aber gilt in verstärktem Maße für den Markgrafen: er findet sich nicht einmal, sondern mehrfach mit Wendungen bedacht wie: daß der alte Knese ihn „sich zum Erben eingesetzt hatte“, so daß er „die Brandenburg wie nach Erbfolge besaß“48. Erst von diesen Stellen aus wird aber auch jene erste voll verständlich, indem sie nun, aufs Ganze gesehen, nicht nur die Legitimität des letzten Stoderanerfürsten, sondern eben auch die des von ihm erkorenen Nachfolgers beleuchtet. Offenbar war Heinrich aufs stärkste daran interessiert, daß der Askanier die Hoheit über das brandenburgische Land wirklich mit Fug und Recht ausübte, ja es scheint, daß dieser Nachweis den Angelpunkt seiner ganzen Niederschrift bildet. Zumindest läßt sich die Stoffauswahl
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S. Anm. 42. Zu der oben Anm. 25 mitgeteilten Stelle vgl. unten S. 574. 47 MG. SS. XXV, S. 482, 44: legittima parentele sue successione huius urbis ac totius terre adiacentis . . . sortitus est principatum. 48 S. 483, 20 ff.; Zl. 26: velut hereditaria successione. 46
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unter dieser Voraussetzung besonders gut verstehen: die christliche Gesinnung des Erblassers, Motiv für seine eigenwillige Verfügung, war dafür wichtig und also ausführlich zu schildern, wichtig ebenso die Feststellung, daß Jaxa ungeachtet seiner nahen Verwandtschaft zu Pribislaw den wohlerworbenen Rechten des Markgrafen doch nur als Usurpator gegenüberstand; selbst die Verbannung bekehrungsunwilliger Heiden beim Herrschaftswechsel fügt sich in den Rahmen solch einseitig rechtsgeschichtlich gerichteter Betrachtung ein, kam ihr doch neben der religionspolitischen ebensogut eine besitzrechtliche Bedeutung zu. Wann aber das alte Heiligtum der Stoderaner fiel und welchen Schwankungen die religiöse Situation in Brandenburg bis zur endgültigen Lösung unterworfen war, konnte unter solchem Gesichtspunkt ziemlich gleichgültig sein – da genügte die abschließende Feststellung, daß 1165 das Domstift aus der Vorstadt nach Brandenburg selbst verlegt wurde, „damit nach Ausmerzung des Götzenunflats unablässig Gottes Lob gesungen werde, wo zuvor viele Jahrtausende nutzloser Dämonendienst verrichtet wurde“49. Der speziell rechtsgeschichtliche Blickpunkt scheint hier also mit geradezu bewundernswürdiger Folgerichtigkeit festgehalten, ohne größere Abweichungen nach der einen oder anderen Seite. Das Interesse aber, das Heinrich an gerade diesen Fragen nahm, wird verständlich, wenn wir vernehmen, daß er Insasse des eben genannten Stiftes war50, und wenn wir weiterhin bei ihm lesen, wie dieses Stift zu beiden Machthabern in engster Beziehung stand: der eine hatte es gegründet und ausgestattet, der zweite bei seiner Verlegung und Besitzerweiterung mitgewirkt51. Es war für den Autor also von ganz persönlicher Bedeutung, daß diese Fürsten ihre Verfügungen wirklich als Inhaber guten Rechtes getroffen hatten. Der „Traktat“ des Brandenburger Kanonikers wollte also allem Anschein nach nicht einfach ganz allgemein schildern, „wie es gewesen war“, sondern er stellt sich dar als ein Abriß der für sein Stift wichtigen Geschichte des Besitzrechtes jener Landschaft in entscheidender Übergangszeit52. Ist er aber solchermaßen von eigentlich religions- und
49 S. 484, 23 ff. Der quatenus-Satz gehört zu collocavit, nicht zum eingeschobenen contulit; entsprechend weist inibi nicht auf villas, sondern auf sedem episcopii sui. 50 Vgl. die Vorbemerkung zum Tractatus von der Hand eines späteren Abschreibers bzw. Kompilators: MG. SS. XXV, 482 = CDB IV/I S. 285. 51 S. 483, 5 ff. bzw. 484, 14 ff. 52 Ob der Traktat, der auf 1180–1200 datiert zu werden pflegt, im Zusammenhang mit der oben Anm. 42 erwähnten Bedrohung der ausgehenden achtziger Jahre entstanden ist?
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missionsgeschichtlichen Gesichtspunkten frei, so kann sein Schweigen über dergleichen auch den Annalisten von Pöhlde nicht ins Unrecht setzen, dessen Hinweis ohnehin soviel Wahrscheinlichkeit für sich hat. Wir entnehmen diesem Hinweis also, daß das Heidentum in Brandenburg nach dem Eingreifen Jaxas neuen Auftrieb bekam. Dazu bietet dann freilich der Prämonstratenser aus Antwerpen gerade auch durch sein Schweigen eine wertvolle Ergänzung: wir sehen daraus, daß diese Apostasie im Gegensatz zu früheren nicht von so grausamen antichristlichen Ausschreitungen begleitet gewesen sein kann. Eine Zerstörung seines Stiftes, die Martyrien seiner damaligen Vorgänger dort, nicht zuletzt den Namen des glorreichen Wiederherstellers hätte doch wohl auch Heinrich von seinem begrenzten Standpunkte aus nicht übergangen; stattdessen meldet er, daß selbst die von Albrecht hinterlassene Besatzung von Jaxa lediglich gefangen fortgeführt wurde53. Vielleicht gehörte die Schonung derer, die am neuen Glauben festhalten wollten, zu den Übergabebedingungen der Verräter, unter denen ja „Leute des Markgrafen“ (wendische oder sogar sächsische?) ausdrücklich genannt werden54; vielleicht auch hat Jaxa, in dem man mit nicht ganz sicheren Gründen ebenfalls einen Christen vermutet hat55, von sich aus dem Rachedurst Zügel angelegt. An dem heidnischen Rückschlag selbst ist jedenfalls nicht zu zweifeln. Die Möglichkeit, daß dem Triglaw auf dem Harlungerberge nach 1150 noch einmal eine kurzfristige Auferstehung vergönnt war, daß also erst das Jahr 1157 seinen endgültigen Sturz erlebte, muß damit zugestanden werden56. Freilich hat sie nicht mehr als rein hypothetischen Wert: wir
53 S. 483, 34 ff. Die Gefangennahme sei simulatorie geschehen, um den Verrat der homines marchionis zu vertuschen. 54 S. Anm. 53. 55 Kritik dieser Thesen bei H. Ludat, S. 44–5. Daß christliche Wendenfürsten jener Übergangszeit wohl oder übel dem Heidentum ihrer Landsleute duldsam gegenüberstehen mußten, zeigt neben Pribislaw-Heinrich vor allem das Beispiel des obotritischen Knesen Heinrich, Gottschalks Sohn, in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts (vgl. Helmold I 34, S. 69, 3 ff. u.ö.). Selbst König Heinrich II. schreckte bekanntlich vor einem Bündnis mit heidnischen, ja apostatischen Kräften nicht zurück, wo die Politik es ratsam erscheinen ließ. 56 Heinr. de Antw. bezeugt S. 484, 2 ff., daß Albrecht nach Rückgewinnung der Feste in eminentiori loco (auf dem Harlungerberg? Vgl. Anm. 311) ein triumphale vexillum (auch hier, wie öfter, ein Kreuz?) aufgerichtet habe. Von einer Andeutung, daß dieses an die Stelle eines zerstörten idolum getreten wäre, fehlt dabei aber jegliche Spur, was im Hinblick auf die im Mittelalter so verbreitete Neigung, neben der positiven Seite der Missionsarbeit auch die negative herauszustellen, immerhin auffällig ist (vgl. Beitrag XIV, S. 466 f., dazu oben Anm. 31). Berücksichtigt man die dargelegte besondere
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können ja nicht einmal sagen, ob Jaxa sich so lange in der Brandenburg zu halten vermochte, daß zur Neuherstellung und -aufrichtung eines solchen Götterbildes von doch wohl beträchtlicher Größe genügend Zeit geblieben wäre57. Wo die Quellen so gründlich schweigen, hat unser Fragen nach der geschichtlichen Wirklichkeit sich zu bescheiden. [Nachtrag 2008: Ergänzend, vor allem zur Entwicklung der PribislawLegende: H.-D. Kahl, Slawen u. Deutsche (Bibliografie Nr. 19), S. 327– 350, vgl. 484–504. Zur Akzeptanz in der Forschung: L. Partenheimer, Albrecht der Bär, Köln usw. 2003, S. 112 m. Anm. 958. Ich bemerke, daß ich die oben bei Anm. 3 erwähnte Niederlegung der Krone PribislawHeinrichs in Leitzkau niemals als Verzicht auf sein Königtum hingestellt habe, sondern stets nur als einen symbolischen Akt, der die Unterordnung des Fürsten unter Christentum und Kirche bekundet; dazu ausführlich vor allem Slawen u. Deutsche, S. 189–191. Der Vorgang wird anders datiert und eingeordnet von H. Aßling, Albrecht der Bär als marchio usw., bei Dems., Brandenburg, Anhalt und Thüringen im Mittelalter, Köln usw. 1997, S. 156 ff., vgl. 167, dem Partenheimer, S. 77 u. 105 folgt. Als Interpretationsalternative für unklaren Quellenbefund ist diese Möglichkeit anzuerkennen.]
Intention dieses Autors, so liegt es wohl überhaupt näher, hier statt an ein Kreuz einfach an das markgräfliche Banner zu denken, dessen Aufpflanzung an hervorragender Stelle die erneute Besitzergreifung rechtssymbolisch besiegeln sollte. 57 Die Vorbereitungen zum Gegenschlag Albrechts begannen nach Heinr. de Antw. unverzüglich (S. 483, 37 ff.: qua audito . . . extemplo . . . expeditionem edicens . . .). Vgl. auch Anm. 39.
BEITRAG XVII
DIE ENTWICKLUNG DES BISTUMS BRANDENBURG BIS 1165 Ein wenig bekanntes Kapitel mittelalterlicher Kirchengeschichte im ostmitteldeutschen Raum∗ Heute vor 800 Jahren, am 11. Oktober 1165, am Translationsfest des hl. Augustinus, das zu den höchsten Ordensfesten der auf dessen Regel fußenden Prämonstratenser gehört, vollzog Wilmar, Bischof von Brandenburg und Bruder dieses Ordens, in der Nordhälfte der alten Burginsel, die seinem Bistum als Stammbesitz zu eigen gehörte, die Grundsteinlegung einer neuen Kathedralkirche. Er eröffnete damit offiziell den Bau des Domes, der noch heute steht, denn so viel spätere Generationen auch verändert haben mögen, der Kern dieses Gotteshauses geht auf Wilmars Tage zurück – wir werden es ja heute nachmittag besichtigen dürfen. Die Wiederkehr eines historischen Datums nach rundem, hohem Jahrhundertabstand wird gern zum Anlaß offizieller Rückbesinnung genommen. Mit Recht. Der Mensch ist nun einmal unter allen Geschöpfen, die wir kennen, das historische Wesen kat’exochen: welches sonst wäre in der Entfaltung seiner Eigenart dermaßen abhängig von der zeitlichen Dimension mit der unwiderruflichen Unumkehrbarkeit ihrer Abläufe, dabei zutiefst bedingt durch Geschehen, das sich vor seiner persönlichen Geburt ereignet hat, z.T. unvorstellbar lange vorher; welches sonst könnte gleich dem Menschen zu wesensgemäßer Tiefe nur gelangen, wenn es sich Rechenschaft gibt, wo in der Gesamtfolge der Jahrtausende und der Ereignisse das eigene Ich seinen Platz hat? Niemand zweifelt, daß solche Besinnung an sehr verschiedenen Stellen ansetzen kann. Der 11. Oktober 1165 gehört sicher mit zu den Tagen, die wert sind, zum Ausgangspunkt entsprechender Betrachtungen gemacht zu werden: die damals vollzogene Grundsteinlegung war mehr als ein Ereignis der Architekturgeschichte; sie setzte zugleich den Schlußstein unter eine abgeschlossene Epoche in der kirchlichen, der
∗ Vortrag, gehalten auf einer kirchengeschichtlichen Arbeitstagung in Brandenburg (Havel) anläßlich des gleich zu nennenden Jubiläums.
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christlichen, ja der allgemeinen Entwicklung dieses Landes, und sie war der Auftakt zu einer neuen. Die Vorgänge, die dabei zu betrachten sind, spiegeln aber zugleich wichtige Probleme der allgemeinen Geschichte und Kirchengeschichte wider, die neben den bekannteren Ereignissen im nordelbischen Raum, neben Gestalten wie dem Obotritenfürsten Gottschalk oder Wizelin (Vicelinus), dem Augustinerchorherrenprior und späteren Bischof, nicht vergessen werden sollten: es ist keineswegs nur stadtbrandenburgisches oder märkisch-landschaftliches Sonderinteresse, das bei Beschäftigung mit dem zu behandelnden Thema auf seine Rechnung kommt. Ihren Zweck erfüllen wird historische Rückbesinnung allerdings nur, wenn sie auf soliden Fundamenten ruht. Das stellt die Frage nach den Quellen, an die sie anknüpfen kann. Es ist nicht zu verhehlen, daß es damit in unserem Fall trübe aussieht. Der südliche Nachbarraum wird wenigstens bis ins zweite Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts durch die unvergleichliche Chronik Thietmars erhellt; für den nördlichen stehen Quellenwerke hohen Ranges zur Verfügung wie die Aufzeichnungen Adams von Bremen und Helmolds von Bosau. Brandenburg muß sich mit einer Hand voll mehr oder weniger fragmentarischer Notizen begnügen, die an Stoff- und Lebensfülle weit hinter diesen Werken zurückbleiben; hinzu treten einige urkundliche Belege – ganz gewiß nicht mehr als für den gleichen Zeitraum in den Nachbargebieten –, dazu einige Baureste, Münzen und Siegel. Dieses Material ist spröde. Es bedarf eingehender Vertiefung, wenn es zum Klingen gebracht werden soll. Dazu scheint es auf den ersten Blick wenig einzuladen, so daß diese Arbeit lange unterblieb. Persönliche Interessen brachten es mit sich, daß ich ihr nicht ausweichen konnte, obwohl mir das zunächst mehr als unbequem war. Der Ertrag dieser Studien war eine Überraschung. Ihr Ergebnis konnte 1957–59 in einem größeren Werk zusammengefaßt werden, das nach langer Druckzeit nun vor einigen Monaten endlich erschienen ist1. Es liegt auch hier im Domarchiv vor, so daß es möglich ist, summarisch auf diese Arbeit und ihre Materialien zu verweisen. Daß ich hier heute vor Ihnen stehen darf, ist eine Folge dieser Publikation. Ich empfinde es als eine
1 H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jahrhunderts (1964), mit Nachweisen auch für die ältere Zeit. Vorliegender Vortrag gibt eine ergänzte Zusammenfassung des kirchengeschichtlichen Teils der Ergebnisse dieser Arbeit. Einzelbelege werden nur gegeben, wenn sie nicht bereits dort nachgewiesen sind.
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Auszeichnung, die mich mit Freude und Dank erfüllt, und das doppelt, weil sie mir zugleich Gelegenheit gibt, meine Ergebnisse vor dem Kreis zur Diskussion zu stellen, der von ihnen sozusagen am stärksten und unmittelbarsten betroffen wird, der aber „normalerweise“ – was man heute so „normalerweise“ nennt – mir überhaupt nicht unmittelbar erreichbar ist. 1. Anfänge Die Entwicklung des Bistums Brandenburg bis 1165 bildet kein einheitliches, aber doch ein zusammenhängendes Ganzes, das sich als solches deutlich von späteren Entwicklungen abhebt. Innerhalb dieses Zeitraumes lassen sich drei Abschnitte unterscheiden: die Gründungsperiode bis 983, die Interimszeit bis 1138 und die Periode der Neugründung, die mit dem Festakt vom 11. Oktober 1165 abgeschlossen wurde. Einschnitte sind der große Slawenaufstand des erstgenannten Jahres, der fast alles bisher Geschaffene zerstörte, und der Amtsantritt des bedeutenden Prämonstratenserbischofs Wigger, von dem noch ausführlich zu sprechen ist. Wer die ersten Persönlichkeiten waren, die das Christentum hier zu Lande vertreten haben, ist nicht feststellbar. Vielleicht gehört Karl d. Gr. persönlich in ihre Reihe: ob hinter der ungenannten civitas des Slawenfürsten Dragowit, die er 789 bezwang, sich Brandenburg verbirgt, ist zwar nicht bestimmt erweislich, doch auch nicht widerlegt. Keinesfalls trug sein etwaiges Auftreten hier an der Havel missionarischen Charakter wie an Weser und Donau. Sicheren Boden gewinnen wir für diese Gegend überhaupt nicht vor dem 10. Jahrhundert. Epochendatum ist der Winter 928/29. Er war so streng, daß es möglich wurde, unmittelbar auf dem Eis der Havel den Belagerungsring um die Inselburg zu schließen. Dadurch begünstigt, brachte König Heinrich I. den sonst ziemlich uneinnehmbaren Platz in seine Gewalt, doch ging Brandenburg zu unbekanntem Zeitpunkt noch einmal verloren. Erst 940 gelang Otto d. Gr. die Rückgewinnung, und zwar durch Verrat. Ein Abkömmling des einheimischen Fürstenhauses war als Geisel in Sachsen erzogen worden – hier und im folgenden im Sinne „Altsachsens“ zu verstehen, das von Westfalen einschließlich bis zur Elbe und darüber hinaus bis nach Holstein reichte, das heutige (Ober-)Sachsen aber ausließ. Dieser Tugumir vermochte das Vertrauen seiner Stammesgenossen so weit zu gewinnen, daß sie ihm die Herrschaft übertrugen;
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dann lieferte er den wichtigen Schlüsselpunkt, dessen Einfluß sich bis zur Oder erstreckte, an Otto aus. Unzweifelhaft war Tugumir Christ; welche Rolle das für seine zwielichtige Entscheidung spielte, ist unbekannt2. Seitdem war das Gebiet zunächst sicherer deutscher Besitz: bis zum genannten Jahre 983 verlautet für diese Gegend nichts von Kämpfen, sehr anders als weiter im Norden, z.T. wohl auch im südlicheren Bereich. Vielleicht blieb Tugumir als deutscher Vasall auf der Brandenburg sitzen; vielleicht war sie zusätzlich Sitz – oder einer der Sitze – des bekannten Markgrafen Gero († 965). In der Luft schwebt die Hypothese von angeblichen Massenbekehrungen, die der neue christliche Slawenherrscher durchgesetzt haben werde, so daß seit 940 im Havelland eine regelrechte einheimische Slawenkirche entstanden sei3: so weit die Quellen überhaupt einen Anhalt geben, war die älteste kirchliche Organisation im Lande, die bald nach 940 errichtet wurde, ein Bau ohne Fundamente. Eingeleitet wurde dieses merkwürdige Unternehmen gleichfalls durch Otto d. Gr., der sich in sehr verantwortungsbewußter Weise als Vorkämpfer des christlichen Glaubens fühlte, zutiefst durchdrungen vom Bewußtsein der Missionspflicht des Herrschers, wie die Kirche, etwa in der Person Gregors d. Gr., es seit Jahrhunderten den Kaisern und Königen einzuimpfen strebte. Der Gedanke einer unmittelbaren Zwangschristianisierung lag Otto fern: er hat überhaupt im Mittelalter eine sehr viel geringere Rolle gespielt, als man vielfach zu denken geneigt ist – dergleichen galt auch damals theologisch wie kanonistisch als Ungeheuerlichkeit –; nur, wer einmal die Taufe genommen hatte, war dann nach zeitgenössischer Auffassung am Wiederabfall, der ihn zum Sakramentsschänder gemacht hätte, mit allen Mitteln zu hindern, und selbst diese Ansicht herrschte nicht allgemein4. Wohl aber war Otto bestrebt, friedlicher kirchlicher Verkündigung, die zu möglichst
2 Vgl. dazu Pribislaw-Heinrich und Petrissa unten S. 599. Die Möglichkeit, daß Tugumirs Fall ähnlich lag, ist bei einer Urteilsbildung über sein Verhalten zu beachten; für eine bestimmtere Hypothese reicht das Material weder in diesem noch im gegenteiligen Sinne aus. 3 So H. F. Schmid, Das Recht der Gründung und Ausstattung von Kirchen im kolonialen Teile der Magdeburger Kirchenprovinz während des Mittelalters (1924) S. 6. 4 Beitrag XV, 548 ff.; vgl. H. Grundmann, Oportet et haereses esse. Das Problem der Ketzerei im Spiegel der mittelalterlichen Bibelexegese: Archiv f. Kulturgesch. 45 (1963) 129–164.
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freiwilligem Taufentschluß führen sollte, auf jede Weise die Wege zu ebnen, von der Bereitstellung und Ausstattung von Missionspriestern bis zur Sorge für deren weltlichen Schutz, notfalls gipfelnd in der Einsetzung christlicher Obrigkeit in Missionsgebieten. In diesen Zusammenhang gehörte auch der Plan, die Heidenländer im nördlichen und östlichen Vorfeld des Reiches mit einem Netz eigener Bistümer zu überziehen: für katholische Mission ist der leicht erreichbare Bischof zu allen Zeiten eine Lebensfrage gewesen, denn nach kanonischem Recht sind wichtige Funktionen wie Kirchweihe, Priesterweihe und Firmung den Mitgliedern des Episkopats allein vorbehalten. Früher war vielfach mit Wanderbischöfen ohne festen Sitz gearbeitet worden, doch das hatte mehr als einmal zu Unzuträglichkeiten geführt – die Geschichte des Bonifatius weiß davon zu berichten. Otto wird gehofft haben, daß durch baldige Schaffung klar abgegrenzter Diözesen mit festem Kathedralsitz am schnellsten geordnete Verhältnisse erreicht werden könnten. Vielleicht wirkten außerdem politische Motive mit: es ist bekannt, wie Otto je länger, je mehr dazu kam, die Reichskirche planmäßig zur Stütze seines Königtums auch im weltlichen Bereich auszubilden, um ein Gegengewicht gegen zentrifugale Tendenzen weltlicher Großer zu schaffen. Das Epochenjahr ist 948. Damals wurde zunächst das dänische Festland durch drei Bistümer gesichert, die von dem deutschen Erzbistum Hamburg-Bremen abhängig waren. Hier wird das politische Nebenmotiv besonders deutlich: der Dänenkönig war dem Reich nur tributpflichtig, nicht unmittelbar eingegliedert; man mußte ihm auf die Finger sehen. Im gleichen Jahr entstanden auch in dem Markengürtel, der ostwärts der Elbe in Bildung begriffen war, die beiden ältesten deutschen Slawenbistümer, Havelberg und Brandenburg. Wahrscheinlich schloß die Planung auch schon das Gebiet ein, das zwischen diesen beiden Komplexen, dem jütländischen und dem ostmittelelbischen, lag, doch ließ sie sich dort wohl zunächst noch nicht realisieren: das Bistum Oldenburg i. H., Vorläufer der späteren Lübeck, Schwerin und Ratzeburg, wurde wahrscheinlich erst um 968 konstituiert. Südlich von Brandenburg dagegen, vor allem im heutigen Sachsen, waren die Verhältnisse noch zu unklar: nichts spricht dafür, daß auch für diese Gegenden schon 948 konkretere kirchliche Organisationspläne erwogen wurden; im Gegenteil: die Südgrenze des neuen Brandenburger Sprengels blieb in weiten Partien offen, also doch wohl späterer Fixierung vorbehalten; der Nachbar, der hier zeitweise ein unangenehmer Rivale werden sollte, das Bistum Meißen, trat gleichfalls erst nach Ablauf
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zweier weiterer Jahrzehnte ins Leben. Klar festgelegt hingegen wurden die Grenzen in West, Ost und Nord: Elbe und Oder, zwischen beiden die nördlichen Grenzsäume genannter Wendengaue; sie zogen sich, soweit bestimmbar, in vielfacher Krümmung etwa von der Einmündung des heutigen Plauer Kanals in die Elbe durch das Rhinluch und die Seenkette im mecklenburgisch-märkischen Grenzgebiet bis in die Gegend von Schwedt. Eine ähnlich klare Abgrenzung hat auch das gleichzeitig gegründete Havelberger Bistum von Anfang an mitbekommen. Es ist festzuhalten, daß ein solches Verfahren, scheinbar so naheliegend, neu war: die beiden genannten märkischen Bistümer sind die ersten, die eine regelrechte Gründungsurkunde mit umfassender Regelung der Grenzfragen erhielten; noch die Karolingerzeit hatte die Abgrenzung ihrer Bistumsneugründungen auf sächsischem Boden dem freien Kräftespiel überlassen mit dem Erfolg, daß sie noch über den Zeitpunkt von 948 hinaus stellenweise in der Schwebe war5. Man wird nicht fehlgehen, wenn man in diesem Unterschied einen tiefen Wesensgegensatz karolingischer und ottonischer Missionsgesinnung widergespiegelt sieht: die sächsische Kirche wuchs von unten nach oben, beginnend mit der Durchsetzung einer mehr oder weniger weitgehenden Bereitschaft im Volke zum Übertritt, dem eine primitive Verkündigung und, wie man treffend gesagt hat, ein „Durchtaufen“ des Landes folgte, bis so viel gewonnen war, daß es lohnend schien, an eine Zusammenfassung des erreichten Bestandes in organisatorischem Rahmen zu denken und schließlich an dessen immer weitere Verdichtung aus den so gewonnenen Kerngebieten heraus6. Wie anders die ottonischen Bistumsgründungen zu beurteilen sind, wurde schon angedeutet: hier handelte es sich gleichsam um die Errichtung eines Gehäuses ohne vorgegebenen Inhalt, um die Bestellung ordnungsmäßig bevollmächtigter kirchlicher Instanzen, die unter dem Schutz der bewaffneten Macht, des Kaisers und seiner Markgrafen, von sich aus das Nötige einleiten sollten, um diesen Inhalt nachträglich zu schaffen. Die früh festgelegte Außengrenze wäre für die Karolingerzeit fast ein Anachronismus gewesen: wer wollte im voraus wissen, wo die Strahlungskraft der einzelnen Bistumssitze in den dazwischenliegenden Gebieten sich einmal festlaufen würde? Auch im
5 E. Müller, Die Entstehungsgeschichte der sächsischen Bistümer unter Karl d. Gr. (1938). 6 H. Wiedemann, Die Sachsenbekehrung (1932); ders., Von Bonifatius zur Sachsenmission. Zur Methode der Deutschenbekehrung: Zschr. f. Missionswiss. 26 (1936) 85–93; ders., Karl d. Gr., Widukind u. die Sachsenbekehrung (1949).
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Slawenlande hat das lebendige geschichtliche Kräftespiel schließlich zu sehr anderen Grenzziehungen geführt als der kaiserliche Machtspruch des 10. Jahrhunderts: gerade das Bistum Brandenburg hat dabei an fast allen Fronten zurückstecken müssen – denken wir nur an die ursprünglich polnische Bistumsgründung Lebus, mit der der Piastenstaat seit etwa 1124 das Vakuum, das seit 983 westlich der Oder bestand, für sich nutzbar zu machen suchte. Für das ottonische System aber war die Klärung der Zuständigkeiten für den von oben her zu organisierenden Aufbau eine kaum vermeidbare Notwendigkeit. Die Gründungsurkunden für Brandenburg und Havelberg regelten noch andere Fragen. Beide Bistümer wurden reich ausgestattet durch Verleihung von Grundbesitz und Zehntrechten. Brandenburg z.B. erhielt zwei ganze und einen halben „Burgward“, wie die Verwaltungseinheit etwa heutiger Kreisebene damals hieß. In dem noch dünn besiedelten Gebiet mag dies einen Grundbesitz von 20–30 Dörfern mit ihren Fluren und dazwischenliegendem Ödland bedeutet haben, die sich auf drei in sich geschlossene, unter sich jedoch nicht zusammenhängende Komplexe verteilten; allerdings ist an kleine Dörfer zu denken, als deren Durchschnittsbevölkerung kaum mehr als 60 Einwohner aller Altersgruppen angenommen werden dürfen, also 5–10 Familien. Immerhin gab das in dem noch stark naturalwirtschaftlich orientierten Zeitalter eine feste Ertragsbasis, und es gab in Gestalt der Dorfinsassen einen festen Stamm von Arbeitskräften zur Bewirtschaftung dieses Bodens wie zu anderen Aufgaben. Hinzu kamen die Zehntrechte für das gesamte Sprengelgebiet, ausgenommen die westlichen Landstriche, in denen sie kraft königlicher Verleihung bereits an das Magdeburger Moritzkloster übergegangen waren. Diese Rechte mußten allerdings erst nutzbar gemacht werden, denn der Zehnt als kirchliche Abgabe war nur von Christen einzutreiben, hier also von deutschen Burgmannen und wenigen bekehrten Slawen: die Masse der Bevölkerung ist ja für den Gründungszeitpunkt noch als heidnisch zu betrachten. Die ersten Bischöfe scheinen für beide Bistümer Mönche (religiosi) gewesen zu sein; die einzigen Anhaltspunkte für die Herkunft, dürftig genug, weisen für beide, direkt oder indirekt, nach Trier, in das Bistum, aus dem König Otto auch den Stammkonvent des genannten Magdeburger Klosters, seiner Lieblingsgründung, hatte kommen lassen7.
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Beitrag XVIII, 617 ff.
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Wurden die beiden Männer, Thietmar von Brandenburg und Dudo von Havelberg, unmittelbar vom Rhein nach dem Osten verpflanzt oder mit diesem Kloster als Zwischenstation? Betraten sie ihre künftigen Sprengel zuerst als geweihte Bischöfe, oder hatten sie sich dort schon vorher gewisse Anrechte durch missionarische Versuche erworben, wie es wenig später von Boso bezeugt ist, dem ersten Bischof von Merseburg8? Dies zu wissen wäre besonders wichtig für die ganz dunkle Frage nach der etwaigen Missionsbedeutung des Magdeburger Konventes, von der oft viel zu leichthin gesprochen wird; ebenso wichtig ganz allgemein für die Charakterisierung der Kreise, denen König Otto seine Mitarbeiter entnahm. Doch zur Klärung fehlt jeder Anhaltspunkt: ein Beispiel von vielen für die gekennzeichnete Ungunst der Quellenlage. Nicht minder unbekannt ist, wie das christliche Leben in den beiden neuen Bistümern sich entfaltete. Vermuten läßt sich, daß die Bischöfe zunächst stark durch Aufgaben rein organisatorischer Art beschlagnahmt gewesen sein werden, angefangen von der Schwierigkeit, einen genügend zahlreichen und genügend vorgebildeten Missionsklerus mit slawischen Sprachkenntnissen zu beschaffen, bis hin zu den Problemen der Bewirtschaftung bistumseigener Liegenschaften, aus deren Ertrag wesentlich die Mittel zur Durchführung weiterer Aufgaben – einschließlich des Kirchenbaues – bereitgestellt werden mußten. Man mußte eben erst einmal einige Jahre hindurch so ergiebig wie möglich ernten, ehe wenigstens eine gewisse Beweglichkeit in dieser Hinsicht erreicht werden konnte. Über Maßnahmen dieser Art hinaus wird eine ernsthafte missionarische und seelsorgerische Arbeit in diesem Koloniallande höchstens in Ansätzen möglich gewesen sein, so daß die neuerrichtete Organisation jahrzehntelang ziemlich unverändert im luftleeren Raume stand, ohne sich mit wirklichem Inhalt zu füllen. Als einzige Kirchen bezeugt sind die beiden Bischofskathedralen – zweifellos zunächst Holzbauten, deren archäologischer Nachweis, zumindest, was den Verwendungszweck angeht, nicht leicht fallen dürfte9.
8 Dazu jetzt W. Schlesinger, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter I (1962) 24 f., 26, 32 f. u.ö. 9 Ein Holzbau als ältester Dom ist noch für das definitiv erst unter Heinrich dem Löwen konstituierte Bistum Lübeck bezeugt (Weihejahr 1163: Ann. Palid., MG SS XVI, 92, 53; dazu W. Weimar, Der Aufbau der Pfarrorganisation im Bistum Lübeck während des Mittelalters: Zschr. d. Vereins f. Schleswig-Holsteinische Gesch. 74/75, 1951, 111 Anm. 3 mit Parallelbeispielen). Für Brandenburg schweigen die Schriftquellen; archäologisch steht bisher nur fest, daß der ottonische Dom nicht an der Stelle des heutigen gestanden haben dürfte: K. Grebe, Auf der Suche nach dem ottonischen Dom, in: 800
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Sonst läßt sich nur noch anführen, daß der zweite Bischof von Brandenburg, Dodilo, sich in ungewöhnlichem Maße den Haß seiner Diözesanen zugezogen haben muß. Er starb 980 – wie es verschämt unklar heißt: „von den Seinen erdrosselt“ (a suis strangulatus); d.h. doch wohl von Angehörigen seiner Diözese, denn Verwandtenmorde zu berichten haben mittelalterliche Quellen sich normalerweise nicht gescheut. Drei Jahre später, beim großen Wendenaufstand gegen Reich und Kirche, wurde Dodilos – und, wie es scheint, nur Dodilos – Leichnam nochmals besonders geschändet. Die Gründe dieses fanatischen Hasses kennen wir wieder nicht. Hatte der Bischof gewagt, Hand an Heiligtümer des alten Glaubens zu legen, die – in anderen Fällen klar bezeugt – im Wendengebiet auch unter durchgeführter christlicher Bistumsorganisation noch jahrzehntelang weiterbestehen konnten10; hatte er Zehntforderungen überspannt; war er einfach ein gar zu harter und strenger Asket gewesen, ohne Gefühl für die Maßstäbe, die einem noch ungefestigten Missionsgebiet allenfalls zugemutet werden konnten? Nochmals unbeantwortbare Fragen. Nichts verlautet jedenfalls über gewaltsame Christianisierungsarbeit. Sie wird, anders als in weiteren Gebieten der Wendenmission, hier auch nicht durch ausdrückliche
Jahre Dom zu Brandenburg, hg. v. J. Henkys (1965) 10–19; vgl. K. Grebe, Untersuchungen im Dom zu Brandenburg: Ausgrabungen u. Funde 10 (1965) 149 f. Zur Frage eines evtl. frühen Steinbaues ist die Schwierigkeit der Beschaffung von Bruchsteinmaterial im engeren Brandenburger Raum zu beachten in Verbindung mit der längeren Anlaufzeit, die bis zur Erreichung einer gewissen wirtschaftlichen Beweglichkeit des neuen Bistums anzunehmen ist (s. oben im Text). Ob wirklich an einen rohen Feldsteinbau aus den in dortiger Gegend reichlich vorhandenen Granitfindlingen gedacht werden darf? Hatten die ersten Bischöfe ihren Geschmack an westlichen, insbes. rheinischen Steinbauten gebildet, so ließe sich verstehen, wenn sie stattdessen sich lieber für längere Zeit in einem provisorischen Holzdom eingerichtet hätten, um zunächst die erforderlichen bedeutenderen Mittel für einen repräsentativen Bruchsteinbau anzusammeln. Die mögliche Dauer von Behelfslösungen dieser Art ist für damalige Zeit nicht zu unterschätzen. Das Bistum Meißen, gegründet 968, begann den ersten repräsentativen Dombau erst um 1030; bis dahin nahm es mit einer anscheinend vorgefundenen, also älteren Steinkirche ganz unzulänglicher Größenordnung vorlieb, obwohl Bruchstein in dortiger Gegend sehr viel leichter zu bekommen war als im Havellande: Schlesinger, S. 36, dazu Nachweise S. 298. – Die für Brandenburg anzunehmende Diskontinuität in der Lokalisierung der beiden Dombauten erklärt sich leicht aus der Diskontinuität der allgemeinen Entwicklung, die kaum angetan war, eine exakte Erinnerung an den Platz des ottonischen Domes mehr als anderthalb Jahrhunderte über die anzunehmende Zerstörung hinaus zu bewahren. 10 Thietmar von Merseburg, Chron. II 37 (S. 282, 25 ff. Trillmich) bezeugt die Zerstörung eines heiligen Hains bei Schkeitbar (nahe Lützen), den über vier Jahrzehnte der Einbeziehung des Gebietes in die christliche Bistumsorgansation nicht angetastet hatten.
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Zeugnisse widerlegt. Aber spricht es nicht eine deutliche Sprache, wenn das brandenburgische Gebiet, wie gesagt, dermaßen lange ruhig blieb? Empörung muß gereizt worden sein, doch zunächst nur so, daß sie sich gegen einzelne richtete, nochmals also ganz anders als im karolingischen Sachsen: die Erhebung von 983 brach in beide Bischofssitze, Havelberg wie Brandenburg, von außen ein. Wirklich beleuchtet ist für die beiden neuen Slawenbistümer nur ein Ereigniskomplex bis zu diesem Zeitpunkt. Es handelt sich um die Errichtung des Erzbistums Magdeburg, abgeschlossen 968, zu Dodilos Amtszeit11; für Brandenburg und Havelberg dadurch bedeutsam, daß sie beide von der Unterstellung unter das weit abgelegene Mainz löste, dem sie zunächst angegliedert worden waren, und ihnen einen ungleich leichter erreichbaren Metropoliten gab. Auf Einzelheiten ist hier jedoch nicht einzugehen. 2. 983–1138: Schwebezustand Der oft erwähnte Aufstand, gegen Reich und Kirche in Einem gerichtet, zerstörte so gut wie alles. Die Erhebung ging aus vom nordöstlichen Wendenbereich, vom mecklenburgisch-pommerschen Grenzgebiet; Träger war der sog. Lutizenbund, eine politische Körperschaft sehr eigenartiger Struktur, die sich dort soeben gebildet hatte: eine neue Macht im Staatengefüge Mitteleuropas, die sich auf Jahrzehnte hinaus kraftvoll zwischen Deutschen und Polen zu behaupten vermochte. Einzelheiten des oft geschilderten Aufstandes darf ich gleichfalls übergehen. Festzuhalten ist das Ergebnis: ein großer Teil des von Gero gewonnenen Markengebietes bleibt dem Reich auf lange verloren; mit ihm gehen die Bistümer Brandenburg und Havelberg praktisch zugrunde. Bezeichnend ist, daß die Bischöfe aus dem Zusammenbruch ihr Archiv zu retten wußten, vor allem die wichtigen Gründungsurkunden, Ausweis für alle künftigen Rekuperationsansprüche: sie müssen bei der offenbar sehr eiligen Flucht – das Martyrium erlitten nur Kleriker, keiner der betroffenen Bischöfe – wohlverwahrt mitgenommen worden sein. Um den Ort Brandenburg, der eine hervorragende strategische Schlüsselstellung besaß, wurde noch über ein Jahrzehnt mit sehr wechselndem Erfolg gekämpft, mehrfach auch unter persönlichem
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Auch hierzu jetzt Schlesinger 22–23. – Zum folgenden beachte oben Anm. 1.
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Eingreifen König Ottos III. Wie dieses Wechselspiel sich auf die kirchlichen Verhältnisse ausgewirkt hat, wird nicht recht klar. Den vorläufigen Schlußstrich unter die Entwicklung zog das Bündnis mit den Lutizen, zu dem Heinrich II. sich 1003 in der Krisensituation der neu aufgebrochenen deutsch-polnischen Spannung genötigt sah. Es muß eine Verpflichtung des Reiches zu offizieller Duldung der erneuerten altwendischen Religion eingeschlossen haben, nicht gerade eine günstige Vorbedingung für die Entfaltung missionarischer Arbeit. Bischöfe von Brandenburg und Havelberg wurden weiterhin bestellt, um den Anspruch der Kirche auf die einmal erfaßten Diözesangebiete, die einmal errichteten Kathedralsitze aufrechtzuerhalten; aber der Anspruch war nicht mehr als leerer, formaljuristischer Schein. Praktisch war den Bischöfen nicht mehr zugänglich als ein schmaler, unsicherer Randstreifen ihres Sprengels im unmittelbaren Vorfeld der Elbe – für die Brandenburger gerade das Gebiet, in dem umfangreicher Grundbesitz und die Zehntrechte nicht ihnen zustanden, sondern dem Erzbistum Magdeburg als Rechtsnachfolger des Moritzklosters. Die bischöflichen Amtsträger waren mithin weitgehend mittellos; ihr Leben scheinen sie im wesentlichen als Kostgänger ihres Metropoliten oder auch anderer deutscher Kirchenfürsten gefristet zu haben, für die sie etwa als Weihbischöfe tätig waren (mehrfach bezeugt bes. für den umfangreichen Mainzer Sprengel, der ja vom Rhein bis nach Thüringen reichte). An diesen Verhältnissen konnte auch ein 1010 von Heinrich II. erwirkter königlicher Schutzbrief nichts ändern, für den durchaus unklar ist, warum Bischof Wigo sich gerade damals um ihn bemühte: eine Königsurkunde war schließlich eine kostspielige Angelegenheit. Nur von einem der Reihe, Luizo (ca. 1023 bis 1030), ist angenommen worden, er habe „gewagt . . ., auf den Gütern seiner Kirche östlich der Elbe Wohnsitz zu nehmen“12. Einzige Stütze dieser Vermutung ist jedoch die Nachricht, daß Luizo 1030, als die Polen einen verheerenden Vorstoß in das östliche Grenzgebiet des Reiches unternahmen, in ihre Gefangenschaft geriet. Da dieser Vorstoß noch über die Elbe hinaus nach Westen vordrang, kann Luizo ebensogut im Saalegebiet ergriffen worden sein, und die Annahme steht auf schwachen Füßen, wenn sie auch nicht unmöglich ist. Aufschlußreich bleibt, daß die Kaiser sich 12
G. Wentz, Das Hochstift Brandenburg: G. Abb u. G. Wentz, Das Bistum Brandenburg I (1929) 22, im Anschluß an H. Breßlau, Zur Chronologie und Geschichte der ältesten Bischöfe von Brandenburg usw.: Forsch, z. Brandenburg.-Preuß. Geschichte 1 (1888) 66.
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nicht bemühten, dem Bistum durch umfangreichere Güterschenkungen in ungefährdetem Gebiet aufzuhelfen: sie wandten ihre Gunst lieber den altbewährten und gesicherten Gliedern der Reichskirche zu, von denen sie dann auch entsprechende reichsfürstliche Dienste erlangen konnten. Für Brandenburg ist nur eine einzige kaiserliche Schenkung aus diesem langen Zeitraum bekannt: gewisse ausbaufähige Gerechtsame in dem altmärkischen Markt- und Zollort Uhrsleben durch Heinrich III. (1051). Das war nicht eben viel. Das Bistum wurde mithin von Reichs wegen nicht vorsorglich in die Lage versetzt, für vorauszusehenden großen Bedarf eines „Tages X“ vorsorglich reiche Mittel anzusammeln. Erst recht blieben private Schenkungen ganz oder fast ganz aus. Für Havelberg gilt Ähnliches, nur daß die Situation dort im Ganzen noch ungünstiger gewesen sein dürfte. Das erwähnte Lutizenbündnis zerfiel nach erstaunlich langem, wenngleich nicht ungetrübtem Bestand von rund drei Jahrzehnten. Militärische Auseinandersetzungen mit der östlichen Nachbarmacht lebten wieder auf, doch wurden auch sie meist nicht von Reichs wegen geführt, sondern durch sächsische Grenzfürsten. Die Geschichte weiß von z.T. schweren Kämpfen, auch von empfindlichen Niederlagen der deutschen Partner. Zu 1057 vermerken die Quellen, daß die Lutizen wieder unterworfen werden konnten. Um mehr als eine lose, fragwürdige Oberherrschaft dürfte es sich schwerlich gehandelt haben. Immerhin herrschte seitdem im Mittelelbegebiet Ruhe, wiederum sehr anders als in Ostholstein und Mecklenburg. Immer häufiger scheinen nun wendische Fürstensöhne als Geiseln nach Sachsen gelangt und dort auch getauft worden zu sein. Am besten bezeugt ist dies für den späteren Herzog Wartislaw I. von Pommern († ca. 1128/35)13. Der Slawe Meinfried, der 1127 als comes Slavorum auf der Brandenburg saß und damals gewaltsam ums Leben kam, trug einen Namen, der eigentlich nur verständlich ist, wenn der 1080 gegen Heinrich IV. gefallene Burggraf Meinfried von Magdeburg sein Taufpate war. Die damit angedeutete Möglichkeit bleibt vage. Sie bleibt jedoch im Rahmen dessen, was für die Zeit als tatsächlich möglich gesichert ist, und so deutet sie an, wie etwa die ersten Ansätze zu der Änderung ausgesehen haben können,
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Der Fall des Obotritenfürsten Gottschalk († 1066) wird hier bewußt übergangen, da die nordelbische Entwicklung zur fraglichen Zeit von der ostmittelelbischen zu stark differiert; vgl. über ihn jetzt: Beitrag VIII, 190 f. u. 210 f.; W. Lammers, in: Geschichte Schleswig-Holsteins, hg. v. O. Klose, Bd. V (1964) 128 ff.
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die die Verhältnisse des Brandenburger Bistums im 12. Jahrhundert allmählich erfahren sollten. Im Winter 1100/1101 gelang es Udo III., Markgrafen der (ost-)sächsischen Nordmark, die Brandenburg zurückzuerobern: ein Ereignis, das weithin Aufsehen erregte und als gewaltige Ruhmestat gefeiert wurde. Den Anlaß zu diesem bewaffneten Eingreifen kennen wir gleichfalls nicht. Offenbar kommt ihm eine gewisse Epochenbedeutung zu: zwar scheint es bald danach, um 1108, noch einmal zu religiös unterbauten Selbständigkeitsbestrebungen im Brandenburger Raum gekommen zu sein – in Magdeburg entstand damals ein merkwürdiger Kreuzzugsaufruf, der jedoch ohne sichtbare Folgen blieb. Die Störung war jedenfalls nur von kurzer Dauer. Im wesentlichen befand sich das ostelbische Vorfeld Magdeburgs nach allen vorliegenden Anhaltspunkten seit 1101 fest unter Kontrolle der deutschen Markgrafen: sie vermochten sogar, lutizische Hilfstruppen in intern-deutschen Auseinandersetzungen, also westlich der Elbe, einzusetzen. Bezeichnend ist auch die Erwähnung des Wenden Pribron, der 1115 als erzbischöflich-magdeburgischer Burggraf die Loburg befehligte. Er wird als „beinahe heidnisch“ (pene paganus) bezeichnet, d.h. er war getauft und dürfte mit einiger Regelmäßigkeit seine Zehnten geleistet haben, ohne sich sonst allzu sehr um sein Christentum zu kümmern. Gleichwohl erschien er Erzbischof Adalgot verläßlich genug, um ihm hohe Gefangene anzuvertrauen, die er dem Zugriff Kaiser Heinrichs V. entziehen wollte. Wir haben damit ein Zeugnis, das unmittelbar die Situation im Brandenburger Sprengel beleuchtet, denn die Loburg lag ja in dessen westlichen Teilen, im verbliebenen Rumpfbistum. Ungefähr für die gleiche Zeit spiegelt die Überlieferung für uns zum ersten Male den Versuch eines Brandenburger Bischofs, wieder unmittelbar auf dem Boden seiner Diözese Fuß zu fassen. Er knüpft sich an die Person Bischof Hartberts (ca. 1102–1122/25) und an den Ort Leitzkau (etwas westlich von Loburg), wo die Brandenburger Bischöfe Grundbesitz hatten. Eine Urkunde Hartberts selbst, 1114 ausgestellt, berichtet darüber in barbarischem Latein, doch im stolzen Selbstgefühl des erfolgreichen Pioniers. Danach hat dieser Bischof gewagt, gegen den heidnischen Kult in seinem Diözesanbereich vorzugehen, indem er Götzenbilder zerstörte, angeblich in bedeutender Anzahl. Das wird natürlich eine relative Angabe sein. Es geschah mit Unterstützung des Magdeburger Johannisklosters, das damals der vornehmste Stützpunkt der Hirsauer Reformbewegung im östlichen Sachsen war; ein Mönch dieses Klosters, Adalbero – vielleicht personeneins mit einem
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späteren Bischof von Basel – wird von Hartbert unter den Mitarbeitern namentlich hervorgehoben. Von Heidenpredigt verlautet dabei nichts. Hartbert suchte jedoch mindestens, gewisse Voraussetzungen dafür zu schaffen. Auf dem Leitzkauer Bistumsbesitz gründete er zunächst eine Holzkirche, die er kurz danach in ein steinernes Gotteshaus umwandeln konnte, unterstützt von zahlreichen, meist wohl kleineren Adeligen der näheren und weiteren Umgebung; einer davon darf vielleicht mit dem erwähnten Meinfried von Brandenburg gleichgesetzt werden. Die Neugründung wurde zur Mutterkirche des gesamten Gebiets zwischen Ihle und Zerbster Nuthe erhoben, praktisch wohl so ziemlich alles, was bei äußerster Übertreibung der Realitäten der geistlichen Regierungsgewalt Hartberts überhaupt zugänglich war. Allerdings scheint es, daß es damals nicht gelang, den zweiten Bau zu vollenden: von den erhaltenen mittelalterlichen Teilen der heutigen Leitzkauer Dorfkirche, die unzweifelhaft den ältesten Steinbauten ostwärts der Elbe zuzurechnen ist, scheint nur der Ostabschnitt des Chores auf Hartbert zurückzugehen, der Rest erst um 1140 einen Notbau aus Holz oder Fachwerk ersetzt zu haben. Wahrscheinlich hatte Hartbert sich mit seinem Bauplan schon rein finanziell übernommen. Aber auch sonst scheint die Wirkung dieser Kirchgründung nicht gerade erheblich gewesen zu sein: es gelang wohl nicht einmal, die neue Pfarrstelle dauernd besetzt zu halten, und noch für einen 20 Jahre späteren Zeitpunkt wird der geistliche Zustand der Bevölkerung in trüben Farben geschildert, als habe er neben einem überaus mangelhaft christianisierten deutschen Bevölkerungsanteil immer noch aus so gut wie unbekehrten Wenden bestanden. Nennenswerte missionarische Erfolge sind also damals von Leitzkau aus offensichtlich nicht erzielt worden. Hat Hartbert solche Erfolge überhaupt bewußt angestrebt? Die Frage mag seltsam klingen, und doch ist sie berechtigt. Der Bischof scheint der kluniazensischen Reformrichtung des Benediktinertums nahegestanden zu haben, wie schon die Zusammenarbeit mit dem Magdeburger Johanniskloster zeigt. Diese Richtung ist bekannt dafür, daß sie einseitig für die Ausgestaltung des Kultisch-Liturgischen aufgeschlossen war, weniger hingegen für seelsorgerische Aufgaben, noch dazu außerhalb des Klosterbezirks, draußen in der „Welt“, wie auch Mission es schließlich war und ist. Offenbar glaubte Hartbert schon viel getan zu haben, wenn er den heidnischen Kult im Lande beseitigte, wenn er stattdessen eine Stätte schuf, an der der Gott allein wohlgefällige liturgische Dienst hinfort nun auch in diesem Teil der Erde ausgeübt werden konnte. Hartbert wäre dann früher Repräsentant einer Anschauung, die sich
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deutlicher etwas später belegen läßt: der Auffassung, „Ausbreitung des Christentums“ sei auch möglich durch einfache Anlage von Kirchen in bisher heidnischem Lande und durch Verpflanzung von Neusiedlern aus altchristlichen Gebieten dorthin, ohne gleichzeitige Gewinnung neuer Seelen für diesen Glauben, unter Umständen sogar unter Austreibung bekehrungsunwilliger Heiden aus den bisherigen Sitzen zugunsten solcher neuen Bewohner. Ich habe diese Form gelegentlich die „kolonisatorische Ausbreitung des Christentums“ genannt, um sie von der „missionarischen“ zu unterscheiden14. Sie sehen: Hartberts Episkopat bedeutet entgegen verbreiteter Meinung nicht den eigentlichen Beginn der Wiederaufrichtung des Bistums Brandenburg. Er ist Vorspiel, nicht Auftakt. Der eigentliche Neubeginn verknüpft sich mit dem Namen des neuen Reformordens der Prämonstratenser, den Norbert von Gennep (oder: von Xanten) im Jahre 1120 ins Leben gerufen hatte, und er verknüpft sich mit dem Namen einer konkreten anderen Person: mit Hartberts zweitem Nachfolger Wigger (1138–1161), der allem Anschein nach dem bedeutenden thüringisch-ostsächsischen Geschlecht der Grafen von GermarmarkBilstein zuzuweisen ist. 3. Der Neuaufbau 1138–1165 Die Prämonstratenser sind, was oft unbeachtet bleibt, nicht Mönche, sondern regulierte Chorherren (Regularkanoniker): Weltgeistliche also, die wohl unter einer Regel in klosterähnlicher Gemeinschaft zusammenleben, doch unbeschadet ihrer geistlichen Aufgaben in und an der Welt. Sie sind der erste Orden der christlichen Kirchengeschichte, der das Problem der Laienseelsorge ernsthaft anzupacken versuchte, wenngleich zunächst noch mit unzulänglichen Mitteln. Die Berufung des Gründers zum Erzbischof von Magdeburg (1126) verpflanzte diesen Orden aus dem Westen des Reiches erstmalig nach Ostsachsen. Einer seiner wichtigsten Stützpunkte überhaupt wurde das Magdeburger Marien- oder Liebfrauenstift (seit 1129). Wigger, ein enger Mitarbeiter Norberts schon vor diesem Zeitpunkt, wurde der erste Prämonstratenserpropst dieses Stifts und damit Haupt der
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Beitrag IX, 235 f. – Zum folgenden beachte wieder oben Anm. 1.
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neuen sächsischen Ordensprovinz (Zirkarie), die unter seiner Leitung (bis 1138) binnen weniger Jahre mindestens drei neue Niederlassungen errichten konnte, vom Thüringischen Vessra bis hinauf ins nordniedersächsische Stade. Wigger ist auch der erste Prämonstratenser gewesen, der nachweislich konkrete Pläne entwickelt hat, seinen Orden ostwärts der Elbe zu verankern. 1136 erwirkte er vom Brandenburger Bischof Ludolf ein Privileg, das die Absicht erkennen läßt, auch in dessen Sprengel Prämonstratenserniederlassungen zu errichten. Sie sollten besondere Vorrechte genießen, darunter das Seelsorgerecht, das ja vom jeweils zuständigen Bischof übertragen werden mußte. Es ist bezeichnend, daß Wigger sich dieses Recht verschaffte, bevor noch eine der geplanten Gründungen verwirklicht war: offenbar sehen wir hier wirklich einmal Slawenmission verantwortlich vorausgeplant. Ein oder zwei Jahre später hatte Abt Lambert von Ilsenburg, ein markanter Repräsentant hirsauisch-kluniazensischer Reformgesinnung, die Brandenburger Bischofswürde erhalten sollen. Ehe es dazu kam, wurde er ermordet, und Wigger wurde auf den verwaisten Platz berufen: eine Wendung, deren Folgenschwere sich vielleicht schon nach den vorausgeschickten Andeutungen abschätzen läßt. Man muß sich klarmachen, was dieser Wechsel für den Betroffenen bedeutete: vorher Haupt eines aufstrebenden, ausbaufähigen Ordenszweiges mit weit ausgedehntem Einflußbereich – nunmehr im Rang zwar erhöht, tatsächlich aber auf eine Stellung zurückgeworfen, die ihn wie acht seiner Vorgänger zu völliger Bedeutungslosigkeit verurteilte, zum Statisten und Handlanger anderer Kirchenfürsten, wenn er nicht mehr aus ihr zu machen verstand. Wigger hat diesen Wechsel auf sich genommen. Erstes Ziel mußte sein, für die bevorstehenden Aufgaben wenigstens etwas mehr wirtschaftliche Bewegungsfreiheit zu gewinnen, ein Problem, an dem Wiggers Vorgänger, nicht zuletzt Hartbert, offenbar durchweg gescheitert waren. Wigger nahm es in Angriff, indem er ein heißes Eisen anpackte. Wie erinnerlich, war das Bistum Brandenburg bei der Gründung im Westteil zehntrechtlich benachteiligt worden: Otto d. Gr. hatte die wichtigsten Zehntrechte dort schon vorher an das Magdeburger Moritzkloster vergeben, von dem sie 968 an das neugeschaffene Erzbistum übergangen waren. Diese Regelung war auf Grund eigenkirchenrechtlicher Prinzipien erfolgt, wie sie das frühere Mittelalter
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beherrschten. Nach ihnen unterlagen bekanntlich Kirchen – auch Klöster und Bischofskirchen – der uneingeschränkten wirtschaftlichen und sonstigen Verfügungsfreiheit ihres Gründers, sofern er sie aus eigenen Mitteln auf Eigengut errichtet und ausgestattet hatte. Mit kanonischen Rechtsgrundsätzen jedoch war eine solche Regelung, die wesentlich, wenngleich kaum allein, als Nachwirkung germanischrechtlicher Vorstellungen anzusehen ist, unvereinbar. Nach diesen Grundsätzen stand dem Bischof kraft seines Amtes das uneingeschränkte Zehntrecht im Gesamtbereich seiner Diözese zu. Seit dem Investiturstreit war das kanonische Recht zunehmend im Vordringen gegen die skizzierte ältere Auffassung. Gerade die neuen Reformorden dieser Zeit haben sich entschlossen auf seine Seite gestellt. Die Prämonstratenser waren ein solcher Reformorden. Wigger war Prämonstratenser, und für einen Bischof von Brandenburg seiner Zeit war die Zehntregelung des Gründungsprivilegs besonders unerträglich, da sie sich ausgerechnet auf den einzigen Bereich der Rumpfdiözese erstreckte, der dem Oberhirten einigermaßen zugänglich war. Wigger begann daher seine Amtstätigkeit als Bischof mit der Einleitung eines förmlichen Rechtsstreits gegen seinen Metropoliten, Erzbischof Konrad, der ihm gerade erst die Weihe erteilt hatte. Wigger versäumte nicht, wohl noch vor Ablauf des ersten Amtsjahres eigens nach Rom zu reisen, zum II. Laterankonzil (Frühjahr 1139), um dort seine Angelegenheiten persönlich voranzutreiben – er ist damit einer der wenigen deutschen Geistlichen, die als Teilnehmer dieses Konzils namentlich bezeugt sind. Das Vorgehen ist bezeichnend: handelt es sich doch um die Zeit, in der die römische Kurie, nicht ohne eigenes Zutun, mehr und mehr als die Entscheidungsinstanz betrachtet wurde, die für kirchliche Rechtsstreitigkeiten aller Art maßgeblich war. Wie zu erwarten, kam es zu einem prinzipiellen Sieg des Brandenburgers. Zwar mußte er kraft päpstlicher Entscheidung die strittigen Zehntrechte dem bisherigen Inhaber weiterhin belassen, doch mit Einschränkungen und gegen beträchtliche Gegenleistungen, durch die Konrad ihm diesen alten Besitz seines Erzstifts gleichsam noch nachträglich abkaufen mußte. Zu verzichten hatte der Erzbischof auf das Drittel des Zehntaufkommens, das nach altem Brandenburger Diözesanrecht dem jeweiligen Pfarrpriester zustand: bezeichnend für die Art, wie Wigger sich auch sonst stets für die materielle Sicherung der Seelsorgeorganisation seines Sprengels einsetzte. Darüber hinaus erhielt der Brandenburger Anspruch auf eine Landabtretung von 100
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Hufen aus dem erzstiftischen Grundbesitz in seinem Diözesanbereich, etwa 3000 Morgen = 7,5 qkm; dabei war ausdrücklich festgelegt, daß es sich um wertvollen, ertragreichen Grundbesitz zu handeln habe, der über die gewöhnlichen Abgaben hinaus einen Sonderzins von jährlich zwei Schillingen je Hufe abzuwerfen in der Lage sei. Nach einem etwas jüngeren Beleg dieser Gegend wäre das der Gegenwert von insgesamt 100 Schweinen je Jahr gewesen, also einer stattlichen und wertvollen Herde. Schließlich wurde dem Erzbischof eine einmalige Zahlung von 100 Pfund Magdeburgischer Währung auferlegt. Das war nochmals eine sehr bedeutende Summe: sie entsprach dem Kaufpreis für 130 bis 160 Hufen, mehr also, als der Erzbischof unmittelbar abzutreten hatte. Vielleicht wurden diese Auflagen nur mit Einschränkungen durchgeführt. Immerhin dürfte Wigger danach im Besitz von Liegenschaften, vor allem aber von flüssigen Geldmitteln gewesen sein wie kein Brandenburger Bischof seit 983. Er hat diese Mittel sofort, unter äußerster Anspannung seiner Möglichkeiten, eingesetzt, um nun, noch im Sommer 1139, mit der Verwirklichung seiner alten Pläne den Anfang zu machen und endlich ein erstes Prämonstratenserstift in dieser Diözese ins Leben zu rufen, in der sich bisher noch keine einzige geistliche Kongregation angesiedelt hatte. Der neue Konvent, aus Wiggers bisheriger Magdeburger Stiftsgemeinschaft berufen, erhielt die von Hartbert begonnene Leitzkauer Steinkirche zugewiesen, die nunmehr wenigstens provisorisch vollendet wurde. Dazu kamen sämtliche Liegenschaften, über die Wigger unmittelbar verfügen konnte, so daß er nichts als bischöfliches Tafelgut zurückbehielt. Auch so noch war die Ausstattung nicht überreich, aber es war doch ein Anfang gemacht; das Stift war bei bescheidenen Ansprüchen, wie sie einem Reformkonvent wohl zugemutet werden konnten, lebensfähig. Dabei handelte es sich jedoch nicht um eine gewöhnliche Stiftsgründung, wie sie damals jederzeit und überall vorkommen konnte. Die neue Kanonie wurde gleich bei der Gründung mit ganz besonderen Privilegien ausgestattet. Zunächst erhielten die Prämonstratenser von Leitzkau die Befugnis, künftig im Bistum Brandenburg die Bischofswahlen vorzunehmen: nach Möglichkeit aus dem Kreise des eigenen Konvents, auf jeden Fall aus den Reihen ihres Ordens, der damit für die Brandenburger Diözese eine bis dahin unerhörte Vorrangstellung verbrieft bekam. Allerdings erging dieses Privileg mit einer wichtigen Einschränkung: „jedesmal, wenn es zweckdienlich ist“ (cum oportunum fuerit).
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Zum Verständnis hilft die allgemeine Situation dieses Rumpfbistums, das nicht nur in Umfang und tatsächlicher Geltung, sondern naturgemäß auch in seiner Verfassungsentwicklung noch weit hinter einem „normalen“ Bistum der Zeit zurückstand. Ein solches hatte längst am Kathedralort über ein Domkapitel zu verfügen, eine Körperschaft von Chorherren, die gemeinsam und im Wechsel den kirchlichen Dienst an der Domkirche zu versehen hatten, dazu bestimmte Rechte in der Mitregierung des Bistums besaßen; vor allem oblag ihnen die Geschäftsführung im Fall einer Sedisvakanz und die Wahl des bischöflichen Nachfolgers. Das Rumpfbistum Brandenburg hatte bisher nicht über eine solche Körperschaft verfügt; es hatte jedoch einstweilen auch keine Aussicht, daß die äußeren Voraussetzungen zur Errichtung einer solchen sich herstellen würden. Zu den wesentlichen Merkmalen eines ordentlichen Domkapitels gehört, wie gesagt, sein Sitz am Kathedralort. Der offizielle Kathedralort des von Wigger geleiteten Bistums, im Bischofstitel über das Jahr 983 hinaus unverrückt festgehalten, war noch auf Ungewisse Zeit unzugänglich: zwar gab es dort seit längerer Zeit christliche Fürsten, sie hatten jedoch offenbar auf die altgläubige Partei im Lande, die durchaus noch überwog, gar zu erhebliche Rücksichten zu nehmen. Gerade in unmittelbarer Nähe der Brandenburg, auf dem heutigen Marienberg, dort, wo kürzlich der neue Wasserspeicher errichtet wurde, befand sich ein zentrales heidnisches Heiligtum, dem Gott Triglaw geweiht, für das ein einflußreiches Priesterkollegium vorauszusetzen ist. In derselben Gegend einen christlichen Bischofssitz herzustellen, war aus inneren Gründen unmöglich, unmöglich für beide Seiten: man mußte froh sein, wenn der christliche Gottesdienst des Fürsten und seiner Umgebung von der heidnischen Mehrheit toleriert wurde. Wenn endlich eine geordnete Diözesanverwaltung hergestellt werden sollte, ging es jedoch nicht an, den Zeitpunkt abzuwarten, an dem dieser offizielle Kathedralsitz auch faktisch zurückgewonnen wurde: es mußte wenigstens ein provisorisches Domkapitel geschaffen werden. Die Verleihung des Wahlprivilegs an das neue Leitzkauer Stift war gleichbedeutend mit diesem Akt. Damit erhielt das verkümmerte Bistum, dessen Oberhirten bisher im allgemeinen außerhalb ihrer Diözese residiert hatten, zum ersten Male wieder einen festen Sitz innerhalb der Diözesangrenzen, auch wenn das gleichfalls nur ein Provisorium war; die bisherige Dorfkirche, nunmehrige Stiftskirche zu Leitzkau war bei aller Bescheidenheit zur vorläufigen Kathedrale geworden; zum äußeren Ausdruck dessen vertauschte sie ihr bisheriges Marienpatrozinium mit
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dem St. Peters, des speziellen Brandenburger Bistumspatrons. Wigger bekundete auf diese Weise sehr bald nach seiner Inthronisation nicht durch Reden, sondern durch die Tat, daß er nicht gesonnen war, sich wie seine Vorgänger mit der Rolle eines Bischofs in partes paganorum zufriedenzugeben, der lediglich pro forma die Ansprüche der römischen Kirche auf verlorenes Gebiet aufrechtzuerhalten hatte, ohne eine nennenswerte praktische Funktion eigenen Wertes auszuüben. Die Tatsachen, die das Bistum auf einen kleinen Randstreifen im Westen des alten Sprengels zusammendrängten, waren nicht aus der Welt zu schaffen; auch Wigger konnte sich nicht über sie hinwegsetzen. Was ihn von mindestens den meisten Vorgängern unterscheidet, ist das Aufgeben der abwartenden Haltung, ob nicht von außen her irgend etwas geschehen werde, was dem verkümmerten Bistum neue Entfaltungsmöglichkeiten zu schaffen vermöchte. Wigger richtete sich mit seinen Prämonstratensern auf dem Boden der Tatsachen ein, um unter äußerster Anspannung der eigenen Kräfte zu leisten, was trotz allem geleistet werden konnte, unbeirrt durch die widrigen äußeren Umstände; um auf diese Weise selbst so viel wie möglich von den Voraussetzungen schaffen zu helfen, auf denen später vielleicht einmal in größerem Rahmen würde weitergebaut werden können. Aus dem kleinen Leitzkauer Kirchlein, der ersten kümmerlichen Stiftskirche, spricht diese Gesinnung noch heute in denkbar unmittelbarer Weise – es ist schade, daß die Zeit nicht gestattet, darauf einzugehen. Auch die übrigen Verfügungen, die Wigger in der Gründungsurkunde des neuen Stifts niederlegte, bestätigen diesen Eindruck. Zunächst gab er die Errichtung eines Leitzkauer Archidiakonatsbezirkes bekannt, dessen Leitung dem Stiftspropst übertragen wurde. Weiterhin ernannte er diesen Vorsteher der neuen Kanonie zum Stellvertreter des Bischofs für die Gesamtdiözese, also auch über seinen eigenen Archidiakonatssprengel hinaus. Schließlich übertrug er ihm noch das Erzpriesteramt, den Archipresbyterat, für das gesamte Bistum. Jeder dieser Schritte bedeutet erst recht den Anfang des Aufbaues einer geordneten kirchlichen Verwaltung in der Diözese Brandenburg. Besonders augenfällig gilt das für die Errichtung des Leitzkauer Archidiakonatsbezirks. Für „normale“ Bistümer war die Aufgliederung in derartige Untersprengel längst üblich geworden. Wiggers Amtsbereich sollte ihnen hinfort auch in dieser Hinsicht nicht nachstehen. Auch das aber ist mehr als die Regelung einer bloßen Formalie zugunsten äußerer Optik. Praktisch dürfte es sich wieder um die Gebiete gehandelt haben, in denen die bischöfliche Gewalt sich zu diesem Zeitpunkt
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überhaupt einigermaßen durchsetzen ließ, nur daß dieser Umkreis sich seit Hartberts Zeiten im Gefolge der politisch-militärischen Ereignisse etwas vergrößert haben mochte. Dann lief aber diese Regelung darauf hinaus, daß die Geschäfte in diesem Bereich ungestört weiterlaufen konnten, auch wenn der Oberhirte selbst durch andere Verpflichtungen ferngehalten wurde: das Archidiakonat schloß damals ja wesentliche bischöfliche Regierungsrechte ein, vor allem das Visitations- und Sendrecht sowie die Besetzung der Pfarrstellen. Daß Wiggers Zielsetzung tatsächlich in der angedeuteten Richtung ging, wird durch die gleichzeitige Regelung des Stellvertretungsrechtes unterstrichen. Sie stattete für den Fall der Verhinderung des Bischofs den Stiftspropst von Leitzkau auch mit denjenigen bischöflichen Regierungsrechten aus, die nicht bereits im Archidiakonat eingeschlossen waren, und sie tat dies auch für diejenigen Gebiete, die sein unmittelbarer Archidiakonatssprengel nicht mit erfaßte. Das mochte, was diese Gebiete anging, zunächst wenig mehr sein als ein Wechsel auf unbestimmte Zukunft; gleichwohl: die zuständige Kraft war benannt; sie stand zum Eingreifen bereit, sobald sie nur irgend gebraucht werden sollte; das Bistum Brandenburg als solches war funktionsfähig ohne Rücksicht darauf, ob der Bischof selbst im entscheidenden Augenblick zufällig erreichbar war oder nicht. Wenn sich damit aber für den Propst auch der Archipresbyterat für den gesamten Diözesanbereich verband, so bedeutet das: Wigger wollte nicht nur einen kirchlichen Verwaltungsapparat herstellen; es kam ihm als echtem Prämonstratenser vielmehr darauf an, das organisatorische Gehäuse auch mit wirklich christlichem Leben zu erfüllen, soweit das bei der hartnäckigen inneren Abwehr der Wenden und bei der Knappheit vorhandener Mittel nur möglich war: das Erzpriesteramt schloß ja gerade die Errichtung und Betreuung von Taufkirchen ein, damit aber auch die missionarische Durchdringung des Bistumsgebietes. In gleiche Richtung weist schließlich die Beobachtung, daß zu Lebzeiten Wiggers in Leitzkau eine Schule bestand – sie stand unter Leitung eben des Wilmar, der als Nachfolger Wiggers den unmittelbaren Anlaß zu dem heutigen Jubiläum gegeben hat. Offenbar ist in dieser Leitzkauer Stiftsschule der Wiggerzeit eine provisorische Kathedralschule zu erblicken: eine Bildungsstätte, wie sie gleichfalls in keiner vollwertigen Diözese mehr fehlen durfte, unentbehrlich zur Ausbildung des Priesternachwuchses für die weitere und intensivere Betreuung des Rumpfsprengels, unentbehrlich aber auch, um Missionare heranzuziehen für künftige Aufgaben im entfremdeten Hauptteil des alten Bistumsgebietes. Für alle diese neugeschaffenen Diözesanämter
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aber bedeutete ihre feste Verbindung mit einem Stift, das nicht überreich, doch einigermaßen auskömmlich dotiert war, eine materielle Sicherstellung, wie sie damals in Wiggers Amtsbereich auf keinem Wege sonst zu erreichen war. Wie gesagt: der Bischof hatte ja alles unmittelbar zu seiner Verfügung stehende Gut in die Leitzkauer Gründung investiert; einzig gewisse Zehntrechte hatte er zurückbehalten, deren praktische Bedeutung jedoch kaum hoch zu veranschlagen ist. Der Leitzkauer Neuanfang muß also großzügig, er muß aber auch mutig genannt werden, denn er erfolgte in einer Zeit, wenig angetan, ein stilles Wachstum gedeihlich zu fördern: mitten in den großen sächsischen Wirren nach Kaiser Lothars Tode, mithin wohl weitgehend ohne nennenswerten Rückhalt an größeren weltlichen Herren, und dann exponiert im sächsisch-slawischen Übergangsgebiet. Wie leicht diese Kontaktzone in solchen Zeiten unruhig werden konnte, zeigt in eben diesen Jahren das Beispiel Nordelbiens. Es wirft nochmals Licht auf die entschlossene Persönlichkeit Wiggers, daß er sich durch die Ungunst der allgemeinen Lage ebensowenig abschrecken ließ, das Mögliche in Angriff zu nehmen, wie durch die beengten Sonderverhältnisse seines Bistums. Allerdings wird ihm diese Haltung durch einen Umstand erleichtert worden sein: die Verhältnisse am nominellen Kathedralsitz, in Brandenburg selbst. Hier saß seit etwa einem Jahrzehnt als Nachfolger Meinfrieds ein unbedingt verläßlicher Mann, Pribislaw, mit christlich-deutschem Namen Heinrich genannt; ein treu ergebener Christ, dazu nach allen vorliegenden Anzeichen eine Persönlichkeit von bedeutendem Format, wie es scheint, von Kaiser Lothar der hohen und ungewöhnlichen Auszeichnung einer Königskrone für würdig befunden; nicht zuletzt eng befreundet mit Markgraf Albrecht dem Bären, in dem ein besonderer Förderer Wiggers zu erblicken ist. Daß in den genannten Krisenjahren das ostmittelelbische Gebiet dermaßen ruhig blieb, ist zweifellos in nicht geringem Maße dieser Persönlichkeit zu danken, und das Bewußtsein solcher Rückendeckung mag Wigger seine Entschlüsse erleichtert haben. Ein Wagnis blieb sein Unterfangen immerhin. War es gar so sicher, daß Pribislaw nicht doch einmal durch die Heidenpartei seines Landes gestürzt wurde? Und Gefahr drohte damals gewiß auch vom Fehdengetriebe des Westens. Die folgenden Jahre werden einer stillen, doch zähen Aufbauarbeit im Kleinen gewidmet worden sein; Einzelheiten sind nicht bekannt. Dann setzte im Frühjahr 1147 die Kreuzzugspredigt Bernhards von Clairvaux ein, die auch für die Wendenländer so einschneidende Folgen haben
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sollte. Für Wiggers Wirksamkeit in diesem Jahre eröffnen sich interessante Perspektiven; sie sind jedoch zu hypothetisch, um hier näher erörtert zu werden. Anscheinend wurde er zu einem Gegenspieler der bernhardinischen Kreuzzugsidee, die ja in die sächsische Gedankenwelt der Zeit als offenbarer Fremdkörper eindrang. Wigger hat nämlich offenbar im Zusammenwirken mit König Pribislaw-Heinrich und mit Markgraf Albrecht zu verhindern gewußt, daß der geplante Wendenkreuzzug mit seinen Verheerungen auch sein Bistumsgebiet berührte, was die Aufnahmebereitschaft der Havelwenden für ein friedliches Missionswerk ja nur negativ hätte beeinflussen können. Als Gegenleistung für diese Schonung scheint damals von der Heidenpartei in Pribislaws Reich die Zustimmung zu einer Stiftsgründung im unmittelbaren Vorfeld der Brandenburg eingehandelt worden zu sein, der zweiten Prämonstratenserkanonie und der zweiten geistlichen Kongregation überhaupt im Brandenburger Sprengel, die allem Anschein nach auf eben 1147 zu datieren ist. Es handelt sich um den Vorläufer des späteren Brandenburger Domkapitels, eine Tochtergründung von Leitzkau, deren Stiftskirche in der heutigen Pfarrkirche St. Gotthardt nachlebt; die Grundgeschosse des romanischen Westbaues, das älteste Architekturdenkmal des Havellandes, gehen noch in die Wiggerzeit zurück – die fast untauglich kleinen Findlingssteine, aus denen die unteren Schichten noch deutlich sichtbar aufgemauert sind, deuten an, wie sehr man damals zunächst improvisieren mußte. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich auszumalen, mit welchen Augen die Triglawpriesterschaft auf dem heutigen Marienberge von dem Holztempel aus, der ihr wahrscheinlich nur zur Verfügung stand, das Wachsen dieses steinernen Bauwerks, gut 10 oder 15 Minuten zu Fuß von ihrem eigenen Heiligtum entfernt, verfolgt haben mag. Ob schon eine deutsche Kaufmannssiedlung im heutigen Altstadtbereich bestand, an die das neue Stift sich anlehnen konnte, ist überaus ungewiß: wahrscheinlich saßen die Prämonstratenser von Pardwin, wie der alte Ortsname lautet15, einfach mitten in Feindesland, nur auf den Schutz des Fürsten angewiesen, und dessen Burg auf der heutigen Dominsel war von ihnen durch einen Havelarm getrennt, wenn auch Homeienbrücke und Grillendamm schon hölzerne Vorläufer gehabt haben werden. Entsprechend beschnitten war die
15 Die Form Parduin, die ein Straßenname der Brandenburger Altstadt festhält, dreisilbig ausgesprochen, ist nicht ganz korrekt. Betont wird die Schlußsilbe.
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Bewegungsfreiheit der Kanoniker. Ein Prämonstratenserkonvent ohne zugehörigen Seelsorgebezirk war undenkbar, aber Wigger beschränkte ihn ausdrücklich auf das eine Dorf Pardwin, um Zusammenstöße so weit wie möglich auszuschließen. Auch die materielle Ausstattung des neuen Stiftes scheint dürftig gewesen zu sein: offenbar durfte auch Pribislaw, der für diese Seite der Neugründung zuständig war, seinen Wenden nicht allzu viel zumuten. 1150 starb der König, kinderlos. Seine Witwe Petrissa, eine mindestens so überzeugte Anhängerin des Christentums, hielt den Tod geheim, bis Albrecht der Bär mit bewaffneter Macht in Brandenburg einziehen und die Erbschaft an Pribislaws Reich antreten konnte, die ihm in die Hände zu spielen der Fürst schon zu Lebzeiten vertraglich zugesichert hatte – anscheinend bestand Gefahr, daß andernfalls wieder ein Heide zur Herrschaft über die Havelländer aufsteigen würde. Albrecht ließ mit großem Gepränge das Leichenbegängnis für Pribislaw zurichten, nicht zuletzt eine wichtige Symbolhandlung, um die Legitimität der Nachfolge zu demonstrieren. Anschließend traf er die ersten Maßnahmen zur Neuordnung der brandenburgischen Verhältnisse. Die Quellen sind wiederum karger, als man wünscht. Verstehen wir die Andeutungen richtig, so hat der Markgraf damals die altgläubige Partei vor die Wahl gestellt, entweder die Taufe zu nehmen oder wenigstens Brandenburg selbst zu räumen, damit der offizielle Kathedralsitz als gleichsam heiliger Ort nicht durch „heidnischen Unflat besudelt“ wurde, um eine damals häufige Wendung aufzugreifen. Im gleichen Zusammenhang muß das Triglawheiligtum auf dem „Harlungerberge“ zerstört worden sein; wie es scheint, durch Feuer. An der Stelle erhob sich bald eine kleine Kapelle, die später zu einer der berühmtesten märkischen Wallfahrtskirchen ausgebaut wurde. Von einer wie immer gearteten unmittelbaren Reaktion der Wenden verlautet merkwürdigerweise nichts. Albrechts starker Arm war bekannt und gefürchtet; zusätzlich lähmend wirken mochten die Schrecken, die der bernhardinische Wendenkreuzzug erst drei Jahre vorher in den nördlichen Nachbarlandschaften verbreitet hatte, ohne daß die Götter ihrem Volke zu Hilfe geeilt waren. Lediglich ein Verwandter Pribislaws, der bekannte Jaxa von Köpenick, der in irgendeiner Weise von Polen abhängig, wohl sogar vorgeschoben war, meldete Erbansprüche an und vermochte sich zeitweise in den Besitz Brandenburgs zu setzen. Das war jedoch eine rein machtpolitische, keine religionspolitische Frage, auch wenn Jaxa sich naturgemäß auf politische und religiöse Gegner der Deutschen
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im Lande selbst gestützt haben wird; nichts spricht dagegen, daß der Widersacher Albrechts gleichfalls schon Christ war – die sog. Schildhornsage ist nichts als eine moderne Erfindung. Das Chorherrnstift von St. Gotthardt muß ohne wesentliche Behinderung fortbestanden haben: sie wäre in den Quellen zweifellos vermerkt worden. Der Entwicklung des Bistums freilich können diese Wirren nicht günstig gewesen sein. Vor allem verhinderten sie eins, was für diese Entwicklung lebenswichtig war: die Rückgabe der alten Bistumsbesitzungen, jener zweieinhalb Burgwarde mit allen Liegenschaften und Gerechtsamen, die Otto d. Gr. seinerzeit als Erstausstattung angewiesen hatte. Nach wie vor blieb der Bischof von Brandenburg von seinen Haupteinnahmequellen abgeschnitten, ganz abgesehen von der militärischen Besetzung des offiziellen Kathedralsitzes durch einen politischen Feind. 1157 gelang zwar die Rückeroberung Brandenburgs. Volle Sicherheit jedoch kehrte im Havelland noch auf Jahrzehnte nicht ein. So war es nicht nur Eigennutz, wenn die Markgrafen die bischöflichen Güter noch zurückhielten: die allgemeine Lage erforderte eine Konzentration aller verfügbaren Mittel in der Hand des weltlichen Arms, und konnte man Burgorte einer macht- wie mittellosen geistlichen Instanz überantworten, die gar nicht in der Lage war, sie ernstlich militärisch zu sichern? So blieben dem Bischof von Brandenburg weiterhin die Hände gebunden, und Wigger mußte sich 1161 dem Tode ergeben, ohne die Frucht seiner konzentrierten Bemühungen, die faktische Rückführung des Bistums an den alten Sitz, erlebt zu haben. Nur seiner Leitzkauer Kanonie hatte er mit Albrechts Hilfe noch eine neue, würdigere Heimstatt bereiten können. Es handelt sich um das Marienkloster „auf dem Berge“ bei Leitzkau, an der Stelle der späteren v. Münchhausenschen Schlösser, dessen Kirche (geweiht 1155) nach traurigen Zerstörungen verschiedener Jahrhunderte sich gerade in großzügiger Renovierung befindet. Der den Knoten zu durchhauen versuchte, und zwar mit Erfolg, war Wiggers Nachfolger Wilmar, einst Schulmeister, zuletzt Stiftspropst von Leitzkau, also bereits Bischofsstellvertreter, und zweifellos noch von Wigger selbst in die Problematik gerade dieses Bischofsamtes eingewiesen: offenbar gleichfalls vielseitig befähigt, nur daß man, anders als bei Wigger, hinter seinen Worten und Handlungen eine gewisse Selbstgefälligkeit herauszuspüren glaubt – den Wunsch, Großes durchzusetzen nicht allein um der Sache willen, sondern auch, um dabei, wenn eben möglich, den bedeutenden Vorgänger zu übertrumpfen. Daß die
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Nachbardiözese Havelberg, zunächst weit hinter Wiggers Initiativen zurückgeblieben, mittlerweile im Wiederaufbau das Brandenburger Bistum hatte überflügeln können, mag ein zusätzlicher Stachel für Wilmars Ehrgeiz gewesen sein. Seine Amtszeit beginnt mit einer merkwürdigen Geschäftigkeit. Am 4. Januar 1161 war nach bester Überlieferung Wigger gestorben. Ungefähr drei Monate später erschien Wilmar in Mageburg auf einer Synode, auf der er offenbar gar nicht ohne weiteres etwas zu suchen hatte: zwar war sie von seinem Metropoliten, Erzbischof Wichmann, geleitet, doch alle Anzeichen sprechen dafür, daß es keine Provinzialsynode war, sondern nur eine solche der unmittelbaren Magdeburger Diözese. Dort gab Wilmar die von ihm vollzogene Errichtung eines ordentlichen Domkapitels auf der Brandenburg selbst bekannt, deren Nordhälfte seit ottonischer Zeit de jure seinem Bistum gehörte, und verfügte über Bistumsbesitz im Havelland zugunsten der neuen Stiftung. Er tat dies offenbar, noch bevor er vom Kaiser, der gerade in Italien weilte, die Regalien hatte in Empfang nehmen können, so daß er, streng genommen, Verfügungen dieser Art noch gar nicht rechtskräftig tätigen konnte – oder war er womöglich inzwischen schon beim fernen Reichsoberhaupt gewesen? Wilmar hat den erwähnten Magdeburger Akt alsbald feierlich beurkundet. Dabei wird erkennbar, daß die Männer, in deren Hand die Brandenburg selbst und die fraglichen Güter sich faktisch noch befunden haben dürften, Markgraf Albrecht und seine Söhne, nicht gerade übergangen worden waren. Sie müssen eine Art von Zustimmung gegeben haben, aber doch mehr so, wie man gute Miene zu unwillkommenem Spiele macht: vielleicht blieb ihnen vor diesem Forum einfach nichts anderes übrig, denn rein formal juristisch waren sie in der schwächeren Position, und wer hätte sich offen mit der Kirche anlegen wollen? Erzbischof Wichmann jedenfalls stellte sich unverzüglich hinter Wilmar, indem er eine wahrscheinlich von diesem selbst vorbereitete Bestätigungsurkunde erließ: als Landesfürst ohnedies territorialpolitischer Rivale der askanischen Markgrafen, wird er die Gelegenheit nicht ungern ergriffen haben, ihnen Schwierigkeiten zu machen. Kurz darauf sehen wir Wilmar auf dem Weg nach Italien, nach Lodi, um dem Kaiser seine Aufwartung zu machen, ähnlich wie Wigger zu Beginn seines Pontifikates in eigener Sache nach Rom reiste. Schon am 20. Juni erwirkte der Bischof dort eine Kaiserurkunde, die erste, die sein Bistum seit über einem Jahrhundert erhielt. Sie brachte eine Zusammenfassung aller noch gültigen Privilegien, die den Bischöfen von
die entwicklung des bistums brandenburg bis 1165
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Brandenburg jemals erteilt worden waren, insbesondere die feierliche Bestätigung des gesamten Bistumsbesitzes. Keiner der Vorgänger Wilmars seit 983, auch Wigger nicht, hatte auf eine solche Besitzbestätigung Wert gelegt. Bedurfte Wilmar des kaiserlichen Nachdrucks, um die in Magdeburg ausgesprochenen Güterzuweisungen überhaupt realisieren zu können? Die neue Urkunde schloß auch eine ausdrückliche Bestätigung aller Schenkungen an das neue Domkapitel ein. Über den weiteren Gang der Ereignisse sind wir äußerst schlecht unterrichtet. Jedenfalls muß Wilmar, nachdem er sich eine derart starke Position geschaffen hatte, doch auch seine Grenzen gekannt haben. Es scheint, daß er nicht stur auf sein Recht pochte, sondern in kluger Nachgiebigkeit den Markgrafen in einer wesentlichen Frage entgegenkam: anscheinend überließ er ihnen Zehntrechte, über die er nach kanonischen Rechtsgrundsätzen überhaupt nicht zugunsten von Laien hätte verfügen dürfen, d.h. aber: eine wichtige Quelle laufender Einnahmen, und erreichte damit neben der Restituierung mindestens bedeutender Teile des einstmals verbrieften Bistumsbesitzes sogar eine zusätzliche markgräfliche Landschenkung zugunsten des Domkapitels. Auf diese Weise wurde zwischen den beiden rivalisierenden Gewalten im Havellande für den Augenblick ein Modus vivendi erreicht, freilich auch der Grund zu neuen Zwistigkeiten gelegt, die knapp zwei Menschenalter später die Geister noch einmal erregen und nochmals Wellen bis nach Rom schlagen sollten. Wie aber vollzog sich nun die tatsächliche Gründung des neuen Domkapitels? Die Quellen zeigen, daß Wilmars Verlautbarung von 1161 reiner Bluff gewesen war: nur der Form nach eine Beurkundung vollzogener Tatsachen, in Wahrheit jedoch wenig mehr als die Verkündung eines Programmes, ein formulierter Anspruch. Ein neues Domkapitel neben dem Leitzkauer und dem Pardwiner Stift wäre der dritte Prämonstratenserkonvent im Brandenburger Bistum gewesen, aber offensichtlich haben 1161 zu seiner Errichtung nicht einmal die personalen Voraussetzungen bestanden: es fehlte einfach an Kräften, so viele Gründungen in so kurzem Abstand auf diesem engen Raum durchzuführen. So war es im Herbst 1165, als nach vierjährigem Abstand die Zeit endlich reif geworden war, kein neuer Konvent, der über die Vorläuferin der heutigen Homeienbrücke in feierlicher Prozession seinen Einzug auf der Brandenburg hielt, sondern es war – vielleicht etwas aufgefüllt – der alte Konvent von St. Gotthardt, der den bisherigen Sitz aufgab und den offiziellen Kathedralsitz bezog, um dort
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in die Rechte und Pflichten des ordentlichen Domkapitels einzutreten. Die Zahl der Prämonstratenserstifter in dieser Diözese blieb dieselbe wie zu Wiggers Zeiten. Vollzogen wurde der bedeutungsvolle Umzug am 8. September, am Geburtsfest der speziellen Ordenspatronin Maria; knapp fünf Wochen später, ausgefüllt jedenfalls mit der Einrichtung des Konvents auf der Burg und mit der Bereitstellung von Baumaterial am künftigen Dombauplatz, folgte das Ereignis, zu dessen Gedächtnis wir heute versammelt sind – wie gesagt: gleichfalls an einem besonderen Festtag des Prämonstratenserordens. Noch war nicht alles normalisiert: noch 22 Jahre später sehen wir Bischof Baldram ein letztes Mal urkundlich Vorsorge treffen für den Fall, daß der ordentliche Kathedralsitz etwa wieder in Heidenhand fallen sollte. Dennoch war mit der Grundsteinlegung zum neuen Dom am rechtmäßigen Platz eine wichtige Epoche beendet. Die Exilszeit war überwunden, der Rückschlag von 983 ausgewetzt, der Entwicklungsvorsprung anderer Bistümer aufgeholt, so gut das nur irgend möglich war. Das Bistum Brandenburg schickte sich an, in die Reihe normaler Bistümer einzutreten.
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WIE KAM DAS PRINZIP DER ZEHNTDRITTELUNG IN DIE DIÖZESEN BRANDENBURG UND HAVELBERG? Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von Kirchenreform und Ostmission im Hochmittelalter Die Bischöfe von Brandenburg besaßen seit Errichtung dieses Bistums (948) kraft Zuweisung des Gründers, König Ottos I., das Recht der Zehnterhebung in ihrer gesamten Diözese mit Ausnahme bestimmter Gebiete in deren westlichem Teil, die zur Grundherrschaft der Magdeburger Kirche gehörten. Über die Aufteilung dieser Einkünfte erfahren wir zunächst nichts. Im zweiten Menschenalter des zwölften Jahrhunderts zeigt sich jedoch, daß es dafür bestimmte Rechtsnormen gab: zwei Drittel blieben der unmittelbaren Verfügung des Bischofs vorbehalten – sie wurden vielfach weiterverschenkt (z.B. an das Kloster Leitzkau) oder an weltliche Herren verlehnt –; der Rest stand den Pfarrpriestern zu, und zwar dergestalt, daß das Recht, ihn einzubehalten, vom Bischof ausdrücklich verliehen wurde (offenbar gemeinsam mit dem Seelsorgerecht, der cura animarum, für den betreffenden Bezirk), während andererseits das Pfarrdrittel immer wieder ausdrücklich ausgenommen bleibt, wo der Bischof zugunsten Dritter über Zehntrechte eines Gebietes verfügt; nicht zuletzt fand der Pfarrpriester nachdrückliche Unterstützung beim Bischof, wo sein Anteil ihm von dritter Seite vorenthalten wurde. Diese Regelung entsprach keineswegs allgemeiner Gepflogenheit der mittelalterlichen Kirche1. Älter war zunächst ein römisches 1 Allgemeine Literatur zum Vorstehenden und zum Folgenden: H. E. Feine, Kirchl. Rechtsgesch. I (Weimar 1950), S. 162; K. Bos1, Art. Zehnt bei H. Rößler u. G. Franz, Sachwörterbuch z. dtsch. Gesch. (München 1958), S. 1444; H. F. Schmid, Die rechtl. Grundlagen d. Pfarrorganisation auf westslawischem Boden u. ihre Entwicklung während d. MA (Weimar 1938), passim, sämtlich mit weiterer Lit. (bei Schmid: S. 28 Anm. 1). Die brandenburgischen Zehntverhältnisse ausführlich dargestellt bei F. Curschmann, Die Diözese Brandenburg (Leipzig 1906), S. 328–44; dazu ergänzend H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte (demnächst in der Reihe „Mitteldeutsche Forschungen“, Münster/Köln), 2. Kapitel, III. Abschnitt m. weiterer Lit., aus der hier noch hervorgehoben sei W. Schlesinger, Die deutsche Kirche im Sorbenland u. die Kirchenverf. auf westslaw. Boden (Zeitschr. f.
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Vierteilungssystem, das je ein Viertel für den Bischof, den Klerus, die Armen und den Kirchenbaufonds (sog. Fabrikgut) vorsah. Auf spanischem Boden findet sich stattdessen eine Drittelung, über die man sich eigene Gedanken machen kann, zwischen Bischof, Klerus und Kirchenfabrik, unter Aufhebung des besonderen Armenfonds. Eine Teilung im Verhältnis 2 : 1 entstand unter germanischrechtlichem Einfluß, als neben die von der offiziellen Kirche errichteten Gotteshäuser zunehmend Kirchen privater Grundherren traten, auf ihre persönlichen Kosten auf ihrem eigenen Grund und Boden, also in ihrer eigenen Rechtssphäre errichtet (sog. Eigenkirchenwesen). Dabei knüpfte man an das Vorbild der Gerichtsgefälle an, die zu zwei Dritteln dem Gerichtsherrn, im übrigen dem Richter zukamen, und wies entsprechende Zehntanteile dem Eigenkirchenherrn und seinem Pfarrer zu – eine Parallelisierung, die schon dadurch, daß sie überhaupt möglich war, auch geistesgeschichtlich ungemein viel sagt; man pflegt für dieses System bequemlichkeitshalber gleichfalls von „Zehntdrittelung“ zu sprechen (berechtigt auch insofern, als in den grundherrlichen Anteil gewissermaßen das Fabrikgut einbezogen zu denken ist). Diese Form wurde vor allem in Frankreich und den Niederlanden herrschend, auf deutschem Boden in der Erzdiözese Trier, die ja in allen drei Suffraganbistümern (Metz, Toul und Verdun) tief in das Gebiet romanisierten Westfrankentums hineingriff; außerdem im bairisch-österreichischen Rechtsgebiet mit seinen Ausstrahlungsräumen (Ostfranken, Egerland, Vogtland, Böhmen und Mähren). Daneben begegnen weitere Verfahrensweisen geringerer Verbreitung und Bedeutung, die hier nicht alle aufgeführt werden können; es sei nur noch an das von Heinrich dem Löwen gegründete Bistum Ratzeburg erinnert, das für seine deutschen Kolonistendörfer in einem komplizierten Lehnsnexus unter formaler Aufrechterhaltung der Zehnthoheit des Bischofs praktisch gleichfalls zu einer Zehntdrittelung kam, in diesem Fall zwischen Bischof, Herzog und Lokator. Die Übersicht zeigt einmal die echt mittelalterliche Mannigfaltigkeit und Buntheit eines Bildes, für das man leicht geneigt sein könnte, weitgehende Einheitlichkeit zu vermuten; in dieser Mannigfaltigkeit aber
Ostforsch. 1, 1952). Über die Ratzeburger Verhältnisse ist eine neue Darstellung von W. Prange (im Rahmen umfassenderer Untersuchungen zur mittelalterlichen Siedlungsgeschichte des Landes Lauenburg) zu erwarten; mit ihm konnte dankenswerterweise ein Teil der nachstehend behandelten Probleme brieflich diskutiert werden. – Vgl. auch Anm. 3.
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tritt eine merkwürdige Isolierung der brandenburgischen Regelung zutage, die zu denken gibt. Sie gilt sowohl sachlich als auch räumlich. Dabei wiegt sie in erstgenannter Hinsicht noch nicht allzu schwer: ein Teilungsverhältnis von 2 : 1 hatten wir ja in immerhin beträchtlichen Gebieten vor allem des westlichen Kontinents gefunden, und wenn es dort auch nicht zwischen dem Bischof, sondern zwischen dem Eigenkirchenherrn und dem Pfarrer galt, so ist doch zu beachten, daß der Brandenburger Diözesan seine Zehntrechte, wie gesagt, nicht auf der Grundlage kanonischen Rechtes erhalten hatte, sondern kraft Verfügung des königlichen Gründers seines Bistums; da der König als Grundherr des Markengebietes und als Eigenkirchenherr der reichsunmittelbaren Bischofskirchen galt – ausdrücklich betont seine Stiftungsurkunde von 948, das neue Bistum sei „auf seinem Eigengut“ (in predio nostro) errichtet2 –, ließe sich insofern eine Brücke zum eigenkirchenrechtlich fundierten System des Westens schlagen. Um so auffälliger bleibt der rechtsgeographische Befund. Das Bistum Brandenburg steht mit seiner Form der Zehntdrittelung allein gegenüber allen Sprengeln seiner Nachbarschaft – nicht nur denen der Mainzer Kirchenprovinz, die ja in ihren Suffraganbistümern Halberstadt und Verden auf weiten Strecken die Elbe erreichte (teilweise als unmittelbarer Nachbar Brandenburgs), sondern selbst gegenüber den westelbischen Mittsuffraganen des eigenen übergeordneten Magdeburger Erzsprengels, den Diözesen Magdeburg, Merseburg, Naumburg und Meißen; allein mit einer einzigen Ausnahme: dem nördlichen Nachbarbistum Havelberg, für das eine spärlichere und unklarere Überlieferung gleiche Verhältnisse nahelegt. In diese Feststellung aber ist zugleich eine zweite impliziert, ein erster und entscheidend wichtiger, wenngleich einstweilen nur negativer Hinweis für die Aufhellung der Ursprungsfrage; alle diese Bistümer, Brandenburg und Havelberg eingeschlossen, waren von der gleichen Herrscherpersönlichkeit ins Leben gerufen worden, dem König und Kaiser Otto I.; dem gleichen, dem auch das nördlichere Wendenbistum Oldenburg i. H., Keimzelle des späteren Lübeck, mit seinen wiederum so andersartigen Verhältnissen die Entstehung verdankt. Mit anderen Worten: die Zehntdrittelung kann kein Teilungsschema sein, das von gerade diesem Herrscher aus persönlicher Neigung besonders
2 Vgl. DOI, n. 105 (MG. DD. I, S. 189); auch Novus Codex Diplom. Brandenburgens. (ed. A. F. Riedel), I, 8, S. 91.
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gefördert worden wäre – sie tritt ja auch im ostfälischen Stammraum des ludolfingischen Geschlechts, den die Diözesen Hildesheim und Halberstadt umschliessen, an keiner Stelle hervor als eine jener scheinbar selbstverständlichen Voraussetzungen, in die ein Mensch jener Zeit dort von Jugend auf gewissermassen hineingewachsen wäre. Wir sehen uns mithin von vornherein in andere Richtung verwiesen. Die Aufdeckung dieses merkwürdigen Befundes ist das Verdienst von H. F. Schmid3, dem wir die umfassendste Durchforschung der kirchlichen Rechtsverhältnisse im gesamten mittelalterlichen Westslawengebiet zu danken haben und damit eine Richtigstellung so mancher einseitiger Verzeichnungen, zu denen jede auf engen Raum beschränkte Betrachtung so leicht gelangt. Er war auch der erste, sich um eine Erklärungbemühte. Für das Vogtland hatte er bündig nachweisen können, daß das Pfarrdrittel, die tricesima, dorthin als Eigentümlichkeit bairischen Zehntrechts von Kolonisten bairischer Herkunft mitgebracht und durchgesetzt worden war4. So schien es naheliegend, eine ähnliche Erklärung für die beiden ostelbischen Suffraganbistümer Magdeburgs zu suchen: wie das Vogtland einer bairischen, so unterlag deren Gebiet ja im Verlauf des Hochmittelalters einer ausgedehnten niederländischen Kolonisation, die tief in die Verhältnisse dieser Lande eingegriffen hat. Ein Festhalten dieser Niederländer an heimischen Gebräuchen des kirchlichen Lebens konnte Schmid in anderer Beziehung tatsächlich nachweisen, und dazu kam die weitere Feststellung, daß im Bereich niederländischer Kolonisation überall die Gründung eigener Kolonistenkirchen mit gleichmäßiger Landausstattung, der sog. Pfarrhufe, erscheint. So lag die Frage nahe, ob nicht auch die brandenburgisch-havelbergische Zehntdrittelung in diesem Zusammenhang aufgekommen sein könnte. Schmid griff sie auf, freilich unter ausdrücklicher Betonung, daß diese These nicht „zur Gewißheit zu erheben“ sei5. 3 Vgl. H. F. Schmid, Das Recht d. Gründung u. Ausstattung von Kirchen im kolonialen Teile der Magdeburger Kirchenprovinz während d. MA (Weimar 1924), S. 106 f., 112, 113 u.ö., dazu S. 63 ff. über die Zehntverhältnisse in Thüringen, S. 81 f. über diejenigen Ostsachsens. – Für Havelberg vgl. noch W. Schlesinger, Bemerkungen zu d. sog. Stiftungsurk. d. Bistums Havelberg von 946 Mai 9 (Jahrb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 5, 1956), bes. S. 15 ff., 37 f. m. Lit. (allgemeine Erörterung der bischöflichen Zehntrechte ohne Rücksicht auf die Zehntdrittelung), sowie Curschmann, S. 331 Anm. 1. 4 Vgl. Schmid (wie Anm. 3), S. 138 f.; dens. (wie Anm. 1), S. 128 ff. 5 Vgl. Schmid (wie. Anm. 3), S. 171 f. u. 212 (Zitat: S. 172); über die Kolonisationskirchen: ebd. S. 156 ff., 209 ff.
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Niemand wird sich verhehlen, daß ein solcher Erklärungsversuch außerordentlich ansprechend ist. Er geht von dem einzig möglichen Grundsatz aus, daß eine Lösung nur befriedigen kann, wenn sie die beiden Diözesen Brandenburg und Havelberg gleichzeitig einschließt. Dabei hält er sich an Sonderverhältnisse, die gerade für diese beiden Ostbistümer im Unterschied zu ihrer Umgebung in besonderem Ausmaß gegeben waren, und stützt sich zudem auf gut gewählte Analogien. So nimmt die vorsichtige Zurückhaltung, mit der die gesamte These trotz allem formuliert worden ist, im ersten Augenblick fast Wunder. Bei näherem Zusehen regen sich allerdings Zweifel, die diese Zurückhaltung verständlich machen, und zwar zunächst aus chronologischen Gründen. Das älteste Zeugnis für das Bestehen der Zehntdrittelung im Brandenburger Diözesanbereich ist die Bulle, in der Innozenz II. 1139 seinen Schiedsspruch in einem wenig beachteten Rechtsstreit zwischen dem brandenburgischen Bischof Wigger und seinem Metropoliten, Erzbischof Konrad von Magdeburg, über die Zehnterhebung in den magdeburgischer Grundherrschaft unterliegenden Teilen der betroffenen Diözese niedergelegt hat6. Daß damals eine erste niederländische Siedlung im mittelelbischen Bereich schon begonnen haben könnte, ist nicht mit Sicherheit auszuschließen, obgleich wir nichts von ihr wissen7. Eine derartige Intensität, daß sie das gesamte Diözesanrecht nachhaltig beeinflussen konnte, und zwar beeinflussen konnte trotz der bekannten Beharrsamkeit geistlicher Institute, wird man ihr für diese Zeit jedoch nicht gern zuschreiben wollen. Die Bedenken verstärken sich, wenn man das älteste Zeugnis niederländischer Kolonisation außerhalb des Mutterlandes hinzuzieht,
6 Vgl. JL. 8008 (Urk. Buch d. Erzstifts Magdeburg I, bearb. v. F. Israel u. W. Möllenberg, Magdebg. 1937, n. 246, S. 307 ff.; auch Cod. Dipl. Brand., wie Anm. 2, Bd. I, 8, S. 101 f.): . . . salva tercia parte decimarum que presbiteris debetur. Vgl. dazu unten S. 615 u. 617 f. 7 Im Jahre 1139 erscheint in einer Urkunde des Brandenburger Bischofs Wigger für das Kloster Leitzkau, das er offenbar in diesem Jahre gegründet hat (vgl. Kahl, wie Anm. 1, 2. Kapitel, II. Abschnitt), der deutsche Ortsname Niendorp (jetzt wüst, wahrscheinlich auf der Flur von Leitzkau nordwestlich des Ortes, nach alter Einteilung Kreis Jerichow I, nach heutiger Kreis Zerbst, gelegen; vgl. dazu G. Reischel, Wüstungskunde der Kreise Jerichow I u. Jerichow II, Magdeburg 1930, S. 148). Anfang der vierziger Jahre gibt es dann vereinzelte Anhaltspunkte für beginnende Kolonisation im Kreise Genthin (ehem. Kreis Jerichow II), vgl. F. Winter, Die Prämonstratenser des 12. Jahrh. und ihre Bedeutung für das nordöstliche Deutschland (Berlin 1865), S. 151–154; J. Schultze, Die Prignitz (Münster/Köln 1956), S. 46; Schlesinger (wie Anm. 3), S. 23 mit Anm. 25. Ob und wie weit es sich in all diesen Fällen um Niederländersiedlung handelt, ist ungewiß.
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auf das Schmid als Beleg für das Festhalten dieser Siedler an heimischkirchlichen Gewohnheiten verwiesen hat: das berühmte Privileg Erzbischof Friedrichs I. von Bremen vom Jahre 1106, das einen zwischen ihm und einer Siedlergenossenschaft abgeschlossenen Vertrag wiederspiegelt8. Es zeigt ein derartiges Bestehen auf alten Traditionen tatsächlich in großer Deutlichkeit, aber nur für das Sendrecht, das für die Kolonisten „gemäß . . . der Einrichtung des Bistums Utrecht“ (secundum . . . institutionem Traiectensis ecclesie) gehandhabt werden soll. Für das Zehntrecht dagegen fehlt ein entsprechender Vorbehalt; vielmehr hatten die Vertragspartner des Erzbischofs ausdrücklich die Verpflichtung übernommen, ihre Zehntleistung nach seiner Verfügung (secundum decretum nostrum) zu richten. Gerade in diesem Rechtssektor zeigten sie sich also durchaus bereit, von ihren heimischen Gewohnheiten abzugehen (verständlich: das Sendrecht griff tief in das persönliche Leben des einzelnen Christen ein9; das Zehntrecht war für die Siedler ein Teil der Gesamtregelung ihrer materiellen Bedingungen, die ja auch sonst sehr anders als daheim gestaltet wurden). Doch auch in den Bestimmungen über die Ausstattung der neu zu gründenden Kolonistenkirchen ist damals von einer tricesima nicht die Rede, sondern vielmehr von einem Pfarrzehntel, das der Erzbischof von seinem Zehntaufkommen zur Verfügung zu stellen hat. Nimmt man alle diese Umstände zusammen, so wird man, um die brandenburgisch-havelbergischen Zehntverhältnisse zu erklären, besser nicht an der „Niederländer-These“ festhalten. Da auch die Gründungsurkunden beider Bistümer nichts über ein Pfarrdrittel (oder ein sonstiges Teilungsschema) sagen, vielmehr nur das Zehnterhebungsrecht des Bischofs als solches regeln, sieht man sich stattdessen erneut auf die Ansicht F. Curschmanns verwiesen, daß zumindest der Brandenburger Diözesan ohne äußeren Anstoß von sich aus eine derartige Abtretung vorgenommen haben wird10. 8 Oft gedruckt: Bremisches Urkundenbuch (hg. v. D. R. Ehmk u. W. v. Bippen) I (1873), n. 27, S. 28 f.; W. Altmann u. E. Bernheim, Ausgewählte Urk. z. Erläuterung d. Verfassungsgesch. Deutschlands im MA3 (Berlin 1904), S. 160 (inzwischen weitere Auflagen); R. Kötzschke, Quellen z. Gesch. d. ostdtsch. Kolonisation2 (Leipzig 1931), n. 1 a (S. 1). – Vgl. Schmid (wie Anm. 3), S. 109 f. 9 Vgl. A. M. Koeniger, Die Sendgerichte in Deutschland (München 1907); auch: R. W. Dove, Beiträge zur Geschichte des deutschen Kirchenrechts I/II (Zeitschrift f. Kirchenrecht 4, 1864, u. 5, 1865). 10 Vgl. Curschmann (wie Anm. 1), S. 331. Für diese Auffassung spricht besonders der oben S. 605 herausgestellte Anteil des Bischofs an Verleihung und Wahrung dieses Drittelanteils der Pfarrer; er zeigt dessen grundsätzliche Abhängigkeit von der
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Freilich ist damit noch keine wirkliche Erklärung für den so merkwürdigen Befund gegeben, dessen Sicherstellung durch H. F. Schmid ja in keiner Weise berührt wird, wenn wir uns seinem selbst nur zögernd vorgetragenen Deutungsversuch als solchem nicht anschließen. Die Frage, wie es zu einer derart auffälligen Sonderstellung zweier ostelbischer Diözesen in ihrer Umgebung kommen konnte, bleibt bestehen. Dabei werden wir von Schmids Ansatz zwei methodische Voraussetzungen übernehmen müssen: einmal die Frage nach Bedingungen, die für den Brandenburger und den Havelberger Sprengel in gleicher Weise galten (denn daß zwei unmittelbar benachbarte Gebiete eine in weitem Umkreis isolierte, nur ihnen gemeinsam eigene Erscheinung getrennt ausgebildet hätten, ist äußerst unwahrscheinlich11); zweitens die Frage, ob nicht auf anderem Wege eine Verbindung zu jenem westeuropäischen Rechtsgebiet hergestellt werden sollte, aus dem doch tatsächlich so vielfache Anregungen in den Ostraum verpflanzt worden sind. Gemeinsamkeiten zwischen den Bistümern Brandenburg und Havelberg sind auch unabhängig von der gemeinsamen Durchdringung mit niederländischer Kolonisation in großer Zahl gegeben. Schon das ist wichtig, daß sie beide, und nur sie im Bereich ihrer Kirchenprovinz, im gleichen Jahre 948 gegründet worden sind12: die übrigen vier Diözesen des Magdeburger Erzsprengels traten erst 967/68 ins Leben. Beide (und wieder nur sie beide in dieser Kirchenprovinz) wurden durch die große wendische Erhebung von 983 so gut wie ganz zerstört;
übergeordneten bischöflichen Zehnthoheit. – Neben dem Fehlen eines Vorbildes in einer benachbarten Diözese („außer dem in gleichen Verhältnissen befindlichen Havelberg“) führt H. F. Schmid (wie Anm. 3), S. 171 als Gegenargument an, daß diese „Regelung des Zehnteinkommens“ doch die Rechte der Bischöfe „so fühlbar beschnitt“. Aber woher sollten den Bischöfen überhaupt Zehnten zufallen, wenn nicht durch leistungsfähige Pfarren, die imstande waren, ständig neue Pfarrkinder und damit Zehntzahler zu gewinnen? Die Zehntpflicht war ja an die Taufe gebunden, und in dieser Hinsicht waren die im Wendenlande auf so gut wie rein heidnischem Boden errichteten Ostbistümer in denkbar unglücklicher Lage (vgl. Curschmann, S. 27 m. Anm. 3). Und sollte man nicht auch auf Seiten der Bischöfe wenigstens teilweise eine seelsorgerische Verantwortung voraussetzen dürfen, die unabhängig von solchen materiellen Erwägungen eine leistungsfähige Seelsorgeorganisation anstrebte? Bei Wigger, dem ersten Brandenburger Bischof, den wir als wirkliche Persönlichkeit fassen können, tritt sie uns allem Anschein nach stark ausgeprägt entgegen (vgl. Kahl, wie Anm. 1, II. Abschnitt), anders freilich bei seinem zweiten Vorgänger Hartbert (s. unten Anm. 19). 11 In dieser Hinsicht sind die Methoden des Deutschen Sprachatlas’ lehrreich, auf deren Bedeutung für die rechtsgeschichtliche Forschung kürzlich W. Schlesinger, Über mitteleuropäische Städtelandschaften der Frühzeit (Blätter f. deutsche Landesgesch. 93, 1957), S. 29 f. nachdrücklich hingewiesen hat. 12 Vgl. dazu zuletzt Schlesinger (wie Anm. 3), S. 18 u. 37.
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beide suchten aber Anspruch und Tradition zu wahren, indem sie die Reihe ihrer Bischöfe im Exil fortsetzten (sehr im Unterschied zu den später gleichfalls zerstörten Wendenbistümern der Bremer Erzdiözese, die man – und zwar anscheinend aus abweichender theologischer Grundhaltung heraus – als von einem Gottesgericht getroffen zunächst ruhen ließ13). Beide erlebten fast gleichzeitig ihre Wiederaufrichtung im zweiten Menschenalter des 12. Jahrhunderts, und zwar beide unter maßgeblicher Beteiligung des neugegründeten Prämonstratenserordens: Brandenburg seit dem entscheidenden Vorstoß des schon genannten Bischofs Wigger, der 1139 mit der Gründung des Klosters Leitzkau zur Errichtung eines provisorischen Kathedralsitzes innerhalb der Diözesangrenzen schritt und damit die Zeit des Exils in gewisser Weise beendete14, bis zur Verlegung dieses Sitzes zurück auf die Brandenburg im Jahre 1165; Havelberg seit der Begründung des Klosters Jerichow (1144) und der erneuten Proklamierung Havelbergs zum Kathedralsitz in den Jahren nach dem Wendenkreuzzug von 1147 (konstitutiv 1150/51). Beide vermochten schließlich nach dieser Erneuerung ihre reichsfürstliche Stellung und damit die freie Verfügungsgewalt über die Regelung ihrer Diözesanangelegenheiten zurückzugewinnen (Havelberg schon 1150 durch Privileg König Konrads III., Brandenburg 1161 durch Urkunde Kaiser Friedrichs I.)15, auch dies wieder im Unterschied zu den gleichfalls nach 1147 erneuerten Wendenbistümern der Bremer Kirchenprovinz, die von Herzog Heinrich dem Löwen und dessen Rechtssetzungen abhängig wurden (darunter das dritte deutsche Prämonstratenserbistum, Ratzeburg)16. Ihre gemeinsame zehntrechtliche
13 Vgl. Helmold, Slawenchronik I, 49 (rec. Schmeidler, Script. rerum Germanicarum, Hannover 1937, S. 130): Post quam . . . permittente Deo propter peccata hominum Christianitas adnullata est in Slavia, vacaverunt hae sedes annis octoginta IIIIor usque in tempora Hartwici archiepiscopi. Über die anscheinend zugrundeliegenden unterschiedlichen Anschauungen im magdeburgischen und bremischen Traditionsbereich, die im einzelnen noch genauerer Untersuchung harren, vgl. Beitrag XIV, S. 469–474, und ergänzend Beitrag XV, S. 549–559. 14 Vgl. Kahl (wie Anm. 1), II. Abschnitt mit eingehender Sichtung der verworrenen Überlieferung und der umfangreichen Literatur. 15 Vgl. zu alledem die diesen beiden Bistümern gewidmeten Bände der „Germania Sacra“: Brandenburg I/II von G. Abb bzw. F. Bünger u. G. Wentz (Berlin 1929/1941), Havelberg von G. Wentz (ebd. 1939), dazu Kahl (wie oben Anm. 1), bes. 5. Kapitel, III. Abschnitt. 16 Vgl. K. Jordan, Die Bistumsgründungen Heinrichs des Löwen (Leipzig 1939 = Stuttgart 1952).
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Sonderstellung wird damit geradezu zum rechtsgeschichtlichen Ausdruck eines allgemeingeschichtlichen Tatbestandes. An welcher Stelle des gemeinsamen Weges ist nun aber diese zehntrechtliche Besonderheit ausgebildet worden? Wenden wir uns dem zweiten der aufgestellten methodischen Leitgedanken zu, der Frage nach möglichen Einwirkungen in diesen Raum aus dem Westen des Kontinents, – Einwirkungen, wohlgemerkt, von denen angenommen werden darf, daß sie ein derart weitläufiges Zwischengebiet tatsächlich übersprungen haben könnten, so wie es von denen galt, an die H. F. Schmid zunächst denken wollte. Da kommt uns ein Hinweis von W. Berges zu Hilfe, der unlängst mit Nachdruck herausgestellt hat, daß die Kirchengeschichte des wendisch-deutschen Ostens durch politisch-sozialgeschichtliche Betrachtung allein keinesfalls aufgeklärt werden kann. „Die Forschung (muß) mehr als bisher die geistes- und religionsgeschichtlichen Aspekte der Ostmission berücksichtigen. Im kolonialen Raum, wo die Traditionen nicht so verfestigt waren wie im Altsiedelland, war man für geistige Strömungen vielfach aufgeschlossener. Hierher zog es diejenigen, deren Denken von neuen Ideen bestimmt war, die sich aber an der Enge der alten Verhältnisse stießen“, also die Männer kirchlicher Reform all der verschiedenen Richtungen, die doch mehr oder weniger alle das eine gemeinsam hatten, daß sie aus dem romanischen Westen nach Deutschland vordrangen. „Es wird einmal untersucht werden müssen, wie manche geistige Strömung“ unter dem Einfluß solcher Reformbewegungen „über den konservativen Westen Deutschlands hinweg, der sich gerade französischen Einflüssen gegenüber oft versagte, im Osten Resonanz fand“17. Einige Hinweise, die die Berechtigung dieser Forderung vollauf unterstreichen, hat Berges im gleichen Zusammenhang selbst gegeben. Sie werden ergänzt durch Beobachtungen auf einem ganz anderen Sektor, die schon vorher durch H. Kunze angestellt worden waren: er hatte bei Betrachtung der Bauten kirchlicher Reformgruppen des zwölften Jahrhunderts sehr konkrete architekturgeschichtliche Einflüsse aufweisen können, die durch Vermittlung der beteiligten Orden etwa vom Elsaß und von Burgund her unmittelbar in das Gebiet beiderseits der mittleren Elbe verpflanzt worden waren. Besonders ostwärts
17 W. Berges, Reform und Ostmission im 12. Jh. (Wichmann-Jahrbuch 9/10, 1955/56), S. 33; dort speziell auf die Verhältnisse dieses Jahrhunderts gemünzt.
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des Flusses, „auf jungfräulichem Boden, entstanden eine Reihe von Kirchen, die in ihrer Anlage nichts Niedersächsisches an sich haben, sondern den modernsten – im Koloniallande ist man ja zu allen Zeiten modern gewesen – Bauten des Südwestens nachgebildet sind“17a. Eine willkommenere Bestätigung der geistesgeschichtlichen Fragestellung von Berges läßt sich kaum denken – und sie führt sogar ganz unmittelbar auf den Boden der beiden ostmittelelbischen Diözesen, denen unsere Untersuchung gilt. Dann kann es aber nur konsequent sein, wenn man diese Fragestellung auf ein Gebiet mit ausdehnt, das der Geistesgeschichte dermaßen eng verwandt ist wie die Rechtsgeschichte (zumal die kirchliche, um die es bei unserem Spezialproblem geht). Daß die Abtretung eines vollen Drittels der Zehnteinkünfte für ein Missionsbistum, welches weitgehend auf seinen Zehntertrag angewiesen war18, ein hohes Opfer bedeutete, ist der damit auftauchenden Vermutung günstig: wir werden ein solches Opfer nur Männern zutrauen dürfen, die ihr Christentum und ihr oberhirtliches Amt wirklich ernst nahmen, die sich nicht im behaglichen Genuß ihrer Pfründen wohl sein ließen oder sich im Ausbau persönlicher Machtstellung erschöpften, sondern die bereit waren, für Christentum und Kirche, für das Seelenheil der noch Unbekehrten notfalls persönliche Entbehrungen auf sich zu nehmen, wie die Schmälerung der bischöflichen Einkünfte durch Verzicht auf ein volles Zehntdrittel zugunsten der untergeordneten Seelsorgeinstanzen sie unter den gegebenen Umständen leicht zur Folge haben konnte. Das paßt ganz zu der Grundhaltung, die wir bei weitem nicht von allen Vertretern der mittelalterlichen Kirche, wohl aber von ernsthaften Anhängern ihrer Reformbewegungen im allgemeinen erwarten dürfen. Reformbewegungen haben vom Westen her zweimal in nennenswertem Umfang auf den Ostraum übergegriffen: in der Zeit der Gründung wie in der Zeit der Wiederaufrichtung der beiden ostmittelelbischen Wendenbistümer19. Beide Vorgänge verdienen unsere Beachtung.
17a H. Kunze, Die kirchl. Reformbewegung d. 12. Jh. im Gebiet d. mittleren Elbe u. ihr Einfluß auf die Baukunst („Sachsen u. Anhalt“ 1, 1925), S. 473. 18 Siehe Anm. 10. 19 Vom einem dazwischenliegenden dritten Vorstoß hirsauischer Reformrichtung in der Person Bischof Hartberts von Brandenburg in den Jahren nach 1108 kann in diesem Zusammenhang abgesehen werden, weil es ihm offenbar mehr um die Ausbreitung christlichen Kultes auf Kosten des heidnischen ging (entsprechend der starken Betonung des kultisch-liturgischen statt des seelsorgerischen Moments in der Richtung von Hirsau-Kluny) als um eine Gewinnung neuer Seelen für das christliche Heil (vgl.
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Die Prämonstratenser des zwölften Jahrhunderts haben wir schon erwähnt. Sie ziehen die Aufmerksamkeit nicht zuletzt dadurch an, daß in ihre Periode das erste Zeugnis für das feste Bestehen einer Zehntdrittelung im fraglichen Raum, zunächst für das Bistum Brandenburg, fällt: jene päpstliche Bulle von 1139. Der von ihr festgestellte Satz, daß ein Zehntdrittel den Pfarrpriestern gebühre20, kann nach der Übersicht, die wir uns eingangs verschafft haben21, trotz seiner allgemeinen Formulierung nur brandenburgisches Diözesanrecht meinen; als Quelle, aus der der Papst seine Informationen darüber bezogen hat, kommt aber in erster Linie der Mann in Betracht, der diese Bulle persönlich von Innozenz II. erwirkt hat, der schon erwähnte Bischof Wigger. Von ihm, der bemerkenswerterweise der erste Prämonstratenserbischof Brandenburgs war (1138–61), wissen wir, daß er den Wiederaufbau seiner Diözese mit einer Umsicht und Energie in die Wege geleitet hat, die in damaliger Zeit ohne Beispiel bleibt, und zwar allem Anschein nach so, daß er als echter Vertreter seines Ordens nicht nur ein organisatorisches Gehäuse herzustellen suchte, sondern auch bestrebt war, es mit echtem christlichem Leben zu erfüllen; dabei hat er nicht zuletzt sein Augenmerk der Errichtung einer wirtschaftlich möglichst gut gesicherten Seelsorgeorganisation zugewandt, die, soweit es von Voraussetzungen dieser Art abhängen kann, freie Hand für ihre eigentlichen Aufgaben fand, und in diesem Zusammenhang tritt gerade seine Sorge um die Sicherung des Pfarrdrittels stark hervor: ihr danken wir die weitaus meisten Belege für das Vorkommen dieser Institution im Brandenburger Raum22. Die Prämonstratenser waren ein ausgesprochener Seelsorgeorden: schon deshalb mußten sie in jedem ihrer zahlreichen Wirkungskreise mit den Zehntregelungen, die die Pfarrer betrafen, unmittelbar vertraut werden. Sicherlich haben sie derartige Erfahrungen ausgetauscht. Wigger aber besaß ohne Zweifel besonders gute Vergleichsmöglichkeiten. Seine Anfänge verlieren sich um Dunkel; zuerst lernen wir ihn als Stiftsherrn des westfälischen Kappenberg (gegr. 1122) kennen. Später hat er, bevor er Bischof wurde, jahrelang in Magdeburg gerade in der
Kahl, wie Anm. 1, im I. Abschnitt). Völlig episodisch blieben Vorstöße wie die Ljutizenmission des Eremiten Günther um 1020 (vgl. jetzt R. Wenskus, Stud. z. histor.-polit. Gedankenwelt Bruns v. Querfurt, Münster/Köln 1955, S. 137 Anm. 316). 20 Siehe Anm. 6. 21 Siehe S. 605 f. 22 Siehe Anm. 10 am Ende.
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unmittelbaren Umgebung des Ordensgründers und -hauptes, Erzbischof Norberts, gelebt, zeitweise in besonders leitender Stellung, als Propst des sächsischen Ordenszweiges, dessen Filialen vom thüringischen Veßra bis hinauf nach Stade verstreut waren. Gut ließe sich denken, daß dieser Mann durch die westlichen Beziehungen seines Ordens – zumal an dieser Stelle – mit dem französischen Prinzip der Zehntdrittelung bekanntgeworden wäre. Gerade ihm könnte man aber auch zutrauen, daß er nach sorgsamer Prüfung verschiedener Systeme eine an sich landfremde Regelung, die für die Bedürfnisse seines ganz darniederliegenden Sprengels besonders geeignet schien, aufgegriffen hätte, um sie fest in das dortige Diözesanrecht einzufügen: nachweislich hat er auch die fortschrittlichen Einrichtungen eines Domkapitels und des Archidiakonats in sein Bistum eingeführt, die dort bis dahin unbekannt gewesen zu sein scheinen23, und so stünde eine derartige Maßnahme gar nicht einmal vereinzelt da. Sein Havelberger Mitsuffragan Anselm aber, gleichfalls Prämonstratenser, mußte mit den brandenburgischen Zehntverhältnissen schon dadurch in nähere Berührung kommen, daß die Bulle von 1139 ihn ausdrücklich in den Dreierausschuß berief, den sie mit der Ausführung ihres Schiedsspruchs betraute. Leicht könnte er durch Wiggers Vorbild angeregt worden sein, in der eigenen Diözese die gleiche vorteilhafte Regelung zu treffen, wie ja überhaupt in diesen Jahrzehnten des Wiederaufbaus ein gewisser Wettbewerb zwischen den beiden neuerstehenden Nachbarbistümern zutage zu treten scheint24. Nun erscheint zwar die persönliche Aktivität, die Anselm dabei entfaltet hat, in etwas zweifelhaftem Licht. Aber brandenburgische Anregungen könnten ebensogut durch das gemeinsame Magdeburger Mutterhaus, dem die Prämonstratenserklöster beider Diözesen, darunter beide Domkapitel, unterstanden – eben jenes St. Marienstift, in dem Wigger selbst als Propst gewirkt hatte – ins Havelbergische gelangt sein. So ließe sich eine Erklärung gewinnen, die in der gleichen Geschichtsperiode bleibt wie der Versuch H. F. Schmids, dabei aber dessen chronologi-
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Ebd. Die Gründung eines Domkapitels in der Havelberger Diözese ist offensichtlich erst durch das Brandenburger Beispiel angeregt worden. Umgekehrt wird die erstaunliche Schnelligkeit, mit der Wiggers Nachfolger Wilmar den Bistumssitz nach Brandenburg selbst zurückverlegte, obwohl die Burg noch nahezu im Frontgebiet lag und alles andere als gesichert war (1161/65), sich wenigstens teilweise daraus erklären, daß die Nachbardiözese schon seit 1150/51 endgültig wieder in ihrem offiziellen Kathedralsitz saß (vgl. Kahl, wie Anm. 1, 5. Kapitel, III. Abschnitt). Wilmar erscheint als recht ehrgeizig. – Vgl. unten Anm. 32. 24
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schen Schwierigkeiten auszuweichen scheint und überdies nicht die Voraussetzung eines tiefgreifenden Einflusses aus Laienkreisen auf die Gestaltung kirchlicher Rechtsverhältnisse noch im zwölften Jahrhundert verlangt, nach all den so geräuschvollen und heftigen Kämpfen um die libertas ecclesiae. Wir sind auf diese Möglichkeiten derart ausführlich eingegangen, weil sie zweifellos ernstliche Prüfung verdienen und weil für den Vorschlag, der sogleich noch erörtert werden muß, Sicherheit im ersten Anlauf nicht zu erreichen ist. Aber sind die chronologischen Bedenken in der vorgetragenen Kombination wirklich völlig aufgehoben? Die Bulle vom 20. April 1139 gehört höchstwahrscheinlich noch in Wiggers erstes Amtsjahr25, und sie fußt auf Verhandlungen, an denen maßgebliche Vertreter des Magdeburger Klerus beteiligt waren. Ob unter diesen Umständen als gültiges Brandenburger Diözesanrecht (statt als widerrechtliche Neuerung) anerkannt worden wäre, was der Bischof erst kürzlich verfügt hatte, muß als äußerst fraglich bezeichnet werden: mußte doch die Magdeburger Kirche durch ihre ausgedehnten Liegenschaften im Brandenburgischen Sprengel über eine derartige Rechtssatzung unterrichtet sein26. So werden wir gut tun, uns auf diese Möglichkeiten nicht allzu sehr festzulegen. Weniger bekannt als die Einwirkung der Prämonstratenser auf die deutschen Ostbistümer ist die Tatsache, daß auch schon zwei Jahrhunderte vorher, im Zeitalter ihrer Begründung, eine starke Welle kirchlichen Reformgeistes bis in diese Gegenden vordrang. Ihr Ausstrahlungspunkt war das Kloster St. Maximin in Trier, das der damals um sich greifenden Reformrichtung des lothringischen Gorze (Diözese Metz) angehörte und seinerseits das entscheidende Zentrum wurde, von dem aus die Einflüsse dieser Bewegung nach Deutschland weitervermittelt wurden. K. Hallinger, der uns den Blick für diese Zusammenhänge geöffnet hat, ließ auch die große Bedeutung deutlich werden, die diesem Zentrum für die ottonische Mission und Kirchenorganisation im Ostraum zugekommen ist. Das St. Moritzkloster in Magdeburg, das Otto
25 Zur Chronologie Wiggers vgl. Wentz, Bistum Brandenburg I (s. oben Anm. 15), S. 24 f. 26 Die Möglichkeit, daß Wigger die Zehntdrittelung 1139 als päpstliches Privileg durchgesetzt haben könnte, scheidet aus: zwar besitzen wir aus diesem Jahre nur die Bulle, die dem Erzbischof von Magdeburg zuging, und nicht das vorauszusetzende Gegenstück für den Brandenburger, aber keine spätere Bestätigung der Rechte dieses Bistums nimmt auf ein solches Privileg Bezug (vgl. Jaffé-Loewenfeld n. 16 258; Cod. Dipl. Brand. I, 8, S. 119 f.).
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der Große 937 ins Leben rief, gehörte zu seinen Tochtergründungen (damit aber auch die Abtei St. Johannis Baptistae zu Berge vor Magdeburg, die 968 bei der Errichtung des neuen Erzstifts aus diesem Kloster hervorging); um 1030 schwenkte auch die bedeutende Reichsabtei Nienburg a. Saale in den Kreis dieser Filialen ein27. Nicht zuletzt kam der erste Erzbischof der neuen Elbmetropole, Adalbert selbst, aus St. Maximin und zeigte sich als besonders eifriger Reformanhänger28. Man wird vermuten dürfen, daß auch die ersten Bischöfe von Brandenburg und Havelberg in diesen Zusammenhang hineingehören: zwar ist über ihre Herkunft durchaus nichts bekannt29, aber die Stiftungsurkunden haben sowohl für Dietmar von Brandenburg als für Dudo von Havelberg die Bezeichnung religiosus bereit30. Das ist der alte kirchenlateinische Name des Ordensangehörigen, und es wäre merkwürdig, wenn der königliche Gründer bei dieser Gelegenheit auf andere Ordenskreise zurückgegriffen hätte als da, wo wir ihn kontrollieren können, offenbar stets. Die damit aufgetauchte Beziehung schlägt nun aber zugleich eine unmittelbare Brücke vom mittelelbischen Osten zu dem Sitz der einzigen westdeutschen Erzdiözese, die, wie wir sahen, am westeuropäischen Zehntteilungsschema Anteil hatte. So liegt eine neue Vermutung nahe, die gleichfalls viel Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen kann. Auch sie hat sich mit Einwänden auseinanderzusetzen. So wird man fragen, wieso zwei mit der Trierer Reformrichtung zusammenhängende Bischöfe Einrichtungen hätten in ihre Sprengel verpflanzen sollen, die der dem gleichen Zentrum entstammende Erzbischof nicht einmal in seiner unmittelbaren Diözese durchgesetzt hat. Dem ist zu erwidern, daß ihr Gebiet durch sie zum ersten Male kirchlich organisiert worden ist, während der Magdeburger Sprengel vor 968 zum Bistum Halberstadt gehört hatte. Adalbert sah sich mithin genötigt, eingebürgerte „alte“ Rechtsnormen anzuerkennen; Dietmar und Dudo waren in der Gestaltung ihrer Verhältnisse 27 Vgl. K. Hallinger, Gorze-Kluny. Studien zu den monastischen Lebensformen u. Gegensätzen im HMA I/II (Rom 1950/51), S. 95 ff., 124 ff. 28 Vgl. ebd. S. 97, 104 f., auch 106. – Beachte auch Wenskus (wie oben Anm. 19), S. 136 f. 29 Vgl. Germania Sacra (wie oben Anm. 15), Brandenburg I, S. 21 ff.; Havelberg, S. 20 u. 29 ff. 30 Vgl. für Brandenburg: DOI, n. 105 (wie oben Anm. 2): religiosum presulem Thiatmarum; für Havelberg: DOI, n. 76 (MG DD I, S. 155; auch Cod. Dipl. Brand. I, 2, S. 435): religiosum praesulem Dudonem. Zur Echtheitsfrage dieses zweiten Zeugnisses s. Anm. 32; zur Namensform: H. Breßlau, Zur Chronologie u. Geschichte d. ältesten Bischöfe von Brandenburg usw. (Forsch. z. Brand. u. Preuß. Gesch. 1, 1888), S. 397.
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völlig frei und konnten ohne weiteres Einrichtungen in das Neuland übertragen, die ihnen vom Westen her geläufig waren. Auch daß die Nachrichten über die Zehntdrittelung erst fast zwei Jahrhunderte nach ihrer Zeit einsetzen, ist kein entscheidender Hinderungsgrund: in der dazwischen liegenden Spanne waren beide Diözesen ja praktisch fast ganz erloschen. Um so stärker wiegt die Tatsache, daß gerade sie ihre Tradition durch eine offenbar lückenlose Kette von Exilbischöfen weiter zu wahren suchten31: eine Formalität, der nicht zuletzt juristische Bedeutung zukam. Wenn sie nachweislich durch Bewahrung ihrer Privilegien die de facto annulierten besitzrechtlichen Ansprüche aufrechterhielten, um sie im zwölften Jahrhundert in günstiger Stunde zu erneuern32, dann dürfen wir ihnen auch zutrauen, daß sie zehntrechtliche Normen ihres alten Diözesanrechts über den gleichen Zeitraum festgehalten haben, bis sie wieder praktische Bedeutung zu gewinnen vermochten. (Die Prämonstratenserbischöfe hätten dann für die Erneuerung dieser Normen die gleiche Bedeutung gehabt wie für die jener überkommenen Besitzansprüche.) Daß aber für die Zeit vor 1139 mehrfach Verfügungen solcher Exilbischöfe bezeugt sind, die ausdrücklich das gesamte Zehntaufkommen eines Teilgebiets betrafen, ohne auf einen besonderen Pfarranteil Rücksicht zu nehmen, ist gleichfalls kein Gegenbeweis, denn in diesen Fällen handelt es sich ausnahmslos um Schenkungen an Kirchen, denen zugleich das Seelsorgerecht übertragen wurde, so daß ein bereits vorgesehenes Pfarrdrittel ihnen gar nicht vorenthalten werden durfte33. 31
Vgl. die Zusammenstellungen in Germ. Sacra (wie Anm. 29). DO I, n. 105 ist im Original im Archiv des Domkapitels zu Brandenburg erhalten geblieben. DO I, n. 76 ist wahrscheinlich um 1170 nach dem Original verfälscht worden, um die Zehntansprüche des Bischofs auf weitere Gebiete auszudehnen und ihm gleichzeitig durch Vordatierung seiner Gründung einen Vorrang vor Brandenburg zu sichern (vgl. Schlesinger, wie Anm. 3, bes. S. 18 u. 37 f.). Beide Unterlagen wurden also 983 gerettet, schwerlich durch Zufall. 33 In seinem Privileg für die neugegründete Kirche in Leitzkau verbrieft Bischof Hartbert von Brandenburg ihr 1114 u.a. decimacionem (also offenbar die gesamte Zehnterhebung) inter amnes illos Ilitha et Nuth (Ihle und Nuthe, rechtselbisch südöstlich Magdeburg); vgl. dazu Kahl (wie Anm. 1), I. Abschnitt. – 1136 schenkt Bischof Ludolf von Brandenburg dem Kloster U. L. Fr. zu Magdeburg für das seiner Grundherrschaft gehörige Dorf Gossel (wüst zwischen Schartau und Niegripp, Kreis Burg, ehem. Kreis Jerichow I) omnem decimationem zugleich mit dem Seelsorgerecht für diesen Ort und der Befugnis, dort eine Kirche zu gründen (vermutlich eine Stiftskirche, die dann nicht zustandekam), vgl. Urk. Buch d. Kl. U. L. Fr. zu Magdeburg, hg. v. G. Hertel (Halle 1873), n. 8, S. 8, dazu Kahl, ebd., II. Abschnitt m. Lit. – Mangelnde Rücksicht auf ein vom Brandenburger Bischof zu vergebendes Pfarndrittel spricht aus der gleichfalls cum omni decimacione vollzogenen Schenkung des gleichen Dorfes an dieses Kloster 32
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Nach alledem sind wir wohl berechtigt, folgende These zur Diskussion zu stellen: Die Zehntdrittelung in den mittelalterlichen Diözesen Brandenburg und Havelberg geht nicht auf Einflüsse einer niederländischen Kolonisation zurück, die erst nach dem Zeitpunkt ihrer ersten Bezeugung größere Bedeutung für diese Gebiete gewann, – ebensowenig wie der märkische Backsteinbau, den man vorübergehend gleichfalls aus dieser Quelle ableiten wollte34 –; sie ist auch nicht durch die Prämonstratenser dorthin verpflanzt worden, deren Einwirkung gleichfalls nicht früh genug eingesetzt zu haben scheint. Ihr Ursprung ist vielmehr in der Gründungszeit beider Bistümer zu suchen, für die besonders enge Beziehungen zwischen dem östlichen Missionsfeld und dem westlichen Geltungsbereich dieser Regelung nachweisbar sind. Die Übertragung erfolgte nicht durch den königlichen Bistumsgründer, der in anderen zehntrechtlichen Verhältnissen aufgewachsen war und zudem Fragen derartigen Ranges offenbar der Zuständigkeit seiner Bischöfe überließ; die Initiative ist vielmehr bei diesen geistlichen Herren selbst zu vermuten. Der königliche Gründer hat lediglich insofern die Gestaltung der Verhältnisse beeinflußt, als er seine persönlichen, eigenkirchenrechtlich fundierten Zehntansprüche mit gewissen Einschränkungen an die Bischöfe weitergab, so daß anders als im Westen ein Teilungsverhältnis von 2 : 1 nicht zwischen ihm und den Pfarrern, sondern zwischen Bischof und Pfarrer zustandekam. Mit anderen Rechtstraditionen der beiden Diözesen hat diese Regelung die Exilzeit überdauert, so daß sie von den Prämonstratenserbischöfen des zwölften Jahrhunderts neu und endgültig in Kraft gesetzt werden konnte; daß dabei neue Einwirkungen aus dem Westen, diesmal dem französischen Ursprungsland des neuen Ordens, verstärkend hinzugetreten sind, bleibt durchaus möglich. Die weitere Diskussion wird vor allem darauf zu achten haben, ob sich auch sonst noch Beziehungen aufspüren lassen, die vom mittelelbischen Osten zu den kirchlichen Rechtsverhältnissen des Trierer Raumes durch Erzbischof Konrad von Magdeburg, ebenfalls 1136 (Urk.-Buch d. Kl. U. L. Fr., n. 7, S. 6 f.). Diese Verfügung erfolgt jedoch am Vorabend des oben S. 608 erwähnten Zehntenstreits durch die Partei, deren Rechtsstandpunkt bei der päpstlichen Schlichtung von 1139 nicht anerkannt worden ist; vgl. dazu Kahl, ebd., III. Abschnitt m. Lit. So sind auch aus ihr keine bündigen Rückschlüsse zu ziehen, obwohl die Verfügung durchaus mit den in DO I n. 105 (oben Anm. 2) festgestellten Magdeburger Zehntrechten in Einklang gebracht werden kann. 34 Vgl. J. Kohte, Friedrich Adler in seiner Bedeutung f. d. Gesch. d. Architektur (Zeitschr. f. Gesch. d. Architektur II, 1908/09), S. 215. Gegen die dort stattdessen gezogenen Verbindungslinien in die Lombardei vgl. jedoch J. M. Zeisner, Die Klosterkirche in Jerichow (Berlin 1940), bes. S. 54 ff.
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zurückweisen. Dabei ist besonders auf die Möglichkeit zu achten, daß solche Beziehungen nachträglich durch andere, nach Frankreich weisende überlagert sein können, die durch die Prämonstratenser hergestellt worden sind. Doch auch die übrigen eingangs genannten Zehntdrittelungsgebiete dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden. Vor allem die Frage, ob etwa auch das Verfahren des bairischen Rechtsgebietes auf das genannte Trierer Mutterkloster zurückgeführt werden kann, dessen reich verzweigtes bairisches Filialnetz K. Hallinger gleichfalls klargelegt hat35, wäre in diesem Zusammenhang zu prüfen; dürfte sie bejaht werden, so ergäbe sich für die hier vorgestellte These zweifellos eine besonders starke Stütze. Vielleicht wird es dann einmal möglich werden, sie „zur Gewißheit zu erheben“. Einstweilen – das ist kein Zweifel – sind wir von dieser Möglichkeit, die dann unzweifelhaft auch für die allgemeine Geschichte bedeutsam wäre, noch weit entfernt.
35
Siehe Anm. 27.
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WIE KAM ES 1147 ZUM „WENDENKREUZZUG“? Jener merkwürdige Kreuzzug, der im Spätsommer 1147 über die Elbe nach Osten ging, hat in der Forschung immer wieder verständliches Interesse gefunden: Nicht nur, daß er die Beziehungen zwischen den Deutschen und den wendischen Slaven der Zeit – den gemeinsamen Vorfahren der Deutschen, wie wir sie heute kennen – auf wesentlich neue Grundlagen stellte, er zeigt in Vorgeschichte und Verlauf ein wechselvolles Ringen derart unterschiedlicher Tendenzen und Kräfte, daß er in vieler Hinsicht den Schlüsselereignissen seines Jahrhunderts zugerechnet werden muß1. Merkwürdige Unklarheit besteht dabei hinsichtlich der Frage, wer dieses Unternehmen eigentlich in Gang gesetzt hat. Häufig kann man lesen, die Sachsen selbst hätten diese in ihr ostelbisches Vorfeld ausgreifende Aktion gewollt und angeregt, doch auch andere Meinungen sind zu finden. Was sagen die Quellen? Der Plan, den bereits verkündeten Kreuzzug auf diesen nordöstlichen Schauplatz auszuweiten – denn dies und nichts anderes geschah, als
1
Umfangreiche Literatur bei F. Lotter, Die Konzeption des Wendenkreuzzugs, Sigmaringen 1977, bes. S. 82–88. Dort nachzutragen: Beitrag XXII, und eine Reihe weiterer, dort aufgeführter Titel (bes. Anm. 50). Seitdem erschienen noch D. Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert, Bd. II, Köln-Wien 1975, S. 59–63; ferner R. Chr. Schwinges, Kreuzzugsideologie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus, Stuttgart 1977, S. 9 f. und 246 (wichtig durch Herstellung größerer Zusammenhänge); sowie H.-D. Kahl, Einige Beobachtungen zum Sprachgebrauch von ‚natio‘ im mittelalterlichen Latein mit Ausblicken auf das neuhochdeutsche Fremdwort „Nation“, in: H. Beumann, W. Schröder (Hrsg.), Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter. Ergebnisse der Marburger Rundgespräche 1972–1975, Sigmaringen 1978, S. 82–87, wo bereits auf einige Fragwürdigkeiten des vorerwähnten Buches von Lotter hingewiesen wird. Eine intensive Auseinandersetzung mit seinen Thesen, die von grundlegend wichtigen Fragestellungen ausgehen, dadurch das Problembewußtsein entscheidend zu schärfen geeignet sind, doch die Lösung in m.E. unhaltbarer Richtung suchen, soll durch den Verf. in Buchform erfolgen; Manuskript fast abgeschlossen, vorläufige Titelfassung: Die abschließende Lösung der Heidenfrage als Kreuzzugsprogramm Bernhards von Clairvaux. „Wendenkreuzzug“, Jerusalemfahrt und sibyllinische Eschatologie in den Jahren 1146–1148 (Druckort noch unbestimmt); vgl. vorläufig die Rezension im Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 28, 1979, S. 322–324. Vgl. unten Anm. 38.
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es zur Konzipierung dieses „Wendenkreuzzuges“ kam2 –, entstand auf dem Frankfurter Reichstag vom März 1147; das wird nirgends bezweifelt. Auf dieser Zusammenkunft waren die Sachsen zumindest nicht in stärkster Besetzung vertreten3. Zwar waren die maßgeblichen weltlichen Machthaber jedenfalls für Ostsachsen, für die dem Wendengebiet unmittelbar benachbarten Landstriche, sämtlich zugegen: Man sah den jungen Sachsenherzog, Heinrich den Löwen, und seinen wichtigen Lehnsmann, Graf Adolf II. von Schaumburg und Holstein, ebenso wie Markgraf Albrecht den Bären mit seinen Söhnen Otto und Hermann, dessen wettinischen Rivalen Konrad von der Lausitz und Meißen, den sächsischen Pfalzgrafen Friedrich von Sömmerschenburg und Landgraf Ludwig von Thüringen. Es fehlten jedoch – soviel erkennbar – die beiden Erzbischöfe, die in Sachsen selbst ihren Sitz hatten und vom Kreuzzugsplan am stärksten betroffen werden mußten, weil es dabei um entfremdete Gebiete ihrer Kirchenprovinzen zu gehen hatte (verloren durch die Apostasie- und Aufstandsbewegungen von 983 bzw. 1066), nämlich diejenigen von Magdeburg und Hamburg-Bremen; dasselbe gilt für fast sämtliche Bischöfe des Stammesbereichs. Der bedeutendste Kopf unter den anwesenden kirchlichen Repräsentanten, Anselm von Havelberg, kommt nach dem, was von seinem geistigen Profil bekannt ist – und dies ist nicht wenig –, als Anreger eines solchen Kreuzzugsplanes schwerlich in Betracht, auch wenn er sich schließlich nach Fühlungnahme mit Papst Eugen III. als päpstlicher Kreuzzugslegat
2 Von allen Quellen, die einen überprovinziellen Gesichtskreis haben, wird dieses Unternehmen als Teilfeldzug des übergreifenden Kreuzzugs angesprochen, nicht zuletzt in der Bulle Eugens III., die es bestätigt (JL 9017; zuletzt gedruckt: Pommersches Urkundenbuch, Bd. I, Köln-Wien 21970, S. 36 f., Nr. 32); vgl. auch den vorausgehenden Aufruf Bernhards von Clairvaux (ebd., S. 35 f., Nr. 31) und bes. Helmold von Bosau I, 59 ff. (S. 114 ff. Schmeidler) in dem Zusammenhang, den H. Beumann, Kreuzzugsgedanke und Ostpolitik im hohen Mittelalter (zuletzt in: ders. – Hrsg. –, Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters, Darmstadt 1963 = 1973), S. 140–144, meisterhaft analysiert. Zum inneren Zusammenhang beider Unternehmungen künftig mehr in dem am Ende voriger Anm. angekündigten Buch; zur Fragwürdigkeit des Begriffs „Wendenkreuzzug“: ebd., Beilage IV. 3 Vgl. die Übersicht bei W. Bernhardi, Konrad III., Bd. II, Leipzig 1883, S. 545 f. Zu ergänzen ist mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Vertreter der Abtei Nienburg a. d. Saale, die auf dem Frankfurter Reichstag eine auf Empfängerentwurf beruhende Königsurkunde erhielt (jetzt gedruckt MG DD IX, S. 319 f., Nr. 177). Gerade auf Nienburger Klosterbesitz zeigt sich in der Folge eine bemerkenswerte Abwandlung der berüchtigten ‚eiectio Slavorum‘, die offenbar als Nachwirkung des dort durch Bernhard von Clairvaux verkündigten ‚exstirpare de terra christiani nominis‘, bezogen auf Heiden, aufzufassen ist; vgl. Beitrag XIV, S. 478 f.
wie kam es 1147 zum „wendenkreuzzug“?
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zur Verfügung stellte4. Graf Adolf, der Holsteiner, wurde durch diese Unternehmung auf das empfindlichste gestört in einem neu eingeleiteten Aufbauwerk, durch das er tiefe Wunden aus soeben überwundenen Kriegswirren zu heilen suchte; er hat als mehr oder weniger offener Gegner des neuen Planes zu gelten, auch wenn es ihm nicht möglich war, sich ihm zu entziehen5. Auch den übrigen weltlichen Magnaten, die soeben anzuführen waren, möchte man Konzeptionen dieser Art nicht recht zutrauen – allenfalls als Vorwand, um sich dem unbequemen Orientkreuzzug zu entziehen. – Doch all das sind zunächst bloße Überlegungen; sie dürfen nicht ablenken von der Frage nach dem, was konkret über die Urheberschaft in den Quellen steht. An erster Stelle müssen hier die sogenannten Magdeburger Annalen befragt werden, die mindestens in den hier entscheidenden Partien wohl im Kloster Berge entstanden sind, damals Zentrum einer späten Nachblüte der hirsauischen Reformbewegung6. Ihr Bericht darf als einigermaßen zeitgenössisch gelten; er verdient Aufmerksamkeit um so mehr, als Berge damals unter dem für die Geschichtsschreibung besonders aufgeschlossenen Abt Arnold in Personalunion mit dem Reichskloster Nienburg a. d. Saale zusammengeschlossen war, von dem wir uns den Abt selbst oder einen seiner Beauftragten persönlich unter den Teilnehmern des Frankfurter Tages zu denken haben7. Die Lage unmittelbar am Zentrum einer der beiden hauptbeteiligten Kirchenprovinzen, das zudem als Sammelplatz für die Kreuzfahrer dieses Sonderunternehmens in Aussicht genommen war8, garantiert zusätzlich einen hervorragenden Informationsstand. Allerdings entbinden diese Voraussetzungen den
4 H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des 12. Jahrhunderts, Köln-Graz 1964, S. 228–232; von Lotter (wie oben Anm. 1) weder aufgegriffen noch widerlegt, ebenso wie zahlreiche weitere ältere Äußerungen zum Thema aus meiner Feder. 5 V. G. Berry, The Second Crusade, in: K. M. Setton (u.a.), A History of the Crusades I, Philadelphia 1958, S. 493; vgl. Anm. 35. 6 Gegen W. Wattenbach – Fr.-J. Schmale, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter vom Tode Kaiser Heinrichs V. bis zum Ende des Interregnums, Bd. I, Darmstadt 1976, S. 390–394, kehre ich damit jedenfalls für den Bericht über 1147 zu älterer Auffassung zurück. Die Begründung muß dem oben Anm. 1, Ende, angekündigten Buch vorbehalten bleiben. 7 Siehe Anm. 3. 8 Vgl. den in Anm. 2 zitierten Aufruf Bernhards von Clairvaux, S. 36: „ . . . omnes in festo apostolorum Petri et Pauli aput Magdeburg convenire debent“. Mindestens für das Südheer ist nicht zu bezweifeln, daß die Anweisung eingehalten wurde; fraglich ist dies für das Nordheer; vgl. Kahl in dem oben Anm. 1, Ende, genannten Buch, Beilage II, Anm. 24.
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Forscher nicht von der Verpflichtung, auch die Angaben dieser Quelle am sonst bekannten Material kritisch zu überprüfen. In dieser Hinsicht ergibt sich alsbald eine Überraschung. Nur zu gut ist bekannt, daß in Frankfurt eine besonders entscheidende Rolle dem wichtigsten Propagandisten des zweiten Kreuzzugs zugefallen war, dem Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux; gerade er war es gewesen, der den ersten offiziellen Aufruf verfaßte, durch den der weiteren Kreuzpredigt für den „Wendenkreuzzug“ Ziele und Wege gewiesen werden sollten9. Der Annalist von Berge jedoch stellt diesen Mann als Urheber einzig des Orientkreuzzuges hin; aus dem Wendenkreuzzug sucht er ihn schon für das Planungsstadium fein säuberlich herauszuhalten10. Es ist nicht zu bezweifeln, daß man dies im Magdeburger Bereich besser gewußt hat: Dem Annalisten kann gerade in seinen Ausführungen über die Zielsetzung des „Wendenkreuzzugs“, den er ohne konkrete Urheberangabe allein auf „göttliche Inspiration“ und päpstliche Autorisation zurückführt, ein wörtliches Zitat aus Bernhards Aufruf nachgewiesen werden11! Man sieht schon an dieser Einzelheit, was genauere Analyse dieses Berichtes vielfältig aufzeigen kann: Was hier die Feder führt, ist allem guten Informationsstand zum Trotz nicht guter Glaube und unbefangen narratives Bedürfnis, sondern eine gezielte Tendenz. Sie bejaht den Ostlandkreuzzug als solchen, und zwar als direkten Missionskrieg, womit sie im sächsischen Bereich jener Zeit nach bisheriger Kenntnis völlig alleinsteht, so wie auch sonst im Hoheitsbereich des Abtes Arnold der „Heidenfrage“ eine schärfere Wendung als anderweitig gegeben wurde12; doch sie ist kritisch sowohl gegenüber Bernhard als auch gegenüber der Art, wie die Kreuzfahrer ihre Aufgabe schließlich erfüllten, und bringt dies durch ein ausgeklügeltes kompositorisches 9
Siehe Anm. 2. Ann. Magd., a. 1147 (MG SS XVI, 188), allein für den Orientkreuzzug: „Huius expeditionis auctor et instigator exstitit Bernhart Clarevallensis abbas . . .“. 11 Ebd. wird die Zielsetzung wiedergegeben mit: „. . . contra paganos versus aquilonem habitantes assumpto signo vivifice crucis . . ., ut eos aut christiane religioni subderet, aut Deo auxiliante omnino deleret“. Vorlagen dieser Formulierung sind JL 9017 (oben Anm. 2): a) „contra . . . paganos habitantes versus aquilonem“, b) „signo vivifice crucis assumpto“ (dort etwas vorher eingereiht), c) „eos christiane religioni subiugare Domino auxiliante“. Dazu kommt ohne jede Entsprechung im Wortlaut der Papstbulle aus dem gleichfalls oben Anm. 2 zitierten Aufruf Bernhards: ‚omnino‘ und das mehrfach in verschiedenen grammatischen Formen beherrschend auftretende ‚delere‘; gegen den Wortlaut Bernhards ist die Vernichtungsforderung hier der Bekehrungsforderung nachgestellt. Über diese Reihenfolge gleichfalls Näheres in dem oben Anm. 1, Ende, angekündigten Buch, 2. Kapitel. 12 Siehe Anm. 3. 10
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Beziehungssystem zum Ausdruck, das sich dem Zusehen erst allmählich enthüllt13. Zu den dabei eingesetzten Mitteln gehört, wie das eben angeführte Beispiel charakteristisch zeigt, das berühmte Verfahren des Teilverschweigens: Maßgeblich treibende Kraft zum Orientkreuzzug war der Abt von Clairvaux in der Tat gewesen, ebenso wie sich umgekehrt eine päpstliche Autorisation des „Wendenkreuzzugs“ schlechterdings nicht bestreiten ließ14; nur wäre korrekterweise eben beides in beiden Zusammenhängen anzuführen gewesen und nicht in so sinnreicher Aufteilung. Ausgerechnet mit dieser Quelle, von der nach den gegebenen Allgemeinvoraussetzungen so besonders viel zu erwarten schien, ist also für die vorliegende Fragestellung wie für manche andere gar nichts anzufangen; sie repräsentiert in erster Linie eine äußerst bemerkenswerte Stimme der Kreuzzugskritik, die als solche ihren Wert behält, doch für die Rekonstruktion der Vorgeschichte des Unternehmens muß sie aus dem Spiel gelassen werden. Die „göttliche Inspiration“ beleuchtet nichts als die persönliche Einstellung des Autors zum Kreuzzugsplan, sie sagt nichts über den wirklichen Urheber, schon gar nichts für eine hervortretende sächsische Eigeninitiative. Nicht persönlich unter den Teilnehmern des Frankfurter Tages genannt, doch gleichfalls wohlunterrichtet war Otto von Freising, Halbbruder König Konrads III., in seiner bischöflichen Funktion zugleich Reichsfürst, und zwar im bairischen Bereich, von dem her auch damals enge Beziehungen zum für den „Wendenkreuzzug“ wichtigen Welfenhause bestanden, nicht zuletzt als Zisterzienser ein Ordensbruder des Abtes von Clairvaux. Er berichtet ausführlich über zahllose spontane und freiwillige Kreuznahmen für den Jerusalemzug, darunter die eigene; im Anschluß daran notiert er lakonisch: „Saxones vero, quia quasdam gentes spurcitiis idolorum deditas vicinas habent, ad orientem proficisci abnuentes cruces itidem easdem gentes bello attemptaturi assumpserunt“15. Hier sind die Sachsen ausdrücklich als Subjekt angeführt, doch als ihre Eigenregung erscheint klar nur die Ablehnung der Orientfahrt. Anspielung auf einen Faktor, der ihre Kreuznahme verursachte – eigener Entschluß oder Fremdwerbung von
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Dazu provisorisch: Kahl (wie Anm. 4), S. 234 f. mit Anm. 277 (S. 755). Über Bernhards Rolle für den Orientkreuzzug in dem oben Anm. 1, Ende, genannten Buch; über die päpstliche Autorisation des Wendenkreuzzugs oben Anm. 2 und 11. 15 Otto Fris., Gesta I, 42 (S. 61, 2 ff.) Waitz-v. Simson bzw. I, 43 (S. 212, 1 ff.) Schmale. 14
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außen her –, vermag ich in diesem Text nicht zu entdecken; der Tenor der Diktion, gemessen am vorausgehenden Kontext, spricht eher für sächsische Zurückhaltung auch in diesem Punkte16. Man mag Papst Eugen hinzunehmen mit der Bulle, die die bernhardinische Proklamation des Wendenkreuzzugs gutheißt und abwandelt zugleich17. Sie stellt, an die ‚universi Dei fideles‘ als Adressaten gewandt, fest: „Quidam . . . ex vobis . . . contra Sclauos ceterosque paganos habitantes versus aquilonem ire . . . intendunt“. Das ist eine Formulierung, die nach bereits geleisteten Gelübden in jedem Fall berechtigt ist, gleichgültig, wie sie zustandekamen, ob spontan oder nicht; zur Urheberfrage ist hier gleichfalls nichts ausgesagt. Dasselbe gilt für die Notiz im ‚Auctarium Gemblacense‘, wo man liest: „Daci et Westphali ac Saxonum duces consenserunt“, statt in den Orient gegen die Wenden zu ziehen18: Hier wird schon durch Einschaltung der Dänen, die in Frankfurt naturgemäß gar nicht vertreten waren, sondern erst nachträglich durch einen päpstlichen Sonderlegaten in die Werbung für den Wendenkreuzzug einbezogen wurden19, mehr als deutlich, daß die Aussage nicht den Ursprung dieses Unternehmens berührt, sondern ein Stadium fortgeschrittener Planung. Wir bleiben daher auf Bernhards Sendbrief angewiesen, in dem es heißt: „. . . consilio domni regis et episcoporum et principum, qui convenerant Frankonouort, denunciamus armari Christianorum robur adversus illos . . . promittentes“ etc.20. Der Abt von Clairvaux rückt mithin sich selbst in eindeutiger Weise in den Vordergrund. Eine solche Angabe kann nun zwar nicht ungeprüft übernommen werden: Es gibt Fälle, für die eine bewußte Verkleinerung des Anteils anderer maßgeblich Beteiligter durch den Aussteller nachweisbar ist21. 16 Zweifeln kann man vielleicht, ob in dem oben zitierten Text der Relativsatz: „quia quasdam – habent“, von „ad orientem proficisci abnuentes“ abhängt oder von „cruces . . . assumpserunt“. Die erste Möglichkeit kommt mir erheblich wahrscheinlicher vor. Selbst im zweiten Falle bliebe die obige Feststellung bestehen, daß keine Andeutung fällt, ob die Kreuznahme der Sachsen auf eigener oder fremder Anregung beruhte. 17 JL 9017 (oben Anm. 2). Der Versuch von Lotter (wie Anm. 1), eine innere Übereinstimmung dieser Papstbulle mit dem Aufruf Bernhards zu erweisen (bes. S. 16–19), ist m.E. nicht geglückt; ich halte daher an der differenzierenden Gegenüberstellung fest, wie ich sie im Einklang mit sonstiger Forschung am oben Anm. 4 angeführten Ort, S. 231, vornahm. 18 Sigeb. Auct. Gembl., a. 1148 (MG SS VI, 392, 4). 19 Berry (wie Anm. 5), S. 481. 20 Bern. Clar. (wie Anm. 2). 21 Es sei an die Urkunden Papst Johannes’ XIII. zur Gründung des Erzbistums Magdeburg von 967/68 erinnert, in denen der tatsächlich handelnde Kaiser zur Nebenfigur
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Im vorliegenden Fall muß man jedoch die unverkennbaren, starken Widerstände unterschiedlichster Motivation hinzunehmen, die sich im Zusammenhang dieses Sonderkreuzzugs über die Elbe im sächsischen Bereich feststellen lassen, bei weltlichen wie geistlichen Herren22: Bernhard selbst hat sie unverkennbar vorausgeahnt, wie das unverhohlene Mißtrauen zeigt, das sein Aufruf gegen beide, gerade auch die Prälaten, zum Ausdruck bringt23. Andererseits ist die oft so gewaltsam zwingende Persönlichkeit des Abtes von Clairvaux zu berücksichtigen. Wie hatte er erst wenige Monate zuvor das Ungestüm ihres bedingungslosen Forderns über alle entgegenstehenden Rücksichten hinweg im Werben um die Kreuznahme Konrads III. bewiesen24, ähnlich aber auch in dem weniger bekannten Versuch, den bedeutenden Kölner Magister Alexander als Mönch für Clairvaux anzuwerben25! Viele Gelegenheiten sonst ließen sich hier noch anführen: Denken wir nur noch an den Fall Abaelard26. Immer wieder erweist Bernhard, dieser heilige Eiferer, sich als eine Persönlichkeit, die die Gesetze des Handelns nicht von anderen entgegennimmt, sondern sie ihnen ihrerseits vorschreibt. Man wird daher nicht umhin können, die Angabe des Abtes über seine eigene Rolle in diesem Zusammenhang glaubhaft zu finden. Quellenstellen, die
gestempelt und der Papst selbst samt anderen kirchlichen Würdenträgern durchaus wahrheitswidrig zum eigentlichen Akteur umstilisiert wird; vgl. W. Schlesinger, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter, Bd. I, Köln-Graz 1962, S. 28–30 und weiter, dazu Lit. S. 296, aus der Brackmann hervorzuheben ist. Die Problemstellung kommt bei Claude (wie Anm. 1), Bd. I, 1972, S. 83–92, nicht mit gleicher Präzision heraus; vgl. jedoch dort genannte weitere Lit. 22 Kahl (wie Anm. 4), S. 225–233. 23 Von Bernhard von Clairvaux (wie Anm. 20) gegenüber den geistlichen Herren zum Ausdruck gebracht durch erstaunlich wortreiche Mahnung, sie sollten unter allen Umständen über die Einhaltung des Kreuzzugszieles wachen (vgl. Kahl, ebd., S. 232 mit Anm. 254 (S. 752), in Verbindung mit den dort vorausgehenden Ausführungen, S. 225 ff.), gegenüber den weltlichen durch gleichfalls unverhältnismäßig eindringliche Anweisungen über die Mindestvoraussetzungen eines etwaigen Vertragsschlusses, die in dem oben Anm. 1, Ende, genannten Buch, 2. Kapitel, eingehender analysiert sind. 24 Schon der prämonstratensische Annalist von Pöhlde sah hier die Grenzen des Vertretbaren überschritten; vgl. Ann. Palid. a. 1147 (MG SS XVI, 82, 28): Konrad nimmt das Kreuz, „Bernhardo Clarevallensi abbate nimium urgente eius profectionem“. Das oben Anm. 1, Ende, erwähnte Buch sucht im 4. Kapitel diese Vorgänge unter dem Blickwinkel der besonderen bernhardinischen Denkvoraussetzungen zu analysieren und im 7. Kapitel zu zeigen, daß der Dichter des ‚Ludus de Antichristo‘ diesem Ringen Bernhards um die Kreuznahme des Staufers wesentliche Züge seines Antichristbildes entnommen hat. 25 J. Greven, Die Kölnfahrt Bernhards von Clairvaux, in: Ann. d. Hist. Vereins f. d. Niederrhein 120, 1932, S. 9–11. 26 A. Borst, Abälard und Bernhard, in: HZ 186, 1958, S. 497–526.
