GNOSIS
GNOSIS Festschrift für Hans Jonas
In Verbindung mit U go Bianchi, Martin Krause, J ames M. Robinson und Geo W...
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GNOSIS
GNOSIS Festschrift für Hans Jonas
In Verbindung mit U go Bianchi, Martin Krause, J ames M. Robinson und Geo Widengren herausgegeben von Barbara Aland
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
CIP-KIU'llill~
G1101U:
der Deuuclle11 BibUotllelc
Fc:st~ehr.
für Hans Jonu/ bng. von Barbua Aland.G6ttinJcn: Vandenboec:k und Ruprec:bl, 1978. ISBN 3-.525-.58111-4 NE: Aland, Bubara [HnJI.); Jonas, Hans: Fesucbrift
Gedruckt mit Unterstützung der VG Wissenschaft und der Gesellschaft zur Förderung der Westfäüschen Wilhelms-Universität
Einbandentwurf: Kar! Geors Hoefer. C Vandenboeck & Rupm:bl, Göttinsen 1978 - Prinled iD Germany.- Obne ausdlik:kliche Genebmipns des Ver1ap ist es nicht pstanet, das Budl oder Teile dar11111 au( (Oio- oder akuslomechaniscbem Wese zu vervielfa1ti&en. - Satz und Druck: Gulde-Druck, Tübinsen. Bindeubeit: Hubert & Co., Göninsen
Tabula gratulatoria LUISE ABRAMOWSKI PAUL J. ACHTEMEIER
KuRT
ALAND
CARL ANDRESEN
RUTH NANDA ANSHEN SASAGU ARAI HAROLD
w.
ATIRIDGE
MARKUS BARTH THEOFRIED BAUMEISTER JACK ßEMPORAD HANS DIETER BETZ HERMANN BINDER
HANs BLUMENBERG ALEXANDER BÖHLIG PEDER BoRGEN GüNTHER BoRNKAMM ScHUYLER BROWN NORBERT BROX ANTJE BULTMANN-LEMKE HENRY ÜIADWICK JAMES H. CIIARLESWORTH CARSTEN COLPE
OscAR Cullmann GERHARD DAUTZENBERG HEINRICH DöRRIE lOHN
w.
DRANE
JAMES D. JOHN
R.
c.
DUNN
EVERETI
FACHBEREICH EVANG. THEOLOOIE
Tübingen Riebmond/Virginia Münster Göttingen New York Yokohama Dallas Basel Mainz Dallas Claremont Sibiu (Hermannstadt) Münster Tübingen Trondheim Heidelberg New York Regensburg Syracuse Oxford Durharn Berlin ParirBasel Gießen Münster Stirling Nottingham New York Marburg
6 fACULT~
Tabula gratulatoria
OE TH~OLOOIE GERHARD fRIEDRICH KURT VON FRITZ REGINALD H. FULLER ANTONIO GABOURY GEORG GALffiS w. WARD GASQUE A. s. GEYSER S0REN GIVERSEN ERICH GRÄSSER R. A. HARE WOLFGANG HARNISCH GüNTER HAUFE HARALDHEGERMANN DAVID HELLHOLM MARTIN HENGEL JOHN H. HERZ PAUL HOFFMANN ÜTFRIED HoFJUS W. IVAN Hov JOACHIM JEREMIAS GEORGE JOHNSTON LUDWIG W. und TATYANA KAHN WILLIAM KLASSEN A. F. J. KLUN HELMUT KOESTER BERNHARD KöTTING KLAus KoscHORKE RoBERT A. KRAFT JACOB KREMER GEORG KRETSCHMAR FRIEDRICH LANG PAUL-EMILE LANGEVIN S. J. MICHAEL LATTKE A. R. c. LEANEY ROGER LE DE.AUT
Genf Kiel München Alexandria/Virginia Princeton Thessaloniki Vancouver Johannesburg Holte Bochum Pittsburgh Marburg Greifswald München Uppsala Tübingen Scarsdale Bamberg Paderborn Miami Tübingen Ottawa New York Winnipeg Groningen Cambridge/Mass. Münster Heidelberg Philadelphia Wien Ottobrunn Tübingen Quebec Augsburg Bath Rom
Tabula gratulatoria
LoUIS LELOIR
Saint-Omer
HERBERT LEROY
Augsburg
JAY MACPHERSON
Toronto
C. S. MANN
Baltimore
JAMES P. MARTIN
Vancouver
KIKUO MATSUNAGA
Tokio
H. M. MATTER
Baam
KAI und TILDE MELDAHL-CHRISTLIEB Bem PAUL W. MEYER
Nashville
ELLIOT M. MGOJO
Plessislaer
ÜTTO MICHEL
Tübingen
LEON MoRRIS
Melbourne
fRANZ MUSSNER
Regensburg
SCHUBERT M. ÜGDEN
Dallas
ERIC ÜSBORN
Melbourne
JOHN PAINTER
Melbourne
JOSEPH PATHRAPANKAL
Bangalore
WoLFGANG PAx
Jerusalem
I. J. DU PLESSIS
K wa-Dlangezwa
HEINRICH POPITZ
Freiburg i. Br.
WIARD PoPKEs
Harnburg
PIERRE PRIGENT
Straßburg
J. REILING
Utrecht
KARL HEINRICH RENGSTORF
Münster
JOHN H. P. REUMANN
Philadelphia
HARALD ~ESENFELD
Uppsala
AoOLF MARTIN RITTER
Göttingen-Marburg
GüNTHER RUPRECHT
Göttingen
HELLMUT RUPRECHT
Göttingen
Y. HERMAN SACON
Tokio
SAMUEL SANDMEL
Cincinnati
ERNEST W. SAUNDERS
Evanston
MARnN H. ScHARLEMANN
St. Louis
ALFRED SCHINDLEK
Heidelberg
7
8
TabuJa gratulatoria
BERNARDIN SCHNEIDER
Tokio
GERHARD SCHNEIDER
Bochum Bonn Zürich Padua Athen London New York Cambridge Cambridge/Mass. Göttingen Tübingen Münster Osaka Athen Amsterdam Rom Stellenbosch Freiburg i. Br. Chicago Brühl Oxford/Ohio Oxford Berlin Harnburg Cambridge/Mass. Mainz
WOLFGANG SCHRAGE EDUARD SCHWEIZER GIUSEPPE SEGALLA MARKos A. Sions G.
N.
STANTON
HANs STAUDINGER
G.
c. STEAD
KRISTER STENDAHL GEORG STRECKER PETER STUHLMACHER ALFRED SUHL T AKUMI T AKEUCHI DEMETRIUS TRAKATELLIS BASTIAAN V AN ELDEREN ALBERT V ANHOYE
J. L.
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ANTON VöGTLE ARTHUR Vööaus ERNST VoLLRATH Rov BowEN WARD E.
H.
WHITELEY
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WICKERT WILCKENS
N.
WILDER
ANTONIE WWSOK
Inhalt Tabula gratulatoria
5
BARBARA ALAND
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
RUDOLF BULTMANN
Grußwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
I. EBERHARD JüNGEL
Die Wirksamkeit des Entzogenen. Zum Vorgang geschichtlichen Verslehens als Einführung in die Christologie . . . . . . . . .
15
UGO BlANCHl
Le Gnosticisme: Concept, Terminologie, Origines, Deiimitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
WILLEM CORNEUS VAN UNNIK
Gnosis und Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
65
ARTHUR HILARY ARMSTRONG
Gnosis and Greek Philosophy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
M. ROBINSON Gnosticism and the NewTestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125
JAMES
GEoRGE W. MAcRAE
NagHammadi and the NewTestament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
144
BARSARA ALAND
Gnosis und Kirchenväter. Ihre Auseinandersetzung um die Interpretation des Evangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
158
MARTIN KRAUSE
Die Texte von Nag Hammadi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
216
KURT RUDOLPH
Der Mandäismus inderneueren Gnosisforschung . . . . . . . . . . .
244
GEO WIDENGREN Der Manichäismus. Kurzgefaßte Geschichte der Problemforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
278
GIULIA SFAMENI GASPARRO Sur l'Histoire des Influences du Gnosticisme . . . . . . . . . . . . . . . .
316
II.
HANS-MARTIN SCHENKE Die Tendenz der Weisheit zur Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
351
BIRGER A. PEARSON The Tractate Marsanes (NHC X) and the Platonic Tradition . .
373
WALTER SCHM ITHALS Zur Herkunft der gnostischen Elemente in der Sprache des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
385
ELAINE H. PAGELS Visions, Appearances, and Apostolic Authority: Gnostic and Orthodox Traditions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415
fREDERIK WISSE Gnosticism and Early Monasticism in Egypt, . . . . . . . . . . . . . .
431
ROBERT McL. WILSON One Text, Four Translations: Some Reflections on the Nag Hammadi Gospel ofthe Egyptians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
441
JACQUES E. MENARD
La Lcttre dc Picrre a Philippe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
449
ERIC SEGELBERG The pihta and mambuha Prayers. To the question of the liturgical development among the Mandaeans . . . . . . . . . . . . . .
