Haider und die Freiheitlichen in Österreich
Brigitte Bailer-Galanda Wolfgang Neugebauer
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Haider und die Freiheitlichen in Österreich
Brigitte Bailer-Galanda Wolfgang Neugebauer
HAIDER und die Freiheitlichen in Österreich
ELEFANTEN PRESS BERLIN
Antifa Edition herausgegeben von Jens Mecklenburg
Copyright © 1997 by ELEFANTEN PRESS Verlag GmbH, Berlin Alle Rechte vorbehalten 1.Auflage August 1997 2. Auflage Oktober 1997 Lektorat Hilke Bölts Umschlaggestaltung Blank/Holtfreter Gesetzt aus der Times Agentur Marina Siegemund, Berlin Druck Norhaven A/S, Viborg Printed in Denmark ISBN 3-88520-638-2
Inhalt
9 Vorwort 11 11 13 15 20
Zur Entwicklung der FPÖ Großdeutsche Wurzeln: von Schönerer zu Hitler Rechtsextreme FPÖ-Ursprünge Die Ära Peter: Die FPÖ wird koalitionsfähig Die Episode Steger: Der vermeintliche Durchbruch des Liberalismus
24 Jörg Haiders Aufstieg zum (Partei)Führer 24 Herkunft aus postnazistischem Milieu 26 Der Weg zum Berufspolitiker 29 Großgrundbesitzer Haider 30 Der autoritär-machtbewußte Führer 33 33 35 38 39 41
Die Haider-Partei Machtübernahme und Kurswechsel Die FPÖ als autoritäre Führerpartei Wende zum Rechtsextremismus Die Abspaltung des Liberalen Forums Die gescheiterte »F-Bewegung«. Organisatorische und finanzielle Entwicklung 46 Orientierung zur Macht 50 Haider - Rechtsextremist oder nur Populist? 52 Zum Begriff »Rechtsextremismus« 55 Die Ideologie Haiders bzw. der FPÖ - eine moderne Adaptierung alter rechtsextremer Positionen Konzept der Volksgemeinschaft • Kritik der Demokratie • Starker Staat • Frauenbild • Integraler Nationalismus (Deutschnationalismus) • Nationales Geschichtsbild.
NS-Verharmlosung • Sündenböcke und Feindbilder • Die FPÖ und die Juden • Verschwörungstheorien und Endzeiterwartungen
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Zusammenfassung
103 103 104 106 108
Politischer Stil, Taktik und Methoden Haiders Von der Aggressivität der Sprache ... ... zur aggressiven Handlung Diffamierungen und Tricks Sozialdemagogie und Instrumentalisierung von Ängsten 111 Mißbrauch parlamentarischer und demokratischer Instrumentarien 114 Freiheitliche Funktionäre und Wähler alle Rechtsextreme? 114 Die Funktionäre zwischen Rechtsextremismus und »Buberlpartie« 118 Die Wähler sozial und weltanschaulich unterscheidbar 121 Die Wahlmotive 124 Haider: Exportartikel für Europa? Relikte der NS-Herrschaft • Politische Unzufriedenheit und Entfremdung • Ausländer- und Auslandsfeindlichkeit • Die Medien • Haider - ein österreichischer Sonderfall oder Modell?
132 Das Verhältnis zu anderen Parteien und weltanschaulichen Gruppen 132 Zwischen »Ausgrenzung«, Flirt und Angstdie anderen Parteien und Haider 139 Rechtskonservative und -katholische Bündnispartner 143 Die FPÖ und der Rechtsextremismus Der Lorenzener Kreis - Strategiegruppe mit rechtsextremem Charakter • Die »Aula« und die Burschenschaften - Rechtsextremismus im FPÖ-Umfeld • Die »Junge Freiheit« neues rechtsextremes Medium im FPÖ-Umfeld • Integration von Rechtsextremisten • Haider und der rechtsextreme
Bombenterror • Die FPÖ und die Schändung des jüdischen Friedhofs in Eisenstadt • Rechtsextreme und Neonazis über Jörg Haider 163 Kanzler Haider? 163 Voraussetzungen und Chancen 166 Bundeskanzler Haider - die Konsequenzen Strukturen für einen starken Staat - Recht und Ordnung • Sozialpolitik - Privatisierung und Dienst an der Gemeinschaft • Familienpolitik - Frauen an den Herd? • Neoliberalismus statt Interessenvertretung der Arbeitnehmer • Bildungspolitik - Handwerker statt Intellektuelle • Volkskultur statt kritischer Kunst • Medien sollen »die Wahrheit« verbreiten • »Recht auf Heimat« für Inländer statt Menschen rechte für Ausländer • Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts • Einwanderungsstopp - Österreich ist kein Einwanderungsland • Einflußnahme auf die Justiz • Kein Platz für Antifaschisten und Widerstandskämpfer • Denunziation zwecks Einschüchterung erwünscht • Kärnten 1994: ein kurzer Vorgeschmack auf die »Dritte Republik« 190 Haider im internationalen Umfeld 190 Die FPÖ und die Liberale Internationale 192 Die FPÖ und die Europäische Union Haider über Europa • Europa über Haider 197 Andere internationale Stimmen über Haider 198 Bundesgenossen und Freunde Haiders in Europa 203 203 236 243 247 248 253
Anhang Anmerkungen Auswahlbibliographie Wahlergebnisse Die Autoren Personenregister Sachregister
Vorwort
Ob Jörg Haider 1999 als österreichischer Vertreter an den Regierungskonferenzen der Europäischen Union teilnehmen und die FPÖ Regierungspartei in Österreich sein wird, ist nicht nur für Österreich, seine demokratische Entwicklung und außenpolitische Stellung relevant; im Hinblick auf seine Ablehnung der EU, des Vertrags von Maastricht und des Euro könnte Haider an der Macht auch die europäische Entwicklung beeinflussen. Es ist daher sinnvoll, sich mit seiner ideologischen Ausrichtung, seinen politischen Positionen und Zielsetzungen sowie seinem Umfeld auseinanderzusetzen. Die Autoren der vorliegenden Publikation sind zu einer klaren Einschätzung der Persönlichkeit und Politik Jörg Haiders gekommen, die aus langjähriger wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem österreichischen Rechtsextremismus und der FPÖ resultiert. Aus einer nazistischen Familie kommend, in einem postnazistischen Milieu von Deutschnationalismus und Rechtsextremismus herangewachsen und in der chauvinistisch-rechtsextremen Kärntner FPÖ politisch großgeworden, hat Jörg Haider nach seiner »Machtergreifung« am Innsbrucker Parteitag 1986 die FPÖ konsequent in Richtung Rechtsextremismus geführt. Mit an Rassismus grenzender Ausländerhetze und mit permanenter Kritik und Diffamierung der Parteiendemokratie strebt er zur Macht, um in Österreich eine »Dritte Republik« mit autoritären Tendenzen und zumindest partieller Einschränkung der Menschenrechte aufzurichten. Wie ein Wolf im Schafspelz verhüllt Haider seine politischen Zielsetzungen, gibt Lippenbekenntnisse zu »österreichischem Patriotismus« und »wehrhaftem Christentum« ab und versucht, sich als Antirassist, Philosemit und Staatsmann darzustellen. Die FPÖ-kritische Sichtweise der Autoren, die Haiders FPÖ bereits in früheren Publikationen als Hauptkraft des österreichischen Rechtsextremismus qualifizierten, wurde von Haider mit einer Flut von Klagen zu unterdrücken versucht (wobei für sein Weltbild bezeichnend nur der männliche Mitautor geklagt wurde). Diese auch auf materielle
Schädigung von Verfassern, Herausgeber und Verlag abzielenden Zensurversuche sind freilich gescheitert. Mehr denn je erscheint es den Autoren notwendig, auf der Grundlage wissenschaftlicher Analyse Weg und Ziel der Haider-FPÖ zu beschreiben, damit auf politischer Ebene rechtzeitig die für Österreich und Europa drohenden Gefahren erkannt und bekämpft werden können.
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Zur Entwicklung der FPÖ
Großdeutsche Wurzeln: von Schönerer zu Hitler Obwohl FPÖ-Obmann Jörg Haider die Regierungsparteien ÖVP und SPÖ abwertend stets als »Altparteien« bezeichnet, ist das von seiner Partei repräsentierte Lager historisch gesehen das älteste. Das im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts entstehende österreichische Parteiensystem ist durch die Herausbildung dreier großer politisch-ideologischer Strömungen charakterisiert; in Wissenschaft und Publizistik wird von »drei Lagern«1 Österreichs gesprochen: dem katholischkonservativen, dem sozialdemokratischen (linken) und dem deutschnationalen. Die FPÖ steht in ihrem Selbstverständnis, aber auch im Urteil politischer Gegner und Wissenschaftler in der Tradition des (deutschnationalen) »Dritten Lagers«.2 Der österreichische Politikwissenschafter Anton Pelinka hat zu Recht darauf verwiesen, daß dieses »Dritte Lager« alles andere als eine liberale Tradition aufweist.3 Sein wichtigster Repräsentant Georg Ritter von Schönerer begann seine Karriere 1873 als Abgeordneter der deutschen Fortschrittspartei, überwarf sich aber bald mit den Liberalen und wurde zur bestimmenden Figur des (deutsch)»nationalen« Lagers Österreichs. Dem 1882 unter Schönerers Parole »Nicht liberal, nicht klerikal, sondern national« gegründeten Deutschnationalen Verein gehörten auch Victor Adler und Karl Lueger an, die später zu Gründern bzw. Führerpersönlichkeiten der Sozialdemokraten bzw. Christlichsozialen wurden. Unter Schönerers Einfluß fand ein Radikalisierungsprozeß der von ihm geführten »Alldeutschen« statt, wobei der Kampf gegen den übernationalen österreichischen Staat, gegen die Katholische Kirche (»Los von Rom«) und gegen Tschechen und Juden zum politischen Hauptanliegen wurde. Schönerer wurde »der lautstärkste und populärste Propagator dieses bis dahin in Österreich unbekannten Rassenantisemitismus«4. Nicht zufällig beeindruckte Schönerer den jungen, von 1907 bis 1913 in Wien lebenden Adolf Hitler und wurde einer seiner großen Vorbilder. »Als ich nach Wien kam, standen meine Sympathien voll und ganz auf Seite der alldeutschen Richtung«, 11
schrieb Hitler in »Mein Kampf«5. Die völkisch-rassistischen Ideologiekomponenten, die im Nationalsozialismus ihre mörderische Kulmination fanden, sind in gemäßigteren und modernisierten Formen bis heute Bestandteil des in diesem Lager vorherrschenden Denkens. In der 1918 entstandenen Ersten Republik verkörperten die bürgerlich orientierte Großdeutsche Volkspartei und der bäuerlich geprägte Landbund für Österreich, Honoratiorenparteien von geringer Größe, aber als zeitweise Koalitionspartner der Christlichsozialen politisch einflußreich, das »Dritte Lager«,6 dessen Hochburgen die Burschenschaften und schlagenden Verbindungen an den Hochschulen sowie die im Geiste Friedrich Ludwig Jahns wirkenden Turnerbünde waren. Allerdings hatten auch Sozialdemokraten und Christlichsoziale großdeutsche Vorstellungen und vertraten bis 1933 die Forderung nach dem Anschluß Österreichs an Deutschland. Da die Parteien, Organisationen und Personen des »Dritten Lagers« Anfang der dreißiger Jahre widerstandslos und vollständig im Nationalsozialismus aufgingen und mit dessen in der Geschichte beispiellosen Verbrechen belastet wurden, kam es nach der Niederwerfung des NS-Regimes durch die Alliierten und der Gründung der Zweiten Republik 1945 zu einer vorübergehenden Kriminalisierung dieses Milieus bzw. zu dessen Ausgrenzung aus dem Parteiensystem. Bei den ersten Parlamentswahlen im November 1945 durfte keine dem »Dritten Lager« zuzurechnende Partei kandidieren, und die Gründungsparteien der Zweiten Republik, ÖVP, SPÖ und sogar KPÖ, bemühten sich, die ehemaligen Nationalsozialisten bzw. früheren Deutschnationalen für sich zu gewinnen. Erst im Vorfeld der zweiten Nationalratswahl 1949 wurde - mit tatkräftiger Unterstützung der SPÖ-Führung, die durch eine zweite bürgerliche Partei die ÖVP schwächen wollte der Verband der Unabhängigen (VdU) als vierte Partei zugelassen.7 Der VdU, ein Konglomerat von Altnazis, Neonazis, Deutschnationalen und einigen wenigen Liberalen, setzte die Tradition des »Dritten Lagers« fort, und die deutschnationale Orientierung bildete das gemeinsame ideologische Fundament für die verschiedenen im VdU vorhandenen Gruppierungen. In der Tagespolitik stand vor allem die Wahrung der Interessen der ehemaligen Nationalsozialisten im Vordergrund, wodurch von Anfang an eine starke Tendenz zur Verharmlosung des Nationalsozialismus und zur politisch-moralischen Entschuldung seiner Anhänger vorherrschte. 12
Rechtsextreme FPÖ-Ursprünge Die inhomogene Struktur und die damit zusammenhängenden inneren Machtkämpfe sowie starke Radikalisierungstendenzen führten 1955 zur Existenzkrise des VdU, als deren Ergebnis der VdU unterging und durch eine neue Partei, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), ersetzt wurde.8 Der zurückgetretene Parteigründer des VdU, der dem liberalen Flügel zuzuzählende Abgeordnete Herbert Kraus, fällte nach dem Gründungsparteitag der FPÖ im April 1956 ein eindeutiges Urteil über die neugegründete Partei: »Das Ergebnis des FPÖ-Parteitags veranlaßt mich, die mir angebotene Kandidatur zur Nationalratswahl abzulehnen und aus der FPÖ auszutreten. Dieser Parteitag war die Bestätigung der lange vorbereiteten >Machtübernahme< durch einen kleinen Kreis von Rechtsextremisten und ehemaligen Naziführern. Die in der FPÖ verbliebenen gemäßigten Vertreter des VdU sind praktisch zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. [...] Unter dem Titel einer Sammlung auf breitester Basis ist aber nun eine vornehmlich auf die Vergangenheit ausgerichtete Partei auf engster Basis entstanden. Die offiziellen Erklärungen der FPÖ von >Absage an den Extremismus< und >Partei der Mitte< entspringen dem Bedürfnis nach einer sehr notwendig gewordenen Tarnung.«9 Mag dieses Urteil auch auf die damalige persönliche Verbitterung des um sein politisches Lebenswerk gebrachten Herbert Kraus zurückzuführen und daher subjektiv überspitzt sein, charakterisiert es doch die Grundzüge des Transformationsprozesses VdU-FPÖ. Auch Viktor Reimann, der zweite als liberal geltende Exponent des VdU,10 bestätigt in seiner Darstellung der »Dritten Kraft« im großen und ganzen, daß die Umwandlung des VdU in die FPÖ die Machtübernahme des rechten »nationalen«, von ehemaligen Nationalsozialisten angeführten Flügels und die weitgehende Ausschaltung der - ohnehin nicht sehr starken - liberalen Kräfte bedeutete." Die FPÖ war also bei ihrer Gründung eine deutschnationale, sehr weit rechts stehende Partei, in der ehemalige, zum Teil sogar schwer belastete Nationalsozialisten führende Stellungen einnahmen.12 Mit Anton Reinthaller war ein hoher NS-Funktionär an die Spitze der FPÖ getreten: Er war Mitglied der Landesleitung der NSDAP Österreich gewesen, gehörte im März 1938 als Landwirtschaftsminister der 13
Hochverräterregierung Seyß-Inquart an und wurde SS-Brigadeführer. Sein Nachfolger Friedrich Peter, FPÖ-Obmann von 1958 bis 1978, Angehöriger der berüchtigten 1. SS-Infanteriebrigade13, hatte 1956 zu seiner NS-Vergangenheit in der SS- Zeitschrift »Wiking-Ruf« festgestellt: »Ich bin nicht jenem Kreis zuzuzählen, der >gepreßt und gezwungen< wurde, sondern ich bekenne auch heute, daß ich freiwillig gegangen bin. Und dem Vaterland zu dienen, war zu keiner Zeit eine Schande.«14 Am Tag seiner Wahl zum FPÖ-Obmann hatte er in Richtung Frontgeneration erklärt: »Die Soldaten in Stalingrad, gleichgültig ob Deutsche oder Österreicher, haben sich geopfert, um die Heimat zu schützen.«15 Im selben Jahr nahm der neue FPÖ-Bundesparteiobmann an der Konstituierung der Landesgruppe Wien der NS-Veteranenorganisationen Wohlfahrtsvereinigung der Glasenbacher teil.16 Der FPÖPublizist Andreas Mölzer kommentierte in seinem Haider-Jubelbuch die Wahl Friedrich Peters mit folgendem für das Selbstverständnis der FPÖ aufschlußreichen Satz: »[...] seine Vergangenheit als Offizier in der Waffen-SS erschien(en) den Parteifunktionären seinerzeit zu garantieren, daß der 37jährige, neue Parteiobmann die politische Linie, unter der die FPÖ angetreten war, einhalten würde.«17 Auch die meisten anderen FPÖ-Politiker der ersten Zeit hatten eine NS-Vergangenheit aufzuweisen.18 So wenig erfreulich die - auch in anderen Parteien vorkommende — frühere NS- Mitgliedschaft von Politikern sein mag, wichtiger und entscheidend ist deren jetzige Stellung zum Nationalsozialismus. In den Publikationen und Stellungnahmen von FPÖ-Politikern fanden sich lange Zeit kaum eindeutige Distanzierungen vom Nationalsozialismus, obwohl dies gerade für eine Partei mit solcher Herkunft notwendig gewesen wäre und mit Recht von ihr zu verlangen war. Hingegen gab und gibt es zahlreiche Äußerungen von FPÖ-Politikern, in denen der Nationalsozialismus und seine Einrichtungen entschuldigt oder gar gepriesen werden. Während die erzwungene Teilnahme von Österreichern am Hitlerkrieg als positiv, als »Verteidigung der Heimat« oder »Pflichterfüllung« hingestellt wird, gibt es bis heute keine Würdigung oder Anerkennung des österreichischen Widerstandes durch die FPÖ.19 Sowohl der VdU als auch die FPÖ legten im Nationalrat immer wieder eine ausgesprochen negative Einstellung gegenüber Maßnahmen zugunsten der NS-Opfer an den Tag.20