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dem ernsthaft entgegenstehen, sind – wie gezeigt – nicht vorhanden. Damit scheint kaum eine andere Rekonstruktion der Vorgänge möglich als die folgende: Bernhard trat in Frankfurt mit seiner Werbung für den Orientkreuzzug auf, die ihn schon zu so vielen Erfolgen geführt hatte; doch bei den Sachsen fand er wenig Gegenliebe. Sie brachten den Hinweis auf die heidnische Nachbarschaft an ihrer eigenen Grenze vor27, vermutlich in dem Sinn, diese hindere sie, sich dermaßen lange außer Landes zu begeben, wie die Fahrt nach Jerusalem es verlange28. Tatsächlich drohte damals den sächsischen Grenzlanden von den Elb- und Ostseeslaven keinerlei unmittelbare Gefahr: Mochten sie auch nicht unbedingt auf ewigen Frieden sinnen, sie hatten seit Jahrzehnten unter wachsendem Expansionsdrang sächsischer wie polnischer Fürsten gestanden, hatten auch sonst z.T. äußerst schwere Verluste hinnehmen müssen und waren nun durchaus auf einen Modus vivendi bedacht, der Schlimmeres fernhalten könnte; teils standen sie unter einem eigenen christlichen Herrscher, der enge, freundschaftliche Beziehungen nach Westen hin unterhielt, teils lebten sie bei fortwährendem Heidentum doch mit den Machthabern ihrer deutschen Nachbarschaft in ausgesprochenem Bündnisverhältnis, das auf gegenseitige Rückendeckung abzielte. Nichts spricht dafür, daß von auch nur einem der Partner auf ihrer Seite damals eine akute Bedrohung des Landfriedens im sächsischen Grenzgebiet ausging29; mit anderen Worten: Wer geneigt war, Maßstäbe anzulegen wie die, die in christlicher Völkerrechtslehre
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Siehe Anm. 15–16. Vgl. den Rechtfertigungsbrief Konrads III. an den Papst wegen seiner Kreuznahme (MG DD IX, 333, 2 ff.): „. . . dulcedinem vestram movit, nos rem tantam, scilicet de signo vivifice crucis et de tante tamque longe expeditionis proposito, . . . assumpsisse . . .“. Dazu aber auch Die Chronik des Klosters Petershausen, hrsg. v. O. Feger, Lindau-Konstanz 1956, c. 32, S. 228, über Leute, die am Wendenkreuzzug teilnehmen, weil ihnen „illud iter, de quo iam retulimus (die Orientfahrt), laboriosum visum est“. 29 Die Literatur über die tatsächlichen Zustände ist überreich; ich greife heraus: W. Brüske, Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes. Deutsch-wendische Beziehungen des 10.–12. Jahrhunderts, Münster-Köln 1955, bes. S. 95–106; Kahl (wie Anm. 4), passim; Beitrag VIII; M. Hamann, Mecklenburgische Geschichte von den Anfängen bis zur Landständischen Union von 1523, Köln-Graz 1968, S. 60–67 und weiter bis 72; Lotter (wie Anm. 1), S. 56–59 und weiter bis S. 69 (dazu aber die oben Anm. 1 genannte Rezension). 28
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seit patristischer Zeit entwickelt worden waren30, konnte beim besten Willen gegen diese Nachbarn keinen „gerechten Kriegsgrund“ finden, wie er doch nach diesen Normen erforderlich war. Kaum im Sinne der Angesprochenen aber lag ein bewaffneter und verheerender Ausgriff in das wohlbefriedete Nachbargebiet, das dem eigenen machtpolitischen Einfluß ohnedies offenstand: Er konnte allenfalls negativ auf die eigenen fiskalischen Interessen zurückschlagen31 – nur die eigenen Grenzlande gar zu stark zugunsten des Jerusalemzuges von wehrfähigen Männern zu entblößen, mochte nicht gerade ratsam erscheinen32. „Realpolitische“ und ideelle Motive wiesen mithin in die gleiche Richtung, mochten sie sich nun im Einzelfall verbinden oder nicht. Bernhard aber – um den Rekonstruktionsversuch fortzusetzen – nahm die Sprecher, die – ob nun ernstgemeint oder als Vorwand – auf notwendige Defensivbereitschaft gegenüber den benachbarten Heiden hingewiesen hatten, beim Wort. Er hielt ihnen die Notwendigkeit vor, dann eben Kreuzzugsaktivitäten dorthin zu richten, damit der Jerusalemplan von diesen Heiden in seinem Rücken her nicht gefährdet werden könne33: Ein großzügiges Überspielen der dargelegten Realitäten durch eine umfassende metaphysisch-heilsgeschichtliche Konstruktion, die die Planungen dieser Jahre in die große, weltweite Auseinandersetzung der beiden ‚civitates‘ Augustins hineinzustellen suchte mit dem Bösen, dem ‚malignus‘, dem Herrn der Heiden als eigentlichem Gegenspieler auf der anderen Seite34. Dies propagierte der Abt mit der ihm eigenen Intensität alsbald in einer Weise, daß die Sachsen in der
30 Bequeme Zusammenstellung der wichtigeren Literatur bei Schwinges (wie Anm. 1), S. 221, Anm. 20; vgl. Beitrag XV, S. 548 f. 31 Immer wieder zitiert Helmold I, 65, S. 122, 26 ff.: „Nonne terra, quam devastamus, terra nostra est, et populus, quem expugnamus, populus noster est? Quare igitur invenimur hostes nostrimet et dissipatores vectigalium nostrorum?“ Vgl. dazu Beumann (wie Anm. 2), S. 144. Die Einstellung entspricht derjenigen, die auf dem spanischen Kriegsschauplatz für beteiligte einheimisch-christliche Fürsten im Maurenkrieg feststellbar ist; vgl. C. Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935 = Darmstadt 1955, S. 89. 32 Vgl. die erst wenige Jahre zurückliegenden Erfahrungen, die Helmold I, 44–46, S. 105–111, festhält. – Von den zweifellos auch im Sinn zeitgenössischen Kriegsrechts akzeptablen Gründen, die sich aus dänischen Verhältnissen ableiten ließen, ist hier abgesehen, weil sie in Frankfurt zweifellos noch außerhalb des Gesichtskreises lagen; zu dieser Problematik gleichfalls im oben Anm. 1, Ende, genannten Buch, 2. Kapitel. 33 Breit ausgeführt bei Bern. Clar. (wie Anm. 2); dazu im oben Anm. 1, Ende, genannten Buch, 2. Kapitel. 34 Ebd.
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damals in Frankfurt vorherrschenden Stimmung unter moralischen Druck gerieten und sich nicht länger entziehen konnten35. Die damit von Anfang an gegebene Diskrepanz aber zwischen Wollen und Sollen auf ihrer Seite gehört zu den wesentlichen Ursachen, warum der Kreuzzug in vielem so anders endete, als es von Bernhard aus geplant war; denn diese Tatsache bleibt offensichtlich bestehen, auch wenn der Grad, in dem nach damaligen Vorstellungen das Kreuzzugsziel tatsächlich erreicht wurde, nicht unterschätzt werden sollte36. Das ist in dieser Form, um es nochmals zu betonen, Rekonstruktion, kein belegter Bericht. Sie dürfte sich jedoch so eng wie möglich einerseits an vorliegendes Belegmaterial, andererseits an sonst bekannte Zusammenhänge anlehnen. Man wird nicht fehlgehen, wenn man ihr einen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeitsgehalt zumißt. Erwünschte Bestätigung bietet die Beobachtung, daß das Sonderabzeichen, unter das der Wendenkreuzzug gegenüber allen sonst bekannten Kreuzzugsunternehmungen gestellt wurde37, gleichfalls schwerlich einem anderen Initiator als Bernhard zugeschrieben werden kann. Dies näher zu begründen, würde jedoch ein gar zu weites Ausholen erfordern, das die bisher durchaus noch nicht befriedigend geklärte Gesamtkonzeption des Abtes von Clairvaux für den Kreuzzug dieser Jahre einbezöge. Der Rahmen des vorliegenden Beitrags würde dadurch unweigerlich gesprengt, so daß diese Beweisführung einem anderen Zusammenhang vorbehalten bleiben muß38.
35 Adolf v. Holstein, vom Obodritenfürsten Niklot auf die Nachricht vom drohenden Kreuzzug hin wegen Bündnisbruchs um eine Begegnung ersucht, lehnt ab „dicens hoc incautum sibi propter offensam principum“ (Helmold I, 62; S. 118, 22 ff.; vgl. auch I, 59, S. 114 f.). 36 Beitrag XXI. 37 Otto Fris., Gesta I, 42, S. 61, 5 ff., Waitz-v. Simson bzw. I, 43, S. 212, 3 ff., Schmale; dazu Ann. Stad, a. 1147 (MG SS XVI, 327, 19 f.). Zur Interpretation ausführlich das oben Anm. 1, Ende, genannte Buch im 5. Kapitel. 38 Ausführlich im genannten Buch; vgl. vorläufig: Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte e. V., Protokoll der 76. Arbeitstagung vom 18. 1. 1975 in Gießen; vervielfältigt.
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„. . . AUSZUJÄTEN VON DER ERDE DIE FEINDE DES CHRISTENNAMENS . . .“ Der Plan zum „Wendenkreuzzug“ von 1147 als Umsetzung sibyllinischer Eschatologie Herrn Professor Dr. Karl Hauck in langjähriger Verbundenheit
Die katholische Christenheit begeht in diesem Jahr 1990 den 900. Geburtstag eines Mannes, der zu ihren bedeutenden Heiligen und Kirchenlehrern zählt: des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux. Indem er 1147 die Unternehmung auslöste, die gewöhnlich als „Wendenkreuzzug“ bezeichnet wird, hat er tief auch in die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands eingegriffen1. In welcher Weise und mit welcher Zielsetzung dies von ihm aus geschah, ganz unabhängig von der Rezeption oder Nichtrezeption seiner Vorstellung unter denen, die sich daraufhin in Marsch setzen ließen, das ist noch immer nicht so geklärt, daß von einem Konsens der Fachwelt gesprochen werden könnte. So mag der Fragenkreis hier erneut aufgegriffen werden2. 1
Zur alleinigen Urheberschaft Bernhards von Clairvaux am sogenannten Wendenkreuzzug: Oben Beitrag XIX (künftig zitiert: Kahl II). 2 Der angesprochene Komplex beschäftigt mich seit vielen Jahren. An Vorarbeiten hebe ich hervor (nachstehend als Kahl mit jeweiliger römischer Ziffer zitiert): I: Oben Beitrag XII (dort ältere Literatur); II: Beitrag XIX; III: Fides cum Ydolatria . . . Ein Kreuzfahrerlied als Quelle für die Kreuzzugseschatologie der Jahre 1146/47, in: Festschrift für Berent Schwineköper, hrsg. von H. Maurer und H. Patze, Sigmaringen 1982, S. 291–307; IV: Bernhard von Fontaines, Abt von Clairvaux, in: Gestalten der Kirchengeschichte, hrsg. von M. Greschat, Stuttgart 1983, S. 173–191; V: Die Ableitung des Missionskreuzzugs aus sibyllinischer Eschatologie. Zur Bedeutung Bernhards von Clairvaux für die Zwangschristianisierungsprogramme im Ostseeraum, in: Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung des Ostseegebietes, hrsg. von Z. H. Nowak (= Ordines militares I), Toruń 1983, S. 129–139; VI: Christianisierungsvorstellungen im Kreuzzugsprogramm Bernhards von Clairvaux. Anmerkungen zum geistesgeschichtlichen Kontext des „Wendenkreuzzugs“ von 1147, in: Przegląd historyczny 75 (1984), S. 453–461. (Die vorliegende Abhandlung ist eine ergänzende Zusammenfassung der Artikel V und VI, die, an schwer zugänglichen Stellen erschienen, bisher wenig zur Wirkung gekommen sind.) Gleichzeitig im Druck: VII: Die Kreuzzugseschatologie Bernhards von Clairvaux und ihre missionsgeschichtlichen Auswirkungen, in: D. R. Bauer und G. Fuchs (Hrsgg.), Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne
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beitrag xx 1. Wider die „Heiden des Nordens“
Wer hat wohl den Ausdruck „Wendenkreuzzug“ geprägt? Vermutlich gehörte sein Schöpfer dem vorigen Jahrhundert an, das so stark gewöhnt war, den Hauptakzent historischer Auseinandersetzungen auf etwa beteiligte „nationale“ Komponenten zu legen; und vielleicht hat er sich dabei an einen Gewährsmann angelehnt, der hier an sich zu unseren wichtigsten rechnet: an Helmold von Bosau. Bei ihm steht tatsächlich zu lesen, das unerhört gewaltige Kreuzheer, das auf die werbende Predigt Bernhards zusammenkam, sei in drei Heersäulen aufgeteilt worden; von ihnen sei eine, die dritte, „zu den Slawen“ abgeordnet worden, „die in unserer Nähe wohnen“3. Dieser Quellenautor schreibt jedoch aus nicht unbeträchtlichem Abstand zum Geschehen von 1147, und er tut dies aus regional begrenztem Gesichtskreis; er geht aus von dem, was auf die großangelegte Propagandakampagne hin im Endergebnis wirklich zustandegekommen war, soweit sein Horizont das einschloß4. Die Intentionen der Kreuzzugsplanung aber sahen anders aus – das zeigen die authentischen Dokumente aus dem genannten Jahre selbst. Der Aufruf, der das Unternehmen entscheidend in Gang setzte, erging im März 1147 im Zusammenhang mit dem Reichstag zu Frankfurt, auf dem es geplant worden war; er stammte aus Bernhards Feder – die übliche Zählung reiht ihn als Nr. 457 in sein Briefcorpus ein. Dieser Text nennt überhaupt keinen Volksnamen. Er spricht, ethnisch völlig neutral, von den hostes crucis Christi, qui sunt ultra Albi, und charakterisiert
Innsbruck-Wien, S. 262–315 (erschienen 1996, Bibliografie Nr. 133); VIII: Die universale Bereinigung der Heidenfrage – ein übersehenes Kriegsziel des zweiten Kreuzzugs, in: Gedenkschrift für František Graus, hrsg. von K. Simon-Muscheid und S. Burghartz, Sigmaringen 1992, S. 63–89. 3 Helmolds Slavenchronik, bearb. von B. Schmeidler, Hannover 1937, I,59 (S. 115, 17 ff.): Visum autem fuit auctoribus expedicionis partem exercitus unam destinari in partes orientis, alteram in Hyspaniam, terciam vero ad Slavos, qui iuxta nos habitant. – Vgl. c. 62 (S. 118,8 ff.): Tercius signatorum exercitus devotaverunt se ad gentem Slavorum, Obotritos scilicet atque Luticios nobis confines. – Vgl. Wibald, ep. 150, wie unten Anm. 9. 4 Hans-Dietrich Kahl, Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147, in: Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters, hrsg. von H. Beumann, Darmstadt 1963, unten Beitrag XXI, S. 667–675, bes. 672 ff.
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sie weiterhin als pagani5; in geographischer Hinsicht fügt er außer dem Namen des Stromes, der ihm die Grenze des Kriegsgebietes gegen die Christenheit bezeichnete, keinerlei Beschränkung hinzu6. Vom erdkundlichen Wissen des Heiligen darf man sich keine übertriebenen Vorstellungen machen7. Man muß folgern: Die Zielsetzung, die dieser Aufruf proklamierte, wollte sein Urheber angewandt wissen auf alles ohne Unterschied, was an Heiden, wo auch immer, in der bezeichneten Richtung, jenseits des Grenzflusses wohnte, bis zu den Enden der begrenzten Welt, mit der er glaubte, rechnen zu dürfen. Daß dies zutrifft, bekräftigt kein Geringerer als Papst Eugen III. in der Bestätigungsbulle, die selbstverständlich erwirkt werden mußte – schon der Kreuzzugsablaß, den Bernhard in sein Sendschreiben aufgenommen hatte, konnte ja rechtsverbindlich nicht anders gewährt werden als durch das Privileg des römischen Stuhls. Der zu diesem Zweck konzipierte Text tritt dem Aufruf Bernhards bemerkenswert selbständig gegenüber. Er führt dabei zwar den Slawennamen ein, doch lediglich als Anfangsglied einer erweiterten Formel: contra Sclavos ceterosque paganos habitantes versus aquilonem ire8. Hier geht es also gleichfalls um nichts als eine religiöse Qualität, ohne ethnische Begrenzung und ohne andere geographische Einschränkung als die allgemeine Angabe der Himmelsrichtung. Dieselbe Auffassung finden wir, mindestens zunächst, bei einem der unmittelbaren Teilnehmer an dieser Expedition, Abt Wibald von Stablo und Corvey, formuliert unmittelbar nach seiner Rückkehr9, und dem entspricht das Zeugnis der Annalen von
5 Bernardus Clarevallensis (künftig zitiert: Bern. Clar.), ep. 457, jetzt mit verbesserter Textfassung in: S. Bernardi Opera VIII, bearb. von J. Leclercq und H. Rochais, Romae 1977, S. 432 f. Durch diese Ausgabe sind alle früheren überholt. – Zur ethnisch durchaus indifferenten Tendenz des Schriftstücks: Hans-Dietrich Kahl, Einige Beobachtungen zum Sprachgebrauch von natio im mittelalterlichen Latein, in: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter, hrsg. von H. Beumann und W. Schröder, Sigmaringen 1978, S. 82–89. 6 Helmut Roscher, Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge, Göttingen 1969, S. 195 m. Anm. 15. 7 Hans-Dietrich Kahl, Was bedeutet: „Mittelalter“?, in: Saeculum 40 (1989), S. 25 f. 8 Eugen III., P. Jaffé, S. Loewenfeld (u.a.), Regesta pontificum Romanorum . . ., Leipzig 1885–1888 (künftig zitiert: JL) 9017; Pommersches Urkundenbuch I, 2. Aufl., bearb. von K. Conrad, Köln/Wien 1970, S. 37, Nr. 32 [künftig PUB]; vgl. den Brief an Bischof Heinrich von Olmütz 1147: JL 9110 (PUB, S. 38, Nr. 33): contra Sclauos ceterosque paganos habitantes versus aquilonem eundi et ipsos Christiane religioni subiugandi. 9 Wibald, ep. 58 (geschrieben 1147 Okt.; PUB S. 39 Nr. 35): in expeditione super paganos trans Albim . . . Zwei Jahre später, 1149, in ep. 150 (S. 40, Nr. 37) heißt es dann allerdings: Reversi ab expeditione Sclavica, also in gleichem Sinn wie bei Helmold,
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Magdeburg, das Bernhard im Einklang mit den in Frankfurt versammelten Fürsten zum Aufmarschzentrum bestimmt hatte10: Das unmittelbare Vorfeld dieser Elbmetropole war damals noch weitgehend wendisch, und die Berichterstattung über die Kreuzzugsziele folgt weitgehend dem päpstlichen Wortlaut; trotzdem wird dabei einerseits der Wenden- oder Slawenname ersatzlos unterdrückt, andererseits aber ein zusätzlicher Kreuzzug aufgenommen, über den sonst nichts bekannt ist, gerichtet gegen die nichtslawischen Prußen, durchgeführt als polnisch-russisches Gemeinschaftsunternehmen11. Als Summe ergibt sich: es ging 1147 von der maßgeblichen Planung her nicht um „Wenden“; es ging um „Heiden“ überhaupt, ohne Einschränkung außer allein dem Hinweis auf die (von Rom her) nördlich gelegenen Wohnsitze östlich des Elbstroms; wir verbauen uns das Verständnis wichtiger Zusammenhänge und Hintergründe, wenn wir dies verkennen. 2. Sibyllinische Fragezeichen Wer die Wege nachzuzeichnen versucht, auf denen es zur Christianisierung unseres Erdteils kam, stößt immer wieder auf Zeugnisse oben Anm. 3. Vgl. auch Annales Palidenses, a. 1147 (MG Scriptores [künftig zitiert: SS] XVI, 827). 10 Annales Magdeburgenses, a. 1147 (MG SS XVI, S. 188,34 ff.): contra paganos versus aquilonem habitantes . . . Analyse dieses Berichts, der eine beachtliche Kritik am Kreuzzugsziel Bernhards, aber auch am Verhalten der Kreuzfahrer impliziert, bei Kahl II (Beitrag XIX), S. 625–627. 11 Annales Magdeburgenses (a. a. O., S. 188,44 ff.), nach Erwähnung eines dux Poloniae (der nach dem Sprachgebrauch des Annalisten noch immer der von Konrad III. gestützte Władysław II. Wygnaniec gewesen sein dürfte!): Cuius etiam frater maior (also Bolesław IV. Kędzierzawy, der dessen Stelle de facto eingenommen hatte?) cum infinito exercitu adversus Pruscos . . . venit . . . contra quos etiam Rutheni . . . cum maximis armatorum copiis exiverunt. Es ist dies meines Wissens der einzige Fall, für den ein Zusammenwirken zwischen latein- und ostkirchlich Gebundenen in einem Kreuzzug bezeugt ist. Die Information mag dem Annalisten über einen Teilnehmer am bekannten Kruschwitzer Fürstentag von 1148 zugekommen sein. Zur Frage der polnischen Beteiligung: Benedykt Zientara, Stosunki polityczne Pomorza Zachodniego z Polską w drugiej połowie XII wieku (Die politischen Beziehungen Pommerns zu Polen in der zweiten Hälfte des 12. Jh.s), in: Przegląd Zachodni 61 (1970), S. 547–552, passim; anders Kazimierz Myśliński, Sprawa udziału Polski w niemieckiej wyprawie na Słowian połabskich (Die Frage der polnischen Beteiligung an der deutschen Auseinandersetzung mit den Elbslawen), in: Ars historica. Uniwersytet im. A. Mickiewicza w Poznaniu, Ser. hist. 71, Poznań 1976, S. 357–376, mit zahlreichen weiteren Angaben; dazu ablehnend: František Graus, Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter, Sigmaringen 1980, S. 76 Anm. 272.
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einer Unmenschlichkeit, die sich kraß abhebt von der grundsätzlichen Declaratio de Libertate Religiosa des Zweiten Vatikanischen Konzils vom 7. Dezember 1965, der Konstitution Dignitatis humanae12. Daß Bernhards Sendbrief 457 in der langen Reihe einen besonderen Gipfelpunkt repräsentiert, wurde längst hervorgehoben. Doch wie konnte es dazu kommen? Aufgabe des Unternehmens, als dessen geistiger Urheber niemand als der Abt von Clairvaux in Betracht kommt13, ist nach diesem Text etwas, was uns erstaunlich klingt: eine Flanken- und Rückendeckung des schon längst vorbereiteten Jerusalemkreuzzugs (ut . . . non . . . impediatur via Ierosolimitana). Der Satan habe die Heiden jener Gegenden – die, wie schon zitiert, hostes crucis Christi, qui sunt ultra Albi – aufgeboten, die längst verderblich im Hinterhalt lagen ( perniciose insidiantes), um die Heilswirkung des Kreuzzugs in den Orient nach Möglichkeit zu neutralisieren. Darum wird gefordert, diese Heiden „entweder gänzlich zu vernichten oder“, wie Bernhard hinzufügt, „gewißlich zu bekehren“, was mit Waffengewalt durchzuführen der Abt demnach für möglich hält14 (ad delendas penitus, aut certe convertendas nationes illas, wobei nationes schon nach dem Sprachgebrach der Vulgata „Heiden“ meint15); es dürfe mit diesen Gegnern keinerlei Übereinkunft geschlossen werden, „bis mit Gottes Hilfe entweder ihr Kult als solcher oder ihr Volk vernichtet wird“ (donec, auxiliante Deo, aut ritus ipse, aut natio deleatur)16. Wir stehen hier mithin vor einer Radikalform bewaffneter Zwangsmission.
12 Acta Apostolicae Sedis 58 (1966), S. 929–946; Wiederabdruck mit seitens der deutschen Bischofskonferenz genehmigter Übersetzung sowie ausführlicher Einleitung und Kommentierung in: Lexikon für Theologie und Kirche, Ergänzungsband II, Freiburg 1967, S. 704–748; vgl. Hans-Dietrich Kahl, Religionsfreiheit in der Sicht des modernen Katholizismus, in: Die Rolle der Großkirchen in der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. J. Albertz (= Schriftenreihe der Freien Akademie III), Wiesbaden 1983, S. 99–102. 13 S. Anm. 1. 14 Dabei ist die, von heute gesehen, Oberflächlichkeit der mittelalterlichen Missionsmethode zu beachten, die im allgemeinen ohne tiefere Belehrung möglichst rasch zur Taufe als Gehorsamsakt gegen den Allmächtigen drängte und weiteres der innerkirchlichen Nacharbeit überließ: Beitrag X, bes. S. 308–316; vgl. auch oben Anm. 4. 15 H.-D. Kahl, Einige Beobachtungen, wie Anm. 5, S. 82–87, bes. 84 f. m. Anm. 70; vgl. auch meine Rezension in: JGMOD 28 (1979), S. 322–324. 16 Bern. Clar., wie Anm. 5.
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Eine solche Konzeption hatte vor 1147 theologisch wie kanonistisch als ungeheuerlich gegolten17, wenn sie auch gelegentlich praktiziert worden war, zum Beispiel in den Judenpogromen der Frühphase des ersten Kreuzzugs, als Äußerung eines vulgären Frömmigkeitsfanatismus, den die offizielle Kirche niemals gebilligt hatte18. Der von dieser Konzeption gespiegelte Standpunkt blieb auch weiterhin, was den Hauptstrom kirchlicher Geistes- und Rechtsgeschichte angeht, unrezipiert19. Er steht kraß im Widerspruch zu allen einschlägigen Stellungnahmen von Theologen und Kanonisten – einzig ein wesentlich jüngerer Sprecher, Johannes Duns Scotus († 1308), hätte sich vielleicht mit ihm befreunden können20. Um so mehr überrascht, daß ein solcher Aufruf an die Christenheit seiner Zeit (universis fidelibus Dei) ausgerechnet von einem so hochverehrten Heiligen wie Bernhard ausgehen konnte. Dieser Mann wird als einer der hervorragendsten Repräsentanten abendländisch-klösterlicher Spiritualität betrachtet, Träger und Lehrer einer tief verinnerlichten Mystik, Bahnbrecher einer neuen Art persönlich verinnerlichter Liebesfähigkeit; er war eine Art ungekrönter Papst seiner Zeit und gilt, wie gesagt, als anerkannter doctor ecclesiae21.
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Beitrag XV, bei Anm. 183. H.-D. Kahl, Was bedeutet „Mittelalter“? wie Anm. 7, S. 27 f. m. Lit. – Die Sachsenkriege Karls d. Gr. sind hier fernzuhalten, weil in ihre barbarische Härte die Sonderproblematik kirchlichen Apostatenrechts hineinspielte, die nicht mit einer Schwertmission unter Ungetauften vermengt werden darf. Zur Begriffsbildung: Beitrag X, bes. S. 315–319 u. Anm. 108; dazu für den genannten Spezialfall: Beitrag XI. Ich hoffe, auf diese Fragen zurückzukommen. 19 S. Anm. 17, dazu H. Roscher, Papst Innozenz III., wie Anm. 6, über das rasche Zurückdrängen der Institution „Missionskreuzzug“ durch die erneute Forderung nach friedlichem Vorgehen im Missionswerk; ergänzend Kaspar Elm, Franz von Assisi: Bußpredigt oder Heidenmission? in: Atti del VI Convegno della Società internazionale di Studi Francescani, Assisi 1978 (Druck: Assisi 1979), S. 71–103. 20 S. Anm. 17. 21 Es genüge hier der Hinweis auf die jüngsten zusammenfassenden Artikel: von Friedrich Wilhelm Bautz, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. I, Hamm 1975, S. 530–532, und Jean Leclercq, in: Dictionnaire des Auteurs Cisterciens, Rochefort/Belgique 1975–1979, S. 104–107; Günther Binding, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1, München/Zürich 1890, Sp. 1992–1998; Jean Leclercq, in: Theologische Realenzyklopädie IX 1,5 (1980), S. 645–650, sämtlich mit weiterer Literatur. – Ein eigener Syntheseversuch: Kahl IV. 18
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Muß es nicht absurd scheinen, ausgerechnet einer Persönlichkeit dieser Art eine Konzeption, wie geschildert, zuzutrauen? Hat nicht gerade Bernhard im Umgang mit denen, die für ihn „Ungläubige“ waren, immer wieder echte Milde bewiesen, Überzeugung gefordert statt Zwang und Bedrohte persönlich geschützt? Ein so fundierter Einspruch ist entwickelt worden22. Doch die Echtheit des Briefes 457 ist nicht zu bezweifeln; sie ist gesichert, wie wir erst neuerdings wissen, durch Doppelüberlieferung an weit auseinanderliegenden Orten, zwischen denen engere Verbindung nicht nachweisbar ist 23 – der Gedanke an einen Austausch von Stilübungen unter fremdem Namen etwa verbietet sich. Zudem ist ein Fälschungsinteresse nicht abzusehen. Was also liegt hier vor? Der eben skizzierte Versuch, Überliefertes zu entschärfen, kann sich auf wichtige Quellen stützen und sich damit überzeugend geben. Bei näherem Zusehen jedoch zeigt sich: er vertritt nichts als eine Teilwahrheit. Wichtiges Material ist beiseite gelassen und anderes daraufhin unzutreffend eingeordnet worden24. Wohl hielt der Abt von Clairvaux, und das ist wichtig, die umrissene Zurückhaltung stets für den Idealfall, doch führte sie nicht zum gewünschten Ziel, so wußte er, beträchtlich andere Seiten aufzuziehen. Schon eine seiner früheren Schriften, der Traktat Ad Milites Templi De Laude Novae Militiae (abgefaßt zwischen 1128 und 1136), redet eine merklich andere Sprache25. 1135 gehörte Bernhard zu den maßgeblichen
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Pierre Dérumaux, Saint Bernard et les infidèles, in: Mélanges Saint-Bernard, XXIXe Congrès de l’Association Bourguignonne des Sociétés Savantes, Dijon 1953, S. 68–79; wesentlich darauf gestützt: Friedrich Lotter, Die Konzeption des Wendenkreuzzugs, Sigmaringen 1977 (dazu die Rezension von H.-D. Kahl, wie oben Anm. 15), und jüngere Arbeiten desselben Autors, zuletzt: The Crusading Idea and the Conquest of the Region East of the Elbe, in: Medieval Frontier Societies, hrsg. von R. Bartlett und A. McKay, Oxford 1989, bes. S. 288–294 mit weiteren Angaben. Vgl. auch Josef Höffner, Kolonialismus und Evangelium 3. Aufl., Trier 1972, S. 47; über angebliches Eintreten Bernhards für friedliche Verkündigung in der äußeren Mission. Der „Hauptbeleg“, Serm. In Cant. 66,12 (Bern. Clar., Opera II, S. 186 f.), handelt in Wirklichkeit überhaupt nicht von dieser, sondern wendet sich gegen irreguläres Vorgehen des Volkszorns gegen Häretiker, eine völlig andere Kategorie (vgl. Beitrag X, S. 316 f., 320 f., 325, 335 f.) – die Vorgehensweise legitimer kirchlicher und weltlicher Gewalten wird im zitierten Zusammenhang überhaupt nicht angesprochen. Dazu unten Anm. 27. 23 Vgl. die Angaben zur Überlieferung in der Neuedition, wie oben Anm. 5. 24 Ein Beispiel in Anm. 22. Hinweise: Kahl IV, S. 182–189, notgedrungen ohne Belege. Ich hoffe, ausführlich auf diese Fragen zurückzukommen. 25 Bern. Clar., De laude novae militiae (Opera III), wie Anm. 5, Romae 1963, S. 207–239, bes. cc. I–IV, dazu Ulrich Mayer, Die Grundlegung der Kreuzzugsidee Bernhards von Clairvaux in seiner Schrift „De Laude Novae Militiae“. Magisterarbeit
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Teilnehmern des Konzils von Pisa, das in einem wenig beachteten Kanon erstmals den Jerusalemablaß für einen Krieg gegen christliche Schismatiker nutzbar zu machen suchte, die unbelehrbaren Anhänger des Gegenpapstes Anaklet II26. Ganz sicher wäre damals sein Einfluß stark genug gewesen, um einen solchen Kanon zu verhindern, wenn er nicht mit eigener Überzeugung hinter ihm gestanden hätte. Gegen Häretiker, die friedlicher Belehrung nicht zugänglich waren, sah er gleichfalls die Einschaltung des „weltlichen Schwertes“ vor27. Schon das gibt ein sehr anderes Bild. Vor allem aber ist gut bezeugt, daß am Vorabend des zweiten Kreuzzugs vorübergehend Strömungen um sich griffen, die wir „sibyllinisch“ nennen: angebliche Prophezeiungen so gottbegnadeter, wissender Frauen wie der Sibyllen des Altertums und anderer ehrwürdiger Autoritäten, weit zurückreichend und immer wieder neu bearbeitet; Prophezeiungen, nun auf den großen neuen Heidenkrieg gewendet, der damals bevorstand, und das so, daß sie ihn als ein Ereignis der anbrechenden Endzeit verstehen wollten28. Ausdrücklich hören wir, und von einem so wohlunterrichteten Zeitzeugen wie Otto von Freising, daß die erlauchtesten Geister Frankreichs zu denen gehörten, die sich damals solchen Gedankenbahnen überließen29. Das ist ein Kreis, aus dem der Abt von Clairvaux gewiß nicht ausgeschlossen werden kann. Er ist dabei nicht ausdrücklich mit genannt, denn Otto, sein Ordensbruder, bemüht sich, ihn möglichst zu schonen30, und diese Überzeugungen waren ja durch den Kreuzzugsausgang desavouiert. Doch schon ein
im Fachbereich Geschichtswissenschaften (masch.), Gießen 1977. Über die allgemeine Bedeutung dieser Schrift für die Entwicklung (und Einschränkung!) von RitterordensSpiritualität: Beitrag XXIV, S. 883–885, mit weiterer Lit. 26 Vgl. provisorisch H. Roscher, Innozenz III., wie Anm. 6, S. 215. 27 Elphège Vacandard, Vie de Saint Bernard, Bd. 2, 7. Aufl., Paris 1920, bes S. 216–223; Augustin Fliche (u.a.), Histoire générale de l’Eglise IX/1, Paris 1944, S. 94 f.; Yves Congar, L’ecclésiologie de S. Bernard, in: Analecta S. Ord. Cist. 9 (1953), S. 136–190, verkürzt: Die Ekklesiologie des hl. Bernhard, in: Bernhard von Clairvaux. Mönch und Mystiker, hrsg. von J. Lortz, Wiesbaden 1955, S. 76–119. 28 Kahl III, bes. S. 295 u. 298–300, vgl. unten Anm. 31. 29 Otto von Freising u. Rahewin, Gesta Frederici, pr., hrsg. von F. J. Schmale, Darmstadt 1965, S. 116. 30 Hubert Glaser, Das Scheitern des zweiten Kreuzzuges als heilsgeschichtliches Problem, in: Festschrift Max Spindler, hrsg. von D. Albrecht, A. Kraus, K. Reindel, München 1969, S. 115–142.
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oberflächlicher Blick scheint zu ergeben, daß Bernhards Sendbrief 457 diesen für uns obskuren Traditionen merkwürdig nahesteht. Wie sahen diese Traditionen aus? Sie rechneten mit einem letzten Herrscher vor dem Ende der Tage. Noch einmal werde er das Römische Imperium in vollem Umfang herstellen, und das heißt: im buchstäblichen Sinne als Weltreich; noch einmal also ihm seinen universalen Charakter zurückgewinnen. Gemeint war selbstverständlich ein Kaiser, doch die Prophetien, die ihn betrafen, waren dem lateinischen Westen von Syrien und Byzanz her zugewachsen, wo es von Haus aus keine unterschiedlichen Vokabeln für „König“ und „Kaiser“ gab. So war es gekommen, daß dieser Herrscher in die lateinsprachigen Überlieferungen als Romanorum rex eingegangen war, unbeschadet seiner Verknüpfung mit dem totum imperium. Zu seiner Zeit sollten von Norden her (ab aquilone) die übelsten Heidenvölker hereinbrechen und unter der Christenheit wüten. Er aber würde sie vernichtend schlagen, alles Heidenland verwüsten, alle Götzentempel aufheben, alle Heiden zur Taufe rufen, in allen Tempeln das Kreuz Christi aufrichten lassen; „wer aber dem Kreuz Christi keine Verehrung erweist, wird mit dem Schwerte gestraft werden“. Es ist eine verzweifelte Vision von der endzeitlichen Erfüllung des Heilsauftrags, den das römische Universalreich mit der Sammlung aller Menschen auf die christliche Glaubensverkündigung hin übernommen haben sollte – durchgeführt in der Sondersituation der sich anbahnenden Endzeit, die alle gewöhnlichen Maßstäbe außer Kraft setzen mußte; durchgeführt daher als Zwangsmission mit dem Schwert unter Todesdrohung. Auch die Juden würden sich unter diesem Herrscher endlich bekehren. Zum Schluß werde er nach Jerusalem ziehen, um dort seine Herrschaft an Gott und Christus zurückzugeben – die heilsgeschichtliche Mission des Imperiums war ja nun erfüllt. Dieser Einzelzug der Tradition war schon am Vorabend des ersten Kreuzzugs so umgestaltet worden, daß der Heidenkampf dieses „Königs“ gleichfalls als Kreuzzug gesehen wurde. Sein Name aber sollte mit dem Buchstaben „C.“ beginnen31.
31 (Pseudo-)Alcuin, Vita Antichristi, in: Adso Dervensis, De ortu et tempore Antichristi, necnon et tractatus qui ab eo dependunt, hrsg. von D. Verhelst, Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 45, Turnholt 1976, S. 125: Sicut ex sibyllinis libris habemus, tempore predicti regis, cuius nomen erit C. rex Romanorum totius imperii, . . . exsurgunt ab aquilone spurcissime gentes . . . quorum numerus est sicut arena maris . . . Romanorum rex, convocato exercitu, debellabit eos et prosternet eos usque ad internecionem . . . Omne sibi uindicet regnum terrarum. Omnes ergo insulas et ciuitates paganorum deuastabit et universa idolorum templa destruet et omnes paganos ad
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Die Parallelen zu Bernhards Aufruf sind deutlich, auch wenn die Sibyllinen wichtige Züge hinzufügen, die in seinem Text nicht offen angesprochen sind. Dürfen wir dann aber der Prüfung ausweichen, ob sich nicht wider Erwarten ein Zusammenhang zwischen diesem Aufruf und jenen Traditionen ergibt32? Der Abt wäre dann zeitweise, bis die Fakten ihn widerlegten, einem Überlieferungsstrang gefolgt, der zwar außerkanonisch war, kirchlich nicht approbiert, doch war er auch nicht ausdrücklich vom kirchlichen Lehramt verworfen; selbst ein doctor ecclesiae brauchte den Bereich katholischer Glaubenslegitimität seiner Zeit nicht zu verlassen, wenn er sich von dieser Seite her beeindrucken ließ, von den vermeintlich ehrwürdigen Autoritäten, mit deren Glanz diese Pseudoprophetien sich zu bemänteln pflegten. Daß die abschließende Bekehrung verbliebener Heiden am Vorabend der Endzeit erfolgen würde, gefolgt von derjenigen der Juden, das hatten diese Traditionen zudem mit neutestamentlichen Bibelworten gemein, durch die man sich zusätzlich abgesichert fühlen durfte33. Das konnte erst recht Vertrauen wecken.
baptismum conuocabit, et per omnia templa crux Christi dirigetur. Es handelt sich um eine aus der sog. Tiburtinischen Sibylle angereicherte Bearbeitung von Adsos genanntem Traktat, a. a. O., S. 27 f. Der originale Sibyllentext hat etwas weiter zusätzlich den Satz: Qui vero cruce (sic!) Iesu Christi non adoraverit, gladio punietur, in: Sibyllinische Texte und Forschungen, hrsg. von E. Sackur, Halle a. S. 1898, Neudruck Torino 1963, S. 185. Dieser Passus ist bei (Pseudo-)Alcuin ausgefallen, aber in anderen Ableitungen erhalten geblieben, z.B. Anonymus, De tempore Antichristi (redigiert vermutlich in Frankreich im 11. Jh.), in: Adso Dervensis, De ortu, wie oben, S. 635; desgleichen in Mirabilis liber (entstanden zu Lebzeiten Bernhards – um 1100 oder erst um 1145? – im gleichen Lande), bei Fritz Radcke, Die eschatologischen Anschauungen Bernhards von Clairvaux (Diss. Greifswald), Langensalza 1915, S. 66. Der Jerusalemzug folgt in sämtlichen Überlieferungen. Der Name des Endkaisers, lange Zeit als Constans aufgefaßt, wurde früh in C. geändert, wahrscheinlich, damit es möglich wurde, Carolus zu lesen. Damit wurde die Fassung jedoch auch anderen Lesungen offen (vgl. unten vor Anm. 90). Die abgekürzte Form war am Vorabend des zweiten Kreuzzugs auch sonst gerade in Frankreich geläufig (vgl. unten vor Anm. 93). Über die schon am Vorabend des ersten Kreuzzugs vollzogene Verbindung dieser Vorstellungen mit der Ideologie des Jerusalemkreuzzugs: Carl Erdmann, Endkaiserglaube und Kreuzzugsgedanke im 11. Jh., in: Zeitschrift f. Kirchengeschichte 51 (1932), S. 384–414. – Vgl. Anm. 32. 32 F. Radcke, Die eschatologischen Anschauungen, wie Anm. 31, hat diese Auffassung mit unzulänglichen Methoden und Argumenten fast schon einmal zu Tode geritten und dadurch in Verruf gebracht; zur Kritik vgl. Bernard McGinn, Saint Bernard and Eschatology, in: Studies presented to Dom J. Leclercq (= Cistercian Studies, Ser. 23), Washington, D. C. 1973, S. 161–195; in vorsichtiger Zurückhaltung methodisch vorbildlich, so daß eine wechselnd weitgehende Aufgeschlossenheit für eschatologische Fragen für Bernhard nicht mehr bezweifelt werden kann, doch unter Nichtberücksichtigung wichtigen Materials für die Vorkreuzzugsphase; dazu Kahl VII, passim. 33 Mt 24,14; Mc 13,10; Rm 11, 25 f.
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Wir stellen uns der damit sichtbar gewordenen Aufgabe und führen die nötige Prüfung in zwei getrennten Schritten durch. Zuerst ist zu fragen, ob in Bernhards Konzeption, wie das Schreiben 457 sie aufzeigt, wirklich eine universale Heidenbekehrung als Kriegsziel seines Kreuzzugs nachweisbar ist. Anschließend sei nach Spuren akuten Endkaiserglaubens, akuter eschatologischer Naherwartung in seinem Einsatz für die Kreuzzugswerbung gefragt. 3. „Rache an den Heiden“ „Ich zweifle nicht, daß man in Eurem Lande gehört hat und in häufiger Predigt unter das Volk gebracht, wie Gott den Geist der Könige und Fürsten erweckt hat, um Rache an den Heiden zu nehmen und auszujäten von der Erde die Feinde des Christennamens“ (quomodo suscitaverit spiritum regum Deus et principum ad faciendam vindictam in nationibus et exstirpandos de terra christiani nominis inimicos): Mit diesen Worten hebt das Sendschreiben 457 an34. Sie sind, wohl zu merken, nicht auf den ostelbischen Kreuzzug gemünzt, sondern auf die zunächst geplante via Jerosolimitana, wie es alsbald heißt, auf das Unternehmen für den christlichen Orient: Denn annähernd die Hälfte dieses Sendschreibens handelt, in der Kreuzzugsforschung wenig beachtet, von diesem älteren Plan, bevor es sich den Regelungen für jene Sonderexpedition zuwendet. Um so mehr überrascht, welche Fortsetzung auf den eben zitierten Satz folgt. Da wird zunächst, und zwar in einer Formel, die in anderen Kreuzzugsverlautbarungen Bernhards ausführlicher gestaltet ist, verwiesen auf die göttliche Gnadenfülle, die in der ausgelösten Bewegung sichtbar werde, und weiter wird von dem Zittern gesprochen, das daraufhin den „Bösen“, also den Teufel, befällt. Viele Sünder, die er schon fest in seinen Klauen glaubte, gehen ihm wieder verloren, weil sie das Kreuz nehmen. „Aber“ – und nun folgt ein Gedanke, der in Bernhards erhaltenen Kreuzzugsverlautbarungen einzig hier auftaucht – „einen anderen Schaden fürchtet er weit mehr von der Bekehrung der Heiden . . . Dieser Zeitpunkt scheint ihm nun unmittelbar bevorzustehen“,
34 Bern. Clar., ep. 457, wie Anm. 5, S. 432,7 f. Zur verbesserten Textfassung gegenüber den älteren Ausgaben: Kahl VI, S. 454 f. Über nationes (plurale tantum) als biblische und sonstige Heidenbezeichnung des älteren Kirchenlateins s. oben Anm. 15.
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und deshalb spanne er all seine Kräfte an, dem womöglich doch noch entgegenzuarbeiten. Das sind merkwürdige Auslassungen, besonders, wenn man sie in ihrem weiteren Kontext liest. Ihn jedoch lassen wir zunächst beiseite und registrieren: Ausgerechnet von dem Orientzug dieses Jahres 1147 – der einzigen Expedition, die bis dahin in diesem Sendschreiben angesprochen worden ist – erwartet Bernhard die Christianisierung von Heiden in einem Ausmaß, daß der Satan sich aufs höchste beunruhigt fühlen muß. Dabei wirkt dieser Gedanke so, wie er im Textzusammenhang auftaucht, für uns merkwürdig unvermittelt. Eben das aber paßt nicht ohne weiteres in das sonstige Bild des Mannes, von dem er stammt. Der Abt von Clairvaux gilt, und mit Grund, als ein blendender Stilist, der Gedankenfäden sehr wohl konsequent auszuspinnen weiß. So zögert man, ihm hier einfach Sprunghaftigkeit anzukreiden – gerade hier, wo es letztlich auch um eine Anleitung zu volkstümlich mitreißender Predigt ging; eine Anleitung, die verstanden werden mußte. Tatsächlich ist der Gedankengang konsequent, nur daß wir Modernen Schwierigkeiten haben, dies nachzuvollziehen. Den Schlüssel liefert die Beobachtung, daß in den zitierten Einleitungssatz des Ganzen ein Psalmzitat hineingewoben ist, wenn man dies kombiniert mit der einschlägigen exegetischen Tradition. Ad faciendam vindictam in nationibus stammt so gut wie wörtlich aus Ps. 149,7. Dasselbe Zitat tritt in der Kreuzzugspropaganda Bernhards auch sonst hervor35; daß es auch seine Predigt charakteristisch beherrscht haben muß, zeigt seine Wiederkehr in historiographischen Berichten36. Der Wortlaut in sich bietet keinerlei augenfällige Verständ-
35 Das Zitat bildete den ursprünglichen Abschluß des großen Manifests für den Orientkreuzzug, Bern. Clar., ep. 363. Nachträgliche Ergänzungen in jüngeren Redaktionen ließen es zunächst stehen, brachten aber in die Textfassungen einen Mangel an Glätte. Bei weiterer Umarbeitung wurde der Vers daher getilgt, bis er in Ep. 457 neu zur Geltung kam. Vgl. Peter Rassow, Die Kanzlei St. Bernhards von Clairvaux, in: Stud. u. Mitteil. z. Gesch. d. Benediktinerordens 34 (1913), S. 259–261 u. 292; ergänzend Leopold Grill, Die Kreuzzugs-Epistel St. Bernhards: „Ad peregrinantes Jerusalem“, ebda. 67 (1956), S. 246 f. u. 252; Jean Leclercq, L’encyclique de Saint Bernard en faveur de la croisade, in: Revue Bénedictine 81 (1971), S. 297, zu Zl. 63–64 des dortigen Textes, sowie S. 300 ff.; Apparat zur Neuausgabe, Bd. VIII, S. 314 f. 36 Annales S. Aegidii Brunsvicenses (MG SS XXX/1, S. 14,35 ff.); Gerhoch von Reichersberg (künftig Gerhoch v. Reichersb.). In Ps. 39 (MG Libelli de Lite III, S. 434,31 ff.; nach Peter Classen, Gerhoch von Reichersberg, Wiesbaden 1960, S. 220 f. geschrieben während des Kreuzzugs, 1148; vgl. Wiederholung des Zitats, fälschlich mit Papst Eugen III. verknüpft, S. 437,3.) Die in diesen deutschen Zeugnissen hergestellte Beziehung des Psalmzitats auf den Orientkreuzzug ist besonders zu beachten, weil es
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nisschwierigkeiten. Nationes ist, wie angedeutet, eine der Heidenbezeichnungen des frühchristlichen Lateins37. Der weitere Text, den Bernhard hier nicht mit zitiert, spricht von Ketten und Fesseln, in die Könige und Magnaten dieser Feinde gelegt werden sollen; weiter von Anklage und Gericht38. So scheint auf den ersten Blick kein Zweifel: Hier sind ganz konkrete Vorgänge gemeint – kriegerische Hoffnungen und Wünsche, die die Situation des neutestamentlichen Gottesvolks im Zeitalter seiner Kreuzzüge verbanden mit denen des alttestamentlichen zur Entstehungszeit dieses Psalmes. Was konnte besser geeignet sein, neuer Kreuzfahrt zur Parole zu dienen, als solch ein biblischer Text? So die eine Seite. Doch ist solche gleichsam naive Hinnahme von äußerem Schein mediaevistisch vertretbar? Das Mittelalter hatte eine andere Art, die Bibel zu lesen; immerhin wäre möglich, daß es auch in diesem so scheinbar eindeutig klaren Psalmvers anderes gefunden hat, als der Wortlaut nach unserem Empfinden besagt. Tatsächlich sorgen die Kommentare für Überraschungen, auf die man so vom Text her am wenigsten gefaßt ist. Augustinus etwa fordert seine Leser auf, sich zu überzeugen, ob die vom Psalmtext „prophezeite“ Rache an den Heiden (für die in seiner Lesung statt nationes das synonyme gentes eintritt) nicht tatsächlich erfüllt sei. „Krieg führen die Heiligen . . . , es gibt verlustreiche Niederlagen, es gibt Tötungen, die Heiden werden ausgelöscht und ihre Götzenbilder zerbrochen. Wie, fragst du, tötet man die Heiden? Wie anders, als daß sie Christen werden? . . . Er ist ein Christ: also ist er als Heide gestorben . . . Getötet ist er in sich selbst, und lebendig gemacht ist er Christus.“ Von einer Tötung von Menschen mit dem Eisen, von Blutvergießen, von fleischlichen Wunden aber könne bei alledem keine Rede sein39. Für die Nachwirkung dieser Gedankenreihe ins Hochmittelalter hinein zeugt in seinem späten Althochdeutsch Notker III. von St. Gallen († 1022), mit bemerkenswerter Umdeutung der vindicta zu „Gericht“ (ahd. kerich): Die Heiden (hier pagani genannt) sind erschlagen, ohne daß sie ausgerottet wurden; sie
in den nach Deutschland gerichteten Sendschreiben Bernhards und seiner Kanzlei, mit Ausnahme von ep. 457, fehlt (vgl. die Literatur in Anm. 35). Weitere Stellen seien hier übergangen. 37 S. Anm. 15. 38 Ps. 149,6–9 (in den exegetischen Kommentaren oft als Einheit behandelt); vollständig zitiert im Rahmen von Anm. 46. 39 Augustinus, in Ps. 149,7 (Corpus Christianorum Latinorum [künftig zitiert: CCL] 40, S. 2187,5 ff.), dazu: P. W. Tax, Notker latinus, wie Anm. 40.
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sind Christen geworden, und das ist die Rache der Heiligen an ihnen für die einst von ihnen verübten Christenverfolgungen40. Doch einheitlich ist die Tradition nicht. Zwar findet sich noch häufiger die Gerichtsversion christlich-kirchlicher „Rache“, doch ganz abgelöst von christlichheidnischer Auseinandersetzung, nachdem diese ihre Aktualität eingebüßt zu haben schien41. Statt dessen wird der Psalmvers samt seinem Kontext mehr schlecht als recht gewendet auf die Mitwirkung der Heiligen beim Gericht über die Verdammungswürdigen allgemein42. Dies ist der Weg, den von den Zeitgenossen Bernhards etwa Gerhoch von Reichersberg einschlägt43 – ein Autor bemerkenswerterweise, der andererseits denselben Bibelpassus gleichfalls einfließen läßt, wo es um die Predigt zum Waffenwerk des zweiten Kreuzzuges geht44. Eine exegetische Aktualisierung in ganz neuer Richtung findet statt, als seit der Lebenszeit beider das Häresieproblem eine so unerwartete Bedeutung zurückgewonnen hatte. Dann kann es geschehen, daß der alte Wortlaut als Hinweis genommen wird auf das Vorgehen der Kirche gegen diese neuen Ketzerbewegungen, die durch sie entweder bekehrt oder aber mit dem Anathem belegt werden sollen. Im Grunde ist dies allerdings nichts als ein neuer Spezialaspekt der allgemeinen Zielrichtung, die Gerhoch herausstellt: Mitwirkung der Heiligen, wo es Verdammungswürdige zu richten gilt. Auch dabei wird noch immer betont, es gehe bei solchem Gericht keineswegs um Rache weltlicher Art45. All diese Interpretationen, so verschieden sie ausgreifen, sind sich einig, daß sie den Gehalt des biblischen Wortlauts spiritualisieren, teils in missionarischer (beziehungsweise missionsgeschichtlicher) Richtung, teils auch allgemein in seelsorgerischem Interesse, im Sinn der Handhabung kirchlicher Disziplinar- und Abwehrgewalt. 40 Notker, Werke, hrsg. von Sehrt-Taylor, III/3, S. 1051 f. (= ed. Piper II, 605, 10 ff.). Ähnlich die Ableitungen: Wessobrunner Fassung (Bd. III, 484,1 ff. Piper) und Wiener Handschrift (S. 296 Scherer-Heinzel). Vgl. P. W. Tax, Notker latinus. Die Quellen zu den Psalmen usw. (= Werke Notkers, hrsg. von Sehrt-Strack, Bd. Xa, Tübingen 1975), S. 709. 41 Die Vorstellungen der Spätantike und des Mittelalters von der Geringfügigkeit des verbliebenen Heidenproblems verdienten eigene Untersuchung, in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen geographischen Weltbild, zu dem bereits oben, Anm. 7. Für die Zeit des zweiten Kreuzzugs vgl. Kahl VIII. 42 Psalmenkommentare von Cassiodor (CCL 98, 1324, 110–130); Bruno Signensis (bei J. P. Migne, Patrologia Latina [künftig zitiert: PL] 164, 1224 C); Bruno Herbipolensis (PL 142, 527 D); (Ps.-) Haymo Halberstadensis (PL 116, 692 BC), vgl. Anm. 43. 43 Gerhoch v. Reichersb. (PL 194, 991 f.). 44 S. Anm. 36. 45 Bruno Carthusensis, (PL 152, 1417 C); vgl. auch Remigius Antiss. (PL 131, 842 C).
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Und Bernhard? Da sehen wir zweierlei Auffassungen nicht konkurrieren, doch korrespondieren. Kaum jemals werden sie gemeinsam angesprochen, denn der Abt von Clairvaux pflegt in Predigt und Schrift seine Akzente jeweils gezielt zu setzen, wie es dem angesprochenen Partner am besten gerecht wird. Getrennt werden dürfen beide Aspekte darum, wo seine Denkbahnen als solche verfolgt werden sollen, offensichtlich nicht. Sie bilden in ihm ein Ganzes. Die eine Linie schließt sich den zuletzt berührten Vorstellungskreisen an. Auszuführen, was der zitierte Psalmvers in seinem Kontext wirklich meine, heißt danach, innerhalb der Kirche, im Weinberg des Herrn, die Reben zu beschneiden46. Dies gehört zu den vornehmsten Aufgaben des Papstes47. Betroffen werden davon die Getauften, die sich der Kirche nicht einfügen wollen, denn wer sich zu ihr hält, dem wird nicht vindicta zuteil, sondern Medizin48. Wir berühren den großen Komplex der Einstellung Bernhards zu allem, was innerkirchlich dem rechten Christentum in seinem Sinn widerspricht: unbußfertige Sünder, Exkommunizierte, Häretiker und anderes mehr49. Was aber hat zu geschehen, wo dieser Umkreis innerkirchlichen Lebens verlassen wird? In einer Pfingstpredigt spricht Bernhard die Wirksamkeit der Apostel an. Der Heilige Geist hat sie gestärkt und mit seiner Kraft bekleidet wie mit einem Panzer, „um Rache zu nehmen an den Heiden“ (und zu tun, was die Fortsetzung dieses Psalmzitats aussagt). Da ist mithin, ganz im Sinn etwa Augustins, von friedlicher Predigt- und Tauftätigkeit die Rede; den Mönchen von Clairvaux, vor denen diese Predigt gehalten wurde, muß diese Gedankenverbindung derart selbstverständlich gewesen sein, daß sie im Textzusammenhang keiner Silbe näherer Erläuterung bedurfte50. 46 Bern. Clar., Sup. Cant. Serm. 58,3,9 (Opera II, S. 133,9 ff.): spiritu aliter quidem: . . . Processu temporis tempestas (sc. der Christenverfolgungen) sedata est et, pace reddita terris, creverunt vineae . . . Et tunc demum . . . ad vineas invitatur, non quidem ad plantandum, sed ad putandum quod plantatum iam erat. . . . „Sumere in manus gladios ancipites, facere vindictam in nationibus, increpationes in populis, alligare reges eorum in compedibus et nobiles eorum in manicis ferreis, et facere in eis iudicium conscriptum“ (Ps. 149, 6–9). . . . hoc quippe putare vineas est. Man beachte: In diesem Text bleibt völlig offen, wie weit welches der beiden Schwerter (dazu unten nach Anm. 54) an diesem „Beschneiden“ zu beteiligen sei. Keines ist ausgeschlossen! 47 Bern. Clar., ep. 237,2 (Opera VIII, S. 114,6 ff.), Frühjahr 1145 an Eugen III.; De Cons. II,6,13 (Opera III, S. 420,12 ff.). 48 Vgl. Bern. Clar., Sup. Cant. Serm. 25,2 (Opera I, S. 163,24 ff.). 49 S. Anm. 24. 50 Bern. Clar., In Die Pent., Serm. 3,1 (Opera V, S. 171): Spiritus ipse, cuius hodie sollemnitatem . . . celebramus, . . . Apostolos roboravit, ut . . . (eos) indueret virtute ex alto,
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Für seine eigene Zeit spricht der Abt anderweit den Papst an. Zwar unterstehen, meint er, ihm de iure auch Heiden und Juden51; doch welche Möglichkeit hätte er, ihnen gegenüber seine Zuständigkeit praktisch zur Geltung zu bringen? Gerhoch von Reichersberg wußte, wie gesagt, Aktionen des geistlichen Gerichts und die des Kreuzzugs mit weltlichen Waffen in gleicher Weise mit eben diesem Psalmwort zu decken; dabei führte er gerade auch diese zweite, also die Jerusalemfahrt, auf den Stellvertreter Petri als Urheber zurück, und zwar so, daß erkennbar wird: Die Bindung an ihn (und wohl nur diese) entsprach seinem Legitimitätsempfinden52. Von seiner Position dürfte diejenige Bernhards sich hier nicht wesentlich unterschieden haben. Denn die Art, wie das gleiche Psalmzitat in der Kreuzzugspropaganda des Zisterziensers auftaucht, läßt keine Zweifel: Hier ging es durchaus nicht, wie an den früher besprochenen Stellen, um rein spirituelle Dinge, sondern um solche, die mit Waffen dieser Welt auszufechten waren: nicht durch Priester, sondern – um beim Sendschreiben 457 zu bleiben – durch „Könige und Fürsten“ mit ihrer Mannschaft. Das Schwert, das Herrscher und Ritter führen, stand für Bernhard schon vom Römerbrief her in engster Beziehung zur vindicta an allen, die Übles tun53. Allerdings muß gesehen werden: Hier an irdische Kriegführung allein zu denken wird dem Abt von Clairvaux nicht gerecht. Wahres Gottesstreitertum, wie es sich gerade auch im Kreuzfahrer manifestieren soll, war ihm etwas grundsätzlich anderes als alles Kriegswesen sonst54: Es stellte sich selbst in den Dienst geistlicher Ziele, ja es vollzog sich – so jedenfalls sah er es in der Phase, in der er für seine Kreuzzüge warb – in parallelem Einsatz beider Schwerter der Christenheit gegen den gemeinsamen Feind (diese „Schwerter“, wohlgemerkt, noch nicht zu verstehen, wie später, als die beiden unterschiedenen Obergewalten,
ferventissima scilicet caritate. Hanc nimirum apostolicus ille chorus loricam sese induit, sicut gigas „ad faciendam vindictam in nationibus, increpationes in populis, ad alligandos reges eorum in compedibus et nobiles eorum in manicis ferreis“ (Ps. 149,6–9). Quia enim in domum fortis ligare eum et vasa eius diripere mittebantur, opus erat fortitudine ampliori (vgl. Mt. 12,29, welche Stelle allegorisch auf den „Diebstahl“ von Heidenseelen aus dem Hause des Satans gewendet wird). Im gegebenen Zusammenhang ist friedliche Missionstätigkeit ohne jede Gewaltanwendung gemeint: Daß die Apostel zu anderen Möglichkeiten nicht greifen konnten, war bekannt. 51 Bern. Clar., De Cons. III,1,1–3 (Opera III, S. 431–433). 52 Vgl. oben bei Anm. 43–45. 53 Rm 13,4; von Bernhard häufig zitiert. 54 Bern. Clar., De Laude Novae Militiae I–III (Opera III, S. 214–219), passim. Dazu U. Mayer, Die Grundlegung, wie Anm. 25.
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geistlich-kirchlich hier, weltlich-staatlich dort, sondern noch in einem spezielleren Sinn: nur erst als die beiden Formen von Zwangsgewalt, über welche die Christenheit verfügt, mit Predigt und Kirchenbann auf der einen Seite, weltlichem Druck auf der anderen): „Man muß jetzt beide Schwerter ziehen“ (exserendus est nunc uterque gladius), schreibt Bernhard in diesen Jahren einmal an Papst Eugen III., um ihn zum Ausschreiben eines neuen Kreuzzugs zu treiben55. Was dies bedeutet, beleuchtet sein Sendbrief 457 in überraschender, bisher unbeachteter Weise, denn sein Text präzisiert, wie erwähnt, die vindicta in nationibus alsbald näher als ein exstirpare56. Damit wird ein weiterer Ausdruck eingeblendet, der sonst bei Bernhard für geistliche „Rodungsarbeit“, zum Beispiel des Papstes, steht57, doch im hier gegebenen Zusammenhang meint er eindeutig auch wieder eine Leistung des weltlichen Schwertes. Von daher wird nun jedoch verständlich, wieso der Text in eben diesem Zusammenhang von umfassender Heidenbekehrung sprechen kann, die der Satan jetzt unmittelbar bevorstehen sehe: Was uns als unmotivierte Verknüpfung erscheint, solange exegetische Gesichtspunkte der Zeit außer acht bleiben, das erweist sich in ihrem Licht als Konsequenz des vorher angeschlagenen Gedankenganges, als ein geradezu notwendig anschließendes Glied. Die vindicta, das exstirpare – sie meinen hier im Prinzip nichts anderes als jenes vielzitierte: ad delendas penitus aut certe convertendas nationes illas, das der gleiche Aufruf an späterer Stelle im Hinblick auf die ostelbische Expedition als Zielvorstellung formuliert58 (unter wörtlicher Aufnahme der nationes aus dem zuvor eingewobenen Psalmvers, die man schwerlich für Zufall halten wird)! Die vindicta, das exstirpare – sie verlangen nicht weniger jene gleichsam doppelbödige Auslegung, im unmittelbaren Wortsinn wie in übertragener, spiritualisierter Bedeutung, auch wenn diese Ausdrücke selbst das unserem Verständnis nicht ohne weiteres zu erkennen geben. 55 Bern. Clar., ep. 256,1 (Opera VIII, S. 163,15), geschrieben im Zuge der neuen Kreuzzugspläne von 1150. Dazu bes. De Laude III,5 (S. 218,11 ff.): Exseratur gladius uterque fidelium in cervices inimicorum, ad destruendam omnem altitudinem extollentem se adversus scientiam Dei, quae est christianorum fides. Vgl. Anm. 46. 56 Vgl. das ausführliche Zitat oben vor Anm. 34. 57 Bern. Clar., De Cons. III,6, 9–13 (Opera III, S. 416–421; bes. S. 416, 15 f.; 420, 6 ff.). Vgl. Y. Congar, Die Ekklesiologie, wie Anm. 27, S. 85 u. 95. 58 Bern. Clar., ep. 457, wie Anm. 5 (S. 433,6). Zu vergleichen ist hier ep. 241,4 (1145 Juni an den Grafen von St.-Gilles in Sachen des Häretikers Heinrich; Opera VIII, S. 127, 12 ff.); Bernhard komme, prava ipsius . . . germina de agro dominico exstirpari . . . tua quoque potenti dextera cooperante.
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Mit anderen Worten: Eine Christianisierungsvorstellung weitgehender Art muß sich für Bernhard nicht nur mit dem ostelbischen Kreuzzug verbunden haben, für den wir dies längst registriert haben, sondern auch mit dem Hauptunternehmen seiner damaligen Wirksamkeit, dem Orientzug, nur daß die sonstige Überlieferung, im nachhinein vom kläglichen Scheitern bestimmt, dies, offenbar schamhaft, zurücktreten läßt59. Der Eigenart dieser Vorstellung wird gleich nachgegangen. Zunächst halten wir fest: Für die vindicta in nationibus hat das Aufkommen der Kreuzzugsbewegung eine ähnliche Rückwendung von spiritualisierendem zum wörtlichen Verständnis heraufgeführt, wie man dies für militia Christi längst herausgearbeitet hat60. In beiden Fällen war jahrhundertelang eine übertragene Bedeutung, ein rein geistliches Verständnis maßgeblich gewesen. Diese exegetische Tradition, durch Autoritäten wie Augustinus abgesichert, ließ sich nicht einfach fortwischen. Sie sorgte, daß der wörtliche Schriftsinn nicht mehr alleinherrschend wirksam zu werden vermochte, wie dies ja dem mittelalterlichen Umgang mit der Bibel ohnedies nicht entsprach. Er konnte jedoch ergänzend zu neu verstärkter Bedeutung gelangen. Das Christo militare im älteren Verständnis, das unblutige der Mönche mit Askese und Chorgesang, wurde durch die via Jerosolimitana von Rittern und Reisigen nicht aufgehoben, und ebenso blieb zur vindicta im Sinn physischer Züchtigung oder gar Ausrottung des Gegners auch jetzt als Alternative, die sich nicht ohne weiteres eliminieren ließ, seine Christianisierung im Blick, was immer man jeweils darunter verstehen mochte61; gelang es, statt körperlicher Vernichtung einen solchen Anschluß an das eigene Lager zu erreichen, so blieb das, was die Christenheit bisher als heidnische Bedrohung von dieser Seite empfunden hatte, gleichfalls aufgehoben. Anders gefaßt: Die patristische Vergangenheit wirkte darauf hin, daß diese Christenheit sich nicht mehr berechtigt sah, das „weltliche“
59 Allerdings gibt es eine überraschend große Zahl von Quellenstellen, die – unter Absehung von Bernhards Person – eine universal gerichtete Christianisierungsabsicht als Kriegsziel des zweiten Kreuzzugs erkennen lassen, vgl. Kahl VIII, passim. 60 Carl Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens, Stuttgart 1935 = Darmstadt 1955, bes. S. 185–188 (in der erweiterten englischen Ausgabe: The Origin of the Idea of Crusade, transl. by M. W. Baldwin und W. Goffart, Princeton, N. J. 1977, S. 201–204) u.ö.; Gerd Althoff, Nunc fiant Christi milites, qui dudum extiterunt raptores. Zur Entstehung von Rittertum und Ritterethos, in: Saeculum 32 (1981), S. 317–333, mit weiterer Lit. 61 Wie Anm. 14.
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Schwert für sich allein zu ziehen – jedenfalls nicht, soweit sie bewußt in ihrem neuen Glauben zu leben versuchte; gegen „Feinde des Christennamens“ hatte sie beide zugleich einzusetzen – zunächst die Waffen geistlicher Predigt, doch wenn diese allein ihre Wirkung nicht im gewünschten Sinn zu tun vermochten, dann die irdischen zusätzlich zu ihrer Verstärkung. Die Aufgabe, die beiden vereint dann jeweils zufiel, hat Bernhard einmal so formuliert: „allen Hochmut zu zerstören, der sich gegen die Kenntnis Gottes, die Christenglaube ist, erhebt“62. Das konnte so oder so geschehen. Alle anderen Formen des Kampfes mit irdischem Schwert aber waren, wie ebenfalls gerade er einzuschärfen suchte, illegitim und sündhaft – malitia statt militia63. Für das ergänzende exstirpare aber ist wichtig, daß es im Sendbrief 457 nicht isoliert erscheint, sondern in einer klaren Beziehung steht: Gefordert ist, die vindicta in nationibus zu vollziehen durch deren exstirpare de terra64. Was heißt das? Nach älterer, verderbter Lesart, die lange allein bekannt war, konnte das „Land des Christennamens“ gemeint sein, so ungewöhnlich diese Formulierung auch klingen mochte – „Christenland“, in das „Heidenhunde“ unbefugt und lästerlich eingedrungen waren65. Der neu erstellte, verbesserte Text verlegt uns diesen Ausweg. Für die angesprochene terra ist auf sämtliche eingrenzenden Beiwörter verzichtet, wie etwa terra sancta66 oder terra repromissionis es gewesen wären. Es geht also zum Beispiel nicht um eine „Säuberung“ des „Heiligen Landes“ im Orient von „Feinden der Christenheit“. Nicht zuletzt hebt diese terra im Textzusammenhang sich deutlich ab von der unmittelbar zuvor, im ersten Satz, angesprochenen terra vestra, dem (jeweils einzelnen) Land derer, die den Sendbrief empfingen67. Es kann mithin an dieser zweiten Stelle nur die Erde als solche gemeint sein, versteht sich: jene Erdscheibe relativ bescheidenen Umfangs, wie sie dem damaligen geographischen
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Wie Anm. 55. Bern. Clar., De Laude II,3 (Opera III, S. 216,1 f.); vgl. ep. 363,5 (Opera VIII, S. 315,1), dazu De Laude I,1–IV,8 (S. 214–221), vgl. V,10 (S. 223) u.ö. über die neue Art christlicher Kriegführung insgesamt. Dazu U. Mayer, Die Grundlegung, wie Anm. 25. 64 Zitat im Zusammenhang oben vor Anm. 34. 65 S. Anm. 34. 66 Dazu jetzt: Dieter R. Bauer, Heiligkeit des Landes, in: P. Dinzelbacher und D. R. Bauer (Hrsgg.), Volksreligion im hohen und späten Mittelalter, Paderborn 1990, S. 41–55 (dort S. 53 f. über den Sprachgebrauch Bernhards). 67 Zitat im Zusammenhang oben vor Anm. 34. 63
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Weltbild entsprach68; jede andere Auffassung tut dem überlieferten Text Gewalt an. Diese Erde als solche, nicht nur ein näher auszugrenzendes Land soll Schauplatz des „Ausjätens“ der „Ungläubigen“ sein. Bestätigung bietet das Sonderzeichen, das die Ostelbienfahrer von allen abhob, die sonst bisher das Kreuz genommen hatten, niemals vorher eingeführt und später in Kreuzzugszusammenhängen meines Wissens niemals erneuert: kein einfaches Stoffkreuz, sondern das Kreuz auf dem (Erd-)Kreis, wie wir es heute als Abzeichen des C.V.J.M. kennen69 – gleichfalls ein sprechendes Zeichen dafür, daß es diesmal wirklich um die universale „Bereinigung“ der Heidenfrage gehen sollte70. Im Sendbrief 457 ist dieses Zeichen nicht ausdrücklich angeführt71; es muß aber auf dem gleichen Frankfurter Reichstag beschlossen worden sein, und dort ist ein anderer Urheber als Bernhard schwer vorstellbar72. 4. Das „Wunder der Wunder“ Der erste der angekündigten Argumentationsschritte ist zu Ende geführt. Es darf danach behauptet werden: Bernhards Sendbrief 457 spiegelt eine Konzeption, die als Kriegsziel eine universale Heidenbekehrung einschloß unter Beseitigung Widerstrebender, ganz im gleichen Sinn, wie dieser Sendbrief es so, daß es auch für uns unmittelbar deutlich herauskommt, allein für das Vorgehen gegen die ostelbischen
68 S. Anm. 7. – Als Beispiel für die Verwendung von terra für „die Erde schlechthin“ vgl. Bern. Clar., Vita Malachiae, pr. (Opera III, S. 308,17 f.). 69 Annales Stadenses, a. 1147 (MG SS XVI, S. 327,19 f. mit Zeichnung), vgl. Otto von Freising, Gesta Frederici I, 32, wie Anm. 29, S. 212,3 ff. 70 Karl Wilhelm Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes, Bd. II, Leipzig 1892, S. 224, vgl. auch S. 223; ähnlich schon Wilhelm v. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit, Bd. 4, Braunschweig 1875, S. 259 Anm.; beide, ohne aus dieser Einsicht die nötigen Konsequenzen zu ziehen. 71 Hier heißt es lediglich (S. 433,18 ff.): Erit autem huius exercitus, et in vestibus, et in armis, et phaleris ceterisque omnibus eadem quae et alterius exercitus observatio (eine der zahlreichen Stellungnahmen Bernhards gegen übertriebenen Luxus in Rüstung und Ausrüstung, den er als unverträglich mit dem geistlichen Zweck des Kreuzzugs immer wieder bekämpfte; die Stelle sagt nichts über unbedingte Gleichheit auch der Kreuzfahrerabzeichen). Später wird gefordert, daß episcopi atque presbyteri . . . eos (die Kreuzfahrer) contra hostes crucis Christi, qui sunt ultra Albi, signo sanctae crucis consignarent . . . Da ist nichts über dessen Gestaltung gesagt. 72 Wie Anm. 1. In jedem Fall ist das Zeichen Ausdruck der dort durch Bernhard entfachten Stimmung. Es muß kreiert worden sein, bevor Kreuzzugswillige sich zur Kreuznahme bereitfanden.
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Heiden herausstellt. Offen ist zunächst noch, ob diese Konzeption sich mit konkreten eschatologischen Vorstellungen verband. Es war schon die Rede von der zitternden Befürchtung des Teufels wegen der Einbuße, die der vorbereitete Kreuzzug ihm bringen werde, so, wie Bernhard es sieht73. Der betreffende Zusammenhang wurde dabei zunächst nur gekürzt herangezogen. Vollständig heißt es: „Einen anderen Schaden fürchtet er weit mehr von der Bekehrung der Heiden, denn er hat gehört, ihre Fülle werde eintreten und das ganze Israel gerettet werden. Dieser Zeitpunkt scheint ihm jetzt unmittelbar bevorzustehen (hoc ei tempus nunc imminere videtur)“74. Das klingt zunächst wieder dunkel, so eindeutig es von Christianisierung spricht. Die Schwierigkeit behebt sich, wenn wir beachten, daß auch hier ein Bibelzitat aufgegriffen ist. Das „Eingehen“ der plenitudo gentium in das Gottesvolk als Voraussetzung dafür, daß „das ganze Israel“ selig werde, entstammt dem Römerbrief des Apostels Paulus. Im Kontext weissagt es – und gerade das ist hier wichtig – die endzeitliche Bekehrung zunächst der verbliebenen Heidenreste, auf die dann alsbald diejenige der Judenheit folgen werde75. Es ist ein Zitat von ausgeprägt eschatologischer Bedeutung, und damit weist es auf einen Vorgang, der vom Wesen her nicht anders als universal gedacht werden kann. Die eben entwickelte These bestätigt sich. Der Inhalt dieses Pauluswortes ist verbindliches christliches Glaubensgut: Es entstammt ja der Heiligen Schrift. Als solches hat gerade Bernhard es mehrfach herausgestellt, fast auffällig oft, als einen der Eckpfeiler seiner Eschatologie, aber auch seiner Theologie des Judentums76. Normalerweise besagt es dann etwas, was irgendwann einmal eintreten werde, zu einem den Menschen verborgenen Zeitpunkt, nach dem Ratschluß des Herrn; einem Zeitpunkt, dem die Welt wohl schon verhältnismäßig nahe sei, ohne daß man sich konkret auf ihn einlassen könne. So eignet das Zitat sich zu akademisch-distanzierter
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Oben, zwischen Anm. 34 und 35. Bern. Clar., ep. 457, wie Anm. 5 (S. 432,14 ff.). 75 Rm 11,25–26, eine der Fundamentalstellen neutestamentlicher Eschatologie, die wohl erheblich beigetragen hat, der Judenheit im christlichen Umfeld das wenigstens rudimentäre Überleben zu sichern, vgl. Hans-Dietrich Kahl, Diskussionsbemerkung, in: Unter dem Bogen des Bundes, hrsg. von H. H. Henrix, Aachen 1981, S. 45. Weitere Untersuchungen zu den dort aufgeworfenen Fragen sind dringend zu wünschen. 76 Bern. Clar., ep. 363,6 (Opera VIII, S. 316,14 f.); ep. 365,2 (a. a. O., S. 321,24 f.); De Cons. III,1, 3 u. 4 (Opera III, S. 433,12 ff. 22), schließlich Sup. Cant. Serm. 14,2 (Opera I, S. 76, 23 ff.). Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 74
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Behandlung der „letzten Dinge“. Im Sendschreiben 457 aber ist dies anders und in Bernhards Hinterlassenschaft allein hier, denn im zitierten Textzusammenhang verbindet sich mit diesem Glaubensgut eine unmittelbare Naherwartung: Was in diesem Bibelwort prophezeit ist, werde bald eintreten. Dem Wortlaut nach ist es zunächst der Satan, dem diese Erwartung zugeschrieben wird: Bernhard spricht hier nicht in eigener Person, und das will beachtet sein. Allerdings auch nicht überschätzt. Es liegt in dieser „Maskierung“ eine sozusagen schüchterne Andeutung vor, die sich nicht in voller Offenheit zu bekennen wagt. Sie zeugt dafür, daß der Abt sich das Bewußtsein bewahrt hatte: Vorgreifende Aussagen über Dinge, die der Herr seinem Ratschluß allein vorbehalten hat, darf ein Christ eigentlich nicht wagen, und wenn er noch so große „Gewißheit“ zu haben glaubt77. Gleichwohl teilte Bernhard die Meinung, die er hier dem Teufel zuschreibt – jedenfalls in dieser Phase: Das zeigt die universale Ausweitung seines Kreuzzugsziels, wie sie sich hier auch unabhängig von dieser weiteren Stelle seines Sendbriefs ergab. Die abschließende „Bereinigung“ der Heidenfrage ist nun einmal auf biblischem Boden ein Gegenstand nur der Eschatologie – ein Vorgang, dessen Abwicklung den „letzten Zeiten“ vorbehalten bleibt. Nur dann paßt der universale Rahmen. Bernhard gehörte nicht zu denen, für die der „Böse“ eine Schwankgestalt war, in so zahllosen volkstümlichen Anekdoten durch Menschenwitz zu schlagen. Er nahm ihn ernst – auch als Träger von übermenschlichem Wissen. Tatsächlich gibt es historiographische Berichte, die von den Inhalten seiner mündlichen Kreuzzugs-Predigt festhalten, was den Zeitgenossen besonders auffällig schien, und diese Aufzeichnungen bestätigen mit bemerkenswerter Klarheit, daß die Verkündigung des Abtlegaten sich mindestens zeitweise in der Richtung bewegt haben muß, die sich damit abzeichnet78. Dieser Befund überrascht. Er weicht stark ab von dem, der sich aus der überwiegenden Mehrzahl bernhardischer Kreuzzugsverlautbarungen ergibt, soweit wir sie kennen, vor allem aus dem großen Sendschreiben 363 und seinen Ablegern79: Sie alle mit dieser einzigen Ausnahme zeigen keine erkennbaren Andeutungen vergleichbarer Art. Allerdings sind sie meist um viele Monate älter, gehören größtenteils der Frühphase dieser
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Vgl. Mt. 24,36. 42–44; 25,13 u.a.m. Kahl VII, Abschnitte 5–6. Bern. Clar., ep. 363 (Opera VIII, S. 311–317), dazu die Lit. oben Anm. 35.
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Kreuzzugswerbung an. Sollten Bernhards Vorstellungen im Lauf der Zwischenzeit eine Entwicklung durchgemacht haben, die vom Stand dieser älteren Zeugnisse zum Brief 457 hinführt, ohne daß ihre Stadien näher verfolgt werden können? Die Frage wird bestärkt, wenn man jenes neue Abzeichen einbezieht, das die Ostlandfahrer sich anheften sollten. Das Kreuz auf dem Erdkeis stach ab von dem einfachen Zeichen der älteren Tradition, das die Propaganda für den zweiten Kreuzzug, das damit auch Bernhard zunächst wie selbstverständlich aufgenommen hatte. Was ist in der Zeit zwischen diesen beiden Marken geschehen, und sind etwa Gründe erkennbar? Wir haben ja als Historiker auch bei der Würdigung von Persönlichkeiten nicht statisch zu denken, sondern dynamisch. Tatsächlich hebt sich aus diesen Monaten ein Ereignis heraus, das von solchen Fragen her den Blick anzieht, denn Bernhard selbst hat es als das „Wunder der Wunder“ (miraculum miraculorum) hochstilisiert80, und das Sendschreiben 457 ist von allen Kreuzzugsbriefen dieses Mannes das einzige, das zwischen diesem Ereignis und dem Abmarsch der Heere noch ganz selbständig konzipiert worden ist, ohne engere Anlehnung an frühere Entwürfe. Gemeint ist der Erfolg, den Bernhard am 27. Dezember 1146 in Speyer errang: die Kreuznahme des römisch-deutschen Königs, Konrads III., nach vielmonatiger intensiver und doch bis dahin vergeblicher Bemühung, durchgesetzt mit einer außergewöhnlichen Predigt (praeter morem, nullo rogante)81, gegen alle politische Vernunft und die ihr entsprechenden Planungen, nicht ausgenommen diejenigen des Papstes. Dem monatelangen Ringen um gerade diesen Herrscher haben schon Zeitgenossen eine ungebührliche Aufdringlichkeit bescheinigt82. Von der Predigt wissen wir kaum mehr, als daß darin das Jüngste Gericht eine entscheidende, nicht näher erkennbare Rolle spielte83 – und daß die Überlieferung von Clairvaux gerade dies zu vertuschen suchte, als
80 Philippus Clarevallensis, S. Bernardi Abbatis Clarevallensis Vita prima VI,1,4 (PL 185, 381 C): ibi (in Speyer) enim factum est, ut ipsius verbis utar, miraculum miraculorum. Siquidem rex signatus est praeter spem omnium, qui convenerant . . . 81 Sp. 382 A. 82 Annales Palidenses, a. 1147 (MG SS XVI,82): Conradus Romanorum rex . . . Spire . . . sumens et ipse crucem ad eandem expeditionem . . . Bernhardo Clarevallensi abbate nimium urgente eius profectionem. Einige Stationen dieses Werbens bei Philippus Clarevallens., wie Anm. 80, Sp. 381 C – 382 B, vgl. auch Anm. 92. 83 Philippus Clarevallens., wie Anm. 80 (Sp. 382 A): Proponebat enim futurum iudicium, hominem ante tribunal Christi astantem . . .
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die Ereignisse eine so andere Wendung genommen hatten als erwartet84. Der Kreuznahme des Königs folgte seine feierliche Investitur durch eine vom Altar entnommene Fahne, vollzogen von Bernhard mit eigener Hand85. Das ist außer dem Schauplatz, dem Dom der genannten Bischofsstadt, alles, was wir unmittelbar von diesem Vorgang wissen. Hinzu kommt die ungewöhnliche Emphase, mit der der Abtlegat selbst auf diesen Erfolg reagierte, bisher von niemandem erklärt – sie wurde soeben in Erinnerung gerufen. Mit anderen Worten: eine Hand voll von Zufallsfragmenten liegt vor uns, auf uns gekommen aus einem umfassenderen Lebenszusammenhang, der vergangen, zerronnen, nicht mehr als Ganzes faßbar ist. Was können – was dürfen wir davon rekonstruieren? 5. Kreuzzugseschatologie? Die Erfahrung zeigt, daß dunkle Quellenstellen sich manchmal überraschend erhellen, gerade für diese Zeit, wenn man sie im Licht des Endkaiserglaubens betrachtet86. Daß Bernhard entsprechende Anschauungen gekannt hat, ist beweisbar: sein Brief 457 läßt es durchblicken, indem er die vermeintlich bevorstehende Endzeitbekehrung der Heiden, wie soeben gezeigt, mit einem bewaffneten Jerusalemzug in Verbindung bringt, der auf sie hinwirken soll87. Diese Kombination tritt sonst nirgends auf als in sibyllinischem Schrifttum, eben im Zusammenhang mit dem letzten Herrscher. Wer sie damals aufgriff, kann von diesem Glauben nicht gänzlich unberührt geblieben sein. Kann es dann aber illegitim sein nachzufragen, ob der Abt von Clairvaux diesen Glauben womöglich zeitweise auch selbst angenommen, ob er vorübergehend persönlich Konsequenzen aus ihm gezogen hat? Wie gesagt: Es handelte sich um Überzeugungen, die zwar nicht zum offiziellen Lehrgut der Kirche gehörten, doch sie waren auch nicht ausdrücklich verworfen; man konnte ein guter Katholik sein und sich gleichwohl zu ihnen 84
Kahl VII, Abschnitt 7. Philippus Clarevallens., wie Anm. 80, Sp. 382 B. Zu vergleichen ist die entsprechende Episode beim Aufbruch Ludwigs VII. zum Kreuzzug in Saint-Denis, vgl. Odo de Diogilo, De profectione Ludovici VII in Orientem I, hrsg. von V. G. Berry, New York 1948, dort als stehender Brauch der französischen Könige bezeichnet; hat Bernhard an ihn angeknüpft? Und deutet das Vorhandensein der Fahne auf eine wohl vorbereitete Inszenierung? 86 Kahl VII, Abschnitt 5. 87 Oben, bei Anm. 73–78. 85
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bekennen. Daß aber gerade führende Geister Frankreichs in der entscheidenden Phase für dergleichen Vorstellungen offen waren, das ist, wie gesagt, gut bezeugt88. Die einschlägigen Traditionen schreiben dem letzten Herrscher eine Reihe von charakteristischen Merkmalen zu: Er soll Herr des Romanum imperium sein, sein Titel aber gleichwohl nur lauten: Romanorum rex, und sein Name soll mit dem Buchstaben „C.“ beginnen. Außerdem heißt es, er werde ein angenehmes Äußeres haben und ein gewinnendes Wesen89. Dieses letzte als schwer kontrollierbar dahingestellt90: Die drei übrigen Merkmale haben sich im gesamten Ablauf der Weltgeschichte ein einziges Mal tatsächlich zusammengefunden, und das eben in Bernhards Zeitgenossen, König Konrad – dem Kaiser ohne Kaiserkrönung91, daher mit bloßem römischem Königstitel, unter dem auch Bernhard längst mit ihm korrespondiert hatte92, Herrscher des Heiligen Römischen Reiches der Zeit, ein Mann, dessen Namen man damals in Formen wie Chuonradus schrieb. Sollte die Intensität, mit der Bernhard um gerade diesen Mann für seinen Kreuzzug warb wie um keinen zweiten, wirklich von diesen Befunden zu trennen sein, nachdem doch die eschatologische Naherwartung als Komponente seines Kreuzzugsgedankens dermaßen deutlich aufgezeigt werden konnte, zumindest für die Spätphase, in der sein Brief 457 entstand93? Folgendes ließe sich denken, als Hypothese, die jedoch vieles erklärt: Die Eroberung von Edessa, dem Eckpfeiler des christlich-lateinischen Orients, durch die Muslime, ausgerechnet am Weihnachtstag 1144, belebte in Europa weithin den Glauben, hier habe es sich um den sibyllinisch prophezeiten Einbruch der apokalyptischen Völker Gog und Magog gehandelt, mit dem die Endzeit eingeleitet werden sollte.
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Oben, bei Anm. 29 und nach Anm. 32. Wie Anm. 31. 90 Vgl. dazu jedoch Wilhelm Bernhardi, Jahrbücher der deutschen Geschichte: Konrad III., Bd. II, Leipzig 1883, S. 927–931, über den Eindruck, den die Persönlichkeit dieses Herrschers auf Zeitgenossen machte, bes. S. 929. Hervorgehoben werden: gewinnende Persönlichkeit, hochragende Gestalt, beträchtliche Körperkraft, vorwiegend heitere Miene und Freude an fröhlichem Umgang. 91 Die selbstverständliche Einschätzung Konrads, trotz der ausstehenden Krönung, als imperator zeigt z.B. die Art seiner laufenden Erwähnung bei Odo de Diogilo, leicht zu erschließen an Hand des Registers der Ausgabe, wie Anm. 85, S. 150. 92 Bern. Clar., ep. 183 (Opera VIII, S. 3), ep. 244 (S. 134), ep. 499 (S. 456). Dieser letzte, lange unbekannte Brief dürfte in die Periode der vergeblichen Werbung Bernhards um Konrad gehören. 93 Oben bei Anm. 73–78. 89
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Es ist nachweisbar, daß im damaligen Frankreich die alten Weissagungen neu bearbeitet wurden, und zwar so, daß man nun König Ludwig VII. als den Mann hochzustilisieren versuchte, der zum letzten Kaiser berufen sei. Bezeichnenderweise wurde dabei Wert darauf gelegt, sein Anfangsbuchstabe „L“ werde sich zu gegebener Zeit in ein „C“ verwandeln94. Zweifellos gehörte nicht viel Kritikfähigkeit dazu, um eine solche Lösung künstlich zu finden, und Bernhard hatte ohnedies nicht die beste Meinung von dem jungen Capetinger. Die auf diesen gemünzte Version fand auch sonst nicht allgemein Anklang95. Sollte es gar so undenkbar sein, daß Bernhard zwar in einer mehr allgemeinen Weise von der gekennzeichneten Strömung erfaßt war, doch so, daß er sich der kritischen Skepsis gegen die gekünstelte Ludwigs-Prophetie anschloß96? Es sei die Vermutung gewagt: Seit der Abt vom Fall Edessas wußte, der ihn tief bewegte, neigte er im Prinzip einer sibyllinisch fundierten Gegenwartsdeutung zu. Doch er traute diesen Überzeugungen nicht, bevor ihm nicht ein deutlicheres Zeichen zuteil geworden war. Ein solches suchte er im Werben um die Kreuznahme des Mannes, der die vorausgesagten Merkmale des Endherrschers so sehr viel deutlicher und offensichtlicher zu tragen schien als der junge französische König. Eben deshalb ließ Bernhard nicht nach, was man auch reden mochte97, bis er Konrad endlich doch gewonnen hatte, und der schließliche Erfolg schien ihm das „Wunder der Wunder“, weil er nun glauben konnte, das erhoffte Zeichen empfangen zu haben. Die merkwürdige Emphase, die in diesem Ausspruch liegt, wäre damit erstmals erklärt. Vielleicht wagte er noch immer nicht, sich auch öffentlich klarer zu dem zu bekennen, was ihn insgeheim durchdrang. Dazu fehlt uns die Kontrollmöglichkeit. Da kam mit dem Frankfurter Reichstag vom März 1147 für Bernhards Entwicklung in dieser Frage offenbar ein neues Epochenereignis, eins von dermaßen verstärkender Wirkung, daß nun auch Äußerungen nach außen hin möglich wurden in der kaum noch verhüllten Form, die der Sendbrief 457 spiegelt. Denn dieser
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Kahl III, S. 295, 298 f., 302, 307. A. a. O., S. 299, vgl. 292. 96 Auch der in Kahl III edierte und kommentierte Text folgt dem Endherrscherglauben, ohne ihn mit der Person Ludwigs VII. zu verknüpfen, vgl. a.a.O., S. 298–300. 97 Vgl. den in Anm. 82 zitierten Text, der auf entsprechendes Gerede schließen läßt. 95
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Reichstag konfrontierte den Abt mit der Existenz wirklicher „Heiden des Nordens“. Man mache sich klar: Die Elb- und Ostseeslawen des Frühjahrs 1147 waren eine Handvoll Kleinstämme, gegen die abendländische Christenheit verschwindend an Zahl; sie waren froh, in schweren Auseinandersetzungen, die erst wenige Jahre zurücklagen, einigermaßen ihre Haut gerettet – froh, mit den christlichen Nachbarn in Deutschland und Polen eine Art modus vivendi gefunden zu haben, hier auf die eine, dort auf die andere Weise. Die Grenze gegen sie völlig zu entblößen, wird gleichwohl nicht ratsam gewesen sein, wie es auch nicht dem geltenden Reichsrecht entsprach98 – als die sächsischen Fürsten sich in Frankfurt dem massivsten moralischen Druck ausgesetzt sahen, daß sie sich der Jerusalemfahrt anschließen sollten, konnten sie diesen Gegebenheiten den willkommenen Vorwand entnehmen99. Wirkliche Gefahr aber drohte an dieser Slawengrenze nicht; nichts gab es dort, was einen akuten Grund zum „gerechten Krieg“ im Sinn überkommener kanonischrechtlicher Vorstellungen abgeben konnte, der schon errungene Erfolge etwa hätte ausbauen können. Und trotzdem malt Bernhard in seinem Aufruf das Gespenst einer unermeßlichen Bedrohung an die Wand, die gerade von dieser Seite her nicht nur die sächsisch-thüringischen Nachbargebiete, sondern geradezu den Jerusalemkreuzzug gefährde! Der Vorwand der Sachsen wurde aufgegriffen, doch zu der neuen Konzeption des Sonderkreuzzugs über die Elbe hinüber umgemünzt. Es besteht wenig Anlaß zu der Vermutung, Bernhard, dessen fragwürdige geographische Kenntnisse ja gestreift wurden, könne vor dem Frankfurter Tage, vor den sächsischen Ausflüchten jemals von diesen Heidenstämmen gehört haben. Ihr plötzliches Auftauchen in seinem Gesichtskreis dürfte ihm eine zweite, zusätzlich wichtige und abschließende Bestätigung und Legitimation sibyllinischer Gegenwartsdeutung gewesen sein. Die fraglichen Prophetien sprachen von den spurcissimae gentes, die zur Zeit jenes Endherrschers ab aquilone hereinbrechen sollten, zahllos wie der Sand am Meer100. Die muslimischen Eroberer Edessas hatten nur symbolisch mit ihnen in Verbindung gebracht werden können. Die Elb- und Ostseeslawen, und was noch hinter ihnen wohnen mochte, saßen wirklich in einer relativ nördlichen Gegend! 98
Hans-Dietrich Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte, Köln/Graz 1964, Bd. II, S. 854 f. Anm. 156. 99 Kahl II (Beitrag XIX), S. 629–631. 100 S. Anm. 31.
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Welche Rolle die Formel von den „Heiden im Norden“ im Quellenmaterial über die ursprüngliche Konzeption des alsbald proklamierten Sonderkreuzzugs spielt, konnte gezeigt werden101. So dürfte Bernhard die Gefahr, über die objektive Unterrichtung im Augenblick nicht eben leicht zu beschaffen war, intuitiv an dem gemessen haben, was die geschilderten Traditionen erwarten ließen; da er aber mit der Sondersituation der heranbrechenden Endzeit auch die Stunde dieser Heiden gekommen sah, griff er, der auch sonst in Notsituationen von Kirche und Glauben Gewalt für vertretbar gehalten hatte, zu Gegenmitteln, die er aus gleichen Quellen kannte, in Erwartung des dort prophezeiten Erfolgs: Wie der Endkaiser die einbrechenden Heiden des Nordens bekriegen sollte usque ad internicionem102, so predigte der Abt von Clairvaux auch für diesen Schauplatz die berüchtigte Alternative, in der so überraschend die Vernichtung vor die Bekehrung gesetzt erscheint. Und jetzt erst wagte er (falls nicht ältere Zeugnisse verloren sind), sich so verhältnismäßig offen über den endzeitlichen Charakter seines Kreuzzugsplanes zu äußern, wie der Sendbrief 457 es erkennen läßt. Mündlich ist er möglicherweise wesentlich deutlicher geworden103. An dieser Rekonstruktion ist vieles hypothetisch. Zwei Fakten stehen fest: die unverkennbare eschatologische Naherwartung, die für Bernhard erstmals und allein aus diesem Brief 457 spricht, mit ebenso unverkennbaren Anspielungen auf Zusammenhänge des Endkaiserglaubens, dazu zweitens die Tatsache, daß es, wie vermerkt, historiographische Berichte gibt, die stützen, daß Bernhards Kreuzpredigt sich tatsächlich in eben dieser Richtung entwickelt hat104. Sind diese Fakten auf prinzipiell anderem Weg zu erklären? 6. Für und Wider der Zeitgenossen Treffen die vorgeschlagenen Interpretationen und Hypothesen zu, so ist festzustellen: Schon für den Orientkreuzzug, der seit 1146 gepredigt wurde, muß Bernhard im Prinzip die Zielvorstellung gehabt haben, die in auch uns zugänglicher Deutlichkeit erst im Sendbrief 101
Oben, bei Anm. 8–10. Wie Anm. 31. 103 Dies legen die gleich zu erwähnenden Berichte nahe, vgl. Anm. 104. 104 S. Anm. 78, vgl. 36 und 59. Berichte dieser Art sind als Ergänzung zur bernhardischen Eigenüberlieferung über seine Kreuzzugswerbung motivisch viel zu wenig ausgewertet. 102
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457 formuliert ist und dort nur für den Ostelbienzug. Zumindest hat eine derart globale Ausweitung des Kreuzzugsziels Christianisierung für die Spätphase seiner Kreuzzugswerbung zu gelten, in der dieser Frankfurter Sendbrief entstand. Dieser Sendbrief selbst aber erweist sich, wenn man den Wortlaut genauer analysiert, als weit mehr, als man bisher in ihm sehen wollte: nicht allein ein Aufruf zum „Wendenkreuzzug“ – so sicher er das auslöste, was man später mit diesem Namen belegte105 –, sondern zugleich ein Schlüsseltext für die Entwicklung der allgemeinen Kreuzzugsidee in den Jahren 1146/47, und nicht weniger ein solcher für die persönliche Entwicklung Bernhards von Clairvaux in eben diesen Jahren106. Was man bisher so einengend „Wendenkreuzzug“ nennen wollte, erweist sich verstärkt als das, was es nach der Bestätigungsbulle Papst Eugens III107. und ebenso nach dem Zeitzeugen Helmold von Bosau108 war: nicht einfach eine „Abirrung“ oder ein „Seitenunternehmen“ des großen Kreuzzugs, sondern eine der Heersäulen des übergreifenden Gesamtplans, der damals zur höheren Ehre Gottes verfolgt und gepredigt wurde: auszuziehen wider die Heiden und sie zu vernichten bis an die Enden der Erde, wo immer man sie noch antreffen würde, so oder so. Fängt man, einmal hellhörig geworden, an, auf Belege zu achten, die die Absicht einer derart endgültigen Lösung der Heidenfrage durch den zweiten Kreuzzug andeuten, so kommt man schnell ins Staunen, wie viele solcher Hinweise es tatsächlich noch gibt: teils für ein allgemeines Kreuzzugsziel Christianisierung, teils ausdrücklich mit universaler Ausweitung. Der Schluß drängt sich auf, daß nur petitio principii dieses Material dermaßen gründlich beiseiteschieben konnte, wie dies in der Forschungsgeschichte geschah109. Das Verfahren heischt gleichwohl Verständnis. Nichts kann von unseren heutigen geographischen Vorstellungen her absurder wirken als die Idee, die Heidenfrage mit einer einzigen geballten Kraftanstrengung der Christenheit lösen zu wollen, ein für alle Male. Doch nicht
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Oben, Abschnitt 1. Wie die damit festgestellte Entwicklungsphase sich in die aus anderem Material gewonnenen Befunde von B. McGinn, Saint Bernard, wie Anm. 32, einfügt, erörtert Kahl VII, Abschnitt 1, vgl. Abschnitt 9. 107 S. Anm. 8. 108 Helmold, wie Anm. 3; dazu Helmut Beumann, Kreuzzugsgedanke und Ostpolitik im hohen Mittelalter, zuletzt bei dems. (Hrsg.), Heidenmission, wie Anm. 4, S. 140–141. 109 Vgl. ausführlich Kahl VIII. 106
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von unserem Bild der Erde darf hier ausgegangen werden, sondern einzig von dem, das dem Abt von Clairvaux und der Mehrheit seiner Zeitgenossen erreichbar war, eingeschlossen die Vorstellungen, die man sich damals über die Verteilung von Christen und Heiden auf der kleinen Erdscheibe machte110. Stellt man sich auf diese Voraussetzung ein, so wendet das Blatt sich vollständig, und was heute nur als extrem absurde Utopie wirken kann, rückt für damals in erreichbare Nähe, zumal wo das Vertrauen auf mitwirkende göttliche Gnade mitspricht, die den bevorstehenden Kreuzzug, Ausführung ihres Willens, beflügeln und vorwärtstragen werde. Allerdings: Eine Gegenwartsdeutung auf sibyllinischer Basis wurde auch damals keineswegs allgemein aufgegriffen111, und so hatten schon Zeitgenossen ihre Schwierigkeiten, das darauf aufgebaute Kriegsziel in Form der rigorosen Alternative Bernhards aufzugreifen. Papst Eugen sprach, als er den neuen Sonderkreuzzug sanktionierte, lediglich von Unterwerfung unter den christlichen Glauben; er ließ offen, daß ein Anschluß von Heiden an die Christenheit mit solchen Mitteln nicht durchgesetzt werden könnte, und gestattete daher, gegen die Intentionen seines Abtlegaten mit ihnen vertragliche Abmachungen zu treffen, um den Krieg zu beenden112. Von der Ausrottungsalternative ist in seiner Bulle nicht die Rede. Der unbekannte Benediktiner, der damals an den Magdeburger Annalen schrieb, blieb bei einem Entweder-Oder als Kriegsziel, kehrte aber die Reihenfolge um, setzte also die Bekehrung vor die Vernichtung und rückte auch sonst durch die Art seiner Darstellung einigermaßen schroff von Bernhard ab, mit für uns zum Teil merkwürdigen Mitteln113. Beide Quellen deuten keinerlei sibyllinische Gegenwartsinterpretation an: beim Papst beachtlich, weil er seinen Text noch vor dem Zusammenbruch des großen Orientzuges hinausgehen ließ, der die umfassende Desillusionierung brachte – beim Annalisten weniger, weil er dieses Ereignis bereits voraussetzt. Im übrigen spricht die scharfe Diskrepanz, die zwischen Bernhards Intentionen und ihrer Durchführung gerade beim „Wendenkreuzzug“ aufklafft, hier eine
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S. Anm. 7. Ablehnung ist z.B. bei Abt Suger von St. Denis, dem Statthalter Ludwigs VII. während seiner Kreuzfahrt, und bei Graf Adolf II. von Holstein zu vermuten, von anderen zu schweigen. 112 Wie Anm. 8, dazu H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche, wie Anm. 98, S. 231. Ich sehe keinen Grund, die dort vorgenommene differenzierende Gegenüberstellung zurückzunehmen. Anders: F. Lotter, Die Konzeption, wie Anm. 22, S. 16–19. 113 Annales Magdeburgenses, a. 1147 (MG SS XVI, 188), dazu Kahl II, wie Anm. 10. 111
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deutliche Sprache114. So wenig der Erfolg dieser ostelbischen Expedition, gemessen an damaligen Maßstäben, unterschätzt werden darf115 – Nichtrezeption dessen, was Bernhard verkündigen wollte, ließ sich kaum drastischer demonstrieren. Auch die Heftigkeit der Angriffe, die sich nach dem verheerenden Fehlschlag gegen Bernhard als den Hauptpropagator gerichtet haben, wird von der hier entwickelten Position aus besonders verständlich: Er hätte ja danach, gedeckt durch die ehrfurchtgebietende Autorität seiner Persönlichkeit, Zukunftshoffnungen geweckt, sehr weitreichende und konkrete, und sie waren radikal enttäuscht worden; er hätte zu verkünden gewagt, der Kreuzzug werde das alle Welt umspannende Friedensreich bringen, hergestellt durch die Jerusalemfahrt Konrads III., eine letzte Spanne des Segens, bevor der Antichrist erscheinen werde – und was war eingetreten, unter verheerenden Opfern? Die schlimmste Niederlage, die die abendländische Christenheit bis dahin jemals empfangen hatte, und das trotz Einsatzes ihrer gesammelten Kraft in gleichfalls noch nie dagewesener Stärke – ein denkbar düsteres Gegenbild zu den Erfolgen des ersten Kreuzzugs. Bernhard selbst sagt im Rückblick: „Wir haben gesagt: ‚Friede‘, und es ist kein Friede“116. Das ist nicht nur deutliche Anspielung auf jenen vom Endherrscher herzustellenden Zustand, es ist zugleich ein dreifaches Bibelzitat, das jeweils auf ein Kennzeichen falscher Propheten hinweist117. Bernhard war sich also selbst bewußt, daß er durch das Kreuzzugsergebnis vor den Augen der Welt als ein solcher bloßgestellt schien, und ein Autor wie der Verfasser der Würzburger Annalen zeigt, wie sehr der Abt damit ins Schwarze traf 118.
114 Vgl. H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche, wie Anm. 98, S. 186–235 und weiter, passim, in Ergänzung der Ausführungen von H. Beumann, Kreuzzugsgedanke, wie Anm. 108, S. 138–145. 115 Wie Anm. 120. 116 Bern. Clar., De cons. II,1,1 (Opera III, S. 411,7 f.). 117 Ier. 6,14; 8,11; Ez. 13,10. 118 Annales Herbipolenses, a. 1147 (MG SS XVI,3) mit harten Invektiven gegen pseudoprophetae, filii Belial, testes antichristi, die damals die abendländische Christenheit zum Kreuzzug verführten. Der Kontext zeigt, daß Bernhard gemeint ist, mit gerade noch gewahrter letzter Zurückhaltung. Vgl. dazu Kahl VII, Abschnitt 5, gegen Ende.
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beitrag xx 7. Baltische Missionskreuzzüge als Nachklang
Der große ideelle Hochschwung fiel naturgemäß in sich zusammen, als die Fakten zu sprechen begannen; Nachwirkungen lassen sich gleichwohl greifen, und gerade für den fälschlich so genannten Wendenkreuzzug. Wie gezeigt, wandte diese Teilexpedition sich der eigentlichen Zielsetzung nach gegen die „Heiden im Norden“119. Wie begrenzt die Erfolge waren, die sie zu erreichen vermochte, ist längst bekannt. An der eigentlichen Zielsetzung gemessen, schrumpfen sie noch mehr zusammen, so sicher nach zeitgenössischem Verständnis auf begrenztem Schauplatz zunächst mehr erreicht schien, als anzunehmen uns aus unserer Rückschau nahe liegt120. Niemandem konnte verborgen bleiben, daß es im Norden weiterhin Heidenreste gab, die schon deshalb ungetauft geblieben waren, weil die christliche Streitmacht sie gar nicht zu erreichen vermochte. Das aber bedeutet: Was nach 1147 irgendwo im nördlichen Bereich noch unbekehrt angetroffen wurde, bis hin zu den Prußen, Litauern, Liven, Esten und Finnen, das konnte angesprochen werden als ein unerledigt gebliebener Rest der Kreuzzugsaufgabe dieses Jahres. Dies war möglich, wo immer sich Erinnerung an die offizielle Zielsetzung und die ihr folgende Predigtpropaganda gehalten hatte, und das darf für alle beteiligten Kreuzzugsländer vorausgesetzt werden – auch Bernhards Sendschreiben 457 richtete sich an die universi fideles Dei, nicht weniger als die päpstliche Bestätigungsbulle121 –, darf weiter vorausgesetzt werden für mindestens eine Generation, jedenfalls bei den kirchlichen Kreisen, die persönlich mit dieser Verkündigung befaßt gewesen waren: nicht zuletzt in Dänemark, im Kreise etwa um Erzbischof Eskil von Lund (1138–1177), der mit Bernhard persönlich befreundet war. Es kann schwerlich als Zufall betrachtet werden, daß in nicht gar zu großem Abstand zum Jahr 1147 an den verschiedensten Stellen dieses „Nordens“ bewaffnete Expeditionen einsetzen, die
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Oben bei Anm. 8–11. Beitrag XXI, wie Anm. 4; ergänzend: Beitrag XXII, S. 725–731. 121 Vgl. die Adressen (oben, Anm. 5 bzw. 8), dazu in Bernhards ep. 457 noch gegen Schluß: quatenus exemplar istarum litterarum ubique portatur, was natürlich nicht wörtlich zu nehmen ist, doch die weitgestreute Verbreitungsabsicht unterstreicht. 120
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eine gewaltsame Christianisierung von noch heidnisch verbliebenen Landschaften anstrebten122. Auf der Gewaltsamkeit des Vorgehens im Dienst missionarischer Ziele liegt dabei der entscheidende Akzent. Ihn setzte die erwähnte Bestätigungsbulle des Papstes, die Bernhard schon deshalb erwirken mußte, weil der Jerusalemablaß, den sein Sendbrief 457 auf die Ostelbienfahrer ausdehnte123, legitimerweise ja gar nicht von ihm proklamiert werden konnte, sondern nur vom römischen Stuhl. Diese Bulle stimmt mit der Konzeption seines Sendbriefs keineswegs in allem überein; man hat wichtige Differenzpunkte festzuhalten124. Gleichwohl: Es war das erste Mal, daß in einer päpstlichen Verlautbarung, also in einem höchstoffiziellen Text der katholischen Kirche, ein Ziel legalisiert wurde, dem eine derartige Anerkennung bis dahin nicht zuteil geworden war: eben die Bekehrung mit Waffeneinsatz – die Proklamation jener Sonderform des „heiligen Krieges“ der Christenheit, die man treffend als „Missionskreuzzug“ angesprochen hat125. Wer künftig Zweifel an der Berechtigung solchen Vorgehens hegen mochte, konnte mit Hinweis auf dieses Dokument beruhigt werden, bis spätere Päpste erneut Entsprechendes verlautbaren126: Man wird doch wohl befugt sein, für eine längere Zeit über 1147 hinaus vorauszusetzen, daß eine größere Zahl von Exemplaren dieses päpstlichen Dokuments noch vorhanden war, gerade dort, wo missionarische Horizonte bewußt offen gehalten wurden – also wiederum nicht zuletzt in Dänemark.
122 Zum folgenden ausführlicher: Kahl VII, Abschnitt 10. Dazu Tore Nyberg, Deutsche, dänische und schwedische Christianisierungsversuche östlich der Ostsee im Geiste des 2. und 3. Kreuzzuges, in: Die Rolle der Ritterorden, wie Anm. 2. 123 Bern. Clar., ep. 457 (S. 433,5 ff.): denuntiamus . . . signum salutare (das Kreuz des Kreuzfahrers) suscipere, eandem eis promittentes indulgentiam peccatorum quam et his qui versus Ierosolimam sunt profecti . . . Eine Eigenmächtigkeit, die zweifellos weit über die Befugnisse eines päpstlichen Kreuzzugslegaten hinausging; sie unterstreicht desto sprechender das Engagement Bernhards für das ins Auge gefaßte Kreuzzugsziel. 124 Wie Anm. 112. 125 H. Roscher, Papst Innozenz III., wie Anm. 6, S. 192, vgl. auch 212. 126 Darstellung der Entwicklung von Eugen III. bis zu Innocenz IV. bei Roscher, wie Anm. 6, S. 192–213, vgl. auch S. 285–287; ergänzend T. Nyberg, Deutsche, dänische und schwedische Christianisierungsversuche, wie Anm. 122, S. 93–114; auch dens., Kreuzzug und Handel in der Ostsee zur dänischen Zeit Lübecks, bei O. Ahlers u.a. (Hrsgg.), Lübeck 1226. Reichsfreiheit und frühe Stadt, Lübeck 1976, S. 173–206; dazu jetzt die Sammelbände: Studien über die Anfänge der Mission in Livland, hrsg. von M. Hellmann, Sigmaringen 1989, und Gli inizi del Cristianesimi in Livonia-Lettonia. Atti del colloquio internazionale di storia ecclesiastica in occasione del’ VIII centenario della chiesa in Livonia (1186–1986; Roma 1986), Città del Vaticano 1990.
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Kurz: Die Ableitung des Missionskreuzzugs aus einem Ansatz, der im Ursprung ganz anders gemeint war, des Missionskreuzzugs als einer Institution diesseits der Endzeit, hatte begonnen. Ein Präzedenzfall war geschaffen, der eigenständig weiterwirken konnte, auch nachdem die sibyllinische Gegenwartsdeutung der Vorkreuzzugsphase durch die Katastrophen der Orientfahrer derart grausam widerlegt war. So öffnen sich von der Basis des fälschlich so genannten Wendenkreuzzugs her nochmals Perspektiven allgemeinhistorischer Art. [Nachtrag 2008: Die Akzeptanz der vorgelegten Rekonstruktion stößt auf zwei Reibungsflächen: 1. Scheu, einem so bedeutenden Heiligen, dazu doctor ecclesiae, einen Irrtum solcher Art zuzutrauen, und 2. die traditionell negative Einschätzung Konrads III. So meint H. Möring, Der Weltkaiser der Endzeit, Stuttgart 2000, S. 169 m. Anm. 39, mein Vorschlag sei „wohl nicht einmal als Möglichkeit zu betrachten“, zumal Bernhards Briefe nirgends auf entsprechende Einschätzung Konrads deuten und „fraglich“ sei, „ob Bernhard . . . diese Adso-Version kannte“. Also: Quod non est in actis, non est in mundo? Einer der besten Bernhard-Kenner der Gegenwart hält meine Konzeption bei aller Unbeweisbarkeit im Letzten immerhin für vertretbar (Peter Dinzelbacher, Bernhard von Clairvaux, Darmstadt 1988, S. 304, dazu 296–298 m. Anm. 139). Ich halte daran fest, daß meine Analyse des Materials (am eindringlichsten in den oben Anm. 2 als VII und VIII zitierten Arbeiten) in sich schlüssig ist und die bisher einzige Erklärung für eine beachtliche Vielzahl scheinbarer Ungereimtheiten liefert. Für Bernhards Hinterlassenschaft ist mit Lücken zu rechnen, vielleicht sogar teilweise mit gezielter Vernichtung (gerade ep. 457 blieb nur zufällig bewahrt, außerhalb der Überlieferung von Clairvaux !). Ob der Abt die von mir herangezogene Sibylline gesehen hat, wird gegenstandslos angesichts der anzunehmenden Menge verlorener Texte, die Ähnliches gebracht haben können; auch der Zweifel ist unbeweisbar. Die von mir unterstellte Fehleinschätzung bewegt sich nicht im Bereich orthodoxer Lehre, wohl aber noch in der Grauzone zwischen ausdrücklich approbierten und ausdrücklich verworfenen Vorstellungen. Konrad III. ist in neuerer Forschung aufgewertet (W. Ziegler, Konrad III., Wien usw. 2008, S. 15f., cfl. 745 u. 752, im übrigen auffällig ohne Stellungnahme zu vorliegendem Problem); die für die Urteilsbildung wichtige Wirkung seiner persönlichen Ausstrahlung auf die Zeitgenossen bleibt uns verborgen (oben Anm. 90).]
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ZUM ERGEBNIS DES WENDENKREUZZUGS VON 1147 Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des sächsischen Frühchristentums 1. Maßstäbe Die Forschung ist sich im allgemeinen einig, daß das Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147 eine „Farce“ war1. Sie kann sich dabei auf das einhellige Zeugnis fast aller Quellen stützen, die zu dem Ausgang dieses merkwürdigen Unternehmens Stellung beziehen, darunter gerade der zeitgenössischen. Vor allem zwei Gewährsleute haben immer wieder verdiente Beachtung gefunden: Abt Wibald von Stablo
1 Es werden folgende Abkürzungen verwandt: JL = Jaffé-Loewenfeld (u.a.), Regesta pontificum Romanorum 2; PL = Migne, Patrologia Latina; SS = Scriptores der Monumenta Germaniae Historica. W. Bernhardi, Konrad III. (Lpz. 1883), S. 563–78; A. Hauck, Kirchengesch. Dtschlds. IV8 (Bln. 1954), S. 627–31; M. Bünding, Das Imperium Christianum u. d. dtsch. Ostkriege v. 10. bis z. 12. Jh. (Diss. Gießen 1940, auch Bln. 1940), S. 35–50; E. Maschke, Der Deutsche Orden u. die Preußen. Bekehrung u. Unterwerfung in d. preuß.-balt. Mission d. 13. Jh. (Bln. 1928), S. 11–14; A. M. Ammann, Kirchenpolit. Wandlungen im Ostbaltikum bis z. Tode Alexander Newskijs (Roma 1936), S. 95 ff.; W. Brüske, Unters, z. Gesch. d. Lutizenbundes (Münster 1955), S. 107 ff.; K. Jordan, Die Bistumsgründungen Heinrichs d. Löwen (Lpz. 1939), S. 79 f.; H. Günter, Das dtsch. MA I2 (Freiburg 1943), S. 200–202, vgl. 195 f.; H. Grundmann, Das hohe MA (Neue Propyläen-Weltgesch. II, Bln. 1940), S. 280; dazu zahlreiche Arbeiten der allgemeinen und kirchlichen Landesgeschichte für die betroffenen Gebiete. Wichtige neuere Literatur über den Wendenkreuzzug, unabhängig von der „Farcenfrage“, s. unten Anm. 9, 57 u. 85. Vom Verfasser vorliegenden Beitrags sind in den letzten Jahrgängen der Zeitschrift für Ostforschung einige Aufsätze erschienen, die zur Erhellung des allgemeinen Hintergrundes zu vergleichen sind: Zum Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters (a. O. 2, 1953, S. 1–14) [= Beitrag XIV in diesem Sammelband]; Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts (a. O. 4, 1955, S. 161 bis 93 u. 360–401) [= Beitrag XV in diesem Sammelband]; Die völkerrechtliche Lösung der „Heidenfrage“ bei Paulus Vladimiri von Krakau († 1435) und ihre problemgeschichtliche Einordnung. Zugleich ein Nachtrag zum „Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters“ (a. O. 7, 1958, S. 161–209, unten Beitrag XXV, vgl. bes. S. 933–945); auch: Das Ende des Triglaw von Brandenburg. Ein Beitrag zur Religionspolitik Albrecht des Bären (a. O. 3, 1954, S. 68–76, oben Beitrag XVI). Weiteren Problemen des Wendenkreuzzuges gilt das dritte Kapitel seiner: Beiträge zur brandenburgischen Geschichte in der Zeit Pribislaw-Heinrichs und Bischof Wiggers (erschienen als: Slaven und Deutsche, in der Reihe „Mitteldeutsche Forschungen“, Bd. 30, Köln/Graz 1964).
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und Corvey, daneben Helmold, der Priester von Bosau am Plöner See; der eine ein Teilnehmer des Zuges, der andere ein Mann mit wachen Sinnen, der die Ereignisse damals wahrscheinlich immerhin aus großer Nähe zur Slawengrenze (von Neumünster aus) beobachten konnte und der später durch seine kirchlichen und sonstigen Verbindungen erst recht gute Möglichkeiten besaß, sich ein wohlbegründetes Urteil zu bilden. Von Wibald stammt, nur zwei Jahre später, die vielleicht früheste Äußerung, die wir überhaupt über diesen Kreuzzug besitzen: sie spricht ausdrücklich von „erfolglos“2; ebenso aber ist nach Helmold „jener großangelegte Feldzug nur mit mäßigem Erfolg zuendegebracht worden“3. Es ist selbstverständlich, daß solche Zeugen nicht mit einer Handbewegung abgetan werden dürfen. Bemüht man sich jedoch, dem mittelalterlich-sächsischen Frühchristentum in seinem inneren Wesen näher zu kommen, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie der Quellenwert all dieser Aussagen, so nahe sie den Ereignissen scheinen, vom Standpunkt der Kreuzfahrer des Jahres 1147 selbst beurteilt werden muß. Was zunächst Wibald angeht, so war er persönlich wohl kein Sachse, sondern Lothringer aus der Gegend von Stablo (jetzt Stavelot in der belgischen Provinz Lüttich), kam also möglicherweise von anderen inneren Voraussetzungen her als die Masse der übrigen Teilnehmer. Zudem war er ein hoher Prälat, der den strengen Reformrichtungen
2 Wibald, ep. 150, a. 1149 (bei Ph. Jaffé, Bibl. rerum Germanicarum I, S. 245): Reuersi ab expeditione Sclauica . . ., quam etsi peccatis exigentibus (zu dieser Wendung unten Anm. 5) non efficaciter set tamen obedienter compleuimus . . . Zeitlich früher dürfte allenfalls der Bericht der Ann. Magd, sein, vgl. flg. Anm. 3 Helmoldi Presbyteri Bozoviensis Cronica Slavorum, c. 65 (rec. B. Schmeidler, Hannover 1937, S. 123, 8 ff.): Taliter illa grandis expedicio cum modico emolumento soluta est; die biographischen Angaben nach B. Schmeidler, Einl. z. Ausg., S. VII. – Die übrigen Belege bei W. Bernhardi, S. 577 Anm. 40. Über Wibald und Helmold wird alsbald im Text ausführlich gesprochen, über Ann. Palid. unten S. 294 ff., über Cas. Mon. Petrishus unten S. 694 f., über Vincent. Prag. unten bei Anm. 89, vgl. S. 698 f.; zum Auctar. Gemblac. unten Anm. 139. Für Otto von Freising ist zu beachten, daß er als Zisterzienser ebenfalls Reformanhänger war. Die übrigen von Bernhardi genannten Quellen beschränken sich auf so knappe Andeutungen, daß sie sich einer eingehenden Analyse entziehen; sie bleiben wertvoll als Ausdruck einer weitverbreiteten Stimmung und Überzeugung, die sich jedoch, wie im folgenden zu zeigen ist, aus sehr verschiedenartigen Komponenten zusammensetzte. – Von Bernhardi noch nicht berücksichtigt wurde, daß auch die sog. Annales Magdeburgenses (SS XVI, 188 ff.) eine sehr starke Kritik des Wendenkreuzzuges enthalten, gleichfalls von streng reformerischem, zugleich jedoch antibernhardinischem Standpunkt (dem der Hirsauer Richtung, die damals in Ostsachsen eine wenig beachtete Nachblüte erlebte): vgl. dazu einstweilen Kahl, Beiträge zur brandenburgischen Geschichte, S. 234 f., bes. Anm. 277.
zum ergebnis des wendenkreuzzugs von 1147
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seiner Zeit nicht angehörte, aber nahestand4. Wenn solch ein Mann mit dem „Bekehrungswerk“ von 1147 nicht ohne weiteres zufrieden gewesen wäre, ließe sich das verstehen: er würde sich dann einreihen in den Chor der Stimmen, die von solchem Reformstandpunkt aus ihrem Unmut über reformfremde Praxis dieser Kreuzfahrer Luft machen und deren wichtigste wir noch eingehend würdigen werden5. Es ist jedoch keineswegs ausgemacht, daß Wibalds Äußerung wirklich in diesen Kreis hineingehört, dem er sich auch sonst offenbar bewußt nicht angeschlossen hat. Seltsamerweise hat man ihn immer nur zitiert, aber noch niemand hat die Frage aufgeworfen, auf wen sich denn eigentlich die von ihm festgestellte Erfolglosigkeit bezieht. Ist damit wirklich der Kreuzzug als Ganzes gemeint – oder vielmehr nur er, der Schreiber, selbst? Der Wortlaut – er, Abt Wibald, habe den wendischen Feldzug „erfolglos, aber dennoch gehorsam erfüllt“6 – legt eigentlich nichts als die zweite Möglichkeit nahe. Wibald müßte dann also mit seiner Teilnahme am Kreuzzug noch irgendeine besondere Absicht verbunden haben, die er unter dem Zwang der Verhältnisse nicht durchzusetzen vermochte, und tatsächlich gesteht er selbst ein, daß er keineswegs allein „aus Rücksicht auf das christliche Heil“ mit über die Elbe gezogen sei, sondern außerdem noch aus einem anderen, sehr realen Grunde: um bei dieser Gelegenheit alte Ansprüche endlich durchzusetzen, die sein Kloster Corvey angeblich von Kaiser Lothar I. her auf die Insel Rügen besaß7. Wie weit vor diesem Ziel der Zug sich aber schon festfuhr, ist bekannt, und so bleibt wohl kein Zweifel, daß 4 C. Hallinger, Gorze – Cluny. Studien zu den monastischen Lebensformen u. Gegensätzen im Hochmittelalter (Rom 1950/51), S. 66 f. betont entgegen verbreiteter Ansicht, daß Wibald nicht der Kluniazenser bzw. Hirsauer Reformrichtung zugezählt werden kann, vgl. auch S. 848 f. Immerhin hat er in den ihm unterstellten Klöstern auf Wiederherstellung guter Zucht gehalten: K. Hofmann, im Lexikon f. Theologie u. Kirche X (Freiburg 1938), S. 855 ff. m. weiterer Lit. Dem bedeutenden Hirsauer Reformabt Arnold von Berge und Nienburg hat er bei gegebener Veranlassung ausdrücklich seine Verbundenheit bezeugt (bei Jaffé, a. O. 525 f.). 5 Unten S. 682 ff. die Ann. Palid.; über Ann. Magdeb. s. Anm. 3. 6 Siehe Anm. 2, wo die Pluralform sich nicht auf das Kreuzheer, sondern auf Wibald persönlich bezieht. 7 Wibald, ep. 150 (S. 245), also in der gleichen Quelle wie Anm. 2: ad quam (expeditionem) nos traxerat et christianae salutis intuitus et specialis monasterii nostri causa, pro recipienda videlicet regione . . . Ruiana . . ., quae Corbeiensi monasterio imperiali dono collata est a Lothario caesare. (Demgegenüber ep. 58, a. 1147, S. 138 allein: dulce fuit ac iocundum animae nostrae vivere . . . in expeditione super paganos trans Albim.) – Über die genannten Ansprüche vgl. F. Curschmann, Die Diözese Brandenburg (Lpz. 1906), S. 5 ff.; B. Guttmann, Die Germanisierung d. Slawen in d. Mark (Forsch. z. Brandenburg. u. Preuß. Gesch. 9, 1897), S. 433, 438 f. m. Anm. 1; Verf., Beiträge z. brandenb.
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Wibalds Klagen über mangelnden Erfolg sich mindestens sehr stark, wenn nicht allein, auf das Scheitern dieser Hoffnungen bezogen hat. Für eine Beurteilung des Kreuzzugs als Ganzen ist seine Äußerung mithin trotz der unbestreitbaren Kompetenz ihres Urhebers gar nicht mit Sicherheit heranzuziehen. Wahrscheinlicher ist sogar das Gegenteil: wir hören nämlich, daß der von Papst Eugen III. entsandte Kardinallegat Guido im gleichen Jahre, dem sie entstammt, also 1149, den Abt aufforderte, ihm bei der Errichtung von Bistümern in „Leutizien“ (dem östlichen Mecklenburg) behilflich zu sein. Wäre das möglich gewesen, wenn Wibald, dessen intime Beziehungen zur römischen Kurie bekannt sind, dort negativ über den Ausgang des Bekehrungskrieges berichtet hätte8? Auch die Kritik Helmolds aber verdient, einmal genauer unter die Lupe genommen zu werden. Sein Bericht gibt zunächst ein anschauliches Bild der Unlust, mit der der Kampf auf sächsischer Seite je länger je mehr geführt worden ist. Diese Unlust zu tadeln hatte der Priester von Bosau keinen Grund, denn er selbst stand, wie H. Beumann eindringlich dargelegt hat9, dem ganzen Unternehmen ablehnend gegenüber, und das ist kein Wunder, denn eine eingehende Interpretation der missionstheologischen und missionsmethodischen Andeutungen seiner Chronik würde zeigen, daß diesem Mann, auch wenn er sich persönlich an der gewaltsamen Zerstörung eines heidnischen Heiligtums beteiligt hat10, ein positiver Glaubenszwang ähnlich fernlag wie seinem großen Vorbild Adam von Bremen11.
Gesch., S. 23, Anm. 12, wo auch über den mutmaßlichen Ursprung dieser Geschichtsfabel gehandelt wird. 8 Wibald, ep. 184 (S. 304); dazu K. Jordan, S. 81 f. Allerdings hat Wibald sich der Aufforderung entzogen: ep. 186 (S. 306). Da er den gleichen Grund anführt, um zu erklären, warum er den ihm doch so nahestehenden König Konrad bei der Heimkehr vom Kreuzzug nicht mit eingeholt habe (ep. 180, S. 300), wird es sich doch wohl um mehr als bloßen Vorwand handeln, der natürlich gegen die oben geäußerte Vermutung sprechen müßte. Vgl. auch die unten S. 680 f. mitgeteilte Stimme der Ann. Rodens., für die ein mittelbarer Zusammenhang mit Wibald wahrscheinlicher ist als das Gegenteil: hätte es nicht bis 1152 in den Klöstern des Bistums Lüttich bekanntwerden müssen, wenn ein so angesehener Prälat wie der Abt von Stablo den Missionserfolg von 1147 für fragwürdig hielt? 9 H. Beumann, Kreuzzugsgedanke u. Ostpolitik im hohen Mittelalter (Hist. Jahrb. d. GörresGes. 72, 1953), S. 126–131. Durch diese Ausführungen ist die bisherige Interpretation der Stellungnahme Helmolds zum Wendenkreuzzug weitgehend überholt. Sie sind zum folgenden laufend zu vergleichen. 10 Helmold, c. 84 (S. 160, 18 ff.). Der Bericht ist im „wir“-Stil abgefaßt. 11 Über Adam von Bremen vgl. Beitrag XIV, S. 470–472 und Beitrag XV, S. 550–552. Einige Bemerkungen über Helmold im folgenden, vgl. bes. noch Anm. 26.
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Über den Abschluß des Krieges meldet er zunächst: „Endlich, als unsere Leute schon durchaus keine Lust mehr hatten, kam eine Übereinkunft zustande in dem Sinn, daß die Wenden den christlichen Glauben wieder annehmen12 und daß sie die Dänen entlassen sollten, die sie in Gefangenschaft gehalten hatten“13. Diese Formulierung ist noch verhältnismäßig neutral, wenngleich auch durch sie schon der Unmut des Verfassers hindurchschimmert. Dann aber beginnt die unverhohlene Kritik: „Viele von ihnen sind also fälschlich getauft worden ( falso baptizati sunt).“ Das aber hätte unter keinen Umständen geschehen dürfen: wahrscheinlich stand Helmold wie der hl. Augustin14 auf dem Standpunkt, daß ein Taufempfang ohne ehrliche Bekehrungsabsicht schlimmer sei als die Taufverweigerung, und er hätte es dementsprechend für richtiger gehalten, wenn die Slawen den Tod solcher Sakramentsschändung vorgezogen hätten: die ewige Verdammnis mußte ihnen nach der herrschenden Auffassung in beiden Fällen gewiß sein, nur daß der unwürdige Sakramentsempfang außerordentlich erschwerend in die Waagschale fiel15. Insofern richtet sich die Kritik des Priesters von Bosau also nicht gegen seine Sachsen (nostri), sondern gegen die Wenden, die einer solchen Forderung in unehrlicher Absicht nachgegeben haben. Zugleich aber enthalten seine Worte wohl eine erneute herbe Verurteilung der ganzen Kreuzzugsidee von 1147 mit ihrer Alternative von Vernichtung oder Bekehrung16, formuliert mit aller gebotenen Zurückhaltung gegenüber dem „heiligen Mann“17, der hinter ihr stand,
12 Die Wendenstämme waren bekanntlich wiederholt vom Christentum abgefallen, also nicht einfache, sondern apostatische Heiden. Vgl. dazu Beitrag XV, S. 503–516. 13 Helmold, c. 65 (S. 123,3 ff.): Ad ultimum nostris iam pertesis conventio talis facta est, ut Slavi fidem Christianam reciperent et laxarent Danos, quos in captivitate habuerant. Vgl. Anm. 27 u. 62. 14 G. Walter, Die Heidenmission nach der Lehre des hl. Augustinus (Münster 1921), S. 195. 15 Siehe dazu unten bei Anm. 31. 16 Über die geistigen Hintergründe dieser Alternative vgl. Beitrag XV, S. 524 f., wo auch die obige Reihenfolge begründet ist. 17 Helmold, c. 59 (S. 114,15): sanctus vir, vgl. Zl. 31: sanctus ille. Die Bezeichnung ist bemerkenswert, da die Heiligsprechung Bernhards erst 1173 erfolgte, während Helmolds Arbeit an diesem Teil in die Mitte der sechziger Jahre fällt (vgl. B. Schmeidler, Einl. z. Ausg. S. IX). Vielleicht genügen auf dem Hintergrund der zeitgenössischen Religiosität die Wunder, von denen Helmold im gleichen Zusammenhang berichtet, zur Erklärung; vgl. auch c. 79 (S. 148,3).
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aber darum doch deutlich genug: mußte der Abt von Clairvaux nicht im Lichte dieses falso für jeden, der Helmolds Worte im Gesamtzusammenhang seines Kreuzzugsberichts18 und mit den Augen ähnlicher theologischer Schulung las, als der Verführer dastehen, der dem Seelenheil dieser Ungetauften den denkbar schlechtesten Dienst erwiesen hatte? Der Zweifel unseres Gewährsmannes an den „Orakeln“, aus denen der hl. Bernhard seinen Kreuzzugsaufruf geschöpft19, und seine Verwunderung über die „neuen, dem ganzen Erdkreis befremdlichen Dinge“20, die mit diesem Aufruf ins Werk gesetzt worden seien21, erhalten erst auf dem Boden dieses falso ihr volles Gewicht. Man wird nicht fehlgehen in der Annahme, daß dabei aus Helmold nicht nur der Vertreter einer abweichenden Missionsanschauung spricht (sofern wir Bernhards Aufruf wirklich unter die Missionsanschauungen im strengen Sinn einreihen dürfen22), sondern zugleich der Mann der missionarischen Praxis, der die Unzulänglichkeit solcher Christianisierungsmethoden schon verhältnismäßig bald danach23 als Seelsorger im Wendenland, also unmittelbar an der Quelle, hatte studieren müssen. Daß jenes baptizari aber falso geschah, konnte beim Taufakt von 1147 noch nicht ohne weiteres erkannt werden, jedenfalls nicht auf dem Boden des Glaubens an die unbedingt verwandelnde Kraft dieses „Bades der Wiedergeburt“, wie er für die volkstümliche Auffassung bis heute entscheidend geblieben ist24: was Helmold an dieser Stelle vorbringt, ist eine Kritik ex eventu, erst Jahre nach den Ereignissen zu Pergament
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Siehe die umfassende Interpretation von H. Beumann (oben Anm. 9). Helmold, c. 59 (S. 114,31), s. Anm. 21; dazu H. Beumann, S. 128. Weitere ähnliche Stimmen bei A. Waas, Geschichte der Kreuzzüge (Freiburg 1956) I, S. 180 f.; ergänzend Beitrag XXV, S. 944. 20 Helmold, c. 59 (S. 114,5): Circa tempora dierum illorum ortae sunt res novae et toti orbi stupendae. 21 Die zitierten Worte beziehen sich nicht etwa nur auf die Wunderheilung, die im Bericht unmittelbar folgt, sondern auf alles, was mit dem Auftreten Bernhards zusammenhängt; besonders auf den Inhalt seines Aufrufes (vgl. S. 114,31 das: nescio quibus oraculis edoctus als erneuten Ausdruck der Verwunderung unmittelbar vor Wiedergabe dieses Inhalts) und auf sein Echo (vgl. S. 115,5: ad verba exhortantis incredibile dictu est, quanta populorum caterva se ad profectionem eandem devoverit, etc., vgl. bes. Zl. 13 ff.). Zur Einreihung in den Gesamtzusammenhang vgl. H. Beumann, a. O., bes. auch über die Gültigkeit dieser Formulierungen für den gesamten zweiten Kreuzzug einschl. des Wendenkreuzzugs. 22 Siehe Anm. 16. 23 Helmold muß etwa 1156 seine Pfarrstelle in Bosau am Plöner See angetreten haben: B. Schmeidler, Einl. z. Ausg. S. VII f. 24 Vgl. Winkler, Art. Heiden im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (hg. v. Bächthold-Stäubli, Bln. 1927–42) III, 1638 f. 19
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gebracht. Dasselbe gilt jedoch auch, wenn er unmittelbar anschließend rügt, daß die vertraglich festgelegte Rückerstattung der christlichen Gefangenen nicht ordnungsgemäß erfolgte: diese Leute waren ja weithin über das Wendenland verstreut, denn es handelte sich um Gefangene nicht aus diesem einen Feldzug, sondern aus jahrelangen, ständigen Plünderungszügen über See25. Ihre Zusammenziehung und Auslieferung mußte eine Angelegenheit von Wochen sein, die das Kreuzheer ohne Nachschub in einem durch den Krieg bereits ausgesaugten Land nicht ohne weiteres mehr hätte abwarten können, selbst wenn es das noch gewollt hätte. Nicht schon damals, im September 1147, sondern erst im folgenden Jahre wurde endgültig klar, wie sehr der ganze Kreuzzug ein Fehlschlag gewesen, als die Wenden zeigten, daß sie „immer noch . . . ihren Dämonen opferten statt Gott und ihre seeräuberischen Einfälle in Dänemark ausführten“ (so der gleiche Gewährsmann etwas später in einem Zusammenhang, der um das Jahr 1148 anzusetzen ist, bemerkenswerterweise in genauer sachlicher Übereinstimmung mit den beiden Vertragsbedingungen, wie er sie zuvor mitgeteilt hatte)26. Die weitere Entwicklung
25 Das ergibt sich schon aus dem habuerant oben Anm. 13; vgl. bes. noch Helmold, c. 62 (S. 118, 10). 26 Helmold, c. 68 (S. 129,29 f.): Adhuc enim inmolabant demoniis et non Deo et agebant piraticas incursaciones in terram Danorum. – Unmittelbar vorher steht eine erste vorsichtige Kritik eines führenden Teilnehmers von 1147, Herzog Heinrichs des Löwen: In variis autem expedicionibus, quas adhuc adolescens in Slaviam profectus exercuit, nulla de Christianitate fuit mentio, sed tantum de pecunia. Es ist zu betonen, daß diese Stelle ausschließlich Heinrichs Wirksamkeit in den ersten Jahren nach 1147 betrifft; sie kann also nicht mittelbar als Zeugnis herangezogen werden, daß Helmold auch dem Verhalten Heinrichs und der übrigen Kreuzfahrer im Jahre 1147 kritisch gegenüberstand. Die Stelle muß vielmehr im Zusammenhang gelesen werden mit der anschließenden Notiz über den fortgesetzten Götzendienst der Slawen (s. oben) und weiter mit der unmittelbar folgenden Schilderung, wie Erzbischof Hartwig, auf den Kreuzzug hin, videns . . ., quia pax erat in Slavia, die zerstörten Wendenbistümer wiederherzustellen sucht, dabei aber vom Herzog behindert wird (c. 69, S. 130 ff.; Kapiteleinteilung stammt nicht von Helmold). Dann bezieht sich die Kritik: 1. auf die mangelnde Einhaltung des Taufgelübdes durch schon Getaufte, an deren Überwachung die weltliche Obrigkeit sich zu beteiligen hatte (nochmals betont durch die Schilderung des Zustandes, in dem der neueingesetzte Bischof Wizelin 1149 seinen rechtmäßigen Kathedralsitz vorfindet, eo quod . . . necdum inclinata essent corda principum ad edomanda corda rebellium, c. 69, S. 134,23 ff.); 2. auf die zunächst durchaus mangelhafte Fürsorge des Herzogs für die Errichtung einer kirchlichen Organisation, über deren Bedeutung gerade im Neophytengebiet unten S. 675 ff. u. 679 f.; vgl. dazu die offenbar bewußt als Gegenstück zur obigen Formulierung komponierte Stelle Arnoldi Chronica Slavorum V, 7 (ed. G. H. Pertz, Hannover 1868, S. 154): Dux autem adultus et magnificatus tunc temporis ecclesias Transalbinas fundare cepit. Weder die erste noch die zweite dieser
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bestätigte und verstärkte diese Eindrücke27. So konnte Helmold schließlich, wohl mindestens 15 Jahre nach den Ereignissen28, schon unmittelbar an seine Darstellung des Friedensschlusses von damals anfügen: „So wurde jener großangelegte Feldzug mit nur mäßigem Erfolge zuende gebracht“29 (auch dies weniger gegen die Kreuzfahrer gerichtet als von der düsteren Grundstimmung durchdrungen, die für diesen Autor über dem Gesamtunternehmen des zweiten Kreuzzuges liegt30). „Gleich darauf kamen sie (die Wenden) nämlich in eine noch üblere Verfassung (in deterius coaluerunt, eine Formulierung, die von der alten Anschauung her verstanden werden muß, daß der Apostat ,übler als ein Ungläubiger‘, infideli deterior ist“31), und nun wieder das alte Sündenregister: „denn sie hielten weder ihre Taufe (d.h. ihr Taufgelübde) ein, noch ließen sie die Hände von der Ausplünderung der Dänen“32. Aber dieser ganzen Kritik wird man, wie gesagt, nur gerecht werden können, wenn man sie trotz der verhältnismäßig sehr großen zeitlichen Nähe eben als ex eventu entstanden nimmt. Wie aber sah der Friedensschluß von 1147 nun für die Kreuzfahrer selbst aus, die unmittelbar an ihm beteiligt waren? Niemand leugnet die höchst weltlichen Motive, die dabei auf ihrer Seite mitsprachen und die ja noch vor Helmold schon Vinzenz von Prag gegeißelt hat33. Aber
Unterlassungen hat etwas mit dem Aufgabenbereich der Kreuzfahrer von 1147 zu tun. – Die angeführten Stellen sind schon aus diesen Gründen auch nicht zugunsten einer angeblichen Bejahung positiver Zwangsmission durch Helmold heranzuziehen. Es war alter kanonistischer Grundsatz, daß die Zwangstaufe an sich abzulehnen sei; sei sie aber einmal erfolgt, so müsse um der Heiligkeit des Sakraments willen die Einhaltung erzwungen werden (Burchard. Wormat., Decr. IV, 82, PL 140, 742 B, ex Concil. Tolet. IV, c. 57; vgl. dazu Beitrag XV, Anm. 265. 27 Helmold, c. 84 (S. 165,23 ff.) zu ca. 1156/57: Adhuc mare transfretabant et vastabant terram Danorum, necdum recesserant a peccatis patrum suorum (dazu die vom Herausgeber z. St. nachgewiesenen Stilmuster, die sich auf die „Sünde Jeroboams“ beziehen, d.h. auf die Einführung fremden Götzendienstes anstelle des Dienstes des Herrn und damit auf Apostasie, vgl. III. Reg. 12,26 ff.; 13,33 ff.). Es ist beachtlich, daß auch diese Stelle ganz genau auf die beiden von Helmold berichteten Bedingungen des Friedensvertrages von 1147 abgestimmt ist (s. oben Anm. 13), nur hier einmal mit umgekehrter Reihenfolge und bemerkenswert anderer Formulierung. 28 Zur Abfassungszeit s. oben Anm. 17. 29 Siehe Anm. 3. 30 Siehe Anm. 9. 31 Vgl. Regin. Prum., De syn. caus. II, 366 (ed. F. G. A. Wasserschleben, Lips. 1840, S. 353) = Burch. Wormat., Decr. X, 10 (bei Migne, Patr. Lat. 140, 843). Im Hintergrund steht I. Tim. 5, 8; vgl. II. Petr. 2, 20–22; auch I. Cor. 11,17. 32 Wie Anm. 3. 33 Siehe Anm. 89.
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zum vollen Verständnis werden wir gut tun, von ihnen, die oft genug betont worden sind34, zunächst einmal abzusehen und den Blick aufs Grundsätzliche zu heften. Rückkehr zum Christentum und Rückgabe der dänischen Gefangenen: das entspricht ziemlich genau, nur mit Umkehrung der Reihenfolge, den beiden Kriegszielen, die der Annalist von Pöhlde für den Wendenkreuzzug angibt35. Diese Ziele sind also, sozusagen als Mindestprogramm, bei der ganzen Unternehmung offenbar nicht aus dem Auge gelassen worden. Schon das verdient Beachtung. Das erste dieser Ziele aber deckt sich durchaus mit der positiven Aufgabe der Bekehrung, die in Bernhards Aufruf enthalten war, besonders in der vorsichtigen Fassung, die die Bulle Eugens III. ihm schließlich gegeben hatte36. Es bleibt die Frage, ob die Kreuzfahrer es nur der Form nach festhielten im klaren Bewußtsein, daß dieser Form jeglicher Inhalt fehlte, oder ob sie im guten Glauben heimkehren konnten, ihren Auftrag, so fremd und unverständlich er ihnen immer gewesen sein mochte, doch nach besten Kräften erfüllt zu haben. Diese Frage darf nicht von den Vorstellungen des 20. Jahrhunderts her beurteilt werden, für die eine „Bekehrung“ auf gewaltsamem Wege, ohne Änderung auch der inneren Überzeugung, ohnehin undenkbar wäre37. Der hl. Augustinus zwar hatte den gleichen Standpunkt vertreten38; die mittelalterliche Missionspraxis aber zielte – mehr im Sinne des hl.
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Siehe Anm. 1. Ann. Palid. a. 1147 (SS XVI, 82,34 ff.): . . . uti Sclavorum trans fluvium Albiam commorantium nefarios ausus inhiberent, quibus Danorum gentem infinita strage detriverant, cultui divino nichilominus artius eos adplicare cupientes, a quo propemodum exorbitaverant. Zur Formulierung vgl. Beitrag XV, Anm. 121. 36 JL 9017 = Mecklenburg. Urk. Buch I, n. 44 (S. 36). Dabei ist nur vom christiane religioni subiugare die Rede, nicht mehr von der Alternative der Vernichtung; das von Bernhard ausgesprochene grundsätzliche Vertragsverbot mit Heiden wird abgeschwächt zum Verbot, ut nullus de paganis ipsis, quos christiane fidei poterit subiugare, pecuniam vel aliam redemptionem accipiat, ut eos in sua perfidia remanere permittat. Das schließt ausdrücklich nur die fortgesetzte Duldung heidnischen Kultes zugunsten fiskalischer Vorteile aus, wo die Bekehrung sich hätte durchsetzen lassen; in Fällen, wo der Krieg keine Bekehrungsmöglichkeiten eröffnete, etwa weil das Christenheer wider Erwarten nicht siegreich blieb, hätte diese Formulierung das Gegenteil ohne weiteres offen gelassen. Es ist unerfindlich, wie sie trotzdem immer wieder als volle Bestätigung des bernhardinischen Aufrufs hingestellt werden kann. Vgl. auch H. Beumann, S. 127. 37 Bezeichnend etwa die Formulierungen von K. D. Schmidt, Die Bekehrung der Germanen zum Christentum I (Göttingen 1939), S. 375 (protestantischer Standpunkt). 38 Siehe Anm. 14. 35
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Gregor des Großen39 – auch auf ihren unbestrittenen Höhepunkten bei Bonifatius und Otto von Bamberg gar nicht in erster Linie auf eine „Bekehrung“ in diesem Sinne ab40. Selbstverständlich wurde auch sie angestrebt, aber doch mehr als ein Fernziel, das zu erreichen Aufgabe nicht des außer kirchlichen Missionswerks war, sondern einer innerkirchlichen „Nacharbeit“. Die äußere Mission war vielmehr auf das Nahziel der bloßen „Christianisierung“41 gerichtet oder, wie man gesagt hat, der „Einkirchung“42: Herstellung des äußeren Anschlusses an die umfassende Heilsanstalt der Kirche, damit aber an den ständig erneuerten Gnadenstrom der Sakramente und an eine geregelte seelsorgerliche Betreuung, deren Einfluß das neue Glied zur Vollendung des begonnenen Werks nunmehr anbefohlen blieb43. Das äußere Rechtssymbol aber, das den Anschluß an die Kirchengemeinschaft besiegelte, war seit alters die Taufe, die deshalb nach allem, was wir wissen, auch in der missionarischen Predigt stark hervortrat44. Mehr als sie (im Sinne eines Zeichens, daß der Täufling bereit war, sich von nun an dem heilsamen Einfluß kirchlichen Wirkens ungestört zu überlassen) kann auch der
39 Vgl. einstweilen H.-D. Kahl, Papst Gregor d. Gr. u. die christl. Terminologie d. Angelsachsen (Zeitschr. f. Missionswissensch. u. Religionswissensch. 40, 1956), S. 190–95, sowie Beitrag XIV, S. 467 f. ausführlicher in Beitrag IX, S. 240–244 u. 251–256. 40 Zum Folgenden vgl. bes. W. Kümmel, Die Missionsmethode des Bischofs Otto v. Bamberg u. seiner Vorläufer in Pommern (Gütersloh 1926) S. 36, 38, 52 f., 67 ff.; W. Konen, Die Heidenpredigt in d. Germanenbekehrung (Diss. Bonn – Teildruck – 1910), passim, bes. S. 38 ff.; H. Lau, Die angelsächs. Missionsweise im Zeitalter d. Bonifaz. (Diss. Kiel 1909), S. 39–59; F. Flaskamp, Die Missionsmethode d. hl. Bonifatius (Münster 1929), S. 40.; K. D. Schmidt, Die Christianisierung der Sachsen (Gött. 1935), S. 23; A. v. Martin, Kultursoziologie d. Mittelalters (Handwörterb. d. Soziologie, hg. v. A. Vierkandt, Stuttg. 1931), S. 374. – Zur Kritik des Standpunkts von Kümmel vgl. unten Anm. 43. 41 Begriff im Sinn von K. D. Schmidt (oben Anm. 37). 42 W. Kümmel (oben Anm. 40). 43 Zu warnen ist vor der Ansicht W. Kümmels, daß nach katholischer Auffassung „die Einfügung in den Verband der Kirche das Heil der Seele garantiert“ (a. O. S. 53, vgl. S. 36). Sie gilt lediglich als Heilsvoraussetzung, von der die göttliche Gnade jedoch unter bestimmten Umständen auch noch dispensieren kann (insbes. im Fall der sog. „Begierdetaufe“, vgl. G. Walter – oben Anm. 14 –, S. 67 f., 69, sowie Th. Ohm, Die Stellung der Heiden zu Natur und Übernatur nach dem hl. Thomas v. Aquin, Münster 1927, S. 312 ff.; weiteres bei W. Deinhardt, Lex. f. Theologie u. Kirche IX, Freiburg 1937, S. 1013). Daß das Heil auch innerhalb der Kirche durch sündiges Leben verscherzt werden kann, zeigen schon die bekannten mittelalterlichen Darstellungen von Bischöfen auf der Verdammtenseite des jüngsten Gerichts, etwa im Bogenfeld des Fürstentors am Bamberger Dom. 44 Siehe die Anm. 40 genannte Lit.
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Aufruf des hl. Bernhard nicht angestrebt haben, zumal auf dem Boden derart gewaltsamen Vorgehens. So weit die Maßstäbe, die die Kirche jener Zeit in ihren hervorragendsten Vertretern anlegte. Läßt sie erwarten, daß sie im Empfinden der Laienwelt anders wiederkehrten als in erheblich vergröberter Form? Dort galt im weitesten Umfang der Satz: „Die Taufe macht den Christen.“ Es geht nicht an, im vorliegenden Rahmen diese Auffassung ausführlich zu entwickeln und zu begründen45. Am schroffsten formuliert sie vielleicht die altfranzösische Chanson de Roland (um 1100): wer nur immer getauft wird, der ist ihr sogleich ein „wahrer Christ“ (veir chrestien), auch wenn er die sakramentale Handlung noch so widerstrebend über sich ergehen läßt46. Dieses Zeugnis liegt nun zwar für den altsächsischen Raum weit ab, aber es spiegelt eine Auffassung, die damals über beträchtliche Teile des Abendlandes bis weit über Sachsen hinaus verbreitet gewesen sein muß47. Von der Provence über Niederdeutschland nach Schweden und darüber hinaus finden wir zur Bezeichnung des Taufvorgangs Ausdrücke der Grundbedeutung: „zum Christen machen“ (mittelniederdeutsch kerstenen)48, wie denn „die 45 Näheres bei H.-D. Kahl, Zum mittelalterlichen Heidenbegriff (Manuskript), Abschnitt C: Die Heiden als die Ungetauften. 46 Chanson de Roland (ed. J. Bédier63, Par. o. J. = 1928), v. 3667–72 über die Ereignisse im eroberten Saragossa: „Die Bischöfe weihen die Wasser. Man führt die Heiden zum Taufbrunnen. Wenn einer Karl (d.h. seinem Taufbefehl) widerspricht, läßt er ihn hängen, brennen oder erschlagen. Bald sind mehr als 100 000 getauft und wahre Christen“ (oder: „getauft zu wahren Christen“, baptizet . . . veir chrestien). – Vgl. dazu oben Anm. 26 am Ende. 47 Vgl. auch Orendel (hg. v. H. Steinger, Halle 1935), v. 2870 ff.: do doufle man zware | alle die da waren: | sie deten ez gerne oder ungerne, | sie musten alle kristen werden . . . vgl. auch v. 3166–3169. – Die Wendung: ad christianitatem . . . baptizatus erscheint bei Adam. Bremens., Gesta Hammaburgens. eccl. pont. (ed. B. Schmeidler, 1917) II, 38 (S. 98,19). 48 Provençal, crestianar, altfranzös. chrestiener, mittelniederländ. (= neuniederl.) wie mittelniederdeutsch kerstenen, altfries, kerstna, altengl. cristnian (ursprünglich „zum Katechumenen machen, primsignieren“, dann bezeichnenderweise dem Zug der Zeit folgend in die Bedeutung „taufen“ eingeschwenkt) = neuengl. to christen; altdän. cristnœ, altschwed. kristna, altgutn. kris(t)na mit weiteren Entsprechungen in den slawischen, baltischen und ostseefinnischen Sprachen, deren Gebiete im wesentlichen vom Westen her missioniert worden sind. Vgl. die einschlägigen Wörterbücher, ferner Th. Frings, Germania Romana (1932), S. 26 m. Anm. 1; E. Luginbühl, Die altdeutsche Kirchensprache (Wiss. Beilage z. 80. Progr. d. St. Gallischen Kantonschule usw. für d. Schulj. 1936/37), S. 13; H. S. Mc. Gillivray, The Influence of Christianity on the Vocabulary of Old English I, 1 (Halle 1908), S. 21 n. 2; A. Keiser, The Influence of Christianity on the Vocabulary of Old English Poetry (Univ. of Illinois Studies in Language and Litterature V, 1919), § 139. – Beachte auch den Hinweis von Rühle, Handwörterbuch
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Taufe nehmen“ auch als „sich aus dem Heidentum heben lassen“49 bezeichnet werden kann oder als „vom Priester sein Christentum empfangen“50. Besonders die letztgenannte Formel – sie entstammt altdänischen Quellen – ist bezeichnend: zuo der toufe gâben (= eilen) und kristenlîchen gelouben empfâhen,
um ihr eine mittelhochdeutsche Wendung entgegenzustellen51, werden in solchem Maße als eins empfunden, daß mittellateinisch christianitas samt zahlreichen volksmundartlichen Entsprechungen geradezu in der Bedeutung „Taufe“ auftreten kann52, während umgekehrt etwa mhd. touf auch für „christliche Glaubenslehre“ erscheint53. Sicherlich hängt es mit der gleichen Auffassung zusammen, wenn auf sächsischem Boden Widukind von Corvey in schroffem Gegensatz zu streng kirchlicher Anschauung den Christennamen auch für Menschen bereit hat, die kaum mehr als die bloße Existenz Christi glauben und ihre eigentliche
d. deutsch Aberglaubens II, 61, daß in Rödinghausen (Krs. Herford) noch um die Jahrhundertwende für „taufen“ der Ausdruck katten = „zum Christen machen“ geherrscht habe (offenbar ein Nachfahre des oben angeführten mnd. kerstenen in mundartlich verdunkelter Lautgestalt). 49 B. Kahle, Die altnord. Sprache im Dienste des Christentums I (Acta Germ. I, Bln. 1889/90), S. 322 über die altwestnord. Wendung láta sik hefia ór heiđnom dóme; Wolfram v. Eschenbachs Parzival 817, 4–10 spricht von einem Priester, der ûz heidenschaft manc kindelîn . . . gestôzen hête drîn (d.h. in den toufnapf ). 50 Altdän. fa sin cristindom af preste: Skanelagen, c. 3 (Corpus Juris Sueo-Gothorum antiqui, ed. H. S. Collins et C. J. Schlyter, Stockholm bzw. Lund 1827 ff., Bd. IX, S. 5), vgl. c. 2 (S. 4); eine ganze Reihe ähnlicher Stellen in anderen dänischen und schwedischen Rechtsquellen. 51 Sog. Münchener Oswald, v. 3091 f. ed. Baesecke. 52 Vgl. z.B. Annal. Bertin, a. 863 (ed. G. Waitz, 1883, S. 66): Duo . . . Nortmanni . . . christianitatem . . . postulantes; Chanson de Roland, v. 431: recevez seinte chrestientet „empfangt die hl. Taufe“, vgl. v. 2620 u. 3980; Nicolaus v. Jeroschin, Kronike von Pruzinlant, (ed. E. Strehlke, Script, rer. Prussicar. I) v. 5483 ff.: daz si mûstin gote ebin | und den brûdrin (deutschen Ordens) sich irgebin | und inpfân di cristinheit. Für altengl. cristennes vgl. das Wörterbuch bei F. Liebermann, Die Gesetze d. Angelsachsen (Halle 1903–16) II, 1, S. 42 s. v.; für die altnord. Sprachen: C. J. Schlyter, Corpus Juris Sueo-Gothorum antiqui XIII (Ordbok), S. 355 s. vv. cristindom(ber), cris(t)na; J. Fritzner, Ordbog over det gamle norske Sprog2 (Kristiania 1886–96) II, 346 s. v. kristni, n. 2; vgl. S. 345 s. v. kristin. – Die Wörterbücher haben diese Bedeutung vielfach noch nicht erfaßt. 53 Walther v. d. Vogelweide, Gedichte7 (ed. K. Lachmann – C. v. Kraus, Bln. 1907) 77,18: der touf si (die Sarazenen) seit unkristen. Vgl. den Kommentar von Wilmanns2 (Halle 1883), z. St.
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Zuflucht noch bei den alten Heidengöttern suchen54; auch Helmold denkt nicht daran, ihn den Holtsaten zu verweigern für eine Zeit, in der sie nebenbei noch allerlei heidnischen Kultbrauch betreiben55. Blickt man von diesen Vorstellungen her auf den Friedensvertrag von 1147 zurück, so erscheint er doch in wesentlich anderem Licht. Vom bisherigen Bilde bleibt, daß er vor allem auf Erfüllung einer Formalität drängte, aber dieser Formalität kommt für das Denken der Menschen, die zur „Bekehrung“ des Wendenlandes ausgezogen waren, eine entscheidend andere Bedeutung zu als für modernes, besonders protestantisches Empfinden. Sobald diese Kreuzfahrer Zeugen geworden waren, wie die von ihnen bekämpften Heiden ins Taufbad stiegen, durften sie wirklich im guten Glauben nach Hause ziehen, daß sie alles erfüllt hatten, was für diesmal von ihnen verlangt worden war: die Einhaltung des Taufgelübdes oder gar den Gang der innerkirchlichen „Nacharbeit“ zu überwachen, lag ganz eindeutig außerhalb ihrer Zuständigkeit. Der Friedensvertrag war nun aber bestimmt nicht von den Laienfürsten allein abgeschlossen worden. Wir wissen, daß die beiden Erzbischöfe von Bremen und Magdeburg persönlich am Kreuzzug teilgenommen haben, mit ihnen ein erheblicher Teil des übrigen sächsischen Episkopats; einer aus dessen Reihen, Anselm von Havelberg, sogar als päpstlicher Legat56. Das aber heißt, daß diese Herren nach Lage der Dinge maßgeblich auf die Gestaltung des geschilderten Abschlusses eingewirkt, zum wenigsten ihr Einverständnis erklärt haben müssen. Es fehlt denn auch nicht an Zeichen, daß auch die Kirche mit dem Erfolg zunächst ganz zufrieden gewesen ist. Sie rüstete sich alsbald, das nunmehr christliche Wendenland in ihre Organisation einzubeziehen: westlich der Peene begann Erzbischof Hartwig I. von Bremen – wir beachten: ein Kreuzzugsteilnehmer –, seine 1066 verlorenen Suffraganbistümer wiederherzustellen57, aber auch Rom ergriff, wie gesagt, eine
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Widuk. Corb, Res Gest. Sax. 111,65 (ed. P. Hirsch – H.-E. Lohmann, 1935, S. 140): Dani antiquitus erant Christiani, sed nichilominus idolis ritu gentili servientes, . . . (affirmantes) Christum quidem esse deum, sed alios eo fore maiores deos. Eine Großzügigkeit in der Verwendung des Christennamens, zu der eine Parallele beizubringen schwerhalten dürfte! 55 Helmold. c. 47 (S. 93, 8): sie seien 1127 gewesen ein genus agreste et incultum, nichil de religione nisi nomen tantum Christianitatis habentes. Nam lucorum et fontium ceterarumque supersticionum multiplex error apud eos habetur. 56 Ausführliche Teilnehmerliste Ann. Magd., a. 1147 (SS XVI, 188, 36 ff.). – Bestellung Anselms zum Legaten: JL 9017 (s. oben Anm. 36). 57 Helmold, c. 69 (S. 130 ff.); vgl. K. Jordan (oben Anm. 1), S. 81 u. 82 ff. sowie W. Schlesinger, Bemerkungen zu der sog. Stiftungsurk. d. Bistums Havelberg usw.
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Initiative, deren Ausgang für uns freilich im Dunkel bleibt58. Wäre das eine wie das andere möglich gewesen ohne die Überzeugung, daß 1147 tatsächlich ein beachtenswertes Ergebnis erzielt worden war? Bei Fortführung der Arbeit an Ort und Stelle im Wendenland selbst, vielmehr bei deren Scheitern, mußte diese Überzeugung verhältnismäßig bald der Beurteilung weichen, die wir bei Helmold gefunden haben: daß dem großangelegten Feldzug, bei Lichte betrachtet, doch „nur ein mäßiger Erfolg“ beschieden gewesen sei59. Im weit abgelegenen Klosterrath bei Aachen dagegen vermochte die ursprüngliche Ansicht noch fünf Jahre später ihren Niederschlag in den Annalen zu finden, die ein Augustiner-Chorherr des dortigen Stiftes – wohlgemerkt: in der gleichen Diözese, der Wibalds Abtei Stablo angehörte – damals mit großer Sorgfalt „nach Urkunden und persönlichen Erinnerungen“ auszuarbeiten begann60. Den Zug ins Wendenland hat er dabei, wie gehörig, in den Gesamtzusammenhang des zweiten Kreuzzugs hineingerückt, dem er ja der ganzen Planung nach zuzurechnen ist, aber an recht bemerkenswerter Stelle: unmittelbar im Anschluß an die allem vorangestellte Eroberung Lissabons, also noch vor dem Hauptstoß nach Palästina und Syrien, – mit anderen Worten: zwischen die anerkanntermaßen erfolgreichste und die erfolgloseste Unternehmung des Kreuzzugs. Schon diese Einordnung ist bezeichnend. Und der Wortlaut der Notiz unterstreicht diesen Eindruck: „Die Sachsen aber zogen in möglichst großer Zahl . . . gegen die wendischen Heiden, und sie zwangen nicht wenige von ihnen, sich zum Glauben Christi zu bekehren.“61 In diesem Satz ist genau das formuliert, was aus der Handlungsweise Erzbischof Hartwigs und der römischen Kurie als die Überzeugung erschlossen werden muß, die ihr zugrunde liegt. (Jahrb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 5, 1956), S. 30 m. Anm. 116; auch L. Keller (wie Anm. 107), S. 59 f. – Hartwig war 1147 noch nicht als Erzbischof beim Kreuzzug (als solcher sein Vorgänger Albero, s. vor. Anm.), ist jedoch unzweifelhaft der Hartwigus princeps prenobilis Ann. Magd. (SS XVI, 188, 42), vgl. O. v. Heinemann, Albrecht der Bär (Darmstadt 1864), S. 371 Anm. 77 und die Urkunde Anselms von Havelberg für das Stift Jerichow von 1145 (bei A. F. Riedel Nov. Cod. Dipl. Brand. I, 3, S. 80): dominus Harthwicus, Bremensium prepositus nobilitate et opibus summis Saxonum princeps . . . vgl. auch ebd. S. 337, und Helmold, c. 69 (S. 130,23). 58 Vgl. JL 9296 a. 1148 Sept. 13 (PL 180, 1368; auch Pommersch. Urk. Buch I, n. 36, S. 18) sowie oben bei Anm. 8. 59 Siehe Anm. 3. 60 W. Wattenbach, Deutschlands Gesch. Quellen im MA II6 (1894), S. 414. 61 Ann. Rodens. a. 1146 (SS XVI, 718,40): Saxones . . . contra Wandalorum profecti sunt gentes, quorum non paucas converti ad fidem Christi compulerunt nationes. – Vgl. dazu oben Anm. 8.