464
ALEXANDER BöHLIG Zur Vorstellung vom Lichtkreuz in Gnostizismus und Manichäismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
473
GILLES ÜUISPEL Hermann Hesse and Gnosis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
492
Bibliographie HANs JoNAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
508
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
515
Mit Hans Jonas beginnt die moderne Gnosis-Forschung. Sie hat in den letzten Jahrzehnten dank der neuen Funde und der neuen Fragestellungen eine Reichweite und eine Lebendigkeit bekommen, die früher niemand für möglich gehalten hätte. Jeder, der an ihr teilnimmt, baut entweder auf den Resultaten von Hans Jonas auf oder muß sich mindestens mit ihnen auseinandersetzen. So bot sich, als zum 75. Geburtstag die (zum 65. und 70. Geburtstag versäumte) Festschrift geplant wurde, das Thema für den Band beinahe von selbst an. Sehr viel schwieriger war schon sein systematischer Aufbau, denn die Festschrift sollte neben der Behandlung von Einzelproblemen (sie sind im zweiten Teil des Bandes gesammelt) eine zusammenfassende Diskussion wenigstens der wichtigsten großen Themen- bzw. Wirkungskreise der Gnosis bieten. Der Benutzer des Bandes wird darüber entscheiden müssen, ob das angestrebte »Handbuch« mit ihm erreicht ist. Allen, die dazu beigetragen haben, sei herzlich gedankt. Mein besonderer Dank gilt den Herren Mitherausgebern, die dem Unternehmen von Anfang an mit Rat und Tat Beistand geleistet haben. Insbesondere mit M. Krause haben viele Diskussionen über die Anlage im ganzen wie im einzelnen stattgefunden. Dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, der es vermocht hat, von der Verwertungsgesellschaft Wissenschaft einen Druckkostenzuschuß zu beschaffen, sei dafür wie vor allem für seine Bereitschaft gedankt, die Veröffentlichung der Festschrift zu übernehmen. Die Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Wilhelms-Universität zu Münster übernahm großzügig einen nicht abgedeckten Teil des erforderlichen Zuschusses, auch ihr sei aufrichtig gedankt. Dank schulde ich schließlich im Seminar für Alte Kirchengeschichte der Universität Münster Dr. Christian Uhlig, der bei der Druckvorbereitung der Manuskripte, sowie Beate Köster und Jens Rother, die neben ihm bei den Korrekturen wichtige Hilfe geleistet haben. Chr. Uhlig hat außerdem dankenswerterweise die in Anbetracht der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit besonders schwierige Aufgabe der Erstellung des Registers übernommen. Daß Rudolf Bultmann sich - kurz vor seinem Tode - bereit erklärte, die Festschrift mit einem Grußwort zu eröffnen, war allen Beteiligten eine besondere Freude. Hier wird am Selbstzeugnis deutlich, wie weit die Wirkung der Arbeit von Hans Jonas reicht. Münster/Westf., den 10. Mai 1978
Barbara Aland
Lieber Freund: Als Gruß und Glückwunsch zu Ihrem 75. Geburtstag kann ich Ihnen leider nicht einen Beitrag zu der Ihnen gewidmeten Festschrift schicken. Ich bin zu alt und nicht mehr zu wissenschaftlicher Produktion fähig. Mein Gruß kann deshalb nur eine dankende Erinnerung an die Jahre sein, in denen wir verbunden sind. Sie waren in den zwanziger Jahren Mitglied meines NT-Seminars, und daraus erwuchs ein wissenschaftlicher Austausch und eine persönliche Freundschaft. Was ich in meinen Kommentaren zum Johannes-Evangelium und den Johannes-Briefen geschrieben habe, hätte ich nicht schreiben können ohne die Belehrung Ihrer Arbeiten und den Austausch mit Ihnen. Dankbar erinnere ich mich auch an die Gastfreundschaft, die Sie und Ihr Haus mir in den Tagen meines Aufenthaltes in USA 1959 erwiesen haben. Sie haben mir damals auch berichtet, daß Sie den Plan haben, ein Werk zu schreiben über das Verhältnis menschlicher Existenz und biologischer Forschung. Da dieses Werk noch nicht erschienen ist, ist mein besonderer Wunsch, daß es bald vollendet und veröffentlicht werden möge. Ihr Rudolf Bultmann
I EBERHARD JÜNGEL
Die Wirksamkeit des Entzogenen Zum Vorgang geschichtlichen Verslehens als Einführung in die Christologie 1 I
"In Schwaben sagt man von etwas längst Geschehenem: es ist schon so lange, daß es bald nicht mehr wahr ist. So ist Christus schon so lange für unsere Sünden gestorben, daß es bald nicht mehr wahr ist." Die schwäbische Prämisse und die keineswegs nur schwäbisch gemeinte Folgerung hat der Schwabe Georg Friedrich Wilhelm Hegel in sein Jenaer Tagebuch (Nr. 21) eingetragen 2 • Hege) wird später anders über den Tod Jesu Christi urteilen, sehr anders sogar. Aber das interessiert jetzt nicht. Unsere Aufmerksamkeit gilt vielmehr der hermeneutischen Eigentümlichkeit, die sich in jener schwäbischen Redensart ausspricht: daß nämlich die Länge der Zeit, die "dazwischen" ist, genauer: die zwischen etwas Vergangenern und der jeweiligen Gegenwart ihrerseits vergangen ist, dem Vergangenen Wahrheit zu rauben scheint. "Das ist ja schon bald nicht mehr wahr" sagt man dann. Und das nicht nur in Schwaben. Was ist gemeint? Und was bedeutet es, wenn man so auch von Jesus Christus, von seinem Leben, Wirken und Sterben reden kann: "es ist schon so lange, daß es bald nicht mehr wahr ist?" Wir nehmen Hegels Jenaer Tagebuch-Notiz zum Anlaß, um uns über den Sinn der Frage zu verständigen, auf die jede Christologie Antwort zu geben hat: wer ist Jesus Christus? Dabei wird die Fragestellung zu beachten sein. Wir fragen nicht: wer war Jesus?, sondern: wer ist Jesus Christus? Das ist ein Unterschied, über den Rechenschaft abzulegen ist. Es wird also zu erörtern sein, ob es sinnvoll ist, zu fragen, wer Jesus war, Die folgenden Überlegungen gehören zum einleitenden Kapitel einer Tübinger Christologie- Vorlesung, das die Fragestellung der Frage ., Wer ist Jesus Christus?" erönen. 2 Dokumente zu Hegels Entwicklung, hg. von J. Hoffmeister, Texte und Forschungen zur deutschen Philosophie, hg. von H. Glockner, 2. Bd., Stuttgan 1936, S. 358. 1
16
Eberhard Jüngel
wenn man auf die Frage verzichtet, wer Jesus Christus ist. Ebenso muß freilich auch umgekehrt erörtert werden, ob es möglich ist, zu fragen, wer Jesus Christus ist, ohne sich der Frage auszusetzen, wer Jesus war. Was soll die Unterscheidung zwischen "ist" und "war", zwischen "Sein" und "Vergangen-Sein" hinsichtlich einer Person, die vor nahezu 2000 Jahren geboren wurde, deren Zeit also so augenscheinlich nicht die unsrige ist? Und was soll die Unterscheidung zwischen der Frage nach einem Jesus, der einmal da war, und der Frage nach demSein Jesu Christi? Woher dieser Zuwachs im Namen jener Person? Wie erklärt er sich? II
Hegels bedenkliche Notiz, es sei schon so lange her mit dem Tod Jesu Christi, daß es bald nicht mehr wahr sei, macht auf zwei Probleme aufmerksam. Das eine Problem ist allgemeiner (hermeneutischer) Art: es betrifft unser eigenes Verhältnis zur Vergangenheit, betrifft unsere Möglichkeit, von längst Vergangenern uns (noch) etwas sagen zu lassen. Das ist zutiefst ein Problem geschichtlichen Verstehens. Da war etwasund hier bin ich. Was geht's mich an? Was haben jenes Etwas damals, jenes ,es war einmal' und mein Hiersein und Jetztsein miteinander zu schaffen? Auf diese allgemeine Frage geschichtlichen Existierens wird auch dann einzugehen sein, wenn man nach Jesus Christus fragt. Die Frage nach dieser Person mag zwar noch so einzigartig sein; sie impliziert dennoch notwendig jene allgemeine Frage nach dem Zusammenhang unseres geschichtlichen Daseins mit dem, was geschehen ist, längst ehe wir waren. Soviel zunächst zur Kennzeichnung des ersten Problems. Die Kenn-
zeichnung des anderen Problems, dasHegelmit jener denkwürdigen Tagebuchnotiz aufwirft, ist komplizierter- wie immer, wenn es um theologische Probleme geht. Es handelt sich um ein besonderes theologisches Problem, das zwar mit jenem allgemeinen Problem auf das engste zusammenhängt, dennoch aber von ihm unterschieden werden muß. Hegels Notiz ist ja insofern schon rein logisch auffallend, als unter die allgemeine Redensart "es ist schon so lange (her), daß es bald nicht mehr wahr ist" im Blick auf Jesusnicht- wie doch eigentlich zu erwarten- der Satz subsumiert wird: sein Leben ist schon so lange her, daß es bald nicht mehr wahr ist. Hegel redet vielmehr vom Tod Jesu Christi. Er ist schon so lange her. Der Tod scheint nach Hege I für die Person Jesu Christi repräsentativer zu sein als das Leben Jesu. Und auch hier fällt noch einmal eine Besonderheit auf. Denn zu erwarten wäre nach jener allgemeinen schwäbischen Redensart ja allenfalls der Satz "So ist Jesus schon so lange gestorben, daß es bald nicht mehr wahr ist". Denn was hätte es für
Die Wirksamkeit des Entzogenen
17