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Die Ära Peter: Die FPÖ wird koalitionsfähig »1960 wurde jedoch mit dem Versuch begonnen«, schreibt der langjährige FPÖ- und nunmehrige liberale Programmdenker Friedhelm Frischenschlager, »die FPÖ aus der politischen Isolation zu führen. Aus der reinen Oppositionspartei sollte langsam eine Partei mit Mitgestaltungswillen werden.«21 Zweifellos führten die Beteiligung am parlamentarischen Leben und der durchaus verständliche Wunsch, aus dem politischen Abseits einer Daueroppositionspartei herauszukommen, zu taktischen Anpassungen und vielleicht auch zu echten geistig-politischen Veränderungen in der FPÖ. Namentlich Parteiobmann Friedrich Peter erkannte die Notwendigkeit, »auch mit Freimaurern und Juden am selben Tisch (zu) sitzen«22, und bemühte sich, der FPÖ ein liberales Image zu geben - in den Augen von Haider-Berater Andreas Mölzer ein »existenzgefährdendes Aufweichen«23. Auf dem Parteitag 1964 erklärte Peter erstmals, daß »Nationale und Liberale in der FPÖ gemeinsam Platz haben«24. Im Zuge der Auseinandersetzungen innerhalb der Regierungskoalition von SPÖ und ÖVP um die Einreiseerlaubnis für den ältesten Sohn des letzten österreichischen Kaisers, Otto Habsburg, 1962/63 kam es zu einer Annäherung der FPÖ an die SPÖ, deren Spitzenfunktionär Franz Olah der FPÖ 1.000.000 Schilling aus Gewerkschaftsgeldern zukommen ließ, um sie für eine kleine Koalition zu gewinnen.25 Diese Entwicklung stieß einen Teil der rechtsextrem-»nationalen« Elemente in der FPÖ, vor allem jüngere, aus der damals an den österreichischen Universitäten sehr starken »nationalen« Studentenbewegung kommende Aktivisten vor den Kopf, deren Kerngruppe um Norbert Burger während der Südtirolkrise nach 1961 durch Terroraktionen in Erscheinung getreten war.26 Da in diesen Jahren die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) spektakuläre Erfolge bei bundesdeutschen Landtagswahlen feierte, wurden die unzufriedenen, radikalen Kräfte in der FPÖ bestärkt, sich von der FPÖ abzuspalten und eine neue, rechtsextreme Partei zu gründen. Die 1966/67 formierte Nationaldemokratische Partei (NDP) konnte jedoch trotz großer Bemühungen um den »nationalen« FPÖ-Flügel aufgrund ihres Extremistenimages nie zu einer ernsthaften Konkurrenz für die Mutterpartei werden.27 1988 wurde der Burger-Partei wegen ihrer neonazistischen Ausrichtung der
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Status einer politischen Partei aberkannt, und sie verschwand von der politischen Bühne.28 Ab 1970 kam es zu einer starken Aufwertung der FPÖ, vor allem durch den SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler Bruno Kreisky, dessen sozialdemokratische Minderheitsregierung 1970/71 von FPÖObmann Friedrich Peter um den Preis einer die FPÖ begünstigenden Wahlrechtsreform toleriert wurde. Kreisky wollte sich für den Fall des Verlustes der absoluten SPÖ-Mehrheit die FPÖ als Koalitionspartner in Reserve halten. Darüber hinaus hatte Kreisky die (von seinen Erfahrungen mit schwedischen Verhältnissen beeinflußte) Vorstellung, die ÖVP und mit ihr das »bürgerliche« Lager durch die Aufwertung einer zweiten bürgerlichen Partei dauerhaft schwächen zu können — eine Strategie, die schon Vizekanzler und SPÖ-Obmann Adolf Schärf und der sozialdemokratische Innenminister Oskar Helmer 1948/49 bei ihrer Unterstützung für die Gründung des VdU verfolgt hatten.29 Während Parteiobmann Peter eher zur Kooperation mit der SPÖ tendierte, wurde in Graz (und in Klagenfurt) vom steirischen Parteiobmann Alexander Götz das »Grazer Modell« einer Zusammenarbeit von FPÖ und ÖVP zustande gebracht, das im Nationalratswahlkampf 1979 im Pakt zwischen den Parteiobmännern Josef Taus (ÖVP) und Alexander Götz (FPÖ) kulminierte und der FPÖ in der Steiermark erstmals größere Erfolge bzw. Funktionen und Posten brachte.30 Dieser sehr allmähliche Strukturwandel der FPÖ ging im wesentlichen ohne größere innerparteiliche Konflikte vor sich, wenn man von in allen Parteien üblichen Auseinandersetzungen taktischer und persönlicher Natur absieht. Lediglich Einzelpersonen und kleinere Gruppierungen stellten sich dem Kurs Peters entgegen. Anfang der siebziger Jahre verließ der ehemalige Wiener FPÖ-Gemeinderat Karl Peter, einst Obmann des berüchtigten Antisemitenbundes, die Partei und gab eine Zeitlang die Zeitschrift »Der verratene Freiheitliche. Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Funktionäre, Mitglieder und Wähler der FPÖ« heraus, ohne jedoch damit Anklang zu finden. Antisemiten wie Karl Schmidt aus dem zweiten Wiener Gemeindebezirk oder der stellvertretende Wiener Landesparteiobmann, Gemeinderat Hans Klement, der eine »Koalition mit dem Juden Kreisky« ablehnte, wurden von Peter ohne Probleme aus der FPÖ entfernt,31 während einige andere zum Rechtsextremismus tendierende FPÖ-Funktionäre von sich aus den Übertritt zur NDP vollzogen.32
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Mit dem tagespolitischen Anpassungsprozeß der Parteiführung unter Friedrich Peter war jedoch keine entsprechende ideologische und programmatische Entwicklung der FPÖ verbunden. Insbesondere die Geisteshaltung vieler Funktionäre, Mitglieder und Anhänger, also der Parteibasis, änderte sich keinesfalls in Richtung Liberalismus. Für die Entwicklung, die schließlich zu den dramatischen Ereignissen und der Wahl Haiders zum FPÖ-Obmann im September 1986 führte, waren die Weiterexistenz und die Aktivität starker rechtsgerichteter »nationaler« Zentren in einzelnen Landes- und Vorfeldorganisationen der FPÖ von entscheidender Bedeutung. Eine besondere Rolle spielte in dieser Hinsicht die Landesorganisation Kärnten33, heute nach wie vor politische Heimat Jörg Haiders, wo Konflikte um die Grenze mit Jugoslawien und um die Rechte der slowenischen Minderheit für ein aggressives deutschnational-chauvinistisches Klima sorgten. So war es kein Zufall, daß der Hauptexponent des deutschnational-rechten Flügels in der FPÖ durch viele Jahre der Kärntner Nationalratsabgeordnete und stellvertretende Parteiobmann Otto Scrinzi war, auf dessen ideologische Auffassungen die wichtigsten Definitionskriterien des Rechtsextremismus zutreffen. Scrinzi arbeitet offen mit Personen und Organisationen der extremen Rechten zusammen und ist schon mehrfach bei Veranstaltungen des Herausgebers der »Deutschen National-Zeitung« Gerhard Frey aufgetreten. Scrinzi lehnt die österreichische Nation und den österreichischen Nationalfeiertag entschieden ab, plädiert für die Wiedereinführung der Todesstrafe, vertritt einen Rassenantisemitismus (wenn er z.B. Heinrich Heine abspricht, Deutscher zu sein, weil er Jude ist) und verkündete schon vor Jahren an NS-Theorien erinnernde Erbgesundheitslehren. Er bezeichnet sich selbst als »rechten Flügelmann«: »Ich war immer rechts, auch in der NSDAP.«34 In der FPÖ hatte Scrinzi nach seinem Konflikt mit dem Parteiobmann Peter schon Ende 1975 seine Parteifunktionen verloren und radikalisierte sich nach seinem Ausscheiden aus dem Nationalrat 1979 und der Obmannwahl von Norbert Steger 1980 zunehmend. Er gründete 1984 die National-Freiheitliche Aktion35 (NFA), nach Einschätzung Andreas Mölzers eine »Sammlungsbewegung«, die »durch die zunehmend neoliberale Politik der Wiener FPÖ-Spitze unter Norbert Steger« notwendig wurde.36 Haider begrüßte als Landesparteiobmann der FPÖ Kärnten die Parteigründung seines Parteifreundes Scrinzi,
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bezeichnete sich als »Instrument für Reformen« und verweigerte den von der Bundes-FPÖ geforderten Parteiausschluß37. Höhepunkt von Scrinzis NFA-Aktivitäten war seine gegen den Willen der FPÖ-Führung erfolgte, von der extremen Rechten organisatorisch getragene Kandidatur bei der Bundespräsidentenwahl 1986, bei der Scrinzi jedoch, nicht zuletzt infolge der Auseinandersetzung um die Kriegsvergangenheit seines Gegenkandidaten Kurt Waldheim, mit 55.940 das angepeilte Wahlziel von 200.000 Stimmen bei weitem verfehlte.38 Die FPÖ Kärnten trennte sich trotz des Druckes der Bundespartei nie völlig von Scrinzi; selbst während seiner statutenwidrigen Präsidentschaftskandidatur ruhte lediglich seine Mitgliedschaft. Der damalige Kärntner FPÖ-Nationalratsabgeordnete und stellvertretende Landesparteiobmann Alois Huber, Sohn des NS-Landesbauernführers und langjährigen FPÖ-Landesparteiobmannes Reinhold Huber sowie Bruder der späteren Zweiten Landtagspräsidentin Kriemhild Trattnig, leistete Scrinzi mit seiner Unterschrift (die 25.000 Unterstützungserklärungen von »Normalsterblichen« aufwog) die entscheidende Schützenhilfe bei der Kandidatur.39 1993 figurierte der 1986 vorübergehend aus der Partei ausgetretene Scrinzi wieder als »mahnendes Gewissen« der »freiheitlichen Gesinnungsgemeinschaft«, wie es in einer vom Freiheitlichen Bildunswerk herausgegebenen Festschrift zu Scrinzis 75. Geburtstag hieß.40 Ein Jahr später verfaßte Scrinzi nach dem Wahlerfolg der italienischen Neofaschisten in der rechtsextremistischen Zeitschrift »Fakten« einen apologetischen Artikel über Mussolini, ohne daß in der Haider-FPÖ daran Anstoß genommen wurde.41 Inzwischen ist Scrinzi zum scharfen Kritiker von »Haiders Ausverkauf des FPÖ-Programms«42 geworden. Die Sympathien insbesondere der Kärntner FPÖ für den Parteirechtsaußen Otto Scrinzi verwundern angesichts der Schreibweise des Kärntner FPÖ-Organs »Kärntner Nachrichten« in den siebziger und achtziger Jahren nicht. Diese Wochenzeitschrift erfüllte nicht nur sämtliche Kriterien des Rechtsextremismus; in stärkerem Maß als selbst in neonazistischen Organen wurden in Artikeln und Leserbriefen positive Stellungnahmen zum Nationalsozialismus abgegeben.43 Volker Kier, ein enger Mitarbeiter des damaligen Vizekanzlers Norbert Steger und nunmehriger liberaler Abgeordneter, konfrontierte den damaligen Kärntner Landesrat Jörg Haider am 12. November 1986 mit einer Dokumentation weltanschaulich eindeutig positionierter Texte 18
aus den »Kärntner Nachrichten« und ersuchte Haider als den dafür politisch Verantwortlichen um eine Stellungnahme, die freilich nicht erfolgte. »Solange nämlich keine eindeutige und dokumentierte Distanzierung durch Dich vorliegt«, heißt es in Kiers Brief, »wirst Du davon ausgehen müssen, daß es jedermann freisteht, Dich mit Inhalt, Tendenz und Absicht der fraglichen Zitate zu identifizieren.«44 Erst in den Jahren, als die FPÖ ihre Position in der Liberalen Internationale noch behaupten wollte bzw. als die Landeshauptmannfunktion von Parteiobmann Haider Rücksichtnahmen erforderte, mäßigten die »Kärntner Nachrichten« ihre extremistische Schreibweise und wurden zu einem bedeutungslosen, inhaltsleeren Haider-Jubelblatt. Traditionelle Hochburgen und Rekrutierungsfelder der extremen Rechten innerhalb des »freiheitlich-nationalen« Lagers waren (bzw. sind heute schon wieder) die »nationalen« Jugend-, Studenten- und Akademikerverbände. Nicht wenige führende FPÖ-Funktionäre kommen aus den Reihen des Ringes Freiheitlicher Studenten (RFS) und der Burschenschaften, die in den fünfziger und sechziger Jahren an den österreichischen Hochschulen noch eine wichtige Rolle spielten und Hauptträger rechtsextremer Aktivitäten, wie z.B. des SüdtirolTerrorismus, waren. Viele jugendliche Extremisten von damals sind heute in die Freiheitlichen Akademikerverbände integriert, die als Vorfeldorganisationen der FPÖ angesehen werden können. Die Teilnahme des damaligen Kärntner Landesparteisekretärs Jörg Haider an einem Burschenschaftstreffen in Leoben 1981, bei dem NDP-Führer Norbert Burger ein stürmischer Empfang bereitet und das SS-Lied »Wenn alle untreu werden« gesungen wurde, war kein Zufall, denn Haider war in diesem Milieu herangewachsen und steht bis heute dazu.45 Der in den Burschenschaften gepflegte Geist der Kameradschaft macht offenbar die Ziehung einer klaren politischen Trennlinie zu Extremisten schwierig. In diesem Zusammenhang kam bzw. kommt der von den Freiheitlichen Akademikerverbänden getragenen Zeitschrift »Aula« eine entscheidende Funktion zu: Sie wirkt als publizistisches und ideologisches Integrationsorgan, das die Brücke vom gemäßigten Deutschnationalismus über die FPÖ bis zum Neonazismus schlägt. Die »Aula« fungierte vor allem während der FPÖ-Obmannschaft Norbert Stegers, der als Linksliberaler abgelehnt wurde, als Hort der deutschnationalen und rechtsextremen Kräfte der FPÖ. In ihrer 40-Jahr-Jubiläumsaus-
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gabe rühmte sich die Zeitschrift, zum Sturz Stegers und zum Aufstieg Haiders beigetragen zu haben.46 Seit der Herausgeber der »Aula« 1995 aufgrund der Veröffentlichung eines den Holocaust leugnenden Artikels wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilt47 und die Zeitung in die Ermittlungen wegen des rechtsextremen Bombenterrors seit 1993 einbezogen wurde, büßte die »Aula« jedoch an Attraktivität und Bedeutung deutlich ein. Die FPÖ zog ihre materielle und ideelle Unterstützung für das Blatt zurück, die maßgeblichen jüngeren Redaktionsmitglieder (Andreas Mölzer, Jürgen Hatzenbichler) übersiedelten zur Österreich-Ausgabe der »Jungen Freiheit«, worauf im Abschnitt über die FPÖ und den Rechtsextremismus näher eingegangen wird. Diese in Jahrzehnten gewachsenen Milieus und Strukturen ließen einem Erneuerungskurs in Richtung Liberalismus, wie er mit Unterstützung Friedrich Peters von jüngeren Kräften in den siebziger Jahren in Angriff genommen wurde, von vornherein nur begrenzte Chancen. Die in dem 1971 gegründeten Atterseekreis versammelten, von liberalen Ideen bewegten Jungen (Norbert Steger, Friedhelm Frischenschlager, Helmut Krünes, Holger Bauer, Jörg Freunschlag, Volker Kier, Hansjörg Tengg u.a.)48 verstanden es zwar, wichtige Funktionen zu übernehmen, an die Spitze von Organisationen bis hin zur Bundesparteiführung zu kommen, eine Änderung der Struktur der Basis bzw. der politischen Mentalität breiter Parteikreise gelang jedoch nicht.
Die Episode Steger: Der vermeintliche Durchbruch des Liberalismus Nach dem überraschend schnellen Scheitern des Peter-Nachfolgers als Bundesparteiobmann Alexander Götz (1978-1980), nicht zuletzt infolge seines autoritären Führungsstils, schien - zumindest an der Parteispitze - der Durchbruch der jüngeren, liberalen Kräfte in der FPÖ gekommen zu sein. Auf dem FPÖ-Parteitag im März 1980 standen einander die beiden Hauptflügel in den Personen des Liberalen Norbert Steger, Landesparteiobmann von Wien, und des »Nationalen« Harald Ofner, Obmann der FPÖ Niederösterreich, in einer Kampfabstimmung gegenüber, wobei Steger - freilich nur knapp - die Oberhand behielt.