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Aber auch unmittelbar auf sächsischem Boden finden sich in größerer Entfernung vom Schauplatz der Ereignisse Belege, die in gleiche Richtung weisen. Einer von ihnen ist bisher in der Diskussion überhaupt nicht beachtet worden, nämlich ein Chronikfragment, das auf brandenburgischen Überlieferungen beruht und einem Text des 13. Jahrhunderts angehört: es weiß von Bischof Wigger (1138–1161) zu berichten, daß er „mit Erzbischof Friedrich von Magdeburg und Anselm, dem Havelberger Bischof, das Kreuz nahm, und sie brachen gegen die Heiden auf, die im Norden wohnen“ – eine Formulierung, die wörtlich an die Bulle Papst Eugens III. zum Wendenkreuzzug anklingt und damit die Zuverlässigkeit dieser Überlieferung besonders unterstreicht –, „und sie bekehrten die Mehrzahl von ihnen zum christlichen Glauben und tauften sie“62. Der Bereich des Bistums Brandenburg ist, wie es scheint, auf höchst eigentümliche Weise unter maßgeblicher Beteiligung Wiggers aus dem Wendenkreuzzug herausgehalten worden63. Die Christianisierung vollzog sich dort also unabhängig von den Auswirkungen der Verträge, die ihn beendeten, und der Stolz auf das 1147 Erreichte wurde auf die Entfernung hin sicher auch durch keinen
62 Excerpt. Chron. princ. Saxon. (SS XXV, 481,1 ff ): . . . accepta cruce contra paganos versus aquilonem habitantes (vgl. JL 9017, oben Anm. 36) profecti sunt et plures ad fidem christianam converterunt et baptisaverunt. G. Sello, Die Brandenburger Bistumschronik (XX. Jahresber. üb. d. hist. Verein zu Brandenburg a. d. H., Brandenburg 1888), S. 39 f., reiht diese Stelle als Fragment 1 C ein; vgl. die kürzere Fassung (ohne den Taufvermerk) in Fragment 1 A (S. 38) = SS XXV, 484, fragm. Maderi. Von dieser kürzeren Fassung ausgehend, sucht Sello S. 28 m. Anm. ** Ableitung aus den Annal. Magdeb. (s. oben Anm. 56) darzutun. Wie seine eigene Textgegenüberstellung zeigt, liegt schon in dieser kürzeren Fassung keinerlei wörtliche Entsprechung vor außer den beiden Eigennamen, die sicherlich kein Indiz sind (zumal Ann. Magd, sehr viel mehr Namen bringt), und dem Zitat aus JL 9017, auf das auch er selbst hinweist. Vollends findet der Zusatz des oben zitierten längeren Fragments über die religiösen Erfolge des Kreuzzuges in den Ann. Magd. keinerlei Gegenstück, weder im Wortlaut noch auch nur dem Inhalt nach, da diese Quelle aus dem Feldzugsverlauf nur über Verheerung des Wendenlandes (einschließlich eines heidnischen Heiligtums) berichtet, nichts von Taufe und Bekehrung. Überdies kann Sello weitere Entlehnungen aus Ann. Magd. für die genannte Chronik nicht nachweisen. Diese Aufzeichnung ist also aus der Liste seiner Quellen zu streichen und für obiges Zitat brandenburgische Eigenüberlieferung anzunehmen, die in JL 9017 mit Ann. Magd. eine gemeinsame Quelle besaß. – Die angeführte Stelle ist dadurch wichtig, daß sie die Durchführung des Kreuzzugsziels auch für das Südheer Albrechts des Bären beweist, dem die drei genannten Bischöfe angehörten (s. Anm. 56), während man bei Helmold fragen kann, wie weit sein Bericht (s. Anm. 13) nur das Nordheer Heinrichs des Löwen betrifft [beachte aber unten Anm. 141]. 63 Siehe unten S. 697 f.
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näheren Einblick in tatsächliche Verhältnisse getrübt. So kann er aus dieser Notiz noch rund ein Jahrhundert später zu uns sprechen. Noch merkwürdiger aber ist eine zeitgenössische Quelle, der Bericht des Annalisten von Pöhlde am Harz. Beherrscht ist er ganz eindeutig von einer sehr herben Kritik, und sie zeigt sich diesmal wirklich in unmißverständlichster Weise gegen die Kreuzfahrer selbst gerichtet: ihr Heer hätte sich ganz wie das nach Jerusalem entsandte „allzusehr um die Früchte seines Gelübdes gebracht“, nämlich im Streit um die Abgrenzung noch gar nicht eroberter Gebiete sich entzweit, bis jede Ordnung in die Brüche gegangen sei; die Krieger hätten schließlich das Feldlager verlassen und seien „alle auseinandergegangen, ohne ihr Vorhaben zuendegebracht zu haben“. Die Schilderung dieser Vorgänge nimmt fast die Hälfte des Raumes ein, den der Annalist dem Wendenkreuzzug überhaupt gönnt, und mit der tiefen Bitterkeit, die sie durchzieht, hat sie sicher entscheidend dazu beigetragen, den bisherigen Eindruck der Forschung zu bestimmen. Aber diesem düsteren Gemälde menschlichen Versagens folgt noch ein Nachsatz: „Nicht lange danach“ habe Gott eingegriffen, „der nicht durch die Tapferkeit von Männern, sondern aus eigener Kraft seine Feinde unterwirft“: die Wendenfürsten hätten den Führern des Kreuzzugs Gesandte nachgeschickt „mit gebührender Genugtuung: sie versprachen nämlich, sich der Rechtfertigung des Herrn zu unterwerfen, und um das ordnungsmäßig durchzuführen, forderten sie mit Nachdruck, daß ihnen Diener des göttlichen Wortes (also Priester) übergeordnet würden, was dann auch geschah“64. Aus mittelalterlicher Stilisierung in die Sprache moderner
64 Ann. Palid., a. 1147 (SS XVI, 82,36 ff.): Sane quid infausti contineat discordia vel hinc datur intelligi, quia cum hic, sicut et in Ierosolimitana profectione, cetus ingens hominum unanimitate confluxerit sed pluralitate defluxerit, voto nimium frustratus est, quia id ipsum sapere despexit. Tumultuante siquidem milite et possessionum externarum, quas necdum obtinuerant, terminum statuente (s. dazu unten Anm. 85), plebeio autem in id non conveniente (dazu unten S. 691–694), res undique turbantes, ordine neglecto, tandem aditis castrisque relictis discesserunt omnes, molimine quod proposuerant infecto. Non multo post operante Deo, qui non fortitudine virorum sed propria virtute subiugat adversarios, memoratorum Sclavorum principes legatos supradictis destinavere principibus cum debita satisfactione, pollicentes se Domini submittere iustificationibus; ad hoc rite peragendum quatinus eis divine legis ministri preficerentur efflagitarunt, quod et factum est. – Hauck (wie oben Anm. 1) IV, 631 Anm. 2 möchte den zweiten Teil dieser Nachricht auf das Auftreten des Pomoranenherzogs auf dem Havelberger Tag von 1148 beziehen (vgl. Ann. Magd., SS XVI, 190). Gegen diese Auffassung spricht jedoch, daß das Versprechen nach Ann. Palid nicht von den Slawenfürsten unmittelbar, sondern durch legati übermittelt wird (vgl. im übrigen zum Havelberger Tag wie unten Anm. 113). Allenfalls könnte man erwägen, ob im Text der Ann. Palid. der Bericht
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Geschichtsschreibung übertragen, kann das doch wohl nichts anderes heißen als: die Kreuzfahrer waren zwar nicht mit der Uneigennützigkeit bei der Sache, die vom Standpunkt strengster Reformrichtung – der Annalist war Prämonstratenser – gefordert werden mußte; trotzdem aber wurde wider ihr Verdienst (und also wider Erwarten) alles erreicht, was irgend erreicht werden sollte. Unsere Beweisführung hat ihren Schlußstein gefunden. 2. Kreuzzugsidee und weltliche Nebenziele Verdient der Einsatz dieser sächsischen Herren für die geistlichen Ziele des Kreuzzugs mithin von der inneren Struktur ihres Christentums her ein anderes Verständnis, als ihnen gewöhnlich zuteil wird, so gilt ein Gleiches doch auch für die materiellen Antriebe, die gerade in dem zuletzt erwähnten Bericht so besonders handgreiflich hervortreten. Gewöhnlich pflegt man sie an den asketischen Idealen des hl. Bernhard zu messen, der der geistige Urheber dieses Kreuzzuges war, und an seinen Vorstellungen von christlichem Rittertum, wie der bayrische Priester Konrad sie nicht allzulange danach unter Einfluß seines „Lobes der neuen Ritterschaft“ im mittelhochdeutschen „Rolandslied“ dichterisch gestaltet hat65. Aber dieser Ausgangspunkt ist trotz der inneren Übereinstimmung mit dem des Pöhlder Annalisten nicht gut gewählt. Denn Bernhards Ideal war in seiner Zeit wohl eine starke geistige Kraft; als Prototyp ihres Christentums jedoch kann es keineswegs angesprochen werden. Für die damals vorherrschende Richtung scheint vielmehr das, was ihm als „entweder – oder“ unversöhnlich gegeneinanderstand,
eines vorzeitig Abgezogenen (dazu unten S. 690 f.) über Erfolge nachklingt, die das im Feldlager zurückgebliebene Belagerungsheer nachträglich noch durchgesetzt hat. 65 Bern. Clar., De laude novae militiae ad Milites Templi liber (PL. 182, 921–940). – Das Rolandslied des Pfaffen Konrad (hg. v. G. Wesle, Bonn 1928); aus der umfangreichen Literatur seien für unsere Zwecke hervorgehoben: G. Fliegner, Geistliches u. weltl. Rittertum im Rolandslied d. Pfaffen K. (Diss. Breslau 1937; dazu G. Glogner, Anzeiger f. deutsch. Altertum 57, 1938, S. 11–13) und M. Lintzel, Zur Datierung d. deutsch. Rolandsliedes (Zeitschr. f. deutsch. Philologie 51); weiteres verz. E. Scheunemann bei W. Stammler (u.a.), Die deutsche Literatur d. MA. Verfasserlexikon (Bln. 1935 ff.) II, 870–887; dazu Nachträge von C. Minis, ebd. V. (1955), 537–44. Vgl. auch Beitrag XXV, wo auch in Ergänzung der nachstehenden Ausführungen wichtige Gegenstimmen wie „Ludus de Antichristo“, „Graf Rudolf“ und Wolfram von Eschenbachs „Willehalm“ zu Worte kommen.
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sich in weitem Ausmaß ohne Schwierigkeit zusammenzuschließen zu einem freundnachbarlichen „sowohl – als auch“66. Die Hintergründe dieser Einstellung harren im einzelnen wohl noch der Untersuchung. Sicher sind sie recht mannigfacher Art, aber man wird nicht fehlgehen, wenn man sich vor allem in zwei bestimmten Hauptrichtungen umsieht, einmal den Blick auf Christentum und Kirche als Ganzes richtend, daneben aber auf die Völker, die unser abendländisches Mittelalter trugen, und auf ihren inneren Weg hinein in diese neue Glaubenswelt. Da ist zunächst der alte gregorianische Ideenkreis des indirekten Missionskrieges einzubeziehen, der in ottonischer Zeit die deutschen Feldzüge in den slawischen Osten beherrscht hatte und seitdem zumindest in kirchlichen Kreisen niemals ganz erloschen war; er schloß zwar nicht den Taufzwang für die unterworfene Bevölkerung ein, wohl aber die Beseitigung heidnischer Obrigkeit über das zu missionierende Land und ihre Ersetzung durch „Christenmenschen“, damit das Bekehrungswerk nicht ständig von der Spitze der öffentlichen Gewalt her bedroht sei67. Noch wichtiger jedoch ist wohl in diesem Zusammenhang die innere Entwicklung des Gesamtkatholizismus, die ja trotz aller asketischen Neigungen bestimmter Kreise nicht auf eine schroffe Scheidung von Geistlichem und Weltlichem, Himmlischem und Irdischem im Sinne Luthers hinzielte, sondern auf den umfassenden Stufenkosmos des hl. Thomas von Aquin, in dem das Reich der Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern überhöht und verklärt, in dem also auch alles diesseitige Streben seinen völlig legitimen Platz erhält, solange es sich in die große, umfassende Seinsordnung einfügt und nicht selbstzweckhaft aus ihr ausbricht. In der besonderen Ausprägung, die mittelalterlich-katholische Laienfrömmigkeit im Rittertum des staufischen Zeitalters fand, bildete solch eine großzügige Zusammenschau des Seinsganzen bereits das tragende Fundament, lange bevor sie in derart souveräner Weise theologisch formuliert wurde: der schönste Traum, den ein Mann dieser Kreise sich vorstellen konnte, war nach den Worten Walthers von der Vogelweide das Bild,
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Vgl. A. v. Martin (wie Anm. 40), S. 377 ff. und unten Anm. 70, 74, 80. Vgl. Beitrag XIV, S. 468 f. u. 472–476.
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wie mir dienten elliu lant, wie mîn sêle waere ze himel âne swaere, unt der lîp hie solte gebâren swie er wolte.68
In dieser menschlichen Haltung werden vorchristliche Züge nachwirken aus Zeiten, deren Blick noch kaum auf ein „Jenseits“, dafür um so stärker auf das „Diesseits“ gerichtet war und auch von der Religion in erster Linie die Sicherung irdischen „Heils“ erwartete69. Sie mochten sich bestärkt fühlen durch Bibelworte wie das von dem dreschenden Ochsen, dem das Maul nicht verbunden werden dürfe, und dem Arbeiter, der seines Lohnes wert sei70. Insbesondere war schon für vorchristliche Auffassung jeder Krieg ein Unternehmen im Dienste der Götter gewesen, alles im Krieg Erworbene – Beute im weitesten Sinne: Fahrhabe, Menschen und Land – Göttergeschenk71. Auch diese Auffassung konnte christlich-germanische Kriegerethik um so leichter weiterführen, als die des Alten Testaments ihr denkbar weitgehend entspricht72, und dank dieser Brücke war ihr auch der Segen weiter kirchlicher Kreise sicher, sobald der Krieg, um den es sich jeweils handelte, deren Billigung fand. Nicht zuletzt aber müssen wir im Auge behalten, daß germanisches Christentum schon seit der Merowingerzeit begonnen hatte, das Verhältnis zwischen dem Herrgott und seinen Gläubigen als ein
68 Walther v. d. Vogelweide 94,11 (ed. K. Lachmann-C. v. Kraus7), eine bei Erörterung dieses Problemkreises noch wenig genannte Stelle; beachte besonders den Strophenschluß: schoener (= schönerer) troum enwart nie mê. – Vgl. weiter F. Ranke, Gott, Welt und Humanität in der deutschen Dichtung des Mittelalters (Tübingen o. J. = 1952); Th. Steinbüchel, Vom Menschenbild des christlichen Mittelalters, Sonderausgabe (Tübingen 1951), bes. S. 26–35; A. Waas (wie Anm. 19) I, S. 34 f. 69 Vgl. Zeitschr. f. Missionswiss. u. Religionswiss. 40 (1956), S. 106 ff. über das „Heil“ im german. Heidentum (m. Lit.). 70 Dt. 25,4; Lc. 10,7. – Vgl. I. Tm. 5,18; I. Cor. 9,7 ff. und Anm. 87. 71 Vgl. H. Conrad, Gesch. d. dtsch. Wehrverf. I (1938), S. 4 f., 12 ff, 27, 28, 35 ff., 71, 166; R. v. Kienle, Germ. Gemeinschaftsformen (Bln. 1939), S. 177 f., 259 ff.; v. Schwerin, in Hoops Reallex. d. germ. Altertumskunde III (1915/16), S. 101 s. v. „Krieg“ m. älterer Lit. – Vgl. auch die Ausführungen von G. Friederici, Der Charakter der Entdeckung u. Eroberung Amerikas durch d. Europäer I (1925), S. 570 f. über antike Auffassungen mit besonders prägnanten Formulierungen, die im allgemeinen auch für altgermanische Verhältnisse gelten dürften. 72 Vgl. A. Bertholet, Die Stellung der Israeliten u. der Juden zu den Fremden (Freiburg 1896), S. 9 f.
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wechselseitiges Treueverhältnis im Sinn alter Vasallität aufzufassen73, eine Vorstellung, die ebenfalls gerade im Frömmigkeitsstil des Kreuzzugszeitalters ihren Kulminationspunkt erreichte74. Für sie mußte jeder der beiden Partner Anspruch auf volle Förderung seines Wohls durch den anderen besitzen, nicht nur der Herr, sondern auch der Vasall. Wie sollte eine, um es noch einmal zu sagen, trotz aller asketischen Neigungen einer Minderheit im Ganzen doch so diesseitsfreudige Zeit das anders verstehen als eben im Sinn einer Mehrung irdischer und leiblicher Wohlfahrt? Für den ersten Kreuzzug hatte Papst Urban II. sein Ablaßversprechen auf die Teilnehmer beschränkt, „die dorthin nicht aus Begierde nach weltlichen Vorteilen, sondern einzig um ihres Seelenheils und der Befreiung der Kirche willen aufbrechen“75. Aber, wie es so oft geschieht: das Bewußtsein der breiten Massen nahm die sorgsam abgewogenen theologischen Sicherungen und Unterscheidungen nicht auf, ging vielmehr in vulgärer Weiterbildung, selbstverständlich unabsichtlich, über sie hinweg76. Später hat auch kirchliche Kreuzzugspropaganda sich dem mindestens teilweise angeschlossen, nehmen wir nur einige Sätze aus einer Predigt, die Abt Martinus Parisius etwa 1200/1201 vor dem vierten Kreuzzug gehalten haben soll: „Wenn ihr fragt, was ihr von Gott an sicherem Sold für eine so große Kriegsarbeit erwarten dürft, so verspreche ich euch ganz sicher, daß jeder, der das Zeichen des Kreuzes nimmt und ein reines Bekenntnis ablegt, von aller Sünde zukünftig frei sein soll, und daß er das ewige Leben empfangen wird, an welchem Orte, zu welcher Zeit und auf welche Weise er auch dies sein gegenwärtiges Leben verlieren wird.“ Und weiter: „Ich will davon schweigen, daß das Land, nach dem ihr strebt, viel reicher und fruchtbarer als dies unser Heimatland ist, und daß es leicht geschehen kann, daß viele von euch in weltlichen Dingen dort ein viel reicheres Glück finden, als sie ihrer Erinnerung nach hier je erfahren haben. So seht ihr, liebe Brüder, welch 73 H. Helbig, Fideles Dei et regis. Zur Bedeutungsentwicklung von Glaube u. Treue im hohen MA (Arch. f. Kulturgesch. 33, 1951), passim, bes. S. 280–84, 301. 74 A. Waas, Religion, Politik u. Kultur in d. Gesch. d. Kreuzzüge (Die Welt als Geschichte 11, 1951), S. 225 ff., 242 ff., vgl. auch dens., wie oben Anm. 19, Bd. I, S. 5–50 [dazu aber H.-D. Kahl im Hist. Jahrbuch d. Görres-Gesellschaft 78, 1959, S. 239]. – Vgl. auch U. Schwerin, Die Aufrufe der Päpste zur Befreiung des hl. Landes von den Anfängen bis z. Ausgang Innozenz’ IV. (Diss. Bln. 1936), S. 8 f. 75 Bei H. Hagenmeyer, Die Kreuzzugsbriefe aus d. Jahren 1088–1100 (Innsbr. 1901) III, S. 137: omnibus, qui illuc non terreni commodi cupiditate sed pro sola animae suae salute et ecclesiae liberatione profectý fuerint. Vgl. Waas (wie Anm. 19) I, S. 228 ff. 76 Vgl. Waas ebd. S. 229; eine Parallele oben S. 676–679.
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sicherer Lohn euch auf dieser Fahrt in die Fremde erwartet. Denn mit ihr ist euch das himmlische Königreich sicher versprochen, und ihr habt zugleich eine reichere Hoffnung auf irdisches Glück“77. Das damit entworfene Bild stützt sich nun zwar ausnahmslos auf außersächsische Zeugnisse, und es bleibt die Frage, wie weit der sächsische Raum an diesen Anschauungen Anteil gehabt hat. Indessen scheint es, daß all diese verschiedenartigen Komponenten sich schon in der ottonischen Ostpolitik zu einem geschlossenen Ganzen verbunden haben, die ja zweifellos weder als rein weltlicher noch als rein kirchlichmissionarischer „Imperialismus“ richtig verstanden werden kann78. Wichtiger für uns ist jener bekannte Aufruf zum Heerzug wider die Ostlandheiden, der etwa 1108 in der Umgebung Erzbischof Adalgots von Magdeburg entstand. In ihm mahnt der geistliche Verfasser, vielleicht flämischen Ursprungs, aber jedenfalls zugleich berufener Sprecher der sächsischen Kirche seiner Zeit (berufen nicht im Sinn offiziellen Auftrags, denn der ist fraglich, sondern im Sinn innerer Vollmacht): alle Waffenfähigen sollten nach Osten „zum Kriege Christi eilen“; sie könnten auf diesem Schauplatz „sowohl Heil für ihre Seele erwerben als auch, wenn es ihnen beliebt, bestes Land zur Wohnung erlangen“79. Die Parallele zu der fast hundert Jahre jüngeren Predigt des zitierten Abtes liegt auf der Hand; dabei sei nochmals betont, daß wir auch in diesem Falle keinerlei Grund zu der Annahme haben, für Schreiber oder Empfänger werde eines dieser beiden so unterschiedlichen Dinge ein geringeres Gewicht gehabt haben als das andere, so daß etwa das Seelenheil nur ideologischer Vorwand, die Raumnot der eigentliche Antrieb gewesen sei80: sie waren einfach zwei gleich notwendige
77 Gunth. Par., Hist, captae a Latinis Const., c. 3 (PL 212, 227); Übersetzung nach Waas, ebd. S. 8; vgl. noch ebd. S. 20 m. Anm. 64. 78 Vgl. auch C. Erdmann, Die Entstehung d. Kreuzzugsgedankens (Stuttg. 1935), S. 94 ff., dazu ebd. S. 9 f. 79 Urk. Buch d. Erzstifts Magdeburg I, n. 193 (S. 249 ff.): Omnes ad Christi festinent bellum . . . hic poteritis et animas vestras salvificare et si ita placet optimam terram ad inhabitandum acquirere. Das Land wird in ähnlicher Weise gelobt wie oben Anm. 77 a. O. Vgl. Dazu Beumann (wie Anm. 9) m. Lit. sowie Beitrag XIV, S. 472; Beitrag XV, S. 521 f. u. 532–534. 80 Schon A. Waas, Welt als Gesch. 11 (1951), S. 234, hat vor Überschätzung weltlicher Motive auf Kosten einer eigenartigen und uns vielfach fremden Kreuzfahrerreligiosität gewarnt. Vgl. M. Seidlmayer, Die geist. Grundlagen d. deutschen Ostkolonisation im MA (Hochland 34/11, 1937), S. 116 ff. (speziell im Anschluß an die in vor. Anm. zitierte Stelle).
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Forderungen des einen, unaufspaltbaren Lebens das für seine hiesige Dauer die Pflicht zur Sorge für beides einschloß. Am klarsten hat die damit gekennzeichnete Auffassung für den sächsischen Raum vielleicht Bischof Gerung von Meißen zum Ausdruck gebracht, als er wenige Jahre nach dem Kreuzzug von 1147 ein Dorf im Lande Wurzen flämischen Neusiedlern übertrug und die dabeit gewährten, umfangreichen Privilegien begründen wollte81: „Eins ist not, mit Maria in der Süße des beschaulichen Lebens das gute, vielmehr beste Teil zu erwählen: die innere Ruhe. Aber wir sind doch meistens gezwungen, mit Martha in der Herbheit des tätigen Lebens uns um sehr viele Dinge Kummer und Sorge machen.“ Diesen neutestamentlichen Anspielungen auf das bethanische Schwesternpaar82 folgen merkwürdige Bilder alttestamentlicher Herkunft, die in ihrer Art für die Zeit außerordentlich typisch sind: „Das Haus des Bundes und die Lade der Verheißung unseres Herrn würden ja auch nicht in solchem Glanze erstrahlen, wenn nicht die Ziegenhaardecken, die rötlichen Widderfelle und die Dachspelze sie gegen Sturm und Regen abschirmten“ (die nach dem Buche Exodus das eigentliche Gotteszelt als dreifacher Schutz umgaben83). „Daher darf ein guter Lehrer für die Kirche Gottes nicht nur in geistlichen und ewigen Dingen mit Wachsamkeit Vorsorge treffen, sondern er muß als weitblickender Hirte der Herde des Herrn auch in fleischlichen und zeitlichen Dingen mit Umsicht beistehen84.“ Gerung wurde erst 1152 auf den Stuhl von Meißen erhoben; er gehörte 1147 also noch nicht zum sächsischen Episkopat. Aber aus ihm spricht, wie nach alledem wohl gesagt werden darf, beispielhaft die Auffassung eines ganzen Zeitalters, ungleich mehr als aus dem hl. Abt von Clairvaux. Und das bedeutet: wo ein Kreuzzugsteilnehmer die einmalige Gelegenheit nutzen wollte, die ein derart geballter militärischer Einsatz zum Erwerb einer kleinen Herrschaft bot – und das scheint in weit größerem Umfang geschehen zu sein, als man bisher anzunehmen geneigt war85 –, dort durfte er von vornherein mit dem
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Cod. Dipl. Saxon. Reg. I,2 n. 254 (S. 171), a. 1154. Vgl. die vielfach wörtlichen Anklänge an Lc. 10, 41 f. 83 Ex. 26, 14. 84 Anm. 81 a. O.: Unde ecclesiae dei non solum in his, que spiritualia et eterna sunt, a bono doctore vigilanter est prospiciendum, sed etiam in his, que carnalia et temporalia sunt, dominico gregi a provido pastore sollerter est succurrendum. 85 J. Schultze, Der Wendenkreuzzug 1147 u. die Adelsherrschaften in Prignitz u. Rhingebiet (Jahrb. f. d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 2, 1953) sucht zu erweisen, daß im Vorfeld des wiedergewonnenen Havelberg kleine Dynasten der Nachbarschaft 82
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Segen seiner Kirche rechnen, sofern er das geistliche Hauptziel des gesamten Unternehmens darüber nicht aus dem Auge verlor, nicht weniger als Abt Wibald, wenn er mit dem allgemeinen Anliegen das spezielle der Wahrung sehr irdischer Rechte eines Klosters verband, für das er sich vor Gott verantwortlich fühlte86. Für eine asketische Jenseitsbezogenheit war im Sachsen jener Zeit kein Platz87. 3. Herrschaftsbildungen Nun ist es über jeden Zweifel erhaben, daß die Haltung eines sehr maßgeblichen Teils der Ostlandfahrer von 1147 mit den bisherigen Betrachtungen noch nicht zu fassen ist, vor allem die der großen Lehnsträger, wie sie beispielhaft in der wohl merkwürdigsten Episode dieses ganzen Kreuzzugs hervortritt: dem Zug nach Stettin, d.h. dem unverkennbaren Versuch Albrechts des Bären, mit Hilfe der Kreuzfahrerkontingente, die seine gewöhnliche Streitmacht verstärkten, nun endlich seine rein weltlichen Herrschaftsansprüche über Vorpommern durchzusetzen, von dem gerade er sehr wohl wußte, daß es seit Jahrzehnten christianisiert war88. Ihn haben schon die Zeitgenossen gegeißelt mit dem Satz, daß „die Sachsen so einen großen Kriegszug viel mehr in die Wege geleitet hatten, um ihnen (den Pomoranen) ihr Land wegzunehmen, als um den
die günstige Gelegenheit zum Erwerb privater Herrschaften genutzt hätten, während die großen Fürsten und mit ihnen die Masse des Heeres ferneren politischen Zielen nachstrebte; diese Herrschaften, früher teilweise zu Unrecht als solche slawischer Dynasten angesehen, die ihre Stellung unter den Askaniern zu behaupten vermochten, hätten vielmehr zunächst kraft des Rechts eigener Eroberungen unabhängig neben dem askanischen Herrschaftsgebiet gestanden und seien erst allmählich von ihm absorbiert worden. Zustimmend bereits W. Schlesinger (wie Anm. 57), S. 29 f. Die These läßt sich werter stützen mit der von Schultze nicht berücksichtigten Notiz der Ann. Palid., nach welcher der Streit schon um die Abgrenzung noch gar nicht eroberter Gebiete ganz allgemein zwischen milites, also nicht allein zwischen den principes geht (s. oben Anm. 64). – Auch auf dem ersten Kreuzzug begegnen Versuche einzelner Ritter zur Herrschaftsbildung (vgl. Waas, wie Anm. 19, Bd. I, S. 145). 86 Siehe oben bei Anm. 7. 87 Selbst der streng reformerische Annalist von Magdeburg (s. oben Anm. 3) gönnt den Eroberern von Lissabon, deren Kampf er als vorbildlich empfindet, unverkennbar ihre Beute, indem er den Wortlaut seiner Vorlage auch an dieser Stelle übernimmt (vgl. SS XVI, 190); vielleicht im Hinblick auf Stellen wie Mt. 6, 33; Lc. 12, 31 und oben Anm. 70. 88 Vgl. W. Kümmel (wie Anm. 40), S. 29, 30, 32, 60 über Albrechts Fühlungnahme mit Otto von Bamberg während dessen Missionsarbeit in Pommern; zur Motivierung jetzt Schlesinger S. 25 f.
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christlichen Glauben zu stärken“89, und dieser Satz läßt sich nicht wie die übrigen kritischen Äußerungen dadurch entkräften, daß man ihn als Kundgebung strengen Reformgeistes oder als Feststellung ex eventu nimmt, selbst wenn er ebenfalls aus mindestens elfjährigem Abstand zu den Ereignissen geschrieben ist: der Stettinzug dieses Markgrafen zeigt ganz offenbar keine harmonische Verbindung kirchlicher und weltlicher Ziele, sondern die eigensüchtigen Antriebe scheinen so gut wie jede andere Rücksicht beiseitegefegt zu haben, und damit scheint denn doch das Maß des kirchlich allenfalls Erlaubten, wie wir es eben zu ermitteln suchten, eindeutig überschritten. So konnte noch kürzlich von einer „unglaublichen Skrupellosigkeit“ gesprochen werden, die bei dieser Gelegenheit „missionarische Motive für rein politische Zwecke mißbraucht“ und den „Sinn des Kreuzzugs in sein Gegenteil umgefälscht“ habe90. Ob sich jemals neue Gesichtspunkte ergeben werden, durch die dieses Urteil grundsätzlich angefochten werden kann, ist fraglich. Aber in bestimmte größere Zusammenhänge eingerückt zu werden verdient um des besseren geschichtlichen Verständnisses willen doch auch der ihm zugrundeliegende Befund. Vor allem drei Umstände sind es, die dazu hervorgehoben werden müssen: die besondere Eigenart jeder Kreuzzugsstimmung, die Beschaffenheit des östlichen Kriegsschauplatzes und die Rolle des päpstlichen Legaten Anselm von Havelberg, der gerade bei diesem Stettinunternehmen offensichtlich beteiligt war. Auf den ersten dieser Umstände hat kürzlich in ganz anderem Zusammenhang A. Waas hingewiesen91: die vielfach rauschhaft-ekstatische Begeisterung, die die Aufbruchsstimmung von Kreuzheeren zu kennzeichnen pflegt (und zweifellos auch über dem Anfangsstadium des Wendenkreuzzugs stand92), ist eine Haltung, viel zu unklar und unbestimmt, als daß sie allgemein auf die Dauer vorhalten könnte. Jeder Kreuzzug, und sei sein Ziel (etwa Jerusalem) noch so eindeutig festgelegt, ist deshalb nur zu leicht in anderer Richtung ablenkbar, oft über jeden besonnenen Führerwillen hinweg. Allgemein bekannt ist das Beispiel des sog. vierten Kreuzzugs von 1204; aber „schon die
89 Vincent. Prag., Ann. a. 1147 (SS XVII, 663, 19 ff.): Sed quia Saxones potius pro auferenda eis terra, quam pro fide christiana confirmanda tantam moverant militiam . . . Vinzenz schrieb nach 1158 (Wattenbach, wie Anm. 60, S. 320). 90 Schlesinger S. 31. 91 Siehe Anm. 93. 92 Vgl. Bünding (wie Anm. 1), S. 42–46, freilich wohl etwas zu stark verallgemeinernd.
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Judenverfolgungen, die den ersten Kreuzzug einleiteten und in den folgenden immer wieder auszubrechen drohten, zeigen, wie leicht der Feind auszutauschen, das Ziel zu verändern war“93; daneben sei etwa an den (in der üblichen Zählung nicht berücksichtigten) Kreuzzug von 1101 erinnert, bei dem die Masse der Kreuzfahrer auf dem Marsch durch Kleinasien plötzlich „ohne jede Einsicht in die militärischen und politischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten“ darauf drängte, zunächst Bohemund zu befreien, den Helden des ersten Kreuzzugs, der mittlerweile in Nordostanatolien in türkischer Gefangenschaft saß, des weiteren dann aber Bagdad zu erobern, die Hauptstadt der islamischen Macht94. Die adeligen Herren waren solch unklaren und sprunghaften Stimmungen im allgemeinen nicht so leicht ausgesetzt. Bei ihnen zeigte sich die gleiche Labilität jedoch darin, daß sie dazu neigten, ihr Kreuzzugsgelübde als erfüllt anzusehen, wenn sie wenigstens eine Zeit lang erfolgreich am Heidenkampf teilgenommen und so zur Erreichung des Gesamtzieles beigetragen hatten. Immer wieder, und zwar von den verschiedensten Kreuzzügen, hören wir, wie dann viele eigenmächtig nach Hause fuhren ohne jede Rücksicht, was für Rückwirkungen das auf den Fortgang der Operationen haben mochte95. Auch für den Wendenkreuzzug ist solch eigenmächtig-vorzeitiges Abrücken von Teilnehmern ausdrücklich bezeugt96. Andere versuchten dann, nachdem sie in dieser Weise für Gottes Sache gekämpft, nunmehr mit Hilfe der Kräfte, die sie dabei befehligt, endlich auch für sich selbst zu sorgen, wohl in der Annahme, die Reihe zur Erfüllung der Pflichten, die die zweiseitig gefaßte Lehnsbindung97 mit sich bringe, sei jetzt an Gott. Diese Versuche gehören aber nicht etwa erst den Zeiten an, in denen die Lebendigkeit und Kraft der ursprünglichen Kreuzzugsidee schon erlahmt war, sondern sie treten schon auf dem ersten Kreuzzug mit besonderer Macht hervor, und zwar gerade auch bei Männern, deren unmittelbar religiöse Begeisterung für die eigentlichen Kreuzzugsziele in keiner Weise bezweifelt werden kann.
93
Waas (wie Anm. 19) I, S. 164, vgl. 141 u. 149. Ebd. S. 160. 95 Ebd. S. 208, 262, 362 ff. 96 Helmold, c. 65 (S. 122, 30 ff.): Ceperunt . . . facere in exercitu tergiversaciones (sc. satellites ducis et marchionis), falls nicht auf Flucht aus Gefechten ins Feldlager bezüglich. Eindeutig oben Anm. 64, vgl. auch Anm. 85. 97 Siehe oben S. 685. 94
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Es mag erlaubt sein, einen etwas eingehenderen Blick auf diese Verhältnisse zu werfen, denn sie sind in hohem Maße zur Erhellung des Wendenkreuzzugs geeignet, der viel zu lange isoliert für sich allein betrachtet worden ist. Schon in Kilikien, also noch außerordentlich weit vom eigentlichen Ziel, haben zwei wichtige Führer mit ihren Gruppen im Spätsommer 1097 das Kreuzheer verlassen, um nach den Siegen von Nizäa, Doryläum und Heraklea nunmehr eigene Herrschaften für sich zu gewinnen: Balduin, der spätere erste König von Jerusalem, und Tankred. Sie entwickelten dabei eine heftige Rivalität, die sich einmal sogar mitten im Heidenlande in einer regelrechten Schlacht dieser beiden christlichen Kreuzfahrergruppen untereinander Luft machte, bis Balduin schließlich die Grafschaft Edessa im Euphratbogen begründete, völlig aus der Richtung des Jerusalemzuges, während Tankred noch einmal zum Hauptheer zurückkehrte98. Balduin hat sich nicht gescheut, von Edessa aus, um seine Stellung zu verstärken, sogar unter dem Hauptheer zu werben, das mittlerweile in den schwierigen Kämpfen vor Antiochien lag, und er fand guten Zulauf, der das eigentliche Kreuzheer nach so erheblichen Kriegsverlusten weiter schwächte; auch Gottfried von Bouillon, sein Bruder, hat sich ihm damals vorübergehend zugewandt99. Nach Eroberung Antiochiens machte Bohemund sich zum Herren dieser Stadt in heftigsten Auseinandersetzungen mit Raimund von St. Gilles, die ebenfalls zeitweise zu Kampfhandlungen zwischen den Abteilungen beider führten; von da an schied er wie Balduin aus dem weiteren Verlauf des Kreuzzuges aus, obwohl gerade ihm ebenso wie Raimund für die Aufbruchssituation ein ehrlicher und echter Kreuzzugswille nicht abgesprochen werden kann100. Bohemund gab damit das Zeichen zu einer sehr weitgehenden Auflösung des Kreuzheeres, indem nun auch die andere Führer an die Gründung eigener Herrschaften gingen; wäre es auf diese angekommen, der Kreuzzug hätte Jerusalem niemals erreicht101, – nur das immer neue Murren und Drängen des „Volkes“, das die heilige Stadt um jeden Preis gewinnen wollte, hat dem ersten Kreuzzug sein geschichtlichen Ergebnis gesichert, nicht ohne daß es dabei zu regelrechtem Aufstand kam wie der Zerstörung
98 99 100 101
Waas I, S. 134–36. Ebd. S. 136, 145. Ebd. S. 103–5, 126, 135, 140–42, 145, 148, 162–64. Ebd. S. 148 f., 158, 364 f., 396; auch 51 f., 98, 120, 127, 144 f., 156, 164, 326 f.
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einer von Raimund als Herrschaftssitz in Aussicht genommenen Stadt durch dieses „Volk“102. Dies alles sind Vorgänge, die in vielem deutliche Parallelen zu Ereignissen auf dem Wendenkreuzzug bieten und deshalb zur Erhellung der sehr viel dürftigeren Nachricht über ihn herangezogen werden dürfen: erinnern sie doch unmittelbar an den Bericht der Pöhlder Annalen über das „unermeßliche Heer, das in Eintracht zusammenströmte, aber durch seine große Zahl auseinandergeriet“, indem die Ritter sich über ihre zukünftigen Herrschaftsgebiete stritten, „das einfacht Kriegsvolk aber damit nicht einverstanden war“103: Vielleicht werden wir diesem einfachen Kriegsvolk wie beim ersten Jerusalemkreuzzug einen wesentlichen Anteil daran zubilligen müssen, daß der Wendenkreuzzug trotz allem in dem Maß, wie sich das 1147 übersehen ließ, zum Ziele kam. Wenn der Annalist dabei vom Zwist um Gebiete redet, die noch gar nicht erobert waren, so darf daran erinnert werden, daß es schon auf dem ersten Kreuzzug, noch ehe Jerusalem erobert war, zu Streitigkeiten kam, wem dort die neu zu errichtende christlich-weltliche Obergewalt zufallen sollte103a. Im Jahre 1148 haben auf dem gleichen zweiten Kreuzzug, dem auch der Wendenkreuzzug als Teilunternehmung angehört, die Könige Konrad von Deutschland und Ludwig von Frankreich dem Grafen von Flandern die Herrschaft über Damaskus versprochen, als die Einnahme dieser Stadt einmal nahe schien, während sie doch weder vordem noch später jemals Kreuzfahrern in die Hände gefallen ist104. Aber auch aus der weiteren Geschichte der Kreuzzüge ließen sich zahlreiche Beispiele für das Auseinanderklaffen von Kreuzzugsidee und Herrschaftsstreben gerade bei den großen Lehnsträgern beibringen, in dieser späteren Zeit teilweise sogar schon, ehe die Betreffenden überhaupt im Heidenkampf gestanden hatten, wie es doch in den bisher genannten Fällen ausnahmslos der Fall gewesen war – einschließlich des Wendenkreuzzugs105. 102
Ebd. S. 146, 168, vgl. 331, 391. Siehe Anm. 64. 103a Vgl. R. Röhricht, Geschichte d. ersten Kreuzz. (Innsbruck 1901), S. 188 f., und bes. I. Hansen, Das Problem eines Kirchenstaates in Jerusalem (Diss. Freiburg/Schweiz 1928), S. 164 ff. 104 Waas I, S. 177. 105 Es sei hier nur noch an Richard Löwenherz erinnert und seine Versuche, mit Hilfe seines starken Kreuzheeres auf der Überfahrt im Vorübergehen Sizilien und Cypern zu erobern sowie schließlich das Heilige Land selbst wenigstens für seine Familie zu sichern (Waas I, S. 199, 214), schließlich an die Errichtung des Lateinischen Kaisertums und der Herzogtümer Philippopel, Morea, Athen usw., in der das Hauptheer des 103
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Denn es ist deutlich, daß der Stettinzug Albrechts des Bären schon auf diesem Hintergrunde ein anderes Gesicht gewinnt: der Markgraf hatte ja zweifellos wochenlang in kreuzzugsmäßigem Heidenkampf gestanden, ehe er vor die Hauptburg der Pomoranen rückte, unter anderem offenbar an der Zerstörung eines bedeutenden heidnischen Heiligtums teilgenommen106. Nun ist zwar die „Abirrung“ seines Kreuzzugs sehr viel eher eingetreten als etwa diejenige Balduins: als dieser sich von der Masse der Jerusalemfahrer absetzte, war etwa ein Jahr seit dem Aufbruch aus der Heimat vergangen, davon ziemlich ein halbes im Heidenkampf. Die Dauer des Wendenkreuzzugs hingegen wird insgesamt auf drei Monate angegeben, und selbst das ist vielleicht noch übertrieben107. Dieser Unterschied behält sein volles Gewicht und soll hier in keiner Weise verkleinert werden. Indessen ist es an der Zeit, auf den zweiten Gesichtspunkt hinzuweisen, der vorhin angedeutet wurde: die besondere Beschaffenheit dieses östlichen Kriegsschauplatzes. K. Schünemann hat die Verhältnisse eingehend untersucht und dabei festgestellt, daß der Krieg dort ostwärts der Elbe mit Schwierigkeiten verbunden war, die so leicht auf keinem anderen Schauplatz im deutschen Gesichtskreis jener Zeit wiederkehrten und ihm daher eine gesteigerte Unbeliebtheit sicherten108. Für den Wendenkreuzzug
vierten Kreuzzuges endete (ebd. S. 249 f.). – In anderer Richtung fordern zum Vergleich heraus Versuche sizilischer Könige, Kreuzzüge zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auf das Fürstentum Antiochien oder gar das Königreich Jerusalem zu nutzen (zuerst Roger II. während des zweiten Kreuzzuges, also gleichzeitig mit Albrechts Vorgehen gegen Stettin: vgl. Waas, ebd. S. 169, ferner S. 394, auch 217, 395 f.); zu ergänzen wären die bekannten und erfolgreichen Bemühungen der Könige von Portugal, die u.a. 1147 zur Eroberung von Lissabon für das Königreich durch vorübersegelnde Kreuzfahrer führten. – Auch die Albigenser- und Stedingerkreuzzüge dürften bei näherem Zusehen manch Vergleichbares bieten und doch auch zugleich die individuellen Unterschiede all dieser Unternehmungen plastischer hervortreten lassen. 106 Vgl. Ann. Magd. (SS XVI, 188). Die Nachricht wird allgemein auf das Südheer unter Albrecht bezogen, da der Ort, ob er nun als Malchow oder Malchin zu deuten ist, in jedem Fall auf der Route nach Demmin und Stettin liegt, also sehr weit ab von der Marschrichtung, die Heinrich der Löwe mit seiner Heeresgruppe verfolgte. – Beachte auch in diesem Zusammenhang Anm. 62. 107 Ann. Magd., ebd.; für übertrieben gehalten von Bernhardi (wie Anm. 1), S. 578 Anm. 41; für glaubhaft von L. Keller, Der Kreuzzug gegen die Wenden im Jahre 1147, Zeitschr. f. Preuß. Gesch. u. Landesk. 12, 1875, S. 58 Anm. 3. Die Entscheidung hängt ab von der Frage nach dem Beginn der Operationen; vgl. dazu jetzt H. Krabbo (u.a.), Regesten d. Markgrafen v. Brandenb. aus askan. Hause, Nachtragslieferung (1955), S. 886, zu Nr. 152 ff. 108 K. Schünemann, Deutsche Kriegführung im Osten während des Mittelalters (Deutsches Archiv 2, 1938); stellt heraus: 1. die natürliche Verkehrsfeindlichkeit der damaligen ostelbischen Landschaft (S. 54–62), 2. deren Unterstützung durch geschickte
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sind diese Eindrücke beispielhaft festgehalten in der Chronik von Petershausen: die Kreuzfahrer fanden nach ihr „ein unwegsames Land, voll von Gewässern und Sümpfen“ – man vergegenwärtige sich, was das nicht nur an Strapazen für den Vormarsch, sondern etwa auch an Mückenplage bedeuten mußte –, „die Bewohner jenes Landes aber nicht in geschlossenen Siedlungsgebieten, sondern zerstreut lebend, so daß es nicht leicht war, sie aufzuspüren. Das Christenheer wurde schließlich des unbekannten Landes müde und kehrte ohne irgendein Ergebnis zurück“109. Auch der Marsch des Sommers 1097 durch die anatolischen Wüsten bot Unannehmlichkeiten, die den europäischen Kreuzfahrern neu und ungewohnt waren. Aber die dortigen Landesbewohner stellten sich wenigstens zur Schlacht – wir nannten schon die drei ruhmvollen Siege, die das erste Kreuzheer errungen hatte, als Balduin und Tankred ihrer Wege gingen. Was solche Erfolge für das Selbstgefühl eines jeden, zumal eines Ritterheeres bedeuten müssen, ist bekannt. Die Wenden von 1147 aber zogen sich nach ihrer Weise in feste Fluchtburgen zurück, von denen nach unserer Kenntnis mehr als eine eingeschlossen, aber keine genommen wurde: die Belagerungen endeten durchweg mit einem Vergleich. Dieser Vergleich entsprach zwar, wie wir gesehen haben, durchaus dem Kreuzzugsziel, soweit sich die Kreuzfahrer als Krieger dafür verantwortlich fühlen konnten: wer aber ausgezogen war, um zur höheren Ehre Gottes bei den Heiden Ruhm und Beute zu erringen, konnte dabei nicht auf seine Kosten kommen, mußte notwendig trotz aller Erfüllung seines Kreuzzugsgelübdes in wesentlicher Hinsicht unbefriedigt bleiben – besonders, wenn er nicht im sächsisch-wendischen Grenzraum zu Hause war und vom ständigen Kleinkrieg her im voraus gewußt hatte, was ihn auf diesem Feldzug erwarten würde: die Petershäuser Chronik vertritt für uns ja die Heimkehrstimmung schwäbischer Kreuzfahrer. Beiläufig haben wir damit ein weiteres Motiv gefunden, das hinter der von unseren Quellen so stark betonten Erfolglosigkeit des
künstliche Anlagen seitens der Wenden (S. 62–77), 3. Verpflegungsschwierigkeiten in landwirtschaftlich wenig erschlossenem Gebiet (S. 77–84). 109 Chronik des Klosters Petershausen (hg. v. O. Feger, Konstanz 1956) V, 32 (S. 228): Quo cum pervenissent, invenerunt terram inviam et valde aquosam et paludibus plenam, habitatores vero illius terre non simul commorantes, sed dispersos, ita ut non facile inveniri possent. Exercitus ergo Christianorum ignorantia locorum extediatus, sine aliquo effectu reversus est. – Obige Übersetzung teilweise nach Feger S. 229. – Vgl. flg. Anm.
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Wendenkreuzzugs stehen kann: denn es fehlt jeder Grund zu der Annahme, daß jenes „ohne irgendein Ergebnis“ des Chronisten von Petershausen etwas anderes widerspiegelt als derartige Enttäuschung über fehlendes Schlachtenglück und mangelnde Beute110. Vor allem aber ist nun wohl verständlich geworden, warum auf diesem nordöstlichen Schauplatz persönliches Herrschaftsstreben sich so viel schneller in den Vordergrund drängen konnte als im Orient. Grundsätzlich wären für eine solche „Abirrung“ zwei Möglichkeiten gegeben: sie kann im Lauf des Feldzugs spontan erfolgen, aber auch schon im voraus bewußt mit eingeplant werden, nicht nur als unbestimmter Wunsch, auf jeden Fall im Verlauf des Unternehmens eine gute Herrschaft zu gewinnen, sondern mit ganz konkreter Zielsetzung. Balduin und Tankred bieten mit ihrer eigenmächtigen Absetzung vom ersten Kreuzzug zweifellos ein Beispiel für die erste Möglichkeit, denn sie erfolgte aus augenblicklicher Verärgerung über allzu probyzantinische Haltung der übrigen Kreuzzugsführer111. Beim Stettinzug Albrechts des Bären spricht – auch das sei mit Nachdruck hervorgehoben – alles dafür, daß er in die zweite Kategorie gehört. Unsere Überlieferung ist so schlecht, daß es schwer hält, sehr bestimmte Aussagen zu wagen, aber wir müssen annehmen, daß der Markgraf schon vor der genauen Festlegung des Feldzugsplans, die er ja nicht allein vorzunehmen hatte, eingehende Beratungen geführt hat, wie der unbequemen Kreuzzugsforderung des hl. Bernhard nachzukommen sei ohne allzu empfindliche Störung von offenbar auf lange Sicht angelegten territorialpolitischen Konzeptionen. Dabei treten als Partner, und das ist der dritte Gesichtspunkt, der in diesem Zusammenhang erwähnt werden muß, gerade die Bischöfe seines Interessengebietes hervor, Wigger von Brandenburg und Anselm von Havelberg, der päpstliche Kreuzzugslegat. Ein Ergebnis dieser Beratungen muß die völlige Ausklammerung des Havellandes um Brandenburg aus dem Kreuzzug gewesen sein, ungeachtet des auch dort noch durchaus ungebrochenen Heidentums: diese Feststellung wird gesichert durch den geographischen Verlauf
110 Die ältere Ausgabe SS XX, 675 liest statt: sine aliquo effectu (s. vor. Anm.) vielmehr: sine aliquo rerum effectu, eine Fassung, zu der in Fegers Variantenapparat S. 228 f. nicht Stellung genommen wird. Sollte sie den Vorzug vor der von ihm allein gebrachten Lesart verdienen, würde ihr Zusatz, falls er ganz konkret auf Beute bezogen werden darf, die oben im Text vertretene Auffassung weiter stützen. 111 Siehe Anm. 98.
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des Feldzugs, der doch mindestens in seiner allgemeinen Stoßrichtung vorher mit den anderen beteiligten Fürsten (z.B. Markgraf Konrad von Meißen)112 abgestimmt worden sein muß. Es scheint sogar, daß wir die eigenartigen Manipulationen noch greifen können, mit denen diese Ablenkung des Kreuzzugs ausgerechnet vom unmittelbaren Vorland des Erzsitzes Magdeburg den übrigen Großen Sachsens offenbar schmackhaft gemacht worden ist113. Es wäre sehr merkwürdig, wenn bei so bewußter Planungsarbeit nicht auch der Stettinzug von Anfang an mit ins Auge gefaßt worden wäre. Die uns bekannten Zwischenstationen (Malchin oder Malchow und Demmin) liegen unmittelbar auf seinem Wege. Vor allem aber wird in diesem Zusammenhang eine Feststellung wichtig, die unabhängig davon soeben W. Schlesinger getroffen hat: dieser Zug diente gar nicht allein den territorialen Interessen Albrechts, er nimmt sich zugleich aus wie ein Stück havelbergischer Bistumspolitik, die damals machtund hilflos zusehen mußte, wie das 1140 neugegründete pommersche Missionsbistum weit über die 948 feierlich verbrieften Grenzen des eigenen Sprengeis herübergriff 114. Auf dem Hintergrunde des Brandenburger Beispiels wächst damit die Wahrscheinlichkeit einer bewußten gemeinsamen Vorplanung auch in diesem Gebiet sehr erheblich; es bleibt nicht einmal ausgeschlossen (wenngleich unbeweisbar), daß die erste Anregung zum Stettinzug von Bischof Anselm selbst ausgegangen ist, zumal ja auch dabei an die bekannten Absichten seines Freundes Wibald erinnert werden darf115. Anselm war – seltsamerweise, muß man nach alledem wohl sagen – Prämonstratenser wie der Annalist von Pöhlde, den wir gerade als Vertreter der schroffsten Kreuzzugsideale kennengelernt haben 116. Er war sogar durch den Ordensgründer, den hl. Erzbischof Norbert von Magdeburg, persönlich zum Bischof erhoben worden – sicher doch, weil er dessen kirchenpolitischer Neigung entsprach, die nach J. Bauermann im Gegensatz zu weitverbreiteter Auffassung nicht so sehr auf Missionsarbeit gerichtet war als auf Reorganisation der so schwer angeschlagenen Erzdiözese und Herstellung ihres rechtmäßigen
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Siehe Anm. 56. Vgl. Kahl, Beiträge zur brandenburg. Gesch. (siehe oben Anm. 1), Drittes Kapitel. Schlesinger (wie Anm. 57), S. 31 f., dazu S. 19, 21–27 u. 36. Siehe oben S. 669; über die Freundschaft etwa Wibald, ep. 221 (S. 339). Oben S. 682 f.
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Besitzstandes als Voraussetzung aller weiteren Arbeit117. Anselm war weiter ein geschätzter Theologe, der sich durch geschickte Disputation mit dem Patriarchen von Konstantinopel einen Namen gemacht hatte. Die besondere Vertrauensstellung, in der er sich befand, wird vollends deutlich durch seine Bestellung zum päpstlichen Legaten für den Wendenkreuzzug über die beiden ranghöheren Erzbischöfe von Bremen und Magdeburg, die doch ebenfalls am Kreuzzug beteiligt waren, und also auch über seinen eigenen Metropoliten hinweg; Eugen III. nennt ihn bei dieser Gelegenheit einen „religiös gesinnten, klugen und gebildeten Mann118“. Daß er durch die Art, wie er dieses Amt dann wahrnahm, irgendwie in Ungnade gefallen wäre, sehen wir nicht: im Gegenteil stieg er nur acht Jahre später zum Erzbischof von Ravenna auf119. Dies alles läßt uns den Stettinzug von 1147 immer rätselhafter erscheinen. Wie Anselm sich vor seinem Gewissen und nicht zuletzt vor seinem päpstlichen Oberherren gerechtfertigt hat, wissen wir nicht, obgleich sich Vermutungen anstellen lassen120. Fest steht jedenfalls, daß es für einen Mann wie Albrecht den Bären nicht gleichgültig sein konnte, wenn er bei seinem Vorgehen, ganz zu schweigen von der Mitarbeit Wiggers als des zweiten für ihn maßgeblichen Vertreters der Kirche, der Zustimmung und Unterstützung durch eine derartige Persönlichkeit sicher war. Die Empörung über skrupellose Ausnutzung von Kreuzzugswilligen, die uns angesichts des Stettinzuges nahe liegt, scheint also doch nicht der einzige Maßstab zu sein, der sich an ihn anlegen läßt, so unbestreitbar legitim er ist: schon die betroffenen Zeitgenossen haben sie ja geteilt121.
117 Vgl. J. Bauermann, Erzbischof Norbert von Magdeburg (Sachsen und Anhalt 11, 1935), bes. S. 13 ff. (dazu aber Kahl, Beiträge z. brandenb. Gesch., S. 131 f. m. Anm. 41, wo auch weitere Lit.). 118 JL 9017 (s. oben Anm. 36): religiosum, discretum et litteratum virum. 119 Vgl. G. Wentz, Das Bistum Havelberg (Germania Sacra I, 2, Bln. 1933), mit reichen Literaturangaben. 120 Siehe Kahl, Beiträge zur brandenburg. Gesch., S. 226–233. 121 Sie spricht deutlich aus dem Bericht des Vinzenz von Prag (s. Anm. 89), der für uns die Heimkehrstimmung des unter Bischof Heinrich von Olmütz ausgezogenen mährischen Kreuzfahrerkontingents vertritt.
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4. Schlußbilanz Wir kommen also zu folgenden Ergebnissen: Die Einhelligkeit, mit der die überwiegende Mehrzahl unserer Quellen den Wendenkreuzzug von 1147 als gescheitert hinstellt, ist trügerisch, denn sie verhüllt Enttäuschungsmotive mannigfachster Art: von ungestilltem ritterlichem Tatendrang, der auf Schlacht und Sieg, Ruhm und Beute ausgegangen war, stattdessen aber nur Strapazen, Feldlager, Scharmützel und gewinnlosen Vergleich erlebt hatte122, über enttäuschte Hoffnung auf Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen123 (neben der die Erfolgreichen124 schweigen, weil sie nach Erreichung ihres Zieles anderes zu tun hatten, als für unsere Überlieferung zu sorgen), bis zu strenggesinnter Ablehnung jedes Hineinspielens weltlich-egoistischer Ziele in den heiligen Krieg bei zisterziensischen125, hirsauischen126, prämonstratensischen127 Autoren (einer Ablehnung, die jedoch keineswegs gemeinkirchlicher Auffassung entsprach128), – weiter über ehrliche Entrüstung derer, die sich bei unverfälschter Kreuzzugsabsicht plötzlich für Zwecke mißbraucht gesehen hatten, für die ein Zusammenhang mit der eigentlichen Kreuzzugszielsetzung auch bei weitherziger Auslegung nicht ohne weiteres festzustellen war129, bis hin zur Kritik ex eventu des priesterlichen Seelsorgers, der in jahrelangem Mühen im Wendenland bald nach dem Kreuzzug aus eigener Anschauung hatte erfahren müssen, daß sich mit dem Zwang der Waffen nun einmal kein gedeihliches christliches Leben pflanzen läßt130. Alle diese Stimmen können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Kreuzzug selbst trotz aller Nebenunternehmungen, die zweifelsfrei bestehen bleiben, und trotz aller unerfreulichen Begleiterscheinungen, die er mit anderen Kreuzzügen teilt, dennoch in weitem Umfang das Ziel erreicht hat, das ihm gesteckt war, besonders wenn man dafür
122
Siehe oben S. 694–697. Siehe oben S. 669 f. Ähnlich hätte sich sicher auch Albrecht der Bär äußern können, nachdem sein Stettinzug gescheitert war, zumal nach dem Havelberger Tag von 1148 (oben Anm. 64), der dieses Ergebnis besiegelte. 124 Siehe Anm. 85. 125 Siehe Anm. 3. 126 Ebd. 127 Siehe S. 682 f. 128 Siehe S. 683–689. 129 Siehe Anm. 121. 130 Siehe S. 670–675. 123
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nicht den extremen Aufruf des Abtes von Clairvaux zugrundelegt, sondern den maßvolleren und zugleich doch schließlich maßgeblicheren Papst Eugens III.131. Diese Auffassung ist in zwei Quellen, darunter einer zeitgenössischen, ausdrücklich bezeugt132. In einer dritten schimmert sie unverkennbar durch alle anderslautende Stilisierung hindurch133. Zudem wird sie gestützt durch das praktische Verhalten der römischen Kurie134 wie des Erzbischofs von Bremen135, das den errungenen Erfolg auszubauen versuchte einmal unzweifelhaft auf Grund erhaltener Berichte136, im zweiten Fall sogar auf Grund persönlicher Eindrücke als Kreuzzugsteilnehmer137. Beiläufig ergaben sich Einsichten in die Glaubensstruktur des abendländischen Hochmittelalters und in das Verhältnis sächsischen Frühchristentums damaliger Zeit zur Entwicklung des Ganzen, die hier nicht wiederholt zu werden brauchen138. Im übrigen erwies sich der Wendenkreuzzug von 1147 trotz seiner abweichenden Zielsetzung als ein echtes Kind der gesamten Kreuzzugsbewegung, sichtbar unter allgemeinen Gesetzen stehend, die auch sonst wiederkehren139, ohne daß damit selbstverständlich seine individuelle Besonderheit als einmaliges, unwiederholbares Ereignis bestritten werden soll.Wichtige Einsichten ließen sich nur dadurch gewinnen, daß er in diesen Gesamtzusammenhang hineingestellt wurde, wie umgekehrt sicher auch er geeignet ist, seinen Betrag zu der Erhellung des Ganzen zu leisten. Damit stellt sich abschließend die grundsätzliche Frage, ob es weiterhin vertretbar ist, Geschichte derartiger Kriegszüge zu schreiben in herkömmlicher Beschränkung auf diesen oder jenen partikularen
131
Siehe Anm. 36. Siehe S. 680–682. 133 Siehe S. 682 f. sowie S. 692 f. 134 Siehe S. 670 u. 679 sowie Anm. 58. 135 Siehe S. 679. 136 Siehe bei Anm. 8. 137 Siehe bei Anm. 57. 138 Siehe S. 674–679 u. bes. 683–689. 139 Siehe S. 690–694; vgl. auch S. 686 f. u. Anm. 85. Selbst der Vorwurf des Verrats und der Bestechung des Auctar. Gemblac. a. 1148 gegen die Deutschen, die accepta pecunia das dänische Kontingent einer vernichtenden Niederlage preisgegeben hätten (SS VI, 392, 4 ff.), gehört in diesen Zusammenhang hinein, denn er ist ein fester, immer wiederkehrender Bestandteil der durch so eigentümliche Verquickung religiöser Leidenschaft und egoistischer Interessen bestimmten, überhitzten Kreuzzugsatmosphäre (vgl. Waas, wie Anm. 19, I, S. 204, 206, 215, 271, 391 f. und sonst). 132
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Umkreis, oder ob nicht vielmehr in Zukunft nach dem Vorgang C. Erdmanns der Bogen so weit gespannt werden sollte, daß er nach Möglichkeit alle Heidenkriege der mittelalterlich-abendländischen Christenheit gleichmäßig einbezieht140 [141].
140 Vgl. Erdmann (wie Anm. 78), neben dem etwa noch Ammann (wie Anm. 1) Hervorhebung verdient; im übrigen Kahl (wie Anm. 74) S. 242. 141 [Nachtrag 1960: Daß der Wendenkreuzzug, mit zeitgenössischen Maßstäben gemessen, das ihm gesteckte Ziel erreichte, kann nicht aus der Welt schaffen, daß unser heutiges Urteil demjenigen Helmolds (s. oben bei Anm. 3) weitgehend folgen muß. Die Ursache darf jedoch nicht allein im Zwiespalt zwischen Programm und Verwirklichung gesucht werden; sie liegt ebenso in jener merkwürdigen Gedankenlosigkeit, mit der – im Vertrauen auf Gottes Führung und Fügung? – solche Unternehmungen geplant werden konnten, ohne daß man sich über die Gegebenheiten nach dem Sieg und über ihre Meisterung im voraus Rechenschaft gab (vgl. aufschlußreiche Parallelen aus der Anfangssituation der orientalischen Kreuzfahrerstaaten nach 1099 bei J. Prawer, Colonization Activities in the Latin Kingdom of Jerusalem, Revue Belge de Philologie et d’Histoire 29, 1951, S. 1063 ff.; ders., The Settlement of the Latins in Jerusalem, Speculum 27, 1952, 490 ff.). Daneben sind die positiven Gegenströmungen gegen Bernhards Programm stärker als bisher zu betonen. Die Stellungnahme der Pöhlder Annalen (oben S. 682 f.) ist nicht nur gegen die Kreuzfahrer, sondern zugleich gegen den Kreuzzug als solchen gerichtet, darin derjenigen Helmolds vergleichbar (vgl. oben S. 670–675, dazu Verf., Beiträge zur brandenburg. Gesch. S. 228 f.); dasselbe ist für die prämonstratensische Grundhaltung Anselms von Havelberg anzunehmen (ebenda, S. 229–231), so daß der von ihm mindestens begünstigte Mißbrauch des Kreuzheeres für andere Zwecke leichter verständlich wird. Über die innere Verständnislosigkeit der ritterlichen Laienkrieger für Bernhards Parolen, s. Beitrag XXV. – Die oben S. 680 f. zitierte Stelle des Excerpt. Chron. princ. Saxon, ist in dort herangezogener Fassung möglicherweise erst erheblich nach dem 13. Jh. aus unkontrollierbarer Quelle interpoliert und bleibt besser aus dem Spiel (vgl. Verf., Beiträge zur brandenburg. Gesch., Beilage VIII, Anm. 17). – Vom Grade der Christianisierung Vorpommerns im Jahre 1147 (oben bei Anm. 88) darf man sich keine übertriebenen Vorstellungen machen, vgl. H. Heyden, Kirchengeschichte Pommerns 2I (Köln-Braunsfeld 1957), S. 13–17 u. 157, ergänzend F. Wigger, Berno, der erste Bischof von Schwerin (Jahrb. d. Vereins f. meklenburg. Gesch. 28, 1863), S. 166, 240 ff., sowie K. Schmaltz, Die Begründung d. kirchl. Organisation Mecklenburgs (ebenda 72, 1907), S. 161, 169, 179 f. u. 257. Wenn die oben Anm. 88 erwähnte Gesandschaft Albrechts auch gerade auf vorpommerschem Boden mit Otto von Bamberg zusammentrat, so ist doch die Möglichkeit nicht abzuweisen, daß ihr Eindruck von den sehr wenig ausgebreiteten Erfolgen des Missionars die Handlungsweise des Markgrafen 1147 mitbestimmt hat und er insofern doch mehr in gutem Glauben vorging, als oben herausgestellt wurde.] [Nachtrag 2009: Ergänzende Beobachtungen zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs, besonders in siedlungsgeschichtlicher Hinsicht, im folgenden Beitrag XXII, bes. Abschnitt 6.]
BEITRAG XXII
VOM WENDENKREUZZUG NACH SIEBENBÜRGEN? Versuch einer Stellungnahme zu überraschenden Hypothesen∗ Schwer lösbare Probleme verleiten leicht zu kühnen Hypothesen, die farbiger sind und darum befriedigender klingen als das diszipliniertresignierende „non liquet“. Gerät über häufiger Wiederholung der Hypothesencharakter in Vergessenheit, so ist eine neue Geschichtslegende geboren, kaum mehr ausrottbar, hat sie sich erst einmal eingewurzelt. Befindet die Forschung über die Ursprünge der Sachsen Siebenbürgens sich auf dem Weg zu einer solchen Entwicklung? Wer einige neuere Arbeiten, die dieser Fragestellung gewidmet sind, von den Voraussetzungen mitteldeutscher Landesgeschichte her aufschlägt, wird diese Frage nicht leicht unterdrücken.
∗ Erweiterte Fassung eines Korreferates, das zur Arbeitssitzung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde über „Neue Forschungen zur Herkunft und Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen“ im April 1969 in Aachen geplant war, aber damals nicht verwirklicht werden konnte. Dem Arbeitskreis sei verbindlich gedankt für die Einladung und für die Übermittlung von Arbeitsunterlagen, Herrn cand. phil. Th. Martin, Gießen, für freundliche Hilfe bei den Korrekturen. – Nachstehend werden folgende Abkürzungen verwandt: B. = H. Beumann (Hg.), Heidenmission u. Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters (Sammelband; Darmstadt 1963). – DD = Reihe Diplomata der MG. – JMO Jahrbuch für die Geschichte Mittel- u. Ostdeutschlands. – KB = H.-D. Kahl, Bausteine zur Grundlegung einer missionsgeschichtl. Phänomenologie des Hochmittelalters: Miscellanea Historiae Ecclesiasticae. Congrès de Stockholm août 1960 (Louvain 1961) 50–90 (s. oben Beitrag IX). – KC = Ders., Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterl. Missions- u. Völkerrechts: ZfO 4 (1955) 161–193 u. 260–401 (= B. 177–272 mit Nachtrag 272–274, s. oben Beitrag XV). – KS = Ders., Slawen u. Deutsche in der brandenburg. Gesch. d. 12. Jhs. (2 Halbbände; Köln/Graz 1964; vgl. unten Anm. 76). – KW = Ders., Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147: Wichmann-Jahrb. 11/12 (1957/58) 99–120 (= B. 275–315 mit Nachtrag 315 f., s. oben Beitrag XXI). – M. = Walter Schlesinger, Mitteldeutsche Beiträge zur deutschen Verfassungsgesch. d. Mittelalters (Göttingen 1961). – MG = Monumenta Germaniae Historica. – SArch = Siebenbürgisches Archiv. Archiv des Vereins für siebenbürgische Landeskunde, 3. Folge. – SOA = Südostdeutsches Archiv. – SS = Reihe Scriptores der MG. – ZfO = Zeitschr. f. Ostforschung.
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beitrag xxii 1. Fakten
Die Ausgangsbasis für das genannte Forschungsproblem ist zweifellos wenig beneidenswert1. 1. Der Sachsenname ist für deutschstämmige Siedler Siebenbürgens seit 1206 bezeugt. Sie teilen ihn mit den deutschsprachigen Bewohnern der Zips, während sonstige deutsche Gruppen im späteren Ungarn „Schwaben“ hießen. 2. Vor 1206 erscheint auf siebenbürgischem Boden in den 1190er Jahren zweimal urkundlich die Bezeichnung Flandrenses, die sich dann für diese südöstlichen Gegenden verliert. 3. Die Mundartforschung sah lange Zeit das Moselfränkische Luxemburgs als die nächste Schwester des Siebenbürgisch-Sächsischen an und suchte die Stammheimat dieser „Sachsen“ in dortiger Gegend. Nachträglich wurde für die siebenbürgen-sächsische Sprachlandschaft auf niederfränkisch-flämische und ebenso auf niederdeutsche Elemente hingewiesen, freilich nicht ohne heftigen Widerspruch. Andere Beobachtungen führten auf Einwirkungen des Ostmitteldeutschen etwa der Leipziger Bucht. 4. Auch rechtsgeschichtliche und volkskundliche Beziehungen zwischen Siebenbürgen und dem Mittelelbegebiet scheinen sich abzuzeichnen, ohne das Bild ausschließlich zu beherrschen. Eine chronikalische oder urkundliche Bezeugung dieses Zusammenhangs fehlt jedoch völlig, sowohl in siebenbürgischer wie in mitteldeutscher Überlieferung. 5. Einen chronologischen Anhalt bieten die Quellen für all diese „nichtsächsischen“ Elemente einzig in Verbindung mit dem ältesten, den Flandrenses. Nach einer Angabe, die quellenmäßig auf König Béla III. von Ungarn (1172–1196) zurückgeführt wird, aber nicht in seiner Formulierung vorliegt, war es dessen Vater Géza (Geysa) II., der dieses Element zuerst in Siebenbürgen angesetzt hat, und zwar in einem desertum, einer Grenzwüstung damaliger Zeit um das spätere Hermannstadt. Géza begann sein Königtum im Jahre 1141 als Elfjähriger unter Vormundschaft seines Oheims, des Banus Beloš, wurde 1146 mündig und starb unerwartet im Frühjahr 1162, nur 32 Jahre alt. Die Ansetzung jener Flandrenses im „geysanischen desertum“ ist innerhalb der damit 1
Das flg. nach dem Forschungsbericht bei Karl Reinerth, Siebenbürgische und Magdeburger Flandrenses-Urkunden aus dem 12. Jh.: SOA 8 (1965), bes. 26–25 u. 48, mit Belegen u. Lit.; in Einzeldaten ergänzt nach B. Hóman, Gesch. d. Ungar. Mittelalters 1 (Berlin 1940).
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gegebenen Zeitgrenzen näher nicht festzulegen; als Verlegenheitsdatum wird „um 1150“ genannt. So der Grundbefund. Wie sollen wir ihn deuten? 2. Thesen Ein besonders eigenwilliger Lösungsversuch tritt in zwei Varianten auf, deren Abweichungen hier im allgemeinen aus dem Spiel bleiben dürfen. Es wird richtig sein, ihn zunächst eingehend vorzuführen, und zwar soweit wie möglich mit eigenen Worten seiner Repräsentanten, Karl Kurt Klein und Karl Reinerth. 1. „Die Erzbischöfe von Magdeburg haben im 12. Jh. ihre Kolonisten jenseits der Elbe als Flandrenses, Flamingi, Hollandini bezeichnet. – Die Verwendung der Bezeichnung Flandrenses für die Siedler im geysanischen Desertum“ um 1192/99 „ist als ein Hinweis auf die Herkunft dieser Siedler von der Elbe zu verstehen . . . Geysas II. Verhältnis zum deutschen König Konrad III. war zeitweise gespannt . . . , sein Verhältnis zum sächsischen Herzog Heinrich dagegen betont freundlich. Die Siedler können darum nicht vom Rhein, sondern nur von der Elbe nach Siebenbürgen gerufen worden sein“2. 2. „Der Kolonistenzug der Flandrenses ist ursprünglich von Flandern ausgegangen. Rheinfranken (Maastricht, Lüttich, Aachen, Köln) schlössen sich an und bildeten schließlich die Mehrheit des Zuges; trotzdem blieb die Führung bei den Flandrern. Anlaß für den Kolonistenzug könnte der Aufruf eines flandrischen Geistlichen gewesen sein, den er im Namen des Magdeburger Erzbischofs Adelgot u.a. Bischöfe und Grafen des östlichen Sachsen im Jahre 1108 an geistliche und weltliche Fürsten und Herren in Sachsen, Franken, Lothringen und Flandern gerichtet hat. Er fordert darin zum Kreuzzug gegen die heidnischen Wenden auf und zur Landnahme des eroberten Gebietes. Da es vor 1147 nicht zu dem vorgesehenen Kreuzzug gekommen ist, waren die Flandrenses genötigt, sich im östlichen Sachsen zunächst einmal niederzulassen“3.
2 Karl Reinerth, Thesen zur Herkunft und Ansiedlung der Flandrenses in Siebenbürgen im 12. Jh.: SArch 8 (1971), S. 42. Arbeitspapier zur Arbeitssitzung (das immer nach seiner hektographierten Erstfassung zitiert wird, wie sie für die Aachener Tagung vorlag). Ausführlicher im vorstehend Anm. 1 genannten Aufsatz. – Vgl. dazu unten S. 709–712 3 Ders., wie Anm. 2; dazu S. 42–43 sowie unten 712–717.
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3. „Es besteht die Möglichkeit“, daß „der Ruf des ungarischen Königs“ an diese Kolonistengruppe ebendort in der Situation der Vorbereitungen zum Wendenkreuzzug von 1147 erging, da Géza II. vor diesem Jahr kaum Gelegenheit zu entsprechenden Schritten hatte. „Für das Jahr 1147 spricht außerdem, daß sie (diese Siedler) dann auch von der Kreuzzugspredigt Bernhards von Clairvaux erfaßt worden wären und ihren Zug nach Siebenbürgen im Gehorsam gegen ein Gebot Gottes unternommen hätten. Denn wenn der Papst es guthieß, daß die Sachsen, statt nach Palästina zu ziehen, einen Zug gegen die heidnischen Wenden jenseits der Elbe unternahmen, warum sollte es ihm, d.h. aber für die damaligen Gläubigen: Gott weniger wohlgefällig erscheinen, wenn diese Kolonisten die gleiche Aufgabe am Fuße der Karpathen in Siebenbürgen erfüllten“4? 4. „Dem Rufe Geysas II. zur Landnahme in Siebenbürgen und wohl auch zum Kampf gegen die eindringenden Heiden sind die Führer des flandrischen Kolonistenzuges erst gefolgt, als nach der vergeblichen Belagerung von Demmin (1147) und dem Abbruch des Wendenkreuzzuges die Aussicht auf Siedlungsland jenseits der Elbe geschwunden war“5. 5. Auch andere „ehemalige Teilnehmer am Wendenkreuzzug . . . , die nach . . . der regellosen Auflösung des Heeres ihre Hoffnung auf Landgewinn im Slawenland enttäuscht sahen, suchten dafür Ersatz in Ungarn“6. Zu ihnen gehörte wohl auch „der Grundbesitzer Hezelo von Merkstein bei Aachen, der – wie vermutet werden darf, im Zusammenhang mit dem Wendenkreuzzug – Haus und Hof im Jahre 1148 verkaufte und nach Ungarn zog“7. „Wir brauchen also nicht“, wie ältere Forschung, „damit zu rechnen, daß ,König Geisa einen Teil des im Jahre 1147 Ungarn an seiner Westgrenze durchziehenden riesigen Kreuzzugheeres zum Kampf gegen die heidnischen Kumanen nach Siebenbürgen berief ‘: kleine . . . Gruppen ehemaliger Teilnehmer an der Wendenfahrt als Bahnbrecher einer sich zweihundert Jahre lang hinziehenden Nachwanderung genügen völlig, das langsame Wachsen
4
Ders., Flandrenses-Urkunden 49 f.; dazu unten S. 730 f. Ders., Thesen, S. 5; dazu unten S. 725 u. 726–731. 6 Karl Kurt Klein, SArch 8 (1971), S. 39 Siedlungsgeschichte und Sprachgeographie, = Arbeitspapier, nach der hektographierten (Aachener) Erstfassung zitiert. Dazu unten S. 728, bes. Anm. 87. 7 Ders., Wendenkreuzzug und Südostsiedlung. Ein letztes Gespräch mit Harold Steinacker: SOA 10 (1967) 24; vgl. Ders., Luxemburg und Siebenbürgen: SArch 5 (Köln/Graz 1966), bes. 36 f.; im gleichen Sinne: Thesen, S. 39 vgl. dazu unten S. 721–725 u. 734 f. 5
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und Erstarken der ,sächsischen Nationsuniversität‘ . . . in Siebenbürgen zu erklären“8. 6. „Bei der Ansiedlung (im geysanischen Desertum) spielten neben den Lokatoren, die möglicherweise Teilnehmer am Wendenkreuzzug gewesen waren, Priester eine wesentliche Rolle. Sie brachten ihre Meßund Chorbücher aus der Urheimat mit. Bruchstücke der mitgebrachten Handschriften lassen sich aus erhaltenen mittelalterlichen Meßbüchern (und Brevieren?) rekonstruieren. Sie weisen auf die Gegend um Köln, Lothringen und Flandern bis Nordostfrankreich hin. Im Heltauer Missale ist außerdem eine Ergänzung durch den Magdeburger Ritus feststellbar, was ,auch aus dieser methodisch neuen Sicht‘ auf einen Zwischenaufenthalt der Siedler im östlichen Sachsen schließen läßt“9. Allerdings ist der damit erhobene Befund nicht typisch für „die“ Meßbücher Siebenbürgens schlechthin, unter denen dieses Missale ein Einzelgänger bleibt10. 7. Der Name „Flandrer“ hat sich binnen weniger Generationen im siebenbürgischen Neusiedelland verloren. Er galt vielleicht schon beim Aufbruch aus der mitteldeutschen „Zwischenheimat“11 mehr im Sinne des „pars pro toto“, wenn auch, da die Benennung sich immerhin durch so viele Jahrzehnte zu halten vermochte, wohl so, daß die Flamländer, der Zahl nach womöglich sogar nurmehr „Minderheit“, doch als eine Art „Sauerteig“ (Karl Lamprecht) „die Führung übernommen hatten“12. „Die flandrische Sprache“ und überhaupt „flandrisches Gepräge“ braucht nach der auf mitteldeutschem Boden erfolgten „Mischung“ nicht mehr „ohne weiteres . . . zu erkennen“ gewesen sein13. Wegen der hervorragenden Rolle des flämischen Elements in der um 1147 aus dem Mittelelbegebiet abgewanderten Gruppe vermochte der flämische Name 8 K. K. Klein, Wendenkreuzzug 26 f.; das eingeblendete Zitat aus: Gust. Bedeus, Das Herkunftsgebiet der Siebenbürger Sachsen. Sonderabdruck aus dem Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt (Hermannstadt) Nr. 18 765 vom 5. 11. 1935, S. 3; es wird stellvertretend für eine verbreitete Forschungsrichtung herausgestellt. Vgl. dazu unten S. 729 f. u. 732 ff. 9 Reinerth, Thesen, S. 43; vgl. Ders., Das Heltauer Missale. Eine Brücke zum Lande der Herkunft der Siebenbürger Sachsen, SArch. 3, (Köln/Graz 1963); dazu K. K. Klein u. A. Jungmann, SOA 7 (1964) 235–243, sowie K. Gamber, Zschr. f. Kirchengesch. 75 (1964) 12, ferner unten S. 731 f. und weiter. 10 Reinerth, Missale 139; vgl. Klein (wie vor. Anm.), S. 239. 11 Reinerth, Flandrenses-Urk. 31 u.ö. in Anlehnung an eine Formulierung von Ernst Schwarz. 12 Reinerth, ebd. 31 unter Anspielung auf K. Lamprecht, Deutsche Gesch. III (1893) 328 f. (vgl.3, 1906, S. 341 f.). Dazu Reinerth, ebd. S. 37. 13 Reinerth, ebd. S. 37; dazu unten S. 712 f. u. 732 f.
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sich in ihr zunächst zu behaupten; er ist jedoch in Siebenbürgen „von niemandem sonst übernommen und gebraucht worden. Die länger mit ihnen (diesen Mitteldeutschen flämischer Herkunft) zusammen lebten, griffen die andere Überlieferung auf, die unter ihnen wohl lebendiger war: daß sie aus dem Magdeburgischen, also aus Sachsen gekommen waren, und nannten sie demgemäß ,Sachsen‘, sofern sie nicht, besonders in amtlichen Schriftstücken, die umfassendere Bezeichnung ,Theutonici‘, also ,Deutsche‘ wählten. Bereits 1247 wurden die beiden Bezeichnungen ,Sachsen‘ und ,Deutsche‘ (in Siebenbürgen) als gleichbedeutend angesehen“14. So etwa lauten die Grundzüge des neuen Geschichtsbildes, das seine Urheber mit erheblichem Engagement und mit fast suggestiver Überzeugungskraft, gestützt auf eine wahrhaft imponierende Belesenheit, auszubreiten suchen, mögen Einzelheiten auch zwischen ihnen selbst kontrovers geblieben sein. Ausdrücklich wird der Anspruch angemeldet, es handele sich um ein „auf Grund geschichtlicher Zeugnisse gezeichnetes Bild“15, das zugleich auch „im Licht der neueren Forschungsergebnisse von Schultze, Beumann, Kahl16, Schlesinger und anderen“ über „die Ereignisse im Herbst 1147“ beim Wendenkreuzzug entworfen sei17. 3. Was kann bleiben? Was bleibt von dieser Konzeption, wenn man sie an den „geschichtlichen Zeugnissen“, also dem historischen Quellenmaterial, mißt, sie wirklich „im Lichte der Ergebnisse“ der genannten Fachvertreter, überhaupt der geschichtlichen Landeskunde Mitteldeutschlands betrachtet? Der Befragte sieht sich in einer unangenehmen Situation. Er spürt wohl das bedrängende und bohrende Fragen, das existenzielle Anliegen, das durch die zweifellos mühsam erarbeitete Konzeption hindurchschimmert; er ist stark beeindruckt von der Belesenheit beider Autoren auch auf seinem ureigensten, ihnen von Haus aus fernen Sachgebiet, der er selbst umgekehrt in Fragen siebenbürgischer Landesgeschichte
14
Ebd. 37 f.; dazu unten bei Anm. 27a sowie S. 735 f. Ebd., 37. 16 So nach den beigegebenen Anmerkungen verbessert aus Kahle. Verf. 17 Klein, Wendenkreuzzug 28. Ausführliches Zitat der gemeinten Arbeiten unten Anm. 50. Vgl. dazu unten S. 717–730. 15
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und Volkskunde nichts auch nur annähernd Vergleichbares gegenüberzustellen hat. Lieber hätte er die Auseinandersetzung in der Stille geführt, im persönlichen Austausch. Die vorgeführten Thesen sind jedoch unmittelbar vor der Öffentlichkeit ausgebreitet worden. Daraufhin bleibt nichts anderes übrig, als auch die Auseinandersetzung vor dieser Öffentlichkeit zu führen. Sie erfolgt, wie sich versteht, auf dem Boden einer persönlichen Forschungsposition. Nicht alle Ergebnisse, die von ihr aus gewonnen wurden, sind bereits gesicherter Gemeinbesitz der betroffenen Fachdisziplinen. Geboten werden kann daher nicht mehr als ein Gesprächsbeitrag, dem notwendig manches Vorläufige anhaftet. Das Bemühen um die erforderliche Fundierung wird hoffentlich zu spüren sein. 1. Die Erzbischöfe von Magdeburg haben im 12. Jahrhundert keineswegs „ihre Kolonisten jenseits der Elbe als Flandrenses, Flamingi, Hollandini bezeichnet“18. Sie haben diese Bezeichnungen nur auf diejenigen unter diesen Kolonisten angewandt, auf welche sie zutrafen, übrigens, soweit erkennbar, ohne Rücksicht auf die Elbgrenze19. Ein Gegenstück bildet etwa jener Wernherus quidam, quem Paderburnensem vocant, der 1164 mit Erzbischof Wichmann (1152–1192) einen Kolonisationsvertrag für die bisherige Dorfwüstung Puppendorf (rechtselbisch östlich Magdeburg bei Biederitz) abschloß20, bilden ferner jene habitatores, die der gleiche Kirchenfürst 1174 unter den incolae seiner provincia Jüterbog hervorhebt, offenbar identisch mit den im gleichen Text genannten omnes . . . , qui hanc provinciam ingressi sunt, bzw. qui . . . ad habitandum in ea ad nos (Wichmann) confugiunt, eingeschlossen
18
Oben S. 705. Die entscheidenden Texte chronologisch gesammelt im Urkundenbuch des Erzstifts Magdeburg I, bearb. von F. Israel u. W. Möllenberg (Magdeburg 1937). Die Kolonisationstätigkeit des Erzbischofs Wichmann (1152–1192), dessen Pontifikatszeit dabei vor allem in Betracht kommt, behandelte zusammenfassend vor allem Willy Hoppe, Erzbischof Wichmann von Magdeburg: Geschichtsblätter für Land u. Stadt Magdeburg 43 (1908) 151 ff., wieder abgedruckt bei dems., Die Mark Brandenburg, Wettin u. Magdeburg. Ausgewählte Aufsätze, hrsg. von H. Ludat (Köln/Graz 1965) 15 ff. Einschlägige Urkunden für linkselbisches Gebiet von Magdeburger Erzbischöfen liegen nicht vor; ersatzweise darf an ein Privileg des nachmaligen Erzbischofs Wichmann aus seiner Amtszeit als Bischof von Naumburg erinnert werden, und zwar aus dem Jahr, in dem die Erhebung auf den Magdeburger Erzstuhl erfolgte, für die Neusiedler des nachmals Flemmingen (1209: Flaminghe) genannten Dorfes bei Schulpforta (cuidam populo de terra, que Hollanth nominatur), mitbehandelt bei Hoppe, a.O. Allgemein über die Niederländersiedlung im mitteldeutschen Osten mit weiteren Beispielen auch für linkselbische Flandrenses u. dgl. die unten Anm. 33 genannte Lit. 20 Urkundenbuch d. Erzstifts Magdeburg I, S. 392, Nr. 10. 19
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offensichtlich unter anderem ein flämisches Element, das aus Erwähnung eines pons Flamingorum erschließbar ist, wobei aber schon diese Namengebung zeigt, daß dieses Element in der fraglichen Gegend einen charakteristischen Sonderfall, nicht die Regel dargestellt haben muß21. Entsprechende ethnische Bezeichnungen erscheinen jedoch auch in gänzlich anderen Gegenden, wo ein niederländisches oder flämisches Siedlerelement auftritt, nicht zuletzt an Stellen, wo jeder Gedanke an mittelelbische Zusammenhänge ausscheidet, z.B. 1189 aliquot Flamingi in Portugal22. Demgemäß scheint es nicht unbedingt zulässig, Flandrenses u. dgl. zwingend als „Hinweis auf die Herkunft“ der so Benannten „von der Elbe“ zu nehmen23. 2. Freundliche Beziehungen Gézas II. zu den Welfen sind schon früh in seiner Regierungszeit anzunehmen, sicher vor 1147, bedingt schon durch gemeinsame Gegnerschaft gegen die Babenberger in Österreich und Bayern. Aber galten sie nicht zunächst mehr dem Senior dieses deutschen Dynastenhauses, Herzog Welf VI., der von seinen Stammgebieten am Bodensee aus diese Gegner im Rücken beunruhigen konnte24? Heinrich der Löwe, bis 1156 nur Sachsenherzog, saß demgegenüber wohl weniger unmittelbar im Gesichtskreis des Ungarnkönigs. Sollten gleichwohl auch zu ihm schon so früh enge Verbindungen bestanden haben25, so wirkten sie nicht auf das hier entscheidende Gebiet an der mittleren Elbe zurück, denn Heinrich war „nicht Herzog von, sondern Herzog in Sachsen“, wie ein jüngerer Sprachgebrauch genauer differenziert hätte. Wesentliche Teile des altsächsischen Stammesbereiches unterstanden nicht seinem Herzogtum, sie befanden sich im Besitz anderer Dynasten, die nicht weniger reichsunmittelbar waren als er, solcher geistlichen wie weltlichen Standes. Für das damalige Ostsachsen gilt dies ganz besonders. Wollte Géza um 1147 dort Siedler unter Mithilfe von im Lande maßgeblichen Fürsten gewinnen,
21 Ebd. S. 453 Nr. 343. Zu habitator = „Neusiedler“: W. Schlesinger, Forum, villa fori, ius fori: Festschr. Franz Steinbach (Bonn 1960) 408 = M. 275; die Belege ließen sich mehren. 22 Friedr. Kurth, Der Anteil niederdeutscher Kreuzfahrer an den Kämpfen der Portugiesen gegen die Mauren (Mitteil. d. Inst. f. Öst. Gesch. Forsch., Erg.Bd. VIII, 1911) 247; vgl. unten Anm. 93. 23 Vgl. oben S. 705. 24 Vgl. M. Philippson, Heinrich der Löwe (Leipzig 1918) 60. 25 Die Nachweise von Reinerth, Flandrenses-Urk. 50 Anm. 105, sind leider nicht verifizierbar.
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so mußte er sich an Konrad I. von Wettin, Markgrafen von Meißen und Lausitz (1123/24 bzw. 1136–1156), an Friedrich, Erzbischof von Magdeburg (1142–1152) oder auch an Albrecht den Bären, Markgrafen der ostsächsischen Nordmark (1134–1170) wenden. Wie weit Berufung auf Heinrich den Löwen dabei eine Empfehlung gewesen wäre, ist meist mehr als fraglich, vor allem im letzten Falle26. Géza hätte jedoch auch unabhängig davon von keinem dieser Herren damals freiwillig Siedler erhalten, denn ihrer aller Land war noch überaus menschenhungrig; gerade in den Jahrzehnten nach 1147 wurde dort, selbst noch verhältnismäßig weit westlich der Elbe, neu kolonisiert, auch mit Hilfe holländischer und flämischer Neuankömmlinge27. In Umkehrung eines der aufgestellten Sätze möchte man daher sagen: von der Mittelelbe können um 1147 unmöglich Kolonisten nach Siebenbürgen gerufen worden sein, auch wenn man vom Wendenkreuzzug dabei zunächst einmal absieht. Erst für einen erheblich späteren Zeitpunkt, als das fragliche Gebiet seinerseits nach damaligen Maßstäben mit Siedlungen aufgefüllt war und einen Bevölkerungsüberschuß zu erzeugen begann, der dann von hier nach Schlesien und weiter bis ins südliche Ostpreußen hin abfloß, wo bekanntlich bis 1945 Entwicklungsformen ost-mitteldeutscher Mundart lebendig waren, – erst für diese Zeit wäre glaubhaft, daß aus dem gleichen Gebiet eine Abwanderung auch nach Siebenbürgen erfolgte. Damit gelangen wir jedoch – eine präzise Datierung ist schwer – sicherlich tief ins 13. Jahrhundert hinein, in die gleiche Periode, an die wohl auch frühestens gedacht werden darf,
26 Karl Jordan, Herzogtum und Stamm in Sachsen während des hohen Mittelalters: Niedersächs. Jahrbuch f. Landesgesch. 30 (1958) bes. 17 ff., vgl. 9. 27 Eine befriedigende Gesamtdarstellung fehlt noch immer, ein Umstand, der offensichtlich auch auf die hier besprochenen Ergebnisse siebenbürgischer Landesforschung zurückgewirkt hat. Zahlreiche Literaturhinweise bei W. Schlesinger, Die deutschen Territorien, B: Der Osten, in: Br. Gebhardt, Handbuch d. deutschen Gesch. II8 (hg. v. Herb. Grundmann; Stuttgart 1955, seitdem wiederholt nachgedruckt) § 158, S. 569–580; detaillierter für den Bereich der einstigen Diözesen Merseburg, Naumburg und Meißen bei dems., Kirchengesch. Sachsens im Mittelalter I (Köln/Graz 1962) 14 ff., wozu Lit. S. 602 ff. Als Einzelbeispiel möge hier dienen das Gebiet zwischen Zeitz, Merseburg und Leipzig, in wichtigen Zügen beleuchtet von H. Quirin, Herrschaftsbildung u. Kolonisation im mitteldeutschen Osten: Nachr. d. Akademie d. Wiss. Göttingen, phil.-hist. Kl. 1949/4, S. 69–108; ergänzend Ders., Bemerkungen zu einem Zinsverzeichnis der Stiftskirche St. Petri in Zeitz (1196): Festschr. Friedr. v. Zahn I (Köln/Graz 1968) 368–428. Für den Landesausbau in der später sog. Altmark nach 1150 ist die Marktgründung in Stendal um 1160 das charakteristischste Beispiel.
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wenn der Sachsenname für Siebenbürgen von Gebieten ostwärts der Elb-Saale-Linie abgeleitet werden soll27a. 3. Das Bild eines Siedlerzuges, der um 1108 aus Flandern aufbricht, um im östlichen Sachsen wie gebannt auf einen versprochenen Kreuzzug zu warten, der endlich ostwärts der Elbe verheißenen Siedlungsraum eröffnen soll, ist auch an diesen Befunden zu messen – ganz abgesehen davon, daß die Zwanzigjährigen von 1108 zur Zeit des Wendenkreuzzuges bereits im 60. Lebensjahr standen. Eine andere Frage ist, ob die dazwischenliegende Spanne, für ein einzelnes Menschenleben beträchtlich, ausgereicht hätte, um so umfassende „Mischung“, wie die angeführten Thesen sie voraussetzen, bereits entsprechend weit um sich greifen zu lassen. Die bäuerliche Siedlung war auch im mitteldeutschen Osten allem Anschein nach von Anfang an genossenschaftlich organisiert, jedenfalls dort, wo es zur Neugründung von Dörfern kam28. Gerade für die Niederländersiedlungen entsteht der Eindruck, daß sie sich in der neuen Umgebung zunächst ziemlich fest nach außen hin abschlossen: wie konsequent drangen sie darauf, von Anfang an einerseits ihren eigenen Richter29, andererseits eine eigene Pfarrkirche zu erhalten, also auch eine nach außen hin abgeschlossene Pfarrgemeinde zu bilden30 (so bereits beim ersten bekannten Ansiedlungsvertrag weit westlich des mitteldeutschen Gebietes, für die Wesermarschen 1106)! Diese Abgeschlossenheit ließ sich selbstverständlich nicht auf die Dauer aufrechterhalten – schon die vielen kleinen Kirchgemeinden, die auf diese Weise entstanden, vermochten sich nicht alle in ursprünglicher Selbständigkeit zu halten; viele von ihnen wurden später, d.h. seit zweiter Hälfte 13. Jhs., zusammengelegt, schon aus wirtschaftlichen Gründen. Auf rein menschlicher Ebene mag es eher zur Auflockerung
27a Über das Schwanken der Ausdehnung des Begriffs Saxonia im 12. u. 13. Jh.: KS II 847 f. Anm. 100. Für die Übernahme der ethnischen Bezeichnung Saxones durch Neusiedler nichtsächsischen Stammes als Selbstbenennung dürfte eine noch längere Übergangszeit anzusetzen sein. Vgl. dazu R. Kötzschke, Sächsische Geschichte I (Dresden 1935) 97 über die offenbare Seltenheit der „Niederlassung von Sachsen aus dem altsächsischen Stammesgebiet“ in der „Mark Meißen und den Nachbarlanden“. 28 W. Schlesinger, Bäuerliche Gemeindebildung in den mittelelbischen Landen im Zeitalter der deutschen Ostbewegung: M. 212–274 = Vorträge u. Forschungen, hg. v. Th. Mayer, VIII (Konstanz 1964) 25–87. 29 Vgl. nur die Hinweise bei Reinerth, Flandrenses-Urk. 51 ff. 30 Heinr. Felix Schmid, Das Recht der Gründung u. Ausstattung von Kirchen im kolonialen Teile der Magdeburger Kirchenprovinz während des Mittelalters (Weimar 1924; Sonderabdruck aus Zeitschr. f. Rechtsgesch., Kanonist. Abt.) 156 ff. u. 209 ff.; Schlesinger, Kirchengesch. II, 21, 33, 355–358, passim, ferner 399, dazu 635 f.
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gekommen sein, doch möchte man vermuten, daß, um die ursprüngliche Abgeschlossenheit dermaßen stark nicht nur zu durchbrechen, sondern aufzuheben, wie die Thesen es voraussetzen, jedenfalls eine erheblich längere Frist als vier Jahrzehnte erforderlich gewesen wäre. 4. Der Magdeburger Kreuzzugsaufruf von 110831 ist in der Tat ein äußerst bemerkenswertes Zeugnis, in vielerlei Hinsicht: für ein frühes Anknüpfen an den Kreuzzugsgedanken im mitteldeutschen Osten (wenn auch ganz und gar unkreuzzugsmäßig im Fehlen des Ablaßgedankens)32, für erste Ansätze einer über die Elbe nach Osten hinaus zielenden Siedlungskonzeption, nicht zuletzt für frühe Verbindungen von eben diesem mitteldeutschen Osten nach Flandern hin. Mit Recht wird er daher immer wieder an den Anfang jeder zusammenfassenden Betrachtung der Niederländersiedlung in diesen Gebieten gestellt33. Dabei ist allerdings eins nicht zu übersehen: die Einladung an Saxones, Franci, Lotaringi, Flandrigene – sie alle, keineswegs allein die Flamen sind angesprochen –, . . . si ita placet, optimam terram ad inhabitandum acquirere, beherrscht keineswegs den Grundtenor des Ganzen: sie ist lediglich angehängt als zusätzlicher propagandistischer Schlußeffekt an einen Aufruf, der gänzlich anderen Zwecken dient34. 31 So jetzt die einhellige Datierung mit einzig unten S. 716 ff. genannter Ausnahme. Das vielbehandelte Dokument ist auf Grund erneuter Überprüfung an der Originalhandschrift zuletzt gedruckt bei K. Reinerth, Flandrenses-Urk. 54–56; vorher zuletzt Urkundenbuch d. Erzst. Magdeburg I, 249–252, Nr. 193; beide Male mit Nachweis älterer Druckorte. Teilfaksimile bei Johannes Schultze (u.a.), Aus der Frühzeit der Mark: Brandenburg. Jahrbücher 1936/4, S. 31. Die Darmstädter Bibliotheksnummer des betreffenden Kodex gibt Reinerth S. 54 mit 149, S. 40 dagegen mit 749 an; ebd. 41 f. deutsche Übersetzung, S. 40 u. 42 ff. ältere Lit., unter der hervorzuheben M. Tangl, Der Aufruf der Bischöfe der Magdeburger Kirchenprovinz zur Hilfe gegen die Slaven aus dem Anfang des 12. Jh.: Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde 30 (1905) 183–191. Jüngere Literatur ist nicht berücksichtigt; hervorzuheben: Herm. Krabbo, Eine Schilderung der Elbslawen aus dem Jahre 1108; in: Papsttum u. Kaisertum. Forschungen . . ., Paul Kehr dargebracht (München 1926) 250–262; H. Beumann, Kreuzzugsgedanke u. Ostpolitik im hohen Mittelalter: Histor. Jahrb. 72 (1953) 118 ff. (= B. 129 ff.) mit weiteren Nachweisen, dazu weitere Beiträge in B. Im übrigen, auch zum flg., KS I, 20, 24 f. u. 118 f., auch 99 u. 187, samt Anmerkungen. 32 Unten bei Anm. 95. 33 Vgl. jetzt Karl Bischoff, Sprache u. Geschichte an der mittleren Elbe u. der unteren Saale (Köln/Graz 1967) 123 ff. und weiter bis 217, passim, mit weiterer Lit., in Ergänzung des grundlegenden Werks von Herm. Teuchert, Die Sprachreste der niederländischen Siedlungen des 12. Jh. (Neumünster 1944); beachte auch Schlesinger, Kirchengesch. II, Register s. v. Flandern (Bevölkerung); Holländer; Niederländer. Wichtige Beispiele auch bei Reinerth, Flandrenses-Urk. 51–54. 34 Erstmals herausgearbeitet von M. Bünding(-Naujoks), Imperium christianum und deutsche Ostkriege (Berlin 1940) 31 ff. (= B. 90 ff.); ergänzend Beumann (wie Anm. 31) 120 ff. (= B 132 ff.). Vgl. dazu bes. noch unten S. 733.
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Unmittelbares Ziel ist durchaus nicht, eine Siedelbewegung auszulösen – unmittelbares Ziel ist, eine Streitmacht zusammenzubringen, stärker als das, was Ostsachsen aus eigenen Kräften vermag, stärker auch als das, was der deutsche König von Reichs wegen zum Kampf ostwärts von Elbe und Saale aufzubieten vermöchte (denn in diesem Falle wären von den aufgezählten Gruppen mindestens Flamen und Lothringer offenbar nicht heerfolgepflichtig gewesen, ebensowenig wie Schwaben und Baiern)35, und vor allem unabhängig von der Sechswochenfrist, nach der die rechtsverbindliche Heerfolgepflicht wohl auch damals schon in allen Reichsfeldzügen mit einziger Ausnahme der Romfahrt zur Kaiserkrönung erlosch, sofern die Aufgebotenen nicht durch Sonderverträge dafür gewonnen werden konnten, freiwillig mehr zu leisten36. Eine solche Streitmacht sollte in Bewegung gesetzt werden, um eine unmittelbare, ständige Bedrohung für das ostmittelelbische Gebiet aufzuheben, dessen Bewohner sich als multimodis paganorum oppressionibus et calamitatibus diutissime oppressi empfanden (eine Bedrohung, von der es scheint, daß sie sich eben um diese Zeit, vielleicht überraschend, erneuert hatte, so daß Ostsachsen an der Möglichkeit selbständiger Bewältigung dieser Nöte verzweifelte, nachdem die machtpolitische Seite der Frage durch einen als bedeutend empfundenen Sieg Markgraf Udos III. im Winter 1100/1101 schon einmal als gelöst betrachtet worden war; nähere Einzelheiten sind unbekannt)37. Darüber hinaus sollten die Bischofssitze und sonstigen christlichen Stätten im östlichen Vorfelde Magdeburgs, die seit dem Slawenaufstand von 983 der Kirche entfremdet waren, nach der Sprache der Zeit: von ihrer Profanierung durch „heidnischen Unflat“ befreit, d.h. wieder hergestellt werden, so, wie der erst kürzlich beendete erste Orientkreuzzug der Christenheit die heiligen Stätten in remotissimo . . . oriente wiedergegeben hatte. Zweifellos war dabei in erster Linie an die Bischofssitze zweier der als Mitaussteller genannten Prälaten gedacht, der Exilbischöfe Hezilo von Havelberg und Hartbert von Brandenburg. Vor allem das zweite Ziel war nur erreichbar, wenn es gelang, eine entsprechend breite Zone dieses ostelbischen Vorfeldes fest unter christlich-deutsche Kontrolle zu 35
Vgl. KS, Register, s. v. Heerfolge. Ebd., Register s. v. Sechswochenfrist; dortige Hinweise lassen sich erheblich ausbauen. Ansätze finden sich spätestens Anfang 11. Jhs. Der Zwang, diese Fristbindung zu überwinden, ist m.E. zu schwach einbezogen in die sonst lehrreiche Studie von Günter Rauch, Die Bündnisse deutscher Herrscher mit Reichsangehörigen vom Regierungsantritt Friedrich Barbarossas bis zum Tod Rudolfs von Habsburg (Aalen 1966). 37 KS 19 ff. 36
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bringen, und sei es in Form einer Tributabhängigkeit fortbestehender einheimischer Staatsgebilde, die mit dem subiugare des Aufrufs nach mittelalterlichem Sprachgebrauch sehr wohl zu vereinbaren ist38. Dies war zugleich auch die erste Voraussetzung, ohne die niemand daran denken konnte, in diesen Gebieten jenseits des Elbstroms Siedlungspläne irgendwelcher Art zu realisieren39. Der Aufruf stellt unter anderem die Beteiligung König Heinrichs V. am vorgesehenen Heidenkriege in Aussicht. Längst ist aufgefallen, daß dieser Herrscher in bemerkenswerter zeitlicher Nähe zum angegebenen Sammeltermin an dem wichtigen ostsächsischen Pfalzort nachweisbar ist, bei dem aufmarschiert werden sollte, in Merseburg40. Er erscheint dort in Begleitung einer größeren Zahl von Fürsten, die im Aufruf genannt sind; solche aus dem Absenderkreise sind vertreten wie Erzbischof Adalgot von Magdeburg und seine Suffragane von Meißen, Merseburg und Naumburg, dazu die Grafen Otto von Ballenstedt, Wiprecht von Groitzsch und Ludwig von Thüringen, ebenso aber wichtige Repräsentanten des Empfängerkreises: Erzbischof Friedrich von Köln und Bischof Gottschalk von Minden. Daß auch weitere Vertreter aus Lothringen bis nach Flandern hin anwesend waren, ist nicht auszuschließen, da unsere Kenntnis auf Intervenienten- und Zeugenlisten aus Urkunden für das Bistum Meißen und das Kloster Hersfeld beruht, für die eine Heranziehung weiter westlich ansässiger Fürsten und Herren nicht unbedingt zu erwarten ist41. Die Elbe aber ist damals offenbar nicht überschritten worden; zu den Gründen, warum dies unterblieb, gehört unter anderem die Möglichkeit, daß die im Augenblick akuten Probleme vielleicht bereits bereinigt waren, bevor ein etwa versammeltes Heer aufbrechen konnte, und zwar bereinigt durch militärisches Eingreifen von Norden her, durch einen Bundesgenossen, der von Mutterseite her Däne war und sich eventuell hinter jenem rätselhaften „Dänenkönig“ (rex Dacorum[!]) verbirgt, den der Aufruf gleichfalls als bereitwilligen Mitstreiter ankündigt: den christlichen Obotritenfürsten
38
KC 374 f. (= oben Beitrag XV, S. 533 f.); ergänzend KS 598 Anm. 21. KC 375 (= Beitrag XV), Anm. 209. 40 Über Merseburg: W. Schlesinger, Merseburg (Versuch eines Modells künftiger Pfalzenbearbeitung), in: Deutsche Königspfalzen. Beiträge zu ihrer historischen u. archäologischen Erforschung I (Veröff. d. Max-Planck-Inst. f. Gesch. 11/1; Göttingen 1963) 158–206. 41 G. Meyer von Knonau, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich IV. und Heinrich V. (Leipzig 1890–1909), VI, 77; Schlesinger (wie Anm. 40) 178. 39
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Heinrich, Vasallen des gleichfalls in Merseburg anwesenden Sachsenherzogs Lothar42. Daß zu der im Aufruf genannten Zeit am angegebenen Ort in der Umgebung Heinrichs V. die Versammlung eines Heeres zumindest begonnen worden sein könnte, läßt sich jedenfalls nicht mit uneingeschränkter Gewißheit ausschließen – schon ob an eine Zahl gedacht werden darf, die den ostsächsischen Wünschen auch nur annähernd entsprach, bleibt völlig offen. Kam es zur militärischen Bereitstellung, was andererseits alles andere als sicher ist, und beteiligten sich an ihr wirklich auch Kontingente bis nach Flandern hin, was noch sehr viel fragwürdiger erscheint, dann mögen sich unter den Herbeiziehenden auch Männer befunden haben, die den Auftrag hatten, nach vollbrachtem Feldzug in Flandern oder anderweit über etwaige Siedlungsmöglichkeiten ostwärts der Elbe zu berichten. Dies scheint jedoch das äußerste Zugeständnis, das gegenüber den vorgenannten Thesen gemacht werden kann: für die Annahme, daß allein auf jenen Aufruf hin, ohne genaue und sorgfältige Erkundung, sich bereits ein regelrechter Treck von Siedlungswilligen in Marsch gesetzt haben könnte, um dann an der Elbe, enttäuscht über das Ausbleiben des erhofften Kreuzzugsunternehmens, eine vierzigjährige Wartestellung zu beziehen – für diese Annahme dürften jegliche Voraussetzungen fehlen42a. Wir werden bereits diesen Zug als solchen für diese Zeit aus dem Bestande historischer Möglichkeiten zu streichen haben: der Aufruf von 1108 gehört an die Spitze zusammenfassender Betrachtung von Niederländersiedlungen im mitteldeutschen Osten nicht als Zeichen wirklichen Beginns, sondern als Vorbote oder Auftakt. Den so entstandenen Schwierigkeiten entgeht eine Abwandlung der zu besprechenden Thesen, die diesen Aufruf nicht auf 1108 datieren möchte, sondern auf den Vorabend des Wendenkreuzzugs von 114743. Diese Ansicht ist so formuliert, daß der Eindruck entsteht, sie folge „Bedenken Albert Haucks“, die „gegen Tangl“ vorgebracht worden seien44. Zieht man allerdings die zitierten Autoren unmittelbar heran, so bemerkt man, daß Hauck die betreffende Auffassung 1903 vertrat, 42 KS 24 f. mit dem Versuch, undatiert überlieferte Ereignisse hier einzureihen und dadurch sonst schwer Verständliches zu erklären. 42a Vgl. dazu auch unten bei Anm. 105. 43 K. K. Klein, Wendenkreuzzug 10 m. Anm. 5; vorsichtiger Ders., Luxemburg 35 f. m. Anm. 26. 44 So Luxemburg 35; Wendenkreuzzug 10 Anm. 5: „Hauck . . . verwarf die Datierung Tangls . . .“
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als Tangls Arbeit noch gar nicht vorlag45. Sie folgte erst 190546, ihrerseits gegen Hauck gerichtet47. Die Beweisführung war so schlagend, daß Hauck nicht umhin konnte, sie sich zu eigen zu machen und in allen folgenden Auflagen seines Werks an die Stelle der ersten zu setzen, mit geringen Nuancenverschiebungen, die die Substanz nicht berühren48. Tangls Grundthesen werden seitdem auch von der ganzen übrigen Forschung geteilt49. Ob es sich unter diesen Umständen wirklich empfiehlt, an der Spätdatierung des Aufrufs festzuhalten, ohne neue Argumente vorzulegen? 5. Was nun den Wendenkreuzzug selbst angeht, so ist er neuerdings verhältnismäßig oft behandelt worden50. Obwohl immer noch
45 Alb. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands 1+2 IV (Leipzig 1903) 599 Anm. 4 zum Textzusammenhang des Wendenkreuzzugs von 1147. 46 Tangl, wie Anm. 31. vgl. auch das Referat von Reinerth, Flandrenses-Urk. 43–47. 47 Ebd. S. 185. 48 Alb. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands 3+4 (Leipzig 1913) und in sämtlichen jüngeren Auflagen, S. 619 Anm. 9: „Tangl . . . tut dar, daß Schreiber und Empfänger sämtlich in den Jahren 1107–1111 nachweislich sind, daß also die Abfassung in dieser Zeit nicht bezweifelt werden könne“: die Anmerkung gehört zu einem Text, der den „Anfang des zwölften Jahrhunderts“ betrifft (S. 619), ist also auch insofern von den nunmehr S. 622 f. behandelten Zusammenhängen des Wendenkreuzzugs abgesetzt, bei dessen Behandlung nun nicht einmal mehr auf diesen Aufruf zurückgeblendet wird (vgl. demgegenüber oben Anm. 45). Hauck bezweifelt in der Neufassung lediglich, daß der Aufruf tatsächlich veröffentlicht wurde; demgegenüber hatte jedoch bereits Fr. Curschmann, Die Diözese Brandenburg (Leipzig 1906) 65 Anm. 1 darauf hingewiesen, daß er Westdeutschland erreicht haben muß, da die einzige erhaltene Überlieferung aus dem zur Diözese Köln gehörigen Kloster Grafschaft „im südöstlichen Westfalen, etwa in der Mitte zwischen Arnsberg und Marburg“, stammt. Der Kölner Erzbischof gehört zu den ausdrücklich genannten Adressaten des Aufrufs. – Zutreffend gibt das Verhältnis der Arbeiten von Hauck und Tangl wieder: Reinerth, Flandrenses-Urk. 43. Klein, Wendenkreuzzug, registriert die Meinungsänderung Haucks lediglich S. 10 Anm. 5 und dort nur mit den Worten: „In späteren Auflagen seines Werkes ist Hauck von seiner anfänglichen Entschiedenheit abgerückt“, was ein prinzipielles Festhalten an der ursprünglichen Konzeption voraussetzt und m.E. der wirklichen Entwicklung nicht gerecht wird. 49 Vgl. die Nachweise oben Anm. 31 u. die Literaturangaben in den dort weiter zitierten Arbeiten. 50 Johannes Schultze, Der Wendenkreuzzug 1147 u. die Adelsherrschaften in Prignitz und Rhingebiet: JMO 2 (1953) 95–124 (wieder abgedruckt bei Dems., Forschungen zur Brandenburg. u. Preuß. Gesch., Berlin 1964, 41–69); vgl. Dens., Die Mark Brandenburg I (Berlin 1961) 69–72. – Beumann (wie Anm. 31) 125–151 (= B. 137–144). – KC 364–366 u. 398 f. (= oben Beitrag XV, S. 522–526 u. 559 f.); KW 99–120 (= oben Beitrag XXI). K. K. Klein stellt Luxemburg 36 Anm. 27 diesen Aufsatz ohne ersichtlichen Grund als „Antrittsvorlesung“ hin; deren wirkliches Thema s. Nachrichten d. Gießener Hochschulgesellschaft 34, 1965, 247–258); KS, bes. 186–189, 226–234, 440 f. u.ö. (vgl. Register s. v. Wendenkreuzzug), samt Anmerkungen; dazu unten Beitrag XXV, S. 933–935 u. weiter. – G. Constable, The Second Crusade as Seen by Contemporaries: Traditio 9
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Probleme offen sind51, kann nach diesen neuen Untersuchungen heute ein wesentlich genaueres Bild von diesem eigenartigen Seiten-, vielmehr Teilunternehmen des Zweiten Kreuzzugs gezeichnet werden, als dies noch zur Zeit Albert Haucks möglich war52.
(1953) 223–226, 237 f., 240, 256 f. u. 264 f. – W. Schlesinger, Bemerkungen zu der sog. Stiftungsurkunde d. Bistums Havelberg: JMO 5 (1956) 28–32 (= M. 428–440). – Vom Standpunkt des histor. Materialismus: anregend M. Unger, Bernhard v. Clairvaux u. d. Slawenkreuzzug 1147: Z. f. Gesch. Wiss. 7 (1959) 80–90; ohne unmittelbare Kenntnis der Quellen und des Forschungsstandes: Hans Müller, Der Kreuzzug gegen die Lutizen u. Obotriten im Jahre 1147. Seine Ergebnisse u. Folgen, in: Geschichtsunterricht u. Staatsbürgerkunde 7 (1965) 992–1010. – Aus älterer Literatur, die in den genannten Spezialarbeiten laufend zitiert wird, ist vor allen anderen hervorzuheben die grundlegende Darstellung von Wilh. Bernhardi, Konrad III., Bd. II (Leipzig 1883) 563–578, von der immer noch jede wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem merkwürdigen Unternehmen auszugehen hat, da er nach dem enzyklopädischen Prinzip der betreffenden Serie, der „Jahrbücher der deutschen Geschichte“, das gesamte bekannte Material vorlegt. Auch Ludw. Keller, Der Kreuzzug gegen die Wenden im Jahre 1147: Zschr. f. Preuß. Gesch. u. Landeskunde 12 (1875) 39–63 ist immer noch nützlich. – Wichtige Einzelbemerkungen tragen u.a. bei: B. Schmeidler, Die Lage von Dubin: Neues Archiv d. Gesellsch. f. ältere deutsche Geschichtskunde 34 (1909), bes. 770; L. Grill, Die Kreuzzugsepistel St. Bernhards: „Ad Peregrinantes Jerusalem“, in: Stud. u. Mitteil, z. Gesch. d. Benediktinerordens 67 (1956) 249 f.; Heinr. Büttner, Staufer u. Zähringer im polit. Kräftespiel zwischen Bodensee u. Genfersee während d. 12. Jh.: Mitteil, d. Antiquar. Ges. in Zürich 40/3 (1961) 32 f.; Hans K. Schulze, Adelsherrschaft u. Landesherrschaft. Studien zur Verfassungs- u. Besitzgesch. der Altmark usw. (Köln/Graz 1963) 87 f. u. 149 (vgl. unten Anm. 87); H. E. Mayer, Gesch. d. Kreuzzüge (Stuttgart 1965) 102–103, während andere neuere Kreuzzugsgeschichten in diesem Zusammenhang kaum zitierenswert sind; schließlich Helm. Beumann, Zur Frühgesch. des Klosters Hecklingen: Festschr. Friedr. v. Zahn I (Köln 1968) 261 f. 51 Dies gilt vor allem für die eschatologischen Komponenten in der Kreuzzugspredigt Bernhards von Clairvaux, bei denen eine sibyllinische Einfärbung mir unverkennbar scheint. Ich hoffe, darauf zurückzukommen; vgl. bereits die Nachtragsbemerkung in Beitrag XV, S. 564. Ebenfalls Überprüfung verdient die Politik Bischof Thietmars II. von Verden vor dem Wendenkreuzzug, an dem er schließlich auch persönlich teilnahm (Bernhardi, wie Anm. 53). Schon daß er sich, wie es scheint, unmittelbar nach dem Frankfurter Reichstag, der den Aufruf zum Wendenkreuzzug brachte, ein Papstprivileg besorgte, fällt auf (JL 9022 von 1147 Apr. 20, d.h. nur drei Wochen jünger). Zu unbekanntem Zeitpunkt nach dessen Ausstellung wurde in Verden eine Fälschungsaktion gestartet, unverkennbar vor allem, um erhobene Ansprüche auf Ausdehnung der eigenen Diözesanhoheit auf bestimmte Gebiete ostwärts der Elbe abzusichern (vgl. bes. M. Tangl, Forschungen zu Karolinger Diplomen: Arch. f. Urk. Forsch. 2, 1909, bes. 196 f., 212, 213; B. Engelke, Die Grenzen u. Gaue der älteren Diözese Verden: Niedersächs. Jb. 21, 1949, 65 f.). Sollte auch sie in jene merkwürdig fieberhafte Aktivität der Monate vor dem Wendenkreuzzug einzureihen sein, über die KS (wie Anm. 50)? 52 Alb. Hauck erscheint als Hauptgewährsmann für die Urteilsbildung der beiden siebenbürgischen Forscher; jüngere Arbeiten wurden offensichtlich nur subsidiär herangezogen, ohne das aus der älteren Autorität geschöpfte Bild nennenswert zu modifizieren. Haucks Kirchengeschichte ist auch hier zu benutzen in den seit 1913 erschienenen Auflagen (3+4 ff. IV, 628–631).
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An dieser Stelle ist Beschränkung auf einige wenige Gesichtspunkte geboten. Dazu gehört zunächst der Teilnehmerkreis, der für die vorgeführten Thesen besondere Bedeutung besitzt, so daß bei ihm etwas eingehender verweilt werden muß53. Päpstlicher Kreuzzugslegat und damit nomineller Oberbefehlshaber des ganzen Unternehmens war Anselm, Bischof von Havelberg (1129–1155; † 1158 als Erzbischof von Ravenna), eine der profiliertesten Persönlichkeiten unter den Theologen des Prämonstratenserordens seiner Zeit, in der Eigenschaft als bevollmächtigter Vertreter Papst Eugens III. auch den beteiligten Erzbischöfen übergeordnet, im übrigen Suffragan von Magdeburg, und zwar für eine der seit dem Slawenaufstand von 983 am stärksten beeinträchtigten Diözesen: er hat seinen nominellen Kathedralsitz erstmalig durch diesen Kreuzzug betreten können, wahrscheinlich als erster Oberhirte seit dem genannten Unglücksjahr. Im übrigen teilte sich das Kreuzheer in zwei Heeresgruppen: die nördliche stand dem Erzbistum Hamburg-Bremen, die südliche dem Erzbistum Magdeburg zur Verfügung. Jede dieser beiden Heeresgruppen wurde zunächst von einigen geistlichen Fürsten der betreffenden Kirchenprovinz und ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, vor allem dem jeweils zuständigen Erzbischof, – man sagt gewöhnlich: begleitet. Die kirchliche Stellung dieser Herren darf jedoch zu keinem Fehlurteil verleiten: in Personalunion mit ihrem geistlichen Amt waren sie zugleich Reichsfürsten mit weltlichen Hoheitsbefugnissen und führten als solche eigene Kontingente ins Feld. Den Hauptanteil stellten jedoch hier wie dort zweifellos weltliche Fürsten und Herren. Im Norden war dies der junge Sachsenherzog, Heinrich der Löwe, der damals noch nicht zugleich über Baiern gebot, verstärkt durch einen alten Freund seines Hauses, der bald auch sein Schwiegervater werden sollte, nämlich den Zähringerherzog Konrad, der Gründe hatte, dem Orientkreuzzug seiner schwäbischen Stammesgenossen fernzubleiben54. Später erhielt diese nördliche Heeresabteilung noch beträchtlichen Zuzug aus Dänemark. Größere Bedeutung kommt im vorliegenden Zusammenhang der zweiten und stärkeren zu, die im südlicheren Abschnitt die Belange der Magdeburger Kirchenprovinz und ihrer Suffragane durchzusetzen
53 Über ihn hat bereits Bernhardi 1883 die wohl im wesentlichen abschließenden Feststellungen getroffen (wie Anm. 50, S. 569 ff.). 54 Über die Gründe: Büttner, wie Anm. 50.
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hatte. Bei ihr weilte zunächst im ureigensten Interesse der päpstliche Legat selbst, dessen Rolle dabei sich im bisherigen Lichte der Forschung merkwürdig zwiespältig ausnimmt55. Unter den Mitsuffraganen fehlte neben Meinward von Meißen, über den für diese Jahre merkwürdigerweise nichts bekannt ist56, vor allem Udo von Zeitz-Naumburg. Er zog es vor, mit König Konrad III. die gleichzeitige Orientfahrt anzutreten, von der er nicht zurückkehren sollte. Aus anderen sächsischen Kirchenprovinzen stießen die Bischöfe Rudolf von Halberstadt und Werner von Münster zu dieser Heeresgruppe, nicht zuletzt Wibald, Abt von Stablo und Korvei, der gleichfalls besondere Interessen im Wendenlande wahrzunehmen suchte57. Die ausschlaggebenden weltlichen Fürsten waren hier mehr an Zahl: vor allem der alte Gegner Heinrichs des Löwen, Markgraf Albrecht der Bär, und der gleichfalls schon genannte Wettiner Konrad von Meißen-Lausitz. Neben ihnen ist hier vor allem Hermann III., Pfalzgraf bei Rhein, hervorzuheben, der seit längerer Zeit dem Kirchenbann verfallen war und sich davon durch Teilnahme am Wendenkreuzzug mit sehr viel weniger Aufwand lösen konnte als durch die zeitraubendere und kostspieligere Orientfahrt58. Erheblichen Zuzug erhielt auch dieser Kreuzfahrerverband durch außerdeutsche Kräfte, nämlich aus Mähren. Unklar ist die Rolle polnischer Scharen, deren Teilnahme an diesem Unternehmen nur in allgemeinster Form verzeichnet wird; vielleicht haben sie eher auf eigene Faust, auch gegen sächsische Interessen, operiert, als daß sie nachträglich, etwa vor Stettin, zu diesem Aufgebot der Magdeburger Kirchenprovinz hinzugestoßen wären59 – zwischen ihrem eigenen Erzstuhl in Gnesen und der Elbmetropole bestand alte
55 Schlesinger (wie Anm. 50) 31 f., dazu 19, 21–27 u. 36 (= M. 440 bzw. 428 f., 430–436); ergänzend KW 117–119 (= Beitrag XXI, S. 696–699) u. bes. KS 226–235, bes. 229 ff. Beachte Nachtrag zu KW in Beitrag XXI, S. 701. 56 Nirgends als Teilnehmer des Wendenkreuzzugs genannt, auch nicht in der verhältnismäßig ausführlichen Magdeburger Überlieferung. 57 KW 100 f. (= Beitrag XXI, S. 669). – K. K. Klein, Wendenkreuzzug 20, erhebt Wibald zum „Reichskanzler“; er ist jedoch, solange er der königlichen Kanzlei angehörte, nie über die Stellung eines untergeordneten Beamten (sog. notarius) hinausgelangt, vgl. Fr. Hausmann, Reichskanzlei u. Hofkapelle unter Heinrich V. u. Konrad III. (Stuttgart 1956) 167–257, bes. 181 ff., sowie Dens., Einl. zu DD IX (Wien 1969) S. XXIII–XXIV in Verbindung mit XX–XXI. 58 R. Gerstner, Die Geschichte d. lothring. u. rheinischen Pfalzgrafschaft von ihren Anfängen bis zur Ausbildung des Kurterritoriums Pfalz (Bonn 1941) 80 mit Anm. 37. 59 KS 858 f. Anm. 179.
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Rivalität, und sie hatte erst in den 1120er und 1130er Jahren neue Nahrung bekommen60. Im Ganzen entsteht, von nichtdeutschem Zuzug abgesehen, der Eindruck eines Unternehmens, das in jedem der beiden Kampfabschnitte vornehmlich von Eigenkräften der unmittelbar interessierten Teile Sachsens getragen war. Im Nordheer durchbricht diesen Eindruck lediglich das Kontingent Konrads von Zähringen, das sich vornehmlich aus dem südwestlichen Schwaben rekrutiert haben dürfte, vielleicht noch aus den angrenzenden Gebieten des damaligen Burgund, der heutigen Westschweiz. Zum Südheer, das in der Masse ostsächsisch war, stießen Westfalen (Münster, Korvei); Pfalzgraf Hermann mit seinem weit gestreuten Besitz unterschiedlicher Rechtstitel konnte vor allem Franken vom Main und Mittelrhein zubringen, auch wohl Oberlothringer aus dem Moselgebiet und vielleicht nochmals Westfalen aus dem Ruhrgau; wie weit die im allgemeinen losen Beziehungen seiner Pfalzgrafschaft zu niederlothringischen Lehnsträgern sich bei diesem Anlaß einmal ausnahmsweise aktiviert haben mögen, ist schwer zu beantworten, doch spricht die Wahrscheinlichkeit kaum dafür61. Falls Wibalds Abtei Stablo sich neben Korvei an diesem Unternehmen beteiligte, können auch mit ihm Niederlothringer die Elbe überschritten haben. Allerdings wird dieser Prälat im Zusammenhang mit dem Wendenkreuzzug quellenmäßig nur als Abt seines Weserklosters herausgestellt, und es scheint, daß dabei eher prägnante Präzisierung vorliegt als bloße Vereinfachung62. Die Masse der Kreuzzugswilligen unter den Niederlothringern hat sich damals jedenfalls für den Orient entschieden, darunter vor allem solche aus dem kölnischen Bereich. Sie wählten dabei ebenso wie die Flamen, für die sich überhaupt kein Zusammenhang mit dem Wendenkreuzzug abzeichnet, den Seeweg, auf dem sie sich bald mit Engländern vereinigten63. Nicht mit größeren Kontingenten, jedenfalls nicht unter einem der namhafteren Anführer aus ihrem Bereich, waren Lothringer in dem größeren Kreuzheer
60
Vgl. die Hinweise KS 624 Anm. 61, damals noch nicht an diesen Zusammenhang angeschlossen. Neue Untersuchungen hierzu sind von H. Beumann zu erwarten. 61 Über die allodiale und lehnrechtliche Machtbasis Hermanns: Gerstner 73–84, passim, dazu 1 ff., 8 ff., 44 f., 51, 57, 64, 66–68. 62 Vgl. unten bei Anm. 70. 63 Bernhardi (wie Anm. 50) II, 579 f.; vgl. R. Röhricht, Beiträge zur Gesch. der Kreuzzüge II (Berlin 1878 = Aalen 1967) 80, sowie G. Constable, Note on the Route of the Anglo-Flemish Crusaders: Speculum 28 (1953) 526 f.
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vertreten, das unter König Konrad III. auf dem Landwege über Ungarn und den Balkan nach Jerusalem strebte: es setzte sich vornehmlich aus Franken, Baiern und Schwaben zusammen, dazu Thüringern und einigen wenigen Ostsachsen, von denen die Truppe des Bischofs von Naumburg schon genannt wurde64. Dieser Allgemeinbefund hat für den hier verfolgten Zweck unmittelbare Bedeutung. Zunächst sehen wir im Zusammenhang der Kreuzzugsereignisse dieses Jahres die Flamen, obwohl Söhne ihres Landes als Neusiedler in Ost- wie Nordsachsen längst keine unbekannte Erscheinung mehr waren, auf völlig anderen Bahnen als die Wendenlandfahrer: Siedlung und Kreuzzug gehen keineswegs immer die gleichen Bahnen, wie sie ja auch nicht durchweg von den gleichen sozialen Schichten getragen werden. Eine Kreuzzugswerbung, die etwa 1147 von Ostsachsen nach Flandern gegangen sein sollte, hätte dort keinerlei nennenswertes Echo gefunden. Im übrigen aber ergibt sich hier zum ersten Male ein Aspekt, der einer der zu besprechenden Thesen etwas freundlicher scheint: wir kommen damit auf jenen Hezelo, der vielfach etwas gar zu bestimmt „von Merkstein“ genannt wird (er erscheint quellenmäßig nur als quidam ohne Herkunftsnamen)65. Es heißt von diesem Mann, daß er 1148 einen Hof (curtis) mit 9 Joch Land an das Augustinerchorherrenstift Klosterrath (jetzt Rolduc, niederländische Provinz Limburg) verkaufte66. Auch dieser Besitz lag nicht zweifelsfrei in Merkstein selbst67, doch jedenfalls in der Nähe, also etwas nördlich von Aachen und somit in Niederlothringen wie dieses Stift. Die Möglichkeit, daß Hezelo den Wendenkreuzzug mitgemacht haben könnte, scheint auf dem Hintergrund des vorgelegten Allgemeinbefundes größer als die, daß seine im gleichen Zusammenhang 64 Über den neben ihm anzuführenden Grafen Bernhard von Plötzkau und dessen Gründe, nicht mit gegen die Wenden zu ziehen, neue Gesichtspunkte bei Beumann, Hecklingen (wie Anm. 50) 528 f. u. bes. 262, vgl. 282 u. 285, auch 290. Allgemein über die Teilnehmer am Landheer des zweiten Orientkreuzzuges: Bernhardi II, 595 f.; ergänzend Röhricht II 311–320. 65 S. flg. Anm. 66 Annales Rodenses (SS XVI, 719 f.) im Anschluß an einen 1147 berichteten Ankauf von Gütern inter Mercstein et Strevelo: Anno dominicae incarnationis 1148 . . . ibi quoque vendidit aecclesiae (dem genannten Stift) 9 iugera cum curte una quidam Hezelo, profectus in Ungariam (dazu unten S. 723, 729 f. und 734 f.) ubi finivit et vitam. Der Zusammenhang aufeinanderfolgender Jahresnotizen läßt erkennen, daß das Stift, über das im übrigen unten Anm. 71 Ende, damals um Merkstein überhaupt eine konsequente Erwerbspolitik verfolgte. Vgl. flg. Anm. 67 Der Zusammenhang weist zwingend nur allgemein auf die Gegend inter Mercstein et Strevelo, s. vor. Anm.
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erwähnten ungarischen Verbindungen über persönliche Teilnahme am Kreuzzug Konrads III. zustandegekommen wären. Aber auszuschließen ist auch diese zweite Möglichkeit ganz sicher nicht: die vorgelegte Übersicht zeigt, daß Ostsachsen gegen die Regel zum Teil nicht ins unmittelbar benachbarte Wendenland zogen, sondern trotz allem in den Orient, wie umgekehrt Franken und Schwaben sich gegen die Regel teilweise mit gegen die „Heiden des Nordens“ wandten. Das Jahr des Güterverkaufs aber, 1148, ist nun einmal dasjenige der Rückkehr vom Orientkreuzzug, während die Wendenfahrt schon im Herbst 1147 endete. Eine Abwerbung von Orientfahrern oder auch -heimkehrern durch den Ungarnkönig ist, wie noch erörtert werden soll, keineswegs unwahrscheinlich68. Überdies scheint es, daß gerade die Gegenden Lothringens, die im Gesichtskreis des Annalisten von Klosterrath – unseres einzigen Gewährsmannes für Hezelo69 – lagen, nicht zu denen gehörten, die unmittelbar am Kreuzzug über die Elbe beteiligt waren: er erscheint in dessen Aufzeichnungen als rein sächsische, zumal ostsächsische Angelegenheit, im übrigen, wie schon hier einmal vermerkt sei, keineswegs als Fehlschlag70. Das zeugt angesichts der engen Verbindungen dieses Stifts zum Merksteiner Gebiet, die gerade in den Berichten über diese Jahre mehrfach hervortritt, auch allgemein für die dortige Gegend. Was aber Hezelo angeht, so müssen wir wohl überhaupt eingestehen, daß über diesen Mann durchaus nichts bekannt ist außer jener einen Verkaufshandlung, bei der er die Übersiedlung nach Ungarn betrieb, und dem Umstand, daß er dort – wohl nicht all zu viel später – sein Leben beschloß, welche Nachricht nach Klosterrath zurückzudringen vermochte: schon daß innerhalb des damaligen Ungarn sein Ziel ganz speziell Siebenbürgen gewesen wäre, steht nicht in der einzigen Quelle, sondern ist Hypothese71. Die Aufzeichnung des Annalisten
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S. S. 729 f. S. Anm. 66 u. 71. 70 Anm. Rodens. 1146 (SS XVI, 718, 40): Saxonum . . . quam plures et eorum orientales contra Wandalorum profecti sunt gentes, quorum non paucas converti ad fidem Christi compulerunt nationes. Dazu KW (oben Beitrag XXI, Anm. 8 u. bes S. 670 f.). Weiteres zur Frage des „Fehlschlages“ unten S. 725–730. 71 S. Anm. 66. Eine zusätzliche Quellenstelle weiß auch Klein, Luxemburg 36 f. nicht zu nennen. Die dort hergestellten „Verbindungen“ zwischen Hezelo und Magdeburg scheinen mir reichlich konstruiert. Wenn schon ein Erzbischof von Salzburg eingeschaltet werden muß, damit sie überhaupt zustande kommen, dann dürfte doch der unmittelbare Weg vom Rheinland über Salzburg nach Ungarn der einfachere sein! Vgl. auch Klein, Wendenkreuzzug 20 über unmittelbare Beziehungen des Klosters Stablo, in 69
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gestattet nur noch wenige ergänzende Schlüsse. Vor allem beweist das schon erwähnte quidam: Hezelo war 1148 im Umkreis von Klosterrath keine besonders bekannte Persönlichkeit mit alten Beziehungen zu diesem Chorherrenstift. In Verbindung mit dem Fehlen eines Herkunftsnamens einerseits, mit der offenbaren Verfügungsfreiheit über seinen Besitz andererseits dürfte es ihn der Schicht freier bäuerlicher Grundbesitzer zuweisen, keinesfalls etwa schon dem niederen Adel. Das schließt Teilnahme an einem Kreuzzug nicht aus, heißt es doch gerade für die Orientfahrt dieser Jahre ausdrücklich, es habe kein Dorf und keinen Weiler gegeben, der nicht „mindestens einige wenige“ mit ihr ausgesandt hätte72; das ist zweifellos rhetorische Übertreibung, immerhin verweist es auf zahlreiche Beteiligung auch von Angehörigen der bäuerlichen Schicht. Beim Wendenkreuzzug wird dem „Ritter“ (miles), dem der fürstliche Hochadel zuzurechnen ist, ausdrücklich der „gemeine Mann“ (plebeius) gegenübergestellt, und es scheint, daß diese Schicht an der endlichen Erfüllung des Kreuzzugsgelübdes, wie die Zeit es verstand, den maßgeblichsten Anteil nahm73. Zwingend zu folgern ist Beteiligung an irgendeinem Kreuzzug aus den vorliegenden Andeutungen über Hezelo jedoch ebensowenig wie für andere, von denen überliefert wird, daß sie ihren Besitz verkauften, um in der Fremde einen neuen Anfang zu wagen. Allenfalls darin besteht Sicherheit, daß dieser Mann, wenn er Kreuzfahrer war, nicht mit enttäuschten Hoffnungen auf Herrschaftsbildung heimgekehrt sein könnte, denn solche durfte seinesgleichen damals im voraus nicht hegen. Für den Wendenkreuzzug ist hinzuzufügen, daß ein Aufruf zur Kolonisation im Osten der Elbe mit ihm nicht einmal andeutungsweise verbunden war, so daß auch enttäuschte Hoffnung auf Siedelland, das etwa über dieses Unternehmen hätte gewonnen werden sollen, als mögliches Motiv für eine zeitlich anschließende Verfügung nicht in Betracht kommt. Das Ziel dieses Kreuzzuges hieß gleicher Gegend wie die fraglichen niederlothringischen Ortschaften gelegen, zu Problemen der Ungarnwanderung. Nicht zugänglich war mir Dess. Anselm von Braz und Hezelo von Merkstein, die ersten Siebenbürger Sachsen: Südostdeutsche Vierteljahrsbl. 4 (1965). – Zu prüfen wäre, ob im Gesichtskreis rheinländischer oder auch limburgischer landesgeschichtlicher Spezialforschung weitere Hinweise über Hezelo vorliegen, die bisher nicht zu allgemeinerer Kenntnis gelangten. Einige Literaturhinweise, die evtl. weiterführen könnten, gibt A. F. Manning zum Art Klosterrath: Lexikon f. Theologie u. Kirche 2IV (1961) 350 f.; auch diese Arbeiten waren mir sämtlich nicht zugänglich. 72 Gerhoch v. Reichersberg, De investig. Antichr. I, 59 (MG, Lib. de Lite III, 374, 30 ff.): Non fuit . . . villa seu vicus, que non saltim paucos emitteret. 73 Ann. Palid., wie Anm. 77; dazu KW 114–116 (= oben Beitrag XXI, S. 690–697).
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ausschließlich: Ausrottung oder Bekehrung der betroffenen „Feinde des Kreuzes Christi“74. Ein ausdrückliches Siedlungsversprechen wird damit in keiner Quelle verbunden; stattdessen steht fest, daß verheißungsvoll angelaufene kolonisatorische Ansätze im östlichen Holstein durch diese kriegerische Veranstaltung auf verhängnisvollste Weise gestört wurden75. So scheint auch an dieser Stelle nicht allzu viel übrig zu bleiben, sobald man hinter jene aufgestellten Thesen zu fassen sucht. 6. Ein weiterer Gesichtspunkt, der hier ins Gewicht fällt, ist die Frage nach dem Ergebnis des Wendenkreuzzugs. Die ältere Auffassung lief auf einen völligen Mißerfolg hinaus. Demgegenüber hat der Berichterstatter zu zeigen versucht, daß dieses Urteil, obwohl es sich scheinbar quellenmäßig fundieren läßt, auf Maßstäben beruht, die der Mehrheit der Kreuzfahrer des Jahres 1147 fern lagen, die also als anachronistisch zu bezeichnen sind76. Besonders wichtig für die ältere Konzeption war eine Angabe der Annalen des Prämonstratenserstifts Pöhlde am Harz. Nach ihr hätte das Kreuzheer sich im Streit um die Abgrenzung noch gar nicht eroberter Gebiete so entzweit, daß alle Ordnung in die Brüche ging; die Krieger hätten schließlich das Feldlager verlassen und seien „alle auseinandergegangen, ohne ihr Vorhaben zu Ende gebracht zu haben“77. Dieser Satz ist nicht hinwegzudisputieren; er darf jedoch nicht, wie dies einer längst überholten Arbeitsmethodik entsprach, aus dem Zusammenhang
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Bernhard v. Clairvaux, Ep. 457 (Migne, Patr. Lat. 182, 651 f.): . . . denuntiamus armari christianorum robur adversus illos, et ad delendas penitus, aut certe convertendas nationes illas signum salutare (das Kreuzzeichen der Kreuzfahrer) suscipere . . . Omnimodis interdiximus, ne qua ratione ineant foedus cum eis, neque pro pecunia, neque pro tributo, donec auxiliante deo aut ritus ipse aut natio deleatur. Dazu KC 366 (= Beitrag XV, S. 524 f.); ergänzend KB 90 m. Anm. 99. 75 Helmold von Bosau, Slawenchronik, cc. 57, 62–64 u. 66 (ed. B. Schmeidler, Hannover 1937, S. 112 f., 118–122 u. 123 f.). 76 Von meinen einschlägigen Arbeiten (oben Anm. 50) wird bisher nur KW stärker beachtet. Die Nachträge und Ergänzungen in KS, die mir wichtig scheinen, sind demgegenüber bisher weniger wirksam geworden, zumal die Rezensionen auf diese Partien weniger hingewiesen haben. Das Buch ist identisch mit den in KW unter vorläufigem Arbeitstitel laufend zitierten „Beiträgen zur brandenburgischen Geschichte“. Auch der Aufsatz über Paulus Vladimiri mit der eingearbeiteten zusammenfassenden Problemskizze, an etwas entlegenerer Stelle erschienen und in B. nicht neu gedruckt, ist für diese Frage noch nicht zu erwünschter Berücksichtigung gekommen. 77 Ann. Palidens. 1147 (SS XVI, 82, 36 ff.): . . . Tumultuante siquidem milite et possessionum externarum, quas necdum obtinuerant, terminum statuente, plebeio autem in id non conveniente, res undique turbantes, ordine neglecto, tandem aditis castrisque relictis discesserunt omnes, molimine quod proposuerant infecto.
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herausgelöst werden, in den er eingebettet ist: Quellentexte sind kein Steinbruch, aus dem man sich nach Belieben die passenden Mosaiksteinchen herausbricht, um den „unbrauchbaren“ Rest als Rückstand übrig zu lassen – sie wollen zunächst in sich selbst als Ganzes verstanden sein, und erst, wenn dies geschehen ist, darf auf die eingeschlossenen Bestandteile einzeln zurückgegriffen werden, die ja erst von diesem Ganzen her in die richtige Beleuchtung rücken. Das gilt auch für den zitierten Satz des Pöhlder Annalisten. Die unmittelbare Fortsetzung lautet: „Nicht lange danach“ habe Gott eingegriffen, „der nicht durch die Tapferkeit von Männern seine Feinde unterwirft, sondern aus eigener Kraft“; dank dessen hätten die Wendenfürsten von sich aus den Führern des abziehenden Kreuzheeres Gesandte nachgeschickt „mit gebührender Genugtuung: sie versprachen nämlich, sich der Rechtfertigung des Herrn“, also der kirchlichen Disziplin, „zu unterwerfen, und um das ordnungsmäßig durchzuführen, forderten sie mit Nachdruck, daß ihnen Diener des göttlichen Wortes“, d.h. Bischöfe und Priester, „übergeordnet würden, was dann auch geschah“78. Der Annalist will also behaupten, daß nach Auflösung des Kreuzheeres, nach Aufhebung des militärischen Druckes, dem die Wenden bis dahin ausgesetzt waren, der angestrebte Erfolg gleichsam als Wunder Gottes nachträglich doch noch vom Himmel gefallen sei. Das hat so natürlich auch damals niemand geglaubt, der Schreiber selbst eingeschlossen. Wahrscheinlich hat er auch gar keinen Anspruch darauf erhoben, sondern gehofft, daß verstanden werde, was er mit dieser merkwürdigen Stilisierung gleichsam zwischen den Zeilen zum Ausdruck zu bringen wünschte: eine herbe Kritik nämlich mit doppelter Frontstellung, gerichtet einerseits gegen die Haltung jener ritterlichen Herren unter den Kreuzfahrern, deren Kreuzzugsgelübde so rasch von höchst weltlichen Eigenmotiven überwuchert worden war, andererseits aber auch gegen das Kreuzzugsunternehmen selbst, gegen die ihm zugrundeliegende Konzeption als solche. Das Ziel, die Rückgewinnung des schon früher einmal christianisierten Wendenlandes für die Kirche, hat selbstverständlich auch dieser Prämonstratenser bejaht, nicht aber das Vorgehen mit Waffengewalt:
78 Ebd. unmittelbar anschließend: Non multo post operante Deo, qui non fortitudine virorum sed propria virtute subiugat adversarios, memoratorum Sclavorum principes legatos supradictis destinavere principibus (den Anführern des Wendenkreuzzugs) cum debita satisfactione, pollicentes se Domini submittere iustificationibus; ad hoc rite peragendum quatinus eis divine legis ministri preficerentur efflagitarunt, quod et factum est.
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wo Krieger eingesetzt werden, kommt es geradezu naturnotwendig zur Entartung, zur Abirrung vom reinen Ziel – nur im Zusammenwirken der unmittelbaren Gnade Gottes mit denjenigen menschlichen Helfern, die Er als „Diener an Seinem Wort“ sich in Seiner Kirche bereitgestellt hat, kann dieses Ziel verwirklicht werden. So etwa mag man die Grundtendenz des Pöhlder Annalisten umschreiben, der wie so viele Historiographen seiner Zeit Geschichte viel weniger darstellen als deuten wollte. Trotz dieser prinzipiell kreuzzugsfeindlichen Einstellung aber kann auch dieser Ordensbruder Anselms von Havelberg nicht verhehlen, daß das Endergebnis des ganzen Unternehmens, trotz aller Entgleisungen, letztlich doch den gestellten Anforderungen gerecht wurde, wie die Zeit sie verstand79. Der Verfasser der sog. Sächsischen Weltchronik, der in den 1230er Jahren die Pöhlder Annalen benutzte, hat daher mit vollem Recht ihren umfangreichen Text in die kurzen Sätze zusammengezogen: Do ward oc en vard over Elve uppe de Wenede under deme selven cruce van anderen vorsten; de worden gewunnen80. Dasselbe positive Ergebnis tritt jedoch auch in anderen Quellen hervor, nicht zuletzt den Annalen von Klosterrath81. Es wurde auch den anschließenden Planungen der offiziellen Kirche zugrunde gelegt, eingeschlossen Rom selbst82. Wir werden nicht umhin können, dies zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn es uns nicht auf den ersten Blick verständlich scheint; eine von modernen Vorstellungen abweichende Auffassung vom Wesen der „Bekehrung“, die sich in den rein formalen Satz zusammenfassen läßt: „Die Taufe macht den Christen“, liefert offenbar den Schlüssel dazu83. Wenn aber schon in verhältnismäßig zeitnahen Quellen weitere herbe Kritik anklingt wie bei Helmold von Bosau, Vinzenz von Prag, in den sog. Annales Magdeburgenses, deren kritische Haltung in diesem Zusammenhang wenig beachtet wird, und selbst bei Wibald von Stablo und Korvei, der persönlich am Wendenkreuzzug beteiligt war, so ist auch
79 KS 228 f.; vgl. KW (= Beitrag XXI, bei Anm. 64 sowie bei Anm. 85 u. S. 692 f.); ferner Beitrag XV, S. 505–512, bes. 510 f. 80 Sächs. Weltchr., Rec. C, c. 284 (MG, Deutsche Chron. II, S. 213, 40); vgl. KS 923 Anm. 17. 81 Oben Anm. 70. 82 KW 101 u. 107 (= Beitrag XXI, S. 670 u. 679 f.). 83 KW 104–107 (= Beitrag XXI, S. 677–680); vgl. KB 60 f. u. 70 ff.; ergänzende Gesichtspunkte in anderem Gesamtzusammenhang: oben Beitrag XII, S. 417–421.
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sie, wie beim Pöhlder Annalisten, jeweils aus Sondervoraussetzungen zu erklären, die hier nicht nochmals wiederholt werden dürfen84. Der prinzipielle Erfolg gilt jedoch nicht nur für das offiziell proklamierte kirchliche Ziel, er ist erst recht und wesentlich nachhaltiger noch für die weltlichen Nebenziele in Rechnung zu stellen, die sich mit jenem zu so ungleicher Verbindung paarten. Mochten auch nicht alle Träume sich als realisierbar erwiesen haben, z.B. die gemeinsamen Wünsche Anselms von Havelberg und Albrechts des Bären auf Stettin85, in jedem Fall konnte auch Albrecht und ebenso Herzog Heinrich mit Hilfe dieses Kreuzzuges, der ihnen so unerwarteten Zuzug brachte, zweifellos den eigenen Einfluß in den Markengebieten, um die es ihnen ging, wesentlich festigen: schon die Schrecken, die das Kreuzheer verbreitet hatte, mußten ihre Wirkung tun – sie machte sich vielleicht noch geltend bei dem zunächst erstaunlich reibungslosen Übergang des gar nicht berührten Brandenburger Landes nur drei Jahre später nach dem Tode des letzten einheimischen Slawenfürsten unmittelbar in Albrechts Hand86. Vor allem aber nutzten kleinere Dynasten die Möglichkeit, sich auf wendischem Volksboden unabhängige Herrschaften zu schaffen, wie sie ihnen ohne dieses Unternehmen kaum jemals dargeboten worden wäre87. Damit waren auch für die Ansetzung von Siedlern aus dem Westen, von Flandern bis nach Ostsachsen hin, ganz neue Voraussetzungen geschaffen, konnten doch die neuen Herren mit dieser Maßnahme besonders Entscheidendes tun, um sich zu sichern, was sie gewonnen hatten. Die sog. Ostkolonisation, im mittelelbischen Raum urkundlich
84 KW 99–104, 116 f. u. 119 f. (= Beitrag XXI, S. 667, 675, 694–696 u. 699 f.); ergänzend, allerdings nur provisorisch, über Ann. Magd.: KS 234 f. mit Anm. 277 (S. 755). Beachte Nachtrag zu KW Anm. 141. 85 KW passim, m. Lit.; ergänzend KS 118, 227, 232 f., 234 u.ö. samt Anmerkungen (bes. S. 754 f. Anm. 269). Beachte Nachtrag zu KW Anm. 141. 86 KS 327 ff., bes. 348. 87 Dies ist das Ergebnis der oben Anm. 50 genannten Arbeit von Johannes Schultze, ausführlich referiert auch von K. K. Klein, Wendenkreuzzug 17–19; vgl. ergänzende Hinweise bei Schlesinger und Hans K. Schulze (wie Anm. 50), zu denen allerdings zu fragen ist, ob die von ihnen in Betracht gezogenen westelbischen Gebiete wirklich ohne weiteres unter Ausnutzung von Kreuzfahrerrechten mit Herrschaftsbildungen überzogen werden konnten (Bernhards Kreuzzugsaufruf ging contra hostes crucis Christi, qui sunt ultra albi, am oben Anm. 74 a.O.; derjenige Papst Eugens III. allerdings allgemeiner contra Sclauos ceterosque paganos habitantes versus aquilonem: Meklenburg. Urkundenbuch I, 36). – Eine weitere Ergänzung zu Schultze: KW Anm. 85.
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erstmals für 1136/39 wenigstens spurenhaft faßbar88, aber vor 1147 offenbar noch wenig intensiv vorangetrieben, hatte dadurch nie geahnte Entfaltungsbedingungen erhalten89; daß sie alsbald genutzt werden konnten, lag allerdings nicht am Wendenkreuzzug, sondern daran, daß im Altsiedelland der Bevölkerungsdruck mittlerweise entsprechend stark angewachsen war. Von den bisherigen Anwohnern der Mittelelbe hatte damals schwerlich jemand Grund zur Enttäuschung, zur Abwanderung in entlegene Fernen: wer 1147 aus weltlichen Gründen enttäuscht über die Elbe zurückkehrte, waren nicht sie, sondern Kreuzfahrer aus weiter abgelegenen Landstrichen, von denen aus diese neuen Chancen nicht sogleich sichtbar wurden, etwa die Schwaben des Zähringers, in deren Heimat eine besonders negative Einstellung zu dieser Ostlandfahrt festgehalten worden ist, ohne daß daraus irgendwelche Rückschlüsse auf ostsächsische Stimmungen gezogen werden dürfen90. Wer um 1147 „Enttäuschte“ sucht, zumal solche, deren Heimatbindung sich gelockert hatte, wird sie viel eher in den Reihen derer finden, die nach wesentlich längerer Abwesenheit vom Orientkreuzzug heimkehrten: ihn haben die Zeitgenossen nun allerdings, im Gegensatz zum Wendenkreuzzug, ganz allgemein und uneingeschränkt als katastrophalen Fehlschlag empfunden91. Dabei ist auch nicht einzusehen, warum es gar so abwegig sein soll, wenn ältere Forschung dem Ungarnkönig zutraute, er könne unter durchziehenden Kreuzfahrern für seine eigenen Belange geworben haben. An anderer Stelle Europas ist dies im Zusammenhang des zweiten Kreuzzuges ausdrücklich bezeugt: König Alfons I. von Portugal wußte die Kreuzfahrergruppe niederlothringisch-flämisch-englischen Ursprungs, die auf dem Seeweg zum vorderen Orient in einem seiner Häfen rastete, zu bestimmen, daß sie die Fahrt unterbrach, um ihm im Kampf gegen die Mauren zu helfen; ja er versuchte – das ist ausdrücklich bezeugt –, diese Kreuzfahrer zu günstigen Bedingungen ganz im Lande
88 KS 116 f. m. Anm. 66, dazu S. 442, vgl. 579 f. Anm. 9. Die Gebiete im Winkel zwischen Mulde und Saale etwa südlich der Linie Halle–Eilenburg, für die andere Voraussetzungen gelten, werden dabei noch nicht als „mittelelbisch“ betrachtet. 89 Die bedeutenden Kolonisationsurkunden dieses Gebietes setzen in vorher ungekannt dichter Folge erst ab 1149/50 ein. 90 Chronik des Klosters Petershausen V, 32 (ed. O. Feger, Lindau/Konstanz 1956, S. 228; etwas abweichend SS XX, 675). Dazu KW 116 f. (= Beitrag XXI, S. 694–696). 91 Vgl. neben den allgemeinen Darstellungen der Kreuzzugsgeschichte und dem oben Anm. 50 genannten Aufsatz von Constable Bemerkungen wie die bei Fedor Schneider, Mittelalter bis zur Mitte des 13. Jh. (Leipzig/Wien 1929) 358.
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festzuhalten, und sein Werben blieb auch in dieser Hinsicht nicht ohne Erfolg92. Dasselbe haben spätere Könige von Portugal getan, z.B. im Jahre 1189; von den aliquot Flamingi, die dabei speziell hervorgehoben werden, war bereits die Rede93. In diesen Fällen erfahren wir davon, weil die Erfolge solcher Bemühungen z.T. ausgesprochen spektakulär waren (1147 z.B. die Eroberung Lissabons, der mit weitem Abstand bedeutendste Erfolg, der in diesen Kreuzzugsjahren überhaupt erzielt werden konnte, von den Zeitgenossen gerade auf dem Hintergrund des fehlgeschlagenen Hauptkreuzzugs besonders beachtet und bewundert). Von dem, was damals an der „siebenbürgischen Front“ vorgegangen sein mag, war Entsprechendes nicht zu berichten, ganz abgesehen von der gegenüber der Pyrenäenhalbinsel weit ungünstigeren Quellenlage für dieses Gebiet, eingeschlossen das urkundliche Material. Sollen wir darum entsprechende Möglichkeiten hier ausschließen? Nur Flandrenses – soviel ist zuzugeben – dürften um 1147 in diesem Zusammenhang im allgemeinen nicht unmittelbar ins damalige Ungarn gelangt sein ebensowenig wie in die vom Wendenkreuzzug berührten Gebiete und aus dem gleichen Grunde: weil sie in diesem Jahre den Seeweg nach Palästina bevorzugt hatten. Beiläufig ist festzuhalten: mögen die Aufgaben an der siebenbürgischen „Außenfront“ der abendländischen Christenheit in manchem ähnlich gewesen sein wie die an der spanisch-portugiesischen oder im Elbgebiet – mit dem Wendenkreuzzug konnte eine Kriegsfahrt dorthin trotzdem nicht auf eine Stufe gestellt werden94. Der Wendenkreuzzug war ebenso wie die Spanienkreuzzüge dieses Jahres ausdrücklich vom Papst sanktioniert; die Teilnehmer erhielten dabei in klaren Worten genau denselben Ablaß zugebilligt wie die Jerusalemfahrer95. Spanien,
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Kurth (wie Anm. 22) 147 f., dazu 159 u. 246 f. über tatsächlich Zurückbleibende. Oben S. 709 f. – Vgl. auch R. Konetzke, Probleme der Beziehungen zwischen Islam und Christentum im spanischen Mittelalter: Miscellanea Mediaevalia I (Köln 1962) 237. 94 Anders Reinerth, wie oben vor Anm. 4 zitiert; vgl. auch K. K. Klein, Wendenkreuzzug 20. 95 Bernhard v. Clairvaux (wie Anm. 74): . . . eandemque eis promittentes indulgentiam peccatorum, quam et his qui versus Hierosolymam sunt profecti. . . . Qui . . . necdum signati sunt ad viam Hierosolymam, noverint eandem sese indulgentiam hac adepturos expeditione, si tamen praestiterint in ea pro consilio episcoporum et principum. Die auffällige Wiederholung des Motivs betont, welches Gewicht ihm beigemessen wurde. – Papst Eugen III. (wie Anm. 87): qui crucem . . . Jherosolimam non acceperunt et contra Sclauos ire et in ipsa expeditione, sicut statutum est, deuotionis intuitu manere decreuerunt, illam remissionem peccatorum, quam . . . papa Vrbanus (II.) Jherosolimam transeuntibus institua, . . . concedimus. – Über die prinzipielle Bedeutung des Ablaßversprechens für 93
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das dem Abt von Clairvaux offenbar das unmittelbare Vorbild für seine ostelbische Sonderkreuzzugsplanung geboten hatte95a, und das von ihr betroffene Wendenland sind die einzigen Gebiete, die damals in dieser Hinsicht dem „Heiligen Lande“ gleichgestellt wurden, und das ist vielleicht kein Zufall: nur an diesen drei Stellen des Erdkreises war vormals schon christliches Land durch „Ungläubige“ entfremdet und der Kirche zurückzugewinnen96. Was demgegenüber an der ungarischen Grenze zur Abwehr östlicher Steppenvölker zu leisten war, lag daher für zeitgenössisches Denken keineswegs auf gleicher Ebene, und namentlich der mangelnde Jerusalemablaß hätte erheblich ins Gewicht fallen müssen, wo abzuwägen war, auf welche Weise, auf welchem Felde man bei Wahrnehmung persönlich-irdischer Interessen zugleich auch etwas für sein Seelenheil tun könnte97. 7. Es bleiben die Forschungen über das Missale von Heltau, deren Substanz ja von ihrer beiläufigen Verknüpfung mit den Problemen des Jahres 1147 unberührt bleibt. Die hier erzielten Ergebnisse verdienen hohe Beachtung als ein offenbar glücklicher Schritt in ein methodisches Neuland, jedenfalls für die Geschichte der Verbindungen zwischen den betroffenen Gebieten. Auf den damit eingeschlagenen Wegen sollte versucht werden, weiter zu kommen. Vielleicht würden sich dann nach und nach Befunde ergeben, die sich auf liturgiegeschichtlicher Ebene bei aller nötigen Differenzierung vergleichen ließen mit Erscheinungen wie der Ausbreitung Magdeburger Rechts. Allerdings wäre auch dabei vielleicht noch manches zu fragen und abzuklären. Dazu gehört etwa das Problem, wie weit für den siebenbürgischen Text wirklich unmittelbare Entlehnung aus Vorlagen des Magdeburgischen Bereiches in Betracht kommt, wie weit stattdessen an beiden Stellen unabhängig voneinander auf gemeinsame Quellen zurückgegriffen worden sein sollte. Es liegt auf der Hand, daß es dabei um Forschungsaufgaben von äußerster Kompliziertheit geht, die nicht leicht in einem ersten Anlauf die endgültige Lösung finden werden. Sollte sich die Möglichkeit getrennter Ableitung gleichartiger liturgischer Elemente im Magdeburgischen und in Siebenbürgen aus den Kreuzzugsgedanken: H. E. Mayer, Gesch. d. Kreuzzüge (wie oben Anm. 50) 31–46, vgl. 98 und 102 f. samt Anmerkungen. 95a Grill (wie Anm. 50); zur Ablaßfrage auf diesem Schauplatz: Mayer 35 f., vgl. 103. 96 Für das Wendenland ausführlich: KC, bes. 178–193, 379 f. u. 389 f. (= oben Beitrag XV, S. 502–518, 539 f. u. 550 f.). 97 Über die von der damaligen Kirche her gesehen im allgemeinen durchaus legitime Möglichkeit solcher Interessenverbindung: KW 109–113 (= Beitrag XXI, S. 684–689).
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gemeinsamer Quelle definitiv ausschließen lassen, so blieben noch weitere Fragen. Ein unmittelbarer ostmitteldeutscher Einfluß auf das Karpathenland wäre dann wohl auch von dieser Seite her gesichert. Aber wäre ein „Zwischenaufenthalt“ eines bestimmten Siedlerzuges im Elbgebiet, der bei gleichbleibender Führungssubstanz zu Veränderungen in der allgemeinen Zusammensetzung führte, dafür wirklich die einzige Erklärung? K. Reinerth selbst rechnet damit, daß die von ihm beobachteten Schichten des Heltauer Missale, Bestände aus dem Raum um Köln – Aachen – Lüttich und solche aus dem Raum Magdeburg – Naumburg – Meißen, sich nicht bereits auf mitteldeutschem Boden fest miteinander verbunden haben: „Das Zusammenwachsen zu einem Vollmissale könnte bereits in der neuen Heimat“, also in Siebenbürgen, „erfolgt sein, da kaum anzunehmen ist, daß es im Magdeburgischen schon ein Vollmissale gegeben hat, als die Siedler um die Mitte des 12. Jahrhunderts von dort zur Weiterfahrt . . . aufbrachen“98. Dies liegt um so näher anzunehmen, als das Heltauer Missale auch Einflüsse der Riten von Hermannstadt, und sogar von Gran aufzuweisen hat99. Müssen dann aber die, sagen wir: außerungarischen Elemente dieses gottesdienstlichen Handbuches, bevor die offenbare Kompilation erfolgte, unbedingt geschlossen nach Siebenbürgen gelangt sein? Können sie das Land der abschließenden Verarbeitung nicht sehr wohl ebensogut auf getrennten Wegen erreicht haben? Wie gesagt: das sind Fragen. Für den Versuch einer Beantwortung fühlt sich der Berichterstatter in keiner Weise kompetent. Eine endgültige Lösung des Gesamtkomplexes wird jedenfalls auch ihre Erledigung voraussetzen. Sie begegnen sich mit weiteren, die die sprachgeschichtliche und mundartkundliche Seite des Gesamtproblems berühren. Bisherige Forschung hat hier für das Siebenbürgisch-Sächsische die mannigfachsten Teilkomponenten benannt: eine moselfränkische, eine niederfränkischflämische, eine niederdeutsche und eine ostmitteldeutsche100. Mögen manche davon kontrovers geblieben sein, Einhelligkeit besteht offenbar über eine vorauszusetzende Mehrzahl solcher Komponenten. Zwingt dieser Befund aber wirklich zu der Annahme, sie alle oder auch nur eine größere Zahl von ihnen müßten gemeinsam durch
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Reinerth, Missale (wie Anm. 9) 138. Vgl. auch K. K. Klein (wie Anm. 9) 239 u. bes. 241. – Die Gegenargurmente von K. Gamber (wie Anm. 9) überzeugen in dieser Form nicht. 100 Oben bei Anm. 1. 99
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einen Siedlerzug in das Land übertragen worden sein, das für die Entstehung dieses siebenbürgensächsischen Neustammes den Boden und den Rahmen abgeben sollte; durch einen Zug, der unterwegs die in Betracht kommenden Komponenten gleichsam nacheinander aufgesammelt hätte? Für die Ausbildung der Neustämme, die im Bereich der historischen Landeskunde Mittel- und Ostdeutschlands entstanden, ist dergleichen m.E. bisher niemals erwogen worden101. Es dürfte auch mit sonstiger geschichtlicher Erfahrung nicht ohne weiteres im Einklang stehen. Das Bild wird unübersichtlicher, komplizierter, wenn man es sozusagen von einem oder wenigen einmündenden größeren Strömen auf zahllose kleine Einzelrinnsale reduziert, die erst im gemeinsamen Mündungsbecken zusammentrafen. Aber vielleicht wird es realistischer: denken wir nur an den ersten Versuch im Gesamtbereich der sog. mittelalterlich-deutschen Ostkolonisation, ein geschlossenes Landgebiet in übergreifender Planung auszubauen, der quellenmäßig näher beleuchtet wird, nämlich das Siedelwerk, das Graf Adolf II. von Holstein 1143 im Ostteil seines Machtbereichs, dem damals sog. Wagrien einleitete. Der Graf fand nach mancherlei Wirren diesen Landesteil als terra deserta vor, was freilich cum grano salis zu nehmen ist. Er schickte daraufhin „Boten in alle Gegenden, nach Flandern nämlich und Holland, Utrecht, Westfalen und Friesland“ mit einer Einladung, die noch in der Kurzfassung eines chronikalischen Berichtes andeutet, wie ein wirklicher Kolonisationsaufruf sich von jenen inhaltlich nahestehenden Propagandaphrasen des Magdeburger Kreuzzugsaufrufs von 1108 unterscheidet: „Wer irgend von Mangel an Ackerland bedrängt würde, der solle mit seiner Familie kommen, um sehr gutes Land, weiträumiges Land zu erhalten, reich an Frucht, mit Überfluß an Fisch und Fleisch und günstiger Weidegelegenheit“102. Eine ähnliche Aufforderung erging an die Holtsaten und sonstigen nordelbischen Sachsen, die noch in Adolfs eigenem Grafschaftsbereich unmittelbar an das bisher rein
101 Vgl. z.B. Kötzschke (wie Anm. 27a) 96 f., und Schlesinger, Kirchengesch. (wie Anm. 27) 21 f. über die Grundlegung des obersächsischen Neustammes, in der, wie der zweite Autor mit Recht betont, „das einheimisch-slavische, allmählich eingedeutschte“ Element „nicht zu vergessen ist“. Dazu für das Mittelelbegebiet das oben Anm. 33 genannte Buch von Bischoff, im übrigen oben weiter im Text. 102 Helmold (wie Anm. 75), c. 57 (S. 111, 11 ff.): ut, quicunque agrorum penuria artarentur, venirent cum familiis suis accepturi terram optimam, terram spaciosam, uberem fructibus, redundantem pisce et carne et commoda pascuarum gratis.