einen Sinn, den Tod eines Menschen zu bezweifeln- nur weil der Tod schon vor fast 2000 Jahren eingetreten ist! Wüßte man, daß er vor ca. 2000 Jahren gelebt hat, man könnte aus der Länge der seitdem vergangenen Zeit geradezu schließen, daß er nunmehr tot sein dürfte. Es geht also nicht nur um das Faktum des Gestorbenseins. Es geht vielmehr um die Bedeutung des Todes einer Person für andere. Hegel schreibt deshalb: ,.So ist Christus schon so langefür unsere Sünden gestorben, daß es bald nicht mehr wahr ist." Die Notiz verrät Skepsis oder auch Sorge- das kann hier unentschieden bleiben- hinsichtlich der einzigartigen Bedeutung dieses Todes dieser Person. Aus dem Neuen Testament und aus der kirchlich-theologischen Überlieferung, aber wohl auch aus der eigenen Frömmigkeit ist Hegel die Vorstellung bekannt, daß der am Kreuz hingerichtete Mensch Jesus nicht nur "für sich", sondern zugleich "für alle Menschen", "für uns", genauer "für unsere Sünden" gestorben ist. Was immer das heißen mag, soviel dürfte klar sein: wenn das wahr ist, dann muß der Tod dieses Menschen und insofern doch wohl auch dieser Sterbende selbst etwas "sehr Besonderes" gewesen sein. Ihm kommt dann besondere, wenn nicht einzigartige Bedeutung zu. Wenn es wahr ist, daß ein einziger Mensch für alle Menschen gestorben ist, dann muß diese Wahrheit eine einzigartige Wahrheit sein. Das ist das theologische Problem, auf das jene Tagebucheintragung aufmerksam macht. Genauer: es ist die Voraussetzung eines theologischen Problems. Hegel bringt diese Voraussetzung dadurch zum Ausdruck, daß er von "Christus" redet. Christus ist ursprünglich kein Name einer Person, sondern ein Titel, ein HoheitstiteL Der Hoheitstitel "Christus" weist seinen Träger als eine Person aus, die im Namen eines anderen in Aktion tritt. Der Andere, in dessen Namen der Christus in Aktion tritt, heißt: Gott. Ohne Gott kein Christus! Wird Jesus mit Recht "Christus" tituliert, dann gilt entsprechend für diesen Menschen, daß er ohne Gott nicht er selbst ist. Ohne auf Gott zu sprechen zu kommen, wäre es also sinnlos zu sagen, daß Christus für unsere Sünden gestorben ist. Doch nun ist an Hegels Notiz das Aufregende gerade dies, daß sie auch dieses sehr Besondere, diese einzigartige Wahrheit ebenfalls unter die allgemeine Regel stellt: es ist schon so lange her, daß es bald nicht mehr wahr ist. Damit stellt sich überhaupt erst das theologische Problem, auf das die Tagebucheintragung aufmerksam macht. Es besteht darin, daß eine als göttlich geltende Wahrheit, eine sogenannte ewige Wahrheit als geschichtliches Ereignis begriffen wurde und damit auch ganz und gar im Horizont der Zeitlichkeit der Geschichte verstanden werden mußte. Man muß Lessings berühmte Unterscheidung zwischen "zufälligen Geschichtswahrheiten" und "notwendigen Vemunftswahrheiten", muß jenen (viel mißverstandenen) Satz Lessings im Ohr haben "Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunfts-
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Eberhard Jüngel
wahrheilen nie werden" 3 , um Hegels Notiz richtig einzuschätzen. Lessing hatte sich ja gerade dagegen gewehrt, die - unbestreitbaren - geschichtlichen Ereignisse als historischen Beweis für ewige Wahrheiten gelten zu lassen, und gegen die entsprechenden neoorthodoxen ("Neuerungen" einführenden) Theologien seiner Zeit eingewendet: "Wann wird man aufhören, an den Faden einer Spinne nichts weniger als die ganze Ewigkeit hängen zu wollen!- Nein, so tiefe Wunden hat die scholastische Dogmatik der Religion nie geschlagen, als die historische Exegetik ihr itzt täglich schlägt. " 4 Dem Faden einer Spinne gleicht also hier die Tragfähigkeit zufälliger Geschichtswahrheiten hinsichtlich der ewigen Wahrheit, um die es in der Religion doch gehen soll. In anderem Kontext hat Fichte 5 1806 denselben Sachverhalt so formuliert: ,.Nur das Metaphysische, keinesweges aber das Historische, macht selig; das letztere macht nur verständig" (immerhin!). Auch bei Fichte ist dieser Satz auf die Bedeutung des in Raum und Zeit geschehenen Lebens und Sterbens Jesu bezogen, von dem es die ewige Wahrheit- das Metaphysische - gerade zu unterscheiden gelten soll. Hegel hingegen kann so nicht mehr unterscheiden. Daß Christus für tlS gestorben ist, ist für ihn jagerade deshalb ein Problem, weil es "so lange" her ist, "daß es bald nicht mehr wahr ist". Die ewige Wahrheit ist als solche geschichtlich und deshalb problematisch. Das theologische Problem, das Hegels Notiz aufwirft, läßt sich folglich auch so formulieren: kann ewige Wahrheit geschichtlich veralten? Wer ist Jesus Christus, daßangesichtsseiner Person diese Frage entsteht? Ist es nicht das Natürlichste von der Welt, daß Menschen und ihre Werke veralten? Wozu also die Hegeische Sorge, bei Christus könne es genauso sein? Was veranlaßt zu der Sorge, es könne die Wahrheit des Lebens und Sterbens Jesu so veralten, daß sie bald nicht mehr wahr ist?
Wir gehen nun, nachdem die beiden Probleme zunächst einmal grob kenntlich gemacht worden sind, auf sie genauer ein.
III Hegels merkwürdige Tagebucheintragung, Christus sei "schon so lange für unsere Sünden gestorben, daß es bald nicht mehr wahr ist", macht auf die Besonderheit geschichtlichen Daseins aufmerksam. Geschichtliches Dasein ist in besonderer Weise der Zeit ausgesetzt. Daß die 3 Ober den Beweis des Geistes und der Kraft, in: Sämtliche Schriften. hg. von K. Lachmann. 13. Bd., Leipzig 18973 , S. 5. 4 Eine Duplik. aaO .• S. 31 f. 5 In der 6. Vorlesung über .,Die Anweisung zum seligen Leben": Sämmtliche Werke. hg. von I. H. Fichte, 5. Bd., Berlin 1845 ( = 1965), S. 485.
Die Wirksamkeit des Entzogenen
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Winkelsumme des Dreiecks 180° beträgt, scheint jederzeit wahr zu sein. Es wird mit der Zeit nicht mehr, aber auch nicht weniger wahr, daß es so ist. Die Zeit ist gleichgültig gegen diese Wahrheit und diese gegen die Zeit. Geschichtliches Dasein scheint sich demgegenüber anders zur Zeit zu verhalten. Es kann anscheinend mit der Zeit wahrer werden, aber auch weniger und immer weniger wahr werden, so daß es schließlich "bald nicht mehr wahr ist". Wie kommt das? Warum ist so vieles, was vergangeneo Zeiten unbestreitbare Wahrheit zu sein schien, heute einfach nicht mehr wahr? "Für Gott, König und Vaterland" sein Leben herzugeben- das war einmal eine selbstverständliche Pflicht, die der unbezweifelten Wahrheit entsprang: das Leben sei der Güter höchstes nicht. Heute ist sowohl jene Wahrheit der Lüge überführt als die Dreieinigkeit von Gott, König und Vaterland dahin. Wie kommt das? Wir verzichten darauf, die Beispiele beliebig zu vermehren, und versuchen statt dessen eine grundlegende Antwort. Dabei gehen wir von der äußerlichen Tatsache aus, daß geschichtliches Dasein seinen Ort in der Zeit hat. Doch bereits diese äußerliche Tatsache ist ein in sich selber vielschichtiges Phänomen. Die äußerliche Tatsache, daß geschichtliche Existenz in der Zeit und nur so da ist, führt uns tief hinein in die hermeneutische Problematik geschichtlichen Daseins. Wir wollen diese Problematik analysieren, indem wir ihre verschiedenen Aspekte unterscheiden. Zunächst ist das Eingeständnis unerläßlich, daß wir selbst zur Verhandlung stehen, wenn wir nach der Eigenart geschichtlichen Daseins fragen. Wir haben selber unseren Ort in der Zeit, sind selber geschichtlich da. Das Dasein in der Zeit verbindet uns mit allem, was geschichtlich da ist, fundamental. Dieser Sachverhalt mag freilich zunächst trivial wirken. Schließlich verbindet uns auch das Dasein im Raum mit allem, was räumlich (dinglich, leiblich) da ist. Aber auch dieser Sachverhalt kann eine scheinbare Trivialität gar leicht verlieren- zum Beispiel wenn er sich mit der Erfahrung verbindet, daß Dasein im Raum mich immer an einen bestimmten sei es diesen, sei es jenen- Ort verweist, wie jedes Ding im Raum immer an diesem oder jenem Ort ist, zum Beispiel Wasser in einem Topf. "Wenn der Topf aber nun ein Loch hat?" Der Ort im Raum ist offensichtlich seinerseits veränderbar. Der Ort im Raum ist selber der Zeit ausgesetzt. "Steter Tropfen höhlt den Stein." Aber auch der Raum selbst, den ich doch immer nur begrenzt erfahre, kann sich gerade in seiner Begrenztheit verändern. Seine Grenzen können sich so verändern, daß der Raum eng wird. Er kann beängstigend eng werden. Er kann aber auch beängstigend weit werden: "Die Wüste wächst. Weh dem, der Wüsten birgt!" Natürlich gibt es auchpositive Erfahrungen solcher Raumveränderungen. Immer aber ist die Zeit am Werk, wenn Ortsverände-
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Eberhard Jüngel
rung oder Veränderung von Raumerfahrung geschieht. Das Dasein im Raum ist zeitlich vermittelt. Erst recht gilt das jedoch für das Dasein in der Zeit. Und insofern ist die Tatsache, daß wir selber in der Zeit sind und insofern mit allem, was geschichtlich da ist, fundamental verbunden sind, alles andere als eine triviale Feststellung. Sind wir in der Zeit da, dann sind wir auch durch die Zeit selbst mit allem vermittelt, was seinerseits in der Zeit da ist. Für das Verhältnis der Gegenwart zur unmittelbaren Zukunft leuchtet das sofort ein. Man kann heute nicht leben, als hätten wir morgen nicht wiederum eingemeinsames Heute. Wie es morgen sein soll, darüber kann man verschiedener Meinung sein und soll man gegebenenfalls auch hart - aber verantwortlich- streiten. Man kann aber nicht darüber streiten, daß wir morgen wiederum ein gemeinsames Heute haben werden - es sei denn, man wollte einen solchen Streit durch Totschlag beenden. Wenn ich nur allein übrig bleibe, dann gibt es allerdings keine gemeinsame Zukunft mehr. Solange ich aber nicht allein in der Zeit bin, werde ich durch die Zeit selbst mit allem Gleichzeitigen so verbunden, daß die nächste und unmittelbare Zukunft uns gemeinsam bevorsteht. Inwiefern das auch für die weitere und fernere und fernste Zukunft gilt, wäre weiterer Prüfung wert. Werde ich durch die Zeit auch mit jenem geschichtlichen Dasein vermittelt werden, das zu einer Zeit da sein wird, wenn ich nicht mehr existiere? Wir nehmen diese Frage so auf, daß wir sie in das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart übersetzen. Denn wenn ich nicht mehr existiere, werde ich ja eben in jenem kommenden Heute vergangen sein. Folglich kann dasselbe Problem auch im Verhältnis der Vergangenheit zu unserer eigenen Gegenwart erörtert werden. Dabei wird man nun allerdings genauerhin unterscheiden müssen zwischen dem Verhältnis des Vergangenen zu unserer Gegenwart einerseits und unserem Verhältnis zur Vergangenheit andererseits. Inwiefern geht es um uns selbst, wenn das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart in diesem doppelten Sinn zur Verhandlung steht?