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Von Anfang an stand der als »linksliberal« diffamierte Steger-Kurs im Kreuzfeuer von Angriffen sowohl aller rechtsextremen Organisationen als auch der FPÖ-Rechten und wurde insbesondere von Scrinzi, Götz und Haider bekämpft. So war Steger immer wieder gezwungen, Zugeständnisse an die »nationalen« Kräfte in seiner Partei zu machen. Hierzu zählen etwa die Durchsetzung einer Bundessubvention für den rechtsextremen Österreichischen Turnerbund oder der Besuch beim »letzten österreichischen Kriegsgefangenen«49, wie der in Gaeta inhaftierte Kriegsverbrecher Walter Reder verharmlosend bezeichnet wurde. Steger, der als Wiener FPÖ-Obmann die »alten Keller-Nazis« aus seiner Partei entfernen wollte und einen »Wähleraustausch« - liberal statt national - anstrebte50, mußte als Bundesparteiobmann deutlich zurückstecken. Mit der noch von Bruno Kreisky in die Wege geleiteten Bildung der kleinen Koalition von SPÖ und FPÖ nach dem Verlust der absoluten Mehrheit der SPÖ bei den Nationalratswahlen 1983 war Steger zweifellos der größte politische Erfolg in der Geschichte seiner Partei gelungen, wurde doch damit das Getto, in dem sich das »Dritte Lager« seit 1945 befunden hatte, endgültig überwunden und die lange herbeigesehnte Beteiligung an der Macht erreicht.51 Kurz zuvor, am 5. Oktober 1979, war die FPÖ nach langjährigen Bemühungen in die Liberale Weltunion (später: Liberale Internationale) aufgenommen worden52, was später, unter der Obmannschaft Jörg Haiders, zu Auseinandersetzungen und schließlich zum Austritt der FPÖ führte.53 Personell konnte Steger zwar viele Liberale in wichtige Positionen bringen, ein entscheidender geistig-ideologischer Durchbruch bei der Masse der Parteianhänger und -funktionäre gelang ihm jedoch nicht. Dies wurde u.a. in der von Steger herbeigeführten Parteiprogrammdiskussion 1985 sichtbar, als zwar einige liberale Positionen durchgesetzt werden konnten, das traditionelle ideologische Fundament der FPÖ, das Bekenntnis zur »deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft«, aber beibehalten wurde.54 Andreas Mölzer erblickt in dem Salzburger Parteiprogramm 1985 »ein Scheitern jener Kräfte« (gemeint ist Steger), »die die völlige Abnabelung der Freiheitlichen Partei von ihren nationalliberalen Wurzeln gepredigt hatten«55. Zu Recht stellte der Politikwissenschafter Alfred Stirnemann in seiner kritischen Analyse des neuen FPÖ-Programms schon 1986 fest, daß »die Verwandlung in eine liberale Partei nicht geglückt« erschien 21
und »die nationalen Elemente umfang- und schwerpunktmäßig eher eine Ausweitung erfahren« hatten56. Daß sich die FPÖ bestenfalls nur verbal zum Liberalismus hin entwickelt hatte, wurde in der Reder-Frischenschlager-Affäre Anfang 1985 deutlich. Nachdem der als FPÖ-Paradeliberaler geltende Verteidigungsminister der SPÖ-FPÖ-Koalition Friedhelm Frischenschlager den Handschlag mit dem aus italienischer Haft heimkehrenden SSKriegsverbrecher Walter Reder (und damit symbolisch mit der nazistischen Vergangenheit) vollzogen hatte, kam es zum Applaus vieler FPÖ-Funktionäre für den Minister - Jörg Haider qualifizierte Frischenschlagers Verhalten als »vorbildlich«. Als sich dieser bald darauf unter dem Druck der SPÖ für diesen unverständlichen Handschlag entschuldigte, trug ihm diese Entschuldigung die scharfe Kritik Haiders ein.57 Im FPÖ-Vorstand kam es darüber am 19. Februar 1985 zu schweren Auseinandersetzungen. So erklärte der oberösterreichische Landesparteiobmann Horst Schender: »Die Causa FrischenschlagerReder hat wieder etwas Aufwind und Zuversicht an der Basis gebracht. Nach dem Interview Frischenschlagers mit einer israelischen Zeitung habe ich den dadurch entstandenen Flächenbrand vorausgesehen [,..].«58 Schon in dieser Krisensituation wurde deutlich, daß sich zwischen der Führung, die zu Steger stand und Haider ausschließen wollte, und der Basis eine Kluft aufgetan hatte. Dennoch vollzogen sich der Sturz Stegers und mit ihm das Ende des liberalen Kurses nicht nur für den Vizekanzler überraschend, sondern auch für die Beobachter, die dem FPÖ-Liberalismus immer schon skeptisch gegenübergestanden waren. Die Tatsache, daß die meisten führenden FPÖ-Funktionäre den Regierungskurs unterstützten oder zumindest nicht bekämpften, ließ Steger offenbar den infolge Wahlniederlagen und schlechter Umfragedaten (zwischen ein und zwei Prozent)59 eintretenden Stimmungsumschwung in weiten Parteikreisen verkennen. Christian G. Allesch, Mitbegründer des Atterseekreises und liberaler Exponent der FPÖ, analysierte diese Entwicklung folgendermaßen: »Ausschlaggebend für die Niederlage des durch die Person Stegers gekennzeichneten prononciert liberalen Kurses war die Tatsache, daß die ideologischen Veränderungen, die sich in den letzten Jahren in der Parteispitze und in der Programmatik der FPÖ abzeichneten bzw. ereigneten, von der vielzitierten >Parteibasis< allenfalls toleriert, aber
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nicht innerlich nachvollzogen wurden. In der Struktur der Parteitagsdelegierten, bei deren Analyse überdies die höchst inhomogene regionale Gewichtung zu berücksichtigen ist, hat sich trotz eines gewissen Generationswechsels kein spürbarer Wandel der ideologischen Kräfteverhältnisse vollzogen.«60 Haider nutzte und verstärkte die zunehmenden Probleme Stegers ohne Skrupel. Er hatte sich schon vom Anbeginn der kleinen Koalition 1983 als Gegner Stegers in der Partei und in der Öffentlichkeit präsentiert, vor allem deshalb, weil er nicht Minister geworden bzw. der angeblich vereinbarte Posten eines Klubobmannes nicht für ihn freigemacht worden war.61 Haider ließ keine Gelegenheit aus, um den Bundesparteiobmann Steger zu attackieren, und verschärfte im Laufe der Jahre 1985/86 seine Angriffe, wobei er bis an die Grenze zu einem Parteiausschluß bzw. einer Parteispaltung ging. Ein Höhepunkt der Anti-Steger-Kampagne war der Landesparteitag der Kärntner FPÖ im Frühjahr 1986, als ein Delegierter, ohne von Haider zurechtgewiesen zu werden, verkündete: »Mit dem Haider tat i wieder nach Rußland ziehen, mit dem Steger tat i nit amol auf Urlaub gehn.«62 Der Meinungsforscher Fritz Plasser charakterisiert die Haider-Anhänger folgendermaßen: »Jene Funktionäre, aufgewachsen im reaktionär-dumpfen Umfeld diverser >HeimatdiensteAbwehrkämpfenTurnerbündeallgemeingültig< für das bestehende System der parlamentarischen Demokratie dargestellt wurden«. 26 Tatsächlich weist eine Reihe von Haiders Äußerungen in die Richtung einer Infragestellung des demokratischen Systems, wobei er selbst bzw. die FPÖ stets als die einzige die Rechte des »Volkes« und einer angeblich »schweigenden Mehrheit« vertretende Kraft dargestellt werden: »Darin liegt auch die Ursache für den politischen Erfolg unserer Bewegung, daß wir entgegen der veröffentlichten Meinung des medialen und politischen Establishments die öffentliche Meinung breiter Bevölkerungsschichten artikulieren. Die schweigende Mehrheit, die die Last dieses Staates trägt, hat ein Recht, gehört zu werden.«27
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Haider diffamiert die österreichische Demokratie nicht nur als ein »freiheitsfeindliches System der menschenverachtenden Behandlung der Bürger«28, als »Fossil«, das »die Machterhalter« »am Leben halten wollen«29, als »Nachtwächterdemokratie, an der Metternich seine reine Freude hätte«30 oder als eine »Diktatur der Dilettanten«31. Haider stilisiert seine FPÖ als einzige Retterin Österreichs, wenn er in Abwandlung eines berüchtigten Slogans32 meint, »am freiheitlichen Wesen könnte die Demokratie in Österreich wirklich genesen« oder aber die FPÖ sei »das Heilmittel gegen die Arroganz des Funktionärsstaates und der Funktionärsherrschaft geworden«.33 Mittlerweile spricht Haider dem politischen System Österreichs bereits die demokratische Qualität ab, wobei er sich einer bisher nur von neonazistischer Seite verwendeten Diktion bedient, wenn er meint, Österreich sei »ja in Wirklichkeit keine funktionierende Demokratie«, sondern vielmehr »eine autoritäre Entwicklungsdemokratie unter der Vorherrschaft von Lizenzparteien, die von den Besatzungsmächten zugelassen, aber nie von der Bevölkerung gegründet wurden«. Diese Parteien seien »gewählt worden durch ein System, das durch Stimmenkauf und Abhängigkeit bestimmt ist«. Denn: »In Wirklichkeit erleben wir in Österreich die Wiedergeburt eines Austrofaschismus.«34 Gegen den 1933 durch einen klaren Bruch der österreichischen Bundesverfassung vom christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß errichteten »autoritären Ständestaat«, »Austrofaschismus«, kämpften illegale Nationalsozialisten in der Folge ebenso wie die verbotenen Parteien der Arbeiterbewegung. Im Oktober 1996 wiederholte Haider gegenüber der »Süddeutschen Zeitung« nochmals einen derartigen Angriff und sprach von einer »starren Machtaufteilung« in Österreich, die schon »präfaschistische Züge« aufweise. Die FPÖ sei die »PLO Österreichs, die Befreiungsbewegung der Österreicher« .35 Insgesamt scheint er sich aber selbst nicht schlüssig, welchen Charakter nun das politische System Österreichs aufweise. An anderer Stelle verglich er nämlich die FPÖ mit den »Dissidenten im Ostblock« und setzte hinzu: »Aber irgendwann ist die Nomenklatura eingegangen.«36 Für ihn negativ verlaufende demokratische Entscheidungsprozesse oder Wahlen kann Haider nur schwer akzeptieren. Derartige Mißerfolge erklärt er dann meist mit Verschwörungstheorien oder dem unde-
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mokratischen Charakter Österreichs. Seine Abwahl als Landeshauptmann von Kärnten 1991 definierte Haider als Ausdruck einer »medialen Vernichtungsmaschinerie« eines »linken Pöbels«.37 Auch für das Scheitern der totalen Machtansprüche der Kärntner FPÖ nach der Landtagswahl 1994 machte Michael A. Richter in der »Neuen Freien Zeitung« den angeblichen »ständestaatlichen« Charakter Österreichs verantwortlich, durch den der tatsächliche Wille der Bevölkerung unterdrückt werde.38 Der Kommentator übersah dabei geflissentlich, daß immerhin noch rund 66 Prozent der Kärntner nicht der FPÖ ihre Stimme gegeben hatten, also keine freiheitliche Machtübernahme wünschten. Als die FPÖ bei den Nationalratswahlen vom Dezember 1995 erstmals seit 1986 keine Gewinne einfahren konnte, beschuldigte Haider abermals die ihm ablehnend gegenüber stehenden Medien: »Ich war sicherlich enttäuscht über das Ergebnis, weil ich es als ungerecht empfinde, wenn jene belohnt werden, die Österreich an den Rand des Abgrunds führen - und wenn derjenige, der das verändern will, von einer manipulierten öffentlichen Meinung kaputtgeschrieben wird.«39 Zuvor hatte er seinen Mißerfolg darauf zurückgeführt, daß Österreich »eine Kolonie des Auslandes sei«, eine »mediale Söldnertruppe« für das Wahlergebnis verantwortlich zu machen sei.40
Starker Staat Seit jeher haben Rechtsextreme die Vorstellung von einem starken, »law and order« durchsetzenden Staat; rechtsextreme Parteien und Staatssysteme zeichen sich durch autoritäre Strukturen aus. Haider zeigt sowohl in seiner innerparteilichen Praxis als auch in seinem vorgeblichen Bemühen um Ordnung, Gerechtigkeit und Sauberkeit in Österreich seine autoritäre Grundhaltung. Hand in Hand damit geht der Ruf nach effizienterer Polizei und Sicherheitsvorkehrungen, wobei diese Thematik eng mit der Angstpropaganda gegen Ausländer verbunden wird. Ohne jede humane Hemmung werden Unsicherheitsgefühle und Ängste der Bevölkerung für politische Manipulation instrumentalisiert. Während des Nationalratswahlkampfes 1990 und im Wiener Gemeinderatswahlkampf 1996 benutzte die FPÖ Wien ein Plakat mit der Losung »Wien darf nicht Chicago werden«41, wobei die amerikanische Stadt ungerechtfertigterweise als Synonym für chaotische Sicherheitsverhältnisse mißbraucht wurde. 60
Auch Haider selbst schreckt vor aus dem Biertischmilieu kommenden Diffamierungen nicht zurück; bei einem Auftritt in Bayern etwa meinte er: »Die Kriminalität steige. Viele trauten sich am Abend nicht mehr wegzugehen. >Aber wenn's die Kriminellen einmal einlochen, haben sie bessere Verhältnisse mit Farbfernsehen als die Polizisten draußen, die sie bewachen.Dritte Republik< kommt nicht mehr vor. Es sind klare Grenzen zum Neonationalsozialismus erfolgt. [...] Haider denkt nicht an einen Austritt aus der Europäischen Union. Die >Dritte Republik< war revolutionär, eine Verfassungsreform ist evolutionär. Evolution ist legitim, Revolution ist nicht legitim. Die vergangenen gemeinsamen Abstimmungen haben gezeigt, daß der Sand schon etwas fester geworden ist. Haider hat eine gewisse Entwicklung zum Positiven durchgemacht.«15 Dazwischen lag ein gemeinsames parlamentarisches Vorgehen der ÖVP und der FPÖ gegen den von den Sozialdemokraten favorisierten Verkauf der im Eigentum der Republik befindlichen Bank CreditanstaltBankverein an die der Stadt Wien gehörenden Bank Austria, der letzt135
lich dann doch zur Enttäuschung der Freiheitlichen die Zustimmung der ÖVP fand. Trotzdem gab es Mitte Januar ein konkretes Angebot der Freiheitlichen an die Volkspartei zu einem fliegenden Koalitionswechsel, der jedoch von den ÖVP-Gremien abgelehnt wurde.16 In Reaktion darauf höhnte Haider über die Volkspartei, diese sei »eine Partei ohne Handschlagqualität« geworden, »Menschen, die nicht den Mindeststandard von Handschlagqualität haben, die wird man mit der Zeit meiden, denen kann man nicht vertrauen.«17 Als nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Franz Vranitzky, Haiders erbittertstem politischem Gegner, der bisherige Finanzminister Viktor Klima an die Spitze der Regierung gelangte, erhoffte sich Haider einige Zeit lang eine nun verbesserte Basis zu den Sozialdemokraten und meinte, eine Koalition mit der SPÖ sei für ihn nun nicht mehr ausgeschlossen.18 Nachdem jedoch Klima die Fortsetzung der ablehnenden Haltung gegen die Freiheitlichen anläßlich seiner Wahl zum SPÖ-Vorsitzenden eindeutig bekräftigte19, schwenkte Haider neuerlich zum Liebeswerben um die Volkspartei um: »Es fällt der ÖVP immer leichter zu sehen, daß sie mit den Sozialisten in einem falschen Boot gesessen ist. Ich glaube, daß nach 28 Jahren sozialistischer Dominanz eine Wende notwendig ist.«20 Doch selbst in den Reihen der SPÖ, bislang weitgehend einig in der grundsätzlichen Ablehnung Haiders, setzten nach den Europawahlen 1996 öffentliche Überlegungen zur Änderung der Strategie gegenüber den Freiheitlichen ein. Es erforderte einen längerdauernden Meinungsbildungsprozeß bis zur Erneuerung der klaren Absage an die FPÖ durch Viktor Klima, obschon der scheidende Vorsitzende Vranitzky die Partei vor seinem Abgang nochmals in einem Grundsatzbeschluß des SPÖ-Präsidiums auf eine Beibehaltung seines Kurses eingeschworen hatte.21 So mancher SPÖ-Funktionär wollte nach dem 13. Oktober 1996 eine Kooperation mit den Freiheitlichen plötzlich nicht mehr ausschließen. Der burgenländische Landeshauptmann Karl Stix forderte ein »Einbeziehen« der FPÖ »in einen politischen Dialog«, der steirische Landeshauptmannstellvertreter Schachner-Blazizek verlangte gar einen »radikalen Kurswechsel« der Bundespartei in dieser Frage.22 Auch der Wiener Landeshauptmann und Bürgermeister Michael Häupl, dem die Freiheitlichen bei der Wiener Wahl im Oktober 1996 eine schwere Niederlage und den Verlust der jahrzehntelangen absoluten Mehrheit zugefügt hatte, sah plötzlich die Möglichkeit einer