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slawische Wagrien angrenzten. „Auf diesen Ruf hin erhob sich eine ungezählte Menge verschiedenster Abkunft (innumera multitudo de variis nacionibus), nahm Familie und Fahrhabe mit sich und kam in das Wagrierland zum Grafen Adolf, um das Land in Besitz zu nehmen, das ihnen verheißen war; und zwar erhielten als erste die Holtsaten Wohnsitze in den sichersten Gegenden, westlich von Segeberg, an der Trave und . . . bis zum Plöner See . . . Das Land um Dargun besiedelten Westfalen, das um Eutin Holländer, Süsel Friesen. Die Gegend um Plön aber blieb noch unbewohnt (adhuc desertus). Oldenburg (in Holstein) aber und Lütjenburg und die übrigen Gebiete am Meer gab er den Slawen zur Wohnung, und sie wurden ihm tributpflichtig“ in einem autonomen Siedlungsgebiet unter eigenen Fürsten, sogar unter Duldung ihrer altheimischen Religion durch den christlichen Oberherrn103. Das Ganze bedeutete die Aufteilung eines Areals von vielleicht 3000 qkm – eines guten Zwanzigstels der Gesamtfläche Siebenbürgens – unter fünf verschiedene „naciones“, in ein- und demselben Besiedlungsgang. Das Beispiel ist lehrreich auch dadurch, daß es zeigt, wie die Landnahme durch die Neuankömmlinge nicht mit einem Schlage erfolgte. Vier Jahre später, im Sommer des Wendenkreuzzuges, war ein Teil des so geschaffenen Ausbaugebietes bereits unter den Pflug genommen (incultum); alle bei der Aufteilung genannten Volksgruppen einschließlich der Niederländer waren daran beteiligt104. Eine detailliertere Angabe erhalten wir allerdings nur für die Friesenkolonie um Süsel. Sie wurde angeblich auf über 400 Männer geschätzt; davon befanden sich in diesem Sommer jedoch kaum 100 in der neuen Heimat, die übrigen waren nochmals „in ihr Stammland zurückgekehrt, um ihr dort hinterlassenes Vermögen zu ordnen“, also nach ersten Vorbereitungen am künftigen Wohnsitz nunmehr die endgültige Übersiedlung in die Wege zu leiten105. Das ist eine offenbar typische Situation, wie sie vielleicht im folgenden Jahr auch für den Ungarnfahrer Hezelo vorausgesetzt werden darf, der ja in dem entscheidenden Text nicht als profecturus, sondern als profectus in Ungariam genannt wird, im Perfekt
103 Helmold, ebd. (S. 111 f.), dazu V. Pauls, Geschichte Schleswig-Holsteins III, 1. Lieferung (Neumünster o. J.) 79 f. (Neubearbeitung von W. Lammers im Gange), sowie oben Beitrag XIV, bei Anm. 50. 104 Helmold, c. 63 (S. 120, 5 ff.); ergänzend c. 64 (wie flg. Anm.). 105 Ebd. c. 64 (S. 120, 32 ff.); ceteris in patriam reversis propter ordinandum peculium illic relictum.
vom wendenkreuzzug nach siebenbürgen?
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der bereits abgeschlossenen Handlung106. Im übrigen aber: sollte der scheinbare Übergang von Flandrenses zu Saxones in der Bezeichnung der Neusiedler Siebenbürgens nicht auf Verhältnisse hindeuten, die der Ausgangsgruppierung des wagrischen Kolonisationswerks in manchem vergleichbar gewesen sein mögen? Kleingruppen unterschiedlicher Herkunft wären dann jeweils unmittelbar aus dem bisherigen Heimatgebiet nach Siebenbürgen gezogen, keineswegs notwendig durch allzu große Zeitabstände getrennt. Sie hätten dort anfangs auf relativ engem Raum, nur wenig miteinander verbunden, nebeneinander gesessen, zunächst auch mit ihren unterschiedlichen Herkunftsnamen. Allmählich hätten sie jedoch in fremder Umgebung, in ständiger Berührung mit ganz andersartigem Menschentum, die Bedeutung zunächst kaum empfundener Gemeinsamkeiten erfahren, wobei unmittelbare äußere Interessengemeinschaft gegenüber anderen Faktoren dieser Umgebung, ungarischen wie östlichen, verstärkend mitgewirkt haben dürfte. Die Siedlungsdichte wäre zunächst dünn gewesen, bis weiterer Landesausbau in Gang kam, teils vom Bevölkerungsüberschuß dieser frühen Einwanderergruppen getragen, teils durch neuen Zuzug aus gleichen oder anderen Heimatgebieten. Schließlich wäre im Neuland ein Neustamm zusammengewachsen, in dem in der entscheidenden Phase ein „sächsisches“ Element107 die politische Führung besessen haben muß, und zwar so, daß die übrigen dies mehr oder weniger alle anerkannten. So wurde dieses Element unter allen dasjenige, das seinen mitgebrachten Sondernamen dem neuartigen Ganzen aufzuprägen vermochte, ohne daß ihm darum jedoch notwendig auch nach der Zahl und damit als mundartbestimmender Faktor eine gleich ausschlaggebende Stellung zugekommen sein müßte (vgl. dazu, mutatis mutandis, die „Normannen“ in der „Normandie“). Für die bis dahin „nichtsächsischen“ Gruppen, eingeschlossen die zuerst bezeugten Flandrenses, ließe sich dabei an jene gleichfalls typische Entwicklung denken, die R. Wenskus in ganz anderem Zusammenhang als „Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung“ charakterisiert hat108. Damit wäre auch das Verschwinden ihrer hergebrachten Sondernamen, unbeschadet
106
Oben Anm. 66. Oben bei Anm. 27a. 108 R. Wenskus, Stammesbildung u. Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen gentes (Köln/Graz 1961), Register S. 855 s. v. „Wechsel der ethnischen Selbstzuordnung“ mit zahlreichen Einzelnachweisen. 107
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langer Bewahrung zahlreicher sonst überkommener Besonderheiten, auf eine, wie es scheint, zwanglose Weise erklärt. Kann es so gewesen sein? Der Berichterstatter darf hier nur fragen: sein unmittelbarer Zuständigkeitsbereich ist mit alledem längst verlassen.
BEITRAG XXIII
DIE ANFÄNGE SCHWERINS Eine Studie zu den hochmittelalterlichen Strukturwandlungen im südlichen Ostseeraum∗ Die Entstehung einer Stadt läßt sich unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten betrachten und daher in unterschiedlichste Zusammenhänge einordnen. Die Entwicklung von Land und Herrschaft fordert ihr Recht, die vergleichende Untersuchung rechts-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Gegebenheiten meldet Ansprüche an, die Stellung in der Siedlungstopographie und etwa möglicher Typenlehre will bestimmt sein, die Bedeutung im Lebenswerk beteiligter Persönlichkeiten herausgearbeitet werden und dergleichen mehr. Auch für Schwerin ist nach und nach mancherlei geschehen; vieles darf als längst geklärt gelten1. ∗ Vorliegende Ausarbeitung bildete die Grundlage eines Vortrags vor dem Verein für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde e.V. anläßlich der Jahrestagung 1996 in Schwerin. Ich danke dem Verein für eine ungewöhnlich lebendige Diskussion und für die Aufnahme dieses Beitrags in das vorliegende Jahrbuch, nicht zuletzt aber Frau Dr. Erika Nagel, Schwerin, für ihren mühevollen Einsatz bei der Texterfassung. – In Freude über das Wiedererstehen dieses traditionsreichen Gremiums widme ich diese Untersuchung Frau Dr. Christa Cordshagen, Schwerin, und dem Andenken von Herrn Dr. Hugo Cordshagen (1921–1979), durch den ich vor fast 40 Jahren die erste persönliche Verbindung zu im Lande selbst wirkenden Vertretern seiner Geschichtsforschung gewinnen durfte. 1 Ein bequemer Führer zur wichtigsten stadtgeschichtlichen Literatur für diesen Ort bietet sich in: N. Rühberg u.a., Der Löwe in Schwerin. Publikation zum 800. Todestag Heinrichs des Löwen. Landeshauptstadt Schwerin, Koordinierungsstelle 1000 Jahre Mecklenburg, Schwerin o.J. (1995), S. 47 f. Zu den allgemeingeschichtlichen Hintergründen: M. Hamann, Mecklenburgische Geschichte von den Anfängen bis zur Landständischen Union von 1523, auf der Grundlage von Hans Witte neu bearbeitet (Mitteldeutsche Forschungen 51), Köln/Graz 1968; H. Bei der Wieden und R. Schmidt (Hgg.), Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands XII: Mecklenburg – Pommern (Kröners Taschenausgaben 315), Stuttgart 1996 (mit umfangreicher Bibliographie; dort S. 114–119 vom Erstherausgeber: Schwerin). Vgl. ferner J. Petersohn, Der südliche Ostseeraum im kirchlich-politischen Kräftespiel des Reichs, Polens und Dänemarks vom 10. bis 13. Jh. (Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 17), Köln/ Wien 1979, gleichfalls mit umfangreicher älterer Literatur, ferner W. H. Fritze und K. Zernack (Hgg.), Grundfragen der geschichtlichen Beziehungen zwischen Deutschen, Polaben und Polen (Einzelveröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin 18), Berlin 1976, und nicht zuletzt W. Conze, Ostmitteleuropa von der Spätantike bis zum 18. Jh., hg. und mit einem Nachwort von K. Zernack, München 1992. Den Stand
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Unterbelichtet blieb dabei merkwürdigerweise die einmalige Besonderheit, die die Frühphase dieser Stadt von Vergleichbarem abhebt. Außerdem verlangen neue Forschungsmethoden, die hier noch nicht eingesetzt worden sind, Gehör. Schwerin ist die einzige Stadtgründung, die Heinrich der Löwe in seinem Eroberungsgebiet vornahm. Das trennt sie grundsätzlich von Braunschweig, München und denen, die sonst im gesichert deutschen Binnenland erfolgten – ja selbst von Lübeck, das schon zwei Jahrzehnte fest unter deutscher Botmäßigkeit gestanden hatte, als der Herzog es übernahm, fußend auf einer Vorläufergründung des Grafen von Holstein am gleichen Platz. Für Schwerin betont der Zeitzeuge Helmold von Bosau noch am Ende des zweiten Buches seiner Chronik, das 1172 vollendet wurde, wie unsicher damals die Umgebung des Platzes durch slawische Partisanen war, die er nach üblichem Muster „Räuber“ (latrones) nennt, und er preist Graf Günzelin, der dabei noch immer nicht anders genannt wird als „Burghauptmann“ (prefectus castri), wegen der eisernen Faust, mit der er durchzugreifen versuchte, um ruhige Verhältnisse zu schaffen2. Das sind im Rahmen der Städtegründungspolitik des Löwen völlig singuläre Gegebenheiten; sie beeinträchtigen die Vergleichbarkeit Schwerins mit den übrigen Beispielen, so zweifellos sie in
stadtgeschichtlicher Forschung und ihrer Methoden vergegenwärtigen die beiden Sammelbände: H. Brachmann und J. Herrmann (Hgg.), Frühgeschichte der europäischen Stadt. Voraussetzungen und Grundlagen (Schriften zur Ur- und Frühgeschichte 14), Berlin 1991, und H. Brachmann (Hg.), Burg – Burgstadt – Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa, Berlin 1995. Eine vielseitige Forschungsbilanz zu Heinrich dem Löwen vermitteln J. Luckhardt u.a. (Hg.), Heinrich der Löwe und seine Zeit. Katalog der Ausstellung Braunschweig 1995, 4 Bde., München 1995, besonders Bd. II (Abhandlungen), im folgenden zitiert: Katalog Braunschweig; ein weiterer Sammelband: O. G. Oexle (Hg.); Heinrich der Löwe, befindet sich in Vorbereitung in der Reihe: „Vorträge und Forschungen“ des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte e.V., Sigmaringen. Heinrichs Bedeutung als Förderer des Städtewesens, früher vielfach überschätzt, beleuchtet H. Diestelkamp, Heinrich der Löwe und die entstehenden Städte in Norddeutschland, Katalog Braunschweig II, S. 389–394; in seinem Licht mit Vorsicht zu benutzen J. Bärmann, Die Städtegründungen Heinrichs des Löwen und die Stadtverfassung des 12. Jh., Köln/Graz 1961; vgl. Diestelkamp (wie Anm. 228), S. 164–224, sowie K. Jordan, Die Städtepolitik Heinrichs des Löwen. Eine Forschungsbilanz: Hansische Geschichtsblätter 78 (1960), S. 1–36; für Mecklenburg s. Anm. 26. Erste Andeutung der hier nachstehend entwickelten Konzeption für Schwerin bei Kahl (wie Anm. 50), S. 334 ff., vgl. 302. Vgl. Anm. 6. 2 Helmold von Bosau, Slawenchronik, c. 110 (Hg. H. Stoob, Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters XIX, Darmstadt 1963), S. 382,9 ff.; zur Abfassungszeit H. Stoob, Einleitung, ebd. S. 9. Vgl. auch Helmolds Angaben zu 1164, c. 102 (S. 354,22 ff.). – S. noch unten Anm. 239.
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vieler Hinsicht gegeben ist, und schon das sichert dem Neubeginn, der sich an dieser Stelle trotz allem vollzog, eine gesteigerte Bedeutung. Man darf von einem Schlüsselproblem dieser Übergangszeit sprechen. Diese Sonderstellung der Stadt verstärkt sich, wenn man den Horizont weiter spannt. Seit 50 Jahren bemühe ich mich in vergleichender Betrachtung um die Anfänge deutsch-slawischer Auseinandersetzung, die ja weiter zurückreichen als die Entstehung des deutschen Volkes aus den einzelnen Stämmen. In der ganzen Kontaktzone längs der ethnischen Grenzen, wie sie sich vom 6. bis zum 7. oder 8. Jahrhundert ausgebildet hatten, d.h. in dem gesamten breiten Streifen vom Ostalpenraum bis zur Kieler Bucht und zum Greifswalder Bodden, ist mir keine Stadt aufgefallen, für die mit ähnlicher Sicherheit gleichartige Entstehungsbedingungen erschließbar wären. Gewiß, unser Blickfeld ist eingeschränkt, denn vielfach fehlen Berichte – es fällt nicht schwer, sich in Einzelzügen Vergleichbares etwa für die Altstadt Brandenburg oder für Jüterbog auszumalen. Doch quellenmäßig greifbar bleibt vieles dort nicht, was wir in Schwerin bezeugt finden, und eine vollständig gleichartige Kombination von Problemelementen zeichnet sich nirgends sonst ab. Sie bewirkt, daß den Anfängen dieser Stadt nicht allein lokal- und regionalgeschichtlich Bedeutung zukommt, sondern auch für das allgemeine Geschichtsbild, und das gilt es, einmal näher zu präzisieren. Hinzu kommen neue methodische Fragen, die als solche gleichfalls ein grundsätzliches Interesse der Forschung beanspruchen dürfen, auch wieder unabhängig von den speziellen Belangen der Gegenden um den Großen See. Hier sei nur ein Umstand hervorgehoben: Wichtige Eckdaten sind schon vor Generationen nach Voraussetzungen festgelegt worden, die damals selbstverständlich schienen, während sie heute durchaus nicht mehr ohne weiteres festgehalten werden können. Diese Daten nach wie vor unreflektiert mitzuschleppen, kann kaum sachdienlich sein. Weiteres wird sich im Verlauf der Untersuchung zeigen. Kurz: Es gibt Gründe genug, den vielbehandelten Komplex erneut aufzurollen. Die Quellenlage Die Quellensituation ist heikel. Das wichtigste Belegmaterial zur Stadtgeschichte, das ja zugleich ihren Rechtsstatus sicherte, war naturgemäß von Anfang an im Rathaus verwahrt. An diesem Gebäude sind jedoch
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die Brandkatastrophen von 1531, 1558 und 1651 – dreimal in zwei Jahrhunderten! – nicht vorübergegangen3. Schon die erste hatte verheerende Auswirkungen auf die Archivbestände. So besitzen wir keine Urkunden, keine Stadtbücher, keine Akten aus den ersten Jahrhunderten der Stadt, ausgenommen einzig, was im Domarchiv erhalten blieb – das aber ist schon von der Entstehung her an kirchlichen Interessen ausgerichtet, denen von Bischof und Domkapitel, nicht denen des städtischen Gemeinwesens und seiner Bürger. Wir verfügen nicht einmal mehr über die Originalfassung des Schweriner Stadtrechts, das doch vorbildlich für andere Gründungsstädte in Mecklenburg war, und können folglich nur bedingt rekonstruieren, was der Stadtgründer in dieser wichtigen Hinsicht disponierte, um den so gefährlich vorgeschobenen Posten gleichwohl für Zuzug attraktiv zu machen. Ob er eine Gründungsurkunde ausstellte oder nicht, läßt sich nur vermuten. Die Basis, auf der wir aufbauen können, ist also, was Schriftgut aus dem Ortsbereich selbst angeht, reichlich schmal, und Schriftgut allein erzählt wirklich. Verstreute historiographische Notizen von außerhalb bringen einige Ergänzung (vor allem der genannte Helmold, seines Zeichens Priester zu Bosau am Plöner See, im Nachbarbistum Lübeck), doch bescheiden bleiben auch sie. Mündliche Volksüberlieferungen, wie sie zuweilen die schriftlichen Quellen willkommen ergänzen, stehen für die Anfänge Schwerins offenbar nicht zur Verfügung; wie weit dies mit dem bevölkerungsgeschichtlichen Kontinuitätsbruch zusammenhängt, der hier eine so bedeutende Rolle spielte, bleibt offen. Nicht zu vergessen ist jedoch der Ortsname, gleichfalls ein Wortgut und insofern den genannten Quellengruppen verwandt. Er ist die einzige Quelle, die unmittelbar in die Entstehungszeit des Ortes zurückreichen dürfte; was sich mit ihm historisch anfangen läßt, bleibt eine Frage für sich. Mehr als dürftig ist das verfügbare archäologische Material. Der notwendig gewordene Ersatz verkommener altstädtischer Bausubstanz durch sogenannte „Flächensanierungsmaßnahmen“ der 1970er und 1980er Jahre hat einmalige Chancen geboten, nicht nur die Anfänge der frühdeutschen Stadt genauer zu verfolgen, sondern auch über das Einsetzen erster Schriftquellen zurückzukommen – besonders in dem so wichtigen Gebiet um den Großen Moor. Dasselbe gilt für
3 N. Rühberg, Markt und Rathaus. Zur Geschichte der Schweriner Marktbebauung (Schweriner Reihe, Schwerin o.J. = nach 1985); vgl. W. Jesse, Geschichte der Stadt Schwerin I, Schwerin 1912.
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die durchgreifende Innenrenovierung des Doms in den 1980er Jahren. Die Erneuerung des Fußbodens hätte Gelegenheit geboten, die Grundrißform des romanischen Vorgängerbaues und die Frage eines etwaigen Vorläufers in Holz zu klären, nicht zuletzt einer vordeutschen Kulturschicht nachzuspüren, der gerade an dieser Stelle besondere Bedeutung zugekommen wäre (die Diskussion, ob sich dort bereits ein vorchristliches Kultzentrum befand, war längst angestoßen). All diese Chancen sind in einer Weise ungenutzt geblieben, die ich mit dem beneidenswert großzügigen Bodendenkmalpflegegesetz der damaligen DDR nur schwer in Einklang zu bringen vermag und schon gar nicht mit den Belangen der interessierten Öffentlichkeit. Was dadurch an Schaden entstand, wahrscheinlich einschließlich Quellenzerstörung, ist kaum je wieder gutzumachen; wir bleiben im Ganzen auf Einzelfunde angewiesen, die kein zusammenhängendes Bild ergeben. Immerhin wurde die außerschriftliche Quellenbasis gerade für die Anfänge, um die es hier geht, in ungewöhnlicher und nicht eben häufiger Weise von der Geologie her erweitert, durch die Auswertung von Bohrungsergebnissen, die Nils Rühberg zu danken ist4. Nicht möglich allerdings war die wünschenswerte Ergänzung durch pollenanalytische Untersuchung. Vorzugsweise bleiben wir auf das genannte Schriftgut angewiesen. Dabei ist wichtig, daß dieses Material eine Reihe von Fußangeln einschließt, und sie sind nicht alle auf den ersten Blick erkennbar: 1. Die Bestände des Domarchivs – das wurde schon lange bemerkt – sind vielfach nicht in authentischer Fassung erhalten, sondern in verfälschender Bearbeitung. Weitere Probleme stellen sich 2. in der Etymologie des Ortsnamens, 3. mit der vielleicht überraschenden Frage, ob es eine skandinavische Überlieferung über das Schwerin des 9. Jahrhunderts gab, bewahrt in den Helgi-Liedern der sogenannten Lieder-Edda, 4. in der ersten Nennung des Ortes als civitas nicht mehr in der älteren Bedeutung „Burg“, sondern als Stadt im deutschrechtlichen Sinn, 5. in der Entwicklung des Stadtgrundrisses.
4
N. Rühberg, Zur Siedlungs- und Frühgeschichte der Stadt Schwerin unter Einbeziehung neuer Bodenfunde, in: Informationen des Bezirksarbeitskreises für Ur- und Frühgeschichte Schwerin 19 (1979), S. 66–79; vgl. Dens., in: Löwe (wie Anm. 1), bes. S. 16 f. (mit Farbskizze). – S. nachstehend Anm. 6.
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Der Bearbeitungsstand der damit angeschnittenen Probleme ist ungleich. Was die Fälschungen und Verfälschungen angeht, so steht das Bistum Schwerin vor ähnlichen Fragen wie die Nachbardiözesen, für die sich vergleichbare Rekonstruktionsaufgaben stellen. Hier ist das Mögliche nach Vorarbeiten anderer im wesentlichen wohl abschließend bereits durch Karl Jordan erreicht worden5. Wir vermögen jetzt, Echtes und Wahrheitswidriges, das für eine andere als die behauptete Entstehungszeit zeugt, einigermaßen zuverlässig zu sondern; daß sich in der Auswertung des glaubhaft Bezeugten noch über den bisherigen Stand hinauskommen läßt, hoffe ich, gleich zu zeigen. Für den Stadtgrundriß ist die älteste verfügbare Quelle der sogenannte Wedelsche Plan von 1651, im Original verloren, doch in wichtigen Umzeichnungen indirekt bewahrt. Mit einer Naivität, von der ich mich selbst keineswegs ausnehmen kann, ist die Forschung lange Zeit davon ausgegangen, daß die dort wiedergegebene Umrißgestalt des Marktplatzes die Verhältnisse der Entstehungszeit festhielt über fünf bewegte Jahrhunderte hinweg. Wie wenig weit wir dabei gedacht, wie sehr wir uns damit von den Wahrscheinlichkeiten des 12. Jahrhunderts entfernt haben, hat erst vor einem guten Jahrzehnt gleichfalls Nils Rühberg aufgedeckt. Seine Ergebnisse konnten jedoch nur in einer lokalgeschichtlichen Reihe publiziert werden, die naturgemäß wenig Verbreitung fand; die bis 1989 so schwer überwindliche Grenze hat es uns im Westen besonders schwer gemacht, sie alsbald gebührend zur Kenntnis zu nehmen. Mir war dies erst vor fünf Jahren möglich, und ich war ziemlich erstaunt, als Rühberg mir auf einige briefliche Bemerkungen antwortete, sie seien das erste wissenschaftlich begründetete Echo auf seinen Rekonstruktionsversuch gewesen. Hier mögen Einzelfragen offen sein, die angewandte Methode und das mit ihr befolgte Prinzip scheinen mir unanfechtbar und überzeugend6. So ist an dieser wichtigen
5 K. Jordan, Die Bistumsgründungen Heinrichs des Löwen, Stuttgart 1939 = 1952, hier bes. S. 46–65: Die ältesten Schweriner Urkunden; vgl. dazu die Vorbemerkungen zu den betreffenden Nummern in: Ders. (Hg.), Die Urkunden Heinrichs des Löwen, Herzogs von Sachsen und Bayern (Monumenta Germaniae Historica), Stuttgart 1949 = 1960 (hier künftig abgekürzt: UHL). – Kritische Neuausgabe der wichtigen Urkunde Kaiser Friedrichs I. von 1170 s. unten Anm. 101. 6 Der Wedelsche Plan in: Schwerin im Spiegel seiner Stadtpläne, hg. vom Mecklenburgischen Landeshauptarchiv, Schwerin 1960, S. 7–8 (Rekonstruktionszeichnungen von H. W. C. Hübbe, 1896), dazu ebd., S. 5–6. Demgegenüber N. Rühberg, Der Schweriner Marktplatz im 12. und 13. Jh. – ein Rekonstruktionsversuch, in: Informationen (wie Anm. 4) 25 (1985), S. 48–56; Ders., wie Anm. 3; vgl. Kahl 1963 (wie Anm. 50), S. 336. – Der erwähnte Brief Rühbergs an mich datierte vom 22.7.1992. Ich benutze gern die Gelegenheit, Herrn Rühberg für vielfältige freundliche Hinweise herzlich zu
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Stelle vorerst kein besonderer Nachholbedarf gegeben; wir können für die geplante Synthese mit dem arbeiten, was Rühberg vorgelegt hat. Es bleiben der Ortsname, die Helgi-Lieder und das civitas-Problem. Ẓ u ihnen muß ich mich äußern. Dabei wird es unvermeidlich sein, auch noch das älteste Stadtsiegel einzubeziehen, von dem ich zu zeigen hoffe, daß sein Quellenwert weit höher einzuschätzen ist, als das bisher bemerkt wurde. Das wendische Zvěrinĭ Der Ortsname Der Name Schwerins ist die am weitesten zurückgreifende verbale Quelle zur Geschichte des Ortes – die einzige, die über alle lautlichen Abwandlungen hinweg unmittelbar aus seiner Entstehungszeit kommt; Zeuge von Siedlungskontinuität über alle Diskontinuität von Siedlungsform und Bevölkerung hinweg. Gewöhnlich wird er als im Ursprung slawisch angesehen, als eine Weiterbildung von *zvěrĭ „Wild“; Zvěrinĭ (zu sprechen etwa: Swjärinj, mit stimmhaftem -S-, am Ende einem Mittellaut zwischen kurzem -i- und -j-) -Zvěrinĭ hieße also etwa „Wildtierort“, vielleicht auch „Hochwildstätte“7. Die ältere Überlieferung – soweit gesichert hergehörig ausschließlich durch deutsche Autoren, also in fremdem Munde – zeigt in der Stammsilbe vereinzelt -a-8, sonst herrscht -e-. Dies hängt offenbar mit der Schwierigkeit danken. – Nicht mehr berücksichtigt werden konnte Nils Rühberg: Rekonstruktion der Stadtentwicklung im Mittelalter, in: Schwerin. Historische Karten und Pläne (Planen und Bauen in Schwerin, H. 9), Schwerin 1997, S. 13–21. 7 R. Trautmann, Die wendischen Ortsnamen Ostholsteins, Lübecks, Lauenburgs und Mecklenburgs, Neumünster 1950, S. 214, und bes. Ders., Die elb- und ostseeslawischen Ortsnamen II (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1947/7), Berlin 1950, S. 52 f., mit Parallelbeispielen, die ergänzt sind bei J. Schütz, Frankens mainwendische Namen, München 1994, S. 117. Vgl. F. Miklosich, Die Bildung der slavischen Personen- und Ortsnamen, Neudruck Heidelberg 1927, S. 344, dazu 200 f., 204 und 211; auch H. W. C. Hübbe, Zur Topographie des alten Schwerin, in: Jahrbücher des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde (MJB) 61, 1896, S. 1 f.; Jesse (wie Anm. 3) I, S. 38. Weitere Literatur bei Chr. Lübke, Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder IV, Berlin 1987, S. 89 f. Nr. 536. – Abwegig scheint es, aus dem Ortsnamen auf ein „Gestüt“ zu schließen, wie es zuweilen geschieht (vgl. noch H. Ende und W. Ohle, Schwerin, Leipzig 1994, S. 11). Dafür hätte das Slawische näherliegende Bezeichnungen verfügbar gehabt als gerade eine Anknüpfung an „Wild“. 8 So gleich im ersten Beleg zu 1018 bei Thietmar von Merseburg, Chronik VIII, 5 (Hg. W. Trillmich, Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte des Mittelalters IX), Darmstadt 1957, S. 444,12 f. = Lübke, Reg. IV, S. 89 f., Nr. 536 (s. unten Anm. 53);
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zusammen, den slawischen -ě-(-jä-)Laut im anderen Sprachgewand angemessen wiederzugeben, zumal in Zeiten, die die uns geläufige Umlaut-Schreibung -ä- noch nicht kannten9. Insoweit scheint es keine Probleme zu geben. Gelegentlich aber hört man den Hinweis auf eine andere Deutung, die auf Suarini zurückgreift, Konjektur zu einem schlecht überlieferten Namen einer germanischen Völkerschaft10. An der Entscheidung zwischen beiden Möglichkeiten hängt die Frage, ob eine gewisse Siedlungskontinuität im Ortsbereich, durch Sprachkontakte zwischen wechselnden Bevölkerungsgruppen gestützt, womöglich über die Wendenzeit zurückreicht. Die zweite Herleitung bettet sich in einen weitergespannten Problemzusammenhang ein: die Frage nach sogenanntem vorvölkerwanderungszeitlichem Restgermanentum im ostelbischen Deutschland – Gruppen, die bei der Abwanderung der Mehrheit im Lande verblieben und später in den nachrückenden Slawen aufgegangen sein könnten. Dieses Problem ist kompliziert schon rein aus Quellengründen; es bietet viel Raum, Phantasie zu entfalten, auf Wegen und auf Irrwegen. Grundsätzlich allerdings wird es zu Recht aufgeworfen: Das beweist eine Nachricht Prokops von Caesarea. Ihr ist zu entnehmen, daß die Wandalen sich in entscheidender Stunde gespalten hatten: Ein Teil, vielleicht der größere, wanderte aus dem bisherigen Heimatraum ab, neue Existenzgrundlagen zu suchen – der andere blieb zurück in der Hoffnung, die für alle zu schmal gewordene Nahrungsgrundlage werde für ein verkleinertes Volk ausreichen. Die Abziehenden behielten sich jedoch an ihrem bisherigen
vgl. Annales Palidenses a. 1160 (MG SS XVI, 92,35): Zuarinensem episcopatum; Annales Stederburgens. a. 1174 (ebd., S. 211,42): comes Guncelinus de Zvarin. Vgl. unten Anm. 135. 9 Vgl. Trautmann 1950 (wie Anm. 7), Bd. II, S. 27 f. Damit erledigen sich Versuche, den Namen an eine slawische Wurzel svar- „Kampf “ anzuknüpfen, desgleichen die Verbindung mit einem altpolnischen Personennamen Swar (diese scheitert nach mündlicher Mitteilung von W. H. Fritze † an 1. der Seltenheit dieses Personennamens, 2. den für ihn gegebenen Lautverhältnissen, unter denen die Endung -ina nicht anzutreten pflegt, 3. dem Fehlen einer echten Parallele zu der bei dieser Ableitung zu konstruierenden Ausgangsform* Swarzyn. Hinzu kommt die relative Seltenheit der -a-Belege gegenüber denen mit -e-. – Fernzuhalten ist der Wandel von -er- > -ar- in Teilen des nördlichen Niederdeutschen, der erst seit ca. 1300 auftritt, für das hier verfolgte Problem also zu spät, vgl. A. Lasch, Mittelniederdeutsche Grammatik, Halle/Saale 1914, S. 59; ebd., S. 172 zum Verhältnis der Schreibungen Z- zu S-. 10 H. Keiling, Zur kultur- und besiedlungsgeschichtlichen Entwicklung in Schwerin auf Grund archäologischer Funde aus ur- und frühgeschichtlicher Zeit, in: Informationen (wie Anm. 4) 25 (1985), S. 17 ff.
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Boden das Eigentum vor, jedenfalls als Rückhalt für den Fall, daß der Gang der Dinge für sie anders lief als erwünscht; die Zurückbleibenden erhielten lediglich ein Nutzungsrecht. Noch nach vielen Jahrzehnten, nach der wandalischen Landnahme in Nordafrika, ging darüber eine Gesandtschaft hin und her – schon als Verhandlungsgang bemerkenswert über derartige Entfernungen hinweg unter den Bedingungen jener Zeit. Der gut orientierte Berichterstatter fügt hinzu: „Von den Wandalen, die in ihrer Heimat verblieben waren, hat sich bis auf meine Zeit (also Mitte 6. Jh.) weder eine Erinnerung noch der Name erhalten. Sie wurden, wie ich glaube, bei ihrer geringen Zahl entweder von den benachbarten Barbaren überwältigt, oder sie vermischten sich freiwillig mit ihnen, worüber dann ihr Name verschwunden ist“11. So weit sein Bericht. Ob auch andere Völkerschaften sich damals in Abwandernde und Zurückbleibende geteilt haben werden, ist auf dieses Zeugnis hin eine legitime Frage – auch für das heutige Mecklenburg, mag die Archäologie dafür bisher konkrete Anhaltspunkte gefunden haben oder nicht: Fundlücken haben ja niemals ausschließende Kraft, sondern sie können immer nur bis auf weiteres gelten12. Es ist kein Zweifel, daß dabei der Namensforschung eine besondere Rolle zufällt, selbst wenn man sich bewußt halten muß, daß letztlich alle Etymologie nichts ist als Hypothese. Die Suarini wurden ins Gespräch gebracht, weil ihr Stammsilbena- an die genannten ältestüberlieferten Formen des Ortsnamens von Schwerin anklingt. Sie knüpfen an einen Namen an, der in einer Teilüberlieferung der „Germania“ des Tacitus erscheint, und zwar in einer Aufzählung von Völkerschaften jenseits der Langobarden, man darf wohl sagen: jenseits der Unterelbe, von Rom her gesehen13. Die Frage drängt sich auf, ob beides in Verbindung gebracht werden darf – ob, anders gefaßt, slawisches Zvěrinĭ als volksetymologische Umdeutung des übernommenen germanischen Namens aufgefaßt werden darf, so wie die slawischen Warnawi (Warnower) möglicherweise den Namen der germanischen Var(i)ni fortsetzen, nun auf ein Wort ihrer Sprache
11 Prokop, Vandalenkrieg I,22 (grieschisch-deutsch hg. von O. Veh, München 1971, S. 148–151; Zitat S. 150). 12 Anders R. Beltz, z.B. Zur ältesten Geschichte Mecklenburgs. Programm des Gymnasiums Schwerin 1893, S. 5–8, versteht sich: nach damaligem Forschungsstand, der im öffentlichen Bewußtsein z.T. noch immer nachwirken mag. 13 S. Anm. 16.
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für „Krähe“ bezogen, und das im gleichen weiteren obotritischen Zusammenhang, in den Schwerin hineingehört14. Berechtigt und prüfungswürdig ist selbstverständlich auch die damit aufgeworfene Frage, doch die Chancen für eine bejahende Antwort scheinen mir gering. Das beginnt mit der Überlieferung des germanischen Namens. Er erscheint nur in einem Teil der GermaniaHandschriften, konkurrierend mit Suardones in den anderen, und die überlieferte Form lautet Suarines. Sie fügt sich den bekannten Typen germanischer Stammesnamen nicht ein – das ist der Grund, warum man für Auswertungsversuche nicht auf sie, sondern auf Suarini zurückgreift, umgesetzt in eine andere Deklination. Die Herausgeber setzen schon wegen dieser Unstimmigkeit gewöhnlich Suardones in den Text15. Was hat Tacitus selbst geschrieben? Es bleibt mindestens Unsicherheit. Zu dieser mangelhaften Absicherung der Namensform kommt das Problem der Lokalisierung. Sie ist exakt nicht möglich, gleich, welche der beiden Lesarten man zugrunde legt. Hypothetische Identifizierung mit den Phardeinoi, die Ptolemäus erwähnt, führte im vorigen Jahrhundert an die südliche Ostseeküste und damit vielleicht nach Mecklenburg, doch diese Gleichsetzung wirkt beim deutlichen Klangunterschied der Namen willkürlich, nicht weniger als die Voraussetzung, daß der Grieche unbedingt dieselben Völkerschaften zur Kenntnis bekommen haben müsse wie der Römer. Der Textzusammenhang bei Tacitus verweist die fragliche Gruppe am ehesten ins nördliche Jütland16. Das wäre von Schwerin reichlich weit entfernt. Es gibt zusätzliche Schwierigkeiten. Zunächst: Ein weiteres Zeugnis für die Suarines/Suarini existiert nicht; sie erscheinen einzig an jener einen Stelle der „Germania“. Vermutlich ist die betreffende Gruppe, bevor weitere Überlieferung einsetzte, in einem neuen, größeren Zusammenhang aufgegangen, wie das dem allgemeinen Trend der Jahrhunderte vor der sogenannten Völkerwanderungszeit entspricht. Dann bleibt aber ungewiß auch, ob ihr Name noch geläufig war, als die ersten Sprachkontakte zwischen etwaigen Restgermanen und sla-
14 Die Germania des Tacitus, c. 40 (erl. von R. Much, 3. Aufl. hg. von H. Jankuhn und W. Lange, Heidelberg 1967, S. 441); zu den Varini (ebd.): E. Schwarz, Germanische Stammeskunde, Heidelberg 1956, S. 116; vgl. Much, a.O., S. 446. 15 Zur Überlieferung: Much (wie Anm. 14), S. 447. 16 Ebd., S. 447 vgl. 455: „Wissen wir noch nicht, wohin die Suardonen . . . gehören“, dazu Karte ebd., im Anhang; vgl. Schwarz (wie Anm. 14), S. 115: „Wo die Suardonen (Suarines) . . . zu suchen sind, bleibt unklar“; ebd. gleichfalls über die am ehesten jütländischen Zusammenhänge.
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wischen Zuwanderern im heutigen Mecklenburg zustande kamen. Erst recht besteht kein Grund zu der Annahme, diese Völkerschaft könne sich dann geteilt und nur einen schwachen Restbestand im Raum um Schwerin zurückgelassen haben, während die Hauptmasse weiterzog. Nicht zuletzt: Wo gibt es im germanischen Bereich Ortsnamen, die einfach dem einer ethnischen Gruppe entsprechen? Ich kenne nur Fälle wie Bardowick, Canterbury (aus +Kantwaraburg) oder Frankfurt (aus Franconofurt), also Zusammensetzungen, die den Namen des Ethnicums ins Erstglied verweisen, Bestimmung zu einem Grundwort, das z.B. den Siedlungscharakter andeutet17. Allerdings bleibt offen, wie derartige Bestimmungswörter bei etwaiger Entlehnung ins Slawische behandelt wurden. So wage ich zwischen den hypothetischen Suarini und Schwerin keine Brücke zu schlagen. Dann bleibt aber einstweilen keine Möglichkeit, als für die Hauptstadt Mecklenburgs von dem slawischen Grundwort auszugehen, das lediglich in deutsche Lautform umgesetzt wurde, eine schlichte Entlehnung ohne inhaltliche Umdeutung, wie das im Gebiet deutscher Ostsiedlung äußerst zahlreich vorkommt. Trifft dies zu, so ist davon auszugehen, daß das Schwerin der Wendenzeit nicht bewußt an einen germanischen Siedlungsplatz anknüpfte. Das slawische Zvěrinĭ bleibt der älteste erschließbare Name für diesen Platz. Auch er zu seinem Teil spricht dafür, daß es sich um eine Gründung „aus wilder Wurzel“ handelte, wie man das später nannte. Wie gesagt: Zvěrinĭ heißt „Wildtierplatz“, eventuell „Hochwildstätte“. Das ist ein Zufluchtsort für andere als menschliche Wesen. Doch die Sicherheit, die er dem Wilde bot, konnten auch Menschen nutzen. Der Name beweist, daß dies geschah. Wann, können wir nicht sicher sagen, schon weil wir den Zeitabstand nicht kennen, der zwischen den Anfängen der slawischen Landnahmebewegung in diesem Raum und dem Ausbau der ersten Siedlung an gerade diesem Platz bestanden haben mag. Später als im 8. Jahrhundert wird man sich den Vorgang schwerlich denken dürfen, höchstens eher. Natürliche Entfaltungsbedingungen Die Ortsnamenanalyse zeigt: Die Anfänge einer kontinuierlichen Besiedlung fallen für den Kern von Schwerin in die Wendenzeit – vielleicht 17 Vgl. A. Bach, Deutsche Namenkunde II,1, Hiedelberg 2 1953, S. 133 f., 353 f. – S. auch unten bei Anm. 83.
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die Periode der Landnahme, vielleicht später. Wie sah der Platz damals aus, wie seine Umgebung? Was boten beide dem Menschen für Möglichkeiten? Diese Fragen stellen Rekonstruktionsaufgaben, die schwer zu bewältigen sind. Aussagen können daher nur in sehr vorläufiger Form gewagt werden. Der Versuch sollte gleichwohl nicht unterbleiben: Schließlich handelt es sich um eine Phase von mehreren Jahrhunderten, vier oder mehr, ein Drittel der bisherigen Siedlungsentwicklung am Platz, und was damals geschah, ist aus der Geschichte des Ortes wie der Region nicht fortzudenken, auch wenn es anonym bleibt: Schon die Ortswahl für die deutsche Neugründung des 12. Jahrhunderts wurde durch eben diese Vorgeschichte wesentlich mitbestimmt. Selbst der Name blieb erhalten, wenn er sich auch den Gesetzen der nunmehr herrschend gewordenen Sprache anzubequemen hatte. Überdies gehört die Wendenzeit nicht nur zur Geschichte des Ortes, sondern auch der seiner heutigen Bewohner, denn es ist damit zu rechnen, daß die neue Stadt von Anfang an auch wendische Elemente aufgenommen hat, die folglich, wenngleich nicht mehr greifbar, mit zu den Vorfahren der alten Schweriner Familien zählen. Was fanden die obotritischen Wenden an Voraussetzungen vor, als sie sich irgendwo im heutigen Altstadtbereich, die Schloßinsel eingerechnet, niederzulassen begannen? Für die Ausgangssituation der frühdeutschen Stadt hat Rühberg18 durch die erwähnte Untersuchung von Bodenproben aus tief angelegten Bohrungen Ergebnisse gewonnen, die wohl in die Jahrhunderte vorher zurückprojiziert werden dürfen (Abb. 1–2). Der langgestreckte, flache Rücken, der später den Altstadtkern und die Schelfsiedlungen aufnahm, fügte sich ein in eine weitgestreute Gruppe von Inseln, Halbinseln und Werdern, die sich über zahlreiche Seen, ausgedehnte Moorgebiete, teilweise auch tiefe Taleinschnitte erhoben. Er sei hier kurz der Schweriner Rücken genannt. Als Grundmoräne der letzten Vereisung entstanden, besteht er aus Sand, den eine Schicht aus Lehm und Mergel deckt, 1–4 m stark. Seine Längsachse streckt sich etwa einen Kilometer in annähernd nord-südlicher Richtung; die Breite schwankte damals zwischen 200 und 300 m, was seitdem durch zahlreiche Aufschüttungen, teilweise mehrere Meter stark, verdunkelt ist; die relative Höhe über dem Spiegel der umgebenden Seen, der dem heutigen mit seinen 37 m über N.N. ziemlich gleich gewesen sein dürfte, mag zwischen 6 und
18
S. Anm. 4.
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8 m geschwankt haben. Ungefähr in der Mitte der Längserstreckung zog sich über die ganze Breite eine trockene Eindellung, relativ schmal, die sich in frühdeutscher Zeit verhältnismäßig leicht zum Stadtgraben ausbauen ließ. Zwischen dem Gelände der späteren Altstadt und der Schelfe gab es also schon eine natürliche Grenze; ob sie zur Wendenzeit Bedeutung hatte und etwa künstlich verstärkt war, entzieht sich unserem Einblick. Südlich von ihr blieben dem Rücken an Längserstreckung noch 450–500 m. Er zeigte in diesem Abschnitt ungleiche Breite, denn ungefähr in dessen Mitte war er von beiden Seiten her auffällig eingeschnürt, so daß oberhalb der 40 m-Höhenlinie in der Quere nur noch knapp 150 m verblieben. Die Lehmschicht war dort, wohl durch glaziale Schmelzwässer, so weit abgebaut, daß der Sand offen hervortrat. Bei der Analyse des ältest faßbaren Stadtgrundrisses wird gerade auf diese Befunde zurückzukommen sein. Beiderseits dieser Einschnürung, nördlich und südlich, erhoben sich Kuppen, nämlich beim heutigen Dom sowie dort, wo später die Ritterhöfe lagen, im nordöstlichen Winkel zwischen Schloß- und Filter(heute Puschkin-)straße. Sie kamen auf fast 45 m Meereshöhe; die Breitenerstreckung betrug an der nördlicheren ca. 250 m, an der südlichen nur ca. 175 m, gleichfalls oberhalb der 40 m-Linie gerechnet. Das alles sind Abmessungen, die nicht zuletzt für die Entfaltungsmöglichkeiten der späteren deutschen Stadt im Auge behalten werden müssen. Für wendische Siedlungen mit ihrer traditionellen Kleinräumigkeit – vielfach nur wenige Hütten – gab es hier keine Probleme. Die Ostflanke des Rückens begleitete der Große See. Er dehnte sich kilometerweit nach Norden hin, wie heute, doch mit anderer Küstenlinie, noch unberührt von jenen Aufschüttungen19. Nach dieser Seite hin neigte sich der Rücken verhältnismäßig sanft zu einem Flachmoorgürtel unterschiedlicher Breite, der sich als Übergangszone zwischen ihn und den See schob.
19 Anhebungen und Absenkungen des Wasserspiegels gehören für den Schweriner See offenbar erst in die Neuzeit und sind daher für das Mittelalter – Wendenzeit wie frühdeutsche Periode – außer Betracht zu halten, vgl. W. Schulz, Die geologische Situation im Naturschutzgebiet „Kaninchenwerder und Großer Stein“ im Schweriner See, in: Naturschutzarbeit in Mecklenburg 14 (1971), bes. S. 15, worauf mich N. Rühberg freundlich hinweist. Nicht vorgelegen hat I. Koppelow u.a., Der Schweriner See. Skizzen aus Vergangenheit und Gegenwart (Mecklenburgisches Landeshauptarchiv, Kleine Reihe 2), Schwerin 1962.
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Steiler war der Abfall nach Westen hin. Dort reichte der Ziegelsee damals weiter südwärts als heute, etwa bis zur Hälfte des Pfaffenteiches, der erst im 12. Jahrhundert aufgestaut wurde, und war noch direkt vom Aubach gespeist; einen Vorläufer des Spieltordammes gab es nicht. Weiter nach Süden schloß sich diesem See ein verlandeter Taleinschnitt an, einigermaßen tief, doch von nicht eben beträchtlicher Breite. Gemeinsam mit dem See schied er den Schweriner Rücken vom Festland, dem sogenannten Hohen Felde, auf dem heute z.B. der Hauptbahnhof liegt. Der verlandete Talabschnitt bedingte für die Westflanke des Schweriner Rückens eine Schwachstelle. Als Senke reichte er bis zum Burgsee, zu dem also vor dem Verlandungsprozeß eine unmittelbare Wasserverbindung bestanden hatte. Eine zweite hatte es auch vom Ziegelsee zum Beutel gegeben, so, daß sie die Schelfe vom Werder trennte. Sie muß gleichfalls schon zu Beginn der Wendenzeit verlandet gewesen sein; der Übergang der Schelfe dorthin wie zum Ufersaum des Ziegelsees vollzog sich sanft. Der Schweriner Rücken aber war mithin einmal eine Insel gewesen, und nur die Verlandungen im Südabschnitt seiner westlichen Begrenzung hatten dies geändert. Offen war noch 1284 eine Wasserverbindung, Schutz und Verkehrshindernis zugleich, vom Ziegelsee hinüber zu einem zweiten Nebensee des Großen, dem sogenannten Heidensee, etwa auf der Höhe des heutigen Paulsdamms. Ein Gefälle zwischen beiden bestand nicht; der Pegelstand zwischen all diesen Gewässern war folglich gleich20. Der Ortsname deutet auf alten Wald: Wo sonst hätte Wild in auffälliger Menge sich bergen sollen? Für das nördlichere Mecklenburg hat eine sorgfältige Detailuntersuchung von Franz Engel die Verteilung von Waldgebieten und Offenland zur Wendenzeit erschlossen21; leider wurde dabei nur für die Nordhälfte des Schweriner Sees das Umland noch einbezogen – für die südlich angrenzenden Gegenden besteht hier offenbar noch ein Desiderat. Unwahrscheinlich ist ursprüngliche Bewaldung auch für den Schweriner Rücken und die nahegelegenen Uferpartien nicht. Wie weit die Humusschicht, die einen Hinweis hätte liefern können, bei jenen Bohrproben noch feststellbar gewesen wäre, 20 Vgl. MUB III, 1766 (S. 156), a. 1284: stagnum quod Tegelsee volgariter dicitur, . . . usque ad lacum, ubi lacus magnum stagnum influit . . . Dazu Rühberg in: Löwe (wie Anm. 1), S. 14 f. 21 F. Engel, Grenzwälder und slawische Burgwardbezirke in Nordmecklenburg. Über die Methoden ihrer Rekonstruktion, bei H. Ludat (Hg.), Siedlung und Verfassung der Slawen zwischen Elbe, Saale und Oder, Gießen 1960, S. 125–140, mit Kartenbeilagen 15–18.
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wurde nicht beachtet, weil das Interesse der Auswertung nicht auch darauf gerichtet war; pollenanalytische Untersuchungen, die abschließende Sicherheit bringen könnten, waren bisher nicht möglich. Ein „Wildtierort“ setzt mindestens gewisse Bestände an Buschwerk voraus, falls diese Etymologie stimmt. Das ließ sich roden, und dann konnte die Lehm-Mergel-Schicht zum Acker- bzw. Gartenbau oder auch zur Grasnutzung einladen. Rodung in welchem Umfang immer ist vorauszusetzen, wo die Landnahme auf Waldungen traf. Da der Platz, wie gleich zu zeigen, ein Herrschaftsmittelpunkt war, ist für die Wendenzeit mit einer zugeordneten Siedlungskammer zu rechnen, mit Weilern, deren Größe nicht zu überschätzen ist. Wie stark diese Insel Kulturland durch Wald isoliert war, besonders nach Westen hin, muß offen bleiben. Wie fügte der Platz sich in das Fernverbindungsnetz ein, ob es nun schon bestand oder neu sich einspielte nach Bedürfnissen, die erst mit den Einwanderern aufkamen? Es ist, wie man zugeben muß, für die Wendenzeit nicht leicht zurückzugewinnen. Man sollte es nicht gar zu selbstverständlich in dem der frühdeutschen Periode, das besser bekannt ist, einfach fortgesetzt denken. Der erste Blick wendet sich aus heutiger Gewohnheit den Landverbindungen zu: leidlich gangbaren Wegen, einigermaßen eingespurt, normalerweise unbefestigt, in besonderen Fällen durch Knüppeldämme oder gar durch Aufschüttungen möglich gemacht, von denen wenig klar ist, wer sie zustande brachte und wer sie unterhielt. Eine Hauptverbindung wurde früher aus Angaben Ibrahim ibn Jaʿqûbs erschlossen, der in den 960er Jahren das heutige Mecklenburg berührt hatte: eine Route aus dem Magdeburger Raum mit seinem wichtigen Elbübergang zur Mecklenburg und weiter zur Ostsee hin, über Burg bei Magdeburg und dicht an Schwerin vorbei, jedenfalls über das Hohe Feld. Demgegenüber hat Charlotte Warnke mit guten Gründen geltend gemacht, daß die Voraussetzungen für diese These fragwürdig sind: Genaueres Zusehen zeigt, daß Ibrahim vielmehr von Westen her zur „Burg des Naʿqûn“, der Mecklenburg südlich des heutigen Wismar, gezogen ist. Die mit -burg namentlich angedeutete Zwischenstation wollte sie in der holsteinischen Oldenburg wiederfinden. Dabei übersah sie jedoch, daß für diese damals der slawische Name Starigard Vorrang besaß; wenn der Kauffahrer aus Tortosa den Platz berührt hätte, wäre diese Form es gewesen, die ihm in erster Linie vermittelt wurde. Ich habe schon früher vorgeschlagen, -burg statt dessen als Verstümmelung von Hammaburg, also Hamburg, zu nehmen; das rätselhafte „was angrenzt“ zwischen diesem Ausgangspunkt und der Mecklenburg wäre dann der
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limes Saxoniae gewesen22. Dann gibt es aber m.W. keinen konkreten Anhalt für die erwähnte Landverbindung von Schwerin nach Südwesten; Ibrahims Text verlangt keinesfalls zwingend die Auslegung, er müßte die „Burg im See“ südlich der Hauptburg des obotritischen Fürstentums persönlich gesehen haben. Sein Weg kann über Mölln und die Niederung zwischen Schaalsee und Goldensee, die ein alter Damm passierbar machte, sowie über Gadebusch zur Mecklenburg geführt haben. Zu dieser Route gab es von und nach Schwerin wohl Anschluß gleichfalls bei Gadebusch. Das schließt nicht aus, daß auch eine alte innerobotritische Verbindung von Schwerin in Richtung Oldenburg i.H. bestanden haben kann (etwa über Alt-Lübeck). Größere Bedeutung mag die Route in Richtung Bardowick und Lüneburg besessen haben. Für Heinrich den Löwen war sie Haupteinfallsstraße seiner Ostexpansion, und zweifellos hat nicht erst er sie gangbar machen lassen. Anstelle Lauenburgs ist dabei die alte Artlenburg einzusetzen, die karolingerzeitliche Ertheneburg23. Ob dieser Verkehrsweg allerdings in wendischer Zeit dieselbe Bedeutung hatte wie in der frühdeutschen Periode, in der er zweifellos entscheidend beitrug, das deutsche Schwerin an diesem seinem Platz zu fixieren, ist ungewiß. Hohe Bedeutung hatte für Schwerins Wendenzeit zweifellos die Nordverbindung, zur Hauptburg des Fürsten und weiter zur Ostsee hin. Hier scheint unklar, in welchem Bogen nach dieser Richtung hin Wälder und Sümpfe zu umgehen waren. Es gibt Indizien, daß das
22
G. Jacob, Arabische Berichte von Gesandten an germanische Fürstenhöfe aus dem 9. und 10. Jh. (Quellen zur deutschen Volkskunde 1), Berlin/Leipzig 1927, S. 11 f., vgl. Lübke (wie Anm. 7) II (1985), S. 190 f., Nr. 139 mit Literatur; ergänzend G. Labuda, Ibrahim, in: Lexikon des Mittelalters (künftig abgekürzt: LMA) V (1991), Sp. 321 f. Zur Berichtigung der Route: Ch. Warnke, Bemerkungen zu der Reise Ibrahim Ibn Jakubs durch die Slawenländer im 10. Jh., bei H. Ludat (Hg.), Agrar-, Wirtschafts- und Sozialprobleme Mittel- und Osteuropas in Geschichte und Gegenwart, Wiesbaden 1965, S. 404 f. mit Anm. 38 und 39, samt der Kritik von H.-D. Kahl, Schwerin, Svarinshaug und die Sclauorum Ciuitas des Prudentius von Troyes. Spuren mecklenburgischer Frühgeschichte in der sogenannten Lieder-Edda, bei Saxo und in den Annalen von St. Bertin? bei K. Zernack (Hg.), Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte Ost- und Nordeuropas, Wiesbaden 1971, S. 64 Anm. 34. – Zum Limes Saxoniae: H. Jankuhn, Geschichte Schleswig-Holsteins III: Die Frühgeschichte, Neumünster 1957, S. 137–146 mit Karten S. 115 und 139; W. Prange, Siedlungsgeschichte des Landes Lauenburg im Mittelalter, Neumünster 1960, S. 156–164; L. Dralle, LMA V (1991), Sp. 1992 s.v. – Über Bohlwege- und Straßenbau der Wenden: H. Keiling, Archäologisches Freilichtmuseum Groß Raden (Archäologische Funde und Denkmale aus Mecklenburg-Vorpommern, Museumskatalog 7), 3. Aufl. Schwerin 1990, S. 61–65. 23 Hier wertvoll Prange (wie Anm. 22), bes. S. 46 f. und 49 f., 54 f. mit Literatur sowie ebd., Karte 10.
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heutige Westmecklenburg seinen Hauptverkehrsknotenpunkt damals in Dobin besaß, nahe Hohen Viecheln am Nordufer des Großen Sees, und daß die Landverbindung von Schwerin aus dorthin, also auch weiter zur Mecklenburg, nicht in dessen Westen verlief, sondern eher auf den weiten Hochflächen im Osten dieses Gewässers24, wobei freilich im Süden der Übergang über die Stör zu bewältigen war25. Die Annahme, daß es vom heutigen Altstadtkern einen Nordweg über die Schelfe gab26, ist jedenfalls unhaltbar: Noch 1284 war nur das Durchgangsrecht der Schelfbewohner durch das Stadtgebiet zu regeln, nicht auch der gegenteilige Fall27. Von dem Wasser zwischen Ziegel- und Heidensee, das den Nordverkehr über Land abriegelte, war schon die Rede28. Es gab mithin von dieser Erhebung zwischen den Seen aus zu in Frage kommender Zeit nur eine einzige Trockenverbindung zum Festland, nämlich die durch den Taleinschnitt zwischen ihm und dem Hohen Felde, südlich des damaligen Ziegelsees. Sie war vielleicht durch einen Dammbau erleichtert, doch ist diese Deutung der spärlichen verfügbaren Spuren nicht gesichert29. Dort irgendwo müssen Fernverbindungen, soweit sie vorhanden waren, zusammengelaufen sein, um gleichsam gebündelt auf den Schweriner Rücken hinübergeführt zu werden und auf ihm zu enden, ob nun mit Zielrichtung auf die heutige Schloßinsel als den machtpolitisch wichtigsten Platz im Gesamtgebiet oder ohne feste Ausrichtung auf einen einzigen Punkt. Einen Durchgangsverkehr gab es nicht und konnte es nicht geben. Um so besser war die Schutzlage, die der Schweriner Rücken den Siedlern gewährte. Schwer zu rekonstruieren ist, was zur Wendenzeit für Schwerin an Landwegen ostwärts des Großen Sees unmittelbar offen lag. Zweifellos gab es von der Mecklenburg aus, etwa über Dobin, Verbindungen einerseits nach Pommern hinüber, andererseits zu den großen Zentren
24 Beltz (wie Anm. 12), S. 17, dazu bei Engel (wie Anm. 21), Kartenbeilage 17. – Zu Dobin noch unten Anm. 40. 25 Dazu sogleich weiter im Text. 26 K. Hoffmann, Die Stadtgründungen Mecklenburg-Schwerins in der Kolonisationszeit vom 12. bis zum 14. Jh., in: MJB 24 (1930), S. 16 und bes. 20 f. 27 MUB III, 1766 (S. 156): homines de Scala . . . uiam nouam ad terras per aquam non habebunt, sed sine impedimento quolibet habebunt introitum et exitum ciuitatis et transitum per eandem. Vgl. auch Rühberg, in: Löwe (wie Anm. 1), S. 15 f. sowie S. 8. – Schon F. Lenz, Die Entwicklung der Stadt Lübeck bis zum Stralsunder Frieden von 1370, Diss. Hannover 1936, S. 15, dazu ebd., S. 59 Anm. 59, hält die Verbindung zwischen Lübeck und Schwerin für erst spätmittelalterlich. 28 Oben bei Anm. 20. 29 Rühberg (wie Anm. 4), S. 69 und 71.
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des Havelgebietes, Brandenburg und Spandau. Sie dürften aber an Schwerin vorbeigelaufen sein, so daß es auch in diesen Richtungen nur indirekt Anschluß gab, über Nebenstrecken. Die Südumgehung des Sees, von der schon für die Verbindung nach Dobin die Rede war, mag auch nach diesen Richtungen hin ihre Bedeutung gehabt haben. Dabei bedarf noch der Klärung, wann die Uferlinie des Sees sich dort auf den heutigen Stand fixiert hat. Es ist bisher nicht auszuschließen, daß sie einst weiter im Süden verlief. Darauf ist gleich noch einmal zurückzukommen. Wenig bedacht wird, daß Landverkehrswege in alten Zeiten nicht die einzigen Fühler sind, die ein Ort in sein Umland hinein ausstreckt. Neben, ja vielfach vor dem beschwerlichen und oft wenig sicheren Landverkehr spielte damals die Binnenschiffahrt mit kleinen Fahrzeugen geringen Tiefgangs eine entscheidende Rolle30. Dies ist auch für den wasserumhegten Schweriner Rücken in Betracht zu ziehen: Schon eine der frühesten Urkunden, die ihn betreffen, beweist dies, indem sie 1171 einen Schiffszoll (navale teloneum) erwähnt; dazu tritt als ergänzender Hinweis, daß Leute aus dem Lande Bützow (hii . . . de Butissin) von ihm ausgenommen werden sollten31. Das ist hydrographisch Einzugsgebiet der Warnow, ohne Wasserverbindung zum Schweriner See. Es muß also einmal von dort aus einen Verkehr gegeben haben, der mindestens teilweise über Land lief, bis er an geeigneter Stelle (bei Dobin?) diesen See erreichte und umsteigen konnte. Nun wurde das Land Bützow (die terra . . . Butissowe) durch die gleiche Quelle dem Bischof von Schwerin überschrieben, wahrscheinlich als nachträgliche Beurkundung eines schon etwas länger bestehenden Zustandest32. Das kann spezielle Verkehrsbedürfnisse geweckt haben, die vorher so nicht bestanden. Doch wenn 1171 die Leute aus diesem Stiftsland vom verschriebenen Schiffszoll ausgenommen wurden, muß man mit anderen, und jedenfalls in weit größerer Zahl, gerechnet haben, die mit ihren Booten den See gleichfalls als Wasserstraße benutzten, und zwar so, daß ihre Abgabe zu lohnenden Einnahmen führte. Es fällt schwer, dies als verkehrsstrategische Neuerung der frühdeutschen Zeit zu betrachten. Es dürfte sich um Möglichkeiten handeln, die schon zur Wendenzeit genutzt worden
30 D. Ellmers, Die Rolle der Binnenschiffahrt für die Entstehung der mittelalterlichen Städte, bei Brachmann/Herrmann 1991 (wie Anm. 1), S. 137–147; die Ergebnisse sind auf Vorläufer frühstädtischer Formen übertragbar. 31 UHL 89 (S. 134,13); MUB I, 100 (S. 97). Vgl. unten Anm. 209–210 und 328. 32 UHL 89 (S. 133,37); MUB I, 100 (S. 96).
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sind, und schwerlich allein durch Fischerboote: Deutsche Siedlung hat erst lange nach 1171 ins Warnowgebiet übergegriffen. Ist allein an den See als Wasserstraße zu denken? Dies führt auf den vielleicht schwierigsten Abschnitt der Rekonstruktionsprobleme, vor die uns die Frage nach der wendenzeitlichen Altlandschaft stellt, denn im Umkreis des Schweriner Sees hat nicht allein die Natur für einschneidende Veränderungen gesorgt – auch der Mensch hat dort nachgeholfen, alte Verhältnisse bis zur Unkenntlichkeit zu durchkreuzen. Das gilt besonders für die Gegenden südlich des Sees, wo sich z.B. das alte Sumpfwaldgebiet der Lewitz befand. Dort haben Wasserbaumaßnahmen seit dem 16. Jahrhundert für ein Gewirr von Kanälen und Gräben gesorgt, in dem Ursprüngliches kaum noch erkennbar ist33. Das betrifft nicht zuletzt die Stör, durch die der Schweriner See nach Süden entwässert; sie aber zieht die Aufmerksamkeit an, weil 1191 für den Schweriner Schiffahrtszoll ein solcher in Plate (Plote) erscheint, einen der Orte, bei denen dieser Fluß überschritten werden konnte. Der Kontext scheint sicherzustellen, daß diese Abgabe an die Stelle derjenigen in Schwerin getreten war34 – auf welche Weise, erfahren wir nicht. Es lag also ein stärkerer Akzent der Binnenschiffahrt des Gesamtraumes auf diesem Fluß statt auf dem See, sonst wäre die Änderung unverständlich. Das aber führt auf weitere Zusammenhänge. Was heute als Stör den Großen See verläßt, macht nicht den Eindruck, jemals zur Binnenschiffahrt geeignet gewesen zu sein, nicht einmal für bescheidenste Ansprüche. Hier sind jedoch nicht nur die eben erwähnten Wasserbaumaßnahmen im Lewitzbereich in Rechnung zu ziehen, die den Flußlauf so erheblich verändert haben. Natürliche
33 Überblick: F. Havemann, Die Wasserläufe der Lewitz in geschichtlicher Schau, in: Naturschutzarbeit und naturkundliche Heimatforschung in den Bezirken RostockSchwerin-Neubrandenburg, hg. von der Zweigstelle Greifswald des Instituts für Landesforschung und Naturschutz, Jg. 5, H. 5 (1960), S. 12–18, mit Karten des historischen und des heutigen Gewässernetzes in dieser Gegend nach F. Treichel, Die Haupt- und Nebenwasserscheiden Mecklenburgs, Diss. Greifswald 1957, S. 262 f. Die Kenntnis dieses Textes danke ich Herrn N. Rühberg, Klein Rogahn. Vgl. H. Bei der Wieden, Lewitz, in: Handbuch (wie Anm. 1), S. 57 f. mit weiteren Angaben. 34 MUB I, 151 (S. 149) von 1191: verbrieft nach genannten Dörfern nauale teloneum in Plote, parrochiam in Zverin etc. Die Ortsliste ist aktualisiert, die erwähnte Ausnahmeregelung für die Leute aus Bützow getilgt, die Fortsetzung entspricht wieder genau UHL 89 (MUB I, 100). Der Ort des Schiffszolls von 1191 hat nichts zu tun mit der gleichnamigen terra Plote im Peenegebiet, die 1186 und 1189 der Diözese Schwerin bestätigt wird, doch ohne besitzrechtliche Regelungen (MUB I, 141, S. 137, bzw. 149, S. 145). Vgl. H. Bei der Wieden, Plate (bei Schwerin), in: Handbuch (wie Anm. 1), S. 81.
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Vorgänge machen noch heute an entsprechend genutzten Flüssen immer wieder Baggerarbeiten notwendig, um die Schiffbarkeit aufrechtzuerhalten. Für solche gab es früher nur beschränkte technische Möglichkeiten. Hinzu kommt die angesprochene Unsicherheit über die südliche Uferlinie zur Wendenzeit. Wenn die Stör sich gegen älteren Zustand nachträglich eine mühsame Strecke durch neues Verlandungsgebiet offenhalten mußte – und als einziger Abfluß des Sees, bevor die Neuzeit eingriff, war dies unumgänglich –, so kann dies die Problematik selbst für kleinere Boote verstärkt haben. Doch einstweilen ist hier, auch chronologisch, alles unklar. Die Stör geht in den wichtigsten Fluß Mecklenburgs nach der Warnow, die Elde; diese fließt zur Elbe, so daß der Schweriner See hydrographisch zum Einzugsgebiet der Nordsee gehört, so seltsam das angesichts seiner geringen Entfernung zur Ostsee klingen mag. Die damit gegebene Wasserverbindung zielt in Richtung Lüneburg. Von dieser Stadt aus aber hat man noch 300 Jahre nach der Erwähnung des Schiffszolls von Plate, also nach langer weiterer Wirksamkeit naturgegebener Verflachungstendenzen, den Ausbau von Elde und Stör zu einer neuen Wasserstraße für möglich gehalten, und die Lüneburger hatten schließlich reiche Erfahrung in Sachen Binnenschiffahrt35. Das läßt Rückschlüsse auf den Schiffszoll von 1191 und erst recht für die Wendenzeit zu – wie gesagt, für einen Betrieb mit kleinen Booten. Die Elde stellte aber auch flußaufwärts, nach Osten, Verbindungen her – mindestens bis ins Parchimer Land. Dort lag in wendischer Zeit ein Kult- und Handelsplatz, der beachtliches Fundmaterial ergeben hat – er muß größere Bedeutung gehabt haben, eine der frühstädtischen Siedlungskomplexe im Stil der Wendenzeit36. Noch die frühdeutsche Stadt, die ihn an etwas anderer Stelle ablöste, hat aus der Schiffbarkeit der Elde ihren Nutzen ziehen können37. Ist der Blick noch nach anderer Richtung zu wenden? Der Schweriner See gehört, wie gesagt, nicht zum Ostseebereich, doch die Entfernung zwischen seiner Nordspitze und der Wismarer Bucht mißt in der Luftlinie nur knapp 15 km. Einen erheblichen Teil dieser Strecke nimmt 35 Kahl (wie Anm. 22), S. 71–73; vgl. H. Bei der Wieden, Wallensteingraben, in: Handbuch (wie Anm. 1), S. 129. 36 Keiling (wie Anm. 7), S. 72–80; vgl. V. Schmidt, Frühstädtische Siedlungsentwicklung in Nordostdeutschland, bei Brachmann 1995 (wie Anm. 1), S. 112 mit Abb. 3 (S. 113). Vgl. unten bei Anm. 72. 37 H. Bei der Wieden, Parchim, in: Handbuch (wie Anm. 1), S. 78; ergänzend Schmidt (wie Anm. 36), S. 114–116, passim. Vgl. noch unten bei Anm. 336 und 346.
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ein Taleinschnitt ein, in dem ein Wasserlauf dem Meer zustrebt, einst das „Brusewater“ genannt; auch dieser Einschnitt ist im wesentlichen verlandetes Seengebiet – der Lostener See mit seiner Längserstreckung von über 1 km hat sich in seinem Verlauf bis heute erhalten. Daß die Mecklenburg an gerade der Stelle entstand, an der die Reste der mächtigen Wallanlage noch heute aus dem Wiesengrund aufsteigen, und bei ihr ein Marktort – noch für 1168 als forum bezeugt38 –, das hat offenbar etwas mit diesem Wasserlauf zu tun, der nur wenige 100 m am Burgwall vorüberzieht, und mit der Verbindung, die er einstmals zum Meer hin erschloß. Die Pläne, eine unmittelbare Wasserstraße von der Elde her über den Großen See nach Wismar herzustellen, knüpften seit dem fortschreitenden Mittelalter auch an diese Gegebenheiten mit an39. Die Frage ist, ob auch der Oberlauf dieses Gewässers einmal Verkehrsbedeutung erlangen konnte, mit südwärtigem Anschluß in Richtung Schwerin. Sie wird ermutigt durch die Feststellung, daß Dobin, am Nordostzipfel des Großen Sees, zu 1147 als durch Seeraub berühmt erscheint (insigne piratica oppidum)40. Die Schwierigkeit liegt unmittelbar am Nordufer des Sees – dort, wo die Wasserscheide zwischen Ostsee und Nordsee verläuft. Sie wird durch drei Hügelketten gebildet, die sich dicht hintereinander lagern, bei etwa 60 bis 70 m Meereshöhe ihre 15 bis 25 m aus dem Umland aufragend. Ihre Breite beträgt nach alten Angaben bei 50, 70 und 170 „Schritt“, aber sie fallen verhältnismäßig steil zu den sie trennenden Geländeeinschnitten ab, nicht zuletzt zum See, dessen Niveau wohl auch damals bei 37 m Meereshöhe lag. Diese Strecke ist dem Landverkehr feindlich, zum Passieren mit Bootsträgern oder Wagen völlig ungeeignet; es gibt offenbar auch keine dafür geeigneten Umgehungsstrecken. Der Verkehr zwischen der Mecklenburg und Dobin war wohl nur auf dem Landwege möglich, auf einer Strecke, die sich vom Wasserlauf löste41. Dann allerdings konnte wieder der See genutzt werden, der mit seiner Längserstreckung wohl immer eine bedeutende Wasserstraße abgab. Als die neu ausgebaute Schiffahrtsverbindung von der Elbe her über den See nach Norden verlängert werden sollte, suchte man auch den 38
Helmold (wie Anm. 2), c. 109 (S. 21); vgl. unten bei Anm. 314. Kahl (wie Anm. 22), S. 62–67; Bei der Wieden, wie Anm. 35. 40 Kahl, ebd., S. 61 f. mit Anm. 28; vgl. H. Bei der Wieden, Hohen Viecheln, in: Handbuch (wie Anm. 1), S. 47. 41 Kahl, ebd., S. 66 f., oben im Text berichtigt nach erst nachträglich möglich gewordenem Augenschein. Herrn N. Rühberg, Klein Rogahn, sei auch an dieser Stelle für eingehende Führung im Gelände Dank gesagt. 39
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nach Wismar hin ziehenden Taleinschnitt zu nutzen, und die trennenden Hügelketten wurden durchstochen. Erst damit erhielt der Schweriner See den zweiten Abfluß nach Norden hin, der auf historischen Karten oft gedankenlos mitreproduziert wird, als hätte er schon in alten Zeiten seine Rolle gespielt. Der Volksmund gab dem neugestalteten Wasserlauf zwischen See und Meer den Namen „Wallensteingraben“, doch hatte der damit angesprochene Mann, der für wenige Jahre auch Herzog von Mecklenburg war, damit wenig mehr zu tun, als daß er die Anlage einmal besichtigte42. So weit die Bestandsaufnahme. Im Ganzen zeigt sich: Der Schweriner Rücken bot, als Wenden ihn entdeckten und benannten, eine sehr gute Schutzlage – besonders, wenn man an seinem Westabschnitt zusätzliche Vorkehrungen traf –; sein Lehmboden ließ sich für Ackerbau nutzen; der See bot Fischreichtum; es war wohl auch Wald in der Nähe mit den Möglichkeiten zu Nahrung und Erwerb, die ihm eigen blieben, und es gab günstige, wenn auch nicht gleichmäßig günstige Fernverbindungen auf dem Land- wie auf dem Wasserwege. Die gesteigert gute Schutzlage der Burg- oder Schloßinsel kommt hinzu. Es ist nicht erstaunlich, daß Wenden sich hier einrichteten. Die Verkehrslage allerdings ließ zu wünschen übrig, zumindest, was Landverbindungen angeht. Weder die Inselburg noch ihr Suburbialgebiet konnten unmittelbare Sperrfunktionen übernehmen; selbst Überwachungsfunktionen waren hier eher für den See und das angeschlossene Gewässernetz aufzubauen als für Wege über Land. Man versteht, daß – wie gleich zu zeigen – an diesem Platz nicht das Hauptherrschaftszentrum der Obotriten entstand. Burg und Vorburgsiedlung (suburbium) Wir müssen zugeben, daß wir von dem Schwerin der Wendenzeit wenig wissen. Das beginnt mit seinen Anfängen. Das schriftliche Quellenmaterial liefert kein eindeutiges Zeugnis vor der genannten Erwähnung zu 1018. mit der erstmals der Name auftaucht43; daß Ibrahim ibn Jaʿqûb die Inselburg schon ein Halbjahrhundert vorher erwähnt, wie besprochen, ist bereits Hypothese, wenn auch von höchstem Wahrscheinlichkeitsgrad: Der Kauffahrer spricht nur die Lage an und sie
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Bei der Wieden, wie Anm. 35. Oben Anm. 8; vgl. unten Anm. 53; dazu P. Donat, Mecklenburg und Oldenburg im 8. bis 10. Jh., in: MJB 110 (1995), bes. S. 20. 43
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recht präzis, doch er benennt den Platz nicht44. Die Lieder-Edda weiß für das 9. Jahrhundert von einem Wikingervorstoß auf Svarinshaug. Wie fragwürdig es ist, dies mit Schwerin zusammenzubringen, wird gleich gesondert angegangen45. Die Archäologie hat bei der geschilderten Sachlage46 wenig zu bieten; mit ihren Nachweisen kommt sie einstweilen offenbar nicht über das 10. Jahrhundert zurück47. Da sie von Natur aus nichts als positive Beweise ermöglicht – sie vermag zu zeigen, was war, doch nicht, was nicht war, denn Fundlücken können sich jederzeit überraschend schließen; sie bieten niemals einen sicheren Ausschlußgrund –, so ist aus dieser Feststellung nichts zu folgern. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß der sichere Platz von den slawischen Einwanderern verhältnismäßig früh besetzt wurde, wenn nicht gleich im Zuge der Landnahme, so doch bald danach. Wir haben also für die Wendenzeit des Ortes wohl mit vier Jahrhunderten oder mehr zu rechnen, bevor es 1160 zum gewaltsamen Ende kam, doch daß auch dies nur Hypothese ist, muß gegenwärtig bleiben. Ungeklärt ist nicht zuletzt, wie die Besiedlung sich über den heutigen Altstadtbereich verteilte, welche Strukturen es dabei gab und welchen Wandlungen sie etwa unterworfen wurden. Wer konkrete Vorstellungen sucht, ist auf Analogien angewiesen, wie sie bisher für die Bebauung und manche gewerbliche Tätigkeit das eindrucksvolle Freilichtmuseum im nahe gelegenen Groß Raden bei Sternberg zur Verfügung stellt, dessen Erhaltung leider gefährdet scheint (Abb. 8)48. Die Menschen, die im Schwerin der slawischen Phase wohnten und wirkten, bleiben anonym, wenn man von der Erwähnung zweier Fürsten absieht, die die Burg nutzten, ohne dort ständig zu residieren: Erst 1186 erfahren wir von einem Mann, der als wendischer Bewohner
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Oben Anm. 22 und anschließenden Text. Unten bei Anm. 77–83. 46 Oben vor Anm. 4. 47 Keiling (wie Anm. 10), S. 19 f.; J. Brandt, Neue slawische Siedlungsfunde aus der Stadt Schwerin, im gleichen Heft, S. 22–29 mit älterer Literatur; H. Keiling, Slawische Burgwallreste auf der Schweriner Schloßinsel, in: Ausgrabungen und Funde 33 (1988), S. 151–156; vgl. J. Herrmann (Hg.), Die Slawen in Deutschland, 2. Aufl. Berlin 1985, Ortsregister S. 610 s.v. Schwerin. 48 E. Schuldt: Burg und Siedlungen von Groß Raden, Schwerin 1978; Keiling (wie Anm. 7), S. 10–30; (R. Voß), Museumsführer durch das Freigelände Altslawischer Tempelort Groß Raden, Sternberg o. J. (nach 1990) mit Literatur, aus der die Arbeiten des Ausgräbers E. Schuldt hervorzuheben sind, hier bes.: Der Holzbau bei den nordwestslawischen Stämmen vom 8. bis 12. Jh., Berlin 1988. – Zur Tempelrekonstruktion unten, Anm. 65. 45
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in Anspruch genommen werden kann, und von ihm nicht mehr, als daß er Suk geheißen hatte (also Žuk, mit Ž- wie G- in Genie), daß er Fischer gewesen war und innerhalb des damaligen Stadtgebietes ein Haus besessen hatte; er wird uns noch zu beschäftigen haben49. 1186: das ist schon tief in der frühdeutschen Zeit. Die Wenden haben weder Geschichte geschrieben noch Urkunden oder Akten hinterlassen, und die deutschen Zeitgenossen erwähnten sie nur, wo Berührungen zwischen beiden Lebenskreisen auftraten, niemals um ihrer selbst willen. Dies macht sich immer wieder bemerkbar. Der Erstbeleg stellt immerhin mehr klar als die bloße Existenz des Ortes im Jahr 1018. Er spricht von einem Aufenthalt des Obotritenfürsten Mistizlav in Zuarinae civitatis munimen50. Es gab also einen Siedlungskomplex, der eine besondere, befestigte Anlage einschloß – jene ältere Bedeutung von civitas, die vielfach mit „Burgstadt“ wiedergegeben wird, obwohl das leicht falsche Assoziationen weckt und daher auch immer wieder angefochten wird51. Für die Burg, deren Wallreste unter dem Schloß ermittelt werden konnten, wird aus dieser Stelle häufig gefolgert, sie sei eine Nebenresidenz des obotritischen Fürstenhauses gewesen und also die zweitwichtigste im Lande nach der Mecklenburg, die als dessen eigentlicher Sitz feststeht52, so merkwürdig dies wirken mag für einen Platz, für den wir eine slawische Benennung nicht wirklich kennen, ebensowenig wie für Havelberg, Brandenburg u.a. Welioder Wiligrad, wie vielfach vermutet wird, paßt mir schlecht zwischen Starigard, den bezeugten wendischen Namen für Oldenburg i.H., und
49 MUB I, 141 (S. 137): a domo piscatoris cuiusdam, cui nomen erat Suk . . . Vgl. unten Anm. 280. 50 Thietmar (wie Anm. 8); Lübke (wie ebd.); Donat (wie Anm. 43). – Über die wendische Burg Schwerin: Beltz (wie Anm. 12), S. 14 f.; E. Schuldt, Slawische Burgen in Mecklenburg. Sonderausstellung, Schwerin 1962 (ohne Seitenzählung), Text und Karte 1, Nr. 61; Keiling (wie Anm. 47), S. 151–156; G. Gudehus u.a., Das Schweriner Schloß. Untersuchungen im Baugrund und Gründung, in: Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke. Jahrbuch 1990, S. 302 f.; vgl. auch H.-D. Kahl, Zum Stande der Einbeziehung von Städten und Historischen Stätten in das allgemeine Geschichtsbild, in: Historisches Jahrbuch 82 (1963), S. 337. Die von Dems. (wie Anm. 22), S. 106 mit Anm. 155 sowie S. 125 aufgeworfene Frage, ob der slawische Burgwall Schwerins auf einem Schütthügel aufruht, ist nach den von Keiling, a. O., berichteten jüngeren Untersuchungen zu verneinen (freundlicher Hinweis von Dems.). – Vgl. Anm. 56. 51 E. Engel, Wege zur mittelalterlichen Stadt, bei Brachmann 1995 (wie Anm. 1), S. 17–19–; vgl. Conze (wie Anm. 1), S. 73. 52 Lübke (wie Anm. 7) III, Reg. 300 (S. 129 ff.) mit reicher Literatur, dazu jetzt Donat (wie Anm. 43), S. 5–20, passim. Zum archäologischen Befund Keiling (wie Anm. 47).
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die gleichnamigen bis nach Stargard/Pommern hin, zu denen sich noch Belgard gesellt, ein wendisches „Weißenburg“; eine -grad-Form kann hier nicht einheimisch sein: Sie ist bestenfalls als Tschechisierung erklärbar, zustande gekommen aus eigenen Sprachkenntnissen Ibrahims oder eher seiner Begleiter. Doch wie dem auch sei: Für Schwerin gibt der Quellenwortlaut zu 1018 m.E. nicht mehr her, als daß Fürst Mistizlav damals dort während eines Aufstandes Zuflucht finden konnte, bevor er zum Verlassen des Landes genötigt war53. Da es für ihn kaum eine andere Fluchtmöglichkeit als die nach Westen hin gab, war die Inselburg von Schwerin eine geeignete Zwischenstation mit verhältnismäßig hohem Sicherheitsgrad. Für weitergehende Schlüsse scheint mir die Stelle als Basis zu schmal. Als sicher gelten kann, daß diese Anlage jedenfalls in spätobotritischer Zeit, ebenso wie andere (etwa Ilow und Werle), Mittelpunkt eines Burgbezirkes war – so nennen wir die Verwaltungseinheit der mittleren Ebene (wie die Obotriten sagten, wissen wir nicht). Die administrative Zuständigkeit solcher Einheiten erstreckte sich über nicht ganz wenige Dörfer54; wie die genaue Abgrenzung im Fall Schwerins aussah, ist schwer zu bestimmen55. Weiter sehen wir, daß die Inselfestung sich in ein offenbar wohldurchdachtes Abwehrsystem ähnlicher Burgwälle eingliederte, das gegen Westen gerichtet war56. Wer hat auf der Burg und in ihrem Bezirk Kommando und Leitung gehabt? Konnte sich dort eine Art Adelsdynastie halten oder gab es andere Regelungen? Das werden wir niemals erfahren.
53 Thietmar (wie Anm. 8): Liutici . . . Mistizlavum . . . turmatim petunt plurimumque regni suimet partent devastantes . . . ipsum intra Zuarinae civitatis municionem cum militibus electis colligere cogunt. Deindeque . . . a paterna hereditate vix evadere hunc compellunt. 54 W. H. Fritze, Probleme der abodritischen Stammes- und Reichsverfassung und ihrer Entwicklung vom Stammesstaat zum Herrschaftsstaat, bei Ludat (wie Anm. 21), S. 191 ff. 55 Methodische Wege zur Erschließung bei Prange (wie Anm. 22), und Engel (wie Anm. 21). 56 R. Beltz, Erläuterung der Karte zur Vorgeschichte von Mecklenburg, in: Correspondenzblatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie usw. 32 für das Jahr 1901 (1902), S. 38, unter fälschlicher Einstufung Schwerins als „Hauptburg“; vgl. Dens., Die vorgeschichtlichen Altertümer des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin, Schwerin 1910, Bd. I, S. 382 f.; H. Witte, Mecklenburgische Geschichte I, Schwerin 1909, S. 11; auch Hamann (wie Anm. 1), S. 40 f.
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Von den Suburbien, die zu solchen Befestigungen gehörten, haben wir im allgemeinen sehr konkrete Vorstellungen57. Wie sie sich im Fall Schwerins realisierten und variierten – die Variationsbreite war nicht unbeträchtlich –, bleibt noch immer weitgehend unserer Phantasie überlassen. Im Unterschied zu manchen anderen Anlagen dieser Art aus wendischer Zeit, gerade im Lande Mecklenburg, macht die aktuelle Bebauung hier eine systematische archäologische Untersuchung unmöglich. Daß die wohl einmaligen Chancen, die sich z.B. 1977 um den Großen Moor ergaben, ungenutzt preisgegeben wurden, war bereits anzumerken. So bleiben wir einstweilen auf Zufallsfunde angewiesen und beschränkt, die sich bei Haus- und Straßenbauarbeiten ergeben – meist Einzelstücke, für die das ungeklärt bleiben mußte, was solches Material erst wirklich zum Sprechen bringt, nämlich der stratigraphische Zusammenhang; unter Umständen ist damit zu rechnen, daß die Gegenstände an den Fundort erst bei Aufschüttungsmaßnahmen gelangt sind, wie sie in der Schweriner Stadtentwicklung so große Bedeutung erlangten, und dann vermögen sie naturgemäß über die Slawenzeit dieser Stelle gar nichts auszusagen. Kein einziger Hausgrundriß von damals konnte aufgeschlossen werden als sicherer Festpunkt für die Fixierung eines Siedlungskomplexes. Wir können das Gebiet umgrenzen, in dem solche Funde zutage getreten sind, wobei allerdings eine verläßliche Kartierung des Gesamtbestandes bisher zu fehlen scheint, aber Erkenntnis ist damit nicht gewonnen. Wir können für wahrscheinlich halten, daß die Achse, die heute als Schloßstraße auf die alte Burginsel zuführt, auch zur Wendenzeit eine Rolle gespielt hat, doch letztlich bleibt alles vage58: Eine vergleichende Strukturuntersuchung slawischer Suburbien des Ostseebereichs, wie sie jüngst vorgelegt wurde, hatte daher keinerlei Möglichkeit, Schwerin einzubeziehen59.
57 Fritze (wie Anm. 54), S. 337 f.; dazu P. Donat, Handwerk, Burg und frühstädtische Siedlungen bei nordwestslawischen Stämmen, bei Brachmann 1995 (wie Anm. 1), S. 92–107; Schmidt (wie Anm. 36), S. 108–117. 58 Vgl. A. Hollnagel, Frühgeschichte Schwerins, in: Ausgrabungen und Funde 3 (1958), S. 332 f.; Ders., Ur- und Frühgeschichte des Stadtkreises Schwerin, Schwerin 1960, S. 12 f. und 37 mit Karte im Anhang; Brandt (wie Anm. 47), S. 22–29 mit Abb. 7; ferner S. Bock, Schwerin, die Altstadt. Stadtplanung und Hausbestand im 20. Jh., Schwerin 1996, S. 73–76. 59 Donat (wie Anm. 57), dazu als weiteres Vergleichsmaterial die slawische Brandenburg und ihr Umfeld, vgl. W. Schich, Zur Genese der Stadtanlage der Altstadt und Neustadt Brandenburg, bei Dems. (Hg.), Beiträge zur Entstehung und Entwicklung der Stadt Brandenburg im Mittelalter (Veröffentlichung der Historischen Kommission zu Berlin 84), Berlin/New York 1993, S. 53 mit Anm. 4. – Einen ausführlichen Überblick
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Was läßt sich vermuten? Der Ortsname deutet an, daß die Siedlung in waldreicher Gegend entstand: Wo sonst sollte Wild in so großer Menge sich bergen, daß dies die Ortsnamengebung bestimmte? Es gab also eine Basis für Jagd, zusätzlich zum Fischfang, den der See reichlich gewährte, und man darf fragen, ob nicht am Ort auch etwas mit den dabei anfallenden Fellen oder Pelzen geschah. Möglichkeiten der Buchenmast konnten zur Schweinehaltung genutzt werden, etwaiges Grasland als Weide für Pferde und Rinder. Wald lenkt die Gedanken jedoch auch auf einen Wirtschaftszweig, den die Slawen zu besonderer Perfektion entwickelt hatten, die Waldhoniggewinnung (Zeidlerei), die gleichzeitig Wachsbereitung möglich machte. Sie stellte zugleich gesteigerte Anforderungen an das keramische Handwerk, denn wie sollte Honig anders aufbewahrt und transportiert werden als in Töpfen? Zur Burg gehörten jedenfalls berittene Krieger; sie brauchten Versorgung besonderer Art, z.B. Ausrüstung für die Pferde. So schält sich schnell ein ganzer Katalog von Möglichkeiten heraus. Doch welche von ihnen wurden in Zvěrinĭ tatsächlich genutzt? Wie hoch entwickelt war die gewerbliche Produktion am Ort; wie verteilte sie sich auf Ansässige und auf Wanderhandwerker, mit denen ja durchaus auch zu rechnen ist – Facharbeiter, die nur zeitweise hier Aufenthalt nahmen, um dann weiterzuziehen? Vermochte diese Produktion mehr zu leisten, als dem unmittelbaren Bedarf von Burg und Suburbium entsprach, und in welchem Umkreis setzte sie gegebenenfalls ihre Überschüsse ab, Wachs und Pelzwerk eingeschlossen? Wie wurde andererseits der Nahrungsmittelbedarf gedeckt, der nicht aus Fischerei, Jagd und Zeidlerei zu befriedigen war? Gab es Acker- und Gemüsebau ausreichend im Ortsbereich selbst, also auf dem Schweriner Rücken mit seiner Lehm- und Mergelschicht, oder mehr Zufuhr aus dem Umland? Und wie sahen die Rechtsverhältnisse der Beteiligten aus? Auch hier kann man einstweilen nichts als fragen und sich auf wahrscheinlich meist nur bescheidene Größenordnungen gefaßt machen, weil das Stimulans eines Fürstensitzes fehlte.
über Wirtschaft und Wirtschaftsentwicklung der Nordwestslawen auf nachmals deutschem Boden gewährt Herrmann (wie Anm. 47), S. 66–152, mit viel Abbildungsmaterial. Selten erörterte, wichtige Gesichtspunkte, die z.T. auch für Mecklenburg gelten, bei Jhs. Schultze, Die wirtschaftlichen Verhältnisse in Brandenburg in voraskanischer Zeit, in: Brandenburgische Jahrbücher 4 (1936), S. 27–33, noch immer lesenswert trotz Veränderung des archäologischen Forschungsstandes. – Vgl. Anm. 71.
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Allerdings sollten wir uns die Möglichkeiten nicht gar zu gering vorstellen, denn es ist damit zu rechnen, daß es im wendischen Schwerin außer der Burg noch einen zweiten herausgehobenen Bezugspunkt gab, der auch wirtschaftlich bedeutungsvoll wurde, nämlich einen Kultplatz der alten Religion. Man hat dafür einerseits an die Stätte des späteren Domes gedacht, andererseits an die Schloßinsel, wo der archäologisch nachgewiesene Burgwall dann Umfriedung des Sakralplatzes gewesen wäre60. Das zweite wird man ausscheiden dürfen, obwohl die Insellage unter nachgewiesenen slawischen Heiligtümern Analogien besäße – die 1018 bezeugte Burg würde dann heimatlos. Die erstgenannte Möglichkeit jedoch hat viel Wahrscheinlichkeit für sich. Die Domrenovierung nach 1980 hätte Gelegenheit geboten, dort Nachforschungen anzustellen. Wie erwähnt, wurde diese Chance vertan, gleich anderen, die sich im Altstadtkern zeitweise angeboten hätten. Wir bleiben auch hier auf Vermutungen angewiesen – Wahrscheinlichkeitserwägungen statt Fakten. Bekannt ist, daß es in der vorchristlichen Wendenzeit Kultstätten von abgestuftem Rang und Geltungsbereich gab, offenbar bezogen auf entsprechende Bereiche der politischen Organisation in deren unter-
60 Domstätte: Hollnagel 1958 (wie Anm. 58), S. 333; vgl. Dens., 1960 (ebd.). Die Kultstätte hätte dann zur Burg eine ähnliche Lage gehabt wie im Fall des slawischen Brandenburg; darüber H.-D. Kahl, Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte, Köln/Graz 1964, Bd. II, S. 954–960 mit Karte im Anhang, vgl. Bd. I, S. 99 und 330, und bes. L. P. Słupecki, Slavonic Pagan Sanctuaries, Warsaw 1994, S. 202 f.; weitere Beispiele bei J. Herrmann, Siedlung, Wirtschaft und gesellschaftliche Verhältnisse der slawischen Stämme zwischen Oder/Neiße und Elbe, Berlin 1968, S. 203 f. – Burginsel: Słupecki, ebd., S. 68 sucht hier sogar – als eine unter mehreren Möglichkeiten – das ljutizische Zentralheiligtum Riedegost-Rethra. Dies ist schwer nachzuvollziehen, da Schwerin im Gebiet der Obotriten – nicht der Ljutizen! – lag und eine entsprechend zentrale Bedeutung des Platzes nirgends hervortritt; zudem ist die Burg (doch jedenfalls auf dieser wohlgeschützten Insel) schon 1018, also zur Blütezeit jenes Heiligtums, genannt (oben bei Anm. 50). – Riedegost-Rethra ist jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in der Lieps südlich des TollenseSees bei Neubrandenburg lokalisiert, vgl. V. Schmidt, Slawen und Deutsche – zur Eroberung, Besiedlung und Christianisierung Mecklenburgs im 11. und 12. Jh., bei W. Karge (Hg.), Ein Jahrtausend Mecklenburg und Vorpommern, Rostock 1995, S. 25 f. (deutlicher als in dort genannten älteren Publikationen), dazu Ders., Die Befestigungsanlagen im Siedlungsgebiet der Wilzen/Lutizen, bei W. Budesheim (Hg.), Zur Slawischen Besiedlung zwischen Elbe und Oder, Neumünster 1994, S. 79 f.; vgl. Keiling (wie Anm. 22), S. 65–71.
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schiedlichen Ebenen61. Dabei steht zwar fest, daß es Heiligtümer. z.B. Tempelburgen gegeben hat, die von den Zentren der „staatlichen“ Machtausübung räumlich getrennt waren (besonders deutlich bezeugt auf Rügen)62. Es scheint jedoch, daß dies nur für die höchste Ebene galt, für sakrale Mittelpunkte ganzer Stammesgebiete. Dem Sitz der Herrschaft über einen Burgbezirk wird man einen Kultplatz in nahem Umkreis sehr wohl zutrauen dürfen. Weiter entsprach es einem alten kirchlichen Prinzip, eigene Gotteshäuser über Sakralplätze des überwundenen Glaubens zu setzen, zugleich als Siegesmal des neuen63. Das war nicht überall möglich. Es setzte voraus, daß der bisherige religiöse Mittelpunkt in Altsiedelland einbezogen war, also nicht weitab lag, an einsam entfernte Naturdenkmäler geknüpft64. Diese Voraussetzung wäre jedoch für den späteren Domhügel Schwerins erfüllt gewesen. Nicht unbedingt haben wir an einen Tempel zu denken, wie Groß Raden ihn freigegeben hat65, denn dort lag allem Anschein nach ein Zentrum höheren Ranges, vielleicht sogar das Hauptheiligtum der Warnower, doch ist dies unsicher66. Vielleicht ist eher an einen sogenannten Kultkreis zu denken, der besonders eingefriedigt unter freiem Himmel
61 Thietmar VI,2 (S. 268,26 f.): Quot regiones sunt in his partibus, tot templa habentur et simulacra demonum singula ab infidelibus coluntur, zu berichtigen nach den Ausführungen oben weiter im Text; vgl. Helmold, c. 84 (S. 288,9 ff.): Preter penates enim et ydola, quibus singulis oppida redundabant, . . . sanctimonium fuit universae terrae. Vgl. Zl. 20 ff. und c. 52 (S. 196,18 ff.). Großzügige Synthese des Forschungsstandes bei Słupecki (wie Anm. 60), passim. 62 H.-D. Kahl, Das Fürstentum Karantanien und die Anfäge seiner Christianisierung, bei G. Hödl und Jhs. Grabmayer (Hgg.), Karantanien und der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter, Wien/Köln/Weimar 1993, S. 54 ff. mit Anm. 106 (S. 89). 63 Vgl. den bekannten Brief Papst Gregors I. an den Angelsachsenmissionar Mellitus vom 1.6.601 (Gregorii Primi Papae Registrum Epistolarum XI,36, MG EE II, S. 306; Auszug der hier wichtigen Stellen: Beda, Historia Ecclesiastica Gentis Anglorum I, 30, ed. G. Spitzbart, Darmstadt 1982, Bd. I, S. 110 ff. mit deutscher Übersetzung). 64 Vgl. Beitrag XII, S. 409–414. 65 E. Schuldt, Der altslawische Tempel von Groß Raden, Schwerin 1976; dazu J. Herrmann, Ein Versuch zu Arkona. Tempel und Tempelrekonstruktionen nach schriftlicher Überlieferung und nach Ausgrabungsbefunden im nordwestslawischen Gebiet, in: Ausgrabungen und Funde 38 (1993), S. 139–142. Herr Univ.-Prof. Dr. F. Glaser, Klagenfurt, weist brieflich darauf hin, daß die provisorische Rekonstruktion Schuldts, die dem Aufbau im Freilichtmuseum zugrundeliegt, durch die Wasserableitung entscheidende Zweifel weckt; das Fehlen eines Firstbalkens sei jedoch „kein entscheidendes Argument, weil auch laut Zeichnung zahlreiche Bretter der Wände bzw. Umfriedung fehlen. Vom Dach findet man oft überhaupt nichts.“ Danach ginge ein Teil der Herrmannschen Kritik möglicherweise zu weit. [Neubewertung der Befunde oben Beitrag VII!] 66 Donat (wie Anm. 57), S. 104 mit Literatur.
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offen blieb67, aber auch dies muß dahingestellt bleiben. Eine Kultstatue kann beteiligt gewesen sein, doch waren solche Bildwerke keineswegs grundsätzlich an solchen Stätten vorhanden, und Analogieschlüsse sind hier besonders problematisch, weil bei den Wenden die verschiedensten Typen von Sakralstätten selbst auf relativ engem Raum nebeneinander bestehen konnten68. Wenn es also von dem späteren Bischof Berno heißt, er sei von Schwerin bis Demmin gegen Götzenbilder (ydola) vorgegangen69, so ist damit für die wendische Vorgängersiedlung seines nachmaligen Episkopalsitzes nichts Bestimmtes anzufangen, allgemein und toposverdächtig, wie eine solche Angabe bleibt. Ebensowenig gibt es Anhaltspunkte, wie weit sich der Einzugs- und Strahlungsbereich einer solchen Stätte von hier aus erstreckt haben könnte – ob sie Bedeutung allein für die engere Region oder für einen weiteren Umkreis besaß. Nur daß sie bestand, ist wahrscheinlicher als das Gegenteil. Da die Zerstörung weder im Zusammenhang des „Wendenkreuzzugs“ von 1147 noch für die Wirksamkeit der Bischöfe erwähnt wird, darf vielleicht gefolgert werden, daß ihre Bedeutung jedenfalls geringer war als die von Malchow oder von Kessin70. Ob es dieses Heiligtum gab oder nicht, berührt auch sonst die wahrscheinliche Siedlungsstruktur jener Zeit, denn dann wären für beide Brennpunkte, das Heiligtum und die Burg, je besondere Dienstsiedlungen zu erwarten, nahe benachbart, doch räumlich getrennt und funktionsverschieden: für den Herrschaftssitz im südlicheren Altstadtbereich von heute, für den Sakralplatz nahe dem jetzigen Domhügel, möglicherweise auf die Schelfe verschoben. Eine geschlossene Bebauung des Gesamtgebietes zwischen beiden ist jedenfalls bei der üblichen Kleinheit wendischer Siedlungskomplexe nicht eben wahrscheinlich. Lösung bringen aber könnte hier allein die Archäologie.
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Słupecki (wie Anm. 60), S. 120–158, passim, vgl. S. 233. Helmold, c. 84 (S. 288,18 ff.): Est autem Slavis multiplex ydolatrie modus . . . Hii enim simulachrorum ymaginarias formas pretendunt de templis . . . alii (idola) silvas vel lucos inhabitant . . ., quibus nullae sunt effigies expressae . . . Die Stelle zeigt, daß idolum und simulachrum nicht notwendig zusammenfallen; das erste kann auch eine bloß geistige Vorstellung meinen. Helmold fußt auf Beobachtungen in seinem unmittelbaren Gesichtskreis, in dem sich also verschiedenste religionsgeschichtliche Erscheinungen auf engem Raum zusammenfanden. 69 So die Urkunde Kaiser Friedrichs I., unten Anm. 101: vgl. auch Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum V,24 (ed. G. Pertz, Hannoverae 1868, S. 192). 70 Malchow (Malchon, wohl Verschreibung für Malchou): Annales Magdeburgenses, a. 1147 (MG SS XVI, 188); Goderac (später Kessin) wird von Arnold (wie Anm. 69) als einziges von Bischof Berno aufgehobenes Heiligtum namentlich genannt. 68
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Eine Antwort auf die Frage, ob es dieses Heiligtum wirklich gegeben hat, würde auch die Verkehrsbedeutung des wendischen Schwerin berühren: Diese wäre anders zu beurteilen, wenn, etwa an hohen Festtagen, Wallfahrer herbeiströmten, als wenn sie ausblieben. Daß die bestehenden Verbindungen zu Wasser und zu Lande genutzt wurden, wird man in jedem Fall annehmen müssen – offen ist lediglich die Intensität, mit ihr aber auch die Stellung dieses Siedlungskomplexes im Nah- und Fernhandel der Slawenzeit des Landes. Sehr wohl vorstellen könnte ich mir einen Ufermarkt im Sinne von Detlev Ellmers71, auf dem etwa Waren, wie sie in Bardowick zu holen waren, nicht zuletzt Lüneburger Salz, gegen Landesprodukte ausgetauscht wurden, im unmittelbaren Schutz der Burg, unter Ausnutzung beider Verbindungsmöglichkeiten, der Land- und der Wasserwege. Vielleicht lag er nicht so günstig wie der Platz im Löddigsee bei Parchim72, dem der unmittelbare Kontakt zur Elde zugute kam, ohne Einschaltung der Stör, doch die Gebiete östlich und nordöstlich des Großen Sees bis zur mittleren Warnow hin, die ihrerseits Verbindung zur Ostsee bot, könnten in Schwerin leichter bedient worden sein. Ich denke dabei eher an slawischen Binnenaustausch als an Beteiligung fremder Fernhändler – Ibrahim ibn Jaʿqûb, der sich auf Sondierung wirklich wichtiger Handelsemporien beschränkte, kannte Schwerin, wie gezeigt, offenbar nur vom Hörensagen, sah also keinen Anlaß für einen Abstecher dorthin, und unter den Nachrichten, die ihn erreichten, gab die Burg mit ihrer Insellage den Hauptakzent73. So mag die relative Abseitslage dieses Ortes74 auch auf die Sachsen weniger anziehend gewirkt haben (auf die These einer vorkolonialen deutschen Kaufmannssiedlung an diesem Platz wird später eingegangen)75. Doch daß unter den wendischen Kauffahrern, die das Diedenhofener Kapitular von 805 voraussetzt, auch Unternehmer von hier ihre Boote zur Unterelbe gelenkt haben, kommt mir überaus wahrscheinlich vor76.
71 Ellmers (wie Anm. 30), S. 145 f.; vgl. Engel (wie Anm. 51), S. 20; dazu auch die allgemeinen Ausführungen von Schultze (wie Anm. 59) sowie Herrmann (wie Anm. 47), S. 126–146 über damalige Möglichkeiten des Handels in den wendischen Ländern überhaupt; dazu noch unten, bei Anm. 88. 72 S. Anm. 37, bes. Schmidt (mit Lageskizze). 73 Oben vor Anm. 22. 74 Oben bei Anm. 21–37. 75 Unten bei Anm. 84–95. 76 Kahl (wie Anm. 22), S. 71 mit Anm. 46.
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So läßt sich vieles vermuten als Frage an künftige Forschung. Doch nichts davon wissen wir wirklich. Die Wenden entfalteten ihr Leben vor 1160 und weiter jenseits der Grenzen, bis zu denen hin die Völker Europas dazu übergegangen waren, schriftliche Aufzeichnungen über ihre Geschichte und Kultur selbst hervorzubringen. Ihre schreibkundigen Nachbarn waren schon als Christen nur in herausragenden Ausnahmefällen daran interessiert, entsprechende Nachrichten über die anderssprachigen und andersgläubigen Nachbarn festzuhalten. Speziell Missionsepochen haben das „Teufelswerk“, das vor ihrem Siege sich breitmachte, vielfach gezielt totgeschwiegen. Die Christianisierung hat daher für alle Völker Europas einen empfindlichen Kontinuitätsbruch zustande gebracht, der nicht zuletzt ihr Verhältnis zur eigenen Vergangenheit berührte, und in den Slawengebieten, die die deutsche Ostbewegung des Mittelalters erfaßte, wurde dieser Bruch noch drastisch verstärkt durch Bevölkerungszuzug und Akkulturationsfolgen. Das wirkt auch auf unsere Kenntnis des ursprünglichen, des wendischen Schwerin zurück. Svarinshaug? Was bisher berührt werden konnte, traf Zustände, nicht Ereignisse, in denen das eigentliche geschichtliche Leben liegt. Was sie angeht, so bleibt für das wendische Schwerin vor 1018 alles im Dunkel. Ob es darin wenigstens eine Ausnahme gibt, wird seit dem vorigen Jahrhundert diskutiert77. Dies aber führt uns auf die zweite der angekündigten Fußangeln im Quellenmaterial zu Schwerins Frühzeit. Die sogenannte Lieder-Edda78 feiert in einigen Dichtungen einen wohl dänischen Wikingerführer Helgi, der nach einer Jugendtat den Beinamen des „Hundingstöters“ (Hundingsbani) führte. Die Texte sind wohl im 12. Jahrhundert endgültig redigiert worden, unter vielfacher Verdunkelung ursprünglicher Elemente und Zusammenhänge; bestimmte Partien weisen schon in der Gestaltung deutlich weiter zurück, vielleicht ins 10. Jahrhundert; der verarbeitete Stoff dürfte im Kern noch älter sein79. Was von der Entstehungsgeschichte der vorliegenden Fassungen erschließbar ist, gestattet für viele Details, etwa die genealogischen Angaben, keine historische Auswertung. Für andere jedoch stellt sich
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Ebd., S. 52 ff. Zusammenfassend: O. Gschwantler, Edda, in: LMA III (1986), Sp. 1555–1558. Gschwantler, ebd.; Ehrhardt, Helgilieder, in: LMA IV (1989), Sp. 2119 f.
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die Frage nach einem echten Überlieferungsbestand. Zu ihnen gehört, was die Lieder vom Vorgehen ihres Helden gegen Svarinshaug berichten, unabhängig von den dafür unterstellten Motiven, die in den Kreis von Brautwerbungssagen weisen80. Svarinshaug läßt sich mit „Svarinshügel“ übersetzen. Es ist Name eines Fürstensitzes. Helgi vermag mit Flottenmacht in unmittelbarer Nähe zu landen; es folgt eine blutige Feldschlacht, die für die Angreifer siegreich ausgeht. Von den in Svarinshaug residierenden Kleinkönigen wird einer Granmarr genannt. Das ist keiner der geläufigen skandinavischen Personennamen der eddischen Zeit; er kommt nur noch in einem einzigen weiteren Sonderfall vor, gleichfalls einem Eddatext. Wohl aber ist er übersetzbar: Granmarr heißt „der Schnurrbartberühmte“. Das ist deutlich ein Spitzname, etwa wie „Glatzkopf“, „Schmerbauch“ oder auch der „Gabelbart“ (Tjuguskeggr), der am Dänenkönig Sven, dem Vater Knuts d.Gr., haftet. Er sagt nichts über den wirklichen Eigennamen und läßt jede beliebige ethnische Zugehörigkeit offen. Auch der Ortsname ist im altnordischen und speziell im eddischen Bestand merkwürdig isoliert. Schon im vorigen Jahrhundert tauchte die Frage auf, ob sich hinter diesem Platz, der mit Sicherheit in den Ostseeländern zu suchen ist, nicht Schwerin verbergen könnte. In besser beglaubigten Zeiten war die südliche Ostseeküste ein bevorzugtes Ziel von Expansionsbestrebungen des inzwischen ausgebildeten dänischen Großkönigtums. Sollte sie früher von Seekönigen der Wikingerzeit ausgeklammert worden sein? Die Wendenländer boten weniger kostbare Beute als das Frankenreich oder England, doch immerhin Waren, mit denen sich Handelsgewinn erzielen ließ, und Sklaven allemal. Archäologische Hinweise auf wikingische Aktivitäten fehlen zwar in diesen 80 Zum folgenden ausführlich: Kahl (wie Anm. 22), passim; eine Kurzfassung, leicht aktualisiert, doch bei Erscheinen durch überlange Druckzeit bereits wieder veraltet, von Dems., Wikingerkämpfe um Schwerin, bei R. Schmidt (Hg.), Pommern und Mecklenburg. Beiträge zur mittelalterlichen Städtegeschichte, Köln/Wien 1981, S. 1–41. – In der bekannten Edda-„Übersetzung“ von F. Genzmer, Edda I: Heldendichtung, Jena 1920, S. 142–160, fielen mehrere der hier einschlägigen Partien den Rekonstruktionsbemühungen des Bearbeiters zum Opfer, ganz abgesehen von der „ideologischen Vereinnahmung des Überlieferten“, das die Übersetzungsreihe „Thule“ und ihre Rezeption kennzeichnet (J. Zernack, Geschichten aus Thule. Islendingasögur in Übersetzungen deutscher Germanisten, Berlin 1994, passim, Zitat S. 365; über Genzmer, dessen EddaBearbeitung nicht zum eigentlichen Thema dieser Untersuchung gehörte, ebd. S. 415, Register). Vollständige Ausgabe der Lieder mit deutscher Übersetzung und umfangreichem Kommentar von B. Kummer, Die Dichtung von Helgi und der Walküre (Die Lieder des Codex Regius (Edda) und verwandte Denkmäler II: Heldendichtung, 1. Teil; mehr nicht erschienen), Zeven 1959.
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Bereichen, doch im Westen, wo sie aufs Beste bezeugt sind, sieht das nicht anders aus. Die Frage ist nur, ob Schwerin ernstlich als Zielpunkt solcher Angriffe in Betracht gezogen werden darf. Ich habe dies früher bejaht und die schon vor über 100 Jahren auftauchende These durch neue Argumente abzustützen versucht81. Wikinger haben schon auf dem berühmten Djeprweg zum Schwarzen Meer bewiesen, daß sie mit ihren Booten auch größere Landstrecken überwinden konnten, wo Stromschnellen und andere naturbedingte Hindernisse den Wasserweg unterbrachen; die größte bekannte Schleppstelle ging über nicht weniger als 9 km hin. Davon ausgehend, hielt ich für möglich, daß das „Brusewater“ von der Wismarer Bucht über die Mecklenburg und den Lostener See auch von den Booten der Nordleute genutzt und die weitere Strecke bis zum Schweriner See, einschließlich der angesprochenen Hügelketten, im Trockenen überwunden werden konnte, vorausgesetzt, das Vorgehen erfolgte im Einvernehmen mit den Herren der Hauptburg des Landes. Ich war damals auf Kartenmaterial und auf geographische Literatur angewiesen. Inzwischen hat Augenschein mich anders belehrt, und daß er von Veränderungen bestimmt sein könnte, die erst nach der Wikingerzeit eintraten, ist nur sehr bedingt anzunehmen. Die Schwierigkeiten dürften schon im 9. Jahrhundert erheblich größer gewesen sein, als meinem Material seinerzeit zu entnehmen war: Die drei Hügelketten, die erst die frühe Neuzeit durchstochen hat, sind durch wesentlich tiefere und steilere Einschnitte getrennt, als damals ersichtlich, und auch der Übergang auf den See dürfte problematisch gewesen sein. An große wikingische Kriegsschiffe hatte ich ohnedies nicht gedacht; wenn die Dichtung sie voraussetzt, konnte das poetische Ausschmückung sein. Doch auch für kleinere Wasserfahrzeuge waren die nötigen Voraussetzungen hier schwerlich gegeben, selbst wenn unterstellt werden dürfte, daß der nordwärts anschließende Wasserlauf, der großenteils durch ein verlandetes Seengebiet führt, noch lange Zeit breiter und tiefer war, als er sich heute zeigt. So ist dem verlockenden Bilde, das in dunkle Jahrhunderte wenigstens einen Farbfleck gebracht hätte, der Abschied zu geben, bis etwa die Altlandschaftsforschung wider Erwarten doch noch einmal neue Gesichtspunkte beibringt82.
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Kahl (wie Anm. 22), passim. Herrn N. Rühberg vom Geologischen Landesamt Mecklenburg-Vorpommern danke ich für eingehende und sachkundige Führung vor Ort. 82
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Zu bemerken ist noch, daß auch von Svarinshaug her kein Weg zu jenen Suarines eines Teils der Tacitus-Überlieferung geführt hätte, so unverkennbar das Lautbild im ersten Glied anklingt83. Zwar ist der Name zweigliedrig gebildet wie Bardowick oder Frankfurt, und er hat ein Bestimmungswort, das man in einem solchen Zusammenhang nicht ganz ausschließen kann, zumal nicht bei Wiedergabe fremdsprachigfremdländischer Wirklichkeiten, deren Umsetzung in Eigenes immer wieder Sonderbedingungen unterliegt. Doch das Erstglied steht nicht im Genitiv pluralis, wie man es bei solchen Bildungen aus Völkernamen erwarten müßte. Es gibt sich wie der Singular eines stark flektierten Personennamens. Das mag möglich sein, wenn bei Einpassung von Fremdem in die eigene Sprache volksetymologische Umdeutung mitspielt, aber nicht für eine ursprüngliche Bildung des hier zu erwartenden Typs. Es hilft nichts: Die Suarinen sind für Schwerin aus der Diskussion herauszuhalten. Eine deutsche Kaufmannskolonie der Übergangszeit? Mit einer beachtlichen Handelsbedeutung schon des wendischen Schwerin rechnet eine These, die bereits ins 12. Jahrhundert führt. Sie ist durch Fußangeln bedingt, die das Quellenmaterial an anderer Stelle bereithält: Solchen, die mit der Entwicklung des Stadtgrundrisses zusammenhängen. Dabei sitzt sie fest im überkommenen Geschichtsbild, fast wie eine erwiesene Tatsache, von der auszugehen sei. Es ist die Lehre, daß sich mehr oder weniger lange vor Gründung der deutschen Stadt bereits eine deutsche Kaufmannskolonie neben die wendische Vorburgsiedlung gesetzt habe, die dann natürlich auch deren Leben intensiv beeinflussen mußte. Sie wird noch immer unbesehen nachgeschrieben84. Urheber der These ist ein Autor, der sich um die Erforschung der Anfänge mecklenburgischen Städtewesens, nicht zuletzt Schwerins, erhebliche Verdienste erworben hat: Karl Hoffmann. Er publizierte sie 1930. Das ist eine Zeit, in der die stadtgeschichtliche Forschung neu auf Kaufmannssiedlungen des früheren Mittelalters außerhalb eigener
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Zum folgenden oben bei Anm. 10–17 und weiter. Petersohn (wie Anm. 1), S. 63: „Wahrscheinlich . . . verlieh der Herzog (Heinrich der Löwe. Kahl) auch der Kaufmannsniederlassung Schwerin das Stadtrecht“ (sie wird dabei erstmals im Gesamtwerk erwähnt). – H. Bei der Wieden, Schwerin, in: Handbuch (wie Anm. 1), S. 116. – Vorsichtiger Hamann (wie Anm. 1): „Der Markt vor der Wendensiedlung . . . wird schon in wendischer Zeit von deutschen Kaufleuten besucht worden sein.“ – Vgl. noch Anm. 86 und 87. 84
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Volksgebiete aufmerksam geworden war und erstaunt feststellte, an wie vielen Stellen dergleichen plötzlich aufzutauchen schien. Auf diesem Hintergrund entwarf Hoffmann eine Konzeption, die durch ihre Geschlossenheit beeindrucken mußte und den Forschungsstand deutlich weiterführte, im Einklang mit der aktuell erörterten allgemeinen Fragestellung. Doch seitdem hat sich manches geändert, und unser Ausgangspunkt kann nicht mehr derselbe sein. Wir müssen uns bewußt halten, daß keine Schriftquelle Schwerin in Verbindung mit Handelsaktivitäten bringt vor der Kaiserurkunde von 121185. Alles, was voraufgeht, ist nicht beweisbar, sondern bestenfalls wahrscheinlich zu machen, und das gilt für diese Hypothese heute nicht mehr. Hoffmann nahm, wie damals alle, die aus dem Wedelschen Plan ersichtliche Marktgestalt vor dem Brand von 1651 als diejenige der Gründungszeit, und er interpretierte sie als den Straßenmarkt einer deutlich gewachsenen, nicht planmäßig angelegten Siedlung, die als solche in die Zeit vor der deutschen Stadt weise. In allen anderen Fällen habe der Löwe, wenn er eine Stadt ins Leben rief, an eine ältere Kaufmannssiedlung angeknüpft. Dies werde auch im Fall Schwerins geschehen sein, und so erkläre sich einmal der Grundrißbefund und zweitens die erstaunlich rasche Stadterhebung, die Hoffmann nach verbreiteter Ansicht noch in das Jahr 1160 setzte, das Jahr entscheidender Eroberungen, die zunächst für definitiv gehalten wurden. Ohne eine solche vorbereitende Anknüpfungsmöglichkeit bleibe dies alles unverständlich86. So gut argumentiert das wirkt – die Voraussetzungen, auf denen dabei aufgebaut wurde, sind mittlerweile sämtlich zusammengefallen. Der älteste erschließbare Marktplatz der Gründungsstadt war auch in Schwerin ein geräumiger, fast quadratischer Platz; mit seiner allseitigen Umbauung ist nicht von Anfang an zu rechnen, besonders an der Nordseite nicht87. Das Jahr 1160 habe ich schon 1960 angefochten und 85
MUB I, 202 (S. 192). – Hoffmann s. Anm. 86. Hoffmann (wie Anm. 26), S. 18–21, vgl. 160–164, passim. Zur Wirkungsgeschichte noch: K. Schmaltz, Kirchengeschichte Mecklenburgs I, Schwerin 1935, S. 64; H. Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, 2. Aufl. Köln 1965. S. 146; Jordan, wie Anm. 5; Ders., Heinrich der Löwe, München 1979, S. 87; H. Leopoldi, Schwerin. Unser Stadtarchiv erzählt, Bd. I, 2. Aufl., Schwerin 1960, S. 9 f.; F. Lotter, Die Vorstellungen von Heidenkrieg und Wendenmission bei Heinrich dem Löwen, in: W.-D. Mohrmann (Hg.), Heinrich der Löwe, Göttingen 1980, S. 38; H. Keiling, in: Schwerin. Geschichte der Stadt, Berlin 1985, S. 24; P. J. Rakow, ebd., S. 27. u.v.a.m. 87 Rühberg 1985 (wie Anm. 6), S. 48–56; Ders., wie Anm. 3. Im erstgenannten Zusammenhang, S. 48 f., bereits eine eingehende Zurückweisung der Hoffmannschen 86
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gedenke das gleich noch eingehender zu tun. Der Abstand zwischen dem Eroberungsfeldzug und der Stadtgründung muß nicht unbeträchtlich größer gewesen sein. Das beeinflußt aber unsere Vorstellung von der Schnelligkeit, mit der diese Gründung auf die kriegerischen Ereignisse von 1160 folgte: Es braucht keine Vorstufe mehr, an die die herzogliche Gründung anknüpfen konnte. Kaufmannsniederlassungen landfremder Elemente hat es nun zwar im Slawengebiet zwischen Lübecker Bucht und Odermündung zeitweise wirklich gegeben; sie sind, und zwar als integraler Bestandteil von Siedlungskomplexen, archäologisch nachgewiesen. Die Bewohner waren jedoch wesentlich skandinavischer Herkunft, und ihre Stützpunkte gingen im 9. Jahrhundert ein, weil slawische Eigenkräfte in die Funktionen hineinwuchsen, die jene bis dahin ausgeübt hatten88. Für das 12. Jahrhundert kommt hinzu die mangelnde Vergleichbarkeit der Anfangssituation Schwerins mit der aller anderen Stadtgründungen Herzog Heinrichs, auf die schon hingewiesen wurde. Wir haben für den Vorabend des entscheidenden machtpolitischen Ausgriffs der sächsischen Machthaber nach Osten auf slawischer Seite jahrzehntelang mit einer „Empfindlichkeitszone“ zu rechnen, in der deutsche Siedlungsinitiativen nicht wohl zur Wirkung zu kommen vermochten – schon gar nicht solche von Kaufleuten, die damals ja ein wehrhaftes Geschlecht waren, also für den Ernstfall ein bewaffneter Vorposten des Feindes aus dem Westen89. Für die Obotriten mußten entsprechende Animositäten spätestens seit den Ereignissen von 1139/42 bestehen, die mit dem holtsatischen Vorgehen gegen die Wenden Wagriens begannen und mit der deutschen Okkupation der Gebiete endeten, welche seitdem die Grafschaft Holstein so erheblich nach Osten hin vorschoben und dazu die neue Grafschaft Ratzeburg schufen90. Seitdem suchte ein Wendenfürst wie Niklot ein möglichst gutes Verhältnis zum benachbarten Grafen, schon um ein weiteres Vordringen auf seine Kosten
Thesen, die aus zeitbedingten Gründen nicht zur Wirkung kam (vgl. oben, vor Anm. 6). Ersten, noch unzulänglichen Widerspruch erhob bereits Kahl (wie Anm. 50), S. 303. Vgl. Anm. 89 und unten bei Anm. 207. 88 W. Łosiński, Zur Genese der frühstädtischen Zentren bei den Ostseeslawen, bei Brachmann 1995 (wie Anm. 1), S. 92–107, passim. 89 Kahl (wie Anm. 60), S. 244 ff., bes. 247, wo auch zur Problematik Schwerins. Damit trifft sich N. Rühberg, Niklot, die sächsische Ostexpansion und Schwerin, in: Informationen (wie Anm. 4) 29 (1989), S. 75 und 77, sowie Ders., Heinrich der Löwe und Schwerin, in: Löwe (wie Anm. 1), S. 25 f. 90 Helmold, c. 58 (S. 206–211), dazu die allgemeine Literatur oben Anm. 1.
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möglichst abzublocken und den Nachrichtenfluß zu eigenen Gunsten zu verbessern, doch das waren Schritte von Politik und Diplomatie – sie hatten nichts zu tun mit einer Öffnung des Obotritenlandes für deutsche Bevölkerungselemente. Der sogenannte Wendenkreuzzug von 1147 brachte der slawischen Seite einen neuen Schock; er mußte die angestauten Animositäten verstärken. Wir kennen die Stimmung, die wenige Jahre danach unter den unterworfenen wagrischen Wenden herrschte, aus der Rede, die ihr Fürst 1156 vor Bischof Gerold hielt – Helmold hat sie als Augen- und Ohrenzeuge überliefert, zweifellos frei stilisiert, doch in der Substanz authentisch91. Wie es gleichzeitig im noch relativ eigenständigen Herrschaftsbereich des Obotritenfürsten aussah, kann man sich unschwer ausmalen. Für eine deutsche Kaufmannssiedlung, noch dazu nicht am Fürstensitz Mecklenburg, wo Niklot sie immerhin unmittelbar unter Augen gehabt hätte, sondern an einer Nebenburg, die westlichem Zugriff besonders nahe lag, finde ich unter solchen Umständen keinen Raum, und Helmold, dieser aufmerksame, wohlunterrichtete Beobachter seiner Gegenwart, bietet auch keinerlei Anhalt, der die Hoffmannísche These trotz allem stützen könnte. Deutsche Kaufleute, fest ansässig unter Niklots Zugriff, wären nichts anderes als Geiseln in seiner Hand gewesen, Geiseln mit etwas freierer Beweglichkeit. Wir kennen Niklot als einen aktiven und rasch entschlossenen Mann92. Auf die Nachricht, der Wendenkreuzzug sei unabwendbar, holte er sofort zu einem Präventivschlag gegen das werdende Lübeck aus, und 1160 versuchte er dasselbe, diesmal ohne Erfolg93. Sollen wir ihm zutrauen, eine deutsche Kaufmannssiedlung bei irgendeiner seiner eigenen Burgen sei im Kriegsjahr 1160 so ungeschoren geblieben, daß keinerlei Kunde von ihrem Geschick an die Ohren des Priesters von Bosau drang, der doch ausführlich von den schrecklichen Vorgängen um die Mecklenburg wenige Jahre später berichtet94? Helmold weiß von Schwerin zu 1160 nichts zu melden, als daß es damals niedergebrannt wurde, ebenso wie andere obotritische Burgen – doch wohl, um dem vordringenden Feind keinen möglichen Stützpunkt zu bieten95. Eine deutsche Kaufmannssiedlung erwähnt er
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Helmold, c. 84 (S. 290); ausführliches Zitat als Motto, oben S. v. Rühberg 1989 (wie Anm. 89), passim; vgl. auch Chr. Lübke, Niklot, im LMA VI (1993), Sp. 1163 (Lit.), sowie unten Anm. 153. 93 Helmold, c. 63 (S. 222 ff.); c. 87 (S. 308). 94 Ebd., c. 98 (S. 340). 95 Ebd., c. 88 (S. 308). 92
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dabei mit keiner Silbe. Das ist für mich der abschließende Beweis, daß es eine solche nicht gegeben hat. Der Blick geht von hier ins gleichzeitige Rügen, dessen Handelsbedeutung zweifellos größer war, als sie für das wendische Schwerin vorausgesetzt werden dürfte. Selbst dort gab es keine deutsche Kaufmannskolonie. Fremde – auch Deutsche – erhielten dort Verkehrsrecht, wenn sie sich in gegebene Bedingungen fügten, doch nur zu vorübergehendem Aufenthalt96. Für Schwerin hat schon Ruth Hildebrand in Auseinandersetzung mit Hoffmann gefolgert, niedergelassene Kaufleute bei der dortigen Burg könnten nichts anderes als Slawen gewesen sein97. Man wird ihr nur zustimmen können. Es überrascht mich unter diesen Umständen nicht, daß archäologische Hinweise auf eine Kaufmannssiedlung der von Hoffmann postulierten Art für Schwerin ebenso fehlen wie schriftliche Quellenbelege. Beim Bau des Postgebäudes, also nicht sehr weit vom Dom entfernt, kam 1894/96 ein vereinzelter Waagebalken zum Vorschein. Dem Typ nach kann er schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts hergestellt worden sein, doch für Nutzobjekte dieser Art ist mit unter Umständen langem Gebrauch zu rechnen, und dieses Stück tauchte, soweit mangelhafte Dokumentation eine Aussage zuläßt, offenbar in Verbindung mit deutlich jüngeren Gegenständen auf, die kaum noch dem gleichen Jahrhundert zuzuweisen sind. Alle anderen frühdeutschen Funde aus dem Altstadtkern, die mir bekanntgeworden sind, gelten als spätmittelalterlich98. Dem ist nichts hinzuzufügen. Missionsstützpunkt der letzten Phase Mit dem Fall der deutsch-vorkolonisatorischen Kaufmannssiedlung am Ort tritt ein anderer Aspekt der Spätphase des wendischen Zvěrinĭ in neue Beleuchtung: die Wirksamkeit, die der Zisterziensermönch Berno schon vor seiner Erhebung zum Bischofsrang von eben diesem Platz aus geleistet hat99. Die fest ansässigen Kaufleute galten als sein entscheidender Rückhalt; man ging so weit, ihn zum „Pfarrer“ dieser
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Ebd., c. 108 (S. 374). R. Hildebrand, Der sächsische „Staat“ Heinrichs des Löwen (Historische Studien 302), Berlin 1937, S. 354, vgl. S. 355. 98 K.-D. Gralow, Bemerkenswerte frühdeutsche Funde aus der Stadt Schwerin, in: Informationen (wie Anm. 4) 25 (1985), S. 29–37; der Waagebalken S. 33 mit Abb. 12c, S. 34. 99 S. Anm. 101. 97
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Gruppe zu machen100. Das rührt an Probleme, die dabei wohl kaum ins Blickfeld kamen: Setzt ein Pfarramt nicht eine Ortsbindung voraus, die sich schlecht mit den quellenmäßig behaupteten, weitausgreifenden Missionsunternehmungen dieses Zisterziensers vertrüge, und überhaupt geregeltere Verhältnisse, als diese Übergangszeit sie schon zulassen konnte? Wenn es die Kaufmannssiedlung gar nicht gab, entfallen all solche Details. Bernos Einsatz für die Ausbreitung seines Glaubens in diesen Jahren gewinnt Züge eines wesentlich entsagungsvolleren und auch mutigeren Engagements – wenn wir den Angaben trauen dürfen. Es gibt einen einzigen Beleg, und unverdächtig ist er nicht. Es handelt sich um eine Urkunde, die im Januar 1170 durch Kaiser Friedrich I. ausgestellt sein will. Sie liegt nicht mehr im Original vor, sondern nur in Kopialüberlieferungen des 16. und 17. Jahrhunderts. Der Text ist mit Sicherheit nachträglich überarbeitet, also verfälscht worden, aber aufgrund eines echten Diploms. Nicht zuletzt der erzählende Teil, die Narratio, scheint ausgeschmückt. Gerade diese Partie aber ist hier wichtig. Die vorliegende Fassung behauptet, Berno habe als Mönch, auf nichts als seinen Glauben gestützt, „als erster in unserer Zeit“ (primus . . . nostris temporibus) das „ostelbische Heidenvolk“ (gentem paganorum Transalbinum) aufgesucht, um Mission zu treiben, predigend, die Taufe spendend, Götzenbilder „verringernd“ (comminuens) und Kirchen gründend; dies sei geschehen kraft Vollmacht Papst Hadrians (IV., 1154–1159: domini apostolici Adriani auctoritate et benedictione); der Startpunkt sei Schwerin gewesen, der Endpunkt Demmin; dort hätten drei genannte Wendenfürsten den Kirchenmann empfangen und, beeindruckt durch seine Predigt und seinen Einsatz, hätten sie ihn zum Bischof erwählt (ipsorum electione . . . episcopus efficitur), was durch Verfügung Herzog Heinrichs (ducis Saxonie Hinrici constitutione) bestätigt worden sei101.
100 So Planitz (wie Anm. 86), zwar ohne Namensnennung, doch nicht anders als auf Berno zu beziehen. 101 Urkunde Kaiser Friedrichs I., Nr. 557 (MG DD X/3, S. 22,2 = MUB I, 91; S. 85 f.). Zur Kritik die Bemerkungen der Herausgeber sowie Jordan (wie Anm. 5), S. 56, und oben, Beitrag IX, bei Anm. 97. – Die Wendung primus nostris temporibus auch bei Arnold von Lübeck (wie Anm. 70) V,24 (S. 192): welche Fassung ist älter? Arnold läßt der Predigttätigkeit die Erhebung zum Bischof vorausgehen; die Angaben können beide stimmen. Zu den Anfängen dieses Mannes: Petersohn (wie Anm. 1), S. 62 mit Anm. 25; zu Berno allgemein: Ders., Berno, in: LMA I (1980), Sp. 2006 f. mit
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Da fällt manches auf. Schon die Erstlingsrolle im angeführten Gesamtbereich ist eine kühne Behauptung – gegen sie spricht schon der Gedanke an Wizelin, vom „Wendenkreuzzug“ 1147 einmal abgesehen. Die Initiative der Wendenfürsten und ihr Verhältnis zu derjenigen des Löwen muß verzeichnet sein in Umkehrung der Realität. Doch es gibt auch andere Eindrücke. Die Nennung des Papstes gibt einen Datierungsanhalt, der vor Bernos Bischofserhebung zurückweist; dazu stimmt, daß der Text ihn noch nur als Mönch anspricht. Daß er Götzenbilder nur „vermindert“, nicht vernichtet hat, ist offenes Eingeständnis bloßer Teilerfolge und geht auf Kosten des Ruhms, der doch herausgestrichen werden soll. Von den Fürsten heißt es nicht, daß sie zu den von ihm Bekehrten gehörten, sondern nur, daß sie von ihm beeindruckt waren (eius predicatione compuncti et labori pacienter compassi). Tatsächlich war das pomoranische Fürstenhaus schon lange vor Berno christianisiert. Die electio kann bei der weiten Spannung dieses Begriffs, die bis zur „Huldigung“ reicht, als bloße Unterwerfung unter die bischöfliche Jurisdiktionsgewalt aufgefaßt werden und ist insofern gleichfalls unverdächtig. Ein Tag zu Demmin, auf den die Angaben passen, ist nicht bekannt, doch stieß Herzog Heinrich 1164 dorthin vor und schloß nach Zerstörung der Burg mit eben den genannten Fürsten einen Frieden, von dem man sich die Zustimmung zu seinen kirchlichen Plänen schwer ausgenommen denken kann102. Die von diesem Text festgehaltene Tradition hätte dann wohl mehrere Unternehmungen Bernos, vor und nach seiner Bischofserhebung, zusammengezogen, was in ihrer relativen Kürze kaum als unerlaubte Vereinfachung anzusprechen wäre. Kurz, viele Einzelelemente erregen keinen Verdacht, und eben dies entspricht dem, was man eigentlich erwarten muß: Auch ein verfälschter Text muß, wenn er wirken soll, Wahrheitselemente enthalten, die ihn glaubhaft erscheinen lassen, mögen sie auch nachträglich aufgebauscht sein – andernfalls müßte er sein Ziel verfehlen. Berno war ein jüngerer Zeitgenosse und nicht zuletzt ein Ordensbruder Bernhards von Clairvaux. Dieser hatte als geistiger Führer des Abendlandes seiner Zeit das Ziel der Bekehrung der „Heiden des Nordens“ in gegebener Sondersituation rigoros wie keiner vor ihm aufgerichtet, allem Anschein nach mitbestimmt von eschatologischer Literatur, sowie – nicht immer kritisch – J. Traeger, Die Bischöfe des mittelalterlichen Schwerin, Leipzig 1984, S. 19–32. 102 J. Heydel, Das Itinerar Heinrichs des Löwen, in: Niedersächsisches Jahrbuch 6 (1929), S. 58 f. – Vgl. unten Anm. 262 Ende.
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Naherwartung und gewissen alten Prophetien. Der Ausgang des Kreuzzugsunternehmens hatte bewiesen, daß diese Erwartung verfehlt gewesen war, zumindest für den Zeitpunkt, an den sie sich geheftet hatte. Die Aufgabe blieb; noch der Rügenkreuzzug von 1168 stand wohl gezielt unter dem Zeichen von damals103. Dabei war schon 1147 für die Wendenlande immerhin ein Erfolg erreicht worden, der die Christianisierung formal besiegelte, wenn auch die Ausführung, der allgemeine Taufvollzug – das äußere Rechtssymbol des Übertritts –, vielfach noch lange brauchte, um wirklich in Gang zu kommen104. Es darf vermutet werden: Diese Vertragslage war der Ausgangspunkt, der Bernos Einsatz ermöglichte, und dieVoraussetzung dafür, daß die betroffenen Wenden ihn trotz aller Reserven gewähren ließen. Einen neuen Kreuzzug zu provozieren, indem man christliche Glaubensboten dem Martyrium unterwarf, war gefährlich, und Schwerin lag in der angesprochenen „Empfindlichkeitszone“, wo man sich jedenfalls besonders vorsah. Daß Schwerin für Berno so etwas wie ein fester Stützpunkt war, ist sonst nicht bezeugt, aber sehr wohl denkbar: Es würde erklären helfen, warum später gerade dieser Ort zum Episkopalsitz bestimmt wurde und nicht der nominelle Kathedralplatz der bisherigen Zeit bei der Mecklenburg, obwohl doch nach 1160 gerade dort zunächst ein deutsches Siedlungswerk in Gang kam, dessen baldiges blutiges Ende niemand ahnen konnte. Bei der Wahl des Stützpunktes (falls er so genannt werden darf ) dürfte mitgesprochen haben, was schon Karl Schmaltz ins Feld führte, daß nämlich dieser Platz nicht weit von der Grenze der nunmehr deutschen Grafschaft Ratzeburg und ihres Bistums entfernt lag und somit eine gewisse Verbindung nach rückwärts bot105. Das wäre unter veränderten Umständen dasselbe Motiv, das 1018 den
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H.-D. Kahl, Die Kreuzzugseschatologie Bernhards von Clairvaux und ihre missionsgeschichtliche Auswirkung, bei D. R. Bauer und G. Fuchs (Hgg.), Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, Innsbruck/Wien 1996. S. 262–315, zu ergänzen durch Beitrag XX (ebd., S. 634–636, Kritik des historisch verfehlten Ausdrucks „Wendenkreuzzug“); über Bernhard als geistigen Urheber des Unternehmens: oben, Beitrag XIX; vgl. auch Dens., Die universale Bereinigung der Heidenfrage – ein übersehenes Kriegsziel des Zweiten Kreuzzugs, in: S. Burghartz u.a. (Hg.), Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für F. Graus, Sigmaringen 1992, S. 63–89 („Wendenkreuzzug“ ebd., S. 86–89 mit weiterer Literatur). 104 Oben, Beitrag XXI. 105 Schmaltz (wie Anm. 86) I, S. 64 f.; vgl. Dens., Die Begründung der kirchlichen Organisation Mecklenburgs im Mittelalter, in: MJB 72 (1907), S. 155 f.
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Zwischenaufenthalt Mistizlavs an gerade diesem Punkt bedingte106. Für Berno mag die Ferne vom Fürstensitz Niklots, der wohl auch nach 1147 in Glaubensdingen als wenig berechenbar galt, einen Zusatzgrund abgegeben haben, sich lieber an dieser Stelle festzusetzen. Aber Mecklenburg war auch der nominelle Bischofssitz. Ob der erste Inhaber nach dem „Wendenkreuzzug“, Emmehard (1149–1155), ihn je gesehen hat, muß in der Situation des Zwistes zwischen Erzbischof Hartwig von Bremen, der ihn geweiht hatte, und Heinrich dem Löwen als zweifelhaft gelten. Ebensowenig ist bekannt, ob er noch am Leben war, als Berno seine Tätigkeit aufnahm, und ob es je zur Fühlungsnahme zwischen beiden Männern kam. Doch sich an einem Bischofssitz einzurichten, hätte als Präjudiz für die irgendwann fällige Neubesetzung des Amtes aufgefaßt werden können, als Arbeiten auf einen Anspruch hin. Das konnte verfänglich sein, zumal in Zeiten, die dermaßen empfindlich auf äußere Zeichen zu reagieren pflegten. Es wäre nicht erstaunlich, wenn Bernos mönchische Demut gerade in diesem Punkt die ernstesten Hemmungen empfunden hätte. Dies alles zusammengenommen, zögere ich nicht, für Berno schon vor seiner Bischofserhebung, beginnend etwa um die Mitte der 1150er Jahre, eine missionarische Wirksamkeit anzunehmen, die in seinem späteren Sprengel weit nach Osten hin ausgriff – für die Zeit überraschend weit, auch wenn sie kaum gleich bis Demmin vorgedrungen sein mag, und Schwerin kann dabei sehr wohl seine Basis gewesen sein. Er war damit sicher nicht für Ostelbien, aber doch wohl für diese Gegenden ein missionarischer Erstling seiner Zeit. Ob der einsatzfreudige Mönch schon die Möglichkeit vorfand, den zu vermutenden Kultplatz der alten Religion in Schwerin aufzuheben, ist ebenso unsicher, wie ob dieser noch oder sogar jemals bestand107. Die gegebene Vertragslage nach dem Kreuzzug wird ihm Freiraum gegeben haben, eine kleine Kapelle aufzuführen, um die die wohl nicht sehr zahlreiche Gemeinde der Bekehrungswilligen sich allmählich sammeln konnte. Man wird sich einen Holzbau vorzustellen haben, dem womöglich bis zu Bernos eigener Konsekration zum Bischof die förmliche Weihe fehlte, so daß er gottesdienstlich nur mittels eines Tragaltars benutzbar war. Die entsprechende Duldung durch die wendische Seite muß nicht allein in politischem Kalkül gelegen haben; sie
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Oben bei Anm. 53. Dazu oben bei Anm. 60–70.
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könnte auch religionsgeschichtlich bedingt gewesen sein: Der „deutsche Gott“ hatte sich mehr und mehr als ein so „starker Gott“ erwiesen, daß die altangestammten eigenen mindestens zur Zeit wenig gegen seine Anhänger auszurichten vermochten; wer konnte schon wissen, wozu es gut war, wenn man auch ihm eine Stätte im eigenen Bereich gönnte und seiner Verkündigung einen lediglich passiven Widerstand entgegensetzte108? Wie weit die vermutete Kapelle als Vorgängerbau derjenigen angesprochen werden darf, die 1515 „auf dem Friedhof “ bezeugt ist109, muß dahingestellt werden: Schon 1186 gab es im nunmehr deutschen Schwerin auch einen „alten Friedhof “ (vetus cimiterium), über den viel gerätselt wird110, und später traten noch weitere zu dem damit vorausgesetzten „neuen“ (jedenfalls um den Dom)111. Schon der Brand von 1160 ist als Störfaktor aller Kontinuität auch hier in den Blick zu ziehen. Das Ende Mag vieles und wesentliches vom wendischen Zvěrinĭ unserem Einblick entzogen sein – klar sehen wir seinen Untergang. Fürst Niklot selbst hat ihn bewirkt, indem er 1160, vor dem Angriff des Sachsenherzogs ausweichend, auch diese Burg den Flammen preisgab112. Dies geschah zweifellos nicht im Bewußtsein, daß damit etwas Endgültiges geschah: Gedacht war jedenfalls an eine Augenblickslösung, die so schnell wie möglich rückgängig gemacht werden sollte. Doch die Geschichte hat anders entschieden. Die Vorburgsiedlung dürfte mitbetroffen worden sein: Auch sie hätte ja dem anrückenden Feind einen Stützpunkt geboten.
108
Kahl (wie Anm. 60), S. 76–105; vgl. auch oben, Beitrag VIII. Jesse (wie Anm. 3) I, S. 50; auf weitere Angaben sei hier verzichtet. 110 MUB I, 141 (S. 137) und öfter. Der alte Friedhof, der zwingend einen neuen voraussetzt, wurde oft für einen schon vorchristlich-wendischen Begräbnisplatz erklärt. Daß die Bezeichnung cimiterium nur für einen christlichen möglich ist, sah schon R. Beltz, Wendische Altertümer, in: MJB 58 (1893), S. 229, und behält damit auch gegen jüngeren Widerspruch recht. Als jüngste Äußerungen notiere ich Rühberg 1985 (wie Anm. 6), S. 51 f.; D. Nagel, Ein Körpergräberfeld hinter dem Altstädtischen Rathaus von Schwerin, im gleichen Heft, S. 37–43, sowie N. Rühberg, Obodritische Samtherrschaft und sächsische Reichsgewalt von der Mitte des 10. Jh. bis zur Erhebung des Fürstentums Mecklenburg 1167, in: MJB 110 (1995), S. 48 f. – Vgl. unten bei Anm. 119. 111 Nagel (wie Anm. 110), Anhang, S. 44–46. 112 Helmold, c. 88 (S. 308). – Vgl. unten bei Anm. 212–214. 109
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Bestimmt hat es auch später noch wieder slawische Bewohner im Stadtgebiet gegeben, wie sie unmittelbar nach 1160 z.B. noch für Ilow neben den Deutschen bezeugt sind als ein Element, dem die neuen Herren nicht ohne Grund noch mißtrauten113. Der 1186 bezeugte Suk (Žuk) wurde schon erwähnt. Aber es war doch für sie nun alles verändert. Schwerin war ein Vorposten der Deutschen geworden, und die Umgestaltung zu einer gänzlich anderen Lebensform kam in Gang. Die Anfänge des deutschen Schwerin Vorfragen Saxo – ein Kronzeuge fällt aus Wie Berno, der inzwischen wohl schon den Titel eines Bischofs von Mecklenburg trug114, die Katastrophe überlebte, wird nirgends berichtet. Der neue Kriegszustand dürfte auf slawischer Seite bisherige Rücksichten weitgehend außer Kraft gesetzt haben. Fand der Gottesmann Schutz bei Wenden, deren Vertrauen er gewonnen hatte, oder war er zum entscheidenden Zeitpunkt unterwegs – etwa auch nach dem Landtag von Barförde, auf dem Ende Juli der sächsische Feldzug beschlossen worden war115, nicht zurückgekehrt? Jedenfalls stand er für die weitere kirchliche Arbeit zur Verfügung und trat in einen neuen Abschnitt seiner Wirksamkeit ein, mit erheblichen Rückwirkungen auch auf die Entwicklung Schwerins als Ort. Gute Gründe sprechen dafür, daß die im Datum nicht eindeutig bezeugte Verlegung des Bischofssitzes hierher
113 Helmold, c. 98 (S. 342,8–14); zum Vergleich Heinrich von Antwerpen, Tractatus de urbe Brandenburg, c. 7 (ed. G. Sello im 22. Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte, 1. Heft, Magdeburg 1888, S. 10): Albrecht der Bär treibt 1150 hartnäckige Götzendiener aus der urbs Brandenburg, die ihm zugefallen ist, und übergibt sie Teutonicis et Sclavis, quibus plurimum confidebat, custodiendam. Entsprechende Beispiele dürften zahlreich gewesen sein. – Vgl. oben vor Anm. 18, unten bei Anm. 217 und 299–312. 114 Das Jahr der Weihe ist unbekannt; nach Helmold, c. 88 (S. 310,17 f.) trat Berno nach dem Tode Bischof Emmehards († 1155) an dessen Stelle. Das wird zunächst kaum mehr als ein bloßer Titel gewesen sein, der aber immerhin die Weihegewalt einschloß. Arnold von Lübeck, V.24 (S. 192) betont, daß Berno der erste Träger des Bischofstitels von Schwerin war (Zverinensis episcopus, primus eiusdem tituli antistes), und erwähnt die Verlegung von Mecklenburg dorthin. Ein Grund für die Annahme, die Verlegung könne schon vor 1160 erfolgt sein, besteht nicht. Vgl. Anm. 116. 115 Heydel (wie Anm. 102), S. 48 f.
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noch vor Ablauf des Jahres 1160 geschah und durch Sicherheitsrücksichten bedingt war116; die Maßnahme zeigt, daß Herzog Heinrich die Eroberung dieses Platzes als unwiderruflich ansah. Es ist anzunehmen, daß er schon bald die Grundstücke für den Dombau und die Domherrenkurien festlegte und dem Bischof mindestens einen Teil der Güter übertrug, die die zusammenfassende Beurkundung von 1171 aufführt117, denn der faktische Auf- und Ausbau des neuen Diözesanzentrums verlangte, daß Einnahmen zu fließen begannen. Die Verzögerung der Domweihe um mehr als ein Jahrzehnt mag damit zusammenhängen, daß die unruhigen Folgejahre nicht gestatteten, das Erhaltene voll und wirksam zu realisieren. Schon 1164 zeigte sich Berno von einer kleinen Gruppe von Klerikern umgeben118, die man als Kern des neu aufzubauenden Domkapitels ansprechen wird. Spätestens nunmehr dürfte auch ein provisorisches Gotteshaus errichtet worden sein, das als Notkathedrale dienen konnte, bis der Dombau fertig war; es ist wohl inmitten jenes „alten Friedhofs“ von 1186 zu vermuten, der doch wohl ohne einen wie immer gearteten Sakralbau nicht denkbar ist, nördlich des heutigen Rathauskomplexes119. Es ist beachtlich, daß diese vermutlich bescheidene Kirche nach der Domweihe offenbar nicht als Marktkirche weitergeführt wurde, sondern die Pfarrechte an den repräsentativeren Neubau abgab, der damit eine Doppelfunktion übernahm. Doch das war 1160 noch Zukunftsmusik. Was geschah auf die Entscheidungen dieses Jahres hin für den Aufbau eines weltlichen, bürgerlichen Lebens am Ort? Mit dieser Frage stehen wir vor der nächsten jener Fußangeln, die das Quellenmaterial zur Schweriner Stadtgeschichte bereithält. Sie liegt ausgerechnet in einer
116
S. unten Anm. 221; dazu für den Zeitpunkt Anm. 236. Als das Bistum Oldenburg i. H. nach Lübeck verlegt werden sollte, Herzog Heinrich und Bischof Gerold nach Helmold, c. 90 (S. 314,11 ff.) condixerunt diem, quo venirent Lubeke ordinaturi de statu ecclesiae et episcopatus. Et designavit dux locum, in quo fundari deberet oratorium in titulum matricularis ecclesiae et areas claustrales . . . et posuerunt illic prepositum . . . Heydel (wie Anm. 102). S. 49 f., datiert diese Regelungen überzeugend in den gleichen zeitlichen Zusammenhang wie die Einsetzung Bernos als Bischof in Schwerin, nach dem siegreichen Feldzug. Die dos von 300 Hufen erwähnt Helmold, c. 88 (S. 310,20) im Zusammenhang mit der Einsetzung Bernos. Die Beurkundung erfolgte 1171, s. unten Anm. 129. 118 Helmold, c. 99 (S. 344,10 f. ): . . . descendit Berno . . . episcopus cum paucis clericis de Zuerin . . . 119 Oben Anm. 110. 117
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der Belegstellen verborgen, auf die sich das 1960 gefeierte Stadtjubiläum und sein Nachklang von 1985 stützten. Saxo, gewöhnlich Grammaticus zubenannt, Domherr und erzbischöflicher Sekretär zu Lund, erwähnt um 1200, also nicht als unmittelbarer Zeitzeuge, in einem klar auf 1164 datierbaren Zusammenhang prefectum . . . Swerini oppidi . . . quod nuper a Saxonibus in potestatem redactum ius et formam civitatis acceperat120. Er spricht also vom Kommandanten einer Siedlung, die nicht einfach „Burg“ genannt wird; er erwähnt weiter deren jüngst erfolgten Übergang unter sächsische Herrschaft, und er vermerkt, sie habe daraufhin rechtlich und faktisch einen bestimmten Status erhalten. Der Text wird traditionell mit einer zu 1160 einzureihenden Andeutung des unmittelbaren Zeitgenossen Helmold kombiniert und außerdem mit der Umschrift des ältesten Stadtsiegels. Aus der wechselseitigen Beleuchtung dieser Zeugnisse aber wird Saxos Nachricht auf die Verleihung des Stadtrechtes an diesen Ort gedeutet und zeitlich festgelegt. Für eine Überprüfung empfiehlt es sich, die drei angeführten Quellen zunächst einmal je für sich allein zu betrachten; schon ihr angeblicher Zusammenklang ist ja, wie eingeräumt werden muß, eine Hypothese, die sich zu bewähren hat. Ihr nachzugehen, ist ein zweiter Schritt. Auch Helmold und die Siegellegende mögen einen Augenblick zurückgestellt bleiben, damit wir uns zunächst auf Saxo konzentrieren können. Nimmt man dessen Wortlaut unter die Lupe, so fällt zunächst auf: Dort korrespondieren überraschend zwei Begriffe, die in der stadtgeschichtlichen Forschung verschiedene Gegebenheiten abzudecken pflegen, im gleichen Satz, nämlich oppidum und civitas. Das geschieht nicht so, daß man annehmen kann, das zweite sei aus dem ersten hervorgegangen, und der Chronist meine diesen Wandel. Der Angesprochene ist Befehlshaber des oppidum, das zu einem früheren Zeitpunkt civitas geworden war (nuper . . . acceperat). Das ist eine Umkehrung des Gewöhnlichen und verlangt schon deshalb Aufmerksamkeit. Der hier wichtigere der beiden Begriffe ist civitas. Für ihn kann niemand bestreiten: Im Quellenmaterial des deutschen Geschichtsbereichs jener Tage dient dieser Ausdruck als terminus technicus für die Stadt
120 Saxonis Gesta Danorum XIV,xxx,4 (ed. J. Olrik und H. Raeder, Hauniae 1931–57, tom. I, p. 450,18 f.; auch MG SS XXIX, 115,35 ff.); dazu UHL 46 (S. 66). Im nachstehend ausgeführten Sinne bereits Kahl (wie Anm. 50), S. 334 f.; vgl. Dens. (wie Anm. 60), S. 768 Anm. 68.
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im deutschrechtlichen Sinne, die befestigte nichtagrarische Siedlung mit geregelter Rechtsautonomie, im Unterschied zu jener älteren Bedeutung des Wortes, die für Schwerin zu 1018 hervortrat121. Zumindest gilt dies in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle, und in unbestreitbarer Eindeutigkeit auch auf dem genannten Schweriner Siegel. So weit, so gut. Nur: Saxo lebte nicht im deutschen Geschichtsbereich! Er war Däne, und das mit einer Bewußtheit, die geradezu nationalistisch anmutet122; er schrieb auch im Lande seiner Geburt. Der Rechtsraum, in dem er sich dort bewegte, kannte kein Stadtrecht nach Art des südlichen Nachbarn – dort herrschte jenes „Birkinselrecht“ (altdänisch biaerkeraet, altwestnordisch bjarkeyjarréttr), das den Frühformen skandinavischen Städtewesens ihre rechtsgeschichtliche Gestalt verlieh123. Hinzu kommt Saxos geistlicher Stand. Dürfen wir wirklich einem solchen Mann Interesse an profaner Stadtgründung oder Stadtrechtsverleihung im deutschrechtlichen Sinn unterstellen, noch dazu auf ausländischem Boden? Ich gestehe: Diese Annahme erscheint mir kühn, und daß Schwerin der einzige Fall im Gesamtwerk dieses Geschichtsschreibers bliebe, in dem ein Akt dieser Art festgehalten wäre, bestärkt mich darin. Untersucht man, was für Saxo eine civitas war, so stößt man überwiegend auf Bischofssitze, im Einklang mit einem weit zurückreichenden Sprachgebrauch für dieses lateinische Wort. Hinzu kommen einige ostseeslawische Handelsemporien, für die der Gedanke an deutschrechtliche Stadtgründung für diese Zeit mit voller Sicherheit ausscheidet, vor allem im Odermündungsgebiet124. Suchen wir in Vorstellungskreisen
121
Oben bei Anm. 43 ff. B. Volz, Saxo Grammaticus, in: LMA VII (1995), Sp. 1422 f. mit Literatur. 123 E. Wessén, V. Niitemaa, O. Brattegard und P. Meyer, Bjärköarätt, in: Kulturhistorisk Leksikon for nordisk middelalder I (1956), Sp. 655–661 mit Literatur; vgl. auch J. de Vries, Altnordisches etymologisches Wörterbuch (1961), S. 39 s.v. Bjarkey. Im LMA ist die Behandlung gegen ursprüngliche Ankündigung auch unter Stadtrechte unterblieben. Auf einige Probleme des Verhältnisses zwischen diesem nordgermanischen und dem festländischen Recht verweist H. Jankuhn, Die frühmittelalterlichen Seehandelsplätze im Nord- und Ostseeraum, in: Vorträge und Forschungen 4 (1958), S. 485 und 496; vgl. auch K. Zernack, Der europäische Norden als Städtelandschaft der Frühzeit, bei Dems. (Hg.). Beiträge (wie Anm. 22). S. 41–45. 124 Übersicht: F. Blatt. Index, in: Saxonis Gesta Danorum II (1957), Sp. 134 f. s.v. civitas; die Auswertung entspricht für Schwerin naturgemäß noch dem hier angefochtenen Forschungsstand. Einige Hinweise bereits bei W. Schlüter, Saxo Grammaticus und seine Kenntnis vom Norden Europas, in: Sitzungsberichte der Gelehrten Gesellschaft Jurjew-Dorpat, Wissenschaftlicher Teil 1908, S. 11; S. 16 ist Schwerin behandelt, ohne aus dem beobachteten Sprachgebrauch Konsequenzen zu ziehen. – Zu den von Saxo 122
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zu bleiben, die der Domherr von Lund wirklich mit seinem Interesse durchdrang, so kommen wir für Schwerin auf eben den Akt, der soeben angesprochen wurde: die Erhebung zum Sitz eines Bistums, das mit dem Lunder Suffragan Roskilde, Saxos Heimatbistum, gerade damals in vielfältigen Rivalitätsstreit trat, auf Rügen und sonst. Dies war ein Ereignis, das Saxos Eigensphäre unmittelbar berührte – die einzige Änderung im Rechtsstatus Schwerins, die ihn wirklich etwas anging; Auftakt der Erweckung einer Diözese, die bis dahin kaum dem Namen nach bestanden hatte, zu akut gefährlichem Leben. Ihm widmete der Däne daher eine ausdrückliche Notiz, während Helmold so von den Angelegenheiten des eigenen Bistums Oldenburg-Lübeck absorbiert war, daß er über die Entwicklung der Nachbarsprengel, sowohl Schwerins wie Ratzeburgs, auch sonst wenig Erhebliches mitteilt. Gewiß: auch Saxo kann gewußt haben, daß Städte im Reichsgebiet rechtlich anders geordnet waren als in seinem unmittelbaren Gesichtskreis. Doch es ist zweierlei, was ich weiß und was ich für mitteilenswert halte. So bleibt kein Ausweg: civitas an der herangezogenen Stelle ist als „Bischofssitz“ zu übersetzen. Die Stadtrechtsverleihung von 1160 löst sich auf in Nichts. Mit dieser Feststellung ist allerdings, was der Domherr uns mitteilt, noch nicht ausgeschöpft. Sie erklärt nicht mehr als sein ius . . . civitatis. Saxo spricht aber zusammenhängend von ius et forma. Auch der zweite dieser Begriffe ist rasch zu entschlüsseln, nachdem Franz Blatt, der wohl beste Kenner von Saxos Sprachgebrauch, das Material dazu gleichfalls vorbildlich erfaßt und vorgelegt hat. Er meint zwar, an speziell der besprochenen Stelle meine das Wort „Privileg“. Das steht jedoch im Gesamtbild dermaßen isoliert, daß der Verdacht nahe liegt, hier könne, statt philologischer Begründung, schlicht der damals allgemein akzeptierte Forschungsstand eingewirkt haben, nach dem hier eben von der Stadtrechtsverleihung an Schwerin die Rede sein sollte. Alle sonstigen Belege weisen mit großer Geschlossenheit in andere Richtung. Sie zeigen Saxos forma als Begriff für die äußere Gestalt oder Beschaffenheit, nicht zuletzt die Figur des menschlichen, zumal des schönen menschlichen Körpers. Übertragen kann auch der innere Zustand gemeint sein oder auch das Formular, das einer Aussage angesprochenen Handelsemporien vgl. etwa D. Warnke, Frühe Stadtentwicklung an der südlichen Ostseeküste zwischen Odermündung und Lübecker Bucht, bei Brachmann und Herrmann (wie Anm. 1), S. 200–206, sowie Łosiński (wie Anm. 88). – Zu „Bischofssitz“ nachstehend Anm. 126.
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den gewünschten äußeren Rahmen gibt125. Der Beleg für Schwerin 1160 schließt hier zwanglos an: ius et forma civitatis besagt dann, daß der angedeutete Vorgang nicht allein die Rechtsstellung des Ortes berührt hatte, sondern auch dessen Aussehen; er schließt die Angleichung des äußeren Bildes an den neuen Rechtszustand ein, die Schaffung einer Bischofsstadt auch de facto. Das ist dann aber zugleich eine indirekte Aussage siedlungsgeschichtlichen Inhalts, die auf eine Stadtgründung zurückdeuten könnte, und muß als solche überprüft werden. Es war altüberkommener Grundsatz des kanonischen Rechts, daß Bischofssitze nicht in belanglosen Ortschaften errichtet werden sollten, die das Ansehen des hohen Amtsträgers der Kirche beeinträchtigen könnten; man weiß, welches Kopfzerbrechen diese Frage z.B. bei der Errichtung der Kirchenorganisation im karolingischen Sachsen ausgelöst hat126. Rechtsnormen dieser Art waren auch im Obotritenland nicht einfach beiseitezuschieben, und davon dürfte auch Saxo ausgegangen sein. Dabei versteht sich, daß der persönliche Gesichtskreis dieses Autors zugrundezulegen ist. Auch wenn er vielleicht einmal in Paris studiert hatte: Es ist sicher nicht an alte kirchliche Zentren zu denken wie die Seinestadt, wie Köln oder Regensburg, sondern in erster Linie an das, was ihm damals in seiner eigenen Erzdiözese vor Augen stand, übrigens in Entwicklungsformen, die nicht zu unterschätzen sind127. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß die Rangerhöhung Schwerins sich, wie zitiert, für Saxo an einem oppidum vollzog – die einzige Angabe in seinem Satz, die klar eine siedlungsgeschichtlich verwertbare Andeutung
125
Blatt (wie Anm. 124), Sp. 338 f. W. Schlesinger, Städtische Frühformen zwischen Rhein und Elbe, aus: Vorträge und Forschungen 4 (1958), S. 297–362, wieder abgedruckt bei Dems., Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters II, Göttingen 1963, S. 148–212, mit Nachträgen S. 265 ff. Zur Bedeutung der civitas als Voraussetzung für die Errichtung eines Bischofssitzes im kanonischen Recht vgl. H. Nottarp, Die Bistumserrichtung in Deutschland im 8. Jh., Stuttgart 1920, passim; K. Reindel. Die Bistumsorganisation im Alpen-Donau-Raum in der Spätantike und im Frühmittelalter, in: Mitteilungen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 72 (1964), S. 285 ff.; H. Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen II, Stuttgart 1973, S. 322 f. Anm. 67 mit weiterer Literatur. 127 Auch dazu Zernack (wie Anm. 123), S. 13–47, passim: T. Nyberg, Kreuzzug und Handel in der Ostsee zur dänischen Zeit Lübecks, bei O. Ahlers (Hg.), Lübeck 1226. Reichsfreiheit und frühe Stadt, Lübeck 1976, S. 173–177 und weiter; dazu die Dänemark betreffenden Beiträge von H. Schledermann und E. Kroman zum Artikel Stad im Kulturhistorisk Leksikon för Nordisk Middelalder XVI (1971), S. 557–564 mit weiterer Literatur. 126
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gibt. Sie stellt den neuen Bischofssitz auf eine Stufe mit Bergen, Birka, Kalmar, Sigtuna, Schleswig, Stettin und anderen Orten, meint also einen wichtigeren, oft wohl auch befestigten Platz ohne festumrissene Strukturmerkmale und Rechtsstellung128, wobei nichts darauf hindeutet, daß Schwerin für den Dänen auch durch die Erhebung zu dem, was er civitas nennt, etwa aufgehört habe, ein solches oppidum zu sein. Offenbar schlössen beide Begriffe sich für seine Vorstellung nicht aus. Zu einer förmlichen Stadtrechtsverleihung will auch das nicht ohne weiteres passen. Doch den Anforderungen des kanonischen Rechts an einen Bischofssitz konnte es entsprechen. Gemessen am Entwicklungsstand der Region, war auch ein oppidum im Obotritenland kein verächtlicher Ort, der der Reputation eines Bischofs abträglich wirkte. Die Frage ist nur, wann dieses Stadium im Falle Schwerins erreicht war. Saxo ist ungefähr 1150 geboren. Zehn Jahre später war er also noch ein ziemlich kleiner Junge. Den damaligen Zustand Schwerins durch Augenschein kennenzulernen, hatte er schwerlich Gelegenheit, und wie weit er später interessiert war, exakte Erkundigungen über diese Phase einzuziehen, ist kaum die Frage. Das schließt gute Informationen nicht gerade aus, doch wir müssen prüfen, wie weit der Domherr Gegebenheiten der Jahrhundertwende, um die er sein Geschichtswerk verfaßte, in diesem für ihn drittrangigen Punkt unbesehen in die Berichtszeit zurückprojizierte. Wann hat Schwerin ein Gesicht – eine forma – erhalten, das einer Bischofsstadt im Sinne Saxos entsprach? Auch wenn man bescheidene Ansprüche anlegt und z.B. absieht von der charakteristischen Vielzahl von Kirchen und Klöstern: ein gewisser Baubestand, der deutlich mehr darstellte als ein besseres Dorf, mußte jedenfalls erreicht sein. Als unerläßlich sind wohl vor allem zwei Merkmale anzusehen: Es mußte eine Domkirche geben, die die Silhouette des Ortes repräsentativer kennzeichnete, als dies einer gewöhnlichen Pfarrkirche gelingen konnte, und außerdem einen Baukomplex für das werdende Domkapitel, der vielleicht gleichfalls etwas repräsentativer ausgestaltet war. Wann hat Schwerin diese beiden Kennzeichen erhalten?