IV Es war einmal- doch ich bin hier; was geht's mich an? So hatten wir das allgemeine Problem umschrieben, das Hege I mit jener schwäbischen Redensart "es ist schon so lange, daß es bald nicht mehr wahr ist" fixiert hat. Gibt es einen notwendigen Zusammenhang zwischen dem, was einmal war, und unserer Gegenwart? Gibt es einen notwendigen Bezug zwischen einem fremden "Damals und Dort" und unserem eigenen "Hier und Jetzt"? Was hat das "illic et tune" Geschehene mit unserem "hic et
Die Wirksamkeit des Entzogenen
21
nunc" zu tun? Wir stellen die Frage zunächst so, daß wir von unserem Verhältnis zum Vergangeneo ausgehen. Ein solches Verhältnis zum Vergangenen kann bewußt vollzogen werden, zum Beispiel durch Akte historischer Forschung, aber auch durch Akte historischer Fälschung. Der zweite Fall ist der hermeneutisch interessantere. Denn die historische Fälschung verrät etwas vom notwendigen Zusammenhang zwischen unserer Gegenwart und der Vergangenheit. Inwiefern? Historische Forschung kann- muß nicht- sich als eine seriöse Art von Neugierde vollziehen. Sie unterliegt demgemäß dem Verdacht des Beliebigen - schon weil sie immer auswählen muß. Man kann ja nie die ganze Vergangenheit erforschen. Da das historisch-enzyklopädische Ideal einer zum Wissen der ganzen Vergangenheit führenden Geschichtsforschung unerreichbar ist, ist in der Tat zu fragen, ob die Angewiesenheil auf das Auswählen nicht alle Geschichtsforschung der Beliebigkeil bloßer Neugierde ausliefert. Reicht bloße Neugierde aus, um ein ernsthaftes erkenntnisleitendes Interesse zu sein? Inwiefern ist historisches Interesse mehr als bloße Neugierde? Was macht das Vergangene für die Gegenwart interessant - so, daß man irgendwie dabei sein will oder aber das Vergangene dabei haben will? Und ist das historische Interesse gar für die Gegenwart notwendig? Was ist historisches Interesse? Und was ist Gegenwart, daß Vergangenes für sie notwendig und interessant sein sollte? Historisches Interesse ist in der Regel zunächst einmal immer Interesse für etwas ganz Bestimmtes, für eine bestimmte Person, Situation, Begebenheit, Gesellschaftsstruktur. Dann stellt sich aber sofort die Frage, warum uns in der Vergangenheit gerade eben diese Person, Situation oder Begebenheit interessieren soll, jene oder irgendeine andere aber nicht. Warum gerade Gabriel Biel oder Kleopatra? Warum nicht Spartakus oder Lukullus? Und warum überhaupt diese, wenn nicht alle? Nur weil es diese Personen, Situationen, Begebenheiten und Strukturen einmal gab, sind sie jedenfalls noch nicht von notwendigem geschichtlichen Interesse, so daß die gelehrte Beschäftigung mit der Vergangenheit, wenn sie nicht anders motiviert werden kann, musealer Liebhaberei für Antiquitäten und Kuriositäten vergleichbar erscheint6 • Die merkwürdigen Blüten historischer Forschung, die man Dissertationen nennt, sind jedenfalls durchaus geeignet, der behaupteten Notwendigkeit geschichtlichen Interesses eine gehörige Portion Mißtrauen entgegenzu" Zum positiven Erkenntniswert der curiositas, der l'tEQlEQy(a und l'tOAUJ'tQQYIJOOtrvTJ ist allerdings zu verweisen auf H. Blumenberg. Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main 1966, 203 ff.; H. A. Oberrnan, Contra vanam curiositatem. Ein Kapitel der Theologie zwischen Seelenwinkel und Weltall, Theologische Studien 113, Zürich 1974.
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setzen. Der Vorwurf ist so unberechtigt nicht, es könne solche historische Fixierung auf V ergangenes doch nur die Aufmerksamkeit für das Verhältnis der Gegenwart zur Zukunft entnerven und schwächen. Das Interesse für die Zukunft aber ist unbestreitbar notwendig. Zukunft kommt ständig an. Sie nähert sich uns ohne Ende. Ist es aber das Wesen der Zukunft, sich ständig einzustellen, dann scheint Gegenwart geradezu als Sich-Einstellen von Zukunft definierbar zu sein. Gegenwart wäre dann ganz und gar durch Zukunft bestimmt, so daß das Interesse für das Zukünftige unbestreitbar notwendig ist. Vergangenheit hingegen ist offensichtlich abgetretene Gegenwart. Und nicht nur das: sie ist im Gegensatz zur sich ständig einstellenden Zukunft ein sich ständig potenzierendes Entfernen. Zur Vergangenheit gehört es, immer vergangener noch zu werden. Sie ist ein ständiges und ständig wachsendes Abstandnehmen von der Gegenwart. Und gerade so, als ein sich ständig potenzierendes Entfernen, macht sich Vergangenheit für die Gegenwart bemerkbar. So ist sie "da". So zeigt sie, daß der Gegenwart etwas fehlt, was einmal zu ihr gehörte. Als vergehende beansprucht die Vergangenheit die Gegenwart. Doch kann die Gegenwart ihr gegenüber dann eigentlich überhaupt ein anderes Interesse haben, als vom Vergangeneo Abschied zu nehmen? Wäre also dies die eigentliche Funktion historischer Forschung: die längst vergangeneo Akte geschichtlichen Lebens als Fakten festzustellen, also die lebendigen Akte von einst gleichsam zu den Akten zu nehmen, sie ad acta zu legen und ihnen so den verdienten Abschied zu geben? Man könnte sich dann immerhin durch historische Forschung von der Vergangenheit sozusagen entlasten. Und mit dem Bedürfnis danach wäre dann allerdings ein notwendiger Zusammenhang zwischen Gegenwart und Vergangenheit aufgewiesen: der der Belastung durch das, was einmal war. Und die Notwendigkeit des historischen Interesses wäre dann damit gegeben, daß wir durch die Mühe und harte Arbeit gelehrter Forschung und politischer Verdauung unsere Gegenwart von der Last des Vergangeneo befreien: "per aspera ad acta" wäre dann das Ethos historischer Forschung.
V Aber eben die historischen Akten sprechen selber dagegen, daß die Vergangenheit in ihnen sozusagen begraben werden könnte. Denn diese Akten werden immer wieder geändert und nicht selten bewußt gefälscht. Warum wurde die Geschichte der KPdSU so oft umgeschrieben? Warum wird die Vergangenheit im nachhinein revidiert? Offensichtlich doch wohl deshalb, weil sich das Vergangene von der Gegenwart nicht
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einfach abschneiden läßt- obwohl eben das nicht selten sehr erwünscht wäre, wie die entsprechenden Schneide-Kunststücke in den Akten zum Beispiel deutscher theologischer Fakultäten nach 1945 mit peinlicher Deutlichkeit erkennen lassen. Insofern verrät gerade die Geschichtsfälschung also mit besonderer Evidenz etwas vom notwendigen Zusammenhang zwischen unserer Gegenwart und der Vergangenheit. Dieser Zusammenhang besteht offensichtlich darin, daß jede Gegenwart Vergangenheit zu verarbeiten hat. Insofern ist Gegenwart also noch keineswegs hinreichend definiert, wenn sie nur als Sich-Einstellen von Zukunft bestimmt wird. Gegenwart ist gleichermaßen und gleichursprünglich Verarbeitung von Vergangenheit, und zwar ganz egal, ob diese Verarbeitung bewußt vollzogen wird oderunbewußt sich vollzieht. Das hat jedes "hic et nunc" notwendig mit dem zu tun, was einmal war: daß hier und jetzt verarbeitet werden muß, was einmal war. Der Zwang zu gegenwärtiger Verarbeitung von Vergangenheit ist ein konstitutives Moment geschichtlichen Daseins. Die Zeit, in der Dasein ist, zwingt dazu, seit eh und je. Solange solche Verarbeitung unbewußt geschieht, ist sie relativ problemlos. Sie ist dann eine sozusagen natürliche Verarbeitung von Geschichte - wie sie sich zum Beispiel in Ritualisierungen seit eh und je vollzieht und wie sie auch in der Tierwelt durchaus geschieht. Ganz ohne solche unbewußte, natürliche Verarbeitung von Vergangenheit gibt es keine Gegenwart geschichtlichen Daseins. Doch es ist nun gerade die besondere Eigenart geschichtlichen Daseins, Vergangenheit auch bewußt zu verarbeiten, also der natürlichen Verarbeitung der Vergangenheit durch eine geschichtliche Verarbeitung der Vergangenheit zu entsprechen. Das Wesen des Menschen tendiert nach einer- die natürliche Verarbeitung keineswegs nur verdrängenden - geschichtlichen Verarbeitung der Geschichte. Denn nur so gewinnt der Mensch selber Einfluß auf die sich ständig einstellende Zukunft. Deshalb wird ja Geschichte gefälscht, weil man mit dieser Verarbeitung von Vergangenheit besser Zukunft machen zu können meint. Vergangenheit- so oderso-verarbeiten heißt: Zukunft erarbeiten. Gegenwart ist also auf jeden Fall Verarbeitung von Vergangenheit als Erarbeitung von Zukunft. Deshalb erfordert es der Zusammenhang der Zeit selber, daß wir uns für das V ergangene interessieren, und zwar über die Beliebigkeit der Neugierde hinaus interessieren. Und die gelehrte historische Forschung hat ihr Recht insofern, als sie dieser Verarbeitung von Vergangenheit als Erarbeitung von Zukunft dient. Sie hilft kennen zu lernen, was verarbeitet werden muß. Je besserwir unsere Vergangenheit kennen lernen, desto präziser werden wir unsere Zukunft verstehen und gestalten lernen - sei es zum Guten, sei es zum Argen. Dabei wird man sich freilich vor der naiven Illusion hüten müssen, als könne das Verarbeiten von Vergangenheit jemals zu einem Ende kom-