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Zusammenarbeit mit der FPÖ in »Sachfragen«23, wobei er sich der Un-terstützung einiger Wiener Bezirksobleute sicher sein konnte.24 Häupl lud nach den Wahlen auch die FPÖ zu Gesprächen über die künftige Wiener Politik ein, worauf Haider jubelte: »Seine Einladung ist wie Weihnachten und Ostern zugleich. Ich brauche niemandem zu danken, auch ihm (Häupl, Anm. d. Verf.) nicht. Dank gebührt nur meinen Wählern, die durchgehalten haben, mit uns diesen Weg zu gehen, der zum Erfolg führte.«25 Den bisherigen Höhepunkt der Anbiederung an die Freiheitlichen setzte nach der Landtagswahl 1997 der sozialdemokratische Kandidat für das Bürgermeisteramt in der Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt26, Siegbert Metelko. Für die Stichwahl in-serierte Metelko in der Kärntner FPÖ-Zeitung und forderte die FPÖ-Wählerinnen auf, ihm ihre Stimme zu geben, nachdem der FPÖBewerber schon im ersten Wahlgang ausgeschieden war. Die Taktik ging nicht auf - Metelko verlor durch diese Aktion mehr Stimmen als er gewinnen konnte, wie eine Wählerstromanalyse nachwies. Letztlich wurde doch der ÖVP-Kandidat Harald Scheucher mit Mehrheit zum Klagenfurter Bürgermeister gewählt.27 Unabhängig von solchen taktischen Überlegungen gelang es Haider jedoch in den letzten Jahren tatsächlich, in einzelnen Bereichen eine Art Themenführerschaft zu übernehmen. Insbesondere in der Frage der Ausländerpolitik, bei der Bekämpfung der »Privilegien« und »Sozialschmarotzer« ließen und lassen sich die Regierungsparteien von ihrer Angst, noch mehr Wählerinnen an die FPÖ zu verlieren, zur Erfüllung freiheitlicher Forderungen drängen. Als Haider beispielsweise 1995 forderte, Bezieher von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe28 zu einem »gemeinnützigen Pflichtdienst« heranzuziehen, zeigte sich der SPÖ-Nationalratsklub empört. Nur ein Jahr später schlug der damalige Sozialminister Franz Hums (SPÖ) vor, daß Menschen, die länger als eineinhalb Jahre arbeitslos sind, in »gemeinnützigen Beschäftigungsprojekten« verpflichtet werden können.29 In Fragen des Aufenthaltsrechts und der Beschäftigung von Ausländern konnte die FPÖ die größten Erfolge erzielen. So forderten Rechtsextreme und Freiheitliche schon lange, für im Ausland lebende Kinder von Gastarbeitern keine Kinderbeihilfe mehr auszubezahlen. Im letzten »Sparpaket« der Bundesregierung wurde eben diese Forderung aus »Einsparungsgründen« erfüllt, die entsprechenden bilateralen Abkommen mit den Herkunftsländern der Gastarbeiter wurden gekün137
digt.30 Seit dem »Ausländer-Volksbegehren« 1993 wiederholten die Freiheitlichen immer wieder ihre Forderung nach sofortigem »Einwanderungsstopp« bzw. Rückführung oder Ausweisung arbeitsloser Gastarbeiter. Tatsächlich hatte die rigide Anwendung des österreichischen Fremdenrechts schon 1996 fast einen Zuwandererstopp bewirkt.31 Das im Frühjahr 1997 in Diskussion befindliche »Integrationspaket« zur Neuregelung des Aufenthaltsrechts zielt darauf ab, die Zuwanderung mit Ausnahme von Familienangehörigen bereits im Land befindlicher nichtösterreichischer Arbeitnehmer und von »Schlüsselarbeitskräften«, d.h. besonders qualifizierter Arbeitnehmer, völlig zu unterbinden.32 Erste bekannt gewordene Entwürfe sahen auch vor, durch längere Zeit hindurch arbeitslose Ausländerinnen abzuschieben. Da vor allem Menschenrechtsorganisationen und NGOs an einer Reihe von Bestimmungen heftige Kritik übten, wurde die ursprünglich für Ende April 1997 vorgesehene Beschlußfassung nochmals aufgeschoben. Die vorliegenden Entwürfe nannte die grüne Parlamentsabgeordnete und Integrationssprecherin Terezija Stoisits einen »Kniefall der Koalition vor Haider«.33 Seit der Ersten Republik stellt der Soziale Wohnbau, die sogenannten Gemeindewohnungen, einen Eckpfeiler sozialdemokratischer Kommunalpolitik dar. Diese Wohnungen sollen sozial schlecht gestellten Menschen qualitativ gutes Wohnen zu erschwinglichen Preisen ermöglichen. Seit einigen Jahren wird in diesem Zusammenhang, zuletzt auch von Verkehrsminister Caspar Einem, gefordert, solche Wohnungen auch für Gastarbeiter, die in ihrer Mehrheit am untersten Ende der sozialen Stufenleiter ihr Leben fristen müssen, zur Verfügung zu stellen. Bürgermeister Michael Häupl (und mit ihm die Wiener SPÖ) lehnte dies stets mit dem Argument ab, er »trete äußerst ungern als Wahlhelfer der FPÖ auf«. Denn in Gegenden Wiens, wo die FPÖ gegen neu eingebürgerte Menschen in Gemeindebauten polemisiert hatte, mußte die SPÖ besonders schwere Verluste bei den letzten Gemeinderatswahlen hinnehmen. Auf diese Weise gelingt es der FPÖ trotz ihrer Oppositionsrolle, sozialdemokratische Politik in wichtigen Bereichen in ihrem Sinn zu beeinflussen. Schon rund um das »Ausländer-Volksbegehren« der FPÖ hatte die SPÖ plakatiert: »Gesetze statt Hetze« und daraufhingewiesen, daß eine Reihe der freiheitlichen Forderungen ohnehin schon realisiert sei. Ein Kommentator der Tageszeitung »Der Standard« merkt zu dieser Politik richtigerweise an: »Der 138
Versuch, die Freiheitlichen durch Vorwegnahme ihrer Argumente fernzuhalten, hat die Wiener FPÖ bis auf neun Prozent an die SPÖ herangeführt. Warum sollte die hilflose Übernahme der FPÖ-Argumentation im Kampf um den Gemeindebau zu einer Trendwende bei den Gewinnen der FPÖ und Verlusten der SPÖ führen?«34
Rechtskonservative und -katholische Bündnispartner Jörg Haiders strategisches Konzept zielt auf die Etablierung einer großen Koalition aller Rechten - mit ihm als Führer.35 Diesem Zweck dienen auch die unübersehbaren Bemühungen zur Gewinnung neuer Bündnispartner im Bereich Rechtskonservatismus und Rechtskatholizismus. Erste, allerdings nicht sehr erfolgreiche Versuche in dieser Richtung unternahm die FPÖ mit Hilfe von Haiders damaligem Grundsatzreferenten Andreas Mölzer bereits 1993, der damals vor allem die von ihm dominierte Zeitschrift »Aula« auf diesen neuen, traditionelle FPÖ-Bahnen verlassenden Kurs einzuschwören versuchte. Proteste gegen die Abkehr vom jahrzehntelang gepflegten Antiklerikalismus des »Dritten Lagers« wurden zwar in der »Aula« gebracht36, änderten aber vorläufig nichts an der neuen Richtung. Mölzer selbst stand gemeinsam mit einem anderen FPÖ-Rechten, dem damaligen Nationalrats-, heutigen Bundesratsabgeordneten John Gudenus, an der Spitze eines »Grundsatzpolitischen Arbeitskreises FPÖ-Katholiken«, der sich um eine »Allianz mit den wertkonservativen Österreichern«, vor allem aber um eine in den Medien präsentable Verbindung zu katholischen Würdenträgern bemühte.37 Diese demonstrative Suche nach katholischen Verbündeten auf der Grundlage des »Wertkonservatismus« schmerzte die um ihre Kernschichten bangenden ÖVP-Politiker; der damalige Tiroler Nationalratsabgeordnete und Leiter der ÖVP-Akademie, nunmehr Klubobmann im Parlament Andreas Khol qualifizierte diese Mölzerschen Ambitionen als »billigen Populismus« ab.38 Eine organisatorisch-politische Plattform für die FPÖ-Bemühungen um den rechten Rand des Konservatismus und Katholizismus sollte der 1993 gegründete, aber bald wieder entschlafene Patriotische Club sein, der sich als »Antithese« zum 1986 als Zentrum der WaldheimKritiker konstituierten (antifaschistischen) Republikanischen Club 139
verstand. Bei der Gründungsversammlung des Patriotischen Clubs am 22. September 1993 im Hotel Imperial in Wien wurden Prof. Kurt Dieman, ein bekannter Publizist mit wechselvoller Vergangenheit, zum Präsidenten und Andreas Mölzer zum Schriftführer gewählt; weiters gehörten dem Vorstand bzw. Kuratorium an: Ronald F. Schwarzer, Präsident von Pro Occidente, Robert Krapfenbauer, Karl König, ehemaliger ÖVP-Gemeinderat in Wien, Karl Bleyer, Präsident des Vereins für Konservative Publizistik (Österreichische Konservative Union), Friedrich Engelmann, Herausgeber der katholisch-traditionalistischen Zeitschrift »Der 13.«, Josef Feldner, Obmann des im Vorfeld des Rechtsextremismus angesiedelten Kärntner Heimatdienstes, der Abgeordnete »Graf« John Gudenus, Leopold Guggenberger, (ÖVP-) Bürgermeister von Klagenfurt, Robert Stelzl von der Jungen Konservativen Union, Botschafter Heinrich Birnleitner von der Bürgerinitiative Österreicher für Österreich, Bundesminister a. D. Hans Klecatsky, Friedrich Romig, Abgeordneter a. D. Ernst »Graf« Strachwitz, Albert Pethö, Herausgeber der Zeitschrift »Die weiße Rose«, Otto »Graf« Hartig und Christian Zeitz, Obmann des Wiener Akademikerbundes, der vor Jahren wegen seiner Unterstützung für Norbert Burger, Obmann der neonazistischen NDP, seine Funktion als Landesparteisekretär der ÖVP-Wien hatte aufgeben müssen.39 Im Statut der »Patrioten« wurde das Bekenntnis zu einem »christlich-abendländischen Weltbild« sowie zu »überlieferter Kultur« und »Volkstum« festgeschrieben, während Mitglieder von »Sekten und Geheimbünden« ausgeschlossen bleiben sollten.40 Weder von den FPÖ-Katholiken noch vom Patriotischen Club war in den letzten Jahren noch etwas zu hören. Eine andere Achse zum fundamentalistischen Flügel des österreichischen Katholizismus erwies sich als dauerhafter. Als wichtiges personelles Bindeglied fungierte zu Anfang das oben erwähnte Mitglied des Patriotischen Clubs, Dozent der Wiener Wirtschaftsuniversität, Friedrich Romig, ein Schüler des Ständestaats-ideologen Othmar Spann, der nun in Kreisen der sogenannten »Neuen Rechten« eine Renaissance erlebt. Romig, der sich nicht zuletzt durch mehrfache Ehrenbeleidigung des DÖW in einschlägigen Kreisen profiliert hatte, wurde von Mölzer für die Mitarbeit in der »Aula« gewonnen.41 Da Romig, ein fundamentalistischer EU-Gegner, in der Folge zum Europa-Beauftragten des St. Pöltner Diözesanbischofs Kurt Krenn aufstieg, eröffne140
te sich auf diese Weise ein Zugang zu diesem von der FPÖ besonders umworbenen Kirchenmann. Bischof Krenn, am äußersten rechten Flügel der katholischen Kirche Österreichs angesiedelt, dem aber hier keine rechtsextreme Haltung unterstellt werden soll, wurde von Haider und Mölzer gegen innerkirchliche, linke oder liberale Kritik in Schutz genommen und zu FPÖ-Veranstaltungen eingeladen; umgekehrt bescheinigte der St. Pöltner Bischof der FPÖ Positives: »Haiders Partei nähert sich der Kirche.«42 Schon zwei Jahre davor zeigte die Bischof Krenn nahestehende, rechtskatholische Zeitung »Der 13.« unverhohlene Sympathien für Haider und dessen Politik und forderte die ÖVP auf, doch endlich eine Koalition mit Haider einzugehen.43 1995 sparte Krenn gegenüber einem Journalisten des »Stern« nicht mit Lob für Haider. Dieser tue »der österreichischen Politik gut. Er ist ein Punkt geworden, auf den sich alle beziehen.«44 Einer Annäherung an diese rechtskatholischen Kreise soll wohl auch der im März 1997 bekannt gewordene, von Klubobmann Ewald Stadler verfaßte Entwurf zu einem neuen Parteiprogramm der FPÖ dienen, worin sich die Freiheitlichen zu einem »wehrhaften Christentum« bekennen, das als Partner »im Bestreben um den Erhalt der geistigen Substanz Europas« gesehen wird. Bedroht werde Europa nämlich von einem »zunehmenden islamischen Fundamentalismus«, einem »hedonistischen Konsumismus«, einem »aggressiven Kapitalismus« und dem »Zunehmen von Okkultismus und pseudoreligiösen Sekten« sowie einem »in allen Lebensbereichen vermehrt feststellbaren Nihilismus«. Denn immer mehr Menschen würden von der Kirche erwarten, »sich entschlossener gegen Bedrohungen zu wehren und nicht auf das Niveau psycho-sozialer Betreuungsinstitute und Gesinnungsfabriken herabzusinken« .45 Haider gestand gegenüber Journalisten durchaus ein, daß mit dieser programmatischen Wendung weg vom traditionellen Anti-Klerikalismus des deutschnationalen, »Dritten« Lagers eine Zusammenführung von »Bewegungen, die idente Wertvorstellungen vertreten«, erreicht werden solle. Außerdem habe sich gezeigt, »daß man sich auch um die kirchliche Gemeinschaft kümmern muß, wenn man mehrheitsfähig werden will«.46 In einer in München abgehaltenen Pressekonferenz bekräftigte Haider, daß das »wehrhafte Christentum« vor allem gegen Zuzügler aus dem islamischen Bereich gerichtet sei, denn die »weisen Kinderreichtum auf. Da kann es bald zu Mehrheitsveränderungen in 141
den Städten kommen.«47 Damit entlarvt sich die »Christianisierung« der Freiheitlichen als bloß neue Variante einer fremdenfeindlichen Propaganda. Die Reaktionen auf die Veröffentlichung der oben zitierten Passagen des Entwurfes waren beträchtlich. Seitens der Kirche ergriff Bischof Krenn offen für Haider Partei und meinte in einem Interview mit der Zeitung »News« über Haider: »Alles, was ihm gelingt, das soll uns freuen« und fügte hinzu, daß er in der österreichischen Bischofskonferenz mit dieser Meinung nicht allein dastehe.48 Doch selbst rechte Kirchenkreise, wie Familienbischof Klaus Küng, distanzierten sich von Krenns Annäherung an die Freiheitlichen; Kurt Dieman, 1993 noch im Patriotischen Club zu finden, fand in einer Presseaussendung äußerst scharfe Worte gegen den Schachzug der FPÖ: Er könne sich der »Assoziationen« zum »Bekenntnis zum >positiven Christentum< im NS-Programm nicht erwehren«.49 Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Johann Weber, stellte klar, daß die Katholische Kirche Österreichs zu keiner der politischen Parteien besondere Nähe aufweise. Dies veranlaßte Krenn wiederum nachzusetzen, er halte »das Gebot der Äquidistanz der Kirche zu politischen Parteien« für einen »absoluten Holler«.50 Die Österreichische Volkspartei mit einem traditionellen Naheverhältnis zu den österreichischen Katholiken reagierte gelassen bis nervös. Ihr Generalsekretär Othmar Karas geißelte jedoch die Versuche Haiders zur Vereinnahmung des reaktionären Teils der Kirche: »Die vermeintliche Annäherung zwischen FPÖ und Teilen der katholischen Kirche ist daher der Schulterschluß im Kulturkampf der christlichen Fundamentalisten und der rechten Populisten gegen die offene Gesellschaft auf den Grundlagen des liberalen Rechtsstaats.«51 Tatsächlich muß diese Anbiederung Haiders an den von Krenn repräsentierten rechten Flügel der Kirche als Versuch einer Spaltung der Kirche und der neuerlichen Schwächung der ÖVP, der traditionell christlichen Partei Österreichs, verstanden werden. Denn große Teile der katholischen Kirche Österreichs stehen Rechtsextremismus und christlichem Fundamentalismus ablehnend gegenüber. Caritas und einzelne Pfarren leisten Vorbildliches in der Flüchtlingsbetreuung und engagieren sich gegen Härten in der Fremdengesetzgebung. Eben diese Aktivitäten entsprechen wiederum nicht den Ansichten anderer Teile des Kirchenvolks, die lieber eine traditionelle, fromme, dem 142
Tagesgeschehen entrückte Kirche sehen möchten und »keine politische Caritas«, »sondern individuelle Barmherzigkeit«52 wünschen. Auch innerhalb der FPÖ regte sich heftiger Widerstand gegen den neuen Programmentwurf. Vor allem die Wiener Parteiorganisation unter ihrem Obmann Rainer Pawkowicz verwehrte sich entschieden gegen den verordneten Schulterschluß mit der Kirche, »zumal es in der Ausländerfrage gravierende Differenzen mit der Kirche gebe«.53 Diese Haltung sowie das Beharren auf einer neuerlichen Verankerung eines deutschnationalen Bekenntnisses im neuen Parteiprogramm trug Pawkowicz im Vergleich zum Vorjahr verstärkte Zustimmung am Wiener Landesparteitag ein. Rund um den ehemaligen dritten Nationalratspräsidenten Gerulf Stix formierte sich gleichzeitig unter der Bezeichnung »Genius« eine Gruppe unzufriedener Freiheitlicher, vor allem langgedienter FPÖ-Funktionäre, die dagegen auftreten wollen, »daß die FPÖ das Lager wechselt«, also zu einer österreichischen Variante der CSU würde.54 Noch am nächsten Tag wurde vom Präsidium der FPÖ der Begriff des »wehrhaften Christentum«, an dem sich viele gestoßen hatten, abgeschwächt. Die FPÖ bekennt sich nun zu einem Christentum, »das bereit ist, seine Werte zu verteidigen« ,55 Inzwischen meldete sich der FPÖ-Rechtsaußen Otto Scrinzi in der »Deutschen National-Zeitung« zur Programmdiskussion warnend zu Wort und meinte, nun gelte es, »das Dritte Lager vor dem Fall zu bewahren« ,56 Zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung für das vorliegende Buch war diese Debatte noch im vollen Gange. Eine endgültige Entscheidung über die neue programmatische Positionierung der Freiheitlichen wird der Bundesparteitag im Oktober herbeiführen. Die tagespolitischen Konsequenzen hingegen werden erst die nächsten Wahlergebnisse weisen. Dann wird sich herausstellen, inwieweit Haider tatsächlich Einbrüche in das katholische Lager Österreichs erzielen konnte bzw. inwieweit nicht gerade dieser Schachzug ihm gleichzeitig die bei den letzten Wahlen gewonnene Unterstützung ehemaliger Sozialdemokraten, mehrheitlich keine Kirchgänger, entzieht.