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Blatt (wie Anm. 124), s.v.
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Zu Hilfe kommt uns das Domarchiv, das unter seinen Beständen das Original der Dotationsurkunde Heinrichs des Löwen für das neukonstituierte Bistum bietet, nach eigener Angabe im Zusammenhang mit der Domweihe ausgestellt (in dedicatione eiusdem ecclesie)129. Sie läßt naturgemäß nicht erkennen, wie weit der Dombau damals vollendet war: Zur Weihe konnte unter Umständen genügen, daß der Chor einen Zustand erreicht hatte, der die Entfaltung gottesdienstlichen Lebens in würdiger Weise erlaubte. Immerhin dürfte in der gegebenen Allgemeinsituation die Übergabe des vollständigen Gotteshauses an seine Bestimmung wahrscheinlicher sein; man hat wohl, wie in anderen Fällen ausdrücklich bezeugt, an einen Holzbau zu denken. Von einem Domkloster oder von Domherrenkurien ist nicht die Rede. Doch der Herzog regelte auch die Rechtsverhältnisse des Domkapitels (canonicorum ibidem – sc. Zverin – deo servientium), und zwar so detailliert, daß man annehmen muß, daß es auch schon Berechtigte gab, um die damit übertragenen Ansprüche wahrzunehmen; tatsächlich erscheint in der Zeugenliste ein Propst (prepositus), der im Kontext allein auf diesen Ort bezogen werden kann, gefolgt von elf weiteren Klerikern (als solche ausgewiesen durch die Einreihung vor den laici); unter diesen erscheint ein Magister und deutet damit auf eine Schule, die sich mindestens schon in Planung befand130. All das läßt vermuten, daß dieser Personenkreis damals schon voll konstituiert und institutionalisiert war – die für 1164 feststellbare, wenngleich kleine, Mehrzahl von Klerikern, mit denen gemeinsam Berno damals von Schwerin aufbrechen konnte131, wirkt als ein frühes Indiz für den Aufbau. Dann muß es aber auch Unterkunftsmöglichkeiten gegeben haben, und doch wohl so, daß sie bereits über ein erstes Provisorium hinausentwickelt waren. Mit anderen Worten: Als dieses hohe Fest begangen wurde, hatte Schwerin allem Anschein nach die beiden wichtigsten Ansprüche erfüllt, die man sich für eine forma civitatis im Sinne Saxos vorstellen darf: Es gab, mehr oder weniger weit vollendet, den Dom (ihn nachweislich, da die Herzogsurkunde auf seine Weihe Bezug nimmt); es gab vermutlich,
129
UHL 89 (S. 135 f.), vgl. MUB I, 100A (S. 95 ff.). Ausdrücklich als canonici de Zuerin bezeichnet werden vier Zeugen in der Bischofsurkunde für Dargun von ?1178 (MUB I, 125, S. 122), dazu aber unten Anm. 140. Allgemein zur Entwicklung des Schweriner Domkapitels, ohne auf obige Indizien einzugehen: M. Kaluza-Baumruker, Das Schweriner Domkapitel (1171–1400), Köln/ Wien 1987, S. 9 ff.; Schmaltz (wie Anm. 86) I, S. 71, 78, 93, 120, 128, 180 u.ö. (z.T. nach überholter Quellenlage); zu 1171 noch Jordan (wie Anm. 5), S. 104 und 114. 131 Oben bei Anm. 118. 130
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wenigstens ansatzweise, auch das Domstift als Baukomplex, der sich auch bei bescheidenen Ansprüchen gegenüber den Behausungen der übrigen Bevölkerung hinaushob. Die Frage bleibt allerdings, ob dies allein schon genügte, um dem Begriff des Domherrn von Lund gerecht zu werden, und da ergeben sich Probleme. Auskunft über eine Befestigung ist im gegebenen Beurkundungszusammenhang nicht zu erwarten; ihr völliges Fehlen allerdings wäre angesichts der geschilderten Allgemeinsituation mehr als überraschend. Saxo selbst weiß schon für die Mitte der sechziger Jahre von Wall und Graben für Schwerin wie auch für Ilow und Ratzeburg132. Doch wie sah zum Zeitpunkt der Domweihe der heutige Altstadtkern im übrigen aus? Welchen Bebauungszustand hatte er aufzuweisen? Sobald genauere Kunde einsetzt, lag die Domfreiheit, wie in manchen anderen Bischofsstädten auch, eindeutig innerhalb der Stadtbefestigung, unweit vom Markt. Doch dann gab es zugleich eine klare Grenze zwischen bischöflichem und nichtbischöflichem Areal, zwischen den beiderseitigen Hoheitsrechten. Zum Zeitpunkt der Domweihe wurde eine Notwendigkeit, eine solche Grenze festzulegen, offenbar nicht empfunden, obwohl es doch um eine grundsätzliche Klarstellung der Rechtsverhältnisse ging, die nunmehr verbrieft werden sollte, und obwohl die Herzogsurkunde dabei sonst so ins einzelne geht133. Für voraussehbare Entwicklungen nächster Zukunft Vorsorge zu treffen, lag bei solchen Anlässen weder kirchlichen Instanzen noch weltlichen Hoheitsträgern fern, zumal, wenn bewußt eine Stadtgründung angestrebt wurde. Ich kann daraus nur folgern, daß es zum Zeitpunkt dieser Beurkundung nach menschlichem Ermessen Aussichten, wie umschrieben, für Schwerin einfach noch nicht gab. Dann verdient aber das Datum dieser Momentaufnahme höchste Beachtung. Ausstellungstag der Herzogsurkunde, die so ausdrücklich auf die Domweihe Bezug nimmt, ist der 9. September – der Tag nach Mariä Geburt, das als Weihetermin für eine Kirche der Gottesmutter besonders sinnvoll erscheint; die eigentlichen Feierlichkeiten werden schon diesem Vortag angehört haben, das Rechtsgeschäft der Beurkundung auf den folgenden Werktag – einen Freitag – verschoben
132 Saxo XIV, xxxvii,2 (Bd. I, S. 461,17): (Saxones) Razaburgam, Illogam ac Suerynam in totius Sclaviae ruinam vallo fossaque cinxisse. Dies kann sich kaum auf die Inselburg beziehen, die eine fossa nicht nötig hatte. Vgl. unten bei Anm. 211. 133 Vgl. Jesse (wie Anm. 3) I, S. 43. Die erste nachweisbare Grenzziehung unten bei Anm. 145–146.
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worden sein. Das Jahr aber ist 1171. Es führt in eben die eingangs angesprochene Zeit, für die Helmold von Bosau im Umfeld Schwerins noch mit reger Partisanentätigkeit der unterlegenen Seite rechnet. Für diesen Platz um Zuzug von Menschen zu werben, denen an friedlicher Tätigkeit in Handel und Gewerbe lag, fehlten noch die wichtigsten Voraussetzungen – darunter, und nicht zuletzt, eine, deren Bedeutung erst die neuere stadtgeschichtliche Forschung klar genug in den Blick bekommen hat, nämlich eine Umlandstruktur, auf der eine gedeihliche städtische Entwicklung aufbauen konnte134. Doch das greift vor. Für den Augenblick bestätigt sich: Nicht allein die Konstituierung Schwerins als Rechtsstadt schon 1160 steht auf schwachen Füßen, sondern ebenso die Annahme einer forma civitatis, wie Saxo sie verstanden haben dürfte, selbst noch für 1171. Wer weiß, ob die Teilnehmer an der hohen Feier damals schon etwas vor Augen hatten, was der Domherr von Lund als oppidum hätte bezeichnen mögen. Der zeitlich und räumlich relativ weit entfernte Gewährsmann hat in seinen Bericht Angaben einfließen lassen, die für die früheste Phase des deutschen Schwerin als anachronistisch betrachtet werden müssen. Stadtgeschichtliche Folgerungen, die aus diesem Autor fremden Voraussetzungen zustande kamen, sind auch von hier aus aufzugeben. Der wichtigste Kronzeuge für die bisherige Ansicht fällt aus. Civitas Zverinensis Wann, wenn nicht bei Saxo zu 1160, erscheint Schwerin erstmals als civitas im deutschrechtlichen Sinne des Hochmittelalters, und für welchen Zeitpunkt? Die Frage führt auf eine Überraschung. Die unmittelbaren Zeitgenossen der hier wichtigen Jahrzehnte, vor allem Helmold, aber auch noch Arnold von Lübeck, bringen keinen Beleg dieser Art, sehr im Gegensatz zu ihrer Behandlung Lübecks, der bevorzugten Gründung des Löwen im Ostseegebiet. Wie das konkret aussieht, führe ich am wichtigsten, an Helmolds Beispiel, später vor. Auch der Annalist von Magdeburg zeigt sich über die Verhältnisse in diesem Raum gewöhnlich gut unterrichtet. Er nennt Schwerin für den Zeitpunkt, da das Bistum von Mecklenburg hierher verlegt wurde, eine urbs135, was etwa auf eine Burg mit Suburbium (oder Suburbien) 134
Engel (wie Anm. 51), S. 19 f. und 21 mit Literatur. Vgl. unten bei Anm. 169–
170. 135 Annales Magdeburgenses, a. 1160 (MG SS XVI,192,3 ff.): Heinricus dux episcopos in Sclaviam ordinatos investivit, darunter Bernonem in Magnopolim, qui translatus est in Zuarinensem urbem.
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hinausläuft. Das sind wieder eben die Jahre, in die man bisher die Anfänge der deutschrechtlichen Stadt setzen wollte, und dabei kamen alle diese Quellenautoren, anders als Saxo, von der Selbstverständlichkeit der Gegebenheiten deutschrechtlichen Städtewesens her, das die Benennung als civitas einschloß. Für die Urkunden gilt die gleiche Voraussetzung, und das in höherem Maße, weil es in ihnen um die Fixierung von Rechtszuständen geht. Sie bieten kein anderes Bild. An der Spitze steht das Kaiserdiplom für das Bistum vom Januar 1170. Die überlieferte Fassung ist um 1220 interpoliert, doch im Dienst einer Tendenz, die die hier einschlägigen Partien nicht berührt. Da ist Szwerin, wie bereits angesprochen, zunächst genannt als Ausgangspunkt der missionarischen Bemühungen des Empfängers, des nunmehrigen Bischofs Berno, und dann nochmals, in leicht abweichender Schreibung (Swerin), unter einer Reihe von Burgen, die mitsamt zugehörigen Dörfern seinem Sprengel zugewiesen sind (castra . . . cum . . . villis ad ipsa castra pertinentibus). Es tritt dabei hinter Mecklenburg zurück – dies war ja zunächst der nominelle Bischofssitz gewesen –, erscheint aber an nächster Stelle. Der Wortlaut zeigt beide und andere Plätze in gleicher Weise als Mittelpunkte von Burgbezirken der bekannten Art, eine Gleichstellung, die zu denken gibt – die Neuordnungen seit 1167 waren offenbar noch zu sehr im Fluß, um Älteres aus dem Bewußtsein zu verdrängen. Es wird nicht ersichtlich, wie die angesprochenen Kleinsiedlungen (villae) sich verteilen; wieviele davon etwa als Dienstsiedlungen unmittelbar auf das castrum Swerin bezogen zu denken sind oder jedenfalls auf das Gebiet einer werdenden Stadt, etwa auch mit dem neuen Bezugspunkt des schon im Bau befindlichen Domes; wieviele statt dessen in größerem Abstand lediglich zum Verwaltungsbezirk der Burg zählten. Von einer civitas ist im gesamten Text keine Rede. Hätte sie nicht neben den villae Erwähnung verdient, wenn es sie schon gegeben hätte? Nicht einmal der spätere Verfälscher hat sie eingesetzt. Er gehörte mit größter Wahrscheinlichkeit dem Domkapitel an, und die Stadt Schwerin als solche war ihm gegenwärtige Wirklichkeit. So hätte er doch wohl gute Gründe gehabt, die civitas, wie anderes, aktualisierend in die Vorlage einzufügen, wenn er eine Tradition vorgefunden hätte, daß sie um 1170 bereits bestand. Gleichwohl ist dies nicht geschehen136.
136
MG DD X/3, S. 22,2 und 21 ff.; vgl. MUB I, 92, S. 85 ff. Dazu oben Anm. 101.
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Die erwähnte Herzogsurkunde von 1171 ist offenbar in Schwerin selbst ausgestellt: Sie bezieht sich nicht nur ausdrücklich auf die Domweihe als Anlaß der Entstehung, sie nennt auch nach dem Bischof des Ortes die besprochene Reihe von Geistlichen ohne Herkunftsbezeichnung, was sie demselben Sitz zuweist137. Das ist wichtig: Der Text fußt, im Unterschied zu Kaiser- und Papsturkunden, für gegebene örtliche Verhältnisse auf unmittelbarer Anschauung. Nicht weniger als viermal nennt er Zverin, doch gleichfalls mit bloßem Namen, also ohne einen Zusatz, der rechts- und siedlungsgeschichtlich auswertbar wäre; aufgeführt sind Pfarrechte ebenda (parochiam in Zverin cum omni iure) – Godefridus capellanus in der Zeugenliste mag etwas mit ihrer Wahrnehmung zu tun gehabt haben, falls er nicht einfach der Burgkaplan war –, doch diese Privilegierung gewährt kein siedlungsgeschichtlich brauchbares Indiz: Erstens gehören die Pfarrechte am Bischofssitz zu dessen selbstverständlicher Ausstattung, und zweitens sind solche oft genug auch für dünn besiedelte ländliche Gegenden geregelt. Erwähnt wird noch ein Schiffszoll (navale teloneum in Zverin), ob er nun samt Einhebestelle schon besteht oder mit dieser Erwähnung eingerichtet wird, doch das ist alles; von grundherrlichen Besitzrechten im Ortsbereich, die der bischöflichen oder auch der domkapitularischen dos zugeschlagen würden, ist, wie ausgeführt, nicht die Rede. Das regelmäßige Fehlen von civitas, wo dieser Zusatz, gutem lateinischem Stil entsprechend, sich hätte anbringen lassen, ist ein Moment, das die Herzogsurkunde mit der voraufgehenden Kaiserurkunde verbindet, und wie bei den angeführten historiographischen Belegen steht es in bemerkenswertem Gegensatz zu den Erwähnungen Lübecks aus gleicher Zeit in Diplomen, die genau so aus Heinrichs Kanzlei hervorgegangen sind138. Man sollte auch nicht übersehen, daß in der Zeugenliste unter den Laien zwar Graf Günzelin mit seinem Schweriner Titel erscheint (Gunzelinus comes de Zverin), dann eine Reihe von Ministerialen, doch kein advocatus und keine cives der Stadt, die von der Domweihe und all den verbrieften Regelungen, nicht zuletzt der des Pfarrechtes, schließlich auch betroffen gewesen
137
Oben bei Anm. 130. Vgl. nur UHL 52 von 1162 (S. 74,32 f.): . . . Lubicensis mee civitatis . . . Viele weitere Beispiele im Register, S. 262 s.v. civitas. – Zu den Anfängen Lübecks vgl. jetzt G. Fehring, Lübeck und die hochmittelalterliche Gründungsstadt im einst slawischen Siedlungsraum. Voraussetzungen, Entwicklungen und Strukturen, bei Brachmann und Herrmann 1991 (wie Anm. 1), S. 281–293 mit weiteren Nachweisen, dazu Ders., Lübeck zur Zeit der Welfen, in: Katalog Braunschweig II, S. 408–417; M. Gläser, Handel und Handwerk im welfischen Lübeck, ebd., S. 418–424; vgl. Diestelkamp, wie Anm. 1. 138
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wären. In Lübeck ließ Heinrich cives als Zeugen namentlich auflisten, als es in den gleichen 1170er Jahren um einen Rechtsakt ging, der sie ungleich weniger stark berührte als die Festlegung der Pfarrechte über sie, nämlich die Stiftung einer Kapelle139. Für Schwerin stoßen wir bei der Suche nach einer Ersterwähnung von cives auf merkwürdige Probleme. Einige finden sich namentlich in einer undatierten Urkunde aufgelistet, die Bischof Berno zugeschrieben wird und das Kloster Doberan betrifft. Das angebliche Original ist im Landeshauptarchiv zu Schwerin überliefert, mit wohlerhaltenem, unverdächtigem Siegel, das jedoch nur noch beiliegt, nicht mehr fest angehängt ist. Falls das Zeugnis echt ist, und davon gehen viele Benutzer aus, müßte es vor 1186 ausgestellt sein, vielleicht schon 1178. Adolf Kunkel nimmt allerdings eine Fälschung des 13. Jahrhunderts an, wenngleich aufgrund einer echten Vorlage; was das für die Verwertbarkeit der Zeugenliste bedeutet, steht dahin140. Das nächste Zeugnis, das cives von Schwerin nennt, ist das Diplom Kaiser Ottos IV. von 1209/11. Es knüpft zwar an ein Deperditum Heinrichs des Löwen an (dilecti genitoris nostri pie memorie Henrici ducis priuilegium . . . dum Bauarie ducatum et Saxonie teneret), vermutlich auch gerade in dem hier wichtigen Passus, doch wie wörtlich dies geschieht, ist nicht zu kontrollieren. So bleibt möglicherweise die Lübeckische Zollrolle von etwa 1220/26 das älteste authentische Zeugnis
139
UHL 104 von 1175/77 (S. 158,16; S. 159,14 f.); an der zweiten Stelle: cives Lubicenses (folgen vier Namen) am Ende der Zeugenliste. – Vgl. Anm. 147. 140 MUB I, 125 (S. 122): . . . Bernardus dictus aduocatus in Zuerin . . .; de ciuibus (folgen fünf Namen ohne weitere Ortsangabe, also gleichfalls auf Schwerin zu beziehen). – Zur Datierung auf 1178 im MUB vgl. F. Wigger, Berno, der erste Bischof von Schwerin usw., in: MJB 28 (1863), S. 254 Anm. 1, zu präzisieren durch das Ende des ersten Darguner Konvents 1184/88 als terminus ante quem (dazu Schmaltz – wie Anm. 86 – I, S. 84). – Zur Echtheitsfrage: A. Kunkel, Die Stiftungsbriefe für das mecklenburg-pommersche Cistercienserkloster Dargun, in: Archiv für Urkundenforschung 3 (1911), S. 40 f. und 76 f.; zur Zeugenliste S. 76 Anm. 1, ohne Eingehen auf die Frage, wie weit sie dem eventuell echten Bestand der verfälschten Vorlage angehören kann. Sie umfaßt den Abt von Doberan, vier Kanoniker von Schwerin, drei Pfarrer der weiteren Umgebung und genannte Laien; die Zusammensetzung könnte sehr wohl einer in Schwerin selbst abgehaltenen Diözesansynode entsprechen (vgl. die Datierung von MUB I, 122, S. 118, von 1177, falls echt). F. W. Lisch, Schwerin bis zum Übergang der Grafschaft Schwerin an das Haus Mecklenburg, in: MJB 42 (1877), S. 94 mit Anm. 1, vgl. S. 97, sieht in den genannten cives Ratsmannen der Stadtgemeinde und nimmt dies als deren erste Bezeugung, was zweifellos zu weit geht. Vgl. unten Anm. 200. – In der stadtgeschichtlichen Forschung Schwerins finde ich MUB I, 125, unbefangen benutzt, ohne daß eine Auseinandersetzung mit Kunkels Argumenten mir bekanntgeworden wäre.
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für den civis de Zwerin141. Die Fehlanzeige der Herzogsurkunde zur Domweihe besitzt einen beachtlichen Hintergrund. All diese Feststellungen wiegen besonders schwer, weil das Dokument von 1171 ja ausgerechnet von der Persönlichkeit stammt, der für Schwerin die Stadtgründung oder doch Stadterhebung zugeschrieben wird, und auch für einen neuen kritischen Ansatz – das ist noch zu zeigen – durchaus mit Recht142. Ich vermag daraus nichts anderes zu folgern, als daß ein solcher Akt zum Zeitpunkt der Domweihe noch immer nicht stattgefunden hatte, ebensowenig, wie Schwerin als Ort nach vorhin getroffener Feststellung damals schon eine forma civitatis im Sinne Saxos besaß143, und auch von hier aus wage ich den weiteren Schluß, daß in seiner Entwicklung bis dahin das kaufmännische Element noch immer keine nennenswerte Rolle spielte, denn hätten Kaufleute sich an einem solchen Platz fest ansässig gemacht ohne den Status vollen Bürgerrechts? Mit ihnen aber fehlte noch immer ein Faktor, ohne den man sich eine Stadt im deutschrechtlichen Sinne der Zeit nicht wohl vorstellen kann. Ob die Urkunde Alexanders III. vom eben genannten Jahr 1178 älter oder jünger ist als die angebliche Verlautbarung Bernos für Dargun, läßt sich nicht entscheiden. Jedenfalls schließt auch sie noch an das Bild an, das die eben besprochenen Dokumente ergeben. Der Bischof hatte den Papst persönlich aufgesucht und informieren können. Trotzdem spricht dieser lediglich vom „Ort“ (locus) Schwerin als dem Sitz des Bistums, und das fast in Formen, die wie ein Dispens von der Regel wirken144;
141 MUB I, 202 (S. 192): Ciuibus quoque eiusdem loci (se. Zwerin) werden verliehen genannte Privilegien ad vsvm mercandi; vgl. MUB 1, 189 (S. 179). Dazu bereits Hoffmann (wie Anm. 26), S. 21. Die Inserierung des offenbaren Exzerpts in eine dem Bistum geltende Urkunde dürfte sich daraus erklären, daß der Bischof mittlerweile einen Anteil an der Stadtherrschaft besaß, so daß auch ein Teil seiner Untertanen an den genannten Privilegien partizipierte (anders Hoffmann, ebd., S. 21). – Die Lübecker Zollrolle auszugsweise MUB I, 273 (S. 257). In älteren Zeugenlisten können sich unter den bloß mit Namen Genannten z.T. auch Schweriner Bürger verbergen, es fehlt jedoch die ausdrückliche Kennzeichnung. 142 Vgl. unten bei Anm. 186–200. 143 Oben bei Anm. 125–134. 144 MUB I, 124 (S. 120), an Berno gerichtet: postulasti, ut episcopalem sedem in loco, qui dicitur Zverin, auctoritate sacrosancte Romane . . . ecclesie confirmemus . . . concurrentes assensu, potificalem cathedram in eodem loco perpetuo manere statuimus (man beachte die Wiederholung von locus an zweiter Stelle, wo spätestens sich bei anderen als oben postulierten Verhältnissen civitas hätte erwarten lassen). Zur Echtheit: Jordan (wie Anm. 5), S. 53 f., vgl. 48. – Aus dieser Vorurkunde geht die Formel: in loco qui dicitur Zuerin weiter in jüngere Papst-Diplome, die sonst bereits civitas-Belege haben,
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er benutzt damit den Ausdruck, den sein Nachfolger 1186 für Stulp an der Warnow und für Dargun einsetzt145, Orte, die in der Entwicklung mittelalterlichen Städtewesens nicht gerade eine hervorragende Rolle spielten. Anders als früher ist nunmehr von einem Besitzanteil des Bistums an seinem Sitz die Rede. Er wird auf eine Verfügung Herzog Heinrichs zurückgeführt, der dabei auch die Abgrenzung selbst vorgenommen habe; die Ausscheidung dieses Anteils erfolgt jedoch noch immer nicht aus der „Stadt“, sondern aus der „Insel“ Schwerin (ex dono predicti ducis u.a. partem insulae Zverin secundum discinctionem ipsius ducis)146: das paßt gut zu der leichten Erhebung zwischen Seen und Mooren, auf denen irgendwann die Altstadt erwuchs, doch für eine vollendete Stadtentwicklung spricht die Formulierung nicht gerade – jedenfalls nicht, wenn sie blank und ohne jeden entsprechenden Zusatz erscheint, wiederum anders, als dies für Lübeck geschieht, in der schon genannten, etwa gleichzeitigen Herzogsurkunde147. Die päpstliche Kanzlei hätte die Möglichkeit gehabt, civitas immerhin in jenem älteren Sinne als „Bischofssitz“ aufzunehmen, und wir ständen dann vor einem zweideutigen Beleg. Sie tut es nicht, und angesichts der vorauszusetzenden Mitwirkung Bernos und des von ihm vorzulegenden Beweismaterials kann das kaum bedeutungslos sein148. Erst unter den beiden Nachfolgern Alexanders, in den Folgeurkunden von 1186 und 1191, ändert sich das Bild: Sie setzen für die insula Zverin die civitas Zverinensis ein, im ersten Fall unter gleichzeitiger Präzisierung der Grenzlinie zwischen bischöflichem und weltlichem Hoheitsgebiet, wie sie noch 1178 offenbar nicht nötig gewesen war149. Das ist ein zusätzliches Indiz. Ich zweifle nicht, daß civitas in diese beiden Papsturkunden nicht im alten kanonischrechtlichen, sondern im deutschrechtlichen Sinne
nämlich Urban III. 1186 (MUB I, 141, S. 136) und Coelestin III. 1189 (MUB I, 149, S. 145). – Vgl. nachstehend Anm. 148. 145 Urban III., wie vorige Anm. (S. 137). 146 MUB I, 124 (S. 120). Dazu noch unten bei Anm. 324–325. 147 UHL 104 (oben Anm. 139) verwendet für Lübeck viermal den Ausdruck insula (S. 158,13.16.22.33), einmal unter intensiver Betonung des dort erfolgten Ausbaues (S. 158,13 ff.), einmal in Verbindung mit eiusdem insule cives (S. 158,16), die dann auch in der Zeugenliste erscheinen (oben Anm. 139); beachte die zeitlich vorausgehende civitas-Nennung für Lübeck durch den gleichen Aussteller oben Anm. 138. Dazu unten bei Anm. 334–335. 148 Besonders auffällig die Wendung: cathedram in eodem loco . . . manere statuimus (oben Anm. 144), statt etwa: eundem locum civitatem esse etc. 149 Urban III., MUB I, 141 (S. 137); Clemens III. 1189, MUB I, 149 (S. 145).
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eingetreten ist. Der Sinnzusammenhang, in den der Terminus hier einrückt, als Ersatz für die insula der Vorurkunde, deutet klar auf ein Wohngebiet, nicht auf einen bloßen Rechtszustand. So haben wir in diesen Dokumenten eindeutige Belege, daß Schwerin nunmehr einen Entwicklungsstand erreicht hatte, der die Einstufung als Stadt erlaubte, wie wir sie verstehen, und 1186, das Jahr der Urkunde Urbans III., ist dasjenige, in dem dieser Zustand sich erstmals in einer geschriebenen Quelle fixiert, eher auch als in historiographischen Aufzeichnungen; zeitlich vorauf geht einzig die Legende des Stadtsiegels, die uns später beschäftigen wird, nicht geschrieben, sondern graviert – sie weist, um dies schon hier festzuhalten, zwingend in die Zeit vor 1180/81 zurück150. Die Gesamtreihe der bisher vorgeführten Belege aber gibt offenbar Einblick in eine rasante Entwicklung, die sich zwischen 1171 und 1186 vollzogen zu haben scheint, gegen Ende dieser Spanne wohl schneller, als noch unmittelbar vorher, 1178, vorausgesehen. An dieser Entwicklung ist nicht zu deuteln, nur daß sie allem Anschein nach später einsetzt, als bisher angenommen, und jedenfalls noch nicht zu dem Zeitpunkt, für den Saxo an diesem Platz eine civitas in seinem Sinne voraussetzt. Sie spiegelt offenbar ein zunehmendes Vertrauen in die Stabilität der Verhältnisse, wie es sich in mehrjährigem Abstand nach der umfassenden politischen Neuordnung von 1167, dem Friedensschluß des Löwen mit den Wendenfürsten, allmählich eingestellt haben wird – nicht zuletzt infolge des rigorosen Durchgreifens, das Helmold vom ersten Grafen Günzelin berichtet151. Die Übergangszeit im Spiegel Helmolds von Bosau Was sich als Ergebnis abzeichnet, weicht dermaßen stark vom bisherigen Bilde ab, daß man sich zusätzliche Stützen wünscht. Dabei gewinnt ein Gewährsmann besondere Bedeutung, der als zweiter Kronzeuge der überkommenen Auffassung galt: der eben wieder genannte Helmold. Er deckt, und zwar als Zeitgenosse, bevorzugt gerade diejenige Phase ab, auf die es hier ankommt nämlich vom Entscheidungsjahr 1160 bis zum Anfang der 1170er Jahre152; Beobachtungsstand aber ist Bosau am Plöner See, in Schwerins Nachbardiözese Oldenburg/Lübeck, wo er jahrzehntelang als Pfarrer wirkte mit wachem Sinn für den Epochen-
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Unten bei Anm. 186–187. Oben Anm. 2. Stoob, wie Anm. 2.
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charakter seiner Gegenwart. Er ist damit nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich unter allen greifbaren Zeugen den Ereignissen, um die wir uns bemühen, am nächsten. Allerdings sollten wir sein Werk nicht länger in der Manier des vorigen Jahrhunderts benutzen, als einen Steinbruch. dem dieser oder jener Einzelsatz nach Belieben als gerade passend entnommen werden den könnte – wir müssen, was er mitteilt, im Rahmen des Ganzen betrachten, das die übermittelten Details auf seine Weise beleuchtet. Da finden wir zunächst den entscheidenden Slawenfeldzug Herzog Heinrichs von 1160 geschildert. Unter dem Eindruck des siegreichen Vordringen geht sein wendischer Gegenspieler, Fürst Niklot153, zu einer Taktik verbrannter Erde über: Er brannte, schreibt Helmold, „alle seine Burgen nieder, nämlich Ilow, Mecklenburg, Schwerin und Dobin“ mit einziger Ausnahme von Werle154. Die Burgen heißen castra; die Reihenfolge ihrer Aufzählung ist nicht geographisch bestimmt; Schwerin erscheint nicht an bevorzugter Stelle. Bei Werle konzentrieren sich die Kämpfe; Niklot fällt – Helmold läßt erkennen wie ihn der Tod dieses achtbaren Gegners beeindruckt hat. Nun wird auch Werle niedergebrannt. Der Löwe aber, heißt es weiter, „begann, Schwerin aufzubauen und die Burg zu befestigen“ (cepit edificare Zuerin et communire castrum) – das ist der ortsgeschichtlich wichtige Satz; er wird gleich noch genauer unter die Lupe genommen. Der Bericht fährt fort: „Und der Herzog setzte dort einen gewissen Günzelin ein, einen kriegstüchtigen Mann, mit bewaffneter Mannschaft“ (cum milicia). Es fällt auf, daß die Aussage Schwerin allein betrifft, nicht auch die eine oder andere der übrigen Burgen; es scheint, daß sich darin bereits eine gewisse Vorzugsstellung des Platzes andeutet. „Danach“, heißt es weiter, „kehrten die Söhne Niklots in die Huld des Herzogs zurück, und der Herzog gab ihnen Werle und das ganze (zugehörige) Gebiet. Aber das Obotritenland teilte er als Besitz (terram . . . possidendam) unter seine Ritter (militibus) auf“, nämlich fünf genannte Burgbezirke, von denen außer Schwerin
153 Über Niklot: Rühberg 1989 (wie Anm. 89), S. 73–80; Ders., Niklot und der obodritische Unabhängigkeitskampf gegen das sächsische Herzogtum, in: MJB 111 (1996), S. 5–20, dazu die Diskussionsbemerkung von H.-D. Kahl bei E. Birke und E. Lemberg (Hg.), Geschichtsbewußtsein in Ostmitteleuropa. Ergebnisse einer wissenschaftlichen Tagung des J. G. Herder-Forschungsrates über die geistige Lage der ostmitteleuropäischen Völker, Marburg/Lahn 1961, S. 78–80, zur Stellung und Bedeutung dieses Fürsten in der deutschen Volksgeschichte, in der das slawische Element nicht unterschätzt werden sollte. Vgl. unten bei Anm. 208–212. 154 Helmold, c. 88 (S. 308 ff.).
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auch noch Ilow der unmittelbaren Zuständigkeit Günzelins zugeteilt wurde155; er erhielt damit als einziger zwei solcher Gebietskomplexe, und sie merkwürdig unzusammenhängend, denn zwischen beide schieben sich andere Bereiche. Die Erklärung ergibt sich etwas später, denn dann wird dieser Vertraute des Herzogs mehrfach als prefectus terrae Obotritorum bezeichnet, nach Helmolds Sprachgebrauch zu verstehen in der engeren Bedeutung dieses Stammesnamens, im Gegensatz einerseits zu den Wagriern, andererseits zu den Warnowern, also relativ eng begrenzt. Günzelin hatte also zugleich eine Art Statthalterschaft über das ganze von Heinrich einbehaltene Wendenland übertragen bekommen, ein verfassungsgeschichtlich interessantes, neuartiges Experiment, dem allerdings durch die sich überschlagenden Ereignisse keine lange Dauer beschieden war156. Die Feststellung unterstreicht, daß dem Burgort Schwerin in der Neuregelung eine Vorortfunktion zukam. Bald darauf meldet Helmold „Frieden im ganzen Slawenlande, und die festen Plätze (municiones), die der Herzog nach Kriegsrecht . . . in Besitz genommen hatte, wurden allmählich von Einwanderergruppen bewohnt, die in das Land gekommen waren, um es zu besitzen“ (ceperunt inhabitari a populis advenarum etc.)157. Das kann theoretisch auch auf Schwerin bezogen werden, doch dabei ist Vorsicht geboten. Die Einleitung eines umfassenden Siedelwerks jedenfalls berichtet Helmold ausdrücklich nur für den Mecklenburger Bereich158, außerdem für die Nachbargrafschaft Ratzeburg159. Für Ilow gibt Helmold selbst Hinweise, daß dort noch 1164 offenbar eine überwiegend slawische Bevölkerung lebte, der nicht zu trauen war; für Malchow und Quetzin zeigt er nichts als eine schwache Besatzung160. Das ist die Mehrzahl der aufgezählten Burgorte, und es soll nicht übersehen werden, daß der Autor bei alledem allein von den befestigten Plätzen (municiones) spricht, nicht auch von deren Umland. Die Zuwanderung entsprach offenbar mehr einem Wunschbild, das Erfahrungen aus seinem unmittelbaren Beobachtungsfeld nährten. 155
Ebd. Hildebrand (wie Anm. 97), S. 385–389; Diestelkamp (wie Anm. 228), S. 195 f., 206 f., 214, 216 ff.; Hamann (wie Anm. 1), S. 83 f.; Jordan 1979 (wie Anm. 86), S. 86 f. – Günzelin als prefectus terrae Obotritorum: Helmold, c. 93 (S. 324,5); c. 98 (S. 340,32); vgl. c. 92 (S. 318,20); demgegenüber nach der Neuordnung von 1167: prefectus castri (sc. Zuerin), c. 110 (S. 382,10). Zu Helmolds Obotritenbegriff c. 2 (S. 42,1 ff.); er wird präzisiert durch die Aufzählung der Burgen unten Anm. 175. 157 Helmold, c. 92 (S. 318,17 ff.). 158 Ebd., c. 88 (S. 310,15 ff.); vgl. c. 99 (S. 341). 159 Ebd., c. 92 (S. 318,21 ff.). 160 Ebd., c. 98 (S. 342 f.), dazu c. 99 (S. 344). 156
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Einblick in das, was sich damals am Sitz Günzelins abspielte, bleibt uns verwehrt. Wir müssen uns damit begnügen, daß der Gewährsmann dort zu 1164 habitatores urbis erwähnt, die sich in bedrängter Situation über die Rückkehr Günzelins freuen161. Es waren also unzweifelhaft Deutsche – ob mehr als die vorher erwähnte milicia, die Burgbesatzung, bleibt offen. Dabei will auch beachtet sein, daß eine Siedlungsunternehmung, wo sie in Gang gesetzt wurde, nicht im Handumdrehen abzuschließen war. Als Niklots Wenden 1147 in Wagrien einbrachen, fanden sie in der neuen Friesensiedlung zu Süsel von 400 Männern kaum 100 vor; die übrigen waren in die alte Heimat zurückgekehrt, um abschließende Vorbereitungen für die Übersiedlung zu treffen162. Das war ungefähr fünf Jahre, nachdem Graf Adolf seine Werber ausgesandt hatte. Auch die 70 Erschlagenen, die Bischof Berno 1164 bei der Mecklenburg zu bestatten hatte, mögen eine solche Teilmannschaft eines größeren Kolonistenkontingents gewesen sein: sie hatten Frauen und Kinder bei sich gehabt, die von den Wenden Pribislaws abgeführt worden waren163. Allerdings: solche Details, durch mehr oder weniger zufällige Schlaglichter beleuchtet, berühren die Ausführung, nicht die Planung als solche. Soweit der Zeitrahmen, in den Helmolds Bericht über Schwerin 1160 sich einfügt. Ich wiederhole den ortsgeschichtlich entscheidenden Satz: Dux . . . cepit edificare Zuerin et communire castrum – „der Herzog . . . begann, Schwerin aufzubauen und die Burg zu befestigen“164: so die Übersetzung, die ich bevorzugen möchte. Theoretisch sind, wie man sich klarmachen muß, noch zwei andere denkbar, einmal die prädikative („der Herzog . . . begann, Schwerin aufzubauen und als Burg zu befestigen“), dazu jene andere, die Zuerin und castrum als Klammerkonstruktion lateinischer Stilistik zusammenzieht: „Der Herzog . . . begann die Burg Schwerin aufzubauen und zu befestigen“. Der Urtext kann diese Möglichkeiten in der Schwebe halten – wir müssen uns entscheiden und berühren dabei das alte Problem, daß Übersetzung niemals einfach Textwiedergabe ist, sondern immer zugleich schon Interpretation. Ich bevorzuge, wie gesagt, die erste Fassung. Helmold schreibt nicht, wie Saxo, einen kunstvoll gespreizten Stil, dem man solche Klammerkonstruktionen ohne weiteres zutraut; seine Satzkonstruktionen sind 161 162 163 164
Ebd., c. 98 (S. 194,2 f.). Ebd., c. 64 (S. 226,2 ff.). Ebd., c. 99 (S. 344,21 f.), dazu c. 98 (S. 340,27 ff.). Ebd., c. 88 (S. 310,8 f.).
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normalerweise schlicht und deutschem Stilempfinden näher. Die dritte, die prädikative Möglichkeit kommt mir nicht sehr wahrscheinlich vor, weil Schwerin nach dem gleichen Kapitel, wie zitiert, auch vorher, zur Wendenzeit, schon ein castrum war. Der Burgcharakter war dort also nichts Neues, lediglich der Charakter als herzogliche Burg des Löwen, und im anschließenden Text werden weitere bisher wendische Burgen genannt, die offensichtlich erneuert wurden, auch wenn der Wiederaufbau nicht ausdrücklich herausgestellt ist. Meine Entscheidung dürfte insoweit begründet sein. Dann fällt aber Verschiedenes auf. Erstens verwendet Helmold mit castrum für die Anfänge des deutschen Schwerin denselben Ausdruck, mit dem er das slawische bezeichnet hatte. Zweitens deutet der Wortlaut, wenn meine Übersetzung stimmt, darauf hin, daß Zuerin und das castrum nicht identisch sind, daß es also einen wie immer gearteten Siedlungskomplex außer der Burg dort auch in diesem Neuansatz gab, wie bisher. Drittens aber: Jede nähere Kennzeichnung des neu entstehenden Gebildes im Vorfeld der Burg unterbleibt! Weder villa noch oppidum noch civitas erscheint, der Ortsname steht für sich. Für Stadtgründungen drückt dieser Autor sich anders aus. Im Hinblick auf Lübeck hatte es geheißen, Graf Adolf cepit illic edificare civitatem165; für Heinrichs Gegengründung Leuenstadt, die sich dermaßen schnell als Fehlschlag erwies: edificavit dux civitatem novam . . . cepitque edificare et communire166 – eine Formulierung, die in wesentlichen Elementen wörtlich an die für Schwerin gewählte anklingt, doch die Unterschiede wiegen schwerer; da hinter diesem Beispiel bezeugtermaßen die bewußte, ja trotzige Planungsabsicht stand mit festem Ziel von Anfang an, ist der Vergleich besonders aufschlußreich. Ähnliches, immer mit civitas, findet sich bei Helmold in den Gründungsnotizen etwa für Eutin oder Plön167. Auch in anschließender Berichterstattung setzt er häufig zum Ortsnamen den erläuternden civitas-Begriff, besonders für Lübeck168. Für Schwerin bringt er ihn niemals. Der Gegensatz ist deutlich, und er ist sprechend. Ich sehe keine andere Folgerung offen als die, daß Herzog Heinrich, soweit Helmold Schlüsse zuläßt, 1160 in Schwerin nicht eindeutig und
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Ebd., c. 57 (S. 212,14 f.). Ebd., c. 86 (S. 304,5 ff.). 167 Ebd., c. 84 (S. 294,15 bzw. 298,6 f.). 168 Ebd., c. 63 (S. 224,4); c. 69 (S. 246,18); c. 76 (S. 264,17); c. 86 (S. 302,28; 304,15). 166
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offenkundig auf eine Stadtgründung abzielte, sondern auf den Ausbau eines Militärstützpunktes. Dies geschah, versteht sich, unter den Bedingungen einer Zeit, die noch kein stehendes Heer mit fester Besoldung kannte, von dem sich Kontingente für Sonderaufgaben abkommandieren ließen, z.B. als Besatzungstruppe. Die Krieger mußten für sich und für mögliche Familien Wohnung und Versorgungsmöglichkeiten am Ort erhalten, mußten aus dem Lande selbst leben können, und zwar anders als allein durch Beutezüge ins Umland, das ja befriedet werden sollte, nicht ständig beunruhigt. So dürfte der herausgehobene Satz meinen, daß der Herzog mit der Burg auch ein dienstbares Suburbium wieder aufleben ließ – dies würde sich auch mit der urbs vertragen, deren Bewohner Helmold, wie gezeigt, wenig später, zu 1164, nennt. Wer dem Satz mehr entnehmen will, muß dies begründen, und er hat sich dabei auch mit der erwähnten Einsicht neuerer Stadtgeschichtsforschung auseinanderzusetzen, daß eine Stadtgründung, wenn sie sich behaupten soll, die Wechselbeziehung zu einem entsprechend entwickelten Umland voraussetzt, das auf die Entwicklung eines derartigen Mittelpunktes hindrängte169. Im benachbarten Wagrien ging Graf Adolf an die Gründung Lübecks drei Jahre später als an die Einleitung seines ländlichen Siedlungswerks, erprobte zunächst also, wie dieses sich anließ. Für Schwerin wird man sich das Umland nach dem Stande von 1160 nicht gerade blühend vorstellen dürfen: Was Niklots Taktik der verbrannten Erde übrig gelassen hatte, wird den anschließenden Verwüstungen durch das herzogliche Heer zum Opfer gefallen sein170. Die angestammte Bevölkerung war im Zweifelsfall erheblich dezimiert, teils erschlagen, teils ausgewichen, sei es als Partisanen in die Wälder, sei es in Nachbargebiete, von denen aus die Entwicklung sich abwartend beobachten ließ. Eine neue Basis mit Siedlern aus dem Westen zu schaffen, versuchte aber, soweit Helmold Einblick gewährt, nur der neue Burgvogt der Mecklenburg, Heinrich von Schatten171; für Günzelin verlautet von derartigen Bestrebungen nichts. Kurz: Wir haben auch den Priester von Bosau aus der Reihe der Gewährsleute zu streichen, auf die das Stadtjubiläum von 1160 sich gründen wollte.
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Oben Anm. 134. Helmold, c. 88 (S. 310,4) erwähnt die Neugründung Schwerins im Anschluß an den Satz: Dux igitur demolitus omnem terram . . . Von Verjagung der Slawen spricht er c. 89 (S. 314,2 f.), übrigens pauschal für eine Großregion, nicht speziell für das Schweriner Gebiet, von späteren Stellen hier abgesehen. 171 Helmold, c. 88 (S. 310,15 ff.). 170
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Allerdings gab es schon 1160 noch ein zukunftsweisendes Element für die Entwicklung des Ortes, das Helmold nicht so klar anspricht, wie wir es uns wünschen mögen. Er deutet im Zusammenhang der Ereignisse jenes Wendejahres auch eine Veränderung auf der bischöflichen Ebene an. Dies geschieht in einer Form, die den Einschnitt kennzeichnet, zugleich aber deutlich macht, wie unfertig einstweilen noch alles blieb. Helmold teilt nämlich mit, Berno habe bisher die Kirche von Mecklenburg geleitet, also das Bistum, das nach dem Wendenkreuzzug nominell erneuert worden war, ohne dem Inhaber zunächst viel mehr einzubringen als eine Titulatur; nun aber habe der Herzog den Zisterzienser zum „Bischof im Obotritenland“ bestellt (episcopus in terra Obotritorum)172. Das ist eben der Zuständigkeitsbereich, für den Günzelin damals als prefectus eingesetzt wurde173, also noch nicht derjenige, den die endgültigen Diözesengrenzen Schwerins umschrieben. Die förmliche Verlegung des Bischofssitzes wird nicht mit notiert; sie vollzog sich offenbar zunächst in reichlich unscheinbaren Formen, als bloßer Rechtsakt, von dem nach außen hin noch wenig in Erscheinung trat, vollzogen vermutlich zwischen Herzog und Bischof vor gerade gegebenen Zeugen, nicht auf einem vorbereiteten Festakt (Beteiligung von Ehrengästen aus Helmolds Diözese hätte dem Gewährsmann zweifellos mehr Stoff zur Weitergabe vermittelt). Der Priester von Bosau läßt, wie erwähnt, gerade erkennen, daß Schwerin der Ort war, von dem Berno 1164 mit anderen Klerikern aufbrach, um bestimmte geistliche Pflichten zu erfüllen, doch er hält für ihn unverändert den Mecklenburger Titel fest174. Diese Art der Berichterstattung unterstreicht die Unfertigkeit der Verhältnisse, in der ein Zeitgenosse mit diesem Horizont noch nicht an Endgültiges glaubte. Der Obotritenbischof saß für ihn an seinem Ort wohl immer noch nur in einer Wartestellung. Doch der neue sächsische Militärstützpunkt hatte ein zusätzlich wirkendes Element erhalten, das zunächst wohl einfach in seinem Schatten Schutz suchte; es schloß jedoch Möglichkeiten in sich, ein ausstrahlendes Eigenleben zu entfalten. Es ist die Zeit, in der Schwerin für Helmold noch immer ohne besondere Hervorhebung an dritter Stelle unter den
172
Ebd. (S. 310,17 ff.). Vgl. oben bei Anm. 156. 174 Bernonem Magnopolitanum (episcopum): Helmold, c. 88 (S. 310,27 f., vgl. ZL. 19 ff.); c. 105 (S. 362,17); c. 108 (S. 372,10): Berno de Magnopoli (letzte Erwähnung, im Kontext von 1168). – Zu 1164: oben bei Anm. 118 und 131. 173
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castra ducis im Lande erscheint, nach Malchow und Quetzin175. Nach einem solchen Platz einen Bischof zu titulieren, kam dem Priester von Bosau nicht in den Sinn. Der Anachronismus in Saxos forma civitatis für diese Jahre bestätigt sich. Von den Rückschlägen des Jahres 1164 blieb Schwerin offensichtlich bewahrt, doch vor ihnen zeigt sich bei Helmold erstmals ein spezielles Interesse des Herzogs an diesem Platz: Er entsendet eine starke Streitmacht dorthin, um ihn zu halten (robur militum . . . ad custodiendum eam)176. Das wird so von keinem anderen Ort berichtet. Als es 1167 zum Ausgleich mit dem Niklotsohn Pribislaw kam, nahm Heinrich Schwerin, und wieder nur Schwerin, samt dem engeren Umland von der Rückübertragung an den Wendenfürsten aus (Zuerin et attinentia eius)177. Das sind neue Töne, und es überrascht nicht, daß wir nun bald auch, ungefähr für den Zeitpunkt der Domweihe, von Deutschen hören, die in Schwerin und Umgebung leben (Teutonicos, qui habitabant Zuerin et in terminis eius)178: ein erstes Zeichen, daß ein Umland sich zu entwickeln begann, für das als Zentrum wenigstens ein Marktort notwendig war179. Doch noch immer wurde die deutsche Bevölkerung von wendischen Streifscharen dermaßen beunruhigt, daß Friede nur mit drakonischen Maßnahmen zu sichern war180. Schwerin erscheint Helmold nun als östlicher Eckpfeiler des großen sächsischen Siedlungsgebietes, in das sich das nordwestlichste Slawenland ihm mittlerweile verwandelt hatte181. Aber eine Aussage, daß aus diesem Ort nun auch eine deutschrechtliche Stadt geworden sei, fehlt bei ihm noch immer. Nach wie vor heißt er für ihn einfach Zuerin, ohne civitas oder irgendeinen anderen Zusatz182, und die Grafschaft, die der Herzog nach jenem Ausgleich dort eingerichtet hat, ist ihm so wenig Wirklichkeit, daß ihr Inhaber, wieder Günzelin, den man nun nicht mehr Statthalter im Lande nennen kann, schlicht als prefectus castri erscheint183.
175 Helmold, c. 93 (S. 328,14 f.) zu 1163: omnia castra ducis . . . videlicet Malchon, Cuscin, Zuerin, Ilowe, Mikilinburg. 176 Ebd., c. 100 (S. 195,12 ff.). 177 Ebd., c. 113 (S. 204,3 f.). 178 Ebd., c. 110 (S. 382,9 f.). 179 Vgl. oben bei Anm. 169. 180 Helmold, c. 110 (S. 382,9 ff.). 181 Ebd., (S. 382,1 ff.). 182 Ebd., (S. 382,1 und 10). 183 Ebd., (S. 382,10).
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Man wird einräumen müssen, daß die Burg und ihre Funktion noch immer wichtiger war als der übrige Siedlungskomplex, auch wenn dieser nun vielleicht schon als Stadt im Werden betrachtet werden darf. Mit einer wirklichen forma civitatis war es noch immer nichts, weder in Saxos noch im deutschrechtlichen Sinne, und das, als Helmold seine Chronik abschloß, 1172184 – vielleicht mit etwas älterem Informationsstand, denn wie oft und wie schnell Nachrichten aus Schwerin bei all seiner engen Verbindung zum Lübecker Domkapitel den Priester von Bosau erreichten, ist ungewiß185. Der aus den Urkundenanalysen gewonnene Eindruck findet Bestätigung. Das älteste Stadtsiegel Das bisher sondierte Material umspannt die Zeit von 1160 bis 1186 und weiter. Es erzwingt die folgenden Feststellungen: 1. Keine der traditionell herangezogenen Quellen befaßt sich mit den Anfängen Schwerins als Stadt im deutschrechtlichen Sinn der Zeit. 2. Vor der Urkunde Papst Urbans III. vom 23. Februar 1186 ist der Ort in keiner noch greifbaren Aufzeichnung als civitas in diesem Sinn bezeichnet. 3. cives werden für Schwerin in sicher verwertbarem Zeugnis erst in den frühen 1220er Jahren genannt. Unsichere Belege weisen nicht vor 1178 zurück. 4. Keine urkundliche und keine erzählende Quelle aus Zeiten, die den Anfängen des deutschen Schwerin nahestehen, fixiert ein Datum für Stadtgründung oder Stadtrechtsverleihung. 5. Dasselbe gilt für den Namen des dafür verantwortlichen Machthabers. Trotzdem steht – um beim letzten zu bleiben – in voller Eindeutigkeit fest, wer dies gewesen ist. Es wird sichergestellt durch erhaltene Siegelabdrucke, die schon damit einen Quellenwert höchsten Ranges gewinnen (Abb. 6–7). Überliefert sind sie zwar in Resten nicht vor 1255, in
184
Oben Anm. 2. Die Zeugenliste von UHL 89 (S. 135) = MUB I, 100A (S. 100) enthält keinen geistlichen Zeugen aus der Diözese Lübeck, auch der Graf von Holstein fehlt; aus Ratzeburg erscheint nur Graf Bernhard, doch gleichfalls kein Bischof. Falls es zutrifft, daß das Dokument am Tage nach der Domweihe ausgestellt wurde (oben bei Anm. 133–134), besagt dies nichts über Nichtteilnahme der benachbarten Bischöfe und Domkapitel am eigentlichen Fest, doch bleibt es bemerkenswert. 185
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leidlichem Erhaltungszustand erst 1298186, doch sie weisen unzweifelhaft auf die Zeit vor dem Sturz Heinrichs des Löwen zurück –, zumindest vor die Unterwerfung, mit der er seine Absetzung anerkannte – denn das Siegelbild zeigt, durch die Beischrift gesichert, den Herzog noch mit der Fahnenlanze. Sie ist das gängige Symbol des Reichsfürsten, steht für Herzöge und sogenannte Herzogsgleiche wie Mark- und Pfalzgrafen im Amt. Da für die Verleihung des Siegels an die Stadt kein anderer in Betracht kommt als der, den die Beischrift (Legende) ausdrücklich nennt, kann man von einer Selbstaussage des Löwen sprechen, die den Anspruch auf die entsprechende Stellung noch einschließt – der bloße Herzogstitel ohne zugesetzte Bereichsbezeichnung, den die Legende dem Namen hinzufügt, täte dies noch nicht, denn er könnte auch nur den angeborenen Fürstenrang bezeichnen, wie das auf Heinrichs letztem Siegel, nach 1180, geschieht. Sturz und Unterwerfung dieses Machthabers markieren die Jahre 1180/81187. Das Siegel muß älter sein
186 Gern benutze ich an dieser Stelle briefliche Auskünfte, die mir unter dem 17.10.1960 der damalige Direktor des Mecklenburgischen Landeshauptarchivs, der unvergeßliche Dr. Hugo Cordshagen, übermittelte. – MUB I, 71 (S. 86 f.) behandelt ausführlich die Überlieferungslage; vgl. MUB II. 759 (S. 70) bzw. IV, 2527 (S. 83 f.) sowie die Tafel ebd., S. 547, 114; dazu C.-P. Hasse, Katalog Braunschweig III, S. 106, Nr. H 1 (mit Farbabbildung des hier in Abb. 6 wiedergegebenen Abdrucks von 1298 und Literatur, die jedoch mehr oder weniger die Stadtgründung und nicht das Siegel selbst betrifft); ebd. S. 107, Nr. H 2, auch das erhaltene Typar des (jüngeren) Sekretsiegels. Zum erstüberlieferten Restexemplar von 1255 teilte Frau Dr. A. Graßmann, Archiv der Hansestadt Lübeck, unter dem 19.6.1992 freundlich mit: Die betreffende Urkunde (1255 Nov. 10) befindet sich seit 1990 wieder im genannten Archiv, Sign. Mecklenburgica 11, nachdem sie 1942 mit anderen Beständen in ein Salzbergwerk im heutigen Sachsen-Anhalt ausgelagert worden war. Das Siegel muß schon damals zerstört gewesen sein, scheint sich jedoch noch 1843 in einem Erhaltungszustand befunden zu haben, der bei Bearbeitung des Lübeckischen Urkundenbuchs (vgl. Bd. I, Nr. 223, S. 204) eine Rekonstruktionszeichnung erlaubte, vgl. C. J. Milde, Meklenburgische Siegel des Mittelalters aus den Archiven der Stadt Lübeck, Hg. Verein für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, 1. Heft, Lübeck 1857, Taf. 19, Nr. 48, sowie Dens., Siegelzeichnungssammlung, Deutsche Städte 3/122. – Vgl. G. A. Seyler, Geschichte der Siegel, Leipzig 1894, S. 317; E. Kaufmann, Studien über Amtssiegel des 13. und 14. Jh., vornehmlich in Hessen. Diss. Marburg 1937, S. 4 ff. Nicht mehr benutzt werden konnte W. Schöntag, Das Reitersiegel als Rechtssymbol und Darstellung ritterlichen Selbstverständnisses, in: Bild und Geschichte. Studien zur politischen Ikonographie, Festschrift Hannsmartin Schwarzmayer, Sigmaringen 1997, S. 79–124. – Vgl. Anm. 191. 187 Dazu bereits F. Hasenritter, Beiträge zum Urkunden- und Kanzleiwesen Heinrichs des Löwen, Greifswald 1935, S. 58 mit Anm. 153; ebd. über das letzte Siegel des Herzogs. – Die folgende Diskussion der Echtheitsfrage wurde veranlaßt und angeregt durch Einwände, die eine vortragsmäßige Erprobung der hier vorgelegten Thesen vor Jahren in einem Kreis von Fachhistorikern auslöste; vgl. auch Hasse (wie Anm. 186), der ohne Begründung Entstehung des (verlorenen) Typars für das Schweriner Stadtsiegel um 1230 annimmt, unter Parallelisierung mit einer Lübecker Urkundenfälschung, wie
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als das zweite dieser Daten. Sein Zeugnis liegt damit mindestens fünf Jahre vor demjenigen der Urkunde Urbans III., eher mehr. Der Originalstempel ist verloren wie so viele Rechtsdenkmäler der ersten Jahrhunderte dieser Stadt, und die Fassung der Legende, auf die gleich einzugehen ist, nimmt sich reichlich merkwürdig aus, mindestens ungewohnt. Durch die Überlieferung gesichert ist, wie angedeutet, allein Entstehung vor Ende 1255. Trotzdem kann an der Echtheit, am Ursprung im Willen desjenigen, der das Stadtrecht verlieh, m.E. kein Zweifel bestehen. Ein Siegel vorliegender Gattung ist ein Hoheitszeichen und ein Rechtssymbol. Von seiner Authentizität hängt viel ab; es unterliegt daher argwöhnischer Kontrolle – hier z.B. durch die bischöfliche wie die gräfliche Kanzlei und nicht zuletzt das Domkapitel. Mit einem solchen Gegenstand treibt man kein leichtfertiges Spiel, vor allem legt man es sich nicht einfach willkürlich-eigenmächtig zu, ohne vom zuständigen Herrschaftsträger dazu autorisiert zu sein, der dabei auf gebührende Wahrung seiner eigenen Rechte sieht. Zwingen besondere Umstände, Ersatz zu beschaffen, so muß doch wohl mindestens der Typ wieder hergestellt werden, wie er war, es sei denn, ein neuer Oberherr dringe auf Änderung in seinem Sinne. Und was hätte ein Falsifikat, ein untergeschobenes Typar, in diesem Fall erreichen sollen? Wer fälscht, will erstrebte Rechtszustände absichern, jedenfalls im Mittelalter. Das geht aber nicht anders als durch Texte, die sie zu verbriefen scheinen – Bild und Umschrift eines Siegels reichen dafür nicht aus. Siegelfälschungen können hinzutreten, um den Anschein der Originalität zu verstärken. Sie gehen dann gleichfalls auf den Namen des angeblichen Ausstellers, für den einmaligen Fall, nicht jedoch im Namen einer Instanz zu deren laufendem Eigengebrauch. So sind Gründe zum Mißtrauen hier nicht ersichtlich. Auf Indizien, die diesen Eindruck verstärken, ist sogleich einzugehen.
sie mir aus oben im Text zu erörternden Gründen fragwürdig scheint. Das Problem der Siegelfälschung ist fundamental, vgl. W. Ewald, Siegelmißbrauch und Siegelfälschung im Mittelalter, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 30 (1911), S. 1–100, mit zahlreichen Beispielen. Heinrich der Löwe selbst ist betroffen durch ein besonders raffiniertes und gekonntes Beispiel wohl Ratzeburger Provenienz 13. Jh.s am angeblichen Original der verunechteten Urkunde des Herzogs für dieses Bistum von 1158 im Mecklenburgischen Landeshauptarchiv (UHL 4L S. 57 ff. = MUB I, 65, S. 56 ff.). Auch dazu Hasenritier, S. 165 ff. – Vgl. noch Anm. 192.
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Auch ein Siegel braucht, damit es zum Sprechen kommt, Interpretation. Dazu gehören zwei Voraussetzungen: exakte Beschreibung und genauer Vergleich. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eins der Beispiele, in denen der Stadtherr der siegelführenden Gemeinde das Recht erteilt, sein eigenes Reiterbild zu übernehmen, statt daß seine Hoheit allein in seinem Wappen als Beizeichen zum Ausdruck kommt. Das scheint nicht häufig vorgekommen zu sein. Eine systematische Erfassung der Gruppe liegt nicht vor; nennen kann ich meine Universitätsstadt Gießen, Gründung eines Pfalzgrafen von Tübingen in einer weit abgelegenen, ererbten Exklave, die durch Abteilung den Zusammenhang mit dem naturgegebenen Herrschaftsmittelpunkt der Gegend verloren hatte und bald an die Landgrafschaft Hessen überging188; dazu als zweites Beispiel das oberösterreichische Vöcklabruck, das in sein Siegelbild sogar zwei Gründerpersönlichkeiten zu Roß einfügt, zwei Habsburger, Vater und Sohn, mit namentlicher Beischrift189. Beide Städte sind nicht unerheblich jünger als Schwerin, dem damit möglicherweise eine frühe Sonderstellung zukommt. Ob solchen Reiterbildern eine gehobene Bedeutung beigelegt werden darf, etwa im Sinn besonderen Schutzes, steht einstweilen dahin190. Das mecklenburgische Beispiel zeigt im Felde den Herzog, wie besprochen, zu Roß und mit der Fahnenlanze; deren Tuch weht nach rückwärts, es läuft in drei Zungen aus, ist verhältnismäßig kurz und
188
G. Frh. Schenk zu Schweinsberg, Alt-Gießen, in: Archiv für Hessische Geschichte, N.F. 5 (1907), S. 200 f.: Kaufmann (wie Anm. 186), S. 4 ff. und 11; C. Walbrach, Kunstdenkmäler des Kreises Gießen I, Darmstadt 1938, S. 70 und 72 f. mit Abb. S. 74; vgl. auch F.-K. Fürst zu Hohenlohe-Waldenburg, Sphragistische Aphorismen, Heilbronn 1882, S. 103, Nr. 281, S. 280 und Taf. XXV, sowie H. H. Kaminsky, Die Anfänge: 1197–1308, bei L. Brake und H. Brinkmann (Hgg.), 800 Jahre Gießener Geschichte 1197–1997, Gießen 1997, S. 9 ff. Die Merkwürdigkeiten, die sich von der Legende bis zum Gebrauch des ältesten Siegels dieser Stadt ergeben, warnen davor, unerwartete Befunde am ältesten Schweriner Siegel überzubewerten. 189 E. Melly, Beiträge zur Siegelkunde des Mittelalters I/2, Wien 1847, S. 77 f. mit Taf. X. 190 Allgemein über Städtesiegel, ihren Gebrauch und ihre Rechtskraft: Kaufmann (wie Anm. 186), S. 3–22; H. Kownatzki, Sigillum burgensium – sigillum civitatis. Ein Beitrag zur Entwicklung der Stadtauffassung im Mittelalter, Köln 1979; H. Jakobs, Eugen III. und die Anfänge europäischer Stadtsiegel, Köln/Wien 1980. – Im LMA ist Bd. VIII, Sp. 27, unter Stadtsiegel auf Artikel Siegel verwiesen; unter dem betreffenden Stichwort in VII, Sp. 1848–1861 erscheinen jedoch lediglich vereinzelte Hinweise für einige Gebiete außerhalb des Reiches. – Nicht mehr benutzt werden konnte H. Drös und H. Jakob, Das Zeichen einer neuen Klasse. Zur Typologie der frühen Stadtsiegel, in: Festschrift Schwarzmayer (wie Anm. 186), S. 125–178.
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paßt sich der Rundung der umlaufenden Legende an. Der Herzog trägt einen heruntergelassenen, abgeplatteten Topfhelm; sein Fuß steht ohne Sporn im Steigbügel; auch ein Schwert ist nicht erkennbar. Der Helm zeigt noch nicht die im 13. Jahrhundert üblich gewordene Helmzier (Zimier). Das weist auf eine relativ frühe Phase seiner Entwicklung. Der Schild hat die dem 12. Jahrhundert geläufige Form des sogenannten Normannenschildes, die nach unten spitz zuläuft, und zeigt nicht den Löwen, sondern den braunschweigischen Leoparden. Die Satteldecke hängt in reichen Falten herab; sie enden ungefähr an der Linie des Pferdebauches. Das Roß steht verhalten, das rechte Vorderbein wie zum Scharren erhoben; der relativ kurze Schwanz ist ausgestreckt. Das umgebende Feld ist glatt, d.h. ornamentfrei gehalten; der verbreitete horror vacui sprach in diesem Fall nicht mit. Die Legende zeigt sich vom Felde durch Linien- und zusätzlichen Punktkreis getrennt, gebildet aus abwechselnd großen und kleinen Punkten. Sie hat eine ungewöhnliche Fassung – zu unserem Glück, denn nur dadurch kommt es, daß sie den Stadtgründer nennt. Wir lesen, ohne daß die Buchstabenformen hier genau nachgebildet werden können: + DVX HENRICVS ET SIGILLVM CIVITATIS ZVERIN – „Herzog Heinrich und (das) Siegel der Stadt Schwerin“. Die Wörter sind durch sechszackige Sternchen getrennt. Die Identität des Löwen ist sichergestellt durch die Verbindung von Namen, Herzogstitel und Wappenschild, die in diesem Gebiet für keine andere Person je gegeben war. Die Gestaltung im Ganzen gleicht, und das ist festzuhalten, keinem der bekannten Siegel des Herzogs191. Mit zwei frühen Ausnahmen, erhalten in Abdrucken von 1144 und 1146/54, zeigen sie durchweg, erstmals 1156, das Reiterbild von rechts, also gegenläufig zum Schweriner Beispiel. 1144 scheint das Tier sich gerade in Bewegung zu setzen, sonst erscheint es stets im Sprung, meist im gestreckten Galopp: nirgends also verhält es, wie hier. Nur auf einem der sieben bekannten Siegeltypen seiner Herzogszeit trägt Heinrich etwas anderes als einen spitzen Kegelhelm; diese Form herrscht dermaßen vor, daß auch eine im
191 Zum folgenden: Hasenritter (wie Anm. 187), S. 52–61 und 165 ff. mit der einzigen vollständigen Bildtafel (9 Typenbeispiele einschließlich 1 Fälschung, wie oben Anm. 187); vgl. K. Jordan, Einleitung zu UHL, S. XLVI–XLVIII (bloße Auflistung mit abweichender Zählung); C.-P. Hasse, Siegel Heinrichs des Löwen, in: Katalog Braunschweig I, S. 154–I57 (Auswahl der für Sachsen wichtigen Typen mit Farbabbildungen und Literatur zu den einzelnen Stücken). Unverständlich Jordan (wie Anm. 86), S. 87: „Das älteste Siegel der Stadt . . . ist dem in den 60er Jahren üblichen Reitersiegel Heinrichs . . . nachgebildet“. Dies stimmt nicht einmal für die Blickrichtung von Reiter und Roß.
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13. Jahrhundert entstandene Siegelfälschung, vermutlich aus Ratzeburg, sie aufnimmt. Sie überwiegt gerade auch in den Beispielen aus der hier wichtigen Periode, nämlich von 1160–1172. Dann allerdings tritt, wenngleich in geringerer Zahl, die vom Überlieferungszufall mitbestimmt sein kann, gleichzeitig die einzige Ausnahme auf, und zwar innerhalb der Zeitgrenzen 1161–1174. Sie zeigt eine rundscheitelige Helmform, die vom abgeplatteten Topfhelm nicht weniger markant absticht. Dies ist das letztbenutzte Siegel, das wir von Heinrich vor seiner Absetzung kennen. Es kann einen Übergang zu der noch moderneren und repräsentativeren Form bezeichnen, doch fehlt diese in der uns noch greifbaren Reihe, wobei zu beachten ist, daß die Siegelüberlieferung für den Herzog zwischen 1174 und 1188 aussetzt. Dazu ist einzublenden, daß aus dieser Zeitspanne bemerkenswerterweise auch sonst bislang kein eindeutig datiertes Zeugnis für diese Gestaltung des Topfhelms benannt ist. Zwar wird er im Nibelungenlied als „Helmfaß“ (helmvaz) erwähnt, doch dessen Entstehungszeit ist mit den Zeitgrenzen „zwischen 1180 und 1220“ zu unbestimmt festlegbar, um hier weiterzuhelfen. Bildliche Darstellungen und gegenständliche Zeugnisse, darunter eine Mehrzahl beachtlicher Aquamanile, gehören, soweit bisher erschlossen, erst in die Zeit ab 1200192. Mit anderen Worten: Wir finden uns vor der Frage, ob das Stadtsiegel Schwerins der geläufigen Reihe als ein neuer Erstling vorgeschaltet werden darf, und das schafft zunächst Unbehagen. Trotzdem drängt sich im Abwägen eine bejahende Antwort auf. Die Urteilsbildung hängt ja von folgenden Faktoren ab: 1. von der verhältnismäßig geringen Zahl verfügbarer Bildzeugnisse, die schon für sich allein dem Zufall einen unerwünscht weiten Spielraum gewährt,
192 O. Gamber, Die Bewaffnung der Stauferzeit, in: Die Zeit der Staufer. Katalog der Ausstellung Stuttgart 1977, Bd. III, S. 116–118; Ders., Helm, in: LMA IV (1989), Sp. 2123 mit weiterer Literatur; M. H. Schormann, Waffen im Oldenburger Sachsenspiegel, in: Aus dem Leben gegriffen. Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit. Ausstellungskatalog Oldenburg 1995, S. 338; vgl. auch Katalog Braunschweig I, Abt. G, Nr. 97, 101, 104 und 106 f. (S. 600–611, passim). – Nibelungenlied, v. 1839,2 (Hg. K. Bartsch, 10. Aufl., bearb. von H. de Boor, Leipzig 1940, S. 289): helmvaz. Ob helmhuot, v. 2051,3 (S. 321) eine andere Form meint oder eine übergreifende Sammelbezeichnung für verschiedene Ausführungen, sei hier nicht diskutiert. Datierungen nach U. Schulze, Nibelungenlied (und Klage), in: LMA VI (1993), Sp. 1120 f.
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2. von deren einseitiger Auswahl (gerade die höchste Repräsentationsschicht fällt weitgehend aus, da Herrscher, nicht zuletzt auf Siegeln, bevorzugt nicht im ritterlichen Habitus abgebildet werden, sondern im traditionellen Majestätsbild, d.h. thronend mit Herrschaftszeichen), 3. von der häufigen Schwierigkeit, die Zeitstellung gegebener Bildquellen genauer einzugrenzen, 4. für die hier wichtige Anfangsphase auch wohl von der Beharrsamkeit einmal entwickelter Bildtraditionen, gegen die aktuelle Neuerungen sich oft nur zögernd, über Jahrzehnte hinweg, durchzusetzen vermögen, verstärkt 5. durch den Umstand, daß die Darstellungen vielfach nicht Selbstaussagen, sondern Fremdaussagen über die betroffene Schicht widerspiegeln, von anderer Seite aus deren Vorstellungswelt konzipiert, ohne zwingenden Realitätsbezug und ohne Kontrollmöglichkeit für den, der im Bilde gemeint ist (dies ließe sich überreich aus der illustrativen Gestaltung z.B. von Herrscherkronen belegen.). Unter dem letzten Aspekt ist nicht zu verkennen: Siegelbilder haben eine prinzipiell andere Qualität zu beanspruchen als bloße Illustrationen oder ein kunstgewerblicher Gegenstand. Sie tragen, sofern authentisch, in jedem Fall offiziellen Charakter, und das gilt auch bei abhängigen Institutionen mit lediglich abgeleiteter Hoheitsträgerschaft wie einer Landstadt (im Unterschied etwa zu freien Zusammenschlüssen wie religiösen Bruderschaften). Von der Schwierigkeit, die für eine solche bestand, ein Typar zum ständigen Eigengebrauch eigenwillig und eigenmächtig unterzuschieben, war oben schon die Rede. Dies alles zusammengenommen, schwinden die anfänglichen Bedenken. Das Schweriner Siegel ist in der Diskussion um das Aufkommen des Topfhelms, soviel ich sehe, unberücksichtigt geblieben. Angesichts der ungewöhnlich exakten Datierbarkeit seines Typars, die herausgestellt werden konnte, kommt ihm auch in dieser Hinsicht erhebliche Bedeutung zu. Heinrich, der sich auf dem jedenfalls von ihm verliehenen Siegel selbst darstellen ließ, war ein Mann, der es sich leisten konnte, sowohl Ausrüstungsgegenstände aufwendigerer Art wie andererseits Siegeltypen laufend einem etwa veränderten Repräsentationsbedürfnis anzupassen; das unterschied ihn von zahlreichen Siegelführern minderer Stellung. Wenn Befunde aus seinem Umkreis von solchen abweichen, die sonst für seine Zeit wahrnehmbar werden, sind sie daher nicht leichthin als
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„Anachronismen“ abzutun und gegen Authentizität ins Feld zu führen. Unschwer lassen sich Entwicklungslinien mit einfacher Aufeinanderfolge scheinbar glatt aneinander anschließender Formen konstruieren, und sie mögen logisch überzeugend wirken. Die Möglichkeit, daß es stattdessen früh ein Nebeneinander verschiedener Gestaltungen gab, von denen die repräsentativste allmählich vorzudringen vermochte, sollte darüber nicht aus dem Auge verloren werden. Für Erstbelege aber keine unmittelbare zeitliche Entsprechung zu finden, ist normal. Die Konsequenz braucht nicht nochmals ausgesprochen zu werden. Wir setzen den Vergleich fort. Das Fahnentuch ist in allen bekannten Siegelabdrücken, die auf den Löwen und seine Kanzlei zurückgeführt werden können, länger als im Schweriner Fall – meist wesentlich weiter zurückgestreckt; auch die Satteldecke hängt weiter herab. Die Legende zeigt sich meist gar nicht vom Felde getrennt, in einigen Fällen durch einfachen Linienkreis, niemals durch Doppelkreis, und ein Punktkreis kommt auch allein nicht vor, nicht einmal in einfacherer Ausführung als in Schwerin. Worttrennung ist meistens gegeben, doch nur durch Punkte, niemals durch Sterne. Der Name des Herzogs erscheint, soweit deutlich genug erhalten, vor seinem Sturz durchweg als HEINRICVS (im Fall der Beschädigung von den Abständen der Buchstaben her ebenso zu rekonstruieren); einmal, in den 1150er Jahren, war das zweite -I- (also nicht das erste) über der Zeile nachgetragen. Kurz: In den Beispielen, die der Herzog selbst benutzte, weicht fast alles von der Schweriner Ausfertigung ab, und keineswegs bloß in einfachen Zeichnungsvarianten; sie steht ihnen gegenüber dermaßen isoliert da, daß das Stadtsiegel als eine selbständige Schöpfung angesehen werden muß; Umwidmung eines abgelegten Herzogssiegels durch Änderung der Legende, ohnedies wenig wahrscheinlich, ist auszuscheiden. Nichts aber spricht gegen die Verknüpfung mit Heinrich selbst. Wichtigstes Datierungsmerkmal ist, wie betont, die Fahnenlanze. Nach 1181 ist sie undenkbar, nicht weniger als auch schon die Vornahme eines Rechtsaktes der Stadterhebung durch Heinrich in diesem Bereich. Der Topfhelm verbietet, das Siegel in eine zu frühe Phase, lange vor das genannte Jahr, zu setzen. Man mag an die 1170er Jahre denken und vielleicht eher an deren zweite Hälfte – die Spanne von 1174–1188, in der die Überlieferung von Vergleichsbeispielen aus Heinrichs eigenem Gebrauch aussetzt. Der Fahnenlanze wegen engt dieser Zeitraum sich auf die Jahre 1174–1180/81 ein. Mit einer Frühdatierung der Stadt nach bisherigem Ansatz, 1160, ist es auch von hier
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aus nichts: Alle Argumente fügen sich zusammen. Wohl aber wird das Stadtsiegel von Schwerin damit, an der erschlossenen Entstehungszeit seines Typars gemessen, trotz seiner erheblich späteren Überlieferung zu einem der ältestbekannten in Deutschland193. Allerdings ist dabei zu bedenken, daß wir in den übrigen Fällen meist auf das erste Vorkommen oder eine erste urkundliche Erwähnung angewiesen sind: Ein dermaßen klarer terminus ante quem, wie hier, steht normalerweise nicht zur Verfügung. Die Legende gibt keinen Anlaß, zu den getroffenen Feststellungen Fragezeichen zu setzen. Der Schrifttyp stimmt, soviel ich sehe, in die angegebene Zeitspanne – etwa auch zu dem vielleicht wichtigsten epigraphischen Denkmal aus der Spätzeit des Löwen, der in Blei gravierten Weiheinschrift am Reliquiengrab des Braunschweiger Marienaltars, die man auf 1188 setzt194. Die Namensform des Herzogs paßt sich dem niederdeutschen Bezugsraum an – sie hat nicht, wie die für Baiern mitbestimmten Siegel, auf hochdeutsche Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Der Ortsname zeigt noch die alte, z.B. bei Helmold überlieferte Form mit ZV- (= ZU-), die nach dem einmal gegebenen Vorbild dann auch in das jüngere Sekretsiegel überging, nicht die neue Variante mit ZW-, die gegen Ende des Jahrhunderts allmählich vorzudringen beginnt195. Auch das schließt sich gut den bisher verzeichneten Datierungsmerkmalen an. Ganz ungewöhnlich ist die Textfassung der Legende. Sie besteht im Grunde aus zwei verschiedenen Teilen, die ein ET nur lose verbindet – der erste auf das Bild bezogen, der zweite auf den nachgeordneten Hoheitsträger, dem das Siegel verliehen ist: DVX HENRICVS gleichsam als Bildüberschrift – oder soll man an eine Art intitulatio zur Siegelverleihung denken? –, SIGILLVM CIVITAT1S ZVERIN als Bestimmung des Siegelzwecks. Das ist eine Kombination, die überrascht, und doch ist sie noch nicht so seltsam wie der Gießener Befund: Dort läßt 1248 einzig die Siegelankündigung erkennen, daß es sich um das Stadtsiegel handelt (nostrae civitatis sigillum); die eigene Legende jedoch nennt nichts als Namen und Titel des pfalzgräflichen Gründerherrn, ohne 193 Beispiele bei Jakobs (wie Anm. 190), bes. S. 1 f. und 29, sowie bei Kownatzki (wie ebd.), S. 9–14. 194 F. Niehoff, Marienaltar, in: Katalog Braunschweig I, bes. S. 193 f. mit Literatur. Vgl. auch das 1188–94 bezeugte Privatsiegel des abgesetzten Herzogs, Tafel bei Hasenritter (wie Anm. 187), Nr. 8. 195 Z.B. in der Bestätigungsurkunde Coelestins III. von 1197 (MUB I, 162, S. 158 f.). – Zum Sekretsiegel: MUB und Hasse (beide wie Anm. 186).
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Bezugnahme auf die Stadt; erst ein zweites, bald folgend nach einem Herrschaftswechsel, jedenfalls vom neuen Stadtherrn neu verliehen, bietet dann ein SIGILLVM CIVITATIS DE GIEZEN, weiterhin als Beischrift zum Reiterbild des Fürsten, der selbst aber nunmehr überhaupt nicht mehr genannt wird196. Für Schwerin sind diese beiden Möglichkeiten, nicht eben organisch, zu einer Aussage zusammengezogen. Ganz allein steht diese Lösung nicht; es gibt sogar eine gewisse Parallele auf mecklenburgischem Boden, allerdings Jahrzehnte jünger und nicht unbedingt demselben Rechtskreis entstammend: Das Stadtsiegel von Grabow, einer Gründung der Grafen von Dannenberg, stellt im Bilde und am Legendenbeginn in ähnlicher Weise den Stadtheiligen heraus, also statt des irdischen Oberherrn den himmlischen Patron; dann folgt, eleganter als in Schwerin: ET HIC EST SIGILLUM CIVITATIS DE GRABOWE197. Was ist im Schweriner Fall der Siegellegende zu entnehmen? Auf den ersten Blick die Feststellung der Stadteigenschaft in Verbindung mit Heinrichs Namen. Der Mann, der 1160 den Ausbau eines Stützpunktes am Ort einleitete, hat demnach noch selbst die Stadtgründung vollzogen, genauer: die Stadterhebung, die Stadtrechtsverleihung, mit der die Übertragung des Siegelrechts jedenfalls zusammenfällt. Die Aussage greift jedoch erheblich weiter. Legenden ältester Stadtsiegel lauten oft anders. Sie zeigen vielfach als siegelführend nicht die civitas an, die Stadtgemeinde, sondern burgenses; um das Lübecker Beispiel herauszugreifen als eine andere Stadtgründung des Löwen: SIGILLVM BVRGENSIVM DE LVBEKE198. Es muß gesehen werden, daß dies etwas grundsätzlich anderes ist: Es weist nicht auf die Bürgerschaft als Ganzes, sondern auf eine Gruppe aus ihr herausgehobener Geschlechter, die als solche ratsfähig sind, unabhängig von einem Wahlverfahren, und damit im Stadtregiment eine Monopolstellung innehaben; siegelführend ist dann, streng genommen, nicht die Stadt als solche, sondern dieser bevorzugte Kreis, vertreten durch die jeweils offiziellen Amtsinhaber. Ein SIGILVM . . . CIVITATIS andererseits hat Bremen aufzuweisen. Dort sind die Verhältnisse gleichfalls 196
S. Anm. 188. MUB I, 71 (S. 67); zur Gründungsgeschichte: Hoffmann (wie Anm. 26), S. 44 ff. 198 G. Fink, Die Lübecker Stadtsiegel, in: Zeitschrift für Lübeckische Geschichte 35 (1955), S. 14 ff.; U. Simon, Katalog Braunschweig I, S. 426–428, Nr. F 19. Zu den Anfängen der Stadt oben Anm. 138. Weitere hier wichtige Beispiele von Stadtsiegeln bei Kownatzki (wie Anm. 190), S. 9–14. Vgl. auch G. Köbler, Bürger, B. 4, in: LMA II (1983), Sp. 1010, sowie civis, ebd., Sp. 2111, mit weiterer Literatur. 197
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gut bekannt. Burgenses gibt es auch dort, aber nicht von Anfang an und nie als besonders privilegierte Führungsgruppe; als der Begriff in fortgeschrittenerer Zeit auftaucht, erscheint er dort lediglich als Synonym zu cives, also allgemein für die Inhaber des Bürgerrechts. Die Stadt stand fest unter der Herrschaft des Erzbischofs, von der sie sich erst allmählich zu emanzipieren vermochte; wie weit Eingriffe Heinrichs des Löwen diesen Prozeß gefördert haben, ist unklar – größere Fortschritte in der Verselbständigung leitete erst das 13. Jahrhundert ein, es blieb dann aber bei der Wahl des Rates durch die Gesamtgemeinde statt durch einen begrenzten, herausgehobenen Kreis, und bis 1330 waren dabei neben Kaufleuten auch Handwerker ratsfähig. Der unterschiedlichen Fassung der Siegellegenden von Lübeck und Bremen entspricht eine abweichende Gestaltung der Stadtverfassung; sie ist es, die sich in den Beischriften spiegelt199. Schwerin steht in dieser Hinsicht nicht neben Lübeck, das doch die Stadtgründung dem gleichen Herrschaftsträger verdankt, sondern neben Bremen, und alles spricht dafür, daß das, was am Anfangsstadium der Stadtgemeinde an der Weser deutlicher zu beobachten ist, auf die Frühzeit der anderen übertragen werden darf, in deren ältere Verhältnisse uns weniger Einblick gewährt ist. Auch für diesen östlichen Vorposten gilt offenbar eine gleichartige und unmittelbare Beziehung aller Inhaber des Bürgerrechts zum Stadtherrn – zu demjenigen, den das Siegel zeigt und benennt. In Lübeck ist die Eigeninitiative interessierter Kaufleute spürbar, auch wenn frühere Vorstellungen von ihrem „Gründerkonsortium“ so nicht haltbar bleiben. Im sehr viel weniger günstig gelegenen Schwerin lag die Initiative offenbar in erster Linie beim Herzog, daneben wohl bei Bischof und Domkapitel, die nach den hier vorgelegten Ergebnissen am Ort beide älter waren als die Stadt, den Grafen nicht zu vergessen. Die Vorpostensituation verlangte eine straffere Stadtherrschaft, und vielleicht war der älteste Bürgerstamm auch zahlenmäßig zu klein, um aus ihm noch einen besonders bevorrechtigten Kreis herauszuheben. Die Stadt bekam nicht das lübische, sondern ein eigenes Stadtrecht mit minderen Freiheiten. Auch das spricht schon die Siegellegende an: Sie gewährt uns ersten Einblick in die frühe Stadtverfassung – eingeschlossen die Tatsache, daß Schwerin, wie 199
Kownatzki (wie Anm. 190), S. 15, dazu H. Schwarzwälder, Bremen, in: LMA II (1983), Sp. 603–606 mit Literatur. Das Siegel erscheint überliefert erst in den 1230er Jahren, das Alter ist unbekannt; Anlaß, eine Vorform zu vermuten, besteht offenbar nicht.
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Leuenstadt und Lübeck, als herzogliche Stadt entstand, wie auch immer ihr Rechtsstatus nach dem Sturz des Löwen abgewandelt wurde200. Der älteste Stadtgrundriß Die Stadtgrundrißforschung ist als historische Hilfswissenschaft verhältnismäßig jung, erst nach dem ersten Weltkrieg voll entwickelt201. Ziel ist, erkennbaren Entwicklungsphasen nachzugehen und Typen zu erschließen, die zur besseren Einordnung beobachteter Befunde helfen können. Alte Pläne bieten wichtige Unterlagen. Allerdings können sie zu Fehlschlüssen verleiten, wenn man sie losgelöst vom Bodenrelief benutzt, das unter Umständen seinerseits Rekonstruktionsaufgaben stellt202. Wie sehr es darauf ankommt, beides zu kombinieren, zeigt drastisch ein Beispiel wie Stade. Für Schwerin stellen sich der Stadtgrundrißforschung zunächst vor allem zwei Aufgaben. Große Teile des älteren Stadtgebietes sind erst durch Aufschüttungsmaßnahmen bebauungsfähig geworden – Straßennamen wie Großer Moor (älter: Auf dem Moore) erinnern noch heute an den einstigen Zustand. Die betroffenen Flächen müssen vom gewachsenen Boden abgegrenzt werden unter möglichst sicherem Nachweis des Zustandes vor den Eingriffen. Zweitens gilt es, Lage und
200 Treffend Bärmann (wie Anm. 1), S. 37 f.: Schwerin „wurde . . . auf Grund und Boden errichtet, der, als erobertes Land der Wenden, herrenlos war und den BodenregalAnsprüchen des Herzogs unterlag . . . Der . . . eingesetzte Guncelinus . . . nahm das Recht eines Grafen am Ort ein. Wir sind für die früheste Zeit nicht darüber unterrichtet, wie weit die Stadt seiner Gewalt unterstand; es ist wahrscheinlich, daß ein besonderer Stadtvogt für das exempte Stadtgebiet jeweils eingesetzt wurde“. Ebd., S. 169–173, 195–208, passim, 222 sowie 246–296, passim über das Schweriner Stadtrecht; dazu jetzt A. Sander-Berke, Heinrich der Löwe und die Schweriner Stadtrechtsfamilie, in: Löwe (wie Anm. 1), S. 31–48. – Einen zweifellos auf Schwerin zu beziehenden advocatus nennt die oben Anm. 140 problematisierte Urkunde Bischof Bernos. Angesichts der Unklarheiten, die den Text belasten, bleibt offen, ob die vorliegende Fassung noch für das 12. oder erst für das frühe 13. Jh. zeugt. Außerdem ist nicht ersichtlich, ob es sich um einen herzoglichen Vogt handelte oder um denjenigen eines Lehnsträgers, etwa des Grafen. – Zum Eintreten von communitas für civitas mit Bezug auf Schwerin s. unten bei Anm. 339. 201 Als Beispiel: E. Keyser, Städtegründung und Städtebau in Nordwestdeutschland im Mittelalter. 2 Bde., Remagen 1958; dazu Kahl (wie Anm. 50), S. 328–334; H. Jäger (Hg), Stadtkernforschung (= Städteforschung, Reihe A, Bd. 27), Köln/Wien 1987. Aus Älterem wegen des Materialreichtums hervorzuheben E. J. Siedler, Märkischer Städtebau im Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Entstehung, Planung und baulichen Entwicklung der märkischen Städte, Berlin 1914; für Mecklenburg bot Hoffmann (wie Anm. 26) einen ersten zusammenfassenden Versuch. 202 Oft vernachlässigt; vgl. bereits Kahl, ebd., S. 336 im Anschluß an Arbeiten H. W. C. Hübbes, die mittlerweile in wichtigen Details überholt sind.
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ältesten Umriß des Marktplatzes aufzuklären, um den das städtische Leben der Frühzeit erwuchs. Beide Aufgaben dürfen als gut gelöst angesprochen werden (Abb. 2–5). Für die erste hat schon im vorigen Jahrhundert Heinrich Hübbe beachtliche Vorarbeiten geleistet. Er erkannte bereits die eigenartige Einschnürung des ursprünglichen Altstadthügels zwischen den beiden Kuppen, die hier schon früher angesprochen wurde203. Seine Ergebnisse sind zwar zu modifizieren, doch nicht grundsätzlich anzufechten. Daß die nötigen Korrekturen möglich wurden, ist, wie erwähnt, der Erschließung einer neuen und seltenen Quellengruppe zu danken, nämlich der Auswertung von Bodenproben, die im Zuge der ingenieurgeologischen Stadtkartierung der letzten Jahrzehnte in relativ großer Dichte entnommen worden waren. Sie sollten in erster Linie die Qualität verfügbaren Baugrundes klären. Das Verdienst, sie auch historisch ausgewertet zu haben, kommt Nils Rühberg zu. Ihm sind auch die entscheidenden Untersuchungen zur zweiten Frage zu danken. Sie haben das Problem des ursprünglichen Marktplatzes auf eine neue Basis gestellt204. Es gehört zu den Besonderheiten Schwerins, daß die deutsche Stadt nicht, wie in vielen anderen Beispielen Mecklenburgs, in nur indirekter Anlehnung an den alten Herrschaftsmittelpunkt entstand, an für den neuen Zweck günstigerem Platz, sondern unmittelbar im Vorfeld des erneuerten alten Machtzentrums. Sie mußte sich also dort einrichten, wo auch die Dienstsiedlung oder die Dienstsiedlungen der Wendenzeit Platz gefunden haben werden, nur mit neuen Bedürfnissen, die auch andere Dimensionen verlangten. Der Landrücken, der sich nun ihr anbot, dürfte noch weithin ähnlich beschaffen gewesen sein wie zu Beginn der Wendenzeit. Verändert war wohl die Oberfläche: vermutlich nun waldfrei, vielleicht mit Ackerstücken, dazu mit den Überresten, die die durch Niklot veranlaßte Brandlegung von den slawischen Siedlungsansätzen übrig gelassen hatte. Die Verlandungsflächen zwischen Hügel und See waren wohl seit dem Frühmittelalter breiter geworden, doch das Bodenrelief sonst dürfte einigermaßen unverändert gewesen sein; wir erinnern uns: Zwischen dem heutigen Burgsee und der Eindellung, die den Übergang zur Schelfe markierte, ein zweikuppiger Hügel, in der Längsachse ungefähr 450–500 m, im Mittelabschnitt auf203
H. W. C. Hübbe, Schwerin innerhalb der Planken 1160. Rekonstruktionszeichnung, in: Schwerin im Spiegel seiner Stadtpläne (wie Anm. 6), S. 5, vgl. S. 30. Vgl. oben bei Anm. 18–20. 204 Oben Anm. 3, 4 und 6 – Zum folgenden Schmidt 1994 (wie Anm. 60), passim.
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fällig eingeschnürt, am Südfuß der nördlichen Kuppe ungefähr 250 m, im nördlichen Vorfeld der Südkuppe nur vielleicht 200 m breit (Abb. 2). Für eine Stadtgründung, die Ausdehnungsmöglichkeiten braucht, war solch ein Gelände zwischen Sümpfen und Seen wenig geeignet – ob eine Gründung dieser Art von Anfang an beabsichtigt war, steht auch von hier aus in Frage. Der Stadthügel von Lübeck, um nur ihn zu erwähnen, bot zwischen Trave und Wakenitz eine Längsachse von fast 1700, eine größte Breitenerstreckung von rund 1000 m. Das waren andere Bedingungen! Doch selbst dort mußte in Randzonen durch Aufschüttungen nachgeholfen werden205. Die Planüberlieferung geht für Schwerin nicht weiter als bis 1651 zurück, bis zu dem erwähnten Wedelschen Plan206. Er zeigt den Zustand vor dem damaligen Brande und das, was ihn an Neugestaltung ablösen sollte. Die festgehaltene ältere Straßenführung mag unbedenklich zurückprojiziert werden dürfen. Grundstücksgrenzen und damit Bebauungsgrenzen haben starke Neigung zur Konstanz, solange nicht durchgreifende Maßnahmen wie die des genannten Jahres einwirken. Anders sieht es mit dem Marktplatz aus. Zwar ist auch für ihn mit Bewahrung der Bebauungsgrenzen zu rechnen, die ihm den ursprünglichen Rahmen stellten, doch für die Innenfläche ist gar zu lange unbeachtet geblieben, daß in ihrem Bereich mit nachträglicher Überbauung zu rechnen ist. Sie gilt es zu bestimmen und aus dem überlieferten Planbild herauszulösen. Die methodischen Grundsätze, nach denen dies geschehen kann, wurden vor allem am Beispiel Lübecks entwickelt. Sie auch auf Schwerin anzuwenden, ist lange unterblieben. Erst vor kaum 15 Jahren hat, wie gesagt, Rühberg das Problem gesehen und im Rahmen des Möglichen der Lösung zugeführt207. Nach seinen Ergebnissen hat dieser Platz in seiner ursprünglichen Gestalt sich nur teilweise mit dem heutigen gedeckt (Abb. 3–4). Er war vielmehr, und das ist das Neue an diesen Thesen, nicht unerheblich nach Osten hin verschoben. Die Ostbegrenzung wurde durch die Häuserfront der jetzigen Schlachterstraße gebildet; die westliche Begrenzungslinie verlief etwa 20 m westlich der heutigen Rathaus-Marktfront; der Umriß war ungefähr quadratisch, mit einer Seitenlänge von etwa 75 m. Das Rathaus befand sich an 205
Keyser (wie Anm. 201) I, S. 204 f., dazu die neueren Planskizzen bei Fehring 1991 (wie Anm. 138), S. 284 und 286 (mit Höhenlinien). 206 Oben Anm. 6. 207 Oben Anm. 3 und 6.
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der Nordseite und zeigte Ausrichtung ungefähr von Ost nach West, Hauptfront südwärts gewandt; Teile der ursprünglichen Bausubstanz sind noch im heutigen Bestand nachweisbar. Deutlich ist ein Vorbild zu spüren: Lübeck. Die Anknüpfung erfolgte jedoch nicht schematisch, sondern in Wahrung einer gewissen Eigenständigkeit. Sie zeigt sich besonders in der Lage des Platzes zum Dom, der hier zugleich die Rolle der Stadtpfarrkirche übernimmt – darauf ist zurückzukommen. In der Fläche entspricht der ursprüngliche Platz in Schwerin ungefähr 2/3 der Abmessungen von Lübeck. Ein solcher Befund kommt zum Sprechen, wenn man beide, Vorbild und Abweichung, in angemessene Beziehung bringt. Dann zeigt sich: In Schwerin wurde damals mit einem Handelsvolumen gerechnet, das deutlich über einen Nahmarkt zur wechselseitigen Versorgung von Stadt und Umland hinausging; dies geschah jedoch in Dimensionen, die hinter denen der Travestadt schon der Erwartung nach ganz erheblich zurückblieben. Schwer zu beurteilen ist, wie weit diese Erwartung, gemessen an den Gegebenheiten der Planungszeit, realistisch war; wie weit Hoffnungen sie bestimmten, die schließlich doch ins Leere bauten. In jedem Fall waren die Planer Schwerins sich der bleibend unterschiedlichen Möglichkeiten ihrer Stadt gegenüber dem künftigen Vorort der Hanse bewußt. Sie fügten sich dabei auch den natürlichen Gegebenheiten, die der Stadthügel und sein Umland boten. Doch so bescheiden sie waren – sie wurden genutzt, eben hier. Dabei sehen wir die Vorbildwirkung der Travestadt, doch wir sehen nicht, wer die Anknüpfung durchsetzte – ob etwa Heinrich der Löwe auch in einer solchen Frage persönlich mitsprach oder sie anderen überließ und dann, wem. Zweitens bleibt offen die exakte Datierung. Die eingesetzte Methode vermag den Zeitstil und das Vorbild festzulegen. Sie führt für die hiesige Gegend mit Sicherheit in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts. Doch ein bestimmtes Gründungsjahr zu erschließen vermag sie nicht – nicht zu entscheiden, ob die maßgeblichen Anordnungen, sagen wir, 1160 oder 1178 ausgeführt wurden. Dafür wären andere Quellen zuständig, die mit anderen Methoden zu bearbeiten wären, doch sie fehlen hier. Das muß deutlich bleiben. Überblickt man den so rekonstruierten „Urplan“ Schwerins (Abb. 3). so bleibt manches auffällig. Man mag absehen von dem auf den ersten Blick überraschenden Knick in der Mühlstraße, dort, wo die (alte) Schusterstraße auf sie auftraf: Er erklärt sich zwanglos, wenn man bedenkt, daß für den Bau des Mühlendamms verständlicherweise die kürzestmögliche Strecke gewählt wurde; von seiner Einmündung ins
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Stadtgebiet aus waren dann möglichst geradlinige Verbindungen einmal zur Burginsel, zweitens zum Marktplatz und weiter in Richtung Schelfe zu schaffen. Dem wird die gefundene Lösung gerecht. Sonst aber fallen mir die drei unterschiedlichen Achsen auf, die einerseits von der Burg über die heutige Schloßstraße bis zu dem angesprochenen Knick laufen, andererseits von der alten Nordfront des Marktes zur Schmiedestraße und drittens von Ost nach West durch den Dom. Das sieht nicht nach einer einheitlichen Planung aus, eher nach drei verschiedenen, voneinander unabhängigen Ansätzen. Die merkwürdige Abseitslage des Marktes, eher am Rand als im Zentrum, verstärkt diesen Eindruck. Ehe wir sie analysieren, ist an eine Feststellung zu erinnern, die schon für das wendische Schwerin mit seinen abweichenden Verhältnissen zu treffen war. Auch für frühdeutsche und spätere Zeit gilt: Der Altstadtkern wurde von keinem der bedeutenden Fernhandelswege durchschnitten oder wenigstens berührt, den Marktplatz nicht ausgenommen. Diese Verbindungen liefen weiterhin über das Hohe Feld – dort, wo heute z.B. der Bahnhof liegt –, jenseits des Sumpfgebietes, in das bei Entstehung der Stadt, neu aufgestaut, der Pfaffenteich vordrang. Nicht einmal eine alte Direktstrecke über die Schelfe nordwärts in Richtung Wismar ist wahrscheinlich zu machen208. Der Stadthügel liegt gleichsam isoliert zwischen dem Hohen Feld und dem See, der im 12. Jahrhundert noch nicht so weit abgerückt war, wie das mittlerweile durch die Aufschüttungen folgender Zeiten bewirkt wurde. Der Landverkehr fand mithin im ältesten Schwerin eine Sackgasse vor – für eine Stadtgründung auch wieder eine wenig befriedigende Ausgangssituation. Die Stadt sperrte nicht einfach eine Landstraße so, daß sie schwer zu umgehen war; sie konnte nicht selbstverständlich Nutzen von Durchreisenden und ihren Waren ziehen. Trotzdem vermochte sie sich dort, wo sie einmal entstanden war, zu behaupten. Sie erwies sich nicht, wie andere, als eine Fehlgründung, die aufgegeben wurde und an anderer Stelle Erneuerung fand. Nun gibt es jenes Zeugnis von 1171, das für den Ort selbst einen Schiffszoll belegt. Es wird noch 1209/11 wiederholt; zwischen beiden Daten erscheint statt dessen ein solcher Zoll in „Plote“, dann verschwindet dergleichen ganz aus den Quellen209. Das wirft Probleme 208
Oben bei Anm. 20. Oben Anm. 31 und 34, unten Anm. 328; dazu F. Wigger, Berno, der erste Bischof von Schwerin, und Meklenburg zu seiner Zeit, in: MJB 28 (1863), S. 222, vgl. S. 26 Anm. 3. 209
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auf. Zu ihnen gehört die Frage, ob diese Belege eine Gegebenheit der Übergangszeit beleuchten, die späterhin ihre Bedeutung verlor. War es gerade die Zwischenstellung zwischen Land und Wasser, die diesen Hügel einmal trotz allem für die Entfaltung städtischen Lebens empfahl, als Umschlagsplatz zwischen zwei getrennten Verkehrssystemen, und das solange, bis der Fortbestand z.B. als Nahmarkt für die umgebenden Dörfer auch ohne dies gesichert war? Und weist die merkwürdige Lage des ursprünglichen Marktplatzes in die gleiche Richtung? Der Platz sitzt, wie festgestellt, auffällig abseits vom Zentrum, unverhältnismäßig weit nach dem östlichen Rand hin verschoben, auf den See und den ihn begleitenden Moorgürtel zu – so, daß neben diesem in der ursprünglichen Situation nicht mehr noch Raum finden konnte als eine einzige, die genannte Häuserzeile mit einem schmalen Geländestreifen im Anschluß zur Seeseite hin. Es ist die Stelle, an der der Stadthügel, der Schweriner Rücken, die erwähnte Einschnürung aufweist (vgl. Abb. 2). Der Platz erhielt dort jedoch nicht die höchste Lage, zwischen den beiden Neigungen nach Ost und West. Sie hätte ihm ein verhältnismäßig ebenes Gelände angeboten, wie es für eine solche Stätte günstig scheint. Doch dorthin wurde der Marktplatz erst bei der Neuordnung von 1651 verlegt (Abb. 4–5). Die ursprüngliche Lösung verwies ihn mehr ins Abseits, mit der Folge, daß seine Fläche sich vom Lehm in den Sand hinein neigte, von 43 m bis auf 39 m Meereshöhe. Das ist bei der gegebenen Seitenlänge von 75 m ein Gefälle von ungefähr 6 %! Ein merkwürdiger Befund. Er verlangt Erklärung, und das um so mehr, als dadurch auch städtebaulich ein weniger befriedigendes Ergebnis zustandekam, ohne daß die Geländesituation es erzwungen hätte. In Lübeck steht die Marienkirche mit dem umgebenden Platz parallel zum Markt, überragt auch ihn und schafft damit einen architektonisch bedeutenden Akzent. Daß dies in Schwerin nicht übernommen wurde, macht der Verlauf der Höhenlinien südlich des Doms ohne weiteres verständlich (Abb. 2). In anderen Gründungsstädten des deutschen Ostens, von Dresden bis zum pommerschen Stargard (um zwei Namen herauszugreifen), sind Markt und Kirchplatz einander diagonal zugeordnet; das Gotteshaus schließt die Lücke, die durch die offene Verbindung beider entsteht, und beherrscht gleichfalls das Bild des Marktplatzes. Die gegenwärtige Lösung Schwerins, also diejenige von 1651, kommt dem nahe – vielleicht so weit, wie das Bodenrelief es gestattet. Die ursprüngliche stellte zwischen beiden Komplexen keine wirkliche Beziehung her, obwohl es natürlich auch in ihrem Rahmen möglich war, vom Markt aus den Dom zu sehen. Warum geschah dies so?
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Eine Möglichkeit zur Erklärung scheint sich aus dem Verhältnis zum See zu ergeben (Abb. 2–3). Die Verlandungsfläche des Niedertorfmoores, die sich am Fuß des Stadthügels ausgebildet hatte, war gerade dort besonders schmal; nur ca. 100 m trennten den Marktplatz vom Beutelsee, einer charakteristischen Ausbuchtung des Großen Sees, die sich hier dem Hügel gleichsam entgegenbog. Diese Entfernung ließ sich, falls der Boden nicht fest genug war, durch einen Bohlweg leicht überbrücken. Doch auch der Hügel kam dem See dort stärker entgegen als sonst: Sein Abfall zum Moor hin war flacher als an anderen Stellen. Mit der Nordostecke traf der Marktplatz auf eine Fläche, die zwischen der 41 und der 40 m Höhenlinie mehr als 50 m Spielraum ließ, gerade dort, wo die Bucht besonders nahe war. Erst zuletzt wurde der Sandhang steiler, doch kaum unüberwindlich. Ich könnte mir den damaligen Beutelsee als einen wohlgeschützten Hafen denken für kleine Frachtboote jener Zeit, auf den der Marktplatz gezielt gerichtet war, so daß sich neben Burg und Dom ein dritter Bezugspunkt für die ursprüngliche Stadtentwicklung ergab. Die „Planken“, die älteste Stadtbefestigung, müßten dann zwischen beiden ursprünglich so etwas wie ein Hafentor freigelassen haben, das später gegenstandslos wurde. Ihr Verlauf ist nicht so lückenlos nachweisbar, daß diese Annahme sich ausschließen ließe. Wie weit eine Pfahlreihe, die an dieser Flanke des Stadthügels angeschnitten wurde (Abb. 3), sich als Hafenbefestigung deuten läßt, ist zunächst offen210. Sie könnte dafür etwas zu weit südlich liegen. Im übrigen werden wir angesichts der Dicke der Aufschüttungen im hier entscheidenden Bereich auf die wünschenswerte Nachprüfung durch die Archäologen verzichten müssen. Zu dem damit entwickelten Lösungsvorschlag sehe ich nur eine Alternative, und sie nimmt sich wenig befriedigend aus. Sie wurde schon angedeutet: Die Bebauung des Stadthügels könnte, als es zur Planung eines Marktplatzes kam, schon so weit fortgeschritten gewesen sein, daß man sehen mußte, wo man mit dieser Neuerung blieb. Das ist sicher nicht auszuschließen; es könnte sogar mit dem Wunsch, Verbindung zwischen Marktplatz und See herzustellen, zusammengewirkt haben. Bestehen bleibt, daß eine planmäßige städtische Neugründung in einer Sackgasse, ohne einen wie immer gearteten Durchgangsverkehr, wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat. Dies verdient in jedem Fall stärkere Beachtung als bisher. Warum Schwerin auch als Stadt in einer solchen
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Brieflicher Hinweis von Herrn N. Rühberg vom 17.2.1997.
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Situation zustande kommen konnte und bestehen blieb, verlangt Erklärung. Wer die Lage des Marktplatzes einzig aus gerade noch nutzbaren Baulücken zu begründen versucht, muß sie schuldig bleiben, und auch der fragliche Schiffszoll, der schließlich verliehen wurde, weil man Erträge erwartete, bliebe dann im luftleeren Raum. So bevorzuge ich die erstentwickelte These. Die zweite wird man erst in Betracht ziehen dürfen, wenn jene durch Gegenargumente außer Kraft gesetzt ist. Sie sind bisher nicht in Sicht. Ergänzend ist daran zu erinnern, daß die Umgestaltung, die mit der Entstehung der deutschen Stadt zustandekam, sich nicht auf die Bebauung von Stadthügel und Burginsel beschränkte. Mindestens so einschneidend für die gesamte Struktur der Gegend war, eben wieder erwähnt, die Aufstauung des Pfaffenteichs, auf die später nochmals einzugehen ist. Sie war zugleich Voraussetzung für eine zweite Veränderung: den Ausbau des Stadtgrabens zwischen Altstadt und Schelfe, unter Ausnutzung der Eindellung, die das Gelände dort von sich aus bot. Ohne den aufgestauten Teich hätte dieser Graben schwerlich mit Wasser versorgt werden können. Man mag fragen, ob er es ist, auf den Saxo zu 1166/67 anspielt211, und hätte dann gleich einen Datierungshinweis, der zwar nicht zwingend für Stadtgründung, doch immerhin für Befestigung spräche. Allerdings ist die Angabe des Domherrn von Lund im Zusammenhang zu pauschal und zu vage, als daß man sie auf die Goldwaage legen dürfte. Zum Stadtgrundriß jedenfalls gehören Pfaffenteich und Stadtgraben nicht weniger als Marktplatz und Straßenzüge und etwaige bescheidenste Hafenanlagen. Ein Fehlbestand ist noch festzuhalten, der sich offenbar bis in die frühe Neuzeit hinein gehalten hat: Es gab keinen Brückenkopf, der den Zugang vom Hohen Felde her gesichert und zugleich den Verkehr dort kontrolliert hätte. Der Mühlendamm, der damals den Pfaffenteich abschloß, war schmal; er bot einem etwaigen Angreifer keine Gelegenheit, sich zu entfalten und massiert anzurennen. Er aber war langezeit die einzige Verbindung in dieser Richtung und damit zur Außenwelt überhaupt. Der damit gegebene Schutz wurde offensichtlich für ausreichend gehalten und hat sich auch lange bewährt. Auf die Verkehrskontrolle an dieser Stelle legte das frühdeutsche Schwerin offenbar keinen besonderen Wert. Seine Geltung als Handelsplatz wird auch dadurch beleuchtet.
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Oben bei Anm. 132.
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Wie kann es gewesen sein? Das Quellenmaterial ist gesichtet – der Weg frei für den Versuch, die Anfänge des deutschen Schwerin zu rekonstruieren. Das wird nicht ganz ohne Wiederholungen abgehen. Ich hoffe, sie rechtfertigen sich durch neuen Zusammenhang. ,,Der erste Akt der Schweriner Ortsgeschichte . . . ist der in Vernichtung durch Feuer bestehende Abschied des Landesherrn von seiner hier gelegenen Hauptburg“ – so schrieb einst Friedrich Schlie mit Bezug auf Niklots Vorgehen 1160212. Der Satz ist immer noch zitierenswert, auch wenn wir die Bedeutung des wendischen Schwerin im damaligen Herrschaftszusammenhang nicht mehr gleich hoch einschätzen213. Die Bewohner werden, soweit sie nicht zu Niklots Streitmacht zu stoßen hatten, in üblicher Weise ihre Kostbarkeiten vergraben und sich in die Wälder geflüchtet haben in der Hoffnung auf baldige Rückkehr214. Doch es kam anders als sonst. Heinrich der Löwe besetzte den verwüsteten Platz, um ihn nicht mehr loszulassen. Eine neue Burg wurde errichtet. Erhielt sie bereits die Ringmauer, die im Bereich der Außenwände des heutigen Schlosses ausgemacht werden konnte, zu datieren in die frühdeutsche Phase215? Das wäre sogleich ein Zeichen des prinzipiellen Neuanfangs gewesen, ein deutlich überlegenes Abrücken von den Holz-Erde-Konstruktionen der Wendenzeit, doch die exakte Einreihung der betreffenden Bauteile in den Gesamtablauf der Entstehungszeit ist schwer zu klären – vielleicht gebot Eile zunächst ein weniger aufwendiges Provisorium. Möglichste Beschleunigung war in jedem Fall angesagt: Es kam auf rasche Verteidigungsfähigkeit an. Sie herzustellen, wird die milicia, die Heinrich abordnen konnte216, kaum ausgereicht haben. Wo sollten zusätzliche Arbeitskräfte anders herkommen als aus dem Umland, bei allen berechtigten Zweifeln in die Verläßlichkeit der eben erst Unterworfenen? Schon dafür ist Erneuerung auch des Suburbiums wahrscheinlich, ganz abgesehen von den Dienstleistungen, ohne die die Versorgung der neuen Burgmannen nicht möglich war. Für die Repräsentanten der neuen Macht im Lande versteht sich, daß sie nicht aus abgeordneten
212 F. Schlie, Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin II, Schwerin 1898, S. 521. 213 Oben bei Anm. 51–56. 214 Helmold, c. 109 (S. 378,25 ff.). 215 Gudehus u.a. (wie Anm. 50), S. 303, mit unzutreffender Datierung der Grafenzeit ins 11.–13. Jh. 216 Oben bei Anm. 154–155.
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Kontingenten eines stehenden Heeres bestanden, die in turnusmäßiger Ablösung Dienst dort taten. Eine solche Lösung lag jenseits der Möglichkeiten der Zeit. Wir müssen an Männer denken, die gewillt waren, sich fest im Eroberungsgebiet einzurichten. Nahmen sie Wohnung sämtlich im Burgbereich oder gleichfalls mit in diesem Vorfeld, mindestens zum Teil? Jedenfalls stellten sie ein wichtiges deutsches, genauer: sächsisches Bevölkerungselement, und das in einer Stärke, wie es vordem am Ort noch niemand gesehen hatte. Zwischen den beiden ethnischen Gruppen wird dasselbe argwöhnische Mißtrauen geherrscht haben, das für diese Zeit in anderen von Deutschen okkupierten Burgen des Slawenlandes bezeugt ist, nicht zuletzt im Machtgebiet des Löwen217. Vielleicht haben wendische Frauen die ersten Brücken schlagen helfen. Mit ihnen ist ja für diejenigen der Krieger zu rechnen, die nicht die Möglichkeit hatten, Partnerinnen aus dem deutschen Hinterland nachzuziehen. Insoweit war das neue Schwerin, modern gesprochen, ein Militärstützpunkt, allerdings kein beliebiger in deren Reihe. Von Anfang an zeigt es sich aus anderen gleicher Funktion herausgehoben, indem hier der von Heinrich eingesetzte Statthalter (prefectus) für das ganze eroberte Obotritenland saß, der nachmalige Graf Günzelin I218. Schon damit erhielt der Ort eine Bedeutung, wie sie ihm bis dahin offenbar niemals zugekommen war219: bei aller Anknüpfung ein Moment der Diskontinuität, das die Sonderstellung in der Gesamtentwicklung auf seine Weise unterstreicht. Der Rang des Platzes wurde weiter gesteigert durch eine Maßnahme, die der Herzog fast im gleichen Zuge angeordnet haben muß: die definitive Ansiedlung des bis dahin wohl praktisch heimatlosen Bistums Mecklenburg hier als an seinem nunmehr ständigen Sitz, gleichsam auf Kosten desselben Zentrums, das die Neuregelung schon machtpolitisch in die zweite Reihe zurückverwiesen hatte. Die Verlegung muß noch vor Ablauf des Jahres 1160, dessen Spätsommer den entscheidenden Feldzug gesehen hatte, Rechtskraft erlangt haben, denn es gibt unverdächtige urkundliche Nennungen Bischof Bernos mit dem Schweriner Titel auch von maßgeblicher kirchlicher Seite noch aus eben diesem Jahr220. Ob die Initiative dabei vom Herzog selbst ausging oder eher vom Bischof, der hier schon vor 1160 missionarisch gewirkt hatte, ist ungewiß, hat aber 217 218 219 220
Oben Anm. 113. Oben bei Anm. 155–156. Oben bei Anm. 51–56. S. Anm. 236.
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wenig Bedeutung: Entscheidend bleibt, daß sie nicht gegen den Willen Heinrichs realisiert werden konnte und nicht ohne seine Mitwirkung. Als Grund der Verlegung ist klar und glaubhaft Furcht vor den Wenden (timor Sclavorum), also ein Sicherheitsbedürfnis bezeugt221. Tatsächlich sind die Bedingungen, unter denen der Schritt erfolgte, gleichfalls anders als für die übrigen Bistumsgründungen Heinrichs des Löwen. In Ratzeburg wurde, wenn auch an wenig repräsentativem Platz, ein Bischofssitz mit älterer, vorübergehend abgerissener Tradition erneuert, in gut gesicherter rückwärtiger Lage; Lübeck war, als, ebenfalls 1160, der bisherige Bischof von Oldenburg i.H. dort seinen Einzug hielt, eine zwar junge, doch sichtlich aufblühende, zukunftsträchtige Stadt, die in jeder Hinsicht starken Rückhalt bot. Schwerin hatte weder das eine noch das andere zu bieten. Es war in gerade erst erobertem Neuland ein vorgeschobener Posten, mochten ihm auch noch weitere Zentralfunktionen zugedacht sein. Einem derart wachen und räumlich nahen geistlichen Beobachter damaliger Gegenwart wie Helmold von Bosau erschien die Plazierung eines so hochrangigen Repräsentanten der Kirche an einem derart wenig entwickelten Ort offenbar dermaßen ungeheuerlich, daß er sie sich lediglich als ein neues Provisorium zurechtzulegen vermochte222. Doch die Schutzlage war an dieser Stelle so, daß sie von keinem anderen Punkt im Lande übertroffen werden konnte, eingehegt von Sümpfen und Seen, die allenfalls bei starkem Dauerfrost bedenklich werden mochten, und mit denkbar guten rückwärtigen Verbindungen zum sächsischen Mutterland223. Dies beides war das, worauf es zunächst einmal ankam. Daß eine etwa entstehende Stadt durch die gegebene Geländesituation viel zu stark eingezwängt bleiben würde, um gute Entwicklungsmöglichkeiten zu finden, wurde entweder nicht gleich in Betracht gezogen oder bewußt in Kauf genommen, weil der Augenblick andere Prioritäten erzwang. Helmolds Zurückhaltung ist gut verständlich, denn der gegebene Zustand widersprach dem kanonischen Recht, und das kann dem Prie-
221 Arnold von Lübeck V,24 (S. 192): Von Mecklenburg eadem sedes propter timorem Sclavorum translata est (nach Schwerin). Die Angabe ist nicht unverdächtig; sie kann Topos, sie kann auch Vorwand sein, vgl. W. Schlesinger, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter, Köln/Graz 1962, S. 92–95 mit S. 310 f., sowie H. Wießner, Naumburg, in: LMA VI (1993), Sp. 1055 ff., über die Verlegung des Bistums Zeitz nach Naumburg im Jahre 1028. Für den Fall Mecklenburg-Schwerin ist die Angabe glaubhaft, wie schon die Ereignisse von 1164 zeigen (vgl. Helmold, c. 98; S. 340). 222 Oben bei Anm. 172–175. 223 Oben bei Anm. 18–23 und 53.
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ster von Bosau, der eine für seine Zeit beachtliche Bildung besaß, sehr wohl bewußt gewesen sein224. Wir erinnern uns: Schon die spätantike Kirche hatte festgelegt, ein Bischofssitz dürfe nicht an unbedeutendem Ort errichtet werden, durch den das hohe kirchliche Amt im Ansehen Schaden nehmen könne; es verlange eine civitas im damaligen Verständnis – Ursprung der Bedeutung dieser Vokabel als „Bischofssitz“, die schon oben wichtig wurde225. Gewiß war im Wendenland das Ansehen eines ausgebauten Ortes mit anderen Maßstäben zu messen als weiter im Westen: Schon der Mittelpunkt eines Burgbezirks, wie das wendische Schwerin es gewesen war, bedeutete sicherlich eine Steigerung des Ansehens. Doch Schwerin sollte nicht länger Wendenland sein. Das verschob die Maßstäbe. Der Ort hatte sich nunmehr an Normen der Deutschen zu bewähren. Helmold zeigt, wie wenig ihm dies schon gelang. Man mag sagen: Indem Heinrich dort einen Bischofssitz ansiedelte, übernahm er die Verpflichtung, auf längere Sicht auch für eine angemessene Umgebung, für den Ausbau einer leidlich ansehnlichen Stadt zu sorgen. Ob er selbst diese Verpflichtung empfand, ist freilich eine Frage für sich. Der Herzog war kein Vorkämpfer des kanonischen Rechts, sondern seiner eigenen Machtinteressen. Sie zielten in erster Linie auf Herrschaftssicherung. Eine Christianisierungspolitik gehörte unter damaligen Umständen dazu als verstärkendes Element, und der Löwe hat sich in jenen Jahren mehrfach ausdrücklich zu ihr bekannt226. Die Voraussetzungen, auf denen sie aufzubauen hatte, waren selbstverständlich diejenigen der römisch-katholischen Kirche in den
224 Zu Helmolds Bildungsgang: Stoob in der Einleitung zur Ausgabe (wie Anm. 2), S. 4, wo aber für St. Blasius in Braunschweig „Stiftsschule“ statt „Klosterschule“ zu lesen ist; sein wichtigster Lehrer Gerold war 1154/55–1163 Bischof von Oldenburg i.H. bzw. Lübeck und damit unmittelbarer Oberhirte des Priesters von Bosau, der bei ihm offenbar eine Vertrauensstellung genoß (ebd., S. 5) und davon auch für die eigene Weiterbildung profitiert haben dürfte. Zum Bildungsstand Helmolds ebd., S. 10 ff. Ungeklärt ist m.E. bisher sein Verhältnis zum Kanonischen Recht; vor allem verdient offenbar Prüfung, ob ihm nicht auch Wendungen etwa aus Pseudo-Isidor in die Feder geflossen sind. 225 Oben bei Anm. 126. 226 UHL 81 (S. 119,25 ff.) = MUB I, 90 (S. 84) von 1169; UHL 89 (S. 133,22 ff.) = MUB I, 100A (S. 96) von 1171 (für Schwerin selbst); vgl. auch UHL 41 (S. 58) = MUB I, 65 (S. 56) von 1158, im 13. Jh. verunechtet; dazu oben, Beitrag IX, Anm. 72; allgemein zur Christianisierungspolitik Heinrichs: F. Lotter, Bemerkungen zur Christianisierung der Abodriten, in: Festschrift Walter Schlesinger II, Köln/Graz 1974, S. 395 ff.; K. Sonnleitner, Die Slawenpolitik Heinrichs des Löwen im Spiegel einer Urkundenarenga, in: Archiv für Diplomatik 26 (1980), passim (unverdient wenig benutzt); F. Lotter, The Crusading Idea and the Conquest of the Region East of the Elbe, bei R. Bartlett und
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Abwandlungen der Zeit; das heißt: Die „Einkirchung“ der sogenannten „Missionsobjekte“ war das vordringliche Ziel, um die Angesprochenen nach oberflächlicher Taufvorbereitung möglichst rasch in eine funktionsfähige Seelsorgeorganisation einzufügen, die ihrerseits erst einmal aufzubauen war; dieser fiel dann die nötige „Nacharbeit“ zu im Zusammenspiel von intensiverer Verkündigung und sakramentaler Gnadenwirkung, der offenbar viel zugetraut wurde. Um diese Ziele zu erreichen, bedurfte es des einsatzfähigen Bischofs, denn nur ein solcher konnte für Priester, für Kirchen und Altäre die vorgeschriebenen Weihen gültig erteilen227. Mitarbeiter dieses Ranges waren es daher, die der Herzog in der Situation von 1160 notwendig brauchte – gleichgültig, wie es mit ihrem Sitz aussah, soweit andere Belange hereinspielten als die der Sicherheit. Schon gar nicht brauchte er in dieser Gegend eine neue Stadt. Die Neugründung seines Lübeck lag kaum zwei Jahre zurück. Heinrich ist dafür bekannt, daß er darauf bedacht war, das Netz derartiger Mittelpunkte nicht gar zu dicht zu weben228. Ich unterstelle ihm, daß er nicht daran interessiert war, der Entwicklung an der Trave vorzeitig Bremsen zu schaffen, indem er so wenig weit entfernt ein Konkurrenzunternehmen aufleben ließ, bevor an dem älteren Platz alles nach Wunsch gefestigt war. Im Fall Ratzeburgs hat es zu seinen Lebzeiten überhaupt keinen Ansatz zur Stadtentwicklung gegeben, obwohl die Wiedererrichtung des Bistums dort eher in Gang kam als in Schwerin229, und Lübeck war nicht als Bischofs-, sondern als Kaufmannsstadt gegründet
A. MacKay (Hgg.), Medieval Frontier Societies, Oxford 1989, bes. S. 294 ff. (in anderen Abschnitten überholt durch Kahl, Kreuzzugseschatologie, wie Anm. 103). 227 Beitrag X; für das 12. Jh. zu ergänzen durch Beitrag IX, sowie H.-D. Kahl, Zur Problematik der mittelalterlichen Vorstellung von „Christianisierung“, bei Z. H. Nowak (Hg.), Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung und Kolonisierung des Ostseegebietes (Ordines militares I), Toruń 1983, S. 126–128 (der dort S. 125 Anm. 1 angekündigte Fortsetzungsteil ist nicht erschienen). Der Begriff „Einkirchung“ bei F. Blanke, Die Missionsmethode des Bischofs Christian von Preußen, in: Altpreußische Forschungen 4 (1927), wieder abgedruckt bei Beumann (wie Anm. 104), S. 347. 228 P. J. Meier, Die Münz- und Städtepolitik Heinrichs des Löwen, in: Niedersächsisches Jahrbuch 2 (1925), S. 129 f.; vgl. auch Hildebrand (wie Anm. 97), S. 317–319 sowie B. Diestelkamp, Welfische Stadtgründungen und Stadtrechte des 12. Jh., in: Zeitschrift für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 81 (1964), S: 208–224, bes. 210 f. und 222 f., dazu aber Dens. (wie Anm. 1). Über den problematisch gewordenen Begriff „Stadtgründung“ im allgemeinen: Engel (wie Anm. 51), S. 12 – Feststellungen, die zweifellos gerade für Schwerin zutreffen. 229 Hoffmann (wie Anm. 26), S. 23–28; W. Lammers, Geschichte Schleswig-Holsteins IV: Das Hochmittelalter bis zur Schlacht von Bornhöved, Neumünster 1981, S. 347 f.
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worden – der Bischof von Oldenburg i.H. durfte nachträglich seinen Sitz dorthin verlegen230. Auch von daher sind die Erwartungen für die Anfänge des deutschen Schwerin nicht gar zu hoch zu spannen. An Marktrecht ist zu denken, ohne das weder die „Militärstation“ noch der Bischofssitz angemessen versorgt werden konnten. Wie lange es sich hinzog, bis der Betrieb sich einspielte, steht dahin: Das Umland war noch zu wenig entwickelt, um auch von sich aus einen nichtagrarischen Mittelpunkt zu benötigen – sicher weit weniger als unmittelbar vor 1160, denn wir haben mit Abwanderung von Wenden zu rechnen, die sich den neuen Verhältnissen nicht zu fügen gedachten. Hinzu kam die mangelnde Sicherheit, sobald man den unmittelbaren Bereich des neuen Zentrums verließ. Am entstehenden Marktbetrieb teilzunehmen, brauchte es jedenfalls nichts als Waren gängigen Bedarfs, keinen händlerischen Berufsstand. Erst recht hatten Fernkaufleute im Schwerin dieser Jahre keine günstige Basis, ebensowenig wie zur Wendenzeit. Mit ihnen aber fehlte gerade das Element, ohne das, wie es scheint, keine der Stadtgründungen des Löwen zustande kam. Er begegnete hier nicht der Eigeninitiative entsprechender Kreise, die auf einen städtischen Handelsplatz an gerade dieser Stelle hingedrängt hätte und sich mit den machtpolitischen Interessen des Herzogs traf 231. Kurz, Bischof Berno mußte froh sein, daß er in Schwerin wenigstens mehr Sicherheit fand als an anderer Stelle. Sie war immerhin eine wichtige Voraussetzung für den beginnenden kirchlichen Aufbau. Mit diesen Feststellungen ist die Besonderheit markiert, die die Anfänge des deutschen Schwerin von allen anderen Städten in der „Germania Slavica“, ja im Reichsgebiet abhebt, von deren Entstehung wir einige Informationen besitzen. Zwei Aspekte wirken in ihr zusammen: siedlungsgeschichtlich und kirchengeschichtlich. Zum ersten wurde schon eingangs die Gründung in nicht eingedeutschtem, fremdsprachigem Stammesgebiet betont, die im gesamtwelfischen Bereich so nur hier erscheint. Das heischt endlich Beachtung. Weiter aber zeigt sich: Wenn bisher galt, daß alle Stadtgründungen Heinrichs des Löwen, ja des Welfenhauses an sogenannte präurbane Kaufmannssiedlungen anknüpften232, so ist dies nun für Schwerin zu korrigieren; es stellt damit zu der aufgestellten Regel die Ausnahme dar. Und kirchlich? 230 231 232
Lammers, ebd., S. 320 und 346 f. Diestelkamp, wie Anm. 228; zur Wendenzeit Schwerins oben bei Anm. 84–98. So Diestelkamp, ebd., S. 208 f., vgl. 181 f.
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Die Bistumsorganisation in den wendischen Gebieten war schon unter Otto d. Gr. der Entwicklung eines Städtewesens im westlicheren Sinne vorausgeeilt. Auch damals wurden Bistümer in einen, kirchlich gesehen, gleichsam luftleeren Raum hineingesetzt, ohne Niederkirchenwesen und Gemeindevolk als tragende Basis. Doch schon für die ältesten Gründungen, Brandenburg und Havelberg (948), waren seit der militärischen Unterwerfung wenigstens einige Jahre zurückgelegt worden, und sie knüpften an slawische Fürstensitze an – angesehenste Ort nach wendischen Maßstäben. Zeitz und Meißen (968) hatten weit über ein Menschenalter Zeit gehabt, sich an deutsche Herrschaft zu gewöhnen; ihre Bistumssitze wurden in hervorragenden königlichen Burgen mit entsprechend ausgebautem Umfeld errichtet; Oldenburg i.H., gleichzeitig einer anderen Kirchenprovinz angegliedert, entstand wieder an einem wendischen Fürstensitz233. Dasselbe gilt für die später in den Kreis einbezogenen Ratzeburg und Mecklenburg. Außer Zeitz (nachmals Naumburg) und Meißen hatte keines dieser Bistümer sogleich Bestand; alle anderen fielen zu verschiedenen Zeiten altgläubigen Reaktionen zum Opfer. Seit der Mitte des zwölften Jahrhunderts stand für sie alle die Restaurierung an, für die meisten, so auch Mecklenburg, in Auswirkung des sogenannten Wendenkreuzzugs von 1147234. Nirgends aber geschah sie so wie in diesem Falle. Um im Machtbereich Heinrichs des Löwen zu bleiben: Als der Herzog 1158 die abschließende Beurkundung der Verhältnisse des Ratzeburger Bistums vollzog235, lag die Einrichtung der deutschen Grafschaft in dieser Gegend, mit Sitz am gleichen Ort, bereits 16 Jahre zurück. Als statt
233 Jhs. Schultze, Die Mark Brandenburg I, Berlin 1961, S. 33 ff.; Schlesinger (wie Anm. 221), S. 21–51, passim; D. Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jh. I, Köln/Wien 1972, S. 63–95, passim; H. Beumann, Die Gründung des Bistums Oldenburg und die Missionspolitik Ottos d. Gr., in: Aus Reichsgeschichte und Nordischer Geschichte. Festschrift K. Jordan, Stuttgart 1972, S. 54–69, wieder abgedruckt bei Dems., Ausgewählte Aufsätze aus den Jahren 1966–1986, Sigmaringen 1987, S. 177–192; Lammers (wie Anm. 229), S. 191–211; Petersohn (wie Anm. 1), S. 18–28; Donat (wie Anm. 43). S. 14–17. 234 Die eingebürgerte Bezeichnung „Wendenkreuzzug“ ist im Sinn der Zeitgenossen verfehlt: Beitrag XX, S. 634–636; über das Unternehmen als erste Voraussetzung des kirchlichen Wiederaufbaus in den betroffenen Gebieten Beitrag XXI; über die Ausnahme Brandenburg: Kahl (wie Anm. 60), S. 186–272, passim; vgl. noch Hamann (wie Anm. 1), S. 72–85; Lammers (wie Anm. 229). S. 321–348, passim: Petersohn (wie Anm. 1), S. 49–65. 235 UHL 41 (S. 57 ff.) = MUB I, 65 (S. 56 ff.), dazu Jordan (wie Anm. 5), S. 18 f. und 36 ff.
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Oldenburg i.H. Lübeck Bistumssitz wurde, gleichfalls 1160, war die deutsche Herrschaft im dortigen Bereich ähnlich lange etabliert, und der Bischof fand Anlehnung zwar nicht beim Grafen, doch bei einer ansehnlichen, ständig wachsenden Bürgergemeinde, der mit Abstand bedeutendsten in ziemlich weitem Umkreis. In Schwerin wurde beides, die Errichtung eines Statthalterpostens neuer Art und die Installierung des Bischofssitzes, in einem Zuge mit der militärischen Inbesitznahme vollzogen, gleichsam im Handumdrehen, mit einem Schlage, und dies geschah an einem bisher nicht gerade unbedeutenden, doch immerhin zweitrangigen Platz ohne ausgebildete Infrastruktur auch nur im näheren Umfeld, einem Platz, dessen bisherige kleinräumige Zentralfunktion auch in wirtschaftlicher Hinsicht soeben zerstört worden war, ohne daß eine neue sich schon eingespielt hätte – der Bischof fand dort keinen anderen unmittelbaren Rückhalt als den am Statthalter und seinen Burgmannen. Das ist einmalig; man versteht Helmolds Skepsis, auch was die Dauerhaftigkeit dieser Lösung angeht. Trotzdem war sie definitiv gemeint. Der beste Beweis ist die förmliche Änderung des Bischofstitels. Selbst ein so hartnäckiger Widersacher Heinrichs des Löwen, gerade in Sachen der neuen Slawenbistümer, wie Erzbischof Hartwig I. von Bremen hat sie gleichwohl noch vor Ablauf des Jahres 1160 (nach seiner Rechnung also vor dem 25. Dezember) in einem Diplom von grundsätzlicher Bedeutung selbst aufgegriffen und damit sanktioniert236. Ob in den folgenden Jahren viel geschehen konnte, das Entwicklungsdefizit aufzuholen, ist fraglich, sowohl, was den Siedlungsplatz, als auch und erst recht, was den Ausbau des Kathedralsitzes angeht, von der Diözese ganz zu schweigen: Die kargen Anhaltspunkte, die sich den Quellen entlocken lassen, sprechen eher dagegen237. Der neue Statthalter, Günzelin, hatte einen weit gespannten Aufgabenkreis; außer Schwerin war noch Ilow, nordöstlich von Wismar, ihm direkt unterstellt; vom einen Burgort zum anderen an einem einzigen Tag zu gelangen, dürfte auch bei scharfem Ritt schwierig gewesen sein. Hinzu kamen Koordinierungsaufgaben für das ganze Eroberungsgebiet. Daß er zu
236 MUB I, 70 (S. 65): . . . suffraganeis scilicet Lubicensi, Raceburgensi et Zwerinensi . . .; wiederholt 1165 (MUB I, 84, S. 79). Zur Bremer Jahresrechnung: H. Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit, 10. Aufl. Hannover 1960, S. 12. Vgl. Petersohn (wie Anm. 1), S. 63 mit Anm. 32. 237 Oben bes. bei Anm. 114–119, und weiter bis 149, vgl. bei Anm. 172–175 sowie 220–231.
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alledem an seinem Hauptsitz auch noch einen Bischof hatte, der Förderung erwartete und dem zweifellos immer wieder Nachdruck verlieh, wird ihm eher lästig gewesen sein: Brauchte er die sicher nicht gar zu reichlich vorhandenen Mittel nicht selbst? Es wäre fast sonderbar, wenn Berno an ihm in diesen Jahren einen stärkeren Rückhalt gefunden hätte als sein Oldenburger Amtsbruder Gerold, bevor er nach Lübeck ausweichen konnte, an dem dort zuständigen Grafen Adolf, der doch schon ganz anders in seinem slawischen Eroberungsgebiet eingerichtet war als jetzt Günzelin in dem seinen238. Auf die Entscheidung von 1160 hin mag zunächst einigermaßen Ruhe gewesen sein. Ab 1163 war jahrelang mehr oder weniger ständig Krieg; Schwerin, ja selbst Ratzeburg werden ausdrücklich als offenbar nicht nur einmalig bedrohte Orte genannt239. Dem Statthalter mußte es vordringlichste Aufgabe sein, die naturgegebene Schutzlage seines Hauptsitzes so unangreifbar wie möglich auszugestalten – das also weiterzuführen, was Helmold zu 1160 dem Herzog zuschreibt: edificare Zuerin et communire castrum240. Wohl sehr bald muß das entstanden sein, was später als älteste Stadtbefestigung fungieren konnte, jene palisadenbesetzte Umwallung, die den Namen „Planken“ erhielt. Saxo erwähnt, wie bemerkt, an einer weniger beachteten Stelle für die Zeit um 1166/67, Heinrich habe Schwerin zum Schaden der Slawen mit Wall und Graben umgeben lassen (vallo fossaque cinxisse); der Platz wird dabei mit Ratzeburg und Ilow auf eine Stufe gestellt, Orten, für die an eine Stadtgründung damals schlechterdings nicht gedacht werden kann241. Das kann sich nicht auf die Inselburg beziehen, die einen naturgegebenen Wassergürtel besaß; es spricht also für Befestigungsarbeiten im Vorfeld, im Bereich des alten Suburbiums. Dazu ist zu bemerken, daß nicht jede Befestigung zwingend auf eine Stadt hinweist, so sicher Befestigung nach damaligen Begriffen zum Wesen einer Stadt gehörte; die Einfriedigung kann auch anderem dienen, was schutzbedürftig ist, z.B. einem vorsorglich bereitgehaltenen Sammelplatz für zusammenzuziehende Streitkräfte. Wir wissen heute, daß die „Planken“, gegen die ohnedies wenig wahrscheinliche Annahme älterer Forschung, den ganzen Altstadtkern umgeben haben242. Leider
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Helmold, c. 84 (S. 292–294,12). Ebd., c. 102 (S. 354,23). Ebd., c. 88 (S. 310,8 f.); vgl. oben bei Anm. 164–168. S. Anm. 132, dazu bei Anm. 211. Rühberg (wie Anm. 4), S. 65.
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sind Holzproben, die in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts gerade im bisher offenen Ostabschnitt entnommen werden konnten, unverständlicherweise verschollen, ohne daß Untersuchungsergebnisse bekannt sind, die ihr Alter hätten aufklären können243. Welche Chance für die Stadtgeschichte wurde auch damit vertan! Helmolds edificare Zuerin kann jedoch früh noch erheblich weitergehende Maßnahmen eingeschlossen haben. Darauf deutet auch Saxo, wenn er von „Wall und Graben“ spricht. Ist die Angabe wörtlich zu nehmen und nicht bloß pauschal gemeint, undifferenziert auf die drei genannten Burgen bezogen, weil dies nun einmal die traditionelle Ausstattung solcher Anlagen war? Dann könnte kaum etwas anderes als der spätere Stadtgraben gemeint sein, der am Nordrand des Stadthügels, an der Grenze zur Schelfe, durch Übertiefung einer natürlichen Delle entstand244. Dieser Graben aber konnte Wasser nur erhalten, wenn bereits der heutige Pfaffenteich aufgestaut war – andernfalls wäre er trocken geblieben. Saxo würde dann also einen Datierungshinweis auch für diese Anlage bieten. Das mag nun unsicher sein – daß dieser Stausee schon einer sehr frühen Ausbauphase angehört haben dürfte, ist auch unabhängig davon ein ansprechender Gedanke. Zwei ganz verschiedene Probleme, beide von gravierender Bedeutung, wurden dadurch gemeinsam gelöst. Das ist erstens eins der Versorgung. Ein Militärstützpunkt mußte sich unabhängig machen von den wenig effektiven Handdrehmühlen der Wenden245 – besonders, wenn er, wie Schwerin 1164, vorübergehend eine außerordentliche Verstärkung erhielt (robur militum . . . ad custodiendum eam)246. Der Schweriner Rücken war von vielen Gewässern umgeben, doch ihr Pegelstand war gleich247 – Gefälle, wie es zur Anlage einer Wassermühle unentbehrlich bleibt, konnte nur künstlich geschaffen werden. Anhebung eines Teilwasserspiegels durch Aufstauung war also schon von hier aus geboten. Sie wurde erreicht, indem ein Damm den Ziegelsee teilte und den einmündenden Aubach abschnitt; an einem Gegendeich aufgefangen, ergab das ein Staubecken mit Wasserstand über dem des Sees. Doch
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Bock (wie Anm. 58), S. 20 Anm. 21. Oben bei Anm. 18–19; vgl. Abb. 2. 245 Über diese: Herrmann (wie Anm. 47), S. 123 f., vgl. 137 f., leider ohne Abbildung; vgl. K. Elmershäuser u.a., Mühle, in: LMA VI (1993), Sp. 885 ff. 246 Helmold, d. 100 (S. 346,9). 247 Oben bei Anm. 20. 244
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allein für den Mühlenbetrieb wäre ein solches längst nicht in der Ausdehnung nötig gewesen, wie sie tatsächlich zustande kam: Wir wissen ja heute, gegen ältere Ansicht, daß der neue Teich wesentlich weiter nach Süden reichte als jetzt, nämlich bis zum Mühlendamm, auf dessen Höhe dann die sogenannte Grafenmühle entstand; erst der Abfluß am dortigen Wehr setzte sich als Bach zum Burgsee hin fort248. Das hatte höchste fortifikatorische Bedeutung: Der Schweriner Rücken erhielt eine zusätzliche Flankensicherung gerade an der empfindlichsten Stelle249, und nicht zuletzt der werdende Bischofssitz war es, der davon profitierte. Angreifer von Westen her waren nun auf den Mühlendamm angewiesen, der in seiner Schmalheit wenig Möglichkeiten bot, massierte Gewalt einzusetzen, und vom Hügel des künftigen Doms verhältnismäßig weit abgerückt war. Für Planung und Leitung eines solchen Vorhabens, das uns auch heute noch Hochachtung abnötigt, dürften Heinrich dem Löwen erfahrene „Wasserbauingenieure“ aus den Niederlanden zur Verfügung gestanden haben250. Arbeitskräfte hätte selbst eine frühdeutsche Kleinstadt kaum hinreichend zur Verfügung gehabt. Ein deutsches Siedlungswerk im Schweriner Umland ist für diese Zeit nicht wahrnehmbar251. Wir müssen wohl mit einer aufwendigen Organisation von Frondienstleistungen der verbliebenen wendischen Bevölkerung des Umlandes rechnen, umfassende Sicherungsmaßnahmen eingerechnet, und der neue Statthalter dürfte nicht zuletzt durch die damit anfallenden Aufgaben absorbiert worden sein. Wie lange die Arbeiten sich hinzogen, ist schwer abzuschätzen, doch Schwerin hatte auf Jahrhunderte Nutzen davon, auch wenn sie zunächst gar nicht gezielt auf eine Stadtgründung bezogen waren. Was konnte Bischof Berno in dieser Anfangsphase beschicken? Quellennachrichten stehen nicht zur Verfügung, abgesehen von Erwähnung einer Reise zur Bestattung der Toten nach dem Gemetzel von Mecklenburg 1164252; zumindest ist dies der einzige sicher datierbare Hinweis. Manches läßt sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten.
248 Rühberg (wie Anm. 4), S. 67 ff.; Ders. und P. Kunze, Der Schweriner Pfaffenteich, Schwerin o.J. (1985), S. 4; Rühberg, Löwe (wie Anm. 1), S. 12–16; vgl. oben bei Anm. 19–20. Die ältere Auffassung verdeutlicht der Rekonstruktionsplan: Schwerin innerhalb der Planken, von H. W. C. Hübbe, in: Schwerin im Spiegel seiner Stadtpläne (wie Anm. 6), S. 6, vgl. S. 5; farbige Wiedergabe in: Löwe (wie Anm. 1), S. 19. 249 Oben bei Anm. 19–20. 250 Rühberg, Pfaffenteich (wie Anm. 248), S. 2; Ders., Löwe, S. 14. 251 Oben bei Anm. 169–171 und 178–180. 252 Helmold, c. 99 (S. 344,10 ff.).
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Zweifellos hatte der Zisterzienser im Zusammenhang mit der offiziellen Deklarierung Schwerins zum Amtssitz Eigentums- und Nutzungsrechte übertragen bekommen, wenn auch kaum schon die gesamten 300 Hufen, die Helmold nach einer pauschalen Zusage festhält253. Falls sich dabei schon das Land Bützow befunden haben sollte, das der Herzog dem Bistum 1171 beurkundet, oder auch die gleichzeitig verschriebenen zehn Dörfer im Ilower Land254, so war das ein Besitz, der infolge der anschließenden Kriegswirren nicht nutzbar gemacht werden konnte. Als vollzogen wird die Übertragung von je 300 Hufen an die drei neuen wendenländischen Bistümer erst in Heinrichs Diplom unklarer Datierung herausgestellt, das auf eine Rechtshandlung von 1169 Bezug nimmt255. Das ist die Zeit nach dem definitiven Friedensschluß mit dem Niklotiden Pribislaw, die wirklich durchgreifenden Regelungen Raum gab. Für die ersten Jahre nach 1160 haben wir uns die materielle Bewegungsfreiheit Bernos jedenfalls als recht gering vorzustellen. Der Bischof wird sich bemüht haben, an Einkünften zu realisieren, was die Zeitläufte irgend zulassen mochten. Er begann, den Stamm für ein Domkapitel zu sammeln256, und dürfte so viel wie möglich getan haben, eine Schule ins Leben zu rufen, unentbehrlich, um Priesternachwuchs heranzubilden – sie ist 1171 vielleicht indirekt bezeugt257. Im Vorfeld seines auszubauenden Sitzes wird er die Entstehung einer Dienstsiedlung gefördert haben mit ähnlichen Funktionen, wie sie für das Suburbium der Burg anzunehmen sind. Als selbstverständliche Voraussetzung geistlicher Wirksamkeit muß sie ein provisorisches Gotteshaus mit Friedhof eingeschlossen haben; Spuren davon dürften sich in späteren Quellen erhalten haben, wenn sie einen „alten Friedhof“ (vetus cimiterium) nennen, zweifellos im Unterschied zu dem neuen um den mittlerweile entstandenen Dom, der ja gleichzeitig Pfarrkirche war. Wie weit diese Einrichtungen an Vorläufer in Bernos Missionsstation vor 1160 anknüpfen konnten, ist ungewiß258. Ein tiefer Einschnitt für die Gesamtentwicklung am Ort war der eben wieder angesprochene Ausgleich Herzog Heinrichs mit Fürst Pribislaw,
253 Helmold, c. 88 (S. 310,19 ff.), im Zusammenhang der Einsetzung Bernos ins Bischofsamt 1160. Beurkundet erst 1169 (s. Anm. 255). 254 UHL 89 (S. 133,37 ff.) = MUB I, 100A (S. 96 f.). 255 UHL 81 (S. 119,27) = MUB I, 90 (S. 84); speziell für Schwerin bestätigt wie oben Anm. 254. 256 Oben bei Anm. 118. 257 Oben bei Anm. 131. 258 Oben bei Anm. 110; zur Missionsstation oben bei Anm. 99 und 102.
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wohl Anfang 1167, vollzogen womöglich in Schwerin selbst, was die Anerkennung der Neuregelung durch die wendische Seite unterstrichen hätte. Der Vertrag brachte für das gesamte Umland Frieden, wenn auch, wie bemerkt, nicht mit einem Schlage259; jedenfalls der aktivste und einflußreichste Gegner war zur Ruhe gebracht. Daß erst danach von deutschen Bewohnern nun auch für das Umland Schwerins die Rede ist260, wird mehr als ein Zufall sein – erstes Anzeichen, daß diese Gegend reif zu werden begann, auch einmal eine Stadt zu tragen. Die unter dem bewährten Günzelin neu hier errichtete Grafschaft bot dafür den geeigneten Rahmen. Der Vertrag zwischen Heinrich und Pribislaw wird Klauseln gehabt haben, die Helmolds summarische Berichterstattung übergeht. Wenn etwa der Herzog sich Nutzungsrechte im Hafen von Wismar vorbehielt, das nun wieder unter obotritische Herrschaft gelangte, dann würde dies am besten erklären, wieso er später seine Stadt Schwerin mit derartigen Rechten ausstatten konnte261. Die Bedeutung der Neuregelung für die Entwicklung des Ortes wäre dadurch unmittelbar verstärkt. Auch von der Anerkennung Bernos als des zuständigen Bischofs, die wohl mittlerweile bereits den Pomoranenfürsten abgenötigt worden war, durch Pribislaw dürfte die Rede gewesen sein – wichtige Voraussetzung dafür, diese Herren auch zur Beteiligung an der Ausstattung des Bistums zu verpflichten, ohne daß dies weiter auf Kosten der herzoglichen Schatulle ging. Vom Lande Bützow war die Rede. Seine Besitzverhältnisse müssen spätestens nunmehr geklärt worden sein. Es lag gleichfalls im hergestellten Herrschaftsbereich des Obotritenfürsten.
259 Oben bei Anm. 2, dazu Hamann (wie Anm. 1), S. 87 ff.; vgl. auch Hildebrand (wie Anm. 97), S. 235 f. 260 Oben bei Anm. 178. 261 Bezeugt durch Otto IV. 1209/11 (MUB I, 202, S. 192; vgl. MUB I, 189, S. 179): ciuibus . . . eiusdem loci . . . concedimus, quod in portu, qui dicitur Wissemer, . . . duas habent magnae naues, que cogken appellantur, cum minoribus nauibus, quotcumque voluerint, ad vsus mercandi. Der vorausgehende Text nimmt S. 191 Bezug auf genitoris pie memorie Henrici ducis priuilegium nobis exhibitum, erlassen, dum Bauarie ducatum et Saxonie teneret. Die zitierte Stelle gibt nicht zu erkennen, daß sie eine zum dort verbrieften Bestand hinzugefügte eigene Vergünstigung des Kaisers sei; die unmittelbare Fortsetzung spricht eine Zollbefreiung per omnes terminos ducatus Saxonie an, die so nur durch Heinrich verliehen worden sein kann. Ein entsprechendes Diplom Heinrichs ist nicht bekannt; wann er das eventuell anzunehmende Deperditum erließ, kann nur hypothetisch angenommen werden. Zusammenhang mit der unten zu 1177 vermuteten Stadterhebung dürfte am wahrscheinlichsten sein. Trifft die obige Annahme zu 1167 zu, so wäre dies wichtig für die ungeklärten Anfänge Wismars. – Vgl. unten bei Anm. 282.
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Er steuerte nun wohl auch noch anderes bei, und im Hintergrund der 1171 beurkundeten Besitzliste sind auch die Pomoranen zu spüren262. Berno konnte jedoch nunmehr endlich auch an die Klarstellung seiner Diözesangrenzen gehen – auch sie wichtig nicht zuletzt im Hinblick auf Zehnteinkünfte, so spärlich diese auch einstweilen noch fließen mochten. Der neue Friede sicherte ihm eine vielleicht noch nie erfahrene Bewegungsfreiheit, und er wird sie genutzt haben. Der Rügenkreuzzug von 1168 fügte den alten neue Chancen hinzu263. 1170 war es so weit, daß Berno über die Ausdehnung seiner geistlichen Jurisdiktionsgewalt ein Kaiserdiplom erhalten konnte264. Im Endergebnis ritt sein Bistum gleichsam auf der neuen Grenze zwischen der nun östlichsten Grafschaft Sachsens und den Gebieten verbliebener wendischer Autonomie. Es erhielt damit eine Klammerfunktion, die auch wieder nicht alltäglich genannt werden kann. Es versteht sich, daß sie gleichfalls auf das Ansehen des Platzes zurückwirken mußte, an dem der Kathedralsitz etabliert war. Um so größer mußte der Anreiz werden, ihn entsprechend auszugestalten. Das Faktum, das in dieser Hinsicht für beide, für Bistum und Siedlungsplatz, entscheidend wurde, ist nirgends bezeugt, doch läßt es sich sicher erschließen: Auf die Regelungen von 1167 hin müssen dem Bischof Einkünfte zugekommen sein wie nie zuvor. Zweifellos gehört zu den Folgen, daß nach gut vier Jahren endlich die Weihe des ersten Doms zelebriert werden konnte. Sie erfolgte wahrscheinlich am 8. September, dem Tag Mariae Geburt, 1171265. Es war ein Fest, das zugleich die Endgültigkeit der nun hergestellten Verhältnisse augen-
262 UHL 89 (S. 133,40) = MUB I, 100A (S. 97) wird verbrieft villa sancti Godehardi, que prius Goderac dicebatur, cum omni utilitate et attinentiiss suis. Das ist das heutige Kessin, dessen Titel Pribislaw in der Zeugenliste führt, vgl. H. Bei der Wieden, Kessin, im Handbuch (wie Anm. 1), S. 51. Unmittelbar anschließend folgt villa, que dicitur Wotencha, prope Dimin, cum aliis IIII or villis. Das ist Wotenik, damals doch wohl zum Hoheitsbereich Kasimars von Pommern gehörig, der in der gleichen Zeugenliste mit Titel de Dimin erscheint. Diese Beispiele mögen hier genügen. Die Anerkennung Bernos durch die Pomoranen dürfte spätestens 1166 durchgesetzt worden sein in dem von Hamann (wie Anm. 1), S. 87 erwähnten Zusammenhang. Vgl. oben bei Anm. 101–102. 263 Petersohn (wie Anm. 1), S. 440 f., vgl. 40; L. Leciejewicz, Rügen, in: LMA VII (1995), Sp. 1091 mit weiterer Literatur; dazu H. Heyden, Kirchengeschichte Pommerns I, Köln/Braunsfeld 1957, S. 17–20 und 33–36 (z.T. zu berichtigen nach Jordan, wie Anm. 5); A. Haas, Arkona im Jahre 1168, Stettin 1925; vgl. auch Kahl, Kreuzzugseschatologie (wie Anm. 103), S. 307–309. 264 S. Anm. 101. 265 Oben bei Anm. 133–134.
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fällig zu demonstrieren hatte, und ein besonderer Höhepunkt in der Entwicklung des werdenden deutschen Schwerin: Die Zeugenliste der Herzogsurkunde vom folgenden Tage zeigt an auswärtigen Gästen den Bischof von Ratzeburg, den Pomoranenfürsten Kasimar, nicht zuletzt Pribislaw, dazu eine Reihe von Grafen266. Das mag wenig scheinen, doch es war eine Zeit heftiger Spannungen zwischen Herzog Heinrich und zahlreichen Magnaten gerade des näher gelegenen, des östlichen Sachsen, nicht zuletzt geistlichen Standes; auch mag es sein, daß einige der Festteilnehmer schon abgereist waren und sich so z.B. das Fehlen des zweiten Nachbarbischofs, des Lübeckers, erklärt267. Fürst Jaromar von Rügen hatte wohl Rücksicht auf den Dänenkönig zu nehmen und blieb deshalb fern. Von dem Eindruck, den ihnen der Ort damals bot, werden viele Teilnehmer enttäuscht gewesen sein. Wie repräsentativ der Domkomplex damals aussah, muß offen bleiben, nachdem die mögliche archäologische Untersuchung nach 1980 unterlassen wurde. Vielleicht stand aufrecht nichts als der gottesdienstfertige Chorteil; vielleicht war ein Steinbau noch nicht einmal begonnen, sondern ein hölzerner trat in provisorische Funktion. Davon abgesehen: Nach allem, was sich den Quellen entlocken läßt, war von einem stadtartigen Gebilde noch nichts zu sehen. Was der flache Rücken des späteren Stadthügels zeigte, war allem Anschein nach noch immer in erster Linie das, was ein Truppensammelplatz brauchte: viel Freiraum für Zelte und Reisighütten, für das Abstellen von Planwagen und dergleichen, für rasch improvisierte Pferdekoppeln. Nur an den Rändern im Norden und Süden schlossen vermutlich Siedlungskomplexe mäßigen Umfangs an, angelehnt an Burg und Dom – so weit voneinander entfernt, daß es unnötig schien, Zuständigkeiten und Hoheitsrechte abzugrenzen, weil auch gravierende Weiterentwicklungen nicht zu erwarten standen268. Selbstverständlich war auf diesem Freiraum auch Marktbetrieb möglich, vom nunmehrigen Inhaber der neuen Grafschaft geschützt, doch ob es nötig gewesen war, dafür schon einen festen Platz abzustecken, ist zweifelhaft. Mit dem, was die Zeit sich normalerweise unter einer Bischofsstadt vorstellte, hatte all das wenig zu tun: Es gab hier keine
266
UHL 89 (S. 134,35 ff.) = MUB I, 100A (S. 99 f.). Am Tag nach der eigentlichen Feier konnten Teilnehmer bereits abgereist sein, vgl. oben Anm. 185. 268 Oben bei Anm. 132–134 und 146. 267
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civitas, weder im altkirchlichen, noch im deutschrechtlichen Sinne269. Selbst der Zeitgenosse Helmold, dieser wache Beobachter seiner Gegenwart, der gerade für die Zeit der Domweihe sein großes Preislied auf das bis nach Schwerin hin sächsisch gewordene Wendenland singt270, weiß nichts von einer solchen an diesem Platz271, und die Zeugenliste der Bistumsurkunde des Herzogs, die an die Domweihe anschloß, gibt keinen Hinweis auf Vogt und Bürgerschaft, die man doch als besonders unmittelbar Betroffene sich nicht wohl ausgespart denken kann, wenn es sie schon gab. Das schließt wohl für damals auch festangesiedelte Fernkaufleute aus272. Schwer zu beurteilen ist, welche Rolle sonst mittlerweile das Fernhandelselement im Rahmen des Ganzen spielte. Drei Fakten sind zu bedenken: Erstens der Charakter dieses Platzes als vorgeschobener Posten in noch immer unsicherer Nachbarschaft, die sich erst seit vier Jahren allmählich beruhigte; zweitens, daß der Werder vor der Burg, die insula oder der locus Zverin, wie er noch 1178 heißt273, zwar eine gute Schutzlage, aber für den Landverkehr eine Sackgasse bot: Fernstraßen schnitten sich noch später weiter im Westen, jenseits von Sümpfen und dem Pfaffenteich, auf dem Hohen Felde, an einem Punkt, der bemerkenswerterweise nicht für eine Stadtgründung ausgenutzt wurde, und von Schwerin aus gab es noch nicht einmal eine unmittelbare Wegstrecke in nördlicher Richtung, zum Meer274. Drittens aber wurde in eben diesem Jahre 1171 dem Domkapitel der immer wieder zu erwähnende Schiffszoll am Ort übertragen (nauale teloneum in Zverin)275. Einen solchen erhebt man schwerlich von Fischerbooten. Er setzt einen Binnenschiffahrtsverkehr voraus, mindestens so, daß seine Entwicklung sicher erwartet wird, und folglich auch Anlegeplätze oder 269
Oben bei Anm. 120–151. Helmold, c. 110 (S. 380,27 ff.): Omnis enim Slavorum regio . . . inter mare Balthicum et Albiam per longissimos tractus usque Zuerin . . . tota redacta est veluti in unam Saxonum coloniam, et instruuntur illic civitates et oppida. Folgt Nachricht von der rigorosen Bekämpfung wendischen Partisanenwesens in der Umgebung Schwerins, das selbst offenbar keine dieser civitates war (vgl. Anm. 271). 271 Oben bei Anm. 152–175. 272 Oben bei Anm. 138–147, dazu Anm. 266. 273 MUB I, 120 (S. 124). – Wenn Otto IV. noch 1209/11 denselben Terminus verwendet, dürfte das aus der im gleichen Text zitierten, für uns undatierbaren Vorurkunde stammen und läßt keine zwingenden Rückschlüsse auf die Gegenwart des Ausstellers zu (vgl. MUB I, 202; S. 191 f.). 274 Oben bei Anm. 26–28. 275 Oben bei Anm. 31 und 209–210. 270
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Landungsmöglichkeiten, schon damit diese Abgabe eingehoben werden kann. Der Sackgasse im Landverkehr tritt, wie ausgeführt276, die Möglichkeit eines Umschlagplatzes zwischen Land und Wasser gegenüber, wie groß immer sein Einzugsbereich von beiden Seiten her gewesen sein mag. Auch das setzt noch nicht zwingend einen Marktplatz voraus; man mag auch noch an einen jener älteren Ufermärkte denken277. Deutlich kündigt sich immerhin, wenn vielleicht auch noch zögernd, ein drittes Element an, um neben Burg und Dom seine Rolle zu spielen. Es ist damit zu rechnen, daß sich damit für das deutsche Schwerin eine Funktion erneuerte, die schon dem wendischen zugekommen war278. Ich könnte mir vorstellen, daß die vollzogene Domweihe für den Herzog ein Anlaß war, sich definitiv an die überfällige Stadtgründung zu erinnern, die an dieser Stelle seit 1160 gleichsam eine Bringschuld war279. Sein Lübeck hatte inzwischen seit fast anderthalb Jahrzehnten einen steilen Aufstieg genommen; Rückschläge für dessen Entwicklung durch eine neue Gründung waren nicht mehr zu befürchten; der vollzogene Ausgleich mit dem Niklotiden Pribislaw aber und die Erneuerung von dessen Fürstentum, sprich: die Rücknahme der Ostgrenze von Heinrichs unmittelbarem Herrschaftsgebiet, verlangte eine Stärkung der verbliebenen Position. So mag der Herzog denselben Anlaß, der zur vorläufig abschließenden Regelung der Rechtsverhältnisse von Bischof und Domkapitel führte, genutzt haben, um auch die bürgerliche Siedlung am Ort nun mit Nachdruck in Gang zu bringen. Dazu gehören gleichfalls Rechtssatzungen, die den Ort für Zuzug attraktiv machen, wenn auch vielleicht noch kein ins einzelne ausgebautes Stadtrecht. Entstand jetzt der Marktplatz? Jedenfalls kam nun offenbar endlich zwischen Burg und Dom eine stürmische Entwicklung in Gang. Der Herzog muß schon nach wenigen Jahren Gelegenheit genommen haben, noch einmal persönlich einzugreifen: 1178 hören wir ja von einer vollzogenen Schenkung Heinrichs (donum eiuscem ducis), durch die ein Teil der „Insel Schwerin“ (insula Zverin) an das Bistum gelangt sei; die Grenzlinie, 1186 genauer beschrieben, ist so beschaffen, daß sie nur durch eine Entscheidung direkt vor Ort festgelegt worden sein kann; sie aber wird ausdrücklich, und zwar
276 277 278 279
Oben bei Anm. 209. Oben bei Anm. 71. Ebd. Oben bei Anm. 222–227.
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beide Male, auf den Herzog selbst (distinctionem ipsius) zurückgeführt280. Davon ist 1171 nichts bezeugt, obwohl es sich damals um eine zusammenfassende Beurkundung der bischöflichen und domkapitularischen Ausstattungen durch Heinrich selbst handelte und Schwerin dabei mehrfach, z.B. durch die dortigen Pfarrechte (parrochiam in Zverin cum omni iure), ausdrücklich angesprochen war281. Weiteres enthält die schon herangezogene Urkunde Kaiser Otto IV., die in merkwürdiger Doppelausfertigung von 1209 und 1211 vorliegt. Sie erneuert, wie erinnerlich, nach ausdrücklicher Angabe ein Privileg seines Vaters aus der Zeit, da dieser die Herzogswürde von Baiern und Sachsen innehatte, also vor 1180/81. Die Bestätigung umfaßt auch bestimmte Rechte im Wismarer Hafen, die den Bürgern von Schwerin zu Handelszwecken (ad usus mercandi) zugestanden worden waren, ergänzt durch die schon besprochene Zoll- und Abgabenfreiheit im gesamten sächsischen Herzogtum282. Es ist das erste Mal im überlieferten Quellenmaterial, daß von Handelsinteressen aus diesem Ort die Rede ist, bemerkenswerterweise sowohl zu Lande wie zu Wasser. Man ist versucht, diese Regelungen in einen gemeinsamen Zusammenhang zu rücken und ihm noch mehr anzuschließen: die abschließende Fixierung des Stadtrechts, das, wie festgestellt, nicht das lübische war283, und ebenso die Verleihung des Siegelrechts. Die Kaiserurkunde spricht von Schwerin noch durchweg nur als von einem Ort (locus) auch dort, wo sie die Bürger (cives) nennt; sie stimmt darin mit der Papsturkunde von 1178 überein. Das deutet auf noch unfertige Verhältnisse und kann sehr wohl zum Zeitpunkt einer Stadterhebung oder
280 MUB I, 120 (S. 124), dazu die genauere Beschreibung MUB I, 141 (S. 137): . . . partem ciuitatis Zuerinensis a domo piscatoris cuiusdam, cui nomen erat Suk, ad vetus cimiterium directe tendentem et idem transeuntem usque in Scalam . . . Wiederholt MUB I, 149 (S. 145) und 162 (S. 158); zur Lage des Hauses MUB III, 1760 (S. 157), a. 1284: . . . a domo sancti Spiritus, ubi olim fuerat domus cuiusdam piscatoris nomine Suk etc. Die Rekonstruktion des Grenzverlaufs durch Hübbe, in: Schwerin im Spiegel seiner Stadtpläne (wie Anm. 6), S. 5, und in der Farbskizze bei Dems. (wie Anm. 248), ist fragwürdig schon, indem sie gegen den Wortlaut des soeben zitierten Urkundentextes die Grenzlinie zwischen bischöflichem und „gräflichem“ Gebiet vom vetus cimiterium nicht zur Schelfe, sondern ostwärts verlaufen läßt. Auch das Haus des Zuk, über den schon oben bei Anm. 49, wird dort falsch lokalisiert, vgl. unten bei Anm. 299–312 sowie Abb. 3. 281 Oben bei Anm, 137–138. 282 MUB I, 202 (S. 192); dazu Kahl (wie Anm. 22), S. 69 ff. (teilweise zu berichtigen nach den Ausführungen oben bei Anm. 77 ff.); vgl. noch oben bei Anm. 261. 283 Oben bei Anm. 198–200.