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men. Das hieße das jüngste Gericht antizipieren. Die Weltgeschichte selber ist niemals das Weltgericht, sondern eher dessen Gegenteil! Auch ein ganz bestimmtes Vergangenes wird niemals endgültig verarbeitet sein und also "ad acta" gelegt werden können. Es gehört ja, wie wir sahen, zur Eigenart jedes Vergangenen, daß es sich immer mehr entfernt. Damit tritt aber auch immer mehr zu seiner Nachgeschichte hinzu. Es wird selber sozusagen um seine eigenen Folgen bereichert. Dadurch ändert sich aber das bestimmte Verhältnis der jeweiligen Gegenwart zu diesem Vergangenen. Deshalb ist historische Forschung über denselben Gegenstand grundsätzlich niemals am Ende. Jede Gegenwart hat diegesamte Vergangenheit eines bestimmten Ereignisses aufs neue zu verarbeiten, wohl wissend, daß das immer nur sehr partiell gelingt. So etwas wie "Bewältigung der Vergangenheit" kann es also grundsätzlich gar nicht geben. Gerade die Tatsache, daß Vergangenes von Stunde zu Stunde, von Augenblick zu Augenblick immer mehr noch vergeht und dennoch niemals aufhört, als Gewesenes zu sein, zeigt, daß die Vergangenheit in ihrem Vergehenscharakter die Gegenwart immer wieder neu angeht. Je mehr sich ein Gewesenes von der Gegenwart in die Vergangenheit entfernt, um so aufdringlicher kann es werden. Es gibt durchaus - um eine viel mißbrauchte Kategorie Hans-Georg Gadamers aufzunehmen- nicht nur eine positive Wirkungsgeschichte derart, daß wir die Wirkungen eines vergangeneo Ereignisses noch lange zu spüren bekommen. Es gibt vielmehr auch eineprivative Wirkungsgeschichte, insofern nicht selten ein geschichtliches Dasein (eine Person, Situation, Begebenheit) erst dadurch, daß sie sich entfernt und immer weiter entfernt, wirkt: sei es im Guten, sei es im Bösen. Erst die Entzogenheil wirkt in einem solchen Fall, so daß man, je mehr sich das Gewesene entfernt, erfährt, was man gehabt hat oder aber worunter man gelitten hat. Auf jeden Fall aber ist das zur Vergangenheit als Modus der Zeit gehörende Mehr-und-mehr-noch-sich-Entfernen alles andere als ein Grund, das Vergangene von der Gegenwart zu separieren. Die Potenzierung der Entfernung des Vergangenen potenziert vielmehr auch die Notwendigkeit stets neuer Verarbeitung von Vergangenheit überhaupt, um auf diese Weise Zukunft zu erarbeiten. Verarbeitung von Vergangenern ist nun aber nur möglich, wenn die Gegenwart selber an der Sache partizipiert, auf die auch das Vergangene bezogen war. Verarbeitung der Vergangenheit kann nicht einfach Aufarbeitung von Relikten sein, sondern vollzieht sich als gegenwärtiger Streit um eine die Gegenwart bewegende Sache. So versteht- wie Karl Barth 7 völlig zu Recht konstatiert - "niemand die Theologie des 19. In der Einleitung zu seinem Buch: Die protestantische Theologie im 19. Jahrhundert. Ihre Vorgeschichte und ihre Geschichte, Zürich 1952 2 , S. 2. 7
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Jahrhunderts oder irgendeines Jahrhunderts, als wer in irgendeiner Weise selber die Last theologischer Arbeit auf sich hat". Bei der Verarbeitung des Vergangenen "ausgeschlossen, nicht kompetent, ist nicht der irrende Theologe und auch nicht der Gegner der Theologie - man kann gar nicht Gegner der Theologie sein, ohne selber Theologe zu werden - wohl aber der müßige Zuschauer ... Er müßte, sollten ihm die Augen aufgehen und sollte er zur Mitsprache berechtigt werden, zuvor bei der Sache sein". Man kann denselben Sachverhalt auch mit Rudolf Bultmann8 so formulieren: "Nur wenn man sich selbst bewegt weiß von den geschichtlichen Mächten, nicht als neutraler Beobachter, und nur wenn man bereit ist, den Anspruch der Geschichte zu hören, versteht man überhaupt, worum es sich in der Geschichte handelt." Ist die Sache, um die es im Gewesenen ging, nicht auch in irgendeiner Weise eine die Gegenwart angehende Sache, dann gibt es auch keine Verarbeitung, dann gibt es nicht einmal eine Verfälschung der Vergangenheit. Und dann ist die Sache in der Tat so lange her, daß sie überhaupt nicht mehr wahr ist. Solange wir jedoch darum besorgt sind, es könnte eine Sache, weil sie schon so lange her ist, bald nicht mehr wahr sein, solange sind wir noch auf diese Sache bezogen, ist also das Vergangene noch der Verarbeitung fähig. Wir sind mit diesen letzten Erwägungen allerdings bereits dazu übergegangen, in das Verhältnis unserer Gegenwart zur Vergangenheit das Verhältnis des Vergangenen zur jeweiligen Gegenwart einzubeziehen. Die Erörterung des umgekehrten Verhältnisses von Vergangenern zur Gegenwart ist erforderlich, um zu klären, wie die notwendige Beziehung der Gegenwart auf die Vergangenheit (als deren Verarbeitung) möglich ist. Wie ist es möglich, durch Verarbeitung von Vergangenheit Zukunft zu erarbeiten? VI Wenn Hegel mit jener schwäbischen Redensart die Auffassung vertritt, Wahrheit könne veralten, so sagt er damit, daß geschichtliches Dasein nicht schon allein durch seine Faktizität wahr ist. Nicht das Faktum, daß Christus gestorben ist, ist schon so lange her, daß es bald nicht mehr wahr ist, sondern daß er für unsere Sünde gestorben ist. Die Wahrheit geschichtlichen Daseins geht über die Wirklichkeit des brutum factum hinaus. Das als brut um factumBehauptete kann nur richtig oder falsch sein, tertium non datur. Ist die Behauptung falsch, dann ist die behauptete Wirklichkeit eben nicht. Hier gilt in der Tat: verum et factum convertun8
Jesus, Tübingen 1951 13.-14. Tausend, S. 8.
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tur. Entweder ist Napoleon gestorben. oder aber er ist nicht gestorben. Und wenn er nicht gestorben ist. dann lebt er heute noch; tertium non datur. Daß etwas bald nicht mehr wahr ist, bezieht sich über diese Alternative von richtig und falsch hinaus auf etwas. was zwar mit der Wirklichkeit eines Faktums sich ereignet und doch mehr ist als das, was sich feststellen läßt. Was ist dieses Mehr? Was ist an einem Wirklichen mehr als wirklich. so daß es bedeutsam wird über seine Wirklichkeit hinaus? Antwort: es ist die Potenz des Wirklichen, sein Vermögen. Was ein Wirkliches, was ein wirklicher Mensch zum Beispiel vermag, gehört zu diesem Wirklichen, ohne doch immer schon verwirklicht zu sein oder durch Verwirklichung erschöpft zu werden. Es ist mehr als nur wirklich, mehr als "bloße Wirklichkeit", mehr als "nackte Faktizität". Das Faktum als brutum factum hätte für die Gegenwart keine Bedeutung, wenn seine Wirklichkeit nicht Möglichkeiten implizierte, die mit der Wirklichkeit des brutum factum nicht zugleich auch vergehen. Die Möglichkeiten, die eine Wirklichkeit mit sich bringt und hinterläßt, machen aus einem in der Zeit geschehenen Faktum erst so etwas wie ein Ereignis geschichtlicher Wahrheit. In diesem Sinn hat Hölderlin 9 ein Seitenstück zu Hegels Jenaer Tagebuchnotiz formuliert mit dem Satz: "Lang ist die Zeit, es ereignet sich aber das Wahre." Zum Ereignis des Wahren gehört mehr als ein brutum factum in der langen Kette von Fakten. als die die Zeit aufgefaßt zu werden pflegt. Zum Ereignis des Wahren gehört die Eröffnung von Möglichkeiten, die als solche nicht notwendig in die Vergangenheit entschwinden. Es ist das hermeneutische Verdienst Sören Kierkegaards 10 , diesen Sachverhalt herausgearbeitet zu haben: "Die Möglichkeit, aus der das Mögliche, welches zum Wirklichen wurde, hervorging, begleitet beständig das Gewordene und bleibt bei dem Vergangenen, ob auch Jahrtausende dazwischen liegen; sobald der Spätere wie-
derholt, daß es geworden ist, so wiederholt er dessen Möglichkeit." Die Wirklichkeit eines Vergangenen läßt sich hingegen nicht wiederholen. Da gilt: hin ist hin. Aber sowohl die Möglichkeit, aus der es hervorging, als auch die Möglichkeiten, die es selber eröffnete, die bleiben. Und solange sie bleiben, läßt sich Vergangenes verarbeiten und eben damit Zukunft erarbeiten. Dem Entdecken von Möglichkeiten gegenwärtiger Existenz gilt also die bewußte und also geschichtliche Verarbeitung von Vergangenem, das auch dann, wenn es sich von uns immer mehr entfernt, sein Potential nicht einfach mit sich nimmt, sondern unserer Wahrnehmung überläßt. ~ Mnemosyne. in: Sämtliche Werke. Kleine Stuttgarter Ausgabe. 2. Bd., 1953. S. 202.204. 10 Philosophische Brocken. in: Gesammelte Werke Bd. 6, übersetzt von H. Gottsched und Ch. Schrempf. Jena 1925 3. und 4. Tausend, S. 78.