Die FPÖ und der Rechtsextremismus Seit der entscheidenden Weichenstellung in der FPÖ 1986 haben sich grundlegende Strukturveränderungen im österreichischen Rechtsex143
tremismus vollzogen. Im Gefolge des Rechtsschwenkes der FPÖ unter ihrem Parteiobmann Jörg Haider, der dieser Partei enorme Attraktivität im traditionellen Milieu von Deutschnationalismus und Rechtsextremismus verlieh, wurden in zunehmendem Maße Rechtsextreme, ja sogar frühere Neonazis in die FPÖ integriert. Auf diese Weise wurden - vielfach auf der Ebene von Spitzenfunktionären - personelle Verbindungen der FPÖ zu diversen rechtsextremen Organisationen geschaffen. Insgesamt rückte, wie in Kapitel vier ausführlich dargelegt, die FPÖ mit ihrer von Jörg Haider repräsentierten Hauptströmung in den Bereich des Rechtsextremismus. Dieser Prozeß der Integration von Rechtsextremen in die FPÖ bedingte einen starken Bedeutungsverlust vieler traditioneller rechtsextremer Organisationen; früher bedeutende Gruppierungen verkümmerten zu Splittergruppen. Im folgenden Abschnitt wird daher das vielschichtige Verhältnis FPÖ - Rechtsextremismus einer genaueren Untersuchung unterzogen. Zum einen werden die Wirksamkeit und die Bedeutung von politischideologischen Zentren innerhalb bzw. im Umfeld der FPÖ, vor allem »Aula« und »Junge Freiheit«, dargestellt; zum anderen werden auf der politisch-organisatorischen Ebene die Integration von Rechtsextremen in die FPÖ, die Einschätzung der FPÖ durch Rechtsextreme sowie rechtsextreme Äußerungen und Handlungen von FPÖ-Funktionären und Kontakte von FPÖ-Funktionären zu rechtsextremen Organisationen und Publikationen behandelt. Der Lorenzener Kreis - Strategiegruppe mit rechtsextremem Charakter Erst nach dem Sturz Norbert Stegers und der Wahl Jörg Haiders zum FPÖ-Obmann wurde bekannt, daß eine Lorenzener Kreis genannte Gruppierung die »generalstabsmäßige Vorbereitung« dieses Coups am Innsbrucker Parteitag 1986 organisiert hatte. 1989 präsentierte der Lorenzener Kreis, eine informelle, abseits der Öffentlichkeit operierende Plattform deutschnationaler und rechtsextremer Kräfte in der FPÖ, seine ideologischen Vorstellungen in der »Aula«.57 Diese »Lorenzener Erklärung« läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wie Willi Lasek, Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, nachgewiesen hat, weisen zahlreiche Positionen dieser »Erklärung« Parallelen zum Programm der wegen Neonazismus behördlich aufgelösten Nationaldemokratischen Partei, NDP,
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auf,58 woran auch die verbale Distanzierung vom »Totalitarismus faschistischer Ideologien« nichts ändert. In einem Gutachten mehrerer österreichischer Universitätsprofessoren wird die »Lorenzener Erklärung« wie folgt beurteilt: »Die angepeilte gesellschaftliche >ErneuerungNeu< ist lediglich die Offenheit und die Sprache, in der heute wieder derartige menschenverachtende Ideen propagiert werden.«59 Offen blieb die Frage nach dem tatsächlichen Einfluß dieses Lorenzener Kreises innerhalb der FPÖ. In der TV-Sendung »Inlandsreport« am 9. November 1989 wurde eine Liste gezeigt, die u.a. Haider und einige prominente FPÖ-Funktionäre als Mitglieder des Lorenzener Kreises auswies. Der Hauptinitiator des Lorenzener Kreises, Raimund Wimmer, sorgte in dieser TV-Sendung für einen Skandal, als er vor laufender Kamera meinte: »Und wenn wir jetzt die Polacken hereinlassen, Polen sagt man, und alles andere, und die Deutschen laßt man draußen, ja, wo sind wir denn? [...] Hier 50.000 Juden anzusiedeln, wie ich das gehört habe vom Zilk (damaliger Bürgermeister von Wien, Anm. d. Verf.), das ist unmöglich. Was täten wir damit, der kennt die Juden nicht. [...] Die würden sich wundern, wenn die Baikelesjuden würden herumrennen in Wien.«60 Eine Anzeige wegen Verdachts der Verhetzung blieb ergebnislos, Wimmer verschwand jedoch vorübergehend von der Bildfläche. Auch der Lorenzener Kreis traf danach nicht mehr zusammen. Wimmer, damals Bezirksobmann von Linz-Land, Oberösterreich, wurde wegen des Skandals kurzzeitig mit parteiinternem Funktionsverbot belegt, trat aber bei den oberösterreichischen Landtagswahlen 1991 als Spitzenkandidat seiner Heimatgemeinde Pucking wieder in Erscheinung. Die Aufgabe des Kreises sah der mittlerweile 78jährige Wimmer zehn Jahre nach dem historischen FPÖParteitag 1986 jedoch erfüllt: »Immerhin haben wir mit der Wahl Haiders die Republik verändert. Das ist doch was.«61 Die »Aula« und die Burschenschaften Rechtsextremismus im FPÖ-Umfeld Der Aula-Verlag und vor allem die von ihm herausgegebene rechtsextreme Zeitschrift »Aula« standen in den achtziger und der ersten Hälfte der neunziger Jahre im Mittelpunkt des rechtsextremen Spektrums 145
Österreichs und hatten sowohl in politisch-organisatorischer Hinsicht als auch und noch stärker in politisch-weltanschaulichen Belangen eine zentrale Funktion erlangt. Die »Aula« fungierte insbesondere als Brücke von der FPÖ zu allen außerparlamentarischen Strömungen des Deutschnationalismus und Rechtsextremismus, partiell auch des Rechtskonservatismus. Im Grunde repräsentierte die »Aula« das deutschnationale bis rechtsextreme Milieu in Österreich, ausgenommen den militanten jugendlichen Neonazismus.62 Eine im März 1995 vom Landesgericht Eisenstadt im Zuge der Terrorfahndung nach dem Bombenattentat von Oberwart63 verfügte Hausdurchsuchung der »Aula«-Redaktion mit Beschlagnahme der Abonnentenkartei sowie die im August 1995 erfolgte Verurteilung des Geschäftsführers Herwig Nachtmann wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung64 haben die politische und materielle Basis der »Aula« schwer erschüttert, zumal die FPÖ angeblich ihre materielle Unterstützung zurückzog, die Steirische Landesregierung die Presseförderung einstellte und eine Reihe von Inserenten sich zeitweise, einzelne sich ganz abwandten. Die »Aula« stand - so wie auch andere rechtsextreme Medien - vor 1986 der von Steger geführten FPÖ und den von diesem repräsentierten liberalen Kräften mit Zurückhaltung bis Ablehnung gegenüber, bot deklarierten Steger-Gegnern wie Otto Scrinzi stets eine publizistische Plattform und positionierte sich damit am rechten Rand der FPÖ. Kreise um die »Aula« waren in der Folge wesentlich an der Vorbereitung des Obmannswechsels zu Haider beteiligt.65 Nach der Machtübernahme Haiders 1986 wurden die Sympathien der »Aula« für den neuen FPÖ-Kurs deutlich erkennbar. Eine Schlüsselrolle kam dabei dem seit 1983 als zweiter Schriftleiter der »Aula« wirkenden Andreas Mölzer zu, der diesen dann offenen Annäherungsprozeß wesentlich gestaltete. Mölzer selbst vollzog dabei auch seinen persönlichen Aufstieg, indem er über die Chefredaktion des Kärntner FPÖ-Organs »Kärntner Nachrichten« und nicht zuletzt mit einem Haider-Jubel-Buch zum FPÖ-Chefideologen und zu einem führenden FPÖ-Politiker avancierte, eine Karriere, die erst mit dem Bekanntwerden von Mölzers rassistischen Thesen und Kontakten auch zum rechtsextremen Spektrum Deutschlands offiziell endete. Mölzer sorgte nicht nur für die engere politische Verzahnung von FPÖ und »Aula«-Leserkreis, er profilierte sich auch als praktisch einziger Theoretiker des österreichischen Rechtsextremismus und versuchte, die »Aula« zur 146
Plattform der »neurechten« Theoriebewegung in Österreich zu machen.66 Auch nach seinem formellen Ausscheiden aus der Redaktion der »Aula« dürfte Mölzer, der nun unter Pseudonymen (Gerd Golznig, F. X. Seltsam), mit dem Kürzel A. M. oder ohne Namensnennung in der »Aula« schrieb, als »graue Eminenz« weitergewirkt haben. Es dürfte kein Zufall sein, daß der gleichfalls einige Zeit für die »Kärntner Nachrichten« schreibende, aus dem neonazistischen Bereich kommende Jürgen Hatzenbichler in der Folge zum wichtigsten »Aula«Mitarbeiter wurde und auch als verantwortlicher Redakteur der mittlerweile eingestellten »Aula«-Jugendzeitschrift »Identität« fungierte. Mölzer und Hatzenbichler wurden später zu Gründungsmitgliedern der Österreich-Redaktion der »Jungen Freiheit« und kehrten zur gleichen Zeit der »Aula« den Rücken. Der »Aula«-Verlag, im Gemeinschaftsbesitz der Arbeitsgemeinschaft der Freiheitlichen Akademikerverbände Österreichs, steht in engem organisatorischem Zusammenhang mit den deutschnationalen Burschenschaften Österreichs, die ihrerseits wiederum ein wichtiges intellektuelles Nachwuchsreservoir nicht nur der FPÖ, sondern einer ganzen Reihe rechtsextremer und neonazistischer Gruppierungen sind. Haider selbst räumte Ende der achtziger Jahre den »schlagenden« Verbindungen eine wichtige Rolle innerhalb der FPÖ ein.67 Eine ganze Reihe freiheitlicher Politiker kam und kommt aus dem Bereich dieser Verbände und Verbindungen,68 Haider selbst ist Mitglied der Pennälerverbindung Albia und der Hochschulverbindung Silvania. So verwundert auch nicht, daß sich unter der Schar jener, die der »Aula« zu ihrem vierzigjährigen Bestand gratulierten, eine beträchtliche Zahl aktiver FPÖ-Politiker befand.69 Die in der »Aula« vertretenen ideologischen Positionen reichen vom Rechtskonservativismus bis hin zum »Revisionismus«, der sich um Leugnung oder Verharmlosung der NS-Verbrechen bemüht. So wurde beispielsweise für den ehemaligen Präsidenten der Bundesingenieurskammer, Walter Lüftl, Partei ergriffen, als dieser seine Funktion zurücklegen mußte, weil er in einem »Gutachten« versucht hatte, die nationalsozialistischen Morde mittels Giftgas zu leugnen.70 Ein Artikel über Lüftl brachte dann auch dem Geschäftsführer Nachtmann die erwähnte Verurteilung wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung ein. Die »Aula« räsonierte mehrfach über die deutsche und österreichische Gesetzgebung, die die »Auschwitz-Lüge« unter Strafe stellt.71 147
Sie trat für den britischen Pseudo-Historiker und Holocaust-Leugner David Irving ein,72 dessen letzte Vortragsreise durch Österreich - für die im übrigen auch die FPÖ-Zeitung »Kärntner Nachrichten« geworben hatte - mit der Verhängung eines Haftbefehls wegen Verdachts nationalsozialistischer Wiederbetätigung und Flucht in die BRD geendet hatte.73 Die immer wiederkehrende Einbringung »revisionistischer« Themen und Autoren bzw. deren - meist nicht offen ausgesprochene Verharmlosung sind ein wichtiges Anliegen der »Aula«. So bedauerte »Nestor Noricus«, einer der vielen die Anonymität bevorzugenden »Aula«-Kommentatoren, die Entlassung eines Angestellten durch die deutsche Max-Planck-Gesellschaft, hatte der Betreffende doch lediglich »ein Gutachten über seine chemischen Untersuchungen in Auschwitz« erstellt.74 Tatsächlich hatte der deutsche Chemiker Germar Rudolf, verehelichter Scheerer, ein Entlastungsmachwerk für einen der bekanntesten deutschen Nazi - den inzwischen abgeurteilten und nach Spanien geflüchteten Generalmajor a. D. Otto Ernst Remer - verfaßt und war damit in die erste Reihe der deutschen »Revisionisten« aufgestiegen.75 Ebenso anonym wird in derselben »Aula«-Nummer ein Historiker in Schutz genommen, der bloß einen »Historikerkongreß« mit dem Thema »Wahrheit macht frei« besucht habe - gemeint ist mit dieser Verharmlosung der berüchtigte »Revisionistenkongreß« mit David Irving in München 1990.76 Über die »Aula« laufen Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen und Strömungen in Frankreich und Deutschland. Dortige Größen der Neuen Rechten, wie beispielsweise Alain de Benoist, kommen in Interviews zu Wort; in Artikeln wird für Le Pen und die Republikaner Partei ergriffen. Die politisch-publizistische Wirksamkeit der »Aula« zugunsten der Haider-FPÖ blieb nicht unbelohnt. Der sich selbst als »liberal« einstufende steirische FPÖ-Landesrat Michael Schmid verschaffte ihr 1993 erstmals eine Subvention in der beachtlichen Höhe von 105.000 Schilling. Während die Presseförderung des Landes Steiermark reduziert und Subventionen für die Israelitische Kultusgemeinde und für die Organisationen der NS-Opfer gestrichen wurden, blieb die »Aula«-Subvention trotz Kritik der SPÖ im Landtag bis zur Verurteilung Nachtmanns aufrecht.77 Doch dieses Urteil hielt ebensowenig wie die »revisionistische« 148
Schreibweise freiheitliche Mandatsträger davon ab, in der »Aula« Beiträge zu publizieren. So schrieben 1996 der ehemalige Nationalratsabgeordnete Gerulf Stix, 1997 der Abgeordnete zum Tiroler Landtag und ehemals Dritte Nationalratspräsident Siegfried Dillersberger, der Abgeordnete zum Bundesrat John Gudenus sowie der Wiener Bezirksrat Martin Hobek in der »Aula«.78 Schließlich wurde ein freiheitlicher Mandatar aus Wien, der Bezirksrat Elmar Dirnberger, 1977 noch Unterstützer der neonazistischen Aktion Neue Rechte (ANR), Ende 1996 zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Aula-Verlagsgesellschaft bestellt und soll »die aus Antifa-Kreisen ständig diffamierte Zeitschrift in wirtschaftlicher Hinsicht in ruhigere Gewässer« führen, wie die »Junge Freiheit« kommentierte.79 Der freiheitliche Klubobmann Stadler erläuterte im Juni 1997 den »Aula«-Lesern in einem Interview das neue FPÖ-Programm.80 Dessenungeachtet behauptete FPÖ-Chef Haider, der bis zur Verurteilung des »Aula«-Herausgebers der Zeitschrift 25 Interviews bzw. Beiträge zur Verfügung gestellt hatte, daß seine Partei mit der »Aula« nichts zu tun habe.81 Die »Junge Freiheit« - neues rechtsextremes Medium im FPÖ-Umfeld Die »Junge Freiheit« trat im Oktober 1995 mit einer eigenen Österreichausgabe die Nachfolge der öffentlich diskreditierten »Aula«, die damit vorwiegend wieder zu einem Blatt des althergebrachten Rechtsextremismus wurde, an. Der Versuch, auch in Österreich »neurechte« Theorien und eine modernisierte, auf die »Konservative Revolution« der Weimarer Republik zurückgreifende Variante rechtsextremer Ideologie zu propagieren, schien im Rahmen der »Aula« bzw. ihrer Jugendzeitschrift »Identität« gescheitert. Von der Kooperation mit deutschen Gesinnungsfreunden, deren Vertriebsnetz und -möglichkeiten dürften Mölzer und Hatzenbichler sich eine breitere Öffentlichkeit und bessere Chancen zur Publizierung ihrer Vorstellungen versprochen haben. Außerdem war zu diesem Zeitpunkt die »Junge Freiheit« vergleichsweise unbelastet, wenngleich der Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen die Zeitschrift bereits »wegen Verdachts rechtsextremistischer Bestrebungen«82 unter Beobachtung genommen hatte. Schon in ihren ersten Nummern bot die Österreich-Ausgabe des Blattes den Eindruck einer der FPÖ sehr nahestehenden Zeitschrift. Der FPÖ-Historiker Lothar Hobelt verfaßt wöchentliche Kolumnen.
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Jörg Haider war unter den ersten der prominenten FPÖ-Politiker, die der Zeitschrift Interviews gewährten. Der FPÖ-Klubobmann im Nationalrat, Ewald Stadler, trat in den letzten beiden Jahren bereits dreimal in Erscheinung, selbst der Dritte Nationalratspräsident Wilhelm Brauneder gab in der Zeitschrift seine Ansichten zu notwendigen Verfassungsänderungen im Sinne einer »Dritten Republik« bekannt.83 Besonders eifriger Beiträger ist der Wiener FPÖ-Gemeinderat Rüdiger Stix, auch John Gudenus, Bundesrat, lieferte bereits zweimal Artikel. Die »Junge Freiheit« bietet vor allem einer tendenziell von rechts kommenden Kritik an der FPÖ eine Plattform, die eine deutlichere ideologische Ausrichtung der Partei einfordert. Integration von Rechtsextremisten Standen bis 1986 die meisten rechtsextremen und deutschnationalen Gruppen der sich in Richtung Liberalismus entwickelnden FPÖ sehr kritisch gegenüber, hat nach der »Machtübernahme« Haiders gleichsam eine Wiedervereinigung des »nationalen Lagers« innerhalb der FPÖ stattgefunden. Da dieser Vorgang nicht ohne Wissen oder Zustimmung des allmächtigen Parteiführers vor sich gehen konnte, wäre es unpräzise, von einer Infiltration oder Unterwanderung zu sprechen; vielmehr vollzog sich ein Prozeß der Integration des traditionellen Rechtsextremismus in die FPÖ, der mit dem politisch-organisatorischen Strukturwandel der Haider-FPÖ aufs engste zusammenhängt. Zahlreiche Kontakte und Querverbindungen der FPÖ hin zu rechtsextremen Gruppierungen des In- und Auslandes ergeben sich aus personellen Überschneidungen in Form von Mehrfachfunktionären. Einerseits zieht Haider in größerem Ausmaß Aktivisten derartiger Organisationen zur Mitarbeit in der FPÖ heran bzw. gelangen sie um der Symbolwirkung wegen auf Kandidatenlisten für Wahlen, andererseits sind diese Funktionäre aufgrund des ideologischen Kurswechsels der FPÖ verstärkt zur Mitarbeit bereit. Sie erhoffen sich über die Freiheitlichen eine Durchsetzungsmöglichkeit für ihre Ziele und Forderungen. So kam es in den letzten Jahren zur Einbindung von ehemaligen Aktivisten neonazistischer Gruppierungen (Aktion Neue Rechte-ANR, Nationaldemokratische Partei-NDP) ebenso wie von Funktionären anderer rechtsextremer Organisationen, wie des Österreichischen Turnerbundes (ÖTB), der Veteranenvereinigungen Kameradschaft IV (ehemalige Waffen-SS-Angehörige) und Wohlfahrtsvereinigung der 150
Glasenbacher (nach 1945 interniert gewesene Nationalsozialisten), der auf deutschnationale und rechtsextreme Kulturarbeit spezialisierten Österreichischen Landsmannschaft und anderen.84 Deutlich werden solche Kontakte zum organisierten traditionellen Rechtsextremismus weiters über jene Personen dieses Bereichs, die sich in Leserbriefen an FPÖ-Zeitungen artikulieren. Dazu zählen drei Beispiele von vielen - Otto Roßkopf, Obmann des Verbandes Österreichischer Kameradschaften und Organisator von Dichterlesungen des Neonazis Gerd Honsiks, Helmut Müller, einstiger Herausgeber der Zeitschrift »Der Nationalrevolutionär« und nunmehriger Schriftleiter des »Eckartboten«, der Zeitschrift der Österreichischen Landsmannschaft, oder Georg Gasser, ehemaliger ANR-Aktivist, Exponent einer »Autofahrerinitiative« und offenbar FPÖ-Mitglied. Eine entscheidende Rolle in diesem Prozeß der Integration von Rechtsextremen in die FPÖ spielte der schon mehrfach erwähnte Andreas Mölzer, der sich durch seine publizistische und journalistische Tätigkeit im rechtsextremen Milieu Österreichs und Deutschlands, insbesondere im Kreis der »Aula« und nunmehr der »Jungen Freiheit«, als Leitfigur und Vordenker profilierte. Trotz des offiziellen Rückzugs dürfte Mölzer nach wie vor in der FPÖ-Zentrale aus und ein gehen, wie Journalisten den Autoren berichteten. Neben Mölzer trat seit 1990 der oben bereits erwähnte Kärntner Jürgen Hatzenbichler in den Vordergrund des rechtsextremen FPÖ-Umfelds. Hatzenbichler war noch Mitte der achtziger Jahre im Umfeld der neonazistischen Gruppe um Gerd Honsik anzutreffen, verbreitete die Zeitungen »Sieg« und »Halt« in Kärnten und nahm an WehrsportÜbungen teil.85 Der Journalist Wolfgang Purtscheller erwähnt, daß »FPÖ-Redakteur Hatzenbichler in einer Versandliste des 1991 verstorbenen deutschen Neonazi-Chefs Michael Kühnen« erscheint, und fügt hinzu, daß das interne Mitteilungsblatt Kühnens aus »konspirativen Gründen« in Österreich nur an »Kameradschaftsführer« und »handverlesene Kader« versandt wurde.86 Seine Sympathien für Walter Ochensbergers neonazistische Zeitschrift »Sieg« brachte Jürgen Hatzenbichler in Leserbriefen unmißverständlich zum Ausdruck.87 Unter anderem beklagte er den »Staatsterrorismus in Österreich« und führte an, daß er wegen Anbringung von Aufklebern (»Ausländer raus«, »Laßt Heß frei - sperrt Reagan ein«) nach Vervaltungsstrafrecht wegen Verbreitung »nationalsozialistischen Gedankenguts« mit einer
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Geldstrafe belegt worden war.88 Nur zwei Jahre nach dieser Bestrafung wurde Hatzenbichler Mitarbeiter der Kärntner FPÖ-Zeitung. Daneben publizierte Hatzenbichler in einschlägiger Gesellschaft, wie beispielsweise in dem im rechtsextremen Arun-Verlag erschienenen Buch »Multikultopia«, wo er unter anderen neben dem ehemaligen NPDFunktionär Rolf Kosiek und dem neurechten Theoretiker Alain de Benoist im Inhaltsverzeichnis erschien.89 Schon 1985 war der langjährige Schriftleiter der »Aula«, Werner Widmann, zu den »Kärntner Nachrichten« gestoßen, wo er bis zu seinem Tode Ende 1991 schrieb.90 Auf diese Weise hatte nach und nach die »Aula«-Schriftleitung die Redaktion des Kärntner FPÖ-Blattes übernommen, wobei man davon ausgehen muß, daß Parteichef Haider diese ideologische Umpolung intendierte. Nach dem Ausscheiden des Trios Widmann, Mölzer, Hatzenbichler verflachten die »Kärntner Nachrichten« zu einem Haider-Jubelorgan. Am deutlichsten sichtbar wurden die Verflechtungen der FPÖ mit dem Rechtsextremismus, als Anfang 1992 im Zuge der Verhaftungsaktion gegen österreichische Neonazis die »Wehrsportgruppe Trenck« ausgehoben wurde. Diese hatte ihren Sitz im Trenck-Heim der AFP, die wiederum bei ihren Politischen Akademien mit Politikerinnen der FPÖ seit Jahren zusammenarbeitet. Der für die Verfolgung des Neonazismus ressortzuständige Innenminister Franz Löschnak stellte dazu fest: »Verwundert ist er über diese Querverbindungen nicht: >Einiges im Gedankengut der FP ist durchaus neofaschistisch.Linken< in Turbulenzen seien oder Wahlen vor der Tür stehen würden, sagt Haider, doch im selben Atemzug meint er: >Mir fällt das nur auf, ich habe keinen Zusammenhang hergestellte Und im Nachsatz: >Das muß ja keine Auftragsarbeit der SPÖ, der Koalition und der Linken sein. Es gibt Leute, die die demokratische Entwicklung im Land im Wege von Bombenattentaten stoppen 157
wollen.Halt< kommen zu 60 Prozent aus der FPÖ.«136 In seinem 1993 erschienenen, gerichtlich beschlagnahmten Buch über Simon Wiesenthal erklärte Honsik: »Österreichs, ja Deutschlands Hoffnung ist Jörg Haider. Wird er der Aufgabe, die Macht des Imperiums in Österreich zu brechen, gewachsen sein?«l37 Nachdem 1990 die Kandidatur von Honsiks neonazistischer Liste »Nein zur Ausländerflut« von der Wahlbehörde untersagt worden war, tröstete der »Halt«-Herausgeber seine Leser mit dem Hinweis auf den FPÖ-Erfolg bei der Wiener Landtagswahl: »Mit dem Hakenkreuz auf der Stirn zum Sieg! Obwohl seine Wahlplakate von wütenden Gegnern mit Hakenkreuzen verunstaltet wurden, siegte Jörg Haiders FPÖ bei der Wiener Landtagswahl eindrucks-
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voll. Sie verdreifachte ihren Mandatsstand mühelos. Seit 1945 hat es einen solchen Erdrutschsieg nicht gegeben. Grundlage des Erfolges war der von Haider klar geforderte Einwanderungsstopp, wobei er Wortwahl und Zielsetzung von unserer rechtswidrig verbotenen >Liste Nein zur Ausländerflut< fast wortgetreu übernahm. Die gute Sache hat endlich starke Bataillone gefunden.«138 Selbst die Zentralfigur des militanten österreichischen Neonazismus Gottfried Küssel, der, wie schon erwähnt, 1980 für die FPÖ bei der Gemeinderatswahl in Payerbach kandidiert hatte, bekannte Übereinstimmung mit der FPÖ in vielen Fragen.139 Und Küssels Mitstreiter, der gleichfalls wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung verurteilte Hans Jörg Schimanek jun. hielt in einem Brief an die rechtsextreme »Gefangenenhilfsorganisation« HNG mit seiner Meinung über Haider nicht hinter dem Berg: »Bei uns gibt es den Haider mit seinen Freiheitlichen. Zwar ist der noch nicht das Gelbe vom Ei, aber zumindest ein Schritt in die richtige Richtung.« 140 In dieses Spektrum der Wertschätzer der Haider-FPÖ paßt auch der bankrott gegangene Kärntner Holzhändler Edwin Neuwirth, der im Dezember 1993 mit der Einladung des russischen Rechtsextremisten Wladimir Schirinowski nach Österreich internationales Aufsehen erregte. Neuwirth, ein aus Rumänien stammender Volksdeutscher mit dem ursprünglichen Namen Wladimir Kasimirtschuk, der als ehemaliger SS-Mann auch der Kameradschaft IV angehört, leugnete nicht nur die Existenz von Gaskammern, sondern bekannte auch stolz, daß seine jetzige politische Heimat die FPÖ sei.141
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Kanzler Haider?