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Stadtrechtsverleihung passen, die an ältere Voraussetzungen anknüpft284. Die Erwähnung von Bürgerprivilegien in einem Dokument, das sich an Bischof und Domkapitel richtet, kann nur heißen, daß damit Interessen dieser geistlichen Instanzen berührt sind. Es muß sich um diejenigen cives handeln, die in den der geistlichen Grundherrschaft unterstellten Teilen leben. Ihr Bürgerrecht aber ist auf den Ort als solchen bezogen (civibus . . . eiusdem loci). Damit ist für das Schwerin dieser Zeit ein einheitliches Bürgerrecht festgestellt, das über die neue Grenze grundherrschaftlicher Zuständigkeiten die Gesamtheit der Betroffenen zusammenfaßt. Das Siegel schließlich zeigt sich, wie erörtert, der civitas verliehen, nicht einem bevorzugten Kreis von burgenses.285 Das beleuchtet die Einheitlichkeit dieses Bürgerrechts noch von einer anderen Seite. Irre ich nicht, so unterstreicht das zugleich die ganz persönliche Initiative des Herzogs an der Entwicklung der neuen Stadt. In Lübeck konnte man eine Initialzündung geben und dann die Dinge laufen lassen in guter Gewißheit des Gelingens. Schwerin war noch immer ein vorgeschobener Posten an einer Grenze, die gesteigerte Aufmerksamkeit verlangte – einer Grenze, an der von beiden Seiten her Empfindlichkeitszonen zusammenstießen286. Der Ausgangspunkt, der 1160 in der Errichtung eines Militärpostens gesetzt worden war, wirkte wohl noch immer nach. Wie läßt sich der postulierte Vorgang datieren? Die Herzogsurkunde vom 9. September 1171, die weder die eben besprochene Schenkung im Gebiet von Schwerin noch auch cives kennt, dürfte den terminus a quo markieren. Die Kaiserurkunde Ottos IV. verweist die verbrieften Regelungen in die Zeit vor 1180/81, für die auch das Reiterbild des Stadtsiegels mit seiner Fahnenlanze spricht. Dieses zeigt andererseits den noch im späten 12. Jahrhundert unerhört modernen Topfhelm und deutet so am ehesten auf die Phase, in der die eigene Siegelüberlieferung Heinrichs aussetzt, also ab 1174287. In der so eingegrenzten Spanne kommt für einen Aufenthalt des Herzogs in Schwerin kaum eine andere Zeit in Betracht als die nächste und einzige Unternehmung,
284
S. Anm. 273. Oben bei Anm. 198–200. 286 Schmaltz (wie Anm. 86) S. 102 und 107 f. stellt fest, daß das Rostocker Land sich eher einer deutschen Einwanderung öffnete als das von der Mecklenburg aus beherrschte Gebiet, das doch „westlicher und damit der deutschen Einwanderung näher gelegen war“ (S. 107). Dazu auch Hamann (wie Anm. 1), S. 89 f. und 121–127 sowie unten Anm. 304. Allgemein zur „Empfindlichkeitszone“ oben bei Anm. 89–90. 287 Oben bei Anm. 191–192. 285
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die ihn nach 1171 noch in diese Gegend führte, sein letzter Vorstoß ins Slawenland im Sommer 1177 mit dem großangelegten neuen Feldzug gegen Demmin288. Das ist wenige Monate vor der Urkunde Papst Alexanders III., in der erstmals auf die genannte distinctio ducis Bezug genommen wird. Sie sichert dem vorgeschlagenen Ansatz einen hohen Wahrscheinlichkeitsgrad. Wenn man an einen längeren Aufenthalt des Herzogs in seinem Ostland denken dürfte, käme vielleicht schon der Zeitpunkt der Diözesansynode in Betracht, die Bischof Berno um Lichtmeß 1177 in Schwerin abgehalten haben soll. Ein Besuch des Herzogs wäre zweifellos ein geeigneter Anlaß auch für eine derartige Veranstaltung, und eine Willenskundgebung Heinrichs, die ausgeführt wurde, wird ausdrücklich in diesem Zusammenhang genannt. Das bekannte Itinerar des Löwen weist zwischen einem Aufenthalt in Braunschweig am 28. November 1176 und dem genannten Sommerfeldzug eine Lücke auf 289. Von da her könnte er sehr wohl zum angegebenen Zeitpunkt in Schwerin gewesen sein. Es gibt jedoch quellenkritische Probleme, die einem die Unbefangenheit für die Auswertung nehmen. Den einzigen Beleg für die genannte Synode liefert ein Urkundentext, bewahrt in einem mehrfach besiegelten Vidimus vom 16. Dezember 1343. Er wird Bischof Berno zugeschrieben und dem 1. Februar 1177, also dem Vortag von Mariae Lichtmeß. Als Empfänger der wiedergegebenen Ausfertigung erscheint das Kloster Doberan, das erste seiner Art in der Diözese Schwerin, Gründung Pribislaws auf seinem Herrschaftsgebiet. Das Vidimus ist im Schweriner Archiv überliefert, könnte also eine Abschrift darstellen, die man für Zwecke der bischöflichen oder domkapitularischen Kanzlei herstellen ließ, um gegebene Zuständigkeiten zu klären (unter den beteiligten Notaren wird Gerhardus Heket alias dictus Westfal, clericus Zwerinensis dyocesis genannt, über den weitere Angaben anscheinend in eine Textlücke fallen). Es wird versichert, daß der wiedergegebene Urkundentext unverdächtig sei; das anhängende Siegel Bernos wird beschrieben – die Angaben stimmen zu den bekannten Originalabdrucken. Über die Provenienz des beglaubigten Stücks verlautet nichts; da die Aussteller des Vidimus großenteils dem Rostocker Klerus entstammen, kommt sehr wohl Doberan selbst
288 Heydel (wie Anm. 102), S. 87; Hildebrand (wie Anm. 97), S. 238 f. und 240; Jordan (wie Anm. 86), S. 194 f.; Hamann (wie Anm. 1), S. 91 f. 289 Heydel (wie Anm. 102), S. 86 f.
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in Betracht. Die Datierungsangabe, und das berührt uns hier, bringt den Zusatz: in generali sinodo Zwerin; der vorausgehende Text betont den Konsens totius ecclesiae nostrae, weist also gleichfalls auf eine repräsentative Versammlung290. Der Termin wirkt unverfänglich: Lichtmeß ist eins der Marienfeste, paßt also gut zum Patrozinium des Doms und damit des Bistums; eine Synode konnte sehr wohl so angesetzt sein, daß sie mit der Feier dieses Tages ausklang. Die Ortsliste hingegen spricht eher für Entstehung der vorliegenden Textfassung im 13. Jahrhundert. Allerdings scheint es eine ältere „Aufzeichnung“ gegeben zu haben, die in Doberan auch noch anderweitig benutzt wurde291. Die Zeugenliste nennt nur Namen ohne Titel. Ein Guncelinus mag den Grafen meinen. Die Zahl der Aufgeführten ist nicht groß. Ob und wie der Doberaner Konvent als Empfängergremium selbst repräsentiert war, ist nicht ersichtlich. Das Verfahren weicht von dem ab, das Berno 1173 in seiner großen Bestätigungsurkunde für Dargun anwenden ließ, und ebenso in einem undatierten Stück, das vielleicht ins Jahr 1178 gehört292. Hätte der Anlaß, dem die Urkunde galt, nicht gerade die Herausstellung repräsentativer Zeugen geboten, nicht zuletzt aus der weiteren Umgebung des Klosters, und hätte nicht gerade eine Diözesensynode, die für Berno die tota ecclesia nostra erfaßte, solche in hinreichender Zahl zur Verfügung gehalten, selbst wenn der Ausbaustand der Bistumsorganisation noch dürftig war? Wir finden nicht einmal auch nur einen der Namen aus der Reihe der Geistlichen wieder, die die Herzogsurkunde von 1171 an entsprechender Stelle nennt und die man wohl großenteils als Domkapitularen Schwerins ansprechen muß293. Hätten nicht gerade sie über die ausgesprochene Regelung von 290 MUB I, 122 (S. 118 f.) mit Nachbemerkung. Das Siegel Bischof Bernos ist abgebildet zu MUB I, 111 (S. 108); es ist auch an MUB I, 125 (S. 122, Nachbemerkung) erhalten. Gerhard kann aus chronologischen Gründen nicht identisch sein mit dem Schweriner Domherrn und Notar dieses Namens, der 1272–1289 in mehrfacher Funktion erscheint, und zwar als einziger bekannter Namensträger im Domkapitel (vgl. Kaluza-Baumruker – wie Anm. 130 –, S. 223 sowie Register, S. 323, s.v.). Die Synode wird als authentisch behandelt bei Traeger (wie Anm. 99) ohne Berücksichtigung der hier alsbald zu erörternden Probleme. 291 W. Biereye, Über die ältesten Urkunden des Klosters Doberan, in: MJB 94 (1930), bes. S. 233–239, vgl. 266; die Antikritik von Schmaltz (wie Anm. 86). S. 102 f. Anm. 3 vermag trotz wichtiger Gesichtspunkte die Unanfechtbarkeit des Stücks m.E. nicht einwandfrei zu erweisen; vgl. auch oben weiter im Text. 292 MUB I, 111 und 125 (S. 107 bzw. 122); zur Echtheit des zweiten Stücks oben bei Anm. 140. 293 Oben bei Anm. 129–130.
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Zehnt- und Pfarreirechten (merkwürdigerweise in dieser Reihenfolge) orientiert werden müssen? So mischen sich hier auf seltsame Weise Eindrücke positiver und negativer Art. Selbst die Annahme einer Empfängerausfertigung könnte die Bedenken schwerlich heilen. Was sollen wir unter diesen Umständen mit der Angabe beginnen, die getroffene Verfügung sei aufgrund einer Willenskundgebung Herzog Heinrichs erfolgt (pro uoluntate ducis Heinrici)? Daß der Name nicht, wie etwa auf dem Stadtsiegel, niederdeutsch, sondern hochdeutsch erscheint, mag noch angehen: solche Details ändern sich leicht in einer Abschrift. Doch was verbrieft wird, soll Güterschenkungen ergänzen, die Fürst Pribislaw dem Kloster zur Dotation gegeben hat; der Tatbestand wird ausdrücklich angesprochen. Betroffen war eine Institution im Hoheitsbereich dieses Vasallen, der dem Sachsenherzog nur indirekt unterstand. Ist an solcher Stelle Anteilnahme und förderndes Interesse des Löwen vorauszusetzen? Unter den Zeugen erscheint sein Name nicht, doch das will wieder nicht viel besagen: Selbst wenn er zur Ausstellungszeit des etwaigen Originals in Schwerin anwesend war, wird ein Dokument solchen Inhalts und Ranges ihm kaum wichtig genug gewesen sein, um der Ausfertigung beizuwohnen. Im übrigen: könnte sein Wille, wenn die Angabe stimmt, nicht auch anderweitig geäußert worden sein und zu anderem Zeitpunkt? Selbst wenn alle Bedenken gegen das fragwürdige Berno-Privileg sich ausräumen ließen: Eine notwendige Verknüpfung von Synode und Herzogsaufenthalt gälte auch dann nicht. Kurz: Das Vidimus von 1343 gewinnt für die hier verfolgte Frage keine Aussagekraft. Es bleibt bei den festgestellten Zeitgrenzen: Die Stadterhebung Schwerins geschah zwischen den beiden Urkunden, die das Bistum 1171 vom Herzog und 1178 von Papst Alexander III. erhielt, höchstwahrscheinlich 1177, ohne daß das im Lauf dieses Jahres näher eingegrenzt werden kann. Nur beiläufig können wir notieren, wie wichtig in diesem entlegenen Winkel von Heinrichs Machtgebiet, im Bereich von ihm gegründeter Bistümer die Berufung auf seinen Willen war, ob sie hier nun von Berno selbst herrührt oder (was zweifellos interessanter wäre) von dem etwaigen Falsifikator des folgenden Jahrhunderts. Der Charakter als Herzogsstadt, wie ihn vor allem die Legende des Stadtsiegels deutlich macht294, läßt den Blick noch einmal nach Lübeck
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Oben bei Anm. 200.
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hinübergleiten. Auch dort ging es um eine Gründung Heinrichs innerhalb eines Grafschaftsgebietes; wir wissen von Helmold, welch dramatische Formen die Auseinandersetzung zwischen Herzog und Graf annahm, bis schließlich das Recht des Stärkeren den Ausschlag gab295. Im Falle Schwerins wird uns nichts dergleichen angedeutet; wohl aber sehen wir Graf Günzelin auch nach dem Sturz Heinrichs, in geringem zeitlichen Abstand zu Schwerins Stadterhebung, als treuen Gefolgsmann auf dessen Seite ohne erkennbare Verstimmung. Die Erklärung wird sein, daß Schwerin bei der Stadtgründung nicht, wie Lübeck, aus dem bestehenden Grafschaftsverband herausgelöst werden sollte, um nun unmittelbar zum herzoglichen Fiskus zu zählen. Die neue Stadt verblieb offenbar in der Masse des Lehngutes, das dem Grafen zugewandt war; dies galt selbst für ihren nunmehr bischöflichen Anteil, für den nach der Neuregelung lediglich der Lehnsherr ein anderer war. Schwerin, so wird man folgern müssen, war noch immer nicht wichtig genug, um in der gegebenen Grenzsituation seinetwegen einen Streit zu entfesseln, und so konnte auch der Übergang der Stadt an die Grafschaft, als deren festen Bestandteil sie nach 1180 entgegentritt, unproblematisch, vielleicht fast unmerklich geschehen. Es ist symptomatisch, daß nach allem, was wir noch fassen können, das Münzrecht nicht an die Stadt gelangte; es verblieb beim Grafen, in Konkurrenz mit dem Bischof (dem es jedoch noch im Kaiserprivileg von 1211 nicht zugesprochen war), bis dieser es ab 1279 nur noch allein ausübte296. Das ist ein neuer, gravierender Unterschied zu Lübeck und ein neues Schlaglicht auf den Qualitätsunterschied beider Städte in Heinrichs Herrschaftssystem. Man tut gut, sich an die Feststellung von Hermann Jakobs zu erinnern, wonach „Siegelrecht . . . keine allgemeingültige Auskunft über den Grad der Autonomie einer Gemeinde und ihres – zu Anfang meist nicht näher bestimmbaren – siegelführenden Organs“ vermittelt und keineswegs so sicher, wie oft angenommen, in der siegelführenden Gemeinde eine „Körperschaft eigenen Rechts“ bezeugt297. Woher kam der handel- und gewerbetreibende Bevölkerungsteil, der Schwerin im ökonomischen Sinne zu einer deutschen Stadt werden ließ? Für Lübeck ist deutlich, daß Bürger aus Soest einen starken Anteil an den Anfängen nahmen; für Schwerin tappen wir im Dunkeln. Von den
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Helmold, c. 76 (S. 254); c. 86 (S. 302 f.). Lisch (wie Anm. 140), S. 99–101; vgl. Hoffmann (wie Anm. 26), S. 22. Jakobs (wie Anm. 190), S. 11.
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persönlichen Verbindungen der beiden entscheidenden Männer her, die dabei merkwürdig zusammentreffen, möchte man in erster Linie an das Gebiet der Diözese Hildesheim denken. Dort, zwischen Wolfenbüttel und der Bischofsstadt, im heutigen Stadtgebiet von Salzgitter, lag der Stammsitz der Edelfreien von Hagen, denen Graf Günzelin entstammte; dort, unweit Holzminden, war die Zisterze Amelungsborn entstanden, aus der der Mönch Berno ins Obotritenland aufgebrochen war und in der er einen festen Rückhalt besaß (z.B. bei Gründung des ersten Klosters seiner Diözese, Doberan, noch im Jahr der Schweriner Domweihe). Doch Günzelin war durch die Gunst des Herzogs auch mit reichem Güterrückhalt im Lüneburgischen, Diözese Verden, ausgestattet; er hatte wohl schon vor seiner Versetzung in den Osten die Burgvogtei von Dahlenburg innegehabt298. Das Hildesheimer Gebiet, in dem sich der Herzogssitz Braunschweig erhob, muß indes im Hinblick auf städtisches Werden damals wesentlich weiter entwickelt gewesen sein. So ist man versucht, eher dort anzuknüpfen, aber das bleibt Vermutung. Wie weit es als Stütze dienen kann, daß auf dem Wappenschild des Schweriner Stadtsiegels gerade der Braunschweiger Leopard erscheint, wage ich nicht zu sagen. Nicht weniger Unsicherheit als über dem deutschen Element liegt über dem wendischen. Auch mit ihm ist für die Anfänge der Stadt sicher zu rechnen: Das beweist jener Fischer Namens Suk, der 1186 als einstiger Besitzer eines offenbar markanten Hauses innerhalb der civitas Zverinensis genannt wird. Ob er verstorben war oder nur den dortigen Besitz – aus welchen Gründen immer – aufgegeben hatte, steht dahin; immerhin haftete an diesem Haus damals, 26 Jahre nachdem Herzog Heinrich das wendische Schwerin in Besitz genommen hatte, noch immer sein Name. Suk steht für Žuk (mit ž- wie G- in Genie und kurzem -u-); es gehört zu polnisch żuk, russisch žuk „Käfer“ und war bei den Wenden ein Kurz- oder Beiname, der offenbar nicht ganz selten vorkam, denn von ihm zeigt sich auch eine ganze Reihe von Ortsnamen gebildet – etwa Sukow im Landkreis Demmin, das der
298 A. Rudloff, Geschichte Mecklenburgs vom Tode Niclots bis zur Schlacht bei Bornhöved, Berlin 1901, S. 7 f. mit Anm. 8, dazu Hildebrand (wie Anm. 97), S. 383 mit Anm. 101–102; zu Dahlenburg: Wendland, bei K. Brüning und H. Schmidt (Hg.), Handbuch der historischen Stätten Deutschlands II: Niedersachsen und Bremen, 5. Aufl. Stuttgart 1986, S. 104; ebd., S. 162 Götting s.v. Gebhardshagen über den Stammsitz des Geschlechts, merkwürdigerweise ohne Erwähnung der Verbindungen nach Schwerin.
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frühwendenzeitlichen Sukower Keramik den Namen gegeben hat299; der „Käfer“ dürfte für wendische Ohren also frei von dem Beigeschmack des Verniedlichenden gewesen sein, den deutsches Sprachempfinden so leicht aus ihm herausspürt. Žuk muß selbst Wende gewesen sein: Deutsche übernahmen damals schwerlich slawische Namen, so häufig der umgekehrte Fall belegt ist. Das für diesen Mann bezeugte Gewerbe besaß unter den Wenden eine alte Tradition. Wie aber sah es mit seiner sozialen Geltung in der werdenden Stadtgemeinde aus? Hatte er in einem geschlossen wendischen Wohnviertel gewohnt oder isoliert? Nicht zuletzt: hatte er Bürgerrecht? Darüber schweigen die Quellen sich aus. Vielerorts war es so, daß, wo im Slawenland eine neue Stadt deutschen Gepräges ins Leben gerufen wurde, zwei ethnisch getrennte Siedlungskomplexe nebeneinander entstanden, zwischen denen engere Kontakte erst zögernd in Gang kamen300. In der angesprochenen Empfindlichkeitszone möchte man eine solche Lösung als besonders naheliegend erwarten, doch zutreffen muß dies nicht. Im Fall Schwerins rechnete ältere Forschung damit, daß für die deutsche Stadtgründung eine wendische Dorfsiedlung auf die Schelfe verlegt worden sei, etwa aus der Gegend des heutigen Großen Moores301. Dabei wurde verkannt, wie mangelhaft die wendenzeitlichen Wohngebiete im Altstadtbereich archäologisch lokalisiert sind. Wenn einschlägiges Fundmaterial dort auftaucht, wo für die Ausgangssituation Flachmoorgebiete nachgewiesen sind, dann heißt das nicht, daß die Stücke von einstmals dort ansässigen Wenden stammen. Wie angedeutet, ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß sie erst durch Aufschüttungsmaßnahmen dorthin verpflanzt worden sind, wie sie von der ersten Stadterweiterung an immer wieder notwendig wurden. Mit einem solchen Material läßt sich weder die Lage von Siedlungskomplexen bestimmen noch ihre etwaige zeitliche Aufeinanderfolge; eine Umsiedlung anzunehmen,
299 Zu Suk (Žuk) s. oben Anm. 280, zum Namen und zu abgeleiteten Ortsnamenbildungen Trautmann, Wendische Ortsnamen (wie Anm. 7), S. 11 und bes. 46; Ders., Abhandlungen (wie Anm. 7), S. 59. Über die wendische Fischerei: J. Herrmann und H.-H. Müller, bei Herrmann (wie Anm. 47), S. 95–98. – Auf die ethnisch gemischten Verhältnisse mindestens der Übergangszeit wurde bereits oben vor Anm. 18, bei Anm. 113 und 217 hingewiesen. Für Schwerin vgl. auch O. Ahlers, Die Bevölkerungspolitik der Städte des „wendischen“ Quartiers der Hanse gegenüber den Slawen, Diss. Berlin 1939, S. 37. 300 Conze (wie Anm. 1), S. 73 f. 301 Hoffmann (wie Anm. 26), S. 22 mit älterer Literatur, ohne Quellenanhalt.
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bietet es keine Grundlage. Wir brauchen die Wenden nicht für so töricht zu halten, daß sie sich in der Zeit uneingeschränkter Beweglichkeit aus freien Stücken in das Feuchtgebiet unterhalb des festen und trockenen Schweriner Rückens gesetzt hätten, doch wir können nicht bestimmt sagen, wo sie stattdessen saßen. Auch das Haus des Žuk, auf das wir gleich noch einmal zurückkommen müssen, kann uns hier nicht weiterhelfen: Was wir von ihm wissen, gehört ja bereits in die frühdeutsche Zeit, und damals kann alles anders gewesen sein als in der Phase wendischer Unabhängigkeit. Der von Niklot 1160 angeordnete Brand im Vorfeld der Burg wie auf ihrer Insel selbst wird weitgehend tabula rasa geschaffen haben. Dies kam der Dispositionsfreiheit der neuen Herren zugute. Von förmlicher Umsiedlung jedoch wissen wir weder, ob es sie gab, noch, ob es sie nicht gab. Vergleichsmaterial hilft hier wenig: Selbst wenn solche Maßnahmen die Regel gewesen wären, sind im Einzelfall Ausnahmen möglich, und für das vielbeschriene Problem des „Hinauswurfs der Wenden“ (eiectio Slavorum), das hier nicht zusammenfassend behandelt werden kann, dürfte inzwischen feststehen, daß nationalistisch gefärbte Geschichtsforschung es durch ein überstarkes Vergrößerungsglas betrachtet und dann noch falsch beleuchtet hat. Die Zahl der Fälle war begrenzt, und es ist längst Gemeingut der Forschung, daß es den maßgeblichen Herren des Landesausbaues auch ostwärts der Elbe weniger auf die ethnische Zugehörigkeit von beteiligten Siedlern ankam als auf die Erfüllung gesuchter Funktionen, wobei allerdings in der Übergangszeit der Frage: Heide oder Christ? eine gesteigerte Bedeutung zukam (schon allein aus zehntrechtlichen Gründen, also auch wieder im Hinblick auf materielle Erträge); weiter blieb wichtig, ob jemand an überholten Wirtschaftsformen einheimischer Tradition festhalten wollte oder für Neues offen und anpassungsfähig war302. Das Land bot viel Raum. Deutsche siedelten sich daher normalerweise nicht dort an, wo sich bisher die Sitze der älteren Einwohner befunden hatten, sondern neben ihnen. Für den Schweriner Hügel galt nun zwar Weiträumigkeit nicht, doch zweifellos bestand dort ein Interesse an zuverlässiger Kontinuität von Funktionen. Leisteten Wenden in einem Suburbium seit fast zwei Jahrzehnten die Dienste, die von ihnen erwartet wurden, Zuverlässigkeit gegenüber den neuen Herren eingeschlossen, so war zur Vertreibung kein Grund, und
302 Zu alledem und zum folgenden Conze (wie Anm. 1), S. 62–84, passim, und weiter.
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wir müssen damit rechnen, daß Neuzuzügler, auch Deutsche, mit ihren Wohnplätzen denen des älteren Bevölkerungsteils auszuweichen hatten. Füllte eine neugegründete Stadt sich gar zu langsam mit deutschen Bürgern, so entstand leicht ein Sog, den anpassungsfähige Slawen sich gleichfalls zunutze machen konnten. Selbst wo eine Evakuierung stattfand, muß sie nicht vollständig gewesen sein: Bewährte Wenden, die Auszeichnung verdienten, sind von Anfang an in einer deutschen Stadt dieser Gegenden vorstellbar. Erst im Spätmittelalter gab es vielfach sogenannte Wendenparagraphen, die Menschen slawischer Abstammung aus der Bürgergemeinschaft ausschlossen, ergänzend zu anderen festgelegten Rechtshindernissen, die den bevorzugten Kreis gleichfalls klein halten und unerwünschte Konkurrenz einschränken sollten. Längst wissen wir: Diese Regelungen waren relativ jung; sie sprechen nicht gegen vollzogene Verschmelzung in früheren Generationen, geschehen im Zeichen des Deutschen als der Sprache sozialen Aufstiegs – „Wende“ im Sinn dieser Paragraphen war, wer noch immer nicht eingedeutscht war303. Ich wage nicht, solchen Zustrom und entsprechende Akkulturationsvorgänge aus den Anfängen des deutschen Schwerin auszuschließen. Die hier vorgeschlagene Neudatierung der förmlichen Stadtgründung oder -erhebung schiebt zwischen die Jahre der Kämpfe und dieses Ereignis einen gewissen Abstand. 1177: das liegt zehn Jahre nach dem Ausgleich zwischen Heinrich und Pribislaw, sechs oder mehr nach dem Zeitpunkt, für den Helmold, vielleicht nicht mehr ganz aktuell, vom rigorosen Durchgreifen Günzelins gegen Partisanen im Umfeld spricht. Die Wenden hatten gesehen, daß sich nichts mehr ändern ließ – daß man sich anpassen oder auswandern mußte; Pribislaw bot in seinem Herrschaftsgebiet allen, die es wollten, eine neue Heimat an304 – ein Beitrag zur Herstellung friedlicher Verhältnisse, der nicht unterschätzt werden sollte. Damit
303 Vgl. Ahlers (wie Anm. 299); D. G. Hopp, Die Zunft und die Nichtdeutschen im Osten, insbes. in der Mark Brandenburg (Wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas 16, Hg. J. G. Herder-Institut), Marburg/Lahn 1954; W. Schien, Zum Ausschluß der Wenden aus den Zünften nord- und ostdeutscher Städte im späten Mittelalter, bei A. Czacharowski (Hg.), Nationale, ethnische Minderheiten und regionale Identitäten in Mittelalter und Neuzeit, Toruń 1994, S. 31–51. 304 Helmold, c. 110 (S. 382,5 ff.): Pribizlavus . . . edificavit urbes Mekelenburg, Ylowe et Roztoc et collocavit in terminis eorum Slavorum populos. Ich zweifle nicht, daß damit eine wendische Eigenkolonisation (Gegenkolonisation?) angesprochen ist. Zweifelnd Hamann (wie Anm. 1), S. 89 f. Beachte aber oben Anm. 86.
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war gerade hier, trotz gegebener Grenzsituation, ein weiterer Grund, Wenden auszuweisen, entfallen, zumindest entschärft. Im übrigen ist erneut an die wendischen Frauen zu erinnern, die deutsche Burgmannen sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nahmen, soweit sie nicht deutsche aus dem Hinterland nachziehen konnten305. Wie früh es auch sonst in der großen Siedelbewegung der Zeit zu Ehen zwischen beiden Bevölkerungsgruppen kam, wird oft unterschätzt. Im Sachsenspiegel lesen wir, daß an der Mittelelbe ein Zeitgenosse Heinrichs des Löwen, Erzbischof Wichmann von Magdeburg (1152/54–1192), Vertreter intensiven Landesausbaus mit deutschen Kräften306, sich veranlaßt sah, Rechtsfragen zu regeln, die sich aus deutsch-wendischen Mischheiraten ergaben307. Von Heinrich dem Löwen sind solche Ansätze nicht bekannt; dies heißt jedoch zunächst, daß ihn dergleichen Fragen wenig berührten; es spricht nicht dagegen, daß auch in seinem Markengebiet ähnliche Mischungsverhältnisse eintraten, zumal in so extremer Situation wie in der Grafschaft Schwerin. Der Herzog war selbst nicht das, was man zeitweise gerne gesehen hätte, nämlich ein „germanischer Recke“; die jüngere Linie des Welfenhauses, die er repräsentierte, ging im Mannesstamm bekanntlich auf das norditalienische Haus Este zurück – auf italienischem Boden lebte sie daher, wie gelegentlich klar wird, nicht nach dem schwäbischen Recht, das ihr im Hinblick auf die älteren Welfen noch der Sachsenspiegel bescheinigt, sondern nach lombardischem308. Für den Osten hat Heinrich gleichsam selbst ein Beispiel gegeben, indem er seine Tochter Mathilde an Pribislaws Sohn Heinrich Borwin gab309. Volksgeschichte ist Geschichte einer Identifikationsgemeinschaft, die etwas anderes darstellt als einen in sich geschlossenen, durch die Zeiten hin nach außen hin abgeschotteten Komplex biologischer Unvermischtheit310,
305
Oben bei Anm. 207. D. Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jh. (Mitteldeutsche Forschungen 67) II, Köln/Wien 1975, S. 105–126. 307 W. Barkhausen, Die Gesetzgebung Wichmanns von Magdeburg: Deutsches Archiv 4 (1941), S. 49 ff. 308 K. G. Hugelmann, Stämme, Nation und Nationalstaat im deutschen Mittelalter, Stuttgart 1955, S. 287, vgl. S. 54 f., Anm. 4. 309 Jordan (wie Anm. 86), S. 94; vgl. Stammtafel des Hauses Mecklenburg, Beilage zu Hamann (wie Anm. 1). 310 H.-D. Kahl, Was ist das mit Volk und Nation? Eine Einführung, bei J. Albertz (Hg.), Was ist das mit Volk und Nation? Nationale Fragen in Europas Geschichte und Gegenwart (Schriftenreihe der Freien Akademie 14), Berlin 1992, S. 30 f., vgl. 25.; dazu Ders. (wie Anm. 53); Ders., Wer ist in Kärnten „autochthon”? Anmerkungen 306
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und für die Ausbildung des Deutschtums gehört zu den Elementen, die es besonders gravierend vom älteren Germanentum trennen, die Einschmelzung namhafter slawischer Elemente im ostelbischen Raum und in vielen Regionen sonst bis zu den Ostalpen hin. Mit anderen Worten: Die Slawen verschwanden auch in dem ausgedehnten Nordwestteil ihres einstigen Siedlungsgebietes nur von der Sprachenkarte, nicht aus der einheimisch-biologischen Substanz, mag auch, schwer abzuschätzen, der Anteil deutscher Zuwanderer an den sogenannten deutschen Neustämmen größer sein als der ihre. Das mecklenburgische Herzogs- und Großherzogshaus, das auf Pribislaw – also auch Niklot – und Heinrich gemeinsam zurückgeht, symbolisiert damit einen Tatbestand von allgemeiner Bedeutung. Was besagt dies alles für die Anfänge des deutschen Schwerin? Es umreißt Rahmenbedingungen, unter denen die neue Stadt sich zu entfalten hatte, und zeigt Möglichkeiten auf, die nicht außer acht gelassen werden dürfen. Welche von ihnen sich an diesem Ort wirklich realisierten und wie, ist mit wissenschaftlichen Mitteln nicht zu klären; es bleibt eine Frage der Spekulation. Das einzig konkrete Datum, über das wir verfügen, ist die Tatsache, daß jener Fischer Suk (also Žuk) in dem Gebiet Hausbesitzer gewesen war, das 1186 zur civitas gehörte. Es ist, da die Archäologie hier bisher nichts beiträgt, der einzige wendische Wohnplatz im Altstadtbereich, von dem wir überhaupt erfahren, und er gibt mehr her, als man auf den ersten Blick erwarten möchte, wenn auch nur für die Anfänge der deutschen Stadt und nicht mehr im Rückblick auf die Wendenzeit. Žuks Haus läßt sich mit weitgehender Sicherheit lokalisieren. Zur Zeit Heinrichs des Löwen war es geeignet, zum Ausgangspunkt der besprochenen Grenzlinie zu werden, die im Stadtgebiet den geistlichen vom weltlichen Herrschaftsbereich schied. Es befand sich demnach in einer Randlage, von der auszugehen sinnvoll war, jedoch, um dies nochmals zu betonen, innerhalb des Stadtgebietes: Ausdrücklich heißt es ja, daß die dort ansetzende Linie einen „Teil der Stadt“ (partem ciuitatis) abteile. Das schließt eine Lage außerhalb der Stadtbefestigung, die ja gleichzeitig die rechtliche Scheide zwischen Stadt und Umland markierte, mit Sicherheit aus. Ein Hinweis von 1284 ergänzt, das Haus habe sich dort befunden, wo in diesem Jahr das Heiliggeistspital stand.
zur Bevölkerungsgeschichte zwischen Karawanken und Tauern, in: Carinthia I/186 (1996), S. 419–427.
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Die Angabe ist glaubhaft, denn im Überlieferungszusammenhang, einem Vertragswerk, war es kaum möglich, derartige Behauptungen festzuschreiben, wenn ihnen eine öffentlich bekannte Wahrheit entgegenstand. Der städtische Kataster hält unter Nr. 678 als Grundstück des inzwischen eingegangenen Spitals die Buschstraße 14 fest, auf der östlichen Straßenseite gelegen, Eckhaus nördlich der Einmündung der 1. Engen Straße. Dort steht jetzt ein etwas verbautes, immerhin fünfachsiges Fachwerkhaus, an dem verschiedene Zeiten gearbeitet haben. Das hat ganz sicher nichts mehr mit der Wohnstätte des wendischen Fischers zu tun, von der aufrecht erhaltene Substanz ohnedies nicht mehr zu erwarten ist. Allerdings dürfen wir sie uns nicht gar zu primitiv vorstellen. Die Urkunden nennen sie durchweg „Haus“ (domus), nicht bloß „Hütte“ (casa), und sie sind aus deutscher Perspektive formuliert. Diese Wortwahl spricht nicht für eins jener einfacheren Gebilde aus Weidengeflecht mit Lehmbewurf, auf die wohl noch Helmold anspielt311 – Groß Raden hat Beispiele aus seiner Bauphase I (9. Jahrhundert) erbracht –; Žuk wird eins jener Blockhäuser besessen haben, wie Groß Raden sie aus der Bauphase II vor uns stellte (dort 10. Jahrhundert; Abb. 8), und es braucht, da die Deutschen es als domus anerkannten, unter den denkbaren Ausführungen nicht einmal die am wenigsten ansehnliche gewesen zu sein. Ist mit der Katasterangabe über das einstige Spital der Platz bestimmt, auf den sich der Text von 1284 bezieht? Kennen wir durch sie auch die Lage von Žuks Domizil? Ältere Rekonstruktionszeichnungen des Altstadtplanes nehmen es wie selbstverständlich an, so die des verdienten H. W. C. Hübbe (1896), die das Landeshauptarchiv Schwerin 1960 in seiner Gabe zur 800-Jahr-Feier Schwerins so bequem zugänglich machte. Sie setzen das Spital von Anfang an ins westliche Vorfeld 311 Helmold (wie Anm. 14); casas ex virgulis contexunt (bei Stoob, ebd., m.E. irreführend übersetzt). – Das Belegmaterial zu Žuks Haus oben Anm. 280; zur letztbekannten Lage des Heiliggeistspitals nach dem städtischen Kataster: Bock (wie Anm. 58), S. 179 mit Abb. 238 (S. 178) sowie Planskizze S. 177, ferner Hübbe (wie Anm. 280), dazu aber oben weiter im Text. Der dabei erneut anzusprechende Forschungsstand über die ursprüngliche Ausdehnung des Mühlenteichs nach Rühberg, besonders wie Anm. 4, sowie in „Löwe“ (wie Anm. 1), S. 14–17; vgl. bereits oben bei Anm. 211 und besonders bei Anm. 244–250. Die Straßenführungen vor und nach 1651 veranschaulicht der anonym wiedergegebene Plan in: Schwerin im Spiegel seiner Stadtpläne (wie Anm. 6), S. 7. Zu den wendischen Häuserformen: P. Donat bei Herrmann 1985 (wie Anm. 47), S. 178–186; vgl. Schuldt (wie Anm. 48).
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der „Planken“, auf eine künstliche Insel zwischen dem nord-südlich gerichteten Abschnitt des Stadtgrabens, dem Mühlenteich (später Pfaffenteich) und dem Fließgraben, der schon damals von dieser Stauanlage zum Burgsee gezogen sei; erst eine Stadterweiterung nach Westen hin hätte diese Abschnitte bis zum neuen Mauerring des 14. Jahrhunderts einbezogen. Mit dem angesprochenen Urkundentext von 1186, der Žuks Haus, den Vorläufer des Spitals, dermaßen deutlich unmittelbar ins Stadtgebiet weist, verträgt diese Lösung sich schlecht; sie stößt jedoch noch auf weitere Schwierigkeiten. Die „Planken“ müssen, als Herzog Heinrich, wohl 1177, über jene innerstädtische Grenzziehung befand, längst vorhanden gewesen sein: Sowohl der Militärstützpunkt der Anfangsphase als auch der im Aufbau befindliche Bischofssitz bedurften vom ersten Augenblick an einer derartigen Absicherung in der problematischen Umgebung ihrer Entstehungszeit. Wall und Palisaden ergaben zweifellos ein weit über mannshohes Hindernis für die Sichtverbindung von außen ins Stadtgebiet. Wie hätte sich von dem angenommenen Punkt aus eine Linie festlegen lassen, die dieses Hindernis übersprang? Vor allem aber: Wir wissen mittlerweile, daß es jene künstliche Insel in der Frühzeit des deutschen Schwerin überhaupt nicht gab. Der Mühlenteich selbst war es, der bis dorthin reichte, wo später der Ostrand jenes Grabens verlief, so daß dieser für die Anfangsphase entfällt; als „Faule Grube“ entstand er, aus welchen Gründen immer, erst mit der angesprochenen westlichen Stadterweiterung, die es für richtig hielt, ihn offen zu halten, doch dann war er ein innerstädtisches Gewässer, kein Stadtgraben mit Grenz- und Verteidigungsfunktion. Das Spital aber hätte am Platz von Buschstraße 14 der heutigen Vorstellung nirgend anders als im Wasser des Mühlenteiches gestanden. Wie ist dies aufzulösen? Die einzig mögliche Konsequenz scheint mir, daß die Stelle, an der das Jahr 1284 diese Einrichtung sah, mit derjenigen, die heute der städtische Kataster aufweist, nicht identisch ist. Dabei bleibt guter Rat keineswegs so teuer, wie das im ersten Augenblick scheinen mag. Buschstraße ist ein moderner Name für „Faule Grube“ – der Name war nach Beseitigung des Wasserlaufs auf die Straße übergegangen, die seinem einstigen Bett folgte. Diese aber gehörte zu denjenigen, die nach dem Stadtbrand von 1651 eine neue Trasse erhielten, begradigt und nach Westen verschoben. Vorher war sie in leichtem Bogen weiter östlich verlaufen; der Bogenscheitel lag in Höhe der Engen Straße ungefähr in der Mitte zwischen der heutigen
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Busch- und der heutigen Schusterstraße, die beide gleichfalls auf die Neugliederung von 1651 zurückgehen. Das Heiliggeistspital dürfte im ursprünglichen Straßenverlauf an einer Stelle gelegen haben, die dem Platz in der Nachfolgestraße entsprach, und wird eben darum nach der Brandkatastrophe auf das Grundstück verpflanzt worden sein, das heute Buschstraße 14 heißt; an jenem Punkt weiter östlich wäre dann sein Vorläufer von 1284 zu suchen und mit ihm auch das Haus des Žuk der älteren Quellen. Der so bestimmte Punkt bleibt innerhalb der „Planken“, die in diesem Abschnitt zwar nicht archäologisch erwiesen sind, doch traditionell und glaubhaft ungefähr am Ostrand der nachmaligen „Faulen Grube“ vermutet werden. Das Anwesen des Fischers, als Ausgangspunkt der bezeichneten Linie innerhalb des Stadtgebietes an den äußersten Rand verwiesen, dürfte sich dort auf der Innenseite mehr oder weniger unmittelbar an die Befestigung angelehnt haben. Was besagt dies alles? Hervorzuheben ist zunächst die Lage am Westrand des Altstadtkerns, denkbar weit ab von der angeblichen Wendensiedlung am Großen Moor und auf der Marstallinsel (Abb. 3). Die Hausstätte befand sich dabei an einer empfindlichen Stelle: nahe der Einmündung des Mühlendamms, dicht beim Mühlentor oder der entsprechenden Vorgängerpforte, beiläufig keine 200 m südlich der Westpartie des Domes. Selbst ein solcher Platz war also in den Anfängen des deutschen Schwerin einem wendischen Stadtbewohner nicht verwehrt. Im Fall einer tiefergreifenden Um- oder Neugestaltung hätte das Haus sicherlich den Namen des neuen Bauherrn getragen – es hieß 1186 noch immer nach Žuk, stand also wohl noch so, wie er es besessen hatte; das sind 26 Jahre, nachdem Herzog Heinrich das Gebiet in Besitz genommen hatte; neun Jahre nach dem Zeitpunkt, der hier für die förmliche Stadterhebung vorgeschlagen wird. Das „vormals“ (quondam), das sich im Text mit dem Namen des Fischers verbindet, kann Tod, kann freiwilligen Um- oder Wegzug ebensogut verhüllen wie Zwangsaussiedlung, sei es mit Abfindung, sei es ohne sie – alles bleibt offen, nur daß wir uns gewarnt fühlen müssen, nicht gar zu vorschnell die für das Wendentum ungünstigste Lösung als selbstverständlich zu nehmen. Sei dies notgedrungen dahingestellt – der Name dieses Fischers blieb urkundlich noch lange an seinem Hause haften, ohne daß aktualisierend und erläuternd, deutsch oder wendisch, der eines neuen Besitzers hinzugefügt worden wäre; man fragt sich, ob das für den Bekanntheitsgrad dieses frühen Stadtbewohners spricht. Im Ganzen bleibt auch hier vieles offen, doch erweist der Befund m.E. immerhin
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für die Anfänge des deutschen Schwerin mindestens eins: eine gewisse Zweisprachigkeit312. Gleichwohl war Schwerin die erste Stadt im deutschrechtlichen Sinne auf heute mecklenburgischem Boden. Das heißt selbstverständlich – wie wir heute sagen müssen – nicht, es sei dort die älteste nichtagrarische Siedlung gewesen. Längst ist nachgewiesen, daß es slawische Eigenentwicklungen gab, aus denen auch frühstädtische Zentren hervorgingen, Zentren mit gewerblicher Produktion und Handelsbeziehungen, angelehnt an Burgen, die ihnen Schutz gewährten, aber auch von ihnen lebten. Eins der Beispiele bescheidenerer Ausgestaltung ist, wie dargelegt, für das Schwerin der Wendenzeit anzunehmen313. Ein anderes, ungleich bedeutender, ist als seltene Ausnahme chronikalisch bei der Mecklenburg bezeugt, der Hauptburg der Obotriten. Helmold erwähnt in einem Zusammenhang von 1168, also für eine Zeit, in der Schwerin nach hier entwickelter Auffassung in seiner städtischen Entwicklung noch wenig weit vorangekommen war, es hätten bei jenem Fürstensitz an einem Markttag (dies fori) auf einen Schlag 700 dänische Kriegsgefangene als Sklaven zum Verkauf gestanden314. Dies fori: das spricht für regelmäßige Veranstaltungen dieser Art in welchem Abstand immer, und die mitgeteilte Zahl läßt auf deren Umfang schließen. Leider hatten die archäologischen Untersuchungen an diesem Platz sich im wesentlichen auf die Befestigungsanlagen und unmittelbar angrenzenden Teile des Innenraumes zu beschränken315. Das wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern lassen. Doch von anderen, fast erstaunlich zahlreichen Plätzen liegen Grabungsergebnisse vor, die ein plastisch ausgestaltetes Bild vermitteln – sie wurden oben gleichfalls schon herangezogen316.
312 Siehe vorige Anm., dazu oben vor Anm. 18 und bei Anm. 113, ferner bei Anm. 217. – Das stufenweise Durchdringen der sprachlichen Eindeutschung läßt sich besonders gut am Beispiel des sogenannten Hannoverschen Wendlandes verfolgen, vgl. J. Strzelczyk, Die slawische Minderheit in Deutschland in Spätmittelalter und früher Neuzeit am Beispiel der Nachkommen von Dravänopolaben im Hannoverschen Wendland, bei Czacharowski (wie Anm. 309), S. 69–94. Im heutigen Südkärnten lassen sich am slowenischen Bevölkerungsteil ganz parallele Beobachtungen anstellen mit dem Unterschied, daß dort das Hochslowenische als Schriftsprache zur Verfügung steht und zwar die eigenmundartlichen Identitäten, doch nicht die slawische Identität bedroht. – Vgl. Conze (wie Anm. 1 ), S. 73 ff. und 81–86. 313 Oben bei Anm. 50–51 und 59–71. 314 Helmold, c. 109 (S. 215,14); vgl. oben bei Anm. 38. 315 Die Literatur jetzt zusammengefaßt bei Donat (wie Anm. 51), S. 6 f. mit. Anm. 8–12. 316 Oben bei Anm. 57, vgl. bes. Schmidt.
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Weitere sind zu vermuten, auch an grabungsfeindlichen Plätzen wie im Stadtkern von Wismar, von dessen Anfängen wir so wenig wissen, obwohl feststeht, daß dort schon vor 1180 ein beachtlicher Hafenbetrieb in Gang gewesen sein muß, zugänglich auch für größere Schiffe (Koggen)317. Was insgesamt an Befunden dieser Art vorliegt, ist eindrucksvoll und zeugt für ein beachtliches wirtschaftliches Leben im Schatten der beteiligten Burgen. Trotzdem ist festzustellen: Mit den deutschrechtlichen Städten, für Mecklenburg also mit Schwerin als Erstling, kam bei allen etwaigen Anknüpfungsmöglichkeiten etwas Neues ins Land – um mit Werner Conze zu sprechen: „ein neuer Typus städtischer Siedlung . . ., der sich vom vorher ausgebildeten Typus grundlegend unterschieden hat“318. Es gab ein neues topographisches Schema (zumindest für Neuanlagen), es gab neue Organisationsformen und eine neue Qualität auf mehr oder weniger allen Ebenen des Wirtschaftslebens. Die Stadt war nicht mehr einfach an die Burg angelehnt, um mit ihr eine gemeinsame „Burgstadt“ zu bilden; sie sonderte sich ab mittels eigener Befestigung, so stark auch die Bindung an den Herrschaftssitz, die Abhängigkeit von ihm, weiterhin ihre Rolle spielte. Die Bürger genossen Privilegien, die sie aus der Umwohnerschaft heraushoben. Es gab eine wie immer ausgestaltete Autonomie in Verwaltung und Recht. Dabei ist nicht zu verkennen, daß der so geschaffene Typ in den Einwanderungsländern des Hoch- und Spätmittelalters gegenüber bisher Gewohntem als überlegen empfunden worden sein muß. Anders ist das Vordringen des Magdeburger Rechts weit über die Gründung deutscher Bürgerstädte hinaus – bis Kiew und Poltawa – nicht zu erklären und ebensowenig die Einflußnahme des Lübischen Rechts im Norden, auch auf Kosten des erwähnten „Birkinselrechts“. Wo, wie in Schwerin, auch deutsche Bürger das Bild der Neugründungen bestimmten, verschärfte sich die schon durch den Siedlungs- und Rechtstyp bedingte Diskontinuität. Kontinuitäten gab es bei alledem auch, selbst in Einwanderungsgebieten. Sie zeigen sich überall dort, „wo vor und nach dem Modernisierungsschub“ der deutschrechtlichen Ausgestaltung „gleiche oder ähnliche Funktionen zu erfüllen waren“, wie sie sich „notwendigerweise aus der jeweiligen Zentralität des Ortes“ ergaben319. Auch das galt im Fall 317
Oben bei Anm. 261. Conze (wie Anm. 1), S. 73; vgl. folgende Anm. 319 Ebd.; vgl. im Ganzen, auch zum folgenden, ebd., S. 73–76, dazu die Karte von R. Wenskus, Deutsches Recht in den Städten Ostmitteleuropas und Osteuropas, in: 318
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Schwerins, doch die Diskontinuität überwog. Der Platz war herausgelöst aus dem ursprünglichen Zusammenhang, in dem er eine mehr dienende Position eingenommen hatte, der Mecklenburg untergeben. Jetzt war zwischen ihn und die alte Hauptburg des Landes eine Grenze gelegt, die schnell auch ethnische Bedeutung gewann und damit damals bis zu einem gewissen Grade auch zwei Wirtschaftssysteme trennte, sowohl, was die agrarische, als auch, was die gewerbliche Produktion anging. Gerade in dieser für das alte Obotritenland neuartigen Funktion wurde sie nur langsam überspielt320: für eine deutsche Stadt in so unmittelbarer Nähe jahrzehntelang eine besondere Chance. Schon die Regelungen von 1160 hatten Schwerin als ein deutsches Anti-Mecklenburg auferstehen lassen. Als Sitz des neugeschaffenen Statthalteramtes übernahm es unter neuem Vorzeichen eine Position, die bis dahin dem Fürstensitz zugekommen war – er wurde lediglich mit einer agrarischen Siedlung bedacht321. Auch als Bischofssitz zog Schwerin seitdem eine übergreifende Zentralstellung an sich, die bis dahin der Mecklenburg zugedacht gewesen war, auch wenn sie dort im Jahrhundert davor nicht mehr hatte ausgeübt werden können. Die deutsche Stadt, die nun unter den veränderten Bedingungen nach 1167 erwuchs, ist erst recht als gezielte Gegengründung gegen das nun wieder wendische Mecklenburg und den dortigen Markt zu verstehen. In anderen Fällen der Zeit, und keineswegs nur unter slawischen Fürstenhäusern, sehen wir deutsche Stadtgründungen an das bisherige Landeszentrum angelehnt, unbeschadet angestrebter topographischer Sonderung – so auf markante Weise bereits im Fall Brandenburgs322. Das ist für Schwerin wieder einmal anders, und der Unterschied sollte nicht verwischt werden, nur weil auch hier die Neugründung bei einem alten Herrschaftspunkt entstand. Die Anlehnung an ihn war sogar enger als sonst; es erfolgte – auch das wieder eine Besonderheit – nicht, wie so häufig, die Verlegung an eine günstigere Stelle in der Nähe323. Die deutsche Stadt und das, was ihr wendenzeitlich vorausging, verbindet offenbar weitgehende Platzkontinuität. Doch der Herrschaftssitz hatte
Großer Historischer Weltatlas, hg. vom Bayerischen Schulbuch-Verlag II, Red. J. Engel, 2. Aufl. München 1979, S. 98, sowie die Artikel von L. Weyhe, Lübisches Recht, in: LMA V (1991), Sp. 2150 f., und F. Ebel, Magdeburger Recht, in: ebd. VI (1993), Sp. 77 ff. 320 S. Anm. 304; zum damaligen „Ost-West-Handel“ unten Anm. 339. 321 Helmold, c. 88 (S. 310,15 ff.), vgl. c. 98 (S. 340,11 ff.), ist doch wohl in diesem Sinne zu verstehen. 322 Schich (wie Anm. 59), S. 56 ff. mit Kartenskizze S. 54. 323 Vgl. z.B. Schmidt (wie Anm. 36), S. 115 f.
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nun eine andere Bedeutung als vorher, selbst wenn der 1167 eingesetzte Graf auch noch wieder dem meist fernen Sachsenherzog unterstand, und auch die Marktstruktur dürfte erheblich anders gewesen sein, schon wegen des leichteren Zugangs zu Waren aus dem deutschen Binnenland, die für die Mecklenburg nicht so leicht unmittelbar zu beschaffen waren. Die Diskontinuität hat hier auch abgesehen von dem für das Land ungewohnten Stadttypus das Übergewicht, und auch das ist einer der Akzente, die im Zusammenklang die herausgestellte Besonderheit in den Anfängen dieser Stadt bedingen. Hat Herzog Heinrich das, was er seiner neuen Stadt an Rechten verlieh, auch verbrieft? Gab es ein Stadtgründungsprivileg, das für vorhandene Gründungsurkunden jüngerer mecklenburgischer Städte nach Schweriner Recht als Vorbild dienen konnte? Wo es zugleich um Kodifizierung einer Rechtsordnung ging, möchte man dies vermuten324, und der Verlust eines solchen Dokuments wäre bei der gegebenen allgemeinen Überlieferungslage leicht erklärlich325. Das schon mehrfach herangezogene Diplom Kaiser Ottos IV. nimmt unmißverständlich auf ein Heinrichsprivileg Bezug; und zwar für Bestimmungen, die in keiner erhaltenen älteren Quelle überliefert sind326, denn ein Urkundentext, der sich als die Vorlage auszugeben versucht, datiert vom 9. September 1171, ist nachweislich Fälschung des 13. Jahrhunderts, die umgekehrt auf dem genannten Kaiserprivileg beruht327. Otto fußt teilweise deutlich auf der echten Urkunde, die sein Vater 1171 für das Bistum und das Domkapitel gemeinsam ausgestellt hatte328. Da auch sein eigenes Diplom dem Domkapitel gilt, muß immerhin gefragt werden, ob Heinrich womöglich noch selbst im Zuge der Stadterhebung eine ergänzte Neufassung seines ursprünglichen Textes ausfertigen ließ, die Bestimmungen über Privilegien der Stadtbürger aufnahm, weil das Bistum inzwischen an der Grundherrschaft im Stadtgebiet beteiligt worden war329; diese Fas-
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UHL 46 (S. 66) nimmt Jordan eine solche Urkunde mit Bestimmtheit an und datiert sie auf 1160. 325 Dazu oben bei Anm. 3. 326 Oben bei Anm. 140–141 und 261. 327 Jordan, Vorbemerkung zu UHL 91 (S. 138) mit weiteren Hinweisen. 328 Ein genauer Vergleich von Stil und Sprachgebrauch zwischen UHL 89 (S. 133 ff.) = MUB I, 100A (S. 95 ff.), und MUB I, 202 (S. 190 ff.) ist hier nicht durchzuführen. Ich verweise besonders auf die Wiederholung der Verleihung des Schiffszolls in Zuerin, die 1211 offenbar schon überholt war, vgl. oben bei Anm. 34. – Zur Empfängersituation beachte, daß MUB I, 202 das Privileg Heinrichs, auf das Bezug genommen wird, zweimal als an die ecclesia Zwerinensis gerichtet charakterisiert (S. 191 f.). 329 Oben bei Anm. 132–133.
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sung könnte den jüngeren Fälschungsaktionen geopfert worden sein, nachdem ihr wesentlicher Inhalt durch das Kaiserdiplom abgedeckt war. Sie müßte dann wohl älter gewesen sein als die innerstädtischen Grenzbestimmungen, die der Papst schon 1186 bezeugt, zweifellos aufgrund erbrachten Nachweises, mit gleichfalls ausdrücklichem Hinweis auf Heinrich als deren Urheber330, denn diese Klausel ist vom kaiserlichen Sohn nicht mit aufgenommen. Für sie liegt gleichfalls keine Quelle aus älterer Zeit, speziell aus den Tagen des Herzogs, vor. Oder wäre das wieder ein Indiz, das doch für ein Deperditum Heinrichs spricht? Auch für Stade hat Otto IV. eine Urkunde im Anschluß an ein Privileg seines Vaters ausgestellt331. So zeichnet sich hier ein wirres Knäuel von Problemen ab, und die Möglichkeiten, es aufzulösen, nehmen sich nicht besonders verheißungsvoll aus. Man mag, um die Basis für die Urteilsbildung zu verbessern, nach weiterem Vergleichsmaterial Ausschau halten, doch auch das bringt wenig weiter. Bernhard Diestelkamp kam zu dem Ergebnis: Bei keiner der von Heinrich dem Löwen ins Leben gerufenen Städte zwinge die Überlieferung zu dem Schluß, er müsse ein Gründungsprivileg ausgestellt haben, vielleicht mit Ausnahme Lübecks; dies stimme zugleich zu einem allgemeineren Befund, der sich für Stadtgründungen weltlicher Herren im 12. Jahrhundert erheben lasse332. Das ist eine wichtige Feststellung. Sie weist auf eine Möglichkeit, die beachtlich ist, und gibt ihr einen Schimmer von Wahrscheinlichkeit. Eine definitive Entscheidung jedoch ermöglicht auch sie nicht. Wenn es Ausnahmen gab, so kann sehr wohl gerade Schwerin in seiner Sondersituation eine solche geliefert haben, selbst wenn sie schlecht faßbar bleibt. Schließlich handelt es sich um die einzige Stadtgründung Heinrichs bei einem Bischofssitz. Das kann stärker als anderswo auf Verschriftlichung des Rechtsvorgangs, den eine Stadtgründung oder Stadterhebung nun einmal darstellt, hingewirkt haben. Was Diestelkamp feststellt, ist nicht gefeit gegen die Verführung durch Überlieferungslücken. Es befreit uns nicht von der Aufgabe, nachzuharken, ob sich nicht doch noch mehr aus dem vorliegenden Material herauslocken läßt, als es bisher scheinen will.
330
MUB I, 141 (S. 192); vgl. oben bei Anm. 146. E. Keyser, Die Erteilung des Stadtrechts durch Heinrich den Löwen, in: Stader Jahrbuch, N.F. 44 (1954), S. 54 ff.; vgl. Dens. (wie Anm. 201), S. 116, 120 f. und 125; UHL 124 (S. 180). Diestelkamp (wie Anm. 1), S. 393. 332 Diestelkamp (wie Anm. 228), S. 186, 189 f. und 193; vgl. Dens. (wie Anm. 1), S. 389. 331
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Die Bedenken verstärken sich, wenn man sich klarmacht, daß diese Stadt nicht das Recht einer anderen erhielt, sondern ein eigenes, das offenbar neu kreiert wurde, Recht einer Landstadt im Unterschied zur Seestadt Lübeck. In den ältesten Überlieferungen, nämlich bei der Weiterverleihung an Güstrow (1228) und Malchin (1236), zeigt das Schweriner Stadtrecht 26 Paragraphen333. Sollen wir uns vorstellen, daß es bei seiner Konstituierung öffentlich verlesen wurde, damit die Begünstigten es im Hören auswendig lernen konnten, um es anzuwenden? Hier muß doch wohl etwas mehr in die Hände der neuen Stadtgemeinde gelangt sein als lediglich das nunmehrige Siegel ihres Gemeinwesens. Ein schwaches Indiz läßt sich anführen, das bisher wenig beachtet blieb. 1178 – im Jahr nach der hier vermuteten Stadterhebung – erwirkte Bischof Berno, oben schon herangezogen, für sein Bistum die erste päpstliche Bestätigung. Darin wird unter ausdrücklicher Bezugnahme auf eine distinctio Herzog Heinrichs der Teil der insula Zverin angesprochen, den nunmehr die geistliche Hand dort beanspruchen durfte334. Es ist, wie betont, das erste Zeugnis für diese grundherrschaftliche Teilung der Stadt. Dazu fällt auf, daß der Löwe selbst in einer erhaltenen Urkunde von 1177, die Lübeck betrifft, vom dortigen Stadtgebiet als einer insula spricht, allerdings unter sofortigem Hinweis, daß es Bürger (cives) gibt, wie er für Schwerin um diese Zeit noch fehlt335. Niemand wird verkennen, daß diese Übereinstimmung nicht gerade eine breite Basis abgibt, um daraus auf ein Deperditum des Herzogs zu schließen. Als Stütze einer Vermutung, die auch unabhängig von ihr schwer abzuweisen ist, mag sie hingenommen werden, so dringlich man weitere Indizien wünschen möchte. Ich wage daher den Schluß: Heinrich dürfte die von ihm vollzogene Stadterhebung 1177 auch beurkundet haben, um in der gegebenen Grenzsituation für möglichst klare Rechtsverhältnisse zu sorgen und so unnötigen Streitigkeiten zwischen beteiligten Gewalten wie Graf, Bischof, Domkapitel und Stadtgemeinde tunlichst vorzubeugen, die nirgends weniger zu brauchen waren als gerade dort. Als Inhalt seines Privilegs lassen sich vermuten: die Stadterhebung, wohl mit Einschluß
333
MUB I, 359 (S. 343 ff.) bzw. MUB I, 449 (S. 446 ff.). Oben bei Anm. 146. 335 UHL 104 (S. 158,16): . . . eiusdem insule cives, definiert durch die Zeugenliste: . . . cives Lubicenses . . . et alli quam plures. Das Diplom beurkundet nach 1177 Sept. 1 eine 1175 vollzogene Schenkung, vgl. Jordan in der Vorbemerkung. Es dürfte auf dem Rückmarsch von Demmin ausgefertigt sein. 334
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des Siegelrechts, die schon 1178 bezeugte Grenzziehung zwischen geistlichem und weltlichem Zuständigkeitsbereich, dazu die Grundzüge des Stadtrechts. Ob die Urkunde auch die Handelsprivilegien enthielt, auf die Kaiser Otto 1209/11 zurückkam, ist weniger gewiß, denn sein Diplom nimmt nicht auf die genannte Binnengrenze Bezug. Sollte sie versehentlich übergangen worden sein, und die Empfänger haben sich, neue Kosten scheuend, damit begnügt, daß vorhandene Papstprivilegien sie ausreichend klar festhielten? Hier beginnt der Boden zu schwanken, und man zieht sich lieber zurück. Unwahrscheinlich jedenfalls sind gerade diese Partien für eine Stadterhebungsurkunde nicht, und daß das Gemeinwesen vom Herzog noch ein zweites Deperditum erhielt in den wenigen Jahren zwischen 1177 und seinem Sturz, bleibt schwer vorstellbar. Damit ist der Entwicklungsgang, der zur Entstehung der deutschen Stadt Schwerin führte, rekonstruiert, wie ich ihn mir vorzustellen vermag. Es wird Zeit, die Ergebnisse zusammenzufassen und weiter nach den Gründen zu fragen, die diese Stadt schließlich in eine bescheidenere Rolle zurückverwiesen, als sie ihr wohl ursprünglich zugedacht war. Rückblick und Ausblick Als Heinrich Borwin II. von Rostock aus die Modernisierung und Christianisierung des mittleren Mecklenburg voranzutreiben suchte, urkundete er 1225/26 für das neu aus wilder Wurzel errichtete Parchim: Er habe das dortige Land christlichen Siedlern übergeben, angeworben teils von weit, teils aus der Nähe, und in eben diesem Lande eine Stadt erbaut unter Festsetzung von Recht und Gericht, wie es den Bewohnern des Landes und der Stadt günstig und nützlich sei (ciuitatem construximus, iura ei et iudicia prestantes, que congrua, commoda et utilia terre ac ciuitatis cultoribus uidebantur)336. So hätte Heinrich der Löwe für Schwerin nicht urkunden können. Was aus von ihm gegebenen oder
336 MUB I, 319 (S. 311), vgl. 337 (S. 328 f.), dazu Hoffmann (wie Anm. 26), S. 91–100 (S. 94 f. Wiederholung des erstgenannten Textes); W. Biereye, Über die Besiedlung des Landes Parchim durch die deutsche Ritterschaft 1226–1256, in: MJB 96 (1932), S. 154 ff.; Bei der Wieden (wie Anm. 37). – Über den älteren Zustand der Gegend mit Herrschaftszentren und Heiligtum, für den die religionsgeschichtlichen Angaben Heinrich Borwins archäologisch bestätigt worden sind, nicht aber diejenigen über die angebliche terra deserta et invia, vgl. Schmidt (wie Anm. 36), S. 112 und 115 f. mit weiterer Literatur.
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aufgenommenen Impulsen dort als Stadt erwuchs, war nicht aus wilder Wurzel entstanden und auch sonst nicht Frucht eines bestimmten, einmaligen Gründungsaktes. Diese Stadt entstand an längst besiedelter Stelle, in Anlehnung an eine Burg, die ein altes Verwaltungszentrum gewesen war, vom bisherigen Landesfürsten in einer Taktik verbrannter Erde den Flammen preisgegeben, vom Eroberer in Besitz genommen und aufgebaut, eigenmächtig und ohne Übereinkunft mit den Besiegten. Militärische Gesichtspunkte bestimmten die bevorzugte Wahl gerade dieses Ortes: eine sehr gute Schutzlage und bessere Verbindungen in das gesicherte sächsische Hinterland, als jeder andere Burgort des Obotritenlandes sie aufzuweisen hatte. Daß es dort wenig Ausdehnungsmöglichkeiten gab, wie sie für eine Stadtgründung wünschenswert gewesen wären, spielte keine Rolle. So entstand ein vorgeschobener Posten in noch nicht befriedetem Okkupationsgebiet, eine bevorzugt ausgebaute und gehaltene Militärstation. Der natürliche Schutz wird sehr bald durch künstliche Anlagen ergänzt worden sein, um Unangreifbarkeit sicherzustellen, so gut das nur ging. Zu denken ist an die ältesten „Planken“ als Einfriedigung, aber auch an den Mühlen-(später Pfaffen-)teich, dessen Aufstauung zugleich den Stadtgraben in der Bodendelle zur Schelfe hin möglich machte und nicht zuletzt eine erste Wassermühle zur besseren Versorgung des Stützpunkts. Die Zeit kannte nicht die Möglichkeiten stehender Heere, von denen bestimmte Kontingente als Besatzung auf Zeit ablösbar eingesetzt werden konnten. Es blieb nur feste Ansiedlung, in der auch Familienangehörige der Krieger ihren Platz hatten. Fortdauer oder Erneuerung einer Dienstsiedlung von Wenden, wie sie schon im Schatten der bisherigen Burg bestanden haben muß, ist anzunehmen: Für die neuen Zwecke wurden viele Arbeitskräfte benötigt, und auch die landwirtschaftliche Versorgung mußte geregelt sein. Wie beide ethnische Gruppen sich auseinandersetzten, räumlich und sonst, bleibt verborgen. Eindeutig fest stand jedenfalls, auf welcher Seite die Macht lag und die Befehlsgewalt. Ein neu eingesetzter Statthalter für das obotritische Eroberungsgebiet saß in der Inselburg und sorgte für das, was er unter Ordnung verstand. Nicht gegeben war für das, was unter den neuen Umständen als Siedlungskomplex erwuchs, Anlehnungsmöglichkeit an eine deutsche Kaufmannssiedlung, die sich etwa schon vor 1160 als Teilkomplex des Suburbiums auf dem Schweriner Rücken vor dieser Burg gebildet hätte. In der Empfindlichkeitszone, die auf slawischer Seite im Zeichen der
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beginnenden sächsischen Ostexpansion entstanden sein dürfte, war für Gründungen solcher Art kein Raum gewesen. Gleichzeitig mit der Einrichtung des Militärstützpunktes übergab Herzog Heinrich, der neue Herr im Lande, einen Platz im Vorfeld der Burg an den bisher nur nominellen Bischof von Mecklenburg, um endlich einen Bistumssitz auszubauen. Er wird sich im späteren Dombereich oder dessen Nähe befunden haben. Für diese Lösung sprachen die gleichen Gründe wie für den Ausbau der Militärstation: gute Schutzlage und günstige rückwärtige Verbindungen, die auch dem voranzutreibenden Christianisierungswerk zugute kommen mußten. Die Bestätigung durch den zuständigen Erzbischof von Hamburg-Bremen wurde noch im gleichen Jahr beurkundet. Das neue kirchliche Zentrum konnte allem Anschein nach auf einen Missionsstützpunkt zurückblicken, der schon einige Jahre vor 1160 unter gleicher Leitung am gleichen Ort bestanden hatte – wie erfolgreich, läßt sich nicht erkennen. Ihm wurde nun eine neue Qualität zuerkannt, wahrscheinlich ein Hinweis auf wünschenswerte Bewährung des Trägers, doch er bestand gleichwohl zunächst mehr de iure als faktisch, denn die Subsistenzmittel der ersten Phase blieben notgedrungen knapp. Immerhin war mit ihm für die Ortsentwicklung sogleich zu der Burg ein zweiter Brennpunkt gesetzt der auch für Handwerk und Handel Impulse zu geben vermochte. Es ist damit zu rechnen, daß er nicht zuletzt bestimmt war, einen Kultplatz der alten Religion abzulösen und insofern gleichfalls ein bestimmendes topographisches Element der Wendenzeit unter neuem Vorzeichen weiterzuführen. Siedlungsansätze waren wohl an beide genannten Brennpunkte angelehnt, mit viel Freiraum dazwischen. An einem von ihnen wird Marktrecht gehaftet haben, um die Versorgung des Ganzen zu sichern – daß es gefehlt haben könnte, ist schwer vorstellbar. All das wurde noch im Jahr des siegreichen Feldzugs, 1160, angeordnet und weitgehend wohl auch mindestens begonnen. Der Bischofssitz verlangte nach einer Stadt, um den Vorschriften des kanonischen Rechts Genüge zu tun, und die Entwicklung einer solchen dürfte seine Installierung begleitet haben als ein Vorhaben auf lange Sicht. Der Zeitpunkt für die Verwirklichung jedoch war noch nicht gekommen. Die Funktionsfähigkeit einer Stadt hängt ab von der Struktur des Umlandes. In dieser Hinsicht bestand noch erheblicher Nachholbedarf, doch eine übergreifende Siedlungsplanung für Stadt und Land gemeinsam, wie sie Jahrzehnte früher in Wagrien und im folgenden Jahrhundert im Lande Parchim bewerkstelligt werden konnte, war hier noch nicht realisierbar; zudem hatte für den Herzog wohl
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der Ausbau der eben erst vollzogenen Gründung von Lübeck noch Priorität. Zweitrangig für die Planung mag geblieben sein, daß die neue Situation noch wesentlich weniger gefestigt war, als man 1160 in Heinrichs Umgebung glaubte; für die Verwirklichung erlangte es größte Bedeutung, sowohl für das Umland als auch für die künftige Stadt. Erst 1167, durch den Ausgleich mit den Niklotiden, wurden die Voraussetzungen für einen wirklichen Neubeginn geschaffen, zugleich allerdings mit der Herstellung einer neuen Grenzsituation für das Schweriner Gebiet, wie sie 1160 nicht eingeplant war. Die Mecklenburg sah sich als wendischer Fürstensitz wieder eingesetzt, in ihrem Suburbium erneuerte sich der als althergebracht zu vermutende slawische Marktort. In dieser Phase kam offenbar das Bedürfnis auf, zu ihm eine deutsche Gegengründung ins Leben zu rufen, die dem älteren Zentrum auch wirtschaftlich den Rang abzulaufen vermochte, begünstigt durch eine bessere Lage im nutzbaren Gewässernetz, nicht weniger aber durch die neue Grenzsituation. Die Chance für das kaufmännische Element war gekommen. Gewiß, niemand kann ausschließen, daß es schon bis dahin in wagemutigen Einzelvertretern mitgespielt haben könnte. An eine maßgebliche Gruppe von bürgerschaftsbestimmender Bedeutung jedoch ist offenbar nicht zu denken – das Fehlen jeden Hinweises auf ein Stadtbürgertum bei dem gleich zu nennenden Anlaß gestattet m.E. keine andere Deutung. Ein Element, das sonst bei Entstehung neuer Städte im werdenden deutschen Osten von Anfang an maßgeblich mitbeteiligt war, wurde demnach in Schwerin erst nachträglich eingefügt. Doch die Umgebung wurde nach 1167 noch immer von slawischen Partisanen verunsichert – darüber sollte auch das euphorische Preislied nicht hinwegtäuschen, das der Priester von Bosau im gleichen Atem, unmittelbar vor seinem Hinweis auf die wendischen „Räuber“, anstimmt über die Umwandlung des nordwestlichen Slawenlandes in einen sächsischen Siedlungsraum (Saxonum colonia)337: das sofort ergänzte konkrete Detail schüttet Wasser in diesen perlenden Wein. Helmold selbst schränkt seinen Jubel über das neue Sachsenland auf bisher wendischem Boden ein durch ein „gleichsam“ (veluti), und das verdient offenbar mehr Beachtung, als ihm bisher zuteil wurde – jedenfalls für diesen damals östlichsten Vorposten und damit für die Anfänge des deutschen Schwerin.
337
Helmold, c. 110 (S. 380,27 ff.); die Partisanen ebd. (S. 382,9 ff.): Slavorum latrones.
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Im September 1171 konnte der Dom geweiht werden. Bei diesem Anlaß beurkundete der Herzog ausführlich die Rechts- und Eigentumsverhältnisse von Bistum und Domkapitel. Das Dokument wurde unzweifelhaft in Schwerin selbst ausgefertigt. Es enthält eine ausführliche Zeugenliste. Von Vogt und Bürgern des Ortes ist nicht die Rede; dabei hätten sie zu den Hauptbetroffenen gehören müssen. Der Schluß ist unabweisbar, daß es beide damals noch nicht gab. Außerdem zeigt der Text, daß damals offenbar noch keine Notwendigkeit empfunden wurde, zwischen den grundherrlichen Zuständigkeiten der beiden gegebenen Zentren, Burg und Bischofssitz, eine Abgrenzung vorzunehmen. Dies geschah erst durch ein nochmaliges persönliches Eingreifen des Herzogs, nachweislich vor 1178, der ersten urkundlichen Erwähnung einer bestehenden Grenze. Zwischen diesen beiden Jahren, 1171 und 1178, scheint eine rasante Entwicklung in Gang gekommen zu sein. Offenbar wurde der Ort in dieser Spanne faktisch zur Stadt und damit reif für die rechtsförmliche Stadterhebung. Diese muß 1180/81 abgeschlossen gewesen sein, denn das dabei verliehene Siegel weist zwingend auf die Zeit vor diesem Endpunkt, dem Sturz Heinrichs des Löwen. Am ehesten kommt das Jahr 1177 in Betracht, denn dieses sah den Herzog erstmals seit der Domweihe und zum letzten Mal überhaupt in diesen Ostteilen seines Herrschaftsgebietes. Die Stadterhebung war mit der Verleihung eines eigenen Stadtrechts verbunden, dessen Originalfassung nicht erhalten ist, so daß es von verschiedenen Ableitungen her Rekonstruktionsprobleme gibt338. Beides dürfte beurkundet worden sein, doch ein Dokument ist nicht erhalten. Wichtige Hinweise gibt das Stadtsiegel. Seine Legende weist als siegelführende Instanz, abweichend von vielen Gründungsstädten jener Zeit, nicht burgenses aus, nicht eine besonders bevorrechtigte Schicht, sondern die civitas als solche, die im verbliebenen Überlieferungsbestand damit zum ersten Mal bezeugt ist (urkundlich folgt der erste Beleg 1186). Der Legendentext deutet auf eine größere rechtliche Einheitlichkeit der Bürgerschaft hin, als sie z.B. in Lübeck gegeben war. Frühe Ableitungen des Stadtrechts kommentieren, indem sie parallel von den iura Zwerinensis ciuitatis und den iura communitatis de Zwerin sprechen339. Folgerichtig erhielt Schwerin nicht das lübische, sondern ein eigenes
338 339
Dazu jetzt Sander-Berke (wie Anm. 200), S. 33–48. Siehe Anm. 333.
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Recht. Eingeschlossen zu denken ist eine festere Stadtherrschaft des Gründerherrn, den das Siegel sogar doppelt herausstellt, in Bild und Schrift. Schwerin wurde nicht, wie die kurzlebige Lauenstadt an der Wakenitz, auf herzogsunmittelbarem Grunde ins Leben gerufen; es wurde als Stadt aus einem Grafschaftsbereich herausgelöst wie Lübeck; wir hören hier jedoch nichts von einer Auseinandersetzung zwischen Herzog und Graf. Vermutlich hat Heinrich für diesen entlegenen Posten, in dem alles auf Konzentration der Kräfte ankam, die Rechte, die er hier an sich gezogen hatte, alsbald im Lehnswege an Graf Günzelin delegiert. Im übrigen deutet eine Kaiserurkunde von 1209/11 an, daß die grundherrliche Unterscheidung eines bischöflichen und eines weltlichen Anteils im Stadtgebiet das einheitliche Bürgerrecht offenbar nicht berührte. Wie das gleiche Diplom erkennen läßt, war die Stadterhebung mit weitreichenden Handelsprivilegien verbunden. Sie schlossen Rechte im Wismarer Hafen ebenso ein wie die Zollfreiheit im gesamten sächsischen Herzogtum (versteht sich: nach den Maßstäben von vor 1180). Fernhandel bekam am Ort eine feste rechtliche Basis. Spätestens nunmehr muß der erste Marktplatz abgesteckt worden, spätestens nunmehr auch ein gewisser Ausbau des Hafens erfolgt sein, der am ehesten in Marktnähe, unter den jüngeren Aufschüttungsflächen im Bereich des Beutelsees vermutet werden darf. Ein Schiffszoll, von dem man Erträge erwartete, ist allerdings schon 1171 bezeugt. Der Zusammenhang, in dem das geschieht stellt sicher, daß die Verbindung über den See hinweg sogar für das Gebiet der mittleren Warnow, um Bützow, Bedeutung besaß, das auf dem Wasserwege gar nicht unmittelbar erreicht werden konnte. Weitere Möglichkeiten boten sich über die Stör zur Elde und von dort entweder flußaufwärts in andere Abschnitte des autonom belassenen Wendenlandes hinein oder flußabwärts nach Sachsen, wohin auch die eingespielten Landwege führten, vor allem ins Niederelbegebiet. Die ausgesprochene Zollbefreiung zeigt, daß nicht zuletzt diese rückwärtigen Verbindungen begünstigt werden sollten. Das neue Schwerin war offenbar als Umschlagplatz an der neuen Grenze von 1167 in Aussicht genommen, die dank der Bevölkerungspolitik Pribislaws zwei Zonen unterschiedlicher Bedarfs- und Angebotslage trennte, wie die ethnische Verschiedenheit sie bedingte. Gerade diese Grenzsituation verhieß gute Entfaltungsmöglichkeiten. Dem entspricht, daß die Bevölkerung Schwerins zunächst bis zu einem gewissen Grade zweisprachig war, also ethnisch gemischt. Wie sich dabei Deutsche und Wenden anteilmäßig verhielten und wie sie sozial zueinander standen,
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entzieht sich dem Einblick; auch ob es gesonderte Wohnviertel gab, ist nicht zu erkennen. Von Umsiedlungsmaßnahmen bei der Stadtgründung wissen wir gleichfalls nichts; sie sind weder zu behaupten noch auszuschließen. Ein Fischer wendischen Namens war noch acht oder neun Jahre nach dem zu vermutenden Zeitpunkt der Stadterhebung als einstiger Besitzer eines Hauses an empfindlicher Stelle im Westteil, nahe dem Mühlendamm, bekannt; nichts spricht dafür, daß es damals in deutsches Eigentum überführt war. Welche Erwartungen die Gründungsepoche hegte, geht am besten aus der Größe ihres Marktplatzes hervor. Ein annäherndes Quadrat von 75 m Seitenlänge, nahm er, wie festgestellt, ungefähr 2/3 des Gegenstücks in Lübeck ein. Das ist viel! Die Folgezeit aber hat dieses Areal – ungewiß, seit wann; jedenfalls vor 1651 – so überbaut, daß nur eine Fläche von ca. 70 × 20 m übrig blieb, und das so gründlich, daß die ursprüngliche Gestalt bis in unsere Tage verkannt werden konnte. Die Anfangsplanung muß mehr oder weniger bald auf Widerstände gestoßen sein, die viele der angelegten Keime nicht ausreifen ließen. Was ist geschehen? Zu den Anfängen Schwerins gehört zunächst, daß die junge Stadt nur drei Jahre nach ihrer Konstituierung (vorausgesetzt, der hier vorgelegte Ansatz stimmt) den Sturz des Gründerherzogs hinnehmen mußte, hier vermutlich unerwartet als ein Blitzschlag aus der großen, fernen Welt340. Mit ihm fiel der Förderer aus, dessen Wille Schwerin dahin gebracht hatte, wo es inzwischen stand; der Mann, der auch in Zukunft die großzügigsten Möglichkeiten hatte einsetzen können, um seine Gründung weiter emporzubringen. Sein Herzogtum wurde zerschlagen, desgleichen sein Hausmachtbereich. Der Eigenbereich, der Schwerins engeren Rahmen bildete und die Möglichkeiten des Landesherrn bestimmte, zog sich auf die Grenzen der umliegenden Grafschaft zurück. Was der neuen ciuitas mit alledem abgeschnitten wurde, ist schwer einzuschätzen Wieviele von denen, die sich in Heinrichs Rechtsnachfolge zu teilen hatten, waren gewillt, von ihm erteilte Privilegien wie die Zollfreiheit im Gesamtgebiet des alten Herzogtums weiterhin
340 Dazu jetzt Th. Kölzer, Kaiser und Vasall. Der Prozeß Heinrichs des Löwen, bei W. Schultz (Hg.), Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte, München 1996, S. 65–78, mit weiterer Literatur; vgl. auch St. Weinfurter, Die Entmachtung Heinrichs des Löwen, in: Katalog Braunschweig II, S. 180–189. Für die Rückwirkung auf die nord- und ostelbischen Gebiete immer noch wertvoll: Rudloff (wie Anm. 298), IV.–V. Abschnitt, S. 65–137.
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anzuerkennen? Wer konnte sie hindern, z.B. die omnes termini ducatus Saxonie des bekannten Privilegteils341 im Sinn des neugeschaffenen askanischen Kleinherzogtums auszulegen? Als der Löwe gefällt war, jubelten seine zahlreichen Gegner. Seine Getreuen empfanden ihn weiterhin als ihren eigentlichen Herrn. Eine Reihe von niedersächsischen Grafengeschlechtern münzte weiter mit seinem Löwensymbol, dem das eigene Wappen nur klein als Beizeichen hinzugefügt war342. Ob Günzelin verfahren wäre wie sie, ist nicht feststellbar, denn Erzeugnisse der Schweriner Münze sind auch aus diesem Zeitraum bisher nicht bekannt. Die Stadt Schwerin aber behielt das Siegel, das sie einmal empfangen hatte, mit Heinrichs Bild und Namen, weiterhin bei, auch als sie nunmehr schlicht in der Grafschaft aufging. Bei einem Wechsel des Stadtherrn ist das keine Selbstverständlichkeit343 – hier wurde es möglich, und das will doch etwas besagen. Es setzt Duldung durch Graf und Bischof voraus, die als Stadtherren nicht auf Neuerung drängten. Soweit die Stadt selbst in Betracht kam, mag anfangs ein Prestigebedürfnis mitgesprochen haben: Das Siegel war eine ständige Demonstration, daß man hier letztlich trotz allem etwas Besseres war als nur eine Landstadt des Grafen, gegen dessen Machtergreifung man sich wohl um so weniger zur Wehr zu setzen vermochte, je unscheinbarer sie sich in den äußeren Formen vollzog, gedeckt durch den älteren Lehnszusammenhang. Wie lange dieses Bewußtsein sich behaupten konnte, ist nicht zu ermitteln. Das Siegel blieb, wie es war, und nachdem das Erbe der Grafen an das Haus Mecklenburg gefallen war, mochte Schwerin sich wieder als eine herzogliche Stadt empfinden, gegründet von einem, von dem vielleicht berühmtesten Vorfahren des regierenden Fürstengeschlechts, wie das Siegel es auswies. Doch das lag schon jenseits der Anfangsphase dieser Stadt, die uns hier beschäftigt. Allerdings: Der Sturz des Löwen kann nicht die einzige Ursache gewesen sein, weshalb es mit Schwerin zurück oder doch nicht so aufwärts ging, wie das wohl einmal gedacht war. Was im geschichtlichen Ablauf hat schon bloß einen einzigen Grund? Manches mehr kam noch zusammen, unscheinbar und allmählich, viele Einzelbewegungen in
341
MUB I, 202 (S. 192) im Diplom Ottos IV. Hildebrand (wie Anm. 97), S. 119, 134 f. und 140 f. 343 Vgl. das oben bei Anm. 188 herangezogene Gießener Beispiel; weiteres bei Kaufmann (wie Anm. 186), S. 11–14. 342
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einem großen Trend, gleichsam auf leisen Sohlen, doch auf die Dauer von tiefgreifender Wirkung. Die Grenze von 1167 blieb nicht, was sie in den ersten Jahrzehnten der Stadt gewesen war. Sie behielt, bis die Grafschaft an das Haus Mecklenburg fiel, ihre politisch-administrative Bedeutung, doch sie hörte auf, ethnische Scheide zu sein, die zugleich Wirtschaftsformen trennte. Das begann spätestens im zweiten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts, also mit der zweiten Generation Schwerins als deutschrechtlicher Stadt; seit den 1220er Jahren gewann es gesteigerte Intensität344. Die Stadt am Großen See bekam dies früh auf eine Weise zu spüren, die ihr äußerlich einen Zuwachs an Prestige einbrachte: Im östlichen Teil des autonomen Obotritenlandes entstanden neue Städte, die mit Schweriner Recht bewidmet wurden (zuerst bekannt von Güstrow, noch vor 1226), und das heißt: Die wendischen Fürsten setzten die Stadt, die einmal so gezielt Gegengründung gegen ihren alten Stammsitz gewesen war, für die betreffenden Neugründungen als Oberhof ein. Eine kleine Schweriner Stadtrechtsfamilie begann zu entstehen345, aber wirtschaftlichen Ausgleich für das, was neue Konkurrenz an Abbruch bedingte, brachte das nicht. Deutsche oder vorwiegend deutsche Dörfer, Märkte und Städte jenseits der bisherigen Grenze begannen dort ein neuartiges Leben um sich zu verbreiten. An der Küste blühten zwei Hansestädte auf. Wismar ging in erster Linie nochmals zu Lasten des Suburbiums bei der Mecklenburg; Schwerin hatte von dieser Seite wohl weniger zu leiden. Doch Rostock schuf für die Versorgung des Warnow-Gebietes Voraussetzungen, wie Schwerin sie niemals zu erbringen vermochte. 1225/26 entstand, weit weniger als eine Tagereise vor den Toren der Stadt am See, Parchim, unmittelbar an der Elde gelegen, unberührt von den offenbar gegebenen Unzuverlässigkeiten der Stör346. Das veränderte die Handelssituation für weitere Teile des mittleren Mecklenburg. Die Neugründung blühte dermaßen auf, daß schon 1249 eine zugehörige Neustadt als zunächst eigenes, zusätzliches Gemeinwesen genannt wird. Ebenfalls in den
344 Zum folgenden Hamann (wie Anm. 1), S. 118–158, passim, ergänzend S. 5 ff. über die beteiligten fürstlichen Linien. Dazu Hoffmann (wie Anm. 26) gemäß Inhaltsverzeichnis. – Zum deutsch-wendischen Warenaustausch im Zeitalter unterschiedlicher Wirtschaftsformen: Herrmann (wie Anm. 47), S. 135–146. 345 Karte der sicheren Fälle bei Sander-Berke (Wie Anm. 200), S. 44; die unsicheren ebd. im Text, S. 45. Die Einzelbelege dazu leicht auffindbar nach Hoffman, Inhaltsverzeichnis. Oben Anm. 333 die ältesten bekannten Fälle. 346 S. Anm. 336.
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1220er Jahren leitete der tüchtige Bischof Brunward bei der alten Zentralburg seines Stiftslandes Bützow eine Stadtgründung ein. Seine Nachfolger verlegten dorthin seit etwa 1238 ihre ständige Residenz; Schwerin behielt nur noch das Domkapitel347. Die Lösung entsprach der allgemeinen Neigung der Zeit, zwischen den beiden höchsten Instanzen der Diözese sowohl finanziell wie auch räumlich eine Trennung herbeizuführen, die Reibungsflächen zu mindern half. In diesem Fall sorgte sie auch für einen wünschenswerten Abstand zwischen Bischof und Graf, und der Kirchenfürst war nun vom Rand mehr in die Mitte seines Sprengels gerückt. Doch was an wirtschaftlichen Impulsen von der wachsenden bischöflichen Hofhaltung ausgehen konnte kam nicht mehr der Stadt zugute, die weiterhin offiziell Bistumssitz blieb. Kurz: Die Gründungsvoraussetzungen des deutschen Schwerin waren gründlich auf den Kopf gestellt. Ein Grenzhandelsplatz der Art, wie die 1170er Jahre ihn konzipieren konnten, hatte seine Basis verloren; die Entwicklung war über ihn hinweggegangen. Als Fehlgründung erwies sich Schwerin auch jetzt nicht. Es gab noch immer Wachstum – 1266 wird eine Neustadt (noua ciuitas) erwähnt; sie ist um den Großen Moor sowie südlich davon zu suchen und setzt erste Aufschüttungsmaßnahmen voraus, um Boden zu gewinnen348. Doch die Stadt hatte sich in bescheidenere Dimensionen zu schicken. Es machte sich bemerkbar, daß sie keine „natürliche Hauptstadt“ war in dem Sinn, daß ein Verkehrsnetz sich in ihr konzentrierte und nach allen Richtungen hin beste, kürzestmögliche Verbindungen gewährte. Wieviele Bürger hat sie damals nach Osten hin an zukunftsträchtigere Schwestern abgeben müssen? 1343 erlosch die hier wichtige Linie der Schweriner Grafen. In den ausbrechenden Streitigkeiten konnte das Haus Mecklenburg sich die Nachfolge sichern und verlegte schließlich auch seinen Sitz in die Stadt, die der Grafschaft den Namen gegeben hatte. Es war der abschließende Sieg Schwerins über die Mecklenburg: Zwar lieh weiterhin sie und nicht Schwerin dem ganzen Land den Namen – wohlgemerkt: in der deutschen, nicht der wendischen Form, trotz der Abkunft der
347 Vgl. Hoffmann (wie Anm. 26), S. 52 f. und 110 Anm. 401, dazu B. Jähnig, Bützow, in: Handbuch (wie Anm. 1), S. 10 ff., ferner Schmaltz (wie Anm. 86) I, S. 128 ff. und 132 f. sowie Hamann (wie Anm. 1), S. 146 f. 348 MUB II, 1089 (S. 303), dazu die Karte von Hübbe in: Schwerin im Spiegel seiner Stadtpläne (wie Anm. 6), S. 6.
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Dynastie –, doch ihr Suburbium sank nun endgültig zum belanglosen Dorf herab. Doch warum wurde die Residenz gerade nach Schwerin verlegt? Der Platz war im gegebenen Herrschaftsgebiet zwar nicht unbedeutend, jedoch nicht bedeutend genug, daß die Landesherren dort Schwierigkeiten zu erwarten hatten wie in Rostock oder Wismar. Das lübische Recht dieser Hansestädte ermöglichte keine so ausgeprägte Stadtherrschaft wie die Verfassung der ciuitas am Großen See, und das erlangte wirtschaftliche Gewicht verlieh den Bürgerschaften dort ein Selbstbewußtsein, wie es in Schwerin nicht wohl aufkommen konnte. So zeitigte eine Weichenstellung, die in die Anfangsphase der deutschrechtlichen Stadt zurückging, auch im gegebenen Abstand noch immer tiefgreifende Folgen im Zusammenklang mit den Konsequenzen der allgemeinen Entwicklung des Landes. Der Hof brachte neue Impulse auch für Handel und Gewerbe, etwa für Goldschmiede und Zinngießerei, doch sonst blieb es für Schwerin im allgemeinen bei Nahmarktfunktionen, die weit hinter den Möglichkeiten anderer Städte Mecklenburgs zurückblieben. Der neue Glanz vermochte nicht darüber hinwegzutäuschen, daß der Rückschlag des 13. Jahrhunderts nicht mehr wirklich aufzuholen war. Als ein neuer Diskontinuitätsfaktor neben denen, die die Startsituation bestimmt hatten, behielt dies Wirkung auf lange Zeit. Was aber die Anfänge des deutschen Schwerin angeht, so haben wir uns offenbar von der Vorstellung zu lösen, daß es einen einleitenden Gründungsakt als Initialzündung gab, aus der alles weitere folgte. Wir kommen vielmehr zu einem gestreckten Prozeß, der 1160 beginnt und in den 1170er Jahren ein gesteigertes Tempo annimmt, bis er noch vor 1180/81, wahrscheinlich 1177, endlich zum rechtsförmlichen Abschluß gelangt. Das entspricht der Vorstellung, die die stadtgeschichtliche Forschung mittlerweile für den Normalfall der Stadtentstehung dieser Zeit entwickelt hat, abweichend von älteren Arbeitshypothesen349. Insofern fügt das deutsche Schwerin sich mit der vorgetragenen Auffassung einem allgemeineren Bilde ein. Die besonderen Umstände seines Beginnens und seiner frühesten Entwicklung sichern ihm jedoch für die gesamte deutsch-slawische Berührungszone des Hochmittelalters eine Sonderstellung, für die das erhaltene Quellenmaterial nirgends eine Parallele bietet, so sicher der eine oder andere Einzelzug auch anderweitig wiederkehrt. Diese Sonderstellung wird durch den vermutlichen
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Engel (wie Anm. 51), S. 13–22, passim.
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Entwicklungsknick des der Entstehungszeit folgenden Jahrhunderts unterstrichen. Er hat vieles von dem zunichte gemacht, was Heinrich der Löwe hier offenbar nach 1167 beabsichtigt hatte, gemeinsam mit Bischof Berno, Graf Günzelin und namentlich unbekannten Vertretern der Kaufmannschaft. Gleichwohl behielt seine Planung in mehr als einer Hinsicht Bedeutung bis heute. Daß Schwerin Hauptstadt von ganz Mecklenburg wurde und schließlich von Mecklenburg-Vorpommern, fußt noch immer auf dem Grundstein, den der streitbare Sachsenherzog hier legte, und so ist es wohlbegründet, wenn diese Stadt sein Reiterbild nicht nur im Wappen behalten hat, sondern auch plastisch als Wahrzeichen an ihrem Rathaus herausstellt.
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Abb. 1: Schwerin. Landschaftliche Situation vor dem Aufstau des Mühlenteiches (Lehm- und Sandgebiete, Moorflächen, Seen). Rekonstruktion (N. Rühberg 1998). (Zeichenerklärung s. zu Abb. 2)
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Abb. 2: Schwerin. Oberflächenstruktur des Altstadtbereiches vor der Stadtgründung. Höhen- und Bodenverhältnisse mit Darstellung des Stadtgrundrisses. Rekonstruktion (N. Rühberg 1998). 1 Seen, 2 Moore, 3 Lehm, 4 Sand, 5 Alter Friedhof (vetus cimiterium), 6 Straßenfluchten im Mittelalter, 7 Plankenverlauf, wenn vom Hügelrand abweichend, 8 Höhelinie mit Meterangabe über NN
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Abb. 3: Schwerin. Stadtgrundriß der Frühphase bis Anfang des 13. Jh. Rekonstruktion (N. Rühberg 1998). 1 Dombezirk, 2 Schelftor, 3 Rathaus (nördlich dahinter Alter Friedhof, vetus cimiterium), 4 Markt, 5 Haus des Fischers Žuk (davon ausgehend die Immunitätsgrenze, ab vetus cimiterium wahrscheinlich in Richtung Schelftor verlaufend), 6 Mühlentor, 7 älteste Mühle (spätter Grafenmühle), 8 Mühlendamm (auf den Niederungstorf geschüttet), 9 Burgtor, 10 Burgzufahrt (Bohlenweg?, Verlauf nicht gesichert), 11 Brücke zur Burg, 12 nachgewiesene Wallanlage, 13 ergrabene Pfahlreihe, 14 durch den Mühlenstau überfluteter ehemaliger Hügelrand
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Abb. 4: Schwerin. Der Markt. Entwicklungsstufen. Rekonstruktion (N. Rühberg 1998). 1 ursprüngliche Marktfläche, 2 Marktplatz vor 1651, 3 Marktplatz ab 1651 (Nordseite ab 1785), 4 Rathaus (erbaut vor 1351, mit angedeuteter Laube, heute Durchgang), 5 spät- oder nachmittelalterliche Bebauung im Bereich des Marktes und des Alten Friedhofs (vetus cimiterium), 6 nachgewiesene Gräberreihen des Friedhofs, 7 1651 aufgegebene Bebauungsgrenzen, 8 Ergänzung ehemaliger Bebauungsgrenzen nach Stadtplan von 1850, 9 Bebauungsgrenzen nach Vermessung 1968
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Abb. 5: Schwerin. Der Markt. Entwicklungsstufen (A–C). Rekonstruktion (nach N. Rühberg wie Anm. 1, S. 4). A – 2. Hälfte 12. bis ca. Ende 16. Jh.. 1 Rathaus, 2 Kaak oder Pranger (vermuteter Standort), 3 Grube mit Nachweis der ehemaligen westlichen Marktfront, 4 Alter Friedhof (vetus cemiterium, bezeugt 1186–1284), 5 nachgewiesene Gräberreihen des Friedhofs, 6 Einzelsarg eines Kindes? (nicht näher untersucht), 7 Marktplatzumrandung 12./13. Jh. (erschlossen), 8 sekundäre Überbauung durch Budenkomplexe (Grundstücksgrenzen z.T. hypothetisch), 9 Grenzen jüngerer Bebauung nördlich des vermuteten ursprünglichen Marktes, 10 bei der Umgestaltung 1651 aufgehobene Bebauungsgrenzen. B – bis 1651 (Gestaltung an der Nordseite des Rathauses fraglich). C – ab 1651
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Abb. 6: Schwerin. Das älteste Stadtsiegel. Aufnahme des Abdrucks von 1298.
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Abb. 7: Schwerin. Das älteste Stadtsiegel. Umzeichnung aus MUB IV, S. 547,114.
Abb. 8: Beispiel eines wendischen Burgwalls mit Vorburgsiedlung (Suburbium): Groß Raden bei Sternberg, Bauphase II (ca. 10./11. Jh.). Rekonstruktion (nach E. Schuldt 1978, Abb. 38).
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BEITRAG XXIV
ZUR KULTURELLEN STELLUNG DER DEUTSCHORDENSRITTER IN PREUßEN∗ 1. Synthese von Ritter und Mönch? Beruht die Ideologie der Ritterorden auf einer Verschmelzung von Ritter- und Mönchsideal? Gewöhnlich wird dies so oder ähnlich gesagt; man kann von einem Topos der Forschung sprechen. Doch wie steht es mit seinem Wahrheitsgehalt? Die Ritterorden entstanden, bevor die Mendikanten so völlig neue Akzente in die Geschichte des Mönchtums brachten. Das Verhältnis der Neugründungen zum monastischen Wesen ist also an der altehrwürdigen Benediktus-Regel zu messen, die auch vom Reformzweig zisterziensischer Prägung als Grundlage beibehalten worden war1. Diese Regel setzt für die Lebensführung dessen, der sich ihr anvertraut, klare und umfassende Normen. Fest bindet sie ihn ein in die stabilitas loci und damit die feste Klostergemeinschaft, in deren Verband der einzelne sich dem Werk fortschreitender Heiligung zur höheren Ehre Gottes zu widmen hat. Der Ablauf des mönchischen Lebens in diesem Rahmen wird weitgehend festgelegt. Die Regel stellt ihn in das Spannungsfeld von Chorgebet (officia divina), Handarbeit (opera oder labor manuum), Lesung (lectio divina) und auf ihm aufbauendem Auswendiglernen und Durchsinnen (meditatio) heiliger Texte, besonders der Psalmen, sowie schließlich der nötigen Ruhe, um von den Mahlzeiten hier nicht weiter zu sprechen. Bei den Lektüreverpflichtungen des einzelnen Mönchs, die zu den öffentlichen Lesungen in Gottesdienst oder bei Tische treten, sei eingehender verweilt. Am Sonntag, an dem ∗ Dieser Aufsatz ist eine erweiterte Niederschrift des Diskussionsbeitrages des Verfassers und nimmt Stellung zu einigen allgemeinen Problemen der Konferenz. 1 Maßgebliche Ausgabe: Benedicti Regula, rec. R. Hanslik (CSEL 75), Wien 1960. – Einige Bemerkungen zu den Anforderungen der Regel an die Lese- und Schreibfähigkeit der Mönche bei H. Grundmann, Litteratus – illiteratus. Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter; aus Archiv für Kulturgesch. 40 (1958), wieder abgedruckt bei ders., Ausgewählte Aufsätze III, Stuttgart 1978, S. 23 f., wo jedoch m.E. nicht genügend zwischen Vorlesern und Selbstlesern unterschieden wird. Vgl. auch die flg. Anm.
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die Handarbeit natürlich entfällt, sollen alle sich der Lektüre widmen (lectioni vacent omnes), soweit sie nicht für Sonderaufgaben eingeteilt sind (c. 48, 22). Im übrigen unterscheiden sich die Bestimmungen nach den Jahreszeiten. Im Winter, d.h. der Periode der längeren Nächte, sollen die Brüder vor der gemeinsam zu betenden Terz längere Zeit lesen (usque in horam secundam plenam lectioni vacent, c. 48, 10); außerdem soll die nach der nächtlichen Mette verbleibende Zeit von den Brüdern, die im Psalter(-Lernen) oder der Lektüre rückständig sind, entsprechend genutzt werden (a fratribus qui psalterii vel lectionum aliquid indigent, meditationi inserviatur, c. 8, 3). In der Zeit der Quadragesimalfasten wird diese Frist verlängert vom Morgengrauen bis zur dritten Tagesstunde. Für diese Wochen soll jeder einzelne ein Buch aus der Klosterbibliothek erhalten und ganz durchlesen (per ordinem ex integro); die dafür vorgesehenen Stunden sind von dazu eingeteilten älteren Brüdern zu überwachen, damit sie auch wirklich genutzt werden (c. 48, 14–20; vgl. 49, 4). Im Sommerhalbjahr mit seinen längeren Tagen fordert die tägliche Handarbeit einen höheren Tribut, doch soll im Anschluß an sie, etwa von der vierten bis zur sechsten Stunde, gleichfalls Lektüre gepflegt werden; wer nach Tisch weiterlesen will, statt zu ruhen, darf dies tun, doch so, daß er dabei niemanden stört (c. 48, 4–5): das verlangt stilles Lesen ohne Mitsprechen, wie es einst nicht ohne weiteres selbstverständlich war. All das wird mit großer Selbstverständlichkeit als Normalfall vorausgesetzt. Fast beiläufig nur rechnet die Regel mit der Möglichkeit, jemand könne dermaßen nachlässig und träge sein, daß er auswendig lernen und lesen weder will noch kann (ita neglegens et desidiosus . . ., ut non vellit aut non possit meditare aut legere). Er hat dann Sonderarbeiten zu übernehmen, die ihn vor Müßiggang bewahren sollen (c. 48, 23) doch sieht er sich, wie schon der Tenor der zitierten Formulierung zeigt, unter den Brüdern mit einem Makel behaftet. Offenbar muß vorausgesetzt werden, daß jedem, der ins Kloster eintritt, die Möglichkeit angeboten wird, die Kunst wo nicht des Schreibens, so doch des Lesens zu erlernen2. „Litteras discere heißt im mittelalterlichen Sprachgebrauch fast
2 In Ergänzung der Ergebnisse von Grundmann (wie Anm. 1) legte A. Wendehorst, Erlangen, in einem Gießener Vortrag, ,,Wer konnte im Mittelalter lesen und schreiben?“ im Sommersemester 1980 dar, daß der Begriff des litteratus noch nach spätmittelalterlichen Vorstellungen erfüllt ist, wo nur das Lesen, nicht jedoch auch das Schreiben beherrscht wird. Beide Fähigkeiten gingen früher nicht so selbstverständlich zusammen, wie sich dies seit der Entwicklung unseres modernen Schulwesens eingebürgert hat. – Die Ausleihpraxis der Fastenzeit beleuchtet aufschlußreich eine Entleiherliste der
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dasselbe wie Kleriker oder Mönch werden. Ein Kind litteris dare heißt, es für den geistlichen Stand bestimmen oder ins Kloster schicken“3, wobei in der Natur der Sache liegt, daß Lesenlernen zunächst mit Lateinlernen zusammenging4. Was aber diese ganze sorgsam gepflegte mönchische Lesekultur für die Ausbildung und Entfaltung klösterlicher Spiritualität durch all die Jahrhunderte hin bedeutet hat, kann überhaupt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eben an dieser Stelle jedoch liegt der Punkt, an dem die Kritik des vermeintlich mönchischen Charakters der Ordensritter einzusetzen hat, denn nichts wurde in diesen Orden, ausgenommen allenfalls ihren Klerus, weniger gepflegt als eben diese für das Mönchtum so ausschlaggebend entscheidende Grundlage geistlicher Vervollkommnung und Vertiefung. Die entsprechenden Weichen wurden schon in den ersten Anfängen der Entwicklung gestellt, um 1128, als Bernhard von Clairvaux, um den sich nur mühsam entfaltenden Templerorden voranzubringen, seine Schrift De laude novae militiae entwarf 5. In diesem Traktat, dem auch
Bibliothek von Cluny aus der Zeit um 1030, De breue librorum quod fit in capud (sic) quadragesimae, die zufällig in den Liber tramitis von Cluny (die früher fälschlich sog. Consuetudines Farfenses) inseriert wurde; vgl. Liber tramitis aevi Odilonis Abbatis, ed. P. Dinter (= Corpus Consuetudinum Monasticarum X), Siegburg 1980, S. 261–264, dazu K. Christ, In Caput Quadragesimae, Zentralblatt für Bibliothekswesen 60 (1943), S. 33–59; A. Wi1mart, Le convent et la bibliothèque de Cluny vers le milieu du xie siècle, Revue Mabillon 11 (1921), S. 89–124, sowie Dinters Einleitung, S. XLIV–XLV. Es fällt auf, daß neben patristischen und anderen kirchlichen Schriften in der Liste ganz unbefangen auch historiographische Werke von Livius und Josephus erscheinen; einige Entleihernamen tauchen mehrfach auf. Den Hinweis auf diesen wichtigen Text danke ich Herrn Dr. Th. Kölzer (Gießen). 3 H. Grundmann, S. 9. 4 Ibid., S. 3 f und 9. Vgl. unten Anm. 12. 5 Bernardus Clarevallensis, Die laude novae militiae (auch: Liber ad Milites Templi); zu benutzen jetzt in der Neuausgabe: Sancti Bernardi Opera III, rec. J. Leclercq – H. M. Rochais, Rom (Editiones Cistercienses) 1963, S. 207–239, wo als festes Zitiersigle Tpl. vorgeschlagen wird. – Die Literatur über Bernhard ist unübersehbar geworden; Hinweise bei H.-D. Kahl, Bernhard von Fontaines, Abt von Clairvaux, [in:] Gestalten der Kirchengeschichte III, hrsg. von M. Greschat, Stuttgart 1963, S. 171–193; vgl. ders., Die Ableitung des Missionskreuzzugs aus sibyllinischer Eschatologie. Zur Bedeutung Bernhards von Clairvaux für die Zwangschristianisierungsprogramme im Ostseeraum, [in:] Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung und Kolonisierung des Ostseegebietes, hrsg. von Z. H. Nowak (Ordines militares. Colloquia Torunensia Historica 1, Toruń 1983, S. 127–139); ergänzend Ders., Christianisierungsvorstellungen im Kreuzzugsprogramm Bernhards von Clairvaux. Anmerkungen zum geistesgeschichtlichen Kontext des „Wendenkreuzzugs“ von 1147 Przegląd Historyczny t. 75, z. 3). Über den obengenannten Traktat unter den hier wichtigen Gesichtspunkten: J. Fleckenstein, Die Rechtfertigung der geistlichen Ritterorden nach der Schrift ‚De laude novae militae‘ Bernhards von Clairvaux, Vorträge u. Forschungen 26 (1980), S. 9–22, mit weiterer Lit.
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die jüngeren Ritterorden alle wesentlichen Grundzüge ihres geistigen Profils entnahmen, zeigt sich ein eindrucksvolles Gemälde entwickelt, das die militia dieser neuen Art von Christi milites der militia saecularis, vielmehr malitia, älterer Gewohnheit, die nur dem Teufel front, gegenüberstellt: sie kann ihr ritterliches Handwerk sündlos üben, auch wenn sie tötet – sie dient ja nicht eigensüchtigen, sondern geistlichen Zielen6. Ein Idealbild ihres geistlichen Zusammenlebens und ihres unerschrockenen Kämpfens schließt sich an7 und endlich eine Serie von Einzelkontemplationen, heiligen Stätten im heiligen Lande gewidmet, Plätzen also, die die Templer mit ihrem Einsatz zu verteidigen hatten, während sie jüngeren, auf Spanien oder das Baltikum konzentrierten Orden naturgemäß weniger Unmittelbares zu sagen hatten8. Das Ganze klingt aus in einen Lobpreis des Herrn, „der eure Hände zu kämpfen lehrt und eure Finger, Krieg zu führen“, angelehnt an ein Psalmwort, zugleich aber fast so etwas wie eine gezielte Absage an alle andersartige Tätigkeit9. Von Wegen jedoch, auf denen eine geistliche Vervollkommnung erreicht werden soll, ist bei alledem keinerlei Rede, auch nicht bei Schilderung des gemeinsamen Lebens, und also auch nicht die Rede von der Pflicht oder auch nur Möglichkeit zur Lektüre: der Ordensritter bleibt zwar, so wird betont, nicht müßig, falls er gerade nicht zum Kampfe auszieht, doch als Beschäftigungen für diesen Fall sind Pflege und Instandhaltung von Waffen und Gerät aufgeführt sowie die Ausführung anderer nützlicher Anordnungen des Hochmeisters10. Man wird in solch persönlicher Ausführung von Handgriffen, für die weltliche Ritter im allgemeinen ihr Gesinde hatten, einen Akt geforderter Demut zu sehen haben. Ausdrücklich verboten wird das Lesen zwar nicht, doch es bleibt deutlich außer Betracht, ja es scheint dermaßen fern zu liegen, daß nicht einmal der Gedanke an die Möglichkeit seiner Erwähnung sich einstellt.
6
Tpl., §§ 1–7 (S. 214–219), vgl. 8 (S. 220 f.), 10 (S. 223) u.ö. Tpl., §§ 7–8 (S. 219–221). 8 Tpl., §§ 9–31 (S. 222–239). 9 Tpl., § 31 (S. 239, 17 f.): „. . . ut in omnibus sit ipse benedictus, qui docet manus vestras ad proelium et digitos vestros ad bellum“ (so nach Ps. 143, 1). 10 Tpl., § 7 (S. 220, 10–14): „Nullo tempore aut otiosi sedent, aut curiosi vagantur; sed semper, dum non prodecunt – quod quidem raro contingit – ne gratis comedant panem, armorum seu vestimentorum vel scissa resarciunt, vel vetusta reficiunt, vel inordinata componunt, et quaeque postremo facienda Magistri voluntas et communis indicit necessitas . . .“. 7
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Wo liegen die Gründe? Zunächst mag man an den Anlaß der Schrift denken. Sie sollte, wie gesagt, einem Orden aufhelfen, der bisher mehr dahinvegetierte als lebte. Zu diesem Zweck mußte sie werbend wirken, mußte Saiten anschlagen, die in ritterlichen Seelen einen positiven Widerhall zu wecken vermochten. Ein Ritter ist Kriegsmann, kein Federfuchser; er hat es mit Schild und Schwert, nicht mit Bücherkram zu tun, und er vergibt sich nichts, wenn ihm die Lesefähigkeit, die literarische Bildung und Bildungsmöglichkeit, abgeht; eher ist das Gegenteil der Fall: dies war damals wie noch lange nachher eine herrschende Grundstimmung der anzusprechenden Kreise11. Viele, die sonst für den Eintritt in den Ritterorden zu gewinnen gewesen wären, hätten abgeschreckt werden können, wäre ihnen dabei der Weg auch zum Buch (und das hieß ja eben im 12. Jahrhundert zugleich noch: zum gelehrten Latein)12 zugemutet worden; sie hätten sich dadurch intellektuell überfordert oder gar in ihrer Ritterwürde gekränkt gefühlt, während es doch in erster Linie auf Vermehrung des Zustroms ankam. So mußten schon rein taktische Gründe eine andere Stellungnahme zu dieser Frage verbieten. Doch vielleicht ist es nicht einmal notwendig, hier sie zu bemühen. Bernhard war ritterbürtig in eigener Person; Könige und Herzöge zählten zu seinen Vorfahren. Sehr wohl wäre denkbar, daß er die geschilderte Grundstimmung auch seinerseits in der Jugend tief aufgenommen hatte als eine Selbstverständlichkeit, die über jedes Reflektieren erhaben war, und daß er daran für die, die Ritter blieben, festhielt, auch als er für sich persönlich mit dem Schritt über die Klosterschwelle solche Traditionen hinter sich ließ13. Doch wie dem auch sei: die Folgen waren gravierend. Was man einer Autorität von Bernhards Rang vielleicht noch murrend abgenommen hätte: einem Späteren wäre es unmöglich gewesen, gegen die durch einen solchen Mann abgestützte Tradition anzugehen. So waren Ordensritter in den Vorstellungen der Zeit grundsätzlich auf Seiten derer eingereiht, die man illitterati nannte, der Latein- und Leseunkundigen14. Sie standen damit gerade nicht den Mönchen gleich,
11 Zahlreiche Beispiele bei H. Grundmann (wie Anm. 1), z.B. S. 8–15, 45–55, 65 f., passim (Bernhard S. 56 erwähnt, ohne seine Einstellung zu ritterlichem Lesen und Schreiben zu erwägen). 12 Grundmann, S. 3 f., 9, 23 f., 33, 37, 43, 44 f., 45–53. 13 Vgl. H. Carrier, La sens militaire chez Saint-Bernard, [in:] Saint-Bernard et son temps I, Dijon 1928, S. 68–74. 14 Siehe Anm. 12. Daß der Ausdruck in Tpl. nicht als Forderung aufgeführt ist, spielt für die Urteilsbildung keine Rolle.
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die die Regel zu ständiger Lektüre verpflichtete, wie immer es mit der praktischen Handhabung dieser Satzung gehalten werden mochte; sie standen auf der Stufe jenes Instituts, das sich um eben diese Zeit, nicht zuletzt im Zisterziensertum, erst neu entwickelt hatte – jener Art von Halbmönchen minderer Geltung, die vorzugsweise Knechtsarbeit zu übernehmen hatten und ebenso selbstverständlich illitterati waren wie andere Laien: der sog. Konversen15. Eine Synthese von Mönch und Ritter wären die Ordensritter gewesen, hätten sie die volle Mönchsregel übernommen, einschließlich der durch die Lektürepflicht abgesicherten Aufgabe ständiger Vervollkommnung in geistlicher Hinsicht, und dabei lediglich die vorgesehene Handarbeit durch Wahrnehmung kriegerischer Aufgaben ersetzt. Daß dies nicht geschah, machte sie zu einer Art verselbständigten Konversenordens von ritterlichem Zuschnitt, dem die sonst übliche Ergänzung durch Mönche im Vollsinn oder durch Kanoniker als ausschlaggebendes Element mangelte, abgesehen einzig von der Heranziehung von Priesterbrüdern im für die Seelsorge nötigen Umfang – man mag von Konversen der allgemeinen Kirche (statt eines speziellen geistlichen Ordens in ihrem Rahmen) sprechen16. Daß die Ritterorden schließlich auch ihrerseits zur Entwicklung eines Konverseninstituts kamen, zur Angliederung dienender Brüder für die Wahrnehmung notwendiger Aufgaben ziviler Art, und daß sie sich
15 Vgl. H. Grundmann, S. 24 m. Anm. 6. An neuerer Literatur über das Konverseninstitut sei ergänzt: K. Hallinger, Woher kommen die Laienbrüder? Ann. Cist. 12 (1956), S. 1–104; W. Teske, Laien, Laienmönche und Laienbrüder, Frühmittelalterl. Studien 10 (1976), S. 248–322, sowie ebd. 11 (1977), S. 288–339; K. Elm, Beiträge zur Geschichte der Konversen im Mittelalter (= Ordenstudien I), Berlin 1980. – Vgl. die flg. Anm. 16 Ich knüpfe damit an Gedanken an, die Herr Prof. Dr. S. Trawkowski, Warschau, gesprächsweise schon vor Jahren ähnlich geäußert hat, ohne/daß ihm damit Zustimmung zu allen oben im Text soeben vorgetragenen Einzelformulierungen unterstellt werden soll. – Für den Deutschen Orden wurde ein Ausgleich erst durch die Inkorporation wenigstens dreier der vier Domkapitel des Preußenlandes erreicht. Die Initiative dazu ging offenbar mehr von der päpstlichen Kurie als vom Orden aus und ist in den Zusammenhang allgemeinkirchlicher Tendenzen zur Klerikalisierung frommer Laiengemeinschaften hineinzustellen: K. Górski, Das Kulmer Domkapitel in den Zeiten des Deutschen Ordens. Zur Bedeutung der Priester im Deutschen Orden, [in:] Vorträge u. Forschungen 26 (1980), S. 335 f., vgl. dens. (wie Anm. 36), S. 16 u. 18. An der allgemeinen Struktur des Ordens änderte sich durch diese Maßnahmen nichts: die Ritterbrüder blieben das führende und ausschlaggebende Element, die Priesterbrüder behielten eine mehr untergeordnete Funktion zur Wahrnehmung unerläßlicher kirchlicher Dienste, eingeschlossen diejenigen als schreibkundiges Kanzleipersonal. Man muß die Stellung der Prämonstratenser als eines Ordens von Regularklerikern zu ihren Konversen vergleichen, um die ganze Konsequenz dieser Verhältnisse zu erfassen: beide Orden liefern hier gleichsam Bild und Gegenbild.
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über diese Minderrangigen ihrerseits erhaben dünkten, ändert nichts an diesem grundsätzlichen Befund. Der Deutsche Orden macht hier keine Ausnahme. Er ist sogar besonders gut geeignet, die soeben entwickelten Beobachtungen näher zu illustrieren. Seine Regel und die verschiedenen jüngeren Statuten liefern dazu das Material, aus dem der Soll-Bestand herauskristallisiert werden kann, also die herrschende Idealvorstellung17 – mit ihr müssen wir uns hier, wie oben für das Mönchtum, begnügen, ohne den sicher oft minderen Grad der Verwirklichung im Routinebetrieb des Ordensalltags auch noch mit aufzuarbeiten. Man wird zunächst nach der Rolle von Predigt und Vorlesung fragen, denn immerhin wäre es möglich, daß der Ausfall der geistlichen Fortbildungsmöglichkeit durch eigene Lektüre von dieser Seite her ausgeglichen werden sollte. Der Befund ist jedoch negativ. Von Predigt ist in den genannten Materialien überhaupt keine Rede; sie dürfte demnach gegenüber normaler Laienseelsorge keine überdurchschnittliche Rolle gespielt haben. Im regelmäßigen Gottesdienst haben die Priesterbrüder die jeweils vorgeschriebenen Texte – Psalmen und anderes – zu singen und zu lesen. Laienbrüder, die dazu imstande sind, dürfen sich ihnen anschließen und sind dann von der für ihren Stand normalen Verpflichtung befreit, stattdessen, je nach der Norm der betreffenden kanonischen Stunde, 13, 7 oder 9 Vaterunser zu beten18. Man hat dafür jedenfalls an die lateinischen Textfassungen zu denken, wie sie dem liturgischen Leben der allgemeinen Kirche zugrundelagen: nicht Erbauung der Brüder also ist das Ziel, sondern Anbetung und Erfüllung kultischer Pflicht. Kranken ist an Sonntagen (nicht also etwa täglich!) die Lesung von Epistel- und Evangelientexten zuzuwenden19 (auch in der Vulgatafassung, also eher als Kulthandlung?). Wo ein Ordenshaus voll besetzt ist, d.h. mit 12 Brüdern und einem Vorsteher, sollen die Mahlzeiten von einer Lesung begleitet werden, und alle haben ihr still zuzuhören, denn es soll nicht nur ihr Mund Speise
17 Ausgabe von M. Perlbach, Die Statuten des Deutschen Ordens nach den ältesten Handschriften, Halle a. S. 1890 (Nachdruck Hildesheim – New York 1975). Dieser Ausgabe sind, soweit nicht anders vermerkt, sämtliche nachstehenden Zitate bis einschl. Anm. 36 entnommen. 18 Regel, c. 8 (S. 35, vgl. 34); vgl. Gesetze Pauls von Rußdorf, c. 2–4 (S. 157); Gesetze, c. 9 (S. 85), dazu die häufige Nennung der „festa IX lectionum“: Gesetze II, g (S. 62); Veniae, c. 1. 2. 6. 9. 10. 11. 13 (S. 120–124, passim): Gebet 1 (S. 132); an letzter Stelle auch „vigilae cum III lectionibus“. 19 Regel, c. 6 (S. 32), dazu aber täglicher Gottesdienst: Gesetze, c. 12 (S. 69).
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zu sich nehmen, sondern auch ihre Ohren mögen hungern nach dem Wort Gottes. Hier ist also eindeutig und ausschließlich an die Erbauung der Brüder gedacht; es muß mithin auch sprachlich auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen worden sein20. Diese Bestimmungen gelten jedoch – und zwar in bewußt herausgestelltem Unterschied zu anderen Ordensrichtungen – nicht, wenn nur eine Kollation gereicht wird. In diesen Fällen macht die Regel es lediglich zur Pflicht, daß im Hinblick auf die anderweitig auch bei solcher Gelegenheit durchgeführte Lesung die Brüder wenigstens einigermaßen Schweigen bewahren21. Hier wird also in bewußter Gegenüberstellung mit anderen Observanzen ausdrücklich eine Minderleistung an geistlicher Betreuung angeordnet. Große Aufmerksamkeit sieht man der immer neuen Verlesung von Regel und Ordensgewohnheiten zugewandt, damit ihr Inhalt sich so tief wie möglich einprägt. Dreimal, nach jüngerer Regelung sogar sechsmal im Jahr ist sie in allen Häusern ganz vorzunehmen, zu benannten Terminen, außerdem Sonntags und bei anderen Gelegenheiten abschnittsweise, nach und nach also, mit Erläuterungen; wer will, mag die Regel noch öfter hören oder lesen22. Sie ist danach als die Haupterbauungsschrift des Ordens zu betrachten. Die Brüder werden ermahnt, bei der Verlesung die Ohren aufzusperren und sich Mühe zu geben, daß sie erfassen lernen, was eigentlich sie (beim Eintritt in den Orden) zu tun gelobt haben, damit nicht das angestrebte Verdienst sich unversehens in geistlichen Schaden verkehre23.
20 Regel, c. 13 (S. 41, 15 ff.): „. . . leccio continue ad mensam habeatur, quam omnes in mensa edentes sub silencio audiant, ne sole eis fauces sumant cibum, sed et aures esuriant Dei verbum . . .“. Bekanntlich war die deutschsprachige Deutschordensdichtung geistlichen, vielleicht auch diejenige historischen Inhalts wesentlich zum Vorlesen bei den Mahlzeiten bestimmt, vgl. den Überblick von G. Eis, Deutschordensliteratur, bes. §§ 2–3, im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte 2. hrsg. von W Kohlschmidt – W. Mohr, Bd. I, Berlin 1958, S. 244–251 m. Lit., dazu F. W. Wentzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung des Mittelalters, Berlin 1960, S. 294 ff., und die allgemeinen Literaturgeschichten für das deutsche Mittelalter. 21 Regel, c. 16 (S. 44): „. . . fratres [. . .] cum graciarum accione sumentes potum, qui eis fuerit propinatus; cum vero in alii religionibus“ (deutsche Fassungen: „in anderen geistlichen lebenen“ u.ä.) leccio in collacione habeatur, quam omnes silenter audiunt, monemus, ut fratres in collacione vel taceant vel saltem honesta non clamose loquantur . . .“. Perlbach (Hrsg.), S. 44, Anm. 1 verweist dazu auf die Beispiele der Dominikaner und Augustinereremiten. 22 Gesetze, c. 27 (S. 74), vgl. III b. (S. 63), ferner c. 17 (S. 71); Gewohnheiten, c. 3 (S. 92); Gebet, c. 2 (S. 133); Eberhard von Sayn, c. 14 (S. 163). 23 Gesetze, c. 28 (S. 74): „Cum regula legitur, fratres aures adhibeant et auscultent [vgl. den Anfang der Benediktinerregel!] et studeant discere, quod voverunt facere,
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Mit diesen Weisungen ist jedoch bereits erschöpft, was sich zu diesem Teilaspekt beibringen läßt. Es ist deutlich: ein wirklicher Ausgleich für das, was den Mönchen durch ihre Klosterregel abverlangt wurde, war mit solchen Mitteln nicht entfernt zu erreichen, selbst wenn die praktische Verwirklichung mit äußerster Gewissenhaftigkeit erfolgte. Wohl gab es Vorschriften für Bücherhaltung. In jedem Ordenshause sollen Breviere, sogenannte Ordinationen, vorhanden sein, die dem ordnungsmäßigen Gottesdienst zugrundezulegen sind24. Außerdem darf natürlich nirgends die Regel fehlen25. Weitere Schriften allerdings sind nirgends ausdrücklich gefordert, so daß man zögert, von „Bibliotheken“ zu sprechen; es wird jedoch, jedenfalls für den Bereich des Deutschmeisters, Vorsorge getroffen, was mit dem Büchernachlaß eines Priesterbruders zu geschehen habe, mit dem als möglich dort also gerechnet wird. Solcher Hinterlassenschaft kommt eine derartige Bedeutung zu, daß die Verfügung darüber ursprünglich keinem Geringeren vorbehalten bleibt als dem Deutschmeister selbst26. Auch das Verschenken oder der Verkauf eines Buches aus dem Orden nach auswärts bedarf seiner Zustimmung27. Geld, das einem Priesterbruder zur Anschaffung von Büchern anvertraut wird, darf er unter keinen Umständen anders verwenden28. Verläßt er den Orden, so soll ihm nicht gestattet sein, ein Buch mitzunehmen29. Aus alledem meint man durchaus etwas von der Kostbarkeit und Seltenheit solchen Besitzes im Ordensbereich herauszuhören: er muß besonders gehütet und
ne forma vivendi, que proponitur ad merendum, prevaricacionis inducat reatum, causamque morbi ministret abusio medicine“. 24 Gesetze III a (S. 71); c. 23 (S. 72); vgl. deutsche Fassung der Gesetze Pauls von Rußdorf, gegen Ende (S. 158), sowie Regel, c. 10 (S. 37). – Vgl. die folg. Anm. 25 Gesetze III b (S. 63); c. 17 (S. 71) – wo die deutschen Fassungen hinzufügen: „die regele ende die ghesette ende die ghewoentheit oder doch die regele unde die gesetzede“; Gesetze Pauls, wie vor. Anm. – Es fällt auf, daß diese wenigen Vorschriften wiederholt eingeschärft werden mußten, also nicht selbstverständlich durchgeführt wurden – selbst die in Anm. 24 zusammengestellten. 26 Kapitelsbeschlüsse II, c. 1 (S. 135). – Gesetze Burkhards von Schwaben (1289), c. 4 spricht nur von „Brüdern“, ohne sie ausdrücklich als Geistliche zu kennzeichnen, hebt aber im folgenden „Breviarien“ hervor. Die Verfügungsberechtigung wird in der niederländischen Fassung auf den Landkomtur übertragen. 27 Gesetze Burkhards, c. 4 (S. 139). 28 Kapitelsbeschlüsse II, c. 1, vgl. 3 (S. 135); VI, 3 (S. 136). 29 Kapitelsbeschlüsse II, 1 (S. 135: „. . . ist dat ein paffe van deme ordene vert, den sal man in keinen urlouf geven einich buch mit im ze fůrene“. – Gesetze Burkhards, c. 4, nur die niederländische Fassung (S. 139), erwähnt beiläufig: „die boeke, die bliven van dien broederen, [. . .] die van one varen“. Sie sind zu behandeln wie entsprechender Nachlaß Verstorbener.
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gepflegt werden. Eine gewisse Beschäftigung mit Büchern gehörte offenbar zu den Amtspflichten der Priesterbrüder, und das mußte über deren Bildungsstand auf die Laienbrüder zurückwirken. Über Art und Intensität solchen Einflussens ist diesem Material naturgemäß nichts zu entnehmen; übertreibende Vorstellungen sind schwerlich am Platze. Merkwürdig bleibt, daß Entsprechungen zu den zuletzt aufgeführten Bestimmungen für andere Teile des Ordens fehlen, das Preußenland nicht ausgenommen. Nur der Analogieschluß kann vermuten, daß dort im Prinzip ähnlich verfahren werden sollte. Von möglichem Buchnachlaß eines Laienbruders ist in den ausgewerteten Texten nirgends die Rede; er kam also allenfalls so selten vor, daß es nicht lohnte, dafür eigens Regelungen zu treffen. Dabei wird die Zahl der Laienbrüder, die zu den litterati zu rechnen waren – die also jedenfalls (Latein) lesen konnten – gelegentlich als bedeutend hingestellt30. Stoßen wir immerhin damit auf ein Ergebnis ordenseigener Bildungsarbeit? Waren die Deutschritter bestrebt, möglichst vielen Laienbrüdern zu Kenntnissen dieser Art zu verhelfen? Wurden Voraussetzungen für eine intensivere freiwillige Lesetätigkeit, die sich außerhalb von Regelvorschriften zu entfalten vermochte, auf diese Weise angestrebt? Die Regeln und Gewohnheiten sprechen mehrfach von scholares31. Der Textzusammenhang zeigt jedoch deutlich: es handelt sich dabei nie um etwas anderes als Hilfsgeistliche oder Priesternachwuchs32. Die Ordensregel handelt von Hospitälern, die zu unterhalten sind, nicht von Schulen. Wohl aber besagt eins der frühen Ordensgesetze, und zwar eins, das offenbar ohne Parallele in den Bestimmungen anderer Ritterorden dasteht: „Brüder, die nicht lesen können, sollen im Orden 30 Regel, c. 8 (S. 35): „. . . quia plerique laycorum litterati sunt . . .“ (folgt Erlaubnis zu ihrer Beteiligung an den kanonischen Lesungen der Priesterbrüder). Zur Lateinkenntnis, die der Begriff des litteratus – wenigstens zunächst – zwangsläufig einschließt, oben Anm. 4. Für den Deutschen Orden hat K. Forstreuter, Latein und Deutsch im Deutschen Orden, bei E. Bahr (Hrsg.), Studien zur Geschichte des Preußenlandes. Festschrift für Erich Keyser, Marburg 1983, S. 373–391, aufschlußreiche Beobachtungen vorgelegt, die allerdings, wie schon der Untertitel angibt, im wesentlichen auf die Problematik der Amtssprache ausgerichtet sind. Darnach ist bei Laien des Einzugsbereichs unter Umständen eine deutschsprachige, lateinlose Lesefähigkeit bereits vorauszusetzen (vgl. unten bei Anm. 53). Ob sie für den vorliegenden Zusammenhang ausreichte, darf gefragt werden, obwohl natürlich ein rein mechanisches Ablesen unverstandener lateinischer Worte nicht sicher ausgeschlossen werden kann, besonders, wenn sich mit dem Lesen eben dieser Formeln die Vorstellung der Erfüllung einer kultischen Pflicht verbindet. 31 Gesetze III d u. i (S. 63); c. 12 (S. 69). 24 (S. 73). 25 (ebd.); Gewohnheiten, c. 11 (S. 98). 32 Sämtliche in Anm. 31 genannte Stellen ohne Ausnahme.
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nicht ohne Erlaubnis Buchstaben lernen, doch mögen diejenigen, die sie vorher (schon) kannten, die Erlaubnis haben, (davon weiterhin) Gebrauch zu machen“33. Einige Fassungen ergänzen dies durch einen Zusatz, der zum Verständnis hilft: „Kein Laienbruder soll Pfaffe werden . . . ohne Genehmigung des Hochmeisters“34. Offenbar fürchtete man für die militärische Schlagkraft des Ordens, wenn gar zu viele Ritterbrüder sich so sehr in geistliche Studien vertieften, daß sie ihrer bisherigen Bestimmung innerlich entfremdet wurden, womöglich bis zur Aufgabe ihres Rittertums. Dabei scheint auch der Bestand an Priesterbrüdern mindestens zeitweise nicht übermäßig groß gewesen zu sein, denn der gleiche Zusatz besagt, es dürfe auch kein Ordensgeistlicher ohne entsprechende Genehmigung eine Hochschule besuchen35 (d.h. sich für die Studiendauer seiner Wirksamkeit im Orden entziehen, und das noch auf die Gefahr hin, ihm bei Aufstieg zu gehobener Gelehrsamkeit womöglich ganz entfremdet zu werden). Bestehender Bedarf an geistlichem Nachwuchs sollte also möglichst nicht aus dem Orden selbst gedeckt werden, sondern vornehmlich durch Werbung außerhalb. Gelang sie, so hatte der Orden allerdings gegen mitgebrachte gehobene Bildung nichts einzuwenden: schon die Gesetze Konrads von Feuchtwangen (1292) deuten die Hoffnung an, ein eintretender Kleriker könne ein hôchmeister von der schrift oder von rechte sein, will sagen: ein magister theologiae oder iuris, und sie entbinden für diesen Fall sogar von der Bestimmung, uneheliche Geburt durch päpstlichen Dispens zu heilen36. 33 Gesetze, c. 1 (S. 64); Illitterati fratres non debent sub habitu [deutsche Fassung: in deme ordene] sine licentia litteras discere, sed qui sciverint ante, licite poterunt usitare. Da eine „wissenschaftliche“ Bildung von Laienbrüdern zweifellos ohnedies nicht angestrebt wurde, scheint mir hier die wörtlichste Übersetzung (litterae = „Buchstaben“) den ursprünglichen Sinn am genauesten zu treffen. Die deutsche und die niederländische Fassung sprechen allerdings von den „ungelerten brûdere (unghelerden brodere), die niht sulen lernen âne urlop (leren ane orlof )“. Hier ist jedoch nicht unser Begriff der Gelehrsamkeit unterzuschieben, sondern der mittelalterliche, wie er in dem vielzitierten Anfang des „Armen Heinrich“ Hartmanns von Aue zum Ausdruck kommt: „Ein riter sô gelêret was, daz er an denen bůchen las“. Schon die Fähigkeit, zu lesen, repräsentiert also einen Grad von „Gelehrsamkeit“, der bei einem ritterlichen Laien Staunen erregt! Vgl. dazu auch Grundmann, wie Anm. 11. – Über die praktischen Möglichkeiten, diese Gelehrsamkeit im Deutschorden weiter zu nutzen, vgl. oben vor Anm. 18. 34 So die deutsche und die niederländische Fassung der Gesetze, c. 1 (S. 64). 35 S. vor. Anm. 36 Gesetze Konrads von Feuchtwangen III, 1 (S. 143). – Einen kurzgefaßten Überblick über die Rekrutierung der Deutschordenspriester gibt K. Górski (wie Anm. 16), S. 335; vgl. dens., Probleme der Christianisierung in Preußen, Livland und Litauen, bei Nowak (wie Anm. 5), S. 20 f. Ebd., S. 17–29, passim, über den Bildungsstand der durchschnittlichen Ordenspriester. Nicht nennenswert berücksichtigt ist diese Gruppe
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Man sieht: weiterbauend auf den Grundlagen, die Bernhard von Clairvaux gelegt hatte, sorgte der Deutsche Orden für möglichst weitgehende Aufrechterhaltung von Schranken, die die Entwicklung einer gehobenen Ordensspiritualität auf der Grundlage wenigstens begrenzter geistlicher Eigenstudien für Ritterbrüder außerordentlich erschweren mußten. Er tat dies aus wohlverständlichen Gründen, nämlich im Interesse der Erhaltung seiner militärischen Schlagkraft. Gar zu intensive Beschäftigung mit erbaulichem Schrifftum – so war offenbar die Meinung – mußte sie lähmen, ja womöglich zu unerwünschter Dezimierung der ordenseigenen ritterlichen Kontingente zugunsten priesterlicher Neigungen führen. Der eigentliche Daseinszweck als Ritterorden stand auf dem Spiel. Eben damit aber war eine ganz scharf markierte Grenze zu allem Mönchtum gezogen, mochten auch viele seiner äußeren Lebensformen so gut wie möglich übernommen werden. Das Leben des Ritterbruders und also der Hauptmasse der Ordensangehörigen hatte sich nicht im Spannungsfeld von Chorgebet, Handarbeit, Lesung samt Meditation und nötiger Ruhe zu entfalten, sondern zwischen den Polen Chorgebet, Kriegshandwerk (samt nötiger Vorbereitung), Hospitaldienst und Ruhe. Die kaum vermeidbare Folge aber war, daß es auf solcher Basis ungleich schwerer sein mußte, die Gefahr abzuwehren, von der selbst das Mönchtum sich trotz allem immer und immer wieder in seiner langen Geschichte bedroht sah: Verweltlichung37. Ein Sachzwang, zu dem es wahrscheinlich keine Alternative gab, trug den Keim zum Untergang in sich beschlossen. Zugleich aber waren durch all diese Regelungen Grundzüge festgeschrieben, von denen her Möglichkeiten und Grenzen sich bestimmten für die Einordnung der Ordensritter in das Kulturgefüge des von ihnen aufgebauten Staatswesens an der Ostsee. 2. Ordensritter und „Bürgerkultur“ Das Verhältnis der Ordensritter zu der Bevölkerung ihres Preußenlandes stellt sich dar als Sonderfall mehrerer allgemeiner Probleme, die sich hier in unüblicher Weise kombinieren:
leider in den unten Anm. 42 genannten Arbeiten von Wojteckı und Scholz, soweit sie gedruckt bzw. im Rotaprint zugänglich sind. 37 Dazu die bei Górski (wie Anm. 16), S. 337 Anm. 21 genannte Lit.
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1 – das Verhältnis ritterlichen Adels zu Stadt und Stadtbewohnern einerseits, Dorf und Landbewohnern andererseits; 2 – das Verhältnis des Landesherrn und seiner Repräsentanten zu denen, die – unter welchen Rechtstiteln immer – von ihm abhängig sind, schließlich 3 – für die prussischen, kaschubischen, litauischen, kurischen und polnischen Einwohner das Verhältnis des Deutschen übergeordneter Stellung zu Nichtdeutschen, die von ihm abhängig oder auf ihn angewiesen sind38. Diese Problemkombination gilt allgemein, für alle in Betracht kommenden Lebensbereiche; sie ist folglich auch für die Analyse der kulturgeschichtlichen Situation zu berücksichtigen. Am Beispiel der Städte des Ordenslandes seien dazu einige allgemeine Erwägungen zur Diskussion gestellt, unter Absehung von den übrigen angerissenen Teilaspekten. Zweifellos repräsentierten die Deutschordensritter auf ihre Weise etwas von ritterlicher Adelskultur ihrer Zeit: in der überwiegenden Mehrheit hatten sie diese ja schon von klein an aufgenommen, auf den Burgen und Gütern der Väter. Allerdings ist dabei nicht von dem offenbaren Höhepunkt ritterlicher Entwicklung auszugehen, wie ihn die Stauferzeit gesehen hatte39, sondern – um die bekannte Formel J. Huizingas aufzugreifen – vom „Herbst des Mittelalters“40, der auf sie folgte: er ist es ja, dem als eine der bedeutenden Erscheinungen auch der Deutsche Orden angehört. Es ist eine Zeit, die sich auf mehr oder weniger allen Lebensgebieten in gegenteiligsten Extremen auslebt: auch in der Welt des Rittertums.
38 Zu diesem dritten Problemkreis, der hier nicht weiter behandelt werden kann, vgl. R. Wenskus, Der deutsche Orden und die nichtdeutsche Bevölkerung des Preußenlandes mit besonderer Berücksichtigung der Siedlung, Vorträge u. Forschungen 18 (1975), S. 417–438 (S. 422 f. u.ö. zum Problem der Aufnahme von Nichtdeutschen in den Orden; dazu ausführlicher ders. – wie Anm. 62, S. 366–370 mit weiteren Nachweisen). 39 A. Borst, Das Rittertum im Hochmittelalter. Idee und Wirklichkeit, Saeculum 10 (1959), S. 213–231; J. M. van Winter, Rittertum. Ideal und Wirklichkeit, München 1969; G. Eifler (Hrsg.), Ritterliches Tugendsystem (= Wege d. Forschung 56), Darmstadt 1970; H. G. Reuter, Die Lehre vom Ritterstand. Zum Ritterbegriff in Historiographie und Dichtung vom 11.–13. Jh., Köln 1971; J. Fleckenstein, Friedrich Barbarossa und das Rittertum. Zur Bedeutung der großen Mainzer Hoftage von 1184–1188, Festschr. H. Heimpel, II, Göttingen 1972, S. 1022–1141; ders., Rittertum und höfische Kultur. Entstehung, Bedeutung, Nachwirkung, Jahrb. d. Max Planck-Instituts, Göttingen 1976, S. 40–52; K. Brunner – F. Daim, Ritter, Knappen, Edelfrauen. Ideologie und Realität des Rittertums im Mittelalter, Wien–Köln 1982, mit weiterer Lit. 40 J. Huizinga, Herbst des Mittelalters, 81961.
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Hier steht sie einerseits im Zeichen glänzendster Höfe – ihre sonst wohl unerreichte Spitze verkörperte derjenige der burgundischen Herzöge mit seiner raffiniert verfeinerten Kultursphäre und seinem weltlichen Ritterorden vom „Goldenen Vlies“, weithin als vorbildhaft empfunden, nicht ohne Einwirkung auch auf die Art, wie der Hochmeister des Deutschen Ordens auf seinen „Litauerreisen“ den Teilnehmern aus europäischem Hochadel entgegentrat. Weit davon entfernt jedoch ist das Bild, das der Niederadel bietet: schon der alternde Walther von der Vogelweide (um 1230) beklagte hier den gravierenden Niedergang gegenüber älterem staufischem Stande, wohl noch ehe der erste Ordensritter einen Fuß auf preußischen Boden gesetzt hatte41. Eben diesem Niederadel jedoch, der Ministerialität vor allem, entstammten die „Brüder vom deutschen Hause“ in überwiegender Mehrheit, auch wenn Abkömmlinge fürstlicher und gräflicher Geschlechter unter ihnen ebensowenig fehlten wie solche bürgerlicher (vor allem patrizischer) Familien; die angesprochene Niederadelsschicht blieb ausschlaggebend bis hinauf zur Ebene der Ordensgebietiger, die überwiegende Mehrheit der Hochmeister nicht ausgenommen42. Die damit gegebene Zusammensetzung mußte aber den Orden auch als Kulturfaktor maßgeblich prägen.
41 Zu diesen Entwicklungen immer noch lesenswert: J. Schultz, Wandlungen der Seele im Hochmittelalter 2I, Breslau 1940, S. 99–115, bes. 111 f; vgl. auch F. Ranke, Gott, Welt und Humanität in der deutschen Dichtung des Mittelalters, Tübingen 1952, S. 84. Als einen der Faktoren, die zum Niedergang des Rittertums führten, sieht A. Waas bemerkenswerterweise die Auflösung älterer Kreuzfahrerfrömmigkeit an, die im abendländischen Rittertum zeitweise prägend gewesen sei: Religion, Politik und Kultur in der Geschichte der Kreuzzüge, Die Welt als Geschichte 11 (1951), S. 245. Die Bedeutung seiner Feststellungen für die Geistesgeschichte der Ritterorden bedarf der Prüfung: waren sie eine Art „Relikt“, das sonst weithin Versinkendes weiterzuführen suchte, oder wurden auch sie von der Aushöhlung des Alten betroffen? Vollzog sich in ihrer Entwicklung der Weg vom einen zum anderen dieser beiden Pole? Vorarbeiten, die in die letzgenannte Richtung deuten, nennt Górski (wie Anm. 16), S. 337 Anm. 21. Schwer zu klären ist, welche Bedeutung diese Entwicklung bereits für die geistige Ausgangsbasis derjenigen Ritter gewann, die sich zum Eintritt in den Deutschen Orden entschlossen. 42 Grundlegend: D. Wojtecki, Studien zur Personengeschichte des Deutschen Ordens im 13. Jh., Wiesbaden 1971; vgl. K. Scholz, Beiträge zur Personengeschichte des Deutschen Ordens in der ersten Hälfte des 14. Jhs, Diss./masch. Münster 1971, sowie M. Hellmann, Bemerkungen zur sozialgeschichtlichen Erforschung des Deutschen Ordens, Histor. Jahrb. 80 (1961), bes. S. 126, und H. Samsonowicz, Der Deutsche Orden und die Hanse, Vorträge u. Forschungen 26 (1980), S. 321 f mit weiterer Lit. Zu Wojtecki und Scholz sind die Rezensionen von B. Jähnig, Jahrb. f.d. Gesch. Mittel- u. Ostdeutschlands 21 (1972), S. 348–351, zu beachten. – Zur bürgerlichen, bes. patrizischen Abstammung eines – für Preußen sehr kleinen – Prozentsatzes von Ritterbrüdern s. unten bei Anm. 65.
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Dabei wird wichtig, daß auch das Rittertum staufischer Zeit die innere Einheit über all die gewaltigen Abstände zwischen Kaisern und ländlichem Kleinadel hinweg eigentlich nur in einer einzigen Richtung gefunden hatte, nämlich in der Ausprägung seiner besonderen Standesethik, wie ungleich immer sie im einzelnen realisiert worden sein mag: die übrigen Lebensbereiche mit ihren so unterschiedlichen Aufgaben wurden nicht mit erfaßt43. Mit gutem Grund hat man hierin eine der Ursachen gesehen, warum es seit dem 13. Jahrhundert zu so tiefem Zwiespalt zwischen ritterlichem Standesideal und ritterlicher Wirklichkeit kommen konnte44. Die Anziehungskraft, die die Ritterorden damals noch zu entfalten vermochten, wird wesentlich darauf beruht haben, daß dieses alte Ideal bei ihnen noch am ehesten aufrechterhalten schien45. So mochte sich in ihren Reihen, von überkommenen Standesethos her gesehen, durchaus zunächst eine Elite zusammenfinden, vor allem in den Jahrzehnten, die für den Deutschen Orden als einen der jüngsten die Frühphase umschlossen. Doch daneben ist ein Zweites nicht zu unterschätzen: das Motiv notwendiger Versorgung von Söhnen, die etwa in der schon reichlich eng zusammengerückten Ganerbengemeinschaft der heimischen Burg nicht auch noch Platz finden konnten. Zweifellos war ein Ritterorden für sie in zahllosen Fällen das kleinere Übel gegenüber der Klerisei. Und selbst, wo ein neu eintretender Mann von Adel noch rein von den alten Idealen durchdrungen war: auf ein gehobenes Kulturniveau, auf einen beachtlichen Bildungsstand auch nur nach den Maßstäben zeitgenössisch-ritterlicher Laienwelt kann daraus nicht geschlossen werden. Von Einzelfall zu Einzelfall müßte die Untersuchung hier klären, wie es in diesen weiteren Beziehungen stand, und dafür versagen ganz weitgehend die Quellen. Nur so viel scheint sicher: all zu hoch spannen darf man diesbezügliche Erwartungen nicht. Innerhalb des Ordens aber – das darf als Ergebnis des ersten Abschnitts wohl festgehalten werden – sind Faktoren, die den Eintretenden über das mitgebrachte Kultur- und Bildungsniveau hätten hinausheben können, nicht ohne weiteres sichtbar, jedenfalls nicht für den Normalfall. Die Priesterbrüder nämlich, die in den Konventen mit den Rittern zusammenlebten, kamen dafür, von ihrem durchschnittlichen
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O. Brunner, Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte, 3Brünn–München–Wien 1943, S. 462 f. (jüngere Auflagen nicht greifbar). 44 Ibid. 45 Ibid., vgl. oben Anm. 41.
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Bildungsstand her gesehen, keinesfalls in Betracht46, ganz abgesehen davon, daß sie in der Praxis gewöhnlich an Zahl weit hinter dem zurückblieben, was die Regel vorschrieb47. Die so umrissene Erscheinungsform des Rittertums tritt auch im Ordenslande Preußen dem Bürgertum sich entfaltender Städte gegenüber. Dazu scheint mir zunächst eine terminologische Verständigung angebracht, und das um so mehr in einem Kreise, in dem deutsche und polnische Sprache nebeneinanderstehen. Das Polnische ist hier präziser als das Deutsche: es unterscheidet mieszczanin und obywatel. Das erste geht aus vom „Bürger“ der mittelalterlichen Rechtsstadt (des miasto), versteht sich: der jeweils einzelnen Stadt; es bezeichnet also eine Rechtsqualität, an der auf begrenzter räumlicher Basis Angehörige verschiedener gesellschaftlicher Gruppen beteiligt sind – ihr Inhalt mag im Augenblick auf sich beruhen, er entspricht im wesentlichen dem, was gleich über den deutschen Bürger festzuhalten ist48. Die Einengung auf einen juristischen Sachverhalt ist jedoch von der Etymologie des mieszczanin nicht gefordert, denn von seinen Bildungselementen her drückt das Wort im Grunde nichts anderes aus als ,,den, der zu einer Stadt gehört“; die Rechtsqualität kam dem Ausdruck also nicht unmittelbar zu – sie beruhte darauf, daß die Stadt ihrerseits als Körperschaft mit eigenem Bürgerrecht verstanden wurde. Leicht konnten daher später auch alle, die in diesem Sinne zu Städten überhaupt gehörten als mieszczanie bzw. mieszczaństwo zusammengefaßt werden, als Bürgerstand, der als solcher sich von Geistlichkeit, Adel und Bauernstand absetzte. Als die
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Siehe Anm. 36. Górski (wie Anm. 36), S. 18. 48 In deutschsprachiger Literatur wurden diese Zusammenhänge besonders von H. Ludat behandelt, vgl. Die Bezeichnung für „Stadt“ im Slawischen (zuerst 1956; mit Nachträgen und Ergänzungen wieder abgedruckt bei Dems., Deutsch-slawische Frühzeit und modernes polnisches Geschichtsbewußtsein. Ausgewählte Aufsätze, Köln–Wien 1969, S. 82–96, vgl. 339–341); Zum Stadtbegriff im osteuropäischen Bereich (zuerst 1973; mit Nachträgen und Ergänzungen wieder abgedruckt bei Dems., Slaven und Deutsche im Mittelalter. Ausgewählte Aufsätze, Köln–Braunsfeld 1955, Dens., Vorstufen und Entstehung des Städtewesens in Osteuropa. Zur Frage der vorkolonialen Wirtschaftszentren im slavisch-baltischen Raum (= Osteuropa und der deutsche Osten III/4), Köln–Braunsfeld 1955, und Dens., Frühformen des Städtewesens in Osteuropa (zuerst 1958; mit Nachträgen und Ergänzungen wieder abgedruckt bei Dems., Deutsch-slawische Frühzeit, S. 97–127, vgl. 341–344). In allen diesen Arbeiten reiche weitere Nachweise auch aus polnischsprachiger Literatur. Zusammenfassende Orientierung über die polnische Entwicklung bieten I. Ihnatowicz – A. Mączak – B. Zientara, Społeczeństwo polskie od X do XX wieku, Warszawa 1979, S. 128–152, 272–281, 354–356, 511–513. – Zum folgenden danke ich meinem Freunde Prof. Dr. Klaus Zernack, Gießen, klärende Gespräche. 47
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Rechtsqualität des Begriffs gegenstandslos wurde, weil die Stadt sich die Einschmelzung in einen allgemeinen Untertanenverband gefallen lassen mußte, konnte sie unschwer aus dem Wortinhalt schwinden; in den Vordergrund trat stattdessen eine Bedeutung, die zwischen den beiden Polen sozialer und kultureller Orientierung hin- und herschwingt – sie vermochte auch den marxistischen Klassenbegriff aufzunehmen. Der obywatel hingegen hat mit dem Städtewesen überhaupt nichts zu schaffen, wenn man nicht gelten lassen will, daß er eine allgemeine Eigenschaft bezeichnet, die, wie anderen, so auch Stadtbewohnern zukommen kann. Er gehört zu bywać „sich ständig aufhalten“; damit bezeichnet er im Ursprung nichts als – ganz unpolitisch und rechtlich wie sozial irrelevant – den „Bewohner“ (annähernd dem heutigen mieszkaniec entsprechend): daß sich von dieser Basis aus der Begriff „Staatsbürger“ entwickeln konnte, also gleichfalls ein Rechtsbegriff, ist im Grunde bemerkenswert, weil keineswegs selbstverständlich. Es bedarf keiner Diskussion: mit diesem zweiten Begriff ist ein Sachbereich betreten, der außerhalb des verfolgten Themas liegt – in seinem Rahmen kann es allein um den mieszczanin gehen, wobei allerdings immer noch geklärt werden muß, in welcher Nuancierung. Dies eigens festzustellen, mag auf den ersten Blick abwegig scheinen. Es bekommt Bedeutung dadurch, daß das Deutsche an dieser Stelle die begriffliche Präzision des Polnischen nicht teilt: Bürger faßt im Prinzip beide Komplexe, den des mieszczanin und den des obywatel, zusammen, ohne daß damit behauptet werden soll, jede einzelne Schattierung der polnischen Begriffe sei dabei bestimmt eingeschlossen; womöglich bezieht das Wort noch darüber hinaus einiges mit ein. Eben deshalb bedarf es von Fall zu Fall einer näheren Definition, was gemeint ist49. Da die Frage vernachlässigt zu werden pflegt, darf dazu etwas ausgeholt werden. Der Bürger-Begriff der heutigen deutschen Umgangssprache hat seine Wurzeln offenbar im späteren 19. Jahrhundert: er kam, wie es scheint, zustande, indem von der damaligen Stadtbevölkerung einfach der neue „vierte Stand“, also die Arbeiterschaft vor allem der neu aufschießenden 49 Eine ausführliche Begriffsgeschichte bietet M. Riedel, Bürger, Staatsbürger, Bürgertum, bei O. Brunner u.a. (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe I, Stuttgart 1972, S. 672–725; der kulturgeschichtliche Aspekt kommt dabei m.E. neben den anderen etwas zu kurz. Vgl. auch G. Franz, Bürgertum, bei H. Rößler – G. Franz (Hrsg.), Sachwörterbuch zur deutschen Geschichte, München 1958, S. 138–146; ergänzend H. Rößler u.a., Stadt, Stadtverfassung, Städtewesen, ebd. S. 1222–1232, jeweils mit weiteren Nachweisen.
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Industriebetriebe, abgezogen wurde. Übrig blieb eine Schicht nichtagrarisch tätiger Stadtbewohner, die in sich immer noch stark differenziert war – wie denn schon das deutsche 18. Jahrhundert sich gewöhnt hatte, zwischen Groß- und Kleinbürgern zu unterscheiden. In der Folge ergab sich noch eine Umnuancierung durch das gegen früher unvorstellbare Überwuchern „nichtproduktiver“ Berufe, die der sog. Dienstleistungen (Handel, Bankwesen, Gesundheits- und Rechtspflege, Management, Bürokratie, Bildungswesen usw.), während andererseits das einst so bestimmende Handwerk ganz erheblich zurücktrat. Daß dieser BürgerBegriff nicht in Zeiten zurückprojiziert werden darf, die noch keinerlei Industrieproletariat kannten, liegt auf der Hand. Bürger50 gehört sprachlich zu Burg wie grodzanin, das wohl die wörtlichste Übersetzung ins Polnische abgäbe, zu gród. Burg war wie gród einmal auch Bezeichnung einer nichtagrarischen Siedlung, die sich an die schützende Befestigung der Burg, im engeren Sinn anlehnte; es bezeichnete damit jene Vorform mittelalterlichen Städtewesens, für die sich in der Forschung die Bezeichnung „Burgstadt“ durchgesetzt hat. Im Zuge der neuen Entwicklungen ging der Wortschatz seltsame Wege. Für die Siedlung wurde Burg durch Stadt abgelöst wie gród durch miasto, ohne daß die damit verbundenen Strukturwandlungen hier zu analysieren sind; Burg zog sich daraufhin, wieder wie gród, bedeutungsmäßig auf kleinere Befestigungsanlagen zurück, meist außerhalb der nun selbst befestigten Städte gelegen. Der Bürger jedoch wurde bei dieser Gelegenheit nicht analog durch Städter ersetzt, wie mieszczanin, anscheinend selbstverständlich, zu miasto trat; er bliebt der Stadt verbunden, so daß er sich von Burg in dessen verbleibender Bedeutung vollständig ablöste – dort trat stattdessen die Neubildung Burgmann (= grodzanin) ein, die ganz etwas anderes als Bürger bedeutet. Der Grund für diese merkwürdige Entwicklung ist darin zu sehen, daß Bürger, als die neue nichtagrarische Siedlungsform Stadt ihre Benennung fand, schon zum festen Rechtsbegriff geworden war, der sich nicht einfach ersetzen ließ. Er konnte nicht etwa schlicht den „Stadtbewohner“ bezeichnen – dafür trat Städter ein, das als Wortbildung die genaueste Entsprechung zu mieszczanin wäre –, sondern Bürger
50 Dazu grundlegend W. Schlesinger, Burg und Stadt (zuerst 1954; Wiederabdruck mit Nachträgen bei Dems., Beiträge zur deutschen Verfassungsgeschichte des Mittelalters II, Göttingen 1963, S. 92–147, vgl. 263–265); vgl. Auch Dens., Über mitteleuropäische Städtelandschaften der Frühzeit (zuerst 1957; Wiederabdruck mit Nachträgen im gleichen Bande, S. 42–67, vgl. 261).
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war unter den Stadtbewohnern der rechtlich Freie, der Bürgerrecht genoß und Bürgerpflicht zu leisten hatte als Glied des genossenschaftlichen Verbandes, der das städtische Leben organisierte und trug. Das Bürgerrecht setzte nicht zuletzt Grund- und Hausbesitz in der Stadt voraus, auf die es sich bezog (denn dieses Recht bezog sich zunächst nur auf die einzelne Stadt). Soziale und wirtschaftliche Differenzierung der Teilhaber an diesem Recht, eben der Bürger, spielte für den Begriff keine Rolle, wohl aber setzte er sie gemeinsam ab von den Inwohnern oder Beisassen (den Festansässigen ohne Bürgerrecht) und den nur vorübergehend Anwesenden, den Gästen. All dies dürfte wesentlich dem alten Inhalt des mieszczanin entsprechen, der ja vielfach von den älteren deutschen Entwicklungen abgeleitet war. Die Rechtsqualität war die Grundlage, von der aus Bürger einerseits gleichfalls, wie oben geschildert, zur Bezeichnung eines Standesangehörigen werden konnte in Zusammenfassung aller, die jeweils im Lande das Bürgerrecht von Städten genossen; andererseits aber konnte es von der gleichen Grundlage aus die Ausweitung zum Staatsbürger erfahren, die im Polnischen unterblieb. Für das vorliegende Thema aber bleiben auch diese Begriffsnuancen sämtlich unbrauchbar: bedenken wir nur, daß Bürger in diesem Sinne sowohl die Partizier von Danzig (Gdańsk) und Königsberg waren wie die „Ackerbürger“ der vielen kleinen Städte, die ihrer Lebensform nach kaum sehr viel anderes darstellten als Bauern undörflicher Siedlungsweise, unbeschadet des Bürgerrechts, das auch ihnen in ihrer Stadtgemeinde zukam. Den Ordensritter solchem „Bürgertum im Rechtssinn“ gegenüberzustellen, ist, wo es um Kulturfragen geht, sinnlos. Hier wird wichtig, daß im deutschen Spätmittelalter innerhalb der Kreise, die in Städten Bürgerrecht besaßen, Kulturbewegungen aufkamen, in denen sich Neues aufbaute. Sie vermochten zwar jene Kreise der Bürger im Rechtssinn keineswegs in ihrer Gesamtheit zu durchdringen, ja nicht einmal mehrheitlich (jenes Ackerbürgertum vor allem, zweifellos bis weit über das Mittelalter hinaus die Majorität der Bürgerrechtsträger, blieb weitgehend unerfaßt). Sie drangen jedoch im allgemeinen nicht über den Umkreis der Städte hinaus, weder in den Adel, der in Deutschland – anders als etwa in Oberitalien – im wesentlichen landsässig blieb, noch in das Bauerntum. Sie blieben eine auf Bürgertum im Rechtssinn, wenn auch nur in Teilen, beschränkte Erscheinung. Auf den zeitgenössichen Bürger-Begriff hat dies, soviel erkennbar, zunächst nicht abgefärbt. Die moderne Kulturgeschichtsschreibung
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jedoch pflegt hier unbefangen von neuartiger „Bürgerkultur“ des Spätmittelalters zu sprechen; sie tut dies im allgemeinen, ohne die Diskrepanz einer solchen Terminologie zur rein rechtlich bestimmten damaliger Gegenwart zu reflektieren. Offenbar wirken dabei Teilaspekte der angedeuteten modernen Entwicklungen dieses Begriffs ein. Für ein Thema wie das hier verfolgte gibt es zu diesem Verfahren keine Alternative, denn wie sonst sollte man sagen? Nur muß die Übernahme des eingebürgerten Brauches geschehen im klaren Bewußtsein, daß der kulturgeschichtliche Begriff „Bürgertum“ gegenüber dem, was der Berichtszeit geläufig war, völlig neuartige Akzente bekommt und daß er dabei außerordentlich vieles ausklammert, was nicht nur damals selbstverständlich eingeschlossen war. Für die beabsichtigte Gegenüberstellung sehen wir uns damit im wesentlichen auf die haus- und grundbesitzenden Ober- und Mittelschichten unter den Bewohnern der sechs großen Städte des Preußenlandes verwiesen, die zugleich Hansestädte waren: Danzig (Gdańsk), Thorn (Toruń), Elbing (Elbląg), Königsberg vor allem, dazu, an Bedeutung zurücktretend, noch Kulm (Chełmno) und Braunsberg (Braniewo)51. Mit was für wichtigen Kulturerscheinungen ist in diesen Kreisen – ihrem Patriziat und den Familien der Handwerksmeister – zu rechnen? Auch hier bleibt durch die Quellenlage unser Wissen hinter den Informationswünschen zurück52, und vom Bekannten kann an dieser Stelle nur Weniges hervorgehoben werden. Ich beschränke mich auf den bildungsgeschichtlichen und einen wirtschaftsgeschichtlichen Aspekt. Beide gemeinsam betreffen intensive Strukturwandlungen im Handelsverkehr, die auf die Kaufmannschaft, aber auch weitere Stadtbewohner zurückwirkten, während der ritterliche Adel von ihnen mehr oder weniger weitgehend unberührt blieb. Für den Deutschen Orden darf unterstellt werden, daß die Auswirkung unterschiedlich blieb, je nachdem ob der Orden als Ganzes in Betracht zu ziehen ist mitsamt seinen maßgeblicheren Funktionären oder die einfachen Ritterbrüder
51 Ein Versuch, diese Städte für die hier in Betracht kommende Zeit wenigstens kurz zussammenfassend zu behandeln, bei B. Schumacher, Geschichte Ost- und Westpreußens 3 Würzburg 1958, S. 85–99, dazu 348–353 (Lit.). 52 Es ist charakteristisch, daß J. Kuczyński seine fünfbändige Geschichte des Alltags des deutschen Volkes, Berlin(-Ost) 1980–1982, erst um 1600 zu beginnen wagt. – Einige sehr allgemeine Hinweise zur kulturgeschichtlichen Stellung mittelalterlichen Bürgertums, mit nur geringer Berücksichtigung des Ordenslandes, gibt F. Rörig, Die europäische Stadt und die Kultur des Bürgertums im Mittelalter, hrsg., v. L. Rörig u. A. v. Brandt, 4Gottingen 1964.