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Walter Benjamin 11 hat in diesem Sinn von den "revolutionären Energien" gesprochen, die im "Veralteten" zutage treten. Sie zutage zu befördern- das dürfte die eigentliche Aufgabe der Beschäftigung mit vergangener Geschichte sein. Vergangenheit wird nicht bearbeitet, um Neues über Altes zu erfahren, sondern Vergangenheit verlangt danach, verarbeitet zu werden, damit wir in der eigenen Gegenwart selber neu zu werden vermögen. Das also ist der Respekt, den wir der Geschichte schulden: nichts anderes als die Verantwortung für unsere eigensten Möglichkeiten. Wir gehen nun noch einen Schritt weiter und fragen genauerhin nach der Eigenart jener Wirkung, die ein geschichtliches Ereignis nicht zuletzt dadurch hat, daß es vergeht. Mit dieser allgemeinen hermeneutischen Fragestellung kehren wir zugleich in die besondere christologische Problematik zurück.
VII Die hermeneutische Problematik geschichtlichen Daseins ist nicht zuletzt die Problematik seiner Wirksamkeit. Das zeigt sich sofort, wenn wir, um uns selbst und unsere eigensten Möglichkeiten zu verstehen, uns um das Verständnis vergangener Ereignisse bemühen. Denn jedes Verstehen von Geschichte steht selber immer schon unter der Wirkung der Geschichte, die es zu verstehen trachtet. Hans-Georg Gadamer hat dieser Problematik in seinem Buch "Wahrheit und Methode" eine besondere Analyse gewidmet und mit dem Stichwort "Wirkungsgeschichte" die Aufforderung zu einer Hermeneutik geschichtlichen Verstehens gegeben. Er hat mit dem Hinweis darauf, daß der Verstehende schon immer unter einer Wirkung der zu verstehenden Geschichte steht, die methodische Forderung verbunden, durch Reflexion auf die eigene Geschichtlichkeit des historischen Verslehens den historischen Gegenstand hermeneutisch überhaupt erst einmal angemessen zum Objekt des Verstehens zu machen. Wissenschaft besteht ja nicht zuletzt darin, daß sie ihre Objekte findet und angemessen bestimmt, also in der angemessenen Objektivierung. Die hermeneutisch angemessene Objektivierung im Vorgang geschichtlichen Verstehens hat sich nach Gadamer so zu vollziehen, daß wir "in dem Objekt das Andere des Eigenen und damit das Eine (sc. das Andere) wie das Andere (sc. das Eigene) erkennen ler-
Der Sürrealismus. Die letzte Momentaufnahme der europäischen Intelligenz, in: Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2. Frankfurt am Main 1966, S. 204. 11
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nen" 12 . Vorausgesetzt ist dabei, daß das geschichtlich Fremde (V ergangene) allemal so zur eigenen Gegenwart (oder diese so zum geschichtlich vergangeneo Fremden) gehört wie das Andere eines Eigenen (hEQOV als notwendiges Korrelat des "Dieses"). Wird das geschichtlich Vergangene als das Andere des Eigenen (als neue Möglichkeit, als Potential unserer Gegenwart) erkannt, dann ist der Wirkungszusammenhang von Einst und Jetzt berücksichtigt. Bei dieser seiner Forderung wirkungsgeschichtlichen Verstehens ist sich Gadamer der faktischen Grenzen der Durchführbarkeit wohl bewußt. Er weiß um die Unmöglichkeit, daß" Wirkungsgeschichte je vollendet gewußt werde" 13 • Wollte man die Möglichkeit solchen vollendeten Wissens der Wirkungsgeschichte behaupten, dann wäre das "eine ebenso hybride Behauptung wie Hegels Anspruch auf absolutes Wissen, in dem die Geschichte zur vollendeten Selbstdurchsichtigkeit gekommen ... sei" 14 • Man wird dieser Selbstbescheidung wirkungsgeschichtlicher Hermeneutik schon deshalb zustimmen müssen, weil in der Geschichte ja für das Bewußtsein von ihr viel zu viel einfach verloren geht, als daß ein solches vollendetes Wissen jemals möglich wäre. Was wir geschichtlich wissen, ist immer nur ein Rest. Das Ganze des Gewesenen geht immer- jedenfalls für uns, nicht so für den versöhnenden Gott- verloren. Und vieles Einzelne dazu. Das Verlorene gehört aber nicht weniger zur Wirkungsgeschichte als das im historischen Bewußtsein Archivierte. Oft wirkt es sogar, weil es als Verlorenes nicht verarbeitet werden konnte und kann, sehr viel elementarer als das historisch Gewußte. Geschichtliches Verstehen ist also immer auch das Eingeständnis von Verlusten, die ihrerseits gleichwohl das Bewußtsein (der Späteren) bestimmen, dem das Gewesene verloren gegangen ist. Das gilt in besonderer Weise von Jesus. Man wird gerade im Blick auf das geschichtliche Dasein Jesu eingestehen müssen, daß uns nur ein schmaler Rest seines Lebens historisch sicher überliefert ist; was wir von ihm historisch wissen, bezieht sich auf die wenigen Jahre seines öffentlichen Auftretens, die seinem Tod vorangingen (nicht einmal diese kurze Dauer läßt sich genau angeben). Dennoch wird man die Wirksamkeit Jesu nicht ausschließlich auf das zurückführen dürfen, was wir historisch von ihm wissen. Daran hindert uns ein unerhörter Vorgang im Urchristentum, der sich nur verstehen läßt als der Versuch, das Ganze des geschichtlichen Daseins Jesu- ohne mit dem Ganzen alles sagen zu wollen, alle Details - zur Darstellung zu bringen. Die faktische Wirkung J esu weist sich bezeichnenderweise ja auch darin aus, daß der schmalen Hans-Georg Gadarner. Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen 1965 1 • S. 283. 11 AaO., S. 285. a• Ebd. 12
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Oberlieferung des Wißbaren zum Trotz eine ihm eigens geltende neue literarische Gattung entsteht, die das Ganze seines geschichtlichen Daseins zur Darstellung zu bringen sich berufen weiß: die Evangelien. Diese evangelischen Darstellungen des Ganzen des geschichtlichen Daseins Jesu verzichten bewußt auf die Konstruktion eines möglichst lückenlosen Lebenslaufes, auf die Konstruktion einer lückenlosen Kette von Details. Entscheidend war vielmehr, daß Jesu Dasein eine ganz besondere Wirkung gezeitigt hatte: er hat die von ihm- auch nach seinem Tode noch- angesprochenen Menschen "ihres Heils" (was immer das sei- wir kommen darauf zurück) gewiß gemacht. Gerade deshalb mußte nun aber unter diesem Gesichtspunkt der "ganze Jesus" zur Darstellung gebracht werden- nicht, um alles von ihm zu sagen, wohl aber, um ihn als Einheit zu verstehen. Das relativ schmale Wissen reicht aus, um auf die Frage Antwort zu geben, wer er war, beziehungsweise wer er ist: nämlich Heil, Gottes Gemeinschaft ermöglichende Person. Das Ganze seines geschichtlichen Daseins wird deshalb von diesem Besonderen her zur Darstellung gebracht, also durchaus nicht durch Addition von allen Einzelheiten seines Lebens. Eine solche Summe wäre für die Evangelien weniger als das Ganze, das sie intendieren. Es kam darauf an, zu zeigen, daß das Ganze dieses Heilsgewißheit bewirkenden Daseins Heilsgeschehen ist. Jede Perikope des Evangeliums will mehr als nur eine Begebenheit in einer Liste von Begebenheiten berichten. Sie will vielmehr an einer Begebenheit etwas für das Ganze des Seins Jesu Charakteristisches zur Anschauung bringen. Wenn zum Beispiel Mk 2,5 dem Paralytiker die Sünden vergeben werden, sonst aber bei Markus keine mit Sündenvergebung verbundenen Krankenheilungen erzählt werden, dann bedeutet das nicht, daß es sich hier um eine einmalige Begebenheit handelt. Vielmehr will Markus an der einen Geschichte etwas für alle Heilungen Jesu Charakteristisches zur Geltung bringen. Jesu heilendes Handeln ist als solches sündentilgendes Handeln. Entsprechendes gilt für die Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern nach Mk 2,15; auch hier handelt es sich nicht nur um die Schilderung eines einzelnen Geschehens, sondern um die Darstellung eines das Ganze des Daseins Jesu konstituierenden Verhaltens: er aß und trank mit Zöllnern und Sündern und war gerade darin er selbst. Ich möchte diese Darstellungsweise des Evangeliums, die darauf verzichtet, eine lückenlose Reihe von Ereignissen aufzuführen, und statt dessen eines für das Ganze setzt, synekdochisch nennen. Die Evangelien reden synekdochisch von Jesus. Um deutlich zu machen, daß es um das Ganze des Seins Jesu als Heilsereignis geht, mußten die Evangelien freilich Anfang und Ausgang dieses Daseins als Rahmen thematisch machen. Der (doppelte) Ausgang stand fest: Tod und Auferstehung. Der Anfang war jedoch relativ disponibel. Soll die Geschichte Jesu als ein Ganzes, als eine Einheit und von
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dieser Einheit her als Wirkung dargestellt werden, dann muß also noch ein Anfang thematisch gemacht werden, und zwar ein das Heilswirken Jesu als Ganzes integrierender, beziehungsweise konstituierender Anfang, ein Anfang also mit Gott. Deshalb mußte man über das Ende des Lebens Jesu zurück auf einen Anfang, eine ; ytyQwr.taL tv t Hoat~ Tti> 1tQOcategories< eomme le >dualismegnosticsgnostic< whose works have come down to us is Clement of Alexandria ... ).« 2 Certes, l'etude de Ia diffusion et des fonctions du terme yvrom.~ ne saurait etre negligee, pas meme Ia consideration particuli~re des sectes qui s'appelaient elles-memes >les gnostiques< - toute creation de termes artificiels tels que >gnosticisteles gnostiquesMoi< 4 (en un contexte anti-cosrnique), une doctrine qu'on aurait de .Ja peine d'attribuer a Clement. Dans ces conditions, une declaration de Jonas5 occasionnee par l'usage trop large du mot gnosticisme de Ia part de Scholem6 et reprise avec faveur par Wilson 7 , doit etre consideree comme exprimant une indication bienplus efficace: »A Gnosticism without a fallen god, without benighted creator and sinister creation, without alien soul, cosmic captivity and acosmic salvation, without the self-redeerning of the Deity- in short: A Gnosis without divine tragedy will meet specifications«. II est vrai d'autre part que cette caracterisation offerte par Jonas, qui n'est pas loin de Ia position de Quispel (Je gnosticisme comme doctrine de Ia >scission< dans Je divin et >expression mythique de Ia Selbsterfahrunggnosticismegnostiquegenre< par rapport a des >especes< que seraient les differents systemes gnostiques, et historiquement comme un tronc par rapport a ses rameaux. Elle permet en meme temps d'eviter Ia falsification de I'histoire qui consisterait a voir partout des dependances genetiques au sens etroit du mot, et, a I' extreme oppose, Je renoncement irrationnel a valoriser historiquement des analogies plus ou moins etendues, sous pretexte de I'impossibilite d'une option documentee entre origine independante (parallele) et dependance genealogique des differents systemes.