Voraussetzungen und Chancen Haider machte nie einen Hehl daraus, worum es ihm tatsächlich geht: um die Macht, zuerst in Kärnten, mittlerweile geht er aufs ganze und möchte Bundeskanzler der Republik werden. Seit der Nationalratswahl 1994 verkündete er, 1998, also nach den nächsten Wahlen, wolle er Kanzler sein. Nachdem die damalige Regierung jedoch nur ein Jahr gehalten hatte und 1995 bereits wieder gewählt wurde, erstreckt er seine Hoffnungen nun auf 1999. Waren diese Ankündigungen früher, bei 9 oder 16 Prozent Stimmenanteil, nur leeres Gerede, das niemand ernst nahm, so ist nach den Wahlerfolgen der letzten Jahre, insbesondere bei der EU-Wahl 1996, wo die FPÖ in manchen Wahlkreisen alle übrigen Parteien überrundete, eine Kanzlerschaft Jörg Haiders oder zumindest eine Regierungsbeteiligung nicht mehr auszuschließen. Ein solcher folgenreicher Durchbruch zur Macht hängt freilich von verschiedensten Faktoren ab, die sich weitgehend den direkten Einflußmöglichkeiten Haiders entziehen. l. Das Wählerverhalten: Eine große Zahl von Haider-Wählern wählt den Oppositionspolitiker Haider, möchte Unzufriedenheit und Protest mit dem Stimmzettel zum Ausdruck bringen, aber Haider nicht unbedingt als Kanzler sehen, wie sich in Meinungsumfragen durchgängig zeigt. So erhob das Meinungsforschungsinstitut IMAS Anfang April 1997, daß wohl 23 - 25 Prozent der Wählerinnen für die FPÖ votieren würden, aber demgegenüber würden in einer Kanzler-Direktwahl nur 14 Prozent für Haider stimmen.1 Es kann also vermutet werden, daß ein auf die Kanzlerschaft abgestellter FPÖ-Wahlkampf so manche Wählerinnen davon abhalten könnte, den Freiheitlichen ihre Stimme zu geben. Das erschreckende Abschneiden der Freiheitlichen bei der EU-Wahl kann für eine kommende Nationalratswahl nicht als Barometer herangezogen werden. Brüssel ist weit, der Einfluß der FPMandatare gering, daher meinten viele, bei dieser Wahl sozusagen gefahrlos für Haider stimmen zu können und damit ihre Unzufriedenheit mit den Folgen von Österreichs EU-Beitritt zu demonstrieren. Bei
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den letzten Nationalratswahlen im Dezember 1995 mußte Haider erstmals seit 1986 einen geringen prozentuellen Rückgang in der Wählerinnengunst hinnehmen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil aufgrund unklarer ÖVP-Aussagen eine Regierungsbeteiligung der Haider-FPÖ drohte und diese offenbar Haider-Wähler abschreckte. Daher scheint es nicht sehr wahrscheinlich, daß die Freiheitlichen 1999 - so es bei diesem Termin bleibt und die Koalition nicht wieder vorher platzt - in die Nähe einer relativen Mehrheit kommen könnten. Zu einem gewissen Grad hängt dies wiederum davon ab, inwieweit der neue sozialdemokratische Kanzler Viktor Klima sein Stimmungshoch vom Frühjahr 1997 halten oder ausbauen kann und ob es der stark angeschlagenen ÖVP gelingt, sich zu konsolidieren. 2. Das Verhalten der anderen Parteien: Derzeit liegen die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP aufgrund der Mandatsverteilung im Nationalrat in einer unauflösbaren Situation, soferne nicht eine der beiden die Option einer kleinen Koalition mit Haider riskiert. Eine Mehrheit einer der beiden Parteien in Zusammenarbeit mit den beiden anderen Oppositionsparteien, Grünen und Liberalen, besteht rechnerisch nicht. Die Führung der Sozialdemokraten bekundete seit 1986 immer wieder, daß eine FPÖ unter Jörg Haider für sie schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Frage kommt. Auch der erst im April 1997 neu gewählte SPÖ-Vorsitzende Viktor Klima bekräftigte dies anläßlich seiner Wahl am Bundesparteitag abermals.2 Etwas anders stellt sich die Situation auf der mittleren und unteren Ebene der Partei, wo in einzelnen Landesorganisationen gelegenheitlich Stimmen für ein Zusammengehen mit der FPÖ und ein Verlassen der ungeliebten großen Koalition laut werden. Die Linie der ÖVP hingegen läßt eine derartige Klarheit vermissen. Bis zur ersten Regierung Kreisky 1970 hatte die Volkspartei ab 1945 in Österreich den Kanzler gestellt. Nunmehr muß sich die bis dahin macht- und erfolgsgewohnte Partei seit siebenunzwanzig Jahren mit der Oppositionsrolle (bis 1986) bzw. mit der Rolle des zweiten in der Regierung zufrieden geben. Die Frustration über diese Situation sowie die permanente hämische Kritik Jörg Haiders an dieser Steigbügelhalter-Funktion für den »Sozialismus« begünstigen Stimmen und Kräfte in der ÖVP, insbesondere um den früheren Parteiobmann und Außenminister Alois Mock, die auf einen ÖVP-Bundeskanzler mit FPÖ-Hilfe, also eine kleine Koalition mit den Freiheitlichen, hinarbeiten. Jedenfalls gibt es seitens der ÖVP 164
keine - Vranitzkys Haltung vergleichbare - grundsätzliche Ablehnung der Haider-FPÖ. Daher könnte die Situaton eintreten, daß nach den nächsten Wahlen die FPÖ-freundlichen Kräfte der ÖVP die Oberhand behalten könnten, zumal es in einzelnen Bundesländern - bedingt durch die Landesverfassungen, die nur Konzentrationsregierungen in den Ländern vorsehen - ohnehin schon seit je eine Kooperation auch mit den Freiheitlichen gibt. Diese Entwicklung abzuschätzen scheint kaum möglich, da der Kurs der ÖVP gegenüber der FPÖ ständigen Schwankungen unterworfen ist. Die einzige sichere Sperre dieser Option wäre ein Wählerentscheid, der einer ÖVP-FPÖ-Mehrheit eine Absage erteilt. 3. Die ökonomische Situation: Entgegen den Erwartungen und Versprechungen vor der Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur EU stieg seither die Arbeitslosenrate in Österreich beträchtlich an und erreichte zur Jahreswende 1996/97 einen erschreckenden Höchststand. Die Budgetsanierungspolitik im Hinblick auf die MaastrichtKriterien für die Währungsunion hat spürbare Verschlechterungen in der wirtschaftlichen Situation zahlreicher Bevölkerungsgruppen in Österreich hervorgerufen. Und hier setzt Haiders sozialdemagogische Propaganda gegen die EU, die gemeinsame Währung sowie die Regierung an. Eine weitere Verzögerung der ökonomischen Erholung, weiterer Anstieg der Arbeitslosenrate und weitere Einschnitte im Dienste der Sparpolitik würden Haiders Erfolgschancen daher deutlich erhöhen. 4. Reaktionen im Ausland: Das Verhalten der anderen EU-Mitgliedstaaten und der internationalen Gemeinschaft zur Option eines Kanzlers Haider stellt einen nicht unwesentlichen Beeinflussungsfaktor für den Fall einer Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen dar. Denn eine dadurch ausgelöste bzw. drohende außenpolitische Isolation Österreichs könnte allfällige machtpolitische Gedankenspielereien der übrigen Parteien wenn schon nicht im Keim ersticken, so doch zurückdrängen. Nicht zuletzt deshalb bemüht Haider sich selbst um eine Verbesserung seines Image im Ausland, denn auch ihm ist bewußt, daß dort das größte Hemmnis für seine Träume von der Kanzlerschaft liegt. Österreich mußte nach 1986 die Peinlichkeit der internationalen Ächtung seines Bundespräsidenten Waldheim erfahren, wobei die Rolle des Bundespräsidenten hier weniger Probleme auf warf als eine ähnliche Situation mit dem Kanzler, insbesondere in den EU-Gremien, 165
als Auslöser nach sich ziehen könnte. Simon Wiesenthal warnte bereits, daß eine Regierung mit den Freiheitlichen »eine Katastrophe für Österreich als Teil eines geeinten Europas« mit sich brächte.3 Auch der Journalist Gerfried Sperl mahnte: »Wer also Haider in eine Regierung hilft, lenkt Österreich in eine höchst Ungewisse Zukunft.«4
Bundeskanzler Haider - die Konsequenzen Trotz dieser Unwägbarkeiten sollte man nicht versäumen, einen Blick auf die politischen Pläne Haiders und der Freiheitlichen zu werfen. Einerseits ist es nicht auszuschließen, daß die freiheitlichen Pläne einmal Realität werden könnten, andererseits bringt die FPÖ diese Vorstellungen immer wieder in die tagespolitische Diskussion ein und übt damit zumindest teilweise Einfluß auf Regierungsentscheidungen aus. In seiner üblichen aggressiven Diktion beschwört Haider seit 1992 die angebliche Notwendigkeit einer völligen Umgestaltung des politischen Systems in Österreich und die Errichtung einer »Dritten Republik«.5 Dabei handle es sich um »kein Schlagwort«, wie er schon 1993 betonte, sondern um »das Gebot der Stunde, um das Land von seinem strukturkonservativen Geist zu befreien«.6 Meinte Haider 1995 noch, die Dritte Republik müsse »sich evolutionär aus der Zweiten Republik entwickeln«7, stellt er ein Jahr später schon die Frage: »Kann ein System, das so verfilzt ist wie das österreichische, überhaupt noch durch demokratische Entscheidungen des Bürgers verändert werden? Entweder schaut man zu, wie das System zugrunde geht, oder man schlägt den revolutionären Weg ein.« Im nächsten Satz schwächt er jedoch ab: »Ich bin optimistisch, daß man mit demokratischer Auseinandersetzung die Reform erreichen kann.«8 Am Ziel der grundsätzlichen Veränderung hält er jedoch fest, auch wenn wegen der scharf kritisierten Assoziation von »Dritter Republik« zu »Drittem Reich« vermehrt der Begriff »freiheitliche Republik« Verwendung findet. Grundsätzlich kann wohl von einer so guten Absicherung der österreichischen Verfassungsordnung ausgegangen werden, daß es einer einfachen Parlamentsmehrheit nicht möglich wäre, diese grundlegenden Veränderungen herbeizuführen9. Jedoch können auch über den einfachgesetzlichen oder den Verordnungsweg politische Vorhaben durchgesetzt werden, so manches ließe sich sogar mit ministeriellen 166
Weisungen erledigen. Diese Problematik dürfte die FPÖ selbst erkannt haben, sonst erregte sich Haider nicht darüber, daß die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen in Form von Verfassungsbestimmungen beschlossen habe: »Allein mit der Tatsache, daß man jetzt mit den ganzen Belastungsmaßnahmen ein dickes Geflecht von Verfassungsbestimmungen verbindet, und damit die gesamte Verfassung aushöhlt, verfolgt man ja nur ein Ziel: in der Zukunft einen Regierungswechsel unmöglich zu machen, weil es immer eine Regierung geben muß, die eine verfassungsändernde Mehrheit hat.«I0 Als »Denkanstoß« erarbeiteten 15 Autoren, unter ihnen - neben Mölzer - der Historiker Lothar Hobelt und der Jurist und seit 1996 Dritte Nationalratspräsident Wilhelm Brauneder, beide Universitätslehrer, unter dem Titel »Weil das Land sich ändern muß! Auf dem Weg in die Dritte Republik« eine Broschüre, die die FPÖ-Vorstellungen für die Zukunft Österreichs zusammenfaßt. Darin präsentierte Ideen vertrat Haider zuvor schon in seinem Bekenntnisbuch »Die Freiheit, die ich meine«, wodurch dieser Broschüre der politische Stellenwert einer (inoffiziellen) programmatischen Erklärung zukommt. Eine ganze Reihe der darin erhobenen Forderungen hat Haider seither auch in die tagespolitische Diskussion eingebracht, ein Signal dafür, daß diese Anregungen durchaus ernstgemeint sind. Die FPÖ-Vorstellungen von einer »Dritten Republik«, die im folgenden skizziert werden, würden Österreich einen Weg weg von der repräsentativen Demokratie hin zu autoritären Strukturen weisen.