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je für sich. Außerdem ist nach möglichen Differenzen zu fragen, die die Entwicklung des Ordens im Preußenlande und die im „Reich“ voneinander abheben. Die angedeuteten Strukturwandlungen bahnen sich an in eben den Jahrzehnten, in denen der junge Ritterorden um die Konsolidierung seiner Stellung auf preußischem Boden kämpft. Sie regen sich zunächst weit abseits von diesem Schauplatz: in Italien, in Flandern, in oberdeutschen Städten, dann auch in den niederdeutschen Keimzellen der Hanse – Lübeck vor allem; überall aber, so möchte man meinen, mehr oder weniger weitgehend außerhalb des unmittelbaren Gesichtskreises der Weißmäntel mit dem schwarzen Kreuz, jedenfalls ihres preußischen Zweiges. Als niemand mehr die neue Herrschaftsbildung ernsthaft zu bestreiten wagt – dies geschieht bekanntlich erst wieder nach längerem Abstand und dann aus neuen Motiven –; als die ersten Türme der Marienburg (Malbork) sich im Wasser der Nogat spiegeln und das Netz deutscher Siedlungen im Lande sich zunehmend verdichtet, in dieser Zeit erreicht in den Fernen draußen das Begonnene neue Stadien der Intensität. Als es so weit ist, daß die Bürger von Thorn die Ordensburg bei ihrer Stadt als Zwingburg empfinden und kurzerhand schleifen, ist der Anschluß auch im Preußenlande endgültig erreicht. Damals strebt das Neue mehr oder weniger überall im abendländischen Europa, wo Handelszentren entsprechender Größenordnung aufgeblüht sind, einem Höhepunkt zu, und so bald wird er nicht wieder verlassen werden. Äußeres Indiz ist zunächst eine Verschriftlichung des Groß- und Fernhandels. Der Kaufmann – oder nun Kaufherr – zieht nicht mehr in eigener Person bewaffnet im Bunde mit seinesgleichen über Land, den Austausch seiner kostbaren Waren selbst zu fördern und zu überwachen: er schafft sich Kontore, von denen aus er Briefe schreibt, und beginnt Bücher zu führen, während gleichzeitig neben Luxuswaren, Salz und Fischen auch Massengüter wie Getreide und Holz ihren Anteil am Markt gewinnen. Dieser Stilwandel ist zweifellos durch mehr bedingt als durch neu aufkommende Rationalisierungsbedürfnisse im Handelsgeschäft: wer zu schreiben beginnt, tut damit zugleich den Sprung in eine neue Geistigkeit umfassenderer Art. „Die Schrift ist eine ganz neue Sprachart und bedeutet eine völlige Abänderung der menschlichen Wachseinsbeziehungen, indem sie vom Zwange der Gegenwart befreit“, an den die mündliche Rede gebunden ist53; sie stellt
53 O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes II, München 1922, S. 180–188, passim; Zitat S. 180. Vgl. auch S. 174 u. 177.
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dabei „eine Technik“ dar, „die trotz allem mehr als Technik ist“54. Im Übergang zur Verschriftlichung des Groß- und Fernhandels kündigt sich der Durchbruch eines neuen Verhältnisses zur Welt an, einer neuen Art, sie zu erfassen, und es ist kein Zufall, daß die Schrift im Vollzug des gleichen Prozesses einen grundlegenden Funktionswandel durchmacht: „aus einer Verkünderin . . . ewiger Wahrheiten“ und etwa adeligen Ruhmes wird sie „zu einem Mittel des geschäftlichen und wissenschaftlichen Verkehrs“55, das bald auch auf städtische und staatliche Verwaltung und Rechtspflege übergreift56. Scheinbar im Gefolge dieser Verschriftlichung der Handelspraxis, tatsächlich jedoch in Auswirkung des gleichen geistigen Wandels, für den sie ihrerseits nur Symptom ist, regt sich ein neuartiges laikales Bildungsbedürfnis, das erst allmählich schärfere Konturen gewinnt. Es ist charakteristisch anders gerichtet als dasjenige, das bisher im Rahmen der Kirche gepflegt worden war, in seinen beiden eigenartig-besondern Entfaltungsformen, der älteren monastischen und der scholastischen, die etwa seit dem 12. Jahrhundert neben sie getreten war, ohne daß jene, die traditionsmäßig wenig Aufhebens von sich in der „Welt“ zu machen pflegte, neben ihr erloschen wäre57; doch auch ritterlicher Geist, zumal der von stauferzeitlichen Idealen geprägte, mußte dieses Neue als abschreckendes Gegenbild seiner selbst empfinden. Erstmals in der abendländischen Entwicklung vermochte eine „breitere Schicht . . . mit vollem Bewußtsein den Kampf mit dem klerikalen Bildungsmonopol auf(zu)nehmen“58, in dem der
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Ibid., S. 182. Ibid., S. 182 f., vgl. 187 f. Auf Häufung vergleichbarer kultur- und geschichtsphilosophischer Äußerungen darf hier verzichtet werden. 56 Für die hier in Betracht kommende mittelalterlich-abendländische Entwicklung vgl. F. Rörig, Mittelalter und Schriftlichkeit, Die Welt als Geschichts 13 (1953), S. 29–41, samt ergänzenden Hinweisen bei dems., Wirtschaftskräfte im Mittelalter, Weimar 1959 = Köln–Graz 1971, Register, s.v. Schriftlichkeit im kaufmännischen Betrieb. Wichtige Hinweise zur Praxis des bargeldlosen Verrechnungsverkehrs, der auf dieser Basis möglich wird, bei. I.-M. Peters, Das mittelalterliche Zahlungssystem als Problem der Landesgeschichte, Blätter f. deutsche Landesgesch. 112 (1976), S. 139–183, und ebd. 113 (1977), S. 141–202, passim. Weitere Zusammenhänge stellt her unter Einbeziehung staatlicher und städtischer Verwaltungspraxis H. Patze, Neue Typen des Geschäftsschriftgutes im 13. Jh., Vorträge u. Forschungen 13 (1970), S. 9–64; vgl. auch den Sammelband von P. Classen (Hrsg.), Recht und Schrift im Mittelalter, Vorträge u. Forschungen 23 (1973). 57 Gute Gegenüberstellung dieser beiden älteren Bildungsideale bei F. Ohly, Hohelied-Studien. Grundzüge einer Geschichte der Hoheliedauslegung des Abendlandes bis um 1200, Wiesbaden 1958, S. 1, 4, 118–125, passim, 142 f., 192, 255 f., 264, 275, 305 f., 310–312, vgl. 109–116, passim, 129, 153 f., 217, 266, 268 f. 58 Rörig, Die Welt als Geschichte 13 (1953), S. 38. 55
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ritterlichen Kultur des Hochmittelalters trotz aller Glanzleistungen nur so begrenzte Erfolge beschieden gewesen waren. Dies alles brauchte Zeit, sehr viel Zeit; es hatte sich durch mancherlei wunderliche Mischformen zwischen Neuem und Alten hindurchzuringen, die längst nicht alle mit dem Ausklang des Mittelalters zu Ende gehen. Trotzdem ist schon im 13. Jahrhundert vielerorts dermaßen viel von dem Neuen zu spüren, daß es gar manchem Repräsentanten des Alten unheimlich gewesen sein muß. Dasselbe gilt für jene zweite Entwicklung, die im Ursprung auf dieselbe neuartige Rationalität zurückgeführt werden kann: die verstärkte Hinwendung zur Geldwirtschaft, die den gleichen Kreisen für beachtliche Zeit Vorsprung und Überlegenheit sichert. Diese Erscheinung hat Vorläufer, etwa in der Fiskalisierung der römischen Kurie, die schon gegen Ende des 11. Jahrhunderts scharfe Opposition herausforderte, Spott etwa über die Reliquien der „heiligen Märtyrer“ Rufinus und Albinus, die in Rom alles vermöchten (nämlich das „rote“ Gold und das „weiße“ Silber in Münzform)59, doch dabei war es sehr viel mehr um rigorose Ausnutzung aller Möglichkeiten zu Gebühren und Sporteln gegangen als um den Ausbau weltweiter Handelverbindungen im Sinn damaliger Zeit, bei dem die neuartige Gesinnung sich früh in der Entwicklung auch weiträumig ausgreifender Formen bargeldloser Verrechnung zu erkennen gibt60. Dabei scheint wichtig, eins schärfer als üblich zu betonen: dieser ganze neuartige Geldverkehr entfaltet sich immer noch auf dem Boden einer weitaus überwiegenden Agrargesellschaft. Er konzentriert sich daher auf relativ wenige, wenngleich bedeutende Mittelpunkte und auch an ihnen vorwiegend auf die hier als „bürgerlich“ angesprochenen Schichten, während gleichzeitig auf 59 Vgl. Tractatus Garsiae Tholetani canonici de Albino et Rufino, ed. E. Sakur, MG Libelli de Lite II, S. 423–435. 60 Vgl. Peters (wie Anm. 56). Grundlegende, in historischer Forschung zu wenig berücksichtigte Einsichten zum geldgeschichtlichen Gesamtkomplex bietet W. Eukken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 8Heidelberg 1965, S. 112–123 (Lit. im Anhang); weitere Angaben, die großenteils auch bereits für die spätmittelalterlichen Entwicklungen gelten, bei H.-D. Kahl, Münz- und Geldgeschichte in der Neuzeit, bei H. Patze – W. Schlesinger (Hrsg.), Geschichte Thüringens VI, Köln–Wien 1979, S. 258 ff. Welch überraschende Entdeckungen in diesem Forschungsbereich noch immer möglich sind, zeigt B. Kirchgäßner, Zur Geschichte und Bedeutung der Order-Klausel am südwestdeutschen Kapitalmarkt im 14. u. 15. Jh. [in:] J. Schneider u.a. (Hrsg.) Wirtschaftskräfte und Wirtschaftswege. Festschrift für H. Kellenbenz I, Stuttgart 1978, S. 373–386 für bestimmte Frühformen des Wechselrechts. – Zu den geistigen Grundlagen des Übergangs zur Geldwirtschaft neuer Art vgl. auch die Bemerkungen von Schultz (wie Anm. 41) I, S. 12–41, passim, bes. S. 23 ff.
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dem Lande noch starke Nachwirkungen älterer Naturaltauschwirtschaft anzunehmen sind, selbst Ackerbürgerstädte wohl keineswegs grundsätzlich ausgenommen. Wann griffen diese Bewegungen auf das preußische Ordensland über, und in welcher Intensität konnten sie sich dort Geltung verschaffen? Hier ist wohl in der Forschung noch einiges zu tun. Vermuten möchte man, daß jedenfalls Keime der neuen Tendenzen in beider Beziehung schon früh durch Kräfte dorthin verpflanzt worden sind, die sich an der Neugründung der genannten Städte beteiligten (Kulm und Thorn 1233, Elbing 1237, Königsberg 1255, Braunsberg wohl etwas eher; Danizig erwuchs aus einer slawischen Burgstadt, neben der um 1227 eine deutsche Stadt ins Leben gerufen wurde, zunächst unabhängig vom Orden, der sich dort erst 1308 festsetzen konnte). Weiteres bewirkte der ständige Austausch von Menschen und Informationen im hansischen Bereich. Zu vermuten ist ferner, daß die neuen Geistesströmungen vom Orden aus Kontaktmangel langezeit höchstens unvollkommen registriert wurden. Ob es jemals zu intimerer Kenntnis und über sie zum Verständnis kam, darf im allgemeinen bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, daß äußere Symptome wahrgenommen wurden, ohne über sie zum Kern der inneren Vorgänge vorzudringen. Innerhalb des Preußenlandes hat man jedenfalls für die neuen Entwicklungen ein Intensitätsgefälle zwischen den beteiligten Städten anzunehmen: schwerlich bewegte beispielsweise Braunsberg sich im Bürgertum geistig auf derselben Höhe wie Danzig, auch unabhängig vom Verhältnis des gewonnenen materiellen Reichtums hier und dort. Wie weit es andererseits auch ein Gefälle etwa zwischen Lübeck und Danzig gab, wage ich nicht zu entscheiden. Auch Riga wäre in einen solchen Vergleich einzubeziehen. Jedenfalls ist auch im preußischen Ordenslande mit Ausbildung einer Schicht von Lesekundigen ohne Lateinkenntnis aus Niederadel und Bürgerkreisen unterhalb des gehobenen Patriziats zu rechnen; ein von ihnen ausgehender Druck, der auf selbst kontrollierbare, also deutschsprachige Urkunden- und Briefausfertigungen hindrängte, scheint den Übergang der Ordensverwaltung zu deutscher Kanzleisprache wesentlich befördert zu haben, und zwar gegen den Widerstand des dem Ordensklerus entnommenen Kanzleipersonals, das an den lateinsprachigen Schriftverkehrstraditionen festzuhalten geneigt war. Dieser Übergang scheint um 1350 erfolgt zu sein, unter dem Hochmeister Heinrich Dusemer (Tusmer); Lateinunkenntnis bei diesem und anderen führenden Ordensrittern hat wohl mitgesprochen, die Entwicklung zu
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beschleunigen61. Indiz und Gegenindiz stehen damit, einigermaßen datierbar, nebeneinander und wirken in diesem Falle von verschiedenen Seiten auf das gleiche Ergebnis hin. Die damit angesprochene Ordensverwaltung war, wie bekannt, von weithin vorbildlicher Modernität, auf der Grundlage selbstverständlicher Schriftlichkeit, die auch im Preußenlande als solche schon traditionell verbindlich war, als der Wechsel der Schriftsprache eintrat62. Daß statt der Ordenskleriker Ritterbrüder an ihr maßgeblich tragenden Anteil genommen hätten, indem sie persönlich die laufende Handhabung von Schreibwerkzeugen wahrnahmen, ist unerweislich, mag auch Schreibfähigkeit und noch mehr Lesefähigkeit63 z.B. bei Komturen in gewissen Umfang denkbar bleiben. Ebenso bekannt ist die große Bedeutung, die der Orden gerade im Preußenlande mit fortschreitender Zeit als Wirtschaftsfaktor gewann, nicht ausgenommen Handel und Kapitalpolitik großen Stils64: gerade diese Seite seiner Entwicklung hat ja wesentlich dazu beigetragen, ihm die aufblühenden Städte seines dortigen Herrschaftsgebietes zu entfremden. Dergleichen war möglich nur, weil im Orden ein entsprechendes Potential an Kräften und Fähigkeiten vorhanden war, laufend ergänzt und gepflegt: das ist zu betonen. Eine zweite Frage jedoch bleibt auch hier, wie groß der Prozentsatz der Ritterbrüder war, der aktiv fördernd an diesen Entwicklungen teilnahm, und wieviele davon nomöglich auch noch einen Bildungswillen entwickelten, der in ähnlicher Richtung ging wie beim konkurrierenden Großbürgertum. In dieser Hinsicht scheinen gravierendste Zweifel angebracht. Rückschlüsse auf den Massendurchschnitt der Ritterbrüder in den weit über das Land verteilten Burgen wird hier niemand wagen wollen. Zwar gab es unter ihnen, wie erwähnt, solche bürgerlicher Abstammung, sogar aus dem Patriziat. Allerdings verblieben sie normalerweise in den Balleien im ,,Reich“; nach Preußen kamen sie nur zu geringem Anteil: hier wurden die Ritterbrüder zum überwiegenden Teil vom ministerialischen Niederadel gestellt65. In den Hansestädten im „Reich“ kam ein sehr kleiner Teil reicher Bürger der Frühphase aus diesem
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Forstreuter (wie Anm. 30), passim. Patze (wie Anm. 56), S. 50 f.; vgl. R. Wenskus, Das Ordensland Preußen als Territorialstaat des 14. Jahrhunderts, Vorträge u. Forschungen 13 (1970), S. 370–373 (mit sehr wichtigen Hinweisen zur Überlieferungsproblematik, die unser Bild stark zu Ungunsten der Ordensschriftlichkeit zu verzerren droht). 63 Vgl. Anm. 2 u. 30. 64 Wenskus (wie Anm. 62), S. 373–377 mit weiteren Nachweisen. 65 Samsonowicz (wie Anm. 42), mit weiterer Lit. 62
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gleichen Milieu, wuchs jedoch rasch fest in die gehobene Schicht des neuen Heimatortes hinein66. Wie weit solche Beobachtungen auf das Ordensland übertragen werden dürfen, scheint indes sehr die Frage: Deutsche Städte entstanden hier ja als Neugründungen inmitten eines Gebietes bisher fremder ethnischer Zugehörigkeit, wo also ein eingesessener Niederadel im Sinn binnendeutscher Entwicklungen, der Zuzug hätte leisten können, fehlte. Andererseits jedoch ist an den zunehmenden Ausbau einer eigenen Handelsorganisation durch den Orden auch in diesem Zusammenhang zu erinnern: mußte sie nicht auf eine weit geringere Verflechtung der einfachen Ritterbrüder mit den städtischen Märkten hinwirken, als sie sich anderwärts zwischen diesen und dem Landsässigen Laienadel ergab? Kurz: bis zum Beweis des Gegenteils hat man offenbar anzunehmen, daß wirkliche Bindeglieder zwischen Ritterbrüdern und Bürgerschicht in Preußen kaum vorhanden waren – besonders, wenn man hinzunimmt, daß die Hansestädte vielfach niederdeutsch, die Ritterbrüder vorwiegend mittel- und oberdeutscher Herkunft waren67. Diese Herkunft zum größten Teil nicht aus dem Preußenlande, sondern aus Gegenden mit sehr andersartiger Natur- und Kulturlandschaft dürfte, wie hier angefügt werden mag, ihrerseits eine erhebliche Bedeutung für das zu behandelnde Thema erlangt haben. In den jungen, den gerade empfänglichsten Jahren erhielt der spätere Ordensritter – normalerweise jedenfalls, ehe er diese seine künftige Bestimmung ahnte – Eindrücke von bleibend prägender Bedeutung. Vom gleichsam angestammten Denken in oft überaus engräumigen Verhältnissen, in denen großflächige Herrschaft normalerweise nicht von seinesgleichen ausgeübt wurde, mochte er sich im Preußenlande einigermaßen schnell 66 Ebd. im Anschluß an A. v. Brandt, Die gesellschaftliche Struktur des spätmittelalterlichen Lübeck, Vorträge u. Forschungen 11 (1966), S. 215–240, ohne Prüfung, wie weit dortige Beobachtungen auf das preußische Kolonisationsgebiet und seine Stadtgründungen übertragen werden können. – Ministerialischer Zuzug in städtischen Patriziat ließe sich auch aus vielen anderen Städten, z.B. Goslar und Regensburg, belegen. 67 Samsonowicz, ebd.; Forstreuter, S. 375, 381 f., 385, 386 (mit Hinweisen, wie diese Verschiedenheiten zeitweise dazu beitrugen, das Festhalten des Ordens an lateinischer Kanzleisprache zu stützen). – Auf die Unmöglichkeit, zwischen den Ratsfamilien der großen Städte des Ordenslandes und den ländlichen Grundherren dort eine klare Abgrenzung vorzunehmen, verweist Wenskus (wie Anm. 62), S. 377 f. Dabei handelt es sich aber offenbar um sekundär hergestellte Verhältnisse, die stark durch das Ausgreifen von Patriziergeschlechtern ins umgebende Landgebiet bedingt wurden; sie liegen damit auf erheblich anderer Ebene als die oben im Text festgestellen binnendeutschen Verflechtungen zwischen städtischem Patriziat und ursprünglich ländlicher Ministerialität, die umgekehrt ihrerseits in die neuen Entwicklungen hineindrängte.
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zu lösen lernen. Wie aber stand es in dieser Beziehung mit dem kulturellen Niveau des ministerialischen Niederadels: mit der bewußten Landsässigkeit und ihrem betonten auch inneren Gegensatz zu den ,,Pfeffersäcken“ der Städte; mit der Rückständigkeit in geldwirtschaftlicher Beziehung; mit dem vorwiegend analphabetischen Bildungsstand, der, was ihm an aktueller Fortschrittlichkeit fehlte, durch Standesstolz zu kompensieren suchte, als sei dergleichen Treiben unter seiner Würde? Schon der Gegensatz des eigentlich Landfremden zu den Einheimischen, den, wie gezeigt, offenbar nur selten die Möglichkeit eines menschlichen Brückenschlags milderte, dürfte hier konservierend gewirkt haben – bei gegebener Sprachverschiedenheit desto mehr. Dasselbe aber wird, und zwar verstärkt, durch das Bewußtsein bewirkt worden sein, als Ordensritter in einer geistlichen Gemeinschaft zu stehen, die ihr Leben – bis hin zu dessen letzten Einsatz – zur höheren Ehre Gottes führte. Wäre es merkwürdig, wenn ein solches Lebensgefühl seine Träger ermuntert hätte, wie auf die „profane Welt“ überhaupt, so gerade auch auf ihre bürgerlichen Kreise und deren Kultur herabzusehen, die im Ordenslande jedenfalls die mit Abstand bedeutendsten Repräsentanten dieser „profanen Welt“ stellten, nicht nur an Niveau und durch den aufwendigen Zuschnitt ihrer Lebensführung, sondern auch der Zahl nach? Mitgebrachte heimische Mentalität, Vorurteile aus der väterlichen Burg und neu aufgenommene Ordensgesinnung dürften sich hier in merkwürdiger Synthese verbunden und gegenseitig gestützt haben, dies aber um so mehr, je oberflächlicher das blieb, was der Ritterbruder im der neuen Umgebung als geistliche Bildung empfing. 3. Städte und Ordensherrschaft Nur wenige Bemerkungen sollen noch folgen zu dem zusätzlichen Aspekt des Verhältnisses der großen Städte als solcher (die ihrerseits von jenem Bürgerturn repräsentiert wurden) zum Orden als solchem. Hier scheint mir, die jungen Städte des Ordenslandes holten, nachdem sie sich erst einmal konsolidiert hatten, unter charakteristischen Sonderbedingungen, wie sie sich aus der Struktur der Ordensherrschaft ergaben, das nach, was in den Bischofsstädten des deutschen Binnenlandes längst begonnen hatte und in vielen Fällen bereits zum Abschluß gebracht worden war: die Auseinandersetzung mit dem geistlichen Stadtherrn um die Verwirklichung ihres Autonomiebedürfnisses. Diese Auseinandersetzungen begannen im Rheinland schon im
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11. Jahrhundert: berühmt ist das Beispiel, das die Bürger von Worms in Ausnutzung der Chancen des Investiturstreites gaben. Nach Osten hin dringt diese Bewegung mit einer Phasenverschiebung vor, wie sie solche Erscheinungen auch sonst oft begleitet, und kommt dort je weiter, desto unvollständiger zum Durchbruch: schon Erfurt und Magdeburg erreichen nur beinahe das angestrebte Ziel, um das sie noch bis zum Westfälischen Frieden von 1648 ringen68. Das Ordensland mit seiner stark variierenden Sonderform der allgemeineren Problematik bildet eine weit vorgeschobene Insel. In Deutschland bietet die gemeinsame übergeordnete Instanz, der Kaiserkönig, sich als Partner der Städte an; sie streben daher das an, was sie „Reichsfreiheit“ nennen, d.h. die Aufhebung jeder Herrschaft über ihr Gebiet mit Ausnahme derjenigen des höchsten irdischen Herrschers, die meist schon deshalb wenig drückt, weil er seinen Aufenthalt normalerweise in weiter Entfernung nimmt. Im Ordenslande steht ein entsprechender Partner städtischer Freiheit nicht zur Verfügung. Der König von Polen tritt hier schließlich an die Stelle des Kaisers, der nach Aufhebung der Ordensherrschaft und der Anerkennung seiner eigenen die Privilegierung besonderer königlicher Städte vornimmt. Die damit angesprochene Problematik ist in erster Linie verfassungsgeschichtlicher, nicht kulturgeschichtlicher Art. Immerhin dürfte das Gefühl eines Gegensatzes auch in kultureller Hinsicht durch hier entspringende Komponenten auf beiden Seiten nicht weniger verstärkt worden sein als durch die berührten wirtschaftlichen Rivalitäten.
68 Lübeck repräsentiert hier einen Sonderfall, der in keiner Weise verallgemeinert werden darf. Die Stadt entstand bekanntlich neben dem bischöflichen Immunitätsbezirk als herzogliche Gründung, erfuhr seit den Wirren um den Sturz Heinrichs des Löwen in besonderer Weise kaiserliche Gunst und hatte sich obendrein mit einem sehr jungen und wenig gefestigten Bistum auseinanderzusetzen, das seinerseits mühsam genug um die Behauptung seiner Reichsfreiheit zu kämpfen hatte. Vgl. dazu die materialreiche Festschrift: Lübeck 1226. Reichsfreiheit und frühe Stadt, hrsg. von O. Ahlers u.a., Lübeck 1976.
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DIE VÖLKERRECHTLICHE LÖSUNG DER „HEIDENFRAGE“ BEI PAULUS VLADIMIRI VON KRAKAU († 1435) UND IHRE PROBLEMGESCHICHTLICHE EINORDNUNG Zugleich ein Nachtrag zum „Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters“ Als der Verfasser im zweiten Jahrgang dieser Zeitschrift den „Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters“ in ein bisher ungewohntes Licht zu rücken suchte1, fand er aus der Feder Z. Wojciechowskis so scharfen Widerspruch2, daß W. Brüske sich in seinen zwei Jahre später erschienenen „Untersuchungen zur Geschichte des Lutizenbundes“ das neugewonnene Bild noch nicht zu eigen zu machen wagte3. Ein einziger Zeitschriftenaufsatz, aus Raumgründen stark zusammengedrängt und dadurch notwendig an Überzeugungskraft geschmälert, konnte auch gewiß nicht ausreichen, eine alteingewurzelte Auffassung im ersten Ansturm zu Fall zu bringen. Seitdem sind jedoch, und zwar teilweise ganz unabhängig vom Verfasser, weitere Arbeiten vorgelegt worden, die jene erste Skizze in wesentlicher Weise zu bestätigen und zu ergänzen scheinen4. Unverarbeitet geblieben ist dabei freilich
Es werden folgende Abkürzungen verwendet: JGMO. = Jahrbuch f. d. Geschichte Mittel- u. Ostdeutschlands (Berlin 1952 ff.). PL. = Patrologiae cursus completus . . ., ser. Latina, rec. J.-P. Migne (Paris 1844 ff.). SRG. = Scriptores Rerum Germanicarum in Usum Scholarum ex Monumentis Germaniae Historicis separatim editi. WaG. = Die Welt als Geschichte (Stuttgart 1935 ff.). WJb. = Wichmann-Jahrbuch für Kirchengeschichte im Bistum Berlin (Berlin 1936 ff.). ZfO. = Zeitschrift für Ostforschung (Marburg 1952 ff.). HZ. = Historische Zeitschrift. 1 Oben, Beitrag XIV. 2 Z. Wojciechowski, Elementy historii Polski w ujęciu Herder-Institut. In: Przegląd Zachodni IX/1 (1953), S. 605. Den Hinweis auf diese Stellungnahme und die Übersetzung dankt Vf. der Freundlichkeit von Herrn Prof. Dr. G. Rhode, Mainz. 3 Vgl. W. Brüske, wie im Text genannt (Münster/Köln 1955), S. 22, Anm. 51. 4 Vgl. Beitrag XV, bes. S. 537–564; Beitrag XXI. – H. Beumann, Kreuzzugsgedanke u. Ostpolitik im hohen Mittelalter. In: Hist. Jb. d. Görresges. 72 (1953). – W. Berges, Reform u. Ostmission im 12. Jh. In: WJb. 9/10 (1955/56), S. 31–44; vgl. dazu unten Anm. 145. – Dazu als Gesamtbild, in das die neuen missionsgeschichtlichen Ergebnisse
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immer wieder gerade der Gesichtspunkt, der in der Stellungnahme des – inzwischen leider verstorbenen – Rezensenten wissenschaftlich wohl das stärkste Interesse beanspruchen darf: sein ungläubiger Zweifel, daß der „Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters“ in derart wesentlicher Hinsicht dem Grundtenor ähnlich gewesen sein soll, der die Traktate des polnischen Gelehrten Paweł Włodkowic († 1435) kennzeichnet. Dabei ist der Gedanke, den verstreuten und nicht immer leicht verständlichen Äußerungen des Hochmittelalters einmal einen Vertreter der sehr andersartigen spätmittelalterlichen Geistigkeit gegenüberzustellen, ungemein reizvoll: was sich dabei an Gemeinsamem und an Trennendem herausschälen sollte, muß ja die geschichtliche Besonderheit und zugleich Einordnung beider Seiten um so plastischer hervortreten lassen. Jene frühere Skizze in diesem Zusammenhang ausführlicher zu wiederholen, geht selbstverständlich nicht an. Es darf darum mit wenigen Berichtigungen5 auf sie als Ganzes verwiesen werden. Um so notwendiger ist es, daß wir zunächst ein genügend deutliches Bild von dem nicht allzu bekannten polnischen Vergleichspartner entwerfen. 1. Paweł Włodkowic, in außerpolnischer Literatur vorzugsweise nach seiner latinisierten Namensform Paulus Vladimiri genannt, hat sich sehr lange manch ungebührliche Verkennung seiner wahren Bedeutung gefallen lassen müssen6. Vor einigen Jahren indes hat E. Schulz eine in vielem neuartig angelegte, grundsätzliche Untersuchung durchgeführt, die – leider nur schwer zugänglich – wohl als das abschließende Wort im Widerstreit um die Wertung dieses Mannes zu bezeichnen ist7. Mit ihm dürfen wir diesen Sproß der Wappenfamilie Dołęga als einen
eingearbeitet sind: W. Schlesinger, Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostbewegung. In: HZ. 183 (1957). 5 Die Bemerkungen über Brun von Querfurt, Beitrag XIV, S. 469 f., sind zu berichtigen nach Beitrag XV, wie Anm. 4. Über die Äußerungen Dietmars von Merseburg zu bestimmten kirchengeschichtlichen Vorgängen in Polen vgl. R. Wenskus, Studien z. hist.-polit. Gedankenwelt Bruns von Querfurt (Münster/Köln 1956), S. 151, Anm. 395 (nach brieflichen Angaben des Vfs.). Zur Einordnung der Kreuzzugsidee Bernhards von Clairvaux vgl. statt Beitrag XIV, S. 468 f., besser Beitrag XV, S. 524 f. u. 530 – S. auch die übrige Lit. in vor. Anm. 6 Vgl. die Zusammenstellungen bei E. Schulz, Paulus Vladimiri u. das jagiellonische Polen. Eine Untersuchung zu den Wirkungen d. italien. Rechtswissenschaft auf den jagiellonischen Staat. Diss. phil./masch. Göttingen 1951. S. 32–39; dazu die neue Würdigung ebenda S. 86–88, 109–111, die jetzt wohl als maßgeblich betrachtet werden darf (vgl. unten Anm. 82). – Biographische Daten ausführlich bei E. Schulz, S. 1–31. 7 S. vor. Anm.
die völkerrechtliche lösung der „heidenfrage“
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bedeutenden und geschickten Juristen betrachten, mehr noch: einen der ansehnlichsten Köpfe im gelehrten Polen seiner Zeit, dessen Name mit Recht unter den ersten Rektoren der Universität Krakau erscheint. Aus guten Gründen gehörte er zu den Männern, die sein Land auf dem Konstanzer Konzil zu vertreten hatten. Er wurde dort bald zum Hauptwortführer der polnischen Seite in ihrem heftigen Traktatenkampf mit dem Deutschritterorden, der sich während der gesamten Dauer des Konzils neben dessen eigentlichen Verhandlungen hinzog8. Dabei wußte Paulus, an der Argumentation der Gegenseite gemessen, seinen Standpunkt in durchaus überlegener Weise zu vertreten: er ging nämlich so vor, daß er nicht einfach die laufenden Rechtsstreitigkeiten aufgriff, die nach dem Ersten Thorner Frieden (1411) weiterschwelten; er suchte vielmehr den Gegner auf grundsätzlicher Ebene, an den Wurzeln seiner Existenz zu treffen, die auf den bewaffneten Heidenkampf in der scharfen Form des direkten Missionskrieges9 gegründet war. So ist es ausschließlich sein Verdienst, daß die Auseinandersetzung über einen kleinlichen Rechtshandel hinauswuchs zu einem völkerrechtsgeschichtlich ungemein fesselnden Vorläufer jener berühmten Disputation von Valladolid, in der 1550 Bartolomeo de Las Casas vor Kaiser Karl V. mit Juan Ginés de Sepúlveda über die Rechtsstellung der indianischen Heiden stritt10. Auch in späteren Jahren erscheint Paulus oft im juristisch-diplomatischen Dienst der Krone Polen wider die verhaßten Weißmäntel, mit denen er als Kind des umstrittenen Dobriner Grenzlandes auch ein persönliches Anliegen auszufechten hatte. Erst in den letzten Jahren 8 Umfassende Bibliographie bei E. Schulz, ebenda. Vgl. auch E. Nys, Les origines du droit international. Bruxelles 1894. S. 149–51. Die wichtigste Arbeit des polnischen Juristen sind seine „Tractatus de potestate papae et imperatoris respectu infidelium“ von 1415 (im folg, zitiert: De pot.). In Ermangelung einer modernen Anforderungen entsprechenden Ausgabe muß immer noch der Abdruck benutzt werden, den M. Bobrzyński in: Starodawne Prawa Polskiego Pomniki V (Cracoviae 1878), S. 159–85, veranstaltet hat; dazu laufende Textverbesserungen bei E. Schulz, S. 40–72, wo auch eingehende Interpretation; Quellenuntersuchungen dazu ebenda S. 73–88 (vgl. unten S. 925 f.). Die übrigen Schriften des Paulus Vladimiri sind für uns weniger bedeutsam; vgl. bes. noch seine „Conclusiones contra Ordinem Theutonicorum sanctae Mariae Virginis“ (auf De pot. fußend, aber knapper und mit anderer Anordnung des teilweise auch erweiterten Stoffes), jetzt gewöhnlich auf 1417 datiert; im folg. zitiert: Concl.; gedruckt bei M. Bobrzyński, S. 186–94. 9 Zu diesem Begriff s. unten bei Anm. 75. 10 Über die Disputation von Valladolid: E. Nys (wie Anm. 8), S. 153–4; ausführlicher über die Diskussionspartner: J. Höffner, Christentum und Menschenwürde. Das Anliegen der spanischen Kolonialethik im Goldenen Zeitalter. Trier 1947. S. 150–59, 194 ff., 247 ff., 286 f. mit weiteren Literaturangaben.
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seines Lebens hat er sich stärker zurückgezogen: so begegnet er seit 1429/30 als Augustinerchorherr zu Klodawa bei Krakau. Die auf dem Höhepunkt seines Wirkens entwickelten Lehren liegen jedoch lange vor dieser Zeit, und es geht darum nicht an, sie ihm als Angehörigen dieses Ordens zuzuschreiben, wie es gelegentlich geschehen ist11 – auch ganz abgesehen von dem quellenkritischen Befund, auf den wir später noch zurückkommen müssen12. Für unseren Vergleich aber bedeutet dies alles: er wird gar nichts erbringen können zur Aufhellung der praktischen Seite des Problems, der Frage, wie sich missionsmethodisches Vorgehen in der Wirklichkeit des 15. Jahrhunderts von dem der Deutschen im Zeitalter ihrer Slawenmission unterschieden haben mag. Solche Dinge lagen vermutlich sehr am Rand des Gesichtskreises eines Mannes, als dessen Lebensstationen außer Brudzeń bei Płozk, seinem Geburtsort, etwa Prag, Posen, Padua, Krakau, Konstanz, Ofen, Breslau, Rom und immer wieder Krakau genannt sind. Um so höheren Ertrag dürfen wir erwarten für das Feld des Grundsätzlichen – das, was man für das Hochmittelalter nur mit größten Vorbehalten als die „Theorie“ des Handelns zu bezeichnen wagt. Völkerrecht ist nämlich für jene Jahrhunderte vor dem Zeitalter des säkularisierten Staates immer zugleich Missionsrecht, sobald es nur über den Umkreis der Christenheit hinauszugreifen hat: das trat, wie später in Valladolid, so auch damals in Konstanz handgreiflich hervor. Wir deuteten es schon an: besonderes Gewicht besaß für Paulus der Nachweis, daß die vom Orden geübte Praxis der Zwangschristianisierung mit dem Schwert nach „natürlichem, göttlichem, kanonischem und bürgerlichem Rechte“ unhaltbar sei13. Große Sätze fallen in diesem Zusammenhang, die wir gern sehr viel ausführlicher heranziehen wollen als Z. Wojciechowski, damit das vielfach noch unscharfe Bild des Doktors von Krakau auch ganz klar hervortritt: „Es ist unstatthaft, Ungläubige zum Glauben zu zwingen, denn jedermann muß in dieser 11
Etwa bei E. Nys (s. Anm. 8). Unten S. 925 f. 13 Concl. XXX (S. 190): Quod Cruciferi de Prussia pugnantes cum infidelibus pacificis, aut potius eosdem impugnantes, ut sic, nunquam habuerunt iustum bellum cum eisdem. Ratio: quia impugnantibus illos, in pace degere volentes, omne ius resistit, scilicet naturale, divinum, canonicum et civile. Folgt Begründung. – Vgl. De pot. II, 4 (S. 174 f.) sowie den „Tractatus de ordine Cruciferorum et de bello Polonorum contra dictos fratres“ (von 1417) I (bei M. Bobrzyński, S. 244, 31 ff.) über die fundamenta ordinis Cruciferorum de Prussia . . . fidei christianae contraria, nee salva veritate catholica et divinae legis . . . aliqualiter sustinenda, immo communiter reprobata per doctores tam theologos quam iuristas. – Vgl. die folg. Anm. 14–20. 12
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Beziehung dem freien Willen überlassen bleiben, und eine wirksame Berufung zum Glauben kann einzig von Gottes Gnadenwahl ausgehen“14; wer nicht aus freien Stücken, sondern unter dem Eindruck roher Gewalt die Taufe empfängt, kann nicht für einen wirklichen Christen gehalten werden, denn „Glaube darf nicht aus Nötigung entspringen“, und „erzwungene Dienste gefallen Gott nicht“15, ganz abgesehen davon, daß es „ein Weg voll Unrechts gegen den Nächsten ist“, wenn man „Ungläubige mit Waffengewalt oder durch Bedrückung zum christlichen Glauben zu zwingen sucht“, „und man darf nicht Böses tun, damit etwas Gutes herauskomme“16. Ganz besonders aber muß es als eine „durchaus unerträgliche Abweichung vom rechten Glauben“ bezeichnet werden, wenn „Christen zusammenströmen, um Ungläubige einzig und allein deswegen mit einem Angriffskrieg zu überziehen, weil sie Ungläubige sind“: die „Ausbreitung des christlichen Glaubens“ als solche kann niemals einen gerechten Kriegsgrund abgeben, eben weil „im Zeichen der Frömmigkeit nichts Ruchloses begangen werden darf “17. Ein Krieg gegen Heiden ist wohl erlaubt und gerecht, wenn sie von sich aus „Christen beunruhigen oder sonst sich etwas zuschulden kommen lassen“18, nicht aber dann, wenn, „um eine günstigere Gelegenheit zur Ausbreitung des katholischen Glaubens zu schaffen, eine ungläubige
14 De pot. I, 9 (S. 169): . . . non debent infideles cogi ad fidem, quia omnes in hoc libero arbitrio relinquendi sunt et sola Dei gratia in hac vocatione valet. – Vgl. II, 11 (S. 181) sowie Concl. XVII (S. 189). Eine ähnliche Wendung unten Anm. 43. 15 De pot. II, 5 (S. 175): . . . Christi fidem habere non creditur, qui ad Christianorum baptisma non spontaneus sed vi cogitur pervenire. . . . Nullus ad fidem cogendus est (c. 33. C. XXIII. qu. 5), quia fides ex necessitate esse non debet (c. 5. et c. 1. et c. 3. D. XLV), quia servitia coacta Deo non placent (dicto c. 5. D. XLV). Folgt weitere Ausführung. Die eingeklammerten Belege bereits von Paulus selbst, z.T. nach seinen eigenen Vorlagen, eingefügt; vgl. dazu unten bei Anm. 82. 16 De pot. II, 5 (S. 175): . . . non est licitum infideles armis vel oppressionibus compellere ad fidem christianam, quia hic modus est cum iniuria proximi et non sunt facienda mala ut eveniant bona. – Vgl. Concl. XXXII (S. 191) und unten Anm. 43. 17 De pot. II, 6 (S. 175): . . . error nulla ratione tolerabilis (beachte die mlat., stark theologische Färbung des Wortes error, die bis zu „Irrlehre“ hinüberspielt; dazu oben Anm. 13 am Ende!), . . . quod Christiani confluunt . . . ad impugnandum infideles ex eo, quia infideles, sive hoc dicatur causa fidei christianae ampliandae, cum praetextu pietatis non est impietas facienda, sive daß andere Gründe vorgebracht werden, die sich auf die bloße Tatsache ihres „Unglaubens“ stützen. – Vgl. Concl. XXXIV (S. 191). 18 De pot. I, 10 (S. 169): . . . cum Christianos turbant vel alias delinquunt; vgl. Thema (S. 161): bejaht offensichtlich einen Krieg, solange noch nicht cessaverit impugnandi Christianos crudelitas paganorum, solange rabies paganica in Christicolas desaevierit. Ebenda S. 162: Verum cessante insultu paganorum . . . cessavit pugnandi officium.
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Bevölkerung grausam angegriffen wird, die ruhig und friedlich lebt“19: ein solcher Krieg steht durchaus auf einer Stufe mit einem ungerechten Krieg gegen Christenmenschen20, und die freiwillige Beihilfe zu ihm ist folglich, sehr im Gegensatz zu den vom Deutschen Orden verbreiteten Behauptungen, nichts anderes als Todsünde21. Soweit die Gutachten des Paulus Vladimiri. Und nun sollen seine Sätze sich in innerer Übereinstimmung ausgerechnet mit der Art befinden, wie die geistigen Führer der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters deren Aufgabe verstanden haben? Auf dem Boden der älteren Auffassung kann eine solche Behauptung wirklich nur mit äußerstem Befremden quittiert werden: ihr muß dieser Pole des 15. Jahrhunderts als absoluter Gegenpol jener „Predigt mit eiserner Zunge“22 erscheinen, die ihr wie für die gesamte mittelalterliche Mission vor ihm, so besonders für die der älteren deutschen Reichskirche als typisch gilt. Die Übereinstimmung ist aber tatsächlich gegeben: sie geht sogar noch bedeutend weiter, als der Hinweis Z. Wojciechowskis erkennen läßt. 2. Soweit die Deutschen jener älteren Periode in Betracht kommen, hat der Abstand sich bereits erheblich verringert durch den Nachweis, daß der Grundsatz: Fides ex necessitate esse non debet23 auch ihnen keineswegs fremd gewesen ist: taucht er in ihrer spärlichen literarischen Hinterlassenschaft allem Anschein nach auch nicht wortwörtlich auf, so weist es doch in völlig gleiche Richtung, wenn ein Brun von Querfurt († 1009) die Anwendung körperlicher Gewalt im Missionswerk als „schwere Sünde“ (peccatum magnum) brandmarkt24, wenn der Wendenkreuzzug Bernhards von Clairvaux, mit dem Schlachtruf: „Vernichtung
19 De pot., Thema (S. 161): . . . occasione catholicae fidei ampliandae gens quieta infidelium crudeliter impugnatur. – Ähnliche Wendungen gegen Krieg mit infideles pacifici, in pace degere volentes usw. I, 2 (S. 163); II, 4 (S. 174 f.); Concl. XXX (oben Anm. 13), XXXIV, XLV (S. 190 f., 192) u.ö. 20 De pot. II, 4 (S. 1741); 8–9 (S. 178–9); Concl. XXX–XXXI (S. 190 f.), XLV (S. 192), vgl. LII (S. 193). 21 De pot. II, 6 (S. 175), vgl. Concl. XXXV (S. 191), XLV (S. 192). 22 So die Transl. S. Liborii, c. 4 (Monumenta Germaniae Historica, Script. IV, S. 151, 21 f.) von der Sachsenmission Karls d. Gr. 23 S. Anm. 15. Diesen Satz stellt Z. Wojciechowski (wie Anm. 2) besonders heraus. 24 Vgl. Beitrag XV, S. 496 f.; zustimmend und ergänzend R. Wenskus (wie Anm. 5), S. 150 ff. – Fernzuhalten ist in diesem Zusammenhang die sehr abweichende Haltung Bruns gegenüber Apostaten, der andere kanonistische Voraussetzungen zugrunde liegen als in der eigentlichen Heidenmission; vgl. Beitrag XV, S. 501–513 und sonst, sowie R. Wenskus.
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oder Bekehrung!“ In Marsch gesetzt25, unter maßgeblicher Beteiligung der zuständigen Missionsbischöfe teilweise umgebogen wird in einen Rekuperationskrieg zur Herstellung der rechtmäßigen Grenzen des Bistums Havelberg26, wenn ein Helmold von Bosau als Zeitgenosse bei aller unverhohlenen Bewunderung der „Heiligkeit“ Bernhards doch mit völligem Unverständnis von diesem seinem Unternehmen abrückt und mit offenkundigem Mißfallen feststellt, die auf solchem Weg durchgesetzte Taufe der Wenden sei ja eben doch nur „auf unrechte Weise“ ( falso) geschehen27, und wenn gar ein Adam von Bremen († nach 1080), statt zum heiligen Bekehrungskrieg aufzurufen, selbst Apostaten gegenüber das Bibelwort zitiert, Gott erbarme sich, wessen er wolle, und verstocke, wen er wolle (Rm. 9, 18)28: hinter solchem Zitat steht unverkennbar genau der gleiche Glaube an die allein ausschlaggebende Macht göttlicher Gnadenwahl, wie ihn der Doktor von Krakau so nachdrücklich herausstellt29. Immerhin scheint trotz allem noch ein erheblicher Abstand zwischen dem polnischen Gutachter und jenen älteren deutschen Vertretern christlich-mittelalterlicher Missionsgesinnung bestehen zu bleiben – wenn man die Betrachtung an dieser Stelle abbricht. Ordnet man hingegen die vorstehend herangezogenen Sätze aus den Schriften Paulus Vladimiris, wie füglich, in den Gesamtzusammenhang ein, dem sie entnommen sind, so verschiebt das Bild sich weiterhin in außerordentlich charakteristischer Weise. Schon angeführt wurde die Formulierung, daß nach dem Anwalt der polnischen Krone ein Krieg gegen Heiden ohne weiteres gerechtfertigt sei, wenn sie „Christen beunruhigen oder sonst sich etwas zuschulden kommen lassen“30. Schon über diese Worte sollte nicht allzu schnell hinweggelesen werden. „Wenn sie Christen beunruhigen“: dann läge ein Defensivkrieg vor, der keine besonderen Probleme aufgibt. Was aber soll der Zusatz heißen: cum . . . alias delinquunt? Er führt uns auf ganz entscheidende Abstriche, die im Sinn der Gutachten des Paulus 25
Vgl. Beitrag XV, S. 524 f. Vgl. W. Schlesinger, Bemerkungen z. d. sog. Stiftungsurkunde d. Bistums Havelberg von 946 Mai 9. In: JGMO. 5 (1956), S. 31 f., dazu S. 19, 21–27, 29, 36 über die damals laufenden Grenzstreitigkeiten zwischen den Bistümern Havelberg und Wollin. Beachte dazu unten S. 933 f. – Die parallel laufenden weltlich-machtpolitischen Interessen Markgraf Albrechts des Bären dürfen in unserem Zusammenhang außer Betracht bleiben. 27 Vgl. WJb. 11/12 (1957/58), S. 99–104, bes. Anm. 26; ferner H. Beumar (wie oben Anm. 4), S. 126–31. 28 Vgl. Beitrag XIV, S. 469 f.; Beitrag XV, S. 549 f. 29 Oben Anm. 14. 30 Oben Anm. 18. 26
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an der völkerrechtlichen Gleichstellung von Heiden und Christen, an der Ächtung jeden gewaltsamen und kriegerischen Vorgehens im Missionswerk vorgenommen werden müssen. Denn was Paulus unter delinquere versteht, zeigt ein früherer Zusammenhang des gleichen Traktats mit großer Ausführlichkeit. Es geht dort um die Frage, „ob der Papst in irgendeinem Fall Ungläubige bestrafen kann, wenn sie sich etwas zuschulden kommen lassen“31. Darauf wird zunächst erwidert32, des Papstes Amtsgewalt (potestas) und Gerichtshoheit (iurisdictio) erstrecke sich nicht nur über alle Christen (als die „Herde der Kirche“), sondern über sämtliche „Schafe Christi“, die er ja gemäß dem Petrus zuteil gewordenen Auftrag (Joh. 21, 17) zu „weiden“ habe. Diesen „Schafen Christi“ seien nun aber kraft der Schöpfung (per creationem) auch die „Ungläubigen“ ausnahmslos zuzurechnen. Der Auftrag des Heilands gelte also auch für sie; der Papst habe sie mithin zu schützen und für sie zu sorgen, nicht aber habe er sie anzugreifen oder ihre Schädigung zu erlauben, „es sei denn“ – wieder eine einschränkende Klausel –, „daß ein vernünftiger Grund es erfordere“ (nisi causa rationabilis id exposcat). Von einer Stätte, die die Wiege allen Rechtes sei, dürfe ja kein Unrecht ausgehen. Was aber haben wir uns unter den „vernünftigen Gründen“ vorzustellen, die dem Papst das Recht einräumen sollen, „Schafen“, die er eigentlich zu weiden hat, Angriff oder sonstigen Schaden zuzufügen? Selbstverständlich, führt Paulus weiter aus, komme dem Stellvertreter Christi ein gewisses Aufsichtsrecht auch über die „Ungläubigen“ zu. Dabei wird eine wichtige Einschränkung festgehalten: dieses Aufsichtsrecht geht nicht so weit wie über die Christen, also die „Herde der Kirche“. Sie unterstehen dem „Gesetz des Evangeliums“ und sind damit der päpstlichen Gerichtshoheit ohne Einschränkung unterworfen. Aber dieses Gesetz gilt nur für die Christenheit, auf Außenstehende kann es nicht ausgedehnt werden. Immerhin haben auch die Juden ihr Gesetz, eben das mosaische, und so kann der Papst, schreibt Włodkowic, sie belangen, wenn sie gegen dessen sittliche Gebote verstoßen, ja sogar, „wenn sie gegen dieses ihr Gesetz Häresien erfinden“: Gesetz (lex) schließt im mittelalterlichen Latein ja nicht nur die sittliche, sondern auch die lehrmäßige, die dogmatische „Rechtsnorm“ ein. Den Heiden
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De pot. I, 7 (S. 167 f.). Ebenda, dazu II, 11 (S. 182) sowie die grundsätzliche Erörterung des päpstlichen Weltherrschaftsanspruchs De pot. II, 1 (S. 169–73). Vgl. Concl. I–II (S. 187); X (S. 188). 32
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gegenüber sieht die Lage noch wieder anders aus: sie haben überhaupt kein positives, sondern nur das „natürliche“ Gesetz; wo sie sich aber über dessen Normen hinwegsetzen, kann der Papst auch sie zur Rechenschaft ziehen – Beweis: die Bestrafung der Sodomiten, „die gegen das Naturgesetz sündigten“, durch Gott (Gen. 19), denn „die Gerichte Gottes sind für uns (d.h. die Christenheit) vorbildlich“, zumal für den Papst, seinen Stellvertreter33. Nach diesen Grundsätzen kann der Papst zunächst den „Ungläubigen“ außerhalb des rechtmäßig christlichen Gebietes verbindlich vorschreiben, „daß sie die Christen, die etwa ihrer Gewalt unterstehen, nicht belästigen“, und er kann ihnen gegebenenfalls „durch richterlichen Urteilsspruch“ (per sententiam) die Herrschaft über diese Christen entziehen, wenn sie sich nicht an dieses Gebot halten34. Er kann darüber hinaus, unbeschadet aller Ablehnung eines positiven Glaubenszwanges, den „Ungläubigen“ auferlegen, „daß sie Prediger des Evangeliums in ihren Ländern zulassen“, denn „jede vernunftbegabte Kreatur“, d.h. jeder Mensch, „ist geschaffen, um Gott zu loben“, und wer die Verkündigung dieser Botschaft hindert, begeht damit eine Sünde, die Strafe heischt35. Schon diese Auslegung des „Naturgesetzes“ und der in ihm gründenden päpstlichen Befugnisse ist recht bemerkenswert36. Aber der Papst kann die „Ungläubigen“ nach dieser Konzeption nicht nur zur Rechenschaft ziehen (bis zu militärischem Angriff und sonstiger Schädigung)37, wenn sie die christliche Missionspredigt hemmen sollten; er kann sie, lesen wir bei Paulus Vladimiri, auch bestrafen, „wenn sie Götzenbilder verehren, denn es ist naturgemäß, allein den einen Schöpfergott zu verehren, nicht aber Wesen und Dinge, die geschaffen sind“, wie die nach biblischer Auffassung „von Menschenhänden gemachten“ Heidengötter38. Damit aber wird das Heidentum an seiner religiösen Wurzel getroffen.
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S. Anm. 31, dazu De pot. II, 11 (S. 185); Concl. XI u. XIII (S. 188). De pot. I, 8 (S. 168); vgl. Concl. XV–XVI (S. 189). 35 De pot. I, 9 (S. 169); prägnanter Concl. XVII (S. 189): Licet infideles ad fidem cogi non debeant . . ., potest tamen papa mandare infidelibus, quod admittant praedicationem evangelii in terris suis. Ratio huius est, quod omnis creatura rationabilis facta est ad Deum laudandum. . . . Si ergo prohibent praedicare, peccant et ideo essent merito puniendi. 36 Daß auch diese Forderung aus dem „Naturgesetz“ abgeleitet wird, ergibt sich neben der Reihenfolge in der Gesamtbeweisführung aus dem ausdrücklichen Hinweis auf die creatura, also die natürliche Geschöpflichkeit. 37 S. oben S. 916 f. 38 De pot. I, 7 (S. 167 f.): . . . papa potest punire infideles colentes idola, naturale enim est, unum solum Deum creatorein colere et non creaturas. – Zur biblischen Auffassung vgl. F. Me1zer, Christus u. die indischen Erlösungswege. Tübingen 1949. S. 57 ff. 34
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Nun ist zwar zu beachten, daß der Papst nach diesen Lehren solche Strafgewalt über die „Ungläubigen“ zunächst nur de jure besitzt, nicht ohne weiteres auch de facto39. Es kann folglich geschehen, daß er den Vollzug an sich verwirkter Strafen bisweilen (quandoque) aussetzt, wo ihm die tatsächliche Vollstreckungsgewalt (facultas actualis) mangelt, und dasselbe gilt, wo er befürchten muß, daß sich aus dem Strafvollzug „Gefahren und Ärgernisse“ (pericula vel scandala) ergeben könnten40. Aber dies alles ändert nichts an der Tatsache, daß die Gerichtshoheit über die „Ungläubigen“ auch außerhalb des Bereichs der Kirche ihm wirklich zugeschrieben wird41, und das hat weitreichende Folgen: „in allen vorgenannten Punkten“ (also 1. wenn „Ungläubige“ Christenmenschen bedrücken, die unter ihrer Herrschaft leben; 2. wenn sie die freie Predigt des Evangeliums in ihren Ländern behindern; 3. wenn sie sich weigern, von ihrem Götzendienst abzulassen) kann der Papst nicht nur verbindliche Befehle erteilen, er kann im Fall der Gehorsamsverweigerung sogar die Zwangsgewalt des „weltlichen Arms“ aufrufen und den „Delinquenten“ ganz offiziell den Krieg erklären42. Es gibt da zwar einen alten Satz, nach dem die Kirche „über die, welche außer ihr stehen“, nicht zu richten hat (vgl. I. Cor. 5, 9–13). Aber dieser Satz wird nach den Gutachten des gelehrten Krakauers von derartigen Maßnahmen überhaupt nicht berührt: er bezieht ihn nur darauf, „daß wir sie nicht durch Anwendung geistlicher oder weltlicher Zwangsmittel zum Glauben bringen dürfen, zu dem sie allein durch Gottes Gnade berufen werden“43; wo sie jedoch nicht einfach „ungläubig“ sind, sondern ein positives Verhalten an den Tag legen, das über diese rein negative Eigenschaft des Mangels an christlichem Glauben hinausgeht, – wo sie eben „Christen beunruhigen oder sonst 39
De pot. I, 7 (S. 167 f.); Concl. X (S. 188), XIV (S. 189). Concl. XIV (S. 189); vgl. De pot. II, 11 (S. 185): . . . si adest facultas. 41 Concl. XIV (S. 189). 42 De pot. I, 10 (S. 169): Quid fit, si papa non potest eos (infideles) de facto punire? . . . In omnibus praedictis, in quibus papa licite aliquid eis mandat, si non obediant, sunt compellendi bracchio saeculari et indicendum est bellum per papam et non per alios (dazu De pot. II, 2, S. 174). Vgl. Concl. XVIII–XIX (S. 189), XXVIII (in der Ausgabe verdruckt in XXVII; S. 190). 43 De pot. I, 10 (S. 169): . . . non debemus eos excommunicando vel compellendo ad fidem inducere, ad quam sola Dei gratia vocantur . . . Der Satz erhält sein volles Licht erst, wenn man sich klarmacht, daß die Anwendung geistlicher und weltlicher Zwangsmittel zur Aufrechterhaltung innerkirchlicher Disziplin, d.h. gegen „schlechte Christen“ (insbes. Häretiker und unbußwillige Exkommunizierte) ohne weiteres statthaft war, wie es auch bei Paulus Vladimiri anklingt. Vgl. De pot. I, 6 (S. 167); Concl. IX (S. 188). – Zur göttlichen Gnadenwahl vgl. oben Anm. 14, im übrigen Anm. 16. 40
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sich etwas zuschulden kommen lassen“44 –, da ergibt sich sofort eine völlig neue Lage45. „Es ist nicht Sache der Kirche, den Unglauben an denen zu bestrafen, die niemals den Glauben angenommen haben46. . . . Aber wenn jemand über sein Ungläubigsein hinaus (noch weiter) sündigt, kann er schließlich sein Menschenrecht verlieren ebenso wie bisweilen durch andere Schuld“47. Es ist deutlich, daß der Satz: Fides ex necessitate esse non debet48, auf den Wojciechowski in seinem Hinweis so gesteigerten Wert legt49, in solcher Umgebung ein völlig anderes Licht erhält, als wenn man ihn für sich allein betrachtet. So modern er uns immer anmuten mag – er macht seinen Sprecher doch in keiner Weise zum Verfechter einer Toleranz im Sinne der Aufklärung, für die solche Glaubens- und Gewissensfreiheit untrennbar mit einer allgemeinen Kultus- und Lehrfreiheit verbunden ist50. Wohl dürfen die Heiden nach den Gutachten des Paulus Vladimiri nicht gerade zum Übertritt gezwungen werden: der direkte Missionskrieg bleibt aus dem Bereich des Erlaubten ausgeschlossen, getreu der Tendenz, die sich als roter Faden durch all diese weitausgreifenden Erörterungen hindurchzieht, daß nämlich der Deutsche Ritterorden vor den versammelten Vätern des Konzils von Grund auf innerlich unmöglich gemacht werden soll. Aber darum bleiben die Heiden, solange sie sich der Taufe fernhalten, eben doch in einer ausgeprägten völkerrechtlichen
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Vgl. Anm. 18 und 45. De pot. I, 10 (S. 169): . . . secus cum Christianos turbant vel alias delinquunt (vgl. oben Anm. 18). 46 De pot. I, 10 (S. 169): . . . ad ecclesiam non pertinet punire infidelitatem (so wohl zu lesen statt infidelem der Ausgabe) in illis, qui nunquam fidem susceperunt. Auch an dieser Stelle ist wie oben Anm. 43 das innerkirchliche Disziplinarrecht zum Vergleich heranzuziehen: wer das Christentum schon einmal, und sei es als willenloser Säugling, durch die Taufe angenommen hat, der ist, wenn er dann wieder zum „Unglauben“ kommt, ein „Ungläubiger“ anderer Art: nicht Heide oder Jude im strengen Sinne, sondern je nachdem Apostat oder Häretiker, und wie ein solcher Mensch zu behandeln war, hatte gerade in den Tagen der Abfassung dieses Traktates das Schicksal des Hus gezeigt. Für ihn und seinesgleichen wird nicht (wie für die Bekehrung vom Christentum bisher völlig Unberührter) die Formel: ad fidem inducere gebraucht (vgl. oben Anm. 43), sondern ad fidem reducere, eine feine, wenig beachtete Unterscheidung, die jedoch bedeutende Konsequenzen für die Interpretation vieler Texte in sich schließt. In moderner Terminologie wären beide Arbeitsbereiche als „Mission“ und „Rekatholisierung“ zu unterscheiden: Beitrag XV, bei Anm. 87, sowie S. 540. 47 De pot. I, 10 (S. 169): . . . Sed si aliquis per infidelitatem peccat, potest finaliter ius humanum amittere, sicut et quandoque propter alias culpas . . . 48 S. Anm. 15. 49 Z. Wojciechowski, wie oben Anm. 2. 50 Gegen diese Ansicht hat mit Recht bereits E. Schulz (wie Anm. 6) S. 52 Einspruch erhoben. 45
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Sonder- und Minderstellung. Sie geht – das ist wichtig – nicht so weit wie bei dem Mann, dessen Thesen Paulus immer wieder ausführlich referiert und erbittert bekämpft51, dem Kardinal Heinrich von Segusia (meist „Hostiensis“ genannt nach seinem Erzstuhl zu Ostia; † 1271)52, der den Heiden jede rechtmäßige Herrschaft absprechen und ihren Besitz als herrenloses Gut hinstellen wollte; es war dies die Auffassung, der es beschieden war, gerade im 15. Jahrhundert, im beginnenden Entdeckungszeitalter, Epoche zu machen53, und insofern hat Paulus Vladimiri den Mut bewiesen, vor dem Forum des allgemeinen Konzils sich dem Zug der Zeit entgegenzustellen. Doch auch er kennt gerechte Kriegsgründe, die allein Heiden gegenüber gelten, zusätzlich zu denen, die schon innerhalb der Christenheit möglich sind; Gründe, durch die er sich befugt glaubt, „Ungläubigen“ ihr Menschenrecht (iushumanum)54 abzusprechen, darunter einen, der, wie gesagt, das Heidentum bei seiner religiösen Wurzel trifft: das Festhalten am altüberkommenen Väterbrauch, die Treue gegen die angestammten Götter und ihren Kult. Das aber bedeutet, daß all die schönen Wendungen gegen aggressive
51 De pot. II, 11 (S. 180–85), vgl. das Begleitschreiben zu Concl. (S. 1861 f.) mit dem offiziellen Antrag, haec materia plena periculi necessario declaranda per hoc sacrum concilium, und mit der Feststellung, die Konklusionen seien ausdrücklich pro faciliori exstirpatione istius erroris verfaßt (vgl. dazu oben Anm. 17, im übrigen den Nachsatz zu Concl., S. 194, und unten Anm. 55). Der genannte Antrag ist – im Hinblick auf die Kolonialgeschichte des 15. und 16. Jhs. muß man sagen: leider – nicht zur Entscheidung gekommen (entgegen einer nicht verifizierbaren Behauptung von E. Nys, wie Anm. 8, S. 149, ohne Quellenangabe; vgl. dazu die weiteren Ausführungen, ebenda, bes. über die Plenarsitzungen des Konzils vom 6. Juli 1415 und vom 22. April 1418, sowie C. J. v. Hefele, Conciliengeschichte2 VII, Freiburg 1890, S. 367 ff.). 52 Vgl. E. Nys, S. 144 f.; J. F. v. Schulte, Die Geschichte der Quellen u. Literatur d. Canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart II. Stuttgart 1877. S. 123–29. 53 Vgl. U. Scheuner, Zur Geschichte d. Kolonialfrage im Völkerrecht. In: Zs. f. Völkerrecht 22 (1938), S. 442–73; J. Höffner (wie Anm. 10), S. 47–66, 164, 167, 178, 210, 214 f. u.ö.; E. Nys, S. 368 u.ö.; A. Rein, Über die Bedeutung der überseeischen Ausdehnung für das europäische Staatensystem. Sonderausgabe, Darmstadt 1953. Im wesentl. nach HZ. 137 (1928), bes. S. 8–19; weitere Literatur bei G. Stadtmüller, Geschichte d. Völkerrechts I. Hannover 1951. S. 58, 91, 95. Vgl. auch G. Friderici, Der Charakter d. Entdeckung u. Eroberung Amerikas durch d. Europäer, I–III Stuttgart u. Gotha 1925–36, häufig. – Die umfassende Darstellung von W. G. Grewe, Epochen der Völkerrechtsgeschichte (1944), die auch dem hier berührten Problemkreis ausgedehnten Raum gewährte, ist leider durch die Kriegsereignisse bis auf wenige Einzelexemplare vollständig vernichtet worden und harrt wohl noch immer der Neuauflage. Eins dieser Exemplare konnte dank freundlicher Vermittlung des Herrn Verfassers eingesehen werden und vermittelte eine wesentliche Abrundung des gewonnenen Bildes. Wenig für unsere Zusammenhänge bietet desselben sonst lehrreiche Abhandlung Res publica Christiana. Vom Wesen der mittelalterlichen Völkerrechtsordnung, in: Europ. Revue 16 (1940), S. 594–600. 54 S. Anm. 47.
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Eroberungskriege in heidnisches Land, die der gleiche Traktat mit so starker Betonung zusammenstellt55, für die Praxis so gut wie bedeutungslos bleiben müßten, denn jene „friedlichen Heiden“, die nichts anderes als „Ungläubige“, als Nichtbekenner der katholischen Religion sind, ohne eigene Riten und sonstige Sünden wider das „Naturrecht“ – was sind sie anderes als eine lebensfremde, blutleere Konstruktion rein theoretisch-logischer Systematik? Es gibt in Vergangenheit und Gegenwart kein Heidenvolk im ganzen weiten Erdenrund, gegen das auf Grund solcher Prinzipien nicht jederzeit die bewaffnete Macht der Res publica Christiana in Marsch gesetzt werden könnte56; was sich gegenüber dem Hostiensis ändert, ist lediglich die Motivierung – und allerdings ein zweites: der Spielraum, der begehrlicher Willkür einzelner weltlicher Machthaber gelassen bleibt, ist in den Konstanzer Gutachten des Paulus sehr erheblich eingeschränkt. Denn nach ihnen darf eine christliche Obrigkeit gegen Andersgläubige von sich aus, d.h. ohne päpstliche Entscheidung und Weisung, nur in solchen Fällen zu Felde ziehen, die auch christlichen Mächten gegenüber einen gerechten Kriegsgrund abgeben würden57; überall aber, wo dieser Umkreis verlassen wird, wo es also nicht um die Wahrung persönlicher Rechte, sondern um die Belange des „Naturgesetzes“ geht, ist einzig und allein der päpstliche Oberrichter befugt, eine bewaffnete Exekution auszulösen, und selbst er nur mit zwei wichtigen Einschränkungen: nur dann, wenn er zuvor einen friedlichen Lösungsversuch unternommen hat, bei dem er gescheitert ist58, und ferner nur dann, wenn sein Verantwortungsbewußtsein nicht durch die Rücksicht auf mögliche pericula und scandala gehindert wird,
55 De pot. I, 1–4 (S. 164–67); II, 1–9 (S. 173–79) häufig; vgl. Concl. III–VII (S. 187 f.) sowie oben Anm. 51. 56 Einzig ließe sich an die Sarazenen denken, die ja jeden Götzendienst schroff ablehnen und den Glauben an den einen, allmächtigen Schöpfergott teilen. Aber erstens war dies im Mittelalter weithin unbekannt; in der Dichtung jener Jahrhunderte erscheinen sie ohne weiteres als Vertreter eines besonders hemmungslosen Götzendienstes (vgl. bes. das reiche Material bei L. Denecke, wie Anm. 101, häufig). Zweitens aber wurden sie auf jeden Fall von dem Kriegsgrund des Christianos turbare betroffen, weil sie, z.B. in Palästina, christliches Gebiet angeblich widerrechtlich besetzt hielten: die Kreuzzüge sind ja für diese Konzeption kein Angriffs-, sondern ein Verteidigungskrieg der Christenheit (De pot. I, 3, S. 166; Concl. VI, S. 188). 57 Die Fortsetzung des Zitats in Anm. 42 lautet: . . . indicendum est per papam et non per alios, nisi ubi qui s de iure suo contendit. Das bedeutet, daß in den vom Konditionalsatz erfaßten Fällen auch jede andere rechtmäßige Obrigkeit auf christlicher Seite einen Heidenkrieg eröffnen darf. Sie entsprechen den Gründen für einen gerechten Krieg unter Christen selbst. Vgl. auch oben bei Anm. 20 sowie Concl. XIX (S. 189). 58 Dies ergibt sich aus dem: . . . si non obediant . . . oben Anm. 42.
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die größer sein könnten als das erreichbare Ergebnis59. Ein Abstand zu den Lehren des Hostiensis und besonders zu den Grundsätzen des Deutschritterordens ist das ohne Frage, und zwar ein Abstand, den wir Heutigen als positiv empfinden. Aber es ist doch ohne weiteres deutlich, daß Paulus Vladimiri diesen seinen ideellen Widersachern immer noch unvergleichlich viel näher bleibt als den Anschauungen des modernen Völkerrechts. 3. Blicken wir von hier auf die Deutschen des Hochmittelalters zurück, so ergeben sich mancherlei charakteristische Abweichungen sowohl formaler als inhaltlicher Art. Um mit dem ersten zu beginnen: müssen wir dort aus zufälligen, verstreuten Einzelbemerkungen mühsam die geistige Haltung rekonstruieren, die hinter ihnen stand, so legt der Krakauer Doktor klar aufgebaute Traktate vor, die ihren Gegenstand systematisch-umfassend abhandeln. Schon dieser Gegensatz bleibt jedoch keineswegs allein im Formalen und Äußerlichen stehen, spiegelt er doch die unterschiedliche Bewußtheit und Reflektiertheit zweier Zeitalter, zwischen denen auf theologisch-philosophischem wie auf kanonistischem Gebiet die klärende Gedankenarbeit der Hochscholastik liegt, der großen Lehrmeisterin gerade eines Paulus Vladimiri60. Zu dieser unterschiedlichen, man möchte sagen: Welthaltung kommen mancherlei abweichende Stellungnahmen im einzelnen. Es genügt, zwei charakteristische Beispiele herauszugreifen: der Papst, für einen Gegner des Reiches im Spätmittelalter ganz selbstverständlich der eigentliche Leiter aller Unternehmungen gegen die Heidenwelt, tritt für die Deutschen der hohen Kaiserzeit, ganz entsprechend seiner geringen Aktivität in ihrem Missionsfeld, fast ganz in den Hintergrund; an seiner Stelle erscheint bei ihnen, soweit überhaupt einschlägige Äußerungen fallen, als Missionsherr der Kaiser61, und daß neben ihm auch die geistliche Spitze der Christenheit mitzureden hätte, scheint außerhalb des Kreises der Hochstgestellten in Reich und Reichskirche kaum jemandem bewußt 59
S. Anm. 40. S. unten S. 925 f. 61 Besonders charakteristisch im Brief Bruns von Querfurt an Heinrich II., wo der Erzbischof dem König und künftigen Kaiser einen detaillierten Bericht über seine seit der letzten Begegnung unternommenen missionarischen Bemühungen vorlegt. Abdruck bei W. v. Giesebrecht, Gesch. d. deutschen Kaiserzeit4 II. Braunschweig 1875. S. 689–92; zur Textgestalt und Interpretation: Beitrag XV, S. 483–493; vgl. auch R. Wenskus, wie oben Anm. 5, S. 142, 143, 152 ff. Von Späteren ließen sich besonders aus Helmolds Slawenchronik charakteristische Wendungen beibringen; vgl. auch das Rolandslied des Pfaffen Konrad (unten bei Anm. 110–111). – Über das Verhältnis von Kaiseridee und Missionspflicht vgl. die unten Anm. 112 genannte Lit. 60
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gewesen zu sein. Daneben mag an die sog. eiectio Slavorum erinnert werden, eine Erscheinung, die freilich für die deutsche Slawenmission jener älteren Zeit nicht ohne weiteres typisch ist, denn sie findet sich erst verhältnismäßig spät, nach dem Wendenkreuzzug von 1147, und setzt offenbar den Einfluß westlichen Kreuzzugseifers voraus: die gelegentliche Austreibung von Heidenmenschen aus dem „christlichen Land“, vornehmlich auf Betreiben kirchlicher Würdenträger aus deren Grundbesitz62. Sie wird in erzbischöflich magdeburgischen Urkunden um 1150/60 ausdrücklich als ein Werk „frommen Eifers“ und als ein völlig legitimer Weg betrachtet, „um den Kult der christlichen Religion an den Orten zu begründen und in Form zu bringen, wo er bisher noch nicht bestand“63; das heißt, sie gilt als gottwohlgefällig und erlaubt, während Paulus Vladimiri sie sehr eindeutig als sündhaft brandmarkt64 (obwohl sehr nachdrücklich gefragt werden muß, wieweit nicht auch er, dem ein gewaltsames Vorgehen gegen Ketzer selbstverständlich war65, für die Heiden des damaligen ostelbischen Apostatengebietes66 sehr andere Maßstäbe angelegt hätte als für die des Großfürstentums Litauen, auf die seine Traktate in erster Linie gemünzt waren). Alle diese und ähnliche Unterschiede wollen sehr wohl beachtet sein. Freilich dürfen wir uns darüber den Blick nicht trüben lassen für die Rangordnung dessen, was wichtig und was minder bedeutsam ist. Denn was wir soeben anführen konnten, ist doch mehr oder weniger nichts als zeitbedingtes Kolorit: im Grundsätzlichen und Wesentlichen kann die Übereinstimmung bei derartigem zeitlichen und räumlichen Abstand kaum vollständiger sein; zumindest geht sie weit über die Gemeinsamkeiten hinaus, die auch und trotz allem zwischen dem Krakauer Doktor und dem Kardinalerzbischof von Ostia bestehen. Wenn die Konstanzer Gutachten die Ausmerzung heidnischen Götzendienstes fordern67, dann deckt sich das genau mit jenem ritus paganos amovere, das in der hochmittelalterlich-deutschen Missionsarbeit so weithin selbstverständlich war68, obgleich wir aus ihrem Bereich auch einige charakteristische Ausnahmen kennen69. Wenn Paulus, wo es ein
62 63 64 65 66 67 68 69
Vgl. dazu Beitrag XIV, S. 478 f. Ebenda. De pot. I, 1 (S. 164 f.); Concl. III–V (S. 187 f.). S. Anm. 43 Dazu Beitrag XV, S. 501–513. Das schließt die in Anm. 38 wiedergegebene Stelle ohne weiteres ein. Vgl. Beitrag XIV, bei Anm. 28, Anm. 35, Anm. 41; bei Anm. 53. Z.B. ebenda bei Anm. 50, vgl. jedoch S. 477 f.
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Gebiet der christlichen Mission zu öffnen gilt, notfalls Waffengewalt für erlaubt hält70 (unter ausdrücklicher Ablehnung ihres Einsatzes im eigentlichen Missionswerk, soweit damit ein Einfluß auf den Entschluß der „Missionsobjekte“ zum Taufempfang ausgeübt werden soll71), dann stimmt das im Prinzip ebenfalls mindestens sehr weitgehend mit den Äußerungen überein, nach denen wir unser Bild vom „Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters“ formen müssen72. Selbst die Rücksichtnahme auf etwaige pericula und scandala, die solche an sich gebilligten Gewaltmaßnahmen unter Umständen nur mit Vorsicht einzusetzen gestattet, läßt sich hier wie dort beobachten73. Anders gefaßt: wie die Mission der hochmittelalterlichen Deutschen im Wendenlande, so können auch die Traktate des Paulus Vladimiri nur dann richtig verstanden werden, wenn man mit angemessenen, d.h. mit ihrem Geist adäquaten, begrifflichen Voraussetzungen an sie herangeht. An seinem Satz: Fides ex necessitate esse non debet, ist nicht zu rütteln, aber er gilt nicht so, wie man ihn heute gemeinhin verstehen würde, sondern lediglich für den Bereich, den wir nach dem Vorgang G. Walters die Arbeit am positiven Missionsziel genannt haben74: für die eigentliche „Christianisierung“, die Bekehrung zu Christus und seiner Kirche; der Satz muß deshalb im Zusammenhang mit dem gesehen werden, was die gleichen Schriften über die Arbeit am negativen Missionsziel (wenn man will: über die „Entpaganisierung“) hinzufügen. Er schließt in sich eine klare Absage an jede positive Gewaltmission und darüber hinaus an den direkten Missionskrieg, gegen dessen geschichtlich bedeutendste Vertreter, eben die Deutschordensritter, er sich ja vornehmlich wendet; aber er verbindet sich mit einer Bejahung der negativen Gewaltmission, die den „widergöttlichen Kult“ als sol-
70
S. Anm. 35 S. Anm. 14–17. 72 Vgl. Beitrag XIV, S. 471–474 (auch Anm. 31), 475 f. sowie Anm. 59 über die Ablehnung des bernhardinischen „Taufe oder Tod“ auf deutschem Boden; ergänzend Beitrag XV, S. 548–564, sowie H.-D. Kahl, Beiträge z. brandenburg. Gesch. im Zeitalter Bischof Wiggers u. des Fürsten Pribislaw-Heinrich (erschienen Köln/Graz 1964 als “Slawen und Deutsche”), II. Teil: Die Ablenkung des Wendenkreuzzugs vom brandenburgischen Bistumsgebiet. 73 Vgl. für Paulus Vladimiri: oben S. 917, für Adam von Bremen: Beitrag XIV, bei Anm. 29. Adams vorsichtige Haltung wird man freilich für seine Zeitgenossen nicht verallgemeinern dürfen, aber auch Paulus Vladimiri ist zunächst ja nur ein einzelner, nicht ohne weiteres maßgeblicher Vertreter einer ganzen Zeit. 74 G. Walter, Die Heidenmission nach der Lehre des hl. Augustinus. Münster 1921. S. 115; vgl. Beitrag XIV, S. 466 f. 71
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chen ausrottet, wo immer sie kann, und mit einem Bekenntnis zum indirekten Missionskrieg, der mit dieser Aufgabe die weltliche Sicherung anschließender friedlicher Bekehrungsarbeit verbindet75. In allen diesen Punkten aber stimmen die Gutachten des Paulus vollständig mit dem überein, was das deutsche Hochmittelalter in „Theorie“ (soweit von einer solchen füglich gesprochen werden kann) und Praxis an Missionsgrundsätzen erkennen läßt – es sei nur noch an jenen eigenartigen Schwebezustand erinnert zwischen der alten Religion, die sie nicht mehr ausüben durften, und der neuen, von der sie nichts wissen wollten, in dem die Wenden der sorbischen Marken großenteils mindestens ein Jahrhundert lang gelebt haben müssen76, sicherlich ganz im Sinn der Traktate des Krakauer Doktors77. Der damit festgestellten Übereinstimmung aber kommt nun doch ein weit größeres Gewicht zu als all den vorher aufgezählten Unterschieden. Sie ist stärker, weil tiefer verankert als mancherlei zeitbedingte Abweichungen in der Einzelausprägung eines grundsätzlich gemeinsamen Gedankengutes. Da erhebt sich nun natürlich die Frage, wie diese auffällige Übereinstimmung über solche zeitlichen und räumlichen Abstände hinweg sich erklären läßt. Ihr Grund ist zweifellos der gleiche, den B. Winiarski78 seinerzeit schon für die nicht minder auffälligen Gemeinsamkeiten zwischen Paulus Vladimiri und Francisco de Vitoria (1483–1546) herausgestellt hat, dem großen Völkerrechtslehrer der spanischen Neuscholastik79. Eine unmittelbare Abhängigkeit ist in jedem dieser Fälle
75
Zur Unterscheidung der beiden genannten Formen des Missionskrieges vgl. Beitrag XIV, S. 468 f. u. bes. Beitrag XV, S. 521 f., 526–30. – An dem oben im Text zugrunde gelegten Begriffssystem scheitert auch der wiederholt, selbst noch von E. Schulz (s. Anm. 6) erhobene Vorwurf der Inkonsequenz, die darin liegen soll, daß Paulus trotz seiner Frontstellung gegen die Bekehrungskriege des Deutschen Ordens das Recht des Papstes festhält, Heiden notfalls durch kriegerische Exekution für ihren Götzendienst zu bestrafen. Jenes ist positiv, dies negativ gerichtete Missionsarbeit; Paulus verteidigt den indirekten Missionskrieg gegen dessen direkte Schwesterform, die auch ihm zu weit geht. 76 Vgl. A. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands8. Berlin u. Leipzig 1954. III, S. 134 f.; IV, S. 578 f. – Vermutung ähnlicher Zustände für ein bestimmtes Entwicklungsstadium des Merowingerreiches ebenda I, S. 115 f.; vgl. K. Voigt, Staat u. Kirche von Konstantin d. Gr. bis z. Ende d. Karolingerzeit. Stuttgart 1936. S. 257 f. 77 Vgl. oben S. 917 f. 78 B. Winiarski, Vitoria et Włodkowic. In: Bulletin international de l’Académie Polonaise des Sciences et des Lettres, année 1935, cl. philol.-hist.- philos. Cracovie 1936, S. 245 f., 247. 79 Über Vitoria und sein kolonialethisches System vgl. J. Höffner (wie Anm. 10), S. 184–92 mit zahlreichen Quellen- und Literaturhinweisen, dazu die von modernkatholischem Standpunkt aus vorgetragene Kritik S. 232–52, die sich in wesentlichen
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mit vollkommener Sicherheit auszuschließen: der Pole hat ohne Zweifel ebensowenig etwas von Adam von Bremen gewußt wie später der Spanier von ihm; vielmehr haben sie sämtlich unabhängig voneinander aus der gleichen Quelle geschöpft, nämlich aus kirchlich-kanonistischer Tradition, nur daß die Deutschen des 9. bis 12. Jahrhunderts, gemäß ihrer früheren Entwicklungsstufe, dies in weit weniger bewußter und systematischer Weise taten. Gerade für Paulus Vladimiri ist diese Abhängigkeit von der überkommenen Tradition durch die schon genannten Untersuchungen von E. Schulz in ganz unerwartetem Maße beleuchtet worden80. So weit die Meinungen über den Krakauer Doktor bisher auch auseinandergingen81, in einem waren sich alle Forscher einig: sie hielten ihn für einen originellen, eigenwillig-selbständigen Denker; niemand aber unterzog sich der Mühe, einmal die Zitate nachzuprüfen, die vor allem sein Haupttraktat „De potestate papae et imperatoris respectu infidelium“ laufend in so bedeutender Anzahl bietet. So blieb es E. Schulz vorbehalten, zu zeigen, daß Paulus seine Thesen gar nicht selbst aufgestellt hat: sie sind vielmehr mit verhältnismäßig wenig verbindendem Text fast wörtlich eben den Autoritäten entnommen, auf die er sich laufend beruft und die zu seiner Zeit trotz mancher Abweichungen im einzelnen (wie etwa beim „Hostiensis“) doch allgemein anerkannt waren – konkret gesprochen, um bei den vorstehend herausgestellten Sätzen zu bleiben: sie entstammen vor allem dem Dekretalienkommentar Papst Innozenz’ IV., der Secunda Secundae des Thomas von Aquin und dem Dekretalienkommentar des Kardinals Franciscus Zabarella, den Paulus als seinen unmittelbaren Lehrer verehrte –; die Bedeutung des Gutachters, auf die stolz zu sein Polen nach wie vor allen Grund hat, liegt eben in der damit geübten persönlichen Zurückhaltung, die der ihm damals in Konstanz gestellten Aufgabe einzig entsprach: hatte er doch nichts als die Übereinstimmung des polnischen Standpunkts mit dem geltenden Recht seiner Zeit nachzuweisen, keinesfalls aber durch gefährliche und kühne Neuerungen sich und seine Delegation der Gefahr eines Häresieprozesses auszusetzen82. Seine Gewährsleute Punkten mit dem deckt, was oben S. 919 über die „Modernität“ des Paulus Vladimiri festzustellen war. 80 E. Schulz (wie Anm. 6), S. 73–88. 81 S. Anm. 6. 82 Da die Arbeit von Schulz besonders im Ausland kaum zugänglich sein dürfte, mag es gestattet sein, einige seiner wichtigsten Sätze im Wortlaut wiederzugeben. Paulus war seinem Wesen nach „weder Theologe noch Philosoph“, sondern „Jurist“
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ihrerseits aber fußten natürlich auf jenen älteren Vätern bis zurück zu Gregor dem Großen und Aurelius Augustinus83, aus denen auch die geistige Elite des hochmittelaterlichen Deutschland geschöpft hatte. 4. Wir kommen mithin zu dem Ergebnis, daß sich der erstaunten Feststellung Z. Wojciechowskis – von ihm im Grunde bloß getroffen, um die damaligen Darlegungen des Verfassers ad absurdum zu führen – tatsächlich nur beipflichten läßt. Der vermeintliche Abgrund, den ältere Auffassung zwischen Paulus Vladimiri und den ideellen Wegweisern der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters aufklaffen sah, beruht auf nichts anderem als einer falschen Einschätzung beider, bei der die Fehlurteile allein deshalb so weit auseinandertraten, weil sie sich in genau entgegengesetzter Richtung von der Wahrheit entfernten:
(S. 106); seine Traktate sind dementsprechend nichts anderes als „Prozeßgutachten“ (S. 107), die alle in seinem Sinne günstigen Argumente sammeln. Dabei zeigt die Quellenuntersuchung, „daß Paulus keinen der wichtigen Gedanken in seinem Traktat (sc. De pot., s. oben Anm. 8) neu entwickelt hat. Auch hat Paulus nicht Vorstellungen, die in Andeutungen schon vorhanden waren und etwa eine neue Zeit einleiten sollten, selbständig formuliert und so den Anstoß zu einer neuen Entwicklung gegeben. . . . Seine Leistung besteht also nicht in dem Erfinden neuer Gedanken, sondern in der Verwertung schon vorhandener Ideen. . . . Er hat systematisch die für ihn brauchbaren Stellen aus der Literatur gesammelt und sie – im allgemeinen sehr geschickt – zusammengestellt. Nicht ein Beleg ist von ihm selbst verdreht oder verfälscht worden, wenn uns auch die Anwendung manchmal etwas frei erscheinen möchte“ (S. 86). Von ihm selbst stammt die Disposition seiner Arbeit, „und bekanntlich setzt ein gescheiter Aufbau die sichere Beherrschung des Stoffes voraus“. Allenthalben zeigt sein Traktat, daß hinter ihm „eine gute Kenntnis der kanonistischen Literatur steht und außerdem ein Kopf, der diese Kenntnis auszunutzen verstand“ (S. 87); auf seine persönlichen Auffassungen aber kann aus dem, was er bietet, nicht ohne weiteres geschlossen werden (S. 109). Dieser Befund mag manchen, der ihn bisher als Denker hochgeschätzt hat, befremden und betrüben. Aber „Paulus wollte dem Konzil gar keine neuen, humanitären Ideen vorsetzen – Paulus wollte einen politischen Zweck erreichen; er war ganz einfach Advokat seines Königs; und wenn er mit seinem Traktat einen Erfolg erzielen wollte, so mußte er sich an das geltende Recht halten. Daß dieses Recht auf seiner Seite war, konnte er aber seinen Zeitgenossen nicht mit eigenen neuen Gedanken beweisen, selbst wenn er sie mit einer vollendeten Logik zusammengestellt hätte, sondern nur mit den Autoritäten, die damals als die Repräsentanten der richtigen Interpretation des Rechtes allgemein bekannt waren. Daher auch die genauen Zitate, die Paulus gebracht hat, damit jeder sehen konnte, wer und was hinter diesen Sätzen stand. Die Feststellung, daß Paulus alle wesentlichen Gedanken von früheren Vorbildern übernommen hat, bedeutet also für ihn keinen Tadel, sondern das höchste Lob, das wir ihm spenden können“ (S. 88, vgl. S. 108). Zur Beurteilung gelegentlich unstreitig vorkommender Inkonsequenzen (die aber auch von Schulz noch überschätzt werden: vgl. oben Anm. 75) „dürfen wir nicht vergessen, daß der Traktat des Paulus kein in der für wissenschaftliche Arbeit notwendigen Ruhe aufgebautes philosophisches System, sondern eine mitten im Konzilsbetrieb hergestellte Kampfschrift ist“ (S. 82). 83 Vgl. dazu J. Höffner (wie Anm. 10), S. 47–66; auch E. Nys (wie Anm. 8), S. 144– 51.
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die Deutschen des 9. bis 12. Jahrhunderts wurden allzu „mittelalterlich“, der Pole des 15. allzu „modern“ gesehen; ihr Bild war allzusehr ins Ungünstige, das seine allzustark zu seinen Gunsten verzerrt. Bei genauerem Zusehen aber gilt, daß Männer wie Adam von Bremen und Paulus Vladimiri sich, unbeschadet aller fortbestehenden Verschiedenheiten, in einem Mittelraum zwischen jenen Extremen begegnen. Gemeinsam lehnen sie die positive Gewaltmission und den direkten Missionskrieg ab, gemeinsam bejahen sie entsprechende Maßnahmen, solange sie negativ gerichtet waren bzw. indirekt blieben; gemeinsam reihen sie sich damit ein in den großen kontinuierlichen Strom, der von Augustin und Gregor dem Großen über den Aquinaten zu Francisco de Vitoria führt. Mit ihm vertreten sie die Regel; was aber von dieser Regel abweicht – wie die karolingische „Capitulatio de partibus Saxoniae“, derWendenkreuzzugsaufruf Bernhards von Clairvaux, die positive Gewaltmission der Schwertbrüder und Deutschherren im baltischen Raum, nicht zuletzt auch die norwegische Reichsmission der Olaf Tryggvason und Haraldsson (995–1000 bzw. 1016–30) und ähnliche Vorgänge im gleichzeitigen ungarischen Raum84 –, dies alles stellt, im Gegensatz zur älteren Anschauung, nicht den mittelalterlichen „Normalfall“ dar, sondern Ausnahmen, die in jedem Fall gesondert untersucht und begründet werden müssen85. Dabei drängt sich, wenn man die Reihe dieser Ausnahmen überblickt, sofort eine Beobachtung auf: alle aufgezählten Glieder mit einer Ausnahme, nämlich dem heiligen Zisterzienserabt, sind durch eine wichtige Gemeinsamkeit zusammengeschlossen. Alle anderen, und das gilt gerade auch für die beiden Ritterorden, sind ja Träger staatlicher Gewalt, denen die Missionsidee auch politisch zu nützen vermochte als Hilfsmittel, sei es, militärische Eroberungen um so sicherer dem eigenen Reichsverband einzufügen, sei es, nach unten und innen die eigene Stellung auf solchem Fundament um so stärker zu befestigen 84 Vgl. C. Erdmann, Die Entstehung d. Kreuzzugsgedankens. Stuttgart 1935 = Darmstadt 1955. S. 96 m. Anm. 31; Beitrag XV, S. 495–497. – Der meist, so bei Erdmann, Anm. 31, angenommene gleichartige Befund für Polen ist ungesichert: vgl. oben Anm. 5. 85 Daß nicht die Befürwortung, sondern die Ablehnung positiver Gewaltmission im Gegensatz zu verbreiteter Auffassung „die Regel“ war, hat schon C. Erdmann in seiner Rezension der ersten, stark verbesserungsbedürftigen Untersuchung zum Problem der Zwangsbekehrung gezeigt (HZ. 141, 1930, S. 570, Anm. 1, zu E. Maschke, Der deutsche Orden u. die Preußen. Bekehrung u. Unterwerfung in d. preuß.-balt. Mission d. 13. Jh. Berlin 1928). Vgl. auch W. Baetke, Die Aufnahme des Christentums durch die Germanen. In: WaG. 9 (1943), S. 150.
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in der Auseinandersetzung zwischen neugeschaffenem Großstaat und älteren Partikulargewalten. (Genau wie umgekehrt Paulus Vladimiri, nicht zu vergessen, als Anwalt eines Staates spricht, der sich durch direkte Missionskriege eines Nachbarn in seinem Gebietsstand bedroht fühlen mußte). Mit dieser Feststellung ist zweifellos schon Wesentliches zur Erklärung dieser Sonderfälle gesagt, aber gerade die eine Ausnahme warnt mit allem nur denkbaren Nachdruck davor, sich mit diesem Ergebnis zufriedenzugeben und in ihm die ganze Lösung des Problems zu sehen. Offenkundig hat über alle möglichen Verquickungen von Politik und Religion hinaus, die man, beiläufig, ebenfalls nicht nach modernen Maßstäben richten sollte86, noch ein sehr viel tiefergehendes geistiges Moment eine Rolle gespielt, und es wird in jedem einzelnen Fall nach dem Anteil gefragt werden müssen, den es zur konkreten geschichtlichen Gestaltung der Dinge beigetragen hat: nicht nur die den „Ungläubigen“ verhältnismäßig günstige Auffassung, wie Paulus Vladimiri sie vor dem Konstanzer Konzil für die Krone Polen vertrat, hat ihre Vorläufer im hohen und früheren Mittelalter gehabt, sondern auch deren Widerpart, mag es auch der vorherrschenden theologisch-kanonistischen Grundrichtung nur mehr als Nebenströmung zur Seite laufen. Das aber regt zu neuen, fesselnden Gedankengängen an. Schon eingangs hatten wir ja festzustellen, daß der Traktatenkampf, in den Paulus so maßgeblich eingriff, nicht für sich allein gewürdigt werden kann, sondern ein wichtiger geistes- und völkerrechtsgeschichtlicher Vorläufer jener berühmteren Disputation von Valladolid gewesen ist87. Sollte es am Ende in diesen früheren Jahrhunderten weitere Vorläufer geben, nur selbstverständlich in das Gewand ihrer vorscholastischen Zeit gekleidet, also rein äußerlich in vielem anders geartet als die beiden spätesten und umfassendsten Glieder der Kette, aber doch unverkennbar dem gleichen Zusammenhang angehörig wie sie? An erster Stelle drängt sich in diesem Zusammenhang der Gedanke an die großen missionstheoretischen Auseinandersetzungen der Zeit Karls des Großen auf. Wie die ersten Jahrzehnte seiner Sachsenmission 86 Vgl. W. Baetke, ebenda S. 160 f., und bes. dens., Religion u. Politik in d. Germanenbekehrung. Leipzig 1937; auch H.-D. Kahl, Das altschonische Recht als Quelle zur Missionsgeschichte des dänisch-schwedischen Raums. In: WaG. 17 (1957). S. 32 m. Anm. 38. Eine ähnliche wechselseitige Durchdringung der für uns getrennten religiösen und politischen Ebenen spricht aus zahlreichen Stellen des Alten Testaments, an denen sich insofern vorchristlich germanisches Empfinden immer wieder erneuern konnte. 87 Oben S. 911.
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aussahen, ist allgemein bekannt – mitsamt den seltsamen Folgerungen, die nationalistischer Übereifer verschiedentlich (keineswegs erst nach 1933) aus diesem Befunde gezogen hat. Was noch viel zu wenig Eingang ins Geschichtsbild einer breiteren Öffentlichkeit zu finden vermochte, ist die Tatsache, daß der Hinweis allein auf Karls sächsische Missionspolitik auch wieder nur Teilwirklichkeiten ins Auge faßt und somit gleichfalls verzerrend einseitig ist. Als der Erfolg dermaßen hartnäckig ausblieb, mögen dem gewaltigen Frankenherrscher, der sein Christentum auf seine Weise so ernst nahm, selbst nach und nach Gewissenszweifel gekommen sein, ob der eingeschlagene Weg wirklich vom Segen Gottes begleitet sei. Das wissen wir nicht. Was aber eindeutig vorliegt, ist eine Reihe ausführlicher Schreiben aus den neunziger Jahren jenes Jahrhunderts, in denen Alkwin von York vor dem König mahnend die Stimme erhob. Sie berühren sich inhaltlich mannigfach mit den Traktaten des Paulus Vladimiri, vor allem in der unbedingten Verwerfung jeglichen positiven Glaubenszwangs. Und mindestens diese Vorstellungen fanden bei Karl auf die Dauer ein williges Ohr: sein Awarenfeldzug, im Auftrag des Vaters vom Königssohn Pippin geleitet, nahm nicht mehr die Form eines direkten, sondern allenfalls die eines indirekten Missionskrieges an, und zum Überfluß tagte, nachdem die Waffen gesprochen, im Feldlager an der Donau noch eine besondere Synode (das sog. Donaukonzil vom Sommer 796) – doch sicherlich nicht hinter dem Rücken Karls –, um die Grundsätze der nachfolgenden friedlichen Missionsarbeit unter Awaren und Südslawen ganz im alkwinschen Sinne festzulegen: vielleicht der erste entscheidende Sieg, den die mildere Auffassung über die Gegenseite gewonnen hat88. Bald darauf – und doch wiederum schwerlich ohne Zusammenhang mit diesen Vorgängen – ließ der König selbst auch das Sachsenland eine mildere Hand spüren89.
88 Vgl. L. Ki1ger, Zur Entwicklung d. Katechumenatspraxis vom 5. bis 18. Jh. In: Zs. f. Missionswiss. 15 (Münster 1925), S. 171 ff. (freilich mit unzutreffend verallgemeinernden Folgerungen für die spätere Zeit S. 173); H. Mühlner, Die Sachsenkriege Karls d. Gr. in d. Geschichtschreibung d. Karolinger- u. Ottonenzeit. Berlin 1937. S. 11–14; E. Varrentrapp, Über den Zusammenhang von Taufe u. kirchl. Unterweisung in d. christl. Frühzeit Deutschlands. Diss. theol./masch. Marburg 1946. S. 157 ff.; A. Brackmann (wie Anm. 112), S. 61 f., 95; A. Hauck (wie Anm. 76) II, S. 475 f. u.a. Die entscheidenden Briefe Alkwins: Monumenta Germaniae Historica, Epistolae IV, nn. 107, 110–13 (S. 154, 157–65); die Akten des Donaukonzils: Mon. Germ. Hist., Concil. II, 1, S. 172–76. 89 Vgl. A. Hauck II, S. 414 f.; R. Buchner, bei Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter, Vorzeit und Karolinger. Beiheft. Weimar 1953. S. 39 ff. m. weiterer Literatur.
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Ein anderes Beispiel ist erst kürzlich in den Gesichtskreis der Forschung gerückt und hat wohl im allgemeinen noch wenig Aufmerksamkeit gefunden. Als das Christentum nach dem germanischen Norden vordrang, versuchte der Dänenkönig Harald „Blauzahn“ (etwa 945–86) zunächst, auf wohl recht ähnliche Weise wie später die beiden norwegischen Olafs – und zweifellos aus recht ähnlichen Gründen – gewaltsam missionarisch zu wirken. Er mußte erleben, daß sein eigener Sohn, Swen „Gabelbart“, sich an die Spitze einer heidnischen Reaktion stellte, und starb im Exil. Swen fand später zum Christentum zurück und muß Bedeutendes für die Missionierung seines Reiches geleistet haben. Aber eine Rückkehr zu den Methoden seines Vaters lag ihm fern. Vielmehr bildete Dänemark sich, sei es noch unter Swen selbst, sei es erst unter den Nachfolgern, eine neue, eigene Rechtsordnung aus, die dann auch ins Schwedenreich auszustrahlen vermochte. Ihre Einzelheiten sind verschollen, nur das Grundprinzip läßt sich gerade noch greifen. Danach scheint es, als ob im Dänenreich für die Heiden ein ähnlich minderes „Bürgerrecht“ geschaffen worden ist, wie sie nach Paulus Vladimiri völkerrechtlich benachteiligt blieben; sicher sein dürfte jedenfalls ihr Ausschluß von weiterer Rechtsgemeinschaft mit „Christenmenschen“ (mit allen Konsequenzen besonders für das Erbrecht). Ein gesetzliches Christentumsgebot hingegen, das das Christsein gewissermaßen zur „ersten Staatsbürgerpflicht“ erhoben hätte, läßt sich in diesem Zusammenhang nicht erweisen: im Gegenteil spricht alles dafür, daß im Geltungsbereich dieser Rechtsordnung Unbekehrte ganz offiziell weiterhin im Lande geduldet worden sind. Damit tritt sie aber in schroffen Gegensatz zu den gleichzeitigen Rechtssetzungen des westnordischen Missionszeitalters, besonders der norwegischen, in denen ein allgemeines, gesetzliches Taufgebot verkündet wurde, und zwar so streng gefaßt, daß „Heidenmenschen“ jeder Aufenthalt im Lande, selbst die vorübergehende Einreise untersagt blieb, sofern sie anderen Zwecken dienen sollte als dem Taufempfang beim nächst erreichbaren Priester90. In dieser tiefen Verschiedenheit ost- und westskandinavischer Ordnungen begegnet uns also etwas durchaus Ähnliches wie in der Gegenüberstellung der „Capitulatio de partibus Saxoniae“ mit den Beschlüssen
90 Vgl. die in Anm. 86 genannte Arbeit in WaG. 17, dazu für die parallellaufende politische Problematik H. Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters4. Weimar 1953. S. 402 ff. (m. Lit.), sowie W. Baetke (wie Anm. 85), S. 151.
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des Donaukonzils, in der Kontroverse des Paulus Vladimiri mit den Vertretern des Deutschritterordens oder im Aufeinandertreffen der Partner von Valladolid. Dabei muß mindestens für die maßgeblichen Kreise des Dänenreiches, aus denen die ostnordische Rechtsordnung hervorging, so etwas wie eine bewußte Gedankenarbeit und Auseinandersetzung angenommen werden: schon die eigene Missionsgeschichte, das Scheitern des ersten Bekehrerkönigs, von dessen Methoden diese Ordnung sich so deutlich abhebt, dürfte dazu angeregt haben; aber auch die so andersartige norwegische Lösung des Heidenproblems, die vielleicht nicht in den Einzelheiten, doch im Geist und im Kern unstreitig bereits auf die beiden Olafs zurückgeht, kann angesichts der mannigfachen Verflechtungen des Geschicks beider Reiche in Dänemark nicht unbekannt gewesen sein, als dort die Entscheidung fiel. Damit reiht sich dieses Beispiel um so besser in unseren Zusammenhang ein. Seine eigentliche Bedeutung aber gewinnt es durch einen charakteristischen Begleitumstand, nämlich die nahe Verwandtschaft der skandinavischen Vergleichspartner in ihrem Menschentum: zeigt sie nicht mit besonderer Deutlichkeit, daß der Weg der karolingischen Sachsen- oder der norwegischen Reichsmission für ein bekehrungseifriges Königtum jener Jahrhunderte keineswegs der einzig selbstverständliche war; auch dann nicht, wenn die Einschaltung von Kirche und Christentum ihm seine engeren politischen Ziele erleichtern konnte? Die Annahme, daß die Art, wie von Fall zu Fall die „Heidenfrage“ gelöst wird, immer und überall auch ein geistesgeschichtliches Problem ist über alle noch so starken nur machtpolitischen Komponenten hinaus, – diese Annahme wird dadurch nachdrücklich unterstrichen. Noch wieder anderer Art ist ein drittes Beispiel, das in diesem Zusammenhang Erwähnung verlangt. Denn auch der auffällige Zwiespalt dürfte sich weningstens teilweise hier einreihen, der schon längst zwischen Planung und Durchführung des Wendenkreuzzugs von 1147 festgestellt worden ist. Die Tatsache dieses Zwiespalts steht außer jedem Zweifel. Den Grund hat man lange einzig im Gegensatz zwischen dem idealistischen Rigorismus eines Bernhard von Clairvaux und dem machtpolitischen Egoismus der maßgeblichen sächsisch-deutschen Laienfürsten gesucht. Daß damit etwas Zutreffendes gesehen worden ist, kann in gar keiner Weise bestritten werden. Aber das fast schon feststehende Ergebnis ist überraschend in Fluß gekommen, seit zunächst immer deutlicher wurde, wie völlig isoliert die vom Westen angeregte Kreuzzugsidee dieses Jahres
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im geistigen Raum des damaligen östlichen Missionsfeldes dasteht91, seit weiter W. Schlesinger den unverkennbar starken Einfluß herausarbeiten konnte, den der päpstliche Kreuzzugslegat, Bischof Anselm von Havelberg, auf den tatsächlichen Verlauf dieses Unternehmens genommen zu haben scheint92, und seit fast gleichzeitig W. Berges, ganz unabhängig von der Problematik von 1147, die geistesgeschichtliche Stellung dieses bedeutenden Prämonstratensers auf ganz neue Weise beleuchtet hat93. Seitdem steht Anselm neben Bernhard als ein Mann, nicht weniger stark von kirchlichen Reformideen durchdrungen, aber ganz entgegengesetzten Charakters, nicht voll oft alttestamentlich anmutenden Eifers, sondern im Zeichen einer bewußten mansuetudo, die er nicht nur gefordert, sondern gelebt und selbst in dogmatischem Streitgespräch persönlich bewährt zu haben scheint. Nehmen wir die höchst eigenartigen Machenschaften hinzu, die allem Anschein nach Wigger, Anselms Ordens- und Amtsbruder von Brandenburg, damals unternommen hat, um den Wendenkreuzzug von seinem Bereich abzulenken, in dem ein längst und verheißungsvoll angelaufenes friedliches Missionswerk durch den Waffenlärm verheerend durchkreuzt und gestört worden wäre94, so bleibt kaum ein Zweifel: auch in der Begegnung von Bernhard und den Sachsen (etwa auf dem entscheidenden Frankfurter Reichstag vom März 1147) müssen ähnliche Gegensätze aufeinandergetroffen sein, wie wir sie hier immer wieder zu verfolgen hatten. Der Wendenkreuzzug dieses Jahres wäre dann nicht allein gescheitert, weil Männer wie Albrecht der Bär in machtpolitischer Eigensucht die kirchlichen Ziele der großen Unternehmung verraten und umgebogen hätten; auch nicht allein deshalb, weil Prälaten wie Anselm und Wigger den Egoismus ihrer partikularen Bistumspolitik besser mit ihnen als mit den Weisungen des Abts von Clairvaux in Einklang zu bringen wußten95. Dies alles, gerade auch das zweite, hat mitgesprochen, hat
91 Vgl. H. Beumann (wie Anm. 4), S. 126–31; ferner Beitrag XIV, S. 469–479; auch Beitrag XV, S. 524 f., 530 f., 548–564. 92 S. Anm. 26. 93 W. Berges, Anselm von Havelberg in d. Geistesgesch. d. 12. Jhs. In: JGMO. 5 (1956); vgl. auch dens., Reform und Ostmission im 12. Jh. (oben Anm. 4). 94 Vgl. dazu H.-D. Kahl (wie Anm. 72). 95 Dieser Eindruck könnte sich aus isolierter Betrachtung der von W. Schlesinger (wie Anm. 26) herausgearbeiteten Zusammenhänge ergeben.
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aber doch so ungehemmt und fast unangefochten96 sich nur deshalb auswirken können, weil den bernhardinischen Parolen in diesem ostmitteleuropäischen Raum für die Lösung der „Heidenfrage“ eine abweichende geistige Tradition gegenüberstand: das unverhohlene Mißtrauen gegen die kirchlichen und geistlichen Führer dieses Raums, das, bisher unbeachtet, aus dem entscheidenden Frankfurter Sendschreiben Bernhards spricht97, bietet den vielleicht schlüssigsten Beweis, gerade wenn man es mit der neugewonnenen Würdigung der Persönlichkeit Anselms zusammenhält. So taucht die Möglichkeit auf, daß auch schon am Rande des dortigen Reichstags Gedanken ausgetauscht oder doch besprochen worden sind, die später im Konstanzer Traktatenkampf und in der Disputation von Valladolid wiederkehrten. Wenn dem so war, dann sind die Wortführer der gegen Bernhard auftretenden Seite jedenfalls Männer des Klerus wie Anselm gewesen, und sie haben ihre Ansicht mit theologisch-kanonistischen Gründen zu stützen versucht. Aber es wäre völlig verfehlt, wollte man den ideellen Widerstand gegen die Kreuzzugsparolen dieses Heiligen allein in geistlichen Kreisen suchen. H. Beumann hat längst gezeigt, wie ihnen dort im Osten die Vorstellungswelt eines „Territorialstaates“ entgegentrat, „der im Kolonialraum ethnische und religiöse Schranken übergreift“, für uns Spätere festgehalten in den quellenmäßigen Begriffen terra nostra (= das auf diesem Feldzug in Erneuerung älterer Ansprüche kraft Kriegsrechts eingenommene Wendenland) und populus noster (= die fremdvölkischen, eben wendischen, und zugleich religionsfremden, eben heidnischen, Bewohner dieses Landes), deren Schädigung über das militärisch notwendige Maß hinaus als unsinnig empfunden wurde98; die entscheidende Äußerung aber, in der diese ganz unbernhardinische Konzeption sich spiegelt, wird nicht geistlichen, sondern weltlichen Herren in den Mund gelegt, den satellites Herzog Heinrichs und des Markgrafen Albrecht99. Erneut zeigt sich an dieser Stelle, daß
96 Vgl. die in Anm. 4 genannte Arbeit im WJb. 11/12 über die außerordentlich unterschiedlichen Hintergründe der vermeintlich einhelligen Kritik schon der Zeitgenossen am Ausgang des Wendenkreuzzugs. 97 Vgl. den nur von hier aus verständlichen Wortreichtum, mit dem Bernhard in seinem Sendschreiben den sächsischen Episkopat ermahnt, sich auch ja für die Durchführung des von ihm gesteckten Kreuzzugsziels einzusetzen (Bern. Clarev., ep. 457; PL. 182, 652 = Meklenburg. Urkundenbuch I, Schwerin 1863, n. 43, S. 35 f.). 98 H. Beumann (wie Anm. 4), S. 130. 99 Helmold von Bosau, Slavenchronik I, 65 (rec. B. Schmeidler, SRG. 1937, S. 122, 25 ff.).
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„politischer Realismus“ allein zur geschichtlichen Erklärung nicht ausreicht: man wird nicht fehlgehen, wenn man in der Vorstellungswelt eines solchen weder ethnisch noch religiös festgelegten „Territorialstaates“ das weltliche Korrelat der zeitgenössischen kirchlichen Ideen vom nur indirekt zu vollziehenden Missionskrieg erblickt, wie sie seit der Ottonenzeit etwa am Magdeburger Erzsitz gehütet worden waren100. Leider fehlen uns aus den Jahren unmittelbar um 1147 eingehendere Äußerungen aus Laienmund, die uns tiefer in das Denken der damals beteiligten ritterlichen Herrenschicht hineinführen könnten. Aber gut zwei Jahrzehnte später entstand eine Dichtung, von der man geradezu gesagt hat, daß sie mit ihrem „sehr natürlichen Wirklichkeitssinn . . . den reinsten Ausdruck dessen“ biete, „was der deutsche Ritter in der Zeit zwischen dem zweiten und dritten Kreuzzug vom Heidentum wußte und empfand“101. Es handelt sich um den mittelhochdeutschen Versroman vom „Grafen Rudolf“ (um 1170), und er verdient in unserem Zusammenhang besondere Beachtung aus zwei Gründen: einmal war sein (unbekannter) Verfasser mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst ein ritterlicher Laie, außerdem aber scheint er aus Thüringen zu stammen, so daß dieses Werk auch räumlich in verhältnismäßig große Nähe der Träger jenes Wendenkreuzzuges rückt102. Sein Held zieht aus, für das heilige Grab zu fechten, tritt stattdessen aber – und zwar, soviel die immerhin umfangreichen Fragmente erkennen lassen, ohne jeden inneren Konflikt – in den Dienst eines Heidenkönigs; ja, er kämpft auf dessen Seite gegen ein Christenheer, wenn auch nur mit vlacheme siwerte103. Mit alledem erscheint er jedoch keineswegs als abschreckendes Beispiel, sondern als ein echter Ritter,
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Vgl. Beitrag XIV, S. 472 f., 475 f., Beitrag XV, S. 552–559. L. Denecke, Ritterdichter u. Heidengötter. Leipzig 1930. S. 58 f. 102 Graf Rudolf, abgedruckt bei C. v. Kraus, Mittelhochdeutsches Übungsbuch. Heidelberg 1912; nicht mehr in der Neuauflage von 1926. Vgl. noch J. Bethmann, Unters, üb. d. mhd. Dichtung vom Gr. R. Berlin 1904. Bes. S. 156; G. Ehrismann, Gesch. d. deutsch. Literatur bis z. Ausgang d. MA II, 2, 1. München 1927. S. 58–64, sowie S. 40 u. 343; J. Schwietering, Die deutsche Dichtung d. MA. Potsdam o. J. = Darmstadt 1957, in O. Walzels Handbuch d. Literaturwiss. S. 139 f.; S. Stein, Die Ungläubigen in d. mhd. Lit. von 1050 bis 1250. Diss. Heidelberg 1933. S. 57 ff.; H. Naumann, Der wilde u. der edle Heide. In: Vom Werden d. deutsch. Geistes. Festgabe f. G. Ehrismann. Berlin u. Leipzig 1925. S. 89 (im übrigen teilweise mit Vorsicht zu benutzen!); E. Schröder, Zs. f. deutsch. Altertum 67 (1930), S. 79 f.; J. van Dam, Graf Rudolf, bei W. Stammler, Die deutsche Lit. d. MA. Verfasserlexikon, II (1936), Sp. 78–81 m. weiterer Lit.; H. Schneider, Kreuzzugsliteratur, bei P. Merker – W. Stammler, Reallexikon d. deutsch. Literaturgesch. II. Berlin 1928. §§ 3 u. 10, Sp. 135 u. 140 (Neuauflage erschienen). 103 Graf Rudolf, Fragment Fb, ZI. 25 (S. 65). 101
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dem das Herz des Dichters gehört und auch das des Lesers bzw. Hörers gewonnen werden soll, wie auch die Heiden nicht als unwürdige Scheusale gezeichnet sind, sondern als andersartig, aber menschlich und edel. Alle Beziehungen zwischen den beiden Glaubenswelten sind mithin ungeachtet der Religionsscheide auf so gut wie rein weltliche Ebene gestellt; die Feindschaft zwischen beiden Reichen erscheint lediglich als politische Angelegenheit, der Übergang von einem Lager ins andere als bloßer Wechsel des Dienstherrn, den auch der christliche König nicht als Verrat am Glauben rügt, sondern nur als vasallische Untreue. So lag es nahe, geradezu von einer „neuen Wertescala“ zu sprechen, die hier im „Grafen Rudolf“ aufgerichtet sei104. Aber sollte man nicht etwas weniger schnell mit dem Prädikat „neu“ bei der Hand sein, wo ein Befund für uns zum ersten Male in der Überlieferung erscheint? Wenn der „Graf Rudolf “ wirklich nach Thüringen gehört – und die Wahrscheinlichkeit ist größer als die zweite, nach Hessen weisende Möglichkeit –, dann ist er das erste mittelhochdeutsche Gedicht und zugleich wohl das älteste unmittelbare literarische Zeugnis dieses Raums, wenn man von theologischen und historiographischen Versuchen absieht. Bei der engen geschichtlichen Verflechtung Thüringens mit dem sächsischen Bereich darf diese Dichtung dann aber mit einem gewissen Recht zugleich als Repräsentantin eines umfassenderen Gebietes angesprochen werden, das sich für diese Zeit, sehr im Gegensatz zu dem reichen literarischen Leben Oberdeutschlands, sonst noch weitgehend in Schweigen hüllt, und damit erhebt sich um so stärker die Frage, ob im „Grafen Rudolf “ nicht anstelle eines Neuen vielmehr eine Einstellung festgehalten wird, die in dem von ihm vertretenen Bereich, vor allem im ritterlichen Laientum, auch vorher (z.B. 1147) schon lebendig war: es ist doch vielleicht mehr als ein Zufall, daß ziemlich genau um die Entstehungszeit dieses Werkes, im Jahre 1172, ein „Kreuzzug“ stattfand, der so gar nichts vom bekannten Kreuzzugsgeist an sich hat – eine prunkvolle Fürstenreise nach Jerusalem, die es nicht verschmähte, unterwegs auch die Gastfreundschaft des muslimischen Sultans von Konja anzunehmen und mit ihm die kostbarsten Geschenke zu tauschen, nur daß beim Kreuzen wenigstens der geistigen Klingen im Religionsgespräch der eigene Überlegenheitsstandpunkt gewahrt blieb –, und daß der Mann, der diese Reise unternahm, seinerzeit
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einer der führenden Teilnehmer jenes Wendenkreuzzugs gewesen war, nämlich Herzog Heinrich der Löwe105. Weitere Anzeichen kommen hinzu: wir wissen, daß Graf Adolf II. von Holstein vor 1147 mit den heidnischen Wendenfürsten seiner Nachbarschaft bewußt freundschaftliche Beziehungen angeknüpft hatte, und wir spüren aus den Aufzeichnungen Helmolds, der ihn persönlich gekannt hat, den ausgesprochenen Widerwillen, mit dem er sich diese Beziehungen durch den bernhardinischen Kreuzzugseifer stören ließ106. Andererseits sehen wir, daß das damalige Kreuzheer zwar, entgegen verbreiteter Meinung, in seiner Masse bei der ihm gestellten Aufgabe ausharrte, bis sie erfüllt war, so gut das nur irgend von einer bewaffneten Streitmacht verlangt werden konnte107; aber das geschah doch mit äußerster Unlust, wie sie sich nur verstehen läßt, wo die durch religiöse Gelübde gestützte Zielsetzung im Grunde unverständlich und wesensfremd bleibt108. Ganz offenbar waren die Beziehungen dieser Sachsen zu den bekriegten wendischen Heiden sehr viel natürlicher und menschlicher als das unerbittliche Entweder-Oder des Kreuzpredigers, auch wenn im unablässigen Klein- und Grenzkrieg sich gelegentlich die Volkswut einmal erbittert Luft machen mochte109. Der Vergleich mit dem Bild, das der „Graf Rudolf “ vom Verhältnis zwischen Christen und Heiden und von ihren politisch statt religiös gefärbten Kriegen zeichnet, schwebt also durchaus nicht in der Luft. Es soll damit ganz gewiß keine unbedingte Gleichung aufgestellt werden: sicher war vieles anders an dieser nordöstlichen Heidenfront, als es die Dichtung auf morgenländischem Schauplatz zeichnet – schon dadurch, daß die Gegner dort keine überlegene Zivilisation ins Feld zu führen hatten, die über alle Fremdartigkeit hinweg doch anziehend und werbend wirkte.
105 Vgl. Arnoldi Chronica Slavorum I, 9 (rec. H. G. Pertz, SRG. 1868, S. 23 ff.); dazu A. Waas, Gesch. d. Kreuzzüge I. Freiburg 1956. S. 183 f. m. Lit. – Eine literarische Parallele zu diesen Religionsgesprächen bei H. Naumann (wie Anm. 102), S. 92. 106 Vgl. Helmold (wie Anm. 99) I, 57 (S. 112, 22 ff.); 62 (S. 118 f.). 107 S. die oben Anm. 4 genannte Arbeit im WJb. 11/12. 108 Vgl. Helmold I, 65 (S. 122 f.), besonders die Formulierung: nostris iam pertesis (S. 123, 3). 109 Vgl. Helmold I, 56 (S. 110), dazu aber andererseits I, 63 (S. 120, 19 ff.), wonach die gleichen Holtsaten – ob grundlos bezichtigt? – gerade im Jahre 1147 nach damals allgemeiner Ansicht mit den heidnischen Wenden gegen die christlichen Neusiedler aus Westfalen und den Niederlanden unter einer Decke gesteckt haben sollen. Offenbar standen ihnen die altvertrauten Nachbarn trotz aller religiösen und völkischen Unterschiede näher als Menschen, die vor allem, was hätte verbinden können, doch Landfremde waren.
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Aber etwas von dem, was in veredelter und verfeinerter Form diesen frühhöfischen Roman der siebziger Jahre durchdringt, dürfte doch auch bei vielen Kreuzfahrern von 1147 schon mitgesprochen haben. Der mutmaßliche Erstling thüringischer Literaturgeschichte hätte aber auch unabhängig von solchen Überlegungen seinen Platz im vorliegenden Abriß verdient. Mag er nun etwas vertreten, was in seiner eigenen Generation völlig neu emporgekommen war, oder einer älteren Haltung erstmalig Ausdruck geben: in jedem Falle scheint es, daß der Dichter seine Stellungnahme zur „Heidenfrage“ nicht von ungefähr gerade damals so eindringlich gestaltet hat, sondern als bewußtes Gegenbild zu einer Schöpfung, die höchstens wenige Jahre vorher von Regensburg aus ihren Weg angetreten hatte110. Deren Verfasser, von dem wir auch den Namen – Konrad – kennen, war von wesentlich anderer Art: er kam nicht aus den Kreisen jenes aufstrebenden Laienrittertums, sondern war „Pfaffe“ wie die Männer, die bis dahin die mittelhochdeutsche Literatur maßgeblich getragen hatten; tief durchdrungen von der Verkündigungs- und Erziehungsaufgabe seines Berufes und auch damit stark den Traditionen salischfrühstaufischer Dichtung verhaftet (so stark, daß man sein Werk lange Zeit ein rundes Halbjahrhundert vordatieren wollte, obwohl ganz konkrete zeitgeschichtliche Anspielungen dadurch sinnlos wurden). Schon das mußte schroffe Erhebung des Geistlichen über das Weltliche, des asketischen Ideals über jede Diesseitigkeit bedeuten und erst recht des Christlichen über die „untvïwen“, wie Konrad gern sagt (jedenfalls als Verdeutschung von mlat. perfidi in dessen häufiger und doch wenig beachteter Verwendung als Synonym zu infideles). Außerdem aber lebte er dort in seiner bairischen Heimat weit entfernt von jeder Heidengrenze, also von all den praktischen und menschlichen Problemen, wie unmittelbarere Berührung sie den Zeitgenossen ganz von selbst aufgeben mußte. Um so unbeirrter und kompromißloser konnte er den 110 Das Rolandslied des Pfaffen Konrad (hrsg. von C. Wesle, Bonn 1928; auch von F. Maurer, Leipzig 1940, zusammen m. d. Alexanderlied des Pf. Lamprecht). – Aus der oben Anm. 102 genannten Literatur grundlegend: G. Ehrismann II, 1 (1922), S. 255–67; J. Schwietering, S. 99ff.; K. Scheunemann, Der Pfaffe Konrad, bei Stammler, Verfasserlex. II, (1936), Sp. 870–87 m. weiterer Lit.; dazu Nachträge von C. Minis, ebenda V, (1955), Sp. 537–44; S. Stein, S. 37–14; L. Denecke, S. 67–86. Unhaltbar H. Naumann, S. 86; dazu F. Ranke, Gott, Welt u. Humanität in d. deutsch. Dichtung d. MA. Tübingen o. J. (= 1952). S. 50 ff. – Zur Datierung: M. Lintzel, Zs. f. deutsche Philologie 51, S. 13 ff.; K. Scheunemann, Sp. 873 f.; C. Minis, Sp. 543 f. – Zur Abhängigkeit des „Grafen Rudolf “ vom Roi.: G. Ehrismann II, 2, 1 (1927), S. 63 Anm. 4; K. Scheunemann, Sp. 886. – Weitere wichtige Angaben in folg. Anm. und bei F. Maurer, S. 13 f.
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altüberkommenen Rolandsstoff rein vom Prinzip her neu gestalten zu einem „Hohen Lied“ jenes Heidenkrieges, der unter Abstreifung alles selbstzweckhaft Weltlichen allein aus religiösen Motiven unternommen wird, um der Bekehrung willen, – daß die grimmigen heiden . . . erkanten daz wâre lieht110a. Die Zwangschristianisierung durch das Schwert, das erbarmungslose Abschlachten Bekehrungsunwilliger werden auf solchem Boden bedingungslos bejaht, eine menschliche Brücke aber über den Glaubensabgrund hinweg gibt es nicht. Man sieht: aus diesem Priester spricht ein Geist, der ganz und gar bernhardinisch anmutet – konkrete literarische Beziehungen Konrads zum Abt von Clairvaux sind tatsächlich längst nachgewiesen, wenngleich andere wichtige Einflüsse älterer Herkunft daneben nicht verkannt werden sollten; selbst aktuelle Anklänge an Bernhards Wendenkreuzzugsaufruf von 1147 glaubt man zuweilen herauszuspüren111. Im Gegensatz zwischen diesem „Rolandslied“ und dem „Grafen Rudolf“ haben wir also unter unmittelbaren Zeitgenossen eine geistige Spannung vor uns, in der die hier verfolgte allgemeine Problematik sich besonders eindringlich widerspiegelt: dem bairischen „Lied“ als einem Bekenntnis reinsten Kreuzzugsgeistes und schroffster Entwertung alles Heidnischen (einschließlich seiner scheinbaren weltlichen
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Rolandslied, vv. 20 f. Rolandslied, vv. 361–76, bes. 371 ff., betonen, Karl habe sich durch nichts, nicht einmal durch goldene Berge, seine Forderung nach Bekehrung der bekriegten Heiden abkaufen lassen. Sollte das nicht eine Anspielung auf entsprechende Verbote in Bernhards Aufruf (vgl. oben Anm. 97) sein? – Die starken bernhardinischen Beziehungen im übrigen sind nachgewiesen von G. F1iegner, Geistl. u. weltl. Rittertum im Rol. d. Pf. K. Diss. Breslau 1937; vgl. dazu etwa E. Vacandard, Leben des hl. Bernard von Clairvaux I. Mainz 1897. S. 307–15. Zu kurz gekommen sind dabei augustinische Einflüse, vgl. etwa G. Walter (wie Anm. 74), S. 34 ff.; J. Ernst, Die Werke u. Tugenden d. Ungläubigen nach St. Augustin, Freiburg 1871. Häufig, bes. S. 174 ff. Auf wichtige benediktinische Züge verweist A. Zastrau, Das deutsche Rolandslied als nationales Problem (1937). Nicht weniger stark sind apokalyptisch-eschatologische Traditionen zu berücksichtigen, wie sie schon für die französische Vorlage K. Heisig, Die Geschichtsmetaphysik d. Rolandsliedes u. ihre Vorgeschichte, in: Zs. f. roman. Philologie 55, 1935, herausgearbeitet hat; vgl. J. Schwietering, S. 101. Schließlich wäre zu verfolgen, wie die Dichtung des Pfaffen Konrad mit ihrer Vollendung der Idee des christlichen Rittertums die von C. Erdmann (wie Anm. 84), häufig, entwickelten Traditionen aufnimmt und weiterführt. Durch all diese Ergänzungen kann jedoch der positive Ertrag der Fliegnerschen Arbeit in keiner Weise geschmälert werden; vgl. noch die Rezension von G. Glogner in: Anzeiger d. deutsch. Altertum 57 (1938), S. 11 ff., und F. Ranke (wie Anm. 110). – Daß die vom Pfaffen Konrad vollzogene Wendung ins Geistliche in ihrem Ausmaß nicht überschätzt werden darf, hat an der Entwicklung des Stoffes auf französischem Boden schon G. Ehrismann II, 1, S. 262 ff. gezeigt; vgl. auch H. Hoffmann, Karl d. Gr. im Bilde d. Geschichtsschreibung d. frühen MA. Berlin 1919. S. 129 ff. 111
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Tugenden) tritt das thüringische wie eine bewußte Absage an diesen Geist gegenüber – es mag dabei wohl beachtet werden, daß die Kreuzzugspartien des „Grafen Rudolf “, die dem Übergang des Helden ins heidnische Lager erst die eigentliche Schärfe geben, im Gegensatz zur französischen Vorlage dieses Romans und fast auch im Gegensatz zum Zeitgeschmack erst vom deutschen Dichter aufgenommen worden sind, um ausgerechnet eine abenteuerliche Jugendgeschichte zu ersetzen. Man muß die Genelun-Szenen im Rolandslied daneben halten, um den Abstand ganz zu ermessen. Und dieser Befund bleibt bestehen, auch wenn man den Glauben nicht teilen will, daß diese beiden Zeugnisse uns zugleich den unterschiedlichen Geist von Planung und Ausführung jenes Wendenkreuzzugs vorführen in einer Weise, die fast Stimmen von 1147 unmittelbar Beteiligten selbst vertreten könnte. Was nicht dem „Rolandslied“, aber dem „Grafen Rudolf “ fehlt und ihn insofern aus der Reihe unserer Beispiele für eine mildere Haltung herausfallen läßt, ist die ausdrückliche Polemik gegen den Standpunkt, mit dem sein Dichter sich so unverkennbar auseinandergesetzt hat. Sie erscheint um so eindringlicher in zwei anderen Denkmälern hochmittelalterlich-deutscher Literatur, in ihrem bedeutendsten Drama und einem ihrer bedeutendsten höfischen Epen, einmal in lateinischem, einmal in ebenfalls mittelhochdeutschem Sprachgewand, einmal in symbolischer, einmal in begrifflicher Form. Die symbolische Denk- und Darstellungsweise ist modernem Empfinden so ferngerückt, daß im ersten dieser Denkmäler bisher überhaupt keine Stellungnahme zur Heidenfrage erkannt worden ist. Dabei hätte es gerade in ihm besonders nahegelegen, etwas Derartiges zu vermuten: das staufische „Antichristspiel“ (Ludus de Antichristo) trägt zwar seinen Namen nach der Hauptgestalt des alten eschatologischen Bilderkreises, den es zu neuem Leben erweckt; seinem Wesen nach aber ist es viel stärker ein „Spiel vom deutschen Kaiser“, ein Bekenntnis zur mittelalterlichen Reichsidee in der doppelten Form hohen Anspruchs und heiliger Verpflichtung, wie sie im Kreis um Friedrich Barbarossa lebendig war, und daß Kaisertum und Heidenkampf für jene Jahrhunderte in engstem Zusammenhang stehen, ist längst bekannt112.
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Über die Zusammenhänge zwischen Kaisertum und Heidenkrieg vgl. A. Brackmann, Gesammelte Aufsätze. Berlin 1941. Häufig, bes. S. 50 f., 57 ff., 93 f., 140 ff., 192–99, 265 ff., 359; C. Erdmann (wie Anm. 84), S. 94 f. (mit weiterer Lit.); M. Seidlmayer, Die geist. Grundlagen d. deutschen Ostkolonisation im MA. In: Hochland 34/II
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Daß der alte Antichriststoff eine dermaßen stark veränderte Note erhielt, wurde möglich, indem der Dichter – auch sein Name ist vergessen – den alten Glauben an den letzten Friedenskaiser in sein Werk aufnahm, der nach geheimnisvollen Prophezeiungen außerbiblischer Herkunft dem Erscheinen des Antichrist vorausgehen sollte. Wir kennen die Gestalt, in der diese Prophezeiungen dem Dichter vorgelegen haben, die kleine Antichristschrift des westfränkischen Benediktiners Adso aus der Zeit um 950, und die Forschung hat bereits eingehend herausgearbeitet, wie der Dichter des staufischen Ludus sich einerseits eng an diese Vorlage anschließt, so daß er ihr geradezu wesentliche Teile seiner gesamten Disposition entnimmt, andererseits aber in souveräner Freiheit umstellt und ändert, was seinen Absichten nicht voll entspricht. Es genügt, zwei dieser älteren Beobachtungen hervorzuheben, um diese Arbeitsweise näher zu charakterisieren. Nach alter Überlieferung hatte der letzte Kaiser, wenn seine Aufgabe erfüllt war, Krone und Herrschaft niederzulegen, und zwar in Christi Stadt, in Jerusalem, zum Zeichen, daß er diese Herrschaft nicht aus eigener Machtvollkommenheit geübt hatte, sondern nur als irdischer Stellvertreter des wahren „himmlischen Kaisers“. Anschließend tritt er von der Bühne des Geschehens ab, und die Überlieferung meint wohl, daß er nach dieser letzten Regierungshandlung stirbt. Der staufische Ludus behält die symbolische Niederlegung der Krone bei – sie war zu fest im Stoff verankert, als daß sie sich hätte herauslösen lassen, und sie blieb auch seinem Dichter brauchbar als Kundgebung des Verhältnisses von himmlischer und irdischer Gewalt, wie er es sah. Aber die alte Überlieferung hatte diesen Akt als rätselhaft-unvermeidlichen Ausfluß des göttlichen Ratschlusses genommen, als etwas, was erfüllt werden mußte, damit die Heilsgeschichte ihren Gang vollenden konnte; im Ludus findet die Tat offenen Tadel als verhängnisvoller Schritt, der besser unterblieben wäre, weil mit dem Erlöschen des Reiches die irdische Weltordnung aus den Fugen gerät. Außerdem aber stirbt sein Kaiser nicht, tritt auch nicht in anderer Weise ab, sondern kehrt als „König der Deutschen“ (rex Teotonicorum) auf den Thron seines engeren Herrschaftsgebietes zurück und wird zum menschlichen Hauptgegenspieler des Antichrist noch in weiten Partien des zweiten Teils113. (1937), S. 122 ff.; R. Wenskus (wie Anm. 5), S. 143–53; schließlich die Literatur über den Endkaiserglauben bei E. Bernheim (unten Anm. 114). 113 Neuste Ausgabe mit deutscher Übersetzung, auf die nachstehend z.T. zurückgegriffen wird, bei K. Langosch, Geistliche Spiele. Lateinische Dramen des Mittelalters
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Zu diesen Änderungen kommt nun eine dritte von nicht weniger tiefgreifender Art. Nach den alten Prophezeiungen sollte der Endkaiser, ehe er seiner Herrschaft entsagte, zunächst das verfallene Römische Reich in seinem vollen Umfang wiederherstellen, außerdem aber die noch unbekehrten Heidenvölker mit der Schärfe des Schwertes zum christlichen Glauben zwingen114. Einen Heidenkampf führt er nun zwar auch im Ludus vor jener symbolischen Handlung, aber einen aus völlig anderem Geist. Nachdem „die gesamte Christenheit dem Römischen Reich unterworfen ist“, erhebt sich, wie wir lesen, der „König von Babylon“ als Vorkämpfer der Heidenschaft und zieht gegen Jerusalem in der ausdrücklichen Absicht, das vom „Irrwahn der Christensekte“ schon fast ganz zerstörte Heidentum wiederherzustellen und „den Christennamen von der Erde zu vertilgen.“115 Der König von Jerusalem sendet schleunigst Boten zum Kaiser, der dabei mit dem alten Ehrennamen eines „Verteidigers der Christenheit“ (defensor ecclesiae) angeredet wird, und der Kaiser sagt seine Hilfe zu: er wird umgehend zu den bedrohten Glaubensbrüdern eilen, „daß nicht die Feinde sich stolz über sie erheben“116, und so können die Gesandten dem König von Jerusalem verkünden, er werde sich „binnen kurzem befreit“ sehen117. Es fällt auf, daß schon diese Formulierungen zum Begriff des „Verteidigers der Christenheit“ in der wörtlichsten und engsten Bedeutung passen,
usw. Darmstadt 1957. S. 181–239, dazu S. 249–56 und 267–84 Erläuterungen und Anmerkungen. Aus der kaum noch übersehbaren Literatur seien herausgegriffen: W. Meyer, Der Ludus de Anticristo usw. Sitzungsber. d. kgl. bayr. Akademie d. Wiss., phil.-hist. Kl. Müchen 1882. Bd I, bes. S. 1–17 = dess. Ges. Abhandl. z. mittelalterl. Rhythmik I, 1905 S. 150 ff.; W. Kamlah, Der Ludus de Antichristo. In: Hist. Vjschr. 28 (1933); (K. Hauck, Zur Genealogie u. Gestalt d. stauf. Ludus de Antichristo. In: Germ.-Rom. Monatsschr. 33 (1951); F. Kampers, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie u. Sage. München 1896. S. 59–62; A. Dörrer, Ludus de Antichristo. Verf. Lex. (wie oben Anm. 102) Bd III (1943), Sp. 87–185, m. weiterer Lit., dazu Nachtrag von K. Langosch, ebenda V (1955), Sp. 632–34. 114 Vgl. die Schrift Adsos bei E. Sackur, Sibyllinische Texte u. Forschungen (1898), S. 109 ff.; ferner C. Erdmann, Endkaiserglaube u. Kreuzzugsgedanke im 11. Jh. In: Zs. f. Kirchengesch. 51 (1932), bes. S. 398 u. 411; E. Bernheim, Mittelalterl. Zeitanschauungen I. Tübingen 1918. S. 68 f., 97–109 m. weiterer Lit. 115 Ludus I, 4, 1 ff. (S. 204): Ecce supersticio novitatis vane, / Quam error adinvenit secte Christiane, / Fere iam destruxit ritum antiquitatis / et diis subtraxit honorem deitatis. / Quorum cultum prorsus deleri ne sinamus, / Nomen Christianum de terra deleamus etc. 116 Ludus I, 4, 13 ff. (S. 206), dazu ZfO. 4 (1955), S. 167 Anm. 29 über ecclesia = „Christenheit“; die Antwort des Kaisers Zl. 19 ff.: . . . Nos pro certo sciant (fratres) in proximo venire, / Ne de ipsis valeant hostes superbire! 117 Zl. 24 ff.: Adpropinquat enim ad hoc te redempturus . . ./Per hunc te gaudebis in brevi liberari
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die diesem Titel gegeben werden kann: die Überhebung der Feinde soll zurückgewiesen, die Freiheit bedrohter Brüder wiederhergestellt werden, – durchaus nichts mehr ist in all den Versen dieser Gruppe enthalten, die in verschiedenen Wechselgesängen immerhin fast eine Druckseite unserer heutigen Ausgabe füllen. Das ist aber offenbar kein Zufall, sondern ganz bewußt so und nicht anders gestaltet, denn die anschließenden Taten decken sich vollständig mit den vorangestellten Worten: „Der Kaiser zieht mit seinem Heer zur Schlacht und . . . kämpft mit dem König von Babylon, der besiegt wird und die Flucht ergreift.“ Das ist alles: kein Schritt, der über die bloße Abwehr, die reine Selbstverteidigung hinausgeht – nicht einmal eine Unterwerfung des Feindes auf rein weltlicher Ebene findet statt; er entkommt, und damit gut: von einem Eingriff in seine religiöse Sphäre kann erst recht keine Rede sein. Der Kaiser aber begibt sich unmittelbar nach diesem Siege in den Tempel von Jerusalem, um dort sein Kronopfer darzubringen118, und das kann doch wohl im Zusammenhang des Spiels, zumal auf dem Hintergrund der Vorlage nichts anderes heißen als: der endzeitliche Heidenkampf, wie ihn ein vorbildlicher Kaiser führt, und damit erst recht jeder andere Heidenkampf eines rechten Herrschers, hat mit Entrechtung des Gegners nichts zu schaffen und schon gar nichts mit einem Glaubenszwang – was die alten Überlieferungen in dieser Hinsicht melden, ist für den Kreis, den der Dichter zu vertreten sich berufen fühlt, untragbar. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird mit allem nur wünschenswerten Nachdruck unterstrichen durch das Gegenbild, den „Antitypus“, den der zweite Teil des Ludus diesem ersten Heidenkampf gegenüberstellt119. Der Antichrist erscheint und unterwirft sich die Könige der Erde – den Deutschen freilich nicht in der Schlacht, sondern durch Gaukelwunder, mit denen er, obwohl mit den Waffen besiegt, schließlich doch triumphiert. Der ehemalige Kaiser unterwirft sich, nimmt sein Königreich vom Antichrist zu Lehen (in einer Form, die auch für die Symbolik der Lehnsinvestitur aufschlußreich ist120) und erhält nun sofort einen
118 Regiebemerkung, S. 206: Imperator cum suis procedat ad prelium et . . . congrediatur cum rege Babylonis. Quo superato et fugam ineunte Imperator cum suis intret templum etc. 119 Zum typengebundenen Denken des MA vgl. Jb. d. Preuß. Akademie d. Wissensch. 1939, Protokollauszug v. 11. Jan. (Berlin 1940, S. 79) über das Referat von Schwietering sowie etwa Beitrag XV, S. 486 f. 120 Auftragung des Reiches als Lehen durch Darbietung der Krone, mit der der neue Lehnsherr alsbald die Krönung vollzieht. Dazu H.-D. Kahl, wie Anm. 113.
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Sonderauftrag: der Antichrist übergibt ihm ein Schwert – kein zweites Symbol der Belehnung, die ja schon mittels der Krone erfolgt ist, sondern Wahrzeichen dieser besonderen Sendung, die keinem anderen Ziel gilt als der Bekehrung der Heiden zum Antichrist121. Nun erst geschieht, was wir schon im ersten Teil hätten erwarten sollen: der deutsche König schickt einen Boten zum König von Babylon mit der Aufforderung, die „ewige Gottheit“ des einen Herrn (gemeint ist der Antichrist) anzunehmen und Götzendienst wie Bilderglauben gänzlich abzulegen122, also genau nachgebildet den zweiseitigen Formulierungen, wie sie für das „doppelte Missionsziel“ des Christentums üblich sind123. Mehr noch: als die Unterwerfung verweigert wird, bekräftigt der Gesandte nochmals seinen Glauben an den einzigen „Gott“ und schreitet zur Tat, indem er ein Götzenbild umwirft124, also eine „negative Gewaltmission“ beginnt125! „Sogleich eilen die Heiden zusammen“, lesen wir weiter, „und kämpfen mit dem Heer des Antichrist“, das, wie gesagt, der deutsche König in seinem Auftrage anführt. „Der König von Babylon wird besiegt und gefangen vor den Antichrist gebracht.“ Er vollzieht dort nun den gleichen Unterwerfungsakt, den die christlichen Könige vor ihm vollzogen haben, jenen Akt, der zugleich die weltliche wie die religiöse Unterordnung besiegelt, und wird in Gnaden angenommen wie sie126: der Sturz des Götzenbildes war also nicht Auftakt zu einem nur indirekten Missionskrieg, sondern zu einem direkten, dessen Ziel die Bekehrung als solche darstellte, nicht nur die Schaffung äußerer Voraussetzungen für sie. Mit anderen Worten: die endzeitliche Schwertmission, die jene ältere Überlieferung mit der Person des letzten Kaisers verband, hat auch in der Konzeption des staufischen Dichters ihren Platz erhalten, sie ist keineswegs aus dem Bilde entfernt worden. Aber wie sieht dieser Platz
121 Ludus II, 6, 1 ff. (S. 228): Tunc committit (Antichristus) sibi (= regi Teotonicorum) expedicionem ad gentes dicens: / Vobis credentibus convertimur ad gentes. / Et dato sibi gladio cantat: / Per te disponimus has fieri credentes. 122 Ludus II, 6, 3 ff. (S. 228): Potestas Domini maneat in eternum, / Que adoranda quasi numen sempiternum! Condempnat penitus culturam idolorum, / Precipit abici ritus simulacrorum. 123 Vgl. oben S. 923 f. u. Beitrag XIV, S. 466–468. 124 Ludus II, 6, 13 ff. (S. 228): Nuncius: / Unus est dominus, quem iure veneramur, / Qui solus deus est. / Et deiciens simulacrum cantat: / ydolum detestamur. 125 S. Anm. 123. 126 Unmittelbar anschließend an Text Anm. 124: Statim gentiles concurrunt et preliantur cum exercitu Antichristi. Et superatus rex Babylonis ducitur captivus ad Antichristum. Tunc rex genu flexo offert coronam Antichristo etc.
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aus! Nicht im Zeichen seines Kaisertums, als Vorbild und Urbild des christlichen Herrschers darf sie mehr erfolgen, sondern im Zeichen trauriger Verblendung durch die Gaukelwunder des Antichrist, die schon als solche vor jedem mittelalterlichen Hörer und Zuschauer als warnendes Beispiel stehen mußte; und diese Mission bekehrt nicht zu Gott, sondern zu eben diesem seinem Widerpart, – sie ordnet sich ein in den letzten großen Abfall von der Wahrheit, der dem Jüngsten Gericht vorauszugehen hat. Kann es im Munde eines Dichters jener Zeit ein schärferes, ein vernichtenderes Urteil über eine Anschauung geben, als es eine derartige Einordnung zum Ausdruck bringt? Es ist schlechterdings nicht zu überbieten. Dieses Urteil aber erhält in unserem Zusammenhang ein besonders großes Gewicht, wenn wir seinen Ursprung und seine Datierung ins Auge fassen. Daß der Dichter für die engste Umgebung Friedrich Barbarossas spricht, wurde schon angedeutet: sein Drama spiegelt in jeder bisher feststellbaren Beziehung die Anschauungen wieder, die in diesem Kreise lebendig waren; es ist vielleicht sogar schon bei den Feierlichkeiten zur Königskrönung dieses Herrschers (1152) aufgeführt worden als eine Art symbolisch dargestelltes Regierungsprogramm, auf jeden Fall aber gehört es noch in sein erstes Jahrzehnt127. Damit aber ist der staufische Ludus nicht nur eine Kundgebung von sehr viel maßgeblicherer Seite, als sie etwa der Dichter des „Grafen Rudolf“ vertrat; sie erfolgt zugleich in großer zeitlicher Nähe zur Kreuzzugspropaganda von 1147 mit ihren blutigen Missionsparolen, vielleicht nur fünf Jahre danach. Daß ein solches Zusammentreffen Zufall wäre, ist völlig ausgeschlossen, zumal wenn man bedenkt, wie unmittelbar Friedrich in der Zeit vor dem Kreuzzug persönlich mit diesen Parolen in Berührung gekommen war (etwa auf dem entscheidenden Frankfurter Reichstag vom März jenes Jahres)128; ja, es ließe sich zeigen, daß der Antichrist dieses Ludus Züge trägt, die geradezu auf den Urheber des damaligen „Tod oder Taufe“ gemünzt sind, auf den hl. Bernhard von Clairvaux selbst, und gerade in dieser Beziehung auf ihn in anderen zeitgenössischen Stimmen ihre Entsprechung finden129. Die Beziehung zur geistigen Auseinandersetzung dieses Jahres, für den 127
Datierung nach K. Hauck (wie Anm. 113), S. 22 ff. Über die Teilnahme Friedrichs an diesem Reichstag vgl. W. Bernhardi, Konrad III. Leipzig 1883. S. 545 f. ebenso Speyer 1146, ebd S. 551 lat. 53. 129 Eingehend ausgeführt: Lit. Verz. Nr. 133 (1991), vgl. auch Nr. 142 (1996). 128
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„Grafen Rudolf“ nur sehr ungefähr zu erschließen, ist für das lateinische Drama also ganz unmittelbar gegeben. Es wird damit zu einem besonders entscheidenden Zeugnis für das, was vorhin zunächst einmal unbewiesen vorausgesetzt wurde, daß nämlich schroffste Ablehnung der bernhardinischen Kreuzzugsparolen nicht allein aus machtpolitischen Motiven, sondern aus innerer Überzeugung heraus tatsächlich möglich war – in, um es noch einmal zu sagen, großer zeitlicher Nähe und aus maßgeblichstem Munde, durch einen Vertrauten des ranghöchsten ritterlichen Laien seiner Zeit. Insofern ist der staufische Ludus geeignet, die zuvor entwickelten Auffassungen besonders nachdrücklich zu stützen. Auch wenn sein Verfasser selbst ganz zweifellos geistliches Gewand trug: was hätte er noch mit seinem Amtsbruder, dem „Pfaffen“ Konrad, gemein? Führt er uns mehr von Sachsen fort in den süddeutschen Raum, so weist die letzte Dichtung, die wir hier zu erwähnen haben, wieder Beziehungen zum Heimatgebiet des „Grafen Rudolf“ auf: Wolfram von Eschenbachs Alterswerk „Willehalm“, nach seinem eigenen Zeugnis vom Thüringer Landgrafen Hermann I. persönlich angeregt, wenn auch ohne jeden Zweifel von diesem fränkischen Ritter höchst eigenwillig gestaltet. Die allgemeine Handlung dieses Epos bleibt für uns wiederum außer Betracht. Aber an verschiedensten Stellen ist dort eine Reihe von Bemerkungen eingestreut, die nichts Geringeres vertreten als ein regelrechtes Völkerrechtsprogramm für die Heidenwelt, und zwar vertreten in einer Weise, die gleichfalls sehr bewußte Auseinandersetzung gewiß macht, einmal mit einer französischen Vorlage, die jenen „Teufeln“ jedes Lebensrecht absprechen wollte – darin radikaler als der Abt von Clairvaux, aber doch merklich in seiner Nähe –, daneben wie beim „Grafen Rudolf“ ebenfalls und gerade mit dem mittelhochdeutschen Rolandslied130.
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Wolframs Willehalm (in der Gesamtausgabe von K. Lachmann8. Berlin 1891. S. 423–640). Aus der kaum noch übersehbaren Literatur seien für unsere Zwecke herausgegriffen: S. Singer, Wolframs Willehalm (1918), bes. S. 15, 29 ff., 70, 85 f., 91, 96 f., 119, 127; L. Denecke (wie Anm. 101), S. 165–175; S. Stein (wie Anm. 102), S. 62–76; F. Ranke (wie Anm. 110), S. 63–70; E. Schenkheld, Die Religionsgespräche der deutschen erzählenden Dichtung bis z. Ausgang d. 13. Jhs. Diss. Marburg 1930. S. 42 ff.; G. Ehrismann II, 2, 1, S. 270–87, bes. 276, 278 f., 281 f., 283; H. Naumann, S. 85–91; A. Schreiber, Neue Bausteine zu einer Lebensgesch. Wolframs v. E. (1922), S. 171 ff.; R. Pa1gen, Willehalm, Rolandslied u. Eneide. In: Beitr. z. Gesch. d. deutsch. Sprache u. Lit. 34 (1920), bes. S. 192 ff., 215, 233; E. Hartl, bei Stammler, Verf. Lex. IV (1953), Sp. 1080–86 m. weiterer Lit., Sp. 1090 f.; dazu Nachträge von W. J. Schröder und W. Wo1f , ebenda V (1955), Sp. 1135–38; J. Schwietering, S. 174–80; H. Schneider
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Die religiöse Überlegenheit des Christentums über die heidnische Religion, an der auch der staufische Ludus keinerlei Zweifel läßt131, wird auch in dieser Konzeption sehr eindeutig und teilweise nachdrücklich festgehalten132. Sie steht auch engeren menschlichen Bindungen, etwa einer Ehe, im Wege: der Liebe Rennewarts zu Alyze bleibt die Erfüllung versagt, weil er sich weigert, die Taufe zu nehmen133; mehr noch: Arabele kann, nachdem sie durch die Taufe ein „neuer Mensch“ geworden ist, als nunmehrige Gyburc ohne weiteres Willehalm die Hand reichen, als habe ihre bisherige Ehe mit dem Heidenkönig Tybalt niemals bestanden (gemäß einer Auffassung, die damals von der italienischen und also führenden Kanonistik schon weitgehend überwunden war, wenngleich sie bei wichtigen Kirchenvätern nach wie vor ihren Rückhalt fand)134, und ihr Vater Terramêr muß sich vom Dichter unfuoge vorwerfen lassen, wenn er trotzdem all seine Macht aufbietet, um die Tochter für Tybalt zurückzugewinnen135. Aber trotz dieses unaufgehobenen und für Wolfram unaufhebbaren Abstandes sind ihm Christen und und Heiden als
(wie Anm. 102), S. 134 u. 136, §§ 1 u. 4. – Landgraf Hermann: Willeh. 3, 8 f. – Französische Vorlage: vgl. außer Singer und Ehrismann die besonders bezeichnende Stelle aus Aliscans (ed. E. Wienbeck – W. Hartnacke – P. Rasch. Halle 1903), vv. 1058 ff., ausführlich zitiert in Beitrag XIV, S. 480 f. Nicht zugänglich war C. Minis, Französischdeutsche Literaturberührungen im MA. In: Romanist. Jb. 4 (1951). 131 Beachte den Kehrreim des Einzugslieds der Ecclesia im Vorspiel, S. 186 ff. und 210 ff.: Hec est fides, ex qua vita, / In qua mortis lex sopita. / Quisquis est, qui credit aliter, / Hunc dampnamus eternaliter. (Der Ton freilich liegt dabei offenbar auf eternaliter in bewußtem Gegensatz zu temporaliter!) 132 Vgl. nur Willeh. 162, 28 f.: Juden, Heiden usw. sind des wâren geloubenâne, daher Gegenstand des Erbarmens. 133 Willeh. 284, 17 ff. 134 Willeh. 7, 27 ff.; 215, 10–221, 26, bes. 220. Zur Entwicklung der kirchlichen Auffassung über die Gültigkeit von Ehen, die zwischen heidnischen Partnern geschlossen wurden, wenn einer der Partner sich nachträglich bekehrt, vgl. das reiche Material, das Gratian ausbreitet und diskutiert C XXVIII, qu. 1–3. (Corpus Juris Canonici, ed. Aemilius Friedberg. Lipsiae 1879/81. Tom. I, Sp. 1078–91); es ist hochbezeichnend, daß er sich dabei genötigt sieht, an erster Stelle die Frage zu klären, ob es unter Heiden überhaupt gültige Ehen geben kann (qu. 1, I. pars, Sp. 1078 f.). Kirchenväterstimmen, die die Scheidung von Ehen durch die Bekehrung eines Partners bejahen, in c. 10 C. XXVIII. qu. 1 (Sp. 1087 ff.). Gratian hätte Gyburcs zweite Ehe freilich abgelehnt; vgl. noch C. XXXIII. qu. 8 (Sp. 1115 u. 1147 f.). Zur weiteren Entwicklung der Frage in der Kanonistik bis auf Wolfram, der in diesem Punkt also hinter dem neusten Stande zurückbleibt, vgl. Bernhard von Pavia, Summa Decretalium IV, 1, 6 u. 10 (ed. E. A. Th. Laspeyres. Ratisbonae 1860. S. 131 u. 133 f.), ausführlicher dens., Summa de matr. III, 4 (ebenda S. 291 f.); ferner c. 7. X. de divort. IV, 19 (Corp. Jur. Can., ed. Ae. Friedberg, tom. II, Sp. 722 f.). Im übrigen E. Friedberg, Lehrbuch d. kathol. u. evangel. Kirchenrechts. Leipzig 1909. S. 455. 135 Willeh. 11, 19 – 12, 11.
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Menschen – die Scholastik würde sagen: von Natur – einander gleich, Gottes Geschöpf (gotes hantgetât) die einen wie die anderen136, und auch an ritterlicher Kultur stehen beide, wenngleich verschieden, so doch ebenbürtig nebeneinander. Heiden nur ihres „Unglaubens“ wegen abzuschlachten „wie das Vieh“, lehnt dieser ritterliche Laie darum als „große Sünde“ ab (dem Wortlaut nach freilich mit bemerkenswerter Einschränkung auf solche, „die niemals vom Christentum Kunde empfangen haben“, also zumindest nicht unter ausdrücklichem Einschluß apostatischen Heidentums)137. Jeder „Zunge“, also jedem Volkstum, wird ohne Rücksicht auf religiöse Gesichtspunkte das Recht auf ihr angestammtes Land zuerkannt, wahrscheinlich eine bewußte Stellungnahme gegen die Landerwerbsabsichten so vieler Kreuzfahrer auf heidnische Kosten138, die sich im Prinzip nicht weniger gegen deutsche Herrschaftsbildung auf wendischem Boden (zu Wolframs Zeiten ja nicht mehr aktuell) gerichtet hätte wie gegen das, was laufend im vorderen Orient geschah. Da damit trotz aller unverhohlenen Ablehnung heidnischen „Aberglaubens“ eine ganz ungewöhnliche Duldung seines Kults Hand in Hand geht – wenn etwa Willehalm die Leichen der gefallenen Heidenkrieger in ihre Heimat überführen läßt, damit sie dort nach ihrem eigenen Ritus („schône nâch ir ê“) bestattet werden können139 –, so wird man kaum zu weit gehen, wenn man in diese Stellungnahme auch eine Ablehnung des indirekten Missionskrieges eingeschlossen sieht, der ja, um die nachfolgende friedliche Missionsarbeit zu schützen, gleichfalls christliche Herrschaftsbildung im bisherigen Heidenland anstrebt, darüber hinaus aber die Kultusfreiheit für die „Ungläubigen“ zu beseitigen pflegt. Lediglich der Verteidigungskrieg gegen heidnische Angriffe („ze wern den touf und unser ê“) wird von Wolfram selbstverständlich gutgeheißen unter wiederum bemerkenswerter Betonung des Rechtsstandpunktes („durh got und durh daz rehte“), doch sollen auch dabei die Gesetze der Ritterlichkeit voll gewahrt bleiben140. Keiner, der 136
Die Hauptstellen: Willeh. 253, 9 ff.; 306, 28; 450, 15 ff. Willeh. 450, 15 f.: die nie toufes künde enpfiengen . . . 138 Willeh. 73, 8 ff.; dazu S. Singer, S. 29. 139 Willeh. 465, 17 ff. 140 Vgl. etwa Willh. 16,25–17,22 (nicht als „Kreuzzugswerbung“ mißzuverstehen: so A. Waas, wie Anm. 105, Bd II, S. 57, dagegen dessen Definition des Begriffs „Kreuzzug“ Bd I, S. 160 f.); 297,5–299,30; 450,26 ff. Zitate: 16,28; 297,11. Es ist zu beachten, daß der in diesen Reden stark hervortretende Rachegedanke gleichfalls im Zusammenhang mit dem Verteidigungskrieg, d.h. mit einem ungerechtfertigten Einbruch der Heiden ins eigene Land steht. Zur Ritterlichkeit vgl. bes. S. Singer, S. 96 f., 119, 127; zum Gegenbild der altfranz. Chansons de geste: ebenda S. 30 (vgl. oben Anm. 130 am Ende). 137
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diese Stellen – auf dem Hintergrund der altfranzösischen Chansons de geste und des mittelhochdeutschen Rolandsliedes, von dem sie sich so bewußt absetzen – im Zusammenhang liest, wird sich dem Eindruck entziehen können, was für eine menschliche und geistige Höhe mit dieser Position erreicht ist, und auch einer zutreffenden Urteilsbildung über die entsprechenden Äußerungen sowohl Paulus Vladimiris als auch Francisco de Vitorias und der übrigen spanischen Neuscholastiker kann es nur dienlich sein, wenn man sie auch dieser wolframschen Konzeption einmal gegenüberstellt. Freilich gilt es auch bei solchem Vergleich, Maß zu halten und den Blick für das geschichtlich Mögliche nicht zu verlieren. Es hieße das Mittelalter und noch einen Teil der späteren Jahrhunderte – denken wir nur an den gefeierten Hugo Grotius141 – glatt überfordern, wollte man erwarten, daß derartige Anschauungen damals auch nur bei den geistig führenden Schichten zur Norm hätten werden sollen. Wolfram spricht, anders als der Dichter des „Grafen Rudolf “, zweifellos nicht einmal als Repräsentant seines Standes im deutschen Raum dieser Generation, sondern als Einzelgänger, der allenfalls eine verschwindende Minderheit vertrat: es ist ja eben die Zeit, in welcher der Deutsche Ritterorden seinen ersten Ausbau erlebte, die Macht, der im Heidenkriegsdenken unseres Volkes auf Jahrhunderte die Zukunft gehören sollte. So liegt die Bedeutung des Eschenbachers für unsere Problemstellung auf einer anderen Ebene: hatten wir Bernhard von Clairvaux und die von ihm vertretene Richtung als eine Nebenströmung kennzeichnen müssen, die sich von der mehr oder weniger durchgehend herrschenden Auffassung entfernte, so zeigt uns Wolfram, daß der eigentliche Hauptstrom eine
141 Grotius gründet zwar das Völkerrecht nicht auf das Band des christlichen Glaubens, sondern „auf eine naturrechtliche societas humana oder mutua gentium inter se societas“ (W. G. Grewe, Epochen – vgl. Anm. 53 –, S. 148), und er verurteilt „den Krieg zur gewaltsamen Verbreitung der christlichen Religion“ (ebenda S. 174). Dennoch greift er in manchem bewußt über Vitoria und andere spanische Neuscholastiker auf Lehren Innozenz’ IV. zurück, die diese schon überwunden hatten: gegen „Barbaren“, qui in naturam delinquunt, scheint ihm der Krieg etwas Natürliches (naturale), besonders, wenn sie einer verwerflichen und lasterhaften Religion anhängen (vgl. J. Höffner, wie Anm. 10, S. 218). Das ist nicht allzu verschieden von dem Standpunkt, den uns im Anschluß an Innozenz schon Paulus Vladimiri aufgezeigt hat (s. oben S. 917 f.), auch wenn Grotius einige zusätzliche Sicherungen einbaut. – Bei dieser Gelegenheit darf auf Ausführungen über Grotius von E. Fascher an einer für den Völkerrechtshistoriker etwas entlegenen Stelle aufmerksam gemacht werden: Lukas 14, 23. Ein Beitrag zur Frage der Toleranz. In: Die evangelische Diaspora. Zs. d. Gustav-Adolf-Werkes 27 (1956), S. 10 f.
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Mittellage bezeichnet, von der ein Pendelausschlag auch nach der anderen Seite möglich war142. Dabei ist wichtig festzuhalten, daß man sich den Zusammenhang dieses fränkischen Grüblers mit jenem Hauptstrom keinesfalls allzu lose vorstellen darf. Schon S. Stein hat darauf hingewiesen, daß sich zu einigen seiner wichtigsten Gedanken, etwa dem, daß auch die Heiden wie alle Menschen Gottes Geschöpfe sind, Parallelen aus Augustin und anderen Kirchenlehrern beibringen lassen143. Dieser Hinweis sollte einmal aufgegriffen und systematisch untersucht werden144, vielleicht in Verbindung mit dem anderen von A. Waas, daß Wolframs „Willehalm“ zeitlich so erstaunlich genau mit dem revolutionären Versuch eines anderen Ritterblütigen zusammenfällt, die christlich-missionarische Auseinandersetzung mit dem Islam einmal auf einer für diesen Raum (anders als im deutsch-slawischen Nordosten) neuen Ebene auszutragen: dem Besuch des hl. Franz von Assisi im Feldlager des Sultans al Malik al-Kâmil vor dem von abendländischen Kreuzfahrern belagerten Damiette im Jahre 1219145.
142 Es ist unverständlich, daß A. Waas II, S. 59, gerade eine Verbindungslinie von Bernhard zu Wolfram ziehen möchte. Die Linie geht, wenngleich gewisse Ausstrahlungen zu Wolfram hinüber nicht völlig undenkbar sind, doch von Bernhard in erster Linie zum Pfaffen Konrad, dem Wolfram nicht nur im Hinblick auf die Einstellung zur Heidenfrage, sondern auch in dem von ihm gezeichneten Ideal christlichen Rittertums als Antipode gegenübersteht (vgl. die Literatur in Anm. 111 u. 130, bes. G. Fliegner und R. Palgen). 143 S. Stein (wie Anm. 102), S. 68 f. 144 Zwei ergänzende Gesichtspunkte seien noch angedeutet: 1. die Ablehnung von Gewaltanwendung gegenüber Heiden im Dienste des positiven Missionsziels, bei Augustin besonders stark ausgeprägt (vgl. C. Erdmann, wie Anm. 84, S. 7 f., und bes. G. Walter, wie Anm. 74); 2. das „Nationalitätenprinzip“ Augustins (vgl. G. Walter, S. 119 f.), zu dem man Singers Ausführungen am oben Anm. 130 a. O. vergleichen mag; seine Nachwirkungen im Mittelalter, etwa in dem von Brackmann wiederholt gekennzeichneten Gegensatz „päpstlicher Missionstheorie“ zur „kaiserlichen“, verdienten gleichfalls eine zusammenfassende Darstellung, in die dann auch Wolfram wohl einzureihen wäre. 145 A. Waas (wie Anm. 105), S. 71–75; vgl. auch dens., Religion, Politik u. Kultur in d. Geschichte d. Kreuzzüge. In: WaG. 11 (1951), S. 224. Fügt man diese Hinweise in das missionsgeschichtliche Gesamtbild ein, so entsteht der (im einzelnen noch genauer zu prüfende) Eindruck, daß in Franz von Assisi eine Haltung auf den Bereich der christlich-islamischen Auseinandersetzung übergegriffen hat, die im Nordosten, in der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters, schon bedeutend eher wirksam geworden war: vgl. bes. die oben Anm. 4 genannte Arbeit von W. Berges, zu der auch aus ottonischsalischer Zeit Parallelen beizubringen wären (etwa Boso von St. Emmeram, Adalbert von Prag, Brun von Querfurt und der etwas jüngere Ljutizenmissionar und Eremit Günther).