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The History of Religions, Leiden 197 5, pp. 20 l ss.
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4. On comprend donc l'utilite de l'approche historico-comparative pour ecarter les alternatives trop radicales qu'une philologie etroite ou, au contraire, une typologie apriorique prisonniere d'elle-meme ont pu instituer a propos, par exemple, du rapport entre Mareion et Je gnosticisme. Comme il n'est pas question de resoudre ce problerne pardes raisonnements per genus et differentiam, ou par des oui ou des non 9 , ces rapports n'auront pas besoin d'etre exageres ou, au contraire, minimises au point d'expulser Mareion de Ia zone d'activite du gnosticisme, ou d'en faire un gnostique imparfait, Ia ou il n'y a plus proprement de gnosticisme complet, mais i/ y a seulement /es sommers d'un acrocore coordonnes entre eux pardes series distinctes d'elements communs qui s'enchainent sur des points forts tels que l'anti-cosmisme, Je ditheisme, le docetisme, Ia doctrine des elements d'origine celeste qui doivent etre reintegres, Ia doctrine du melangedes substances en cle anti-somatique. Ia separation-purification dans ce meme contexte. Evidemment, les forces tectoniques qui ont donne naissance a cet acrocore, Je caractere preliminaire ou ulterieur de certaines formations par rapport a d'autres, l'homogeneite speciale de certaines d'entre elles, seront sujets au debat. Mais I' >objet< gnostique aura ete sauve, sans Je recours a un >essentialisme< an-historique et au concept de >genre< et de derivation genealogique unilineaire. D'autre part, il n'y a pas que Ia question >horizontale< des >limites< du gnosticisme, relativisee par l'elimination d'une conception trop etroitement genetique et exemplaire (voire heuristiquement idealtypisch) de cette Größe de l'antiquite tardive;- il y a aussi, relativisee pour autant, Ia question >Verticalederivation commune I developpement parallele et independantdieu dechuscission dans le divin~osticismel'aerocore< gnostique dont nous avons parle. Certes, il serait premature ou peutetre errone de vouloir appliquer ici les eriteres d'une kulturhistorische Methode pour ehereher a identifier ee qui appartiendrait en propre a .un Kulturkreis gnostique originaire par rapport a des innovations personnelles (Sophia ehez Valentin?) ou, au eontraire, a des appauvrissements ( elimination voulue ehez Satumin de toute hypostase feminine?). L'Ennoia simonienne, et surtout Ia mythologie d'Helene, sonst toujours Ia pour imposer de Ia eaution a l'egard de ees deux possibilites eontraires. Ce qui importe surtout est d'identifier deux struetures qui situent differemment une ontologie et une vision du monde qu'ils ont en eommun. Examinons les deux struetures de ee point de vue. D'une part, Satumin nous presente une situation originaire qui, tout en eontemplant Ia fonetion primordiale du Pere en tant qu'arche universelle, insiste sur une dualite des niveaux qui est Ia eondition neeessaire et suffisante de tout le drame:- des etres inferieurs, les anges, guettent Ia manifestation d'une lumiere superieure, eherehent vainement a Ia retenir, s'engagent a l'imiter, jusqu'a ee que l'etre superieur eonsente a animer eette imitation par l'infusion de substanee pneumatique que le Sauveur va reeuperer par Ia suite. De rautre part, les valentiniens theorisent, eomme fondement de l'anthropogonie que nous venons de resumer, un prologue au eiel, eonsistant dans Ia passion de Sophia, qui preeede et motive ee qui »est arrive en dehors du pleröme« (Ir. 1,4, 1). Ce prologue est essentiel pour le valentinien, il eonstitue l'essenee du >mysterefils du chaos< (une etymologie Contesteepar Scholem) 11 est en realite le fils de Ia speculation valentinienne. II fonctionne a l'inteneur de celle-ci, du fait qu'il y joue deux röles essentiels. D'une part il a !'initiative de Ia plasmation de l'homme, parfois avec Ia cooperation d'anges-archontes qui sont son engeance (ce qui permet a ces anthropogonies de presenter le Dieu de Ia Bible sous les couleurs sombres de Ialdabaoth et de maintenir en meme temps en existence le recit des anges conspirant- au plunel, entre eux ou avec Ialdabaoth- pour Ia creation de l'homme); d'autre part, il agit en etat d'ignorance mais en meme temps il transmet inconsciemment le souffle pneumatique qui est en lui a cause de sa denvation de Sophia. Tandis que les anges de Saturnin sont Ia creation sine addito du Pere, Je demiurge valentinien, ne de Sophia dechue et >Convertievisible(s)< et Ia descente (ou revelation) docetique d'un sauveur qui derive d'une zone qui le(s) transcende. Cette structure qui- en tant que telle- ne saurait etre le produit d'une accumulation pure de motifs preexistants, et qui donc ne pennet pas un Erklären de style religionsgeschichtlich, est parfaitement etrangere aux doctrines juives concemant les auxiliaires du createur; ceux-ci, anges ou puissances, ne sont pas, dans ces doctrines, en etat d'ignorance ou d'hostilite par rapport a lui, et, surtout, ne s'identifient pas au dieu de Ia Bible. Ceci se verifie au contraire pour Cerinthe (qui est aussi docete), pour Cerdon et pour Marcion. Pour ce qui est de ce demier (ou des deux demiers) une difference s'impose; eile ne conceme pas teiiement l'attribut de >juste< qu'il(s) donne(nt) au demiurge, car cet attribut se trouve aiiieurs chez les gnostiques; eile concerne plutöt l'insistence sur les qualifications ethiques, >evangeliquessubstanceacrocore< gnostique ne saurait faire de doute. 6. Le nom de Basilide est un point de reference qui revient souvent dans cette chaine de continuites historico-typologiques gnostiques. Taodis que les fragments nous presentent une anthropologie et une doctrine du mal ethique qui n'est pas loin de Ia thematique de Valentin, les doctrines que lui attribuent Ies Acta Archelai 14 et Ia notice d'Hippolyte (Ref. VII, 2~27) relative aux basilidiens insistent sur une theoriegeneraledes substances, du dualisme des niveaux, du melange et de Ia purification comprise sous l'aspect ontologique. Mais il faut constater que ces deux visions s'identifient dans le temoignage de Clement, Strom. II, 112,1, ou les >appendices< de l'äme, qui sont des >essences spirituelles< (3tVEUJ.la'ta nva ... xa't'o'ua(av) se sont accroches a l'äme a Ia suite »d'un certain 14
Völker, Quellen, p. 39.