Strukturen für einen starken Staat Recht und Ordnung Die Thesen der Freiheitlichen postulieren eine »Totalreform des Verfassungsrechtes«", wobei das Schwergewicht auf einer weitgehenden Reduktion der repräsentativen Demokratie und Stärkung der plebiszitären und präsidialstaatlichen Elemente liegt. Das Amt des Bundeskanzlers möchten die Autoren zugunsten einer Aufwertung des Bundespräsidenten abschaffen, der vom Volk gewählte Präsident würde in der Regierung die Funktion des Kanzlers übernehmen.12 Daß Haiders Programmdenker die von Hitler nach dem Tod Hindenburgs vorgenommene Verschmelzung der Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers nicht kennen, ist angesichts ihrer historischen Kompetenz auszuschließen. Insgesamt hätte eine Entmachtung der bundes167
staatlichen Organe, auch des Nationalrates, zugunsten der Länder und deren Kompetenzen stattzufinden. Die Zahl der Ministerien möchte Haider auf sieben reduzieren, wobei die Bundesministerien für Landesverteidigung und für Inneres zusammengelegt werden sollten, wie Haider selbst einmal vorschlug.13 Ein derartiges »Sicherheitsministerium« ist normalerweise ein Kennzeichen von Diktaturen, die gegen Feinde von außen wie von innen mit gleicher Härte vorgehen. Nach massiver Kritik ging Haider von diesem Vorschlag wieder ab. Im Nationalrat beabsichtigt er einen Kahlschlag, indem die Zahl der Abgeordneten von 183 auf 100 reduziert und die Funktion der Nationalratspräsidenten ersatzlos gestrichen werden sollen.14 Haider wünscht ein grundsätzlich anderes staatliches System, die repräsentative Demokratie sei zu beseitigen. Diese »habe sich überlebt«, wie er bereits mehrfach behauptete.15 Im Dienste eines starken Staates sollten sowohl Polizei als auch das Bundesheer aufgewertet werden. In den »Freiheitlichen Thesen zur politischen Erneuerung« werden daher »Sicherheit durch Recht und Ordnung« sowie eine »Erhöhung der bisher eher symbolischen Verteidigungsausgaben« gefordert.16
Sozialpolitik - Privatisierung und Dienst an der Gemeinschaft Die Reduktion der staatlichen Sozialpolitik nimmt in den freiheitlichen Forderungen einen breiten Raum ein. Soziale Vorsorge soll zuallererst dem einzelnen selbst übertragen bzw. aufgelastet werden. Anstelle der in Österreich vorhandenen Pflichtversicherung aller Arbeitnehmer möchte Haider die »Versicherungspflicht« des einzelnen setzen.17 Diesem sei der bisher vom Arbeitgeber an die Sozialversicherung ausbezahlte Betrag zum Lohn dazuzuzahlen und damit solle er sich bei einer Versicherung seiner Wahl selbst versichern, und zwar auch hinsichtlich der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Diese Kosten, die für die erste Zeit der Krankmeldung vom Arbeitgeber zu tragen sind, könnte dieser damit einsparen. Damit gelänge Haider die Zerschlagung der von ihm ständig diffamierten Sozialversicherungsträger, die ungeachtet mancher Schwächen das Fundament des Sozialstaates bilden. Gleichzeitig würden den privaten Versicherungsanstalten beträchtliche Gewinne zugeschanzt, während die Bediensteten der
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Sozialversicherungen auf der Strecke blieben. Zu Schaden käme der einzelne Arbeitnehmer, der - vielleicht unvernünftigerweise - bei ohnehin geringem Lohn die Versicherung einspart und im Krankheitsfall vor beträchtlichen Problemen stünde. Insgesamt sei das Gesundheitswesen aus den staatlichen Agenden auszugliedern.18 Gleichzeitig sei eine Finanzierungssicherung für Privatspitäler vorzusehen; die jetzt von der österreichischen Bevölkerung oft in Anspruch genommenen Ambulatorien der Krankenkassen seien zu schließen - da defizitär und stattdessen in private Hände zu übergeben.19 Trotz der mittlerweile auch in Österreich hohen Arbeitslosigkeit, die durch Haiders Einsparungspläne entgegen allen seinen Beteuerungen sich weiter erhöhen würde, kennen die Freiheitlichen kein Erbarmen mit Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Haider sieht auch keine Veranlassung dazu: »Warum solle mich auch ein Sozialhilfeempfänger wählen, wenn ich bei jeder Versammlung sage, den Sozialschmarotzern werden wir das Arbeiten lernen.«20 Mißbräuche des Sozialsystems seien einzuschränken und »Leistungsunwilligen« sei »klarzumachen, daß sie nicht auf fünf Jahre weiter vom Staat bezahlt werden, sondern daß >well bodied adults< verpflichtet sind, Arbeit, soweit vorhanden, anzunehmen, sonst entfällt jede staatliche Leistung«.21 Das Arbeitslosengeld solle im übrigen »degressiv« gestaltet werden - vermutlich desto weniger, je länger arbeitslos -, die Zumutbarkeitsbestimmungen für die Annahme von Arbeit seien zu verschärfen und die »Vermeidung einer Beschäftigung« sei zu sanktionieren.22 Im übrigen sieht Haider Einsparungsmöglichkeiten durch den Ersatz des staatlichen Sozialsystems durch freiwillige private Leistung: »Die moralische Dekadenz des Sozialsystems mit seinen zahlreichen Gefahren des Mißbrauchs besteht in der Auffassung der Bürger, sich mit ihrer Abgaben- und Steuerleistung von jeglicher Mitverantwortung freikaufen zu können. [...] Freiwillige Gemeinschaftsleistungen müssen daher belebt werden, wenn individuelle Verantwortung nicht verkümmern und die heute zu Recht oft beklagte Kälte des sozialen Systems beseitigt werden soll.«23 Die von Haider oft beklagte »Entsolidarisierung« könne durch »die Einführung eines freiwilligen allgemeinen Sozialdienstes< für Burschen und Mädchen« bekämpft werden.24 Damit bekräftigte Haider nur eine bereits in den Freiheitlichen Thesen aufgestellte Forderung nach einer »allgemeinen Dienstpflicht für Frauen und Männer«, die
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»außer der aktiven Teilnahme am Milizsystem auch durch die Ableistung eines allgemeinen Sozialdienstes erfüllt werden« könne.25Damit möchten die Freiheitlichen eine wesentliche Einrichtung faschistischer Regime wiederbeleben und zugleich ein Element der (rechtsextremen) Volksgemeinschaftsideologie verwirklichen. Für die weitere Gewährleistung der sozialen Sicherheit und der Finanzierung der Pensionen hat Haider ein ganz simples populistisches Rezept: »Die ehrliche Alternative für die Finanzierbarkeit der sozialen Sicherheit lautet: Mehr arbeiten, mehr Kinder und weniger ausländische Zuwanderer oder weniger arbeiten, weniger eigene Kinder und mehr Einwanderer.«26
Familienpolitik - Frauen an den Herd? Trotz aller Lippenbekenntnisse für die Gleichstellung der Frauen, um auch dieses Wählersegment zu gewinnen, zielen Haiders Vorstellungen vorwiegend auf die Zurückdrängung der Berufstätigkeit der Mütter und auf die Aufwertung der Familie ab. Er sieht darin offensichtlich auch ein Rezept zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit, wenn er schreibt: »Noch ein Gedanke im Zusammenhang mit der Zukunft der Arbeitsgesellschaft erscheint mir wichtig. Zu den Gruppen, die ganz besonders vom Schicksal der Arbeitslosigkeit betroffen sind, gehören die Frauen. Die feministische Illusion von der Selbstverwirklichung der Frau und Mutter im Beruf hat sich als verhängnisvoller Irrtum erwiesen. [...] Unsere zerrüttete Gesellschaft sollte uns Warnung sein, daß die Entwicklung in die falsche Richtung geht. [...] Wir müssen also von den Frauen den Druck nehmen, das Kind aus Gründen der Berufstätigkeit von Fremden aufziehen und erziehen zu lassen. Wir müssen die Frauen ermutigen, das zu tun, was ihr ureigenstes Anliegen ist, nämlich ihr Kind groß und tüchtig werden zu sehen und sich ihm zu widmen.«27 Gegenüber der rechtsextremen Zeitschrift »Aula« bekräftigte er 1994 nochmals sein mit einer Ablehnung der Frauenberufstätigkeit verknüpftes Bekenntnis zur patriarchalischen Familie: »Die psychischen Defekte, die in der Jugend auftreten, sind eine Folge einer Desintegration des Familienverbandes. Es hat damit zu tun, daß der Sozialismus sein Ziel schrittweise erreicht, daß beide Elternteile gezwungen werden, berufstätig zu sein und damit die Kinder tatsächlich beim Staat zur Erziehung und zur Betreuung abgegeben werden.«28 170
Diesen programmatischen Aussagen entsprechen die familienpolitischen Forderungen der Freiheitlichen. Anstelle von Investitionen in Kinderbetreuungseinrichtungen fordert die FPÖ die Ausgabe eines »Kinderbetreuungsschecks« für alle zwei- bis sechsjährigen Kinder in der Höhe von 4.000 Schilling (rund 572 DM), der den Müttern im Anschluß an den für verheiratete Mütter möglichen zweijährigen Mutterschutzurlaub die »absolute Wahlfreiheit«29 zwischen Eigenbetreuung des Kindes und Berufstätigkeit ermöglichen würde. Diesem Vorschlag schloß sich auch die von Haiders Schwester Ursula Haubner geleitete »Initiative Freiheitlicher Frauen« an.30 Das zweite Standbein freiheitlicher Familienpolitik ist die Forderung nach steuerlichem »Familiensplitting«, d. h. das Familieneinkommen wird nach Aufteilung auf die Anzahl der Familienmitglieder steuerlich veranlagt, womit die nichtberufstätige Ehefrau sozusagen zu einem Steuerabsetzbetrag für den Ehemann wird. Die budgetären Kosten dieser Maßnahme, die letztlich auch eine Umverteilung zugunsten der Besserverdienenden impliziert, beziffert die FPÖ selbst mit 14 Milliarden Schilling (zwei Milliarden DM), angesichts der Budgetsanierung in Österreich ein ziemlich hoher Betrag. Diese Mittel wollen die Freiheitlichen durch Entlastung des Familienlastenausgleichsfonds um andere Leistungen hereinbringen, äußern sich aber nicht dazu, wer die bis jetzt aus diesem Fonds bezahlten Leistungen (Schulbücher, Schülerfreifahrten u.a.) in Hinkunft finanzieren soll.31 Zweck dieser Maßnahmen soll vor allem eine Erhöhung der Geburtenrate sein32, und zwar jener der Inländer. Gegen eine Ausbezahlung von Kinderbeihilfen an nicht in Österreich lebende Kinder von Gastarbeitern wandten sich die Freiheitlichen nämlich schon lange und konnten diese Forderung im Zuge des »Sparpakets« 1996 durchsetzen. Neoliberalismus statt Interessenvertretung der Arbeitnehmer In diesem Bereich der freiheitlichen Konzepte für eine »Dritte Republik« wird das von der FPÖ betriebene Doppelspiel sehr deutlich. Einerseits forderte Haider eine Sondersitzung des Nationalrates zum Thema Arbeitslosigkeit, präsentiert sich stets als der Fürsprecher der »kleinen« Leute, der »Fleißigen und Tüchtigen« und macht der Sozialdemokratie die Rolle als »Arbeiterpartei« streitig, andererseits erweisen sich die von der FPÖ vorgelegten wirtschaftspolitischen Program-
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me durchgängig dem Neoliberalismus, also der konsequenten Durchsetzung von Wirtschaftsinteressen ohne jede soziale Rücksichtnahme, verpflichtet. In den programmatischen Entwürfen zur Zukunft Österreichs fanden sich schon bisher einige gegen Arbeitnehmer und deren Interessenvertretungen gerichtete Vorschläge. So sollen an die Stelle der Kollektivverträge Betriebsvereinbarungen treten, die von den zuständigen Betriebsräten oder Personalvertretungen auszuverhandeln wären, die in der Regel - in direktem Abhängigkeitsverhältnis zum Eigentümer oder dessen Vertreter stehen. Die Gewerkschaften sollen aus solchen Verhandlungen ausgeschlossen werden: »Vorrang für individuelle und betriebliche Vereinbarungsfreiheit durch Zurückdrängen der parteipolitisch orientierten Sozialpartner und Gewerkschaften.«33 Dieses Postulat erneuerte die FPÖ in ihrem Wirtschaftsprogramm 1996.34 Gleichzeitig jedoch führen die Freiheitlichen einen heftigen Konflikt mit dem Osterreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), wo sie ungeachtet ihrer tatsächlichen Stärke bei Betriebsrats- und Personalvertretungswahlen - in jeder der Fachgewerkschaften Fraktionsstatus erhalten wollen, eine undemokratische Forderung, der die Führung des Gewerkschaftsbundes nicht zustimmen kann. Bei Nichterfüllung dieser Forderung drohten die Freiheitlichen mit der Gründung einer eigenen Gewerkschaft, wodurch die Durchsetzungsfähigkeit des Interessensverbandes der Arbeitnehmer geschwächt werden sollte, was im Grunde der Zielvorstellung der FPÖ entspricht.35 Am 1. Mai 1997 konstituierte sich schließlich das Proponentenkomitee für eine eigene freiheitliche Gewerkschaft, die in einem viel stärkeren parteipolitischen Naheverhältnis und vor allem finanzieller Abhängigkeit stehen wird als dies für die politischen Fraktionen innerhalb des Östereichischen Gewerkschaftsbundes zutrifft. Die Absicht hinter dieser Gründung formulierte Haider in ungenierter Offenheit: »Der ÖGB ist nur ein Verein, auf dieses Niveau wird er wieder reduziert werden.«36 Die Parallelen zur Gewerkschaftspolitik von Le Pens Front National sind unübersehbar. Auch das zweite Standbein der Interessenvertretung der Arbeiter und Angestellten, die Arbeiterkammern, soll nach Meinung der Freiheitlichen weitgehend seiner Einflußmöglichkeiten beraubt werden. Obschon Haider mit einer »beispiellosen und weit überzogenen Kampagne«37 gegen die Interessenvertretungen im allgemeinen und die 172
Arbeiterkammern im besonderen versucht hatte, die öffentliche Meinung gegen die Kammern aufzubringen, war er daran gescheitert. In einer Urabstimmung unter allen Mitgliedern der Arbeiterkammer zu der Frage, ob die verpflichtende Mitgliedschaft aller Arbeiter und Angestellten in der Kammer aufrechterhalten bleiben sollte, sprach sich eine überwältigende Mehrheit für die Beibehaltung der - von Haider so genannten - »Zwangsmitgliedschaft« aus.38 Trotzdem wiederholte Reinhart Gaugg, Bundesobmann der Freiheitlichen Arbeitnehmer, diese Forderung und möchte im übrigen die Arbeiterkammern auf Serviceinstitutionen reduziert sehen.39 Das hieße, die Kammern beispielsweise ihres Begutachtungsrechts im Gesetzgebungsverfahren und anderer im Interesse der Arbeitnehmer gelegener Mitsprachemöglichkeiten zu berauben. Gleichzeitig hat Gaugg selbst kein Problem damit, den kostenlosen Rechtsschutz der Arbeiterkammer in Anspruch zu nehmen, wie die Wochenzeitung »News« berichtete.40 Während einerseits die freiheitliche Gruppierung AUF (»Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher«) mit Forderungen nach Gehaltserhöhungen um Stimmen der Beamten bei den Personalvertretungswahlen wirbt, lassen Haider und die Freiheitlichen keinen Zweifel daran, daß sie eine große Zahl von Beamten für Nichtstuer und entbehrlich halten. Die Pragmatisierung sei mit einem »Stichtag« für alle öffentlichen Bediensteten schlagartig abzuschaffen, denn »ein tüchtiger Beamter wird so am Ende besser dastehen, und die bürokratischen Faulpelze verdienen ohnehin keine Milde«.41 »Die Menschen« hätten auch »kein Verständnis mehr« für die »Finanzierung des Beamtenapparates«, vermutete Haider in einem Interview.42 Im übrigen sollten die Beamten mehr arbeiten, daher seien, »um die Arbeitskraft der Beamten während der Dienstzeit besser zu nutzen«, alle »Nebentätigkeiten drastisch einzuschränken«, lautet es im Programm »Arbeit für Österreich«.43 Bis zu den Verfassern hat es sich offensichtlich noch nicht herumgesprochen, daß alle sogenannten »Nebentätigkeiten« (Gutachtertätigkeiten, Lehre an den Hochschulen etc.) außerhalb der Dienstzeit zu erfolgen haben. Insbesondere im Bereich des öffentlichen Dienstes laufen die freiheitlichen Vorschläge zur Verbesserung der Wirtschaftslage und Arbeitsmarktsituation einzig und allein auf eine Erhöhung der Arbeitslosigkeit hinaus; sollen doch die Bediensteten der Bezirkshauptmannschaften, der Sozialversicherungsträger, Bedienstete der Hoheitsver-
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waltung etc. eingespart werden. Diese Einsparung wäre umso leichter möglich, wenn - wie erwähnt - mit einem Schlage jeder Kündigungsschutz dieses Beschäftigtenkreises wegfiele. Doch auch die in der Privatwirtschaft tätigen Arbeitnehmerinnen hätten von den Konzepten der Freiheitlichen nicht viel zu erwarten. So sollen »als Einstiegsunterstützung für ältere Arbeitslose« diese ein Jahr lang unter dem kollektivvertraglich festgesetzten Mindestlohn beschäftigt werden können.44 Werden diese dann nochmals arbeitslos, bekämen sie ein viel geringeres Arbeitslosengeld, da sich dessen Höhe nach dem letzten Lohn richtet. Weiters sollen »unnötige und nicht im Interesse der Arbeitnehmer« liegende Arbeitnehmerschutzbestimmugen abgeschafft werden, wodurch »die Kostenstruktur der Unternehmer entlastet werden könne«.45 Insgesamt basieren Haiders weitere Vorschläge zur Schaffung von Arbeit im blinden Vertrauen auf die Gesetze des Marktes. Die Unternehmen sollten entlastet werden, alle Arten von Steuern gehörten gesenkt, die Kosten des Faktors Arbeit sollten reduziert werden. Dann hätten - nach Meinung der Freiheitlichen - »gesunde« Unternehmen von sich aus Interesse, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Daß der Mechanismus des Marktes so einfach nicht funktioniert, zeigt jedoch die Entwicklung der letzten Jahre. Insgesamt würden Haiders Vorschläge - nach Berechnung des Finanzministers - budgetäre Kosten in der Höhe von 300 Milliarden Schilling verursachen, das ist das Fünffache des Budgetdefizits von 1997.46 Der Wirtschaftsforscher Stefan Schulmeister geht mit den freiheitlichen Plänen noch härter ins Gericht. Bei den vorgelegten Berechnungen handle es sich »samt und sonders« um »Hausnummern«, sie entbehrten jeder realen Grundlage. Steuererleichterungen für Unternehmen führten oft dazu, daß mit dem ersparten Geld vor allem weitere Rationalisierungsmaßnahmen finanziert, aber keine Arbeitsplätze geschaffen werden. Das Konzept der FPÖ basiere daher »mehr auf Ideologie als auf konsistenten Schlüssen und harten Fakten«.47 Der von der FPÖ und Haider immer wieder geäußerte Vorschlag einer Reduzierung der Ausländerbeschäftigung führt gleichfalls keineswegs direkt zu einer Erhöhung der Zahl der Arbeitsplätze für Inländer. So schlägt Haider vor, im Lande befindliche Gastarbeiter durch sogenannte Saisonniers zu ersetzen, die nur Unfalls- und krankenversichert sein sollten und nicht länger als neun Monate im Jahr in Österreich arbeiten dürften. Schulmeister meint dazu: »Das 174
schafft keine neuen Arbeitsplätze, verdrängt eher Inländer aus dem Arbeitsmarkt, da Saisonniers dem Unternehmer deutlich billiger kommen.«48 Zurecht merkt Hans Rauscher im »Kurier« zu den wirtschaftspolitischen Vorschlägen der FPÖ an: »Aber wenig in Haiders wirtschaftlichem >Konzept< erweckt so viel Vertrauen, daß man ihm die wirtschaftliche Zukunft des Landes überantworten möchte.«49 Haiders wirtschaftspolitischen Konzepte müssen als eine Mischung von Sozialdemagogie und konsequenter Verfolgung von Arbeitgeberinteressen qualifiziert werden. Bildungspolitik - Handwerker statt Intellektuelle Bei Studierenden und Akademikerinnen gelingt es Haider kaum, Wählerinnen zu gewinnen. Dieser Umstand sowie die in Österreich weit verbreitete Intellektuellenfeindlichkeit dürften den FPÖ-Obmann veranlaßt haben, Studenten und Universitäten nur geringen Raum in seinen bildungspolitischen Vorstellungen einzuräumen bzw. Studenten sogar als ein Feindbild aufzubauen. So meinte er in seiner Neujahrsrede 1996: »Wir wollen eine Gesellschaft, in der die Schule gebildete junge Menschen hervorbringt, und nicht junge Eingebildete ins Leben entläßt. Wir wollen Universitäten haben mit reifen Eliten, und nicht mit verhetzten Nieten, die Ideologie praktizieren, anstatt das Arbeiten gelernt zu haben.«50 Kritische Wissenschafter, zeitgeschichtliche Aufklärung haben im freiheitlichen Bildungsprogramm keinen Platz. Wirkliche »Eliten« seien zu fördern, breite Allgemeinbildung für alle und hohe Abiturientenzahlen empfinden die Freiheitlichen als verzichtbar. Neue pädagogische Konzepte, wie sie in die österreichischen Schulversuche Eingang gefunden haben, lehnt Haider ab; stattdessen würde er es lieber sehen, wenn Österreich mehr Facharbeiter hätte: »Für einen Abiturienten gibt der Staat pro Jahr 60.000 Schilling aus. Die ungebrochene Produktion von Abiturienten führt direkt in die Arbeitslosigkeit oder in ein Studium, das der Staat zu großen Teilen mitfinanziert. /.../ Erst wenn in Österreich ein Grundberufsbildungsjahr zur Verbesserung der Allgemeinbildung geschaffen und der Staat bereit ist, genausoviel in die Ausbildung unserer künftigen Facharbeiter zu investieren, dann wird die Qualifikation durch Bildung erst sinnvoll sein. Doch vor dieser klaren gesellschaftspolitischen Weichenstel175
lung haben sich alle Politiker gedrückt. Für sie war es wichtiger, die Jugend in Schul versuchen zu Versuchskaninchen zu machen und ihnen die inhaltsleere Phraseologie des hehren Antifaschismus zu vermitteln, als durch zukunftsorientierte Ausbildung, Öffnung des Bildungssektors für Begabungseliten auf allen Ebenen der Jugend eine berufliche Chance zu eröffnen [...] Es könnte nichts schaden, wenn weniger weltfremde Politologen und Soziologen produziert und dafür ein Bildungssystem eingerichtet würde, in dem jeder Jugendliche grundsätzlich einen handwerklichen Beruf erlernt, unabhängig davon, wohin er sich anschließend beruflich entwickelt.«51 Tatsächlich ist der Akademikeranteil an der Bevölkerung in Österreich deutlich unter dem Durchschnitt der übrigen EU-Staaten, d.h. die Österreicherinnen benötigten vielmehr eine neue Bildungsoffensive, um auf den größer gewordenen Märkten konkurrenzfähig zu bleiben. Doch Haider beharrt auf dem Konzept, weniger Studenten, stattdessen mehr Facharbeiter. Das Bildungsprogramm der Freiheitlichen konzentriert sich voll auf die Lehrlinge und Facharbeiter: »Reden wir nicht immer von den Universitäten und den höheren Schulen«, meinte Haider dazu in einer Diskussionsveranstaltung.52 Diese Sicht teilt auch der Bildungssprecher der Freiheitlichen, Michael Krüger. Er möchte wieder Zulassungsbeschränkungen zu den Allgemeinbildenden Höheren Schulen eingeführt sehen und die Hauptschule53 aufwerten, mit dem klaren Ziel, die Abiturienten- und Studentenzahlen wieder zu senken und damit eine »Niveausteigerung« der Studenten zu erreichen.54 Den Zweck neuerlicher Zugangserschwernisse zu höherer Bildung würden auch die von Haider befürworteten Schulgelder und Studiengebühren erfüllen.55 »Schulvouchers« sollen es »den Eltern ermöglichen, zwischen privatem und öffentlichem Angebot zu wählen«.56 Pointierter formulierte Haider diese Forderung: »Da muß es einen Bildungsscheck für Bildungwillige geben, und nicht einen Nulltarif für Bildungsabbrecher.«57 Die Verwirklichung dieser Vorstellungen würde eine Rückgängigmachung der in den siebziger Jahren unter Bruno Kreisky durchgeführten Bildungsreform (Öffnung der Höheren Schulen und Universitäten), die Wiedereinführung sozialer Barrieren im Bildungssystem und die finanzielle Aushungerung der höheren Bildungsstätten zur Folge haben.