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Erst eine solche Untersuchung würde auch das wahre Ausmaß des von Wolfram angezeigten „Pendelausschlags“ erkennen lassen, das bis dahin nur vermutungsweise umschrieben werden kann. (Es dürfte einmal durch die Art gekennzeichnet werden, wie im „Willehalm“ und schon vorher im „Parzival“ das Gemeinsame und menschlich Verbindende statt des Trennenden betont herausgestellt wird, zweitens durch den Grad der Duldsamkeit gegenüber den Heidengöttern und ihrem Kult, der Wolfram bei aller gemeinsamen sonstigen Ablehnung von Gewalt gegenüber dem Heidentum gerade auch von Augustin scharf abhebt146.) 5. Wir haben damit einen weiten Bogen schlagen müssen, der den Boden des „Völkerrechts“ nach unseren Begriffen verließ, um zunächst den Bereich einzubeziehen, den wir als „innerstaatliches Recht“ abzusondern gewohnt sind, und schließlich gar aus dem Raum der eigentlichen Rechtsquellen in den einer Dichtung hinüberzugreifen, die Rechtsanschauungen aufnimmt und durchgrübelt zum Zeichen, wie stark sie ihre Zeit innerlich bewegten. Dieses Verfahren mag vom modernen Standpunkt aus unsystematisch scheinen, ist jedoch einzig sachgerecht und angemessen gegenüber einer Vergangenheit, die innerhalb des einen, unteilbaren Rechts keinerlei Sonderprovinzen zu scheiden gewohnt war und sich auch im „innerstaatlichen“ Rechtsverkehr so oft in uns „völkerrechtlich“ anmutenden Formen bewegte147. Das Ergebnis dieses „Umwegs“ konnte selbstverständlich keine umfassende Darstellung sein, sondern allenfalls ein Hinweis: hier liegt ein Problemkreis vor, der eine solche verdiente – gerade heute in unserer Zeit, die sich intensiv wie keine um neue Formen internationaler und „interreligiöser“ Zusammenarbeit bemüht. Die geforderte Gesamtuntersuchung hätte zunächst den soeben überflogenen Zeitraum von Karl dem Großen bis auf Karl V., vom „Donaukonzil“ bis Valladolid, sehr viel gründlicher zu durchforschen, 146
Vgl. G. Walter, S. 101, 130 ff., 193 ff. Vgl. O. Brunner, Land u. Herrschaft3, Wien 1943, häufig, bes. die Kapitel: „Friede und Fehde“ und: „Landesherrschaft und Landesgemeinde“ Beispiele aus dem französischen Bereich etwa bei H. Mitteis (wie Anm. 90), S. 204 f., 208. Vgl. auch C. Erdmann (wie Anm. 84), S. 7; zur Begründung der uns eigenartigen Sachlage etwa den Hinweis von E. Lemberg, Wege u. Wandlungen des Nationalbewußtseins, in: Deutschtum und Ausland, 57./58. Heft (1934), S. 34: „Es ist in all dem jener Glaube offenbar, der in Gott den lebendigen Partner der Weltgeschichte sieht, vor dem und mit dessen Zustimmung und Einwirkung sich alle . . . Staatshandlungen vollziehen und vor dem (auch) Herrscher und Untertanen im Grunde genommen zwei gleichgestellte Parteien sind“; vgl. dens., Gesch. d. Nationalismus in Europa. Stuttgart 1950. S. 45 f. 147
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als es an dieser Stelle möglich war; des weiteren wäre dann nach beiden Seite über die bezeichneten Endpunkte hinauszugreifen, daß der Anschluß einmal an die Gegenwart erreicht wird, zweitens und vor allem aber an den Anfangs- und Quellpunkt des ganzen Problems. Zu diesem Zweck wäre einerseits die abendländische Aufklärung in die Betrachtung einzubeziehen mit all ihrem Segen und vielleicht auch ihrem Verhängnis, die gerade auf diesen Problemkreis beide so nachdrücklich eingewirkt haben. Andererseits aber wäre zurückzugehen bis auf die altkirchliche Liturgie, ja bis auf die Psalmen des nachexilischen Judentums, denn schon dort zeigt die „Heidenfrage“ dieses eigentümliche Doppelgesicht als die Frage nach dem „nicht“ oder dem „noch nicht“ bekehrten, dem in seiner „Widergöttlichkeit“ verworfenen oder dem trotz allem „berufenen“ Menschentum, den „Gläubigen“ gegenübergestellt als Feind, der Fluch, oder als Menschenbruder, der erbarmende Liebe verdient, – Abscheu und Aufgabe zugleich148. Und vielleicht noch weiter zurück, nicht zuletzt auch von der Einmündungsstelle griechischer Geistigkeit in diesen Strom den zweiten Quellfluß zurücktastend zum antiken Barbarenproblem und seinen möglichen Einwirkungen auf das Verhältnis der Christenheit zu den Außenstehenden149. Bei alledem aber gälte es nicht nur, rein quantitativ den Stoff so gewaltig zu vermehren, sondern mehr noch, ihn qualitativ sehr viel feiner aufzubereiten, als es an dieser Stelle möglich war: daß nicht nur die großen Strömungen deutlich hervortreten, sondern auch innerhalb jeder Strömung die einzelne Individualität und damit zugleich die tatsächliche Variationsbreite innerhalb jeder einzelnen Entwicklungsbahn. Denn, um das noch einmal zu betonen: breite Bahnen sind es, mit denen wir es in diesem Problemkreis zu schaffen haben, nicht schmal und scharf gezogene Linien, die von einem Kronzeugen zum anderen so etwas wie durchgehende Gleichungen aufzuweisen hätten; wie denn auch zwischen Paulus Vladimiri und Francisco de Vitoria – um noch einmal auf dieses Beispiel zurückzulenken – bei weitem nicht nur die Gemeinsamkeiten gelten, die von B. Winiarski so nachdrücklich her-
148
Vgl. dazu Beitrag XV, S. 507 f. m. Lit. (bes. in Anm. 111). Zahlreiche Hinweise zu dieser Problematik bieten J. Jüthner Hellenen u. Barbaren. Leipzig 1923; M. Mühl, Die antike Menschheitsidee in ihrer geschichtl. Entwicklung. Leipzig 1928; H. E. Stier, Grundlagen u. Sinn der griech. Geschichte. Stuttgart 1945. S. 73–101, häufig; vgl. auch G. Tellenbach, Römischer u. christl. Reichsgedanke in d. Liturgie d. frühen MA. Sitz. Ber. Heidelberg, philolog.-histor. Kl. 1934. 1. Abh. 149
die völkerrechtliche lösung der „heidenfrage“
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vorgehoben worden sind150: gerade das System Innozenz’ IV., das der polnische Kronanwalt in Konstanz sich so weitgehend zu eigen gemacht hat151, ist von dem spanischen Rechtslehrer, der damit für uns einen durchaus „fortgeschritteneren“ Standpunkt verkörpert, in wesentlichen Punkten bekämpft und umgestaltet worden152. Eine derart umfassende Darstellung würde freilich nicht nur den Zuständigkeitsbereich des Verfassers überschreiten, sondern vor allem auch den Rahmen dieser vorliegenden Untersuchung: er konnte allenfalls Raum bieten für eine solche versuchsartige Skizze, die dem zuvor entworfenen Hauptbilde ein wenig geschichtliche Tiefe zubringen mag. [Nachtrag 2009: Der erwähnte Kreuzzugsaufruf Bernhards von Clairvaux 1147 ist neu behandelt oben Beitrag XX, dazu die ebd. Anm. 2 genannten Vorarbeiten, bes. Nr. VII mit ins einzelne gehenden Quellenanalysen. Dem sog. Ludus de Antichristo (besser: Ludus de finibus saeculi) ist ein eigener Beitrag gewidmet, vgl. Bibliografie Nr. 133, 1991. Der „Frad Rudolf “ wurde neu herausgegeben von P.F. Ganz, Philologische Studien und Quellen 19, Berlin 1964, und eher nach Hessen als nach Thüringen gesetzt. Er bleibt damit nahe dem mitteldeutschen Raum, aus dem die heftigsten Kritiken gegenüber dem 2. Kreuzzug vorliegen, und dürfte innen zeitlich näher stehen. Das Verhältnis zur französischen Vorlage ist komplizierter als von mir oben unterstellt, da diese nur in sekundären Bearbeitungen vorliegt. Ich zweifle nicht, daß die Gestalt des Grafen an den historisch belegten Grafen Raoûl von Arras anknüpft, der im spätem 9. Jh. an den damaligen Normannenkämpfen teilgenommen hat, also an „Heidenkrieg“; der weitgefaßte Begriff „Heide“ konnte die Überlieferung leicht dazu bringen, sich im Kreuzzugszeitalter mit den damals nächstliegenden „Heiden“, den Muslimen des Orients, zu verbinden.]
150 151 152
S. Anm. 78. S. oben S. 178. S. Anm. 79.
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EIN RÜCKBLICK Schlusswort Zur Akademischen Festveranstaltung des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften aus Anlass meines 80. Geburtstages Danke! Dank Ihnen, lieber Herr Rösener, nicht nur für diese Laudatio, sondern für dieses Fest überhaupt, mit dem eine freundliche Anregung von Herrn Kollegen Heller nun Wirklichkeit geworden ist; Dank nicht zuletzt auch für die großzügige Art, mit der Sie meine Mitarbeit in unserer Abteilung Mittelalter weiterhin akzeptieren und fördern. Hvala od scrca, moj dragi Andrej! Es ist immer wieder bewegend für mich, meine Bemühungen in Deinem Spiegel zu betrachten, und lieb, wie Dein Festvortrag nun einmal etwas von unseren Gießener Wirkungen in räumliche Ferne zurück nach Gießen brachte. Besonders dankbar aber bin ich Dir, dass Du für diese Stunde die ungewöhnlich weite Reise von Deiner Ljubljanica an unsere Lahn auf Dich genommen hast. Du hast ganz spontan zugesagt, obwohl Du schließlich auch noch anderes zu tun hast. Das war nicht selbstverständlich! Aber beide Flüsse fangen eben mit demselben Buchstaben an. Ihnen, Herr Dekan, lieber Herr Werner, darf ich danken, dass der Fachbereich bei allen Lasten der laufenden Umstrukturierung gleichwohl diese Veranstaltung durchführt. Dass zu dem doch nicht gerade günstigen Termin so viele freundliche Gesichter zusammengekommen sind, obwohl die Themenstellung im Grunde wenig allgemein Interessierendes zu verheißen schien, gibt Freude. Ich muss dabei besonders Herrn Professor Zernack hervorheben. Lieber Klaus, wir waren jahrelang zusammen Assistenten im Institut des unvergesslichen Herrn Ludat, und wir erlebten am 18. Dezember 1964 beide unsere Habilitationen – die ersten in unserem historischen Fach hier am Ort seit dem Krieg. Ich danke Dir besonders, dass Du zum heutigen Anlass von Berlin herübergekommen bist! Ich muss aber auch meine Frau ansprechen. Andrea, wehre das jetzt nicht ab! Es darf ruhig auch einmal öffentlich gesagt werden, dass Du
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unvorstellbar viel tust, damit der Alte noch möglichst viel von seinem Schreibtisch herausbringen kann – besonders, seit Du selbst im Ruhestand bist. Wenn es mir gelingen konnte, allmählich Papier in 60 oder 70 cm Dicke beidseitig vollzudrucken, dann hast Du einen erheblichen Anteil daran und damit auch daran, dass man mich hier heute feiert! Groß ist auch meine Freude, dass die Deutschen Unitarier und ihre Dachorganisation, die International Association for Religious Freedom, so repräsentatv hier vertreten sind. Die Deutschen Unitarier sind meine Religionsgemeinschaft. Sie und ihr weltweiter Hintergrund haben mich maßgeblich geformt. Studenten haben mir mehrfach die Freude gemacht, mich anzusprechen, weil ihnen an meiner Lehrtätigkeit eine besondere Offenheit und Toleranz aufzufallen schien. Wenn ihr Eindruck richtig war, dann danke ich das nicht zuletzt dieser Formung. Sie hat auch meine wissenschaftlichen Fragestellungen und Vorgehensweisen mitbestimmt. – Schließlich aber möchte ich mir erlauben, das wirkliche Geburtstagskind dieses Tages hervorzuheben – mein Tag liegt ja schon lange zurück; ich war damals im Ausland, so dass er hier nicht gefeiert werden konnte. Herr Ostheimer, Sie sind nicht nur mir, sondern auch unserem Institut seit über 30 Jahren verbunden. Gemeinsam gehörten wir zu den Gründern der Gießener Numismatischen Gesellschaft, und das Wirken dort gab meinem Leben jahrzehntelang einen wichtigen Akzent. Lassen Sie sich auch hier, stellvertretend für viele, für Ihre Verbundenheit danken und vor allem herzlich gratulieren! Meine Damen und Herren, wenn Sie mich hier freudig und dankbar bewegt sehen, so liegt das an dem, was wir gerade erlebten; es hat aber auch noch einen weiteren Grund. Ich gehöre zu einer Jahrgangsgruppe, in der es „normal“ war, nicht mehr als 20–25 Jahre alt zu werden, weil ein sog. Vaterland unersättlich geworden war und auch unsere Jugend dafür missbrauchte. Werner Vieweg, Werner Nothmann, Theo Opitz und Martin Höfer – Namen wie diese sind für Sie leerer Schall; für mich waren es Freunde – Freunde, die genau so gern weitergelebt hätten wie ich. Das Gefühl, damals davongekommen zu sein ohne eigenes Verdienst, geht mit mir durch meine Jahrzehnte – meist nur latent, doch in Augenblicken wie diesem brennend lebendig. Ich denke auch an die beiden Herren, deren Zusammenwirken ich danke, dass mir der Weg vom Gymnasialdienst zurück auf die Universität möglich wurde. Herbert Ludat hat gleichfalls den 80. Geburtstag erlebt; Herr Heller verfolgte damals für ihn ähnlich freundliche Absichten, wie er sie für mich anregte, doch die Durchführung war damals unmöglich – das Befinden des Jubilars wollte sie nicht zulassen. Walter
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Schlesinger ist nur 75 geworden. Die letzten acht Jahre standen im Zustand völliger Sprach- und Schreibunfähigkeit, abgeschnitten von aller lebendigen Kommunikation, und das, wie es schien, bei völliger geistiger Klarheit. Ich denke auch an meinen lieben Wolfgang Fritze, mit dem ich mir besonders einig war, wie wichtig es ist, die slawische Komponente im Aufbau des deutschen Volkes klar ins allgemeine Bewusstsein zu heben – sie gehört ja zu den wesentlichsten unter denen, die uns als Deutsche vom alten Germanentum trennen, und sie bedingt Verwandtschaftsperspektiven, die nur zu lange verdrängt worden sind. Auch Fritze ist nur 75 geworden. Er hatte mir noch vier Jahre voraus, František Graus kam anderthalb Jahre nach mir zur Welt. Mit diesem Gelehrten von wahrhaft europäischem Rang verbindet sich eins der bewegendsten Erlebnisse meines akademischen Lebens: Dass ein Mensch, der als einziger seiner Familie Theresienstadt überlebte, zu uns kam und unseren Ehrendoktor annahm, das war damals ein fast unwahrscheinliches Zeichen der Hoffnung. Ihm blieben nur 67 Jahre. Erlauben Sie noch zwei Namen, die je auf ihre Weise auch etwas von meinem Wege beleuchten. Jaroslav Šašel, Jahrgang 1924, hatte noch vier Jahre weniger Zeit. In ihm begegnete ich zum ersten Male einem Slawen, der nicht, wie diejenigen, mit denen ich mich bis dahin beschäftigt hatte, ein Kind der Ebene und des Hügellandes war. Er kam aus einem Hochgebirgsland und liebte seine Berge! Das brachte mir eine wichtige Weitung des Horizonts. Auch wissenschaftlich hat dieser Mann in seiner liebenswürdigen Art mir Türen zum Ostalpenraum eröffnet, mit dem ich damals noch wenig vertraut war. Schließlich Benedykt Zientara, acht Jahre jünger als ich – ein Pole durch und durch, aber ein kompromissloser Streiter gegen unfundierte ideologische Klischees, die nationalistischen der eigenen Seite nicht ausgenommen; gebranntes Kind der deutschen Okkupation, aber – und vielleicht gerade deshalb – ein unermüdlicher Arbeiter am Wege polnisch-deutscher Verständigung; engagierter Mitarbeiter der Solidarność-Bewegung, der mit ihr neue Bildungswege zu bahnen suchte, und nicht zuletzt ein warmherziger Freund. Ihm hat der Krebs keine 54 Jahre gelassen – auch er ein unersetzlicher Verlust nicht nur für unsere Wissenschaft. Noch viele könnte ich nennen, nicht zuletzt aus dem engsten Familienkreis. Ich aber sitze hier, älter, z.T. wesentlich älter als diese alle; ich darf das heutige Fest erleben und auch sonst noch so vieles, was mich bereichert – nicht ohne Beeinträchtigung, wie Sie sehen, aber mehr Jahre verlangen halt ihren Preis. Wer mein Alter erreicht, hat
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viele Abschiede hinter sich. Sie bilden den Hintergrund für die Dankbarkeit, selbst noch da sein zu dürfen, und auch dafür, solche Begleiter wenigstens auf Zeit erlebt zu haben. Sie haben bemerkt, wie viele der Namen eben fremdsprachig klangen. Als ich nach Kriegsende wieder studieren konnte – fast unwahrscheinlich nach sozusagen 10 Semestern Unterbrechung –, wurde mir allmählich bewusst: Geschichtswissenschaft, bisher immer wieder als Waffenarsenal im Kampf Volk gegen Volk eingesetzt, hat ungewöhnlich reiche Möglichkeiten, um Brücken zwischen den Völkern schlagen zu helfen. Voraussetzung ist einmal, dass man den eigenen Standpunkt zu relativieren wagt und sich gewöhnt, historische Konflikte möglichst mit den Augen beider Seiten zugleich zu sehen; Voraussetzung ist weiter, dass man sich für Positionen, die man selbst nicht zu teilen vermag, immerhin um Verständnis bemüht – es gibt kaum je einen Irrtum, in dem nicht irgendwo doch ein Körnchen Wahrheit steckt. Was zustande kommen kann, wenn man solche Notwendigkeiten verkennt, haben Krieg und Kriegsausgang demonstriert in einer Weise, die Nachgeborene sich kaum noch wirklich vergegenwärtigen können – der Gedanke, dass die Erfahrungen meiner Generation mit ihr aussterben werden, hat etwas Unheimliches nicht nur für mich. Kommt man aber in der angedeuteten Richtung voran, dann gibt es die erstaunlichsten Erfahrungen über alte und neue Grenzen hinweg. Oft sind es nur kurze Momente: – Teilnehmer einer Tagung in Berlin auf dem Weg zum gemeinsamen Essen, es kann noch gegen Ende der Siebziger Jahre gewesen sein. Ein polnischer Kollege, mit dem schon lange erfreulicher Kontakt besteht, hat sich zu mir gesellt. Die Gruppe zieht sich auseinander; Abstand stellt sich her nach vorn und hinten zwischen uns und den anderen. Plötzlich und unvermittelt leise Worte: „Ich weiß genau, dass von unserer Seite Ihnen gegenüber vieles geschehen ist, was gar nicht schön war. Aber Sie wissen auch: Sie und wir haben einen gemeinsamen Feind! – Ist das nicht ein herrlicher Tag heute?“ – Gastvortrag in Budapest. Anschließend nimmt ein ungarischer Kollege, dem ich schon mehrfach begegnet war, mich kurz beiseite: Ob ich wüsste, wann und wo ich gesprochen hätte? – Wie soll ich die Frage verstehen? Natürlich sind mir Datum und Adresse bekannt. – Ja, Sie haben am 30. Jahrestag der letzten Besprechung vor dem Aufstand von 1956 in dem Gebäude gesprochen, in dem sie abgehalten wurde. – Kann man heute noch ermessen, was das damals für Vertrauensbeweise waren?
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– Wieder Tagung auf einst ostpreußischem Boden. Ein Kollege, dem ich erstmals begegnet bin, und ich finden Zeit für einen kleinen Spaziergang an einem lichtfunkelnden masurischen See. Wir stellen fest: Wir sind vom gleichen Jahrgang; als anständiger Pole war er selbstverständlich Partisan – einer von denen, die versuchten, seine Heimatstadt Wilna von uns zu befreien, bevor sie in sowjetische Hand fallen konnte, um sie so nach Möglichkeit für den wiederherzustellenden polnischen Staat zu retten, dem sie in der Zwischenkriegszeit angehört hatte. Ich registriere: mein Gesprächspartner gehört also zu einer jener Gruppen, die tragisch zwischen die Stühle der Zeit gefallen sind – ist einer der Litauer polnischer Muttersprache, die aufschäumender Sprachnationalismus in der Heimat nicht mehr zu sehen wünscht, die aber im eigentlichen Polen nicht ohne weiteres warm zu werden vermögen. Dann aber: Wären wir uns damals begegnet – vielleicht hätte keiner überlebt; jetzt aber war es möglich geworden, zwanglos und freundschaftlich miteinander über damals Gewesenes zu sprechen! Meine Damen und Herren, solche Augenblicke sind Geschenke des Lebens – und unsere Freundschaft, Andrej, nicht nur über Grenzen von Staaten und Sprachen, sondern noch über Generationen hinweg, sie gehört auch dazu. Lassen Sie mich noch sagen, dass Geschichte für mich niemals die bloße „historische Sozialwissenschaft“ war, zu der man sie einmal verkürzen wollte. Sie war und bleibt für mich eine Wissenschaft vom Menschen – von den Rahmenbedingungen seines Lebens und Denkens in Staat und Gesellschaft wie von diesem Leben und Denken selbst, von seinen Grenzen und von der Vielfalt der Möglichkeiten, die ihm trotz allem bleiben, positiv wie negativ. Dazu gehört auch die Spontaneität, die immer wieder alle Schranken des Wahrscheinlichen durchbrechen kann, wie ich das zuerst an jenem brandenburgischen Bischof Wigger aus dem 12. Jahrhundert zu zeigen versuchte. Auch das persönliche Geheimnis, das er mit ins Grab nimmt. Aus einer Urkundenarenga erfahren wir eben nicht, wie Barbarossa persönlich gedacht hat, sondern was ein Ghostwriter ihm vorformulierte, gleichgültig, wie weit der Herrscher bei der Ausfertigung sämtliche Nuancen der lateinischen Sätze in all ihren Feinheiten verstanden hat. Geschichte ist damit für mich zugleich eine integrative Wissenschaft, die Ergebnisse zahlreicher Nachbardisziplinen aufzugreifen und fruchtbar zu machen hat für ein Gesamtbild, das möglichst vieles möglichst
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fundiert umfasst. Mancher meinte, ich verlöre mich gern in Details. Auch sie standen für mich stets im Dienst eines Ganzen, auch wenn sich das im Augenblick nicht immer ausführen ließ. Wann und wie eine bestimmte Kirche entstand, kann entscheidend neue Aspekte eröffnen etwa zur Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Kirchenprovinzen wie dem Patriarchat Aquileia und dem jüngeren Salzburg, das mit päpstlicher Privilegierung in den ursprünglichen Jurisdiktionsbereich der älteren Instanz einzudringen strebte. Nicht verhehlen kann ich, dass persönliche wie historische Erfahrung mich zum überzeugten Gegner jenes einseitigen Sprachnationalismus gemacht hat, der bei uns in Mitteleuropa so verhängnisvoll herumgeistert und den Blick auf andere Lebenszusammenhänge vernebelt. Ein Beispiel, was er zustandebringt, habe ich genannt; dazu nur ein zweites: Von den gemeinsamen Nachfahren deutscher Zuwanderer und slawischer Altbevölkerung in den früheren deutschen Ostgebieten wurde 1945 ausgetrieben, wer zum Zeitpunkt der Entscheidung deutschsprachig war, und als „Autochthone“ zurückgehalten, wer als aktuelle Muttersprache einen slawischen Dialekt aufzuweisen hatte; die weitere Reslawisierung wurde dann mit Kräften durchgeführt, die in weit entfernten Gegenden verwurzelt waren und deren Vorfahrenreihen niemals zu den betroffenen Gebieten eine Beziehung besessen hatten. Ich wünsche nicht, dass dies rückgängig gemacht wird, obwohl auch ein wichtiges Land meiner Familiengeschichte und meiner eigenen Jugend einbezogen blieb. Es ist dort genug Leid geschehen, und der Historiker weiß, dass es historische Katastrophen gibt, die unumkehrbar sind – Konstantinopel ist seit 1453 eine türkische Stadt und ein islamisches Zentrum, auch wenn es bis dahin weit über ein Jahrtausend lang christlich-byzantinische Kaiserstadt war. Doch den Geist, der die Vorgänge von 1945 möglich machte, sähe ich gern verschwinden, und ich meine, wir Deutschen hätten Anlass, uns hier zu Vorreitern einer neuen Gesinnung zu machen, statt Molotowcocktails in die Wohnungen von Menschen zu werfen, die uns nichts getan haben. Die Schädelfunde aus den Großsteingräbern im nachmaligen Ausbreitungszentrum der Germanen zeigen, dass es schon damals, vor 5000 Jahren, dort keine unvermischte Bevölkerung gab, und die dort ruhten, gehören zweifellos teilweise zu unseren Vorfahren als Deutsche. Es ist wichtig, ein Eigenes zu haben, in dem man wurzeln kann. Aber alles Eigene fußt auf Mischtraditionen, die weiter veränderbar sind, und ich vermag nicht einzusehen, warum man nicht fest in diesem Eigenen ruhen kann, ohne Anderes und Neues feindselig abzuwehren.
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Der Glaube an unabänderliche Statik ist ganz sicher eine unhistorische, eine widerhistorische Vorstellung. Ich versuche, weiter zu machen, so gut ich noch kann, und ich hoffe, es rechtzeitig mitzubekommen, wenn es Zeit wird, aufzuhören. Am Ende wird Stückwerk bleiben, unvermeidlich. Mehr ist nicht menschenmöglich, und ich bin halt ein Mensch. Nochmals: Danke!
FACHPUBLIKATIONEN (STAND JANUAR 2010) a = selbständige Schriften und Sammelbände, b = Zeitschriftenaufsätze und Beiträge zu Sammelwerken, c = Berichte und Miszellen, d = Rezensionen und Anzeigen 1953 b) 1. Zum Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters: Zeitschrift für Ostforschung 2, S. 1–14. Wiederabdruck (mit Nachträgen) bei H. Beumann (Hrsg.), Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters (Darmstadt 1963; unveränderter Neudruck 1973), S. 156–176. 1954 b) 2. Das Ende des Triglaw von Brandenburg. Ein Beitrag zur Religionspolitik Albrechts des Bären: Zeitschrift für Ostforschung 3, S. 68–76. 1955 b) 3. Compellere intrare. Die Wendenpolitik Bruns von Querfurt im Lichte hochmittelalterlichen Missions- und Völkerrechts: Zeitschrift für Ostforschung 4, S. 161–193 und 360–401. Wiederabdruck (mit Nachträgen) bei Beumann (wie oben unter Nr. 1), S. 177–274. 1956 b) 4. Papst Gregor der Große und die christliche Terminologie der Angelsachsen: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 40, S. 93–111 und 190–200.
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a) b)
5. Beiträge zur Geschichte des Bistums Brandenburg unter Bischof Wigger (1138–1161). Diss. phil. (masch.) Göttingen. Ungedruckt. 6. Das altschonische Recht als Quelle zur Missionsgeschichte des dänisch-schwedischen Raums: Die Welt als Geschichte 17, S. 26–48. 1958
b)
7. Zum Ergebnis des Wendenkreuzzugs von 1147. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte des sächsischen Frühchristentums: Wichmann-Jahrbuch für Kirchengeschichte im Bistum Berlin 11/12 (1957/58), S. 99–120. Wiederabdruck (mit Nachträgen) bei Beumann (wie oben unter Nr. 1), S. 275–316. 8. Die völkerrechtliche Lösung der „Heidenfrage“ bei Paulus Vladimiri von Krakau (< 1435) und ihre problemgeschichtliche Einordnung. Zugleich ein Nachtrag zum „Geist der deutschen Slawenmission des Hochmittelalters“: Zeitschrift für Ostforschung 7, S. 161–209. 1959
d) 9. (Besprechung von) A. Waas, Geschichte der Kreuzzüge I–II (Freiburg 1956): Historisches Jahrbuch 18, S. 238–242. 1960 b) 10. Europäische Wortschatzbewegungen im Bereich der Verfassungsgeschichte. Ein Versuch am Beispiel germanischer und slawischer Herrschernamen. Mit Anhang: Zum Ursprung von germ. König: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 77, S. 154–240. 11. Wie kam das Prinzip der Zehntdrittelung in die Diözesen Brandenburg und Havelberg? Ein rechtsgeschichtlicher Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von Kirchenreform und Ostmission im Hochmittelalter: Historisches Jahrbuch 79, S. 89–103.
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1961 b) 12. Bausteine zur Grundlegung einer missionsgeschichtlichen Phänomenologie des Hochmittealters, in: Miscellanea Historiae Ecclesiasticae. Congrès de Stockholm, Août 1960. Bibliothèque de la Revue d’histoire ecclésiastique 38, Louvain 1961, S. 50–90. c) 13. Diskussionsbemerkung (zu traditionellen mitteleuropäischen Geschichtskonstruktionen), bei E. Birke – E. Lemberg (Hrsg.), Geschichtsbewußtsein in Ostmitteleuropa (Marburg/Lahn 1961), S. 78–80. 1962 b) 14. Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im abendländischen Hochmittelalter: Archiv für Kulturgeschichte 44, S. 72–119. c) 15. Der Ortsname Lübeck. Fünfzig Jahre slawistischer und germanistischer Forschung im Grenzgebiet zur Geschichte: Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde 42, S. 79–114. 16. Ein gefährliches Zerrbild deutsch-slawischer Frühgeschichte: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 13, S. 21–32. 1963 b) –
(Wiederabdruck der oben unter Nr. 1, 3 und 7 genannten Arbeiten in dem unter Nr. 1 aufgeführten Sammelwerk, mit Nachträgen) c) 17. Zum Stande der Einbeziehung von Städten und Historischen Stätten in das allgemeine Geschichtsbild: Historisches Jahrbuch 82, S. 300–344. d) 18. (Besprechung von) W. Schlesinger, Kirchengeschichte Sachsens im Mittelalter I/II (Köln/Graz 1962): Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 12, S. 438–446.
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a) 19. Slawen und Deutsche in der brandenburgischen Geschichte des zwölften Jahrhunderts. Die letzten Jahrzehnte des Landes Stodor. Erster Halbband: Darlegungen, zweiter Halbband: Materialien, (Köln/Graz = Mitteldeutsche Forschungen 30). 20. Weihekrone und Herrscherkrone. Studien zur Entstehungsgeschichte mittelalterlicher Symbolhandlungen mit Kronen. Habilitationsschrift der naturwissenschaftlich-philosophischen Fakultät zu Gießen (masch.). Ungedruckt. c) 21. Eine großzügige Bilanz skandinavischer Mediaevistik: Historisches Jahrbuch 82, S. 300–344. 1965 b) 22. Der Übergang von der Antike zum Mittelalter im Lebensgang des Cassiodorus Senator: Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 34, S. 247–258. d) 23. (Besprechung von) P. Görlich, Zur Frage des Nationalbewußtseins in ostdeutschen Quellen des 12.–14. Jahrhunderts (Marburg 1964): Historische Zeitschrift 201, S. 643–650. 24. (Besprechung von) E. Egli, Geschichte des Städtebaues II (Erlenbach-Zürich 1962): Historisches Jahrbuch 85/I, S. 172–178. 25. (Besprechung von) P. E. Schramm – F. Mütherich, Denkmale der deutschen Könige und Kaiser (München 1962): ebenda S. 184–188. 26. (Besprechung von) C. Haase, Die Entstehung der westfälischen Städte2 (Münster 1965): Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 15, S. 458f. 1966 b) 27. Die Entwicklung des Bistums Brandenburg bis 1165. Ein wenig bekanntes Kapitel mittelalterlicher Kirchengeschichte im ostmittelelbischen Raum: Historisches Jahrbuch 86, S. 54–79. 28. Randbemerkungen zur Christianisierung der Sachsen, bei H. W. Krumwiede (Hrsg.), Vorchristlich-christliche Frühgeschichte in Niedersachsen. Beiheft zum Jahrbuch der Gesellschaft für Niedersächsische Kirchengeschichte 64, S. 118–135. Wiederabdruck
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c) 29.
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d) 32.
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bei W. Lammers (Hrsg.), Die Eingliederung der Sachsen in das Frankenreich (Darmstadt 1970), S. 502–526. Münzgeschichte seit 1800 in einigen neueren Sammlerkatalogen (Jaeger, Jaeckel, Davenport): Hamburger Beiträge zur Numismatik 20, S. 535–568. (Bericht über) Erwin Schmidt, Johann Heinrich May der Jüngere und die Gießener Münzsammlung (Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins 48, 1964, S. 93–119): ebenda, S. 589. Zur Frühgeschichte der Krone als Zeichen christlicher Herrschaft (Zusammenfassung): Protokoll der 16. Arbeitssitzung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte (Hessische Reihe) vom 10. Juni 1966. Ungedruckt. (Besprechung von) H. W. Ritter, Diadem und Königsherrschaft. Untersuchungen zu Zeremonien und Rechtsgrundlagen des Herrschaftsantritts bei den Persern, bei Alexander d. Gr. und im Hellenismus (München 1965): Historisches Jahrbuch 86, S. 174–178. (Besprechung von) F. Reinfeld, Münzkatalog von der Antike bis zur Gegenwart (Stuttgart 1965): Hamburger Beiträge zur Numismatik 20, S. 616–619. (Besprechung von) O. P. Eklund, Copper Coins of German States. Reprinted from the Numismatist (o. O., 1962): ebenda, S. 732–733. 1967
c) 35. Zur Katalogisierung neuerer deutscher Münzen. Bemerkungen an Hand des „Craig“: Hamburger Beiträge zur Numismatik 21, S. 225–243. 36. Mission und Reichspolitik im Mittelalter, in. Hessischer Rundfunk/Schulfunk 22 (September – Dezember 1967, Geschichte; Frankfurt a. M. 1967), S. 16–19. d) 37. (Besprechung von) W. Prange, Siedlungsgeschichte des Landes Lauenburg im Mittelalter (Neumünster 1960): Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 11, Ergänzungsband, S. 56–59. 38. (Besprechung von) E. Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern (Nürnberg 1960): ebenda, S. 59–62.
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39. (Anzeige von) Hans Bender, Die Verpfändung von Reichseigentum in den ersten drei Regierungsjahren Karls IV. von 1346–1349 (Diss./masch. Hamburg 1967): Hamburger Beiträge zur Numismatik 21, S. 389. 40. (Besprechung von) Deutsche Taler. Von den Anfängen der Talerprägung bis zum Dreißigjährigen Krieg. Deutsche Bundesbank, Frankfurt, 1966: ebenda, S. 396–398. 1968 c) 41. Kann Wibert von Ravenna als Exponent einer antigregorianischen Kirchenreformbewegung betrachtet werden? (Zusammenfassung): Protokoll der 32. Arbeitssitzung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte (Hessische Reihe) vom 16. November 1968. Ungedruckt. 1969 b) 42. Die Angliederung Burgunds an das mittelalterliche Imperium. Zum geschichtlichen Hintergrund des Schatzfundes von Corcelles-près-Payerne: Schweizer Numismatische Rundschau 48, S. 13– 105. Mit Exkurs: Krönung eines Unterkönigs durch den Kaiser, S. 99–102. c) 43. Zu den Sondermünzen der Bundesrepublik Deutschland: Numismatisches Nachrichtenblatt 18, S. 156f. d) 44. (Besprechung von) F. Lütge, Die Agrarverfassung des frühen Mittelalters im mitteldeutschen Raum, vornehmlich in der Karolingerzeit2 (Stuttgart 1966): Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 19, S. 534. 1970 b) – (Wiederabdruck der oben unter Nr. 28 angeführten Arbeit) c) 45. Deutsche Reichsromantik 1870: Geldgeschichtliche Nachrichten 5, S. 250–251. d) 46. (Besprechung von) E. Ernst – H. Klingsporn, Hessen in Karte und Luftbild. Topographischer Atlas, Teil I, hrsg. vom Hessischen Landesvermessungsamt (Neumünster 1969): Historische Zeitschrift 211, S. 461f.
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47. (Besprechung von) E. Hermann, Slawisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum von der Spätantike bis zum Ungarnsturm (München 1965): Historische Zeitschrift 211, S. 668–669. 1971 b) 48. Schwerin, Svarinshaug und die Sclauorum ciuitas des Prudentius von Troyes. Spuren mecklenburgischer Frühgeschichte in der sog. Lieder-Edda- bei Saxo und in den Annalen von St. Bertin. Mit Beilage: Zur Nachricht des Prudentius von Troyes über Normannenkämpfe im Elbgebiet 845. In: Beiträge zur Stadtund Regionalgeschichte Ost- und Nordeuropas. Herbert Ludat zum 60. Geburtstag dargebracht, Hrsg. K. Zernack, Gießen 1971, S. 49–133. 49. „Geschichte“ in einer sich wandelnden Welt: Wirklichkeit und Wahrheit. Vierteljahreszeitschrift für Forschung, Kultur und Bildung. Heft 1/1971, S. 130–146. 50. Notizen zur Hessischen Münzgeschichte I–III: Geldgeschichtliche Nachrichten 6, S. 305–313, 361–369 und 421–434. c) 51. Deutsche Münzgeschichte 1780–1878 im Rahmen der allgemeinen Geschichte. Eine repräsentative Ausstellung in Berlin: Numismatisches Nachrichtenblatt 5, S. 187–188. – Fast gleichlautend: money trend. Internationale Monatszeitschrift für Münzsammler 3, Heft 6, S. 1. 52. Der Münzstättenschwund im deutschen 19. Jahrhundert: money trend (s. unter Nr. 51), 3, Heft 7, S. 6–7. 53. Vom Wendenkreuzzug nach Siebenbürgen? Versuch einer Stellungnahme zu überraschenden Hypothesen: Siebenbürgisches Archiv 8, S. 132–199. 54. Die angebliche „Konstantinskrone“ in der Hagia Sophia zu Konstantinopel. Ihr Ursprung und ihre Rolle in der byzantinischen Staatssymbolik: Protokoll des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, 53. Arbeitssitzung vom 6. November 1971. Ungedruckt; vgl. aber Nr. 57. d) 55. (Besprechung von) Commentationes de nummis saeculorum IX–XI in Suecia repertis, pars secunda: Historische Zeitschrift 212, S. 650–652.
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a) 56. Hauptlinien der deutschen Münzgeschichte vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1878, Frankfurt a. M. b) 57. Die „Konstantinskrone“ in der Hagia Sophia zu Konstantinopel. Ein Beitrag zur byzantinischen Konstantinslegende, in: Antike und Universalgeschichte. Festschrift Hans Erich Stier, hg. von G. A. Lehmann, Münster S. 302–322. 58. Geschichtsstudium ohne Forschung? In: Wirklichkeit und Wahrheit (wie Nr. 59), Heft 2/72, S. 121–126. d) 59. (Besprechung von) H. H. Hofmann (u. a.), Eine Reise nach Padus 1585 (Sigmaringen-München 1969), in: Hamburger Beiträge zur Numismatik 22/23 (1968/69, ausgeliefert 1972), S. 889f. 60. (Besprechung von) L. Veit, Das liebe Geld. Zwei Jahrtausende Geld- und Münzgeschichte (München 1969): ebenda, S. 623f. 61. (Besprechung von) Lothar Frede, Goethe, der Sammler (KölnBerlin 1969): ebenda, S. 595. 62. (Bericht über) G. Krug, Die Münzprägung der Grafen von Solms-Braunfels in Hungen 1622 bis 1625: Berliner Numismatische Zeitschrift 29 (1969) S. 101–111, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins, N. F. 57, S. 206. 1973 b) 63. (Mitarbeit bei) G. Heinrich (Hrsg.), Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands X: Berlin Brandenburg, Stuttgart. – Neuauflage des Wiederabdrucks der oben unter Nr. 1, 3 und 7 genannten Arbeiten in dem unter Nr. 1 aufgeführten Sammelwerk. 1974 b) 64. Reichsverfassung und Wirtschaft im Spiegel der Münz- und Geldgeschichte Thüringens. Ein Versuch: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 23, S. 34–98. 65. Der Chronist Arnulf von Mailand und das Problem der italienischen Königsweihen des 11. Jahrhunderts: Historische Forschungen für Walter Schlesinger, hrsg. von H. Beumann, Köln/Graz, S. 420–437.
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1975 c) 66. Es müssen nicht immer „Reichsmünzen“ sein . . . Eindrücke und Betrachtungen eines Wissenschaftlers nach langjähriger Sammlerberatung: Geldgeschichtliche Nachrichten 10, S. 239–240. 1977 b) 67. Symbol- und ideengeschichtliche Grundlagen der Urform kirchlicher Kaiserkrönung: Festschrift Helmut Beumann, hrsg. von K.-U. Jäschke u. R. Wenskus, Sigmaringen, S. 57–79. 68. Römische Krönungspläne im Komnenenhause? Ein Beitrag zur Entwicklung des Zweikaiserproblems im 12. Jahrhundert: Archiv für Kulturgeschichte 59, S. 259–320. c) 69. Deutsche Münzgeschichte seit 1600 an Hand von Sammlerkatalogen und Bildwerken der Jahre 1967–1972/73. Zugleich ein weiterer Beitrag zur Katalogisierungsproblematik neuerer Gepräge und zur numismatischen Methodendiskussion im Neuzeitbereich: Hamburger Beiträge zur Numismatik 24/26 (1970/72, erschienen 1977), S. 163–209. d) 70. (Besprechung von) Eberhard Schmidt, Die Mark Brandenburg unter den Askaniern (1134–1320). Köln-Wien 1973: Zeitschrift für Historische Forschung 4, S. 239–241. 71. (Besprechung von) E. Demm, Reformmönchtum und Slawenmission im 12. Jahrhundert (Lübeck-Hamburg 1970): Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 85, S. 179–180. 72. (Besprechung von) H. Rittmann, Sächsische Geldgeschichte 1763–1857 (Frankfurt a. M. 1972): Hamburger Beiträge zur Numismatik 24/26, S. 458–459. 73. (Besprechung von) Goethes amtliche Schriften, Bd. 2. Die Schriften der Jahre 1788–1819, Halbband 1. 1788–1797, bearb. V. Helma Dahl (Weimar 1968): ebenda, S. 459–460. 74. (Besprechung von) Walter Grasser, Deutsche Münzgesetze 1871–1971 (München 1971): ebenda, S. 466–469. 75. (Anzeige von) Werkstoffe für Münzen. Vereinigte Deutsche Metallwerke AG, Zweigniederlassung Basse & Selve (Altena/ Westf. 1966): ebenda S. 245–246.
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b) 76. Die ersten Jahrhunderte des missionsgeschichtlichen Mittelalters. Bausteine für eine Phänomenologie bis ca. 1050: Kirchengeschichte als Missionsgeschichte II/1, hrsg. von K. Schäferdiek, München, S. 11–76. 77. Einige Beobachtungen zum Sprachgebrauch von natio im mittelalterlichen Latein mit Ausblicken auf das neuhochdeutsche Fremdwort „Nation“: Aspekte der Nationenbildung im Mittelalter, hrsg. v. H. Beumann und W. Schröder (= Nationen I). Sigmaringen, S. 63–108. d) 78. (Anzeige von) F. Lotter, die Konzeption des Wendenkreuzzugs (Sigmaringen 1977): Berichte zur deutschen Landeskunde 52, S. 223–224. 1979 b) 79. Münz- und Geldgeschichte in der Neuzeit: Geschichte Thüringens VI, hrsg. v. H. Patze und W. Schlesinger (Köln/Wien), S. 161–196 u. 258–264 (mit 4 Bildtafeln). c) 80. (Besprechung von) F. Lotter, Die Konzeption des Wendenkreuzzugs (Sigmaringen 1977): Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 28, S. 322–324. 1980 b) 81. Zwischen Aquileja und Salzburg. Beobachtungen und Thesen zur frage romanischen Restchristentums im nachvölkerwanderungszeitlichen Binnen-Noricum (7.–8. Jahrhundert): Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 145, S. 33–81. 82. Wie kam es 1147 zum „Wendenkreuzzug“?: Europa Slavica – Europa Orientalis. Festschrift Herbert Ludat, hrsg. v. K.-D. Grothusen u. K. Zernack, Berlin, S. 286–296. c) 83. Coburg in Thüringisch Franken – ein unbewältigtes Problem deutscher Münz- und Geldgeschichte. Bemerkungen an Hand eines Buches von W. Grasser; zugleich ein neuer Beitrag zur Prinzipienlehre numismatischer Darstellung und Katalogisierung: Berichte der Münzen- und Medaillensammler, Heft 117, S. 1153–1218.
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84. Beobachtungen zur Sachsenpolitik Karls d. Großen: Protokoll des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, 111. Arbeitssitzung vom 12.1.1980: Ungedruckt; vgl. aber Nr. 93. 85. Der „Ludus de Antichristo“ als Denkmal frühstaufischer Gegenwartskritik: Protokoll des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, 113. Arbeitssitzung vom 10.5.80. Ungedruckt, vgl. aber Nr. 139. d) 86. (Besprechung von) Die Burgen im deutschen Sprachraum. Ihre rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung. 2 Bde., hrsg. v. H. Patze (Sigmaringen 1976): Blätter für deutsche Landesgeschichte 116, S. 627–631. 1981 b) 87. Wikingerkämpfe um Schwerin: Pommern und Mecklenburg, hrsg. v. Roderich Schmidt, Köln-Wien, S. 1–41. c) 88. Germania Slavica. Ein neues Vorhaben zur deutsch-slawischen Geschichte in Mitteleuropa und seine Bedeutung für die Forschung der Ostalpenländer: MIÖG 89, S. 93–105. d) 89. (Besprechung von) H. Wolfram, Converso Baoariorum et Carantanorum (Köln-Wien 1977): ebenda, S. 116–119. 90. (Besprechung von) W. H. Fritze (Hrsg.), Germania Slavica I (Berlin 1980): Zschr. f. Agrargeschichte und Agrarsoziologie 29, S. 242–243. 91. (Diskussionsbemerkungen zur Judenpolitik Karls d. Großen, bei) H. H. Henrix (Hrsg.), Unter dem Bogen des Bundes (Aachen); S. 45. 1982 b) 92. Zur Rolle der Iren im östlichen Vorfeld des agilolfingischen und frühkarolingischen Baiern: Die Iren und Europa im früheren Mittealter, hrsg. v. Heinz Löwe, Bd. I, Stuttgart, S. 375–398. 93. Karl der Große und die Sachsen. Stufen und Motive einer historischen „Eskalation“: Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung. Gießener Festgabe für František Graus, hrsg. v. H. Ludat – R. Chr. Schwinges, Köln/Wien, S. 49–130.
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94. Fides cum Ydolatria . . . Ein Kreuzfahrerlied als Quelle für die Kreuzzugseschatologie der Jahre 1146/47: Festschrift für Berent Schwineköper, hrsg. v. H. Maurer – H. Patze, Sigmaringen, S. 291–307. 95. Die Münzreformen des Wendischen Münzvereins von 1500– 1506 als Symptom geldgeschichtlicher Grundprobleme ihrer Zeit: Actes du 9ème Congrès International de Numismatique, Berne, Sept. 1979, hrsg. v. T. Hackens – R. Weiller, Louvain/laNeuve/Luxembourg, S. 925–937. d) 96. (Besprechung von) Baiern und Slawen in Oberösterreich, hrsg. v. K. Holter (Linz): MIÖG 90, S. 154–156. 97. Dreimal Österreichs neuere Zeit. Bemerkungen zu einigen Sammlerkatalogen für die Prägungen ab 1740: Hamburger Beiträge zur Numismatik 27/29 (1973/75, ausgeliefert 1982), S. 183–189. 98. (Besprechung von) H.-G. Gundel, Die Münzsammlung der Universität Gießen usw.: Gießener Universitätsblätter 8, Heft 1, S. 59–74: Hamburger Beiträge zur Numismatik 27/29 (1973/ 75), S. 232. 99. (Besprechung von) W. Schulten, Deutsche Münzen aus der Zeit Karls V. (Frankfurt/Main 1974): ebenda, S. 387f. 100. (Besprechung von) H.-D. Hildebrandt, Wiedische Münzen und Medaillen (Neuwied 1973): ebenda, S. 407f. 101. (Besprechung von) P. Arnold – H. Küthmann – D. Steinhilber, Großer deutscher Münzkatalog von 1800 bis heute (München 4 1974): ebenda, S. 413. 102. (Besprechung von) K. Jaeger, Die deutschen Münzen seit 1871 (Basel 101974): ebenda, S. 414f. 103. (Besprechung von) Dasselbe (111975): ebenda. 104. (Besprechung von) D. Fassbender, Spezialkatalog der Gedenkmünzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz seit 1918 (München 1973): ebenda, S. 417f. 1983 b) 105. Bernhard von Fontaines, Abt von Clairvaux, bei M. Greschat (Hrg.), Gestalten der Kirchengeschichte III, Stuttgart, S. 173– 191.
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106. Zur Problematik der mittelalterlichen Vorstellung von „Christianisierung“, bei Z. H. Nowak (Hrsg.), Die Rolle der Ritterorden in der Christianisierung des Ostseegebietes (= Ordines militares I), Toruń, S. 125–128. 107. Die Ableitung des Missionskreuzzugs aus sibyllinischer Eschatologie. Zur Bedeutung Bernhards von Clairvaux für die Zwangschristianisierungsprogramme im Ostseeraum, bei Nowak (wie Nr. 106), S. 129–139. 108. Älteres Geldwesen Deutschlands in zeitgenössischen Holzschnitten. Ein numismatischer Blick auf das Werk des sog. Petrarca-Meisters (Augsburg um 1520), in: deutscher Numismatikertag München 1981. Vorträge, hrsg. von der Bayerischen Numismatischen Gesellschaft, München, S. 99–147. d) 109. (Besprechung von) Ludus de Antichristo, hrsg. von G. Vollmann-Profe, Göppingen 1981, in: MIÖG 91, S. 282f. 110. (Besprechung von) N. Klüssendorf, Fulda in der kurhessischen Münz- und Geldgeschichte, Marburg 1980, in: Nassauische Annalen 94, S. 417. 1984 b) 111. Christianisierungsvorstellungen im Kreuzzugsprogramm Bernhards von Clairvaux. Anmerkungen zum geistesgeschichtlichen Kontext des „Wendenkreuzzugs“ von 1147, in: Przeglad historyczny 75, Warszawa, S. 453–461. 112. (Gemeinsam mit O. Kozinowski) Coburger Dokumente zur Münz- und Geldgeschichte des Ernestinischen Thüringen, in: Jahrbuch der Coburger Landesstiftung 29, S. 1–174 1985 b) 113. „Judenklischees“ und was dahinter steckt, bei J. Albertz (Hrsg.), „Judenklischees“ und jüdische Wirklichkeit in unserer Gesellschaft, Schriftenreihe der Freien Akademie 4, Wiesbaden, S. 9–29. 114. Die Vorprägung des Zusammenlebens von Christen und Juden in Deutschland durch die ältere Kirchengeschichte. Frühchristliche Wurzeln von Judenklischees und Antisemitismus, bei Albertz (wie Nr. 113), S. 153–188.
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115. Die Baiern und ihre Nachbarn bis zum Tode des Herzogs Theodo (717/18): Denkschriften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, phil.-hist. Kl. 179, S. 159–225. 116. Virgil und die Salzburger Slawenmission: Virgil von Salzburg, Missionar und Gelehrter. Beiträge des Internationalen Symposiums v. 21.–24. September 1984 in der Salzburger Residenz, hrsg. von Heinz Dopsch und Roswitha Juffinger, Salzburg, S. 112–120. 117. Zur kulturellen Stellung der Deutschordensritter in Preußen, bei Z. H. Nowak (Hrsg.), Die Rolle der Ritterorden in der mittelalterlichen Kultur (= Ordines militares III), Toruń, S. 37–63. c) 118. Wie entstand die kirchliche Terminologie der Alpenslawen? Anfrage eines Historikers, in: Die Slawischen Sprachen 8, S. 85–95. 119. Die Anfänge der ersten deutschen Slawenmission unter Bischof Virgil von Salzburg: Protokoll des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, 146. Arbeitstagung v. 26. Januar 1985. Ungedruckt, vgl. aber Nr. 116, 124 und 129. – Neuauflage von Nr. 63. d) 120. (Besprechung von) H. G. Gundel, Die Münzsammlung der Universität Gießen, Gießen 1976, in: Hamburger Beiträge zur Numismatik 30/32 (1976/78), S. 235. 121. (Besprechung von) H. Keller, Die Münzfunde von Gießen und Heuchelheim (Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins 62, 1977 S. 23–29), ebd. S. 261f. 122. (Besprechung von) Dems., Die landgräfliche Münzstätte Gießen usw. (Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins 63, 1978, S. 141–163), ebd. S. 482. 123. (Besprechung von) K. Schneider, Das Münzwesen des Großherzogtums Berg (Urbar 1978) ebd. S. 474f. 1986 b) 124. Die Anfänge der Slawenmission im Ostalpenraum unter besonderer Berücksichtigung Oberkärntens, in: Symposium zur Geschichte von Millstatt und Kärnten 1986, hrsg. vom Verein Stiftsmuseum Millstatt (vervielfältigt), S. 20–51.
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1988 d) 125. (Besprechung von) H. Friesinger – B. Vacha, Die vielen Väter Österreichs (Wien 1987), in Archaeologia Austriaca 72, 312–313. 1989 b) 126. Was bedeutet: „Mittelalter“?, in: Saeculum 40, S. 15–38. 127. Ein Münztechniker des sechzehnten Jahrhunderts plaudert aus der Schule. Des Vanoccio Biringucci „Darlegungen und Winke betreffend den richtigen und nutzbringenden Betrieb einer Münze“, in: Hamburger Beiträge zur Numismatik 33/35 (1979/81) S. 215–220. – Neudruck von Nr. 113 und 114. c) 128. Was bedeutet: „Mittelalter“? Protokoll der 179. Sitzung des Konstanzer Arbeitskreises für Mittelalterliche Geschichte e.V., Sektion Hessen, vom 25.11.1989. Ungedruckt; vgl. aber Nr. 126. d) 129. (Besprechung von) Herwig Wolfram, Die Geburt Mitteleuropas (Wien 1987), in: MIÖG 97, S. 144–146. 130. (Besprechung von) John S. Davenport, German Talers 1500–1600 (Frankfurt/Main 1979), in: Hamburger Beiträge zur Numismatik 33/35, S. 461–462. 1990 b) 131. „. . . Auszujäten von der Erde die Feinde des Christennamens . . .“ Der Plan zum „Wendenkreuzzug“ von 1147 als Umsetzung sibyllinischer Eschatologie, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 39, S. 133–160. 1991 b) 132. Kirche und Staatsgewalt in früheren Zeiten, bei J. Albertz (Hg.) Gesellschaft und Religion, Berlin, S. 15–34. 133. Der sog. ‚Ludus de Antichristo‘ (De Finibus Saeculorum) als Zeugnis frühstauferzeitlicher Gegenwartskritik. Ein Beitrag zur
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Geschichte der Humanität im abendländischen Mittelalter, in: Mediaevistik 4, S. 53–148. 134. Die weltweite Lösung der „Heidenfrage“ – Ein übersehenes Kriegsziel des zweiten Kreuzzugs (Kurzfassung), in: Protokoll der 189. Sitzung des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte, Sektion Hessen, am 15. Juli 1991 (vervielfältigt). – Vgl. Nr. 136. 1992 b) 135. Was ist das mit Volk und Nation? Eine Einführung, bei: J. Albertz (Hg.), Was ist das mit Volk und Nation? Nationale Fragen in Europas Geschichte und Gegenwart. Schriftenreihe der Freien Akademie 14, Berlin, S. 9–41. 136. Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage – ein übersehenes Kriegsziel des zweiten Kreuzzugs, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus, hg. von S. Burghartz u. a., Sigmaringen, S. 63–89. 137. Crusade Eschatology as Seen by St. Bernard in the Years 1146 to 1148, in: M. Gervers (Hg.), The Second Crusade and the Cistercians, New York, S. 35–47. 138. Die Anfänge Schwerins (Kurzfassung), in: Protokoll der Jahrestagung 1992 des Wissenschaftlichen Arbeitskreises für Mitteldeutschland, S. 9–10 (vervielfältigt). – Vgl. Nr. 153. 1993 b) 139. Das Fürstentum Karantanien und die Anfänge seiner Christianisierung, bei: G. Hödl u. Jhs. Grabmayer (Hgg.), Karantanien und der Alpen-Adria-Raum im Frühmittelalter, Wien, S. 37–99. 140. Die Spiritualität der Ritterorden als Problem. Ein methodologischer Essay, bei: Z. H. Nowak (Hg.), Die Spiritualität der Ritterorden im Mittelalter (Ordines militares VII), Toruń, S. 271–295.
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1995 b) 141. Bemerkungen zur ältesten Millstätter Domitian-Überlieferung, in: Symposium für die Geschichte von Millstatt und Kärnten 1995, S. 80–120 (vervielfältigt). – Neuauflage von Nr. 63. 1996 b) 142. Die Kreuzzugseschatologie Bernhards von Clairvaux und ihre missionsgeschichtliche Auswirkung, in: Bernhard von Clairvaux und der Beginn der Moderne, hrsg. von D. R. Bauer – G. Fuchs, Innsbruck 1996, S. 262–315. 143. Wer ist in Kärnten „autochthon“? Anmerkungen zur Bevölkerungsgeschichte zwischen Karawanken und Tauern, in: Carinthia I/186, S. 419–427. 1997 b) 144. Der Mythos vom Zollfeld, bei A. Moritsch (Hg.), Karantanien – Ostarrichi. 1001 Mythos (= Unbegrenzte Geschichte, Bd. 5), Klagenfurt, S. 51–92. 145. Akzente zur Fürstensteinfrage, bei Axel Huber (Hg.), Der Kärntner Fürstenstein im europäischen Vergleich, Gmünd/ Kärnten, S. 221–235. 146. Das Haus de Neufville in seinem artesischen Heimatraum (vor 1047 – ca. 1545). Als Manuskript verbreitet durch die de Neufville’sche Familienstiftung, Frankfurt a. M. – Neudruck von Nr. 141 bei F. Nikolasch (Hg.), Studien zur Geschichte von Millstatt und Kärnten ( = Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 78), Klagenfurt, S. 183–229. 1998 b) 147. Solium Ducatus Karinthie. Fragen um Kärntens Fürstenstein und seine Rituale, in: Carinthia I/188, S. 185–235.
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148. Die Anfänge Schwerins. Eine Studie zu den hochmittelalterlichen Strukturveränderungen im südlichen Ostseeraum, in: Mecklenburgisches Jahrbuch 113, S. 5–124. 1999 a) 149. Der Millstätter Domitian. Abklopfen einer problematischen Klosterüberlieferung zur Christianisierung der Alpenslawen Oberkärntens, („Vorträge und Forschungen“ Sonderband 46), Stuttgart 1999. 2000 b) 150. Der „Richter des Landes“ zu Kärnten in Überlieferungen des sog. Schwabenspiegels, in: Carinthia I/190, S. 133–141. 151. Der ostseeslawische Kultstrand bei Ralswiek auf Rügen (8.–10. Jh.). Bemerkungen zu einem neuen archäologischen Dokumentationsband, in: Studia Mythologica Slavica 3, S. 223–237. 152. War Groß Raden wirklich ein „slawischer Tempelort“? In: Mecklenburgisches Jahrbuch 115, S. 5–17. 153. Slowenen und Karantanen. Ein europäisches Identitätsproblem, bei R. Bratož (Hg.), Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche II, Ljubljana, S. 978–993. 2002 a) 154. Der Staat der Karantanen. Fakten, Thesen und Fragen zu einer frühen slawischen Machtbildung im Ostalpenraum (7.–9. Jh.), Ljubljana (Supplementum zu Bratož, wie Nr. 153), 562 S. b) 155. Die Kärntner Pfalzgrafschaft und ihre Verbindung zur Alten Moosburg. Ein Blick auf verfassungsgeschichtliche Auswirkungen mündlicher Traditionen im Mittelalter, mit einem Anhang: Reginos Mosaburh, in: Carinthia I/192, S. 185–235. 156. Die Kärntner Pfalzgrafschaft und die Alte Moosburg, in: Symposium zur Geschichte von Millstatt und Kärnten 2002 (vervielfältigt), S. 58–73. c) 157. Ein Rückblick. Schlusswort zur akademischen Festveranstaltung des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften
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aus Anlass meines 80. Geburtstags, in: Gießener Universitätsblätter 34/35 (2001/02), S. 69–72 u. 189. 2003 b) 158. Die Karolingerpfalz Karnburg, in: Chr. Hesse u. a. (Hgg.), Personen der Geschichte – Geschichte der Personen. Festschr. Rainer C. Schwinges, Basel, S. 365–392. 159. Feldkirchen und Dietrichstein zwischen den Mächtigen des 12. Jh.s. Ein Beitrag zur Geschichte bambergischer Besitzungen in Kärnten, in: Carinthia I/193, S. 225–251. 2004 b) 160. Das erloschene Slawentum des Obermaingebietes und sein vorchristlicher Opferbrauch (trebo) im Spiegel eines mutmaßlich würzburgischen Synodalbeschlusses aus dem 10. Jh., in: Studie Mythologica Slavica 7, S. 11–42. c) 161. Nekaj misli o moj knjigi „Država Karantancev“ (Ljubljana 2002) ob njeni predstavitvi v Slovenskem znanstvenem inštitutu na Dunaju, dne 14. junija 2003 (Einige Gedanken zu meinem Buch „Der Staat der Karantanen“, Ljubljana 2002, anlässlich seiner Vorstellung im Slowenischen wissenschaftlichen Institut zu Wien, 14. Juni 2003, prevedla/Übersetzung Amalija Maček Mergole), in: Zgodovinski časopis 58, S. 489–491. Vgl. Nr. 165. 2005 b) 162. Kultbilder im vorchristlichen Slawentum. Sondierungsgänge an Hand eines Marmorfragments aus Kärnten in: Studia Mythologica Slavica 8, S. 9–52. 163. Der Fall Tigring. Eine hochmittelalterliche Pfarrgründung im Widerstreit gegensätzlicher Rechtsauffassungen, in: Carinthia I/195, S. 87–122.
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b) –
Nachdruck von Nr. 160, in: Archiv für Geschichte Oberfrankens 86, S. 7–40. b) 164. Alladorf und die Slawen. Eine Ortschaft der nördlichen Frankenalb als Brennpunkt von Grundproblemen des oberfränkischen Frühmittelalters, mit einem Ausblick auf das Jahr 1059, in: Zschr. f. Bayrische Landesgeschichte 69, S. 808–841. c) 165. Der Staat der Karantanen. Der Forschungsansatz eines Historikers der Kriegsgeneration, in: Gießener Universitätsblätter 39 (2006), S. 37–40 (= deutsche Fassung von Nr. 161). 2007 b) 166. Karantanische Streitfragen. Eine Antwort an Peter Štih, in: Carinthia I/197, S. 351–381. 167. Karantanska sporna vprašanja. Odgovor Petru Štihu, in: Zgodovinski časopis 61, S. 491–500 (= slowenische Fassung von Nr. 468; Übersetzer nicht genannt). 168. Das Würzburger Sondersendrecht für christianisierte Slawen und sonstige Nichtfranken. Ein Rechtstext aus der Zeit König Konrads I. (918), in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 87, S. 7–32. c) 169. Die Hirschmedaillen Landgraf Ludwigs VIII. von HessenDarmstadt. Numismatische Fragen an eine vernachlässigte Fürstenbiografie, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins 92, S. 403–409. 2008 a) 170. Streifzüge durch das Mittelalter des Ostalpenraums. Ausgewählte Abhandlungen (1980–2007), hg. v. R. Bratož u. Peter Štih, Liubljana (Slovenska akademija znanosti in umenosti, Razred za zgodovinske in družbene vede 37; Zbirka zgodovinskega časopisa 36). 502 S. – Nachdruck von Nr. 168, in: Studia Mythologica Slavica 11 (2008), S. 39–64.
fachpublikationen
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2009 c) 171. Die „Heidenfrage“ – ein vergessenes Kapitel abendländischer Mentalitätsgeschichte, in: Gießener Universitätsblätter 42, S. 23–25. Sonstiges 172. 1960–1962 kleinere Artikel in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft 3, hrsg. von K. Galling u. a., Tübingen 1957–1965. 173. 1961–1965 kleinere Artikel in: Lexikon für Theologie und Kirche, begr. von M. Buchberger, Freiburg 1957–1968. 174. 1972–1980 zahlreiche Artikel in: Meyers Enzyklopädischem Lexikon, Mannheim. 175. 1984–1999 Mitarbeit an: Lexikon des Mittelalters, München.
INDEX A. = Abt, Bf. = Bischof, Bm. = Bistum, EB = Erzbischof, Gf. = Graf, Kg. = König, Ks. = Kaiser, Lgf. = Landgraf, P. = Papst, Pf. = Pfalzgraf Vielbenutzte Stichworte wie Christlich, Heiden, Heidentum, Heidnisch, Kirche, Krieg, Mission, Mittelalter, Volk werden nicht berücksichtigt. Abbo von Fleury 561 f. Abendland 118, 181, 271 f., 275, 277 f., 281 f., 284, 286, 402, 496, 530, 677, 777 Ablaß 265, 400, 635, 640, 665, 686, 713, 730 f. Abodriten s. Obodriten Abrahamitische Religionen xxiii, xxxi, xxxiv abrenuntiatio (diaboli) 83, 105, 303, 309, 332, 392 f., 396, 467, 553 Absolutheitsanspruch xxiv, xxxiv, 79, 207 f., 211 f., 251, 388 Acht 443 Ackerbürger 274, 899, 904 Adalbero 589 Adalbert von Prag 268, 339, 491, 495, 501, 513, 515 f., 950 Adalbert, EB von Bremen 511, 618 Adalgot 472, 589 Adam von Bremen 30 f., 187–196, 216, 263, 470 ff., 510, 537, 550–558, 578, 670, 915, 924, 926, 928 Adel, adelig 270, 274, 341, 415, 424 f., 428, 438, 456, 459, 590, 691, 724, 893, 895 f., 899 f., 902 Adelbert (= Albrecht) 212, 218, 248, 568, s. auch Albrecht der Bär Adelsherrschaft 275–280, 341 Admonitio generalis 395 Adolf II., Gf. von Holstein 476 f., 534, 624 f., 632, 662, 733 f., 799–801, 831, 937 Adventus regis 449 Agila 226 Agrargesellschaft 49, 274–277, 903 Agrarverfassung 100 Ägypten, ägyptisch xxx f., xxxiv, 94 Akkulturation 66, 768, 849 Alah- 53–60 Alamannen, Alemannen xxxv, 344, 367
Albigenser, Albigenserfrage 401, 443, 522, 545, 694 Albrecht der Bär 197, 218, 226, 248, 335, 565–576, 598–602, 624, 667, 681, 689, 694, 696–701, 711, 720, 728, 781, 915, 933 f. Alcuin s. Alkwin Alexander III., P. 794 f., 842, 844 Alexander, Kölner Magister 629 Alfons I., Kg. von Portugal 370, 729 Aliscans 481, 530, 947 Alkwin von York 241, 361, 389, 396, 529, 930 Alladorf 45–79 Alpenslawen, alpenslawisch 135, 137 f. Altbaiern 57 Altenbeken 352 Altentrebgast 60 Altertum 95, 186, 271, 326, 640 Altes Testament, alttestamentlich xxiii, xxvii–xxxi, 205, 249, 347, 352, 383–387, 391, 452, 467, 497, 523, 555, 645, 685, 688, 929, 933 Alt-Lübeck 27 f., 31, 215, 217, 219–222, 224, 227, 752 Altmark xxxix, 76, 100, 110, 588, 711 Altsachsen xxxv, 55, 108, 352, 355 f., 363, 385, 390, 392, 579 Altsächsisch 29 f., 54, 105, 350 f., 395–399, 419, 555, 677, 710, 712 Ambrosius von Mailand 317, 347 Amerika xxxi, xxxvi, 277 Amorbach 396 Anbetung 201, 219, 887 Angelsachsen 56, 193, 245, 252, 260, 286, 294, 312, 324, 327, 344, 352, 363, 385, 391, 393, 397, 410, 442, 468 Angelsachsenmission 260, 286, 293, 328, 352, 410, 765 Angelsächsisch 54, 57, 112, 162, 294, 324, 352 f., 365, 368 f., 390 f., 393, 442, 461, 468
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index
Ann(ales) Mettenses priores 372 Ann(ales) q(ui) d(icuntur) Einh(ardi) 375, 385 Annalen von Metz 372 Annales Magdeburgenses 727 Annalist von Pöhlde 257, 421, 429, 510, 560, 572, 575, 629, 675, 682 f., 697, 726 ff., s. auch Pöhlde Ansbach 448 Anselm von Havelberg 616, 624, 679, 681, 690, 696 ff., 701, 719, 727 f., 933 f. Antichrist, antichristlich 284, 575, 629, 663, 940 f., 943 ff., 953 Antike xxviii, 114, 117, 121, 127, 258, 271, 274–280, 283, 293, 307, 324, 341 Antiochia 523, 692, 694 Antisemitismus xxxi, 19 Apokryphen 266 Apollo 289 Apologetik 284 Apostasie 190, 192, 216, 257, 263, 268, 316, 321 f., 340, 383, 392, 428, 440, 442, 444, 506, 509 ff., 513 ff., 521, 525, 528, 530, 539 f., 551, 553 ff., 557, 575, 624, 674 Apostata 508, 554, 556 f. Αποστάτης 508 Apostaten xliv, 100, 241, 248, 255, 257 f., 262, 267 f., 316, 318 f., 322, 336, 338, 340, 383, 392, 398, 401, 421, 443, 506, 509 ff., 513, 515, 518 f., 535, 539 f., 543 f., 548 f., 556–559, 674, 914 f., 919, 923 Apostatenexekution 225, 260, 264 ff., 269, 333, 340, 401, 405, 502, 514, 534–537, 544 f., 560 Apostatenrecht 316, 383, 398, 401, 422, 638 Apostatisch 109, 192, 205, 254, 256–260, 268, 316, 318, 321–323, 339, 383, 421, 482, 509, 524–527, 535, 550, 554, 556, 560, 575, 671, 648, 948 Apostel xxv, 106, 350, 410, 467, 487, 492, 501, 538, 546, 647 f., 653 Apostelkreuz 117, 142 Apsidenbekrönungen 114, 117 f. Aquileia xxxviii, 103, 105–108, 110, 140, 960 Aquinate s. Thomas von Aquin Archäologie, archäologisch xxxviii f., 31, 35 ff., 46–51, 58, 61, 65, 68, 102, 107 f., 121, 129, 139, 141, 145–149, 160–164, 167, 169, 177 f., 180, 217,
348, 409–413, 422 f., 584, 740, 745, 759 f., 762–766, 769, 773, 775, 837, 847, 854, 854 f., 861 Archipresbyter 219, 438, 460, 596 f. Arianisch 47, 126, 226, 317, 427 Arkona 132, 147 f., 154, 156, 172, 207, 210, 222–225 Armenien 323 Arn, Bf. von Würzburg 48 Arn, EB von Salzburg 106 Arnold von Lübeck 269, 776, 781, 790 Arnold, A. von Nienburg 479, 482, 625 f., 669 Arnulf, Kg. 432 Artlenburg 752 Assimilation xxxvii, 28, 66, 68, 72 f. Assimilationsvorgänge 21 Assimilierung 72, 76 Äthiopien 323 Augustinisch 192, 240, 305, 360, 382 f., 471 f., 510, 939 Augustinus 83, 238 f., 242, 252, 254, 259, 266, 303, 306 f., 310, 315, 317–319, 326, 328, 330, 335 f., 347, 361, 389, 419, 468, 477, 503, 508, 518, 550, 555, 577, 631, 645, 647, 650, 671, 675, 927 f., 950 f. Ausweisung 245, 440, 445, 527, 549, 569 Autun 125 Avila 94 Awaren 65, 105, 111, 132, 343, 361, 367 f., 372, 376, 382, 441, 504, 529, 930 Awarisch xxxvii, 51, 102, 137, 161, 357, 368 – Burg 197, 218 f., 226, 248, 568 f., 571 ff., 576, 580, 588 f., 602 f., 612, 762 – Dom 570, 574 – Domkapitel 599, 602 f., 616 – Gotthardskirche 220 – Harlungerberg (Marienberg) 218, 566, 569 f., 595 – Land, Mark xl, 195 f., 214, 219, 247, 533, 565, 568, 572–575, 578, 600 f., 696, 728, 764, 933, 959 – Ort, Stadt 121, 196, 411, 584, 739, 754, 760, 764, 781, 829, 857 Baba-Steine 65 Babenberger 437, 452, 710 Bagdad 691 Baierisch 102 f., 137, 367 f.
index Baierischer Geograph 357 Baiern, Bayern xxxv, 46, 49 f., 57, 63 f., 103, 121, 344, 350, 352, 364, 367 f., 451, 456, 474, 710, 714, 719, 722, 812, 840 Balduin, Gf. von Edessa 692, 694 ff. Balkan, balkanisch xxxvi f., 50, 131, 277, 722 Baltikum, baltisch 84, 279, 884, s. auch Ostbaltikum Bamberg, Bamberger xxvi, 46, 68, 70 f., 76, 99, 101, 108, 129, 141, 184, 203, 253, 263, 303, 312, 435, 466 f., 474 ff., 676, 689, 701 Bamberger Götzen 65, 102 baptizatus 313, 528, 677 Barbar(en), Barbarei, barbari, barbarisch 122, 129, 195, 201, 277, 290, 331, 440, 452, 534, 589, 638, 745, 949, 952, s. auch Regionalbarbaren Barbarossa s. Friedrich I., Ks. Bardowick 747, 752, 767, 771 Basel 590 Baskisch 136 Bautzen, Budyšin xl, 183 Beda Venerabilis 112, 296, 327, 352, 365 Beichte 253 Bekehrung, Bekehrungs- xxvi, xxxiv, 101, 106, 112, 191 f., 194, 200, 211, 218, 222 f., 227, 235, 238–243, 245 f., 248, 256, 259 f., 264, 268, 270, 286, 290, 298 f., 302 f., 305–308, 315, 319, 321, 327–330, 332, 335 ff., 340, 345, 347, 351, 353, 362, 381, 388, 392, 396, 401, 414, 419 f., 434, 441, 466 ff., 472–475, 478 ff., 484, 492 f., 496–501, 508, 516, 519, 525–536, 538, 543, 545, 547, 563, 567, 580, 626, 642 f., 649, 652 f., 656, 660, 662, 665, 669 ff., 675 f., 679, 681, 684, 725, 727, 777, 915, 919, 924 f., 928, 932, 939, 944, 947, s. auch Heiden-, Slawen-, Prußen-, Zwangsbekehrung Bekehrungsarbeit 241 f., 250, 306, 497, 499, 925 Bekehrungsunwillige, -unwilligkeit 248, 329, 392, 394, 479, 482, 498 ff., 526 f., 536, 548, 574, 591, 779, 939 Bekenntnis, -akt, -formeln 105, 242 f., 299, 306 f., 309, 382, 392, 543, 553, 686, 925, 939 f. Bela III., Kg. von Ungarn 704 Belgard (Pommern) 761
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Belial 489, 663 bellum iustum 330, 382, s. auch Krieg, gerechter Benediktinerregel 491, 888 Beowulf 186 Berge vor Magdeburg 479, 618 Bergen 147, 787 Berlin 17, 88, 183, 955, 958 Bernardus advocatus in Schwerin 793 Bernardus Parthenopolitanus (Bernhard, EB von Magdeburg) 556 Bernhard von Clairvaux 100 f., 220, 225, 247, 260, 266, 270, 333, 341, 469, 471 ff., 479, 482, 495, 510, 512, 525, 529, 531, 598 ff., 623–666, 668, 671 f., 675, 677, 683, 696, 701, 706, 718, 728, 777, 883, 885, 892, 910, 914 f., 924, 928, 932 ff., 937, 939, 945 f., 949 f., 953 Bernhard, Gf. von Plötzkau 722, 804 Bernhard, Hz. von Sachsen 551 Bernhardinischer Wendenkreuzzugsaufruf 264, 564, 672, 728, 928, 939 Berno, Bf. von Schwerin 248 f., 269, 766, 775–779, 781 f., 788, 790 f., 793 ff., 799, 802, 815, 824, 828, 831, 833–836, 842 ff., 846, 860, 872 Berowelf, Bf. von Würzburg 52 Beugungsstrafen 439, 446 Bevölkerungsmischung 126 Bibel xxix, xxxiii f., 103, 277, 426, 645, 650 Bilderkult 90, 111 Bildungsbedürfnis 902 Billug, Fürst 189 Birka 787 Birkinselrecht (bjarkeyjarréttr) 784, 856 Bistumsgründung 99, 582 f., 612, 825 Bistumsorganisation 90, 99, 196, 410, 416, 474, 585, 829, 843 Blasphemie 255, 319 Blusso 230 Bo 365 Bogit, Bohod 88 Boguphal II., Bf. von Posen 41 Bohemund 691 f. Böhmen, Böhmisch 40, 64, 73, 75, 90 f., 94, 133, 183, 357, 451, 565, 606 Bohteresgo 364 f. Bohweri 363 ff. Boleslaw Chrobry 267 f., 338 f., 483, 488 f., 491 f., 494, 496, 501 f., 514–517, 519, 553 f., 556
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index
Boleslaw III. (Schiefmund) 248, 263 f., 475 Bolgar 86 Bonifatius xxvi, 110, 112, 200, 228, 245, 250, 257, 282, 284, 348 f., 386, 395, 410, 439, 474, 579, 581, 676, s. auch Wynfrith Boructuari 365, s. auch Brukterer Bosau s. Helmold von Bosau Boso von St. Emmeram 248, 474 f., 584, 950 Brandenburg, Bm. 195 ff., 219, 511, 566, 571, 577–620, 681, 696 f., 924, 933 Braunschweig 186, 738, 808, 812, 825, 842, 846 Bremen, Bremisch 41, 187, 371, 552, 612, 813 f. Breslau 25, 38, 912 Breviarium Alarici 384 Bromberg 67 Brudzeń bei Płozk 912 Brukterer, Bruktererland 364 ff., 371 Brun von Querfurt 266–269, 337–341, 470, 480 ff., 483–564, 910, 914, 922, 950 Bruno, Merseburger Kleriker 473, 533 Brunward, Bf. von Schwerin 245, 870 Bückeburg 364 Bucki-Gau 364 Buda s. Ofen Budapest 958 Bulgarien 285 Büraburg 367 Burchard (Burkhard), Bf. von Worms 255, 319 f., 329, 435, 511, 547, 549 f., 553, 556 Burg bei Magdeburg 751 Bürger, Bürgerlich, Bürgertum 205, 274, 276, 278, 281, 337, 740, 782, 794, 813 f., 830, 838–841, 845, 847, 849, 856, 658, 860, 864 ff., 870 f., 894, 896–908, 912, 931 Bürgerkultur 892, 900 Burginsel 225, 577, 762, 764, 819, 822 Burgmann(en) 583, 823, 830, 850, 898 Burgstadt 760, 856, 898, 904 Burgund 57, 495, 613, 721, 894 Busspraxis 255 Bussverweigerung 442 Bützow 754 f., 834 f., 866, 870 Bydgoszcz 67 Byzanz, Byzantinisch 276 f., 281, 284, 402, 405, 505, 564, 641, 696, 960 KAH
Caesarius von Arles 288 Canterbury 747 Capitula Rotomagensia 433 Capitulatio de partibus Saxoniae 316, 346, 359, 382 f., 406, 421, 427, 453, 471, 528, 536, 928, 931 Carmen de conversione Saxonum 381 carmula 104 Carniolenses 137 Celsus 283 centenarius 437 centurio 437 Cerunnos 94, 125 Chanson de geste 530, 948 f. Chanson de Roland 530, 677 Chlodwig, Kg. der Franken 84, 327, 391 Christ, Christen xxv, xxix, xxxii, 84, 100, 104, 110, 190, 197, 212, 251, 253 f., 270, 287, 291, 308 f., 313–317, 323, 328, 341, 395, 398, 416, 419 f., 427–429, 440–444, 452, 454, 468, 473, 475, 481, 484, 489 f., 492, 497, 503, 513, 525, 556, 567 f., 575, 583, 598, 610, 645, 662, 677, 727, 768, 848, 913, 915–918, 937, 947 Christburg 326, 376, 443 Christburger Vertrag 265, 325, 376, 382, 526, 532, 535 f., 564 Christenrechte 256, 320, 444–446 Christentum 47, 81, 100, 155, 182, 187, 190, 196, 198–213, 215–221, 238, 244 ff., 254 f., 265, 270, 275–284, 287–290, 296–302, 307 f., 313–322, 341, 349, 358, 374, 380, 390 f., 416, 418–428, 466–481, 490–496, 510–518, 539–544, 548, 566, 576, 591, 614, 647, 667, 675, 678, 683–685, 919, 930–932, 944–948 Christenverfolgung xxv, 327, 404, 646 Christian, Bf. von Preussen 265, 528 Christianisierung xxiv, xxxviii, 52, 59, 83, 100, 111 f., 127, 134, 139, 195, 199, 202, 238 f., 241, 243–246, 250, 259, 268, 302, 304, 308, 322, 332 f., 336, 340, 350, 356, 361, 373, 382, 387, 391, 409, 421, 435, 442–445, 477, 480, 495, 500, 526, 531, 547, 565, 636, 644, 653, 661, 676, 681, 768, 778, 861, 924 christianismus 490 christianitas 490, 678 christianus 216, 309, 566 Christus xxvi–xxxi, 201–208, 235, 242, 250 f., 262, 287, 290–314, 332, 351,
index 391, 419, 426, 452, 466, 469, 489, 505, 527, 555–559, 641, 645, 924 Cividale 347, 441 civitas, ciuitas 223 f., 389, 570, 579, 631, 641, 741, 743, 752 f., 760 f., 783–788, 790–796, 800–804, 808, 812 f., 815, 826, 838, 840 f., 846, 851, 861, 865, 867, 870 f. Clairvaux s. Bernhard von Clairvaux Clemens Peregrinus 103 f. Cluny 289, 561, 883 Code Napoleon 279 Codex Theodosianus 426, 508 coge intrare 192, 319, 502, 510, 518, 550 Comes 437 f., 449 f. compellere intrare 69, 319, 470, 483–564 confessio fidei 83, 303, 309, 392, 467 Conquistadoren 259, 325, 330 Conradus Premvzel 76 Consuetudo, consuetudines 256, 265, 309, 321, 426, 428 f., 553 contina 176–178 conversio 243, 307, 332 Conversio Bagoariorum et Carantanorum 104 convertere 192, 218, 258, 263, 323, 518 f., 542 f., 546, 566 Cosmas von Prag 90 f. Cottbus, Chosébuz xl Dagobert I., Kg. der Franken 348 f. Daleminzier 75 Damaskus 693 Damiette xxxiv, 241, 950 Dämonen, Dämonen- xxvii, xxxiv, 111, 117, 301, 309, 393, 396, 490, 509, 511, 574, 673, Dänemark 158, 190 f., 194, 253, 313, 664 f., 673, 719, 737, 786, 931 f. Dänen, Dänisch 148, 159, 194, 213, 216 f., 247, 250, 262, 314, 334, 368, 419, 482, 566, 581, 628, 631, 671, 674 f., 678, 700, 715, 768 f., 784, 787, 837, 855, 931 f. Dannenberg 183, 813 Dargun 249, 734, 788, 793 ff., 843 Decretum Gratiani 240, 440, 549 Dekalog 118, 397, 554 Dekretalien 329, 435, 511, 547, 926 Demmin 694, 697, 706, 766, 776 f., 779, 842, 846, 860 demoniaca heresis 383, 392, 509, 555
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Denkmal xlii, xlv, 55 f., 87, 104 f., 107, 113, 132 f., 139, 177, 396, 528, 545, 599, 741, 765, 806, 812, 940 deus Lyvonum 204 deus Saxonum 204 deus Teutonicorum, Teutonicus 203, 205, 226, 297, 324 Deutsche (die Deutschen) xl f., xliii, 22 f., 25, 42, 100, 113, 135 ff., 147, 184, 195–204, 208, 219, 248, 292, 345, 465 f., 483, 502, 560, 568, 572, 586, 600, 623, 708, 775, 781, 799, 803, 824, 826, 847–854, 866, 869, 893, 912, 914, 922, 924, 926, 928, 941, 943 Deutsche Nation 22, 76 Deutscher Orden (Ritterorden, Deutschritter) xxvi, 246, 265, 325, 376, 443, 526, 886 f., 890, 892–895, 900, 911, 914, 919, 922, 925, 932, 949 Deutsches Volk xli, xliii, 21 f., 25, 42, 184, 344, 466, 739 Deutschland xli, xliv, 3, 16 f., 21, 23, 29, 31, 33, 36 f., 39, 47, 57, 77, 124, 145 f., 180, 183, 186, 250, 261, 320, 334, 391, 446, 481, 495, 506, 514, 523, 530, 533, 548 f., 560, 562 f., 613, 617, 645, 659, 693, 744, 812, 899, 908, 927, Mitteldeutschland 633, 708, 733, Niederdeutschland 677, Nordostdeutschland 29, Oberdeutschland 936, Ostdeutschland 25, 37, 562, 633, 733, Süddeutschland xxxviii, Westdeutschland 717 Deutschtum xxxviii, 42, 72, 185, 208, 466, 480, 851 Deutz 386 Diemel 363 f., 366 f., 371, 374, 378 Diera-Zehren 95 f. Diesdorf 100 Dietmar von Merseburg s. Thietmar Dionysius 391 Distelkamp, Bernhard 859 Disziplinargewalt 84, 254, 256, 268, 313, 317, 321, 326, 336 f., 340, 420, 482, 503 f., 511, 519 f., 539, 544, 646, 919 Disziplinarmaßnahmen, -mittel 69, 255, 269, 320, 340, 468, 503, 518, 549 Dnjepr xxxviii, 94 Dnjestr xxxviii, 88 Doberan 249, 793, 842 f., 846 Dobin 753 f., 757, 797 Dobrin 911
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index
Dodilo, Bf. von Brandenburg 196, 198, 218, 585 f. Dominikanermission 241 Dominikanerorden 241 Domitianslegende 106, 139 Donar, Donarseiche 284, 391, 395, 397, 410, 412 donatio legis 426 Donatisten 254, 259, 317 f., 326, 503, 518 Donau 102, 357, 368, 449, 559, 579, 930 Donaukonzil 105, 361, 387 f., 441, 930, 932, 951 Doppelnamen 76, 190 Dortmund 364 Dragowit 579 Drau 102, 133 Dravänopolaben 62, 76, 146, 855 Dreifaltigkeitsvorstellung 92, 118 Dreikopfgottheiten 118, 124 Dschihad 299, 473 Dudo, Bf. von Havelberg 584, 618 Dux 263, 437 f., 447, 449, 464a Dynastisches Prinzip 16
Entpaganisierung 197, 238 f., 302, 304, 322, 326, 335, 924 Episkopat 103, 260, 276, 353, 448, 540, 581, 591, 679, 688 Eresburg 354, 363, 365, 367, 369, 378 Eroberungskrieg 405, 481, 522, 921 Erzbistum 107, 140, 187, 434, 512, 550, 581, 586 f., 592, 623, 719, 829 Eschatologie 266, 633, 653–656 ἐθνικός 507 f. Ethnogenese, ethnogenetisch xxxviii f., 62, 75 f., 135, 137, 142 f. Eugen III., P. 445, 624, 635, 644, 647, 649, 670, 698 Europa xxiii, xxv, 16, 136, 163, 222, 243, 271–285, 291–297, 314, 343–345, 360, 402, 418, 657, 729, 768, 901 Europäisierung 278, 285 Europazentrisch 271 f. Ewe 291 Exkommunikation, -sformeln 309, 439, 510, 541, 553 expugnare paganos 492, 499, 514, 531, 538, 542, 561, 631 expugnatio ad fidem 264
Eberhard von Franken 438, 449 f. Ebo von Michelsberg 129, 134 f. ecclesia 413, 457, 490 Edlinger 63 Eichstätt 101, 434 f., 449 ff. eiectio Slavorum 100, 446, 478, 848, 923 Eibersdorf, Virnja ves (Dekanat Tainach, Tinje) 119 Eigil 353 Einhard 355 Einhardannalist 358, 381 Einkirchung 70, 249, 676, 827 Elbe und Saale 73, 107, 185, 714 Elbe-Saale-Linie 25, 33, 101, 712 Elbgermanisch 36 Elbslawen, Elbslawentum, elbslawisch 22, 34, 257, 275, 322, 375, 421, 428, 481, 483, 500, 509, 511, 524, 540, 567, 572, 636 Elde 756 f., 767, 866, 869 Elsaß 22, 613 Elsässer 22, 136 Emmehard, Bf. von Schwerin 779, 781 Endzeit 640 ff., 653, 656 f., 660, 666, 943 f., s. auch Antichrist Engern 357, 371, 376 England xxx, 279, 284, 253, 442, 769 Enns 368
Fachwissenschaft, historisch 14, 43, 230 Fadhlan, Ahmad ibn 86 Fahnenlanze 805, 807, 811, 841 Fasten, -gebote, -zeit 255, 320, 415, 426, 461, 882 Fastenbrecher 256, 320 f., 445, 450 Feiertagsschändung 450 Feldberg bei Neustrelitz 152, 164 Fernhandel 357, 767, 819, 838, 866, 901 f. Ferschweiler (Eifel) 124 Feudalismus 272, 282 fidelis 309–313, 554 fidelis Dei 452, 554 fides 309, 415, 914, 919, 924 Finnen, Finnisch 86, 295, 664 Firmung 283, 493, 581 fiscalinus colonus 436, 462 Fischerinsel im Tollensesee 91, 93, 131 f. Flamen 713 f., 721 f. Flandern 693, 705, 707, 712 f., 715 f., 722, 728, 733, 901 Flandrenses 704–710, 730, 735 Fleury 561 f. Flins 94 Forchheim 65, 447, 449
index forma 319, 443, 547, 766, 783, 785–790, 794, 803 f., 889, Frambork 67 Francesco (Francisco) de Vitoria 524, 925, 928, 949, 952 Franken 57, 62–65, 72, 84, 121, 136, 143, 209, 286, 292, 344, 357, 359, 362–365, 368, 371, 373–380, 384 f., 391, 395, 398 f., 413, 415, 436, 448, 450–453, 456, 536 f., 705, 721 ff., 930 Frankenalb 45, 52, 58 f., 80, Frankenreich 74, 136, 357, 361, 364–367, 370, 373, 376, 379, 381 f., 411, 436 f., 441, 528, 769 Frankfurt/Main 17, 624–634, 636, 652, 658 f., 661, 718, 747, 771, 933 f., 945 Fränkisch 56 ff., 64, 70, 137, 323, 333, 349, 352 f., 355–403, 434, 438, 451, 466, 528, 537, 946, 950 Fränkische Schweiz 45 Frankreich 57, 124, 606, 621, 640, 642, 657 f., 693, 707, Franz von Assisi xxxiv, 241, 950 Franziskanermission xxviii, 241 Franzosen xxv, 136 Französisch (auch altfr.) 55, 122, 185, 249, 481, 530 f., 566, 613, 616, 620, 656, 658, 677, 939 f., 946 f., 949, 951, 953 Frauenburg 67 Freiburg i. Br. 456 f. Freising 103 f. Freisinger Denkmäler xlv, 104 f. Friedhöfe 422, 442, 520 f. Friedlosigkeit, Friedloslegung 246, 442, 445, 461 Friedrich I. Barbarossa, Ks. 269, 612, 742, 766, 776, 940, 945 Friedrich I., EB von Bremen 610 Friedrich, EB von Köln 715 Friedrich, EB von Magdeburg 478, 681, 711 Friedrich, Pf. von Sömmerschenburg 624 Friesack 91, 131 Friesen, Friesisch xxxii, xxxv, 26, 54, 366 ff., 393, 416, 471, 734, 799 Frilinge 424–428 Fritze, Wolfgang H. 45, 202, 212, 563, 957 Fritzlar 284, 369 Frömmigkeitstyp (kultisch-institutionell; persönlich-ethisch) 230, 314, 402, 418
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Fronbauer 436 Frühchristentum 304, 667 ff., 700 Frühe Neuzeit 275, 280, 770, 822 Fulda xxvi, 61, 67, 353 f., 379 f., 386, 393, 395, 415 Fulko, EB von Reims 494 Fürstengemahlin 327 Gadebusch 752 -gard- Namen 34, 41 Gegenreligion xxiv Geismar 284, 395, 410 Geismarer Donarseiche 150, 412 Geistlichenbildung 236, 300 Geldwirtschaft 275, 903 Gennadius 329 gens xxxiv, xxxvii, 199, 206, 209, 295, 360, 380, 452, 458 f., 556 gentes xxvii, 163, 201 f., 234, 247, 290, 293, 315, 329, 332, 361, 562, 564, 627, 641, 645, 653, 659, 680, 723, 944, 949 Gentil 135, 296, 298, 375, 508 Gentiler Verband 65, 202, 206, 209, 222, 295 gentilis, gentiles 77, 103, 227, 284, 310, 314, 316, 419, 460 f., 506 ff., 560, 572, 679, 944 gentilitas 490 Gentilreligion, gentilreligiös xxxiii f., 105, 107, 111, 113, 121, 154, 158, 181–229, 287–297, 324, 355, 388, 393, 397 Germanen, germanisch xxxv–xl, xliii, 25–39, 51–56, 60–63, 66 f., 70, 73 f., 78 f., 81 f., 92, 95, 112, 115, 121, 132, 136–139, 143, 148, 156, 160–164, 167, 179, 182–188, 195, 200, 222–227, 255, 275, 291, 297, 308, 320, 414, 450, 454, 567, 685, 744–447, 850, 931, 960 Germanenmission 293, 391 f., 423 Germanentum 466, 851, 957 Germania Romanica xliii, 45, 145, 163 Germania Slavica xliii, 45, 145, 163 Germanistik 27, 33 Germarmark-Bilstein 591 Gero 580, 586 Gerold, Bf. von Lübeck 566, 774 Gerold, Bf. von Oldenburg 247, 477, 562, 826, 831 Gerung, Bf. von Meißen 688 Geschichte 1–4, 6–17 Geschichtsbewußtsein 21, 23 Geschichtsbild 2, 10–13, 15 ff., 21 f., 27, 41, 271 f., 505, 708, 739, 771, 930
992
index
Geschichtsdenken 271 Geschichtsforschung 2, 9, 13, 15, 737, 848 Geschichtsfremdheit 15 f. Geschichtskunde 2 f., 6 f., 9, 12, 18 Geschichtswissenschaft 2–6, 10–12, 16 f., 27, 272, 406, 958 Gewalt xxxii, 303 f., 320, 335, 337, 339 Gewaltmission xliv, 192, 257, 303, 322, 468–472, 527, 547, 552, 924, 928, 944 Gewaltmission, direkt 304, 468 Gewaltmission, indirekt 304, 468 Geysa s. Géza Géza II., Kg. von Ungarn 704 ff., 710 f. Ghetto-Bildung 476, 482 Gießen 17, 28, 807, 812, 955 Glaser, Franz 114, 116 f., 144, 765 Glaube, expliziter 252, 312 Glaube, impliziter 252, 312 Glaubenszwang 192, 254, 319, 333, 336, 346 f., 389, 468, 475, 478, 480, 499 f., 522, 529, 536, 670, 917, 930, 943 Glauberg 122, 124 Gnade xxviii, 200, 219, 283, 337, 351, 388, 475, 477, 662, 684, 727, 918 Gnadenlehre 236, 253, 300, 313, 529, 551 Gnadenwahl 304, 468, 913, 915, 918 Gnesen 483, 564, 720 Godefridus capellanus 792 Goldbrakteaten 82 Goldenes Vlies 894 Goten, gotisch 21 f., 53 ff., 65 f., 74, 98, 119 f., 132, 137, 143, 226 Gothelindis 72 Gotland 227, 467 Götterbild 92, 107, 112, 121, 127, 158, 175, 177, 567, 576, s. auch Götzenbild, Idol, Kultbild Gottfried von Bouillon 692 Gottschalk 190–198, 211–214, 220, 222, 230, 394, 414, 472, 575, 578, 588, 715 Gottschalk, Bf. von Minden 715 Götzenbild 96, 103, 106, 109, 111 f., 234, 244, 289, 491, 507, 556, 570, 589, 645, 766, 776 f., 917, 944 Gozbert, Bf. von Würzburg 48 Grabow 813 Grafschaftsverfassung 73, 349 Grangienwirtschaft 100 f. Gras am Kamp 150
Gratian 549 Graus, František 343, 957 Gregor der Große, P. xxiv, 83, 112, 235, 240, 243, 247, 252, 254 f., 259 f., 282, 268, 293, 304 f., 307, 311, 315, 318 f., 326–332, 336, 352, 361 f., 410, 419, 468 f., 477, 493 f., 496, 503, 517, 527 f., 549, 555, 580, 676, 927 f. Gregor II., P. 282 Gregor von Tours 226 Grenzüberschreitung 12, 14, 355 Grifo 368 gród 34, 898 gródzanin 898 Groß Raden 60, 167 f., 175–180 Großmähren 285 Grotius, Hugo 949 Grundherrschaft 220, 605, 609, 619, 841, 858, 860 Gulathingsbók 246 f. Gunther, Bf. von Bamberg 68 Günther, Eremit 615, 950 Günzelin I., Gf. von Schwerin 738, 792, 796–803, 824, 830 f., 835, 845–849, 866, 868, 872 Gurk, Krka 119 Güstrow 860, 869 Guta Lagh 467 Güterkonfiskation 69, 439 f. Hadrian I., P. 363, 383 Hadrian IV., P. 445, 776 Haft- und Prügelstrafen 254 f., 318, 320, 336, 439 Hakon der Gute xxxiv, 223 f. Halberstadt 100, 110, 140, 607 f., 618, 720 Hallfred Ottarsson 227 Hamaland 371 Hamburg 28, 41, 182, 192, 256, 581, 624, 719, 751, 863 Hamburger Domkapitel 258, 323 Handel, Handels- 86, 147, 151, 222, 276, 441, 446, 756, 767, 769, 771 f., 775, 784 f., 790, 818, 822, 828, 840, 855, 857, 861, 863, 866, 869 ff., 898, 900–906, s. auch Fernhandel, Seehandelsplatz Handwerk, Handwerks- 60, 148, 274, 763, 863, 884, 898 Handwerker 126, 217, 763, 814, 900 Hannöversches Wendland xxxix, 62, 76, 100, 110, 146, 183, 200, 846, 855
index Hanse 818, 901 Hansestadt 27 f., 215, 219, 805, 869, 871, 900, 905 f. Harald Blauzahn, Kg. von Dänemark 931 Haraldsson 240, 305, 928 Häresie 289, 315, 321, 420, 440, 442, 540, 555, 646, 916, 926 Häretiker 255 f., 319, 336, 443, 468, 504, 540, 549, 639 f., 647, 649, 918 f. Hartbert, Bf. von Brandenburg 226, 244, 246 f., 472, 482, 511 f., 589–594, 597, 611, 614, 619, 714 Hartwagner, Siegfried 114 Hartwig I., EB von Bremen 673, 679 f., 779, 830 Hausgötter 90 Hausgötzen 99 Havelberg 195, 221, 581–588, 602, 605–621, 624, 679–682, 688, 690, 696 f., 699, 701, 714, 719, 727 f., 760, 829, 915, 933 Havelland 99, 106, 139, 188, 226, 565, 567, 580, 585, 599–603, 696 Hedene 57 Heidenbekehrung, Heidenmission 254–257, 303, 317, 319, 321 f., 326, 328, 349, 361, 498, 521, 530, 538, 545 f., 643, 649, 652, 914 Heidenhund xxv, 298, 354, 398, 562, 651 Heidenkrieg 258, 262, 323 f., 334, 473, 559, 562 ff., 640, 701, 715, 921, 940, 948 f., 953 Heidenpredigt 252, 312, 387, 590 Heil v, xxviii, 105, 206 ff., 212, 226, 229, 234, 287, 294–297, 311, 331, 486, 492, 518, 614, 669, 676, 685, 687 Heilige 241, 406, 468, 471 Heiligenkult 390 Heiliger Hain, heilige Stätte 59, 83, 99, 196, 410, 416, 468, 477, 507, 566, 585 Heiliger Krieg 225, 261, 299, 500, 503, 552, 558, 560 ff., 564, 665, 699, s. auch bellum iustum Heiliger See 98 Heinrich Borwin (Burwy), Fürst von Mecklenburg 245, 850, 861 Heinrich der Löwe xli, 22, 186, 219, 260, 477, 533, 584, 606, 612, 624, 673, 681, 694, 705, 710 f., 719 f., 728, 738, 752, 771, 773, 776–779, 782, 788,
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792 f., 795, 797 f., 800 f., 803, 805–818, 823–854, 858–872, 908, 934, 937 Heinrich Dusemer (Tusmer), Deutschordenshochmeister 904 Heinrich I., Kg. 262, 447, 532, 579 Heinrich II., Ks. 99, 199–203, 470, 483–499, 514–520, 531, 534, 537 f., 543 f., 548, 550, 553 f., 557, 560–564, 575, 587, 922 Heinrich III., Ks. 193, 588 Heinrich IV., Ks. 194, 473, 588 Heinrich V., Ks. 589, 715 f. Heinrich von Antwerpen 567, 572–575, 781 Heinrich von Lettland 233 f., 264, 332 Heinrich von Schatten, Burgvogt von Mecklenburg 801 Heinrich von Segusia s. Hostiensis Heinrich, Bf. von Olmütz 635, 698 Heinrich, Fürst der Obotriten 31, 190, 194, 196 f., 213–217, 219–228, 575, 716 Helgi Hundingsbani 741, 743, 768 f. Heliand 54, 414 Hellweg 365, 369, 374, 378 Helmform 809 Helmold von Bosau v, xxv, 38–42, 91, 107, 109, 129, 154, 156, 179, 191–194, 207, 419, 477, 566, 578, 634, 661, 668, 670–674, 679 ff., 701, 727, 738 ff., 766, 774, 783, 785, 790, 796–804, 812, 825 f., 830–838, 845, 849, 852, 855, 864, 915, 922, 937 Heriger, EB von Mainz 448 f. Hermann I., Lgf. von Thüringen 946 f. Hermann III., Pf. bei Rhein 720 f. Hermannstadt 704, 732 Herrmann, Joachim 146, 161, 165 Herrscherideal 485 f. Hersfeld 715 Hervé (Heriveus), EB von Reims 453 Hessen 48, 54, 369, 432, 807, 936, 953 Heveldi 196 Heveller 188 Hexenprozesse 279 Hezelo von Merkstein 706, 722 ff., 734 Hezilo, Bf. von Havelberg 714 Hildebrand, Ruth 775 Hildebrandslied 186 Hildegard von Bingen 443, 446 Hildesheim 140, 608, 846
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index
Hirsau, Hirsauer Reform 479, 482, 589, 592, 614, 625, 668 f., 699 Hirschlanden 122 Hochdeutsche Lautverschiebung 74 Hohenaltheim 437, 439, 448, 451, 453, 455 Hohensyburg 363, 365, 369 Holstein 26, 28 f., 67, 183, 188, 215, 566, 579, 624, 725, 734, 751, 773, 804, s. auch Ostholstein Holtsaten 416, 478, 679, 733 f., 937 Hostiensis (Heinrich von Segusia) 920 ff., 926 houc 434 f., 447, 461 hougir 434, 450, 454 f., 460 f. Hügelgrab 149, 445 Humbert, Bf. von Würzburg 48 Hundertschaft 437 Hunnen, Hunnisch 65, 102 hunno 437, 463L_ Hüttenberg, Bezirk St. Veit a. d. Glan 114 ff. Ibrahîm ibn Jaʾqűb 64, 159, 751 f., 758, 761, 767 Idealisierung 407 Idol 52, 90–98, 108, 128, 132, 138 f., 141, 170, 174 f., 204, 471, 541, s. auch Kleinidol idolatria 102 idolothita 102 Illyrer 183 Ilow 761, 781, 789, 797 f., 803, 830 f., 834 Imperium Romanum xliii, 126, 195, 259, 274, 277, 307, 323, 326–333, 357, 361, 641, 651 Indiculus superstitionum et paganiarum 396, 439 infidelis 309, 311, 509, 528, 549, 570, 674, 765, 912–914, 917, 926, 938 Ingelheim 346 f. Ingolstadt 367 f. Innerkirchlich 69, 84, 104, 110, 112, 239–243, 251–257, 265, 288, 304, 307 f., 313, 318, 321 f., 326, 333, 336 f., 361, 383, 420, 468, 482, 503 f., 637, 647, 676, 679, 918 f. Innerkirchliche Nacharbeit 84, 99, 104, 110, 253, 257, 261, 308, 313, 315, 322, 337, 414, 420, 505, 637, 676, 679, 827 Innozenz III., P. 443, 638 Innozenz IV., P. 241, 443, 526, 686, 926, 949, 953, s. auch Sinibaldo
Inquisition 318, 330 interpretatio christiana 79, 140, 187, 302, 309, 351, 354, 383, 389, 391 f., 396 f. interpretatio ecclesiastica 103 interpretatio romana 82, 186, 291, 301 Investiturstreit 261, 593, 908 Iren, Irisch, Irland 57, 103, 124 f. Irminsul 110, 350–358, 399 Isidor von Sevilla 507 f. Islam, islamisch xxiii, xxix, xxxiv, 40, 251, 261, 278, 281–288, 299, 390, 396, 418, 473, 691, 950, 960 Island, isländisch 186, 188, 199, 248, 423, 481 Italien, italienisch 31 f., 122, 267, 338, 355, 358 f., 602, 850, 899, 901, 947 Jaffa 524 Jakob von Lüttich, Kardinal von Albano 443, 526 Jaromar, Fürst von Rügen 837 Jaxa von Köpenick 214, 571, 573–576, 600 Jegorov, D.N. 38, 40 f., 185, 193 Jerichow, Kloster/Stift 612, 680 Jerichow, Land 226, 609, 619 Jerusalem, Königreich 261, 692, 694 Jerusalem, Stadt 53, 299, 400, 523, 627, 630 f., 637, 640 ff., 648, 656, 659, 663, 665, 682, 690, 692 ff., 722, 730 f., 936, 941 ff. Jesus 467, s. auch Christus Johannes Duns Scotus 529, 638 Johannes Paul II., P. 406 Johannes XIII., P. 628 Juden xxiii, xxvi f., xxix, 54, 159, 201, 243, 254, 290, 299, 303, 305, 307 ff., 314, 319, 383, 427, 504, 508, 521, 546, 641f., 648, 653, 916, 919, 947 Judenfrage xxiii f. Judenmission 320, 547 Judentum xxviii, xxxiv, 187, 236, 242, 254, 283 f., 287 ff., 298, 300, 307, 318, 390, 418, 508 f., 562, 653, 952 Judenvervolgung, -pogrom 393, 638, 691 Jüdisch xxiii, xxviii, 54, 64, 140, 251, 284, 308, 391, 418 Jüterbog 709, 739 Kaisergesetze 254, 318 Kaiserideal 486 Kaisertum 278, 327, 693, 940, 945
index Kalmar 265, 787 Kamaldulenser 267, 338 Kanoniker 574, 600, 886 Kanonisch 48, 338, 459, 461, 642, 887, 890 Kanonisches Recht 239, 251, 303, 308, 383, 446, 531, 581, 593, 603, 607, 659, 786 f., 795, 825 f., 863, 912 Kanonistik, kanonistisch xxvi, xlv, 189, 192, 225, 236, 241, 250 f., 254, 258, 266, 300, 308, 310, 317–320, 323, 330, 444, 472, 482, 494, 502, 506, 509, 511, 519 f., 526, 539 f., 549, 563 f., 580, 638, 674, 914, 922, 926–929, 934, 947 Karanta 142 Karantanen, karantanisch xxxvii, xxxix, 62 f., 73, 75, 79, 103, 106 f., 113, 131 f., 134–141, 143 Karawanken 137 Kardinaltugend 252, 311 Karfreitagsgebet 331 Karl der Große 22, 34, 48, 52, 73, 102, 108, 140, 145, 184, 195, 209, 211, 240, 257, 246, 305, 322, 332, 334, 343–350, 353–362, 365–369, 371–386, 388, 395, 398–407, 409, 414, 422, 424, 427 f., 435, 440 f., 452–454, 471, 492, 500, 528 f., 536–538, 579, 638, 677, 929 f., 939, 951 Karl III., „der Einfältige“, Kg. 494 Karl V., Ks. 911, 951 Karlmann 73 Karlsburg 378 Karnburg, Krnski grad 135 Kärnten, kärntnisch xl, 62, 81, 93, 106, 113, 115–122, 124–133, 137–139, 142–146, 161, 855 Kärntnerslowenen 77, s. auch Windische Karolinger, karolingisch 47, 73, 78, 101, 106, 110, 112, 241, 317, 346, 353, 362, 364, 366, 368, 384, 387, 417, 421, 425, 442, 447, 451, 480 f., 495, 504, 536 f., 582, 586, 786, 928, 932 Karolingerreich 73, 265, 324, 333 Karolingerzeit, karolingerzeitlich xxxviii f., xlv, 56, 99, 105, 107–110, 133, 140, 330, 389, 391, 401, 436, 439 f., 562, 582, 752 Kasuistik 266, 269, 335, 340 Katechumenat 252, 310, 677 Kaufmann, -leute 154, 158, 174, 207, 222, 270, 274, 341, 357, 771, 773–775, 794, 814, 827 f., 838, 872, 900 f.
995
Kaufmannssiedlung 174, 217, 599, 767, 771 f., 774–776, 828, 862 Kelten, keltisch 81 f., 92, 94, 113, 115, 121–131, 136–139, 143, 183, 193, 223 Keltoromanen, keltoromanisch xxxviii f., xliii, 136 Kessin 766, 836 Ketzer xxiv, 254, 309, 317, 401 f., 427, 503, 646, 923, s. auch Häretiker Ketzerei 442, 452, 503, 509 f., s. auch Häresie Ketzerkreuzzüge 318, 330, 401, 405 Ketzerkrieg 545, 547 Ketzerverfolgungen 279 Keuschheitssünder 256, 320 Kiel xxxviii, 184, 739 Kiew 86, 106, 267, 338, 487, 492, 856 Kilian 57, 449 Kindertaufe 71, 396, 520 Kindertaufpflicht 444 f. Kirchenlatein 100, 189, 193, 204, 606 Kirchenprovinz 104, 108, 111, 140, 187, 195, 197, 435, 446, 607, 611 f., 624 f., 719 f., 829, 960 Kirchenreformbewegung 100, 561 Kirchenspaltung xxxvi Kirchenvater 239, 254, 303, 306, 317 f., 326, 347, 360 f., 383, 389, 468 Kleinidol 90, 101, 156 Klodawa bei Krakau 912 Klosterhaft 440 Klosterrath (Rolduc) 722 Kluniazenser 562, 590, 592, 669 Köln 348 f., 415 ff., 629, 705, 707, 715, 717, 721, 732, 786 Kolonialismus xxxi, xli, xlv, 221, 250, 272, 330, 584, 613 f., 934 Kolonisation, ostdeutsche 25 f., 38, 185, 246, 446, 724, 728, 733 Kolonisatorisch 100, 725, 775 Kolonisatorische Ausbreitung des Christentums 246, 591 Kommunikationsschwierigkeiten 402 Konfessionsspaltung 209, 286 Königtum 223, 228, 278, 446, 451, 453, 562 f., 576, 581, 704, 769, 932 Konrad I., Kg. 431, 437, 438, 447–452, 455 Konrad II., Ks. 205, 476 Konrad III., Kg. 437, 612, 627, 629 f., 636, 655, 657 f., 663, 666, 670, 693, 705, 720–723 Konrad von Feuchtwangen 891 Konrad von Zähringen 719
996
index
Konrad, Mgf. von Meissen 624, 697, 711, 720 Konrad, Pfaffe 396, 490, 683, 922, 938 f., 946, 950 Konradiner 438, 447, 449 Konstantin der Große 304, 320, 327, 331, 347, 411, 492, 537 Konstantinopel 278, 330, 698, 960 Konstanz 193, 434 f., 455 f., 912, 921, 923, 926, 934 Konstanz, Konzil 911, 929 Konversen 886 Koran 299 Krain 137 Krakau 88, 911 f., 915, 918, 922–926 Kreuzfahrerstaaten 261, 481, 701 Kreuzzug, Kreuzzugs- xxix, xxxii, 148, 159, 260 f., 265, 270, 288, 325, 333, 390, 400 ff., 472, 479, 481, 495, 512, 522 f., 525, 530, 563 f., 572, 589, 623, 626 f., 629–701, 703–735, 778, 836, 921, 923, 933–940, 945 f., 948, 953, s. auch Ketzer-, Missions-, Preussen-, Wendenkreuzzug Kreuzzugsidee 599, 639, 661, 671, 683, 691, 693, 932 Kreuzzugspredigt 220, 225, 512, 598, 654 f., 706, 718 Krieg, gerechter 259, 325, 330, 472, 524, 556, 631, 659, 913, 920 f., s. auch bellum iustum Krieg, ungerechter 259, 325, 914 Kriegerisch xxviii, 192, 218, 254, 259 f., 264, 318, 324, 326, 328, 336, 340, 361, 400, 425, 472, 498, 502, 514, 521, 552, 645, 725, 773, 886, 916, 925 Kriegführung 258, 324, 514, 560, 648, 651 Kriegsgrund 259, 325, 330 f., 913–921 Krkavče (Slowenien) 134 Kroaten, kroatisch xxxvi, xl, 33, 75 Krodo 94 Krone 197, 566, 576, 598, 810, 911, 915, 929, 941, 943 f. Krönung 564, 657, 714, 943, 945 Kruto 194 Kultbild, Kultidole 81–86, 89–93, 97–108, 111, 122, 127, 133–135, 138 f., 141, 156, 173–177, 205, 293 Kultform xxxi, 85, 90, 154, 224, 251, 308, 414 Kulthalle 153, 177 f. Kultkreise 176, 765 Kultplastik 128
Kultplatz 59, 88 f., 97, 133, 145, 149, 151–154, 157 f., 165, 174, 764 f., 779, 863 Kultstätte 102, 105, 107, 128, 149, 151, 168, 192, 224, 228, 234, 239, 245, 247, 258, 293, 303, 322, 336, 394, 409 f., 412, 423, 505, 512, 567, 764 Kultusfreiheit 468, 948 Kumanen 706 Kunibert von Köln 348 Kyrill 106 Lahn 386, 955 Laibach 28, 31 ff. Laien xxvi, 3, 10, 41, 84, 112, 158, 194, 249, 277, 438, 450 f., 455, 603, 617, 677, 679, 684, 701, 792 f., 886 f., 890 f., 895, 906, 932, 935 f., 938, 946, 948 Laienbildung 276 Laienseelsorge 591, 887 Lambert von Ilsenburg, A. 592 Landesverweisung 255, 320 Langobarden 74, 355, 399, 745 Las Casas, Bartolomeo de xxv, 911 Latein, (mittel-)lateinisch xli, 39, 41, 53, 56, 69, 76, 83, 100, 102 f., 176, 189, 193, 202 ff., 207, 271, 273, 276–282, 309 f., 354, 360, 395 f., 405, 421, 426, 481, 506, 509, 534, 570, 589, 618, 623, 636, 641, 645, 657, 678, 693, 784, 792, 799, 883, 885, 887, 890, 904, 906, 916, 940, 946 Lateinkirchlich 277 Laten 424 latronus 221, 567, 738, 864 latrunculus 221 Lauenburg 214, 606, 752 Lausitz xl, 90, 183, 624, 711, 720 Lauterhofen 367 f. Lazzen 425–428 Lebus 583 Lehnsverfassung 282 Leitzkau 416, 566, 572, 576, 589 f., 594–603, 605, 609, 612, 619 Lessing, Gotthold Ephraim xxiii, xxx Leuenstadt (bei Lübeck) 800, 815 Lewitz 755 lex 227, 309, 425–429, 523, 554, 916, 947 lex christiana 189, 424, 426 f., 554 lex divina 256, 321, 426, 554 lex Gothorum 427 lex Rom. Visig. 384 lex salica 55, 452
index libertas christiana 325 f. libertas ecclesiae 563, 617 limes Saxoniae 752 Lippe 348, 364 ff., 370 f., 378 Lippeursprung 374, 376 Lippspringe 375, 379 Lissabon 680, 689, 694, 730 Liutici 489, 516, 519, 538, 761, s. auch Ljutizen Liven 204, 295, 527, 568, 664 Livland, Livländisch 204, 233, 235, 264 f., 401 f., 665 Ljubljana 31 Ljubljanica 32, 955 Ljutizen (Lutizen) 179, 212, 214, 226, 267 f., 338 f., 483 f., 489, 491, 493 f., 498, 500–506, 509, 511–522, 529–535, 538–546, 550, 555, 558 ff., 563 f., 586 ff., 615, 764, 909, 950, s. auch Liutici Ljutizenaufstand 196, 208 Ljutizenbund 98, 147, 195, 212, 228, 505, 588, 630 Loburg 589 Lothar von Süpplingenburg, Ks. 197, 226, 424 f., 427 f., 441, 598, 669, 716 Lothringen, Lothringer 617, 668, 705, 707, 714 f., 721–724, 729 Lübbecke 28 ff., 32 Lübeck, Bm. 101, 247, 562, 581, 584, 607, 740, 782, 785, 796, 804, 826 f., 830 f., 837 Lübeck, Domkapitel 804 Lübeck, Stadt v, 27–32, 35, 215, 217, 219 f., 224, 562, 738, 752 f., 773 f., 785, 790, 792–795, 800 f., 805, 813 ff., 817–820, 825, 827, 839, 841, 844 f., 859 f., 864–867, 901, 904, 908, s. auch Alt-Lübeck Lüchow 183 Ludat, Herbert xlvi, 184, 896, 955 f. Ludolf, Bf. von Brandenburg 592, 619 Ludus de Antichristo 629, 683, 940–947, 953 Ludwig der Fromme, Ks. 346, 357, 364, 425, 441 Ludwig II. der Deutsche, Kg. 425, 441 Ludwig VII., Kg. von Frankreich 656, 658, 662, 693 Ludwig, Lgf. von Thüringen 624, 715 Luizo 587 Luna 289 Lüneburg 41, 190 f., 211, 217, 752, 756, 767, 846 Lusizer 75
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Luther, Martin 684 Lütjenburg 734 Luxemburg 704 Madjaren 504 f. Magdalensberg 122 f. Magdeburg xxxii f., xxxviii, 140, 159, 182–187, 195, 267, 338, 343, 415 f., 472 f., 479, 482, 510, 533, 552, 558 f., 563, 586 f., 591, 594, 602 f., 605–612, 615–620, 623–628, 636, 662, 679, 697 f., 705–711, 714, 719 f., 731 f., 751, 790, 850, 908, 923, 935 Magdeburger Domschule 267, 338 Magdeburger Domstift 512 Magdeburger Entwurf bzw. Kreuzzugsaufruf 512, 522, 532, 534 f., 572, 713, 733 Magdeburger Johanniskloster 589 f. Magdeburger Konvent s. Magdeburger Moritzkloster Magdeburger Marien- oder Liebfrauenstift 591 Magdeburger Moritzkloster 474, 583 f., 592, 594, 617 Magdeburger Recht 731, 856 Mähren 90, 606, 720 Main- und Regnitzwenden 303, 467 Mainfranken 437 f., 447, 452 Maingebiet xxxix, 60, 70, 434, 447 Mainslawen 69 Mainz xli, 100, 108, 140, 209, 379, 434 f., 450, 586, 607 Mainzer Sprengel 587 Malbergische Glossen 55 f. Malchin 694, 697, 860 Malchow 694, 697, 766, 798, 803 male christianus 190, 315, 420 marchio 212, 218, 248, 437, 449, 568, 575 f., 691 Maria von Bethanien 688 Marienburg, Malbork 443, 901 Marken 73, 75, 99, 101, 140, 257, 263, 332, 373, 470, 475, 482, 533, 545, 581, 586, 607, 655, 728, 850, 925 Mars 186, 289 Mars Latobius 127 Martha von Bethanien 688 Martin 391 Märtyrer, Märtyrertod 192, 267, 314, 339, 382, 419, 484, 544, 903 Marxismus 405 Massentaufe 196, 261, 358, 363, 374, 379, 387, 392
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index
Mathilde, Tochter Heinrichs d. Löwen 850 Maurikios 63, 162 Mauritius 334, 489 Mecklenburg, Burg und Ort 41, 751 ff., 757, 760, 770, 774, 778 f., 781, 791, 797 ff., 801, 825, 829, 841, 855, 857 f., 863 f., 869 f. Mecklenburg, mecklenburgisch, Land xxxix, xli, 38, 60, 137, 152, 167 f., 180, 186, 188, 195, 245, 533 f., 582, 586, 588, 670, 740, 745–747, 750–753, 756–760, 762 ff., 770 f., 774, 779 ff., 790, 802, 807, 813, 816, 824, 829, 833, 851, 858, 861, 868–872 Mecklenburg-Vorpommern 91, 93, 586, 793, 872 Mehrköpfigkeit, mehrköpfig 92, 121, 128 f. Meinfried von Brandenburg 197, 588, 590, 598 Meinfried von Magdeburg 588 Meinward, Bf. von Meißen 720 Meißen, Bm. 72, 95, 581, 585, 607, 688, 715 Mendikanten 881 Menkendorf 164 Menschenopfer 151 f., 154, 194, 208, 416, 530 Menschenrecht 919 f. Mercur 186, 289 Merowinger 47, 323, 364, 386, 685 Merseburg 98 f., 199, 201–205, 248, 410, 475 f., 488, 498, 513, 533, 584, 607, 715 f. Messina 524 Method 106 Metzer Annalist 372 miasto 896, 898 mieszczanin 896–899 Mieszko I., Hz. von Polen 335, 492, 517 milita christi 507, 650, 884 Millstatt 106–108, 139 Milzener 75 Minden 715 Minderrecht 250, 259, 325 Ministerialität 792, 894, 905, 907 Mißbrauch, ideologischer 329 Missionar 39, 57, 110, 112, 133, 141, 145, 187, 238, 243, 249, 268, 294, 300, 307, 372, 392, 394, 410, 420, 471 f., 474, 484, 496, 498 f., 530, 551, 597, 701
Missionarische Verkündigung 252, 284 Missionsarbeit 84, 238, 241, 253, 267, 298, 302, 306, 319 f., 326, 338, 353, 420, 472, 482, 485, 492, 519, 543, 546 f., 562, 575, 689, 697, 923, 925, 930, 948 Missionsaufgabe 188, 235, 244, 544 Missionsbefehl 235, 250, 269, 298, 331, 340, 544 Missionsbegriff 504 Missionsgeschichte xxiv, xliv, 181, 196, 202, 204, 229, 233–238, 241, 256, 259, 264, 270–273, 280 f., 284–290, 297, 301–303, 307, 310, 321–327, 383, 386, 394, 409, 417, 481 f., 487, 567, 575, 646, 932, 950 Missionsidee 234, 928 Missionskatechese 399 Missionskrieg 262, 333, 350, 405, 504, 523, 935 Missionskrieg, direkter 261, 263–365, 328, 332, 334 f., 337, 341, 362, 469, 495, 499, 501 f., 525 f., 528 f., 535–538, 543, 546, 626, 911, 919, 924, 928 f. Missionskrieg, indirekter 260 f., 263 f., 268, 328–333, 336, 339, 361, 469, 475, 481, 497, 501–505, 522, 528 f., 532–538, 543, 545, 548 f., 551 f., 559, 684, 925, 930, 944, 948 Missionslehre 238, 466 Missionsmethode 192, 287, 387, 389, 637, 670, 912 Missionsmittel 340, 362, 525, 544 Missionspflicht 403, 471, 474, 477 f., 496, 566, 580 Missionspluralismus 285 Missionspraxis 249, 253, 313, 465, 675 Missionspredigt 248, 287, 917 Missionsrecht 259, 267, 325, 339, 912 Missionsziel 83, 307, 362, 392, 394, 419, 466–468, 474, 944 Missionsziel, negativ 99, 110, 112, 197, 238, 242 f., 258, 302, 306, 322 f., 480–482, 500, 526, 538, 541, 924 Missionsziel, positiv 102, 104, 238, 242 f., 257 f., 302, 306, 318, 322 f., 352, 480–482, 497, 526, 538, 924, 950 Mistizlaw, Slawenfürst 760 f., 779 Mokoš 155 f. Mölln 752 Mönchtum 353, 881, 883, 887, 892 Moritschanergau 226 Mose(s), Prophet xxxi, 352, 426
index Mösel am Oberwietingberg 133 Moselfränkisch 704, 732 Moskau 86 Mozart, Wolfgang Amadeus xxx Muhammed 289, 299 Münchhausen, Karl von 95 Mysterienreligion 290 Mythos 81 Na‘qûn 751 Namenschristentum 242, 306 Napoleon 1, 22, 279 natio, nationes 40, 70, 191, 434, 448, 450, 458 f., 512, 534, 623, 637, 643 f., 645, 647–651, 680, 723, 725 Nation (auch Nationalität, Nationsbildung) xxiii, xxxvi f., xl, xliv, 22, 61, 76, 100, 136 f., 163, 184, 277 f., 530, 623, 707 Nationalbewußtsein 22 f., 184, 209 Nationalhass 270, 501 Nationalismus xli, xliii, 15, 19, 25, 42 f., 163, 959 f. Nationalistisches Prinzip 16, 950 Naturaltauschwirtschaft 275, 904 Naturheiligtum 90 f. Neophyten 257, 322, 324, 326, 392, 401, 673 Neophytenseelsorge 256 f., 321 f. Nestorchronik 86 Nestorianisch 273 Neuböhmen 76 Neubrandenburg 91, 93, 180, 764 Neue Welt xxv, 286 Neues Testament, neutestamentlich 250, 290, 467, 642, 645, 653, 688 Neumünster (Holstein) 215, 220, 416, 668 Neustämme xxxix, 185, 733, 735, 851 Neuzeit xxxv, 241, 271, 275, 279, 285, 542, 547, 749, 756 Nibelungenlied 809 Niederländer, Niederländersiedlung 608 ff., 709, 712 f., 716, 734 Niederlothringen 722 Niedersachsen, niedersächsisch 50, 137, 183, 344, 592, 614, 868 Nienburg a. d. Saale 100, 479, 618, 624 f. Niklot, Fürst der Obotriten xlii, 22, 185 f., 477, 533, 632, 773 f., 779 f., 797, 799, 801, 803, 816, 823, 834, 839, 848, 851, 864 Nikolaus 58
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Nikolaus Breakspeare, Kardinal 445 f., s. auch Hadrian IV. Nimwegen 378 Nithard 424 f., 427 ff. Norbert von Gennep (von Xanten), EB von Magdeburg 591, 616, 697 Nordafrika 286, 745 Nordgermanen 83, 223, 466 Nordhausen 100 Nordliudi 357 Nordmark 568, 589, 711 Nordwestslawen (-slawisch) 60, 92, 147, 152, 167, 177, 185, 203, 759, 763, 765 Noricum 126 f. Normandie 136, 442, 735 Normannen 442, 453, 735, 808, 953 Northumbrien, northumbrisch 296, 362, 370 Northumbrischer Annalist 363, 369, 371 Norwegen, norwegisch xxxiv, 35, 193, 223 f., 240, 246, 256, 265, 305, 320, 333, 444 ff., 546, 566, 928, 931 f. Nötigung, indirekte 192, 240, 242, 259, 269, 305 f., 318, 328, 336, 340, 468, 478, 500, 913 Oberfranken, oberfränkisch 45, 47, 54, 57 f., 61–68, 72–75, 101 f., 110, 450 Obermain xxxix, 45, 49, 73, 75 f. Obermarsberg 363 Oberpfalz 101, 110, 367 Obotriten, obotritisch xlii, 75, 137, 167, 172, 179, 188 f., 194–198, 205–208, 211–215, 219 f., 226–228, 258, 269, 323, 465, 500, 505, 506, 513, 550 f., 555, 557, 575, 578, 588, 715, 746, 748, 752, 758–761, 764, 773 f., 786 f., 797 f., 802, 824, 835, 846, 855, 857, 862, 869 obywatel 896 f. Oder-Neiße-Linie xl, 22, 42 Oderslawen 22 Odo 494, 657 Ofen, Buda (Teil von Budapest) 912 Offenbarungsreligion 287 Olaf Haraldsson, der Heilige 240, 305, 566, 928 Olaf Tryggvason 193, 227, 240, 305, 928 Oldenburg in Holstein 67, 92, 189, 219, 224, 247 f., 562, 581, 607, 734, 751 f., 758, 760, 782, 825–831
1000
index
Oldenstadt 100 Opfer 60, 102, 105, 111 f., 150–160, 170, 174–176, 194, 205–208, 215, 222–227, 292, 295, 351, 416, 454 f., 461, 484, 490, 530, 566, 673, 943 oppidum 783, 786 f., 790, 800 Orakel 180, 672 Orden 241, 249, 267, 277, 338, 376, 443, 510, 532, 577, 591–594, 604, 612–620, 627, 640, 697, 719, 727, 777, 881–908, 933 Ordensklerus 277, 904 Ordensritter 881–886, 892–894, 899, 904–907, 924, s. auch Ritterorden Ordo de catechizandis rudibus 396 Orient 158, 261, 275, 278, 281, 284 f., 481, 523, 530, 562, 625–630, 637, 643 f., 650 f., 657, 660, 662, 666, 696, 714, 719–724, 729, 948, 953 Orthodoxie, orthodox 281, 405, 666 Ostalpenraum xxxix, xlv, 51, 63, 73, 122, 126, 137, 139, 161, 739, 851, 957 Ostbaltikum 275, 285, 401 Ostdeutschland 25, 37, 562, 633, 733 Ostelbisch 25, 33–37, 226, 330, 332, 416, 532, 452, 589, 608, 611, 623, 643, 649–652, 663, 714, 731, 744, 776, 851, 923 Osterland 257, 321, 434 Österreich xliii, 28, 31, 88, 124, 136, 606, 710 Ostfalen 267, 338, 357, 495, 608 Ostfranken 376, 437, 450–453, 606 Ostfränkisch-deutsches Reich 344 Ostholstein 109, 247, 534, 588 Ostkirche 103, 106, 139, 264, 273, 277, 285, 287, 636 Ostkolonisation 25 f., 185, 246, 728, 733 Ostpreußen 267, 339, 711, 959 Ostseegermanisch 36 Ostseeslawen, ostseeslawisch v, 34 f., 137, 145, 158, 222, 225, 260, 295, 297, 390, 630, 659, 784 Ostsiedlung 41, 747 Oswald 193 Otfrid 56 Otto I. der Große, Ks. xli, 159, 263, 447, 473, 481, 499, 505, 537, 579 ff. , 584, 592, 601, 605, 607, 617, 829 Otto I., Bf. von Bamberg 129, 203, 253, 263, 312, 466, 474–476, 676, 689, 701 Otto II., Bf. von Bamberg 247 Otto II., Ks. 498, 513 f., 556
Otto III., Ks. 267, 338, 514, 517, 542, 552, 561, 587 Otto IV., Ks. 793, 838, 840 f., 858 f., 861 Otto, Gf. von Ballenstedt 715 Ottonen, ottonisch 47, 49, 140, 189, 196, 246, 260, 330, 333–335, 354, 365, 437, 466, 559, 562, 582–585, 602, 617, 684, 687, 935 Ottonische Reichsmission 474 f. Pactus 459 Paderborn 102, 346, 356, 365, 369, 373, 377 f., 381 f., 384–387, 391, 393 f., 398–401, 441 Padua 912 paganus, pagani, paganismus 90, 100, 103, 110, 192, 212, 248, 256, 263, 267, 288, 303, 309 f., 315 f., 321, 338, 363, 396, 418, 421, 428 f., 439, 467, 471, 481, 490, 492, 499 f., 504, 506–519, 528, 530–539, 542 f., 546, 551, 561, 564, 568, 572, 589, 596, 626, 628, 635 f., 641, 645, 669, 675, 681, 714, 728, 776, 913, 923 Palästina 261, 512, 523, 680, 706, 730, 921 Pannonien, pannonisch 64, 105, 138, 368 Pannonische Legenden 106 Papsttum 278, 400 Parchim 179, 756, 767, 861, 863, 869 Parzival 678, 951 Paschalis II., P. 523 Passau xxxviii, 504 f. Patristik, patristisch 193, 205, 236, 238, 288, 299, 302 f., 309, 418 f., 527, 631, 650, 883 Paule, Bretagne 124 Paulus Alvaro von Cordoba 530 Paulus Diaconus 186 Paulus Vladimiri von Krakau 481, 725, 909–952 Paulus, Apostel 426, 653 Pavia 355 Pelagius I., P. 503 penitentia 315, 553, s. auch Pönitenz peregrinum sacrificum 154 f., 207 perfidus, perfidia 309, 332, 356, 360, 374, 528, 551, 568, 675, 938 Periodisierung 272 f., 280, 285 f. Personalitätsprinzip 140, 436 Perun 86, 111, 130, 135 Petershausener Chronik 630, 695 f.
index Petrissa 220, 580, 600, s. auch Petruscha Petrus Venerabilis, A. von Cluny 289, 427 Petrus, Apostel 391, 426, 486, 491, 493, 496, 509, 516, 625, 648, 916, s. auch St. Peter Petruscha 565, 568, s. auch Petrissa Petschenegen 267, 338, 487, 498, 501, 544 f. Peutingersche Tafeln 357, 364 Pfarrsystem 387 Phasenverschiebung 73, 77, 184, 280, 341, 908 Philosophie 290 Pilgrim von Passau 505 Pippin I., Kg. 349, 372, 440 Pippin, Sohn Karls d. Grossen 930 Plate 755 f. Pleterski, Andrej 111, 117, 149, 955, 959 Plön, Plöner See 224, 668, 672, 734, 740, 796, 800 Poeta Saxo 356 Pöhlde 257, 322, 421, 447, 572, 725 Pöhlder Annalen (Annales Palidenses) 257, 322, 572, 693, 701, 725, 727 Polaben 107, 156, 737, s. auch Dravänopolaben Polen xxxvi, xl f., xliii, 22 f., 40, 64, 91, 158, 183, 185, 195, 248, 256, 263, 267, 320, 327, 335, 338, 470, 475, 483 f., 489 f., 493, 513 ff., 533, 553, 558, 560, 564, 586 f., 600, 636, 659, 908, 910 f., 926, 928 f., 959 Pollenanalyse 160, 164, 741, 751 Polnisch 11, 22 f., 33, 41, 88, 90, 214, 264, 267, 333, 339, 484 f., 514, 524, 554, 560, 572, 583, 587, 630, 636, 720, 744, 846, 893, 896–899, 910 f., 915, 926, 953, 957 ff. Pommern 203, 263, 586, 636, 689, 697, 753, 761, 820, 836, s. auch Vorpommern Pomoranen, pomoranisch 129, 134, 176, 226, 248, 263, 475, 682, 689, 694, 777, 835 ff. Pönitenz 256, 311, 321, 463, 549, 553, s. auch penitentia Pönitenzverweigerer 255, 259, 320 f., 326, 503, 553 populus 71, 389, 454, 531, 538, 631, 934 populus Dei 508
1001
Porenut 129 Poreuit 129 Portugal, portugiesisch 286, 694, 710, 729 f. Prag, Praha 40, 912 Prämonstratenser 220, 257, 322, 421, 510, 561, 566, 572, 575, 577, 579, 591–604, 612, 615–621, 629, 683, 697–701, 719, 725, 886, 933 Predigt mit eiserner Zunge 240, 257, 305, 322, 382, 414, 465, 538, 914 Predigt xxvi, xxxii, 91, 193 f., 220, 225, 248, 252 f., 259, 264 f., 267, 269, 283, 287, 311 f., 319, 328 f., 336 ff., 353, 362, 387, 389, 394, 471, 474, 487, 494, 496–501, 512, 551, 590, 598, 626, 634, 643–655, 660, 664, 676, 686 f., 706, 718, 776, 887, 917 f., s. auch Heidenpredigt, Missionspredigt Preußen 256, 267, 325, 339, 401, 443, 485, 528, 711, 881, 886, 890, 892, 894, 896, 900 f., 904 ff., Preussenkreuzzüge 265, 399, 401 f. Pribignew 190 Pribislaw, Niklots Sohn v, 247, 477, 799, 803, 834–839, 842, 844, 849 ff., 866 Pribislaw-Heinrich 197 f., 212 ff., 218–225, 228, 230, 565, 567–576, 580, 598 ff., 667 Pribron 589 Priester 38, 84, 109, 129, 154, 158, 179 f., 193 f., 198, 207 f., 210, 215, 219 f., 220, 223–228, 233 f., 246, 257, 270, 283, 315, 321, 335, 341, 387, 391 ff., 396 f., 459, 461, 463, 477 f., 501, 511, 517, 551, 565, 581, 593, 595–599, 605, 615, 648, 668, 670 f., 678, 682 f., 699, 707, 726, 740, 774, 801–804, 826 f., 834, 864, 886–892, 931, 939 Priesterschaft, Priesterstand, Priestertum xxxi, 155, 179, 223 f., 228 Priwina 505 Prokop von Caesarea 744 f. Protestanten, protestantisch 279, 419, 675, 679 Provinzialromanen, -romanisch 63, 131, 275 Prudentius von Troyes 429, 752 Prußen (Prussen) 267 f., 339, 376, 382, 443 f., 484, 493, 498, 501, 516 f., 526, 532, 534, 544 f., 636, 664, Prußenmission, -bekehrung 491, 516, 519
1002
index
Pulcawa 565, 567 f. Puritaner xxv, 452 Quadragesima 460 f., 882 Quatember 461 Quedlinburg 514 f., 560 Quedlinburger Annalen 560 Quetzin 798, 803 Quierzy 256, 359 f., 371, 384 Radanzgau 45 Radogost-Rethre 210, 212, 225, s. auch Rethra, Riedegost Raimund von St. Gilles 692 f. Ralswiek 145–165, 174, 177 Ranen 147, 154, 206 Rationalismus 278 Ratzeburg 107, 156, 224, 260, 581, 606, 612, 773, 778, 785, 789, 798, 804, 806, 809, 825, 827, 829, 831, 837 Ratzeburger Zehntregister 476 Räuber 211, 221, 673, 738, 864 Ravenna 427, 698, 719 Rechristianisierung 191, 256, 267, 321, 338 Rechtstradition, imperiale 317 Rechtstradition, kirchliche 399, 620 Reconquista xxix, 261 Redarier 473 Redwald, Kg. von Ostanglien 227, 391 Reformation 182, 271, 276, 278, 415 Regensburg 101, 357, 368, 786, 906, 938 Regino von Prüm 433, 455 Regionalbarbaren 121 Regnitz, Regnitzwenden xxxix, xlv, 76, 303, 467, s. auch Main- und Regnitzwenden Regularkanoniker 591 Reichsannalen 363, 370 f. Reichsheiden 331, 564 Reinfeld (Diözese Lübeck) 101 Reiterbild 807 f., 813, 841, 872 Rekatholisierung 256, 321, 504, 540, 544 ff., 559 f., 919 Rekatholisierungskrieg 503, 542, 548 f., 556 f., 561 Religion s. Gentilreligion, Universalreligion Religionsgemeinschaft 209, 293, 521, 956 Religionsgeschichte xxiv, xxxiii, xlv, 83, 98 f., 108, 115, 128, 130, 133, 141, 145, 156, 168, 181 f., 186, 198, 204 f.,
216, 223, 229, 288, 302, 339, 387, 415, 418, 421 f., 428, 431, 454, 574 f., 613, 766, 780, 861 Religionspolitik xxiv f., 101, 217, 221, 296, 316, 376, 399, 401, 422, 441, 453, 476, 565–576, 600 Religionstyp, -typologie 230, 290, 293 Religionswissenschaft 168, 230, 287, 388, 418 Renaissance xxix, 122, 271, 278, 314, 418 Restgermanen 160–164, 744, 746 Restslawen 185 Rethra 91, 152, 158, 167, 210, 764, s. auch Radogost Rhein, Rheinland 349, 357, 386, 561, 584 f., 587, 705, 721, 723, 907 Rheinbund 279 Ribuarisches Recht 450 Richard I., Hz. der Normandie 253, 313 Richard Löwenherz, Kg. von England 524, 693 Riedegost/Rethra 91, 764, s. auch Radogost Riga 233, 568, 904 Ritterorden xxvi, 241, 256, 261, 265, 325, 333, 443, 528, 563, 640, 881–908, 911, 919, 922, 928, 932, 949 Rittertum 561, 683 f., 891, 893–896, 938 f., 950 Ro(e)skilde 149, 785 Roggen 161, 164 Rolandslied des Pfaffen Konrad 396, 683, 922, 939 f., 946, 949 Rolduc 733 Rom xxxix, 106, 209, 274, 278, 317, 444, 446, 561, 593, 602 f., 636, 679, 727, 745, 903, 912 Romanen, Romanisch xxxv, xxxvii ff., xliii, 45, 56, 62, 74, 126, 136 f., 142, 161, 183, 226, 275, 393, 434, 613, s. auch Provinzialromanen Romania Germanica xliii, 145, 163 Romantisch xxxvii, 136 Römer xxiv, xxxii, 118, 121 ff., 139, 259, 291, 301, 326, 330, 483, 746 Römerreich, römisches Imperium xxxviii, xliii, 195, 307, 331, 346, 357, 361, 405, 467, 641, 942 Römischer Imperialismus 304, 331 f. Römisches Kaiserrecht 304, 317, 383 f., 436 Romuald 267, 338, 561 f.
index Roquepertuse (bei Aix-en-Provence) 122 Rostock 841 f., 861, 869, 871 Rothenburg 437 Rouen, Konzil von 432 f., 438, 457 Rudolf, Bf. von Halberstadt 720 Rügen 89, 128, 134, 145–165, 174, 206 f., 210, 216 f., 225, 269, 390, 669, 765, 775, 778, 785, 836 f. Rugievit 128 f. Rujanen 147, 194, 206 f., 215 f., 226 Rußland 64, 86, 277 f., 327, 405 Saalfeld 100 Sachsen, sächsisch v, xxxv, xl, xlv, 48, 55, 57, 75, 96, 99 f., 140 f., 172, 182 f., 190 f., 194 f., 199 f., 204, 207–216, 221–225, 230, 247, 262, 265, 267, 279, 288, 305, 316, 333–338, 343–429, 441, 451, 465, 469–473, 476–480, 484, 496, 506, 509, 512 f., 518, 536 f., 542, 544, 548, 555, 559–568, 571 f., 575, 579–583, 586–592, 598 f., 608, 616, 623–631, 659, 667–671, 677–683, 687 ff., 695 ff., 700, 703–716, 720–723, 728 f., 732–735, 767, 773, 781 ff., 786, 802 f., 808, 824 f., 836–840, 844, 862–868, 930–937, 946 Sachsen-Anhalt 183, 226, 267, 338, 805 Sachsenherzog 186, 191, 194, 197, 624, 710, 716, 719, 780, 844, 858, 872 Sachsenkaiser 436, 475, 505 Sachsenkriege 264, 345 f., 365–368, 382 f., 400 f., 473, 495, 528, 536–538 Sachsenmission 52, 110, 240, 257, 305, 317, 322, 332, 372, 386, 396, 409, 411, 416, 480, 929 Sachsenspiegel 186, 850 Sächsische Weltchronik 727 Saga 186 Saint-Symphorien 124 Sakralarchitektur 178 Sakrament 84, 100, 236, 249, 253–257, 268, 300, 313, 319, 322, 340, 388 f., 392, 397, 420, 429, 442, 503–507, 511, 520, 525, 580, 671, 674–677 Sakramental 276, 283, 317, 337, 351, 388 f., 402, 539, 677, 827 Salisches Recht 450 Salomo III., Bf. von Konstanz 455 f. Salzburg 103–110, 140, 279, 432, 504, 723, 960 Samo 64 ff., 73 Sarazenenkrieg 556
1003
Sarmaten 25 Šašel, Jaroslav 957 Saxnot 292, 391, 396 f. Saxo 128 f., 134, 206, 781–799, 803 f., 822, 831 f. Schädeldeformation 65 Schelfe (heute Stadtteil von Schwerin) 749 f., 753, 766, 816, 819, 822, 832, 840, 847, 862 Schiller, Friedrich xxx f. Schirdigberg 59, 78 Schismatiker 254, 317, 503, 640 Schkeitbar 196, 410, 585 Schläfenringe 31, 51 Schlesien 23, 26, 90, 711 Schlesinger, Walter xlvi, 697, 708, 933, 957 Schleswig 41, 262, 787 Schlitz 415 Schmielau 214 Scholastik, scholastisch 259, 325, 902, 922, 948 Schönburg 279 Schriftkultur 283 Schriftlosigkeit 82 Schwaben, schwäbisch 55, 57, 451, 695, 704, 714, 719, 721 ff., 729, 850 Schweden, schwedisch 35, 227, 247, 265 ff., 339, 482, 485, 493, 544, 665, 667, 678, 931 Schwedt 582 Schweizer 136 Schwerin, alter Friedhof 780 Schwerin, Bm. 269, 742, 785, 794 Schwerin, Burg und Ort xli f., 91, 224, 245, 248, 581, 737–879 Schwerin, Dom 787 ff., 846 Schwerin, Domkapitel 787, 817, 870 Schwerin, Domstift 789 Schwerin, Stadtsiegel 784, 804–814, 846, 868, 878 f. Schwertbrüderorden 264, 928 Sclaui, Sclavi 25 f., 36, 38, 48, 70–73, 77, 375, 434, 448, 450, 458, 476, 560, 566, 568, 628, 635, 668, 675, 682, 726–730, 752, 781, 789 f., 825 s(c)lavus 31, 42 Seehandelsplatz 148, 151, 155, 162 Seelsorge 84, 110, 220, 235, 243, 254–258, 283, 298, 307, 313, 317–322, 337, 361, 392, 420, 482, 517 f., 541, 548, 584, 590–593, 600, 605, 611, 614 ff., 619, 646, 672, 676, 699, 827, 886 f.
1004
index
Segeberg 734 Sendgericht 253, 256, 313, 320, 415, 438, 451 Sendrecht 431, 439, 447, 450–456, 464b, 597, 610 Sepúlveda 911 Serben xxxvi f., 75 Shiva 89, 94 Sido 216 Siebenbürgen 703–708, 711 f., 718, 723, 730–735 Siegelbild 805, 807, 810 Sigtuna 787 Sigurd der Jerusalemfahrer 265 Sinibaldo Fieschi 241, s. auch Innozenz IV. Sittenlehre 84, 252, 312 Siwa 107, 156 Skalpieren 256, 320 Skandinavien, skandinavisch 86, 92, 131, 147 f., 154 f., 186, 248, 250, 279, 284, 390, 445, 741, 769, 773, 784, 931 f. Skandinavier 136, 154, 158, 184, 344 Sklavenhandel 186, 769, 855 Slavia Germanica xliii, 163 Slavistik, slavistisch xxxvi, 27, 33, 35 Slavus s. sclavus Slawen, slawisch v, xxv, xxxv–xlvi, 22–45, 48–52, 60–116, 121, 126–167, 170, 172, 175–180, 183, 187 f., 197–207, 210, 213, 217, 222–223, 245, 248, 255, 260, 263 f., 275, 278, 283, 291, 295 ff., 320, 330, 334, 354, 357, 368, 376, 390, 412, 416 f., 421, 431, 434 ff., 448, 450–455, 459, 465 f., 470–477, 481, 489, 502, 505, 533, 537, 552, 555–559, 562, 565, 568 f., 579–588, 598, 605, 608, 634–636, 659, 668, 671, 673, 677, 682, 684, 689, 706, 728, 734, 738 f., 743–747, 751, 759–764, 767 f., 773 ff., 781, 784, 792, 797–803, 816, 824, 829 ff., 842, 847–851, 855 ff., 862 ff, 871, 904, 922, 930, 950, 957, 960, s. auch Wenden, wendisch Slawenaufstand von 983 99, 135, 140, 195, 579, 714, 719 Slawenkirchen 52, 448, 454, 580 Slawenmission 107, 112, 410, 465, 469, 473, 475–479, 501, 550, 560, 592, 909–914, 923 f., 927, 950 Slawenzehnt 461 Slawische Sprache xxxvi ff., 31, 34 f., 40, 62, 183, 193, 586, 743–747, 751, 960
Slawistik, slawistisch s. Slavistik, slavistisch Ślęża 94 Slowakei 90 Slowaken 184 Slowenen, slowenisch xl, 31 f., 40, 77, 135–138, 143, 529, 855 Slowenien 134 Smålandkreuzzug 265 Soest 348, 364, 845 Sölle, Dorothee 8 f. Sorben, sorbisch xxxvii, xl f., 22, 34, 74–77, 96 ff., 183, 188, 240, 257, 410, 500, 505 f., 509, 519, 526, 532 f., 925 Spanien, spanisch 64, 94, 186, 286, 320, 367 f., 524, 530, 547, 606, 631, 641, 730, 884, 925 f., 949, 953 Spanienkreuzzüge 730 Spätmittelalter, spätmittelalterlich 32, 75, 98, 140, 149, 258, 279 f., 324, 753, 775, 849, 856, 882, 899 f., 903, 910, 922 Spinoza, Baruch (Benedikt) xxx Sprachbarriere 52, 393 Sprachwechsel 66 St. Adalbert s. Adalbert von Prag St. Gallen 559, 645 St. Magarethen-Etterndorf 127 St. Martin am Silberberg (Torso) 81, 113–144 St. Peter 225, 410, 516, 566, 596, s. auch Petrus St. Peter zu Leitzkau 566 St. Walburgen 119, 592, 616 Stade 190, 590, 815, 859 Stadtbürgertum 276, 864, s. auch Bürger, Bürgertum Städtewesen 274 f., 345, 738, 771, 784, 791, 795, 829, 897 f. Stadtgrundrissforschung 815 Stadtgründung 738, 773, 784, 786, 789, 794, 800 f., 804 f., 813 f., 817, 819, 822, 827 f., 831, 833, 838 f., 845–849, 857 ff., 862, 867, 870, 874, 906 Štalenska gora 123, s. auch Magdalensberg Stammesherzogtum 451 stanica 484, 489 Starigard 67, 751 Starigard-Oldenburg 67, 92, 477, 566, 760 St-Clair-sur-Epte 442, 453 St-Denis 380, 393, 656, 662 Stedinger 401, 545
index Stefan Harding, A. von Cîteaux xxvii Steller, Walther 25–28, 31–43, 182 Stellinga 415, 417, 424–428, 441 Stettin (Szczeczin) 129, 203, 205, 227, 476, 689 f., 694, 696–699, 720, 728, 787 Stoderaner, stoderanisch 188, 196, 205 f., 211, 218, 220, 228, 412, 565, 567 f., 570–574 Stodonarisch 335 Stör 753, 755 f., 767, 866 Stulp 795 Sturmi (Sturm), A. von Fulda 353 f., 356, 394 Suardones 746 Suarines, Suarini 744–747, 771 subjugare, subjugatio 472, 532, 534 Subspätantik 279 Substrat xxxvii ff., xliii, 63, 75, 82, 92, 121, 131, 136, 139 Suk (Žuk), Slawe in Schwerin 760, 781, 840, 846 f., 851 Sukow 846 f. Sukzession, apostolische 283 Sünder 256, 309, 320 f., 486, 488, 510, 519, 540, 643, 647 Supan 72 Superstrat xxxvii, 136 Süsel 734, 799 Svarinshaug 759, 768–771 Svarožic 134, 207, 489, 504 f., 521 Swantewit 89, 128, 132, 134, 147, 156, 201, 206 ff., 222, 292 Swarog 92 Swen Estridsen, Kg. von Dänemark 191 Swen Gabelbart, Kg. von Dänemark 769, 931 Synkretismus, synkretistisch xxxi, xxxiv, 69, 77, 81, 102, 106, 127, 142, 206, 228, 250, 288, 388, 391 ff., 397, 423, 442 Synode, synodal 431 ff., 435, 437, 439, 446, 448 f., 458, 461, 602, 793, 842 ff., 930 Syrien 523, 641, 680 Szczeczin s. Stettin Szekler 496, 500, 505 Tacitus 186, 223, 745 f., 771 Tankred 692, 605 f. Taschenidole 99, 110 Tassilo III., Hz. von Bayern 367 f. Tatarisch 66
1005
Tatmission 83 f., 110, 112, 140, 284, 293, 315, 352, 394 f. Taufakt 112, 249, 253, 313 ff., 349, 467, 672 Taufbefehl xxvi ff., xxxiv ff., 236, 264, 287, 299, 677 Taufe v, xxv f., xxviii, 84, 86, 90, 190, 196 f., 234, 239 f., 249, 252 f., 258, 260–270, 283, 289, 303–317, 323, 334–340, 345, 349, 352, 355, 358, 361, 363, 374 f., 379, 387–396, 419 f., 423, 427, 442, 444 f., 468 f., 472, 477, 479, 482, 490, 499, 501–504, 508, 519 ff., 525–529, 543, 546, 580, 600, 611, 637, 641, 674–678, 681, 727, 776, 913, 915, 919, 924, 945, 947 Taufempfang 253, 265, 313, 332, 419 f., 478, 539, 559, 671, 924, 931 Taufentschluss 112, 240, 305, 307, 581 Taufgelübde, Taufgelöbnis 83, 100, 105, 110, 254, 268, 303, 317, 336, 340, 384, 392, 395 f., 467, 472, 507, 540 f., 673 f., 679 Taufverweigerer 262, 528, 569, 671 Taufvollzug 236, 246, 254, 262, 298, 317, 351, 361, 375, 778 Taufvorbereitung 361, 392 f., 827 Taufzwang s. Zwangstaufe Tempel 53 f., 127, 153, 158, 167–180, 227 f., 240, 289, 305, 412, 468, 599, 641, 759, 765, 943 Templerorden 883 f., s. auch Ritterorden Tervigant 289 Teufel, Teufels- xxvii f., 78 f., 82, 105, 117, 120, 294, 301 ff., 309, 351, 354 f., 389, 392 f., 396, 444, 466, 481, 489, 509, 513, 542, 643, 653 f., 768, 884, 946 Teufelsbilder 120 Teutonicus deus 203, 205, 226, 297, 324 Thangmar von Hildesheim 560 Theodricus Monachus 546 Theologie 302, 388, 670 Thietmar (Dietmar von Walbeck), Bf. von Merseburg 98 f., 109, 141, 187 f., 199, 205, 210, 248, 262, 316, 420, 470, 476, 482, 509 f., 552–560, 578, 910 Thietmar II., Bf. von Verden 718 Thietmar, Bf. von Brandenburg 584 Thiodo, Bf. von Würzburg 447 ff., 455 Thomas von Aquin 241, 529, 684, 926
1006
index
Thüringen 48, 53 ff., 57, 64, 100, 107, 369 411, 576, 587, 608, 935 f., 953 Thüringer, Thüringisch xxxv, 55, 65 f., 257, 349, 410, 591, 616, 659, 722, 938, 940 Thüringerreich 47, 64 Thüringersiedlung 57 Thurnau (Kreis Kulmbach) 45 f. Todesstrafe 222, 239, 254, 266, 279, 303, 318, 336, 384, 441 f., 524 Toledo, IV. Konzil von 255, 319 Toleranz 227, 241, 281, 299, 919, 956 Tollensesee 91, 93, 764 Topfhelm 808–811, 841 Torso vom Silberberg s. St. Martin am Silberberg Translatio S. Liborii 356 Translatio Sanctae Pusinnae 394 Transsilvanien s. Siebenbürgen Trautmann, Reinhold 33 ff. treba, trebo 49, 60, 102, 111, 434, 436, 454 f., 460 f. Trebgast 59 f., 79 Trebur 432 Tribur, Synode von 432 f., 437, 439, 457 Tribut 210 f., 215, 221 f., 263 f., 473, 484, 490, 499, 531–542, 560, 563, 581, 715, 725, 734, 882 Trier 583, 606, 617 Triglav, Triglaw (Triglaw-Heiligtum) 92, 128, 134, 144, 201, 204, 218, 225, 292, 565–576, 595 Trinität xxvii, 114, 120, 125, 279 Trinitätssymbolik 120, 139 Troglav 134 Trumsdorf 58 Tschechen, Tschechisch xl f., 22, 34, 64, 74 f., 185, 761 Tübingen 807 Tugumir 196, 579 f. Türkisch xxix, xl, 278, 691, 960 Überschichtungsvorgänge 21 f., 82, 366 Übertritt 84, 100, 303, 306 f., 310, 312, 315, 322, 328, 335 f., 340, 381, 414, 441, 444, 469, 474, 477, 497 f., 505, 508, 546, 582, 778, 919 Udo I., Gf. von Stade 190 Udo III., Mgf. der Nordmark 226, 589, 714 Udo, Bf. von Zeitz-Naumburg 720
Udo, Uto 190 ff., 196 f., 216 Uhrsleben 588 Ukraine 87 ukrivolsa 474 Ulrich, Archipresbyter 219, 228 Ulrichsberg, Šenturška gora 135, 142 ultor fidei 205 Ungarn, ungarisch 107, 183 f., 267 f., 275, 338, 340, 451, 470, 485, 496–500, 504, 544, 704, 706, 710, 722 ff., 729–735, 928, 958 Ungetaufte 103 f., 241, 250, 254, 259, 262 f., 305, 317, 321, 325 f., 333, 336, 392, 401, 443, 504, 506 ff., 519–522, 526 f., 530, 535 f., 539–546, 559, 564, 638, 664, 672, 677 Unholden 396 f. Universalreligion xxxiii f., 181–230, 287–304, 355, 388, 390 Unterweisung 252, 310 ff., 361, 387 Unwan, EB von Bremen 258, 323, 416, 471 Unzucht 445 Urban II., Papst 686 Urban III., Papst 795 f., 804, 806 Urban IV., Papst 443 urbs 212, 218, 248, 565, 568, 573, 781, 790, 799, 801, 849, Urchristentum xxiii, 331 Utrecht 349, 368, 610, 733 Valladolid, Disputation von 911 f., 929, 932, 934, 951 Verbannung 440, 453, 478, 526, 543, 574 Verbrennung 256 Verden 100, 110, 344, 359, 382, 399, 406, 425, 607, 718, 846 Vergangenheitsbewältigung 4 Verkündigung xxxii, xxxiv, 84, 104, 110, 181, 192, 234, 237, 239, 243, 248, 251 ff., 258 f., 263 f., 276, 284 f., 296, 300, 304, 307, 310 ff., 323, 328, 336 f., 388, 393, 478, 552, 580, 582, 639, 641, 654, 664, 780, 827, 917, 938 Vermögenseinziehung 255, 320, 453 Verneuil, Konzil von 440 Vertreibung v, 101, 245, 263, 279, 479, 548, 848 Verwaltung 62, 276, 283, 355, 376, 379, 572, 583, 595 ff., 761, 791, 856, 862, 902, 905 Vessra 592
index Vicelin s. Wizelin Vigilius von Thapsus 288 f., 418 Vinzenz von Prag 674, 690, 698, 727 Visitationswesen 248, 253, 313, 438, 597 Vita Sturmi 353, 379, 394 Vitoria, Francesco s. Francesco de Vitoria Vöcklabruck 807 Völkerrecht xxvi, xliv f., 241, 247, 258 f., 318, 324 f., 329, 355, 390, 483–564, 630, 909–953 Völkerschaft 70, 122, 136 f., 142, 222, 264, 424, 505, 513, 556, 744–747 Völkerverständigung 7 Völkerwanderung 75, 163, 184 Volkfeld 48 Volkstum xxiii, 22, 25 f., 74, 183, 185, 188, 195, 202 f., 292, 476, 479, 948 Volkstumsbegriff 41 f. Volkstumsideen xxix, xxxvi f., 75, 136 Volos, Veles 130 Vorchristlich xxviii, xxxi, 49, 59 f., 69, 77, 79, 81–144, 149, 178, 202, 206, 211, 238, 250, 284, 291, 295, 297, 301 f., 304, 342, 352, 383, 386, 405, 409, 411–414, 438, 442, 444 f., 454, 562, 685, 741, 764, 780, 929 Vorpommern 195, 689, 701 Vreden 366, 371 Wachstafeln 158 Wagrien, Wagrier, wagrisch v, 67, 476 ff., 566, 733 ff., 773 f., 798 f., 801, 863 Wagrierfürst 247 Waldemar 216 Wallenstein 758 Walther von der Vogelweide 678, 684 f., 894 Wanderbischöfe 581 Wanderhändler 274 Wanderhandwerker 126, 763 Waräger 86 Warnaben 167 Warnawen, warnawi 167, 745 Warnow 168, 754, 756, 767, 795, 866, 869 Warnower 167 f., 179, 745, 755, 765, 798 Warthe 90 Wartislaw I., Hz. von Pommern 263, 588
1007
Weichsel 90 Weihegewalt 283, 387, 781 Weismain (Kreis Lichtenfels) 46, 49, 60 Weißrußland xxxviii, 86 Welf VI., Mgf. von Tuszien 710 Welfen 627, 710, 828, 850 Welsche 183 Weltklerus 277 Weltmission 273 Wenden xl f., xlv, 25 f., 36, 48, 74, 76, 101, 107, 181–230, 244–250, 256, 259–265, 269, 303, 322, 334 f., 340, 410, 412, 450, 457, 459, 467, 472, 474–480, 483–564, 568, 571 f., 575, 582, 585 f., 589 f., 597–600, 607, 611 f., 614, 624, 628, 636, 671–674, 679 ff., 695, 699, 705 f., 720, 726, 731, 747–778, 781, 796–800, 803, 815 f., 823, 825 f., 828, 832, 834, 838, 846–851, 854 ff., 862 f., 866, 915, 924 f., 934, 937, s. auch Slawen Wendenaufstand 244, 265, 267, 338, 585 Wendenkreuzzug 100, 247, 258, 260, 264, 335, 390, 421, 480, 510, 525, 560, 567, 599 f., 612, 623–735, 766, 774, 777 ff., 802, 829, 914, 923 f., 928, 932–935, 937–940 Wendenkreuzzugsaufruf, s. Bernhardinischer W. Wendenkrieg 260, 500, 556, 561 f. Wendenmission 250, 260 f., 270, 334, 466, 469 f., 560, 585 Wendenparagraphen 849 Wendisch 71, 182, 185–192, 198–230, 246 f., 250, 261, 295, 465, 470, 476, 478 ff., 501, 518, 534, 550, 554, 557, 559, 566, 569, 571, 575, 587 f., 611, 613, 623, 636, 669, 680, 695, 728, 743, 748 f., 752, 756, 759–768, 771, 775, 779 f., 797, 800, 803, 819, 823–829, 833–839, 846–857, 864, 867, 869 f., 880, 934, 937, 948 Wendisches Recht 571 Wendland s. Hannöversches Wendland Wenskus, Reinhard xxxvii, 163, 503, 735 Wenzelslegenden 91 Werben a. d. Elbe 476 were 365 Werle 761, 797 Werner, Bf. von Münster 720
1008
index
Westfalen, westfälisch 28 f., 357, 365 f., 371, 373, 376, 396, 579, 615, 717, 721, 733 f., 842, 937 Westfälischer Frieden 908 Westfranken, westfränkisch 55, 57, 441, 494, 513, 606, 941 Westgoten 74, 226 Westslawen, westslawisch 34 f., 90, 183 f., 198 f., 275, 565, 608 Wetterau 378 Wibald, A. von Stablo 635, 667–670, 680, 689, 697, 720 f., 721, 727 Wichmann, EB von Magdeburg 602, 709, 850 Widukind von Corvey (Korvei) 186, 195, 200, 209, 250, 314 f., 334, 419, 423, 428, 473, 537, 560, 678 Widukind, Sachsenherzog 22, 262, 335, 345 f., 349, 352, 356, 381, 385 f., 388 Wienerwald 368 Wigbert, Bf. von Merseburg 98, 196, 410, 416 Wigger, Bf. von Brandenburg 238, 512, 570, 579, 591–604, 609, 611 f., 615 ff., 667, 681, 696, 698, 933, 959 Wigo, Bf. von Brandenburg 587 Wikinger, wikingisch 147, 191, 279, 442, 759, 768 ff. Wilhelm von Tyrus 299, 355 Wilhelm, Sohn Ottos I. xli Willehalm 683, 946 ff., 950 f. Wilmar, Bf. von Brandenburg 577, 597, 601 ff., 616 Wilzen 195, 465, 559 Winckelmann, Johann Joachim xxix f. Windisch, Windische xxxvi, xl Wipo 509 f., 510, 550 Wiprecht von Groitzsch 715 Wismar 41, 751, 756 ff., 770, 819, 830, 835, 840, 856, 866, 869, 871 Witwe 194, 218, 227, 568, 573, 600 Wizelin (Vicelin), Bf. von Oldenburg 220, 248, 416, 466, 471, 474, 578, 673, 777 Wladimir d. Gr. (d. Hl.), Grossfürst von Kiew 86, 106, 267, 338, 487 f., 493, 496, 498 Włodkowic s. Paulus Vladimiri Wodan 226, 292, 297, 391, 397 Wogastisburg 65 Wolfenbüttel 363, 846 Wolfger, Bf. von Würzburg 48, 52
Wolfram von Eschenbach 678, 683, 946–951 Wolgast 216 Wolhynien 86 f. Wolin, Wollin 99, 915 Wrocław s. Breslau Würzburg 47 ff., 52, 57, 68, 70 f., 100 ff., 105, 108, 255, 320, 396, 434–437, 447–456, 663 Würzburger Sondersendrecht 431–464b Wurzen 688 Wynfrith 348, 474, s. auch Bonifatius Zabarella, Franciscus, Kardinal 926 Zadel (bei Meißen) 95–98, 117, 132, 141 Zadruga 61 Zappert, Georg 95 Zbruč 87 ff., 91 f., 130 f. Zehnt, Zehnt- 68, 84, 189, 247, 386–389, 461, 475 f., 513, 541, 583, 585, 589, 592 f., 605–621, 836 Zehntpflicht 61, 247, 426 Zehntrecht 583, 587, 593, 598, 603, 605, 607–613, 619 f., 844, 848 Zehntverweigerung 69, 440, 450 Zeitz 474 f., 711, 720, 825, 829 Zeltschach (Bez. St. Veit a. d. Glan) 119 Zentgraf 437, 463, 464a Zerbst 477, 590, 609 Zernack, Klaus 185, 896, 955 Zientara, Benedykt 636, 957 Zisterzienser 100 f., 245, 248 f., 265, 482, 626 f., 633, 648, 668, 699, 775 f., 802, 834, 881, 886, 928 Živa 107, 156 Zobten 94 Zollfeld, Gosposvetsko polje 19, 62 Zoroastrismus 251 Žuk s. Suk Zverini 743–747, 763, 775, 780 Zwang, direkter 192, 240–243 305–308, 337 Zwang, Zwangs- 192, 225, 241, 252, 254, 268, 299, 304, 340, 382, 384, 393, 427, 444, 468, 473, 480, 496, 502, 536, 538, 545 f., 556, 639, 649, 680, 699, 854, 918, s. auch Glaubenszwang Zwangsbekehrung 259, 327, 340, 467, 475, 484, 928 Zwangschristianisierung 148, 241, 257, 322, 337, 381–398, 466, 472, 475,
index 478, 500, 503, 538, 545, 580, 633, 912, 939 Zwangsmission 337, 472, 637, 641, 674 Zwangsmittel 236, 252, 298, 310, 546, 918
1009
Zwangstaufe 69, 240, 255, 264, 305, 312, 319, 336, 338, 529, 674, 684 Zweikaiserproblem 402 Zweisprachigkeit, zweisprachig 55, 61 f., 64–67, 77, 79, 162, 190, 855, 866