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trouble et d'un melange initial« (mJYX.UOL~ UQXLX{]: le meme terme que chez les basilidiens d'Hippolyte, VII,27,11, apropos de Ia panspermie: v.ci-dessous). Plus clair encore: »pour eux (les basilidiens) Ja repartition des natures tient lieu de Dieu« (Clem., 11,11,2). Basilide enseignait, disent les Acta, que les deux principes, Ja lumiere et les tenebres, vivaient au commencement l'un a l'ecart de l'autre; ils ne desiraient rien qui leur ffit respectivement etranger. Mais quand les tenebres eurent contemple Ia lumiere, ayant ete dominees »par le desir de Ia chose meilleure«, elles Ia poursuivirent, desirant s'unir a eile et en participer. Le mouvement, qui aurait pu rester sterile en consequences, etant donne l'impuissance foneiere des tenebres (comme I'Hyp.d.arch. le precise, "ce qui est psychique [inferieur] ne saurait rejoindre ce qui est pneumatique [superieur]" ), est complete par un minimum d'initiative (et d'imprudence, providentielle sous l'aspect cosmogonique) de Ia part de Ia lumiere. Celle-ci, tout en n'ayant en eile rien des tenebres ni ne desirant s'unir a elles, ceda au desir de les regarder: Ia faute typique de tant de mythes d'origine du mal. Ce fut ainsi qu'une image, une >Couleur< ou un >regard< de Ia lumiere se refleterent dans les tenebres comme dans un miroir (selon I'Hypostase des archontes [et le Poimandres] il s'agit du reflet dansdes eaux inferieures). Et le texte de conclure, par une formulation qui est classique de ce type de pensee dualiste: »Tenebrae vero ex luce sumpserunt intuitum et yles enfasin vel colorem, in quo ei displicuerant ... Verum tarnen per hoc ipsum exiguum lucis, immo potius per speciem quandam lucis, creaturae valuerunt generare similitudinem perferentem ad illam, quam de luce conceperant, permixtionem. Et haec est ista, quam cernimus, creatura.« On reconnait facilement les affinites de ce texte avec Ia situation decrite par Satumin: les creaturae y font figure d'anges demiurges s'inspirant a Ia lumiere qui s'etait soudainement manifestee d'en haut; le niveau inferieur aspire a Ia vision et a Ia possession de l'element superieur, tandis que celui-ci par sa condescendance rend possible Ia vie au niveau inferieur. Mais le texte des Acta introduit deux elements nouveaux: a) une metaphysique explicite de Ia lumiere et des tenebres; b) une cosmogonie qui surelasse l'anthropogonie. Ceci implique que les tenebres (et Ia Iumiere) agissent en premiere personne, en tant qu'elementa et archai: et que Ia vicissitude de l'element de lumiere qu'est l'äme assume une dimension cosmique et cosmogonique: l'äme est desormais l'element animant le cosmos. On comprend ainsi pourquoi le texte debute par Ia reference a Ia doctrine barbare (iranienne) qui oppose Ia lumiere et les tenebres, le bien et le mal (cosmologiques), en tant qu'elements innes et separes des le commencement. II s'agit d'une reference religieuse externe que le deplacement du drame dualiste vers les elements et Ia cosmologie va rendre
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necessaire, tout comme Je scenario ,biblique' des anges createurs etait necessaire pour l'anthropogonie dualiste. D'autre part, bien que Je concept d'une concupiscence et d'une agression de Ia part des etres des tenebres, habilement provoquee de Ia part du roi des lumieres, appartienne a Ia metaphysique mazdeenne 15 , Je texte basilidien prend immediatement ses distances en attribuant a Ia ,couleur' de lumiere capturee par les tenebres Ia capacite cosmogonique: ce qui est parfaitement gnostique. Cette transition (car il faut croire qu'il s'agit d'une transition, voire d'un phenomene >ulterieurdesequilibre temporaire< du pneumatique et de sa >Couleur< on comprend deux autres formations essentielles de l'esprit gnostique: a) Ia doctrine (basilidienne, selon Hippolyte) de Ia pacification finale des elements, soit les pneumatiques soit Ies inferieurs, et b) Ia doctrine du traite naassenien >sur l'homme< (Ia Naassenerpredigt transmise par Je meme auteur). Dans ce demier texte l'äme conditionne Ia presence de l'element divin dans Je monde inferieur: »IIs cherchent quelle soit (Ia nature de) l'äme, quelles soient son origine et sa nature, qui font qu'elle, descendue dans l'homme et l'ayant anime, rende sujet et punisse Ia creature de I'Homine parfait. « 16 On ne saurait se tromper sur Je caractere parfaitement gnostiBundahishn, A, p. 4,6 (R. C. Zaehner, Zurvan, a Zoroastrian Dilemma, Oxford 1955, po 313)0 16 Ref V, 7,80100 11-150 Do Cosi, dans un article inedit, observe justement que (To 1tAQOJ10) TOÜ o . av6Qn:ou n'est pas complement d'agent. 1s
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que de ce texte (Ia notion du chätiment comme implicite dans Ia condition terrestre!), bien qu'il soit integre dans une theorie generale de l'etre et du cosmos oil l'äme est 1' element animateur universei ( »toute naturedisent-ils- aspire a l'äme, chacune a sa fa~on. L'äme est Ia cause de toutes les choses qui naissent: tout ce qui se nourrit et croit a besoin d'äme ... II n'est pas jusqu'aux pierres qui ne soient animees ... «). L'anti-cosmisme foncier s'unit ici auneforme de pan-animisme ou pananimatisme a type cosmosophique, selon un procede qui est paradoxal, du fait qu'ils continuent, chacun pour son compte, les deux idees qui, comme on vient de le voir, fonctionnent reciproquement dansdes textes gnostiques parmi les plus typiques: l'idee d'une aspiration qui vient du bas et l'idee d'une primaute de /'ame. La conception d'un »desequilibre liminaire du divin« dont il etait question ci-dessus se presente ici SOUS Ia forme d'une >punition< a laquelle l'äme, en tant qu'animant un etre qui appartient au monde infra-divin, soumet l'etre derive de l'Homme parfait 17 . Mais ce desequilibre signifie aussi animation et possibilite de vie pour le monde inferieur, ce monde. Ceci instaure une dimension cosmogonique ( dans le sens positif) et providentielle, - toujours, bien sur, dans le contexte du dualisme anti-cosmique de base. Se realise ainsi une structure analogue a celle des gnoses >ternaires< (Ophites-Perates-Sethiens d'Hippolyte, ou le Logos-serpent, element intermediaire, cause, par Ia descente et Ia remontee dupneuma, l'animation et resp. l'evacuation du cosmos ). Elle rappeHe d'autre part Ia fonction cosmogonique de Sophia valentinienne et de I' Anthropos du Poimandres. Ces memes aspects, desequilibre liminaire du divin et punition, expliquent Je deplacement de Ia reference historico-religieuse fondamentale du texte naassenien. Ce qu'etait chez Valentin Ia reference essentiellerneut platonicienne du mythe de Sophia se mue ici en une >theologie des mysteres< qui utilise les vieux mythes proche-orientaux centn!s sur le >dieu mourant< et sur un couple divin qui exprime Ia dialectique d'un element divin souverain et impassible (Ia Grande Deesse) et un element divin passible et pris dans Ia vicissitude, son amant humano-divin, legenie de Ia fertilite (deux elements qui insistent eux-aussi sur Ies deux themes que nous venons d'indiquer: aspiration et primaute): »Toute nature des etres celestes, terrestres et SOUterrainsaspire a l'äme. Les Assyriens l'appellent Adonis ou Endymion: il dit que lorsqu'il est appele Adonis, c'est Aphrodite qui s'eprend et desire l'äme ainsi appelee. Pour eux, Aphrodite est Ia generation. Quand Persephone, qui est Kore, s'eprend d' Adonis, il dit qu'il s'agit d'une äme mortelle, separeedes generations d'Aphrodite. Quand Selenedesire et aime Je beau Endymion, c'est le monde d'en haut, continue-t-il, qui a son tour a besoin de l'äme. Quand Ia Mere des dieux mutile Attis, qu'elle aime, c'est Ia nature divine et bienheureuse du monde transcendant et eternel qui rappeHe a soi Ia puissance mäle de l'äme ... Attis mutile signifie qu'il a ete separe des parties terres17
Vr. Ia n. precedente.
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tres du monde d'en bas, pour en venir ~ l'essence eternelle d'en haut, oil, affirme-t-il, il n'y a ni feminin ni masculin, mais une creation nouvelle, l'homme nouveau, qui est androgyne.« On le voit: cette ontologie est fidele, dans l'essentiel, ~ l'ontologie d'un Saturnin, commandee par le theme dualiste du rapport inegal et precaire des substances et des niveaux, un aspect de cette fidelite etant l'insistence sur Ia citation biblique (Phil. 2,10, Eph. 2,15; 4,24, cfr. 3,15), qu'il est difficile d'eliminer du pretendu texte paien de Ia Predigt. D'autre part l'expression erotique de Ia symbologie naassenienne est typique d'une Iitterature mystique qui ne conceme que partiellement le cadre gnostique, mais qui traite ~ son tour le theme du rapport inegal et precaire des deux entites: le Baruch de Justin le gnostique se range ici ~ cöte de l'episode d' Anthropos et Physisdans le Poimandres et du discours de Julien sur Ia Grande Mere, oil Ia mutilation d' Attis chätie sa compromission avec l'eh~ment terrestre. En tous cas, elle complique par le theme de l'attrait mutuel ce rapport inegal entre les deux niveaux et substances qui, dans le texte des Acta, ne transcende pas Ia curiosite et ne produit que displicentia de Ia part de Ia turniere. 8. Mais il y a plus. Cette vision >eosmogoniqueevolutionniste< oil les categories du superieur et de l'inferieur, du melange et de Ia separation-purification, cedent aux categories du ,cache' et du >manifeste< (Ref. V, 7 ,20), ou, en termes philosophiques, de Ia >puissance< et de I' >actefeuxevolutiverealisation< ou actualisation, achevee ou avortee. De ce point de vue, il peut etre compare ~ Ia doctrine mazdeenne du menok et dugetik- ce qui bien entendu ne signifie autre chose que l'elaboration d'une metaphysique adequate a l'idee d'unfieri qui cxprime en meme temps les exigences de Ia totalite et duprincipe de Separation; celui-ci etant, pour l'occasion, le principe d'elimination. On n'est pas loin- de ce chef- de Ia vision teilhardienne. 9. Tout n'est donc pas apocalyptique outragedie dans cette vicissitude dualiste, qui transpose l'humain dans le cosmique. La separation-purification des substances et des niveaux peut comporter laserenite, voire Ia paix, pour ce qui est inferieur. Nous avons considere le cas du demiurge valentinien, promu ~ l'ogdoade ~ Ia fin de l'histoire. Analoguement, les differentes composantes du Christ trouveront Ia paix chacune au niveau auquel elle appartient. Mais c'est surtout
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dans Ia doctrine basilidienne resumee par Hippolyte (VII, 2~27) qu'est formule ce concept de Ia paix destinee ~ chaque element et ~ chacun des quatre demiurges. A Ia fin de l'histoire, quand Ies trois >filialites< (elements pneumatiques) seront situees l'une apres l'autre selon leur degre de purete respective dans Je monde superieur (duquel elles ne semblent pas etre descendues, car elles derivent d'une pansperrnie originaire qui a toutes les caracteristiques de Ia >puissance< du >feu cache< de Ia Megale Apophasis ), Dieu va diffuser sur tous Ies elements inferieurs (I es demiurges y compris) une grande et pacificatrice ayv(l)(J(a, qui leur donnera Ia paix: chose paradoxale, pour un systeme gnostique, mais parfaitement comprehensible au dedans de ce systeme particulier. C'est que cette ayvwo(a, qui implique l'ignorance de l'existence des niveaux superieurs, n'a rien ~ voir avec l'ignorance-folie du demiurge qui se proclame l'unique et Je supreme et donne dans cette illusion Je branle ~ Ia creation. Bien au contraire, elle est Je pendant paradoxal de Ia gnose et produit dans un sens Ies effets de celle-ci, en celui qui n'est pas pneumatique; du fait qu'elle va desormais rendre impossible aux etres inferieurs ce desir du melange avec ce qui est superieur, cette aspiration ou cette concupiscence (d'elevation ou de creation) qui mene ~ Ia confusion des essences et des niveaux. Est-ce que cette cosmologie, cette ethique, cette soteriologie ont un aspect >bouddhique