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Volkskultur statt kritischer Kunst Haiders Angriffe auf kritische Künstler, moderne Kunst und deren Förderer erklären sich nicht zuletzt daraus, daß ihm die große Mehrheit der österreichischen Kulturschaffenden ablehnend gegenübersteht und sich viele Künstler auch in Wahlkämpfen gegen Haider engagieren. Seine negative Einstellung zur Gegenwartskultur formuliert Haider in seinem Buch »Die Freiheit, die ich meine«: »Die Kultur hat sich aus religiösen und sozialen Bindungen der bürgerlichen Gesellschaft gelöst und ist im wesentlichen zu einer Gegenkultur der sozialen Verhältnisse geworden. Die selbsternannten Heilsapostel in Massenmedien, Literatur, Film und Theater schaffen sich ihr Publikum und beherrschen es. Da die bürgerliche Masse über keine intellektuelle Kultur mehr verfügt, wird sie zu einer unkritischen Beifallsgesellschaft gegenüber der Gegenkultur und ihren Akteuren. Diese >Macher< verachten das breite Publikum - und leben gut davon, auf seine Kosten, auch auf Kosten seiner moralischen Werte.«58 Zur Förderung und Unterstützung des »gesunden Kunstempfindens und Wertebewußtseins«59 wurde im Rahmen des Freiheitlichen Bildungswerkes das »Kulturforum Freie Kunst« geschaffen, dessen Leiter, Walter Marinovic, dazu feststellt: »Das vom linken Kulturbetrieb angewiderte Publikum sehnt sich danach, Künstlern zu begegnen, denen es gegeben ist, dem anderen durch das Wort, durch das Lied, durch das Kunstwerk eine Botschaft zu sagen. Sie alle sind heute sehr allein. Diese Menschen zu sammeln, wäre die rechte Antwort auf die zersetzende Politik der linken Kulturmafia. Aus diesen Überlegungen wurde im Rahmen des Freiheitlichen Bildungswerkes das > Kulturforum Freie Kunst< gegründet. Es will Künstlern, die ehrlich arbeiten, ein Podium bieten. [...] Es will den gesunden Kräften unseres Volkes wieder Mut machen.«60 Das »gesunde« Empfinden des »Volkes« ruft zu Recht Assoziationen an die NS-Zeit hervor. Marinovic ist kein Unbekannter. Er ist gern gesehener Referent bei rechtsextremen Organisationen, Bundesobmann des weit rechtsstehenden Verbandes der Professoren Österreichs und Chefredakteur der Zeitung des Verbandes, »Professor«. Das Titelblatt der Folge 4/1992 dieser Zeitung zeigte eine im Stil des nationalsozialistischen Blattes »Der Stürmer« gehaltene antisemitische Zeichnung des damaligen Bundesministers Schölten, die zu einer Verurteilung von Marinovic durch den Presserat führte.61
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Aus dem bisher Dokumentierten erscheint es nur konsequent, daß auch die Autoren der Broschüre »Weil das Land sich ändern muß« die Freiheit der Kunst durchaus in Frage stellen. In den »Leitsätzen zu Kunst und Wissenschaft« heißt es: »Art l: Kunst ist über weite Strekken alogisch. Die Thesen: >Alles kann Kunst seinDie Kunst ist freiKunst muß provozierem sind abzulehnen, wenn ihnen nicht der Begriff >Verantwortung< beigestellt wird.«62 Die »Freiheitlichen Thesen zur politischen Erneuerung« formulieren dazu: »Für eine Kultur, die die freie Entwicklung der Bürger und der Gesellschaft widerspiegelt. Aufgabe des Staates ist es, für die Erhaltung des kulturellen Erbes zu sorgen, Gegenwartskultur hat sich an Angebot und Nachfrage, nicht an politischer Einflußnahme und Subvention zu orientieren. Geschmacksbevormundung durch subventionierte >Kultureliten< ist entbehrlich.«63 Entsprechend schlug die FPÖ in ihrem vor der Nationalratswahl 1995 verteilten Folder »Sparen statt Steuern« vor: »Keine Subventionen für >Österreichbeschimpferetwas zu reden habein Zukunft weniger 178
gelogen< und über Ereignisse wie das Volksbegehren >mehr Wahrheit< transportiert werde.«66 Diese Aussage wurde nicht nur von der Journalistengewerkschaft verurteilt; selbst in der Haider freundlich gegenüberstehenden »Neuen Kronen-Zeitung« gab es Kritik; Kommentator Peter Gnarn sprach von einem »völlig verunglückten Anschlag auf die Medienfreiheit«.67 Haider wirft der Regierung vor, sie übe über die staatliche Presseförderung politischen Einfluß auf Medien aus.68 Infolgedessen forderten er und die Freiheitlichen bereits mehrfach unter dem Deckmantel von Einsparungsvorschlägen die Streichung der Presseförderung.69 Dies würde jedoch das Ende für eine große Zahl österreichischer Zeitungen, übrigens auch der freiheitlichen, bedeuten. Eine der sicher dadurch nicht gefährdeten Zeitungen wäre die immer wieder Haider unterstützende und seine Ansichten teilende »Neue Kronen-Zeitung«, deren Reichweite im Verhältnis zur Zahl der österreichischen Bevölkerung in Europa einmalig ist. Das heißt, Haider könnte sich über die Abschaffung der Presseförderung einiger ihm kritisch gegenüberstehender Medien mit einem Schlage entledigen. Dem Österreichischen Rundfunk wirft er »regierungsfreundlichen Gesinnungsjournalismus« vor oder diffamiert ihn als »Rotfunk«. Haider zählte zu den Vorkämpfern gegen das - tatsächlich antiquierte Rundfunkmonopol in Österreich auf, wobei sich auch hier herauskristallisiert, daß vor allem Hans Dichand, Eigentümer der »Neuen Kronen-Zeitung«, aufgrund seiner Kapitalkraft die Abschaffung dieses Monopols für sich nützen könnte. Sobald es der FPÖ jedoch möglich schien, versuchte und versucht sie selbst, Personen ihres Vertrauens, wie z.B. den ehemaligen Chefredakteur der »Neuen Freien Zeitung«, Christian Wehrschütz, in wichtige Positionen des Rundfunks zu bringen. Teil des aufgekündigten Kärntner Paktes zwischen Haider und Zernatto war die Forderung, die Positionen im ORF-Kuratorium und des Landesintendanten »im Einvernehmen zwischen FPÖ und ÖVP« zu besetzen.70 Nachträglich erläuterte Haider, daß damit die Macht der SPÖ im Rundfunk in Frage gestellt und die Wahl Gerhard Zeilers zum ORF-Intendanten verhindert hätte werden sollen.71 Jedenfalls wird aus diesen Bestrebungen und Absichten sichtbar, welche Gefahren der Medienfreiheit im Falle von Haiders Regierungsbeteiligung drohen. 179
»Recht auf Heimat« für Inländer statt Menschenrechte für Ausländer Im Bereich der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte soll nach Meinung der Freiheitlichen zwischen Staatsbürgern und Fremden differenziert werden: »Die Grundrechte sollen dabei vorrangig als Bürgerrechte (bezogen auf Staatsbürger) und in bestimmten Bereichen als für jedermann zugänglich verstanden werden.«72 In dieselbe Richtung geht auch Haiders Forderung nach dem Ausstieg Österreichs aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, falls diese eine liberalere Ausländergesetzgebung erzwinge: »Wenn Österreich durch die Europäische Menschenrechtskonvention beim Familiennachzug für Ausländer in die Pflicht genommen werde, sollte man diese Bestimmung aufgeben.«73 Die »Salzburger Nachrichten« berichteten über diese Äußerung Haiders: »Außerdem sei das Recht der Inländer auf Heimat stärker als das Recht der Ausländer auf Familienleben. Österreich solle daher von der Europäischen Menschenrechtskonvention abgehen.« 74 Haiders Anwalt forderte daraufhin eine Gegendarstellung von den »Salzburger Nachrichten«, die ihre Meldung jedoch mit einer Aussendung des Freiheitlichen Pressedienstes bzw. der Austria Presse Agentur, von denen keine Gegendarstellung verlangt worden war, belegen konnten. Die Einführung eines »Rechts auf Heimat« solle die Inländer vor Einwanderung von Nichtösterreichern besser schützen, als dies gegenwärtig geschehe. Zu einer »anständigen Politik für die österreichischen Bürger« gehöre »auch ein Recht auf Heimat«.75 Die Broschüre »Weil das Land sich ändern muß« postuliert gleichfalls die Einführung eines »Rechts auf Heimat« und des »Rechts auf kulturelle Identität des einzelnen und der ethnischen Gruppe«.76 Politiker, die für die Zuwanderung Fremder plädierten, machten »die eigenen Bürger zu Fremden in der Heimat«.77 Die Freiheitlichen wollen »die Heimat für die Österreicher und nicht ein Einwanderungsland für Ausländer haben«.78 Die Ablehnung der universellen Menschenrechte zählt zu den bedenklichsten Forderungen von Jörg Haider und läßt erahnen, welche Möglichkeiten ein Bundeskanzler Haider ausschöpfen würde. Verschärfung des Staatsbürgerschaftsrechts Haider möchte das Staatsbürgerschaftsrecht stärker als bisher an die Abstammung von Menschen knüpfen, selbst wenn diese »Abstam-
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mung« schon mehrere Jahrhunderte alt ist, wie im Falle der sogenannten »Landler« in Rumänien: »Das Abstammungsprinzip umfaßt nicht nur das Recht, in der Heimat zu bleiben, sondern bietet ethnischen Minderheiten auch das Recht auf Rückwanderung und Einbürgerung. [...] Auch den Landlern, die zur Zeit der Gegenreformation aus Oberösterreich und Kärnten ausgesiedelt wurden, sollte dieses Recht auf Heimat nicht vorenthalten werden. [...] Das Territorialprinzip wird heute in Europa in erster Linie von denen propagiert, die einer schrankenlosen Einwanderung das Wort reden. Ihre Anhänger berufen sich zwar häufig auf die Menschenrechte, übersehen dabei aber, daß sie damit gerade das Recht auf Heimat negieren und die Überlebensrechte ethnischer Minderheiten preisgeben.«79 Damit verlangt Haider aber nicht weniger als eine Änderung des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts zu einem an der Abstammung orientierten Recht, das es Nichtösterreichern sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich macht, die Staatsbürgerschaft zu erwerben. Dabei unterscheidet er gemäß seinem deutschnationalen Grundbekenntnis zwischen Fremden mit »deutscher« bzw. »österreichischer« und jenen mit anderer Abstammung. Das heißt, ein rumänischer Immigrant, der von den sogenannten »Landlern« abstammt, soll in Österreich eingebürgert werden, ein Rumäne mit anderer Herkunft jedoch nicht. In gewissem Maße konkretisierte ein Antrag der Freiheitlichen im Wiener Gemeinderat, betreffend die Änderung der Vergaberichtlinien von Gemeindewohnungen, diese Auffassung des Abstammungsprinzips: Darin wurde, nach einer Kritik an der vorzeitigen Einbürgerung von Ausländern, zwischen »eingebürgerten« Österreichern und »alteingesessenen« Wienern differenziert und gefordert, daß österreichische Staatsbürger, in deren Familienverband sich Ausländer befinden, gegenüber »reinen« österreichischen Familien diskriminiert werden sollten.80 Die konkreten Vorschläge der Freiheitlichen zu einer Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts gehen wohl (noch) nicht so weit, sehen aber eine deutliche Erschwerung des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft vor. Vor der Einbürgerung habe ein Ausländer die »Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift« nachzuweisen und müsse sich 15 Jahre (jetzt zehn Jahre) in Österreich aufgehalten haben. Er habe seine »tatsächlichen Lebens- und Kulturverhältnisse« an »österreichische Verhältnisse« anzupassen, das müsse auch über181
prüft werden. Außerdem müsse die Schulbildung »zum weitaus überwiegenden Teil in Österreich« absolviert worden sein.81 Vor allem der letzte Passus würde es jedem erwachsenen Zuwanderer, der seine Ausbildung in seinem Herkunftsland hinter sich gebracht hat, verunmöglichen, österreichischer Staatsbürger zu werden. Einwanderungsstopp - Österreich ist kein Einwanderungsland Der Grundsatz »Österreich ist kein Einwanderungsland« soll nach den Vorstellungen der Freiheitlichen in der österreichischen Bundesverfassung verankert werden.82 Gleichzeitig habe ein Zuwanderungsstopp sowie die Senkung der Zuwandererquote auf Null zu erfolgen, d.h. auch der Nachzug von Familienangehörigen von bereits hier ansässigen Gastarbeitern soll nicht mehr möglich werden.83 Die bereits in Österreich tätigen Ausländer möchten die Freiheitlichen strengen Beschränkungen und Regelungen unterwerfen. Eine »Ausweispflicht« solle die »Bekämpfung der Beschäftigung illegaler Ausländer« ermöglichen, den Ausländern sollten »Anreize für die Rückkehr« geboten werden.84 Wer seine »Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung in Österreich verloren« habe, müsse »ebenfalls rückgeführt werden und seine Familie mitnehmen«.85 In Pflicht- und Berufsschulklassen dürfe nur eine bestimmte Quote von Kindern mit »nichtdeutscher Muttersprache« Aufnahme finden, ansonsten müßten »Ausländer-Regelklassen« eingerichtet werden. Außerdem seien »rigorose Maßnahmen gegen illegale gewerbliche Tätigkeiten (z. B. in Ausländervereinen und -klubs) und gegen den Mißbrauch von Sozialleistungen zu treffen«86. Nichtösterreicher sollten vor allem nur mehr als bloß kranken- und unfallversicherte »Saisonniers« in Österreich beschäftigt werden, wobei jeder nur höchstens dreimal je neun Monate pro Jahr hier arbeiten dürfe.87 Nicht einmal Verfolgte sollten nach Meinung Haiders Aufnahme finden. Den Vorschlag, Frauen, die im Zuge des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien vergewaltigt wurden, als Flüchtlinge anzuerkennen, lehnte Haider in der ORF-Sendung »Anders gefragt« vehement ab.88 Nachdem die Bundesregierung Vorschläge zur deutlichen Reduktion der Zuwanderungsmöglichkeiten in Österreich vorgelegt hatte, verschärfte Haider - wohl um am Thema zu bleiben - seine Forderungen nochmals. Binnen zwei Jahren sollte »die Zahl der ausländischen Beschäf-
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tigten« um »ein Drittel« gesenkt werden. Zuerst müßten alle jene Österreich verlassen, die »in den letzten drei Jahren zugewandert« sind und arbeitslos werden. »Wenn das nicht reicht, um die Ausländerquote um ein Drittel zu reduzieren, müssen wir die Arbeitsbewilligungen einschränken. Dann haben die, denen die Beschäftigungsbewilligung ausläuft, sukzessive den Weg in die Heimat anzutreten.«89 Damit würden schlagartig 150.000 Menschen aus Österreich ausgewiesen werden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Regierungschef Haider seine ausländerfeindlichen Pläne vorrangig und mit Konsequenz in die Wirklichkeit umsetzen würde, kann er sich doch dabei des Applauses eines nicht geringen Teils der Bevölkerung sicher sein. Einflußnahme auf die Justiz Haider meint, er müsse auch die Justiz »befreien«, d.h. nichts anderes, als daß er auch im Bereich der unabhängigen Rechtssprechung die Dinge in seinem Sinne ändern möchte. Denn nur in wenigen der von ihm angestrengten Prozesse gegen seine Kritiker wurde ihm von den Gerichten recht gegeben. Anstatt seine Niederlage zur Kenntnis zu nehmen, leitet er daraus die Vorstellung ab, der Einfluß der Parteien reiche auch in die Justiz hinein, die Richter würden sozusagen gezwungen, gegen Haider recht zu sprechen: »In Kreisen der Justiz wird es auch gar nicht mehr bestritten, daß es in Presseprozessen schon eine eigene >Haider-Rechtsprechung< gibt, die - wenn es dem FP-Chef schadet - zu genau gegenteiligen Schlußfolgerungen kommt, als es der langjährigen Spruchpraxis gemäß wäre. In diesem verfilzten System von Abhängigkeiten, Vetternwirtschaft und politischer Intrige ist es sehr schwer, Ordnung zu schaffen. Viele, die heute noch mitspielen, warten aber darauf. Sie wollen frei sein - so wie es in den Grundrechten verbürgt ist. Sie wollen als Richter verurteilen und freisprechen können, weil es dem Gesetz entspricht und nicht, weil politische Erwartungen zu erfüllen sind.«90 Wie wenig Haider die rechtsstaatlichen Prinzipien als Fundament der Demokratie achtet, war zuvor schon im Zuge der Ereignisse vom Juni 1991 sichtbar. Als die Staatsanwaltschaft Klagenfurt aufgrund seiner Äußerung von der »ordentlichen Beschäftigungspolitik« des »Dritten Reiches« eine Voruntersuchung wegen Verdachts nationalsozialistischer Wiederbetätigung einleitete, drohte er - wie der »Stan-
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dard« berichtete - mit der Mobilisierung der Straße: »> Wenn mit zweierlei Maß gemessen wirddann werde ich österreichweit alle jene Menschen mobilisieren, die für Gerechtigkeit und Sauberkeit und Ordnung in der Justiz eintreten, und die sich nicht mehr gefallen lassen, daß Kleinkriminalität im öffentlichen Dienst toleriert wird, aber mißverständliche Meinungsäußerungen zu Vorhabensberichten an die Oberstaatsanwaltschaft in Graz führen